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FORSCHUNGEN
zuk Deutschen
LANDES- UND VOLKSKUNDE
IM AUFTRAGE DER
CENTRALKOMMISSION FÜR WISSENSCHAFTLICHE
LANDESKUNDE VON DEUTSCHLAND
HERAUSGEGEBEN VON
D* A. KIRCHHOFF,
PROFESSOR DER ERDKÜNDE AN DER UNIVERSITÄT ZU HALLE.
ZWÖLFTER BAND.
MIT Vi KARTEN,
10 TABELLEN.^ LICHTDRUCKTAFELN UNI) 87 TEXTILLUSTRATIONEN.
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STUTTGART.
VERLAG VON J. ENÖELHORN.
1900.
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Druck der Union Deutsche Verlagsgeaellschaft in Stuttgart.
Inhalt.
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1. Die Niederschlagsverhältnisse der mittleren Rhein-
provinz und der Nachbargebiete. Von Direktor Dr.
P. Polis in Aachen. Mit 10 Tabellen, 9 Karten und 3 Text-
Illustrationen 1—96
2. Das Vogtland als orographisches Individuum. Eine
Studie zur deutschen Landeskunde. Von Dr. Albert \Johlrab
in Leipzig. Mit 1 Karte, 7 Lichtdrucktafeln und 12 Text-
illustrationen 97—185
<2>
3. Das Ries. Eine geographisch - volkswirtschaftliche Studie. Von
Dr. Christian Gruber in München. Mit 2 Karten und 12 Text-
illustrationen . ~~. 187—291
4. Die Volksdichte der grossherzoglich hessischen Provinz
Starkenburg |auf Grund der Volkszählung vom 2. De-
zember 1895. Von Dr. Karl Bergmann in Darmstadt. Mit
l^Karte 7 293—364
0> 5. Die Germanisierung der Rätoromanen in der Schweiz.
Volkswirtschaftliche und nationalpolitische Studien. Von Pro-
fessor A. Sartorius Freiherrn von Waltershausen in Straß-
burg i. E.~ Mit 1 Karte 365—474
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Forschungen
zur deutschen "Landes- und Volkskunde
im Auftrage der
Central komm i »e ion für wissenschaftliche Landeskunde von Deutschland
herausgegeben von
Dr. A. girchhoff,
Professor der Erdkunde* au der Universität Halle.
Zwölfter Band.
Heft 1.
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Die Niederschlagsverhältnisse
der
Mittleren Rheinprovinz
und der Nachbargebiete.
Von
Dh. P. POLIS,
DIREKTOR DER METEOROLOGISCHEN ZENTRALSTATION AACHEN.
Mit 10 Tabellen, 9 Karten und 3 Textillustrationen.
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STUTTGART.
VERLAG VON J. ENGELHORN.
1899.
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|ie , Forschungen cur deutschen Lande«- und Volkskunde" sollen dazu helfen» die
heimischen landes- und volkskundlicheu Studien zu fordern, indem sie aus allen Gebieten
derselben bedeutendere und in ihrer Tragweite über ein bloss örtliches Interesse hinaus-
gehende Themata herausgreifen und darüber wissenschaftliche Abhandlungen hervorragender
Fachmänner bringen. Sie beschränken sich dabei nicht auf das Gebiet des Deutschen Reiches,
sondern so weit auf mitteleuropäischem Boden von geschlossenen Volksgemeinschaften die
deutsche Sprache geredet wird, so weit soll sich auch, ohne Rücksicht auf staatliche Grenzen,
der Gesichtskreis unserer Sammlung ausdehnen. Da aber die wissenschaftliche Betrachtung der
Landesiiatur die Weglassung einzelner Teile aus der physischen Einheit Mitteleuropas nicht
wohl gestatten würde, so sollen auch die von einer nichtdeutschen Bevölkerung eingenommenen
Gegenden desselben samt ihren Bewohnern mit zur Berücksichtigung gelangen. Es werden dem-
nach ausser dem Deutschen Reiche auch die Länder des cisleithanischen Oesterreichs, abgesehen
von Galizien, der Bukowina und Dalmatien, ferner die ganze Schweiz, Luxemburg, die Nieder-
lande und Belgien in den Rahmen unseres Unternehmens hineingezogen werden. Ausserdem
aber sollen die Sachsen Siebenbürgens mit berücksichtigt werden und auch Arbeiten über die
grösseren deutschen Volksinseln des Russischen Reiches nicht ausgeschlossen sein.
Unsere Sammlung erscheint in zwanglosen Heften von ungefähr 2 — 5 Bogen; jedes Heft
enthält eine vollständige Arbeit (ausnahmsweise von kürzeren auch mehrere) und ist für sich
käuflich. Eine entsprechende Anzahl von Heften wird (in der Regel jahrgangsweise) zu einem
Bande vereinigt.
Bisher sind erschienen :
Rand I.
Heft 1. Der Boden Mecklenburgs, von Prof. Dr. E. Geinitz. Preis 80 Pfennig.
Heft 2. Die oberrheinische Tiefebene und ihre Randgebirge, von Prof. Dr.
Lepsius. Preis M. 2. —
Heft 8. Die Städte der Norddeutschen Tiefebene in ihrer Beziehung zur Boden- I
gestaltung, von Prof. Dr. F. G. Hahn. Preis M. 2. —
Heft 4. Das Münchener Becken. Ein Beitrag zur physikalischen Geographie
Südbayerns, von Chr. Gruber. Preis M. 1.60.
Heft 5. Die mecklenburgischen Höhenrücken (Geschiebestreifen)' und ihre
Beziehungen zur Eiszeit, von Prof. Dr. E. Geinitz. Preis M. 3. 10.
Heft 6. Der Ein flu ss der Gebirge auf das Klima von Mitteldeutschland, von
Dr. R. A ss mann. Preis M. 5.50.
Heft 7. Die Nationalitäten in Tirol und die wechselnden Schicksale ihrer
Verbreitung, von Prof. Dr. H. J. Bidermann. Preis M. 2.40.
Heft 8. Poleographie der cimbrischen Halbinsel, ein Versuch, die Ansied- !
lungen Nordalbingiens in ihrer Bedingtheit durch Natur und Ge-
schichte nachzuweisen» von Prof. Dr. K. Jansen. Preis M. 2. —
Band IT.
Heft 1. Die Nationalitäts-Verhältnisse Böhmens, von Dr. L. Schlesinger. Preis
80 Pfennig.
Heft 2. Nationalität und Sprache im Königreiche Belgien, von Geh. Rechnungsrat
K. Brämer. Preis M. 4. -
Heft 3. Die Verbreitung und Herkunft der Deutschen in Schlesien, von Prof. Dr.
K. Weinhold. Preis M. 2. 40.
Heft 4. Gebirgsbau und Oberflächengestaltung der Sächsischen Schweiz, von
Dr. A. Hettner. Preis M. 5. 25.
Heft 5. Neuere slavische Siedlungen auf süddeutschem Boden, von Prof, Dr.
H. J. Bidermann. Preis M. 1.25.
Heft 6. Siedlungsarten in den Hochalpen, von Prof. Dr. Ferdinand Low).
Preis M. 1. 75.
Fortsetzung auf Seite 3 des Umschlags .
DIE
NIEDERSCHLAGSVERHÄLTNISSE
DER
MITTLEREN RHEINPROVINZ
UND DER NACHBARGEBIETE.
VON
DR. P. gOLIS,
DIREKTOR DER METEOROLOGISCHEN ZENTRALSTATION AACHEN.
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Mit 10 Tabellen, 9 Karten und 3 TexMustrationen.
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STUTTGART.
VERLAG VON J. ENGELHORN.
1899.
Druck der Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart.
Die genauere Kenntnis der Niederschlagsverteilung spielt nicht
nur in klimatologischer Hinsicht eine bedeutende Rolle, sondern sie
bietet auch eine wichtige Unterlage bei landwirtschaftlichen und wasser-
technischen Fragen. Die Vorarbeiten zur Ausnutzung der Wasserkräfte
in dem nördlichen Teile der Rheinprovinz, einerseits dem Sauerlande
mit den bergischen Industriebezirken, andererseits dem südlichen Roer-
gebiet, waren die Ursache, der Niederschlags Verteilung auch an der
Westgrenze Deutschlands besondere Aufmerksamkeit zu schenken.
Namentlich die Bearbeitung der Niederschlagsverhältnisse im Quell-
gebiet der Roer zum Zwecke der dortselbst projektierten Thalsperren
und die Leitung einer größeren Anzahl von Stationen, gab mir die
Anregung, auch die Regenmenge der mittleren Rheinprovinz eingehender
zu untersuchen. Weiter ermöglichten die hierselbst bestehenden lang-
jährigen Reihen in Verbindung mit dem im Jahre 1892 eingerichteten
dichten Regenstationsnetze genauere Aufschlüsse über die Verteilung
des Niederschlages zu erhalten. Nach längeren Erwägungen schien es,
um die Arbeit noch vor Abschluß des Jahrhunderts zu Ende zu führen,
angebracht zu sein, als Zeitraum das Lustrum 1891—95 bezw. die
zehnjährige Periode 1886 — 95 zu wählen, sowohl um durch ersteres
für die kommenden Zeiten einen stetigen Anschluß zu ermöglichen,
als auch, wie eben erwähnt, die zahlreichen Regenstationen erst 1892
eingerichtet wurden. So konnten natürlich die Jahre 1896 und 1897
nur für einen geringen Teil des Gebietes in den Kreis unserer Unter-
suchung hineingezogen werden.
Bei der Bearbeitung wurde nicht nur Rücksicht auf die jährliche
Menge, sondern auch auf eine möglichst genaue Darstellung der Regen-
verteilung während der einzelnen Jahreszeiten, den Einfluß, den die
Gebirge auf die Niederschlagsbildung ausüben etc., genommen. Außer
der Jahreskarte wurde daher auch die jahreszeitliche Verteilung sowohl
der absoluten Mengen als auch in Prozenten der Jahrsumme karto-
graphisch dargestellt. Diese Karten in Originalgröße herauszugeben,
erfolgte auf Beschluß der Geographischen Sektion der Versamm-
lung Deutscher Naturforscher und Aerzte zu Düsseldorf im Jahre 1898,
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FORSCHUNGEN
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LANDES- UND VOLKSKUNDE
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CENTRALKOMMISSION FÜR WISSENSCHAFTLICHE
LANDESKUNDE VON DEUTSCHLAND
HERAUSGEGEBEN VON
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ZWÖLFTER BAND.
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VERLAG VON J. ENGELHORN.
1900.
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Druck der Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart.
Inhalt.
Seite
1. Die Niederschlagsverhältnisse der mittleren Rhein-
provinz und der Nachbargebiete. Von Direktor Dr.
F. Polis in Aachen. Mit 10 Tabellen, 9 Karten und 3 Text-
illustrationen 1—96
2. Das Vogtland als orographisches Individuum. Eine
Studie zur deutschen Landeskunde. Von Dr. Albert "SJohlrab
in Leipzig. Mit 1 Karte, 7 Lichtdrucktafeln und 12 Text-
illustrationen 97 — 185
3. Das Ries. Eine geographisch - volkswirtschaftliche Studie. Von
Dr. Christian Gruber in München. Mit 2 Karten und 12 Text-
illustrationen 187—291
4. Die Volksdichte der grossherzoglich hessischen Provinz
Starkenburg [auf Grund der Volkszählung vom 2. De-
zember 1895. Von Dr. Karl Bergmann in Darmstadt. Mit
l^Karte "7 293—364
Q> 5. Die Germanisierung der Rätoromanen in der Schweiz.
Volkswirtschaftliche und nationalpolitische Studien. Von Pro-
fessor A. Sartorius Freiherrn von Waltershausen in Straß-
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Forschungen
zur deutschen "Landes- und Volkskunde
im Auftrage der
Centralkonimission fiir wissenschaftliche Landeskunde von Deutschland
herausgegeben von
Dr. A. girchhoff,
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Zwölfter Band.
Heft 1.
Die Niederschlagsverhältnisse
der
Mittleren Rheinprovinz
und der Nachbargebiete.
Von
DK. p. POLIS,
DIREKTOR DER METEOROLOGISCHEN ZENTRALSTATION AACHEN.
Mit 70 Tabelhtiy 9 Karten und 3 Textillustrationen,
STÜTTGABT.
VERLAG VON J. ENGELHORN.
1899.
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4 P. Poli8, Die Niederachlagsverhältn. d. mittleren Rheinprov. u. d. Nachbargeb. [4
gelegentlich meines Vortrages über die Niederschlagsverhältnisse der
Rheinprovinz. In dankenswertester Weise sind Herr Prof. Dr. Kirch-
hoff und der Verleger Herr J. Engelhorn in Stuttgart diesem Be-
schlüsse entgegengekommen, wofür ich auch an dieser Stelle nicht
verfehlen möchte, meinen verbindlichsten Dank auszusprechen. Dem
geographischen Institut der Herren Wagner & Debes in Leipzig
gebührt noch die vollste Anerkennung für die technisch so exakt aus-
geführten Karten. Weiter bin ich zu Danke verpflichtet durch Zu-
wendung von nicht publizierten Beobachtungen dem Kg 1. Preußischen
Meteorologischen Institut, dem Kgl. Belgischen Meteorologi-
schen Observatorium in Uccle-Bruxelles und dessen Directeur de
service m&e'orologique Herrn A. Lancaster, sowie den vielen Beob-
achtern der Regenstationen in der Rheinprovinz. Für größere Zu-
sammenstellungen spreche ich noch den Herren Dr. Bender von der
Meteorologischen Station in Coblenz, Hugo Gart he von der Meteoro-
logischen Station Köln, Prof. Dr. Sassen feld von der Meteoro-
logischen Station Trier, meinen verbindlichsten Dank aus.
An der Aufarbeitung des Materials und der Herstellung der Karten
beteiligten sich die an der Meteorologischen Zentralstation Aachen be-
schäftigten Herren Assistenten Sieb er g und Thelen.
Zur besseren Orientierung sei hier schon bemerkt, daß die Menge
des Niederschlags (Regen, Schnee, Hagel etc.) durch die Höhe in Milli-
meter angegeben wird, bis zu welcher das atmosphärische Wasser
den Boden bedecken würde, wenn es nicht verdunstete, abflösse oder
einsickerte ; eine Niederschlagshöhe von 1 mm liefert für das Quadrat-
meter 1 Liter Wasser, daher für das Hektar 100 Hektoliter.
Möge nun diese Arbeit, welche ich mir hiermit der Oeffentlich-
keit zu übergeben gestatte, als ein bescheidener Beitrag zur vaterländi-
schen Klimatologie aufgenommen werden, woran ich aber auch noch
weiter die Hoffnung knüpfe, daß sie der Landwirtschaft, der Technik
und namentlich dem Wasserbau zum Nutzen gereiche.
Aachen, im März 1899«
Dr. P. Polis.
Inhalt
T«t S«ite
Vorwort 8 [31
Inhalt 5 [b]
Einleitung 7 [7]
1. Verzeichnis der Quellen und der Litteratur ... 7 [7]
2. Geschichtliches 9 [9]
Bearbeitung und Prüfung des Materials 11 [11]
1. Material 11 [11]
a) Meßinstrument. Fehlerquellen der Regenmesser ver-
schiedener Konstruktionen. Fehlerquellen der Aufstellung
der Regenmesser 11
b) Prüfung des Materials 12
2. Prüfung der benutzten Perioden 18
a) Langjährige Reihen. Fehlerrechnung 14
b) Prüfung der Perioden 1891—95, 1886—95 14
Jahreswerte, Jahreszeiten 14
c) Klimaschwankungen. Lustren, Decennien 17
8. Reduktionsmethode 18
a) Hannsche Regel 18
b) Prüfung der Reduktionsmethode 19
c) Fehlergrenze 21
d) Veränderlichkeit des Niederschlages 21
4. Anordnung der Tabellen 22
Niederschlagshöhe. Jahreswerte 24 [24
1. Vorbemerkungen 24 [24
a) Langjährige Mittel 24 [24
b) Meteorologische Grundsätze, die dem Entwurf der Karten
zu Grunde liegen 24
c) Entstehung der .Niederschläge ... 25
Windverhältnisse und Niederschlag. Niederschläge
in den Cyklonen 26 [26]
2. Geographische Verteilung der Niederschläge . 27
Trockengebiete 29
Niederschlagsreichste Gebiete. Bergische Höhen. Hohes
Venu. Technische Anlagen
Landwirtschaft und Niederschlag
3. Höhenverhältnisse und Niederschlag
a) Höhenßtufen und Niederschlagsmenge
b) Luv- und Leeseite. Stau Wirkung
4. Gruppenmittel der Niederschläge
a) Nach einzelnen Gebirgsstöcken
b) Nach Flußgebieten
:i2]
13
14
14
14
17
18
"18'
19
21
:2i
22
32
35
[32]
35
36
36
37
[36]
"86
37
39
39
40
[39]
39
40'
6 P. Polis, Die Niederschlagsverhältn. d. mittleren Rheinprov. u. d. Nachbargeb. [6
Niederschlagshöhe. Jahreszeitliche Verteilung
1. Jährlicher Verlauf
2. Geographische Verteilung der Niederschläge in
den einzelnen Jahreszeiten
a) der absoluten Werte
b) der relativen Werte, Prozenten der Jahrsumme . . .
8. Meteorologisch-geographische Begründung der
Niederschlagsschwankungen in der jährlichen
Verteilung
a) Einfluß der Temperatur und Feuchtigkeit; Gewitter . .
b) Einfluß des Luftdruckes, Cyklonenfrequenz
c) Einfluß des Gebirges auf die jährliche Verteilung überhaupt
d) Einfluß der Luv- und Leeseite auf Winter- und Sommerregen
e) Jahreszeitliche Schwankungen der Windrichtung in ihrer
Einwirkung auf die Aenderung der Luv- und Leeseite .
Weitere Elemente der Niederschläge
1. Größte Niederschlagsmengen
a) Größte Tagesmengen der Niederschläge
b) Größte Niederschläge in kurzer Zeit
2. Niederschlagshäufigkeit
8. Schneeverhältnisse
a) Schneehäufigkeit
b) Schneedecke
Allgemeine Ergebnisse der Arbeit 64 [64]
Tabellen.
I. Uebersicht der Stations Verhältnisse 67 [67]
IL Vieljährige Monats- und Jahreswerte der Nieder-
schläge 75 [751
III. Normalmittel der Niederschläge 1851 — 90 .... 76 [76]
IV. Mittlere Niederschlagshöhe in Prozenten der Jahr-
summe 1886 — 95 78 [78]
V. Mittlere Niederschlagshöhe in Prozenten der Jahr-
summe 1886—90, 1891 — 95 79 [791
VI. Jahresniederschläge im mittleren Rheingebiet . . 81 [81]
VII. Jahreszeitliche Niederschlagsmittel im mittleren
Rheingebiet 86
VIII. Größte Niederschlagsmengen 1886-95 91
a) Größte mittlere Tageswerte der Niederschläge .... 91
b) , absolute „ „ , .... 91
c) Große Niederschläge in kurzer Zeit 1891—94 .... 92
IX. Mittlere Zahl der Tage mit mehr als 0,2 mm Nieder-
schlag 1886 — 95 95
X. Mittlere Zahl der Tage mit Schnee 1886 — 95 ... 96
Seite
42
[42]
42
[42]
44
441
44
44
46
[46]
48
[48]
48
[48"
50
50
51
51
52
[52]
53
[53]
56
[56]
56
[56]
56
56'
58
58'
59
[59]
60
[601
60
60
61
61
86
91
91
91
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Kart«»- Karte
Jährliche Verteilung der Niederschläge 1886—95 . I
Jahreszeitliche Verteilung der Niederschläge 1886
bis 1895 in Millimeter
Winter, Frühling, Sommer, Herbst II— V
Jahreszeitliche Verteilung der Niederschläge in Pro-
zenten der Jahrsumme
Winter, Frühling, Sommer, Herbst VI— IX
Verzeichnis der Quellen und der Litteratur.
Quellen.
a. Für Deutschland.
1. Publikationen des Kgl. Preufi. Meteorologischen Instituts: Ergebnisse der
meteorologischen Beobachtungen 1886—93; von 1887 an unter dem Haupt-
titel Deutsches Meteorologisches Jahrbuch für 1887 (ff.)» Beobachtungssystem
des Königreiches Preußen und benachbarter Staaten : Ergebnisse der Nieder-
schlagsbeobachtungen 1891—94, herausgegeben von W. v. Bezold.
Für 1894 und 1895, soweit noch nicht veröffentlicht, entweder abschrifts-
weise vom Kgl. Preuß. Meteorologischen Institut oder seitens der Beobachter
an den Regenstationen.
2. Deutsches Meteorologisches Jahrbuch, Beobachtungssystem der Meteorologi-
schen Station I. Ordnung Aachen: Ergebnisse der meteorologischen Beob-
achtungen an der Station I. Ordnung Aachen und deren Nebenstationen,
1895—97, herausgegeben von P. Polis.
Originalakten der Meteorologischen Station Aachen.
3. Abschriften seitens der Herren : W. Schnell, Meteorologische Station Kre-
feld; Hugo Garthe, Meteorologische Station Köln; Dr. Bender, Meteoro-
logische Station Coblenz; J. Struve, Meteorologische Station Hachenburg;
Prof. Dr. Sassen feld, Meteorologische Station Trier, größtenteils für älteres
Material.
4. v. Möllendorf, Die Regenverhältnisse Deutschlands in den Abhandlungen
der Görlitzer Naturforschenden Gesellschaft. Görlitz 1862.
5. Töpfer, Untersuchungen über die Regenverhältnisse Deutschlands in den
Abhandlungen der Naturforschenden Gesellschaft zu Görlitz, 18. Bd. 1884.
Nr. 4 und 5 Quellenangabe für einige ältere Beobachtungsreihen.
b. Für Belgien.
6. Lancaster, La pluie en Belgique. Bruzelles 1894.
7. Lancaster, Le climat en Belgique 1891, 1892, 1893, 1894, 1895.
8. Bulletin mensuel de l'observatoire royai de Belgique 1893, 1894, 1895.
Litteratur.
(Arbeiten soweit sie die Rheinprovinz oder die Methode der Niederscblags-
messungen betreffen. M. Z. bedeutet die Meteorologische Zeitschrift)
1. a) van Bebber, Die Regenverhältnisse Deutachlands. München 1877.
b) Vergleichende Regenmessungen an der Deutschen Seewarte. Aus dem
Archiv der Deutschen Seewarte, XVIII. Jahrg. 1893, Nr. 3.
2. Brückner, Klimaschwankungen seit 1700. Wien 1890. Geographische
Abhandlungen, herausgegeben von Penck, Bd. 4, Heft 2.
8 P. Polis, Die Niederschlagsverhältn. d. mittleren Rheinprov. u. d. Nachbargeb. [8
3. a) Hell mann, Beitrage zur Kenntnis der Niederschlags Verhältnisse von
Deutschland. M. Z. 1886.
b) Resultate des Regenmeß- Versuchsfeldes bei Berlin, 1885—91, M. Z. 1892,
und Vergleichende Beobachtungen an Regenmessern verschiedener Kon-
struktionen. Abhandl. des Kgl. Preuß. Meteorolog. Instituts, Bd. 1, Nr. 3.
4. a) Intze, Gutachten bezüglich der Verbesserung der Wasserverhältnisse
der Roer und der zur Verbesserung des Roerbettes aufgestellten Regu-
lierungsprojekte. Düsseldorf 1896.
b) Festrede zur Vorfeier des Geburtstages Sr. Majestät des deutschen Kaisers
und Königs von Preußen; enthalt die verschiedenen Neuanlagen zur
Regulierung der Wasserverhältnisse im Wuppergebiete. Aachen 1897.
5. Lancaster, La pluie en Belgique. Bruxelles 1894.
6. a) Meyer, Die Niederschlagsverhältnisse von Deutschland, insbesondere
von Norddeutachland, in den Jahren 1876 — 85. Aus dem Archiv der
Deutschen Seewarte, 1888, Nr. 6.
b) Anleitung zur Bearbeitung meteorologischer Beobachtungen für die
Klimatologie. Berlin 1891.
7. v. Möllendorf, Die Regenverhältnisse Deutschlands. Görlitz 1862.
8» Moldenhauer, Die geographische Verteilung der Niederschläge im nord-
westlichen Deutschlands Forschungen zur deutschen Landes* und Volks-
kunde IX. Stuttgart 1896.
9. a) Polis, Die Niederschlagsverhältnisse des südlichen Roergebietes im
Jahre 1897. Das Wetter 1898.
b) Die Niederschlagsverhältnisse von Aachen. Deutsches Meteorologisches
Jahrbuch für Aachen 1896. Karlsruhe 1897. Auszugsweise M. Z. 1898
und Das Wetter 1897.
c) Vergleichende Niederschlagsmessungen an der Meteorologischen Station
Aachen. Das Wetter 1897.
d) Die wolkenbrucbartigen Niederschläge des Juni 1898 im Maas- und Roer-
gebiete. Das Wetter 1898.
10. Schultheiß, Klimatische Verhältnisse in Der Rheinstrom und seine
wichtigsten Nebenflüsse. Berlin 1889.
11. Töpfer, Untersuchungen über die Regenverhältnisse Deutschlands. Gör-
litz 1884.
12. Ziegler, Niederschlagsbeobachtungen in der Umgebung von Frankfurt a.M.,
nebst einer Regenkarte der Main- und Mittelrheingegend. Frankfurt a. M.
1886.
Geschichtliches.
Die Niederschlagsverhältnisse des Deutschen Reiches haben bisher
schon eine mannigfaltige Darstellung in textlicher und kartographi-
scher Hinsicht erfahren ; namentlich sind es die früheren Arbeiten von
v.Möllendorf1), van Bebber»), Töpfer3), Krümmel4), Ziegler5),
Hellmann6) und Meyer7), die uns hierüber Aufklärung gegeben
haben.
Während die älteren Arbeiten sich mehr mit der Niederschlags-
frage großer Landstriche befaßten, ist man in jüngster Zeit dazu ge-
kommen, vor allem kleinere Gebiete in Bezug auf ihren Regenreichtum
zu untersuchen; so liegen für die östlichen Teile der Monarchie, gerade
für Schlesien 8), mehrere größere Arbeiten vor. Auch sind die Nieder-
schlagsverhältnisse des gesamten Rheinlaufes von Schultheiß9) dar-
gestellt, die des Oberelsaß durch die bekannte Arbeit von Rubel10),
die des Thüringer Waldes und des Harzes von Assmann11) und in
neuester Zeit eingehend durch Schulz13). Als eine umfangreichere
0 v. Möllendorf, Die Regen Verhältnisse Deutschlands. Görlitz 1862.
*) van Bebber, Regentafeln für Deutschland. Kaiserslautern 1876. —
Die Regenverhältnisse Deutschlands. München 1877.
*) Töpfer, Untersuchungen über die Regenverhältnisse Deutschlands. Ab-
handlungen der Naturforschenden Gesellschaft zu Görlitz, 18. Bd. 1884.
*) Krümmel, Regenkarte im physikalisch-statistischen Atlas des Deutschen
Reiches von Andree und Peschel, mit einleitendem Text.
5) Ziegler, Niederschlagsbeobachtungen in der Umgebung von Frank-
furt a. M., nebst einer Regenkarte der Main- und Mittelrheingegend. Frank-
furt a. M. 1886.
6) Hellmann, Beiträge zur Kenntnis der Niederschlagsverhältnisse von
Deutschland. M. Z. 1886.
7) Meyer, Die Niederschlagsverhältnisse von Deutschland, insbesondere von
Norddeutschland in den Jahren 1876—85. Hamburg 1889.
8) a. Kremser, Klimatische Verhältnisse in dem Oderstromgebiete in dem
Oderwerk, Berlin 1896. — b. Partsch, Die Regenkarte von Schlesien und den ,
Nachbargebieten. Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde, IX.
Stuttgart 1895.
9) Schultheiß, Der Rheinstrom und seine wichtigsten Nebenflüsse. Kli-
matische Verhältnisse. Berlin 1889.
10) Rubel, Die Niederschlagsverhältnisse im Oberelsaß. Inauguraldisser-
tation. Stuttgart 1895.
n) Aß mann, Der Einfluß der Gebirge auf das Klima von Mitteldeutsch-
land. Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde, I. Stuttgart 1886.
,2) Schulz, Die jährlichen Niederschlagsmengen Thüringens und des Harzes
und ihre Verteilung auf die einzelnen Jahreszeiten und Monate. Archiv für
Landes- und Volkskunde der Provinz Sachsen. Halle a. S. 1898.
»■
lie .Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde" sollen dazu helfen, die
heimischen landes- und volkskundlichen Studien zu fördern, indem sie aus allen Gebieten
I derselben bedeutendere und in ihrer Tragweite über ein bloss örtliches Interesse hinaus-
gehende Themata herausgreifen und darüber wissenschaftliche Abhandlungen hervorragender
Fachmänner bringen. Sie beschränken sich dabei nicht auf das Gebiet des Deutschen Reiches,
sondern so weit auf mitteleuropäischem Boden von geschlossenen Volksgemeinschaften die
deutsche Sprache geredet wird, so weit soll sich auch, ohne Rücksicht auf staatliche Grenzen,
der Gesichtskreis unserer Sammlung ausdehnen. Da aber die wissenschaftliche Betrachtung der
Landesnatur die Weglassung einzelner Teile aus der physischen Einheit Mitteleuropas nicht
wohl gestatten würde, so sollen auch die von einer nichtdeutschen Bevölkerung eingenommenen
Gegenden desselben samt ihren Bewohnern mit zur Berücksichtigung gelangen. Es werden dem-
nach ausser dem Deutschen Reiche auch die Länder des cisleithanischeji Oesterreichs, abgesehen
von Galizien, der Bukowina und Dalmatien, ferner die ganze Schweiz, Luxemburg, die Nieder-
lande und Belgien in den Rahmen unseres Unternehmens hineingezogen werden. Ausserdem
aber sollen die Sachsen Siebenbürgens mit berücksichtigt werden und auch Arbeiten über die
grösseren deutschen Volksinseln des Russischen Reiches nicht ausgeschlossen sein.
Unsere Sammlung erscheint in zwanglosen Heften von ungefähr 2 — 5 Bogen; jedes Heft
enthält eine vollständige Arbeit (ausnahmsweise von kürzeren auch mehrere) und ist für sich
käuflich. Eine entsprechende Anzahl von Heften wird (in der Regel Jahrgangs weise) zu einem
Bande vereinigt.
Bisher sind erschienen :
Band I.
Heft 1. Der Boden Mecklenburgs, von Prof. Dr. E. Geinitz. Preis 80 Pfennig.
Heft 2. Die oberrheinische Tiefebene und ihre R'andgebirge, von Prof. Dr.
L e p 8 i u 8. Preis M. 2. —
Heft 3. Die Städte der Norddeutschen Tiefebene in ihrer Beziehung zur Boden-
gestaltung, von Prof. Dr. F. G. Hahn. Preis M. 2, —
Heft 4. Das Münchener Becken. Ein Beitrag zur physikalischen Geographie
Südbayerns, von Chr. Gruber. Preis M. 1.60.
Heft 5. Die mecklenburgischen Höhenrücken (Geschiebestreifen)' und ihre
Beziehungen zur Eiszeit, von Prof. Dr. EL Geinitz. Preis M. 3. 10.
Heft 6. Der Einfluss der Gebirge auf das Klima von Mitteldeutschland, von
Dr. R. A 8 8 mann. Preis M. 5.50.
Heft 7. Die Nationalitäten in Tirol und die wechselnden Schicksale ihrer
Verbreitung, von Prof. Dr. H. J. Bidermann. Preis M. 2.40.
Heft 8. Poleographie der cimbrischen Halbinsel, ein Versuch, dieAnaied-
lungen Nordalbingiens in ihrer Bedingtheit durch Natur und Ge-
schichte nachzuweisen, von Prof. Dr. K. Jansen. Preis M. 2. —
Band II.
Heft 1. Die Nationalitäts-Verhältnisse Böhmens, von Dr. L. Schlesinger. Preis
80 Pfennig.
Heft 2. Nationalität und Sprache im Königreiche Helgien, von Geh. Rechnungsrat '
K. Brämer. Preis M. 4. —
Heft 3. Die Verbreitung und Herkunft der Deutschen in Schlesien, von Prof. Dr.
K. Weinhold. Preis M. 2.40.
Heft 4. Gebirgsbau und Oberflächengestaltung der Sächsischen Schweiz, von
Dr. A. Hettner. Preis M. 5.25.
Heft 5. Neuere alavische Siedlungen auf süddeutschem Boden, von Prof. Dr.
H. J. Bidermann. Preis M. 1.25. j
Heft 6. Siedlungsarten in den Hochalpen, von Prof. Dr. Ferdinand Löwl. 5
Preis M. 1.75.
Fortsetzung anf Seite 3 des Umschlags.
viX
DIE
NIEDERSCHLAGSVERHÄLTNISSE
DER
MITTLEREN RHEINPROVINZ
UND DER NACHBARGEBIETE.
VON
DB. P. gOLIS,
DIBEKTOB DEB METEOROLOGISCHEN ZEMTBAL8TATION AACHEN.
Mit 10 Tabellen, 9 Karten und 3 TexHUmtrationen.
-*—•*-
STUTTGART.
VERLAG VON J. ENGELHORN.
1899.
Druck der Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart.
Die genauere Kenntnis der Niederschlagsverteilung spielt nicht
nur in klimatologischer Hinsicht eine bedeutende Rolle, sondern sie
bietet auch eine wichtige Unterlage bei landwirtschaftlichen und wasser-
technischen Fragen. Die Vorarbeiten zur Ausnutzung der Wasserkräfte
in dem nördlichen Teile der Rheinprovinz, einerseits dem Sauerlande
mit den bergischen Industriebezirken, andererseits dem südlichen Roer-
gebiet, waren die Ursache, der Niederschlagsverteilung auch an der
Westgrenze Deutschlands besondere Aufmerksamkeit zu schenken.
Namentlich die Bearbeitung der Niederschlagsverhältnisse im Quell-
gebiet der Roer zum Zwecke der dortselbst projektierten Thalsperren
und die Leitung einer größeren Anzahl von Stationen, gab mir die
Anregung, auch die Regenmenge der mittleren Rheinprovinz eingehender
zu untersuchen. Weiter ermöglichten die hierselbst bestehenden lang-
jährigen Reihen in Verbindung mit dem im Jahre 1892 eingerichteten
dichten Regenstationsnetze genauere Aufschlüsse über die Verteilung
des Niederschlages zu erhalten. Nach längeren Erwägungen schien es,
um die Arbeit noch vor Abschluß des Jahrhunderts zu Ende zu führen,
angebracht zu sein, als Zeitraum das Lustrum 1891 — 95 bezw. die
zehnjährige Periode 1886 — 95 zu wählen, sowohl um durch ersteres
für die kommenden Zeiten einen stetigen Anschluß zu ermöglichen,
als auch, wie eben erwähnt, die zahlreichen Regenstationen erst 1892
eingerichtet wurden. So konnten natürlich die Jahre 1896 und 1897
nur für einen geringen Teil des Gebietes in den Kreis unserer Unter-
suchung hineingezogen werden.
Bei der Bearbeitung wurde nicht nur Rücksicht auf die jährliche
Menge, sondern auch auf eine möglichst genaue Darstellung der Regen-
verteilung während der einzelnen Jahreszeiten, den Einfluß, den die
Gebirge auf die Niederschlagsbildung ausüben etc., genommen. Außer
der Jahreskarte wurde daher auch die jahreszeitliche Verteilung sowohl
der absoluten Mengen als auch in Prozenten der Jahrsumme karto-
graphisch dargestellt. Diese Karten in Originalgröße herauszugeben,
erfolgte auf Beschluß der Geographischen Sektion der Versamm-
lung Deutscher Naturforscher und Aerzte zu Düsseldorf im Jahre 1898,
4 P. Polis, Die Niederschlagsverhältn. d. mittleren Rheinprov. u. d. Nachbargeb. [4
gelegentlich meines Vortrages über die Niederschlagsverhältnisse der
Rheinprovinz. In dankenswertester Weise sind Herr Prof. Dr. Kirch-
hoff und der Verleger Herr J. Engelhorn in Stuttgart diesem Be-
schlüsse entgegengekommen, wofür ich auch an dieser Stelle nicht
verfehlen möchte, meinen verbindlichsten Dank auszusprechen. Dem
geographischen Institut der Herren Wagner & Debes in Leipzig
gebührt noch die vollste Anerkennung für die technisch so exakt aus-
geführten Karten. Weiter bin ich zu Danke verpflichtet durch Zu-
wendung von nicht publizierten Beobachtungen dem Kg 1. Preußischen
Meteorologischen Institut, dem Kgl. Belgischen Meteorologi-
schen Observatorium in Uccle-Bruxelles und dessen Directeur de
Service m£t£orologique Herrn A. Lancaster, sowie den vielen Beob-
achtern der Regenstationen in der Rheinprovinz. Für größere Zu-
sammenstellungen spreche ich noch den Herren Dr. Bender von der
Meteorologischen Station in Coblenz, Hugo Gart he von der Meteoro-
logischen Station Köln, Prof. Dr. Sassen feld von der Meteoro-
logischen Station Trier, meinen verbindlichsten Dank aus.
An der Aufarbeitung des Materials und der Herstellung der Karten
beteiligten sich die an der Meteorologischen Zentralstation Aachen be-
schäftigten Herren Assistenten Sieberg und Thelen.
Zur besseren Orientierung sei hier schon bemerkt, daß die Menge
des Niederschlags (Regen, Schnee, Hagel etc.) durch die Höhe in Milli-
meter angegeben wird, bis zu welcher das atmosphärische Wasser
den Boden bedecken würde, wenn es nicht verdunstete, abflösse oder
einsickerte ; eine Niederschlagshöhe von 1 mm liefert für das Quadrat-
meter 1 Liter Wasser, daher für das Hektar 100 Hektoliter.
Möge nun diese Arbeit, welche ich mir hiermit der Oeffentlich-
keit zu übergeben gestatte, als ein bescheidener Beitrag zur vaterländi-
schen Klimatologie aufgenommen werden, woran ich aber auch noch
weiter die Hoffnung knüpfe, daß sie der Landwirtschaft, der Technik
und namentlich dem Wasserbau zum Nutzen gereiche.
Aachen, im März 1899.
Dr. P. Polis.
Inhalt
^6X*' Seite
Vorwort 3
Inhalt 5
Bl
Einleitung 7 [7]
1. Verzeichnis der Quellen und der Litteratur ... 7 [7]
2. Geschichtliches 9 [9]
Bearbeitung und Prüfung des Materials 11 [11]
1. Material 11 [11]
a) Meßinstrument. Fehlerquellen der Regenmesser ver-
schiedener Konstruktionen. Fehlerquellen der Aufstellung
der Regenmesser 11 [11
b) Prüfung des Materials 12 [12
2. Prüfung der benutzten Perioden
a) Langjährige Reihen. Fehlerrechnung
b) Prüfung der Perioden 1891—95, 1886—95
Jahreswerte, Jahreszeiten
c) Klimaschwankungen. Lustren, Decennien
8. Reduktionsmethode
a) H an n sehe Regel
b) Prüfung der Reduktionsmethode
c) Fehlergrenze
d) Veränderlichkeit des Niederschlages
4. Anordnung der Tabellen
Niederschlagshöhe. Jahreswerte
1. Vorbemerkungen
a) Langjährige Mittel
b) Meteorologische Grundsätze, die dem Entwurf der Karten
zu Grunde liegen
c) Entstehung der .Niederschläge
Windverhältnisse und Niederschlag. Niederschläge
in den Cyklonen
2. Geographische Verteilung der Niederschläge
Trockengebiete
Niederschlagsreichste Gebiete. Bergische Höhen. Hohes
Venn. Technische Anlagen
Landwirtschaft und Niederschlag
3. Höhenverhältni8se und Niederschlag
a) Höhenstufen und Niederschlagsmenge
b) Luv- und Leeseite. Stauwirkung
4. Gruppenmittel der Niederschläge
a) Nach einzelnen Gebirgsstöcken
b) Nach Flußgebieten
13
[18
14
14
14
14
14
14
17
17'
18
riff
18
18*
19
19
21
21
21
21
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[22]
24
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24
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24
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25
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36
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40
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42
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44
[441
44
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[46]
48
[481
48
'48'
50
[50J
51
51
52
[52]
53
[53]
56
[56]
56
[561
56
56'
58
58'
59
[59]
60
[601
60
60'
61
[61]
64
[64]
6 P. Polis, Die Niederschlagsverhältn. d. mittleren Rheinpro v. u. d. Nachbargeb. [6
Niederschlagshöhe. Jahreszeitliche Verteilung
1. Jährlicher Verlauf
2. Geographische Verteilung der Niederschläge in
den einzelnen Jahreszeiten
a) der absoluten Werte
b) der relativen Werte, Prozenten der Jahrsumme . . .
3. Meteorologisch-geographische Begründung der
Niederschlagsschwankungen in der jährlichen
Verteilung
a) Einfluß der Temperatur und Feuchtigkeit; Gewitter . .
b) Einfluß des Luftdruckes, Cyklonenfrequenz
c) Einfluß des Gebirges auf die jährliche Verteilung überhaupt
d) Einfluß der Luv- und Leeseite auf Winter- und Sommerregen
e) Jahreszeitliche Schwankungen der Windrichtung in ihrer
Einwirkung auf die Aenderung der Luv- und Leeseite .
Weitere Elemente der Niederschläge
1. Größte Niederschlagsmengen
a) Größte Tagesmengen der Niederschläge
b) Größte Niederschläge in kurzer Zeit
2. Niederschlagshäufigkeit
3. Schneeverhältnisse
a) Schneehäufigkeit
b) Schneedecke
Allgemeine Ergehnisse der Arbeit
Tabellen.
I. Uebersicht der Stationsverhältnisse 67 [67]
II. Vieljährige Monats- und Jahreswerte der Nieder-
schläge 75 [75]
III. Normalmittel der Niederschläge 1851 — 90 .... 76 [76]
IV. Mittlere Niederschlagshöhe in Prozenten der Jahr-
summe 1886 — 95 78 [78]
V. Mittlere Niederschlagshöhe in Prozenten der Jahr-
summe 1886—90, 1891—95 79 [791
VI. Jahresniederschläge im mittleren Rheingebiet . . 81 [81]
VII. Jahreszeitliche Niederschlagsmittel im mittleren
Rheingebiet 86
VIII. Größte Niederschlagsmengen 1886 — 95 91
a) Größte mittlere Tageswerte der Niederschläge .... 91
b) „ absolute , „ „ .... 91
c) Große Niederschläge in kurzer Zeit 1891—94 .... 92
IX. Mittlere Zahl der Tage mit mehr als 0,2 mm Nieder-
schlag 1886—95 « 95
X. Mittlere Zahl der Tage mit Schnee 1886 — 95 ... 96
Karten. ^
Jährliche Verteilung der Niederschläge 1886 — 95 . I
Jahreszeitliche Verteilung der Niederschläge 1886
bis 1895 in Millimeter
Winter, Frühling, Sommer, Herbst II— V
Jahreszeitliche Verteilung der Niederschläge in Pro-
zenten der Jahrsumme
Winter, Frühling, Sommer, Herbst VI— IX
Verzeichnis der Quellen nnd der Litteratnr.
Quellen.
a. Für Deutschland.
1. Publikationen des Kgl. Preufi. Meteorologischen Instituts: Ergebnisse' der
meteorologischen Beobachtungen 1886—93; von 1887 an unter dem Haupt-
titel Deutsches Meteorologisches Jahrbuch für 1887 (ff.)» Beobachtungssystem
des Königreiches Preußen und benachbarter Staaten : Ergebnisse der Nieder-
schlagsbeobachtungen 1891—94, herausgegeben von W. v. Bezold.
Für 1894 und 1895, soweit noch nicht veröffentlicht, entweder abschrifts-
weise vom Egl. Preufi. Meteorologischen Institut oder seitens der Beobachter
an den Regenstationen.
2. Deutsches Meteorologisches Jahrbuch, Beobachtungssystem der Meteorologi-
schen Station I. Ordnung Aachen: Ergebnisse der meteorologischen Beob-
achtungen an der Station I. Ordnung Aachen und deren Nebenstationen,
1895—97, herausgegeben von P. Polis.
Originalakten der Meteorologischen Station Aachen.
3. Abschriften seitens der Herren: W. Schnell, Meteorologische Station Kre-
feld; Hugo Garthe, Meteorologische Station Köln; Dr. Bender, Meteoro-
logische Station Coblenz; J. Struve, Meteorologische Station Hachenburg;
Prof. Dr. Sassenfeld, Meteorologische Station Trier, größtenteils für älteres
Material.
4. v. Möllendorf, Die Regen Verhältnisse Deutschlands in den Abhandlungen
der Görlitzer Naturforschenden Gesellschaft. Görlitz 1862.
5. Töpfer, Untersuchungen über die Regenverhältnisse Deutschlands in den
Abhandlungen der Naturforschenden Gesellschaft zu Görlitz, 18. Bd. 1884.
Nr. 4 und 5 Quellenangabe für einige ältere Beobachtungsreihen.
b. Für Belgien.
6. Lancaster, La pluie en Belgique. Bruxelles 1894.
7. Lancaster, Le climat en Belgique 1891, 1892, 1893, 1894, 1895.
8. Bulletin mensuel de Fobservatoire royal de Belgique 1893, 1894, 1895.
Litteratur.
(Arbeiten soweit sie die Rheinprovinz oder die Methode der Niederschlags-
messungen betreffen. M. Z. bedeutet die Meteorologische Zeitschrift.)
1. a) van Bebber, Die Regenverhältnisse Deutschlands. München 1877.
b) Vergleichende Regenmessungen an der Deutschen Seewarte. Aus dem
Archiv der Deutschen Seewarte, XVIII. Jahrg. 1893, Nr. 3.
2. Brückner, Klimaschwankungen seit 1700. Wien 1890. Geographische
Abhandlungen, herausgegeben von Penck, Bd. 4, Heft 2.
8 P. Polis, Die Niederschlagsverhältn. d. mittleren Rheinprov. u. d. Nachbargeb. [g
3. a) He 11 mann, Beitrage zur Kenntnis der Niederschlags Verhältnisse von
Deutschland. M. Z. 1886.
b) Resultate des Regenmeß- Versuchsfeldes bei Berlin, 1885—91, M. Z. 1892,
und Vergleichende Beobachtungen an Regenmessern verschiedener Kon-
struktionen. Abhandl. des Kgl. Preuß. Meteorolog. Instituts, Bd. 1, Nr. 3.
4. a) Intze, Gutachten bezüglich der Verbesserung der Wasserverhältnisse
der Roer und der zur Verbesserung des Roerbettes aufgestellten Regu-
lierungsprojekte. Düsseldorf 1896.
b) Festrede zur Vorfeier des Geburtstages Sr. Majestät des deutschen Kaisers
und Königs von Preußen; enthält die verschiedenen Neuanlagen zur
Regulierung der Wasserverhältnisse im Wuppergebiete. Aachen 1897.
5. Lancaster, La pluie en Belgique. Bruxelles 1894.
6. a) Meyer, Die Niederschlagsverhältnisse von Deutschland, insbesondere
von Norddeutschland, in den Jahren 1876—85. Aus dem Archiv der
Deutschen Seewarte, 1888, Nr. 6.
b) Anleitung zur Bearbeitung meteorologischer Beobachtungen für die
Klimatologie. Berlin 1891.
7. v. Möllendorf, Die Regenverhältnisse Deutschlands. Görlitz 1862.
8* Moldenhauer, Die geographische Verteilung der Niederschläge im nord-
westlichen Deutschland. Forschungen zur deutschen Landes- und Volks-
kunde IX. Stuttgart 1896.
9. a) Polis, Die Niederschlagsverhältnisse des südlichen Roergebietes im
Jahre 1897. Das Wetter 1898.
b) Die Niederschlagsverhaltnisse von Aachen. Deutsches Meteorologisches
Jahrbuch für Aachen 1896. Karlsruhe 1897. Auszugsweise M. Z. 1898
und Das Wetter 1897.
c) Vergleichende Niederschlagsmessungen an der Meteorologischen Station
Aachen. Das Wetter 1897.
d) Die wolkenbruchartigen Niederschläge des Juni 1898 im Maas- und Roer-
gebiete. Das Wetter 1898.
10. Schultheiß, Klimatische Verhältnisse in Der Rheinstrom und seine
wichtigsten Nebenflüsse. Berlin 1889.
11. Töpfer, Untersuchungen über die Regenverhältnisse Deutschlands. Gör-
litz 1884.
12. Ziegler, Niederschlagebeobachtungen in der Umgebung von Frankfurt a. M.,
nebst einer Regenkarte der Main- und Mittelrheingegend. Frankfurt a. M.
1886.
Geschichtliches.
Die Niederschlagsverhältnisse des Deutschen Reiches haben bisher
schon eine mannigfaltige Darstellung in textlicher und kartographi-
scher Hinsicht erfahren ; namentlich sind es die früheren Arbeiten von
v.Möllendorf1), van Bebber'), Töpfer8), Krümmel4), Ziegler5),
Hellmann6) und Meyer7), die uns hierüber Aufklärung gegeben
haben.
Während die älteren Arbeiten sich mehr mit der Niederschlags*
frage großer Landstriche befaßten, ist man in jüngster Zeit dazu ge-
kommen, yor allem kleinere Gebiete in Bezug auf ihren Regenreichtum
zu untersuchen; so liegen für die östlichen Teile der Monarchie, gerade
für Schlesien 8), mehrere größere Arbeiten vor. Auch sind die Nieder-
schlagsverhältnisse des gesamten Rheinlaufes von Schultheiß9) dar-
gestellt, die des Oberelsaß durch die bekannte Arbeit von Rubel10),,
die des Thüringer Waldes und des Harzes von Assmann11) und in
neuester Zeit eingehend durch Schulz18). Als eine umfangreichere
*) v. Möllendorf, Die Regenverhältnisse Deutschlands. Görlitz 1862.
s) van Bebber, Regentafeln für Deutschland. Kaiserslautern 1876. —
Die Regenverhältnisse Deutschlands. München 1877.
*) Töpfer, Untersuchungen über die Regen Verhältnisse Deutschlands. Ab-
handlungen der Naturforschenden Gesellschaft zu Görlitz, 18. Bd. 1884.
*) Krümmel, Regenkarte im physikalisch-statistischen Atlas des Deutschen
Reiches von Andree und Peschel, mit einleitendem Text.
5) Ziegler, Niederschlagsbeobachtungen in der Umgebung von Frank-
furt a. M., nebst einer Regenkarte der Main- und Mittelrheingegend. Frank-
furt a. M. 1886.
6) Hell mann, Beitrage zur Kenntnis der Niederschlagsverhältnisse von
Deutschland. M. Z. 1886.
7) Meyer, Die Niederschlagsverhältnisse von Deutschland, insbesondere von
Norddeutschland in den Jahren 1876—85. Hamburg 1889.
8) a. Kremser, Klimatische Verhältnisse in dem Oderstromgebiete in dem
Oderwerk, Berlin 1896. — b. Partsch, Die Regenkarte von Schlesien und den v
Nachbargebieten. Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde, IX.
Stuttgart 1895.
9) Schultheiß, Der Rheinstrom und seine wichtigsten Nebenflüsse. Kli-
matische Verhältnisse. Berlin 1889.
10) Rubel, Die Niederschlagsverhältnisse im Oberelsaß. Inauguraldisser-
tation. Stuttgart 1895.
n) Aßmann, Der Einfluß der Gebirge auf das Klima von Mitteldeutsch-
land. Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde, I. Stuttgart 1886.
12) Schulz, Die jährlichen Niederschlagsmengen Thüringens und des Harzes
und ihre Verteilung auf die einzelnen Jahreszeiten und Monate. Archiv für
Landes- und Volkskunde der Provinz Sachsen. Halle a. S. 1898.
10 P. Polis, Die Niederschlagsverhältn. d. mittleren Rheinprov. u. d. Nachbargeb. [10
Arbeit, die vor allem ausführlich die Niederschlagsverteilung im Rhein-
lande würdigt, ist neben der von Schultheiß und Ziegler noch die
von Moldenhauer1) hervorzuheben.
Allerdings muß gleich hier vorausgeschickt werden, daß die Mög-
lichkeit der Niederschlagsbearbeitung kleinerer Gebiete sich vor allem
an die Entwickelung des Regenstationsnetzes knüpft. Erst mit der
Reorganisation des Kgl. Preußischen Meteorologischen Insti-
tuts im Jahre 1887 konnte der schon weit früher von Hellmann
gefaßte Plan, Preußen mit einem dichten Netze von Regenstationen zu
überziehen, näher ins Auge gefaßt und in den nächsten Jahren (bis
1893) ausgeführt werden. Zunächst wurde vom Meteorologischen In-
stitut zu Berlin das Regenstationsnetz in den östlichen Provinzen be-
deutend vergrößert und dann systematisch mit der Organisation immer
weiter nach Westen vorgeschritten, so daß dieselbe im Jahre 1893 auch
für die Rheinprovinz als vollständig beendet angesehen werden konnte.
Die Entwickelung8) des Netzes in der Rheinprovinz ist aus nach-
folgender kleinen Zusammenstellung ersichtlich, woraus folgt, daß im
Jahre 1891 durchschnittlich auf 1285 qkm, 1894 auf 138 qkm, 18983)
jedoch auf 100 qkm eine Station kommt.
1891 1892 1893 1894 1895 1S96 1897 1898
Zahl der Stationen 21 195 204 195 205 216 262 264
*) Moldenhauer, Die geographische Verteilung der Niederschläge im
nordwestlichen Deutschland. Stuttgart 1896.
*) Kgl. Preuß. Meteorologisches Institut, Ergebnisse der Nieder-
schlagsbeobachtungen 1891 — 94. Berlin.
') Nach einer Mitteilung des Kgl. Preuß. Meteorologischen Instituts;
die der Meteorologischen Zentralstation Aachen unterstellten Stationen
sind mitgezählt.
Bearbeitung und Prüfung des Materials.
(Tabelle I.)
I. Material.
Das Material zu vorliegender Untersuchung wurde für das deutsche
Gebiet, soweit es nicht in den „Ergebnissen der Beobachtungen* des
Kgl. Preußischen Meteorologischen Instituts oder in hiesigen
Akten vorhanden war, entweder abschriftlich vom Meteorologischen
Institut oder von den einzelnen Beobachtern direkt bezogen. Für Bel-
gien1) sind die dortigen amtlichen Publikationen, sowie die große Regen-
arbeit von Lancaster, benutzt worden.
Als Meßinstrument ist etwa seit dem Jahre 1887 auf allen
dem Kgl. Preußischen Meteorologischen Institut unterstellten
Stationen der Hellmannsche Regenmesser in Gebrauch, während vor-
her meist der Assmannsche zur Verwendung gelangte. Auch befindet
sich die Auffangefläche dieser Apparate vom Jahre 1887 an einheitlich
1 m über dem Erdboden ; nur in den Gebirgen ist sie mit Rücksicht
auf die Schneewehen vielfach höher, bis 1,5 m, angebracht.
Eine Ausnahme hiervon machen die belgischen Stationen, die mit
den dortigen Apparaten ausgerüstet sind, nämlich einem trichterförmigen
Sammelgefäß mit Hahn, sowie die forstlich meteorologische Station
Hollerath, an der sich das an den forstlich meteorologischen Stationen
gebräuchliche Instrument mit quadratischer Auffangefläche bis zum
Jahre 1897 befand. Endlich ist noch zu erwähnen, daß an der Pump-
station Brandenburg des städtischen Wasserwerks Aachen zu Wal-
heim mit einem selbstverfertigten Instrumente beobachtet wurde, welches
aber ohne allen Windschutz aufgestellt war, so daß die dortigen Er-
gebnisse bis 1896 aus diesem Grunde beanstandet werden mußten. Mit
diesem Zeitpunkte wurde diese Station dem hiesigen System einverleibt
und mit einem Hellmannschen Regenmesser ausgerüstet; daher sind
die in der Jahreskarte benutzten Werte auf Grund der neuen Beob-
achtungen ermittelt worden.
Zieht man jedoch den Umstand in Betracht, daß, wie die Ver-
suche Hellmanns2) in Berlin gezeigt haben, selbst Regenmesser ver-
l) Lancaster, Le climat en Belgique 1891, 92, 93, 94, 95. — La pluie
en Belgique. Bruxelles 1894. — Bulletin mensuel de l'observatoire royal de
Belgique 1893, 94, 95.
*) Hellmann, Resultate des Regenmefi-Versuchsfeldes bei Berlin 1885—91.
M. Z. 1892, S. 173 — 181. — Vergleichende Beobachtungen an Regenmessern
verschiedener Konstruktion. Abh. des Kgl. Preufi. Meteorol. Inst. Bd. 1, Nr. 3.
22 P. Polia, [22
4. Anordnung der Tabellen.
Der besseren Uebersicht halber wurden sämtliche Stationen alpha-
betisch angeordnet und in dieser Zusammenstellung die geographischen
Koordinaten, die Seehöhe, die Höhe des Regenmessers über dem Erd-
boden, das System, dem die Stationen angehören (Egl. Preußisches
Meteorologisches Institut, Forstakademie Eberswalde, Observatoire royal
de Belgique, Aachener Zentralstation, Private), die beobachteten Jahre
und, wenn notwendig, Bemerkungen über die Güte des vorhandenen
Materials eingetragen. Diese Bemerkungen beziehen sich jedoch haupt-
sächlich auf den Zeitraum 1886 — 95; auch sind von dem Aachener
Netze, das erst im Jahre 1896 ins Leben gerufen wurde, nur einige
wenige Stationen, die charakteristische Lage haben, ausgewählt und
weiter verarbeitet worden.
Weiter sind, um das Auffinden der Stationen in den einzelnen
Tabellen zu erleichtern, bezw. um Vergleiche zu ermöglichen, Ord-
nungsnummern eingeführt worden, die in der Weise gewonnen sind,
daß die Stationen in der „Zusammenstellung nach Flußgebieten" fort-
laufend numeriert und diese Nummern in allen Tabellen direkt vor den
Namen der Station gesetzt wurden.
In Tabelle II sind die langjährigen beobachteten Monatsmittel
von 12 Stationen niedergelegt, die zum Teil den älteren Arbeiten von
v. Möllendorf, Töpfer und Ziegler entnommen wurden. Diese,
sowie auch die folgende Tabelle lila „Normalmittel 1851— 90* ist
in der Summe (Millimetern) und in Prozenten der Jahrsumme gegeben.
Weiter wurden von ihnen die einzelnen Jahreszeiten wie auch die beiden
Halbjahre gebildet.
Tabelle HI gewährt eine Zusammenstellung der Normalmittel
1851 — 90, und zwar a) der Monatsmittel von den Stationen, die ent-
weder während der ganzen Zeit beobachtet haben, oder aber bei min-
destens 20jähriger Beobachtungszeit auf diese Periode zurückgeführt
wurden; b) der Stationen mit kürzeren Reihen (mindestens 8 Jahre),
deren Jahrsummen auf den eben erwähnten Zeitraum reduziert wurden.
In Tabelle IV und V sind endlich die einzelnen Monatsmittel,
Jahreszeiten und Halbjahre der in den Jahren 1886 — 95, 1886 — 90
und 1891 — 95 beobachtet habenden Stationen prozentarisch angeführt.
Tabelle VI und VII enthalten eine Anordnung der Stationen nach
Flußgebieten; für diese Zusammenstellung waren der Niederschlags-
band des Jahres 1894 des Kgl. Preußischen Meteorologischen
Instituts und für verschiedene Ergänzungen die entsprechenden Blätter
der vom Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und For-
sten herausgegebenen „Wasserkarte der norddeutschen Strom-
gebiete1)" bezw. die „Hydrographische Karte2) von Nord-
deutschland", bearbeitet im Bureau des Wasserausschusses,
maßgebend.
x) Berlin 1893.
8) Berlin 1895.
23] Die Niederschlagsverhältnisse der mittleren Rheinprovinz u. d. Nachbargeb. 23
In Tabelle VI sind die wirklich beobachteten Jahre, das Lustrum
1891 — 95 und das Decennium 1886 — 95 angeführt, sowie bei den redu-
zierten Werten auch die Vergleichsstationen, und zwar abgekürzt; der
Schlüssel zu diesen Abkürzungen ist am Kopfe der Tabelle vermerkt.
Tabelle VII enthält die Mittel der einzelnen Jahreszeiten der beiden
Zeiträume.
Die nachfolgenden Tabellen VIII, IX und X beziehen sich auf
Angaben über mittlere und absolute 24stündige Maxima, große Nieder-
schläge in kurzer Zeit, Niederschlags- und Schneetage meist für das
Decennium 1886 — 95. Bezüglich der weiteren Anordnung ist noch zu
bemerken, daß die Texttabellen mit arabischen, die im Anhange be-
findlichen mit römischen Ziffern fortlaufend numeriert, sowie ferner
die Maxima durch Fett-, die Minima hingegen durch Kursivdruck ge-
kennzeichnet sind.
NiederscMagshöhe. Jahreswerte.
(Tabelle II— III, VI; Tafel I.)
I. Vorbemerkungen.
Langjährige Mittel. Zur genaueren Diskussion der Nieder-
schlagsverhältnisse müssen wir uns aus den früher erwähnten Gründen
der kürzeren Reihen bedienen und auf langjährige Mittel nur des Ver-
gleiches halber hinweisen; ebenso muß auch hier von einer weiteren
Besprechung dieser langjährigen Reihen, wie dies z. B. für Aachen1)
geschehen ist, abgesehen werden. Wohl erscheint es jedoch als zweck-
mäßig, wenigstens für die Normalstationen die Scheitelwerte abzuleiten.
Tabelle 8.
Jährliche Niederschlagssummen nach Gruppen von
59:50 Millimeter geordnet.
Station
Beobachtete
Jahre
u
3
a
P
o
1
g
§
i
o
3
o
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1
o
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E3
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Aachen .... 1
Köln ;
Krefeld
i
Trier |
!
1844-51, 1861—97
(45 Jahre)
1848—97 (50 Jahre)
1848-85, 1893-95
(41 Jahre)
1806—30, 1850—97
(73 Jahre)
1
1
3
4
1
2
l
2
4
1
2
11
3
8
5
18
2
9
10
11
1
11
3
10
5
7
9
6
2
4
5
7
6
3
10
1
3
5
1
2
1
6
_
i
1
Wie ersichtlich, scharen sich die häufigsten Werte um bestimmte
Gruppen, die etwa 200 mm auseinanderliegen. Weiter überragt für
Aachen und Köln der Scheitelwert den mittleren, während er für Kre-
feld und Trier unter demselben bleibt.
Meteorologische Grundsätze, die dem Entwurf der Karten
zu Grunde liegen. Die geographische Verteilung der Niederschläge
ist aus den beigegebenen Karten, die sich auf die Periode von 188G — 95
bezieht, ersichtlich. Diesen Karten liegt die vom geographischen Institut
von Wagner & Debes in Leipzig herausgegebene physikalische Karte
*) Polis, Die Niederschlagsverhältnisse von Aachen. Deutsches meteoro-
logisches Jahrbuch für Aachen 1896. Auszugsweise M. Z. 1898 und „Das Wetter- 1897.
25] P- Polis, Die Niederschlagsverbältn. d. mittleren Rheinprov. u. d. Nachbargeb. 25-
des Rheinlandes zu Grunde, in welcher unter Fortlassung anderer Orte
die meteorologischen- und Regenstationen eingetragen wurden; auch
enthält dieselbe die Wasserscheiden bis zur zweiten Ordnung, die der
hydrographischen Karte von Norddeutschland entnommen worden sind.
Für den ersten Entwurf erwies sich eine aus den sogenannten
Heimatsblättern von Justus Perthes in Gotha zusammengesetzte
physikalische Karte im Maßstabe 1 : 500000 als sehr brauchbar, nach
welchem die hier beigehefteten Karten im Maßstabe 1 : 800 000 über-
tragen wurden. Dabei sind auch häufig die betreffenden Blätter der
norddeutschen Stromgebiete benutzt worden.
Insgesamt gelangten 238 Stationen zur Verwendung, wovon aller-
dings ein Teil der belgischen Stationen in der Karte nicht aufgeführt
ist. Jedoch mußten 20 Stationen, die bei der Prüfung sich als un-
zuverlässig herausstellten, ausgeschlossen, bezw. konnten nur einzelne
Werte derselben gebraucht werden. Es dürfte nicht uninteressant sein,
die Anzahl der bei den früher bearbeiteten Niederschlagskarten in
dieses Gebiet entfallenden Stationen miteinander zu vergleichen:
v. Möllendorf 7 Stationen,
Töpfer 14
Ziegler 22
Moldenhauer 33 „
Nach den früheren Prüfungen (siehe die Prüfung der Reduktions-
methode) schien es angemessen zu sein, die Isohyeten von 100 zu
100 mm zu ziehen, wodurch man dennoch ein klares Bild und genügend
Abstufungen in der Karte erzielt. Weiter wurden die Isohyeten ohne
Rücksicht auf solche Stationen gezogen, deren Prüfungsergebnisse un-
günstig waren, oder welche ein zu lückenhaftes Material aufwiesen.
Auch mußten, um die Genauigkeit an den Grenzgebieten zu vermehren,
im Westen eine größere Anzahl von belgischen Stationen, im Osten
westfälische Stationen benutzt werden. Außer der Jahreskarte wurde
auch die Verteilung der Niederschläge in den einzelnen Jahreszeiten
kartographisch dargestellt, und zwar nach zwei verschiedenen Gesichts-
punkten, nämlich 1. in absoluten Mengen, und 2. in Prozenten der
Jahrsummen. Bei diesen Karten konnten selbstverständlich der Un-
sicherheit der Reduktionsmethode wegen, lange nicht so viele Stationen
herangezogen werden als bei der Jahreskarte. Die Abstufungen erfolgen
hier von 25 mm zu 25 mm, bezw. von 2 °/o zu 2 °/o .
Entstehung der Niederschläge. Bei der Erklärung der Nieder-
schlagskarten ist es wesentlich, neben den Höhenverhältnissen auch die
Windverteilung von Westdeutschland und ihre Beziehung zu den Nieder-
schlägen näher zu erläutern.
Der Atlantische Ozean und die über demselben lagernden Luft-
druckverhältnisse beherrschen das Klima des westlichen Europas; daher
kann uns feuchte, wasserdampfreiche Luft nur von dort zugeführt
werden, die ihrerseits nur bei westlichen Luftströmungen unsere Ge-
genden erreicht. Bei der Bildung des Niederschlages spielen vertikale
Luftströmungen die Hauptrolle, da die Luft beini Emporsteigen Arbeit
leistet, und diese Arbeitsleistung durch eine äquivalente Wärmemenge
gedeckt werden muß. Weiter kann die Luft nur einen entsprechenden
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[28
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*' r ,ip««ani **«ia -»tauten Zetit. auch üe Kondensation»-
.1 : Vr *• +r • i r {..mint.
-* * -.»*n t*„;r,Nr*.*,tni;!;2t'!i -«mit einerseits ten barometrischen
-«/•*-* *r„vr^rv:r.s -w-.nt iie Loffc auch an den Gebirgen
.~ j nj,^ «jvn mit lamit Ar^it zu leisten- Wir müssen
-*. ■■-.•* *^<r** W^nieutBcmand zu ten barometrischen
- '*+■ y^ .- - , v,r Aut^uiiUse m -iie^r Hinsicht gewähren uns
',--,. j.v- -, n H t:n- Iher <iie Luftarackrertei Jung während
-■*•'- **-t ^mmerzeit n^ findet «ich eine Anticvklone über
* *■ ^: --■ < -^%r, - ^ih ^etiinirt im V^r^me imt dem niederen
*• - - -..-•' j*.r **:-vn Aonr.nenren W.*>t- ind X^niwestwmde. welche
- - . ** * ♦* ^HO^^Tr.vr^c.v ind iühiere Lufb loer iem Atlantischen
, -,- ,. .»*r.« V»^T/i#*n /of'inr^n mii 'ianut «iie S-mmerregenzeit ein-
■ •> ^». ,r,. . '..--r pichen iich i:e LufMr^irmterschiede aus*
♦ >-k ■v^,^.», ä i *1i;d ***:n Ende err^icat. Ceher 'iem östlichem
- V"- ^- /, f r r ,. ^ ^ w H^rWzeit nach and nach der Luftdruck
* ,.,,- - •.*■,... r r\(\» 7*itanffvn zur Herrscuan. wodurch der Herbst
' • /. <" -■' /-**-. ***■ v k -r, ^t#> Jan reszeit charakterisiert ist. Wahrend
- ' r -. ■ r, * ^. ,,* ;> ^r> Gey^naVn m^iat von ozeanischen Depres-
■ .• ,',*,.* r ,». r^^gr^n dem ö*rI:oheren Deutschland durch die
-,y „ .' , i » , -v.r,rMTi d.e rrr.ide Seeluft abgeschnitten ist.
» - *-'-'/-- /. jr> 'oVr^rt L'iftdra^kverteilung geht daher das
* ' • ' ' - *-.*--/■.- **t^ <\*r W.r.de aus dem We*t*|aa*iranten herror,
* ■ ' * - ! " , <*f •^e\\<*rA* T^oeiie für Aachen zeigt:
' ••• **# -7 ^) A*^h*m In Tuaendsteln 1*6^—0-5
' / -K * STA' W XW C
<- ^ ii .'^ :>5 >»» 145 1:^7 252
//■ • •'■'•*'''• ^4ut ^r^ft^jien von den vielen Kalmen, ron
^ ''* f- i* **.? i- v>Hth<-Y,(.T\ Richtungen entfallen.
- '* '" * 4,f w^-H-j.rheti Luttströmungen Regenwinde sind,
/* '* , > o Z'w »rr.m^r»^t^IIungr), wonach die Summe der
'A- /•, A -»/ -,*■- f",r H * f irr/^lnen Windrichtungen vom 1. Oktober
l'''1 f/# / "• ? t +'«;** ff f(*t \ty*$9 zusammengefaßt sind:
Waiwftrh'jhe in mm
T'rti Nj<"Wvhj/i/en überhaupt von Schnee
t* ys m 21
K *'>' 41 7
*■ /'■ '/ m\ 9
^/ * ' // r,.v; 54
'/ II n ntt. tn* Vt-fit-n iuy t]t*n \lnfU\r\n\(»n über Mittel- und Südeuropa.
f; r/*!»«*, VhtyU't'htwl* Niht\nr*>-' ~ an der Meteorologischen
MMIff/i Af»'l»/ff Mt-lht,t>,Utttinh* 'At*)* 197, Heft 5.
27] Die Niederschlagsverhältnisse der mittleren Rheinprovinz u. d. Nachbargeb. 27
Aus dieser Tabelle ergiebt sich, daß in den beiden beobachteten
Jahren auf die westliche Seite der Windrose 1177 mm Niederschlag ent-
fielen, was also ]>2/s des gesamten beträgt, während umgekehrt die öst-
lichen Winde nur mit 205 mm (V») sich beteiligten. Weiter sehen wir,
daß für Schnee die West- bis Nordwinde die ergiebigsten sind. Es fallen
nun nicht alle Niederschläge bei westlichen Luftströmungen, sondern
ein Teil auch bei östlichen. Die Ursache hierfür sind die Depressionen,
die südlich von unseren Gegenden vorüberziehen (Zugstraße Va uYid b
nach van Bebber). Diese führen aber naturgemäß, da sie ihren Wasser-
dampf entweder von der Ostsee oder aber vom Mittelländischen Meere
hernehmen müssen, nicht so viel Feuchtigkeit mit sich, und können
daher auch nur weniger ergiebige Niederschläge veranlassen.
Für die Regenbüdung in den Depressionen *) ist noch darauf hin-
zuweisen, daß in der Zone des größten Aufsteigens der Luftmassen
auch das Maximum der Kondensation zu erwarten ist. Für die Eüsten-
cyklonen ist dies auf der Ost- und Südseite (Vorderseite) der Fall ; auf
dem Lande jedoch tritt mit der Deformation der Cyklone eine Ver-
änderung der Zone des größten Niederschlages ein. Die verschiedenen
und einander entgegengesetzten Reibungswiderstände auf der See und
auf dem Lande werden ihrerseits dazu beitragen, eine Verlagerung der
Regenzone zu bewirken. Bei den Küstencyklonen verhindern die auf
der Rückseite stark entwickelten Tangentialkräfte die aufsteigende Be-
wegung der Luftmassen; es werden daselbst die mit Wasserdampf be-
ladenen Westwinde weit weniger Niederschlag bringen, als die zum
Aufsteigen gezwungenen Süd- und Südwestwinde (größter Regenfall bei
fallendem Barometer). Dieselben Westwinde können jedoch auf dem
Lande der einströmenden Bewegung wegen leichter aufsteigen, wodurch
sich ihre Wirkung verdoppelt, indem sie einmal mehr Wasserdampf mit
sich führen als die kontinentalen Süd- und Südostwinde, dann aber
auch durch die orographischen Verhältnisse gezwungen werden, noch
mehr aufzusteigen (größter Regenfall bei steigendem Barometer).
2. Geographische Verteilung der Niederschläge.
Das ganze, die Karte umfassende Gebiet läßt sich in das links-
und rechtsrheinische Gebirge, welches durch das Rheinthal geschieden
wird, trennen; das Moselthal bildet die Grenze zwischen Eifel und
Hunsrück.
Die meisten Niederschläge treffen wir in den Gebirgen an, und
zwar zu beiden Seiten des Rheinthaies, in der Eifel mit dem Hohen
Venn und dem Rothaargebirge. Diese Gebirgsstöcke umschließen die
rheinische Tieflandsbucht, die direkt mit dem norddeutschen Flachlande
in Verbindung steht. Sie ist begrenzt von der Isohyete von 600 mm,
welche, südlich vom Soonwalde ausgehend, sich um den ganzen Huns-
rück herumschlängelt, ein größeres Stück des Moselthaies bis in die
Nähe von Alf umfaßt, dann der Abdachung des Eifelgebirges folgt
*) Polis, Zur Theorie der Cyklonen und Anticyklonen. Aus dem Archiv
der Deutschen Seewarte, 1899, Bd. XXII, Nr. 2.
12 P. Polis, [12
schiedenartigster Konstruktion keine bedeutenden Unterschiede in Bezug
auf die gefallenen Niederschlagsmengen ergaben, so dürfte das Material
hinsichtlich der Art und der Höhe der Auffangefläche über dem Erd-
boden als homogen zu betrachten sein.
Etwas anders liegen die Verhältnisse bezüglich der örtlichen Auf-
stellung; denn vergleichende Niederschlagsmessungen, die in jüngerer
Zeit besonders von Hellmann1) in Berlin, van Bebber2) an der
deutschen Seewarte, sowie an der hiesigen meteorologischen Station
vorgenommen wurden, haben gelehrt, daß ein Regenmesser ohne Wind-
schutz stets zu wenig angibt.
Aus den hiesigen9) vergleichenden Beobachtungen, die an zwei
Hellmann sehen Regenmessern angestellt wurden, deren einer im Wind-
schutz, der andere frei auf einer Plattform 19 m über dem Erdboden
angebracht war, ergab sich ein durchschnittlicher Fehlbetrag des un-
geschützten Instrumentes von 16°/o. Dieser Fehlbetrag ist eine Funk-
tion der Windstärke und wächst mit zunehmender Geschwindigkeit des
Windes. Die noch größere Minderergiebigkeit im Winter ist sowohl
auf den Schneefall als auch auf die stärkere Luftbewegung in jener
Zeit zurückzuführen, indem aus dem vollständig frei aufgestellten Regen-
messer leicht Schnee herausgeweht werden kann, bezw. infolge des
geringen Gewichtes desselben auch das Hineinfallen der Schneeflocken
in den Regenmesser durch den Wind mehr erschwert wird als das des
Regens, wozu begünstigend die größere Luftbewegung während des
Winterhalbjahres hinzutritt.
Da nun die den verschiedenen Zentralstellen unterstellten Stationen
besichtigt und die Regenmesser je nach Umständen versetzt werden,
so dürfte auch bezüglich der örtlichen Aufstellung das Material ver-
hältnismäßig einwurfsfrei sein; prinzipiell fehlerhafte Aufstellungen
wurden, soweit sie zur Kenntnis gelangten, bei der Bearbeitung be-
rücksichtigt.
Um jedoch Beobachtungsfehler und sonstige Störungen
thunlichst auszuschließen, sind sämtliche beobachteten Werte der be-
nutzten Stationen durch Vergleich der Monatssummen einer Prüfung
unterzogen worden. Dies geschah größtenteils durch graphische Dar-
stellung im Koordinatennetz, während bei einigen Stationen auch die
täglichen Niederschlagszahlen nebeneinander gestellt wurden. Ersteres
Verfahren (bei allen Stationen angewandt) ist zwar, was hier nicht
verhehlt werden soll, eine äußerst zeitraubende Arbeit, aber manche
Fehler konnten dadurch gefunden und berichtigt werden. Weiter be-
stätigten die ausgezogenen Kurven die von Hann4) und Wild5) an-
') Hellmann, Resultate des Regenmeß- Versuchsfeldes bei Berlin 1885—91.
2) van Bebber, Vergleichende Regenmessungen an der Deutschen See-
warte. Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte, XVIII. Jahrgang 1893, Nr. 3.
3) Polis, Vergleichende Niederschlagsmessungen an der Meteorologischen
Station Aachen. Meteorologische Zeitschrift Wetter 1897, Heft 5.
4) Hann, Untersuchungen über die Regenverhältnisse in Zentral-Ungarn.
IL Sitzungsberichte der Wiener Akademie, mathem.-naturw. El. 1880, II. Abt.
5) Wild, Regenverhältnisse des russischen Reichs. V. Supplementband zum
Repertorium für Meteorologie. St. Petersburg 1887.
13] Die Niederschlagsverhältnisse der mittleren Rheinprovinz u. d. Nachbargeb. 13
geführte Thatsache (worauf auch die später zu erörternde Reduktions-
methode beruht), daß der monatliche und jährliche Oang der Nieder-
schlagssummen von nicht allzuweit voneinander liegenden Stationen
ein gleichartiger ist; nur in der Sommerzeit können die oftmals sehr
lokalen Gewitterregen größere oder kleinere Umkehrungen hervorrufen.
Bei verdächtigen Abweichungen, z. B. Barraque Michel, Kalter-
herberg-Reichenstein , Lutzerath, Rötgen in den Wintermonaten 1895,
wurden entweder Interpolationsrechnungen angewandt (jedoch nur in
wenigen Fällen) oder aber die Werte von einer weiteren Verarbeitung
ausgeschlossen. Die sonstigen Prüfungsresultate (nur wenn Fehler vor-
lagen), Interpolationsrechnungen, fehlende Monatssummen etc. sind in
Tabelle I aufgeführt. Vollständig unbrauchbare Stationen oder solche,
von denen nur einjährige Beobachtungen (1893 oder 1895) vorlagen,
wurden selbstverständlich beim Kartenentwurfe nicht berücksichtigt.
Da aber die Abweichungen des Jahres 1897 von der Normalen
f&r die westlichen Gebiete äußerst geringe waren (für Aachen z. B.
— 8 mm), so konnten für Barraque Michel die Beobachtungen der in
gleicher Höhe und nur 1 km entfernten Station Monte Rigi, und für
Kalterherberg-Reichenstein die Messungen der seit 1897 bestehenden
Station Kalterherberg mit verwendet werden.
2. Prüfung der benutzten Perioden.
Aus den früher erörterten Gründen beschäftigt sich die vorliegende
Arbeit mit den Niederschlagsverhältnissen in den Perioden 1886—95
und 1891 — 95. Es ist daher erforderlich, zunächst diese beiden kür-
zeren Reihen mit langjährigen Mitteln zu vergleichen. Aus der Rhein-
provinz stehen solche langjährigen Mittel nur von einigen Stationen
zur Verfügung, nämlich von Aachen, Birkenfeld, Bonn, Boppard,
Coblenz, Köln, Krefeld, Kreuznach und Trier.
Für Boppard, Köln und Trier liegen ununterbrochene Beobachtungen
der Normalperiode 1851 — 90 vor, während die übrigen Stationen einige
Lücken aufweisen; jedoch konnten auch diese mit Rücksicht auf die
Länge der angestellten Beobachtungen auf die 40jährige Normalreihe
monatsweise (mit Ausnahme von Coblenz), siehe Tabelle III, mit Hilfe
der später zu erörternden Hannschen Regel reduziert werden.
Da die Güte der älteren Beobachtungen (vor 1886) nur für
Aachen, Köln, Krefeld und Trier bekannt ist, so wurden diese als
langjährige Reduktionsstationen auch für die anderen in Tabelle III an-
geführten Orte verwandt. Die Kritik der übrigen langjährigen Reihen
entzieht sich größtenteils hiesiger Beurteilung. Doch sei erwähnt, daß
der Regenmesser in Birkenfeld J) früher 10 m über dem Erdboden stand,
sowie, daß bezüglich Bonns die Ansicht Mol den hauers *) nicht geteilt
wird, daß das langjährige Mittel der Sternwarte zu gering sei (siehe
auch später); für Kreuznach ebenfalls hält Hellmann3) das langjährige
') Moldenhauer, S. 58.
*) Derselbe, S. 27.
3) Hellmann, Beitrage zur Kenntnis der Niederschlagsverhältnisse von
Deutschland. M. Z. 1886.
14 P. Polis, [14
Mittel für unzuverlässig. Das bei Töpfer1) angeführte Lohe Jahres-
mittel von Birkenfeld mit 891 mm darf nicht verwundern, da es aus
einer niederschlagsreichen Periode hergeleitet wurde und auch Trier
für den gleichen Zeitraum (1861 — 79) 741 mm hat. Die langjährige
Jahressumme von Coblenz wurde der Ziegl ersehen Arbeit entnommen,
bei welcher Monatssummen nicht angegeben sind.
Bevor wir jedoch die kürzeren Perioden mit der Normalreihe ver-
gleichen, ist es wünschenswert, auch die langjährigen Mittel in
Bezug auf ihre Genauigkeit zu untersuchen. Für diesen Zweck
wurde sich der Gau fischen2) Fehlerrechnung bedient. Allerdings läßt
sich diese Methode nicht so ohne weiteres in der Meteorologie an-
wenden wie bei exakt physikalischen Messungen, aber immerhin gewährt
sie eine gewisse Vorstellung über die Fehlergröfie bei einem längeren
Zeiträume, weil die Extreme der Niederschläge sich auch innerhalb
gewisser Grenzen bewegen müssen. Zu dieser Prüfung wurden die
Kölner Beobachtungen benutzt, die von 1848 bis heute ununterbrochen
vorliegen. Die Fehlerrechnung wurde sowohl für die Normalperiode
1851—90, als auch für das 50jährige Mittel 1848—97 ausgeführt. In
der Formel
■-±v-
SA2
n(n-l)
bedeutet SA2 die Summe der Quadrate aller Abweichungen, n die
Anzahl der beobachteten Jahre. Aus dieser Formel ergibt sich als
mittlerer Fehler für die Periode 1851— 90 ± 19 mm, für 1848—97
+ 16 mm ; um den wahrscheinlichen Fehler zu finden, muß man nach
Gaufi diese Werte noch mit 0,67 multiplizieren, wodurch man + 12,7 mm
bezw. + 10,4 mm erhält.
Interessant ist ferner noch die Periode 1893 — 95, deren Werte
bei der Reduktion größtenteils zu Grunde liegen, in der obigen Weise
zu untersuchen. Für Köln beträgt der mittlere Fehler + 62 mm, der
wahrscheinliche ± 42 mm.
Nach diesen Erörterungen wollen wir nunmehr dazu übergehen, die
kürzeren Reihen, die dieser Arbeit zu Grunde gelegt sind, zu prüfen.
Stellt man die einzelnen Jahreszeiten der Normalstationen Köln, Aachen
und Trier für die verschiedenen Perioden 1891 — 95 und 1886—95 der
langjährigen 1851 — 90 gegenüber und berechnet die prozentarischen
Abweichungen, so ist ohne weiteres ersichtlich, daß für den nördlichen
Teil der mittleren Rheinprovinz die zu Grunde gelegten Perioden in
Bezug auf die Jahressummen etwas zu feucht waren; sehr gering ist
diese Abweichung für den nordwestlichen Teil mit Aachen und Köln
(3 — 5°/o), der südliche Teil (siehe Trier) ist jedoch in den unter-
suchten Perioden zu trocken gewesen.
Hinsichtlich der einzelnen Jahreszeiten weist vor allem der Früh-
ling zu geringe Beträge auf, besonders in dem Lustrum 1891 — 95 ; am
*) Töpfer, Untersuchungen über die Regen Verhältnisse Deutschlands.
2) Meyer, Anleitung zur Bearbeitung meteorologischer Beobachtungen für
die Klimatologie. Berlin 1891. Fehlerrechnungen.
15] Die Niederschlagsverhaltnisse der mittleren Rheinprovinz u. d. Nachbargeb. 15
Tabelle 1.
Prozentarische Abweichungen der Reihen vom Normal-
mittel.
Aachen
Köln
Trier
Aachen
Köln
Trier
1851—90
40 Jahre
mm
214
132
149
tc
1851—90
40 Jahre
mm
183
133
158
u
1886—95
10 Jahre
mm
222
134
135
1886—95
10 Jahre
mm
175
129
143
Prozentarische
Abweichung
+ 3,7
+ 0,8
— 9,5
ja
a
Em
Prozentarische
Abweichung
— 4,4
— 3,0
— 6,5
1891—95
5 Jahre
mm
247
150
145
1891—95
5 Jahre
mm
159
108
109
Prozentarische
Abweichung
+ 15,4
+ 13,6
-2,7
Prozentarische
Abweichung
— 13,1
— 18,8
-28,8
1851—90
40 Jahre
mm
235
211
211
00
M
1851—90
40 Jahre
mm
212
152
182
u
1886—95
10 Jahre
mm
255
235
209
1886—95
10 Jahre
mm
215
164
169
S
s
o
Prozentarische
Abweichung
+ 8,5
+ 1M
— 0,9
Prozentarische
Abweichung
+ M
+ 8,0
-7,1
GG
1891—95
5 Jahre
mm
248
221
195
1891—95
5 Jahre
mm
218
165
182
Prozentarische
Abweichung
+ 5,5
+ 4,7
— 7,6
Prozentarische
Abweichung
+ 2,8
+ 8,6
0
Aachen
Köln
Trier
1851—90
40 Jahre
mm
844
628
695
1886—95
10 Jahre
mm
867
662
656
Prozentarische
Abweichung
+ 2,7
+ 5,4
— 5,6
1891—95
5 Jahre
mm
872
644
631
Prozentarische
Abweichung
+ 3,3
+ 2,5
— 9,2
16
P. Polw,
[16
stärksten ist dies wieder für Trier ausgeprägt. Die Erklärung hierzu
liefert der außerordentlich trockene April 1893, in welchem fast gar
kein Niederschlag gefallen ist, wodurch der mittlere Frühlingswert
heruntergesetzt wurde. Sommer und Herbst haben für Trier geringe
negative Abweichungen, für die beiden anderen Orte jedoch positive,
wie dies leicht durch lokale Gewitterregen hervorgerufen werden kann.
Der Winter ist für die nördlichen Bezirke, besonders für das Lus-
trum 1891 — 95 zu feucht gewesen, woran die Hauptschuld der nasse
Februar 1893 und Januar und Dezember 1895 trugen; für Trier macht
sich jedoch ein kleiner Fehlbetrag bemerkbar.
Meyer1) stellt den Satz auf: „Die zu erwartende Menge des
Niederschlages eines Zeitabschnittes ist kleiner als die mittlere, da bei
langjährigen Beobachtungen sich mehr Zeiträume mit einer kleineren
als mit einer größeren Niederschlagshöhe als das Gesamtmittel finden/
Um diese Gesetzmäßigkeit zu prüfen, wurde für die Normalstationen
die Häufigkeit der Abweichungen sowohl vom langjährigen Mittel als
auch von den beiden untersuchten Perioden gebildet und in Tabelle 2
zusammengestellt.
Tabelle 2.
Häufigkeit der Abweichung der Jahrsummen von deren
Mittel.
Station
'Abweichung vom Mittel
Jahre
i
1806-30
18Ä0-97
78 Jahre
1844-51
1861-95
43 Jahre
1848-97
50 Jahre
1848-85
1893-95
41 Jahre
1851-90
40 Jahre
1886-95
10 Jahre
1891-95
5 Jahre
An-
zahl
Zeitraum
Aachen . . .
Köln
Krefeld . . .
Trier ....
__
i
i
!+ 30
|-48
+ 24
- 19
+ 26
— 24
+ 20
- 20
n 1
+ 24
— 19
+ 27
- 22
n 1
+ 20
- 20
n 1
+ 28
— 50
+ 19
- 24
+ 22
- 28
+ 36
- 37
+ 19
— 24
+ 25
— 25
+ 49
— 24
43
50
41
73
/ 1844—51
\ 1861—95
1848—97
r 1848-85
\ 1893-95
/ 1806—30
\ 1850-97
Besonders scharf ist die Bestätigung dieses Satzes in der lang-
jährigen Reihe von Trier ausgeprägt, wie dies sowohl die 73jährigen
als auch die 40jährigen Beobachtungen zeigen. Für die übrigen Sta-
tionen ist jedoch in den längeren Reihen (die allerdings nicht über
50 Jahre zurückgehen) eine Anordnung zu Gunsten der positiven be-
merkbar; in den kürzeren Reihen halten sich die positiven und nega-
tiven Abweichungen nahezu das Gleichgewicht.
') Meyer, Die Niederschlagsverhältnisse von Deutschland.
Deutschen Seewarte, XI, Nr. 6, 1889. Hamburg, S. 2.
Archiv der
17] Die Niederschlagsverhältnisse d er mittleren Rheinprovinz u. d. Nachbargeb . 1 7
Diesem Satze entsprechend, müßte nun das untersuchte Decennium
1886 — 95 bezw. das Lustrum 1891 — 95 weder einem Minimum noch
einem Maximum des Niederschlages einer längeren Periode angehören;
es ist daher von ganz besonderem Interesse, das Verhalten der kurzen
Reihen während der gesamten vorliegenden Beobachtungen näher kennen
zu lernen. Zur Charakteristik dieser sogenannten Elimaschwankungen
sind nach Brückner1) die Lustrenmittel heranzuziehen; es wurden da-
her von den vier Normalstationen in der Rheinprovinz, sowie Brüssel, die
Lustrenmittel, ferner die gesamten prozentarischen Abweichungen von
der 40jährigen Normalsumme 1851 — 90 gebildet. Die in Klammern
gestellten Zahlen geben die jährliche Niederschlagshöhe in Millimetern
an (1851 — 90). Besonders wichtige Aufschlüsse gewähren uns die
Trierer Beobachtungen, die mit Unterbrechung der Jahre 1831 — 50,
mit welchem Zeitraum jedoch die Brüsseler Reihe beginnt, bis zum
Jahre 1806 zurückreichen.
Im allgemeinen trägt das gesamte Gebiet einen weit einheitlicheren
Charakter, als Kremser2) z. B. für das Oderstromgebiet fand, wenn-
gleich an den Grenzen sich hin und wieder Umkehrungen bemerkbar
machen. Lediglich ist in den Perioden 1841—45, 1851—55, 1866—70
und 1876—80 zu viel Niederschlag gefallen, während die Lustren
1861 — 65 und 1871 — 75 durch große Trockenheit sich auszeichnen.
Ein diese Lustren umfassender Zeitraum würde also ein unrichtiges
Bild der Niederschlagsverteilung geben, in dem einen Fall zu hoch, in
dem andern zu niedrig.
Durchmustert man die langjährige Reihe von Trier, so zeigt sich
als feuchtester der Zeitabschnitt 1806 — 10, dem unmittelbar als trocken-
ster die Periode 1811 — 15 folgt. Weiter macht sich in der Zusammen-
stellung die von Brückner3) betonte regelmäßige Zu- und Abnahme
der Niederschlagssummen bemerkbar ; aus dem Verlaufe dieser Schwan-
kungen geht hervor, daß wir einer niederschlagsärmeren Zeit entgegen-
sehen, was auch durch die drei letzten Jahre 1896, 1897 und 1898
seine Bestätigung erfahren hat.
Faßt man die Beobachtungen nach Decennien zusammen (siehe
Tabelle 4), so macht sich zunächst eine weit geringere Abweichung
vom Normalwerte bemerkbar, deren Grenze zwischen — ll°/o und
+ 90/o liegt, während sie bei den 5jährigen Beobachtungen um 45°/o
schwankt. Eine Zusammenfassung der gesamten Abweichungen wurde
hierbei ebenfalls vorgenommen, woraus erhellt, daß die Periode 1851 — 70
etwas zu trocken, diejenige von 1871 — 90, besonders 1871 — 80, zu
feucht war.
Was nun endlich das untersuchte Decennium 1886 — 95 anbelangt,
so zeigt sich, daß es weder einem Maximum noch einem Minimum des
Niederschlages angehört; auch sind die prozentarischen Abweichungen
geringe (Schwankung 11 °/o, siehe Tabelle 1), was zu dem Schlüsse
') Brückner, Klimaschwankungen seit 1700. Wien 1890, Geographische
Abhandlungen, herausgegeben von Penck; Bd. 4, Heft 2.
*) Kremser, Klimatische Verhältnisse des Oderstromgebietes im Oderwerk.
Berlin 1898.
•) Brückner, Klimaschwankungen seit 1700. Wien 1890.
Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde. XII. 1. 2
18
P. Polis,
[18
Tabelle 3.
Lustren des Niederschlages.
o
I
c
00
7
CO
55
i i
*
00
T
1
so
i
SD
33
-
i
OD
o
1
TD
IC
i
*-*
in?
oo
o
1
td
00
td
TD
o
1
TD
TD
1
1
I -
o
i
Q0
<*
OD
7
00
00
OS
1
X
00
33
1
Summen in Millimeter
Aachen (8*
Köln . (65
Krefeld (li
Trier , (61
Brüssel (7<
Aachen ,
Köln . ( -
Krefeld ♦
Trier . .
18)
m
W)
Jtil
:
Kl
S96
:
-14
625
-io
634
■
-9
618
-ii
:
Prc
. - 623
720 7&4 713
aentarisehe
. 1 . 1-86
: 1 : 1 :
i . jr^919
67&Ö91 j/o.009
653Uf'631 760
730 702^743
745 665 ö4f|7W
Abweichungen
, . -2S + 9
+ 7-6 -19 -1
-8-22-11 + 8
+ 5 + 1-14 + 7
S35
554
700
6l>
- 1
-12
- 1
- 3
&»4
:m
821
7:14
880
fl3
413
tl6
+ 6
922 ff**
69^680
643 .
699 682
760JT60
+ 9 + 2
-12 + 3
-y .
+ 1 - 2
872
+ 3
+ 3
-9
Durchschn
Brüssel -,
itt
-
-3
+*8
. +1
-4 + 1
i-9
-18 + G
-1+3
-4
- 6
+ii;+3
+19J+3
+ 3
+ 3
-1
-5
Tabelle 4.
Decennien des Niederschlages.
0
1— 1
00
0
CO
J,
00
0
00
S
1
00
0
J,
CO
00
0
00
j,
00
0 1
Od
l !
1
0
00
0
00
j,
00
0
00
0
CO
00
0
CO
00
8
00
O
O»
l
00
00
1
Summen in Millimeter
Prozentarische Abweichungen
Aachen (844)
Köln. . (628)
Krefeld (706)
Trier . (695)
610
626
788
623
601
716
704
758
559
695
673
699
895
631
761
704
789
893
687
690
760
—12
-10
+ 1
—15
+ 3
—10
—11
- 2
— 8
+ 6
0
+ 8
+ 1
+.
+19
- 1
Durchschnitt
Brüssel (740)
Ö
— 4
— 5
— 6
— 6
+ 4
+ 7
+ 5
+ 3
berechtigt, daß die in den Karten dargestellten Niederschlagsverhält-
nisse den mittleren Werten nahe kommen werden.
3. Reduktionsmethode.
Da nun nicht an allen Stationen für den diskutierten Zeitraum
beobachtete Werte vorhanden sind, so mußten dieselben auf irgend
eine Weise untereinander vergleichbar gemacht werden. Die Möglich-
keit hierzu bietet die Ha nn sehe *) Regel, die sich auf die Thatsache
*) Meyer, Anleitung zur Bearbeitung meteorolog. Beobachtungen etc. S.50.
1 9] Die Niederschlagsverhältnisse der mittleren Rheinprovinz u. d. Nachbargeb. 1 9
stützt, daß größere Gebiete gleiche Regenschwankungen innerhalb der
Jahre zu verzeichnen haben, nur daß das Verhältnis je nach der Lage
(Höhen- oder Flachlandstation) verschieden ist. In der Formel:
A
sa = sn -r=r-
N
bezeichnet A den beobachteten Wert einer Station, N die korrespon-
dierende Regensumme der Normalstation und sn die Normalperiode,
woraus man sa, die Regensumme, erhält, die in den Jahren der Normal-
reihe an der Station gefallen ist.
Allerdings ist für den Gebrauch dieser Formel vorauszuschicken,
daß Gebirgsstationen nicht auf Flachlandstationen oder umgekehrt, zu-
rückgeführt werden können. Diesem Umstände wurde dadurch Rech-
nung getragen, daß, soweit es möglich, eine größere Anzahl von Re-
duktionsstationen (d. h. solche, von denen aus der Periode von 1886 — 95
Beobachtungen vorlagen) verwendet und auf diese Weise nahe gelegene
Orte aufeinander reduziert wurden. Ausnahmsweise wurden auch so-
genannte überreduzierte Werte verwendet, wenn von einer Station, wie
Gützenrath, Neuwied, 9 beobachtete Jahre vorhanden waren, da in
diesem Falle der berechnete, 10jährige Wert von dem beobachteten nur
sehr wenig abweicht (siehe die spätere Tabelle 5).
Unerläßlich scheint es jedoch, diese Methode einer exakten
Prüfung zu unterziehen, indem man solche berechnete Werte mit den
beobachteten vergleicht.
Zwar können wir zu dieser Prüfung nur solche Stationen heran-
ziehen, die über eine Beobachtungszeit von 5 bezw. 10 Jahren ver-
fügen ; solche liegen oft weiter voneinander entfernt, als sonst die Orte
von ihren Reduktionsstationen.
Diese Untersuchung wurde sowohl für die 5jährige Periode 1891
bis 1895, als auch für die 10jährige 1886—95 gesondert ausgeführt.
Während wir bei der Prüfung der 10jährigen Periode nur die Stations-
paare Aachen und Köln, Imgenbroich und Hollerath verwenden konnten,
wurden für die 5jährigen noch Schneifelforsthaus und Gerolstein, Alten-
kirchen und Hachenburg, Neuwied und Köln hinzugenommen, deren
berechneten wie beobachteten Werte in den beigegebenen Tabellen 5
und 6 zusammengestellt wurden.
Die Abweichung der berechneten Werte der einzelnen Perioden
von dem beobachteten Endwerte ist der besseren Uebersicht halber in
Tausendsteln der Summe dargestellt.
Bei Durchsicht dieser Zusammenstellungen prägt sich sofort der
gleiche Gang der berechneten Werte mit dem der Reduktionsstation
aus, wie dies auch nach der Formel nicht anders zu erwarten ist.
Weiter macht sich bei den Reduktionen bemerkbar, daß die Genauig-
keit der berechneten Summe durchschnittlich mit der Anzahl der Be-
obachtungsjahre wächst; jedoch haben einzelne Zeiträume auffallend
geringe Abweichungen, z. B. die Kombination 1894 — 95.
Da nun meistenteils bei der Reduktion die Jahre 1893 — 95 zu
Grunde gelegt worden sind, so interessiert uns ganz besonders deren
Verhalten. Die Abweichung nimmt ab, je mehr man nach Süden geht,
20 P. Polia,
Tabelle 5.
Prüfung der 10jährigen Periode 1886—95.
[20
Beobachtete
Jahre
i
Aachen
reduziert auf Köln
Imgenbroich
reduziert auf H oller ath
1895
1894—95
1893—95
1892-95
1891—95
1890—95
1889—95
1888—95
1887—95
1886-95
Beobachtete Berechnete
Werte
Abweichung [Beobachtete Berechnete
in '| '
Tausendsteln ' Werte
I 855
814
1 933
861
919
920
889
907
872
894
875
887
874
874
■ 883
861
869
861
867
867
— 62
— 8
+ 60
+ 45
+ 30
+ 22
-i- 7
— 8
893
969
947
916
918
914
945
961
947
945
934
908
908
925
900
908
917
942
947
945
Abweichung
in
Tausendsteln
— 11
— 38
— 38
— 20
— 47
— 38
— 29
— 2
+ 2
Tabelle 6.
Prüfung der 5jährigen Periode 1891 — 95.
Aachen
reduziert auf
Köln
Imgenbroich
reduziert auf
Hollerath
I Gerolstein
1 reduziert auf
! Schneifel-
forsthaus
Altenkirchen
reduziert
auf Hachen-
b u r g. j
Neuwied
reduziert auf
Köln
Beobachtete
Jahre
5
.4
ctf
.a
8
PQ
8
PQ
bweichung
in
msendsteln
i
1
o
a>
pq
5
4)
a
■3
8
bweichung
in
msendsteln
2
i
o
S
1
S
PQ
§ 1
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1 2
o
d
1 «°
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Ol
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1
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6£ O
1 1
- 5
! Werte
< &
Wert*
< £ Werte
^ H : Werte
« £
Werte
•« 6
1895
,855
793
— 90
1893
951
+ 36 722
675
— 16||870
749
- 541
596
542
+ 38
1894-95
933
838
— 39
969
926
+ 9
734
666
- 29l|795
783
— 11
579
516
— 11
1893-95
919
896
+ 27
947
926
+ 9
716
666
- 29 ,754
699
—117;
528
512
— 19
1892—95
ß89
884
+ 14
916
942
+ 26
679
684
— 3
!730
724
- 86i
514
510
-23
1891-95
872
872
!918
918
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686
686
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|792
792
522
522
"""
und ist am größten in dem östlichen Teile der Rheinprovinz ; siehe
Altenkirchen-Hachenburg.
Für die 5jährige Periode, deren größte Abweichung 29 mm pro
1000 beträgt, ergiebt sich (abgesehen von Altenkirchen) für die ge-
birgigen Gegenden (1200 mm) eine mittlere Schwankung von circa
35 mm, während sie für das Flachland bei einer mittleren Niederschlags-
summe von 600 mm nur 17 mm beträgt.
Bei der 10jährigen Periode ist die Schwankung am größten bei
dem Stationspaare Aachen-Köln mit 60 mm pro 1000, so daß also für
das Flachland die berechnete Summe von der beobachteten um circa
21 ] Die Niederachlagsverhältniase der mittleren Rheinprovinz u. d. Nachbargeb. 21
36 mm, für die Gebirge etwa um 72 mm im äußersten Falle abweichen
dürfte. S. 14 hatten wir für Köln als mittleren Fehler ± 62 mm,
als wahrscheinlichen + 42 mm der Periode 1893 — 95 gefunden. Dieses
Resultat ist um so beachtenswerter, als jene aus der Fehlerrechnung
ermittelte Größe innerhalb obiger Abweichung von 36 — 72 mm liegt.
Aber immerhin geht aus diesen Erörterungen hervor (vergl. auch
Prüfung der beobachteten Perioden), daß die dem Reduktions ver-
fahren anhaftende Unsicherheit im allgemeinen ± 5°/o, also
bei 1000 mm ± 50 mm nicht überschreiten dürfte.
Um jedoch diese Beziehungen der gleichen Schwankungen der
jährlichen Niederschlagssummen in einer etwas anderen Weise zu be-
leuchten, wurden die Koeffizienten der Veränderlichkeit des Nieder-
schlages für 5 bezw. 10 Jahre zuverlässiger Stationen bestimmt, indem
das Verhältnis der Lustrenmittel 1886—90 und 1891 — 95, sodann
der 3jährigen Periode 1893 — 95 in das untersuchte Decennium 1886 — 95
dividiert wurde.
Tabelle 7.
Veränderlichkeit des Niederschlages.
Station.
Koeffizient
1893—95
zu
1886—95
Koeffizient
1891—95
zu
1886—95
Koeffizient
1886—90
zu
1886—95
1. Nessonvaux . .
2. Aachen ....
3. Hockay ....
4. Imgenbroich .
5. Hollerath . . .
6. Gouvy
7. Arlon
8. Kelberg ....
9. Trier
10. Birkenfeld . .
11. Simmern . . .
12. Geisenheim . .
13. Coblenz ....
14. Köln
15. Hachenburg .
0,91
1,04
1,00
0,96
1,04
0,94
0,98
0,96
1,02
1,00
0,96
0,99
0,92
0,96
0,99
1,05
1,03
0,98
1,01
1,08
0,99
1,04
1,03
1,05
1,00
0,94
1,03
0,98
1,03
1,00
0,95
0,97
1,02
0,92
0,94
1,01
0,93
0,96
0,93
0,99
1,23
0,97
1,02
Wie diese Zahlen lehren, ist eine gewisse Regelmäßigkeit nicht
zu verkennen, obschon gerade die Gebirgsorte im Vergleiche zu den
Flachlandstationen oft Umkehrungen zeigen. Solche Abweichungen
sind natürlich auch beim Kartenentwurfe berücksichtigt worden.
22 P« Polis, [22
4. Anordnung der Tabellen.
Der besseren Uebersicht halber wurden sämtliche Stationen alpha-
betisch angeordnet und in dieser Zusammenstellung die geographischen
Koordinaten, die Seehöhe, die Höhe des Regenmessers über dem Erd-
boden, das System, dem die Stationen angehören (Kgl. Preußisches
Meteorologisches Institut, Forstakademie Eberswalde, Observatoire royal
de Belgique, Aachener Zentralstation, Private), die beobachteten Jahre
und, wenn notwendig, Bemerkungen über die Güte des vorhandenen
Materials eingetragen. Diese Bemerkungen beziehen sich jedoch haupt-
sächlich auf den Zeitraum 1886 — 95; auch sind von dem Aachener
Netze, das erst im Jahre 1896 ins Leben gerufen wurde, nur einige
wenige Stationen, die charakteristische Lage haben, ausgewählt und
weiter verarbeitet worden.
Weiter sind, um das Auffinden der Stationen in den einzelnen
Tabellen zu erleichtern, bezw. um Vergleiche zu ermöglichen, Ord-
nungsnummern eingeführt worden, die in der Weise gewonnen sind,
daß die Stationen in der „Zusammenstellung nach Flußgebieten41 fort-
laufend numeriert und diese Nummern in allen Tabellen direkt vor den
Namen der Station gesetzt wurden.
In Tabelle II sind die langjährigen beobachteten Monatsmittel
von 12 Stationen niedergelegt, die zum Teil den älteren Arbeiten von
v. Möllendorf, Töpfer und Ziegler entnommen wurden. Diese,
sowie auch die folgende Tabelle III a „Normalmittel 1851—90" ist
in der Summe (Millimetern) und in Prozenten der Jahrsumme gegeben.
Weiter wurden von ihnen die einzelnen Jahreszeiten wie auch die beiden
Halbjahre gebildet.
Tabelle III gewährt eine Zusammenstellung der Normalmittel
1851 — 90, und zwar a) der Monatsmittel von den Stationen, die ent-
weder während der ganzen Zeit beobachtet haben, oder aber bei min-
destens 20jähriger Beobachtungszeit auf diese Periode zurückgeführt
wurden; b) der Stationen mit kürzeren Reihen (mindestens 8 Jahre),
deren Jahrsummen auf den eben erwähnten Zeitraum reduziert wurden.
In Tabelle IV und V sind endlich die einzelnen Monatsmittel,
Jahreszeiten und Halbjahre der in den Jahren 1886 — 95, 1886—90
und 1891 — 95 beobachtet habenden Stationen prozentarisch angeführt.
Tabelle VI und VII enthalten eine Anordnung der Stationen nach
Flußgebieten; für diese Zusammenstellung waren der Niederschlags-
band des Jahres 1894 des Kgl. Preußischen Meteorologischen
Instituts und für verschiedene Ergänzungen die entsprechenden Blätter
der vom Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und For-
sten herausgegebenen „Wasserkarte der norddeutschen Strom-
gebiete1)" bezw. die „Hydrographische Karte2) von Nord-
deutschland*, bearbeitet im Bureau des Wasserausschusses,
maßgebend.
*) Berlin 1893.
a) Berlin 1895.
23] Die NiederschlagsverhSJtnisse der mittleren Rheinprovinz u. d. Nachbargeb. 23
In Tabelle VI sind die wirklich beobachteten Jahre, das Lustrum
1891 — 95 und das Decennium 1886 — 95 angeführt, sowie bei den redu-
zierten Werten auch die Vergleichsstationen, und zwar abgekürzt; der
Schlüssel zu diesen Abkürzungen ist am Kopfe der Tabelle vermerkt.
Tabelle VII enthält die Mittel der einzelnen Jahreszeiten der beiden
Zeiträume.
Die nachfolgenden Tabellen VIII, IX und X beziehen sich auf
Angaben über mittlere und absolute 24stündige Maxima, große Nieder-
schläge in kurzer Zeit, Niederschlags- und Schneetage meist für das
Decennium 1886—95. Bezüglich der weiteren Anordnung ist noch zu
bemerken, daß die Texttabellen mit arabischen, die im Anhange be-
findlichen mit römischen Ziffern fortlaufend numeriert, sowie ferner
die Maxima durch Fett-, die Minima hingegen durch Kursivdruck ge-
kennzeichnet sind.
Niederschlagshöhe. Jahreswerte.
(Tabelle II— III, VI; Tafel I.)
I. Vorbemerkungen.
Langjährige Mittel. Zur genaueren Diskussion der Nieder-
schlagsverhältnisse müssen wir uns aus den früher erwähnten Gründen
der kürzeren Reihen bedienen und auf langjährige Mittel nur des Ver-
gleiches halber hinweisen; ebenso muß auch hier von einer weiteren
Besprechung dieser langjährigen Reihen, wie dies z. B. für Aachen1)
geschehen ist, abgesehen werden. Wohl erscheint es jedoch als zweck-
mäßig, wenigstens für die Normalstationen die Scheitelwerte abzuleiten.
Tabelle 8.
Jährliche Niederschlagssummen nach Gruppen von
59:50 Millimeter geordnet.
o
o
o
o
o
o
o
o
o
o
o
o
o
©
o
o
Beobachtete
«*
o
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CO
o
©
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00
o
o
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Station
Jahre
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1
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1
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1/3
CO
co
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c-
00
00
OS
o*
o
CD
L3
Aachen ....
1844-51, 1861—97
(45 Jahre)
1848—97 (50 Jahre)
—
—
1
1
3
2
1
5
2
6
10
5
2
6
1
Köln
1
4
2
2
8
9
11
7
4
-
1
1
—
-
—
Krefeld. . . .
! 1848-85, 1893-95
(41 Jahre)
1
1
—
—
5
10
3
9
5
3
3
-
—
1
—
Trier
1806—30, 1850—97
3
2
4
11
18
11
10
6
7
— 1 —
—
1
—
—
(73 Jahre)
Wie ersichtlich, scharen sich die häufigsten Werte um bestimmte
Gruppen, die etwa 200 mm auseinanderliegen. Weiter überragt für
Aachen und Köln der Scheitel wert den mittleren, während er für Kre-
feld und Trier unter demselben bleibt.
Meteorologische Grundsätze, die dem Entwurf der Karten
zu Grunde liegen. Die geographische Verteilung der Niederschläge
ist aus den beigegebenen Karten, die sich auf die Periode von 188(5 — 95
bezieht, ersichÜich. Diesen Karten liegt die vom geographischen Institut
von Wagner & Debes in Leipzig herausgegebene physikalische Karte
*) Polis, Die Niederschlagsverhältnisse von Aachen. Deutsches meteoro-
logisches Jahrbuch für Aachen 1896. Auszugsweise M. Z. 1898 und „Das Wetter* 1897.
25] P- Polis, Die Niederschlagsverhältn. d. mittleren Rheinprov. u. d. Nachbargeb. 25
des Rheinlandes zu Grunde, in welcher unter Fortlassung anderer Orte
die meteorologischen- und Regenstationen eingetragen wurden; auch
enthält dieselbe die Wasserscheiden bis zur zweiten Ordnung, die der
hydrographischen Karte von Norddeutschland entnommen worden sind.
Für den ersten Entwurf erwies sich eine aus den sogenannten
Heimatsblättern von Justus Perthes in Gotha zusammengesetzte
physikalische Karte im Maßstabe 1 : 500000 als sehr brauchbar, nach
welchem die hier beigehefteten Karten im Maßstabe 1 : 800 000 über-
tragen wurden. Dabei sind auch häufig die betreffenden Blätter der
norddeutschen Stromgebiete benutzt worden.
Insgesamt gelangten 238 Stationen zur Verwendung, wovon aller-
dings ein Teil der belgischen Stationen in der Karte nicht aufgeführt
ist. Jedoch mußten 20 Stationen, die bei der Prüfung sich als un-
zuverlässig herausstellten, ausgeschlossen, bezw. konnten nur einzelne
Werte derselben gebraucht werden. Es dürfte nicht uninteressant sein,
die Anzahl der bei den früher bearbeiteten Niederschlagskarten in
dieses Gebiet entfallenden Stationen miteinander zu vergleichen:
v. Möllerdorf 7 Stationen,
Töpfer 14
Ziegler 22
Moldenhauer 33 „
Nach den früheren Prüfungen (siehe die Prüfung der Reduktions-
methode) schien es angemessen zu sein, die Isohyeten von 100 zu
100 mm zu ziehen, wodurch man dennoch ein klares Bild und genügend
Abstufungen in der Karte erzielt. Weiter wurden die Isohyeten ohne
Rücksicht auf solche Stationen gezogen, deren Prüfungsergebnisse un-
günstig waren, oder welche ein zu lückenhaftes Material aufwiesen.
Auch mußten, um die Genauigkeit an den Grenzgebieten zu vermehren,
im Westen eine größere Anzahl von belgischen Stationen, im Osten
westfälische Stationen benutzt werden. Außer der Jahreskarte wurde
auch die Verteilung der Niederschläge in den einzelnen Jahreszeiten
kartographisch dargestellt, und zwar nach zwei verschiedenen Gesichts-
punkten, nämlich 1. in absoluten Mengen, und 2. in Prozenten der
Jahrsumnien. Bei diesen Karten konnten selbstverständlich der Un-
sicherheit der Reduktionsmethode wegen, lange nicht so viele Stationen
herangezogen werden als bei der Jahreskarte. Die Abstufungen erfolgen
hier von 25 mm zu 25 mm, bezw. von 2 °/o zu 2 °/o .
Entstehung der Niederschläge. Bei der Erklärung der Nieder-
schlagskarten ist es wesentlich, neben den Höhenverhältnissen auch die
Windverteilung von Westdeutschland und ihre Beziehung zu den Nieder-
schlägen näher zu erläutern.
Der Atlantische Ozean und die über demselben lagernden Luft-
druckverhältnisse beherrschen das Klima des westlichen Europas ; daher
kann uns feuchte, wasserdampfreiche Luft nur von dort zugeführt
werden, die ihrerseits nur bei westlichen Luftströmungen unsere Ge-
genden erreicht. Bei der Bildung des Niederschlages spielen vertikale
Luftströmungen die Hauptrolle, da die Luft beim Emporsteigen Arbeit
leistet, und diese Arbeitsleistung durch eine äquivalente Wärmemenge
gedeckt werden muß. Weiter kann die Luft nur einen entsprechenden
26 P. Polia, [26
Gehalt von Wasserdampf bis zur Sättigung aufnehmen, der bei ab-
nehmender Temperatur rasch sinkt ; es wird daher bei einer entsprechen-
den Abkühlung auch eine entsprechende Menge Wasserdampf ausge-
schieden werden müssen. Horizontale Luftströmungen hingegen vermögen
nur ganz unbedeutende Mengen von Wasserdampf (meist in Gestalt
von Nebel) auszuscheiden, da neben den weit geringeren horizontalen
Temperaturdifferenzen die Mischung von verschieden temperierten Luft-
massen nur sehr langsam von statten geht, auch die Kondensations-
wärme noch in Betracht kommt.
Diese vertikalen Luftströmungen sind einerseits den barometrischen
Depressionen eigen; andererseits wird die Luft auch an den Gebirgen
gezwungen, emporzusteigen und damit Arbeit zu leisten. Wir müssen
uns also fragen, welche Lage Westdeutschland zu den barometrischen
Depressionen einnimmt. Aufschlüsse in dieser Hinsicht gewähren uns
die Untersuchungen von Hann1) über die Luftdruckverteilung während
des Jahres. In der Sommerzeit befindet sich eine Anticyklone über
dem Atlantischen Ozean; sie bedingt im Vereine mit dem niederen
Drucke über den beiden Kontinenten West- und Nordwestwinde, welche
ihrerseits die wasserdampfreiche und kühlere Luft über dem Atlantischen
Ozean unseren Gegenden zuführen und damit die Sommerregenzeit ein-
leiten. Im September gleichen sich die Luftdruckunterschiede aus,
womit der ozeanische Einfluß sein Ende erreicht. Ueber dem östlichen
Europa beginnt während der Herbstzeit nach und nach der Luftdruck
zu steigen ; östliche Winde gelangen zur Herrschaft, wodurch der Herbst
als die gleichmäßigste, trockenste Jahreszeit charakterisiert ist. Während
der Winterzeit sind unsere Gegenden meist von ozeanischen Depres-
sionen beherrscht, wohingegen dem östlicheren Deutschland durch die
dort lagernden Anticyklonen die milde Seeluft abgeschnitten ist.
Aus der eben geschilderten Luftdruckverteilung geht daher das
entschiedene Vorherrschen der Winde aus dem Westquadranten hervor,
wie dies auch die nachstehende Tabelle für Aachen zeigt:
Wind Verteilung zu Aachen in Tausendsteln 1869—95
N NE E SE S SW W NW C
46 97 44 34 36 209 145 137 252
Es ist ersichtlich, daß, abgesehen von den vielen Kalmen, von
1000 Fällen 491 auf die westlichen Richtungen entfallen.
Daß thatsächlich die westlichen Luftströmungen Regenwinde sind,
beweist folgende kleine Zusammenstellung2), wonach die Summe der
Niederschläge zu Aachen für die einzelnen Windrichtungen vom 1. Oktober
1894 bis zum 30. September 1896 zusammengefaßt sind:
Wasserhöhe in mm
von Niederschlägen überhaupt von Schnee
N-ENE
174
21
E-SSE
41
7
S— WSW
621
9
W— NNW
556
54
Veränderliche Winde
297
69
*) Hann, Die Verteilung des Luftdruckes über Mittel- und Südeuropa.
Wien 1887, S. 25-40.
3) Polis, Vergleichende Niederschlagsmessungen an der Meteorologischen
Station Aachen. Meteorologische Zeitschrift .Wetter" 1897, Heft 5.
271 Die Niederschlagaverhältnisse der mittleren Rheinprovinz u. d. Nachbargeb. 27
Aus dieser Tabelle ergiebt sich, daß in den beiden beobachteten
Jahren auf die westliche Seite der Windrose 1177 mm Niederschlag ent-
fielen, was also >*/8 des gesamten beträgt, während umgekehrt die öst-
liehen Winde nur mit 205 mm (x/a) sich beteiligten. Weiter sehen wir,
daß für Schnee die West- bis Nordwinde die ergiebigsten sind. Es fallen
nun nicht alle Niederschläge bei westlichen Luftströmungen, sondern
ein Teil auch bei östlichen. Die Ursache hierfür sind die Depressionen,
die südlich von unseren Gegenden vorüberziehen (Zugstraße Va und b
nach van Bebber). Diese führen aber naturgemäß, da sie ihren Wasser-
dampf entweder von der Ostsee oder aber vom Mittelländischen Meere
hernehmen müssen, nicht so viel Feuchtigkeit mit sich, und können
daher auch nur weniger ergiebige Niederschläge veranlassen.
Für die Regenbüdung in den Depressionen x) ist noch darauf hin-
zuweisen, daß in der Zone des größten Aufsteigens der Luftmassen
auch das Maximum der Kondensation zu erwarten ist. Für die Küsten-
cyklonen ist dies auf der Ost- und Südseite (Vorderseite) der Fall ; auf
dem Lande jedoch tritt mit der Deformation der Cyklone eine Ver-
änderung der Zone des größten Niederschlages ein. Die verschiedenen
und einander entgegengesetzten Reibungswiderstände auf der See und
auf dem Lande werden ihrerseits dazu beitragen, eine Verlagerung der
Regenzone zu bewirken. Bei den Küstencyklonen verhindern die auf
der Rückseite stark entwickelten Tangentialkräfte die aufsteigende Be-
wegung der Luftmassen; es werden daselbst die mit Wasserdampf be-
ladenen Westwinde weit weniger Niederschlag bringen, als die zum
Aufsteigen gezwungenen Süd- und Südwestwinde (größter Regenfall bei
fallendem Barometer). Dieselben Westwinde können jedoch auf dem
Lande der einströmenden Bewegung wegen leichter aufsteigen, wodurch
sich ihre Wirkung verdoppelt, indem sie einmal mehr Wasserdampf mit
sich führen als die kontinentalen Süd- und Südostwinde, dann aber
auch durch die orographischen Verhältnisse gezwungen werden, noch
mehr aufzusteigen (größter Regenfall bei steigendem Barometer).
2. Geographische Verteilung der Niederschläge.
Das ganze, die Karte umfassende Gebiet läßt sich in das links-
und rechtsrheinische Gebirge, welches durch das Rheinthal geschieden
wird, trennen; das Moselthal bildet die Grenze zwischen Eifel und
Hunsrück.
Die meisten Niederschläge treffen wir in den Gebirgen an, und
zwar zu beiden Seiten des Rheinthaies, in der Eifel mit dem Hohen
Venn und dem Rothaargebirge. Diese Gebirgsstöcke umschließen die
rheinische Tieflandsbucht, die direkt mit dem norddeutschen Flachlande
in Verbindung steht. Sie ist begrenzt von der Isohyete von 600 mm,
welche, südlich vom Soonwalde ausgehend, sich um den ganzen Huns-
rück herumschlängelt, ein größeres Stück des Moselthales bis in die
Nähe von Alf umfaßt, dann der Abdachung des Eifelgebirges folgt
*) Polis, Zur Theorie der Cyklonen und Anticyklonen. Aus dem Archiv
der Deutschen Seewarte, 1899, Bd. XXII, Nr. 2.
28 P. Polis, [28
und sich bis Geilenkirchen in die norddeutsche Tiefebene hinabsenkt.
Sodann wendet sie sich östlich bis Grevenbroich, schreitet von dort
aus auf dem Kamme des Villengebirges südlich weiter und setzt bei
Mondorf über den Rhein und die Sieg. Den größeren Regenreichtum
von Godesberg erklärt Moldenhauer1) aus der dortigen topographi-
schen Beschaffenheit, da in dem Trichter, der durch das westlich lie-
gende Villen- und im Osten einschließende Siebengebirge gebildet wird,
die feuchten Nordwestwinde zum Emporsteigen gezwungen sind, wo-
durch eine stärkere Niederschlagsabgabe bedingt ist. Eigentümlich
bleibt jedoch die geringere Regenmenge des nahegelegenen Bonn,
welches ebenfalls Luvlandsstation ist. In der Moldenhauer sehen2)
Arbeit, der das Mittel der alten Sternwarte zu Grunde liegt, wird als
Ursache dieses Fehlbetrages einer mangelhaften Aufstellung des Regen-
messers zugeschrieben; aber auch die neuen Regenmessungen3) in
Poppeisdorf, die in Bezug auf die Methode des Messens und die Auf-
stellung4) des Instrumentes völlig einwurfsfrei sind, rechtfertigen diese
Niederschlagsmengen, so daß sie den thatsächlichen Verhältnissen ent-
sprechen dürften. Eher ist der Grund für die größere Regenmenge von
Godesberg in den bewaldeten Höhen dortselbst zu suchen, insbesondere,
wie Prof. Kreusler5) von der meteorologischen Station Poppeisdorf auf
eine Anfrage mitteilte, in dem sehr feuchten Kottenforst, wodurch mehr
Wasserdampf zur Kondensation gelangt.
Weiter ist bemerkenswert eine Insel von über 700 mm bei Berg-
heim, die sich durch das erstmalige Ansteigen der Westwinde am Villen-
gebirge erklären läßt, während dieselben weiter südlich dieses Ge-
birge erst dann treffen, nachdem sie bereits das Venn überschritten haben ;
die Größe dieser Insel ist wegen Mangels an nahegelegenen Stationen
nicht näher bestimmbar.
») Moldenhauer, S. 27.
8) Ebenda, S. 27.
s) Die vergleichenden Messungen an der Sternwarte und der Wetterwarte *)
des akademischen Versuchsfeldes zu Poppeisdorf für das Jahr 1895 zeigen, daß
in Bonn selbst 42 mm mehr Niederschlag als an der nur 500 m entfernt aber
außerhalb der Stadt gelegenen Wetterwarte gefallen sind. Hier spielt die Be-
einflussung der Stadt selbst auf den Niederschlag, wie sie Bergholz **) für Bremen
betont hat, eine Rolle mit, indem besonders in der kalten Jahreszeit die stärkere
Erwärmung der Stadt gegenüber dem Lande einen aufsteigenden warmen Luft-
strom bedingt. Dieser strömt nun in den über der Stadt befindlichen kalten Raum
ein, was des reichlichem Staubgehaltes der Luft, der vielen Feuerungen im Winter
wegen eine Kondensation des Wasserdampfes zur Folge hat. Im Sommer werden
natürlich diese Unterschiede zwischen Stadt und Land der gleichmäßigen Er-
wärmung wegen sich verwischen müssen. S. Zusammenstellung
Fehlbetrag Land — Stadt für Poppelsdorf-Bonn
April bis September 14 mm
Oktober bis März 28 mm
4) Nach einer Skizze, die von der Regenmesseraufstellung von Poppeisdorf
vorlag.
3) Briefliche Mitteilung von Prof. Dr. Kreusler.
•) Wohltmann-Thiele, Die landwirtschaftliche Wetterwarte des akademischen Ver-
suchsfeldes zu Bonn-Poppelsdorf und die meteorologischen Stationen der Städte. Illustrierte
landwirtschaftliche Zeitung 1896, Nr. 76.
••) Bergholz, Deutsches meteorologisches Jahrbuch für Bremen 1891. Bremen 1892.
29] Die Niederschlagsverhältnisse der mittleren Rheinprovinz u. d. Nachbargeb. 29
Bei Honnef überschreitet die Kurve von neuem den Rhein, um
auf der rechten Seite am Fuße des Siebengebirges und den Ausläufern
des Westerwaldes vorbei bis Eltville zu verlaufen ; sie folgt dabei genau
dem Rheinthale und schliefst das Neuwieder Becken ein. Die 10jährige
Summe von Coblenz (507 mm) wird durch die Beobachtungen von
Neuwied bestärkt, die ebenfalls nur 527 mm im 10jährigen Mittel auf-
weisen. Die größere Regensumme von 746 mm bei Eltville erklärt
sich aus dem Aufsteigen der Süd- und Südwestwinde am Taunus,
während die weiter westwärts gelegenen Orte, wie Geisenheim, Rüdes-
heim etc., noch im Lee des Soonwaldes liegen.
Auch wird ein kleiner Streifen auf der Westseite von der Iso-
hyete von 600 mm begrenzt, der durch die Stationen Bollendorf, Als-
dorf und Heidweiler gestützt wird. Es sind dies die Thäler am Unter-
laufe der Sauer, der Prüm und der Kyll. Diese Stationen liegen in
den vorbenannten engen Thälern, während die sich dazwischen be-
findenden ausgedehnten Hochflächen dem Gebiete von über 600 mm
angehören dürften.
Das Gebiet größter Trockenheit, eingeschlossen von der
Isohyete von 500 mm, weist zwei größere Becken auf. Das nördliche
umfaßt einen Teil des Mosel- und Nethethales und wird hauptsächlich
durch die großen Erhebungen der östlichen Eifel beschattet. Bei
Lorch beginnt das zweite Becken, das einen Teil des Rheinthaies bis
oberhalb Geisenheim und das Nahethal bis Sobernheim umschließt.
Hier in diesen Gebieten geht die Niederschlagshöhe bis auf 430 mm
herunter, und dieser Umstand in Verbindung mit dem vielen Sonnen-
schein, der in den dortigen Gegenden herrscht, begünstigt besonders
das Gedeihen des Rebstockes ; daher liegen auch gerade in diesen Teilen
des Rhein- und Moselthaies die wegen der Güte ihres Weines be-
rühmten Orte.
Wenngleich auch Hellmann1) darauf hinweist, daß das lang-
jährige Mittel von Kreuznach, welches Töpfer2) mit 444 mm bezw.
481 mm angiebt, nicht ganz zuverlässig ist, wie dies auch die neueren
Beobachtungen bethätigen, so ändert es doch nichts an der Thatsache,
daß das Trockengebiet noch einen Teil des Nahethaies bis oberhalb
Kreuznach umfaßt; allerdings muß hierbei erwähnt werden, daß für
das südliche Gebiet die der Karte zu Grunde gelegte Periode etwas
(6°/o) zu trocken ist.
Ausgedehnter ist die Fläche mit 600—700 mm Niederschlag; sie
umschließt die östliche und südliche Abdachung der Eifel, die Ost-
und Nordabhänge des Hohen Venns und greift in die niederrheinische
Tiefebene bis Gtitzenrath und Neuß hinein, wo sie von einem Gebiete
von ]> 700 mm begrenzt wird. Nach Süden erstreckt sie sich über
das ganze Moselthal. Die in diesem Gebiete liegenden Flußthäler weisen
wiederum geringere Niederschlagshöhen 3) auf, wie dies die Messungen
von Arzfeld und Dasburg zeigen. Es scheint daher in Verbindung mit
*) Hellmann, Beiträge zu den Niederschlagsverhältnissen.
*) Töpfer, Untersuchung über die Regenverhaltnisse Deutschlands. S. 70.
*) In der Karte wurde dieses jedoch nicht näher gekennzeichnet.
30 P. Polis, [30
dem oben Gesagten wahrscheinlich, daß die ganzen Thäler der Prüm,
der Kyll, der Salm und der Lieser weniger Niederschlag empfangen
als die umliegenden Höhen. Erst die größeren Erhebungen an den
Ausläufern des Hoch- und Idarwaldes gebieten der Kurve von 700 mm
Halt. Ein schmaler Streifen zieht sich auf der rechten Rheinseite
bis zur Lahn hin , um sich dort in der Gegend zwischen der Lahn
bis zur Rheinkrümmung bei Bingen zu verbreitern. Der Gebirgsstock
des Taunus, den wir nicht mehr in den Kreis unserer Betrachtung ge-
zogen haben, weist jedoch eine weit größere Niederschlagshöhe auf.
In dem oben besprochenen Gebiete von 600 — 700 mm liegen
mehrere größere Inseln mit > 700 mm, die den topographischen Er-
hebungen folgen, besonders bei Nevel auf dem Hochplateau zwischen
Sauer und Kyll. Leider entzieht sich der höchste Punkt der Eifel,
die Hohe Acht, unserer Beobachtung, weil sich dort keine Regenstation
befindet und die in der Nähe liegenden Stationen Adenau und Nohn
keine direkten Anhaltspunkte über die Niederschlagshöhe dieses Berg-
kegels gewähren. Schwerlich dürfte sie jedoch 1000 mm übersteigen,
da die feuchten Westwinde diesen Gebirgsstock erst nach mehrmaligem
Auf- und Absteigen erreichen und die Beobachtungen auf dem mehr
westlich vorgeschobenen Schneifelforsthaus noch keine 1000 mm in der
Jahrsumme aufweisen.
Ein großes Gebiet mit über 700 mm Niederschlag erstreckt sich
über den Hoch- und Idarwald; der Soonwald, dessen Seehöhe gleich-
falls über 600 m beträgt, wird von den übrigen Teilen so beschattet,
daß er nicht mehr in dieses Niederschlagsgebiet hineinragt. Die meisten
Niederschläge empfangen die hochgelegenen Punkte des Osbürger und
Schwarzwalder Hochwaldes mit über 900 mm, wodurch unter Berück-
sichtigung des ermittelten Fehlbetrages für die südlichen Bezirke die
Summe von 1000 mm überschritten werden dürfte. Thronecken, zwischen
diesen beiden Gebirgen gelegen, besitzt eine weit geringere Jahres-
menge. Noch ist bemerkenswert eine kleine Insel bei Gornhausen mit
800 mm, eine Folge der Erhebung des Haardtwaldes, die dem dahinter
liegenden Idarwald Regen entzieht.
Niederschlagsreichste Gebiete. Je mehr wir uns den höheren
und exponierteren Lagen der links- und rechtsrheinischen Gebirge nähern,
desto enger drängen sich die Isohyeten aneinander. Da das links- und
das rechtsrheinische Bergland räumlich weit auseinander liegen, so er-
scheint es als angebracht, diese beiden getrennt voneinander zu betrachten.
Beginnen wir mit dem rechtsrheinischen Berglande, so
finden wir daselbst ein Gebiet von }> 800 mm Niederschlagshöhe. Die
800 mm Isohyete zieht sich im allgemeinen dem Vorgebirge des Sauer-
landes entlang, um dann dem Thale der Sieg zu folgen, umschließt
das Leuscheidgebirge und verläuft dann am Fuße des Westerwaldes auf
den Randgebirgen der Lahn. Die Ausbuchtung bei Puderbach erklärt
sich aus den Erhebungen zu beiden Seiten des von SE nach NW
fließenden Holzbaches, die den feuchten Südwestwinden ausgesetzt sind ;
ebenfalls hat Hillscheid mehr Niederschlag infolge seiner Lage an einem
Bergkegel.
Weniger ausgedehnt ist die Fläche von 900 — 1000 mm, welche ein
31] Die Niederschlagsverhältnisse der mittleren Rheinprovinz u. d. Nachbargeb. 3 1
beträchtliches Gebiet von > 1000 mm umschließt. Dort gelangen wir
in eines der regenreichsten Gebiete von Norddeutschland, dessen be-
deutender Wasserreichtum neben den ergiebigen Kohlenlagern beson-
ders dazu beitragt, eine hervorragende Industrie zu ermöglichen.
Sehr weit senkt sich die Kurve von 1000 mm nach Westen her-
unter, wo sie sich den Ausläufern der Bergischen Höhen entlang zieht.
Der Reichtum an Regen dieses Geländes wird durch das erstmalige
Aufsteigen der feuchten West- und Nordwestwinde begründet, welche
daselbst ihres Wassergehalts fast gänzlich beraubt werden. Bekannt-
lich macht sich infolge der Stauwirkung der Luft die Niederschlags-
zunahme in der Ebene schon beim Näherrücken an ein Gebirge be-
merkbar, was auch hier aus dem Zuge der Isohyeten von 700 bezw.
800 mm ersichtlich ist, die dort noch in der Rheinebene liegen (< 100 m
Seehöhe), während sie weiter südlich auf den Kämmen des Sieben-
gebirges und des Westerwaldes verlaufen.
Ganz besonders bemerkenswert ist die große Niederschlagshöhe
von Overath mit 1019 mm bei der geringen Erhebung über dem Meeres-
spiegel von nur 92 m; dieser Ort liegt im Flußthale der Agger, das
gerade den Südwestwinden zugänglich ist, wo sie ihren Wassergehalt
verdichten und infolge der Stauwirkung vor ihrem Aufsteigen an den
Gebirgshängen schon teilweise absetzen.
Ein Gebiet von 1100 mm und mehr erstreckt sich über die höheren
Erhebungen des Sauerlandes ; namentlich tritt das Ebbegebirge mit der
Station Meinerzhagen durch starke Niederschläge hervor. Dieser Wasser-
reichtum der bergischen Industriebezirke hat den ersten Anstoß dazu
gegeben, durch Anlage von Sammelbecken einmal Abhilfe vor drohen-
den Hochwassern zu schaffen, als auch andererseits die Energie der
fließenden Gewässer in nutzbringender Weise umzusetzen und zu ver-
werten. Besonders bezeichnend ist das Beispiel von Remscheid, einer
Stadt mit 1090 mm jährlicher Niederschlagsmenge und doch bis vor
wenigen Jahren ungenügend mit Wasser versehen. Dem damit ver-
bundenen, schon drohenden Rückgange der dortigen Industrie hat Intze1)
in besonders glänzender Weise durch Anlage einer Thalsperre im Esch-
bachthale abgeholfen, welche die Stadt Remscheid mit Trinkwasser
versieht. Diese glückliche Lösung gab Veranlassung zur weiteren Aus-
nutzung der Wasserkräfte, so daß augenblicklich in jener Gegend noch
mehrere Sammelbecken im Bau begriffen sind, die den verschiedensten
Interessen dienen sollen. Der Thalsperre zu Hückeswagen, einem
Becken von 3 Millionen Kubikmeter Inhalt, soll vornehmlich die Korrek-
tion der Wupper zufallen, die in der trockenen Zeit die an ihr liegenden
Fabriken nur zeitweise und dann noch spärlich mit Wasser versieht,
bei Hochwasser jedoch nicht selten Katastrophen herbeiführt.
Den meisten Niederschlag im Bergischen Lande weist auffallender-
weise die Station Gogarten mit 1305 mm auf, während in dem etwas
weiter vorgeschobenen Lennep, welches nur 20 m tiefer liegt, 1156 mm
Niederschlagshöhe gemessen werden.
*) Vergl. Intze, Festrede zur Vorfeier des Geburtstages Sr. Majestät des
deutschen Kaisers und Königs von Preußen. Enthält die einzelnen Beschreibungen
der verschiedenen Neuanlagen zur Regulierung der Wasserverhältnisse. Aachen 1897.
32 P- Polis, [32
Nachdem wir die Niederschlagsverhältnisse des rechtsrheinischen
Gebirges, sowie die des Hunsrücks eingehend betrachtet haben, erübrigt
es noch, die des Gebirgsstockes der Eifel näher zu diskutieren.
Dieses ganze Gebirge wird im allgemeinen von der Isohyete von 700 mm
und mehr umschlossen, nur die Osteifel und das Ahrgebirge gehören
nicht mehr zu diesem Niederschlagsgebiete, indem sie infolge der Be-
schattung durch das Hohe Venn und die Ardennen bezw. die Westeifel
der 600 — 700 mm Stufe zugehören.
Das Niederschlagsgebiet von ]> 800 mm greift in die Ardennen
hinein, folgt, von Luxemburg herkommend, aufwärts dem Thale der
Our bis Amel, geht dann in großem Bogen um den Zitterwald und
die Schneifei herum, umfaßt das ganze Venn, um auf der Nordseite
den Abdachungen dieses Plateaus entlang, das Aachener Bergland um-
schließend, nach Belgien hin zu verlaufen. Die große Einbuchtung
der Isohyete bei St. Vith, Amel und Bleialf wird durch den Höhen-
rücken am Thale der Our bedingt, der dieses Gebiet beschattet, wäh-
rend die Erhebungen der Schneifei und des Zitterwaldes die West-
winde zwingen, von neuem emporzusteigen, und dadurch die größere
Niederschlagshöhe dieses Plateaus bewirken.
Der niederschlagsreichste Teil dieses Gebietes ist die nord-
westliche Eifel mit dem Hohen Venn, während, wie mehrfach erwähnt,
die sogenannte Hohe Eifel, die vom Laacher Vulkanfeld, vom Mai-
feld und von der Vordereifel begrenzt wird, nicht mehr zu den nieder-
schlagsreichsten gezählt werden kann. Hier sind es vor allem die
Ardennen, die vom ersten Ansturm der Westwinde betroffen und ihres
Wassergehaltes zum großen Teile beraubt werden, so daß sie beim er-
neuten Ansteigen an der Hohen Eifel nur relativ wenig Wasserdampf
absetzen können. Die Lage dieses letzten Gebirgskammes kann mit
der des Hunsrücks verglichen werden, an dem die Westwinde erst
emporsteigen, nachdem sie bereits das lothringische Plateau über-
schritten haben.
Die Fläche mit 900 — 1000 mm Niederschlagshöhe, welche sich
in einem schmalen Streifen längs der Ränder dieses Plateaus hinzieht,
schließt ein großes Gebiet von > 1000 mm ein, welches die höheren
Erhebungen (über 400 m) umfaßt. Gerade, wie bei den Bergischen
Höhen die Westwinde zum erstenmal aufsteigen, so werden auch hier
die feuchten westlichen Luftströmungen, nachdem sie das belgische
Tiefland durchquert haben, gezwungen, sich zum erstenmal emporzu-
heben, und geben auf diese Weise Veranlassung zu der bedeutenden
Niederschlagshöhe. Den größten Regenreichtum treffen wir auf der
höchsten Erhebung des Hohen Venns mit ^> 1100 mm an. Die neueren
Beobachtungen des Jahres 1897 x) auf dem Monte Rigi und die ver-
gleichenden Messungen auf der höchsten Spitze, der Botrange, haben
gezeigt, daß dort die Niederschlagshöhe 1300 mm übersteigt. Ein
*) Polis, Die Niederschlagsverhältnisse des südlichen Roergebietes im Jahre
1897. Meteorologische Zeitschrift »Wetter* 1898.
Auch in dem trockenen Jahre ,1898 wurde auf dem Monte Rigi 1264 mm,
der Botrange 1301 mm Niederschlag gemessen.
33] Die Niederschlags Verhältnisse der mittleren Rheinprovinz u. d. Nachbargeb. 33
kleines Aufsteigen bei den Höhen von Mützenich bewirkt ein Vergrößern
der Niederschlagssumnie im Vergleiche zu der von Kalterherberg,
welches von den Höhen des Wallonischen Venns Regenschatten em-
pfängt (siehe Textkarte).
Ein fast ebenso niederschlagsreiches Gebiet mit mehr als 1100 mm
befindet sich in den nahegelegenen Ardennen, wie dies besonders aus
den Beobachtungen der Stationen Libramont und Poncel (1280 mm)
hervorgeht.
Besonders stark ist der Regenschatten (siehe auch Textkarte), den
das Hohe Venn auf das östlich liegende Dürener Bergland und das
Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde. XII. l. 3
34 P. Polis, [34
Ahrgebirge wirft , indem dort die jährliche Regenhöhe 600 mm nicht
überschreitet. Selbst die größeren Erhebungen dieses Gebirges (über
500 m) bei Zingsheim und Blankenheim vermögen die Niederschlags-
mengen nur unbeträchtlich zu erhöhen. Auch direkt südlich vom Hohen
Venn tritt eine bedeutende Abnahme der Regenhöhe ein, wie dies die
Beobachtungen von Malmedy zeigen, welches bei West- und Nordwest-
winden von den Höhen bei Mont und Xhoffraix beschattet wird.
Auf dem ganzen Vennplateau, wo die jährliche Niederschlags-
höhe 1000 mm überschreitet, ist eine äußerst spärliche Vegetation vor-
handen ; im Winter brausen daselbst die rauhen Weststürme , die das
Aufforsten so außerordentlich erschweren und bei der niedrigen Tem-
peratur die atmosphärischen Niederschläge in Gestalt von Schnee ab-
setzen. Dies bedingt auch die eigentümliche Bauart der Venndörfer,
indem die Bewohner gezwungen sind, ihre Häuser auf der Wetterseite
mit hohen Schutzhecken zu umgeben. Die ärmliche Bevölkerimg kann
sich nur mühsam von den Erträgnissen des meist sumpfigen und moo-
rigen Bodens ernähren; aber dennoch bergen diese Gegenden in den
großen atmosphärischen Niederschlägen, die die vielen nach allen Him-
melsrichtungen führenden Wasseradern speisen, durch deren große»
Gefälle einen Reichtum, der dazu berufen sein dürfte, die volkswirt-
schaftlichen Verhältnisse dieses Geländes bedeutend zu heben. Die her-
vorragenden Fortschritte in neuerer Zeit auf dem Gebiete der Elektro-
technik ermöglichen es nämlich, die schlummernde Energie der Wasser-
kräfte auszunutzen und auf größere Entfernungen zu übertragen.
So sollen auch in dem Quellgebiete der Roer mehrere
größere Sammelbecken1) zum Zwecke der Umsetzung der Wasser-
kräfte in elektrische Energie erbaut werden. Vorgesehen zu diesen
Anlagen sind einstweilen der Perlenbach oberhalb Montjoie, der Vicht-
bach bei Zweifall, der Wehebach bei Hürtgen, sowie die Olef oberhalb
Schieiden. Das größte Sammelbecken von ca. 45 Millionen Kubikmeter
Wasserinhalt bei einem Nutzeffekt von 6500 Pferdekräften wird in
dem schwer zugänglichen Thale der Urft unterhalb Gemünd und Mals-
benden in einer Länge von ca. 8 km bis zu einer Thalenge am Heffges-
berge bei Wollseifen errichtet. Während die bekannte Gileppe-Thal-
sperre (12 Millionen Kubikmeter Inhalt) nur ein Niederschlagsgebiet von
40 qkm beherrscht, gehört zum Urftbecken ein solches von 375 qkm.
Noch mag hier erwähnt werden, daß sich bei dieser Anlage die Kosten2)
für eine Pferdekraft an der Verwendungsstelle auf 79 Mk. belaufen
werden, während sie bei Dampfkraft rund 150 — 180 Mk. betragen,,
und zwar für 7200 Arbeitsstunden p. a. oder pro 1 Arbeitsstunde
je nach der Entfernung 1 bis 1,5 Pfg.
Großen Segen dürften derartige bedeutende Bauten nicht allein
l) Intze, Gutachten bezüglich der Verbesserung der Wasserverhaltnisse
der Roer und der zur Verbesserung des Roerbettes aufgestellten Regulierungs-
projekte. Düsseldorf 1896.
a) Diese Angaben sind einem Vortrage von Prof. Intze entnommen. VergL
insbesondere Intze, Ueber die Wasserverhältnisse im Gebirge, deren Verbesse-
rung und wirtschaftliche Ausnutzung. Zeitschrift für Architektur und Ingenieur-
wesen 1899, Heft 1.
35] Die Niederschlagsverhältnisse der mittleren Rheinprovinz u. d. Nachbargeb. 35
durch ihren späteren Nutzeffekt, sondern auch während der Dauer ihrer
Errichtung der Bevölkerung bringen und geeignet sein, durch die zahl-
reichen benötigten Arbeitskräfte die wirtschaftlichen Verhältnisse be-
sonders zu heben. Die durch die Sperrung der Flußthäler entstehenden
Seen bedingen auch für ihre nähere Umgebung einen wohlthuenden
klimatischen Einfluß, indem sie die Temperaturextreme abstumpfen,
sowie auch durch Wärmereflexion an der spiegelnden Wasserfläche das
Gedeihen vieler Pflanzen ermöglichen.
Die Kenntnis der Niederschlagsverteilung ist aber nicht nur bei
technischen Anlagen wichtig, sondern spielt auch bei der Bebauung1)
des Bodens eine hervorragende Rolle. Denn, einmal liefert der Regen
die für das Wachstum der Pflanzen notwendige Feuchtigkeit, und weiter
führt er auch dem Boden eine beträchtliche Menge leicht assimilier-
barer Nährstoffe zu. Hauptsächlich sind es die in der Atmosphäre
vorkommenden Stickstoffverbindungen, Ammoniak, Salpetersäure, sal-
petrige Säure, welche durch den Niederschlag in den Boden eindringen.
Bei einer jährlichen Regenmenge von 600 mm beträgt für Deutsch-
land die Stickstoffmenge pro Hektar = 8 — 12 kg. Es wird daher
dieser Faktor von nicht unerheblicher Wichtigkeit bezüglich der Düngungs-
frage sein.
Weiterhin ist, je üppiger die Vegetation, desto größer der Wasser-
verbrauch der Pflanzen; zur Zeit des stärksten Wachstums werden
daher größere Niederschlagsmengen — besonders zur Zeit der Körner-
bildung — zur Aufrechterhaltung der normalen Thätigkeit der Pflanzen-
organe erforderlich sein. In diesem Stadium vertragen die Pflanzen am
wenigsten Durstperioden ; Feuchtigkeitsmangel kann daher nicht durch
spätere reichere Niederschläge ausgeglichen werden.
Infolge der geographischen Verteilung der Niederschläge machen
sich auch große Unterschiede in der Bebauung des Bodens zwischen
Osten und Westen bemerkbar. So hat in dem nördlichen Teile des
Regierungsbezirks Aachen die Ackerweide2) der vielen Niederschläge
wegen die beträchtliche Ausdehnung von 7,37 °/o des Acker- und Garten-
landes; ferner gedeihen dortselbst Futterpflanzen vortrefflich, 18°/o des
Areals. Die ergiebigen Niederschläge auf der Luvseite desVenns be-
günstigen besonders das Wachstum der Wiesenflächen , und damit das
TJeberwiegen der Viehzucht in dem sogenannten Butterlande an der
preußisch-belgischen Grenze. Umgekehrt tritt im Regenschatten der
Eifel, d. h. im Jülich-Dürener Lande, die Viehzucht gegen den Ackerbau
zurück, wofür Kartoffeln und Rüben gut gedeihen.
Wie wir später sehen werden, sind für die Ebene die nieder-
schlagsreichsten Monate der Juli und August, der trockenste der April.
Förderlich sind die großen Niederschlagsmengen im Sommer für den
Stoppelfruchtbau, während die Getreideernte sich in diesen Monaten
leicht schwierig gestaltet und das Korn oft minderwertig wird. Der
großen Sommerregen wegen ist ebenfalls die Gerstenkultur sehr er-
schwert.
*) Thiele, Deutschlands landwirtschaftliche Klimatographie. Bonn 1895.
*) Ebenda, S. 112 ff.
36
P. Polis,
[36
3. Höhenverhältnisse und Niederschlag.
Da sich die Niederschlagsmenge bekanntlich mit zunehmender
Höhe vergrößert, so ist es nicht uninteressant, das gesamte Material
nach Stufen von 100 zu 100 m Seehöhe zu ordnen. Ausgeschlossen
wurden hierbei diejenigen Stationen, deren Seehöhe nicht genügend
bekannt oder deren Beobachtungen nicht genügend zuverlässig sind.
In der beigegebenen Tabelle 9 ist sowohl die mittlere See- und Nieder-
schlagshöhe der betreffenden Stufe vermerkt, als auch die Differenz
-£4S)U
SW+-
X-mif ,
■Zi/rseiU ->
je zweier aufeinander folgender Stufen, sowie ferner bei jeder Stufe
die Station mit dem höchsten und die mit dem geringsten Niederschlage
angegeben.
Aus dieser ist ohne weiteres ersichtlich, wie es auch in allen
früheren Arbeiten betont wird, daß für die Niederschlagszu- oder Ab-
nahme nicht die Höhe des Ortes über dem Meeresspiegel, sondern die
Lage den regenbringenden Winden gegenüber allein maßgebend ist.
Erst in größeren Höhen, von 500 m an aufwärts, beginnt die Nieder-
schlagssumme bedeutend zu steigen, indem solche Stationen ihrer Er-
hebung über die anderen Stationen wegen den Winden meist direkt
37] Die Niederschlagsverbältnisse der mittleren Rheinprovinz u. d. Nachbargeb. 37
Tabelle 9.
Höhenstufe und Niederschlagsmenge.
Stufen
'S 8
Mittlere
Differenz
der mittleren
Niederschlags-
höhen
Größte |
Niederschlagshöhe ;
Kleinste
Niederschlagshöhe
II!
5,2
CD
~~ Zahl
Statt
|
*1
Station
JS
:©
ja
*
ist
f"f *' Station
©
ja
:©
ja
V
2
fff
0- 99 ml
42
69
622
i
Overath . . .
92
1019; Lorch
82
456,: 563
100-199 , !
34
146
687
+ 65
La Reid . . .
195
981 Geisenheim .
108
476! 505
200-299, 35
246
818
+ 131 i Gummere-
Münstermai-
'1
bach ....
250
1117
feld ....
249
4231,694
300-399 ,
46
343
805,— 13
Gogarten . .
360
1305|
Mechernich .
300
490 II 815
400-499 „ |
42
443
813
+ 8 Meinerzhagen
408
1 19 l'i Kammerforst
464
429! 762
500-599 ,
16
545
995
+ 182. Hockay . . .
537
12171 Dockweiler .
540
712
505
600-69S,
5
685
1031
+ 36
Monte Rigi .
670
1321,
i
Hollerath . .
617
849,
1
472
Tabelle 10.
Niederschlagshöhe an Luv- und Leeseite des Venns und
Sauerlandes.
Stufen
Mittlere
Seehöhe
I
m
Mittlere
Nieder-
schlags-
höhe
mm
Zahl
der
Stationen
Differenz
der
Nieder-
sch'ags-
höhen
Belgisches Tiefland ....
Hohes Venn
Jülicher Bergland
Rhein-Ebene
Bergische Höhen . . . . {
Sauerland mit f
Ebbe-Gebirge \
0- 99 m
100-199 , j
200—299 , ,
300—399 , ,
400—499 , *
500-599 , 1
600-699 , |
500-599 ,
400—499 „ ,
300—399 „ 1
200—299 ,
100—199 ,
0- 99 ,
100—199 „
200-299 , |
800—399 , 1
400—499 , |
i
70
166
279
343
559
648
565
470
346
263
144
68
142
228
337
420
621
873
946
975
1190
1204
1054
810
662
560
579
611
741
993
1109
1180
4
5
4
5
2
2
7
2
8
3
5
11
5
11
6
8
+ 252
+ 73
+ 29
(+215)
+ U
— 150
-244
— 148
— 102
+ 19
+ 82
+ 180
+ 252
+ 116
+ 21
zugänglich sind. Bemerkenswert ist weiter der große Unterschied
zwischen den Regensummen je zweier Extremstationen in denselben
Höhenstufen, was eben durch die betreffende Lage der Orte seine Be-
gründung erhält.
Luv- und Leeseite. Um die Abhängigkeit der Niederschlags-
summe von der Lage der Station den regenbringenden Winden gegen-
38
P. Polie,
[38
über näher zu beleuchten, wurde ein Vertikalschnitt von SW nach
NE, vom belgischen Tiefland aus beginnend, bis zum Sauerlande mit
dem Ebbegebirge gelegt und das Resultat graphisch dargestellt. In
dieser Zeichnung sind sowohl die mittleren Seehöhen als auch die zu-
gehörigen mittleren Niederschlagssummen der betreffenden Stationen
eingetragen (siehe auch Tabelle 10).
Die Niederschlagssumme nimmt vom belgischen Tief lande bis zu
den höchsten Erhebungen des Hohen Venns zu, um auf der anderen
Seite bis zur Stufe von 200 — 299 m mit 560 mm abzufallen. Sodann
beginnt sie, trotz der weiter abnehmenden Seehöhe, langsam zu steigen,
um sich dann bei dem erneuten Anstiege an den Bergischen Höhen
und dem Sauerlande mit dem Ebbegebirge schnell zu vergrößern. Die
Ursache des zunehmenden Regenreichtums der Rheinebene und des
Jülicher Landes im Vergleiche zu den östlichen Abdachungen des Venns,
das vollständig im Regenschatten des Hohen Venns liegt, ist auf die
Zugänglichkeit der ersteren Gebiete für die regenbringenden Nordwest-
winde zurückzuführen. Ferner ist noch wesentlich für die Niederschlags-
vergröfierung die schon früher angedeutete Stauwirkung der Luft.
Die hinteren feuchten Luftschichten werden durch die vor dem
Berglande gestaute Luft in ihrer horizontalen Bewegung gehemmt und
müssen daher, um einen Ausweg zu finden, vertikal aufsteigen, wobei
bekanntlich mit der nun erfolgenden Arbeitsleistung eine Abkühlung
und Ausscheidung von Wasserdampf verbunden ist.
Diese Stauwirkung läßt sich leicht an zwei an der Luvseite ein
und desselben Gebirges gelegenen Stationen von annähernd gleicher
Seehöhe zeigen, wovon die eine auf dem Plateau, die andere jedoch am
Fuße einer Erhebung liegt. Zu diesem Zwecke wählen wir die Stations-
paare Halver und Meinerzhagen im Bergischen Lande, Jalhay und Eupen
im Hohen Venn, und endlich Gornhausen und Hirschfeld im Hunsrück.
In freier Lage
Station Seehöhe Regenhöhe
m mm
Halver 420 1068
Eupen 282 938
Hirschfeld . . 460 627
am Fuße einer Erhebung
Station Seehöhe Regenhöhe
m mm
Meinerzhagen. 408 1191
Jalhay 290 1001
Gornhausen . . 485 800
Wie diese kleine Anordnung lehrt, haben Meinerzhagen am Fuße
des Ebbegebirges, Gornhausen direkt vor dem Ranzen- und Haardt-
kopf gelegen, weit mehr Niederschlag als die in gleicher Höhe, aber
in freier Lage befindliche Stationen Halver bezw. Hirschfeld. Ebenfalls
ist Jalhay, an der Luvseite des Venns, durch größeren Regenreichtum
als z. B. Eupen ausgezeichnet, indem bei letzterem Orte sich im Gegen-
satze zu Jalhay die Stauwirkung nur bei Nordwestwinden bemerkbar
machen kann. Auf diese speziellen Verhältnisse soll, da sie außer-
halb des Rahmens dieser Arbeit fallen, hier nicht weiter eingegangen
werden.
Interessant ist ferner noch ein Vergleich der Niederschläge an
den Luvseiten der beiden Gebirgsstöcke , woraus ersichtlich, daß die
zwei ersten Stufen des linksrheinischen Gebirges mehr Niederschläge
als die des rechtsrheinischen empfangen. Das Umgekehrte findet je-
39] Die Niederschlagsverhältnisse der mittleren Rheinprovinz u. d. Nachbargeb. 39
doch bei den zwei folgenden Stufen statt, indem dann das Sauerland
mehr Niederschläge als die gleichen Höhenlagen des Venns aufweist;
auch hier liegt die Ursache an der topographischen Lage des ersteren
Gebirgsstockes, der weit mehr in die norddeutsche Tiefebene hinein-
greift und daher vom ersten Anstürme der Westwinde getroffen wird,
während dieselben Winde, ehe sie das Venu erreichen, einen Teil ihres
Wassergehaltes (wenigstens bei Südwestwinden) an den Ausläufern der
Ardennen verlieren. Die größeren Niederschlagssummen des Hohen
Venns im Vergleiche zum Sauerlande finden in der größeren Erhebung
dieses Gebirges ihre Begründung.
Zum Schlüsse dieses Abschnittes sei noch eine Zusammenstellung
der fünf regenreichsten und der fünf regenärmsten Orte in dem be-
arbeiteten Gebiete gegeben:
Monte Rigi . . . 1321
Gogarten .... 1305
Poncel 1280
Hockay 1217
Matzenich .... 1214
Münstermaifeld . . 423
Kammerforst . . . 429
Lorch 456
Rüdesheim .... 462
Laubenheim . . . 466
4. Gruppenmittel der Niederschläge.
Bei der Bearbeitung der Niederschlagsverhältnisse der verschie-
denen Gegenden scheint es, um die Vergleichbarkeit derselben mit-
einander zu ermöglichen, angebracht zu sein, Gruppenmittel abzuleiten,
wie wir dies auch in den älteren Arbeiten finden.
Dieser Anordnung können zwei Gesichtspunkte zu Grunde liegen:
den Geographen und Meteorologen interessiert es mehr, die Nieder-
schlagsverhältnisse eines Gebirgsstockes kennen zu lernen, wohingegen
der Wasserbautechniker vor allem möglichst genaue Angaben über das
zu einem Flußlaufe gehörende Niederschlagsgebiet wünscht. Es wurden
daher abgeleitet a) Gruppenmittel nach einzelnen Gebirgsstöcken, und
b) Gruppenmittel nach Flußgebieten.
a) Gruppenmittel nach einzelnen Gebirgsstöcken. Diese
Mittel wurden für die größeren Gebirgsstöcke und die beiden Hauptthäler
Rhein und Mosel, soweit sie in den Rahmen der Karte fallen, berechnet ;
auch schien es zweckmäßig, die Niederschlagssummen der höheren
Lagen und bei einzelnen Gebirgen auch die der Hauptzüge zu ermitteln,
so u. a. namentlich das niederschlagsreiche Venn von der Eifel zu trennen.
In der beigegebenen Zusammenstellung, Tabelle 11, sind sowohl
die mittleren Niederschlagssummen als auch die Anzahl der Stationen,
aus denen sie hergeleitet wurden, vermerkt. Selbstverständlich mußten
Stationen mit unsicheren Werten und solche mit isolierter Lage aus-
geschlossen werden.
Hier ist besonders bemerkenswert der geringe atmosphärische
Wassergehalt der eigentlichen Eifel mit 679 mm, die das Mittel der
rheinischen Tieflandsbucht um nur 25 mm überschreitet. Die Vorder-
und Osteifel hat nur 636 mm, die westliche jedoch 671 mm im Mittel.
Infolge von Mangel an Stationen in den höchsten Lagen der Eifel
konnte ein Gruppenmittel für die Hohe Eifel nicht hergeleitet werden.
40
P. Polis,
[40
Tabelle 11.
Gruppenmittel der Niederschläge für die einzelnen
Gebirgsstöcke.
Gruppe
f|!
S»3
mm
c
53
Gruppe
© . :0
Im hn
IS*
99
mm
2.2
«9«
Rheinische Tieflandsbucht
Rheinthal
von Godesberg bis Coblenz
von Coblenz bis Geisenheim
Moselthal
Sanerland
Bergische Höhen
Höhere Lag. m. Ebbegebirge
Westerwald
Niedere Lagen
Höhere Lagen
Hunsrttck
Niedere Lagen
Hochwald und Idarwald .
654
509
541
481
034
1009
979
1103
805
773
904
720
679
984
!?
5
6
8
24
18
6
25
19
6
15
13
2
Eifel
Westeifel
Vorder- und Osteifel . . .
Schneifei und Zitterwald
Ardennen
Niedere Lagen
Höhere Lagen
Venn
Oestliche Abdachung und
Aargebirge
Hohes Venn
Höchste Erhebungen . . .
Aachen-Dürener Bergland
679
671
636
959
921
831
1163
932
660
1070
1207
751
24
11
11
2
11
8
3
24
8
16
6
11
Am trockensten ist das Rheinthal von Coblenz bis Geisenheim mit
481 mm, während die höchsten Erhebungen des Hohen Venns das größte
Mittel mit 1207 mm aufweisen; ihm folgen zunächst die höheren Lagen
des Sauerlandes mit dem Ebb'egebirge 1103 mm und die Ardennen.
Um einen ungefähren Anhaltspunkt der mittleren Niederschlags-
höhe des untersuchten Gebietes zu bekommen, wurden 184 Stationen
zusammengefaßt; die so gewonnene mittlere Niederschlagshöhe für das
gesamte Gebiet beträgt 717 mm.
b) Gruppenmittel nach Flußgebieten. Für die Berechnung der
mittleren, jährlichen atmosphärischen Wassermenge in einem Flußgebiete
ist die genaueste Methode die der Ausmessung der einzelnen von den
Isohyeten begrenzten Flächenstücke auf planimetrischem Wege, wovon
jedoch hier einstweilen Abstand genommen werden soll.
Gute Anhaltspunkte hierüber gewähren jedoch auch die Multi-
plikationen der Fläche des betreffenden Flußgebietes mit dem arith-
metischen Mittel aus den Niederschlagshöhen der in demselben liegen-
den Stationen. In TabeUe 1 2 sind die Gruppenmittel für die einzelnen
Flußgebiete angegeben, aus welchen dann unter Zugrundelegung des
Flächeninhaltes des Flußgebietes die Gesamtwassermenge in Kubik-
metern berechnet wurde. Dies konnte jedoch nur für diejenigen Fluß-
gebiete ermittelt werden, die als abgeschlossenes Ganze in die Karte
hineinfielen.
Benutzen wir das im vorigen Abschnitte berechnete Gruppenmittel
von 717 mm des gesamten in dieser Arbeit behandelten Gebietes (was
wohl der mittleren Niederschlagshöhe der Rheinprovinz nahe kommt),
• so ergiebt sich bei dem Flächeninhalte von 26981 km2 eine jährliche
Gesamtwassermenge von 19345377 000 m3.
41] Die Niederschlagsverhältnisse der mittleren Rheinprovinz u. d. Nachbargeb. 41
Tabelle 12.
Gruppenmittel der Niederschläge nach Flußgebieten.
Gebiet des
Gesamt-
wassermenge
des
Gebietes
in m8
Rheines (von Eltville bis Düsselthal) .
Rhein (von Eltville bis zur Nahe) . . .
Nahe
„ (von der Nahe bis zur Lahn) . .
Lahn (von Gelbach inkl. bis zur
Mündung)
, (von der Lahn bis zur Mosel) .
Mosel (von Trier bis zur Mündung)
Sauer
Saar (teilweise)
„ (von der Mosel bis zur Ahr) . .
Ahr
, (von der Ahr bis zur Sieg) . . .
Sieg
„ (von der Sieg bis Köln)
„ (von Köln bis zur Wupper) . . .
Wupper
, (von der Wupper bis zur Erft) .
Erft
, (von der Erft bis zur Dussel inkl.)
Roer
3994632000
341818000
2288338000
371984000
353408000
?
3426724000
3269385000
540960000
1290912000
569432000
1119118000
2745625000
2378972000
197505000?
873544000
184600000
1164490000
84065000
2142668000
Niederschlagshöhe. Jahreszeitliche Verteilung.
(Tabelle II- V, VII. Tafel II— IX.)
Nachdem wir die Jahresniederschläge nach verschiedenen Ge-
sichtspunkten eingehend dargestellt haben, erübrigt uns noch, ein Bild
über die jährliche Verteilung derselben zu entwerfen. Es wäre natür-
lich erwünscht, die mittleren monatlichen Niederschläge der vorhan-
denen Stationen näher kennen zu lernen. Jedoch würde bei den
vorliegenden kurzen Beobachtungsreihen der meisten Orte die Reduk-
tion auf eine bestimmte Periode in diesem Falle zu unsichere Werte er-
geben. Es wurde daher von einer allgemeinen Bearbeitung der monat-
lichen Niederschlagswerte abgesehen, und diese nur für die Stationen
mit längeren Beobachtungsreihen durchgeführt (siehe Tabelle II — V).
I. Jährlicher Verlauf.
Bevor wir zur kartographischen Darstellung übergehen, wollen
wir uns zunächst ein Bild vom jährlichen Verlaufe entwerfen, und zu
diesem Zwecke wiederum dasDecennium 1886 — 1895 näher betrachten.
Um eine leichtere Uebersicht zu ermöglichen, wurden die einzelnen
Monatswerte, die einzelnen Jahreszeiten und die beiden Halbjahre Sommer
und Winter, in Prozenten der Jahrsumme ausgedrückt sowie die Minima
und Maxima durch entsprechenden Fett- und Kursivdruck gekenn-
zeichnet; bei den Halbjahren ist nur die größere Summe fett gedruckt.
In den Jahreszeiten haben wir für das ganze Gebiet die meisten
Niederschläge im Sommer, die wenigsten im Frühling; nur das Rhein-
thal oberhalb Coblenz, sowie das Moselthal haben ein ausgesprochenes
Winterminimum.
Fassen wir die beiden Halbjahre ins Auge, so tritt ein diametraler
Gegensatz zwischen der Ebene und den Gebirgen hervor. Erstere
hat die größte Niederschlagshöhe im Sommerhalbjahre, während sie
sich für die letzteren auf das Winterhalbjahr verschiebt; der Ueber-
gang hierzwischen macht sich in den niedrigen Gebirgslagen und an
den Ausläufern bemerkbar, wo Sommer- und Winterhalbjahr einander
nahezu gleichkommen. Hierbei sei noch besonders verwiesen auf die
Zu- und Abnahme dieser Maxima einerseits in der Rheinebene und
andererseits im Venn und in den Ardennen.
Betrachten wir nun die einzelnen Stationen monatsweise, so haben
das belgische Tiefland, die niederen Lagen des Venns, die Bergischen
431 P» Polis, Die Niederschlagsverhältn. d. mittleren Rheinpro v. u. d. Nachbargeb. 43
Höhen und der Westerwald ein Julimaximum, während die Rheinebene,
das Moselthal, sowie die südliche Eifel den meisten Niederschlag im
Juni empfangen. Ferner tritt in den höheren und exponierteren Ge-
birgslagen, den Ardennen und dem Hunsrück, ein Oktobermaximum
hervor, welches sich übrigens bei allen Gebirgen als ein sekundäres
bemerkbar macht. Auch weisen die Gebirge viele Niederschläge im
Dezember auf.
Im Gegensatze zu den niederschlagsreichsten Monaten, die mit der
topographischen Lage eine so mannigfaltige Verschiebung erfahren,
ist der trockenste Monat durchweg der April; nur bei einigen Orten
im belgischen Tief lande und in Gützenrath wird er zum sekundären,
während das Hauptminimum auf den Februar bezw. März entfallt.
Aus dem Verlaufe der Niederschläge für das zu Grunde gelegte
Decennium geht hervor:
1. Für die Ebene ein ausgesprochenes Juni- bezw. Julimaximum.
2. Für die höheren Gebirgslagen ein Oktobermaximum , welches
sich bei allen andern Gebietsteilen sekundär angedeutet findet.
3. Für die Ebene und Gebirge ein Minimum im April.
Es wirft sich nun weiter die Frage auf, ob dieses Bild der jahres-
zeitlichen Niederschlagsverteilung, welches wir aus den 10jährigen Be-
obachtungen erhielten, auch den thatsächlichen Verhältnissen entspricht.
Zu diesem Zwecke wollen wir zunächst die prozentarischen Summen
der beiden Lustren 1886—1890 und 1891—1895 gesondert betrachten.
Bei diesen springt der diametrale Gegensatz in der Verteilung aufs
schärfste in die Augen; 1891 — 1895 haben fast alle Stationen den
meisten Niederschlag im Winter mit einem Hauptmaximum im Oktober
(ja selbst das obere Rhein- und das Moselthal haben Oktobermaximuin),
umgekehrt treffen wir 1886 — 1890 die meisten Niederschläge im Sommer-
halbjahre mit einem Hauptmaximum im Juni bezw. Juli an. Auch in
den trockensten Monaten tritt eine bedeutende Verschiebung ein, indem
•das Minimum beim erstgenannten Lustrum auf den April entfällt, beim
letztgenannten hingegen auf den Februar.
Es wird nun unsere Aufgabe sein, unter Zuhilfenahme der lang-
jährigen Mittel die Periode herauszufinden, welche der wirklichen That-
sache entspricht. Leider stehen uns hierbei, mit Ausnahme von Birken-
feld im Hunsrück, wirklich langjährige Mittel von Gebirgsstationen nicht
zur Verfügung; jedoch können noch Hockay und Barraque Michel,
weil sie länger als 10 Jahre beobachtet haben, mit berücksichtigt wer-
den. Ohne weiteres springt auch hier die schon oben betonte That-
■sache der größten Niederschläge im Sommerhalbjahre bei den Flach-
landstationen in die Augen, während umgekehrt Hockay und Aachen
•dem Hohen Venu und Birkenfeld dem Hunsrück die meisten Nieder-
schläge im Winterhalbjahre zuweisen. In dem jahreszeitlichen Verlaufe
tritt wiederum das Sommermaximum, sowie das Frühlirigsminimum aufs
schärfste hervor; nur das Venn und der Hunsrück haben ein Herbst-
bezw. Wintermaximum. Daher begegnen wir auch in diesen Gebirgen
den meisten Niederschlägen im Oktober bezw. Dezember. Für die Ebene
macht sich eine interessante Verschiebung des Sommermaximums be-
merkbar. Das belgische Tiefland empfängt, wie aus den langjährigen
44 P. Polis, [44
Beobachtungen von Brüssel hervorgeht, die meisten Niederschläge im
August, während wir beim Weiterschreiten gegen Osten und Süden ein
Julimaximum antreffen, weiches für das Rheinthal sogar teilweise zum
Junimaximum wird. Hinsichtlich des trockensten Monats ist der April
vorwiegend beteiligt, aber stellenweise nur sekundär; so weisen die
langjährigen Beobachtungen von Köln, Bonn, Boppard und Kreuznach
dem Rheinthale die geringsten Niederschläge während des Monats
Februar zu. Auch bei Trier ist der Unterschied von Februar und
April so gering, daß wir hier von einem Hauptminimum in beiden
Monaten sprechen können.
Neben dieser Darstellung durch langjährige Mittel dürfte es noch
erforderlich sein, die erhaltenen Resultate durch direkten Vergleich mit
den langjährigen Beobachtungen zu prüfen. Zu dieser Prüfung wollen
wir uns der vorhandenen monatlichen Lustren der drei Stationen Aachen,
Boppard und Köln bedienen. Verschiebungen des Sommermaximums
machen sich für das Rheinthal in den beobachteten 50 Jahren nur
zwischen Juni und Juli bemerkbar, während das Minimum zwischen
Februar, März und April schwankt; dennoch steht die Häufigkeit der
Fälle, besonders beim Minimum, nicht im direkten Verhältnis zur Summe.
Bei Aachen kommen öfters Wintermaxima vor, namentlich im Dezemberr
wie dies ja dem Uebergange zum Gebirge eigen ist; auch zeigen ein-
zelne Lustren das Hauptmaximum im Mai.
2. Geographische Verteilung der Niederschläge in den einzelnen
Jahreszeiten.
a) Absolute Werte in Millimeter. Im vergangenen Abschnitte
haben wir uns mit dem Jahresverlaufe der Niederschläge beschäftigt,
wobei wir allerdings nur die Stationen mit längeren Beobachtungs-
reihen zu Grunde legen konnten. Um jedoch ein anschaulicheres Bild
über die jahreszeitliche Verteilung der Niederschläge zu erhalten, müssen
wir uns wiederum der kartographischen Darstellung bedienen. Wie
schon früher erörtert, wurden nicht nur die Jahreswerte der unter-
suchten Periode 1886 — 1895 abgeleitet, sondern auch die der einzelnen
Jahreszeiten ; aus den letzteren sind dann nach der früher besprochenen
Methode Niederschlagskarten entworfen worden.
Was nun zunächst die geographische Verteilung der Niederschläge
in den verschiedenen Karten anbelangt, so zeigt sie selbstverständlich
den Charakter der Hauptkarte; namentlich weisen die in der Jahres-
karte dargestellten regnerischen Gebiete auch in den einzelnen Jahres-
zeiten die meisten Niederschläge auf, und umgekehrt. Um die Ver-
gleichbarkeit der einzelnen Karten untereinander zu erleichtern, sind,
gerade wie bei der Jahreskarte die Fläche von > 1000 mm durch rote
Farbe gekennzeichnet wurde, hierbei überall die Flächen mit > 200 mm
übereinstimmend hervorgehoben worden.
Wir wollen uns hier, um Wiederholungen zu vermeiden, auf eine
Angabe der verschiedenen Flächenkomplexe gewisser Niederschlags-
mengen beschränken, und verweisen bezüglich der Einzelheiten auf die
Karten selbst; besondere physikalische Erörterungen über die Nieder-
45] Die Niederschlagsverhältnisse der mittleren Rheinprovinz u. d. Nach bar geb. 45
schlagsbildung werden im nächsten Abschnitte folgen. Als Aus-
gangspunkt hierfür erscheint am geeignetsten die Betrachtung der Aus-
dehnung der Fläche von > 200 und <C 100. Außerdem sind für jede
Jahreszeit die fünf regenreichsten und die fünf regenärmsten Orte an-
gegeben.
Die Winter karte zeigt, daß das Gebiet mit > 200 mm Nieder-
schlag im wesentlichen auf die Gebirgslagen beschränkt ist; so über-
deckt es die Ardennen, das Venn und die Schneifei, die höheren
Teile des Hunsrück, das Sauerland und den Westerwald, während die
Ostabdachung des Venns und die eigentliche Eifel schon nicht mehr
dazu gehören. Innerhalb dieser Fläche steigt im Venn die Regenhöhe
noch bis über 300 mm in den höchsten Lagen ; im Sauerland hingegen
findet sich nur ein kleines Gebiet von > 300 mm mit den Stationen
Lennep, Gogarten und Breckerfeld. Der Fläche mit < 100 mm ge-
hören das Maifeld und die untere Mosel an, sowie die Rheinebene bei
Bingen mit dem Nahethale ; außerdem begegnen wir noch einer kleineren
Insel bei Bogel auf dem rechten Rheinufer und einer größeren im Lee
des Venns an der Erft. Bei Auszählung der Orte mit den extremsten
Niederschlägen haben sich die folgenden ergeben:
Poncel . .
. . 351 mm
Münstermaifeld . .
68 mm
Gogarten
. . 345 ,
Pressberg ....
72 ,
Malmedy
. . 334 ,
Braubach ....
82 „
Libramont .
. . 325 „
Laubenheim . . .
86 ,
Elsenborn .
. . 316 ,
Treis, Kammerforst
87 „
Bei der Frühlingskarte springt das starke Zurücktreten der
Fläche mit 200 und mehr Millimetern Niederschlag in die Augen; denn
auf der rechten Rheinseite gehört der Westerwald schon nicht mehr
zu diesem Gebiete, welches nur das Sauerland umfaßt, in welchem
auch noch einige kleine Inseln mit > 225 mm Regenhöhe liegen. Links-
rheinisch ist es zunächst das Gebiet des Hoch- und Idarwaldes, welches
von der Isohyete von 200 mm umschlossen wird, ferner das hohe Venn
und die Schneifei. Den größten Anteil an der Karte hat die Fläche
mit 150 — 175 mm, während das Gebiet mit > 100 mm fast dasselbe
wie in der Winterkarte geblieben ist. Jedoch macht die 125 mm-Kurve
«inen großen Vorstoß sowohl nach Westen als auch nach Norden, in-
dem sie bis fast in die Gegend von Erkelenz in die norddeutsche Tief-
ebene hineingreift; auch begegnen wir in der Südeifel einem Streifen
von <[ 125 mm, der aber hauptsächlich den Thälern der linken Neben-
flüsse der Mosel zukommt. So mögen auch hier wiederum die fünf regen-
reichsten und die fünf regenärmsten Orte wie folgt aufgeführt werden:
Hockay . . .
. 237 mm
Münstermaifeld
. 82 mm
Hahnenberg
. 234 ,
Laubenheim .
. 90 „
Rheinsfeld . .
. 233 ,
Rüdesheim .
. 92 „
Gogarten . .
. 232 „
Pressberg . .
. 93 „
Remscheid . .
. 232 „
Lorch . . .
. 96 „
Wassenach .
. 9ö „
Im Gegensatze zu den beiden bis jetzt diskutierten Karten er-
streckt sich im Sommer das Gebiet mit > 200 mm Niederschlagshöhe
über fast zwei Drittel der ganzen Karte, so daß es nicht nur auf die
40
P. Polis,
[40
Tabelle 11.
Gruppenmittel der Niederschläge für die einzelneu
Gebirgsstöcke.
Rheinische Tieflandsbucht
Rheinthal
von Godesberg bis Coblenz
von Coblenz bis Geisenheim
Moselthal
Sauerland
Bergische Höhen
Höhere Lag. m. Ebbegebirge
Westerwald
Niedere Lagen
Höhere Lagen
Hunsrttck
Niedere Lagen
Hochwald und Idarwald .
654
19 j
509
11
541
5
481
6 1
634
8|
1009
24
979
18
1103
6
805
25
773
19 j
904
6 i
720
15
679
13;
984
2 ;
Eifel
Westeifel
Vorder- und Osteifel . . .
Schneifei und Zitterwald
Ardennen
Niedere Lagen
Höhere Lagen
Venn
Oestliche Abdachung und
Aargebirge
Hohes Venn
Höchste Erhebungen . . .
Aachen-Dtirener Bergland
679
671
636
959
921
831
1163
932
660
1070
1207
751
24
11
11
2
11
8
B
24
8
16
6
11
Am trockensten ist das Rheinthal von Coblenz bis Geisenheim mit
481 mm, während die höchsten Erhebungen des Hohen Venns das größte
Mittel mit 1207 mm aufweisen; ihm folgen zunächst die höheren Lagen
des Sauerlandes mit dem Ebbegebirge 1103 mm und die Ardennen.
Um einen ungefähren Anhaltspunkt der mittleren Niederschlags-
höhe des untersuchten Gebietes zu bekommen, wurden 184 Stationen
zusammengefaßt; die so gewonnene mittlere Niederschlagshöhe für das
gesamte Gebiet beträgt 717 mm.
b) Gruppenmittel nach Flußgebieten. Für die Berechnung der
mittleren, jährlichen atmosphärischen Wassermenge in einem Flußgebiete
ist die genaueste Methode die der Ausmessung der einzelnen von den
Isohyeten begrenzten Flächenstücke auf planimetrischem Wege, wovon
jedoch hier einstweilen Abstand genommen werden soD.
Gute Anhaltspunkte hierüber gewähren jedoch auch die Multi-
plikationen der Fläche des betreffenden Flußgebietes mit dem arith-
metischen Mittel aus den Niederschlagshöhen der in demselben liegen-
den Stationen. In Tabelle 1 2 sind die Gruppenmittel für die einzelnen
Flußgebiete angegeben, aus welchen dann unter Zugrundelegung des
Flächeninhaltes des Flußgebietes die Gesamtwassermenge in Kubik-
metern berechnet wurde. Dies konnte jedoch nur für diejenigen Fluß-
gebiete ermittelt werden, die als abgeschlossenes Ganze in die Karte
hineinfielen.
Benutzen wir das im vorigen Abschnitte berechnete Gruppenmittel
von 717 mm des gesamten in dieser Arbeit behandelten Gebietes (was
wohl der mittleren Niederschlagshöhe der Eheinprovinz nahe kommt),
so ergiebt sich bei dem Flächeninhalte von 26981 km2 eine jährliche
Gesamtwassermenge von 19345377000 m3.
41] Die Niederschlagsverhältnisse der mittleren Rheinprovinz u. d. Nachbargeb. 41
Tabelle 12.
Gruppenmittel der Niederschläge nach Flußgebieten.
Gebiet des
Flächen-
inhalt
des
Gebietes
km8
Mittlere
Nieder-
schlags-
höhe
mm
Gesamt-
wassermenge
des
Gebietes
in m8
Rheines (von Eltville bis Dussel thal) .
Rhein (von Eltville bis zur Nahe) . .
Nahe
„ (von der Nahe bis zur Lahn) . .
Lahn (von Gelbach inkl. bis zur
Mündung)
, (von der Lahn bis zur Mosel) .
Mosel (von Trier bis zur Mündung)
Sauer
Saar (teilweise)
„ (von der Mosel bis zur Ahr) . .
Ahr
, (von der Ahr bis zur Sieg) . . .
Sieg
, (von der Sieg bis Köln)
9 (von Köln bis zur Wupper) . . .
Wupper
, (von der Wupper bis zur Erft) .
Erft
„ (von der Erft bis zur Dussel inkl.)
Roer
6668
617
4043
694
502
38
4382
4365
664
1808
901
2366
2875
638
231
821
284
1909
115
2299
44
4
12
9
24
16
4
14
6
5
20
5
1
10
3
9
3
15
599
554
566
536
704
?
782
749
840
714
632
473
955
594
855?
1064
650
610
731
932
3994632000
341818000
2288338000
371984000
353408000
?
3426724000
3269385000
540960000
1290912000
569432000
1119118000
2745625000
2378972000
197505000?
878544000
184600000
1164490000
84065000
2142668000
Niederschlagshöhe. Jahreszeitliche Verteilung.
(Tabelle II- V, VII. Tafel II-IX.)
Nachdem wir die Jahresniederschläge nach verschiedenen Ge-
sichtspunkten eingehend dargestellt haben, erübrigt uns noch, ein Bild
über die jährliche Verteilung derselben zu entwerfen. Es wäre natür-
lich erwünscht, die mittleren monatlichen Niederschläge der vorhan-
denen Stationen näher kennen zu lernen. Jedoch würde bei den
vorliegenden kurzen Beobachtungsreihen der meisten Orte die Reduk-
tion auf eine bestimmte Periode in diesem Falle zu unsichere Werte er-
geben. Es wurde daher von einer allgemeinen Bearbeitung der monat-
lichen Niederschlagswerte abgesehen, und diese nur für die Stationen
mit längeren Beobachtungsreihen durchgeführt (siehe Tabelle II — V)-
I. Jährlicher Verlauf.
Bevor wir zur kartographischen Darstellung übergehen, wollen
wir uns zunächst ein Bild vom jährlichen Verlaufe entwerfen, und zu
diesem Zwecke wiederum dasDecennium 1886 — 1895 näher betrachten.
Um eine leichtere Uebersicht zu ermöglichen, wurden die einzelnen
Monatswerte, die einzelnen Jahreszeiten und die beiden Halbjahre Sommer
und Winter, in Prozenten der Jahrsumme ausgedrückt sowie die Minima
und Maxima durch entsprechenden Fett- und Kursivdruck gekenn-
zeichnet; bei den Halbjahren ist nur die größere Summe fett gedruckt.
In den Jahreszeiten haben wir für das ganze Gebiet die meisten
Niederschläge im Sommer, die wenigsten im Frühling ; nur das Rhein-
thal oberhalb Coblenz, sowie das Moselthal haben ein ausgesprochenes
Winterminimum.
Fassen wir die beiden Halbjahre ins Auge, so tritt ein diametraler
Gegensatz zwischen der Ebene und den Gebirgen hervor. Erstere
hat die größte Niederschlagshöhe im Sommerhalbjahre, während sie
sich für die letzteren auf das Winterhalbjahr verschiebt; der Ueber-
gang hierzwischen macht sich in den niedrigen Gebirgslagen und an
den Ausläufern bemerkbar, wo Sommer- und Winterhalbjahr einander
nahezu gleichkommen. Hierbei sei noch besonders verwiesen auf die
Zu- und Abnahme dieser Maxima einerseits in der Rheinebene und
andererseits im Venn und in den Ardennen.
Betrachten wir nun die einzelnen Stationen monatsweise, so haben
das belgische Tiefland, die niederen Lagen des Venns, die Bergischen
431 P- Polis, Die Niederschlagsverhältn. d. mittleren Rheinprov. u. d. Nachbargeb. 43
Höhen und der Westerwald ein Julimaximum, während die Rheinebene,
das Moselthal, sowie die südliche Eifel den meisten Niederschlag im
Juni empfangen. Ferner tritt in den höheren und exponierteren Ge-
birgslagen, den Ardennen und dem Hunsrück, ein Oktobermaximum
hervor, welches sich übrigens bei allen Gebirgen als ein sekundäres
bemerkbar macht. Auch weisen die Gebirge viele Niederschläge im
Dezember auf.
Im Gegensatze zu den niederschlagsreichsten Monaten, die mit der
topographischen Lage eine so mannigfaltige Verschiebung erfahren,
ist der trockenste Monat durchweg der April; nur bei einigen Orten
im belgischen Tieflande und in Gützenrath wird er zum sekundären,
während das Hauptminimum auf den Februar bezw. März entfällt.
Aus dem Verlaufe der Niederschläge für das zu Grunde gelegte
Decennium geht hervor:
1. Für die Ebene ein ausgesprochenes Juni- bezw. Julimaximum.
2. Für die höheren Gebirgslagen ein Oktobermaximum , welches
sich bei allen andern Gebietsteilen sekundär angedeutet findet.
3. Für die Ebene und Gebirge ein Minimum im April.
Es wirft sich nun weiter die Frage auf, ob dieses Bild der jahres-
zeitlichen Niederschlagsverteilung, welches wir aus den 10jährigen Be-
obachtungen erhielten, auch den tatsächlichen Verhältnissen entspricht.
Zu diesem Zwecke wollen wir zunächst die prozentarischen Summen
der beiden Lustren 1886—1890 und 1891 — 1895 gesondert betrachten.
Bei diesen springt der diametrale Gegensatz in der Verteilung aufs
schärfste in die Augen; 1891 — 1895 haben fast alle Stationen den
meisten Niederschlag im Winter mit einem Hauptmaximum im Oktober
(ja selbst das obere Rhein- und das Moselthal haben Oktobermaximum),
umgekehrt treffen wir 1886 — 1890 die meisten Niederschläge im Sommer-
halbjahre mit einem Hauptmaximum im Juni bezw. Juli an. Auch in
den trockensten Monaten tritt eine bedeutende Verschiebung ein, indem
das Minimum beim erstgenannten Lustrum auf den April entfällt, beim
letztgenannten hingegen auf den Februar.
Es wird nun unsere Aufgabe sein, unter Zuhilfenahme der lang-
jährigen Mittel die Periode herauszufinden, welche der wirklichen That-
sache entspricht. Leider stehen uns hierbei, mit Ausnahme von Birken-
feld im Hunsrück, wirklich langjährige Mittel von Gebirgsstationen nicht
zur Verfügung; jedoch können noch Hockay und Barraque Michel,
weil sie länger als 10 Jahre beobachtet haben, mit berücksichtigt wer-
den. Ohne weiteres springt auch hier die schon oben betonte That-
sache der größten Niederschläge im Sommerhalbjahre bei den Flach-
landstationen in die Augen, während umgekehrt Hockay und Aachen
dem Hohen Venn und Birkenfeld dem Hunsrück die meisten Nieder-
schläge im Winterhalbjahre zuweisen. In dem jahreszeitlichen Verlaufe
tritt wiederum das Sommermaximum, sowie das Frühlirigsminimum aufs
schärfste hervor; nur das Venn und der Hunsrück haben ein Herbst-
bezw. Wintermaximum. Daher begegnen wir auch in diesen Gebirgen
den meisten Niederschlägen im Oktober bezw. Dezember. Für die Ebene
macht sich eine interessante Verschiebung des Sommermaximums be-
merkbar. Das belgische Tiefland empfangt, wie aus den langjährigen
44 P. Polie, [44
Beobachtungen von Brüssel hervorgeht, die meisten Niederschläge im
August, während wir beim Weiterschreiten gegen Osten und Süden ein
Julimaximum antreffen, welches für das Rheinthal sogar teilweise zum
Junimaximum wird. Hinsichtlich des trockensten Monats ist der April
vorwiegend beteiligt, aber stellenweise nur sekundär; so weisen die
langjährigen Beobachtungen von Köln, Bonn, Boppard und Kreuznach
dem Rheinthale die geringsten Niederschläge während des Monat»
Februar zu. Auch bei Trier ist der Unterschied von Februar und
April so gering, daü wir hier von einem Hauptminimum in beiden
Monaten sprechen können.
Neben dieser Darstellung durch langjährige Mittel dürfte es noch
erforderlich sein, die erhaltenen Resultate durch direkten Vergleich mit
den langjährigen Beobachtungen zu prüfen. Zu dieser Prüfung wollen
wir uns der vorhandenen monatlichen Lustren der drei Stationen Aachen,
Boppard und Köln bedienen. Verschiebungen des Sommermaximums
machen sich für das Rheinthal in den beobachteten 50 Jahren nur
zwischen Juni und Juli bemerkbar, während das Minimum zwischen
Februar, März und April schwankt; dennoch steht die Häufigkeit der
Fälle, besonders beim Minimum, nicht im direkten Verhältnis zur Summe.
Bei Aachen kommen öfters Wintermaxima vor, namentlich im Dezember,
wie dies ja dem Uebergange zum Gebirge eigen ist; auch zeigen ein-
zelne Lustren das Hauptmaximum im Mai.
2. Geographische Verteilung der Niederschläge in den einzelnen
Jahreszeiten.
a) Absolute Werte in Millimeter. Im vergangenen Abschnitte
haben wir uns mit dem Jahresverlaufe der Niederschläge beschäftigt,
wobei wir allerdings nur die Stationen mit längeren Beobachtungs-
reihen zu Grunde legen konnten. Um jedoch ein anschaulicheres Bild
über die jahreszeitliche Verteilung der Niederschläge zu erhalten, müssen
wir uns wiederum der kartographischen Darstellung bedienen. Wie
schon früher erörtert, wurden nicht nur die Jahreswerte der unter-
suchten Periode 1886 — 1895 abgeleitet, sondern auch die der einzelnen
Jahreszeiten ; aus den letzteren sind dann nach der früher besprochenen
Methode Niederschlagskarten entworfen worden.
Was nun zunächst die geographische Verteilung der Niederschläge
in den verschiedenen Karten anbelangt, so zeigt sie selbstverständlich
den Charakter der Hauptkarte; namentlich weisen die in der Jahres-
karte dargestellten regnerischen Gebiete auch in den einzelnen Jahres-
zeiten die meisten Niederschläge auf, und umgekehrt. Um die Ver-
gleichbarkeit der einzelnen Karten untereinander zu erleichtern, sind,
gerade wie bei der Jahreskarte die Fläche von > 1000 mm durch rote
Farbe gekennzeichnet wurde, hierbei überall die Flächen mit > 200 mm
übereinstimmend hervorgehoben worden.
Wir wollen uns hier, um Wiederholungen zu vermeiden, auf eine
Angabe der verschiedenen Flächenkomplexe gewisser Niederschlags-
mengen beschränken, und verweisen bezüglich der Einzelheiten auf die
Karten selbst; besondere physikalische Erörterungen über die Nieder-
45] D*e Niederschlagsverhältnisse der mittleren Rheinprovinz u. d. Nachbargeb. 45
schlagsbildung werden im nächsten Abschnitte folgen. Als Aus-
gangspunkt hierfür erscheint am geeignetsten die Betrachtung der Aus-
dehnung der Fläche von > 200 und < 100. Außerdem sind für jede
Jahreszeit die fiinf regenreichsten und die fünf regenärmsten Orte an-
gegeben.
Die Winter karte zeigt, daß das Gebiet mit > 200 mm Nieder-
schlag im wesentlichen auf die Gebirgslagen beschränkt ist; so über-
deckt es die Ardennen, das Yenn und die Schneifei, die höheren
Teile des Hunsrück, das Sauerland und den Westerwald, während die
Ostabdachung des Yenns und die eigentliche Eifel schon nicht mehr
dazu gehören. Innerhalb dieser Fläche steigt im Yenn die Regenhöhe
noch bis über 300 mm in den höchsten Lagen ; im Sauerland hingegen
findet sich nur ein kleines Gebiet von > 300 mm mit den Stationen
Lennep, Gogarten und Breckerfeld. Der Fläche mit < 100 mm ge-
hören das Maifeld und die untere Mosel an, sowie die Rheinebene bei
Bingen mit dem Nahethale ; außerdem begegnen wir noch einer kleineren
Insel bei Bogel auf dem rechten Rheinufer und einer größeren im Lee
des Yenns an der Erft. Bei Auszählung der Orte mit den extremsten
Niederschlägen haben sich die folgenden ergeben:
Poncel . .
. . 351 mm
| Münstermaifeld . .
68
Gogarten
Malmedy
. . 345 „
1 Pressberg ....
72
. . 334 ,
Braubach ....
82
Libramont .
. . 325 ,
1 Laubenheim . . .
86
Elsenborn .
. . 316 ,
1 Treis, Kammerforst
87
Bei der Frühlingskarte springt das starke Zurücktreten der
Fläche mit 200 und mehr Millimetern Niederschlag in die Augen; denn
auf der rechten Rheinseite gehört der Westerwald schon nicht mehr
zu diesem Gebiete, welches nur das Sauerland umfaßt, in welchem
auch noch einige kleine Inseln mit > 225 mm Regenhöhe liegen. Links-
rheinisch ist es zunächst das Gebiet des Hoch- und Idarwaldes, welches
von der Isohyete von 200 mm umschlossen wird, ferner das hohe Venn
und die Schneifei. Den größten Anteil an der Karte hat die Fläche
mit 150 — 175 mm, während das Gebiet mit > 100 mm fast dasselbe
wie in der Winterkarte geblieben ist. Jedoch macht die 125 mm-Kurve
einen großen Vorstoß sowohl nach Westen als auch nach Norden, in-
dem sie bis fast in die Gegend von Erkelenz in die norddeutsche Tief-
ebene hineingreift; auch begegnen wir in der Südeifel einem Streifen
von <[ 125 mm, der aber hauptsächlich den Thälern der linken Neben-
flüsse der Mosel zukommt. So mögen auch hier wiederum die fünf regen-
reichsten und die fünf regenärmsten Orte wie folgt aufgeführt werden:
Hockay . .
. 237 mm
Münstermaifeld .
. 82 mm
Hahnenberg
. 234 ,
Laubenheim . .
. 90 ,
Rheinsfeld .
. 233 ,
Rüdesheim . .
. 92 „
Gogarten
. 232 „
Pressberg . . .
. 93 „
Remscheid .
. 232 „
Lorch ....
. 96 „
Wassenach . .
. 96 „
Im Gegensatze zu den beiden bis jetzt diskutierten Karten er-
streckt sich im Sommer das Gebiet mit }> 200 mm Niederschlagshöhe
über fast zwei Drittel der ganzen Karte, so daß es nicht nur auf die
46 P. Polis, [4&
Gebirge beschränkt ist, sondern auch noch bedeutende Strecken des
Flachlandes umfaßt. Mit Ausnahme des Rheinthaies bis oberhalb Bonnr
der Osteifel, des Soonwaldes und der Ostabdachung des Venns, ein-
schließlich des Jülicher Landes, begegnen wir überall einer Regenhöhe
von ]> 200 mm. Selbst die Fläche von 300 mm und darüber hat noch
eine relativ große Ausdehnung, wenngleich sie nur auf die höheren
Lagen des links- und rechtsrheinischen Gebirges beschränkt ist. Hier
wächst die Niederschlagshöhe stark an, wodurch einerseits dem Ebbe-
gebirge und anderseits den höchsten Erhebungen des Hohen Venn an
der Luvseite > 350 mm zugewiesen werden. Eine Fläche mit < 200 mm
Niederschlag treffen wir noch in einem größeren Teile des Flußgebietes»
der Sauer an. Mengen von < 100 mm kommen in der Sommerkarte
überhaupt nicht vor; wohl aber machen sich einige relativ trockene-
Gebiete bemerkbar, so beim Rheinknie, bei Münstermaifeld und im
Roerthale bei Jülich einerseits und bei Abenden-Hergarten andererseits.
Stellen wir auch hier wieder je fünf Stationen mit der größten und
kleinsten Niederschlagshöhe zusammen, so gelangen wir zu folgendem
Resultate :
Gogarten . . . 885 mm
Barraque Michel . 382 ,
Meinerzhagen . . 374 „
Wegeringhausen . 374 „
Niederwipper . . 371 ,
Kammerforst . . 118 mm
Stromberg ... 144 ,
Lorch 145 „
Jülich 146 ,
Rüdesheim ... 148 ,
Was nun schließlich die Herbstkarte anbetrifft, so hat die-
selbe die größte Aehnlichkeit mit der des Winters, nur daß die Fläche-
mit > 200 mm an Gebiet gewonnen hat, indem sie auf dem rechten
Rheinufer noch die Ausläufer des Wester waldes einschließt, und auf
dem linken einen großen Teil der Westeifel, sowie nordwärts noch
weiter in die Tiefebene hineingreift. Auch der Kamm des Villengebirges-
hat ^> 200 mm , wie dies aus den Messungen von Bergheim hervor-
geht, ferner der Bergkegel bei Gornhausen. Sowohl die höchsten Er-
hebungen des Hohen Venns als auch das Ebbegebirge, ferner die
Station Gogarten auf den Bergischen Höhen weisen > 300 mm auf.
Was nun die Trockengebiete anbelangt, so sinkt in denselben die
Nied^rschlagshöhe nirgends unter 100 mm hinab. Selbst das Gebiet
von > 125 mm beschränkt sich nur auf den untersten Teil des Mosel-
thales , weiter das Rheinknie bei Geisenheim, einschließlich eines Teile*
des Flußgebietes der Nahe. Ein Vergleich der fünf niederschlags-
reichsten und der fünf niederschlagsärmsten Orte zeigt uns folgendes i
Poncel . . . .
403 mm
Kammerforst .
. 104 mm
Barraque Michel .
347 ,
Winterbach . .
. 114 .
Hockay . . . .
346 ,
Laubenheim
. 116 ,
Mühlenbach . .
337 „
Gemünden . .
. 122 „
Gogarten . . .
333 „
Lorch ....
. 123 ,
b) Relative Werte in Prozenten der Jahrsumme. Diese
vorbesprochenen Karten der absoluten Mengen gewähren jedoch kein
Bild über den Einfluß, den die Gebirge auf die jährliche Niederschlags-
verteilung ausüben. Um diesen zu charakterisieren, muß man sich.
47] Die Niederschlagsverhältnisse der mittleren Rheinprovinz u. d. Nachbargeb. 47
wie in den früheren Abschnitten bereits erwähnt, der prozentarischen
Werte bedienen. Das ist nun bei den Stationen mit längeren Beob-
achtungsreihen bereits geschehen, woraus wir den großen Einfluß der
Gebirge auf die Aenderung derselben erkannt haben. Es schien daher
lohnend, auch die prozentarischen Werte der einzelnen Jahreszeiten
kartographisch darzustellen.
Bei diesen Karten wurden Abstufungen von 2°/o zu 2°/o inne-
gehalten ; ferner ermöglicht uns diese Darstellung auch, den Anteil der
relativ zu viel oder zu wenig gefallenen Wassermengen während der
einzelnen Jahreszeiten zu erkennen, deren Grenze durch die Isohyeten
von 24 °/o resp. 26 °/o gegeben sind. Die verschiedenen Faktoren, welche
die Niederschlagsverteilung beeinflussen, namentlich Luv- und Leeseite,
Stauung der Luft etc., sind zum Teil schon an früherer Stelle ein-
gehend besprochen worden, zum Teil wird es noch späterhin erfolgen,
so daß wir uns hier nur mehr mit der geographischen Verteilung zu
befassen haben. Nun brauchen wir nur noch die aus S. 43 — 44 ge-
zogenen Schlußfolgerungen, besonders diejenigen aus den langjährigen
Summen, mit der geographischen Verteilung in Zusammenhang zu
bringen.
Die Gebirge weisen im Gegensatz zum Flachland, wie uns die
Eifel und die Bergischen Höhen lehren, eine besondere Zunahme der
Winterregen auf, dessen Anteil auf dem Hohen Venn bis zu 30 °/o der
Jahrsumme erreicht, obschon die Sommerregen eher noch die Winter-
niederschläge absolut genommen an Quantität übertreffen. Umgekehrt
haben sie im Frühjahr ein ausgesprochenes Minimum, indem gerade
die höchsten Erhebungen der vorgenannten Gebirgsstöcke um diese Zeit
am wenigsten mit Niederschlägen bedacht werden. Dem Herbste hin-
gegen, der als die gleichmäßigste Jahreszeit charakterisiert ist, fällt
bezüglich der relativen Verteilung die normale Menge zu ; jedoch macht
sich auch hier das schon früher erwähnte Oktobermaximum bei den
Ausläufern der Ardennen durch die Zunahme der relativen Menge be-
merkbar.
Eine Ausnahme hiervon macht der Hunsrück, der neben dem
ausgesprochenen Wintermaximum auch im Frühjahr reichlich mit Nieder-
schlägen bedacht wird, deren Ursache, wie wir später sehen werden,
in der Aenderung der Windrichtung während der einzelnen Jahreszeiten
zu suchen ist. Der Herbst ist für dieses Gebiet die trockenste Jahres-
zeit, indem auf- den höchsten Erhebungen der Anteil bis unter 22 ° o
sinkt, während im Sommer nur dem Flachlande gegenüber wenig Regen,
absolut jedoch, gerade wie die Eifel und die Bergischen Höhen, am
meisten Niederschlag zufällt.
Die beiden Hauptflußthäler, nämlich das des Rheines und der
Mosel, weisen hingegen völlige Umkehrung von den Verhältnissen der
vorbesprochenen Gebirge auf, wie wir dies auch schon S. 43 ff. zu
beobachten Gelegenheit hatten. Namentlich sind sie durch die relativ
geringen Niederschläge in der kalten Jahreszeit ausgezeichnet, deren
Minimum, hauptsächlich im Lee, unter 18°/o des Jahresanteiles her-
untersinkt. Im Sommer haben sie jedoch den größten Regenreichtum
zu verzeichnen, alsdann finden wir in dem Gebiete, wo wir in der
48 P- Polie, [48
kalten Jahreszeit 18°/o und weniger antreffen, Niederschlagsmengen
von 36°/o und mehr, so daß gewissermaßen die Leeseite des Hohen
Venns und der Eifel, also das Flußgebiet der oberen Erft, der Mittel-
lauf der Mosel und das Maifeld die krassesten Gegensätze zwischen
Winter und Sommer aufweisen. Das Frühjahr ist gleichfalls ftir das
Moselthal und den Mittellauf des Rheines ausgezeichnet durch relativ
geringe Regenmengen, während wir dies oberhalb von Neuwied nicht
mehr finden. Den Herbst charakterisiert auch hier eine möglichst
große Gleichmäßigkeit; jedoch haben im Gegensatze zum Frühling die
Thäler einen größeren Anteil an den Herbstregen.
In der eigentlichen norddeutschen Tiefebene müssen sich natur-
gemäß die durch die Gebirge hervorgerufenen Aenderungen des jähr-
lichen Verlaufes möglichst ausgleichen. Wir werden daher also ge-
ringere Schwankungen im Jahresverlaufe , sowie mehr Sommerregen
antreffen, wie dies auch die Karten bestätigen.
3. Meteorologisch-geographische Begründung der Niederschlags-
schwankungen in der jährlichen Verteilung.
In den beiden vorhergehenden Abschnitten haben wir uns mit
dem jährlichen Verlaufe der Niederschlagshöhe eingehend beschäftigt
und daraus die verschiedenen Schwankungen während der einzelnen
Jahreszeiten, sowie die Beeinflussung durch die Gebirge, ersehen. Es
muß nun unser Bestreben darauf gerichtet sein, einmal an Hand der
herrschenden Luftdruck- und Windverhältnisse, sowie weiter unter Zu-
hilfenahme der Temperatur-, Feuchtigkeitsbeobachtungen u. s. w. eine
möglichst genaue meteorologische Begründung zu geben.
Wie wir schon S. 26 erörtert haben, ist der ozeanische Einfluß
am stärksten während der Sommer- und Winterzeit ausgeprägt, während
er im Herbst und im Frühjahre zurücktritt. Es werden daher in der
eigentlichen Winter- und Sommerzeit weit mehr Niederschläge als in
den Frühlings- und Herbstmonaten fallen, was ganz im Einklänge mit
unseren Ergebnissen steht.
Die Niederschlagsbildung hängt nicht nur von den Luftdruck -
und Windverhältnissen allein, sondern auch von der Temperatur und
dem der Luft beigemengten Wasserdampfgehalte ab. Denn je höher
die Temperatur, um so mehr Wasserdampf kann sie aufnehmen ; es wird
daher die relative Feuchtigkeit in der warmen Jahreszeit geringer, als
in der kalten sein.
Aufschlüsse in dieser Hinsicht gewähren uns Beobachtungen
der Temperatur, der absoluten und relativen Feuchtigkeit.
Für die Eifel sei dies an einem Beispiele erläutert. Zu diesem Zwecke
wurden von den Orten Aachen als Luvstation, Neuwied als Leestation
und Schneifelforsthaus bezw. Hollerath als Höhenstationen die Resul-
tate aus den entsprechenden Beobachtungen während der Jahre 1889
bis 1893 abgeleitet. Leider werden an Stationen III. Ordnung keine
Feuchtigkeitswerte gemessen, weshalb letztere von Schneifelforsthaus
nicht vorliegen. Noch deutlicher charakterisiert den Gang der Feuch-
tigkeit das sogenannte Sättigungsdefizit der Luft, d. h. diejenige Dampf-
49] Die Niederschlagsverhaltnisse der mittleren Rheinprovinz u. d. Nachbar geb. 49
menge, welche an der Sättigung der Luft unter den gegebenen Um-
ständen noch fehlt ; diese Größe wurde ebenfalls für die drei Stationen
Aachen, Neuwied, Hollerath ermittelt
Betrachten wir zunächst die Stationen der Ebene, Neuwied und
Aachen, so sehen wir, daß in der warmen Jahreszeit das Sättigungs-
defizit der Luft am größten, in der kalten am geringsten ist; es wird
daher a priori am meisten Arbeitsleistung, um Wasserdampf zur Kon-
densation zu bringen, in der Sommerzeit notwendig sein. Dem gegen-
über steht jedoch die kräftige Insolation im Sommer, welche die Erd-
oberfläche und damit die untersten Luftschichten stark erwärmt und auf
diese Weise Veranlassung zu Störungen des Gleichgewichts der Luft,
also zu Vertikalströmungen giebt. Am meisten müssen sich nun solche
aufsteigenden Ströme zur Zeit des höchsten Sonnenstandes im Monat
Tabelle 13.
Ergebnisse der meteorologischen Beobachtungen 1888 — 93.
Seehöhe 177 m Aachen . .
617 „ Hollerath.
657 „ Schneifel-
forsthaus
, 68 » Neuwied .
Aachen. .
Hollerath
Neuwied .
0,9
-2,4
2,9
[-0,9
4,8
3,9
4,0
2,2
-0,8
•1,5
1,3
Temperatur (1889-
Aachen [84
Hollerath 1 92
Neuwied jj 86
I,
Aachen " 0,7
Hollerath 'j 0,3
Neuwied I' 0,5
4,8
1,5
1,0
4,3
8,4
6,2
5,6
8,6
14,2
11,9
11,0
14,5
16,5
14,5
13,4
16,8
16,8
15,1
13,4
17,3
17,1
14,9
13,9
17,8
14,3
12,1
11,2
13,8
10,0
7,3
6,6
9,4
5,3
2,8
1,8
4,3
4,3
3,9
4,2
1,1
0,4
0,8
Absolute Feuchtigkeit
(1888—93)
4,8
4,6
4,9
5,6
5,6
5,6
7,9
8,1
8,4
9,8
10,0
10,4
10,1
10,5
10,9
10,4
10,7
1U
9,3
9,3
9,6
7,1
6,9
7,4
5,8
5,3
5,6
Relative Feuchtigkeit (1888—93)
70
72
72
75
78
82
74
79
78
81
87
92
72
75
77
80
84
85
Sättigungsdefizit (1888-93)
2,1
2,4
2,4
4,2
3,0
3,6
4,3
3,0
4,2
4,2
2,7
3,7
4,3
2,7
3,3
3,0
2,1
2,4
1,9
0,9
1.5
1,3
0,7
1,1
0,7
-2,6
-3,1
-0,2
4,4
3,9
4,2
1,1
0,3
0,4
9,3
6,7
5,9
8,9
7,0
6,9
7,2
75
83
79
2,5
1,7
2,2
Aachen-Hollerath
(AH = 440 m)
Neuwied-Hollerath
(AH = 549 m)
Aachen-Schneifelforsthaus .
(AH = 480 m)
Neuwied-Schneifelforsthaus
(AH = 589 m)
Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde. XII. 1.
3,3
3,0
1
3,3
'em
2,2
pera
2,3
iura!
2,0
)nah
1,7
me <
2,2
1889
2,2
-93
2,7
)
3,0
3,3
1,5
2,1
2,8
2,4
2,6
2,3
2,2
2,4
1,7
2,1
2,0
2,4
3,8
3,7
3,8
2,8
3,2
3,1
3,4
3,2
3,1
3,4
3,5
3,8
2,0
2,8
3,3
3,0
3,5
3,4
3,9
3,4
2,6
2,8
2,5
2,9
2,6
2,2
3,4
3,0
50
P. Polis,
[50
Tabelle 14.
Aachen 1869—70 und 1873—95.
3
a
E
1
3
<
"3
s
1
■8
1
<
f
GG
O
u
I
U
■s
Q
Mittl. Niederschlag8maximnm
17,6
15,2
15,1
12,6
14,0
17,8
23,2
19,6
15,9
22,0
19,0
18,4
Absolutes „
28.3
30,0
80,3
24,9
34,3
75,0
62,4
55,8
53,7
43,8
49,4
43,8
Niederschlagsdichtigkeit . . .
4,8
4,5
4,5
4,4
4*
4,8
5,2
5,2
5,5
4,6
4,5
5,4
Gewitterhäufigkeit (1873—95)
0,2
0,1
0,5
0,8
8
4
5
3
2
1
0,1
0,1
Juni und Juli bilden. Wir werden also in jener Jahreszeit die meisten
Gewitter zu gewärtigen haben , ' wie dies die Zusammenstellung für
Aachen lehrt. Entsprechend den mit den Gewittern verbundenen Platz-
regen begegnen wir in den Sommermonaten den größten Werten der
mittleren und absoluten Maxima. Im engsten Anschlüsse daran ist
auch die Niederschlagsdichtigkeit, die man aus der Division der mitt-
leren Anzahl der Niederschlagstage in die Monatsmenge erhält, in der
warmen Jahreszeit am größten. Es fallen also für die Ebene die größten
monatlichen Niederschlagsmengen mit dem Maximum der Gewitter-
häufigkeit zusammen. Trennen wir die Gewitter nach einzelnen De-
kaden ab, so ergiebt sich für Aachen als gewitterreichste Zeit die vom
30. Juli bis 8. August; es erklärt sich hierdurch ebenfalls der große
Regenreichtum des August, als auch die öftere Verschiebung des Regen-
maximums vom Juli auf den August und umgekehrt.
Tabelle 15.
Gewittertage zu Aachen nach Dekaden 1833 — 92.
Juni
Juli
August
Gewittertage
nach. . . .
Dekaden
1833—92 .
1
31—9
62
10-19
45
20-29
47
30-9
57
10-19
55
20-29
57
30—8
68
9—18
55
19—28
45
Betrachten wir andererseits die beiden trockensten Monate Februar
und April, so zeichnet sich ersterer Monat durch eine derartige Luft-
druckverteilung aus, die der Niederschlagsbildung hindernd entgegen-
tritt. Denn die nachstehende Zusammenstellung, Tabelle 16, der
Luftdruckmittel und Cyklonenfrequenz l) für Aachen weist
*) Die in der Tabelle dargestellte Häufigkeit der Cyklonen bei den ein-
zelnen Gradientenrichtungen für Aachen 1880—90 ist meiner Arbeit*) »Zur Theorie
der Cyklonen und Anti cyklonen* entnommen; man ersieht deutlich aus derselben
die Zunahme der cyklonalen S — SE-Gradienten, also südlich vorüberziehender De-
pressionen, während der Monate März bis Mai, welche auf die Niederschlags bildung
bei östlichen Luftströmungen, der Aenderung der Luvseite, wovon später die Rede,
von größtem Einflüsse ist.
•) Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte 1899, Bd. 22, Nr. 2.
51] Die Nieder8chlag8verh<nißse der mittleren Rheinprovinz u. d. Nachbargeb. 5 1
Tabelle 16.
Cyklonenfrequenz Aachen 1880 — 90.
3 g>
Im
N
-ß
u
u
©
I
Gradier
Richtu
s
c
1
S
ä
3
a
*>
P
s
Oh
<D
CO
»0
O
s
>
e
Q
N . . . .
20
17
34
23
23
30
31
41
27
44
24
43
NW . . .
34
22
35
26
32
19
43
32
25
36
48
38
W . . . .
13
6
14
17
20
8
3
4
7
8
10
9
SW . . . !
4
5
2
9
2
2
—
2
2
4
9
3
S
3
10
5
22
9
3
1
1
1
7
1
2
SE . . . . i
3
5
11
23
7
4
—
4
6
5
1
6
E |
NE ...
4
5
4
8
6
5
2
3
3
2
3
6
8
14
17
19
16
11
18
14
7
20
10
14
Summe
89
84
122
147 | 115
82
98
101
78
126
106
121
1
Luftdruckmittel 1869—1
)5.
1
746,0
746,1
744,1
743,6
745,1
746,2
745,6
745,5
746,41 744,J| 744,41 745,2
1 1 1
jenem Monate hohen Barometerstand und sehr geringe Cyklonenhäufig-
keit zu; dies dürfte daher die wenig ergiebigen Niederschläge sowohl
für die Ebene als für das Gebirge genügend erklären. Ebenfalls steht
die Witterung des September am wenigsten unter der Herrschaft der
Cyklonen, wogegen die östlichen Anticyklonen anwachsen und damit
Trockenheit bedingen.
Etwas schwieriger ist jedoch die Trockenheit des April und
Mai zu begründen, da jene Monate am meisten von den Cyklonen heim-
gesucht und demgemäß auch sehr niedrigen Luftdruck im Mittel auf-
weisen. Die Ursache dieser Cyklonenfrequenz in jenen Monaten ist
auf das häufige Einschlagen der Zugstraße Va, die durch Frankreich
nach dem Mittelmeere läuft, zurückzuführen. Diese Zugstraße bedingt
ihrerseits NE- und E- Winde, die natürlich weit weniger Wasserdarapf
(siehe auch Feuchtigkeit im April und Mai) mit sich führen und daher
keinen besonderen Anlaß zur Niederschlagsbildung geben werden.
Es erübrigt jetzt noch, den Einfluß, den die Gebirge auf
die jährliche Verteilung der Niederschlagsbildung aus-
üben, näher zu erörtern. Ein das Gebirge treffender Luftstrom wird natür-
lich zu allen Jahreszeiten dieselbe Hebung erfahren, wohl jedoch kann
ein wechselnder Feuchtigkeitsgehalt in Verbindung mit dem Luftdrucke
auch Aenderungen in der Niederschlagsverteilung bedingen. Der Ein-
fluß, den ein Gebirge auf die Niederschlagsverteilung ausübt, besteht,
wie wir früher gesehen haben, in einer Vermehrung der Winter- und
Herbstniederschläge, in einer Verminderung der Frühlings- und Sommer-
regen. Was zunächst die großen Niederschläge in der kalten Jahres-
zeit anbelangt, so giebt uns auch hier die Höhe des Sättigungsdefizits
Aufschluß; dasselbe ist nämlich in den Herbst- und Wintermonaten
am geringsten, und zwar in der Höhe (siehe Hollerath) noch kleiner
52 P. PoliB, [52
als in der Ebene (siehe Aachen, Neuwied) ; es wird also ein Luftstrom
beim Emporsteigen des großen Feuchtigkeitsgehaltes wegen weit eher
die Veranlassung zur Regenbildung geben, als bei großem Sättigungs-
defizit während der Sommerzeit. Diejenigen Monate sind die nieder-
schlagsreichsten, wo die Cyklonenfrequenz am größten ist, da hier alle
Faktoren zusammenwirken, nämlich aufsteigende Ströme und mit Wasser-
dampf beladene Luft. Dies ist besonders im Oktober (größte Cyklonen-
frequenz) und Dezember der Fall, wie uns ein Vergleich der oben an-
geführten Tabelle 16 der Cyklonenfrequenz in Verbindung mit den
Feuchtigkeitsbeobachtungen (Tab. 13) lehrt. Dadurch erhält das Oktober-
maximum und die großen Niederschläge im Dezember, die sowohl dem
rheinischen Schiefergebirge als auch ersteres, z. B. den Vogesen *), eigen
ist, seine Begründung. Der März jedoch, der ebenfalls sehr gerne von
den Cyklonen besucht wird, weist aus dem Grunde weit weniger Nieder-
schlag auf, weil in jenem Monate öfter die südlich vorüberziehenden
Zugstraßen von den Depressionen eingeschlagen werden, die NE-Winde
bedingen, womit auch die Abnahme der Feuchtigkeit im vollsten Ein-
klänge steht (siehe Tab. 13). Diese Häufigkeit der NE-Winde im
Frühjahr mögen vielleicht auch die Ausnahmestellung des Hunsrücks
erklären, der neben den ausgesprochenen Maxima in der Winterzeit
und Minima in der Sommerzeit, relativ viel Regen im Frühjahr em-
pfängt; er wird eben von den Nordostwinden viel leichter erreicht,
als die Westseiten der Eifel und des Venns , die sich darum für das
erstere Gebirge als regenbringende erweisen. Umgekehrt werden diesen
an sich schon trockenen NE-Winden durch Herabsteigen von den Bergi-
schen Höhen, dem Westerwald und dem Taunus, noch mehr Feuchtig-
keit entzogen, was noch eine weitere Verminderung der Regensumme
für die beiden Hauptflußthäler des Rheins und der Mosel bewirkt. An
der Ostabdachung des Venns und der Eifel werden sie jedoch wiederum
gezwungen emporzusteigen, und können damit Veranlassung zu Regen-
bildung geben. In der warmen Jahreszeit hingegen ist die Entstehung
der Niederschläge, wie oben erwähnt, viel mehr an die lokalen Bildungen
aufsteigender Ströme, und daher der Gewitter größtenteils gebunden;
für diese liegen die Verhältnisse in den Gebirgen nicht so günstig,
was eine Verringerung der Regenhöhe während der warmen Jahreszeit
dortselbst zur Folge hat.
Endlich ist noch die Frage zu erläutern, welchen Einfluß Luv-
und Leeseite auf die Niederschlagsverteilung während der
einzelnen Jahreszeiten ausüben. Die Faktoren, die die Temperatur-
verhältnisse und auch die Niederschlagsbildung an Luv- und Leeseite
beeinflussen, sind folgende:
Für unsere Gegenden ist der vorherrschenden westlichen Winde
wegen die Luvseite eine südwestliche bis westliche ; infolge des Schutzes
gegen die kalten NE- und E- Winde (die E- Winde werden beim Ab-
steigen vom Venn und der Eifel dynamisch erwärmt), günstigeren Lage
zur Insolation, größere Nähe zum Meere, ist sie als die thermisch bevor-
zugte anzusehen. Dazu kommt noch der öfteren Kondensation wegen
J) Rubel, Die Niederschlagsverhältnisse im Oberelsaß. Stuttgart 1895.
531 Die Niederschlagsverhältnisse der mittleren Rheinprovinz u. d. Nachbargeb. 53
eine größere Bewölkung, die während des Winters die Ausstrahlung
verringert, im Sommer jedoch der Einstrahlung hindernd entgegentritt.
Deutlich sehen wir dies an der Temperaturtabelle (13) Aachen-Neuwied;
in der kalten Jahreszeit besitzt Aachen eine bedeutend höhere Tem-
peratur; erst in den eigentlichen Sommermonaten, Mai bis August, kehren
sich die Verhältnisse um, indem dann der kräftigeren Insolation und
der weiteren Entfernung vom Meere wegen der kontinentalere Charakter,
höherer Temperatur in der heißen Jahreszeit für Neuwied zu Tage
tritt. Es macht sich also für die Luvseite der Eifel und des Venns
eine Abstumpfung der Wärmeextreme bemerkbar. An der Leeseite
werden natürlich in der kalten Jahreszeit die Gegensätze verschärft;
denn einmal gewährt das Rheinthal den kalten NE-Winden ungehin-
derten Zutritt, weiter wird die Verminderung der Bewölkung im Winter
und der damit verbundenen ungehinderten Wärmeausstrahlung die Tem-
peratur noch mehr herunterdrücken, im Sommer jedoch die Erhitzung
des Bodens und der Luft befördern, womit im engsten Zusammenhange
die zuerst von Aßmann1) betonte größere Gewitterhäufigkeit an der
Leeseite im Gegensatze zur Luvseite steht. Bildet man den Tempe-
raturunterschied zwischen Ebene und Höhe für Luv- und Leeseite (siehe
Tabelle 13), so macht sich ein diametraler, jährlicher Verlauf in der
Kurve bemerkbar. An der Luvseite ist die Wärmeabnahme in der
kalten Jahreszeit, an der Leeseite jedoch in der warmen Jahreszeit am
größten; es ist dies, wie wir schon oben sahen, eine Folge der ther-
misch bevorzugten Lage der Luvseite in der kalten Jahreszeit. Wir
können diese Verhältnisse dahin aussprechen, daß das Gebirge eine
Verschärfung der Temperaturgegensätze an der Leeseite und umgekehrt
eine Milderung an der Luvseite bedingt. Der Einfluß in der Nieder-
schlagsbildung äußert sich nun darin, daß, infolge des größeren Wasser-
dampfgehaltes der Luft im Winter die Niederschläge auf der Luvseite,
im Sommer jedoch infolge der öfteren Gewitterbildung auf der Leeseite
vermehrt werden ; umgekehrt tritt auf der Luvseite eine Verminderung
der Sommer- und auf der Leeseite eine solche der Winterregen ein,
was auch die Karten bestätigen.
Besonders deutlich ist dieses auf der Luv- und Leeseite der Eifel
und des Hohen Venns erkennbar. Auf der Luvseite steigt während
der Wintermonate die Regensumme bis zu 30 °/o an, während die Lee-
seite selbst in Höhen von etwa 500 m sich als relativ trocken erweist
(20°/o). Betrachten wir hingegen die Sommerkarte, so macht sich das
aus theoretischen Gründen gefaßte Resultat der Zunahme der Nieder-
schläge auf der Leeseite durch Vorrücken der 30 bez. 32 Isohyete
(gegen Westen) aufs schärfste bemerkbar.
Außer der durch die Luv- und Leeseite besprochenen Einwirkung
auf die Niederschlagsverteilung kommt noch die jahreszeitliche Aen-
derung der herrschenden Windrichtung, die ihrerseits wieder
einen Wechsel in der Luv- und Leeseite mit sich bringen wird.
Da die Kenntnis in der jährlichen Verteilung der Windrichtung für uns
von der größten Wichtigkeit ist, so wollen wir die drei Hauptkom-
!) Aßmann, Die Gewitter in Mitteldeutschland. Halle 1885. S. 41.
54
P. Polia,
[54
ponenten, die den meisten Einfluß auf die Regenverteilung haben, wenig-
stens für die Station Aachen näher betrachten. Die beigebene gra-
phische Darstellung veranschaulicht die Häufigkeit der Südwinde, Nord-
westwinde und Nordostwinde in entsprechender Weise. Aus derselben
ist zunächst ersichtlich, daß während der Winter- und Herbstzeit die
größte Häufigkeit die der Südwestwinde mit einem Maximum im No-
vember ist. Von dort nimmt die Kurve bis zum Juni fortwährend ab,
in welchem Monat zugleich das Maximum der Nordwestwinde fällt;
letztere treten meistens während der eigentlichen Sommermonate auf.
Betrachten wir endlich die NE-Winde, so zeigt sich, daß die Monate
März, April und Mai den anderen gegenüber durch das öftere Vor-
kommen derselben gekennzeichnet sind. Vom Mai ab sinkt die Kurve
Windverteilung zu Aachen 1869 — 95.
J. F. M. A. M. Jn. JL A. 5. O. Ar. D.
30
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NW
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• .
-----
0
nochmals, um im September ein wenig anzusteigen, das zugleich mit
einer Abnahme der Südwestwinde zusammenfällt. Die Ursache in der
jährlichen Verteilung ist in der Aenderung des Luftdrucks zu suchen,
worauf wir schon oben hingewiesen haben (vergl. auch Tabelle 16 der
Cyklonenfrequenz).
Nach unseren vorhergehenden theoretischen Erörterungen wird also
während des Winterhalbjahres, Oktober bis Februar einschl., die Luvseite
nach Südwest, während der Sommermonate Mai bis August einschl. jedoch
nach Nordwest verschoben, während im Frühjahre die Nordost- und
Ostseite der Gebirge wenigstens sekundär zur Luvseite wird. Es würden
also im Winter und Herbst die an den Südwestabhängen der Gebirgs-
züge liegenden Stationen im Gegensatze zu den Nordwest befindlichen
prozentarisch mehr Regen empfangen, und umgekehrt, während der
Sommerzeit die an der Nordwestseite gelegenen. Im Frühjahre jedoch
müßten die auf der Leeseite, also am Nordost- und Ostabhange, eine
Zunahme der prozentarischen Regenmenge gegenüber den auf der Luv-
seite aufweisen. Diese Verhältnisse werden am stärksten an der Eifel
und dem Hohen Venn hervortreten, während der Hunsrück durch
55] Die Niederschlagsverhaltnisse der mittleren Rheinprovinz u. d. Nachbargeb. 55
Tabelle 17.
Niederschlagsmenge in Prozenten der Jahressumme.
Stationen
I
£
2
I
&
8
a
o
CG
■e
i Stationen
I
0
£
1
I
<x>
s
a
o
00
■8
n
Eifel, Venn
Kalterherberg ,
Malmedy. . . .
Elsenborn . . .
Aachen,
Kötgen ,
Eupen
Luvseite SW
30
17
29
32
17
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29
20
28
24
24
23
Luvseite NW
26
20
80
27
21
27
26
20
29
24
25
25
Düren ....
Münatereifel .
Zingsheim . .
Schmidtheim
Eelberg . . .
Gerolstein . .
Leeseite NE— E
22
19
32
17
21
35
20
22
30
24
22
29
22
20
32
22
22
30
27
27
28
25
26
ersteres Gebirge . zu sehr beschattet wird. Die Lage des Kothaargebirges
und des Westerwaldes jedoch werden für Nordwest- und Südwest-
winde keine besondere Aenderung in der Luvseite hervorrufen. Ordnen
wir für die Eifel und das Hohe Venn *) eine Anzahl Stationen ihrer
Lage nach an, so ersehen wir deutlich die Zunahme des prozentari-
schen Anteils an der Nordwestseifce während der Sommerzeit, und um-
gekehrt an der Südwestseite während der Wintermonate. Das öftere
Wehen der Ostwinde im Frühling verursacht ebenfalls eine Vergrößerung
des prozentarischen Anteils auf der Leeseite. Für jenen Umstand
sprechen auch noch deutlich die in Tabelle 17 niedergelegten monat-
lichen Prozentsätze, woraus wir ersehen, daß alle Stationen auf der
Leeseite des Hohen Venns, z. B. Bitburg, Gerolstein, Kelberg, im Ver-
gleiche zur Luvseite, siehe Imgenbroich, Hockay, Stavelot, Aachen, im
Monat Mai prozentarisch mehr Regen empfangen. Ferner zeigt sich
aus dieser Tabelle auch noch deutlich die Wirkung der Luvseite durch
Vermehrung der Herbstniederschläge, namentlich des Oktobermaximums.
*) Sehr schön ist das auch in der Niederschlagskarte des Roergebietes für
den März 1898 erkennbar.
Weitere Elemente der Niederschläge.
(Tabelle VIII— X.)
Bei der Bearbeitung der Niederschlagsverhältnisse eines Geländes
genügt nicht nur die Kenntnis der Niederschlagshöhe, ihrer geographi-
schen Verteilung und ihres Jahresverlaufes, sondern man bedarf auch
der Angabe der größten Menge, der Zahl der Niederschlagstage, der
Schwellenwerte, der Niederschlagsdichtigkeit, der Schneeverhältnisse etc.
Allerdings muß von einer eingehenden Bearbeitung dieser Elemente hier
abgesehen werden, da in der vorliegenden Arbeit nicht die Nieder-
schlagsverhältnisse nur eines einzelnen Ortes diskutiert werden soll,
wie es z. B. für die Station Aachen1) geschehen ist, besonders da ja
in der Rheinprovinz nur von wenigen Orten langjähriges Material vor-
handen ist. Daher sollen hier nur einige der wichtigeren von den
oben angeführten Elementen derjenigen Stationen angeführt werden,
die meist in dem Zeiträume 1886 — 1895 beobachtet haben.
I. Gröite Niederschlagsmengen.
(Tabelle VIII.)
a) Größte Tagesmengen der Niederschläge. Eine be-
sondere Bolle bei allen Fragen der Hydrotechnik spielt die Kenntnis
der größten Niederschläge in einer gewissen Zeit. Die eingehendsten
Aufschlüsse über diese Fragen vermögen nur selbstregistrierende In-
strumente zu geben; solche Instrumente sind in der Rheinprovinz2) in
Aachen seit 1895, Lennep und Nieder-Breisig seit 1897 in Gebrauch.
Wir haben uns daher hier nicht nur auf die größten Tagesmengen
der Niederschläge, deren Resultate in Tabelle Villa und b niedergelegt
worden sind, beschränkt, sondern auch die stärksten Niederschläge von
kurzer Dauer eingehend erörtert.
Was den jährlichen Verlauf zunächst der mittleren Extreme
anbelangt, so schließt er sich im allgemeinen dem der Niederschlags-
*) Polis, Das Klima von Aachen, I. Teil: Niederschläge. Deutsches
Meteorologisches Jahrbuch für Aachen 1896, II. Jahrgang, S. 12 — 32.
2) Ebenfalls wird mit Mai 1899 an der der Meteorologischen Zentral-
station Aachen unterstellten Regenstation Gemünd auf der Leeseite des Venns
ein Hei Im annscher Registrierregenmesser aufgestellt.
57] P* Poliß, Die Niederschlagsverhältn. d. mittleren Rheinpro v. u. d. Nachbargeb. 5 7
höhe an, erreicht also sein Maximum in den Sommermonaten Juni und
Juli (20—32 mm), während er im Februar und April die geringsten
Werte (6 — 12 mm) hat. Ferner bemerken wir in der Tabelle bei
mehreren Stationen ein Oktobermaximum; dieses ist jedoch nur den
Gebirgs- und Uebergangslagen eigen, wie wir dies schon früher auch
bei der Niederschlagshöhe fanden.
Im Jahres verlaufe der absoluten Maxima entfallen auch hier
wieder auf die Sommermonate die größten Werte, und umgekehrt die
kleinsten auf die Monate Februar und April; bezüglich des Weiteren
sei auf die Tabelle selbst verwiesen. Durchmustert man jedoch das
Beobachtungsmaterial sämtlicher Stationen, so zeigt sich, daß in den
vier Jahren 1892 — 1895 Niederschlagssummen von ]> 100 mm über-
haupt nicht vorgekommen sind. Beträge von > 80 mm treffen wir
außer in Imgenbroich, dessen Wert allerdings fraglich ist, nur in Meudt
im Juli an. Regenhöhen von > 60 mm weisen u. a. die Stationen
Hirschfeld im Oktober, St. Vith im Juni, Gummersbach im Juli und
Lindlar im April auf. Daß jedoch auch in der Rheinprovinz Summen
von ]> 100 mm vorkommen können, beweisen die Wolkenbrüche im
Monat Juni 1898, in welchem Falle am 10. auf Station Zweifalls-
hammer im Gallbachthale 115 mm und in Mariawald 110 mm gefallen
sind. Ueber die bei dieser Gelegenheit in der dortigen Gegend (Lee-
seite des Yenns) gefallenen Wassermassen giebt folgende Tabelle1)
Aufschluß:
Quellen des Callbaches bis zum Lammersdorfer Bach 30 qkm 26 mm 780 000 cbm
Lammersdorfer Bach bis Silberscheider Bach . . 13 „ 40 „ 520000 ,
Silberacheider Bach bis Diefenbach 17 , 80 , 1860000 „
Diefenbach bis zur Mündung 19 , 115 . 2185000 ,
Summa .... 79qkm 4845000 cbm
Hieraus ergiebt sich, daß allein in dem nur 19 qkm großen Nieder-
schlagsgebiete des Gallbaches vom Diefenbach bis zur Mündung über
zwei Millionen Kubikmeter Wasser gefallen sind, welche Menge dem
Doppelten des Inhaltes der Thalsperre bei Remscheid gleichkommt.
1897 maß man an der Regenstation Gemünd bei einem Gewitter am
28. Juni 80 mm. Dies dürfte wiederum ein Beweis für die schon oben
vertretene Ansicht sein, wonach die Leeseite der Gebirge weit mehr
von Gewittern und auch wolkenbruchartigen Regen heimgesucht wird,
als die Luvseite.
Ferner seien für Aachen die Tage, an welchen 30 mm und
]> Niederschlag in 24 Stunden gefallen sind, hier mitgeteilt; hieraus
ist ersichtlich, daß die Sommer- und Herbstmonate sich den Frühlings-
und Wintermonaten gegenüber ganz besonders durch größere Nieder-
schlagsmengen auszeichnen. Charakteristisch tritt der Januar hervor,
welcher in den bearbeiteten 28 Jahren keinen Niederschlagstag, ebenso
der April, der nur einen Tag mit mehr als 30 mm aufweist.
l) Polis, Die wolkenbruchartigen Niederschläge des Juni 1898 im Maas-
und Roergebiete. Meteorologische Zeitschrift „Wetter*, Heft 9, 1898.
58
P. Polis,
[58
Regentage mit 30 mm
und me
1869:
12. Febr.
mit 30,0 mm
1884:
4. Dez.
1869:
28. Nov.
*
49,4
*
1885:
6. Okt.
1870:
11. Aug.
9
41,1
*
1887:
19. Sept.
1870:
27. Okt.
9
43,3
*
1888:
30. „
1874:
19. .
*
35,6
ii
1888:
24. Juni
1875:
24. Juni
1t
75,0
i»
1890:
18. Okt.
1875:
5. Juli
r
45,1
9
1891:
10. März
1876:
l.Mai
r
34,3
9
1892:
1. Juni
1878:
15. Juni
9
30,2
9
1893:
21. Sept.
1880:
20. Dez.
*
43,8
9
1893:
18. Okt.
1881:
26. Juli
9
39,3
1893:
20. Nov.
1881:
2. Aug.
9
55,8
9
1894:
31. Okt.
1881:
9. Sept.
*
32,9
9
1896:
18. Juli
1882:
26. Juli
9
62,4
9
1897:
2. April
1882:
12. Sept.
T
53,7
v
1898:
22. Juni
1882:
26. Dez.
9
42,8
9
mit 30,9 mm
30,1 ,
43.3 „
30.4 ,
33.0 „
80.7 „
30.3 ,
39.8 ,
36.1 „
31.2 ,
32.4 „
37,1 „
42.9 „
32.3 „
37,3 „
b) Große Niederschläge in kurzer Zeit. Bei Anlagen
von Kanälen, Drainagen u. s. w. sind namentlich wichtig genaue An-
haltspunkte über die stärksten Niederschläge in kurzer Zeit. Um die
Intensität der großen Niederschläge zu ermitteln, werden an den
Regenstationen bei starken Regenfällen (Gewitterregen, sog. Wolken-
brüchen) die Messungen gleich nach dem Aufhören des Platzregens
vorgenommen und sowohl Dauer als Niederschlagshöhe vermerkt. Ein-
gehendes Material dieser Art gewähren die bisher veröffentlichten Bände
(1891—94) der Niederschlagsbeobachtungen des Kgl. Preußischen
Meteorologischen Instituts, nach welchen Tabelle VIII c zusammen-
gestellt wurde. In dieser sind die Niederschläge nach ihrer Dauer in
verschiedenen Gruppen angeordnet und zwar wurde mit Hellmann1)
unterschieden 1 — 5, 6 — 15, 16 — 30, 31 — 45, 46 — 60 Minuten, 1 bis
2 Stunden, 2 — 3 und mehr als 3 Stunden. Außerdem ist in den ersten
fünf Gruppen die Regenintensität für die Minute angegeben, in den
letzten drei Gruppen noch die für die Stunde außerdem hinzugefügt.
Die Stationen sind nach der Intensität der Niederschläge geordnet; um
dieselben ihrer geographischen Lage nach leicht aufzufinden, bediene
man sich der alphabetisch angeordneten Tabelle I.
Die Aufführung der intensivsten Niederschläge für jede
dieser acht Gruppen giebt folgende Zusammenstellung:
Dauer Betrag per Minute
46—60 Minuten .... 0,96 mm
1 Std. 1 Min. bis 2 Std. 0,57 „
2 , 1 „ „ 3 „ 0,20 ,
Mehr als 3 Std 0,15 „
Dauer
Betrag per Minute
1 — 5 Minuten . .
. . . 1,40 mm
6-15 , . .
. . • 1,07 .
16—30 ,
1,98 r
31-45 „
1,08 „
Wie diese Anordnung lehrt, nimmt die Intensität der Nieder-
schläge mit zunehmender Dauer fast gleichmäßig ab. Die größte
Intensität für die Rheinprovinz ergab Rötgen auf der Nordseite des
Hohen Venns mit 1,98 mm in der Minute, an zweiter Stelle kommt
Abenden mit 1,56 mm, beide am 27. August 1894. Der Wolkenbruch
im Urft- und Callbachthale am 10. Juni 1898 läßt als größte Intensität
*) Ergebnisse der Niederschlagsbeobachtungen im Jahre 1891 ff. in den
Veröffentlichungen des Kgl. Preußischen Meteorologischen Instituts.
59] Die Niedenchlagsverh<nisse der mittleren Rheinprovinz u. d. Nachbargeb. 59
1,24 mm in Mariawald erkennen. Auch lehrt eine Durchsicht der
Stationen, daß die Ebene und namentlich die Leeseite gegenüber den
Gebirgen und der Luvseite von stärkeren Niederschlägen in kurzer Zeit
bevorzugt sind, eine Thatsache, worauf wir schon oben hinwiesen.
Sehr starke Niederschläge pflegen nur kurze Zeit anzuhalten, so daß
dieselben niemals auf die Stunde umgerechnet werden dürfen, ein Ver-
fahren, was bei den Ingenieuren beliebt ist und zu unrichtigen Er-
gebnissen führt, worauf zuerst He 11 mann1) aufmerksam machte.
Auch seien hier die Beträge mit > 0,50 mm in der Minute
nach den Beobachtungen des selbstregistrierenden Regenmessers an der
Station Aachen für den Zeitraum 1895—98 mitgeteilt:
Tabelle 18.
Niederschläge von > 0,50 mm in der Minute zu Aachen
1895 — 98.
1896 4. Juni . .
1897 27. Juli . .
1898 4. „ . .
1897 22. »
1897 31. August
1897 29. April .
26,0 mm in 52 Minuten, d. h. 0,50 mm in der Minute
9,6 , „ 16 , , 0,60 , „ „
2,4 „ „ 4 „ 0,60 , , ,
7,4 , , 12 „ „ 0,62 „ „ „
3,9 „ „ 6 „ , 0,65 „ „ „ „
8,6 „ * 13 • , 0,66 „ , „ „
1896 5. September 10,2 „ , 15 „ „ 0,67
1896 9. Juli . . . . 10,4 , , 15 „ „ 0,69
1896 19. August . . 17,8 „ m 25 „ , 0,71
1897 6. September 2,2 r „ 3 „ „ 0,73
1897 21. Juli .... 7,0 ,, 9 „ „ 0,78
1898 28. April . . . 5,0 „ * 6 , , 0,82
1898 19. August . . 8,5 , „ 10 , „ 0,85
1898 22. Juni .... 9,2 ,„ 10 , , 0,92
1895 26. Juli .... 11,3 , „ 12 „ 0,94
1898 6. Mai .... 7,9 , „ 40 „ „ 0,98
8,5
*
9
10
9,2
9
Ji
10
11,3
V
9
12
7,9
9
9
40
13,3
9
9
13
4,3
9
T
4
13,0
„
9
12
1895 10. August . . 13,3 » „ 13 , 1,02 » , ,
1895 24. Juli .... 4,3 , T 4 „ „ 1,08 , „ ,
1897 25. Juni ... . 13,0 , „ 12 , 1,08 „ „ ,
Hieraus ergiebt sich, daß in den vier Jahren 19mal Werte von
0,50 mm und mehr in der Minute vorgekommen sind.
2. Niederschlagshäufigkeit.
(Tabelle IX.)
Endlich liegt es noch ob, eine Uebersicht der Häufigkeit der
Niederschlagsmengen an den einzelnen Stationen zu geben, die aller-
dings, um die Subjektivität des Beobachters auszuscheiden, in der Weise
gewonnen wurde, daß nur die Tage mit mehr als 0,2 mm Niederschlag
als Regentage gerechnet wurden. In der Tabelle IX sind die Resultate
für das Decennium 1886 — 95 der betreffenden Stationen niedergelegt.
Hieraus ersehen wir zunächst, daß die Gebiete mit geringen
Niederschlagsmengen auch durch eine kleinere Anzahl von Nieder-
*) He 11 mann, Das Klima von Berlin. I. Teil Niederschläge, S. 95. Ab-
handlungen des Egl. Preußischen Meteorologischen Instituts, Bd. I, Nr. 4, 1892.
60 P. Polis, [60
schlagstagen ausgezeichnet sind, und umgekehrt. In der Schneifei
und im Venn haben wir bei den untersuchten Stationen auch die
meisten Niederschlagstage (^ 185), während die Bergischen Höhen,
der Westerwald und der Hunsrtick eine weit geringere Anzahl von
Regentagen aufweisen. Etwas auffallend ist die geringe Zahl an der
Station Birkenfeld (129), die vielleicht den tatsächlichen Verhältnissen
nicht ganz entsprechen dürfte, aber sich dennoch nicht allzuweit von
der Wirklichkeit entfernt, wie dies die Messungen an dem benachbarten
Simmern erkennen lassen, welches nur 150 Regentage im Mittel zählt.
Sonst entfallen die wenigsten Niederschlagstage in die Rheinebene und
das Moselthal.
Was den jährlichen Verlauf anbelangt, so schließt derselbe
sich im allgemeinen dem der monatlichen Summen an, erreicht also
für die Ebene sein Maximum im Juli und sein Minimum im April;
auch tritt für manche Gegenden ein Septemberminimum hervor. Bei
den Gebirgsstationen prägen sich auch hier die früher schon so oft
betonten Herbst- bezw. Winterregen aus. So finden wir z. B. im
Oktober in Schneifelforsthaus 18,3, in Hollerath 17,5 Niederschlags-
tage; ebenfalls ist in den Vennorten der Januar durch große Nieder-
schlagshäufigkeit gekennzeichnet. In der Rheinebene weist der regen-
reichste Monat etwa 16 Niederschlagstage auf; nur wenn wir weiter in
die norddeutsche Tiefebene hineinschreiten, nimmt die Anzahl der Regen-
tage zu, wie wir dies am besten an der Station Gützenrath sehen.
Hinsichtlich der einzelnen Jahreszeiten ist zu bemerken,
daß sich fast allenthalben der Sommer durch die größte, der Frühling
durch die geringste Niederschlagshäufigkeit bemerkbar macht. Nur bei
einigen Stationen kommen Abweichungen vor; so zeigt Schneifelforst-
haus die größte Anzahl von Niederschlagstagen im Herbst und Gum-
mersbach im Winter, was durch die schon früher erörterten speziellen
Verhältnisse begründet ist. Das Winterhalbjahr ist im Gegensatze zum
Sommerhalbjahr überall durch eine größere Regenhäufigkeit charakteri-
siert. Nur ist dabei zu berücksichtigen, daß in den Gebirgslagen sich
die Unterschiede zwischen den beiden Halbjahren vergrößern, während
im Flachlande Sommer- und Wintersemester nahezu gleichviel Nieder-
schlagstage haben.
3. Schneeverhältnisse.
(Tabelle X.)
Als letztes Element, welches wir noch betrachten wollen, sei eine
kurze Uebersicht der Schneeverhältnisse gegeben. Allerdings ist das
Material kein reichhaltiges; denn erst in jüngster Zeit ist man dazu
übergegangen, demselben größere Aufmerksamkeit zu schenken. Beob-
achtungen der Anzahl der Schneetage liegen für Aachen seit
50 Jahren vor, nämlich von 1838 — 1851 und 1861 bis heute; wir wollen
daher die am Ende stehende Tabelle X, die sich auf die Periode
1886 — 1895 bezieht, durch das Aachener langjährige Material ergänzen.
Wie uns die Anordnung der Stationen lehrt, sind für den untersuchten
Zeitraum die Monate Januar und Februar die schneereichsten.
<31] Die Niederschlagsverhältnisse der mittleren Rheinprovinz u. d. Nach bar geb. 61
Tabelle 19.
Schneehäufigkeit zu Aachen 1838—51 und 1858 — 95.
Zahl der Tage mit Schnee
Winter
«4
S
M
O
u
a
>
u
£
a
©
©
3
es
•-9
eS
s
ja
Summe
Summe 1838—51,
1858-95, 50 Jahre
Mittel
Maximum
Minimum
26
0,52
6
80
1,60
6
225
4,50
22
278
5,46
21
253
5,06
22
278
5,56
19
85
1.70
16
14
0,28
3
1234
24,68
57
6
Aus den langjährigen Aachener Beobachtungen geht jedoch her-
vor, was Hellmann1) auch für Berlin nachgewiesen hat, daß der
schneereichste Monat der März ist, so daß der Januar erst an zweiter
Stelle kommt. Wie nicht anders zu erwarten, wächst die Anzahl der
Schneetage mit zunehmender Höhe und treffen wir die meisten Schnee-
tage, wie die Beobachtungen von Schneifelforsthaus (64 Tage) und
Hollerath (60 Tage) lehren, auf den höchsten Erhebungen des Hohen
Yenns und besonders der Schneifei an, die also mit Recht ihren Namen
verdient. Bemerkenswert ist noch in jenen Gegenden ein Schneetag des
Monats Juli 1888, der sowohl in Schneifelforsthaus als in Hollerath
beobachtet wurde. Die Bergischen Höhen, der Westerwald und auch
der Hunsrück sind lange nicht so schneereich (etwa 40 Tage) als die
nördlichen Ausläufer der linksrheinischen Gebirge. Je mehr wir in die
Ebene hinabsteigen, um so stärker verringert sich die Zahl der Schnee-
tage, die in dem Rheinthale bis auf 26 im Jahre heruntersinkt. Der
niedrigen Temperatur auf dem Venn und der Hohen Eifel wegen weist
daher auch der Monat Mai die meisten, sowie der September die ersten
Schneetage auf. Die äußersten Grenzen für den ersten und letzten
Schneefall sind für Aachen:
13. Oktober 1838
12. Januar 1889
21. Mai . . 1850
3. März . . 1841
Zwischenzeit 93 Tage
89 ,
Die Auszählung der Schneetage nach Pentaden, die ebenfalls für
Aachen erfolgte, ergab für den Zeitraum 1881 — 1895 als schneereichste
Zeit die vom 6. — 15. Januar.
Trotz der großen Wichtigkeit der Schneedecke sowohl in
meteorologischer Hinsicht, als sie die Wärmeleitung mit dem Erdboden
abschneidet und somit die Bedingungen zu strenger Winterkälte einleitet,
als auch in hydrotechnischer Beziehung durch Ansammlung von Wasser-
*) He 11 mann, Das Klima von Berlin, I. Teil: Niederschläge,
lungen des Kgl. Preufi. Meteorologischen Institus, Bd. I, Nr. 4, 1892.
Abhand-
62
P. Polis,
[62
massen, hat man erst seit kurzer Zeit mit diesen Untersuchungen begonnen.
Die Höhe und Dichtigkeit derselben stehen in unmittelbarer Beziehung
zu der Wasserhöhe der Flüsse, und sind schnelle Schneeschmelzen, wie
bekannt, meist von außerordentlichem Anschwellen derselben begleitet.
Für die Rheinprovinz ist das Material so vereinzelt, daß es nicht loh-
nend erschien, dasselbe einstweilen weiter zu verarbeiten1). Hier für
Aachen liegen seit 1888 derartige Untersuchungen vor, die wir der
Wichtigkeit wegen, namentlich für den Wasserbauingenieur, nach-
stehend etwas ausführlicher mitteilen wollen.
Tabelle 20.
Beobachtungen an der Schneedecke zu Aachen 1888 — 97.
Novemb.
Dezemb.
Januar
Februar
März
April
Jahr
Winter
I
X
i
2
3
i
a
1
SO
SP
EH
s
i
1
©
ja
:0
n
i
i
a
CS
!
©
3
©
SP
Eh
i
i
a
©
!P
1
3
©
SP
H
Summel888bis
i
1
i
i
1897 (9 bezw.
i
10 Jahre) . .
10
2
—
26
47
—
54
94
—
54
82
—
24
84
—
0
i
—
260 -
Mittlere Höhe
1,1
—
—
2,9
—
—
5,4
—
—
5,4
—
—
2,4
—
—
0,0
—
—
— -
MittlereAnzahl
—
0,2
—
5,2
—
—
9,4
—
8,2
—
—
3,4
—
—
0,1
—
26,5-
Maximum . . .
—
—
10i
—
—
17 1
—
—
31
—
—
81'
—
—
24
—
—
—
31 -
Minimum . . .
i
i
i
(2)?6 -
Unsere Tabelle lehrt, daß im jährlichen Verlaufe die kältesten
Monate Januar und Februar sowohl die größte mittlere Höhe, als auch
die meisten Tage mit Schneedecke, aufweisen ; dieses steht in unmittel-
barer Beziehung zu den Frost- und Kälteperioden. Der März und der
Dezember treten in dieser Hinsicht gegen die beiden erstgenannten
Monate zurück. Im November kam es nur selten zur Bildung einer
langandauernden Schneelage.
Die größte Höhe wurde hierselbst in dem strengen und schnee-
reichen Februar 1894/95 und im Januar 1896/97 mit 31 cm erreicht.
Die längste andauernde Schneeperiode wies ebenfalls der erst-
genannte Winter auf, und zwar mit 52 Tagen, nämlich vom 22. Januar
bis zum 15. März. Ferner ist noch bemerkenswert, daß jeder Monat
während der beobachteten 10 Jahre mehrmals keine Schneedecke zeigte,
während es im Verlaufe des ganzen Winters stets zur Bildung einer
solchen kam.
In der Abflußfrage ist es unerläßlich, neben der Höhe der Schnee-
decke auch den Wassergehalt kennen zu lernen.
*) Wir wollen noch darauf hinweisen, daß seit dem Jahre 1897 im Hohen
Venn, von der Meteorologischen Zentralstation Aachen aus, eingehende Unter-
suchungen über die Höhe und den Wassergehalt der Schneedecke angestellt wurden;
in dem schneearmen Winter 1897 — 98 erreichte z. B. die Schneedecke auf der höchsten
Erhebung des Venns, dem Monte Rigi, eine Höhe bis zu 45 cm bei einem Wasser-
gehalt von 97 mm, in Station Jägerhaus 42 cm bei einem Wassergehalt von 115 mm.
63] Die Niederschlagsverhältnisse der mittleren Rheinprovinz u. d. Nachbargeb. 63
Bestimmungen desselben liegen jedoch erst seit 1895 vor. Im
Mittel gaben die einzelnen Monate:
Höbe
Wassergehalt
1895 Januar . . 110,8 cm
158,5 mm 1 cm = 1,48 mm
, Februar . 237,5 „
422,7 ,
. = 1,87 „
„ März ... 25 „
72,2 „
, =2,81 ,
„ Dezember 44 „
61,1 ,
, = 1,30 „
1896 Dezember 62 ,
89,2 ,
, = 1,44 ,
1897 Januar . . 157 ,
211,3 ,
. = 1.34 ,
, Februar . 28 .
69,7 „
, = 2,50 ,
Summe . 664,8 cm
1084,7 mm
Selbstverständlich ergiebt Lagerschnee weit mehr Wasser als Neu-
schnee, und sind, um diese Beziehungen näher zu untersuchen, eben-
falls die Maxima des Wassergehaltes angeordnet. Diesem entspricht
auch der größere mittlere Wassergehalt der Schneedecke im Februar
und März gegenüber dem Dezember und Januar:
1895 7. Jan. ergaben 5 cm Schneehöhe 15,9 mm Wasser
22. Febr. 15 , „ 38,2 „
25. , „ 13 » 9 39,2 » v
27. , , 14B „ 40,1 .
1. März . 12 , „ 38,2 „
8. , 13 . , 34,0 „
1897 2. Febr. 6 . „ 19,8 „
* 3. « „ 5 „ „ 17,1 „ „
Der Lagerschnee ist nach dieser Zusammenstellung im stände,
eine außerordentlich große Wassermasse — vergl. die Maxima:
13 cm geben 39,2 mm
12 „ . 38,2 ,
5 , , 17,1 .
aufzuspeichern, und wird daher, wenn plötzlich geschmolzen, den Flüssen
eine ebenso große Menge Wasser zuführen können, als dies starke
Regenfälle in kurzer Zeit bewirken.
Wir haben die Niederschlagsverhältnisse der mittleren Rheinprovinz
eingehend bearbeitet und daraus die mannigfaltigen Beziehungen zwischen
Technik und Landwirtschaft erkannt. Hängt doch der Wohlstand des
Landes in nicht geringer Weise von den klimatischen Verhältnissen ab ;
eine genaue Kenntnis derselben vermag in der Landwirtschaft durch
Anlage von Kulturen, in der Technik durch Ausnützung der Wasserkräfte,
die volkswirtschaftlichen Verhältnisse beträchtlich zu fordern.
Zieht man daher eine Parallele zwischen dem niederschlagsreichsten
und dem niederschlagsärmsten Gebiete, nämlich dem Hohen Venn einer-
seits und dem mittleren Rhein- mit dem unteren Moselthal anderer-
seits, so ist der Wohlstand des letzteren Gebietes dadurch begründet,
daß die dortselbst herrschenden klimatischen Verhältnisse das Gedeihen
der edelsten Wein- und Obstsorten ermöglichen, während umgekehrt
die großen Niederschläge in den Venngegenden durch Ausnützung der
Wasserkräfte ihrerseits wieder dazu beitragen werden, in absehbarer
Zeit den Wohlstand der jetzt meist in kärglichen Verhältnissen leben-
den Bevölkerung zu heben.
Ergebnisse.
Methode. Die Prüfung der benutzten Perioden ergab für das
langjährige Normalmittel 1851 — 1890 der Station Köln einen wahr-
scheinlichen Fehler in der Jahrsumme von + 13 mm. Aus der Prü-
fung der Reduktionsmethode ging sowohl die Bestätigung der Hann-
schen Regel hervor, als auch ließ sich dadurch die Unsicherheit, die
der Jahreskarte zu Grunde liegt, mit ± 5°/o annähernd erkennen.
Weiter sind die langjährigen Reihen der Rheinprovinz, namentlich die
von Trier, Köln und Aachen, ein neuer Beweis für die von Brückner
ausgesprochenen Klimaschwankungen, indem niederschlagsreichere und
Trockenperioden der Lustren ziemlich regelmäßig miteinander ab-
wechseln. Die größere Anzahl der Jahresniederschläge bewegt sich für
das untersuchte Gebiet innerhalb einer Schwankung von 200 mm.
Niederschlagsbildung. Die Niederschlagsbildung ist in erster
Linie von der Luftdruckverteilung selbst abhängig, indem in den baro-
metrischen Depressionen die mit diesen verbundenen aufsteigenden
Ströme den Wasserdampf der Luft zur Kondensation bringen. Außer
der Luftdruckverteilung spielen die Temperatur und Feuchtigkeit noch
eine Hauptrolle, da bei größerem Feuchtigkeitsgehalt der Luft das
Wassergas leichter zur Kondensation gelangt. Im engsten Anschlüsse
daran bringen die mit Wasserdampf geschwängerten Westwinde weit
mehr Regen als die trockenen Ostwinde hervor.
Für die Niederschlagsverteilung eines Ortes während des Jahres
wird nicht nur seine Lage zum Meere, sondern auch die Oberflächen-
beschaffenheit des Landes selbst von größtem Einflüsse sein; denn
letztere bringt durch Emporsteigen der Luftströmungen eine wesent-
liche Beeinflussung der Temperatur und Feuchtigkeit und damit auch
der Niederschlagsbildung hervor. Sie bewirkt im Gegensatze zur Ebene
eine Vermehrung der Jahresniederschläge ; ferner beeinflussen die Ge-
birge die Niederschlagsmengen nicht nur innerhalb des betreffenden
Gebigsstockes, sondern auch im Bereiche der Luvseite durch Vermehren
und auf der Leeseite durch Vermindern der Jahresniederschläge.
In Bezug auf die jährliche Verteilung bewirken die Gebirge eine
Zunahme der Winter- und Herbstregen, eine Abnahme der Sommerregen;
das Maximum im Oktober ist eine Folge des größeren Feuchtigkeits-
gehaltes der Luft und der großen Cyklonenfrequenz in jenem Monat.
Die Vergrößerung der Niederschlagsmenge mit der Höhe ist in erster
Linie an die freie Lage des betreffenden Gebirgsstockes gebunden. Vor-
651 P» Polifl, Die Niederachlagsverhöltn. d. mittleren Rheinprov. u . d. Nachbargeb . (35
gelagerte Berge wirken bei gleicher Höhenlage regenvermindernd. Das
Gebirge bedingt eine Verschärfung der Temperaturgegensätze an der
Leeseite und umgekehrt eine Milderung an der Luvseite. Es werden
daher auf der Luvseite die Winterregen, auf der Leeseite jedoch die
Sommerregen vermehrt. Die durch die Aenderung in der Windrich-
tung hervorgerufenen Wechsel in der Luv- und Leeseite äußert sich
für die Niederschlagsbildung dahin, daß in der Sommerzeit die Nord-
westseite, in der Winterzeit jedoch die Süd Westseite mehr Regen empfängt.
Das öftere Wehen der Ostwinde in den Monaten März bis Mai verur-
sacht weiter eine Vermehrung der Frühlingsregen an der östlichen Ab-
dachung der Gebirgsstöcke.
Die Regenmenge eines Ortes ist daher von drei Faktoren ab-
hängig:
1. die Meereshöhe;
2. die Lage den regen bringenden Winden gegenüber;
z. B. Gummersbach 250 m Seehöhe 1117 mm
Munstermaifeld 249 „ , 423 „
3. die Stauwirkung der Luft;
Meinerzhagen 408 m Seehöhe 1191 mm
Halver 420 „ „ 1068 ,
Geographische Verteilung. Innerhalb des Bereiches der
Karte steigt die Niederschlagshöhe an zwei Stellen über 1000 mm an,
im Hohen Venn und den Bergischen Höhen, während die Gebiete
größter Trockenheit den unteren Lauf der Mosel und des Nethethales
sowie das Rheinthal von Lorch bis oberhalb Geisenheim, einschließlich
des Nahethaies bis Sobernheim umfassen. Die höchsten Erhebungen
des Venns sind niederschlagsreicher als das Ebbegebirge; jedoch ist
die Ausdehnung der Fläche von 1000 mm und mehr im Venn infolge
der Vorlagerung durch die Ardennen geringer als in den Bergischen
Höhen; es sind also die niedrigen Erhebungen des Sauerlandes im
Vergleiche zum Venn in der gleichen Höhenlage niederschlagsreicher. In
den Ardennen sind ebenfalls, wie die Beobachtungen von Poncel und
Libramont zeigen, Gebiete über 1000 mm jährlicher Regenhöhe. Der
Hunsrück und die Hohe Eifel jedoch weisen kaum eine jährliche Nieder-
schlagsmenge von 1 000 mm auf.
An den Gebirgsstöcken läßt sich deutlich eine Luvseite (SW bis W)
und eine Leeseite (NE bis E) unterscheiden. Besonders charakteristisch
sind diese Verhältnisse bei der Eifel und dem Hohen Venn ausgeprägt,
indem dort auf der Leeseite bei gleicher Höhenlage etwa die Hälfte
von der auf der Luvseite gefallenen jährlichen Niederschlagsmenge ge-
messen wird. Die geographische Verteilung der einzelnen Jahreszeiten
dürfte aus den beigegebenen Karten ersichtlich sein.
Jahreszeitige Verteilung. Die Ebene und die beiden Haupt-
flußthäler haben den meisten Regen im Sommerhalbjahre (April bis
September), die Gebirge jedoch in dem Winterhalbjahre (Oktober bis
März). Der Uebergang hierzu macht sich bei den niedrigen Gebirgs-
lagen und den Ausläufern bemerkbar. Von den Jahreszeiten ist der
Sommer am reichsten, der Frühling am wenigsten absolut mit Nieder-
schlägen bedacht. Der Herbst ist jedoch im Gebirge durch größere
Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde. XII. 1. 5
66 P. Polis, Die Niederschlagsverhältn. d. mittleren Rheinprov. u. d. Nachbargeb. [66
Regenfälle als im Flachlande, ausgezeichnet. In der monatlichen Ver-
teilung weist die Ebene ein ausgesprochenes Juni- bezw. Julimaximum,
die Gebirge jedoch ein Oktobermaximum auf. Der trockenste Monat
ist so wohl für das Gebirge wie für die Ebene durchweg der April,
was im engsten Zusammenhange mit den daselbst vorherrschenden öst-
lichen Winden steht.
Größte Niederschläge. Größte mittlere und absolute Tages-
werte folgen im Gange der Niederschlagshöhe in der Ebene, erreichen
also ihr Maximum in den wärmsten Monaten Juni und Juli, ihr Minimum
im Februar und April. In dem untersuchten Zeiträume 1892 — 1895
kamen in der Rheinprovinz in 24 Stunden Beträge von mehr als 100 mm
überhaupt nicht vor, mehr als 80 zweimal, mehr als 60 viermal. Die
neueren Beobachtungen für 1897 und 1898 lehren jedoch, daß die
Leeseite des Hohen Venns für wolkenbruchartige Regenfälle prädis-
poniert ist, indem dort sogar Beträge von 115 mm an einem Nieder-
schlagstage fallen können.
Aus der Untersuchung der Niederschläge in kurzer Zeit für den
Zeitraum 1891 — 94 geht als größter Wert in der Minute 1,98 mm
hervor. Auch nimmt die Intensität der Niederschläge mit der Dauer
gleichmäßig ab. Die Ebene und namentlich die Leeseite ist durch
Niederschläge von größerer Intensität bei kürzerer Zeitdauer vor den
Gebirgen und der Luvseite ausgezeichnet. Aus den selbstregistrierenden
Beobachtungen zu Aachen folgt, daß Beträge von 0,50 mm und mehr
in der Minute etwa 5 — 6mal im Jahre vorkommen und zwar ausschließ-
lich in der warmen Jahreszeit. Das Intensitätsmaximum beträgt 1,08 mm
in der Minute.
Niederschlagshäufigkeit. Die Gebirge sind im Gegensatze
zum Flachlande auch durch häufigere Regenfälle ausgezeichnet; der
jährliche Verlauf schließt sich genau dem der Niederschlagshöhe an,
auch insofern, als das Gebirge in der kalten Jahreszeit, im Oktober und
Januar, in der Ebene jedoch die wärmere Jahreszeit mit der größten
Häufigkeit im Juli gekennzeichnet ist.
Schneeverhältnisse. Wie die langjährigen Beobachtungen der
Station Aachen zeigen, fällt am häufigsten Schnee im März, hierauf
folgt der Januar und an dritter Stelle der Februar. Für die unter-
suchte Periode 1886 — 1895 sind jedoch die schneereichsten Monate der
Januar und Februar gewesen. Mit zunehmender Erhebung wächst die
Zahl der Schneetage schnell und erreicht in der Rheinprovinz auf dem
Venn und der sogenannten Schneifei die größte Anzahl der Tage mit
etwa 60. Der Hunsrück, der Westerwald und die Bergischen Höhen
zählen ca. 40 Schneetage im Jahr. Der letzte Schnee kommt in den
Gebirgen im Mai, der erste im September vor, vereinzelt steht noch
ein Schneefall im Juli im Hohen Venn (1888). In den 10 Jahren
1887 — 1896 erreichte die Schneedecke ihre größte Höhe im Flachlande
mit 31 cm. Lagerschnee kann bis zu 3,5 mm Wasser per cm Schnee-
höhe aufspeichern.
Tabelle I.
Uebersicht über die Stationsverhältnisse.
A = Aachener Zentralstation ;B = Observatoire royal de Belgique; F = Forstakademie Eberswalde;
M = Kgl. Pr. Meteorologisches Institut; P = Private.
* bedeutet: Unsicherheit der Höhenangabe.
S tation
"11
la
in
•jo
'fi
IC«
5ZJ
Höhe
u
dS,
Beobachtete
Jahre
Bemerkungen
Aachen . . . . .
Abenden . . . .
Adenau
Alf (Forsthaus)
Alsdorf
Altenkirchen . .
Aken
Amel
Arlon
Arzfeld
Asbach
Anbei
Aywaille . . . .
Baraque Michel
Bastogne ....
Battice
Bell
Bensberg ....
Bergheim ....
Bergneustadt. .
232
221
110
78
52
98
214
199
177
49
98
209
188
195
37
208
81
143
165
131
E
6° 5'
6 29
6 56
7 8
6 28
7 39
6 15
6 10
5 48
6 17
7 26
5 50
5 40
6 8
5 43
5 48
7 25
7 10
6 38
7 39
N
50°47'
50 40
50 23
50 3
49 53
50 41
50 32
50 21
49 42
50 5
50 40
50 42
50 28
50 31
50 0
50 38
50 4
50 58
50 57
50 1
bis Okt.
1894
177,
dann
169
200
302
180
215
215
555
470
442
490
264
235
130
670
500
335
180
70
224
m
1886-1,5
1887-Wt.
1894 1,0,
dann
= 1,7
1
1
1844-51 ; 1861-95
1893-95
Juni 1898 bis
Dez. inkl. 1895
Juni 1899 bis
Dez. inkl. 1895
Juli 1892 bis
Dez. inkl. 1895
1888, 1890—95
Febr.-Dez. 1897
Sept.1890b.Aug.
inkl. 1895, aus-
geschl.Hail895
1886-95
Okt. 1899 bis
Dez. inkl. 1895,
ausgeschl.Okt..
Nov., Dez. 1893
u.Okt.Nov.189»
1895
1886—95
1886— 95, aus-
geschl. Febr.
1895
1886—90
1886-95
1886-95
1893-95
1893-95
Juni 1892 bis
Dez. inkl. 1895
1893—95
Entnahme des älteren
Materials siehe : P o 1 i s,
Niederschlagsverhält-
nisse von Aachen
Sehr lückenhaft und da-
her unzuverlässig
Juni 1895 zu gering
1891— 95 von der Verrech-
nung ausgeschlossen,
weiizu geringe Werte.
Zu freie Aufstellung?]
Februar u. März Monats-
summe addiert, jede
einzeln auf Jalhay in-
terpoliert
Sept. 1893, Dez. 1895
unzuverlässig
Aug. 1894 und Juni 1895
zu gering
68
P. Polis,
[68
Station
ll
in
Höhe
ss
1*1
SS*
sag!
Beobachtete
Jahre
Bemerkungen
Birkenfeld . .
Bitburg . . . .
Blankenberg .
Blankenheim .
Bleialf . . .
Bogel . . . .
Bollendorf .
Bonn ....
Boppard . .
Bourcy . . .
Braubach I.
Braubach II
Breckerfeld .
Brüggen . .
Brühl ....
Burbach . .
Burscheid . .
Coblenz . .
Conzen . . .
Dankerath .
Dasburg . .
Dattenfeld .
Daun ....
Densborn . .
Dhünn . . .
Dierdorf . .
Dittlingen .
Dockweiler .
Dolhain . . .
Drinhausen .
Düren ....
Düsselthal .
Eichen . . .
Elkenroth .
51
125
105
48
22
45
23
38
24
25
175
163
140
119
158
89
222
108
42
£
7° 10'
6 34
7 21
6 39
6 17
7 48
6 22
6 47
6 55
8 5
7 7
7 36
6 14
6 50
6 8
124
73
7 34
6 50
62
6 36
152
95
34
7 16
7 40
6 28
106
191
99
6 47
5 57
7 25
226
169
6 29
6 49
i 117
;i2o
7 58
7 53
N
49°39'
50 0
50 46
50 26
50 14
50 11
49 51
50 44
50 14
50 3
50 16
50 16
51 16
50 51
50 50
50 45
51 5
50 22
50 38
50 20
50 3
50 48
50 12
50 7
51 7
50 33
49 35
50 15
50 37
50 40
50 49
51 15
50 59
50 44
m
396*
335
170
470
477
355
180
56
99
507
66
6Q
95
65
380
69
550
432
260
112
400
308
220
236
355
540
200*
260
129
38
302
471
m
1
1
1
1,8
1
1
1,8
1
1
1
1
1
1
1
1861—95
1887—95
1898—95
Juni 1892 bis
Dez. inkl. 1895.
ausgeschl. Juli
1894 bis Febr.
inkl. 1896
1898—95
1893-95
Juli 1892 bis
Des. inkl. 1895
1848—70
1845-90
1887—95
1893—95
1894—95
1898—95, aus-
geschl. Des. 1898
Juni 1892 bis
Mai inkl. 1895
Juni 1892 bis
Des. inkl. 1895
1892—95
April 1898 bis
Dez. inkl. 1895,
ausgeschl. Aug.,
Sept., Okt., Nov.
1895
1819-42,
60-66, 86—95
Febr.-Dez. 1897
1895
Juli 1892 bis
Dez. inkl. 1895
1893-95
Jali 1892 bis
Dez. inkl. 1895
Juni 1892 bis
Dez. inkl. 1895
1893—95
1893
Aug. 1892 bis
Dez. inkl. 1895,
ausgeschLOkt.,
Not., Dez. 1893
1893—94
1888-95
März 1892 bis
Dez. inkl. 1898
1894-95
1893—95
1893-95
Febr. 1889 bis
Dez. inkl. 1895
Regenmesser stand
früher 10 m über dem
Erdboden
Erstes Lustrum etwas
zu gering, daher 1887
bis 1890 auch auf Trier
berechnet]
April 1894 und Juni 1895
unzuverlässig
Juli 1899 su gering
Mittel der Bonner Stern-
warte; neue Beobach-
tungsreihe beginnt in
Poppeisdorf mit 1898]
Juni 1895 su hoch, daher
von der Verrechnung
ausgeschlossen
Jan. , Mai 1892 zu hoch
Okt. 1898 zu gering
Lustrum 1866—90 zu ge-
ring
Nov.-Dez. 1895 unzuver-
lässig
1890 unzuverlässig
69] Die Niederschlagsverhältnisse der mittleren Rheinprovinz u. d. Nachbargeb. 69
Station
n
2 8«
H!
<D
Höhe
fal§
Beobachtete
Jahre
Bemerkungen
Elsenborn
Eltville . .
Eppenrod
Erezee . .
Erkelenz
Erp . . .
Eschweiler
Enpen . . .
Euskirchen
Eynatten .
,|201
1
28
185
r
J
237
162
230
190
161
192
Freudenberg ....
Geichlingen .
Geilenkirchen
Geisenheim . .
Gemmerich . .
Gemünden . .
Gerolstein . .
Gerre8heim . .
Godesberg . .
Gogarten . . .
Gornhausen .
Gouvy
Grevenbroich
Gützenrath . .
Gummersbach
Hachenburg .
Hahnenberg .
Halver ....
Hartkopsbever
Hasselbach . .
118
43
234
3
31
9
61
115
144
72
183
166
236
133
92
147
176
146
97
E
6° 13'
8 7
7 56
5 33
6 20
6 44
6 17
6 2
6 47
6 5
7 53
6 16
8
58
46
29
6 40
6 51
7 9
7 30
7 3
5 58
6 35
6 13
7 34
7 50
7 24
7 30
7 21
7 32
N
50°27'
50 2
50 24
50 17
51 5
50 46
50 49
50 38
50 40
50 43
50 54
49 57
50 58
49 59
50 14
49 54
50 13
51 14
50 41
51 6
49 52
50 9
51 6
51 13
51 2
50 40
51 12
51 11
51 8
50 43
627
97
318
334
99
128
155
282
160
268
315
74
103
340
280
378
67
65
360
485
465
52
250
370
400
420
?
250
m
1
1
1
1
1
1,3
1
1
1
1
1
1
1,4
1,2
1,5
1
1
1894
1893—95
1893—95
1886—95
1894—95
Juni 1892 bis
Dez. inkl. 1895.
ausgeschLAprü,
Mal, Juni, Juli
1895
1897
Juli 1893 bis
Dez. inkl. 1895
Juni 1892 bis
Dez. inkl. 1896
1897
1892—95
Juli 1892 bis
Dez. inkl. 1895
1894-95
1886—95
1893-95
1893—95
1887—95. aus-
geschl. Aug.,
Sept. 1888
1893-95
1891—95
1894 bis Dez.
inkl. 1895
Juli 1892 bis
Dez. inkl. 1895
1886—95, aus-
geschl. Jan.,
Febr., März 1891
u. Febr. 1895
1894-95
Mai 1887 bis
Dez. inkl. 1895
1886, 1888-89,
1892—95, aus-
geschl. Mai,
Juni, Juli, Aug.,
Sept. 1892
1886—95
1893—95
1892—95
1893-95
Juli 1892 bis
Dez. inkl. 1895
M
Aug. 1894 zu gering
Febr. und März 1895, ad-
diert, daher jede der
beiden Monatesummen
auf La Boche inter-
poliert]
Sept. 1894 zu hoch
Die genaue Prüfung
durch Kurvenvergleich
bestätigte die unge-
wöhnlich hohen Werte]
1889 unzuverlässig
1887von der Verrechnung
ausgeschlossen. Aug.
u. Dez. 1889 zu hoch
Sommer 1893 unzuver-
lässig
70
P. Polis,
[70
Station
si
JA
.gl«
jte
•'S .-§
PPS ®
Hohe
Sa
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5«»
tili
m
92
m
1
122
300
39
1
1
1
340
1
55
—
285
115
47
300*
460
1
1
1
1
1
44
537
310
617
1
1
1,6
75
80
1
552
1
330
1
561
1
290
70
86
1
410
1
561
1
522
1
464
482
190
315*
1
1
1
1
Beobachtete
Jahre
Bemerkungen
Hattenheim
Hausen
Heidweiler
Heinsberg
Hergarten
Hermalle - sous - Ar-
genteau
Hergehbach
Herzogenrath . . .
Hilden
Hillscheid
Hirschfeld
Hitdorf
Hockay
Höchstenbach . . •
Hollerath
Honnef
Huy
Imgenbroich ....
Ittel Kill
Jägerhaus
Jalhay (Barrage de
la Gileppe) . . .
Jemeppe
Jülich
Kaisersesch . . . .
Ealterherberg . . .
Ealterherberg (Rei-
chenstein) . . . .
Kammerforst . .
Kelberg
Kirn
Klein-Maischeid
101
68
235
164
206
94
233
156
85
6
154
186
91
218
113
181
216
65
224
196
182
231
80
212
213
17
109
7
87
£
8° 4'
7 24
6 45
6 6
6 33
5 39
7 44
6 6
6 56
7 42
7 15
6 55
6 1
7 45
6 24
7 14
5 11
6 16
6 35
6 18
6 0
5 30
6 22
7 9
6 12
6 12
7 53
6 55
7 28
7 37
N
50° r
50 33
49 55
51 4
50 37
50 43
50 35
50 52
51 10
50 24
49 54
51 4
50 29
50 38
50 28
50 39
50 28
50 35
49 52
50 38
50 34
50 37
50 55
50 14
50 32
50 32
50 1
50 17
49 47
50 31
1893—93, aus-
geschl. April,
Mal, Juni 1894
u.Jan, Febr. 1895
1891
1893—95
1893—95
1893-95
1886—95, aU8-
gesctal. Juli 1893
u. Jan., Febr.,
März 1895
1893—95
1894—95
1893—95
1893
April 1893 bis
Dez. inkl. 1895
1893—95
1886—95
1893-95
1886—95
1893—95
1886—95
1886-95
Juli 1892 bis
Dez. inkl. 1895
Febr. -Dez. 1897
1886—90
1886-95
1894—95
Juli 1892 bis
Dez. inkl. 1895
März-Dez. 1897
Juli 1892 bis
Dez. inkl. 1895
1894—95
1886—95
1890—95
1893
M
M
M
M
M
M
M
M
B
M
F.A
<«w)
M
B
M,A
(1«M)|
M
Nov. 1893 zu hoch
Station wurde mit April
1895 nach Waldfeucht
verlegt, etwa 10 km
von Heinsberg entfernt
Febr., Okt. 1893 zu gering
Sept. 1895 nicht beobach-
tet, daher interpoliert
Febr. 1889 zu hoch,
her interpoliert
da-
Regenmesser bis Sept.
1886 Durchmesser von
18 om, von da an von
35 cm
Aug.
dazu
er interpoliert
1892 unzuverlässig. Auf-
stellung des Regenmes-
sers verändert fj
Unzuverlässige Werte,
daher teils interpoliert.
Regenmesser etwas zu
frei
Sommermonate unzu-
verlässig]
7 1] Die Niederscblagsverhältnisse der mittleren Rheinprovinz u. d. Nachbargeb. 7 1
Station
IS
der Station
über dem ,_,
Meere W
N
50°56'
51 20
49 51
50 2
m
60
42
90
340*
50 88
550
50 27
50 9
50 27
50 11
355
835
195
221
49 55
51 9
90
500
51 12
49 54
50 38
340
480
75
50 38
125
51 1
50 6
218
460*
49 58
105
—
427
50 3
50 22
51 13
82
594
403*
447
50 8
470
51 7
50 26
35
330
49 38
50 10
50 39
50 37
49 48
440
495
455
300
120
Bemerkungen
Köln ...
Krefeld . .
Kreuznach
Kyllburg .
142
13
63
Lammersdorf . . . j 223
Landshube (Forst- j
bans) '
Langenschwalbach I
La Reid '! 197
La Roche I 184
88
Laubenheim
Lengelscheid ,
16
173
Lennep '149
Libramont 179
Liege I
204
Liege Cointe .... 205
Lindlar J 136
Lingerhahn 83
i!
Löenicb ij 76
Longlier < 180
Lorch
Loaheim . . .
Lüdenscheid .
Lutremagne .
Lutzerath . . .
21
40
174
86
79
210
Malmedy 202
Mambäcbel 11
Mappershain . . . . j 18
Mechernicb ,160
123
Mehring
66
E
6°57'
6 34
7 52
6 35
6 18
7 43
8 4
5 51
5 33
7 54
7 40
7 16
5 26
5 83
5 33
7 22
7 84
7 3
7 48
6 22
7 31
7 0
5 47
6 2
7 22
8 0
7 59
6 40
6 50
1,3
1
1
1
1
2,5
1848-95
1848-85, 98-95
1851-70, 1889-95
1898—95, aus-
geschl. April,
Mai, Juni, Juli
1894
Febr. -Dez. 1897
1893—95
1876-87
1886-95
1886—95, aus-
geschl. Febr.,
Aug. 1895
1893-95
1892—95, aus-
geschl. Jan.,
März, Aug.,
Sept., Okt. 1893
1893—95
1890—96
1881—89 SU8-
geschl. Febr.,
März 1888
— 1886—90
1898—95
1893—95, aus*
geschl. Nov. 1893
u. März 1895
Aug. 1899 bis
Dez. inkl. 1895
1886—95
1893—95
1893-95
1891-94
1886—91, Febr.
1893 bis (ein-
schliessl.) Nov.
1895
1888—92
1886—95
1893—95, aus-
geschl. Sept. 1893
1893—95
1895
1893—95
1897
Juli 1892 bis
Dez. inkl. 1895
Bis Juli 1883 Regenmes-
ser System Aßmann
hr = 3,3 m etwas be-
engt aufgestellt. Von
da ab System Hell-
mann mit einwands-
freier Aufstellung
Ziemlich unzuverlässige
Werte
Station bis 1887 in der
Rue St. Esprit, von da ab
im Botanischen Garten
PrinzipiellverkehrteAuf-
stellung auf 18 m hohem
Turme bis 1892. Von
Lancaster berech-
neter Fehlbetrag von
110 mm pro Jahr wurde
an den betreffenden
Jahrsumm. angebracht]
Sept., Okt. 1893 u. Jahr,
besonders Juni 1894 un-
zuverlässig
1886—89 inkl. unzuver-
lässig, daher v. der. Ver-
rechnung ausgeschl.
Sommerl894 abweichend
Höchst
Werte
unzuverlässige
Juni 1888 zu gering
72
P. Polis,
[72
Station
ja
1*1
Höhe
Fi
51*
Beobachtete
Jahre
Bemerkungen
6C
Meinerzhagen
Meisenheini .
Merzig . . .
Meudt. . . .
Mondorf . .
Monte Rigi.
Morbach . .
Morsbach
Much
Mühlenbach ....
München- Gladbach
Münstereifel ....
Münstermaifeld . .
Mützenich
Nassau
Nastätten ....
Nennig
Ne88onvaux . . .
Neuß
Neu-Straßburg .
Neuwied ....
Newel
Nieder-Breisig .
Nieder-Emmel .
Nieder- Wipper.
Nittel
Nohn
Ober-Geckler. .
Ober-Honnefeld
Ober-Kail. . . .
Ober-Oefflingen
Ober-Pleis . . .
Ober-ReifFerschei d
172
12
55
26
139
211
69
121
128
132
288
158
84
215
29
30
33
194
167
50
90
58
104
71
145
35
107
44
102
67
74
129
219
7 40
6 38
7 54
7 5
6 8
7 8
7 44
7 24
7 85
6 26
6 46
7 22
6 13
7 48
7 52
6 23
5 45
6 42
6 32
7 28
6 35
7 18
6 56
7 26
6 27
6 47
6 18
7 31
6 41
6 52
7 17
6 27
N
51° 6'
49 42
49 27
50 30
50 47
50 31
49 49
50 52
50 54
51 4
51 12
50 33
50 15
50 37
50 19
50 12
49 32
50 33
51 12
50 7
50 26
49 49
50 81
49 53
51 7
49 39
50 20
49 58
50 34
50 2
50 4
50 43
50 28
m
m
408
1
155
175
362
54
670
430
215
207
410
52
290
1,3
249
590
88
265*
155
108
40
467
—
68
1,1
365
60
140
1,2
275*
141
?
1,5
400*
370
365
405
126
1
1,5
540
1
1892-95, aus-
geschl. April bis
Aug. u. Okt. 1896
1893—95
Juli 1892 bis
Dez. inkl. 1895
1893—95
1894-95, aus-
geschl. Nov.,
Dez. 1894 und
März. April.
Mai, Juni 1895
April-Dez. 1897
Juli 1899 bis
Dez. inkl. 1895
1893—95
1893—95
1893—95
1893—95
Juli 1892 bis
Dez. inkl. 1895
Juli 1892 bis
Dez. inkl. 1895
1897
1893-95
1893—95
1893—94
1886-95
1893—95
Juli 1892 bis
Dez. inkl. 1895
Juli 1887 bis
Dez. inkl. 1895
1893—95
1892—95
Juni 1892 bis
Dez. inkl. 1895
1893
1893—95
1893
Juli 1892 bis
Dez. inkl. 1895
1891—95
Aug. 1892 bis
Dez. inkl. 1895
1893
1893—95
Juli 1892 bis
Dez. inkl. 1895,
ausgeschl. Jan.,
Febr., März,
Aug , Sept. 1894
M
M
M
M.|
M Ziemlich unzuverlässige
Werte
A
M
M
M
M
Mi
M
M
Mi
M,
M
M
B
M
M
M
M
M
M
M
M
M
Ml
m:
m!
m'
M
M
Nov. 1894 zu hoch
Regenmesser Syst. Aß-
mann, mit Latten4
zäun umgeben
Febr. 1893 zu gering
Dez. 1894 und Juni 1895
zu gering
Jan. 1893 zu gering
73] Die Niederschlaggverhaltnisse der mittleren Kheinprovinz u. d. Nachbargeb. 73
Station
Odenspiel
Offermaiinsheide . .
Olpe
Osburg
Otzenhausen ....
Overath
Pfalzkyll
Poncel
Poppeisdorf . . . .
Presberg
Prüm (Forstbaus
Tettenbusch) . . .
.Puderbach
Raffelsbrand .
Ramersbach .
Recht
Remagen . . .
Remscheid . .
Rheinsfeld . .
Rötgen ....
Rüdesheim . .
Ruppicbteroth
Salzburg
Saint Nicolas lez-
Liege
Schieiden
Schmidtheim ....
Schneifei forsthaus .
Schönan
Schwelm
Selters
Siegburg
sl
184
187
170
60
53
185
64
178
116
20
47
96
225
111
200
112
150
54
227
4
127
122
203
220
217
46
157
148
86
130
s§-3
£
7°43'
7 16
7 51
6 48
7 0
7 17
6 38
7 6
7 54
6 26
7 87
6 18
7 6
6 3
7 14
7 12
6 53
6 12
7 55
7 29
8 3
6 29
6 34
6 25
6 47
7 18
7 45
7 13
3*
»PO
55
N
50*56'
51 0
51 2
49 43
49 36
50 56
49 57
50 44
50 3
50 13
50 36
50 38
50 29
50 20
50 35
51 11
49 41
50 89
49 59
50 51
50 40
50 32
50 29
50 18
50 31
51 17
50 32
50 48
Höhe
ja
m
403
?
331
460
420*
92
195
383
60
405
460
214
470
440
410
65
310
495
398
85
156
604
137
380
570
657
355
210
250
67
»SS
5 8.8
m
1
1
1
1,5
1
1
1
1,3
1
1
1
1,7
1
1
1
2,1
1
1
1
1
Beobachtete
Jahre
1895-95, aus-
geschl. Sept. 95
1893—95
1893-95
1895—95, aus-
geschl. Mai 1893
1893—95
1893—95
Juli 1899 bis
Dez. inkl. 1895
1886-90, 1892-94
1893-95
1893—94, aus-
geschl. Jan. 1894
Juli 1892 bis
Dez. inkl. 1894
1891-95
Febr. -Dez. 1897
1893-94
1893—95
Juli 1892 bis
Dez. inkl. 1895
1893—95
Aug. 1892 bis
Okt. inkl. 1895
1893-95
1893—95
Aug. 1892 bis
Dez. inkl. 1895,
ausgeschl.
Sept., Okt., Nov.,
Dez. 1893
1893—95
1888-95
Juli 1892 bis
Dez. inkl. 1895
Juli 1892 bis
Dez. inkl. 1895
1887-95
Juni 1892 bis
Dez. inkl. 1895
1893—95
1894—95
1893
Bemerkungen
Febr., März 1894 abwei-
chend
Febr. , Mai, Juli, Okt.1893
u. Febr. 1894 unzuver-
lässig
Mai 1895 , Nov. 1895 zu
hohe Werte
Jahrsumme 1895 zu ge-
ring. Messungs fehler?
unzuverlässige Werte
1891 und 1896 unzuver-
lässig, daher v. d. Ver-
rechnung ausgeschl.]
Febr. 1894 zu gering
Sommermonate 1894 und
1895 abweichend Ge-
witterregen?]
Nov., Dez. 1895 zu hoch,
daher ausgeschlossen.
Schneeverwehung ?
Jan., Febr., März 1896
unzuverlässig. Schnee-
verwehung
Sommermonate zu ge-
ring
Höchst unzuverlässige
Werte und lückenhaft
Nov. 1895 zu hoch
Höhe des Regenmessers
1,80 m bis 11. Nov. 1890,
von da ab 5,10 m, daher
auch die Niederschlags-
abnahme in den folgen-
den Jahren]
Jahrsumme 1887 wegen
Verdun stungs Verlust
etwas zu gering
74
P. Polis,
[74
Station
Simmern 8
Singhofen j 32
Sobernheim .... I 10
Solingen 151
Stavelot 187
i
Stolberg 229
Stromberg (Gollen- II
felß) " 15
St Vith 39
Ternell . . .
Theux. . . .
Thommen. .
Thronecken
Treis .
Trier .
Ulmen
Verviera, Tirlemont
Villip
Visa
Wahn. .
Waldbröl .
Walheim ,
189
198
41
70
82
57
77
193
114
207
141
126
228
Wallmerod 27
Wassenach 103
Wegeringhausen .
Wiltingen ....
Windhagen. . . .
Winterbach . . .
Witterschlick. . .
Wittlich
Wollmer8chied . .
Zerf (Bahnhof)
Zingsheim . . .
Zons
im
56
100
14
138
75
19
59
159
155
sS-S
■gfg
ill
E
7°31'
7 50
7 39
7 5
5 57
6 13
7 46
6 7
6 7
5 47
6 5
6 59
7 18
6 38
6 59
5 52
7 6
7 5
7 37
6 7
7 57
7 17
7 44
6 36
7 21
7 38
7 2
6 53
7 52
6 43
6 40
6 51
3*
Höhe
SIS
N
49° 59'
50 16
49 47
51 10
50 23
50 47
49 57
50 17
50 36
50 32
50 13
49 44
50 10
49 45
50 13
50 36
50 38
50 44
50 51
50 53
50 42
50 29
50 26
51 3
49 40
50 38
49 52
50 42
49 49
50 7
49 36
50 31
51 7
380
310
152
219
320
180
294
482*
500
170
490
400
81
150
429
255
175
199
50
266
264
320
278
418
144
320*
400
135
175
385
372
530
37
§*>£§ Beobachtete
~ "^ ~ Jahre
5«
1
1,6
1
1
1
1,3
1,3
1
1
1
1
1,4
1,2
1
1,5
1
1
1
1886—95
1893—95
1893—95
1893—95
188fi-95, aus-
ge8chl.Febr.l895
1897
1893-95*
1887—89
1897
1886—90
1893—95
Juli 1892 bis
Dez. inkl. 1895
Juni 1892 bis
Dez. inkl. 1895
1806-80, 1850-97
Juli 1892 bis
Dez. inkl. 1895
1886—90
Juni 1892 bis
Dez. inkl. 1895
1886—95, aus-
geschl. Febr.,
Juli 1895
Juni 1892 bis
Dez. inkl. 1895
1893—95
1892— 95, aus-
geschl. Febr.,
März 1895
1893—95
Juni 1892 bis
Dez. inkl. 1895
1892—95
1893—95
1891
1893—95
Juni 1892 bis
Dez. inkl. 1895
1893
1893—95
1894—95
Juni 1892 bis
Dez. inkl. 1895
1893—95
M
M
M
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M
M
M
M
M
M
M
M
M
Bemerkungen
Ziemlich unzuverlässige
Werte
Regenmesser einwande-
frei im Gymnasialgar-
ten aufgestellt
1889, 90 u. 91 nicht EU-
verlässig, daher ausge-
schlossen
Station des Städtischen
Wasserwerks Aachen.
Aeußerst unzuverläs«
sige Werte, zum Teil
interpoliert. Bis Aug.
1896 Regenmesser eige-
ner Konstruktion an zu
freier Stelle. Von da
ab System Hellmann
geschlitzt aufgestellt
75] Die Niederschlagsverh<nisse der mittleren Rheinprovinz u. d. Nachbargeb. 75
TabeUe II.
Vieljährige Monats- und Jahreswerte der Niederschläge.
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Halbjahr
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Aachen 1844b.
1851,1861-95
BaraqueMichel
1864—1866,
1879—1892
Birkenfeld
1861—1879,
1886—1895
Bonnl848— 70
Boppard 1846
bis 1890 . .
Brüssel 1883
bis 1890 . .
Hockay 1882
bis 1895 . .
Köln 1848— 97
Krefeld 1848
bis 1885, 1893
bis 1895 . . .
Kreuznach
1851—1870,
1889—1895
Langenscnwal-
bach 1876-85
Trier 1806 bis
1830,1850-97
Aachen 1844 b.
1851,1861-95
Baraqne Michel
1864—1866,
1879—1892
Birkenfeld
1861—1879,
1886—1895
Bonnl848— 70
Boppard 1846
bis 1890 . .
Brüssel 1833
bis 1890 . .
Hockay 1882
bis 1895 . .
Köln 1848— 97
Krefeld 1848
bis 1885, 1898
bis 1895 . . .
Kreuznach
1851-1870,
1889—1895
Langenscnwal-
bach 1876-85
Trier 1806 bis
1830,1850-97
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81] Die Niederechlagsverhältnisse der mittleren Rheinprovinz u . d. N achbargeb. 8 1
Tabelle VI.
Jahresniederschläge im mittleren Rheingebiet in Millimeter.
Stationen nach Flußgebieten geordnet.
Vergleichsstationen: Aa = Aachen; AI = Altenkirchen; Ar = Arlon; Bd = Birkenfeld
Bg = Bitburg ; C = Coblenz ; Ge = Geisenheim ; Gr = Gerolstein ; Ga = Gummersbach ; Gt = Gützen-
rath ; Hg= Hachenburg ; Ht = Hollerath • I = Imgenbroich ; Ee = Kelberg ; Kö = Köln ; L = Longlier
N = Neuwied; Soh = Schneifelforsthaus ; S = Simmern ; T = Trier.
* bedeutet: Beobachtungsmaterial lückenhaft.
is
!
V
Reduzierte Werte
bS
1
Station
Beobachtungs-
9
a
1891
Ver-
1886
Ver-
r°
zeit
0
bis
gleichs-
bis
gleichs-
1
1895
station
1895
Station
Rhein.
l
...... Eltville ....
1893—95
i 1898-95*
745
526
747
533
Ge
Ge
746
534
Ge
2
.
Hattenheim .
Ge
3
Geisenheim . . '
' 1886-95
476
478
—
476
—
4
Rüdesheim . .
1 1893—95
453
442
N,Ge
462
N, Ge
5
Birkenfeld . .
1886-95
740
721
—
740
—
6
( wj>chfeld ■ •
' April 1893—95
610
602
S
627
S
7
Kirn
1890—95
510
514
—
521
S
8
(Kellen- r Simmern . . .
bach) \ Gemünden . .
1886—95
594
566
—
594
—
9
1893-95
522
499
S
537
s
10
<x>
Sobernheim .
1893-95
492
474
S
496
s
11
c3<
/pi.^ (Mambachel. .
<Glan) \Meisenheim. .
i 1893—95
724
685
Bd
710
Bd
12
*
; 1893—95
545
521
Bd
548
Bd
13
Kreuznach . .
1889—95
486
491
—
497
Ge
14
^{wi-w-d. •
1893-95
515
508
S
530
S
15
(GbSr{stroniber» • •
1893—95*
526
507
S
528
S
16
Laubenheim .
1893-95
461
466
Ge
466
Ge
17
Kammerforst .
1894—95
450
426
Ge
429
Ge
18
( Mappershain .
w;-^«. 1 Wolmerschied
Wisper . . ?re8berg m 9 m
l Lorch
1895
711
595
Hg
599
Hg
19
1893—95
631
635
Ge
633
Ge
20
1893—94
499
484
Ge
486
Ge
21
j 1893—95
461
450
N.Ge
456
N, Ge
22
(?3-(Bo«el
1893-95
604
615
Ge
615
Ge
28
Boppard . . .
1886-90
593
—
—
552
S
24
Braubach I . .
1 1893—95
1894—95
504
535
510
547
Ge
Ge
512
541
Ge
25
Ge
Lahn.
26
( Meudt
1893—95
900
S86
N
887
N
27
Gelbach . .{ Wallmerod . .
1 1893-95
844
832
N
832
N
28
[ Eppenrod . . .
| 1893-95
737
721
N
722
N
29
Nassau ....
j 1893—95
643
634
N
637
N
30
( Nastätten . . .
1893—95
601
590
Ge
602
Ge
31
Mühlbach l Gemmerich . .
i 1893-95
646
638
N
641
N
32
1 Singhofen . . .
Mosel.
! 1893—95
602
611
Ge
607
Ge
33
Nennig ....
1893-94
594
585
T
609
T
34
Ditzingen . .
Aug. 1892—95*
G85
664
T
700
T
35
Nittel
1893-95
647
617
T
640
T
36
(S
lauer) . . Lutremagne . ,
1886-91, 1893-95
747
—
—
833
L
Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde. XII. l.
82
P. Polis,
[82
i*
a
a
Reduzierte Werte
Ji
Station
Beobachtungs-
1891
Ver-
1886
Ver-
o B
zeit
GQ
bis
gleichs-
bis
gleichs-
1895
atation
1895
Station
37
/ f\xm*.\ / Baetogne . . .
1886—95
861
845
861
38
v ' l Bourcy ....
1887—95
685
633
—
685
—
39
( St. Vith ....
1887—89
728
—
—
712
I,Ht
40
<™ 䣣.:::
1893—95
1012
1004
Ht
954
Ht
41
1893-95
820
808
Seh
844
Seh
42
l Dasburg. . . .
Juli 1892-95
683
683
Gr
669.
Gr
43
(Gay» f Geichlingen .
bach) l Ober-Geckler .
Juli 1892-95
764
767
Bg
725
Bg
44
u
Juli 1892-95
755
758
Bg
722
Bg
45
<D
Bollendorf . .
Juli 1892—95
586
593
Bg
552
Bg
46
9
cB
/ Schneifelforst-
QQ
haue
1887—95
956
924
—
960
T
47
Prüm(Forsth8.
Tettenbusch)
Juli 1892—94
711
719
Seh
744
Seh
48
(Prüm)
Bleialf
1893—95*
786
715
Seh
748
Seh
49
Arzfeld ....
Okt. 1892—95*
613
647
Gr
635
Gr
50
Neu-Straßburg
Juli 1892—95
745
741
Gr
726
Gr
51
Bitburg ....
Juli 1887—95
663
/709
\690
T
661
T
52
* * Alsdorf ....
Juli 1892-95
611
615
19
584
Bg
53
u l /-p«^ö\ f Otzenhau8eu .
* (Prm*)( Rheinsfeld ..
1893—95
1014
955
975
Bd
54
Aug.1893b.Okt 1895
953
951
T
987
T
55
*| Merzig ....
Juli 1892—95
726
724
T
748
T
56
\ Wiltlingen . .
1893-95
667
641
T
650
T
57
Trier
1886—95
656
631
656
—
58
(Biewerbach)Newel
1893—95
726
689
T
713
T
59
m „™^ / zerf (Bahnhof)
(Ruwer). \ 0gh^g _[
1894—95
806
753
T
754
T
60
1893—95*
771
714
T
748
T
61
Gerolstein . .
1887—95
669
686
—
671
T
62
Densborn . . .
Juni 1892—95
790
781
Gr
762
Gr
63
Kyll ....
Kyllburg . . .
Pfalzkyll . . .
1893—95*
764
804
Bg
749
Bg
64
Juli 1892—95*
588
579
»/
540
Bg
65
1 Ittel-Kili . . .
Juli 1892-95
606
601
631
T
66
Mehring. . . .
Juli 1892—95
623
620
T
646
T
67
Salm ...Ig^-i1"
l Heidweiler . .
Aug. 1892—95
771
761
Bg
731
Bg
68
1893—95
646
643
»
602
Bg
69
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Dhron. . -\ Thronecken. .
Juli 1892—95
702
695
721
T
70
Juli 1892—95
725
718
T
754
T
71
Nieder-Emmel
Gornhausen .
Juni 1892-95
Juli 1892—95
660
766
648
767
T
T, S
670
800
T
72
T.S
73
[ Daun
Juli 1892-95
688
685
Gr
669
Gr
74
Lieser . . .{ Ob.-OefFlingen
1893
667
699
Bg
655
Bg
75
l Wittlich . . .
1893
619
645
Bg
607
¥
76
Lösnich ....
Aug. 1892—95
Juli 1892—95
663
648
T
673
77
Alf / Ulmen
Alt. . . . .\ Aif (Forgtnau8)
631
631
Ke,Gr
620
Ke,Gr
78
Juni 1892—95
663
667
Ke, S
681
Ke, S
79
(Uesbach) Lutzerath . . .
1888—92
684
742
Ke
726
Ke
80
(Poby{^8eMe8Ch-
(Flaumbach) Bell
Juli 1892—95
591
597
Ke, S
608
Ke, S
81
1893—95
748
725
S
757
S
82
Treis
Juni 1892—95
480
480
Kef S
495
Ke, S
83
(Beybach). Lingerhahn. .
Januar 1893—95
711
682
S
711
S
84
Münstermaifld
Juli 1892—95
414
423
Ke,N
423
Ke,N
85
q
jöhrbach)
Hillscheid. . .
1893
664
—
—
—
—
83] Die Niederschlagsverhältnisse der mittleren Rheinprovinz u. d. Nachbargeb. 83
Station
Beobachtungs-
zeit
B
S
S
GQ
Reduzierte Werte
1891
bis
1895
Ver-
gleichs-
station
1886
bis
1895
Ver-
gleichs-
station
86
87
Sayn.
117
118
119
120
121
122
123
124
125
126
127
128
129
130
131
132
133
184
135
Selters ....
Kl.-Mai8cheid
Landshabe
(Forsthaus)
Coblenz . . .
Neuwied . .
Höchstenbach
Hachenburg
Altenkirchen
Herschbach
Dierdorf .
Puderbach
*| Hasselbach
Asbach . .
Drinhausen
Windhagen
Hausen . .
I Ob.-Honnefeld
(Brohlbach Wassenach
Nieder-Breisig
Blankenheim
Dockweiler
Nohn . . .
Dankerath
Kelberg . .
Adenau . .
. Ramersbach
Remagen .
Honnef . .
Godesberg.f Villip . . .
Bach \ Godesberg
Poppeisdorf
Sieg.
(Ferndorfer / _. _
Bach) \ Eichen . . .
Freudenberg
(Heller) . . Burbach . .
Elkenroth. .
(Wisser). . Morsbach . .
Grosse j Salzburg . .
Nister \ Marienberg .
Dattenfeld .
Blankenberg
p -, / Waldbröl . .
ürö1 * ' ' \ Ruppichteroth
(Wahn) . . Much ....
(Pleisbach) Ober-Pleis .
Siegburg . .
Bergneustadt
Mühlenbach
Gummersbach
Odenspiel .
Overath. .
Agger .
1894—95
Jahr 1893
1893—95
1886-95
Juli 1887—95
1893—95
1886—95
1888, 1890-95
1893—95
Jahr 1893
1891—95
Juli 1892—95
Jahr 1895
März 1892—93
Jahr 1891
Jahr 1891
1891-95
Juni 1892—95
1892-95
Juni 1802 b.März 95'
März 1893—94*
1893
1895
1886—95
Juni 1892—95
1893—94
Juli 1892—95
1893—95
Juni 1892-95
1891—95
1893—95
1893—95
1892—95
1892—95
1889—95
1893—95
1893—95
1893—95
1893—95
1893—95
1893—95
Aag.i89Sb.Jan.95'
1893—95
1893—95
1893
1893—95
1893—95
1886—95*
1893—95
1893—95
851 761
6371 —
778
505
532
860
825
774
841
635
792
855
886
736
774
668
774
478
498
638
758
608
527
632
603
518
551
626
579
604
551
1082
1086
891
999
1075
1058
943
877
785
1101
520
1014
708
594
1116
1304
1160
1270
1017
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1893-95
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1893-95
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138
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Juni 1892—95
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Jan. 1894 b. Dez. 95*
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Juni 1892—95
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Juni 1892—95
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' 1886-95
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—
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, 1893—95
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1893-95
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1893—95
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1893—95
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1893—95
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1893-95
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Gt
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: Juni 1892—95
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632
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Juni 1892—95
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Juni 1892—95*
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1893—95
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Juni 1892—95
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1892-95
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1891—94
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—
85] Die Niederschlagsverhältnisse der mittleren Rheinprovinz u. d. Nachbargeb. 85
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1886—95
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1886—95
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1886—95
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Juli 1892—95
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1893—95
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1886—95
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1894—95
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1894—95
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Tabelle VII.
Jahreszeitliche Niedersohlagsmittel im mittleren Rheingebiet
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Band III.
Heft 1. Die Verbreitung und wirtschaftliche Bedeutung der wichtigeren Wald-
baumarten innerhalb Deutachlands, von Prof. Dr. B. Borggreve. Preis M. 1.—
Heft 2. Das Meissnerland, von Dr. M. Jaschke, Preis M. 1.90.
Heft 3. Das Erzgebirge. Eine orometrisch - anthropogeographische Studie von Oberlehrer
Dr. Johannes Burgkhardt. Preis M. 5.60.
Heft 4. Die Kurische Nehrung und ihre Bewohner, von Prof. Dr. A. Bezzenberger.
Preis M, 7. 50.
Heft 5. Die deutsche Besiedlung der östlichen Alpenländer, insbesondere Steier-
marks, Kärntens und Krains, nach ihren geschichtlichen und Ortlichen Verhältnissen,
von Prof. Dr. F. von Krones. Preis M. 5. 60.'
Band IV.
Heft 1. Haus, Hof, Mark und' Gemeinde Nordwestfalens im historischen
Ueberblicke, von Prof. J. B. Nordhoff. Preis M. 1.20.
Heft 2. Der Rhein in den Niederlanden, von Dr. H. Blink. Preis M. 4.20.
Heft 3. Die Schneedecke, besonders in deutschon Gebirgen, von Prof. Dr.
Friedrich Ratzel. Preis M. 8. —
Heft 4. Rechtsrheinisches Alamannien; Grenze, Sprache, Eigenart, von Prof.
Dr. A. Birlinger. Preis M. 4.80. .
Heft 5. Zur Kenntnis der niederen Tierwelt des Riesengebirges nebst ver-
gleichenden Ausblicken, von Dr. Otto Zacharias. Preis M. 1.50.
Band V.
Heft 1. Nährpflanzen Mitteleuropas, ihre Heimat, Einführung in das Gebiet
und Verbreitung innerhalb desselben, von Dr. F. Hock. Preis M. 2.20. -
Heft 2. Ueber die geographische Verbreitung der Süsswasserfische von Mittel-
europa, von Dr. E. Schulze. Preis 50 Pfennig.
Heft 3. Der Seifenbergbau im Erzgebirge und die Walensagen, von Dr. H. Schnrtz.
Preis M. 2. 60.
Heft 4. Die deutschen Buntsand stein gebiete. Ihre Oberflachengestaltung und anthropo-
geographisohen Verhältnisse, von Dr. Emil Küster. Preis M. 3.20.
Heft 5. Zur Kenntnis des Taunus, von Dr. W. Sievers. Preis M. 3.60.
Heft 6. Der Thüringer Wald und seine nächste Umgebung, von Dr. H. Pröscholdt.
Preis M. 1.70.
Heft 7. Die Ansiedelungen am Bodensde in ihren natürlichen Voraussetzungen.
Eine anthropogeographische Untersuchung, von Dr. A. Schlatterer. Preis M. 8.60.
Band VI.
Heft 1. Die Ursachen der Oberflächengestaltung des norddeutschen Flach-
landes, von Dr. F. Wahnschaffe. Preis M. 7. 20.
Heft 2. Die Volksdichte der Thüringischen Triasmulde, von Dr. C. Kaesemacher.
Preis M. 3. 20.
Heft 3. Die Halligen der Nordsee, von Dr. E. Traeger. Preis M. 7. 50.
Heft 4. Urkunden über die Ausbrüche des Vernagt- und Gurglergletschers
im 17. und 18. Jahrhundert, von Prof. Dr. E. Richter. Preis M. 7. ■—
Band VII.
Heft 1. Die Volksdichte im Grossherzogtum Baden. Eine anthropogeographische
Untersuchung, von Prof. Dr. Ludwig Neumann. Preis M. 9. 40.
Heft 2. Die VerkehrBstrassen in Sachsen und ihr Einfluss auf die Städteent-
wickelung bis zum Jahre 1500, von Dr. A. Simon. Preis M. 4. —
HeftS. Beiträge zur Siedelungskunde Nordalbingiens, von Dr. A. Gloy. Preis M. 8.40.
Heft 4. Nadelwaldflora Norddeutschlands. Eine pflanzengeographische Studie, von
Dr. F. Hock. Preis M. 3. —
Heft 5. Rügen. Eine Inselstudie, von Prof. Dr. Rudolf Credner. Preis M. 9.—
Fortsetzung auf Seite 4 des Umschlags
Band VAU
Heft 1. Kliroatographie des Königreichs Sachsen. Erste Mitteilung rou Prell
Schreiber. Preis M. 4. —
Heft 2. Die Vergletscherung des Riesengebirges zur Eiszeit, tf&ch eigenen Ümtrffc^.'
suchangen dargestellt von Prof. Dr. Joseph Parteeh. Preis M. 6. —
Heft S. Die Eifel. Von Dr. Otto FollmaniL Preis M. 3.20,
Heft 4. Die landeskundliche Erforschung Altbayerns im 16., 17. und 1& Jahr-
hundert von Dr. Christian Gruber. Preis M. 3. —
Heft 5. Verbreitung und Bewegung der Deutschen in der französischen Schweis.
Von Dr. J. Zemmrich. Preis M. 3.80.
Heft 6. Das deutsche Sprachgebiet Lothringens und seine Wandelungen von dar
Feststellung der Sprachgrenze bis zum Ausgang des 16. Jahrhunderts, von Dr. Hans Witte.
Preis M. 6. 50.
Band IX.
Heft 1. Die Art der Ansiedelung der Siebenbürger Sachsen» Von Direktor Dr.
Friedrich Teutsch. — Volksstatistik der Siebenbürger -Sachsen. Von Prof.
Fr. Schuller. Preis M. 4.80.
Heft 2. Volkstümliches derSiebenbürgerSachsen. Von Gymnasiallehrer 0, Wittstock. —
DieMundartderSiebonbürgerSachsen. Von Direktor Dr. A.Sch einer. Preis M.6. 50. ■
Heft 3. Die Regenkarte Schlesiens und der Nachbargebiete. Entworfen und.
erläutert von Professor Dr. Joseph Part seh. P«eis M. 4.70.
Heft 4. Laubwaldflora Norddeutschlands. Von Dr. F. Hock. Preis M. 2.70.
Heft 5. Die geographische Verteil ung der Niederschläge im nordwestliches
Deutschland. Von Dr. Paul AJoldenhauer. Preis M. 4. —
Heft 6. Der Hesseiberg am Frankenjura und seine südlichen Vorhöhen. Von
Dr. Christian Gruber. Preis M. 5.20.
Band X.
Heft 1. Zur Hydrographie der Saale. Von Professor Dr. Willi Ule. Preis M. 4.50.
Heft 2. Der Pinzgau. Physikalisches Bild eines Alpengaues. Von Oberlehrer Dr. Wilhelm
Schjerning. Preis M. 8.80.
Heft 3. Die Pinzgauer. Von Oberlehrer Dr. Wilhelm Schjerning. Preis M. 5. —
Heft 4. Zur Geschichte des Deutschtums im Elsass und im Vogesengebiet. Von
Dr. Hans Witte. Preis M. 7.60.
Band XI.
Heft 1. Magnetische Untersuchungen im Harz. Von Prof.Dr.M.Eschenhagen. Preis M.1.60.
Heft 2. Beitrag zur physikalischen Erforschung der baltischen Seeen. Von
Professor Dr. Willi Ule. Preis M. 3.—
Heft 3. Zur Kenntnis des Hunsrücks. Von Dr. Fritz Meyer. Preis M. 4. —
Heft 4. Die Veränderungen der Volksdichte im nördlichen Baden 1852—1895.
Von Dr. Carl Uhlig. Preis M. 10.—
- Heft 5. Entwicklungsgeschichte der phanerogaraen Pflanzendecke Mitteleuropas
nördlich der Alpen. Von Dr. August Schulz. Preis M. 8.40.
»and XII.
Heft 1. Die Niederschlagsverhältnisse der mittleren Rheinprovinz und der Nach-
bargebiete. Von Dr. P. Polis, Direktor der Meteorologischen Zentralstation in Aachen.
Mit 10 Tabellen, 9 Karten und 3 Textillustrationen. 1899. 96 Seiten. Preis M. 12.—
Heft 2. Das Vogtland als orographisches Individuum. Eine Studie zur deutschen
Landeskunde. Von Dr. A 1 b e r t W o h 1 r a h in Leipzig. Mit 1 Uebersichtskarte, 7 Licht-
drucktafeln und 12 Textillustrationen. 1899. 89 Seiten. Preis M. 6.40.
Neu eintretende Abonnenten, die alle bisher erschienenen Hefte nach-
beziehen, erhalten Band 1—5 zum halben Preis.
Druck der Union Deutsche Verlagsgewllschaft in Stuttgart.
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i€> Forschungen
zur deutschenluandes- und Volkskunde
im Auftrage der
Centralkommission für wissenschaftliche Landeskunde von Deutschland
herausgegeben von
Dr. A, Kirchhoff,
"~ Professor der Erdkunde ftn der Universität Halle.
Zwölfter BatuL
Heft 2.
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Das Vogtland
als orographisches Individuum.
Eine Studie zur deutschen Landeskunde.
Von
DR- ALBERT WOHLRÄB
IN LEIPZIG
Mit 1 Uebersiehtskarle, 7 Lichldrucktafeln und 12 Textülustrationen.
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STTJTTGART.
VERLAG VON J. ENGELHORN.
1899.
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jie „ Vorsehungen zur deutschen Landes- und Volkskunde" sollen dazu helfen, die
heimischen landes- und volkskundlichen Studien zu fördern^ indem sie aus allen Gebieten
derselben bedeutendere und in ihrer Tragweite über ein bloss örtliches Interesse hinaus-
gehende Themata herausgreifen und darüber wissenschaftliche Abhandlungen hervorragender
Fachmänner bringen. Sie beschränken sich dabei nicht auf das Gebiet des Deutschen Reiches,
sondern so weit auf mitteleuropäischem Boden von geschlossenen Volksgemeinschaften die
deutsche Sprache geredet wird, so weit soll sich auch, ohne Rücksicht auf staatliche Grenzen,
der Gesichtskreis unserer Sammlung ausdehnen. Da aber die wissenschaftliche Betrachtung der
Landesnatur die Weglassung einzelner Teile aus der physischen Einheit Mitteleuropas nicht
wohl gestatten würde, so sollen auch die 'von einer niohtde utachen Bevölkerung eingenommenen
Gegenden desselben samt ihren Bewohnern mit zur Berücksichtigung gelangen. Es werden dem-
nach ausser dem Deutschen Reiche auch die Länder des cisleithanischen Oesterreichs, abgesehen
von Galizien, der Bukowina und Dalmatien, ferner die ganze Schweiz, Luxemburg, die Nieder-
lande und Belgien in den Rahmen unseres Unternehmens hineingezogen werden. Ausserdem
aber sollen die, Sachsen Siebenbürgens mit berücksichtigt werden und auch Arbeiten über die
grösseren deutschen Volksinseln des Russischen Reiches nicht ausgeschlossen sein.
Unsere Sammlung erscheint in zwanglosen Heften Ton ungefähr 2 — 5 Bogen; jedes Heft
enthält eine vollständige Arbeit (ausnahmsweise von kürzeren auch mehrere) und ist für sich
käuflich. Eine entsprechende Anzahl von Heften wird (in der Regel jahrgarigsweise) zu einem
Bande vereinigt.
Bisher sind erschienen :
Haud I.
Heft 1. Der Boden Mecklenburgs, von Prof. Dr. E. Geinitz. Preis 80 Pfennig.
Heft 2. Die oberrheinische Tiefebene und ihre Randgebirge, von Prof. Dr.
L e p s i u s. Preis M. 2. —
Heft 3. Die Städte der Norddeutschen Tiefebene in ihrer Beziehung zur Boden-
geataltung, von Prof. Dr. F. G. Hahn. Preis M. 2. —
Heft 4. Das Münchener Becken. Ein Beitrag zur physikalischen Geographie
Südbayerns, von Chr. Gruber. Preis M. 1. 60.
Heft 5. Die mecklenburgischen Höhenrücken (Geschiebestreifen) und ihre
Beziehungen zur Eiszeit, von Prof. Dr. E. Geinitz. Preis M. 8. 10.
Heft 6. Der Einfluss der Gebirge auf das Klima von Mitteldeutschland, von
Dr. R. A 88 mann. Preis M. 5.50.
Heft 7. Die Nationalitäten in Tirol und die wechselnden Schicksale ihrer
Verbreitung, von Prof. Dr. H. J. Bid ermann. Preis M. 2.40.
Heft 8. Poleographie der eimbrischen Halbinsel, ein Versuch, die An Sied-
lungen Nordalbingiens in ihrer Bedingtheit durch Natur und Ge-
schichte nachzuweisen, von Prof. Dr. K. Jansen. Preis M. 2. —
Band II.
Heft 1. Die Nationalitäts-Verhältnisse Böhmens, von Dr. L. Schlesinger. Preis
80 Pfennig.
Heft 2. Nationalität und Sprache im Königreiche Belgien, von Geh. Rechnungsrat
K. Brämer. Preis M. 4. —
Heft 3. Die Verbreitung und Herkunft der Deutschen in Schlesien, von Prof. Dr.
K. Weinhold. Preis M. 2.40.
Heft 4. Gebirgsbau und Oberflächengestaltung der Sächsischen Schweiz, von
Dr. A. Hettner. Preis M. 5.25.
Heft 5. Neuere slavische Siedlungen auf süddeutschem Boden, von Prof. Dr.
H. J. Bidermann. Preis M. 1.25.
Heft 6. Siedlungsarten in den Hochalpen, von Prof. Dr. Ferdinand Löwl.
Preis M. 1.75.
Fortsetzung auf Seite 3 des Umschlags.
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DAS VOGTLAND
ALS OROGRAPHI8CHES INDIVIDUUM.
EINE STUDIE ZUR DEUTSCHEN LANDESKUNDE
VON
Db. ALBERT WOHLRAB
IN LEIPZIG.
MIT EINER ÜBERSICHTSKARTE,
^SIEBEN LICHTDRÜCKTAFELN UND ZWÖLF TEXTILLÜSTRATIONEN.
STUTTGART.
VERLAG VON J. ENGELHORN.
1899.
Druck der Union Deutsch« Verlagegeeellscliaft in Stuttgart.
Inhalt
Seite
Einleitung. Lage des Vogtlandes. Name. Abgrenzung. Aufgabe
der Arbeit 101 [5]
I. Teil. Der geologische Aufbau des Vogtlandes 106 [10]
1. Einleitender üeberblick 106 [10]
2. Charakteristik der das Vogtland aufbauenden For-
mationen 107 [11]
A. Die archaischen Formationen 107 [11
£. Die paläozoischen Formationen 107 11
G. Die Tektonik des paläozoischen Systems 110 14*
a) Ursprüngliche Lagerungsverhältnisse 110 14
b) Schichtenstörungen 111 15
D. Die neozoischen Formationen 116 [20'
3. Die Eruptivgesteine 117 [21]
A. Die Granite und ihre Eontakthöfe 117 [2V
B. Gangförmige Eruptivgesteine 118 [22'
4. Erzvorkommnisse und Mineralquellen 119 [23]
5. Zusammenfassung behufs Definition des Gebietes . . 120 [24]
IL Teil. Die Urographie des Vogtlandes 122 [26]
1. Die Thäler 122 [26]
A. Bedeutung der Thäler für die Urographie des Vogtlandes.
Ihr Verhältnis zur Geotektonik desselben 122 [26
B. Einzeldarstellung der Thäler 123 [27'
a) Die Thäler der Weißen Elster und ihrer Zuflüsse ... 123 [27
b) Die Thäler der Saale und ihrer Zuflüsse 129 [33
c) Die Thäler des vogtländischen Egergebietes 131 [35*
C. Ergebnisse 132 [36"
2. Die Höhenrücken 135 [39]
A. Gliederung des Gebietes 135 [39
B. Der östliche Teil 136 [40'
C. Der südliche Teil 140 [44'
D. Der westliche Teil 142 [46;
E. Berechnung der Mittelwerte. Vergleiche 144 [48'
100 Das Vogtland als orographisches Individuum. [4
Seite
III. Teil. Der landschaftliche Charakter des Vogtlandes 150 [54]
1. Das Schiefer-Diabasgebiet 150 [54]
A. Das Höhenbild: Hochflächencharakter. Abweichungen vom
Flächenhaften, begründet im Gesteinsauf bau. Farben des
Landschaftsbildes. Verkehrswege und Siedelungen. Jahres-
zeitenbild 150 [54]
B. Das Thalbild: Unterschied zwischen Thal- und Höhenbild.
Das Elsterthal oberhalb Oelsnitz. Die Thalverengungen.
Der Greizer Kessel. Das Weidathal. Das Saalethal ... 154 [58]
2. Das Granitgebiet 160 [64]
Definition des Gebietes 161 [65]
A. Das Lauterbach-Bergener Granitgebiet. Höhenbild. Thalbild 160
B. Das Granitgebiet des Kapellenberges 160
IV. Teil. Anthropogeographische Folgen der orographischen Verhält-
nisse des Vogtlandes 163 [67]
1. Das Vogtland, ein Durchgangsgebiet des Verkehrs 163 [67]
A. Seine Befähigung zum Durchgangsgebiet 163 [67]
Seine Höhe. Zentrale Lage. Buchtenlage. Nähe eines oro-
graphischen und ethnographischen Hindernisses. Mängel des
Gebietes.
B. Die Durchgangsstraßen 165 [69^
a) Ihre Abhängigkeit von den Pässen 165 [69'
b) Ihr Verlauf 166 [70;
c) Die Höhenlage der Hauptdurchgangsstraßen .... 170 74'
d) Die Eisenbahnen 174 [78]
C. Wirkungen des Durchgangsverkehres 177 [81'
Kriegerischer Verkehr. Einfluß des Handelsverkehrs auf Siede-
lungen und Industrie. Einfluß auf die staatliche Zugehörigkeit
des Gebietes. Bückwirkung des Staates auf den Verkehr.
2. Die Siedelungen des Vogtlandes 180 [84]
A. Die Lage der Siedelungen 180 [84]
Klassifizierung. Siedelungen in Thalweitungen, auf Thal-
gehängen, in Mulden der Hochfläche, auf den Höhenrücken.
Durchschnittliche Höhenlage.
B. Die Form der Siedelungen 183 [87]
Einleitung.
In der Form eines Zickzacks durchzieht der nördliche Rand des
deutschen Mittelgebirges das deutsche Land von Osten nach Westen.
Ganz im Osten nimmt die norddeutsche Tiefebene einen weit nach
Süden bis zum 50.° nördl. Breite reichenden Raum ein, wird drei
Längengrade westlich davon durch das Lausitzer Bergland über einen
Breitengrad weit nach Norden zurückgedrängt, um wiederum drei
Längengrade weiter im Westen in der sächsisch-thüringischen Tief-
landsbucht um einen Breitengrad nach Süden vorzurücken. Im Thü-
ringerwald, Weserbergland und Harz dringt das Mittelgebirge darauf
nach Norden bis über den 52.° nördl. Breite hinaus vor und weicht
dann vor der niederrheinischen Tiefebene allmählich bis zu der Breite
zurück, in der es in den Sudeten begann. In der Mitte dieser Linie,
im Schnittpunkte der Erzgebirgs- und Thüringerwaldlinie, erhebt sich
das Fichtelgebirge, seiner Lage nach der mitteldeutsche Gebirgsknoten *)
genannt. Nach Norden zu geht das Fichtelgebirge in eine mit kurzen
Hügeln besäte Hochfläche über, die sich südlich von der sächsisch-
thüringischen Tieflandsbucht in dem Gebirgswinkel zwischen dem Erz-
gebirge und dem Thüringerwald ausbreitet2). Diese Hochfläche wird
bald den drei benachbarten Gebirgen zugeteilt, bald auch als selb-
ständiges Landschaftsgebiet betrachtet. Es ist das Vogtland.
Name des Gebietes. Das Gebiet hat seinen Namen von
seinen ehemaligen staatlichen Verhältnissen. Die auf der Burg Weida
sitzenden Lehnsträger der Thüringer Landgrafen führten von der Wende
des 12. Jahrhunderts an den Titel Vogt, ebenso ihre Nachkommen, die
Plauen, Gera und Greiz inne hatte. In einer Prager Urkunde König
Karls von Böhmen vom Jahre 1343, in der Karl den Vögten Heinrich
dem Aelteren und Heinrich dem Jüngeren die Sorge für die Sicherheit
J) Vgl. Cotta, Deutschlands Boden, 1854, S. 318. — Kutzen,Das deutsche
Land, 3. Aufl., S. 215. — Gümbel, Geognost. Beschreibung des Fichtelgebirges,
S. 8. — Kapp, Vergleichende allgemeine Erdkunde, 2. Aufl., S. 379. — Schürt z,
Die Pässe des Erzsrebirffes S. 10.
2) Berghaus, Länder- und Völkerkunde, Bd. IV, 1839, S. 20: „Das Plateau-
land, welches nördlich von diesem Gebirge (Fichtelgebirge) zwischen der Zwickauer
Mulde und der Saale liegt, begreifen wir unter dem Namen der Voigtländischen
Terrasse, von der die äußere Fichtelbergebene die südliche Abteilung ausmacht."
102 Albert Wohlrab, [6
des Klosters Waldsassen überträgt, lesen wir das erste Mal den Namen
„terre advocatorum". Wenige Jahre später finden wir die Bezeichnung
„in der voite landen", „VoiÜandt", „in der vogte lantu, „Voytland*,
„Voygtland" x). Als die Vögte von der Mitte des 14. Jahrhunderts,
von der Zeit ihres Kampfes2) um ihre Unabhängigkeit an, den Titel
„Vogttt fallen ließen und sich „Herren* nannten, behielt ihr Gebiet
den alten Namen. Nach jenem Kampfe verloren die Vögte immer
mehr von ihrem Gebiet, und als 1466 selbst die Herrschaft Plauen
an die Wettiner fiel, hatten letztere von den ehemals von den Vögten
zu Lehen getragenen Ländereien einen Teil inne, der so groß war,
daß derselbe Anspruch auf den Namen „ Vogtland tt machen konnte,
und daß sich die Anwendung dieses Namens vorwiegend auf diesen
Teil beschränkte. Bis 1835 bildete der sächsische Anteil am Vogt-
lande mit Plauen als Hauptstadt den vogtländischen Kreis, der sich
im wesentlichen mit den heutigen Amtshauptmannschaften Plauen,
Auerbach und Oelsnitz deckte. In Büschings Erdbeschreibung3) heißt
es vom vogtländischen Kreis: „Er gränzet an den erzgebirgischen Kreis,
an Böheim, an das Fürstentum Culmbach und an den gräflich-reußischen
Anteil am Vogtlande/
Abgrenzung des Gebietes. Auf unseren heutigen Karten 4)
trägt gewöhnlich das Gebiet zwischen der Göltzsch oder der oberen
Zwickauer Mulde und der oberen Saale die Bezeichnung „Vogtland44.
Es ist dies ein Gebiet, das nicht bloß eine historische Landschaft
ist, sondern auch Anspruch erheben darf auf natürliche landschaftliche
Selbständigkeit. Letztere ist schon in der von Berghaus gebrauchten
Bezeichnung „Vogtländische Terrassen" ausgesprochen. Liebe benennt5)
mit dem Ausdrucke „Vogtländische Gebirgsterrassen" „das ziemlich
hoch aufragende Bergland, welches den inneren Winkel zwischen dem
Erzgebirge und dem Thüringerwald ausfüllt*. Regel6) wendet für
dieses Gebiet den Namen „Vogtländisches Bergland*1 an. Nach ihm
dehnt es sich „im Norden des Frankenwaldes und des Elstergebirges
zwischen der Saale im Westen und der Zwickauer Mulde im Osten
weithin aus und geht im Osten allmählich in das sächsische Bergland
über*. Als Grenze gegen Westen läßt er „nur zur Not* das obere
Saalethal gelten, da das vogtländische Bergland mit dem Frankenwald
*) B. Schmidt, Urkundenbuch der Vögte von Weida, Gera und Plauen,
Bd. I, ürk. Nr. 24. 28. 99. 338. 395. 732. 855.
2) Vgl. Wen ck, Der vogtländische Krieg, S. 10 (Anhang zu: Die Wettiner
im 14. Jahrhundert). — M. Luther, Die Entwicklung der landständischen Ver-
fassung in den wettinischen Landen bis zum Jahre 1485, Dies. 1895, Leipzig, S. 54.
3) Büsching, Erdbeschreibung, 3. Teil, 2. Bd., 1778, S. 798.
4) Vgl. Debes, Neuer Handatlas, 1895, Bl. 14. 19. 20. 22. 26. — Andree,
Handatlas, 1896, Bl. 17/18. 25/26. 27/28. 29/30. 40/41. 45/46. — Sydow- Wagner,
Method. Schulatlas, 1896, Bl. 19. 22. — Spamers großer Handatlas, S. 18. 27.
32. 21, Fig. 3. — Vogel, Karte des Deutschen Reiches, 27 Blätter im Maßstab
1:500000, BL 19.
8) Erläuterungen zur geologischen Spezialkarte von Preußen und den thü-
ringischen Staaten, Blatt Zeulenroda, S. 1. — Bezügl. Berghaus vgl. vorige
Seite, Anm. 2.
6) Regel, Thüringen, Bd. I, S. 37. 2. 22.
7] Das Vogtland als orograp Irisches Individuum. 103
geologisch in engem Zusammenhang steht. Thüringen reicht nach
ihm nach Osten bis zum Elsterknie und schließt den westlich der
Linie Hof-Elsterknie-Elster liegenden Teil des Vogtlandes in sich ein.
Cotta l) teilt das ganze „ Grauwackengebiet " des Vogtlandes und des
südöstlichen Thüringerwaldes nebst dem Frankenwalde dem Hochplateau
des Fichtelgebirges zu. „Das tbtiringisch-fränkisch-voigtländische Grau-
wackengebiet mit seinen untergeordneten Einlagerungen bildet die etwas
erhöhte Basis des Fichtelgebirges, umfassend den östlichen breiten Teil
des Thüringerwaldes, den Frankenwald, das Plateau von Hof und das
Voigtland. " Gümbel8) verlegt ebenfalls die Grenze des Fichtelgebirges
bis zur Elster, ebenso Burgkhardt s) die Grenze des Erzgebirges. Letz-
terer macht aber dabei auf seinen Uebergang auf fremdes Gebiet selbst
aufmerksam.
Bei einer Grenzlegung, wie die angeführten Autoren anwenden,
bleibt von einer selbständigen natürlichen vogtländischen Landschaft
nichts mehr übrig. Wird aber, wie Cotta thut 4), die Grenze des Erz-
gebirges über Reichenbach, Falkenstein, Zwotathai gezogen und vom
Fichtelgebirge das von Gümbel und von Thüringen das von Regel als
vogtländisches Bergland bezeichnete Gebiet abgetrennt, so wird damit
eine Landschaft gewonnen, die mit größerem Rechte als einer ihrer
Teile, der einem Nachbargebiete zugeschrieben wird, den Anspruch
auf die Bezeichnung „ Vogtländisches Bergland" oder — wie zur Ver-
meidung der für dieses Gebiet nicht ganz zutreffenden Benennung
»Bergland" gesagt werden soll — den Namen »Vogtland* verdient5).
Im allgemeinen ist demnach das in dieser Arbeit als „Vogt-
land* bezeichnete Gebiet abgegrenzt durch eine Linie, welche verläuft
über die Orte Weida, Reichenbach, Graslitz, Hof, Ziegenrück. Da im
Laufe der Arbeit die orometrischen Werte desselben bestimmt werden,
so macht sich eine eingehendere Darlegung der Abgrenzung nötig,
die schon hier folgen soll6).
*) Cotta, Deutschlands Boden, S. 298. 300.
2) Gümbel, Geogn. Beschreibung d. Fichtelgeb., S. 8. 14.
3) Burgkhardt, Das Erzgebirge, 1888, S. 11.
4) Cotta, Deutschlands Boden, S. 318.
5) Schurtz, Pässe des Erzgebirges, S. 60: »Das Vogtland ist weder im
geologischen noch im ethnographischen Sinne zum Erzgebirge zu rechnen; schon
die slawischen Bewohner müssen hier eine Völkergrenze vorgefundeu oder ge-
schaffen haben. Das Thal des Erinitzbaches mit den Orten Ober- und Nieder-
krinitz westlich von Kirchberg ist diese alte Grenze gegen das Vogtland, da der
Name des Baches jedenfalls von granica — Grenze herzuleiten ist ; der Krinitzberg
bei Eibenstock mag die südliche Fortsetzung dieser Völkerscheide bezeichnen.
Vgl. auch Buschick, Volksdichtigkeit in Sachsen, S. 33.
fl) Die dabei benutzten Karten sind folgende:
Topogr. Karte des Königreichs Sachsen , i. M. 1 : 25 000 ; die Sektionen
Reiboldsgrün, Elsterberg, Reichenbach, Ebersbrunn, Pausa, Kauschwitz, Treuen,
Auerbach, Mißlareuth, Plauen, Oelsnitz, Falkenstein, Eibenstock, Blosenberg, Boben-
neukirchen, Adorf, Zwota, Brambach, Hennebach, Schönberg.
Spezialkarte der österr.-ung. Monarchie, i. M. 1:75000, Sektion Roßbach-
Oelsnitz, Asch, Graslitz- Johanngeorgenstadt, Eger.
Topogr. Karte des Königreichs Bayern, i. M. 1 : 50 000, Sektion Nordhalben,
Hof, Marktleuthen.
104 Albert Wohlrab, [8
Von der Mündung der Weida in die Elster bis zur Mündung
der Göltzsch bildet die Weiße Elster, darauf bis zu dem östlich vom
Rehhübel entspringenden Quellbache die Göltzsch die Nordost- und
Ostgrenze des Gebietes. Von da an verläuft die Grenze auf einer
Geraden, die zur Quelle der Zwota führt, und darauf längs dieses
Flusses hinab bis zur 500 m-Isohypse x). Diese Linie bildet die Süd-
grenze bis zu dem Punkte, wo sie vom Seebach, der zur Eger fließt,
durchschnitten wird. Sie grenzt das Gebiet gegen den Franzensbader
Kessel ab. Die Südwestgrenze folgt im allgemeinen der Bahnlinie
Eger- Asch; im besonderen geht sie erst am Seebach aufwärts bis
zur Einmündung des Höllbaches, dann am Höllbache hinauf zur
böhmisch-bayrischen Grenze , dann entlang derselben bis zum Lauter-
bach, der westlich von Asch entspringt und als Perlenbach bis zur
Schwefinitz führt, die bei Oberkotzau in die Saale mündet. Mit der
eben angegebenen Südwestgrenze dürfte der Verlauf der tiefsten Ein-
senkung zwischen dem Fichtelgebirge und dem Vogtlande bezeichnet
und eine orographisch zu rechtfertigende Grenze zwischen beiden Ge-
bieten gewonnen worden sein. Die Saale bildet die Westgrenze des
Gebietes bis zur Mündung des Drebabaches in Ziegenrück. Im Nord-
westen helfen der Drebabach, eine Gerade vom obersten Quellteiche
desselben zum nächsten Quellteiche der Auma, die Auma und die
Weida (von der Mündung der Auma bis zur Elster) die Abgrenzung
vollenden.
Aufgabe der Arbeit. Das in vorstehendem umschriebene
Gebiet, auf das sich die vorliegende Arbeit erstreckt, 'gehört zu den
kleinen Räumen, deren Eigentümlichkeit bei einer allgemeinen Be-
trachtung des größeren Raumes, dem sie zugehören — das ist in
diesem Falle das deutsche Mittelgebirge — unerkannt bleibt; und
doch zeigt es sich als eine natürliche Einheit, als landschaftliches
Individuum, wie der Vergleich des Gebietes mit seiner Umgebung
lehrt. Die Wahrheit des Satzes, „die meisten Erscheinungen einer
Erdstelle sind ursächlich miteinander verbunden und machen jede
Erdstelle dadurch zu einer natürlichen Einheit, der man Eigenart
oder Individualität zusprechen kann " 2) , zeigt sich in diesem Gebiete
besonders deutlich. Um freilich die Individualität kleiner Räume zu
erfassen, dazu gehört eine ins einzelne gehende Kenntnis von der
Natur des betreffenden Gebietes. Dieser Voraussetzung ist der Ver-
fasser vorliegender Arbeit sich wohl bewußt. Wenn er gleichwohl es
im folgenden unternimmt, das Vogtland als ein landschaftliches In-
dividuum zu zeichnen, so kann er dies nur als einen schüchternen
Versuch bezeichnen. Diesen Versuch zu wagen, machte ihm deswegen
besondere Freude, weil das Vogtland seine Heimat ist.
Topogr. Karte des Deutschen Reiches, i. M. 1:100000, Sektion Gera,
Rudolstadt, Greiz, Zwickau, Lobenstein, Hof, Johanngeorgenstadt , Wunsiedel,
Mammersreuth.
1) Vgl. Burgkhardt, Erzgebirge, S. 10.
2) Hettner, Geographische Forschung und Bildung. Geograph. Zeitschr.
Bd. I, 1895, S. 10.
9] Das Vogtland als orographisches Individuum. 105
Der Nachweis der landschaftlichen Selbständigkeit des Vogtlandes
soll dadurch erbracht werden, daß dieses Gebiet nach seinen orographischen
und mit der Urographie in engem Zusammenhange stehenden Verhält-
nissen dargestellt wird. Als Grundlage zum Verständnis des ganzen
Gebietes wird sein geologischer Aufbau dargelegt werden. Soweit es
überhaupt möglich ist, soll darauf gezeigt werden, inwieweit von dem
geologischen Aufbau die orographischen Verhältnisse abhängig sind,
womit eine Berechnung der orometrischen Werte verbunden werden
wird. Hierauf wird der landschaftliche Charakter des Gebietes ge-
zeichnet werden. Zum Schluß soll auf die wichtigsten anthropo-
gepgraphischen Folgen der orographischen Verhältnisse hingewiesen
werden.
I. Teil.
Der geologische Aufbau des Vogtlandes1).
1. Einleitender Ueberblick.
Am deutlichsten tritt die Selbständigkeit des vogtländischen Ge-
bietes in seinem geologischen Aufbau hervor, der fast ausschließlich
paläozoische Schichten und im wesentlichen eine zwischen der erz-
gebirgischen und der ostthüringischen Hauptaufwölbung gelegene Mulde,
die vogtländische Hauptmulde2), zeigt. Die paläozoischen Formationen,
die das Erzgebirge und die in erzgebirgischer Richtung verlaufende
Waldsteingruppe des Fichtelgebirges in einem mehr oder weniger
schmalen Streifen in nordöstlicher Richtung begleiten, breiten sich hier
infolge ihrer Tektonik weit aus. Im Süden, an der Grenze gegen das
Fichtelgebirge, lagern sie auf archäischen Schichten, südlich deren der
fichtelgebirgische Granit den Kapellenberg aufbaut. Im Westen und
Norden schließen sich auf dem nördlichen Flügel der ostthüringischen
Hauptaufwölbung bis zur Bahnlinie Weida-Saalfeld jungpaläozoische
Schichten an, jenseits deren sich die thüringische Trias ausbreitet.
Nach Nordosten zu werden die paläozoischen Schichten des Vogtlandes
vom Oberkarbon und Rotliegenden des erzgebirgischen Beckens dis-
kordant überlagert, während im Osten das Kirchberger und das Eiben-
stocker Granitmassiv die Grenze bilden, im Südosten aber der böhmische
Absturz diese Funktion übernimmt. Die Unterlagen zu der folgenden
gedrängten Darstellung des geologischen Aufbaues des Vogtlandes
boten folgende Publikationen:
Erläuterungen zur geolog. Spezialkarte des Königreichs Sachsen, Sektion
Ebersbrunn, Kirchberg, Treuen, Auerbach, Schneeberg, Plauen, Oelsnitz,
Falkenstein, Eibenstock-Aschberg, Bobenneukirchen-Gattendorf, Adorf, Zwota,
Elster-Schönberg. — Erläuterungen zur geolog. Spezialkarte von Preußen
und den thüringischen Staaten, Sektion Greiz (Beichenbach), Naitzschau
(Elsterberg) , Zeulenroda (Reiboldsgrün) , Pörmitz , Ziegenrück , Liebengrün,
Weida, Triptis. — Abhandlungen zur geolog. Spezialkarte von Preußen
*) Zur allgemeinen Orientierung über die in dieser Arbeit besprochenen
geologischen Verhältnisse benutze man: Richard Lepsius, Geolog. Karte des
Deutschen Reiches in 27 Bl., Sektion 19: Dresden.
2) Erläuterungen zur geolog. Spezialkarte von Preußen und den thüringischen
Staaten, Blatt Greiz (Reichenbach), bearb. von Liebe und Zimmermann, S. 78.
U] Albert Wohlrab, Das Vogtland als orographisches Individuum. 107
und den thüringischen Staaten , Bd. V , Heft 4 : Liebe, Uebersicht über
den Schichtenaufbau Ostthüringens, 1884. — Liebe, Seebedeckungen Ost-
thüringens, Progr. des Gyron. z. Gera, 1881. — Gümbel, Geognostische
Beschreibung des Fichtelgebirges, 1879. — Jokely, Aufnahme des Egerer
Kreises. Jahrb. der geolog. Reichsanstalt, 1856. — Jokely, Zur Kenntnis
der geolog. Beschaffenheit des Egerer Kreises in Böhmen. Jahrb. d. geolog.
Reichsanstalt, 1856 u. 1857. — F. Katzer, Geologie von Böhmen, 1892.
2. Charakteristik der das Yogtland aufbauenden Formationen.
A. Die archäischen Formationen.
Die archäischen Schichten, auf denen das vogtländische Paläo-
zoicum im Süden auflagert, erstrecken sich vom Fichtelgebirge aus in
das Yogtland.
Südöstlich von Spielberg an verläuft in nordöstlicher Richtung
an Selb vorbei bis südlich von Asch und von da in östlicher Richtung
bis Bärendorf am Kapellenberg und am linken Ufer des Fleißenbaches
hin bis Fleißen eine schmale Gneiszone, die „als Fortsetzung der
Wunsiedeler Gruppe betrachtet werden kann* *). Beck2) unterscheidet
in derselben der Struktur nach körnig-schuppigen bis streifig-stenge-
ligen Gneis, schieferigen Gneis (Gneisglimmerschiefer) und Augengneis.
Einlagerungen zwischen diesen Gneisvarietäten sind nur unter-
geordneter Natur; so findet sich krystallinischer Kalkstein bei Ober-
reufch, egeranführender Augitschiefer bei Hohendorf und Bärendorf am
Kapellenberg.
Als kontaktmetamorphisches Gebilde des Granits im Gebiete der
Gneisformation tritt bei den letztgenannten Orten Andalusitgneis auf.
Der Gneiszone des südlichen Vogtlandes ist Glimmerschiefer
konkordant aufgelagert. Die Glimmerschieferformation ist petrographisch
sehr einförmig und besteht aus Muskovitschiefer und Einlagerungen von
Amphibolit und Quarzitschiefer.
Weit größere Flächen als die vorhergehende nimmt die Phyllit-
formation ein, die ihr konkordant auflagert. Sie ist eine monotone
Formation, ohne große Abwechselung. Ihre Schiefer zeigen in ihren
dem Glimmerschiefer benachbarten Schichten großen Atlas- oder Seiden-
glanz, der hervorgerufen wird durch ihre Glimmerigkeit, die nach oben
zu abnimmt. Diesen glimmerigen Phylliten sind feinkörnige Quarzit-
schiefer eingelagert.
B. Die paläozoischen Formationen.
Eine scharfe Grenze der Phyllitformation nach oben und damit
eine Grenze der archäischen gegen die paläozoische Formationsgruppe
läßt sich nicht ziehen. Früher wurden im Vogtland ischen Phyllit zwei
ineinander übergehende Zonen unterschieden8), eine untere, von der
') Gümbel a. a. 0. S. 311.
2) Erl. z. Sektion Elster Schönberg, S. 4 ff.
3) Vgl. Erl. z. Sekt. Zwota, S. 1 ff.
108 Albert Wohlrab, [12
eben die Rede war, und eine obere, von der noch zu sprechen sein
wird und die neuerdings1) dem Cambrium zugerechnet wird, wie ja
auch als Verbindungsglied zwischen Phyllit und Cambrium noch ein
Präcambrium abzutrennen sein wird. „Im Erzgebirge und Vogtlande
gehen die glimmerigen Phyllite der sich innig an den archäischen Gneis
anschließenden krystallinischen Schieferformation nach oben zu in erst
noch phyllitische, dann normale Thonschiefer über. . . . Bei der engen
Verknüpfung dieser phyllitischen , präcambrischen und cambrischen
Schichtenreihen durch konkordante Lagerung und petrographische Ueber-
gänge und infolge des Mangels an charakteristischen organischen Resten
im dortigen Cambrium lassen sich scharfe Formationsabgrenzungen
innerhalb dieses ältesten Schiefergebirges kaum bewerkstelligen2)/
Die früher als obere Zone des Phyllits bezeichneten normalen bis
thonschieferähnlichen Phyllite mit Einlagerungen grauwackenähnlicher
Quarzite werden jetzt als unteres Cambrium8) bezeichnet.
Das obere Cambrium hat im allgemeinen denselben petro-
graphischen Charakter; es wechseln Thonschiefer mit quarzitisch ge-
bänderten Schiefern und in den oberen Schichten mit quarzitischen
Sandsteinen. In den Schiefern treten als Steinkerne von Tangen ge-
deutete und Phycodes circinnatus benannte Körper auf, nach denen die
Schiefer dieser Stufe als Phykodenschiefer bezeichnet werden.
Die Einlagerungen von Diabasen, Schalsteinen und Hornblende-
gesteinen im Cambrium sind von untergeordneter Bedeutung.
Das Cambrium nimmt einen wesentlichen Anteil am Aufbau des
Vogtlandes.
Ebenso innig wie zwischen den beiden Formationen Phyllit und
Cambrium ist daselbst der Zusammenhang zwischen letzterem und seinem
Hangenden, dem Silur4). Dieses läßt eine Zweiteilung in Untersilur
und Obersilur erkennen. Das Untersilur baut sich auf aus Thon-
schiefern nebst Quarziten, Thuringitgesteinen , Diabasen und Diabas-
tuffen und zeigt im größten Teile seines Gebietes einen auffallenden
Mangel an Leitfossilien. Eine Ausnahme hiervon machen nur die nach
dem Dorfe Leimitz benannten Leimitzschichten bei Hof, die zum tief-
sten Silur gerechnet werden. Das Obersilur hingegen kennzeichnet sich
durch die Führung von Graptolithen ; die dieser Formation angehörigen
Kiesel- und Alaunschiefer geben vorzügliche Leithorizonte ab. Die
Quarzite treten auf in der Form von Bänken oder Linsen und heben
sich als härtere Gesteinspartieen aus den Nebengesteinen rippen- oder
felsartig heraus. Auch körnige Diabase stellen sich ein in der Form
von kleinen Lagern und von Gängen.
Das Obersilur gliedert sich in einen unteren und einen oberen
Graptolithenhorizont. Zu unterst lagern Kieselschiefer nebst Alaun-
schiefern mit gebogenen Graptolithen (unterer Graptolithenhorizont).
*) Erl. z. Sekt. Bobenneukirchen-Gattendorf, S. 3.
*) H. Credner, Lehrbuch der Geologie, 8. Aufl., 1897. S. 896.
8) Erl. z. Sekt. Greiz (Reichenbach), S. 6.
4) H. Credner, Lehrb. d. Geologie, S. 404 — Erl. z. Sekt. Bobenneu-
kirchen-Gattendorf, S. 15.
13] Das Vogtland als orographisches Individuum. 109
Darüber folgt nach Liebe *) ein Komplex von Alaunschiefern mit geraden
Graptolithen und von Kalkknotenschiefern und Knotenkalk (oberer
Graptolithenhorizont). Der Knotenkalk weist undeutliche Reste von
Crinoiden, Brachiopoden und Trilobiten auf. Durch Führung von leicht
zu Eisenocker verwitterndem Eisenkarbonat wird er zum Ockerkalk.
Sowohl dem unteren als auch dem oberen Graptolithenhorizont sind
Diabaslager eingeschaltet.
Das Devon besitzt im Vogtlande eine allenthalben rasch wech-
selnde Mächtigkeit. Sowohl hier als auch im benachbarten Fichtel-
gebirge lassen sich drei Abteilungen desselben unterscheiden.
Das Unterdevon baut sich auf aus einer Reihe von Schiefern,
die reich sind an Tentakuliten , die ihnen den Namen Tentakuliten-
schiefer gaben und denen sich meist dünne Lagen von Quarziten ein-
schieben. Letztere sind mit Nereiten (das sind Kriechspuren von An-
neliden u. dgl.) bedeckt, wovon das Gestein den Namen Nereitenschiefer
oder Nereitenquarzit erhielt. An manchen Orten bewirkt die Anhäu-
fung von Tentakulitenschälchen knollige Kalkkongretionen. Als paläo-
vulkanische Gesteine treten im Unterdevon körnige Diabase, Paläo-
pikrite und Diabasmandelsteine nebst Diabasphorphyr auf, die durch
Tuffe, Schalsteine und Konglomerate mit den Schichtgesteinen ver-
bunden und diesen in Form von Lagern eingeschaltet sind. Von ihrer
landschaftlichen Funktion wird später gehandelt werden.
Die Wechsel vollste Formation, sowohl nach ihrer Mächtigkeit als
auch nach ihrem Gesteinsauf bau, ist das Mittel de von. Dieses besteht
von unten nach oben zu aus dunklen Thonschiefern mit eingeschalteten
Lagern von Diabas, aus Grauwackensandsteinen nebst Konglomeraten,
in Wechsellagerung mit grauen oder tuffigen Schiefern und von diesen
öfters vertreten, selten aber begleitet von Diabasen, sowie endlich aus
tuffigen Schiefern. Letzteren sind Breccien und Diabase eingelagert,
die abwechseln mit tuffigen Grauwackensandsteinen oder Konglomeraten.
Die oberen Schichten, die aus paläontologischen Gründen von manchen
jetzt dem Oberdevon zugerechnet werden (Planschwitzer Schichten), sind
reich an Versteinerungen, die lokal Korallenkalke bilden, und werden
gewöhnlich von körnigen Diabasen und Diabasmandelsteinen begleitet.
Das Ob er de von ist im wesentlichen zusammengesetzt aus Cypri-
dinenschiefer , aus Kalksteinen mit Orthoceratiten , Goniatiten und
Clymenien, aus tuffigen Schiefern mit Kalkknoten und aus Diabas-
breccien. An manchen Stellen verdrängen die mächtig entwickelten
Diabasbreccien die übrigen Gesteine des Oberdevons fast gänzlich.
Das Unterkarbon ist im Vogtlande in seiner litoralen Facies
durch den Kulm vertreten. Dieser läßt sich trennen in eine untere
Stufe, in der Thonschiefer, und in eine obere Stufe, in der die Grau-
wacken und Grauwackensandsteine tiberwiegen. Im unteren Kulm ge-
sellen sich zu den Thonschiefern, Grauwacken und Grauwackensand-
steinen noch Einlagerungen von Kieselschiefern und Konglomeraten,
ferner stellenweise auch Bänke von Kohlenkaik (Foraminiferenoolith
und Brachiopodenkalk). Der obere Kulm zeigt in den Verwitterungs-
*) Liebe, Schichtenaufbau, S. 12.
HO Albert Wohlrab, [U
Produkten seiner Grauwacken, Thonschiefer und Konglomerate eine röt-
liche oder bräunliche Färbung, weshalb er auch wohl als bunter Kulm
bezeichnet wird1).
C. Die Tektonik des paläozoischen Systems.
a) Ursprüngliche Lagerungsverhältnisse.
Im wesentlichen sind es die eben kurz charakterisierten Formationen,
die das Vogtland aufbauen. Die Tektonik derselben ist aber keines-
wegs eine einfache, leicht zu übersehende. Credner2) faßt die Schwie-
rigkeiten dieses Aufbaues in folgendem Urteile zusammen: „In
dem größeren Teil des Vogtlandes lagen (bei dessen geologischer Kar-
tierung) besondere Schwierigkeiten vor, weil hier einerseits bei beträcht-
licher Mannigfaltigkeit der Formationsglieder und Gesteine der Habitus
der einzelnen Oebirgsglieder auf nur kurze horizontale Erstreckung hin
sich von vornherein abzuändern pflegt, und weil andererseits infolge
sich kreuzender Sattelung allenthalben eine große Zahl von Verwer-
fungen und Verschiebungen den ursprünglichen Aufbau sehr gestört
hat und in Zusammenhang damit die Gesteine vielfach späteren Um-
änderungen unterliegen mußten." Nur mit Hilfe dieser außerordent-
lich verwickelten Tektonik kann man sich das Unruhige, Regellose in
dem Landschaftsbilde des Vogtlandes erklären. Zu letzterem Zwecke
ist eine kurze Skizze der architektonischen Verhältnisse des Vogtlandes
unerläßlich.
Von der petrographischen Mannigfaltigkeit der Forma-
tionsglieder giebt die vorausgehende Charakteristik ein Bild. Hierzu
gesellen sich als die gleichmäßigere und beträchtlichere horizontale
Erstreckung der Formationsglieder beeinträchtigende Ursachen noch
die von Liebe in seinem Schichtenaufbau Ostthüringens eingehend be-
handelte ungleichmäßige ursprüngliche Entwickelung der einzelnen Ab-
teilungen des paläozoischen Systems, die spätere Zerstörung größerer
Flächen derselben, ferner übergreifende Lagerungen und endlich
Schichtenstörungen.
Die ungleichmäßige Entwickelung einzelner Formations-
abteilungen des paläozoischen Systems zeigt sich weniger bei den
ältesten Komplexen des Paläozoicums als vielmehr im Devon.
Wenn oben3) von Konglomeraten und Breccien der Devon- und
Kulmzeit die Rede war, so ist damit schon darauf hingewiesen, zu
welchem Zeitpunkte die Zerstörung gewisser älterer Ablage-
rungen stattfand. Ihr aber gingen schon Wegführungen obersilurischer
Schichten (des unteren Graptolithenhorizontes) voraus. Auch das lücken-
hafte Auftreten höherer Schichten des Obersilurs4) weist auf eine par-
*) Erl. z. Sekt. Plauen- Oelsnitz, 1. Aufl , 1887, 8. 64.
2) H. Credner, Die geolog. Landesuntersuchung des Königreichs Sachsen.
Mitteilungen d. Ver. f. Erdkunde z. Leipzig, 1880, S. 40.
») Siehe S. 109 [13].
4) Vgl. Erl. z. Sekt. Bobenneukircfaen-Gattendorf, S. 26.
15] Das Vogtland als orographisches Individuum. Hl
tielle oder lokale Zerstörung derselben hin, die unmittelbar vor der
Ablagerung des Unterdevons stattfand. „Die Abtragung unterdevoni-
scher Schichten in der Mitteldevonzeit beweisen die massenhaften Frag-
mente von Tentakulitenschiefern und Nereitenquarziten in den mittel-
devonischen Grauwacken (Mohnberg bei Unterlosa, südöstlich von
Planschwitz) X).Ä Andere Bruchstücke in den mitteldevonischen Kon-
glomeraten entstammen den Diabasen, dem Kieselschiefer des Ober-
silurs, den Schiefern und Quarziten des Untersilurs, ja Gesteinen, wie
Graniten und Gneisen, die von den östlichen und südöstlichen Grenz-
gebieten herrühren2). In gleicherweise deuten die Breccien des Ober-
devons auf Zerstörungen mitteldevonischer und älterer Lager hin. Die
Konglomerate und Grauwacken des Kulms bestehen aus Zerstörungs-
produkten aus allen älteren Formationen, vorwiegend aus Kieselschiefern,
Quarziten und Schiefern silurischer und cambrischer Abkunft. Alle
diese Erscheinungen sind Beweise dafür, daß in den Zeiträumen zwi-
schen der Ablagerung der einzelnen Abteilungen des paläozoischen
Schichtensystems jedesmal partielle Vernichtungsprozesse des nächst
älteren Schichtensystems durch Erosion und Denudation stattgefunden
haben.
Mit diesen Zerstörungsprozessen gingen, infolge von Transgres-
sionen des Meeres, übergreifende Ueberlagerungen der jüngeren
über die älteren Formationsglieder Hand in Hand.
b) Schichtenstörungen.
Viel späteren Ursprunges sind jene tektonischen Störungen, welche
die bereits fertigen, häufig in diskordantem Verbände stehenden paläo-
zoischen Schichtenkomplexe des Vogtlandes betroffen haben.
Schon am Eingange dieses Abschnittes wurde darauf aufmerksam
gemacht, daß das Vogtland hauptsächlich gebildet wird von einer
vogtländischen Hauptmulde, der südwestlichen Fortsetzung der erz-
gebirgischen Hauptmulde. Erstere liegt zwischen der erzgebirgischen
Hauptaufwölbung (im SO) und der ostthüringischen oder vogtländischen
(im NW). Die erzgebirgische Hauptaufwölbung, deren nordwestlicher
Flügel, soweit er diesseits des Eibenstocker Granitmassivs liegt, am
Aufbau des Vogtlandes beteiligt ist, setzt sich hier zusammen aus den
oben besprochenen archäischen und den diesen konkordant aufgelagerten
cambrischen Schichten, deren Streichrichtung im allgemeinen eine süd-
west-nordöstliche ist. Die vogtländische Hauptmulde, deren Tiefstes
im SW durch das Auftreten von Devon, weiter im NO durch dasjenige
des Kulms dokumentiert wird, verläuft ungefähr in der Richtung Zedt-
witz-Mehltheuer-Elsterberg. Die ostthüringische oder vogtländische
Hauptaufwölbung, deren Kern cambrische Schichten aufweist, erstreckt
sich vom Saalknie bei Blankenstein über Pausa nach Berga a. d. Elster
und darüber hinaus. Diesem Sattel folgt im NW eine Mulde, deren
ausgedehntes Kulmgebiet noch weiter im NW, also auf der Linie Weida-
J) Erl. z. Sekt. Plauen-Oelsnitz, S. 67.
a) Liebe, Schichtenaufbau, S. 33. 34.
112 Albert Wohlrab, [16
Pöfineck-Saalfeld , von jungpaläozoischen und mesozoischen Schichten
diskordant überlagert wird.
Neben diesen Hauptsattelungen treten noch untergeordnete
Faltungen verschiedener tektonischer Bedeutung hervor, die wie die
ersten in erzgebirgischer Richtung (SW/NO) verlaufen. Nimmt man
mit Zimmermann1) vier Ordnungen solcher Faltungen an, so gehören
die eben besprochenen Aufsattelungen der ersten, dahingegen die kleinen,
zum Teil minimalen, in größeren Aufschlüssen mit einem Blick zu über-
sehenden Sättel oder Mulden der vierten Ordnung dieser tektonischen
Störungen an, während die der zweiten und ebenfalls noch oft die-
jenigen der dritten Ordnimg ihren Ausdruck erst auf der geologischen
Spezialkarte finden, zum Teil auch in ihrem Einflüsse auf das Land-
schaftsbild zu erkennen sind. Schon im Süden, auf Sektion Boben-
neukirchen-Gattendorf, bezeichnet die Linie Heintzenshöhe-Platzerberg
die Achse einer solchen sekundären Sattelung, der sich andere an-
schließen. In der Verlängerung der westlichen Abbruchsspalte des
Münchberger Gneisgebietes in der Richtung von Vogelherd westlich
von Hof nach Feilitzsch am Regnitzbach bringt eine Nordostfalte alt-
silurische Schiefer zu Tage2). In größerer Anzahl treten uns solche
Falten im Zentrum des Vogtlandes, auf Sektion Plauen-Oelsnitz, ent-
gegen. Auf einer tektonischen Uebersichtskarte bringt Weise3) die
bedeutendsten derselben zur übersichtlichen Darstellung. „Die Achse
des am klarsten hervortretenden Sattels von erzgebirgischem Streichen
verläuft von Thiergarten in nordöstlicher Richtung über Reusa. . . .
Ein zweiter Sattel dieser Art beginnt an der östlichen Sektionsgrenze
und setzt sich fort über Oberlosa und Unterlosa. Die Auffaltung der
Schichten zwischen Rosenberg und Göswein darf vielleicht als dessen
südliche Fortsetzung angesehen werden. Eine in gleicher Richtung
nach SW fortlaufende Falte trennt den Feilebach von dem Kemnitz-
bach in ihrem unteren Lauf/ Weiter im Norden des Vogtlandes, auf
Sektion Greiz, wird die vogtländische Hauptmulde „durch das vier-
malige Auftreten nordöstlich gerichteter Streifen von Obercambrium in
fünf Einzelmulden zerlegt, von denen die mittelste die tiefste ist; diese
nimmt noch Unterdevon in ihren Kern auf, während jede der beiden
seitlichen Nebenmulden nur Untersilur aufweisen*4 4). Sättel und Mulden
zweiter, dritter und noch geringerer Ordnung und erzgebirgischer Rich-
tung machen sich ferner auf der Nordwestflanke der ostthüringischen
Hauptaufwölbung, in der dortigen Kulmmulde, bemerklich.
Diese erzgebirgische Sattelung wird gekreuzt von einer sie in
rechtem Winkel schneidenden, nordwestlich verlaufenden, die im Verein
mit der ersten einen ganz wesentlichen Faktor in der Entstehung des
vogtländischen Landschaftsbildes abgiebt. Dieselbe wird entweder nach
dem Thüringerwald als hercynische oder nach dem Frankenwald als
frankenwäldische oder nach ihrem Vorherrschen in der Lausitzer Pro-
l) Erl. z. Sekt. Liebengrün S. 25. 26.
*) Gümbel, Fichtelgebirge, S. 436.
8) Erl. z. Sekt. Plauen-Oelsnitz, 1. Aufl., S. 69.
4) Erl. z. Sekt. Greiz (Reichenbach), S. 78.
17] Das Vogtland als orographisches Individuum. 113
vinz des Königreichs Sachsen als Lausitzer Sattelung bezeichnet. Auch
bei ihr lassen sich Sättel und Mulden verschiedener Ordnung unter-
scheiden.
Ein Sattel erster Ordnung verläuft zwischen Hof und Lobenstein
und hebt das Cambrium bis zu Tage. Ihm folgt weiter im NO eine
Mulde, deren Inneres von silurischen und devonischen Schichten ein-
genommen wird. Ein zweiter frankenwäldischer Sattel, der in der
Richtung des unteren Thalabschnittes der Oöltzsch verläuft, bildet die
Brücke zwischen dem nordwestlichen Flügel der erzgebirgischen und
der ostthüringischen Hauptaufwölbung.
Ebenso wie im erzgebirgischen System gesellen sich auch zu
diesen frankenwäldischen Hauptaufsattelungen solche von sekundärer
Bedeutung. Einer solchen entspricht die „Bobenneukirchener Hercyn-
falte*4 *), deren Sattelachse bezeichnet wird durch die Höhe von Wasser-
loh, den Platzerberg, den Steinpöhl, den Pfaffenberg, den Katzenpöhl
und die Höhe von Großzöbern. Wie die Aufzählung dieser der Sattel-
achse angehörigen orographischen Höhen beweist, markiert sich diese
Antiklinale bereits in topographischer Beziehung auf das entschiedenste.
Ihr folgen weiter nach Norden zu noch mehrere andere. »Eine breite
Welle läuft über die Südwestecke der Sektion Plauen von Bösenbrunn
bis Schwand, ihr fast parallel eine solche von Lauterbach im Südosten
über Schönbrunn, Planschwitz, Rosenberg, Weischlitz bis Kröstau. Da-
zwischen drängt sich der kurze, aber steile Sattel des Eichelberges bei
Pirk. ... In . . . größerer Entfernung schneidet ein Sattel von Oelsnitz
aus, nördlich von Raschau vorüber2).14 Auf Sektion Oelsnitz-Bergen
streicht eine andere Aufwölbung, in deren Achse sich ein breiter
Cambrium8treifen ausdehnt, von Tirpersdorf bis Tauschwitz. „ Je weiter
nach Norden, desto mehr verklingen die Wirkungen der Frankenwald-
erhebung3). * Sie sind dort oft nur angedeutet durch eine Art Falten-
wurf, den die Flügel der erzgebirgischen Sattelung senkrecht zum
Streichen zeigen.
Zu diesen beiden Faltensystemen, dem erzgebirgischen (SW/NO)
und dem frankenwäldischen (SO/NW), gesellen sich im Yogtlande
noch drei andere Dislokationsrichtungen, eine nordnordöstiiche, eine ost-
südöstliche und eine ostwestliche. Die erstgenannte »ist schön zu beob-
achten südlich von Saalburg . . . und namentlich nördlich bei Greiz,
wo der mächtig entwickelte, emporgewölbte, obercambrische Quarzit im
stände war, den späteren Zusammenschiebungen vermöge seines wenig
biegsamen Materials erfolgreich Widerstand zu leisten ; die Rücken des
Sauberges und der Gomlaer Berge bei Greiz bestehen aus derartigen
Sätteln 4)tt. Diese Sattelbildung wird fast rechtwinkelig gekreuzt von
der nach Ostsüdost streichenden, die sich auch in der Gegend von Greiz
und Reichenbach geltend macht. Die in Sektion Plauen-Oelsnitz ver-
zeichneten fast nordsüdlichen Antiklinalen Steins-Schwand , westlicher
') Erl. z. Sekt. Bobenneukirchen-Gattendorf S. 16.
a) Erl. z. Sekt. Plauen-Oelsnitz, S. 69. 70.
•) Liebe, Schichtenaufbau, S. 40.
4) Liebe, Schichtenaufbau, S. 41.
Forschungen zur deutschen Landes- and Volkskunde. XII. 2.
114 Albert Wohlrab, [18
Deichselberg und Kloschwitz-Kobitzschwalde-Zwoschwitz, sowie die ost-
westliche, über Bösenbrunn wegziehende sind jedenfalls Resultanten
der in den oben besprochenen beiden Hauptsattelungen wirkenden
Komponenten.
Als solche Wirkungen der Zusammenfaltung durch den ge-
birgsbildenden Druck, die nicht in der Tektonik und im Landschafts-
bilde, sondern nur in der Struktur zum Ausdruck kommen, sind die
Runzelung und Fältelung und die transversale Schieferung zu betrachten,
sowie dynamometamorphische Veränderungen der Schichtkomplexe, wo-
durch z. B. kulmische Schiefer das halbkrystalline Aussehen cambrischer
Phyllite erhalten können1) (z. B. in dem Landstrich zwischen Elster-
berg und Mehltheuer), und welche die geologische Deutung der Gesteine
oft sehr erschweren.
Aus dem Zusammenwirken der beiden Hauptdruckrichtungen und
der zum Teil daraus resultierenden Sättel ergiebt sich im zentralen
Teile des Vogtlandes, in der Sektion Plauen-Oelsnitz, „ein Aufbau au»
excentrischen , mehr oder weniger geschlossenen, elliptischen Falten-
ringen, deren größte Achse nach WNW gerichtet ist2)*. Da die
Falten gegenseitig ineinander greifen, so kommt dadurch eine gitter-
förmige Tektonik zu stände, die ebenfalls im zentralen Teile des Vogt-
landes besonders deutlich bemerkbar ist.
Bei der verschiedenen Richtung und der dadurch bewirkten Durch-
kreuzung der Falten wurden Zerreißungen und Verwerfungen der
Schichten erzeugt, deren Zahl im Vogtlande, und zwar .besonders im
zentralen Teile desselben, eine sehr ansehnliche ist. Dieselben unter-
scheiden sich von denen anderer Gebiete dadurch, daß sie meist nur
kurzen Verlauf und eine nicht sehr beträchtliche Sprunghöhe aufweisen.
Im allgemeinen folgen sie den Hauptsattelachsen, streichen also ent-
weder nach NO oder nach NW.
An seiner Südostgrenze wird das Vogtland berührt durch den
erzgebirgischen Steilabsturz gegen die Eger hin, einen der großartigsten
Verwerfer Zentraleuropas. Die bedeutendste Dislokation in erzgebirgi-
scher Richtung innerhalb des besprochenen Gebietes selbst nennt Weise 3)
den großen Elsterthalverwerfer, der von der Possig an der Thiergartner
Leithe über Plauen (unteren Teils) nach Chrieschwitz verläuft. „Die
Verwerfer zwischen Thiergarten und Straßberg, in der Richtung nach
Eürbitz und zwischen Geilsdorf und Ruderitz können als seine südliche
Fortsetzung angesehen werden/ Auf Sektion Oelsnitz zieht eine ver-
werfende Kluft östlich von Oelsnitz nach NO zu bis nahe an die Alt-
mannsgrüner Mühle. Etwas weiter im N bei Tauschwitz, zwischen
Schloditz und Hartmannsgrün, und bei Großfriesen zeigen sich nord-
wärts gerichtete Spalten, auf Sektion Treuen zwischen Möschwitz und
Pohl wieder eine solche von nordöstlicher Richtung. Ein ganzes
System südwestlich gerichteter Bruchlinien, das bis zum Quellgebiet
*) Liebe, Schichtenaufbau, S. 54.
*) Erl. z. Sekt. Plauen-Oelsnitz, S. 71.
3) Erl. z. Sekt. Plauen-Oelsnitz, S. 73.
19] Bas Vogtland als orographisches Individuum. 115
der Saale hinstreicht, beginnt im Südosten der Sektion Bobenneu-
kirchen x).
Die erzgebirgischen Verwerfungen werden sehr oft abgeschnitten
oder selbst wieder verworfen durch solche von frankenwäldischer Rich-
tung, die sich ebenfalls auf die Mitte des Vogtlandes konzentrieren,
„Vorzügliche Beispiele von nordwestlichen Verwerfern sind diejenigen
an der Thiergartener Leithe, von denen der eine das Oberdevon neben
tiefes Untersilur, ein anderer dieselbe Formation neben Untersilur und
Unterdevon rückt, ein weiterer sogar den Kulm mit dem Untersilur in
gleiches Niveau bringt. In der Fortsetzung dieses ganzen Systems liegt
der Meßbach-Taltitzer Verwerf er 8).Ä Gleiche Richtung haben die Spalten
östlich von Weischlitz, sowie die vom Dockeisberge bei Oelsnitz, von
Planschwitz, dem Vorderen und hinteren Eulm, dem Eichelberge bei
Qeilsdorf, die von Schönbrunn und Bösenbrunn und derjenige östlich
von Oelsnitz (Alter Berg-Raasdorf). Auf Sektion Reichenbach8) ver-
läuft in gleicher Richtung eine bedeutsame Dislokation nordöstlich von
Kleingera an über das Dorf Reuth zum Stoppbach thale und setzt' sich
auf Sektion Treuen fort; hier jedoch lenkt sie ihre Richtung in eine
nordsüdliche um, in welcher sie etwa in der Mittellinie des Blattes
Treuen sich deutlich hervorhebt. Auch auf Sektion Plauen4) setzen
nordsüdliche Verwerfer auf. Als die bedeutendsten derselben können
bezeichnet werden derjenige westlich von Schwand und Steins und der-
jenige zwischen Kröstau, Kloschwitz und Kobitzschwalde. Nach Liebe 5)
sind die Nordsüdspalten im westlichen und mittleren Ostthüringen sehr
selten, häufen sich dagegen in der Gegend zwischen Zeulenroda und
Reichenbach.
In der Richtung der oben aufgezählten Verwerfungsspalten waltet
die von NW nach SO unbedingt vor, während das Streichen der Falten
durch die Richtung von SW nach NO beherrscht wird. Faltungen
und Verwerfungen in sich kreuzenden Richtungen bewirken eine mosaik-
artige Gliederung des Schichtenaufbaues, die nicht bloß der kartographi-
schen Darstellung, sondern auch dem Landschaftsbilde ein zerhacktes
Aussehen giebt.
In kausalem Zusammenhange mit diesen Schichtenstörungen stehen
jene Erderschlltterungen, die das Vogtland zeitweilig heimsuchen
und dasselbe zu einem chronischen Schüttergebiete gestalten. „Haben
doch von den seit dem Jahre 1875 registrierten 38 sächsischen Erd-
beben nicht weniger als 22 ihren Ursprung im Vogtlande6)/ Das be-
deutendste von diesen erstreckte sich über den Zeitraum vom 24. Ok-
tober bis 29. November 1897 und äußerte sich in einer lokal beäng-
stigenden Stärke.
*) Erl. z. Sekt. Bobenneukirchen-Gattendorf, S. 17.
2) Erl. z. Sekt. Plauen-Oelsnitz, S. 73.
3) Erl. z. Sekt. Greiz (Reichenbach), S. 79.
*) Erl. z. Sekt. Plauen-Oelsnitz, S. 70i
5) Liebe, Schichtenaufbau, S. 41.
6) H. Credner, Die sächs. Erdbeben wahrend der Jahre 1889—1897, insbes.
das sächs.-böhm. Erdbeben vom 24. Okt. bis 29. Nov. 1897. XXIV. Bd. d. Abhdlgn.
d. math.-phys. Kl. d. königl. sächs. Gesellsch. d. Wissenschaften. Leipz. 1898, S. 390.
116 Albert Wohlrab, [20
Das Alter dieser Schichtenstörungen, also der Faltungen
und Verwerfungen, läßt sich in geologischem Sinne ziemlich genau
fixieren, indem diesen Dislokationen sämtliche paläozoische Schichten
bis hinauf zum Kulm, und zwar einschließlich desselben, - unterworfen
gewesen sind. Da nun bei Zwickau auf den Köpfen der steil auf-
gerichteten Schichten des Kulms und Devons die Komplexe der produk-
tiven, also oberen Steinkohlenformation diskordant und in ungestörter
Lage auflagern, so muß die Stauung, welche zu all den beschriebenen
Schichtenstörungen Veranlassung gegeben hat, in den Zeitraum zwischen
dem unteren und oberen Kulm fallen, ist also mittelkarbonischen Alters.
D. Die neozoischen Formationen«
Bis in das Gebiet des Vogtlandes selbst greifen die Ablagerungen
des Karbons und des Rotliegenden vom erzgebirgischen Becken aus nicht
über. Ebensowenig ist innerhalb desselben eine Spur von mesozoischen
Formationen vorhanden. Eine Zunge von Buntsandstein reicht zwar
zwischen Weida und Gera weit nach Südosten hin, allein ihr letzter,
südlichster Ausläufer, eine einzelne Scholle von Buntsandstein und
Muschelkalk beim Idawaldhaus bei Greiz1), liegt noch nördlich von
den oben (S. 104 [8]) gezogenen Grenzen.
Ebenso wie Trias, Jura und Kreide fehlt auch im Vogtlande
marines Tertiär und die Braunkohlenformation. Nur isolierte Lappen
von Flußkiesen sind die einzigen Vertreter der Tertiärformation.
Solche Ablagerungen fluviatiler Kiese und Sande finden sich auf den
Hochflächen beiderseits der heutigen Flüsse, zum Teil in einer Höhe
von 50 m über der Thalsohle, so an der Elster von Oelsnitz abwärts,
an der Trieb bei Alten- und Neuensalz, bei Pohl und Jocketa, an der
Göltzsch bei Weißensand, Mtihlwand, Mylau, Netzschkau, Reuth.
Während der langen Zwischenzeit zwischen dem Mittelkarbon und
der Diluvialzeit bewirkten Wasser und Atmosphärilien auf dem Wege
der Verwitterung, Erosion und Denudation eine oberflächliche, aber
tiefgreifende Abtragung der Falten und schufen die flachwellige Hoch-
fläche, als welche sich das Vogtland jetzt repräsentiert. Reste dilu-
vialer Säugetiere, nämlich von Canis spelaeus, Felis spelaea, Elephas
primigenius, Rhinoceros tichorhinus, Equus caballus fossilis, Gervus
euryceros, Cervus tarandus, Bos priscus, wurden bei Oelsnitz gefunden *).
Nordische Geschiebe, die eine Annahme der Bedeckung eines Teiles
des Vogtlandes durch nordisches Inlandeis rechtfertigten, weist das Ge-
biet nirgends auf, wenngleich sich die Grenze des Inlandeises bei Ronne-
burg demselben bis auf zwei Meilen Entfernung nähert. Wenn nun
auch das Vogtland von der Bedeckung durch skandinavisches Inland-
eis verschont blieb, so lassen doch gewisse Beobachtungen die Annahme
zu, daß die vogtländischen Höhen ähnlich wie z. B. das Riesengebirge
selbständige, also autochthone Gletscher erzeugten. Zu den auf
*) Erl. z. Sekt. Greiz (Reichenbach), S. 85.
*) Erl. 2. Sekt. Oelsnitz-Bergen, S. 60—62.
21] Das Vogtland als orographisches Individuum. H7
derartige GUacialphänomene im Vogtlande und Frankenwalde hinweisen-
den Vorkommnissen gehören lappenförmige Reste der Grundmoräne
alter Gletscher, wie sie Dathe1) aus der Gegend von Saaiburg und
Wurzbach beschrieb. Aus der Gesamtheit seiner einschlägigen Beob-
achtungen zieht Dathe den folgenden Schluss: »Ob nun die Ver-
gletscherung des Frankenwaldes und des vogtländischen Berglandes
eine allgemeine gewesen ist, oder ob nur besonders orographisch be-
vorzugte Striche derselben von dem Glacialphänomen betroffen worden
sind, lä&t sich jetzt noch nicht bestimmt entscheiden. Soweit sich die
Verhältnisse beurteilen lassen, möchte ich letztere Annahme für wahr-
scheinlich halten2)."
Das Alluvium der Thalsohlen der Flüsse setzt sich zusammen
aus Sanden und Kiesen, die oft überlagert werden vom Aulehm und
von Schlemmprodukten der in der Nähe anstehenden Gesteine. Moor-
bildungen sind an den Grenzen des Gebietes nicht selten, so bei Pausa
(die »Weide*), auf der Hochebene von Reuth, bei Tanna, bei Gefell,
am Kapellenberge, auf den Abhängen südlich und westlich von Schön-
eck, im Bergener Kessel und an anderen Orten. Die Torfmoore werden
an verschiedenen Orten abgebaut, meist jedoch nur zur Deckung des
Hausbedarfes.
3. Die Eruptivgesteine.
A. Die Granite und ihre Kontakthöfe.
Einen wesentlichen Anteil am Aufbau des Vogtlandes nimmt der
Granit. Derselbe bildet nicht etwa nur im Osten und Südwesten die
Grenze dieses Gebietes, sondern taucht auch inmitten des östlichen Vogt-
landes wie eine Insel aus dem Schieferareale empor. Bis zum Kapellen-
berge an der Südgrenze des Gebietes erstreckt sich der zentrale Ge-
birgsstock des Fichtelgebirges. Sicher hängen mit diesem Massive,
dessen nordöstlichen Grenzpfeiler der Kapellenberg bildet und dem auch
die in Böhmen gelegenen Höhen von Schnecken und Wildstein (Zitter-
däl-, Vogelherd- und Störelberg) angehören, die nordwestlich von ihm
zu Tage tretenden, nur durch eine schmale Gneis- und Glimmerschiefer-
zone von ihm getrennten Massive des großen Waldsteines und des
großen Kornberges unterirdisch zusammen.
Etwa 20 km nordöstlich vom Kapellenberg erhebt sich vom linken
Ufer der Zwota an das Neudeck-Eibenstocker Granitmassiv, dem im
Norden das Kirchberger Massiv vorgelagert ist. Von letzterem ist es
oberirdisch nur durch einen schmalen Streifen von Schiefern geschie-
den, hängt aber unterirdisch unzweifelhaft mit ihm zusammen.
Inmitten paläozoischer Schiefer erhebt sich westlich von diesen
*) E. Dathe, Gletschererscheinungen i. Frankenwalde u. Vogtl. Bergland.
Jahrb. d. geolog. L.-Anst. 1881, S. 816 ff.
*) Dathe S. 329. 330. — Siehe jedoch die Einwürfe von Penck (Pseudo-
glaciale Erscheinungen, Ausland 1884, S. 644). Vgl. auch Regel, Thüringen, I,
S. 162.
118 Albert Wohlrab, [22
beiden großen Granitarealen das kleine Massiv Ton Bergen-Lauterbach
bis zur Oberfläche.
Die vom Granit durchbrochenen und ihm benachbarten Komplexe
sämtlicher Schichten vom Phyllit bis hinauf zum Devon sind von seiner
Glut metamorphisiert worden, und zwar bis zu einer solchen Entfernung,
daß sich der Eontakthof des kleinen Lauterbacher Massivs mit dem des
östlich davon gelegenen Kirchberger Massivs berührt.
In der inneren Zone des Kontakthofes, in der nächsten Nähe des
Granits, haben die Schiefer naturgemäß die intensivste Umwandlung
erfahren, so daß die dünnplattigen normalen Thönschiefer und Phyllite
zu einem unregelmäßig flaserigen, ja massigen Gesteine, zu Andalusit-
glimmerfels, geworden sind. In etwas größerer Entfernung vom Granit,
wo dessen kontaktmetamorphische Einwirkung abnahm, bleibt der
Schiefer seiner ursprünglichen Beschaffenheit ähnlicher, wird hier zum
Fruchtschiefer umgestaltet, der nach außen ganz allmählich zu Fleck-
schiefer und durch diese in die normalen, unverändert gebliebenen
Schiefer übergeht.
Südsüdwestlich vom Lauterbach-Bergener Massiv, auf dem linken
Elsterufer, deutet bei Eichigt die petrographische Beschaffenheit der
Schiefer, welche den charakteristischen kontaktmetamorphischen Habitus
angenommen haben, auf einen in verhältnismäßig geringer Tiefe an-
stehenden, von der Denudation noch nicht erreichten und bloßgelegten
Granitstock hin x).
Ebenso wie die Schiefer unterlagen auch die eingeschalteten unter-
geordneten Einlägerungen mehr oder weniger intensiven kontaktmeta-
morphischen Umwandlungen. So wurde dichter devonischer Kalkstein
zu Marmor, Diabas und Diabastuffe in Hornblendeschiefer, Alaunschiefer
zu Chiastolithschiefer metamorphisiert.
B. Gangförmige Eruptivgesteine.
Von nur untergeordneter Bedeutung sind die im Vogtlande auf-
tretenden gangförmigen Eruptivgesteine2).
Feinkörniger porphyrischer Granit, Granitporphyr, Quarzporphyr,
feinkörniger Syenit, Glimmerdiorit, Glimmerporphyrit, porphyrischer
Diabas, Glimmerdiabas und verwandte Gesteine bilden vorzugsweise in
der Nähe der besprochenen Granitmassive und innerhalb derselben
Gänge von verschieden langer Erstreckung und schwankender Mächtig-
keit. Längs des ostthüringischen Sattels treten ganz vereinzelt Gänge
von Lamporphyr auf.
Die jungvulkanischen Gesteine werden im gesamten Vogtlande
ausschließlich durch Basalte vertreten, die z. B. bei Zwota, bei Eb-
math, in der Nähe des Kapellenberges das Grundgebirge in der Form
von Gängen (z. B. die „Kegel*4 bei Erlbach) an der Oberfläche kuppen-
artig aufgestaut haben.
2) Erl. z. Sekt. Adorf, S. 19 u. z. Sekt. Bobenneukirchen-Gattendorf, S. 13. 14.
2) Vgl. Köhler, Die Eruptivgesteine des sächs. Vogtlandes. Reichen-
bach 1873.
23] Das Vogtland als orographisches Individuum. 119
4. Erzvorkommnisse und Mineralquellen.
Von größerer volkswirtschaftlicher Bedeutung, als sie es jetzt sind,
waren die zahlreichen Erzvorkommnisse in früheren Zeiten. Sie be-
sitzen teils die Form von Gängen, teils von Lagern.
Die Lager von Eisenerzen stehen ursächlich und daher auch
räumlich mit den Lagern von Diabasen, Schalsteinen und Breccien in
Zusammenhang und führen wesentlich Rot- oder Brauneisenstein.
Manche dieser Erzlager haben Nickelerze, Kupferglanz und andere
Kupfererze enthalten. Auch Eisenkieslager sind so bei Hirschberg und
Schleiz bekannt1).
„Die Gänge enthalten vorzüglich Eisenerze, sowie Kupfererze,
Nickel- und Kobalterze und Antimonerze2)/ Vertreter dieser Gang-
formation treten auf bei Reichenbach, in dem Arealstreifen zwischen
Plauen und Hof, bei Saalburg, Lobenstein und Schleiz. Bei Greiz
wurde früher ein zeitweise ergiebiger Bergbau auf silberhaltigen Blei-
glanz betrieben. Bei Oelsnitz stand im 16. Jahrhundert der Bergbau
auf Zinn in hoher Blüte3).
In älteren Schriften wird ausführlich über Gewinnung von Wasch-
gold aus dem Sande der Göitzsch, der Elster und der Wettera be-
richtet.
Im Vogtlande bestanden früher eine große Anzahl von Eisen-
gruben, die aber nach und nach alle auflässig geworden waren. Nach dem
Jahrbuch für das Berg- und Hüttenwesen im Königreich Sachsen 4) ist
seit dem Sommer 1895 „im Vogtlande die Aufschürfung einiger teils
früher schon bearbeiteter, teils noch unverritzter Eisensteinlager in An-
griff genommen worden". Im Jahre 1890 wurden in der „Anna Fund-
grube" am Zotner bei Straßberg 342,0 1 Eisenerze und in der „Ludwig
Fundgrube vereinigt Feld" bei Schönbrunn (Oelsnitz) 40,0 t Eisenerze
und 805,0 t Flußspat ausgebracht, während die Grube „Lanibzig" zu
Lambzig und die „Pohlenz Fundgrube" bei Foschenroda zwar belegt
waren, das Jahrbuch aber kein Ausbringen dieser Gruben für das
Jahr 1896 angiebt. Auch die Gruben „Isolde vereinigt Feld" bei
Hauptmannsgrün, „Saxonia und Bavaria vereinigt Feld" am Eichberge
bei Röttis und „Schallers vereinigt Feld samt Erbstolln" bei Pohl
waren bis in die letzten Jahre hinein in Betrieb (1895, 1896, 1897).
Reich ist das Vogtland an meist eisenhaltigen Säuerlingen.
Bad Elster weist allein deren 12 auf, während sich in der Umgegend
noch zahlreiche andere verstreut finden, so in Sohl (2), Niederreuth,
Brambach, Oberbrambach (2), Fleißen und Großenteich. Auch im
Norden des Vogtlandes fließen bei Pausa 2 eisenhaltige Quellen, die
zur Gründung eines Bades Anlaß gegeben haben.
*) Liebe, Schichtenaufbau, S. 121.
2) Cotta, Die Erzlagerstätten Europas, 1861.
8) Schur ig, Beiträge z. Gesch. d. Bergbaues i. sächs. Voigtlande. Plauen
1875, S. 5 ff.
4) Jahrb. f. d. Berg- u. Hüttenw. i. Königr. Sachsen, Jahrg. 1896, B, S. 90. —
Jahrg. 1897, B, S. 64 ff.
120 Albert Wohlrab, [24
Ein derartiger Reichtum des Vogtlandes an Mineralquellen und
Säuerlingen stebt naturgemäß in genetischer Beziehung zu dessen kom-
plizierter, von einem die Wässer durchlassenden Spaltennetz durch-
zogenen Tektonik.
5. Zusammenfassung behufs Definition des Gebietes.
Ein Ueberblick über die vorangegangenen ausführlichen Dar-
legungen ergiebt folgendes kurzgefaßte geologische Gesamtbild des
Vogtlandes.
Die den erzgebirgischen Nordwestflügel begleitenden, hier wenig
entwickelten altpaläozoischen Schichten breiten sich westlich und nord-
westlich vom Südende des Erzgebirges infolge vielfacher Dislokationen,
die sie durch Aufsattelungen und wiederholte Verwerfungen erlitten
haben, bis zum thüringischen Becken und zum fränkischen Vorlande
aus. Durch einen in nordöstlicher Richtung von Blankenberg a. d. Saale
nach Berga a. d. Elster verlaufenden Schichtensattel wird das Gebiet
in eine südöstliche und eine nordwestliche Hälfte zerlegt. In letzterer
herrscht der Kulm oberflächlich vor, während die östliche Mulde sämt-
liche paläozoischen Formationen bis zum Kulm, wenn auch in ungleich-
mäßiger Entwicklung der einzelnen Abteilungen, aufweist. Ein großer
Verwerfer, der von Gräfentbal über Lobenstein nach SO verläuft, trennt
das vogtländische vom frankenwäldischen Gebiete. Diesem letzteren
und dem nordwestlichen Kulmgebiet gegenüber hebt sich der im Osten
der genannten Blankenberg-Bergaer Sattellinie gelegene Landstrich als
in sich geschlossenes geologisches Bild ab: er ist es, der das Vogtland
repräsentiert.
Der Aufbau des eigentlichen Gebirgsuntergrundes des Vogtlandes
beschränkt sich ausschließlich auf krystallinische Schiefer, und zwar
namentlich auf die Phyllite, vorzüglich aber auf die altpaläozoischen
Formationen, während sich an demselben weder Oberkarbon und Rot-
liegendes, noch irgend eine mesozoische Formation beteiligt. Die
paläozoischen Schichtkomplexe werden in ihrer größten Erstreckung
von Diabasen und Diabastuffen begleitet, die ihnen als Produkte gleich-
altriger vulkanischer Eruptionen deckenartig eingeschaltet sind.
Die Aufsattelungen, Faltungen und Verwerfungen innerhalb dieses
Gebietes, also die Herausbildung seiner jetzigen Tektonik, vollzogen
sich in der Mitte der Karbonzeit. Von diesem Zeitpunkte an begann
die Abtragung durch Denudation und Erosion, welche zur Herausbil-
dung des heutigen Antlitzes der Oberfläche führte. Erst nach der
wesentlichen Modellierung und Fertigstellung der Hauptzüge des letzteren,
also in jüngster geologischer Vergangenheit, sind auf diesem alten
Felsuntergrunde durch tertiäre und diluviale Flüsse, jedoch in weit
höherem Niveau als ihre heutigen Thalsohlen, Schotter, Kiese und
Lehme, vielleicht auch Produkte einheimischer Gletscher abgelagert
worden, welche im Verein mit den Verwitterungsprodukten des felsigen
Untergrundes und deren Zusammenschwemmmassen die Oberfläche des
eigentlichen Gesteinsbaues meist nur schleierartig, an manchen Orten
25] Da* Vogtland als orographischea Individuum. 121
(so in den diluvialen Thalwannen der Elster) etwas mächtiger über-
ziehen.
Der an und für sich einfache geologische Aufbau des Vogtlandes
wurde durch ungleichmäßige Entwicklung einzelner Abteilungen der
paläozoischen Formationsreihe, durch die Denudation einzelner Kom-
plexe vor Ablagerung ihres Hangenden, durch übergreifende Lagerung
gewisser Schichtgruppen über ältere und durch Faltungen und Ver-
werfungen zu einem außerordentlich komplizierten gestaltet. Zwei
Hauptrichtungen beherrschen diese Faltungen und Verwerfungen, eine
nordöstliche und eine nordwestliche. Neben ihnen macht sich eine von
NNO nach SSW, ferner eine solche von WNW nach OSO und eine
von W nach 0 verlaufende Störungsrichtung geltend. Eine derartige
tektonische Zerklüftung giebt dem Gebiete den Charakter einer Riesen-
breccie und ist noch jetzt die Ursache häufiger Erdbeben.
Im östlichen Gebiete des Vogtlandes durchbricht der Lauterbach-
Bergener Granitstock das Schiefergebirge und hat in diesem die Heraus-
bildung eines scharf ausgeprägten Kontakthofes bedingt. An der Ost-
grenze des Gebietes erhebt sich über dasselbe das Eibenstock-Kirch-
berger Granitmassiv und im Süden der fichtelgebirgische Granit, an
den sich jene archäischen Schichten anlegen, auf welche das vogt-
ländische Paläozoicum folgt.
IL Teil.
Urographie des Vogtlandes.
1. Die Thäler.
A. Bedeutung der Thäler für die Urographie des Vogtlandes. Ihr
Verhältnis zur Geotektonik desselben.
Mit der Skizze der geologischen Verhältnisse des Vogtlandes sind
die Grundlagen gegeben zum Verständnis der Urographie dieses Ge-
bietes. Das heutige landschaftliche Bild desselben, wovon weiter unten
noch zu handeln sein wird, ist das einer flachwelligen Hochfläche. Die
seit dem Tertiär nachweisbaren Flußläufe und kleinere Gewässer schnitten
in dieselbe Thäler ein, deren Richtung und Tiefe im allgemeinen das
Relief und damit auch die Form und Richtung der Bergrücken be-
stimmen, da die die Hochfläche überragenden Höhen im Vergleich zu
den Thaleinschnitten nur geringe Niveauunterschiede hervorbringen.
Es ist daher zweckmäßig, zunächst den Verlauf der Thäler kennen zu
lernen. Dabei wird sich Gelegenheit geben, nach den Beziehungen des
Thalverlaufes zum geologischen Bau zu fragen.
Auffallend ist die Erscheinung, auf die auch Gümbel1) hinweist,
„das rechtwinklige Abbiegen der Laufrichtung, welche sich strecken-
weise fast in jedem, selbst der kleineren Flußläufe bemerkbar macht*4.
Ihre Erklärung findet sie in den beiden im Vogtlande vorherrschenden
geotektonischen Richtungen. Letztere finden in den Flußläufen ihren
Ausdruck, und es kann uns gar nicht wundern, daß zwischen einigen
Gewässern ein gewisser Parallelismus besteht. Ein Vergleich der Fluß-
läufe der Elster, Saale und Weida, der Göltzsch, Trieb und Wiesen-
thal, der unteren Hälfte der Weida und der Auma zeigt diese Erschei-
nung auf der Karte augenfällig.
Daß die Hauptrichtung der größeren Gewässer (und
infolgedessen auch ihrer Thäler) eine nördliche ist, beruht auf der nach
Norden gerichteten Abdachung der Hochfläche. Diese Nordrichtung
ist die Resultante zweier anderer, der Nordwest- und der Nordostrich-
tung, die als die Hauptrichtungen der Falten und Verwerfer schon ge-
*) Gümbel, Fichtelgebirge, S. 19 ff.
27] Albert Wohlrab, Das Vogtland als orographisches Individuum. 123
nannt wurden. Beziehungen zwischen den Flußläufen und den Haupt-
falten läßt schon die geologische Uebersichtskarte x) erkennen. Elster,
Weida und Saale verfolgen während eines beträchtlichen Teiles ihres
Laufes die Richtung der Hauptsättel, so die Saale zwischen Joditz und
Harra die Richtung der Hof-Lobensteiner, zwischen Gottliebsthal und
Saalburg die Richtung der ostthüringischen Hauptaufwölbung. Letztere
bestimmt auch den größten Teil des Weidalaufes. Die Wiesenthal hält
zwischen Mühltroff und Schleiz die Richtung einer frankenwäldischen
Mulde erster Ordnung ein. Die Elster wird zwischen Oelsnitz und dem
Elsterknie und zwischen letzterem und der Friesenbachmündung durch
beiderlei Faltungen zweiter Ordnung, die Göltzsch im letzten Teile
ihres Laufes durch einen frankenwäldischen Sattel erster Ordnung in
ihrer Richtung bestimmt.
B. Einzeldarstellung der Thäler.
a) Die Thäler der Weißen Elster und ihrer Zuflüsse.
Innerhalb des Vogtlandes selbst kommt in der Hauptsache nur
ein Hauptthal in Betracht, das der Weißen Elster. Dieser Fluß ist die
Hauptader des ganzen Gebietes, das darum auch den Namen Elster-
bergland trägt2).
In dem nordwestlich vom Kapellenberg gelegenen Elsterwald
nimmt das Thal der Weißen Elster im Gebiete des Granites seinen
Anfang3), durchquert darauf die Schichten des Gneises und Glimmer-
schiefers in nordwestlicher und nördlicher Richtung und zeigt schon
wenige Kilometer weit von der Quelle Gehänge von etwa 10° Neigung.
Bis zur Einmündung des Aschbaches wächst letztere bis zu etwa 25 °
an und behält diese Größe, wenigstens auf dem rechten Ufer, bis zur
Einmündung des Raunerbaches. Unterhalb dieser Stelle nimmt die
Steilheit der Gehänge ab, die Thalwände treten weiter zurück und die
Thalsohle wird doppelt so breit als vorher. Von Grün in Böhmen an
zieht sich neben dem Flusse bis hinunter nach Oelsnitz eine Landstraße
hin. In diesem obersten Teile ihres Laufes folgt die Elster im all-
gemeinen der Richtung des Schichteneinfallens, also der Richtung nach
NW und NNW; ihr Thai erscheint so als ein Querthal der in erz-
gebirgischer Richtung verlaufenden Hauptfalte. Doch weist sie schon
in diesem Teile ihres Laufes geringe Abweichungen von dieser Rich-
tung auf, indem sie in rechtem Winkel von derselben abbiegt, so
zwischen der Aschbachmündung und dem Dorfe Grün, wo sie auf der
Grenze zwischen dem Glimmerschiefer und dem Phyllit hinfließt, und
zwischen Bad Elster und Adorf. Am oberen Ende von Bad Elster er-
fährt der Fluß durch einen sich ihm quer vorlagernden Quarzgang
*) Lepsius, Geolog. Karte des Deutschen Reiches in 27 Blättern, Nr. 19,
Sekt. Dresden.
2) Penck, Das Deutsche Reich. Länderkunde von Europa, I, S. 404.
s) Vgl. 0. Metzner, Wo liegt die Quelle der Weißen Elster? Ztschr.
Unser Vogtland, 4. Bd., 1898, S. 101 ff.
124 Albert Wohlrab, [28
(Schwedenschanze am Zollhaus bei Elster) eine westliche Ablenkung,
„so daß die Anhöhe des Schillergartens (bei Bad Elster) in Form eines
in das Erosionsthal des Flüßchens vorspringenden Thalspornes erhalten
blieb" *). Außer dem Aschbach, der ganz im Gebiete des Glimmer-
schiefers verläuft und dem Raunerbach, der seinen Ursprung im Glimmer-
schiefer hat, gehören die in diesen obersten Teil der Elster einmünden-
den Bäche sämtlich dem Gebiete des Phyllits und Cambriums an.
Bis Oelsnitz nimmt die Weiße Elster außer den schon genannten
Bächen noch von links den Telterweinbach, den Lochersbach und den
Ebersbach, von rechts den Floßbach oder Schwarzbach, den Eisenbach,
den Würschnitzbach, den Görnitzbach und den Gerberbach auf.
Die Thäler der drei von links einmündenden Bäche haben nur
geringe Längen, verfolgen (zum Teil mit kurzen Abweichungen nach
SO) die Richtung nach NO und zeigen bedeutend sanftere Böschungen
als das oberste Elsterthal.
Das längste unter den oberhalb Oelsnitz einmündenden Thälern
ist das des Floßbaches. In seinem oberen Teile heißt dieser Bach
Schwarzbach. Derselbe gräbt sich vom Ursprungberge ab erst nach
NW, dann nach W, darauf nach WSW bis Erlbach ein tiefes Thal
ein mit Gehängen von bedeutender Neigung und zum Teil über 100 m
Höhe. Von Erlbach bis Siebenbrunn fließt er nach W, von da bis zur
Mündung nach WNW; die Böschung der Thal wände wird dabei immer
geringer.
Der Eisenbach, der nördlich von Gunzen aus dem Schönecker
Walde herauskommt, richtet seinen Lauf erst nach S, dann nach SW,
dabei dreimal auf Kilometerlänge zur NW-Richtung abbiegend.
Von der Höhe des Schönecker Waldes herab strömen auch die
Quellbäche des Würschnitzbaches. Diese bilden unterhalb des Dorfes
Eschenbach eine flache Mulde, die sich zwischen Saalig und Schübach
verengert. Von da an nehmen die Gehänge an Neigung zu. Die all-
gemeine Richtung des Baches ist eine westliche, dabei pendelt er
zwischen WNW und WSW hin und her.
Der Görnitzbach fließt von der Höhe von Schöneck herab erst
nach NW, dann bis zur Aufnahme des Zaulsdorfer Wassers nach W
und endlich bis zur Mündung nach WSW. Eine Menge wasserreicher
Bäche, die alle von der Höhe des Schönecker Waldes herabkommen,
speisen ihn. Von der Höhe zwischen Raasdorf und Oelsnitz kann man
nach 0 hin in die Thalweitung hineinschauen, die gebildet wird durch
die hier zusammenstoßenden unteren Thalenden dieser Quellbäche2).
Von der Höhe der Theumaer Schieferbrtiche eilt der in Oelsnitz
in die Elster einmündende Gerberbach herab. Seine Thalgehänge sind
ziemlich flach geböscht und steigen erst in größerer Entfernung vom
Bache zu bemerkenswerten Erhebungen empor.
Zwischen den Städten Oelsnitz und Plauen, die etwa 8 km weit
voneinander entfernt sind, bildet die Elster ein nach W gebogenes Knie,
sodaß die Länge ihres Thaies zwischen beiden Orten etwa 20 km,
*) Erl. z. Sekt. Elster-Schönberg, S. 32.
*) Erl. z. Sekt. Oelsnitz-Bergen, S. 2.
29] Das Vogtland als orographisches Individuum. 125
also das Zweiundeinhalbfache der geraden Entfernung, beträgt. Bis
zum Elsterknie ist das Thal nach WNW gerichtet, bis Straßberg nach
NNO, darauf bis unterhalb Plauen nach NO und endlich bis Greiz fast
genau nach N. Das Thal* zwischen Plauen und Greiz ist reich an be-
deutenden Windungen.
Die Abhängigkeit des Thalverlaufes von den Schichtenfalten ist
hier deutlich zu erkennen. Die den Erläuterungen zur Sektion Plauen
der geologischen Spezialkarte beigegebene tektonische Uebersichtskarte
stellt diese Verhältnisse klar und übersichtlich dar. Von Oelsnitz bis
Magwitz fließt die Elster in der Mulde zwischen zwei in der Franken-
waldrichtung verlaufenden Sätteln, von denen der eine über Lauterbach,
Schönbrunn, Planschwitz, Rosenberg, Weischlitz bis Eröstau, der andere
von Oelsnitz aus über Taltitz und Rosenberg streicht. Bei Magwitz
durchbricht sie den ersten der beiden Sättel und fließt an dessen an-
derem, südwestlichem Flügel hin. Wie die oligocänen Kieslager auf
dem linken Ufer erkennen lassen, floß sie früher in einem nach Süden
hin breiteren Bette. Durch die Diabase des Hungerberges bei Geils-
dorf wurde sie gezwungen, ihre Richtung zu ändern und nach N um-
zubiegen. Sie durchbricht hierbei die eben erwähnte Antiklinale zum
zweitenmal und schlägt nun die Richtung einer von Süden her von
Weischlitz bis Reusa verlaufenden erzgebirgischen Falte ein, deren
nordwestlicher Flügel den großen Elsterthalverwerfer bildet.
Der erste größere Bach, der unterhalb Oelsnitz in die Elster ein-
mündet, ist der Triebelbach. An der Grenze des Phyllites gegen das
Cambrium nimmt er auf der Eichigter Höhe seinen Anfang und durch-
fließt erst ein flaches, Torfbildungen aufweisendes Wiesenthal. Seine
Gehänge beginnen sofort einen schroffen Charakter anzunehmen, nach-
dem der Bach das Gebiet des Cambriums durchmessen hat und sich
ihm Diabasgesteine entgegenstellen. Das Triebelbachthal ist ein dem
Laufe der Elster zwischen Adorf und Oelsnitz parallel gerichtetes Längs-
thal und trennt vom sächsisch-böhmisch-bayerischen Grenzrücken den
Triebelbach-Elsterrücken ab, auf dem die Oelsnitz-Roßbacher Straße
verläuft. Erst kurz oberhalb der Mündung bricht der Fluß die NW-
Richtung rechtwinklig ab und wendet sich in einer kurzen Thalschlucht
nach NO der Elster zu.
Der Feilebach weist in seinem obersten Teile eine flache Mulde
auf (8. Profil 1). Diese hat eine nordwestliche Richtung und ist be-
Profil 1. Profil 2. Profil 3.
Querprofil in Sachsgrün. Querprofll unterhalb Querprofil zwischen Dröda
wiedersberg. und Pirk.
stimmt durch eine in frankenwäldischer Richtung verlaufende Synklinale,
die jedenfalls weiter im SO auch die Richtung des Seifelsbaches, der
zur Regnitz (oberhalb Hof) fließt, und einen Teil des Laufes des letz-
teren Baches selbst beherrscht. Hat dieser obere Teil des Feilebach-
thales für den sächsisch-böhmisch-bayerischen Grenzrticken die Be-
126 Albert Wohlrab, [30
deutung eines Längsthaies, so durchquert der größere untere, nach NO
gerichtete Teil denselben, um schließlich, nachdem seine Gehänge eine
ganz bedeutende Neigung (Profil 2 u. 3) angenommen haben, in Nr
Richtung sich zur Elster zu gesellen.
Der Kemnitzbach, der von der Höhe von Mißlareuth herabfließt,
hat eine ähnliche Thalbildung. Unterhalb Eemnitz verengt sich die
flache Mulde, das Gewässer muß sich durch die Diabasbreccie durch-
sägen, die sich ihm hier entgegenstellt. Der obere, größere Teil dieses
Thaies ist nach SO, der folgende nach 0, etwa das letzte Fünftel nach
NO gerichtet.
Der Rosenbach und die Syra fließen in südöstlicher Richtung zur
Elster, bilden beide auf der Hochfläche flache Mulden und schneiden
erst in der Hälfte ihres Thaies sich tiefer ein. Die Syra wird ober-
halb Plauen von einem 35 m hohen, 212 m langen und 11 Bogen
zeigenden Viadukt der Eisenbahnlinie Plauen-Eger überspannt. ,
Der von S herkömmende, in Chrieschwitz in die Elster mündende
Friesenbach ist insofern bemerkenswert, als von seiner Mündung an
die Elster ihre Richtung ändert und nach N zu fließt, also die Richtung
dieses Baches aufnimmt, der nur kurz vor der Mündung von dieser
Richtung abweicht.
Mannigfaltige Formen zeigt das Thal der Trieb. Als Geigen-
bach sammelt sie eine Menge Wasserfäden, die dem Schönecker Walde
entströmen. Der stärkste unter diesen entquillt einer moorigen Wiese
nördlich vom Bahnhofe Schöneck. Bis Unter-Neudorf bildet das Thal
dieses Gewässers eine flache Mulde (Profil 4), die nach N zu gerichtet
Profil 4. Profil 5.
Profil 6. Profil 7.
ist. Von der Kreuzung mit der Straße Oelsnitz-Falkenstein an wendet
sich der Bach nach NW und durchbricht in einem engen Thale (Profil 5),
dessen Wände nahe am Flusse bis zu einer relativen Höhe von mehr
als 100 m aufragen, den Schiefermantel des Bergener Granitmassivs.
Unterhalb dieser Durchbruchsstelle breitet sich eine flache Mulde aus,
das Innere des Massivs (Profil 6). Ziemlich in nördlicher Richtung
fließt die Trieb hindurch. Wo sie auf der anderen Seite des Massivs
wieder an den Schiefermantel stößt, weicht sie diesem eine kurze Strecke
nach NO hin aus, um ihn zwischen Altmannsgrün und Siebenhitz zum
zweitenmal, aber in einem weniger engen und von niedrigeren Höhen
umgebenen Thale als beim ersten Durchbruche zu durchschneiden. Nach
kurzem NNW- und darauf WNW-Laufe wendet sie sich oberhalb
31] Das Vogtland als orographisches Individuum. 127
Altensalz nach WSW, wobei ihre Gehänge ungefähr die gleiche mäßige
Böschung beibehalten, und fließt darauf nach NW der Elster zu, wobei
sich ihr Thal immer mehr verengt. Nur noch einmal, beim Dorfe
Pohl, bildet es eine kleine Thalweitung, die von der alten Reichsstraße
Plauen-Reichenbach zum Uebergang von dem einen Ufer zum anderen
benutzt wurde. Zwischen Pohl und der Mündung der Trieb wird das
Thal (Profil 7) einer Schlucht immer ähnlicher1), eine Folge des Auf^
tretens größerer Massen von Diabasgesteinen.
Der Treuensche Bach (auch Eselsbach genannt), der von rechts
in die Trieb einmündet, kommt vom westlichen Abhänge des Wendel-
steines her. Er fließt um den Eontakthof der nördlichen Hälfte des
Lauterbach-Bergener Massivs herum und schneidet letzteres bei Schreiers-
grün an. Sein Thal zeigt denselben Wechsel der Richtung wie die
anderen Thäler, nämlich erst die N-, dann die NW-, dann die SW-,
dann wieder die NW- und zuletzt wieder die SW-Richtung. Der von
links in die Trieb einmündende Rattenbach fließt in einem flachen Thale
nach N.
Der Triebitzbach bildet eines der wenigen Nebenthäler der Elster,
die eine Hauptrichtung ziemlich streng innehalten. Der Bach heißt in
seinem oberen Teile Frotschabach. Seine Hauptrichtung ist die nach
NO, erst kurz oberhalb seiner Mündung wendet er sich nach 0 hin.
Dabei bildet er schon in seinem oberen Laufe ein Thal mit Wänden
von bedeutender Neigung, die dem unteren Ende zu bis zur Steilheit
zunimmt. Er deckt sich mit einem Teil der Achse der großen vogt-
ländischen Hauptmulde, in deren Mitte Kulm abgelagert ist, dessen
Schiefer durch den Gebirgsdruck so gehärtet wurden, daß sie an Härte
den cambrischen gleichkommen. Die daraus sich ergebende größere
Schwierigkeit der Ausarbeitung des Thaies erklärt auch die größere
Neigung der Gehänge desselben.
Die Göltzsch, deren westlicher Quellbach, die Weiße Göltzsch,
dem großen Waldreviere von Schöneck entströmt, bildet sofort, nach-
dem sich die zahlreichen Quellbäche des Göltzschgesprenges vereinigt
haben, in den phyllitischen Schiefern ein tiefes Thal mit Thalwänden
von über 100 m Höhe. Zu ihrem Wasserreichtum trägt der obere
Floßgraben bei, der ihr Wasser aus der Mulde zuführt, das sich im
„Riß" in mehreren kleinen Fällen zu ihr herabstürzt. Von der Göltzsch-
mühle ab schlägt die Weiße Göltzsch etwa 2 km weit eine NW-Richtung
ein, darauf bis Falkenstein die Richtung nach N, sodann kurz unter-
halb der Vereinigung mit der Roten Göltzsch eine NO-Richtung, worauf
sie bis Rodewisch wieder die nach N erwählt. Von der letzteren weicht
sie bis unterhalb Lengenfeld ab nach NNW, um nun bis Weißensand
nach W und von da bis zu ihrer Mündung nach NW zu fließen. In
der ersten Hälfte ihres Laufes hält sie sich in der Mitte zwischen den
beiden Granitmassiven von Eibenstock und Lauterbach-Bergen, jeden-
falls auch beeinflußt durch den Quarzitzug des Wendelstein-Kuhberg-
rückens (vgl. S. 138 [42] u. 152 [56]). Von Rodewisch an, nach der
!) Vgl. die Ausführungen auf S. 156 [80], unten, sowie H. Grüner, Beiträge
zur Hydrologie der Weißen Elster. Mitteilg. d. Ver. f. Erdk. z. Leipzig, 1891, S. 18*
128 Albert Wohlrab, [32
Aufnahme des Wernsbaches, nähert sie sich der Westseite des Kirch-
berger Massivs, dessen Schiefermantel sie anschneidet, um den Plohn-
bach aufzunehmen, der die Wasserfaden des südwestlichen Teiles dieses
Granitgebietes sammelt. Der unterste Teil des Göltzschthales wird be-
stimmt durch eine in frankenwäldischer Richtung verlaufende Antiklinale,
längs deren eine Reihe von Verwerfern sich hinzieht, die vielleicht
ursprünglich mitwirkten bei der Bildung des Thaies ; wenigstens liegen
die tertiären Eieslager ihnen sehr nahe, während sie auf dem anderen
Flußufer ganz fehlen.
Die größeren der Göltzscb zufließenden Bäche kommen von rechts;
links gestattet der schmale Wendelstein-Kuhbergrücken nur wenig
Raum zur Bildung von Bächen.
Unterhalb der Göltzschmündung nimmt die Elster in der Stadt
Greiz die Quirle auf, die in einem kurzen, engen Thale in östlicher
Richtung herabeilt.
Ebenda vereinigt sich mit ihr auch der Aubach. Dieser hat ein
sehr weites und flaches Quellgebiet, das sich von der Höhe von Brunn
bis zum Werdauer Walde erstreckt, wo einer der Quellbäche eine Strecke
weit auf der Grenze zwischen dem Rotliegenden und dem Kulm hin-
fließt. Die Richtung des vom Aubach gebildeten Thaies ist im all-
gemeinen die nach WSW. Das weite Auffanggebiet bildet für die Be-
wohner des unteren Thaies eine große Gefahr; denn zuzeiten großer
Regengüsse vermag das Bett des Baches die Menge des Wassers nicht
zu fassen, sodaßdas enge Thal dann Ueberschwemmungen ausgesetzt ist.
Unterhalb Greiz durchschneidet die Elster den von SW her ziehen-
den ostthüringischen Hauptsattel in nördlicher Richtung und bildet von
Wtinschendorf an eine breite Thalaue. Während auf der Strecke des
Durchbruchs die am Flusse sich erhebenden Thalwände bis zu Bergen
von 200 m relativer Höhe sich erheben, treten weiter unten die Ge-
hänge immer mehr zurück vom Flusse, werden niedriger, und schließ-
lich öffnet sich das Thal vollends zur Leipziger Tieflandsbucht.
Unterhalb Wünschendorf nimmt die Weiße Elster die Weida
auf. Diese hat ihren Ursprung südlich von Pausa und verläuft dort
in einer flachen, an Teichen reichen Mulde, die bis unterhalb Weckers-
dorf eine nach NW zeigende Hauptrichtung aufweist und dabei mehr-
mals (oberhalb Pausa, bei Unterreichen au) nach N umbiegt. Unter-
halb Weckersdorf wendet sich die Weida nach NO und nimmt von
links die Modelitzsch und nahe ihrer Mündung die Auma, von rechts
die Triebes und den Leubabach auf. Die Neigung der Thalgehänge
ist in der Nähe des unteren Thalendes am größten. Maßgebend fiir
den oberen, nach NW gerichteten* Teil des Weidathales ist jedenfalls
eine in dieser Richtung verlaufende sekundäre Schichtenstörung, die
parallel der S. 113 [17] erwähnten franken wäldisch gerichteten Mulde
erster Ordnung den ostthüringischen Hauptsattel quert. Der nach NO
gerichtete Teil des Thaies wird durch die eben erwähnte Hauptaufwölbung
bestimmt, in dessen zerrissenen nordwestlichen Flügel der Fluß sich
eingegraben hat.
Die Triebes, deren Richtung im wesentlichen eine nördliche ist,
fließt zuerst im Pöllwitzer Walde in einer wasserreichen, flachen Mulde,
33] Das Vogtland als orographisches Individuum. 129
in der, wie im benachbarten oberen Gebiete der Weida, eine Menge
Teiche liegen. Wo sich der Bach der Stadt Zeulenroda nähert, treten
die Thalgehänge näher aneinander heran und nehmen an Neigung zu,
noch mehr aber auf der Strecke unterhalb Triebes bis zur Mündung
in die Weida. Der obere Teil des Thaies gehört dem bis zum Garn*
brium hinein bloßgelegten ostthüringischen Hauptsattel, der untere Teil
dem zerfetzten Nordwestflügel desselben an. Jedenfalls übten auf die
Richtung der Triebes nordwärts gerichtete Verwerfer Einfluß aus, von
denen hier mehrere auftreten.
Der Leubabach hat zwar auch eine nördliche Hauptrichtung, doch
neigt sein Oberlauf mehr der NO-, sein Unterlauf mehr der NW-
Richtung zu und verrät damit seine Abhängigkeit von der das Gebiet
beherrschenden Tektonik.
Die Auma, die sich in der Stadt Weida mit der Weida vereinigt,
windet sich in der Kulmmulde auf dem nordwestlichen Flügel der ost-
thüringischen Hauptaufwölbung in mehreren Bogen nach NO; schlägt
aber im oberen Teile ihres Laufes erst eine südöstliche Richtung ein.
Sie bewirkt den Abfluß zahlreicher in der Kulmmulde liegenden Teiche.
Entsprechend dem Charakter des Kulms zeigen ihre Thalgehänge nur
flache, sanfte Böschungen. Auma und Weida sind getrennt durch einen
Höhenzug, der in der Höhe nördlich von Dragensdorf 484 m erreicht.
b) Die Th&ler der Saale und ihrer Zuflüsse.
Aehnlich wie das Elsterthal und seine Nebenthäler sind der im
Vogtlande in Betracht kommende Teil des Saalethaies und seine Neben-
thäler gebildet; vornehmlich gleichen die dem sächsisch-reußischen
Grenzrücken angehörigen, zur Saale sich öffnenden Thäler denen des
Elstergebietes.
Das Saalethal bildet von der Mündung der Schweßnitz bis zur
Mündung des Drebabaches die Grenze des Vogtlandes. Von der N-
Richtung, die es oberhalb Hof einhält, geht es bis Hirschberg allmäh-
lich zur NW-Richtung, darauf bis Blankenberg zur W- und WSW-
Richtung über. Nach der Aufnahme der Selbitz schlägt es seinen Weg
nach N zu ein. Die reine N-Richtung kommt aber fast gar nicht zur
Erscheinung, das Thal weicht entweder nach NW oder NO von der-
selben ab. Gilt dies schon von der Hauptrichtung, so noch viel mehr
von der Richtung der zahlreichen. Windungen, die nach den verschie-
densten Himmelsrichtungen zeigen. Nach der Aufnahme der Wiesen-
thal und noch entschiedener nach der Aufnahme des Drebabaches in
Ziegenrück wendet sich das Thal der Saale nach W.
Die Aufnahme der Schweßnitz erfolgt noch im Mtinchberger Gneis-
gebiete. Nach dem Verlassen desselben folgt das Saalethal der Rich-
tung eines in Frankenwaldrichtung verlaufenden Sattels. Unterhalb
Lemnitzhammer gräbt sich der Fluß in den ostthüringischen Haupt-
sattel ein enges Bett, verläßt die Richtung desselben aber oberhalb
Burgk und läßt in seinem Laufe durch die im NW folgende Kulm-
mulde keinen Einfluß der Geotektonik des Gebietes mehr erkennen,
wenigstens nicht auf seine Hauptrichtung.
Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde. XTI. 2. 9
130 Albert Wohlrab, [34
In der Richtung der für das Saalethal oberhalb und unterhalb
Hof maßgebenden frankenwäldischen Sattelung verläuft der als Lauter-
bach westlich von Asch im Gneisgebiet entspringende Perlenbach, der
in Rehau in die Schweßnitz mündet. Letztere kommt von NO her und
nimmt die Richtung des wasserreicheren Perlenbachs auf. In Ober-
kotzau vereinigt sie sich mit der Saale. Die beiden Gewässer, Perlen-
bach und Schwefinitz, bilden auf der Hochfläche breite Thalwannen.
Dieselbe Thalbildung zeigt der obere Regnitzbach, der erst nach
NW, dann nach SW, dann nach W fließt. Ein Teil seines nach NW
gerichteten Laufes gehört der frankenwäldischen Mulde an, die den
Oberlauf des Feilebaches bestimmt (vgl. S. 125 [29]).
Der Leimitzbach, der Krebsbach und der untere Regnitzbach, die
in und unterhalb Hof in die Saale einmünden, zeigen verhältnismäßig
flache Gehänge. Alle drei verlaufen im wesentlichen in südwestlicher
Richtung.
Der oberhalb Hirschberg mündende Tannbach (Kegelbach) bildet
auf der reußischen Hochebene eine flache Mulde und erst in der unteren
Hälfte seines Laufes ein Thal mit Gehängen von größerer Neigung.
Seine Hauptrichtung ist die nach SW. Dieselbe Richtung hat auch
anfangs der dem gleichen Quellgebiete entstammende Kupfer- oder
Töpenbach inne, der sich aber im letzten Teile seines Laufes 'nach NW
wendet.
Der Ehrlichbach zeigt in seinem oberen Laufe die gleiche Thal-
bildung; von Gefell an schneidet er ein enges und tiefes, nach SW ge-
richtetes Thal in die Hochfläche ein und endet in Hirschberg.
Aehnlich verläuft der Aubach. Auf der Höhe von Göttengrün
und Blintendorf sammeln sich seine Quellarme in einer flachen Mulde
und schneiden dann weiter im SW ein Thal ein, dessen Wände je
weitet der bei Sparnberg erfolgenden Mündung zu desto steiler werden.
Dieselbe Thalbildung weisen auch der Triebischbach, der Triebigs-
bach und der Wetterbach auf. Während der erste dieser Bäche wesent-
lich der NW-Richtung folgt, wendet sich der zweite in seinem Unter-
laufe nach W; der dritte dagegen wechselt in seiner Richtung, indem
er nacheinander nach N, NW, SW, W, NW und nach SW fließt.
Die Wiesenthal1) bildet mit dem Schwazbach und dem Zelterbach
auf der reußischen Hochfläche eine flache Einsenkung und beginnt erst
unterhalb Mühltroff (Profil 8 u. 9), wo sie ihre nördliche Richtung auf-
giebt, eigentliche Gehänge zu zeigen. Auf diesen bis zur Lössaumühle
nach NW gerichteten Teil ihres Laufes hat sicher die hier auftretende
franken wäldisch gerichtete Mulde Einfluß ausgeübt. Sie wendet sich
darauf erst in einem nach N, dann in einem nach S konvexen Bogen
nach W und bildet im untersten Teile ihres Laufes eine große Anzahl
von Serpentinen. Unterhalb Dörflas (Profil 10) fällt sie in die Saale.
Der Triebigsbach , der Wetteraubach und die Wiesenthal zeigen
*) Als Quellann wurde unter Anlehnung an die Ausführungen Brückners
(G. Brückner, Landes- und Volkskunde des Fürstentums ßeufi j. L., Gera 1870,
S. 47) der von Mißlareuth über Rothenacker kommende Hatschenbach betrachtet.
35] Das Vogtland als orographisches Individuum. 131
in der Richtung ihrer Thäler eine auffallende TJebereinstimmung. Von
der anfanglichen N-Richtung biegen sie nach W um.
Unterhalb der Wiesenthal mündet beim Schießhause in Ziegen-
rtick der Plothenbach, der aus der an Teichen reichen Mulde von
Plothen südlich vom Quellgebiet der Auma seinen Anfang nimmt und
sich erst nach SW wendet. Nahe Volkmannsdorf biegt er nach W um
und bildet ein tief eingeschnittenes, enges Thal.
Der nordwestliche Grenzbach unseres Gebietes, der Drebabach,
teilt in seinem Ursprunggebiet in seinen Thalböschungen den flächen-
haften Charakter des Inneren der Kulmmulde. Er hat eine südwest-
liche Richtung und schneidet sich je weiter abwärts ein um so tieferes
und steilwandigeres Thal ein, in dessen unteren Ausgang sich das
Städtchen Ziegenrück drängt.
Den geringsten Anteil am Vogtlande haben die nach Süden zur
Eger sich öffnenden Thäler.
c) Die Thäler des vogtländischen Egergebietes.
Das bedeutendste unter diesen ist das Thal der Zwota (in Böhmen
Zwodau genannt). Dieser Fluß kommt aus dem gleichen Quellgebiet
Profil 8.
470-
Querprofil der. Wiesenthalmulde bei Mühltroff.
Profil 9. Profil 10.
Querprofil unterhalb Schleiz. Querprofll oberhalb der Mündung.
wie die Göltzsch, die Trieb und die Görnitz und Würschnitz. Erst
fließt er wenige Kilometer weit in südlicher Richtung auf der wald-
bedeckten Hochfläche dahin, seine zahlreichen Quellfäden sammelnd;
von den ersten Häusern des Dorfes Oberzwota an aber schneidet er
ein enges Thal ein, das begleitet wird von Höhen bis zu 200 m und
erst nach 0 zu gerichtet ist, dann aber nach SO sich wendet.
Die westlichen Nachbarthäler , die Thäler des Leibitschbaches,
Fleifienbaches, Schönbaches und Rohrbaches, sowie des Seebaches und
Höllbaches sind im Anfange tief und steilwandig, werden aber weiter
abwärts, wo sie die Terrassen des zur Eger abfallenden Gebirges
queren, flacher. Ihre Hauptrichtung ist der Abfallrichtung des Ge-
birges entsprechend eine südliche. Nach Jokäly1) sind sie sämtlich
Erosionsthäler.
l) Jahrbuch der geolog. Reichsanstalt, 1857, S. 1 ff.
132
Albert Wohlrab,
[36
i
G. Ergebnisse.
Der die Thäler beherrschende Wechsel der Richtung bezeugt den
unverkennbaren Einfluß der geotektonischen Verhältnisse auf die Ent-
I ! 1 » Wickelung der Thäler. Einzelne derselben,
wie die zuletzt angeführten, zum Egergebiet
gehörigen, sowie einzelne Thalstrecken, wie
der zum Gebiete der archäischen Schichten ge-
hörige Teil des Elsterthaies und des Rauner-
bachthales, sind ebenso gewiß Erosionsthäler.
Bestimmte die Tektonik des Gebietes die Rich-
tung der meisten Thäler und giebt sie uns da-
mit das Recht, dieselben als tektonische Thäler
zu bezeichnen, so schuf ihnen doch das Wasser
ihre eigentliche Hohlform.
Doch auch in den Formen der Thäler
und einzelner Thalstrecken zeigt sich der Ein-
fluß des Gesteinsauf baues. Wo das Wasser
Gebirgsfalten durchschneidet, geschieht dies in
einem engen, steilwandigen Thale (z. B. Elster-
thal unterhalb Pirk). Aehnliche Formen zeigt
es, wo es sich in die gelockerten Gesteins-
schichten der teilweise außerordentlich oft zer-
brochenen und zerrissenen Sättel eingrub (z. B.
unteres Göltzschthal). Wo Verwerfer die Thal-
p bildung beeinflußten, zeigt sich dies teilweise
fe in einer beträchtlichen Verschiedenheit der
- beiden Gehänge. Meist bildet der stehen ge-
bliebene Flügel eine steile, der abgesunkene
eine sanft -ansteigende Lehne (z. B. Elsterthal
bei Weischlitz). Zu dieser Ungleichheit der
Ufer tragen auch die zahlreichen Serpentinen
bei ; während an der inneren Seite Ablagerungen
von Sedimenten stattfinden, wird an der äußeren
die Schroffheit der Gehänge durch die zerstörende
Wirkung der anprallenden Wellen erhöht.
Die Thalanfänge sind meist breite, flache
Mulden, die in die Hochfläche eingesenkt sind und
in denen sich die Quellbäche sammeln ( Weidathal,
Wiesen thal u« a.). Nur wenige sind tief eingeschnit-
ten (Elsterthal, Göltzschthal, Floßbachthal).
Die graphische Darstellung der Ge-
fällskurven der Trieb (Profil 11) und des Feile-
baches (Profil 12, nebenstehende Seite) und die
den Bau der Thäler dieser Gewässer und der
Wiesenthal demonstrierenden Querprofile (auf
S. 125 [29], 126 [30], 131 [35]) mögen als Bei-
spiele für das Gefälle und den Bau der Thäler
des Vogtlandes dienen.
2
H
3.
37]
Das Vogtland als orographisches Individuum.
133
Eine Zusammenstellung der oben angeführten Thäler giebt
die folgende Tabelle I. Dieselbe umfaßt die Thallänge, die Höhe des
Thalanfanges und des Thalendes, die mittlere Thalhöhe, die Fallhöhe
der Thalsohle, den mittleren Neigungswinkel der Thalsohle, die gerad-
linige Entfernung des Thalanfanges und Thalendes und die Thalent-
wickelung. Besonders charakteristisch für die einzelnen Thäler sind
unter diesen Werten der mittlere Neigungswinkel und die Thalent-
wickelung.
Den größten mittleren Neigungswinkel besitzen die im ersten
Teile des Elsterlaufes einmündenden (Minimum 1 ° Ol', Maximum 1 ° 510,
Profil 12.
Längsprofil des Feilebachthal es.
ferner die kurzen, unterhalb Greiz vom Elster- Weidarücken herab-
sinkenden Nebenthäler des Elsterthaies, die vom Tannaer Rücken herab-
reichenden Nebenthäler des Saalethaies und die zum Egergebiet ge-
hörigen Thäler. Die geringsten mittleren Neigungen weisen außer dem
unser Gebiet begrenzenden Teile des Saalethaies (0°06/) das Hauptthal
des Vogtlandes, das Elsterthal (0° 15') und die vom südlichen Teile des
Gebietes nach der Saale zu sich öffnenden Nebenthäler auf.
Die Thalentwickelung, das Verhältnis der geradlinigen Ent-
fernung des Thalanfanges und Thalendes zur Thallänge, bewegt sich
zwischen den Verhältniszahlen 0,45 (Saalethal) und 0,97 (Aubachthal,
unterhalb Hirschberg mündend).
Tabelle I >).
1 2
II
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5.83
13
Uli
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1.
2.
I.Weiße Elster (b.z.
Weidamündung) .
! Aschbach
Raunerbach ....
km
111,0
6,9
11,0
m
695
680
670
m
203
514
455
m
361 (37)
585 (4)
555 (5)
m
492
166
215
0°15'
1°23'
1°07'
km
81,0
4,7
8,0
0,73
0,68
0,73
l) Vgl. L. Neumann, Orometrie des Schwarzwaldes, Kap. XI (Penck
Abhandlungen, I, 2). Zur Ermittelung der Thallängen (Rubrik 3) wurde ein
Kurvimeter von ü 1 e (D.R.P. 79 948), hergestellt von M. We s s e 1 h o e f t in Halle a. S.
benutzt.
134
Albert Wohlrab,
[38
I 7
10
1
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Name dea tbaUnldeu-
«ff
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St*
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3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
13.
14.
15.
16.
17.
17a.
17b.
18.
19.
19a.
19b.
19c.
20.
21.
22.
23.
23a.
23b,
23c.
1.
la.
2.
3.
4.
5.
6.
6a.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
13.
14.
Floßbach
Telterweinbach . .
Eisenbach
Lochersbach ....
Würschnitzbach . .
Ebersbach
Görnitzbach ....
Gerberbach
Triebelbach ....
Feilebach
Kemnitzbach ....
Rosenbach
Syra
Friesenbach ....
Trieb
Treuenscher Bach .
Rattenbach
Trieb itzbach ....
Göltzsch
Wernsbach
Plohnbach
Raumbach
Aubach
Quirle
Harnbach
Weida
Triebes
Leubabach
Auma
ü. Saale (zwischen
Schweßnitz- und
Drebamündung . .
Schweßnitz
Perlenbach
Oberer Regnitzbach
Leimitzbach ....
Krebsbach
Unt. Regnitzbach .
Tannbach
Eupferbach ....
Ehrlichbach ....
Aubach
Triebischbach . . .
Triebigsbach ....
Wetteraubach . . .
Wiesenthal
Plothenbach ....
Drebabach
n
km
m
15,0
745
9,0
608
11,4
720
4,7
550
12,2
740
3,8
525
13,4
720
7,5
520
14,0
610
16,5
575
12,5
560
11,2
508
9,0
470
9,0
450
32,0
750
16,0
640
8,5
520
12,3
500
46,0
680
9,0
650
12,0
510
14,0
440
12,0
370
5,0
398
4,0
328
56,5
480
21,0
450
15,0
405
36,0
490
96,0
483
21,0
575
27,0
680
27,0
610
3,0
520
7,0
540
13,6
555
6,7
589
8,8
580
11,2
592
7,5
565
6,5
527
9,0
574
18,5
580
45,9
570
16,6
481
13,5
490
m
440
429
424
415
411
403
393
388
365
363
361
342
330
322
304
386
362
275
258
419
366
297
255
254
215
203
282
267
226
304
483
525
477
471
467
468
450
479
437
427
376
373
357
327
305
304
m
m
536 (8)
305
490 (6)
179
536 (6)
296
471 (4)
135
530 (8)
329
460 (7)
122
518 (7)
327
439 (4)
132
458 (7)
245
444(7)
212
463 (8)
199
411 (6)
106
419 (5)
140
385 (5)
128
478 (18)
446
497 (7)
254
430 (6)
158
379 (6)
225
409 (22)
422
535 (6)
231
433 (7)
144
370 (9)
143
315 (5)
115
327 (4)
148
264 (4)
113
343(19)
277
362 (9)
168
334 (7)
128
356 (9)
264
414 (17)
179
524 (5)
92
574 (4)
105
520 (9)
233
502 (3)
49
488(6)
73
505 (8)
87
517 (4)
139
533 (6)
101
504 (6)
155
494 (5)
138
467 (6)
151
469 (7)
201
485 (8)
223
461 (17)
243
411 (6)
176
387 (7)
186
1°08'
1°09'
1°29'
1°39'
1°33'
1°51'
1°24'
1°01'
1°00'
0°43'
0°55'
0°51'
0°53'
0°48'
0°48'
0°54'
1°04'
1°03'
0°31'
1°28'
0°41'
0°35'
0°83'
1°37'
1°37'
0°17'
0°27'
0°29'
0°25'
0°06'
0°15'
0°13'
0°29'
0°56'
0°86'
0°22'
i°ir
0°39'
0°48'
1°03'
1°20'
1°16'
0°41'
0°18'
0°38'
0°47'
km
12,5
6,4
8,0
4,3
9,5
3,4
10,5
6,0
11,5
10,5
9,0
8,5
7,2
6,4
22,0
9,0
7,5
10,5
25,0
7,0
7,0
9,3
8,0
4,5
3,6
28,5
14,0
11,5
22,0
43,0
10,5
16,0
18,0
2,7
6,0
8,6
5,9
5,2
6,0
7,3
5,5
6,8
12,6
21,5
9,4
10,7
0,70
0,72
0,73
0,91
0,78
0,89
0,78
0,80
0,82
0,64
0,72
0,76
0,80
0,71
0,69
0,56
0,88
035
0,54
0,77
0,58
0,66
0,66
0,90
0,90
0,50
0,67
0,77
0,60
0,45
0,50
0,59
0,66
0,90
0,86
0,63
0,88
0,59
0,54
0,97
0,88
0,75
0,68
0,47
0,58
0,80
39]
Das Vogtland
als orographisches Individuum.
135
1
2
3 4 ! 5
6
7
8 9
10
1
ti
fcfl
2
s
u
O
Name des thalbilden-
den Gewässers
i
Ec
a
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• 2
• 2
O
PC
SB £fl *»
35
1*
al
So .3
5
KM
IS §5
SM*«
H.2
1.
la.
2.
2a.
2b.
3.
4.
III. Zum Egergebiet
gehörig :
Seebach
Höllenbach
Fleißenbach . .
Rohrbach
Schönbach
Leibitschbach . . .
Zwota
km
6,7
6,3
7,2
3,5
5,5
15,5
21,0
m
705
590
690
570
600
760
745
m
500
509
500
500
500
500
500
m
567 (4)
548(4)
577 (5)
530 (3)
544(4)
590 (8)
620 (13)
m
205
81
213
70
100
260
245
1°50'
0°44'
1°42'
1°15'
1°02'
0°57'
0°41'
km
5,0
5,5
4,7
3,2
5,0
11,8
11,2
0,75
0,87
0,65
0,90
0,91
0,77
0,54
2. Die Höhenrücken.
A. Gliederung des Gebietes.
Die tiefen Rinnen, welche die Gewässer in die Hochfläche ein-
schnitten und so das Vogtland vertikal gliederten, bewirkten, daß
dieses, wenn man in den Thälern wandert, den Eindruck eines Berg-
landes macht. Die so entstandenen Bergrücken oder Kämme (soweit
man ihnen überhaupt diese Bezeichnung geben kann) lassen sich zur
Besprechung ihrer orometrischen Verhältnisse leicht in mehrere Gruppen
bringen.
Von selbst ergiebt sich eine Gliederung des ganzen Gebietes in
drei Teile, in einen östlich, einen südlich und einen westlich vom
Elsterknie.
Der erste und dritte Teil sind geschieden durch die Weiße Elster
vom Elsterknie an abwärts. Der zweite Teil wird vom ersten getrennt
durch die Weiße Elster vom Elsterknie an aufwärts bis zur Mündung
des Raunerbaches, durch den Raunerbach bis zur Raunermühle, durch
das von Rohrbach heruntereilende Bächlein, durch den Sattel von
Rohrbach, der bis zur Höhe von 595 m herabreicht, und durch den
Rohrbach, der hinab bis zum Fleißenbach fließt. Vom westlichen
Teile trennt ihn der Feilebach bis zur Haagmühle, der Sattel südlich
von Blosenberg (545 m Höhe) und der unterhalb Hof mündende (untere)
Regnitzbach.
Der östliche Teil kann als der erzgebirgische bezeichnet
werden; denn er bildet die westliche Fortsetzung des Abfalls des
Erzgebirges, steht mit diesem Gebirge in engstem Zusammenhang und
ist durch keinen tiefen Einschnitt im Kamme des Gebirges von ihm
getrennt. Eine ganz auffallende Kerbe bildet aber der Sattel von
Rohrbach, östlich vom Galgenberg bei Brambach. Dieser Sattel reicht
136 Albert Wohlrab, [40
bis zur Höhe von 595 m herab, und von hier an nimmt das Gebirge
eine andere Richtung an. Der hier beginnende südliche Teil des
Vogtlandes, der der fi cht e Ige birgi sehe genannt werden soll, läßt
in seinem Aufbau, besonders in seinem südlichsten Kamm, die Nachbar-
schaft des Fichtelgebirges deutlich erkennen. Auf den zum östlichen
Teile gehörigen erzgebirgischen Grenzkamm und auf den südlichen
Teil des Vogtlandes, ja wohl auch auf jenen Kamm allein, wird öfters
die Bezeichnung Elstergebirge angewendet1). Der westliche Teil,
den Regel 2) zu Thüringen rechnet, dürfte seiner Bodenform und seiner
politischen Zugehörigkeit nach als sächsisch-reufiische Hoch-
ebene zu benennen sein.
Das ganze Gebiet umfaßt 2483 qkm. Davon entfallen
auf den östlichen Teil 761 qkm
„ „ südlichen „ 536 „
„ „ westlichen „ 1186 „
Der staatlichen Zugehörigkeit nach verteilt sich das Gebiet auf
sieben Länder, auf die Königreiche Sachsen, Bayern und Preußen, auf
das Großherzogtum Sachsen- Weimar, auf die beiden Fürstentümer Reuß
und auf das österreichische Kronland Böhmen.
B. Der östliche Teil.
Der östliche Teil, gelegen zwischen der Weißen Elster, der Göltzsch
und der Zwota, hat seine höchste Erhebung im Ursprungberg (818,9 m),
seinen tiefsten Punkt in der Göltzschmündung (257,3 m).
Der Ursprungberg gehört dem höchsten Kamme des östlichen Teiles
an, dem erzgebirgischen Grenzkamm. Dieser reicht vom Rohr-
bacher Sattel bis an die Höhe nördlich vom Tannenhaus bei Schöneck
(Sign. 801,4 m) und hat eine Länge von 30 km. Vom Rohrbacher
Sattel bis zum Ursprungberg verfolgt er (wenn wir nur die Haupt-
richtungen berücksichtigen) 14 km weit eine nordöstliche, vom Ursprung-
berge bis zur Höhe beim Tannenhause 16 km weit eine nordwestliche
Richtung. Seine mittlere Gipfelhöhe (735 m) wurde aus folgenden
10 Höhen berechnet:
Schieferknock 669 m
Triangulationsstation bei Landwüst .... 664 „
Höchster Punkt nördlich von Dürrengrün 658 „
„ „ südlich von Eubabrunn . . 671 „
Hoher Stein 777 „
Ursprungberg 819 „
Gemeinberg 780 „
Der Hohe Brand 804 „
Rauner Berg 732 „
Höhe beim Tannenhaus 776 „
*) Vgl Debes, Neuer Handatlas, 1895, Bl. 19. 20. 22. 23. — Andre e,
Handatlas, 13. Aufl., 1896, Bl. 15/16. 25/26. — Sydow- Wagner, Method. Schul-
atlas, 6. Aufl., 1896, Bl. 19. 21. 22.
») Regel, Thüringen, I, S. 2.
41] Das Vogtland als orographisches Individuum. 137
Die mittlere Sattelhöhe (677 m) wurde aus folgenden 10 Höhen*
angaben gefunden:
Sattel zwischen Galgenberg und Schieferknock *) . . . 595 m
, „ Schieferknock und Land wüster Höhe . . 618 „
„ „ Landwüster Höhe und Dürrengrün . . 625 „
Höchster Punkt der Straße von Wernitzgrün nach Schön-
bach2) 655 ,
Sattel zwischen der Höhe von Eubabrunn und dem Hohen
Stein 657 „
Sattel zwischen dem Hoben Stein und dem Ursprungberg 735 „
„ „ „ Ursprungberg und dem Gemeinberg 747 „
„ „ „ Gemeinberg und dem Hohen Brand 751 „
* „ „ Hohen Brand und dem Rauner Berg 3) 726 „
„ südwestlich vom Bahnhof Oberzwota4) .... 663 „
Aus der mittleren Gipfelhöhe (735 m) und der mittleren Sattelhöhe
(677 m) ergiebt sich als die Differenz beider ein dritter Mittelwert, die
mittlere Schartung (58 m) und als arithmetisches Mittel der beiden
ersten die mittlere Kammhöhe (706 m). Der erzgebirgische Grenzkamm
bildet einen Teil der Wasserscheide zwischen der Weißen Elster und
der Eger; der Roten Mulde fließt eine geringe Wassermenge vom
nordöstlichen Ende des Kammes zu.
Von den von diesem Hauptkamme ausgehenden Nebenk'ämmen
seien nur folgende genannt:
Der Floßbach-Raunerbachkamm, der 12 km lang ist, eine Haupt-
richtung von SO nach NW zeigt, und dessen aus 5 Höhenpunkten
berechnete mittlere Gipfelhöhe 611 m, dessen aus 3 Höhenangaben be-
rechnete mittlere Sattelhöhe 575 m, dessen Schartung demnach 37 m
und dessen mittlere Kammhöhe 593 m beträgt;
der Eisenbach-Floßbachkamm, der südwestlich vom Bahnhofe
Oberzwota in südwestlicher Richtung abzweigt und bis zur Mündung
des Eisenbaches eine Länge von 14 km hat. Seine Gipfelhöhe beträgt
619 m, seine Sattelhöhe 574 m, seine Schartung 45 m, seine Kamm-
höhe 597 m ;
der Leibitsch-Schönbachkamm , der bei einer Länge von 15 km
eine Hauptrichtung von NW nach SO (NWjSO = 11 km, N/S = 4 km)
zeigt und eine mittlere Gipfelhöhe von 641 m, eine mittlere Sattelhöhe
von 589 m, also eine Schartung von 52 m und eine mittlere Kamm-
höhe von 615 m hat;
der Zwota-Leibitschkamm mit 23 km Länge in nordwest-süd-
östlicher Erstreckung (NW/SO = 7 km, N/S = 16 km), mit 660 m
Gipfelhöhe, 604 m Sattelhöhe, 56 m Schartung und 632 m mittlerer
Kammhöhe.
Von der Höhe nördlich vom Tannenhause an (Sign. 801,4 m)
*) Sattel von Rohrbach.
*) Paß der Straße von Markneukirchen nach Schönbach in Böhmen.
3) Paß der Straße von Markneukirchen nach Klingenthal.
4) Paß der Eisenbahn zwischen Oberzwota und Markneukirchen.
138 Albert Wohlrab, [42
teilt sich der Kamm in zwei Rücken, deren östlicher die Göltzsch bis
zu ihrer Mündung auf dem linken Ufer begleitet und ihr nur die Bil-
dung kurzer Bäche gestattet, deren westlicher hingegen sich zum Elster-
knie wendet.
Der östliche Rücken, der nach den beiden sein südliches und
sein nördliches Ende krönenden Höhen der Wendelstein-Kuhberg-
rücken benannt werden kann, ist von seinem südlichen Ende an bis
zur Höhe nördlich vom Auerbacher Bahnhof 13 km weit nach Norden
zu, dann aber 22 km weit nach Nordwesten zu gerichtet, hat also
eine Länge von 35 km. Er bildet die Wasserscheide zwischen der
Göltzsch und der oberen Elster. Seine mittlere Gipfelhöhe (556 m)
wurde aus folgenden 13 Höhenangaben berechnet:
Höhe nördlich vom Tannenhaus (der Muldenbrand) . 801 m
„ von Grünbach 708 „
Wendelstein 732 „
Höhe nördlich von Falkenstein 590 „
„ beim oberen Bahnhof Auerbach 555 „
„ östlich von Eich 532 „
Wilhelmshöhe bei Treuen 496 „
Höhe südöstlich von Pfaffengrün 486 „
„ westlich von Pfaffengrün 498 „
„ östlich von Reimersgrün 467 „
Kuhberg bei Netschkau 510 „
Die Sose 460 „
Gipfel des Göltzschberges 390 „
Die mittlere Sattelhöhe (509 m) ergab sich aus folgenden
12 Höhen:
Sattel südlich von Grünbach 695 m
„ nördlich „ „ 697 „
„ „ „ Falkenstein 568 „
„ beim Feldschlößchen bei Reimtengrün . . . 548 „
„ nördlich von Rebesgrün 515 „
„ zwischen Wühelmshöhe und Buch .... 485 „
„ westlich von Buch 464 „
r, südlich von Pfaffengrün 465 „
Bahnhof Herlasgrün 429 „
Sattel südlich vom Kuhberg 445 „
„ von Brockau 433 „
„ „ Kleingera 369 „
Aus der mittleren Gipfelhöhe und der mittleren Sattelhöhe folgt
eine mittlere Schartung im Betrage von 47 m und eine mittlere Kamm-
höhe von 533 m.
Von diesem Hauptkamme zweigt nur ein nennenswerter Neben-
kamm ab, der Frohnbergrücken, der sich zwischen der Trieb und dem
Treuenschen Wasser bis zur Mündung des letzteren in einer Länge
von 14 km hinzieht (SO/NW = 4 km, SW/NO = 3 km, SO/NW = 7 km),
43] Das Vogtland als orographiscbes Individuum. 139
eine Gipfelhöbe vod 572 m, eine Sattelhöhe von 523 m und demnach
eine Schartung von 49 m und eine mittlere Kammhöhe von 547 m
aufweist.
Der westliche der beiden vom erzgebirgischen Grenzkamm ab-
zweigenden Bücken, der mittelvogtländische Rücken, verläuft
in einem nach Süden offenen Bogen nach Westen zum Elsterknie.
Seine Gewässer fließen alle dem rechten Ufer der Elster zu. Seine
ganze Länge beträgt 29 km. Davon sind etwa 20 km nach NW, 9 km
nach SW gerichtet. Seine mittlere Gipfelhöhe (572 m) wurde aus
folgenden 11 Höhen gefunden:
Höhe des Sign. 763,7 nördl. vom Bahnhofe Schöneck 764 m
Eimberg 684 „
Höhe östlich von Pillmannsgrün 655 fl
Die Hohe Reuth 629 „
Höhe der Theumaer Schieferbrüche 558 „
Die Alte Burg bei Obermarxgrün 524 „
Wachhübel . .... 508 ,
Culmberg 515 „
Mohnberg 496 „
Höhe nordöstlich von Taltitz 480 „
„ westlich von Rosenberg 474 „
Die aus folgenden 10 Höhen ermittelte Sattelhöhe beträgt 520 m:
Sattel südlich von Werda 632 m
„ östlich von Kottengrün . . . . 638 „
„ nördlich von Pillmannsgrün . . . 618 „
„ von Lottengrün 539 „
„ „ Obermarxgrün 482 „
„ zwischen Culmberg und Alter Burg 495 „
„ von Oberlosa 462 „
„ * Unterlosa 456 „
„ südwestlich von Meßbach .... 438 „
„ von Rosenberg 438 „
Die Schartung des Rückens beträgt 52 m, die Kaminhöhe 546 m.
Von diesem Rücken gehen zwei bemerkenswerte Seitenrücken aus :
der Eichbergrücken, der von der Höhe der Theumaer Schieferbrüche
in einer Länge von 14 km erst nach Norden und dann nach Nord-
nordwest bis zur Triebmündung sich erstreckt und eine Gipfelhöhe
von 466 m, eine Sattelhöhe von 422 m, also eine Schartung von 44 m
und eine mittlere Eammhöhe von 444 m hat, und der Reusaer Rücken,
der sich 7 km weit nach Norden zu, nach der Friesenbachmündung
hin, erstreckt und eine Gipfelhöhe von 450 m, eine Sattelhöhe von
418 m, mithin eine Schartung von 32 m und eine mittlere Kammhöhe
von 434 m hat.
140 Albert Wohlrab, [44
C. Der südliche Teil.
Der südliche Teil des Vogtlandes hat seine höchste Erhebung
im Kapellenberg (759 m), seinen tiefsten Punkt in der Feilebach-
mündung (363 m).
Der höchste Berg giebt dem Kamme, der die höchsten Höhen
dieses Teiles in sich vereinigt, den Namen Kapellenbergkamm.
Derselbe reicht vom Rohrbacher Sattel bis zum Sattel südwestlich von
Asch, über den hinweg die Straße nach Selb führt. Die Kammlinie
verläuft im allgemeinen vom Rohrbacher Sattel bis zum Kapellenberg
von NO nach SW (11 km), vom Kapellenberg bis zum Ascher Sattel
von SO nach NW (9 km). Der Berechnung der mittleren Gipfelhöhe
(711 m) lagen folgende 10 Höhen zu Grunde:
Galgenberg 638 m
Hengstberg 638 „
Wachtberg 716 „
Höchster Punkt des Donichwaldes . . 746 „
Gipfel westlich von Bärendorf . . . 749 „
Kapellenberg 759 „
Westlicher Gipfel im Elsterwald ... 735 w
Gipfel südlich von Nassengrub . . . 695 „
Lerchenberg bei Asch 736 „
Kegelberg 692 „
Zur Berechnung der mittleren Sattelhöhe (677 m) dienten folgende
11 Höhen:
Sattel zwischen Galgenberg und Hengstberg *) . 608 m
„ „ Hengstberg und Wachtberg8) . 612 „
„ von Oberreuth 3) 684 ,
„ südlich vom Donichwald 722 „
„ von Bärendorf 712 „
„ im Elsterwald 725 „
„ von Himmelreich 685 „
„ „ Nassengrub4) 645 „
„ östlich von Asch 705 „
„ zwischen Lerchenberg und Kegelberg 5) . 678 „
„ westlich vom Kegelberg6) 665 „
Die Schartung dieses Kammes beträgt 35 m, die mittlere Kamm-
höhe 694 m. Das Wasser der nördlichen Abdachung fließt der Weißen
Elster, das der südlichen Abdachung der Eger zu.
*) Paß der Straße von Plauen nach Eger (Paß von Oberbrambach).
*) Paß der Eisenbahn von Plauen nach Eger.
') Paß der Straße von Brambach nach Asch.
4) Paß der Straße vom Staatsbahnhof Asch nach Nassengrub, Wernersreuth,
Niederreuth.
5) Paß der Straße von Haslau nach Asch.
6) Paß der Straße von Selb nach Asch.
45] Das Vogtland als orographisches Individuum. 141
Von diesem Kamme aus geht nach Norden der Baunerbach-
Elsterkamm, der vom Wachtberge aus sich 9 km weit erstreckt mit
einer Gipfelhöhe von 649 m, einer Sattelhöhe von 596 m, einer Schar-
tung von 54 m und einer mittleren Eammhöhe von 622 m. Der gleich-
falls nordwärts gerichtete, 5 km lange Hainbergkamm hat eine Kamm-
höhe von 731 m, die aus der Höhe des Hainberges (757 m) und der
des südlich davon gelegenen Sattels (705 m) berechnet wurde.
Nordwestlich vom Sattel bei Asch, durch den die Straße nach
Selb führt, beginnt der sächsisch-böhmisch-bayrische Grenz-
rücken, der sich 39 km weit nach Nordwesten zu erstreckt, wohei
die einzelnen Strecken des Rückens mehrmals die Richtung wechseln
(SO/NW = 4 km, SW|NO = 1 km, SO/NW = 1 km, SW/NO = 2 km,
S/N = 10 km, O/W 16 km , S;N = 5 km). Aus folgenden 13 Höhen
wurde die mittlere Gipfelhöhe (642 m) berechnet:
Gipfel westlich von Asch 676 m
Raubhäuser Berg 7Ö3 „
Hungersberg 689 „
Köstelauwald . 671 „
Höhe nordwestlich von Galgendorf . . 636 „
Bubenstock 631 „
Platzer Berg 629 „
Höhe von Haselrain ....... 623 „
Galgenberg bei Posseck 615 „
Höhe nördlich von Hasenreuth . . . 611 „
Geifibühl bei Gumpertsreuth .... 586 „
Der Hohe Pohl bei Wiedersberg . . 570 „
Der Berechnung der mittleren Sattelhöhe (610 m) lagen folgende
11 Höhenangaben zu Grunde:
Sattel westlich von Asch1) 660 m
„ von Eilfhausen 662 „
„ „ Thonbrunn 658 „
„ beim Bahnhof Roßbach2) 605 „
„ „ Grenzzollhaus an der Straße von Roßbach nach
Oelsnitz 625 „
„ zwischen Tiefenbrunn und Ebmath 609 „
„ „ Platzer Berg und Höhe von Haselrain ö) . 595 „
„ nordöstlich vom Galgenberg8) 585 „
„ südlich vom Gassenreuth 8) 595 „
„ nördlich von Kirch-Gattendorf3) 570 „
„ südlich vom Hohen Pohl 545 „
Die Schartung dieses Rückens beträgt 32 m, die mittlere Kamm-
höhe 626 m. Der Rücken verläuft von Asch aus mitten durch den
1) Paß der Straße von Asch nach Rehan und der Eisenbahn von Asch nach
Boßbach.
Paß der Straße von Rehau nach Roßbach.
Diese Sättel werden berührt von der Straße Hof-Oelsnitz.
3
142 Albert Wohlrab, [46
gleichnamigen Bezirk nach Norden bis zur sächsischen Grenze und
schlägt dann deren Richtung ein. Er bildet einen Teil der Wasser-
scheide zwischen Elster und Saale. Die Gewässer der nördlichen Ab-*
dachung fließen direkt zur Elster, die der südlichen werden zum
größten Teil von der oberhalb Hof in die Saale mündenden Regnitz
gesammelt.
Wenige Kilometer nördlich vom Anfange dieses Rückens zweigt
in nordwestlicher Richtung der 22 km lange Schwefinitz-Regnitzrücken
ab, der sich zur Regnitzmündung oberhalb Hof hinzieht, wobei er
mehrmals in andere Richtungen Übergeht. Etwa 9 km weit hat er
die Richtung SO/NW, 5 km weit die Richtung N/S, ebensoweit die
Richtung O/W und auf etwa 3 km die Richtung NO/SW inne. Seine
mittlere Gipfelhöhe beträgt 608 m, seine mittlere Sattelhöhe 584 m,.
demnach seine Schartung 24 m und seine mittlere Eammhöhe 596 m.
Der Rücken scheidet die der oberen Regnitz zufließenden Bäche von
den Wässerchen, die zur Schweßnitz eilen, gehört also ganz zum Ge-
biete der Saale.
Wo der sächsisch-böhmisch-bayrische Grenzrticken beim Buben-
stock die südnördliche Richtung verläßt und eine nordwestliche ein-
schlägt, sendet er 6 km weit nach Norden, dann 9 km weit nach Nord-
westen zwischen die Elster und den Triebelbach hinein den Triebelbach-
Elsterrücken, der eine mittlere Gipfelhöhe von 531 m, eine mittlere Sattel-
höhe von 494 m, eine Schartung von 37 m und eine mittlere Kammhöhe
von 513 m aufweist. Wo die nordwestliche Richtung des Hauptrückens
in eine südwestliche übergeht, von der Höhe von Haselrain an, zweigt
nach Norden ein zweiter, 9 km langer Seitenkamm ab, der Triebelbach-
Feilebachrücken , dessen Gipfelhöhe 552 m, dessen Sattelhöhe 518 m,
dessen Schartung mithin 35 m und dessen Kammhöhe 535 m beträgt.
D. Der westliche Teil.
Nördlich vom Sattel von Blosenberg beginnt der westliche Teil
des Vogtlandes, die sächsisch- reußische Hochebene. Die höchste Er-
hebung derselben ist der Rosenpöhl nordwestlich von Mißlareuth (653 m),
ihr tiefster Punkt die Weidamündung (203 m).
Die Haupterhebung dieses Teiles, der reußische Grenz-
rücken, der beim Sattel von Blosenberg beginnt und bis zur Grenze
des Gebietes zwischen dem Auma- und dem Drebabachthale , dem
Sattel der „Auma", südöstlich von der Triangulationsstation von Kleina
(535 m) 55 km lang ist, hat eine nordwestliche Hauptrichtung. Im
einzelnen verläuft der Rücken erst 5 km weit von S nach N, dann
7 km weit von SO nach NW, darauf 3 km weit von W nach 0, hierauf
18 km weit von S nach N, und endlich 22 km weit von SO nach NW.
Aus folgenden 16 Höhen dieses Rückens wurde die mittlere Gipfelhöhe
(567 m) berechnet:
Blosenberg 591 m
Höhe südlich von Heinersgrün ... 578 fl
- nördlich vom Butterhübel . . . 603 „
47] Das Vogtland als orographisches Individuum. 143
Triangulationsstation Kandelstein . . 610 m
Höhe von Mißlareuth 633 „
Windmühle bei Reuth 592 „
Stelzenhöhe 610 „
Höhe westlich von Eornbach . . . . 561 „
„ nordwestlich von Drochaus . . 559 „
Bärenhübel . 552 „
Sandberg 543 „
Höhe nördlich von Lössau 517 „
„ westlich n „ • 503 „
„ östlich „ Oettersdorf . . . 490 „
„ von Dittersdorf 500 „
„ in den Plothenhölzern . . . . 514 „
Die mittlere Sattelhöhe (530 m) ergab sich aus folgenden Hohen:
Sattel südlich von Blosenberg l) . . . • 545 m
„ nördlich „ „ ... 565 „
„ westlich „ Heinersgrün . . . 565 „
Straßenkreuzung zwischen Heinersgrün,
Gutenfürst und Krebes .... 577 „
Brandhaus 585 „
Sattel östlich von Mifilareuth .... 568 „
Straßenübergang beim Bahnhof Reuth . 583 „
Sattel südlich von Kornbach .... 547 „
Bahnhof Schönberg 514 „
Sattel östlich vom Bärenhübel ... 527 „
, zwischen Bärenhübel u. Sandberg 512 „
, südlich von Dröswein .... 485 „
„' westlich von Lössau .... 485 „
„ südöstlich von Oettersdorf . . 485 „
„ östlich des Pörmitzer Teiches . 463 „
„ westlich von den Plothenhölzern 500 „
Sattel, die „Auma" 509 „
Die Schartung des Rückens beträgt 37 m, die mittlere Kammhöhe
549 m. Der Rücken bildet, wie der sächsisch-böhmisch-bayrische
Grenzrücken, einen Teil der Wasserscheide zwischen der Elster und
der Saale. In der Senke „die Auma* machen wir Halt. Wir be-
finden uns auf einer Hochfläche, in deren Bodenform sich die Tektonik
des Gebietes besonders deutlich und eigenartig geltend macht; „es
kommt eine verwickelte Gitterstruktur des Bodens zu stände: es be-
stehen zahlreiche kleine, den Maschen eines Netzes vergleichbare flache
Mulden, in welchen das Wasser sich ansammelt, da der Boden durch
Thonschichten undurchlässig ist; auf solchen Verhältnissen beruht die
Erklärung für das gehäufte Auftreten ungewöhnlich zahlreicher stehender
Gewässer in der Umgegend von Plothen und Knau nordöstlich von
Ziegenrück; Hunderte von meist sehr ansehnlichen Teichen drängen
*) Paß der Straße von Hof nach Plauen (Paß von Ullitz).
144 Albert Wohlrab, [48
sich hier auf engem Räume zusammen** *). — Die Mittellinie der Kulm-
mulde, die ungefähr mit dem Verlaufe des zwischen Auma und Ziegen-
rück gelegenen Teiles der Bahnlinie Triptis-Ziegenrück und mit dem
unterhalb der Stadt Auma gelegenen Teile der Auma zusammenfallt,
bildet die nordwestliche Grenze des in dieser Arbeit mit dem Namen
„Vogtland* bezeichneten Gebietes.
Wo der reußische Grenzrticken zum erstenmal seine Richtung
ändert, erstreckt sich nach Nordosten der Feilebach-Eemnitzbachrücken
in einer Länge von 8 km mit einer Gipfelhöhe von 573 m, einer Sattel-
höhe von 485 m, einer Schartung von 88 m und einer Eammhöhe von
529 m.
Oestlich von Mißlareuth zweigt sich in der Hauptsache in süd-
östlicher Richtung der Schwander Rücken ab mit einer Länge von
11 km, einer Gipfelhöhe von 541 m, einer Sattelhöhe von 513 m, mithin
einer Schartung von 28 m und einer Eammhöhe von 527 m.
Nach der Saalecke bei Blankenstein zieht sich von der Höhe von
Mißlareuth aus ein 22 km langer Seitenkamm, der Tannaer Rücken,
der erst 2 km weit nach Westen, dann 5 km weit nach Norden, die
übrige Strecke von 15 km aber nach Südwesten zu verläuft. Er hat
eine Gipfelhöhe von 608 m, eine Sattelhöhe von 581 m, demnach eine
Schartung von 27 m und eine mittlere Eammhöhe von 595 m.
Die von diesem Rücken westlich von Mißlareuth eingeschlagene
nördliche Richtung verfolgt der Wetterau-Wiesenthalrücken weiter,
der zwischen der Wetterau und der Wiesenthal sich zur Mündung
der Wiesenthal hin 26 km weit erstreckt. Er verfolgt erst die Richtung
nach Norden (8 km weit), dann nach Westen (7 km weit), dann nach
Nordwesten (10 km weit). Seine Gipfelhöhe beträgt 541 m, seine Sattel-
höhe 522 m, seine Schartung 19 m, seine Eammhöhe 532 m.
Von der Höhe von Drochaus aus (Sign. 559,3 m) zieht der Elster-
Weidarücken erst 4 km weit nach Osten, dann 36 km weit nach
Norden der Weidamündung zu. Er hat eine Gipfelhöhe von 441 m,
eine Sattelhöhe von 418 m, eine Schartung von 23 m und eine Eamm-
höhe von 430 m. Zwischen Syra und Rosenbach hinein sendet er in
südöstlicher Richtung den 12 km langen Syra-Rosenbachrücken , der
eine Gipfelhöhe von 491 m, eine Sattelhöhe von 467 m, eine Schartung
von 23 m und eine Eammhöhe von 479 m aufweist.
E. Berechnung der Hittelwerte. Vergleiche.
Wenn im vorstehenden bei den einzelnen Höhenrücken der Ver-
lauf ihrer Richtung und die Länge desselben angegeben wurde, so
sollte damit das Material zur Feststellung der vorherrschenden
Richtung geliefert werden. Zu letzterem Zwecke wurden in Tabelle II
die Eämme und die Längen ihrer Erstreckungen nach den vier Haupt-
richtungen zusammengestellt. Bei der Berechnung des Gesamtergeb-
nisses wurden die Summen der Richtungslängen der Hauptkämme von
J) Regel, Thüringen, I, S. 37.
I
I
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5
i
5
•5 s
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1 2
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1
2
£
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B
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49]
Das Vogtland als orographisches Individuum.
Tabelle II.
145
Länge der Erstreckimg (km) nach
Bezeichnung des Kammes
(Rückens)
N/S
NW/SO
W/O
SW/NO
1.
la.
Ib.
lc.
Id.
2.
2a.
3.
3a.
8b.
4.
4a.
4b.
5.
5a.
5b.
5c.
6.
6a.
6b.
7.
7a.
8.
8a.
Erzgebirgischer Grenzkamm
Floßbach-Raunerbachkamm
Eisenbach-Floßbachkamm .
Leibitsch-Schönbachkamm
Zwota-Leibit8chkamm . <<
Wendelstein-Knhbergriicken
Frohnb ergrücken ....
Mittelvogtländischer Rücken
Eichbergrücken ....
Reusaer Rücken ....
Kapellenbergkamm . .
Raunerbach-Elsterkamm
Hainbergkamm . . .
Sächs.-böhm.-bayr. Grenzrücken
Seh wefinitz- Regnitzrücken
Triebelbach-Elsterrücken .
Triebelbach-Feilebachrücken
Reiiiischer Grenzrücken .
Feilebach- Kern nitzbach rücken
Schwander Rücken . . .
Tannaer Rücken ....
Wetterau-Wiesenthalrticken
Elster- Weidarücken .
Syra-Rosenbachrücken . .
Summen der Richtungslängen
Hauptkämme ....
Summen der Richtungslängen
Kämme
der
aller
4
16
13
14
7
9
5
15
5
6
5
8
36
92
175
16
12
11
7
22
11
20
29
11
10
12
101
193
16
5
2
7
4
25
37
14
14
11
8
15
52=270km
80=485 km
denen aller Kämme (Haupt- und Nebenkämme) geschieden. Zeigt das
Ergebnis auch nicht genau dieselben Verhältnisse der vier Zahlen zu
einander, so ist doch daraus zu ersehen, daß die vorherrschende Rich-
tung der Kämme die von NW nach SO ist. Nächst dieser, ja ihr an
Länge der Erstreckung nur wenig nachstehend, tritt die Richtung von
N nach S auf, während die Richtung von SW nach NO der Kilometer-
zahl nach nur halb so stark vertreten ist, die Richtung von W
nach 0 aber selbst gegen die letztere noch bedeutend zurücktritt.
Entsprechend den hydrographischen Verhältnissen, die zwei deut-
lich erkennbare Hauptquellgebiete aufweisen, den Schönecker Wald
und die Gegend von Mißlareuth-Tanna, zeigt auch die Anordnung der
Kämme zwei Zentren, die mit den beiden Hauptquellgebieten zusammen-
fallen.
Um die Höhenverhältnisse des Gebietes „durch einige leicht über-
schaubare Zahlen zu kennzeichnen und damit der Vergleichung der
Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde« XII. 8. 10
146
Albert Wohlrab,
[50
Einzelgebilde und ihrer Teile untereinander größeren Vorschub zu
leisten, als es durch eine Beschreibung geschehen kann"1), stellt
Tabelle III die Durchschnittswerte2) der besprochenen Höhen-
Tabelle III.
&
19
•9 N
Bezeichnung des Kammes (Rückens)
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n.ra z a)
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1.
la.
Ib.
lc.
Id.
2.
2a.
3.
3a.
3b.
4.
4a.
4b.
5.
5a.
5b.
5c.
6.
6a.
6b.
7.
7a.
8.
Erzgebirgiscber Grenzkamm . . .
Floßbach-Raunerbachkamm . .
Eisenbach-Floßbachkamm . . .
Leibitsch* Schönbachkamm . . .
Zwota-Leibitschkamm ....
Wendelstein-Kuhbergrücken . . .
Frohnbergrücken
Mittelvogtländischer Rücken . . .
Eichbergrücken
Reusaer Rücken
o-a- ™: lÄ^benkamn!e
Kapellenbergkamm
Raunerbach-Elsterkamm . . .
Hainbergkamm
Sächs.-böhm.-bayr. Grenzrücken
Schwefinitz-Regnitzrücken . . .
Triebelbach-Elsterrücken . . .
Triebelbach-Feilebachrücken . .
Südl. Teil: SauPLU' Nebenkämme
Hauptkämme ....
Reußischer Grenzrücken ....
Feilebach-Kemnitzbachrücken
Schwander Rücken
Tannaer Rücken
Wetterau-Wiesenthalrücken . .
Elster- Weidarücken
Syra-Rosenbachrücken ....
Westl.Teil:gauPLu- Nebenkämme
Hauptkämme ....
Das ganze (Haupt- u. Nebenkämme
Gebiet VHauptkämme ....
km
30
12
14
15
23
35
14
29
14
7
193
94
20
9
5
39
22
15
9
119
59
55
8
11
22
26
40
12
174
117
486
270
m
735 (10)
611 (5)
619 (4)
641 (7)
660 (10)
556 (13)
572 (4)
572 (11)
466 (6)
450 (4)
594
617
711 (12)
649 (2)
757 (1)
642 (13)
608 (12)
531 (10)
552 (5)
632
665
567 (16)
573 (4)
541 (6)
608 (10)
541 (10)
441 (9)
491 (6)
533
533
581
591
677 (10)
575 (3)
574 (2)
589 (5)
604 (6)
509 (12)
523 (3)
520 (10)
422 (5)
418 (4)
555
565
677 (11)
596 (2)
705 (1)
610 (11)
584 (9)
494 (9)
518 (3)
598
632
530 (17)
485 (2)
513 (5)
581 (6)
522 (6)
418 (10)
467 (5)
502
503
547
553
m
58
37
45
52
56
47
49
52
44
32
39
52
35
54
52
32
24
37
35
34
33
37
88
28
27
19
23
23
81
30
34
38
m
706
593
597
615
632
533
547
546
444
434
575
591
694
622
731
626
596
513
535
615
649
549
529
527
595
532
430
479
518
518
564
572
*) H. Wagner, Lehrbuch der Geographie, 6. Aufl., 1896, S. 372.
2) Bei der Berechnung derselben wurde nach dem Beispiele v. Sonklars
(Allgemeine Urographie, 1873, S. 177) verfahren, indem die mittleren Höhenwerte
der Einzelkämme mit ihren Kammlängen multipliziert und die Summe der Produkte
jedes Teiles und schließlich des ganzen Gebietes durch die Summe der jeweiligen
Kammlängen dividiert wurden.
51]
Das Vogtland als orographisches Individuum.
147
rücken zusammen, giebt ferner die aus denselben berechneten Werte
für die drei Teile des Gebietes und endlich für das ganze Gebiet selbst,
wobei, wie in Tabelle II, die aus den Werten der Hauptkämme be-
rechneten Durchschnittswerte noch besonders angegeben sind.
Geben die so gefundenen Mittelwerte schon hinreichendes Material,
um die Höhen Verhältnisse der drei Teile des Gebietes miteinander und
die des gesamten Gebietes mit denen benachbarter zu vergleichen, so
erübrigt es noch, eine Zahl hinzuzufügen, welche die mittlere Höhe
der ganzen Gebirgsmasse in sich zusammenfaßt, die mittlere See-
höhe. Diese wurde gefunden, indem die Flächeninhalte der Höhen-
schichten der drei Teile auf den oben (siehe S. 103 [7], Anm. 6)
bezeichneten Karten in Abständen von 100 zu 100 m mittels eines
Amslerschen Planimeters ausgemessen l) und daraus die Volumina der
drei Gebietsteile und des ganzen Gebietes berechnet wurden. Der
V
Quotient -~- (V = Volumen, G = Grundfläche) ergab dann die mittlere
Seehöhe des Gebietes und seiner drei Teile. Die Flächeninhalte der
Höhenschichten giebt Tabelle IV , die Berechnung der Volumina
Tabelle V.
Tabelle IV.
Flächeninhalte der Höhenschichten in qkm.
Höhenschicht 200-300
300-400
400-500
500-600
600-700 700-800
800-900
Summe
Oestl. Teil .
Südl. Teil .
Westl. Teil.
Vogtland . .
3,24
28,19
31,43
66,88
3,73
327,82
398,43
245,92
71,88
520,27
838,07
255,06
321,99
291,15
868,20
125,79
130,32
19,16
275,27
63,77
7,66
71,41
0,35
0,35
761,01
535,58
1186,53
2483,12
Eine Zusammenstellung aller berechneten Mittelwerte des Vogt-
landes und seiner drei Teile giebt Tabelle VI.
Nach derselben weist der südliche Teil die größten mittleren
Höhenwerte auf. Seine mittlere Schartung jedoch ist geringer als die
des östlichen Teiles. Der östliche Teil hat zwar im Ursprungberg
(818,9 m) die höchste Erhebung des ganzen Gebietes, und der erz-
gebirgische Grenzkamm zeigt unter allen Hauptkämmen die größte
mittlere Kammhöhe (vgl. Tabelle III; die größte mittlere Kammhöhe
überhaupt hat der nur 5 km lange Hainbergkamm, der aber dem
sechsmal so langen Hauptkamm gegenüber gar nicht in Betracht
0 Die Flächeninhalte der zwischen zwei Isohypsen (100 : 100 m) gelegenen
Höhenschichten wurden mittels des Amslerschen Polarplan imeters Nr. 576 von
A. Ott in Kempten gemessen. Einer Anregung Hammers in Behms Geogr.
Jahrbuch (1894, S. 85) folgend, wurde der für ein Kartenblatt gefundene Flächen-
inhalt verglichen mit dem entsprechenden Teile des Inhaltes eines Gradtrapezes
(Geogr. Jahrb. 1890) und der gefundenen Differenz entsprechend korrigiert. Ein
anderer Modus der Kontrole bestand in der planimetrischen Bestimmung des In-
haltes einer gewissen Anzahl von Quadraten eines Millimeterpapiers.
148
Albert Wohlrab,
Tabelle V.
Volum berech nung1).
[52
s
Oestlicher Teil
Südlicher Teil
Westlicher Teil
i!
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II
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O
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CO
200-300
300-400
400-500K),
500-600
600-700
700-80Ö
800-90Q
km
0,2787
0,35
i,45
0,55
0,65
0,75
0,8095
qkm
3,24
66,88
245,92
255,06
125,79
63,77
0,35
cbkm || km
0,9030'| —
23,664flp,3819
110,6640J0,45
140,2830|
0,55
81,76350,65
47,8275
0,2833
0,7296
qkm
3,73
71,88
321,99
130,32
7,66
cbkm |; km
— 0,2771
1,4244J0,35
32,34601
177,0945
0,45
0,55
84,7080 0,6255
5,5887 —
qkm
28,19
327,82
520,27
291,65
19,16
cbkm
7,8114,
114,7370
234,1215
160,1325
12,0037
cbkm
8,7144
139,5694
377,1814
477,5100
178,4752
53,4162
0,2
~ II - 1761,01
405,1323' —
535,581301,1616!
1186,53|528,8061l|1235,1000
(des östlichen Teiles = 405,1323 : 761,01 = 0,532 km = 532 m
, südlichen , = 301,1616 : 535,58 = 0,562 „ = 562 ,
, westlichen , = 528,8061:1186,58 = 0,446, =446,
des Vogtlandes .- . = 1235,1000 : 2483,12 = 0,494 , = 494 m
Tabelle VI2).
Summe
aller
Kamm-
längen
Mittlere
Gipfel-
höhe
Mittlere
Sattel-
höhe
Mittlere
Schaltung
Mittlere
Kamm-
höhe
Mittlere
Seehöhe
Oestlicher Teil . .
Südlicher Teil . . .
Westlicher Teil . .
Vogtland
km
193 (94)
.119(59)
174 (117)
486 (270)
m
594(617)
632 (665)
533 (533)
581 (591)
m
555 (565)
598 (632)
502 (503)
547 (553)
m
39 (52)
34 (33)
31 (30)
34 (38)
m
575 (591)
615 (649)
518 (518)
564 (572)
m
532
562
446
494
kommt); allein da dieser Gebietsteil nach Norden und Nordwesten zu
sich ganz bedeutend senkt, so ergab sich für ihn eine 40 m niedrigere
Kammhöhe, dagegen eine wenn auch nur wenig größere Schartung.
Die geringste Schartung weist der westliche Teil auf, der überhaupt
die niedrigsten Durchschnittswerte zeigt. Ueber die Hochfläche er-
heben sich nur flache Buckel. Erst am Rande des Plateaus, wo die
Thäler der Elster und der Saale sich einschneiden, finden sich auf-
fallende Höhenunterschiede. Zahlenmäßig darstellen läßt sich dieser
Höhenunterschied durch einen Vergleich der Werte des Gebietsteiles
mit denen der ihm angehörigen Thäler, besonders mit den Höhen der
Thalenden.
r) Ueber das Verfahren vgl. Neumann, Orometrie des Schwarzwaldes,
S. 40. — Burgkhardt, Das Erzgebirge, S. 82. 83.
s) Die in Klammer ( ) beigefügten Zahlen sind die Werte der Hauptkämme.
53]
Das Vogtland als omographisches Individuum.
149
unsere Zusammenstellung der Durchschnittswerte des Vogtlandes
wird nur dann ihren Zweck ganz erfüllen, wenn wir die gefundenen
Mittelwerte noch in Vergleich bringen mit denen benachbarter
Gebiete. Dies geschieht in Tabelle VII, wo die in Tabelle VI für
das Vogtland berechneten Werte verglichen werden mit denen des
Thüringerwaldes, des Erzgebirges und des Fichtelgebirges. Freilich
wird die Vergleichbarkeit der Zahlen sehr beeinträchtigt durch die
verschiedenen Methoden ihrer Ermittelung.
Tabelle VII.
Mittelwert
■
Thüringer-
wald1)
Fichtel-
gebirge2)
Vogtland
Erzgebirge8)
Mittlere Gipfelhöhe ....
Sattelhöhe ....
„ Schaltung
„ Eammhöhe ....
„ Seehöhe
765,66
725,6
51,03
740,63
531,75
866
810
678
581
547
34
564
494
877,77
810,81
66,86
844,24
565,17
Die Tabelle zeigt das Vogtland als ein Gebiet , das auffallend
geringere Mittelwerte hat als seine Nachbargebiete; sie zeigt das Vogt-
land als die öebirgslücke zwischen dem Thüringerwald und dem Erz-
gebirge und als das niedere Vorland des Fichtelgebirges.
l) Stange, Orometrie des Thüringerwaldes. Halle 1885, S. 11. 44.
») Gümbel, Fichtelgebirge, S. 22.
8) Burgkhardt, Erzgebirge, S. 21. 83.
III. Teil.
Der landschaftliche Charakter des Yogtlandes.
1. Das Schiefer-Diabasgebiet.
A. Das Höhenbild.
Schon aus den orometrischen Werten des Vogtlandes geht sein
Charakter als Hochfläche hervor; beträgt doch der Unterschied zwischen
seiner mittleren Seehöhe und seiner mittleren Kammhöhe nur 80 m,
während er beim Erzgebirge 280 m, beim Thüringerwald 208 m aus-
macht (vgl. Tabelle VII). Diese orographischen Verhältnisse sind be-
gründet in den geologischen. Die Darstellung der letzteren zeigte,
daß das Vogtland zu den (in geologischem Sinne) älteren Gebieten
gehört, deren Gebirgsfalten durch langandauernde Verwitterung, Ero-
sion und Denudation abgetragen wurden. „Setzt sich diese Ab-
tragung durch lange Perioden fort, so verfallen die Gebirge dem
Schicksale der Vernichtung und Nivellierung. Sie werden zu flach-
welligen Plateaus und Hügelländern, zu Rumpfgebirgen, welche nur
noch durch ihre komplizierte innere Tektonik auf ihre einstige
Natur als hohe Faltengebirge hinweisen1)." »Es entspricht der Art
der Entstehung und späteren Durchfurchung der Rumpfgebirge, daß ab-
geflachte und sanft gewölbte Formen in ihnen vorwalten. Es fehlen
schroffe Gipfel: die Kämme bieten einfache Profillinien, da die Höhen
von Gipfeln und Pässen wenig von einander abweichen2)/ RatzeP)
faßt das Wesentliche derartiger Landschaften, wie sie fast alle deut-
schen Mittelgebirge aufweisen, zusammen in den Satz: „Die deutschen
Mittelgebirge sind charakterisiert durch eine Gleichmäßigkeit der Er-
hebung, die weniger spitze Gipfel und scharfe Kämme als flache Kuppen
und breite Rücken schafft." Aus diesen allgemeinen Erörterungen läßt
sich schon ermessen, welchen Charakter die Landschaft des Vogtlandes
aufweist.
Einigermaßen läßt sich derselbe schon erkennen, wenn man mit
der Eisenbahn von Hof nach Reichenbach fährt. Gewährt doch eine
*) Credner, Lehrb. d. Geologie, S. 176.
2) v. Richthofen, Führer f. Forschungsreiaende, S. 671.
8) Ratzel, Die deutsche Landschaft. Deutsche Rundschau, 1896, III, S. 355.
551 Albert Wohlrab, Das Vogtland als orographisches Individuum. 151
solche Fahrt nicht bloß Fernblicke über die Hochfläche hinweg,
sondern von den Thalüberbrückungen aus auch Einblicke in die Thal-
landschaften. Auf dem größten Teile der Strecke ist freilich die Hoch-
fläche arm an Abwechslung, und der Zug saust mit derselben Ge-
schwindigkeit auf derselben dahin wie in der Leipziger Ebene. Das
landschaftliche Bild ist im allgemeinen ein einförmiges. Besteigen wir
nahe der Station Gutenfürst den Eandelstein oder nahe der Station
Reuth die Stelzenhöhe, die beide gleich hoch und beide Triangulations-
Stationen sind, beide dem langgestreckten und breiten Höhenzug an-
gehören, den wir als den reu&ischen Grenzrücken1) bezeichnen, und
die beide umfängliche Rundsichten bieten, so schweift unser Blick un-
gehindert nach allen Himmelsrichtungen hin über flache Mulden und
sanfte Erhebungen. Bis nach Hof hinein, wo der Turm auf dem
Labyrinthenberg einen guten Orientierungspunkt abgiebt, dehnt sich
die Hochfläche aus. Eine Bodenwelle erhebt sich hinter der anderen
mit derselben Gleichförmigkeit wie die vorhergehende, nirgends bietet
sich dem Auge ein auffallender Ruhepunkt, nirgends eine die Land-
schaft beherrschende Erhebung. „Es herrscht eine Gleichmäßigkeit,
die trotz des steten Wechsels ermüdet14 2). Ganz in der Ferne erst
wird das Rundgemälde abgeschlossen, im S und SW von den Berg-
häuptern des Fichtelgebirges und Franken waldes, im Osten durch die
dunkel bewaldeten Höhen des westlichen Erzgebirges und östlichen
Vogtlandes, während nach den anderen Richtungen hin ferner gelegene
Bodenwellen von geringer Höhe den Blick begrenzen. Liebe 3) schreibt
von dem reußischen Oberlande, dessen größerer, diesseits der Saale ge-
legener Teil dem in dieser Arbeit als Vogtland bezeichneten Gebiete
angehört, es „macht von irgend einer der hervorragendsten Höhen aus
gesehen den Eindruck, als sei es einst flüssig gewesen und als seien
die Wellen dieses Meeres dann plötzlich erstarrt. Es scheint, als ob
oben ein Südostwind über ein Meer geweht und als ob dann plötzlich
die ganze Wassermasse mit ihren Wellen versteinert sei." Vollständig
und allenthalben trifft dieses Bild freilich nicht zu und kann leicht zu
der Annahme verleiten, als ob die in dieser Hochfläche auftauchenden
Höhen alle lange, zusammenhängende Rücken bilden.
Dies ist nicht der Fall, sondern die stumpfen, breiten Rücken
sind fast alle kurz. Auf ihnen erheben sich häufig Buckel von geringer
Höhe oder rundliche Felskuppen oder auch schroffe, zackige Felsrippen.
Oft treten mitten im Felde an den Höhen kleine Felshöcker unver-
mittelt auf und machen sich durch ein wenig Buschwerk noch besonders
bemerklich. Die steileren Felskuppen, die das nackte Gestein zu Tage
treten lassen, zeigen unterhalb ihres Gipfels abgewitterte Blöcke und
Schutt. Diese Kuppen sind oft in Reihen angeordnet, eine Folge der
oben besprochenen Schichtenfaltungen. Jedoch ist die Reihenbildung
nicht die Regel, und eine fast wirr zu nennende Anordnung bewirkt im
Verein mit den tief eingeschnittenen Thälern, daß das Ganze den Ein-
*) Siehe S. 142 [46] ff.
2) Gümbel, Fichtelgebirge, S. 14.
3) Brückner, Landeskunde von Reufi j. L., S, 24
152 Albert Wohlrab, ' [56
druck des Unruhigen, Zerrissenen macht. Vor allem ist dies der Fall
im mittleren Teile des Vogtlandes, der umgrenzt wird durch die Orte
Jocketa, Thoßfell, Theuma, Görnitz, Bobenneukirchen, Kemnitz, Leub-
nitz, Jößnitz. Zwischen den niedrigen Kuppen und flachen Hügelrücken
liegen kleine, sanft geschwungene Hochflächen. Einen Ueberblick über
dieses Gebiet erhalten wir auf der Höhe des Eemmlers bei Plauen
oder zum Teil auch von einer der Höhen aus, die links der Elster
unterhalb Oelsnitz sich erheben, oder auf dem neuerdings gleich dem
Kemmler mit einem Turme gekrönten Eisenberge bei Jocketa, welcher
zugleich die Thallandschaften der unteren Trieb und eines Teils der
Elster schauen läßt. Die gleichen Verhältnisse treffen wir an in der
Gegend zwischen Schleiz und Weida.
Diese Buckel, Küppen, Felshöcker, Felsrippen bauen sich auf entweder
aus Quarziten oder Kieselschiefer oder Diabas oder Diabasbreccie, also
aus Gesteinen, die der Verwitterung länger widerstehen als die Schiefer,,
denen sie eingelagert sind. Die Mannigfaltigkeit der hier auftretenden
Schichtenstörungen trägt nicht wenig zu ihrer Bildung bei.
An Erhebungen, die aus Quarziten und quarzitischen
Schiefern aufgebaut sind, ist besonders der Osten des Vogtlandes
reich. Dies beweisen die verschiedenen „ Steine a in der Gegend von
Schöneck, der Friedrichstein, der Königstein, der Bettelstein, die Brand-
steine, der Wendelstein bei Falkenstein mit seinen Nachbarn, wie der
Behhübel bei Grünbach, der große Rinnelstein, der kleine Affenstein
und der Löcherstein, die alle mehr oder minder scharfkantige, vom
Wetter zerfetzte Felsen darstellen und alle dem Quarzitzuge angehören*
der einen großen Teil des Wendelstein-Kuhbergrückens aufbaut. Oest-
lich von Markneukirchen bilden jenseits der böhmischen Grenze Quarzit-
schiefer und Quarzite den „zackigen, ruinenhaft gestalteten Kamm" de»
Hohen Stein; andere, der Verwitterung größeren Widerstand entgegen-
setzende Quarzite ragen als klippenartige Felsmauern über die leicht
zerstörbaren, weichen Phyllite empor, so am Glasberge und am Schönauer
Berge bei Graslitz, oder erheben sich als buckelartige Hervorragungen
über ihre Nachbarschaft.
Eine ähnliche Funktion haben die Hornblendegesteine in derselben
Gegend. „Die der unteren Zone der oberen Phyllitstufe seh warmartig
eingeschalteten Einlagerungen von Hornblendegesteinen machen sich
topographisch deutlich bemerkbar, indem sie sich in Form von Buckeln,
zinnenartigen oder bankförmigen Felsriffen über das benachbarte Phyllit-
terrain erheben, wie dies am Goldberge, am Grünberge und im Ruh-
städter Thale der Fall ist1)/
Zeigen die Quarzite nicht selten schroffe Formen, so bilden die
Kieselschiefer hingegen gern sanfte Hügel und Bücken. Solche
treten zahlreich auf in der Mitte des Vogtlandes, bei Kürbitz, Thier-
garten, Thoßfell, Pohl, Ruppertsgrün, im Westen bei Mühltroff, Tanna,
Langgrün, Gottliebsthal, im Süden zwischen Oelsnitz und Hof, bei
Haselrain, Kirch- und Neu-Gattendorf, Nentschau, Ramoldsreuth.
Diabas und Diabasbreccien bauen die charakteristischen, abge-
l) Erl. z. Sekt. Zwota*, S. 16.
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57] Da* Vogtland als orographisches Individuum. 153
rundeten Kuppen bei Plauen auf, besonders diejenigen zwischen Plauen
und Thiergarten, die felsigen Hügelzüge zwischen Meßbach und Taltitz,
zwischen Geilsdorf und Schwand, die schöne, runde Kuppe des Eichelberges
bei Ruderitz, die Ruderitzberge, die Platten, die Höhe des Kandelsteines,
den Burgstein, die Höhen des sächsisch -bömisch- bayrischen Grenz-
rückens zwischen Wiedersberg und Haselrain, die Kuppen bei Gans-
grün und Herlasgrün, den Eisenberg bei Jocketa, ebenso aber im Nord-
westen des Vogtlandes viele von den Höhen, die sich von der Saale
unterhalb Saalburg an über Schleiz hin nach der Weida und an dieser
entlang erheben (bei Kirschkau, Göschitz, Weckersdorf, Quingenberg,
Weißendorf, Dörtendorf u. a. 0.). Auch die cambrischen Schalsteine
bei Untertriebel und Oberhermsgrün heben sich infolge ihrer größeren
Widerstandsfähigkeit gegen die Verwitterung in Form kleiner Hügel
heraus.
Oestlich von Markneukirchen bringen zwei Basaltvorkommen, die
„Kegel* bei Erlbach, neue Formen in das Landscbaftsbild.
Im mittleren Teile des Vogtlandes überwiegt im Landschaftsbilde
das Ackerland. Wald bedeckt nur die durch diese Bedeckung noch
deutlicher hervortretenden Erhebungen; zuweilen tritt an die Stelle des
Waldes nur ein kleines, aus niedrigem Gestrüpp bestehendes Gehölz.
So wechseln Feld und Wald miteinander ab, wenn auch das erstere
überwiegt. Zu dem Dunkelgrün des Waldes und dem Braun (im Ge-
biete des Diabases) oder Grau (im Kieselschiefergebiet) des Ackerlandes
gesellt sich noch das helle Grün der in den flachen Mulden gelegenen
Auen, aus denen hier und da ein oder mehrere stille Weiher herüber-
blinken. Einzelne Büsche und Baumgruppen bringen ein weiteres
Moment der Abwechslung in das Bild der Landschaft, über der nur
den kleineren Teil des Jahres hindurch ein heiterer Himmel sich spannt,
während im größeren Teile der Zeit Wolken das Bild verdüstern und
ihm einen ernsten Charakter verleihen. Große Waldbestände bilden
den fernen dunklen Hintergrund zu dem Bilde und schließen dasselbe
am Horizonte ab.
Verkünden die Aecker das Walten des Landmannes, des ersten
Bezwingers des Bodens, dessen Wohnorte sich in den flachen Mulden
zwischen kleinen Bodenerhebungen ausbreiten oder auch überragt von
einem einfachen, weißgetünchten Kirchlein von den Höhen selbst her-
niederschauen, oder auch ihre Lage inmitten einer Thalweitung oder
am Gehänge eines der engen Thäler durch die von dorther aufsteigen-
den Rauch Wölkchen bekunden, so verraten die auf den Höhen bin oder
über sie hinweg führenden, deutlich sich vom Horizonte abhebenden
Baumreihen (meist Vogelbeereschen) das Vorhandensein zahlreicher
Straßen, die charakteristischen langen Rauchwolken der Lokomotiven
die modernen Verkehrswege der Eisenbahn, sowie der über manchen
Stellen des Landscbaftsbildes schwebende rußige Dunst als Wahrzeichen
der Industriestätten die Richtung, in der wir gewerbreiche Orte zu
suchen haben, deren hochgelegene Fabriken ihre Schlote weithin
schauen lassen (Treuen, Netzschkau, Reichenbach, Falkenstein).
Am freundlichsten erscheint jedenfalls das Bild, wenn um die
Zeit der Sommersonnenwende die grünen Saatfelder wogen, wenn im
154 Albert Wohlrab, [58
Felde der rote Klee, am Feldraine der gelbe Besenstrauch und am
Wegesrande die wilde Rose blüht, wenn sich neben dem Kraut- und
Kartoffelacker, der noch die nackte Erdscholle sehen läßt, ein dichter,
farbenreicher Wiesenteppich ausbreitet und die Lerche ihre Kreise über
der Flur zieht. Am ödesten ist der Eindruck der Hochfläche, wenn
im Spätherbst der Wind über die Stoppeln saust. Zwar fehlt es auch
dann nicht an Farben; an der Vogelbeeresche (Sorbus aucuparia) glühen
die Doldentrauben der roten Früchte, der Rosenbusch zeigt an seinen
Hagebutten die gleiche Farbe, am Waldrande und auf der kahlen
Kuppe verblaßt die blühende Heide, Kartoffelfeuer senden ihren bläu-
lichen Rauch empor; allein über dem allen schwebt ein grauer Himmel,
und den Wanderer überkommt schneller und leichter denn anderwärts
und zu anderer Zeit das Gefühl der Einsamkeit. Ist aber im Winter
die weite Fläche bedeckt mit einer dicken Schneedecke, über die sich
einzelne Bäume in der Landschaft gespensterhaft erheben und zu der
der dunkle Wald einen scharfen Kontrast bildet, dann überwiegt der
Eindruck der weichen Formen, die sich als Folge der ausgleichenden
Wirkung des Schneefalles einstellen *).
B. Das Thalbild.
Wie es wohl im deutschen Mittelgebirge überhaupt Regel ist,
daß wir kühne Landschaftsformen seltener auf den Höhen finden als
in den Thälern, so auch im Vogtlande. „In diesen Hochebenengebirgen
bringt die Erhebung immer nur Enttäuschung, statt neue Eindrücke
zu erschließen. An ihrem Fuß stehen wir staunend vor den kühnen
Felsenwänden. Wir klimmen, wo die Nahe, die Lahn, die Mosel, der
Rhein sich ihre Wege durchgebrochen haben, irgend einen verlorenen
Steig empor, der einmal ein Burgweg war und nun zu einem Winzer-
häuschen führt, wir glauben endlich von dem höchsten Punkte eine
weite Umschau zu gewinnen, und was sehen wir? Eine weite Fläche
mit mageren Aeckern und dünnem Wald, eine Hochebene mit Spuren
rauhen Klimas, die in jeder Beziehung scharf sich abhebt von dem
Thale, welches in sie eingesenkt ist: Dieses geschützt, mild und reich
in seinen steilen Wänden ruhend, der Sitz des blühenden Lebens einer
dichten Bevölkerung; jene, eine hochgelegene Ebene, das Spiel aller
der von dort ausgeschlossenen Winde, mit dünnem Wald und weitem
Moor dem Menschen eine rauhe Heimath 2).a Was hier Ratzel von
den Hochebenen und den in sie hineingeschnittenen Thälern des rheini-
schen Schiefergebirges schreibt, trifft mit wenigen Abänderungen auch
im Vogtlande zu.
In den Thälern half das Wasser Formen schaffen, die im Verein
mit der sie umhüllenden Pflanzenwelt und mit dem ruhelosen, plätschern-
den und schäumenden Bach oder Fluß „eine merkwürdig anmutige
*) Vgl. Ratzel, Die Schneedecke. Forschungen zur deutschen Landes- u.
Volkskunde, Bd. IV, 2, 1890, S. 116. — Ratzel, Deutschland, 1898, S. 179.
2) Ratzel, Die deutsche Landschaft, S. 357.
59] Das Vogtland als orographisches Individuum. 155
Landschaft, der auch das Großartige nicht fehlt44 *), zwischen den Hoch-
flächen hervorzaubert. Im Schiefer-Diabasgebiet des Vogtlandes sind
die Thallandschaften im allgemeinen überall dieselben. Die Bilder, die
das Elsterthal bietet, wiederholen sich im kleinen in seinen Neben-
thälern. Durchwandern wir einmal den in das Gebiet des Vogtlandes
fallenden Teil des Elsterthaies!
Oberhalb der sächsischen Grenze tritt die Elster in das Gebiet
der alten Schiefer ein und bildet bis Bad Elster ein enges Wiesenthal,
das auf der Ostseite von waldigen Höhen begleitet wird, während auf
der Westseite der Boden unter dem Pfluge steht. In Bad Elster selbst
erweitert sich das Thal kesselformig durch Aufnahme eines von Westen
her sich öffnenden kleinen Seitenthaies. Die Breite des Thaies nimmt
nach Aufnahme des Raunerbaches noch zu und gewährt an der Mün-
dung des Schwarzbaches Raum für die Stadt Adorf. Unterhalb der-
selben, .wo die Elster in das Gebiet des Cambriums eintritt, fließt sie
in einer bis zu einem Kilometer breiten Thalaue in unzähligen kleinen
Windungen, begleitet von einer Landstraße und von einer Eisenbahn,
bis Oelsnitz hin. Hier erweitert sich das Thal beträchtlich. Außer
•der Aufnahme des Gerberbaches trägt zu dieser kesselartigen Er-
weiterung der Umstand bei, daß hier die Elster ihre Richtung wechselt;
sie geht von der nordwestlichen zu einer fast westlichen Richtung über.
In der Thalweitung und an den sanft ansteigenden Anhöhen breitet
sich die Stadt Oelsnitz aus, deren zweitürmige Hauptkirche nach beiden
Richtungen hin in das Thal hineinschaut.
Etwa drei Kilometer unterhalb Oelsnitz beginnt innerhalb des
paläozoischen Schiefergebietes die erste Thalverengung, eine liebliche
landschaftliche Schönheit. Bis an das Ufer der Elster heran treten
zu beiden Seiten die Thal wände, die bisher sich mehr oder minder
sanft abdachten. Die Höhen nehmen kühne Formen an, einzelne Felsen
dunklen Diabasgesteins treten schroff auf (Ulanensprung bei Plansch-
witz), und nur mit Mühe konnte der Eisenbahn durch die Thalenge
hindurch ein Weg geschaffen werden. Ein gewöhnlicher Fahrweg fehlt
in dieser Enge, und nur ein schmaler Pfad führt auf halber Höhe der
Thalwand dahin und bietet an den Lichtungen und von den vorspringen-
den, schroff abfallenden Felsen herab Ausblicke auf den Fluß, dessen
Wellen über die Felsblöcke schäumend hinwegspringen. Kein Wunder,
daß ein Naturfreund sich hier ein „ stilles Plätzchen" erkor, von dem
aus er sein Auge labte an dem Gemisch von hellem und dunklem Grün
der Erlenbüsche, der hohen Eichen, Fichten und Tannen, die die gegen-
überliegenden schroffen Thalwände bekleiden. Von der Höhe herab
schaut ein einsam gelegenes Bauerngut, das Laneckhaus, und am Fuße
des Felsens, der es trägt, bricht aus einer Schlucht der kleine Meißner-
bach hervor. Die verstreut umherliegenden Blöcke erzählen von der
Arbeit, die das Wasser Jahrtausende hindurch hier verrichtete, um sich
den Weg nach Norden zu bahnen, da die harten Diabasfelsen im
Westen ihm den Weg vertraten. Kaum aber erweitert sich das Thal
um ein Geringes, so nimmt der Mensch Besitz von dem Räume, den
*) Ebenda, S. 358.
156 Albert Wohlrab, [60
der Fluß nicht beansprucht, und baut eine Mühle hin. Noch kaum
zwei Kilometer weiter, und die Thalaue hat sich so verbreitert, daß
zwei Orte, Ober- und Unterweischlitz, in ihr und an den sanften Lehnen
sich ausbreiten können. Dem aufmerksamen Beobachter wird ein
Unterschied zwischen den beiden Thalgehängen auffallen. Die öst-
lichen Gehänge erheben sich schneller und zeigen in geringerer Ent-
fernung vom Thalrande kuppige Höhen als die westlichen, die lang-
samer und in derselben Entfernung vom Ufer zu niedrigeren Erhebungen
ansteigen und den flächenhaften Charakter des dahinter liegenden Ge-
ländes andeuten. Das steilere östliche Gehänge ist hier eine Wirkung
des großen Elsterthalverwerfers. In und an der weiten Thalaue breiten
sich freundliche Dörfer aus, und da, wo sich von links die Syra, von
rechts der Milmesbach in tief eingerissenen Seitenthälern der Elster
zugesellen, nimmt die Stadt Plauen Besitz von dem Boden bis hinauf
auf die Höhen, auf denen sich wieder der Hochflächencharakter be-
merkbar macht. Unterhalb Plauen, vom Dorfe Chrieschwitz an, wo
die Elster ihre zuletzt eingehaltene Richtung aufgiebt und die des dort
einmündenden Friesenbaches einschlägt, verengt sich das Thal aufs
neue, diesmal aber auf eine bedeutend längere Strecke. Die immer
näher an den Fluß herantretenden Wände weisen dichte Laub- und
Nadelholzbestände auf, und einzelne umherliegende Felsblöcke bereiten
allmählich vor auf die Landschaftsbilder, die sich dem Wanderer weiter
unten darbieten. Während der Fußweg immer auf dem linken Ufer
verläuft, führt die Eisenbahn bald auf diesem, bald auf dem anderen
Ufer. An manchen Stellen mußte für sie ein Weg durch die Felsen
hindurch gehauen oder mittels steiler Böschungen an ihnen entlang
errichtet werden. Freistehende Felsbildungen, denen das Volk mythische
Namen beigelegt hat, und hohe Felszinnen ragen auf und scheinen mit
ihren Spitzen den Himmel zu berühren. Im Flusse, der uns begleitet,
stürzt das Wasser lärmend über die Steinblöcke hinweg. An der Stelle
der größten Verengung fällt von links im Nymphenthale der Jößnitz-
bach herein. Schattiges Laub- und Nadelholz erfüllt die enge Thal-
spalte, bemooste Steine versperren den Weg zu der weiter aufwärts
gelegenen Pfaffenmühle. Unterhalb dieses Thälchens aber gesellt sich
zur Elster aus einer schluchtartigen Oeffnung die Trieb, die eines der
schönsten Flußthäler unserer Mittelgebirge bildet. Besonders der
unterste Teil des Thaies hat eine Fülle sehenswerter Formen: schroff
aufsteigende Diabasfelsen, die zum Teil das nackte dunkle Gestein
zeigen, zum Teil mit grauen Flechten und grünen oder bräunlichen
Moosen überzogen sind, zum Teil auch Vorsprünge aufweisen, an denen
in einsamer Höhe Büschel von Gräsern und Kräutern kleben oder in
deren Felsritzen Brombeer-, Himbeer- oder wilde Rosensträucher haften;
hochragende dunkle Fichten und Tannen mit langen, silbergrauen
Flechtenbärten ; in dem Flusse aber riesige Felsenblöcke, zwischen
denen das dunkle Gebirgswasser ruhelos sich hindurchzwängt; daneben
der schmale Weg, der aufwärts an saftigen Wiesen vorbei zu einem
ehemaligen Eisenhammer führt, oberhalb dessen die Gehänge zurück-
treten und an deren einem bis zur Höhe hinauf sich ein Dorf anbaut,
das freundliche Pohl, auf das der mit einem steinernen Aussichsturm
61] Das Vogtland als orographisches Individuum. 157
gekrönte Eisenberg herabschaut. Auf dem anderen Ufer der Elster,
dem Eisenberge gegenüber, lugt von der Höhe der Thalwand, die den
Namen Friedrich- Auguststein trägt, ein alleinstehendes Vorwerk herab
ins Thal der Elster, dessen größte Enge überspannt wird von einem
menschlichen Kunstwerke, der 68 m hohen Elsterthalbrücke. Diese
Brücke giebt den Rahmen ab zu dem Bilde, das die unterhalb der-
selben folgende kleine Thalweitung bietet, in der Bartmühle liegt. Von
der Höhe der östlichen Thalwand schaut weiter unten die Ruine der
Burg Liebau hernieder und bezeugt, wie schon die alten Ritter bei der
Anlage ihrer Sitze Sinn für landschaftliche Schönheit bekundeten, und
wie sie verstanden, dabei im Einklänge zu bleiben mit den strategi-
schen Rücksichten, von denen sie ausgingen. Aber auch der moderne
Mensch weiß noch Punkte zu finden, wo sich selbst ein auf kost-
spieligem Unterbau aufgeführter Sammelpunkt für Wanderer und Er-
holungsbedürftige lohnt. Nicht gering ist denn auch der Fremden-
verkehr, der in der besseren Jahreszeit hierherströmt und vor allem
dem unterhalb Rentzschmühle gelegenen Teile des Elsterthales , dem
„Steinicht* seinen Besuch abstattet. Wald und Felspartieen schieben
sich hier untereinander. Kahle Felszacken, steile Wände, schroffe Ge-
steinsmassen, reichbewaldete Höhen, Nadel- und Laubholzgruppen in
schöner Abwechslung, hellgrüne und graue Moos- und Flechtenlager
an den meist aus dunkelgrüner Diabasbreccie bestehenden Felsen wie
an den wirr daliegenden groben Blöcken bieten sich dem Auge dar.
Zwischen all dieser oft unheimlichen Herrlichkeit bahnt sich der Fluß
in großen Windungen den Weg.
Das Thalbild ist zu jeder Jahreszeit anmutig. Im Herbst ist es
die Buntheit der Farben, die erzeugt wird durch das dunkle Grün der
Nadelbäume, durch die mannigfachen Schattierungen des Braun im
Laube, durch das hellere Grün der kleinen Rasenfleckchen am Fluß-
ufer, durch das grünliche, bläuliche oder bräunliche Schwarz der Felsen,
die an manchen Stellen einen silbergrauen Ueberzug von Flechten er-
halten haben, und dazu die spiegelnde Fläche des Flusses, dessen weißer
Schaum über die mit grünen Algen bedeckten Steine sich ergießt. Im
Winter ist die Pracht eine ganz andere. Wenn der Schnee alles, Weg
und Flußufer, Baum und Fels mit seinen Kryställchen überzuckert hat,
dann fehlen an den Gegenständen der Landschaft die bunten Farben,
und nur Weiß und Schwarz heben sich voneinander ab. Dafür aber
bricht sich das Licht der Sonne in den Milliarden kleiner Eisnädelchen,
die über die Oberfläche der Schneedecke hervorragen, und in den un-
zähligen kleinen Tröpfchen, die an den Spitzen der Aeste aus dem
schmelzenden Schnee entstehen.
Am unteren Ausgange des Steinicht liegt auf einem niedrigen
Höhenrücken, der eine große Thalschlinge der Elster veranlaßt und
dessen schroff zur Elster abfallender nordöstlicher Rand die Ruine
Lobdaburg trägt, das freundliche Städtchen Elsterberg, dessen Um-
gebung wiederum die schon erwähnte Beobachtung machen läßt, daß
das rechte Ufer des Thaies bedeutend steilere Gehänge aufweist als
das linke. Die Rothenthaler Enge versperrt aufs neue der Eisenbahn
den Weg; durch einen Tunnel nähert sie sich dem lieblichen Greiz.
158 Albert Wohlrab, [62
Aus engem, schluchtähnlichen Thale, an dessen durch Hochwald etwas
verdecktem Ausgange sich jäh aufsteigende Felsen postieren, tritt die
Göltzsch heraus und begrüßt gemeinsam mit der älteren Schwester die
Stadt, die in einem durch die Thalausgänge des Aubachs und der
Quirle noch verbreiterten, reizenden Thalkessel liegt, beherrscht von
seinem inmitten des Kessels auf isoliertem Felskegel erbauten Schlosse.
Das Bild ist eines der schönsten im Vogtlande. Steil fallen die Wände
des etwas in die Länge gezogenen Schloßbergkegels ab, sanfter böschen
sich die Gehänge, die den Kessel einschließen. Unterhalb Greiz aber
beginnt aufs neue der Kampf des Flüssigen mit dem Festen, eine Thal-
enge, die an Kühnheit der Formen und an Ausdehnung jene beiden
geschilderten noch übertrifft. Dann aber hat die Elster ihre größte
Arbeit gethan. Sie verläßt, nachdem sie noch ein schmales Band von
Zechstein durchschnitten hat, das paläozoische Gebiet und tritt in das
des Buntsandsteins.
Vorher nimmt sie noch ihren wichtigsten Nebenfluß von links
auf, die Weida, die im ganzen, sowohl in Bezug auf Richtung, als
auch auf Thalbildung ein verkleinertes Ebenbild der Elster ist. Der
Hauptunterschied beider besteht in den flachen Muldenbildungen, die
das Weidathal in seinem oberen Teile mit den anderen Thälern des
paläozoischen Schiefergebietes gemein hat, die aber der Elster fehlen,
da sie im archäischen Gebiete entspringt. Die Weida gräbt sich von
Weckersdorf an in den nordwestlichen Flügel der ostthüringischen
Hauptaufwölbung ein. Dieser aber ist infolge Häufung kleinerer Falten
von erzgebirgischer Richtung und infolge der Durchkreuzung dieser
durch Falten von frankenwäldischer Richtung, sowie infolge der hier-
durch sich ergebenden Bruchlinien ebenso zerrissen und zerbrochen wie
die Mitte des Vogtlandes. „Zwar nicht weitgreifend, aber um so inten-
siver ist der Einfluß, den bei der Faltung die außerordentlich zahlreich
eingestreuten Diabas- und Breccienlager ausübten, da sie bei dem mehr
oder weniger horizontal-seitlich wirkenden Druck einen viel kräftigeren
Widerstand zu leisten vermochten als die weichen Schiefer, deren Lager
in der Nähe der Diabasstöcke daher gewöhnlich stark verquetscht und
zerrissen sind. Unter solchen Umständen ist es nicht zu verwundern,
daß die Oberflächengestaltung des Landes eine gewisse Mannigfaltig-
keit zeigt1)."
Es würde ermüden, wenn die anderen Thäler des paläozoischen
Schiefergebietes des Vogtlandes mit gleicher Ausführlichkeit geschildert
werden würden; es würde dies auf eine stete Wiederholung des schon
Gesagten hinauslaufen. Wohl aber möchten wir noch einige Worte
über das Saalethal hinzufügen.
In der Gegend von Hof hat es große Aehnlichkeit mit dem Elster-
thale oberhalb Plauen und oberhalb Oelsnitz. Weiter unten, bei Joditz
und an der Tannbachmündung treten hohe, wilde, aus cambrischem
Quarzit gebildete Felsgruppen auf. Fast cafionartig schneidet sich das
vielfach gewundene Thal ein. Zimmermann 2) entwirft von dem Saale-
*) Erl. z. Sekt. Zeulenroda, S. 2.
2) Erl. z. Sekt. Liebengrün, S. 4 ff.
631 Das Vogtland als orographisches Individuum. 159
thale des Kulmgebietes folgende anschauliche Schilderung: „man sieht
diese Einschnitte in der Regel erst dann, wenn man nahe der Berg-
kante selbst steht, die fast stets sehr deutlich ist. Vorher drang der
Blick hinüber, ohne ihrer gewahr zu werden; man erblickte die jen-
seitigen Höhen ganz in der Nähe, und nichts ließ vermuten, daß ein
200—400, ja bis 600 Fuß tiefes Thal mit mächtigen Steilgehängen
des Wanderers Schritt schwere Hindernisse entgegenstellen würde. — Ein
Bild von überraschender Schönheit und Großartigkeit ist es denn aber
auch, wenn man an schönen Sommermorgen nach der Wanderung über
die öde Hochfläche plötzlich einen Einblick gewinnt flußauf- und ab-
wärts in das vielgeschlungene Saalthal mit seinen Seitenschluchten, in
dessen Tiefe die wogenden Nebel im Sonnenglanz erstrahlen, während
die oberen Thalwände mit prächtigem Waldstand daraus wie die Küsten
eines Meeres emporragen. Zwischen den Saalschlingen und den kleineren
Seitenthälern in der Nähe unseres Standorts sehen wir wie Coulissen
die Bergrücken sich von rechts und links ineinander schieben, und je
näher dem Flusse um so schärfer zergliedert sich und löst sich die
ganze Plateaumasse in einzelne steiler gewölbte und steiler abfallende
Rücken auf und deutlicher tritt der Charakter der Berglandschaft her-
vor. . . . Wir sind endlich ganz unten im Thale angekommen: es ist
schluchtartig eng, oft hat kaum das Flußbett Raum. Felsen treten
hier und dort in dasselbe vor und versperren den Weg, und gefährlich
ist es, solche Stellen zu erklettern. Auch das Flußthal selbst ist mit-
unter von den anstehenden Schichtenköpfen gebildet, welche Strom-
schnellen erzeugen. Neben dem Fluß zieht sich noch ein schmaler
Wiesenstreifen hin, oder auf einer etwas höheren, aber auch nur
schmalen Uferterrasse hat man Feldbau versucht. Hier ist es fast allein
und in ein paar Mühlen — meist ehemaligen Eisenhämmern — wo
sich dauernd Menschen in diesen engen Thälern niedergelassen haben,
und nur weithin schallende Axthiebe verkünden außerdem noch am
häufigsten ihre Anwesenheit; sonst sieht man in dem wildarmen Wald
selten einen Jäger, etwas häufiger auf der Saale Flößer und Fischer.
Auch muntere Lieder der Singvögel hört man selten, nur das Hämmern
der Spechte oder das Gekreisch von Raubvögeln belebt zuweilen die
Luft. Ueber die hohen Thalwände kommt an vielen Stellen die Sonne
nur eine kurze Zeit des Tages oder gar des Jahres, und den Schatten
der Berge verdüstert noch das Dunkel des Nadelholzes und vermehrt
mit dem schwer weichenden Nebel die Kühle, ja Kälte der Luft, die
allerdings manchmal an steinigen, der unmittelbaren Mittagssonne zu-
gänglichen Wänden erhitzt werden und selbst wilden Epheu dort zum
Blühen bringen kann. Im allgemeinen also verbinden sich doch mit
der erhabenen Schönheit und Großartigkeit des landschaftlichen Charakters
des Saalthaies leblose Ruhe, kühler und düsterer Ernst und beeinträch-
tigen, wenn auch nicht sehr, den Genuß an dem sonst sehr dem Be-
suche zu empfehlenden Thale."
. 160 Albert Wohlrab, [64
2. Der landschaftliche Charakter des Granitgebietes.
A. Das Lauterbach-Bergener Granitgebiet.
Eine sowohl dem Höhenbild wie dem Thalbilde nach ganz andere
Landschaft bietet das dem Vogtlande im Osten eingelagerte Granit-
massiv von Bergen und Lauterbach, das wie ein vom Kirchberg-Eiben-
stocker Massiv ausgestellter Vorposten im Schiefergebiete steht. „Aehn-
lich wie dies bei dem Eirchberger Granitmassiv der Fall ist, markiert
sich auch der Bergener Granit infolge tiefgreifender Verwitterung gegen
das umgebende Schiefeigebirge topographisch in Gestalt einer sehr
deutlich ausgesprochenen kesselartigen Einsenkung. Innerhalb dieser
Vertiefung bringen indessen einzelne kuppenartige Hügel, welche aus
widerstandsfähigeren Partieen des im ganzen leicht zersetzbaren Granites
hervorgegangen sind, Unterbrechung und Abwechslung hervor. Diese
in der dortigen Gegend als ,Pöhlek bezeichneten Erhebungen sind in
der Regel von kleinen Laubholzbeständen gekrönt, welche sich durch
ihr helleres Grün gegen den Hintergrund des vorwiegend mit Nadel-
holz bestandenen Schieferwalles freundlich abheben. Die peripherische
Granitschiefergrenze verläuft, abgesehen von lokalen Unregelmäßig-
keiten, ungefähr 20 — 30 m höher als das Niveau, welches diese Granit-
kuppen erreichen1).44 Dieses Landschaftsbild bietet sich am besten dar
vom Streuberge aus, einer dem Schiefermantel angehörenden Höhe süd-
lich von Bergen. Eesselartig senkt sich das Granitmassiv ein, seine
tiefste Einsenkung durcheilt die Trieb, die oberhalb Bergen die ge-
härteten Schichten der Schieferzone durchsägt hat. „Wallartig um-
geben die härteren Gesteine der beiden Granitkontaktzonen, der Anda-
lusitglimmerfels und der Fruchtschiefer, den die Sohle des Bergener
Thalbeckens bildenden Granit, dessen Grenze gegen die Schiefer sich
durch eine gut ausgeprägte Terrasse im Landschaftsbilde kennzeichnet/
Die das Granitmassiv durchziehenden Thäler sind flach und
wasserreich2). Letzteres bezeugen zwar nicht wie am Südfuße des
Kapellenberges eine Menge Teiche, wohl aber ein Netz ungezählter
Wasserfäden, die von den Höhen herabrieseln, sowie häufig auftretende
Torfmoore und die schöne Reihe frischer, grüner Wiesen. Wo aber
die Thäler die Schichten der Kontaktzonen durchbrechen, da werden
die Gehänge schroff. Dieses Lauterbach-Bergener Granitmassiv stimmt
in seinem Landschaftsbild überein mit seinem großen östlichen, dem
Erzgebirge zugehörigen Nachbar. Anders verhält es sich mit dem
Granite des Kapellenberges.
B. Das Granitgebiet des Kapellenberges.
Der Granit des Kapellenberges bildet einen Stock, der an Höhe
die ihm benachbarten, aus Glimmerschiefer aufgebauten Berge überragt.
*) Erl. z. Sekt. Oelsnitz-Bergen, S. 40.
2) Oberhalb Bergen ist das Auffanggebiet für die Wasserleitung der Stadt
Plauen.
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162 Albert Wohlrab, Das Vogtland als orographisches Individuum. [66
Relief und damit die Form und Richtung der Berge bestimmen, da die
die Hochfläche überragenden Hügel nur geringe Niveauunterschiede
hervorbringen.
Dieser allgemeine Charakter der Landschaft, eine Folge der die-
selbe aufbauenden paläozoischen Schieferformationen und ihrer Ein-
lagerungen, wird im östlichen Teile des Gebietes unterbrochen durch
das Lauterbach-Bergener Granitmassiv, das eine kesselartige Einsenkung
bildet, umgeben von den aus Eontaktgesteinen gebildeten Höhen.
Nach Südosten zu findet ein allmählicher Uebergang statt zu den
Höhen des Erzgebirges.
IV. Teil.
Anthropogeographische Polgen der orographischen
Verhältnisse des Vogtlandes.
1. Das Vogtland, ein Durcfagangsgebiet des Verkehrs.
A. Seine Befähigung zum Dnrohgangsgebiet.
Uebereinstimmend mit den orometrischen Werten des Vogtlandes
zeigte sein Landschaftsbild den Hochflächencharakter desselben. Der
Vergleich der orometrischen Werte in Tabelle VII ließ in ihm die
Gebirgslücke zwischen dem Erzgebirge und dem Thtiringerwalde er-
kennen. Wenn Mittelzahlen der Ausdruck für die verkehrhindernde
Wirkung einer Erhebung sind1), dann bietet das Vogtland dem Ver-
kehr geringere Hindernisse als die benachbarten Gebiete. Daraus folgt,
daß der Verkehr das Vogtland bevorzugen wird, sofern nicht etwa
andere Verhältnisse dem entgegenwirken.
Das wichtigste aller den Verkehr beeinflussenden Verhältnisse ist
die Lage eines Gebietes. Die vorteilhafteste Lage ist die zentrale.
Das Vogtland hat eine solche. Wir erkennen dieselbe sofort, wenn wir
die am Eingange unserer Arbeit2) beschriebene Linie ziehen, die als
nördlicher Rand des deutschen Mittelgebirges dieses gegen das Tief-
land abgrenzt. Wie Deutschland als das Herz Europas, so kann das
Vogtland als das Herz Deutschlands bezeichnet werden. Der 50. Breiten-
grad, der Deutschland in eine nördliche und eine südliche Hälfte teilt,
zieht wenige Kilometer südlich von unserem Gebiete vorüber. Das
Gebiet selbst wird durchschnitten von dem 12. Längenkreis östl. v. Green-
wich, der die Mitte bildet zwischen dem 6. und 18. Längenkreis, die
miteinander die Hauptmasse des Deutschen Reiches abgrenzen.
Eine andere vorteilhafte Lage ist die Buchtenlage. Zwar spricht
man von einer solchen in erster Linie nur bei Küstengebieten. Allein
wie der Seeverkehr bestrebt ist, seinen Weg möglichst weit in das
Land hinein zu nehmen, so der Landverkehr, solange wie möglich auf
dem für den Verkehr am meisten geeigneten Boden zu bleiben8). Einen
*) Kohl, Verkehr und Ansiedelungen der Menschen, 1841, S. 218, Anm.
*) Siehe S. 101 [5].
•) Ratzel, Anthropogeographie, I, S. 182 ff.
164 Albert Wohlrab, [68
solchen bietet die Ebene des norddeutschen Tieflandes. Daher sind es
die Tieflandsbuchten, die vom Verkehr aufgesucht werden. Unter den
drei großen Tieflandsbuchten, welche in das deutsche Gebirgsland hin-
eindringen, nimmt die sächsisch-thüringische eine bevorzugte Stelle ein.
Entbehrt sie auch eines großen Stromes *), so ist ihr doch die Elbe
nahe genug, um ihr einen Teil ihres Verkehres zuzuweisen. Ebenso
nähert sich ihr von Süden her die Donau im Regensburger Knie und
lenkt nach ihr hin einen Teil ihres Verkehrs.
Jenseits des Gebirges liegt im SW Franken, im SO Böhmen. Da
letzteres durch seinen Gebirgswall dem durchgehenden Verkehre eine
große Schranke zieht und das nichtdeutsche Element seiner Bevölke-
rung2) demselben mindestens nicht forderlich gegenübersteht, so tritt
der Verkehr durch dieses Land, wenigstens in der Richtung von W
nach 0, zurück und wird zum größten Teile durch das Vogtland ge-
lenkt. So kommt es denn, daß durch dieses hindurch nicht allein die
Straßen von Franken und der Oberpfalz, von den Städten Bamberg,
Nürnberg, Regensburg und Augsburg, sondern auch von weiter im
Südwesten des Reiches gelegenen Gauen nach Sachsen, Schlesien und
Polen führen.
Diesen Vorzügen des Gebietes (seiner im Vergleich zu den Nach-
bargebieten geringeren Höhe, seiner zentralen Lage, seiner Buchten-
lage, seiner Lage in der Nähe eines orographischen und ethnographischen
Hindernisses) stehen aber auch Mängel gegenüber. Cotta3) urteilt
über das Vogtland: „Dem Verkehr hat unser Gebiet stets bedeutende
Schwierigkeiten entgegengestellt, weniger durch seine absolute Erhebung
als durch die große Breite des nach allen Richtungen von vielen stark
gewundenen Thälern durchschnittenen Plateaus. Dennoch ist es durch
seine Lage zwischen drei anderen Gebirgsketten seit uralter Zeit von
einer der Hauptverbindungsstraßen zwischen Süd- und Norddeutschland
durchschnitten. Die Umwandlung dieser Straße in eine Eisenbahn ge-
hörte zu den schwierigsten und kostspieligsten in ganz Deutschland,
namentlich wurden dabei die großartigen Thalüberbrückungen nötig,
welche überhaupt zu Gunsten von Eisenbahnen bis jetzt ausgeführt
worden sind, die berühmten Ueberbrückungen des Elster- und des
Göltzschthales/ Die Schwierigkeiten, auf die Cotta aufmerksam macht,
erscheinen als besonders bedeutend nur in Rücksicht auf die in den
Jahren 1846—51 erfolgte Anlage4) der Bahnlinie Hof-Reichenbach, die
in einer Zeit vor sich ging, in der die Erfahrungen im Bau von Eisen-
bahnen noch gering waren. Außerdem waren jene Schwierigkeiten
nicht bloß orographische , sondern auch politische, bereitet durch die
Regierung des Fürstentums Reuß älterer Linie.
Ein anderer Mangel des behandelten Gebietes ist seine geringe
Ausdehnung, die die Lage desselben als noch von zweifelhaftem Werte
*) Kirchhoff, Ueber die Lagenverhältnisse der Stadt Halle. Mitteil. d.
Ver. f. Erdkunde z. Halle, 1877, S. 88 ff.
2) Ratzel, Politische Geographie, S. 670/671.
8) Cotta, Deutschlands Boden, S. 317.
4) A. v. Mayer, Geschichte und Geographie der deutschen Eisenbahnen
1891, I, S. 487 ff.
69] Das Vogtland als orographisches Individuum. 165
erscheinen läßt ; denn ein Gebiet von geringer Ausdehnung kann leicht
umgangen werden. Beim Vogtlande tritt dieser Mangel ganz zurück,
da es, wie oben gezeigt wurde, mit den Vorteilen einer in mehrfacher
Beziehung günstigen Lage die Vorzüge seiner orographischen Verhält-
nisse verbindet1).
Deutlicher als ein anderes Gebiet zeigt das Vogtland seinen
Charakter als Durchgangsland des Verkehrs. Es ist darum nicht zu
verwundern, wenn von der das Gebiet durchschneidenden Hauptstraße
als einer „seit uralten Zeiten* *), „lange bestehenden*4 8), „uralten Völker-
straße **4) gesprochen wird.
B. Die Dnrohgangsstra&en.
a) Ihre Abhängigkeit von den Pässen.
„Wege und Straßen sind älter als die Menschheit/ „Es giebt
Straßen und Wege, die von der Natur vorgezeichnet sind, die eine
Abweichung kaum gestatten — es sind die Pässe415). Diese werden
um so mehr maßgebend sein für die Richtung der Verkehrswege eines
Gebietes, je geringer ihre Zahl ist und je tiefer sie (ihre Zugänglich-
keit vorausgesetzt) in den Gebirgsrücken, den die Straße zu überschreiten
hat, eingeschnitten sind. Die Kämme des Vogtlandes zeigen an und
für sich keine oder nur wenige unübersteigbare Höhen, sind ferner
reich an Sätteln, welche sie gliedern, wenn dieselben auch nur geringe
Höhenunterschiede im Vergleich mit den Gipfeln aufweisen, und lassen
daher der menschlichen Willkür in der Bestimmung der Wege einen
reichen Spielraum. Der Mensch hat aber bei der Auswahl unter den
vorhandenen Möglichkeiten diejenigen ausgesucht, diejenigen im Laufe
') Ein nicht zu unterschätzender Vorzug des Vogtlandes ist sein Reichtum
an Gesteinen, die zum Sraßenbau geeignet sind. Eine auf der sächsisch-thüringischen
Industrie- u. Gewerbeausstellung in Leipzig vom königl. sächs. Finanzministerium
gezeigte Sammlung der zum Straßenbau verwendeten Gesteinsarten wies folgende
im Straßen- u. Wasserbaubezirk Plauen (Amtshauptmannschaften Plauen, Auerbach
u. Oelsnitz) benutzten Gesteine auf: I. Granit von Schreiersgrün, Trieb, Röthen-
bach (3,1 °/°); H. Quarzitschiefer von Herlagrün, Vogelsgrün, Rothenkirchen, Ober-
göltzsch (14,4 °/o); III. Kieselschiefer von Altraannsgrün, Raasdorf, Oelsnitz, Posseck,
Ramoldsreuth, Oberreichenau, Langenbach, Tanna; grauwackenartiger Quarzit von
Hohenstein bei Markneukirchen, Schöneck, Neudorf, Ellefeld, Hohengrün, Brunn;
Fruchtschiefer von Eich (35,3%); IV. Quarzfels von Tannenbergsthal u. Morgen-
röthe; Quarzit von Thoßfell; Grauwackensandstein von Meßbach (8,9 °/o) ; V.Diabas
von Neumark, Mylau, Steinsdorf, Neuensalz, Elsterberg, Herlasgrün; Hornblende-
schiefer von Niederauerbach (16,9 °/o); VI. Quarzporphyr von Schreiersgrün (2,1 °/o);
VII. Nephelinbasalt von Breitenfeld, Oberzwota, Oberreuth (19,0 %) (dazu Lesesteine
0,8 %)• Die Prozentzahl bezeichnet den mittleren Anteil der betreffenden Gesteins-
gruppe an den verbrauchten Steinmengen des Bezirkes. Vgl. die Druckschrift z.
Ausstellung königl. sächs. Staatsverwaltungen. Leipzig 1897, S, 16.
2) Cotta, Deutschlands Boden, S. 317.
•) Simon, Verkehrsstraßen, S. 37.
4) M. Schmidt, Zur Geschichte der Besiedelung des sächs. Vogtlandes.
Beilage z. VII. Jahresbericht der städtischen Realschule zu Dresden-Johannstadt,
1897, S. 19.
') Schurtz, Pässe des Erzgebirges, S. 3.
1G6 Albert Woblrab, [70
der Zeit als seinen Zwecken dienstlichsten festgelegt, die er bei einer
Ueberlegung a priori als solche erkennen würde1).
Unter den oben besprochenen Höhenrücken kommen als solche,
die dem Verkehre durch ihre absolute Höhe bedeutende Hindernisse
bereiten, nur der erzgebirgische Grenzkamm, der Eapellenbergkamm
und der sächsisch-böhmisch-bayrische Grenzrücken in Betracht. Im
orographischen Teile dieser Arbeit*) wurden die Sättel schon bezeichnet,
die auf den eben genannten Höhenrücken die Funktion von Pässen
inne haben. Von den dort aufgeführten Pässen sind es vor allem vier,
die besonders hervortreten: der Ullitzer Paß, der Paß südlich von Asch,
der Paß von Oberbrambach und der Paß von Friebus östlich von Mark-
neukirchen.
b) Der Verlauf der Durchgangsstraßen.
Bereits in der Sorbenzeit scheinen diese Pässe von hoher Be-
deutung gewesen zu sein3). Die vom Regnitzlande her vorgeschobenen
sorbischen Siedelungen Unterkotzau, Zedtwitz, Feilitzsch, Trogen, Ullitz
(= die Gasse), Regnitzlosau, Vierschau, Nentschau, Trogenau (= die
am Wege Wohnenden), Posseck, sowie die von der Mitte des Vogt-
landes herüberreichenden Orte Dobeneck, Planschwitz, Magwitz, Tirbel,
Klein- und Großzöbern deuten auf eine in der Richtung dieser Orte
verlaufende Straße zwischen diesen beiden slawischen Siedelungsgebieten
hin. Dasselbe Verhältnis zu einander zeigen die beiden Reihen von
Orten, die vom Egerthale (Nebanitz, Doberau, Mühlessen, Hörsin,
Fleißen) und im Elsterthale (Oelsnitz, Görnitz, Würschnitz, Leubetha,
Meltau [alter Ortsteil von Adorf]) herauf nach den Pässen des Kapellen-
bergkammes weisen. Zwischen den beiden eben näher bezeichneten
Wegen führte ein dritter „aus dem Thal der Selb (Selb slawisch) über
das Ascher Plateau (Belitzmühle slawisch) in das Aschbach- und Elster-
thal. Vermutlich bestand auch schon eine Verbindung zwischen dem
') Hettner, Der gegenwärtige Stand der Verkehrsgeographie. Geogr.
Zeitschr., III, S. 629, „ — thatsächlich wird nur in seltenen Ausnahmefällen . . . das
Wegenetz einer bewußten Ueberlegung des Menschen seinen Ursprung verdanken;
in den meisten Fällen wird es vielmehr allmählich, durch das Schaffen vieler auf-
einander folgender Generationen entstanden sein, die dabei keine bestimmten,
aufs Ganze gerichteten Pläne hatten, sondern sich nur von den nächstliegenden
Zielen leiten ließen. — Die Entwickelungstheorie hat uns gelehrt, daß im sozialen
Leben ebenso wie in der organischen Natur aus dem scheinbaren Spiel der Willkür
und des Zufalls gesetz- und zweckmäßige Zustände hervorgehen."
*) Siehe S. 137 [41], 140 [44], 141 [45], 143 [47].
s) Nach M. Schmidt (Zur Geschichte der Besiedelung des sächsischen
Vogtlandes, S. 19), der sich in seinen Angaben auf Gradl (Geschichte des Eger-
landes) stützt, waren vermutlich die ältesten Bewohner des Vogtlandes die Kelten,
„die im nahen Fichtelgebirge Zinnbergbau trieben, das Vogtland durchzogen und
vielleicht schon mit Ansiedelungen besetzten. Die erste nachweisbare Bevölkerung
des Vogtlandes ist jedoch das . . . Volk der Hermunduren, welches von seinen
Stammsitzen an der unteren Saale allmählich und schon früh in die Thäler der
umgebenden Mittelgebirge eindrang und dieselben südwärts überschritt. Bereits
im 2. Jahrhundert n. Chr. erscheinen sie südlich von dem hercynischen Walde.
Dabei wurden natürlich die Pässe des Vogtlandes im Süden als Heeresstraßen
benutzt.*
71] Das Vogtland als orographisches Individuum. 167
Göltzschthal und dem Egerlande1).* Nach Schurtz*) deutet der Orts-
name Friebus, der an der Straße von Markneukirchen nach Ellingen*
thal unterhalb des Rauner Berges auftritt und die Bedeutung von
Uebergang, Pafiweg hat, auf eine alte Verkehrsverbindung zwischen
dem oberen Elsterthale (durch das Floßbachthal hindurch) und dem
Zwotathaie hin.
Urkundliche Zeugnisse über den Verlauf der das Vogtland durch-
ziehenden Straßen liegen erst aus der Zeit der deutschen Besiede-
lung des Gebietes vor. Ausführlich werden dieselben besprochen in
der Schrift von Simon8) über die Verkehrsstraßen in Sachsen, in der
ein Abschnitt von den vogtländischen Straßen und Städten handelt.
Danach verlief die wichtigste dieser Straßen, die aus Franken her-
ziehende, von Hof aus an den Orten Blosenberg, Ebersberg, Heiners-
grün und Hartmannsreuth vorbei über Grofizöbern, Pirk, Weischlitz,
Kürbitz, Straßberg nach Plauen und von hier aus über Chrieschwitz,
Möschwitz, Pohl, an Netzschkau vorbei nach Mylau und Beichenbach.
Ihre Fortsetzung fand sie über Neumark (wo eine Straße nach Werdau
abzweigte), Schönfels und Lichtentanne nach Zwickau. Hier kreuzten
sich zwei Straßen, die von Leipzig über Altenburg nach Böhmen und
die aus der Lausitz über Dresden, Freiberg, Chemnitz nach Franken
verlaufende. Neben dem schon bezeichneten bestand zwischen Plauen
und Reichenbach noch ein anderer Weg über die Orte Alten- oder
Neuensalz, Thoßfell, Hartmannsgrün. Aus dem Verbote, das Kaiser
Karl IV. erließ4), daß auf der Straße, die über Hartmannsgrün nach
Reichenbach führte, die Stadt Reichenbach „niemand unerinnert bey-
aeits umgehen " solle, geht hervor, daß verschiedentlich der Weg nicht
von Hartmannsgrün aus herein ins Göltzschthal (zur Schotenmühle) und
über die Höhe hinweg nach Reichenbach, sondern nach Osten hin direkt
auf Zwickau zu genommen wurde, wobei Reichenbach links liegen blieb.
Seit dem Anfange dieses Jahrhunderts führt die Straße von Thoßfell
über Pfaffengrün, Buchwald, Mühlwand nach Reichenbach.
»Von diesem Wege Hof-Plauen-Zwickau zweigte eine zweite
Straße ab und zwar bei Plauen (früher vielleicht oberhalb Plauen bei
der Feste Tirbel, um am Thal der Elster entlang, an Magwitz, Plansch-
witz, dem ,Stein4 und Dobeneck vorüberziehend, Oelnitz zu erreichen).
Der Weg führte von Plauen geradlinig über Oberlosa nach Oelsnitz
und von hier immer thalaufwärts über Asch nach Eger6)." „Die Post-
straße, welche über Anordnung Kaiser Ferdinands H. (1619 — 1637) zur
Beförderung der nordischen Korrespondenz gebaut wurde, hatte ihren
Zug von Prag, Karlsbad, Mühlessen, Eger, Asch, Krugsreuth, Adorf
*) M. Schmidt, Zur Geschichte der Besiedelung, S. 25.
2) Schurtz, Passe, S. 57.
?
A. Simon, Die Verkehrsstraßen in Sachsen und ihr Einfluß auf die
Städteentwickelung bis zum Jahre 1500. Forschungen zur deutschen Landes- und
Volkskunde, Bd. VII, Heft 2, 1892, S. 34-42.
4) J. Müller, Urkunden und Urkundenauszüge zur Geschichte Plauens
und des Vogtlandes in den Mitteilungen des Altertumsvereins zu Plauen i. V.,
5. Jahresschr., 1884/85, Urkunde Nr. 466.
5) Simon, Verkehrsstraßen, S. 39.
168 Albert Wohlrab, [72
u. s. w.1)." Jetzt verläuft die staatliche Landstraße nach Eger von Adorf
nach Mühlhausen, im Raunerbachthal aufwärts bis Oberbrarabach, her-
ein nach Brambach, das im Thale des Fleifienbaches liegt, und dann
nicht, wie man erwarten könnte und wie zeitweilig auch von den Fuhr-
leuten mag gefahren worden sein, über Fleißen, Großloh und Wildstein
herein zum Egerthal, sondern über den Eapellenbergkamm zum zweiten-
mal und diesmal in noch bedeutenderer Höhe (652 m) als bei Ober-
brambach (618 m) hinweg und am Schlosse Schönberg vorbei über
Voitersreuth und Franzensbad.
Neben diesen Hauptwegen führten noch „beywege" von Hof
über Gattendorf und Posseck nach Oelsnitz, von Oelsnitz über Theuma,
Treuen, Lengenfeld nach Zwickau, von Adorf über Markneukirchen
und Friebus ins Zwotathai. Von größerer Wichtigkeit für das Vogtland
war der von Norden her durch die Elster vorgezeichnete Weg; auf
ihm „mögen die ersten Missionare von Naumburg, Zeitz, Gera, die
Herren von Eberstein und später die Vögte von Weida und Gera ins
Land gekommen sein. ... Er stieg jedoch ins enge und ungangbare
Thal selbst oberhalb Gera nur in Greiz und Elsterberg herab, hielt
sich sonst auf dem linken Thalrand8)/ An der Ostgrenze des Vogt-
landes führte eine Straße, von Zwickau herkommend, an der Göltzsch
aufwärts, geschützt durch die Burgen Plohn und Auerbach (ad aquam
Golz et eam ad summum Grodini, womit eine Burg gemeint ist, die
an der Göltzsch stand, entweder die zu Obergöltzsch oder die zu Auer-
bach3), und über Falkenstein, Schöneck herein nach Markneukirchen4)
oder weiter im Osten nach Kreuzung des oberen Muldenthaies herein
ins Zwotathai9).
In seiner Geschichte des Handels5) spricht Falke von einer alten
Salzstraße, die von Halle über Zeitz durch das Vogtland auf Bayreuth
und in die fränkischen Gegenden führte, ohne deren Verlauf näher zu
erörtern. Es kann damit die schon erwähnte auf dem linken Thal-
rande der Elster hinziehende gemeint sein; es ist aber auch möglich,
dass eine weiter im Westen des Vogtlandes verlaufende Straße dar-
unter zu verstehen ist, die später als „ Beiweg tt der Hauptstraße Hof-
Plauen- Zwickau öfters genannt wird. „1521 gab Herzog Johann (der
spätere Kurfürst Johann der Beständige) von Weimar aus dem Zwickauer
Rate bekannt, daß er die süddeutschen Fuhrleute, welche die von Hof
über Plauen, Zwickau oder Werdau, Altenburg und Borna nach Leipzig
führende Handelsstraße verlassen würden, mit hohen Strafen belegen,
wolle. Diese Verordnung wurde 1521, als Nürnberger und Regens-
burger Fuhrleute von Hof aus auf einer viel weniger bequemen, längs
der Saale und Weißen Elster nordwärts ziehenden Straße über Schleiz,.
Gera, Zeitz und Pegau nach Leipzig zu gelangen suchten, wiederholt
') J. Tittmann, Heimatskunde des Ascher Bezirks. Asch 1893, S. 123.
2) Simon, Verkehrsstraßen, S. 40. 41.
8) Freitag, Beiträge zur Geschichte der Besitzer der Herrschaft Auerbach.
7. Jahresschr. d. Mitteil. d. Altertumsver. zu Plauen i. V., 1888/89, S. 12. 13.
4) M. Schmidt, Zur Gesch. d. Besiedelung des sächsischen Vogtlandes,
S. 52. 53 u. 61.
5) Falke, Geschichte des Handels, II, S. 54.
73] Das Vogtland als orographisches Individuum. 169
und verschärft1)." Es ist das derselbe Weg, der, als um 1680 die Pest
im mittleren Eibgebiet wütete, vom Leipziger Rate2) neben einem
anderen, der auch noch genannt werden wird, als Route nach Nürn-
berg bekannt gegeben wird. Er führte durch die Orte: „Zwenkau,
Langendorf, Gera, Schleiz, Gefeil9), Düben (Töpen), Hof, Conradsriet,
Münchberg, Gefrees, Berneck, Bayreuth, Creusing, Hilpertstein, Grefen-
berg, Eschenau, Hertelsberg* nach Nürnberg. Die andere Route hatte
bis Schleiz denselben Verlauf, bog aber dann nach Westen und nahm
die Richtung „Nordhalben, Cronach, Lichtenfels, Staffelstein, Bamberg,
Forchheim, Berensdorf, Erlang, Teneloh, Buch" an, um Nürnberg zu
erreichen. Nach dem Erlöschen der Pest untersagen mehrere kurfürst-
liche Verordnungen4) »die von Hof, Plauen und Oelsnitz über Gfell
und Schlaitz, ingl. von Eger über Weyda nach Gera angemaßten Bey-
wege". Auf der Straße von Leipzig über Gera, Schleiz, Hof, Bayreuth,
Erlangen nach Nürnberg verkehrte seit 1686 „eine geschwinde fahrende
Postkalesche"5). Von dem Verlaufe der Straße, die von Schleiz aus
nach Westen bezw. Südwesten führt, spricht die Landeskunde von
Brückner6) ausführlicher. „Die längste von allen Straßen des Fürsten-
tums (Reuß jüngere Linie) war und ist die Nürnberg-Cronach -Loben -
stein-Saalburg-Schleiz-Gera-Leipziger Straße. . . . Bei dem Rodacher
Brunnen den Frankenwald übersteigend, führte sie über Neundorf und
Lobenstein, von da am Galenberg oder den Drei Linden, am Grünen
Esel oder Grauen Affen, am Pollerhaus und Hartmannsberg vorbei nach
Zoppothen, Pöritzsch, Saalburg, Grafen warth und über Oschitz nach
Schleiz, jetzt dagegen durchschneidet sie Schönbrunn, Ebersdorf und
Heinrichsruhe. Von Schleiz aus nahm sie eine doppelte Richtung, näm-
lich teils über Neustadt und Jena, teils über Gera und Langenberg. a
Die Verbindung zwischen Hof und Eger stellte eine Straße her,
die längs der Südwestgrenze des Vogtlandes verlief. Ueber sie schreibt
Tittmann7): „Die früher bestandene alte Heerstraße zog sich von Eger
über Sauerbrunn, Haslau, Rommersreuth (unterhalb dem Goethestein),
gegen das Forsthaus im Egerer Stadtwalde durch die Hölle nach
Egrisch-Reuth (später Himmelreich) und Nassengrub gegen Asch, beim
alten Schießhause durch die jetzige Alleegasse, Kaiserstraße, beim Rat-
hause vorüber durch die Widemgasse über den Kaplanberg gegen
Schönbach (Knallhütte), Neuhausen, über Rehau nach Hof.u
*) Heller, Die Handelswege Innerdeutschlands, S. 15 (Leipziger Rats-
archiv, XLV. A., 14).
2) Hasse, Geschichte der Leipziger Messen, S. 468, Anlage XI (Leipziger
R.-A. I, 34, T., Bl. 181).
8) Urk. Nr. XVI (J. Müller, Urkundenmitteilungen etc. 1. Jahresschrift)
nennt die Orte Gefell (gefeil), Venzka (fenzka), Münchenreuth (munchenreut),
Hirschberg (hirsperg) 1246; Urk. Nr. 66 v. J. 1279 nennt das Dorf Stelzen (stelzne);
ürk. Nr. 68 Tanna im Lande Wisenta, J. 1279 ; Urk. Nr. 136 v. J. 1300 Reinhardts-
walde; Urk. Nr. 142 v. J. 1302 Rodersdorf und Grobau.
4) Hasse, Gesch. d. L. M., S. 86, Anra. 1.
8) G. Schäfer, Geschichte des sächs. Postwesens, 1879, S. 80.
8) G. Brückner, Landes- und Volkskunde des Fürstentums Reuß j. L.
Gera 1870, S. 276.
7) Tittmann, Heimatskunde d. Ascher Bezirks, S. 123.
170 Albert Wohlrab, [74
c) Die Höhenlage der Hauptdurchgangsstraßen.
Nachdem im vorstehenden der Verlauf der das Vogtland durch-
ziehenden Straßen in seinen Hauptrichtungen aufgeführt worden ist,
soll nunmehr die Höhenlage derselben erörtert werden, um so über
den Charakter der einzelnen Straßen als Höhen- oder Thalstraßen zu
entscheiden. Die Straße Hof-Plauen-Reichenbach beginnt an der Saale-
brücke unterhalb Hof mit einer Höhe von 470 m, hat am Friedhofe
von Hof, von wo an sie ihren Verlauf über den Höhenrücken weg
nimmt, 488 m Höhe, am Labyrinthenberg 511 m und 513 m, am Aus-
gange des Dorfes Haidt 512 m, und steigt dann bis 536 m Höhe an.
Südwestlich von Ullitz erreicht sie bei Sign. 562,8 ihren höchsten Punkt
und senkt sich nun durch den Paß von Blosenberg (oder Ullitz) herein
nach dem Feilebachthale, dabei folgende Höhen aufweisend: Ullitz
560 m, Wegegabel westlich von Wiedersberg 518 m, Sign, unterhalb
dem Dorfe Blosenberg 487,5, oberhalb der Hammermühle 449 m und
465 m, östlich von Berglas 430 m. Bei Kümmelbüchse (Unter berglas)
verläßt sie das von hier an sich bedeutend verengende Feilebachthal
und steigt wieder auf den Höhenrücken, hat zwischen Groß- und Klein-
zöbern noch einmal über 500 m Höhe und senkt sich am linken Ge-
lände eines zum Feilebach fallenden Thälchens zum zweitenmal ins
Thal des genannten Baches und zeigt dabei unterhalb Eleinzöbern 460 m,
oberhalb Pirk 400 m Höhe. Die das Elsterthal durchmessende Eisen-
bahn überschreitet sie in 367 m Höhe. Da die Elsterthalverengung
unterhalb Pirk ihr verbietet, dem Laufe des Flusses zu folgen, so über-
steigt sie den mittelvogtländischen Höhenrücken, um sich in Plauen
zum zweitenmal zum Flusse herabzusenken, wobei sie folgende Höhen-
marken aufweist: 404,5 m, 455,1 m, 425,6 m, 389,7 m, 385,9 m, 381,4 m.
Während die Straße früher in Plauen die Elster querte und sich im
Thale derselben bis Chrieschwitz hinabzog, steigt sie jetzt über den
Reusaer Höhenrücken, auf dem sie 395 m Höhe erreichte1), zum Friesen-
bache (356 m) und über den nächsten Rücken (Höhen von 412 m und
435 m) zum Rattenbach (in Neuensalz 380 m) und zur Trieb (vor Thofi-
fell 408 m , Brücke über die Trieb 368 m). Indem sie sich aus dem
Triebthale sofort wieder nach der Höhe wendet, um den Wendelstein-
Kuhbergrücken zu überschreiten, zeigt sie auf einer etwa 10 km langen
Strecke folgende ziemlich gleichmäßigen Höhen: Thoßfell 438 m,
Kreuzung der Bahnlinie Herlasgrün-Falkenstein 465 m, Sign, südwest-
lich von der Goldnen Höhe 482 m, Goldne Höhe 478 m, nördlicher
Ausgang von Pfaffengrün 450 m, Oberbuchwald 470 m, Straßengabelung
nach Netzschkau 441 m. In Mühlwand führt sie in etwa 322 m Höhe
über die Göltzsch, steigt mit großen Windungen herauf zur Schwarzen
Tafel (425 m) und senkt sich dann hinab nach Reichenbach (338 m).
Die Straße durchquert das Vogtland von SW nach NO, also
rechtwinkelig zu der in den Höhenrücken herrschenden Richtung. Sie
steigt auf der Strecke von Hof bis Reichenbach erst über den reußischen
') Seit etwa 12 Jahren steigt die Straße nur noch bis etwa 388 m Höhe
an, indem sie einen geringen Umweg beschreibt.
75] Das Vogtland als orographisches Individuum. 171
Grenzrücken (an seiner Grenze gegen den sächsisch-böhmisch-bayrischen
Grenzrücken), dann über den westlichen Teil des mittel vogtländischen
Rückens, dann über den Reusaer- und den Eichbergrücken und schließ-
lich über den Wendelstein-Kuhbergrücken, nordwestlich von dem sie
noch den Höhenzug zwischen der Göltzsch und der Stadt Reichenbach
zu überwinden hat. Sie steigt dabei zweimal herein ins Thal der
Elster und je einmal ins Thal des Friesenbaches, der Trieb und der
Göltzsch. Es geschieht dies in Thalweitungen, die dicht oberhalb be-
deutender Thalengen liegen. Teilweise werden dabei in diese Thäler
einmündende Nebenthäler zum Abstieg von dem Höhenrücken benutzt,
so das Feilebachthal dort, wo das Elsterthal zum erstenmal über-
schritten wird, das Milmesbachthal dort, wo sich die Straße zum
zweitenmal zur Elster senkt. Da die Straße diese Thäler nur zum
Uebergange von dem einen Rücken zum anderen benutzt und nicht
länger in ihnen verläuft, als dieser Zweck es erfordert, so ist sie als
eine Höhenstraße zu bezeichnen.
Von der eben besprochenen zweigt beim Friedhofe unterhalb Hof
(486 m) die Straße von Hof nach Schleiz ab, tiberschreitet den Krebs-
bach und den unteren Regnitzbach dicht oberhalb ihrer Mündung (470 m
und 471 m), wendet sich am rechtsseitigen Abhänge des Rohrbaches
durch Zedtwitz (516 m) hindurch nach der Höhe von Moosanger (568 m),
überschreitet in Töpen den Kupferbach (505 m) und oberhalb der
Kögelmühle den Tannbach (494 m) und erklimmt dann die Höhe von
Juchhöh (587 m und 593 m), von der sie fast ebenso steil wieder herab
zum Ehrlichbach fällt (513 m), an dem Gefell liegt (548 m). Oberhalb
dieses Städtchens zieht sich die Straße auf der reußischen Hochebene
hin, zeigt am Ausgange von Gefell 561 m, an der preußisch-reußischen
Grenze 633 m, an der Vereinigungsstelle mit der von Hirschberg her-
aufziehenden Straße 608 m, westlich von Tanna beim Gasthaus zur
Kapelle 603 m, unterhalb Zollgrün 500 m, an der Brücke über den
Wetteraubach etwa 460 m, kurz vor Heinrichsruhe etwa 546 m und an
der Brücke über die Wiesenthal in Schleiz etwa 424 m Höhe. Von
hier aus erklimmt sie das hochgelegene Oettersdorf (475 m) und wendet
sich von dort entweder über Pörmitz, Pahnstangen, Bucha, Bahren
nach Pösneck und Orlamünde oder über Dittersdorf (490 m) nach Neu-
stadt a. d. Orla, Stadt Roda, Lobeda a. d. Saale oder über Tegau (452 m),
Crölpa (414 m) nach Auma (376 m) und über Triptis (= Dreiwege-
stadt) nach Gera. Auch diese Straße verläuft vorzugsweise auf den
Höhenrücken und benutzt die Thäler des Kupferbaches, Tannbaches,
Ehrlichbaches, Wetteraubaches und der Wiesenthal hauptsächlich nur
zum Uebergang von einem Höhenrücken zum anderen.
Gleiche Verhältnisse bietet die südöstliche Fortsetzung dieser
Straße dar, die Strecke Hof-Eger, die längs der südwestlichen Grenze
unseres Gebietes verläuft. Früher führte sie von Hof aus über Jördens
Anlage, Neutauperlitz zum oberen Regnitzbach, jetzt dagegen benutzt
sie bis unterhalb Kautendorf das Thal, erst das rechte Saaleufer, dann
das rechte Ufer des Regnitzbaches, in dessen Thal sie bis zu 490 m
heraufsteigt. Zwischen Kautendorf und Rehau erreicht sie eine Höhe
von 562 m und fällt dann herein zur Schweßnitz (Rehau 527 m). Am
172 Albert Wohlrab, [76
rechten Thalgehänge derselben erklimmt sie dann den Höhenrücken,
über den hinweg (Sign, südlich von Schilderberg 682 m, Zollhaus Neu-
hausen 613 m, westlich von Asch 657 m) sie Asch erreicht. Unter-
halb der Stadt senkt sie sich herein ins Thal des Aschbaches, führt in
Asch selbst nach Süden und über den Sattel (680 m) hinüber auf die
Südseite des Gebirges. Am Goethestein bei Rommersreuth (625 m)
vorbei fällt die Straße herein nach Haslau (547 m), Pranzensbad (441 m)
und Eger (448 m). Die Straße bietet von dem Höhenrücken zwischen
Kautendorf und Rehau, sowie in der Gegend von Asch weitreichende
Umblicke über die Hochfläche.
Eine vierte Höhenstraße ist die zwischen Hof und Oelsnitz. In
471 m Höhe beginnt sie am südlichen Ende von Hof, berührt Jördens
Anlage (531 m), nähert sich dem Dorfe Leimitz (Wegegabel 533 m),
erreicht im Langen Holze 542 m , in und bei Gattendorf 559 m und
577 m, kurz vor der sächsischen Grenze 594 m Höhe, am Galgenberge
östlich von Gassenreuth und bei Haselrain sogar 614 m, quert in Unter-
triebel (461 m) das Triebelbachthal, nimmt südlich von Lauterbach
(Sign. 530 m) die von Roßbach herkommende Straße auf und wendet
sich herein zur Elster in Oelsnitz (386 m).
Deutlicher als die besprochenen vier Straßen zeigt den Charakter
einer Höhenstraße diejenige, welche die Orte Asch, Roßbach und Oels-
nitz miteinander verbindet. Sie erhebt sich unterhalb Asch aus dem
Thale des Aschbaches auf den sächsisch-böhmisch-bayrischen Grenz-
rücken, hat bei Sorg 618 m, nördlich von Elfhausen 675 m, am Aus-
gange von Thonbrunn 652 m, in Roßbach 584 m, nördlich von Roß-
bach 636 m, am Bubenstock 622 m, bei Obereichigt 591 m, in Süße-
bach 556 m Höhe und vereinigt sich bei Sign. 530 m südlich von
Lauterbach mit der Hof-Oelsnitzer Straße. Sie verläuft mit Ausnahme
ihrer südlichen und nördlichen Endstrecke, in der sie aus dem Thale
heraufsteigt, ihrer ganzen Länge nach auf dem Höhenrücken.
Die Straße von Eger nach Oelsnitz ist im größten Teile ihres
Verlaufes eine Thalstraße, zwischen Oelsnitz und Plauen trägt sie den
Charakter einer Höhenstraße. Aus dem Egerthale führt die Straße
über den Galgenberg nach Franzensbad, Oberlohma (463 m), Voiters-
reuth (525 m), an Schönberg (582 m) vorbei bis zur Höhe von 653 m
und am Abhänge des zum Fleißenbache geleitenden Thaies hinab nach
Brambach. Viel bequemer und nur wenig länger ist der Weg, der
östlich von der Bahnlinie Voitersreuth-Brambach über Wildstein (464 m),
Großloh (475 m), Fleißen (517 m) nach Brambach (546 m) führt. Erst
von diesem Orte aus kreuzt die Straße die Wasserscheide zwischen
Eger und Elster (615 m) und benutzt dann von Oberbrambach (589 m)
bis Mühlhausen (459 m) das Raunerbachthal und von dessen unterem
Ende bis Oelsnitz das Elsterthal. Von Oelsnitz (400 m) aus übersteigt
sie den mittelvogtländischen Höhenrücken (Untermarxgrün 434 m,
Oberlosa 468 m, Reinsdorf 374 m), um Plauen (341 m) zu erreichen.
Ueber denselben Höhenrücken hinweg führt auch einer der oben l)
erwähnten „beywege", eine Höhenstraße von Oelsnitz über Oberschloditz
J) Siehe S. 168 [72],
77] Das Vogtland als orographisches Individuum. 173
529 m) und Theuma (486 m) nach Neuensalz zu der Hauptstraße,
Plauen-Reichenbach. Bei Thoßfell biegt von letzterer die Straße ab,
die über Treuen (453 m), Buch (etwa 490 m), Lengenfeld (389 m,
Hoyersmühle 375 m), Irfersgrün, Vogtsgrün, Planitz nach Zwickau ver-
läuft. Bei dieser Straße tritt der Charakter der Höhenstraße erst in
dem außerhalb des Vogtlandes liegenden Teile, zwischen Lengenfeld
und Zwickau, hervor, der andere Teil der Straße hält sich an die in
dieser Richtung verlaufenden Thäler.
Durch das Zwotathai und das Floßbachthal wird der Verlauf der
von Graslitz (500 m) über Zwota (575 m), über den Rauner Berg (726 m),
Friebus (641 m), Wohlhausen (570 m) und Markneukirchen (487 m)
nach Adorf führenden Straße bestimmt. Dagegen ist der von Schön -
bach in Böhmen (525 m) über Wernitzgrün (615,6 m) nach Markneu-
kirchen verkehrende Weg ein Höhenweg. Ein solcher ist auch die
Straße, die aus dem Zwotathaie über Kottenhaide (780 m und 799 m),
Tannenhaus (776 m), Schöneck (Chausseehaus 738 m), Poppengrün
(640 m), Neustadt (578 m) nach Falkenstein (570 m) gerichtet ist und
sich in Poppengrün mit der von Oelsnitz über Zaulsdorf (497 m), Tir-
persdorf (480 m), Pillmannsgrtin (680 m), Werda (617 m) herkommen-
den Höhenstraße vereinigt.
Von Falkenstein an findet die Straße ihre Fortsetzung im Göltzsch-
thal, nimmt in Auerbach eine andere aus dem Zwotathaie heraus über
Klingenthal, Sachsenberg, Tannenbergsthal, Jägersgrün (an der Zwickauer
Mulde) und Hohengrün führende alte Straße auf und vereinigt sich in
Lengenfeld mit der Straße Lengenfeld-Zwickau. Der zwischen Rode-
wisch und Lengenfeld gelegene Teil dieser Straße ist erst neuerdings
von der Höhe herein ins Thal verlegt worden. Die Fortsetzung in der
Richtung des Göltzschthales verläuft wegen der unterhalb Lengenfeld
beginnenden Enge des Thaies über den Höhenrücken weg nach Reichen-
bach und Mylau (Wegegabel nach Waldkirchen oberhalb Schönbrunn
462 m).
Ebenso führt in der Richtung des Elsterthaies von Plauen auf
dem Elster- Weidarücken abwärts eine Straße, deren Anfang in Plauen
früher die „Reichsstraße" bildete, jetzt nach Norden zu (382 m) über
das Forsthaus (429 m) , den Tannenhof (etwa 485 m) , an Steinsdorf
(422 m) vorbei herein nach Elsterberg (271 m) und im Elsterthale ab-
wärts durch die Rothenthaler Enge nach Greiz (früher jedenfalls auf
dem Höhenrücken westlich der Elster über Moschwitz und Unter-
Grochlitz hinweg). Von Greiz (257 m) aus sucht sie wieder den west-
lichen Höhenrücken auf, indem sie im Thale der Quirle nach Gommla
(410 m) heraufsteigt und über Pomeranz (378 m), Wildetaube (376 m),
Wittchendorf, Kleindraxdorf (339 m), Zschorte sich herein nach Cronsch-
witz und Wünschendorf senkt, von wo an sie im Elsterthale nach Gera
zu strebt.
Alle diese Straßen, die früher mehr oder weniger im Dienste des
Durchgangsverkehres standen, haben diese Bedeutung an die Eisen-
bahnen abgetreten und dienen heute nur noch dem lokalen Verkehr.
174 Albert Wohlrab, [78
d) Die Eisenbahnen.
„An vielen Stellen kann man beobachten, daß die modernen
Eisenbahnen, von den Abweichungen im einzelnen abgesehen, den-
selben Linien wie die alten Saumwege und Fahrstraßen folgen. An
anderen Stellen hat allerdings die technische und finanzielle Möglich-
keit größerer Kunstbauten zur Wahl anderer Linien geführt. Zum
Teil hängt es hiermit zusammen, daß die Thalwege mehr und mehr
an die Stelle der Rücken- und Plateau wege getreten sind1).*1 Die
beiden hierin ausgesprochenen Beobachtungen, daß die Eisenbahnen
den alten Straßen folgen und daß sie früher auf die Höhenrücken,
später in die Thäler verlegt wurden, finden in den Eisenbahnlinien des
Vogtlandes ihre volle Bestätigung.
Die Richtung der Straße Hof-Plauen-Reichenbach hält der ent-
sprechende Teil der sächsisch-bayrischen Eisenbahn ein. Diese Ver-
kehrslinie steigt aus dem Thale der Saale am Gehänge der unteren
Regnitz herauf zum reußischen Grenzrücken, überschreitet im Passe
westlich vom Eandelhof die Wasserscheide und verläuft auf diesem
Höhenrücken und auf seiner nordöstlichen Fortsetzung, dem Elster-
Weidarücken, bis zum Thalrande der Weißen Elster. Ueber das Thal
hinweg gelangt sie auf einer 68 m hohen und 278 m langen Brücke.
Nachdem sie darauf den Wendelstein-Kuhbergrücken durchquert hat,
setzt sie über das Göltzschthal in einem 78 m hohen und 574 m langen
Viadukte hinweg und erreicht die Stadt Reichenbach. Wenige Kilo-
meter nach dieser Station überwindet sie die Wasserscheide zwischen
der Elster und der Pleiße und folgt dem zuletzt genannten Flusse hinab
nach Leipzig; oberhalb der Stadt Werdau zweigt sich von ihr in der
Richtung der alten „aus dem Reiche u nach Polen über Chemnitz,
Dresden, Bautzen führenden Straße eine Eisenbahnlinie nach Zwickau
ab. Innerhalb des Vogtlandes liegen an ihr die Stationen Hof (505 m),
Feüitzsch (495 m), Gutenfurst (567 m), Reuth (578 m), Schönberg
(514 m), Mehltheuer (512 m), Plauen (409 m), Jocketa (871 m), Herlas-
grün (429 m), Netzschkau (380 m) und Reichenbach (399 m). Auf
dieser 74 km langen Strecke, deren tiefsten Punkt die Fahrbahn der
Göltzschthalbrücke aufweist (367 m), beträgt der größte Unterschied
der Höhen rund 200 m.
Die andere Hauptlinie der vogtländischen Eisenbahnen ist eine
Thalbahn. Während jene erste in den Jahren 1841 — 1851 erstand,
wurde diese als vollständige Thalbahn erst 1874 vollendet. Es ist die
Linie Plauen-Oelsnitz-Eger. Allerdings bestand diese als „vogtländische
Linie" schon seit 1865, allein ihr Ausbau als Thalbahn war erst 9 Jahre
später beendet, als die Strecke Plauen-Oelsnitz fertig war. Vor Voll-
endung dieser Strecke fand sie ihren Anschluß an die Linie Hof-
Reichenbach in der Station Herlasgrün und verlief von dort weg längs
des Wendelstein-Kuhbergrückens über Treuen (470 m), Eich (damals
Station Lengenfeld, 496 m), Auerbach (540 m) nach Falkenstein (550 m)
*) Hettner, Der gegenwärtige Stand der Verkehrsgeographie. Geogr.
Zeitschr. III, S. 663.
79] Das Vogtland als orographisches Individuum. 175
und über den mittelvogtländischen Höhenrücken hinweg, vorbei an den
Stationen Bergen (518 m), Lottengrün (531 m) und Untermarxgrün
(447 m), nach Oelsnitz. Seit 1874 senkt sie sich vom Bahnhof Plauen
(oberer Bahnhof 409 m) herein ins Elsterthal (Kürbitz 357,6 m) nach
Weischlitz (356,9 m) und steigt in demselben an Pirk (367,4 m), Oels-
nitz (392,8 m) und Hundsgrün (445,8 m) vorbei nach Adorf (444,4 m)
und von Station Elster (472,5 m) an im Raunerbachthale herauf zur
Wasserscheide zwischen der Elster und Eger. Ueber den Sattel zwischen
dem Hengstberge und dem Wachtberge hinweg (612 m) erreicht sie
die Station Brambach (576 m) und fällt dann in großen Serpentinen
herein nach Voitersreuth (512 m), Franzensbad (450 m) und Eger.
Diese Eisenbahnstrecke ist zwischen Plauen und Eger ebenfalls 74 km
lang, fällt aber vom Wachtberge bis Weischlitz 250 m.
Ihre Fortsetzung im Elsterthale nach Norden zu hat diese Bahn-
linie in der Strecke Weischlitz-Gera gefunden, die 1875 als Linie
Weischlitz- Wolfsgefährt (an der Elster unterhalb der Weidamtindung)
eröffnet wurde. Der Schwierigkeiten, denen ihre Anlage begegnete,
wurde schon gelegentlich der Wanderung durch das Elsterthal gedacht.
Ueberschreitet doch die Bahnlinie, die in ihrer ersten Anlage 55 km
lang war, die Elster in 29 Brücken und bahnt sich ihren Weg durch
8 Tunnel in der Gesamtlänge von 1483 m, von denen der Elsterberger
356 m lang ist. Seit 1892 führt die Bahn nicht mehr von Wünschen-
dorf nach Wolfsgefährt hinüber, sondern auf dem rechten Elsterufer
bis Gera und weist seit 1897 eine die Verkehrsbedeutung des Vogt-
landes beweisende Schnellzugsverbindung auf zwischen Eger- Weischlitz-
Gera- Weimar als einer Teilstrecke der direkten Zugsverbindung zwischen
Wien-Eger-Gera-Weiraar-Cassel-Aachen.
Ihr parallel verläuft auf dem Elster- Weidarücken die an die
sächsisch-bayrische Eisenbahnlinie anstoßende Strecke Mehltheuer-
Weida, die 35 km lang ist und in Weida Anschluß findet an die
preußische Eisenbahnlinie Leipzig-Gera-Probstzella. Im nördlichen Teile
benutzt die Strecke die Thäler der Triebes und der Weida; sie ist also
zur Hälfte Höhen-, zur Hälfte Thalbahn. Der Bau dieser Bahn wurde
1872 begonnen, aber erst 1884 vollendet. Sie sollte ihrer ersten An-
lage nach den Verkehr zwischen Leipzig (und Halle) und Hof (und
Eger) abkürzen. Die Länge der Linie Hof-Plauen-Leipzig (bayrischer
Bahnhof) beträgt 164,6 km, die der Strecken Hof-Mehltheuer, Mehl-
theuer- Weida, Weida-Leipzig (thüringischer Bahnhof) 157,7 km; erst
wenn man von der letztgenannten Länge noch die des großen Bogens
zwischen Leipzig (thüringischer Bahnhof) und Leipzig-Lindenau (10,9 km)
abzieht, erscheint die zweite Verbindung mit der ersten vergleichbar
(146,8 km) und zeigt ihre Funktion als Abkürzungsstrecke. „Der Staat
hat die Linie (Mehltheuer-Weida) jedoch nur als Sekundärbahn aus-
gebaut, da seiner leistungsfähigen Bahn Leipzig-Hof gegenüber die
geringe Abkürzung der neuen Strecke zu wenig ins Gewicht fiel1)/
An die Stelle der Straße , die aus dem Floßbachthal über
l) A. v. Mayer, Geschichte und Geographie der deutschen Eisenbahnen,
1891, 1. Bd., S. 419.
176 Albert Wohlrab, [80
Friebus ins Zwotathai führte, ist die Eisenbahn Adorf- Markneu-
kirchen-Oberzwota getreten, die ein Teil der großen Linie Adorf- Aue-
Chemnitz ist und von Oberzwota ihre Fortsetzung herein ins Zwota-
thal findet.
Auch ins Göltzschthal hinüber hat die Zwotathalbahn neuer-
dings1) Anschluß, seit von Station Muldenberg (der Linie Adorf- Aue)
eine Verbindungsstrecke nach Falkenstein hergestellt wurde, nach einer
Station, die schon bei der Erwähnung der vogtländischen Linie genannt
wurde und wo seit 1875 eine Bahnlinie abzweigt, die als Thalbahn im
Göltzschthal abwärts' bis Lengenfeld und dann als Höhenbahn auf der
Wasserscheide zwischen der Göltzsch und Pleiße einerseits und der Mulde
andererseits nach Zwickau gelangt9).
Wenn von den angeführten Bahnlinien auch nur drei (Hof-Leipzig,
Eger-Reichenbach, [Eger]-Weischlitz-Gera) durchgehende Schnellzüge3)
aufzuweisen haben, so dienen sie doch mehr oder weniger alle dem
Durchgangsverkehre zwischen Sachsen und den beiden südlichen Grenz-
ländern Bayern und Böhmen. Den Verkehr mit Böhmen vermitteln
insbesondere auch die zuletzt erwähnten Linien, die seit dem Ausbau
der verbindenden Strecken in den Fahrplänen auftreten unter den Be-
zeichnungen Zwickau -Oelsnitz (mit den Hauptstationen Lengenfeld,
Auerbach, Falkenstein) und Herlasgrün-Muldenberg-Klingenthal (mit
den Hauptstationen Treuen, Auerbach oberer Bahnhof, Falkenstein und
Zwota).
Lediglich dem Lokalverkehr dienen die an die sächsisch-bayrische
Eisenbahn angeschlossenen Linien Schönberg-Schleiz und Schönberg-
Hirschberg, von denen die erstere im Thale der Wiesenthal, die andere
ihrer ganzen Länge nach (20 km) auf der sächsisch-reußischen Hoch-
ebene verläuft.
Von den beiden an den Grenzen des Vogtlandes vorüberlaufenden
Bahnlinien Leipzig-Gera-Saalfeld-Probstzella und Hof-Eger hat die erste
als Anschlußbahn der Linien Weischlitz-Gera und Mehltheuer-Weida
für das Vogtland große Bedeutung, während der Einfluß der zweiten
zurücktritt. An die erste der beiden Linien schließt sich in Triptis
noch die Lokalbahn Triptis-(Ziegenrück-Lobenstein-)Blankenstein an,
die zwischen Auma und Ziegenrück ungefähr mit der nordwestlichen
Grenze unseres Gebietes zusammenfällt. Von der zweiten Linie führt
vom Bahnhof Asch ab eine Lokalbahn nach Roßbach, die während des
größten Teiles ihres 15 km langen Verlaufes den Kamm des sächsisch-
böhmisch-bayrischen Grenzrückens benutzt.
Das oben abgegrenzte, 2483 qkm Flächeninhalt aufweisende Ge-
biet des Vogtlandes hat also folgende Bahnlinien, die innerhalb des-
selben folgende Längen aufweisen:
x) Seit dem Jahre 1892.
2) Eine Göltzschthal bahn Bengenf eld-Mylau befindet sich im Bau.
*) Die beiden erst seit 1897 verkehrenden Schnellzüge, der Nord-Südexpreßzug
(Brennerzug), der von Berlin über Leipzig-Hof- Regensburg -München-Innsbruck nach
Verona läuft, und der S. 175 [79] erwähnte Wien und Aachen (über EgerGera-
Weimar-Cassel) verbindende zeigen recht deutlich die wichtige Lage unseres Gebietes.
81] Das Vogtland als orographisches Individuum. 177
1. Hof-Reichenbach (Säalebrücke-Göltzschthalbrücke) . 78,0 km
2. Plauen-Eger (Plauen- Voitersreuth) 59,6 „
3. Weischlitz-Gera (Weischlitz-Wünschendorf) . . . 50,5 „
4. Mehltheuer-Weida . 35,1 „
5. Adorf-Oberzwota-Muldenberg 18,2 „
6. Herlasgrün-Falkenstein-Muldenberg 32,8 „
7. Oelsnitz-Falkenstein-Zwickau (Oelsnitz-Lengenfeld) . 37,7 „
8. Schönberg-Schleiz 14,9 „
9. Schönberg-Hirschberg 19,9 ^
10. Asch-Roßbach 15,0 ,
Zusammen 361,7 km
Auf 1000 qkm Flächeninhalt entfallen demnach 145,6 km Eisen-
bahn. Im Deutschen Reiche kommen 77,4 km, im Königreiche Sachsen
aber 149,2 km auf die gleiche Fläche l).
Das Eisenbahnnetz des Vogtlandes ist also fast ebenso dicht wie
das des Königreiches Sachsen, das, abgesehen von den Gebieten von
Bremen und Lübeck, das dichteste Eisenbahnnetz im Deutschen Reiche
hat. Das Vogtland hat also seine Bedeutung für den Verkehr auch
bei den veränderten Verkehrsmitteln bis in die neueste Zeit gewahrt.
G. Wirkungen des Durchgangsverkehres.
Die Wirkungen, die der das Vogtland durchziehende Verkehr aus-
übte, sind verschieden.
Auf die Wirkungen des kriegerischen Verkehrs soll hier
nur kurz eingegangen werden. M. Schmidt weist darauf hin2), daß
während der Wanderungen der deutschen Stämme vom 2. — 6. Jahr-
hundert n. Chr. das Vogtland „von fortwährenden Durchzügen heim-
gesucht wurde, welche die ansässige Bevölkerung zum Abzüge veran-
lagten ". Alle die Truppendurchzüge aufzuführen, welche das Vogtland
berührten, die Lasten aufzuzählen, die dadurch der Bevölkerung er-
standen, die Mißhandlungen zu schildern, die wilde Kriegshorden hier
verübten, würde zu viel Raum in Anspruch nehmen. Erzählungen
von den Greuelthaten aus dem Hussitenkriege und dem Dreißigjährigen
Kriege leben heute noch im Munde des Volkes. Ein Beispiel von den
Schrecknissen des Krieges, von dessen zerstörendem Einflüsse, mag hier
Platz finden. In der Nacht vom 9. zum 10. Oktober 1806 ließ der
französische Marschall Soult die hochgelegenen Dörfer Thiergarten,
Groß- und Kleinzöbern anzünden, um seine Stellung dem bei Schleiz
stehenden Marschall Ney zu signalisieren, der das ebenfalls hochgelegene
Dorf Oettersdorf bei Schleiz hatte in Brand stecken lassen3).
') Gebauer, Volkswirtschaft i. Königr. Sachsen, 111, S. 752. Nach der
deutschen Eisenbahnstatistik, herausgeg. vom Reichseisenbahnamt, für 1896/97
kommen auf 1000 qkm Grundfläche in Sachsen 156,5 km Eisenbahnen.
2) A. a. O., S. 20.
') Fiedler, Die Stadt Plauen im Vogtlande. Eine historische Skizze,
1874, S. 50.
Forschungen zur deutschen Landes- and Volkskunde. XII. 8. 12
178 Albert Wohlrab, [82
Von dem Einfluß des Handelsverkehrs auf unser Gebiet
spricht die schon angeführte Schrift von Simon. Nach derselben haben
die das Vogtland durchziehenden großen Straßen die Entstehung der
daran gelegenen Städte zur Folge gehabt. Seiner Verkehrslage soll
das Vogtland auch die beiden bekannten Industrieen, die Weißwaren-
industrie und die Musikinstrumentenindustrie verdanken. Kaufmann
Höffer in Plauen schreibt über den Ursprung der ersten1): „Nach der
Tradition oder mündlichen Uiberlieferung, weil keine schriftliche Nach-
richt hierüber zu haben ist; legten einige Familien, die der Religion
wegen aus der Schweitz vertrieben wurden, und sich in Hof und Plauen
niederließen, im sechszehnten Jahrhundert den Grund zu dieser Fabric.
Sie fingen an, was sie dort gelernt hatten, sogenannte baumwollne
Schlör oder Schleyer zu verfertigen. . . .tt „Das Bässe- und Geigen-
machen soll 1580 durch böhmische Exulanten — namentlich aus Schön-
bach und Graslitz — nach Markneukirchen gebracht worden sein1)."
Was die erstgenannte Industrie seinerzeit brauchte, Wasser und Wiesen,
das besaßen auch andere Gegenden, ja vielleicht in einer noch besser
geeigneten Art; daß sie sich hier niederließ, ist durch die Verkehrs-
lage des Gebietes bewirkt.
Der Einfluß der Verkehrslage des Gebietes macht sich auch
geltend auf seine staatliche Zugehörigkeit. „Jedes Verkehrs-
gebiet strebt aber auch, ein politisches Gebiet zu werden8).* Inter-
essant ist der Verlauf, den in dieser Beziehung im Vögtlande die Ver-
hältnisse nahmen. Zuerst sehen wir, wie die mit dem Gebiete be-
lehnten Vögte sich zu selbständigen Herren des Landes erheben wollen.
Dann beginnen die mächtigeren Nachbarn an Einfluß zu gewinnen.
Nachdem Kursachsen seine Rivalen (König von Böhmen und Burggraf
von Nürnberg) beiseite gedrängt und den größten Teil des Gebietes in
seine Gewalt gebracht hat, benutzt es seine staatlichen Machtmittel,
um die Funktion des Gebietes als Verkehrsgebiet einzig und allein auf
den von ihm gewonnenen Teil zu übertragen.
Den Unabhängigkeitsbestrebungen der Vögte, die ursprünglich
Lehensträger der Thüringer Landgrafen waren, kam an der Wende des
13. Jahrhunderts die Uneinigkeit der Wettiner sehr zu statten4); allein
nach der Mitte des 14. Jahrhunderts wurden sie von den Wettinern
immer mehr aus ihren Besitzungen verdrängt. Die zeitweise mit den
Wettinern rivalisierenden Könige von Böhmen unterstützten diese zu
jener Zeit in ihren Bemühungen, um sich ihrer Hilfe bei anderen
Unternehmungen zu sichern. Für die Lande der Wettiner gewann mit
dem Wachstume der Leipziger Messen das Gebiet der Vögte so große
') Versuch einer Geschichte der Baumwollnen Waren-Manufactur im Voigt-
ländischen Creiß von 1550 — 1790. Von Carl Heinrich Höffer, Kaufmann in
Plauen, enth. in d. Mitteil. d. Altertumsver. z. Plauen i. V., 9. Jahresschrift,
1892/93, S. 3.
2) Metzner, Vogtland. Wanderungen, 1882, S. 163.
s) Ratzel, Politische Geographie, S. 404.
4) We n c k , Der vogtlandische Krieg (Anhang zu : Die Wettiner im XIV. Jahr-
hundert), S. 9 ff. — Hermann Ahrens, Die Wettiner und Kaiser Karl IV. Leipzig,
Diss., 1895, S. 6. — Martin Luther, Die Entwicklung der landständischen Ver-
fassung in den wettinischen Landen bis z. J. 1485. Leipzig, Diss., 1895, S. 54.
831 Das Vogtland als orographisches Individuum. 179
Bedeutung, daß die Wettiner danach streben mußten, die wichtige
Zufahrtsstraße von Süden her den Händen der Vögte zu entreißen.
Unter dem Vorwande, die Vögte begünstigten das Räuberunwesen,
begann 1354 der vogtländische Krieg, durch den die wichtigsten Plätze
an der Elster und einige Gebiete zwischen Elster und Saale an Meißen
kamen und die Macht der Vögte völlig gebrochen wurde. Zwar bringt
in der Mitte des 16. Jahrhunderts der thatkräftige Burggraf Heinrich V.
von Plauen, ein Parteigänger des Kaisers Karl V., sowohl die Gebiete
seiner Vettern als auch die an die Wettiner übergegangenen Landes-
teile an sich, erobert Hof und hat die Aussicht, das einst dem Hause
der Vögte gehörige Regnitzland zu gewinnen, allein nach dem frühen
Tode dieses Mannes gehen die eben wiedergewonnenen Gebiete den
Vögten fllr immer verloren.
Als der ganze östliche Teil des wichtigen Verkehrsgebietes in den
Händen des benachbarten, stärkeren Staates (Sachsen) war, wußte dieser
sofort das neue Gebiet seinen wirtschaftlichen Interessen dienstbar zu
machen zum Nachteile der den Vögten verbliebenen westlichen und
nördlichen Gebiete (die Fürstentümer Reuß älterer und jüngerer Linie).
„Die Macht, die einen Gebirgsübergang umfaßt, zieht zunächst Einfluß
aus ihrer Beherrschung des Verkehres, der diesen Weg benutzt1)." Es
wurde schon darauf hingewiesen, wie von Sachsen aus den Fuhrleuten
der Weg durch das westliche Gebiet (die Straße Hof-Schleiz-Gera-
Leipzig) verboten wird. Welcher Anstrengungen es bedurfte, um diesen
Verboten Achtung zu verschaffen, zeigen die mehrfachen Erneuerungen
dieses Mandats in den Jahren 1697 und 1708, die eine 1680 der Pest
wegen gegebene Erlaubnis, jene Wege zu benutzen, wieder aufhoben2).
Waren es in jener Zeit die Zölle, Geleitsabgaben u. dgl., welche das
Interesse des Staates erweckten, so sind es heutzutage die aus den
Eisenbahnen erwachsenden Einnahmen. Daß der sächsische Staat die
Linie Mehltheuer-Weida als Sekundärbahn ausbaute und nicht als zwei-
gleisige Hauptbahn3), die dem Verkehr zwischen Leipzig und Hof eine
Abkürzung bietet, wie die Absicht der die Bahn gründenden Privat-
gesellschaft war, ist eine jenen Straßenmandanten analoge Thatsache.
Ungünstig für den Verkehr auf der zuletzt genannten Linie und
damit für den Durchgangsverkehr durch das Vogtland ist die Kon-
kurrenz der dem preußischen Staate gehörigen Linie Leipzig-(Halle-)
Gera-Weida-Saalfeld-Probstzella, die gegenüber jener eine wesentliche
Abkürzung der Entfernung zwischen Leipzig und Nürnberg herbei-
führt; es beträgt die Länge der Strecke Leipzig-Hof-Bamberg-Nürnberg
354 km, die Länge der Strecke Leipzig-Probstzella-Nürnberg nur 324 km.
Die Strecke Leipzig-Hof-Marktredwitz-Nürnberg ist 331 km lang.
f) Ratzel, Politische Geographie, S. 686.
2) Heller, Handelswege, S. 60. 61.
3) Ulbricht, Geschichte der königl. sächs. Staatseisenbahnen. Dresden,
1899, S. 62. - A. v. Mayer, a. a. 0.
180 Albert Wohlrab, [84
2. Die Siedelnngen des Vogtlandes.
A. Lage der Siedelangen.
Die geographischen Verhältnisse des Vogtlandes zeigen zwei her-
vortretende Eigentümlichkeiten, es sind die im Vergleich zu den Nach-
bargebieten geringere absolute Höhe und der Hochflächencharakter.
War die erste Eigentümlichkeit der Anlaß, die Eigenschaft des Gebietes
als Durchgangsland des Verkehres nachzuweisen, so regt die zweite
die Frage nach der Lage der Siedelungen in demselben an. Bei der
Zeichnung des Landschaftsbildes wurde schon darauf aufmerksam ge-
macht; denn „die menschlichen Ansiedelungen gehören nicht nur durch-
aus zum äußeren Bilde der Landschaft, aus der wir sie uns nicht ent-
fernt denken können, ohne das Bild ganz zu verändern, sondern stehen
auch mit den übrigen geographischen Erscheinungen gebend und
empfangend in so engem ursächlichem Zusammenhang, daß das System
geographischer Thatsachen ohne sie eine klaffende Lücke zeigen würde" 1).
Ein Eingehen auf die Lage der Siedelungen scheint daher bei der Be-
sprechung der anthropogeographischen Folgerungen aus den orographi-
schen Verhältnissen nötig zu sein.
„Bei der Untersuchung2) der Gesamtheit der Ansiedelungen einer
Gegend wird man bemerken, daß viele Ansiedelungen gleichartige
Lagenverhältnisse haben. Man wird also Klassen bilden oder Typen
aufstellen und wird Gesetze aussprechen können, die zunächst aller-
dings nur für die betreffende Gegend gültig sind/ Jedes gebirgige
Land läßt der Lage nach zwei Hauptklassen von Siedelungen als mög-
lich erscheinen, Siedelungen auf den Höhen und Siedelungen im Thale.
Der oben gezeichnete Charakter unseres Gebietes läßt in der Klasse
der Höhensiedelungen wieder zwei Möglichkeiten zu. Die Orte können
auf den Bergrücken selbst liegen oder in den Mulden zwischen den-
selben ihren Platz haben. Die Siedelungen im Thale können entweder
auf den Thalboden oder an das Thalgehänge (auf Thalterrassen) ge-
baut sein. In den Thälern des Vogtlandes wechseln Thalengen mit
Thalweiten ab. Abgesehen von den Einzelsiedelungen lassen sich daher
in unserem Gebiete Orte vorzugsweise in den Thalweitungen erwarten,
wie sie sich zeigen an Thalkrümmungen und an den Mündungen von
Nebenthälern. Nach ihrem Verhältnis zu den orographischen Formen
des Gebietes lassen sich demnach vier Klassen von Siedelungen unter-
scheiden, die im landschaftlichen Teile der Arbeit schon angedeutet
wurden3): Siedelungen in Thalweitungen, an Thalgehängen, in Mulden
der Hochfläche und auf den Höhenrücken. Wenn sich die Siedelungen
des Vogtlandes auch nicht nach diesen vier Klassen scharf voneinander
unterscheiden lassen und manche Siedelungen Uebergänge von einem
*) Hettner, Die Lage der menschlichen Ansiedelungen. Geogr. Zeitechr., I,
S. 361.
2) Hettner, a. gleichen 0., S. 374.
8) Siehe S. 153 [57].
85] Das Vogtland als orographisches Individuum. 181
Typus zum andern oder Kombinationen zweier Typen darstellen, so ist
es doch möglich, für jeden derselben zahlreiche Beispiele aufzuführen.
In Thalweitungen liegen die Städte Greiz, Plauen und Oelsnitz,
die freilich über den engen Rahmen des Thalbodens längst hinaus-
gewachsen sind, am weitesten von allen drei Städten Plauen, dessen
Häuserreihen in neuester Zeit auf der Hochfläche ein bedeutendes Vor-
dringen aufweisen. In der Thalweitung der Elster oberhalb Plauen
haben sich die Dörfer Straßberg, Kürbitz und Weischlitz angesiedelt.
Neuerdings breitet sich auch die Stadt Adorf immer mehr in der Thal-
aue aus, während der ältere Teil derselben am westlichen Gehänge
aufgebaut ist. Aehnliche Verhältnisse zeigt Bad Elster. An der Mün-
dung der Auma in die Weida liegt in der Thalweitung und am Thal-
gehänge das Städtchen Weida, an der Mündung des Raumbaches in
die Göltzsch das Städtchen Mylau, beide überragt von einer alten Burg.
Innerhalb des Granitgebietes fließt die Trieb in einem breiten und
flachen Thale, in dem sich die Dörfer Bergen, Trieb und Schönau an-
gesiedelt haben. Typische Beispiele für die Lage in Thalweitungen
bieten ferner die Dörfer Dröda im Peilebachthale, Görnitz, Raasdorf,
Zaulsdorf und Tirschendorf im Thale des Görnitzbaches und in seinen
Nebenthälern , die Stadt Markneukirchen und das Dorf Erlbach im
Floßbachthale, Brambach und Pleißen im Thale des Fleißenbaches,
Steingrub im Thale des Rohrbaches. Im Gebiete der Saale sei auf die
Lage von Hof und Hirschberg hingewiesen.
Selten sind im Vogtlande die langgestreckten Dörfer, die sich in
einem beträchtlichen Teile eines Thaies hinziehen. Es fehlt an hierzu
geeigneten Thälern. Im Elsterthale selbst findet sich kein derartig
angelegter Ort. In der Mitte des Gebietes sind nur die Orte Unter-
triebel im Triebelbachthale und Bösenbrunn in einem Nebenthaie des
letzteren als solche anzuführen. In den Grenzgebieten sind sie häufiger.
Im Thale der Weida ist Weckersdorf, im Thale der Leuba Langen-
wetzendorf, im Göltzschthale Grün, Rodewisch, Auerbach, Ellefeld, in
Nebenthälern der Göltzsch Oberreichenbach, Schneidenbach, Waldkirchen,
Lengenfeld, am Treuenschen Wasser Dorfstadt und Reumtengrün zu
nennen. Im unteren Raunerbachthal streckt sich das lange Mühlhausen
aus ; im westlichen Vogtlande zeigt das in einem Nebenthaie der Wiesen-
thal gelegene Crispendorf eine ähnliche Anlage. Auch Orte, wie Langen-
bach, Langenbuch (bei Mühltroff) und Langgrün (südwestlich von Tanna)
würden mit zu dieser ersten Klasse zu zählen sein, wenn sie nicht so
nahe der Hochebene lägen und besser als Siedelungen in Mulden der
Hochfläche bezeichnet werden. Da diese langgestreckten Dörfer im
Vogtlande selten sind, so können die wenigen Vertreter derselben der
Klasse der Dörfer in Thalweitungen zugezählt werden; denn thatsäch-
lich ist ihre Anlage nur in weiten Thalabschnitten möglich.
Eine zweite Klasse von Siedelungen des Vogtlandes ist die
Gruppe derer, die am Thalgehänge angebaut sind, sei es, daß sie
vom Thale bis hinauf zum Rande der Hochfläche sich ausdehnen, sei
es, daß sie auf einer Thalterrasse Platz gefunden haben. Eine der-
artige Lage zum Elsterthale oder zu unmittelbaren Nebenthälern des-
selben weisen folgende Orte auf: Clodra, Dittersdorf (südöstlich von
182 Albert Wohlrab, [86
Weida), Alt-Gernsdorf, Grochlitz, Caselwitz, Gablau, Kurtscliau, Sachs-
witz, Kleingera, Liebau, Pirk, Magwitz, Schönbrunn (bei Oelsnitz),
Lauterbach (bei Oelsnitz). Die entsprechende Lage zum Weidathale
haben Gräfenbrück, Schüptitz, Göhren, Staitz, Dörtendorf, Quingenberg,
Kleinwolschendorf, Läwitz, Förthen, zum Aumathale die Stadt Auma
und das Dorf Crölpa. Großfriesen bei Plauen hat eine ähnliche Lage
zu einem Nebenthaie des Friesenbachthaies , Pohl und Thoßfell zum
Thale der Trieb, Kloschwitz, Rodersdorf und Kobitzschwalde (südwest-
lich von Plauen) zum Thale des Rosenbaches und seiner Nebenthäler.
Aehnliche Lagen Verhältnisse zum Saalethale zeigen Pottiga (westlich
von Hirschberg), Saaldorf, Weidmannsheil, Saalburg (auf einer Thal-
terrasse), zum Thale des Wetteraubaches Rayla, zum Thale der Wiesen-
thal Grochwitz und Moschwitz.
Zahlreicher als die beiden eben genannten Klassen ist die Klasse
der Ortschaften, die in Mulden der Hochfläche liegen. Im öst-
lichen Teile des Gebietes treten uns als solche entgegen die Orte
Reimersgrün, Christgrün, Herlasgrün, Eich, Rebesgrün, Thiergarten,
Meßbach, Unterlosa, Altmannsgrün bei Oelsnitz, Droßdorf, Tirpersdorf,
Arnoldsgrün, Schilbach bei Schöneck, Werda u. a. Im südlichen Teile
begegnen wir ähnlichen Lagen bei den Orten Elf hausen, Thonbrunn,
Prex, Posseck, Regnitzlosau, Trogenau, Nentschau, Kirchgattendorf,
Gumpertsreuth, Oberhartmannsreuth, Gassenreuth, Sachsgrün, Lodden-
reuth, Troschenreuth u. a. Im westlichen Teile des Vogtlandes, der
den Hochflächencharakter am deutlichsten zeigt, weisen die meisten
Orte die bezeichnete Lage auf. Die folgende Reihe kann daher, ebenso
wie die oben angeführten, keine vollständige sein, sondern soll nur
Beispiele bieten. Solche sind : Münchenreuth, Mödlareuth, Gebersreuth,
Gefell, Rothenacker, Spilmeß, Willersdorf, Ober- und Unterkoskau,
Schleiz, Mühltroff, Tanna, Blintendorf, Frössen, Seubtendorf, Schillbach
bei Tanna, Mielesdorf, Frankendorf, Kauschwitz, Zwoschwitz, Pausa,
Alt- und Neupöllwitz, Dobia, Wellsdorf, Erbengrün, Wenigenauma,
Pahren, Löhma, Kirschkau, Pörmitz, Plothen.
Eine große Anzahl vogtlandischer Siedelungen erhebt sich auf
den Höhenrücken und schauen von diesen über die Hochfläche hin-
weg. Solche Orte sind im östlichen Teile: Brockau, Pfaffengrün,
Lauschgrün, Buchwald, Treuen, Falkenstein, Schöneck, Poppengrün,
Neustadt, Lottengrün, Theuma, Schloditz, Obermarxgrün, Oberlosa,
Breitenfeld, Landwüst. Im südlichen Teile schauen von den Höhen
herab die Orte Hohendorf, Bärendorf, Oberreuth, Eichigt, Ebmath,
Süßebach, Pabstleithen, Tiefenbrunn, Haselrain, Engelhardtsgrün, Ebers-
berg, Neu- und Schloß-Gattendorf, Planschwitz. Im westlichen Teile
haben eine Höhenlage inne die Orte Blosenberg. Großzöbern, Straßen-
reuth, Heidefeld, Mißlareuth, Göttengrün bei Gefell, Reuth, Stelzen,
Schwand, Steins, Schönberg, Kornbach, Mehltheuer, Syrau, Steinsdorf,
Hohndorf, Pansdorf, Alt- und Neugommla, Daßlitz, Hainsberg, Küh-
dorf, Lunzig, Kauern, Wildetaube, Wittchendorf, Hohenölsen, Klein-
Draxdorf, Teichwitz, Hohenleuben, Brückla, Mehla, Neuärgernis, Weißen-
dorf, Zeulenroda, Tegau, Lössau, Dittersdorf, Oettersdorf, Eßbach,
Tausa, Bucha, Knau.
87]
Das Vogtland als orographisches Individuum.
183
In seiner orometrisch-anthropogeographischen Studie über das
Erzgebirge zählt Burgkhardt die Ortschaften, die auf einer Höhenstufe
liegen, und berechnet den prozentualen Anteil jeder Höhenstufe an der
Zahl der Ortschaften und an der Bevölkerungsziffer. Im Gebiete der
drei Amtshauptmannschaften Oelsnitz, Plauen und Auerbach, soweit sie
östlich der Elster liegen und die mit der Osthälfte unseres Gebietes im
wesentlichen zusammenfallen, liegen
auf der Höhenstufe 800— 900 m 2 Ortschaften, das sind 1,02V)
700—800 , 6
600—700 , 24
500—600 , 39
400—500 , 80
300—400 , 45
200—300 , 1
3,05,
12,18 ,
19,80 ,
40,61 ,
22,84 ,
0,51,
Werden in gleicher Weise alle Ortschaften des in der vorliegen-
den Arbeit behandelten Gebietes zusammengestellt, so ergiebt sich fol-
gendes Bild:
Z
ahl der Ortschaften
Höhenstufe
Nach Pro-
des öst-
des süd-
des west-
des ganzen
zenten
lichen Teiles
lichen Teiles
lichen Teiles
Gebietes
700-800
5
5
0,82
600-700
25
35
3
63
10,31
500-600
50
101
60
211
34,53
400-500
67
25
106
198
32,41
30(M00
39
3
78
120
19,64
200-300
1
—
13
14
2,29
Die vorstellende Tabelle zeigt, daß die meisten Ortschaften des
Gebietes (66,94 °/o) auf der Höhenstufe 400 — 600 m liegen; die durch-
schnittliche Höhenlage ist demnach die von etwa 500 m Höhe, die
mit der mittleren Seehöhe des Gebietes (494 m) übereinstimmt.
B. Die Form der Siedelungen.
Aus dem schon erwähnten Mangel des Vogtlandes an Ortschaften
mit der charakteristischen langgestreckten Anlage ist zu erkennen, daß
die orographischen Verhältnisse auch Einfluß haben auf die Anlage
oder Form der Siedelungen. Burgkhardt2) macht auch hierauf aufmerk-
sam. „Es sei noch bemerkt, daß die Bodenform des Vogtlandes eine
Bauart der Dörfer bedingt, welche sich von der des westlichen Erz-
gebirges oft wesentlich unterscheidet. Infolge seines Plateaucharakters
') Burgkhardt, Erzgebirge, S. 39.
2) A. a. O., S. 38.
184 Albert Wohlrab, [88
und der wenig tief aasgefurchten Flufithäler nämlich finden sich nicht
so viele langgestreckte Ortschaften; sowohl auf der Nord Westseite als
auch in dem der Südseite des Gebirges angehörenden Teile des Vogt-
landes nähert sich der Grundriß der Dörfer mehr dem Kreise. Darin
liegt auch die Ursache, daß nur wenige, nämlich nur sieben von ihnen,
zwei Höhenstufen angehören/ Hierbei ist jedoch zu bedenken, daß
der ring- oder hufeisenförmige Aufbau des Dorfes als zuverlässiges
Kennzeichen seines wendisch-sorbischen Ursprunges gilt1). Da nun das
Vogtland reich ist an Siedelungen diesen Ursprunges, so erscheint es
berechtigt, die Form derselben lediglich ethnographisch zu erklären.
Dies thut Brückner2) in seiner Landeskunde von Reuß jüngerer Linie.
„Bestimmte die Natur die Stätte, so die Nationalität die Form der
Dörfer. Darauf bezüglich trifft man hier zwei verschiedene, trotz der
im Laufe der Zeit durch mancherlei Einflüsse bewirkten Veränderungen
doch noch leicht erkennbare Dorfanlagen, nämlich eine slawische und
eine deutsche. Im allgemeinen ist jene eine geschlossene Rundform,
diese langweilig und lose. ... In der Regel bildeten die meist kleinen,
nur aus fünf bis neun Gehöften bestehenden Sorbendörfer einen einzigen
King, wie in Otticha, hier und da aber auch, namentlich um Terrassen-
teiche, zwei und drei Ringe oder Rundlinge, wie dies in Niederböhms-
dorf der Fall ist. An Flüssen und Bächen geschah die Dorfanlage in
mehr länglichen Bogen. Uebrigens trifft man die sorbische Dorfanlage
auch in Dörfern, die einen deutschen Namen haben. Offenbar ist ihre
Gründung von den Sorben ausgegangen, was außer der Dorfform auch
von den Flurnamen solcher Orte bezeugt wird." Die Zerlegung der
Dorfflur in unregelmäßige, ungeordnet liegende Blöcke ist ein weiteres
Kennzeichen des sorbisch-wendischen Ursprungs einer Siedelung. Die
Beantwortung der Frage nach dem Einfluß des Plateaucharakters der
Landschaft auf die Form der Siedelung ist nur möglich, wenn sich
feststellen läßt, daß es im Vogtlande auch ringförmig angelegte Dörfer
giebt, die nicht von den Sorben- Wenden gegründet worden sind3).
Unter Benutzung der Flurkarten stellt M. Schmidt fest, welche von
den Ortschaften des sächsischen Vogtlandes deutsche Siedelungen sind.
Die deutschen Waldhufendörfer lassen sich zum Teil schon auf den
topographischen Karten im Maßstabe 1 : 25000 und 1 : 100000 erkennen
an den vom Dorfe ausgehenden teilweise parallel zu einander verlaufen-
den Feldwegen. Als deutsche Siedelungen, deren Anlage eine kreis-
förmige oder der Kreisform sich nähernde ist, liegen in dem östlichen
Teile des Vogtlandes: Herlasgrün, Eich, Poppöngrün, Werda, Lotten-
*) E. O. Schulze, Die Kolonisierung und Germanisierung der Gebiete zwi-
schen Saale und Elbe, 1896, S. 22.
2) S. 133.
s) Der Einwand, die deutschen Siedler könnten die Form der benachbarten
sorbischen Orte nachgeahmt haben, wird widerlegt durch die Erfahrung, daß die
Deutschen soweit wie möglich die gewohnten Verhältnisse ihrer Heimat auch auf
die neuen Siedelungen zu übertragen bestrebt waren (Ortsnamen, Flurteilung), und
daß das Waldhufendorf dort, wo die Bodenverhältnisse dazu geeignet sind, auch
im Vogtlande die charakteristische langgestreckte Form erhält (Beispiele siehe
8. 181 [85]).
89] Das Vogtland als orographisches Individuum. 185
grün, Droßdorf, Altmannsgrün bei Oelsnitz, Stöckigt, Tirpersdorf, Hart-
mannsgrün bei Treuen, Tirschendorf, Willitzgrün, Korna, Schöneck,
Gunzen, Breitenfeld, Sträßel; im südlichen Teile: Ebmath, Schönbrunn
bei Oelsnitz, Ottengrün, Gassenreuth, Ebersberg, Schönberg bei Bram-
bach; im westlichen Teile: Schönberg bei Plauen, Berglas, Ramolds-
reuth, Schollenreuth, Münchenreuth, Göttengrün bei Gefell, Tanna, Schil-
bach bei Tanna, Wernsdorf bei Saalburg, Künsdorf, Seubtendorf.
Die Frage: Hat die Bodenform des VogÜandes die ringförmige
Anlage von Siedelungen bedingt? ist demnach zu bejahen.
Die orographischen Verhältnisse des Vogtlandes geben diesem im
Verein mit seiner Lage die Bedeutung eines Durchgangslandes des
Verkehres, verweisen die Straßen und Siedelungen vorwiegend
auf die Hochfläche und bewirken eine ringförmige Anlage
der Dörfer.
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Band III.
Heft 1. Die Verbreitung und wirtschaftliche Bedeutung der wichtigeren Wald-
baumarten innerhalb Deutschlands, von Prof. Dr. B. Borggreve. Preis M. 1.—
Heft 2. Das Meissnerland, von Dr. M. Jäschke. Preis M. 1.90.
Heft 8. Das Erzgebirge. Eine orometrisch - anthropogeographische Studie von Oberlehrer
Dr. Johannes Burgkhardt» Preis M. 5. 60.
Heft 4. Die Kurische Nehrung und ihre Bewohner, von Prof. Dr. A. Bezzenberger.
Preis M. 7. 50.
Heft 5. Die deutsche Besiedlung der östlichen Alpenländer, insbesondere Steier-
marks, Kärntens und Krains, nach ihren geschichtlichen und Ortlichen Verhältnissen,
von Prof. Dr. F. von Krones. Preis -M. 5. 60,
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üeberblicke, von Prof. J. B. Nordhoff. Preis M. 1.20.
Heft 2. Der Rhein in den Niederlanden, von Dr. H. Blink. Preis M. 4.20.
HeftS. Die Schneedecke, besonders in deutschen Gebirgen, von Prof. Dr.
Friedrich Ratzel. Preis AI. 8. —
Heft 4. Rechtsrheinisches Alamannien; Grenze, Sprache, Eigenart, von Prof.
Dr. A. Birlinger. Preis M. 4.80.
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gleichenden Ausblicken, von Dr. Otto Zacharias. Preis M. 1.50.
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Heft 1. Nährpflanzen Mitteleuropas, ihre Heimat, Einführung in das Gebiet
und Verbreitung innerhalb deaselben, von Dr. F. Hock. Preis M. 2.20.
Heft 2. Ueber die geographische Verbreitung der Süsswasserfische von Mittel-
europa, von Dr. E. Schulze. Preis 50 Pfennig.
Heft 3. Der Seifenbergbau im Erzgebirge und die Walensagen, von Dr. H. Schurtz.
Preis M. 2.60.
Heft 4. Die deutschen Buntsandsteingebigte. Ihre Oberflächengestaltung und anthropo-
geographischen Verhältnisse, von Dr. Emil Küster. Preis M. 3.20.
Heft 6. Zur Kenntnis des Taunus, von Dr. W. Sievers. Preis M. 8.60.
Heft 6* Der Thüringer Wald und seine nächste Umgebung, von Dr. H. Pröscholdt.
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Eine anthropogeographische Untersuchung, von Dr. A. Schlatterer. Preis M. 3.60.
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landes, von Dr. F. Wahnschaf.f e. Preis M. 7. 20.
Heft 2. Die Volksdichte der Thüringischen Triasmulde, von Dr. C. Kaesemacher.
Preis M. 3. 20.
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im 17. und 18. Jahrhundert, von Prof. Dr. E. Richter. Preis M. 7. —
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wickelung bis zum Jahre 1500, von Dr. A. Simon. Preis M. 4. —
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Heft 2. Der Pinzgau. Physikalisches Bild eines Alpengaues. Von Oberlehrer Dr. Wilhelm
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Heft 2. Beitrag zur physikalischen Erforschung der baltischen Seeen. Von
Professor Dr. Willi Ule. Preis M. 3.—
Heft 8. Zur Kenntnis des Hunsrücks. Von Dr. Fritz Meyer. Preis M. 4.—
Heft 4. Die Veränderungen der Volksdichte im nördlichen Baden 1852 — 1895.
Von Dr. Carl Uhlig. Preis M. 10.—
Heft 5. Entwicklungsgeschichte der phanerogamen Pflanzendecke Mitteleuropas
nördlich der Alpen. Von Dr. August Schulz. Preis M. 8.40.
Band XII.
Heft 1. Die Niederschlagsverhältnisse der mittleren Rheinprovinz und der Nach-
bargebiete. Von Dr. P. Polis, Direktor der Meteorologischen Zentralstation in Aachen.
Mit 10 Tabellen, 9 Karten und 3 Textillustrationen. 1899. 96 Seiten. Preis M*. 12.—
Heft 2. Das Vogtland als orographisches Individuum. Eine Studie zur deutschen
Landeskunde. Von Dr. Albert Wohl ral» in Leipzig. Mit 1 Uebersichtskarte, 7 Licht-
drucktafeln und 12 Textillustrationen. 1899. 89 Seiten. Preis M. 6.40.
Neu eintretende Abonnenten, die alle bistier erschienenen Hefte nach-
beziehen, erhalten Band 1—5 zum halben Preis.
Druck der Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart.
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niiiijjijnnitiMi>iiiiiiiiii>iiiiiiiiiMiMViliilViiiniiiiMiMi'«Miiiiit:
Forschungen
zur deutsckenTiandes- und Volkskunde
im Auftrage der
Cenfcralkommission für wissenschaftliche Landeskunde von Deutschland
herausgegeben von
Dr. A. Kirchhoff,
Profeaaor der Erdkunde an der UnIveraU&t Malle. .
Zwölfter Band.
Heft 3.
m .Hirrni iti'i irrn i« n rfmrrrr«-
Das Ries.
Eine
geographisch -volkswirtschaftliche Studie.
Von
D" CHRISTIAN GRÜBER
IN MÜNCHEN
Mit 2 Kartenbeilagen und 12 Textilluetrationen.
--»HC»
STUTTGART.
VERLAG VON J. ENGELHOKN.
1899.
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iie „Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde* sollen dazu helfen, die
heimischen landes- und volkskundlichen Studien zu fördern, indem sie aus allen Gebieten
derselben bedeutendere und in ihrer Tragweite über ein bloss örtliches Interesse hinaus-
gehende Themata herausgreifen und darüber wissenschaftliche Abhandlungen hervorragender
Fachmänner bringen. Sie beschranken sich dabei nicht auf das Gebiet des Deutschen Reiches,
sondern so weit auf mitteleuropäischem Boden von geschlossenen Volksgemeinschaften die
deutsche Sprache geredet wird, so weit soll sich auch, ohne Rücksicht auf staatliche Grenzen,
der Gesichtskreis, unserer Sammlung ausdehnen. Da aber die wissenschaftliche Betrachtung der
Lande8natur die Weglassung einzelner Teile aus der physischen Einheit Mitteleuropas nicht
wohl gestatten würde, so sollen auch die von einer niohtdeutschen Bevölkerung eingenommenen
Gegenden desselben samt ihren Bewohnern mit zur Berücksichtigung gelangen, ßs werden dem-
nach ausser dem Deutschen Reiche auch die Länder des cisleithanischen Oesterreichs, abgesehen
von Galizien, der Bukowina und Dalmatien, ferner die ganze Schweiz, Luxemburg, die Nieder-
lande und Belgien in den Rahmen, unseres Unternehmens hineingezogen werden. Ausserdem
aber sollen die Sachsen Siebenbürgens mit berücksichtigt werden und auch Arbeiten über die
grösseren deutschen Volksinseln des Russischen Reiches nicht ausgeschlossen sein.
Unsere Sammlung erscheint in zwanglosen Heften von ungefähr 2 — 5 Bogen; jedes Heft
enthält eine vollständige Arbeit (ausnahmsweise von kürzeren auch mehrere) und ist für eich
käuflich. Eine entsprechende Anzahl von Heften wird (in der Regel jahrgangsweise) zu einem
' Bande vereinigt.
Bisher sind erschienen :
Band I.
Heft h Der Boden Mecklenburgs, von Prof. Dr. E. Geinitz. Preis 80 Pfennig.
Heft 2. Die oberrheinische Tiefebene und ihre Randgebirge, von Prof. Dr.
Lepsin s. Preis M. 2. —
Heft 3. Die Städte der Norddeutschen Tiefebene in ihrer Beziehung zur Boden-
gestaltung, von Prof. Dr. F. G. Hahn. Preis M. 2. —
Heft 4. Das Münchener Becken. Ein Beitrag zur physikalischen Geographie
Südbayern«, von Chr. Gruber. Preis M. 1.60.
Heft 5. Die mecklenburgischen Höhenrücken (Geschiebestreifen) und ihre
Beziehungen zur Eiszeit, von Prof. Dr. E. Geinitz. Preis M. 3. 10.
lieft 6. Der Einfluss d^er Gebirge auf das Klima von Mitteldeutschland, von
Dr. R. Assmann. Preis M. 5.50.
Heft 7. Die Nationalitäten in Tirol und die wechselnden Schicksale ihrer
Verbreitung, von Prof. Dr. H. J. Bidermann. Preis M. 2.40.
Heft 8. Poleographie der cimbrischen Halbinsel, ein Versuch, die Ansied-
lungen Nordalbingiens in ihrer Bedingtheit durch Natur und Ge-
schichte nachzuweisen, von Prof. Dr. K. Jansen. Preis M. 2. —
Band II.
Heft 1. Die Nationalitäts-Verhältnisse Böhmens, von Dr. L. Schlesinger. Preis
80 Pfennig.
Heft 2. Nationalität und Sprache im Königreiche Belgien, von Geh. Rechnungsrat
K. Brämer. Preis M. 4. —
Heft 8. Die Verbreitung und Herkunft der Deutschen in Schlesien, von Prof. Dr.
K. Weinhold. Preis M. 2.40.
Heft 4. Gebirgsbau und Oberflächengestaltung der Sächsischen Schweiz, von
Dr. A. Hettner. Preis M. 5.25.
Heft 5. Neuere slavische Siedlungen auf süddeutschem Boden, von Prof. Dr.
H. J. Bidermann. Preis M. 1.25.
Heft 6. Siedlungsarten in den Hochalpen, von Prof. Dr. Ferdinand Löwl.
Preis AI. 1. 75.
Fortsetzung auf Seite 3 des Umschlags.
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DAS RIES.
EINE GEOGRAPHISCH -VOLKSWIRTSCHAFTLICHE STUDIE
VON
Db. CHRISTIAN GRUBER
IN MÜNCHEN.""
MIT ZWEI KARTENBEILAGEN UND ZWÖLF TEXTILLÜSTRATIONEN.
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STUTTGART.
VERLAG VON J. ENGELHORN.
1899.
Druck der Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart.
MEINEM FREUNDE,
Herrn kgl. Professor Dr. JOSEPH RITZ,
REKTOR DER STÄDTISCHEN HANDELSSCHULE IN MÜNCHEN,
ZUM FÜNFZIGSTEN GEBURTSTAGE
IN DANKBARER VEREHRUNG
DARGEBRACHT.
Inhalt
Seite
Statt eines Vorwortes 193 [7]
I. Teil.
Lage und Eingrenzung der Rieslandschaft 195 [9]
IL Teil.
Die Herleitung des Namens Ries 202 [16]
III. Teil.
Das Ries als geographische Individualität 205 [19]
1. Abschnitt. Allgemeines 205 [19]
2. Abschnitt. Die Entstehung und geognostische Ausstattung
des Rieses 208 [22
3. Abschnitt. Landschaft und Relief im Ries 225 [39
A. Die Riesumrahmung und ihr Hinterland 225 39
B. Allgemeiner Charakter der Rieslandschaft 231 '45'
G. Die Höhenverhältnisse des flachen Rieses 234 48
D. Die Inselberge und Höhenrücken im Ries 238 52
a) Wallerstem 238 [52*
b) Goldberg 241 '55*
c) Der Nördlinger Höhenzug 242 [56
d) Das Schönefeld 246 [60;
e) Der Holheim-Schmähinger Höhenzug 247 61'
f) Die Inselberge zwischen unterster Eger und Wörnitz 254 68
g) Der Goßheim-Bühler Höhenzug 259 [73'
4. Abschnitt. Ein Blick auf die Bewässerung und das Pflanzen-
leben des Rieses 260 [74]
IV. Teil.
Das Volk des Rieses und seine Siedelungen 267 [81]
V. Teil.
Die Erwerbsverhältnisse im Ries 279 [93]
Erste Beilage: Karte der Rieslandschaft in 1:75000. 5 Profile aus dem
Ries:
1. Schnitt durch das flache Ries von Norden nach Süden (Nivellement längs
der Eisenbahnstrecke Oettingen-Nördlingen-Hoppingen);
2. Schnitt von Osten gegen Westen (Wemding-Goldberg);
3. Profil des Nördlinger Höhenzugs;
192 Inhalt. [6
4. die Landschaft der Inselberge zwischen der untersten Eger und Wörnitz ;
5. der Lehmberg bei Goßheim.
A n m. Die Profile sind so gestellt, daß sie der Richtung ihrer Schnittlinien
im Kartenbilde ungefähr entsprechen.
Zweite Beilage: 3 Kartchen über die prozentuale Verteilung der wich-
tigsten Erwerbszweige im Ries.
Diagramme über die Erwerbsverhältnisse in den einzelnen Ortschaften des
nördlichen und südlichen Rieses.
Statt eines Vorwortes.
Verum id, quod est.
Die Publikation dieser Studie bedarf keiner Rechtfertigung. Im
Gegenteil: Es mag seltsam anmuten, daß eine geographische Mono-
graphie der Rieslandschaft erst so spät zur Veröffentlichung kommt,
während ihre geognostische Ausstattung und der Charakter ihrer
Pflanzenwelt, die Eigenart ihres Volkes und dessen historische Schick-
sale längst zu ergebnisreichen Forschungen Veranlassung gegeben
haben.
Was mich anregte, das Antlitz des Rieses im Sinne der modernen
Landeskunde zu beschauen, war einerseits der Umstand, daß dieses
Gebiet auffällig individualisiert ist, eine kleine Welt für sich darstellt,
wie Melchior Meyr einmal schreibt, reich an Gegensätzen und Ab-
stufungen. Andererseits war es die Ueberzeugung, daß man der Er-
kundung des heimatlichen Bodens und seiner Bewohner gegenwärtig,
wo die ausgiebigste Förderung der vaterländischen Geographie durch
staatliche Behörden und wissenschaftliche Vereinigungen erfolgt, mit
Detailstudien am besten dient.
Gerade in Bayern sind solche nicht minder nötig, als anderswo
in deutschen Landen. Gesamtdarstellungen über diesen Staat giebt es
seit Philipp Apians „Declaratio tabulae sive descriptionis Bavariae", die
im Anschluß an des Gelehrten „XXIV bayrische Landtaflen" bereits
1579 ff. publiziert wurde, geradezu mehr als genug. Schon H. Simons-
feld zählt mit Einschluß wichtigerer Schulwerke nicht weniger als
205 derselben auf („Zur Landeskunde Bayerns. Gesamtschilderungen
und Reisewerke *. Jahresbericht der Geographischen Gesellschaft in
München für 1892/93). Und sie alle tragen mehr oder minder das
Wesen des Unfertigen, vielfach auch des Dilettantenhaften an sich.
Was aber unerläßlich notwendig scheint, das ist, den landes-
kundlichen Stoff auf allen einschlägigen Forschungsgebieten mit fach-
männischer Sorgfalt und soweit als möglich lückenlos zu sammeln, zu
sichten und zu verarbeiten. Eine gewaltige Summe von Bausteinen
in Form von Monographieen , Schilderungen und Einzelbeobachtungen
ist erst noch herbeizuschaffen und zuzumeißeln, ehe an die Aufrichtung
eines litterarischen Denkmals über Bayerns Land und Volk gegangen
werden kann, das dem geographisch abwechslungsreichsten Staate im
194 Christian Gruber, Das Ries. Eine geographisch- volkswirtschaftl. Studie, [g
Deutschen Reiche allseitig gerecht wird und den Forderungen der
Wissenschaft auf weitere Zeiträume hinaus entspricht, als es die zwi-
schen 1860 und 1866 geschriebene 8Bavaria" thun konnte.
Die beigefügte Karte über das Ries, bei deren Entwurf mir Herr
königl. Topograph Heinrich Lutz treu mit Rat und That zur Seite stand,
will nicht bloß ein einseitiges Bild von der Modellierung des Bodens
unseres Gebietes geben. Sie möchte zugleich auch sein landschaft-
liches Aussehen in den Hauptzügen andeuten und damit allen Forde-
rungen, die man an eine wissenschaftlich gehaltene Karte stellen kann,
in gewissem Sinne genügen. Leider mangeln für den württembergischen
Anteil am Ries bisher die Positionsblätter (Meßtischblätter) in 1 : 25000.
Deshalb mußten für ihn auch die Höhenlinien auf Grund des vorhandenen,
allerdings ziemlich reichen Messungsmaterials frei konstruiert werden.
Bei Ausführung der Vorarbeiten zu dieser Riesstudie haben mich
folgende Herren vielseitig gefördert : Oberregierungsrat Probst,
Vorstand des königl. bayerischen Statistischen Bureaus; Ministerial-
direktor y. Zeller, Vorstand des königl. württembergischen Statistischen
Landesamts; Generalmajor Neureuther, Direktor des Topographischen
Bureaus beim königl. bayerischen Generalstab; Oberstleutnant Heller,
Sektionschef bei der gleichen Behörde; königl. Professor und Rektor
Ritz; Hof rat und königl. Professor Mayer in Nördlingen; Privatier
A. Frickhinger und Apotheker H. Frickhinger ebendort; Ge-
heimsekretär am königl. bayerischen Statistischen Bureau Zwickh;
Universitätsprofessor Paul; Reallehrer Assmus und fürstlich waller-
steinischer Bibliothekar Grupp in Maihingen. Ihnen allen sei hiermit
freudiger Dank ausgesprochen.
Wohl ist es nur ein räumlich beschränktes Gebiet, zu dessen
geographischer Kenntnis ich im folgenden einen Beitrag liefere. In-
dessen fühlen jene, welche ihn durchblättern, vielleicht da und dort
heraus, daß mir bei Verabfassung desselben W. Müllers Worte nicht
fremd waren:
Es ist das kleinste Heimatland
Der größten Liebe nicht zu klein;
Je enger es dich rings umschließt.
Je näher wird's dem Herzen sein.
München im Juli 1899.
Dr. Christian Gruber.
I. Teil.
Lage und Eingrenzung der Rieslandschaft
Die Begrenzungslinien des Rieses sind bisher überaus flüchtig und
lückenhaft gezogen worden. Unter einem weithin bekannten Land-
schaftsnamen hält sich ein undeutlich fixierter geographischer Begriff
verborgen. Und zwar nicht nur im älteren Schrifttum, dem eine sichere
Einmarkung der einzelnen landeskundlichen Gebiete, soweit sie nicht
staatliche oder administrative Grenzen betrafen, gewöhnlich fernab lag,
sondern auch in den jüngsten und grundlegenden Arbeiten zur Kennt-
nis des süddeutschen Bodens. Sowohl die Kompilatoren früherer Zeiten,
welche das Ries nur in dem meist trüben und verzerrenden Spiegel der
vorhandenen Bücherlitteratur sahen, als die modernen, auf eine müh-
same Autopsie sich stützenden geologischen Forscher haben versäumt,
die Lineamente unseres Gebietes unzweideutig zu bestimmen.
Vor allem muß hervorgehoben werden, daß die heutige Riesland-
schaft durchaus nicht als identisch mit dem alten Riesgau genommen
werden darf. Dieser ist historisch, jene geographisch zu fassen. Wohl
hat das Ries seinen Namen vom Pagus Retia überkommen, und wohl
bildete es einstens das bedeutsamste Stück desselben. Aber die Grenzen
des Riesgaues waren ungleich weiter hinausgerückt, wie schon die
uralte Umschreibung derselben in dem Chronicon Gottvvicense (T. pro-
drom. P. II, Lib. IV, p. 740) erweist: Rieza, Pagus Nordgowiae
et Ducatus Bajoariae ac Sueviae postmodum, inter fluvios Brentam,
Agiram (Eger) et Wernizam usque ad Almonam (Altmühl) et Danu-
bium extensus, Comitatus Pappenheimensem , Oettingensem, et partem
Dynastiae Heidenheimensis complectebatur. Vocatur adhuc hodie das
Ries, ita tarnen ut illos terrae tractus, qui lingua vernacula der Hanen-
kamp, das Schwanenfeld et das Hertfeld appellantur, simul etiam com-
prehenderit.
Auf Falkensteins „Delineatio Nordgoviae veteris* (Homanns Erben,
1733) dehnt sich der Pagus Rhaetiensis mit Einschluß der Grafschaft
Truhendingen von Herrieden im Norden bis Höchst -Donauwörth im
Süden, von Bopfingen im Westen bis über Wemding im Osten aus.
Zinkernagel aber, der in seinen »Historischen Untersuchungen über die
Grenzen des Riesgaues " eine wahrhafte Halde geschichtlicher Hypo-
thesen wie Schutt zur Seite räumt, läßt auf seiner, der erwähnten
196 Chrißtian Gruber, [10
Schrift beigegebenen Karte „Pagus Retiensis" den letzteren von Feucht-
wangen-Crailsheim im Norden bis Höchst-Donauwörth im Süden, von
Aalen im Westen bis Monheim im Osten reichen. Und ihm stimmt
auch der kritisch kecke Heinrich v. Lang in seinem Buche „über Bayerns
Gauen nach den drei Volksstämmen der Alemannen, Franken und Bojo-
waren aus den alten Bistumssprengeln nachgewiesen * (Nürnberg 1830)
nur mit der Ausnahme zu, daß er Ellwangen nicht mehr zum Ries-
gau rechnet.
In Wirklichkeit umfaßte der letztere ursprünglich also das ge-
samte Wörnitzgebiet ohne den Ursprung des Flusses und den Oberlauf
der Eger, sodann ohne die Gegend um Wassertrüdingen und Heiden-
heim, welche schon über die Grenzen des Schwabenlandes hinausliegen.
Auf der ältesten gedruckten Karte von Deutschland, die bekannt-
lich auf Veranlassung des Kardinals Nikolaus von Cusa 1491 zu Eich-
stätt erschien und deren Original im Germanischen Museum in Nürn-
berg aufbewahrt wird, findet sich der Name unserer Landschaft noch
nicht verzeichnet.
Dagegen giebt Seb. Münsters „Cosmographia* die erste geo-
graphische Schilderung derselben, indem sie »Von dem Riefi" (in der
deutschen Ausgabe vom Jahre 1550) erzählt: „Es hat difi land guten körn
baw, aber kein wein wachß, vil viech, gut weid, allerlei obfi, schone
roß, dann das sie gerne erblinden, vil gel genß vnnd schwein, man
fürt auß diesem Rieß die genß mit grossen scharen an den Rheinstrom
vnder Straßburg biß ghen Mentz. Es stoßt diese landschafft an das
Hertfeld bey Bopffingen, an den Hanenkam bey Teckingen, an das
Schwanfeld bey Wemlinge (Wemding) vnd an den Viragrund bey hohen
Trühadingen ly
Weiterhin ist dem Kapitel über Schwaben in der Cosmographie
ein Kärtchen unter dem Titel beigegeben: Land-Taffel etlicher Gowen
des Schwaben-Landes, darinnen die neuen Namen aller Städte, Flecken,
Dörffer, Wasser und Wälder, wie sie zu unseren Zeiten genennet, auch
wie die alten Namen verändert und verdeutscht, verzeichnet werden.
Hierüber bemerkt schon Hauber treffend in seiner „Historie von denen
Land-Charten deß Schwäbischen Craifies" (Ulm 1724, S. 47): „Das
Chärtlein begreifft nur die Gegend um die Oettingische und Ellwangische
Lande, und selbiger Orten, die ungefehr das sogenannte Ries aus-
machen, hat viele Orte, aber wenig Namen der Gave, welche hingegen
in dem darzu gehörigen Capitel umständlich, auch mit Benennung ihrer
Gräntzen beschrieben werden."
Ueberhaupt waren, nebenbei gesagt, die kartographischen
Bilder über das Ries bis weit herein in unser Jahrhundert höchst un-
zulänglich. Daher urteilt auch Hauber in der eben erwähnten „Historie
von denen Land-Charten u. s. w.tt (S. 56): „Die Hoch-Fürstliche und
Hoch-Gräfliche Oettingische Lande seind eine von denen Gegenden deß
*) Ueberau8 originell wird dort auch der Name Nördlingen gedeutet, den
Münsters Gewährsmann im Gegensatz zur vulgären Bezeichnung Nereling den
„außlendern" zuschreibt: „Es ist auß dem bedenken geschehen, das es gegen
Nord, das ist gegen Mittnacht, ist gelegen, wie ander Rhetia gegen Mittag und
der hohen gepirg zu ligt."
11] Das Ries. Eine geographisch-volkswirtschaftliche Studie. 197
Schwabenlandes, welche in denen geroeinen General- Charten darvon am
schlechtesten beschaffen seind. Der Herr Capitain Michal hat eine
Charte darvon gezeichnet, welche er auch in seine Qeneral-Charte ein-
getragen hat; weilen sich aber noch unterschiedliche Fehler darinnen
befunden, so hat dieses Gelegenheit gegeben, daß eine andere Charte
in diesem Lande selbst verzeichnet worden/ Hauber meint damit die
Karte des Ingenieurleutnants Lüttich. Auch sie ist indessen eine ebenso
unselbständige, als unvollkommene Leistung, vor allem im Hinblick auf
Johann Georg Vetters „Tabula geographica nova exhibens partem infra
montanam Burggraviatus Norimbergensis , sive Principatum Onols-
bacensem" (vom Jahre 1710 an aufgenommen).
Ein vertrauenswertes Kartenbild über die Rieslandschaft war
übrigens schon aus dem Grunde nicht möglich, weil, trotz zahlreicher
Grenzirrungen, Aufnahmen und Vermessungen des Oettingischen Ge-
bietes zum Zweck von kartographischen Zeichnungen im 17. und
18. Jahrhundert höchst wahrscheinlich überhaupt nicht gemacht
wurden. Wenigstens konnten trotz genauester Nachforschungen im
fürstlich wallersteinischen Archiv, welche auf meine Anregung hin Herr
Dr. A. Diemand anzustellen so freundlich war, keine Aktenaufschlüsse
hierüber gefunden werden.
Auch die in der außerordentlich reichen fürstlich wallersteinischen
Bibliothek zu Maihingen aufbewahrten, geradezu ärmlichen Handzeich-
nungen über das Ries geben hierfür ein sprechendes Zeugnis. Vor allem
ein namenloses, in Goldrahmen gespanntes Blatt (Höhe 123, Breite
129 cm), vielleicht aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, unge-
schlacht ausgeführt und mit rauher Andeutung der Rieshöhen. Ferner
Heinrich Brenners Landtafel der Oettingen- Wallersteinischen Herrschaft
vom Jahre 1716, ohne Terrainzeichnung, aber mit Ausscheidung der
Wälder, Gewässer und Ortschaften. Aus der ersten Hälfte des 18. Jahr-
hunderts stammt weiterhin eine gewöhnliche Ortskarte des Rieses ohne
Andeutung von Flüssen, Bergen und Wegen (41,5:60,5 cm), sowie
eine farbig gehaltene Originalzeichnung des Oettingischen Gebietes in
den Oberämtern Aalen und Neresheim (um 1750; 37:59). Sehr viel
jünger ist eine Zollkarte der Grafschaft Oettingen (50 : 43,5), und be-
reits dem Anfang unseres Jahrhunderts gehört eine klar gezeichnete,
kolorierte Wald- und Flußkarte des Rieses an (45,5 : 35,5).
Von den gedruckten Blättern, welche das Rieser Gebiet insge-
samt oder nur bruchstückweise darstellen, sei in diesem Zusammen-
hange nur J. Majers Ducatus Wurtenb. erwähnt (J. B. Homann, Nürn-
berg 1710; kolorierter Kupferstich). Die Karte ist nach 30jährigem
Bemühen von einem Walddorfer Pfarrherrn zu stände gebracht worden.
Sie stützt sich auf Schickharts Triangulierungen, Maestlins Ortsbestim-
mungen, Kiesers Forstkarten, sowie eigene Aufnahmen und diente fast
ein Jahrhundert lang allen Bedürfnissen.
Doch zurück zu den Riesgrenzen. Wie für andere Gebiete, so
wurde auch für unsere Landschaft Münsters Cosmographie eine Quelle,
woraus zahlreiche Plagiatoren jahrhundertelang schöpften. Nicht allein
M. Roeder hat sie noch in seinem „ Geographischen Statistisch- Topo-
graphischen Lexikon von Schwaben* (Ulm 1791 — 1797, 2 Bände und
198 Christian Gruber, [12
Zusätze; 2. Auflage 1800 — 1801) bei Angabe der Riesgrenzen mit
schülerhafter Ungeschicklichkeit benutzt (II. Band, S. 453). Auch
G. Prändel klammert sich u. a. hilflos an Münsters Worte, wenn er in der
„Erdbeschreibung der gesamten pfalz-bayrischen Staaten" (Amberg 1805,
1. Abteilung, S. 431) sagt: „Unter dem Ries versteht man bekanntlich
die Gegend, die an das Hertfeld bey Bopfingen, an den Hahnenkamm
bei Deggingen, an das Schwanfeld bey Wemdingen und an den Virn-
grund bey Dinkelsbühl gränzt."
Indessen vermag man sich über solche Nachschreibereien kaum
zu verwundern, wenn man erfährt, daß unter anderem sogar die Hand-
schriften zur Ortskunde des Rieses über dessen Grenzen sich gänz-
lich ausschweigen, so Wengs „Brevissima Rhaetia" , Molls „Samm-
lung von dem Ries4*, 1764, Weckerts „Materialien zur Geschichte des
Marktes Wallerstein " , der Sammelband : „ Genealogisch - statistische
Collectaneen mit besonderer Berücksichtigung des Rieses und seiner
Umgebung", sowie die Anonyma: „Topographische Beschreibung des
Oberamtes Harburg** , 1791, „Topographie des Fürstentums Oettingen
nach seinem älteren und neueren Umfang", und „Statistische Beschrei-
bung der Fürstlich Wallersteinischen Gerichte und Rentämter", 1833 bis
1834 1). Ebenso bietet die Mehrzahl der gedruckten landeskundlichen
Werke hierüber entweder gar nichts oder man begnügt sich mit derart
unsicheren Angaben wie: „Nördlingen liegt fast in der Mitte des vntern
Rhaetiae, jetzt Rieß genannt4* (M. Merian, Topographia Sueviae,
1743). — „Das eigentliche Ries ist eine fruchtbare und angenehme
Ebene zwischen der Eger und Wörnitz, an dem Kesselthal, dem Rauhen
Hertfeld, den Virngrund gegen Dinkelsbühl und den fränkisch-bayrischen
Grenzen** („Allgemeine Königlich-Bayrische Vaterlandskunde.** Ange-
regt und herausgegeben von F. E. v. Seida und Landensberg und
J. G. Dingler, Augsburg 1807). — „Sobald man die Jurakalkhöhen
etwa des großen Hahnen- oder Bocksberges bei Harburg, oder der
Rauhen Wanne bei Hohenaltheim erreicht hat und nach Norden blickt,
sieht man sich vor eines der auffallendsten und merkwürdigsten Ver-
hältnisse im ganzen Zug des schwäbisch-fränkischen Juragebirges ge-
stellt. Anstatt, daß die Jurabildung in der bisherigen Weise in Nord-
ostrichtung weiter fortsetzt, breitet sich plötzlich eine gegen 100 m
vertiefte, fast kreisrunde, mehr als 20 km breite, kesselartige Ver-
ebnung aus, in welcher nur einzelne kegelförmige Hügel wie Inseln
sich erheben. Es ist dies das Ries, oft auch der Rieskessel genannt**
(Gümbel, Geognostische Beschreibung der Fränkischen Alb u. s. w.,
S. 198).
Gegenüber derlei flüchtigen Angaben über Situation und Um-
grenzung des Rieses in einheimischen Schriften erscheint es doppelt
auffallend, daß schon vor 70 Jahren ein Franzose, Ami Bou£, die Um-
risse unserer Landschaft auf Grund genetischer Erwägung wenigstens
annähernd genau skizziert hat: „Die Grenzen des Riesbeckens, u sagt
er, „sind etwa folgende: Monheim, Wemdingen, Oettingen, Fremdingen,
*) Sämtlich in der Bibliothek zu Maihingen.
13] Das Ries. Eine geographisch- volkswirtschaftliche Studie. 199
Ingelspot (? !), Wallerstein, Nördlingen, Ammerdingen, Deggingen und
Heroldingen1).8
Neuerdings endlich bat W. Götz in seinem „Geographisch-histo-
rischen Handbuch von Bayern" (S. 910) das Ries durch einen Streifen
umschlossen, „ welcher die Gemarkungen Oettingen, Wemding, Grofi-
sorheim, HohenaJtheim, Hürnheim, Holheim, Pflaumloch (württemb.),
Benzenzimmern (württemb.), Markt Offingen nacheinander berührt".
Um nun die Grenzen des Rieses so festzulegen, daß sie als
wissenschaftlich stichhaltig gelten können und zugleich eine einheitliche
großzügige Linie darstellen, muß untersucht werden, auf welchem Wege
dies möglich ist. Sie historisch zufassen, geht, wie erwähnt, schon
aus dem Grunde nicht an, weil sich die Rieslandschaft mit der Aus-
dehnung des einstigen Riesgaues auch nicht annähernd deckt. Um-
schloß doch der letztere zwischen den Eeuperhügeln der Fränkischen
Höhe und der Donauthalung Gebiete in sich, welche nach Relief, Ge-
stein und wirtschaftlicher Ausstattung grundverschieden waren.
Auch die ethnographischen Verhältnisse lassen sich zur Ein-
markung des Rieses nicht benutzen. Sein Volk ist hierzu keineswegs
einheitlich abgeschlossen genug. Weniger der Charakter des Rieses
als Durchgangsland vom mittleren Franken zur Donau, als vielmehr
der Umstand, daß seine letzte Besiedelung offenbar zugleich von Osten
und Westen her gegen die Wörnitz vor sich ging, ließ kein geschlos-
senes Volkstum aufkommen. Man schuf dasselbe auch nicht, indem
man die Rieser als „angefränkelte Schwaben0 charakterisierte. Sie
stehen in der schmalen Osthälfte der Landschaft mit der fränkischen,
in der ganzen breiten Westhälfte aber mit der schwäbischen Art in
so innigem Zusammenhang, daß dieselben von den benachbarten Be-
völkerungselementen nur mit Zwang zu scheiden sind.
Ganz unmöglich erscheint es weiterhin, dem Ries administrative
Grenzen zu geben. Haben doch Bayern und Württemberg an ihm
gemeinsam, wenn auch sehr ungleich, Teil und greifen auf das Gebiet
des bayerischen Rieses allein vier Amtsgerichte und zwei Bezirks-
ämter über.
Dagegen läßt sich die Riesdepression rein topisch scharf
und unzweideutig von ihrer Umgebung absondern. Sie kennzeichnet
sich als klar umrandetes Senkungsfeld im deutschen Jura nördlich von
Donauwörth, das nunmehr ein Stück der unteren Wörnitzthalung mit
durchaus individuellem Gepräge repräsentiert.
Die Angaben über den allgemeinen Umriß des Riesbeckens freilich
erweisen so recht überzeugend, wie naturwidrig es ist, die Lineamente
einer Landschaft in streng geometrische Formen einzuzwängen. Irre-
geleitet von dem Rundbilde, welches sich dem forschenden Auge bei
x) Geognoetisches Gemälde von Deutschland. Herausgegeben von G. C. v. Leon-
hard. Frankfurt a. M. 1829. Dieses Buch ist aus der Vereinigung mehrerer, teils
in französischer, teils in englischer Sprache publizierter Aufsätze entstanden. In
der Hauptsache aber liegt demselben eine Abhandlung im Maiheft des Journal
de physique für 1822 zu Grunde („Memoire geologique sur Allemagne4).
200 Christian Gruber, [14
einem Blick vom Turm der Georgskirche in Nördlingen, vom Wallerstein,
dem Bopfinger Ipf oder den Höhen bei Wemding aus bietet, wo die Kon-
turen des Gebietes — im Duft der Ferne verschwimmend — ineinander
fließen, hat die Mehrzahl der bayerischen und württembergischen Forscher
dem Ries eine zirkelrunde Form angedichtet. Gümbel kennzeichnet
dasselbe mit Vorliebe als eine maarähnliche Depression, deren Mittel-
punkt am Zusammenflusse von Eger und Mauch bei Klosterzimmern
zu suchen sei. Nach einem phantasievollen Vergleiche von E. Sueß
hat man im „wunderbaren Rieskessel" einen weiten, flachen Teller zu
sehen („Antlitz der Erde", I. Bd., S. 259). 0. Fraas giebt ihm die
Form eines länglichen Vierecks („Geognostische Beschreibung von
Württemberg* u. s. w., S. 165). A. Penck dagegen schreibt geradezu
von einer beinahe quadratischen Riesfläche („Unser Wissen von der
Erde14, I. Teil, 1. Hälfte, Länderkunde von Europa, S. 222), und auch
er hat seine Epigonen gefunden.
In Wirklichkeit ist das Riesbecken polygonal begrenzt. Und zwar
spannt sich seine Niederung als ein irreguläres Sechseck aus. Dessen
Winkel werden durch die Orte Hochaltingen, Trochtelfingen, Karlshof
bei Hohenaltheim, Deggingen, Goßheim, den Sachsenhart zwischen
Mögesheim und Ursheim und wiederum Hochaltingen annähernd mar-
kiert. Seine Umgrenzung erleidet indes breite und tiefe Unterbrechungen
durch die Thäler der Wörnitz, Eger und Rohrach, sowie durch eine
geräumige buchtenförmige Ausbiegung zwischen Wemding und Huis-
heim im sandigen Gebiete der Schwalb. Dieser Umstand und die
Thatsache, daß der Riesrahmen in einer vielgeschwungenen, häufig
durch vorgeschobene Höhenrücken und Buhle abgelenkten Linie zieht,
verleihen der Depression eine nichts weniger als regelmäßige Gestalt.
Ihre genaue Grenze kann auf der Kartenbeilage I verfolgt
werden. Sie verläuft von Oettingen westlich nach Ehingen und
Beizheim , dann südlich über Herblingen und Utzwingen nach
Maihingen, hierauf südwestlich über Markt-Offingen nach Kirchheim
und südlich zum Egerthal bei Trochtelfingen. Jenseits des letzteren
streicht die Grenze der Riesniederung von Utzmemmingen aus südöstlich
bis zum Eingang ins Karthäuserthal und weiterhin östlich zur Wörnitz;
von Heroldingen aus setzt sie sich wiederum in östlicher Richtung bis
Goßheim fort und geht sodann nördlich mit kleiner Ausbiegung über
Wemding nach Amerbach , Polsing- Trendel und den Sachsenhart bei
Ursheim ; zuletzt wendet sie sich westlich nach der Wörnitz bei Hains-
farth-Oettingen zurück.
Auch das Volk giebt der Rieslandschaft eine ausschließlich
topographische Begrenzung. Nach der vulgären Meinung be-
greift jene allerdings nur die flachgewellte, schwerbödige Niederung
mit ihren Inselbergen und Höhenzügen in sich, welche vom Jura an der
untersten Wörnitz eingerandet wird, nicht aber die Hänge der Umrah-
mung selbst. Ehingen, Kirchheim und Wemding werden daher auch
ausdrücklich als „am Ries" gelegen bezeichnet. Faßt man das letztere
in diesem Sinne, so beträgt seine größte Erstreckung von Norden nach
Süden 21, von Westen nach Osten aber 24 km, und sein Flächeninhalt
macht alsdann rund 380 qkm aus.
15] Das Ries. Eine geographisch-volkswirtschaftliche Studie. 201
Dem genetischen Standpunkte freilich, welcher stets am
unanfechtbarsten bleiben wird, da er die geographischen Erscheinungen
nach ihrem Gewordensein ansieht, kann weder die vulgäre, noch eine
rein topische Ummarkung der Rieslandschaft genügen. Er findet
mit Recht ihre Grenzen dort, wo die tektonischen Störungen
enden, welche die Entstehung des Senkungsfeldes be-
gleiteten, wo die Juraschichten wieder ihre ungestörte,
normale Lagerung zeigen, wo vulkanische Tuffe und Ur-
gesteine verschwinden. Allerdings werden hierdurch die Grenzen
der Landschaft stellenweise bis auf 20 km von der Riesniederung weg-
gerückt, und zwar im Süden bis über das Kesselthal bei Amerdingen
hinaus, im Osten bis Otting und Döckingen im Hahnenkamm, im
Westen bis ans Sechtathai. Außerdem zeigt sich die verhältnismäßig
breite Randzone des Gebietes mehr den dahinter liegenden Jurahöhen,
als dem Ries im volkstümlichen Sinne verwandt. Aber dieser Rahmen
gehört eben mit zum Ries wie die Ufer zum Flußbett, das Gestade zu
einem See. Die geographische Betrachtung muß ihn berücksichtigen,
wenn anders das Bild der Landschaft vollständig sein soll. Darum
habe ich auch im III. Teil dieser Studie seine Modellierung wenigstens
in breiten Strichen anzudeuten versucht.
II. Teil.
Die Herleitung des Namens Ries.
Eine sichere Deutung des Namens «Ries wird durch die urkund-
lich erhaltenen Formen desselben keineswegs erleichtert. Schon im
Chronicon Gottvvicense finden sich jene, wenigstens der Hauptsache
nach, gesammelt. K. F. B. Zinkernagel1), G. Schmeller2), A. Bac-
meister8), Chr. Mayer4) und weiterhin A. Steichele5) haben sodann
die älteren Schreibweisen chronologisch geordnet und der einzelnen
Namensform wohl auch den Quellenbeleg zugefügt.
Ursprünglich, und zwar vom 8. — 11. Jahrhundert, tritt die Be-
zeichnung Ries bekanntermaßen als Name eines Gaues auf. Dessen Um-
risse wurden bereits S. 195 u. 196 [9 u. 10] gezogen. Er findet 760
seine früheste Erwähnung: Pippinus rex Francorum monasterio Fulda
tradit uilla, qui dicitur Thininga (Deiningen) sitam in pago Rezi super
fiuuio qui vocatur Agira (Eger). (Cod. dipl. Fuld., ed. Dronke, p. 14.)
Ueberschaut man die übrigen alten Formen, so ergeben sich
zwangslos zwei Gruppen : Rehtsa, Recia, pagus Retiensis, Retia, Rhecia
einerseits — Riezhia, pagus Riezzin, pagus Rieze, Riez, Rieszhalde, in
den Riehsen, Rieß andererseits. Eine Mehrzahl von Gelehrten — und
darunter so stimmberechtigte Namen wie Schmeller und Bacmeister —
verteidigt nun die Meinung, daß in der Bezeichnung Ries die römische
Rhaetia fortlebe. Anderen, wie z. B. auch dem hochverdienten Nörd-
linger Forscher Chr. Mayer, steht ihre Herkunft noch nicht zweifellos
fest. Gegen beide hat sich längst Zinkernagel in seiner unzweideutigen
und herben Art gewandt. Er erinnert daran, daß die Namensähnlichkeit
schon zu unzähligen Irrtümern Anlaß gegeben habe. Wertvoller als
eine barocke Gelehrsamkeit erschien ihm die Sprache der Natur, die
weder eine überschwengliche Phantasie, noch philologische Dogmen
kennt und vielfach in der That eine treffliche Namendeuterin ist. Und
so knüpft er denn seine Herleitung des Wortes Ries an den geographi-
!) Historische Untersuchungen der Grenzen des Riesgaues und seiner Grafen
in der Zeit des Mittelalters. Wallerstein 1802.
2) Bayerisches Wörterbuch, Bd. II, S. 149.
3) Alemanische Wanderungen, I, S. 67.
*) Ueber die Ortsnamen im Ries, S. 10.
h) Das Bistum Augsburg, historisch-statistisch beschrieben, III. Bd., S. 555 ff.
17] Christian Gruber, Das Ries. Eine geographisch- volkswirtschaftl. Studie. 203
sehen Charakter unserer Landschaft, ihr Aussehen und ihre Entstehung
an. »Wir brauchen/ meint er in der vorhin zitierten Schrift, »weder
zur Rhaetia transdanubiana, noch zu dem Flusse Rezat unsere Zuflucht
zu nehmen, um unserem Ries einen Namen zu schöpfen; wir finden ihn
auf dem leichtesten Wege in unserer alten deutschen Sprache, die eine
feuchte, mit Rohr bewachsene und von Bergen und Wäldern durch-
schnittene Gegend Ried oder Ries nannte, welches im Lateinischen des
Mittelalters durch Resa und Riesa übersetzt wurde. Der erste Anblick
unseres Rieses bestätigt diese Behauptung; es ist rings von Bergen
eingeschlossen und hat nur bei Harburg eine schmale Oeffhung, wo-
durch sich die Wörnitz den Weg in die Donau bahnt. Ehe sich also
Menschen hier ansiedelten, konnte diese Gegend nichts anderes als ein
großer Sumpf, ein großes Ried gewesen sein. So wenig ich auch
Freund von Traditionen bin, so ist die noch bis auf den heutigen Tag
unter dem Volke herrschende Sage, daß das Ries ehemals ein großer
See gewesen sei, doch von großer Wahrscheinlichkeit » . . Ebenso zeugen
auch die hohen Plätze dieser Gegend, auf welchen man lauter Naturalien
trifft, die sich nur in Gewässern antreffen lassen.*
So erfreulich es nun aber wäre, wenn sich in dem Namen Ries
ein wesentlicher Zug im Antlitz unserer Landschaft widerspiegeln
würde, so muß doch Zinkernagels Meinung schon aus dem Grunde als
irrig zurückgewiesen werden, weil ein Zusammenhang mit dem mhd.
»riet* lautlich unmöglich ist. Ebensowenig kann „riezen* in Betracht
gezogen werden. Lexer giebt allerdings die Grundbedeutung dieses Wortes
mit »fließen* wieder; aber er hat darin nicht Recht. Denn in der ein-
zigen Stelle, welche er für seine Deutung anzieht, liegt offenbar eine
ungewöhnliche poetische Verwendung des Wortes vor, das in Wirklich-
keit »weinen* bedeutet.
Wie erklären sich nun die beiden urkundlichen Namenreihen, und
wie sind sie in Einklang zu bringen?
Zur Lösung dieser Frage geben u. a. der unbekannte Verfasser des
Chron. Gott, und Sebastian Münster in seiner Cosmographia univ. rich-
tunggebende Andeutungen. Jener schreibt ausdrücklich: Retiensis, Recia,
Raetia, Reci, Reciensis, Rieza . . . Vocatur adhuc hodie das Ries. Den
schwergewappneten Folianten Münsters aber schmückt (in der von mir
benützten Ausgabe von 1554) S. 576 u. 577 ein Bild Nördlingens mit
der Aufschrift: Noerdlinga ciuitas imperalis, sita in Rhetia trans-
danubiana, uulgo Riess dieta. Als Gewährsmann für den jener alt-
ehrwürdigen Reichsstadt gewidmeten Abschnitt seines, die gesamte
damals bekannte Welt umspannenden Werkes nennt Münster den Nörd-
linger Stadtschreiber Wolfgang Vogelmann. Er, der gewiß Orts- und
Namenkundige, kennzeichnet hier somit den Namen Ries ausdrücklich
als volkstümlich. Und volkstümlichen Ursprungs scheint auch die
ganze Namenreihe Riezha, pagus Riezzin, pagus Rieze, Riez, Rieszhalde,
in den Riehsen, Rieß zu sein. Hermann Paul, einer der berufensten
Germanisten unserer Zeit, giebt mir darin in einer Zuschrift »zweifellos
Recht*. Die andere Gruppe von Schreibungen: Rehtsa, Recia, pagus
Retiensis, Retia und Rhecia dürfte sicher gelehrten Ursprungs sein.
Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde. XII. 3. 14
204 Christian Gruber, Das Ries. Eine geographisch- volkswirtschaftl. Studie. [18
Sie enthält den unverkennbaren Hinweis auf Rhaetia und ist im An-
schluß an geschichtliche Erinnerungen niedergeschrieben. Es kann
dies um so zwangloser angenommen werden, als die Verfasser der
Urkunden vom 8. — 13. Jahrhundert gewöhnlich gelehrte Männer im
Sinne ihrer Zeit waren.
Uebrigens steht durchaus nichts im Wege, auch die volkstümliche
Bezeichnung auf Rhaetia zurückzuführen. Das t mußte durch die Laut-
verschiebung zu z werden, ae aber wurde wie sonst e durch ea, ia hier-
durch zu ie, wie in Ziegel aus tegula oder in mhd. Kriech = Graecus.
Endlich weist Schindler — und in seine Fußstapfen tritt auch
Bacmeister — noch darauf hin, daß „über die Identität dieses Riez,
Rieß mit dem Rhaetia der Alten wohl um so weniger ein Zweifel sein
kann, als jenes Wort früher eine viel ausgedehntere Landfläche be-
zeichnete*. In einer Glosse des 11. Jahrhunderts steht geschrieben: Tres
sunt Retiae, Retia curiensis (Chur in der Schweiz), Retia augustensis . . .
Die Schwäbische Alb heißt im 12. Jahrhundert Alpes Retianae. Bruder
Berhtolt (um 1260) sagt: „Var hin gein einem lande, daz heizet daz
Riez, da ist ein stat inne, diu heizet Auguspurc." Augsburg, schon
von Tacitus splendidissima Raetiae colonia genannt, heißt noch in
Aventins Chronik (375, 384) „Augspurg im Rieß% und in einer Augs-
burger Chronik von 1483 liest man: „Die stat Augspurgk im obern rieß*.
III. Teil.
Das Ries als geographische Individualität.
I. Abschnitt.
Allgemeines.
Ein wesentlicher Zug im Antlitz Süddeutschlands ist sein Reichtum
an individuell ausgeprägten Landschaften. Er wird nicht allein durch
den mannigfaltigen Charakter einer Reihe von Gebirgen hervorgerufen,
die nach ihrer Architektur und natürlichen Ausstattung so typisch von-
einander verschieden sind wie Alpen und Rhön, Bayerwald und Spes-
sart. Auch die Plateauscheitel, Htigelgelände und Thalfurchen zwischen
den wolkenhohen Bergfirsten an der Südmarke des Reiches und den
flach profilierten Höhen der nördlichen Mainlande, den waldernsten,
tief abgewetterten Bergzügen längs der bayerisch- böhmischen Grenze
und der ihnen geographisch so nahe verwandten Ostumwallung der
oberrheinischen Graben Versenkung tragen vielfach die Reize eigenartiger
Einzellandschaften an sich.
Man braucht dabei keineswegs nur an die oberdeutsche Hoch-
fläche zu denken, auf deren südliche Hälfte die Alpen gleichsam einen
Teil ihrer vielseitigen Naturschönheit übertragen haben. Hier aller-
dings, wo sich das Relief eines diluvialen Gletschergebiets in seiner
ganzen launischen Mannigfaltigkeit aufthut, wo jeder der großen See-
spiegel mit seiner Umrahmung ein mehr oder minder selbständiges Bild
darbietet, wo inmitten meilenbreiter Moorwiesen vom Pflug noch un-
berührte Heidestrecken liegen, wo die beryllgrünen Wellen alpiner
Wasseradern stellenweise in schmal eingerissenen, waldverhüllten Defilds
dahintreiben und dann wieder über offene oder mit struppigem Busch-
wald bestandene Geröllfelder: hier ist die Fülle individueller Land-
schaften nicht weiter zu erweisen.
Aber auch selbst in Mittelfranken, dem unter allen Kreisen Bayerns
ein gebirgshaftes Relief am wenigsten zukommt, mangeln jene topo-
graphischen Gegensätze nicht, welche die Eigenart selbständiger Land-
schaften mit bedingen. Mühelos und zur bleibenden Erinnerung haftet
der Kontrast zwischen dem kleinen, jedoch markanten System uralter
Caiionthäler in der Fränkischen Schweiz und den weichgeformten, echt
genrehaften Hügelgeländen der Frankenhöhe jedem im Gedächtnis, der
206 Christian Gruber, [20
nur flüchtig den Fuß, in jene Gegenden gesetzt hat. Und zwar schon
um deswillen, weil sich der Charakter der fränkischen Landschaften
besonders augenfällig auch in der Art der Siedelungen und des Häuser-
baues widerspiegelt. Mit feinstem Naturverständnis hat A. Kirchhoff
neuerdings die eintönig prosaischen Ortschaften der mittelfränkischen
Keuperebene mit den Dorfidyllen an den dortigen Höhenzügen und
längs der Flußläufe in Vergleich gesetzt *).
Besonders die Tiefenlinien im Relief, wie sie die Thalungen aller
bedeutsamen Gewässer ziehen, tragen in Nordbayern ungleich mehr zur
Individualisierung des Landes bei, als auf der Donauhochebene. Nicht
nur, daß fast jede derselben ihre landschaftliche Besonderheit hat, die
Rinne der Fränkischen Saale eine wesentlich andere Physiognomie zur
Schau trägt, als jene der Aisch oder Pegnitz. Auch die Thalfurche
des gleichen Gewässers zeigt oft Bilder von überraschendem Wechsel
und grundverschiedener Modellierung. Man gedenke nur des einschnei-
denden Gegensatzes zwischen dem felsumrahmten Donaudurchbruch um
Weltenburg und der fruchtschweren Stromniederung in der bayerischen
Kornkammer. Bei einem Hochwasser gleicht der stundenbreit aus-
einandergezogene Altmühlgrund um Gunzenhausen einer mächtigen,
eindrucksvollen Seefläche. Und zu gleicher Zeit zieht der Fluß bei
Pappenheim und Eichstätt nur als trüb gefärbtes, wenig auffallendes
Band zwischen turmhohen Bruchufern dahin.
Es ist nicht überflüssig, darauf hinzuweisen, daß wie im mitt-
leren, so auch im südlichen Deutschland für den tieferen und empfind-
sameren Beobachter nicht nur jede Höhenlandschaft ihre individuellen
Züge an sich trägt, sondern auch kaum ein Thal dem anderen gleicht.
Und während einerseits die faltigen Mäntel schattendunkler Hochforste
sich um die Hänge der Berge schlingen und dabei ihre genaueren
Formen gänzlich verhüllen oder doch stark nivellieren, zeigt anderer-
seits ein reizvoller Wechsel von Saatfeldern und Matten, Obsthainen
und Weinbergen den Sieg der Kultur über die rauhen Forderungen der
natürlichen Verhältnisse. Dazu weisen Bayern und Schwaben, Ost- und
Rheinfranken die Sonderart der deutschen Volksstämme, ihre verschiedene
körperliche und seelische Ausstattung, ihre Weise zu wohnen, zu arbeiten
und zu leben klar auf und so vielfach, wie kaum anderwärts, kann
man auch hier den Anregungen nachgehen, welche die Landesnatur
dem Schaffen des Menschen auf verschiedenen Zweigen des materiellen
Lebens gab und damit auch zum Teil der Ausprägung der wirtschaft-
lichen Verhältnisse.
Die Vielseitigkeit besonders der nordbayerischen Gegenden wird
auch demjenigen auffallen, welcher der alpinen Landschaft von ver-
schiedenen Seiten her ins Gesicht gesehen hat. Nur muß er sich hüten,
den Maßstab des Hochgebirgs unmittelbar an sie anzulegen. Er wird
die Erinnerung an den im ganzen wie im einzelnen großartigen Auf-
bau der Alpen, an ihre wildkühnen, hochaufgestauten Kämme, blinkenden
Firnfelder und Eisströme, ihre mauergleichen Plattengehänge, weiten,
v) Das deutsche Volkstum. Herausgegeben von Hans M e y e r. II. Abschnitt:
Die deutschen Landschaften und Stämme, S. 76.
21] Das Ries. Eine geographisch-volkswirtschaftliche Studie. 207
mit Krummholz umsäumten Schutthalden und unermüdlich spiegelnden
Seeaugen zurückdrängen müssen. Und wozu auch Vergleiche zwischen
Landschaften, die nicht bloß nach Höhe und Relief, Entstehung und
Gesteinsbeschaffenheit, sondern auch an geschichtlicher Bedeutung und
nationalökonomischem Wert so weit voneinander verschieden sind! In
unserer Zeit, wo man von der Erdkunde weniger Phantasie und mehr
Naturtreue, weniger Reflexion und mehr Thatsachen verlangt, giebt es
selbst für geistvolle Gedankenspielereien und philosophische Betrach-
tungen von solcher Art wenig Raum mehr.
Keine Landschaft Bayerns nun trägt alle Kennzeichen individueller
Eigenart so unzweideutig und in wahrhaft schulgerechtem Sinne an
sich, als das Ries. Gleich einer fremden Welt wurde dasselbe im
Durchschnitt 80 m tief in den Deutschen Jura versenkt. Mit Recht
betonen C. Deffner und 0. Fraas in den Begleitworten zu den Atlas-
blättern Bopfingen und Ellenberg der geognostischen Spezialkarte von
Württemberg: „Bei keiner einzigen Ortschaft kann man im Zweifel
sein, ob sie zum Ries gehöre oder nicht; denn in scharfen geologischen
Grenzlinien ist der eigentliche Rieskessel seiner Zeit in den Jura ein-
gebrochen.*
Wer von den walddunkeln, trümmerbestreuten Kalkflächen bei
Neresheim oder Monheim aus in diese offene, dicht besiedelte Korn-
kammer Nordbayerns hineinschreitet, den mutet ein Gegensatz in der
Landschaft an, wie er auffallender nicht gedacht werden kann. Ihn
mag nur annähernd derjenige mitfühlen, welcher von den Hochwäldern
des Spessarts hinaus in die sonnenbeglänzte, fruchtbare Mainniederung
tritt oder jemand, der von den enggescharten Vulkanhöhen des Sieben-
gebirges aus um sich schaut : dem im Westen das Rheinthal entgegen-
blinkt, voll Helle und Sonne, voll fröhlichen Erwerbs, reich an an-
mutigen Ortschaften, geschmückt mit dem wunderherrlichsten Denkmal
mittelalterlicher Frömmigkeit, dem Kölner Dom — und der im Osten
und Norden auf die walddüsteren und schwach bewohnten Plateau-
ebenen des Bergischen Landes und des Westerwaldes schaut, der Heimat
armer Leute, wo die Braut an ihrem Ehrentage statt der Rose einen
Büschel Kartoffelblüten an die Brust stecken soll.
An Flächenraum nimmt zwar das Ries nur annähernd den vierten
Teil der bedeutendsten aller bayerischen Thalebenen ein, der schiefen
Fläche an der mittleren Isar um München, welche 1485 qkm mißt1).
Doch unterbricht dasselbe die breitscheiteligen Jurahöhen auf so auffällige
Art und so geräumig, daß man im Drange, die vaterländischen Relief-
formen nach den Leitlinien einer veralteten Tradition systematisch an-
zuordnen, die Grenzscheide zwischen dem Schwäbischen und Fränkischen
Jura nicht ganz mit Unrecht hierher verlegt hat.
*) Das Münchener Becken von Ch. Grub er. Forschungen zur deutschen
Landesr und Volkskunde, Bd. 1, Heft 4, S. 6.
208 Christian Gruber, [22
IL Abschnitt.
Die Entstehung und geognostische Ausstattung der
Riesdepression.
Es ist vorauszusehen, daß besonders die Genesis dieser von ihrer
Umgebung so deutlich abgehobenen Landschaft Thatsachen ergiebt,
welche für ihre Individualität sprechen. Freilich ist die Vielheit der
hier auftretenden geologischen Erscheinungen gegenwärtig noch keines-
wegs so weit geklärt, daß sich daraus ein wissenschaftlich unanfecht-
bares Bild von der Entstehung der Riessenke entwerfen ließe. Was
vor 30 Jahren der mit der ganzen Gewissenhaftigkeit eines hervor-
ragenden Autodidakten erfüllte C. Deffner aussprach, gilt uneingeschränkt
auch gegenwärtig noch: „Das Ries ist eine tief in Schlamm und Sand
versunkene Sphinx und giebt dem Forscher Rätsel auf, die nur durch
lange anhaltende Bemühungen und nicht in kurzem Siegeslauf zu lösen
sind"1).
Trotzdem die ältesten Nachrichten über Versteinerungen und
Bodenprofile im Ries bis zum Jahre 1758 zurückreichen und bereits
Matthias Flurl in dem trotz aller Mängel seiner Zeit doch nicht zu unter-
schätzenden Buche „Ueber die Gebirgsformationen in den dermaligen
churpfalz-baierischen Staaten" (1805) schrieb, ihm scheinen die Kalk-
steinberge um Monheim auf einem ausgebrannten Vulkan aufzusitzen ;
trotzdem Forscher wie B. v. Cotta und Voith, Deffner und Fraas,
Schafhäutl und v. Ammon hier mit gründlicher Sorgfalt arbeiteten
und Gelehrte von dem Weitblick eines Sueß und Gümbel die Riesfrage
erörterten, steht sie zur Zeit noch offen.
Nur so viel scheint mir sicher, daß man im Ries keine Krater-
wanne im gewöhnlichen Sinne vor sich hat2), keine Bildung,
welche genetisch mit den Maaren der Eifel zu vergleichen wäre. Seine
Verwandtschaft mit jenen ist vielmehr rein äußerlicher Art. Sie klebt
bloß an den Konturen und der Reliefform im großen und ganzen.
Abgesehen davon, daß der Boden des Rieskessels selbst den
Laacher See um das Hundertfache an Fläche übertrifft, stellt die Rhein-
eifel im Vergleich zu unserem Gebiete eine unendlich vielseitigere
altvulkanische Landschaft dar, in welcher die eruptive Thätigkeit wäh-
rend des Miocäns begann und erst in der jüngeren Diluvialzeit endete, und
von der Leopold v. Buch einmal an einen seiner Freunde schrieb: „Sie
wird Führer und Lehrer werden, manch andere Gegend zu begreifen,
und ihre Kenntnis kann gar nicht umgangen werden, wenn man eine
klare Ansicht der vulkanischen Erscheinungen erhalten will.*
Im Gegensatze zu all den Kratern und Schlackenkegeln, Lava-
strömen und großartigen Tuffablagerungen des Gebietes von Laach und
der vulkanischen Vordereifel sind die kesseiförmigen Eintiefungen der
J) Württembergische naturwissenschaftliche Jahreshefte, Bd. 26, S. 141.
8) Vgl. hierüber A. Penck, Morphologie der Erdoberfläche, IL Bd.,
S. 296 ff.
23] Das Ries- Eine geographisch-volkswirtschaftliche Studie. 209
Maare verhältnismäßig einfache Gebilde. Man hat sie bekanntlich als
Vulkane aufgefaßt, welche bereits im ersten Stadium ihrer Thätigkeit
zur Ruhe kamen. Sie sind offenbar eine Wirkung von Explosionen,
die überhitzte Gasmassen des Erdinnern in einem stellenweise schon
tektonisch gestörten Gebiete verursachten. Ihr experimentelles Vorbild
haben sie in Minensprengungen, bei denen der Erdboden ja auch meist
rundlich durchlöchert wird. Wenn es nun an sich schon mehr als
hypothetisch wäre, dem gewaltigen ßieskessel einen explosiven Ursprung
zu geben, so widersprächen dem auch die außerordentlich verwickelten
Lagerungsstörungen, welche sich in der Umrahmung der Senke bis auf
ungefähr 20 km Entfernung vorfinden. Sie weisen ebensosehr auf ab-
senkende, als auf hebende Dislokationen hin. Die Gesteinsschichten sind
hier nach allen Himmelsgegenden geneigt. Sie fallen fast ebenso häufig
gegen den Boden der Kesselvertiefung ein, als sie sich von ihm weg-
neigen. Ihr einstiger Aufbau ist gänzlich zerrüttet. „Der Zusammen-
hang der ursprünglichen Ablagerungen ist aufgehoben und der ganze
Bau in einzelne größere oder kleinere Schollen auseinander gebrochen,
welche bald emporgestaut, bald niedergesunken, bald auf den Kopf
gestellt und sogar übergekippt sind, bald seitlich ineinander ge-
preßt oder übereinander weggeschoben liegen, oder auch in lang hin-
ziehenden Spalten eingesunken und eingeklemmt erscheinen. Zuweilen
sind die ordnungslos durcheinander geworfenen Formationstrümmer auch
zu einem unentwirrbaren Mischmasch, dem Riesgrus oder der bunten
Breccie des Rieses, zusammengeknetet. B Dazu kommt, daß man schwer-
lich in einem anderen deutschen Gaue eine solche Vielartigkeit von
Schichtengliedern auf so engem Raum hart bei einander findet, wie am
Riesrande. Er und die Inselberge über der Niederung bergen fast alle
Gebirgsarten in der verschiedensten petrographischen Zusammensetzung
und voll bunter Farben in ihrem Schöße: Granite, altkrystallinische
Schiefer und vulkanische Aufschüttungen, mesozoische, tertiäre, quar-
täre und alluviale Ablagerungen, gänzlich umgewandelte, äußerlich nur
angeschliffene und unverändert gebliebene Gesteinstrümmer, seltene
Mineralien, wie Pittizit und Arragonit, massenhafte Versteinerungen von
der Zeit des Keupers an bis herab zu den Schalen der Lößschnecken.
So unberechenbar gemischt ist dieses eigenartige P6le-m6le, daß die
geologische Karte keineswegs im stände ist, es voll und ganz zur Dar-
stellung zu bringen.
Es steht dem Geographen nicht zu, das Feld der Meinungen über
die Entstehungsgeschichte des Rieses zu beschreiten oder es gar zu
erweitern. Wenn er aber die bisher aufgefundenen und sicher be-
gründeten Fragmente zu einer solchen Entstehungsgeschichte zusammen-
fügt, zeigt sich vor allem, daß man im Ries durchaus kein iso-
liert stehendes Gebilde vor sich hat. Es ist vielmehr nur ein
allerdings sehr markantes Glied in einer Reihe allgemeiner
tektonischer Erscheinungen des südlichen Deutschlands.
Das Ries gehört der Region des weiten Senkungsfeldes zwischen
den granitischen und altkrystallinischen Berggruppen des Schwarzwaldes
und Odenwaldes einerseits, des ostbayerischen Grenzgebirges, Franken-
und Thüringerwaldes andererseits an, innerhalb dessen die triassischen
210 Christian Gruber, [24
und jurassischen Schichtenkomplexe in Staffeln längs ausgedehnter
Brücke absanken, die mit dem Fuße der alten Gebirge in annähernd
gleicher Richtung ziehen *). Es liegt ferner in nächster Nähe des
scharfen Abbruchs der Jurabänke am Rande des Donauthals, der parallel
mit dem Alpenrande verläuft und 0. Fraas zu dem Ausspruche ver-
anlaßt hat, daß zur selben Zeit, als die Falte der Alpen sich hob, das
Tafelland des Juras im gleichen Sinne barst.
Auch innerhalb des Deutschen Juras selbst wurden längst eine
Reihe von Querspalten, sowie zahlreiche und unzweideutige Zeichen von
Einbrüchen nachgewiesen. Es ist nicht zufällig, daß sich gerade in
unmittelbarer Nähe des Rieses ähnliche Depressionen vorfinden: das
Steinheimer Becken, die Senkungsfelder bei Neresheim, zwischen Ellen-
berg und Bopfingen, bei Urach und jene unserer Landschaft direkt be-
nachbarten insularen, aber doch in einer bestimmten Achsenrichtung
liegenden Bewegungszentren, welche die württembergischen Forscher
„Umwälzungssporaden* genannt haben. An sie alle reiht sich endlich
noch der weiter entfernte Hegau an, in dem gleichfalls ein kesselähn-
liches Stück aus der Hochfläche der Schwäbischen Alb herausgebrochen
wurde und sich gesenkt hat.
Alle diese Thatsachen und weiterhin die Beweise, welche Gümbel
für die Hebung altkrystallinischer Schollentrümmer aus dem Unter-
grunde des Rieses herbeizuschaffen getrachtet hat, legen nahe, daß die
Entstehung unseres Gebietes ursprünglich und im wesent-
lichen auf tektonische Ursachen zurückzuführen sei. Inwie-
weit die letzteren mit jenen Streifen des Riesrandes verknüpft sind,
längs deren sich die auffallendsten Schichtenstörungen, die bedeut-
samsten Eruptionserscheinungen und Lager von Urgesteinstrümmern
anordnen, ob die vulkanische Thätigkeit und das Emporrücken der
Urgesteine gleichzeitig oder nicht erfolgte, und ob vielleicht die Ries-
senke durch eine Art Querthalung im Jura schon vorgebildet war,
dies alles ist erst noch nachzuweisen. Darin wird geradezu die Haupt-
aufgabe der künftigen geologischen Forschungen im Ries zu suchen
sein. Erst wenn die tektonischen Achsen 2) auf Grund aller wichtigen
Details sicher nachgewiesen und endgültig in den Hauptzügen kon-
struiert sind, was allerdings durch die Schuttverhüllung der zu unter-
suchenden Gebiete wesentlich erschwert ist, kann auf die Genesis des
Rieses das aufhellende Licht fallen. Bis dahin wird sich nur behaupten
lassen, man habe im Ries ein beträchtliches Senkungsfeld vor
sich, bei dessen Bildung sich wahrscheinlich die dislocieren-
den Kräfte in ähnlicher, wenn auch ungleich schwächerer
Weise kombinierten, wie bei der Auffaltung eines Stückes der
Erdoberfläche, und die gleichzeitig vulkanische Reaktionen
auslösten. Auf letztere allein die Genesis des Rieses zurückzuführen,
widerspricht zahlreichen geologischen Beobachtungen, vor allem an der
Westumrahmung des Gebietes, und erinnert an ein warnendes Wort,
') Vgl. hierüber E. Sueß, Das Antlitz der Erde, 1. Bd., S. 254 ff.
2) C. Deffner hat bereits versucht, für die West- und Nordseite des Ge-
bietes verschiedene Bruchlinien festzulegen : die Sighart-Hürnheimer Achse und ihre
Parallelbrüche, ferner die Zipplinger und die Fremdingen- Gailsheimer Achse.
25] -Das Ries. Eine geographisch- volkswirtschaftliche Studie. 211
das Franz Von Paula Schrank, der polyhistorisch angelegte altbayerische
Naturforscher, bereits 1786 niederschrieb: „Es ist ein großer Fehler
wider die Naturgeschichte, alles durch einen Grundsatz erklären zu
wollen.*4
Was aber dem Ries seine Eigenart und einen Vorrang
gegenüber den ihm unmittelbar benachbarten Depressionen
im Schwabenjura wahrt, das sind seine bedeutende Größe,
das Auftauchen der schon erwähnten Schollentrümmer alten
Gesteins und die eigenartige Ausprägung der vulkanischen
Erscheinungen.
Nun stellen allerdings auch die letzteren kein vereinzeltes Vor-
kommnis dar. Sie sind bloß ein Stück in jener Reihe vulkanischer Kraft-
äußerung0n, die während der jüngeren Tertiärzeit bei der Ausgestal-
tung des Reliefs in einem großen Teile von Mitteleuropa thätig gewesen
sind und deren Eruptionsprodukte in einer langen Flucht vom böhmi-
schen Mittelgebirge an durch das Egerland und über die Rhön, den
Vogelsberg und Meißner hinaus bis zum Siebengebirge und zur Eifel
lagern. Und selbst im Deutschen Jura finden sich außer dem Ries
bekanntlich noch an drei weiteren Stellen vulkanische Gesteine und die
Einwirkungen eruptiver Thätigkeit: nahe dem nördlichen Ausgange
des Gebirges am Patersberg und bei Wernstein in der Umgebung von
Kulmbach, sowie bei Oberleinleiter unfern Heiligenstadt ; ferner an den
125 Auf bruchsteilen um Urach, welche Professor Dr. W. Branco bis
in alle Einzelheiten erforscht und sehr anschaulich als Vulkanembryonen
bezeichnet hat1); endlich am Südrande des Juras im Hegau, dessen
gesamte Entstehungsgeschichte, wie auch seine vulkanischen Ablage-
rungen den Erscheinungen des Rieses vielleicht am nächsten ver-
wandt sind.
Obwohl die oberfränkischen Eruptivgebilde mit jenen des Rieses,
um Urach und im Hegau ungefähr in gleicher Richtung von NO nach SW
sich anreihen, ist es doch unwahrscheinlich, daß sie auf einem gemein-
samen Spaltenaufbruche liegen. Denn hier mangelt nicht bloß jene Kon-
tinuität, welche so unverkennbar z. B. bei Rhön und Vogelsberg, Sieben-
gebirge und Eifel hervortritt. Auch die eruptive Thätigkeit im ein-
zelnen und ihre reliefbildende Wirkung war an den von ihr betroffenen
vier Jurastellen außerordentlich ungleich. Am Patersberg und bei
Wernstein schuf sie zwei Kuppen von Nephelinbasalt, bei Oberleinleiter
nur einen die Weißjuraschichte durchsetzenden Gang. Um Urach da-
gegen wurde von ihr die Juradecke geradezu siebförmig durchlöchert.
Man findet dort nach Brancos vorbildlicher Monographie2) auf der
Hochebene der Alb 3 Basalt- und 35 Tuffmaare, am Steilrand der Alb
32 aufgeschlossene Tuffmaare und die tufferfüllten, in die Tiefe nieder-
gehenden Ausbruchskanäle derselben, im Vorlande der Alb 54 Maar-
tuffgänge. Je nachdem die vulkanischen Gesteine im Bereich des
weißen Juras oben auf der Alb selbst oder im Dogger- und Lias auf
*) Schwabens 125 Vulkanembryonen und deren tufferföllte Ausbruchröhren,
da* größte Gebiet ehemaliger Maare auf der Erde. Stuttgart, Schweizerbart
(E. Koch) 1894.
2) S. 173 ff.
212 Christian Gruber, [26
dem Vorlande der Alb liegen, zeigen sie eine andere „äußere Erschei-
nungsweise". Während die vulkanischen Tuffmassen auf der Hochfläche
des Schwaben juras fast nirgends über die sie umgebenden Gelände
hervorragen, ja im Gegenteil sich meist in dieselben eingesenkt zeigen,
bilden sie im nördlichen Vorlande der Alb kegel- oder seltener wulsten-
förmige Erhebungen, Buhle und niedrige „ Bolle ft, deren unterer Teil
meistens aus braunen oder schwarzen Juraschichten aufgebaut ist.
Echte alte Vulkane mangeln indes dem Uracher Gebiet. Die Tuffe
und der Basalt sind hier der Erdoberfläche nicht aufgesetzt, sondern
derselben nur in schmalen Gängen oder Röhren, den einstigen Aus-
bruchsschloten, eingelagert. Sie sind bloß Ausfüllungsmassen von Spalten.
„Auch die hochaufragenden Buhle sowohl wie die kleinen Bolle sind
nur für in die Tiefe niedergehende Tuffgänge anzusehen, deren Köpfe
aus ihrer Jurahülle herausgeschält und dann mehr und mehr wieder
abgetragen wurden/
Einen ganz anderen Typus repräsentiert die alteruptive Thätig-
keit im Ries und Hegau. Beide Landschaften sind geräumige, kessel-
artige Senkungsfelder. Hier wie dort fanden wirkliche Ausbrüche
vulkanischer Gesteinsmassen statt und häuften sich ihre Aufschüttungen
über der Erdkruste an. Doch waren die Eruptionen in Hegau ungleich
stärker als im Ries. Sie scheinen überhaupt mit der Entfernung
vom Alpenrande nach Norden zu an Kraft und wahrscheinlich
auch an Dauer abgenommen zu haben, so daß sie um Urach nur
noch die erwähnten embryonalen Bildungen zuließen. Bisher gelang es
im Ries nicht, auch nur an einer einzigen Stelle festes Eruptivgestein
aufzufinden. Dagegen trifft man im östlichen Hegau Phonolith, im
westlichen Melilithbasalt in reicher Menge. Beide ragen aus dem
Senkungsfelde als pralle, kegelähnliche Erhebungen zu mehr als 200 m
Höhe empor und sind offenbar nichts anderes als „Sbeinkeme aus einem
Schmelzfluß, die einst im Krater unter mächtigen Aschenkegeln erstarrten
und von der Verwetterung später ihres Mantels aus Asche und Tuffen
entblößt wurden" (Branco).
Letztere treten übrigens immerhin noch in beträchtlichen Ablage-
rungen wie um Urach und im Ries, so auch im Hegau auf. Und zwar
stets als Tuffbreccien mit zahlreichen Einschlüssen von jenen Gesteins-
arten, die gelegentlich der eruptiven Thätigkeit durchbrochen und
dabei stark verändert wurden: also von bröckeligen Graniten, Gneißen,
triassischen und jurassischen Schichtengliedern.
Die Denudation, welche mit den mehr oder minder locker auf-
geschütteten Gesteinsmassen in den altvulkanischen Gegenden Deutsch-
lands so gründlich aufgeräumt hat,, daß manche derselben, wie z. B.
der Vogelsberg, geradezu nur noch als Bruchstücke von Skeletten eines
früheren Bergkörpers erscheinen, hat freilich auch im Ries die Spuren
der vulkanischen Thätigkeit arg verwischt. Die Lager stark poröser, in
allen Nuancen von Grau gefärbter trachytischer Tuffe um Hainsfarth,
bei Amerbach, Fünfstätten, Huisheim, Großsorheira, Holheim, Schmä-
hingen, Pflaumloch und Kirchheim1) sind — wie die in den gleichen
*) Bedeutsamerweise finden sich die größten Anhäufungen vulkanischer
27] Das Ries. Eine geographisch- volkswirtschaftliche Studie. 213
Gegenden vorkommenden Fetzen ausgeworfener Lava in Form von breit-
gedrückten Schlackenfladen und Bomben mit tauartig gewundener, viel-
fach auch rissiger Außenseite — offenbar nur geringe Residua von einst
ungleich mächtigeren Anhäufungen. Sie beeinflussen gegenwärtig
das Relief und die landschaftliche Ausstattung der Ries-
umrahmung in kaum beachtenswertem Maße. Dieselben sind
ungleich mehr von geologischer, als von orographischer Be-
deutung. Nichts überzeugt hiervon deutlicher, als der an 20 m hohe
Tuffbruch an der Altenbürg bei Holheim, dem einst die Steine für die
Georgskirche in Nördlingen und die Burg Niederhaus entnommen wur-
den. Auf Umfang und Dauer der eruptiven Thätigkeit lassen
die vulkanischen Tuffe durchaus keinen Schluß zu. Wohl
aber kann aus den Tertiärschichten, welche sich über ihnen in regel-
rechter Lagerung abgesetzt haben, mit Sicherheit auf die geologische
Periode geschlossen werden, zu welcher der Vulkanismus im Ries
thätig war. Diese Schichten werden durch Sylvanakalke und andere
obermiocäne Absätze gebildet. Es fanden demnach die vulkanischen
Ausbrüche und ihre Einwirkung auf das Relief unseres Gebietes während
des unteren und mittleren Miocäns statt.
Wenn im übrigen Gümbel nur eine Aufbruchstelle im Ries an-
nimmt, von einem Vulkan mit Kraterbildung im Sinne der rezenten
Feuerspeier schreibt und ihn in die Gegend von Klosterzimmern ver-
legt, so schwebt er damit auf rein spekulativem Boden. Mit dem
gleichen Rechte könnte man das Ries auch als eine unfertige oder
unvollständige vulkanische Landschaft kennzeichnen, in der
es nicht zum Ergüsse von Lavaströmen und Lavadecken oder zur Aus-
füllung eines Vulkanschlotes mit massigem Eruptivgestein gekommen
ist, sondern nur zur bloßen Aufhäufung lockerer Massen, wie es eben
Bimsstein, Asche, Lapillen und Bomben sind, und dadurch zur Tuff-
bildung.
C. Deffner, der phantasievollen Hypothesen nicht immer abhold
war, hat versucht, aus der petrographischen Zusammensetzung dieser
rhyolithischen Tuffe *) Schlüsse auf Wesen und Ursprung des Vulkanis-
mus im Ries zu ziehen. Er meinte2), daß die in den eruptiven Kon-
glomeraten neben schlackenförmiger Perlsteinlava liegenden Trachyt-
trümmer nichts weiter seien, als durch die Hitze der vulkanischen
Agentien umgewandelte granitische Gebirgsarten , welche durch die
Eruption losgerissen und mit an die Oberfläche gebracht wurden. So
sicher könne ihre Entstehung verfolgt werden, daß man oft noch die
Granit- und Gneisart zu bestimmen im stände sei, aus welcher der
Trachyt entstand. Man erkenne auch deutlich, daß die Trachyteinschlüsse
oft sehr verschiedene Einwirkungen der Hitze erlitten haben, sei es,
Breccien ansehnlich weit im Süden von der Riesniederung erst bei Auf hausen,
Amer dingen, Ringingen und Mauren.
*) lieber deren Beschaffenheit findet sich Näheres bei Gümbel: Der Ries-
vulkan. Berichte der Münchener Akademie, Sitzung der math.-phys. Klasse vom
5. Februar 1870, S. 172 ff.
2) Begleitworte zur geologischen Spezialkarte von Württemberg, Atlas-
blätter Bopfingen und Ellenberg, S. 12.
214 Christian Gruber, [28
daß sie derselben längere Zeit oder in einem höheren Grade aus-
gesetzt waren. Denn man finde alle Uebergänge vom gewöhnlichen
dichten Trachyt bis zur großblasigen Schlacke und der deutlich ge-
flossenen Lava.
Danach wären die vulkanischen Ablagerungen des Rieses im Grunde
nur auf eine stellenweise Umschmelzung des altkrystallinischen Funda-
ments der Landschaft infolge lokaler Ueberhitzung zurückzuführen.
Offenbar irrt Deffner aber hierin in ähnlicher Weise, wie bei seiner
Annahme einer diluvialen Vergletscherung des Rieses. Vorläufig steht
nur so viel sicher, daß eruptive und granitische Gesteine im
Ries stets vergesellschaftet sind und daß die aus den Absätzen
heißer Quellen gebildeten, später noch ausführlicher zu erwähnenden
Sprudelkalke fast immer auf Urgesteinstrümmern ruhen.
Schon aus diesem Grunde erscheinen die letzteren für unser Ge-
biet von höchster Bedeutung. Aber auch für die rein geographische
Betrachtung des Riesreliefs sind sie wichtiger, als alle vul-
kanischen Residua zusammen. Sie sind, abgesehen von den Quartär-
bildungen, das verbreitetste Gestein in der Riesniederung, zumal wenn
man in Betracht zieht, daß sie auf der geologischen Karte nicht in
ihrer ganzen Ausdehnung hervortreten, weil sie Kappen aus Süßwasser-
kalk tragen.
Nach einer etwas stark gewagten hypothetischen Ansicht Gümbels *)
sind dieselben nur Stücke eines Riffes, „ welches im Untergrund der ganzen
schwäbisch-fränkischen Alb hindurchzieht und wohl auch auf deren
Richtung bestimmenden Einfluß ausübte". Indes treten weder im Hegau,
noch um Urach Granite und altkrystallinische Gesteine derart häufig
und reliefbildend auf, als gerade im Ries. Sie sind eine spezifische
Erscheinung desselben und bilden einen hervorstechenden
Zug in seinem Antlitze. Dieselben liegen vielfach unmittelbar den
Malmschichten an und sollen nach den bisherigen Anschauungen ein
Beweis für ausgiebige Hebungen innerhalb des Einbruchsfeldes sein.
Sie gehören dem typischen Granit, Gneis, Hornblende- und Diorit-
schiefer, stellenweise auch dem Urkalk zu. Ferner streicht in dem
Gneis des Wennenbergs ein Gang kersantitähnlichen Gesteins. Mit Aus-
nahme des letzteren sind die nirgends in eigentlichen Felspartieen an-
stehenden Urgesteine des Rieses durch vulkanische Hitze, sowie den
Einfluß der Mofetten und der Verwetterung sehr stark zersetzt, sowohl
an der Oberfläche des Riesbodens, als im Untergrund. A. Frickbinger
hat z. B. beim Graben eines Kellers auf dem Stoffelberge bei Nörd-
lingen in ungefähr 20 m Tiefe noch beliebige Stücke von Granit mit
der Hand wegnehmen können. Meist werden denn auch die alten Ge-
birgsarten im Riese als Bausand ausgehoben und finden bei weitem nicht
die praktische Verwendung wie die Tuffe. Zwar eignen sich die letz-
teren, weil sie wegen ihres porösen Geftiges die Grundfeuchtigkeit in
hohem Maße aufsteigen lassen, wenig zur Fundamentation von Häusern-
Wohl aber hat man gemahlenen Tuff bei den Festungsanlagen in
Ingolstadt und beim Betonieren der Brücken- und Uebergangsbauten
*) Geologie von Bayern, S. 803.
29] Das Ries. Eine geographisch* volkswirtschaftliche Studie. 215
längs der Haupteisenbahnlinie des Rieses benützt. Außerdem gebraucht
man ihn, wenn er, wie z. B. am Buscheiberg bei Hainsfarth, mit Süß-
wasserkalk vereinigt vorkommt, zu Uferschutz- und Wehranlagen. Weil
er an der Luft und besonders im Feuer stark erhärtet, wurde derselbe
früher auch vielfach zur Herstellung von Backöfen und ähnlichen
„Feuerbauten* verwendet und soll sogar die Donau abwärts nach Wien
und Ungarn verschickt worden sein. Jedoch ist der vulkanische Ries-
tuff nicht annähernd in dem Grade feuerfest, wie es etwa die berühmten
Trasse der Rheineifel sind.
Die Trümmer des Urgesteins sind, wie vorauszusehen, durchaus
nicht gleichmäßig über den Boden und Rand der Riesdepression ver-
teilt. Sind sie wirklich die Zeugen energischer Hebungen in ihr, so
müßten diese den südlichen Teil des Gebietes ungleich stärker betroffen
haben, als den nördlichen. Und da gleichzeitig an ihr Vorkommen
jenes der rhyolithischen Tuffe gebunden ist, so könnte ein übereilter
Beobachter schließen, daß auch die vulkanischen Kraftäußerungen in
der unteren Rieshälfte stärker gewesen seien. In der That mangelt
dem Boden des Senkungsfeldes im Norden bis zum Mellenberg bei
Marktoffingen jede Spur von Tuffen und altem Gestein. Aber auch
innerhalb des weitgespannten Bogens des Riesrandes zwischen Polsing
und Maihingen finden sich nur geringe Residua von ihnen bei Hains-
farth und Ehingen. Dagegen tauchen die Schollen trümmer altkrystalli-
nischer Gebirgsarten nicht bloß als Sockel des Nördlinger Höhenzuges
und aller Inselberge in der südlichen Riesniederung selbst auf, sondern
auch vielfach in der Umrahmung derselben, und zwar häufiger im
Westen als im Osten. Hier fehlen sie im wesentlichen nur zwischen
Amerbach und Eleinsorheim, mithin bedeutsamerweise gerade in jenem
Teil des Rahmens unserer Landschaft, welchem der Höhenzug von Lier-
heim bis zum Wennenberg vorlagert. So bilden denn auch die alten
Gesteine bei aller Lückenhaftigkeit ihres Vorkommens einen ungleich
vollständigeren und breiteren Gürtel um den Riesboden, als die nur
sporadisch aufgelagerten rhyolithischen Tuffe.
Mit dem hypothetisch angenommenen Emporrücken der Trümmer
von Urgestein und dem Erlöschen der vulkanischen Thätigkeit endet
die stürmische Periode in der Geschichte des Rieses. Es folgt ihr jene
große Spanne Zeit ruhiger Entwicklung, welche sedimentäre Ablage-
rungen mannigfaltigen Charakters und von einschneidendem wirtschaft-
lichen Werte charakterisieren.
Doch hörte der Vulkanismus auch im Ries nicht katastrophen-
artig rasch auf. Wenn man ihn mit Poulett Scrope dahin definiert,
daß er jedwedes Ausstoßen von festen, flüssigen, halbflüssigen und luft-
förmigen Massen aus dem Erdinnern bedeutet, so dauern seine Nach-
wirkungen in unserer Landschaft noch eine geraume Weile fort. Denn
es finden sich an den Inselbergen des Rieses, dem Goldberg, Waller-
stein, Hahnen- und Spitzberg unzweifelhafte Beweise von der 'Wirk-
samkeit heißer, mit Calciumkarbonat, Kohlensäure und auch mit arsen-
saurem Eisen beladener Sprudelquellen. Gleich den rezenten
Thermen waren sie keine allgemeine Erscheinung im Ries,
sondern lokal beschränkt. Auch ihre Thätigkeit fällt ins Ober-
216 Christian Gruber, [30
miocän, aber in eine Zeit, in welcher die Riesdepression schon von
den ihr zuströmenden Wasseradern seeartig breit ausgefüllt war.
Daß die seltsamen, hier marmorartig festen und krystallinisch
körnigen, dort schalig wulstigen und blasig porösen Süßwasserkalke
auf den erwähnten Inselbergen des Rieses von stark gashaltigen Warm-
quellen herrühren, lehrt am klarsten die durch einen Felzsturz entblößte
Nordostseite des Wallersteins. Ein Vertikalprofll zeigt an dieser Höhe
zunächst eine Grundanschwellung aus granitischem Trümmerwerk.
Ueber ihr lagert eine Schicht außerordentlich dichten Süßwasser-
kalks. An dem darauf folgenden eigentlichen Wallersteiner Burgberg
ist es nun leicht, die schönsten Sprudelsteine und Blasenkalke zu be-
obachten und dabei die Gasgänge zu verfolgen, um die sich mantel-
förmig konzentrische Schalen lagern, seitlich und von oben her von
Oeffnungen durchbrochen, durch die das Gas, welches sich selbst ein-
zumauern anfing, wieder ausbrach, um eine neue Blase oder Röhre
zu bilden, die abermals sich schloß, so daß sich das Spiel sofort aufs
neue in gleicher Art fortsetzte. Namentlich auf dem Gipfel des Burg-
felsens wird das Gestein porös und blasig, die Kalklamellen sind
gebogen, wellig und zerrissen und der Vergleich ihrer Bildung mit
Karlsbader und Cannstatter Sprudelstein wird unwillkürlich nahegelegt.
Dazu sind die von den Quellgasgängen erzeugten Hohlräume mit Arragonit
überzogen und Nestchen von Eisenocker liegen in den Gesteinsporen.
„Alles zusammen macht den deutlichen Eindruck von Quellabsätzen
eines Kohlensäuerlings. tt
Gerade die von den Thermen im Ries abgesetzten Süßwasserkalke
sind nun auch außergewöhnlich reich an Ueberresten tertiärer Säuge-
tiere und Wasservögel, an Schilf, Gras und Charafrtichten, und am
Wallerstein hat man auch den Abguß einer Landschildkröte aufgefunden.
K. v. Zittel und 0. Fraas haben ganze Schränke mit Vogelknochen,
Federn und Eierschalen vom Goldberg, Spitzberg und Hahnenberg
gesammelt und sammeln lassen. Sehr anschaulich sagt denn auch
Fraas: „Kaum kann sich jemand ein reicheres Material vorstellen; denn
der Süßwasserkalk, der den Felsen bildet, besteht stellenweise nur aus
einem Haufenwerk von Vogelknochen und Eiern, aus den Skeletten von
Pelikan, Storch, Reiher, Gans, Ente und kleineren Singvögeln. Da-
zwischen liegen einzelne Platten mehrere Centimeter hoher Eierschalen-
haufen, sehr selten vollständige Eier, daneben das Gewölle der größeren
Vögel, bestehend aus Helixschalen , Mausschädeln, Eidechsenknochen
und allerlei unverdaulichem Gemengsei. Mitten darin wieder Schilf
und Rohr, als ob wir an einem modernen Brtiteplatz von Wasservögeln
uns befänden, wo Tausende von Nestern aufeinander und nebeneinander
gesetzt und auf ausgebrütete Eierschalen wieder frische Eier gelegt
werden1)/
Von den unregelmäßigen Kalkabsätzen der warmen Sprudelquellen
sind übrigens die regelrecht geschichteten Bänke aus Süßwasser-
kalk wohl zu unterscheiden, welche an den Rändern des Riessees zur
Ablagerung kamen. Sie finden sich vor allem am nördlichen Rahmen
') Neues Jahrbuch für Mineralogie, 1879, S. 555 ff.
31] Das Ries. Eine geographisch-volkswirtschaftliche Studie. 217
des Gebietes stark entwickelt, seltsamerweise besonders in dem schon
früher erwähnten, an Tuff- und Urgestein armen Bogen zwischen Polsing
und Maihingen, sowie am Nördlinger Höhenzug und seinen Ausläufern.
Wo sich der Süßwasserkalk aber doch mit Tuff vergesellschaftet findet,
trennt ihn oft nur eine dünne Breccienschichte von demselben. Neben
dem Reichtum an Helix sylvana verbergen sich in ihm noch Massen
von grau, gelb und bräunlich gefärbten Schälchen der Hydrobia trochulus
Sdb. und von Cypris faba.
Die Süßwasserkalke liefern im steinbedürftigen Ries, mögen sie
nun von heißen Sprudelquellen erzeugt oder in stagnierendem Gewässer
ruhig abgesetzt worden sein, ein vielbegehrtes Baumaterial. Seit Jahr-
hunderten wurden sie in solchen Mengen gebrochen, daß die aus ihnen
aufgebauten Höhen an Volumen ansehnlich vermindert und in ihrem
Aussehen wesentlich beeinflußt wurden. Allüberall: an den Abhängen
des Buscheis bei Hainsfarth wie am Goldberg, an der Reimlinger
Höhe wie am Adlerberg fallen die schroffen Wände auf, welche die
Steinbrucharbeit geschaffen hat und die bei Morgen- und Abendlicht
in warmen gelblichen Tönen schimmern. Der allerdings plateauartig breit
auseinandergezogene Kalkaufsatz des Goldbergs wird gar von Osten,
Süden und Norden her gleichzeitig abgetragen. Manche der Riesberge
haben daher auch ihre ursprünglich flachscheitelige Form großenteils
eingebüßt, Sie sehen, wie Spitzberg und Adlerberg, gezahnt aus und
besitzen, nicht zum Nachteil der harmlos einfachen Konturen ihrer Um-
gebung, scheinbar eine mehrfach ausgebrochene Gratböhe. Die Hänge
derselben aber sind durch die Wühlarbeit der Steinbrecher und die von
ihnen herabgeworfenen Schutthalden unregelmäßig gewulstet und wie
mit niedrigen, verwaschenen Höckern umhüllt, über denen Licht und
Schatten in launischem Wechsel spielen.
Im Vergleich zu den Süßwasserkalken besitzen die anderen jung-
tertiären Gesteinslager an den Erhebungen und Rändern des Rieses für
das Relief der Landschaft geringere Bedeutung. Es sind petrographisch
überaus mannigfaltige Neubildungen in Form von Konglomeraten oder
auch bloß losen Schottern aus dem Material älterer Schichten, welches
durch die dislocierenden Kräfte bis ins kleinste zerstört und ausein-
andergebrochen wurde. Am deutlichsten fallen die ansehnlichen Lager
von lockerem, aus oberen, mittleren und unteren Malmsteinen
bestehendem „miocänen Juraschutt" auf, wie württembergische
Forscher diese Trümmerkalke des Rieses allerdings im heftigen Wider-
streit zu Quenstedt nennen. Sie werden als ein von der Natur selbst her-
gestelltes Kleingeschläge für Straßenbeschotterung allenthalben benützt.
Dagegen treten die hartverkitteten Griesmassen („bunte Breccien")
geographisch wenig hervor. Doch ist es für die Meinungen über die Ent-
stehung unseres Gebietes vielleicht nicht belanglos, daß auch sie, gleich
den Urgesteinen, vulkanischen Tuffen und losen Schuttanhäufungen sich
häufiger in der südlichen, als in der nördlichen Rieshälfte finden.
Hierher zählen vor allem jurassische Breccien aus eckigen und
auch aus abgerundeten Trümmern aller Juraetagen, welche inkrustierende
Gewässer, oft mit Schalen von Landschnecken, so hart verbunden haben,
daß sie in Nördlingen durch lange Jahrhunderte als Piastersteine ver-
218 Christian Gruber, [32
wendet wurden. Man findet sie u. a. an der Altenbürg, bei Holheim
und Deggingen. Ferner wird von den Sandgräbern an vielen Stellen
im Ries ein Konglomeratfels aus Keuperbruchstücken aufgedeckt, die
«in Zement aus kohlensaurem Kalk zu einer Art tertiären Keupers
zusammengebacken hat. Wo die ungewöhnlich stark zersetzten graniti-
schen Trümmerstücke „in Kontakt mit Tertiärablagerungen treten, setzte
sich tertiärer Kalkschlamm mit Schnecken in jedem Sprung und jeder
Kluft des alten Gesteins fest." So entstand ein Neogranit, den Deffner
am Reisberg bei Nähermemmingen instruktiv aufgeschlossen traf. Auch
die Bänke des eigenartigen Quarzitfelsens am Stoffelberg, dann am
Sandhof in der Nähe von Huisheim und bei Deggingen im Brändle,
welche A. Frickhinger mit glücklichem Scharfsinn als Süßwasserquarz
gedeutet hat, hält man für ein Neuprodukt aus Granit und Gneis.
Endlich lagern noch tertiäre Konglomerate aus weißem Jura, Quarz-
körnern, Kalktufffragmenten und Bestandteilen des Trasses dort ein,
wo die Bänke von Rieskalk in vulkanischen Tuff übergehen, wie beson-
ders anschaulich ein wiederum von Deffner skizziertes Profil am Büschel
bei Hainsfarth klarlegt.
Während so in der jüngsten Tertiärzeit die isolierten Erhebungen
des Rieses durch Aufsätze aus Süfiwasserkalk an Masse, wie an Höhe
und charakteristischer Form gewannen und am Rande des Gebietes die
Bildung fester Breccienlager aus degeneriertem Schutt vor sich ging,
begann gleichzeitig die Ausfüllung und Verebnung des weitausgespannten
Bodens der Depression. Und zwar übertreffen auch hier die thonigen,
sandigen und kalkigen Ablagerungen aus der jungmiocänen Zeit alle
späteren an Mächtigkeit so bedeutend, daß man auch in Bezug auf die
Konfiguration des Flachgebietes unserer Landschaft, ihrer mild gewellten
Ebenen an Wörnitz und Eger behaupten kann, im Ries seien alle
wesentlichen Züge der Bodengestalt während des Tertiärs
ausgeprägt worden.
Die durch spätere diluviale und alluviale Ueberlagerungen gründ-
lich verhüllten Schichten des Riesuntergrundes wurden mittels
einer Reihe von Bohrungen auf Braunkohlen erschlossen, welche stellen-
weise bis 56,5 m tief abgetäuft sind. Die gewonnenen 20 Profile
lassen erkennen, daß das gesamte Gebiet wahrscheinlich auf einem
Fundament aus granitischem Gestein ruht, über welchem in bunter
Wechsellagerung plastische Thone und Kalkmergel, Braunkohlenflöze und
niedrige Kalkbänke sich aufbauen. Schon bei ungefähr 8 m liegt in
braun- oder blaugrauem Tertiärletten stellenweise Papierkohle. Sie hat
neuerdings Hermann Frickhinger analysiert x). In unscheinbare Blättchen
spaltbar, ist dieser Dysodil durch seine Verbrennlichkeit und die Er-
zeugung einer intensiv weiß leuchtenden Flamme ausgezeichnet. Bei
100° C. getrocknet besteht er aus 63,39 Kohlenstoff, 12,51 Wasser-
stoff, 19,13 Sauerstoff, 2,39 Wasser. Im gleichen Horizont wie die
Papierkohle findet sich anderwärts lettiger Kohlenmulm. Bei 10 — 12 m
x) Verhandlungen der phys.-medizinischen Gesellschaft in Würzburg. Neue
Folge, VIII. Bd., S. 238 ff.
33] Das Rica. Eine geographisch-volkswirtschaftliche Studie. 219
stellt sich alsdann, um C. Deffners Worte zu zitieren1), in der Regel
das erste Ealkbänkchen mit Cypridinen ein. Darauf folgt das obere,
bis 1 m mächtige Kohlenflöz. Vielfach schiebt sich eine Zwischenlage
von Thon in dasselbe ein. Es kommen darauf aschgraue, grünliche
und dunkle Thone, unregelmäßig von porösen Kalken und Kalksanden
durchsetzt, in welchen dieselben Schnecken und Cypris stecken, wie in
den am Rand der Ebene zu Tage tretenden hügelbildenden Kalklagen.
Ungefähr mit 20 m Tiefe stellt sich das untere Flöz von 2 m Mächtig-
keit ein. Es sollte zum Abbau kommen. Unter demselben werden die
Thone gerne mager, leichter, kalkreicher und gehen in förmlichen
Kalksand über, der sich zuletzt mit granitischem Gries vermengt. (In
welcher Weise die Ablagerungen im einzelnen an einer Reihe bedeut-
samer Stellen sich folgen, findet sich auf Seite 13 u. 14 der Begleit-
worte zu den geognostischen Atlasblättern Bopfingen und Ellenberg
eingehend mitgeteilt.)
Die im Hauptversuchsschacht zwischen Oettingen und Bettendorf
1859 geförderten, eher mulmigen als lignitischen Rieskohlen
hatten einen so großen Gehalt an Feuchtigkeit und an Schwefelkies,
daß sie zum Brand erst getrocknet werden mußten; wenn sie aber
brannten, so gaben sie so viel schwefelige Säure von sich, daß sie für
technische Zwecke durchaus unbrauchbar waren. Auch das starke An-
dringen von Grundwasser und das Auftreten von Schwaden machte den
Abbau des nur 19 m tief liegenden Flözes gewinnlos. Damit war der
Wahn einzelner Vaterlandsfreunde zerstört, daß der Riesuntergrund durch
seinen Kohlenreichtum eine ähnliche Bedeutung für Gewerbe und In-
dustrie gewinnen könnte, wie sie der fruchtbaren Oberfläche des Ries-
boden für Ackerbau und Viehzucht innewohnt2).
So tief man auch die Tertiärschichten im flachen Ries erbohrte,
man fand sie stets in ungestörter horizontaler Lage. Sie erweisen
sich dadurch als Produkte ruhiger Niederschläge in einem geräumigen
Seebecken. Die Tiefe des letzteren kann im Durchschnitt wohl nicht allzu
beträchtlich gewesen sein. Denn sowohl das Vorkommen von Dysodil,
als hauptsächlich jenes der an sich nicht unbedeutenden Braunkohlen-
flöze setzt eine üppige Vegetation streckenweise in der stagnierenden
Wassermasse des damaligen Riessees selbst voraus. Gümbels Meinung,
daß das Pflanzenmaterial zur Kohlenbildung allein aus der reichbewaldeten
Umrahmung in den See geführt wurde, scheint mir bei der weiten Aus-
dehnung der Braunkohlenschichten durchaus nicht stichhaltig.
Nebenbei mag in diesem Zusammenhange noch erwähnt sein, daß
man auch von verkieseltem Holz im Ries seit fast anderthalb Jahrhun-
derten Kunde hat. Gelegentlich der Angabe eines Bodenprofils bei Wechin-
gen, die dem ersten Verzeichnis von in unserer Landschaft gesammelten
Petrefakten 3) beigefügt ist, wird mitgeteilt: „Sobald man über 6 Klafter
*) Begleitworte zur geognostischen Spezialkarte von Württemberg, Atlas-
blätter Bopfingen und Ellenberg, S. 15.
*) Auch auf der Höhe östlich von Wemding wurden früher Braunkohlen in
der Grube Concordia abgebaut.
8) Oettingsche Bibliothek von G. A. Michel. Ansbach 1758 (Jakob Christ.
Posch), S. 152—104.
Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde. XII. 3. 15
220 Christian Gruber, [34
in schwarzen Letten kommt, liegen Ligna fossilia in ganzen Stämmen
und von dreierlei Art (Föhren, Fichten, Eichen) durcheinander. a
Wahrscheinlich noch während der Ablagerung der jüngsten Tertiär-
gesteine im und am Ries begann die Bildung des Defiles, welches der
Abfluß des Riessees allmählich in die Jurahöhen zwischen Hoppingen
und Wörnitzstein erodierte. Dadurch fanden nach und nach die bisher
gestauten Ansammlungen der Wörnitz- und Egergewässer ihren Weg
zur Donau und wurde eine Thalstrecke geschaffen, welche durch ihre
Enge, die waldverhüllten Steilufer und die vereinzelt aus ihr aufstre-
benden dolomitischen Felspartieen an den Altmühldurchbruch bei Eich-
stätt und die Thäler der Fränkischen Schweiz gemahnt.
Auch die diluviale und recente Periode verliefen für
das Ries im Vergleich zum mittleren Miocän ausnehmend
ruhig. Doch wurde der Riesrand noch von jenen auffallend schwierig
zu deutenden tektonischen Verschiebungen betroffen , die C. Deffner
am Buchberg bei Bopfingen so eingehend nachwies 1). Ueber den Ries-
grund aber wurden die Trümmergesteine der Umrahmung durch die
ihm allseitig zuströmenden hochgehenden Gewässer da und dort in
seichten Lagen ausgebreitet.
Die diluviale Vergletscherung konnte das Ries nicht berühren.
Dazu mangelte ihm wie seiner Umgebung die notwendigste Voraus-
setzung: eine Höhenlage, welche über die Schneelinie der Eiszeit hinaus-
greift. J. Partsch hat dieselbe für Süddeutschland zu 1000 m berechnet.
Rand und isolierte Erhebungen des Rieses bleiben aber volle 4 — 500 m
unter dieser Höhe. Von End- und Grundmoränen, Rundhöckern und
erratischen Blöcken kann also hier im Ernste keine Rede sein.
Pseudoglaziale Erscheinungen allerdings mangeln nicht. „Bei
Lauchheim und Bopfingen sind Ablagerungen vorhanden , welche
die charakteristischen Eigenschaften glazialer Bildungen in vollem
Umfang zur Schau tragen. Sie ruhen auf horizontal geschliffenen
Flächen auf und bestehen aus in der Richtung der Schliffe transpor-
tiertem Material, das gekritzte Geschiebe, darunter solche des Goldshöfer
Sandes birgt, welch letzterer wahrscheinlich altquartär ist. So voll-
ständig ist die Analogie mit einer Geschiebelehmbildung, daß ihr
nicht glazialer Ursprung erst bewiesen werden muß." Diesen Beweis
hat nun A. Penck in authentischer Weise geliefert2). Er führt an, da&
weder in der weiteren Umgebung von Nördlingen, noch in dem Thal
von Bopfingen, weder am Ipf, noch im Wörnitzthale Moränenwälle mit
gekritzten Geschieben oder Rundbuckel zu finden seien. Es fehle
jeder See, und nicht das kleinste Moor sei vorhanden. Freilich, fremdes
Gesteinsmaterial mangle nicht, das als charakteristisch gelten könnte;
aber dieses leite sich nicht von irgend einem hochgelegenen Punkte
her, sondern stamme aus der Tiefe. Es sei unzweifelhaft, daß nicht
ein glazialer Horizontalschub, sondern eine im Grunde genommen vul-
kanische Thätigkeit jene Trümmer in vertikaler Richtung herbeigeschafft
habe. Auch darauf weist jener Gelehrte noch hin, daß eine supponierte
*) Jahresh. d. Vereins f. vaterl. Naturk. in Württemberg, Bd. XXVI, 1870.
2) Pseudoglaziale Erscheinungen. „Das Ausland* 1884, S. 641 ff.
35]
Das Ries. Eine geographisch-volkswirtschaftliche Studie.
221
Vergletscherung des Rieses gänzlich aus der Harmonie herausfallen
würde, welche die Entwickelung des süddeutschen Glazialphänomens
beherrscht, und daß weder die über der Malmstufe sich findenden Ab-
lagerungen des braunen Juras bei Bopfingen, noch das Chaos von
Lauchheim die Erscheinungsweise, den Habitus eines Blocklehms,
einer Grundmoräne an sich tragen. — Diese Thatsachen werden auch
durch Kockens neueste Mitteilungen über Glazialspuren am westlichen
Riesrand nicht erschüttert.
Während das Ries sonach ohne Zweifel von der eiszeitlichen Ver-
gletscherung nicht berührt wurde, erhielt es anderseits in der Diluvialzeit
die an Fläche ausgedehnteste und wirtschaftlich hervorragendste aller
seiner Gesteinsablagerungen: jene mächtige Lehmdecke, die sich vom
rechtseitigen Borde der Wörnitz an bis hinaus zum Rahmen des Rieses
erstreckt. Es ist ein „Brotflöz" in unbeschränktem Wortsinn. Auf
ihm beruht größtenteils der Segen der Landschaft, ihr Reichtum an
allen Produkten des schwäbisch- fränkischen Feldbaus sowohl in allzu
regenreichen, als allzu trockenen Jahrgängen.
Wie die nachfolgende Gegenüberstellung *) erweist, zeigt sich der
Rieslehm eigentümlicherweise dem Löß bei Ems und Bonn, ja selbst
dem Nilschlamm nach seinen Hauptbestandteilen näher verwandt, als
dem schwäbischen Lehm, welchem für gewöhnlich nur 47 — 50°/o Kiesel-
erde zukommen.
II
III
IV
VI
VII
VIII
IX
Kieselsäure ... 1 61,17
Thonerde .... 1 12,83
Eisenoxyd ....!; 3,90
Magnesia 1,20
Kalk ; 1,48
Natron j \o14r
Kali ! T'74
Kalkkarbonat . . | 9,50
Magnesiakarbon. —
Wasser ; 7,10
I:
66,07
12,90
5,27
1,61
2,60
0,59
10,96
64,28
8,57
6,38
2,20
1,09
2,00
13,05
0,80
54,51
7,77
4,57
0,42
0,80
0,91
1,21
24,96
3,78
0,72
52,38
6,60
2,75
1,91
0,41
1,27
1,22
29,29
1,97
0,81
58,97
9,97
4,25
0,04
0,02
0,84
Ul
20,16
4,21
1,37
62,43
7,51
5,14
0,21
}l,75
17,63
3,02
2,31
54,59
11,66
20,22
0,76
1,91
0,55
0,47
3,72
50,14
4,77
2,69
0,34
0,77
0,54
0,55
30,76
1,24
0,99
Rieslehm zwischen Marienhöhe und Totenberg bei Nördlingen, unterste,
gelbe Lage;
II = Rieslehm ebendorther, höhere, rötlichsandige Lage;
III = Löß von der Kapelle am Spieß bei Ems;
IV — Heidingsfeld bei Würzburg;
V = Mauer, Elsenzthal, Baden;
VI = Siebengebirge bei Heisterbach ;
VII = Zwischen Bonn und Ippendorf ;
VIII = Nilschlamm, Durchschnitt aus 8 Proben;
IX = Rheinabsatz im Jtodenseedelta.
Auch nach Farbe, Einschlüssen und physikalischen Eigenschaften
kennzeichnet sich der Rieslehm zweifelsohne im allgemeinen als eine Löß-
bildung, worauf bereits Gümbel hingewiesen hat. Er besitzt die braune
*) Roth, Chemische Geologie, 1. Bd., S. 619.
222 Christian Gruber, [36
Abtönung des Lößes, die Neigung zu vertikaler Abblätterung und die
Eigentümlichkeit, in senkrechten Wänden stehen zu bleiben. Man findet
in ihm weiterhin jene oft hohlen, derbgeformten Kalkknollen, die unter
dem Namen Lößpuppen bekannt sind x) und bohnerzähnliche mangan-
haltige Körnchen, welche ihrer chemischen Zusammensetzung nach eine Art
Sumpferz darstellen. Auch dem Rieslöß mangelt eine eigentliche, strenge
Schichtung, und er enthält zwei charakteristische Lößkonchylien : Succinea
oblonga und Pupa muscorum. Im Durchschnitt bemißt sich die Mächtig-
keit des Rießlößes auf 2 — 3 m. Sie ist im Innern der Niederung
größer als gegen den Rand hin und man findet eine allerdings seichte,
oft dicht mit dem anstehenden Gestein überstreute Lößhülle sogar an
den Einzelerhebungen des Rieses. Größere Aufsammlungen von Löß
zeigen sich vor allem im weiten Umkreis von Nördlingen, wie neuer-
dings die Erdarbeiten unterhalb der dortigen Eisenbahnbrücke wieder
erwiesen haben, und wie auch die Gruben im Sattel zwischen Toten- und
Galgenberg lehren. Ein besonders hohes Lager von Lehm und Löß steht
ferner zu beiden Seiten der Wörnitz unmittelbar bei Harburg an. Es
scheint vor der gänzlichen Fertigstellung des untersten Abschnittes des
Wörnitzdurchbruches aufgesammelt worden zu sein, ist bis 8 m mächtig
und enthält fast keine Konchylien.
Der Rieslöß ist weder äolischen, noch limnischen Ur-
sprungs. Er stellt vielmehr ein geschlemmtes Zerreibungsprodukt
aus all den Trümmergesteinen, ganz besonders auch den altkrystallini-
schen, dar, welche die Riessenke gegenwärtig noch so massenhaft um-
säumen, einen höchst fein zermalmten Detritus, den die
fließenden Gewässer leicht transportieren und allenthalben absetzen
konnten. Es ist wiederum kennzeichnend, daß die Lößdecke gerade
auf jener Seite des Rieses sich vorfindet, wo nicht nur die vulkanischen
Ablagerungen und die verwetterten Urgebirgstrümmer am häufigsten
sind, sondern von woher auch die meisten und verhältnismäßig stärksten
Wasseradern dem Riese zukommen. Erst an der Wörnitz findet der Ries-
lehm seine Grenze. Der früher offenbar mit stärkerer Strömung gehende
und gewaltige Sandmengen aus dem Keuper und Jura mit sich wälzende
Fluß verhinderte lehmige Absätze im östlichen Drittel unserer Landschaft.
Als fluviatiles Gebilde, das quartären Geschieben aufliegt, hat die
Lößdecke selbstverständlich mit der tertiären Wasseranstauung im Riese
nichts gemein.
An ihrer Oberfläche ist dieselbe allenthalben stark verwettert und
infolge Entziehung des Kalkes durch Regen und Schneewasser vielenorts
zu rötlichem Lößlehm geworden. Auch eine mindestens 2000jährige
Arbeit der Menschenhand und des Pfluges, sowie der Einfluß der Dünge-
mittel hat sie wesentlich verändert. Gerade die hierdurch herbeigeführte
Auflockerung aber scheint, neben dem Ueberwiegen von f einstgepulverter
Kieselerde, die Fruchtbarkeit des Rieslößes wesentlich mitzubedingen.
Industriell werden die Lößgruben des Gebietes durch nicht allzu
l) Sie entstanden bekanntlich dadurch, daß das atmosphärische Wasser den
oberen Lößpartieen Kalk auslaugte, welcher in den tieferen Schichten zusammen
mit Magnesiakarbonat Konkretionen bildete.
37] Das Ries. Eine geographisch- volkswirtschaftliche Studie. 223
zahlreiche Ziegeleien einfachen Betriebs und das Thonwerk von Märker
bei Harburg ausgenutzt. Letzteres hat innerhalb eines Jahrzehnts
einen so großartigen Aufschwung genommen, daß es nunmehr jährlich
ca. 3 Mill. Maschinensteine, Dachplatten und Drainageröhren erzeugt.
Es ist mit einer durchaus modern eingerichteten Fabrikanlage für
Zementwaren verbunden, in der neuerdings hauptsächlich hydraulischer
Sackkalk und Kalkzement hergestellt werden, welch letzterer als wetter-
beständiges, steinhartes Verputzmaterial in Zukunft ausgedehnte Ver-
wendung finden dürfte. (An gebranntem Kalk liefern die Märkerschen
Oefen alljährlich 190—200000 Ztr.)
Im Wörnitzgebiete wird die Niederung des Rieses, wie schon
angedeutet, nicht von Löß überkleidet, sondern teilweise von einer Art
Schwarzerde. Man hat dieselbe mit dem Schlamm austrocknender
Teiche verglichen. Sie macht sich durch die sehr dunkle Färbung der
Ackerböden jedem bemerkbar, der mit der Eisenbahn von Dürren-
zimmern gegen Oettingen fährt. Gleich dem Rieslöß sehr fruchtbar,
leiden ihre Ernteergebnisse unter nassen Sommern in ungleich be-
trächtlicherem Maße, als jene der Lehmgebiete. Doch ist andererseits
hervorzuheben, daß den Landstrichen mit Schwarzerde viel weniger
nasse Oedungen eigen sind, als der Zone des Rieslößes. Als saure
Viehweiden breiten sie sich in kleineren oder größeren Flecken allent-
halben in der letzteren aus, besonders aber zwischen Oettingen und
Heuberg und westlich von Dürrenzimmern. Dieselben wurden übrigens
schon vielfach mit Erfolg unter Kultur genommen.
Mit dem räumlich beschränkten Gebiet der Schwarzerde kontrastiert
der weitaus größte Teil der Niederung zwischen dem linken Wörnitz-
ufer und dem östlichen Riesrand, und zwar sowohl in geognostischer,
als in landschaftlicher und wirtschaftlicher Hinsicht. Hier schreitet
der Wanderer über breite, bis 16 m tiefe Lager von Quarzsand.
Graugelb bis goldrot ist seine Farbe, fein, wenn auch von unterschied-
licher Größe sein Korn, gleichmäßig seine chemische Zusammensetzung.
Zu 99°,o besteht er aus reiner Kieselerde; auch derbere Quarzstücke
von rötlicher bis weißer Farbe mischen sich ihm ein; von Kalk sind
kaum Spuren zu finden. Unter der seichten Ackerkrume liegt der-
selbe in horizontaler Schichtung, streifenförmig fein gebändert.
Und dieser mit dem Rieslöß gleichalterige Quarzsand ist nicht
in jene langhingezogenen, eintönig auf- und niederwogenden Boden-
wellen verwischt, wie jener. Er zeigt, wo er höher angehäuft wurde,
wie am oberen Schwalbthale , eine so kräftig undulierte Oberflächen-
gestalt, daß schon A. Frickhinger dort an Dünenbildung dachte. Aber
so vergleichsweise unregelmäßig gestaltet das Hügelgelände z. B. um
die Schwalbmühle auch sein mag, wo über 100 m breite Flächen mit
kurzen, schmalen Rücken wechseln : das Spiel des Windes hat an seiner
Entstehung nur geringfügigen Anteil. Die kennzeichnenden Formen
und asymmetrischen Abböschungsverhältnisse der echten, wandernden
Dünenlandschaften fehlen. Der schärfer zusehende Blick merkt bald,
daß er nur Pseudodünen vor sich hat. Hier wirkte wesentlich das
rinnende Wasser relief bildend. Eine flachwellige Sandanhäufung wurde
durch dasselbe vielfach auseinandergerissen und zerschnitten. Daher auch
224 Christian Gruber, [38
die ausgedehnten Ebenen schon hart im Süden und Westen der Schwalb-
mühle, daher die Richtung vieler der steilwandigen, meist nur bei Regen
wasserführenden Rinnen und Thälchen zur Ader der Schwalb hin. Was
aber den besonderen Schmuck dieser Sandflächen ausmacht, das ist ihr
Waldreichtum. Dort steigen die Forste der Riesumrahmung ungehindert
herab in die Riesniederung. In der Region der Diluvialsande allein,
welche die Wörnitz einst aus den von der Denudation um Hunderte
von Metern abgetragenen Gebieten des fränkischen Keupers und des
Juras herein ins Ries führte, finden wir in letzterem ausgedehnte
Waldpartieen. Sie lohnen auf weite Strecken hin mehr als ein kärg-
licher Ackerbau. Und gar seltsam wandert sich's durch den park-
artigen Föhrenwald des Schwalbenholzes, dessen Wipfelbüschel träume-
risch leise rauschen wie der nicht allzuferne Bach, und dessen mit tauben
Föhrenzapfen und dürrem Geäst bestreuter Boden von gelbem Ginster,
Heidekraut und Heidelbeeren, grau verwitterten Grashalmen, sowie Ge-
sträuch aus Eichen, Fichten und Brombeeren verhüllt wird.
Zu den geologischen Besonderheiten des Rieses, welche seinen
Charakter als individuelle Landschaft mitbedingen und die in den
benachbarten verwandten Depressionen des Schwabenjuras auch nicht
annähernd in so bedeutendem Maße hervortreten, gehört auch der
außergewöhnliche Gegensatz zwischen den Lagerungsver-
hältnissen der Gesteine im evakuierten Gebiete und der
ganzen weitgeschweiften Umrahmung des letzteren. In der
Riesniederung selbst wurde das jungtertiäre Braunkohlengebirge, soweit
es sich nicht einem unregelmäßigen Untergrund anzuschmiegen hatte, in
horizontalen Schichten, wurden der diluviale Löß und Sand, sowie die noch
jüngere Schwarzerde in ungestörten regelrechten Anhäufungen abgesetzt.
Wie ganz anders am Riesrande! Wie schon erwähnt, scheint
hier jede Ordnung verschwunden, alles regellos zerrüttet und durch-
einandergeworfen zu sein. Man hat gesagt, daß in diesem Randgebirge
das Geheimnis des Rieses versteckt liege. In der That kann nur hier
ein Verständnis für seine Genesis, und sei es auch noch so lückenhaft,
erholt werden. Welche Summe gründlicher Beobachtungen und welch
scharfe Kombinationsgabe hierzu indes notwendig sind, vermag keine
Stelle des gesamten landeskundlichen Schrifttums anschaulicher dar-
zulegen, als die Schilderung der geologischen Erscheinungen am Lauch-
heimer Eisenbahntunnel von 0. Fraas x). Wer aber diese Verhältnisse mit
eigenen Augen sehen will, der steige etwa von den Höhen des Härtfeldes
über den Reitersbuck nach Nördlingen hinab. Er ist keine hundert
Schritte sicher, auf Schichtenglieder zu stoßen, die hier am allerwenig-
sten vermutet würden. Vulkanische Tuffmassen, in tertiäre Konglomerate
übergehend, hängen am Rande des weißen Juras. Blasige Schlacken
sind darin eingebacken; darunter schaut da und dort noch weißer
Jura hervor, aber gesprengt und zerfetzt mit allen seinen Einschlüssen
und doch wieder heilgekittet. Hundert Schritte davon liegt der Sand-
*) Württembergische naturwissenschaftliche Jahreshefte, 20. Jahrgang, 1864,
S. 33-37.
39] Das Ries. Eine geographisch-volkswirtschaftliche Studie. 225
stein des schwarzen Juras mit Cardinien, ein sonst meilenweit vom
weißen Jura entferntes Formationsglied. Hart daneben streckt sich
Granit empor; aber kein Granit, wie er in den Hochgebirgen ansteht,
sondern bis ins Innerste zerfressen und zerstört, sein Feldspath in
Kaolin verwandelt, das Ganze bröckelig und fast unter den Fingern
zerreibbar. Einige Meter weiter stellen weiße Mergel und bunte Sande
sich ein, die wie zum Eeuper gehörig aussehen. Sie, wie die Granite
und Gneise, tragen Kappen von Landschneckenkalk. So geht es fort
bis herab in die eigentliche Riesniederung. Rings um sie wiederholt
sich die gleiche Erscheinung. Zunächst findet sich ein Saum miocäner
Kalke vom Alter des Mainzer Beckens und Sandbergers Litorinellen-
kalk. Unter diesem Tertiär und über dasselbe gegen den Riesrand
hinausgreifend liegen Fragmente von Tufflagern und Schollentrümmern
des Urgesteins. Dann folgen Reste von allen Formationsgliedern, die
nur irgend in der Gegend anstehen, das eine Mal noch ziemlich frisch
und erkenntlich, das andere Mal verwaschen, mit Tertiärschlamm ver-
mengt und so ineinandergeknetet , als ob oft wie geflissentlich das
Unterste zuoberst gekehrt und das Nächste zum Entferntesten geworden
wäre. Endlich im äußersten Ringe hinter dem großen bunten Gemisch
von Schichtenfetzen fängt wieder eine mehr geordnete Gliederordnung an.
Es liegen die Schichten wenigstens noch regelrecht übereinander, wenn
auch geneigt, selbst auf dem Kopf stehend und gegen die Mitte der
Riessenke einfallend. Hiermit ist die Riesgrenze erreicht. Hinter dieser
dritten äußersten Zone wird alles wieder ruhig und die Schichten-
schwankungen sind nur wenig auffallend. Kein Mensch ahnt mehr,
welch mächtiges Becken zwischen Harburg und Oettingen einerseits,
Kirchheim und der Wemdinger Höhe andererseits in die jurassischen
Gebilde einbrach.
Die tektonischen Störungen am Riesrande sind so durchgreifender
Art, daß man sie in ähnlichem, freilich ungleich gewaltigerem Maße
nur wieder in den Alpen findet. Sie reichen, teilweise mit ihren gerade
am unsichersten zu erklärenden Erscheinungen, bis tief herein in die
Quartärzeit. Sollten ihre letzten Nachwirkungen nicht in den Erd-
erschütterungen zu suchen sein, welche das Ries verhältnismäßig
häufig heimgesucht haben? Insbesondere für Nördlingen verzeichnen
die Chronisten solche in den Jahren 1471, 1511, 1517, 1590, 1601,
1670, 1690, 1822. Und schon Sebastian Münster läßt seinen Gewährs-
mann fürs Ries in der „Cosmographie" der gebildeten Welt jener Zeit
vom Nördlinger Erdbeben am 26. Juni des Jahres 1517 erzählen.
III. Abschnitt.
Landschaft und Belief des Rieses.
A. Die Riesumrahmung und ihr Hinterland.
So zwangslos sich das Ries nach seiner Entstehungsgeschichte
als eine eigenartige Landschaft inmitten des Deutschen Juras charakte-
risiert, so wenig scheint sein Relief individuelle Züge zu tragen. Im
226 Christian Gruber, [40
landeskundlichen Schrifttum ist es denn auch seit Sebastian Münster
Tradition, dasselbe gemeinhin als eine weite Fläche ohne Falten und
Runzeln zu bezeichnen. Ihr folgt noch Gümbel, wenn er den von
bildersuchenden Naturschilderern allzu häufig mißbrauchten Vergleich
zieht: „Wie der leichtbewegte Spiegel eines großen Sees breitet sich
die braune, fruchtbare Ebene des Rieses, rings von hohen, kalkfelsigen
Steilrändern eingeschlossen und nur von einigen kegelförmigen, insel-
artigen Hügeln unterbrochen, im Umfange von 18 Stunden vor uns aus" 1).
Und doch ist das Ries auch nach seiner Oberflächengestalt eine
deutsche Sonderlandschaft, wenn anders man nur der Modellierung
seines Bodens im einzelnen nachzugehen sich bemüht und die von den
jüngsten topographischen Aufnahmen festgelegten Details zu einem Ge-
samtbilde zusammenzufügen trachtet.
Zwei Ursachen individualisieren das Relief des Rieses: Einerseits
der Gegensatz zwischen seiner Niederung und ihrem Hinterlande, anderer-
seits die Oberflächenform der Niederung selbst und ihrer Einzel-
erhebungen.
Der Kontrast zwischen dem flachen Gelände unseres Gebietes und
seinem Hinterlande beruht in allen Elementen, die zur Landschaft ge-
hören. Ernst und weithin durch Buchen- und Tannenforste verschlossen,
trägt letzteres den typischen Charakter eines leicht gehügelten Tafel-
landes zur Schau. Seine Breitenausdehnung beherrscht allüberall die
flache Profilierung nach der Höhe. Dieselbe kommt um so deutlicher
zur Geltung, als den weit ausgespannten, mit krümeligem Alblehm oder
da und dort mit einer seichten Lößhülle überkleideten Plateaus ein
markant emporstrebender, abschließender Hintergrund mangelt. Un-
gleich mehr als die nicht allzu spärlich verteilten, niedrigen Auf-
wölbungen bringen hier die Tiefenlinien des Reliefs, so schmal ein-
gerissen sie auch sein mögen, Bewegung und Gliederung in das
Landschaftsbild. Sie verbergen gemeinsam mit ihren klaren, rasch
pulsierenden Wasseradern im Gegensatze zu den monoton auseinander-
gezogenen Hochflächen eine Fülle genrehaft anmutiger Einzelheiten
für Stift und Palette. Die meist kleinen Siedelungen schmiegen sich
der Skulptur des Bodens durchaus nicht einseitig an; Sie sind viel-
mehr regellos über seine Anschwellungen und Senken, Hügelgehänge
und Mulden verteilt. Bei dem Mangel an geräumigen Thalgründen
und kräftigen Bachläufen zeigen dieselben meist eine rundliche Anlage.
Die auffallend zahlreichen Einzelhöfe und Weiler, welche zwischen sie
einlagern, lassen die Besiedelung dichter erscheinen, als sie ziffernmäßig
in der That ist. Im Verein mit den weiten Fluren um • sie her, welche
die Forstbestände breit durchlöchern, verleihen diese Niederlassungen
dem waldbeschatteten Antlitz des auslaufenden Schwaben- und des be-
ginnenden Frankenjuras heitere und farbenmuntere Züge.
Trotz aller Uebereinstimmung in seinen orographischen Grund-
linien zeigt aber das Hinterland des Rieses doch auch, wie vieldeutig
und unsicher die Kennzeichnung eines Erdstriches als „ welliges Plateau"
ist. Obschon manche bücherweisen Theoretiker der Landeskunde gerade
]) Der Riesvulkan, S. 153.
41] Das Ries. Eine geographisch-volkswirtschaftliche Studie. 227
diesen Ausdruck mit Vorliebe auf genetisch und bodenplastisch so
grundverschiedene Gebiete anwenden, wie es z. B. Hart und Rheinisches
Schiefergebirge, Deutscher Jura und Frankenwald sind, erscheint gerade
er oft genug bis zur Fehlerhaftigkeit allgemein und bietet zudem der
inneren Anschauung nur einen schwankenden, unsteten Halt.
Längs der nördlichen Hälfte des Rieses ist seine Umrahmung
vor allem zwischen Polsing und Markt Offingen ungleich niedriger
und offener, als auf der südlichen. An der Westseite ist der Wald
hier weit von der eigentlichen Riesniederung zurückgedrängt, und wer
etwa von Ehingen über Hochaltingen nach Markt Offingen wandert,
dessen Blick vermag weit gegen die bayerisch-württembergische Grenze
hin zu treiben über eine körn- und wiesenreiche Hochfläche mit kaum
hervortretenden Niveauunterschieden. Ohne Vermittelung vorgeschobener
Buhle und Rücken steigt man zu ihr vom Riese her 40 — 45 m hoch
auf, an Saatfeldern, Matten und unansehnlichen Waldparzellen vorüber.
So zieht sich Ehingen ungemein malerisch am Rieshange von 435 auf
480,8 m empor. Beizheim liegt 445,5, Herblingen 451,2 m hoch, Hoch-
altingen dagegen 479,2 m. Und während sich Maihingen zwischen
425,7 und 435,9 m ausdehnt und der Eisenbahnstation Markt Offingen
die Kote 441,2 m zukommt, steigt der Ramstein über letzterem Orte bis
485,2 m an. Wo der Birkhauser Graben die Straße Markt Offingen-
Wallerstein kreuzt, fließt er in 429,2 m; der Lehberg über Munzingen
indessen erhebt sich auf 484 m.
Auf der Ostseite erscheint die nördliche Riesumrahmung wald-
reicher, wie schon die Forstbestände auf dem Scheitel des Buschelberges
und südlich von ihm, sowie der Sachsenhart zwischen Mögesheim und
Ursheim andeuten. Auch der Höhenunterschied zwischen der Ries-
niederung und ihren Randhöhen erscheint dort beträchtlicher und be-
mißt sich im Durchschnitt auf 75 m, was die nachstehende Uebersicht
im einzelnen erweist:
Seehöhe von
Bahnhof Oettingen 417 m — Büschel 494,7 m — Wornfeld
497,2 m;
Straße Oettingen-Mögesheim an der Bahnkreuzung 415,7 m —
Hainsfarth 442,2 m — Kirchenberg 489,4 m ;
Mögesheim 424,2 m — Rauher Kopf 490 m ;
Laub 421,2 m — Trendel 475,2 m;
Polsing 436,4 m — Polsinger Berg 500,5 m ;
Amerbachkreut 435,4 m — Auf der Wart 497,8 m ;
Amerbachmühle 430,8 m — Amerbach 438,4 m — Waldhöhe
über Amerbach 493,2 m;
Wemdinger Wallfahrtskirche 436,7 m — Anliegende Höhen dar-
über 494 und 521 m;
Wemding 436,8 m — Galgenberg 568,8 ra.
Und wie die Randhöhen im Osten der Nordhälfte des Rieses jene
im Westen deutlich überragen, so erhebt sich auch der vielfach wald-
verhüllte Hahnenkamm mit seinen von unserer Landschaft weg an Höhe
zunehmenden Rücken und den massigen, oft nur mit kurzschopfigem
228 Christian Gruber, [42
Rasen überkleideten Aufwölbungen vor allem zwischen Ursheim (466 m),
Döckingen (519 m) und Auernheim (631 m) beträchtlich über die
freundliche Hochfläche um Fremdingen (Eisenbahnstation 444 m). Wer
auf dem uralten Bergfried der zu Grunde gegangenen Hohentrüdinger
Burg steht, der nunmehr, mit einer niedrigen Dachhaube überdeckt,
als Kirchturm zu dienen hat, den lehrt die Flucht der kulissenartig
hinter- und übereinandergeschobenen Höhenzüge, daß er im Hahnenkamm
den orographisch wechselreichsten Teil des Fränkischen Juras vor sich
hat. Er ist hier durch langgezogene Thalfurchen, sowie durch starke
Einschnürungen und Sattelungen seiner Rücken ungleich mehr gebirgs-
artig modelliert, als selbst die sogen. Fränkische Schweiz. Eine seiner
markantesten Thalrinnen mündet unmittelbar ins Ries aus, jene der
Rohrach. Wer in derselben von ihrem Ursprünge an der Südflanke
des dem Hahnenkamm kanzeiförmig vorgeschobenen Spielberges aus
über Heidenheim und Hechlingen nach Ursheim und weiter hinab ins
Ries wandert, der fühlt sich in eine echt deutsche Mittelgebirgsland-
schaft versetzt und unwillkürlich an die Thäler des vorderen Taunus
und des Thüringerwaldes erinnert. Es ist ein stilles, weltfernes Ge-
biet, das er durchschreitet, weitab von der lauten Fahrstraße des modernen
Lebens und ihrer nach Zeit und Erwerb geizenden Hast. Man braucht
nicht greisenhaft müden Sinnes zu sein und kann sich doch über die
idyllischen Kleinigkeiten erfreuen, die an diesem Thale zwischen Urs-
heim und Polsing haften: die leichtgestuften, bis über 100 m hohen
Gehänge, welche in ihrer oberen Hälfte Jungwald einhüllt, in der
unteren aber ertragreiches Saatfeld mit Hopfengeländen und ein-
gestreuten Obstgärten, die bis 580 m aufsteigende grasige Jurahöhe
über Ursheim, den dunkeln, weidenumbuschten und gemächlich rinnenden
Bach, das oben am Thalhang zwischen Fruchtbäumen verborgenen
Trendel mit seinem schmucklosen, niedlichen Kirchturm und das statt-
liche, quellenreiche Polsing unten im Thalgrund selbst.
Die Südhälfte des Rieshinterlandes im Osten ist nun aller-
dings gleichförmiger ausgestaltet, als das zentrale Stück des Hahnen-
kammes. Doch vermittelt es durch seine meist sanft und regelmäßig
abgeböschten Kalkhöcker, wie sie besonders um Fünfstetten (bis 540 m)
sich zeigen, den Uebergang vom Frankenjura zu den strengeren Plateau-
formen der Schwäbischen Alb.
Hier verläuft auch von Goßheim ab der Riesrand unruhiger, und es
ragen da und dort Vorlagerungen in die Niederung unserer Landschaft
herein, so um Huisheim und wiederum bei Heroldingen, wo der die kenn-
zeichnenden Umrisse der Jurahöhen aufweisende Baderberg (474 m) sich
vor das waldumschattete Plateaustück „ Auf der Burg" (522,6 m) schiebt.
Die Höhenabstände zwischen dem Ries und seinen Randhöhen in
der südlichen Hälfte der Ostumrahmung, welche im Mittel auf 90 m
veranschlagt werden können, möge folgende ZifFernreihe illustrieren:
Seehöhe von
Goßheim 463 m — Rohrberg 556,7 m;
Huisheim 451,2 m — Roßkopf 542 ra;
Argeisbach 418,2 m — Markthof 458,6 m — Himmelberg 511,8 m.
43] Daa fties- Eine geographisch-volkswirtschaftliche Studie. 229
Die Hochflächen des Schwabenjuras marken das Ries auf seiner
ganzen Süd- und Westseite von Harburg ab bis an den Floch-
berg und die Kirchheimer Höhen ein. Für ihr geographisches
Gesamtaussehen ist die Bezeichnung Härtfeld, für ihre Gipfelgestalten
die trümmerbestreute, kahle und daher auch aussichtsreiche Flachkuppe
des sogen. „Bocks" hinter Harburg, sowie die wald verhüllte Rauhe
Wanne (615 m), für ihre öfters trocken liegenden Terrainfurchen das
landschaftlich viel berufene Kessel- und Karthäuserthal charakteristisch.
Mehr noch als die Rinne der Rohrach liegt dieses letztere zwischen
walddunkeln Höhen schmal eingesenkt, stundenweit ferne von Nörd-
lingen wie von Neresheim. Auch wer nicht einbildungsreich genug
ist, um die Schleier der Sage und einer fernen, unsicheren Geschichte
um Felswand und Wald, Bach und Thalmatte flattern und die blaue
Blume der Romantik an dem Burggetrümmer von Hochhaus und
Niederhaus und den Ruinen des gänzlich zerfallenen Karthäuserklosters
„in unseres Herren Garten* sprießen zu sehen, mag dort befriedigt
rasten. Die Natur selbst kann ihm genug sein: die in schroffen
Böschungen niedersteigenden Kalkhöhen, die glasklare Wasserader des
Baches, hochgewölbte Buchenhallen mit ernst aufstrebenden Tannen
und lichtschimmernden Felswänden dazwischen, und die der prunklosen
Landschaft sich zwanglos anschmiegende Staffage eines vereinzelten
Gehöftes. Es ist ein in der Form, wie in der Farbe gleich lebhafter
Gegensatz, der zwischen der Riesniederung und dem Karthäuserthal
besonders zur Sommerszeit sich aufthut. Dort im Flachlande die von
der Juli- und Augusthitze gebleichten Getreidefelder, die braunen
Schollen der Brachäcker, die abgemähten und ausgetrockneten Wiesen-
ebenen, zwei unhörbar leise dahinrinnende Flüsse, wenig Waldschatten,
aber zahlreiche schmucke Dörfer, von denen es uns aus der Ferne
dünkt, als wären sie zusammengebaut und stadtähnlich ausgedehnt.
Hier im Karthäuserthal am Rand des Rieses dagegen das gesättigte
Grün von Forsten und taufrische Matten, ein kühles, munter dahin-
treibendes Gewässer, engumschlossene Ausblicke und dicht unter alters-
grauen Ruinen eine verlassen im Grunde gelegene Mühle.
An seiner Süd- und Südwestseite erhebt sich der Riesrand am
höchsten und steilsten und so waldduftig, daß der Rieser denselben im
Gegensatze zur Kornkammer seiner Ebene als „Holzland " bezeichnet.
Er erreicht hier eine mittlere relative Höhe von 100 m.
Seehöhe von
Großsorheim 458,7 m — Hühnerberg hinter Harburg 572 m;
Kleinsorheim 419,7 m — Höhe südlich über Möggingen 526 m;
Deggingen 460,6 m — Höhe südlich über Deggingen 534 m;
Hohenaltheim 464,0 m — Ochsenberg 537,0 m ;
Niederaltheim 455,7 m — Rauhe Wanne 615,8 m;
Ederheim 468,4 m — Höhen südlich davon 530—559 m —
Blankenstein sogar 644,8 m — Reitersbuck 566,3 m;
Eisenbahnstation Trochtelfingen 477,9 m — Rauhberg 642,7 m.
Trotzdem sich dem Riesrand zwischen den beiden Sorheim und
Nähermemmingen eine Reihe von Höhenrücken und Einzelerhebungen
230 Christian Gruber, [44
vorlagern, deren Relief bei Betrachtung des flachen Rieses in breiten
Strichen gezeichnet werden soll, umschließt er doch die von ihm ein-
gehegte Niederung so scharf, daß man seinen Verlauf auch aus weiter
Ferne lückenlos verfolgen kann. An Lebhaftigkeit und Wechsel der
Formen freilich erreichen die Hänge des Härtfeldes die Umrahmung
des Rieses zwischen Utzmemmingen und Kirchheim nicht: jenes durch
Deffners sorgfältige Untersuchungen im geologischen Schrifttum bekannt
gewordene Gebiet, wo schon die Ausgestaltung des Reliefs die tektonischen
Störungen, eruptiven und pseudoglazialen Erscheinungen deutlich wieder-
spiegelt, die sich hier so hart aneinanderdrängen, wie sonst nirgendswo
im Ries. Da erhebt sich zwischen Ederheim und Utzmemmingen die
Ruine Altenbürg (527 m) und der Reitersbuck (566,3 m). Nach der
Rohrbachthalung stehen Eapf (550,8 m) und Rauhberg (642,7 m) an.
Dann folgt noch diesseits des Egerlaufes die außerordentlich markant
abgehobene Gruppe der Bopfinger Höhen: der nahezu isolierte, kegel-
förmig schroff emporstrebende Flochberger Schloßberg (579,6 m), an
welchen sich die ärmlichen Hütten des Dörfchens Flochberg anlehnen,
dessen seltsame Bewohner mit saurer Mühe einen Teil der wohl-
geformten Höhe urbar machten; die deutlich von ihr abgeschiedene,
ihre jähe Gestalt nachahmende Beiburg (581,9 m); der flach scheitelige
Buchberg (578,8 m) , mit jenen beiden durch eine Brücke von weißem
Jura verbunden und steil gegen Bopfingen abbrechend; endlich der
stattliche Breitwang mit seinem geräumigen Gipfel, welcher gemeinsam
mit dem Engelberg, dem prallen, allseitig von den Albhöhen los-
gelösten Waldplateau des Illenschwangs, dem Schenkenstein und Sand-
berg (664,5 m) einen Zirkel von Einzelhöhen bildet, die eine auffallende
Bewegung in den äußersten Schwabenjura bringen. Jenseits der Eger
aber, deren Quellbrunnen in grüner Einsamkeit aus Kalkfelsen zwischen
Thierstein und Sachsenberg so wasserreich hervorbricht, daß er wenige
hundert Schritte abwärts schon ein Mühlwerk treiben kann, erhebt sich
hart am Sechtathai der breitabgeschnittene, regelmäßige Kegelstumpf
des Ipfs (668,3 m), unverhüllt und mit umwalltem Scheitel x). Im Osten
stehen ihm gegenüber der Schnittbühl, die schattendunkeln, flach-
modellierten Höhen um Osterholz und dem Heerhof (503,9 m) und jene bei
Kirchheim: Blaßenberg (618,7 m), Reimersberg (534 m) und Höllenberg
(537,9 m). Auf sie alle, wie auf die Buhle um Dirgenheim, Wessingen
und Munzingen, deren höchster 552,2 m mißt, grüßt der Schloßberg
von Hohenbaldern herab (628 m), nach Deflners trügerischer Spekulation
der bezeichnendste aller eratischen Punkte am Ries, „auf dessen regel-
mäßig braunjurassischer Pyramide die Felsblöcke des weißen Juras
Epsilon und Delta zerstreut herumliegen und wo 120 m Gebirge in der
normalen Aufeinanderlage zwischen den Weißjurablöcken und dem
Liegenden des braunen Juras fehlen".
*) Ueber ihn und seinen Ringwall siehe die Schriften des Württemb. Altertums-
vereins, II, 1875, S. 81.
45] Das Ries. Eine geographisch- volkswirtschaftliche Studie. 231
B. Allgemeiner Charakter der Rieslandsohaft.
Was an der Rieslandschaft besonderes Wohlgefallen erregt, das
ist ihre Bildmäßigkeit. Das Relief derselben ist so angeordnet, daß
es sich allüberall leicht überblicken und auffassen läßt und sich auch
später in der Erinnerung nicht wesentlich verzerrt. Mag man am
Rande oder auf den Einzelhöhen des Rieses stehen, stets hat man
einen räumlich durchaus nicht beschränkten Ausschnitt aus der Natur
vor sich, einheitlich, wohl abgerundet und mit keineswegs aufdringlichen
Formen erfüllt. Man konnte sagen, unsere Landschaft besitze Stil,
wenn anders darunter ein natürliches Gleichgewicht ihrer einzelnen
Bestandteile nach Gestalt, Abtönung und architektonischer Staffage ver-
standen werden darf.
Diese Bildmäßigkeit der Riesgegend kann zwar zeitweise — z. B. bei
tiefem Sonnenstande — durch eine Beleuchtung erhöht werden, welche
scharfe Kontraste zwischen Licht und Schatten bedingt und dadurch
die Einzelheiten des Reliefs deutlicher gliedert, sie plastischer heraus-
treten läßt. Aber ausschließlich abhängig vom wechselreichen Spiel
des Lichtes und breit ausgegossener Farbenmassen, wie sie die winterliche
Schneedecke oder das sommerliche Grün hervorrufen, ist jene nicht.
Neben ihrer Bildmäßigkeit fällt an der Rieslandschaft eine im
gewissen Sinne fast rhythmische Wiederholung der Relief-
formen auf. In ihren Grundlinien kehren diese mit geringen Varia-
tionen allenthalben wieder: die flach und weit auseinandergezogenen
Bodenwellen der Niederung, die prallen, ruinengeschmückten Klötze
oder die behäbigen Plateauscheitel der Inselberge aus Sprudelkalk, wie
Wallerstein und Alerheimer Schloßberg einerseits, Goldberg, Hahnen-
berg und Wennenberg andererseits, sowie die durch Steingräberei zahn-
artig ausgebrochenen Höhenkronen, welche Adler- und Steinberg so
übereinstimmend aufzeigen. Und eine ähnliche Wiederholung tritt im
Charakter der braunen, leise wie Wolkenschatten dahinschleichenden
Wasseradern, der breiten Wiesenbänder zu ihren beiden Seiten und
der Anlage der vielfach langgezogenen Siedelungen mit ihren meist
hochaufstrebenden, kräftigen Kirchtürmen hervor.
Dem sinnenden Beobachter schmälern indes derlei Wiederholungen
die ästhetischen Wirkungen der Rieslandschaft keineswegs. Denn sie
sind ihm durch natürliche Voraussetzungen bedingt und tragen ins
Antlitz der Gegend etwas Gesetzmäßiges, Motiviertes hinein. Zudem
aber halten in der Riesniederung nicht minder wie am Riesrande die
Farbenunterschiede jede Eintönigkeit fern, welche der Anbau der
mannigfaltigsten Feldfrüchte gemeinsam mit dem tiefsatten Grün des
Wiesenbodens und dem warmen Dunkelbraun der Brachäcker, sowie all
die Schatten und Lichter über den Waldparzellen und Obstbaumalleen her-
vorbringen. Und ist der Schmuck auch anspruchslos, womit Siedelungen
und Felder, Matten und Baumreihen das flache Ries zieren, so gemahnt
er doch allüberall an die Fruchtbarkeit dieses Gefildes und steht mit
dem Gesamtcharakter der Bodenformen im Einklang. Auch in ihm ist
ein Stück Vergangenheit der Landschaft sichtbar, wenn auch ein un-
232 Christian Gruber, [46
gleich kürzeres und weniger stürmisches, als jenes ist, worauf die Viel-
zahl der hier lagernden Gesteine deutet. Er hilft wesentlich mit jenen
Ausdruck des ruhig Heiteren erzeugen, welcher dem Riese eigen ist,
„des harmlos Mannigfaltigen ohne Buntheit, des friedlich Belebten und
einfach Schönen ohne Erhabenheit und poetische Großartigkeit14.
Es wäre Unrecht, die Rieslandschaft mehr zu beleben, als sie
ohnedies schon ist, psychologische Motive in ihr zu suchen. Wir wollen
dieselbe im folgenden vielmehr mit ungeschminkten Worten so schildern,
wie sie sich in Wirklichkeit darstellt, und unsere Reflexionen und Ge-
mütsbewegungen nicht auf sie übertragen. Denn das fruchtschwere,
in schwankende Halme gebettete Land träumt ja nicht, und die seiner
Umrahmung hastig entsprudelnden Brunnen und Bäche kennen ebenso-
wenig eine Leidenschaft, als etwa die starren Inselberge und Rand-
höhen über das Rätsel ihres Daseins nachdenken.
Friedsam liegt die Fläche des nördlichen Rieses vor dem
Wanderer. Wie in langrollenden Wogen hebt und senkt sich der hier
vorwiegend tiefdunkle Boden. Nur gegen die Riesränder hin stauen sich
jene stellenweise zu grösserer Höhe auf. Aehrenschwere Getreidefelder,
Kartoffelland, Flachs- und Kleesaaten, sowie hochgrasige Wiesen breiten
sich über ihnen aus. Letztere begleiten auch gleich einem stattlichen,
tiefgrün gefärbten Saum den Bord der Wörnitz und Eger. Sie lassen
selbst aus der Ferne die regellos gewundenen Flußläufe deutlicher er-
kennen, als die vereinzelten Flecken Wassers, die gleich angetrübten
Spiegelflächen da und dort entgegenschimmern. Selten verstärkt hier
ein Stück schattendunkeln Nadelforstes das verwaschene, gleichförmige
Relief. Frei ergeht sich das Auge wie der Gedanke in diesem kultur-
freundlichen, mit Dutzenden von Siedelungen überstreuten Gau, bis es
endlich an den waldgeschmückten Randhöhen haftet, welche ihn als
ein prunkloser Rahmen einhegen, der bald in flachen und doch deutlich
erkennbaren Linien leicht modelliert ist, bald von charakteristisch ge-
formten Einzelerhebungen, wie Bopfinger Ipf, Kirchheimer Höhe, Hoch-
baldern und Hesseiberg weit überragt wird.
Mannigfaltiger ist die Südhälfte des Rieses gestaltet. Dort
ist unsere Landschaft nur in ihrer Mitte und am Ostrande zwischen
Wemding und Bühl verebnet.
Schon vor Nördlingen, dem Mittelpunkte des gesamten Rieses
mehr im wirtschaftlichen als im rein geographischen Sinne, ragt der
ruinenhafte Felsen von Wallerstein auf, um den sich Häuser und Park-
anlagen des gleichnamigen Ortes wie um einen von der Natur auf-
gerichteten schützenden Bergfried eng scharen. Im Südwesten von
ihm aber wurde die breitschulterige Plateauhöhe des Goldberges gegen
die Riesniederung vorgeschoben, an deren gelbbraunen, schuttverhüllten
Wandabbrüchen Licht und Schatten im seltsamen Wechsel spielen.
Bei Nördlingen selbst, dessen spätgotische Hallenkirche St. Georg
mit ihrem 90 m hohen Turme das gesamte Ries beherrschend über-
schaut, zieht sich ein leicht profilierter Rücken mehrere Kilometer lang
nach Süden hin. Seine hervorragenderen, großenteils zu schattigen
Anlagen umgestalteten Einzelerhebungen sind als Totenberg (Emerams-
berg), Galgenberg, Stoffelberg und Adlerberg bekannt und viel besucht.
47] Das Ries. Eine geographisch-volkswirtschaftliche Studie. 233
Sie vereinigen bei Nördlingen alle Reize einer fruchtbaren, weitaus-
gespannten Ebene mit jener einer freundlich geformten, wechselreichen
Hügellandschaft. Westlich und südlich von dieser letzteren stehen in
flachscheiteligen Plateauhöhen der Albuch und der großenteils waldige
Häselberg an, gemeinsam mit dem Schönefelde bei Keimlingen die heute
noch Schanzenreste tragenden Stätten der Schlacht bei Nördlingen im
Jahre 1634. An sie ist der Lachberg und der mauerähnliche Höhen-
zug des Himmelreiches bei Holheim angeschlossen, welch letzterer,
durch Steinbrucharbeiten viel zerwühlt, an seiner Südwestflanke zeigt,
daß dem Ries auch ausgedehnte Felspartieen und Höhlenbildungen
keineswegs versagt blieben.
Auch der östliche Teil der Südhälfte des Rieses hat zwischen
Wörnitz und unterster Eger seine Höhen. Dort erheben sich in flach
aufgewölbten, wiederum durch Hacke und Schaufel der Steinbrecher
stark abgetragenen Kuppen Spitzberg und Hahnenberg, dort ragen
die malerisch ernsten Mauerreste am Alerheimer Schloßberg auf, wo
Bayern und Franzosen kurz vor Schluß des 30jährigen Krieges noch-
mals hart miteinander rangen , dort endlich steht der terrassenartig
gestufte stattliche Wennenberg mit seiner Haube aus niedrigem Wald,
unmittelbar an das träge Hauptgewässer des Rieses hingeschoben.
Außerdem haben sich gerade in der Südhälfte des Rieses eine
Reihe von Buhlen und Steinhöckern erhalten, so der Reisberg bei
Pflaumloch, (Seehöhe 476,1 m, relative Höhe über der Eger 41 m), das
Hohlbüchele bei Utzmemmingen (Seehöhe 471, relative Höhe 38 m),
das Hahnenbüchele bei Herkheim (478, bezw. 16 m), der rote Berg
bei Schmähingen (468, bezw. 20 m), der Lerchenberg bei Hohenaltheim
(463 , bezw. 26 m) , der Lehmberg und das westlich von ihm weg-
ziehende Jurarifif (siehe S. 259 [73]), der Metzlesberg im Schwalbgebiet
(442, bezw. 27 m).
Endlich gehört dem südlichen Ries auch noch die schon früher
(S. 223 [37]) in gedrängten Zügen charakterisierte Landschaft von
Pseudodünen im Osten der Wörnitz bis zur volkstümlichen Grenze der
Landschaft bei Wemding und Goßheim an. Und diesem stark koupierten
Terrain entspricht auch allenthalben eine massige, waldernste Um-
rahmung, deren Gesamtaussehen gleichfalls schon angedeutet wurde
(siehe S. 229 [43]).
Uebrigens versagt das Ries auch in der so unebenen Südhälfte seine
Fruchtbarkeit nicht. Wo die Höhen mit ihrer kurzschopfigen, trockenen
Rasenhülle nicht als Viehtrift dienen, gräbt der Pflug des emsig biederen
Riesbauern bis auf ihre Scheitel hinauf seine Furchen. Selbst diesem
steinbestreuten Boden zwingt er eine Ernte an Halmfrüchten, Flachs,
Kartofieln und Klee ab, mag sie auch geringer sein als jene unten
auf der flachen Kornkammer des von der Natur so reich bescherten
Gaues.
Oft bin ich während der Sommer 1897 und 1898 auf den Rand-
höhen und den Inselbergen des Rieses gesessen und habe den Blick
über das weite, breite Land zu meinen Füßen schweifen lassen. Reich
an Farbe und Friede lag es vor mir. Jede Scholle zeugte vom Fleiß
der Menschenhand, jede Siedelung von anspruchsloser Behaglichkeit,
234 Christian Gruber, [48
jeder der meist starken, schmucken Kirchtürme vom vertrauensvollen,
gläubigen Sinn der Bewohner. Und doch haben bei der Entstehung
dieser kleinen Welt echt ländlicher Ruhe und unerschöpften Segens
jene tibergewaltigen Naturerscheinungen wesentlich mitgeholfen, die
man häufig nur von ihren zerstörenden und menschenfeindlichen
Wirkungen her kennt: gewaltige Gleichgewichtsstörungen im Gerüste
der Erde und der Vulkanismus.
G. Die Höhenverliältnisse des flachen Rieses.
Wie wenig die Riesniederung auch in ihren scheinbar ebensten
Teilen als faltenlose Fläche sich ausspannt, beweisen am über-
zeugendsten die Nivellements, welche gelegentlich der Tracierung
des unserer Landschaft zugehörigen Stückes der bayerischen
Ludwigs-Südnordbahn (Lindau-Hof) ausgeführt wurden. Sie sind
um so lehrreicher, als jenes durchaus nicht in gerader Linie verläuft,
wie der längs der Wörnitz quer durchs Ries führende Straßenzug. Es
bildet vielmehr, da Nördlingen von ihm berührt werden mußte, einen
weitgeöffneten Winkel zwischen Oettingen und Harburg. Vom nörd-
lichen Eingang ins Ries bei Hainsfarth bis zum Beginn des Wörnitz-
defitös nächst Hoppingen senkt sich nun das Gebiet bei 27 km Erstreckung
im ganzen nur auf 5 m. Sein Gefälle bemißt sich zwischen den ge-
nannten Orten demnach bloß auf rund 0,19 °/oo.
Aber auf der ganzen Länge, welche die erwähnte Bahnlinie im
eigentlichen Ries durchzieht, verläuft das Terrain nur an zwei Stellen,
nämlich zwischen Dürrenzimmern und Nördlingen, sowie zwischen Nörd-
lingen und Möttingen auf kurze Strecken hin glatt und ungefaltet. Im
übrigen aber schwankt dasselbe ununterbrochen auf und nieder, selbst
in der Erstarrung ruhelos, wie die Wellen des Sees und der diluvialen
Wasser, die einst hier fluteten. Und seine Bewegung hält sich durch-
aus nicht immer in unansehnlichen Grenzen. Sieht man von den ge-
ringeren Niveaudifferenzen ab, so erscheint der Riesboden zwischen
Oettingen und Hoppingen flach schildförmig aufgewölbt. Derselbe er-
reicht seine Maximalhöhe unmittelbar im Süden des Nördlinger Bahnhofs,
wo er bis 434 m ansteigt. Seine niedrigste Stelle sinkt unterhalb
Oettingen auf 412, bei Hoppingen auf 413 m herab. Die größten
Höhenunterschiede innerhalb des Profiles betragen sohin 22 bezw. 21 m.
Im einzelnen bemessen sich dieselben zwischen Oettingen und Dürren-
zimmern auf 15, zwischen Dürrenzimmern und Nördlingen auf 11,
zwischen Nördlingen und Möttingen auf 21, zwischen Möttingen und
Hoppingen auf 7 m. Am unruhigsten ist das Terrain der Riesniederung
jedenfalls aber an den beiden Eingängen zu ihr. Doch hebt und senkt
sich dasselbe ungleich weniger am nördlichen, als am südlichen Durch-
bruch des Riesrandes, wo es zwischen Hoppingen und Harburg bis
unter 400 m herab- und bis über 422 m aufsteigt. Es entspricht dies
einerseits der längeren Zeit, welche der Fluß zur vollständigen Bildung
seines Defil^s bis über Wörnitzstein hinaus infolge der bedeutenden
Höhe der dortigen Umrahmung der Landschaft nötig hatte. Andererseits
49] Das Ries. Eine geographisch-volkswirtschaftliche Studie. 235
aber prägt sich auch hierin die größere Unebenheit der Südhälfte des
Rieses überhaupt im Vergleich zur Nordbälfte aus.
Hinsichtlich der Einzelheiten des Terrainbildes unserer Landschaft
in der von dem erwähnten Schienenstrang durchschnittenen Linie sei auf
Profil 1 der ersten Beilage verwiesen. Ich habe dasselbe aus einer
doppelten Absicht wiedergegeben. Vor allem, um die Ausgestaltung
des Reliefs der flachen Teile des Rieses im ganzen sowohl, wie im
Detail auf Grund unanfechtbarer Messungen aufzuzeigen. Sodann aber,
um endgültig die vielhundertjährige Meinung zu beseitigen, das Ries
sei gleich einem Parkettboden flach ausgespannt. Gehört es doch mit
zu den wesentlichen Aufgaben der modernen Landeskunde, der geo-
graphischen Wirklichkeit zu ihrem Rechte zu verhelfen gegenüber dem
Trug des Augenscheines und dem gleißenden Schimmer unhaltbarer
Traditionen. Letztere vor allem müssen abgeschüttelt werden, wie
dürres Rankenwerk vom lebensfrischen Geäste eines Baumes.
Wesentlich andere Verhältnisse als ein Durchschnitt durchs Ries
von Norden nach Süden ergiebt ein solcher quer durch das Gebiet
von Osten gegen Westen. Vor allem ist beachtenswert, daß eine
Gesamtneigung der Landschaft von den Rändern her gegen die Mitte
keineswegs zu erkennen ist. Zwar dacht sich die Bodenfläche von
Wemding aus bis zur Wörnitzbrücke bei Fessenheim in ungebrochener
Linie erst rascher, dann kaum merklich von 456 m auf 408 m ab.
Zwischen Wörnitz und Eger aber schwillt das Terrain zu einem breiten,
mäßig undulierten Rücken an, der in 422 m kulminiert. Bei Deiningen
senkt sich derselbe rasch zur Eger ab (Brücke 413 m). Dann hebt
sich der Boden wiederum in flacher Profilierung und zeigt im Bereich
von Nördlingen seine höchste Aufwölbung (433 m). Jenseits des Eger-
thales (Egerbrücke 426 m) steigt er endlich nochmals bis zur württem-
bergischen Grenze (435 m) und Pflaumloch (Kirche 440 m) sanft auf.
Ueberblickt man das Profil im ganzen, so ist leicht ersichtlich,
daß sich die Oberfläche des Rieses vom Ostrande aus gegen die Wörnitz,
vom Westrande her gegen die Eger zu neigt. Zwischen Nördlingeu
und Fesenheim aber schieben sich zwei breitgezogene Bodenwellen ein.
Sie sind durch die Egerniederung bei Deiningen geschieden und erfüllen
fast die Hälfte des gesamten Durchschnittes. Die Tbalgründe von
Wörnitz und Eger sind keineswegs augenfällig eingeschnitten; vor
allem nicht, wenn man sie mit der rasch emporstrebenden Umrahmung
des Rieses vergleicht, die von Pflaumloch bis zum Scheitel des Gold-
berges 74, von Wemding bis zum Gipfel des Galgenberg sogar 112 m
an relativer Höhe erreicht.
Ungleich vielseitiger und vollständiger als die eben be-
trachteten Profile erweist das kartographische Bild der
Riesniederung, wie mannigfach bewegt und reich undu-
liert die Oberfläche der letzteren auch in ihren flachsten
Stücken ist. Nirgends ziehen hier die Isohypsen in jenem
steifen, parallelen Verlauf dahin, der Thalebenen vom Cha-
rakter der Münchener Quellmoore oder weiter Striche des
Lechfeldes charakterisiert. Vielfach gewunden und ver-
Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde. XII. 3. 16
236 Christian Gruber, [50
bogen, launisch ausgebuchtet und wiederum eingelappt,
spiegeln sie in klaren Zügen die Art der Skulptur der
Riesniederung auch dort wieder, wo dieselbe vom Auge des Wanderer»
im einzelnen nicht erkannt zu werden vermag. Und sie thun dies um
so treuer, je enger man ihre Aequidistanz nimmt. Daher finden sich
auch auf der I. Kartenbeilage die Höhenlinien für das flache Ries in
regelmäßigen Abständen von 5 zu 5 m gezogen.
Die gesamte Riesniederung läßt sich nach ihrem Relief in
drei an sich merklich verschiedene Stücke scheiden. Anders ist ihr
Westen in seiner Nordhälfte gestaltet, als in der Südhälfte. Und wieder
andere Kennzeichen als er trägt das Flachgebiet östlich der Wörnitz-
zur Schau.
Westliches Ries im Norden. Es stellt den am unruhigsten
und am meisten gegliedertsten Teil des flachen Riesbodens dar. Eng
nebeneinander schieben sich hier rückenförmige Bodenanschwellungen
zwischen den einzelnen Wasseradern bis zur Wörnitz vor. Sie tragen
zahlreiche, namenlose Aufwölbungen mit bescheidener, bald rundlicher,
bald schmal hingezogener Scheitelhöhe. Unter ihnen Jieben sich besonder*
hervor: jene nordwestlich von Nittingen (428 m Seehöhe, relativ über
Nittingen 8 m), nördlich und nordwestlich von Heuberg (439 und 441r
bezw. 21 und 23 m), westlich von Munningen (417 bezw. 7 m), östlich
von Maihingen (435 bezw. 18 m), westlich von Dürrenzimmern (42&
bezw. 9 m), östlich von PfäfFlingen (426 bezw. 10 m), westlich von
Wechingen (420 bezw. 11 m) und diejenige westlich von Holzkirchen
(425 bezw. 15 m).
Diese mit Löß überzogenen Bodenwellen schließen sich vielfach
unmittelbar dem Riesrande an, von dem sie gleichsam wegzubranden
scheinen. Dies ist vor allem bei der markanten Erhebung zwischen
Mühlbach und Grimmgraben der Fall. Sie zieht vom Nonnenberge-
(456 m) bei Hochaltingen aus und erstreckt sich , durch einen breiten
Wiesengrund zerschnitten, 9 km lang bis Munningen. Außer dem
Nonnenberge gehören ihr nicht weniger als 10 kleinere Kuppen und
Flachrücken zu. Die Mehrzahl von ihnen liegt im südlichen Abschnitt
der Erhebung, während der nördliche einfach als langhinrollende, all-
mählich zerrinnende Welle erscheint.
Aehnliche Formen besitzen weiterhin auch die niedrigen Höhen
hart an der Nordgrenze des Rieses zwischen dem Mühlbach und Oet-
tingen, die zuletzt in 422 m (relativ 4 m) kulminieren, sowie diejenigen
zwischen Grimmgraben- Mauch, Mauch-Birkenhausergraben und Birken-
hausergraben-Goldbach. Die mattenbegrünten Rinnsale dieser unansehn-
lichen Wasseradern sind landschaftlich und für die Modellierung der
nördlichen Westhälfte des Rieses von nicht geringerer Bedeutung, als
die blasenförmig niedrigen Aufwölbungen über den Bodenwellen. Die
letzteren häufen sich übrigens gerade unmittelbar längs des Wörnitz-
laufes vom Bahnhof Oettingen weg über Munningen, Wechingen und
Holzkirchen bis Fessenheim und sind auch auf der rechten Seite der
Mauch und Eger zwischen PfäfFlingen und Deiningen nicht selten.
Im Gegensatze zu ihnen liegen die hervortretendsten Erhebungen
der nördlichen Hälfte des Westrieses weit draußen nahe dem Rahmen
51] Das Ries. Eine geographisch-volkswirtschaftliche Studie. 237
der Landschaft: der Melierberg im Süden Maihingens (441 m); Eulen-
stein, Einling und Vonmuth (494 m) südlich von Dirgenheim und Benzen-
zimmern, sowie der Serenbuck (451 m) bei Goldhurghausen.
Südhälfte des westlichen Rieses. Die breitgemessene
Egerthalung, welche von Nähermemmingen an bis zur Aumühle bei
Löpsingen nordöstlich und sodann bis Elosterzimmern rein östlich ver-
läuft, läßt derartig lang hingezogene Bodenschwellen nicht zu, wie sie
der Nordhälfte des Westrieses angehören.
Südlich vom Goldbach ziehen daher die Isohypsen auch weniger
lang und schmal nebeneinander nach Osten hinaus. Sie verlaufen viel-
mehr kurz zwischen den einzelnen Gewässern, vor allem von Ehringen
nach Baldingen. Hier ist es, als ob sich die Abdachung des Randes, frei-
lich in deutlich abgeschwächter Form, in der Riesniederung fortsetzte.
Und hier hat auch jede der einzelnen Höhenlinien denselben mehrfach
gezackten Verlauf. Damit ist schon auf dem Kartenbilde eine gleich-
förmige Konfiguration der Bodenoberfläche angedeutet, welche an der
bayerisch-württembergischen Grenze zwischen Baldingen und Goldburg-
hausen auf 440 und jenseits derselben auf fast 450 m ansteigt.
Dem übrigen Teil der Südhälfte des westlichen Rieses kommt
ein lebhafteres Relief zu. Zwar verlaufen zwischen Nördlingen,
Deiningen und Grosselfingen Aufwulstungen des Bodens, welche un-
willkürlich an jene im nördlichen Stück des Westrieses erinnern und im
Nachberg 428, westlich vom Nördlinger Bahnhof sogar 432 m messen.
Aber zwischen dem Höhenzuge von Nördlingen und seinen Ausläufern
einerseits, Deiningen und Möttingen andererseits ist die Riesniederung
im kleinen vielfach und wenig regelmäßig ausgestaltet. Dort sowohl,
wie zwischen Balgheim und dem Rollerberge bei Hoppingen dehnen
sich die Bodenanschwellungen nicht bloß einseitig in der Ostrichtung
aus. Sie ziehen vielmehr auch nach Norden und Nordosten und manche
isolierte Einzelhöhen ragen merklich über sie auf; so der Erbesberg
bei Reimlingen (439 m), der Rotenberg bei Schmähingen (468 m), der
Mühlberg nördlich von Hohenaltheim und der Balgheimer Hahnenberg
(463 m, relativ über dem Forellenbach 36 m).
Ostseite des flachen Rieses. Die Niederung in der Ost-
hälfte des Rieses entspricht am meisten der irrtümlich landläufigen An-
schauung, welche bisher über das Relief unseres Gebietes herrschend
war. Wie hier die Urgebirgstrümmer oberirdisch ungleich beschränkter
auftreten als im Westries, wie sich der Hahnenberg bei Lierheim, der
Spitzberg, Alerheimer Schloßberg und Wennenberg an Ausdehnung
und Zusammenhang mit dem Nördlinger Höhenzug und seiner Fort-
setzung bei Reimlingen oder den Erhebungen zwischen Himmelreich
und Albuch nicht messen können, wie hier im Osten an Stelle der
tiefgründigen Lehm- und Lößlager vielfach Sandanhäufungen und rezente
Gebilde treten, und wie endlich die Umrahmung des östlichen Rieses
bei weitem nicht die reiche Skulptur hat, wie der Süd- und Westrand
um Hohenaltheim und Bopfingen: so wurde auch die Niederung selbst
hier nur unauffällig modelliert. Die einfache Ausgestaltung derselben
ist eine wesentliche Folge ihrer geognostischen Beschaffenheit. Fest-
liegendem, nicht wandernden Sand, Schwarzboden und jungalluvialen
238 Christian Gruber, [52
Bildungen gehören allenthalben auf der Erde die einfachsten Ober-
flächenformen zu. Sie unterliegen einer gleichmäßigeren Ablagerung
und auch Nivellierung durch Wasser und Wetter, als die mehr plasti-
schen und widerstandsfähigen Lehmschichten.
Die östliche Riesniederung besitzt nur drei Streifen flacher Boden-
wellen zwischen Gänsbach und Rohrach, Rohrach und Dosbach, Dos-
bach und Schwalb.
Innerhalb des zuerst genannten Striches findet sich eine Anschwel-
lung zwischen Lerchenbühl und Haid, die an der Straße von Möges-
heim nach Wemding bis 433 m emporsteigt. Dort ist ferner an der
Rohrach dem Rieshang bei Trendel der Kronberg vorgelagert, dem
443 m Seehöhe, aber nur 17 m relative Erhebung zukommen. Ihm
kongruent liegt am Bord der Wörnitz die unscheinbare, aber breite
Bodenerhöhung bei Schwörsheim. Sie erreicht 417 m, ragt indessen
nur 4 m über dem erwähnten Ort selbst auf.
Im mittleren Streifen des Ostrieses lehnt sich an den Polsinger
Berg die Kuppe südlich vom Kronhof mit 445 m Seehöhe (20 m relative
Erhebung). Westlich von ihr steht zwischen Kronhof und Laub ein
Flachhöcker mit 428 m (5 m relativ) an. Amerbachkreut, am Fuß des
Wartberges, liegt bei 435, die Höhe westlich vom Eulenhof zwischen
Eichholz und Weilerholz bei 423, Speckbrodi bei 413 m. Es treffen
sonach auf fast 5 km Entfernung nur 25 m Niveaudifferenz.
Deutlicher ausgeprägt ist das Relief der östlichen Riesniederung
in ihrem südlichen Streifen zwischen Dosbach und Schwalb. Dort ent-
ragt ihr, durch die Sandhügel des Schwalbholzes vom Riesrand ge-
schieden, der schon erwähnte Metzlesberg (442 m, 19 m über Wild-
bad Wemding) und die Kuppe, an deren Südflanke der Kriegsstatthof
sich findet (424 m, 18 m über der Wörnitz, 13 m über der Schwalb).
Des Höhenzuges südlich der zuletzt genannten Wasserader, welcher mit
dem Lehmberg bei Goßheim beginnt und riffartig schmal erst bei Bühl
verläuft, wird bei den Höhenrücken und Inselbergen des Rieses beson-
ders zu gedenken sein.
An wirklichen Oedungen finden sich im Flachgebiete
des Rieses 13 westlich und 11 östlich der Wörnitz. Sie sind indessen
meistens von sehr geringem Umfang; die bemerkenswertesten von ihnen
liegen um Dürrenzimmern, bei Deiningen, zwischen Alerheimer Schloß-
berg und Enkingen und an der Schwalb nordöstlich von Bühl. Ihre
Gesamtfläche bemißt sich auf 6,77 qkm.
D. Die Inselberge und Höhenrucken des Rieses.
a) Der Wallerstein.
Durch alle Formen der Erdoberfläche geht ein Zug der Zer-
störung. Ihre Konturen ändern sich im großen und kleinen unablässig.
Sie sind in einer beständigen Umprägung begriffen. Nun offenbart
sich freilich auch in dieser Auswechselung der scheinbar starren Ge-
stalten des Festen ein Stück der ruhelos schöpferischen Kraft der Natur.
53] Das Rtes. Eine geographisch-volkswirtschaftliche Studie. 239
Aber sie ist es auch, die keine Dauer des Reliefs zuläßt, sondern nur
Bilder von vergänglicher Wahrheit duldet. Einigt sich mit ihr nun
noch die Menschenhand, so zertrümmern die Bodenformen um so leichter
und gründlicher. Sie werden dann zu Ruinen, die eine Rekonstruktion
ihres ursprünglichen Aussehens nur in groben Umrissen mehr zulassen.
Auch der Wallersteiner Felsen ist durchaus von ruinenhaftem
Charakter. Sein einstiger Umfang läßt sich nicht mehr genau fest-
legen. Doch trägt seine vergleichsweise schmale Gestalt trotz aller Zer-
störung auch heute noch das wesentlichste Kennzeichen der Inselberge
des Rieses an sich: den flach verebneten Scheitel.
Wohl steht der Wallerstein nunmehr vereinsamt über der Ries-
ebene, 3,8 km von ihrem Rande, 4,5 km vom Nördlinger Höhenzug
entfernt. Und doch ist er nach Lage, Fundament und Aufbau nur ein
isoliertes Glied des letzteren. Er findet sich in gleicher Streichungs-
richtung mit diesem. Sein granitischer, niedrig aufgewölbter Sockel
aber ist offenbar ein Teil jener Urgebirgsscholle, die nördlich von
Hohenaltheim ansetzt, quer durchs Ries bis Nördlingen streicht, dann
oberirdisch verschwindet, um am Wallerstein kurz aufzutauchen und
sich weiter nach dem Lehberg bei Munzingen fortzusetzen, wo sie
mit dem Granitgebiet von Marktoffingen im Zusammenhange steht.
Ueber der nur wenig aufgeschlossenen altkrystallinischen Grund-
anschwellung erhebt sich jene breite Etage von marmorhartem, plumpen
Süßwasserkalk, welche die den eigentlichen Schloßberg umsäumenden
Gebäude und Parkanlagen trägt. Auf ihr ragt sodann der aus Kalk-
sinter zusammengesetzten Wallerstein selbst wohl an 20 m hoch auf.
Sein Scheitel besitzt eine unregelmäßig rechteckige Form und mißt in
der Länge gleichfalls etwa 20, in der durchschnittlichen Breite etwa 4 m.
Er ist mehr rasengrün als felsig und gegen Osten hin leicht schratten-
artig verwettert. Seine Seehöhe beträgt 496 m, und derselbe erhebt sich
über dem Bahnhof Wallersteins 42, über Ehringen 64 m.
Gegen Südwesten zeigt der Wallerstein gemeinsam mit seinem
Unterbau eine dreifache Abtreppung. Die Höhe der Terrassenstufen,
welche nach unten hin immer breiter werden, schwankt zwischen 8 und
10 m. Sie entspricht im allgemeinen wohl der Gesamtanlage der alten,
1648 zerstörten Burg Wallerstein1) und einer 1815 ausgeführten
Planierung des Felssockels. In ihrer oberen Hälfte durchaus steinig,
wird ihr unterer Teil, welcher den Akkumulationsterrassen zuzuzählen
sein dürfte, von jenen prächtigen Baum- und Strauchgruppen überschattet,
die zwischen 1842 und 1848 angelegt wurden. Aus jener Zeit stammt
ferner die festgefügte Quadermauer, welche heute die oberste der
Terrassen am Wallerstein stützt. Hier an der Südwestseite liegt auch
der aus 15, teilweise in den gewachsenen Stein eingehauenen Stufen
bestehende Aufgang zu der Plattform des Felsens.
An der Ost- und Nordseite zeigt der Wallerstein nur zwei Stufen.
Sie entsprechen dem wandähnlichen, rauhwulstigen Felsen selbst und
*) Vgl. deren authentische Geschichte in der prächtigen Schrift: Der Waller-
steiner Felsen, von Dr. Anton Diemand. Druck und Verlag von Th. Reischle
in Nördlingen.
240
Christian Gruber,
L54
seinem mit Verwetterungsschutt und den Abraummassen der Steinbruch-
arbeiten überdeckten Unterbau. Dort im Norden hat sich der Burg-
felsen in seiner ganzen Höhe gespalten. Und dort liegt auch jenes
echte kleine Blockmeer, das 1854 durch einen gewaltigen Abbruch der
o
09
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CD
3
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Felsen des Sprudelkalks hervorgerufen wurde. Da lagern Blöcke aller
Größen wirr durcheinander, stark angewettert, übermoost oder mit Gras
spärlich verhüllt. Auf und an ihnen aber wuchern Schwarzhollunder,
Ahorn, Berberitzen, Birken, Fichten, Föhren und die schwanken Wedel
von Farrenkräutern. An den Wandabbrüchen haben sich dagegen lichte
Flechten angesiedelt, und ihre goldhelle Färbung kontrastiert seltsam
.55] Das Ries. Eine geographisch-volkswirtschaftliche Studie. 241
mit dem derben Grau all der abgestürzten Steinmassen und dem
dunkeln Grün der Sträucher und Baumanlagen. Unter dem Fels-
meer liegen zwei kleine Höhlungen fast ganz begraben; eine dritte,
ungleich geräumigere findet sich am Rand des Felsabbruches nahe
•dem westlichen Parkeingang. Sie stellt eine scharfgebogene, mannshohe
Unterwölbung an einer hüttentiefen Felspartie dar, und wurde bis in die
Mitte unseres Jahrhunderts herein als Eiskeller benützt.
Voa der alten Burg Wallerstein ist kein Mauerbrocken mehr
übrig. Doch raacjjt Diemand darauf aufmerksam, daß die Stelle an
der Behauung der Felsen wohl erkennbar sei, wo die Schloßkapelle
-einst stand *). Und wie die ehemalige Burg dem letzten Jahre des
großen Religionskrieges zum Opfer fiel, so wurde auch der Wallerstein
selbst nicht von der zerstörenden Menschenhand verschont. Diemand
•erzählt«, daß ein jeder, dem es einfiel, sich mit Steinbrechen zu er-
nähren, mit Pickel und Schaufel kam, Felsstücke grub und sie ver-
kaufte, selbst ohne um Erlaubnis anzufragen. Die Wallersteiner Bürger-
schaft aber holte jederzeit mit Einwilligung der Herrschaft das zum
Bau von Häusern und zur Ausbesserung der Pflaster und Wege nötige
Material vom Burgfelsen. Die Verwaltung des ganzen Steinbruches
wurde 1786 dem fürstlichen Bauamte übergeben, und der Ertrag hier-
aus bemafi sich z. B. für das Jahr 1788 nach Abzug aller Kosten auf
1916 fl. 46 kr. für 385 Klafter Steine, 64 Fuhren Sand und 1234 Fuhren
Kies. So ist denn auch der Wallerstein gleich den meisten Erhebungen
aus Süßwasserkalk im Ries gegenwärtig nur noch ein Fragment von
dem, was er ursprünglich war, freilich immerhin noch ein Felsklotz,
•der stattlich und trutzig genug über das Ries wegschaut.
b) Der Goldberg
trägt von allen Rieshöhen den Plateaucharakter am ausgeprägtesten
an sich. So vergleichsweise schmal und turmähnlich die Felsruine des
Wallersteins aus ihrer flachen Umgebung sich emporreckt, so breit und
gedrungen ist die Gestalt des Goidbergs. Und während jener völlig
isoliert der Riesniederung entragt, liegt dieser in nächster Nachbar-
schaft derjenigen Stelle des Riesrandes, wo man den vulkanischen
Trümmerresten am frühesten und eingehendsten nachgegangen ist. Oest-
lich und nördlich von ihm zieht eine Zunge von Opalinusthon ins Ries
hinein. Sie kulminiert mit dem Fuchsberg (512,6 m) und kann oro-
graphisch in gewissem Sinne als Fortsetzung des Goldberges gelten.
Der Südhang des letzteren steht unmittelbar über den Lößgründen unserer
Landschaft an. An seiner Westflanke aber finden sich neben Weißjura-
breccien die gleichen traehytischen Ablagerungen und Auswürflinge,
wie um den vielgenannten Heerhof und jenseits des Goldbaches am
Schönbergle und bei Pflaumloch.
Die Konturen des Goldberges selbst werden, wie schon im dritten
Teile erwähnt wurde, durch ein mächtiges, fossilienreiches Lager von
Süßwasserkalk bestimmt, dessen Ausbeute durch Steingräber die ur-
') Der Wallersteiner Felsen und seine Geschichte, S. 71.
242 Christian Gruber, [56
sprüngliche Gestalt der Höhe gründlich verwischt hat. Ihr Scheitel strebt
bis 515 m auf. Die relative Erhebung desselben über den ihn im
Süden bespülenden Goldbach bemißt sich auf 59, über Goldburghausen
und den Serenbuck auf 64,' über Pflaumloch auf 73 m. Obschon die
nahe Umrahmung des Rieses, wie Reimersberg (534 m) und Schön-
bergle (519 m) den Goldberg an Höhe übertrifft, erscheint er doch
auch von ihr aus, seiner deutlichen Isolierung durch das Goldbachthal
und der jäh niederbrechenden Gehänge wegen, als selbständige und
beträchtliche Erhebung. Am eindrucksvollsten freilich ist sein Bild
von Süden, Osten und Norden her. Gleich massigem Mauerwerk ragt
er auf, an welchem die schmale Linie einer Straße eingerissen erscheint.
Trotz aller Zerstörung durch Menschenhand findet man das Ruinen-
hafte an ihm nicht in dem Maße ausgeprägt, wie am Wallerstein.
Seine Flanken schimmern vom lichtesten Gelb bis zum goldigen Rot,
auch wenn sie vom Sonnenlicht nicht Übergossen werden, und ihre
Farbe hat der Höhe wohl auch den Namen gegeben.
Wie schroff sie aber auch niederbrechen, wie felsenhaft kahl die-
selben trotz vielfacher Berasung sind und wie hüttentief hier die Trüm-
mermassen an den Steinbrüchen sich aufhäufen: so flach und gemäch-
lich neigt sich der untere Teil der Berghänge, so saatengrün und
wohlausgenützt zieht sich dort Ackerland bis zu den benachbarten
Wässeradern abwärts. Und so fällt denn die Zweiteilung dieser Höhe
nach ihrem landschaftlichen Aussehen nicht minder zudringlich auf, als
der Gegensatz zwischen dem eigentlichen Burgfelsen und seinem Unter-
bau am Wallerstein.
Auch die Scheitelfläche des Goldbergs ist nicht ohne Relief. Wer
vom Pflaumloch her zu demselben aufsteigt, der gewahrt im Westen
von ihm eine Kuppe mit wulstigen Hängen und verwetterten Fels-
partieen. Vom eigentlichen Bergmassiv trennt sie eine grüne Einsatte-
lung, bis zu welcher die vom Pflug gezogenen Ackerbeete emporsteigen.
Gegen Norden ragen noch vier weitere Höcker 15 — 20 m auf, deutlich
voneinander geschieden und gleichfalls stellenweise blanken Fels auf-
zeigend. Das ca. 250 m breite Gipfelplateau wird von rabendunklem,
lehmigen Humusboden überdeckt und teilweise als Ackerland bebaut.
Von ihm aus schaut man 25 — 30 m tief die Wände der Steinbrüche hinab.
Gleich dem Bopfinger Ipf wurde auch diese Höhe schon in der
Steinzeit als Siedelungsplatz und Kultusstätte benützt. Bedeutsamer-
weise gleichen die auf dem Goldberg gefundenen uralten Werkzeuge
aus Stein und Bein jenen aus den Pfahlbauten der oberschwäbischen
Seen. Doch wage ich nicht, jenen zu folgen, welche den Schluß ziehen,
diese Thatsache „weise unwiderleglich auf einerlei Bevölkerung hin,
die sowohl die Bergeshöhen, als die Seeen für ihre Zwecke benutzte".
c) Der Nördlinger Höhenzug.
Die Gestalt und Ausdehnung der Rieshöhen ist von ihrer Grund-
anschwellung aus altkrystallinischem Gestein abhängig. Wo dieselbe
nur warzenförmig vereinzelt über die lößverhüllte Niederung auftaucht,
bauen sich schlanke Inseiberge klotzartig prall und schwer zugänglich
57]
Das Ries. Eine geographisch-volkswirtschaftliche Studie.
243
(X)
'S
CD
244 Christian Gruber, [58
auf, wie Wallerstein und Alerheimer Schloßberg. Wo sie sich jedoch
riffartig schmal und lang hindehnt, wie südlich von Nördlingen, ruhen
auf ihr Höhenzüge von rückenartigem Charakter und lebhaft auf- und
niederwogendem Profil.
Der Nördlinger Höhenzug erstreckt sich zwischen der Egerthalung
und dem Hahnenberg bei Keimlingen 4 km weit nach Südosten. Seine
durchschnittliche Breite ist auf 600 m, seine mittlere Höhe auf 465,8 m
zu veranschlagen. Er kulminiert im Adlerberg mit 487 und im
Stoffelberg mit 481,6 m, und überragt seine Umgebung im ganzen
um 30 m. In seineu tiefsten Einschartungen sinkt derselbe zwischen
Toten- und Galgenberg auf 445, zwischen Stoffelberg und Adlerberg
auf 447 m herab. Im einzelnen gestalten sich seine Relief Verhältnisse
folgendermaßen :
Vom Egerspiegel aus, dem hier 428 m Seehöhe zukommen, steigt
die Erhebung rasch und unvermittelt zum Totenberge (Em er am s-
berge) auf 452 m an. Sein geräumiger, nach Osten überhängender
Scheitel trägt nunmehr den Nördlinger Friedhof mit seinem schmucken
gotischen Kirchlein. Oleich zahlreichen ähnlichen Höhen anderswo ist
er, als ein von der Natur gegebener Stütz- und Verteidigungspunkt,
in der tiefverschleierten Gründungsgeschichte der Stadt Nördlingen,
deren eng begrenztes Gebiet sich bis über die Mitte des 13. Jahrhunderts
hinaus auf ihm selbst befand, von Bedeutung gewesen.
Die Südflanke des Totenberges, an welcher die Straße Ederheim-
Neresheim-Ulm vorüberzieht, senkt sich zu einer etwa 400 m breiten
Einsattelung herab. Ihre tiefste Stelle liegt, wie schon angedeutet, bei
445 m. Sie ist mit vielfach bereits ausgebeuteten Schichten von Löß
überdeckt und dient nunmehr vorwiegend als Ackerland.
Die Verbindung zwischen ihr und dem nun folgenden Rücken des
Galgenberges1) stellen 4 Terrassen her, von den kaiserlichen Truppen
aufgeworfene Schanzwerke aus der Zeit der ärgsten Bedrängnis Nörd-
lingens vor dem Entscheidungskampfe des Jahres 1634. Die grasigen
Steilhänge der beiden untersten von ihnen sind an 10 m hoch und ihre
fast ebenen Stufenflächen messen gleichfalls ungefähr 10 m in die Breite.
Sie sind unter den Pflug genommen und teilweise durch eine Bier-
kelleranlage in ihrer Regelmäßigkeit gestört. Auch die platte Fläche
der dritten , 6 m hohen und breiten Treppe wird zum Feldbau aus-
genützt, während ihr Abfall Baumschmuck trägt. Die oberste Stufe
endlich ist am ausgedehntesten und schrägsten von allen und deutlich
zweigeteilt: die untere Hälfte stellt 10 m breites Ackerland, die höhere
einen 12 m breiten Waldstreifen dar, von welchem aus ein unansehn-
licher Hang zum Rücken des Galgenberges selbst führt.
Dessen Nord- und Südende liegen in gleicher Höhe, nämlich bei
der Kote für 470 m. Die geringe Aufwölbung von 3 m aber, die er
in seiner Mitte besitzt, kommt bei der Länge des Rückens von 600 m
und seiner Verhüllung mit Waldanlagen nicht zur Geltung. Und so
*) Ich folge hier ausschließlich der Nomenklatur der bayerischen General-
stabskarten.
59] Das Ries. Eine geographisch-volkswirtschaftliche Studie. 245
ist denn der Galgenberg in der Wirklichkeit auch das einfachste Stück
des Nördlinger Höhenzuges.
Der sehr flach eingebogene Sattel, welcher ihn vom Stoffel-
berg scheidet, reicht nur auf 463 m herab. Auch der Stoffelberg ist
rückenförmig ausgestreckt und unscheinbar gewellt, hat aber durch
eine blockförmige , mit einer ansehnlichen Nische versebene Auf-
ragung von jungtertiärem Süfiwasserkalk einige Skulptur und zugleich
481,6 m Seehöhe erhalten. Von dem Aussichtsturme aus, welcher hart
an jener und dem zinnenumrahmten Sammelbecken der Nördlinger
Wasserleitung steht, thut sich zwar trotz der hochaufstrebenden Wald-
anlagen die Rieslandschaft in einem weiten Rundbild nach Westen,
Norden und Nordosten auf. Doch ist der Ausblick von der Mehrzahl
der Inselberge des Rieses oder den Randhöhen bei Wemding und
Bopfingen unvergleichlich freier und weniger eingehemmt als hier.
Nach Süden senkt sich der Stoffelberg sehr beträchtlich tiefer
als gegen Norden. Der Einriß zwischen ihm und dem Adlerberg
reicht bis 447 m herab. Und so tritt denn auch der felsige, vielzer-
wühlte Gipfel des letzteren frank aus dem gesamten Höhenzuge
hervor. Durch die Steingräber mitten entzwei gebrochen, erhebt sich
nach Süden sein höheres (487 m), nach Norden das niedrigere Stück.
Treppen- und quaderförmige Kalkmassen und scharfkantiger Schutt
erfüllen die von Westen nach Osten gerichtete, stark gebogene Gasse
zwischen beiden. Gegen Morgen lagern den noch stehenden Felspartieen
5 hüttenhohe Schutthügel an; nach Norden ragen die dunkelgrauen,
von Flechten und Moosen besiedelten Wände verlassener Steinbrüche
auf, und auch nach Süden zeigt sich der Adlerberg stark abgehoben
und getreppt; nur wuchert hier, wo Schaufel und Pickel längst nicht
mehr im Bergkörper wühlen, Gras über den Trümmern des Süßwasser-
kalks. Von der lichtschimmernden Felskrone des Gipfels aus aber
ziehen sich launisch gewulstete, überaus höckerige Schuttgehänge nieder,
ärmlicher Triftboden, der erst nahe dem Bergfuße gutem Ackerlande
weicht.
Die mehr als 400 m breite Depression, welche sich zwischen dem
Adlerberg und der letzten Aufwölbung des Nördlinger Höhenzuges, dem
Reimlinger Hahnenberg, einlagert, geht nicht unter 467 m nieder.
Trotzdem zeigt sich die Kuppe des Hahnenberges als selbständige,
wenn auch niedrige und breit verwaschene Hügelgestalt (477 m). Auch
aus ihr wurden so beträchtliche Steinmassen gehoben, daß die Höhe
stellenweise wie terrassiert aussieht. Indes tritt der blanke Süßwasser-
kalk hier nicht annähernd so aufdringlich und weithin sichtbar hervor,
wie am Adlerberg.
Das bedeutsamste Merkmal des Nördlinger Höhenzuges
ist neben der deutlichen Gliederung seiner Profillinie der
Gegensatz im Relief und dem landschaftlichen Aussehen
seiner beiden Flanken.
Als fast regelrechte Schräge, sanft abgeböscht und nur selten
durch unscheinbare Stufen unterbrochen, fällt das Westgehänge gegen
Kleinerdlingen und Herkheim nieder. Es trägt alle Merkmale einer
flachgewundenen, fast formlosen, bis an den Scheitel unter die Kultur
246 Christian Gruber, [60
genommenen Bodenschwelle an sich. Nur an der oberen Hälfte von
Adler- und Hahnenberg haben die Steinbrucharbeiten das schon ange-
deutete wulstenförmige Terrain geschaffen.
Ungleich kräftiger ist dagegen die Ostseite des Höhenzuges model-
liert, vor allem am Galgen- und Stoffelberg. Steil neigt sie sich zwischen
Nördlingen und Reimlingen nieder, streckenweise scharf gestuft. Doch
verlaufen hier die Terrassen nicht ungestört einheitlich und in ununter-
brochen systematischem Zuge, wie etwa jene, welche sich längs der
Thalweiten der südbayerischen Flüsse vor ihrem Austritte aus den Alpen
oft stundenweit verfolgen lassen. Sie bilden vielmehr nur Treppen-
fragmente mit der oft sehr breiten, unregelmäßig geformten Stufen-
fläche alter Schanzbefestigungen. Weniger von der Natur geschaffen,
als durch Menschenhände umgeformt, wurden dieselben weiterhin durch
die Anlage von Bierkellern — man findet am Galgen- und Stoffelberg
deren nicht weniger als 11 — häufig wieder verwischt. So jäh aber
die an einzelnen Stellen bis 15 m hohen Steilhänge dieser Bruchstücke
von Terrassen niederbrechen, so flach und breit hingestreckt dehnt sich
der Fuss des Nördlinger Höhenzuges auch auf der Ostseite hin; un-
vermerkt setzt er sich in die Lößgründe der Riesniederung fort.
Und wie nach ihrem Relief, sind die West- und Ostflanke der Er-
hebung auch nach ihrer landschaftlichen Physiognomie grundverschieden.
Dort im Westen durchaus Ackerland, dessen lange und wie nach dem
Richtmaß gezogene Beete bis hinauf zu dem schmalgemessenen Rücken
der Höhe ziehen und damit das Aussehen des kornreichen, bunt-
gebänderten Flachgebietes unserer Landschaft auch auf sie übertragen.
Hier im Osten dagegen schattenreiche Waldanlagen aus Birken und
Linden, Eschen und Lärchen, Fichten und Föhren und dazwischen
lichte, sonnenbeglänzte Matten und Wiesenhänge, freundliche Alleen
und Obstbaumpflanzungen, Zeilen dichter Hecken und breitästige Baum-
gruppen ; tief unten aber am flach abgeschrägten Gehänge ertragreicher
Getreideboden. All das im fröhlichen Wechsel macht die Reize der
Ostseite des Höhenzuges aus. Und sie werden verstärkt einerseits durch
den Blick auf Nördlingen, das gerade von hier aus manch altertüm-
lichen Zug an sich erkennen läßt: seine aus düsterem Trachyttuff
erbaute, hochstrebende Georgskirche, seine einst stark bewehrte Um-
fassungsmauer mit wohlerhaltenen Türmen und dem nun reich be-
pflanzten Stadtgraben, welche dem Orte immer noch den Charakter des
Geschlossenen, Festeartigen verleihen, seine hochgiebeligen, eng zusam-
mengescharten Häuser mit ihrer roten Bedachung — und andererseits
durch den Blick auf die Riesniederung und ihre Inselberge vom Waller-
stein an bis zum Roller bei Hoppingen.
d) Das Schönefeld.
An den Nördlinger Höhenzug schließt sich, nur durch einen
schmalen, bis zur Kote von 465 m reichenden Sattel von ihm getrennt,
das breitschulterige Schönefeld an. Es streicht in spitzem Winkal zu
Galgen-, Stoffel-, Adler- und Hahnenberg von Herkheim her gegen
Reimlingen und Schmähingen und ist geologisch ungleich mannigfaltiger
61] Das Ries. Eine geographisch-volkswirtschaftliche Studie. 247
aufgebaut als jene, wie denn überhaupt mit der Annäherung an den
Riesrand auch die Gesteinsbeschaffenheit der Höhen vielseitiger wird.
Neben mächtigen Auflagerungen von Süßwasserkalk, die oberhalb Reim-
lingens ähnlich wie am Goldberg in großen Mengen gebrochen werden,
nehmen der Breccienkalk des weißen Juras, streifenweise vulkanischer
Tuff, sowie das bunte Konglomerat des Rieses an der Zusammensetzung
dieser Erhebung Anteil. Auch das Fundament aus Urgestein tritt hier
deutlich zu Tage.
Das Schönefeld bricht nach allen Seiten ziemlich steil nieder; am
geringsten freilich gegen Norden bei Herkheim, am schroffsten dagegen
nach Osten hin gegen Reimlingen und Schmähingen. Wie dem Galgen-
und Stoffelberg mangelt auch seinem Scheitel der Schmuck einiger
Waldparzellen nicht. Im „ Schanzengewand B, wo während der Nörd-
linger Schlacht die kaiserlichen und bayerischen Völker standen, erreicht
das Schönefeld 516 m. Eine bis 493 m absinkende Einbiegung des
Terrains liegt zwischen dem Schanzengewand und der von verwetterten
Felsmassen durchbrochenen rasigen Plateauhöhe des Kirchberges (508 m)
über Schmähingen. Er fällt jäh zu jenem friedsam gelegenen Ries-
dorfe 60 m hoch ab. Jenseits des Schmähinger Thals erhebt sich als-
dann noch, ähnlich vereinzelt wie der Rotenberg zwischen Schmähingen
und Balgheim, die aus Weißjurabreccien und braunem Jura bestehende
Flachkuppe „am Birkletf zu 476 m, deren Südflanke sich allmählich zum
Wiesengrunde des Forellenbaches abdacht.
e) Der Holheim-Schmähinge r Höhenzug.
Die breitundulierte Hochfläche des Schönefelds vermittelt sowohl
geologisch als orographisch den Uebergang zu einer rückenförmigen
Erhebung des Rieses, welche mit dem Nördlinger Höhenzug annähernd
parallel streicht und nur durch den südlichen Teil der von Deffner
konstruierten sogen. Sighart-Hürnheimer Achse vom westlichen Ries-
rande getrennt ist. Auch sie ist nach allen Seiten von ihrer Umgebung
deutlich losgelöst. Ihre West- und Südwestgrenze wird durch das
Thal des Rezen- und jenes seichten Zuflusses des Rohrbaches gebildet,
der zwischen Reitersbuck und Altenbürg entquillt und bei [Jtzmemmingen
mündet. Im Nordosten liegt derselben das Flachgebiet von Holheim
bis über Kleinerdlingen vor. Ihr Nordende markiert das Hohlbüchele
bei Utzmemmingen, ihren Südrand die schon erwähnte Höhe „am Birkle*
bei Schmähingen.
Nach Gesteinsbeschaffenheit und Oberflächenform ist dieser Hol-
heim-Schmähinger Höhenzug ungleich mehr der Umrahmung unserer
Landschaft, als den Erhebungen im Süden von Nördlingen verwandt.
Er zeigt bereits die ganze geologische Buntheit der ersteren. Alt-
krystallinische Gesteine umsäumen nur seinen Südrand. Seine beträcht-
licheren Höhen bauen sich alle aus dem plumpen Felsenkalk des weißen
Juras auf. Daneben erscheinen im mittleren Drittel des Zuges haupt-
sächlich noch Schwammkalk (Stufe des Ammonites tenuilobatus und
pseudomutabilis) und die jungtertiären Süsswasserablagerungen des
Rieses.
248 Christian Gruber, [62
In der Gesamtlänge mißt dieser Höhenzug 6,25 km, in der mitt-
leren Breite 1,2 km. Seine durchschnittliche relative Höhe kann zu
30 m veranschlagt werden. Die Profilierung der Erhebung ist noch
einfacher, als jene des Schönefelds. Sie erscheint als ein höchst wahr-
scheinlich durch tektonische Ursachen losgelöstes Plateaustück des
Schwabenjuras, das im Himmelreich und im Lindle je 532, im Albuch
535 m erreicht. Doch wird die Monotonie der Formen teilweise durch
Wald verhüllt, wie am Lindle zwischen Holheim und Ederheim und
am Häselberg, teilweise durch schroff niederbrechende Hänge, die jähen,
bräunlich in die Ferne leuchtenden Wände und das höckerige Haufen-
werk der Steinbrüche, sowie ausgedehnte, oft schrattenartig verwetterte
Felspartieen ferngehalten. Letztere begegnen vor allem im nördlichen,
landschaftlich wechselreichsten Drittel der Erhebung: am Scheitel und
den Flanken des Himmelreichs und am Ostabfall des Lindle:
Höhen, welche durch den Straßenzug Nördlingen-Neresheim-Ulm aus-
einandergehalten werden, gemeinsam mit der Ederheimer Thalung und
der dahinter aufsteigenden waldernsten Riesumrahmung einige unzwei-
deutige Züge aus dem Antlitz der deutschen Mittelgebirge an sich
tragen und, ähnlich wie auch diese vielfach, eine weite Rundschau
übers nördliche Ries und hinaus bis zu der kunstlos aufgebauten Ge-
stalt des Hesseibergs bei Wassertrüdingen gewähren. Dem mittleren
Drittel des Höhenzuges gehören der weit auseinandergezogene, baum-
lose Lachberg, sowie der rückenartig verschmälerte, überaus steil-
randige Häselberg zu. Im Süden aber schließt jener mit dem
kastenförmigen Plateaustück des Albuchs.
Ehe wir des letzteren und seiner Umgebung ausführlicher ge-
denken, soll daran erinnert sein, daß dem Holheim-Schmähinger Höhen-
zug die ausgedehnteste Höhle des Rieses zukommt, die Ofnet.
Mit ihr können sich an Größe der Auswölbung und Bedeutung für
die uralte Besiedelungsgeschichte der Landschaft weder die einfache
Grotte desHohlensteinsam Riesrand über der Ederheimer Thalmühle,
noch das kaum erwähnenswerte, großenteils zugestopfte Weifiloch in
der Nähe von Ursheim oder die geringen Höhlungen am Wallerstein
messen. Mit allem Grund wird in den Begleitworten zu den geognosti-
schen Atlasblättern Bopfingen und Ellenberg behauptet: „Kaum wird
es ein zweites Höhlenpaar geben auf der ganzen höhlenreichen Schwäbi-
schen und Fränkischen Alb, so klar bloßgelegt, so sicher ausgebeutet
und »so leicht verständlich als gesicherter Wohn- und Schutzplatz, durch
einen Felsklotz verschließbar und doch noch durch einen seitlichen
Schlupf erreichbar. Im fetten Lehmgries selber aber lag gemengt mit
Asche und Kohle, was in erster Linie der Mensch und in zweiter die
Hyäne übrig ließ: zernagtes und zerbissenes Gebein, Zähne in zahl-
loser Menge, Tausende von Feuersteinsplittern, seltener zugeschärfte
Geweihstücke und Knochen neben verschiedenen Zwecken dienenden
Gegenständen, z. B. Farben, abgeriebenen Belemniten, Mühlsteinen,
Kugelsteinen u. dgl.a
Die grottenartige Höhlung der Ofnet liegt noch innerhalb des
bayerischen Rieses in jener grauverwetterten und zerklüfteten Steinmasse
aus plumpem Felsen- oder Marmorkalk, welche die Westflanke des Himmel-
61] Das Ries. Eine geographisch- volkswirtschaftliche Studie. 247
aufgebaut als jene, wie denn überhaupt mit der Annäherung an den
Riesrand auch die Gesteinsbeschaffenheit der Höhen vielseitiger wird.
Neben mächtigen Auflagerungen von Süßwasserkalk, die oberhalb Reim-
lingens ähnlich wie am Goldberg in großen Mengen gebrochen werden,
nehmen der Breccienkalk des weißen Juras, streifenweise vulkanischer
Tuff, sowie das bunte Konglomerat des Rieses an der Zusammensetzung
dieser Erhebung Anteil. Auch das Fundament aus Urgestein tritt hier
deutlich zu Tage.
Das Schönefeld bricht nach allen Seiten ziemlich steil nieder; am
geringsten freilich gegen Norden bei Herkheim, am schroffsten dagegen
nach Osten hin gegen Reimlingen und Schmähingen. Wie dem Galgen-
und Stoffelberg mangelt auch seinem Scheitel der Schmuck einiger
Waldparzellen nicht. Im „ Schanzengewand", wo während der Nörd-
linger Schlacht die kaiserlichen und bayerischen Völker standen, erreicht
das Schönefeld 516 m. Eine bis 493 m absinkende Einbiegung des
Terrains liegt zwischen dem Schanzengewand und der von verwetterten
Felsmassen durchbrochenen rasigen Plateauhöhe des Kirchberges (508 m)
über Schmähingen. Er fällt jäh zu jenem friedsam gelegenen Ries-
dorfe 60 m hoch ab. Jenseits des Schmähinger Thals erhebt sich als-
dann noch, ähnlich vereinzelt wie der Rotenberg zwischen Schmähingen
und Balgheim, die aus Weifijurabreccien und braunem Jura bestehende
Flachkuppe „am Birkle* zu 476 m, deren Südflanke sich allmählich zum
Wiesengrunde des Forellenbaches abdacht.
e) Der Holheim-Schmähinger Höhenzug.
Die breitundulierte Hochfläche des Schönefelds vermittelt sowohl
geologisch als orographisch den Uebergang zu einer rückenförmigen
Erhebung des Rieses, welche mit dem Nördlinger Höhenzug annähernd
parallel streicht und nur durch den südlichen Teil der von Deffner
konstruierten sogen. Sighart-Hürnheimer Achse vom westlichen Ries-
rande getrennt ist. Auch sie ist nach allen Seiten von ihrer Umgebung
deutlich losgelöst. Ihre West- und Südwestgrenze wird durch das
Thal des Rezen- und jenes seichten Zuflusses des Rohrbaches gebildet,
der zwischen Reitersbuck und Altenbürg entquillt und bei Utzmemmingen
mündet. Im Nordosten liegt derselben das Flachgebiet von Holheim
bis über Kleinerdlingen vor. Ihr Nordende markiert das Hohlbüchele
bei Utzmemmingen, ihren Südrand die schon erwähnte Höhe „am Birkle"
bei Schmähingen.
Nach Gesteinsbeschaffenheit und Oberflächenform ist dieser Hol-
heim-Schmähinger Höhenzug ungleich mehr der Umrahmung unserer
Landschaft, als den Erhebungen im Süden von Nördlingen verwandt.
Er zeigt bereits die ganze geologische Buntheit der ersteren. Alt-
krystallinische Gesteine umsäumen nur seinen Südrand. Seine beträcht-
licheren Höhen bauen sich alle aus dem plumpen Felsenkalk des weißen
Juras auf. Daneben erscheinen im mittleren Drittel des Zuges haupt-
sächlich noch Schwammkalk (Stufe des Ammonites tenuilobatus und
pseudomutabilis) und die jungtertiären Süsswasserablagerungen des
Rieses.
250 Christian Gruber, [64
reichs landschaftlich auszeichnet. Den Eingang zur Höhle markiert nunmehr
eine kleine, mit Schwarzhollunder bestandene Schutthalde. Er konnte
einst durch gewaltige, noch vorhandene Steinblöcke verschlossen werden.
Man betritt die Ofnet durch eine mehr als 4 m hohe und 2 */* m lange
Vorhalle. Ihr Gestein zeigt einen Belag von dunkeln und moosgrünen
Flechten. An der Deckenwölbung findet sich zur Rechten des Ein-
tretenden eine nischenförmige Vertiefung. Nach links aber zieht ein
niedriger, ungefähr 5 m langer und schuttiger Seitengang.
Die eigentliche, nach Süden leicht abgebogene Höhle zerfallt in
einen vorderen und inneren Raum. Jener ist an der ausgedehntesten
Stelle ungefähr 9 m breit, jedoch nur 1,6 bis wenig über 2 m hoch.
Das Deckengewölbe zeigt unansehnliche Nischenbildungen ohne Tropf-
steinansätze. Seine Felsen hängen stellenweise koulissenförmig nieder;
sie schwitzen wenig Wasser aus und auch auf ihnen wuchern allenthalben
lichtere und dunklere Flechten. Das innere Stück der Ofnet hat die
Gestalt einer domartigen, etwa 10 m hohen Grotte mit massig ge-
wulsteter Decke aus lichtgrauem Kalk und einer kaminartig verengten,
rundlichen Spalte an der Felswand des Hintergrundes. Von diesem aus
führt ein etwa 1 m höher als der Höhlenboden gelegener Gang von 10 m
Länge , 2 — 4 m Breite und 2 */* m durchschnittlicher Höhe wiederum
hinaus zur Außenseite der Felspartie des Himmelreichs und zu jener
Oeffnung der Kalkwände, die einen zweiten kleineren Eingang in die
Ofnet darstellt und offenbar als Schlupfloch benutzt wurde, wenn der
untere eigentliche Zugang zur Höhle abgeschlossen war und nicht ge-
öffnet werden sollte.
Oskar Fraas hat vor einem Vierteljahrhundert die Bodenschichten
der Ofnet nach prähistorischen Resten durchforscht. Die Grabungen
im feuchten, gelben Lehm, mit welchem die Höhle ausgiebig belegt
ist, haben eine geringe Mühe unverhofft reich belohnt. Treulich hat
jener die Lebensspuren aus einer Zeit bewahrt, „die wohl noch vor der
Glazialperiode liegt, einer Zeit, wo Mammut, Nashorn, Scheich (Moor-
hirsch) und Wisent in den Riessümpfen hausten, das wilde Pferd, der
Esel und das Ren auf den grasumhüllten Höhen der Riesumrahmung
weideten und die Höhlenhyäne, der Höhlenbär und der Wolf in den
Klüften und Grotten der Jurafelsen Unterschlupf fanden. Und sie alle
wurden die Jagdbeute des ärmlich ausgestatteten Menschen, der gleich-
falls in Höhlen sich barg, aus denen er oft erst die Hyänen zu ver-
treiben hatte. Im harten Kampfe um Leben und Nahrung führte er
keine anderen Waffen, als die mit der Feuersteinlamelle zugespitzte
Lanze, die Holzkeule und den Totschläger: faustgroße Geschiebe aus
dem Jura in eine Haut eingenäht. Später dann, als der Mensch auf
die Höhen der Inselberge und in die Niederungen an Wörnitz und
Eger zog, lagen Menschen- und Tierreste friedlich bei einander im
Höhlenlehm und zwar ungestört durch Wühlarbeiten zwischen Aschen-
schichten und Kohlenmulm. "
Von Menschenresten hat Fraas nur die zerschmetterten Schädel von
3 Individuen gefunden. Aber er grub nicht weniger als 270 Feuer-
steinmesser aus, darunter 150 sehr wohl erhaltene, abgespaltete Stücke
bis zu 12 m Länge, jetzt eine Zierde des Stuttgarter Naturalienkabinetts.
<J5] Dfts Ries. Eine geographisch- volkswirtschaftliche Studie. 251
Von den Tierknochen trifft die Mehrzahl auf das Pferd (64°/o), von
welchem allein 1530 Zähne gefunden wurden, sodann auf die Höhlen-
hyäne (ll°/o) und das Nashorn (6,8 °/o), den Bären und Riesenhirsch
(je 2°/o), sowie auf das Mammut und Wisent (1,7 bezw. 1,6 °/o). Da-
gegen sind Ueberbleibsel von Wolf, ür, Esel, Ren und Schwein nur
in Spuren erhalten (je 0,2 °/o). Außerdem fand Kustos Munk aus Augs-
burg neuerdings noch 2 Oberkieferzahnfragmente des Höhlenlöwen,
die Herr Kreismedizinalrat Dr. Roger bestimmte.
Aber welch harmlosem Getier dient jener alte Hyänenhorst gegen-
wärtig! An seiner Wölbung hängen schlaftrunkene Fledermäuse, und
Schafherden oder vereinzelte kranke Tiere aus ihnen suchen hier Schutz
bei Sturm und Regenschauer.
Etwa 10 m höher als die Ofnet und kaum 15 m von ihr ent-
fernt befindet sich eine zweite, ungleich einfachere und kleinere Höhle
von der Form einer geräumigen Nische. Sie ist ungefähr 5 m tief,
3 m hoch, 4 m breit und besitzt eine derbwulstige Decke. Auch an
anderen Stellen zeigen sich in den Felsen des Himmelreichs flache
Eintief ungen : Gebilde chemischer Erosion im klüftereichen und sehr
ungleich harten Jurakalk.
Wie erwähnt, endet der Holheim-Schmähinger Höhenzug im Süden
mit dem Albuch. Er steht jedoch nur gegen Westen durch den
Häselberg mit ihm in einem unmittelbaren Zusammenhang; auf allen
übrigen Seiten ist er deutlich isoliert. Am jähesten stürzt der Berg
nach Norden ab, weniger steil nach Osten und Süden. Dagegen wurden
an diesen Seiten vom Wasser einzelne beträchtliche Runzeln in seinen
Körper genagt, deren letzte Ausläufer fast bis hinauf zur Gipfelfläche
ziehen. Auf Schmähingen und das Schönefeld zu zeigen die Hänge
mehrfach Reste alter Brustwehren in Form deutlicher Terrainstufen.
Die Flanken des Albuchs sind zum Teil Hut-, zum Teil Ackerland.
Kartoffel-, Klee-, Flachs- und Wickenfelder finden sich noch unmittel-
bar am Scheitel der Höhe. An 500 m breit, hebt sich die letztere als
sanftwellige Aufwölbung von der Hauptmasse des Berges ab. Dort
steht, von niedrig über den Rasen herausschauenden, bleichen Weiß-
jurafelsen und struppigem Wachholder umsäumt, das Denkmal zur Er-
innerung an das letzte blutige Ringen in der Schlacht bei Nördlingen,
eine vierkantige abgestumpfte Pyramide mit quadratischem Sockel und
der Aufschrift auf einer Metallplatte: „Auf dieser Höhe ward am
6. Dezember 1634 die denkwürdige und folgenreiche Schlacht bei Nörd-
lingen entschieden/
In Wirklichkeit war der Holheim-Schmähinger Höhenzug in seiner
ganzen Erstreckung vom Himmelreich und Lindle an bis zum Albuch
und Schönefeld Schauplatz des Kampfes, über welchen vor allem Oskar
Fraas in seinem Schriftchen „Die Nördlinger Schlacht" (Nördlingen 1869)
und ferner A. Steichele („Das Bistum Augsburg**, 3. Bd., S. 1041 ff.)
und G. Droysen („Biographie Herzog Bernhards von Weimar**, Leip-
zig 1885) eingehend geschrieben haben.
Es ist in diesem Zusammenhange nicht gerechtfertigt, den Ver-
lauf jener rein geschichtlichen Begebenheit zu verfolgen. Wir senden
vielmehr von ihrem Denkmal weg den Blick hinaus zum Südrande des
Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde. XII. 3. 17
252 Christian Gruber, [66
Rieses, dessen landschaftliche Eigenart in aller Anmut und Herbheit
gerade von hier aus besonders klar sich aufthut.
Nur um Bopfingen ist die Umrahmung unserer Landschaft ähn-
lich stark gegliedert. Wie sie dort durch den breiten Wiesengrund
der Egerthalung geöffnet wird, so hier durch den schmäleren Einriß
des Karthäuserthaies. Auch stumpfe, vielfach trocken liegende Sack-
thäler mangeln nicht, welche gleich kürzeren oder längeren Verzwei-
gungen von der Hauptfurche ausgehen und die waldigen Hochflächen
zerspalten. Und so ernst, enge und weltabgeschieden vor allem das
Karthäuserthal im eigentlichen Sinn von Christgarten aufwärts erscheint,
so freundlich breit und eindrucksvoll thut sich die mattenbelegte Rinne
des Retzenbaches von der Thalmühle weg auf, eine klare tektonische
und orographische Grenzlinie zwischen dem Holheim- Schmähinger Höhen-
zug und dem Riesrand.
Indessen sind die Bergformen hier weniger abwechslungsreich als
an der Eger bei Bopfingen und damit die Konturen der Landschaft
einseitiger. Derartig modellierte Höhen wie Flochberg und Ipf sucht
man vergebens. Allenthalben drängt sich der Eindruck auf, daß hier
nur die Erosion reliefbildend war, daß man eben doch nur einen
durch fließendes Wasser mehrfach zerteilten Plateaukörper vor sich hat.
Das erweisen der schroff niederbrechende Gänsen berg mit seinen beiden
kaum nennenswerten Aufwölbungen (539 m), die gleich jenem wald-
bestandene, auffallend regelmäßige Doppelkuppe des Altenbühls (521 m),
der langgedehnte Linden- und der massig plumpe Ochsenberg um
Nieder- und Hohenaltheim ebenso, wie der Jakobs- und der auf seiner
Ostseite undeutlich abgetreppte Kreuzberg (475 m) bei Ziswingen, sowie
endlich der Kleine Hühnerberg (511 m) mit seiner stark abgeböschten
Nordabdachung östlich von Kleinsorheim. Und auch die Staffage täuscht
hierüber nicht weg, welche die Trümmer der früheren Burgen des
Edelgeschlechtes von Hürnheim der Landschaft verleihen, obschon über
ihnen der Glanz einer uralten, vielbewegten Vergangenheit, der mächtige
Anreiz des Althistorischen liegt: Es ist das auf einem jähen, 551 m
hohen Hang im Wald auftauchende Gemäuer von Hochhaus und jen-
seits des beginnenden Karthäuserthals dasjenige von Niederhaus mit
seinem verwetterten Turmbau, welches einst über einer niedrigen, bauni-
freien Erhebung direkt auf blankem Jurafels errichtet wurde.
Auch der Rollerberg (497 m) bei Hoppingen ist vom Albuch aus
wohl erkennbar : jene rasige, vorwiegend aus Schwammkalk bestehende
Berghöhe mit ihrer allmählich verlaufenden West- und schroff zur
Wörnitz niedergehenden Ostflanke, über deren oberer Hälfte die ver-
wetterten Felsmassen des unteren weißen Juras kammartig ausgebrochen
hervorschauen.
Zwischen dem Rollerberg und der ihm gegenüber liegenden Wald-
höhe „Auf der Burg* (523 m) endet die eigentliche Rieslandschaft und
beginnt das Defil^ der Wörnitz durch den Jura. 26 km lang zieht es sich
bis unterhalb Wörnitzstein hin, begleitet von derbprofilierten, trift- und
feldreichen Weißjurahöhen. An seiner landschaftlich hervortretendsten
Stelle liegt bekanntlich Harburg, wo sich jähe, klüftige Felsmauern,
gekrönt von einem umfangreichen, äußerlich scheinbar wenig ruinösem
67]
Das Ries. Eine geographisch-volkswirtschaftliche Studie.
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254
Christian Gruber,
[68
Schloßbau, schattendunkle Waldh'änge und sonnenbeglänzte Fruchtfelder
und Mattenhöhen mit der dunkeln, traumhaft dahinschleichenden Wörnitz
und einer freundlich über der schmalbemessenen Thalsohle ansteigenden
Siedelung zu einem Bilde einen, wie es an den bayerischen Flüssen
nicht allzuoft wiederkehrt.
So unscheinbar der Eintritt der Wörnitz ins Ries bei Hainsfarth
erfolgt, wo sich ihr mit Ackerland, Wiesen und einem Flecken Wald
belegter westlicher Uferhang niedrig und mählich herabbeugt, während
Fig. 5.
Alerheimer Schloßberg mit Ruine.
H(li auf der Ostseite der Kirchenberg zwar steiler, aber vielfach schmal
gestuft und zwischen den Feldern mit Bruchstücken von Heckenzäunen
versehen emporwölbt — so auffallend und markant gestaltet sich ihr
Austritt aus unserer Landschaft, welche unbestritten den bedeutsamsten
und eigenartigsten Thalabschnitt während ihres ganzen Laufes von der
Frankenhöhe zur Donau darstellt.
f) Die Inselberge zwischen unterster Eger und Wörnitz.
Während den südlichen Teil des Westrieses zwei rückenförmig
ausgestreckte Höhenzüge erfüllen, zwischen denen das Schönefeld eine
breite Verbindung herstellt, erhält das zentrale Stück unserer Land-
schaft an der untersten Eger und der Wörnitz seine Skulptur durch
fünf typische Inselberge. Dieses auffallende Relief findet seine Er-
klärung einerseits in dem lückenhaften Auftauchen der krystallinischen
67]
Das Ries. Eine geographisch-volkswirtschaftliche Studie.
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256 Christian Gruber, [70
Gesteine, an welche, ähnlich wie am Wallerstein auch, die Sprudel-
kalkaufsätze der Lierheimer Höhe, des Lierheimer Hahnenbergs, Aler-
heimer Schloßbergs und Wennenbergs gebunden erscheinen, anderer-
seits in der starken Denudation, die im Gebiet der Vereinigung von
Wörnitz und Eger besonders intensiv wirken konnte. Sie trug auch
offenbar die Hülle von jüngerem Süßwasserkalk ab, welche einst den
schmalen granitischen Streifen überdeckte, der vom Spitzberg aus in
nördlicher Richtung bis zur Wörnitz bei der Wennenmühle zieht. Die
Höhe von Lierheim ist weniger von orographischer als geologischer
Bedeutung wegen des Vorkommens von Lithionitgranit und der un-
mittelbar daran anstehenden bunten Reibungsbreccie des Rieses. Die
Fig. 7.
Eingang ins Ries von Süden her und Rollerberg.
473 m hohe Heroldinger Kuppe aber steht im Bereich des Schwamm-
kalks und ihr mangelt das Fundament aus Urgestein. Die übrigen
Aufragungen dagegen bilden kleine Bergindividuen oder doch Hügel-
gestalten für sich und besitzen eine übereinstimmende geognostische
Struktur.
Der Hahnenberg erhebt sich so hart an der untersten Eger
(408 m) , daß ihre Wellen die Süd- und Westseite seines Fußes be-
spülen und dort einen wandartigen Abbruch erodiert haben. Trotz-
dem er bis 466 m aufstrebt, bildet er doch nur eine unscheinbare Flach-
kuppe, vor deren breitverwaschenen Flanken die relative Erhebung
zurücktreten muß. Sein Scheitel hat die Form einer niedrigen Schild-
wölbung; er ist ungefähr 200 m lang und 100 m breit. Am Stidwest-
rande desselben steht eine kleine Felspartie an, stark verwettert und
von hohem Gras um wuchert. Fast der ganze Berg ist Fruchtland;
71]
Das Ries. Eine geographisch-volkswirtschaftliche Studie.
257
doch ist allenthalben der Boden mit den Trümmern von Süß wasserkalk
dicht überstreut. Gen Westen sind die Flanken des Hahnenbergs deut-
lich vierfach abgetreppt. Auch auf den dem Spitzberg und der Schloß-
ruine Alerheim zugewandten Seiten findet sich hart unter der Gipfel-
höhe je eine offenbar durch Menschenhand hergestellte Doppelstufe.
Die obere von ihnen mißt 80 m in der Länge , und ihre größte Höhe
beträgt 2 m; die untere umschließt reifähnlich fast den gesamten
Inselberg und ist im Mittel 3 m hoch. Zwischen beiden schiebt sich
eine an der geräumigsten Stelle 7 — 8 m breite, platte Fläche ein.
Von dem ihm östlich benachbarten Spitzberg ist der Hahnen-
berg durch eine Einsattelung geschieden, welche bis 433 m herabreicht.
Fig. 8.
Harburg an der Wörnitz.
Ueber sie erhebt sich sonach der Spitzberg, dem 495 m Seehöhe zu-
kommen, ebenso hoch, als der Hahnenberg über den Egerspiegel. In
seinem Aussehen erinnert jener deutlich an die beiden südlichsten Er-
hebungen im Nördlinger Höhenzug. Auch er ist nur eine Bergruine,
und auch sein besonders nach Süden und Osten stark abgegrabener
Gipfel stellt bloß ein Fragment der ursprünglichen Erhebung dar.
Selbst am Adlerberg haben Pickel und Schaufel der Steinbrecher kein
so auffallend höckeriges Gehänge erzeugt, dem Antlitz des Berges kein
so gleichsam pockennarbiges Aussehen gegeben, als hier am Spitzberg.
1,2 km vom Spitzberg entfernt steigt der Alerheimer Schloß-
berg bis 457 m auf. Genau in der Mitte zwischen Hahnenberg und
Wennenberg und in gleicher Flucht mit ihnen von Nord-Nordost nach
Süd-Südwest gelegen, ist er nichts weiter als ein massiger Block aus
258 Christian Gruber, [72
jüngerem Süßwasserkalk auf einem sanft abgeböschten granitenen Sockel.
So formlos plump er aber auch als Hügelgestalt erscheint und so
wenig er an relativer Höhe mißt und orographisch bedeutet, so deut-
lich hebt sich derselbe mit seiner Burgruine aus dem wenig bewegten
Flachgebiete zwischen Wörnitz und Eger ab und so willkommen ist
er mit seinem Getrümmer als architektonische Staffage neben den
schmucklos breitgezogenen und unverhüllten Höhen seiner Nachbarschaft.
Die untere Hälfte desselben erhebt sich, wie bei allen Höhen des
Rieses, nur allmählich und dient als sehr ertragfähiges Ackerland bis
hart an die Ueberreste der Umfassungsmauer des einstigen Schlosses.
Trotzdem letztere vielfach zerfallen und zerstückelt ist, bildet sie doch
Fig. 9.
Wörnitzstein am Ausgang des Wörnitzdurchbruches.
das am besten erhaltene Fragment der Ruine: gegen Süden und Süd-
westen noch zinnengezackt, gegen Osten mit dem hoch und breit ge-
wölbten Doppelthor aus regelrecht gefügtem, vulkanischen Tuff, zwei
turmähnlichen Vorbauten mit Schießscharten und dem etwa 6 m tiefen,
nunmehr mit Obstbäumen bestandenen Burggraben, gegen Norden auf
Alerheim hin aber mit einer fast quadratischen Bastion. Nur an zwei
Stellen ist die Umfassungsmauer so tief herab zerbrochen worden, daß
man von außen her ungehindert über sie hinwegschreiten kann. Zwi-
schen ihr und den Mauerresten der Burg verläuft rundum ein Streifen
Ackerland, stellenweise mit Kirschbäumen besäumt. Den jähen Kalk-
felsen des Burghügels selbst aber, der hellgrau bis goldbraun gefärbt,
mehrmals in seiner ganzen Höhe zerspalten und vor allem gegen Süden
deutlich aufgeschlossen ist, überzieht eine dichte Grasnarbe, hier und
dort von Fliederbüschen überdeckt. Die oft über 2 m dicken, vorwiegend
aus Tuff und Stißwasserkalksteinen errichteten Trümmer der früheren
Burgbauten lehnen sich unmittelbar an den gewachsenen Felsen. Sie
sind auf der Thorseite, also nach Osten hin, am unversehrtesten.
Dort hat man auch mit Benutzung der alten Umfassungsmauer kleinere
73] Das Ries- Ein© geographisch-volkswirtschaftliche Studie. 259
Oekonomiegebäude aus ihnen hergestellt. Wie beherrschend und
keck sich die schon 1634 von kaiserlichen Völkern niedergebrannte
Feste über das Ries erhob, beweist der „Prospekt von dem ehe-
maligen Schloß Allerheim im Ries. Oder: Genauer Abriß, wie diese
Burg vor ihrer Zerstörung ausgesehen/ Oettingen, Lose 1758. (Die
Ansicht des Schlosses ist einem Dokument aus der ersten Hälfte des
17. Jahrhunderts nachgestochen). Heute aber steht ihr rauhes, zer-
bröckelndes Mauerwerk und der düstere Thorbogen in einem merk-
würdigen Gegensatze zu dem wohnlichen Bauerhaus innerhalb des alten
Burgfriedens, an dessen weißgetünchten Wänden und grünen Fenster-
läden Spalierbäume lustig ranken, und auch zu den wenigen Gebäuden
jenseits des Burggrabens.
Wer vom Alerheimer Burgberg aus der nördlichsten Höhe
zwischen Wörnitz und unterster Eger zuwandert, durchschreitet das
Schlachtfeld von 1645 seiner ganzen Breite nach und berührt das lang-
gezogene Dorf Alerheim, um welches damals Ströme von Blut sowohl
auf Seite der Franzosen, als auf jener der Bayern flössen. Es ist das
gleiche niedrig gewellte Gelände, wie es auch nördlich vom Spitzberg
und östlich der Burgruine Alerheim entgegentritt; nur daß sich statt
des altkrystallinischen Gesteins Ueberbleibsel von Süßwasserkalk-
ablagerungen unmittelbar im Osten vom Dorf Alerheim vorfinden. Die
außerordentlich kräftige Denudation hat also auch hier alle orographi-
schen Merkmale verwischt, welche eine gründlich verschiedene Gesteins-
beschaffenheit dem Bodenrelief tausendfältig anderwärts aufgedrückt hat.
Auch der Wennenberg ist eine stark verwaschene Berggestalt,
die sich bis 470 m aufreckt und am höchsten von der Wörnitz aus
erscheint, über deren Wasserfläche ihr Gipfel 64 m hoch ansteigt.
Die Umrisse des Wennenbergs erinnern im allgemeinen an diejenigen
des Lierheimer Hahnenbergs. Doch liegt jener nicht so offen da wie
dieser. Seine ungefähr 160 m lange und etwa 100 m breite, von
Süden nach Norden leicht ansteigende Scheitelfläche deckt eine Haube
aus Jungwald und an der Westflanke der Höhe überschattet eine Baum-
gruppe aus Linden, Roßkastanien und Pseudoakazien einen prächtig
gelegenen Bierkeller. Weiterhin ist der Wennenberg überaus deutlich
gestuft. Ihm ist nach allen Seiten hin ein ausgeprägt terrassiertes
Profil eigen, das Steingräberei und stellenweise auch alte Verschanzungen
hervorgerufen haben. Am vielfachsten ist die Abtreppung der Gehänge
gegen Norden, wo sich 5 Stufen von 2,5 — 8 m Höhe und 15 — 18 m
Breite übereinander aufbauen, und nach der Wörnitz hin, wo sich —
den sanft verlaufenden Bergfuss außer acht gelassen — 3 Treppen
zeigen, deren Höhe von 2 — 4 m und deren Breite zwischen 6 und 10 m
schwankt. Gegen Südosten wurde in den tuffähnlichen, mürben Schichten
des Süßwasserkalks eine unauffällige Höhlung künstlich ausgegraben.
Besonders kennzeichnend für den mit struppigen Büschen aus Weiß- und
Schwarzdorn viel bestandenen Wennenberg ist die etwa 8 m hohe Steil-
wand aus Gneis an seiner Nordflanke, welche das Liegende und Hang-
ende des dunkeln, kersantitähnlichen Wennenbergits ist.
260 Christian Gruber, [74
g) Der Goßheim-Bühler Höhenzug.
Wie sich die Riesniederung im Osten der Wörnitz durch ihre
Sandbedeckung und ihre überaus flache Skulptur von dem lößreichen
und stärker modellierten westlichen Teile augenfällig unterscheidet, so
auch durch ihre Armut an Höhenzügen. Sie besitzt nur einen Er-
hebungsstreifen, der 4 km lang von Goßheim bis Bühl streicht, keine
Aufschlüsse aus Urgestein und nur geringfügige Auflagerungen von
Süßwasserkalk zeigt, dagegen nach seiner Gesteinsbeschaffenheit eng
dem benachbarten Riesrande verwandt ist. In seinem östlichen Stücke
setzt er sich aus Breccienkalk des unteren und mittleren Malms, weiter
nach Westen aus vielfach in Steinbrüchen abgebautem Werkkalk zu-
sammen. Offenbar hat man hier einen, wenn auch stark ein-
gesunkenen und denudierten Ueberrest der einstigen Jura-
decke über dem nunmehrigen Ries vor sich.
Auch nach seinem Relief zerfällt der Goßheim-Bühler Höhenzug
in zwei grundverschiedene Hälften: im Osten steigt der Lehmberg an,
im Westen aber zieht sich eine klippenartig schmale und niedrige
Bodenwelle gegen die Wörnitzthalung hin, welcher die Hügel des
Bühler Hühnerberges, Leithenberges und Rotensteins zugehören.
Der Lehmberg besteht aus drei größeren, in einem rechten
Winkel angeordneten und über ihre Umgebung rasch aufsteigenden
Kuppen. Zwei derselben lagern sich in der Richtung von Ost nach
Westen gegenüber, die dritte und höchste steht samt einer kleinen
seitlichen Aufwölbung südlich davon. Sie erreicht 478,7 m und mißt
an relativer Höhe über der Angermühle bei Huisheim 46,7 m; der
nordöstliche Gipfel bleibt nur um 2 m hinter ihr zurück. Die Ver-
bindung zwischen den einzelnen Kuppen stellt ein lebhaft auf- und
niederwogender Rücken dar. Er sinkt bis 464 m herab und seine
stärkste Schartung liegt in unmittelbarer Höhe der größten Erhebung.
Auch in seinem landschaftlichen Aussehen kennzeichnet sich der
Lehmberg als jurassische Höhe. Im Osten und Süden besteht er
größtenteils aus offener Trift mit kurzer Rasennarbe ; die nach Westen
vorgeschobene Kuppe deckt bis hinauf zum Scheitel Laubwald; den
Fuß der Höhe indessen umsäumt Ackerland, das streifenweise auch den
gesamten Berghang einnimmt.
IV. Abschnitt.
Ein Blick auf die Gewässer und das Pflanzenleben des Rieses.
Der Charakter der Riesdepression als beckenartige Einsenkung
innerhalb des Deutschen Juras spiegelt sich deutlich in den hydro-
graphischen Verhältnissen wieder. Sie sind in der Hauptsache
von der topischen Veranlagung unserer Landschaft abhängig. Bei ihrer
Ausgestaltung haben im letzten Grunde sonach tektonische Ursachen
ungleich intensiver eingewirkt als die geognostische Struktur des Ries-
bodens, die erosiven Kräfte und die Verschiedenheit der Niederschlags-
menge längs des untersten Wörnitzlaufes zusammen.
75] Das Ries. Eine geographisch-volkswirtschaftliche Studie. 261
Leider entbehrt man für das Ries länger andauernde und zu-
verlässige meteorologische Aufzeichnungen. Es fehlt dem so bedeut-
samen Gebiete heute noch eine amtliche Beobachtungsstation, so daß
ich mich über die klimatischen Zustände desselben überhaupt aus-
schweigen muß, wenn ich nicht ältere Angaben wiederholen will, was
jedoch nicht in meiner Absicht gelegen ist.
Nach der ombrometrisch- hydrographischen Karte von Bayern
(München, 1885) ziehen die Kurven für 700 und 800 mm Nieder-
schlag parallel miteinander durch die gesamte Länge des Rieses. Im
Osten liegt das Hinterland des letzteren innerhalb der Isohyete für 650,
im Westen dagegen zum Teil innerhalb derjenigen für 850 mm. Doch
wird hierdurch ebensowenig eine stärkere Bewässerung der Rieshälfte
rechts von der Wörnitz bedingt, als etwa durch ihre Hülle von schwer-
durchlässigem Lehm und Löß im Vergleich zu den permeabeln Sand-
anhäufungen im Osten des Gebietes.
Die Wasseradern des Rieses verteilen sich nicht ein-
seitig, aber auch nicht radiär, wie Gümbel meint. Dieses ver-
bietet schon das Relief der Niederung, die sich durchaus nicht gleich-
mäßig von den Rändern her gegen die Mitte neigt (s. S. 235 [49]),
sondern innerhalb deren Bodenwellen der verschiedensten Länge, Höhe
und Richtung auf und nieder wogen.
Die Anordnung der Wasserläufe ist im Ries übrigens die
gleiche, wie im gesamten Einzugsgebiete der Wörnitz, das
sich in seinen Konturen mehr den südbayerischen Alpenflüssen, als den
Gewässern Nordbayerns verwandt zeigt. Aehnlich wie Hier-, Lech-
und Isargebiet zieht es lang und schmal gegen die Donau herab,
während die Rednitz z. B. eine fast zirkelrunde Einzugsfläche besitzt.
Gleich den Isohyeten verlaufen auch zweiB ander fließenden Wassers
nebeneinander durch das Ries von Norden nach Süden, der Haupt-
sammelkanal: die Wörnitz und ihr wichtigster Zufluß, die Mauch-
Eger. Die obere Hälfte der letzteren, welche östlich und nordöstlich
gerichtet ist, bleibt dabei freilich außer Betracht. Dadurch, daß die
Eger durch die Bodenschwelle zwischen Klosterzimmern und Holzkirchen
gezwungen ist, nach Süden auszubiegen, gewinnt die gleichmäßige Be-
wässerung der Landschaft wesentlich, und erst am Fuße des Roller-
berges bei der Egermtihle unfern Heroldingen erfolgt die Vereinigung
der Hauptadern des Rieses.
Ihnen kommen nun von beiden Seiten her eine ansehnliche Reihe
von Bächen und Gräben zu, welche sämtlich dem Rahmen oder doch
dem Hinterlande des Rieses entquellen, also aus dem Jura stammen.
Auch sie dokumentieren die Wasserfülle der angeschnittenen kalkigen
und thonigen Schichten des letzteren stellenweise in nicht geringerem
Maße, als etwa das Thal des Möhrenbaches bei Treuchtlingen oder die
Canons der Fränkischen Schweiz. Ihre geographische Bedeutung beruht
hauptsächlich darin, daß sie die Gliederung des flachen Rieses erleich-
tern ; deshalb wurden auch die wichtigsten derselben bei der Betrachtung
seiner Bodenmodellierung bereits erwähnt.
Die Wörnitz erhält ihre Zuflüsse, wie es die topischen Verhältnisse
fordern, fast ausschließlich von Osten her. Es sind Gänsgraben, Fieber-
262 Christian Gruber, [76
graben, Rohrach, Dosbach und Schwalb mit Argeisbach. Von Westen
her empfängt dieselbe nur den Schaffhauser Graben, Belzheimer Mühl-
bach, Grimmgraben, sowie den kurzen Faul- und Lohgraben. Der Eger
indes sind ihre Seitengewässer fast ausschließlich von Westen her tributär.
Im Rieshinterlande bei Bopfingen mündet in sie die Sechta und weiter
östlich der Utzmemminger Rohrbach , in der Riesniederung die in der
Nähe von Fremdingen entspringende Mauch mit dem Arenbach, der
Birkenhauser Graben, der Goldbach mit dem Ehringer Goldbachgraben,
der südlich von Enkingen gegenüber dem Lierheimer Hahnenberg aus-
laufende Wasserfaden, die über der Thalmühle bei Ederheim als Rezen-
bach entquellende Ader, welche, nachdem sie den Karthäuserbach auf-
genommen, im Unterlaufe den Namen Forellenbach trägt, und zuletzt
der Bautenbach, der sich bei Hohen- und Niederaltbeim sammelt*
Die beiden Flüsse des Rieses tragen eine Reihe gemeinsamer
Merkmale an sich. Graugrün ist die Färbung ihres Wassers, träu-
merisch schleichend und mäanderisch viel gewunden ihr Lauf, niedrig
ihr mit Schilf, Acorus calamus und Senecio paludosus bestandenes Ufer,
wiesenbesäumt ihr breiter Grund. Das Bett derselben zeigt einen steten
Wechsel von manchmal 5 — 8 m tiefen Auskolkungen, sogen. Gumpen,
mit seichteren, durchwatbaren Strecken. Auch ist ihr Wasserspiegel
bald bis auf 60 m weiherartig breit ausgezogen, bald bandförmig schmal
verengt, letzteres vor allem im südlichen Riese; dagegen finden sich
dort ausgedehnte Altwasser, vor allem zwischen Fessenheim und Bühl
an der Wörnitz. Wie nach der Tiefe sind Wörnitz und Eger
sonach auch nach der Breite launisch wechselnd. So gering
ist ferner das Gefälle der ersteren, daß sich ihr Spiegel während des
gesamten Laufes durch unsere Landschaft nur 12 m neigt. Und während
die Eger auf der kurzen Strecke zwischen Oberdorf bei Bopfingen und
Nähermemmingen am Riesrande um volle 20 m sinkt, bemißt sich ihr
Gefälle innerhalb ihres dreimal längeren Laufes durch die Riesniederung
nur auf 30 m. Daher schleichen denn diese Flüsse auch lautlos dahin wie
die Wolkenschatten über die Wiesenebenen um sie her. An der Wörnitz
bemerkt man häufig erst bei aufmerksamerem Zusehen die Richtung
des Fliefiens, und Südwinde treiben die scheinbar stagnierende Wasser-
oberfläche direkt thalaufwärts. Die von mir an diesem Flusse an-
gestellten Messungen ergaben, daß er bei hohem Wasserstand und
günstiger Windrichtung am Eingang ins Ries zur Zurücklegung von
1000 m 33 Minuten nötig hat. Ein Wasserteilchen an der Oberfläche der
Wörnitz braucht sonach etwa 20 Stunden, um durch die Riesniederung
zu treiben; ein alpiner Fluß der oberdeutschen Hochebene hätte dazu
unter den gleichen Voraussetzungen nur etwa 5 x\% Stunden nötig. Das
unbedeutende Gefalle, die daraus resultierende sehr geringe Geschwindig-
keit, die im Durchschnitt außerordentlich niedrige Uferhöhe und die
zahlreichen Seitengewässer der Wörnitz sind auch der Grund , warum
im Riese bei stärkeren und anhaltenderen Regen, sowie zur Zeit der
Schneeschmelze und des Eisganges Inudationen von großer Ausdehnung
eine gewöhnliche Erscheinung sind. Nicht nur, daß der Flußschlauch
viel zu enge ist, um die anströmenden Wassermengen zu fassen, sie
können auch nicht rasch genug zur Abfuhr gelangen. Und so ist
771 Das Ries. Eine geographisch- volkswirtschaftliche Studie. 263
denn die Wörnitz- und auch die Egerniederung zu niederschlagsreichen
Zeiten gar oft weithin überschwemmt und auch in trockenen Perioden
zum Nutzen des Wieswachses an Grundwasser ungewöhnlich reich.
Frickhinger und Schnitzlein *) haben schon vor einem halben Jahr-
hundert darauf hingewiesen t daß das Ries neben einem dichten Netz
von Wasseradern auch mit zahlreichen Quellen an seiner Um-
rahmung und mit einigen Hungerbrunnen ausgestattet ist. Von
letzteren gehören nun allerdings, soviel ich zu erkunden vermochte,
nur zwei der eigentlichen Riesniederung an; der eine von ihnen liegt
hart hinter Huisheim, der andere in dem fruchtbaren Grunde zwischen
Goßheim und Huisheim.
An Bedeutung erreichen sie auch keineswegs den Brunnen des
Egerursprungs (vgl. S. 230 [44]) und die kräftigen Quellen des Kar-
thäuserthales und seiner Nachbarschaft — oder auch die einem tek-
tonisch vielgestörten Gebiete zugehörige Quellengruppe bei Polsing und
jene im oberen Gebiet der Schwalb. Letztere entfließt dem diluvialen
Quarzsand über den Juraschichten, zählt zu den aufsteigenden Quellen,
verstärkt einen munter dahineilenden Bach, der Mühlwerk um Mühlwerk
treibt und nährt ferner einen schattenvoll bei der Schwalbmühle im
Schilf versteckten Teich. Ihre Temperatur liegt wenig über dem
Jahresmittel von Nördlingen (8,7° C.?), schwankt nur innerhalb un-
bedeutender Grenzen und kommt auch annähernd dem Wasser der
alten Pumpbrunnen in der ebengenannten Stadt 2), sowie dem die Thal-
mühle bei Ederheim treibenden Bach zu.
Die drei bekanntesten Mineralquellen des Rieses liegen sämt-
lich in seiner Niederung, und zwar in der zentralen Zone derselben. Sie
sind im Maximum 20 km voneinander entfernt, entquellen den tertiären
Braunkohlenlagern im Riesuntergrund und verdanken ihre wesentlichsten
Bestandteile der Zersetzung des Schwefelkieses, welcher in die Braun-
kohlenflöze eingesprengt ist.
Die Heilwirkung derselben ist schon seit Jahrhunderten bekannt
und es hat sich eine kleine balneographische Litteratur über sie auf-
gesammelt, aus welcher die folgenden Schriften erwähnt werden sollen :
Er au 8, Joh. Quirin, Mineralogia Hidromatica Wemdingensis. Oettingen 1686.
Jaser, Joh. Ant., Thermologia Wemdingana. Ellwangen 1737.
Woltber, J. A. de, Oblectamentum Phisico-medicum ad taedii Levamentum . . .
Oettingen 1743. In der Vorrede ist auch das Wasser von Klösterzimmern
gewürdigt.
Hierl, G. J. A., Thermographia Triplicis Fontis Medicati Wemdingani. Nörd-
lingen 1752. %
Schnitzlein, K. F., Das Wildbad bei Wemdingen. Nördlingen 1830.
Gutbier, Das Schwefelbad Wemding. München 1873.
Seh och, J., Das Wildbad Wemding.
Trillich, H., Chemische Untersuchung der Schwefelquellen des Bades Wemding.
München 1887.
v) Die Vegetationsverhältnisse der Jura- und Keuperformation in den Fluß-
gebieten der Wörnitz und Altmühl. Nördlingen 1848, S. 22 ff.
*) Ihre chemische Beschaffenheit beschrieb Hermann Frickhinger im
ärztlichen Intelligenzblatt, Münchener medizinische Wochenchrift, 1884, S. 36.
264 Christian Gruber, [78
Wencker, Christian und Stang, Daniel Fr., Kurze Beschreibung des
St. Johannis Bads Wohllöbl. Reichsfreyer Stadt Nördlingen zugehörig.
II. Aufl. Nördlingen 1761.
Frickhinger, Albert, Chemische Analyse des Wassers vom Johannisbade bei
Nördlingen. Nördlingen 1841.
Durch die zuletzt genannte Arbeit fand Frickhinger, daß die
Temperatur des Johannisbader Wassers zwischen 3,75 und 11 °C.
in der Art schwankt, daß es der Steigerung der Luftwärme nur träge
und allmählich nachfolgt. Das spezifische Gewicht desselben beträgt
1,001, Sein Geschmack ist schwach herb, im übrigen nicht un-
angenehm. Es ist ein eisenhaltiger, alkalisch-salinischer Brunnen und
16 Unzen desselben enthielten nach Frickhingers Untersuchungen:
schwefelsaures Natron 0,224 g
Chlornatrium 0,102 ,
kohlensaures Natron 0,087 ,
„ Magnesia 0,674 „
kohlensaurer Kalk 2,225 „
kohlensaures Eisenoxydul 0,117 „
„ Manganoxydul .... 0,009 „
Kieselsäure 1,095 n
Das den Wemdinger Quellen ähnliche schwefelhaltige Wasser
zu Klosterzimmern gab am Beginn des 18. Jahrhunderts Anlaß zur
Errichtung eines glänzenden Bades durch den Fürsten Albrecht Ernst II.
von Oettingen-Oettingen1). Eine Reihe von hochadeliger Familien hielt
dort fröhlichen Sommeraufenthalt, zumal nachdem herrliche Garten-
anlagen und eine Fasanerie in dem stillen Riesdörf lein , wo übrigens
auch längere Zeit eine bedeutende Kattunfabrik bestand, errichtet
worden waren. Nach dem Tode Albrecht Ernsts aber wurde das
Badehaus in eine Kaserne verwandelt, die berühmten Glashäuser
wurden eingelegt und der Brunnen ohne Bedachung gelassen. Mit dem
äußeren Glanz scheint auch der Glaube an die Kraft des Wassers
verloren gegangen zu sein; denn gegenwärtig wird seiner kaum mehr
gedacht.
Ungleich lebenskräftiger haben sich die 3 Wemdinger Quellen
erwiesen 2). Ihr Wasser ist frischgeschöpft krystallhell, perlt etwas, und
seine Temperatur schwankt während des Jahres nur zwischen 6 und
10° C. Bei längerem Stehen oder beim Kochen scheidet dasselbe sehr
fein verteilten Schwefel und Kalk aus.
Die Wemdinger Quellen wurden 1829 von A. Vogel, 1872 von
G. Wittstein, später durch Gutbier und im Jahre 1887 durch H. Tril-
lich analysiert. Nach der neuesten eingehenden Untersuchung haben
dieselben eine in qualitativer und quantitativer Hinsicht ziemlich gleiche
*) Das Ries, wie es war und wie es ist. X. Heft, S. 42.
2) Vgl. Das Wild- und Schwefelbad Wemding nebst einem Krankenbericht
über die Jahre 1887—1899, von Dr. Klein.
79] Da« Ries. Eine geographisch-volkswirtschaftliche Studie. 265
Zusammensetzung, sind aber in ihrem Gehalt an Schwefelwasserstoff
etwas verschieden. In 1000 g Wasser sind enthalten:
Gramm
Baryumsulfat 0,00145 '
Calciumsulfat 0,32098
Kaliumchlorid 0,01022
Kaliumsilikat 0,02644
Natriumsilikat 0,00815
Natriumkarbonat 0,00784
Lithiumkarbonat 0,00235
Ammonkarbonat 0,00192
Aluminiumphosphat 0,00109
Calciumphosphat 0,00267
Calciumbikarbonat 0,12063
Magnesiumbikarbonat 0,33135
Eisenoxydulbikarbonat 0,00447
Manganoxydulbikarbonat 0,00044
Jod 0,00002
Wasserlösliche organische Substanzen 0,00277
Alkohollösliche „ „ 0,02424
Der Besuch des Wemdinger Wildbads ist in ununterbrochener
Steigerung begriffen. 1898 fanden dort 240 Badegäste Heilung und
Erholung.
* *
*
Warum die wildwachsende Vegetation der Riesniederung nicht
ihrer bunten Ausstattung mit Gesteinen der mannigfaltigsten Art,
sowie ihrem Reichtum an Wasseradern und an Grundgewässer ent-
sprechen kann, ist unschwer nachzuweisen. Pflug und Dünger, die ge-
fährlichsten Gegner jedes ursprünglichen Pflanzenlebens, wirken hier dem
letzteren seit Jahrtausenden entgegen. Die Flachgebiete unserer Land-
schaft sind zu gründlich kultiviert, als dag sie dem Botaniker eine
große Ausbeute gewähren könnten. Man vermag über sie stundenlang
zu wandern, ohne auf den Schatten eines vereinzelten Baumes, Busches
oder eines Heckenzaunes zu treffen, unter dem sich die Wildlinge der
Flora zu erhalten vermöchten. Der Ackerboden ist zu kostbar und
zu ergiebig, als daß man ihn jenen überlassen könnte.
Und doch trägt auch die Vegetation des Rieses zu dessen geo-
graphischer Individualität nicht unwesentlich bei. Seine Wal dar mut *)
steht in einem auffallenden Gegensatze zu den meilenbreiten Hoch-
forsten an der Umrahmung und auf dem Hinterlande des Gebietes.
Ferner ist für das Ries ein auffallender Gegensatz der Pflanzen-
welt in seiner lößüberzogenen West- und seiner sand-
erfüllten Osthälfte kennzeichnend. Er vermag um so stärker
hervorzutreten, als das östliche Ries kräftiger bewässert wird, infolge-
*) Ueber die geringen Waldbestände im flachen Riese siehe die Tabelle
S. 277 u. 278 [91 u. 92].
266 Christian Gruber, Das Ries. Eine geographisch-volkswirtschaftl. Studie. [80
dessen auch mehr versumpfte und überschwemmte Stellen und zugleich
umfassendere Waldbestände besitzt, als das westliche. Allenthalben
wird man hier gewahr, daß man sich im Gebiete der Hauptwasserader
der Landschaft, der Wörnitz, befindet und daß die nahe derselben ge-
legene Umrahmung quellenreicher ist, als viele der Jurahänge drüber im
Westen an der württembergischen Grenze. Hier im weiten Gebiete
des Quarzsandes und der Pseudodünen ist der Getreidebau zwar mager,
der Wieswachs aber um so kräftiger. Da gedeihen mitten in dem
vom Jura umschlossenen Flachlande zahlreiche Pflanzen, welche sonst
für die Sandstriche des Keupers charakteristisch sind, und die das
verbindende Glied zwischen der oberdeutschen und der nördlicheren
Keupersumpfflora darstellen. Ihre hervorragendsten Repräsentanten hat
A. Frickhinger sorgfältig im XIV. Bericht des Naturhistorischen Vereins
in Augsburg (1861, S. 21 — 41) aufgezählt. Im Nonnenholz zwischen
Fesenheim und Laub wuchern fernerhin Sphagnumpolster, und am
Riedgraben zwischen Wemding, Laub und Holzkirchen fand der gleiche
Forscher moorähnliche Bildungen mit einer Vegetation, welche teils
dem hohen Norden, teils den Alpen angehört, wie Pedicularis
sceptrum Carolinum, Iris sibirica, Primula farinosa, Salix repens, Salix
nigricans Fries., Vaccinium oxycoccos und uliginosum, Gentiana utri-
culosa, Polemonium coeruleum, Centaurea austriaca, Tofieldia calyculata
und viele Riedgräser. Seltsamerweise gehören dem Ostriese aber auch
Pflanzen an, welche an eine südliche Klimazone gemahnen, so:
Echinops sphaerocephalus , Chrysocoma linosyris, Aster amellus, Rosa
cinnamomea, Euphorbia amygdaloides , Asperula galioides, Teucrium
montanum, Centaurea maculosa u. s. w. Die alpinen und nordischen
Formen des Rieses stören die Kombinationen über Vegetationslinien
nicht so erheblich, wie A. Schnitzlein glaubt1). Gerade Vertreter der
Hochgebirgsflora konnten durch das Defile' der Wörnitz leicht ihren
Weg von Südbayern aus gegen das Ries hin nehmen und fanden hier
in den feuchtkalten, oft und lange überschwemmten Lagen am Ried-
graben ähnliche Voraussetzungen für eine gedeihliche Ansiedelung, wie
auf den Hoch- und Quellmooren des Alpenvorlandes.
Von anderen, dem Riese eigentümlichen Pflanzen ver-
dienen noch kurze Erwähnung : Villarsia (Menyanthes) nymphoides und
Senecio paludosus, Euphorbia virgata (auf den granitischen Höhen süd-
lich hinter Nördlingen), Atriplex rosea (am Fuß des Wallersteiner
Felsens) und Diptamus fraxinella (»Auf der Burg* oberhalb Herol-
dingens).
l) Bavaria, III. Bd., 2. Abtig., S. 838.
IV. Teil.
Das Rieser Volk und seine Siedelnngen.
Die frühesten Spuren der Besiedelung des Rieses reichen,
wie die Funde in der Ofnet erweisen (s. S. 248 [62]), beträchtlich tief
in die Diluvialperiode hinein. Es sind Ueberreste einer außerordent-
lich ärmlichen Troglodytenkultur aus einer Zeit, wo die Riesniederung
noch größtenteils eine mächtige Sumpflandschaft darstellte, der Mensch
mit Mammut und Nashorn, Moorhirsch und Wisent, dem Höhlenbären
und der Höhlenhyäne, dem Ren und wilden Pferde gleichzeitig hauste
und diese Tiere mit Waffen aus Stein und Bein jagte. Man darf
wohl annehmen, daß seitdem die Ansiedelungen im Riese, mochten
sie auch noch so lückenhaft und unstet sein, ununterbrochen fort-
dauerten.
Nach den Höhlen boten die breiten Plateauscheitel der Einzel-
hebungen des Rieses, wie vor allem die Abgrabungen am Goldberg
bezeugen, Zufluchts- und religiöse Verehrungsstätten. Doch
mangeln der auf ihnen gefundenen Kulturschicht bereits die Reste des
nordischen Elefanten, des Riesenhirsches, Bisons und Rentieres. Hin-
gegen finden sich neben Steinmeißeln und Feuersteinsplittern, ge-
schärften Knochen und gespitzten Geweihenden nunmehr bereits Mengen
von Scherben roher Thongefäße und auch Spinnwirtel, die auf eine
ruhige Beschäftigung in den menschlichen Wohnstätten hinweisen
(vgl. Weiteres hierüber in den Schriften des Württembergischen Alter-
tumsvereins, Bd. 2 ff.). Doch auch in der Riesniederung selbst wurden
nach Ohlenschlagers Prähistorische Karte von Bayern, Blatt Ans-
bach, Steinfunde gemacht, so im Süden von Oettingen, bei Maihingen,
östlich von Munningen, westlich von Nördlingen und bei Alerheim;
Gegenstände aus Bronze aber grub man gleichfalls bei Oettingen und
Maihingen, einem Grabhügel südlich von Beizheim und endlich west-
lich von Kleinerdlingen aus.
Im übrigen ist Näheres über die Urbewohner des Rieses bis zur
keltischen Einwanderung ums Jahr 400 nicht bekannt. Die Kelten
(Vindelicier) aber wurden gleich ihren südlichen Nachbarn, den Rätiern,
bekanntlich unter Kaiser Augustus von den Römern nach kurzem, aber
blutigem Ringen unterworfen. Der Rest des Volkes mischte sich, wie
Baumann in einem gedankenreichen Vortrage „Ueber die Bevölkerung
Forschungen zur deutschen Landes- and Volkskunde. XII. 3. 13
268 Christian Gruber, [82
des bayerischen Schwabens in ihrer geschichtlichen Aufeinanderfolge* *)
darlegt, mit einem massenhaften Zuzug von Romanen. So entstand
in der aus rätischen und vindelicischen Gebieten neueingerichteten
Provinz R'ätia ein Misch volk mit lateinischer Sprache und römischer
Gesittung. Nur einzelne Fluß- und Bachbezeichnungen gemahnen im
Ries noch an die keltische Vorzeit, so Wörnitz (Warinza), Eger (Agira),
Sechta (Sequada), Kessel (Kassula)2). Es wurden also auch hier, wie
vielfach anderswo, die Namen der Hauptgewässer von den später zu-
gewanderten Völkern aus dem Wortschatze der früheren Bewohner
übernommen.
Ueber die Spuren aus der Römerzeit im Ries und das Stück
des Straßenzuges, welches nach der Tabula Peutingeriana unser Gebiet
durchschnitten hat, ist ein ausgiebiges Schrifttum vorhanden, an dem
bayerische und wtirttembergische Gelehrte gleichmäßig Anteil haben. Be-
reits W. Freiherr Löffelholz von Colberg hat es in seinen Oettingana (S. XXX
bis XXXII) zusammengestellt. Auch suchte man durch Aufnahme der
vorgeschichtlichen Fundreste in das Nördlinger Stadtmuseum und durch
Schaffung einer Abteilung für archäologische Funde bei den Kunst- und
wissenschaftlichen Sammlungen zu Maihingen der Prähistorie gerecht
zu werden. Unentbehrliche Fingerzeige über das einschlägige For-
schungsmaterial enthält außerdem F. Ohlenschlagers „Verzeichnis der
Funde zur prähistorischen Karte Bayerns* (München 1875, I. Teil,
S. 71 ff. — Vgl. auch den Katalog der Ausstellung vorgeschichtlicher
und anthropologischer Funde Deutschlands in Berlin 1880, S. 70 und
Supplement S. LI1I).
Trotz des Schutzes, welchen der Limes Rätien gewähren sollte,
verheerten schon seit dem 2. Jahrhundert nach Christus germanische
Stämme diese Provinz: Chatten, Hermunduren und sodann Alemannen.
Zu welcher Zeit die räto- romanische Bevölkerung des äußersten Rä-
tiens ihre Nationalität verlor und unter den Alemannen (Schwaben)8)
aufging, ist nicht sicherzustellen. Doch kann angenommen werden,
daß letztere bereits in der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts die nörd-
lich der Donau gelegenen römischen Gebiete besiedelten, also auch
das Ries. Nach ihrer neuen Heimat nannten sie sich geradezu Raeto-
varii: Mannen aus Rätien. Die vielen Ortsnamen auf ingen, welche
nach einem treffenden Ausspruch Christian Mayers in die Namenkarte
unseres Gebietes eine bedauerliche Eintönigkeit bringen, erweisen mit
Sicherheit, daß die Raetovarii in geschlossenen Sippen von der
neuen Heimat Besitz ergriffen. Weiterhin haben auch die Siede-
lungsnamen mit den Grundformen weiler (etwa 10) und hofen aleman-
nischen Charakter.
Neben ihnen trägt nun freilich mehr als ein Fünftel aller Orts-
bezeichnungen im Ries die entschieden fränkischen Suffixe heim —
') Beiträge zur Anthropologie und Urgeschichte Bayerns, 12. Bd., 1898.
2) Näheres hierüber siehe in Chr. Mayers sehr lehrreicher Abhandlung:
Ueber die Ortsnamen im Ries. Programm zum Jahresbericht der königl. Real-
schule Nördlingen, 1886/87, S. 19—21.
3) Ueber die Einheit der Schwaben und Alemannen vgl. Baumanns
schon erwähnten Vortrag, S. 116—124.
83] Das Ries. Eine geographisch- volkswirtschaftliche Studie. 269
hauptsächlich im Süden der Landschaft — und hausen. Es haben
sonach auch fränkische Siedler bei der eigentlich deutschen Ortsgrtindung
von 0 und SO her wesentlichen Anteil genommen. Jene ist vom 4. und
5. bis 8. Jahrhundert vor sich gegangen, einem Zeitraum, der zugleich,
was gerade die fränkischen Endsilben in den Ortsnamen andeuten, den
Uebergang von unstet wechselvollen Wohnplätzen zur festen Hausanlage,
vom halbnomadischen Leben zum seßhaften Ackerbau bei den germanischen
Völkern kennzeichnet l). Und wie Franken bei der deutschen Besiede-
lung unseres Gebietes ansehnlich beteiligt waren , so geht auch heute
noch ein Hauch fränkischer Art über den Rieser. Und keines-
wegs zu seinem Schaden, wie Melchior Meyr, immer noch der fein-
sinnigste Kenner seiner Landsleute, so unübertrefflich geschildert hat.
„Denn hierdurch paart sich mit der dem Schwaben eigenen Innerlich-
keit und Tiefe, dem Ftirsichsein, seinem Zornmut und seiner Starr-
köpfigkeit des Franken heitere und gesellige Natur, seine Leichtigkeit
und unmittelbare Gewandtheit. — Aber auch sonst ist das Rieser Volks-
tum reich an Gegensätzen und Abstufungen. Seine östlichen Grenz-
dörfer haben ein durchaus fränkisches Gepräge, in den zu Württem-
berg gehörigen Ortschaften hingegen ist ein anders eingerichtetes
Gemeindeleben nicht ohne Einfluß auf die Landbevölkerung geblieben.
Katholiken und Protestanten, von der freiesten bis zur orthodox strengsten
Ueberzeugung, wohnen bunt und duldsam durcheinander, einzelne Orte
sind auch paritätisch. Israeliten finden sich an den verschiedensten Orten
zerstreut, und wieder in anderen aus geschichtlichen Gründen auffallend
konzentriert, so in Wallerstein und Hainsfarth. Dazu kommen noch
die Nachkommen der früheren ,Freileute4 auf dem Flochberg, wegen
ihres zigeunerhaften Wesens und ihrer Vorliebe für Katzen-, Hunde-
und Pferdefleisch auch heute noch bis hinein nach Mittelfranken be-
rüchtigt. Endlich sind die Leute, welche auf der waldernsten Um-
rahmung des Rieses sitzen, in einigen Dingen anders als jene, welche
das eigentliche Fruchtland der Ebene bewohnen. Man hält sie für
stiller, für schlichter, weniger prunkend und weniger reinlich als den
wohlhabenden Mittelrieser. tt
Wie die Rieslandschaft keine auffallend hervorstechenden Züge
an sich trägt, so auch das Wesen ihrer Bewohner. Die Lebens-
führung derselben hat mich öfters schon an ein Urteil erinnert, das
einmal Kriegk in seinen Schriften zur allgemeinen Erdkunde (S. 303)
über den Charakter der Schwaben und Franken überhaupt fällt: Sie
sind heiter ohne Lustigkeit, ernst ohne Finsterheit, regsam und thätig
ohne Feuer und lebhafte Beweglichkeit, fleißig ohne Ueberbietung der
Kräfte, genügsam in ihren Genüssen, derb ohne Uebermut, stabil in
Gesinnung und äußerer Lebensweise, sittsam aus Gewohnheit und von
einer rein gemütlichen Religiosität.
Der Rieser Bauer und Söldner lebt ein eng umschlossenes Leben
voll Emsigkeit, sparsamen Betriebs und häufig wohl auch herber Ent-
*) Daß die Fruchtbarkeit des Rieses schon zu früher Zeit gründlich aus-
genützt wurde, mag unter anderem die Thatsache lehren, daß während des Mittel-
alters nicht weniger als 130 adelige Geschlechter in demselben lebten, die freilich
fast alle Öttingische Vasallen waren.
270 Christian Gruber, [84
sagung. Er ist klug im Kreise seiner Traditionen, Anschauungen und
Meinungen. Ihm ist die Gabe eigen, mit wenigem sich zu begnügen,
mit solider Behaglichkeit zu leben, muntere Schalkhaftigkeit und sinnig
derbe Sangesfreude zu pflegen. Mit der Natur und allen Vorgängen,
welche sein Wirtschaftsleben beeinflussen, steht er in einem engeren
Zusammenhange, als mit den wogenden sozialen und politischen Ver-
hältnissen im weiten Vaterlande, obwohl er auch ihnen, besonders in
den Monaten der winterlichen Ruhe, seine Aufmerksamkeit nicht ver-
sagt. Auch vom Handelsgeist der Schwaben hat er sein Teil tiber-
kommen. Bei allem Festhalten am Alten schreitet der Rieser doch rüstig
vorwärts. Er arbeitet und sorgt zwar im ähnlichen Sinne wie Vater
und Ahne, denn er hat den gleichen Naturbedingungen zu gehorchen
wie jene. Aber er weiß die Verhältnisse besser auszunützen, auf die
Forderungen der Zeit mehr zu achten, und er schafft vielfach mit an-
deren Hilfsmitteln, wie ein Blick auf die allenthalben im Ries an-
gewandten, modernen landwirtschaftlichen Geräte dartaut. Und zugleich
gestaltet er sein Leben angenehmer; er hat für die verwischten alten
Bräuche Kenntnisse eingetauscht, weiß freundlicher zu wohnen, bei
Besuch der nahegelegenen Städte genußreicher zu leben und kleidet
sich auch modischer als seine Ahnen1).
Doch hat gerade die Tracht im Riese noch manches Altertüm-
liche und Praktische an sich. Vor allem begegnet man in gewissem
Sinne beim Landvolke einer allgemeinen Arbeitstracht. Zu ihr
gehören statt der Joppe oder des Kittels ein blaues Arbeitshemd, ge-
wöhnlich aus kräftigem Baumwollenstoff, am Halsring, den Achseln und
Manschetten weiß oder rot ausgenäht ; ferner enge, lederne, unter dem
Knie zusammengebundene Hosen, schwarze oder lichte Wollstrümpfe,
Knöchelschuhe, mit Lederriemen gebunden, die zugleich ausgezackte und
durchlochte Lederlappen als Schmuck des Schuhwerks festhalten — oder
lange, zum Teil über die Oberschenkel heraufgezogene Stiefel ; endlich
eine schmucklose, dunkle Hausmütze mit flachem, rundem Boden und
langer Quaste.
Ganz anders sieht die alte Staatstracht der Rieser aus, die
hier durchaus noch nicht in dem ausgiebigen Maße verschwunden ist,
wie in vielen Gegenden Mittelfrankens. Sie wurde neuerdings von
Heinrich Leher eingehend und sachgetreu geschildert, und seiner Zu-
vorkommenheit verdanke ich auch die beiden Bilder hierüber. Diese lassen
vor allem erkennen, daß sich Katholiken (Fig. 10, S. 272 [86]) und
Protestanten (Fig. 11, S. 273 [87]) im Riese auch durch ihre Tracht
unterscheiden. Das Sonntagskleid der ersteren ist wesentlich farbiger
und lichter verziert als jenes der letzteren, das dunkle Stoffe und be-
sonders bei den Männern eine fast puritanische Einfachheit zeigt.
Ucber die Staatstracht der Katholiken im einzelnen sagt der vorhin ge-
nannte Gewährsmann: Der beliebteste weibliche Kopfschmuck ist die bekannte
Reginahaube. Sie gewährt der Trägerin ein stattliches Aussehen. Nach hinten
fallen große, 80 cm lange, 20 cm breite Moireebänder mit Chenillefransen ; zwei
*) Leider können wir über die körperliche Veranlagung der Rieser,
wie sie sich z. B. aus den militärischen Aushebungslisten ergiebt, hier nichts Authen-
tisches mitteilen.
85] DaB Ries. Eine geographisch-volkswirtschaftliche Studie. 271
etwas kürzere Bänder gehen vorne herab, während zwei kleinere Bändchen zur
Befestigung der Haube unter dem Kinn dienen. Die pfauenradartig ausgebreitete
Scheibe, welche auf der schwarzen Haube sitzt, ist von Gold ; weiße Perlen bilden
die Randeinfassung. In dem Goldgrunde ruht eine sich 3mal wiederholende Reihe
von amethystähnlichen schillernden Steinen, welche dann wieder mit Perlen um-
faßt sind. In der obersten Reihe stehen 8, in der mittleren und in der letzten
4 solcher Steine. Wir erblicken außerdem eine andere ältere, mehr spezifisch riese-
rische Form der Spitzenhauben. An das althergebrachte Häubchen schließen sich
leierförmiee Seitenflügel. Die Zahl der Moireebänder bleibt die gleiche. Das hinten
am Häubchen befindliche „Bödele" kann durch Herausnehmen gewechselt werden;
es ist gewöhnlich aus Goldstoff, der bei Trauer durch Schwarz oder Blau ersetzt wird.
Das Jäckchen, welches die Rieserinnen „Kittle" nennen, ist von braunem
oder blauem Stoff; seine Aermel sind gefältelt, gepufft, an der Achsel und am
Oberarm stark wattiert, vorn eng und mit hübscher Posamentierarbeit ausgeputzt.
Der Rock ist in Farbe und Stoff dem „ Kittle" gleich. Für die Schürzen sind
helle, sanfte Farben beliebt, z. B. grauer Atlas mit gleichfarbigen eingewirkten
Blumenmustern ; dagegen finden wir ausgiebige Verwendung von Schmelz an jenen.
Das seidene Halstuch zeigt ebenfalls zarte Farben, z. B. eine Mischung von Tauben-
grau mit Violett; an den Ecken treten farbige Blumen hervor, für welche früher
Gold- und Silberstickereien beliebt waren. Die Halstücher sind stets mit langen
Fransen versehen. Der Lieblingsschmuck der Neuzeit ist ein goldenes Kettchen
mit Kreuz; mehrfach findet man auch noch 6-, 7- und 8gliederige Halsketten.
Die Männer tragen niedrigen, steifen, schwarzen Filzhut und lange, bis
unter die Kniee reichende schwarze Röcke, die oben in der Taille etwas hoch ge-
nommen sind. Die schwarze Lederhose reicht bis unter die Kniee, über sie wird
der weiche, hohe Stiefel gezogen. Die Weste, »Leible" genannt, ist aus schwarzem
Sammet mit blauen oder gelben Blümchen. Ein blauschwarzes seidenes Halstuch
läßt den weißen Hemdkragen hervortreten.
Bei den Protestanten tragen die Männer gleichfalls niedere, schwarze,
steife Filzhüte mit schmalen Krempen. Auch der Rock gleicht jenem der Katho-
liken. Die Weste wird in der Erinnerung an den einstigen, noch von M. Meyr
angeführten Herstellungsstoff kurz „Manchester' genannt. Sie ist heute aus besserem
schwarzen Sammet und mit nicht weniger als 18 Stück silbernen runden Knöpfen
besetzt. Zwei derselben befinden sich am Kragen der Weste, ähnlich den Knöpfen
der Gefreiten beim Militär. Die Sitte heischt, die Weste in der Mitte offen zu
halten und nicht zuzuknöpfen. Die Lederbeinkleider sind hübsch weiß ausgenäht
und an der Messertasche darf der Namenszug des Besitzers nicht fehlen. Die
Zugstiefel werden weit bis über das Knie heraufgezogen. Es gilt als stutzerhafte
Neuerung, zwischen Stiefel und Beinkleid die weißen Strümpfe hervorschauen zu
lassen. Alte Leute haben übrigens schwarze Strümpfe.
Die Mädchen und Frauen tragen das einfache zierliche, althergebrachte
schwäbische Häubchen, welches kokett fast ganz auf den Haarbund oder „Schop-
pel" aufgesetzt wird. Es steht in seiner Einfachheit der Rieserin sehr wohl, und sie
thut klug daran, es festzuhalten. Hinten befindet sich ein ovales „Bödele", das
an den feinsten Hauben silbern oder golden ist. — Während bei den katholischen
Frauen die 4 Moireebänder am Rücken einzeln herabfallen, lassen die evangelischen
ihre 2 Bänder als Ganzes, indem beide Enden am Häubchen befestigt sind. Bei
Trauerfällen wird der Moiree durch schwarzes Band ersetzt. — Die Haare sind
rechte und links vom Scheitel heruntergekämmt und in einer geschwungenen Linie
hinters Ohr gezogen. — Rock und Taille sind ein Ganzes. Als Farben der Kleider-
stoffe findet man dunkle Töne, stahlgrün u. s. w. Bei Trauer und an Festtagen wird
schwarz getragen. Die Schürze ist gern in lebhaftem Kornblau gehalten , mit
einem reichen Aufputz in Schmelz und Spitzen. Besondere Sorgfalt ist dem
Schuhwerk geschenkt. Die Sitte erfordert zierliche Zeugstiefelchen mit Leder-
kappen, welche vorne hübsch weiß abgenäht sein müssen.
Jede Rieserin hat im übrigen nicht bloß einen gewöhnlichen und einen
festlichen, sondern auch einen farbigen und einen schwarzen Anzug, welch letz-
terer von den Protestanten bei Todesfällen und zum Kirchgang getragen wird.
Aehnlich wie sich das Rieser Volk nach seinen geistigen und
seelischen Eigenschaften vielfach angefränkelt zeigt, so auch in seiner
172
Christian Gruber,
[86
87]
Das Ries. Eine geographisch-volkswirtschaftliche Studie.
273
274 Christian Gruber, [88
Mundart1). Sie gehört zweifellos dem schwäbischen Idiom an, schon
wegen des vielfachen Gebrauchs der Zischlaute, und besitzt unverkennbare
Aehnlichkeiten mit dem Mittelschwäbischen. Aber der Rieser Dialekt
ist nicht nur oft in recht nahegelegenen Ortschaften merklich verschieden,
sondern auch in den weiten Gegenden westlich der Wörnitz sehr viel
reiner schwäbisch als östlich derselben, wo vor allem das Rohrachthal
eine bequeme Verbindung mit dem fränkischen Hinterlande vermittelt,
so daß die Leute in Polsing und Trendel durchaus fränkisch sprechen.
Eine scharfe Grenzlinie zwischen der schwäbischen und fränkischen
Mundart im und am Riese zu ziehen, wie dies A. Frickhinger versucht
hat (Beiträge zur Anthropologie und Urgeschichte Bayerns, 8. Bd.,
1889), ist nur nach sehr gründlichen Einzelforschungen möglich. Und
auch dann wird sich immer ein vergleichsweise breiter Landstreifen
ergeben, innerhalb dessen eine starke Vermischung beider Idiome vor-
kommt. — Erwähnenswert ist übrigens noch die gleichfalls schon von
Frickhinger berührte Thatsache, daß in den paritätischen Orten des
östlichen Rieses die Protestanten mehr die fränkische, die Katholiken
indes mehr die schwäbische Mundart gebrauchen. Rothenberg am öst-
lichen Riesrande kann hierfür als Beispiel dienen. Dieser auffallende
Umstand findet nun allerdings zwanglos seine Erklärung darin, daß die
protestantischen Familien Rothenbergs nach dem fränkischen Döckingen
eingepfarrt sind und dorthin, sowie nach anderen fränkischen Dör-
fern ihre Familienverbindungen haben, während die Katholiken zur
Pfarrei des schwäbischen Wolferstadt gehören und persönliche Be-
ziehungen hierhin pflegen.
Die bayerische Riesniederung und ihr Rahmen im topographischen
Sinne wurden nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1895 von
39455 Seelen in 60 politischen Gemeinden bevölkert. Die Siedelungen
verteilen sich zwar über die weite Landschaft hin ziemlich unregelmäßig.
Doch ergeben sich aus ihrer Anordnung einige Thatsachen von all-
gemeiner Gültigkeit, welche mit der natürlichen Ausstattung des Ge-
bietes in kausalem Zusammenhange stehen.
Was zunächst die Besiedelung der Riesumrahmung an-
langt, so ist dieselbe in der Nordhälfte ungleich stärker als in der
Südhälfte, und im Westen sehr viel dichter als im Osten. Hier, wo
die ansehnlichen, waldbedeckten, teilweise auch unwirtlichen Ausläufer
des Hahnenkamms anstehen, beschränken sich die Ortschaften, von
Hainsfarth abgesehen, auf Trendel, Amerbach, Wemding, Goßheim f
Huisheim, Katzenstein und Ronheim. Dort dagegen, wo das Ries-
hinterland von Oettingen aus bis nahe an die Egerthalung eine weite,
offene, ertragsfähige Hochfläche darstellt und die Hänge nach Süden
und gegen die aufgehende Sonne situiert sind, reiht sich Siedelung
an Siedelung, und viele der Dörfer erhalten dadurch, daß sich ihre
Häuser vom flachen Boden des Rieses aus malerisch die Halden hinan -
*) Von der älteren Litteratur hierüber sei nur erwähnt: Schmidt, Die
Rieser Mundart. München 1848. Neuerdings haben G. Jakob und Joh. Kahn
frisch , gemütvoll und schelmisch anmutende Dichtungen in diesem Dialekte ver-
öffentlicht.
89]
Das Ries. Eine geographisch-volkswirtschaftliche Studie.
275
ziehen, ein landschaftlich anmutiges Aussehen. Da liegen hart neben-
einander: Ehingen, Beizheim, Hochaltingen, Herblingen, Utzwingen,
Maihingen, Marktoffingen, Munzingen, Dirgenheim, Benzenzimmern,
Kirchheim, Trochtelfingen, Utzmemmingen, und weiter südlich Hürn-
heim, Hohen- und Niederaltheim, Deggingen, Möggingen, Harburg
und Hoppingen.
Auch die in den Riesrand einschneidenden Thalbuchten sind auf
der schwäbischen Seite des Gebietes mehr bevölkert als auf der fränki-
schen. Während sich hier in der stark verengten, den Hahnenkamm
nicht vollständig durchschneidenden Rinne der Rohrach neben Polsing
Fig. 12.
**
Bauernhof im Ries.
nur Ursheim findet, das seinerseits wieder 4,3 km von Hechlingen
entfernt liegt, folgen sich in der breiten, sonnenbeglänzten Egerthalung
Oberdorf, Bopfingen, Flochberg und Trochtelfingen unmittelbar.
Sie alle weisen, wie der Lauf der Eger überhaupt, auf Nördlingen
hin, das am Ausgange bedeutsamer Verbindungswege nach dem benach-
barten westlichen und südwestlichen Schwabenlande (Bopfingen-Aalen-
Stuttgart einerseits, Neresheim-Ulm andererseits) unter dem Schutze
eines leicht zu befestigenden Höhenzuges zum wirtschaftlichen Mittel-
punkte besonders für das produktive Westries aufwuchs. Und so waren
denn auch seit alters die Beziehungen zwischen unserer Landschaft und
den anliegenden württembergischen Gebieten sehr viel lebhafter und
bedeutungsvoller, als jene mit den benachbarten Teilen Mittelfrankens
im Osten, zumal auch das Bett der Wörnitz zwischen ihnen und der
größeren westlichen Hälfte des Rieses einlagert.
276 Christian Gruber, [90
Im flachen Riese wird die Lage der Ortschaften vor allem
durch die beiden Hauptflußläufe und ihre Seitengewässer bestimmt.
Schon M. Meyr schreibt daher: „Liegt ein Dorf nicht an einem Fluß
oder Flüßchen, so fehlt doch nicht ein Bach, der, mit Weiden an-
gepflanzt, durch den Gemeindeanger rinnt oder schleicht und den Gänsen,
die daran ihre Lager- und Weideplätze haben, die nötige Erfrischung
reicht1)." In der That stellen Wörnitz- und Mauch-Egergrund zwei
große Siedelungsstreifen in der Riesniederung dar. Doch unter-
scheiden sich die Dörfer innerhalb jener beiden nach ihrer Gesamt-
anlage augenfällig. Längs der Wiesenbänder an der Wörnitz
sind sie meist lang auseinandergezogen; ihre Häuser gruppieren
sich in schmalen Zeilen längs des mit dem Flusse parallel verlaufenden
Straßenzuges, vor allem in Munningen, Wechingen, Holzkirchen und
weiterhin in Rudelstetten, Wörnitzostheim und Heroldingen. Hört man
doch im Ries bei Vergleichen nicht selten die Redensart: „So lang
wie Weching." Aehnliche Konturen haben ferner alle Dörfer längs
der schmalen, mattengrünen Niederung am Rezen- und Forellenbach
von Hürnheim abwärts bis Möttingen. Und auch an den kleinen
Bächen und Nebengewässern ist für das Aussehen der Dörfer die
lange Hauptgasse vielfach kennzeichnend, so in Heuberg, Birken-
hausen, Mögesheim, Laub, Niederaltheim und Ziswingen. Hingegen
zeigen die Orte im Eger-Mauchgebiet und am Fuße der süd-
westlichen Höhenzüge des Rieses gewöhnlich eine konzen-
trierte, in die Breite gehende Anlage, was Dürrenzimmern, Pfaff-
lingen, Löpsingen, zum Teil auch Deiningen und Großelfingen, sodann Unter-
Reimlingen, Holheim, die beiden Sorheim und Deggingen beweisen.
Endlich ist noch die auffallend dichte Scharung der Siede-
lungen auf der Nord-, West- und Südseite Nördlingens
hervorzuheben, wo Baldingen, Ehringen, Wallerstein, Goldburghausen,
Pflaumloch, Nähermemmingen, Utzmemmingen , Kleinerdlingen , Hol-
heim, Herkheim und Reimlingen sich aneinanderdrängen , während
seltsamerweise der geräumige Landstrich östlich von Nördlingen zwi-
schen Löpsingen, Reimlingen und Großelfingen an der Eger durchaus
unbewohnt ist: eine Thatsache, die wiederum deutlich genug die hervor-
ragenden Beziehungen des inneren Rieses mit seinem werblichen Rand
und dem württembergischen Schwaben zu verdeutlichen vermag.
Die nachfolgende Uebersicht stellt für die Ortschaften des bayeri-
schen Rieses die Bevölkerungsziffern nach der Zählung von 1895, die
Größe der Gemeindebezirke, die Fläche ihrer Haus- und Hofräume,
der Wege und Gewässer etc., der Oedungen und Unländer, sowie
ihrer Waldanteile zusammen, und zwar auf Grund der mir vom königl.
bayerischen Statistischen Bureau hierüber zur Verfügung gestellten
authentischen Zifferreihen und der im LX. Heft der „Beiträge zur
Statistik des Königreichs Bayern tt enthaltenen Angaben. Man ersieht
daraus, daß auf Nördlingen mit seinen 8216 Seelen Oettingen mit 3099,
Wemding mit 2128, Wallerstein mit 1348, Harburg mit 1239 und
*) „Bavaria", II, 2. S. 852 ff. Dort findet man auch das geographisch
Wissenswerte über die Anlage der Rieser Bauernhäuser mitgeteilt.
91]
Dag Ries. Eine geographisch-volkswirtschaftliche Studie.
277
Hainsfarth mit 1021 Einwohner als Hauptorte folgen. Sie liegen,
mit Ausnahme von Wemding, sämtlich an den breiten Eingangspforten
ins Ries von Norden, Westen und Süden her oder doch, wie Waller-
stein, nahe daran. Hinsichtlich der Verteilung der Bevölkerung auf
die übrigen Riesorte ergiebt sich keine durchgreifende Regel. Es
finden sich sowohl in der flachen, offenen Niederung als am wald-
geschmückten Rahmen, im Löß- wie im Sandgebiete, an den stärkeren
wie an den schwächeren Wasseradern umfangreichere und kleinere
Siedelungen ordnungslos zerstreut.
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Name der Gemeinde
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Bemerkungen
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Amtsgericht
Nördlingen
Nördlingen
8216
1426
40,68
81,74
13,67
—
Alerheim ....
748
1021
7
33
—
1
Appetshofen . .
542
872
6
22
—
2
Baidingen . .
411
556
4
27
2
—
Balgheim . . .
441
739
6
14
—
—
Birkenhausen . .
331
453
3
11
—
18
Bohl
270
475
3
10
—
40
Deggingen . . .
584
992
7
12
1
562
Deiningen . .
930
1533
12
50
—
69
Ederheira . .
408
926
4
10
—
538
Ehringen . . .
324
498
4
1
9
—
Enkingen . . .
Gro fielfingen
201
328
2
19
—
—
447
629
4
18
—
—
Grofihorheim .
472
965
4
18
63
264
Herkheim .
197
344
3
9
—
—
Heroldingen
319
593
4
24
4
146
Hohenaltheim .
390
928
4
15
—
432
Holheim . . .
267
412
2
10
—
29
Hoppingen . .
181
206
2
15
36
5
Hürnheim . .
248
454
4
9
47
Kleinerdlingen .
323
285
4
1
5
—
Eleinsorheim
334
631
4
12
45
173
Löpsingen . .
750
1077
7
12
20
—
Merzingen . .
125
226
1
4
—
—
Möttingen . .
547
609
6
16
—
—
Munzingen . .
300
494
30
42
—
24
Näherm emmingen
343
464
4
6
7
Niederaltheim .
287
852
3
17
1
421
Keimlingen . .
544
955
7
19
1
8
Rudelstetten
291
516
3
16
4
79
Schmähingen .
326
519
3
11
4
8
Schrattenhofen *
141
142
1
5
Wallerstein . .
1348
498
13
23
Wörnitzo8theim
225
328
2,5
13
Ziswingen
213
469
2
7
. —
156
Oettingen
3099
1016
21
63
_
23
Amtsgericht
Oettingen
Amerbach
418
770
5
15
7
117
Beizheim . . .
374
702
4
15
—
14
278 Christian Gruber, Das Ries. Eine geographisch-volkswirtschaftl. Studie. [92
Name der Gemeinde
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Bemerkungen
Dürrenzimmern
Ehingen . . .
Fessenheim . .
Hainsfarth . .
Herblingen . .
Heuberg . . .
Hochaltingen .
Holzkirchen . .
Laub ....
Maihingen . .
Marktoffingen .
Mögesheira . .
Memmingen
Nittingen . .
Pföfflingen . .
Schwörsheim .
Utzwingen . .
Wechingen . .
Harburg . . .
Ronheim . . .
Polsing . . .
Trendel . . .
Wem ding . .
Goßheim . . .
Huisheim . .
293
469
347
1021
245
239
282
373
508
557
621
703
521
159
401
487
372
618
1239
125
499
234
2128
477
622
ha
514
860
618
1222
496
659
364
653
808
849
970
1253
745
508
580
725
566
1131
1343
467
729
421
2391
1302
1109
ha
3
6
4
12
4
4
3
4
4
7
8
8
6
2
6
4
4
7
8
1,6
3
4
21
5
6
ha
17
23
20
43
12
44
12
19
16
20
26
27
24
15
2
19
14
44
19
11
31
11
33
21,5
ha
5
46
14
18
41
8
2
224
0,8
1
12
55
12
ha
22
38
91
8
14
97
49
2
264
150
56
289
79
280
26
1057
393
139
Amtsgericht
Oettingen
Amtsgericht
Donauwörth
Amtsgericht
Heidenheim
am Hahnen-
kämm
Amtsgericht
Monheim
Den württembergischen Ortschaften des Rieses kommen nach
der Zählung von 1895 folgende Bevölkerungsziffern zu: Benzenzim-
mern 222, Dirgenheim 229, Kirchheim 885, Goldburghausen 234, Pflaum-
loch 458, Trochtelfingen 777, Utzmemmingen 529 Seelen.
V. Teil.
Die Erwerbsverhältnisse im Ries.
Vorbemerkung.
Die nachfolgenden Betrachtungen, welche in dieser Ausführlichkeit
auf Grund von tausenden, durch amtliche Erhebungen gewonnenen
Ziffern zum erstenmal für ein größtenteils bayerisches Gebiet dargeboten
werden, ermöglichten mir vor allem Herr Oberregierungsrat im königl.
bayerischen Staatsministerium des Innern Dr. Probst, Vorstand des
königl. bayerischen Statistischen Bureaus, und Herr Ministerialdirektor
v.Zell er, Vorstand des königl. Statistischen Landesamtes für Württem-
berg. Beiden Herren sei denn auch wiederholt ehrerbietiger Dank für
ihr Entgegenkommen ausgesprochen.
Die geographische Gesamtausstattung des Rieses weist sein Volk
seit alters auf eine ausgiebige Benutzung des im ganzen höchst er-
tragsfähigen Bodens hin. Und der Rieser ist betriebsam genug, um
die natürlichen Gegebenheiten voll auszubeuten, den mit Löß, Schwarz-
erde und Sand überzogenen Gründen seiner Heimat alle Früchte ab-
zugewinnen, deren Anbau die klimatischen Verhältnisse zulassen und
auch lohnen.
Von den 39455 Bewohnern des bayerischen Rieses beschäftigten
sich 1895 nicht weniger als 21721, also 55°/o, mit Landwirtschaft.
Dazu hatten unter jenen, welche Gewerbe und Handel trieben, 1873
einen Nebenberuf, der gleichfalls hauptsächlich in Ackerbau und Vieh-
zucht bestand. Andererseits freilich waren auch 2129 Personen unter
der landwirtschaftlichen Bevölkerung vorhanden, die sich nicht aus-
schließlich von der Bodenbenutzung ernährten, sondern nebenbei ein
Gewerbe oder den Handel ausübten.
Aehnliche Ziffern ergeben sich für den württembergischen Anteil
am Riese. Hier lebten in dem erwähnten Jahre 2422 Leute von land-
wirtschaftlichen, 642 von gewerblichen Betrieben, 92 vom Handel und
298 waren Sonstige (Pfarrer, Lehrer, Altsitzer u. s. w.). Von den Ge-
werbsleuten und Handeltreibenden aber hatten wiederum 151 Neben-
berufe, von den Landwirten 278.
In manchen Gemeinden des Rieses erreichte die Zahl der Land-
wirte über 90°/o der Gesamtbevölkerung, so in Herblingen (99,2 °/o),
280
Christian Gruber,
[04
Munzingen (95 V), Laub (92,9 °/o), Schrattenhofen (92°/o), Wörnitzostheim
(91,6 °,o), Amerbach (91,4 °/o) und Nittingen (90,6 °/o); außerdem bemafi
sich dieselbe in fast zwei Dritteln sämtlicher Ortschaften auf 80 — 90°/o.
Vor allem herrschen, wie die Karte über die prozentuale Ver-
teilung der landwirtschaftlichen Bevölkerung im Ries beweist, innerhalb
der weiten Flächen des zentralen Gebietes unserer Landschaft durchaus
Ackerbau und Viehzucht vor. Der Bauer ist sich hier auch seiner
volkswirtschaftlichen Bedeutung und des Einflusses seiner Ernteergeb-
nisse auf die Lebensführung der Stadtbewohner stolz bewußt. Aus
diesem Bewußtsein heraus hat er das übertriebene Wort erfunden:
„Gedeiht der Eeara im Ries,
So spürt ma's bis Paris/
ein Ausspruch, der gegenwärtig allerdings nicht mehr in dem Maße
wahr ist, wie dies früher der Fall sein mochte.
Nur im Umkreis der größeren Siedelungen und am Riesrande
muß die Landwirtschaft naturgemäß hinter Gewerbe und Handel zurück-
treten. In Nördlingen gehören ihr bloß 8,9, in Oettingen 17,9, in
Wallerstein 31,2, in Harburg 31,4, in Wemding 41,5, in Hoppingen
48,1, in Kleinerdlingen 48,9 °/o der Bevölkerung an.
Die folgende tabellarische Uebersicht und die Diagramme auf
Tafel II, welche für jeden Ort des gesamten Rieses die Höhe der
landwirtschaftlichen Bevölkerung ohne und mit Nebenberufen ver-
anschaulichen, überheben mich weiterer Ausführungen im einzelnen.
Sie lassen schon durch einen raschen Blick das Vorwiegen des rein
bäuerlichen Elementes im Riese allenthalben erkennen, beweisen aber
auch, daß in den einzelnen Gemeinden viel beträchtlichere Unterschiede
hinsichtlich der Erwerbsverhältnisse herrschen, als gemeinhin ange-
nommen wird. Von einer durchgreifenden, schematisch gleichförmigen
Verteilung derselben kann keine Rede sein.
Uebersicht der Berufe der Bevölkerung In den Riesgemeinden nach der
Zählung vom Jahre 1895.
A. Bayerisches Ries.
Gemeinde
Hauptberufe
L
Mit Neben-
berufen
Von 100 Personen
der Gesamtbevölke-
rung treffen auf
B
D-F
Amtsger. Donauwörth.
Harburg
Ronheim
414
107
Amtsger. Monheim.
Goßheim '428
Huisheim j 503
Wemding | 884
487
2
19
70
754
152
1
1
157
186
7
I
29
48
333
48
19
24
101
169
208
1
4
26
255
36
1
58
33,4
85,6
89.7
80,9
41,5
39,3
1,6
4,0
11,2
35,5
12,3
7,2
0,2
0,2
7,4
15,0
5,6
6,1
7,7
15,6
95]
Das Ries. Eine geographisch-volkswirtschaftliche Studie.
281
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A | B
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D-F
Amtsger. Nördlinge».
Alerheim
627
57
1
63
58
17
— 83,*
7,7
0,1
8,4
Appetshofen
448
34
5
55
25
17
2! 82.7
6,3
0,9
10,1
Baldingen . .
297
70
4
40!
25
24
1J72.3
17,0
1,0
9,7
Balgheim . .
386
13
—
42
35
3
— !*7,5
8,0
—
9,5
Birkhausen . .
284
26
12
9
24
5
2 85,8
7,9
3,6
2,7
Bühl ....
237
8
1
24
26
1
—
87,8
2,9
0,4
8,9
Deggingen
351
132
27
74
42
41
1
60,1
22,6
4,6
12,7
Deiningen . .
700
148
19
63
50
36
5
75,3
15,9
2,0
6,8
Ederheim . .
308
66
4
30
42
22
2
75,5
16,2
1,0
7,3
Ehringen . .
285
22
2
15
22
3
— ,
88,0
6,8
0,6
4,6
Enkingen . .
166
9
5
21
12
3
1
82,6
4,5
2,5
10,4
Grosselfingen .
381
12
10
44
19
1
2
85,2
2,7
2,2
9,9
Grofisorheim .
351
74
14
33
90
32
8
74,4
15,7
3,0
6,9
Herkheim . .
i 163
21
2
11
7
4
— 82,7
10,7
1,0
5,6
Heroldingen .
285
8
—
26'
22
1
— 1*9.3
2,5
—
8,2
Hohenaltheim .
262
6*
11
49
23
20
3| 67,2
17,4
2,8
12,6
Holheim . . .
215
41
4
7
28
6
—
80,5
15,4
1,5
2,6
Hoppingen . .
*7
47
24
23
11
1«
13
48,1
25,9
13,3
12,7
Hürnheim . .
216
17
—
15
10
1
—
*7,1
6,9
—
6,0
Kleinerdlingen
158
94
33
38 |
8
3
—
48,9
29,1
10,2
11,8
Kleinsorheim .
272
34
3
25 i
34
1
—
81,4
10,2
0,9
7,5
Löpsingen . .
627
64
5
54
51
15
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Merzingen . .
112
5
—
8
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4,0
—
6,4
Möttingen . .
365
69
38
75
27
19
8
66,7
12,6
7,0
13,7
Munzingen
285
2
—
13
20
—
—
95,0
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—
4,3
Nähermemmingen
250
62
2
29!
29
24
2
72,8
18,1
0,6
8,5
Niederaltheim .
243
27
3
14!
14
9
— .
84,7
9,4
1,0
4,9
Keimlingen . .
465
40
10
29'
10
4
11
85,5
7,4
1,8
5,3
Rudelstetten .
259
4
—
25
20
4
— J89.0
2,4
—
8,6
Schmähingen .
27*
11
—
37
6
—
— 85,3
3,4
—
11,3
Schrattenhofen
! 130
—
11
7
—
— 92,2
—
—
7,8
Wallerstein . .
421
402
152
3731)
37
45
23
31,2
29,8
11,3
27,7
Wörnitzostheim
206
5
1
13
15
—
—
91,6
2,2
0,4
5,8
Ziswingen . .
191
9
2
11
52
5
—
89,7
4,2
0,9
5,2
Amtsger. Oettingen.
!
Amerbach
382
2
2
32
52
—
1
91,4
0,5
0,5
7,6
Beizheim
322
34
—
1*
22
3
— !«M
9,1
—
4,8
Dürrenzimmern . . .
229
22
16
26
12
4
1
78,1
7,5
5,5
8,9
Ehingen
411
6
—
52:
40
—
— ;
87,6
1,3
—
11,1
Fessenheim
270
30
11
36
61
13
4
77,8
8,6
3,2
10,4
Hainsfahrt
521
273
133
94
23
39
17
51.0
26.7
13,0
9,3
Herblingen
243
—
—
2;
18
—
—
99,2
—
—
0,8
Heuberg ......
205
7
2
25
ls
3
—
85.8
2,9
0,8
10,5
*) Diese vergleichsweise hohe Ziffer erklärt sich mit daraus, daß in
Wallerstein eine von den sogen, englischen Fräulein geleitete Töchterschule mit
Pensionat besteht.
282
Christian Gruber,
[96
Gemeinde
Hauptberufe
'S *
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•■B
C
o
GG
Mit Neben-
berufen
Von 100 Personen
der Gesamtbevölke-
rung treffen auf
B
D-F
Hochaltingen
Holzkirchenen
Laub . . .
Maihingen .
Marktoffingen
Mögesheim .
Munningen .
Nittingen .
Oettingen .
Pfäfflingen .
Schwörsheim
Utzwingen .
Wechingen .
Amtsger. Heidenheim
Polsing
Trendel
ünm. Stadt Nördhngen
205
328
472
486
439
572
468
144
556
346
431
312
513
271
216
732
40
24
5
39
113
72
28
1251
11
18
28
35
34
4
3508
2
3
2
26
10
8
553
4
1
5
4
13
1
2085
35
18
31
30
43
49
25
7
739
40
37
27
66
181
13
18
65
23
60
18
62
59
3
43
34
32
11
59
11
18
1891 78
5
1
14
33
21
6
110
4
7
4
6
12
312
45
2
1
1
151
72,7
88,0
92,9
87,2
70,7
81,4
89,8
90,6
17,9
86,3
88,5
83,9
83,0
54,3
92,3
8,9
14,2
6,4
1,0
7,0
18,2
10,2
5,4
40,4
2,7
3,7
7,5
5,7
6,8
1,7
42,7
0,
0,8
0,4
4,2
1,4
5.0
17,8
1,0
0,2
1,3
0,6
2,6
0,4
25,4
12,4
4,8
6,1
5,4
6,9
7,0
4,8
4,4
23,9
10,0
7,6
7,3
10,7
36,3
5,6
23,0
Summa
21721
8620
3595
5519ii2129
1471
4021
B. Württembergisches Ries.
beramt Neresh
eim.
Benzenzimmern . . .
187
3
—
32
48
—
84,3
1,3
14,4
Dirgenheim . .
176
29
—
24
24
7
—
76,8
12,6
—
10,6
Kirchheim . .
591
217
10
67
35
39
2
66,7
24,6
1,2
7,5
Goldburghausen
293
27
—
34
33
9
—
82,2
7,6
10,2
Pflaumloch . .
217
132
52
57
46
32
11
47,1
28,8
11,3
12,8
Trochtelfingen .
628
83
24
421
59
19
6
80,0
10,7
3,1
5,4
Utzmemmingen
330
151
6
4$
33
25
1
62,4
28,5
1,1
8,0
Summ
a
•
2422
642
92
298
278
131
20
—
—
—
—
Der Ackerbau im eigentlichen Sinne, welcher im Ries bis vor
30 Jahren in der altererbten Form der Dreifelderwirtschaft betrieben
wurde, erstreckt sich auf fast alle Fruchtgattungen der deutschen
Agrikultur. Man baut Winter- und Sommerweizen, Winter- und
Sommerspelz, Winter- und Sommerroggen, Winter- und Sommergerste,
Hafer, Mais, Erbsen, Linsen, Bohnen, Wicken als Grünfutter und zur
Körnergewinnung, Menggetreide und Mischfrucht, Kartoffeln, Zucker-
und Runkel-, Weiß- und Kohlrüben, Kraut, gewöhnliches Gemüse,
Flachs und Hanf, Hopfen (diesen sehr wenig); von Futterpflanzen
Klee, Luzerne, Esparsette und Grassaaten verschiedener Art; endlich
in den Haus- und Obstgärten und längs der Alleen auch einfaches
Obst. Am bedeutsamsten und gewinnbringendsten ist der Anbau von
97]
Das Ries. Eine geographisch-volkswirtschaftliche Studie.
283
Dinkel oder Spelz, von Sommergerste, Hafer und Kartoffeln. Weit
nach dem Frankenland hinein sind die Rieser Frühkartoffeln (besonders
aus dem öttingischen Gebiete) und KochrUben bekannt. Bei dem aus-
geprägt konservativen Charakter der landwirtschaftlichen Verhältnisse
im Ries kann wohl ohne Bedenken gewagt werden, in nachfolgender
Uebersicht ein Bild von der Bodenbenutzung innerhalb unserer Land-
schaft auf Grund der Ermittelungen vom Jahre 1893 zu geben.
Uebersicht der Bodenbenutzung im Ries.
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—
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—
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2
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1
57
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—
16
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2
1
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14
Möttingen . .
8
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21
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—
80
17
10
2
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Munzingen . .
3
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4
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15
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10
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1
2
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—
26
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—
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Keimlingen
10
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Rudelßtetten .
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Schmähingen . .
1
80
20
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22,6
11
3
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5,5
35
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60
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Schrattenhofen
6
22
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29
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—
7
4
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1
1
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5
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1
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4
Wörnitzostheim
♦
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—
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Ziswingen . . .
1
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Amerbach . .
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3
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Beizheim . . .
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Dürrenzimmen
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66
26
22
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65
—
10
19
8
2
3
40
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110
13
Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde. XII. 3.
19
284
Christian Graber,
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Gemeinde
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18
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13
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—
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18
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26
3
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1
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68
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—
20
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1
1
45
—
169
—
Nittingen . .
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—
Oettingen . .
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66
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25
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—
37
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57
Pfafflingen . .
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12
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—
17
12
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2
4
30
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150
15
Schwörsheim .
13
—
151
20
36
1
2
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3
4
30
13
160
9
Utzwingen . .
7
75
47
88
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—
8
16
4
2
1
31
97
94
12
Wechingen . .
80
58
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33
156
1
21
35
16
4
4
40
126
349
7
Harburg . . .
4,2
115
78
146
58
4,8
19
30
8
3
0,6
49
61
144
9
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1
17
33
46,5
17
3,2
4,8
6
2,2
0,4
1,3
17
24
86,5
68,5
Polsing . . .
26
3
73
40
21
4
7
25
5
2
8
29
27
96
43
Trendel . .
30
3
51
39
89
4
3
23
11
1
1
17
37
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5
Wemding . .
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123
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10
14
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0,2
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20
560
71
Goßheim . . .
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110
100
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2,5
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28
3
2
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100,6
250
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Huisheim . .
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110
138
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1,8
7,6
25
0,6
3,2
2
29
153,5
182
83
Innerhalb des Verwaltungsbezirks der Stadt Nördlingen waren
1893 angebaut: 753 ha mit Getreide und Hülsenfrüchten, 39 ha mit
Kartoffeln, 20 ha mit Futterrüben, 81,60 ha mit Futterpflanzen; 4 ha
waren Brachland, 352,36 ha wurden als Wiesland, 5 ha als Weiden
und Hutungen benutzt.
Vielfach liefert der Getreideboden das Zehn- bis Zwölffache der
Aussaat; ein Tagwerk Wiesland aber giebt im Mittel 30 — 40 Zentner
Heu und Grummet. Die Arbeit des Landmannes lohnt sich demnach im
Riese reichlich. Aber auch die Grundpreise treiben zu gesteigerter Pro-
duktion, zur sorgfältigsten Ausnutzung des Bodens und zu mannigfal-
tigem Bracheinbau mit Klee, Grünwicken, Ackerbohnen und Flachs.
Ein Tagwerk Ackerland ist oft genug schon mit 2000, ein Tagwerk
Wiesboden mit 1700 M. bezahlt worden.
Ihr zum Verkauf bestimmtes Getreide bringen die Rieser Land-
wirte zum großen Teile nach der Nördlinger Schranne. Doch ist es
natürlich nur ein sehr fragmentarisches Bild vom Getreidehandel in
unserem Gebiete, welches uns die Summen über die alljährlichen Um-
99] Das Ries. Eine geographisch-volkswirtschaftliche Studie. 285
sätze an jener aufzeigen. Im Jahre 1895 l) betrug der Gesamtverkauf
dort 129929 Zentner um 934372 M.; 1896 2) 83059 Zentner um
659508 M.; 1897 100387 Zentner um 822237 M. Hauptsächlich
kommen Korn (18763, 13721 und 18536 Zentner), Gerste (78338,
48945 und 58940 Zentner) und Haber (14048, 9577 und 10230 Zent-
ner) zum Absatz. Die Malzfabrik Nördlingen berichtet über das Ge-
schäftsjahr 1895/96, daß die Rieser Gerste, wenn sie bei trockenem
Wetter ausreift und frei von Niederschlägen eingeheimst werden kann,
in Bezug auf Zuckergehalt und Ausbeute ihre ganz besonderen Vorzüge
hat. Deshalb gehen auch an die Großbrauereien Münchens stets größere
Mengen von dieser Fruchtgattung ab.
Neben dem Ackerbau wird von jeher auch die Viehzucht im
Riese nicht vernachlässigt. Der anerkannte „Bauer" ist stolz auf sein
„ Anspann von Rossen M kräftigen Schlags, der ihn vom Söldner unter-
scheidet, und schon der Mittelbegüterte hat neben der Dreschtenne
seinen Stall voll Kühen mit Nachwuchs und Stieren, die er zum Ver-
kaufe heranfüttert. Die zahlreichen Weideländer und Hutungen an den
Höhenzügen des Rieses und seiner Umrahmung begünstigen die Schaf-
zucht. Das Geflügel aber wird so gehalten, daß „oft zweifelhaft ist,
ob auf seine Pflege oder auf jene der Kinder größere Sorgfalt verwendet
wird". Seit Eröffnung des Eisenbahnverkehrs in seinem Gaue geht das
Hauptbestreben des Riesers dahin, sehr frühe Zuchten zu erhalten.
Schon im Frühling gehen nunmehr Herden von Gänsen und ganze
Wagenladungen von jungen Hühnern nach Augsburg und München,
ins Württemberger Land und gegen den Rhein hin, wo sie um
teures Geld abgesetzt werden können.
Aehnlich wie die Nördlinger Schranne werden auch die Nörd-
linger Viehmärkte von den Rieser Landwirten mit Vorliebe aufgesucht.
Es kamen dort zum Verkauf
auf den Viehmärkten:
1895: 4508 Stück für 1062242 M. 25 Pf.,
1896: 5148 „ , 956220 „ — „
18973): 2960 , „ 526233 „ — .
auf den Schafmärkten:
1895: 13755 Stück (Zutrieb 24023 Stück),
1896: 15622 „ ( „ 37363 , ),
1897»): 11925 „ ( , 23148 „ );
l) Diese Angaben sind den Verwaltungsberichten des Stadtmagistrats Nörd-
lingen und den Jahresberichten der Handels- und Gewerbekammer für Schwaben
und Neuburg entnommen.
*) In dem genannten Jahre gab e9 infolge allzu häufiger Niederschläge
weniger als eine Mittelernte.
8) Damals herrschte in Nördlingen und Umgegend die Maul- und Klauen-
seuche.
286 Christian Gruber, [100
auf den Pferdemärkten:
18951): 32 Stück (Zutrieb 472 Stück),
1896: 33 , ( „ 277 , ),
1897: 21 „ ( „ 191 „ ).
Auf dem Wollmarkt
wurden 1895: 537 Zentner,
1896: 620
abgesetzt.
1897: 783
Wenn auch die wirtschaftliche Bedeutung des Eieses in erster
Linie auf seiner außergewöhnlichen Fruchtbarkeit und der gewissen-
haften Ausnutzung von Qrund und Boden beruht, so werden doch
hierdurch die gewerbliche Thätigkeit, der Handel und Ver-
kehr nicht so in den Hintergrund gedrängt, daß sie volkswirtschaft-
lich ohne beträchtliche Wichtigkeit wären. Im Gegenteil, sie haben
sich nicht bloß rings an der Peripherie des Eieses erfreulicherweise
entwickelt, sondern auch mitten in der Kornkammer der Landschaft
findet sich ein hoher Prozentsatz von Bauern mit Nebenberuf. Denn
hier übt vielfach der Kleinbegüterte ein Handwerk in Form von Ge-
sellenarbeit aus, der Mittelbegüterte in Form von Meisterarbeit, während
der rechte Bauer sich freilich nicht zum Betriebe eines solchen
herbeiläßt.
Im ganzen hat man 1895 im bayerischen Riese 8620 Handwerks-
leute und Industrielle, sowie 3595 Handeltreibende gezählt. Jene machen
21,8, diese 9,1 °/o der Gesamtbevölkerung aus. Zentren für Gewerbe
und Handel sind vor allem Nördlingen mit 3508 Gewerbs- und 2085
Handelsleuten (42,7 bezw. 25,4 °/o der Bevölkerung)2), Oettingen mit
1251 und 553 solchen (40,4 und 17,8 °/o), Harburg mit 487 und 15a
(39,3 und 12,3 °/o), Wemding mit 754 und 157 (35,5 bezw. 7,4 °/o),
Wallerstein mit 402 und 152 (29,8 und 11,3 °/o), Hainsfarth mit 273
und 133 (26,7 und 13,0».
Dagegen haben keine Gewerbetreibenden: Schrattenhofen, Herb-
lingen, Nittingen — und in Balgheim, Heroldingen, Hürnheim, Mer-
zingen, Munzingen, Eudelstetten , Schmähingen, Schrattenhofen, Beiz-
heim, Ehingen, Herblingen, Laub, Munningen, Benzenzimmern, Dirgen-
heim und Goldburghausen finden sich keine eigentlichen Handelsleute.
Die Arten der Einzelgewerbe und größeren Gewerbebetriebe, die
im bayerischen Riese und besonders in Nördingen vorkommen, werden
in den folgenden Tabellen aufgezählt:
2) Die Nördlinger Pferdemärkte leiden darunter, daß sich die Handelsleute
davon fernhalten.
2) Für München betragen die einschlägigen Ziffern 47,7 bezw. 23,5 °/o.
99] Das Ries. Eine geographisch-volkswirtschaftliche Studie. 285
sätze an jener aufzeigen. Im Jahre 1895 l) betrug der Gesamtverkauf
dort 129929 Zentner um 934372 M.; 1896 2) 83059 Zentner um
659508 M.; 1897 100387 Zentner um 822237 M. Hauptsächlich
kommen Korn (18763, 13721 und 18536 Zentner), Gerste (78338,
48945 und 58940 Zentner) und Haber (14048, 9577 und 10230 Zent-
ner) zum Absatz. Die Malzfabrik Nördlingen berichtet über das Ge-
schäftsjahr 1895/96, daß die Rieser Gerste, wenn sie bei trockenem
Wetter ausreift und frei von Niederschlägen eingeheimst werden kann,
in Bezug auf Zuckergehalt und Ausbeute ihre ganz besonderen Vorzüge
hat. Deshalb gehen auch an die Großbrauereien Münchens stets größere
Mengen von dieser Fruchtgattung ab.
Neben dem Ackerbau wird von jeher auch die Viehzucht im
Riese nicht vernachlässigt. Der anerkannte „Bauer44 ist stolz auf sein
„Anspann von Rossen M kräftigen Schlags, der ihn vom Söldner unter-
scheidet, und schon der Mittelbegüterte hat neben der Dreschtenne
seinen Stall voll Kühen mit Nachwuchs und Stieren, die er zum Ver-
kaufe heranfüttert. Die zahlreichen Weideländer und Hutungen an den
Höhenzügen des Rieses und seiner Umrahmung begünstigen die Schaf-
zucht. Das Geflügel aber wird so gehalten, daß „oft zweifelhaft ist,
ob auf seine Pflege oder auf jene der Kinder größere Sorgfalt verwendet
wird". Seit Eröffnung des Eisenbahnverkehrs in seinem Gaue geht das
Hauptbestreben des Riesers dahin, sehr frühe Zuchten zu erhalten.
Schon im Frühling gehen nunmehr Herden von Gänsen und ganze
Wagenladungen von jungen Hühnern nach Augsburg und München,
ins Württemberger Land und gegen den Rhein hin, wo sie um
teures Geld abgesetzt werden können.
Aehnlich wie die Nördlinger Schranne werden auch die Nörd-
linger Viehmärkte von den Rieser Landwirten mit Vorliebe aufgesucht.
Es kamen dort zum Verkauf
auf den Viehmärkten:
1895: 4508 Stück für 1062242 M. 25 Pf.,
1896: 5148 „ , 956220 „ — „
18973): 2960 , , 526233 „ — „
auf den Schafmärkten:
1895: 13755 Stück (Zutrieb 24023 Stück),
1896: 15622 , ( „ 37363 „ ),
18973): 11925 „ ( „ 23148 , );
') Diese Angaben sind den Verwaltungsberichten des Stadtmagistrats Nörd-
lingen und den Jahresberichten der Handels- und Gewerbekamin er für Schwaben
und Neuburg entnommen.
*) In dem genannten Jahre gab es infolge allzu häufiger Niederschläge
weniger als eine Mittelernte.
s) Damals herrschte in Nördlingen und Umgegend die Maul- und Klauen-
seuche.
288
Christian Gruber,
[102
Gewerbeart
Zahl der
Name der Ge-
meinde
Gewerbeart
Zahl der
Name der Ge-
meinde
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103]
Das Ries. Eine geographisch-volkswirtschaftliche Studie,
289
Name der Ge-
meinde
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Großsorheim
Löpsingen .
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Wemding .
Deggingen
Deiningen
Großsorheim
Hohenaltheim
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Möttingen . .
Nähermemming.
Wallerstein
Hainsfarth
Marktoffingen
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290
Christian Gruber,
[104
Gewerbeart
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105]
Das Ries. Eine geographisch-volkswirtschaftliche Studie.
291
Gewerbeart
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meinde
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Am Ende dieser Ausführungen über die Erwerbsverhältnisse im Ries
sei noch angedeutet, daß innerhalb des von uns betrachteten Gebietes
die Güterbewegung durch ein dichtes und vielverzweigtes Netz von
Straßenzügen, sowie durch drei Schienenstränge erleichtert wird, welche
allerdings in hervorragendem Maße gleichzeitig auch dem Transitver-
kehr dienen: durch das am 15. Mai 1849 eröffnete Stück der Ludwigs-
Südnordbahn, die unsere Landschaft in einem breitgeöffneten Winkel
zwischen Oettingen, Nördlingen und Harburg durchzieht, durch einen
Teil der Vizinalbahn von Nördlingen nach Dinkelsbühl, deren Betriebs-
eröffnung am 2. Juli 1876 erfolgte, und durch die dem Verkehr am
3. Oktober 1863 übergebene Eisenbahnlinie Nördlingen-Bopfingen-
Wasseralfingen.
Die drei Verkehrswege münden in Nördlingen zusammen, und
hier erreichte denn auch die Güterbewegung in den Jahren 1893—1896
die nachstehenden Höhen l) :
1893:
Abgegangene Güter:
19432,59 t; angekommene Güter: 33062,27 t;
Gesamtsumme: 52494,86 t.
1894:
Abgegangene Güter: 18336,76 t; angekommene Güter: 34195,45 t;
Gesamtsumme 52,532,21 t.
1895:
Abgegangene Güter: 19832,07 t; angekommene Güter: 36832,68 t;
Gesamtsumme: 56664,75 t.
189 6:
Abgegangene Güter: 17132,66 t; angekommene Güter: 39429,14 t;
Gesamtsumme: 55561,80 t.
Vergleicht man die gesarate Güterbewegung in Nördlingen mit
jener in anderen schwäbischen Städten, so ergiebt sich, daß sie sich
ungefähr auf die Hälfte derjenigen von Lindau und den zwölften Teil
derjenigen von Augsburg bemißt, sonach gewiß sehr beträchtlich er-
scheint.
') Jahresbericht der Handels- und Gewerbekammer für Schwaben und Neu-
burg für 1897, Anhang II.
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Tafel 2.
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Sonstige
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ii'-f.'i'.jtoutv.Vtjrwrli Detos.IetpsiJ
Hnnd IIB.
Heft 1. Die Verbreitung und wirtschaftliche Bedeutung der wichtigeren Wald-
baumarten innerhalb Deutschlands, von Prof. Dr. B. Borggreve. Preis M. 1.—
Heft 2. Das Meissnerland, von Dr. M. Jäschke. Preis M. 1.90.
Heft 3. Das Erzgebirge. Eine orometrisch-anthropogeographische Studie von Oberlehrer
Dr. Johannes Burgkhardt. Preis M. 5. 60.
Heft 4. Die Kurische Nehrung und ihre Bewohner* von Prof. Dr. A. Bezzenberger.
Preis M. 7. 50.
Heft 5. Die deutsche Besiedlung der östlichen Alpenländer, insbesondere Steier-
mark^ Kärntens und Krains, nach ihren geschichtlichen und örtlichen Verhältnissen,
von Prof. Dr. F. von Krone». Preis M. 5. 60.
Band IV.
Heft 1. Haus, Hof, Mark und Gemeinde Nordwestfalens im historischen
Ueb erblicke, von Prof. J. B. Nordhoff. Preis M. 1.20.
Heft 2. Der Rhein in den Niederlanden, von Dr. H. Blink. Preis M. 4.20.
Heft 3. Die Schneedecke, besonders in deutschen Gebirgen, von Prof. Dr.
• Friedrich Ratzel. Preis M, 8. —
Heft 4. Rechtsrheinisches Alamannien; Grenze, Sprache, Eigenart, von Prof.
Dr. A. Birlinger. Preis M. 4.80.
Heft 5. Zur Kenntnis der niederen Tierwelt des Riesengebirges nebst ver-
gleichenden Ausblicken, von Dr. Otto Zacharias. Preis M. 1.50.
Band V.
Heft 1. Nährpflanzen Mitteleuropas, ihre Heimat, Einführung in das Gebiet
und Verbreitung innerhalb desselben, von Dr. F. Hock. Preis M. 2.20.
Heft 2. Ueber die geographische Verbreitung der Süsswasserfische von Mittel-
,. europa, von Dr. E. Schulze. Preis 50 Pfennig.
Heft 3. Der Seifenbergbau im Erzgebirge und die Walensagen, von Dr. H. Schurtz.
Preis M. 2. 60.
Heft 4. Die deutschen Buntsandsteingebiete. Ihre Oberflächengestaltung und anthropo-
geographischen Verhältnisse, von Dr. Emil Küster. Preis M. 3.20.
Heft 5. Zar Kenntnis des Taunus, von Dr. W. Sievers. Preis M. 3.60;
Heft 6. Der Thüringer Wald und seine nächste Umgebung, von Dr. H. Pröscholdt.
Preis M. 1.70.
Heft 7. Die Ansiedelungen am Bodensee in ihren natürlichen Voraussetzungen.
Eine anthropogeographische Untersuchung, von Dr. A. Schlatterer. Preis M. 3.60.
Band VI.
Heft 1. Die Ursachen der Oberflächengestaltung des norddeutschen Flach-
landes, von Dr. F. Wahnschaffe. Preis M. 7. 20.
Heft 2. Die Volksdichte der Thüringischen Triasmulde, von Dr. C. Kaesemacher.
Preis M. 3. 20.
Heft 8. Die Halligen der Nordsee, von Dr. E. Traeger. Preis M. 7. 50.
Heft 4. Urkunden über die Ausbrüche des Vernagt- und Gurglergletschers
im 17. und 18. Jahrhundert, von Prof. Dr. E. Richter. Preis M. 7. —
Band TU.
Heft 1. Die Volksdichte im Grossherzogtum Baden. Eine anthropogeographische
Untersuchung, von Prof. Dr. Ludwig Neu mann. Preis M. 9. 40.
Heft 2. Die Verkehrsstrassen in Sachsen und ihr Einfluss auf die Städteent-
wickelung bis zum Jahre 1500, von Dr. A. Simon. Preis M. 4. —
lieft 8. Beiträge zur Siedelungskunde Nordalbingiens, von Dr. A. Gloy. Preis M. 3.40.
lieft 4. Nadelwaldflora Norddeutschlands. Eine pflanzengeographische Studie, von
Dr. F. Hock. Preis M. 3. —
Heft 5. Rügen. Eine Inselstudie, von Prof. Dr. Rudolf Credner. Preis M. 9. —
W nvt a fit ynn er nnf SaHa A. /Iao TTmcMi1a<ya
BanU VIII. .' '*«*'*
Heft 1. Klimatographie des Königreichs Sachsen. Erste Mitteilung von Prof. Di. Paul
Schreiber. Preis M. 4. — 9
Heft 2. Die Vergletscherung des Riesengebirges zur Eiszeit Nach eigenen Unter-
suchungen dargestellt von Prof. Dr. Joseph Partsch. Preis M. 6. —
HeftS. Die Eife 1. Von Dr. Otto Follniann. Preis M. 3.20.
Heft 4. Die landeskundliche Erforschung Altbayerns im 16., 17. und 18. Jahr-
hundert von Dr. Christian Gruber. Preis M. 3. —
Heft 5. Verbreitung und Bewegung der Deutschen in der französischen Sehweis.
Von Dr. J. Zexnmrich. Preis M. 3.80.
Heft 6. Das deutsche Sprachgebiet Lothringens und Beine Wandelungen von der
Feststellung der Sprachgrenze bis zum Ausgang des 16. Jahrhunderts, von Dr. Üans Witte.
Preis M. 6. 50.
Band IX.
Heft 1. Die Art der Ansiedelung der Siebenbürger Sachsen. Von Direktor Dr.
Friedrich Teutsch. — Volksstatistik der Siebenbürger Sachsen. Von Prof.
Fr. Schuller. Preis M. 4. 80.
Heft 2. Volkstümliches derSiebenbürgerSachsen. VonGymnasiaUehrerO.Wittstoek. —
DieMundart der Sieben bürg erSachsen. Von Direktor Dr. A.Schein er. Preis M.6,50.
Heft 3. Die. Regenkarte Schlesiens und der Nachbargebiete. Entworfen* und
erläutert von Professor Dr. Joseph Partsch. Preis M. 4» 70*
Heft 4. Laubwaidflora Norddeutschlands. Von Dr. F. Hock. Preis M. 2.70.
Heft 5. Die gebgraphische Verteilung der Niederschläge im nordwestlichen
Deutschland. Von Dr. Paul Moldenhauer. Preis M. 4.—
Heft 6. Der Hesseiberg am Frankenjura und seine südlichen Vorhöhen. Von
Dr. Christian Gruber. Preis M. 5.20.
Band X.
Heft 1. Zur Hydrographie der Saale. Von Professor Dr. Willi üle. Preis M. 4.50.
Heft 2. Der Pinzgau. Physikalisches Bild eines Alpengaues. Von Oberlehrer Dr. Wilhelm i
Schjerning. Preis M. 8.80. * j
Heft 3. Die Pinzgauer. Von Oberlehrer Dr. Wilhelm Schjerning. Preis M. 5. — |
Heft 4. Zur Geschichte des Deutachtums im Elsass und im Vogesengebiet. Von
Dr. Hans Witte. Preis M. 7.60.
Band XI.
Heft 1. Magnetische Untersuchungen im Harz. VonProf.Dr.M.Eschenhagen.PreisM.1.60.
Heft 2. Beitrag zur physikalischen Erforschung der baltischen Seeen. Von
Professor Dr. Willi Ule. Preis M. 8.—
Heft 3. Zur Kenntnis des Hunsrücks. Von Dr. Fritz Meyer. Preis M. 4.—
Heft 4. Die Veränderungen der Volksdichte im nördlichen Baden 1852 — 1895.
Von Dr. Carl ü hl ig. Preis M. 10.—
Heft 5. Entwicklungsgeschichte der phanerogamen Pflanzendecke Mitteleuropas
nördlich der Alpen. Von Dr. August Schulz. Preis M. 8.40.
Band XII.
Heft 1. Die Niederschlagsverhältnisse der mittleren Rheinprovinz und der Nach-
bargebiete. Von Dr. P. P o 1 i s , Direktor der Meteorologischen Zentralstation in Aachen.
Mit 10 Tabellen, 9 Karten und 3 Textillustrationen. 1899. 96 Seiten. Preis M, 12.—
Heft 2. Das Vogtland als orographisches Individuum. Eine Studie zur deutschen
Landeskunde. Von Dr. Albert Wohl r ab in Leipzig. Mit 1 Uebersichtskarte, 7 Licbfc-
drucktafeln und 12 Textillustrationen. 1899. 89 Seiten. Preis M. 6.40.
Heft 3. Das Ries. Eine geographisch-volkswirtschaftliche Studie von Dr. Chr. Grub er in
München. Mit 2 Kartenbeilagen und 12 Textillustrationen. 1899. 105 S. Preis M. 10.5a
Neu eintretende Abonnenten, die alle bisher erschienenen Hefte nach-
beziehen, erhalten Band 1—ft zum halben Prew,
Druck der Union Doutsehfi Verlagsgesellschaft in Stuttgart.
Forschungen
zur dentschenTjandes- und Volkskunde
im Auftrage der
Centralkommission für wissenschaftliche Landeskunde von Deutschland
herausgegeben von
Dr. A. Kirchhoff,
Professor der Erdkunde au der Universität Halle.
Zwölfter Band.
Heft 4.
Die Volksdichte
der Grossherzoglich Hessischen
PROVINZ STARKEN BURG
auf Gnmd
der Volkszählung Tom 2. Dezember 1895.
Von
DR KARL BERGMANN,
Lehrer an u>r Yiktoriast'hule- und dein Lehrerinnen-Seminar 2u Darmstadt.
Mit einer Karte.
■-»«--
STUTTGART.
VERLAG VON J. ENGELHORN,
1900.
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jie ä Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde" sollen daiu helfen, di€-
heimischen landes- und volkskundlichen Studien zu fördern, indem sie aas allen Gebieten
derselben bedeutendere und in ihrer Tragweite über ein bloss örtliches Interesse hinaus-
gehende Themata herausgreifen und darüber wissenschaftliche Abhandlungen hervorragender
Fachmänner bringen. Sie beschranken sich dabei nicht auf das Gebiet des Deutschen Reiches,
sondern so weit auf mitteleuropäischem Boden von geschlossenen Volksgemeinschaften die
deutsche Sprache geredet wird, so weit soll sich auch, ohne Rücksicht auf staatliche Grenzen,
der Gesichtskreis unserer Sammlung ausdehnen. Da aber die wissenschaftliche Betrachtung der
Landesnatur die Weglassung einzelner Teile aus der physischen Einheit Mitteleuropas nicht
wohl gestatten würde, so sollen auch die von einer nichtdeutschen Bevölkerung eingenommenen
Gegenden desselben samt ihren Bewohnern mit zur Berücksichtigung gelangen. Es werden dem-
nach ausser dem Deutschen Reiche auch die Länder des cialeithanischen Oesterreiohs, abgesehen
von Galizien, der Bukowina und Dalmatien, ferner die ganze Schweiz, Luxemburg, die Nieder-
lande und Belgien in den Rahmen unseres Unternehmens hineingezogen werden. Ausserdem
aber sollen die Sachsen Siebenbürgens mit berücksichtigt werden und auch Arbeiten über die
grösseren deutschen Volksinseln des Russischen Reiches nicht ausgeschlossen sein.
unsere Sammlung erscheint in zwanglosen Heften von ungefähr 2 — 5 Bogen; jedes Heft
enthält eine vollständige Arbeit (ausnahmsweise von kürzeren, auch mehrere) und ist für sich
käuflich. Eine entsprechende Anzahl von Heften wird (in der Regel Jahrgangs weise) zu einem
Bande vereinigt.
Bisher sind erschienen :
Jland I.
Heft 1. Der Boden Mecklenburgs, von Prof. Dr. E. Geinitz. Preis 80 Pfennig.
Heft 2. Die oberrheinische Tiefebene und ihre Randgebirge, von Prof. Dr.
L e p 8 i u 8. Preis M. 2. —
Heft 3. Die Städte der Norddeutschen Tiefebene in ihrer Beziehung zur Boden-
gestaltung, von Prof. Dr. F. G. Hahn. Preis M. 2. —
Heft 4. Das Mtinchener Becken. Ein Beitrag zur physikalischen Geographie
Südbayerns,* von Chr. Gruber. Preis M. 1. 60.
Heft 5. Die mecklenburgischen Höhenrücken (Geschiebestreifen) und ihre
Beziehungen zur Eiszeit, von Prof. Dr. E. Geinitz. Preis M. 3. 10.
Heft 6. Der Einfluss der Gebirge auf das Klima von Mitteldeutschland, von
Dr. R. Assmann. Preis M. 5.50.
Heft 7. Die Nationalitäten in Tirol und die wechselnden Schicksale ihrer
Verbreitung, von Prof. Dr. H. J. Bidermann. Preis M. 2.40.
Heft 8. Poleographie der cimbrischen Halbinsel, ein Versuch, die Ansied-
lungen Nordalbingiens in ihrer Bedingtheit durch Natur und Ge-
schichte nachzuweisen, von Prof. Dr. K. Jansen. Preis M. 2. —
Band II.
Heft 1. Die Na tionalitats- Verhältnisse Böhmens, von Dr. L. Schlesinger, Preis
80 Pfennig.
Heft 2. Nationalität und Sprache im Königreiche Belgien, von Geh. Rechnungsrat
K. Brämer. Preis M. 4. - """"
Heft 3. Die Verbreitung und Herkunft der Deutschen in Schlesien, von Prof. Dr.
K. Weinhold. Preis M. 2.40.
Heft 4. Gebirgsbau und Oberflächengestaltung der Sächsischen Schweiz, von
Dr. A. Hettner. Preis M. 5. 25.
Heft 5. Neuere slavische Siedlungen auf süddeutschem Boden, von Prof. Dr.
H. J. Bidermann. Preis M. 1.25.
Heft 6. Siedlungsarten in den Hochalpen, von Prof. Dr. Ferdinand Löwl.
Preis M. 1. 75.
Fortsetzung auf Seite 3 des Umschlags.
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DIE YOLKSDICHTE
DEE GROSSHERZOGLICH HESSISCHEN
PROVINZ STARKENBURG
AUF GRUND
DER VOLKSZÄHLUNG VOM 2. DEZEMBER 1895.
VON
DB. KARL §ERQMANN,
LEHRER AN DER VIKTORIASCHULE UND DEM LEHRERINNEN-SEMINAR
ZU DARMSTADT.
mit'einer karte.
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STUTTGART.
VERLAG VON J. ENGELHORN.
1900.
Druck der Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart.
Inhalt
Seite
Einleitung 297 [5]
1. Aeltere Diohtekarten der Provinz Starkenburg 297 [5
2. Zweck der vorliegenden Arbeit 303 [11'
3. Umfang der vorliegenden Arbeit 804 [12'
Allgemeiner Teil 806 [14]
I. Gang der Untersuchung 806 [14]
1. Statistisch-geographische Vorarbeiten 806 [14
2. Die bei der vorliegenden Arbeit befolgte Methode .... 807 f 15
3. Das Quellenmaterial 315 23'
a) Volksdichtearbeiten 815 [28'
b) Statistische Werke 816 [24'
c) Kartenwerke 316 [24
d) Geologische Abhandlangen 316 [24
e) Allgemeine Werke über das Großherzogtum Hessen . . 316 124'
f) Abhandlungen über einzelne Teile der Provinz Starkenburg 317 [25
II. Hauptergebnisse der Specialuntersuchung 317 [25]
Specialuntemohung 319 [27]
A. Die Rheinebene und die Mainebene westlich der Verkehrs-
linie Frankfurt-Darmstadt 320 [28]
B. Die große Verkehrslinie Frankfurt-D ärmst ad t-Heidelberg . . 326 [34]
C. Die Ostlich der Verkehrslinie Frankfurt-Darmstadt gelegene
Mainebene 832 [40
D. Die Vorhöhen des Odenwaldes 337 45
E. Der Odenwald 340 [48
1. Der westliche Odenwald 340 [48]
2. Das Gersprenz- und das Weschnitzthal 347 55'
3. Der mittlere Odenwald 350 58'
4. Das Mümlingthal 356 [64
5. Der östliche Odenwald 858 [66'
6. Das Neckarthal und die Neckarseitenthäler. (Der süd-
östliche Odenwald.) 860 [68]
1
Erklärung der Abkürzungen.
Beitr. Stat. — Beitrage zur Statistik des Großherzogtums Hessen.
Centralst. Landesst. = Mitteilungen der Großherzoglich Hessischen Centralstelle
für die Landesstatistik.
£rl. Mörfelden u. s. w. = Erläuterungen zu Blatt Mörfelden u. s. w. (der geolog.
Karte von Hessen).
Nk., Studien Volksdichte = Neukirch, K., Studien über die Darstellbarkeit
der Volks dichte. Braunschweig 1897.
Nrn., Yolk8d. Baden = Neumann, L., Die Volksdichte im Großherzogtum Baden,
in Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde, VII., 1892.
Nrn., Südl. Schwarzwald = Neumann , L., Die Veränderungen der Volksdichte
im südl. Schwarzwalde 1852—1895. Freiburg i. Br. u. Leipzig 1896.
P. M. = Peter mann 8 Mitteilungen.
Spr. , Rheinisches Deutschland 1820 = Sprecher von Bernegg, Die Verteilung
der bodenständigen Bevölkerung im rheinischen Deutschland im J. 1820.
Göttingen 1887.
Wilbrand, Odw. = Wilbrand, Der Odenwald, in Deutsche geographische Blätter.
Bremen 1889.
Einleitung.
1. Aeltere Dichtekarten der Provinz Storkenburg.
Dichtekarten, welche nur die Dichteverhältnisse der hessischen
Provinz Starkenburg berücksichtigen, giebt es nicht. Wer sich über
diese Verhältnisse unterrichten will, muß sich mit den Karten be-
gnügen, welche die Dichte von Europa, Deutschland und einzelnen
Teilen Deutschlands zur Darstellung bringen. Auf den folgenden
Seiten soll nun der Versuch gemacht werden, die wichtigsten dieser
Arbeiten, soweit Starkenburg in Betracht kommt, zu besprechen, ohne
jedoch näher auf die jeweils befolgte Methode einzugehen. Eine aus-
führliche Zusammenstellung der bis jetzt erschienenen Dichtearbeiten
und eine eingehende Darstellung und Kritik der verschiedenen Me-
thoden findet man in der Dissertation von Karl Neukirch *). Wo es
jedoch angezeigt schien, wurde auch auf andere Werke aufmerksam
gemacht, die ebenfalls Beiträge zur Methodik bringen.
Ueber die Dichtekarten von Europa2) können wir kurz hinweg-
gehen. Es ist selbstverständlich, daß sie bei der Kleinheit des Maß-
stabes und der rein statistischen Methode nur die allergröbsten Züge
vorführen können, ohne auf die Einzelheiten einzugehen. So zerfällt
z. B. auf der Dichtekarte von Europa in H. Berghaus, Physikalischer
Atlas, die Provinz Starkenburg in zwei Hauptteile, die durch eine
Linie geschieden werden, welche von Mannheim nach Frankfurt, und
zwar östlich dieser Stadt sich hinzieht. Der westlich von dieser Linie
gelegene Teil weist eine Dichte von 150 — 200 Einwohnern auf das
') Neukirch, Karl, Studien aber die Darstellbarkeit der Volksdichte.
Freiburger Dias. Braunschweig 1897.
') Heinrich Berghaus, Physikalischer Atlas, 1892. Bevölkerungsdichtig-
keit von Europa gegen Ende des 19. Jahrhunderts (M. 1:25000000), Taf. 62. —
Stülpnagel u. Bär, Die Dichtigkeit der Bevölkerung Europas; in Stülp-
nagel u. Bar, Karte von Europa, Neue Ausg. von A. Petermann. Gotha 1855.
Erste Nebenkarte. — E. Behm u. F. Hanemann, Dichtigkeit der Bevölkerung
in Europa (M. 1:11000000), in Petermanns Mitteilungen, Erg.-Bd. VIII, 1874,
Taf. IL — E. Levasseur, Carte de la density de la population en Europe
(penode 1880—1885) (M. 1 : 14000000). Bulletin de Vlnstitut International de Sta-
tistique. Rome. T. IL L. 2. Ann£e, 1887.
298 Karl Bergmann, [6
Quadratkilometer auf, der östliche Teil dagegen nur eine solche von
100—150. Ein Streifen schwacher Bevölkerung (Dichte 50 — 75) ragt
in den östlichen Odenwald hinein. Es stellt sich also der größte Teil
des östlich der Linie Frankfurt-Darmstadt gelegenen Gebietes der Main-
ebene als schwächer bevölkert dar als die Rheinebene, was den wirk-
lichen Verhältnissen nicht entspricht.
Die Dichtigkeitsdarstellung von Europa in P. M., Erg.-Bd. VIII,
1874, Taf. II kommt den wirklichen Verhältnissen insofern näher, als
sie die Provinz Starkenburg in mehrere Gebiete zerfallen läßt, die im
Vergleich zu der Karte bei Berghaus den Eindruck größerer Natur-
wahrheit hervorrufen. Es ist das eine Folge der hier angewandten
Methode, der sogen. Kurvenkonstruktion, welche von dem dänischen
Marinelieutenant Ravn zuerst ausgedacht wurde. Indem diese Methode
im Gegensatz zur statistischen die administrativen Grenzen ganz auf-
giebt, bemüht sie sich, deren Unnatürlichkeit durch Einführung von
Kurven zu vermeiden. Während aber Ravn diese Kurven nach einem ge-
wissen mathematischen Verfahren herstellt 1), konstruierten E. Behm und
F. Hanemann ihre Kurven nicht mathematisch, „sondern zogen sie mit
Rücksicht auf die größere oder geringere Häufigkeit der Ortschaften,
wie sie auf topographischen Karten ersichtlich ist* *). Auf der nach
dieser Methode entworfenen Dichtekarte von Europa stellen sich nun-
mehr die Verhältnisse für Starkenburg wie folgt dar: Der am stärksten
bevölkerte Teil mit über 8000 Einwohnern auf die geographische Quadrat-
meile befindet sich im Südwesten; er reicht zu beiden Seiten des Rheins
südlich weit über Mannheim hinaus. Der nördlichste Teil dieses stark
bevölkerten Gebietes auf dem rechten Rheinufer, etwa die Gegend von
Viernheim, Lampertheim, Bürstadt, gehört jedoch noch zu Starkenburg.
Das linke Mainufer bis Hanau etwa erreicht eine Dichte von 7 — 8000.
Der größere Teil des Odenwald es weist die Dichte 5—6000, der öst-
lichste Teil dagegen nur eine solche von 4 — 5000 auf. In der Nord-
westecke der Provinz, also in dem von Rhein und Main gebildeten
Dreieck, trifft man nur auf eine Dichte von 3 — 4000. Der übrige
Teil der Ebene hat die Dichte 6—7000. Diese Karte weist also dem
Odenwalde eine wesentlich geringere Dichte zu als der Rhein-Main-
Ebene. Auch unterscheidet sich der östliche Odenwald durch seine
geringere Dichte vom westlichen. Ferner ist eine allmähliche Zunahme
der Bevölkerung in der Mainebene nach dein Maine hin festzustellen
(5—6000, 6-7000, 7-8000).
Wir könnten hier die Dichtekarte von Mitteleuropa in Sydow-
Wagners Schulatlas s) anführen; bei ihrem kleinen Maßstabe (1 : 6000000)
kann sie aber durchaus nichts Neues bringen. Sie hat, wie die in an-
deren Schulatlanten erschienenen Dichtekarten, eben nur den Wert
einer Uebersichtskarte.
1) Beschreibungen dieses Verfahrens befinden sich u. a. bei E. Behm,
P. M., Erg.-Bd. VIII, S. 93; J. J. Kettler, S. 89, 40; E. Träger, S. 8, 9;
s. Quellen Verzeichnis.
2) P. M.f Erg.-Bd. VIII, Nr. 35, S. 93.
3) Sydow- Wagners Meth. Schulatlas , 6. Aufi. H. Wagner, Gotha 1895.
Tafel 14.
7] Die Volksdichte der Provinz Starkenburg. 299
ungleich wichtiger sind die Karten, welche die Dichtigkeit^
Verhältnisse von Deutschland behandeln. Es kommen hier zwei Ar-
beiten in Betracht, die von E. Behm und F. Hanemann und die von
J. J. Eettler ')• Die in beiden Arbeiten befolgte Methode ist ebenfalls
die Eurvenmethode. Aber „dem größeren Maßstabe und der reicheren
topographischen Grundlage " entsprechend, können „die geographischen
Bedingungen in ihrer Wirkung auf die Volksverteilung mehr hervor-
treten* *). Die Behm-Hanemannsche Karte bietet denn auch einen
ziemlich deutlichen Einblick in die Dichteverhältnisse Starkenburgs.
Das linke Mainufer bis Offenbach hat eine Dichte von über 8000 Ein-
wohnern auf die geographische Quadratmeile. Der südlich hiervon ge-
legene Teil der Mainebene zerfällt in drei wesentlich gleich große Ge-
biete: das nördlichste Gebiet weist eine Dichte von 7—8000 und das
mittlere eine solche von 6—7000 auf; der südliche Teil, einschließlich
der Vorhöhen des Odenwaldes, hat die Dichte 5 — 6000. Der Oden-
wald selbst ist in drei Gebiete »eingeteilt: dem größeren westlichen
Teil bis zum Mümlingthal ist eine Dichte von 5 — 6000 zugefallen,
während die zwei kleineren östlichen Gebiete, also das Mümlinggebiet
und der östlich davon gelegene Höhenzug, die Dichten 4 — 5000 bezw.
3 — 4000 besitzen. Im südlichen Odenwald erhebt sich das Hirschhorner
Gebiet zu einer Dichte von 6 — 7000. In der Rheinebene ist nach
dieser Karte ebenfalls der südwestlichste Teil sehr stark bevölkert
(Dichte über 8000). Zwischen dieses Gebiet und die Bergstraße mit
der Dichte 6 — 7000 schiebt sich eine Zone ein, welche die Dichte
7—8000 hat. Letztere stößt im Norden auf ein schwach bevölkertes
Gebiet (Dichte 2 — 3000), das bis nahe zur Mainmündung sich hinzieht.
Man sieht auf den ersten Blick , daß diese Karte im wesentlichen
dieselben Verhältnisse aufweist, wie die Dichtekarte von Europa in
P. M., Erg.-Bd. VHI, Nr. 35. Nur kann sie selbstverständlich mehr in
die Einzelheiten eingehen, wodurch sie den wirklichen Verhältnissen
viel näher kommt. So haben wir eine reichere Gliederung des Oden-
waldes (vier Teile gegen zwei). Das schwach bevölkerte Gebiet in der
Rheinebene mit seiner Dichte 2—3000 grenzt nicht unmittelbar an
den Main, wie auf der Karte von Europa, sondern die Zone mit der
Dichte 8000 trennt es vom Maine, so daß das vom Main und Rhein
' gebildete Dreieck als stark bevölkert erscheint , wie es ja auch that-
sächlich der Fall ist. Auffallend ist der Umstand, daß sowohl bei
der Mainebene wie bei der Rheinebene ein stufenweises Anschwellen
der Bevölkerung nach den Flüssen hin stattfindet, was einen zwar sehr
eleganten und anmutigen, aber auch gekünstelten Eindruck macht.
Nach denselben Prinzipien ist die Eettlersche Karte entworfen.
Aber im Gegensatz zur Hanemannschen mehr verallgemeinernden Kurven-
zeichnung thut Kettler „einen Schritt weiter in der Richtung größerer
') E. B e h m (und F. Hanemann), Die Landschafben des Deutschen Reiches
nach ihrer Volksdichtigkeit (M. 1 : 8700000). P. M. XX, 1874, S. 1 und Taf. I. —
J. J. Kettler, Dichtigkeit der Bevölkerung im Deutschen Reich (M. 1:8000000),
in Andree-Peschel, Physikalisch-statist* Atlas des D. Reichs. Bielefeld und
Leipzig 1878. Taf. 15.
«) P.M., Bd. XX, 1874, 8. 1.
300 Karl Bergmann, [8
Natur Wahrheit u 1). Bei Eettler ist das Bestreben ersichtlich, „mehr
ins Detail zu gehen, der wirklichen Verteilung der Bevölkerung energi-
scher nachzuspüren. Während nämlich Hanemann wohl an den Ab-
hängen der Gebirge stehen bleibt und seine Kurve geradlinig dem
Rande entlang zieht, wie z. B. im Elsaß, wo er die Vogesenthäler
mit den einschließenden Höhen unter einem einheitlichen Farbenton
zusammenfaßt, dringt Kettler strenger sichtend in die dichtbevölkerten
unteren Thäler ein und weist den waldigen Höhen den ihnen zu-
kommenden geringen Grad von Dichtigkeit an, indes jene in die Kurve
der Löß- und Diluviallandschaften einbezogen werden*1 *). Das Be-
streben, „mehr ins Detail zu gehen" und „strenger sichtend in die
dichtbevölkerten unteren Thäler" einzudringen, trifft für die Vogesen
allerdings zu, wie ein Blick auf die Karte lehrt. Hier bei den Vogesen
zieht die Kurve nicht „geradlinig dem Rande entlang11, wohl aber bei
der hessischen Bergstraße bis Darmstadt, von wo sie sich in ost-
nordöstlicher Richtung zum Maine hinzieht, um dann das Mainthal bis
Mainz nicht mehr zu verlassen. Sie weist eine Dichte von über 8000
auf. Von einem sichtenden Eindringen in die Thäler ist keine Rede.
Die Thäler der Gersprenz und der Weschnitz treten nicht hervor; nur
das Mümlingthal ist gesondert dargestellt, allerdings mit der ge-
ringen Dichte von 4—5000, während der westliche Odenwald bis
zum Mümlingthal die Dichte 5 — 6000 besitzt: die Höhen erscheinen
also dichter besiedelt als das Thal ! Man kann wohl mit Recht sagen,
daß — soweit Starkenburg in Betracht kommt — die Behm-Hane-
mannsche Karte den wirklichen Verhältnissen gerechter wird als die
Kettlersche.
Auch in dem Handatlas von Andree 1890 befindet sich eine
Volksdichtekarte von Deutschland im Maßstab 1 : 7000000. Ueber die
bei der Herstellung der Karte befolgte Methode wird nichts weiter
mitgeteilt. Es sind für die Provinz Starkenburg wesentlich sechs
Teile zu unterscheiden. Das linke Mainufer von Mainz an über Frank-
furt, Offenbach bis nach Hanau etwa hat die Dichte 8000. Von hier
aus zieht sich dieses stark bevölkerte Gebiet südlich mitten durch die
Mainebene, wendet sich dann nach Westen bis Darmstadt, um hierauf
an der Bergstraße entlang zu ziehen. Der übrige Teil der Rhein-
Main-Ebene erreicht nur den Dichtegrad 4 — 6000, welcher auch für*
den Odenwald gilt, mit Ausnahme des östlichsten Teils, dem nur die
Dichte 2 — 4000 zukommt. Außerdem schiebt sich noch eine Zone mit
der Dichte 4 — 6000 in den östlichen Odenwald hinein; offenbar wird
hier das Mümlingthal mit Erb ach, Michelstadt u. s. w. berücksichtigt.
Auch auf dieser Karte hat das Hirschhorner Gebiet die hohe Dichte
6—8000.
Bei allen seither besprochenen Karten war ein Eingehen auf
Einzelheiten nicht möglich. Charakteristische Gebiete, wie z. B. die
Bergstraße oder die Odenwaldthäler, treten entweder gar nicht oder
nur unvollkommen hervor. Eine derartige Berücksichtigung der Einzel-
') Spr., Rheinisches Deutschland 1820, S. 4.
2) Spr., Rheinisches Deutschland 1820, S. 4.
11] Die Volksdichte der Provinz Starkenburg. 303
über Langen, Sprendlingen , Dudenhofen (nicht Dudenheim, wie auf
der Karte steht) nach Offenbach zieht und mittelstarke Dichte er-
reicht. Stark bevölkert ist das Mainthal von Offenbach bis südlich von
Seligenstadt. Aeußerst klar liegen die Verhältnisse im Odenwald: der
westliche Odenwald ist mittelstark bevölkert, mit Ausnahme des dichter
besiedelten nordwestlichen Teils (Nähe Darmstadts). Dann folgen das
Gersprenz- und das Weschnitzthal mit starker Bevölkerung, die sich
auch noch nordwärts über Grofi-Zimmern , Dieburg und Babenhausen
bis zum Main fortsetzt. Der zwischen dem Gersprenz- und Weschnitz-
thal einerseits und dem Mümlingtbal andererseits gelegene Odenwald
ist schwach bevölkert, ebenso der östlich vom Mümlingtbal gelegene
Höhenzug und der südöstliche Odenwald einschließlich des Neckarthals.
Das Mümlingthal selbst ist, wie schon oben bemerkt, sehr stark be-
völkert. £)aß nach Sprecher das Neckarthal nur von Heidelberg bis
Neckargemünd sehr stark bevölkert sein soll, während der übrige Teil
bis Zwingenberg in schwach bevölkertes Gebiet fällt, kann auch für
das Jahr 1820 gewiß nicht den Thatsachen entsprechen1), ebenso-
wenig wie der Umstand, daß der Streifen sehr starker Bevölkerung
nördlich von Zwingenberg an der Bergstraße jäh abbricht, ohne sich
noch weiter nordwärts fortzusetzen.
Ueberblicken wir die bis jetzt besprochenen Arbeiten, so fällt
sofort auf, daß gewisse Gegenden mehr oder weniger übereinstimmend
dargestellt sind. Hierher gehören z. B. die stark bevölkerten Gegenden
der Südwestecke der Provinz, des Mainthals und des Neckarthals bei
Hirschhorn. Beim Odenwald blickt überall der Unterschied zwischen
dem westlichen und dem östlichen Teile durch. In der nordwestlichen
Rhein-Main-Ebene trifft man ein schwach bevölkertes Gebiet an. Es
sind das aber immer nur die allergröbsten Züge, in denen uns die
Dichteverhältnisse Starkenburgs vorgeführt werden, da ja ein Eingehen
auf die Einzelheiten wegen der angewandten Methode und des Maßstabes
der Karte nicht statthaft ist. Nur bei Sprecher ist ein deutlicher
Versuch zu bemerken, die Einzelheiten, im Odenwald z. B. die beiden
großen Längsthäler, hervortreten zu lassen.
2. Zweck der vorliegenden Arbeit.
In der vorliegenden Arbeit soll nunmehr der Versuch gemacht
werden, die Volksdichte der hessischen Provinz Starkenburg auf Grund
der Volkszählung vom 2* Dezember 1895 zu ermitteln, kartographisch
darzustellen und zu begründen. Da es sich hier um eine Special-
untersuchung handelt und die Karte im Maßstabe von 1 : 250000 ent-
worfen ist, so soll und kann hier zum Unterschied von allen seither
erschienenen Arbeiten, die auch die Provinz Starkenburg berücksichtigen,
versucht werden, innerhalb der großen Gebiete auf die Einzelheiten
einzugehen. Während bei Sprecher z. B. die Bergstraße, das Mümling-
») Vgl. auch Nrn., Volksd. Baden, S. 99.
302 Karl Bergmann, [10
zu beschreiben. Da Deutsch seine Dichtestufen in Abstanden von
je 1000 (von 10000 ab in Abständen von je 2000) folgen läßt, so fallen
die Kreise Heppenheim, Lindenfels, Darmstadt, Dieburg und Offenbach
in eine Stufe zusammen. Die ganze Mainebene, der westliche Oden-
wald und die südwestliche Rheinebene weisen also eine Dichte von
5 — 6000 auf. Der nördliche Teil der Rheinebene hat dagegen nur die
Dichte 3 — 4000. Zwischen diesem nördlichen und dem südwestlichen
Teil der Rheinebene dehnt sich dann das stark bevölkerte Gernsheimer
Gebiet mit einer Dichte von 6—7000 aus. Diese starke Bevölkerung
erklärt sich einfach dadurch, daß zum Kreise Gernsheim die wohl-
bevölkerte Bergstraßenstrecke Bensheim-Zwingenberg-Jugenheim gehört.
Der östliche Odenwald ist in seinem nördlichen Teil (Neustadt) stärker
bevölkert als der südliche (Erbach); die Dichten sind 4 — 5000 bezw,
3—4000.
Viel wertvoller ist die Sprechersche Karte. Sie gehört wie die
Karten von Behm, Hanemann und Kettler der Kurvenmethode an;
aber durch die Wahl eines größeren Maßstabes und durch eingehende
Benutzung der topographischen Karte hat Sprecher bedeutend zur
Verbesserung der Methode beigetragen. „Die Karte, und zwar die
eigentliche topographische Karte, wird nunmehr zum grundlegenden
Faktor" *). So macht denn die Sprechersche Karte einen viel natür-
licheren Eindruck als die steife Delitschsche Karte; obgleich erstere die
Verhältnisse um das Jahr 1820 darstellt, kommt sie doch den heutigen
Verhältnissen viel näher, als die die Zustände um 1865 ins Auge
fassende Karte von Deutsch.
Sprecher unterscheidet elf Dichtestufen, die er in fünf Gruppen
einteilt:
1. Unbewohnte und ganz schwach bevölkerte Gebiete (Dichtig-
keit unter 20 Einwohner auf das Quadratkilometer).
2. Schwach bevölkerte Gebiete (20—60).
3. Mittelstark bevölkerte Gebiete (60—100).
4. Stark bevölkerte Gebiete (100—160).
5. Sehr stark bevölkerte Gebiete (160 bis über 200) *).
Nach Sprecher giebt es in Starkenburg drei Gebiete mit sehr
starker Bevölkerung: die Bergstraße von Zwingen berg an bis zur
badischen Grenze, das Mümlingthal und das Mainthal bei Offenbach.
Die Rheinebene zerfällt in zwei Teile, die durch die Linie Lampertheim-
Griesheim- Groß-Gerau getrennt sind. Der westlich dieser Linie gelegene
Teil ist mittelstark bevölkert, mit Ausnahme des südlichsten Teils bei
Lampertheim, der stark bevölkert ist. Oestlich dieser Linie haben
wir starke Bevölkerung. Der Lorscher, Gernsheimer und Griesheimer
Wald sind als Gebiete geringster Dichte gesondert dargestellt. Die
Mainebene stellt sich als ein sehr schwach bevölkertes Gebiet dar als
Folge der gerade hier so ausgedehnten Wälder. Eine Ausnahme
bildet ein Streifen, der quer durch die Ebene von Groß-Gerau an
1) Spr., Rheinisches Deutschland 1820, S. 11.
2) Spr., Rheinisches Deutschland 1820, S. 15 u. 16.
11] Die Volksdichte der Provinz Starkenburg. 303
über Langen, Sprendlingen , Dudenhofen (nicht Dudenheim, wie auf
der Karte steht) nach Offenbach zieht und mittelstarke Dichte er«
reicht. Stark bevölkert ist das Mainthal von Offenbach bis südlich von
Seligenstadt. Aeußerst klar liegen die Verhältnisse im Odenwald: der
westliche Odenwald ist mittelstark bevölkert, mit Ausnahme des dichter
besiedelten nordwestlichen Teils (Nähe Darmstadts). Dann folgen das
Gersprenz- und das Weschnitzthal mit starker Bevölkerung, die sich
auch noch nordwärts über Groß- Zimmern , Dieburg und Babenhausen
bis zum Main fortsetzt. Der zwischen dem Gersprenz- und Weschnitz-
thal einerseits und dem Mümlingthal andererseits gelegene Odenwald
ist schwach bevölkert, ebenso der östlich vom Mümlingthal gelegene
Höhenzug und der südöstliche Odenwald einschließlich des Neckarthals.
Das Mümlingthal selbst ist, wie schon oben bemerkt, sehr stark be-
völkert. £)aß nach Sprecher das Neckarthal nur von Heidelberg bis
Neckargemünd sehr stark bevölkert sein soll, während der übrige Teil
bis Zwingenberg in schwach bevölkertes Gebiet fällt, kann auch für
das Jahr 1820 gewiß nicht den Thatsachen entsprechen1), ebenso-
wenig wie der Umstand, daß der Streifen sehr starker Bevölkerung
nördlich von Zwingenberg an der Bergstraße jäh abbricht, ohne sich
noch weiter nordwärts fortzusetzen.
Ueberblicken wir die bis jetzt besprochenen Arbeiten, so fällt
sofort auf, daß gewisse Gegenden mehr oder weniger übereinstimmend
dargestellt sind. Hierher gehören z. B. die stark bevölkerten Gegenden
der Südwestecke der Provinz, des Mainthals und des Neckarthals bei
Hirschhorn. Beim Odenwald blickt überall der Unterschied zwischen
dem westlichen und dem östlichen Teile durch. In der nordwestlichen
Rhein-Main-Ebene trifft man ein schwach bevölkertes Gebiet an. Es
sind das aber immer nur die allergröbsten Züge, in denen uns die
Dichteverhältnisse Starkenburgs vorgeführt werden, da ja ein Eingehen
auf die Einzelheiten wegen der angewandten Methode und des Maßstabes
der Karte nicht statthaft ist. Nur bei Sprecher ist ein deutlicher
Versuch zu bemerken, die Einzelheiten, im Odenwald z. B. die beiden
großen Längsthäler, hervortreten zu lassen.
2. Zweck der vorliegenden Arbeit.
In der vorliegenden Arbeit soll nunmehr der Versuch gemacht
werden, die Volksdichte der hessischen Provinz Starkenburg auf Grund
der Volkszählung vom 2. Dezember 1895 zu ermitteln, kartographisch
darzustellen und zu begründen. Da es sich hier um eine Special-
untersuchung handelt und die Karte im Maßstabe von 1 : 250000 ent-
worfen ist, so soll und kann hier zum Unterschied von allen seither
erschienenen Arbeiten, die auch die Provinz Starkenburg berücksichtigen,
versucht werden, innerhalb der großen Gebiete auf die Einzelheiten
einzugehen. Während bei Sprecher z. B. die Bergstraße, das Mümling-
l) Vgl. auch Nrn., Volksd. Baden, S. 99.
304 Karl Bergmann, [12
thal, das Mainthal von Offenbach aufwärts unter einem einheitlichen
Farbentone erscheinen, können hier entsprechend dem größeren Maß-
stabe, aber auch den wirklichen Verhältnissen gemäß, Abstufungen
gemacht werden. Dasselbe gilt auch für die inneren Gebirgsland-
schaften, die bei Sprecher etwas gar zu einförmig sich ausnehmen.
3. Umfang der vorliegenden Arbeit.
In welchem Umfang hat die Untersuchung zu erfolgen ? Hat sie
sich auf die politischen Grenzen der Provinz Starkenburg zu beschränken
oder darüber hinauszugehen und eine mehr den natürlichen Verhält-
nissen Rechnung tragende Abgrenzung zu suchen? Die Nachteile, die
die Beschränkung auf den politischen Staat wohl mit sich führen mag,
werden wieder durch die Vorteile aufgehoben, die aus einem einheit-
lichen statistischen Material entspringen. Diese Einheitlichkeit geht
jedoch verloren, wenn wir auch die angrenzenden Teile der Nachbar-
länder mit berücksichtigen, da die verschiedenen Staaten die nicht
immer nach gleichen Gesichtspunkten gewonnenen Ergebnisse ihrer
statistischen Erhebungen auch auf verschiedene Weise veröffentlichen.
Immerhin sollen hier als Ergänzung meiner Untersuchungen die
Ergebnisse der Volksdichtearbeit von Carl Uhlig1) mitgeteilt werden.
Ein Blick auf Uhligs Karte zeigt, daß die Dichteverhältnisse, wie ich
sie für den hessischen Teil der Bergstraße, des südlichen Odenwalds
und der Rheinebene gefunden habe, auch für den angrenzenden badischen
Teil im wesentlichen dieselben sind: auch bei Uhlig ist die badische
Bergstraße von Heidelberg bis Weinheim dicht bevölkert, woran sich
aber die drei Orte Sulzbach, Hemsbach und Laudenbach mit nur mittel-
starker Bevölkerung (nach meiner Stufeneinteilung) anschließen. Der
zwischen der Bergstraßenstrecke Weinheim-Heidelberg einerseits und dem
nach Baden hineinragenden Hirschhorner Gebiet andererseits gelegene
badische Odenwaldanteil ist in seinem nördlichsten Teile mittelstark,
in seinem mittleren und südlichen (dem Neckarthal zu gelegenen) Teile
stark und sehr stark bevölkert. Der nördlich vom Neckar sich aus-
dehnende badische Teil der Rheinebene stellt sich in seinem östlichen
Teil als mittelstark, in seinem westlichen als stark und sehr stark
bevölkert dar (Nähe Mannheims).
Auch der preußische Teil des linken Mainufers mit den Orten
Oberrad, Niederrad und Schwanheim ist dicht bevölkert, wie aus den
„Beiträgen zur Statistik der Stadt Frankfurt a. M." hervorgeht2). Hier
werden die Ortschaften in der Umgebung von Frankfurt nach Maß-
gabe ihrer Entfernung zu verschiedenen Zonen zusammengefaßt. Ober-
rad gehört zur ÜI. Zone mit der Dichte 1807 auf das Quadratkilo-
meter3), während Schwanheim zur Zone VII mit der Dichte 211 gehört.
') G. Uhlig, Die Veränderungen der Volksdichte im nördlichen Baden
1852—1895. F. d. L. u. V., XL Bd., Heft 4, 1899.
2) Beitr. zur Statistik der Stadt Frankfurt a. M. Neue Folge, 1. Heft,
I. Teil, S. 100, 101. Frankfurt 1892.
3) Zu Grunde liegt die Volkszählung vom 1. Dezember 1890.
13] Die Volkadichte der Provinz Starkenburg. 305
Allerdings wird das kaum den Thatsachen entsprechen, denn auch
Bürgel gehört zu dieser Zone, obgleich die wirkliche Dichte dieses
Ortes 816 ist! l) Die geringe Dichte von Schwanheim und Bürgel
erklärt sich eben durch die bei der Frankfurter Berechnung angewandte
Methode, die nicht die Ortschaften nach ihren natürlichen Bedingungen
zusammenfaßt, sondern in rein äußerlicher Weise alle von Frankfurt
innerhalb eines gewissen Kilometerumkreises liegende Ortschaften zu
einer Zone gruppiert. So werden z. B. mit Schwanheim und Bürgel
die nicht so günstig gestellten Orte Bonames und Niederursel vereinigt,
so daß die Dichte der ersteren herabgedrückt wird. Die wirkliche
Dichte Schwanheims wird sich also wohl wesentlich höher stellen als 211,
wenn auch dieser Ort natürlich nicht die hohe Dichte Oberrads und
Niederrads erreichen kann, deren höhere Dichte ja auch sehr wohl mit
dem Satze übereinstimmt, daß nach den großen Verkehrscentren hin
die Volksdichte zunimmt.
') Vgl. S. 832 [40], Gruppe 22.
Allgemeiner Teil.
L Gang der Untersuchung.
1. Statistisch-geographische Vorarbeiten.
Die Ergebnisse der Volkszählung vom 2. Dezember 1895 sind
niedergelegt in den „Mitteilungen der Großh. Hess. Centralstelle für die
Landesstatistik "f Nr. 632, Dezember 1896.
Das Areal für die einzelnen Gemeinden (Ackerfeld, Wiesen, Wein-
berge, Wald, Gesamtareal) ist angegeben in „Beiträge zur Statistik des
Großherzogtums Hessen44, 24. Bd., 1. Heft, Darmstadt 1884.
Da aber diese Veröffentlichungen zu weit zurückliegen, so wurden
bei der vorliegenden Arbeit die Anbauflächen von 1892 — 93 zu Grunde
gelegt, die gelegentlich der Feststellung des Viehstandes in den «Mit-
teilungen der Großh. Hess. Centralstelle für die Landesstatistik ", Nr. 580
und 581, Jahrgang 1894, für jede einzelne Gemeinde veröffentlicht
wurden. So waren also im wesentlichen nur das Gesamt- und das
Waldareal aus den Beiträgen von 1884 zu ersehen.
Außer diesen statistischen Arbeiten kommt hier noch in Betracht
die kartographische Darstellung der Bevölkerungsdichtigkeit des Deut-
schen Reiches nach dem Ergebnis der Volkszählung vom 1. Dezember
1875, erschienen in „Monatshefte zur Statistik des Deutschen Reiches44,
Berlin 1878, Bd. XXX, Taf. 1 (M. 1 : 3000000).
Selbstverständlich liegen hier nur die politischen Bezirke, für
Starkenburg also die Kreise, zu Grunde. Am stärksten bevölkert sind
nach dieser Darstellung die Kreise Darmstadt und Offenbach mit der
Dichte von 120 — 149,9 Einwohnern auf das Quadratkilometer, ohne die
Städte Darmstadt und Offenbach. Es folgen dann als gleich stark be-
völkert die Kreise Dieburg, Bensheim und Heppenheim mit einer Dichte
von 100 — 119,9; am schwächsten bevölkert sind die Kreise Erbach und
Groß-Gerau (80—99,9 bezw. 70—79,9).
Auch von der hessischen Centralstelle für die Landesstatistik
werden die Ergebnisse der Volkszählungen bezüglich der Dichte kreis-
weise zusammengestellt, ohne jedoch kartographisch fixiert zu werden.
Diese Zusammenstellungen sind veröffentlicht in „Beiträge zur Statistik
des Großherzogtums Hessen41, Bd. 34 und 38, Darmstadt 1890 und 1895.
15] Karl Bergmann, Die Volkadichte der Provinz Starkenburg. 307
Danach stellen sich die Volksdichten für die einzelnen Kreise
und für die Jahre 1885 und 1890 wie folgt:
1885 1890
Einwohner auf das Einwohner auf das.
Quadratkilometer Quadratkilometer
281,9 305,9
124,6 127,9
105,1 106,4
80,2 78,3
88,6 92,1
108,0 107,9
226,5 246,3
Kreis Darmstadt . .
„ Bensheim . .
„ Dieburg . . .
„ Erbach . . .
„ Groß-Gerau
„ Heppenheim
„ Offenbacb . .
Provinz Starkenburg .
133,3 . 139,0
Sogar aus diesen gewiß nur dürftigen statistischen Veröffent-
lichungen kann man einen allgemeinen Ueberblick über die Verteilung
der Bevölkerung erhalten : die industriellen Kreise Darmstadt und Offen«
bach haben die stärkste Bevölkerung, dann folgen die landwirtschaftlich
begünstigten Kreise Bensheim, Heppenheim und Dieburg, während der
mitten im Odenwald liegende Kreis Erbacb und der teilweise sehr
schlechten Boden aufweisende Kreis Groß-Gerau mit ihrer geringen
Dichte an letzter Stelle kommen.
2. Die bei der vorliegenden Arbeit befolgte Methode.
Bei den auf S. 297 — 303 [5 — 11] besprochenen Arbeiten von
E. Behm, F. Hanemann, J. J. Kettler, Sprecber von Bernegg und
O. Deutsch, denen hier noch die Arbeit von L. Neumann über die
Volksdichte Badens angeschlossen sei, wurde die Dichte dargestellt
unter Vorausnahme topographischer und kultureller Kenntnisse der
betreffenden Gebiete. Die bei der vorliegenden Arbeit angewandte
Methode enthält sich jedoch der Vorausnahme derartiger Kenntnisse,
sondern gewinnt „aus den statistisch gegebenen Zahlen durch Rechnung
unabhängig von Voraussetzungen die Dichte der möglichst kleinsten
Einheiten" l) und faßt die gleich oder ähnlich dicht bevölkerten zu
Gruppen zusammen, wobei sie möglichst die unter gleichen Bedingungen
stehenden Orte berücksichtigt.
Was ist aber die möglichst kleinste Einheit? Einige legten der
Berechnung der Dichte und der Konstruktion der Karte geometrische
Figuren (Sechsecke, Quadrate) zu Grunde. Dagegen wendet sich mit
Recht O. Deutsch, wenn er sagt, „daß sich weder die Bildung der
Erdoberfläche noch die Entwickelung des menschlichen Lebens auf der-
selben jemals nach der Schablone mathematischer Linien und Figuren
gerichtet habe"2). Als kleinste natürliche Einheit bleibt dann die Ge-
') Nk., Studien Volksdichte, S.. 36.
2) O. Deutsch, S. 3 u. 4.
308 Karl Bergmann, [16
raeinde übrig. So wurde in Uebereinstimmung mit E. Friedrich1) die
Gemeinde als Einheit für die Dichteberechnung gewählt. „An die eine
Volksanhäufung ursächlich bedingende Bodeneinheit, die Gemarkung,
hat die Volksdichteermittelung anzuknüpfen11 *).
Damit ist ein scharfer Gegensatz zu Neumann ausgesprochen,
der verlangt, daß die Dichteberechnung nicht für jede einzelne Gemeinde
zu erfolgen hat, sondern für eine Zusammenfassung aller Gemeinden
eintritt, die unter möglichst gleichen Bedingungen stehen, und dann
erst die Dichte dieser zusammengefaßten Gruppe berechnet. Als Ge-
sichtspunkte für die Abgrenzung der einzelnen Gebietsteile wählt Neu-
mann die Höhe, die Konfiguration und geologische Beschaffenheit des
Bodens, die Prozente der Bewaldung, des Ackerlandes, der Wiesen,
die Verkehrslage u. s. w.8). Sowie aber Neumann dies thut, gehört
seine Arbeit nicht mehr zu der Gruppe, die die Dichte ohne Voraus-
nahme irgend welcher Kenntnisse des betreffenden Gebietes ermittelt,
denn eine Gruppenbildung ist doch nur auf Grund derartiger Vorkennt-
nisse möglich. Deshalb ist es mir auch nicht verständlich, wie Neu-
kirch die letzte Arbeit Neumanns über die Veränderungen der Volks-
dichte im südlichen Schwarzwalde 1852 — 1890 unter diejenigen rechnen
kann, die sich der Vorausnahme der Kenntnisse enthalten, obgleich
diese doch auch bei der Dichteberechnung von der Gruppenbildung
ausgeht 4).
Weshalb spricht sich aber Neumann überhaupt gegen die Dichte-
berechnung für jede einzelne Gemeinde aus? Sein Vorgehen ist voll-
kommen berechtigt, wenn wir die zwischen den einzelnen Orten oft in
sehr bedeutendem Maße stattfindenden Wechselbeziehungen berücksich-
tigen; eben dieser Wechselbeziehungen wegen stimmt oft die für eine
einzelne Gemeinde ermittelte Volksdichte nicht mit den thatsächlichen
Verhältnissen Uberein. Nachstehendes Beispiel, das der vorliegenden
Arbeit selbst entnommen ist, mag dies erläutern. Die Anbauflächen
der Gemeinden Jugenheim und Zwingenberg an der Bergstraße betragen
152 bezw. 293 ha. Die Bevölkerung von Jugenheim belauft sich auf
1057 Einwohner, die von Zwingenberg auf 1589 Einwohner. Ohne
den bestehenden nachbarlichen Wechselbeziehungen Rechnung zu tragen,
berechnet sich die Volksdichte für Jugenheim auf 695, für Zwingen-
berg auf 542. Nehmen wir aber jetzt an, Bewohner der Gemeinde
Jugenheim hätten 25 ha Besitztum in der Gemarkung Zwingenberg,
so wird die Anbaufläche von Jugenheim um 25 ha vermehrt, sie be-
trägt also 177 ha, die der Gemeinde Zwingenberg dagegen wird um
25 ha vermindert, sie beträgt nur noch 268 ha. Somit verändern sich
auch die Volksdichten: Jugenheim hat nur noch die Dichte 597,
Zwingenberg jedoch 593. Das sind also erst die den wirklichen Ver-
l) E. Friedrich, Die Dichte der Bevölkerung im Reg.»Bez. Danzig
(M. 1:400000). Diss. Königsberg, Danzig; in Schriften der Naturforsch. Ges. in
Danzig. N. F. IX. Bd., Heft 1. 1895.
*) E. Friedrich, S. 3 (citiert nach Nk., Studien Volksdichte, S. 39).
») Nrn., Südl. Schwarzwald, S. 167.
4) Nk., Studien Volksdichte S. 55, H, c, ß, Nr. 156.
17] Die Volksdichte der Provinz Starkenburg. 309
hältnissen entsprechenden Dichtezahlen, die wir bei einer Vereinigung
beider Gemeinden zu einer Gruppe gleich gefunden hätten.
Aus diesem gewiß sehr stichhaltigen Grund der nachbarlichen
Wechselbeziehungen dürfte sich also die Methode Neumanns empfehlen.
Aber sie hat auch ihre Bedenken. Die Vorausnahme der geographischen
Kenntnisse bei der Gruppenbildung ist zu tadeln, da „der Einfluß der
Höhenlage und anderer natürlicher Faktoren auf die Volksdichte sich
aus der Karte ergeben soll" *). Auch sind wir bei einer Vorwegnahme
der Kenntnisse gewissermaßen befangen und leicht der Gefahr ausgesetzt,
eines vorurteilsfreien Verfahrens bei der Volksdichteermittelung verlustig
zu gehen.
Um jedoch richtig die Vorteile der Einzelberechnung kennen zu
lernen, braucht man nur einmal den Weg der Einzelberechnung und
den der Gruppenberechnung einzuschlagen und die Ergebnisse beider
miteinander zu vergleichen. Ich wähle zu diesem Zwecke die Gemeinden
Würzberg, Erlenbach, Erbuch und Bullau2). Sie liegen alle vier auf
dem östlich vom Mümlingthal sich entlangziehenden Odenwaldhöhenzug.
Die klimatischen Verhältnisse sind wenig günstig, die Verkehrslage ist
für alle vier Gemeinden dieselbe, die Prozente des Ackerlandes betragen
78 bezw. 80, 84, 85, also keine wesentlichen Unterschiede, die Be-
waldungsprozente sind hoch (50, 66, 60, 66 °/o). Ich konnte also diese
Gemeinden ganz gut zu einer Gruppe zusammenfassen und alsdann ihre
Dichte berechnen. Sie beträgt 137. Ich ermittelte nunmehr die Dichten
für die einzelnen Gemeinden und erhielt für Würzberg 127, Erlenbach
195, Bullau 164, Erbuch 54. Erbuch steht also in schärfstem Gegen-
satz zu den übrigen Gemeinden; die Einbeziehung dieses schwach be-
völkerten Ortes hat die Dichte der Gesamtgruppe auf 137 erniedrigt,
während doch thatsächlich Erlenbach und Bullau viel dichter be-
siedelt sind. Allerdings ist der Unterschied zwischen Würzberg und
Erlenbach auch bedeutend (68), aber er ist zu erklären durch die nach-
barlichen Wechselbeziehungen, während für Erbuch eine derartige Er-
klärung des allzu großen Dichteunterschiedes wegen (141 zwischen
Erlenbach und Erbuch!) unstatthaft ist. Die geringe Dichte von Er-
buch mußte also auf eine andere Ursache zurückzuführen sein, und
meine Aufgabe war es, dieser Ursache nachzuforschen. Nun stellte es
sich heraus, daß sich bei Erbuch der eine Volksverdichtung verhin-
dernde Großgrundbesitz ausgebildet hat: von den 8 landwirtschaftlichen
Betrieben sind nur 2 vorhanden mit unter 50 ar, 2 mit 1 — 3 ha, 1 mit
3—5 ha, dagegen 1 mit 10—20 ha und 2 mit 20—50 ha. Bei Würz-
berg giebt es unter 132 landwirtschaftlichen Betrieben nur 4 mit 20
bis 50 ha, 15 mit 10-20 ha, 28 mit 3-10 ha, 85 dagegen mit
unter 3 ha!
Worin besteht also der Vorteil der Einzelberechnung? Indem wir
von der Einzeldichte ausgehen, werden wir in vielen Fällen auf Fak-
toren aufmerksam gemacht, die sehr häufig bei der Volksdichte mit-
*) Nk„ Studien Volksdichte, S. 32.
*) Vgl. auch S. 359 [67].
Forschungen zur deutschen Landes- and Volkskunde. XII. 4. 21
31Ö Karl Bergmann, [18
wirken, die uns aber bei der Dichteberechnung der zusammengefaßten
Gruppen leicht entgehen können.
Deshalb wurde bei der vorliegenden Arbeit zunächst
die Dichte für jede einzelne Gemarkung berechnet; alsdann
erst wurde unter Zugrundelegung und ständiger Berücksich-
tigung der für die einzelnen Gemeinden ermittelten Volks-
dichten zur Zusammenfassung der Orte geschritten, die unter
möglichst gleichen Bedingungen stehen.
Ich habe seither als selbstverständlich vorausgesetzt, daß bei der
Dichteermittelung von der Anbaufläche ausgegangen wird und nicht
von der Gesamtfläche, daß also der Wald bei der Volksdichteberechnung
auszuscheiden sei und sich letztere auf das waldfreie Kulturareal zu
beziehen habe. Für die Ausscheidung des Waldes waren folgende
Erwägungen maßgebend. Der Wald verlangt keine Bearbeitung des
Bodens (Düngung und Bewässerung), sondern nur Verjüngung und
Ernte. Dazu gehört allerdings menschliche Arbeit; aber es sind nie-
mals so viel Arbeiter nötig, als eine landwirtschaftliche Benutzung des
Bodens erfordert. Auch ist der Wald meist Eigentum des Staates oder
der Gemeinden; deshalb genießt der Arbeiter den Ernteertrag nicht
selbst und wird daher nicht zur Ansiedelung verlockt1). So ist denn
der Wald thatsächlich unbewohnt oder nur schwach bevölkert und auf
der Karte gesondert darzustellen.
Diese Forderung der gesonderten Darstellung des Waldes ist
nicht allgemein anerkannt. Neu mann selbst in seiner Arbeit über die
Volksdichte Badens zieht den Wald bei der Dichtebestimmung mit in
Rechnung. Nach ihm ist der Wald „für die Bewohner neben Acker-
bau, Viehzucht und Gewerbebetrieb durch den Holzerlös allein eine
wichtige Einnahmsquelle seit alters her gewesen und bis heute ge-
blieben . . .tt „Der Wald hat die Holzflößerei ins Leben gerufen und
somit viele Siedelungen, deren Insassen von ihr den Lebensunterhalt
gewannen, entstehen lassen; ihm verdanken die überaus zahlreichen
Sägewerke ihr Dasein, die im Schwarzwald eine typische Erscheinung
geworden sind, auf ihn sind die Holzschnitzerei und die Anfänge der
Uhrmacherei zurückzuführen u 2). In seiner neuesten Arbeit jedoch über
die Veränderungen der Volksdichte im südlichen Schwarzwalde 1852
bis 1895 hat auch Neumann den Wald bei der Dichteberechnung als
thatsächlich unbewohnt ausgeschlossen und auf der Karte gesondert
dargestellt.
Auch Deutsch berücksichtigt den Wald bei der Berechnung der
Volksdichte; ja er zieht sogar den unfruchtbaren Boden, Heiden, Moore,
Wasserflächen mit in die Berechnung hinein 3). Aber zu welchen Re-
sultaten würde man gelangen, wenn man diese unfruchtbaren Gegenden
mit berücksichtigen wollte! Sehr treffend läßt sich darüber Träger*)
aus: ,, Schließt man das Moor in die Berechnung ein, so vermindert man
J) Spr., Rheinisches Deutschland 1X20, S. 33, und Uhlig, S. 164 u. 165.
») Nrn., Volksd. Baden, S. (52.
s) 0. Deutsch, S. 6 u. 7.
4) E. Träger, Die Volksdichtigkeit Niederschlesiens. Diss. Kiel, Weimar
1888, S. 11.
19] Die Volkadichte der Provinz Starkenburg. 311
die wahre Dichtigkeit des Fruchtlandes vielleicht ganz bedeutend, und
das bis auf wenige Torfhütten vollständig verödete Sumpfterrain er-
scheint in einem Lichte, welches der Wirklichkeit absolut nicht ent-
spricht. Aehnlich liegt die Sache bei großen Heideflächen. u Auch für
den Wald können wir diesen Ausspruch gelten lassen : durch eine Mit-
einbeziehung des Waldes in die Berechnung werden unwahre Resultate
nach unten, also nach der negativen Seite hin, geliefert.
E. Friedrich in seiner Arbeit über den Reg. -Bez. Danzig scheidet
gleichfalls den Wald aus und kennzeichnet ihn auf der Karte zwar als
bevölkert, aber als Gebiet geringster Dichte *).
Was die wichtige Frage der Städteausscheidung anlangt,
so kommt diese für die vorliegende Arbeit deshalb weniger in Betracht,
weil außer Darmstadt und Offenbach nur eine geringe Anzahl von Ort-
schaften über eine Einwohnerzahl hinauskommen, bei der von einer
Ausscheidung die Rede sein könnte. Nimmt man als solche die Zahl
5000 an, so kämen hier nur in Betracht die Gemeinden Pfungstadt,
Bensheim, Lampertheim, Heppenheim, Viernheim und Neu-Isenburg.
Die Zahl der auszuscheidenden Gemeinden würde sich allerdings be- •
deutend vermehren, wenn man als Grenze eine Einwohnerzahl von
3000 annähme. Dann müßten noch ausgeschieden werden die Orte
Arheilgen, Eberstadt, Griesheim, Oberramstadt, Bürstadt, Lorsch, Die-
burg, Groß-Umstadt, Grofi-Zimmern , Michelstadt, Gernsheim, Groß-
Gerau, Rüsselsheim, Bürgel, Langen, Mühlheim, Seligenstadt und
Sprendlingen. Durch eine Ausscheidung dieser Orte würde aber nicht
die Gesamtbevölkerung zur Darstellung kommen. Ich schließe mich in
dieser Frage vollständig den Ausführungen Neumanns2) an, wonach
die Bevölkerung der großen Orte einen so bedeutenden Bruchteil der
Gesamtbevölkerung ausmacht, „daß ihr Ausscheiden jedenfalls die Folge
hat, daß die graphische Darstellung der übrigen, also der rein länd-
lichen Bevölkerung, nicht mehr als das Bild der wirklich vorhandenen
Verteilung der gesamten Bewohnerschaft eines Landes, und um diese
handelt es sich doch, angesehen werden darf. Da nun diese städtische
Bevölkerung wesentlich als gewerbetreibende und als Handel und Ver-
kehr bestimmende gelten darf, während bei ihr die Landwirtschaft nur
noch von geringer Bedeutung ist, so darf sie hier, wo eben allen
Momenten, welche die Volksdichte beeinflussen, Rechnung getragen
werden soll, unbedingt nicht ausgeschlossen werden/ Entschließt man
sich aber doch für die vollständige Ausscheidung dieser Gemeinden,
dann müssen sie doch immerhin auf der Karte durch eine besondere
Farbe dargestellt werden, was das Kartenbild nur unruhig macht und
schließlich doch auch nichts anderes als stark bevölkert bedeutet. Will
man aber bei einer großen Gemeinde nur die von der Landwirtschaft
lebenden Einwohner mit in Berechnung bringen, so ist dafür kein
sicheres statistisches Material vorhanden, und die Berechnung der land-
wirtschaftlichen Bevölkerung auf Grund der Reinerträge des Kultur-
landes läßt den Vermutungen zu großen Spielraum. Wenn es aber
') Nk., Studien Volksdichte, S. 40.
2) Nrn., Volksd. Baden, S. 64.
312 Karl Bergmann, [20
auch wirklich gelingt, die landwirtschaftliche Bevölkerung zu ermitteln,
so ist immer noch kein rechter Grund einzusehen, weshalb man die
Gesamtbevölkerung nicht darstellen soll, da ja doch auch die übrigen
Bewohner meistens zur Ansiedelung verlockt werden durch Dinge, die
man sehr wohl als geographische Momente bezeichnen kann. Wenn
z. B. durch Verwaltungsämter, höhere Schulen u. s. w. eine Volksver-
dichtung eingetreten ist, so spielt doch dabei insofern die Geographie
eine Rolle, als man zum Sitz von Behörden, Schulen u. dgl. nur geo-
graphisch günstig gelegene Orte wählen wird. Wenn ein anderer Ort
wieder Pensionäre, Kurgäste u. s. w. herbeilockt, so ist das doch auch
immer auf Grund günstiger klimatischer Verhältnisse, des Vorhanden-
seins von Heilquellen u. 's. w. der Fall. Schließlich ist die Industrie
auch großenteils an den Boden gebunden, also „bodenständig*, ob-
gleich gerade hier Zufall und Willkür in der Neuzeit eine große Bolle
spielen.
Nachdem diese drei Hauptfragen der Wahl der kleinsten Einheit,
der Ausscheidung des Waldes und der größeren Ortschaften entschieden
. waren, wurden die Berechnungen selbst ausgeführt und die Gruppen-
bildung vorgenommen. Alsdann handelte es sich um die endgültige
Aufstellung der Dichtestufen. Zuerst hatte ich die zehn Neu-
mann sehen Dichtestufen zu Grunde gelegt1). Dann warf sich jedoch
die Frage auf, ob nicht eine stärkere Zusammenfassung dieser Dichte-
stufen geboten wäre. Einmal schien dies sehr wünschenswert im Inter-
esse der Uebersichtlichkeit des Kartenbildes, das uns vor allen Dingen
die Hauptgegensätze in der Volksdichte zur Anschauung bringen soll,
während das Eingehen auf die Einzelheiten den Tabellen und dem er-
läuternden Texte überlassen werden kann. Als durchaus notwendig
erschien jedoch eine stärkere Zusammenfassung, wenn die Volksdichten
der einzelnen, zu zwei benachbarten Dichtestufen gehörenden Ge-
meinden miteinander verglichen wurden. Hierbei ergab sich nämlich
öfters in äußerst deutlicher Weise, wie die Mehrzahl der zwei benach-
barten Dichtestufen angehörigen Orte im wesentlichen gleiche Dichten
hatten. Wenn sie trotzdem zwei verschiedenen Dichtestufen an-
gehörten, so beruhte die Ursache in dem Umstände, daß naturgemäß
zwischen den einzelnen Stufen eine feste Grenze gezogen werden muß.
So hatte ich z. B. bei der ersten Bearbeitung für die Gruppe Wallbach,
Ober- und Mittel-Kinzig, Birkert, AfFhöllerbach, Hembach, Ober-Kains-
bach, Langenbrombach, Gumpersberg die Dichte 112 erhalten; sie ge-
hörte also der III. Dichtestufe an, denn 112 ist 100 (III. Stufe) näher
als 125 (IV. Stufe). Die daran anstoßende Gruppe Unter- und Ober-
Gersprenz erreichte die Dichte 113; sie gehörte also zur IV. Stufe.
Die beiden Gruppen sind nur um 1 verschieden ; trotzdem gehören sie
verschiedenen Dichtestufen an: ein Grund, daß wir die Dichtestufen
l) Nrn., Südl. Schwarzwald.
I. Stufe um 50, IV. Stufe um 125, VII. Stufe um 250,
II. , „ 75, V. „ 150, VIII. , „ 300,
III. . . 100, VI. , , 200, IX. . , 400,
X. , über 600.
21] Die Volksdichte der Provinz Starkenburg. 313
nicht in zu kleinen, sondern in größeren Abständen aufeinander folgen
lassen. Auch dann noch wird man den eben erwähnten Mißstand mit
in den Kauf nehmen müssen, denn eine feste Abgrenzung muß sein;
nur wird sich dieser Uebelstand bei Dichtestufen mit größeren Ab-
ständen weniger häufig wiederholen.
Während in vorliegendem Fall eine Vereinigung zweier benach-
barter Dichtestufen vollzogen wurde, kann auch der Fall eintreten,
daß eine derartige Vereinigung unstatthaft ist, wenn nämlich die eine
Gruppe mehr nach der nächst höheren, die andere mehr nach der nächst
niederen Stufe zuneigt. Ich nehme wieder die Gruppe Wallbach u. s. w.
mit der Dichte 112 (III. Stufe). Daran grenzt die Gruppe Annelsbach-
Forstel mit der Dichte 64 (II. Stufe). Beide Gruppen gehören also
zwei benachbarten Stufen (III und II) an; trotzdem vereinigte ich sie
nicht, weil Gruppe Anneisbach schon zur Stufe I hinneigt, Gruppe
Wallbach dagegen zur Stufe IV. Während weiter oben die Gruppen
Wallbach und Gersprenz sozusagen sich gegenseitig entgegenkamen,
entfernen sich die Gruppen Wallbach und Anneisbach voneinander in
dem zuletzt besprochenen Falle.
Wenn es sich demnach empfiehlt, Dichtestufen mit größeren
Abständen zu wählen, so dürfen letztere jedoch auch nicht zu groß
genommen werden, wie es meines Erachtens Neukirch thut, der die
Dichtestufen 1—100, 100—250, 250—350 und über 350 unterscheidet.
Hier werden doch ganz gewiß voneinander durchaus verschiedene Ge-
biete vereinigt, die unbedingt getrennt bleiben müßten. Nach Neukirch
würde ein Gebiet mit der Dichte 110 zusammenfallen mit einem Ge-
biet, welches die Dichte 240 hat. Nun wird letzteres vor dem ersteren
sicherlich in irgend einer Weise bevorzugt sein, sei es durch frucht-
bareren Boden, günstigere Lage oder Einwirkung der Industrie u. s. w.
Unter allen Umständen müssen derartige Unterschiede auch auf der
Karte zum Ausdruck kommen. Ebenfalls bedenklich scheint mir die
Zusammenfassung aller Dichtestufen über 350. Ein Gebiet mit der
Dichte 350 und darüber wird wesentlich ein Industriegebiet sein. Unter
den Industriebezirken giebt es aber doch wieder so viel Abstufungen,
die durch verschiedene Umstände — es sei hier nur an die Verkehrs-
lage erinnert — bedingt sind, daß ein Zusammenwerfen aller dieser
Dichtestufen den Zweck der Karte nicht völlig erfüllen und die Dar-
stellung interessanter Unterschiede verhindern würde.
Deshalb habe ich einen Mittelweg eingeschlagen und folgende
Dichtestufen aufgestellt :
I.
Dichtestufe
um .
. . . 50,
II.
*
T> *
. . . 100,
in.
*
1>
. . 150,
IV.
?»
J»
. . 200,
V.
»
» • «
. . 300,
VI.
»
n
. . 400,
VII.
»
* • *
. . 600,
VIII.
*
»
. . 700.
Um möglichst scharf die Hauptgegensätze in der Bevölkerungs-
314 Karl Bergmann, , [22
dichtigkeit hervortreten zu lassen, fasse ich je zwei der Dichtestufen
zusammen, so daß vier Hauptgruppen entstehen, nämlich:
Stufen 50 und 100 schwach bevölkerte Gebiete
„ 150 „ 200 mittelstark „
„ 300 „ 400 stark
, 600 „ 700 sehr stark „
Noch sind einige Worte über die Einrichtung der Tabellen und
die Herstellung der Karte zu sagen. Die Tabellen wurden möglichst
vollständig ausgestattet, um das Verständnis der Arbeit zu erleichtern.
Ich unterscheide neun Rubriken. In der ersten sind die Namen der
einzelnen Gemeinden mitgeteilt. In der zweiten ist das Gesamtareal
jeder einzelnen Gemarkung angegeben. Hierdurch ist es möglich, bei
einem Vergleich der verschiedenen Gruppen zu erkennen, ob man es
mit vorwiegend kleinen, mittleren oder großen Gemeinden zu thun hat.
In der Rubrik 3 werden die Waldverhältnisse, ausgedrückt in Prozenten
der Gesamtfläche, dargestellt. Diese Rubrik ist äußerst wichtig und
dürften hier Vergleiche zwischen den einzelnen Gruppen (so z. B.
Gruppe 11 einerseits und Gruppe 87 andererseits) nicht uninteressant
sein. Die vierte Rubrik enthält die Anbaufläche, also das waldfreie
Kulturareal, d. h. das Areal der Gemeinde mit Abzug des Waldes, des
Weg-, Oed- und Unlandes. Ein Vergleich zwischen Rubrik 2 und 4
zeigt uns das Verhältnis zwischen Gesamt- und Anbaufläche. Die An-
baufläche kann verwendet werden zu Acker-, Wiesen-, Weideland und
Weinbergen. Die Weiden verschwinden in Starkenburg fast vollständig.
Die Prozentangaben beschränken sich deshalb auf Ackerland und Wein-
berge (Rubrik 5 und 5 a). Die Prozentverhältnisse für Wiesen ergeben
sich dann durch Abzug der Ackerlandsprozente von 100 von selbst.
In der Rubrik 6 wurde der Versuch gemacht, den Viehstand für jede
einzelne Gemarkung darzustellen (auf den Hektar bezogen). Allerdings
sind die hier mitgeteilten Zahlen nicht immer maßgebend für Gunst
oder Ungunst der Vieh Verhältnisse , indem oft nur eine Viehgattung
in einer Gemeinde besonders stark vertreten ist und durch sie hohe
Einnahmen erzielt werden. So erreicht z. B. Pfungstadt nur den Vieh-
stand 1,77, obgleich es eine hervorragende Ziegenzucht betreibt. Immer-
hin vervollständigen diese Zahlen das Gesamtbild von der Lage der
einzelnen Gruppen und dürften auch hier Vergleiche am Platze sein.
Aus Rubrik 7 sind die absoluten Bevölkerungszahlen zu ersehen. Aus
den Rubriken 4 und 7 ergeben sich dann die in Rubrik 8 mitgeteilten
Volksdichten. Die entsprechenden Dichtestufen sind in Rubrik 9
enthalten.
Als Grundlage für die Volksdichtekarte von Starken bürg
diente die Karte vom Großherzogtum Hessen, aufgenommen vom Großh.
Hess. Generalquartiermeisterstab im Maßstab 1 : 50000. Für die Provinz
Starkenburg kommen die Sektionen Oflfenbach, Darmstadt, Dieburg,
Neustadt, Michelstadt, Erbach, Sensbach, Hirschhorn, Bensheim, Viern-
heim und Kelsterbach in Betracht. Die einzelnen Sektionen wurden
in demselben Maßstabe reproduziert und zwar nur mit Berücksichtigung
des Waldes und der Gemeindegrenzen. Nachdem alsdann die Dichte-
23] Die Volksdichte der Provinz Starkenburg. 315
berechnung und die Gruppenbildung erfolgt waren, wurden sektions-
weise die unter eine Dichtestufe fallenden Gemeinden mit einem ge-
meinsamen Farbentone überdeckt und hierauf die verschiedenen Sektionen
aneinander geheftet. So erhielt ich ein großes Kartenbild, das einen
vortrefflichen Ueberblick gewährte und eine stärkere Zusammenfassung
der einzelnen Gruppen verhältnismäßig leicht gestattete. Nach erfolgter
stärkerer Zusammenfassung wurde die Karte reduziert. Durch den ge-
wählten Maßstab von 1 : 250 000 stellen sich auch die kleinsten Ge-
meinden noch deutlich auf der Karte dar. Zum Unterschied von Neu-
mann *) wird auf meiner Karte auch der Wald von den Gemeinde-
grenzen durchzogen, so daß man sofort beim Blick auf die Karte
erkennen kann, wie die Waldverhältnisse bei jeder einzelnen Gemeinde
gestaltet sind.
3. Das Quellenmaterial.
Außer den schon oben (S. 306 [14] u. 307 [15]) erwähnten amtlichen
statistischen Werken und der Generalstabskarte ist noch als besonders
wichtig zu erwähnen die „ Geologische Karte des Großherzogtums Hessen1*,
herausgegeben von R . Le p s i u s , Darmstadt 1 886 - 1 898, Maßstab 1 1 25 000.
Einem jeden Blatte sind „Erläuterungen" beigefügt, in denen besonders
zwei Kapitel für vorliegende Arbeit von großem Werte waren, einmal
„Technisch nutzbare Materialien11 und dann „Bodenkundliche Verhält-
nisse*. Ebenfalls sehr wertvoll waren die Berichte der Handelskammern
zu Darmstadt und Offenbach 1895. Dieselben enthalten ein Verzeichnis
der fabrikmäßigen Betriebe im Handelskammerbezirk Darmstadt bezw.
Offenbach. Es sei hier darauf hingewiesen, daß fast alle Angaben
über Fabrikbetriebe aus diesen Handelskammerberichten stammen. Wo
die Angaben anderen Quellen entnommen sind, ist eigens darauf auf-
merksam gemacht. Es möge jetzt hier ein genaues und vollständiges
Verzeichnis der Quellen folgen.
a) Volksdichtearbeiten.
Berghaus, H., Physikalischer Atlas. 1892.
A. Peter manns Mitteilungen aus Justus Perthes1 Geographischer An-
stalt. Gotha, Erg.-Bd. VIII, Nr. 35. 1874.
A. Peter manne Mitteilungen, Bd. XX, 1874.
Kettler, J.J., Dichtigkeit der Bevölkerung im Deutschen Reich (M. 1 : 3000000),
in Andree-Peschels physikal.-stat. Atlas des Deutsch. Reiches. Taf. 15.
1878.
Andree, Handatlas, Bielefeld u. Leipzig 1890.
Deutsch, O., Eartogr. Darstellung der Bevölkerungsdichtigkeit von West-
deutschland auf Grund hypsometr. u. geognost. Verhältnisse, in V. Jahres-
bericht des Vereins von Freunden der Erdkunde zu Leipzig. 1865.
Sprecher v. Bernegg, Hektor, Die Verteilung der bodenständigen Be-
völkerung im rheinischen Deutschland im J. 1820. Diss. Göttingen 1887.
Träger, E., Die Volksdichtigkeit Niederschlesiens. Diss. Kiel, Weimar 1888
und in Zeitach r. f. wissenschaftl. Geographie zu Weimar, VI.
') Nrn., Südl. Schwarzwald.
316 Karl Bergmann, [24
Neu mann, L., Die Volksdichte im Großherzogtum Baden, in Forschungen
zur deutschen Landes- u. Volkskunde, VII. 1892.
Neumann, L., Die Veränderungen der Volksdichte im südl. Schwarz walde
1852 — 1895. In Freihurger Universitätsfestprogramm zum 70. Geburtstag
Sr. königl. Hoheit d. Großherzogs Friedrich. Freiburg i. Br. u. Leipzig.
1896.
Neukirch, K. , Studien Über die Darstellbarkeit der Volksdichte. Freib.
Diss. Braunschweig 1897.
ühlig, Die Veränderungen der Volksdichte im nördl. Baden 1852—1895,
in Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde. XI. 1899.
b) Statistische Werke.
Mitteilungen der Großh. Hessischen Centralstelle für die Landesstatistik.
Darmstadt. Jahrgänge 1894, 1895, 1896. 1897.
Beiträge zur Statistik des Großherzogtums Hessen. Darmstadt. Bände 24, 32,
34, 88. 1884, 1889, 1890, 1895.
Jahresbericht der Handelskammer zu Darmstadt. 1895.
Jahresbericht der Handelskammer zu Offenbach. 1895.
Monatshefte zur Statistik des Deutschen Reiches, Bd. XXX. Berlin 1878.
Beiträge zur Statistik der Stadt Frankfurt a. M. N. F. 1. Heft, 1. Teil.
Frankfurt 1892.
c) Kartenwerke.
Karte vom Großherzogtum Hessen, aufgenommen vom Großh. hess. General-
quartiermeisterstab. Darmstadt. Ohne Jahreszahl. Maßstab 1:50000.
Sektionen Bensheim, Darmstadt, Dieburg, Erbach, Hirschhorn, Kelster-
bach, Michelstadt, Neustadt, Offenbach, Sensbach, Viernheim.
Geologische Karte des Großherzo^tums Hessen im Maßstabe 1:25000.
Herausgeg. durch das großh. Ministerium des Innern und der Justiz.
Bearbeitet unter Leitung von Richard Lepsius. Darmstadt 1886 — 1898.
Erschienen sind bis jetzt die Blätter Mörfelden, Darmstadt, Zwingenberg,
Bensheim, Messe], Roßdorf, Babenhausen, Groß-Umstadt, Brensbach, Er-
bach, Schaafheim, Neustadt, König, mit Erläuterungen von C. Chelius,
G. Klemm und Chr. Vogel.
Geologische Uebersichtskarte für das Großherzogtum Hessen. Bearbeitet
von R. Ludwig. Herausgeg. vom Mittelrhein, geolog. Verein. Darm-
stadt 1867.
Höhenschichtenkarte des Großherzogturos Hessen. Maßstab 1:25000.
Liebenow, Karte von Mitteleuropa. Maßstab 1:300000. Sektionen Mann-
heim und Frankfurt.
Hoff mann, H. , Vergleichende phänologische Karte von Mitteleuropa, in
P. M. Bd. XXVII.
d) Geologische Abhandlungen.
Erläuterungen zur Geologischen Karte des Großherzogtums Hessen (siehe
auch unter c).
Cotta, Deutschlands Boden, sein geologischer Bau und deren Einwirkungen
auf das Leben der Menschen. Leipzig 1854.
Lepsius, R., Das Mainzer Becken. Darmstadt 1883.
Luedecke, Die Böden des vorderen Odenwaldes. Notizblatt des Vereins
für Erdkunde. IV. Folge. 16. Heft. Darmstadt 1895.
Chelius, Die Steinindustrie im Odenwald und seiner Umgebung. Nr. 18,
14, 15 des Gewerbeblattes für das Großherzogtum Hessen. Darmstadt 1898.
Siehe auch „Frankfurter Zeitung* Nr. 72, 1898, Morgenbl. (14. März 1898).
e) Allgemeine Werke über das Großherzogtum Hessen.
Beiträge zur Land-, Volks- und Staatskunde des Großherzogtums Hessen.
Darmstadt 1850.
25] Die Volksdichte der Provinz Starkenburg. 317
Walther, Ph. A. F., Das Großherzogtum Hessen. Darmstadt 1854.
Weidenhammer, Die Landwirtschaft im Großherzogtum Hessen. Darm-
stadt 1882.
Dieffenbach, F., Das Großherzogtum Hessen in Vergangenheit und
Gegenwart. Darmstadt 1883.
Scher er, Geographie und Statistik des Großherzogtums Hessen. Gießen
1883.
Künzel-Soldan, Das Großherzogtum Hessen. Gießen 1893.
f) Abhandlungen über einzelne Teile der Provinz
Starkenburg.
Wind hau s, G.f Führer durch den Odenwald und die Bergstraße. Darm-
stadt 1896.
Wilbrand, Der Odenwald, in Deutsche geograph. Blätter, Heft 3, Bd. XU.
Bremen 1889.
Der Rheinstrom und seine wichtigsten Nebenflüsse. Im Auftrag der Reichs-
kommission zur Untersuchung der Rheinstromverhältnisse herausgeg. vom
Zentralbureau für Meteorologie und Hydrographie im Großherzogtum
Baden. Berlin 1889.
Küster, E., Die deutschen Buntsandsteingebiete, ihre Oberflächengestaltung
und antbropogeogr. Verhältnisse. Forschungen zur deutschen Landes-
und Volkskunde, Bd. V. Stuttgart 1891.
II. Hauptergebnisse der Specialuntersuchung.
Fassen wir jetzt noch kurz die Resultate zusammen, die sich aus
der Specialuntersuchung selbst ergeben haben und in der Karte nieder-
gelegt sind.
Die große Verkehrsstraße Frankfurt-Darmstadt-Heidelberg trennt
zwei verschiedene Gebiete:
I. Westlich: die Rheinebene und die Mainebene westlich der
genannten Linie.
IL Oestlich: a) Odenwald,
b) Mainebene.
Die Rheinebene und der westliche Abschnitt der Main-
ebene sind im wesentlichen nur schwach und mittelstark bevölkert.
Starke Bevölkerung haben wir
1. im südlichen Teil (Tabaksbau, Einfluß von Worms, Mann-
heim, Weinheim);
2. im nördlichen Teil (Einfluß von Mainz und Frankfurt);
3. bei Groß-Gerau (Mittelpunkt der nordwestlichen Rhein-Main-
Ebene) ;
4. westlich und südwestlich von Darmstadt (Einfluß Darmstadts
und auch eigene Industrie).
Die Verkehrsstraße selbst ist stark und sehr stark bevölkert, mit
Ausnahme zweier Stellen an der Bergstraße bei Bickenbach und Malchen.
Ein allmähliches Anwachsen der Bevölkerung von Darmstadt bis Frank-
furt ist deutlich festzustellen.
318 Karl Bergmann, Die Volkedichte der Provinz Starkenburg. [26
Der Odenwald ist ein in der Hauptsache schwach und mittel-
stark bevölkertes Gebiet Auf den Höhen und in den engen Thälern
ist die Bevölkerung meist schwach, in den größeren Thälern mittel-
stark. Im westlichen Odenwald wirkt die Steinindustrie an manchen
Stellen stark verdichtend. Im südöstlichen Odenwald haben wir zum
Teil starke Bevölkerung (Eichenschälwaldbetrieb). Beerfelden hat durch
seine Lage starke Bevölkerung (vgl. damit Groß-Gerau). Von den drei
Hauptodenwaldthälern weist das Neckarthal sehr starke, das Mümling-
thal sehr starke, starke und mittelstarke, das Gersprenz- und Weschnitz-
thal starke, mittelstarke und schwache Bevölkerung auf. Sowohl in
der Mitte des landwirtschaftlichen Gersprenz- und Weschnitzthales, als
auch in der Mitte des industriellen Mümlingthales ist eine Bevölkerungs-
anhäufung zu bemerken.
Im westlichen Odenwald ist nach der Bergstraße zu eine Ver-
dichtung der Bevölkerung wahrzunehmen.
Ein Vergleich des westlichen Odenwalds einerseits mit dem mitt-
leren und östlichen andererseits zeigt, daß ersterer dichter bevölkert ist.
Als Gründe lassen sich dafür anführen besserer Boden, milderes Klima,
geringere Bewaldungsprozente, bessere Verkehrslage und Wegeverhält-
nisse, größere landschaftliche Reize und dadurch stärkerer Fremden-
verkehr. Was den Wegbau anlangt, so kommt ihm das Terrain im
westlichen Odenwald insofern zu Hilfe, als durch seine vielfachen Win-
dungen es ermöglicht wird, auch beträchtliche Höhen zu ersteigen. Im
östlichen Odenwald dagegen ist der Wegbau von einem Längsthal zum
anderen wegen der steilen Bänder sehr schwierig1).
Die Vorhöhen des Odenwaldes sind wesentlich mittelstark
bevölkert, nach Darmstadt zu tritt Verdichtung ein. Die Gruppe 33
(Reinheim) zeigt, daß Fruchtbarkeit und dichte Bevölkerung nicht immer
Hand in Hand gehen, indem sich nämlich in solchen Gegenden häufig
der einer Volksverdichtung hinderliche Großgrundbesitz ausbildet.
Der östliche Abschnitt der Mainebene ist im großen und
ganzen stark und sehr stark bevölkert, zum Unterschied von dem west-
lichen Abschnitt der Mainebene. Die dichte Bevölkerung im östlichen
Teile wird hervorgerufen durch die drei großen Industriestädte Frank-
furt, Offenbach und Hanau. Nach dem Maine hin findet ein allmäh-
liches Anschwellen der Bevölkerung statt.
l) Scherer, Geogr. u. Statistik d. Grofih. Hessen, S. 22.
Specialuntersuchung.
Die Provinz Starkenburg zerfällt in zwei große Hauptgebiete, die
durch die Verkehrsstraße Frankfurt-Darmstadt-Heidelberg voneinander
getrennt werden. Das westlich von dieser Verkehrsstraße gelegene
Hauptgebiet wird gebildet von der Rheinebene und dem westlich der
genannten Linie gelegenen Teil der Mainebene. Oestlich der großen
Verkehrsstraße lassen sich wieder zwei große Unterabteilungen unter-
scheiden: im Norden die Mainebene, im Süden der Odenwald. Der
Odenwald zerfallt seinerseits wieder in den westlichen, den mittleren,
den östlichen und den südöstlichen Odenwald. Zwischen dem west-
lichen und dem mittleren Odenwald zieht sich das Gersprenz- und
Weschnitztbal hin ; zwischen dem mittleren und dem östlichen das Müm-
lingthal. Im Norden geht der Odenwald allmählich mit seinen Vor-
höben in die Mainebene über.
Es sind demnach folgende Gebiete zu unterscheiden:
A. Die Rheinebene und die Mainebene westlich der Verkehrslinie
Darm stadt-Frankf urt.
B. Die Verkehrslinie Frankfurt-Darmstadt-Heidelberg.
C. Die östlich der Verkehrslinie Frankfurt-Darmstadt gelegene
Mainebene.
D. Die Vorhöhen des Odenwaldes.
E. Der Odenwald:
1. Der westliche Odenwald.
2. Das Gersprenz- und Weschnitzthal.
»1 Der mittlere Odenwald.
4. Das Mümlingthal.
5. Der östliche Odenwald.
6. Das Neckarthal und die Neckarseitenthäler (der südöst-
liche Odenwald).
320
Karl Bergmann,
[28
Die Rheinebene und die Mainebene westlich der Verkehrslinie
Frankfurt-Darmstadt.
1
2
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3
4
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300
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Lampertheim1)
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scbloß und Rosen-
garten
44,58
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26,62
81
2,12
7258
272
V
Viernheim. . . .
48,42
59
17,82
91
1,80
6550
367
VI
Bürstadt ....
17,26
—
16,56
63
2,21
4199
253
V
124,66
34
73,59
78
2,12
21795
296
V
2. Klein-Hausen
Groß-Hausen .
Schwanheim .
Fehlheim . .
Rodau, KrJtensheim
Langwaden
Hähnlein . .
3. Eschollbrücken.
Eich
Hahn
Goddelau mit Hof-
heim
Stockstadt. . . .
.
5,78
—
5,51
44
3,00
1158
210
IV
16,67
73
3,92
94
2,01
522
13*
m
.
4.27
15
3,48
94
2,15
542
155
m
.
2,45
—
2,38
78
2,23
543
228
IV
1
1,24
—
1,19
98
8,92
242
203
rv
.
1,26
—
1,18
76
3,11
210
178
IV
.
7,64
2
7.17
74
2,07
1170
16*
III
1
1 39,31
33
24,83
78
2,43
4387
176
IV
3,70
0,51
3,59
—
3,46
0,48
3,36
61
81
81
2,70
2,85
4,07
715
105
1061
207
219
316
8,80
1 8,45
7
8,37
6,52
80
76
1,53
2,14
1779
1322
212
202
25,05
2
22,19
76
2,30
4982
225
4. Gernsheim
5. Pfungstadt
Griesheim . .
Gräfenhausen
Weiterstadt .
Büttelborn.
Dornberg . .
Klein-Gerau .
IV
IV
V
IV
IV
IV
32,05 1 32 1 19,69 I 93 I 1,56 I 8750 I 190 I IV
. !. 35,21 1 42
. 1) 28,92 1 25
18,09
16,66
82 1 1,77 1 5903 1 326
72 1 1.76 1 4835 | 290
V
V
|| 64,13 | 34
34,75
79 1 1,77 110738 1 809
V
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26
7,15
89
1,81
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191
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35
9,11
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166
III
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1,91
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1,06
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2,12
194
183
rv
5,87
30
3,86
94
2,35
654
169
III
I1 47,66
li
29
31,12
88
1,94
5203
167
III
*) Diejenigen Orte, nach denen im Texte die ganze Gruppe benannt wird,
sind gesperrt gedruckt; es sind das meist solche Orte, die entweder im Mittel-
punkt der genannten Gruppe liegen oder sonstwie einen bekannten Ruf genießen.
Sind die von den Gruppen umfaßten Gebiete sehr ausgedehnt, so werden zwei,
auch drei Orte gesperrt.
29]
Die Volksdichte der Provinz Starkenburg.
321
1 2
3
4
5
6
7
8 9
Namen der Gemeinden
des Gebietsteilen
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3
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Braunsbardt ». * '»
Worfeldcn . , . j
fc Walldorf ,
Mörfelden
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4,72
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15,751 7
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14.371 32
2,641 no
4,221 89
7.17 94
1,93
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1.80
14,08 02
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140
84
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9,16!
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Rnunheim . .
Rüsselaheim mit
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Bischofs heim ,
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24
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96
1,94 110858
i
282
V
11. Hau loch . .
Kflnigstudten,
Bausch b ei ra .
Astheim . ,
Nauheim ■
Trebur . ,
Gemsheim. .
Lee heim . ,
Wolfskehlen .
Crumstadt ■ .
E r f e I d e n
Dornheim , .
Berkach . .
Walleratftdten
ßiebesheim
G roß Rohrheim
Klein-Rohrheim
Biblis , , .
Watten heim .
Nord heim . .
Bobstadt ,
Hof he im ,
Summe 1—11
3.41
37
WO
91
1,30
248
124
11
9,37
10
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n
1,90
931
123
11
7,00
M
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1.72
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100
11
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7,25
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1,34
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111
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2
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108
ii
1691.95
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495.33
—
—
93818
189
IV
Ein flüchtiger Blick auf die Karte zeigt, daß wir es hier mit
einer vorwiegend schwach oder mittelstark bevölkerten Gegend zu thun
322 Karl Bergmann, [30
haben. Nur die Gruppen 1 (Lampertheim), 5 (Pfungstadt), 7 (Grofi-
,Gerau), 9 (Mörfelden) und 10 (Rüsselsheim) weisen starke Bevölkerung
auf. Um diese geringe Volksdichte zu verstehen, müssen drei Dinge
in Rücksicht gezogen werden : die geologische Beschaffenheit, die Lage
der Orte zum Rheinwasserspiegel und die Besitzverhältnisse *).
Die Rhein-Main-Ebene besitzt die verschiedensten Bodenarten,
vom unfruchtbarsten Flugsand, der sehr oft zu ganzen Dünenzügen
zusammengeweht ist, so z. B. bei Bickenbach, bis zur fruchtbarsten
Ackererde. Große Gebiete der Rheinebene sind mit Flugsand bedeckt
und infolgedessen nur als Waldgebiete (besonders Kiefernwald) zu be-
nutzen. Wo diese Sandgebiete doch zum Feldbau benutzt werden, lohnt
das Feld kaum die Saat; es trägt für gewöhnlich nur Hafer und Roggen
mit kurzen und schwachen Halmen und spärliche Kartoffeln2). Als
große Waldgebiete sind hervorzuheben die Viernheimer Heide, der
Lampertheimer, Lorscher, Jägersburger- und Gernsheimer Wald. Ein
zweites großes Waldgebiet befindet sich zwischen Bickenbach, Pfung-
stadt, Griesheim und der Bergstraße (bis einschließlich Darmstadt). Ein
drittes Waldgebiet endlich erstreckt sich zwischen dem Main und den
Gemeinden Königstädten, Haßloch, Groß-Gerau, Worfeiden, Langen
und Neu-Isenburg mit einer Lichtung, in der die Gemeinden Walldorf
und Mörfelden liegen.
Da der Flugsand leicht vom Winde über große Strecken hin ge-
weht werden kann, trägt er sehr oft zur Versandung von ursprünglich
fruchtbaren, aber leichten Böden bei, während er bei schwereren Böden
eher als eine Art natürlicher Melioration angesehen werden kann3).
Die übrigen Bodenarten der Rheinebene sind der humose Flug-
!) Vgl. dazu die klare Schilderung der Rheinebene bei Uh Hg, Veränd.
d. Volksd. i. nördl. Baden, S. 118/119, die hier folgen mag, da sie im wesent-
lichen anch für den hessischen südlichen Teil der Rheinebene gilt. U h 1 i g unter-
scheidet folgende vier Zonen, die von Westen nach Osten aufeinander folgen:
1. Die Rheinniederung, auch das natürliche Ueberschwemmungsgebiet des
Stroms genannt, mit einer durchschnittlichen Breite von 3 ktn. Die Be-
siedelung dieses Streifens ist wenig dicht.
2. Das Hochgestade des Rheins mit einer durchschnittlichen Breite von
13 km. Hier ist zu unterscheiden
a) ein schmaler Streifen bebauten Landes,
b) die breite Waldfläche.
Der Boden von a) und b) besteht aus den dem Ackerbau sehr ungün-
stigen Rheinkiesen und Sanden, doch wird auch diese wenig fruchtbare
Gegend mehrfach durch fruchtbare Ablagerungen der Nebenflüsse des
Rheins unterbrochen.
3. „Der östlichste Teil der Rheinebene ist in seinen tieferen Teilen, den
Spuren ehemaliger Fluß- und Bachläufe, die auch heute streckenweise von
fließenden Rinnen durchzogen sind , ziemlich feucht und daher als Wiesen-
land genutzt. Daneben findet sich ergiebigster Ackerbau.* Bodenbescbafl'en-
heit und Lage am Steilabfall der Gebirge (Bergstraße) sind vereint die Ur-
sachen sehr dichter Bevölkerung.
4. Die Ränder und Hänge des Odenwalds: sie besitzen in den tieferen
Lagen das Klima der Rheinebene und sind berühmt durch ihren Reichtum
an Wein und Obst. Uhlig bezeichnet dieses Gebiet als , Bergstraßen-
gebiet*.
2) Erl. Mörfelden, S. 23 u. 24.
•) Erl. Zwingenberg- Bensheira, S. 104.
31] Die Volkadichtc der Trcrnnz Stftrkenburg. 323
saud, der überschlickte Flugsandhoden , der Fliißsclilick- und Lehm-
boden, sowie die Anschwemmungen der Bliebe1). Letztere liefern die
vorzüglichste Ackererde; auch die anderen Buden sind fruchtbar, be-
sonders der überschlickte Flugsandboden, da er in feuchten Jahren nicht
so an Nässe leidet, wje der reine Schlickboden. Eine grnlae Rolle
spielt der buxnoae Plugsand bei Lorsch, Hausen und Bitkenbach, Aber
die Fruchtbarkeit dieser Bodengattung ist natürlich da bedeutend
höher, wo der Grund Wasserspiegel nicht allzu tief steht, .so z. B. in
den tiefer gelegenen Parzellen bei Lorsch , während die beträchtlich
hoher liegenden Areale desselben bei Birke nbach, welche viel trockener
sind, weit weniger sichere Hesultate ergeben2). Sehr fruchtbaren
Boden haben Goddelau* Erfelden und lYunistadt a).
Der günstige Einfluß dieser Buden wird aber andererseits wieder
beeinträchtigt durch das Vorhandensein großer Torfstrecken, die den
Verlauf der alten Rhein-* , Neckar- und YWsehnitz betten bezeichnen.
Diese alten Flußbetten leiden an groüer Nässe: in sehr feuchten Früh-
jahren kann man z. B, große Teile der W iesenflächen westwärts von
Heppenheim and Laudenbach in einen See verwandelt sehen1). Infolge
iinvr groljen Nässe können < l l*j-- alten Flu&betten nur als Wiesenboden
benutzt werden. l)ie Gräser sind jedoch meist sauer und taugen wenig
zum Viehfutter, Außerdem sind diese ehemaligen Flußbetten ein Ver-
kehrshemmiiis, da sie für Menschen und Tiere meist unpassierbar sind*).
Bessere Verhältnisse liegen in dieser Beziehung bei Esehollbrücken
vor, wo man in geeigneter Weise diesem Oebelstande abgeholfen hat.
Auch der Abbau des Torfes der alten Neckarbetten lohnt sich
nicht; er wird nur noch bei Pfungstadt abgebaut**). In den durch den
Abbau entstandenen Löchern baut die Gemeinde Pfungstadt in nutz-
bringender Weise Schilfrohr an, dessen Ernte im Winter stattfindet.
Einen durchaus ungünstigen Boden treffen wir in dem Khein-
sehotter, besonders in der Gegend westlich von Bensheim an. Der
Rheinschütter ist ein oft, sehr steiniger, armer Ackerboden, dem mir
durch große Sorgfalt in der Bearbeitung und Düngung kärgliche Er-
trüge an Korn entlockt werden können7).
Auch ist die Rheingegend infolge ihrer niedrigen Lage den
Tel >nsch wemmungeii ausgesetzt , die oft ungeheueren Schaden sin-
richten. So belief sich z, B. im Jahre 187<5 der Schaden auf
ca, 2 Millionen Mark, während er im Winter 1882:83 noch bedeutender
u;!i"it Die durch diese niedrige Lage hervorgerufene Gefahr der
Ueberschweinmung — die Einwohner der zur Gruppe Trebur-Erfelden-
Bobstadt gehörigen Gemeinden sitzen sozusagen im Wasser — übt auf
]i Krl. Darmstadt, £
8) Krl. ßwiBgenbergBensheim, 8. 10$,
'■■ \ 'gl, dazu die geringe Dichte von Erfelden und Crumstadt (S. :SJI [39])
die U rund besitz Verhältnisse dieser Gemeinden (8. :S'24 [32 i-
li Krl Xwmgenberg-Beiusheim. 3. 73-
I Krl. Dann stadt. S. 4U. 50.
•) Krl, Zwingenberg-Benaheira, 8. 8G>
:) Krl, Zwingen herg Bens heim, S, 10:i, 104.
Sr herer. Ueogr. u- Statist d. lirnj'di, Hessen, S. -"J.
324 Karl Bergmann, [32
den Ackerbau häufig hemmenden Einfluß aus und bedingt zum Teil
die geringe Dichte.
Gleichfalls schlechten Boden liefern die Schotterablagerungen bei
Braunshardt und Schneppenhausen , wo besser Aufforstung für den
kummerlichen Ackerbau eintreten würde1). In der Gegend von Klein-
Gerau, Büttelborn, Mörfelden ist der Boden durch den wenn auch ge-
ringen Lehmgehalt ertragsfahiger und durch den Anbau von Früh-
kartoffeln und Gemüsen werden hohe Einnahmen erzielt8). Ebenfalls
lehmreicheren und dadurch besseren Boden haben wir bei Arheilgen
und Erzhausen, so daß hier der Boden geeignet ist zum Weizen- und
Gemüsebau3).
Was die klimatischen Verhältnisse anlangt, so ist die Rheinebene
eine der wärmsten Gegenden Deutschlands. Infolge des Einflusses des
nahen Odenwaldes, des Rheins und des Mains, sowie des starken Wald-
bestandes ist die Rheinebene mit Niederschlägen, namentlich mit Nebeln,
reich bedacht4). Dagegen leidet der waldfreiere Teil der Ebene zwi-
schen Rhein und Bergstraße zuweilen an Trockenheit im Sommer,
indem die Gewitter und Wolken, nachdem sie den Rhein passiert, rasch
nach der Bergstraße zueilen, wo sie sich dann entladen.
Hemmenden Einfluß auf die Volksdichte üben die Grundbesitz-
Verhältnisse aus. In vielen Bezirken kommen große Güter vor, wie
aus nachstehender Uebersicht erhellt5):
Gesamtzahl der Und- unter „ mu« in_onii« »a «u»i,™ Über
Wirtschaft!. Betriebe 3 ha *~10 ha 10~20 ha ^°~M^ 50 ha
Nordheim 177 96 69 6 6 —
Klein-Rohrheim 36 11 12 4 8 1
Trebur 340 202 72 45 19 2
Crumstadt 1 Gut von 275 ha (Hof Wasserbiblos),
1 „ „ 100 , (Hof Gräbenbruch, Bruchhof),
Erfelden 1 „ „ 325 „ (Bensheimer Hof),
Wolfskehlen 1 „ , 75 m (Weiler Hof),
Leeheim 1 m „ 175 „ (Kammerhof),
1 „ „ 200 „ (Hof Haina),
Dornheim 1 „ „ ? „ (Hof Riedhausen)6).
So entstehen infolge der erwähnten ungünstigen Boden- und
Wasserverhältnisse oder wegen des Großgrundbesitzes ausgedehnte Ge-
biete schwacher Bevölkerung. Wo mittelstarke Bevölkerung zu ver-
zeichnen ist, bildet der fruchtbarere Boden die Ursache; so bei Gruppe 2
(Hausen), wo der humose Flugsand den Ackerbau unterstützt und die
») Erl. Mörfelden, S. 24.
*) Erl. Mörfelden, S. 23; Erl. Dannstadt, S. 48.
8) Erl. Mörfelden, S. 24.
4) Scherer, Geogr. u. Statist, d. Großh. Hessen, S. 58.
5) Die Angaben über die Grundbesitzverhältnisse entstammen entweder Mit-
teilungen, die ich an Ort und Stelle erhalten habe, oder der Centralstelle für
die Landesstatistik, die für mich in entgegenkommender Weise die in dieser Ab-
handlung veröffentlichten Zusammenstellungen gemacht hat.
') Die Angaben für die fünf letzten Orte nach persönlichen Mitteilungen.
33] Diß Volks dichte der Provinz Stark enburg. 325
höhere Lage auf der aus Sandhügeln bestehenden Wasserscheide zwischen
dein Rhein und dem alten Neckarthal insofern bessere Verhältnisse
hervorruft, als das Ueberschwemraungsgebiet nicht hierher reicht; in
den Gemeinden Klein- und Groü-Hausen wird Tabaksbau getrieben1)*
Fruchtbarer Boden wirkt gleichfalls günstig bei Gruppe 3 (Escboübrucken)
und Gruppe 6 (Büttelborn). Bei Genisheim (Gruppe 4) ist die lebhafte
Industrie zu erwähnen; es befinden sich daselbst eine Kartoffelmehl-,
Malz-, Obstpräserven- und eine chemisch« Fabrik; femer ein Dampf-
sägewerk und eine Dampfmühle-).
Bei S Gruppen ließ sich schon starke Bevölkerung feststellen (vgL
S. 322 [30]), Gruppe 1 (Lampertheim) verdankt ihre hohe Dichte dem
Anbau von Handelspflanzen, insbesondere des Tabaks, der großen chemi-
schen Fabrik Xeuschlon bei Lampertheim und besonders der Nähe der
Fabrikstädte Worms und Mannheim. Auch gute Bahnverbindungen
fördern hier den Verkehr; zu erwähnen sind die Linie Worms-Bens-
heim, die in die große Verkehrslinie Frank fürt- Darmstadt-Heidelberg
einmündet, die Linie Mannheim-Lampertheim- Worms und ibre Fort-
setzungen im Norden nach Mainz, Frankfurt, Darmstadt, sowie die
Nebenbahn Mannheim- Viernheim- Weinheim.
Von der Wichtigkeit des Tabaksbaues in der dortigen Gegend
mag der Wert der Tabakserute im Hauptsfceueramt Darmatadt (wozu
unser Gebiet als wichtigstes gehört) einen Begriff gehen *); er belief
sich in den Jahren
1898,94 1894/95 1895/96
auf Mk. 803688 Mk. 945815 Mk. 1012130.
Mit Tabak bepflanzt waren in den drei hier hauptsächlich in Be-
tracht kommenden Gemeinden Lorsch, Lampertheim und Viernheim:
1893 94 1894/95 1 895 96
Lorsch . . . . 0247 ar 8629 ar 10460 ar
Lampertheim . . 15472 , 18626 9 20959 B
Viernheim . . . 14579 # 19236 „ 23977 „
Die Zahl der Tabakspflanzer belief sich 1893/94
für Lorsch auf 281
0 Lampertheim auf 373
M Viernheim auf ...... 418
Die Zahl der in diesen drei Orten vorhandenen Zigarrenfabriken
beträgt 19,
Die drei anderen Gruppen (5, 9 und 10) verdanken ihre starke
Bevölkerung hauptsächlich der Industrie. Pfungstadts hohe Blüte ist
in erster Linie der mächtig entwickelten Industrie zuzuschreiben.
1894/9.'»
1895/96
360
425
452
502
518
620
■) Es waren mit Tabak bppHanzt in
1893/94 1894/95 1895/Uß
Klein-Hausen . . . . 137 ar 540 ar 705 ar
GroB-Hausen . . , . 148 « 279 , 574 .
a) Handelskammer Darmstadt 18 95.
3J Centralst. Landesst, 1895—97.
Forschungen zur deutsrjjfcn Landes- und* Volkskunde. XI I. 4.
326
Karl Bergmann,
[34
22 Fabrikbetriebe giebt es hierselbst, darunter die bekannte Brauerei
Hildebrand, ferner Zündhölzer-, Zigarren-, Papierfabriken, Ziege-
leien u. s. w. Auch ist der Boden in einem großen Teil der Ge-
markung fruchtbar und ertragsreich, und in hervorragender Weise wird
die Ziegenzucht getrieben. In unfruchtbarer Sandgegend liegt Gries-
heim. Aber die unmittelbare Nähe von Darmstadt und auch eigene
Industrie (z. B. die Samenklenganstalten) heben teilweise die Nach-
teile der Unfruchtbarkeit auf. Dazu kommt noch der große Militär-
übungsplatz, der Griesheim nicht allein größeren Verkehr bringt, son-
dern auch insofern für die Landwirtschaft von Vorteil ist, als durch
den von ihm herstammenden Dung die Aecker ertragsfähiger gemacht
werden. Gruppe 9 (Walldorf-Mörfelden) hat starke Arbeiterbevölke-
rung, was durch die Nähe Frankfurts und die direkte Bahnverbindung
mit dieser Stadt erklärlich ist. Gruppe 10 (Rüsselsheim) steht eben-
falls unter dem Einfluß von Frankfurt und Mainz, ihre Bewohner finden
in den Fabriken dieser Städte lohnenden Verdienst. Aber Rüsselsheim
und Ginsheim treiben auch selbst Industrie. Hier sind zu erwähnen
in Ginsheim die Maschinenfabrik und Brikettfabriken, in Rüsselsheim
Matten-, Zichorien-, Mineralwasserfabrik, Hasenhaarschneiderei , vor
allem aber die bekannte Opelsche Nähmaschinen- und Fahrräderfabrik.
Die Erzeugnisse der durch fruchtbaren Lehmboden begünstigten Land-
wirtschaft können bei der Nähe von Mainz und Frankfurt und bei der
bequemen Eisenbahnverbindung zwischen diesen Städten gut verwertet
werden.
Groß-Gerau (7) endlich erhebt sich durch seine Dichte bedeutend
über seine Umgebung. Es treibt lebhafte Industrie, hat Brauereien,
Zucker-, Käse-, Kisten-, Maschinen- und Palmkernölfabriken und ist
äußerst begünstigt durch seine Lage im Mittelpunkt der nordwestlichen
Rhein-Main-Ebene, sowie als Knotenpunkt der Eisenbahnen Mainz-
Darmstadt-Aschaffenburg und Frankfurt-Mannheim(- Worms).
B. Die große Verkehrslinie Frankfurt-Darmstadt-Heidelberg.
1 2
3!4J5'6!7'8|9
Namen der Gemeinden >| S §
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Wald in Proz.
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25,42
89
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2,90
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84
87
88
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3,27
2,26
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1360
4960
430
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VI
VI
1
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35]
Die Volks dicht es der Provinz Starken bürg.
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16,69
81
11
1,88
6665
31*9
VI
Schönberg •,
1,94
35
1,17
*9
7
2,63
■710
435
VI
34.05
21
24,88
71
10
1,80 ,
9135
367
V!
21 Heppenheim
30,86
28
L'll/M
53
r, |
Ul
-5409
25R .
V
Summ" 12 21 225,4^1 130,49
50215 j 368
VI
Diu große Verkehrsstrafk Frank furfc-Darnistadt- Heidelberg üer-
tallt in zwei wohl zu unterscheidende Teile; der nördliche zieht mitten
durch die Ebene von Frankfurt nach Darrustudt, der südliche an dem
restlichen Abhang des Odenwaldes entlang, soweit hessisches Gebiet
320
Karl Bergmann,
[28
A. Die Rheinebene und die Mainebene westlich der Verkehrslinie
Frankfurt-Dannstadt.
1 ;
!
2
3
4
5
6
7
8
9
Namen der Gemeinden
des Gebietsteiles
<D
i s
es fl
O
Wald in Proz.
der Gesamt-
fläche
CO
an
p a*
ö
<
Ackerland in
Prozenten der
Anbaufläche
a
3
2
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M
06
N
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>
-2
TS
J&
l
«2
p
OD
'S
5
1. Lorsch ;
Lampertheim1)
m. Hütton fei d, Neu-
schloß und Rosen-
garten 1
Viernheim. . . .
Bürstadt . . . . |
14,40
44,58
48,42
17,26
7
30
59
12,59
26,62
17,82
16.56
74
81
91
63
2,45
2,12
1,80
2,21
3788
7258
6550
4199
300
272
367
253
V
V
VI
V
II
124,66
34
73,59
78
2,12
21795
296
V
Klein-Hausen . .
Groß-Hausen . . .
Schwanheim . . .
Fehlheim ....
Rodau, KnBensheim
Langwaden . . .
Hähnlein ....
3. Eschollbrücken.
Eich
Hahn
Goddelau mit Hof-
heim
Stockstadt. . . .
4. Gernsheim
5,78
—
5,51
44
3,00
1158
210
16,67
73
3,92
94
2,01
522
IS.«
4.27
15
3,48
94
2,15
542
155
2,45
—
2,38
78
2,28
543
228
1.24
—
1,19
98
3,92
242
203
1,26
—
1,18
76
3,11
210
178
7,64
2
7.17
74
2,07
1170
163
1 39,31
33 |
24,83
78
2,43
4887
17ö
IV
III
III
IV
IV
IV
III
IV
3,70
0,51
3,59
3,46
0,48
8,36
61
81
81
2,70
2,85
4,07
715
105
1061
207
219
316
IV
IV
V
8,80
8,45
7
8,37
6,52
80
76
1,53
2,14
1779
1322
212
202
IV
IV
25,05
2
22,19
76
2,30
4982
225
IV
32,05 1 32 1 19,69 I 93 I 1,56 I 3750 I 190 I IV
5. Pfungstadt
Griesheim . .
Gräfenhausen
Weiterstadt .
Büttelborn.
Dornberg . .
Klein-Gerau .
. II 35,21 1
. || 28.92 1
42
25
18,09
16,66
82
72
1,77 1 5903
1.76 1 4835
326
290
V
V
|| 64,13 1
34
34,75
79
1,77 110738
809
V
10,41
26
7,15
89
1,81
1806
191
IV
15,70
35
9,11
93
1,88
1512
166
III
14,33
26
9,94
81
1,91
1477
148
111
1,35
10
1,06
80
2,12
194
183
IV
5,87
30
8,86
94
2,35
654
169
III
1
47,66
29
31,12
88
1,94
5203
167
III
') Diejenigen Orte, nach denen im Texte die ganze Gruppe benannt wird,
sind gesperrt gedruckt; es sind das meist solche Orte, die entweder im Mittel-
Eunkt der genannten Gruppe liegen oder sonstwie einen bekannten Ruf genießen,
ind die von den Gruppen umfaßten Gebiete sehr ausgedehnt, so werden zwei,
auch drei Orte gesperrt.
29]
Die Volksdichte der Provinz Starkenburg.
321
1 2
3
4
5
6
7
8
9
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9
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Namen der Gemeinden
des Gebietsteiles
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5
1 ' ■ * "T ~-~ — "
7. GroEäGerau ... 15,54
15
12,11
85
1,60
SWR
329
V
8. Schneppeiihausen
2,84
2
2,64
90
1,93
370
140
11!
Braunshardt . . .
4,72
9
4,22
89
1,18
355
84
II
Worfeiden . .
8,19
7
7,17
94
1,80
848
118
III
15,75
7
14,03
92
1,64
1578
112
n
9. Walldorf ....}, 3,16
3,081
100
2,79 1 1319
428
VI
Mörfelden . .
II H,37
32
9,16]
83
1,72 1 2456
268
V
17,53
26
12,24
88
1,98 1 3775
308
V
10. Kelsterbach . . .
1 12,88
51
5,45
97
1,74
1855
340
V
Raunheim ....
7,92
45
8,72
96
1,83
1005
270
V
Rüsselsheim mit
Hof Schönau . .
15,59
14
12,80
94
1,80
3406
277
V
Bischofsheim . . .
9,31
5
8,22
96
2,21
2264
275
V
Ginsheim . . .
8,86
7
7,06
93
2,08
1828
258
V
|j 54,56
24
36,75
96
1,94
10358
282
V
11. Haßloch ....
3,41
37
2,00
91
1,30 . 248
124
11
Königstädten .
9,87
16
7,59
93
1,90
931
123
II
Bauschheim .
7,06
10
6,10
90
1,72
616
100
II
Astheim . .
7,75
—
7,25
87
1,34
806
111
II
Nauheim . .
9,75
26
6,74
82
.2,05
1809
194
IV
Trebur . .
22,00
2
20,54
63
1,36
1902
92
II
Gemsheim . .
10,19
—
9,72
77
1,39
998
102
II
Leeheim . .
14,75
2
13,57
75
1,40
1176
86
II
Wolfskehlen .
12,76
3
11,32
76
1,60
1054
93
II
Crumstadt . .
14,08
2
18,10
88
1,85
1358
103
II
Erfelden
21,46
19
13,49
55
1,26
931
69
I
Dornheim . .
14,77
8
13,00
71
1,68
1843
103
11
Berkach . .
2,80
—
2,63
83
1,81
285
108
II
Wallerstädten
10,87
3
10,01
73
1,45
918
91
II
Biebesheim
17,56
4
14,89
73
1,99
1836
123
II
Groß- Rohrheim
17,24
14
13,87
65
1,98
1660
119
IL
Klein-Rohrheim
4,29
2
4,02
88
0,90
215
53
I
Biblis . . .
22,59
15
17,20
66
1,68
2362
137
III
Wattenheim .
4,23
4
3,90
73
1,38
387
99
II
Nordheim . .
11,98
20
7,45
82
1,38
789
106
II
Bobstadt
4.40
7
3,94
89
1,67
563
142
HI
Hofheim . .
12,40
1
11,70
81
1,54
1582
185
III
Summe 1—11
255,71
9
214,03
70
1,58
23269
108
II
| 691,95
—
495,33
—
—
93818
189
IV
Ein flüchtiger Blick auf die Karte zeigt, daß wir es hier mit
einer vorwiegend schwach oder mittelstark bevölkerten Gegend zu thun
322 Karl Bergmann, [30
haben. Nur die Gruppen 1 (Lampertheim), 5 (Pfungstadt), 7 (Groß-
%Gerau), 9 (Mörfelden) und 10 (Rüsselsheim) weisen starke Bevölkerung
auf. Um diese geringe Volksdichte zu verstehen, müssen drei Dinge
in Rücksicht gezogen werden : die geologische Beschaffenheit, die Lage
der Orte zum Rheinwasserspiegel und die Besitzverhältnisse 1).
Die Rhein-Main-Ebene besitzt die verschiedensten Bodenarten,
vom unfruchtbarsten Flugsand, der sehr oft zu ganzen Dünenzügen
zusammengeweht ist , so z. B. bei Bickenbach , bis zur fruchtbarsten
Ackererde. Große Gebiete der Rheinebene sind mit Flugsand bedeckt
und infolgedessen nur als Waldgebiete (besonders Kiefernwald) zu be-
nutzen. Wo diese Sandgebiete doch zum Feldbau benutzt werden, lohnt
das Feld kaum die Saat; es trägt für gewöhnlich nur Hafer und Roggen
mit kurzen und schwachen Halmen und spärliche Kartoffeln2). Als
große Waldgebiete sind hervorzuheben die Viernheimer Heide, der
Lampertheimer, Lorscher, Jägersburger- und Gernsheimer Wald. Ein
zweites großes Waldgebiet befindet sich zwischen Bickenbach, Pfung-
stadt, Griesheim und der Bergstraße (bis einschließlich Darmstadt). Ein
drittes Waldgebiet endlich erstreckt sich zwischen dem Main und den
Gemeinden Königstädten, Haßloch, Groß-Gerau, Worfeiden, Langen
und Neu-Isenburg mit einer Lichtung, in der die Gemeinden Walldorf
und Mörfelden liegen.
Da der Flugsand leicht vom Winde über große Strecken hin ge-
weht werden kann, trägt er sehr oft zur Versandung von ursprünglich
fruchtbaren, aber leichten Böden bei, während er bei schwereren Böden
eher als eine Art natürlicher Melioration angesehen werden kann3).
Die übrigen Bodenarten der Rheinebene sind der humose Flug-
') Vgl. dazu die klare Schilderung der Rheinebene bei Uhlig, Yeränd.
d. Volksd. i. nördl. Baden, S. 118/119, die hier folgen mag, da sie im wesent-
lichen auch für den hessischen südlichen Teil der Rheinebene gilt. Uhlig unter-
scheidet folgende vier Zonen, die von Westen nach Osten aufeinander folgen:
1. Die Rheinniederung, auch das natürliche Ueberschwemmungsgebiet des
Stroms genannt, mit einer durchschnittlichen Breite von 3 km. Die Be-
siedelung dieses Streifens ist wenig dicht.
2. Das Hochgestade des Rheins mit einer durchschnittlichen Breite von
13 km. Hier ist zu unterscheiden
a) ein schmaler Streifen bebauten Landes,
b) die breite Waldfläche.
Der Boden von a) und b) besteht aus den dem Ackerbau sehr ungün-
stigen Rheinkiesen und Sanden, doch wird auch diese wenig fruchtbare
Gegend mehrfach durch fruchtbare Ablagerungen der Nebenflüsse des
Rheins unterbrochen.
3. „Der östlichste Teil der Rheinebene ist in seinen tieferen Teilen, den
Spuren ehemaliger Fluß- und Bachläufe, die auch heute streckenweise von
fließenden Rinnen durchzogen sind, ziemlich feucht und daher als Wiesen-
land genutzt. Daneben findet sich ergiebigster Ackerbau/ Bodenbeschaffen-
heit und Lage am Steilabfall der Gebirge (Bergstraße) sind vereint die Ur-
sachen sehr dichter Bevölkerung.
4. Die Ränder und Hänge des Odenwalds: sie besitzen in den tieferen
Lagen das Klima der Rheinebene und sind berühmt durch ihren Reichtum
an Wein und Obst. Uhlig bezeichnet dieses Gebiet als , Bergstraßen-
gebiet".
2) Erl. Mörfelden, S. 23 u. 24.
*) Erl. Zwingenberg-Bensheim, S. 104.
311 Die Volksdichte der Provinz Starkenburg. 323
sand, der überschlickte Flugsandboden, der Flußschlick- und Lehm-
boden, sowie die Anschwemmungen der Bäche1). Letztere liefern die
vorzüglichste Ackererde; auch die anderen Böden sind fruchtbar, be-
sonders der überschlickte Flugsandboden, da er in feuchten Jahren nicht
so an Nässe leidet, wie der reine Schlickboden. Eine große Bolle
spielt der humose Flugsand bei Lorsch, Hausen und Bickenbach. Aber
die Fruchtbarkeit dieser Bodengattung ist natürlich da bedeutend
höher, wo der Grundwasserspiegel nicht allzu tief steht, so z. B. in
den tiefer gelegenen Parzellen bei Lorsch, während die beträchtlich
höher liegenden Areale desselben bei Birkenbach, welche viel trockener
sind, weit weniger sichere Resultate ergeben2). Sehr fruchtbaren
Boden haben Ooddelau, Erfelden und Crumstadt ").
Der günstige Einfluß dieser Böden wird aber andererseits wieder
beeinträchtigt durch das Vorhandensein großer Torfstrecken, die den
Verlauf der alten Rhein-, Neckar- und Weschnitzbetten bezeichnen.
Diese alten Flußbetten leiden an großer Nässe; in sehr feuchten Früh-
jahren kann man z. B. große Teile der Wiesenflächen westwärts von
Heppenheim und Laudenbach in einen See verwandelt sehen4). Infolge
ihrer großen Nässe können diese alten Flußbetten nur als Wiesenboden
benutzt werden. Die Oräser sind jedoch meist sauer und taugen wenig
zum Viehfutter. Außerdem sind diese ehemaligen Flußbetten ein Ver-
kehrshemmnis, da sie für Menschen und Tiere meist unpassierbar sind5).
Bessere Verhältnisse liegen in dieser Beziehung bei Eschollbrücken
vor, wo man in geeigneter Weise diesem Uebelstande abgeholfen hat.
Auch der Abbau des Torfes der alten Neckarbetten lohnt sich
nicht; er wird nur noch bei Pfungstadt abgebaut"). In den durch den
Abbau entstandenen Löchern baut die Gemeinde Pfungstadt in nutz-
bringender Weise Schilfrohr an, dessen Ernte im Winter stattfindet.
Einen durchaus ungünstigen Boden treffen wir in dem Rhein-
schotter, besonders in der Gegend westlich von Bensheim an. Der
Rheinschotter ist ein oft sehr steiniger, armer Ackerboden, dem nur
durch große Sorgfalt in der Bearbeitung und Düngung kärgliche Er-
träge an Korn entlockt werden können7).
Auch ist die Rheingegend infolge ihrer niedrigen Lage den
Ueber8chwemmungen ausgesetzt, die oft ungeheueren Schaden an-
richten. So belief sich z. B. im Jahre 1876 der Schaden auf
ca. 2 Millionen Mark, während er im Winter 1882/83 noch bedeutender
war8). Die durch diese niedrige Lage hervorgerufene Gefahr der
Ueberschwemmung — die Einwohner der zur Gruppe Trebur-Erfelden-
Bobstadt gehörigen Gemeinden sitzen sozusagen im Wasser — übt auf
1) Erl. Darmstadt, S. 48.
2) Erl. Zwingen berg- Bensheim, S. 106.
8) Vgl. dazu die geringe Dichte von Erfelden und Crumstadt (S. 321 [29])
und die Grundbesitzverhältnisse dieser Gemeinden (S. 324 [32]).
4) Erl. Zwingenberg-Bensheim, 8. 73.
5) Erl. Darmstadt, S. 49, 50.
8) Erl. Zwingenberg-Bensheim, S. 80.
7) Erl. Zwingenberg Bensheim, S. 103, 104.
*) Scherer, Geogr. u. Statist, d. Großh. Hessen, S. 52.
324 Karl Bergmann, [32
den Ackerbau häufig hemmenden Einfluß aus und bedingt zum Teil
die geringe Dichte.
Gleichfalls schlechten Boden liefern die Schotterablagerungen bei
Braunshardt und Schneppenhausen , wo besser Aufforstung für den
kümmerlichen Ackerbau eintreten würde1). In der Gegend von Klein-
Gerau, Büttelborn, Mörfelden ist der Boden durch den wenn auch ge-
ringen Lehmgehalt ertragsfahiger und durch den Anbau von Früh-
kartoffeln und Gemüsen werden hohe Einnahmen erzielt8). Ebenfalls
lehmreicheren und dadurch besseren Boden haben wir bei Arheilgen
und Erzhausen, so daß hier der Boden geeignet ist zum Weizen- und
Gemüsebau3).
Was die klimatischen Verhältnisse anlangt, so ist die Rheinebene
eine der wärmsten Gegenden Deutschlands. Infolge des Einflusses des
nahen Odenwaldes, des Rheins und des Mains, sowie des starken Wald-
bestandes ist die Rheinebene mit Niederschlägen, namentlich mit Nebeln,
reich bedacht4). Dagegen leidet der waldfreiere Teil der Ebene zwi-
schen Rhein und Bergstraße zuweilen an Trockenheit im Sommer,
indem die Gewitter und Wolken, nachdem sie den Rhein passiert, rasch
nach der Bergstraße zueilen, wo sie sich dann entladen.
Hemmenden Einfluß auf die Volksdichte üben die Grundbesitz-
verhältnisse aus. In vielen Bezirken kommen große Güter vor, wie
aus nachstehender Uebersicht erhellt5):
Gesamtzahl der land-
wirtschaftl. Betriebe
7tV 8-lt)ha 10-Mha *°-Mha u£
Nordheim
177
96 69 6 6 —
Klein-Rohrheim
36
11 12 4 8 1
Trebur
840
202 72 45 19 2
Crumstadt
1 Gut
von
275 ha (Hof Wasserbiblos),
1 ,
«
100 , (Hof Gräbenbruch, Bruchhof),
Erfelden
1 .
u
325 , (Bensheimer Hof),
Wolfskehlen
1 ,
T»
75 , (Weiler Hof),
Leeheim
1 „
m
175 « (Kammerhof),
1 .
m
200 , (Hof Haina),
Dornheim
1 ,
«
? , (Hof Riedhausen) 6).
So entstehen infolge der erwähnten ungünstigen Boden- und
Wasserverhältnisse oder wegen des Großgrundbesitzes ausgedehnte Ge-
biete schwacher Bevölkerung. Wo mittelstarke Bevölkerung zu ver-
zeichnen ist, bildet der fruchtbarere Boden die Ursache; so bei Gruppe 2
(Hausen), wo der humose Flugsand den Ackerbau unterstützt und die
l) Erl. Mörfelden, S. 24.
") Erl. Mörfelden, S. 23; Erl. Darmstadt, S. 48.
8) Erl. Mörfelden, S. 24.
4) Scherer, Geogr. u. Statist, d. Großh. Hessen, S. 53.
5) Die Angaben über die Grundbesitzverhältnisse entstammen entweder Mit-
teilungen, die ich an Ort und Stelle erhalten habe, oder der Centralstelle für
die Landesstatistik , die für mich in entgegenkommender Weise die in dieser Ab-
handlung veröffentlichten Zusammenstellungen gemacht hat.
6) Die Angaben für die fünf letzten Orte nach persönlichen Mitteilungen.
33] Die Volksdichte der Provinz Starkenburg. 325
höhere Lage auf der aus Sandhügeln bestehenden Wasserscheide zwischen
dem Rhein und dem alten Neckarthal insofern bessere Verhältnisse
hervorruft, als das Ueberschwemmungsgebiet nicht hierher reicht; in
den Gemeinden Klein- und Groß-Hausen wird Tabaksbau getrieben1).
Fruchtbarer Boden wirkt gleichfalls günstig bei Gruppe 3 (Eschollbrücken)
und Gruppe 6 (Büttelborn). Bei Gernsheim (Gruppe 4) ist die lebhafte
Industrie zu erwähnen; es befinden sich daselbst eine Kartoffelmehl*,
Malz-, Obstpräserven- und eine chemische Fabrik; ferner ein Dampf-
sägewerk und eine Dampfmühle2).
Bei 5 Gruppen ließ sich schon starke Bevölkerung feststellen (vgl.
S. 322 [30]). Gruppe 1 (Lampertheim) verdankt ihre hohe Dichte dem
Anbau von Handelspflanzen, insbesondere des Tabaks, der großen chemi-
schen Fabrik Neuschloß bei Lampertheim und besonders der Nähe der
Fabrikstädte Worms und Mannheim. Auch gute Bahnverbindungen
fördern hier den Verkehr; zu erwähnen sind die Linie Worms-Bens-
heim, die in die große Verkehrslinie Frankfurt-Darmstadt-Heidelberg
einmündet, die Linie Mannheim-Lampertheim-Worms und ihre Fort-
setzungen im Norden nach Mainz, Frankfurt, Darmstadt, sowie die
Nebenbahn Mannheim- Viernheim- Weinheim.
Von der Wichtigkeit des Tabaksbaues in der dortigen Gegend
mag der Wert der Tabaksernte im Hauptsteueramt Darmstadt (wozu
unser Gebiet als wichtigstes gehört) einen Begriff geben8); er belief
sich in den Jahren
1893/94 1894/95 1895/96
auf Mk. 803688 Mk. 945 815 Mk. 1012130.
Mit Tabak bepflanzt waren in den drei hier hauptsächlich in Be-
tracht kommenden Gemeinden Lorsch, Lampertheim und Viernheim:
1893/94 1894/95 1895/96
Lorsch .... 6247 ar 8629 ar 10460 ar
Lampertheim . . 15472 „ 18626 „ 20959 „
Viernheim ... 14579 „ 19236 „ 23977 „
Die Zahl der Tabakspflanzer belief sich 1893/94 1894/95 1895/96
für Lorsch auf 281 360 425
„ Lampertheim auf 373 452 502
„ Viernheim auf 418 518 620
Die Zahl der in diesen drei Orten vorhandenen Zigarrenfabriken
beträgt 19.
Die drei anderen Gruppen (5, 9 und 10) verdanken ihre starke
Bevölkerung hauptsächlich der Industrie. Pfungstadts hohe Blüte ist
in erster Linie der mächtig entwickelten Industrie zuzuschreiben.
') Es waren mit Tabak bepflanzt in
1893/94
Klein-Hausen . . . . 137 ar
Groß-Hausen . . . . 148 „
2) Handelskammer Darmstadt 1895.
8) Centralst. Landesst 1895—97.
1894/95
540 ar
279 ,
1895/96
705 ar
574 „
Forschungen zur deutschen Landes- nnd Volkskunde.
XII. 4.
22
326
Karl Bergmann,
[34
22 Fabrikbetriebe giebt es hierselbst, darunter die bekannte Brauerei
Hildebrand, ferner Zündhölzer-, Zigarren-, Papierfabriken, Ziege-
leien u. s. w. Auch ist der Boden in einem großen Teil der Ge-
markung fruchtbar und ertragsreich, und in hervorragender Weise wird
die Ziegenzucht getrieben. In unfruchtbarer Sandgegend liegt Gries-
heim. Aber die unmittelbare Nähe von Darmstadt und auch eigene
Industrie (z. B. die Samenklenganstalten) heben teilweise die Nach-
teile der Unfruchtbarkeit auf. Dazu kommt noch der große Militär-
übungsplatz, der Griesheim nicht allein größeren Verkehr bringt, son-
dern auch insofern für die Landwirtschaft von Vorteil ist, als durch
den von ihm herstammenden Dung die Aecker ertragsfähiger gemacht
werden. Gruppe 9 (Walldorf-Mörfelden) hat starke Arbeiterbevölke-
rung, was durch die Nähe Frankfurts und die direkte Bahnverbindung
mit dieser Stadt erklärlich ist. Gruppe 10 (Rüsselsheim) steht eben-
falls unter dem Einfluß von Frankfurt und Mainz, ihre Bewohner finden
in den Fabriken dieser Städte lohnenden Verdienst. Aber Rüsselsheim
und Ginsheim treiben auch selbst Industrie. Hier sind zu erwähnen
in Ginsheim die Maschinenfabrik und Brikettfabriken, in Rüsselsheim
Matten- , Zichorien- , Mineralwasserfabrik , Hasenhaarschneiderei , vor
allem aber die bekannte Opelsche Nähmaschinen- und Fahrräderfabrik.
Die Erzeugnisse der durch fruchtbaren Lehmboden begünstigten Land-
wirtschaft können bei der Nähe von Mainz und Frankfurt und bei der
bequemen Eisenbahnverbindung zwischen diesen Städten gut verwertet
werden.
Groß-Gerau (7) endlich erhebt sich durch seine Dichte bedeutend
über seine Umgebung. Es treibt lebhafte Industrie, hat Brauereien,
Zucker-, Käse-, Kisten-, Maschinen- und Palmkernölfabriken und ist
äußerst begünstigt durch seine Lage im Mittelpunkt der nordwestlichen
Rhein-Main-Ebene, sowie als Knotenpunkt der Eisenbahnen Mainz-
Darmstadt-Aschaffenburg und Frankfurt-Mannheim(-Worm8).
B. Die große Verkehrslinie Frankfurt-Darastadt-Heidelberg.
Namen der Gemeinden
des Gebietsteiles
lamtfläche
in qkm
ld in Proz.
r Gesamt-
flache
h
cerland in
zenten der
baufiache
■8
• pH
2
CS
N
OD
3
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M
9
CO
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3
08 0J
PJ
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O
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<
<£<
>
Q
12. Neu-Isenburg. . .
4,41
—
3,96
86
2,87
63(55
1607
VIII
13. Sprendlingen
Dreieichenhain
Langen . .
9,38
5,20
25,42
89
52
8,85
2,90
11,14
84
87
88
2,06
8,27
2,26
3811
1360
4960
430
469
445
VI
VI
VI
40,00
38
22,89
86
23,1
10131
442
VI
35]
Die Volksdichte der Provinz Starkenburg.
327
1
2
3
4
5
6
7
8
9
Namen der Gemeinder
des Gebietsteiles
I «
II *
1 ä c
1 I*
u
Oh. 3 &
e « —
.5 « 3
11 t^ k*
'S £
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'S P 3
1
B
m
2
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CO
Ji
5
|
1
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d
■
0
>M
H
s
14, Egelsbach m. Baiers
eich ....
14,14
33
8,60
80
1,62
2363
275
V
Erzhausen . . .
7,36
24
5,18
75
1,77
1151
222
IV
Wixhaasen . .
6,27
16
4,90
80
2.20
1241
258
V
Arheilgen . .
32,79
51
15,13
77
1,64
3933
259
V
; 60,56
32
88,81
78
1,74
8688
257
V
15. Eberstadt . .
16. Malchen . .
117,87 ; 47 7,90 | 95 ! 2,34 | 4338 | 549 | VII
I 1,03 I 18 ! 0,78 ! 94 1,86 179 I 230 i IV
1
2
3
4
5
r,a
6
7
*
Namen der Ge-
meinden des
Gebietsteiles
|
S B
B &
0
ei aj
1
J.S
<
Ackerland in
Prozenten der
Anbauflüche
ß D J
- ^- —
l> O ß
1
1
1
1
>
3
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i
>
ja
1
|
17. Seeheim T .
11,74
63
3,79
"i
8
3,07
1325
349
V
18.Bickenbach
mitHartenau
Aisbach
19. Jugenheim
Zwingenberg
20. Auerbach
Bensheim
Schönberg •
II
!] 9,32
8,97
19
28
7,06
6.03
66
84
2
1,68 1
1,43 1
1208
791
171
134
III
III
1 18,29
23
13,09
74
1
1,66 I
1999
152
11 1
21. Heppenheim
Summe 12—21
II 11,65
l| 20,46
: 1,94
' 3,871
3,25 1
49
1 1,52 1
1 2,93 1
90
67
10
1 3,24 1
1 4,56 1
1057 1
1589 1
695
542
1 VIII
VII
] 6,621
26
1 4,4S 1
75
6
1 3,52
2646 1
594
VII
32
13
85
7,02
16,69
1.17
34,05 I 21 1 24,88
66
9
1,76
1960
279
V
81
11
1,88
6665
399
VI
89
7
2,63
510
435
VI
71
10 I 1,80 I 9135
367 I VI
|| 30,86
28
| 20,94
53 |
5
1,31 | 5409 1 258
V
!|225,43
—
1 136,49
_ 1
—
! — 1 50215] 368 1
VI
Die große Verkehrsstraße Frankfurt-Darmstadt-Heidelberg zer-
fällt in zwei wohl zu unterscheidende Teile; der nördliche zieht mitten
durch die Ebene von Frankfurt nach Darmstadt, der südliche an dem
westlichen Abhang des Odenwaldes entlang, soweit hessisches Gebiet
328
Karl Bergmann,
[36
in Betracht kommt, bis Heppenheim und ist unter dem Namen „Berg-
straße" bekannt. So sehr auch diese beiden Teile in Bezug auf Güte
des Bodens und klimatische Beschaffenheit voneinander abweichen, so
ist beiden doch gemeinsam die so überaus günstige Lage an der großen
Verbindungsstraße zwischen der Schweiz und Baden einerseits und Nord-
deutschland andererseits. Nachdem der Verkehr sich naturgemäß am
Gebirgsrande entlang gezogen hatte, suchte er dann den kürzesten Weg
nach dem Main bei Frankfurt auf, und es konnte deshalb nicht aus-
bleiben, daß sich eine Volksanhäufung an dieser Linie bemerkbar
machte. Die für den nördlichen Teil der Verkehrslinie in Betracht
kommenden Gruppen weisen nicht sonderlich günstige Bodenarten auf.
Die Gemeinden Neu-Isenburg, Sprendlingen , Dreieichenhain, Langen,
Egelsbach, Arheilgen liegen teils fast ganz in sandiger Fläche, teils auf
der Grenze zwischen Sandboden und dem auch nicht günstigen Boden
des Rotliegenden (vgl. S. 336 [44]), z. B. Egelsbach, Langen und
Sprendlingen. Aber die Nähe der beiden Städte Frankfurt und Darm-
stadt wirkt günstig durch die guten Absatzverhältnisse und erhöht in-
folgedessen den Wert der landwirtschaftlichen Erzeugnisse. Für Drei-
eichenhain z. B. sind Frankfurt und Offenbach gute Abnehmer (be-
sonders für die Milch). Ueberdies haben, wie schon oben (S. 324 [32])
erwähnt ist, Arheilgen und Erzhausen besseren Boden. Dazu gesellt
sich noch die Arbeitsgelegenheit, die den Bewohnern dieser Gemeinden
in Frankfurt, Offenbach und Darmstadt geboten wird, und bei einigen
Gemeinden auch eigene Industrie. So hat Arheilgen eine Nudel-
fabrik, Langen Fabrikation von Hörn- und Beinknöpfen, Cognacbren-
nereien , ausgedehnte Steinbrüche im Rotliegenden l) , Sprendlingen
Fabrikation von eisernen Kassen, Seilerwaren und Ziegeln. Besonders
aber besitzt Neu-Isenburg eine blühende Industrie in eisernen Herden,
Kassenschränken, Pflügen, Möbel- und Bautischlerei, Hasenhaarschneide-
reien und Lederartikeln. Ferner werden in Neu-Isenburg wie auch in
Sprendlingen die sogen. Frankfurter Würstchen hergestellt.
Am stärksten muß sich selbstverständlich der Einfluß der Groß-
stadt Frankfurt äußern, insofern die Verdichtung der Bevölkerung um
so stärker wird, je mehr wir uns Frankfurt nähern; folgende Dichte-
zahlen geben dafür einen klaren Beweis:
Arheilgen . .
259
Wixhausen . .
Erzhausen
253
222
V. Stufe
Egelsbach
Langen . .
Dreieichenhain
275*
445)
. 469} VI. Stufe
Sprendlingen .
Neu-Isenburg
. 430
. 1607
VIII. Stufe
Man vergleiche hiermit auch S. 336 [44].
Die südliche Fortsetzung der Verkehrsstraße Frankfurt-Darmstadt
heißt „Bergstraße", d. i. der steil zur Rheinebene abfallende westliche
J) Erl. Messel, 8. 61.
37] Die Volksdichte der Provinz Starkenburg. 329
Abhang des Odenwaldes. Die denselben bildenden Vorhöhen sollen in
Zukunft als die „Bergsträfier Diluvialterrasse " bezeichnet werden. An
ihrem Fuße liegen die Ortschaften der Bergstraße : Eberstadt, Malchen,
Seeheim, Bickenbach, Aisbach, Jugenheim, Zwingenberg, Auerbach,
Bensheim, Schönberg1), Heppenheim. Die Gemarkungen dieser Ge-
meinden ziehen sich aber von der Ebene über diese Diluvialterrasse
ins Gebirge hinauf und erstrecken sich somit über geologisch ver-
schiedene Gebiete: a) die diluviale Ebene; b) die diluviale Terrasse;
c) die archäischen bewaldeten Odenwaldberge.
Auf S. 328 [36] dieser Abhandlung wurde schon auf den großen
Unterschied hingewiesen, der in Bezug auf Boden und Klima zwischen
dem nördlichen und dem südlichen Teil unserer Verkehrslinie besteht.
Beide Faktoren sind von größtem Einfluß für die Besiedelung der
Bergstraße. Es sollen deshalb zuerst die Böden der Bergstraße, als-
dann das Klima und als Produkt von Boden und Klima die verschie-
denen Kulturarten besprochen werden.
Als Hauptbodenarten der hier allein in Betracht kommenden
Diluvialterrasse 2) sind der Flußschotter und der Lößboden zu erwähnen.
Erstere Bodenart, die meist eine dünne Flugsandhülle bedeckt, ist ein
kiesiger Sandboden, dessen wasserhaltende Kraft nur gering ist. Der
Lößboden ist als Bodenbildner für die Bergsträßer Diluvialterrasse von
größter Bedeutung und wird von Sprecher „ geradezu als Schöpfer
dieser üppigen Zone" betrachtet3).
Das Klima der Bergstraße ist das denkbar günstigste. Der
hinter der Terrasse sich steil erhebende Höhenzug gewährt Schutz vor
den rauhen Ost- und Nordostwinden, so daß sich die mittleren Tem-
peraturen verhältnismäßig hoch stellen. Ich lasse hier einige von der
großherzoglichen Centralstelle für die Landesstatistik4) herausgegebene
vergleichende meteorologische Beobachtungen folgen und ziehe zum
Vergleich Darmstadt und das im Mümlingthal gelegene, klimatisch
ebenfalls bevorzugte Michelstadt heran.
Die mittlere Jahrestemperatur betrug 1889 für
Darmstadt 7,25 ° C.
Bensheim 7,86° „
Michelstadt 5,56° „
Die mittleren Temperaturen betrugen für 1889
Darmstadt Bensheim Michelstadt
im Winter . . -0,39°C. -0,43°C. -2,29°C.
„ Frühjahr . 7,80° „ 8,52° , 5,16° „
„ Sommer. . 15,05° „ 16,07° „ 12,90° ,
„ Herbst . . 6,91° „ 7,39° „ 6,10° „
1) Schönberg liegt allerdings am Ausgang eines Seitenthaies, kann aber
seinen ganzen Verhältnissen nach als Bergstraßenort aufgefaßt werden.
2) Auf die Diluvialterrasse kommt es hier nur an, denn die Bodenarten der
Ebene wurden schon bei der Rheinebene besprochen (S. 822—324 [30—32]).
8) Spr., Rheinisches Deutschland 1820, S 88.
4) Centralst. Landesst. 1890.
330
Karl Bergmann,
[38
Für das Jahr 1890 stellten sich die Temperatur- und Nieder-
schlagsverhältnisse für die einzelnen Monate wie folgt1):
Monat
T pmpe r a t u r E&tigtin
Schnee
Nebel
Minimum (Mittel) || Maximum (Mittel)
c3
6
3
c8
ja
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6
•s
Da. tie, | Meli. |] Da.
Be. | Mch.
S
Januar
0,58
0,12
0,06
4,83
5,06
4,60
'17
14
13
4
3
1
11
7
Febr. .
r2,73
-3,43
-3,94
1,95
3,43
1,47
3
1
—
8
3
—
7
—
—
März .
1,73
0,84
0,19
7,54
9,32
6,74
13
6
5
6
3
7
5
1
—
April .
3,01
2,23
1,64
10,81
12,59
10,30
17
12
12
1
—
—
—
6
—
Mai. .
8,30
8,10
6,33
16,90
18,12
15,83
11
11
14
—
—
—
1
8
—
Juni. .
9,12
8,85
6,87
17,11
18,14
15,94
20
12
16
—
—
—
—
6
—
Juli . .
9,84
9,84
7,72
17,32
17,98
17,92
22
19
20
—
—
—
—
1
—
August
11,50
11,59
9,27
18,16
19,47
17,39
20
14
21
—
—
—
1
12
—
Sept. .
8,27
7,66
5,31
15,65
17,34
14,66
5
1
3
—
—
—
10
18
—
Okt. .
3,86
3,17
1,86
9,83
10,52
8,85
18
10
15
— -
—
—
12
10
—
Nov. .
1,59
1,35
0,93
5,77
6,27
5,25
21
18
21
4
3
4
16
10
2
Dez.. .
-4,98
-6,26
-5,90
-0,36
-0,84
-1,14
2
1
1
3
3
4
14
10
5
Infolge des so günstigen Klimas und Bodens gedeiht in unserem
Gebiete eine üppige Vegetation. Der einen kiesigen Sandboden lie-
fernde Flußschotter erzielt allerdings nur in feuchten Jahren für die
Feldfrüchte günstige Resultate, da er an Trockenheit leidet2) (vgl.
S. 329 [37]); um so wertvoller ist er aber für den Weinbau. Da-
gegen dient der Lößboden nicht nur zum Weinbau, sondern auch zum
Anbau der verschiedenartigsten Feldfrüchte3). Der Weinbau wird
ferner begünstigt durch den Steilabfall der Terrasse zur Rheinebene,
denn Je steiler die Böschung, um so senkrechter fallen die Strahlen
auf, um so ergiebiger strahlt der Boden die Wärme zurück" 4). Ein
weiterer, den Weinbau fördernder Umstand ist darin zu erblicken, daß
die Bergstraße der mittäglichen und abendlichen Besonnung ausgesetzt
ist. Neben dem Weinbau gedeiht die Obstzucht in vortrefflicher Weise :
außer den gewöhnlichen Obstsorten kommen Aprikosen, Pfirsiche und Man-
deln sehr gut fort, Maulbeerbäume wachsen im Freien, Feigen überwin-
tern mit leichter Bedeckung im Garten, schon im halben März beginnt
die Vegetation, und das Steinobst blüht bereits zu Anfang April 5).
Es waren vorhanden in dem zu den Kreisen Bensheim und Heppen-
heim gehörigen Teil der Bergstraße:
1893: 2181 Aprikosen- und Pfirsichbäume
1897: 2087 „ 6).
Von den sieben Kreisen der Provinz Starkenburg ziehen die
Kreise Bensheim und Heppenheim den größten Ertrag aus der Obst-
baumzucht. Rechnet man die verschiedenen Obstarten zusammen, so
stellt sich für das Jahr 1893 z. B. der Durschnittsertrag eines ein-
l) Zusammengestellt nach den Veröffentlichungen der Centralst. Landesst 1890
und 1891.
a) Erl. Zwingenberg-Bensheim, S. 100.
3) Erl. Zwingenberg-Bensheim, S. 100.
4) Spr., Rheinisches Deutschland 1820, S. 88.
6) Scher er, Geogr. u. Statistik d. Großh. Hessen, S. 53.
6) Centralst. Landesst. 1894, 1898.
M. Pf.
. ... 1. 90.
1. 48.
1. 22.
...
0. 93.
0. 91.
0. 74.
• •
0. 66.
39] Die Volksdichte der Provinz Starkenburg. 331
zelnen Baumes für den Kreis Bensheim auf M. 1. 48. Interessant ist
es, festzustellen, wie die im Jahre 1893 erzielten Erträgnisse für die
einzelnen Kreise abnehmen1):
Kreis Heppenheim
Bensheim
„ Darmstadt
Offenbach .
Dieburg .
„ Erbach
„ Groß-Gerau
Der in die Rheinebene hineinreichende Teil der Gemarkung dient
als Acker- und Wiesenland, so daß man bei den Bergstraßenorten eine
Waldregion, eine Weinregion und eine Acker- und Wieslandregion
unterscheiden kann. In dieser glücklichen Vereinigung der verschie-
densten Kulturarten liegt eben der Vorzug dieser Gegend gegenüber
solchen Gebieten, die fast ausschließlich Weinbau treiben: während
letztere bei einem Weinfehljahr in eine mißliche Lage geraten, kann
bei den Bergstraßengemeinden der Schaden durch die Erträgnisse des
Ackerlandes weniger fühlbar gemacht werden.
Infolge aller dieser günstigen Verhältnisse stellt sich das ganze
Gebiet auf der Karte als dicht besiedelt dar, mit Ausnahme von
Gruppe 16 (Malchen) und Gruppe 18 (Bickenbach). Malchen besitzt
nicht denselben fruchtbaren Boden wie die übrigen Gemeinden, weil
der Flugsand sich hier bis hoch auf den Frankenstein hinaufzieht und
deshalb auch der Wald der Ebene viel näher ans Gebirge herantritt.
Malchen weist daher nur mittelstarke Bevölkerung auf, die es gewiß
nicht erreicht hätte, wenn nicht Darmstadt lohnenden Verdienst ge-
währte2). Auch Gruppe Bickenbach hat nur mittelstarke Dichte; die
Bodenverhältnisse sind teilweise nicht günstig (vgl. S. 323 [31]); auch
gehört die Gruppe und besonders der Ort Bickenbach mit seiner Gemar-
kung mehr der Rheinebene als der Bergstraße an. Alle anderen Gruppen
(17, 19, 20, 21) haben aber starke und sehr starke Bevölkerung.
Die hohe Volksdichte Eberstadts ist bedingt durch seine Stellung
als Vorort von Darmstadt, mit dem es in regem Verkehr steht, durch
seine Lage an der Ausmündung des gut besiedelten Modauthales und
am Fuße des Frankensteins, wodurch es zu einem beliebten Aus-
flugsort wird. Die Bodenverhältnisse sind günstig, denn die Verwitterung
der Gebirgsgesteine trägt viel zur Verbesserung des Bodens bei, und
die Industrie ist ebenfalls hoch entwickelt; es befinden sich in Eber-
stadt 13 Fabrikbetriebe, namentlich Malz-, Ofen-, Papierfabriken,
Gerbereien, Brauereien, Müllereien.
Die Orte Seeheim, Jugenheim, Zwingenberg, Auerbach, Bens-
heim und Schönberg vereinigen landschaftliche Reize mit den Vorteilen
einer gesunden weichen und feuchten Luft; alljährlich sind daher diese
*) Centralst. Landesst. 1894. (Aehnlich liegen auch die Verhältnisse für
andere Jahrgänge.)
s) So wird z. B. ein großer Teil der Darmstädter Wäsche in Malchen ge-
waschen und gebleicht.
332
Karl Bergmann,
[40
Orte, besonders Seeheim und Jugenheim, das Ziel vieler Sommerfrischler,
üben auch große Anziehungskraft auf die Pensionäre aus. Ueberdies
liegen Jugenheim, Auerbach und Bensheim an der Ausmündung der
Odenwaldtbäler , so daß sich ein Teil des vorderen Odenwaldverkehrs
naturgemäß hierherzieht. Der Weinbau dieser Orte ist hervorragend,
besonders in qualitativer Hinsicht; die Marken Zwingenberger und
Auerbacher Rott genießen einen alten Ruf. Von der Anbaufläche
dienen als Weinberge in
Seeheim ... 6°/o Bensheim . . ll°/o
Zwingenberg . 10 „ Schönberg . . 7 „ *).
Auerbach . . 9,
In bedeutendem Maße hat sich auch die Industrie entwickelt,
deren Aufschwung unterstützt wurde durch die denkbar günstigste
Verkehrslage an der Verbindungslinie zwischen Süd- und Norddeutsch-
land, der Eisenbahn Hamburg-(Berlin-)Frankfurt-Basel. Für Seeheim
und Jugenheim sind zu erwähnen Müllereien, sowie Nudel- und Zi-
garrenfabriken, für Auerbach die Ziegel- und Thonröhrenfabrikation,
Möbel- und Bautischlerei, die Chininfabrik, sowie das bei Hocbstädten
gelegene Marmorbergwerk; in Bensheim giebt es eine Lederfabrik,
Ziegeleien, Papier- und Pappefabrikation, Tabakfabrikation u. s. w.
Ferner sind für diesen Ort noch zu nennen die Verwaltungsbehörden,
das Gymnasium, das Schullehrerseminar (vgl. hierzu S. 312 [20]).
Der südlichste Ort an der hessischen Bergstraße ist das durch
seine Landesirrenanstalt bekannte Heppenheim an der Ausmündung
zweier Odenwaldthäler ; auch hier ist der Weinbau qualitativ von
Wichtigkeit (Marke Steinköpfer), wenn er auch quantitativ den anderen
Orten gegenüber zurücktritt (5 °/o von der Anbaufläche). Als Luftkurort
und Ausflugsort tritt Heppenheim freilich im Vergleich mit den anderen,
näher bei Darmstadt gelegenen Orten in den Hintergrund, von großer
Wichtigkeit ist jedoch für Heppenheim die Zigarrenfabrikation (5 Zi-
garrenfabriken).
G. Die östlich der Verkehrslinie Frankfurt-Darmstadt gelegene Mainebene.
I
2
3
4
5
6
7
8
9
Namen der Gemeinden
des Gebietsteiles
H
,5 « o
— CD ~
'P w q^;
0>
- s
8 * **
1 S-o
CO
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es
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M
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CO
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1
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>
O
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S
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22. Bieber . . . . |
8,74
43
4,50
80
2,43
2733
607
VII
Bürgel 1
7,21
24
4,66
75
2,11
3804
816
VIII
Mühlheim . . . .
10,30
40
5,50
75
2,33
3586
643
VII
Dietesheim . . . 1
6,49
39
3,35
80
2,37
1571
468
VI
Groß-Steinheim .
5,93
48
2,80 ; 76
2,03
2121
757
VIII
Klein-Steinheim . . |
3.67 24
2,22 1 70
3,04
1941
874
VIII
1
42,34
38
23,03
77
1 2,34
|15706
682
VIII
') Beitr. Stat. 1884.
41]
Die Volksdichte der Provinz Starkenburg.
333
T
T
Namen der Gemeinden
des Gebietsteiles
23. Rumpen beim . .
24. Lämmerspiel . .
Obertsbausen
Hausen ....
Heusenstamm
25. Babenbausen
Sickenhofen
Weißkirchen
Rem brücken
Hainhausen
Jügesheim .
Dudenhofen
Nieder-Roden
Ober-Roden
Urberach .
26. Dietzenbach .
Götzenhain
Offenthal1)
Messenbausen
Messel . . .
27. Klein-Auheim
Hainstadt .
28. Klein-Krotzen-
burg
Froschhausen . . .
1
0)
(4
•5
£
'S
O
M
>
o
>
6,28 22 4,42
2,29 1038 j 235
10,75!
5,921
46
37
5,16
3,30
70
83
1,78
1,89
16,671 42 I 8,46 I 75 I 1,83
1948
1455
377
440
10,10
4.85
14,95
37
32
85
5,70
8,10
8,80
79
76
1,88
2,56
78 I 1,80
1944
920
2864
341
297
825
IV
1
1
3,76
41
2,05
76
2,59
600
292
V
6,44
36
3,85
73
1,77
1295
336
V
.
4,88
28
3,30
56
1,91
925
280
V
1
8,53' 39
4,95
78
12,0
1911
386
VI
1
28,61
36
14,15
71
1,72
4731
334
V
31,62
60
10,52
84
1,47
2066
196
IV
5,36
40
2,97
80
1,79
471
158
III
9,11
29
6,10
74
1,80
920
150
III
2,63
40
1,50
80
2,89
251
167
III
4,77
37
2,89
79
2,20
499
173
III
13,64
42
7,42
89
1,91
1704
229
IV
22,26
50
10,42
93
1,79
1426
137
III
15,22
40
8,33
82
1,56
1818
158
III
16,73
40
9,74
75
1,45
1963
201
IV
12,44
40
7,35
79
1,78
1609
219
IV
|
133,78
46
67,24
82
1,72
12227
18ü
1 IV
!
19,88
34
12,56
78
1,64
2081
161
III
i
6,43
7
5,72
68
1,94
689
120
II
5,37
4
4,94
73
2,08
686
139
III
. ,1 0,91
17
0,71
79
1.21
89
125
III
. II 9,27
39
5,36
70
1,63
854
159
III
41,86
26
29,29
73
l,7ö
4349
148
III
VI
VI
3408 I 402 I VI
V
V
29. Seligenstadt .
20,451 50 j 9,38 I 81 I 2,55 I 3840 I 409 [ VI
30. Klein-Welzheim . .
Mainflingen . .
Zellhausen. . . .
1 5,68
1 9,25
, 8,56
33
58
48
3,33
3,27
5,13
75
79
54
2,41
1,64
1,89
697
860
1038
209
268
202
IV
V
IV
,1 23,49
48
11,73
67
1,97
2595
221
IV
l) Wenn auch die Gruppe Offen thal geologisch betrachtet zum Odenwald
gehört, so gliedert sie sich doch ihren sonstigen Verhältnissen nach besser der
Mainebene an.
834
Karl Bergmann,
[42
1
i
2
3
4 1 5
6
7
8
9
Namen der Gemeinden
des Gebietsteiles
i s
s *
o
WaldinProz.
der Gesamt-
fläche
Ja
IB.*
Ackerland in
Prozenten der
Anbaufläche
TS
§
-4->
00
• pH
>
3
00
M
>
i ■
00
'S
«2
3
.+»
•8
S
31. Harreßhausen . .
8,40
38
4,84
63
1,17
397
82
II
Hergershausen . .
9,61
36
5,64
58
1,67
626
110
II
Harpertshausen . .
8,62
24
2,57
86
2,24
257
100
II
Langstadt . . .
7,76
80
4,99
79
1,92
638
127
in
Eleestadt . . . .
6,55
22
4,67
70
2,20
493
105
II
Riehen |
6,00
6
5,43
66
2,10
490
90
H
|
41,94
28
28,14
74
1,85
2901
103
II
32. Eppertshausen
Münster . .
Dieburg . .
Groß-Zimmern
Klein-Zimmern
7,52
40
4,09
68
1,67
1304
318
V
1 12,80
40
7,23
79
1,93
2200
304
V
1. 23,36
42
12,53
82
1,93
4782
381
VI
1 17,89
39
10,15
85
2,59
3180
313
V
l! 2,86
—
2,73
88
1,50
691
25S
V
64,43
39
36,73
81
2,05
12157
831
V
> -429,80
i.
—
241,37
—
—
65811
272
V
Während seither immer die Fruchtbarkeit oder Unfruchtbarkeit
des Bodens betont wurde, tritt diese Frage bei der Gruppe 22 (Bieber-
Steinheim) vor dem mächtigen Einfluß der Industrie in den Hinter-
grund. Auch dürfte es schwer sein, für dieses Gebiet, wie auch für
Gruppe 24 und die zweite Hälfte der Gruppe 25, ein bestimmtes Urteil
Über die Böden zu fällen, so sehr sind sie geologisch voneinander ver-
schieden. Neben Thon- und Torfboden treten noch Thonmergel-,
Sand-, Kalkmergel-, Lehm- und Basaltlehmböden auf. Besonders am
Mainufer bei Bieber, Bürgel, Mühlheim und Dietesheim ist der Boden
an vielen Stellen kalk- und mergelhaltig, was für den Ackerbau sehr
günstig ist. Während also in geologischer Hinsicht keine Einheit-
lichkeit besteht, wird diese hergestellt durch die Industrie. Drei Städte
sind es, die die Volksdichte nach oben hin beeinflussen: Frankfurt,
Offenbach und Hanau. Der Einfluß dieser drei großen Industrie-
centren wird sich naturgemäß am kräftigsten in der näheren Um-
gebung dieser drei Städte äußern, so daß wir hier die stärkste
Menschenanhäufung in der ganzen Provinz haben.
Aber ihre Wirkung breitet sich auch auf die weitere Umgebung
aus, weshalb auch die ungünstiger gestellten Gemeinden bezüglich
der Volksdichte günstig beeinflußt werden. So erreicht die Gruppe 25
(Babenhausen-Dudenhofen) die vierte Dichtestufe, obgleich ein großer
Teil dieses Gebietes unfruchtbaren Sandboden hat. Die Strecke von
Seligenstadt bis Neu-Isenburg ist mit sandigem Schutthaufwerk be-
deckt; der Flugsand dieses Striches wird vom Wind zu Dünen auf-
gehäuft und liefert einen Boden, der nur den Waldbäumen Nahrung
43]
Die Volksdichte der Provinz Starkenburg.
335
bietet x) ; daher haben wir denn hier auch recht hohe Bewaldungs-
prozente (Rem brücken 40 °/o, Dudenhofen 50 °/o, Jügesheim 42 °/o). Wenn
trotz der Ungunst dieser Verhältnisse doch mittelstarke Bevölkerung zu
verzeichnen ist, so muß das dem verdichtenden Einfluß der Städte Frank-
furt, Offenbach und Hanau zugeschrieben werden. Auch sind für Nieder-
Roden, Ober-Roden und Urberach die Hasenhaarschneidereien zu er-
wähnen, ferner für Babenhausen die jetzt verlegte Dragonergarnison,
welche auch insofern von Wichtigkeit war, als dadurch billiger Acker-
dung geliefert werden konnte.
In wie mächtiger Weise gerade für die in Frage stehenden Gebiete
der Einfluß der Industrie sich geltend macht, wird am besten aus dem
prozentualen Verhältnis von landwirtschaftlicher und industrieller Be-
völkerung im Kreise Offenbach hervorgehen, zu dem die Gruppen 22,
23, 24, 26, 27, 28, 29 ganz und von der Gruppe 25 die fünf letzten
Gemeinden gehören. Nach der Berufszählung vom 14. Juni 1895 2)
gab es im Kreise Offenbach 6325 Personen, die Landwirtschaft trieben;
sie hatten 7823 Angehörige und Dienstboten, so daß die landwirt-
schaftliche Bevölkerung im ganzen 14 148 Personen betrug, d. i. 13,9 °/o
der Gesamtbevölkerung des Kreises. Dieser landwirtschaftlichen Be-
völkerung von 14148 Personen steht die industrielle Bevölkerung gegen-
über mit 28995 Erwerbstätigen und 36 668 Angehörigen und Dienst-
boten, zusammen 65663 Personen, d. i. 64,6 °/o der Gesamtbevölkerung.
Das Ueberwiegen der Industriebevölkerung über die landwirtschaftliche
wird aber nicht etwa durch den Einfluß der Stadt Offenbach hervor-
gerufen, sondern sie ist auch für den Landkreis Offenbach festzustellen,
wie aus der Berufszählung von 1882 hervorgeht3) (für 1895 sind Stadt
und Kreis nicht getrennt). Nach dieser Zählung ergiebt sich folgende
Bevölkerungsverteilung :
Erwerbstätige der
Landwirtschaft . . .
dazu Angehörige und
Dienstboten . . .
Kreis Offen- Stadt Offen-
bach
6619
9945
16564
bach
259
420
Landkreis Offen-
bach
6360
9525
Erwerbstätige der
Industrie 19357
dazu Angehörige und
Dienstboten . . . 29340
48697
679
8311
11814
20125
15885
11046
17526
28572
Also auch im Landkreis Offenbach überwiegt die industrielle
Bevölkerung (28572 gegen 15885). Von 1882—1895 hat die land-
wirtschaftliche Bevölkerung des Kreises Offenbach um 2416 Seelen ab-,
die industrielle dagegen um 16966 Seelen zugenommen.
*) Geolog. Uebereicbtskarte von Ludwig, Sektion Offenbach. S. 1.
*) Centrale!. Landesst. 1897.
3) Beitr. Stat., 82. Bd., 1889.
336 Karl Bergmann, [44
Der verdichtende Einfluß von Frankfurt, Offenbach und Hanau
wird sich selbstverständlich um so weniger fühlbar machen, je weiter
man sich von diesen Industriecentren entfernt, und dieselbe Erscheinung,
die sich schon bei der Verkehrsstraße Frankfurt-Darmstadt feststellen
ließ (S. 328 [36]), wiederholt sich hier. Am klarsten tritt dies im
Mainthale hervor, wo von Gruppe 29 (Mainflingen) an bis zur
Gruppe 22 (Bieber-Steinheim) ein stetiges Anwachsen der Bevölkerung
stattfindet :
Klein-Welzheim .... 209 |
Mainflingen 263 > IV mittelstark
Zellhausen 202 J
Seligenstadt 409 VI stark
Klein-Krotzenburg . . . 341 \ v . ,
Froschhausen 297 j v stark
Klein-Auheim .... 377 \ yT . ,
Hainstadt 440 ) V1 star*
Groß-Steinheim .... 757 | vm , , ,
Klein-Steinheim . . . . 874 / Vm sehr 8tark*
Also zuerst mittelstarke, dann starke, zuletzt sehr starke Be-
völkerung. Was die einzelnen Dichtestufen anlangt, laßt die Reihe IV,
VI, V, VI, VIII ein stetiges Anwachsen erkennen, das nur einmal
von Seligenstadt (28) gestört wird, das infolge seines Braunkohlen-
bergwerks, der Zigarren- und Sagofabrikation und seiner historischen
Entwickelung als ehemalige Benediktinerabtei und Hohenstaufenpfalz
eine Sonderstellung einnimmt. Ebenso hängt Rumpenheims (23) nur
mittelstarke Bevölkerung mit der dortigen Hofhaltung der Landgrafen
von Hessen zusammen, indem kein Arbeiterzuzug nach diesem Orte
stattfand. Steinheim und Hainstadt treiben auch eigene Industrie; in
Steinheim giebt es Ziegeleien, Zigarren- und Schuhleistenfabriken, für
Hainstadt ist die sehr bedeutende Thonfabrikation zu erwähnen.
Es bleiben noch zu besprechen übrig die Gruppen 26 (Offenthal),
31 (Langstadt) und 32 (Dieburg). Erstere erreicht nur die III. Stufe.
Die Gemeinden dieser Gruppe liegen im Rotliegenden, einer dem
Ackerbau wenig zusagenden Bodenart. Man kann hier zwei Hälften
unterscheiden, die durch die von Langen über Urberach nach Dieburg
ziehende Chaussee getrennt sind. In der größeren südlichen Hälfte
dehnt sich ein großer, nur durch die Gemarkung des durch seine
bedeutende Paraffinölgewinnung bekannten Dorfes Messel unterbrochener
Waldbezirk aus. In der nördlichen Hälfte wird die Gegend offener
und bewohnter ; hier liegen mehrere Ortschaften : Götzenhain , Offen-
thal, Dietzenbach, Messenhausen, aber auch hier finden sich „aus-
gedehnte Stellen auf den flachen Höhen, welche den Feldbau nicht
lohnen" *). Teilweise noch ungünstigere Bodenverhältnisse treffen wir
bei Gruppe 31 (Langstadt), die sogar auf die II. Dichtenstufe herab-
sinkt: bei Harreshausen östlich von Babenhausen z. B. sind die Er-
trägnisse in trockenen Jahren so gering, daß sie kaum die Kosten der
') Beitr. zur Landes-, Volks- u. Staatskunde des Großh. Hessen, S. 128.
45]
Die Volksdichte der Provinz Starkenburg.
337
Bestellung und Düngung tragen; auch die Kartoffel liefert recht un-
sichere Ertrage *).
Viel günstigere Böden haben die Gemeinden Langstadt, Klee-
stadt, Riehen ; trotzdem erheben sich diese Orte nicht über die II. Stufe.
Auch Großgrundbesitz kann nicht zur Erklärung der geringen Dichte
angeführt werden, denn in Kleestadt giebt es unter 110 landwirtschaft-
lichen Betrieben überhaupt keine von über 20 ha, nur 2 von 10 — 20 ha,
56 von 3—10 ha, die übrigen 52 sinken alle unter 3 ha. Aehnlich
sind die Verhältnisse bei Riehen, wo es 50 Betriebe unter 3 ha, 26 von
3—10 ha, 10 'von 10—20 ha giebt.
Gruppe 32 (Dieburg) erreicht die Dichte V. Von größter Wichtig-
keit für diese Gruppe sind die zahlreichen Thonlager zur Herstellung
von Backsteinen, Dachziegeln, Oefen und Töpferwaren 2). Dazu gesellt
sich noch in Münster eine Eisengießerei und Hasenhaarschneiderei, in
Dieburg Blechwaren- und Stärkemehlfabrikation, Rot- und Weißgerberei,
Leineweberei und eine Kokosmattenfabrik mit 50 Arbeitern; auch ist
hier der Sitz von Verwaltungsbehörden. In Groß-Zimmern giebt es
vier Zunder- und Pappdeckelfabriken ; ferner sind für diesen Ort noch
die Viehzucht und der Geflügelhandel zu erwähnen.
D. Die Vorhöhen des Odenwaldes.
1
2
3
4
5
6
7
8
9
Namen der Gemeinden
des Gebietsteiles
9
•8
°*.3
.3 «'S
0 er
* «T3»C
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Ja n»o
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S
33. Altheim . . . .
4,96
4,68
83
2,48
744
161
in
Semd ,
15,99
50
8,01
80
2,33
1111
138
III
Habitzheim ...
8,29
—
8,07
94
1,75
952
117
II
Spachbrücken . .
5,06
—
4.87
92
2,58
843
173
III
Gundernhausen . .
6,75
30
4,44
73
2,60
908
204
IV
Georgenhansen . .
1,32
—
1.24
84
3.29
248
200
IV
Zeilhard ....
2,75
—
2,64
90
2,05
413
156
III
Reinheim mit 111-
bach
12,24
10
10,48
78
2,30
1728
165
III
Ueberan ....
6,37
—
6,16
98
2,61
834
135
III
Nieder-Klingen . .
4,02
—
3,82
91
2,70
492
129
III
Ober-Klingen . . .
9,56
33
6,18
92
1,71
605
98
"
Lengfeld mitZipfen
13,21
30
8.75
82
2,44
1316
150
III
|
90,52
20
69,29
87
2,32
10189
147
111
34. Hering . . . .
Wiebeisbach, Kreis
Dieburg . . . .
Ober-Nau8ee . . .
2,78 '
10
2,39
70
1,73
459
192
IV
4,08 !
2,48
80
78
2,66
0,51
80
66
1,74
1,86
409
103
154
201
III
IV
9,34
63
5,56
75
1,75
971
174
III
') Erl. Babenhausen, S. 29.
2) Erl. Messel, S. 62, und Künzel-Soldan, S. 723.
838
Karl Bergmann,
[46
1
1
2 ! S
4
5
•
'
8
9
Namen der Gemeinden
des Gebietsteiles
Gesamtfläche
in qkm
[Wald in Froz.
1 der Gesamt-
fläche
1s
«4
Ackerland in
Prozenten der
Anbaufläche
TS
Ö
öS
öS
N
OD
M
'S
>
'S
>
9
3
•s
s
35- Frjm-Nauses . .
SchloJa-Nausea . - ,
3.05 m
1,62 57
Q,8ü
Ü,Ü2
84
68
1,40
2,48
53
2»
66
45
I
1
i
3,67
58
1,42
78
1,85
81
57
I
36. Groß-Umstadt
Raibach . . .
Heubach . . .
Hetschbach . .
27,66
3,22
8,96
3,19
41
48
47
63
15,26
1,54
4,47
1,08
88
94
88
87
2,20
3,89
247,
2.13
3341
440
1254
296
37.
Schaafheim . .
Schlierbach , Kreis
Dieburg . .
Klein-Umstadt
Mosbach . .
Radheim . .
Dorndiel . .
1 43,03 j 45 122,35
18,01 37 10,65
3,54
9,80
6,59
4,04
2,76 1
25
25
33
22
32
2,51
6,91
4,07
3,02
1.76
88
93
88
97
84
91
93
2,38 I 5331
19,8 , 1666
218
285
280
274
238
IV
V
V
V
IV
2,84
2,33
1,77
2,18
1,56
379
902
569
482
156 | III
151
130
140
160
264 150
I! 44,74
Summe 33—37 191,30
31 I 28,92
— 127,54
95
2,10 4262
20834
147
163
III
III
III
III
III
III
UI
Mit Gruppe 33 (Reinheim) betreten wir die Stelle, wo die Ger-
sprenz den eigentlichen Odenwald verläßt und durch die Vorhöhen des
Odenwaldes in die Mainebene hinaustritt.
Ein großes, fast waldfreies, der Landwirtschaft überlassenes Ge-
biet öffnet sich vor uns. Ein hügeliges, wellenförmiges Terrain be-
günstigt den Ackerbau, und die Bodenarten Lehm und Löß sichern
der Gegend hohe Fruchtbarkeit. Gute Wiesen bei den an der Ger-
sprenz liegenden Gemeinden begünstigen die Viehzucht. Aber eben
dieser Fruchtbarkeit wegen erhebt sich die Volksdichte nicht über die
III. Stufe: es hat sich Großgrundbesitz gebildet, und die geringe
Dichte erklärt sich durch die Abneigung der reichen Bauern gegen
eine starke Familie, um einer Zersplitterung ihrer Güter vorzubeugen.
Gerade in dieser Gegend ist deshalb das sogen. Zweikindersystem be-
liebt *). So ist es denn dieser Besitz Verhältnisse wegen für den Taglöhner
äußerst schwierig, sich Land zu erwerben, ja es wird ihm der Erwerb
') Ganz im Gegensatz zur landwirtschaftlichen scheint die industrielle Be-
völkerung eine stärkere Familie vorzuziehen, wohl auch aus dem Grunde, weil die
Kinder der Arbeiterfamilien schon frühzeitig zum Verdienen herbeigezogen werden
können. Sind Ackerbau und Industrie verbunden, wie es auf dem Lande zu-
weilen der Fall ist, dann können die Kinder bei dem Hauptgewerbe, dem Acker-
bau, helfen, während die überschüssige männliche Arbeitskraft der Industrie sich
widmet (vgl. Wilbrand, Odw. S. 234).
47] Die Volksdichte der Provinz Starkenburg. 339
fast unmöglich gemacht, da der Bodenpreis in der Lößgegend ein
sehr hoher und in guten Lagen Land fast überhaupt nicht käuf-
lich ist1). Die Besitzverhältnisse werden durch nachstehende Tabelle
erläutert :
Gesamtzahl der
landwirtschaftl.
3-10 ha
10-20 ha
20— 50 ha
Aber 50 ha
Betriebe
Habitzheim . . . 175
35
9
2
1 (275 ha)
Gundernhausen . 184
47
7
—
1 (100 , )
Lengfeld ... 219
25
22
11
1
Ueberau. ... 190
35
12
7
—
Zeilhard. ... 74
16
1
2
r (75 , )*)
Reinheim ... 292
53
3
3
2
Nieder-Klingen 96
31
15
—
—
Gleichfalls die III. Stufe weisen auf die Gruppen 34 (Hering)
und 37 (Schaaf heim) , welche neben Buntsandstein auch fruchtbaren
Gneis- und Lehmboden besitzen.
Gruppe 36 erreicht nur die IV. Stufe trotz des Zusammenwirkens
vieler günstiger Faktoren. Groß-Umstadt selbst hat wegen sehr frucht-
baren Bodens äußerst günstige landwirtschaftliche Verhältnisse8), die
beste Verkehrslage am Gebirgsrand und an der Eisenbahn Hanau-
Eberbach und ist Knotenpunkt zahlreicher aus dem Odenwald nach
der Mainebene führender Landstraßen. Für die günstige klimatische
Lage zeugen die Weinberge, von denen 1882 25 ha vorhanden waren
und die auf den für den Weinbau günstigen Porphyr- und Granit-
böden angepflanzt sind. Die Industrie ist entwickelt, neben den Bier-
brauereien sind besonders noch eine Scheren-, Leder-, Maschinen-
fabrik, sowie eine Schneid- und Lohmühle zu erwähnen. Für Rai-
bach und Heubach kommen die großen Sandsteinbrüche in Betracht4).
Wenn nun diese Gruppe doch nicht über die IV. Stufe hinaus
kommt, so ist das zum Teil bedingt durch die ausgedehnten großen
Güter.
In gleicher Weise erklärt sich die geringe Dichte der Gruppe 35
(Nauses) :
Gesamtzahl der
landwirtschaftl. unter 3 ha 3—10 ha 10—20 ha 20—50 ha
Betriebe
Frau-Nauses ... 7 2 — — 5
Schloß-Nauses . . 6 3 1 — 2
l) Erl. Groß-Umstadt, S. 41. Daselbst heißt es weiter: „Wesentlich dem
LÖß ist es zu verdanken, daß die Orte Groß-Umstadt, Lengfeld, Ueberau und Nieder-
Klingen zu den bestsituierten des Odenwaldes gehören/
8) Die Angabe der Anzahl der Hektare nach persönlichen Mitteilungen.
s) Vgl. die Anm. 1 auf dieser Seite.
'<) Erl. Groß-Umstadt S. 40.
340
Karl Bergmann,
[48
E. Der Odenwald.
Ueber die Einteilung des Odenwaldes in natürliche Gebiete habe
ich schon auf S. 319 [27J berichtet, will aber, um Mißverständnissen
vorzubeugen, noch folgendes beifügen. Die Unterabteilungen 1 und 5
habe ich als den westlichen bezw. östlichen Odenwald bezeichnet.
Diese Einteilung hat nichts zu thun mit der hergebrachten Einteilung
des Odenwaldes in einen westlichen und östlichen in geologischer
Hinsicht, wonach der westliche Teil Grundgebirge, der östliche Bunt-
sandsteingebirge ist; eine von Heidelberg nach Hanau gezogene Linie
giebt etwa die Grenze beider Formationen an. Die in dieser Abhand-
lung befolgte Einteilung bezeichnet als westlichen Odenwald den zwi-
schen Bergstraße einerseits und dem Gersprenz- und Weschnitzthal
andererseits gelegenen Teil; dann kommt als mittlerer Odenwald das
zwischen diesem großen Längsthal und dem Mümlingthal gelegene
Gebiet; der östlich vom Mümlingthal gelegene Höhenzug wurde als
östlicher Odenwald aufgeführt. Das Gersprenz-Weschnitzthal und das
Mümlingthal werden als selbständige Gebiete behandelt, ebenso das
Neckarthal mit seinen Seitenthälern. Man ersieht daraus, daß zum
Einteilungsprinzip die auf die Volksdichte so großen Einfluß aus-
übenden Verkehrsverhältnisse gewählt wurden: die vom Verkehr ab-
geschlossenen Gebirgszüge, die den Verkehr in sich aufsaugenden
großen Thäler. Schließlich sei noch bemerkt, daß der westliche Oden-
wald (nach meiner Einteilung) dem krjstallinen Grundgebirge angehört;
der kleinere nordwestliche Teil des mittleren Odenwalds gehört eben-
falls zum Grundgebirge. Der größere südöstliche Teil des mittleren,
der östliche und südöstliche Odenwald (die Neckarthäler) gehören zur
Buntsandstein for mation .
1. Der westliche Odenwald.
1.
2
1 3
4
5
6
8
9
Namen der Gemeinden
des Gebietsteiles
Gesamtfläche
in qkm
WaldinProz.
der Gesamt-
fläche
<
Ackerland in
Prozenten der
Anbaufläche
TS
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09
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1
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8
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38. Neutsch ....
1 3,40
41
2,23
t>9
1,83
158
71
1
Herchenrode . . .
1,94
29
1.33
83
1,57
84
64
I
Hoxhohl ....
. 1,93
31
1,21
74
1,57
117
97
11
Allertshofen . . .
1,63
23
1,25
80
1,64
169
135
111
Staffel
1,12
15
0,91
84
1,48
63
69
I
Beedenkirchen mit
1
Wurzelbach . . .
1 4,95
22
3,63
77
1,85
389
107
II
Balkhausen m.Quat.
1
telbach ....
! 4,70
48
2,16
78
1,98
313
145
III
Hochstädten . . .
3,88
35
2,39
85
1,25
213
89
II
Knoden mit Breiten-
,
wiesen
1 1,94
37
1,17
72
1,80
95
80
II
1
25,49
—
16,28
—
-
1601
-
—
49]
Die Volksdichte der Provinz Starkenburg.
341
1 i 2
l!
3
4
5
6
7
8
9
Namen der Gemeinden
des Gebietsteiles
: «8 g
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OD
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>
>
3
Uebertrag
25,49
_
16,28
_
___
1601
Raidelbach . . .
2,02
20
1,59
72
1,47
95
59
I
Glattbach . .
2,31
24
1,70
75
1,52
185
109
n
Winkel. . .
2,21
23
1,60
80
1,91
132
82
II
Winterkasten
6,36
33
3,92
67
1,94
538
137
in
Kolmbach . .
2,38
23
1,78
78
1,59
246
138
in
Laudenau . .
3,29
29
3,23
76
2,07
316
141
in
Neunkirchen .
1,92
43
1,01
66
1,84
96
95
II
Meßbach . .
2,25
44
1,23
77
1,60
79
64
i
Nonrod . . .
1,10
33
0,71
80
2,01
74
104
II
Webern . .
1,19
46
0,61
60
1,14
49
80
II
Klein-Bieberau
3,21
36
1,97
77
2,25
252
128
m
Asbach . . .
3,68
48
1,85
66
2,25
254
137
m
Rodau mit Hotten
bacher Hof, Ereu
Dieburg . . .
5,46
50
2,61
84
2,10
294
112
ii
Seidenbach
1,35
30
0,93
79
1,74
86
92
n
Eulsbach . .
0,80
27
0,56
81
1,80
58
103
H
Ellenbach . .
3,93
16
3,23
80
2,16
418
129
m
Igelsbach . .
0,99
29
0,71
81
1,57
37
52
i
WaldErlenbach
1,70
32
1,09
81
1,91
118
108
H
Linnenbach .
1,79
26
1,53
80
1,64
139
90
ii
Lörzenbach .
3,13
12
2,64
81
1,26
210
79
n
Lauten- Weschnitz
1,58
20
1,21
80
3,92
160
132
in
77,14
37
50,99
77
1,85
5437
106
ii
39. Ober-Hambach
1,06 I 15 I 0,88 I 74 I 2,00
81
92
II
40. Eberbach ....
! 1,68
20
1,30
74
1.45
71
53
I
41. Niedernhausen . .
4,57
45
2,49
68
2,22
507
203
IV
Lützelbach , Kreis
Dieburg ....
2,41
43
1,37
65
2,06
222
162
III
Brandau. . . .
6,89
40
3,84
74
2,79
750
195
IV
ErDsthofen . . .
3,60
21
2,76
77
2,04
414
150
III
Frankenhausen . .
2,41
20
1,86
84
2,76
301
161
III
Wembach mit Hahn
2,30
—
2,20
81
3,10
492
223
IV
Rohrbach ....
2,13
—
2,05
86
3,40
425
207
IV
Nieder-Modau . .
4,80
33
3,05
85
2,20
627
206
IV
Ober-Modau . . .
4,55
36
2,30
72
2,24
369
161
III
Nieder-Beerbach
8,25
56
3,43
80
2,35
830
242
IV
Ober-Beerbach mit
Schmal - Beerbach
u. Stettbach . .
8,10
32
5,30
82
1,96
917
173
III
Forschungen zur deutschet
! 50,01
i Landes
36
- und Vo
30,65
lkskundi
79
3. XII.
2,41
4.
5854
191
23
IV
342
Karl Bergmann,
[50
1
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i
3
4
5
6
7
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9
Namen der Gemeinden
des Gebietsteiles
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42. Ober-Ramstadt
mit V* Dilshofen .
22,48
35
13,54
89
1,62
3209
237
IV
Nieder-Ram stadt
10,29
14
5,82
91
1,54
1387
238
IV
Traisa
2,27
13
1,88
88
2,43
712
379
VI
Waschenbach . .
2,16
57
0,90
84
2,71
224
249
IV
Roßdorf ....
18,85
35
8,35
80-
2,37
2492
298
V
1
51,05
36
30,49
87
1,90
8024
263
v
43. Steinau . . .
Billinge . . .
Lichtenberg mit
Obernhausen .
44. Reichenbach
Lautern . .
Gadernheim .
45. Elmshausen
Wilmshansen
Gronau . . .
1,96
1,33
51
26
0,91
0,93
64
72
2,72
2,56
228
213
250
229
IV
IV
1,64
64
0,56
83
3,21
226
404
VI
4,93
48
2,40
7,
2,77
667
278
V
7,45
1,64
4,55
40
28
40
13,64
39
4,08
1,09
2,55^
7,72
76
70
67
71
2,32
2,40
2.58
2,44
1381
271
911
2563
338
248
357
332
V
IV
V
!
3,87
1,26
7,69
35
18
54
2,38
0,97
3,14
86
88
77
2,19
2,91
1,79
548
197
477
230
203
152
IV
IV
III
1
i
12,82
45
6,49
82
2,10
1222
188
IV
46. Lindenfels.
3,38 I 48 I 1,60
75
3,04 I 1276 I 797 I VIII
47. Schannenbach
Seidenbach
Mitter8hau8en
Schenerberg
Erlenbach .
Schlierbach ,
Bensheim . .
48. Erbach, Kreis Hep
penheim . . .
Kirschhausen
Sonderbach . .
Bonsweiher . .
Albersbach m. Kreis
wald ....
Mit-Lechtern . .
Ober-Lauden
bach ....
Nieder - Lieberebach
.
0,95
36
0,58
64
1,62
88
0,15
67
mit
2,43
23
1,73
65
,
0,94
20
0,71
74
Kreis
2,01
28
1,40
72
7,95
39
4,57
70
1,90
5,08
2,30
3,26
1,27
1,94
2,21
4,40
20
40
43
32
16
25
26
13
1,46
2,86
1,25
2,14
1,02
1,39
1,60
3,67
22,36 I 28 I 15,39
90
86
80
79
83
81
85
88
84
2,07
5,40
2,27
3,26
JJ,22
2,48"
2,38
1,99
2,00
1,96
2,07
2,17
2,13
1,59
1,83
113
184
295
177
322
1091
226
452
221
406
148
230
195
1226
170
249
230
238 ~
155
158
176
189
145
165
341 213
704 191
IV
VIII
III
IV
IV
IV
III
III
IV
IV
III
III
IV
IV
2728 I 177
IV
51]
Die Volkadichte der Provinz Starkenburg.
343
1 2
3
4
5
5a
6
7
8 ' 9
1 o
Namen der Ge- y *s q
meinden des a^
Gebietsteiles ii £.5
; es
WaldinProz.
der Gesamt-
fläche
Anbaufläche
in qkm
Ackerland in
Prozenten der
Anbaufläche
Weinberge in
Prozenten der
Anbaufläche
I
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>
1
00
l
9
1
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OD
M
<2
5
2
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S
49. Zell . . .
Unter -Ham-
bach . . .
r
3,66
1 4,96
27
47
2,43
2,44
75
74
18
16
2,94
3,87
581
859
239
352
IV
V
| 8,62
39
4,87
76
17
3,32
1440
295
V
50. Ober-Liebers-
bach.
Summe 38—50 i|258,39
1,98 1 34
1,26
158,61
82 I —
1,29
55
80509
43
192
IV.
Die Bevölkerungsdichtigkeit des westlichen Odenwaldes weist
sämtliche Hauptdichtestufen auf: schwache, mittelstarke, starke und
bei Lindenfels sogar sehr starke Bevölkerung.
Daß ein großer Teil des in Frage stehenden Gebietes nur schwach
bevölkert sein kann, wird sich nach Prüfung der Verhältnisse als natür-
lich herausstellen. Es sind dies meist Gemeinden, die entweder auf
der Höhe selbst liegen oder, wenn sie auch in Thälern liegen, doch
durch die Enge dieser Thäler gezwungen sind, ihre Gemarkungen auf
die angrenzenden Höhen auszudehnen1). Während sie einesteils der
Vorteile der Thalgemeinden (Thalbreite, Alluvialboden der Thalsohle)
verlustig gehen, haben sie auf der anderen Seite die Nachteile ihrer
ungünstigen Lage zu tragen: die schlechte Verkehrslage, die häufig
bis tief ins Frühjahr hinein eintretenden Spätfröste, die Gefahr des
Abschwemmens der Ackererde von den steilen Gehängen bei ver-
heerenden Unwettern. Dazu kommen für einen großen Teil unserer
Gemeinden die eine Anhäufung der Bevölkerung nicht zulassenden
Besitzverhältnisse, wie aus nachstehender Tabelle hervorgeht:
Gesamtzahl der
landwirtschaftl.
unter 3 ha
8-10 ha
10—20 ha
20-
Betriebe
Glattbach . .
23
13
3
4
3
Kolmbach . .
41
29
4
5
3
Staffel . . .
. 9
1
4
3
1
Hoxhohl . .
. 21
12
3
6
Neutsch . .
. 19
—
4
14
1
Lörzenbach
. 34
21
8
4
Beedenkirchen
. 61
32
19
10
1
Enoden . . .
15
5
4
4
2
Raidelbach . .
12 —
a für einzelne Gemeinden:
6
5
1
') Höhenangabe]
Neutsch
.
350
m Allertehofen .
. . 360 m
Brandau .
360
„ Lützelbach
. . 400 ,
344 Karl Bergmann, [52
Gesamtzahl der
landwirtschaftl. unter 3 ha 3—10 ha 10—20 ha 20—50 ha
Betriebe
Winkel .... 16 8 4 2 2
Winterkasten . . 72 39 12 16 5
Igelsbach ... 4 — — 2 2
Ober-Liebersbach. 7 — 3 2 21)
Hier befindet sich somit eine ganze Reihe von mittleren und
größeren Gütern, und die Besitzverhältnisse sind offenbar bedingt
durch die oben genannten ungünstigen Verhältnisse. Diese können
nämlich nur überwunden werden von einem wirtschaftlich starken
Bauern, der die durch Spätfröste, Unwetter u. dgl. verursachten
Schäden leichter verschmerzen kann als der kleine Bauer. Dazu ge-
sellt sich noch häufig die Schwierigkeit der Ackerbestellung, die eines
starken Zugmaterials bedarf, dessen Anschaffung und Erhaltung für
den Großbauern offenbar leichter ist als für den Kleinbauern; eine
vorteilhafte Bewirtschaftung des Gebietes durch Großbauern ist aber
um so eher möglich , weil der durch . Verwitterung des Granits
entstandene Boden fruchtbar ist. Der Boden ist „im allgemeinen
kräftig und frisch und liefert bei verständigem Bau gute Erträge*4 2),
die vielfach zwischen Humus und festem Gestein befindliche Kies-
bildung nimmt die Niederschläge leicht auf und verhindert deshalb
eine Herabflutung des Humus s) , und daher können noch Abhänge
mit Neigungswinkeln von über 20° in den tiefer gelegenen Stellen
mit dem Pflug bebaut werden.
Aus diesem großen Gebiet schwacher Bevölkerung heben sich
als dichter, und zwar als mittelstark besiedelt, heraus die Gruppen 41
(Brandau-Modau) , 45 (Elmshausen) , 47 (Erlenbach) und 48 (Kirsch-
hausen-Ober-Laudenbach). Die Gemeinden der Gruppe 41 liegen meist
in den Thälern der Beerbach und der Modau, die der Gruppe 45 in
Seitenthälern der Bergstraße (Elmshausen und Wilmshausen im Lauter-
thal), die der Gruppe 48 in Seitenthälern der Bergstraße und der
Weschnitz. Fruchtbarer Alluvialboden 4) und Lößbedeckung der das
Thal begrenzenden Höhen, günstigere klimatische Verhältnisse, bessere
Verkehrsbedingungen nach der Bergstraße einerseits, nach dem Weschnitz-
thal andererseits, die Ausnutzung der Wasserkraft durch Mühlen 5) und
die die Viehhaltung fördernden fruchtbaren Wiesen sichern diesen Ge-
l) Auch in diesen Gemeinden herrscht zum Teil^das schon S. 388 [46] er-
wähnte Zweikindersystem.
8) Wilbrand, Odw., S. 234.
«) Scherer, 8.21.
4) Zur Charakterisierung der verschiedenen Böden in Bezug auf ihre Frucht-
barkeit sei hier der mittlere Feinerdegehalt in %o des Gesamtbodens angegeben,
nach den Untersuchungen von Dr. Luedecke (Die Böden d. vord. Odenw., S. 16 — 18);
die Untersuchungen beziehen sich natürlich auf die Ackerkrume:
Alluvium 986°/oo Gneis 842°/oo
Diluvium (Sandböden) . . 980 „ Buntsandstein (östl. Odenwald) 738 ,
Löß . 979 , Granit 710 „
Lehmböden 962 „
5) So heißt z. B. der untere Teil des Modauthales geradezu das Mühlthal.
531 Die Volkedichte der Provinz Starkenburg. 345
bieten eine mittelstarke Bevölkerung. Mit größtem Erfolg wird z. B.
Obstbau betrieben, und das Obst dieser Gegend genießt in qualitativer
Hinsicht einen hervorragenden Ruf, da es sich besser konservieren soll
als das Obst der wärmeren Rheinebene 1). In manchen Bezirken, z. B.
in der Modaugegend, ist ein sehr günstiger Yiehstand zu verzeichnen.
Ebenfalls mittelstarke Bevölkerung hat Gruppe 47 (Erlenbach),
obgleich die in ihr liegenden Gemeinden nicht alle die oben beschrie-
benen Vorteile genießen.
Ein anderer Umstand muß also ihre Yolksdichte günstig be-
einflußt haben: es ist das die Steinindustrie, welche für den ganzen
Odenwald von der größten Bedeutung ist. Nach den Angaben der
Fabrikinspektion für die Provinz Starkenburg8) beschäftigen
die Granit- und Syenitwerke in . . 23 Betrieben 940 Arbeiter
„ Sandsteingewinnung u. -bearbei-
tung in . . 110 „ 1150
„ Basalt- und Schotterwerke . . 10 „ 840 „
n Marmorgewinnung m . . . 1 Betriebe 12 „
zusammen in 144 Betrieben 2942 Arbeiter.
„Rechnet man hierzu die zahlreichen Beamten und Agenten, die
Fuhrleute und mittelbar durch die Steinindustrie beschäftigten Personen
und Angehörigen, so erkennt man, daß ein erheblicher Prozentsatz der
Odenwaldbevölkerung durch die Steinindustrie ihren Unterhalt ge-
winnt44 a).
Schön schildert Wilbrand 4) die Bedeutung der Steinindustrie für
den Odenwald: „Die ältesten Sandsteinbrüche befinden sich längs des
Neckars, wo der billige Wassertransport die Verfrachtung nach den
rheinischen Städten leicht ermöglichte. Mit dem Ausbau des Straßen-
netzes und der Bahnen drangen die Steinbrecher weiter in das Innere
des Gebirges vor und legten dort Brüche an, wo der Stein besonders
gute Eigenschaften zeigte. Die Steine werden an Ort und Stelle in
den Brüchen meist so zugehauen, wie sie zu Ornamenten, Baikonen,
Fenster- und Thürfassungen , Pfosten u. a. im Plane der Baumeister
vorgesehen sind. Wo ein solcher Bruch eröffnet wird, da kommt
neues Leben in die Gegend. Unsere aufblühenden Städte haben
großen Bedarf, die Bestellungen gehen nicht aus. Wer Geschick hat
in den nächstgelegenen Ortschaften, bildet sich zum Steinbrecher und
Steinhauer aus. Fremde tüchtige Arbeiter siedeln sich an und dienen
als Lehrmeister, es werden in der Nähe der Brüche Neubauten er-
richtet, die Geschäftsleute der Stadt kommen und gehen, der Wohl-
stand hebt sich."
Diesem bodenständigen Industriezweig verdanken teilweise oder
ganz die Gruppen 42 (Ober- Ramstadt), 43 (Steinau), 44 (Reichenbach)
und 46 (Lindenfels) ihre starke Bevölkerung. In Billings , Steinau,
») Wilbrand, Odw.f S. 234.
2) Chelius, Steiiiind., S. 2.
8) Chelius, Steinind., S. 2.
4) Wilbrand, Odw., S. 233.
346 Karl Bergmann, [54
Lichtenberg befinden sich zahlreiche kleinere Schleifereibetriebe von je
1 5 — 50 Arbeitern *). In Reichenbach giebt es zwei Werke mit 200 Ar-
beitern 2) ; auch genießt Reichenbach den Vorteil der Thalerweiterung.
Für Lautern ist noch das Blaufarbenwerk zu nennen 3). Der Hauptsitz
der Steinindustrie ist jedoch Lindenfels (Firma Kreuzer und Böhringer),
das außerdem einen hervorragenden Ruf als Ausflugs- und Luftkurort
genießt, so daß es sich durch seine sehr starke Bevölkerung weit über
die anderen Odenwaldorte erhebt. Für Gruppe 42 sind zu erwähnen
die Basaltwerke in Ober-Ramstadt, die 200 Arbeiter, und die in Nieder-
Ramstadt, welche 100 Arbeiter beschäftigen4).
Bei Roßdorf tritt noch die Töpferwarenfabrikation hinzu 5). Auch
andere Industriezweige werden noch getrieben, und für die Arbeiter,
die an diesen Plätzen selbst keine Beschäftigung finden können, bietet
Darmstadt vortreffliche Arbeitsgelegenheit. Diese Stadt ist auch ein
günstiger Absatzplatz für die landwirtschaftlichen Erzeugnisse, denen
der fruchtbare Kies- und Lehmboden zu statten kommt.
Die Gemeinden der Gruppe 49 (Zell und Unter-Hambach) sind
gewissermaßen schon als Bergstraßenorte aufzufassen; beide treiben
Weinbau; Zell fabriziert Holzdraht für Zündhölzer.
Die geringe Dichte von Eberbach erklärt sich durch die Besitz-
verhältnisse: die Gesamtfläche dieser Gemarkung beträgt nur 168 ha,
wovon sich mehr als 50 ha in den Händen von zwei Bauern befinden.
Es sei hier noch auf einen Unterschied aufmerksam gemacht,
der zwischen den Industriecentren der Mainebene und den Industrie-
bezirken des Odenwaldes stattfindet. Für die Mainebene zeigt uns die
Karte ein allmähliches Anschwellen der Bevölkerung nach den In-
dustriecentren hin, während im Odenwald sich die stark bevölkerten
Gebiete mitten aus einer schwach bevölkerten Gegend herausheben.
Hier im Odenwald wird sich der Einfluß der Industrie hauptsächlich
auf den Ort äußern, in welchem der betreffende Industriezweig ge-
trieben wird, und die Arbeiter werden natürlich auch meist in diesen
Orten wohnen, denn sie finden ja hier billige Lebensverhältnisse. Die
in den großen Städten beschäftigten Arbeiter dagegen werden vor-
ziehen, eben in Anbetracht der billigeren Lebensweise, auf dem Lande
zu wohnen, mag auch die Entfernung noch so groß sein. So blieben
z. B. — was Offenbach anlangt — die Arbeiter aus den entfernteren
Gemeinden die Woche über in Offenbach und kehrten nur Samstags
nach Hause zurück. Jetzt haben sich die Verhältnisse geändert durch
die Eröffnung der Rodgaubahn Offenbach-Reinheim, obgleich noch
immer viele Arbeiter, die in Frankfurt z. B. beschäftigt sind, nur
Samstags nach Hause zurückkehren.
!) Chelius, Steinind., S. 4/5.
») Chelius, Steinind., S. 4/5.
*) Handelskammer Dannstadt 1895.
*) Chelius, Steinind., S. 8.
5) Erl. Mmel, S. 93.
55]
Die Volksdichte der Provinz Starkenburg.
347
2. Das Gersprenz- und das Weschnitzthal (von Grofi-
Bieberau bis Birkenau).
1
2
3
4
5
6
7
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9
Namen der Gemeinden
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Nieder-Kainsbach .
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IV
Fränkisch-Crumbach
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mit V* Bierbach,
Erlau, Güttersbach
i
und Michelbach .
16,11 ! 83
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157
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183
1 IV
52.
53.
Reicheisheim.
Pfaffen-Beerfurth
Kirch-Beerfurth .
Frohnhofen . .
Groß-Gumpen .
Klein-Gurapen
Ober- Kleingumpen
Krumbach . . .
54. Fürth mit Alt-
Lechtern . . .
Fahrenbach . .
Steinbach, KreisHep
penheim . . .
R i m b a c h m.Lützel
Rimbach u.Münsch
bach ....
Zotzenbach m.Unter
Mengelbach . .
4,62
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1,67 I 77
1,04 j 71
6,55 I 74
3,24
2,34
2,84
2,95
1937
538
350
2825
504
322
336
431
55. Mörlenbach mit
Bettenbach, Groß-
Breitenbach, Klein-
Breitenbach u. Nie-
der-Mumbach . .
Reisen mit Schim-
bach
VI
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V
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1,33
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IV
II
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II
348
Karl Bergmann,
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Namen der Gemeinden
des Gebietsteiles
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56. Birkenau . . . . || 7,36
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VI
Summe 51—56 1
124,03
—
85,88
—
—
16695
194
IV
Das Gersprenzthal und das sich südlich anschließende Weschnitz-
thal sind von größter Bedeutung für den Odenwald. Diese beiden
Hauptthäler des westlichen Odenwaldes bilden eine große Furche,
„ welche bei Birkenau schmal beginnt und als breites, hügeliges Thal
über Fürth, Reicheisheim und Brensbach in einer durchschnittlichen
Breite von einer Stunde bis zur Mainebene hinzieht" l). Dieses Thal
hat von jeher als Verkehrsstraße zwischen der Rhein-Neckar-Ebene
einerseits und der Mainebene andererseits gedient. Es ist ferner be-
günstigt durch den für den Ackerbau so vorteilhaften Alluvialboden.
Die Bewaldungsprozente sind nicht bedeutend, weil das Thal eben seit
langer Zeit Durchgangsstraße war, der Wald beschränkt sich auf die
oberen Teile der Abhänge der das Thal begleitenden Höhenzüge, die
Feldkultur steigt bis zur mittleren Höhe von 300 m 2) ; im Thale selbst
befinden sich nur einzelne Waldparzellen, keine zusammenhängenden
Wälder.
Am breitesten ist das Thal bei Fürth und Rimbach. Nördlich
davon bei Erumbach und Gumpen verengert es sich durch den halb-
inselartig bei Lindenfels vorspringenden Schenkberg und den gegen-
überliegenden Stotzberg. Hier — am Gumpener Kreuz — liegt die
Wasserscheide zwischen Weschnitz und Gersprenz.
Was die Besiedelung des Thaies anlangt, so sind alle Stufen
von der schwachen bis zur starken zu verzeichnen. Als Grundstufe
ist die mittelstarke anzunehmen: sie findet sich bei den Gruppen 51
(Brensbach) und 54 (Fürth-Rimbach). Diese bilden ein landwirtschaft-
liches Gebiet ; nur in Groß-Bieberau und in Fränkisch-Crumbach wird
etwas Industrie getrieben: in Groß-Bieberau giebt es eine Spritzen-
fabrik und in Fränkisch-Crumbach eine Zigarrenfabrik. In Anbetracht
der günstigen landwirtschaftlichen Verhältnisse sollte man daher eigent-
lich stärkere Bevölkerung erwarten, aber auch hier spielen die Grund-
besitzverhältnisse eine Rolle; so ist für Fränkisch-Crumbach z. B. das
große Freiherr v. Gemmingsche Gut zu erwähnen. Auch ist gerade
bei diesem Ort die Unvollkommenheit des statistischen Materials stö~
rend , denn in manchen Fällen werden mit einem Hauptort mehrere
in seiner Nähe liegende kleinere Orte für die Feststellung des Areals,
der Volkszahl u. s. w. vereinigt. Nun sind aber sehr oft diese klei-
') Walther, Hessen, S. 48.
*) Weidenhammer, Landw. Hessen, S. 50.
20 ba
20—50 ha
8
9
7
1
2
0
1
57] Die Volksdichte der Provinz Starkenburg. 349
neren Orte ungünstiger gestellt als der Hauptort, so daß durch die
notgedrungene Miteinbeziehung dieser Orte bei Berechnung der Volks-
dichte, der Waldprozente u. s. w. auch der Hauptort in ungünstigem
Sinne beeinflußt wird *). Im südlichen Teil des Weschnitzthales bei
Mörlenbach, wie auch bei Fürth, sollen es die Bewohner an der nötigen
Arbeitsamkeit und Thatkraft fehlen lassen (vgl. damit S. 355 [63]),
Mörlenbachs geringe Dichte erklärt sich auch durch die Besitzver-
hältnisse: es befindet sich dort das große v. Wamboltsche Gut.
In der Verengung des Thaies bei Gumpen liegt ein schwach
bevölkertes Gebiet, woran wohl die Verengung selbst schuld sein mag,
andererseits tritt aber auch hier wieder stark der Großgrundbesitz in
den Vordergrund:
Gesamtzahl der
landwirtschaftl. unter 3 ha 3—10 ha 10-
Betriebe
Groß-Gumpen . . 33 13 3
Klein-Gumpen . . 36 24 4
Ober-Kleingumpen 15 8 5
Krumbach ... 63 44 12
Ebenso ist auch Frohnhofen durch Großgrundbesitz ausgezeichnet:
die ganze Gemarkung hat 133 ha, aber nur 5 landwirtschaftliche Be-
triebe, darunter 3 von 20—50 ha.
In schärfstem Gegensatz zu diesem schwach bevölkerten Gebiet
steht Gruppe 52 (Reich elsheim) mit starker Bevölkerung. Die Lage
dieser Gruppe — ziemlich in der Mitte dieses großen Längsthaies —
fährt ihr von Norden und Süden den Verkehr zu. Neben starker
Viehzucht ist auch noch die Industrie zu erwähnen : in nächster Nähe,
bei Bockenrod, befinden sich bedeutende Manganerzgruben, die gegen
400 Arbeiter beschäftigen2). Für Reicheisheim selbst kommt noch
die Elfenbeinschnitzerei und Pfeifenfabrikation, sowie die Herstellung
von Schirm- und Spazierstöcken in Betracht. Schließlich treten auch
bei Reicheisheim noch Weinberge auf, die in der Neuzeit sogar ver-
größert werden3).
Wie die Mitte, so ist auch der Ausgangspunkt eines Thaies hin-
sichtlich der Verkehrslage günstig gestellt, besonders wenn dieser
Ausgangspunkt sich in einer so bevorzugten Gegend befindet, wie es
die Bergstraße ist. Der Ort Birkenau hat deshalb eine starke Be-
völkerung aufzuweisen; durch seine landschaftliche Schönheit ist er
auch noch das Ziel vieler Touristen. An fabrikmäßigen Betrieben be-
finden sich in Birkenau eine Feilenfabrik und Müllerei und die „Ver-
einigten Farbenfabriken*. Aeußerst günstig wirkt ferner die. Nähe des
badischen Städtchens Weinheim, bekannt als Luftkur- und Badeort
(Stahlbad und Wasserheilanstalt), durch seinen Obst- und Weinbau und
seine bedeutende Industrie (besonders Lederfabrikation)4).
') Ebenso verhält es sich auch bei Gruppe 55 (Mörlenbach).
*) Wilbrand, Odw., S. 238.
») Wilbrand, Odw., S. 219.
4) ühlig, Ver. d. Volksd. i. nördl. Baden 1852—1895. Forsch, d. L. u. V.,
XI. Bd., S. 204/205 [98/99].
350
Karl Bergmann,
[58
3. Der mittlere Odenwald.
1
2
3
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Namen der Gemeinden
des Gebietsteiles
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4,73
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mit Eichelberg. .
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IV
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136
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III
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136
III
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0,32
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2,57
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Schnorrenbach . .
1,95
36
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74
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105
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II
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3,02
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1,52
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112
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2,81
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107
II
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1,78
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122
II
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1,97
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121
II
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192
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II
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bach
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III
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III
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115
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1,70 I 982 I 255 I IV
59]
Die Vollrauchte der Provinz Starkenburg.
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des Gebietsteiles
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III
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10,00
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80
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130
III
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Stier
63. Wallbach .
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Ober-Kinzig
Mittel-Einzig
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Affhöllerbach
Kilsbach u.
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Hembach
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Seits u. Brenberger
Seit«)
Unter-Gersprenz .
Ober-Gersprenz !) .
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II
II
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II
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II
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Forstel . . .
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82
87
2,50
1,91
62
66
69 | I
59 1 I
j| 3,52
40
2,00
84
2,18
128
64 | I
65. Steinbach mit Neu-
dorf ....
66. Höllerbach .
Hassenrotb
Pfirschbach
Hummetroth .
Nieder-Kinzig
Kirch-Brombach mit
Baisbach . .
Böllstein .
3,80 | 19 I 2,55 I 83 | 2,21 | 441 | 173 | IV
2,55
48
1,26
81
2,26
252
200
IV
3,20
46
1,61
80
2,13
328
203
IV
2,15
52
0,97
84
1,82
141
145
III
1,48
14
1,19
73
2,14
302
253
IV
t
2,42
27
1,70
91
2,47
803
178
IV
6,03
28
4,02
81
1,80
864
215
IV
2,07
34
1.27
78
2,33
253
199
IV
19,90
35
12,02
80
2,08
2443
203
IV
l) Ober-Gersprenz und Unter-Gersprenz mit besonderen Gemarkungen bilden
eine Gemeinde (Centralst. Landesst. 1896, Nr. 682).
352
Karl Bergmann,
[60
1
2
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des Gebieteteiles
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2,24
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61
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I
Rehbach ....
10,30
70
2,91
79
1,54
222
76
II
Roßbach ....
4,01
64
1,29
86
0,69
75
58
I
Eisbach
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50
1,40
82
1,97
61
43
I
Haisterbach . .
5,88
49
2,75
81
1,65
228
83
II
Etzean
1 4.70
66
1,41 82
1.12
89
63
I
| 30,13
60
10,99
81
1,41
736
67
I
Summe 57—67
249,27
—
131,95
—
—
18520
140
III
Der mittlere Odenwald ist ein im wesentlichen schwach und mittel-
stark bevölkertes Gebiet. Abgesehen von allen aus seiner gebirgigen Lage
entspringenden Nachteilen, ist er auch in geologischer Hinsicht wenig
begünstigt: der östliche, nach dem Mümlingthal zu gelegene Teil des
Gebietes gehört der Buntsandsteinformation an, die der Landwirtschaft
meist nur mageren Boden bietet. Ueber den Wert des Buntsandsteins
als Ackerland heißt es in den Erläuterungen zur geologischen Karte l)
wie folgt: „Von größter Bedeutung für die Fruchtbarkeit des Bodens
ist das Vorhandensein oder Fehlen einer Deckschicht von Lößmaterial,
die ursprünglich wohl ganz allgemein als eine vom Wind abgelagerte
Hülle die ganze Oberfläche des Gebiets, vielfach wohl nur in einer
Mächtigkeit von wenigen Decimetern überzogen hat, später aber durch
die abspülende Thätigkeit des atmosphärischen Wassers vielerorts ganz
entfernt, anderswo wenigstens stark reduziert wurde, während an
anderen Stellen die abgeschwemmten Lößmaterialien, mit Sand und-
Gesteinsschutt vermengt, abgesetzt und angehäuft wurden. Die Atmo-
sphärilien erhalten immer neue Angriffspunkte für die Auflösung des
Gesteins, das allmählich — wohl besonders durch die Wirkung des
Frostes — in einen losen Sand verwandelt wird. Jeder Regen bringt
dann massenhaft Sand von den Höhen zu Thal, und an vielen Stellen,
die nicht durch Wald gegen die abspülende Wirkung des Regens ge-
schützt sind, sieht man, wie tiefe Furchen ein heftiger Gewitterregen
zu reißen vermag. Daher hat der Buntsandstein an den Steilflanken
sehr oft einen sandigen und sehr sterilen Charakter. Infolge der leichten
Durchlässigkeit der Verwitterungsprodukte des Buntsandsteins wird die
Lößhülle derselben fast völlig entkalkt; in dem dadurch entstehenden
Kalkmangel sind die nachteiligsten Eigenschaften aller Böden des
Buntsandsteins zu erblicken."
Wilbrand 8) läßt sich über die landwirtschaftlichen Verhältnisse
*) Erl. Erbach-Michelstadt, S. 64.
*) Wilbrand, Odw., S. 234.
61] Die Volk8dichte der Provinz Starkenburg. 353
im Buntsandsteingebiet folgendermaßen aus: „Schwieriger ist der Be-
trieb der Landwirtschaft im Buntsandsteingebiet. Der Boden ist matter
und trockener und bedarf starker Düngung. Der sandige Boden ist
leicht beweglich. Der Dünger, welcher unter schwerer Anstrengung
der Zugtiere auf den Acker am Bergeshang geschafft worden ist, wird
durch den Regen wieder abgeschwemmt, die Besserung geht verloren.
Weizen und Handelsgewächse gedeihen nicht mehr, als wichtigste
Halmfrucht tritt der Hafer in den Vordergrund. Die Ernten sind
gering, der Betrieb des Ackerbaus schafft Sorge um Sorge und wenig
Gewinn. Selbst Bauern mit großem Grundbesitz, die fleißig bei der
Arbeit sind, kommen finanziell nicht recht vorwärts. . . . Die Bauern
sind in diesem Gebirgsteile in schwieriger Lage, groß ist die Zahl der
dem Verkauf ausgesetzten Güter und ihr Preis beim Uebergang in
andere Hand nicht hoch/
Ein großer Teil der Gemarkungen unseres Gebietes ist mit Wald
bedeckt und so der Landwirtschaft entzogen. Die Bewaldungsprozente
steigen bis zu 70°/o; ihre Höhe ist eben eine Folge der geologischen
Beschaffenheit: auf dem Buntsandstein ist die Waldkultur vorherrschend,
während im westlichen Odenwald die Bodenverhältnisse mehr die Feld-
kultur begünstigen. Nachstehende, der Abhandlung von E. Küster1)
entnommene Zahlen mögen dies erläutern.
Vom ganzen hessischen östlichen 2) Odenwald sind 62 °/o mit
Wald bedeckt, vom westlichen nur 36,5. Die einzelnen Waldarten
verteilen sich wie folgt:
Westlicher Teil Oeatlicher Teil
65,7 °/o . . Laubholzhochwald . . . 20,2 °/o
24,5 , . . Nadelholz 31,7 r
9,6 „ . . Gemischter Wald ... 7,4 „
0,2 „ . . Niederwald 40.7 „
Im östlichen Odenwald herrschen also im Hochwald die Nadel-
hölzer vor; einen großen Prozentsatz erreicht der Niederwald, von dem
noch weiter unten die Rede sein wird (S. 362 [70]).
Ein weiterer Grund für die schwächere Bevölkerung des mitt-
leren und östlichen Odenwaldes ist auch darin zu suchen, daß große
Teile dieses Gebietes den Standesherren gehören, so den Grafen v. Erbach-
Erbach und von Erbach-Fürstenau. Große Strecken fruchtbaren Landes
sind mit Wald bedeckt und somit dem Ackerbau entzogen, der sich mit
den minder fruchtbaren Strecken, häufig an den sandigen Steilflanken,
begnügen muß3). Aus nachstehenden Zahlen4) gehen die Besitzver-
hältnisse hervor:
*) £. Küster, Die deutschen Buntsandsteingebiete. Forsch, d. L. u. V.,
V. Bd., S. 243—244 [77—78].
s) Hier ist unter „östlichem Odenwald* das dem Buntsandstein angehörende
Gebiet zu verstehen.
8) Erl. Neustadt-Obernburg, S. 35.
4) Wilbrand, Odw., S. 224. In der Abhandlung von Wilbr and befindet
sich auch eine Waldkarte vom Odenwald im M. 1 : 225000 , aus der deutlich die
Besitzverhältnisse ersichtlich sind.
354 Karl Bergmann, [62
Größe des Waldes im ganzen Odenwald 126153 ha
davon im Besitze des Staates 11734 „
Ä „ „ der Gemeinden und Körperschaften 55909 „
- . - „ Privaten 58510 „
126153 ha.
Von dem Privatbesitz gehören in Hessen 15814 ha den Standes-
herren, und zwar liegen diese standesherrlichen Wälder fast ausschließ-
lich im mittleren und östlichen Odenwald, nur zum verschwindenden
Teil im westlichen.
Wenn nun in unserem Gebiet einige Gemeinden sogar auf die
unterste Dichtenstufe sinken oder die zweite Stufe nur knapp erreichen
oder wenig über sie hinausgehen, so spielt hierbei auch der Groß-
grundbesitz mit, wie die nachstehende Uebersicht zeigt:
Gesamtzahl der
-50 ha
landwirtschaftl.
unter 3 ha
3- 10 ha
10-20 ha
20— {
Betriebe
Anneisbach .
. 10
2
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Birkert . .
. 30
19
7
3
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6
2
1
—
3
Etzean . .
. 16
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1
1
Forstel . .
. 9
1
1
7
Hembach
. 15
5
4
4
2
Ober-Kainsbach
. 60
31
31
11
5
Wallbach .
. 40
24
11
4
1
Güttersbach .
—
—
—
—
2
Als Gebiete mit mittelstarker Bevölkerung (Stufe IV) sind zu
nennen die Gruppen 59 (Waldmichelbach-Abtsteinach), 61 (Hammel-
bach), 65 (Steinbuch) und 66 (Hassenroth-Böllstein). Starke Bevölkerung
weist das im romantischen Gorxheimer Thal gelegene Gorxheim auf,
das wie Birkenau auch schon als Bergstraßenort aufgefaßt werden kann.
Bei Gruppe 59 (Waldmichelbach-Abtsteinach) liegen günstigere
Bodenverhältnisse vor, was sich sofort an den geringeren Waldpro-
zenten zeigt (vgl. Gruppe 59 mit Gruppe 67). Waldmichelbach selbst
liegt in einem weiten Thalkessel, ist Mittelpunkt von zwei großen
Kirchspielen und ein vielbesuchter Ausflugsort; auch sind für Wald-
michelbach eine Pappdeckelfabrik und Sandsteinbrüche zu erwähnen.
Löhrbach, Trösel und Unter-Flockenbach liegen in Seitenthälern
der Bergstraße (vgl. S. 344 [52]), die beiden Abtsteinach im Steinach-
thal; letztere treiben auch Steinhauerei. Bei Hammelbach und Stein-
buch ist ebenfalls die Industrie zu verzeichnen : bei Hammelbach giebt
es Steinbrüche, Steinbuch steht unter dem Einfluß von Michelstadt und
Steinbach (siehe auch S. 357 [65]). Bei Gruppe 66 (Hassenroth-
Böllstein) liegen für die mittelstarke Dichte verschiedene Ursachen vor,
so haben einige Gemeinden, z. B. Nieder-Kinzig und Kirch-Brombach,
fruchtbaren Lehmboden. Bei anderen ist wieder die Zusammensetzung
der Bevölkerung der Grund der höheren Dichte; in Pfirschbach z. B.
trifft man ziemlich starke Arbeiterbevölkerung, besonders Maurer, an,
und ebenso hat das rauh gelegene Böllstein verhältnismäßig hohe Dichte,
63] Die Volksdichte der Provinz Starkenburg. 355
weil es meist von Arbeitern, Taglöhnern, Holzfällern u. s. w. bewohnt
wird. Der Verdienst ist knapp , die Kinder werden schon zur Arbeit
herangezogen, sie können sich durch Besenbinden u. s. w. nützlich machen
und so zum Unterhalt der Familie beitragen. Eine zahlreiche Familie
zu haben vereinbart sich hier mit den Interessen dieser armen Leute,
während es den Interessen der Großbauern zuwiderläuft (vgl. S. 338 [46]).
Auch sind die Bewohner dieses Gebietes fleißig und von zäher Ausdauer ;
obgleich wegen der ungünstigen Beschaffenheit des Bodens — in regen-
armen Jahren leidet er an Trockenheit — die landwirtschaftliche Be-
bauung nur wenig lohnt, hat doch der zähe Fleiß einiger Bewohner des
Böllsteiner Gebietes, wie in Böllstein selbst, in Pfirschbach, Anneisbach,
Einzig gute Erträge und günstige Verhältnisse geschaffen. Andere
Gemeinden dagegen leiden wieder schwer „ unter der Ungunst der
Bodenverhältnisse und haben dadurch den Sinn und die Mittel für
notwendige Verbesserungen des Bodens verloren*4 *).
Die klimatischen Verhältnisse der Böllsteiner Hochfläche sind
nicht so ungünstig, als man häufig anzunehmen geneigt ist. Sind
auch die mittleren Jahrestemperaturen auf den Höhen niedriger als in
den Thälern, so daß das Klima der Höhen rauher erscheint, so zeichnet
sich doch die Böllsteiner Hochfläche, ähnlich anderen hochgelegenen
Punkten im Odenwald, wie Nonrod, Lichtenberg, Lindenfels, „ durch
eine gleichmäßigere Temperatur gegenüber den Thälern aus*2).
„ Während in den Thälern die mittlere Jahrestemperatur wohl etwas
höher ist als auf den Höhen, zeigen letztere weder so niedrige Kälte-
grade, noch auch so hohe Wärmegrade als die Thäler, in denen der
Temperaturwechsel weit häufiger, unvermittelter und größer ist. Die
Abende und Nächte auf den Höhen sind öfters wärmer als in den
Thälern. Der Schnee bleibt auf den Höhen viele Wochen unversehrt
liegen, während er in den Thälern bei den höheren Mittagstempera-
turen mehrmals schmilzt, nachts aber wieder gefriert. In den kalten
Wintern der letzten Jahrzehnte war die niedrigste Temperatur auf den
Höhen 8—10° gegen 15—17° R. in den Thälern"8).
Diese günstigen klimatischen Verhältnisse finden ihren Ausdruck
in der Vegetation. So trifft man denn auf den Höhen oft eine Vege-
tation an, die in den Thälern nur schwer oder gar nicht fortkommen
kann. „Das Gedeihen der eßbaren Kastanien in mächtigen, alten
Bäumen, der Quitten- und Obstbäume auf den Höhen, das schnelle
Absterben der Kastanien in den Thälern, das häufige Erfrieren der
Obstbäume daselbst bestätigt vielleicht sicherer als weitere Einzel-
beobachtungen der Temperaturen den geringen Wechsel von Kälte
und Wärme auf den Höhen, da diese Pflanzen wohl eine niedrige
mittlere Temperatur vertragen, aber nicht ein öfteres rasches Erfrieren
und Auftauen B 4).
Die oben erwähnte Thatkraft der Bewohner des Böllsteiner
Gebietes steht im Gegensatz zu der auf S. 349 [57] gemachten
>) Erl. Brensbach-Böllstein, S. 71.
2) Erl. Brensbach-Böllstein, S. 73.
8) Erl. Brensbach-Böllstein, S. 73.
4) Erl. Brensbach-Böllstein, S. 73—74.
356
Karl Bergmann,
[64
Bemerkung über einige Gemeinden des Weschnitzthales. Vielleicht
hängt dies zusammen mit den ursprünglichen Besiedelungsverhältnissen.
Als die Franken das Land in Besitz nahmen, wurden die zäheren und
arbeitsameren Alemannen auf die Höhen zurückgedrängt, während die
leichter beweglichen, aber auch weniger arbeitsamen Franken die
fruchtbaren Thäler für sich beanspruchten.
Außer Gorxheim erhebt sich nirgends die Bevölkerung über die
mittelstarke Stufe hinaus. Es macht sich hier der fördernde Einfluß
der Industrie, besonders der Steinindustrie, nicht in dem Maße geltend,
wie es im westlichen Odenwald der Fall ist.
4. Das Mümlingthal.
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69. Etzen-Gesäß
70. Zell . . .
1,41 | 27
jl 4,82 | 38
0,94 | 66
2,71 I 76
3,18 I 216 230 j IV
2,20 I 482 I 177 I IV
71. Michelstadt
Steinbach . .
Stockheim . .
Erbach . .
72. Lauerbach. .
Schönnen . .
Ebersberg .
Hetzbach . •
12,24
3,94
1,03
5,63
53
26
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22,84 I 40
5,18
2,68
0,56
4,07
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83
84
78
12,49 I 74
2,92
2,17
4,16
2,24
2,59
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1181
247
2784
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440
441
684
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VI
VI
VII
7324 I 586 I VII
2,27
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3,95
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1,24
4,31
82
77
80
85
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1,92
2,59
1.91
215
198
186
779
172
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150
180
III
II
III
IV
24,48
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8,44
81
2,02
1378
163
III
1
90,21
—
41,12
—
15309
372
VI
Summe 68—72
Im Gegensatz zu dem breiten, hügeligen Gersprenz- und Weschnitz-
thal besitzt das Mümlingthal enge Thalsohlen und steile, glatte Ab-
hänge. Nur bei Erbach, Michelstadt und Höchst kommen Thalerweite-
rungen vor, bei welchen das begleitende Gebirge mit seinen steilen,
waldbedeckten Abdachungen zurücktritt und einen durchschnittlich 600
bis 700 m breiten Raum der Feldkultur ausschließlich überläßt. Ober-
65] Die Volksdichte der Provinz Starkenburg. 357
und unterhalb dieser Thalweiten aber verengert sich das Thal so sehr,
daß bei Ebersberg und unterhalb Asselbrunn Thalengen auftreten.
Für eine gute Bewässerung des Thaies sorgt die Mümling: die an
ihren Ufern sich ausbreitenden saftigen Wiesengründe begünstigen die
Viehzucht. In klimatischer Hinsicht ist das Mural ingthal den Höhen
gegenüber natürlich bevorzugt; aber auch an und für sich ist es in
dieser Beziehung günstig gestellt, wie aus der S. 329,330 [37/38] mit-
geteilten Aufstellung hervorgeht. Sehr vorteilhaft wirkt für das Klima
die durch die nordsüdliche Richtung des Thaies hervorgerufene aus-
giebige Besonnung1).
Da sich das im ganzen enge Thal für die Landwirtschaft nicht
so gut eignet wie das Gersprenz- und Weschnitzthal, so hat sich zum
Ersatz dafür eine blühende Industrie entwickelt. Von den hier in Be-
tracht kommenden Gemeinden treiben alle, mit Ausnahme von Schönnen,
Industrie. Als Mittelpunkte der Industrie sind Michelstadt und Er-
bach, die Residenz der Grafen v. Erbach-Erbach, zu bezeichnen.
Michelstadt hat Tuch-, Maschinen- und Pfeifenfabriken, Baumwollen-
weberei, Schuhfabrikation u. s. w. , Erbach mehrere Tuchfabriken,
Tuchwalkerei, Pfeifen-, Schäfte- und Schuhfabrik; erwähnenswert ist
ferner die Elfenbeinschnitzerei, deren Hauptsitz im Mümlingthal ist
und für die in Erbach eine eigene Schule besteht. „Die Schnitzerei
in Elfenbein und verwandten Materialien, die Holzbildhauerei, Pfeifen-
fabrikation und verwandte Gewerbe beschäftigen zur Zeit in Erbach
ca. 240, in Michelstadt 180, in Steinbach 20, in Stockheim 10—15, zu-
sammen demnach über 350 Personen in nächster Nähe ; das Absatzgebiet
erstreckt sich über Deutschland, Oesterreich, die Schweiz, England,
Schottland, Bulgarien, Rußland, Italien und Frankreich; die Produkte
der Pfeifen- und Zigarrenspitzenfabrikation gehen auch nach Amerika
und den englischen Kolonien" 2). Jedoch befindet sich in der Gegen-
wart diese Industrie nicht mehr in so günstiger Lage als früher; das
Absatzgebiet beschränkt sich jetzt auf Deutschland, Tirol und die
Schweiz. Man hofft eine Neubelebung dieses Industriezweiges durch die
oben erwähnte, vor fünf Jahren gegründete Fachschule3). Von den
unmittelbar bei Michelstadt liegenden Orten Stockheim und Steinbach
zeichnet sich besonders das letztere durch seine Industrie, Eisen-
gießerei, Maschinenfabriken, Gelatinefabrik, aus. Ferner haben alle
hier in Betracht kommenden Orte den Vorteil der Lage in dem von
jeher als Verkehrsstraße dienenden östlichen Längsthal, und die Er-
zeugnisse der Industrie finden bequeme Weiterbeförderung durch die
Eisenbahn Darmstadt-Frankfurt-Hanau-Eberbach(-Stuttgart-Zürich).
So stellt sich das Mümlingthal auf unserer Karte als ein wohl-
bevölkertes Gebiet dar. Nur an einer Stelle sinkt die Bevölkerung
auf die unterste Dichtenstufe herab, bei Asselbrunn (vgl. S. 352 [60]),
') Vgl. K. Oppermann, Die Thäler d. Taunus u. i. anthrop. Bedeutung,
in Jahresber. d. Frankf. Ver. f. Geogr. u. Stat. Jahrg. 51 u. 52, S. 41, 43. Frankfurt.
2) Künzel-Soldan, Hessen, S. 727.
8) Beck, Gewerbe und Handel in „Der Odenwald und seine Nachbar-
gebiete \ Eine Landes- und Volkskunde, herausgegeben von Georg Volk. Stutt-
gart 1900.
Forschungen zur deutschen Landes- and Volkskunde. XII. 4. 24
358
Karl Bergmann,
[66
wo das Mtimlingthal sich zu einer Thalenge verengt. Ebenfalls unter
der Thalverengung leiden die Gruppen 69 (Etzen-Gesäß) , 70 (Zell)
und 72 (Ebersberg). Der Nachteil der Thalverengung wird aber teil-
weise wieder aufgehoben durch die Industrie: so befinden sich bei
Lauerbach eine Diamantschleifern und Gerberei, bei Ebersberg eine
Holzschneiderei, bei Hetzbach eine Pulverfabrik und Sandsteinbrüche,
bei Zell eine Holzdrahtfabrik, Pappdeckelfabrik und Müllerei, bei
Etzen-Gesäß eine mit englischen und westfälischen Fabriken kon-
kurrierende Fabrik stählerner Geräte. Immerhin kommen diese Ge-
biete nicht über eine mittelstarke Bevölkerung hinaus. Umgekehrt
sichern die Thalweite und die Lage in der Mitte des Thaies1) der
Gruppe Erbach-Michelstadt eine sehr starke Bevölkerung. Die Lage
in der Mitte des Thaies ist deshalb wichtig, weil sich dadurch der
Verkehr von Norden und Süden hier zusammenzog, was für die Ent-
wickelung der Industrie von großer Bedeutung ist. Ebenso weist die
nördlich von Zell in erweitertem Thale gelegene Gruppe 68 (König-
Höchst-Neustadt) starke Bevölkerung auf, denn sie treibt in glück-
licher Vereinigung Industrie, Ackerbau und Viehzucht. Höchst hat
eine Spatmühle und Holzschneiderei, König drei Zigarrenfabriken, Holz-
schneiderei und Müllerei, Mümling-Grumbach eine Holzdrahtfabrik, Neu-
stadt eine Spatmühle und Sandbach eine Oelmüllerei.
5. Der östliche Odenwald.
(Der östlich vom Mümlingthal gelegene Höhenzug.)
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IV
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Jl.04
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Lützel -Wiebeisbach
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V
Haingrund . . .
3,27
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14,66
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2,29
2263
298
V
') Einschließlich der Fortsetzung, die das Mümlingthal im S. im Gammels-
barher Thal findet.
67]
Die Volksdichte der Provinz Starkenburg.
359
.; *
3
4
5
6
7
8
9
Ü
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Namen der Gemeinden
des Gebietsteiles
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OD
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76. Fürstengrund, . . |
5,08
47
2,50
92
2,67
344
187
III
Momart i .
5,27
48
2,64
74
1,54
335
127
III
Kimbach .
3,29
29
2,26
79
1.69
318
140
III
. Weitengesäß
9,21
52
4.11
82
1,52
610
148
III
Ern8bach .
2,59
61
0,89
79
2,35
118
132
III
Wtirzberg
10,72
50
5,10
78
1,79
647
127
III
Dorf-Erbach
1 4,09
62
1,38
76
2,07
218
158
III
Erlenbach .
1 4,28
66
1,35
80
1,7«
263
195
IV
Bullau
II 8,05
66
2,53
85
1,66
414
164
III
1
52,58
54
22,76
80
1,S2
3267
148
in
II 2'74
60
1,04
84
2,88
56
54
I
101,25
—
48,78
—
—
9102
186
IV
77. Erbuch
Summe 73—77
Der das Mümlingthal östlich begleitende Höhenzug hat mit seinen
breiten, flachen Längerücken echten Buntsandsteincharakter. Wird auch
der Ackerbau durch die Terrainverhältnisse begünstigt, so leidet er
doch andererseits schwer unter der Ungunst der Bodenverhältnisse und
des Klimas. Der südliche und mittlere Teil hat meist unfruchtbaren
Boden. Was auf der einen Seite den Ackerbau fördert, nämlich das
ebene Terrain, ist auf der anderen Seite wieder ein ebenso großer Nach-
teil, indem auf dem Plateau das Wasser stagniert und den Boden kalt,
naß und schwer zum Bearbeiten macht1). Das Klima ist, besonders
im südlichen Teil, ebenfalls ungünstig, was sich aus den wirtschaft-
lichen Verhältnissen von Bullau ergiebt*): „ Obstbau kann infolge des
rauhen Klimas nicht getrieben werden ; die Birne wird überhaupt nicht
gezogen, die Zwetschen reifen nicht, die Aepfel nur in besonders guten
Jahren." Die Ernte des Wintergetreides beginnt erst im August,
während sie im westlichen Odenwald und in dem Weschnitz- und
Gersprenzthal in die erste Hälfte, im mittleren Teile des Odenwaldes
und im Mümlingthal in die zweite Hälfte des Juli zu fallen pflegt3).
1) Erl. König, S. 26.
2) Scherer, Hessen, S. 20.
8) Walt her, Hessen, S. 56.
Im Anschluß an die oben beschriebenen wirtschaftlichen Verhältnisse von
Bullau seien hier noch folgende pflanzenphänologische Erscheinungen mitgeteilt,
um die verschiedenen Landesteile der Provinz Starkenburg bezüglich des Klimas
genauer zu kennzeichnen. H. Hoff mann (gest. 1891 in Gießen) stellt hinsicht-
lich der Hochpunkte des Odenwaldes folgende Kulturgrenzen auf (nach Weiden-
hammer, Landwirtschaft im Großh. Hessen, S. 56):
Otzberg: Süßkirschen, Walnuß. — Knoden: Aepfel, Birne, Süßkirsche
(keine Weinreben), Walnuß. — Felsberg: Zwetschen, Aepfel. — Neun-
kirchen: Aepfelbäume gut fruchtend, Walnuß (fruchtend), Süßkirsche
(blüht Anfangs Mai oder Ende April), Roßkastanie, Hanf, Kartoffel, Spelz,
Roggen, Weizen unsicher im Gedeihen. — Bullau: siehe oben.
360
Karl Bergmann,
[68
Ein lohnender Ersatz für diese ungünstigen Verhältnisse bietet sich in
der sogen. Hackwaldkultur, die hier wie im südöstlichen Teile des Oden-
waldes herrscht (vgl. S. 362 [70]). Bessere Verhältnisse weist der
nördliche Teil unseres Gebietes auf. Der Boden ist hier fruchtbarer,
weil diluvialer Lehm die Gehänge oder die Hochflächen teilweise be-
deckt. Auch liegt dieser Teil 100 m tiefer als der südliche *), so daß
sich dadurch auch die klimatischen Verhältnisse besser gestalten2).
So stoßen wir denn hier in der Gruppe 75 (Seckmauern) sogar auf starke
Bevölkerung, die auch durch die Nähe des fruchtbaren Mainthaies und
der bayrischen Städtchen Wörth (große Holzwarenfabrik) und Klingen-
berg (berühmtes Thonbergwerk) hervorgerufen wird.
6. Das Neckarthal und die Neckarseitenthäler.
1
; 2
3
4
5
6
7
8
9
Namen der Gemeinden
des Gebietsteiles
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2
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5
78. Beerfelden . . .
1 13,32
47
6,42
90
2,13
2271
353
VI
79. Ober-Sensbach . .
|| 11,60
79
2,28
85
1,82
245
110
11
80. Aidenbach . . .
|| 8,97
62
3,21
75
1,75
310
96
11
81. Gammelsbach . .
Unter-Sensbach .
Hebsthal ....
Schöllen bach mit
Kailbach, diesseits
Kailbach, jenseits
|| U,90
! 13,46
6,77
14,25
II 3,62
77
73
79
80
69
3,22
3,15
1,88
2,54
0,83
73
83
79
80
69
1,97
1,93
3,22
1,40
1,02
616
560
313
503
109
191
177
166
198
131
IV
IV
in
IV
in
| 53,00
71
11,62
79
1,97
2101
180
IV
82. Hesselba ch . . .
|! 7,17 |
68
2,16 j
84 |
1,36 |
196
90
ii
Ausgezeichnete Aufschlüsse über die Vegetationsverhältnisse in Starkenburg
liefert Hoffmanns Phänologische Karte von Mitteleuropa, P. M. Bd. XXVI 1.
Während aber Hoff mann die Eintrittszeiten der Aprilblüten auf Gießen bezieht,
werden dieselben hier auf Darmstadt bezogen. Die Zahlen geben an, um wieviel
Tage sich die Aprilblüten gegenüber denjenigen von Darmstadt verfrühen (+) oder
verspäten (— ).
Roßdorf
Ober- Ramstadt
Messel . . .
Jugenheim . .
Bensheim . .
Birkenau
5,6 Tage
2
12 .
3 ,
4,5 ,
3
Neunkirchen . . .
- 17 Tage
Felsberg (Odenwald)
- 11 .
Eolmbach ....
- 20 ,
Rehbach ....
- 11 ,
Siedeisbrunn . . .
- 18 ,
Die Feldgemarkungen im südlichen Teil, wie Vielbrunn, Würzberg, Bulla u
u. s. w., haben eine durchschnittliche Höhe von 400 — 500 m (Weidenhammer,
Landw. S. 50). Vgl. damit die Höhenangaben S. 343 [51]. Anm.
a) Erl. König, S. 26.
69]
Die Volk8dichte der Provinz Starkenburg.
3Ü1
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Namen der Gemeinden
des Gebietsteiles
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61
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19
2,10
5*9
160
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84. Ünter-Scharbach
Wahlen . . .
Gras-Ellenbach .
Olfen . . . .
1
2,48
48
1,17
70
1,97
220
188
IV
2,79
47
1,39
60
1,53
247
177
IV
1
6,15
59
2,34
57
1,58
401
171
III
1 4,53
68
1,33
70
2,62
240
180
IV
!
15,95
58
6,23
63
1,87
1108
177
IV
85. Aschbach .... II 2,50 I 63 I 0,86 I 67 I 2,24 I 303 I 352 I VI
86. Raubach . ... II 7,73 I 90 I 0,76 I 53 I 1,55 I 92 j 121 I II
87. Dürr-Ellenbach . . II 3,34 I 76 I 0,76 I 76 I — I 3 1 4 I I
Affolterbach . . .
Ober- Schön mat-
tenwag . . .
Unter-Schönmatten-
wag
Langenthai . . .
Ober-Finkenbach
Unter-Finkenbach .
Rothenberg m.Ober-
Hainbrunn . . .
6,99
56
2,85
63
1,91
659
281
6,98
58
1,51
76
2,33
343
227
18,46
6,35
5,50
2,17
59
65
77
69
3,46
0,92
1,13
0,58
78
83
71
68
1,91
3,09
2,74
2,22
1150
238
404
91
332
258
J 258
18,42
67
4,20
75
2,41
1123
272
64,87
61
14,65
65
2,10
4008
273
IV
IV
V
V
V
V
89. Grein 3,21
Darsberg . . . . | 2,42
5,63
80
66
0,70
Ul
1,81
76
50
72
1,74
2,21
114 I 163
262 236
2,03 I 376 I 207
III
IV
IV
90. Neckar-Hausen ,
Neckar-Steinach .
Hirschhorn
Summe 78-
. II 0,58
. |! 10,75
. ii 24,41
31)
74
79
0,35
1,98
3,67
80
74
61
3,85
8.36
2,82
144
1420
1938
411
717
528
VI
VIII
VII
35,74
76
6,00
67
3,06
8502
583
VII
90 240,13
_
60,37
—
—
15104
250
V
Das Mümlingthal findet seine Fortsetzung südlich in dem Gam-
melsbacher Thal ; beide Thäler sind getrennt durch den hochgelegenen
Sattelpunkt Beerfelden. Dieser Ort hat eine günstige Verkehrslage
zwischen beiden Thäler n, ist Knotenpunkt der Straßen nach dem 3er-
') Die geringe Bewaldung bei Neckar-Hausen erklärt sich dadurch, daß der
bei dieser Gemeinde gelegene Wald zum Großherzogtum* Baden gehört.
362 Karl Bergmann, [70
sprenz-, Weschnitz-, Müniling-, Gammelsbacher- und Finkenbachthal und
tritt durch die beiden letzteren in unmittelbare Verbindung mit dem Neckar-
thal; seine Lage auf einer Hochfläche erlaubt ausgedehnten Ackerbau;
neben Holzschneiderei ist noch die Bürsten-, Kämme- und Tuchfabri-
kation zu erwähnen. Alles dies erklärt die hohe Dichte Beerfeldens.
Das Gammelsbacherthal fuhrt mich zur Besprechung der im
südöstlichen Odenwald zum Neckar sich hinziehenden Längsthäler des
Itterbachs, Sensbachs, Gammelsbachs, Finkenbachs und Ulfenbachs.
Steile, mit Wald bedeckte Abhänge, die fast keinen Platz zur Feld-
kultur bieten, charakterisieren diese Thäler. Mitten im Buntsandstein
gelegen, erreichen die Bewaldungsprozente eine ungewöhnliche Höhe,
sie steigen bis 90°/o! Nur im Ulfenbachthal , das sich durch größere
Breite auszeichnet, zeigen sich geringere Bewaldungsprozente. Aber
gerade diese starke Bewaldung ist von hoher Wichtigkeit für die ganze
Gegend. Der Platz für die Feldkultur wird gewonnen durch den sogen.
Hackwaldbetrieb l) , der sich im Gefolge des gerade für diesen Teil
des Odenwaldes so überaus wichtigen Eichenschälwaldbetriebs ent-
wickelte. Der Eichenschälwaldbetrieb zielt auf die Erzeugung eines
möglichst großen Quantums wertvollster Eichenlohrinde ab. Die Eichen-
schälwaldfläche des Odenwaldes beträgt etwa 15350 ha, ihr größter
Teil befindet sich im südöstlichen Odenwald. In manchen Gegenden,
so z. B. in den Bergen am Neckar, haben die Niederwaldungen so
große Ausdehnung, daß die in der nächsten Nachbarschaft bei der
Rindenernte zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte nicht ausreichen
und Zuzug von auswärts stattfinden muß; die Arbeit bei der Rinden-
ernte ist lohnend und nicht gerade schwer. Die Verwertung der er-
zielten Lohrinde findet auf den alljährlich in Hirschhorn, Heidelberg
und Erbach stattfindenden Rindenmärkten statt. Im Jahre 1888 kamen
77809 Zentner zum Ausgebot, davon allein in Hirschhorn 49795 Zentner,
während der Rest sich auf Heidelberg und Erbach verteilt. Der Erlös
dafür betrug M. 455631. Die Absatzplätze für diese Lohrinde sind be-
sonders die Centralplätze der deutschen Lederindustrie Worms und
Heilbronn 2).
So haben wir es in dieser Gegend, trotz der nicht sonderlich
günstigen Verhältnisse, doch mit einer mittelstarken Bevölkerung zu
thun, die sich in einigen Bezirken sogar zu großer Dichte erhebt.
Meist tritt dann noch Industrie hinzu, wie bei Aschbach, wo ein Eisen-
hammer sich befindet und Papier fabriziert wird, und bei Finkenbach,
wo Tuch- und Papierfabriken, sowie Holzschneiderei betrieben werden.
Unter die mittelstarke Bevölkerung sinken nur die in den oberen Teilen
der Thäler gelegenen Gemeinden. Interessant ist es — gerade bei diesen
Seitenthälern — zu verfolgen, wie die Volksdichte in dem Maße zu-
nimmt, als man sich von der Quelle der Mündung nähert. Man kann
dies feststellen für das Sensbacherthal, das Finkenbachthal und für
ein Seitenthal des Finkenbachs. Die Gemeinden sind in der Reihe
angegeben, wie sie von der Quelle an aufeinander folgen.
') Vgl. S. 853 [61} u. 360 [68].
2) Wilbrand, Odw., S. 228 u. 230.
71] Die Volksdichte der Provinz Starkenburg. 363
Sensbacherthal:
Ober-Sensbach 110
Unter-Sensbach . . . . ' 177
Hebsthal 166
Finkenbachthal:
Olfen 180
Finkenbach 258
Rothenberg mit Ober-Hainbrunn . . . 272
Seitenthal des Finkenbachs:
Airlenbach 96
Falken-Gesäß 160
Am Ausgang des Finkenbach- und des Ulfenbachthals liegt das
Städtchen Hirschhorn im reizenden Neckarthal, dem bedeutendsten
Querthale des Odenwaldes. Auch hier haben wir steile Abhänge, die
bis zur schmalen Thalsohle, die oft kaum Platz für die Chaussee hat,
mit Wald bedeckt sind. Die Neckarorte Neckar-Steinach, Neckar-Hausen
und Hirschhorn haben eine äußerst günstige Verkehrslage. Sie liegen
nahe dem Punkte, wo das Neckarthal in die oberrheinische Tiefebene
ausmündet, an der wichtigen Eisenbahnstrecke (Basel-Mannheim-Frank-
furt)-Heidelberg -Eberbach -(Würzburg -Frankfurt -Stuttgart), und der
schiff- und flößbare Neckar selbst bildet hier eine wichtige Verkehrs-
straße. Der ganze Verkehr des südlichen Odenwaldes zieht sich nach
dem Neckarthal durch die hier ausmündenden, weiter oben genannten
Thäler. Dazu kommt eine hochentwickelte Industrie, wobei besonders
die großartigen Steinbrüche zu erwähnen sind, an die sich auch Stein-
hauerei angeschlossen hat. Große Steinbrüche befinden sich bei Neckar-
Hausen und Neckar-Steinach ; in Neckar-Steinach giebt es ferner eine
Lederfabrik, eine Lohmühle, eine Kunstwolle-, eine Matratzen- und
eine Blumenfabrik ; in Hirschhorn eine Seidengarnfärberei, Holzschnei-
derei und Kistenfabrik. Alljährlich findet der S. 362 [70] erwähnte
Rindenmarkt in Hirschhorn statt. Von Feldbau ist natürlich wenig
die Rede, die Eichenschälwaldkultur tritt hier voll in ihre Rechte.
Auch die Bienenzucht des Neckarthaies sei erwähnt, denn wenn auch
die Bienenzucht allgemein in Starkenburg verbreitet ist, so gilt dies
doch für das Neckarthal wie für den Odenwald überhaupt, ganz be-
besonders1), und der im östlichen Odenwald angebaute Buchweizen
ist gerade für die Bienenzucht von Vorteil. Die Bienenzüchter des
Neckarthaies bringen zur Zeit der Blüte des Heidekorns die Bienen-
]) Auf den Hektar Anbaufläche kamen im Jahre 1892 Bienenstöcke
im Kreis Darmstadt 0,04
„ Bensheim 0,05
, Dieburg 0,04
„ Groß-Gerau 0,05
„ Heppenheim 0,08
„ Erbach 0,12
, Offenbach 0,04.
364
Karl Bergmann, Die Volksdichte der Provinz Starkenburg.
[72
stocke in den Odenwald, um das Volk an dem süßen Saft der schönen
roten Blüten weiden zu lassen , ganz wie in der nordischen Heide *)•
Erscheint dieser Umstand auch nicht sonderlich wesentlich, so kommt
dadurch doch Leben in die Gegend, und der Erlös der Bienenzucht
wird nicht zu unterschätzen sein. So bringt z. B. auch die Heidel-
beerernte den ärmeren Leuten im Odenwald oft reichlichen Verdienst.
Schließlich sei noch erwähnt, daß das Neckarthal seiner landschaft-
lichen Reize halber das Ziel vieler Touristen ist, so daß auch in
dieser Beziehung sich eine Erwerbsquelle für die dortigen Bewohner
eröffnet. Nördlich von Neckpr-Steinach liegen die Orte Grein und Dars-
berg mit mittelstarker Bevölkerung.
Zusammenstellung der unter A — E enthaltenen Tabellen
nach ihren Endergebnissen.
h
M
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1
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2
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XL
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>
s
A. Die Rheinebene und die Mainebene
westlich der Verkehrslinie Frank-
furt-Darmstadt
691,95
495,33
93818
189
IV
B. Die große Verkehrslinie Frankfurt-
Darmstadt-Heidelberg
225,43
136,49
50215
368
VI
C. Die östlich der Verkehrslinie Frank-
furt-Darmstadt gelegene Mainebene
429,80
241,37
65811
272
V
D. Die Vorhöhen des Odenwaldes . .
191,30
127,54
20834
163
III
E. 1. Der westliche Odenwald ....
258,39
158,61
30509
192
IV
2. Das Gersprenz- und das Weschnitz-
thal (von Grofi-Bieberau bis Bir-
kenau)
124,08
85,88
16695
194
IV
3. Der mittlere Odenwald ....
249,27
131,95
18520
140
III
4. Das Mümlingthal
90,21
41,12
15309
372
VI
5. Der östliche Odenwald (der östlich
vom Mümlingthal gelegene Höhen-
zug)
101,25
48,78
9102
186
IV
6. Das Neckarthal und die Neckar-
seitenthäler (der südöstliche Oden-
wald)
240,13
60,37
15104
250
V
Summe von A — E (Provinz Starkenburg
I
mit Abzug der Städte Darmstadt und
Offen bach, der Exklaven Wimpfen und
Steinbach, der nicht eingemeindeten
Einzelhöfe, der Wald- und Feldgemar-
kungen und der Rhein- Auen) . . .
2601,81
1527,44
335917
219
IV
Provinz Starkenburg insgesamt ....
3018,99
1
1607,20
444562
276
V
l) Scherer, Hessen, S. 21 u. 22.
/
i •
Band III.
Heft 1. Die Verbreitung und wirtschaftliche Bedeutung der wichtigeren Wald-
baumarten innerhalb Deutschlands, von Prof. Dr. B. Borg greve. Preis M. 1.—
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Preis M. 1.70.
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landes, von Dr. F. Wahnschaffe. Preis M. 7. 20.
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Heft 1. Klimatographie des Königreichs Sachsen. Erste Mitteilung von Prof. DrJ3
Schreiber. Preis M. 4. —
Heft 2. Die Vergletscherung des Riesengebirges zur Eiszeit. Nach eigenen Unter-
f, suchangen dargestellt von Prof. Dr. Joseph Part seh. Preis M. 6. —
Heft 3. Die Eifel. Von Dr. Otto Follniann. Preis M. 3.20.
Heft 4. Die landeskundliche Erforschung Altbayerns im 16», 17. und 18. Jahr-
hundert von Dr. Christian Gruber. Preis M. 3. —
Heft 5. Verbreitung und Bewegung der Deutschen in der französischen Schweiz.
Von Dr. J. Zemmrich. Preis M. 3.80.
Heft 6. Das deutsche Sprachgebiet Lothringens ttad seine Wandelungen von der
Feststellung der Sprachgrenze bis zum Ausgang des 16. Jahrhunderts, von Dr. Hans Witte.
Preis M. 6. 50.
Band IX.
Heft 1. Die Art der Ansiedelung der Siebenbürger Sachsen. Von Direktor Dr.
Friedrich Teutsch. — Volksstatistik der Siebenbürger Sachsen. Von Prof.
Fr. Schuller. Preis M. 4.80.
Heft 2. Volkstümliches derSiebenbürgerSachsen. Von Gymnasiallehrer O.Witts tock. —
Di eMundart der Siebenbürger Sachsen. VonDirektorDr.A.Scheiner.PreiBM.6.50.
Heft 3. Die Regenkarte Schlesiens und der Nachbargebiete. Entworfen und
erläutert von Professor Dr. Joseph Parts eh. Preis M. 4.70.
Heft 4. Laubwaldflora Norddeutschlands. Von Dr. F. Hock. Preis M.2.70.
Heft 5. Die geographische Verteilung der Niederschläge im nordwestlichen
Deutschland, Von Dr. Paul Moldenhauer. Preis M. 4. —
Heft 6. Der Hesseiberg am Frankenjura und seine südlichen Vorhöhen. Von
Dr. Christian Gruber. Preis M. 5.20.
Band X.
Heft 1. Zur Hydrographie der Saale. Von Professor Dr. Willi Ule. Preis M. 4.50.
Heft 2. Der Pinzgau. Physikalisches Bild eines Alpengaues. Von Oberlehrer Dr. Wilhelm
Schjerning. Preis M. 8.80.
Heft 3. Die Pinzgau er. 'Von Oberlehrer Dr. Wilhelm Schjerning. Preis M. 5. —
Heft 4. Zur Geschichte des Deutschtums im Elsass und im Vogesengebiet. Von
Dr. Hans Witte. . Preis M. 7.60.
Band XI.
Heft 1. Magnetischeünter8uchungenim Harz.VonProf.Dr.M.Eschenhagen.PreisM.1.60.
Heft 2. Beitrag zur physikalischen Erforschung der baltischen Seeen. Von
Professor Dr. Willi Ule. Preis M. 3.—
Heft 3. Zur Kenntnis des Hunsrücks. Von Dr. Fritz Meyer. Preis M. 4. —
Heft 4/ Die Veränderungen der Volksdichte im nördlichen Baden 1852 — 1895.
Von Dr. Carl Uhlig. Preis M. 10.—
Heft 5. Entwicklungsgeschichte der phanerogamen Pflanzendecke Mitteleuropas
nördlich der Alpen. Von Dr. August Schulz. Preis M. 8.40.
Band XII.
Heft 1.. Die Niederschlagsverhältnisse der mittleren Rheinprovinz und der Nach;
bar gebiete. Von Dr. P. Polis, Direktor der Meteorologischen Zentralstation in Aachen.
Mit 10 Tabellen, 9 Karten und 3 Textillustrationen. 1899. 96 Seiten. Preis M. 12.—
Heft 2. Das Vogtland als orographisches Individuum. Eine Studie zur deutschen
Landeskunde. Von Dr. Albert Wohl r ab in Leipzig. Mit 1 Uebersichtskarte, 7 Licht-
drucktafeln und 12 Textillustrationen. 1899. 89 Seiten. Preis M. 6.40.
Heft 3. Das Ries. Eine geographisch-volkswirtschaftliche Studie von Dr. Chr. Gruber in
München. Mit 2 Kartenbeilagen und 12 Textillustrationen. 1899. 105 S. Preis M. 10.50.
Heft 4. Die Volksdichte der grossherzoglich hessischen Provinz Starkenburg auf t
Grund der Volkszählung vom 2. Dezember 1895/ Von Dr. Karl Bergmann in
Darmstadt. Mit einer Karte. 1900. 72 Seiten. Preis M. 5.70.
Nen eintretende Abonnenten, die alle bisher erschienenen Hefte nach-
beziehen, erhalten Band 1—5 zum halben Preis.
j
Drurk d*r Union Dcutsi-b1 Vorlagsgesellschaft in Stuttgart.
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n niiw»i[)iii(iit'wirtTiliuM iTuTiiiiil
DffBBKaftmsimmiiLmTmirnmnii^
I !
Forschungen
zur deutschenTjandes- und Volkskunde
im Auftrage der
Centralkommission für wissenschaftliche Landeskunde von Deutsch] and
herausgegeben von
Dr. A. Kirchhoff,
Professor der Erdkunde an der Universität Halle.
Zwölfter Band.
Heft 5.
L'-LlTAÄLL? IL«"' » tTTTVft i t I iT» »V» i±f i.i'i j"» 1 1 FiTf i iTTTTTTijT *± tj i_i i'tj * i • • t • t i_i. t 11*111) i\ i.Ti t iiViTi • "» im
Die Germanisierung
der
Rätoromanen in der Schweiz.
Volkswirtschaftliche
und nationalpolitische Studien
yon
A. Sartorius Freiherrn v. Waltershausen,
ord. Professor
der Nationalökonomie an der Universität Strassburg.
Mit einer Karte;
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STUTTGART.
VERLAG VON J. ENGELHORN.
1900.
?iilCüli»"»Mi
Pill
lie „ Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde8 sollen dazu helfen, die
! heimischen landes- und volkskundlichen Studien zu fördern, indem sie aus allen Gebieten
derselben bedeutendere und in ihrer Tragweite über ein bloss örtliches Interesse hinaus-
gehende Themata herausgreifen und darüber wissenschaftliche Abhandlungen hervorragender
Fachmänner bringen. Sie beschränken sich dabei nicht auf das Gebiet des Deutschen Reiches,
sondern so weit auf mitteleuropäischem Boden Von geschlossenen Volksgemeinschaften die
deutsche Sprache geredet wird, so weit soll sich auch, ohne Rücksicht auf staatliche Grenzen,
der Gesichtskreis unserer Sammlung ausdehnen. Da aber die wissenschaftliche Betrachtung der
Landesnatur die Weglassung einzelner Teile aus der physischen- Einheit Mitteleuropas nicht
wohl gestatten würde, so sollen auch die von einer nichtdeutschen Bevölkerung eingenommenen
Gegenden desselben samt ihren Bewohnern mit zur Berücksichtigung gelangen. Es werden dem-
nach ausser dem Deutschen Reiche auch die Länder des cisleithanischen Österreichs, abgesehen
von Galizien, der Bukowina und Dalmatien, ferner die ganze Schweiz, Luxemburg, die Nieder-
lande und Belgien in den Rahmen unseres Unternehmens hineingezogen werden. Ausserdem
aber sollen die Sachsen Siebenbürgens mit berücksichtigt werden und auch Arbeiten über die
grösseren deutschen Volksinseln des Russischen Reiches nicht, ausgeschlossen sein.
Unsere Sammlung erscheint in zwanglosen Heften «von ungefähr 2 — 5 Bogen; jedes Heft
enthält eine vollständige Arbeit (ausnahmsweise von kürzeren auch mehrere) und ist für sich
käuflich. Eine entsprechende Anzahl von Heften wird (in der Regel Jahrgangs weise) zu einem
Bande vereinigt.
Bisher sind erschienen:
Band I.
Heft 1. Der Boden Mecklenburgs, von Prof. Dr. E. Geinitz. Preis 80 Pfennig.
Heft 2. Die oberrheinische Tiefebene und ihre Randgebirge, von Prof. Dr.
L e p 8 i u s. Preis M. 2. —
Heft 3. DieStädte der Norddeutschen Tiefebene in ihrer Beziehung zur Boden-
gestaltung, von Prof. Dr.' F. G. Hahn. Preis M. 2. —
Heft 4. Das Münchener Becken. Ein Beitrag zur physikalischen Geographie
Südbayerns, von Chr. Gruber. Preis M. 1.60.
Heft 5. Die mecklenburgischen Höhenrücken (Geschiebestreifen) und ihre
Beziehungen zur Eiszeit, von Prof. Dr. E. Geinitz. Preis M. 8. 10.
Heft 6. Der Einfluss der Gebirge auf das Klima von Mitteldeutschland, von
Dr. R. A 88 mann. Preis M. 5.50.
Heft 7. Die Nationalitäten in Tirol und die wechselnden Schicksale ihrer
Verbreitung, von Prof. Dr. H. J. Bidermann. Preis M. 2.40.
Heft 8. Poleographie der cimbrischen Halbinsel, ein Versuch, die Ansied-
lungen Nordalbingiens in ihrer Bedingtheit durch Natur und Ge-
schichte nachzuweisen, von Prof. Dr. K. Jansen. Preis M. 2. —
Band II.
Heft 1. Die Nationalitäts-Verhältnisse Böhmens, von Dr. L. Schlesinger. Preis
80 Pfennig.
Heft 2. Nationalität und Sprache im Königreiche Belgien, von Geh. Rechnungsrat
K. Brämer. Preis M. 4. —
Heft 8. Die Verbreitung und Herkunft der Deutschen in Schlesien, von Prof. Dr.
K. Weinhold. Preis M. 2.40.
Heft 4. Gebirgsbau und Oberflächengestaltung der Sächsischen Schweiz, von
Dr. A. Hettner. Preis M. 5.25.
Heft 5. Neuere slavische Siedlungen auf süddeutschem Boden» von Prof. Dr.
H. J. Bidermann. Preis M. 1.25.
Heft 6. Siedlungsarten in den Hochalpen, von Prof. Dr. Ferdinand' LöwL
Preis M. 1. 75.
vS
DIE GERMANISIERUNG
DER
RÄTOROMANEN IN DER SCHWEIZ.
VOLKSWIRTSCHAFTLICHE
UND NATIONALPOLITISCHE STUDIEN
VON
aT|aRTORIUS FREIHERRN v. WALTERSHAUSEN,
ORD. PROFESSOR
DER NATIONALÖKONOMIE AN DER UNIVERSITÄT STRASSBÜRG.
MIT EINER KARTE.
-*♦•*►-
STUTTGART.
VERLAG VON J. ENGELHORN.
1900.
Druck der Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart.
Inhalt.
Seite
Kapitel I. Einleitung 369 [5]
II. Statistische Grundlage 374 [10]
, III. Die Sprachgrenze 395 [81]
IV. Die Italiener in Graubünden 431 [67]
„ V. Die wirtschaftlichen Interessen und der Rückgang des
Romanentums 436 [72]
, VI. Die Schule 451 [87]
, VII. Die Kirche 461 [97]
, VIII. Staatliches Leben und romanische Nationalität .... 464 [100]
Sprachenkarte des Kantons Graubünden.
I. Kapitel.
Einleitung.
In weiterem Sinne werden in der Schweiz alle diejenigen als
Romanen bezeichnet, deren Sprache sich, wenn auch unter der Bei-
mischung fremder Worte, aus dem Lateinischen, speziell aus der lingua
rustica entwickelt hat. Es gehören dahin die Westschweizer, welche
selbst ihr Gebiet la Suisse romande nennen, die italienisch Sprechenden
am Südabhang der Alpen und in dem Kanton Graubünden, einem Teil
der alten römischen Provinz R'ätien, die Rätoromanen oder die Romanen
im engeren Sinne. Diese reden eine Sprache, welche ähnlich wie die
französische, italienische, spanische, portugiesische, rumänische eine
eigenartige Ausbildung erfahren hat. Mit ihnen werden sich die nach-
folgenden Ausführungen ausschließlich beschäftigen.
Die rätoromanische Sprache wird in Graubünden in zwei Haupt-
formen gesprochen, erstens in derjenigen des Bündner Ober-
landes, d. h. des Vorderrheinthaies mit mehreren Seitenthälern und
einiger ihm nahen Gebiete, besonders des Heinzenbergs , Domleschgs,
Schamser- und unteren Albulathales , Filisur noch einbegriffen, und
zweitens in der desEngadins und einiger sich ihm anschließenden
Gegenden, des Münsterthaies, des oberen Albulathales von Bergün an,
des Oberhalbsteines. Die erstere, Romonsch oder Romantsch
bezeichnet, gliedert sich wieder in zwei Arten, das Sürselvische und
Suhsylvanische , d. h. die, welche ob dem Walde bei Flims in dem
westlichen Teile, und die, welche unter dem Walde, in dem öst-
lichen Teile, gesprochen wird, die zweite das Ladinische, welches
als besonderer Dialekt auch in Tirol besteht, ist in Graubünden
ebenfalls nichts Einheitliches, wie sich denn die Sprache des En-
gadins von derjenigen des Münsterthaies und Oberhalbsteines wohl
unterscheidet. Noch mehrere Unterabteilungen lassen sich bei genauer
Durchforschung feststellen, und es ist sogar behauptet worden, daß
jedes Thal oder selbst jeder größere Thalabschnitt seine eigene Mundart
besitze *).
') Ueber die Sprache sei zur nächsten Orientierung nur genannt: Gärtner,
Rätoromanische Grammatik, Heilbronn 1883 ; Gröber, Grundriß der romanischen
370 A. Sartorius Freiherr v. Waltershausen, [ß
Alle diese philologischen Feinheiten jedoch, so interessant sie
an sich sein mögen, liegen in der Hauptsache außerhalb unserer Be-
trachtung, in welcher wir uns im Gegensatz zum Deutschen und Ita-
lienischen, welche Sprachen auch ihre Dialektverschiedenheiten in der
Schweiz haben, die romanisch sprechende Bevölkerung als eine ein-
heitliche Sprachgemeinschaft denken. Die eidgenössische Sprachstatistik,
mit der wir uns im zweiten Abschnitt beschäftigen werden, kennt
ebenfalls Differenzen des Romanischen nicht, welche für sie auch gar
nicht zu erfassen gewesen wären.
Die Frage, ob die Rätoromanen eine eigene Nationalität bilden,
läßt sich nur beantworten, wenn wir zu diesem in Wissenschaft und
Leben keineswegs als fest anerkannten Begriff Stellung nehmen. Zum
genaueren Verständnis desselben schicken wir ein Wort über das Wesen
der Rasse voraus. Unter einer solchen verstehen wir eine Summe
von Individuen mit gemeinsamen, auf die Nachkommenschaft in gleicher
Weise sich übertragenden, sachlich nachweisbaren Merkmalen. Welche
Merkmale nun zur Einteilung der Menschenrassen am richtigsten zu
wählen sind, ist heute nach einem mehr als hundertjährigen Streit
der Anthropologen immer noch kontrovers, und es ist unsere Auf-
gabe nicht, darauf einzugehen. Wir haben nur an die erwiesene
Thatsache anzuknüpfen, daß es in jedem europäischen Staat, ja in der
Regel auch in jeder Gemeinde eine Vielheit physisch genau zu um-
schreibender Menschentypen, mithin daß es keine reinen Rassen-
völker giebt.
Wer nach Graubünden reist und mit offenem Blick dort die
Einheimischen mustert, wird über die Mannigfaltigkeit der Physiogno-
mieen und Gestalten erstaunt sein, mag er den Körper- oder Schädelbau,
oder die Art des Haares, die Farbe der Augen und der Haut be-
trachten. Die Geschichte des Landes, die Eroberungen und Einwande-
rungen machen dies im allgemeinen verständlich, einen quantitativen
Ausdruck, wenn auch nur auf einem beschränkten Forschungsgebiet,
gewährt die statistische Aufnahme, welche im Jahre 1879 und 1880
bezüglich der Augen-, Haar- und Hautfarbe der Schulkinder in der
Philologien, I, S. 288 ff. und 422 ff.; E. Böhmer, Romanische Studien, 1871—1885;
F. R a u 8 ch , Geschichte der Litteratur des rhätoromanischen Volkes, Frankfurt 1870 ;
Th. Parmentier, Vocabulaire rh6toroman, Paris 1896; J. Muoth, Ueber den
Ursprung und Verbreitung der rhätoromanischen Litteratur im Sonntagsblatt des
.Bund«, 1880.
Es giebt verschiedene Lexika des Rätoromanischen, so von Matthias
Conradi, Pfarrer in Andeer, das erste, Zürich 1823 — 1828, von C arisch 1848,
von Carigiet 1882, von Zaccaria und Emil Pallioppi, Dizionari dels idioms
romauntschs, Samedan 1895. Die romanischen Dialekte gehen oft kaum merklich
ineinander über. Im Oberhalbstein z. B. wird die Haus- oder Familiensprache
mit Recht dem Ladinischen zugerechnet. Da dieselbe aber keine eigene Litteratur
besitzt , ist dort Bibel, Katechismus, Gesangbuch, Zeitung u.a. w. im Vorderrhein-
thaler Dialekt eingeführt worden, und so ist das Romonsche hier zur Schriftsprache
geworden, wodurch die gesprochene Sprache beeinflußt wird. Im obersten Ende
des Thaies, dort, wo die Julier- und Septimerstrafie zusammentreffen, ist eine
Untermundart des Oberhalbsteinschen (Surseissischen) vorhanden; vgl. R. Lanz,
Jl Biviano.
7]
Die Germanisierung der Rätoromanen in der Schweiz.
371
Schweiz vorgenommen worden ist x). Es ist in dem Aufnahmeformular
von der Augenfarbe zunächst ausgegangen worden, indem blau, grau,
braun oder schwarz unterschieden wurde, und dann ist damit ver-
schiedentlich nach der vermutlichen Häufigkeit des Typus die Farbe
des Haares und der Haut kombiniert worden. Im Kanton Graubünden
ist über 13410 Schulkinder berichtet worden, von denen 1776 blau-
äugig, 5235 grauäugig, 6282 braun- oder schwarzäugig waren. Dazu
kamen 117, auf welche das Kombinationsformular nicht anwendbar
war, z. B. die Verbindung graue Augen, schwarze Haare und helle
Haut. Sondern wir aus den erforschten Kombinationen die drei als
rein angenommenen Typen aus: 1. blaue Augen, blonde Haare, helle
Haut, 2. graue Augen, blonde Haare, helle Haut, 3. braune oder schwarze
Augen, braune oder schwarze Haare, helle oder braune Haut, mit 1115,
2830, 4497 Kindern, so bleiben für den verschiedenartig gemischten
Typus (4) 4959 übrig. In Prozenten entfallen auf:
1. 8,3,
2. 21,2,
ö. Ou,Oj
4. 37,0.
Einen genaueren Einblick in die Verteilung der Rassen in diesem
Sinne gewinnen wir aber erst, wenn wir die Prozentsätze der einzelnen
Amtsbezirke des Kantons der Prüfung unterziehen:
1
2
3
4
Braune oder
Amtsbezirke
schwarze Au-
Blaue Augen,
Graue Augen,
gen, braune
oder schwarze
Gemischter
Typus
blonde Haare,
blonde Haare,
helle Haut
helle Haut
Haare, helle
oder braune
Haut
1. Albula
12,3
22,3
26,3
39,1
2. Bernina . . .
7,9
13,9
34,7
43,5
3. Glenner . . .
8,2
26,2
29,0
36,7
4. Heinzenberg . .
9,8
25,4
26,9
37,9
5. Hinterrhein . .
3,5
25,2
32,5
38,8
6. Imboden . . .
7,8
21,2
41,2
29,8
7. Inn
9,5
20,7
33,2
36,6
8. Ober-Landquart
6,4
26,2
36.6
30,8
9. Unter-Landquart
7,4
19,2
35,3
38,1
10. Maloja. . . .
3,9
16,8
43,8
35,5
11. Moesa ....
10,2
15,0
32,3
42,5
12. Münsterthal . .
11,6
20,6
37,6
30,2
13. Plessur. . . .
5,9
19,9
39,0
35,2
14. Vorderrhein . .
12,1
20,2
26,6
38,1
l) Das Material, welches bisher für Graubünden eine detaillierte Be-
arbeitung nicht gefunden hat, ist mir von der naturforschenden Gesellschaft in
Bern freundlichst zur Verfügung gestellt worden und wird uns im Verlaufe
unserer Untersuchung noch gelegentlich beschäftigen. Die Zählungen und Be-
372 -A- Sartoriuß Freiherr v. Waltershausen, [8
Wir ersehen aus dieser Zusammenstellung, daß es keinen Bezirk
mit einer einheitlichen Rasse nach den angegebenen Merkmalen giebt,
daß vielmehr in allen die drei Haupttypen nebeneinander vorkommen
und die Mischung eine große Bolle spielt. Es gilt dies sowohl für
die deutsch redenden Bezirke wie Plessur, Ober- und Unter-Landquart,
als auch für die rein italienischen Bernina und Moesa, und für die
überwiegend romanischen wie Vorderrhein, Inn, Münsterthal.
Wollten wir die Meinung vertreten, daß die Menschheit in eine
Anzahl Rassen geteilt werde, z. B. nach der Art des Schädelbaues,
und daß diese Rassen wieder Unterabteilungen hätten, die Nationali-
täten hießen, bei denen nach der Augen-, Haar- und Hautfarbe ge-
rechnet werde, so würden wir in Graubünden zwar von verschiedenen
Nationalitäten sprechen können, aber den Begriff der deutschen, ita-
lienischen, romanischen Nationalität verwerfen müssen. Denn die
deutsch Redenden decken sich nicht mit dem blauäugigen germanischen
Typus, die Romanen oder Italiener nicht mit dem dunkeln.
Unter Nationalität ist in der That auch etwas ganz anderes zu
verstehen als ein somatologisches Merkmal. Wenn wir fragen, was
denn ihr eigentliches Wesen ist, so werden als Antwort physische
Abzeichen nur in nebensächlicher und unbestimmter Weise angegeben.
Man sagt nicht richtig, daß sich die deutsche Nation durch blaue
Augen und blonde Haare bestimmen lasse, denn was wollten dazu
z. B. die Rheinländer oder Süddeutschen sagen, bei denen der dunklere
Typus überwiegt? Vielmehr spricht man, um das nationale Wesen
zu kennzeichnen, von bestimmtem erworbenen geistigen Be-
sitz, von Richtungen des Denkens, von Idealen, ferner von Aeußerlich-
keiten, der Tracht, des Eonsums, der Wohnung. Es zeigt sich in
einem Thun, Sichbenehmen, Sichunterhalten. Wir kennen eine natio-
nale Litter atur, Kunst, Sitte, Bildung und vor allem eine nationale
Sprache. In dieser letzteren spiegelt sich alles Vorhergenannte nicht
nur wieder, sondern es bildet sich auch in ihr weiter und, wie Denken
und Sprechen des Individuums in steter Wechselwirkung zu einander
stehen, so ist der Lebensprozeß der Nation aufs innigste mit der
rechnungen sind nach meinen Angaben durch einen technisch geschulten Hilfs-
arbeiter des Statistischen Bureaus für Elsaß- Lothringen ausgeführt worden. —
Die Ergebnisse der schweizerischen Enquete sind auf Grundlage von Kantons-,
nicht Bezirkseinheiten sorgfältig bearbeitet worden von Prof. Dr. Kollmann in
den Denkschriften der schweizerischen naturforschenden Gesellschaft von 1881 unter
dem Titel : Die statistischen Erhebungen über die Farbe der Augen, der Haare und
der Haut in den Schulen der Schweiz ; in dem Referat, gehalten vor der elften all-
gemeinen Versammlung der deutschen Gesellschaft für Anthropologie 1881 und in
dem Korrespondenzblatt der deutschen Gesellschaft für Anthropologie 1880- Ferner
ist zu nennen Dr. G. Beck, Ueber die anthropologische Untersuchung der Schul-
kinder mit besonderer Berücksichtigung der schweizerischen Erhebung in den Mit-
teilungen der naturforschenden Gesellschaft in Bern, 1879. Speziell über Bern,
Prof. Dr. Th. S tu der, Ueber die statistische Aufnahme der Farbe der Haut
und der Augen im Kanton Bern in den Mitteilungen der naturforschenden Gesell-
schaft in Bern, 1880. — Ueber die Erhebungen des Graubünden angrenzenden
Tirols ist zu vergleichen G. A. Schimmer, Erhebungen über die Farbe der
Augen, der Haare und der Haut bei den Schulkindern Oesterreichs in den Mit-
teilungen der anthropologischen Gesellschaft in Wien, Supplement I, 1884.
9] Die Germanisierung der Rätoromanen in der Schweiz. 373
Sprache verknüpft. Gut Schreiben, sagte Bttffon, ist nichts anderes
als richtig Denken. Richtig Sprechen, kann man hinzusetzen, ist auch
nichts anderes als richtig national empfinden. Nationales Wollen,
Fühlen, Denken kommt erst zum klaren Ausdruck in der Sprache.
Andererseits entwickelt die Sprache den Geist der Nation, welcher nur
in ihrer Geschichte zu begreifen ist.
Nationalität ist also — das Wort ist unglücklich gewählt —
eine Summe historisch erzeugter Merkmale, welche sich mehr oder
minder scharf ausgeprägt bei allen Individuen einer Gruppe von Men-
schen zeigen. Dies „Mehr oder Minder" ist nicht zu übersehen,
weil gerade dadurch der geschichtliche Vorgang deutlich veranschau-
licht wird. Die Ausbildung des Nationalen läßt sich auf verschiedenen
Stufen verfolgen, im Auf- und Absteigen der politischen Macht, im
Anschluß an die auswärtigen politischen und inneren sozialen Schick-
sale des Volkes, auch in großer Verschiedenheit innerhalb der einzelnen
gesellschaftlichen Klassen.
Wenn wir mit diesem Begriff der Nationalität an das Räto-
romanentum herantreten, so sind wir befugt, ihn auch auf dieses zur
Anwendung zu bringen. Es hat neben der Gemeinsamkeit der Sprache,
des wichtigsten Abzeichens, auch gemeinsame Sitten, Gebräuche, Lebens-
gewohnheiten, welche eine gewisse Sonderheit darstellen. Aber manches
ist nicht zur vollen Blüte gelangt, anderes erscheint abgeblaßt, ein
Rest früherer lebendiger Zustände. Während die deutsche, die fran-
zösische, die italienische Sprachgemeinschaft in der Schweiz durch die
Ausbildung der Rede und Litteratur und durch die Aufnahme zahl-
reicher Bildungselemente aus Deutschland, Frankreich und Italien,
endlich die beiden ersteren auch durch ihre politische Machtstellung
in der Schweiz zu organisch gegliederten Individualitäten heranreifen
konnten, blieb dies im gleichen Maße den auf sich allein angewie-
senen, numerisch schwachen, vielfach zerstreut lebenden Romanen
versagt. Ihr Nationaltum, das sich in der Wirtschaft, der Politik
und Kultur der deutschen Vormacht in der Ostschweiz anbequemt hat,
mußte auf einer niederen Stufe der Entwickelung beharren. Da in
der Geschichte der Völker Stillstand Rückschritt bedeutet, so haben
in der Konkurrenz mit dem deutschen Volkstum die Romanen den
abschüssigen Weg betreten, der zum Verlust ihrer Nationalität auch
in der Sprache führen wird.
Zu zeigen, wie dies im einzelnen gekommen ist, soll die Aufgabe
dieser Schrift sein. Sie wird anführen, wie den wirtschaftlichen Inter-
essen bei diesem Vorgange die größte Bedeutung zukommt, und wie
andere auf den ersten Blick scheinbar wichtigere Vorgänge doch nur
im Hinblick auf jene ganz zu verstehen sind. Das ist in unserem
Jahrhundert, in welchem das ökonomische Leben der Völker eine Um-
wälzung durchgemacht hat wie in keinem vorhergehenden nur zu
begreiflich, aber gerade eine solche historische Auffassung wird ge-
eignet sein, uns vor der plumpen, einseitigen Theorie zu bewahren,
daß die Verschiebungen der Nationalitäten zu allen Zeiten und unter
allen Umständen eine zureichende Erklärung in Zuständen und Vor-
gängen der Volkswirtschaft gefunden hätten.
IL Kapitel.
Statistische Grundlage.
Die eidgenössische Sprachenstatistik1) kommt für unsere Unter-
suchung insofern in Betracht, als sie erstens zeigt, welchen Anteil die
Rätoromanen an der schweizerischen Gesamtbevölkerung, und welches
Zahlenverhältnis sie zu den anderen Nationalitäten haben, und zweitens,
wie sie in den einzelnen Kantonen, insbesondere in ihrem Hauptgebiete
Graubünden, verbreitet sind. Die Erhebungen über die Muttersprache
der Schweizer beginnen im Jahre 1850.
Sie sind freilich noch unvollkommener Art. Aus den Volks-
zählungstabellen ist nur eine allgemeine Uebersicht über die Schweizer
Wohnbevölkerung nach der Sprachzugehörigkeit zu ermitteln, indem
die einzelnen Gemeinden dem einen oder anderen Sprachgebiete zu-
gerechnet wurden, je nachdem sich ihre Bewohner bei der Zählung
der in den verschiedenen Sprachen ausgestellten Formulare bedient
hatten. Die Wohnbevölkerung betrug damals in dem Gebiete der Eid-
genossenschaft 2392 740 Personen, von denen zur deutschen Zunge
gehörig 1680896, zur französischen 540072, zur italienischen 129333,
zur romanischen 42439, geschätzt wurden. In Prozenten und ab-
gerundet bedeutet dies, daß 70 deutsch, 23 französisch; 4 italienisch,
2 romanisch waren.
l) Die Grundlagen sind enthalten in: 1. Uebersichten der Bevölkerung der
Schweiz nach den Ergebnissen der letzten eidgenössischen Volkszählung, Bern 1851,
I. Teil, Taf. VI; 2. Eidgenössische Volkszählung vom 10. Dezember 1860; 3. Eid-
genössische Volkszählung vom 1. Dezember 1870, Bd. I; 4. Eidgenössische Volks-
zählung vom 1. Dezember 1880, Bd. I; 5. die Ergebnisse der Eidgenössischen Volks-
zählung vom 1. Dezember 1888, Bd. I. Zu vergleichen ist ferner die Schweizerische
Statistik, Lieferung 84, S. 72*, und über Fehler, die in Graubünden gemacht
worden sind: M. Truog in der Zeitschrift für Schweizerische Statistik, Bern 1882,
S. 119.
Frühere Schätzungen der Nationalitätsgrößen finden sich in «Stefano
Franscini's Statistik der Schweiz", bearbeitet von G. Hagnauer, Aarau 1829,
S. 382, und in der , Neuen Statistik der Schweiz' von demselben, aus dem Ita-
lienischen, Bern 1848, S. 56. Das erstere Buch rechnet 1387000 Deutsche,
440000 französiche, 116000 italienische, 85 000 romanische Schweizer, das zweite
(20 Jahre später) 1670000 deutscher, 474000 französischer, 133500 italienischer,
42000 romanischer Sprache.
1 1 ] A. Sartorius Frhr. v. Waltershausen, Die Germanisierung der Rätoromanen etc. 375
Die Untersuchungen von 1860 und 1870 dürfen als weit genauer
bezeichnet werden, wenn auch gegen sie noch erhebliche Bedenken
geltend zu machen sind. Sie beruhen auf der Zahl der Haus-
haltungen in nachfolgender Weise:
Deutsch
Französisch
Italienisch
Romanisch
Andere
Sprachen
1860
1870
367065
384561
123438
134183
28697
30293
8882
8759
23
24
Die Möglichkeit des Irrtums ist bei dieser Zählungsweise, falls
man die Stärkeverhältnisse der Nationalitaten erfassen will, vor allem
darin zu erblicken, daß die Angaben von dem Haushaltungsvorstand
gemacht wurden nach derjenigen Sprache, welche in der Familie vor-
herrschend üblich war, mithin Dienstboten, Lehrlinge, in Logis und
Kost aufgenommene Personen u. s. w. , auch wenn sie anderssprachig
waren, bei der statistischen Aufnahme nicht berücksichtigt werden
konnten. Da nun die Wanderung von einem Sprachgebiete zum anderen
innerhalb der Schweiz weit mehr einzelne Personen als Familien umfaßte,
so konnte der genannte Fehler wohl bedeutend werden. Zudem ist
zu beachten, daß die Haushaltungen im Durchschnitt nach ihrer Kopf-
zahl durch große Gebiete hin, welche möglicherweise mit nationalen
Grenzen zusammenfallen, verschieden groß sein können, z. B. nach der
Kinderzahl der Familien oder der Art des Wirtschaftsbetriebes, wo-
durch der Schluß, daß die Bevölkerung nach der Sprache gezählt der
Haushaltungsziffer proportional ist, hinfällig wird1).
Die beiden Volkszählungen von 1880 und 1888 haben daher, um
zu einem exakteren Bilde der Sprachverbreitung zu gelangen, von den
einzelnen Personen den Ausgang genommen, womit nun allerdings die
Vergleiche mit den vorausgehenden Jahrzehnten hinfällig werden, aber
für vergleichende Berechnungen mit künftigen, ebenfalls exakten Er-
hebungen eine zuverlässige Grundlage gegeben worden ist.
Die Vergleichung der aufeinander folgenden Volkszählungen ist des-
halb von so großer Wichtigkeit, weil aus ihr die Verschiebung zu ersehen
ist, welche die Sprachgemeinschaft in einem bestimmten Zeitraum von
Jahren örtlich oder bezüglich ihrer Größe erlitten hat. Nun unterscheidet
die schweizerische Statistik die ortsanwesende und die Wohnbevölkerung,
indem unter ersterer die am Zählungstage an einem Ort anwesenden
und gezählten, unter letzterer die dauernd niedergelassenen, wenn auch
am Zählungstage vom Ort abwesenden Personen verstanden werden.
x) Schweiz. Statistik, Lief. 84, S. 72*, und J. Siegfried, Statistik der
Schweiz. Bevölkerung nach den Landessprachen in der Zeitschrift für Schweiz.
Statistik, 1873, S. 179. J. Hunziker, Die Sprachverhältnisse in der Westschweiz
in der Schweiz. Rundschau, 1895, S. 277 ff. u. 381 ff.: „Für beide Volkszahlungen
gilt, daß die daraus sich ergebenden relativen Zahlen für die Deutschen zu niedrig
sind, denn die zahlreichen Deutschen, welche französischen Haushaltungen an-
gehören, konnten dabei nicht berücksichtigt werden, und die deutschen Haus-
haltungen zählen durchschnittlich mehr Köpfe als die französischen."
376 A. Sartorius Freiherr v. Waltershausen, [12
Beide Größen brauchen sich nun keineswegs zu decken, da die Zahl
der ortsanwesenden Ausländer größer oder kleiner sein kann, als
die gleichzeitig im Auslande befindliche ortsabwesende Wohnbevölke-
rung. Für die genannte Verschiebung hat die Ermittelung der Wohn-
bevölkerung entschieden die größere Bedeutung, weil in ihr ein an-
dauernder Zustand zum Ausdruck gelangt, und die Volkszählung von
1888 hat auch die Sprachenstatistik dementsprechend für die ganze
Schweiz, die Kantone, Amtsbezirke, Kreise und Gemeinden ermittelt.
Hingegen bezieht sich die definitiv maßgebende Zählung nach der
Muttersprache aus dem Jahre 1880 auf die Ortsanwesenden. Es
läßt sich daher nicht in Abrede stellen, daß eine ganz befriedigende
Vergleichung der Sprachstatistiken von 1880 und 1888 ausgeschlossen
ist. Im Jahre 1888 ist nun aber auch die ortsanwesende Bevölke-
rung gezählt worden, und zwar bezüglich der Muttersprache auch
für die Kantone und Bezirke, nicht aber für die Kreise und Gemein-
den, und es hat sich ergeben, daß dieselbe im ganzen um 5°/oo oder
absolut betrachtet um etwa 15000 Personen größer ist als die Wohn-
bevölkerung. Wenn man die prozentuale Verteilung der ortsanwesen-
den von 1888 derjenigen der Wohnbevölkerung desselben Jahres gegen-
überstellt, ist der Unterschied nicht sehr erheblich, so daß man, wie
es das statistische Jahrbuch der Schweiz z. B. auch thut, die Prozent-
sätze der 1880er ortsanwesenden und der 1880er Wohnbevölkerung ver-
gleichen kann. Bei der Zusammenstellung der absoluten Zahlen der
Wohnbevölkerung von 1888 und der ortsanwesenden von 1880 wird man
sich des Fehlers bewußt bleiben müssen, daß die erstere für die. ver-
schiedenen Sprachgemeinschaften im Durchschnitt um 5°/oo zu klein
dargestellt worden ist1). Bedarf man zum Vergleich der Sprach-
statistik nur der Kantone und Bezirke, so kann man sich an die Er-
mittelungen über die Ortsanwesenden von 1880 und 1888 halten, die
freilich, wie gesagt, nicht so wertvoll sind, als solche über die Wohn-
bevölkerung sein würden. Auch ist hinzuzusetzen, daß jene Zählung
der Ortsanwesenden von 1888 als vorläufiges Ergebnis veröffentlicht *)
und später nur bezüglich seiner Gesamtsumme einer Korrektur unter-
stellt wurde, während die die Muttersprache betreffenden Zahlen so
gelassen und in der definitiven Statistik nicht aufgenommen worden
sind, hingegen nur die auf die Wohnbevölkerung bezüglichen Platz
gefunden haben.
Die beiden Zählungen von 1880 und 1888 haben für die ganze
Eidgenossenschaft folgende Resultate ergeben:
') Die genaue Aufklärung dieser Thateache verdanke ich Herrn J. Dürr er,
Adjunkt des eidgen. statistischen Bureaus, der mich brieflich über dieselben
unterrichtete.
s) Vorläufige Resultate der eidgen. Volkszählung vom 1. Dezember 1888,
6 Wochen nach dem Zählungstage publiziert.
13]
Die Germaniaierung der Rätoromanen in der Schweiz.
377
Deutsch
Französisch
Italienisch
Romanisch
Andere
Sprachen
1880
1
ortsanwesende Bevölkerung .
2030792
608007
161923
38705
6675
1888
ortsanwesende Bevölkerung .
2092 580
637972
156606
38375
8574.
Wohnbevölkerung ....
2083097
634613
155 133
38357
6557
In Prozenten:
1880
ortsanwesende Bevölkerung .
71,35
21,36
5,69
1,36
0,23
1888
Wohnbevölkerung ....
71,39
21,75
5,31
1,31
0,23
1888
orts anwesende Bevölkerung .
71,31
21,74
. 5,34
1,31
0,29
Es läßt sich aus diesen Angaben ersehen, daß die prozentuale
Zusammensetzung der ortsanwesenden schweizerischen Bevölkerung nach
der Muttersprache betrachtet binnen der acht Jahre in der Weise ver-
ändert worden ist, daß diejenige italienischer Sprache 0,85, romanischer
0,05, deutscher 0,04 °/o verloren, hingegen französischer 0,38 und an-
dere 0,06 °/o gewonnen hat. Uns interessiert an dieser Stelle vor-
nehmlich der Rückgang des Romanentums, der sich absolut zwar nur
auf 320 der Ortsanwesenden beziffert, aber innerhalb des Wachstums
der Gesamtbevölkerung doch weit mehr bedeutet, da die Romanen
1880 a/7 3 und 1888 nur J/76 derselben ausmachten. Da nun der An-
teil der italienischen Sprachangehörigkeit ebenfalls eine rückgängige
Bewegung und zwar eine größere, ungefähr von V19 auf V17 zeigt,
so erscheint innerhalb des Ganzen ihm gegenüber das Romanentum
als etwas gewachsen, während es den anderen Sprachen gegenüber
seine Abnahme deutlich kennzeichnet.
Wenn wir uns nun zur Statistik des Kantons Graubünden wenden,
so möchte ich zum Verständnis der politischen Einteilung desselben
vorausschicken, daß er in 14 Amtsbezirke zerfallt, welche in der Ein-
leitung bei der Aufstellung der Rassenstatistik bereits genannt sind.
Von ihnen haben Albula 4 Kreise, Bernina 2, Glenner 3, Heisen-
berg 3, Hinterrhein 3, Imboden 2, Inn 3, Ober-Landquart 5, Unter-
Landquart 4, Maloja 2, Moösa 3, Plessur 3. Münsterthal und Vorder-
rhein umfassen nur je einen Kreis.
Im ganzen bestehen also 39 Kreise, welche sich aus 223 poli-
tischen Gemeinden zusammensetzen.
Die Bevölkerung des Kantons nach der Muttersprache ergiebt
sich aus der folgenden Tabelle:
378
A. Sartorius Freiherr v. Waltershausen,
[14
Deutsch
Französisch
Italienisch
Romanisch
Andere
Sprachen
Kantonale
Bevölke-
rung
1850
Bestimmung d. Ein-
zelpersonen aus der
.überwiegenden
Muttersprache in
den Gemeinden . .
35500
—
11956
42439
—
89895
1860
Haushaltungen . . .
9152
15
2849
8858
—
Wohnbevöl-
kerung
90713
Wohnbevöl-
1870
kerung
Haushaltungen . . .
9347
29
3024
8740
—
92103
Wohnbevöl-
1880
kerung
Ortsanwesende . . .
43664
115
12976
37 794
442
94991
1888
Ortsanwesende
(vorl. Ergebnis) . .
44272
239
13957
37 077
746
96291
(96235 def.
1888
Ergebnis)
Wohnbevölkerung .
43671
173
13721
37,036
209
94810
Aus dieser Zusammenstellung läßt sich zunächst ersehen, daß die
Bevölkerung in dem Eanton nur sehr langsam zugenommen hat, und
zwar von 1850—1860 auf 1000 Einwohner jährlich um 0,8, von
1860—1870 um 1,5, von 1870—1880 um 1,9, von 1880—1888 um
1,13, während für die Schweiz im ganzen die folgenden Promilleziffern
gegolten haben: 4,5, 5,6, 6,5, 3,7. Da nun die romanische Sprache
so gut wie ausschließlich in Graubünden gesprochen wird, und in allen
Teilen dieses Landes die Bevölkerungszunahme eine, wenn auch ver-
schiedentlich, langsame gewesen ist, so haben schon die Romanen aus
dem Grunde des langsamen Bevölkerungsanwachsens keine Aussicht
gehabt, in der schweizerischen Gesamtbevölkerung ihren Anteil zu er-
höhen. Die Ursache der geringen Volksvermehrung ist wohl zu-
nächst darin zu finden, daß der Eanton, obgleich er der größte von
allen ist, doch für eine dichte Besiedelung keine günstigen, natür-
lichen Voraussetzungen hat. Nach einer Zusammenstellung vom eid-
genössischen Bureau des Bauwesens aus dem Jahre 1877, welche durch
Angaben der Kautonsregierung wiederholt ergänzt worden ist, umfaßt
die Gesamtfläche Graubündens 7184,8 qkm *). Davon entfallen auf
die Waldfläche 1268,8, auf Rebland 2,6, auf Aecker, Wiesen, Weiden,
Gärten 2580,42, d. h. total 3851,6 qkm, oder 53,61 °/o der Gesamt-
fläche auf Nutzboden. Dem stehen gegenüber an unproduktivem Ge-
biet: Gletscher mit 359,2, Seeen mit 15,1, Städte, Dörfer, Gebäude
mit 7,2, Flüsse, Bäche mit 23,5, Schienen- und Straßenwege mit 8,5,
Felsen und Schutthalden mit 2919,7 qkm. Das sind im ganzen 3333,2 qkm
oder 46,39 °/o des Kantonsgebietes. Stellen wir dies Verhältnis der
nutzbaren zur landwirtschaftlich unproduktiven Fläche demjenigen der
*) Statist. Jahrb. der Schweiz von 1898, S. 4.
15] Die Germani8ierung der Rätoromanen in der. Schweiz. 379
Schweiz im ganzen, nämlich von 71,68 : 28,32 gegenüber, so müssen
wir es als sehr ungünstig bezeichnen, und es wird nur von den Kan-
tonen Uri und Wallis tibertroffen.
Die Höhenlage des zur Landwirtschaft dienlichen Bodens ist viel-
fach derart, daß sie einen ergiebigen Getreidebau, den Weinbau und
die Gartenkultur ausschließt. Die Winter oben im Gebirge sind lang
und die Sommer kurz, wodurch nicht nur die Arbeit im Freien er-
schwert wird, sondern auch die Ansprüche an Nahrung, Kleidung
und Wohnung erhöht werden. Von je 100 Einwohnern in Graubünden
entfallen auf die Gemeinden in der Höhe von weniger als 500 m 3,
von 500 — 599 m 46, von 1000 m oder mehr 51. Mehr als die
Hälfte der Bewohner leben also in Gemeinden in einer Höhe von
über 1000 m, während die Schweiz im Durchschnitt hierfür nur 5°/o
und für die beiden anderen Abteilungen 49°/o und 46°/o kennt1). Von
dem Kantonsgebiet liegt nur ein kleiner Teil am Südabhange der
Alpen im Amtsbezirk Moesa tiefer als 500 m, wo hingegen die beiden
Bezirke Inn und Münsterthal sich ganz in der Höhenzone über 1000 m
befinden.
In der gleichen Lage befinden sich in den Gemeinden von Al-
bula 95°/o der Bevölkerung, von Maloja 91°/o , Vorderrhein 83°/o,
Bernina 72°/o, Hinterrhein 68°/o, Oberlandquart 64°/o und Glenner 63°/o.
Die orographische Gestaltung des Landes bringt es ferner mit
sich, daß die gesamte Nutzfläche auf etwa 150 durch hohe Bergketten
voneinander gesonderte Thäler verteilt wird. Größere ebene Flächen,
auf denen ein gewinnbringender landwirtschaftlicher Großbetrieb Platz
greifen könnte, sind daher selten. Hingegen ist ein bedeutendes Kosten-
element für den Acker- und Wiesenbau darin zu sehen, daß sich die
Landparzellen oft von der Thalsohle in starker Steigung bergwärts
erheben, oder überhaupt hoch oben an den Abhängen gelegen sind.
Durch die gebirgige Natur Graubündens wird auch der Trans-
port- und Handelsverkehr zwischen den einzelnen Ortschaften, sowie
mit anderen schweizerischen Kantonen oder mit fremden Ländern er-
schwert, so daß Jahrhunderte hindurch die meisten Alpenthäler des Landes
ein von der Außenwelt fest abgeschlossenes Dasein geführt haben.
Aber während die natürlichen Vorbedingungen für die Landwirtschaft
bisher nur in geringem Maße einer Verbesserung zugänglich gewesen
sind, hat die bildende Hand des Menschen für die Erleichterung des
Verkehrs so viel gethan, daß heute das ganze Netz der vielverzweigten
Thäler zu einem lebendigen Gliede der schweizerischen Volkswirtschaft
werden konnte.
Mit dem Aufschwung des Handels und der Transportbesorgung
hat jedoch , anders als sonst in so vielen Teilen der Schweiz , die in-
dustrielle Entwickelung nicht Schritt gehalten. Nach der Gewerbe-
statistik von 1880 nahm Graubünden von sämtlichen Kantonen die
drittletzte Stelle in Bezug auf industrielle Ausbildung ein, indem von
1000 erwerbsfähigen Personen industriell und gewerblich nur 217 be-
0 Vgl. die Ergebnisse der eidgen. Volkszählung von 1888, S. 190 ff.
380 A. Sartorius Freiherr v. Waltershausen, [16
sch'äftigt waren1). Nach der statistischen Aufnahme von 1888 ernährten
sich durch Landwirtschaft, Viehzucht und Gartenbau 54 von 100 Per-
sonen der Wohnbevölkerung; oder von je 100 Personen bekannten
Berufsverhältnisses gehörten 58 zur Landwirtschaft. In dem letzten
Jahrzehnt, vor allem wohl im Anschluß an den Bahnbau nach Thusis
und Davos, sind einige neue industrielle Etablissements entstanden,
auch finden wir über das ganze Land zerstreut gewerbliche kleine
Unternehmungen verschiedener Art, aber alles bedeutet doch quantitativ
sowohl nach dem investierten Kapital als auch nach dem erzeugten
Produkt äußerst wenig2). Daß unter der heutigen industriellen Kon-
kurrenz der sonstigen Schweiz und des Auslandes eine große Industrie
erblühen könne, ist durchaus nicht anzunehmen, denn es sind die
Roh- und Hilfsstoffe dafür in ganz besonders reichlichem Maße nicht
gegeben3), obgleich die Ausnutzuug der vorhandenen Wasserkräfte
nicht gering veranschlagt werden soll, auch die Möglichkeit der
Wiederaufnahme des im 16. und 17. Jahrhundert ergiebigen Berg-
baues nicht ganz zu verneinen, und der Reichtum an Waldungen nicht
zu vergessen ist. Indessen muß heutzutage jede Großindustrie, um
lebensfähig zu werden, großen Absatz haben, Exportgewerbe sein,
dessen Expansion bei der Stärke der Weltkonkurrenz an erster Stelle
durch die Gunst der Absatzwege bedingt ist. So vortrefflich nun auch
die Alpenstraßen über den Julier-, Albula-, Flüela- und Ofenpaß, im
Vorder- und Hinterrhein thal, im Innthal und Bergeil sein mögen, und
so unzweifelhaft es auch ist, daß die Eisenbahn auch im Innern Grau-
bündens der Landstraße immer mehr folgen wird, ebenso sicher ist es
l) Dabei ist aber zu berücksichtigen, daß die gesamte Milchwirtschaft mit
Einschluß der Käserei zur Urproduktion gerechnet worden ist.
*) Im Jahre 1896 wurden in Graubünden 14 Brauereien gezählt, von denen
aber nur 3 über 5000 hl Bier im Jahre erzeugt hatten , mit einer Gesamtleistung
von 45 407 hl ; während gleichzeitig die Schweiz eine Produktion von 1 879 567 hl
besaß. Der Schweizerische Verein von Dampf kesselbesitzern zählte 1896 2215 Mit-
glieder und 3608 Dampfkessel , auf Graubünden entfallen nur 30 Mitglieder und
89 Dampfkessel. (Statist. Jahrb. der Schweiz, 1898) — 1895 (vgl. Stat. Jahrb. der
Schweiz von 1896) hatte Graubünden 58 industrielle Etablissements, die Schweiz
hingegen 4933, im Kanton waren darin beschäftigt 1142 männliche und 253 weib-
liche Arbeiter, in der Schweiz hingegen 119 204 und 80995. Eine Zunahme ist auch
in Graubünden seit 1888 zu konstatieren, in welchem Jahre 41 Etablissements mit
761 männlichen und 348 weiblichen Arbeitern gezählt wurden. In demselben Jahre
(vgl. Schweiz. Statistik Lieferung 96) waren bei der Veredlung der Natur- und Ar-
beitserzeugnisse 6283 Männer und 2401 Frauen thätig.
Daß die Bündner Industrie, so gering sie ist, sich doch ziemlich vielseitig
gestaltet hat, bewies die kantonale Gewerbeausstellung von Chur im Jahre 1877.
Nach dem „Volkswirtschaftlichen Blatt für den Kanton Graubünden", Nr. 18, 1877,
waren hier u. a. vertreten: die Parkettfabrik von Trons, Möbelfabrik Davos, Ma-
schinenfabrik Landquart, Glockengießerei Felsberg, Kochherde- und Käsekessel-
fabrik Thusis, Seifensiederei Ziezers; in Chur waren gefertigt: Wollstoffe, Leder-
waren, Thonwaren, Ziegelfabrikate, Chaisen, landwirtschaftliche Wagen. — Detai-
lierte Angaben über die Bündner Gewerbe in der Gewerbestatistik von 1888
(Schweiz. Statistik, Lief. 96).
8) Wenn es auch an Manchem nicht fehlt: Es befinden sich Marmorlager
in Splügen, bei Canicül, Vals und Untervatz; Serpentine werden bei Davos und
Marmels, Sil 8 Maria, im Schanfigg gefunden ; Plattensteine im Oberhalbstein, Speck-
steine im Tavetsch, Gipslager bei Klosters, Alvaschein, Crusch, Kalklager am Albula.
17] Die Germamsierung der Rätoromanen in der Schweiz. 381
auch, daß die Transportkosten im gebirgigen Gebiete, das zudem der
Kanal- und Flußschiffahrt entbehrt, den Wettbewerb mit denen des
Hügel- und Flachlandes nicht aufnehmen können. Die Bedeutung
eines Transitverkehrs zwischen Deutschland, Oesterreich und Italien
wird, als von anderen wirtschaftlichen Faktoren bestimmt, durch eine
solche Erwägung nicht berührt.
Versuche, industrielle Unternehmungen in Graubünden zu schaffen,
sind schon im 18. Jahrhundert wiederholt gemacht worden1), welche
keineswegs imstande gewesen sind, bei den Einwohnern ein leb-
haftes Interesse zu erwecken. Es mag dies damit zusammen-
hängen, daß auch das Handwerk, auf dem sich die Industrie hätte
aufbauen können, damals unter ihnen nur wenig in Uebung war.
„Außerhalb der Stadt Chur,* berichtet uns ein Bündner Historiker2),
„wo so ziemlich alle, auch die höheren Handwerke vertreten waren,
herrschte im 18. Jahrhundert eine große Armut an Gewerben. Gab
es doch eine gar nicht geringe Zahl kleiner Ortschaften, wo durchaus
kein Handwerker, nicht einmal ein Hufschmied, ein Schneider, ein
Schuhmacher zu finden war. In größeren Dörfern traf man wohl den
Schmied, den Zimmermann, Maurer, Tischler, vielleicht hier und da
einen Schlosser, aber in ganz Bünden gab es außerhalb Chur keinen
gelernten Buchbinder, Flachmaler, Klempner, Uhrmacher, Metzger,
selten einen Bäcker und nur noch in Thusis einen Sattler und in
Ilanz einen Kupferschmied/ In der Gegenwart duldet der Verkehr
diese primitiven Zustände zwar nicht mehr, aber der Mangel ist doch
noch unverkennbar. Der Bündner hat sich in seiner Heimat dem
Handwerk nur wenig anbequemt, überläßt es gern eingewanderten
anderen Schweizern oder Deutschen, Italienern und Oesterreichern8).
Im Oberengadin habe ich z. B. Mailänder Schneider angetroffen, in
Tiefenkastell Schlosser und Hufschmiede aus der deutschen Schweiz,
im Münsterthal Handwerker aus Tirol. Daß die Bündner zum Hand-
werk überhaupt nicht tauglich seien, wird man nicht behaupten köunen,
denn im Auslande, in Italien, besonders Venedig, Frankreich, Deutsch-
land, Polen, Dänemark, Rußland, waren sie früher und zum Teil jetzt
noch als rührige Zuckerbäcker, Pastetenbäcker, Likörverfertiger, Cafö-
tiers, Glaser, Scherenschleifer und Schuhmacher bekannt, wobei frei-
lich nicht zu übersehen ist, daß in diesen Berufen die kaufmännische
Thätigkeit gar oft die handwerksmäßige überwog.
*) J. Andr. v. Sprecher, Geschichte der Republik der drei Bünde im
18. Jahrhundert, Bd. II, S. 134 ff.
2) J. Andr. v. Sprecher a. a. 0., S. 141. Vgl. den neuen Sammler, ein
gemeinnütziges Archiv für Bünden, herausg. von der ökonomischen Gesellsch. Chur
1805—1812, IV, 140 ff. über die Abneigung der Schamser Thalbewohner gegen
das Handwerk.
8) A. Schreiber, Graubündens Einwohner nach ihren Berufsarten, Chur
1873. — M. Caviezel,Das Engadin in Wort und Bild, Samaden 1896, S. 268 ff.
„Der Handwerkerstand ist schwach vertreten. In manchem Bauerndorf e sind kaum
genügend Schuster, Schneider, Grobschmiede und Schlosser, um den notwendigen
Bedürfnissen des Bauernstandes zu genügen." Besser ist Ilanz, der Hauptort des
Vorderrheinthal es , verseben, wo ich Schneider, Schuster, Uhrmacher, Bürsten-
macher, Buchbinder, Hufschmiede, Tapezierer vorfand.
Forschungen zur deutschen Landes- and Volkskunde. XII. 6. 26
382
A. Sartorius Freiherr t. Walterehausen,
[18
Graubünden ist nach den bisherigen Ausführungen und zwar,
wie wir weiterhin sehen werden, in seinen verschiedenen Gegenden
in verschiedenem Maße, ein Agrikulturland, in dem zwar Handel und
mancherlei sonstiger Verkehr Eingang gefunden haben, wodurch auch
die gesamten Grundlagen des Wirtschaftslebens umgewälzt worden
sind, aber in welchem die größere industrielle Entwickelung ausge-
blieben ist.
Die langsame Bevölkerungszunahme, also auch diejenige der Ro-
manen in der Schweiz, wird durch diese wirtschaftlichen Zustände mit-
bestimmt, vielleicht noch in stärkerer Weise als durch die Ungunst
der natürlichen Verhältnisse, welche wir zuerst geltend gemacht haben.
Es haben Untersuchungen über das ganze schweizerische Gebiet
gezeigt, daß diejenigen Gegenden, welche überwiegend landwirtschaft-
liche sind, eine weit langsamere Zunahme der Bevölkerung aufweisen,
als die vorwiegend gewerblichen oder auch die gemischten.
In dem statistischen Jahrbuch der Schweiz von 1895, heraus-
gegeben vom statistischen Bureau, sind hierüber folgende interessante
Zusammenstellungen veröffentlicht worden: Die 184 politischen Be-
zirke, welche die 25 Kantone umfassen, sind in vorwiegend gewerb-
liche (weniger als 40°/o landwirtschaftlicher Berufsarten), gewerblich-
landwirtschaftlich gemischte (40 — 59°/o) und vorwiegend landwirt-
schaftliche (wenigstens 60°/o) gesondert und in dieser Gruppierung
auf die Zunahme resp. Abnahme der Bevölkerung untersucht worden.
Wenn die Jahre 1850 und 1888 verglichen werden, so zeigt die erste
Kategorie eine durchschnittliche jährliche Zunahme von 9,3 auf 1000 Ein-
wohner, die zweite von 2,1, die dritte von 0,5. Nehmen wir nur den
Zeitraum von 1880 — 1888, so haben wir für die erste eine Zunahme
von 8,7, für die beiden folgenden eine Abnahme von 0,8 und 1,1.
In die nähere Ursache dieser verschiedenen Zunahme resp. Ab-
nahme giebt die folgende Zusammenstellung einen wichtigen Einblick :
Gesamtbevölkerung
Zu- oder Abnahme von 1880—1888 durch
UeberschuÜ der
Gebiete
Geburten
Ein- oder
Auswande-
Geburten
Ein- oder
Auswande-
1888
1880
im Gi
rung
inzen
jährlich au
rung
f 1000 Einw.
i
1. Vorwiegend ge-
werbl. Bezirke . .
1438656
1 341 880
84039
12 737
7,6
1.1
2. Gewerblich- land-
wirtschaftlich ge- ,
mischte Bezirke .
1039592
1046435
63197
-70040
7,4
— 8,2
3. Vorwiegend laud-
wirtechaftl. Be-
zirke i
439 506
443472
25874
— 29840
7,2
-8,3
Total
12917 754
2831787
173110
— 87 143
7,5
1 -3,8
Wir sehen daraus, daß der Geburtenüberschuß durch das ganze
Land hin ein ziemlich gleichartiger, ferner die Mehrauswanderung
(d. h. der Ueberschuß der Auswanderung über die Einwanderung) in
19]
Die Gennanisierung der Rätoromanen in der Schweiz.
383
der zweiten und dritten Abteilung sehr erheblich ist, woraus sich die
langsame Zunahme von 3,7 (7,5 — 3,8) für das gesamte Gebiet erklärt.
Es ist dies ein Durchschnitt. Betrachten wir die Bezirke im einzelnen,
so zeigt ein Teil derselben eine Abnahme der Bevölkerung, die durch
besondere Mehrauswanderung hervorgebracht worden ist.
Auf Graubünden angewendet, zeigt die vorgeführte Untersuchung,
daß dieser Kanton als ein vorwiegend landwirtschaftlicher unter den
heutigen Verhältnissen keine Aussicht auf eine starke Bevölkerungs
zunähme hat, mithin für die Ausdehnung der romanischen Sprache
auch aus diesem Grunde keine günstigen Aussichten vorliegen dürften.
Wenn wir die einzelnen 14 Bezirke des Kantons untersuchen, so
finden wir, daß 1888 zu den vorwiegend landwirtschaftlichen 8, zu
den gemischten 6 gehörten:
iVon 100 Per-
sonen der Ge-
sanitbevölke-
R p 7 i r lr p runS ernähren
oezir &e sich durch Land-
wirtschaft,
Viehzucht und
1 Gartenbau
Durchschnittl.
Zahl auf 1 qkm
Sprache
1. Albula
2. Bernina
3. Glenner
4. Heinzenberg. . . .
5. flinterrhein ....
6. Imboden
7. Inn
8. Ober-Landquart . .
9. Unter-Landquart . .
10. Maloja
11. Moesa
12. Münsterthal ....
13. Plessur
14. Vorderrhein ....
65
61
70
56
66
57
64
47
56
36
68
63
22
| 69
9
17
15
26
6
25
6
14
35
6
12
8
41
10
Überwiegend romanisch
fast ganz italienisch
überwiegend romanisch
deutsch, jedoch starke
rom. Minorität
halb deutsch, halb rom an.
über 2/z romanisch,
Überwiegend romanisch
„ deutsch
„ deutsch
gemischt, rom., deutsch,
italienisch
fast ganz italienisch
überwiegend romanisch
, deutsch
fast ganz romanisch
Total
1 54
13
Es ergiebt sich aus dieser Zusammenstellung, daß die 6 als
romanisch zu bezeichnenden Bezirke (Albula mit 65, Glenner mit 70,
Imboden mit 57, Inn mit 64, Münsterthal mit 63, Vorderrhein mit 69)
sämtlich eine landwirtschaftliche Bevölkerung haben, welche dem Pro-
zentsatz nach über dem Graubündschen Durchschnitt (54) steht, und
daß 5 von ihnen vorwiegend landwirtschaftliche Bezirke in dem oben
genannten Sinne, d. h. wenigstens 60°/o umfassend, sind. Nur Im-
boden hat 57°/o, kommt also dieser Grenze auch sehr nahe.
Die Zusammenstellung lehrt uns ferner die Thatsache, daß von
diesen 6 romanischen Bezirken 4 eine dünnere Bevölkerung haben als
Graubünden im Durchschnitt, daß Glenner etwas und nur Imboden
erheblich günstiger dasteht. Die beiden italienischen Bezirke Bernina
und Moesa haben ähnliche Verhältnisse als die romanischen, ebenso
der gemischte Hinterrhein. Hingegen haben die überwiegend deutschen
384 A. Sartorius Freiherr v. Waltershausen, [20
eine ganz andere Physiognomie. Sie zeichnen sich weniger durch landwirt-
schaftliche, also mehr durch gewerbliche Bethätigung und durch größere
Dichtigkeit der Bevölkerung aus. Am günstigsten steht Plessur mit
22°/o Landwirten und 41 Personen auf einem Quadratkilometer, stark
beeinflußt durch die Stadt Chur, dem bedeutendsten Ort des Kantons,
der viele Jahre hindurch der Endpunkt der aus der deutschen Schweiz
herführenden Eisenbahn war, Bischofssitz, das Zentrum der kantonalen
Verwaltung und die Niederlassung größerer kaufmännischen Geschäfte
und verschiedener industriellen Anlagen ist. Auf Plessur folgt Ober-
landquart mit dem großen Kurort Davos mit 47°/o landwirtschaft-
licher Bevölkerung, dann Unterlandquart und Heinzenberg mit 56°/o.
Die Dichtigkeit der Bevölkerung beträgt in diesen 3 Amtsbezirken
14, 35 und 26. Im Durchschnitt zeigen die 6 romanischen 64,7 °/o,
die 4 deutschen 45,2 °/o und eine Dichtigkeit von 12,1 und 29.
Wir können somit als bisheriges Resultat dieser statistischen
Betrachtung hervorheben, daß Graubündens deutsche Bevölkerung, als
mehr gewerbliche, günstigere Chancen des Wachstums hat als die
romanische, die in stärkerem Maße der Landwirtschaft zuneigt, und
daß dieser Vorgang bereits in der relativen Dichtigkeit der Ein-
wohnerzahl einen Ausdruck gefunden hat.
Die ungünstige Lage der Landwirtschaft in Graubünden, welche
die Ursache starker Auswanderung ist, muß einerseits auf die Um-
stände zurückgeführt werden, durch welche die gesamte westeuropäische
Landwirtschaft bedrückt ist, auf die sinkenden Produktenpreise bei
steigenden Betriebskosten, besonders Arbeitslöhnen. Dazu kommen
andererseits besondere Schwierigkeiten, unter denen die Hochgebirgs-
bewohner in der Schweiz ganz allgemein leiden. Auch bei ihnen hat
das moderne Wirtschaftsleben Platz gegriffen, ohne daß es ihnen mög-
lich gewesen wäre, sich die Vorteile desselben in gleichem Maße zu eigen
zu machen, wie es die mit ihnen auf dem Gebiete der Milch-, Butter-,
Käseproduktion und der Viehzucht konkurrierenden, unter günstigeren
orographischen Bedingungen wohnenden Leute des Vorgebirges oder
der Ebene vermochten.
Geldwirtschaft und Zerstörung der Eigenproduktion, also Ver-
kauf der erzeugten Güter, Kapitalismus und Steigerung der Bedürf-
nisse charakterisieren, wie im Flachlande, so im Hochgebirge die wirt-
schaftenden Menschen, aber in dem letzteren steht, trotz aller An-
strengungen, die Ausbildung der Verkehrsmittel gegenüber dem ersteren
zurück und damit bleiben die Arbeitsteilung, der Großbetrieb, die Aus-
nutzung der Konjunktur, die Anpassung an verbesserte technische
Methoden der Landwirtschaft unvollkommen1).
l) Zu vgl. R. v. Tavel, Die wichtigsten Aenderungen in der Lebens-
haltung der schweizerischen Hochgebirgsbewohner im Laufe des 19. Jahrhunderts,
Bern 1891, Heidelberger Dissertation. — Volkswirtschaftliches Blatt für
denKanton Graubünden, 1885, Nr. 2, über den Mangel rationeller Fruchtfolge
im Oberlande; 1887, Nr. 14, über die österreichische Konkurrenz; 1888, Nr. 10,
über die Schafzucht und Schaf handel ; 1883 , Nr. 21 , Vorschläge zur Hebung der
Landwirtschaft: 1. Erlaß eines Flurgesetzes, 2. Aufhebung der Gemeindeatzung
(1 und 2 verlangen also die Beseitigung aus dem früheren Wirtschaftsleben stam-
21]
Die Germanisierung der Rätoromanen in der Schweiz.
885
Nach der oben gemachten Angabe hat von 1880 — 1888 die
deutschsprechende, ortsanwesende Bevölkerung um 608, die italienische
um 981 Personen zu-, die romanische um 717 abgenommen.
Ob diese Verschiebung aus der Mehranwanderung und dem Ge-
burtenüberschuß allein zu erklären ist, oder ob auch bei einem Teil
der Bevölkerung die Sprachzugehörigkeit verändert worden ist, läßt
sich auf Grund des vorhandenen statistischen Materials nicht mit
Sicherheit feststellen. Wir können nur, wenn wir die einzelnen Bezirke
miteinander vergleichen, darüber einige Vermutungen aussprechen.
Ortsanwesende
Zu- oder Ab-
nahme von 1880
bis 1888 durch
Ueberschuß
Amtsbezirke
s
s
a
s
s
a
•8
.3
S
Q
9
1
p
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3
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3
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<
U
der Ge-
burten
(Sterbe-
falle)
derEin-
od. Aus-
wande-
rung
1880
1888
1880
1888
1880
1888
1880
1888
1. Albula . . .
2. Glenner . .
8. Imboden . .
4. Inn ....
5. Münsterthal .
6. Vorderrhein .
5242
8009
3950
5355
1175
5805
5190
7780
3595
5167
1180
5691
1026
2837
1570
932
260
70
919
2722
1568
939
298
93
120
69
40
194
14
23
108
46
27
219
23
21
10
5
8
5
1
12
18
4
7
1
5
+ 120
+ 265
+ 274
+ 214
+ 63
+ 130
-342
-615
-600
-361
- 17
-224
Summe der roro
Bezirke . .
29536
28603
6695
6539
460
444
29
47
+ 1066
-2159
7. Heinzenberg .
2743
2689
4131
8756
78
86
4
7
+ 66
- 527
8. Ober-Landquar
9. Unter-Landquarl
10. Plessur. . .
t 167
t 122
. 1 1102
355
119
1288
8270
11311
10482
9054
11426
10634
90
89
331
474
607
279
429
25
39
616
37
68
+ 264
+ 555
+ 249
+ 1076
+ 78
+ 100
Summe v. 8 — IC
) 1 1391
1762
30063
31114
510
1360
493
721
+ 1068
+ 1254
11. Hinterrhein .
1563
1366
1550
1404
55
53
1
—
+ 28
-861
12. Maloja. . .
. 2426
2558
1050
1310
1842
2049
17
186
+ 179
+ 456
18. Bernina . .
14. Moesa . .
41
1 94
66
33
62
113
74
75
4042
5989
4013
5952
6
7
19
5
+ 218
+ 45
-245
-142
Summev.13u.l4
t || 185
99
175
149
10031
9965
13
24
+ 263
-387
Tota]
l ||37794
37077
43664
44272
12976
13957
557
985
+ 2670
-1624
1
II 2
I1
3
4
5
6
7
8
9
10
11
In der vorstehenden Tabelle sind zu dem Zweck die Nationali-
täten des Kantons nach Amtsbezirken gruppiert und in den beiden
mender Fesseln der heutigen Betriebsweise), 3. Erlaß eines Gesetzes über Unter-
stützung des bäuerlichen Kredites, 4. Gesetz über die Haltung von Zuchtstieren,
5. Viehseuchenkasse, 6. Forderung der Bodenkultur, 7. des Vereinswesens , 8. der
Korbweidenkultur, 9. des landwirtschaftlichen Bildungswesens , 10. Aenderung der
Schweinezucht, 11. des Obstbaues.
386 A. Sartorius Freiherr v. Walterehausen, [22
letzten Spalten die Ueberschüsse der Geburten über die Sterbefälle und
diejenigen der Mehraus Wanderung oder Mehreinwanderung, berechnet
nach der Wohnbevölkerung, angegeben. Wir können daher diese
letzten Zifferreihen nur unter dem im Anfang des Kapitels gemachten
Vorbehalt mit den vorhergehenden in Verbindung bringen.
Der Vergleich von Spalte 2 und 3 zeigt, daß die Romanen in
den 6 überwiegend romanischen Bezirken 1 — 6, ferner in Heinzenberg,
Unter-Landquart, Hinterrhein und Moösa um 1220 Personen ab-, in
Bernina, Ober-Landquart, Plessur, Maloja um 503 zugenommen haben.
Das ergiebt eine Gesamtabnahme von 717. Wir können damit die
Differenz der Ueberschüsse der Geburten über die Sterbefalle und der-
jenigen der Mehrauswanderung resp. Mehreinwanderung nicht un-
mittelbar vergleichen, weil aus den romanischen Bezirken auch Deutsche
oder aus den deutschen Bezirken Romanen ausgewandert sein können.
Wir können aber auf Grundlage der Volkszählung von 1880 unter der
Voraussetzung, daß sich für alle Bewohner eines Bezirkes die Be-
völkerungsbewegung gleichmäßig gestaltet habe, die Quoten für die
Romanen berechnen, also schätzen, wie viele der letzteren gemäß der
Bevölkerungsbewegung in den Bezirken mehr oder weniger sind. Eine
solche Berechnung ergiebt für den einen Teil der Bezirke ein Minus
von 1226 und für den andern (Maloja, Plessur, 0.- u. U.-Landquart)
ein Plus von 665. Die Differenz 561 bedeutete also den durch die
Bevölkerungsbewegung hervorgebrachten Verlust an Romanen, während
die Volkszählung einen solchen von 717 kennt. Man darf also
schließen, daß in den acht Jahren 156 germanisiert oder italienisiert
worden sind in dem Sinne, daß sie ihre Muttersprache deutsch oder
italienisch statt romanisch angegeben haben. Ein solcher Fall wird
sich namentlich dann ereignen, wenn Kinder romanischer Eltern bei
der ersten Volkszählung als Romanen gezählt worden sind und dann
bei der zweiten, nachdem sie durch Schule, Verkehr, Kirche u. s. w.
die fremde Sprache vollständig gelernt haben, aus der Familie aus-
geschieden, z. B. durch Verheiratung, sich als deutsch oder italienisch
bezeichnet haben- Daß übrigens eine Italienisierung nicht hat Platz
greifen können, wird in dem vierten Kapitel nachgewiesen werden.
Es wurde oben darauf aufmerksam gemacht, daß die langsame
Zunahme der Bevölkerung oder auch deren Rückgang in den vor-
wiegend landwirtschaftlichen und landwirtschaftlich gewerblich ge-
mischten Gebieten der Schweiz im allgemeinen nicht dem geringen
Geburtenüberschuß über die Sterbefälle, sondern der Mehrauswanderung
zuzusprechen sei. Daß die letztere auch in Graubünden eine hervor-
ragende Rolle spielt, haben wir gesehen1). Es ist aber auch darauf
hinzuweisen, daß hier der Geburtenüberschuß hinter dem allgemeinen
schweizerischen Durchschnitt stark zurückbleibt, nur 3,59 gegen 7,5
ist, und daß die sechs romanischen Bezirke mit ihrer überwiegend
landwirtschaftlichen Betriebsform dem mittleren Satz der schweizerischen
') Nach dem statistischen Jahrbuch der Schweiz von 1898 betrug die Ge-
samtauswanderung aus Grau bün den von 1887 — 1896 in das Ausland 2158 Per-
sonen, von denen 2026 nach den Vereinigten Staaten von Amerika gezogen sind.
23]
Die Germanisierung der Rätoromanen in der Schweiz.
387
vorwiegend landwirtschaftlichen und gemischten Bezirke nachstehen,
nur 4,03 statt 7,2 resp. 7,4 haben.
Wir müssen daher hier hervorheben, daß auch der geringe Ge-
burtenüberschuß bei den Romanen ihr ziffermäßiges Verhältnis in der
Gesamtbevölkerung des Landes beeinflußt. Man würde auch sagen
können, überwöge ihre Geburtenzahl die Sterbefalle in stärkerem Maße,
so würde die Wirkung der Auswanderung sich nicht so fühlbar
machen. Doch werden wir besser auf diese Ausdrucksweise Verzicht
leisten, weil, wie wir sogleich nachweisen werden, die geringe Ge-
burtenziffer in der Größe und Art der Wanderung eine entscheidende
Ursache findet.
Die nachfolgende Zusammenstellung umfaßt die vier Volksstämme
der gesamten Schweiz und gewährt auch für unsere Untersuchung,
insofern die Stellung der Romanen innerhalb der übrigen Nationali-
täten dadurch bestimmt wird, eine wertvolle Ergänzung1)«
1
.,
s
Jährlicher Durchschnitt von
1871—1890
t<lrPi
ati sä
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— ~ — s r— "S -
-^. - — ^ - - ■
lag
Schweiz ..........
258
256
459
4Ö3
248
250
; 30,8
81,0
deutsche | |
französische 1 Rfl 'i_p
italienische Ueijrke
romanische 1
259
458
243
80,6
I
278
419
246
29,7
252
415
245
26,4
beruflich gemischte j deutsche . -
protestantische Be- } französische ■
sirke ] romanische .
235
490
264
31,7
231
523
227
2y,9
II
257
419
247
27,4
Landwirtschaftliche i deutsche . ■
228
504
256
30,8
protestantische Be- französische ,
221
532
236
29,0
111
zirke i romanische .
252
461
217
26.1
| italienische .
238
237
249
410
444
391
295
281
260
30t3
31,1
26,1
IV
279
392
246
28,1
Wenn wir zuerst die Ziffern näher betrachten, welche die Be-
zirke allein nach der Sprachzugehörigkeit unterscheiden, so zeigen die-
jenigen für die Romanen mit Ausnahme von Spalte 4 die niedrigsten.
Daß bei ihnen nur 252 Frauen im Alter der Gebärfähigkeit auf
1000 Einwohner entfallen, hängt gewiß nicht mit einer verhältnis-
mäßig hohen Einderzahl innerhalb der Bevölkerung, deren Gegenteil
vielmehr sich aus der letzten Spalte folgern läßt, zusammen, noch mit
einem Mangel an Frauen im Vergleich zu den Männern überhaupt,
') Schweizer. Statistik, 182. Lief., S. 24*. — Man vergleiche für Oesterreich
die interessanten Ausführungen von Dr. M. Hainisch, Die Zukunft der Deutscn-
Oesterreicher, Wien 1892, S. 64.
t
388 A. Sartorius Freiherr v. Waltershausen, [24
denn Graubünden zählte 1888 45982 ortsanwesende Männer und
48828 ortsanwesende Frauen, sondern, wie ich vermute, mit der
starken Auswanderung der Frauen im Alter der Heiratsfähigkeit. Auf
Grund persönlicher Erkundigung konnte ich diese Thatsache wiederholt
feststellen, indem z. B. aus dem Bezirke Vorderrhein viele als Dienst-
mädchen, Ladnerinnen, Kellnerinnen u. s. w. nach Davos, Chur und
in die deutsche Schweiz fortziehen. Die Ursache dieser Wanderung
wird größtenteils die ungünstige Lage der Landwirtschaft sein, welche
nur niedrige Löhne zahlen kann, niedrig namentlich im Vergleich zu
den in den Städten üblichen.
Die Häufigkeitsziffer der Verheiratung (Spalte 3) hängt jedenfalls
mit dem relativen Mangel an heiratsfähigen Frauen zusammen, findet
aber auch eine weitere Erklärung darin, daß in den romanischen Be-
zirken im jährlichen Durchschnitt von 1886 — 1890 nur 42 Ehe-
schließungen auf je 1000 unverheiratete Männer entfallen sind *). Sicher-
lich wird diese Thatsache auch zum Teil wenigstens sich auf die un-
günstigen Erwerbs Verhältnisse zurückführen lassen, welche sowohl die
heiratsfähigen Männer zur Auswanderung antreibt, als sie auch ver-
hindert, überhaupt sich zu verheiraten.
Der jährliche Durchschnitt der ehelich Geborenen (Sp. 4) steht
bei den Romanen ebenfalls hinter demjenigen der Schweiz im ganzen
zurück, ohne jedoch eine erhebliche Abweichung zu bringen. Daß
eine mitwirkende Ursache in einer relativ späten Verehelichung beider
Geschlechter zu finden ist, kann nur als Hypothese aufgestellt werden8).
Die geringe Geburtenziffer von 26,4 gegen 30,8 der Schweiz
(Sp. 5.) ist eine notwendige Folge des bisher Ausgeführten und
schwerwiegend für die künftige Stärke der Romanen in der schwei-
zerischen Gesamtbevölkerung.
Es erübrigt noch, auf die Tabellen II — IV, in denen die Kon-
fession neben der Sprachzugehörigkeit und dem Erwerb Beachtung
gefunden hat, einen Blick zu werfen. Der Vergleich der konfessio-
nellen Einwirkung setzt landwirtschaftliche Bezirke voraus und ist
auf gemischte und gewerbliche nicht zu erstrecken, da es keine solche
für ihn giebt. Die relative Summe der Frauen im Alter der Gebär-
fähigkeit ist in protestantischen wie katholischen Bezirken nicht
wesentlich verschieden und die geringe vorhandene Differenz von 252
und 249 kann bei der Beschränktheit des Beobachtungsfeldes unschwer
auch durch andere Ursachen erklärt werden als durch die Konfession.
Hingegen wird in Spalte 3 und 4 auch auf romanischem Gebiete be-
stätigt, was für die Schweiz im allgemeinen gilt, daß die Häufigkeit
der Verheiratung in protestantischen Bezirken größer als in katbo-
') Schweizer. Statistik, 108. Lief., S. 20. In der Schweiz hingegen im Durch-
schnitt 52.
2) Infolge der Auswanderung gelangen öfters die Zurückbleibenden in die
Lage, verhältnismäßig große Landkomplexe, z. 6. Gemeindeweiden, zu bewirt-
schaften, was dann nur mit Dienstboten oder Tagelöhnern möglich ist. Diese
können sieb, soweit sie ganz im Haus des Arbeitgebers aufgenommen werden, nur
teilweise verheiraten; und bei den landwirtschaftlichen Saisonarbeitern erschwert
ebenfalls die Erwerbsart die Eheschließung.
25]
Die Germanisierung der Rätoromanen in der Schweiz.
389
tischen ist, hingegen die durchschnittliche Geburtenzahl in den Ehen
bei diesen diejenige in jenen überwiegt. Daß beide Thatsachen, ge-
ringere Häufigkeit der Eheschliessung und größere Geburtenzahl in
der Ehe und der umgekehrte Fall, welche an sich gegensätzliche Ten-
denzen in Bezug auf die Größe der Geburtenzahl überhaupt enthalten,
hier gleich stark sind, ergiebt sich aus der fünften Spalte, die 26,1
Geburten auf 1000 Einwohner jeder der beiden Konfessionen an-
giebt *)• Für die Zu- oder Abnahme des Romanentums ist also die
eine oder andere Eonfession nicht verantwortlich zu machen.
Anders gestaltet sich das statistische Resultat der Geburten-
häufigkeit, wenn wir nur die Graubündener Amtsbezirke betrachten.
Da ein großer Teil der deutsch Redenden in der Schweiz unter ganz
anderen wirtschaftlichen Bedingungen als die Romanen lebt, so ist es
sehr begreiflich, daß die Gegenüberstellung aller deutschen und aller
romanischen Bezirke eine auffallende Verschiedenheit erkennen läßt.
Ziehen wir hingegen den Vergleich nur auf bündnerischem Gebiete,
so muß die geringere Verschiedenheit der Erwerbsverhältnisse auch
erheblich geringfügigere Wirkungen für die Bevölkerungsbewegung
zur Erscheinung bringen.
Durchschnittliche Jahresberechnung der Ergebnisse von
1871-1890.
1
2 3
4
& 6
7 & | 9
Auf je 1000 Per-
sonen der Ge-
samtbevölke-
rung kommen
Frauen i. Alt. d.,
Gebarfahigkeit
Von je 1000
Frauen im Alter
der Gebärfähig-
keit sind
Jährliche Durchschnitts-
zahl aller Geborenen
® £.5 'S
■S
e
P4
*+ flO.fi g
ver-
heiratet
unver-
heiratet
Graubünden . .
Albula
Bernina
Glenner
Heinzenberg . .
Hinterrhein. . .
Imboden ....
Inn
Ober-Landquart
Unt- Landquart
Maloja
Moe'sa
Münstertbal . .
Plessur
Vorderrhein . .
257
253
269
250
252
240
239
258
265
242
275
286
254
271
242
420
391
392
394
405
453
453
464
432
484
391
369
459
415
383
580
609
608
606
595
547
547
536
568
516
609
631
541
585
617
26,3
26,2
28,4
26,2
24,9
23,8
29,1
26,8
26,3
26,5
25,7
25,6
27,7
26,0
26,0
102
104
105
105
99
99
122
1Ö4
100
109
93
89
109
96
107
4,0
3,9
5,2
4,9
3,9
4,1
4,4
3,5
3,8
4,1
3.4
4,2
4,6
3,6
4,4
d.r.i.
r.
i.
r.
d.r.
d.r.
r.
r.
d.
d.
d.r.i.
i.
r.
d.
r.
54
65
61
70
56
66
57
64
47
56
36
68
63
22
69
Schweiz
258
459
541
30,8
120
4,0
d. f.
i. r.
—
*) Vgl. Schweizer. Statistik, 112. Lief., S. 23. Als Grund, dag bei den
Konfessionen diese Verschiedenheit der Bevölkerungsbewegung Platz gegriffen hat,
wird angeführt einerseits die katholische Verherrlichung der Ehelosigkeit, welche
die protestantische Kirche nicht kennt, andererseits die katholische Sittenlehre,
wonach die künstliche Unfruchtbarmachung der Ehen als Sünde gilt und gegen
welche Lehre der Protestantismus sich indifferent verhält.
390 A. Sartorius Freiherr v. Waltershausen, [26
Die sechs romanischen Bezirke haben, den Durchschnitt der Be-
zirksziffern genommen, auf je 1000 Personen der Gesamtbevölkerung
nur 249 Frauen im Alter der Gebärfähigkeit, hingegen die deutschen
und national gemischten 257,5 und die italienischen 277,5. Die letztere
Ziffer hängt wohl mit der definitiven und temporären männlichen Ar-
beiterauswanderung zusammen, die wie in Italien und im Kanton
Tessin sich auch in Bernina und Moesa geltend macht. Eine solche
ist den 6 romanischen Bezirken nicht eigen, wo vielmehr der Fortzug
der Frauen, wie oben bemerkt wurde, überwiegen dürfte. Daher hier
vielleicht die geringe Zahl 249, die von den deutschen und gemischten
Bezirken mit den Frauenanwanderungsgebieten Plessur (Chur), Maloja
(Oberengadin), Ober-Landquart (Davos) bedeutend übertroffen werden.
Aus der Spalte 3 ergiebt sich für die 6 romanischen Bezirke
eine gleichmäßige Erscheinung nicht. In Albula, Glenner und Vorder-
rhein haben die verhältnismäßig wenigen Frauen im heiratsfähigen
Alter auch keine günstigen Aussichten sich zu verheiraten, während
in Imboden, Inn und Münsterthal die Verhältnisse für sie besser liegen.
In Moösa und Bernina entspricht die relativ hohe Ziffer heiratsfähiger
Frauen der Thatsache, daß viele von ihnen, 631 und 608 auf tausend,
unverheiratet bleiben. Die übrigen Bezirke des Kantons zeigen keine
bestimmte Regel, stehen jedoch mit dem Durchschnitt von 430 über
demjenigen der Romanen mit 426.
Die fünfte Spalte, welche die jährliche Durchschnittszahl aller
Geborenen enthält, läßt einen bedeutenden Unterschied zwischen der
Schweiz im ganzen und Graubünden ersehen, indem auf 1000 Personen
der Gesamtbevölkerung dort 30,8, hier nur 26,3 entfallen. Die drei
romanischen Bezirke Albula, Glenner und Vorderrhein stehen auch
hier wieder ungünstiger als die drei anderen, während alle sechs im
Durchschnitt höhere Ziffern aufweisen (27,3) als die deutschen und
sprachlich gemischten (25,5) und den italienischen (27,0) etwa gleich-
stehen. Es ist dies auffallig, da die relative Summe der gebärfähigen
Frauen (Sp. 2) und die Heiratshäufigkeit (Sp. 3) für die deutschen
und sprachlich gemischten Bezirke höher sind, wird aber aus Spalte 7
erklärlich, welche die Zahl der ehelich Geborenen auf je eine Ehe-
schließung umfaßt1). Graubünden hat den Durchschnitt 4,0, die
sechs romanischen Bezirke haben jedoch 4,4, die deutschen und sprach-
lich gemischten 3,8, die italienischen 4,7. Von den sechs Bezirken
sind 4 überwiegend katholisch. (Durchschnitt 4,6.)
Als Resultat unserer statistischen Untersuchung über die Geburten-
zahl ergiebt sich nun: In dem stark oder ganz romanischen Gebiete
ist die durchschnittliche Kinderzahl einer Ehe größer als in Grau-
Bünden und der Schweiz im Durchschnitt. Doch folgt daraus wegen
der sonstigen mitwirkenden Thatsachen (Sp. 2 — 4) nicht, daß in der
Schweiz im ganzen die Durchschnittszahl aller Geborenen auf 1000
Personen geringer sei als in den romanischen Gebieten. Vielmehr ist
l) Die Zahl der unehelich Geborenen ist in den romanischen Bezirken relativ
gering: in Graubünden kommen auf 1000 unverheiratete Frauen im Alter der
rebärfähigkeit 7 uneheliche Kinder, in Albula 5, in Glenner 6, in Vorderrhein 6,
in Münsterthal und Inn 7 und in Imboden 8; im Durchschnitt also 6,5.
271 Die Germanisierung der Rätoromanen in der Schweiz. 391
das Gegenteilige der Fall, so daß trotz der Fruchtbarkeit der Ro-
manen sie weit geringeren Geburtenüberschuß über die Sterbefalle
aufweisen, als die schweizerische Bevölkerung im Durchschnitt ge-
nommen.
Die ganze Auseinandersetzung hat für die definitive Bevölkerungs-
bewegung nur einen mittelbaren, wenn auch nicht unerheblichen
Wert, da bei ihr stets die Wanderung zugleich mit der Differenz der
Geburten und Sterbefälle1) zu berücksichtigen ist.
Es erübrigt noch, einen Blick auf die vereinzelten Romanen zu
werfen, welche von Graubünden in andere. Kantone der Schweiz ver-
zogen sind. Es waren dies 1880 911 der ortsanwesenden Bevölkerung
und 1888 1298 derselben. Es lebten:
im Kanton: 1880 1888
St. Gallen 239 339
Zürich 150 225
Schwyz 63 43
Glarus 58 95
Genf 50 107
Aargau 45 27
Tessin 39 80
Waadt 39 61
Bern 36 58
Thurgau 33 56
Basel Stadt 31 61
Zug 30 16
Uri 23 18
Appenzell (Aufier-Rhoden) . 22 26
Sonstige 11 Kantone ... 53 86
Summa 911 1298
Es zeigt sich also, daß die Hauptkontingente auf das Graubünden
nahe St. Gallen und auf Zürich, dem kommerziellen, industriellen und
politischen Vorkanton für die östliche Schweiz, entfallen, ferner daß
die Ziffer der Romanen in den 8 Jahren um fast 400 größer ge-
worden ist. Dieser Zusatz wird zum größten Teil auf eine Aus-
wanderung aus Graubünden zu rechnen sein. Alle diese Romanen
bilden in den übrigen Kantonen nur ganz verschwindend kleine Minori-
täten, welche schon darum einer Entnationalisierung verfallen sind.
Daß die Romanen leicht italienisch lernen, ist bei der Aehnlichkeit
der Sprache selbstverständlich, daß ihnen das Französische nicht
schwer wird, ist allgemein beobachtet worden. Sie werden daher
leicht unter den Tessinern und Westschweizern, soweit die Sprache
von Bedeutimg ist, fortkommen und sich deren Nationalität anpassen.
In der deutschen Schweiz werden sich vor allem solche von ihnen
niederlassen können, die der deutschen Sprache mächtig sind, und
') Eine spezielle Untersuchung der Sterbefälle ist mir für die Romanen
nicht möglich, da das den bisherigen Ausführungen entsprechende Material vom
statistischen Bureau noch nicht veröffentlicht worden ist.
392 A. Sartorius Freiherr v. Waltershausen, [28
dies sind die meisten. Hier werden sie freilich die Muttersprache
schwerer verlernen, aber doch der fremden Nationalität schließlich an-
heimfallen, wenn sie lange vereinzelt in derselben leben. Romanische
Familien sind außerhalb Graubündens nicht zahlreich, und daher fehlt
den romanischen Auswanderern die wichtigste Einrichtung für die
Erhaltung der Muttersprache. Die Sprachenstatistiken von 1860 und
1870, welche noch Haushaltungen zählten, fanden solche nur in ge-
ringer Zahl außerhalb Graubündens vor. (1860 nur 24 und 1870
nur 19.)
Diese ungünstigen Chancen für die romanische Sprache treten
statistisch auch noch in scharfer Weise hervor, wenn man im An-
schluß an die Bearbeitung der Ergebnisse der eidgenössischen Volks-
zählung von 1888 ^ diejenigen Amtsbezirke, in denen eine Sprache
die herrschende oder doch am stärksten vertretene ist, das eigene
Gebiet dieser Sprache nennt, dem gegenüber alle anderen schwei-
zerischen Amtsbezirke das auswärtige Gebiet dieser nämlichen
Sprache ausmachen und nun die Stellung der Romanen zu den anderen
Sprachgemeinschaften untersucht. Es befanden sich von den Ange-
hörigen der vier Landessprachen damals 2 757 845 auf ihrem eigenen
und 153352 auf auswärtigem Sprachgebiete wohnhaft. Diese Aus-
wärtigen machten 53°/O0 der Gesamtzahl im Durchschnitt aus, aber
bei den Angehörigen der französischen Sprache bloß 36°/00, bei denen
der deutschen 53 °/00, bei denen der italienischen 134 °/00 und bei denen
der romanischen 153 °/00. Danach sind unter den heutigen Verhält-
nissen die letzteren am meisten zerstreut und der Assimilation an die
anderen ausgesetzt, wenn auch in den überwiegend deutschen Bezirken
Graubündens die Verdeutschung wegen der nachbarschaftlichen Ver-
hältnisse, der romanischen Presse, gelegentlichen Haussprache u. s. w.
nicht so schnell vorschreiten mag als in entfernten Kantonen.
Als Gegenstück zu dem Aufenthalte der Romanen in der übrigen
Schweiz ist auf denjenigen von Schweizer Bürgern anderer Kantone
in Graubünden hinzuweisen. Da dieselben keine Romanen sind, so
ist bei ihnen auch die Möglichkeit vorliegend, daß sie die Nationalitäts-
verschiebung beeinflussen.
Es lebten in Graubünden Schweizer Bürger anderer Kantone *) :
1850 3228 (Wohnbevölkerung)
1860 4350 (Wohnbevölkerung)
1870 4947 (Ortsanwesende)
1880 5946 (Ortsanwesende)
1888 6490 (Wohnbevölkerung).
Die Zunahme ist unverkennbar; den größten Betrag lieferten im
letztgenannten Jahr St. Gallen mit 2135, Tessin mit 1032 und Zürich
mit 957. Ob dieser Einwanderung eine nationalisierende Bedeutung
zuzuschreiben ist, können wir aber erst ersehen, wenn wir sie nach
den Graubündener Amtsbezirken gruppieren:
») Schweizer. Statistik, 84. Lief., S. 74*.
2) Volkszählung von 1888, S. 200.
29]
Die Germanieierung der Rätoromanen in der Schweiz.
393
Deutsche Schweizer
Tessiner
Franz. Schweizer inkl.
Freiburg und Wallis
1880
1888 | 1880
1888 1880
1888
1. Albula
2. Glenner
8. Imboden
4. Inn
5. Münstertbal. . .
6. Vorderrhein. . . |
76
97
174
70
4
37
71
103
136
61
9
43
30
20
9
1
5
4 1 1
25 1
10 1 —
- ;! 5
""4 ! =
5
2
Summe d. rom. Bez. 1
458
423
65
43
7
7
i
Deutsche Schweizer
Tessiner
Franz.Sch weizer inkl.
Freiburg und Wallis
1880
1888
1880
1888 !
1880
1888
7. Bernina
8. MoSsa
9. Maloja . ...
10. Heinzenberg . .
11. Hinterstein . . .
12. Plessur
13. Ober-Landquart
14.Unter-Landquart
14
40
222
456
78
2007
524
1045
17
38
274
423
67
2180
754
1201
16
863
2
9
23
81
2
3
12
868
3
1
27
59
14
5
3
8
14
6
1
9
12
9
8
20
15
Summe allerBezirke
4844
5377
| 1064
1
1082
38
81
Wir sehen aus dieser Tabelle, daß in den sechs romanischen Be-
zirken sowohl die Deutsch-Schweizer wie die Tessiner nur geringe
Zahlen umfassen, und daß ihre Zahl, wohl infolge der ungünstigen
Erwerbsverhältnisse in den acht Jahren abgenommen hat. Wenn
also auch der germanisirende Einfluß dieser Einwanderung nicht be-
stritten werden kann, so dürfen wir ihn doch keineswegs als bedeutsam
veranschlagen. Noch weit geringer ist derjenige der Tessiner.
Der größte Teil der Deutsch-Schweizer lebt in den drei ganz
deutschen Bezirken Ober- und Unter-Landquart und Plessur und ist
hier in der Zunahme begriffen, der größte der Tessiner in dem diesem
Kanton angrenzenden Moesa. Durch beide Fälle wird zwar die Zu-
sammensetzung der Graubündener Gesamtbevölkerung in ihren natio-
nalen Quoten, aber nicht die lokale Durcheinanderwürfelung der ver-
schiedenen Sprachangehörigen berührt. In Heinzenberg und Maloja
hingegen, deren Romanentum, wie wir weiter unten sehen werden, am
meisten gefährdet ist, trägt die Einwanderung von Deutschschweizern
entschieden dazu bei, hier das Deutschtum zu fordern.
Zur Beurteilung der Einwanderung sei noch als Ergänzung die
Ausländer-Statistik hinzugefügt, bei der wir uns auf die beiden wich-
tigsten Länder, das Deutsche Reich und Italien, beschränken:
394 A. Sartoriu8Frhr. v. Waltershausen, Die Germanisierung der Rätoromanen etc. [30
Ausländer (1880 Ortsanwesende, 1888 Wohnbevölkerung).
i
Deutsches Reich
Italien
1
1880
1888
1880
1888
Albula
18
16
84
102
Glenner
74
80
51
40
Imboden
33
22
34
26
Inn
21
33
176
210
Münstertbal
—
1
9
23
Vorderrhein
6
8
53
29
Summa
152
160
407
430
Von den sechs romanischen Bezirken tritt die Ausländerzahl nur
in Inn einigermaßen hervor und zeigt auch ein Wachstum vermutlich
infolge der Anziehungskraft, welche von dem Kurort Schuls-Tarasp auf
Arbeiter und Geschäftsleute ausgeübt wird.
Ausländer.
Deutsches Reich
Italien
1880
1888
1880
1888
Bernina
Moesa
Maloja
Heinzenberg
Plessur
Hinterrhein
Ober-Landquart ....
Unter-Landquart . . .
9
96
91
685
12
618
126
5
3
134
70
789
9
496
192
382
949
475
71
174
48
98
85
372
1074
627
82
172
44
432
472
Summe aller Bezirke des
Landes
1787
1858
2689
3705
Es tritt uns hier für Maloja eine Vermehrung der Einwanderung
entgegen, die wesentlich durch die Fremdenindustrie des Oberengadins
herbei gezogen sein dürfte. In dem deutschen Gebiete Plessur und in
den Landquarts hat sich von 1880 — 1888 wenig geändert, in den letzteren
tritt aber die Italienerzuwanderung deutlich hervor, die im vierten
Kapitel eine Besprechung finden wird und nur als eine vorübergehende
betrachtet werden kann. Auf die Italienisierung innerhalb Graubündens
hat sie keinen Einfluß. Eine Germanisierung der Romanen durch
Reichsdeutsche ist an sich nicht in Abrede zu stellen, doch kann ihr
nur ein bescheidenes Maß zuerkannt werden, da ihre Ziffer nur klein
und ihre Zerstreuung groß ist.
IU. Kapitel.
Die Sprachgrenze.
Der 84. Lieferung der schweizerischen Statistik, welche die Er-
gebnisse der eidgenössischen Volkszählung von 1888 enthält, ist eine
Karte beigegeben, welche die Verteilung der Bevölkerung jedes Amts-
bezirkes nach der Muttersprache durch farbige Darstellung ersehen
läßt. Wenn in einem der 182 Bezirke der Schweiz über 95°/o der
Bevölkerung einer Sprache angehören, so ist derselbe einfarbig dar-
gestellt, sonst mehrfarbig unter Benutzung von Streifen verschiedener
Breite, entsprechend der Mischung von deutsch, französisch, italienisch,
romanisch. . Es läßt sich so im großen Ganzen jedes Sprachgebiet in
seinem. Zusammenhange erkennen, das große Centrum der Deutsch-
schweizer, im Westen davon die französische Schweiz, im Süden und
Südosten die Wohnstätte der Italiener und Romanen. Da nun nach
dieser Karte die Abgrenzung der vier Komplexe nur mit den Bezirks-
grenzen, eventuell mit den Kantonsgrenzen zusammenfallen kann, so
entspricht ihr die wirkliche Sprachscheide nur insoweit, als sie gerade,
was thatsächlich öfters so ist, mit ihr übereinstimmt, während sie inner-
halb der gemischten Bezirke überhaupt • nicht zu ersehen ist.
Die Sprachgrenze des romanischen Gebietes in der Gegenwart
muß man sich nun nicht so denken, daß auf der einen Seite immer
ausschließlich die eine, auf der anderen die andere Muttersprache besteht.
Eine solche scharf trennende Linie ist auch anzutreffen, insbesondere
dort, wo sie durch die natürliche Scheidewand eines Gebirgskammes
gebildet wird, und war wohl in früheren Zeiten, als die Bevölkerung
im Vergleich zu heute weit mehr seßhaft war, häufiger. Oft stellt
sich aber die Sprachgrenze als ein Grenzgebiet dar, in welchem Ort-
schaften liegen, in denen beide Muttersprachen üblich sind, und Einzel-
höfe, die der einen oder der anderen angehören. Innerhalb dieses
Grenzgebietes kann man nun eine genauer scheidende Linie in der
Weise gezogen denken, daß die Gemeinden oder zusammenhängende
Teile derselben, in denen die Majorität romanisch spricht, dem roma-
nischen, und diejenigen, in denen die Majorität sich des Deutschen
bedient , dem deutschen Sprachgebiet zugerechnet werden. Da-
neben sind dann auf beiden Seiten oft in größerer Entfernung noch
Sprachinseln möglich, d. h. Landkomplexe mit einer Sprachmajorität
396 A. Sartorius Freiherr v. Waltershausen, [32
ganz umgeben von Gebieten, welche die gleiche Sprache nur in Minorität
oder gar nicht haben. Ihre geschichtliche Entstehung gleicht der Ent-
stehung einer Insel im Meere. Entweder sind sie ein Ueberrest, welcher
durch die vordringende Flut fremder Sprachwogen von seinem Kontinente
abgetrennt worden ist, oder sie haben sich neu gebildet, aus ihrer
Umgebung heraus erhoben. Die Sprachgrenze selbst ist auch der-
jenigen von Land und Meer ähnlich. Sie zeigt uns vorgestreckte Halb-
inseln und tief eingeschnittene Buchten, sie verändert sich im Verlaufe
der Jahrhunderte an einzelnen Teilen, während sie an anderen unver-
rücklich feststeht.
Beispiele für das Verständnis von Sprachinseln bieten uns die Ost-
alpen mehrfach dar. In Oesterreich haben wir das Grödener Thal, das
Nonsberg und Sulzberg als romanische isolierte Gemeinden, welche
durch Deutschtirol von dem gleichsprachigen Hauptgebiet der Schweiz
getrennt und noch länger als das alte Rätien bestand, mit demselben
im Zusammenhang gewesen sind. Ortsnamen romanischen Ursprunges
im heutigen deutschen Etschgebiet sind für diese Thatsache ebenso
beweisend, wie die anthropologischen Untersuchungen über Augen-, Haar-
und Hautfarbe der Bewohner im südlichen Tirol, soweit dasselbe ger-
manisiert worden ist1). Während aber die Sprachinseln Gröden und
des Nonsberg als ein Rest eines früheren großen Gebietes ange-
sehen werden können, sind diejenigen von Obersaxen, Vals, Saßen im
Bündner Oberland, des Avers, des Hintersteinthaies Beispiele für die
zweite Art der Entstehung. Diese Orte sind deutsche Niederlassungen
im romanischen resp. italienischen Gebiete2).
In ähnlicher Weise erwachsen heutzutage zahlreiche Sprachinseln.
Es sind die in der Germanisation befindlichen Orte, welche
sich durch folgende Merkmale auszeichnen:
1. Steigende Quote der sich der deutschen Muttersprache Be-
dienenden innerhalb der Gesamtbevölkerung des Ortes von Jahrzehnt
zu Jahrzehnt.
2. Das Deutsche wird mehr und mehr Verkehrssprache3).
3. In den Gemeindeversammlungen wird das Deutsche die Regel.
Amtssprache.
4. Es gewinnt als Schulsprache in den unteren Klassen mehr
Verbreitung.
5. Auch verdrängt deutsche Predigt die romanische. Kirchen-
gesang, Gebet, Beichte werden ebenfalls deutsch. Kirchensprache.
Als solche in der Germanisation befindliche Orte habe ich in der
Gegenwart eine ganze Anzahl gefunden, bei denen nun freilich nicht
*) Man vergleiche die im zweiten Kapitel erwähnten schweizerischen Re-
sultate mit denjenigen von Tirol, welche in den Mitteilungen der Anthropologischen
Gesellschaft in Wien, Supplement I, 1884, mitgeteilt worden sind: G. A. Schim-
mer, Erhebungen über die Farbe der Augen, der Haare und der Haut bei den
Schulkindern Oesterreichs, S. XIII. Ueber die östlichen Ladiner ist zu vergleichen
Schneller in Petermanns Mitteilungen, Bd. 23, S. 365.
2) Näheres sie unten.
3) Es sind üblich deutsche Schilder an den Geschäftshäusern und Gast-
häusern, deutsche Wegweiser, deutsche Zeitungen, die Geschäftsreisenden bedienen
sich des Deutseben u. s. w.
33] Die Germani8ierung der Rätoromanen in der Schweiz. 397
jedes der angeführten Kennzeichen in gleicher Deutlichkeit hervortritt,
aber der Gesamttypus doch unverkennbar ist.
Leider kann für die Quotenverschiebung ein ganz genauer statisti-
scher Nachweis nicht geführt werden aus Gründen, die im Anfang des
vorigen Kapitels erörtert worden sind. Da es sich bei ihnen in den
Gemeinden oft nur um kleine Zahlen handelt, so ist es denkbar, daß
die verschiedene statistische Erhebungsweise die ganze Differenz aus-
reichend erklärt.
Doch geht für die wichtigsten Orte wegen der Bedeutsamkeit
der Zahlenunterschiede die Germanisierung auch aus dem vorhandenen
statistischen Material hervor. Dies ist der Fall in St. Moritz, Pontre-
sina, Ilanz, Bonaduz, Katzis. Wenig sicherer aus den Zahlen
abzuleiten, aber dennoch unverkennbar, vollzieht sich der Uebergang
zur deutschen Nationalität in Flims, in Samaden, ferner im Münster-
thal in Münster und Santa Maria, im Amtsbezirk Heinzenberg in
Paspels, Rotels nebst Pratval, Scharans, Almens, ßothen-
brunnen, im Kreis Thusis in Flerden, im Amtsbezirk Albula in
Filisur.
Das romanische Sprachgebiet in der Schweiz1), welches sowohl
durch das deutsche als auch durch das italienische begrenzt wird, zer-
fällt, wie die beigefügte Skizze ersehen läßt (rosa Grundfarbe), in zwei
selbständige, fast für sich abgeschlossene, nur durch ein schmales Band
zusammenhängende Teile, einen kleineren westlichen und einen größeren
östlichen. Der Zusammenfluß des vorderen und hinteren Rheins ist
ungefähr der Punkt, wo sich beide berühren. Zwischen ihnen nach
Süden hingestreckt liegt eine große deutsche Sprachinsel, die im Süden
von dem italienischen Idiom umsäumt wird.
Das westliche romanische Gebiet umfaßt das Bündner Oberland.
Im Norden wird es von dem deutschen Sprachgebiet, vom Oberalppaß
bis zur Ringelspitze durch die Kette der Glarner Alpen im Anschluß an
die Graubündner Kantonsgrenze abgetrennt, durch eine Linie, welche
von Westen nach Osten genauer bestimmt ist durch die Gipfel Ober-
]) Die nachfolgenden Aufzeichnungen der Sprachgrenze beruhen auf Er-
kundigungen , die ich in Graubünden an Ort und Stelle eingezogen habe. Eine
verdienstvolle Vorarbeit hat A. Wäber gegeben: Die Sprachgrenzen in den Alpen.
Jahrb. d. S. A. C.f 1878/79, S. 493 ff. — Die Schilderungen der Grenzgebiete oder
der germanisirten Orte sind ebenfalls auf Grund persönlicher Anschauung nieder-
geschrieben. Ich habe in den Jahren 1896-1899 in 6 Reisen alle Hauptthäler
und die wichtigsten Nebenthaler, sowie alle größeren Ortschaften des Landes be-
sucht und mich bei Pfarrern, Lehrern, Gemeindebeamten, Bergführern, Geschäfts-
leuten, Wirten u. s. w. nach den fraglichen Verhältnissen erkundigt. Es ist mir
nicht möglich, hier die Herren zu nennen, da viele von ihnen mir dem Namen nach
nicht bekannt sind, und die Aufzählung eines Teiles derselben mir als mindere
Dankbarkeit den anderen gegenüber ausgelegt werden könnte. Ich möchte nur
an dieser Stelle hervorheben, daß ich durchweg bei meinen Forschungen das
freundlichste Entgegenkommen gefunden habe, und ein solches Verständnis für
alle lokalen Angelegenheiten, daß ich jedesmal mit gleicher Achtung vor der be-
stehenden allgemeinen Volksbildung von Graubünden geschieden bin. — Die bei-
gegebene farbige Skizze dient zur allgemeinen Orientierung, die Details lassen sich
auf den Blättern der schweizerischen Generalstabskarte, der sogen. Siegfriedkarte,
ersehen, welche bezüglich der Ortsbezeichnungen allein benutzt worden ist.
Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde. XII. 5. 27
398 A. Sartorius Freiherr v. Waltershausen, [34
alpstock, Tödi, Hausstock, Saurenstock, Ringelspitze. Die Grenze wendet
sich nun südlich und folgt dem zum Rhein führenden Lavoitobel, der
zwischen Trins (r.) und Tamins (d.) endigt. Das schon genannte Ver-
bindungsband des westlichen und östlichen romanischen Gebietes ist
hier erreicht, genauer bezeichnet durch die Landstraße Reichenau,
Bonaduz, Versam, oder durch den Vorderrhein, der nördlich von dieser
Straße fließt, von seiner Vereinigung mit dem Hinterrhein westlich
stromaufwärts bis zur Einmündung der aus dem Safierthal heraus-
strömenden Rabiusa. Von diesem Mündungspunkt an bis zur Gemeinde-
grenze von Kästris ist der Vorderrhein die Sprachscheide, südlich redet
man deutsch, wo die Orte Versam und Vallendas, ferner das Safierthal
liegen, nördlich romanisch in den Orten Sagens, Laax, Fellers. Oestlich
vom Ort Kästris, der 1888 377 Romanen und 17 Deutsche zählte,
macht die Grenze einen scharfen Winkel, wendet sich nach Süden,
durchschneidet die Gruob und steigt zur Signinakette hinauf. Vor
der Spitze dieses Winkels liegen die Orte Schleuis, Schnaus, Ilanz,
welcher letztere eine starke deutsche Minorität hat. Auch die beiden
ersteren zeigen ein zunehmendes Deutschtum. Westlich vor diesem
Gebiete liegt die deutsche Sprachinsel Obersaxen.
Ehe wir der Sprachgrenze weiter folgen, sind die zuletzt ge-
nannten Gegenden kurz zu charakterisieren.
Ilanz, an der Einmündung des Glennerflusses in den Rhein gelegen,
hatte 1880 530 romanische und 307 deutsche Einwohner, 1888 466
und 304. Das Städtchen ist für den östlichen Teil des Vorderrhein-
thales der Hauptmarkt und das Centrum des Verkehrs mit zahlreichen
Kaufläden und Handwerkerstätten. Gewerblicher Verdienst inmitten
eines nur von Bauern bewohnten Landes haben aus deutschredenden
Ländern wohl schon seit langer Zeit Leute herbeigezogen, deren zahl-
reiche Namen auf den Schildern der Werkstätten und Handlungen
zu finden sind (z. B. Oswald Eisenhandlung, Hesse Handlung, Weber
Eisenhandlung, Kayser Barbier, Lutz Kupferschmied, Wetzel Schuh-
macher, Etter Uhrmacher, Brenn Hufschmied, Häßler Tapezierer).
Deutsche Namen weisen auf deutsche Einwanderung hin, wenn wir
auch nicht selten in Graubünden deren Träger mit romanischer Mutter-
sprache vorfinden. Solche Romanisierung hat in abgelegenen Dörfern
indessen viel leichter Platz greifen können, als in den größeren Markt-
flecken des Thaies, wie Ranz, wo einerseits eine Anzahl deutsch Sprechen-
der lebt, die in stetem Gedankenaustausch miteinander sind, und wo
andererseits durch den Geschäfts- und Touristenverkehr, durch Politik
und Verwaltungswesen ungezählte Verbindungsfäden mit der deutschen
Schweiz gezogen sind.
Daß Schleuis und Schnaus beachtenswerte deutsche Minoritäten
aufweisen (1880 60 d., 325 r. und 38 d., 91 r.; 1888 78 d., 321 r. und
35 d., 81 r.), hängt wohl mit der Nähe von Ilanz und der bequemen
Verbindung mit diesem Ort durch die Poststraße zusammen. Die eben-
falls nahe gelegenen Dörfer Luvis, Ruschein, Ladir, Seewis sind ganz
romanisch, sie liegen aber hoch auf dem Berge, und wenn ihre Be-
wohner auch täglich auf den Kirchturm von Ilanz hinabschauen und
35] Die Gennanisierung der Rätoromanen in der Schweiz. 399
thalaufwärts und abwärts die gelben Postwagen rollen sehen, so bleiben
sie doch abgeschlossen für sich in alten Sitten, in Sprache und Ge-
wohnheiten.
Nordöstlich von Ilanz, kaum 10 km davon entfernt, liegt Plims
mit der berühmten Kuranstalt, den Waldhäusern. Die Statistik von 1880
und 1888 zeigt keine wesentliche Veränderung der Sprachangehörigkeit
(1880 95 d., 742 r.; 1888 89 d., 688 r.). Dennoch nimmt hier die
Germanisation unverkennbar zu. Im Sommer während des großen
Fremdenverkehrs wandern zahlreiche Kellner, Zimmermädchen, Kutscher,
Händler hier ein, die zwar im Herbst wieder verschwinden, aber ebenso
wie die zahlreichen Kurgäste hauptsächlich deutsch reden und die Ein-
geborenen zwingen, sich dieser Sprache zu bedienen. Alle Personen im
Dorfe Flims verstehen dieselbe und die meisten können sie auch gut
reden. Die Predigt ist deutsch und ebenso der Schulunterricht schon
von der dritten Klasse an.
Die Sprachinsel Obersaxen, d. h. eine Gemeinde supra saxa,
000 m oberhalb der Thalsohle und oberhalb der von ihr auf-
steigenden Felsen gelegen, rheinaufwärts von Ilanz, wird von einem
Völkchen bewohnt, das eine kleine Welt für sich bildet und abge-
sondert von den Romanen jahrhundertelang sich sein deutsches Leben
bewahrt hat.
Die Leute von Obersaxen sollen Walser sein, welche sich hier im
12. oder 13. Jahrhundert als Kolonisten angesiedelt haben oder als
solche angesiedelt worden sind1). Sie wohnen in Einzelhöfen, nur an
dem Maierhof hat sich eine dorfähnliche Niederlassung im Verlauf der
Zeit bei der Kirche, Schule und dem Gasthaus angesetzt. Die Höfe
tragen zum Teil rätoromanische Namen wie Markal, Huot, Tusa, Mira,
Tschappina, Zarzana, andere deutsche wie Maierhof, Großtobel, Hauschen-
haus, Frickenhau, St. Martin, Axenstein, wieder andere haben sowohl
deutsche wie romanische Bezeichnungen, wie Affeier (am Weier) oder
Viver, Largera oder Eggen, endlich finden wir gemischte Ausdrucksweise:
Alp de Tobel, Belaue, Misanenga (Misaningen), Platengia (Plattingen),
Miraninga, K iranin ga. Zwei deutsche Höfe, Thomahaus (casa Thoma)
und Vali, gehören politisch zur Gemeinde Brigels im Kreis Disentis,
national aber zu Obersaxen. Die romanischen Bezeichnungen sind ver-
mutlich älter als die germanische Kolonisation, wenn auch daneben die
romanische Nachbarschaft später ihre Einwirkung geltend gemacht
haben kann.
Die Statistik von 1880 hat in der Gemeinde 628 deutscher und
126 romanischer Muttersprache gezählt, acht Jahre später 601 und 126.
Die Abnahme der ersteren ist, wie dies auch schon vor 1880 der Fall
war, auf Auswanderung zurückzuführen, besonders nach Amerika, da
die landwirtschaftlichen Erwerbsverhältnisse sich hier wie im ganzen
Bündner Oberlande ungünstig anließen. Die landwirtschaftliche Ver-
fassung in der Gemeinde besteht darin, daß die hochgelegene, nach
*) Dr. P. C. v. Planta, Die kurrätiscben Herrschaften in der Feudalzeit.
Bern 1881, S. 360 ff. — J. C. Muoth, Ueber bündnerische Geschlechtsnamen.
Beilage zum Kantonsscbulprogramm 1891/92 u. 1892/98, II. Ortsnamen.
400 A. Sartoriu8 Freiherr v. Walterahauaen, [36
dem Piz Mundaun sich hinziehende Alpenweide einer Genossenschaft
von in verschiedenem Maße Realberechtigten zusteht; an der tieferen
im Frtihsommer und Spätherbst benutzten sog. Heimweide alle Bürger
und Domizileingekaufte nach Bedürfnis teilhaben, daß endlich unter-
halb derselben die Einzelhöfe mit Acker- und Wiesenparzellen liegen.
Diese Uöfe sind meist nicht arrondiert, oder richtiger nicht mehr
arrondiert, vielmehr durch Heirat und Erberteilung unter dem System
der Freiheit des Eigentums durch die ganze Flur hin stark zersplittert.
Der Roggen gedeiht hier auf der Höhe von 1300 m, wenigstens in
warmen Jahren, die Produktion ist indessen auf die Eigenkonsumtion
durchaus beschränkt. Die Schafzucht ist stark zurückgegangen und
die Milchwirtschaft leidet unter fremder Konkurrenz. Von den Aus-
wanderern haben die Fortziehenden ihre Parzellen und Anteile an der
Alp, auf denen sie ihr Leben nicht mehr bestreiten konnten, verkauft,
so daß es eine nicht geringe Anzahl Landbesitzer giebt, die mehr Land
zur Verfügung haben, als sie mit der Arbeitskraft ihrer Familie bestellen
können. Sie sind daher auf Hilfskräfte angewiesen und da sie am Ort
keine Tagelöhner bekommen können, so haben sie das System der
Halbpacht zur Anwendung gebracht, das in Graubünden auch sonst
von alters her üblich war1), demzufolge der „Lehn er" Land nebst
Anteil an der Weide, Stall, Haus, Vieh, Werkzeuge, Viehfutter nach
dem abgeschätzten Werte übernimmt, damit wirtschaftet und dann vom
verkauften oder verkauf baren aufgezogenem Vieh, von der verkauften Milch
und dem Käse u. s. w. die Hälfte an den Eigentümer abgiebt. Da nun
alle Obersaxen umgebenden Gemeinden romanisch sind und aus diesen
die Halbpächter herbeiziehen, hat sich nach und nach in der deutschen
Enclave die genannte fremdsprachige Minorität gebildet. Dieselbe ist
freilich genötigt, auch deutsch zu lernen , sei es wegen des Verkehrs
mit den Verpächtern, sei es wegen Kirche und Schule, die sich hier
ganz nach der Majorität richten. Die Nationalitätsverschiebung auf
Grundlage eines rein wirtschaftlich-sozialen Vorganges tritt hier an
einem Beispiel des kleinen Gemeindelebens recht deutlich hervor.
Wir wollen nun die Sprachgrenze, der wir bis zum Nordabfall
der Signinakette nachgegangen waren, in ihrem weiteren Verlaufe ver-
folgen. Dieser Gebirgszug, hier bestimmt durch die Gipfel La Caunia,
Piz Riein, Günerhorn, Plankhorn, scheidet das romanische Lugnetz vom
deutschen Safierthal bis zum Ursprung des Duviner Tobeis, dort wo
sich die Camaneralp des Safierthales zum Grat hinaufzieht. Hier bei
dem Crapgrisch biegt die Sprachgrenze im rechten Winkel nach Westen
um und senkt sich über die Alp Calasa nach St. Martin im St. Peters-
oder Valserthal, wie der obere rechte Zweig des Lugnetz heißt, hinab.
Das Thal ist deutsch und wird ebenfalls wie Obersaxen als Walser-
kolonie angesehen. Der dort gesprochene deutsch-schweizerische Dialekt
soll dem des Oberwallis bis ins kleinste gleichen. In St. Martin und
Vals am Platz wurden 1888 neben 804 deutscher Sprache nur 21
romanischer gezählt, hauptsächlich Personen, die vom unteren Thal hierher
geheiratet hatten. Da das linke Seitenthal des Lugnetz, das Vrinthal,
J) Sprecher a. a. O., II, S. 270.
37] Die GermanisieniDg der Rätoromanen in der Schweiz. 401
mit den Orten Vigens und Vrin ganz den Romanen angehört, so steigt
dementsprechend die Sprachgrenze von St. Martin wieder zum Berg-
kamme hinauf, der Vrinthal und Valserthal trennt, erreicht den Piz Aul,
das Schwarzhorn, das Frunthorn und den Piz Scharboden, und bald
hinter diesem Gipfel die Graubünden -Tessiner Kantonsgrenze. Die
deutsch-romanische Scheidewand findet hier ihren Abschluß, und es tritt
an ihre Stelle die italienisch-romanische, welche der genannten Kantons-
grenze in mannigfachen Windungen nun nachgeht, markiert durch den
Piz Terri, Piz Caglianera, Piz Medel, Scopi, Lukmanierpaß, Piz Blas,
Piz Alv. Hier berühren sich die drei Kantone Graubünden, Uri und
Tessin. Die Sprachgrenze wird wieder deutsch-romanisch, schließt sich
der kantonalen von Uri und Graubünden genau an, überschreitet den
Piz Ner, den Badus (Six Madun) und senkt sich vom Pazzolastock zum
Oberalppaß hinunter.
Wir haben das kleinere romanische, das westliche Gebiet ganz
um wandert, welches als das Bündner Oberland bezeichnet wird und
das Romanentum am meisten bewahrt hat. Selbstverständlich ist dies
nicht überall im gleichen Maße der Fall. Am wenigsten ist vom
Deutschtum der westliche Teil berührt, das Tavetsch genannt, d. h. das
obere Vorderrheintal mit seinen Seitenthälern. In Orten wie Tschamutt,
Selva, Rueras, Sedrun trifft man noch manchen Bauern und noch mehr
Bäuerinnen an, die kaum ein Wort deutsch verstehen, von hier kommen
junge Leute in das Militär, die sich nur in ihrer Muttersprache ver-
ständigen können, hier finden wir auch Volksschulen, die sich aus-
schließlich der romanischen Sprache bedienen 1). Die einzige Zeitung,
die von den Bauern gelesen wird, ist die in Disentis erscheinende
Gazetta romontscha *). Wirte, Bergführer, Kutscher, also Leute, die
mit der Fremdenindustrie zu thun haben, sprechen durchweg auch
deutsch ; ebenso die Pfarrer und Lehrer, welche letzteren meist in Chur
ausgebildet worden sind.
Der Fremdenverkehr ist hier aber lange nicht so bedeutend wie
im östlichen Graubünden. Die Landschaft ist weniger großartig als
im Engadin, kennt keine Seeen und kein so ausgedehntes Gletscher-
gebiet wie die Berninagruppe. Es fehlen hier die berühmten Bäder,
wie St. Moritz und Tarasp, endlich führt von hier keine so wichtige
Straße nach Italien, wie die über den Splügen oder über den Maloja-
paß. Denn seit dem Bau der Gotthardbahn hat der Lukmanierpaß
einen großen Teil seines Verkehrs eingebüßt, und der Oberalppaß, über
den eine Verbindung zwischen Chur und Göschenen besteht, kann durch
die Bahnen nach dem Vierwaldstätter See mit Vorteil umgangen werden.
Für das größere romanische östliche Gebiet nehmen wir den Aus-
gangspunkt von dem schon genannten Verbindungsband mit dem west-
!) Nur in den oberen Schulklassen wird etwas Deutsch als Fremdsprache
gelehrt, wodurch aber irgend welche Befähigung zum Sprechen nicht erreicht
wird. Wer Deutsch lernen will, muß in die Klosterschule von Disentis gehen.
*) Ein Wochenblatt, welches seit einem halben Jahrhundert von demselben
Redakteur, Herrn Placidus Condrau, herausgegeben wird und sich um die Bildung
der vorderrheinischen Bauern sehr verdient gemacht hat.
402 A. Surtorius Freiherr v. Waltershausen, [38
liehen. Rechnen wir Bonaduz, im Anschluß an die statistische Auf-
nahme von 1888, noch zum romanischen Gebiete, obgleich der Ort
stark in der Germanisation befindlich ist, alle Leute, auch die alten,
deutsch verstehen und es reden können, so beginnt die Sprachgrenze
bei der Einmündung der Rabiusa in den Vorderrhein, folgt dem Versam-
tobel ein Stück nach Süden, biegt nach der Bonaduzer Alp östlich ab,
läuft nun wieder südlich zum Gebirgsgrat empor, welcher den Kreis
Thusis von dein Kreis Saßen trennt. Sie folgt dem Grat bis zur
Präzer Höhe und zu dem Gipfel La Tguma, wo sie sich, die Gemeinde
Sarn (r.) umgehend, bis Tartar (d.) östlich wendet, weiter ein kurzes
Stück nördlich bis zum Tignetzer Tobel, dann wieder östlich geht und
bei Rotels den Hinterrhein erreicht. Rechnen wir Rotels, wenn auch
im Uebergang zum Deutschtum befindlich, noch zum Romanentum,
so zieht sich die Grenze nun, die deutschen Gemeinden Fürstenau, Zoll-
brücke und Sils umschließend, am rechten Rheinufer hin zur Albula,
folgt diesem Flusse aufwärts bis zum Muttener Tobel und umkreist
die Gemeinde Mutten bis dort, wo der Traversiner Tobel in den Rhein
unterhalb des Ortes Rongellen einmündet. Auch diese Gemeinde ist
deutsch, so daß die Sprachgrenze, sie nördlich lassend, an ihr vorbei-
läuft und nun in westlicher Richtung zum Piz Beverin emporsteigt.
Von diesem berühmten Aussichtspunkte geht sie südwestlich weiter
zum Piz Tuff und zum Gelbhorn, biegt bei demselben nach Südosten
um und streicht über den Grat der Grauhörner und die Gemeindescheide
Sufers-Andeer wiederum zum Hinterrhein hinunter. Vom Rheinwald-
thal läuft sie südlich zum Surettahorn, die gleichnamige Alp und das
Thal noch in das romanische Gebiet einschließend, und gewinnt die
schweizerisch-italienische Staatsgrenze und die Sprachgrenze zwischen
romanischem und italienischem Gebiete.
Ein Blick auf unsere Skizze zeigt uns, daß wir nunmehr durch
die bisherige Feststellung der deutsch-romanischen Sprachgrenze im
westlichen und östlichen Graubünden auch die große deutsche Sprach-
insel des Safier-, Valser- und Hinterrheinthaies markiert haben, mit
Ausnahme des Südens, wo sie das italienische Sprachgebiet berührt.
Die deutsch-italienische Scheidelinie läuft hier vom Surettahorn der
Staatsgrenze entlang bis zum Piz Tambo, dann zugleich die Amts-
bezirke Moesa und Hinterrhein trennend über den Guggermüll und das
Einshorn zum San Bernhardino-Paß (das Hospiz ist deutsch), weiter über
den Zapportgrat zum Ponc. della Frecione, von wo an die Graubünden-
Tessiner Kantonsgrenze mit der Sprachscheide zusammenfällt. Dieselbe
macht, bisher von Osten nach Westen laufend, nunmehr eine Wendung
nach Norden, passiert das Rhein Waldhorn und den Plattenberg und
gewinnt in der Nähe des Piz Scharboden den Anschluß an die romanisch-
deutsche Linie, die gemäß unserer obigen Beschreibung vom Vorder-
rheinthal hinaufführt.
Wir haben somit die große deutsche Sprachinsel vollständig Um-
schriften. Sie verdankt ihr Deutschtum einerseits der mittelalterlichen
Kolonisation im Valser-, Safier-, Hinterrheinthal, in Rongellen und
Mutten, andererseits im Kreise Thusis auch neueren Vorgängen.
Das 1473 m hoch gelegene Untermutten, dessen sämtliche Be-
39] Die Germanisierung der Rätoromanen in der Schweiz. 403
wohner im Sommer mit ihrem Vieh auf die Weiden von Obermutten
(1874 m) hinaufziehen, ist vollständig deutsch und auch die 1898 hier
lebenden sechs aus romanischen Dörfern stammenden, verheirateten
Frauen bedienten sich überwiegend des Deutschen. Man nimmt an1),
daß Mutten von Davos aus besiedelt worden ist, dessen Dialekt hier
gesprochen wird. Da Davos eine Walserkolonie ist, so leiten sich also
auch die Muttener von den Waisern indirekt ab und haben einige
Geschlechternamen, welche sich auch in anderen Walserniederlassungen
vorfinden. Auf der Allmende in Unter- und Obermutten kann jeder,
der in der Gemeinde seinen Wohnsitz genommen hat, sein Vieh, ob
er viel oder wenig hat, weiden lassen. Doch besteht die Beschränkung,
daß er nicht mehr Stücke auftreiben darf, als er mit eigenem Futter,
das innerhalb der Gemeinde gewachsen ist, überwintern kann. Infolge-
dessen ist die Zuwanderung, wenn sie nicht durch Verheiratung statt-
findet, erschwert, so daß die Muttener, wie in der Vergangenheit, so
in der Gegenwart, ein abgeschlossenes, konservatives Leben führen.
Sie haben jahrhundertelang inmitten einer romanischen Bevölkerung
sich ihr Deutschtum erhalten, welches einzubüßen heute keine Gefahr
mehr für sie besteht, da die Kreise Thusis und Domleschg immer mehr
germanisiert werden, und auch die Orte die Albula aufwärts bald dem
Deutschtum verfallen sein dürften, ein Vorgang der mit der Vollendung
der in Angriff genommenen Bahn Thusis-Schyn-Bergün-Engadin unver-
kennbar hervortreten wird.
Im Kreise Thusis sind die Gemeinden T seh app in a und Thusis
schon in der Mitte des 18. Jahrhunderts als deutsche Orte genannt2)
und Urmein war wohl hinzuzurechnen; Katzis und Portein als
romanische, von denen das erstere heute zur Hälfte, das zweite über-
wiegend deutsch ist3). Masein ist als deutsch-romanisch bezeichnet,
ein Ort, von dem die Statistik von 1860 und 1870 nur deutsche Haus-
haltungen nachwies. Flerden hatte 1860 10 deutsche und 22 romanische
Haushaltungen, hingegen 1888 52 deutsche und 62 romanische Ein-
wohner; in Tartar hat sich der Uebergang noch schneller vollzogen,
indem der Ort 1888 141 Deutsche und 44 Romanen zählte, während
1870 die Zahl der Haushaltungen gleich war. Wir haben es bei der
Feststellung der Sprachgrenze dem deutschen Gebiete zugerechnet.
Als der alten Sprache noch angehörig sind nur Sarn und Präz zu
nennen, von denen der letztere Ort seit 1860 jedoch eine Zunahme
') Geschichte von Kurrätien und der Republik gemeiner drei Bünde von
Konradin v. Moor, Chur 1870, I, 8. 112.
2) Allgemeines helvetisches, eidgenössisches oder schweizerisches Lexikon
von Hans Jakob Leu, 1747 — 1765, berichtet von den meisten Orten des
Kreises die Sprache. Von Thusis heißt es: „Thusis evangelischer Religion und
ungeachtet , daß rings umher alles die romansche Sprach gebraucht , dannoch
Deutscher Sprach. Die Einwohner ernähren sich von Wirtbschaften, Gewerben,
Handwerken.*
8) Katzis 1860 65 d., 92 rom. Haushaltungen, 1870 76 d. u. 76 r., 1880
885 d., 387 r. Ortsanwesende, 1888 359 d., 342 r. Personen der Wohnbevölkerung.
Port ein 1860 2 d., 11 r. 1870 6 d., 6 r., Haushaltungen, 1888 26 d., 21 r, Ein-
wohner. Im Dorf Katzis sprechen die Leute untereinander fast nur deutsch. Das
Romanische hält sich auf einigen vom Ort entfernten Höfen.
404 A. Sartorius Freiherr v. Waltershauaen, [40
an deutschen Bewohnern zeigt und neuerdings zur deutschen Predigt
übergegangen ist. Betrachtet man den Kreis Thusis im ganzen, so
darf man ihn unbedenklich als stark in der Germanisation befindlich
bezeichnen, ähnlich dem anliegenden Domleschg, das wir weiter unten
noch zu besprechen haben werden.
Weniger dem Deutschtum verfallen ist das südlich von Thusis
vom Hinterrhein durchflossene Schamserthal. Die Statistik verzeichnet
für 1880 1519 Romanen und 259 Deutsche, die von 1888 1337 und
291. Die Veränderung ist unverkennbar zu Gunsten der letzteren ein-
getreten, besonders in den Thalorten Zillis, Andeer, Donath, während
die abseits, meist hochgelegenen kleinen Dörfer, wie Lohn, Mathon»
Fardün, bei ihrer fast ausschließlich romanischen Muttersprache be-
harren. Im allgemeinen kann man jedoch sagen, daß die heran-
wachsende Jugend deutsch spricht, liest und schreibt, und daß unter
den Erwachsenen nur wenige sein dürften, welche diese Fähigkeit nicht
besitzen. Wie sehr das Thal im Fortschreiten des Deutschen begriffen
ist, erhellt u. a. aus der Thatsache, daß, als (1899) die kantonale Er-
ziehungsdirektion einen Aufruf zum Zweck einer mildthätigen Samm-
lung erließ und denselben für Schams in romanischer Sprache ver-
schickt hatte, verschiedene Reklamationen dagegen erfolgten mit dem
Ersuchen, die Formulare auch in deutsch auszustellen.
Im Anfang unseres Jahrhunderts waren es nur die bei dem Transit-
wesen beschäftigten Männer, welche deutsch verstanden, aber schon
damals wurde darüber debattiert, ob es nicht zweckmäßig sei, dasselbe
ganz allgemein einzuführen. Zu Gunsten dieses Vorschlages *) wurde-
geltend gemacht, daß der Mangel an religiösen und wissenschaftlichen
Schriften dann aufhören würde, daß wohlfeile Bücher für die Dorf-
jugend nun beschafft werden könnten, daß der Staat die romanische
Uebersetzung der Verordnungen erspare, und daß die Gleichheit der
Sprache die Einwohner des Landes enger miteinander verbinden werde.
Diesen Argumenten gegenüber wurden aber als Bedenken hervorgehoben,
daß die Sprachänderung eine Härte gegen die älteren Leute sei, daß
die Kenntnis der romanischen Sprache das Erlernen mehrerer anderer
Sprachen erleichtere und vor allem, daß sich die Idee ohne Zwang nicht
verwirklichen lasse, gegen den ein heftiger Widerspruch zu erwarten sei*
Die gegenwärtige Germanisierung vollzieht sich ohne jeden Zwang
und stößt daher auch auf keine Gegnerschaft. Die beste Politik bei
Nationalitätskonflikten ist die des laisser aller, freilich nicht des ab-
soluten, denn jeder mehrsprachige Staat bedarf zur Ordnung der Gesamt-
verwaltung bestimmte Regeln für den Sprachgebrauch. Will ein Staat
eine nationale Minorität der Majorität assimilieren, so sollte er sein
Hauptmerkmal darauf richten, diesen Uebergang jener als vorteilhaft
empfinden zu machen, und die nötigen praktischen Maßregeln dazu
ergreifen.
Wir waren der Grenze des westlichen romanischen Gebietes bi&
J) Der neue Sammler, ein gemeinnütziges Archiv für Bünden, 1808, Bd. IV,.
S. 140.
41] Die Germanisierung der Rätoromanen in der Schweiz. 405
zum Surettahorn nachgegangen (S. 402 [38]). Für eine kurze Strecke fällt
sie jetzt mit der schweizerisch-italienischen Staatsgrenze, über die Punkte
Passo di Madesimo, Piz d'Emet, Punta della Palü und die Ortschaft
Starlera, die zu Innerferrera oder Canicül gehört, und dort liegt, wo
das Val di Lei in das Averserthal mündet, zusammen, trennt also die
romanische von der italienischen Sprache, schließt dann die im Westen,
Süden und Osten vom Italienischen umsäumte deutsche Sprachinsel
Avers gegen das nordöstlich gelegene Oberhalbstein ab mit den Punkten
Weißberg und Piz Platta.
Das Avers verdankt seine Sprache der mittelalterlichen Kolonisation.
Dabei ist es streitig, ob dieselbe von Waisern oder Schwaben ihren
Ausgang genommen hat. Die letzteren sollen von den hohenstaufischen
Kaisern an mehreren Alpenpassen zum Schutz für den Uebergang nach
Italien angesiedelt worden sein, so auch in Avers im Interesse des
Septimers. In der That führte im Mittelalter ein viel begangener
Saumpfad vom Schamserthal durch das Avers und über den Stallerberg
nach Bivio, wo die beiden Wege über den Julier und Septimer zu-
sammentreffen. Daß die Averser in Cresta und Umgebung einen aus-
reichenden Schutz für diese Route hätten abgeben können, ist wenig
glaublich. Niederlassungen zu diesem Zweck hätten vor allem in Bivio
und Casaccia gegründet werden müssen, den wichtigsten Verbindungs-
punkten am Septimer. Es giebt allerdings noch andere Uebergänge
vom Avers ins Bergell, so namentlich der über die Forcellina, von denen
es mir aber wegen ihrer Höhe, Steilheit und Schneeverhältnisse unwahr-
scheinlich erscheint, daß sie dem größeren Verkehr gedient haben.
Daß hingegen die Averser Nachkommen von Waisern sind, ergiebt
sich aus mehreren alten Familiennamen in Cresta1), auch soll der
Dialekt an den von Vals stark erinnern, vor allem aber aus der anthro-
pologischen Thatsache, daß die Typen in Avers denen des Hinter-
rheins, Vals, Safierthales, Oberlandquart u. s. w. ähnlich und keines-
wegs schwäbisch geartet sind. Die Erhebungen der Augen-, Haar-
und Hautfarbe der Schulkinder haben für das heutige Württemberg
24,46 °/o des blonden, blauäugigen Typus nachgewiesen, während wir
in den Walserkolonieen folgende Zahlen antreffen *) :
Blaue Augen Graue Augen Dunkler Typus
Ober-Landquart ... 85 349 422
Saßen und Tenna . . 15 51 33
Obersaxen 15 26 35
Rheinwald 7 .79 82
Mutten 2 7 8
Schmitten 7 20 3
Vals — 66 56
Avers — 14 14
l) Jos, Savier, Klucker, Stoffel, Wolf, Salis, Jagers, Plalner, Rudi sind
Namen des Kirchenbuches in Cresta.
*) Vgl. S. 371 [5], wo die drei Typen des näheren beschrieben worden sind.
406
A. Sartori us Freiherr v. Waltershause»,
[42
Es ist hieraus ersichtbar, daß der blonde, blauäugige Typus sehr
zurücktritt, nur 9,4 °/o der Gesamtheit beträgt, wohingegen auf die grau-
äugigen 43,8 °/o und auf die brünetten Kinder 46,8 °/o entfallen. Vals
und Avers stehen sich insofern gleich, als die erste Kategorie ganz
fehlt und die beiden anderen annähernd in gleicher Stärke vertreten sind.
Auch in der Gemeinde Splügen ist das Verhältnis ähnlich (1 + 24+18).
Es sei bei dieser Gelegenheit bemerkt, daß durch den gleichen
anthropologischen Beweis die Herkunft der Walser aus Oberwallis
wahrscheinlich gemacht wird. In den östlichen Amtsbezirken des
Kantons Wallis findet man:
Brig ....
Goms ....
östl. Baron . .
Blaue
. 94
. . 81
. 792
Graue
372
282
17
Dunkle
376
297
113
Summa . . .
. . 254
826
786
In Prozenten .
. . 13,6
44,3
42,3
Es geht hieraus hervor, daß der erste Typus schwach vertreten ist,
und daß die beiden anderen annähernd gleich stark sind, also dasselbe
zu Tage tritt, wie in den Walserniederlassungen. Wenn die Blau-
äugigkeit hier im Oberwallis etwas stärker erscheint als in Graubünden,
ferner die Braunäugigkeit etwas der Grauäugigkeit gegenüber zurück-
steht, so findet dies eine ungezwungene Erklärung aus einer Beein-
flussung durch die Grenzgebiete, indem einerseits nördlich von Goms
das an Blauäugigen weit stärkere Oberhasle, und westlich yon Brig
die ebenfalls in dieser Hinsicht reicheren Bezirke, das westliche Raron
und Frutigen liegen, andererseits die Walserkolonieen von Gebieten um-
geben sind, in denen der dunkle Typus sehr vorwiegend ist.
Es sei auch schließlich noch erwähnt, daß in Brig und Goms
acht Gemeinden gar keine blauäugigen Kinder, also wie das Avers,
aufweisen.
Das Avers hatte von der Mitte des 17. bis zur Mitte des 18. Jahr-
hunderts, wie das Kirchenbuch in Cresta, welches bis zum Jahre 1656
zurückreicht, zeigt, eine Bevölkerung, die doppelt so groß war als die
heutige. Damals war, sowohl im unteren Thal bei Canicül, wie im
oberen und im Madriserthal Bergbau im Betrieb, der später unrentabel
wurde und dadurch eine Auswanderung der Averser verursachte. Seit
jener Zeit waren diese deutschredenden Kolonisten wieder ausschließlich
auf die Landwirtschaft angewiesen, lebten abgeschlossen für sich und
nur selten im Jahre wanderte einer von ihnen nach Andeer im Schamser-
thal oder nach Olafen im Bergell, um dort etwas Tauschhandel zu
betreiben.
Wir haben die Grenze des romanischen Sprachgebietes auf S. 405 [41]
bis zu dem Piz Platta verfolgt. Sie läuft in westlicher Richtung weiter
und umschließt die beiden Gemeinden Marmor ea und Bivio bis zum Piz
Lunghino (welche auf unserer Skizze durch senkrechte blaue Streifen auf
rosa Grunde bezeichnet sind) und senkt sich zum Malojapaß hinunter.
Die Gemeinden Bivio oder Stalla und Marmorea oder Marmels
4g] Die Germanisierung der Rätoromanen in der Schweiz. 407
haben ganz eigentümliche Sprachverhältnisse. Die eidgenössische
Statistik von 1860 zeigt für die erstere 47 italienische und 9 romanische
Haushaltungen, für die zweite 36 italienische, diejenige von 1870 hin-
gegen für Stalla 30 romanische, 34 italienische, 1 deutsche, für
Manuels 36 romanische und 2 deutsche Haushaltungen. Diese starke
Verschiebung ist bei den im ganzen stabilen sozialen Zuständen dieser
Dörfer nur durch die Annahme verständlich, dag ein Teil der Haus-
haltungen, die 1860 als italienisch gezählt wurden, 1870 dem Romani-
schen zugerechnet worden sind. Der romanische Dialekt nämlich, der
hier im Oberbalbstein gesprochen wird, enthält ziemlich viel von dem
Bergeller Italienisch, so daß frühere Forscher ihn für italienisches
Patois erklärt haben 1).
Die Individualstatistik nach der Muttersprache von 1880 und
1888 verfährt nun so, daß sie das Oberhalbsteinsche und den Bergeller
Dialekt als Romanisch und Italienisch genau unterscheidet.
Romanen
Italiener
Deutsche
1880 Manuels .
. . 149
—
2
1888
. . 149
1
1
1880 Stalla . .
. . 110
53
—
1888 . . .
. . 107
50
1
Die Muttersprache ist demnach in Marmels ganz romanisch,
in Stalla für */s der Bewohner, während l\v die italienische besitzt.
Dieses Drittel enthält in fünf Familien noch die Nachkommenschaft
einer aus Soglio im Bergell stammenden Einwanderung, die von den
Herren von Salis hier im 16. Jahrhundert angesiedelt worden ist. Sie
brachte den protestantischen Glauben mit, dem heute ungefähr */s der
Bewohner von Stalla zugethan sind2). Die Kirchensprache der
Evangelischen ist daher seitdem die italienische8). Der heutige
Geistliche beherrscht die romanische, italienische und deutsche Sprache
in gleicher Weise, um den vielsprachigen Bedürfnissen des Ortes zu
genügen. Er stammt aus dem romanischen Münsterthal und hat so-
wohl in der deutschen Schweiz wie auch in Florenz studiert.
Auch die katholischen Geistlichen in Stalla und Marmels, das
ganz katholisch ist, bedienen sich des Italienischen beim Gottesdienst.
Da nun das oberhalbsteinsche Romanisch keine ausgebildete Schrift-
sprache besitzt, hat man in den beiden Gemeinden wohl im Anschluß
an die Kirchensprache die italienische Schriftsprache in
Uebung4), und dementsprechend auch die italienische Schul-
') Daß die Sprache jedoch eine romanische Abart ist, ergiebt sich aus der
Schrift von R. Lanz, II Biviano.
a) Vor 1500 war in Stalla alles romanisch, wie die Akten von Hexen -
Prozessen bewiesen, die aufbewahrt worden sind. (Mitteilung von Herrn R. Lanz
in Stalla.)
•) Leu, Lexikon a. a. O. von 1762: „Die Sprach ist allda (in Stalla) ver-
mischt und weder recht romanisch noch recht italienisch, doch wird der evan-
gelische Gottesdienst in italienischer Sprach gehalten."
4) Im unteren Oberhalbstein von Molins abwärts hat man die Oberländer
Schriftsprache eingeführt.
408
A. Sartorius Freiherr v. Waltershausen,
[44
spräche. Doch wird in den beiden oberen Klassen der beiden Orten
gemeinsamen Volksschule auch deutsch gesprochen. Da für beide
Dörfer das Kreisgericht in Schweiningen die unterste Instanz ist, so
haben sie als Gerichtssprache das Romanische.
Endlich ist noch zu erwähnen, daß Bivio (Zweiwege), von wo
die Straße über den Julierpaß nach Silvaplana im Engadin, und der
Saumpfad über den Septimer nach Casaccia im Bergell führt, für
Umspann und Vorspann, für Nachtquartier der Kutscher und Reisenden
eine gewisse Bedeutung hat, mithin alle die, welche mit dem Trans-
portwesen zu thun haben, des Deutschen und Italienischen als der
Verkehrssprachen mächtig sein müssen.
Nach den bisherigen Ausfuhrungen würde es nichts Ungewöhn-
liches sein, daß ein Bauer aus Stalla früh morgens mit den Seinigen
auf romanisch die Arbeiten und Geschäfte des Tages bespricht, bald
darauf in der Kirche die italienische Predigt des Pfarrers anhört,
nachher im Wirtshaus sitzt und mit Kutschern aus Chur und Thusis
ein deutsches Gespräch führt, einem derselben einen von ihm selbst
italienisch geschriebenen Brief nach Vicosoprano im Bergell mitgiebt;
dann nach Hause zurückgekehrt die deutsche Schularbeit seines Sohnes
durchsieht, nachmittags mit dem Bergeller Fourgon nach Mühlen
fährt und sich unterwegs mit dem Führer desselben vortrefflich ita-
lienisch unterhält, abends in Schweiningen eintrifft, um am anderen
Morgen einer romanisch geführten Gerichtsverhandlung beizuwohnen.
Vom Malojapaß, oder genauer schon vom Piz Lunghino bis zum
Stilfser Joch scheidet sich das romanische vom italienischen Sprach-
gebiet, zunächst entlang der politischen Grenze der beiden Kreise des
Bezirkes Maloja Bergell und Oberengadin bis zum Murettopaß, dann
entlang der schweizerisch-italienischen Staatsgrenze über die Punkte
Piz Fora, Tremoggia, Glüschaint, Roseg, Scersen, Fuorcla fräst' agüzza,
Piz Zupo bis zu den Palüspitzen. Hier tritt sie wieder in das Gebiet
der Schweiz hinein, um den italienisch redenden Bezirk Bernina von
dem Oberengadin zu trennen.
Nördlich von der soeben geschilderten Sprachgrenze liegen die
bekannten Orte des Oberengadins, St. Moritz, Samaden, Pontresina, über
deren Nationalitätsverhältnisse die nachfolgende Statistik zunächst einen
Einblick gewährt:
1860
Haus-
haltungen
1870
Haus-
haltungen
1880
Orts-
anwesende
1888
Wohnbevölke-
rung
d.
St. Moritz ' H
Samaden 25
Pontresina 28
44
90
47
38
48
32
40
86
44
128
316
184
202 278
354 326
175 252
254
420
234
45] Die Germanisierung der Rätoromanen in der Schweiz. 409
Wenn wir auch, wie in dem zweiten Kapitel ausgeführt worden
ist, aus den Zahlen dieser Jahre wegen der verschiedenen statistischen
Erhebungsweise einen ganz genauen Vergleich nicht ziehen können,
so geht doch die konstante absolute und relative Zunahme des Deutsch-
tums deutlich aus ihnen hervor mit der einen Ausnahme von 1880 bis
1888 für Samaden.
Bedeutungsvoll für alle drei Orte ist die Fremdenindustrie ge-
worden, welche eine Zuwanderung aus deutschen Ländern nach sich
gezogen hat. Die Volkszählungen von 1880 und 1888 haben im
Winter stattgefunden, in welchem damals die Saison von St. Moritz
noch wenig besagen wollte. Die statistischen Ergebnisse vom 1. De-
zember 1900 werden daher hier für die Ortsanwesenden ganz andere
Resultate ergeben *).
Jedoch schon ehe der Fremdenstrom in großem modernen Maß-
stab sich in das Oberengadin ergoß, besaß Pontresina, wie die
erste Spalte uns mitteilt, 23 deutsche Haushaltungen. Dieselben
hatten ihren Ursprung in Davosero und Prättigauern , die sich bereits
im vorigen Jahrhundert dort niedergelassen hatten.
Es ist bekannt, daß die Oberengadiner seit Jahrhunderten in
viele Staaten Europas auswandern, um dort als Zuckerbäcker, Gafetiers,
Likörfabrikanten , Kauf leute u. s. w. tbätig zu sein 2). Manche von
ihnen sind zurückgekehrt, um ihren erworbenen Wohlstand als alte
Leute in ihrer Heimat zu genießen. So sehr auch diese Wanderung
die volkswirtschaftliche Kapitalbildung fördern mochte, so hatte sie
doch andererseits den Nachteil, daß junge Leute, nicht selten ganze
Gruppen von ihnen, plötzlich der üblichen Arbeit auf Alm und Feld
oder dem Transitverkehr auf den Saum wegen entzogen wurden.
In Pontresina, von wo aus schon im vorigen Jahrhundert ein
eifriger Transportverkehr besonders in Wein über den Berninapaß mit
dem Veltlin im Schwünge war, sind nun die gewerblichen und kom-
merziellen Auswanderer durch Davoser und Prättigauer ersetzt worden.
Dieselben kamen meist als unbemittelte Fuhrleute herbei, die nach
und nach verdienten, Lasttiere halten konnten und dann, da sie für
dieselben Heu gebrauchten, Wiesen und Weiden pachteten. Diese
Pächter kamen schließlich zu Haus und Hof und hielten wie die
Walsergemeinden in guter Weise an ihrem Deutschtum fest. Auch
in unserer Zeit sind noch Schreiner und Tagelöhner aus Davos nach
Pontresina zugezogen, und unter der zunehmenden Bedeutung der
Hochtouristik im Berninagebiet sind aus ihnen wie überhaupt aus
den deutschen Familien die Bergführer hervorgegangen, unter denen
man nur ausnahmsweise romanische Namen findet. Es ist infolge
der geschilderten Wanderung verständlich, daß 1888 in diesem Ort
nur 55 Bürger der Wohngemeinde lebten , neben 399 anderer
1) Im Dorf St. Moritz waren während des Winters 1898/99 alle Hotels ge-
öffnet und die Zahl der Winterkurgäste hatte 1000 bereits überschritten.
2) Näheres darüber bei Sprecher, Geschichte der Republik der drei Bünde
a. a. O., II, S 148—186. — G. Ph. H. Norrmann, Geographische, statistische Dar-
stellung des Schweizerlandes, 1795, II, S. 2429.
410 A. Sartorius Freiherr v. Waltershausen, [46
Gemeinden Graubündens , 22 sonstigen Schweizern und 34 Aus-
ländern.
Auch Samaden und St. Moritz haben ähnliche Bürgerver-
hältnisse. Der erstere Ort zählt 108 anwesende Bürger neben 735 Nicht-
bürgern, während von den Bürgern manche im Ausland leben und arbei-
ten, gegenwärtig mehrfach als Hoteliers in Italien. Ein Teil von ihnen
kommt während des Sommers zurück, um sich von der Jahresarbeit
in der heimatlichen Sommerfrische zu erholen, ein Teil erst nach einer
Reihe von Jahren, die Mehrzahl aber immer mit erworbenem Kapital,
welches der Oberengadiner Fremdenindustrie so sehr zu statten ge-
kommen ist. Für die Nationalitätsverhältnisse hat dies die Wirkung,
erstens, daß viele Romanen im Ausland sind und dort für die Er-
haltung ihrer Sprache nichts leisten können, zweitens, daß die Zurück-
bleibenden die Wiesen und Weiden nicht mehr ausreichend bewirt-
schaften können und fremde Hirten und Heumäher, Italiener vielfach,
heranziehen. Das erworbene Vermögen drittens, in Fremdenindustrie
umgesetzt, ist Veranlassung geworden, daß deutsch redende Handwerker,
Kaufleute, Dienstboten, Geschäftsführer, Aerzte u. s. w. zugewandert
sind, um an dem blühenden Sommer- und Wintergeschäft teilzunehmen.
Wenn von 1880 — 1888 in Samaden die absolute und relative — d.h.
den Deutschen gegenüber — Zahl der Romanen wieder etwas zu-
genommen hat, so hängt dies vermutlich mit dem besserem Er-
werbsleben zusammen, indem einige von denen, die früher im Auslande
Arbeit suchten, jetzt zu Hause lohnende Anstellung gefunden haben,
und indem aus umliegenden romanischen Dörfern Arbeiter und Dienst-
boten herbeigezogen wurden, um den steigenden Bedarf an Arbeits-
kräften zu decken.
In St Moritz waren 1888 nur 51 Bürger und 659 Nichtbtirger,
ein Verhältnis, das sich zu Gunsten der letzteren seitdem mit der zu-
nehmenden Einwanderung noch verstärkt haben dürfte. Der Ort ist
heute schon so gut wie ganz deutsch. Das Romanische ist aus der
Gemeindeversammlung, der Schule, der Kirche, dem Geschäftsverkehr
fast verdrängt worden, und die Kinder romanischer Eltern verlernen
im Verkehr mit ihren deutschen Schulgenossen die Muttersprache.
Wir haben auf unserer Karte die drei Oberengadiner Orte als
in der Germanisation befindlich verzeichnet. In nicht zu langer Zeit
dürfte in diesem Alpenthal eine ausgedehnte deutsche Sprachinsel vor-
handen sein. Die angrenzenden Orte Bevers, Celerina, Campfer, Silva-
plana, Sils, in denen heute bereits alle jüngeren Leute deutsch sprechen,
und die älteren es wenigstens durchweg verstehen, werden sich dem
Einfluß des deutschen Gentrums um so weniger entziehen können, als
die bei Bevers in das Oberengadin einlaufende, bereits im Bau be-
griffene Eisenbahn dem Fremdenverkehr nur neuen Vorschub leisten wird.
Die romanisch-italienische Sprachgrenze, welche wir bis zu den
Paltispitzen festgestellt haben, senkt sich nun zum Berninapaß hin-
unter und steigt stets im Anschluß an die Bezirksgrenze von Maloja
und Bernina zur Forcia di Livigno hinauf. Von hier fällt sie wieder
mit der Staatsgrenze zusammen, umzieht die große italienische Sprach-
47]
Die Germanisierung der Rätoromanen in der Schweiz.
411
halbinsel des Livignothales und erreicht über die Gipfelreihe Piz della
Stretta, Mt. Cotschen, Piz Casanna, Vetta maggiore, Las Palas, Piz
Murtarol, Piz Schumbraida, Piz Umbrail das Stilfser Joch.
Von hier aus nimmt sie Richtung nach Norden, jetzt wieder
das Gebiet der romanischen von der deutschen Sprache abtrennend.
Sie ist hier auch leicht festzustellen, da sie der Tiroler Staatsgrenze
entspricht. Als bestimmende Punkte seien hier nur erwähnt zunächst
der Piz Costainas, Piz Minschuns und die Thalsohle des Münsterthaies
bei Puntwiel (Tirol).
Das Münsterthal ist auf unserer Sprachenskizze als romanisch
angegeben, die beiden Orte Santa Maria und Münster sind jedoch in
der Germanisation begriffen. Dieser Uebergangszustand ist vielleicht
nicht in dem Maße ausgeprägt vorhanden wie beispielsweise bei
St. Moritz und Ilanz, aber ist doch unverkennbar. Nach der Statistik
von 1880 und 1888 hatten die Gemeinden nachfolgende Sprach Ver-
hältnisse :
Romanisch
i
Deutsch
Italienisch
1880
1888
1880
1888
1880
1888
Cierfa
Faldera
Lü
Münster
St. Maria
126
98
53
459
316
128
126 1
88
60
474
282
185 |
28
23
19
60
73
57
21
12
13
79
112
60
1
10
2
1
16
8
Valcava i
3
Münsterthal
1175
1165 1
260
297
14
27
Was zunächst die wenigen Leute italienischer Sprache angeht, so
haben sich in Münster zwei Welschtiroler Familien niedergelassen,
die übrigen sind Straßenarbeiter und Maurer, deren Zahl vorübergehend
infolge des in Angriff genommenen Straßenbaues von St. Maria zum
Stilfser Joch durch das Val Muranza noch steigen wird. Eine ita-
lienische dauernde Zuwanderung aus dem dem Münsterthal im Süden
anliegenden Veltelin hat nicht stattgefunden.
Die deutsche Sprache ist vor allem vom Osten her, in neuerer
Zeit aber auch vom Westen her vorgedrungen. Seit 1872 ist die
Straße über den Ofenpaß vollendet, wodurch eine bequeme Verbindung
mit dem Engadin und zugleich mit der deutschen Ostschweiz geschaffen
worden ist. Vordem war das Thal mit dem deutschen Graubünden
und der Hauptstadt Ghur nicht viel mehr in Berührung getreten, als
es die aus der politischen Zusammengehörigkeit erwachsenden Be-
dürfnisse gerade verlangten. Heutzutage bezieht es die meisten In-
dustrieprodukte aus der deutschen Schweiz oder wenigstens durch die
Vermittelung derselben. Butter und Vieh werden für die erhaltene
Ware über den Ofenpaß zurückgesandt. Denselben Weg zieht auch
jährlich eine Anzahl junger Leute, um als Kellner, Dienst-
412 A- Sartoriiw Freiherr v. Waltershausen, [48
mädchen u. s. w. in der Engadiner Fremdenindustrie für einige
Monate Verwendung zu finden, bei welchem Beruf die Erlernung
des Deutschen notwendig ist.
Der wirtschaftliche Verkehr mit Oesterreich ist, abgesehen viel-
leicht vom Schmuggelhandel, nach der Erbauung der Ofenpafistrafie
zurückgegangen, immerhin äußert er besonders im Winter noch seine
germanisierende Wirkung, und der Wagen- und Postverkehr zwischen
Münster, Taufers und Mals in Tirol ist ein reger. Das Deutsche, das
in Münster und St. Maria gesprochen wird, ist dem Tiroler Dialekt
nahestehend; von Tirol her hat auch eine Zuwanderung von Männern
und Frauen stattgefunden, und von der temporären Auswanderung
des Thaies wendet sich ein Teil in deutsch-österreichische Alpenländer.
Auch als niedergelassene Geschäftsleute findet man Münsterthaler in
Oesterreich, die in reger Verbindung mit der Heimat geblieben sind
und gern junge Verwandte von dorther in Arbeit und Verdienst nehmen.
Von den Kaufleuten, welche im Ausland — auch in Deutschland
leben einige — ihr Glück gemacht haben, kehrt wenigstens regel-
mäßig ein Teil nach Hause zurück. Diese Leute erwerben dann Haus
und Land, auf dem sie mit Hilfe ihres erworbenen Kapitals trotz der
gedrückten Lage der Landwirtschaft in bescheidener Bequemlichkeit
leben können.
Der verdeutschende Einfluß des Grenzlandes Tirol ist erst mit
dem Straßenbau dorthin in unserem Jahrhundert recht sichtbar ge-
worden. Vor 120 Jahren lebten in dem Tiroler Grenzort Taufers
noch Romanen, als ein Rest des ehemals ganz romanischen oberen
Etschthales, welches zur Römerzeit der Provinz Raetia secunda zuge-
hörte1). Eine Reihe von Ortsnamen erinnert an diese Thatsache
ebenso, wie die zahlreichen dunkeläugigen und dunkelhaarigen Männer
und Frauen, die uns dort begegnen.
Der Einfluß deutscher Sprache und Kultur konnte sich im Mün-
sterthal erst geltend machen, als die ihm im Osten vorgelagerte Maiser
Heide ihr vollständig anheimgefallen war.
Diejenigen Leute, welche sich der romanischen Muttersprache
bedienen8) und als solche in der obigen Statistik der Zahl nach an-
geführt worden sind, verstehen mit nur ganz geringen Ausnahmen
das Deutsche, die meisten sprechen es auch leidlich und schreiben und
lesen es geläufig. Dasselbe ist für den auswärtigen Verkehr maß-
gebend, und auch in dem inneren wird es von Jahr zu Jahr mehr
gebraucht. In Santa Maria wird in den beiden letzten oberen Klassen
der Volksschule deutsch unterrichtet, und die dortige Realschule kennt
nur die deutsche Unterrichtssprache. In Münster werden die Knaben
nur in den beiden Unterklassen in romanischer Sprache belehrt, sonst
') P. Foppa, Das bündnerische Münsterthal, eine historische Skizze.
Chur 1864.
*) Es besteht ein eigener Dialekt im Thal, um dessen Erforschung sich
der Kapuzinerpater L. Justinian Lombardin in Münster ein dauerndes
Verdienst erworben hat. Derselbe hat Wilhelm Teil in diese Sprache übersetzt
(Wilhelm Teil, Verti a sentimaint in Ladin da Müstair, Coira 1888), welches Buch
gewissermaßen als authentisches Lexikon des Dialektes angesehen wird.
49] Die Germanisierung der Rätoromanen in der Schweiz. 413
in der deutschen. Für die Mädchen besteht die Schule der katho-
lischen, nur deutsch redenden Klosterfrauen, die unentgeltlich den
Unterricht erteilen und der Gemeinde nichts kosten. Es wird dies
germanisierende Institut als Schuleinrichtung sehr gelobt, dessen
Lehrerinnen den staatlichen Anforderungen auf Vorbildung genügen
müssen, und deren Thätigkeit der staatlichen Schulinspektion unter-
worfen ist.
Die katholische Geistlichkeit des Thaies kommt überwiegend aus
Tirol, wenn sie auch dem Bistum Chur unterstellt ist. Ihre Predigt
ist ausschließlich deutsch. Im oberen Thal tiberwiegt der reformierte
Glaube, im unteren der katholische. In jenem ist der Gottesdienst
stets romanisch gewesen, nachdem es um 1620 vom Engadin aus dem
neuen Glauben zugeführt worden ist.
Von der Sohle des Münsterthals bei Puntweil zieht sich die
Sprachgrenze nun, stets in Uebereinstimmung mit der Staatsgrenze der
Schweiz und Tirols, hinauf zum Piz Terza, und weiter zum Piz
Starlex, Piz Sesvenna, Piz Russenna, Piz Lad, senkt sich in das Inn-
thal hinab zum Zollamt Martinsbruck, und umzieht den Piz Mondin
bis Altfinstermünz und bis zum Dorf Spifi. Von hier an verläßt sie
die politische Grenze, da die schweizerische Gemeinde Samnaun, das
Thal des Schergenbaches oder Schakelbaches , dem deutschen Sprach-
gebiet zuzurechnen ist. Sie läuft dementsprechend von Spiß aus,
welcher Ort österreichisch ist, zunächst nach Süden dem Grat zwischen
Val Sampuoir und dem Samnaun folgend über Piz Val Motnair und
die schwarze Wand bis zum Gipfel des Muttiers; hier nimmt sie ihre
Richtung nach Westen bis zur Stammerspitze, dann nach Nordwesten
bis zur Visilspitze, wo wieder die Staatsgrenze erreicht wird, die das
Unterengadin vom Paznaun und Montafon scheidet.
Daß das Samnaun heutzutage ganz deutsch ist, erklärt sich im
letzten Grunde aus seiner geographischen Abgeschlossenheit vom
romanischen Bezirk Inn, mit dem es politisch verbunden ist, und aus
seiner geographischen Zugehörigkeit zum deutschen Tirol. Vom
ersteren wird es durch hohe Berge und schwer zugängliche Pässe
geschieden, die zwischen 2700 und 2900 m hoch liegen und keine
eigentlichen Wegbauten kennen *) , mit letzterem hingegen besteht
eine zweifache Verbindung, ein Saumpfad führt nach Pfunds und ein
gut gehaltener Fußweg nach Finstermünz hinaus. Der wirtschaftliche
Verkehr des hochgelegenen Thaies bewegt sich demgemäß stets nach
Tirol hinunter, und das genannte Pfunds ist sein Thalmarkt, neben
welchem auch noch Nauders in Betracht zu ziehen ist. Eine Fahr-
straße an Stelle des genannten Saumpfades zu setzen, würde die Be-
l) Von Schieins ans führt über Sampuoir ein Fußweg nach Samnaun, der
im Winter nicht gangbar ist. Auch von Sent aus geht ein schmaler Pfad über
das Gebirge, vgl. M. Caviezel, Das Engadin in Wort und Bild, Samaden 1896,
S. 389 u. 392. — Der «Bau eines Fahrweges vom Samnaun nach Martinsbruck am
Schalkelbach entlang ist oft beraten, aber wegen der hohen Kosten niemals in
Angriff genommen worden.
Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde. XII. 5. 28
414
A. Sartoriue Freiherr v. Waltershausen,
[50
friedigung des hauptsächlichsten Verkehrsbedürfnisses der Samnauner
bedeuten.
Der erste Einfluß des Tiroler Deutschtums auf das früher
romanische Thal liegt zeitlich jedenfalls weit zurück. Daß dasselbe
ganz romanisch gewesen ist, wird zunächst durch die Thatsache be-
wiesen, daß fast alle Ortsnamen in der Gemeinde (rom. Samagnun)
dieser Sprache angehören, wovon man sich durch einen Blick auf die
Siegfried-Karte (Blatt 417) leicht überzeugen kann *). Ferner treffen
wir eine Anzahl romanischer Familiennamen, wie Karnot, Maloth, Denoth
an, vor allem aber ist es historisch erwiesen und heute noch in der
Tradition der Dorfbewohner feststehend, daß am Anfang unseres
Jahrhunderts die Mehrzahl der Bevölkerung die romanische Mutter-
sprache gebrauchte, und daß sich bis 1820 die Predigt ihr anschloß2).
Von den Männern, welche damals ihr Vieh auf den Tiroler Märkten
verkauften und Salz, Tabak, Werkzeug von dort bezogen, verstanden
viele schon das Deutsche und sprachen es einigermaßen. Aber zu
Hause bediente man sich des althergebrachten Idioms. Das wurde
aber anders, als im Anfang der zwanziger Jahre ein Lehrer aus Tirol
nach Compatsch, dem Hauptorte der Gemeinde, kam und in der Schule
zwanzig Jahre hindurch seiner Muttersprache ein solches Uebergewicht
zu verschaffen wußte, daß sein Nachfolger, ein geborener Samnauner,
die deutsche Schulsprache als die einzig mögliche von ihm übernahm.
Eine Opposition gegen diese Belehrung bestand nicht, da die wachsen-
den wirtschaftlichen Beziehungen mit Oesterreich die Kenntnis der
dort üblichen Sprache als außerordentlich nützlich erscheinen ließen.
Heiraten mit Tirolerinnen kamen auch gelegentlich vor, die ihren
heimatlichen Dialekt, der heute im Samnaun gesprochen wird, in die
Häuser einführten. Die eidgenössische Statistik seit 1860 giebt fol-
genden Ausweis:
1
Deutsch
Romanisch
Konfession
Haushaltungen 1860 . . . .
1870 . . . .
Ortsanwesende 1880 . . . .
Wohnbevölkerung 1888 . . .
68
70
309
317
10
1
366 kath., 9 protest.
294 , - ,
sämtlich katholisch
» »
In früherer Zeit war die Zahl der Protestanten größer, wie man
aus der Thatsache des überkommenen protestantischen Kirchenfonds
schließen kann. Da Remüs und Schieins, die nächsten Unterengadiner
Dörfer, protestantisch sind, so besteht mit diesen und dem Samnaun
1) Einige deutsche Ortsnamen stammen jedenfalls aus jüngster Zeit: Im
Bergli, In den Löchern, Schwarze Wand, Roßboden.
2) „Samnaun oder Samagnium ist vermischter Religion und haben beyde
Religionen ihre eigne Kirch und Pfarrer, ist auch Romanscher Sprach.* All-
femeines helvetisches eidgenössisches oder schweizerisches Lexikon von Hans
akob Leu, 1760.
51] Die Germonißierung der Rätoromanen in der Schweiz. 415
schon seit der Mitte unseres Jahrhunderts kein kirchlicher Zusammen-
hang mehr, und der Tiroler Katholizismus hat, wie im unteren Münster-
thal, auch hier die Germanisierung befördert, wenn auch die Gemeinde
zur Diöcese Ghur gehört, deren Bistum indessen ja auch ein deutsch-
sprachiges ist.
Im allgemeinen fühlen sich die Samnauner wohl als Schweizer
und erkennen das dankbar an, was ihnen die Eidgenossenschaft bietet.
Die jungen Leute werden, wenn sie ihrem Militärdienst in Chur ob-
liegen, mit deutsch-schweizerischen Anschauungen bekannt und mögen
davon auch einiges in die Heimat zurückbringen. Aber ihr Weg nach
Chur geht über den Arlberg, d. h. durch österreichisches Gebiet, in
dem sie mit ihrem Tiroler Dialekt sich besser verständigen können
als in dem Schweizerdeutsch, das in Chur gesprochen wird. Auch
finden wir im Samnaun, wie in der Schweiz überhaupt, ein verbreitetes
gutes Verständnis für die politischen Einrichtungen des Landes, und
die verschiedenen Wahlen für Kanton und Bund bringen immer wieder
die Erinnerung an die Zugehörigkeit zum Unterengadin, aber doch ist
es nicht zu verkennen, daß ein Samnauner die Monarchie in Oester-
reich und die Einrichtungen des Kaiserreichs mit ganz anderen Augen
ansieht als ein Züricher Demokrat und jedenfalls nicht gerade un-
glücklich sein würde, wenn seine Gemeinde dem katholischen Kaiser-
staate angegliedert würde. Die wirtschaftlichen äußeren Beziehungen,
besonders der Viehhandel liegen in Tirol. Neben dem Frankengeld,
das zur Steuerzahlung in Remüs erforderlich ist, kursieren Gulden und
Kronen, mit denen in Pfunds und Nauders die Einkäufe gemacht
werden müssen. Die Samnauner haben also zwei Währungen nötig,
von denen ihnen die österreichische als die wichtigere erscheinen muß.
Das Thal gehört weder zum schweizerischen noch zum österreichischen
Zollgebiete und huldigt dem Freihandel. Was aus Oesterreich hinein-
. kommt, ist zollfrei, falls es sich um eine Versendung in Postpaketen
handelt, desgleichen alles, was die Schweiz sendet, jedoch muß im
' letzteren Falle von Martinsbruck bis zur Spießermühle, d. h. auf öster-
reichischem Gebiete, die Ware unter Zollverschluß geben. Würde sie
über den Bergpaß von Schieins oder Remüs gebracht, so würde sie hin»
gegen völlig frei geführt werden können. Was aus dem Thal aus-
geht, ist sowohl in der Schweiz wie in Oesterreich zollpflichtig, eine
Ausnahme besteht nur von Seiten des letzteren bezüglich des Viehes,
das von dort her in das Samnaun zur Aufzucht hingebracht und binnen
zwei Jahren unter Identitätsnachweis wieder zurückgebracht wird.
Schließlich ist noch zu erwähnen, daß der Postbote regelmäßig von
Pfunds kommt, und ein billiger österreichischer Posttarif für das
Grenzgebiet besteht.
Das Unterengadin von Martinsbruck aufwärts bis Zernetz hat im
allgemeinen das Ladinische weit mehr bewahrt als das Oberengadin.
In den hoch über dem Thalboden gelegenen Orten namentlich trifft
man ältere Leute genug an, die eine im Deutschen an sie gerichtete
Anfrage nicht verstehen. Bei den jüngeren hingegen merkt man
den Einfluß der Schule, und es versteht sich von selbst, daß die
Wirte, Kutscher, Bergführer, überhaupt am Verkehr beteiligte Per-
416 A. Sartorms Freiherr v. Waltershausen, [52
sonen durchweg zweisprachig sind. Doch ist die Fremdenindustrie
nur in Schuls-Tarasp während des Hochsommers bedeutsam, die übrigen
Orte haben Touristen und Sommerfrischler lange nicht so angezogen
wie die oberste Stufe des Innthales mit ihren Gletschern und Seeen.
Hier haben die Bewohner mehr städtisches Wesen, im unteren mehr
ländlich-bäuerliches, sie sind daher im ersteren moderner und mehr
deutsch kultiviert, in dem anderen konservativer in Sitte und Sprache.
Wir sind der Sprachgrenze nachgegangen bis dort, wo sie die
Gemeinde Samnaun verläßt und mit der politischen Scheidewand
gegen Oesterreich wieder zusammentrifft. Sie überschreitet die Gems-
bleispitze, dann das Fluchthorn, die Dreiländerspitze, den Piz Buin
und das Signalhorn.
Jetzt tritt sie wieder in das Innere des schweizerischen Gebietes
ein und führt zunächst entlang der Grenze der beiden Amtsbezirke
Inn und Oberlandquart (d.) über Gletscherkamm, Verstanklahorn, Ver-
nelapafi, Pillerhorn, Plattenhörner, Fleßpaß, Gemsspitze, Weißhorn,
Flüelapaß, Schwarzhorn, Radünerkopf, zum Piz Grialetsch (in der
Nähe des Piz Vadret). Von hier schließt sie sich an die der Amts-
bezirke Maloja und Oberlandquart auf eine kurze Strecke an, die
Punkte Scalettahorn , Scalettapaß, Kühalphorn, Sertigpaß berührend.
Nahe hinter denselben trifft sie auf die Grenze der Bezirke Albula
und Oberlandquart, der sie zunächst folgt, zur Bergüner Furca, zum
Plattenhom, Hochducan, dann entlang der Ducankette bis zum gleich-
namigen Paß, und steigt wieder hinauf zum Gypshorn und Btihlen-
horn. Nun verläßt sie diese politische Grenze der Amtsbezirke und
tritt in den Bezirk Albula ein, folgt dem Stulsergrat, stets im Norden
das deutsche Gebiet habend, bis zum Muchettagipfel, von wo sie sich
in südlicher Richtung zur Albulastraße herabsenkt und bei dem Säge-
werk Ballalüna die Gemeindegrenze von Filisur trifft. Sie umläuft •
dieselbe, wenn diese Gemeinde zum deutschen Gebiet gerechnet wird,
bis nach Alvaneubad, das ebenfalls deutsch ist, obgleich das Dorf
Alvaneu dem anderssprachigen Gebiete angehört. Dessen Gemeindegrenze,
zunächst gegen die Orte Schmitten und Wiesen, dann Arosa (im
Schanfigg), folgt sie zum Gugernell, umzieht zugleich immer noch
mit der Alvaneuer Gemeindegrenze den Welschtobel bis zum Aroser
Rothorn, wendet sich zum Parpaner Rothorn entlang der Gemeinde-
grenze Arosa-Lenz, geht um die Alp Scharmoin herum, welche zu
Obervatz (r.) gehört, schneidet kurz vor Parpan — Valbella ist noch
romanisch — die Landstraße, welche von Lenz über die Heide nach
Parpan führt.
Aus dem soeben Mitgeteilten läßt sich ersehen, daß ein nörd-
licher an Oberlandquart anstoßender Teil von Albula, welcher Amts-
bezirk 1888 913 deutsch und 5166 romanisch redende Einwohner
hatte, deutsch ist. Er umfaßt1) die Gemeinden Wiesen, zu der Jennis-
l) Von der Gemeinde Mutten wird hier abgesehen, da dieselbe oben bereits
eine Besprechung gefunden hat.
53] Die Germanisierung der Rätoromanen in der Schweiz. 417
berg kirchgenössig und politisch zugehörig ist, Schmitten und Filisur.
Die beiden ersteren Orte sind alte deutsche Kolonieen, von Waisern
oder von Davos aus gegründet 1). Das benachbarte Dorf Schmitten
ist schon seit langer Zeit germanisiert worden2).
Filisur hatte 1860 22 deutsche und 42 romanische Haus-
haltungen, 1870 35 und 38, 1880 183 und 109, 1888 173 deutsch
und 92 romanisch redende Personen. Die Statistik von 1888 giebt
an, daß von der Wohnbevölkerung nur 72 Bürger der Wohngemeinde
sind, 185 Bürger anderer Gemeinden des Wohnkantons, 11 Schweizer-
bürger anderer Kantone und 9 Ausländer.
Die eigentlichen Gemeindebürger, die also nur ein Viertel der
Wohnbevölkerung ausmachen, sind diejenigen, welche sich die alte
Sprache bewahrt haben. Sie sind die hauptsächlichsten Grundbesitzer
in der Gemeinde, und da sie außer stände sind, ihr großes Eigentum
allein zu bewirtschaften , haben sie Wiesen und Felder an Zuwanderer
aus Oberlandquart, besonders aus Davos verpachtet. Diese Leute, die
früher meist unter dem System der Halbpacht, jetzt unter dem des
Pachtzinses leben, sind die Bringer des Deutschtums. Sozial erscheinen
sie als die betriebsame, aufsteigende Klasse im Gegensatz zu den be-
sitzenden, in ihrer Zahl zusammenschrumpfenden, etwas am Alten
hängenden Bürgern. Unter dem Zustand der modern demokratischen
Gemeindeverfassung haben sie durch ihre Majorität das politische Ueber-
gewicht gewonnen, und die deutsche Schule, die Predigt und die Ge-
meindesprache legen Zeugnis davon ab.
Dieser Nationalisierungsprozeß hat sich jedoch in ganz friedlicher
Weise vollzogen, weil die allgemeinen Verkehrsinteressen sich mit ihm
in Einklang gesetzt haben. Dauernde Beziehungen zu Oberlandquart
vermittelt einerseits die nahe Landwasserroute, andererseits liegt Filisur
an der Albulastraße, auf welcher ein reger Waren- und Personen-
verkehr zwischen Chur, Thusis und dem Engadin stattfindet.
Die gegenwärtig in Angriff genommene Bahn von Thusis in das
Oberengadin wird durch das Albulathal gelegt werden, dann auch
Filisur als Station aufnehmen und dem dortigen Deutschtum neue
Kräfte zuführen. Auch andere Orte im Thal, wie namentlich Tiefen-
kastell und Bergün, müssen davon berührt werden.
In diesen beiden großen Dörfern kann man den Rückgang der
alten Landessprache auch jetzt schon im Schulwesen und im Geschäfts-
verkehr deutlich wahrnehmen. In dem ersteren Ort liegen die Ver-
hältnisse insofern ähnlich wie in Filisur, als die Bürger der Wohn-
gemeinde 1888 nur ein Drittel der Wohnbevölkerung ausmachten, und
die von auswärts Zugezogenen die Träger des Deutschtums sind, die
aber hier in dem Verkehrszentrum der Julier-, Albula-, Schyn- und
Parpan - Churer - Straße als Kauf leute, Handwerker, Hotelbedienstete
vorwiegend auftreten. Wenn wir erwägen, daß die 8 — 10 eigentlichen
Bürgerfamilien in Tiefenkastell verhältnismäßig sehr wenige Kinder
*) Geschichte von Eurr&tien von Konradin v. Moor, Chur 1870, 1, S. 112.
a) Leu, Lexikon (1760) a. a. O. : Schmitten ist katholischer Religion und das
einige Deutscher Sprach in diesem Hochgericht (Bellfort).
418 A. Sartoriu8 Freiherr v. Waltershausen, [54
haben, daß ein erheblicher Teil der Bürger unverheiratet ist, der
Fremden- und Geschäftsverkehr in der Zunahme begriffen ist, die Zu-
wanderung von Romanen immer mehr zurücktreten wird, je weniger
diese werden, so dürfte unsere Behauptung nicht fehl gehen, daß wir
auch diesen Ort vielleicht schon im Verlaufe weniger Jahre als stark
in der Germanisier ung fortschreitend bezeichnen müssen.
Nicht so schnell wird es mit Bergün gehen, wo wir übrigens
gegenwärtig nur noch einige wenige Leute antreffen, die das Deutsche
gar nicht verstehen. Die Zuwanderung ist aber nicht groß, und die
hier lebenden zehn deutschen Familien sind eine zu geringe Minorität
in der Dorfgemeinde, um etwa deren Amtssprache beeinflussen zu
können. Die Albulabahn wird aber dem herrlichen Thal und Gebirge
einen verstärkten Fremdenverkehr zuführen.
Wir hatten die Sprachgrenze bis Parpan verfolgt. Sie steigt
von neuem zum Gebirge, zum Stätzerhorn hinauf, läuft dem Grat nörd-
lich entlang über die Juchser Alpe und die Häuser von Juchs in den
Pargäratobel und zum Dreibündenstein und senkt sich hinunter zum Rhein-
thal, Ems westlich im romanischen Gebiete lassend, während Felsberg
jenseits des Flusses deutsch ist. Von hier bis Reichenau südwestlich
sich wendend, fällt sie mit dem Rhein zusammen. Damit haben wir
das Verbindungsband zwischen östlichem und westlichem romanischem
Gebiet wieder erreicht, von dem wir den Ausgang genommen haben.
Das westlich von der zuletzt geschilderten Sprachgrenze liegende
Gebiet ist der Kreis Domleschg. Auf unserer Skizze ist er als roma-
nisch bezeichnet, versehen aber mit zahlreichen doppelt unterstrichenen
Ortschaften. Als überwiegend romanisch sind die Orte Feldis, Scheid,
Tomils, Paspels zu bezeichnen, mit starker deutscher Minorität Almens,
Rotels, Rothenbrunnen, Pratval und Scharans. Die fünf Orte hatten
1880 738 ortsanwesende Romanen und 304 Deutsche, 1888 eine Wohn-
bevölkerung von 639 und 350. In den letzten 10 Jahren soll das
Deutschtum, vermittelt durch Kirche, Schule und wirtschaftlichen Ver-
kehr, überall noch Fortschritte gemacht haben. In Rothenbrunnen hat
in letzterer Beziehung die Kuranstalt mit ihrer Eisenquelle — daher
der Name — sich als wirksam erwiesen und auch das Einziehen
einiger deutscher Familien in das Dorf veranlaßt. Rotels liegt dem
von alters her deutschen Ftirstenau nahe und ist dem Verkehr auf
der Thalstraße nach Thusis leicht zugänglich, im Gegensatz dazu die
höher am Berghang gelegenen Ortschaften ein mehr stilles Dasein
führen und daher ihr Romanentum länger erhalten. Sils im Domleschg
ist deutsch und auf unserer Karte wie Fürstenau und Zollbrücke dem
blauen Terrain zugerechnet.
Der Ort Sils ist erst in unserem Jahrhundert germanisiert worden.
Noch im Jahre 1827 wurde die gesamte Bevölkerung als romanisch
angegeben1), die sich eines besonderen Dialektes bedient haben soll,
') Nach Leu, Lexikon a. a. 0. von 1762, ist Sils im Domleschg ganz
romanisch. MarkusLutz: «Eine vollständige Beschreibung des Schweizerlandes,
Aarau 1827", berichtet, daß Sils 277 romanische Bewohner zähle.
55] Die Germanisierung der Rätoromanen in der Schweiz. 419
1860 hingegen kennt die Statistik ausschließlich 74 deutsche Haus-
haltungen. Bei der folgenden statistischen Aufnahme von 1870 finden
wir wieder 6, jedenfalls zugewanderte, romanische Familien, und auch
die späteren Erhebungen fanden eine geringe Minderheit Die Ger-
manisierung von Sils hängt mit der Nähe des nur 2 km entfernten,
seit langem deutschen, für die dortige Gegend entscheidenden Handels-
ortes Thusis, dann auch mit der in der Nähe des Ortes angelegten
Spinnerei und Weberei zusammen, welche Werkführer und Arbeiter
in größerer Zahl aus deutschem Gebiet herangezogen hat.
Auffällig muß es erscheinen, daß das große nur 6 km von
Chur entfernte Dorf Ems 1888 neben 153 Deutschen 1285 Ro-
manen zählte. Es gehört zum Amtsbezirk Imboden, der dicht neben-
einander starke nationale Gegensätze zeigt. Felsberg auf dem linken
Rheinufer Ems gegenüber ist ganz deutsch, Tamins bergaufwärts von
Reichenau gelegen ebenfalls, aber Trins, die Nachbargemeinde, ist
ganz romanisch. Bonaduz ist heute fast germanisiert, Rhäzüns, 2 km
davon entfernt, hält weit mehr am Alten fest. Die Unter-
schiede sind geschichtlich gegeben, gleichen sich aber in unserer Zeit
des rastlosen Verkehrs doch allmählich aus. Im ganzen Bezirk werden
nur wenige Leute zu finden sein, die nicht Deutsch verstehen, und
die schulpflichtige romanische Jugend kann es auch schreiben und
lesen. Denn in Ems ist die Volksschule von Anfang an, in Rhäzüns
von der zweiten Klasse an deutsch geworden. Der erstere Ort ist ein
sehr großes, der Zuwanderung wenig ausgesetztes1), wohlhabendes,
mit Handlungen verschiedener Art ausgestattetes Dorf, also ökonomisch
ziemlich selbständig, ferner für den Transport von Waren und
Reisenden nur ein Durchfahrt»- , nicht ein Aufenthaltsort. Beides
mag dazu beigetragen haben, daß die alte Sprache, die hier aber
mit besonders vielen deutschen Worten durchsetzt ist, so lange ge-
blieben ist.
Wenn die wirtschaftlichen und politischen Zustände Graubündens,
die in späteren Abschnitten noch eine besondere Beachtung finden
werden, in ähnlicher Weise wie bisher fortdauern, und der Kanton sich
immer mehr zu einem lebendigen, gebenden und nehmenden Glied der
schweizerischen Volkswirtschaft und des Gesamtstaates ausbilden sollte,
so muß sich auch der Germanisierungsprozeß in ähnlicher Weise wie
bisher, vielleicht noch in beschleunigterem Tempo vollziehen. Auf der
beigegebenen Sprachenkarte ist das Gebiet bezeichnet, welches unter
der Voraussetzung der Fortdauer des gegenwärtigen Nationalisierungs-
prozesses um etwa 1920 dem Deutschtum verfallen sein dürfte.
Im Hinblick auf die heute im Uebergang zum Deutschtum be-
findlichen Gemeinden ist es zunächst wahrscheinlich, daß die Verbin-
dung zwischen dem westlichen und östlichen Teil des romanischen Ge-
bietes verschwinden wird. Es bleiben dann zwei Sprachinseln übrig,
deren Widerstand gegen die sie umwogenden fremden Elemente in
dem Maße abnehmen muß , als sie das Bewußtsein ihrer einstigen Zu-
*) 1888 waren von der Wohnbevölkerung 1208 in der Gemeinde geboren,
183 im sonstigen Graubünden, 36 in anderen Kantonen, 23 im Auslande.
420 A. Sartorius Freiherr v. Waltersbausen, [56
sammengehörigkeit verlieren. Das Hinterrheinthal von Reichenau auf-
wärts bis Thusis und Sils wird in nicht zu langer Zeit dem Deutsch-
tum anheimfallen, wenn auch die abgelegenen Orte eine nach und
nach hinschwindende romanische Minorität, die ohne Einfluß auf Schule,
Kirche und Verkehrssprache sein wird, noch behalten mögen. Ebenso
wird das Deutschtum durch das Vorderrheinthal über Flims und bis
Ilanz hinauf vordringen und schließlich die heutige Sprachinsel Ober-
saxen in sich aufnehmen. Das Schamserthal wird, dem heutigen
Heinzenberg vergleichbar, in der Gegend von Andeer vielleicht ganz
deutsch sein. In der Osthälfte des Kantons wird der untere Teil des
Münsterthaies ähnlich wie das Samnaun und dann das Oberengadin
von Maloja bis Bevers das Romanische einbüßen. Dieser Sprache
würden dann nur noch verbleiben: das westliche Vorderrheinthal, das
Oberhalbstein, Teile des Schamserthaies, das Engadin bis Bevers auf-
wärts, das obere Münsterthal und die Umgebung von Lenz und Ober-
vatz, endlich von Bergün. Aber auch in diesen Gebieten würden wieder
Orte liegen, die der Verdeutschung stark entgegen gehen, wie Schuls,
Süs, Tiefenkastell, und die Generation alter Leute in Graubünden, die
heute nur ihren romanischen Dialekt versteht, wird weggestorben sein.
Es wird dem Schreiber dieser Aufsätze nicht schwer, ohne Sentimen-
talität diesem notwendigen Vernichtungsvorgang zuzuschauen, nicht
etwa nur aus dem an sich begreiflichen Grunde, daß der Sieg des
Deutschtums ihm eine Befriedigung nationalen Bedürfnisses verursachte,
sondern auch weil er der Meinung ist, daß diesem tüchtigen und ge-
sunden Alpenvolke die Segnungen der höheren deutschen Kultur zum
Wohle gereichen werden. Es werden die Vorteile nicht verkannt,
welche die Zweisprachigkeit dem Graubündner bei Handel und Verkehr
bietet, aber die Masse des Volkes besteht nicht aus Kaufleuten, und
zudem wird eine wahrhaft produktive Geisteskultur doch nur erlangt
im engsten Anschmiegen an eine hoch entwickelte Sprache, was ja
nicht ausschließt, daß andere als Fremdsprachen daneben geübt werden
sollen.
Wenn zwei Sprachgebiete nebeneinander liegen, und man die
Einwirkung der Bewohner des einen auf die des anderen beurteilen
will, so liegt es zunächst nahe, danach zu sehen, wie sich die Dinge
an der Grenze vollziehen, ob hier eine Verschiebung nachweisbar fest-
zustellen ist. Die Geschichte von Grenzgebieten zeigt uns nun dieses:
entweder ein fortgesetztes, schnelleres oder langsameres Vordringen
eines Idioms resp. Zurückweichen des anderen, also ununterbrochene
Bewegung oder einen lange Zeit unveränderten Zustand, gänzliche
Ruhe. Das erstere hat z. B. an der graubündischen Ostgrenze
im Samnaun, Tirol gegenüber, stattgefunden, vollzieht sich gegen-
wärtig im unteren Münsterthal, im Amtsbezirk Albula in der Gegend
von Filisur, im Amtsbezirk Heinzenberg auf beiden Seiten des Rheins;
das zweite ist zu beobachten zwischen Italien und der Schweiz von
Maloja bis zum Stilfser Joch, zwischen Graubünden und Tessin vom
Piz Alv bis zum Rhein waldhorn, zwischen Glarus und dem Bündner
Orleband, zwischen dem Avers und dem Bergell.
57] Die Germanisierung der Rätoromanen in der Schweiz. 421
Nach allem einzelnen, was wir über die Veränderung der
Sprachgebiete in Graubünden in dem Vorstehenden gesagt haben, er-
übrigt uns nur noch eine allgemeine Bemerkung über die Einwirkung
der jeweiligen Beschaffenheit der Sprachgrenze auf die Ver-
änderung der nationalen Gebiete. Bei der Beurteilung sind namentlich
zwei Momente maßgebend: ihre natürliche Beschaffenheit und ihr Zu-
sammenfallen oder Nichtzusammenfallen mit der politischen.
Ihre Natur kann derart sein, daß sie den Verkehr erschwert oder
erleichtert oder ihm wenigstens nicht hinderlich ist. Das erstere läßt
sich bei hohen, fortlaufenden Gebirgszügen, das zweite bei schiffbaren
Flüssen, in Thalsohlen, in ebener Gegend oder breiten Thälern beob-
achten. Die romanisch-deutsche Sprachscheide z. B. zwischen Glarus
und dem Oberland ist durch die Glarner Alpen, die romanisch-italienische
für eine längere Strecke durch die Gipfel und Grate der Berninagruppe
fixiert. Es finden keine Heiraten zwischen den Dorfbewohnern auf beiden
Seiten des Gebirges statt, durch welche wirtschaftliche und Familien-
beziehungen angebahnt werden könnten ; der Hausierhandel bewegt sich
nur ganz selten über die hohen vereisten Pässe hin, Jahrmärkte und
Viehmärkte werden gegenseitig nicht besucht, Lohnarbeiter suchen
ihren Verdienst lieber thalauf- oder abwärts, als daß sie die Berge
überschreiten. Der auf wenige Sommermonate beschränkte Touristen-
verkehr ist viel zu sehr auf einzelne Routen und auf dieselben wenigen
Bergführer angewiesen, um für die Vergesellschaftung der Grenzgebiete
etwas zu leisten.
Eine andere Entwickelung nehmen die Dinge, wenn die Sprach-
grenze ein Thal durchquert, wie z. B. zwischen Chur und Ems, oder
sogar das Thal entlang läuft, wie nördlich von Thusis, oder im Vorder-
rheinthal westlich von Rhäzüns. Hier entsteht ein geregelter und
häufiger Verkehr wirtschaftlicher wie auch geistiger Art, der eine ge-
wisse Kenntnis beider Sprachen für die Grenzbewohner rasch ver-
mittelt und durch Heirat, Dienstverhältnis, kaufmännische und land-
wirtschaftliche Niederlassung das Zusammenwohnen von Leuten ver-
schiedener Muttersprache befördert. Es entsteht ein zweisprachiges
Grenzgebiet, das im Verlauf der Zeit der siegreichen Nationalität an-
heimfällt, die dann ihre Grenze von neuem vorwärts schiebt.
Als zweites wichtiges Moment haben wir die politische Grenze
zu würdigen. Sie ist das Ergebnis bestimmter geschichtlicher Ereig-
nisse, aber häufig wird sie mit den von der Natur gezogenen Linien
wie Gebirgsgraten, Flüssen, Seeen zusammenfallen. Die Sprachgrenze
kann sich nun mit der politischen decken oder nicht. Im ersteren
Falle ist sie weit schwerer der Veränderung ausgesetzt als im letzteren.
Denn die staatliche Abschließung wirkt immer hemmend auf jede Art
des Verkehrs ein, mag nun die Zollerhebung oder eine sanitäre oder
militärische Maßregel die Ursache sein. Dazu kommt noch, daß der
Staat durch sein Gerichts- und Verwaltungswesen, durch seine Schulen,
seine Armee, durch seine innere Wirtschafts- und Sozialpolitik und
manches andere seine Angehörigen an sich zu fesseln und sie auch
als ausschließlich von ihm zu pflegende Kulturgemeinschaft anderen
Staaten gegenüber gegensätzlich fühlen zu machen weiß. Infolge-
422 A. Sartorius Freiherr v. Waltershausen, [58
dessen sondern sich aus wirtschaftlichen und ethischen Gründen die
Nachbarn voneinander ab und festigen die Sprachgrenze, wenn sie
mit der staatlichen zusammentrifft. In Graubünden ist dies so im
Osten und an einem Stück des Nordens Oesterreich und im Süden
mehrfach Italien gegenüber.
Auch die politischen innerstaatlichen Scheidelinien, in der Schweiz
also der Kantone; Amtsbezirke, Kreise und Gemeinden, haben eine,
wenn auch vergleichsweise zur staatlichen Scheidewand sehr abge-
schwächte Bedeutung für die Erhaltung der Sprachgebiete. Denn auch
diese Gebilde sind Kulturverbände mit besonderem die Eigenart schätzen-
den und schützenden Willen, der um so mehr alle Lebensverhältnisse
berühren muß, als die Selbstverwaltung eine staatrechtliche Aner-
kennung gefunden hat. So trennen sich in Graubünden die italienisch
redenden Bezirke Moesa und Bernina vom deutschen Bezirk Hinter-
rhein und von dem romanischen Teile Malojas, Yorderrhein und
Glenner vom Kanton Uri und Glarus, Oberlandquart von Inn. Auf Ge-
meinden mit verschiedener Amtssprache, die nebeneinander liegen, ist
in der vorstehenden Schilderung wiederholt hingewiesen worden.
Fassen wir das über die Kombination der verschiedenen Grenz-
arten Gesagte zusammen, so wird die Sprachgrenze am gefestigsten
dort sein, wo sie mit der natürlichen Scheidewand des Gebirges und
mit der staatlichen übereinstimmt, sie wird der Aenderung hingegen
am leichtesten unterworfen sein, wenn die natürlichen Verhältnisse an
ihr den Verkehr erleichtern, und wenn sie im Innern des Staats liegt
und dort sich auch möglichst wenig mit derjenigen der Selbstverwal-
tungskörper deckt.
Ohne Zweifel gestattet ihre Verschiebung einen wichtigen Schluß
auf das Vorrücken oder Zurückweichen einer Nationalität, aber es ist doch
nicht richtig, in ihr das einzige Symptom davon zu erblicken. Denn die
Grenze kann durch Einwanderung übersprungen werden, so daß sich im
Innern eines Volksstammes ein anderssprachiger ansiedelt, wie dies so
z. B. bei den Walser Kolonieen war, oder wie es sich in neuerer Zeit
in Pontresina, St. Moritz, Filisur vollzogen hat. Ferner kann sich auch
innerhalb der Grenze, vermittelt durch Schule und Kirche und die Be-
dürfnisse des wirtschaftlichen und staatlichen Lebens, eine Sprachge-
nossenschaft einer anderen Sprache zuwenden. Im allgemeinen, glaube
ich, wird man nicht fehl gehen anzunehmen, daß in der Gegenwart
mit ihren vorzüglichen Verkehrsmitteln einem solchen von der Sprach-
grenzenverschiebung unabhängigen Germanisierungsprozeß Graubündens
mehr Bedeutung zukommt als in der Vergangenheit, mithin die genaue
statistische Untersuchung der Nationalitätsstärken eine steigende Wich-
tigkeit gegenüber der geographischen Feststellung in Anspruch nimmt.
Wir haben in dem Bisherigen das Romanentum gegen andere
Nationalitäten abgetrennt, wie es die Verhältnisse der Gegenwart mit
sich bringen. Zum Verständnis im einzelnen war es notwendig, ge-
legentlich auch auf vergangene Zeiten zurückzugreifen. Dabei ergab
sich als unzweifelhaft, daß das romanische Gebiet in früherer Zeit weit
ausgedehnter gewesen ist als in unseren Tagen.
59] Die Germanisierung der Rätoromanen in der Schweiz. 423
Es ist nicht die Aufgabe dieser Untersuchung, in die Details
einer historischen Forschung einzugehen, aus welchen die Germani-
sierung vergangener Jahrhunderte ersichtlich werden könnte. Wenn
dies einer berufeneren Feder überlassen werden muß, so verlangt doch
die bisherige Ausführung zur Ergänzung eine kurze historische Ueber-
sicht, welche nur als Hintergrund in dem entworfenen Gemälde unserer
Zeit zu wirken bestimmt ist.
Als bald vor dem Beginn unserer Zeitrechnung das römische
Weltreich sich die östlichen Alpenländer der heutigen Schweiz, des
Vorarlbergs, Tirols und Bayerns unterwarf und aus ihnen zusammen
mit dem nördlich vorliegenden bis zur Donau reichenden Flachland die
Provinz Rätien schuf, begann in dem heutigen Graubünden die Ro-
manisierung des dort angesessenen Gebirgsvolkes, von dessen Ur-
sprung, Sprache und Einrichtungen wir wenig wissen und welches die
einen für Etrusker, andere für Kelten, wieder andere je nach den ver-
schiedenen Oertlichkeiten für beides halten. In welchem Zeitraum sich das
Provinziallateinisch, römische Sitten und Gebräuche eingebürgert haben,
ist schwer zu sagen. P. G. Planta1) schreibt darüber: „Es ist zu
vermuten, daß die sprachliche Romanisierung der rätischen Provin-
zialen in verhältnismäßig kurzer Zeit geschah, indem das Lateinische
die offizielle Sprache nicht nur, sondern auch diejenige der sich schnell
mehrenden Aristokratie, namentlich des Kaufmannes und höheren Ge-
werbestandes war, dagegen den ungebildeten und für schriftliche Mit-
teilung nicht einmal verwendbaren Idiomen des politisch rechtlosen
Rätiers keine Rücksicht geschenkt wurde. So blieb letzteren nichts
übrig, als mit Verzichtleistung auf ihre Muttersprache sobald als mög-
lich sich das Lateinische anzueignen, das ihnen allein das Mittel zum
Fortkommen bot/
Derselbe Verfasser setzt noch hinzu, daß der Uebergang zur
römischen Kultur dem Stamme der Rätier leicht geworden sei, da er
für Aufnahme fremder Bildungselemente sich empfänglich erwiesen
habe, daß mancherlei Berührung mit den Italikern durch die Militär-
und Handelsstraßen gebracht worden sei, und auch vielfach Rätier in
römische Legionen eingetreten seien. Schon im Laufe des ersten Jahr-
hunderts sei die lateinische Sprache Volkssprache geworden. Nach
Konradin v. Moor hat sich der Romanisierungsprozeß nicht so
rasch vollzogen2). Die römische Bildung habe da zuerst Platz ge-
griffen, wo die Römer feste Punkte besetzt hielten oder Kolonieen an-
legten, oder wo sie ihre Straßen durchzogen. So in Chur, im Dom-
leschg, Schams, Rhein wald, Oberhalbstein, Bergell. Die Hirten auf
den Alpen hätten ihren Dialekt unvermischt erhalten, anders die Kauf-
leute, welche die Straßen befuhren oder diejenigen, welche zu Chur
Recht suchten. Der Ausgleich sei in 500 Jahren jedoch vollständig
erfolgt.
Die Landessprache war nicht das Lateinische wie es in Rom ge-
l) P. C. Planta, Das alte Rätien. Berlin 1872, S. 219.
*) Konradin v. Moor, Geschichte von Kurrätien und der Republik „ge-
meiner drei Bünde". Chur 1870, I, S. 117.
424 A. Sartoriu8 Freiherr v. Waltershausen, [60
sprochen wurde, sondern ein minderwertiger Provinzialdialekt, eine
Lingua rustica, die zudem mit keltischen oder etruskischen Worten
durchsetzt war. Aus ihr ist unter späterer Einwirkung des Deutschen
das gegenwärtige Rätoromanisch hervorgegangen.
Das heutige Graubünden war als Teil der Provinz Rätien zur Zeit
der Römerherrschaft rings von Gebieten umgeben, in welchen eben-
falls die italische Kultur, ins Provinziale übersetzt, bestand. Im Norden
lag das romanische Sarganser Land, Gaster und Glarus, im Westen das
römische Helvetien, im Osten gehörte Tirol und Vorarlberg zu Rätien,
und im Süden war die unmittelbare Verbindung mit Italien gegeben.
Dieser Gürtel von Ländern mußte sprachlich betrachtet erst gesprengt
werden, ehe die Zersetzung des Romanentums in Graubünden beginnen
konnte. Zunächst erfolgte der Riß im Norden, später folgt die Ein-
wirkung aus dem Westen, noch später aus dem Osten. Die südlichen
Thäler hingegen blieben in so enger Verbindung mit Italien, daß, als
hier im Mittelalter das Italienische entstand, dasselbe auch in den an
den Nordspitzen des Corner- und Langensees mündenden Thälern Ein-
gang fand und bis an den Kamm der zentralen Alpenkette hinaufdrang.
Die Völkerwanderung mit den in ihrem Gefolge einherschreitenden
neuen Staatengebilden ergoß sich auch über das östliche Alpenland.
493 erobert Theoderich Oberitalien, und damit kam auch das heutige
Graubünden in seine Gewalt. Die Ostgoten ließen die römischen
Einrichtungen hier fortbestehen und waren auch nicht so zahlreich,
um das Land besiedeln zu können. Sie hatten in Italien genug zu
beherrschen und ökonomisch nutzbar zu machen. Das Rätiertum
blieb daher in unserem Gebiete unverändert fortbestehen, wurde viel-
leicht sogar noch durch Zuwanderung aus dem nördlichen Teile Rätiens
gestärkt, wo seit 451 die Allemannen ihren Einzug gehalten hatten.
Auf die Goten folgen als Herren des Landes die Franken. Die
Merowinger lassen auch in der Hauptsache die überkommenen Einrich-
tungen, wie sie waren, da ihnen daran gelegen ist, in dem strategisch
gegen Italien wichtigen Grenzgebiet mit dessen rätischen Einwohnern
in gutem Einvernehmen zu leben. Mit dem Bau von Schutzburgen
kamen allerdings auch Besatzungen fränkischer Männer in das Land,
die sich aber wohl ähnlich wie in Frankreich dem Römertum anzu-
passen geneigt waren. Unter den Karolingern1) wird das damalige
Rätien eine Markgrafenschaft unter einem deutschen Grafen, und ver-
mutlich 843 wird das Bistum Ghur, in dem der Bischof und seine Be-
amten bisher stets Rätier gewesen waren, dem Erzbistum Mainz unter-
stellt. Damit gelangten die wichtigsten geistlichen und weltlichen
Aemter in den Besitz von deutschen Grafen und Herren.
Inzwischen war die allemannische Wanderung mehr und mehr
nach dem Süden vorgedrungen und schon zur Zeit Karls des Großen
finden wir sie nachweisbar in Vorarlberg, im Oberrheinthal und Gaster.
„Ohne Zweifel2) wurde durch die Aufhebung der kurrätischen Ver-
*) Der Kampf um das Deutschtum, Heft 10, Die Schweiz von Prof. Dr. Hun-
ziker, München 1898, S. 7.
') Planta, Das alte Rätien a. a. 0., S. 371.
61] Die Germanisierung der Rätoromanen in der Schweiz. 425
fassung und die Einsetzung deutscher Grafen die Germanisierung Kur-
rätiens besonders in den der allemannischen Einwanderung am meisten
ausgesetzten Gegenden erheblich befördert. Da sich 'die Grafen vor-
zugsweise mit deutschen Dienstleuten und Vasallen umgaben, so ge-
staltete sich das Verhältnis allmählich so, daß die Edelleute und großen
Grundbesitzer vorherrschend ja fast ausschließlich deutsch, die bäuer-
liche Bevölkerung dagegen vorherrschend oder je nach der Gegend
fast ausschließlich romanisch waren/
Im Jahre 916 wurde Rätien mit dem Herzogtum Schwaben ver-
bunden und blieb in dieser Vereinigung bis zum Ausgang des hohen-
staufischen Kaisertums. „Eine zahlreiche deutsche Ansiedelung1), vor-
züglich ein zahlreicher deutscher Adel und mit ihm das ausgebildete
deutsche Lehenwesen, hielt vom 10. bis 12. Jahrhundert im unteren
und sogar im oberen Rätien Eingang. Die Grafen von Ober- und
Unterrätien, die Bischöfe von Chur und die Aebte von Pfävers tragen
fast ausschließlich deutsche Namen. Sie kamen mit deutschen Ge-
fährten, zogen deutsche Verwandte und Bekannte nach sich und über-
trugen diesen wiederum ihrerseits Aemter und Güter zu Lehen." Da
nun diese Feudalherren Gericht übten, abhängige Leute mit in den
Krieg nahmen und sonst in ihren persönlichen Dienst stellten, so können
wir uns vorstellen, wie sich die mittelalterliche Germanisation auch in
den unteren Klassen der Bevölkerung zwar stetig, aber doch nur lang-
sam vollzog.
Der Fortschritt des Deutschtums in dem 13. und 14. Jahrhun-
dert ist vor allem vermittelt worden durch Kolonisation. Dieselbe er-
folgte vermutlich in sehr verschiedener Rechtsform, indem je nach
Umständen die Ansiedler in größerer oder geringerer Abhängigkeit ge-
halten wurden, ein Teil hörig blieb, ein anderer mit weitgehenden
Freiheiten ausgestattet wurde. Vor allem sind von den letzteren die
Walser zu nennen, auf welche oben bereits hingewiesen worden ist.
Ihre Verpflichtungen dem Territorialherrn gegenüber bestanden nur
in einem zu entrichtenden geringen Zins und darin, im Kriegsfalle mit
Schild und Speer für ihn einzutreten. Die höhere Gerichtsbarkeit stand
ihm ebenfalls zu, während die niedere wenigstens ein Teil der Kolonisten
selbständig ausüben durfte2). Die günstigen Bedingungen der Nieder-
lassung lassen sich jedenfalls daraus erklären, daß große Gebiete am
Hinterrhein, im Lugnetz, Oberlandquart, Avers u. s. w. den Grund-
herren zustanden, und daß Wälder und Gebirgsweiden nicht anders
nutzbar zu machen waren als dadurch, daß Einwanderern leichter Land-
erwerb und günstige politische Bedingungen zugesichert wurden. Es ist
dies ein ähnliches Verhältnis, wie es auch mutatis mutandis die eng-
lischen Kolonieen in Nordamerika stets befürwortet haben, um Aus-
*) Wartmann, Das Kloster Pfävers, S. 8. Neujahrsblatt des St. Gallischen
historischen Vereins, 1883.
*) Dr. P. C. Planta, Die kurratischen Herrschaften in der Feudalzeit.
Bern 1881, S. 360. Hunziker a. a. 0., S. 14. Fl. Egger, Die freien Walser,
die ersten deutschen Bewohner Rätiens, Ragatz 1873, hält die Walser für Alle-
mannen. Julius Studer, Walliser und Walser. Eine deutsche Sprach Ver-
schiebung in den Alpen. Zürich 1886.
426 A. Sartorius Freiherr v. Waltershausen, [62
Wanderer aus Europa in ihr Gemeinwesen aufnehmen zu können, in
einer Zeit, als in der alten Welt die Freiheit des Grundeigentums noch
nicht zum Prinzip erhoben war *).
Daß diese Walserkolonieen sich einer weitgehenden Freiheit er-
freuten, ist für das Deutschtum nicht ohne Belang geblieben. Die
Selbstverwaltung gestattete ihnen ihre ursprünglichen Sitten und ihre
Sprache zu bewahren bis in eine Zeit hinein, in der die Gefahr der
Romanisierung für sie verschwunden war. Eine weitere Bedeutung
haben sie dadurch gehabt, daß sie wirtschaftlich rasch erblühten und
zur Gründung von neuen Gemeinden ihre überschüssige Bevölkerung
aussenden konnten.
Auch im 15. Jahrhundert scheint sich im nördlichen Graubünden
ein Fortschritt der Germanisation vollzogen zu haben, welcher dann
im 16. Jahrhundert durch die Reformation noch verstärkt wurde. Im
Schanfigg, im Prättigau, in Churwalden wurde um 1450 noch viel
romanisch gesprochen, während bald nach der Reformationszeit bereits
diese Orte ganz verdeutscht waren. Die große und blühende Walser-
kolonie in der Davoser Gegend einerseits, das Vordringen des alle-
mannischen Elements im Rheinthal andererseits, im Prättigau wohl
auch der politische Einfluß Oesterreichs, der wohl ähnlich wirkte, wie
später in Schuls-Tarasp , werden im 15. Jahrhundert gleichmäßig
das Deutschtum gefördert haben, das dann durch die Reformation,
welche Kirchengesang, Predigt, lutherische Bibelübersetzung und Geist-
liche aus der deutschen Schweiz nach Plessur und Unterlandquart
brachte, so gefestigt wurde, daß sein Sieg seitdem nicht in Frage ge-
stellt werden konnte.
Daß die Reformation aber hier auf nationalem Gebiete nur das
vollenden konnte, was längst begonnen war, zeigt uns die Thatsache,
daß sie in dem romanischen Albulathal, im Engadin und im Münster-
thal nicht germanisierte, sondern nur in der dortigen Sprache Eingang
finden konnte und dieselbe durch Andachts- und Gesangbücher, durch
Uebertragung des neuen Testamentes erst zur Schriftsprache erhob
und damit ihr neue Kraft und Haltbarkeit verlieh.
„Die Eroberungen des deutschen Elementes auf romanischem Ge-
biete,*4 schreibt ein Bündner Historiker2), „scheinen seit dem 16. Jahr-
hundert stille gestanden zu sein. Am Ende des 18. Jahrhunderts
sprachen und verstanden nur die Gebildeten, zu denen damals fast
lediglich der Adel und die Geistlichkeit gehörten, im ganzen Engadin,
im Münsterthal, in den protestantischen Gemeinden des Albulathales
(Wiesen ausgenommen) und im ganzen Oberhalbstein, Oberland, Schams,
Domleschg, Imboden deutsch. Die große Masse des Volkes verstand
ausschließlich das Romanische/
Die Ursachen dieses Stillstandes sehe ich zunächst darin, daß
die Wanderungen sowohl aus dem allemannischen Norden, als auch
aus den Walser Kolonieen 8) 200 Jahre hindurch so gut wie ins Stocken
*) Sartorius v. Waltershausen, Die Arbeitsverfassung der englischen
Kolonieen in Nordamerika, 1894, S. 27 ff.
s) J. A. v. Sprecher a. a. 0., Bd. II, S. 434.
*) Eine Ausnahme macht die Zuwanderung in Pontresina, s. oben S. 409 [45].
63] Die Germaniaierung der Rätoromanen in der Schweiz. 427
geraten waren. Es waren die Zeiten des dreißigjährigen Krieges wenig
geeignet für sie, und später wurde der Bevölkerungsüberschuß so vieler
junger Männer im ausländischen Kriegsdienst absorbiert. Regelmäßig
standen Tausende von Bündnern, darunter viele Ghurer, Prättigauer und
Davoser, im Solde Prankreichs, Oesterreichs, Spaniens, Piemonts, Hol-
lands, von denen gar mancher in der Schlacht umkam und in den
Regimentern immer von neuem ersetzt werden mußte1). Bedenkt man
nun ferner, daß der wirtschaftliche Verkehr nur gering war, und die
meisten Gemeinden überwiegend unter dem Zustand der Eigenpro-
duktion2) lebten, so wird man verstehen, daß jede Anregung deutschen
Leben» und deutschen Geistes in den rein romanischen Gegenden fehlte.
Zudem war die Einwirkung der Schriftsteller aus dem Reich so gut wie
ausgeschlossen. In den 100 Jahren nach dem dreißigjährigen Krieg ist
Deutschland selbst so arm an litterarischer Produktion, daß französische
Sprache und französischer Geist in ihm Einzug hielten, wie hätte es im*
stände sein sollen, durch die Kraft der Bildung in außerdeutschen Landen
für die Erweiterung seiner nationalen Art die Fahne hochzuhalten?
Im Gegensatz dazu war damals Italien das Land, welches wenig-
stens einen gewissen Einfluß auf das romanische Bünden hatte, der
sich jedenfalls auf die bestehenden Sprachverhältnisse im nichtdeutschen
Sinn äußern mußte. Er wurde vermittelt durch den Handel mit
dem Veltelin, Chiavenna, Bergamo, Brescia und Mailand und durch
die gewerbliche und kommerzielle Auswanderung. Der Warentransit über
den Splügen, den St. Bernhardin und den Septimer war bis zum sieben-
jährigen Krieg, während dessen der Verkehr ins Stocken geraten war,
sehr bedeutend gewesen8), dann machte sich die Konkurrenz des
Brenners und des St. Gotthards geltend, der die Bündner Straßen nicht
gewachsen waren. Auch der Handel mit Bündner Vieh war auf nord-
italienischen Märkten ein reger. Die Bauern trieben ihre Ochsen und
Kühe dort auf und kamen so Jahr für Jahr mit Italienern in Berührung.
Die gewerbliche und kommerzielle Auswanderung, welcher wir
bereits wiederholt begegnet sind, hatte ihren Ausgang nach dem Vene-
tianischen genommen*). Dort waren die Bündner als Cafetiers, Zucker-
und Pastetenbäcker, Scherenschleifer, Schuhmacher, Glaser im 17. und
18. Jahrhundert in großen Mengen thätig. Viele der Fortgezogenen
kehrten mit dem gewonnenen Wohlstand in ihr Bergdorf zurück und
entfalteten dort italienischen Luxus, städtische Moden und fremde Sitten.
Als seit 1766 diesen Auswanderern in Venedig auf Betreiben dortiger
einheimischer Konkurrenten ihr Geschäft unmöglich gemacht wurde,
zog ein Teil von ihnen in andere Städte Ober- und Unteritaliens und
setzte so die Verbindung zwischen dem Romanentum und dem Süden fort.
Aber der größere Teil wandte sich jetzt nach Frankreich, Oesterreich,
Deutschland, Polen und Rußland, welchen Ländern gegenüber schon
am Ende des 18. Jahrhunderts Italien stark zurückgetreten war.
Wie im 19. Jahrhundert der Einfluß des Südens mit demjenigen
*) Vielerlei Detailangaben bei J. A. v. Sprecher a. a. 0., Bd. II, S. 272 ff.
*) S. u. Kapitel V, S. 436 [72].
3) Näheres bei Sprecher a. a. 0., II, S. 246 ff.
4) Sprecher a. a. 0., S. 148 ff.
428 A. Sartoriua Freiherr v. Waltersbaugen, [64
des Nordens nicht Schritt halten konnte, bleibt zur Besprechung einem
späteren Abschnitte noch vorbehalten. Die Veränderung des Wirtschafts-
lebens in Europa, die Umbildung des schweizerischen Staatswesens,
der Kulturfortschritt des Grenzlandes Tirol, die zunehmende Bildung
großer Volksschichten in Graubünden, das Erstarken des National-
bewußtseins in Deutschland, die dortige Litteratur seit Goethe und
Schiller, alles dies und jedes in seiner Weise hat Anteil an der Hebung
des Deutschtums in den rätoromanischen Gemeinden und an dem Zurück-
drängen der italienischen Einwirkung gehabt.
Die kurze historische Uebersicht zeigt uns, wie sich im Verlaufe
von 1500 Jahren die deutsch-romanische Sprachgrenze in Graubünden
verschoben hat. Diese Veränderung ist schließlich nur im Rahmen
eines großen weltgeschichtlichen, langsam zur Reife gelangenden Vor-
ganges zu begreifen, der Uebernahme der Kulturführung in Europa
seitens der germanischen Völker. Er beginnt mit dem Zurückwerfen
der Römerherrschaft aus Germanien und den Alpenländern, dem für
unser engeres Beobachtungsgebiet das Eindringen der Franken und
Allemannen in Rätien entspricht. Eine zweite Stufe wird in dem
mittelalterlichen Kaisertum deutscher Nation erreicht, in welcher Zeit
das östliche Alpenland zum Schutz des Reiches und der Verbindung
mit Italien in den Besitz deutscher Aristokratie gelangt. Die dritte
Epoche ist die Kirchenreformation, eine That deutschen Geistes, deren
Wirkungen weit über konfessionelle Angelegenheiten hinausgingen. Ihr
unmittelbarer Einfluß auf das Deutschtum in Graubünden ist unverkenn-
bar, wenn auch ihr Hauptergebnis, der Aufschwung freiheitlichen Denkens
wichtiger war, sich aber erst später geltend machen konnte. Ein vierter
Akt der großen geschichtlichen Handlung spielt sich in der Gegenwart
ab. In dem wirtschaftlichen Konkurrenzkampf werden die romanischen
Nationen auf der ganzen Linie zurückgeworfen, und da das Nerven-
system der Eisenbahnen und Telegraphen die Berührung und Verände-
rung des weltwirtschaftlichen Organismus an jedem Punkte zu einer allge-
meinen Empfindung bringt, so muß auch jedes bündnerische Dorf den
wirtschaftlichen Gesetzen, die das Ganze beherrschen, gehorchen.
Das große Alpengebiet des ehemaligen Rätiens kennt heutzutage
nur noch einige romanische Sprachinseln, die immer mehr in sich zu-
sammensinken. Auch ohne einen historischen Rückblick auf die Er-
eignisse der Vergangenheit zu werfen, kann uns dies eine genaue Orts-
karte lehren. Wenn wir die Blätter der schweizerischen Siegfriedkarte
durchsehen, welche das heutige deutsche Graubünden umfassen, so finden
wir dort zahlreiche rätoromanische Bezeichnungen von Bergen, Flüssen,
Thälern, Dörfern, Alpen und Wäldern als einen Ueberrest einer früheren
anderssprachigen Bevölkerung. Bei einem Vergleich der einzelnen Tafeln
bemerken wir eine große Abstufung in der Häufigkeit nichtdeutscher
Worte. Nehmen wir z. B. die Karte 417 mit dem Samnaun, welches,
wie wir wissen, erst in unserem Jahrhundert germanisiert worden ist,
so treffen wir nur auf ganz wenige deutsche Ortsbezeichnungen 1). Ver-
l) S. oben S. 414 [50].
65] Die Germanin erung der Rätoromanen in der Schweiz. 429
gleichen wir damit Blatt 419, „Davos", eine Gegend, die seit Jahr-
hunderten im Besitz der Deutschen ist, so finden wir dort die roma-
nische Bezeichnung nur als eine Ausnahme, z. B. Pischa, Ober-
Novai.
Die Abstufung in der Verbreitung deutscher und als Gegenstück
romanischer Ortsnamen wird aus folgendem Entwickelungsgang viel-
leicht am ehesten übersichtlich:
Die einwandernden Deutschen fanden je nach der Stärke der bis-
herigen romanischen Besiedelung detaillierte Ortsbenennungen vor,
welche zu ändern für sie, mochten sie nun Herren oder Knechte sein,
keine oder nur eine ausnahmsweise Veranlassung vorlag. Die Macht
der Tradition ist entscheidend, solange sich keine praktischen Bedürf-
nisse ihr entgegenstellen. Wie in der Vergangenheit, so ist es auch
heutzutage. Mir liegt der Anbauplan einer größeren Kaffeeplantage
in Deutsch-Ostafrika aus dem Jahre 1898 vor, deren Hauptteile wie der
Name des Ganzen die landesüblichen Bezeichnungen beibehalten haben.
So finden wir z. B. Sakarre-Rodung, vordere Manka-Rodung , erste
Msasa-Rodung links des Tinindibaches, Ngezi Berg. Allerdings daneben
auch einige deutsche Worte, wo bisher Bezeichnungen fehlten, z. B.
Hausberg, roter Hügel, runder Berg.
Der gleiche Vorgang wird sich auch bei der Kolonisation in der
Graubündner Vergangenheit vollzogen haben, wenn auch die Neube-
zeichnung als Ausdruck praktischen Bedürfnisses, z. B. bei der An-
legung von Höfen und Wegen, bei der Teilung von Alpen, Wäldern,
Feldern, Maiensässen, nach und nach entstanden sein mag. Nehmen
wir Blatt 413 des Siegfriedatlas zur Hand, auf dem die Walser-Nieder-
lassung Vals Platz verzeichnet steht, so haben wir dort südlich vom
Dorf die Selva Alp, also eine romanische Bezeichnung, aber innerhalb
derselben die deutschen Worte zur speziellen Angabe: Rossbodmen,
Staffelmättle , Ebene , Hohbühl u. s. w. Westlich, jenseits des Valser
Rheins, liegt die Alp Pedanatsch, und hier wiederholt sich für die ge-
nauere Ortskenntnis die Annahme deutscher Worte, wie Moos, Dach-
berg, Heuberge.
Wir haben bisher diejenige Nationalitätsveränderung eines Ge-
bietes berücksichtigt, welche durch Einwanderung verursacht worden
ist. Dieser steht — wenigstens rein logisch, wenn auch praktisch-
historisch beide Arten ineinander fließen — diejenige gegenüber, bei
der die Bevölkerung Sprache und Sitten ablegt und beides neu von
einem anderen Volksstamme annimmt. In diesem Falle kann das ganze
Wohn- und Wirtschaftsgebiet bereits detailliert mit Namen versehen
sein und die Ortsnamen sind dann vielleicht die konservativste Ein-
richtung im Lande, da für ihre Erhaltung die Ordnung des Verkehrs
spricht und das Bedürfnis zur Ergänzung zunächst wenigstens fehlt.
So ist es vermutlich mit dem Prättigau gewesen, dessen Reichhaltig-
keit an romanischen Namen heute nach 400jährigem Deutschtum noch
auffällig ist. Man werfe einen Blick auf Blatt 273 und 415 des Siteg-
friedatlas.
Wie nun auch immer die Nationalitätsverschiebung erfolgt sein
mag, im Verlaufe der Zeit fängt die nun herrschende Sprache an, die
Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde. XII. 5. 29
430 A. Sartori ue Frhr. v. Waltershausen, Die Germanisierang der Rätoromanen etc. [tf(>
alten Ortsnamen zu modifizieren. Entweder wird das alte Wort der
Sprachbequemlichkeit der Gegenwart entsprechend umgeformt oder es
entstehen zwei Bezeichnungen nebeneinander, nicht selten sind es nur
Uebersetzungen , von denep dann die ältere nach und nach ver-
schwindet.
Beispiele für den ersteren Vorgang sind Alvaneu statt Alvagne,
Schanfigg statt Scanfeig, Zillis statt Ziraun, Lenz statt Lansch, Remüs
statt Ramosch, Scanfs statt S'chanf, Zuz statt Zuoz. Beispiele für die
zweite Art sind Ochsenberg gleich Bovilan (Prättigau), Rheinwaldhorn
Piz Valrhein, Weifiensteinhorn gleich Piz Tomil (Vals), Stätzerhorn
gleich Piz Raschill, Oberalpstock gleich Piz Tgietschen.
Da die Sprache niemals in ihrer Bildung zum Stillstand kommt,
weil das Leben ewig wechselt, so geht der Germanisierungsprozeß der
Ortsnamen schrittweise weiter, und wenn die Philologen künftiger Zeiten
die heutigen Graubündner Karten nicht zur Verfügung haben sollten ,
so wird ihnen manches Wort als ein unlösbares Rätsel erscheinen, wie
den gegenwärtigen viele rätoromanische Bezeichnungen, von denen man
nicht weiß, ob sie keltischen oder tuscischen Ursprunges sind.
Es ist nicht unsere Aufgabe, in das Detail der Graubündner
Ortsnamenkunde einzudringen, sondern es sollte nur die eine Thatsache
nicht unbeachtet bleiben, daß die Verschiebung der Sprachgrenzen und
die Nationalisierung ganzer Gebiete zwar auch die Ortsnamen mit er-
greift, aber dabei ihre eigenen verschlungenen Wege wandelt. Die
Sprache folgt dem Leben, aber der Rückschluß von ersteren auf da»
letztere ist nur mit großer Vorsicht zu wagen.
IV. Kapitel.
Die Italiener in Granblinden.
Die italienisch sprechende Bevölkerung in der Schweiz, welche
als zusammenhängende Yolksmasse erstens in Tessin und in dem diesem
Kanton lokal sich anschließenden graubündnischen Amtsbezirke Moesa,
d. h. dem Mesocco- und Calancathal, zweitens im Bergeil, drittens im
Bezirk Bernina ihren Wohnsitz hat, und in dem sonstigen Gebiete der
Eidgenossenschaft nur zerstreut lebt, wird ihrem absoluten und relativen
Umfang nach aus folgenden Ziffern ersichtlich:
1
Zahl der
italienisch
Sprechenden
Gesamtbevölke-
rung der
Schweiz
Prozent der ita-
lienischSprechen-
den in d. Gesamt-
bevölkerung
Schätzung 1850
129333
28697
30239
161923
156606
155 130
2392740 Wohnb.
2510494 „
2655001 ,
2846102 .
2934057 „
2917754 „
5,4
5,7
5,3
5,3
f 1 RfiO
Haushaltungen <Jo°q
OrUanwesende /1880
Bevölkerung \1888
Wohnbevölkerung 1888 ... .
Der Anteil dieser Italiener an der Gesamtbevölkerung ist also
nur ein geringer. Von 1850—1880 hat er zu-, von 1880—1888 ab-
genommen. Da dieser letztere Vorgang auch mit den Zuständen Grau-
bündens in einem gewissen Zusammenhang steht, so sei auf ihn kurz
eingegangen. Eine oberflächliche Betrachtung der statistischen Ergebnisse
kann zu der Meinung verführen, daß der Ausfall an italienisch Sprechen-
den in direktem Zusammenhang mit dem Fortzug der Arbeitermassen
nach Italien aus denjenigen Kantonen stehe, durch welche die Gott-
hardbahn gelegt worden ist. Die Maurer und Taglöhner waren 1880
noch beschäftigt, aber bei der folgenden statistischen Aufnahme nicht
mehr, da inzwischen die Bahn vollendet und dem Verkehr übergeben
wurde. 1880 beherbergte Schwyz 1377, Uri 5313, Tessin 129409
(Ortsanwesende), 1888 hingegen waren nur dort 350, 184, 124502
(Wohnbevölkerung).
Diese Verminderung in den genannten Kantonen ist unbestreitbar,
aber es stammte nur ein Teil der fortgezogenen, wenn auch der größere,
432 A. Sartorius Freiherr v. Waltershausen, [68
aus dem Königreich Italien. Unter den Arbeitern befanden sich auch
Welsch tiroler , eine dritte Abteilung setzte sich aus Tessinern und
Graubündnern zusammen, so daß keineswegs alle in das Ausland zurück-
kehren konnten, und die schweizerische Bevölkerung verkleinern mußten.
Ferner giebt die schweizerische Ausländerstatistik folgende Ziffern:
1880 41530 Italiener aus dem Königreich (Ortsanwesende)
1888 41881 , , (Wohnbevölkerung).
Es ist mithin kein Ausfall, sondern eine Zunahme an Italienern
aus dem Königreiche zu konstatieren. Einzelne Kantone haben an
solchen verloren, andere haben gewonnen1). Die Bückwanderung mag
1882 groß gewesen sein, aber eine dauernde Zuwanderung hat in den
folgenden Jahren den Verlust mehr als ausgeglichen. Eine erhebliche
Vermehrung weisen namentlich die Kantone Zürich, Bern, St. Gallen
und diejenigen französischer Sprache auf.
Wenn also die Minderung italienisch Sprechender um 6793 Per-
sonen stattgefunden hat, so muß sie 1. auf die Welschtiroler oder
2. auf Tessiner und Graubündner entfallen, oder 3. durch Germani-
sierung oder Französierung hervorgebracht sein.
Ueber den ersten Punkt lassen sich keine statistischen Angaben
machen, da die Welschtiroler nur als Oesterreicher neben anderen
Angehörigen des Kaiserstaates in der Schweiz gezählt worden sind.
Ihre Ziffer wird nur wenige Hundert umfassen. Bezüglich des zweiten
lind dritten Punktes läßt sich der Nachweis erbringen, daß ungefähr
zu gleichen Quoten auf jeden der Ausfall zu verrechnen ist. In Tessin,
Bernina, Moesa und Bergeil lebten 1880 141024 der italienischen
Sprache Zugehörige (Ortsanwesende), 1888 hingegen 135970 (Wohn-
bevölkerung). Mithin ein Minus von 5054. Da nun 1880 1770 Italiener
aus dem Königreiche in dem genannten Gebiete mehr lebten als acht
Jahre später, so sind dieselben, da nur die veränderte Zahl der Inländer
betrachtet werden soll, in Abzug zu bringen. Der Verlust beträgt
mithin 3284. Er hängt mit der ungünstigen wirtschaftlichen Lage
dieser Gegenden zusammen, die freilich nicht überall die gleiche ist,
und bezüglich der Graubündner Landesteile noch eine weitere Be-
sprechung finden wird.
Daß eine Französierung und Germanisierung italienischer Schweizer
und Ausländer in vielen Kantonen Platz gegriffen hat, die sich darin
äußerte, daß dieselben bei der statistischen Aufnahme deutsch oder
französisch als ihre Muttersprache angegeben haben, läßt sich in der
Weise berechnen, daß man für jeden Kanton (Graubünden mit An-
*) Nach der Statistica della Emigratione italiana gingen nach der Schweiz :
1881 10245
1882 8476
1883 6348
1884 5509
1885 4583
1886 4346
1887 5 561
1888 6237
69] Die Germanisierung der Rätoromanen in der Schweiz. 433
schluß der italienischen Teile) die italienischen Ausländer und ange-
sessenen Tessiner (von den Graubündner italienisch Sprechenden in
anderen Kantonen der Schweiz mußte abgesehen werden, da diese nicht
statistisch erfaßbar sind, aber auch nur eine geringe Zahl ausmachen
dürften) ermittelt und mit der Summe der im Kanton italienisch
Sprechenden vergleicht. Ergiebt sich, daß die Zahl der ersteren größer
ist als die der letzteren, so dürfen wir auf eine Wandelung der
Nationalität schließen. Es zeigt sich für 1880 eine solche Differenz
von 5288 und für 1888 von 8603. Mithin hat in dem 8jährigen Zeit-
raum eine Nationalisierung von 3315 stattgefunden.
Als Resultat ergiebt sich, daß die 6793 aus der schweizerischen
Gesamtbevölkerung fortfallenden italienisch Sprechenden sich zusammen-
setzen aus:
1. 3284 Tessinern und Grau bündnern,
2. 3315 germanisierten und französisierten, bisher italienisch
Sprechenden.
6599.
Der geringe Rest von 194 besteht entweder aus fortgewanderten
Welschtirolern oder ursprünglichen graubündnerischen Italienern, welche
ihre Sprache verändert haben, (lieber den Wert des statistischen Ver-
gleiches s. oben S. 376 [12].)
Gehen wir nun des Näheren auf Graubünden ein. Die Sprach-
grenze zwischen dem italienischen Gebiete einerseits und dem romani-
schen und deutschen andererseits ist in dem vorhergehenden Kapitel
beschrieben worden. Es ist eine scharfe Linie, welche die Nationalitäten
absondert, nicht ein breiter Landstreifen mit Zweisprachigkeit. Sowie
man den Bernina-, den Maloja-, den San Bernhardinopaß überschreitet,
ist man in einem neuen Sprachgebiet. Da die Nationalitäten hier durch
eine natürliche Scheidewand getrennt sind, so ist die Verschiebung der
Sprachgrenze unwahrscheinlich. Es können Italiener vom Westen und
vom Süden in das Oberengadin einwandern, daß sie sich aber an den
Pässen ansiedeln werden, ist nicht anzunehmen.
Es ist auf S. 378 [14] eine statistische Uebersicht über die Verbrei-
tung der italienisch Redenden in Graubünden mitgeteilt worden, wobei die
Zahl der Ortsanwesenden zu Grunde gelegt wurde. Der Kanton zeigt
von 1880—1888 eine Zunahme von 981. Die beiden Amtsbezirke Bernina
und Moesa haben sie nicht bewirkt. Vielmehr ist bei ihnen ein Aus-
fall von 66 Personen vorhanden. Die sechs romanischen Bezirke, sowie
Hinterrhein und Heinzenberg haben sich auf ihrem Stand ungefähr ge-
halten (1880 593, 1888 583 Personen). Plessur hat ein Weniger von 52.
Ganz abgesehen davon, daß in diesen neun Bezirken eine Italienisierung
wegen der so geringen Minorität der Italiener ganz ausgeschlossen ist,
haben sie sogar einen Ausfall von 62 Ortsanwesenden.
Hingegen hat Maloja ein Plus von 207, Ober- und Unterland-
quart ein solches von 384 und 518. Maloja enthält den italienischen
Kreis Bergeil, allein hier hat sich die Zahl der der Landessprache
Angehörigen nur um 9 vermehrt, so daß auf das Oberengadin, dem
434 A. Sartorius Freiherr v. Walterahausen, [70
anderen Kreis von Maloja, 198 entfallen. Es läßt sich mithin die
Italienervermehrung durch Einwanderung erklären, welche im Ober-
engadin mit dem Aufschwung der Fremdenindustrie, in Landquart mit
dem Eisenbahnbau nach Klosters und Davos, bei dem italienische Arbeiter
Verwendung gefunden haben, zusammenhängt. Daß diese Einwanderung1
von 1100 Personen hauptsächlich aus dem Königreich stammt, zeigt
die Tabelle auf S. 394 [30], nach welcher die Wohnbevölkerung von
1888 ein Mehr von 873 gegenüber den Ortsanwesenden von 1880 auf-
weist. Die ortsanwesenden Fremden aus Italien haben jedenfalls 1888
eine noch größere Ziffer umfaßt.
Eine Italienisierung der Romanen in Graubünden ist, soweit unsere
bisherigen statistischen Untersuchungen reichen, völlig ausgeschlossen.
Die Hauptzunahme der* Italiener hat in einem ganz deutschen Ge-
biete stattgefunden und zwar als eine überwiegend vorübergehende
Erscheinung. Die fremden Arbeiter leben für sich und sind ohne
dauernden sozialen Einfluß, so daß sie eher nationalisiert werden, als daß
sie selbst nationalisieren. Die Einwanderung im Engadin setzt sich über-
wiegend aus Dienstboten, Straßenarbeitern, Maurern, Hirten und einigen
Handwerkern zusammen, die sowohl ihrer kleinen Anzahl wegen, als
auch wegen ihrer niederen gesellschaftlichen Stellung als Verbreiter
ihrer Muttersprache durchaus ungeeignet sind.
Es ist denkbar, daß die in Moesa, Bernina und Bergell einge-
wanderten Romanen, welche hauptsächlich Taglöhner und Dienstboten
sind, in dem dortigen Italienertum aufgehen. Sicher ist, daß sie rasch
die Landessprache erlernen, ob sie aber ihre Nationalität aufgeben, ist
statistisch nicht zu ermitteln. 1880 waren 186 Ortsanwesende und
1888 189 Einwohner in dem genannten Gebiete Romanen. Ihre Ziffer
ist also zu gering, um eine erhebliche Wirkung der Nation alitäts Ver-
änderung hervorzubringen. Nicht wenige von ihnen sollen auch nach
ein- oder mehrjährigem Aufenthalt in die Heimat zurückkehren.
Auf Grundlage persönlicher Beobachtung habe ich die Ueber-
zeugung gewonnen, daß deutscher Einfluß in dem italienischen Grau-
bünden nicht in Abrede zu stellen und seit einigen Jahren in der Zu-
nahme begriffen ist. Im Puschlav wie im Bergell ist der steigende
Fremdenverkehr zu berücksichtigen, dann die deutsch demokratische
Politik, die vermittelst Zeitungen und Korrespondenzen von Chur und
von Zürich aus bis in diese Thäler ihre Schwingungen verbreitet. In
den Oberklassen der Volksschule wird sowohl in Poschiavo, wie in
Stampa, Vicosoprano, Casaccia, Maloja Kulm Unterricht im Deutschen
erteilt. Das Gleiche gilt von der Realschule in Stampa. Die Kinder
in wohlhabenden Familien besuchen auch jahrelang die Kantonsschule
in Chur oder die landwirtschaftliche Anstalt Plantahof bei Landquart
und kehren des Deutschen völlig kundig zurück, das sie während des
Militärdienstes dann später aufzufrischen Gelegenheit haben. Eine Reci-
procität in der deutschen Volksschule bezüglich der Erlernung des
Italienischen giebt es nicht, und auch die sonstigen genannten Ver-
hältnisse sind durchaus einseitiger Natur. In den größeren Ortschaften
des Bezirkes Bernina und des Kreises Bergell sprechen heutzutage
die meisten jüngeren erwachsenen Männer, sowie auch eine Anzahl
71] Die Germamsierung der Rätoromanen in der Schweiz. 435
Frauen deutsch, die Bauern hingegen beharren bei ihrem gewohnten
Dialekt.
In Moesa mit den drei Kreisen Roveredo, Calanca, Mesocco liegen
die Verhältnisse etwas anders. Es ist hier weniger Wohlstand vor-
handen, so daß die Zahl derer, welche in Chur oder in der deutschen
Schweiz höheren Unterricht genießen können, geringer ist. Auch geht
die Volksschule im Deutschen kaum über die Anfangsgründe hinaus.
Der Fremdenverkehr ist unbedeutend, namentlich im Calancathal, welches
einen Fahrweg nur etwa bis zu seiner Mitte hat, während durch das
Misox die Alpenstraße zum Bernhardin führt. Wenn dennoch im ganzen
Amtsbezirk zahlreiche Männer, auch minderer Bildung, deutsch sprechen,
so erklärt sich dies aus der temporären Auswanderung vieler Arbeiter
nach Deutschland und nach der deutschen Schweiz. Die Frauen bleiben
durchweg zu Hause, und daher findet man unter ihnen auch nur aus-
nahmsweise solche, welche die deutsche Sprache beherrschen.
Die Bewohner des italienischen Oraubündens sind durchweg gute
Schweizer. Sie haben nicht die geringste Neigung dazu, Angehörige
des südlichen Königreichs zu werden. Das wirtschaftliche Interesse
spricht schon dagegen, da Steuerlast und Militärdienst dort weit drücken-
der sind als in der Eidgenossenschaft. Dann haben diese Leute einen
gewissen Zug der Internationalität an sich, da viele von ihnen als
Geschäftsleute oder Arbeiter lange in Frankreich, Deutschland, Spanien,
England gelebt haben. Die Republik ohne monarchische Tradition und
mit weitgehender politischer Selbstbestimmung ist ihnen daher sym-
pathisch. Es ist ihnen die bundesstaatliche Politik durchaus nicht gleich-
gültig, und da diese von der nationalen Vormacht des Landes, den
Deutschen, im wesentlichen getragen wird, so unterliegen sie auch inso-
fern deren Beeinflussung.
Daß auch das Wirtschaftsleben der deutschen Kantone sich hier
südlich der Alpen mehr geltend macht als dasjenige Italiens, wird im
nächsten Kapitel noch des näheren gezeigt werden. Auch daraus wird
man den Schluß ziehen können, daß das Deutschtum hier langsam
aber sicher Wurzel zu fassen beginnt.
Für die Beurteilung der Zukunft des Rätoromanentums ist alles
dies nicht unwichtig. Dasselbe findet keinen Rückhalt zum Fortbestehen
in den Angehörigen einer verwandten Sprache, die mit ihm denselben
Staat bewohnen. Denn diese sind selbst ihrer Nationalität nicht mehr
vollkommen sicher. Darum auch wird man nicht glauben dürfen, daß
sie jemals imstande sein würden, sich den Rest der Romanen zu
assimilieren. Diese sind vielmehr ausschließlich dem deutschen Wesen
oder der maßgebenden Kultur des Landes verfallen.
V. Kapitel.
Die wirtschaftlichen Interessen nnd der Rückgang des
Romanentums.
Daß das 19. Jahrhundert seine Eigenart den wirtschaftlichen
Umwälzungen und zwar an erster Stelle den Veränderungen des Trans-
portverkehrs verdankt, ist eine Thatsache, die man wie an der Welt-
wirtschaft ebenso auch an dem Leben und Treiben in einem bündnerischen
Dorfe zu beobachten Gelegenheit hat. Haben sich hier Verkehrswirt-
schaft und Kapitalismus auch in anderer Weise eingebürgert als in
den Bezirken der englischen Baum Wollindustrie oder als in den Eisen-
und Eohlengegenden des Rheinlandes, dies Resultat ist das gleiche,
daß jetzt Gunst oder Ungunst jedes individuellen wirtschaftlichen Er-
werbes von demjenigen der gesamten Volkswirtschaft, ja drüber hinaus,
von demjenigen fremder Völker in Abhängigkeit geraten ist.
Im Anfang unseres Jahrhunderts wirtschafteten die Graubündner
Bauern noch vorwiegend in der Betriebsweise der Eigenproduktion,
d. h. bei weitem das meiste von dem, was sie verbrauchten, war durch
die eigene Wirtschaft in natura erzeugt worden. Dahin gehörten zu-
nächst die Lebensmittel, die Produkte des Landbaues und der Vieh-
zucht. Der Landwirt und Hirt war aber auch Metzger und Zimmer-
mann, im Winter verfertigte er Milchgeschirre, Schlitten, Holzschaufeln,
Griffe und Stiele zum eisernen Handwerkszeug *). Die Wohnung er-
richtete er aus eigenem Material mit Unterstützung seiner Nachbarn.
Der Flachs seiner Felder wurde im Hause gesponnen, die Leinewand
dort gewoben, die Wolle der eigenen Schafe zu einem festen, rauhen
Tuche verarbeitet. Die Frauen schneiderten es zu Anzügen zurecht,
sie strickten Strümpfe, Kappen, auch Beinkleider und Röckchen für die
Kinder. Die Hausfrau mahlte das Getreide, buk das Brot, trocknete
Fleisch in der Gebirgsluft, bereitete Käse, fertigte Salami für den
Winter bedarf. Die Viehhäute gingen in die größeren Dörfer zum
Gerber und kamen dann zum Bauern zurück, ein Schuster ging von
Haus zu Haus, „auf den Stör", d. h. machte für alt und jung das
Schuhwerk aus dem dort gelagerten Rohstoff
l) Der neue Sammler, ein gemeinnütziges Archiv für Bünden, heraus-
gegeben von der ökonomischen Gesellschaft, Chur 1805—1812, Bd. I, S. 542,
II, S. 443, III, S. 47, IV, S. 140, VII, S. 199 u. 250.
73] A.Sartoriu8Frhr.v. Waltershausen, Die Germanisierung der Rätoromanen etc. 437
Einige Ware wurde von auswärts bezogen, für den Hausbau Nägel
und Schrauben, das Handwerkszeug, Farbe, Butzenscheiben, Schlösser.
Für das Gebiet des Innthales kam dergleichen aus Italien, aus Chur für
dasjenige des Rheines. Ferner wurden aus Tirol das Salz, der Wein
aus dem Veltlin eingeführt. Reis, Kastanien, Tabak, Branntwein, Kaffee
waren für die Wohlhabenden in den größeren Thalorten gelegentlich
importierte Luxusgüter, welche der Süden lieferte. In den hochgelegenen
Bergdörfern lebte man viel einfacher, aber da man hier sich über der
Getreidegrenze befand, war man genötigt, das Mehl gegen Butter, Käse
und Wolle umzusetzen.
Die Geldwirtschaft war erst in ihren Anfängen vorhanden. Der
Verkehr vollzog sich überwiegend noch in der Form des Naturaltausches.
Die Unterengadiner verhandelten Butter und Käse gegen Veltliner Eisen
und Getränke, rohe Schaffelle gegen Topf- und Glaswaren, Gerste und
Roggen gegen Prättigauer gedörrtes Obst und Jungvieh, Getreide
gegen Tiroler Salz. Die Averser brachten Häute und Wolle nach
Cläfen und tauschten dort Wein und Metallwaren dafür ein, die Davoser
und Oberländer trieben einmal im Jahr ihr Vieh auf italienische Märkte,
um im Tausch den ganzen Bedarf an fremden Produkten zu decken.
Hausierer zogen zur Sommerszeit durch die Dörfer, um Handwerks-
zeug und Schmucksachen gegen Lebensmittel abzusetzen *).
Im Verlaufe unseres Jahrhunderts haben sich diese Verhältnisse nach
und nach verändert, in wirklich auffälliger Weise aber doch erst in
den letzten 30 Jahren. Die geographische Gestaltung des Landes, der
Mangel an schiffbaren Strömen, die hohen Bergketten, welche Thal
von Thal trennen, *die Schwierigkeit des Wegbaues zwischen oberer
und unterer Thalsohle, die langen Winter, welche die Pässe mit Schnee
bedecken und verschließen, die kurzen Sommer, welche die Dorfbewohner
über die Alpen zerstreuen, die Dörfer veröden lassen, wenn der Ver-
kehr von außen her am leichtesten stattfinden könnte, dies alles war
ein Bollwerk für ein äußerst konservatives Wirtschaften.
Daß die geschilderten Zustände des isolierten Dorflebens früherer
Zeit für die Erhaltung alter Sitten, der hergebrachten Lebensanschauung,
der gewohnten Sprache in hohem Grade günstig waren, ist sehr be-
greiflich. Die Bäuerinnen und die Kinder verließen selten oder nie
ihr heimatliches Dorf, die Männer, wenn auch keineswegs alle, be-
suchten wohl jährlich einmal den Markt in Chur, Thusis, Ilanz, Cläfen,
Lugano, kehrten aber baldigst heim, ohne einen nachhaltigen Eindruck
von der fremden Kultur empfangen zu haben. In den romanischen
Landesteilen fehlte daher im allgemeinen das wirtschaftliche Bedürfnis
für die Erlernung des Deutschen. Nur diejenigen, welche im Dienste
des Transitwesens regelmäßig nach Thusis und Chur kamen, machten
eine Ausnahme ebenso wie die, welche zeitweise nach Deutschland aus-
wanderten.
l) Der neue Sammler a. a. 0., I, 542; Das Engadin, 1837, a. a. 0.,
S. 107 u. 126. Daselbst auch Näheres, wie im Tauschverkehr gerechnet wurde.
Ueber den geringen, in neuerer Zeit noch bestehenden Tauschhandel vgl. Volks-
wirtschaftliches Blatt für den Kanton Graubönden, 1878, Nr. 7, 1888, Nr. 10.
438 A. Sartoriu8 Freiherr v. Waltershausen, [74
Die wirtschaftlichen Verhältnisse haben sich nun im Verlauf des
19. Jahrhunderts in der Weise verändert, als erstens die Eigenproduktion
mehr und mehr eingeschränkt worden ist, was zuerst und vor allem
in den Hauptthälern und größeren Ortschaften stattgefunden hat, und
die verkehrsmäßige oder Warenproduktion an ihre Stelle getreten ist;
als zweitens, was damit Hand in Hand gegangen ist, der Naturaltausch
der Geld Wirtschaft fast ganz gewichen ist; als drittens die kapitalistische
Betriebsweise die entscheidende Form des Wirtschaftslebens geworden ist.
Graubünden besaß im vorigen Jahrhundert nur eine völlig aus«
gebaute Straße, die für jederlei Gefährt passierbar war, die Reichs-
straße, welche von Chur aus nördlich zur St. Gallenschen-Lichtenstein-
schen Grenze führte. Die sonstigen vorhandenen Thalstraßen waren
nur mit Wägelchen befahrbar, gingen von Dorf zu Dorf, ohne plan-
mäßige Anlage bergauf und bergab und wurden nur notdürftig von
den Gemeinden erhalten. Die Bergpässe waren im Sommer für Saum-
tiere gangbar, im Winter auch für kleine Fahrschlitten, solange es
möglich war die Schneemassen zu durchbrechen. Heute umfaßt das
bündnerische Straßennetz 25 Chausseen, an die sich noch eine Anzahl
Lokalstraßen anschließt; es hat eine Länge von 977 km, rund 17 Millionen
Baukosten erfordert, und beansprucht zur Erhaltung einen jährlichen Auf-
wand von 450000 Frs. *). Die Straßen durchziehen alle bedeutenden Thäler,
verbinden dieselben vermittelst der Paßübergänge und haben an der
Kantonsgrenze Anschluß an die wichtigen Verkehrswege der anliegenden
Staaten. Ein Blick auf die Karte zeigt uns, daß die beiden Haupt-
thäler des Landes das des Inns und das des Rheins sind. In dem
ersteren liegt die Engadinerstraße, Silvaplana-Mttrtinsbruck , gebaut
1846—1865, an die sich in südwestlicher Verlängerung anschließt die
Route von Silvaplana nach Maloja und durch das Bergell nach Castasegna
(d. h. ein Teil der sogen, oberen Straße, geb. 1820 — 1840). Bei letzterem
Ort ist die italienische Grenze auf dem Wege nach Chiavenna-Comersee
erreicht, bei Martinsbruck die österreichische, hinter welcher der Ort
Nauders, an der Landeck-Meraner Poststraße liegt. Der Engadin hat
zwei weitere Zugänge vom Südosten: die Berninastraße, Samaden-
Campo Cologno (1864/65) und die über den Ofenpaß Zernetz-Münster
(1871/72), ferner drei Zugänge vom Nordwesten: über den Julier (obere
Straße 1820—1840), den Albula (1856-1865) und den Flüela (1867).
Mehrere am Berghang gelegene Ortschaften des Unterengadins haben
Verbindung mit der Hauptlinie im Thal, durch die Guarda- (1869), Vul-
pera- (1862), Tarasper- (1873), Fetaner- (1865—1892), Sentner- (1865),
Schieinser- (1865) und Remüserstraße (1866).
An den Rhein schließen sich folgende Chausseen an. Die alte
Reichsstraße von Chur stromabwärts wurde bereits erwähnt, als Seiten-
straße hat sie erstens die Prättigauer, Landquart-Davos (1843 — 1860) mit
Anschluß zum Flüela; zweitens die Schanfigger, Chur-Langwies (1874 bis
1876) und Langwies- Arosa (1888—1891). Von Chur stromaufwärts führt
die Route nach Reichenau, wo Vorder- und Hinterrhein zusammenfließen.
!) M. Caviezel, Daa Engadin a. a. O., S. 171—176. Dieser Quelle sind
auch die Baujahre entnommen.
75] Die Germanisierung der Rätoromanen in der Schweiz. 439
Im Vorderrheingebiet liegt die Oberländerstraße Reichenau-Disentis (1842
bis 1855) und die Oberalpstraße Disentis-Oberalppaß (1880/1881). Seiten-
resp. Anschlußwege sind die von Bonaduz-Versam nach Ilanz führende
(1880/1881) nebst die im Safierthal (1882—1885), ferner die Lugnetzer-
straße Ilanz- Vals (1872 — 1879) und Lukmanierstraße, Ilanz-Paßhöhe des
Lukmaniers (1877), welche nach Bellinzona im Kanton Tessin hinüber-
führt. In das Gebiet des Hinterrheins gehören die Verbindungen Reichenau-
Thusis-Schamserthal-Splügen , von wo Anschluß nach Chiavenna und
Splügen-Bernhardin-Val Mesocco, also bis zur Grenze des Kantons Tessin
(1818 — 1840). Von letzterer Hauptlinie bei Roffla zweigt die Averser-
straße (1891 begonnen) von Grono die Straße in das Calancathal ab;
Thusis und Tiefenkastell verbindet die Schynstraße (1869). Von dem
letzteren Ort gehen aus: 1. die Julierstraße durch das Oberhalbstein (s. o.),
2. die Albulastraße via Lenz-Bergün (s. o.), 3. die alte Route nach Chur
über die Lenzerheide (1820 begonnen), 4. die Straße nach Davos via
Alveneu (1871—1873).
Mit Eisenbahnen ist Graubünden bisher noch schlecht versorgt.
Es ist seit 1857 die Strecke Chur -St. Galler Grenze im Betrieb, die
allerdings äußerst wichtig geworden ist, da sie die Verbindung mit
dem Bodensee im Norden, mit Zürich im Westen, mit Oesterreich (Arl-
berg) im Osten vermittelt hat. Mit der rätischen Bahn kann sowohl
Davos von Landquart (seit 1889) aus, als auch Thusis von Chur aus
erreicht werden (seit 1897). In den nächsten Jahren werden zwei
neue Routen entstehen, die eine wird von Thusis durch das Albulathal
nach Bevers im Oberengadin, die zweite von Bonaduz ins Vorderrhein-
thal nach Ilanz und Disentis geführt werden. Wenn die Engadiner
Linie über Maloja in das Bergell verlängert sein wird, wird Grau-
bünden eine Alpenbahn besitzen, zu welcher auch der Splügen und
der Lukmanier früher ins Auge gefaßt worden sind, bis der Bau der
Gotthardbahn diese Pläne vereitelte.
Der Transport- und Nachrichtenverkehr auf den genannten Wegen
hat eine bedeutende Förderung erfahren, erstens durch das anerkannt
vorzügliche eidgenössische Post- und Telegraphenwesens, und zweitens
durch das in Pferden und Fuhrwerken angelegte Kapital der Privaten.
Die Graubündner Kutscher genießen einen über ihr Land hinausgehenden
Ruf und werden als Spezialisten für Alpenstraßen auch in anderen
Kantonen gesucht.
Das Bündner Verkehrsstraßennetz hat viele der isolierten Privat-
wirtschaften und Gruppen solcher im Lande in die Lage versetzt, eine
enge geschäftliche Verbindung untereinander einzugehen, und zugleich
mit dem Auslande und der übrigen Schweiz Beziehungen anzuknüpfen,
die früher undenkbar gewesen wären. Der uns dabei hier besonders
interessierende Punkt ist der, ob die Nationalitäten dadurch eine Ver-
änderung in ihrer Zusammensetzung und ihren Kräften erfahren haben,
genauer ob das Romanentum geschwächt worden ist, das Deutschtum
und Italienertum gewonnen haben, und welches von diesen beiden im
stärkeren Maße?
Im ersten Viertel unseres Jahrhunderts wurde das Wirtschafts-
leben der Romanen im Innern Graubündens durch fremde Länder be-
440 A. Sartorius Freiherr v. Waltershausen, [76
rührt: 1. bei dem oben erwähnten quantitativ wenig bedeutenden
Handel zur Ergänzung der Eigenproduktion, 2. durch den Transitver-
kehr über den Splügen, Bernhardin, Fluela, Bernina und Septimer.
Das Mesocco- und Calancathal waren, um mit dem ersten Punkt
zu beginnen, wie auch heute von dem Thalmarkte Bellinzona abhängig,
also von einem italienisch sprechenden Orte, das Engadin, das Pusch-
lav, das obere Prättigau hatten den Hauptviehmarkt1) in dem damals
österreichischen Tirano, wo die Verkehrssprache ebenfalls italienisch
war, das Avers, das Bergeil, das Oberhalbstein mit seinem Septimerweg
handelten ganz nach Chiavenna hin, ja selbst die Schamser und Ober-
länder Bauern bis Flims hinunter verkauften ihr Vieh auf Märkten
italienischer Zunge, namentlich in Lugano. Der Verkaufsmarkt war
für sie auch ein Einkaufsmarkt. Der Transitverkehr über die Bündner
Pässe, der im 17. Jahrhundert den Warentransport von dem westlich
von Lindau gelegenen Deutschland und von Holland nach Mailand, Genua
und selbst nach Venedig besorgte, litt schon im 18. unter der Konkurrenz
des Brenners und des Gotthards, welche beiden Pässe, im 19. Jahrhundert
mit Eisenbahnen versehen, ihn auf ein Minimum zurückgeführt haben.
Es verdienten an ihm die Säumer vom Domleschg und Schamserthal,
welche infolge ihres Gewerbes deutsch und italienisch verstehen mußten ;
bei dem Verkehr mit Veltliner Wein die Davoser und Engadiner,
welche ihre Saumtiere über den Bernina-, Fluela- und Scalettapaß
trieben.
Das Samnaun, die östlichen Orte des Unterengadins, das Münster-
thal hatten schon damals mancherlei Beziehungen zu Tirol, und Pfunds,
Nauders und Mals waren für die genannten Thäler wichtige Märkte,
deren Zugang allerdings durch das österreichische Zollwesen schon
damals erschwert wurde. Die nördlichen Teile Graubündens, die Be-
zirke Ober- und Unterlandquart, Plessur, Imboden und Heinzenberg
lebten in wirtschaftlichen Beziehungen zu der Hauptstadt und durch die
Vermittelung derselben zu der deutschen Ostschweiz und zu Deutschland.
Durch den Straßenbau und weiterhin durch den Eisenbahnbau hat
sich der wirtschaftliche Verkehr in den drei Zonen unter italienischem,
österreichischem und deutsch-schweizerischem Einfluß quantitativ
außerordentlich gehoben , jedoch in den beiden letzteren in relativ
stärkerem Maße. Die Waren konnten jetzt weit billiger als früher
transportiert werden, wodurch einerseits fremde Produkte im Lande zu
geringerem Preise zu haben waren, andererseits die Landeserzeugnisse
weiterhin nutzbringend zu verschicken waren. Daß der Verkehr mit
dem nördlich gelegenen Gebiete einem besonderen Aufschwünge ent-
gegeneilte, erklärt sich erstens daraus, daß die industrielle Entwickelung
in der deutschen Schweiz und in Deutschland so rasch fortgeschritten
ist, zweitens dadurch, daß die einzigen Eisenbahnen des Landes
ihr Vorschub geleistet haben. Zu Gunsten der Verbindung mit der
deutschen Ostschweiz ist auch auf das Zollwesen hinzuweisen. Die
Eidgenossenschaft ist ein einheitliches Zollgebiet, das die eigene Pro-
duktion bevorzugt und deren Absatz im Inlande zu fördern bestrebt
') Das Engadin a. a. 0., S. 121.
77] Die Germanisierang der Rätoromanen in der Schweiz. 441
ist. Diese Tendenz trat in den fünfziger und sechziger Jahren weniger
hervor als in den letzten zwei Dekaden des 19. Jahrhunderts, in welchen
die die Schweiz umgebenden Großstaaten, unter sich in scharfer Kon-
kurrenz befangen, dem Schutzzollsystem sich in verstärkter Weise zu-
wandten und jene in dieselben Bahnen drängten. Dieselben Ursachen,
welche es bewirkt haben, daß die Verkehrssteigerung von Norden aus
diejenige von Süden her überwogen hat, haben es nun auch mit sich
gebracht, daß sich die Yerkehrszonen selbst verschoben haben. Die
Einfuhr nach und die Ausfuhr von Italien besteht im Süden Grau-
bündens ja auch heute noch fort, namentlich wird das Bergell, das
im Süden nur an Italien sich anschließt, bezüglich der Lebensmittel
davon berührt, das Mesocco- und das Calancathal hingegen sind in eine
gewisse Abhängigkeit von der Gotthardbahn geraten, die zwar die Be-
ziehungen nach Italien auch erleichtert, aber diejenigen zu der Nord-
schweiz eigentlich erst ermöglicht hat. Der Markt für den Bezirk
Moesa ist wie früher auch Bellinzona, aber hier, wenn wir Wein, Oel,
Eonserven und einige andere Lebens- und Genußmittel ausnehmen,
beziehen die meisten Kaufleute ihre Ware aus dem Norden und ger-
manisieren den Konsum. Das Puschlav, früher wirtschaftlich nicht
viel mehr als ein Annex zum Veltelin, kauft heute auch von Chur und
der deutschen Schweiz Eisenwaren und Kleidung, die entweder unter
Zollverschluß per Gotthard- und Veltelinerbahn oder über Davos, Fluela-
und Berninapaß geschickt werden. Nach Eröffnung der Bahn durch
das Albulathal werden diese Verkehrsbeziehungen noch verbessert und
Italien wird noch mehr zurückgedrängt sein.
Wenn so die südlichen Alpenthäler schon zu einer Konkurrenz-
zone geworden sind, in der sich die Waren aus dem Norden und dem
Süden begegnen, so muß der Einfluß des ersteren in dem Centrum
Graubündens noch unvergleichlich mehr hervortreten. Seitdem die Bahn
bis Thusis vollendet worden ist, ist das Albulathal und Schamser-
thal ganz, das Oberhalbstein und Avers und das Engadin zum
größten Teil dem südlichen Warenzug entfremdet worden. Tiefen-
kastell liegt in der deutschen Zone, da nur der kurze und nicht hohe
Schynpaß den Ort von Thusis trennt, auch die beiden Straßen von
Chur und Davos das ihrige beitragen. Das obere Albulathal und die
hoch über ihm liegenden Orte wie Lenz, Obervatz, Alvaschein sind
bezüglich ihres Verkehrs ebenso zu beurteilen. Das Schamserthal ist
durch den Markt und die Handlungshäuser von Thusis dem Einfluß
von Chiavenna gänzlich entrückt worden, und mit dem Avers wird es
bald dasselbe sein. Das Mehl beziehen die Leute von Cresta z. B. heute
schon mehr aus Thusis, wo auch das Vieh verkauft wird, als aus
Chiavenna, von wo es früher allein kam, und die Industrieprodukte
werden nur noch ausnahmsweise aus Italien genommen. Das Ober-
halbstein ist in seinem unteren Teil »unter dem Wald", d.h. ungefähr
bis Tinzen, also einschließlich der Orte Conters und Schweiningen, in
der nördlichen Warenzone gelegen; es wird nicht mehr wie ehedem
italienisches, sondern österreichisches Mehl konsumiert, das via Arl-
berg bis Thusis mit der Bahn transportiert wird. Italienischer Wein
kommt noch überwiegend über den Maloja; falls die Bahn über den
442 A. Sartoriu8 Freiherr v. Waltershausen, [78
Schyn vollendet sein wird, wird es billiger sein ihn über den Gotthard
und die deutsche Schweiz zu spedieren, und Gastwirte und Bauern des
Thaies werden dann auch durch Churer, Thusiser, Züricher Weingroß-
handlungen ihren Bedarf decken lassen. Das Oberhalbstein ob dem
Wald, namentlich in seinen dem Bergell nahe gelegenen Orten Bivio
und Marmorea, ist zur Zeit (1898) noch geschäftlich mehrfach mit
Chiavenna verbunden. Italienische Scheidemünze läuft hier ziemlich
viel um, welche, obgleich unterwertig gegenüber der schweizerischen,
doch genommen wird, weil sie auf dem südlichen Markte zur Ver-
wendung zu bringen ist. Zwischen dem unterhalb der genannten Orte
liegenden Mühlen (Molins) und dem Bergell verkehrt zum Warenhandel
wöchentlich ein Fourgon von fünf Pferden gezogen. Aber auch hier
ist der Handel mit der deutschen Schweiz in der Zunahme begriffen.
Bis Castasegna im Bergell hinunter gehen Werkzeuge, Hausgeräte,
Kleidung und Möbel, während Wein, Oel, Getreide, Gemüse, Konserven
aus Chiavenna und Mailand über die Grenze gehen und bis Maloja hinauf
verkauft werden.
Betrachten wir nun das Engadin. Ehe der Chausseebau existierte,
war es ein von der Welt ziemlich abgeschlossenes Thal, das in seinem
östlichen untersten Teil mit Davos und Tirol eine lose Handelsver-
bindung unterhielt und im oberen westlichen mit dem Bergell und
Veltelin dürftige Fühlung hatte. Gegenwärtig haben die drei vom
Norden kommenden Alpenstraßen, über den Julier, Albula und Fluela
vielfache und regelmäßige Beziehungen zu Chur resp. Thusis geschaffen,
welche quantitativ, d. h. in Bezug auf den Verkehr der Reisenden und
mit Waren, denjenigen von Nauders her, den aus dem Bergell und
Puschlav bedeutend übertreffen. Gemüse und Obst, besonders für die
Fremdensaison, auch Fleisch, weniger schon den Wein liefert der Handel
über den Maloja- und Berninapaß, auch hat der Viehmarkt in Tirano
immer noch seine Bedeutung für die Engadiner Bauern, und es hat
auch die Gotthardbahn durch die Anschlußroute Chiasso-Lecco-Chiavenna
das Transportgeschäft im Bergell, z. B. durch die Versendung deutscher
Steinkohlen, um einiges gehoben, aber alles dies tritt zurück gegenüber
der Ueberlegenheit der nördlichen Wirtschaftsgebiete, welche durch
die genannten Alpenstraßen und die rätische Bahn im Engadin sich
geltend macht. Das meiste von dem, was die Fremdenindustrie ver-
langt, mancherlei Lebensmittel, wie feineres Fleisch, Wild, Geflügel,
Fische, Kolonialwaren, Getränke, Tabak, Höteleinrichtung, Fuhrwerke,
ferner die vielerlei Materialien zum Hausbau, das Mobiliar, Konfektion
und Luxusgüter stammt aus der deutschen Schweiz und Deutschland,
einiges auch aus Oesterreich, von wo es die Arlbergbahn nach Chur
gebracht hat. In Martinsbruck geht nur wenig ein, etwas Tiroler
Wein und Tiroler Früchte, Industrieware aber fast gar nicht. Churer
Ware dieser Art geht sogar über den Ofenpaß in das Münsterthal und
in das Puschlav über den Bernina. Die künftige Bahn von Thusis
nach Bevers wird diesen Handel noch verstärken, und wenn die Linie
später über Maloja nach Chiavenna fortgesetzt werden wird, so wird
auch Italien als Exportland davon seinen Vorteil haben, aber es ist frag-
lich, ob es der industriellen Kraft des Nordens gewachsen sein wird.
79] Die Germanisier ung der Rätoromanen in der Schweiz. 443
Noch andere Wirkungen der weltwirtschaftlichen Entwickelung
unserer Zeit lassen sich bis in das Quellgebiet des Inns verfolgen, wenn
sie auch weniger deutlich hervortreten als die bisher genannten. Die Ber-
gamasker Schafherden z. B. mit ihren italienischen Hirten, welche im
Sommer kommen um die Engadiner Hochalpen abzuweiden und im Herbst
nach Italien zurückkehren, nehmen sichtlich an Zahl und Umfang ab. Der
Import überseeischer Wolle hat den Norditalienern die Schafzucht
weniger rentabel gemacht, und der hohe Zoll Frankreichs, in welchem
Lande früher ein großer Teil norditalienischer Wolle verkauft wurde,
hat in gleicher Richtung gewirkt. Wie der Rückgang der Eigen-
produktion des Bündner Tuches, um noch eine weitere Wirkung her-
vorzuheben, durch den heute auf dem Weltmarkt bestimmten Woll-
preis berührt worden ist, wird noch gezeigt werden. Den Vorteil der
Veränderung werden sich allein die Churer Händler des in Fabriken
hergestellten Tuches und ihre Lieferanten berechnen können.
Auch das Bündner Oberland ist durch den Straßen- und Eisen-
bahnbau dem Einfluß des deutsch- schweizerischen Wirtschaftsleben
unterworfen worden, allerdings nicht in der Weise, als man nach der
guten Ausgestaltung des oberländischen Verkehrsnetzes erwarten sollte.
Der Einfluß von Chur ist natürlich unverkennbar und wird selbstver-
ständlich noch stärker werden, wenn die Eisenbahn bis Ilanz und
Disentis in Betrieb gesetzt sein wird. Die Oberalpstraße hingegen,
welche die Verbindung mit Uri und dem Tessin herstellt und an die
Gotthardbahn bei Göschenen einen Anschluß findet, hat heute eine
geringere Bedeutung als vor der Erstellung der Gotthardbahn. Die
Reisenden, welche vom Engadin, Chur, Thusis, Ragaz aus Orte nörd-
lich und südlich des Gotthards besuchen wollen, fahren heute billiger
und schneller über Arth und Luzern mit der Bahn als auf dem langen
Wege durch das Vorderrheinthal. Noch mehr hat die Lukmanierroute
durch die Konkurrenz der Gotthardlinie gelitten. Sie vermittelte früher
einen lebhaften Verkehr der Ostschweiz mit Bellinzona und Lugano
über den nur 1917 m hohen Paß, während der Splügen mit der Höhe
von 2117, der Bernhardin mit 2063, der St. Gotthard mit 2114 m ihr
gegenüberstanden. Mit dem Bau der Thalbahn bis Disentis hat der
Lukmanier wiederum mehr Chancen des Gedeihens; die Oberalpstraße
wird aber auch dann, wie heute, nur einem beschränkten Lokalverkehr
dienen, vielleicht jedoch dem Touristenverkehr etwas mehr als heute
wert sein.
Aus den bisherigen Ausführungen ergeben sich für die Ver-
schiebung der nationalen Kräfte in Graubünden einige Schlußfolgerungen.
Die Verkehrsinteressen des ganzen Landes sind mit dem Deutschtum
aufs engste verknüpft worden und mit Italien im Nachlassen begriffen.
Zum Bezug der meisten Waren, die gebraucht werden, zu Zahlungen,
zu Anfragen u. s. w. ist die Korrespondenz in deutscher Sprache er-
forderlich und üblich, die auch wohl die meisten romanischen Geschäfts-
leute sich bald anzueignen wissen. Zahlreiche Geschäftsreisende, von
denen nur ein geringer Teil die romanische Sprache beherrscht, kommen
jährlich vom Norden her, um Aufträge für den Ortsbedarf und die
Fremdenindustrie zu suchen.
444 A. Sartorius Freiherr v. Waltershausen, [80
Im Vorderrheinthal tritt im Vergleich zum Engadin, Albula- und
Schamserthal, dem Oberhalbstein der das Deutsche beanspruchende
Verkehr wesentlich zurück, und hier ist die Hochburg des Romanentums.
Ein wichtiges, das Deutschtum förderndes Ergebnis des Baues
der Straßen und Bahnen ist das Entstehen und der Aufschwung der
Fremdenindustrie. Dieselbe setzt aber bedeutende Wirtschaftsmittel
voraus, die erst geschaffen werden mußten. Das Kapital tritt zuerst
in den größeren Ortschaften als Geldsumme auf, die eine feste Ver-
zinsung oder einen Gewinn beanspruchte, früh auch schon im Berg-
bau, der im 16. Jahrhundert seinen Höhepunkt in Bünden erreicht hat.
Größeren Umfang hat das Kapital erst im vorigen Jahrhundert ange-
nommen, als die Offiziere und Soldaten, die im Auslande gedient hatten,
die Ersparnisse ihres Soldes und ihre Renten der heimischen Volks-
wirtschaft zuführten, und vor allem als die gewerbliche und kommerzielle
Auswanderung groß wurde, derzufolge nicht unbedeutenden Summen
in das Land strömten. Der Erwerb der Bündner im Ausland dauert
in der Gegenwart noch fort und man geht gewiß nicht fehl, wenn
man annimmt, daß die meisten Kapitalien, welche im Oberengadin zum
Bau und zum Betrieb der Fremdenhötels verwendet worden sind, ihm
entstammen. Auch das Bergell, das Unterengadin , das Münsterthal,
das Prättigau und Davos sind durch den Verdienst im Auslande kapital-
kräftig geworden. Die Fremdenindustrie des Kantons beruht ganz
überwiegend auf Mitteln seiner Einwohner.
Dies Gewerbe eine Industrie zu nennen, ist eigentlich nicht ganz
zutreffend, da bei ihm weit weniger Verarbeitung als Verkauf von
Waren und Nutzungen das ökonomisch Entscheidende ist. Der Betrieb
ist fast allgemein ein kapitalistischer. Nur selten noch nimmt ein
Bauer im Dorfe oder der Geistliche den Reisenden auf, oder schenkt
ihm ein Glas Wein aus, um das Verdiente in seinem Haushalt als an-
genehme Zugabe bei der häuslichen Bedürfnisbefriedigung zu verwenden.
In kleinen Ortschaften ist das Gasthausgewerbe auch noch bisweilen ein
Nebenbetrieb des Kaufmannes oder des Bauern. In der Regel aber
findet der Fremde ein Hotel vor, das mit seiner ganzen inneren Ein-
richtung, mit Stallung, Wagen, Pferden, Barmitteln, ein Kapital ist,
das in der Saison Profit und Abschreibung aufbringen soll. Die großen
Gasthöfe in Pontresina, Samaden, St. Moritz, Davos u. s. w. sind Aktien-
gesellschaften, deren Anteilhaber die Bündner selbst sind, andere Unter-
nehmungen gehören verzweigten Familien, die meisten kleineren Be-
triebe sind im Besitze einzelner Personen. Die Geschäfte sind im
allgemeinen gut geleitet, da der Bündner mit seinem kaufmännischen
Sinne ein tüchtiger Hotelier ist. Das Gewerbe ist geachtet, wie etwa
in den Seestädten das des Großkaufmanns oder in Manchester das des
Industriellen. In den hochgelegenen Kurorten, Sommerfrischen, Berg-
steigerquartieren ist durch die Witterung ein hohes geschäftliches
Risiko gegeben, so im Engadin, von dem man sagt, daß es dort im
Jahre acht Monate Winter und vier Monate kalt sei. Seit einigen
Jahren hat die Wintersaison in St.* Moritz größeren Umfang ange-
nommen, der in Davos schon seit längerer Zeit bestand.
Der Aufschwung der Graubündner Fremdenindustrie ist erst in
gl] Die Germanisierung der Rätoromanen in der Schweiz. 445
den letzten 30 Jahren ein konstanter und großer geworden1). Die
Wirkungen derselben für die Germanisierung konnten daher auch erst
in neuerer Zeit beobachtet werden, und werden sich in ihrer vollen
Bedeutung erst in Zukunft übersehen lassen 2).
Die Kurgäste, Sommerfrischler, Touristen, welche Graubünden
aufsuchen, gehören verschiedenen Völkern an. Am meisten international
gemischt sind die großen Kurorte St. Moritz, Tarasp, Davos. Im übrigen
machen Reichsdeutsche und Deutschschweizer das Hauptkontingent aus.
Die Engländer und Amerikaner, welche der Zahl nach an zweiter Stelle,
wenn auch in bedeutendem Abstände, folgen, haben ihre besonderen
Gegenden, in denen sie sich mit Vorliebe aufhalten. Die Franzosen
treten in der Ostschweiz sehr zurück. Die Oesterreicher werden durch
das Gebirge im eigenen Lande in Anspruch genommen, auch die Italiener
haben ihre eigenen Alpen, denen sie sich mit Vorliebe zuwenden, doch
wird das Bergell bis Maloja von ihnen geschätzt, im übrigen Grau-
bünden sind sie selten0).
Für alle diejenigen, welche sich an der Fremdenindustrie unmittel-
bar beteiligen als Wirte, Kellner, Portiers, Hausknechte, Zimmermädchen,
Geschäftsführer, Bureaubedienstete, Bergführer, Träger, Kutscher, ist
die romanische Sprache im Verkehr mit den Fremden unbrauchbar.
Das Italienische ist ebenfalls ohne viel Wert zu diesem Zwecke, da
die Reisenden aus Italien denen gegenüber aus anderen Ländern recht
zurücktreten. Englisch und Französisch zu erlernen, ist nur einer geringen
Anzahl nützlich, welche in den ganz großen Hotels Stellung finden. Es
bleibt also als eigentliche Verkehrssprache das Deutsche, zu dessen
Erlernung sich den Romanen vielfache Gelegenheit in Schule, Kirche
und im politischen Leben bietet.
Der Fremdenverkehr hat ferner die Folge gehabt, daß eine Zu-
wanderung von deutsch sprechenden Handwerkern, Kleinkauf leuten,
Hötelangestellten Jahr für Jahr oder auch für dauernd stattgefunden
hat. So wird die Ortsbevölkerung national anders zusammengesetzt,
wodurch wieder die deutsche Verkehrssprache begünstigt wird.
*) Gustav Peyer, Geschichte des Reisens in der Schweiz, Basel 1885;
Das Engadin, 1837, a. a. 0. Caviezel a. a. 0., Kapitel XII— XIV; K. Ba-
de ker, Die Schweiz, ein Handbuch für Reisende, 1852, 1873, 1895. Derselbe
kennt 1852 in Graubunden 68 Wirtshauser und Hotels, davon hatte Davos Platz
ein Wirtshaus, ebenso Davos Dörfli, Klosters, St. Moritz Dorf, St. Moritz Bad
(das Kurhaus von 1832), Pontresina besaß 2 Gasthäuser; 1873 war die Ziffer auf
163 Hotels, Restaurationen, Caf£s, Pensionen angewachsen. 1895 kennt das Hand-
buch 382 Hotels, Pensionen, Kurhäuser, Wirtschaften, Cafös, Fremdenvillen. Der
Jahresbericht des Schweizer Handels- und Industrievereins von 1894 giebt für den
Kanton 248 Fremdenhötels und 14370 Betten an.
2) Das Bäder- und Heilquellen wesen spielte bereits im 18. Jahrhundert eine
bescheidene Rolle im Wirtschaftsleben Graubündens, vgl. J. A. Sprecher, Ge-
schichte der Republik der drei Bünde im 18. Jahrhundert, II, S. 10 ff. u. 207 ff. —
Die Bergtouristik im eigentlichen Sinne beginnt etwa um 1860, vgl. Caviezel,
Das Engadin, Kap. XIV.
3) Die Hotelgäste der Schweiz verteilten sich 1897 der Nationalität nach:
Deutsche und Schweizer 52,1%, Engländer und Amerikaner 24,6 °/o» Franzosen
11,1 °/o, Italiener 2,1 °/o, übrige 9,4 °/o. Zeitschrift für Sozialwissenschaft, 1898,
S. 924.
Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde. XII. 5. 30
446 A. Sartoriu8 Freiherr v. Waltershausen, [82
Außerdem wird der Handelsverkehr, der Einkauf von Lebens-
mitteln , die Beschaffung von Gasthauseinrichtung u. s. w. durch den
Fremdenzuzug mit seinen großen und vielseitigen Ansprüchen gehoben,
und da hauptsächlich Lieferanten in deutsch redenden Gebieten in Be-
tracht kommen, so muß auch dies der Hebung im Deutschen zu gute
kommen. Deutsche Zeitungen aus Chur, Zürich, aus dem Reich werden
über das ganze Land verbreitet und manches Stück deutscher Litteratur
schließt sich ihnen an. Endlich werden die gesamten Verkehrsver-
hältnisse besser, die Geldwirtschaft verdrängt die Naturaltauschwirt-
schaft gänzlich, das Post-, Telegraphen-, Telephon- und Fuhrwesen
wird intensiver gestaltet. Dadurch verwächst Graubünden immer mehr
mit der übrigen schweizerischen Volkswirtschaft, welche, da sie über-
wiegend eine deutsche Bevölkerung hat, ihr deutsches Wesen unmerkbar
durch Tausende von Kanälen den romanischen Dörfern zuführt.
Es wurde oben der Zustand der Eigenproduktion bezüglich der
Kleidung erwähnt, welcher im vorigen Jahrhundert in den Dörfern
Graubündens ganz allgemein bestand. Auch heute ist er dort noch
zu finden, wo der moderne Verkehr nicht recht eindringen konnte.
Wir können ihn in deutschen und romanischen Gegenden beobachten und
in den letzteren liegt die Sache im allgemeinnn so, daß dort, wo er noch
klar und deutlich nachzuweisen ist, gleichzeitig das alte Romanentum noch
erhalten geblieben ist. Man kann hier an einem Beispiel im kleinen,
aber deutlich, nachweisen, wie wirtschaftlicher Fortschritt und Zer-
setzung des Romanentums Hand in Hand gegangen sind. Unter dieser
Voraussetzung bitte ich den Leser, den folgenden kleinen wirtschafts-
geschichtlichen Exkurs auffassen zu wollen.
Viele Bauern hatten Schafe auf der Weide, deren Wolle von den
Frauen und Mädchen gesponnen wurde. Das Garn wurde auch im
Hause weiter verarbeitet, entweder beim Stricken verwendet oder zu
Tuch verwoben, aus dem dann für alt und jung durch die der
Schneiderei kundige Bäuerin Kleidungsstücke gefertigt wurden. Während
es wohl nur selten eine Familie gab, in der nicht in älterer Zeit zum
Spinnen ein Bockrad, das mit der Hand gedreht wurde oder später
das verbesserte Trittrad in Gebrauch war, war der Handwebstuhl schon
eine im Verhältnis dazu teuere Einrichtung, welche nicht jeder an-
schaffen oder auch nicht genügend ausnutzen konnte, da seine Wolle
oder sein Garn der Menge nach dazu nicht ausreichten. Diejenigen,
welche woben, nahmen auch gelegentlich das Garn von Nachbarn, die
ohne Webstuhl waren, an, machten für sie gegen Entgelt Tuch daraus;
andere, die über mehr Wolle verfügten, als sie zur eigenen Konsumtion
bedurften, nutzten auch durch Heranziehen mehrerer Familienmitglieder
oder in Dienst befindlicher Leute ihren Webstuhl in der Weise aus,
daß sie Tuch herstellten, welches sie im Dorf oder im Thal, selbst
gelegentlich auf dem städtischen Markt, z. B. in Cläfen oder Tirano *),
vertauschten oder verkauften. Wir sehen also hier, wie die Eigen-
produktion ohne Aenderung der Transportverhältnisse allein infolge der
l) Das Engadin a. a. 0., S. 127.
83] Die Germanisierung der Rätoromanen in der Schweiz. 447
sozialen Differenzierung der Dorfbewohner durchbrochen und zu An-
fängen der Tauschwirtschaft wird *)•
Spinnrad und Webstuhl dienten auch zur Herstellung von Lein-
wand zunächst in den Gegenden Graubündens , wo der Flachs gedieh,
d. h. in nicht zu trockenen und nicht zu hoch gelegenen, dann aber
auch dort, wo der Rohstoff eingeführt werden mußte, wie z. B. im
Oberengadin, Samnaun, Avers. Wir sehen also hier, wie durch die
klimatische Sonderheit verschiedener Landesteile in Verbindung mit dem
Wunsch, die vorhandenen Kräfte ökonomisch zu verwenden, ebenfalls
aber in einer anderen Weise die Tauschwirtschaft angebahnt wird.
Die Auflösung der Eigenproduktion vollzog sich nicht schnell
und sprungweise, sondern allmählich vermittelt durch verschiedene
aneinander sich anschließende Etappen. Die Herstellung von Lein-
wand mit importiertem Flachs ist wohl überall bereits verschwunden,
die älteren Leute erinnern sich aber derselben noch gut und erzählen,
daß ehemals das Leinen das Doppelte wert gewesen sei als jetzt, und
daß dieser Preis die Arbeit gelohnt habe. Den Flachs aus der Ferne
her zu beschaffen und zu kaufen koste aber bald so viel Geld als die
damit herzustellende Produktenmenge, welche von auswärts, wo sie in
großen Fabriken angefertigt wird, bezogen werde, so daß die Arbeit des
Webens im Hause für nichts gethan werden müsse 2). Im Oberlande von
Disentis bis Sedrun, im Unterengadin von Remüs bis Zernetz wird gegen-
wärtig aus dort gebautem Flachs noch in einzelnen Häusern Leinen zum
eigenen Gebrauch gewoben, was früher ganz allgemein üblich war.
Enger als die Leinenerzeugung war diejenige des Tuches mit
der Graubündner Volkswirtschaft verknüpft, da für dieses der Roh-
stoff durchweg auf dem eigenen Boden geliefert wurde und die Schaf-
zucht einen wichtigen, mit dem landwirtschaftlichen Betrieb eng zu-
sammenhängenden Teil des Einkommens schuf. Die auswärtige Kon-
kurrenz und die Großproduktion fanden daher in der Haustucherzeugung
einen kräftigen Widerstand, der erst in der neueren Zeit entschieden
gebrochen worden ist.
Das erste was geschah, war, daß der Verkauf des Bündner Tuches
auf den Märkten von Chur, Thusis, Ilanz u. s. w. zurückging. Die
fremde billigere Ware konnte diese Thalorte am leichtesten erreichen
und dort ihren Wettbewerb fühlbar machen. Die dadurch hervor-
gebrachte Absatzschwierigkeit des Landesproduktes führte zur Be-
seitigung des Hilfspersonals bei der Weberei und zur Beschränkung
der Arbeit ausschließlich auf die Deckung des eigenen Bedarfes.
In dieser Form konnte die Produktion trotz aller Fortschritte der
auswärtigen Fabrikationstechnik noch lange Zeit aufrecht erhalten
werden, weil während des langen Winters im Gebirge die Arbeit der
Frauen meist im landwirtschaftlichen Betrieb unverwendbar war, daher
gewissermaßen unentgeltlich zur Verfügung stand. Doch auch diese
J) Ich habe diesen Vorgang an einem anderen Beispiel ausgeführt in : „Die
Entstehung des Tauschhandels in Polynesien", Zeitschrift für Sozial- und Wirt-
schaftsgeschichte, IV, S. 28 ff.
") So wurde mir in Bevers (Oberengadin), Cresta (Avers), Compatsch (Sam-
naun) berichtet.
448 A. Sartoriu8 Freiherr v. Waltershausen, [84
Arbeitsart wurde erschüttert und zwar zunächst nicht durch die Kon-
kurrenz des Warenangebotes, sondern durch die auf Seiten der Kon-
sumtion. Die von auswärts kommenden, in den verschiedensten Farben
und Mustern hergestellten glatten und glänzenden Kleiderstoffe gefielen
den Bäuerinnen und dann auch ihren Männern besser als das eigene grobe,
rauhe graue Tuch. Zuerst wirkte die bestehende Macht der Mode in
den größeren Ortschaften der Hauptthäler, wohin infolge der besseren
Wege die Hausierer gern kamen und wo später in den Kaufläden
die Begehrlichkeit immer von neuem einen Anreiz fand. Dann drang
die Bedürfnissteigerung auch langsam in die abgelegenen Dörfer und
Höfe vor. Die Verwandtschaft und die Freunde unten im Thal wußten
sich bei Taufen und Hochzeiten doch ganz anders modern und ge-
schmackvoller zu kleiden als die Frau des doch auch wohlhabenden
Bauern dort am Berge oberhalb des Waldes. Wozu sich noch immer
des Winters abmühen, sagte sich diese, wenn in Schuls, Thusis und
Disentis beim Händler billig zu haben war, was das Herz begehrte,
und man dann auch wegen der Altmodischkeit nicht mehr ausgelacht
wurde. So wurde sie dem althergebrachten Gewerbe gegenüber „ hoch-
mütig", wie sich ein Bauer im Oberlande ausdrückte, als sich der Ver-
fasser nach der Hausweberei erkundigte.
Es kam also diese Art der Winterarbeit in Verfall, wenn auch
mancher einsichtsvolle Mann das „Nichtsthun der Frauen im Winter*
mißmutig beklagte und die Gefahr der vermehrten Geldausgaben begriff,
da die Geldeinnahmen gleichzeitig nicht gewachsen waren. An manchen
Orten verfiel man daher, zudem die große Haltbarkeit des eigenen
Produktes geschätzt wurde, auf den Ausweg dasselbe zu verbessern.
Freilich konnte man die Betriebsweise in den Grundzügen nicht ver-
ändern. Walkereien waren auch in älterer Zeit nicht in jedem Thal
vorhanden gewesen und das Haustuch mußte bisweilen zu denselben
weithin fortgeführt werden. Jetzt wurden nicht nur verbesserte Walk-
methoden eingeführt, sondern auch eine neuere Appretur, die in Orten
wie Thusis, Alvaneu, Chur zuerst Eingang gefunden hatte, und auch
die Färbung des Fadens im Ursprungsdorf wurde seltener und durch
die des Garnes oder Gewebes in den Färbereien ersetzt x).
So hätte das Bündner Tuch noch wieder zu besserem Rufe ge-
langen können, wenn nicht durch einen neuen Feind seine Herstellung
an der Wurzel ergriffen worden wäre. Die Schafzucht wurde immer
weniger rentabel, nach und nach vermindert und damit schwand das
Rohmaterial für den Hausfleiß dahin. Ueber die bedrohte Lage der
Landwirtschaft in Graubünden habe ich oben schon gesprochen und
die Gründe angeführt, aus welchen sie entstanden ist. Erkundigt man
sich nach den Ursachen, welche den Rückgang der Schafzucht im
einzelnen herbeigeführt haben, so erhält man die Antwort immer zu-
nächst, daß man der durch den modernen Verkehr ermöglichten aus-
wärtigen Konkurrenz nicht gewachsen sei. In der neueren Zeit wird
*) Nach Berichten aus Cresta, Matten, Beyers, Obersaxen, Rueras, Tschamutt,
Sedrun. Das Tuch wurde ursprünglich aus naturfarbigem schwarzem und weißem
Faden gewoben, zu dem dann als dritter der gefärbte blaue hinzutrat.
85] Die Germanisierung der Rätoromanen in der Schweiz. 449
namentlich auf die Bedeutung der Arlbergbahn hingewiesen, durch
deren Vermittelung die Ostschweiz mit gutem und billigem öster-
reichischen oder ungarischen Hammelfleisch versehen werde, und die
Wolle erziele überhaupt keine lohnenden Preise mehr, seitdem das über-
seeische Angebot so groß geworden sei. Zugleich erfährt man aber
auch bei näherer Nachforschung, daß nichts oder wenig gethan sei, der
Konkurrenz zu begegnen. Die Rassen seien nicht verbessert worden,
um feineres Fleisch und feinere Wolle zu erzielen, die Winternahrung
sei zu schlecht, die Ställe seien zu kalt, die Schafe blieben zu lange
im Herbst auf den Bergen, die jungen Tiere würden zu früh ge-
schoren u. s. w. Auch werde der Handel ohne genügende Umsicht
betrieben und verlasse selten die mühsamen Bahnen, die er von alters
her zu wandeln gewohnt sei.
In manchen Gegenden -Graubündens ist heutzutage die Schäferei
ganz verschwunden, z. B. in Samaden, in anderen ist sie erheblich
eingeschränkt, so auf den rechtsseitigen Berghängen des Vorderrhein-
thales, während sie sich auf dessen linker Seite, die gegen Süden
gelegen ist, noch besser lohnt, da hier die Schaf weide länger schnee-
frei bleibt. Dementsprechend ist auch die Erzeugung des Bündner Tuches
lokal eingestellt oder stark vermindert worden.
Im allgemeinen hat die Weberei rascher nachgelassen als das
Spinnen. In vielen Orten fand ich nur noch einen oder zwei Web-
stühle vor, von denen mancher mehr als hundert Jahre gedient hatte.
Die alten Maschinen gehen nach und nach zu Grunde und neue anzu-
schaffen bedeutet eine Ausgabe, vor der sich die Leute wegen ihrer
geringen Rentabilität scheuen. Nur im Oberlande werden gelegentlich
noch neue Stühle angeschafft. Das Spinnrad hingegen ist viel billiger
und beansprucht wenig Raum. Infolgedessen wird es noch öfters durch
ein neues ersetzt, wenn es verbraucht ist und so ist mehr Garn vor-
handen als verwoben werden kann. Der Ueberschuß wird vor allem
nach Chur verschickt, wo er in größeren Betrieben zu Tuch verarbeitet
wird und dann an die Garnbesitzer in dieser Form zurückkommt. An-
dere, die nicht mehr spinnen, senden zu dem gleichen Zwecke auch ihre
Schafwolle dorthin. Die heutigen Eigentümer der Webstühle in den
Dörfern sind häufig Kleinbauern, deren Wollbesitz für die eigene Arbeit
nicht ausreicht. Sie erhalten dann von ihren Nachbarn Hausgarn in
Arbeit, das sie gegen einen festen Satz verweben und stellen so eine
geringfügige „ Hausindustrie " dar, bei der der „Verleger" nur den eigenen
Konsum berücksichtigt, die Arbeiterin wenig verdient, weil sie unter
dem Konkurrenzdruck des auswärtigen Großbetriebes steht.
Aber auch diese Reste des alten Betriebssystems der Eigenwirt-
schaft finden dort keine Beachtung mehr, wo die Frauen im Winter
geeignetere Gelegenheit haben, ihre Arbeitskraft zu bethätigen. So in
St. Moritz und Davos bei dem dortigen Fremdenverkehr. Auch wollen
wir nicht vergessen, daß infolge des verbesserten Volksschulwesens die
geistige Bildung der Bäuerinnen auf eine höhere Stufe gehoben worden
ist, so daß manche Abendstunde im Winter mit Lesen verbracht wird,
in der früher der Webstuhl und das Spinnrad allein eine Unterhaltung
gewährte. So sind es denn meist die alten Frauen, die mit dem Ge-
450 A.SartoriuBFrhr.v.Waltershauseii, Die Germanisierung der Rätoromanen etc. [86
werbe der vergangenen Zeit Bescheid wissen, die Jugend wird nicht
mehr regelmäßig darin unterrichtet, am wenigsten dort, von wo die
erwachsenen Mädchen auswandern, um als Dienstboten u. s. w. in den
Städten für Jahre oder dauernd Arbeit zu suchen.
Wir sind bei unserer volkswirtschaftlichen Untersuchung von
unserem Thema über die Romanen etwas abgekommen. Doch nur
scheinbar. Denn in den romanischen Gebieten entspricht im großen
und ganzen dem Rückgang der häuslichen Tuchanfertigung ein solcher
des Romanentums. Arbeitsteilung, Verkehr, Markt sind Erscheinungen
der modernen Wirtschaftsweise und zugleich gestaltende Kräfte bei
der Germanisierung. In den großen Thalorten, in den Zentren der
Fremdenindustrie hat das Deutschtum seine Herrschaft zuerst befestigt,
und dort suchen wir sicher vergebens nach einem Webstuhl. Wir
müssen in die kleinen Dörfer wandern, wenn wir ein Modell davon zu
sehen wünschen. Hier kann es uns passieren, daß die alte Frau, die
an ihm arbeitet, unsere deutsche Anfrage nicht versteht, da sie nur
ladinisch oder oberländisch antworten kann. Im Vorderrheinthal wird
die Leinwand- und Haustuchfabrikation noch relativ eifrig betrieben
und dort ist, wie wir wissen, der Schwerpunkt des Romanischen. Das
Unterengadin ist demselben weit mehr ergeben als das obere und in
jenem ist auch die alte Eigenproduktion noch mehr als in diesem ver-
breitet. Im Oberhalbstein und Schamserthal haben an der Julier- und
Splügenstraße die Bewohner das Weben und Spinnen meist verlernt
und das Deutsche gelernt, weil beides der Verkehr fordert. In den Dörfern
hoch oberhalb der Straße beharrt man aber in Sprache und Wirt-
schaft noch gern bei dem Althergebrachten.
Wir würden in den Zusammenhang der wirtschaftlichen Interessen
mit der Nationalitätswandelung nicht so in das Einzelne vorgedrungen
sein, wenn er in der Wissenschaft und im Leben hinreichend gekannt
wäre und beachtet würde. Wollte der Staat Graubünden oder die Eid-
genossenschaft — was beiden ganz fernliegt — positive Nationalitäts-
politik in romanischen Gebieten zu Gunsten des Deutschen treiben, so
würde nach unseren bisherigen Ausführungen kaum etwas geeigneter
dazu sein, als die Verbesserung der Verkehrsmittel, die Anlage von
Bahnen, die Vermehrung der Straßen, die Hebung des Handels. Gegen
solche wirtschaftliche Maßregeln bestände keine Opposition, im Gegen-
teil, sie würden nur mit Freuden begrüßt werden. Der Staat erreichte
hier mit Sicherheit sein Ziel in Uebereinstimmung mit der nationalen
Minderheit, welche sich der deutschen Mehrheit anschließen sollte.
Die wirtschaftlichen Zustände der Länder überhaupt stehen in
sehr verschiedener Weise mit den Nationalitätsfragen in Verbindung,
weshalb das, was für die Ostschweiz gilt, für die westliche noch lange
nicht richtig zu sein braucht und was man für Elsaß-Lothringen em-
pfehlen kann, ist darum für Posen noch nicht zutreffend. Wenn ein
Volk einheitlich national sein will, muß es dafür auch ökonomische
Opfer bringen können. Was ihm die Gunst der Verhältnisse zur nationalen
Kräftigung von selbst bringt, das festzuhalten wird ihm die Klugheit
gebieten. Was es aber bewußt mit edelster Anstrengung sich erworben
hat, das wird ihm nicht wieder verloren gehen.
VI. Kapitel.
Die Schale.
Der Einfluß der Schule auf die Veränderung der Sprache in
einem Lande wird leicht überschätzt. Man denkt sich, wenn man
sieht, welche raschen Fortschritte die schulpflichtigen Kinder in der
Erlernung einer Fremdsprache bisweilen machen, häufig die Sache so,
daß es der Staat immer durch zwangsweise Einführung einer Schul-
sprache oder durch nachhaltige Förderung einer fremden Sprache als
Unterrichtsgegenstand vermittelst guter Lehrer, zahlreicher Lehrstunden
und obligatorischen Schulbesuches in der Hand habe, die heran-
wachsende Jugend einer Sprachgemeinschaft definitiv zuzugesellen,
wie es ihm beliebe. Ganz abgesehen davon, daß das Erlernte nur
dann dauernd behalten wird, wenn die Lebensstellung nach Verlassen
der Schule Gelegenheit bietet, es weiter zu üben, zeigt aber die Er-
fahrung, daß der Staat ein solches Ziel nicht oder doch nur recht
unvollkommen erreicht, wenn seitens der Familien der Schüler, welche
die andere Sprache erlernen sollen, ein Widerstand dagegen vorhanden
ist. Die heutigen Zustände in Böhmen und Ungarn, wo die Deutschen
oder die Rumänen oder Kroaten keineswegs von der behaupteten
Kulturmission des Tschechischen oder Magyarischen überzeugt sind,
beweisen dies tagtäglich. Hingegen ist der Erfolg der Schule unge-
mein groß, wenn die Ausbildung in einer Fremdsprache von einer
Nationalität als ein dringendes Bedürfnis empfunden wird, und dem-
nach die Bevölkerung den staatlichen Bestrebungen mit voller Sym-
pathie entgegenkommt. So ist es z. B. in den Vereinigten Staaten von
Amerika, wo die Kinder deutscher, französischer, polnischer und
anderer Einwanderer sich gern und mit Zustimmung ihrer Eltern das
Englische aneignen, weil ihnen nur im Besitz desselben das ökono-
mische Fortkommen im Lande gesichert erscheint und ihnen Amt, An-
sehen und praktische Politik nur so möglich ist. Der Staatsmann,
welcher innerhalb eines national gemischten Gebietes Sprachminori-
täten verschwinden lassen will, sollte daher niemals übersehen, daß er
durch die Schule nur dann günstige Ergebnisse erzielen wird, wenn
er jenen die Nützlichkeit, die Majoritätssprache zu erlernen, sachlich
hat nachweisen können.
In Graubünden haben die Romanen, wie im einzelnen gezeigt
worden ist, am Sprechen und Schreiben des Deutschen das größte
452 A. Sartorius Freiherr v. Waltershausen, [88
wirtschaftliche und auch ein entschiedenes politisches Interesse. Wir
finden daher in allen romanischen Landesteilen, in welchen das Be-
wußtsein erwacht ist, daß Kulturfortschritt und Deutschtum für sie zu-
sammenfallen, das eifrige Bestreben, den Kindern und jungen Leuten
in der Schule den Vorteil des Deutsch-Lernens zu sichern. Die Landes-
regierung, welche im gleichen Sinne vorgeht, begegnet daher hier
keiner nationalen Opposition, sondern einer aufrichtigen Dankbarkeit.
Im vorigen Jahrhundert und in einem noch großen Teile des
unserigen war es mit dem Schulwesen in Bünden nicht gut bestellt1).
Von seiten des Staates geschah für den Elementarunterricht gar nichts,
da er rechtlich für denselben nicht im mindesten kompetent war. Die
größere Zahl der Gemeinden sorgte zwar für etwas Volksbildung, aber
es fehlten der Schulzwang, tüchtige Lehrer, gute Schulmittel, aus-
reichende Schuldauer und die Aufsicht sachverständiger Inspektoren.
Das bißchen Deutsch, das hie und da in romanischen Gegenden
mittels einer mechanischen Methode beigebracht wurde, war durchaus
nicht geeignet zu germanisieren und würde schwerlich gelehrt worden
sein, wenn überhaupt brauchbare Lehr- und Lesebücher des Romanischen
vorhanden gewesen wären.
Wie in der Schweiz durchweg, so ist auch heutzutage in Grau-
bünden für die Volks- oder Primarschule der obligatorische Besuch
durch das Gesetz ausgesprochen. Die Schulpflicht erstreckt sich über
acht Jahre vom 7. bis 15. des Lebens und auf einen jährlichen Winter-
kursus von wenigstens 24 Wochen. Dieses Minimum wird aber viel-
fach tiberschritten und außerdem bestehen noch Sommer- und Jahres-
schulen2).
Die Unterbrechung des Unterrichts im Sommer, während dessen
die größeren Kinder vielfach in der Landwirtschaft Verwendung finden,
hat einerseits den Nachteil, daß von dem erlernten Deutsch manches
wieder vergessen wird, weil in dem Verkehr auf den Alpen und Fel-
dern das Romanische wieder zur Anwendung gelangt. Andererseits hat
das System auch seine Vorzüge. Die Lehrer sind genötigt, von April bis
bis zum Oktober sich nach einer anderen Beschäftigung umzusehen«
Einen nicht geringen Teil derselben absorbiert die Fremdenindustrie als
Bureauangestellte, Kellner, Bergführer, Portiers, andere das Postwesen,
und alle diese müssen fortgesetzt deutsch sprechen und werden sich
hierin vervollkommnen, wenn ihre Muttersprache romanisch ist. Die
Graubündner Lehrer bleiben nicht alle während des Sommers im Lande,
sondern manche von ihnen finden ihre Stellung in deutschen Kantonen,
von deren Einrichtungen und nationalem Wesen sie dann im Winter ihren
Schülern erzählen können. Sie sind keineswegs einseitig dorfbefangen
und daher wohl geeignet, Geographie, Wirtschaft und Politik des
ganzen Schweizerlandes zu lehren. Sie werden von der Gemeinde für
1) Vgl. Sprecher a. a. 0., II, S. 484 ff.; Das Engadin, 1887, a. a. 0., S. 167.
2) Albert Haber, Schweizer. Schulstatistik, 1894/95, I, 236. Im Bezirk
Inn ist in vielen Orten die Schuldauer 26, in Maloja 80, auch 36 und 39 Wochen ;
im Münsterthal für die Hälfte der Gemeinden 26 Wochen ; in Vorderrhein nur 24,
in Glenner ebenso, mit Ausnahme von llanz; in Albula haben Bergün und Stalla 30,
Filisur 26 Wochen; in Hinterrhein und Imboden einige Orte 26.
89] Die Germanisierung der Rätoromanen in der Schweiz. 453
einen oder mehrere Winter gewählt und wieder gewählt, wenn sie
sich als tüchtig erwiesen haben. Obgleich die Gehalte nur gering
sind, so erübrigen sich die meisten bei ihrer Sparsamkeit und bei
dem oft guten Sommerverdienst im Verlaufe von 20 — 25 Jahren
so viel, daß sie ein kleines Geschäft oder Hotel begründen, ein Gut kaufen
und so ihre Versorgung im Alter auf die eigenen Schultern nehmen
können. Die Folge dieser Zustände ist nun, daß die Volksschulen
meist nur Lehrer haben, welche die besten Jahre des Lebens dem
Unterricht widmen. Sie arbeiten daher höchst intensiv und erzielen
bei 28 — 33 *) Stunden die Woche in ihren Winterkursen höchst
achtenswerte Resultate. Für den Fremden, welcher diese Volksschulen
kennen lernt, ist es besonders auffällig, wie viel Sorgfalt auf die
Verbreitung der Kenntnis des Schweizerlandes gelegt wird, auf
die Geschichte desselben, seine Wirtschaft und Verkehrsverhältnisse,
seine bundesstaatliche und kantonale Verfassung und Verwaltung.
Das Wichtigste dabei ist, daß die Schüler diese Bildung erwerben auf
der sittlichen Grundlage der Vaterlandsliebe und der Schätzung der
politischen Freiheit. Sie lernen begreifen, welcher Kraftanstrengung
durch Jahrhunderte hindurch es bedurfte, die Kultur zu schaffen, die
heute besteht, wodurch sie den unhistorischen Weltverbesserern gegen-
über mit einer Kritik ausgestattet werden, die schwer zu erschüttern
ist. Sie lernen aber auch aus der Geschichte, was das deutsche Ele-
ment für die Schweiz bedeutet hat, daß aus ihm die staatliche und
innerpolitische Selbständigkeit erwachsen ist, auf welche der Schweizer
so stolz ist.
Die Schulsprache in Graubünden ist entweder deutsch oder ita-
lienisch, oder romanisch. Außerdem giebt es noch die sog. deutsch-
romanischen und deutsch -italienischen Schulen, in deren unteren
Klassen romanisch oder italienisch, in deren oberen deutsch der
Unterricht erteilt wird. Die Schule ist eine Gesamtschule, wenn ein
Lehrer alle Klassen zu übernehmen hat, oder ist in Ober- und Unter-
schule, oder in Ober-, Mittel- und Unterschule eingeteilt, wenn zwei
oder drei Lehrer vorhanden sind. Einige größere Anstalten verfügen
sogar über vier Lehrer und einige Gemeinden haben wegen der
großen Kinderzahl mehr als eine Primarschule.
Bei der Schulstatistik muß man wohl unterscheiden, ob nur
eigentliche Schulen, d. h. Komplexe von 8 Klassen, oder ob auch
Schulabteilungen als Einheiten gezählt worden sind. Die verschiedenen
Ergebnisse statistischer Aufzeichnungen sind zum großen Teil hierauf
zurückzuführen.
Die Schweizerische Schulstatistik von A. Huber 2) von 1894/95
kennt für die Amtsbezirke Graubündens nach der Nationalität ge-
sondert folgende Ziffern:
*) Zu vergleichen ist der Lehrplan für die Primarschulen des Kantons Grau-
bünden, Chur 1894, S. 88. 89.
2) Albert Huber, Schweizer. Schulstatistik, 1894/95, Bd. I. Zu den
romanischen Schulen sind auch die gerechnet, in denen das Deutsche zwar gelehrt
wird, aber doch sehr zurücktritt.
454
A. Sartorius Freiherr v. Waltershausen,
[90
deutsch
ital.
d., ital.
rom.
d., rom.
Albula
ßernina
Glenner
Heinzenberg
Hinterrhein
Imboden
Inn
Ober-Landquart
Unter-Landquart ....
Maloja
Moesa
Münsterthal
Plessur
Vorderrhein
8
18
31
19
21
5
42
52
4
1
44
1
27
10
31
1
1
8
30
1
3
18
8
6
26
17
9
3
3
1
13
10
3
3
Total
245
69
2
100
62
Aus diesen Zahlen ist bereits zu ersehen, in welchem Maße die
deutsche Schule tiberwiegt. Nach der Volkszählung von 1888 lebten
in dem Kanton 46°/o Deutsche, 39°/o Romanen, 15°|o Italiener. Die
letzteren haben genau ihrem Prozentsatz gemäß Schulen, entsprechend
dem Umstände, daß in ihrem Gebiete die eigene Sprache die allein
herrschende ist. Die Romanen hingegen verfügen nur über 33°/o und
wenn wir die gemischten in Abrechnung bringen, wozu wir, wie wir
weiterhin sehen werden, berechtigt sind, nur über 21°/o. Das Gegen-
stück tritt dann bei den deutschen Schulen hervor mit 55°/o resp. 64°/o.
Eine andere Statistik, welche noch einen besseren Einblick in
die fraglichen Verhältnisse gewährt, ist von der bündnerischen Re-
gierung zusammengestellt worden.
Zum Verständnis ist folgendes vorauszuschicken:
Die Stellung des Staates zu den romanischen Volksschulen er-
giebt sich aus dem von ihm angeordneten Lehrplan vom 18. Sep-
tember 1894: „Der Beginn des deutschen Unterrichtes in romanischen
Schulen soll in der Regel im vierten Schuljahr stattfinden. Es bleibt
jedoch den Schulräten1) unbenommen, denselben auf einen früheren
Zeitpunkt anzusetzen. Unter Berücksichtigung der Verschiedenheit
der Verhältnisse kann der Kleine Rat 2) ausnahmsweise auf gestelltes
Gesuch hin gestatten, daß erst im fünften Schuljahr mit dem deutschen
Unterricht begonnen werde. Je nachdem hat das Deutsche im siebten
oder achten Schuljahr als hauptsächlichste Unterrichtssprache auf-
zutreten.**
Diese Bestimmungen, welche für die Germanisierung sehr günstig
lauten, erschienen 30 Gemeinden des Oberlandes nicht genehm und
sie richteten daher eine Petition an die Regierung des Inhalts, daß die
') Die unmittelbare Leitung der Schule steht dem Schulrat der Gemeinde
zu. Er setzt sich wenigstens aus drei Mitgliedern zusammen , darunter ist der
Pfarrer der Gemeinde.
2) D. h. die Exekutivgewalt des Staates.
91] Die Germanisierung der Rätoromanen in der Schweiz. 455
Bestimmung über obligatorischen Unterricht in der deutschen Sprache
für die romanischen Schulen gestrichen werde und daß der § 19 der
Schulordnung beibehalten werde, wonach in den romanischen Schulen
dieser Unterricht n soweit thunlich" erteilt werden solle *).
Um diese Petition einer sachlicheren Prüfung unterziehen zu
können, ordnete das Erziehungsdepartement bei den Schulräten der
romanischen Gemeinden eine Umfrage an, um den gegenwärtigen Zu-
stand des deutschen Unterrichts daselbst zu ermitteln. Nach Eingang
der Antworten wurde von der Regierung nachfolgendes Ergebnis2) ver-
öffentlicht:
„Unser Kanton zählt im ganzen 123 romanische Gemeinden mit
einer Gesamtzahl von 32674 romanischen Einwohnern3) und mit
6098 schulpflichtigen Kindern. Die Zahl der Schulen beträgt 134 4),
wovon 81 Gesamtschulen, 31 Schulen mit zwei, 16 Schulen mit drei
und 6 Schulen mit vier Lehrern. In Bezug auf den Unterricht in der
deutschen Sprache kann man folgende Kategorieen bilden:
I. Schulen, in welchen kein romanischer Unterricht erteilt wird,
sondern durch alle Klassen deutsche oder (in zwei Fällen)5) italienische
Unterrichtssprache besteht.
IL Schulen, in welchen der deutsche Unterricht bereits im ersten
und spätestens im dritten Schuljahr beginnt und das Deutsche im
dritten oder vierten Schuljahr als Unterrichtssprache eingeführt ist.
III. Schulen, in welchen das Deutsche im zweiten und dritten
Schuljahr gelehrt wird und im fünften oder sechsten Schuljahr als
Unterrichtssprache auftritt.
IV. Schulen, in welchen der Beginn des deutschen Unterrichts
in das vierte Schuljahr fällt und das Deutsche als hauptsächliche
Unterrichtssprache im sechsten oder siebten Schuljahr angewendet wird.
V. Schulen, die den deutschen Unterricht im fünften Schuljahr
beginnen und in welchen das Deutsche im siebten oder achten Schul-
jahr als Unterrichtssprache verwendet wird.
VI. Schulen, in welchen das Deutsche erst vom sechsten oder
siebten Schuljahr an gelehrt wird und wenig oder gar nicht als Unter-
richtssprache auftritt.
VII. Schulen, in welchen kein Unterricht in der deutschen Sprache
erteilt wird.14
In obige Kategorieen lassen sich die einzelnen Schulen folgender-
maßen einreihen:
1) Amtsblatt des Kantons Graubünden, Nr. 35, vom 30. August 1895.
2) Amtsblatt des Kantons Graubünden a. a. 0.
•) Die Übrigen Romanen wohnen in überwiegend deutschen und italienischen
Gemeinden.
4) Diese Ziffer ist geringer als diejenige der Huberschen Statistik, weil in
dieser selbständig verwaltete Schulabteilungen als Schulen gerechnet worden sind.
s) Nämlich in Marmorea und Stalla, vgl. S. 406 [42]. Beide Gemeinden sind
in die Statistik nicht mit einbezogen.
456
A. Sartorius Freiherr v. Waltershausen,
[92
Schulpflicht. Kinder j
Anzahl
Anzahl der Lehrer
Kategorie
,
der
Schulen
i
Anzahl
Prozent 1
1
2
3
4
I
1230
20,2 1
21
12
3
4
2
II
188
3,1
5
3
1
1
—
III
694
11,4
17
11
4
2
—
IV
2149
35,2
87
14
12
7
4
V
954
15,6
24
17
5
2
—
VI
548
9,0
15
9
6
—
—
VII
335
5,5 1
15
15
—
—
—
6098
100 |
134
1
81
31
16
6
Wenn wir die Eategorieen bezüglich ihrer lokalen Verteilung
zunächst untersuchen *) , so liegen von den ganz deutschen Schulen
3 im Bezirk Imboden, nämlich in Ems, Bonaduz, Rhäzüns, das ist
der ganze Kreis Rhäzüns; 8 im Kreis Domleschg: Trans, Pratval,
Rotels, Rothenbrunnen, Paspels, Tomils, Scharans, Almens; 3 im Kreise
Thusis: Sarn, Katzis, Flerden. Infolgedessen wird im Amtsbezirk
Heinzenberg nur noch in den drei Gemeinden Feldis, Scheid, Präz in
romanischer Sprache Unterricht erteilt. Ferner sind es 6 Gemeinden
im Schamserthal: Pignieu, Wergenstein, Mathon, Clugnin, Lohn, An-
deer, und in Glenner der Ort Ilanz, welche ganz zur deutschen Schul-
sprache übergegangen sind.
Setzen wir als den stärksten Gegensatz dem gegenüber die Ka-
tegorie VII mit Schulen, in denen kein deutscher Unterricht gegeben
wird, so liegen diese Orte sämtlich im Bezirk Vorderrhein.
Die Kategorieen II — IV, denen gemäß für die Erlernung des
Deutschen schon recht viel gethan wird, umfassen die Gemeinden des
Ober- und Unterengadins, des Albulathales, des Oberhalbsteines, des
Münsterthaies, ferner der Bezirke Imboden und Heinzenberg und des
Schamserthaies, soweit nicht die Kategorie I maßgebend ist, endlich
Schnaus und Kästris vom Bezirk Glenner.
Die Orte der V. und VI. Kategorie liegen sämtlich in Glenner
und Vorderrhein mit Ausnahme der einen Gemeinde Präsanz, welche
dem Oberhalbstein zugehört.
Der Germanisierungsprozefi steht nun keinen Augenblick still,
und dies äußert sich auch auf dem Gebiete des Schulwesens. So war
z. B. im Jahre 1899 St. Moritz zur ganz deutschen Schule, Zuoz und
Martinsbruck von der IV. in die III. Kategorie übergetreten.
Eine gleiche statistische Erhebung etwa 10 Jahre nach der vor-
geführten würde vermutlich manche Abweichungen zeigen und einen
wertvollen Maßstab für den Fortschritt des Deutschen in Graubünden
darbieten.
Die Untersuchung von 1895 giebt uns aber auch schon die
Ueberzeugung, daß für das Deutschtum in Graubünden von Schul-
*) Das Material der statistischen Aufnahme wurde mir von Herrn Regie-
rungsrat Vital in Chur freundlichst zur Verfügung gestellt.
931 Die Germanisierung der Rätoromanen in der Schweiz. 457
wegen viel gethan worden ist. 34,7 °/o der Schulen in romanischen
Gemeinden leisten mehr als der Schulplan verlangt, 50,8 °/o entsprechen
seinen Anforderungen und nur 14,5 °/o erreichen dieselben nicht.
Es liegt nun der Kantonsregierung durchaus fern, in den zuletzt
genannten Gemeinden mit strengen Maßregeln vorzugehen, um auch
hier den Lehrplan zu verwirklichen, vielmehr erklärte der Kleine Rat,
gestützt auf die statistische Aufnahme und andere genaue Untersuchungen
des Gegenstandes, auf die oben erwähnte Petition des Oberlandes hin,
daß sich zwar der Staat die Oberaufsicht über den deutschen Unter-
richt in den romanischen Gemeinden, sowie die Aufstellung des
Schulplanes entschieden vorbehalte, es aber den Grundsätzen der Ver-
waltung entspreche, die besonderen Verhältnisse der einzelnen Gemeinden
möglichst zu berücksichtigen. Es wurde daher den Oberländern ge-
stattet, ihre Einrichtungen, welche der V. — VII. Kategorie entsprechen,
beizubehalten. Der Nationalitätsstreit wurde auf diese Weise ver-
mieden, und die maßgebenden Männer in Chur waren sich dessen wohl
bewußt, daß man mit der Zeit Rosen pflücken kann.
In dem Lehrplan für die Primarschulen von 1894 ist eingehend
festgesetzt worden, in welcher Weise das Deutsche in den romanischen
Schulen zu lehren ist1). Diese Erlernung geht erstens rascher oder
langsamer von statten, je nach der Anzahl deutscher Kinder in der
Gemeinde, mit denen diejenigen romanischer Familien in und außerhalb
der Schule verkehren. In St. Moritz und Bonaduz z. B. reden gegen-
wärtig fast alle Kinder untereinander deutsch, während es in der
Häuslichkeit der älteren Leute wegen noch nicht so weit gekommen
ist. Zweitens ist die Stärke des geschäftlichen und Fremdenverkehrs
einflußreich, so daß also in den größeren Thalorten im allgemeinen
die deutsche Schule bessere Resultate aufweist als in den abgelegenen
Bergdörfern.
Daß die Persönlichkeit des Lehrers viel ausmacht, versteht sich
von selbst. Im Oberlande giebt es heute noch manche Lehrer, welche
das Deutsche nicht so beherrschen, um einen ersprießlichen Unter-
richt darin erteilen zu können2), während das Unterengadin, das
Schamser- und Albulathal und das Oberhalbstein ausreichend mit ge-
eigneten Kräften versehen sind.
Die Urteile, ob die romanischen Kinder das Deutsche leicht er-
lernen, lauten sehr verschieden, und dies ist nach dem Gesagten über
die außerhalb der Schule mitwirkenden Faktoren ganz begreiflich.
Erfahrene Lehrer, welche neben solchen Kindern auch Italiener unter-
richteten, haben sich in der Weise ausgesprochen, daß die ersteren
rascher als die letzteren des Deutschen mächtig würden. Es mag dies
damit zusammenhängen, daß in der rätoromanischen Sprache nicht
wenige deutsche Worte oder Wortstämme zu finden sind3).
*) Lehrplan a. a. 0., Nr. VI, S. 22 ff.
a) Amtsblatt a. a. 0., S. 419.
3) Z. ß. Ardöfel (Erdapfel), Gabla (Gabel), Gents (Gänse), Kesel (Kessel),
Pot (Bote), Brust (Brust), Baza (Batzen), Feldwaibel, Hofmeister, Zimmermann,
Spaisa (Speise), Stoer (Steuer), tafer, tapfer (tapfer), Trumbaschlager (Trommel-
schläger). Vgl. Annalas della societad Rhaeto-romanscha , Cuira 1896, Glossar,
458 A. Sartorius Freiherr v. Waltershausen, [94
Die Geschichte Graubündens kann über die Einbürgerung fremder
Wörter mancherlei Auskunft erteilen. Ich erinnere nur an die Ein-
wirkung der deutsch -protestantischen Predigt in und nach der Refor-
mationszeit, an die des Kriegsdienstes in der Fremde, des kaufmän-
nischen Verkehrs und des Erwerbs der ßündner im Auslande, der Ge-
richtssprache , der auswärtigen Litteratur bei dem Mangel an eigener.
Die Romanen in Graubünden lernen in der Schule Hoch- oder
Schriftdeutsch, daher kann sich ein Norddeutscher mit seiner hanno-
verschen oder Berliner Mundart in einem Seitenthal des Vorder- oder
Hinterrheins oder des oberen Inns mit den Einheimischen besser ver-
ständigen als mit einem Bürger der Stadt Glarus oder St. Gallen.
Das Schweizerdeutsch lernen die Romanen erst, wenn sie sich in der
deutschen Schweiz aufhalten, zu der auch das deutsche Graubünden
zu rechnen ist. Im Safier-, Valser- und Averserthal, in Mutten, in
Chur und Umgebung, in Ober- und Unterlandquart sprechen die Leute
untereinander Dialekt, den man ausnahmsweise auch in romanischen Ge-
genden antrifft, wenn in größeren Orten, z.B. inSamaden oder St. Moritz,
Angehörige einer engeren Heimat miteinander verkehren. In der
Regel aber haben sich die Deutsch-Schweizer der reinen Schriftsprache
zu befleißigen, wenn sie sich mit ihren romanischen Mitbürgern deutsch
unterhalten wollen. Wollte man im Vorderrheinthal Chur- oder Urner-
deutsch, im Münsterthal tyrolerisch, im Unterengadin die Davoser
Mundart lehren, so würde das Deutsche weit langsamer im roma-
nischen Lande fortschreiten, während es in Wahrheit eine einheitliche
Sprache darstellt und in seiner inneren Geschlossenheit, die sich vor
allem in der Schrift äußert, den verschiedenen Dialekten des Roma-
nischen kraftvoll tiberlegen gegenübertritt. Die Litteratur des letzteren
ist jung und umfaßt nur wenige Wissenszweige. Sie beginnt im
16. Jahrhundert mit der religiösen Bewegung, als der von Norden
vordringende Protestantismus, um wirkungsvoll zu werden, es angezeigt
erachtete, Bibelwort und Katechismus auch in das Romanische zu
übertragen. Sie bleibt dreihundert Jahre lang fast nur religiösen In-
halts, zu der höchstens etwas Poesie weltlicher Art hinzukommt. Erst
in unserem Jahrhundert mit dem Aufschwung des Zeitungswesens und
der billigen Herstellung des Druckes beginnt ein bescheidenes poli-
tisches Buch- und Broschüren wesen. Doch fehlen die höheren, um-
fassenden Bildungsmittel durchaus, sowohl in der Naturwissenschaft
und Medizin, als auch in den Staats Wissenschaften und der Geschichte.
Die litterarischen Bildungsmittel für alles höhere Wissen und die Ge-
lehrsamkeit bieten daher nur die fremden Sprachen und unter diesen
an erster Stelle die deutsche. Das Verständnis für die Poesie sucht
der Oberengadiner nicht in Dante und Tasso, sondern in Schiller und
Goethe, und die jungen romanischen Aerzte, Juristen und Theologen
studieren selten in Italien, meistens vielmehr auf den Universitäten
S. 58 ff. — Th. Gärtner, Rätoromanische Grammatik, Heilbronn 1883, S. 16,
bemerkt, daß sich das Deutsche mehr in das Romanische am Rhein als am Inn
eingemengt habe. Auch für die Syntax habe das Deutsche vielfach als Vorbild
gedient.
951 Die Germanisierung der Rätoromanen in der Schweiz. 459
Zürich, Basel, Bern, und nicht wenige von ihnen auch auf den Hoch-
schulen des Reichs.
Neben der Volksschule ist nun auch das höhere Bildungswesen
bei der Germanisierung nicht zu übersehen. Hier sind zunächst die
Portbildungs- und Repetierschulen zu nennen, deren es im Jahre 1895
40 mit 639 Schülern gab. Sie schließen sich an die oberste Klasse
des Volksunterrichts an und bedienen sich in den romanischen Ge-
bieten vielfach des Deutschen als Unterrichtssprache, da die Schüler
entsprechend dazu vorgebildet sind *). Ferner kommen die Secundar-
oder Realschulen in Betracht; es waren 1895 20 mit 526 Schülern.
Sie umfassen mindestens zwei Kurse, die sich auf zwei Jahre verteilen
und prinzipiell über das in Volksschulen Gelernte hinausgehen. Sie
haben in den meisten romanischen Gebieten die deutsche Unterrichts-
sprache, im Vorderrheinthal die gemischte2).
Eine weitere Ausbildung kann der junge Graubündner in der
Kantonsschule zu Chur erhalten. Sie hatte 1897 408 Zöglinge, welche
sich auf die Abteilungen Gymnasium, Progymnasium , technische
Schule, Handelsschule und Lehrerseminar verteilen. Die Schulsprache
für die Romanen ist die deutsche oder die italienische, welche letztere
von ihnen jedoch wenig in Anspruch genommen wird3). In dem
Lehrerseminar erhalten sie auch nach den beiden Hauptdialekten,
Ladinisch und Oberländisch, getrennten Unterricht in ihrer Mutter-
sprache 4).
Eine Universität besitzt der Kanton nicht. Die am meisten von
ihm aus benutzte dürfte wohl die nächste sein — Zürich, welcher
Ort für die akademischen Bedürfnisse der ganzen Ostschweiz sorgt.
Da hier ausschließlich deutsch doziert wird, werden die romanischen
Studenten ihre Kenntnisse des Deutschen noch bereichern können, falls
dies erforderlich sein sollte.
In den bisherigen Ausführungen ist der Versuch gemacht worden,
') Hub er, Schulstatistik a. a. 0. Regulativ für die graubündnischen
Fortbildungs- und Repetierschulen vom 23. I. 1884: „Die Fortbildungsschulen
schließen sich unmittelbar an die Primarschule an und haben ebensowohl die
Wiederholung und Erhaltung des in der Primarschule Erlernten als auch eine
weitere Ausbildung mit besonderer Rücksicht auf das Berufsleben ins Auge zu
fassen. Für die Romanen wird im ersten Kurs die deutsche Sprache als Fremd-
sprache angesehen." Dies ist bei Kategorie II — V (s. oben S. 455 [91] nicht er-
forderlich).
2) In Trins Villa, Iianz z. B. ist die Unterrichtssprache teils deutsch, teils
romanisch, auch wird romanische Lektüre getrieben.
3) An dem italienischen Kurs der Kantonsschule nehmen in der Regel
nur Italiener aus der Mesolcina, allenfalls auch aus dem Bergell und Puschlav teil.
4) Ein Examen im Romanischen besteht für cfie Volksschullehrer nicht.
In diesem Seminar trieben die Oberländer auch etwas Ladinisch und die Ladiner
Oberländerisch, so daß sie sich wenigstens gegenseitig verständigen können.
Es giebt in Graubünden noch außerdem folgende höhere Bildungsanstalten :
Die Erziehungsanstalt und das Lehrerseminar in Schiers, 1897 131 Schüler, welches
ganz deutsch ist; das Fridericianum in Davos, ebenfalls deutsch, besonders von
Ausländern besucht; der Plantahof, eine landwirtschaftliche Schule bei Landquart,
deutsch; das Proseminar in Roveredo ist italienisch, aus dem von 1893 — 1898
23 patentierte Lehrer und Lehrerinnen hervorgegangen sind ; für Mädchen besteht
das höhere Töchterinstitut Constantineum zu Chur mit deutscher Unterrichtssprache.
460 A. SartoriusFrhr.v. Waltershausen, Die Germanisierung der Rätoromanen etc. [96
den unmittelbaren Einfluß der Schule auf Stärkung des Deutschtums
nachzuweisen. Wenn wir von dem Oberlande absehen, besteht wohl
in allen romanischen Gemeinden ein entschiedenes Bedürfnis, die
deutsche Sprache zu fordern. Wäre das Gegenteil der Fall, so würden
die Gemeinden bei der bestehenden politischen Verfassung (wie es
teilweise in Glenner und Vorderrhein geschehen ist) dieser Förderung
entgegen getreten sein. Sie wählen die Volksschullehrer selbst und
zwar meist nur für einen Winter, ihr Schulrat führt die fortlaufende
Aufsicht über den Unterricht. Trotz aller staatlichen Regulative
würden sie daher der Germanisierung durch die Schule große Schwierig-
keiten hierin bereiten können.
Aber, wie gesagt, die wirtschaftlichen und politischen Zustände
des Landes — auf die letzteren werden wir in dem Schlußkapitel
noch näher eingehen — haben die Entscheidung zu Gunsten des
Deutschen längst abgegeben. Das Interesse an der Erhaltung der
romanischen Sprache, sagte mir ein einfacher Mann aus dem Volke,
der viel im Lande umhergekommen war, bestehe nur noch bei wenigen
Gebildeten, insbesondere bei den Professoren, die sich mit der Sprache
beschäftigten, das Volk denke anders. Diese Ansicht ist die Ueber-
treibung einer einseitigen Beobachtung. Richtig allerdings ist, daß
für die Erhaltung des Romanischen durch Sprachforschung, Heraus-
gabe von Zeitschriften, Glossaren, Lexikons, nur wenige Personen
etwas leisten, während sich die Masse der romanischen Bevölkerung
gegen diese Bestrebungen ziemlich indifferent verhält, aber daraus folgt
nicht, daß nicht sehr viele Leute wissen, wie ihnen neben dem
Deutschen auch das Romanische recht nützlich sein kann. Durch die
Kenntnis desselben wird ein leichtes Erlernen des Italienischen, Fran-
zösischen und Spanischen vermittelt. Das ist sowohl bei der noch
immer bestehenden temporären, kommerziellen Auswanderung, als auch
bei dem bestehenden Verkehr mit Italien und mit den Italienern im
Lande keineswegs zu unterschätzen.
Freilich, wer zwei Sprachen gleichmäßig gut redet, wird in der
Regel keine mit Vollendung beherrschen. Wenn Graubünden einmal
ganz deutsch sein wird, so wird man sich über den Verlust der
romanischen Sprache in deren bisherigem Gebiete vielleicht mit dem
Gedanken trösten, daß man an Sprachqualität kulturell mehr gewonnen
als man an Quantität eingebüßt habe. Dieser Trost scheint mir be-
gründet zu sein.
VII. Kapitel.
Die Kirche.
Auch die Kirche in Graubünden trägt, obgleich sie neben der
Schule nur an zweiter Stelle zu nennen ist, zu der Germanisierung
des Landes bei. Ihre auffalligste Vermittelung ist dann vorhanden, wenn
Predigt und Gebet in romanischen Gebieten deutsch abgehalten werden.
In katholischen Gemeinden ist ferner auf die Beichte hinzuweisen, bei
der sich der Geistliche und das Beichtkind zu verständigen haben, und
schließlich bei beiden Konfessionen auf den sonstigen persönlichen
Verkehr des Pfarrers mit den Dorfbewohnern.
Nun sollte man es für selbstverständlich halten, daß der Pfarrer,
um den geistlichen Bedürfnissen seiner Gemeinde zu genügen, auch
deren Muttersprache handhabt. Dieser Anforderung stellen sich aber
zwei Schwierigkeiten entgegen, welche abweichende und zwar zu
Gunsten des Deutschtums wirkende Zustände hervorbringen. Erstens
sind viele Gemeinden zweisprachig, so daß der Pfarrer romanisch und
deutsch reden muß. Da nun die Leute deutscher Muttersprache nur
selten romanisch, die Romanen aber fast immer ordentlich deutsch
verstehen, so ist es begreiflich, daß der Pfarrer, dem doch daran liegt,
daß seine Predigt möglichst viele seiner Zuhörer fesselt, dem Deutschen
einen Einfluß einräumt, der dem nationalen Zahlenverhältnis in der
Gemeinde vielfach nicht entspricht. So wird z. B. in Paspels und
Rothenbrunnen (Heinzenberg) , wo zwar alle deutsch verstehen, die
Majorität aber romanische Muttersprache hat, fast nur deutsch ge-
predigt. In Pontresina und St. Moritz, in Flims und Filisur ist der
romanische Gottesdienst ebenfalls verschwunden. In Scharans (Heinzen-
berg) und Zuoz (Oberengadin) werden die Sprachen abwechselnd einen
Sonntag um den anderen gebraucht, obgleich nur deutsche Minoritäten
dort leben. Bezeichnend ist dies, daß der Pfarrer des letztgenannten
Ortes, ein Deutschschweizer, der eine Zeit lang im Bergell angestellt
war, italienisch und oberländerromanisch zu predigen wußte, aber
sich, bis er das Ladinische erlernte, ausschließlich des Deutschen be-
diente, weil dies besser verstanden wurde als jene beiden anderen
Sprachen.
In mehreren Orten des Engadins, z. B. in Campovasto, Schuls,
ist einmal im Monate deutscher Gottesdienst, in anderen nur am zweiten
Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde. Xn. 6. 31
462 A. Sartorius Freiherr v. Waltershausen, [9g
Oster-, Pfingst- und Weihnachtstag, wie in Remüs, Strada, Martins-
bruck, Zernez. In diesen Fällen ist zwar dem Bedürfnis der roma-
nischen Mehrheit Rechnung getragen, allein man muß als Gegenstück
dazu festhalten, daß in deutschen Gemeinden mit geringer romanischer
Minorität auf diese in gleicher Weise keine Rücksicht genommen wird.
Die zweite Schwierigkeit ist der Mangel an protestantischen wie
katholischen Geistlichen aus romanischen Gegenden, der sich sowohl
aus der Abnahme der Nationalität als auch aus der vielfach schlechten
Besoldung bei steigenden Lebensansprüchen und bei den verschiedenen
sonstigen besseren Erwerbsgelegenheiten im Lande und außerhalb des-
selben erklärt. Er wird vermutlich in Zukunft noch mehr hervor-
treten, je mehr das romanische Sprachgebiet eingeengt wird, und je
größere Ansprüche die Fremdenindustrie an die Verwendung gebildeter
Kopfarbeiter stellt. In früheren Zeiten war das Unterengadin ein er-
giebiger Produzent an protestantischen Pfarrern. Manche Orte hatten
deren mehrere, indem wohlhabende Männer bei ganz geringer Besoldung
die Stellung eines Predigers als eine Art Ehrenamt übernahmen. Auch
das Oberland bildete mehr katholische Geistliche aus als heutzutage.
Dieser Mangel hat zur Folge, daß sich die Dörfer, falls sie ihr
Pfarramt nicht unbesetzt lassen wollen, an anderssprachige Gebiete
wenden müssen, in denen ein Ueberschuß an Geistlichen über den Be-
darf vorhanden ist. Hierbei kommt erstens Italien mit seinen Ordens-
geistlichen in Betracht, so sind z. B. in Tomils, Almens (Heinzenberg),
Schweiningen, Tiefenkastell italienische Kapuziner angestellt, zweitens
die deutsche Schweiz, Deutschland und 0 esterreich. Das letztere Land
versorgt das Münsterthal, soweit es katholisch ist; aus den beiden
anderen Gebieten finden wir Pfarrer beider Konfessionen in verschiedenen
Gegenden des romanischen Graubündens. Die Italiener sind, obgleich
sie schnell den romanischen Dialekt des Ortes erlernen und für die
Gemeinde billig zu haben sind, da ihre Lebensbedürfnisse nicht hoch
sind, und sie auch von ihrem Orden unterstützt werden, im allgemeinen
weniger geschätzt als die in der Schweiz ausgebildeten Geistlichen,
weil sie sich infolge ihrer einseitigen Klostererziehung selten einen
umfassenden Gesichtskreis für Land und Leute aneignen und das Deutsche
niemals lernen. Daher stoßen wir auf die auffallende Erscheinung,
daß rein oder überwiegend romanische, katholische Gemeinden bisweilen
ausschließlich deutsch redende Pfarrer zu sich berufen. So ist z. B.
in Stürvis (Kreis Alvaschein), wo die statistische Aufnahme von 1888
keinen Deutschredenden kennt, ein Geistlicher aus Deutschland, ebenso
ist es in Bonaduz1), wo noch die Majorität romanisch gezählt wurde.
Von den protestantischen Gemeinden ist Zillis im Schamserthal und
Präz im Kreise Thusis zu erwähnen, wo der Prediger aus einem sprach-
lich deutschen Gebiete gekommen ist und sich beim Gottesdienst nur
seiner Muttersprache bedient.
*) Wie sehr in Bonaduz die Germanisierung schon fortgeschritten ist, erhellt
ans der Thatsache , daß der dortige Geistliche , ein Badenser , nach einem Jahre
seines Dortseins von der Gemeinde einstimmig wiedergewählt wurde, obgleich er
gar nicht romanisch redet.
99] Die Germanisierung der Rätoromanen in der Schweiz. 463
Wenn nun auch in solchen Fällen der Seelsorger allmählich
mit seiner Gemeinde sich in deren Dialekt verständigen lernt, so bleibt
dies doch immer unvollkommen, und es liegt in dem Wesen der Sache,
daß er seiner Muttersprache den Vorzug geben und so germanisieren
wird. In den sprachlich gemischten Gemeinden, in denen ein starker
Fremdenverkehr ist, wie z. B. in Bergün und Samaden, früher auch
in Pontresina, St. Moritz und Flims, wo die Predigt jetzt ganz deutsch
ist, wird der protestantische Gottesdienst im Sommer als ein freund-
liches Entgegenkommen gegen die Fremden, überwiegend im Deutschen
abgehalten, an dem dann auch die angesessenen Romanen teilnehmen.
So sehen wir, wie nach verschiedener Richtung hin die modernen
Wirtschafts- und Verkehrsverhältnisse auch die Kirchensprache berührt
haben, deren Germanisierungswerk unverkennbar ist. Aber auch hier,
wie bei der Schule, sind die hinter den unmittelbar wirkenden Faktoren
stehenden Bedürfhisse des materiellen Lebens die eigentliche treibende
Ursache.
Die Frage, ob die katholische Kirche nicht etwa ein bestimmtes
Interesse an der Germanisierung oder an der Erhaltung des Romanischen
habe, wird nicht gleichmäßig beantwortet. Von deutsch-protestantischer
Seite habe ich wohl gehört, daß der katholische Klerus im Oberlande
und im Oberhalbstein die romanische Sprache begünstige, weil die
ihm feindlichen Lehren in der deutsch-liberalen Schweiz und im Reiche
dadurch ferngehalten würden. Sollte dies so sein, also etwa eine
Parallele mit Böhmen bestehen, wo er zum Tschechentum aus analogen
Gründen hinneigt, so würde es doch falsch sein, aus solchen That-
sachen den Schluß zu ziehen, daß der Katholizismus sich überhaupt in
Graubünden antideutsch in diesem Sinne verhalte. Denn im Münster-
thal treffen wir genau die entgegengesetzte Erscheinung, weil dort im
oberen Thal protestantische Romanen, im unteren katholische Deutsche
wohnen, mithin die Ausdehnung der deutschen Sprache eine stärkere
Beeinflussung der Bevölkerung durch die Tiroler Geistlichkeit bedeutet.
Ich möchte der Meinung zuneigen, daß die katholische Kirche viel zu
realistisch zu denken gewohnt ist, um sich prinzipiell an bestimmte
Mittel zur Erreichung ihrer allein feststehenden Zwecke zu binden.
Ein Politiker oder Staatsmann mit nationalen Zielen wird seine Stellung
zu den Kirchengemeinschaften ändern, je nachdem sie ihm dabei ent-
gegenkommen oder nicht, die katholische Kirche wird bei nationalen
Gegensätzen ähnlich verfahren, also in ihnen nur etwas Wechselndes
erblicken, das wechselnd zu benutzen ist.
VIII. Kapitel.
Staatliches Leben und romanische Nationalität
Man ist gewohnt, in dem heutigen Bundesstaate der Schweiz mit
der weitgehenden kantonalen und gemeindlichen Selbständigkeit ein
Extrem dezentralisierter, politischer Verfassung zu erblicken. Diese
Anschauung ist als Ergebnis eines Vergleiches mit anderen europäischen
Staaten berechtigt, wenn man aber das heutige schweizerische Staats-
recht demjenigen des 18. Jahrhunderts gegenüberstellt, so kann man
sich leicht davon überzeugen, daß der gegenwärtige politische Partiku-
larismus sich mit jenem vergangener Zeit an Stärke, Tiefe und Viel-
gestaltigkeit gar nicht messen kann. Die alte, aus dem Mittelalter
erwachsene Eidgenossenschaft war ein locker gefügter Staatenbund
zum Zweck gemeinsamen Schutzes nach außen und des Ausgleichs
von Streitigkeiten unter den Mitgliedern. Dieselben hatten das Recht,
je nach ihren Bedürfnissen Separatbünde untereinander abzuschließen,
und neben ihnen standen noch die „Verbündeten", welche in noch
minderer Weise einer bundesrechtlichen Gewalt unterworfen waren als
die „ regierenden Stände *, die eigentlichen alten Teilnehmer der Ge-
nossenschaft.
Unter diesen Verhältnissen war es begreiflich, daß die Schweiz wenig
geeignet war, der auf ihrem Gebiete wohnenden Bevölkerung gemein-
sames politisches Empfinden und gemeinsame Lebensanschauung zu
vermitteln. Sie ließ das lokale Recht, die lokale Sitte und Sprache
unangetastet und bot so in allen Formen des öffentlichen und privaten
Lebens ein unvergleichlich buntscheckiges Bild dar.
Zu den verbündeten oder zugewandten Orten der Eidgenossen-
schaft gehörten auch die rätischen Bünde, der obere, der Gotteshaus-
und der Zehntgerichtenbund , welche das heutige Graubünden in sich
teilten. Sie waren selbst nur eine ganz lose Konföderation, welche
mehrere hundert Gemeinden, noch im 18. Jahrhundert die eigentlichen
Träger der politischen Souveränität, in sich vereinigten. Die Gemeinden
schlössen sich in Gerichten und Hochgerichten zu größeren Gerichts-
und Verwaltungsverbänden zusammen und wählten als solche ihre
Richter und auch die Boten zu den Bundestagen und Kongressen, auf
denen die gemeinsamen Angelegenheiten der drei Bünde zur Beratung
standen.
10 J] A.SartoriusFrhr.v. Walt ershausen^DieGermanisierung der Rätoromanen etc. 465
Eine stehende Regierung war in dieser Republik der drei Bünde
nicht vorhanden, sondern die Boten und Beamten kamen von Zeit zu
Zeit zusammen, um die politischen Geschäfte zu erledigen. Wie wenig
bedeutungsvoll dieselben waren, geht unter anderem daraus hervor,
daß das Budget der Republik um 1774 die Ausgabe auf 22929 und
die Einnahme auf 30060 Gulden bezifferte l).
Der Schwerpunkt aller politischen Verwaltung lag in den Ge-
meinden, deren Bürger ihre Beamten wählten, die Dorfmeister, die
Kriminal- und Zivilgeschworenen mit dem Ammann an der Spitze,
den Kirchen- und Schulrat und den Pfarrer. Viele Gemeinden hatten
ihre besonderen Satzungen für Polizei, Alp- und Waldwesen, für Ab-
gaben u. s. w. ; die Gerichte und Hochgerichte hatten ihre eigenen
Zivil- und Krimmalstatuten, die sie nur auf Grund der Abstimmung
nach Gemeinden aufheben oder ändern konnten.
Bei dieser so weitgehenden politischen Selbstverwaltung war es
so gut wie ausgeschlossen, daß die Republik der drei Bünde auf die
Nationalitätsverhältnisse des Landes irgendwie einwirkte. Die deutsche
Sprache wurde allerdings „in den allgemeinen Standesversammlungen,
in den Protokollen und öffentlichen Briefen tt gebraucht2), ihre Abgeord-
neten zu den eidgenössischen Versammlungen mußten sich derselben be-
dienen8), auch wurden die Korrespondenzen mit fremden Mächten in
ihr abgefaßt. Aber alles dies wollte doch für die Germanisierung nichts
besagen, solange die Verwaltungsthätigkeit der Bünde so geringfügig blieb.
Der moderne Staat, demzufolge alle Teile und Teilchen des Volkes
zusammenhängen, sich gegenseitig stützen und ergänzen, demzufolge
das Wohl des Ganzen und dasjenige der einzelnen Bürger sich gegen-
seitig bedingen, ist in der Schweiz und besonders in Graubünden weit
später entstanden als in Frankreich, Oesterreich, Preußen oder Bayern.
Die Verwaltungsorganisation, welche in diesen Staaten das absolute
Regiment im 17. und 18. Jahrhundert geschaffen hatte, hat die Schweiz
und überwiegend auch ihre Kantone erst im 19. nachholen können. Man
darf dies nicht vergessen, wenn man die Nationalitätsfrage in der
Schweiz beurteilen will. In jedem modernen Staatswesen liegt eine
Tendenz zur Vereinheitlichung und als Aeußerung derselben auch das
Streben nach der Einheit der Sprache. Denn es wird durch die That-
sache einer einzigen Sprache sowohl die innere Verwaltung vereinfacht
und damit erleichtert, als auch die Ausbildung des Nationalgefühls als
einer bedeutsamen ethischen Macht gefördert. Wenn somit jeder
Staat in sich eine zentripetale Kraft trägt, die nichts anderes ist als
seine Selbsterhaltung anderen Völkern gegenüber und diese auch auf
innerem nationalem Gebiete äußert, so ist es doch fraglich/ob es ihm ge-
lingt, sich die Sprachminderheiten seiner nationalen Hauptmacht so
J) Vgl. Sprecher a. a. 0., II, S. 566.
2) Johann Eonrad Fäsis genaue und vollständige Staats- und Erd-
beschreibung der ganzen helvetischen Eidgenossenschaft. Zürich 1768, I, S. 63,
IV, S. 80.
8) Versuch eines Handbuches der schweizerischen Staatskunde von J. C. Fäsi.
Zürich 1796, S. 48.
466 A. Sartoriiw Freiherr v. Walterabausen, [102
zu assimilieren, daß sie ihm nicht feindlich entgegentreten und damit
sein Bestehen gefährden.
Der erste Versuch, aus der Schweiz einen modernen Staat zu
machen, war die von Frankreich 1798 vorgenommene Gründung der
helvetischen Bepublik, in welcher die Kantone zu Verwaltungsbezirken
gemacht wurden, die von einem Zentrum aus geleitet werden sollten.
Diesem im höchsten Maße gegen das Gesetz der schrittweisen geschicht-
lichen Entwickelung verstoßenden Experiment war nur ein kurzes Dasein
beschieden, und daß es zu nationalen' Schwierigkeiten führen mußte,
ist nur deshalb von den Zeitgenossen nicht empfunden worden, weil
es zusammenbrach, ehe sich seine Wirkungen auf diesem Gebiete
fühlbar machten.
Napoleon schuf 1803 in der „Vermittelungsakte" den Schweizern
eine neue Verfassung und erklärte ihren Abgesandten bei der Beratung
über dieselbe, daß sich ihr Vaterland in hohem Maße für den Födera-
lismus eigne, „ in welchem jeder Kanton nach seinerSprache, nach
seinen Sitten, Bedürfnissen und Meinungen konstituiert seiu 1).
Einer der damaligen 19 Kantone war auch Graubünden, von
dem jedoch die Unterthanenlande Worms, Cläfen und das Veltlin ab-
getrennt und der italienischen Republik zugehörig blieben. Die heu-
tigen Kantonsgrenzen stammen aus jener Zeit.
Nach dem Sturze der französischen Weltmacht wurde auch das
von ihr geschaffene, eine äußerst mäßige und vernünftige Einheits-
verwaltung gewährende schweizerische Staatsrecht wieder umgeworfen
und dem unzeitgemäßen alten Partikularismus wieder größerer Spiel-
raum gewährt.
Es ist nicht uninteressant, die Etappen auf dem Entwickelungs-
gang zur politischen Einheit einerseits der Schweiz und Deutschlands
andererseits in diesem Jahrhundert miteinander zu vergleichen.
Beiden Ländern brachte die Restaurationszeit, in welcher die
Regierungen glaubten, daß sie die Vorgänge der letzten dreißig Jahre
ungeschehen machen könnten, einen Staatenbund, in welchem die alten
lokalen und landsmannschaftlichen Sonderheiten möglichst konserviert
werden sollten, in beiden war aber schon als Inhaberin des immer
bedeutsamer werdenden Produktionsmittels des Kapitals ein kräftig auf-
strebendes, nicht städtisches, sondern staatliches Bürgertum vorhanden,
das energisch verlangte, im Staatsleben Berücksichtigung zu finden.
In Deutschland wurden unter diesem Impuls unter verschiedenen Staaten
Zollverträge während der zwanziger Jahre abgeschlossen, aus welchen
dann 1833 der deutsche Zollverein hervorgegangen ist, der auf dem
Gebiete des Zoll-, Steuer-, Geld- und Gewichts wesens u. s. w. mancherlei
Einheitliches schuf und für die Verwirklichung der politischen Einheit
so anregend gewirkt hat. In der Schweiz wurde 1832 eine neue
Bundesverfassung angestrebt, nach der die Zölle an die Landesgrenze
verlegt, ein einheitliches Post-, Münz- und Maßwesen geschaffen werden
sollte. Freilich scheiterte dieser Plan, aber die Bedürfnisse einer wich-
!) Leonard Meisters Helvetische Geschichte, Bd. IV, 1799—1807,
S. 63 ff., und Allgemeine Zeitung von 1802, S. 355.
103] - Die Germanisierung der Rätoromanen in der Schweiz. 467
tigen Klasse in der Gesellschaft waren mit ihm unzweifelhaft nach-
gewiesen worden. Das Jahr 1848 verlief hingegen für die Eid-
genossenschaft günstiger als in Deutschland. Sie wurde ein Bundes-
staat und ordnete eine gewisse Zentralisation an, die auf ökonomischem
Gebiete als so notwendig empfunden wurde. In Deutschland schlug
als verfrühtes Experiment die Bemühung nach staatlicher Einheit fehl,
was aber darum um so eher verwunden wurde, als der Zollverein un-
berührt fortbestehen blieb. Als nun 1867 der norddeutsche Bund und
1871 das Reich begründet wurden, glaubte auch die Schweiz mit einer
weiteren Verstärkung der Bundesgewalt nicht warten zu dürfen und
unterzog 1874 in diesem Sinne die Verfassung einer Revision.
Seitdem finden wir in beiden Staaten die Entstehung einer wenn
auch nur schrittweise vorgehenden Gesetzgebung zur Vereinheitlichung
des Rechtes und zur Zusammenfassung der Verwaltung. Es sei be-
züglich der Schweiz nur an das Zivilrecht , das Alkoholmonopol , die
Verstaatlichung der Eisenbahnen erinnert.
Da nun die Eidgenossenschaft ein Staatswesen geworden ist mit
der Befugnis, durch Gesetz und Beamte in die Lebensverhältnisse aller
Schweizer einzugreifen, konnte es nicht ausbleiben, daß die deutsche
Hauptmacht auf die nationalen Minderheiten einen, wenn auch sehr
verschiedenen Druck ausübte. Am meisten ist jedenfalls das Romanen-
tum betroffen worden, das einen entscheidenden Widerstand weder
leisten konnte noch wollte.
Dies äußerte sich schon in der Nichtberücksichtigung des Ro-
manischen in den Ratsversammlungen in Bern 1). Die alten 13 Orte der
Eidgenossenschaft bis 1798 waren rein deutsch, bei der Tagessatzung
wurde nur deutsch gesprochen, und die Korrespondenzen zwischen den
Kantonen waren in derselben Sprache; als dann Waadt und Tessin
in der Helvetik zur Unabhängigkeit gelangten, wurde auch die fran-
zösische und italienische Sprache zugelassen. Unter der Vermittelungs-
akte blieb es so, in der Restaurationsepoche hingegen finden wir als
einen Ausdruck der Vorliebe für das Alte in den Protokollen nun wieder
deutsch, bis dann 1848 auf Antrag des Kantons Waadt die Verfassung
den gegenwärtig geltenden Grundsatz aufnahm: „Die drei Haupt-
sprachen der Schweiz, die deutsche, französische, italienische, sind
Nationalsprachen des Bundes/
Hieraus ist dann die Folgerung gezogen worden, daß alle Ge-
setze, Verordnungen u. s. w. in allen drei Sprachen gedruckt werden
müssen und so als authentischer Text gelten, daß die Abgeordneten
im Stände- und Nationalrat nach ihrem Belieben sich jeder der
Sprachen bedienen dürfen, daß die Eidesformel der Abgeordneten in
drei Sprachen vorzulesen ist, und daß zum Verständnis der Rats-
mitglieder untereinander Uebersetzer für die Verhandlungen zu halten
sind. Ebenso ist im ßundesgericht die Dreisprachigkeit bei den Rich-
tern zu wahren, und die Parteien können ihr gemäß bei den Verhand-
lungen sprechen.
*) Handbuch des schweizerischen Bundesrechtes von Dr. J. Blumer,
herausg. von Dr. J. Morel 1887, Bd. II, S. 235.
468 A. Sartoriu8 Freiherr v. Waltershausen, [104
Wir sehen also, daß dem Romanischen keine Beachtung ge-
schenkt worden ist1), wobei als Motivierung angeführt wurde, daß.
weder der ganze Kanton Graubünden sich desselben bediene, die Haupt-
sprache vielmehr dort das Deutsche sei, noch die Abgeordneten bisher
daran festgehalten, vielmehr ihre Reden immer deutsch gehalten
hätten.
Daß dieser Ausschluß des Romanischen von den Bundessprachen
für die Germanisation Graubündens nicht ohne Belang ist, geht vor
allem daraus hervor, daß die Bundesgesetzgebung, die immer um-
fangreicher wird und auch in Zukunft das gesamte Privatrecht um-
fassen wird, in ihrer deutschen Form gelesen und gebraucht wird, so
daß jeder Romane, der mit juristischen Dingen etwas zu thun hat,
ein Interesse darin findet, das Deutsche gründlich zu erlernen.
Die Verwaltungsthätigkeit des schweizerischen Bundesstaates
greift in mannigfaltiger Weise in die Sprachverhältnisse ein. Ich
erwähne hier zunächst das Militärwesen2). Die Exerzierreglements
und Dienstanleitungen sind von alters her in deutscher, französischer
und italienischer Sprache redigiert und den Truppen vermittelt worden r
mit der einzigen Einschränkung, daß wenigstens die Kommandos auch
bei den italienisch und romanisch sprechenden Truppen im deutschen
Idiom abgegeben werden mußten 8). Es giebt fünf rein deutsche Divi-
sionen und zwei „welsche", d. h. französisch redende, dazu kommt
als achte eine gemischte, in welcher deutsch, italienisch, französisch
und romanisch von den Mannschaften gesprochen wird. Von den ein-
gestellten romanischen Rekruten verstehen die meisten infolge der
Schulbildung deutsch, doch kommt immer eine Anzahl „Stockromant-
scher" zur Truppe, vor allem aus dem Oberland, gelegentlich auch
aus dem Oberhalbstein und Unterengadin. Sie werden zur Instruktion
in deutsch sprechende Kompanieen eingereiht, in welchen sich stets
Instruktions- und Milizoffiziere, sowie auch einige Unteroffiziere be-
finden, welche der romanischen Sprache mächtig sind, und diesen wird
dann die Ausbildung der romanischen Rekruten übertragen. Die Kom-
mandos sind für diese Leute ganz deutsch und nur im Anfang werden
die Vorbereitungskommandos auf romanisch und deutsch gegeben4).
]) Jedoch werden wich tigere Erlasse des Bundes in Uebersetzungen den
Romanen zugänglich gemacht. Vgl. Hunziker a. a. 0., S. 42.
*) Ich beziehe mich hier auf eine briefliche Mitteilung des Herrn Oberst
Bollinger in St. Gallen, welche mir durch die freundliche Vermittelung des
Herrn Prof. Dr. Meili in Zürich zugekommen ist.
8) Wobei es an dem Vorkommen drolliger mißverstandener Wendungen
nicht fehlt, z. B. Furrer rex statt Führer rechts.
4) Sprachenverhältnisse der Infanterieeinheiten der VIII. Armeedivision :
Füs.-Regt. 29:
Füs.-Bat. 85 Kanton Glarus: deutsch,
» 86 „ Schwyz : „
Schützenbataillon 8:
1. Komp. Graubünden: deutsch und romanisch,
2. „ Tessin: italienisch,
3. „ Glarus: deutsch,
4. „ Schwyz: „
105] Die Germanisierung der Rätoromanen in der Schweiz. 469
Daß unter diesen Einrichtungen, namentlich dort, wo deutsche
und romanische Rekruten in derselben Kompanie dienen, der Militär-
dienst eine Art praktischer Fortsetzung des deutschen Unterrichtes ist,
darf mit Sicherheit angenommen werden, und bei den häufigen spä-
teren wochenlangen militärischen Uebungen bietet sich immer von
neuem Gelegenheit, das Gelernte zu wiederholen.
Eine ganz andersartige, aber darum nicht minder bedeutsame
germanisierende Einwirkung erzeugt das wie über die ganze Schweiz,
so auch über das romanische Gebiet verbreitete Post- und Telegraphen-
wesen. Alle Postbeamten, die mit den höheren Instanzen in Chur
und Bern schriftlich zu verkehren haben, ferner die, welche am Schalter
mit dem Publikum verhandeln oder als Kutscher und Kondukteure bei
der Fahrpost thätig sind, müssen das Deutsche vollständig beherrschen
und entsprechen auch dieser Pflicht durchaus. Die Post kommt auch
mit allen Schichten der Bevölkerung in Berührung und nötigt diese,
die deutschen Reglements, Fahrpläne u. s. w. zu studieren. Dieser
doppelte Einfluß der staatlichen Verkehrseinrichtungen wird sich in
späterer Zeit noch in verstärktem Maße zeigen, wenn erst Bundes-
bahnen die bündnerischen Thäler durchziehen werden, deren Central-
verwaltung in einer deutschredenden Stadt liegen wird.
Da verfassungsgemäß der Bund die Oberaufsicht über die Straßen,
besonders die Alpenstraßen und Brücken, über Flußkorrektionen, das
Auswanderungswesen, die Fischerei und Jagd, das Forstwesen, das
Gesundheitswesen ausübt, so stehen seine Organe in steter Verbindung
mit Graubündner Lokalbeamten, und es versteht sich von selbst, daß
die erforderlichen Zustellungen, Anordnungen, Antworten in deutscher
Sprache abgefaßt sind.
Schließlich ist noch das eidgenössische Zollwesen zu nennen. Daß
die Zollbeamten in Martinsbruck , in Münster, in Castasegna, in Cam-
pocologno im Interesse des Fremdenverkehrs deutsch verstehen müssen,
will nicht viel besagen, da aber der schweizerische Tarif der inländischen
Produktion mancherlei Schutz gewährt, so bilden sich in allen roma-
nischen Dörfern Verkehrsbeziehungen zu den Haupthandels- und
Produktionsorten der deutschen Ostschweiz heraus, indem von hier
aus vielfach am billigsten der Bedarf gedeckt wird. Zu Gunsten der
Germanisierung kommt dabei als negative Wirkung hinzu die Er-
schwerung des Verkehrs mit Norditalien durch die Zollgrenze. Jeder,
der weiß, von welchem Einfluß die Zölle auf die zeitweilige Ausbildung
einer Volkswirtschaft sind, und wie durch sie die nationalen Kräfte
der Wirtschaftszweige in gegenseitige Verbindung miteinander treten,
Füs.-Regt. 30.:
Füs.-Bat. 88 Kanton Wallis: 3 Komp. französisch, 1 Komp. deutsch,
„ 89 , Oberwallis: ganz deutsch,
„ 90 „ Graubünden: 3 Komp. romanisch, 1 Komp. italien.
Füs.-Regt. 31 :
Füs.-Bat. 91 Kanton Graubünden: deutsch,
t 92 * „ ,
„ 93 „ „ romanisch und deutsch.
Füs.-Regt. 32:
Füs.-Bat. 94—96 Kanton Tessin: italienisch.
470 A. Sartorius Freiherr v. Waltershausen, [106
wird auch ein Verständnis dafür haben, wie die Gewerbe der deutschen
östlichen Schweiz insbesondere, aber auch die des Nordens mit denen
Graubündens sich verknüpfen müssen, und daß alles, was dabei ge-
sprochen und geschrieben wird, nicht romanisch, sondern deutsch ist,
bedarf keiner weiteren Erörterung.
Neben dem Bundesstaat ist auch noch der Kanton Graubünden,
als ein politischer Faktor der Verbreitung des Deutschtums zu nennen.
Wir haben bei der Erörterung des Schulwesens darauf hingewiesen,
daß die Gemeinden noch über eine relativ große Selbständigkeit ver-
fügen, aber wenn wir eine längere Reihe von Jahren überschauen, so
kommen wir zu der Ueberzeugung , daß sich auch im Kanton eine
Verstärkung der Staatsgewalt vollzogen hat. Die Kantonsgesetzgebung
und im Anschluß daran die Verwaltungsthätigkeit erstreckt sich auf
verschiedene Zweige des Wirtschaftslebens und Verkehrs, auf das
Polizei- , Schul- und Sanitätswesen. Damit sind mancherlei Korre-
spondenzen verbunden, die von Seiten der Regierung mit den roma-
nischen Gemeinden in der Regel im Deutschen geführt und auch in
der gleichen Sprache dem Herkommen nach beantwortet werden, ob-
gleich rechtlich auch das Oberländische und Ladinische zulässig ist.
Der Große Rat, bestehend aus direkt gewählten Abgeordneten,
berät und bereitet die Gesetze vor, welche dem Volke zur Abstimmung
vorgelegt werden. Diese Vorschläge werden im deutschen, italienischen
und oberländischen Text vorgelegt, der authentische Text des an-
genommenen Gesetzes, welches auf Beschluß des Großen Rates über-
setzt werden kann, ist aber nur der deutsche. In der Ratsversamm-
lung steht es jedem Mitgliede frei, in welcher der landesüblichen
Sprachen es sein Votum abgeben will. Einige Abgeordnete bedienen
sich gelegentlich des Italienischen, das Romanische hingegen wird
selten gesprochen.
So wirken Gesetz und Herkommen auch hier zusammen, um dem
Deutschen die Ueberlegenheit zu sichern1).
Das Gerichtswesen erleidet durch die Mehrsprachigkeit des Landes
manche Erschwerung.
Die unterste Instanz ist das Kreisgericht, dessen Sprache in
überwiegend romanischen Landesteilen die dort vorherrschende ist,
wie z. B. in Samaden, Schweiningen, Süs. Doch kann das Gericht
beschließen, daß auch Verhandlungen im Deutschen vorgenommen
werden, obgleich Protokoll und Urteil immer noch romanisch nieder-
geschrieben werden. Die älteren Advokaten plädieren in dem orts-
üblichen Dialekt, die jüngeren, die auf Universitäten deutscher Zunge
ausgebildet worden sind — denn es giebt keine romanische Juris-
prudenz — , sind heutzutage nicht mehr durchweg dessen fähig, so
daß das Gericht ihnen entgegenzukommen genötigt ist, indem es ihnen
das Deutsche gestattet.
Ueber den Kreisgerichten stehen als zweite Instanz die Bezirks-
gerichte. Hier hängt die Gerichtssprache von demjenigen Gebiete ab,
]) Vgl. Rechtskalender der schweizerischen Eidgenossenschaft von F. Seh lat-
ter, 1874, und Geschäftsordnung für den Großen Rat vom 2. Juni 1881.
107] Die Germani8ierang der Rätoromanen in der Schweiz. 471
dem sie dient. So wird z. B. in Silvaplana für das Bergeil italienisch,
für das Oberengadin romanisch verhandelt. Hat der Bezirk viele
deutsche Einwohner, so bürgert sich das Deutsche als Gerichtssprache
bald ein. So z. B. in Tiefenkastell für den Bezirk Albula.
In den Bezirken Imboden und Heinzenberg ist die Gerichts-
sprache gemischt. Protokolle, Urteile, Erlasse werden meist in Deutsch
abgefaßt, während die mündlichen Verhandlungen auch noch romanisch
vorgenommen werden.
Die höchste Instanz im Kanton ist das Kantonsgericht in Ghur.
Es verhandelt und schreibt prinzipiell deutsch, stellt aber für die
Romanen und Italiener Dolmetscher, falls es erforderlich ist. Die
wesentlichen romanischen Akten, welche aus den unteren Instanzen
einkommen, werden übersetzt. Im allgemeinen ist daher auch im
Gerichtswesen die Einwirkung zu Gunsten der Germanisierung unver-
kennbar.
Wir möchten hier am Schluß noch kurz beantworten, warum bisher
in der Schweiz, welche doch vier Nationalitäten umfaßt, ein Konflikt
derselben untereinander ausgeschlossen gewesen ist. Wir werden dann
auch von allgemeineren Gesichtspunkten aus beurteilen können, weshalb
eine „rätoromanische Frage44 nicht hat aufgeworfen werden können.
Vergleiche zwischen der Schweiz und Oesterreich, wo der Natio-
naütatsstreit von alters her tobt, sind oft gezogen worden, und da die
politischen Verfassungen beider Länder verschieden sind, so hat man
in der schweizerischen die Bürgschaft dafür zu finden gemeint, daß
hier, trotz vorhandener nationaler Gegensätze, ihre Träger von Streit
und Kampf verschont geblieben sind. Allein eine ausreichend be-
friedigende Erklärung vermögen wir hierin nicht zu finden. Man
glaubt erstens, daß die bundesstaatliche Organisation der Eidgenossen-
schaft und die damit verbundene weitgehende Selbständigkeit der Kantone
ein Schutz gegen ein etwaiges staatliches, von der deutschen Haupt-
macht angeregtes Eingreifen in die Sonderheiten der anderssprachigen
Minoritäten sei. Während in Oesterreich das deutsche Beamtentum,
dadurch, daß es rücksichtslos Slaven, Ungarn, Italiener regiert habe,
den Sprachenstreit heraufbeschworen habe, sei in der Schweiz eine
solche Verwaltungszentralisation mit einer Beamtenhierarchie aus-
geschlossen gewesen. Allein die Verfassungsgeschichte dieses Landes
in unserem Jahrhundert zeigt, daß zwar langsam und bedächtig, aber
doch stetig die Bundesgewalt gestärkt worden ist. Es ist nur an das
Militär-, das Post-, Telegraphen-, Zollwesen, in neuerer Zeit an die
Eisenbahnen zu erinnern, und dem Alkoholmonopol wird vielleicht das
Tabakmonopol des Bundes folgen. Die nationalen Minderheiten haben
im allgemeinen stets gegen die Vermehrung der Bundesgewalt ge-
stimmt, weil sie darin eine Gefahr für sich erblickten, aber sich auch
immer wieder beruhigt, weil in dem sozialen Leben kein günstiger
Nährboden für eine solche dauernde Opposition vorhanden war.
Als eine zweite politische Schutzwehr gegen nationale Kämpfe
hat man die Demokratie gepriesen, welche vermittelst der politischen
Freiheit die staatliche Verwaltung der steten Volkskontrolle unterwerfe.
472 A. Sartorius Freiherr v. Waltershausen, j [108
Indessen Demokratie ist auch Majoritätsherrschaft, und italienische wie
französische Schweizer sind, wie eben erwähnt, öfters überstimmt worden.
Als die romanischen Gemeinden des Bündner Oberlandes 1895 gegen
den staatlichen Lehrplan für die Primarschulen Verwahrung einlegten*
ging der Große Rat über deren Petition zur Tagesordnung über und
überließ es der Regierung, den berechtigten Wünschen der betreffenden
Thalschaften Rechnung zu tragen. Es blieb die der Verdeutschung^
so günstige Schulverordnung bestehen, und es wurde nur der höheren
Verwaltungsbehörde aufgegeben, ein damit übereinstimmendes Arrange-
ment zu suchen. Daß dieselbe dieser Pflicht in geschickter Weise
nachgekommen ist, wurde in dem Kapitel über das Schulwesen bereits
hervorgehoben.
Es sind namentlich zwei unabhängig von dem heutigen Staats*
wesen stehende Thatsachen, welche in der Schweiz dahin gewirkt
haben, daß der Nationalitätsstreit bisher von ihr fern geblieben ist.
Die erste ist die relativ günstige lokale Gliederung der Sprachgemein-
schaften. Die Italiener leben durch hohe Gebirge von den anderen
getrennt am Südabfall der Alpen bisher als kompakte Masse, ohne
von anderen Nationalitäten in nennenswerter Weise durchsetzt zu seinr
in Tessin und in den vier Bündner Thälern. Es ist also die örtliche
Kollision, die Ursache endloser Reibereien, wie sie Böhmen, Mähren,.
Siebenbürgen u. s. w. tagtäglich bringen, nicht möglich. Die Deutsch-
schweizer wohnen ebenfalls in einem zusammenhängenden Gebiete.
Von den 25 Kantonen sind 17 ganz deutsch, Wallis, Bern, Freiburg,.
Neuchätel sind zwar gemischt, aber in der Hauptsache liegt hier doch
die Sache so, daß durch die Kantone die Sprachgrenze hindurchgeht,
also deutsch und französisch Redende lokal getrennt sind1).
Endlich sind Genf und Waadt ganz überwiegend französisch,
aber auch in sich zusammenhängend. An der Sprachgrenze sind Ver-
schiebungen möglich, und in diesen vier gemischten Kantonen sind
nationale Differenzen nicht ganz ausgeschlossen. Doch werden sie die
Gesamtmasse des Schweizer Volkes nicht so leicht erregen, da diese
sich infolge ihrer örtlichen Sonderung kaum davon berührt fühlen wird.
In Graubünden ist das Italien ert um so isoliert, daß es deutsches
und romanisches Wesen so weit von sich fern halten kann als es will.
Die Deutschen und Romanen wohnen, wie wir wissen, in einigen Amts-
bezirken gemischt durcheinander. Daß es unter ihnen national friedlich
hergeht, ist an erster Stelle dem Umstände zu verdanken, daß die letz-
teren im allgemeinen bereit sind, in den ersteren aufzugehen.
Die zweite Thatsache, welche für den nationalen Frieden der
Schweiz von großer Wichtigkeit ist, besteht darin, daß der Gegensatz,
welchen Sprache, Sitte, Lebensanschauung der Nationalitäten mit sich
bringt, nicht mit einem wirtschaftlich-sozialen oder konfessionellen
gepaart ist. Der nationale Haß zwischen Engländern und Iren auf
der grünen Insel ist nicht zum wenigsten immer dadurch wieder ge-
nährt worden, daß aus jenen überwiegend die Klasse der protestan-
]) Vgl. J. Z i m m e r 1 i , Die deutsch-französische Sprachgrenze in der Schweiz,.
2. Bd., Basel 1891 u. 1895.
109] I>ie Germanisiercng der Rätoromanen in der Schweiz. 473
tischen Grundbesitzer, aus diesen die Klasse der katholischen Klein-
pächter entstammte. In Böhmen waren seit dem dreißigjährigen Kriege
die Deutschen die Herren, Grundbesitzer auf dem Lande, Kapitalisten in
den Städten, die Tschechen hingegen die Feldarbeiter, die Dienstboten,
die Tagelöhner.
Beispiele dafür, daß mit der sozialen Gruppierung eine nationale
zusammenfällt, bietet die Geschichte wohl eines jeden größeren Volkes.
Mit der Eroberung eines Gebietes wurde die besiegte Nationalität in
größere oder geringere wirtschaftliche Klassenabhängigkeit gebracht.
So begründeten z. B. die Normannen in Sizilien ihre Herrschaft und
so die Spanier die ihrige in der Neuen Welt.
Auch die Vergangenheit der Schweiz macht keine Ausnahme.
Der allemannische Adel, der sich in Rätien festsetzte, unterwarf sich
die angesessene Bevölkerung und verfuhr gegen die Helvetier nicht
anders. Wie im ganzen kontinentalen Europa bestanden bis zum An-
bruch der neuen Zeit, welche dem Jahre 1789 gefolgt ist, auch in
der Schweiz ständische Gesellschaft und politische Ungleichheit, sei es
der einzelnen Menschengruppen, sei es ganzer Landesteile. Mit natio-
nalen Verschiedenheiten fiel ein Abhängigkeitsverhältnis namentlich
in zwei Fällen zusammen: im Gebiete des heutigen Kantons Tessin
und in demjenigen des Waadtlandes.
Durch das Eingreifen Frankreichs wurden die Unterthanenverbände
gelöst, und alle Landesteile wurden gleichberechtigte Mitglieder der Eid-
genossenschaft.
Es würde mich zu weit abseits führen, die Entstehung der heu-
tigen schweizerischen Gesellschaft zu erklären. Das steht fest, es giebt
innerhalb der vier Nationalitäten sowohl Grundbesitzer wie Tagelöhner,
Kapitalisten wie gewerbliche Lohnarbeiter, Reiche wie Arme, große
wie kleine Landwirte, Kaufleute wie Bauern u. s. w. Nirgends ist
ein nur irgend auffälliges Zusammentreffen zwischen sozialer und
nationaler Schichtung vorhanden. Mit der Konfession ist es nicht viel
anders. In der deutschen wie französischen Schweiz giebt es über-
wiegend protestantische wie katholische Kantone. Z. B. Zürich ist
protestantisch, Luzern katholisch, Waadt protestantisch, Wallis katho-
lisch. Die Schweizer italienischer Sprache sind zwar in erheblicher
Majorität katholisch, aber im Bergell namentlich und im Puschlav auch
protestantisch. Endlich sind die Romanen am Vorderrhein über-
wiegend katholisch , im Innthal protestantisch. Imboden , Heisen-
berg, Albula, Hinterrhein sind so gemischt, daß bisweilen das eine
Thal diesen, das Nachbarthal den anderen Glauben hat, und nicht
selten sogar haben romanische Dörfer, die ganz nahe bei einander
liegen, verschiedene Konfession.
Infolge der geschilderten Thatsachen ist es verständlich, daß,
wenn gelegentlich hervorgerufen durch politische Vorgänge, nationale
Differenzen entstehen, ihnen jede Grundlage für die Ausartung zu
einer Verbitterung fehlt. Man hat keinen Grund, sich zu erregen,
weil die wichtigsten Interessen des Lebens nicht berührt werden. Die
Staatsverwaltung hat es daher nicht zu schwer, einen objektiven Stand-
punkt einzunehmen, und wird allen chauvinistischen Treibereien fern
474 A.SartoriusFrhr. v. Walteren au8en,Die Germanisierung der Rätoromanen etc. [1 1 0
bleiben, weil sie begreift, daß das Volk wichtigere Interessen zu ver-
treten hat. Endlich aber wollen wir nicht vergessen, daß das Gesamt-
bewußtsein des Schweizerbürgertums, welches in allen vier Nationalitäten
in so schöner Weise vorhanden ist, und dessen Weiterentwickelung
allen einsichtsvollen Politikern in der Schweiz so sehr am Herzen
liegt, die nationalen Gegensätze fortwährend abschwächt, aber selbst
nur aus der geschilderten glücklichen Schichtung ganz zu be-
greifen ist.
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bleiben
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.Band III.
Heft 1. Die Verbreitung und wirtschaftliche Bedeutung der wichtigeren Wald-
baumarten innerhalb Deutschlands, von Prof. Dr. B. Borggreve. Preis M. 1.—
Heft 2. Das Meissnerland, von Dr. M. Jäschke. Preis M. 1.90.
Heft 8. Das Erzgebirge. Eine orometrisch-antbropogeographische Studie von Oberlehrer
Dr. Johannes Burgkhardt. Preis M. 5.60.
•p Heft 4. Die Kurische Nehrung und ihre Bewohner, von Prof. Dr. A. Bezzenberger.
Preis M. 7. 50.
Heft 5. Die deutsche Besiedlung der östlichen Alpenländer, insbesondere Steier-
marks, Kärntens und Krains, nach ihren geschichtlichen und örtlichen Verhältnissen,
von Prof. Dr. P; von Krones. Preis M. 5. 60.
Band IV.
Heft 1. Haus, Hof, Mark und Gemeinde Nordwestfalens im historischen
. Ueberblicke, von Prof. J. B. Nordhoff. Preis M. 1.20.
. Heft 2. Der Rhein in den Niederlanden, von Dr. H. Blink. Preis M. 4.20.
Heft 3. Die Schneedecke, besonders in deutschen Gebirgen, von Prof. Dr.
Friedrich Ratzel. Preis M. 8. —
Heft 4. Rechtsrheinisches Alamannien; Grenze, Sprache, Eigenart, von Prof.
Dr. A. Birlinger. Preis M. 4. 80.
Heft 5. Zur Kenntnis der niederen Tierwelt des Riesengebirges nebst ver-
gleichenden Ausblicken, von Dr. Otto Zacharias. Preis M. 1.50.
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und Verbreitung innerhalb desselben, von Dr. F. Hock. Preis M. 2.20.
Heft 2. Ueber die geographische Verbreitung der Süsswasserfische von Mittel-
europa, von Dr. E. Schulze. Preis 50 Pfennig.
Heft 8. Der Seifenbergbau im Erzgebirge und die Walensagen, von Dr. H. Schurtz.
Preis M. 2. 60.
Heft 4. Die deutschen Buntsandsteingebiete. Ihre Oberflächengestaltung und anthropo-
geographischen Verhältnisse, von Dr. Emil Küster. Preis M. 3.20.
Heft 5. Zur Kenntnis des Taunus, von Dr. W. Sievers. Preis M. 3.60.
Heft 6. Der Thüringer Wald und seine nächste Umgebung, von Dr. H. PrÖscholdt.
Preis M. 1.70.
Heft 7. Die Ansiedelungen am Bodensee in ihren natürlichen Voraussetzungen.
Eine anthropogeographische Untersuchung, von Dr. A. Schlatterer. Preis M. 3.60.
Band VI.
Heft 1. Die Ursachen der Oberflächengestaltung des norddeutschen Flach-
landes, von Dr. F. Wahnschaffe. Preis M. 7. 20. .
Heft 2. Die Volksdichte der Thüringischen Triasmulde, von Dr. C. Kaesemacher.
Preis M. 8. 20.
Heft 3. Die Halligen der Nordsee, von Dr. E. Traeger. Preis M. 7. 50.
Heft 4. Urkunden über die Ausbrüche des Vernagt- und Gurglergletschers
im 17. und 18. Jahrhundert, von Prof. Dr. E. Richter. Preis M. 7. —
Band VII.
Heft 1. Die Volksdichte im Grossherzogtum Baden. Eine anthropogeographische
Untersuchung, von Prof. Dr. Ludwig Neumann. Preis M. 9. 40.
Heft 2. Die Verkehrsstrassen in Sachsen und ihr Einfluss auf die Stadteent-
wickelung bis zum Jahre 1500, von Dr. A. Simon. Preis M. 4. —
Heft 8. Beiträge zur Siedelungskunde Nordalbingiens, von Dr. A. Gloy. Preis M. 3.40.
Heft 4. Nadelwaldflora Norddeutschlands. Eine pflanzengeographische Studie, von
Dr. F. Hock. Preis M. 8. —
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% Fortsetzung auf Seite 4 das Umschlags.
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Schreiber. Preis M. 4. —
Heft 2. Die Vergl#tscherung des Riesengebirges zur Eiszeit Nach eigenen Unter-
suchungen dargestellt von Prof. Dr. Joseph Partsch. Preis M. 6* —
Heft 8. Die Eifel. Von Dr. Otto Follmann. Preis M. 3.20.
Heft 4. Die landeskundliche Erforschung Altbayerns im 16., 17. und 18. Jahr-
hundert von Dr. Christian Gruber. Preis M. 3. —
Heft 5. Verbreitung und Bewegung der Deutschen in der französischen Schwein
Von Dr. J. Zemmrich. Preis M. 3.80.
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Feststellung der Sprachgrenze bis zum Ausgang des 16. Jahrhunderts, von Dr. H ans Witte.
Preis M. 6. 50.
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DieMundart derSiebenbürgerSachsen. Von Direktor Dr. A.Se he in er. Preis M.6.5Ö.
Heft 3. Die Regenkarte Schlesiens und der Naohbargebiete. Entworfen und
erläutert von Professor Dr. Joseph Partsch. Preis M. '4. 70.
Heft 4. Laubwaldflora Nordcleutschlands. Von Dr. F. Hock. Preis M. 2.70.
Heft 5. Die geographische Verteilung der Niederschläge im nordwestlichen
Deutschland. Von Dr. Paul Moldenhauer. Preis M. 4. —
Heft 6. Der Hesseiberg am Frankenjüra und seine südlichen Vorhöhen. Voo
Dr. Christian Gruber. Preis M. 5.20.
Band X.
Heft 1. Zur Hydrographie der Saale. Von Professor Dr. Willi üle. Preis M. 4.5a
Heft 2. Der Pinzgau. Physikalisches Bild eines Alpengaues. Von Oberlehrer Dr. Wilhelm
Schjerning. Preis M. 8.80.
Heft 3. Die Pinzgauer. Von Oberlehrer Dr. Wilhelm Schjerning. Preis M. 5. —
Heft 4. Zur Geschichte des Deutschtums im Elsass und im Vogesengebiet. Von
Dr. Hans Witte. Preis M. 7.60,
Band XI.
Heft 1. Magnetische Untersuchungen im Harz. VonProf.Dr.M.Eschenhagen.PreisM.1.60.
Heft 2. Beitrag zur physikalischen Erforschung der baltischen Seeem. Von
Professor Dr. W i 1 1 i U 1 e. Preis M. 3.—
Heft 3. Zur Kenntnis des Hunsrücks. Von Dr. Fritz Meyer. Preis M. 4. —
Heft 4. Die Veränderungen der Volksdichte im nördlichen Baden 1852 — 1895.
Von Dr. Carl ühlig. Preis M. 10.—
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nördlich der Alpen. Von Dr. August Schulz. Preis M. 8.40.
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drucktafeln und 12 Textillustrationen. 1899. 89 Seiten. Preis M. 6.40.
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Heft 4. Die Volksdichte der grossherzoglich hessischen Provinz Starkenburg anf
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