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Full text of "Die Niederschlagsverhältnisse der mittleren Rheinprovinz und der Nachbargebiete"

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al  her  regnest»  li  for  the  purchase  of  ljonks  fnr  the 
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FORSCHUNGEN 

zuk  Deutschen 

LANDES-  UND  VOLKSKUNDE 

IM  AUFTRAGE  DER 

CENTRALKOMMISSION  FÜR  WISSENSCHAFTLICHE 
LANDESKUNDE  VON  DEUTSCHLAND 


HERAUSGEGEBEN  VON 


D*  A.  KIRCHHOFF, 

PROFESSOR  DER  ERDKÜNDE  AN  DER  UNIVERSITÄT  ZU  HALLE. 


ZWÖLFTER  BAND. 

MIT  Vi  KARTEN, 


10  TABELLEN.^  LICHTDRUCKTAFELN  UNI)  87  TEXTILLUSTRATIONEN. 


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STUTTGART. 

VERLAG    VON    J.  ENÖELHORN. 

1900. 


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Druck  der  Union  Deutsche  Verlagsgeaellschaft  in  Stuttgart. 


Inhalt. 


Seite 
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1.  Die   Niederschlagsverhältnisse   der  mittleren  Rhein- 

provinz und  der  Nachbargebiete.  Von  Direktor  Dr. 
P.  Polis  in  Aachen.  Mit  10  Tabellen,  9  Karten  und  3  Text- 
Illustrationen 1—96 

2.  Das   Vogtland    als   orographisches    Individuum.     Eine 

Studie  zur  deutschen  Landeskunde.  Von  Dr.  Albert  \Johlrab 
in  Leipzig.  Mit  1  Karte,  7  Lichtdrucktafeln  und  12  Text- 
illustrationen     97—185 

<2> 

3.  Das    Ries.     Eine  geographisch  -  volkswirtschaftliche    Studie.    Von 

Dr.  Christian  Gruber  in  München.  Mit  2  Karten  und  12  Text- 
illustrationen   .  ~~. 187—291 

4.  Die  Volksdichte  der  grossherzoglich  hessischen  Provinz 

Starkenburg  |auf  Grund  der  Volkszählung  vom  2.  De- 
zember 1895.  Von  Dr.  Karl  Bergmann  in  Darmstadt.  Mit 
l^Karte 7 293—364 

0>  5.  Die  Germanisierung  der  Rätoromanen  in  der  Schweiz. 
Volkswirtschaftliche  und  nationalpolitische  Studien.  Von  Pro- 
fessor A.  Sartorius  Freiherrn  von  Waltershausen  in  Straß- 
burg i.  E.~  Mit  1  Karte 365—474 


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Forschungen 

zur  deutschen  "Landes-  und  Volkskunde 

im  Auftrage  der 

Central  komm  i  »e  ion  für  wissenschaftliche  Landeskunde  von  Deutschland 

herausgegeben  von 

Dr.  A.  girchhoff, 

Professor  der  Erdkunde* au  der  Universität  Halle. 

Zwölfter  Band. 

Heft  1. 

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Die  Niederschlagsverhältnisse 


der 


Mittleren  Rheinprovinz 

und  der  Nachbargebiete. 


Von 


Dh.  P.  POLIS, 

DIREKTOR  DER  METEOROLOGISCHEN  ZENTRALSTATION  AACHEN. 


Mit  10  Tabellen,  9  Karten  und  3  Textillustrationen. 


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STUTTGART. 

VERLAG    VON    J.   ENGELHORN. 

1899. 


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|ie  , Forschungen  cur  deutschen  Lande«-  und  Volkskunde"  sollen  dazu  helfen»  die 
heimischen  landes-  und  volkskundlicheu  Studien  zu  fordern,  indem  sie  aus  allen  Gebieten 
derselben  bedeutendere  und  in  ihrer  Tragweite  über  ein  bloss  örtliches  Interesse  hinaus- 
gehende Themata  herausgreifen  und  darüber  wissenschaftliche  Abhandlungen  hervorragender 
Fachmänner  bringen.  Sie  beschränken  sich  dabei  nicht  auf  das  Gebiet  des  Deutschen  Reiches, 
sondern  so  weit  auf  mitteleuropäischem  Boden  von  geschlossenen  Volksgemeinschaften  die 
deutsche  Sprache  geredet  wird,  so  weit  soll  sich  auch,  ohne  Rücksicht  auf  staatliche  Grenzen, 
der  Gesichtskreis  unserer  Sammlung  ausdehnen.  Da  aber  die  wissenschaftliche  Betrachtung  der 
Landesiiatur  die  Weglassung  einzelner  Teile  aus  der  physischen  Einheit  Mitteleuropas  nicht 
wohl  gestatten  würde,  so  sollen  auch  die  von  einer  nichtdeutschen  Bevölkerung  eingenommenen 
Gegenden  desselben  samt  ihren  Bewohnern  mit  zur  Berücksichtigung  gelangen.  Es  werden  dem- 
nach ausser  dem  Deutschen  Reiche  auch  die  Länder  des  cisleithanischen  Oesterreichs,  abgesehen 
von  Galizien,  der  Bukowina  und  Dalmatien,  ferner  die  ganze  Schweiz,  Luxemburg,  die  Nieder- 
lande und  Belgien  in  den  Rahmen  unseres  Unternehmens  hineingezogen  werden.  Ausserdem 
aber  sollen  die  Sachsen  Siebenbürgens  mit  berücksichtigt  werden  und  auch  Arbeiten  über  die 
grösseren  deutschen  Volksinseln  des  Russischen  Reiches  nicht  ausgeschlossen  sein. 

Unsere  Sammlung  erscheint  in  zwanglosen  Heften  von  ungefähr  2 — 5  Bogen;  jedes  Heft 
enthält  eine  vollständige  Arbeit  (ausnahmsweise  von  kürzeren  auch  mehrere)  und  ist  für  sich 
käuflich.  Eine  entsprechende  Anzahl  von  Heften  wird  (in  der  Regel  jahrgangsweise)  zu  einem 
Bande  vereinigt. 

Bisher  sind  erschienen : 

Rand  I. 

Heft  1.    Der  Boden  Mecklenburgs,  von  Prof.  Dr.  E.  Geinitz.    Preis  80  Pfennig. 

Heft  2.    Die   oberrheinische   Tiefebene    und    ihre   Randgebirge,    von  Prof.   Dr. 
Lepsius.    Preis  M.  2. — 

Heft  8.    Die  Städte  der  Norddeutschen  Tiefebene  in  ihrer  Beziehung  zur  Boden-    I 
gestaltung,  von  Prof.  Dr.  F.  G.  Hahn.    Preis  M.  2.  — 

Heft  4.    Das  Münchener  Becken.    Ein  Beitrag  zur  physikalischen  Geographie 
Südbayerns,  von  Chr.  Gruber.    Preis  M.  1.60. 

Heft  5.    Die  mecklenburgischen  Höhenrücken  (Geschiebestreifen)'  und  ihre 
Beziehungen  zur  Eiszeit,  von  Prof.  Dr.  E.  Geinitz.    Preis  M.  3. 10. 

Heft  6.    Der  Ein  flu  ss  der  Gebirge  auf  das  Klima  von  Mitteldeutschland,  von 
Dr.  R.  A  ss  mann.    Preis  M.  5.50. 

Heft  7.    Die  Nationalitäten   in  Tirol   und  die  wechselnden  Schicksale   ihrer 
Verbreitung,  von  Prof.  Dr.  H.  J.  Bidermann.  Preis  M.  2.40. 

Heft  8.    Poleographie  der  cimbrischen  Halbinsel,   ein  Versuch,  die  Ansied-    ! 
lungen  Nordalbingiens    in   ihrer  Bedingtheit  durch  Natur  und  Ge- 
schichte nachzuweisen»  von  Prof.  Dr.  K.  Jansen.    Preis  M.  2. — 

Band  IT. 

Heft  1.    Die  Nationalitäts-Verhältnisse  Böhmens,  von  Dr.  L.  Schlesinger.    Preis 

80  Pfennig. 
Heft  2.    Nationalität  und  Sprache   im   Königreiche  Belgien,   von  Geh.  Rechnungsrat 

K.  Brämer.    Preis  M.  4.  - 
Heft  3.    Die  Verbreitung  und  Herkunft  der  Deutschen  in  Schlesien,  von  Prof.  Dr. 

K.  Weinhold.    Preis  M.  2.  40. 
Heft  4.    Gebirgsbau  und  Oberflächengestaltung  der  Sächsischen  Schweiz,  von 

Dr.  A.  Hettner.    Preis  M.  5.  25. 
Heft  5.    Neuere  slavische  Siedlungen  auf  süddeutschem  Boden,   von  Prof,  Dr. 

H.  J.  Bidermann.     Preis  M.  1.25. 
Heft  6.    Siedlungsarten    in    den    Hochalpen,    von    Prof.    Dr.    Ferdinand    Low). 

Preis  M.  1.  75. 

Fortsetzung  auf  Seite  3  des  Umschlags . 


DIE 


NIEDERSCHLAGSVERHÄLTNISSE 


DER 


MITTLEREN  RHEINPROVINZ 


UND  DER  NACHBARGEBIETE. 


VON 


DR.  P.  gOLIS, 

DIREKTOR  DER  METEOROLOGISCHEN  ZENTRALSTATION  AACHEN. 


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Mit  10  Tabellen,  9  Karten  und  3  TexMustrationen. 


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STUTTGART. 

VERLAG  VON    J.   ENGELHORN. 

1899. 


Druck  der  Union  Deutsche  Verlagsgesellschaft  in  Stuttgart. 


Die  genauere  Kenntnis  der  Niederschlagsverteilung  spielt  nicht 
nur  in  klimatologischer  Hinsicht  eine  bedeutende  Rolle,  sondern  sie 
bietet  auch  eine  wichtige  Unterlage  bei  landwirtschaftlichen  und  wasser- 
technischen Fragen.  Die  Vorarbeiten  zur  Ausnutzung  der  Wasserkräfte 
in  dem  nördlichen  Teile  der  Rheinprovinz,  einerseits  dem  Sauerlande 
mit  den  bergischen  Industriebezirken,  andererseits  dem  südlichen  Roer- 
gebiet,  waren  die  Ursache,  der  Niederschlags  Verteilung  auch  an  der 
Westgrenze  Deutschlands  besondere  Aufmerksamkeit  zu  schenken. 
Namentlich  die  Bearbeitung  der  Niederschlagsverhältnisse  im  Quell- 
gebiet der  Roer  zum  Zwecke  der  dortselbst  projektierten  Thalsperren 
und  die  Leitung  einer  größeren  Anzahl  von  Stationen,  gab  mir  die 
Anregung,  auch  die  Regenmenge  der  mittleren  Rheinprovinz  eingehender 
zu  untersuchen.  Weiter  ermöglichten  die  hierselbst  bestehenden  lang- 
jährigen Reihen  in  Verbindung  mit  dem  im  Jahre  1892  eingerichteten 
dichten  Regenstationsnetze  genauere  Aufschlüsse  über  die  Verteilung 
des  Niederschlages  zu  erhalten.  Nach  längeren  Erwägungen  schien  es, 
um  die  Arbeit  noch  vor  Abschluß  des  Jahrhunderts  zu  Ende  zu  führen, 
angebracht  zu  sein,  als  Zeitraum  das  Lustrum  1891—95  bezw.  die 
zehnjährige  Periode  1886 — 95  zu  wählen,  sowohl  um  durch  ersteres 
für  die  kommenden  Zeiten  einen  stetigen  Anschluß  zu  ermöglichen, 
als  auch,  wie  eben  erwähnt,  die  zahlreichen  Regenstationen  erst  1892 
eingerichtet  wurden.  So  konnten  natürlich  die  Jahre  1896  und  1897 
nur  für  einen  geringen  Teil  des  Gebietes  in  den  Kreis  unserer  Unter- 
suchung hineingezogen  werden. 

Bei  der  Bearbeitung  wurde  nicht  nur  Rücksicht  auf  die  jährliche 
Menge,  sondern  auch  auf  eine  möglichst  genaue  Darstellung  der  Regen- 
verteilung  während  der  einzelnen  Jahreszeiten,  den  Einfluß,  den  die 
Gebirge  auf  die  Niederschlagsbildung  ausüben  etc.,  genommen.  Außer 
der  Jahreskarte  wurde  daher  auch  die  jahreszeitliche  Verteilung  sowohl 
der  absoluten  Mengen  als  auch  in  Prozenten  der  Jahrsumme  karto- 
graphisch dargestellt.  Diese  Karten  in  Originalgröße  herauszugeben, 
erfolgte  auf  Beschluß  der  Geographischen  Sektion  der  Versamm- 
lung Deutscher  Naturforscher  und  Aerzte  zu  Düsseldorf  im  Jahre  1898, 


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FROM 

THE  FUND  OF 

Mr*.  HARRIET  J.  G.  DENNY, 

OF  BOSTON. 


Gift  of  $5000  from  the  children  of  Mrs.  Denny, 
at  her  request,  "  for  the  purchase  of  books  for  the 
public  library  of  the  College." 


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FORSCHUNGEN 

ZUR  ÖEUTSCHBN 

LANDES-  UND  VOLKSKUNDE 

IM  AUFTRAGE  DEE 

CENTRALKOMMISSION  FÜR  WISSENSCHAFTLICHE 
LANDESKUNDE  VON  DEUTSCHLAND 

HERAUSGEGEBEN  VON 


D*  A.  KIRCHHOFF, 

PBOFS880R  DER  ERDKUNDE  AN  DER  UNITOR8ITÄT  ZV  HALLE. 


ZWÖLFTER  BAND. 

MIT  tft  KARTEN, 


10  TABELLEN^  LICHTDRUCKTAFELN  UNI)  27  TEXTILLUSTRATIONEN. 


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STUTTGART. 

VERLAG    VON    J.  ENGELHORN. 

1900. 


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JUN  2  1900 


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Druck  der  Union  Deutsche  Verlagsgesellschaft  in  Stuttgart. 


Inhalt. 


Seite 

1.  Die  Niederschlagsverhältnisse   der  mittleren  Rhein- 

provinz und  der  Nachbargebiete.  Von  Direktor  Dr. 
F.  Polis  in  Aachen.  Mit  10  Tabellen,  9  Karten  und  3  Text- 
illustrationen            1—96 

2.  Das   Vogtland    als    orographisches    Individuum.     Eine 

Studie  zur  deutschen  Landeskunde.  Von  Dr.  Albert  "SJohlrab 
in  Leipzig.  Mit  1  Karte,  7  Lichtdrucktafeln  und  12  Text- 
illustrationen          97 — 185 

3.  Das    Ries.     Eine  geographisch  -  volkswirtschaftliche    Studie.    Von 

Dr.  Christian  Gruber  in  München.  Mit  2  Karten  und  12  Text- 
illustrationen     187—291 

4.  Die  Volksdichte  der  grossherzoglich  hessischen  Provinz 

Starkenburg  [auf  Grund  der  Volkszählung  vom  2.  De- 
zember 1895.  Von  Dr.  Karl  Bergmann  in  Darmstadt.  Mit 
l^Karte "7 293—364 

Q>  5.  Die  Germanisierung  der  Rätoromanen  in  der  Schweiz. 
Volkswirtschaftliche  und  nationalpolitische  Studien.  Von  Pro- 
fessor A.  Sartorius  Freiherrn  von  Waltershausen  in  Straß- 
bürg  i.  e7  Mit  \  Karte 365—474 


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Forschungen 

zur  deutschen  "Landes-  und  Volkskunde 

im  Auftrage  der 

Centralkonimission  fiir  wissenschaftliche  Landeskunde  von  Deutschland 

herausgegeben  von 

Dr.  A.  girchhoff, 

Profe*aor  der  Erdkunde  *»u  der  Universität  Halle. 

Zwölfter  Band. 

Heft  1. 


Die  Niederschlagsverhältnisse 

der 

Mittleren  Rheinprovinz 

und  der  Nachbargebiete. 

Von 


DK.  p.  POLIS, 

DIREKTOR  DER  METEOROLOGISCHEN  ZENTRALSTATION  AACHEN. 


Mit  70  Tabelhtiy  9  Karten  und  3  Textillustrationen, 


STÜTTGABT. 
VERLAG    VON    J.   ENGELHORN. 

1899. 


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4      P.  Poli8,  Die  Niederachlagsverhältn.  d.  mittleren  Rheinprov.  u.  d.  Nachbargeb.      [4 

gelegentlich  meines  Vortrages  über  die  Niederschlagsverhältnisse  der 
Rheinprovinz.  In  dankenswertester  Weise  sind  Herr  Prof.  Dr.  Kirch- 
hoff und  der  Verleger  Herr  J.  Engelhorn  in  Stuttgart  diesem  Be- 
schlüsse entgegengekommen,  wofür  ich  auch  an  dieser  Stelle  nicht 
verfehlen  möchte,  meinen  verbindlichsten  Dank  auszusprechen.  Dem 
geographischen  Institut  der  Herren  Wagner  &  Debes  in  Leipzig 
gebührt  noch  die  vollste  Anerkennung  für  die  technisch  so  exakt  aus- 
geführten Karten.  Weiter  bin  ich  zu  Danke  verpflichtet  durch  Zu- 
wendung von  nicht  publizierten  Beobachtungen  dem  Kg  1.  Preußischen 
Meteorologischen  Institut,  dem  Kgl.  Belgischen  Meteorologi- 
schen Observatorium  in  Uccle-Bruxelles  und  dessen  Directeur  de 
service  m&e'orologique  Herrn  A.  Lancaster,  sowie  den  vielen  Beob- 
achtern der  Regenstationen  in  der  Rheinprovinz.  Für  größere  Zu- 
sammenstellungen spreche  ich  noch  den  Herren  Dr.  Bender  von  der 
Meteorologischen  Station  in  Coblenz,  Hugo  Gart  he  von  der  Meteoro- 
logischen Station  Köln,  Prof.  Dr.  Sassen feld  von  der  Meteoro- 
logischen Station  Trier,  meinen  verbindlichsten  Dank  aus. 

An  der  Aufarbeitung  des  Materials  und  der  Herstellung  der  Karten 
beteiligten  sich  die  an  der  Meteorologischen  Zentralstation  Aachen  be- 
schäftigten Herren  Assistenten  Sieb  er  g  und  Thelen. 

Zur  besseren  Orientierung  sei  hier  schon  bemerkt,  daß  die  Menge 
des  Niederschlags  (Regen,  Schnee,  Hagel  etc.)  durch  die  Höhe  in  Milli- 
meter angegeben  wird,  bis  zu  welcher  das  atmosphärische  Wasser 
den  Boden  bedecken  würde,  wenn  es  nicht  verdunstete,  abflösse  oder 
einsickerte ;  eine  Niederschlagshöhe  von  1  mm  liefert  für  das  Quadrat- 
meter 1  Liter  Wasser,  daher  für  das  Hektar  100  Hektoliter. 

Möge  nun  diese  Arbeit,  welche  ich  mir  hiermit  der  Oeffentlich- 
keit  zu  übergeben  gestatte,  als  ein  bescheidener  Beitrag  zur  vaterländi- 
schen Klimatologie  aufgenommen  werden,  woran  ich  aber  auch  noch 
weiter  die  Hoffnung  knüpfe,  daß  sie  der  Landwirtschaft,  der  Technik 
und  namentlich  dem  Wasserbau  zum  Nutzen  gereiche. 

Aachen,  im  März  1899« 

Dr.  P.  Polis. 


Inhalt 

T«t  S«ite 

Vorwort 8      [31 

Inhalt 5      [b] 

Einleitung 7      [7] 

1.  Verzeichnis  der  Quellen  und  der  Litteratur      ...      7      [7] 

2.  Geschichtliches 9      [9] 

Bearbeitung  und  Prüfung  des  Materials 11    [11] 

1.  Material 11    [11] 

a)  Meßinstrument.  Fehlerquellen  der  Regenmesser  ver- 
schiedener Konstruktionen.  Fehlerquellen  der  Aufstellung 
der  Regenmesser 11 

b)  Prüfung  des  Materials 12 

2.  Prüfung  der  benutzten  Perioden 18 

a)  Langjährige  Reihen.    Fehlerrechnung 14 

b)  Prüfung  der  Perioden  1891—95,  1886—95 14 

Jahreswerte,  Jahreszeiten 14 

c)  Klimaschwankungen.    Lustren,  Decennien 17 

8.  Reduktionsmethode 18 

a)  Hannsche  Regel 18 

b)  Prüfung  der  Reduktionsmethode 19 

c)  Fehlergrenze 21 

d)  Veränderlichkeit  des  Niederschlages 21 

4.  Anordnung  der  Tabellen 22 

Niederschlagshöhe.    Jahreswerte 24    [24 

1.  Vorbemerkungen 24    [24 

a)  Langjährige  Mittel 24    [24 

b)  Meteorologische  Grundsätze,  die  dem  Entwurf  der  Karten 
zu  Grunde  liegen 24 

c)  Entstehung  der  .Niederschläge ...  25 

Windverhältnisse  und  Niederschlag.     Niederschläge 

in  den  Cyklonen 26    [26] 

2.  Geographische  Verteilung  der  Niederschläge      .    27 

Trockengebiete 29 

Niederschlagsreichste  Gebiete.    Bergische  Höhen.    Hohes 

Venu.    Technische  Anlagen 

Landwirtschaft  und  Niederschlag 

3.  Höhenverhältnisse  und  Niederschlag 

a)  Höhenßtufen  und  Niederschlagsmenge 

b)  Luv-  und  Leeseite.    Stau  Wirkung 

4.  Gruppenmittel   der  Niederschläge 

a)  Nach  einzelnen  Gebirgsstöcken 

b)  Nach  Flußgebieten 


:i2] 

13 
14 
14 
14 
17 
18 
"18' 
19 
21 

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22 


32 

35 

[32] 
35 

36 
36 
37 

[36] 
"86 
37 

39 
39 
40 

[39] 
39 
40' 

6      P.  Polis,  Die  Niederschlagsverhältn.  d.  mittleren  Rheinprov.  u.  d.  Nachbargeb.    [6 

Niederschlagshöhe.    Jahreszeitliche  Verteilung 

1.  Jährlicher  Verlauf 

2.  Geographische  Verteilung  der  Niederschläge  in 
den   einzelnen  Jahreszeiten   

a)  der  absoluten  Werte 

b)  der  relativen  Werte,  Prozenten  der  Jahrsumme     .    .    . 
8.  Meteorologisch-geographische   Begründung    der 

Niederschlagsschwankungen    in    der   jährlichen 
Verteilung 

a)  Einfluß  der  Temperatur  und  Feuchtigkeit;  Gewitter  .     . 

b)  Einfluß  des  Luftdruckes,  Cyklonenfrequenz 

c)  Einfluß  des  Gebirges  auf  die  jährliche  Verteilung  überhaupt 

d)  Einfluß  der  Luv-  und  Leeseite  auf  Winter-  und  Sommerregen 

e)  Jahreszeitliche  Schwankungen  der  Windrichtung  in  ihrer 
Einwirkung  auf  die  Aenderung  der  Luv-  und  Leeseite  . 

Weitere  Elemente  der  Niederschläge 

1.  Größte  Niederschlagsmengen 

a)  Größte  Tagesmengen  der  Niederschläge 

b)  Größte  Niederschläge  in  kurzer  Zeit 

2.  Niederschlagshäufigkeit 

8.  Schneeverhältnisse 

a)  Schneehäufigkeit 

b)  Schneedecke 

Allgemeine  Ergebnisse  der  Arbeit 64    [64] 

Tabellen. 

I.  Uebersicht  der  Stations Verhältnisse 67  [67] 

IL  Vieljährige    Monats-    und    Jahreswerte    der    Nieder- 
schläge    75  [751 

III.  Normalmittel  der  Niederschläge  1851  —  90      ....  76  [76] 

IV.  Mittlere  Niederschlagshöhe   in  Prozenten   der  Jahr- 
summe 1886  —  95 78  [78] 

V.  Mittlere  Niederschlagshöhe   in  Prozenten   der  Jahr- 
summe 1886—90,  1891  —  95 79    [791 

VI.  Jahresniederschläge  im  mittleren  Rheingebiet      .     .  81     [81] 
VII.  Jahreszeitliche    Niederschlagsmittel     im    mittleren 

Rheingebiet 86 

VIII.  Größte  Niederschlagsmengen   1886-95 91 

a)  Größte  mittlere  Tageswerte  der  Niederschläge  ....  91 

b)  ,      absolute  „  „  ,  ....    91 

c)  Große  Niederschläge  in  kurzer  Zeit  1891—94    ....     92 
IX.  Mittlere  Zahl  der  Tage  mit  mehr  als  0,2  mm  Nieder- 
schlag 1886  —  95 95 

X.  Mittlere  Zahl  der  Tage  mit  Schnee  1886  —  95    ...    96 


Seite 

42 

[42] 

42 

[42] 

44 

441 

44 

44 

46 

[46] 

48 

[48] 

48 

[48" 

50 

50 

51 

51 

52 

[52] 

53 

[53] 

56 

[56] 

56 

[56] 

56 

56' 

58 

58' 

59 

[59] 

60 

[601 

60 

60 

61 

61 

86 
91 
91 
91 

p 


Kart«»-  Karte 

Jährliche  Verteilung  der  Niederschläge   1886—95    .       I 
Jahreszeitliche  Verteilung   der  Niederschläge    1886 
bis  1895  in  Millimeter 

Winter,  Frühling,  Sommer,  Herbst II— V 

Jahreszeitliche  Verteilung  der  Niederschläge  in  Pro- 
zenten der  Jahrsumme 

Winter,  Frühling,  Sommer,  Herbst VI— IX 


Verzeichnis  der  Quellen  und  der  Litteratur. 
Quellen. 

a.    Für  Deutschland. 

1.  Publikationen  des  Kgl.  Preufi.  Meteorologischen  Instituts:  Ergebnisse  der 
meteorologischen  Beobachtungen  1886—93;  von  1887  an  unter  dem  Haupt- 
titel Deutsches  Meteorologisches  Jahrbuch  für  1887  (ff.)»  Beobachtungssystem 
des  Königreiches  Preußen  und  benachbarter  Staaten :  Ergebnisse  der  Nieder- 
schlagsbeobachtungen 1891—94,  herausgegeben  von  W.  v.  Bezold. 

Für  1894  und  1895,  soweit  noch  nicht  veröffentlicht,  entweder  abschrifts- 
weise vom  Kgl.  Preuß.  Meteorologischen  Institut  oder  seitens  der  Beobachter 
an  den  Regenstationen. 

2.  Deutsches  Meteorologisches  Jahrbuch,  Beobachtungssystem  der  Meteorologi- 
schen Station  I.  Ordnung  Aachen:  Ergebnisse  der  meteorologischen  Beob- 
achtungen an  der  Station  I.  Ordnung  Aachen  und  deren  Nebenstationen, 
1895—97,  herausgegeben  von  P.  Polis. 

Originalakten  der  Meteorologischen  Station  Aachen. 

3.  Abschriften  seitens  der  Herren :  W.  Schnell,  Meteorologische  Station  Kre- 
feld; Hugo  Garthe,  Meteorologische  Station  Köln;  Dr.  Bender,  Meteoro- 
logische Station  Coblenz;  J.  Struve,  Meteorologische  Station  Hachenburg; 
Prof.  Dr.  Sassen feld,  Meteorologische  Station  Trier,  größtenteils  für  älteres 
Material. 

4.  v.  Möllendorf,  Die  Regenverhältnisse  Deutschlands  in  den  Abhandlungen 
der  Görlitzer  Naturforschenden  Gesellschaft.    Görlitz  1862. 

5.  Töpfer,  Untersuchungen  über  die  Regenverhältnisse  Deutschlands  in  den 
Abhandlungen  der  Naturforschenden  Gesellschaft  zu  Görlitz,  18.  Bd.  1884. 
Nr.  4  und  5  Quellenangabe  für  einige  ältere  Beobachtungsreihen. 

b.   Für  Belgien. 

6.  Lancaster,  La  pluie  en  Belgique.    Bruzelles  1894. 

7.  Lancaster,  Le  climat  en  Belgique  1891,  1892,  1893,  1894,  1895. 

8.   Bulletin  mensuel  de  l'observatoire  royai  de  Belgique  1893,  1894,  1895. 

Litteratur. 

(Arbeiten  soweit  sie  die  Rheinprovinz  oder  die  Methode  der  Niederscblags- 
messungen  betreffen.    M.  Z.  bedeutet  die  Meteorologische  Zeitschrift) 

1.  a)  van  Bebber,  Die  Regenverhältnisse  Deutachlands.    München  1877. 

b)  Vergleichende  Regenmessungen  an  der  Deutschen  Seewarte.    Aus  dem 
Archiv  der  Deutschen  Seewarte,  XVIII.  Jahrg.  1893,  Nr.  3. 

2.  Brückner,  Klimaschwankungen  seit  1700.  Wien  1890.  Geographische 
Abhandlungen,  herausgegeben  von  Penck,  Bd.  4,  Heft  2. 


8      P.  Polis,  Die  Niederschlagsverhältn.  d.  mittleren  Rheinprov.  u.  d.  Nachbargeb.     [8 

3.  a)  Hell  mann,   Beitrage  zur  Kenntnis  der   Niederschlags  Verhältnisse  von 

Deutschland.    M.  Z.  1886. 
b)  Resultate  des  Regenmeß- Versuchsfeldes  bei  Berlin,  1885—91,  M.  Z.  1892, 
und  Vergleichende  Beobachtungen   an  Regenmessern  verschiedener  Kon- 
struktionen.   Abhandl.  des  Kgl.  Preuß.  Meteorolog.  Instituts,  Bd.  1,  Nr.  3. 

4.  a)  Intze,  Gutachten  bezüglich  der  Verbesserung  der  Wasserverhältnisse 

der  Roer  und  der  zur  Verbesserung  des  Roerbettes  aufgestellten  Regu- 
lierungsprojekte.   Düsseldorf  1896. 
b)  Festrede  zur  Vorfeier  des  Geburtstages  Sr.  Majestät  des  deutschen  Kaisers 
und  Königs  von  Preußen;    enthalt   die  verschiedenen   Neuanlagen    zur 
Regulierung  der  Wasserverhältnisse  im  Wuppergebiete.    Aachen  1897. 

5.  Lancaster,  La  pluie  en  Belgique.    Bruxelles  1894. 

6.  a)  Meyer,   Die  Niederschlagsverhältnisse  von   Deutschland,  insbesondere 

von  Norddeutachland,  in  den  Jahren   1876 — 85.     Aus  dem  Archiv  der 
Deutschen  Seewarte,  1888,  Nr.  6. 
b)  Anleitung    zur    Bearbeitung   meteorologischer  Beobachtungen    für   die 
Klimatologie.    Berlin  1891. 

7.  v.  Möllendorf,  Die  Regenverhältnisse  Deutschlands.    Görlitz  1862. 

8»  Moldenhauer,  Die  geographische  Verteilung  der  Niederschläge  im  nord- 
westlichen Deutschlands  Forschungen  zur  deutschen  Landes*  und  Volks- 
kunde IX.    Stuttgart  1896. 

9.  a)  Polis,  Die  Niederschlagsverhältnisse  des  südlichen  Roergebietes  im 
Jahre  1897.    Das  Wetter  1898. 

b)  Die  Niederschlagsverhältnisse  von  Aachen.  Deutsches  Meteorologisches 
Jahrbuch  für  Aachen  1896.  Karlsruhe  1897.  Auszugsweise  M.  Z.  1898 
und  Das  Wetter  1897. 

c)  Vergleichende  Niederschlagsmessungen  an  der  Meteorologischen  Station 
Aachen.    Das  Wetter  1897. 

d)  Die  wolkenbrucbartigen  Niederschläge  des  Juni  1898  im  Maas-  und  Roer- 
gebiete.    Das  Wetter  1898. 

10.  Schultheiß,  Klimatische  Verhältnisse  in  Der  Rheinstrom  und  seine 
wichtigsten  Nebenflüsse.    Berlin  1889. 

11.  Töpfer,  Untersuchungen  über  die  Regenverhältnisse  Deutschlands.  Gör- 
litz 1884. 

12.  Ziegler,  Niederschlagsbeobachtungen  in  der  Umgebung  von  Frankfurt  a.M., 
nebst  einer  Regenkarte  der  Main-  und  Mittelrheingegend.  Frankfurt  a.  M. 
1886. 


Geschichtliches. 

Die  Niederschlagsverhältnisse  des  Deutschen  Reiches  haben  bisher 
schon  eine  mannigfaltige  Darstellung  in  textlicher  und  kartographi- 
scher Hinsicht  erfahren ;  namentlich  sind  es  die  früheren  Arbeiten  von 
v.Möllendorf1),  van  Bebber»),  Töpfer3),  Krümmel4),  Ziegler5), 
Hellmann6)  und  Meyer7),  die  uns  hierüber  Aufklärung  gegeben 
haben. 

Während  die  älteren  Arbeiten  sich  mehr  mit  der  Niederschlags- 
frage großer  Landstriche  befaßten,  ist  man  in  jüngster  Zeit  dazu  ge- 
kommen, vor  allem  kleinere  Gebiete  in  Bezug  auf  ihren  Regenreichtum 
zu  untersuchen;  so  liegen  für  die  östlichen  Teile  der  Monarchie,  gerade 
für  Schlesien 8),  mehrere  größere  Arbeiten  vor.  Auch  sind  die  Nieder- 
schlagsverhältnisse des  gesamten  Rheinlaufes  von  Schultheiß9)  dar- 
gestellt, die  des  Oberelsaß  durch  die  bekannte  Arbeit  von  Rubel10), 
die  des  Thüringer  Waldes  und  des  Harzes  von  Assmann11)  und  in 
neuester  Zeit  eingehend  durch   Schulz13).     Als  eine  umfangreichere 

0  v.  Möllendorf,  Die  Regen  Verhältnisse  Deutschlands.    Görlitz  1862. 

*)  van  Bebber,  Regentafeln  für  Deutschland.  Kaiserslautern  1876.  — 
Die  Regenverhältnisse  Deutschlands.    München  1877. 

*)  Töpfer,  Untersuchungen  über  die  Regenverhältnisse  Deutschlands.  Ab- 
handlungen der  Naturforschenden  Gesellschaft  zu  Görlitz,  18.  Bd.  1884. 

*)  Krümmel,  Regenkarte  im  physikalisch-statistischen  Atlas  des  Deutschen 
Reiches  von  Andree  und  Peschel,  mit  einleitendem  Text. 

5)  Ziegler,  Niederschlagsbeobachtungen  in  der  Umgebung  von  Frank- 
furt a.  M.,  nebst  einer  Regenkarte  der  Main-  und  Mittelrheingegend.  Frank- 
furt a.  M.  1886. 

6)  Hellmann,  Beiträge  zur  Kenntnis  der  Niederschlagsverhältnisse  von 
Deutschland.    M.  Z.  1886. 

7)  Meyer,  Die  Niederschlagsverhältnisse  von  Deutschland,  insbesondere  von 
Norddeutschland  in  den  Jahren  1876—85.    Hamburg  1889. 

8)  a.  Kremser,   Klimatische  Verhältnisse  in  dem  Oderstromgebiete  in  dem 
Oderwerk,  Berlin  1896.  —  b.  Partsch,  Die  Regenkarte  von  Schlesien  und  den  , 
Nachbargebieten.      Forschungen    zur    deutschen    Landes-    und    Volkskunde,    IX. 
Stuttgart  1895. 

9)  Schultheiß,  Der  Rheinstrom  und  seine  wichtigsten  Nebenflüsse.  Kli- 
matische Verhältnisse.    Berlin  1889. 

10)  Rubel,  Die  Niederschlagsverhältnisse  im  Oberelsaß.  Inauguraldisser- 
tation.   Stuttgart  1895. 

n)  Aß  mann,  Der  Einfluß  der  Gebirge  auf  das  Klima  von  Mitteldeutsch- 
land.   Forschungen  zur  deutschen  Landes-  und  Volkskunde,  I.    Stuttgart  1886. 

,2)  Schulz,  Die  jährlichen  Niederschlagsmengen  Thüringens  und  des  Harzes 
und  ihre  Verteilung  auf  die  einzelnen  Jahreszeiten  und  Monate.  Archiv  für 
Landes-  und  Volkskunde  der  Provinz  Sachsen.    Halle  a.  S.  1898. 


»■ 


lie  .Forschungen  zur  deutschen  Landes-  und  Volkskunde"  sollen  dazu  helfen,  die 
heimischen  landes-  und  volkskundlichen  Studien  zu  fördern,  indem  sie  aus  allen  Gebieten 

I  derselben  bedeutendere  und  in  ihrer  Tragweite  über  ein  bloss  örtliches  Interesse  hinaus- 
gehende Themata  herausgreifen  und  darüber  wissenschaftliche  Abhandlungen  hervorragender 
Fachmänner  bringen.  Sie  beschränken  sich  dabei  nicht  auf  das  Gebiet  des  Deutschen  Reiches, 
sondern  so  weit  auf  mitteleuropäischem  Boden  von  geschlossenen  Volksgemeinschaften  die 
deutsche  Sprache  geredet  wird,  so  weit  soll  sich  auch,  ohne  Rücksicht  auf  staatliche  Grenzen, 
der  Gesichtskreis  unserer  Sammlung  ausdehnen.  Da  aber  die  wissenschaftliche  Betrachtung  der 
Landesnatur  die  Weglassung  einzelner  Teile  aus  der  physischen  Einheit  Mitteleuropas  nicht 
wohl  gestatten  würde,  so  sollen  auch  die  von  einer  nichtdeutschen  Bevölkerung  eingenommenen 
Gegenden  desselben  samt  ihren  Bewohnern  mit  zur  Berücksichtigung  gelangen.  Es  werden  dem- 
nach ausser  dem  Deutschen  Reiche  auch  die  Länder  des  cisleithanischeji  Oesterreichs,  abgesehen 
von  Galizien,  der  Bukowina  und  Dalmatien,  ferner  die  ganze  Schweiz,  Luxemburg,  die  Nieder- 
lande und  Belgien  in  den  Rahmen  unseres  Unternehmens  hineingezogen  werden.  Ausserdem 
aber  sollen  die  Sachsen  Siebenbürgens  mit  berücksichtigt  werden  und  auch  Arbeiten  über  die 
grösseren  deutschen  Volksinseln  des  Russischen  Reiches  nicht  ausgeschlossen  sein. 

Unsere  Sammlung  erscheint  in  zwanglosen  Heften  von  ungefähr  2 — 5  Bogen;  jedes  Heft 
enthält  eine  vollständige  Arbeit  (ausnahmsweise  von  kürzeren  auch  mehrere)  und  ist  für  sich 
käuflich.  Eine  entsprechende  Anzahl  von  Heften  wird  (in  der  Regel  Jahrgangs  weise)  zu  einem 
Bande  vereinigt. 

Bisher  sind  erschienen : 

Band  I. 

Heft  1.    Der  Boden  Mecklenburgs,  von  Prof.  Dr.  E.  Geinitz.    Preis  80  Pfennig. 

Heft  2.  Die  oberrheinische  Tiefebene  und  ihre  R'andgebirge,  von  Prof.  Dr. 
L  e  p  8  i  u  8.    Preis  M.  2.  — 

Heft  3.  Die  Städte  der  Norddeutschen  Tiefebene  in  ihrer  Beziehung  zur  Boden- 
gestaltung,  von  Prof.  Dr.  F.  G.  Hahn.    Preis  M.  2, — 

Heft  4.  Das  Münchener  Becken.  Ein  Beitrag  zur  physikalischen  Geographie 
Südbayerns,  von  Chr.  Gruber.    Preis  M.  1.60. 

Heft  5.  Die  mecklenburgischen  Höhenrücken  (Geschiebestreifen)'  und  ihre 
Beziehungen  zur  Eiszeit,  von  Prof.  Dr.  EL  Geinitz.    Preis  M.  3. 10. 

Heft  6.  Der  Einfluss  der  Gebirge  auf  das  Klima  von  Mitteldeutschland,  von 
Dr.  R.  A 8  8 mann.    Preis  M.  5.50. 

Heft  7.  Die  Nationalitäten  in  Tirol  und  die  wechselnden  Schicksale  ihrer 
Verbreitung,  von  Prof.  Dr.  H.  J.  Bidermann.  Preis  M.  2.40. 

Heft  8.  Poleographie  der  cimbrischen  Halbinsel,  ein  Versuch,  dieAnaied- 
lungen  Nordalbingiens  in  ihrer  Bedingtheit  durch  Natur  und  Ge- 
schichte nachzuweisen,  von  Prof.  Dr.  K.  Jansen.    Preis  M.  2.  — 

Band  II. 

Heft  1.    Die  Nationalitäts-Verhältnisse  Böhmens,  von  Dr.  L.  Schlesinger.    Preis 

80  Pfennig. 
Heft  2.    Nationalität  und  Sprache   im   Königreiche   Helgien,   von  Geh.  Rechnungsrat   ' 

K.  Brämer.    Preis  M.  4.  — 
Heft  3.    Die  Verbreitung  und  Herkunft  der  Deutschen  in  Schlesien,  von  Prof.  Dr. 

K.  Weinhold.    Preis  M.  2.40. 
Heft  4.    Gebirgsbau  und  Oberflächengestaltung  der  Sächsischen  Schweiz,  von 

Dr.  A.  Hettner.    Preis  M.  5.25. 
Heft  5.    Neuere  alavische  Siedlungen  auf  süddeutschem  Boden,   von  Prof.  Dr. 

H.  J.  Bidermann.    Preis  M.  1.25.  j 

Heft  6.    Siedlungsarten    in    den    Hochalpen,    von    Prof.    Dr.    Ferdinand    Löwl.   5 

Preis  M.  1.75. 

Fortsetzung  anf  Seite  3  des  Umschlags. 


viX 


DIE 


NIEDERSCHLAGSVERHÄLTNISSE 


DER 


MITTLEREN  RHEINPROVINZ 


UND  DER  NACHBARGEBIETE. 


VON 


DB.  P.  gOLIS, 

DIBEKTOB  DEB  METEOROLOGISCHEN  ZEMTBAL8TATION  AACHEN. 


Mit  10  Tabellen,  9  Karten  und  3  TexHUmtrationen. 


-*—•*- 


STUTTGART. 

VERLAG  VON    J.   ENGELHORN. 

1899. 


Druck  der  Union  Deutsche  Verlagsgesellschaft  in  Stuttgart. 


Die  genauere  Kenntnis  der  Niederschlagsverteilung  spielt  nicht 
nur  in  klimatologischer  Hinsicht  eine  bedeutende  Rolle,  sondern  sie 
bietet  auch  eine  wichtige  Unterlage  bei  landwirtschaftlichen  und  wasser- 
technischen Fragen.  Die  Vorarbeiten  zur  Ausnutzung  der  Wasserkräfte 
in  dem  nördlichen  Teile  der  Rheinprovinz,  einerseits  dem  Sauerlande 
mit  den  bergischen  Industriebezirken,  andererseits  dem  südlichen  Roer- 
gebiet,  waren  die  Ursache,  der  Niederschlagsverteilung  auch  an  der 
Westgrenze  Deutschlands  besondere  Aufmerksamkeit  zu  schenken. 
Namentlich  die  Bearbeitung  der  Niederschlagsverhältnisse  im  Quell- 
gebiet der  Roer  zum  Zwecke  der  dortselbst  projektierten  Thalsperren 
und  die  Leitung  einer  größeren  Anzahl  von  Stationen,  gab  mir  die 
Anregung,  auch  die  Regenmenge  der  mittleren  Rheinprovinz  eingehender 
zu  untersuchen.  Weiter  ermöglichten  die  hierselbst  bestehenden  lang- 
jährigen Reihen  in  Verbindung  mit  dem  im  Jahre  1892  eingerichteten 
dichten  Regenstationsnetze  genauere  Aufschlüsse  über  die  Verteilung 
des  Niederschlages  zu  erhalten.  Nach  längeren  Erwägungen  schien  es, 
um  die  Arbeit  noch  vor  Abschluß  des  Jahrhunderts  zu  Ende  zu  führen, 
angebracht  zu  sein,  als  Zeitraum  das  Lustrum  1891 — 95  bezw.  die 
zehnjährige  Periode  1886 — 95  zu  wählen,  sowohl  um  durch  ersteres 
für  die  kommenden  Zeiten  einen  stetigen  Anschluß  zu  ermöglichen, 
als  auch,  wie  eben  erwähnt,  die  zahlreichen  Regenstationen  erst  1892 
eingerichtet  wurden.  So  konnten  natürlich  die  Jahre  1896  und  1897 
nur  für  einen  geringen  Teil  des  Gebietes  in  den  Kreis  unserer  Unter- 
suchung hineingezogen  werden. 

Bei  der  Bearbeitung  wurde  nicht  nur  Rücksicht  auf  die  jährliche 
Menge,  sondern  auch  auf  eine  möglichst  genaue  Darstellung  der  Regen- 
verteilung während  der  einzelnen  Jahreszeiten,  den  Einfluß,  den  die 
Gebirge  auf  die  Niederschlagsbildung  ausüben  etc.,  genommen.  Außer 
der  Jahreskarte  wurde  daher  auch  die  jahreszeitliche  Verteilung  sowohl 
der  absoluten  Mengen  als  auch  in  Prozenten  der  Jahrsumme  karto- 
graphisch dargestellt.  Diese  Karten  in  Originalgröße  herauszugeben, 
erfolgte  auf  Beschluß  der  Geographischen  Sektion  der  Versamm- 
lung Deutscher  Naturforscher  und  Aerzte  zu  Düsseldorf  im  Jahre  1898, 


4      P.  Polis,  Die  Niederschlagsverhältn.  d.  mittleren  Rheinprov.  u.  d.  Nachbargeb.     [4 

gelegentlich  meines  Vortrages  über  die  Niederschlagsverhältnisse  der 
Rheinprovinz.  In  dankenswertester  Weise  sind  Herr  Prof.  Dr.  Kirch- 
hoff und  der  Verleger  Herr  J.  Engelhorn  in  Stuttgart  diesem  Be- 
schlüsse entgegengekommen,  wofür  ich  auch  an  dieser  Stelle  nicht 
verfehlen  möchte,  meinen  verbindlichsten  Dank  auszusprechen.  Dem 
geographischen  Institut  der  Herren  Wagner  &  Debes  in  Leipzig 
gebührt  noch  die  vollste  Anerkennung  für  die  technisch  so  exakt  aus- 
geführten Karten.  Weiter  bin  ich  zu  Danke  verpflichtet  durch  Zu- 
wendung von  nicht  publizierten  Beobachtungen  dem  Kg  1.  Preußischen 
Meteorologischen  Institut,  dem  Kgl.  Belgischen  Meteorologi- 
schen Observatorium  in  Uccle-Bruxelles  und  dessen  Directeur  de 
Service  m£t£orologique  Herrn  A.  Lancaster,  sowie  den  vielen  Beob- 
achtern der  Regenstationen  in  der  Rheinprovinz.  Für  größere  Zu- 
sammenstellungen spreche  ich  noch  den  Herren  Dr.  Bender  von  der 
Meteorologischen  Station  in  Coblenz,  Hugo  Gart  he  von  der  Meteoro- 
logischen Station  Köln,  Prof.  Dr.  Sassen feld  von  der  Meteoro- 
logischen Station  Trier,  meinen  verbindlichsten  Dank  aus. 

An  der  Aufarbeitung  des  Materials  und  der  Herstellung  der  Karten 
beteiligten  sich  die  an  der  Meteorologischen  Zentralstation  Aachen  be- 
schäftigten Herren  Assistenten  Sieberg  und  Thelen. 

Zur  besseren  Orientierung  sei  hier  schon  bemerkt,  daß  die  Menge 
des  Niederschlags  (Regen,  Schnee,  Hagel  etc.)  durch  die  Höhe  in  Milli- 
meter angegeben  wird,  bis  zu  welcher  das  atmosphärische  Wasser 
den  Boden  bedecken  würde,  wenn  es  nicht  verdunstete,  abflösse  oder 
einsickerte ;  eine  Niederschlagshöhe  von  1  mm  liefert  für  das  Quadrat- 
meter 1  Liter  Wasser,  daher  für  das  Hektar  100  Hektoliter. 

Möge  nun  diese  Arbeit,  welche  ich  mir  hiermit  der  Oeffentlich- 
keit  zu  übergeben  gestatte,  als  ein  bescheidener  Beitrag  zur  vaterländi- 
schen Klimatologie  aufgenommen  werden,  woran  ich  aber  auch  noch 
weiter  die  Hoffnung  knüpfe,  daß  sie  der  Landwirtschaft,  der  Technik 
und  namentlich  dem  Wasserbau  zum  Nutzen  gereiche. 

Aachen,  im  März  1899. 

Dr.  P.  Polis. 


Inhalt 

^6X*'  Seite 

Vorwort 3 

Inhalt 5 


Bl 


Einleitung 7      [7] 

1.  Verzeichnis  der  Quellen  und  der  Litteratur      ...      7      [7] 

2.  Geschichtliches 9      [9] 

Bearbeitung  und  Prüfung  des  Materials 11    [11] 

1.  Material 11    [11] 

a)  Meßinstrument.      Fehlerquellen    der   Regenmesser   ver- 
schiedener Konstruktionen.  Fehlerquellen  der  Aufstellung 

der  Regenmesser 11    [11 

b)  Prüfung  des  Materials 12    [12 

2.  Prüfung  der  benutzten  Perioden 

a)  Langjährige  Reihen.    Fehlerrechnung 

b)  Prüfung  der  Perioden  1891—95,  1886—95 

Jahreswerte,  Jahreszeiten 

c)  Klimaschwankungen.    Lustren,  Decennien 

8.  Reduktionsmethode 

a)  H an n sehe  Regel 

b)  Prüfung  der  Reduktionsmethode 

c)  Fehlergrenze 

d)  Veränderlichkeit  des  Niederschlages 

4.  Anordnung  der  Tabellen 

Niederschlagshöhe.    Jahreswerte 

1.  Vorbemerkungen 

a)  Langjährige  Mittel 

b)  Meteorologische  Grundsätze,  die  dem  Entwurf  der  Karten 
zu  Grunde  liegen 

c)  Entstehung  der  .Niederschläge 

Windverhältnisse  und  Niederschlag.     Niederschläge 
in  den  Cyklonen 

2.  Geographische  Verteilung  der  Niederschläge 

Trockengebiete 

Niederschlagsreichste  Gebiete.    Bergische  Höhen.    Hohes 

Venn.    Technische  Anlagen 

Landwirtschaft  und  Niederschlag 

3.  Höhenverhältni8se  und  Niederschlag 

a)  Höhenstufen  und  Niederschlagsmenge 

b)  Luv-  und  Leeseite.    Stauwirkung 

4.  Gruppenmittel   der  Niederschläge 

a)  Nach  einzelnen  Gebirgsstöcken 

b)  Nach  Flußgebieten 


13 

[18 

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64 

[64] 

6      P.  Polis,  Die  Niederschlagsverhältn.  d.  mittleren  Rheinpro v.  u.  d.  Nachbargeb.    [6 

Niederschlagshöhe.    Jahreszeitliche  Verteilung 

1.  Jährlicher  Verlauf 

2.  Geographische  Verteilung  der  Niederschläge  in 
den   einzelnen  Jahreszeiten   

a)  der  absoluten  Werte 

b)  der  relativen  Werte,  Prozenten  der  Jahrsumme     .     .     . 

3.  Meteorologisch-geographische  Begründung  der 
Niederschlagsschwankungen  in  der  jährlichen 
Verteilung 

a)  Einfluß  der  Temperatur  und  Feuchtigkeit;  Gewitter  .     . 

b)  Einfluß  des  Luftdruckes,  Cyklonenfrequenz 

c)  Einfluß  des  Gebirges  auf  die  jährliche  Verteilung  überhaupt 

d)  Einfluß  der  Luv-  und  Leeseite  auf  Winter-  und  Sommerregen 

e)  Jahreszeitliche  Schwankungen  der  Windrichtung  in  ihrer 
Einwirkung  auf  die  Aenderung  der  Luv-  und  Leeseite  . 

Weitere  Elemente  der  Niederschläge 

1.  Größte  Niederschlagsmengen 

a)  Größte  Tagesmengen  der  Niederschläge 

b)  Größte  Niederschläge  in  kurzer  Zeit 

2.  Niederschlagshäufigkeit 

3.  Schneeverhältnisse 

a)  Schneehäufigkeit 

b)  Schneedecke    

Allgemeine  Ergehnisse  der  Arbeit 

Tabellen. 

I.  Uebersicht  der   Stationsverhältnisse 67  [67] 

II.  Vieljährige  Monats-  und  Jahreswerte  der  Nieder- 
schläge    75  [75] 

III.  Normalmittel  der  Niederschläge  1851  —  90      ....  76  [76] 

IV.  Mittlere  Niederschlagshöhe  in  Prozenten  der  Jahr- 
summe 1886  —  95 78  [78] 

V.  Mittlere  Niederschlagshöhe  in  Prozenten  der  Jahr- 
summe 1886—90,  1891—95 79    [791 

VI.  Jahresniederschläge  im  mittleren  Rheingebiet      .     .  81     [81] 
VII.  Jahreszeitliche    Niederschlagsmittel     im    mittleren 

Rheingebiet 86 

VIII.  Größte  Niederschlagsmengen   1886  —  95 91 

a)  Größte  mittlere  Tageswerte  der  Niederschläge  ....  91 

b)  „       absolute  ,  „  „  ....    91 

c)  Große  Niederschläge  in  kurzer  Zeit  1891—94    ....     92 
IX.  Mittlere  Zahl  der  Tage  mit  mehr  als  0,2  mm  Nieder- 
schlag 1886—95 « 95 

X.  Mittlere  Zahl  der  Tage  mit  Schnee  1886  —  95     ...    96 

Karten.  ^ 

Jährliche  Verteilung  der  Niederschläge  1886 — 95    .       I 
Jahreszeitliche   Verteilung   der  Niederschläge    1886 
bis  1895  in  Millimeter 

Winter,  Frühling,  Sommer,  Herbst II— V 

Jahreszeitliche  Verteilung  der  Niederschläge  in  Pro- 
zenten der  Jahrsumme 

Winter,  Frühling,  Sommer,  Herbst VI— IX 


Verzeichnis  der  Quellen  nnd  der  Litteratnr. 
Quellen. 

a.   Für  Deutschland. 

1.  Publikationen  des  Kgl.  Preufi.  Meteorologischen  Instituts:  Ergebnisse'  der 
meteorologischen  Beobachtungen  1886—93;  von  1887  an  unter  dem  Haupt- 
titel Deutsches  Meteorologisches  Jahrbuch  für  1887  (ff.)»  Beobachtungssystem 
des  Königreiches  Preußen  und  benachbarter  Staaten :  Ergebnisse  der  Nieder- 
schlagsbeobachtungen 1891—94,  herausgegeben  von  W.  v.  Bezold. 

Für  1894  und  1895,  soweit  noch  nicht  veröffentlicht,  entweder  abschrifts- 
weise vom  Egl.  Preufi.  Meteorologischen  Institut  oder  seitens  der  Beobachter 
an  den  Regenstationen. 

2.  Deutsches  Meteorologisches  Jahrbuch,  Beobachtungssystem  der  Meteorologi- 
schen Station  I.  Ordnung  Aachen:  Ergebnisse  der  meteorologischen  Beob- 
achtungen an  der  Station  I.  Ordnung  Aachen  und  deren  Nebenstationen, 
1895—97,  herausgegeben  von  P.  Polis. 

Originalakten  der  Meteorologischen  Station  Aachen. 

3.  Abschriften  seitens  der  Herren:  W.  Schnell,  Meteorologische  Station  Kre- 
feld; Hugo  Garthe,  Meteorologische  Station  Köln;  Dr.  Bender,  Meteoro- 
logische Station  Coblenz;  J.  Struve,  Meteorologische  Station  Hachenburg; 
Prof.  Dr.  Sassenfeld,  Meteorologische  Station  Trier,  größtenteils  für  älteres 
Material. 

4.  v.  Möllendorf,  Die  Regen  Verhältnisse  Deutschlands  in  den  Abhandlungen 
der  Görlitzer  Naturforschenden  Gesellschaft.    Görlitz  1862. 

5.  Töpfer,  Untersuchungen  über  die  Regenverhältnisse  Deutschlands  in  den 
Abhandlungen  der  Naturforschenden  Gesellschaft  zu  Görlitz,  18.  Bd.  1884. 
Nr.  4  und  5  Quellenangabe  für  einige  ältere  Beobachtungsreihen. 

b.   Für  Belgien. 

6.  Lancaster,  La  pluie  en  Belgique.    Bruxelles  1894. 

7.  Lancaster,  Le  climat  en  Belgique  1891,  1892,  1893,  1894,  1895. 

8.   Bulletin  mensuel  de  Fobservatoire  royal  de  Belgique  1893,  1894,  1895. 

Litteratur. 

(Arbeiten  soweit  sie  die  Rheinprovinz  oder  die  Methode  der  Niederschlags- 
messungen betreffen.    M.  Z.  bedeutet  die  Meteorologische  Zeitschrift.) 

1.  a)  van  Bebber,  Die  Regenverhältnisse  Deutschlands.    München  1877. 

b)  Vergleichende   Regenmessungen   an   der  Deutschen  Seewarte.    Aus  dem 
Archiv  der  Deutschen  Seewarte,  XVIII.  Jahrg.  1893,  Nr.  3. 

2.  Brückner,  Klimaschwankungen  seit  1700.  Wien  1890.  Geographische 
Abhandlungen,  herausgegeben  von  Penck,  Bd.  4,  Heft  2. 


8      P.  Polis,  Die  Niederschlagsverhältn.  d.  mittleren  Rheinprov.  u.  d.  Nachbargeb.     [g 

3.  a)  He  11  mann,   Beitrage  zur  Kenntnis  der   Niederschlags  Verhältnisse   von 

Deutschland.    M.  Z.  1886. 
b)  Resultate  des  Regenmeß- Versuchsfeldes  bei  Berlin,  1885—91,  M.  Z.  1892, 
und  Vergleichende  Beobachtungen   an  Regenmessern  verschiedener  Kon- 
struktionen.   Abhandl.  des  Kgl.  Preuß.  Meteorolog.  Instituts,  Bd.  1,  Nr.  3. 

4.  a)  Intze,  Gutachten  bezüglich  der  Verbesserung  der  Wasserverhältnisse 

der  Roer  und  der  zur  Verbesserung  des  Roerbettes  aufgestellten  Regu- 
lierungsprojekte.   Düsseldorf  1896. 
b)  Festrede  zur  Vorfeier  des  Geburtstages  Sr.  Majestät  des  deutschen  Kaisers 
und  Königs  von  Preußen;    enthält   die  verschiedenen   Neuanlagen    zur 
Regulierung  der  Wasserverhältnisse  im  Wuppergebiete.    Aachen  1897. 

5.  Lancaster,  La  pluie  en  Belgique.    Bruxelles  1894. 

6.  a)  Meyer,  Die  Niederschlagsverhältnisse  von   Deutschland,  insbesondere 

von  Norddeutschland,  in  den  Jahren   1876—85.     Aus  dem  Archiv  der 
Deutschen  Seewarte,  1888,  Nr.  6. 
b)  Anleitung    zur    Bearbeitung   meteorologischer  Beobachtungen    für    die 
Klimatologie.    Berlin  1891. 

7.  v.  Möllendorf,  Die  Regenverhältnisse  Deutschlands.    Görlitz  1862. 

8*  Moldenhauer,  Die  geographische  Verteilung  der  Niederschläge  im  nord- 
westlichen Deutschland.  Forschungen  zur  deutschen  Landes-  und  Volks- 
kunde IX.    Stuttgart  1896. 

9.  a)  Polis,  Die  Niederschlagsverhältnisse  des  südlichen  Roergebietes  im 
Jahre  1897.    Das  Wetter  1898. 

b)  Die  Niederschlagsverhaltnisse  von  Aachen.  Deutsches  Meteorologisches 
Jahrbuch  für  Aachen  1896.  Karlsruhe  1897.  Auszugsweise  M.  Z.  1898 
und  Das  Wetter  1897. 

c)  Vergleichende  Niederschlagsmessungen  an  der  Meteorologischen  Station 
Aachen.    Das  Wetter  1897. 

d)  Die  wolkenbruchartigen  Niederschläge  des  Juni  1898  im  Maas-  und  Roer- 
gebiete.    Das  Wetter  1898. 

10.  Schultheiß,  Klimatische  Verhältnisse  in  Der  Rheinstrom  und  seine 
wichtigsten  Nebenflüsse.    Berlin  1889. 

11.  Töpfer,  Untersuchungen  über  die  Regenverhältnisse  Deutschlands.  Gör- 
litz 1884. 

12.  Ziegler,  Niederschlagebeobachtungen  in  der  Umgebung  von  Frankfurt  a.  M., 
nebst  einer  Regenkarte  der  Main-  und  Mittelrheingegend.  Frankfurt  a.  M. 
1886. 


Geschichtliches. 

Die  Niederschlagsverhältnisse  des  Deutschen  Reiches  haben  bisher 
schon  eine  mannigfaltige  Darstellung  in  textlicher  und  kartographi- 
scher Hinsicht  erfahren ;  namentlich  sind  es  die  früheren  Arbeiten  von 
v.Möllendorf1),  van  Bebber'),  Töpfer8),  Krümmel4),  Ziegler5), 
Hellmann6)  und  Meyer7),  die  uns  hierüber  Aufklärung  gegeben 
haben. 

Während  die  älteren  Arbeiten  sich  mehr  mit  der  Niederschlags* 
frage  großer  Landstriche  befaßten,  ist  man  in  jüngster  Zeit  dazu  ge- 
kommen, yor  allem  kleinere  Gebiete  in  Bezug  auf  ihren  Regenreichtum 
zu  untersuchen;  so  liegen  für  die  östlichen  Teile  der  Monarchie,  gerade 
für  Schlesien 8),  mehrere  größere  Arbeiten  vor.  Auch  sind  die  Nieder- 
schlagsverhältnisse des  gesamten  Rheinlaufes  von  Schultheiß9)  dar- 
gestellt, die  des  Oberelsaß  durch  die  bekannte  Arbeit  von  Rubel10),, 
die  des  Thüringer  Waldes  und  des  Harzes  von  Assmann11)  und  in 
neuester  Zeit  eingehend  durch   Schulz18).     Als  eine  umfangreichere 

*)  v.  Möllendorf,  Die  Regenverhältnisse  Deutschlands.    Görlitz  1862. 

s)  van  Bebber,  Regentafeln  für  Deutschland.  Kaiserslautern  1876.  — 
Die  Regenverhältnisse  Deutschlands.    München  1877. 

*)  Töpfer,  Untersuchungen  über  die  Regen  Verhältnisse  Deutschlands.  Ab- 
handlungen der  Naturforschenden  Gesellschaft  zu  Görlitz,  18.  Bd.  1884. 

*)  Krümmel,  Regenkarte  im  physikalisch-statistischen  Atlas  des  Deutschen 
Reiches  von  Andree  und  Peschel,  mit  einleitendem  Text. 

5)  Ziegler,  Niederschlagsbeobachtungen  in  der  Umgebung  von  Frank- 
furt a.  M.,  nebst  einer  Regenkarte  der  Main-  und  Mittelrheingegend.  Frank- 
furt a.  M.  1886. 

6)  Hell  mann,  Beitrage  zur  Kenntnis  der  Niederschlagsverhältnisse  von 
Deutschland.    M.  Z.  1886. 

7)  Meyer,  Die  Niederschlagsverhältnisse  von  Deutschland,  insbesondere  von 
Norddeutschland  in  den  Jahren  1876—85.    Hamburg  1889. 

8)  a.  Kremser,   Klimatische  Verhältnisse  in  dem  Oderstromgebiete  in  dem 
Oderwerk,  Berlin  1896.  —  b.  Partsch,  Die  Regenkarte  von  Schlesien  und  den  v 
Nachbargebieten.      Forschungen    zur    deutschen    Landes-    und    Volkskunde,    IX. 
Stuttgart  1895. 

9)  Schultheiß,  Der  Rheinstrom  und  seine  wichtigsten  Nebenflüsse.  Kli- 
matische Verhältnisse.    Berlin  1889. 

10)  Rubel,  Die  Niederschlagsverhältnisse  im  Oberelsaß.  Inauguraldisser- 
tation.   Stuttgart  1895. 

n)  Aßmann,  Der  Einfluß  der  Gebirge  auf  das  Klima  von  Mitteldeutsch- 
land.   Forschungen  zur  deutschen  Landes-  und  Volkskunde,  I.    Stuttgart  1886. 

12)  Schulz,  Die  jährlichen  Niederschlagsmengen  Thüringens  und  des  Harzes 
und  ihre  Verteilung  auf  die  einzelnen  Jahreszeiten  und  Monate.  Archiv  für 
Landes-  und  Volkskunde  der  Provinz  Sachsen.    Halle  a.  S.  1898. 


10     P.  Polis,  Die  Niederschlagsverhältn.  d.  mittleren  Rheinprov.  u.  d.  Nachbargeb.   [10 

Arbeit,  die  vor  allem  ausführlich  die  Niederschlagsverteilung  im  Rhein- 
lande würdigt,  ist  neben  der  von  Schultheiß  und  Ziegler  noch  die 
von  Moldenhauer1)  hervorzuheben. 

Allerdings  muß  gleich  hier  vorausgeschickt  werden,  daß  die  Mög- 
lichkeit der  Niederschlagsbearbeitung  kleinerer  Gebiete  sich  vor  allem 
an  die  Entwickelung  des  Regenstationsnetzes  knüpft.  Erst  mit  der 
Reorganisation  des  Kgl.  Preußischen  Meteorologischen  Insti- 
tuts im  Jahre  1887  konnte  der  schon  weit  früher  von  Hellmann 
gefaßte  Plan,  Preußen  mit  einem  dichten  Netze  von  Regenstationen  zu 
überziehen,  näher  ins  Auge  gefaßt  und  in  den  nächsten  Jahren  (bis 
1893)  ausgeführt  werden.  Zunächst  wurde  vom  Meteorologischen  In- 
stitut zu  Berlin  das  Regenstationsnetz  in  den  östlichen  Provinzen  be- 
deutend vergrößert  und  dann  systematisch  mit  der  Organisation  immer 
weiter  nach  Westen  vorgeschritten,  so  daß  dieselbe  im  Jahre  1893  auch 
für  die  Rheinprovinz  als  vollständig  beendet  angesehen  werden  konnte. 

Die  Entwickelung8)  des  Netzes  in  der  Rheinprovinz  ist  aus  nach- 
folgender kleinen  Zusammenstellung  ersichtlich,  woraus  folgt,  daß  im 
Jahre  1891  durchschnittlich  auf  1285  qkm,  1894  auf  138  qkm,  18983) 
jedoch  auf  100  qkm  eine  Station  kommt. 

1891       1892       1893       1894       1895       1S96       1897       1898 
Zahl  der  Stationen      21         195         204         195         205         216         262         264 


*)  Moldenhauer,  Die  geographische  Verteilung  der  Niederschläge  im 
nordwestlichen  Deutschland.    Stuttgart  1896. 

*)  Kgl.  Preuß.  Meteorologisches  Institut,  Ergebnisse  der  Nieder- 
schlagsbeobachtungen 1891 — 94.    Berlin. 

')  Nach  einer  Mitteilung  des  Kgl.  Preuß.  Meteorologischen  Instituts; 
die  der  Meteorologischen  Zentralstation  Aachen  unterstellten  Stationen 
sind  mitgezählt. 


Bearbeitung  und  Prüfung  des  Materials. 

(Tabelle  I.) 

I.  Material. 

Das  Material  zu  vorliegender  Untersuchung  wurde  für  das  deutsche 
Gebiet,  soweit  es  nicht  in  den  „Ergebnissen  der  Beobachtungen*  des 
Kgl.  Preußischen  Meteorologischen  Instituts  oder  in  hiesigen 
Akten  vorhanden  war,  entweder  abschriftlich  vom  Meteorologischen 
Institut  oder  von  den  einzelnen  Beobachtern  direkt  bezogen.  Für  Bel- 
gien1) sind  die  dortigen  amtlichen  Publikationen,  sowie  die  große  Regen- 
arbeit von  Lancaster,  benutzt  worden. 

Als  Meßinstrument  ist  etwa  seit  dem  Jahre  1887  auf  allen 
dem  Kgl.  Preußischen  Meteorologischen  Institut  unterstellten 
Stationen  der  Hellmannsche  Regenmesser  in  Gebrauch,  während  vor- 
her meist  der  Assmannsche  zur  Verwendung  gelangte.  Auch  befindet 
sich  die  Auffangefläche  dieser  Apparate  vom  Jahre  1887  an  einheitlich 
1  m  über  dem  Erdboden ;  nur  in  den  Gebirgen  ist  sie  mit  Rücksicht 
auf  die  Schneewehen  vielfach  höher,  bis  1,5  m,  angebracht. 

Eine  Ausnahme  hiervon  machen  die  belgischen  Stationen,  die  mit 
den  dortigen  Apparaten  ausgerüstet  sind,  nämlich  einem  trichterförmigen 
Sammelgefäß  mit  Hahn,  sowie  die  forstlich  meteorologische  Station 
Hollerath,  an  der  sich  das  an  den  forstlich  meteorologischen  Stationen 
gebräuchliche  Instrument  mit  quadratischer  Auffangefläche  bis  zum 
Jahre  1897  befand.  Endlich  ist  noch  zu  erwähnen,  daß  an  der  Pump- 
station Brandenburg  des  städtischen  Wasserwerks  Aachen  zu  Wal- 
heim mit  einem  selbstverfertigten  Instrumente  beobachtet  wurde,  welches 
aber  ohne  allen  Windschutz  aufgestellt  war,  so  daß  die  dortigen  Er- 
gebnisse bis  1896  aus  diesem  Grunde  beanstandet  werden  mußten.  Mit 
diesem  Zeitpunkte  wurde  diese  Station  dem  hiesigen  System  einverleibt 
und  mit  einem  Hellmannschen  Regenmesser  ausgerüstet;  daher  sind 
die  in  der  Jahreskarte  benutzten  Werte  auf  Grund  der  neuen  Beob- 
achtungen ermittelt  worden. 

Zieht  man  jedoch  den  Umstand  in  Betracht,  daß,  wie  die  Ver- 
suche Hellmanns2)  in  Berlin  gezeigt  haben,  selbst  Regenmesser  ver- 

l)  Lancaster,  Le  climat  en  Belgique  1891,  92,  93,  94,  95.  —  La  pluie 
en  Belgique.  Bruxelles  1894.  —  Bulletin  mensuel  de  l'observatoire  royal  de 
Belgique  1893,  94,  95. 

*)  Hellmann,  Resultate  des  Regenmefi-Versuchsfeldes  bei  Berlin  1885—91. 
M.  Z.  1892,  S.  173 — 181.  —  Vergleichende  Beobachtungen  an  Regenmessern 
verschiedener  Konstruktion.    Abh.  des  Kgl.  Preufi.    Meteorol.  Inst.    Bd.  1,  Nr.  3. 


22  P.  Polia,  [22 


4.  Anordnung  der  Tabellen. 

Der  besseren  Uebersicht  halber  wurden  sämtliche  Stationen  alpha- 
betisch angeordnet  und  in  dieser  Zusammenstellung  die  geographischen 
Koordinaten,  die  Seehöhe,  die  Höhe  des  Regenmessers  über  dem  Erd- 
boden, das  System,  dem  die  Stationen  angehören  (Egl.  Preußisches 
Meteorologisches  Institut,  Forstakademie  Eberswalde,  Observatoire  royal 
de  Belgique,  Aachener  Zentralstation,  Private),  die  beobachteten  Jahre 
und,  wenn  notwendig,  Bemerkungen  über  die  Güte  des  vorhandenen 
Materials  eingetragen.  Diese  Bemerkungen  beziehen  sich  jedoch  haupt- 
sächlich auf  den  Zeitraum  1886 — 95;  auch  sind  von  dem  Aachener 
Netze,  das  erst  im  Jahre  1896  ins  Leben  gerufen  wurde,  nur  einige 
wenige  Stationen,  die  charakteristische  Lage  haben,  ausgewählt  und 
weiter  verarbeitet  worden. 

Weiter  sind,  um  das  Auffinden  der  Stationen  in  den  einzelnen 
Tabellen  zu  erleichtern,  bezw.  um  Vergleiche  zu  ermöglichen,  Ord- 
nungsnummern eingeführt  worden,  die  in  der  Weise  gewonnen  sind, 
daß  die  Stationen  in  der  „Zusammenstellung  nach  Flußgebieten"  fort- 
laufend numeriert  und  diese  Nummern  in  allen  Tabellen  direkt  vor  den 
Namen  der  Station  gesetzt  wurden. 

In  Tabelle  II  sind  die  langjährigen  beobachteten  Monatsmittel 
von  12  Stationen  niedergelegt,  die  zum  Teil  den  älteren  Arbeiten  von 
v.  Möllendorf,  Töpfer  und  Ziegler  entnommen  wurden.  Diese, 
sowie  auch  die  folgende  Tabelle  lila  „Normalmittel  1851— 90*  ist 
in  der  Summe  (Millimetern)  und  in  Prozenten  der  Jahrsumme  gegeben. 
Weiter  wurden  von  ihnen  die  einzelnen  Jahreszeiten  wie  auch  die  beiden 
Halbjahre  gebildet. 

Tabelle  HI  gewährt  eine  Zusammenstellung  der  Normalmittel 
1851 — 90,  und  zwar  a)  der  Monatsmittel  von  den  Stationen,  die  ent- 
weder während  der  ganzen  Zeit  beobachtet  haben,  oder  aber  bei  min- 
destens 20jähriger  Beobachtungszeit  auf  diese  Periode  zurückgeführt 
wurden;  b)  der  Stationen  mit  kürzeren  Reihen  (mindestens  8  Jahre), 
deren  Jahrsummen  auf  den  eben  erwähnten  Zeitraum  reduziert  wurden. 

In  Tabelle  IV  und  V  sind  endlich  die  einzelnen  Monatsmittel, 
Jahreszeiten  und  Halbjahre  der  in  den  Jahren  1886 — 95,  1886 — 90 
und  1891 — 95  beobachtet  habenden  Stationen  prozentarisch  angeführt. 

Tabelle  VI  und  VII  enthalten  eine  Anordnung  der  Stationen  nach 
Flußgebieten;  für  diese  Zusammenstellung  waren  der  Niederschlags- 
band des  Jahres  1894  des  Kgl.  Preußischen  Meteorologischen 
Instituts  und  für  verschiedene  Ergänzungen  die  entsprechenden  Blätter 
der  vom  Ministerium  für  Landwirtschaft,  Domänen  und  For- 
sten herausgegebenen  „Wasserkarte  der  norddeutschen  Strom- 
gebiete1)" bezw.  die  „Hydrographische  Karte2)  von  Nord- 
deutschland",  bearbeitet  im  Bureau  des  Wasserausschusses, 
maßgebend. 

x)  Berlin  1893. 
8)  Berlin  1895. 


23]    Die  Niederschlagsverhältnisse  der  mittleren  Rheinprovinz  u.  d.  Nachbargeb.     23 

In  Tabelle  VI  sind  die  wirklich  beobachteten  Jahre,  das  Lustrum 
1891 — 95  und  das  Decennium  1886 — 95  angeführt,  sowie  bei  den  redu- 
zierten Werten  auch  die  Vergleichsstationen,  und  zwar  abgekürzt;  der 
Schlüssel  zu  diesen  Abkürzungen  ist  am  Kopfe  der  Tabelle  vermerkt. 

Tabelle  VII  enthält  die  Mittel  der  einzelnen  Jahreszeiten  der  beiden 
Zeiträume. 

Die  nachfolgenden  Tabellen  VIII,  IX  und  X  beziehen  sich  auf 
Angaben  über  mittlere  und  absolute  24stündige  Maxima,  große  Nieder- 
schläge in  kurzer  Zeit,  Niederschlags-  und  Schneetage  meist  für  das 
Decennium  1886 — 95.  Bezüglich  der  weiteren  Anordnung  ist  noch  zu 
bemerken,  daß  die  Texttabellen  mit  arabischen,  die  im  Anhange  be- 
findlichen mit  römischen  Ziffern  fortlaufend  numeriert,  sowie  ferner 
die  Maxima  durch  Fett-,  die  Minima  hingegen  durch  Kursivdruck  ge- 
kennzeichnet sind. 


NiederscMagshöhe.    Jahreswerte. 

(Tabelle  II— III,  VI;  Tafel  I.) 

I.  Vorbemerkungen. 

Langjährige  Mittel.  Zur  genaueren  Diskussion  der  Nieder- 
schlagsverhältnisse müssen  wir  uns  aus  den  früher  erwähnten  Gründen 
der  kürzeren  Reihen  bedienen  und  auf  langjährige  Mittel  nur  des  Ver- 
gleiches halber  hinweisen;  ebenso  muß  auch  hier  von  einer  weiteren 
Besprechung  dieser  langjährigen  Reihen,  wie  dies  z.  B.  für  Aachen1) 
geschehen  ist,  abgesehen  werden.  Wohl  erscheint  es  jedoch  als  zweck- 
mäßig, wenigstens  für  die  Normalstationen  die  Scheitelwerte  abzuleiten. 

Tabelle  8. 

Jährliche  Niederschlagssummen  nach  Gruppen  von 
59:50  Millimeter  geordnet. 


Station 

Beobachtete 
Jahre 

u 

3 

a 

P 

o 

1 
g 

§ 

i 

o 

3 

o 
»o 

1 

o 
o 

o 
o 

CO 

1 

o 

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CO 

1 

o 

o 

CO 

o 
o 
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1 

o 

CO 

o 
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1 

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1 

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E3 

! 
Aachen ....    1 

Köln ; 

Krefeld 

i 
Trier | 

! 

1844-51,   1861—97 

(45  Jahre) 
1848—97  (50  Jahre) 

1848-85,   1893-95 

(41  Jahre) 
1806—30,   1850—97 

(73  Jahre) 

1 
1 

3 

4 
1 
2 

l 

2 

4 

1 

2 
11 

3 
8 
5 
18 

2 
9 
10 

11 

1 
11 

3 
10 

5 
7 
9 
6 

2 
4 
5 

7 

6 
3 

10 

1 
3 

5 
1 

2 
1 

6 

_ 

i 

1 

Wie  ersichtlich,  scharen  sich  die  häufigsten  Werte  um  bestimmte 
Gruppen,  die  etwa  200  mm  auseinanderliegen.  Weiter  überragt  für 
Aachen  und  Köln  der  Scheitelwert  den  mittleren,  während  er  für  Kre- 
feld und  Trier  unter  demselben  bleibt. 

Meteorologische  Grundsätze,  die  dem  Entwurf  der  Karten 
zu  Grunde  liegen.  Die  geographische  Verteilung  der  Niederschläge 
ist  aus  den  beigegebenen  Karten,  die  sich  auf  die  Periode  von  188G — 95 
bezieht,  ersichtlich.  Diesen  Karten  liegt  die  vom  geographischen  Institut 
von  Wagner  &  Debes  in  Leipzig  herausgegebene  physikalische  Karte 


*)  Polis,  Die  Niederschlagsverhältnisse   von   Aachen.     Deutsches  meteoro- 
logisches Jahrbuch  für  Aachen  1896.  Auszugsweise  M.  Z.  1898  und  „Das  Wetter-  1897. 


25]  P-  Polis,  Die  Niederschlagsverbältn.  d.  mittleren  Rheinprov.  u.  d.  Nachbargeb.    25- 

des  Rheinlandes  zu  Grunde,  in  welcher  unter  Fortlassung  anderer  Orte 
die  meteorologischen-  und  Regenstationen  eingetragen  wurden;  auch 
enthält  dieselbe  die  Wasserscheiden  bis  zur  zweiten  Ordnung,  die  der 
hydrographischen  Karte  von  Norddeutschland  entnommen  worden  sind. 

Für  den  ersten  Entwurf  erwies  sich  eine  aus  den  sogenannten 
Heimatsblättern  von  Justus  Perthes  in  Gotha  zusammengesetzte 
physikalische  Karte  im  Maßstabe  1  :  500000  als  sehr  brauchbar,  nach 
welchem  die  hier  beigehefteten  Karten  im  Maßstabe  1  :  800  000  über- 
tragen wurden.  Dabei  sind  auch  häufig  die  betreffenden  Blätter  der 
norddeutschen  Stromgebiete  benutzt  worden. 

Insgesamt  gelangten  238  Stationen  zur  Verwendung,  wovon  aller- 
dings ein  Teil  der  belgischen  Stationen  in  der  Karte  nicht  aufgeführt 
ist.  Jedoch  mußten  20  Stationen,  die  bei  der  Prüfung  sich  als  un- 
zuverlässig herausstellten,  ausgeschlossen,  bezw.  konnten  nur  einzelne 
Werte  derselben  gebraucht  werden.  Es  dürfte  nicht  uninteressant  sein, 
die  Anzahl  der  bei  den  früher  bearbeiteten  Niederschlagskarten  in 
dieses  Gebiet  entfallenden  Stationen  miteinander  zu  vergleichen: 

v.  Möllendorf 7  Stationen, 

Töpfer 14 

Ziegler 22 

Moldenhauer 33        „ 

Nach  den  früheren  Prüfungen  (siehe  die  Prüfung  der  Reduktions- 
methode) schien  es  angemessen  zu  sein,  die  Isohyeten  von  100  zu 
100  mm  zu  ziehen,  wodurch  man  dennoch  ein  klares  Bild  und  genügend 
Abstufungen  in  der  Karte  erzielt.  Weiter  wurden  die  Isohyeten  ohne 
Rücksicht  auf  solche  Stationen  gezogen,  deren  Prüfungsergebnisse  un- 
günstig waren,  oder  welche  ein  zu  lückenhaftes  Material  aufwiesen. 
Auch  mußten,  um  die  Genauigkeit  an  den  Grenzgebieten  zu  vermehren, 
im  Westen  eine  größere  Anzahl  von  belgischen  Stationen,  im  Osten 
westfälische  Stationen  benutzt  werden.  Außer  der  Jahreskarte  wurde 
auch  die  Verteilung  der  Niederschläge  in  den  einzelnen  Jahreszeiten 
kartographisch  dargestellt,  und  zwar  nach  zwei  verschiedenen  Gesichts- 
punkten, nämlich  1.  in  absoluten  Mengen,  und  2.  in  Prozenten  der 
Jahrsummen.  Bei  diesen  Karten  konnten  selbstverständlich  der  Un- 
sicherheit der  Reduktionsmethode  wegen,  lange  nicht  so  viele  Stationen 
herangezogen  werden  als  bei  der  Jahreskarte.  Die  Abstufungen  erfolgen 
hier  von  25  mm  zu  25  mm,  bezw.  von  2  °/o  zu  2  °/o . 

Entstehung  der  Niederschläge.  Bei  der  Erklärung  der  Nieder- 
schlagskarten ist  es  wesentlich,  neben  den  Höhenverhältnissen  auch  die 
Windverteilung  von  Westdeutschland  und  ihre  Beziehung  zu  den  Nieder- 
schlägen näher  zu  erläutern. 

Der  Atlantische  Ozean  und  die  über  demselben  lagernden  Luft- 
druckverhältnisse beherrschen  das  Klima  des  westlichen  Europas;  daher 
kann  uns  feuchte,  wasserdampfreiche  Luft  nur  von  dort  zugeführt 
werden,  die  ihrerseits  nur  bei  westlichen  Luftströmungen  unsere  Ge- 
genden erreicht.  Bei  der  Bildung  des  Niederschlages  spielen  vertikale 
Luftströmungen  die  Hauptrolle,  da  die  Luft  beini  Emporsteigen  Arbeit 
leistet,  und  diese  Arbeitsleistung  durch  eine  äquivalente  Wärmemenge 
gedeckt  werden  muß.     Weiter  kann  die  Luft  nur  einen  entsprechenden 


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[28 

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c*T*T7eT\    u*>  Mi>rti:i::t?  ~*»n  --rsraieaen  temperierten  Lafk- 

*'  r    ,ip««ani   **«ia    -»tauten    Zetit.    auch     üe  Kondensation»- 

.1    : Vr *• +r •  i r    {..mint. 

-*  *  -.»*n  t*„;r,Nr*.*,tni;!;2t'!i  -«mit  einerseits  ten  barometrischen 

-«/•*-*    *r„vr^rv:r.s  -w-.nt    iie  Loffc  auch  an  den  Gebirgen 

.~    j  nj,^  «jvn    mit    lamit  Ar^it  zu  leisten-    Wir  müssen 

-*. ■■-.•*  *^<r**  W^nieutBcmand  zu    ten  barometrischen 

-  '*+■  y^     .-  -      ,  v,r      Aut^uiiUse  m  -iie^r  Hinsicht  gewähren  uns 

',--,.        j.v-     -,  n   H  t:n-     Iher  <iie  Luftarackrertei Jung  während 

-■*•'-  **-t    ^mmerzeit    n^ findet   «ich  eine  Anticvklone   über 

*    *■    ^:  --■    <  -^%r,  -    ^ih    ^etiinirt   im  V^r^me    imt   dem  niederen 

*•  -  -      -..-•'    j*.r     **:-vn  Aonr.nenren  W.*>t-  ind  X^niwestwmde.  welche 

-  -  .  **  *  ♦*   ^HO^^Tr.vr^c.v  ind  iühiere  Lufb  loer  iem  Atlantischen 
, -,-     ,.  .»*r.«   V»^T/i#*n   /of'inr^n    mii 'ianut  «iie  S-mmerregenzeit  ein- 

■  •>     ^».  ,r,.  .  '..--r    pichen    iich     i:e    LufMr^irmterschiede    aus* 

♦  >-k   ■v^,^.»,  ä  i  *1i;d  ***:n  Ende  err^icat.     Ceher  'iem  östlichem 
-  V"-     ^-  /,   f  r    r ,.  ^ ^    w  H^rWzeit  nach  and  nach  der  Luftdruck 

*     ,.,,-  -    •.*■,...    r  r\(\»  7*itanffvn  zur  Herrscuan.  wodurch  der  Herbst 
'  •  /.    <"    -■'     /-**-.  ***■  v  k  -r,  ^t#>  Jan  reszeit  charakterisiert  ist.  Wahrend 

-  '    r -.  ■  r,  *    ^.  ,,*     ;>  ^r>  Gey^naVn    m^iat   von   ozeanischen  Depres- 
■    .•      ,',*,.*      r  ,».  r^^gr^n  dem  ö*rI:oheren  Deutschland  durch  die 

-,y  „  .'   ,     i    »  ,  -v.r,rMTi   d.e  rrr.ide  Seeluft  abgeschnitten  ist. 
»    -    *-'-'/--    /.  jr>   'oVr^rt    L'iftdra^kverteilung  geht   daher   das 
*  '  •     '  '  -     *-.*--/■.- **t^   <\*r  W.r.de  aus  dem  We*t*|aa*iranten  herror, 

*  ■  '    *   -       !  "  ,  <*f  •^e\\<*rA*  T^oeiie  für  Aachen  zeigt: 
'      •••   **#      -7  ^)  A*^h*m  In  Tuaendsteln  1*6^—0-5 

'  /  -K  *  STA'  W  XW  C 

<-  ^  ii  .'^  :>5  >»»  145  1:^7         252 

//■      •    •'■'•*'''•      ^4ut    ^r^ft^jien  von  den  vielen  Kalmen,   ron 
^  ''*  f-  i*     **.?  i-   v>Hth<-Y,(.T\  Richtungen  entfallen. 

-    '*  '"     *     4,f  w^-H-j.rheti  Luttströmungen  Regenwinde  sind, 
/*    '*  ,  >   o  Z'w  »rr.m^r»^t^IIungr),    wonach   die  Summe   der 
'A-  /•,  A  -»/  -,*■-  f",r  H  *  f  irr/^lnen  Windrichtungen  vom  1.  Oktober 
l'''1   f/#  /   "•     ? t    +'«;** ff  f(*t   \ty*$9  zusammengefaßt  sind: 

Waiwftrh'jhe  in  mm 
T'rti  Nj<"Wvhj/i/en  überhaupt    von  Schnee 
t*     ys  m  21 

K     *'>'  41  7 

*■    /'■  '/  m\  9 

^/     *  '  //  r,.v;  54 

'/  II  n  ntt.    tn*  Vt-fit-n  iuy    t]t*n   \lnfU\r\n\(»n    über   Mittel-   und    Südeuropa. 

f;  r/*!»«*,    VhtyU't'htwl*   Niht\nr*>-' ~  an  der  Meteorologischen 

MMIff/i  Af»'l»/ff     Mt-lht,t>,Utttinh*  'At*)*  197,  Heft  5. 


27]    Die  Niederschlagsverhältnisse  der  mittleren  Rheinprovinz  u.  d.  Nachbargeb.     27 

Aus  dieser  Tabelle  ergiebt  sich,  daß  in  den  beiden  beobachteten 
Jahren  auf  die  westliche  Seite  der  Windrose  1177  mm  Niederschlag  ent- 
fielen, was  also  ]>2/s  des  gesamten  beträgt,  während  umgekehrt  die  öst- 
lichen Winde  nur  mit  205  mm  (V»)  sich  beteiligten.  Weiter  sehen  wir, 
daß  für  Schnee  die  West-  bis  Nordwinde  die  ergiebigsten  sind.  Es  fallen 
nun  nicht  alle  Niederschläge  bei  westlichen  Luftströmungen,  sondern 
ein  Teil  auch  bei  östlichen.  Die  Ursache  hierfür  sind  die  Depressionen, 
die  südlich  von  unseren  Gegenden  vorüberziehen  (Zugstraße  Va  uYid  b 
nach  van  Bebber).  Diese  führen  aber  naturgemäß,  da  sie  ihren  Wasser- 
dampf entweder  von  der  Ostsee  oder  aber  vom  Mittelländischen  Meere 
hernehmen  müssen,  nicht  so  viel  Feuchtigkeit  mit  sich,  und  können 
daher  auch  nur  weniger  ergiebige  Niederschläge  veranlassen. 

Für  die  Regenbüdung  in  den  Depressionen *)  ist  noch  darauf  hin- 
zuweisen, daß  in  der  Zone  des  größten  Aufsteigens  der  Luftmassen 
auch  das  Maximum  der  Kondensation  zu  erwarten  ist.  Für  die  Eüsten- 
cyklonen  ist  dies  auf  der  Ost-  und  Südseite  (Vorderseite)  der  Fall ;  auf 
dem  Lande  jedoch  tritt  mit  der  Deformation  der  Cyklone  eine  Ver- 
änderung der  Zone  des  größten  Niederschlages  ein.  Die  verschiedenen 
und  einander  entgegengesetzten  Reibungswiderstände  auf  der  See  und 
auf  dem  Lande  werden  ihrerseits  dazu  beitragen,  eine  Verlagerung  der 
Regenzone  zu  bewirken.  Bei  den  Küstencyklonen  verhindern  die  auf 
der  Rückseite  stark  entwickelten  Tangentialkräfte  die  aufsteigende  Be- 
wegung der  Luftmassen;  es  werden  daselbst  die  mit  Wasserdampf  be- 
ladenen  Westwinde  weit  weniger  Niederschlag  bringen,  als  die  zum 
Aufsteigen  gezwungenen  Süd-  und  Südwestwinde  (größter  Regenfall  bei 
fallendem  Barometer).  Dieselben  Westwinde  können  jedoch  auf  dem 
Lande  der  einströmenden  Bewegung  wegen  leichter  aufsteigen,  wodurch 
sich  ihre  Wirkung  verdoppelt,  indem  sie  einmal  mehr  Wasserdampf  mit 
sich  führen  als  die  kontinentalen  Süd-  und  Südostwinde,  dann  aber 
auch  durch  die  orographischen  Verhältnisse  gezwungen  werden,  noch 
mehr  aufzusteigen  (größter  Regenfall  bei  steigendem  Barometer). 

2.  Geographische  Verteilung  der  Niederschläge. 

Das  ganze,  die  Karte  umfassende  Gebiet  läßt  sich  in  das  links- 
und  rechtsrheinische  Gebirge,  welches  durch  das  Rheinthal  geschieden 
wird,  trennen;  das  Moselthal  bildet  die  Grenze  zwischen  Eifel  und 
Hunsrück. 

Die  meisten  Niederschläge  treffen  wir  in  den  Gebirgen  an,  und 
zwar  zu  beiden  Seiten  des  Rheinthaies,  in  der  Eifel  mit  dem  Hohen 
Venn  und  dem  Rothaargebirge.  Diese  Gebirgsstöcke  umschließen  die 
rheinische  Tieflandsbucht,  die  direkt  mit  dem  norddeutschen  Flachlande 
in  Verbindung  steht.  Sie  ist  begrenzt  von  der  Isohyete  von  600  mm, 
welche,  südlich  vom  Soonwalde  ausgehend,  sich  um  den  ganzen  Huns- 
rück herumschlängelt,  ein  größeres  Stück  des  Moselthaies  bis  in  die 
Nähe   von  Alf  umfaßt,   dann   der  Abdachung  des  Eifelgebirges  folgt 


*)  Polis,   Zur  Theorie   der  Cyklonen  und  Anticyklonen.    Aus  dem  Archiv 
der  Deutschen  Seewarte,  1899,  Bd.  XXII,  Nr.  2. 


12  P.  Polis,  [12 

schiedenartigster  Konstruktion  keine  bedeutenden  Unterschiede  in  Bezug 
auf  die  gefallenen  Niederschlagsmengen  ergaben,  so  dürfte  das  Material 
hinsichtlich  der  Art  und  der  Höhe  der  Auffangefläche  über  dem  Erd- 
boden als  homogen  zu  betrachten  sein. 

Etwas  anders  liegen  die  Verhältnisse  bezüglich  der  örtlichen  Auf- 
stellung; denn  vergleichende  Niederschlagsmessungen,  die  in  jüngerer 
Zeit  besonders  von  Hellmann1)  in  Berlin,  van  Bebber2)  an  der 
deutschen  Seewarte,  sowie  an  der  hiesigen  meteorologischen  Station 
vorgenommen  wurden,  haben  gelehrt,  daß  ein  Regenmesser  ohne  Wind- 
schutz stets  zu  wenig  angibt. 

Aus  den  hiesigen9)  vergleichenden  Beobachtungen,  die  an  zwei 
Hellmann  sehen  Regenmessern  angestellt  wurden,  deren  einer  im  Wind- 
schutz, der  andere  frei  auf  einer  Plattform  19  m  über  dem  Erdboden 
angebracht  war,  ergab  sich  ein  durchschnittlicher  Fehlbetrag  des  un- 
geschützten Instrumentes  von  16°/o.  Dieser  Fehlbetrag  ist  eine  Funk- 
tion der  Windstärke  und  wächst  mit  zunehmender  Geschwindigkeit  des 
Windes.  Die  noch  größere  Minderergiebigkeit  im  Winter  ist  sowohl 
auf  den  Schneefall  als  auch  auf  die  stärkere  Luftbewegung  in  jener 
Zeit  zurückzuführen,  indem  aus  dem  vollständig  frei  aufgestellten  Regen- 
messer leicht  Schnee  herausgeweht  werden  kann,  bezw.  infolge  des 
geringen  Gewichtes  desselben  auch  das  Hineinfallen  der  Schneeflocken 
in  den  Regenmesser  durch  den  Wind  mehr  erschwert  wird  als  das  des 
Regens,  wozu  begünstigend  die  größere  Luftbewegung  während  des 
Winterhalbjahres  hinzutritt. 

Da  nun  die  den  verschiedenen  Zentralstellen  unterstellten  Stationen 
besichtigt  und  die  Regenmesser  je  nach  Umständen  versetzt  werden, 
so  dürfte  auch  bezüglich  der  örtlichen  Aufstellung  das  Material  ver- 
hältnismäßig einwurfsfrei  sein;  prinzipiell  fehlerhafte  Aufstellungen 
wurden,  soweit  sie  zur  Kenntnis  gelangten,  bei  der  Bearbeitung  be- 
rücksichtigt. 

Um  jedoch  Beobachtungsfehler  und  sonstige  Störungen 
thunlichst  auszuschließen,  sind  sämtliche  beobachteten  Werte  der  be- 
nutzten Stationen  durch  Vergleich  der  Monatssummen  einer  Prüfung 
unterzogen  worden.  Dies  geschah  größtenteils  durch  graphische  Dar- 
stellung im  Koordinatennetz,  während  bei  einigen  Stationen  auch  die 
täglichen  Niederschlagszahlen  nebeneinander  gestellt  wurden.  Ersteres 
Verfahren  (bei  allen  Stationen  angewandt)  ist  zwar,  was  hier  nicht 
verhehlt  werden  soll,  eine  äußerst  zeitraubende  Arbeit,  aber  manche 
Fehler  konnten  dadurch  gefunden  und  berichtigt  werden.  Weiter  be- 
stätigten  die   ausgezogenen  Kurven  die  von  Hann4)  und  Wild5)  an- 


')  Hellmann,  Resultate  des  Regenmeß- Versuchsfeldes  bei  Berlin  1885—91. 

2)  van   Bebber,   Vergleichende   Regenmessungen   an   der  Deutschen   See- 
warte.   Aus  dem  Archiv  der  Deutschen  Seewarte,  XVIII.  Jahrgang  1893,  Nr.  3. 

3)  Polis,   Vergleichende  Niederschlagsmessungen  an   der   Meteorologischen 
Station  Aachen.    Meteorologische  Zeitschrift  Wetter  1897,  Heft  5. 

4)  Hann,   Untersuchungen  über  die  Regenverhältnisse   in   Zentral-Ungarn. 
IL  Sitzungsberichte  der  Wiener  Akademie,  mathem.-naturw.  El.  1880,  II.  Abt. 

5)  Wild,  Regenverhältnisse  des  russischen  Reichs.   V.  Supplementband  zum 
Repertorium  für  Meteorologie.    St.  Petersburg  1887. 


13]  Die  Niederschlagsverhältnisse  der  mittleren  Rheinprovinz  u.  d.  Nachbargeb.     13 

geführte  Thatsache  (worauf  auch  die  später  zu  erörternde  Reduktions- 
methode beruht),  daß  der  monatliche  und  jährliche  Oang  der  Nieder- 
schlagssummen von  nicht  allzuweit  voneinander  liegenden  Stationen 
ein  gleichartiger  ist;  nur  in  der  Sommerzeit  können  die  oftmals  sehr 
lokalen  Gewitterregen  größere  oder  kleinere  Umkehrungen  hervorrufen. 

Bei  verdächtigen  Abweichungen,  z.  B.  Barraque  Michel,  Kalter- 
herberg-Reichenstein ,  Lutzerath,  Rötgen  in  den  Wintermonaten  1895, 
wurden  entweder  Interpolationsrechnungen  angewandt  (jedoch  nur  in 
wenigen  Fällen)  oder  aber  die  Werte  von  einer  weiteren  Verarbeitung 
ausgeschlossen.  Die  sonstigen  Prüfungsresultate  (nur  wenn  Fehler  vor- 
lagen), Interpolationsrechnungen,  fehlende  Monatssummen  etc.  sind  in 
Tabelle  I  aufgeführt.  Vollständig  unbrauchbare  Stationen  oder  solche, 
von  denen  nur  einjährige  Beobachtungen  (1893  oder  1895)  vorlagen, 
wurden  selbstverständlich  beim  Kartenentwurfe  nicht  berücksichtigt. 

Da  aber  die  Abweichungen  des  Jahres  1897  von  der  Normalen 
f&r  die  westlichen  Gebiete  äußerst  geringe  waren  (für  Aachen  z.  B. 
—  8  mm),  so  konnten  für  Barraque  Michel  die  Beobachtungen  der  in 
gleicher  Höhe  und  nur  1  km  entfernten  Station  Monte  Rigi,  und  für 
Kalterherberg-Reichenstein  die  Messungen  der  seit  1897  bestehenden 
Station  Kalterherberg  mit  verwendet  werden. 

2.  Prüfung  der  benutzten  Perioden. 

Aus  den  früher  erörterten  Gründen  beschäftigt  sich  die  vorliegende 
Arbeit  mit  den  Niederschlagsverhältnissen  in  den  Perioden  1886—95 
und  1891 — 95.  Es  ist  daher  erforderlich,  zunächst  diese  beiden  kür- 
zeren Reihen  mit  langjährigen  Mitteln  zu  vergleichen.  Aus  der  Rhein- 
provinz stehen  solche  langjährigen  Mittel  nur  von  einigen  Stationen 
zur  Verfügung,  nämlich  von  Aachen,  Birkenfeld,  Bonn,  Boppard, 
Coblenz,  Köln,  Krefeld,  Kreuznach  und  Trier. 

Für  Boppard,  Köln  und  Trier  liegen  ununterbrochene  Beobachtungen 
der  Normalperiode  1851 — 90  vor,  während  die  übrigen  Stationen  einige 
Lücken  aufweisen;  jedoch  konnten  auch  diese  mit  Rücksicht  auf  die 
Länge  der  angestellten  Beobachtungen  auf  die  40jährige  Normalreihe 
monatsweise  (mit  Ausnahme  von  Coblenz),  siehe  Tabelle  III,  mit  Hilfe 
der  später  zu  erörternden  Hannschen  Regel  reduziert  werden. 

Da  die  Güte  der  älteren  Beobachtungen  (vor  1886)  nur  für 
Aachen,  Köln,  Krefeld  und  Trier  bekannt  ist,  so  wurden  diese  als 
langjährige  Reduktionsstationen  auch  für  die  anderen  in  Tabelle  III  an- 
geführten Orte  verwandt.  Die  Kritik  der  übrigen  langjährigen  Reihen 
entzieht  sich  größtenteils  hiesiger  Beurteilung.  Doch  sei  erwähnt,  daß 
der  Regenmesser  in  Birkenfeld J)  früher  10  m  über  dem  Erdboden  stand, 
sowie,  daß  bezüglich  Bonns  die  Ansicht  Mol  den  hauers  *)  nicht  geteilt 
wird,  daß  das  langjährige  Mittel  der  Sternwarte  zu  gering  sei  (siehe 
auch  später);  für  Kreuznach  ebenfalls  hält  Hellmann3)  das  langjährige 

')  Moldenhauer,  S.  58. 
*)  Derselbe,  S.  27. 

3)  Hellmann,  Beitrage  zur  Kenntnis  der  Niederschlagsverhältnisse  von 
Deutschland.    M.  Z.  1886. 


14  P.  Polis,  [14 

Mittel  für  unzuverlässig.  Das  bei  Töpfer1)  angeführte  Lohe  Jahres- 
mittel von  Birkenfeld  mit  891  mm  darf  nicht  verwundern,  da  es  aus 
einer  niederschlagsreichen  Periode  hergeleitet  wurde  und  auch  Trier 
für  den  gleichen  Zeitraum  (1861 — 79)  741  mm  hat.  Die  langjährige 
Jahressumme  von  Coblenz  wurde  der  Ziegl ersehen  Arbeit  entnommen, 
bei  welcher  Monatssummen  nicht  angegeben  sind. 

Bevor  wir  jedoch  die  kürzeren  Perioden  mit  der  Normalreihe  ver- 
gleichen, ist  es  wünschenswert,  auch  die  langjährigen  Mittel  in 
Bezug  auf  ihre  Genauigkeit  zu  untersuchen.  Für  diesen  Zweck 
wurde  sich  der  Gau  fischen2)  Fehlerrechnung  bedient.  Allerdings  läßt 
sich  diese  Methode  nicht  so  ohne  weiteres  in  der  Meteorologie  an- 
wenden wie  bei  exakt  physikalischen  Messungen,  aber  immerhin  gewährt 
sie  eine  gewisse  Vorstellung  über  die  Fehlergröfie  bei  einem  längeren 
Zeiträume,  weil  die  Extreme  der  Niederschläge  sich  auch  innerhalb 
gewisser  Grenzen  bewegen  müssen.  Zu  dieser  Prüfung  wurden  die 
Kölner  Beobachtungen  benutzt,  die  von  1848  bis  heute  ununterbrochen 
vorliegen.  Die  Fehlerrechnung  wurde  sowohl  für  die  Normalperiode 
1851—90,  als  auch  für  das  50jährige  Mittel  1848—97  ausgeführt.  In 
der  Formel 


■-±v- 


SA2 
n(n-l) 


bedeutet  SA2  die  Summe  der  Quadrate  aller  Abweichungen,  n  die 
Anzahl  der  beobachteten  Jahre.  Aus  dieser  Formel  ergibt  sich  als 
mittlerer  Fehler  für  die  Periode  1851— 90  ±  19  mm,  für  1848—97 
+  16  mm ;  um  den  wahrscheinlichen  Fehler  zu  finden,  muß  man  nach 
Gaufi  diese  Werte  noch  mit  0,67  multiplizieren,  wodurch  man  + 12,7  mm 
bezw.  +  10,4  mm  erhält. 

Interessant  ist  ferner  noch  die  Periode  1893 — 95,  deren  Werte 
bei  der  Reduktion  größtenteils  zu  Grunde  liegen,  in  der  obigen  Weise 
zu  untersuchen.  Für  Köln  beträgt  der  mittlere  Fehler  +  62  mm,  der 
wahrscheinliche  ±  42  mm. 

Nach  diesen  Erörterungen  wollen  wir  nunmehr  dazu  übergehen,  die 
kürzeren  Reihen,  die  dieser  Arbeit  zu  Grunde  gelegt  sind,  zu  prüfen. 
Stellt  man  die  einzelnen  Jahreszeiten  der  Normalstationen  Köln,  Aachen 
und  Trier  für  die  verschiedenen  Perioden  1891 — 95  und  1886—95  der 
langjährigen  1851 — 90  gegenüber  und  berechnet  die  prozentarischen 
Abweichungen,  so  ist  ohne  weiteres  ersichtlich,  daß  für  den  nördlichen 
Teil  der  mittleren  Rheinprovinz  die  zu  Grunde  gelegten  Perioden  in 
Bezug  auf  die  Jahressummen  etwas  zu  feucht  waren;  sehr  gering  ist 
diese  Abweichung  für  den  nordwestlichen  Teil  mit  Aachen  und  Köln 
(3 — 5°/o),  der  südliche  Teil  (siehe  Trier)  ist  jedoch  in  den  unter- 
suchten Perioden  zu  trocken  gewesen. 

Hinsichtlich  der  einzelnen  Jahreszeiten  weist  vor  allem  der  Früh- 
ling zu  geringe  Beträge  auf,  besonders  in  dem  Lustrum  1891 — 95 ;  am 


*)  Töpfer,  Untersuchungen  über  die  Regen  Verhältnisse  Deutschlands. 
2)  Meyer,   Anleitung  zur  Bearbeitung  meteorologischer  Beobachtungen  für 
die  Klimatologie.    Berlin  1891.    Fehlerrechnungen. 


15]  Die  Niederschlagsverhaltnisse  der  mittleren  Rheinprovinz  u.  d.  Nachbargeb.      15 


Tabelle  1. 

Prozentarische  Abweichungen   der  Reihen  vom  Normal- 
mittel. 


Aachen 

Köln 

Trier 

Aachen 

Köln 

Trier 

1851—90 

40  Jahre 

mm 

214 

132 

149 

tc 

1851—90 

40  Jahre 

mm 

183 

133 

158 

u 

1886—95 

10  Jahre 

mm 

222 

134 

135 

1886—95 

10  Jahre 

mm 

175 

129 

143 

Prozentarische 
Abweichung 

+  3,7 

+  0,8 

—  9,5 

ja 
a 

Em 

Prozentarische 
Abweichung 

—  4,4 

—  3,0 

—  6,5 

1891—95 

5  Jahre 

mm 

247 

150 

145 

1891—95 

5  Jahre 

mm 

159 

108 

109 

Prozentarische 
Abweichung 

+  15,4 

+  13,6 

-2,7 

Prozentarische 
Abweichung 

—  13,1 

—  18,8 

-28,8 

1851—90 

40  Jahre 

mm 

235 

211 

211 

00 
M 

1851—90 

40  Jahre 

mm 

212 

152 

182 

u 

1886—95 

10  Jahre 

mm 

255 

235 

209 

1886—95 

10  Jahre 

mm 

215 

164 

169 

S 

s 

o 

Prozentarische 
Abweichung 

+  8,5 

+  1M 

—  0,9 

Prozentarische 
Abweichung 

+  M 

+  8,0 

-7,1 

GG 

1891—95 

5  Jahre 

mm 

248 

221 

195 

1891—95 

5  Jahre 

mm 

218 

165 

182 

Prozentarische 
Abweichung 

+  5,5 

+  4,7 

—  7,6 

Prozentarische 
Abweichung 

+  2,8 

+  8,6 

0 

Aachen 

Köln 

Trier 

1851—90 

40  Jahre 

mm 

844 

628 

695 

1886—95 

10  Jahre 

mm 

867 

662 

656 

Prozentarische 
Abweichung 

+  2,7 

+  5,4 

—  5,6 

1891—95 

5  Jahre 

mm 

872 

644 

631 

Prozentarische 
Abweichung 

+  3,3 

+  2,5 

—  9,2 

16 


P.  Polw, 


[16 


stärksten  ist  dies  wieder  für  Trier  ausgeprägt.  Die  Erklärung  hierzu 
liefert  der  außerordentlich  trockene  April  1893,  in  welchem  fast  gar 
kein  Niederschlag  gefallen  ist,  wodurch  der  mittlere  Frühlingswert 
heruntergesetzt  wurde.  Sommer  und  Herbst  haben  für  Trier  geringe 
negative  Abweichungen,  für  die  beiden  anderen  Orte  jedoch  positive, 
wie  dies  leicht  durch  lokale  Gewitterregen  hervorgerufen  werden  kann. 
Der  Winter  ist  für  die  nördlichen  Bezirke,  besonders  für  das  Lus- 
trum 1891 — 95  zu  feucht  gewesen,  woran  die  Hauptschuld  der  nasse 
Februar  1893  und  Januar  und  Dezember  1895  trugen;  für  Trier  macht 
sich  jedoch  ein  kleiner  Fehlbetrag  bemerkbar. 

Meyer1)  stellt  den  Satz  auf:  „Die  zu  erwartende  Menge  des 
Niederschlages  eines  Zeitabschnittes  ist  kleiner  als  die  mittlere,  da  bei 
langjährigen  Beobachtungen  sich  mehr  Zeiträume  mit  einer  kleineren 
als  mit  einer  größeren  Niederschlagshöhe  als  das  Gesamtmittel  finden/ 
Um  diese  Gesetzmäßigkeit  zu  prüfen,  wurde  für  die  Normalstationen 
die  Häufigkeit  der  Abweichungen  sowohl  vom  langjährigen  Mittel  als 
auch  von  den  beiden  untersuchten  Perioden  gebildet  und  in  Tabelle  2 
zusammengestellt. 

Tabelle  2. 

Häufigkeit   der  Abweichung  der  Jahrsummen   von   deren 

Mittel. 


Station 

'Abweichung  vom  Mittel 

Jahre 

i 

1806-30 
18Ä0-97 

78  Jahre 

1844-51 
1861-95 
43  Jahre 

1848-97 

50  Jahre 

1848-85 
1893-95 
41  Jahre 

1851-90 
40  Jahre 

1886-95 
10  Jahre 

1891-95 
5  Jahre 

An- 
zahl 

Zeitraum 

Aachen  .  .  . 
Köln 

Krefeld  .  .  . 
Trier   .... 

__ 

i    

i 

!+  30 

|-48 

+  24 
-  19 

+  26 
—  24 

+  20 
-  20 
n     1 

+  24 

—  19 

+  27 

-  22 
n     1 

+  20 

-  20 
n     1 

+  28 

—  50 

+  19 

-  24 

+  22 

-  28 

+  36 

-  37 

+  19 

—  24 

+  25 

—  25 

+  49 

—  24 

43 
50 

41 
73 

/  1844—51 
\  1861—95 

1848—97 

r  1848-85 
\  1893-95 

/  1806—30 
\  1850-97 

Besonders  scharf  ist  die  Bestätigung  dieses  Satzes  in  der  lang- 
jährigen Reihe  von  Trier  ausgeprägt,  wie  dies  sowohl  die  73jährigen 
als  auch  die  40jährigen  Beobachtungen  zeigen.  Für  die  übrigen  Sta- 
tionen ist  jedoch  in  den  längeren  Reihen  (die  allerdings  nicht  über 
50  Jahre  zurückgehen)  eine  Anordnung  zu  Gunsten  der  positiven  be- 
merkbar; in  den  kürzeren  Reihen  halten  sich  die  positiven  und  nega- 
tiven Abweichungen  nahezu  das  Gleichgewicht. 


')  Meyer,    Die   Niederschlagsverhältnisse    von  Deutschland. 
Deutschen  Seewarte,  XI,  Nr.  6,  1889.    Hamburg,  S.  2. 


Archiv    der 


17]   Die  Niederschlagsverhältnisse  d er  mittleren  Rheinprovinz  u.  d.  Nachbargeb .     1 7 

Diesem  Satze  entsprechend,  müßte  nun  das  untersuchte  Decennium 
1886 — 95  bezw.  das  Lustrum  1891 — 95  weder  einem  Minimum  noch 
einem  Maximum  des  Niederschlages  einer  längeren  Periode  angehören; 
es  ist  daher  von  ganz  besonderem  Interesse,  das  Verhalten  der  kurzen 
Reihen  während  der  gesamten  vorliegenden  Beobachtungen  näher  kennen 
zu  lernen.  Zur  Charakteristik  dieser  sogenannten  Elimaschwankungen 
sind  nach  Brückner1)  die  Lustrenmittel  heranzuziehen;  es  wurden  da- 
her von  den  vier  Normalstationen  in  der  Rheinprovinz,  sowie  Brüssel,  die 
Lustrenmittel,  ferner  die  gesamten  prozentarischen  Abweichungen  von 
der  40jährigen  Normalsumme  1851 — 90  gebildet.  Die  in  Klammern 
gestellten  Zahlen  geben  die  jährliche  Niederschlagshöhe  in  Millimetern 
an  (1851 — 90).  Besonders  wichtige  Aufschlüsse  gewähren  uns  die 
Trierer  Beobachtungen,  die  mit  Unterbrechung  der  Jahre  1831 — 50, 
mit  welchem  Zeitraum  jedoch  die  Brüsseler  Reihe  beginnt,  bis  zum 
Jahre  1806  zurückreichen. 

Im  allgemeinen  trägt  das  gesamte  Gebiet  einen  weit  einheitlicheren 
Charakter,  als  Kremser2)  z.  B.  für  das  Oderstromgebiet  fand,  wenn- 
gleich an  den  Grenzen  sich  hin  und  wieder  Umkehrungen  bemerkbar 
machen.  Lediglich  ist  in  den  Perioden  1841—45,  1851—55,  1866—70 
und  1876—80  zu  viel  Niederschlag  gefallen,  während  die  Lustren 
1861 — 65  und  1871 — 75  durch  große  Trockenheit  sich  auszeichnen. 
Ein  diese  Lustren  umfassender  Zeitraum  würde  also  ein  unrichtiges 
Bild  der  Niederschlagsverteilung  geben,  in  dem  einen  Fall  zu  hoch,  in 
dem  andern  zu  niedrig. 

Durchmustert  man  die  langjährige  Reihe  von  Trier,  so  zeigt  sich 
als  feuchtester  der  Zeitabschnitt  1806 — 10,  dem  unmittelbar  als  trocken- 
ster die  Periode  1811 — 15  folgt.  Weiter  macht  sich  in  der  Zusammen- 
stellung die  von  Brückner3)  betonte  regelmäßige  Zu-  und  Abnahme 
der  Niederschlagssummen  bemerkbar ;  aus  dem  Verlaufe  dieser  Schwan- 
kungen geht  hervor,  daß  wir  einer  niederschlagsärmeren  Zeit  entgegen- 
sehen, was  auch  durch  die  drei  letzten  Jahre  1896,  1897  und  1898 
seine  Bestätigung  erfahren  hat. 

Faßt  man  die  Beobachtungen  nach  Decennien  zusammen  (siehe 
Tabelle  4),  so  macht  sich  zunächst  eine  weit  geringere  Abweichung 
vom  Normalwerte  bemerkbar,  deren  Grenze  zwischen  —  ll°/o  und 
+  90/o  liegt,  während  sie  bei  den  5jährigen  Beobachtungen  um  45°/o 
schwankt.  Eine  Zusammenfassung  der  gesamten  Abweichungen  wurde 
hierbei  ebenfalls  vorgenommen,  woraus  erhellt,  daß  die  Periode  1851 — 70 
etwas  zu  trocken,  diejenige  von  1871 — 90,  besonders  1871 — 80,  zu 
feucht  war. 

Was  nun  endlich  das  untersuchte  Decennium  1886 — 95  anbelangt, 
so  zeigt  sich,  daß  es  weder  einem  Maximum  noch  einem  Minimum  des 
Niederschlages  angehört;  auch  sind  die  prozentarischen  Abweichungen 
geringe  (Schwankung   11  °/o,   siehe  Tabelle  1),  was  zu  dem   Schlüsse 

')  Brückner,  Klimaschwankungen  seit  1700.  Wien  1890,  Geographische 
Abhandlungen,  herausgegeben  von  Penck;  Bd.  4,  Heft  2. 

*)  Kremser,  Klimatische  Verhältnisse  des  Oderstromgebietes  im  Oderwerk. 
Berlin  1898. 

•)  Brückner,  Klimaschwankungen  seit  1700.     Wien  1890. 
Forschungen  zur  deutschen  Landes-  und  Volkskunde.    XII.  1.  2 


18 


P.  Polis, 


[18 


Tabelle  3. 
Lustren   des  Niederschlages. 


o 

I 

c 

00 

7 

CO 

55 

i  i 

* 

00 

T 

1 

so 

i 

SD 
33 

- 

i 

OD 

o 

1 

TD 

IC 

i 

*-* 

in? 
oo 

o 

1 

td 

00 

td 

TD 

o 
1 

TD 
TD 
1 

1 

I  - 

o 

i 

Q0 

<* 

OD 

7 

00 
00 

OS 

1 

X 

00 

33 

1 

Summen  in  Millimeter 

Aachen  (8* 
Köln    .  (65 
Krefeld  (li 
Trier  ,  (61 
Brüssel  (7< 

Aachen  , 
Köln    .  (  - 
Krefeld  ♦ 
Trier    .  . 

18) 

m 

W) 

Jtil 

: 

Kl 

S96 

: 

-14 

625 

-io 

634 
■ 

-9 

618 

-ii 

: 

Prc 

.      -    623 

720  7&4  713 

aentarisehe 
.   1  .  1-86 

:  1 : 1 : 

i      .    jr^919 
67&Ö91  j/o.009 
653Uf'631  760 
730  702^743 
745  665  ö4f|7W 

Abweichungen 

,      .   -2S  +  9 

+  7-6  -19  -1 

-8-22-11  +  8 

+  5  +  1-14  +  7 

S35 
554 
700 

6l> 

-  1 
-12 

-  1 

-  3 

&»4 

:m 

821 
7:14 
880 

fl3 

413 
tl6 
+  6 

922  ff** 
69^680 
643    . 
699  682 
760JT60 

+  9  +  2 
-12  +  3 
-y    . 
+  1  -  2 

872 

+  3 
+  3 

-9 

Durchschn 
Brüssel   -, 

itt 

- 

-3 

+*8 

.    +1 
-4  +  1 

i-9 

-18  +  G 
-1+3 

-4 

-  6 

+ii;+3 

+19J+3 

+  3 
+  3 

-1 
-5 

Tabelle  4. 
Decennien   des   Niederschlages. 


0 

1— 1 
00 

0 

CO 

J, 

00 

0 
00 

S 
1 

00 

0 

J, 

CO 

00 

0 
00 

j, 

00 

0  1 

Od 

l  ! 
1 

0 

00 

0 
00 

j, 

00 

0 
00 

0 

CO 

00 

0 

CO 
00 

8 

00 

O 
O» 

l 

00 
00 

1 

Summen  in  Millimeter 

Prozentarische  Abweichungen 

Aachen  (844) 
Köln.  .  (628) 
Krefeld  (706) 
Trier   .  (695) 

610 

626 

788 

623 
601 
716 

704 

758 
559 
695 
673 

699 

895 
631 
761 
704 

789 

893 
687 

690 
760 

—12 

-10 

+  1 

—15 

+  3 

—10 
—11 

-  2 

—  8 

+  6 
0 

+  8 

+  1 

+. 

+19 
-  1 

Durchschnitt 
Brüssel  (740) 

Ö 

—  4 

—  5 

—  6 

—  6 

+  4 

+  7 

+  5 
+  3 

berechtigt,    daß  die  in  den  Karten  dargestellten  Niederschlagsverhält- 
nisse den  mittleren  Werten  nahe  kommen  werden. 


3.  Reduktionsmethode. 

Da  nun  nicht  an  allen  Stationen  für  den  diskutierten  Zeitraum 
beobachtete  Werte  vorhanden  sind,  so  mußten  dieselben  auf  irgend 
eine  Weise  untereinander  vergleichbar  gemacht  werden.  Die  Möglich- 
keit hierzu  bietet  die  Ha nn sehe  *)  Regel,  die  sich  auf  die  Thatsache 


*)  Meyer,  Anleitung  zur  Bearbeitung  meteorolog. Beobachtungen  etc.   S.50. 


1 9]   Die  Niederschlagsverhältnisse  der  mittleren  Rheinprovinz  u.  d.  Nachbargeb.      1 9 

stützt,  daß  größere  Gebiete  gleiche  Regenschwankungen  innerhalb  der 
Jahre  zu  verzeichnen  haben,  nur  daß  das  Verhältnis  je  nach  der  Lage 
(Höhen-  oder  Flachlandstation)  verschieden  ist.     In  der  Formel: 

A 
sa  =  sn  -r=r- 

N 

bezeichnet  A  den  beobachteten  Wert  einer  Station,  N  die  korrespon- 
dierende Regensumme  der  Normalstation  und  sn  die  Normalperiode, 
woraus  man  sa,  die  Regensumme,  erhält,  die  in  den  Jahren  der  Normal- 
reihe an  der  Station  gefallen  ist. 

Allerdings  ist  für  den  Gebrauch  dieser  Formel  vorauszuschicken, 
daß  Gebirgsstationen  nicht  auf  Flachlandstationen  oder  umgekehrt,  zu- 
rückgeführt werden  können.  Diesem  Umstände  wurde  dadurch  Rech- 
nung getragen,  daß,  soweit  es  möglich,  eine  größere  Anzahl  von  Re- 
duktionsstationen (d.  h.  solche,  von  denen  aus  der  Periode  von  1886 — 95 
Beobachtungen  vorlagen)  verwendet  und  auf  diese  Weise  nahe  gelegene 
Orte  aufeinander  reduziert  wurden.  Ausnahmsweise  wurden  auch  so- 
genannte überreduzierte  Werte  verwendet,  wenn  von  einer  Station,  wie 
Gützenrath,  Neuwied,  9  beobachtete  Jahre  vorhanden  waren,  da  in 
diesem  Falle  der  berechnete,  10jährige  Wert  von  dem  beobachteten  nur 
sehr  wenig  abweicht  (siehe  die  spätere  Tabelle  5). 

Unerläßlich  scheint  es  jedoch,  diese  Methode  einer  exakten 
Prüfung  zu  unterziehen,  indem  man  solche  berechnete  Werte  mit  den 
beobachteten  vergleicht. 

Zwar  können  wir  zu  dieser  Prüfung  nur  solche  Stationen  heran- 
ziehen, die  über  eine  Beobachtungszeit  von  5  bezw.  10  Jahren  ver- 
fügen ;  solche  liegen  oft  weiter  voneinander  entfernt,  als  sonst  die  Orte 
von  ihren  Reduktionsstationen. 

Diese  Untersuchung  wurde  sowohl  für  die  5jährige  Periode  1891 
bis  1895,  als  auch  für  die  10jährige  1886—95  gesondert  ausgeführt. 
Während  wir  bei  der  Prüfung  der  10jährigen  Periode  nur  die  Stations- 
paare Aachen  und  Köln,  Imgenbroich  und  Hollerath  verwenden  konnten, 
wurden  für  die  5jährigen  noch  Schneifelforsthaus  und  Gerolstein,  Alten- 
kirchen und  Hachenburg,  Neuwied  und  Köln  hinzugenommen,  deren 
berechneten  wie  beobachteten  Werte  in  den  beigegebenen  Tabellen  5 
und  6  zusammengestellt  wurden. 

Die  Abweichung  der  berechneten  Werte  der  einzelnen  Perioden 
von  dem  beobachteten  Endwerte  ist  der  besseren  Uebersicht  halber  in 
Tausendsteln  der  Summe  dargestellt. 

Bei  Durchsicht  dieser  Zusammenstellungen  prägt  sich  sofort  der 
gleiche  Gang  der  berechneten  Werte  mit  dem  der  Reduktionsstation 
aus,  wie  dies  auch  nach  der  Formel  nicht  anders  zu  erwarten  ist. 
Weiter  macht  sich  bei  den  Reduktionen  bemerkbar,  daß  die  Genauig- 
keit der  berechneten  Summe  durchschnittlich  mit  der  Anzahl  der  Be- 
obachtungsjahre wächst;  jedoch  haben  einzelne  Zeiträume  auffallend 
geringe  Abweichungen,  z.  B.  die  Kombination  1894 — 95. 

Da  nun  meistenteils  bei  der  Reduktion  die  Jahre  1893 — 95  zu 
Grunde  gelegt  worden  sind,  so  interessiert  uns  ganz  besonders  deren 
Verhalten.   Die  Abweichung  nimmt  ab,  je  mehr  man  nach  Süden  geht, 


20  P.  Polia, 

Tabelle  5. 
Prüfung  der   10jährigen  Periode    1886—95. 


[20 


Beobachtete 
Jahre 


i 


Aachen 

reduziert  auf  Köln 


Imgenbroich 
reduziert  auf  H oller ath 


1895 
1894—95 
1893—95 
1892-95 
1891—95 
1890—95 
1889—95 
1888—95 
1887—95 
1886-95 


Beobachtete  Berechnete 
Werte 


Abweichung  [Beobachtete  Berechnete 

in  '|  ' 

Tausendsteln  '  Werte 


I      855 

814 

1      933 

861 

919 

920 

889 

907 

872 

894 

875 

887 

874 

874 

■      883 

861 

869 

861 

867 

867 

—  62 

—  8 
+  60 
+  45 
+  30 
+  22 
-i-  7 

—  8 


893 
969 
947 
916 
918 
914 
945 
961 
947 
945 


934 
908 
908 
925 
900 
908 
917 
942 
947 
945 


Abweichung 

in 
Tausendsteln 


—  11 

—  38 

—  38 

—  20 

—  47 

—  38 

—  29 

—  2 
+    2 


Tabelle  6. 
Prüfung  der  5jährigen  Periode   1891 — 95. 


Aachen 

reduziert  auf 
Köln 

Imgenbroich 
reduziert  auf 
Hollerath 

I  Gerolstein 

1  reduziert  auf 

!  Schneifel- 

forsthaus 

Altenkirchen 

reduziert 
auf  Hachen- 
b  u  r  g.       j 

Neuwied 

reduziert  auf 

Köln 

Beobachtete 
Jahre 

5 

.4 
ctf 

.a 
8 
PQ 

8 

PQ 

bweichung 

in 
msendsteln 

i 
1 

o 
a> 
pq 

5 

4) 

a 

■3 
8 

bweichung 

in 
msendsteln 

2 

i 

o 

S 

1 
S 

PQ 

§  1 

^     S 

1  2 

o 
d 

1    «° 

1  « 

Ol 

2 
« 

PQ 

6£       C 

§  3 

*      1 

© 

o 
PQ 

1 
■8 

6£      O 

1   1 

-    5 

!    Werte 

<    & 

Wert* 

<    £     Werte 

^    H  :  Werte 

«    £ 

Werte 

•«    6 

1895 

,855 

793 

—  90 

1893 

951 

+  36  722 

675 

—  16||870 

749 

-  541 

596 

542 

+  38 

1894-95 

933 

838 

—  39 

969 

926 

+    9 

734 

666 

-  29l|795 

783 

—  11 

579 

516 

—  11 

1893-95 

919 

896 

+  27 

947 

926 

+    9 

716 

666 

-  29  ,754 

699 

—117; 

528 

512 

—  19 

1892—95 

ß89 

884 

+  14 

916 

942 

+  26 

679 

684 

—    3 

!730 

724 

-  86i 

514 

510 

-23 

1891-95 

872 

872 

!918 

918 

~~ 

686 

686 

" 

|792 

792 

522 

522 

""" 

und  ist  am  größten  in  dem  östlichen  Teile  der  Rheinprovinz ;  siehe 
Altenkirchen-Hachenburg. 

Für  die  5jährige  Periode,  deren  größte  Abweichung  29  mm  pro 
1000  beträgt,  ergiebt  sich  (abgesehen  von  Altenkirchen)  für  die  ge- 
birgigen Gegenden  (1200  mm)  eine  mittlere  Schwankung  von  circa 
35  mm,  während  sie  für  das  Flachland  bei  einer  mittleren  Niederschlags- 
summe von  600  mm  nur  17  mm  beträgt. 

Bei  der  10jährigen  Periode  ist  die  Schwankung  am  größten  bei 
dem  Stationspaare  Aachen-Köln  mit  60  mm  pro  1000,  so  daß  also  für 
das  Flachland  die   berechnete  Summe  von   der   beobachteten  um  circa 


21  ]   Die  Niederachlagsverhältniase  der  mittleren  Rheinprovinz  u.  d.  Nachbargeb.     21 

36  mm,  für  die  Gebirge  etwa  um  72  mm  im  äußersten  Falle  abweichen 
dürfte.  S.  14  hatten  wir  für  Köln  als  mittleren  Fehler  ±  62  mm, 
als  wahrscheinlichen  +  42  mm  der  Periode  1893 — 95  gefunden.  Dieses 
Resultat  ist  um  so  beachtenswerter,  als  jene  aus  der  Fehlerrechnung 
ermittelte  Größe  innerhalb  obiger  Abweichung  von  36 — 72  mm  liegt. 
Aber  immerhin  geht  aus  diesen  Erörterungen  hervor  (vergl.  auch 
Prüfung  der  beobachteten  Perioden),  daß  die  dem  Reduktions ver- 
fahren anhaftende  Unsicherheit  im  allgemeinen  ±  5°/o,  also 
bei  1000  mm  ±  50  mm  nicht  überschreiten  dürfte. 

Um  jedoch  diese  Beziehungen  der  gleichen  Schwankungen  der 
jährlichen  Niederschlagssummen  in  einer  etwas  anderen  Weise  zu  be- 
leuchten, wurden  die  Koeffizienten  der  Veränderlichkeit  des  Nieder- 
schlages für  5  bezw.  10  Jahre  zuverlässiger  Stationen  bestimmt,  indem 
das  Verhältnis  der  Lustrenmittel  1886—90  und  1891 — 95,  sodann 
der  3jährigen  Periode  1893 — 95  in  das  untersuchte  Decennium  1886 — 95 
dividiert  wurde. 


Tabelle  7. 
Veränderlichkeit  des  Niederschlages. 


Station. 

Koeffizient 
1893—95 

zu 
1886—95 

Koeffizient 
1891—95 

zu 
1886—95 

Koeffizient 
1886—90 

zu 
1886—95 

1.  Nessonvaux .  . 

2.  Aachen  .... 

3.  Hockay  .... 

4.  Imgenbroich  . 

5.  Hollerath  .  .  . 

6.  Gouvy 

7.  Arlon 

8.  Kelberg  .... 

9.  Trier 

10.  Birkenfeld  .  . 

11.  Simmern  .  .  . 

12.  Geisenheim  .  . 

13.  Coblenz  .... 

14.  Köln 

15.  Hachenburg   . 

0,91 
1,04 
1,00 
0,96 

1,04 
0,94 
0,98 
0,96 
1,02 
1,00 
0,96 
0,99 
0,92 

0,96 
0,99 
1,05 
1,03 
0,98 
1,01 
1,08 
0,99 
1,04 
1,03 
1,05 
1,00 
0,94 
1,03 
0,98 

1,03 
1,00 
0,95 
0,97 
1,02 
0,92 
0,94 
1,01 
0,93 
0,96 
0,93 
0,99 
1,23 
0,97 
1,02 

Wie  diese  Zahlen  lehren,  ist  eine  gewisse  Regelmäßigkeit  nicht 
zu  verkennen,  obschon  gerade  die  Gebirgsorte  im  Vergleiche  zu  den 
Flachlandstationen  oft  Umkehrungen  zeigen.  Solche  Abweichungen 
sind  natürlich  auch  beim  Kartenentwurfe  berücksichtigt  worden. 


22  P«  Polis,  [22 


4.  Anordnung  der  Tabellen. 

Der  besseren  Uebersicht  halber  wurden  sämtliche  Stationen  alpha- 
betisch angeordnet  und  in  dieser  Zusammenstellung  die  geographischen 
Koordinaten,  die  Seehöhe,  die  Höhe  des  Regenmessers  über  dem  Erd- 
boden, das  System,  dem  die  Stationen  angehören  (Kgl.  Preußisches 
Meteorologisches  Institut,  Forstakademie  Eberswalde,  Observatoire  royal 
de  Belgique,  Aachener  Zentralstation,  Private),  die  beobachteten  Jahre 
und,  wenn  notwendig,  Bemerkungen  über  die  Güte  des  vorhandenen 
Materials  eingetragen.  Diese  Bemerkungen  beziehen  sich  jedoch  haupt- 
sächlich auf  den  Zeitraum  1886 — 95;  auch  sind  von  dem  Aachener 
Netze,  das  erst  im  Jahre  1896  ins  Leben  gerufen  wurde,  nur  einige 
wenige  Stationen,  die  charakteristische  Lage  haben,  ausgewählt  und 
weiter  verarbeitet  worden. 

Weiter  sind,  um  das  Auffinden  der  Stationen  in  den  einzelnen 
Tabellen  zu  erleichtern,  bezw.  um  Vergleiche  zu  ermöglichen,  Ord- 
nungsnummern eingeführt  worden,  die  in  der  Weise  gewonnen  sind, 
daß  die  Stationen  in  der  „Zusammenstellung  nach  Flußgebieten41  fort- 
laufend numeriert  und  diese  Nummern  in  allen  Tabellen  direkt  vor  den 
Namen  der  Station  gesetzt  wurden. 

In  Tabelle  II  sind  die  langjährigen  beobachteten  Monatsmittel 
von  12  Stationen  niedergelegt,  die  zum  Teil  den  älteren  Arbeiten  von 
v.  Möllendorf,  Töpfer  und  Ziegler  entnommen  wurden.  Diese, 
sowie  auch  die  folgende  Tabelle  III  a  „Normalmittel  1851—90"  ist 
in  der  Summe  (Millimetern)  und  in  Prozenten  der  Jahrsumme  gegeben. 
Weiter  wurden  von  ihnen  die  einzelnen  Jahreszeiten  wie  auch  die  beiden 
Halbjahre  gebildet. 

Tabelle  III  gewährt  eine  Zusammenstellung  der  Normalmittel 
1851 — 90,  und  zwar  a)  der  Monatsmittel  von  den  Stationen,  die  ent- 
weder während  der  ganzen  Zeit  beobachtet  haben,  oder  aber  bei  min- 
destens 20jähriger  Beobachtungszeit  auf  diese  Periode  zurückgeführt 
wurden;  b)  der  Stationen  mit  kürzeren  Reihen  (mindestens  8  Jahre), 
deren  Jahrsummen  auf  den  eben  erwähnten  Zeitraum  reduziert  wurden. 

In  Tabelle  IV  und  V  sind  endlich  die  einzelnen  Monatsmittel, 
Jahreszeiten  und  Halbjahre  der  in  den  Jahren  1886 — 95,  1886—90 
und  1891 — 95  beobachtet  habenden  Stationen  prozentarisch  angeführt. 

Tabelle  VI  und  VII  enthalten  eine  Anordnung  der  Stationen  nach 
Flußgebieten;  für  diese  Zusammenstellung  waren  der  Niederschlags- 
band des  Jahres  1894  des  Kgl.  Preußischen  Meteorologischen 
Instituts  und  für  verschiedene  Ergänzungen  die  entsprechenden  Blätter 
der  vom  Ministerium  für  Landwirtschaft,  Domänen  und  For- 
sten herausgegebenen  „Wasserkarte  der  norddeutschen  Strom- 
gebiete1)" bezw.  die  „Hydrographische  Karte2)  von  Nord- 
deutschland*, bearbeitet  im  Bureau  des  Wasserausschusses, 
maßgebend. 


*)  Berlin  1893. 
a)  Berlin  1895. 


23]    Die  NiederschlagsverhSJtnisse  der  mittleren  Rheinprovinz  u.  d.  Nachbargeb.     23 

In  Tabelle  VI  sind  die  wirklich  beobachteten  Jahre,  das  Lustrum 
1891 — 95  und  das  Decennium  1886 — 95  angeführt,  sowie  bei  den  redu- 
zierten Werten  auch  die  Vergleichsstationen,  und  zwar  abgekürzt;  der 
Schlüssel  zu  diesen  Abkürzungen  ist  am  Kopfe  der  Tabelle  vermerkt. 

Tabelle  VII  enthält  die  Mittel  der  einzelnen  Jahreszeiten  der  beiden 
Zeiträume. 

Die  nachfolgenden  Tabellen  VIII,  IX  und  X  beziehen  sich  auf 
Angaben  über  mittlere  und  absolute  24stündige  Maxima,  große  Nieder- 
schläge in  kurzer  Zeit,  Niederschlags-  und  Schneetage  meist  für  das 
Decennium  1886—95.  Bezüglich  der  weiteren  Anordnung  ist  noch  zu 
bemerken,  daß  die  Texttabellen  mit  arabischen,  die  im  Anhange  be- 
findlichen mit  römischen  Ziffern  fortlaufend  numeriert,  sowie  ferner 
die  Maxima  durch  Fett-,  die  Minima  hingegen  durch  Kursivdruck  ge- 
kennzeichnet sind. 


Niederschlagshöhe.    Jahreswerte. 

(Tabelle  II— III,  VI;  Tafel  I.) 

I.  Vorbemerkungen. 

Langjährige  Mittel.  Zur  genaueren  Diskussion  der  Nieder- 
schlagsverhältnisse müssen  wir  uns  aus  den  früher  erwähnten  Gründen 
der  kürzeren  Reihen  bedienen  und  auf  langjährige  Mittel  nur  des  Ver- 
gleiches halber  hinweisen;  ebenso  muß  auch  hier  von  einer  weiteren 
Besprechung  dieser  langjährigen  Reihen,  wie  dies  z.  B.  für  Aachen1) 
geschehen  ist,  abgesehen  werden.  Wohl  erscheint  es  jedoch  als  zweck- 
mäßig, wenigstens  für  die  Normalstationen  die  Scheitelwerte  abzuleiten. 

Tabelle  8. 

Jährliche  Niederschlagssummen  nach  Gruppen  von 
59:50  Millimeter  geordnet. 


o 

o 

o 

o 

o 

o 

o 

o 

o 

o 

o 

o 

o 
© 

o 

o 

Beobachtete 

«* 

o 

CO 

CO 

o 

© 

00 

00 

o 

o 

<N 

Station 

Jahre 

1 
8 

^ 

1 

o 

1 

o 

1 

© 

1 

© 

1 

o 

1 

© 

1 

© 

i 

1 

o 

1 

1 

o 

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o 

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o 

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o 

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o 

o 

X> 

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«* 

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1/3 

CO 

co 

r- 

c- 

00 

00 

OS 

o* 

o 

CD 

L3 

Aachen .... 

1844-51,   1861—97 

(45  Jahre) 
1848—97  (50  Jahre) 

— 

— 

1 

1 

3 

2 

1 

5 

2 

6 

10 

5 

2 

6 

1 

Köln 

1 

4 

2 

2 

8 

9 

11 

7 

4 

- 

1 

1 

— 

- 

— 

Krefeld.  .  .  . 

!   1848-85,  1893-95 
(41  Jahre) 

1 

1 

— 

— 

5 

10 

3 

9 

5 

3 

3 

- 

— 

1 

— 

Trier 

1806—30,   1850—97 

3 

2 

4 

11 

18 

11 

10 

6 

7 

—  1  — 

— 

1 

— 

— 

(73  Jahre) 

Wie  ersichtlich,  scharen  sich  die  häufigsten  Werte  um  bestimmte 
Gruppen,  die  etwa  200  mm  auseinanderliegen.  Weiter  überragt  für 
Aachen  und  Köln  der  Scheitel  wert  den  mittleren,  während  er  für  Kre- 
feld und  Trier  unter  demselben  bleibt. 

Meteorologische  Grundsätze,  die  dem  Entwurf  der  Karten 
zu  Grunde  liegen.  Die  geographische  Verteilung  der  Niederschläge 
ist  aus  den  beigegebenen  Karten,  die  sich  auf  die  Periode  von  188(5 — 95 
bezieht,  ersichÜich.  Diesen  Karten  liegt  die  vom  geographischen  Institut 
von  Wagner  &  Debes  in  Leipzig  herausgegebene  physikalische  Karte 


*)  Polis,  Die  Niederschlagsverhältnisse   von   Aachen.     Deutsches  meteoro- 
logisches Jahrbuch  für  Aachen  1896.  Auszugsweise  M.  Z.  1898  und  „Das  Wetter*  1897. 


25]  P-  Polis,  Die  Niederschlagsverhältn.  d.  mittleren  Rheinprov.  u.  d.  Nachbargeb.     25 

des  Rheinlandes  zu  Grunde,  in  welcher  unter  Fortlassung  anderer  Orte 
die  meteorologischen-  und  Regenstationen  eingetragen  wurden;  auch 
enthält  dieselbe  die  Wasserscheiden  bis  zur  zweiten  Ordnung,  die  der 
hydrographischen  Karte  von  Norddeutschland  entnommen  worden  sind. 

Für  den  ersten  Entwurf  erwies  sich  eine  aus  den  sogenannten 
Heimatsblättern  von  Justus  Perthes  in  Gotha  zusammengesetzte 
physikalische  Karte  im  Maßstabe  1  :  500000  als  sehr  brauchbar,  nach 
welchem  die  hier  beigehefteten  Karten  im  Maßstabe  1  :  800  000  über- 
tragen wurden.  Dabei  sind  auch  häufig  die  betreffenden  Blätter  der 
norddeutschen  Stromgebiete  benutzt  worden. 

Insgesamt  gelangten  238  Stationen  zur  Verwendung,  wovon  aller- 
dings ein  Teil  der  belgischen  Stationen  in  der  Karte  nicht  aufgeführt 
ist.  Jedoch  mußten  20  Stationen,  die  bei  der  Prüfung  sich  als  un- 
zuverlässig herausstellten,  ausgeschlossen,  bezw.  konnten  nur  einzelne 
Werte  derselben  gebraucht  werden.  Es  dürfte  nicht  uninteressant  sein, 
die  Anzahl  der  bei  den  früher  bearbeiteten  Niederschlagskarten  in 
dieses  Gebiet  entfallenden  Stationen  miteinander  zu  vergleichen: 

v.  Möllerdorf 7  Stationen, 

Töpfer 14 

Ziegler 22 

Moldenhauer 33        „ 

Nach  den  früheren  Prüfungen  (siehe  die  Prüfung  der  Reduktions- 
methode) schien  es  angemessen  zu  sein,  die  Isohyeten  von  100  zu 
100  mm  zu  ziehen,  wodurch  man  dennoch  ein  klares  Bild  und  genügend 
Abstufungen  in  der  Karte  erzielt.  Weiter  wurden  die  Isohyeten  ohne 
Rücksicht  auf  solche  Stationen  gezogen,  deren  Prüfungsergebnisse  un- 
günstig waren,  oder  welche  ein  zu  lückenhaftes  Material  aufwiesen. 
Auch  mußten,  um  die  Genauigkeit  an  den  Grenzgebieten  zu  vermehren, 
im  Westen  eine  größere  Anzahl  von  belgischen  Stationen,  im  Osten 
westfälische  Stationen  benutzt  werden.  Außer  der  Jahreskarte  wurde 
auch  die  Verteilung  der  Niederschläge  in  den  einzelnen  Jahreszeiten 
kartographisch  dargestellt,  und  zwar  nach  zwei  verschiedenen  Gesichts- 
punkten, nämlich  1.  in  absoluten  Mengen,  und  2.  in  Prozenten  der 
Jahrsumnien.  Bei  diesen  Karten  konnten  selbstverständlich  der  Un- 
sicherheit der  Reduktionsmethode  wegen,  lange  nicht  so  viele  Stationen 
herangezogen  werden  als  bei  der  Jahreskarte.  Die  Abstufungen  erfolgen 
hier  von  25  mm  zu  25  mm,  bezw.  von  2  °/o  zu  2  °/o . 

Entstehung  der  Niederschläge.  Bei  der  Erklärung  der  Nieder- 
schlagskarten ist  es  wesentlich,  neben  den  Höhenverhältnissen  auch  die 
Windverteilung  von  Westdeutschland  und  ihre  Beziehung  zu  den  Nieder- 
schlägen näher  zu  erläutern. 

Der  Atlantische  Ozean  und  die  über  demselben  lagernden  Luft- 
druckverhältnisse beherrschen  das  Klima  des  westlichen  Europas ;  daher 
kann  uns  feuchte,  wasserdampfreiche  Luft  nur  von  dort  zugeführt 
werden,  die  ihrerseits  nur  bei  westlichen  Luftströmungen  unsere  Ge- 
genden erreicht.  Bei  der  Bildung  des  Niederschlages  spielen  vertikale 
Luftströmungen  die  Hauptrolle,  da  die  Luft  beim  Emporsteigen  Arbeit 
leistet,  und  diese  Arbeitsleistung  durch  eine  äquivalente  Wärmemenge 
gedeckt  werden  muß.     Weiter  kann  die  Luft  nur  einen  entsprechenden 


26  P.  Polia,  [26 

Gehalt  von  Wasserdampf  bis  zur  Sättigung  aufnehmen,  der  bei  ab- 
nehmender Temperatur  rasch  sinkt ;  es  wird  daher  bei  einer  entsprechen- 
den Abkühlung  auch  eine  entsprechende  Menge  Wasserdampf  ausge- 
schieden werden  müssen.  Horizontale  Luftströmungen  hingegen  vermögen 
nur  ganz  unbedeutende  Mengen  von  Wasserdampf  (meist  in  Gestalt 
von  Nebel)  auszuscheiden,  da  neben  den  weit  geringeren  horizontalen 
Temperaturdifferenzen  die  Mischung  von  verschieden  temperierten  Luft- 
massen nur  sehr  langsam  von  statten  geht,  auch  die  Kondensations- 
wärme noch  in  Betracht  kommt. 

Diese  vertikalen  Luftströmungen  sind  einerseits  den  barometrischen 
Depressionen  eigen;  andererseits  wird  die  Luft  auch  an  den  Gebirgen 
gezwungen,  emporzusteigen  und  damit  Arbeit  zu  leisten.  Wir  müssen 
uns  also  fragen,  welche  Lage  Westdeutschland  zu  den  barometrischen 
Depressionen  einnimmt.  Aufschlüsse  in  dieser  Hinsicht  gewähren  uns 
die  Untersuchungen  von  Hann1)  über  die  Luftdruckverteilung  während 
des  Jahres.  In  der  Sommerzeit  befindet  sich  eine  Anticyklone  über 
dem  Atlantischen  Ozean;  sie  bedingt  im  Vereine  mit  dem  niederen 
Drucke  über  den  beiden  Kontinenten  West-  und  Nordwestwinde,  welche 
ihrerseits  die  wasserdampfreiche  und  kühlere  Luft  über  dem  Atlantischen 
Ozean  unseren  Gegenden  zuführen  und  damit  die  Sommerregenzeit  ein- 
leiten. Im  September  gleichen  sich  die  Luftdruckunterschiede  aus, 
womit  der  ozeanische  Einfluß  sein  Ende  erreicht.  Ueber  dem  östlichen 
Europa  beginnt  während  der  Herbstzeit  nach  und  nach  der  Luftdruck 
zu  steigen ;  östliche  Winde  gelangen  zur  Herrschaft,  wodurch  der  Herbst 
als  die  gleichmäßigste,  trockenste  Jahreszeit  charakterisiert  ist.  Während 
der  Winterzeit  sind  unsere  Gegenden  meist  von  ozeanischen  Depres- 
sionen beherrscht,  wohingegen  dem  östlicheren  Deutschland  durch  die 
dort  lagernden  Anticyklonen  die  milde  Seeluft  abgeschnitten  ist. 

Aus  der  eben  geschilderten  Luftdruckverteilung  geht  daher  das 
entschiedene  Vorherrschen  der  Winde  aus  dem  Westquadranten  hervor, 
wie  dies  auch  die  nachstehende  Tabelle  für  Aachen  zeigt: 

Wind  Verteilung  zu  Aachen  in  Tausendsteln  1869—95 
N  NE  E  SE  S  SW  W  NW  C 

46  97  44  34         36         209  145  137         252 

Es  ist  ersichtlich,  daß,  abgesehen  von  den  vielen  Kalmen,  von 
1000  Fällen  491  auf  die  westlichen  Richtungen  entfallen. 

Daß  thatsächlich  die  westlichen  Luftströmungen  Regenwinde  sind, 
beweist  folgende  kleine  Zusammenstellung2),  wonach  die  Summe  der 
Niederschläge  zu  Aachen  für  die  einzelnen  Windrichtungen  vom  1.  Oktober 
1894  bis  zum  30.  September  1896  zusammengefaßt  sind: 

Wasserhöhe  in  mm 
von  Niederschlägen  überhaupt    von  Schnee 


N-ENE 

174 

21 

E-SSE 

41 

7 

S— WSW 

621 

9 

W— NNW 

556 

54 

Veränderliche  Winde 

297 

69 

*)  Hann,  Die  Verteilung  des  Luftdruckes  über  Mittel-  und  Südeuropa. 
Wien  1887,  S.  25-40. 

3)  Polis,  Vergleichende  Niederschlagsmessungen  an  der  Meteorologischen 
Station  Aachen.  Meteorologische  Zeitschrift  .Wetter"  1897,  Heft  5. 


271    Die  Niederschlagaverhältnisse  der  mittleren  Rheinprovinz  u.  d.  Nachbargeb.     27 

Aus  dieser  Tabelle  ergiebt  sich,  daß  in  den  beiden  beobachteten 
Jahren  auf  die  westliche  Seite  der  Windrose  1177  mm  Niederschlag  ent- 
fielen, was  also  >*/8  des  gesamten  beträgt,  während  umgekehrt  die  öst- 
liehen  Winde  nur  mit  205  mm  (x/a)  sich  beteiligten.  Weiter  sehen  wir, 
daß  für  Schnee  die  West-  bis  Nordwinde  die  ergiebigsten  sind.  Es  fallen 
nun  nicht  alle  Niederschläge  bei  westlichen  Luftströmungen,  sondern 
ein  Teil  auch  bei  östlichen.  Die  Ursache  hierfür  sind  die  Depressionen, 
die  südlich  von  unseren  Gegenden  vorüberziehen  (Zugstraße  Va  und  b 
nach  van  Bebber).  Diese  führen  aber  naturgemäß,  da  sie  ihren  Wasser- 
dampf entweder  von  der  Ostsee  oder  aber  vom  Mittelländischen  Meere 
hernehmen  müssen,  nicht  so  viel  Feuchtigkeit  mit  sich,  und  können 
daher  auch  nur  weniger  ergiebige  Niederschläge  veranlassen. 

Für  die  Regenbüdung  in  den  Depressionen  x)  ist  noch  darauf  hin- 
zuweisen, daß  in  der  Zone  des  größten  Aufsteigens  der  Luftmassen 
auch  das  Maximum  der  Kondensation  zu  erwarten  ist.  Für  die  Küsten- 
cyklonen  ist  dies  auf  der  Ost-  und  Südseite  (Vorderseite)  der  Fall ;  auf 
dem  Lande  jedoch  tritt  mit  der  Deformation  der  Cyklone  eine  Ver- 
änderung der  Zone  des  größten  Niederschlages  ein.  Die  verschiedenen 
und  einander  entgegengesetzten  Reibungswiderstände  auf  der  See  und 
auf  dem  Lande  werden  ihrerseits  dazu  beitragen,  eine  Verlagerung  der 
Regenzone  zu  bewirken.  Bei  den  Küstencyklonen  verhindern  die  auf 
der  Rückseite  stark  entwickelten  Tangentialkräfte  die  aufsteigende  Be- 
wegung der  Luftmassen;  es  werden  daselbst  die  mit  Wasserdampf  be- 
ladenen  Westwinde  weit  weniger  Niederschlag  bringen,  als  die  zum 
Aufsteigen  gezwungenen  Süd-  und  Südwestwinde  (größter  Regenfall  bei 
fallendem  Barometer).  Dieselben  Westwinde  können  jedoch  auf  dem 
Lande  der  einströmenden  Bewegung  wegen  leichter  aufsteigen,  wodurch 
sich  ihre  Wirkung  verdoppelt,  indem  sie  einmal  mehr  Wasserdampf  mit 
sich  führen  als  die  kontinentalen  Süd-  und  Südostwinde,  dann  aber 
auch  durch  die  orographischen  Verhältnisse  gezwungen  werden,  noch 
mehr  aufzusteigen  (größter  Regenfall  bei  steigendem  Barometer). 

2.  Geographische  Verteilung  der  Niederschläge. 

Das  ganze,  die  Karte  umfassende  Gebiet  läßt  sich  in  das  links- 
und  rechtsrheinische  Gebirge,  welches  durch  das  Rheinthal  geschieden 
wird,  trennen;  das  Moselthal  bildet  die  Grenze  zwischen  Eifel  und 
Hunsrück. 

Die  meisten  Niederschläge  treffen  wir  in  den  Gebirgen  an,  und 
zwar  zu  beiden  Seiten  des  Rheinthaies,  in  der  Eifel  mit  dem  Hohen 
Venn  und  dem  Rothaargebirge.  Diese  Gebirgsstöcke  umschließen  die 
rheinische  Tieflandsbucht,  die  direkt  mit  dem  norddeutschen  Flachlande 
in  Verbindung  steht.  Sie  ist  begrenzt  von  der  Isohyete  von  600  mm, 
welche,  südlich  vom  Soonwalde  ausgehend,  sich  um  den  ganzen  Huns- 
rück herumschlängelt,  ein  größeres  Stück  des  Moselthales  bis  in  die 
Nähe   von  Alf  umfaßt,   dann   der  Abdachung   des  Eifelgebirges  folgt 


*)  Polis,   Zur  Theorie   der  Cyklonen  und  Anticyklonen.    Aus  dem  Archiv 
der  Deutschen  Seewarte,  1899,  Bd.  XXII,  Nr.  2. 


28  P.  Polis,  [28 

und  sich  bis  Geilenkirchen  in  die  norddeutsche  Tiefebene  hinabsenkt. 
Sodann  wendet  sie  sich  östlich  bis  Grevenbroich,  schreitet  von  dort 
aus  auf  dem  Kamme  des  Villengebirges  südlich  weiter  und  setzt  bei 
Mondorf  über  den  Rhein  und  die  Sieg.  Den  größeren  Regenreichtum 
von  Godesberg  erklärt  Moldenhauer1)  aus  der  dortigen  topographi- 
schen Beschaffenheit,  da  in  dem  Trichter,  der  durch  das  westlich  lie- 
gende Villen-  und  im  Osten  einschließende  Siebengebirge  gebildet  wird, 
die  feuchten  Nordwestwinde  zum  Emporsteigen  gezwungen  sind,  wo- 
durch eine  stärkere  Niederschlagsabgabe  bedingt  ist.  Eigentümlich 
bleibt  jedoch  die  geringere  Regenmenge  des  nahegelegenen  Bonn, 
welches  ebenfalls  Luvlandsstation  ist.  In  der  Moldenhauer  sehen2) 
Arbeit,  der  das  Mittel  der  alten  Sternwarte  zu  Grunde  liegt,  wird  als 
Ursache  dieses  Fehlbetrages  einer  mangelhaften  Aufstellung  des  Regen- 
messers zugeschrieben;  aber  auch  die  neuen  Regenmessungen3)  in 
Poppeisdorf,  die  in  Bezug  auf  die  Methode  des  Messens  und  die  Auf- 
stellung4) des  Instrumentes  völlig  einwurfsfrei  sind,  rechtfertigen  diese 
Niederschlagsmengen,  so  daß  sie  den  thatsächlichen  Verhältnissen  ent- 
sprechen dürften.  Eher  ist  der  Grund  für  die  größere  Regenmenge  von 
Godesberg  in  den  bewaldeten  Höhen  dortselbst  zu  suchen,  insbesondere, 
wie  Prof.  Kreusler5)  von  der  meteorologischen  Station  Poppeisdorf  auf 
eine  Anfrage  mitteilte,  in  dem  sehr  feuchten  Kottenforst,  wodurch  mehr 
Wasserdampf  zur  Kondensation  gelangt. 

Weiter  ist  bemerkenswert  eine  Insel  von  über  700  mm  bei  Berg- 
heim, die  sich  durch  das  erstmalige  Ansteigen  der  Westwinde  am  Villen- 
gebirge erklären  läßt,  während  dieselben  weiter  südlich  dieses  Ge- 
birge erst  dann  treffen,  nachdem  sie  bereits  das  Venn  überschritten  haben ; 
die  Größe  dieser  Insel  ist  wegen  Mangels  an  nahegelegenen  Stationen 
nicht  näher  bestimmbar. 


»)  Moldenhauer,  S.  27. 

8)  Ebenda,   S.  27. 

s)  Die  vergleichenden  Messungen  an  der  Sternwarte  und  der  Wetterwarte  *) 
des  akademischen  Versuchsfeldes  zu  Poppeisdorf  für  das  Jahr  1895  zeigen,  daß 
in  Bonn  selbst  42  mm  mehr  Niederschlag  als  an  der  nur  500  m  entfernt  aber 
außerhalb  der  Stadt  gelegenen  Wetterwarte  gefallen  sind.  Hier  spielt  die  Be- 
einflussung der  Stadt  selbst  auf  den  Niederschlag,  wie  sie  Bergholz  **)  für  Bremen 
betont  hat,  eine  Rolle  mit,  indem  besonders  in  der  kalten  Jahreszeit  die  stärkere 
Erwärmung  der  Stadt  gegenüber  dem  Lande  einen  aufsteigenden  warmen  Luft- 
strom bedingt.  Dieser  strömt  nun  in  den  über  der  Stadt  befindlichen  kalten  Raum 
ein,  was  des  reichlichem  Staubgehaltes  der  Luft,  der  vielen  Feuerungen  im  Winter 
wegen  eine  Kondensation  des  Wasserdampfes  zur  Folge  hat.  Im  Sommer  werden 
natürlich  diese  Unterschiede  zwischen  Stadt  und  Land  der  gleichmäßigen  Er- 
wärmung wegen  sich  verwischen  müssen.  S.  Zusammenstellung 
Fehlbetrag  Land  —  Stadt  für  Poppelsdorf-Bonn 
April  bis  September  14  mm 

Oktober  bis  März  28  mm 

4)  Nach  einer  Skizze,  die  von  der  Regenmesseraufstellung  von  Poppeisdorf 
vorlag. 

3)  Briefliche  Mitteilung  von  Prof.  Dr.  Kreusler. 

•)  Wohltmann-Thiele,  Die  landwirtschaftliche  Wetterwarte  des  akademischen  Ver- 
suchsfeldes zu  Bonn-Poppelsdorf  und  die  meteorologischen  Stationen  der  Städte.  Illustrierte 
landwirtschaftliche  Zeitung  1896,  Nr.  76. 

••)  Bergholz,  Deutsches  meteorologisches  Jahrbuch  für  Bremen  1891.    Bremen  1892. 


29]   Die  Niederschlagsverhältnisse  der  mittleren  Rheinprovinz  u.  d.  Nachbargeb.     29 

Bei  Honnef  überschreitet  die  Kurve  von  neuem  den  Rhein,  um 
auf  der  rechten  Seite  am  Fuße  des  Siebengebirges  und  den  Ausläufern 
des  Westerwaldes  vorbei  bis  Eltville  zu  verlaufen ;  sie  folgt  dabei  genau 
dem  Rheinthale  und  schliefst  das  Neuwieder  Becken  ein.  Die  10jährige 
Summe  von  Coblenz  (507  mm)  wird  durch  die  Beobachtungen  von 
Neuwied  bestärkt,  die  ebenfalls  nur  527  mm  im  10jährigen  Mittel  auf- 
weisen. Die  größere  Regensumme  von  746  mm  bei  Eltville  erklärt 
sich  aus  dem  Aufsteigen  der  Süd-  und  Südwestwinde  am  Taunus, 
während  die  weiter  westwärts  gelegenen  Orte,  wie  Geisenheim,  Rüdes- 
heim etc.,  noch  im  Lee  des  Soonwaldes  liegen. 

Auch  wird  ein  kleiner  Streifen  auf  der  Westseite  von  der  Iso- 
hyete  von  600  mm  begrenzt,  der  durch  die  Stationen  Bollendorf,  Als- 
dorf und  Heidweiler  gestützt  wird.  Es  sind  dies  die  Thäler  am  Unter- 
laufe der  Sauer,  der  Prüm  und  der  Kyll.  Diese  Stationen  liegen  in 
den  vorbenannten  engen  Thälern,  während  die  sich  dazwischen  be- 
findenden ausgedehnten  Hochflächen  dem  Gebiete  von  über  600  mm 
angehören  dürften. 

Das  Gebiet  größter  Trockenheit,  eingeschlossen  von  der 
Isohyete  von  500  mm,  weist  zwei  größere  Becken  auf.  Das  nördliche 
umfaßt  einen  Teil  des  Mosel-  und  Nethethales  und  wird  hauptsächlich 
durch  die  großen  Erhebungen  der  östlichen  Eifel  beschattet.  Bei 
Lorch  beginnt  das  zweite  Becken,  das  einen  Teil  des  Rheinthaies  bis 
oberhalb  Geisenheim  und  das  Nahethal  bis  Sobernheim  umschließt. 
Hier  in  diesen  Gebieten  geht  die  Niederschlagshöhe  bis  auf  430  mm 
herunter,  und  dieser  Umstand  in  Verbindung  mit  dem  vielen  Sonnen- 
schein, der  in  den  dortigen  Gegenden  herrscht,  begünstigt  besonders 
das  Gedeihen  des  Rebstockes ;  daher  liegen  auch  gerade  in  diesen  Teilen 
des  Rhein-  und  Moselthaies  die  wegen  der  Güte  ihres  Weines  be- 
rühmten Orte. 

Wenngleich  auch  Hellmann1)  darauf  hinweist,  daß  das  lang- 
jährige Mittel  von  Kreuznach,  welches  Töpfer2)  mit  444  mm  bezw. 
481  mm  angiebt,  nicht  ganz  zuverlässig  ist,  wie  dies  auch  die  neueren 
Beobachtungen  bethätigen,  so  ändert  es  doch  nichts  an  der  Thatsache, 
daß  das  Trockengebiet  noch  einen  Teil  des  Nahethaies  bis  oberhalb 
Kreuznach  umfaßt;  allerdings  muß  hierbei  erwähnt  werden,  daß  für 
das  südliche  Gebiet  die  der  Karte  zu  Grunde  gelegte  Periode  etwas 
(6°/o)  zu  trocken  ist. 

Ausgedehnter  ist  die  Fläche  mit  600—700  mm  Niederschlag;  sie 
umschließt  die  östliche  und  südliche  Abdachung  der  Eifel,  die  Ost- 
und  Nordabhänge  des  Hohen  Venns  und  greift  in  die  niederrheinische 
Tiefebene  bis  Gtitzenrath  und  Neuß  hinein,  wo  sie  von  einem  Gebiete 
von  ]>  700  mm  begrenzt  wird.  Nach  Süden  erstreckt  sie  sich  über 
das  ganze  Moselthal.  Die  in  diesem  Gebiete  liegenden  Flußthäler  weisen 
wiederum  geringere  Niederschlagshöhen  3)  auf,  wie  dies  die  Messungen 
von  Arzfeld  und  Dasburg  zeigen.    Es  scheint  daher  in  Verbindung  mit 


*)  Hellmann,  Beiträge  zu  den  Niederschlagsverhältnissen. 

*)  Töpfer,  Untersuchung  über  die  Regenverhaltnisse  Deutschlands.    S.  70. 

*)  In  der  Karte  wurde  dieses  jedoch  nicht  näher  gekennzeichnet. 


30  P.  Polis,  [30 

dem  oben  Gesagten  wahrscheinlich,  daß  die  ganzen  Thäler  der  Prüm, 
der  Kyll,  der  Salm  und  der  Lieser  weniger  Niederschlag  empfangen 
als  die  umliegenden  Höhen.  Erst  die  größeren  Erhebungen  an  den 
Ausläufern  des  Hoch-  und  Idarwaldes  gebieten  der  Kurve  von  700  mm 
Halt.  Ein  schmaler  Streifen  zieht  sich  auf  der  rechten  Rheinseite 
bis  zur  Lahn  hin ,  um  sich  dort  in  der  Gegend  zwischen  der  Lahn 
bis  zur  Rheinkrümmung  bei  Bingen  zu  verbreitern.  Der  Gebirgsstock 
des  Taunus,  den  wir  nicht  mehr  in  den  Kreis  unserer  Betrachtung  ge- 
zogen haben,  weist  jedoch  eine  weit  größere  Niederschlagshöhe  auf. 

In  dem  oben  besprochenen  Gebiete  von  600 — 700  mm  liegen 
mehrere  größere  Inseln  mit  >  700  mm,  die  den  topographischen  Er- 
hebungen folgen,  besonders  bei  Nevel  auf  dem  Hochplateau  zwischen 
Sauer  und  Kyll.  Leider  entzieht  sich  der  höchste  Punkt  der  Eifel, 
die  Hohe  Acht,  unserer  Beobachtung,  weil  sich  dort  keine  Regenstation 
befindet  und  die  in  der  Nähe  liegenden  Stationen  Adenau  und  Nohn 
keine  direkten  Anhaltspunkte  über  die  Niederschlagshöhe  dieses  Berg- 
kegels gewähren.  Schwerlich  dürfte  sie  jedoch  1000  mm  übersteigen, 
da  die  feuchten  Westwinde  diesen  Gebirgsstock  erst  nach  mehrmaligem 
Auf-  und  Absteigen  erreichen  und  die  Beobachtungen  auf  dem  mehr 
westlich  vorgeschobenen  Schneifelforsthaus  noch  keine  1000  mm  in  der 
Jahrsumme  aufweisen. 

Ein  großes  Gebiet  mit  über  700  mm  Niederschlag  erstreckt  sich 
über  den  Hoch-  und  Idarwald;  der  Soonwald,  dessen  Seehöhe  gleich- 
falls über  600  m  beträgt,  wird  von  den  übrigen  Teilen  so  beschattet, 
daß  er  nicht  mehr  in  dieses  Niederschlagsgebiet  hineinragt.  Die  meisten 
Niederschläge  empfangen  die  hochgelegenen  Punkte  des  Osbürger  und 
Schwarzwalder  Hochwaldes  mit  über  900  mm,  wodurch  unter  Berück- 
sichtigung des  ermittelten  Fehlbetrages  für  die  südlichen  Bezirke  die 
Summe  von  1000  mm  überschritten  werden  dürfte.  Thronecken,  zwischen 
diesen  beiden  Gebirgen  gelegen,  besitzt  eine  weit  geringere  Jahres- 
menge. Noch  ist  bemerkenswert  eine  kleine  Insel  bei  Gornhausen  mit 
800  mm,  eine  Folge  der  Erhebung  des  Haardtwaldes,  die  dem  dahinter 
liegenden  Idarwald  Regen  entzieht. 

Niederschlagsreichste  Gebiete.  Je  mehr  wir  uns  den  höheren 
und  exponierteren  Lagen  der  links-  und  rechtsrheinischen  Gebirge  nähern, 
desto  enger  drängen  sich  die  Isohyeten  aneinander.  Da  das  links-  und 
das  rechtsrheinische  Bergland  räumlich  weit  auseinander  liegen,  so  er- 
scheint es  als  angebracht,  diese  beiden  getrennt  voneinander  zu  betrachten. 

Beginnen  wir  mit  dem  rechtsrheinischen  Berglande,  so 
finden  wir  daselbst  ein  Gebiet  von  }>  800  mm  Niederschlagshöhe.  Die 
800  mm  Isohyete  zieht  sich  im  allgemeinen  dem  Vorgebirge  des  Sauer- 
landes entlang,  um  dann  dem  Thale  der  Sieg  zu  folgen,  umschließt 
das  Leuscheidgebirge  und  verläuft  dann  am  Fuße  des  Westerwaldes  auf 
den  Randgebirgen  der  Lahn.  Die  Ausbuchtung  bei  Puderbach  erklärt 
sich  aus  den  Erhebungen  zu  beiden  Seiten  des  von  SE  nach  NW 
fließenden  Holzbaches,  die  den  feuchten  Südwestwinden  ausgesetzt  sind ; 
ebenfalls  hat  Hillscheid  mehr  Niederschlag  infolge  seiner  Lage  an  einem 
Bergkegel. 

Weniger  ausgedehnt  ist  die  Fläche  von  900 — 1000  mm,  welche  ein 


31]    Die  Niederschlagsverhältnisse  der  mittleren  Rheinprovinz  u.  d.  Nachbargeb.     3 1 

beträchtliches  Gebiet  von  >  1000  mm  umschließt.  Dort  gelangen  wir 
in  eines  der  regenreichsten  Gebiete  von  Norddeutschland,  dessen  be- 
deutender Wasserreichtum  neben  den  ergiebigen  Kohlenlagern  beson- 
ders dazu  beitragt,  eine  hervorragende  Industrie  zu  ermöglichen. 

Sehr  weit  senkt  sich  die  Kurve  von  1000  mm  nach  Westen  her- 
unter, wo  sie  sich  den  Ausläufern  der  Bergischen  Höhen  entlang  zieht. 
Der  Reichtum  an  Regen  dieses  Geländes  wird  durch  das  erstmalige 
Aufsteigen  der  feuchten  West-  und  Nordwestwinde  begründet,  welche 
daselbst  ihres  Wassergehalts  fast  gänzlich  beraubt  werden.  Bekannt- 
lich macht  sich  infolge  der  Stauwirkung  der  Luft  die  Niederschlags- 
zunahme in  der  Ebene  schon  beim  Näherrücken  an  ein  Gebirge  be- 
merkbar, was  auch  hier  aus  dem  Zuge  der  Isohyeten  von  700  bezw. 
800  mm  ersichtlich  ist,  die  dort  noch  in  der  Rheinebene  liegen  (<  100  m 
Seehöhe),  während  sie  weiter  südlich  auf  den  Kämmen  des  Sieben- 
gebirges und  des  Westerwaldes  verlaufen. 

Ganz  besonders  bemerkenswert  ist  die  große  Niederschlagshöhe 
von  Overath  mit  1019  mm  bei  der  geringen  Erhebung  über  dem  Meeres- 
spiegel von  nur  92  m;  dieser  Ort  liegt  im  Flußthale  der  Agger,  das 
gerade  den  Südwestwinden  zugänglich  ist,  wo  sie  ihren  Wassergehalt 
verdichten  und  infolge  der  Stauwirkung  vor  ihrem  Aufsteigen  an  den 
Gebirgshängen  schon  teilweise  absetzen. 

Ein  Gebiet  von  1100  mm  und  mehr  erstreckt  sich  über  die  höheren 
Erhebungen  des  Sauerlandes ;  namentlich  tritt  das  Ebbegebirge  mit  der 
Station  Meinerzhagen  durch  starke  Niederschläge  hervor.  Dieser  Wasser- 
reichtum der  bergischen  Industriebezirke  hat  den  ersten  Anstoß  dazu 
gegeben,  durch  Anlage  von  Sammelbecken  einmal  Abhilfe  vor  drohen- 
den Hochwassern  zu  schaffen,  als  auch  andererseits  die  Energie  der 
fließenden  Gewässer  in  nutzbringender  Weise  umzusetzen  und  zu  ver- 
werten. Besonders  bezeichnend  ist  das  Beispiel  von  Remscheid,  einer 
Stadt  mit  1090  mm  jährlicher  Niederschlagsmenge  und  doch  bis  vor 
wenigen  Jahren  ungenügend  mit  Wasser  versehen.  Dem  damit  ver- 
bundenen, schon  drohenden  Rückgange  der  dortigen  Industrie  hat  Intze1) 
in  besonders  glänzender  Weise  durch  Anlage  einer  Thalsperre  im  Esch- 
bachthale  abgeholfen,  welche  die  Stadt  Remscheid  mit  Trinkwasser 
versieht.  Diese  glückliche  Lösung  gab  Veranlassung  zur  weiteren  Aus- 
nutzung der  Wasserkräfte,  so  daß  augenblicklich  in  jener  Gegend  noch 
mehrere  Sammelbecken  im  Bau  begriffen  sind,  die  den  verschiedensten 
Interessen  dienen  sollen.  Der  Thalsperre  zu  Hückeswagen,  einem 
Becken  von  3  Millionen  Kubikmeter  Inhalt,  soll  vornehmlich  die  Korrek- 
tion der  Wupper  zufallen,  die  in  der  trockenen  Zeit  die  an  ihr  liegenden 
Fabriken  nur  zeitweise  und  dann  noch  spärlich  mit  Wasser  versieht, 
bei  Hochwasser  jedoch  nicht  selten  Katastrophen  herbeiführt. 

Den  meisten  Niederschlag  im  Bergischen  Lande  weist  auffallender- 
weise die  Station  Gogarten  mit  1305  mm  auf,  während  in  dem  etwas 
weiter  vorgeschobenen  Lennep,  welches  nur  20  m  tiefer  liegt,  1156  mm 
Niederschlagshöhe  gemessen  werden. 

*)  Vergl.  Intze,  Festrede  zur  Vorfeier  des  Geburtstages  Sr.  Majestät  des 
deutschen  Kaisers  und  Königs  von  Preußen.  Enthält  die  einzelnen  Beschreibungen 
der  verschiedenen  Neuanlagen  zur  Regulierung  der  Wasserverhältnisse.  Aachen  1897. 


32  P-  Polis,  [32 

Nachdem  wir  die  Niederschlagsverhältnisse  des  rechtsrheinischen 
Gebirges,  sowie  die  des  Hunsrücks  eingehend  betrachtet  haben,  erübrigt 
es  noch,  die  des  Gebirgsstockes  der  Eifel  näher  zu  diskutieren. 
Dieses  ganze  Gebirge  wird  im  allgemeinen  von  der  Isohyete  von  700  mm 
und  mehr  umschlossen,  nur  die  Osteifel  und  das  Ahrgebirge  gehören 
nicht  mehr  zu  diesem  Niederschlagsgebiete,  indem  sie  infolge  der  Be- 
schattung durch  das  Hohe  Venn  und  die  Ardennen  bezw.  die  Westeifel 
der  600 — 700  mm  Stufe  zugehören. 

Das  Niederschlagsgebiet  von  ]>  800  mm  greift  in  die  Ardennen 
hinein,  folgt,  von  Luxemburg  herkommend,  aufwärts  dem  Thale  der 
Our  bis  Amel,  geht  dann  in  großem  Bogen  um  den  Zitterwald  und 
die  Schneifei  herum,  umfaßt  das  ganze  Venn,  um  auf  der  Nordseite 
den  Abdachungen  dieses  Plateaus  entlang,  das  Aachener  Bergland  um- 
schließend, nach  Belgien  hin  zu  verlaufen.  Die  große  Einbuchtung 
der  Isohyete  bei  St.  Vith,  Amel  und  Bleialf  wird  durch  den  Höhen- 
rücken am  Thale  der  Our  bedingt,  der  dieses  Gebiet  beschattet,  wäh- 
rend die  Erhebungen  der  Schneifei  und  des  Zitterwaldes  die  West- 
winde zwingen,  von  neuem  emporzusteigen,  und  dadurch  die  größere 
Niederschlagshöhe  dieses  Plateaus  bewirken. 

Der  niederschlagsreichste  Teil  dieses  Gebietes  ist  die  nord- 
westliche Eifel  mit  dem  Hohen  Venn,  während,  wie  mehrfach  erwähnt, 
die  sogenannte  Hohe  Eifel,  die  vom  Laacher  Vulkanfeld,  vom  Mai- 
feld und  von  der  Vordereifel  begrenzt  wird,  nicht  mehr  zu  den  nieder- 
schlagsreichsten gezählt  werden  kann.  Hier  sind  es  vor  allem  die 
Ardennen,  die  vom  ersten  Ansturm  der  Westwinde  betroffen  und  ihres 
Wassergehaltes  zum  großen  Teile  beraubt  werden,  so  daß  sie  beim  er- 
neuten Ansteigen  an  der  Hohen  Eifel  nur  relativ  wenig  Wasserdampf 
absetzen  können.  Die  Lage  dieses  letzten  Gebirgskammes  kann  mit 
der  des  Hunsrücks  verglichen  werden,  an  dem  die  Westwinde  erst 
emporsteigen,  nachdem  sie  bereits  das  lothringische  Plateau  über- 
schritten haben. 

Die  Fläche  mit  900 — 1000  mm  Niederschlagshöhe,  welche  sich 
in  einem  schmalen  Streifen  längs  der  Ränder  dieses  Plateaus  hinzieht, 
schließt  ein  großes  Gebiet  von  >  1000  mm  ein,  welches  die  höheren 
Erhebungen  (über  400  m)  umfaßt.  Gerade,  wie  bei  den  Bergischen 
Höhen  die  Westwinde  zum  erstenmal  aufsteigen,  so  werden  auch  hier 
die  feuchten  westlichen  Luftströmungen,  nachdem  sie  das  belgische 
Tiefland  durchquert  haben,  gezwungen,  sich  zum  erstenmal  emporzu- 
heben, und  geben  auf  diese  Weise  Veranlassung  zu  der  bedeutenden 
Niederschlagshöhe.  Den  größten  Regenreichtum  treffen  wir  auf  der 
höchsten  Erhebung  des  Hohen  Venns  mit  ^>  1100  mm  an.  Die  neueren 
Beobachtungen  des  Jahres  1897  x)  auf  dem  Monte  Rigi  und  die  ver- 
gleichenden Messungen  auf  der  höchsten  Spitze,  der  Botrange,  haben 
gezeigt,    daß    dort    die  Niederschlagshöhe   1300  mm   übersteigt.     Ein 


*)  Polis,  Die  Niederschlagsverhältnisse  des  südlichen  Roergebietes  im  Jahre 
1897.    Meteorologische  Zeitschrift  »Wetter*  1898. 

Auch  in  dem  trockenen  Jahre  ,1898  wurde  auf  dem  Monte  Rigi  1264  mm, 
der  Botrange  1301  mm  Niederschlag  gemessen. 


33]   Die  Niederschlags  Verhältnisse  der  mittleren  Rheinprovinz  u.  d.  Nachbargeb.      33 

kleines  Aufsteigen  bei  den  Höhen  von  Mützenich  bewirkt  ein  Vergrößern 
der  Niederschlagssumnie  im  Vergleiche  zu  der  von  Kalterherberg, 
welches  von  den  Höhen  des  Wallonischen  Venns  Regenschatten  em- 
pfängt (siehe  Textkarte). 


Ein  fast  ebenso  niederschlagsreiches  Gebiet  mit  mehr  als  1100  mm 
befindet  sich  in  den  nahegelegenen  Ardennen,  wie  dies  besonders  aus 
den  Beobachtungen  der  Stationen  Libramont  und  Poncel  (1280  mm) 
hervorgeht. 

Besonders  stark  ist  der  Regenschatten  (siehe  auch  Textkarte),  den 
das  Hohe  Venn   auf  das  östlich   liegende   Dürener  Bergland   und   das 

Forschungen  zur  deutschen  Landes-  und  Volkskunde.    XII.   l.  3 


34  P.  Polis,  [34 

Ahrgebirge  wirft  ,  indem  dort  die  jährliche  Regenhöhe  600  mm  nicht 
überschreitet.  Selbst  die  größeren  Erhebungen  dieses  Gebirges  (über 
500  m)  bei  Zingsheim  und  Blankenheim  vermögen  die  Niederschlags- 
mengen nur  unbeträchtlich  zu  erhöhen.  Auch  direkt  südlich  vom  Hohen 
Venn  tritt  eine  bedeutende  Abnahme  der  Regenhöhe  ein,  wie  dies  die 
Beobachtungen  von  Malmedy  zeigen,  welches  bei  West-  und  Nordwest- 
winden von  den  Höhen  bei  Mont  und  Xhoffraix  beschattet  wird. 

Auf  dem  ganzen  Vennplateau,  wo  die  jährliche  Niederschlags- 
höhe 1000  mm  überschreitet,  ist  eine  äußerst  spärliche  Vegetation  vor- 
handen ;  im  Winter  brausen  daselbst  die  rauhen  Weststürme ,  die  das 
Aufforsten  so  außerordentlich  erschweren  und  bei  der  niedrigen  Tem- 
peratur die  atmosphärischen  Niederschläge  in  Gestalt  von  Schnee  ab- 
setzen. Dies  bedingt  auch  die  eigentümliche  Bauart  der  Venndörfer, 
indem  die  Bewohner  gezwungen  sind,  ihre  Häuser  auf  der  Wetterseite 
mit  hohen  Schutzhecken  zu  umgeben.  Die  ärmliche  Bevölkerimg  kann 
sich  nur  mühsam  von  den  Erträgnissen  des  meist  sumpfigen  und  moo- 
rigen Bodens  ernähren;  aber  dennoch  bergen  diese  Gegenden  in  den 
großen  atmosphärischen  Niederschlägen,  die  die  vielen  nach  allen  Him- 
melsrichtungen führenden  Wasseradern  speisen,  durch  deren  große» 
Gefälle  einen  Reichtum,  der  dazu  berufen  sein  dürfte,  die  volkswirt- 
schaftlichen Verhältnisse  dieses  Geländes  bedeutend  zu  heben.  Die  her- 
vorragenden Fortschritte  in  neuerer  Zeit  auf  dem  Gebiete  der  Elektro- 
technik ermöglichen  es  nämlich,  die  schlummernde  Energie  der  Wasser- 
kräfte auszunutzen  und  auf  größere  Entfernungen  zu  übertragen. 

So  sollen  auch  in  dem  Quellgebiete  der  Roer  mehrere 
größere  Sammelbecken1)  zum  Zwecke  der  Umsetzung  der  Wasser- 
kräfte in  elektrische  Energie  erbaut  werden.  Vorgesehen  zu  diesen 
Anlagen  sind  einstweilen  der  Perlenbach  oberhalb  Montjoie,  der  Vicht- 
bach  bei  Zweifall,  der  Wehebach  bei  Hürtgen,  sowie  die  Olef  oberhalb 
Schieiden.  Das  größte  Sammelbecken  von  ca.  45  Millionen  Kubikmeter 
Wasserinhalt  bei  einem  Nutzeffekt  von  6500  Pferdekräften  wird  in 
dem  schwer  zugänglichen  Thale  der  Urft  unterhalb  Gemünd  und  Mals- 
benden  in  einer  Länge  von  ca.  8  km  bis  zu  einer  Thalenge  am  Heffges- 
berge  bei  Wollseifen  errichtet.  Während  die  bekannte  Gileppe-Thal- 
sperre  (12  Millionen  Kubikmeter  Inhalt)  nur  ein  Niederschlagsgebiet  von 
40  qkm  beherrscht,  gehört  zum  Urftbecken  ein  solches  von  375  qkm. 
Noch  mag  hier  erwähnt  werden,  daß  sich  bei  dieser  Anlage  die  Kosten2) 
für  eine  Pferdekraft  an  der  Verwendungsstelle  auf  79  Mk.  belaufen 
werden,  während  sie  bei  Dampfkraft  rund  150 — 180  Mk.  betragen,, 
und  zwar  für  7200  Arbeitsstunden  p.  a.  oder  pro  1  Arbeitsstunde 
je  nach  der  Entfernung  1  bis  1,5  Pfg. 

Großen  Segen   dürften  derartige   bedeutende  Bauten   nicht  allein 


l)  Intze,  Gutachten  bezüglich  der  Verbesserung  der  Wasserverhaltnisse 
der  Roer  und  der  zur  Verbesserung  des  Roerbettes  aufgestellten  Regulierungs- 
projekte.   Düsseldorf  1896. 

a)  Diese  Angaben  sind  einem  Vortrage  von  Prof.  Intze  entnommen.  VergL 
insbesondere  Intze,  Ueber  die  Wasserverhältnisse  im  Gebirge,  deren  Verbesse- 
rung und  wirtschaftliche  Ausnutzung.  Zeitschrift  für  Architektur  und  Ingenieur- 
wesen 1899,  Heft  1. 


35]   Die  Niederschlagsverhältnisse  der  mittleren  Rheinprovinz  u.  d.  Nachbargeb.     35 

durch  ihren  späteren  Nutzeffekt,  sondern  auch  während  der  Dauer  ihrer 
Errichtung  der  Bevölkerung  bringen  und  geeignet  sein,  durch  die  zahl- 
reichen benötigten  Arbeitskräfte  die  wirtschaftlichen  Verhältnisse  be- 
sonders zu  heben.  Die  durch  die  Sperrung  der  Flußthäler  entstehenden 
Seen  bedingen  auch  für  ihre  nähere  Umgebung  einen  wohlthuenden 
klimatischen  Einfluß,  indem  sie  die  Temperaturextreme  abstumpfen, 
sowie  auch  durch  Wärmereflexion  an  der  spiegelnden  Wasserfläche  das 
Gedeihen  vieler  Pflanzen  ermöglichen. 

Die  Kenntnis  der  Niederschlagsverteilung  ist  aber  nicht  nur  bei 
technischen  Anlagen  wichtig,  sondern  spielt  auch  bei  der  Bebauung1) 
des  Bodens  eine  hervorragende  Rolle.  Denn,  einmal  liefert  der  Regen 
die  für  das  Wachstum  der  Pflanzen  notwendige  Feuchtigkeit,  und  weiter 
führt  er  auch  dem  Boden  eine  beträchtliche  Menge  leicht  assimilier- 
barer Nährstoffe  zu.  Hauptsächlich  sind  es  die  in  der  Atmosphäre 
vorkommenden  Stickstoffverbindungen,  Ammoniak,  Salpetersäure,  sal- 
petrige Säure,  welche  durch  den  Niederschlag  in  den  Boden  eindringen. 
Bei  einer  jährlichen  Regenmenge  von  600  mm  beträgt  für  Deutsch- 
land die  Stickstoffmenge  pro  Hektar  =  8 — 12  kg.  Es  wird  daher 
dieser  Faktor  von  nicht  unerheblicher  Wichtigkeit  bezüglich  der  Düngungs- 
frage sein. 

Weiterhin  ist,  je  üppiger  die  Vegetation,  desto  größer  der  Wasser- 
verbrauch der  Pflanzen;  zur  Zeit  des  stärksten  Wachstums  werden 
daher  größere  Niederschlagsmengen  —  besonders  zur  Zeit  der  Körner- 
bildung —  zur  Aufrechterhaltung  der  normalen  Thätigkeit  der  Pflanzen- 
organe erforderlich  sein.  In  diesem  Stadium  vertragen  die  Pflanzen  am 
wenigsten  Durstperioden ;  Feuchtigkeitsmangel  kann  daher  nicht  durch 
spätere  reichere  Niederschläge  ausgeglichen  werden. 

Infolge  der  geographischen  Verteilung  der  Niederschläge  machen 
sich  auch  große  Unterschiede  in  der  Bebauung  des  Bodens  zwischen 
Osten  und  Westen  bemerkbar.  So  hat  in  dem  nördlichen  Teile  des 
Regierungsbezirks  Aachen  die  Ackerweide2)  der  vielen  Niederschläge 
wegen  die  beträchtliche  Ausdehnung  von  7,37  °/o  des  Acker-  und  Garten- 
landes; ferner  gedeihen  dortselbst  Futterpflanzen  vortrefflich,  18°/o  des 
Areals.  Die  ergiebigen  Niederschläge  auf  der  Luvseite  desVenns  be- 
günstigen besonders  das  Wachstum  der  Wiesenflächen ,  und  damit  das 
TJeberwiegen  der  Viehzucht  in  dem  sogenannten  Butterlande  an  der 
preußisch-belgischen  Grenze.  Umgekehrt  tritt  im  Regenschatten  der 
Eifel,  d.  h.  im  Jülich-Dürener  Lande,  die  Viehzucht  gegen  den  Ackerbau 
zurück,  wofür  Kartoffeln  und  Rüben  gut  gedeihen. 

Wie  wir  später  sehen  werden,  sind  für  die  Ebene  die  nieder- 
schlagsreichsten Monate  der  Juli  und  August,  der  trockenste  der  April. 
Förderlich  sind  die  großen  Niederschlagsmengen  im  Sommer  für  den 
Stoppelfruchtbau,  während  die  Getreideernte  sich  in  diesen  Monaten 
leicht  schwierig  gestaltet  und  das  Korn  oft  minderwertig  wird.  Der 
großen  Sommerregen  wegen  ist  ebenfalls  die  Gerstenkultur  sehr  er- 
schwert. 


*)  Thiele,  Deutschlands  landwirtschaftliche  Klimatographie.    Bonn   1895. 
*)  Ebenda,  S.  112  ff. 


36 


P.  Polis, 


[36 


3.  Höhenverhältnisse  und  Niederschlag. 

Da  sich  die  Niederschlagsmenge  bekanntlich  mit  zunehmender 
Höhe  vergrößert,  so  ist  es  nicht  uninteressant,  das  gesamte  Material 
nach  Stufen  von  100  zu  100  m  Seehöhe  zu  ordnen.  Ausgeschlossen 
wurden  hierbei  diejenigen  Stationen,  deren  Seehöhe  nicht  genügend 
bekannt  oder  deren  Beobachtungen  nicht  genügend  zuverlässig  sind. 
In  der  beigegebenen  Tabelle  9  ist  sowohl  die  mittlere  See-  und  Nieder- 
schlagshöhe der   betreffenden  Stufe  vermerkt,  als   auch   die  Differenz 


-£4S)U 


SW+- 


X-mif , 

■Zi/rseiU -> 


je  zweier  aufeinander  folgender  Stufen,  sowie  ferner  bei  jeder  Stufe 
die  Station  mit  dem  höchsten  und  die  mit  dem  geringsten  Niederschlage 
angegeben. 

Aus  dieser  ist  ohne  weiteres  ersichtlich,  wie  es  auch  in  allen 
früheren  Arbeiten  betont  wird,  daß  für  die  Niederschlagszu-  oder  Ab- 
nahme nicht  die  Höhe  des  Ortes  über  dem  Meeresspiegel,  sondern  die 
Lage  den  regenbringenden  Winden  gegenüber  allein  maßgebend  ist. 
Erst  in  größeren  Höhen,  von  500  m  an  aufwärts,  beginnt  die  Nieder- 
schlagssumme bedeutend  zu  steigen,  indem  solche  Stationen  ihrer  Er- 
hebung über  die   anderen  Stationen  wegen   den  Winden   meist  direkt 


37]  Die  Niederschlagsverbältnisse  der  mittleren  Rheinprovinz  u.  d.  Nachbargeb.     37 


Tabelle  9. 
Höhenstufe  und  Niederschlagsmenge. 


Stufen 

'S  8 

Mittlere 

Differenz 
der  mittleren 
Niederschlags- 
höhen 

Größte             | 
Niederschlagshöhe    ; 

Kleinste 
Niederschlagshöhe 

II! 

5,2 

CD 

~~    Zahl 
Statt 

| 

*1 

Station 

JS 
:© 

ja 

* 

ist 

f"f  *'      Station 

© 

ja 

:© 

ja 

V 

2 

fff 

0-  99  ml 

42 

69 

622 

i 

Overath  .  .  . 

92 

1019;  Lorch 

82 

456,:  563 

100-199  , ! 

34 

146 

687 

+  65 

La  Reid  .  .  . 

195 

981  Geisenheim . 

108 

476!  505 

200-299,    35 

246 

818 

+  131  i  Gummere- 

Münstermai- 

'1 

bach .... 

250 

1117 

feld  .... 

249 

4231,694 

300-399 , 

46 

343 

805,—  13 

Gogarten    .  . 

360 

1305| 

Mechernich . 

300 

490 II  815 

400-499 „  | 

42 

443 

813 

+   8    Meinerzhagen 

408 

1 19  l'i  Kammerforst 

464 

429!  762 

500-599 , 

16 

545 

995 

+  182.  Hockay    .  .  . 

537 

12171  Dockweiler  . 

540 

712 

505 

600-69S, 

5 

685 

1031 

+  36 

Monte  Rigi  . 

670 

1321, 

i 

Hollerath  .  . 

617 

849, 

1 

472 

Tabelle  10. 

Niederschlagshöhe  an  Luv-  und  Leeseite  des  Venns  und 

Sauerlandes. 


Stufen 

Mittlere 

Seehöhe 

I 

m 

Mittlere 
Nieder- 
schlags- 
höhe 
mm 

Zahl 

der 

Stationen 

Differenz 

der 
Nieder- 
sch'ags- 
höhen 

Belgisches  Tiefland  .... 

Hohes  Venn 

Jülicher  Bergland 

Rhein-Ebene 

Bergische  Höhen    .  .  .  .  { 

Sauerland  mit                    f 
Ebbe-Gebirge \ 

0-  99  m 
100-199  ,  j 
200—299  ,  , 
300—399  ,  , 
400—499  ,  * 
500-599  ,  1 
600-699  ,  | 
500-599  , 
400—499  „  , 
300—399  „  1 
200—299  , 
100—199  , 

0-  99  , 
100—199  „ 
200-299  ,  | 
800—399  ,  1 
400—499  ,  | 

i 

70 
166 
279 
343 

559 
648 
565 
470 
346 
263 
144 
68 
142 
228 
337 
420 

621 
873 
946 
975 

1190 

1204 

1054 

810 

662 

560 

579 

611 

741 

993 

1109 

1180 

4 
5 
4 
5 

2 
2 

7 
2 
8 
3 
5 

11 
5 

11 
6 
8 

+  252 

+   73 
+   29 

(+215) 
+   U 

—  150 
-244 

—  148 

—  102 
+   19 
+   82 
+  180 
+  252 
+  116 
+   21 

zugänglich  sind.  Bemerkenswert  ist  weiter  der  große  Unterschied 
zwischen  den  Regensummen  je  zweier  Extremstationen  in  denselben 
Höhenstufen,  was  eben  durch  die  betreffende  Lage  der  Orte  seine  Be- 
gründung erhält. 

Luv-  und  Leeseite.    Um  die  Abhängigkeit  der  Niederschlags- 
summe von  der  Lage  der  Station  den  regenbringenden  Winden  gegen- 


38 


P.  Polie, 


[38 


über  näher  zu  beleuchten,  wurde  ein  Vertikalschnitt  von  SW  nach 
NE,  vom  belgischen  Tiefland  aus  beginnend,  bis  zum  Sauerlande  mit 
dem  Ebbegebirge  gelegt  und  das  Resultat  graphisch  dargestellt.  In 
dieser  Zeichnung  sind  sowohl  die  mittleren  Seehöhen  als  auch  die  zu- 
gehörigen mittleren  Niederschlagssummen  der  betreffenden  Stationen 
eingetragen  (siehe  auch  Tabelle  10). 

Die  Niederschlagssumme  nimmt  vom  belgischen  Tief  lande  bis  zu 
den  höchsten  Erhebungen  des  Hohen  Venns  zu,  um  auf  der  anderen 
Seite  bis  zur  Stufe  von  200 — 299  m  mit  560  mm  abzufallen.  Sodann 
beginnt  sie,  trotz  der  weiter  abnehmenden  Seehöhe,  langsam  zu  steigen, 
um  sich  dann  bei  dem  erneuten  Anstiege  an  den  Bergischen  Höhen 
und  dem  Sauerlande  mit  dem  Ebbegebirge  schnell  zu  vergrößern.  Die 
Ursache  des  zunehmenden  Regenreichtums  der  Rheinebene  und  des 
Jülicher  Landes  im  Vergleiche  zu  den  östlichen  Abdachungen  des  Venns, 
das  vollständig  im  Regenschatten  des  Hohen  Venns  liegt,  ist  auf  die 
Zugänglichkeit  der  ersteren  Gebiete  für  die  regenbringenden  Nordwest- 
winde zurückzuführen.  Ferner  ist  noch  wesentlich  für  die  Niederschlags- 
vergröfierung  die  schon  früher  angedeutete  Stauwirkung  der  Luft. 

Die  hinteren  feuchten  Luftschichten  werden  durch  die  vor  dem 
Berglande  gestaute  Luft  in  ihrer  horizontalen  Bewegung  gehemmt  und 
müssen  daher,  um  einen  Ausweg  zu  finden,  vertikal  aufsteigen,  wobei 
bekanntlich  mit  der  nun  erfolgenden  Arbeitsleistung  eine  Abkühlung 
und  Ausscheidung  von  Wasserdampf  verbunden  ist. 

Diese  Stauwirkung  läßt  sich  leicht  an  zwei  an  der  Luvseite  ein 
und  desselben  Gebirges  gelegenen  Stationen  von  annähernd  gleicher 
Seehöhe  zeigen,  wovon  die  eine  auf  dem  Plateau,  die  andere  jedoch  am 
Fuße  einer  Erhebung  liegt.  Zu  diesem  Zwecke  wählen  wir  die  Stations- 
paare Halver  und  Meinerzhagen  im  Bergischen  Lande,  Jalhay  und  Eupen 
im  Hohen  Venn,  und  endlich  Gornhausen  und  Hirschfeld  im  Hunsrück. 


In  freier  Lage 
Station  Seehöhe        Regenhöhe 

m  mm 

Halver 420  1068 

Eupen 282  938 

Hirschfeld    .  .  460  627 


am  Fuße  einer  Erhebung 
Station  Seehöhe        Regenhöhe 

m  mm 

Meinerzhagen.  408  1191 

Jalhay 290  1001 

Gornhausen  .  .  485  800 


Wie  diese  kleine  Anordnung  lehrt,  haben  Meinerzhagen  am  Fuße 
des  Ebbegebirges,  Gornhausen  direkt  vor  dem  Ranzen-  und  Haardt- 
kopf  gelegen,  weit  mehr  Niederschlag  als  die  in  gleicher  Höhe,  aber 
in  freier  Lage  befindliche  Stationen  Halver  bezw.  Hirschfeld.  Ebenfalls 
ist  Jalhay,  an  der  Luvseite  des  Venns,  durch  größeren  Regenreichtum 
als  z.  B.  Eupen  ausgezeichnet,  indem  bei  letzterem  Orte  sich  im  Gegen- 
satze zu  Jalhay  die  Stauwirkung  nur  bei  Nordwestwinden  bemerkbar 
machen  kann.  Auf  diese  speziellen  Verhältnisse  soll,  da  sie  außer- 
halb des  Rahmens  dieser  Arbeit  fallen,  hier  nicht  weiter  eingegangen 
werden. 

Interessant  ist  ferner  noch  ein  Vergleich  der  Niederschläge  an 
den  Luvseiten  der  beiden  Gebirgsstöcke ,  woraus  ersichtlich,  daß  die 
zwei  ersten  Stufen  des  linksrheinischen  Gebirges  mehr  Niederschläge 
als  die  des  rechtsrheinischen  empfangen.     Das  Umgekehrte  findet  je- 


39]  Die  Niederschlagsverhältnisse  der  mittleren  Rheinprovinz  u.  d.  Nachbargeb.     39 

doch  bei  den  zwei  folgenden  Stufen  statt,  indem  dann  das  Sauerland 
mehr  Niederschläge  als  die  gleichen  Höhenlagen  des  Venns  aufweist; 
auch  hier  liegt  die  Ursache  an  der  topographischen  Lage  des  ersteren 
Gebirgsstockes,  der  weit  mehr  in  die  norddeutsche  Tiefebene  hinein- 
greift und  daher  vom  ersten  Anstürme  der  Westwinde  getroffen  wird, 
während  dieselben  Winde,  ehe  sie  das  Venu  erreichen,  einen  Teil  ihres 
Wassergehaltes  (wenigstens  bei  Südwestwinden)  an  den  Ausläufern  der 
Ardennen  verlieren.  Die  größeren  Niederschlagssummen  des  Hohen 
Venns  im  Vergleiche  zum  Sauerlande  finden  in  der  größeren  Erhebung 
dieses  Gebirges  ihre  Begründung. 

Zum  Schlüsse  dieses  Abschnittes  sei  noch  eine  Zusammenstellung 
der  fünf  regenreichsten  und  der  fünf  regenärmsten  Orte  in  dem  be- 
arbeiteten Gebiete  gegeben: 


Monte  Rigi     .    .    .  1321 

Gogarten    ....  1305 

Poncel 1280 

Hockay 1217 

Matzenich  ....  1214 


Münstermaifeld     .    .  423 

Kammerforst    .    .    .  429 

Lorch 456 

Rüdesheim  ....  462 

Laubenheim     .    .    .  466 


4.  Gruppenmittel  der  Niederschläge. 

Bei  der  Bearbeitung  der  Niederschlagsverhältnisse  der  verschie- 
denen Gegenden  scheint  es,  um  die  Vergleichbarkeit  derselben  mit- 
einander zu  ermöglichen,  angebracht  zu  sein,  Gruppenmittel  abzuleiten, 
wie  wir  dies  auch  in  den  älteren  Arbeiten  finden. 

Dieser  Anordnung  können  zwei  Gesichtspunkte  zu  Grunde  liegen: 
den  Geographen  und  Meteorologen  interessiert  es  mehr,  die  Nieder- 
schlagsverhältnisse eines  Gebirgsstockes  kennen  zu  lernen,  wohingegen 
der  Wasserbautechniker  vor  allem  möglichst  genaue  Angaben  über  das 
zu  einem  Flußlaufe  gehörende  Niederschlagsgebiet  wünscht.  Es  wurden 
daher  abgeleitet  a)  Gruppenmittel  nach  einzelnen  Gebirgsstöcken,  und 
b)  Gruppenmittel  nach  Flußgebieten. 

a)  Gruppenmittel  nach  einzelnen  Gebirgsstöcken.  Diese 
Mittel  wurden  für  die  größeren  Gebirgsstöcke  und  die  beiden  Hauptthäler 
Rhein  und  Mosel,  soweit  sie  in  den  Rahmen  der  Karte  fallen,  berechnet ; 
auch  schien  es  zweckmäßig,  die  Niederschlagssummen  der  höheren 
Lagen  und  bei  einzelnen  Gebirgen  auch  die  der  Hauptzüge  zu  ermitteln, 
so  u.  a.  namentlich  das  niederschlagsreiche  Venn  von  der  Eifel  zu  trennen. 

In  der  beigegebenen  Zusammenstellung,  Tabelle  11,  sind  sowohl 
die  mittleren  Niederschlagssummen  als  auch  die  Anzahl  der  Stationen, 
aus  denen  sie  hergeleitet  wurden,  vermerkt.  Selbstverständlich  mußten 
Stationen  mit  unsicheren  Werten  und  solche  mit  isolierter  Lage  aus- 
geschlossen werden. 

Hier  ist  besonders  bemerkenswert  der  geringe  atmosphärische 
Wassergehalt  der  eigentlichen  Eifel  mit  679  mm,  die  das  Mittel  der 
rheinischen  Tieflandsbucht  um  nur  25  mm  überschreitet.  Die  Vorder- 
und  Osteifel  hat  nur  636  mm,  die  westliche  jedoch  671  mm  im  Mittel. 
Infolge  von  Mangel  an  Stationen  in  den  höchsten  Lagen  der  Eifel 
konnte  ein  Gruppenmittel  für  die  Hohe  Eifel  nicht  hergeleitet  werden. 


40 


P.  Polis, 


[40 


Tabelle  11. 

Gruppenmittel   der  Niederschläge   für   die   einzelnen 

Gebirgsstöcke. 


Gruppe 


f|! 

S»3 


mm 


c 
53 


Gruppe 


©  .  :0 

Im  hn 

IS* 

99 

mm 


2.2 

«9« 


Rheinische  Tieflandsbucht 
Rheinthal 

von  Godesberg  bis  Coblenz 

von  Coblenz  bis  Geisenheim 

Moselthal 

Sanerland 

Bergische  Höhen 

Höhere  Lag.  m.  Ebbegebirge 
Westerwald 

Niedere  Lagen 

Höhere  Lagen 

Hunsrttck 

Niedere  Lagen 

Hochwald  und  Idarwald    . 


654 
509 
541 
481 
034 

1009 
979 

1103 
805 
773 
904 
720 
679 
984 


!? 

5 
6 
8 

24 

18 

6 

25 
19 
6 
15 
13 
2 


Eifel    

Westeifel 

Vorder-  und  Osteifel  .  .  . 

Schneifei  und  Zitterwald 
Ardennen    

Niedere  Lagen    

Höhere  Lagen 

Venn 

Oestliche  Abdachung  und 
Aargebirge     

Hohes  Venn 

Höchste  Erhebungen  .  .  . 
Aachen-Dürener  Bergland 


679 
671 
636 
959 
921 
831 
1163 
932 

660 
1070 
1207 

751 


24 

11 

11 

2 

11 

8 

3 

24 

8 
16 

6 
11 


Am  trockensten  ist  das  Rheinthal  von  Coblenz  bis  Geisenheim  mit 
481  mm,  während  die  höchsten  Erhebungen  des  Hohen  Venns  das  größte 
Mittel  mit  1207  mm  aufweisen;  ihm  folgen  zunächst  die  höheren  Lagen 
des  Sauerlandes  mit  dem  Ebb'egebirge  1103  mm  und  die  Ardennen. 

Um  einen  ungefähren  Anhaltspunkt  der  mittleren  Niederschlags- 
höhe des  untersuchten  Gebietes  zu  bekommen,  wurden  184  Stationen 
zusammengefaßt;  die  so  gewonnene  mittlere  Niederschlagshöhe  für  das 
gesamte  Gebiet  beträgt  717  mm. 

b)  Gruppenmittel  nach  Flußgebieten.  Für  die  Berechnung  der 
mittleren,  jährlichen  atmosphärischen  Wassermenge  in  einem  Flußgebiete 
ist  die  genaueste  Methode  die  der  Ausmessung  der  einzelnen  von  den 
Isohyeten  begrenzten  Flächenstücke  auf  planimetrischem  Wege,  wovon 
jedoch  hier  einstweilen  Abstand  genommen  werden  soll. 

Gute  Anhaltspunkte  hierüber  gewähren  jedoch  auch  die  Multi- 
plikationen der  Fläche  des  betreffenden  Flußgebietes  mit  dem  arith- 
metischen Mittel  aus  den  Niederschlagshöhen  der  in  demselben  liegen- 
den Stationen.  In  TabeUe  1 2  sind  die  Gruppenmittel  für  die  einzelnen 
Flußgebiete  angegeben,  aus  welchen  dann  unter  Zugrundelegung  des 
Flächeninhaltes  des  Flußgebietes  die  Gesamtwassermenge  in  Kubik- 
metern berechnet  wurde.  Dies  konnte  jedoch  nur  für  diejenigen  Fluß- 
gebiete ermittelt  werden,  die  als  abgeschlossenes  Ganze  in  die  Karte 
hineinfielen. 

Benutzen  wir  das  im  vorigen  Abschnitte  berechnete  Gruppenmittel 
von  717  mm  des  gesamten  in  dieser  Arbeit  behandelten  Gebietes  (was 
wohl  der  mittleren  Niederschlagshöhe  der  Rheinprovinz  nahe  kommt), 
•  so  ergiebt  sich  bei  dem  Flächeninhalte  von  26981  km2  eine  jährliche 
Gesamtwassermenge  von  19345377  000  m3. 


41]  Die  Niederschlagsverhältnisse  der  mittleren  Rheinprovinz  u.  d.  Nachbargeb.     41 


Tabelle  12. 
Gruppenmittel  der   Niederschläge   nach  Flußgebieten. 


Gebiet   des 


Gesamt- 
wassermenge 
des 
Gebietes 
in  m8 


Rheines  (von  Eltville  bis  Düsselthal)    . 
Rhein  (von  Eltville  bis  zur  Nahe)  .  .  . 

Nahe 

„       (von  der  Nahe  bis  zur  Lahn)  .  . 
Lahn  (von  Gelbach  inkl.  bis  zur 

Mündung) 

,       (von  der  Lahn  bis  zur  Mosel)    . 
Mosel  (von  Trier  bis  zur  Mündung) 

Sauer  

Saar  (teilweise) 

„       (von  der  Mosel  bis  zur  Ahr)    .  . 

Ahr 

,       (von  der  Ahr  bis  zur  Sieg)  .  .  . 

Sieg 

„       (von  der  Sieg  bis  Köln) 

„       (von  Köln  bis  zur  Wupper)  .  .  . 

Wupper 

,       (von  der  Wupper  bis  zur  Erft) . 

Erft 

,       (von  der  Erft  bis  zur  Dussel  inkl.) 
Roer 


3994632000 
341818000 

2288338000 
371984000 

353408000 

? 

3426724000 

3269385000 

540960000 
1290912000 

569432000 
1119118000 
2745625000 
2378972000 

197505000? 

873544000 

184600000 

1164490000 

84065000 

2142668000 


Niederschlagshöhe.    Jahreszeitliche  Verteilung. 

(Tabelle  II- V,  VII.    Tafel  II— IX.) 

Nachdem  wir  die  Jahresniederschläge  nach  verschiedenen  Ge- 
sichtspunkten eingehend  dargestellt  haben,  erübrigt  uns  noch,  ein  Bild 
über  die  jährliche  Verteilung  derselben  zu  entwerfen.  Es  wäre  natür- 
lich erwünscht,  die  mittleren  monatlichen  Niederschläge  der  vorhan- 
denen Stationen  näher  kennen  zu  lernen.  Jedoch  würde  bei  den 
vorliegenden  kurzen  Beobachtungsreihen  der  meisten  Orte  die  Reduk- 
tion auf  eine  bestimmte  Periode  in  diesem  Falle  zu  unsichere  Werte  er- 
geben. Es  wurde  daher  von  einer  allgemeinen  Bearbeitung  der  monat- 
lichen Niederschlagswerte  abgesehen,  und  diese  nur  für  die  Stationen 
mit  längeren  Beobachtungsreihen   durchgeführt  (siehe  Tabelle  II — V). 

I.  Jährlicher  Verlauf. 

Bevor  wir  zur  kartographischen  Darstellung  übergehen,  wollen 
wir  uns  zunächst  ein  Bild  vom  jährlichen  Verlaufe  entwerfen,  und  zu 
diesem  Zwecke  wiederum  dasDecennium  1886 — 1895  näher  betrachten. 
Um  eine  leichtere  Uebersicht  zu  ermöglichen,  wurden  die  einzelnen 
Monatswerte,  die  einzelnen  Jahreszeiten  und  die  beiden  Halbjahre  Sommer 
und  Winter,  in  Prozenten  der  Jahrsumme  ausgedrückt  sowie  die  Minima 
und  Maxima  durch  entsprechenden  Fett-  und  Kursivdruck  gekenn- 
zeichnet; bei  den  Halbjahren  ist  nur  die  größere  Summe  fett  gedruckt. 

In  den  Jahreszeiten  haben  wir  für  das  ganze  Gebiet  die  meisten 
Niederschläge  im  Sommer,  die  wenigsten  im  Frühling;  nur  das  Rhein- 
thal oberhalb  Coblenz,  sowie  das  Moselthal  haben  ein  ausgesprochenes 
Winterminimum. 

Fassen  wir  die  beiden  Halbjahre  ins  Auge,  so  tritt  ein  diametraler 
Gegensatz  zwischen  der  Ebene  und  den  Gebirgen  hervor.  Erstere 
hat  die  größte  Niederschlagshöhe  im  Sommerhalbjahre,  während  sie 
sich  für  die  letzteren  auf  das  Winterhalbjahr  verschiebt;  der  Ueber- 
gang  hierzwischen  macht  sich  in  den  niedrigen  Gebirgslagen  und  an 
den  Ausläufern  bemerkbar,  wo  Sommer-  und  Winterhalbjahr  einander 
nahezu  gleichkommen.  Hierbei  sei  noch  besonders  verwiesen  auf  die 
Zu-  und  Abnahme  dieser  Maxima  einerseits  in  der  Rheinebene  und 
andererseits  im  Venn  und  in  den  Ardennen. 

Betrachten  wir  nun  die  einzelnen  Stationen  monatsweise,  so  haben 
das  belgische  Tiefland,  die  niederen  Lagen  des  Venns,  die  Bergischen 


431  P»  Polis,  Die  Niederschlagsverhältn.  d.  mittleren  Rheinpro v.  u.  d.  Nachbargeb.     43 

Höhen  und  der  Westerwald  ein  Julimaximum,  während  die  Rheinebene, 
das  Moselthal,  sowie  die  südliche  Eifel  den  meisten  Niederschlag  im 
Juni  empfangen.  Ferner  tritt  in  den  höheren  und  exponierteren  Ge- 
birgslagen, den  Ardennen  und  dem  Hunsrück,  ein  Oktobermaximum 
hervor,  welches  sich  übrigens  bei  allen  Gebirgen  als  ein  sekundäres 
bemerkbar  macht.  Auch  weisen  die  Gebirge  viele  Niederschläge  im 
Dezember  auf. 

Im  Gegensatze  zu  den  niederschlagsreichsten  Monaten,  die  mit  der 
topographischen  Lage  eine  so  mannigfaltige  Verschiebung  erfahren, 
ist  der  trockenste  Monat  durchweg  der  April;  nur  bei  einigen  Orten 
im  belgischen  Tief  lande  und  in  Gützenrath  wird  er  zum  sekundären, 
während  das  Hauptminimum  auf  den  Februar  bezw.  März  entfallt. 

Aus  dem  Verlaufe  der  Niederschläge  für  das  zu  Grunde  gelegte 
Decennium  geht  hervor: 

1.  Für  die  Ebene  ein  ausgesprochenes  Juni-  bezw.  Julimaximum. 

2.  Für  die  höheren  Gebirgslagen   ein  Oktobermaximum ,   welches 
sich  bei  allen  andern  Gebietsteilen  sekundär  angedeutet  findet. 

3.  Für  die  Ebene  und  Gebirge  ein  Minimum  im  April. 

Es  wirft  sich  nun  weiter  die  Frage  auf,  ob  dieses  Bild  der  jahres- 
zeitlichen Niederschlagsverteilung,  welches  wir  aus  den  10jährigen  Be- 
obachtungen erhielten,  auch  den  thatsächlichen  Verhältnissen  entspricht. 
Zu  diesem  Zwecke  wollen  wir  zunächst  die  prozentarischen  Summen 
der  beiden  Lustren  1886—1890  und  1891—1895  gesondert  betrachten. 
Bei  diesen  springt  der  diametrale  Gegensatz  in  der  Verteilung  aufs 
schärfste  in  die  Augen;  1891 — 1895  haben  fast  alle  Stationen  den 
meisten  Niederschlag  im  Winter  mit  einem  Hauptmaximum  im  Oktober 
(ja  selbst  das  obere  Rhein-  und  das  Moselthal  haben  Oktobermaximuin), 
umgekehrt  treffen  wir  1886 — 1890  die  meisten  Niederschläge  im  Sommer- 
halbjahre mit  einem  Hauptmaximum  im  Juni  bezw.  Juli  an.  Auch  in 
den  trockensten  Monaten  tritt  eine  bedeutende  Verschiebung  ein,  indem 
•das  Minimum  beim  erstgenannten  Lustrum  auf  den  April  entfällt,  beim 
letztgenannten  hingegen  auf  den  Februar. 

Es  wird  nun  unsere  Aufgabe  sein,  unter  Zuhilfenahme  der  lang- 
jährigen Mittel  die  Periode  herauszufinden,  welche  der  wirklichen  That- 
sache  entspricht.  Leider  stehen  uns  hierbei,  mit  Ausnahme  von  Birken- 
feld im  Hunsrück,  wirklich  langjährige  Mittel  von  Gebirgsstationen  nicht 
zur  Verfügung;  jedoch  können  noch  Hockay  und  Barraque  Michel, 
weil  sie  länger  als  10  Jahre  beobachtet  haben,  mit  berücksichtigt  wer- 
den. Ohne  weiteres  springt  auch  hier  die  schon  oben  betonte  That- 
■sache  der  größten  Niederschläge  im  Sommerhalbjahre  bei  den  Flach- 
landstationen in  die  Augen,  während  umgekehrt  Hockay  und  Aachen 
•dem  Hohen  Venu  und  Birkenfeld  dem  Hunsrück  die  meisten  Nieder- 
schläge im  Winterhalbjahre  zuweisen.  In  dem  jahreszeitlichen  Verlaufe 
tritt  wiederum  das  Sommermaximum,  sowie  das  Frühlirigsminimum  aufs 
schärfste  hervor;  nur  das  Venn  und  der  Hunsrück  haben  ein  Herbst- 
bezw.  Wintermaximum.  Daher  begegnen  wir  auch  in  diesen  Gebirgen 
den  meisten  Niederschlägen  im  Oktober  bezw.  Dezember.  Für  die  Ebene 
macht  sich  eine  interessante  Verschiebung  des  Sommermaximums  be- 
merkbar.    Das  belgische  Tiefland  empfängt,  wie  aus  den  langjährigen 


44  P.  Polis,  [44 

Beobachtungen  von  Brüssel  hervorgeht,  die  meisten  Niederschläge  im 
August,  während  wir  beim  Weiterschreiten  gegen  Osten  und  Süden  ein 
Julimaximum  antreffen,  weiches  für  das  Rheinthal  sogar  teilweise  zum 
Junimaximum  wird.  Hinsichtlich  des  trockensten  Monats  ist  der  April 
vorwiegend  beteiligt,  aber  stellenweise  nur  sekundär;  so  weisen  die 
langjährigen  Beobachtungen  von  Köln,  Bonn,  Boppard  und  Kreuznach 
dem  Rheinthale  die  geringsten  Niederschläge  während  des  Monats 
Februar  zu.  Auch  bei  Trier  ist  der  Unterschied  von  Februar  und 
April  so  gering,  daß  wir  hier  von  einem  Hauptminimum  in  beiden 
Monaten  sprechen  können. 

Neben  dieser  Darstellung  durch  langjährige  Mittel  dürfte  es  noch 
erforderlich  sein,  die  erhaltenen  Resultate  durch  direkten  Vergleich  mit 
den  langjährigen  Beobachtungen  zu  prüfen.  Zu  dieser  Prüfung  wollen 
wir  uns  der  vorhandenen  monatlichen  Lustren  der  drei  Stationen  Aachen, 
Boppard  und  Köln  bedienen.  Verschiebungen  des  Sommermaximums 
machen  sich  für  das  Rheinthal  in  den  beobachteten  50  Jahren  nur 
zwischen  Juni  und  Juli  bemerkbar,  während  das  Minimum  zwischen 
Februar,  März  und  April  schwankt;  dennoch  steht  die  Häufigkeit  der 
Fälle,  besonders  beim  Minimum,  nicht  im  direkten  Verhältnis  zur  Summe. 
Bei  Aachen  kommen  öfters  Wintermaxima  vor,  namentlich  im  Dezemberr 
wie  dies  ja  dem  Uebergange  zum  Gebirge  eigen  ist;  auch  zeigen  ein- 
zelne Lustren  das  Hauptmaximum  im  Mai. 

2.  Geographische  Verteilung  der  Niederschläge  in  den  einzelnen 

Jahreszeiten. 

a)  Absolute  Werte  in  Millimeter.  Im  vergangenen  Abschnitte 
haben  wir  uns  mit  dem  Jahresverlaufe  der  Niederschläge  beschäftigt, 
wobei  wir  allerdings  nur  die  Stationen  mit  längeren  Beobachtungs- 
reihen zu  Grunde  legen  konnten.  Um  jedoch  ein  anschaulicheres  Bild 
über  die  jahreszeitliche  Verteilung  der  Niederschläge  zu  erhalten,  müssen 
wir  uns  wiederum  der  kartographischen  Darstellung  bedienen.  Wie 
schon  früher  erörtert,  wurden  nicht  nur  die  Jahreswerte  der  unter- 
suchten Periode  1886 — 1895  abgeleitet,  sondern  auch  die  der  einzelnen 
Jahreszeiten ;  aus  den  letzteren  sind  dann  nach  der  früher  besprochenen 
Methode  Niederschlagskarten  entworfen  worden. 

Was  nun  zunächst  die  geographische  Verteilung  der  Niederschläge 
in  den  verschiedenen  Karten  anbelangt,  so  zeigt  sie  selbstverständlich 
den  Charakter  der  Hauptkarte;  namentlich  weisen  die  in  der  Jahres- 
karte dargestellten  regnerischen  Gebiete  auch  in  den  einzelnen  Jahres- 
zeiten die  meisten  Niederschläge  auf,  und  umgekehrt.  Um  die  Ver- 
gleichbarkeit der  einzelnen  Karten  untereinander  zu  erleichtern,  sind, 
gerade  wie  bei  der  Jahreskarte  die  Fläche  von  >  1000  mm  durch  rote 
Farbe  gekennzeichnet  wurde,  hierbei  überall  die  Flächen  mit  >  200  mm 
übereinstimmend  hervorgehoben  worden. 

Wir  wollen  uns  hier,  um  Wiederholungen  zu  vermeiden,  auf  eine 
Angabe  der  verschiedenen  Flächenkomplexe  gewisser  Niederschlags- 
mengen beschränken,  und  verweisen  bezüglich  der  Einzelheiten  auf  die 
Karten  selbst;   besondere  physikalische  Erörterungen  über  die  Nieder- 


45]   Die  Niederschlagsverhältnisse  der  mittleren  Rheinprovinz  u.  d.  Nach  bar  geb.    45 


schlagsbildung  werden  im  nächsten  Abschnitte  folgen.  Als  Aus- 
gangspunkt hierfür  erscheint  am  geeignetsten  die  Betrachtung  der  Aus- 
dehnung der  Fläche  von  >  200  und  <C  100.  Außerdem  sind  für  jede 
Jahreszeit  die  fünf  regenreichsten  und  die  fünf  regenärmsten  Orte  an- 
gegeben. 

Die  Winter  karte  zeigt,  daß  das  Gebiet  mit  >  200  mm  Nieder- 
schlag im  wesentlichen  auf  die  Gebirgslagen  beschränkt  ist;  so  über- 
deckt es  die  Ardennen,  das  Venn  und  die  Schneifei,  die  höheren 
Teile  des  Hunsrück,  das  Sauerland  und  den  Westerwald,  während  die 
Ostabdachung  des  Venns  und  die  eigentliche  Eifel  schon  nicht  mehr 
dazu  gehören.  Innerhalb  dieser  Fläche  steigt  im  Venn  die  Regenhöhe 
noch  bis  über  300  mm  in  den  höchsten  Lagen ;  im  Sauerland  hingegen 
findet  sich  nur  ein  kleines  Gebiet  von  >  300  mm  mit  den  Stationen 
Lennep,  Gogarten  und  Breckerfeld.  Der  Fläche  mit  <  100  mm  ge- 
hören das  Maifeld  und  die  untere  Mosel  an,  sowie  die  Rheinebene  bei 
Bingen  mit  dem  Nahethale ;  außerdem  begegnen  wir  noch  einer  kleineren 
Insel  bei  Bogel  auf  dem  rechten  Rheinufer  und  einer  größeren  im  Lee 
des  Venns  an  der  Erft.  Bei  Auszählung  der  Orte  mit  den  extremsten 
Niederschlägen  haben  sich  die  folgenden  ergeben: 


Poncel     .    . 

.     .     351  mm 

Münstermaifeld .     . 

68  mm 

Gogarten 

.     .     345     , 

Pressberg  .... 

72     , 

Malmedy 

.     .     334     , 

Braubach  .... 

82     „ 

Libramont   . 

.     .     325     „ 

Laubenheim  .     .     . 

86     , 

Elsenborn     . 

.     .    316     , 

Treis,  Kammerforst 

87     „ 

Bei  der  Frühlingskarte  springt  das  starke  Zurücktreten  der 
Fläche  mit  200  und  mehr  Millimetern  Niederschlag  in  die  Augen;  denn 
auf  der  rechten  Rheinseite  gehört  der  Westerwald  schon  nicht  mehr 
zu  diesem  Gebiete,  welches  nur  das  Sauerland  umfaßt,  in  welchem 
auch  noch  einige  kleine  Inseln  mit  >  225  mm  Regenhöhe  liegen.  Links- 
rheinisch ist  es  zunächst  das  Gebiet  des  Hoch-  und  Idarwaldes,  welches 
von  der  Isohyete  von  200  mm  umschlossen  wird,  ferner  das  hohe  Venn 
und  die  Schneifei.  Den  größten  Anteil  an  der  Karte  hat  die  Fläche 
mit  150 — 175  mm,  während  das  Gebiet  mit  >  100  mm  fast  dasselbe 
wie  in  der  Winterkarte  geblieben  ist.  Jedoch  macht  die  125  mm-Kurve 
«inen  großen  Vorstoß  sowohl  nach  Westen  als  auch  nach  Norden,  in- 
dem sie  bis  fast  in  die  Gegend  von  Erkelenz  in  die  norddeutsche  Tief- 
ebene hineingreift;  auch  begegnen  wir  in  der  Südeifel  einem  Streifen 
von  <[  125  mm,  der  aber  hauptsächlich  den  Thälern  der  linken  Neben- 
flüsse der  Mosel  zukommt.  So  mögen  auch  hier  wiederum  die  fünf  regen- 
reichsten und  die  fünf  regenärmsten  Orte  wie  folgt  aufgeführt  werden: 


Hockay    .     .    . 

.     237  mm 

Münstermaifeld 

.     82  mm 

Hahnenberg 

.     234     , 

Laubenheim  . 

.    90     „ 

Rheinsfeld    .     . 

.    233     , 

Rüdesheim    . 

.    92     „ 

Gogarten      .     . 

.     232     „ 

Pressberg .     . 

.     93     „ 

Remscheid  .     . 

.     232     „ 

Lorch   .     .     . 

.     96     „ 

Wassenach    . 

.    9ö     „ 

Im  Gegensatze  zu  den  beiden  bis  jetzt  diskutierten  Karten  er- 
streckt sich  im  Sommer  das  Gebiet  mit  >  200  mm  Niederschlagshöhe 
über  fast  zwei  Drittel  der  ganzen  Karte,   so  daß  es  nicht  nur  auf  die 


40 


P.  Polis, 


[40 


Tabelle  11. 

Gruppenmittel   der  Niederschläge   für   die   einzelneu 

Gebirgsstöcke. 


Rheinische  Tieflandsbucht 
Rheinthal 

von  Godesberg  bis  Coblenz 

von  Coblenz  bis  Geisenheim 

Moselthal 

Sauerland 

Bergische  Höhen 

Höhere  Lag.  m.  Ebbegebirge 
Westerwald 

Niedere  Lagen 

Höhere  Lagen 

Hunsrttck 

Niedere  Lagen 

Hochwald  und  Idarwald   . 


654 

19  j 

509 

11 

541 

5 

481 

6  1 

634 

8| 

1009 

24 

979 

18 

1103 

6 

805 

25 

773 

19  j 

904 

6  i 

720 

15 

679 

13; 

984 

2 ; 

Eifel    

Westeifel 

Vorder-  und  Osteifel  .  .  . 

Schneifei  und  Zitterwald 
Ardennen    

Niedere  Lagen    

Höhere  Lagen 

Venn 

Oestliche  Abdachung  und 
Aargebirge     

Hohes  Venn 

Höchste  Erhebungen  .  .  . 
Aachen-Dtirener  Bergland 


679 
671 
636 
959 
921 
831 
1163 
932 

660 
1070 
1207 

751 


24 

11 

11 

2 

11 

8 

B 

24 

8 
16 

6 
11 


Am  trockensten  ist  das  Rheinthal  von  Coblenz  bis  Geisenheim  mit 
481  mm,  während  die  höchsten  Erhebungen  des  Hohen  Venns  das  größte 
Mittel  mit  1207  mm  aufweisen;  ihm  folgen  zunächst  die  höheren  Lagen 
des  Sauerlandes  mit  dem  Ebbegebirge  1103  mm  und  die  Ardennen. 

Um  einen  ungefähren  Anhaltspunkt  der  mittleren  Niederschlags- 
höhe des  untersuchten  Gebietes  zu  bekommen,  wurden  184  Stationen 
zusammengefaßt;  die  so  gewonnene  mittlere  Niederschlagshöhe  für  das 
gesamte  Gebiet  beträgt  717  mm. 

b)  Gruppenmittel  nach  Flußgebieten.  Für  die  Berechnung  der 
mittleren,  jährlichen  atmosphärischen  Wassermenge  in  einem  Flußgebiete 
ist  die  genaueste  Methode  die  der  Ausmessung  der  einzelnen  von  den 
Isohyeten  begrenzten  Flächenstücke  auf  planimetrischem  Wege,  wovon 
jedoch  hier  einstweilen  Abstand  genommen  werden  soD. 

Gute  Anhaltspunkte  hierüber  gewähren  jedoch  auch  die  Multi- 
plikationen der  Fläche  des  betreffenden  Flußgebietes  mit  dem  arith- 
metischen Mittel  aus  den  Niederschlagshöhen  der  in  demselben  liegen- 
den Stationen.  In  Tabelle  1 2  sind  die  Gruppenmittel  für  die  einzelnen 
Flußgebiete  angegeben,  aus  welchen  dann  unter  Zugrundelegung  des 
Flächeninhaltes  des  Flußgebietes  die  Gesamtwassermenge  in  Kubik- 
metern berechnet  wurde.  Dies  konnte  jedoch  nur  für  diejenigen  Fluß- 
gebiete ermittelt  werden,  die  als  abgeschlossenes  Ganze  in  die  Karte 
hineinfielen. 

Benutzen  wir  das  im  vorigen  Abschnitte  berechnete  Gruppenmittel 
von  717  mm  des  gesamten  in  dieser  Arbeit  behandelten  Gebietes  (was 
wohl  der  mittleren  Niederschlagshöhe  der  Eheinprovinz  nahe  kommt), 
so  ergiebt  sich  bei  dem  Flächeninhalte  von  26981  km2  eine  jährliche 
Gesamtwassermenge  von  19345377000  m3. 


41]  Die  Niederschlagsverhältnisse  der  mittleren  Rheinprovinz  u.  d.  Nachbargeb.     41 


Tabelle  12. 
Gruppenmittel   der   Niederschläge   nach   Flußgebieten. 


Gebiet   des 


Flächen- 
inhalt 

des 
Gebietes 

km8 


Mittlere 
Nieder- 
schlags- 
höhe 

mm 


Gesamt- 
wassermenge 
des 
Gebietes 
in  m8 


Rheines  (von  Eltville  bis  Dussel thal)    . 
Rhein  (von  Eltville  bis  zur  Nahe)  .  . 

Nahe 

„       (von  der  Nahe  bis  zur  Lahn)  .  . 
Lahn  (von  Gelbach  inkl.  bis  zur 

Mündung) 

,       (von  der  Lahn  bis  zur  Mosel)    . 
Mosel  (von  Trier  bis  zur  Mündung) 

Sauer 

Saar  (teilweise) 

„       (von  der  Mosel  bis  zur  Ahr)    .  . 

Ahr 

,       (von  der  Ahr  bis  zur  Sieg)  .  .  . 

Sieg 

,       (von  der  Sieg  bis  Köln) 

9       (von  Köln  bis  zur  Wupper)  .  .  . 

Wupper 

,       (von  der  Wupper  bis  zur  Erft) . 

Erft 

„       (von  der  Erft  bis  zur  Dussel  inkl.) 
Roer 


6668 
617 

4043 
694 

502 
38 

4382 

4365 
664 

1808 
901 

2366 

2875 
638 
231 
821 
284 

1909 
115 

2299 


44 

4 

12 

9 


24 

16 
4 

14 
6 
5 

20 
5 
1 

10 
3 
9 
3 

15 


599 
554 
566 
536 

704 
? 

782 
749 
840 
714 
632 
473 
955 
594 
855? 
1064 
650 
610 
731 
932 


3994632000 
341818000 

2288338000 
371984000 

353408000 

? 

3426724000 

3269385000 

540960000 
1290912000 

569432000 
1119118000 
2745625000 
2378972000 

197505000? 

878544000 

184600000 

1164490000 

84065000 

2142668000 


Niederschlagshöhe.    Jahreszeitliche  Verteilung. 

(Tabelle  II- V,  VII.    Tafel  II-IX.) 

Nachdem  wir  die  Jahresniederschläge  nach  verschiedenen  Ge- 
sichtspunkten eingehend  dargestellt  haben,  erübrigt  uns  noch,  ein  Bild 
über  die  jährliche  Verteilung  derselben  zu  entwerfen.  Es  wäre  natür- 
lich erwünscht,  die  mittleren  monatlichen  Niederschläge  der  vorhan- 
denen Stationen  näher  kennen  zu  lernen.  Jedoch  würde  bei  den 
vorliegenden  kurzen  Beobachtungsreihen  der  meisten  Orte  die  Reduk- 
tion auf  eine  bestimmte  Periode  in  diesem  Falle  zu  unsichere  Werte  er- 
geben. Es  wurde  daher  von  einer  allgemeinen  Bearbeitung  der  monat- 
lichen Niederschlagswerte  abgesehen,  und  diese  nur  für  die  Stationen 
mit  längeren  Beobachtungsreihen   durchgeführt  (siehe  Tabelle  II — V)- 

I.  Jährlicher  Verlauf. 

Bevor  wir  zur  kartographischen  Darstellung  übergehen,  wollen 
wir  uns  zunächst  ein  Bild  vom  jährlichen  Verlaufe  entwerfen,  und  zu 
diesem  Zwecke  wiederum  dasDecennium  1886 — 1895  näher  betrachten. 
Um  eine  leichtere  Uebersicht  zu  ermöglichen,  wurden  die  einzelnen 
Monatswerte,  die  einzelnen  Jahreszeiten  und  die  beiden  Halbjahre  Sommer 
und  Winter,  in  Prozenten  der  Jahrsumme  ausgedrückt  sowie  die  Minima 
und  Maxima  durch  entsprechenden  Fett-  und  Kursivdruck  gekenn- 
zeichnet; bei  den  Halbjahren  ist  nur  die  größere  Summe  fett  gedruckt. 

In  den  Jahreszeiten  haben  wir  für  das  ganze  Gebiet  die  meisten 
Niederschläge  im  Sommer,  die  wenigsten  im  Frühling ;  nur  das  Rhein- 
thal oberhalb  Coblenz,  sowie  das  Moselthal  haben  ein  ausgesprochenes 
Winterminimum. 

Fassen  wir  die  beiden  Halbjahre  ins  Auge,  so  tritt  ein  diametraler 
Gegensatz  zwischen  der  Ebene  und  den  Gebirgen  hervor.  Erstere 
hat  die  größte  Niederschlagshöhe  im  Sommerhalbjahre,  während  sie 
sich  für  die  letzteren  auf  das  Winterhalbjahr  verschiebt;  der  Ueber- 
gang  hierzwischen  macht  sich  in  den  niedrigen  Gebirgslagen  und  an 
den  Ausläufern  bemerkbar,  wo  Sommer-  und  Winterhalbjahr  einander 
nahezu  gleichkommen.  Hierbei  sei  noch  besonders  verwiesen  auf  die 
Zu-  und  Abnahme  dieser  Maxima  einerseits  in  der  Rheinebene  und 
andererseits  im  Venn  und  in  den  Ardennen. 

Betrachten  wir  nun  die  einzelnen  Stationen  monatsweise,  so  haben 
das  belgische  Tiefland,  die  niederen  Lagen  des  Venns,  die  Bergischen 


431  P-  Polis,  Die  Niederschlagsverhältn.  d.  mittleren  Rheinprov.  u.  d.  Nachbargeb.     43 

Höhen  und  der  Westerwald  ein  Julimaximum,  während  die  Rheinebene, 
das  Moselthal,  sowie  die  südliche  Eifel  den  meisten  Niederschlag  im 
Juni  empfangen.  Ferner  tritt  in  den  höheren  und  exponierteren  Ge- 
birgslagen, den  Ardennen  und  dem  Hunsrück,  ein  Oktobermaximum 
hervor,  welches  sich  übrigens  bei  allen  Gebirgen  als  ein  sekundäres 
bemerkbar  macht.  Auch  weisen  die  Gebirge  viele  Niederschläge  im 
Dezember  auf. 

Im  Gegensatze  zu  den  niederschlagsreichsten  Monaten,  die  mit  der 
topographischen  Lage  eine  so  mannigfaltige  Verschiebung  erfahren, 
ist  der  trockenste  Monat  durchweg  der  April;  nur  bei  einigen  Orten 
im  belgischen  Tieflande  und  in  Gützenrath  wird  er  zum  sekundären, 
während  das  Hauptminimum  auf  den  Februar  bezw.  März  entfällt. 

Aus  dem  Verlaufe  der  Niederschläge  für  das  zu  Grunde  gelegte 
Decennium  geht  hervor: 

1.  Für  die  Ebene  ein  ausgesprochenes  Juni-  bezw.  Julimaximum. 

2.  Für  die  höheren  Gebirgslagen   ein  Oktobermaximum ,   welches 
sich  bei  allen  andern  Gebietsteilen  sekundär  angedeutet  findet. 

3.  Für  die  Ebene  und  Gebirge  ein  Minimum  im  April. 

Es  wirft  sich  nun  weiter  die  Frage  auf,  ob  dieses  Bild  der  jahres- 
zeitlichen Niederschlagsverteilung,  welches  wir  aus  den  10jährigen  Be- 
obachtungen erhielten,  auch  den  tatsächlichen  Verhältnissen  entspricht. 
Zu  diesem  Zwecke  wollen  wir  zunächst  die  prozentarischen  Summen 
der  beiden  Lustren  1886—1890  und  1891 — 1895  gesondert  betrachten. 
Bei  diesen  springt  der  diametrale  Gegensatz  in  der  Verteilung  aufs 
schärfste  in  die  Augen;  1891 — 1895  haben  fast  alle  Stationen  den 
meisten  Niederschlag  im  Winter  mit  einem  Hauptmaximum  im  Oktober 
(ja  selbst  das  obere  Rhein-  und  das  Moselthal  haben  Oktobermaximum), 
umgekehrt  treffen  wir  1886 — 1890  die  meisten  Niederschläge  im  Sommer- 
halbjahre mit  einem  Hauptmaximum  im  Juni  bezw.  Juli  an.  Auch  in 
den  trockensten  Monaten  tritt  eine  bedeutende  Verschiebung  ein,  indem 
das  Minimum  beim  erstgenannten  Lustrum  auf  den  April  entfällt,  beim 
letztgenannten  hingegen  auf  den  Februar. 

Es  wird  nun  unsere  Aufgabe  sein,  unter  Zuhilfenahme  der  lang- 
jährigen Mittel  die  Periode  herauszufinden,  welche  der  wirklichen  That- 
sache  entspricht.  Leider  stehen  uns  hierbei,  mit  Ausnahme  von  Birken- 
feld im  Hunsrück,  wirklich  langjährige  Mittel  von  Gebirgsstationen  nicht 
zur  Verfügung;  jedoch  können  noch  Hockay  und  Barraque  Michel, 
weil  sie  länger  als  10  Jahre  beobachtet  haben,  mit  berücksichtigt  wer- 
den. Ohne  weiteres  springt  auch  hier  die  schon  oben  betonte  That- 
sache  der  größten  Niederschläge  im  Sommerhalbjahre  bei  den  Flach- 
landstationen in  die  Augen,  während  umgekehrt  Hockay  und  Aachen 
dem  Hohen  Venn  und  Birkenfeld  dem  Hunsrück  die  meisten  Nieder- 
schläge im  Winterhalbjahre  zuweisen.  In  dem  jahreszeitlichen  Verlaufe 
tritt  wiederum  das  Sommermaximum,  sowie  das  Frühlirigsminimum  aufs 
schärfste  hervor;  nur  das  Venn  und  der  Hunsrück  haben  ein  Herbst- 
bezw.  Wintermaximum.  Daher  begegnen  wir  auch  in  diesen  Gebirgen 
den  meisten  Niederschlägen  im  Oktober  bezw.  Dezember.  Für  die  Ebene 
macht  sich  eine  interessante  Verschiebung  des  Sommermaximums  be- 
merkbar.    Das  belgische  Tiefland  empfangt,  wie  aus  den  langjährigen 


44  P.  Polie,  [44 

Beobachtungen  von  Brüssel  hervorgeht,  die  meisten  Niederschläge  im 
August,  während  wir  beim  Weiterschreiten  gegen  Osten  und  Süden  ein 
Julimaximum  antreffen,  welches  für  das  Rheinthal  sogar  teilweise  zum 
Junimaximum  wird.  Hinsichtlich  des  trockensten  Monats  ist  der  April 
vorwiegend  beteiligt,  aber  stellenweise  nur  sekundär;  so  weisen  die 
langjährigen  Beobachtungen  von  Köln,  Bonn,  Boppard  und  Kreuznach 
dem  Rheinthale  die  geringsten  Niederschläge  während  des  Monat» 
Februar  zu.  Auch  bei  Trier  ist  der  Unterschied  von  Februar  und 
April  so  gering,  daü  wir  hier  von  einem  Hauptminimum  in  beiden 
Monaten  sprechen  können. 

Neben  dieser  Darstellung  durch  langjährige  Mittel  dürfte  es  noch 
erforderlich  sein,  die  erhaltenen  Resultate  durch  direkten  Vergleich  mit 
den  langjährigen  Beobachtungen  zu  prüfen.  Zu  dieser  Prüfung  wollen 
wir  uns  der  vorhandenen  monatlichen  Lustren  der  drei  Stationen  Aachen, 
Boppard  und  Köln  bedienen.  Verschiebungen  des  Sommermaximums 
machen  sich  für  das  Rheinthal  in  den  beobachteten  50  Jahren  nur 
zwischen  Juni  und  Juli  bemerkbar,  während  das  Minimum  zwischen 
Februar,  März  und  April  schwankt;  dennoch  steht  die  Häufigkeit  der 
Fälle,  besonders  beim  Minimum,  nicht  im  direkten  Verhältnis  zur  Summe. 
Bei  Aachen  kommen  öfters  Wintermaxima  vor,  namentlich  im  Dezember, 
wie  dies  ja  dem  Uebergange  zum  Gebirge  eigen  ist;  auch  zeigen  ein- 
zelne Lustren  das  Hauptmaximum  im  Mai. 

2.  Geographische  Verteilung  der  Niederschläge  in  den  einzelnen 

Jahreszeiten. 

a)  Absolute  Werte  in  Millimeter.  Im  vergangenen  Abschnitte 
haben  wir  uns  mit  dem  Jahresverlaufe  der  Niederschläge  beschäftigt, 
wobei  wir  allerdings  nur  die  Stationen  mit  längeren  Beobachtungs- 
reihen zu  Grunde  legen  konnten.  Um  jedoch  ein  anschaulicheres  Bild 
über  die  jahreszeitliche  Verteilung  der  Niederschläge  zu  erhalten,  müssen 
wir  uns  wiederum  der  kartographischen  Darstellung  bedienen.  Wie 
schon  früher  erörtert,  wurden  nicht  nur  die  Jahreswerte  der  unter- 
suchten Periode  1886 — 1895  abgeleitet,  sondern  auch  die  der  einzelnen 
Jahreszeiten ;  aus  den  letzteren  sind  dann  nach  der  früher  besprochenen 
Methode  Niederschlagskarten  entworfen  worden. 

Was  nun  zunächst  die  geographische  Verteilung  der  Niederschläge 
in  den  verschiedenen  Karten  anbelangt,  so  zeigt  sie  selbstverständlich 
den  Charakter  der  Hauptkarte;  namentlich  weisen  die  in  der  Jahres- 
karte dargestellten  regnerischen  Gebiete  auch  in  den  einzelnen  Jahres- 
zeiten die  meisten  Niederschläge  auf,  und  umgekehrt.  Um  die  Ver- 
gleichbarkeit der  einzelnen  Karten  untereinander  zu  erleichtern,  sind, 
gerade  wie  bei  der  Jahreskarte  die  Fläche  von  >  1000  mm  durch  rote 
Farbe  gekennzeichnet  wurde,  hierbei  überall  die  Flächen  mit  >  200  mm 
übereinstimmend  hervorgehoben  worden. 

Wir  wollen  uns  hier,  um  Wiederholungen  zu  vermeiden,  auf  eine 
Angabe  der  verschiedenen  Flächenkomplexe  gewisser  Niederschlags- 
mengen beschränken,  und  verweisen  bezüglich  der  Einzelheiten  auf  die 
Karten  selbst;   besondere  physikalische  Erörterungen  über  die  Nieder- 


45]   D*e  Niederschlagsverhältnisse  der  mittleren  Rheinprovinz  u.  d.  Nachbargeb.    45 


schlagsbildung  werden  im  nächsten  Abschnitte  folgen.  Als  Aus- 
gangspunkt hierfür  erscheint  am  geeignetsten  die  Betrachtung  der  Aus- 
dehnung der  Fläche  von  >  200  und  <  100.  Außerdem  sind  für  jede 
Jahreszeit  die  fiinf  regenreichsten  und  die  fünf  regenärmsten  Orte  an- 
gegeben. 

Die  Winter  karte  zeigt,  daß  das  Gebiet  mit  >  200  mm  Nieder- 
schlag im  wesentlichen  auf  die  Gebirgslagen  beschränkt  ist;  so  über- 
deckt es  die  Ardennen,  das  Yenn  und  die  Schneifei,  die  höheren 
Teile  des  Hunsrück,  das  Sauerland  und  den  Westerwald,  während  die 
Ostabdachung  des  Yenns  und  die  eigentliche  Eifel  schon  nicht  mehr 
dazu  gehören.  Innerhalb  dieser  Fläche  steigt  im  Yenn  die  Regenhöhe 
noch  bis  über  300  mm  in  den  höchsten  Lagen ;  im  Sauerland  hingegen 
findet  sich  nur  ein  kleines  Gebiet  von  >  300  mm  mit  den  Stationen 
Lennep,  Gogarten  und  Breckerfeld.  Der  Fläche  mit  <  100  mm  ge- 
hören das  Maifeld  und  die  untere  Mosel  an,  sowie  die  Rheinebene  bei 
Bingen  mit  dem  Nahethale ;  außerdem  begegnen  wir  noch  einer  kleineren 
Insel  bei  Bogel  auf  dem  rechten  Rheinufer  und  einer  größeren  im  Lee 
des  Yenns  an  der  Erft.  Bei  Auszählung  der  Orte  mit  den  extremsten 
Niederschlägen  haben  sich  die  folgenden  ergeben: 


Poncel     .     . 

.    .    351  mm 

|      Münstermaifeld .     . 

68 

Gogarten 
Malmedy 

.     .     345     „ 

1      Pressberg  .... 

72 

.     .     334     , 

Braubach  .... 

82 

Libramont   . 

.     .     325     , 

1      Laubenheim  .     .     . 

86 

Elsenborn    . 

.    .    316     , 

1      Treis,  Kammerforst 

87 

Bei  der  Frühlingskarte  springt  das  starke  Zurücktreten  der 
Fläche  mit  200  und  mehr  Millimetern  Niederschlag  in  die  Augen;  denn 
auf  der  rechten  Rheinseite  gehört  der  Westerwald  schon  nicht  mehr 
zu  diesem  Gebiete,  welches  nur  das  Sauerland  umfaßt,  in  welchem 
auch  noch  einige  kleine  Inseln  mit  >  225  mm  Regenhöhe  liegen.  Links- 
rheinisch ist  es  zunächst  das  Gebiet  des  Hoch-  und  Idarwaldes,  welches 
von  der  Isohyete  von  200  mm  umschlossen  wird,  ferner  das  hohe  Venn 
und  die  Schneifei.  Den  größten  Anteil  an  der  Karte  hat  die  Fläche 
mit  150 — 175  mm,  während  das  Gebiet  mit  >  100  mm  fast  dasselbe 
wie  in  der  Winterkarte  geblieben  ist.  Jedoch  macht  die  125  mm-Kurve 
einen  großen  Vorstoß  sowohl  nach  Westen  als  auch  nach  Norden,  in- 
dem sie  bis  fast  in  die  Gegend  von  Erkelenz  in  die  norddeutsche  Tief- 
ebene hineingreift;  auch  begegnen  wir  in  der  Südeifel  einem  Streifen 
von  <[  125  mm,  der  aber  hauptsächlich  den  Thälern  der  linken  Neben- 
flüsse der  Mosel  zukommt.  So  mögen  auch  hier  wiederum  die  fünf  regen- 
reichsten und  die  fünf  regenärmsten  Orte  wie  folgt  aufgeführt  werden: 


Hockay    .     . 

.    237  mm 

Münstermaifeld . 

.     82  mm 

Hahnenberg 

.     234     , 

Laubenheim  .     . 

.    90     , 

Rheinsfeld    . 

.    233     , 

Rüdesheim    .     . 

.    92     „ 

Gogarten 

.     232     „ 

Pressberg .     .     . 

.     93     „ 

Remscheid   . 

.     232     „ 

Lorch    .... 

.     96     „ 

Wassenach    .     . 

.    96     „ 

Im  Gegensatze  zu  den  beiden  bis  jetzt  diskutierten  Karten  er- 
streckt sich  im  Sommer  das  Gebiet  mit  }>  200  mm  Niederschlagshöhe 
über  fast  zwei  Drittel  der  ganzen  Karte,    so  daß  es  nicht  nur  auf  die 


46  P.  Polis,  [4& 

Gebirge  beschränkt  ist,  sondern  auch  noch  bedeutende  Strecken  des 
Flachlandes  umfaßt.  Mit  Ausnahme  des  Rheinthaies  bis  oberhalb  Bonnr 
der  Osteifel,  des  Soonwaldes  und  der  Ostabdachung  des  Venns,  ein- 
schließlich des  Jülicher  Landes,  begegnen  wir  überall  einer  Regenhöhe 
von  ]>  200  mm.  Selbst  die  Fläche  von  300  mm  und  darüber  hat  noch 
eine  relativ  große  Ausdehnung,  wenngleich  sie  nur  auf  die  höheren 
Lagen  des  links-  und  rechtsrheinischen  Gebirges  beschränkt  ist.  Hier 
wächst  die  Niederschlagshöhe  stark  an,  wodurch  einerseits  dem  Ebbe- 
gebirge und  anderseits  den  höchsten  Erhebungen  des  Hohen  Venn  an 
der  Luvseite  >  350  mm  zugewiesen  werden.  Eine  Fläche  mit  <  200  mm 
Niederschlag  treffen  wir  noch  in  einem  größeren  Teile  des  Flußgebietes» 
der  Sauer  an.  Mengen  von  <  100  mm  kommen  in  der  Sommerkarte 
überhaupt  nicht  vor;  wohl  aber  machen  sich  einige  relativ  trockene- 
Gebiete  bemerkbar,  so  beim  Rheinknie,  bei  Münstermaifeld  und  im 
Roerthale  bei  Jülich  einerseits  und  bei  Abenden-Hergarten  andererseits. 
Stellen  wir  auch  hier  wieder  je  fünf  Stationen  mit  der  größten  und 
kleinsten  Niederschlagshöhe  zusammen,  so  gelangen  wir  zu  folgendem 
Resultate : 


Gogarten      .     .    .  885  mm 

Barraque  Michel  .  382     , 

Meinerzhagen  .    .  374     „ 

Wegeringhausen  .  374     „ 

Niederwipper   .     .  371     , 


Kammerforst    .     .  118  mm 

Stromberg   ...  144    , 

Lorch 145     „ 

Jülich 146     , 

Rüdesheim  ...  148     , 


Was  nun  schließlich  die  Herbstkarte  anbetrifft,  so  hat  die- 
selbe die  größte  Aehnlichkeit  mit  der  des  Winters,  nur  daß  die  Fläche- 
mit  >  200  mm  an  Gebiet  gewonnen  hat,  indem  sie  auf  dem  rechten 
Rheinufer  noch  die  Ausläufer  des  Wester waldes  einschließt,  und  auf 
dem  linken  einen  großen  Teil  der  Westeifel,  sowie  nordwärts  noch 
weiter  in  die  Tiefebene  hineingreift.  Auch  der  Kamm  des  Villengebirges- 
hat  ^>  200  mm ,  wie  dies  aus  den  Messungen  von  Bergheim  hervor- 
geht, ferner  der  Bergkegel  bei  Gornhausen.  Sowohl  die  höchsten  Er- 
hebungen des  Hohen  Venns  als  auch  das  Ebbegebirge,  ferner  die 
Station  Gogarten  auf  den  Bergischen  Höhen  weisen  >  300  mm  auf. 
Was  nun  die  Trockengebiete  anbelangt,  so  sinkt  in  denselben  die 
Nied^rschlagshöhe  nirgends  unter  100  mm  hinab.  Selbst  das  Gebiet 
von  >  125  mm  beschränkt  sich  nur  auf  den  untersten  Teil  des  Mosel- 
thales ,  weiter  das  Rheinknie  bei  Geisenheim,  einschließlich  eines  Teile* 
des  Flußgebietes  der  Nahe.  Ein  Vergleich  der  fünf  niederschlags- 
reichsten und  der  fünf  niederschlagsärmsten  Orte  zeigt  uns  folgendes  i 


Poncel     .    .    .     . 

403  mm 

Kammerforst    . 

.     104  mm 

Barraque  Michel  . 

347     , 

Winterbach .     . 

.     114     . 

Hockay    .     .     .     . 

346     , 

Laubenheim 

.     116     , 

Mühlenbach      .     . 

337     „ 

Gemünden   .    . 

.     122     „ 

Gogarten      .     .     . 

333     „ 

Lorch .... 

.     123     , 

b)  Relative  Werte  in  Prozenten  der  Jahrsumme.  Diese 
vorbesprochenen  Karten  der  absoluten  Mengen  gewähren  jedoch  kein 
Bild  über  den  Einfluß,  den  die  Gebirge  auf  die  jährliche  Niederschlags- 
verteilung  ausüben.     Um   diesen  zu  charakterisieren,    muß  man  sich. 


47]  Die  Niederschlagsverhältnisse  der  mittleren  Rheinprovinz  u.  d.  Nachbargeb.     47 

wie  in  den  früheren  Abschnitten  bereits  erwähnt,  der  prozentarischen 
Werte  bedienen.  Das  ist  nun  bei  den  Stationen  mit  längeren  Beob- 
achtungsreihen bereits  geschehen,  woraus  wir  den  großen  Einfluß  der 
Gebirge  auf  die  Aenderung  derselben  erkannt  haben.  Es  schien  daher 
lohnend,  auch  die  prozentarischen  Werte  der  einzelnen  Jahreszeiten 
kartographisch  darzustellen. 

Bei  diesen  Karten  wurden  Abstufungen  von  2°/o  zu  2°/o  inne- 
gehalten ;  ferner  ermöglicht  uns  diese  Darstellung  auch,  den  Anteil  der 
relativ  zu  viel  oder  zu  wenig  gefallenen  Wassermengen  während  der 
einzelnen  Jahreszeiten  zu  erkennen,  deren  Grenze  durch  die  Isohyeten 
von  24  °/o  resp.  26  °/o  gegeben  sind.  Die  verschiedenen  Faktoren,  welche 
die  Niederschlagsverteilung  beeinflussen,  namentlich  Luv-  und  Leeseite, 
Stauung  der  Luft  etc.,  sind  zum  Teil  schon  an  früherer  Stelle  ein- 
gehend besprochen  worden,  zum  Teil  wird  es  noch  späterhin  erfolgen, 
so  daß  wir  uns  hier  nur  mehr  mit  der  geographischen  Verteilung  zu 
befassen  haben.  Nun  brauchen  wir  nur  noch  die  aus  S.  43 — 44  ge- 
zogenen Schlußfolgerungen,  besonders  diejenigen  aus  den  langjährigen 
Summen,  mit  der  geographischen  Verteilung  in  Zusammenhang  zu 
bringen. 

Die  Gebirge  weisen  im  Gegensatz  zum  Flachland,  wie  uns  die 
Eifel  und  die  Bergischen  Höhen  lehren,  eine  besondere  Zunahme  der 
Winterregen  auf,  dessen  Anteil  auf  dem  Hohen  Venn  bis  zu  30  °/o  der 
Jahrsumme  erreicht,  obschon  die  Sommerregen  eher  noch  die  Winter- 
niederschläge absolut  genommen  an  Quantität  übertreffen.  Umgekehrt 
haben  sie  im  Frühjahr  ein  ausgesprochenes  Minimum,  indem  gerade 
die  höchsten  Erhebungen  der  vorgenannten  Gebirgsstöcke  um  diese  Zeit 
am  wenigsten  mit  Niederschlägen  bedacht  werden.  Dem  Herbste  hin- 
gegen, der  als  die  gleichmäßigste  Jahreszeit  charakterisiert  ist,  fällt 
bezüglich  der  relativen  Verteilung  die  normale  Menge  zu ;  jedoch  macht 
sich  auch  hier  das  schon  früher  erwähnte  Oktobermaximum  bei  den 
Ausläufern  der  Ardennen  durch  die  Zunahme  der  relativen  Menge  be- 
merkbar. 

Eine  Ausnahme  hiervon  macht  der  Hunsrück,  der  neben  dem 
ausgesprochenen  Wintermaximum  auch  im  Frühjahr  reichlich  mit  Nieder- 
schlägen bedacht  wird,  deren  Ursache,  wie  wir  später  sehen  werden, 
in  der  Aenderung  der  Windrichtung  während  der  einzelnen  Jahreszeiten 
zu  suchen  ist.  Der  Herbst  ist  für  dieses  Gebiet  die  trockenste  Jahres- 
zeit, indem  auf-  den  höchsten  Erhebungen  der  Anteil  bis  unter  22  °  o 
sinkt,  während  im  Sommer  nur  dem  Flachlande  gegenüber  wenig  Regen, 
absolut  jedoch,  gerade  wie  die  Eifel  und  die  Bergischen  Höhen,  am 
meisten  Niederschlag  zufällt. 

Die  beiden  Hauptflußthäler,  nämlich  das  des  Rheines  und  der 
Mosel,  weisen  hingegen  völlige  Umkehrung  von  den  Verhältnissen  der 
vorbesprochenen  Gebirge  auf,  wie  wir  dies  auch  schon  S.  43  ff.  zu 
beobachten  Gelegenheit  hatten.  Namentlich  sind  sie  durch  die  relativ 
geringen  Niederschläge  in  der  kalten  Jahreszeit  ausgezeichnet,  deren 
Minimum,  hauptsächlich  im  Lee,  unter  18°/o  des  Jahresanteiles  her- 
untersinkt. Im  Sommer  haben  sie  jedoch  den  größten  Regenreichtum 
zu   verzeichnen,   alsdann  finden  wir   in   dem  Gebiete,   wo  wir  in   der 


48  P-  Polie,  [48 

kalten  Jahreszeit  18°/o  und  weniger  antreffen,  Niederschlagsmengen 
von  36°/o  und  mehr,  so  daß  gewissermaßen  die  Leeseite  des  Hohen 
Venns  und  der  Eifel,  also  das  Flußgebiet  der  oberen  Erft,  der  Mittel- 
lauf der  Mosel  und  das  Maifeld  die  krassesten  Gegensätze  zwischen 
Winter  und  Sommer  aufweisen.  Das  Frühjahr  ist  gleichfalls  ftir  das 
Moselthal  und  den  Mittellauf  des  Rheines  ausgezeichnet  durch  relativ 
geringe  Regenmengen,  während  wir  dies  oberhalb  von  Neuwied  nicht 
mehr  finden.  Den  Herbst  charakterisiert  auch  hier  eine  möglichst 
große  Gleichmäßigkeit;  jedoch  haben  im  Gegensatze  zum  Frühling  die 
Thäler  einen  größeren  Anteil  an  den  Herbstregen. 

In  der  eigentlichen  norddeutschen  Tiefebene  müssen  sich  natur- 
gemäß die  durch  die  Gebirge  hervorgerufenen  Aenderungen  des  jähr- 
lichen Verlaufes  möglichst  ausgleichen.  Wir  werden  daher  also  ge- 
ringere Schwankungen  im  Jahresverlaufe ,  sowie  mehr  Sommerregen 
antreffen,  wie  dies  auch  die  Karten  bestätigen. 

3.  Meteorologisch-geographische  Begründung  der  Niederschlags- 
schwankungen in  der  jährlichen  Verteilung. 

In  den  beiden  vorhergehenden  Abschnitten  haben  wir  uns  mit 
dem  jährlichen  Verlaufe  der  Niederschlagshöhe  eingehend  beschäftigt 
und  daraus  die  verschiedenen  Schwankungen  während  der  einzelnen 
Jahreszeiten,  sowie  die  Beeinflussung  durch  die  Gebirge,  ersehen.  Es 
muß  nun  unser  Bestreben  darauf  gerichtet  sein,  einmal  an  Hand  der 
herrschenden  Luftdruck-  und  Windverhältnisse,  sowie  weiter  unter  Zu- 
hilfenahme der  Temperatur-,  Feuchtigkeitsbeobachtungen  u.  s.  w.  eine 
möglichst  genaue  meteorologische  Begründung  zu  geben. 

Wie  wir  schon  S.  26  erörtert  haben,  ist  der  ozeanische  Einfluß 
am  stärksten  während  der  Sommer-  und  Winterzeit  ausgeprägt,  während 
er  im  Herbst  und  im  Frühjahre  zurücktritt.  Es  werden  daher  in  der 
eigentlichen  Winter-  und  Sommerzeit  weit  mehr  Niederschläge  als  in 
den  Frühlings-  und  Herbstmonaten  fallen,  was  ganz  im  Einklänge  mit 
unseren  Ergebnissen  steht. 

Die  Niederschlagsbildung  hängt  nicht  nur  von  den  Luftdruck  - 
und  Windverhältnissen  allein,  sondern  auch  von  der  Temperatur  und 
dem  der  Luft  beigemengten  Wasserdampfgehalte  ab.  Denn  je  höher 
die  Temperatur,  um  so  mehr  Wasserdampf  kann  sie  aufnehmen ;  es  wird 
daher  die  relative  Feuchtigkeit  in  der  warmen  Jahreszeit  geringer,  als 
in  der  kalten  sein. 

Aufschlüsse  in  dieser  Hinsicht  gewähren  uns  Beobachtungen 
der  Temperatur,  der  absoluten  und  relativen  Feuchtigkeit. 
Für  die  Eifel  sei  dies  an  einem  Beispiele  erläutert.  Zu  diesem  Zwecke 
wurden  von  den  Orten  Aachen  als  Luvstation,  Neuwied  als  Leestation 
und  Schneifelforsthaus  bezw.  Hollerath  als  Höhenstationen  die  Resul- 
tate aus  den  entsprechenden  Beobachtungen  während  der  Jahre  1889 
bis  1893  abgeleitet.  Leider  werden  an  Stationen  III.  Ordnung  keine 
Feuchtigkeitswerte  gemessen,  weshalb  letztere  von  Schneifelforsthaus 
nicht  vorliegen.  Noch  deutlicher  charakterisiert  den  Gang  der  Feuch- 
tigkeit das  sogenannte  Sättigungsdefizit  der  Luft,  d.  h.  diejenige  Dampf- 


49]    Die  Niederschlagsverhaltnisse  der  mittleren  Rheinprovinz  u.  d.  Nachbar  geb.     49 

menge,  welche  an  der  Sättigung  der  Luft  unter  den  gegebenen  Um- 
ständen noch  fehlt ;  diese  Größe  wurde  ebenfalls  für  die  drei  Stationen 
Aachen,  Neuwied,  Hollerath  ermittelt 

Betrachten  wir  zunächst  die  Stationen  der  Ebene,  Neuwied  und 
Aachen,  so  sehen  wir,  daß  in  der  warmen  Jahreszeit  das  Sättigungs- 
defizit der  Luft  am  größten,  in  der  kalten  am  geringsten  ist;  es  wird 
daher  a  priori  am  meisten  Arbeitsleistung,  um  Wasserdampf  zur  Kon- 
densation zu  bringen,  in  der  Sommerzeit  notwendig  sein.  Dem  gegen- 
über steht  jedoch  die  kräftige  Insolation  im  Sommer,  welche  die  Erd- 
oberfläche und  damit  die  untersten  Luftschichten  stark  erwärmt  und  auf 
diese  Weise  Veranlassung  zu  Störungen  des  Gleichgewichts  der  Luft, 
also  zu  Vertikalströmungen  giebt.  Am  meisten  müssen  sich  nun  solche 
aufsteigenden  Ströme  zur  Zeit  des  höchsten  Sonnenstandes  im  Monat 

Tabelle  13. 
Ergebnisse  der  meteorologischen  Beobachtungen  1888  —  93. 


Seehöhe  177  m  Aachen  .  . 

617   „  Hollerath. 

657   „  Schneifel- 

forsthaus 

,  68   »  Neuwied  . 


Aachen.  . 
Hollerath 
Neuwied  . 


0,9 
-2,4 

2,9 
[-0,9 


4,8 
3,9 
4,0 


2,2 

-0,8 

•1,5 
1,3 


Temperatur  (1889- 


Aachen [84 

Hollerath 1  92 

Neuwied jj  86 

I, 

Aachen "  0,7 

Hollerath 'j  0,3 

Neuwied I'  0,5 


4,8 
1,5 

1,0 
4,3 


8,4 
6,2 

5,6 

8,6 


14,2 
11,9 

11,0 
14,5 


16,5 
14,5 

13,4 
16,8 


16,8 
15,1 

13,4 
17,3 


17,1 
14,9 

13,9 
17,8 


14,3 
12,1 

11,2 
13,8 


10,0 
7,3 

6,6 
9,4 


5,3 
2,8 

1,8 
4,3 


4,3 
3,9 
4,2 


1,1 
0,4 
0,8 


Absolute  Feuchtigkeit 


(1888—93) 


4,8 
4,6 
4,9 


5,6 
5,6 
5,6 


7,9 
8,1 
8,4 


9,8 
10,0 
10,4 


10,1 
10,5 
10,9 


10,4 
10,7 
1U 


9,3 
9,3 
9,6 


7,1 
6,9 

7,4 


5,8 
5,3 
5,6 


Relative  Feuchtigkeit  (1888—93) 


70 

72 

72 

75 

78 

82 

74 

79 

78 

81 

87 

92 

72 

75 

77 

80 

84 

85 

Sättigungsdefizit  (1888-93) 


2,1 
2,4 

2,4 


4,2 
3,0 
3,6 


4,3 
3,0 
4,2 


4,2 
2,7 
3,7 


4,3 
2,7 
3,3 


3,0 
2,1 
2,4 


1,9 
0,9 
1.5 


1,3 

0,7 
1,1 


0,7 
-2,6 

-3,1 
-0,2 


4,4 
3,9 
4,2 


1,1 

0,3 
0,4 


9,3 
6,7 

5,9 

8,9 


7,0 
6,9 
7,2 


75 

83 
79 


2,5 
1,7 
2,2 


Aachen-Hollerath 

(AH  =  440  m) 
Neuwied-Hollerath 

(AH  =  549  m) 
Aachen-Schneifelforsthaus . 

(AH  =  480  m) 
Neuwied-Schneifelforsthaus 

(AH  =  589  m) 


Forschungen  zur  deutschen  Landes-  und  Volkskunde.    XII.   1. 


3,3 

3,0 

1 
3,3 

'em 
2,2 

pera 
2,3 

iura! 
2,0 

)nah 
1,7 

me  < 
2,2 

1889 
2,2 

-93 
2,7 

) 
3,0 

3,3 

1,5 

2,1 

2,8 

2,4 

2,6 

2,3 

2,2 

2,4 

1,7 

2,1 

2,0 

2,4 

3,8 

3,7 

3,8 

2,8 

3,2 

3,1 

3,4 

3,2 

3,1 

3,4 

3,5 

3,8 

2,0 

2,8 

3,3 

3,0 

3,5 

3,4 

3,9 

3,4 

2,6 

2,8 

2,5 

2,9 

2,6 
2,2 
3,4 
3,0 


50 


P.  Polis, 


[50 


Tabelle  14. 
Aachen  1869—70  und  1873—95. 


3 

a 

E 

1 

3 

< 

"3 

s 

1 

■8 

1 

< 

f 

GG 

O 

u 

I 

U 

■s 

Q 

Mittl.  Niederschlag8maximnm 

17,6 

15,2 

15,1 

12,6 

14,0 

17,8 

23,2 

19,6 

15,9 

22,0 

19,0 

18,4 

Absolutes             „ 

28.3 

30,0 

80,3 

24,9 

34,3 

75,0 

62,4 

55,8 

53,7 

43,8 

49,4 

43,8 

Niederschlagsdichtigkeit  .  .  . 

4,8 

4,5 

4,5 

4,4 

4* 

4,8 

5,2 

5,2 

5,5 

4,6 

4,5 

5,4 

Gewitterhäufigkeit  (1873—95) 

0,2 

0,1 

0,5 

0,8 

8 

4 

5 

3 

2 

1 

0,1 

0,1 

Juni  und  Juli  bilden.  Wir  werden  also  in  jener  Jahreszeit  die  meisten 
Gewitter  zu  gewärtigen  haben , '  wie  dies  die  Zusammenstellung  für 
Aachen  lehrt.  Entsprechend  den  mit  den  Gewittern  verbundenen  Platz- 
regen begegnen  wir  in  den  Sommermonaten  den  größten  Werten  der 
mittleren  und  absoluten  Maxima.  Im  engsten  Anschlüsse  daran  ist 
auch  die  Niederschlagsdichtigkeit,  die  man  aus  der  Division  der  mitt- 
leren Anzahl  der  Niederschlagstage  in  die  Monatsmenge  erhält,  in  der 
warmen  Jahreszeit  am  größten.  Es  fallen  also  für  die  Ebene  die  größten 
monatlichen  Niederschlagsmengen  mit  dem  Maximum  der  Gewitter- 
häufigkeit zusammen.  Trennen  wir  die  Gewitter  nach  einzelnen  De- 
kaden ab,  so  ergiebt  sich  für  Aachen  als  gewitterreichste  Zeit  die  vom 
30.  Juli  bis  8.  August;  es  erklärt  sich  hierdurch  ebenfalls  der  große 
Regenreichtum  des  August,  als  auch  die  öftere  Verschiebung  des  Regen- 
maximums vom  Juli  auf  den  August  und  umgekehrt. 

Tabelle  15. 
Gewittertage   zu  Aachen   nach   Dekaden   1833 — 92. 


Juni 

Juli 

August 

Gewittertage 
nach.  .  .  . 

Dekaden 
1833—92  . 

1 

31—9 

62 

10-19 
45 

20-29 
47 

30-9 
57 

10-19 
55 

20-29 
57 

30—8 
68 

9—18 
55 

19—28 
45 

Betrachten  wir  andererseits  die  beiden  trockensten  Monate  Februar 
und  April,  so  zeichnet  sich  ersterer  Monat  durch  eine  derartige  Luft- 
druckverteilung aus,  die  der  Niederschlagsbildung  hindernd  entgegen- 
tritt. Denn  die  nachstehende  Zusammenstellung,  Tabelle  16,  der 
Luftdruckmittel    und    Cyklonenfrequenz l)   für  Aachen    weist 

*)  Die  in  der  Tabelle  dargestellte  Häufigkeit  der  Cyklonen  bei  den  ein- 
zelnen Gradientenrichtungen  für  Aachen  1880—90  ist  meiner  Arbeit*)  »Zur  Theorie 
der  Cyklonen  und  Anti cyklonen*  entnommen;  man  ersieht  deutlich  aus  derselben 
die  Zunahme  der  cyklonalen  S — SE-Gradienten,  also  südlich  vorüberziehender  De- 
pressionen, während  der  Monate  März  bis  Mai,  welche  auf  die  Niederschlags bildung 
bei  östlichen  Luftströmungen,  der  Aenderung  der  Luvseite,  wovon  später  die  Rede, 
von  größtem  Einflüsse  ist. 

•)  Aus  dem  Archiv  der  Deutschen  Seewarte  1899,  Bd.  22,  Nr.  2. 


51]  Die  Nieder8chlag8verh&ltnißse  der  mittleren  Rheinprovinz  u.  d.  Nachbargeb.     5 1 

Tabelle  16. 
Cyklonenfrequenz  Aachen   1880  —  90. 


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20 

17 

34 

23 

23 

30 

31 

41 

27 

44 

24 

43 

NW  .  .  . 

34 

22 

35 

26 

32 

19 

43 

32 

25 

36 

48 

38 

W  .  .  .  . 

13 

6 

14 

17 

20 

8 

3 

4 

7 

8 

10 

9 

SW   .  .  .  ! 

4 

5 

2 

9 

2 

2 

— 

2 

2 

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3 

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3 

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9 

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7 

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11 

23 

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4 

6 

5 

1 

6 

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NE    ... 

4 

5 

4 

8 

6 

5 

2 

3 

3 

2 

3 

6 

8 

14 

17 

19 

16 

11 

18 

14 

7 

20 

10 

14 

Summe 

89 

84 

122 

147  |  115 

82 

98 

101 

78 

126 

106 

121 

1 

Luftdruckmittel  1869—1 

)5. 

1 

746,0 

746,1 

744,1 

743,6 

745,1 

746,2 

745,6 

745,5 

746,41  744,J|  744,41 745,2 
1          1          1 

jenem  Monate  hohen  Barometerstand  und  sehr  geringe  Cyklonenhäufig- 
keit  zu;  dies  dürfte  daher  die  wenig  ergiebigen  Niederschläge  sowohl 
für  die  Ebene  als  für  das  Gebirge  genügend  erklären.  Ebenfalls  steht 
die  Witterung  des  September  am  wenigsten  unter  der  Herrschaft  der 
Cyklonen,  wogegen  die  östlichen  Anticyklonen  anwachsen  und  damit 
Trockenheit  bedingen. 

Etwas  schwieriger  ist  jedoch  die  Trockenheit  des  April  und 
Mai  zu  begründen,  da  jene  Monate  am  meisten  von  den  Cyklonen  heim- 
gesucht und  demgemäß  auch  sehr  niedrigen  Luftdruck  im  Mittel  auf- 
weisen. Die  Ursache  dieser  Cyklonenfrequenz  in  jenen  Monaten  ist 
auf  das  häufige  Einschlagen  der  Zugstraße  Va,  die  durch  Frankreich 
nach  dem  Mittelmeere  läuft,  zurückzuführen.  Diese  Zugstraße  bedingt 
ihrerseits  NE-  und  E- Winde,  die  natürlich  weit  weniger  Wasserdarapf 
(siehe  auch  Feuchtigkeit  im  April  und  Mai)  mit  sich  führen  und  daher 
keinen  besonderen  Anlaß  zur  Niederschlagsbildung  geben  werden. 

Es  erübrigt  jetzt  noch,  den  Einfluß,  den  die  Gebirge  auf 
die  jährliche  Verteilung  der  Niederschlagsbildung  aus- 
üben, näher  zu  erörtern.  Ein  das  Gebirge  treffender  Luftstrom  wird  natür- 
lich zu  allen  Jahreszeiten  dieselbe  Hebung  erfahren,  wohl  jedoch  kann 
ein  wechselnder  Feuchtigkeitsgehalt  in  Verbindung  mit  dem  Luftdrucke 
auch  Aenderungen  in  der  Niederschlagsverteilung  bedingen.  Der  Ein- 
fluß, den  ein  Gebirge  auf  die  Niederschlagsverteilung  ausübt,  besteht, 
wie  wir  früher  gesehen  haben,  in  einer  Vermehrung  der  Winter-  und 
Herbstniederschläge,  in  einer  Verminderung  der  Frühlings-  und  Sommer- 
regen. Was  zunächst  die  großen  Niederschläge  in  der  kalten  Jahres- 
zeit anbelangt,  so  giebt  uns  auch  hier  die  Höhe  des  Sättigungsdefizits 
Aufschluß;  dasselbe  ist  nämlich  in  den  Herbst-  und  Wintermonaten 
am  geringsten,    und  zwar  in  der  Höhe   (siehe  Hollerath)  noch  kleiner 


52  P.  PoliB,  [52 

als  in  der  Ebene  (siehe  Aachen,  Neuwied) ;  es  wird  also  ein  Luftstrom 
beim  Emporsteigen  des  großen  Feuchtigkeitsgehaltes  wegen  weit  eher 
die  Veranlassung  zur  Regenbildung  geben,  als  bei  großem  Sättigungs- 
defizit während  der  Sommerzeit.  Diejenigen  Monate  sind  die  nieder- 
schlagsreichsten, wo  die  Cyklonenfrequenz  am  größten  ist,  da  hier  alle 
Faktoren  zusammenwirken,  nämlich  aufsteigende  Ströme  und  mit  Wasser- 
dampf beladene  Luft.  Dies  ist  besonders  im  Oktober  (größte  Cyklonen- 
frequenz) und  Dezember  der  Fall,  wie  uns  ein  Vergleich  der  oben  an- 
geführten Tabelle  16  der  Cyklonenfrequenz  in  Verbindung  mit  den 
Feuchtigkeitsbeobachtungen  (Tab.  13)  lehrt.  Dadurch  erhält  das  Oktober- 
maximum und  die  großen  Niederschläge  im  Dezember,  die  sowohl  dem 
rheinischen  Schiefergebirge  als  auch  ersteres,  z.  B.  den  Vogesen *),  eigen 
ist,  seine  Begründung.  Der  März  jedoch,  der  ebenfalls  sehr  gerne  von 
den  Cyklonen  besucht  wird,  weist  aus  dem  Grunde  weit  weniger  Nieder- 
schlag auf,  weil  in  jenem  Monate  öfter  die  südlich  vorüberziehenden 
Zugstraßen  von  den  Depressionen  eingeschlagen  werden,  die  NE-Winde 
bedingen,  womit  auch  die  Abnahme  der  Feuchtigkeit  im  vollsten  Ein- 
klänge steht  (siehe  Tab.  13).  Diese  Häufigkeit  der  NE-Winde  im 
Frühjahr  mögen  vielleicht  auch  die  Ausnahmestellung  des  Hunsrücks 
erklären,  der  neben  den  ausgesprochenen  Maxima  in  der  Winterzeit 
und  Minima  in  der  Sommerzeit,  relativ  viel  Regen  im  Frühjahr  em- 
pfängt; er  wird  eben  von  den  Nordostwinden  viel  leichter  erreicht, 
als  die  Westseiten  der  Eifel  und  des  Venns ,  die  sich  darum  für  das 
erstere  Gebirge  als  regenbringende  erweisen.  Umgekehrt  werden  diesen 
an  sich  schon  trockenen  NE-Winden  durch  Herabsteigen  von  den  Bergi- 
schen Höhen,  dem  Westerwald  und  dem  Taunus,  noch  mehr  Feuchtig- 
keit entzogen,  was  noch  eine  weitere  Verminderung  der  Regensumme 
für  die  beiden  Hauptflußthäler  des  Rheins  und  der  Mosel  bewirkt.  An 
der  Ostabdachung  des  Venns  und  der  Eifel  werden  sie  jedoch  wiederum 
gezwungen  emporzusteigen,  und  können  damit  Veranlassung  zu  Regen- 
bildung geben.  In  der  warmen  Jahreszeit  hingegen  ist  die  Entstehung 
der  Niederschläge,  wie  oben  erwähnt,  viel  mehr  an  die  lokalen  Bildungen 
aufsteigender  Ströme,  und  daher  der  Gewitter  größtenteils  gebunden; 
für  diese  liegen  die  Verhältnisse  in  den  Gebirgen  nicht  so  günstig, 
was  eine  Verringerung  der  Regenhöhe  während  der  warmen  Jahreszeit 
dortselbst  zur  Folge  hat. 

Endlich  ist  noch  die  Frage  zu  erläutern,  welchen  Einfluß  Luv- 
und  Leeseite  auf  die  Niederschlagsverteilung  während  der 
einzelnen  Jahreszeiten  ausüben.  Die  Faktoren,  die  die  Temperatur- 
verhältnisse und  auch  die  Niederschlagsbildung  an  Luv-  und  Leeseite 
beeinflussen,  sind  folgende: 

Für  unsere  Gegenden  ist  der  vorherrschenden  westlichen  Winde 
wegen  die  Luvseite  eine  südwestliche  bis  westliche ;  infolge  des  Schutzes 
gegen  die  kalten  NE-  und  E- Winde  (die  E- Winde  werden  beim  Ab- 
steigen vom  Venn  und  der  Eifel  dynamisch  erwärmt),  günstigeren  Lage 
zur  Insolation,  größere  Nähe  zum  Meere,  ist  sie  als  die  thermisch  bevor- 
zugte anzusehen.     Dazu  kommt  noch   der  öfteren  Kondensation  wegen 


J)  Rubel,    Die   Niederschlagsverhältnisse    im  Oberelsaß.     Stuttgart   1895. 


531  Die  Niederschlagsverhältnisse  der  mittleren  Rheinprovinz  u.  d.  Nachbargeb.     53 

eine  größere  Bewölkung,  die  während  des  Winters  die  Ausstrahlung 
verringert,  im  Sommer  jedoch  der  Einstrahlung  hindernd  entgegentritt. 
Deutlich  sehen  wir  dies  an  der  Temperaturtabelle  (13)  Aachen-Neuwied; 
in  der  kalten  Jahreszeit  besitzt  Aachen  eine  bedeutend  höhere  Tem- 
peratur; erst  in  den  eigentlichen  Sommermonaten,  Mai  bis  August,  kehren 
sich  die  Verhältnisse  um,  indem  dann  der  kräftigeren  Insolation  und 
der  weiteren  Entfernung  vom  Meere  wegen  der  kontinentalere  Charakter, 
höherer  Temperatur  in  der  heißen  Jahreszeit  für  Neuwied  zu  Tage 
tritt.  Es  macht  sich  also  für  die  Luvseite  der  Eifel  und  des  Venns 
eine  Abstumpfung  der  Wärmeextreme  bemerkbar.  An  der  Leeseite 
werden  natürlich  in  der  kalten  Jahreszeit  die  Gegensätze  verschärft; 
denn  einmal  gewährt  das  Rheinthal  den  kalten  NE-Winden  ungehin- 
derten Zutritt,  weiter  wird  die  Verminderung  der  Bewölkung  im  Winter 
und  der  damit  verbundenen  ungehinderten  Wärmeausstrahlung  die  Tem- 
peratur noch  mehr  herunterdrücken,  im  Sommer  jedoch  die  Erhitzung 
des  Bodens  und  der  Luft  befördern,  womit  im  engsten  Zusammenhange 
die  zuerst  von  Aßmann1)  betonte  größere  Gewitterhäufigkeit  an  der 
Leeseite  im  Gegensatze  zur  Luvseite  steht.  Bildet  man  den  Tempe- 
raturunterschied zwischen  Ebene  und  Höhe  für  Luv-  und  Leeseite  (siehe 
Tabelle  13),  so  macht  sich  ein  diametraler,  jährlicher  Verlauf  in  der 
Kurve  bemerkbar.  An  der  Luvseite  ist  die  Wärmeabnahme  in  der 
kalten  Jahreszeit,  an  der  Leeseite  jedoch  in  der  warmen  Jahreszeit  am 
größten;  es  ist  dies,  wie  wir  schon  oben  sahen,  eine  Folge  der  ther- 
misch bevorzugten  Lage  der  Luvseite  in  der  kalten  Jahreszeit.  Wir 
können  diese  Verhältnisse  dahin  aussprechen,  daß  das  Gebirge  eine 
Verschärfung  der  Temperaturgegensätze  an  der  Leeseite  und  umgekehrt 
eine  Milderung  an  der  Luvseite  bedingt.  Der  Einfluß  in  der  Nieder- 
schlagsbildung äußert  sich  nun  darin,  daß,  infolge  des  größeren  Wasser- 
dampfgehaltes der  Luft  im  Winter  die  Niederschläge  auf  der  Luvseite, 
im  Sommer  jedoch  infolge  der  öfteren  Gewitterbildung  auf  der  Leeseite 
vermehrt  werden ;  umgekehrt  tritt  auf  der  Luvseite  eine  Verminderung 
der  Sommer-  und  auf  der  Leeseite  eine  solche  der  Winterregen  ein, 
was  auch  die  Karten  bestätigen. 

Besonders  deutlich  ist  dieses  auf  der  Luv-  und  Leeseite  der  Eifel 
und  des  Hohen  Venns  erkennbar.  Auf  der  Luvseite  steigt  während 
der  Wintermonate  die  Regensumme  bis  zu  30  °/o  an,  während  die  Lee- 
seite selbst  in  Höhen  von  etwa  500  m  sich  als  relativ  trocken  erweist 
(20°/o).  Betrachten  wir  hingegen  die  Sommerkarte,  so  macht  sich  das 
aus  theoretischen  Gründen  gefaßte  Resultat  der  Zunahme  der  Nieder- 
schläge auf  der  Leeseite  durch  Vorrücken  der  30  bez.  32  Isohyete 
(gegen  Westen)  aufs  schärfste  bemerkbar. 

Außer  der  durch  die  Luv-  und  Leeseite  besprochenen  Einwirkung 
auf  die  Niederschlagsverteilung  kommt  noch  die  jahreszeitliche  Aen- 
derung  der  herrschenden  Windrichtung,  die  ihrerseits  wieder 
einen  Wechsel  in  der  Luv-  und  Leeseite  mit  sich  bringen  wird. 
Da  die  Kenntnis  in  der  jährlichen  Verteilung  der  Windrichtung  für  uns 
von    der   größten  Wichtigkeit  ist,   so  wollen  wir   die   drei  Hauptkom- 


!)  Aßmann,   Die  Gewitter  in  Mitteldeutschland.    Halle  1885.  S.  41. 


54 


P.  Polia, 


[54 


ponenten,  die  den  meisten  Einfluß  auf  die  Regenverteilung  haben,  wenig- 
stens für  die  Station  Aachen  näher  betrachten.  Die  beigebene  gra- 
phische Darstellung  veranschaulicht  die  Häufigkeit  der  Südwinde,  Nord- 
westwinde und  Nordostwinde  in  entsprechender  Weise.  Aus  derselben 
ist  zunächst  ersichtlich,  daß  während  der  Winter-  und  Herbstzeit  die 
größte  Häufigkeit  die  der  Südwestwinde  mit  einem  Maximum  im  No- 
vember ist.  Von  dort  nimmt  die  Kurve  bis  zum  Juni  fortwährend  ab, 
in  welchem  Monat  zugleich  das  Maximum  der  Nordwestwinde  fällt; 
letztere  treten  meistens  während  der  eigentlichen  Sommermonate  auf. 
Betrachten  wir  endlich  die  NE-Winde,  so  zeigt  sich,  daß  die  Monate 
März,  April  und  Mai  den  anderen  gegenüber  durch  das  öftere  Vor- 
kommen derselben  gekennzeichnet  sind.    Vom  Mai  ab  sinkt  die  Kurve 


Windverteilung  zu  Aachen    1869 — 95. 
J.      F.     M.     A.    M.     Jn.    JL     A.     5.      O.     Ar.    D. 


30 

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nochmals,  um  im  September  ein  wenig  anzusteigen,  das  zugleich  mit 
einer  Abnahme  der  Südwestwinde  zusammenfällt.  Die  Ursache  in  der 
jährlichen  Verteilung  ist  in  der  Aenderung  des  Luftdrucks  zu  suchen, 
worauf  wir  schon  oben  hingewiesen  haben  (vergl.  auch  Tabelle  16  der 
Cyklonenfrequenz). 

Nach  unseren  vorhergehenden  theoretischen  Erörterungen  wird  also 
während  des  Winterhalbjahres,  Oktober  bis  Februar  einschl.,  die  Luvseite 
nach  Südwest,  während  der  Sommermonate  Mai  bis  August  einschl.  jedoch 
nach  Nordwest  verschoben,  während  im  Frühjahre  die  Nordost-  und 
Ostseite  der  Gebirge  wenigstens  sekundär  zur  Luvseite  wird.  Es  würden 
also  im  Winter  und  Herbst  die  an  den  Südwestabhängen  der  Gebirgs- 
züge liegenden  Stationen  im  Gegensatze  zu  den  Nordwest  befindlichen 
prozentarisch  mehr  Regen  empfangen,  und  umgekehrt,  während  der 
Sommerzeit  die  an  der  Nordwestseite  gelegenen.  Im  Frühjahre  jedoch 
müßten  die  auf  der  Leeseite,  also  am  Nordost-  und  Ostabhange,  eine 
Zunahme  der  prozentarischen  Regenmenge  gegenüber  den  auf  der  Luv- 
seite aufweisen.  Diese  Verhältnisse  werden  am  stärksten  an  der  Eifel 
und    dem    Hohen   Venn   hervortreten,    während    der    Hunsrück    durch 


55]   Die  Niederschlagsverhaltnisse  der  mittleren  Rheinprovinz  u.  d.  Nachbargeb.     55 


Tabelle  17. 
Niederschlagsmenge  in   Prozenten   der  Jahressumme. 


Stationen 


I 

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2 

I 


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8 

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I 

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1 

I 


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■8 
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Eifel,  Venn 
Kalterherberg , 
Malmedy.  .  .  . 
Elsenborn  .  .  . 


Aachen, 
Kötgen  , 
Eupen 


Luvseite  SW 


30 

17 

29 

32 

17 

27 

29 

20 

28 

24 
24 
23 


Luvseite  NW 


26 

20 

80 

27 

21 

27 

26 

20 

29 

24 
25 
25 


Düren  .... 
Münatereifel . 
Zingsheim  .  . 
Schmidtheim 
Eelberg  .  .  . 
Gerolstein  .  . 


Leeseite  NE— E 


22 

19 

32 

17 

21 

35 

20 

22 

30 

24 

22 

29 

22 

20 

32 

22 

22 

30 

27 
27 
28 
25 
26 


ersteres  Gebirge .  zu  sehr  beschattet  wird.  Die  Lage  des  Kothaargebirges 
und  des  Westerwaldes  jedoch  werden  für  Nordwest-  und  Südwest- 
winde keine  besondere  Aenderung  in  der  Luvseite  hervorrufen.  Ordnen 
wir  für  die  Eifel  und  das  Hohe  Venn  *)  eine  Anzahl  Stationen  ihrer 
Lage  nach  an,  so  ersehen  wir  deutlich  die  Zunahme  des  prozentari- 
schen Anteils  an  der  Nordwestseifce  während  der  Sommerzeit,  und  um- 
gekehrt an  der  Südwestseite  während  der  Wintermonate.  Das  öftere 
Wehen  der  Ostwinde  im  Frühling  verursacht  ebenfalls  eine  Vergrößerung 
des  prozentarischen  Anteils  auf  der  Leeseite.  Für  jenen  Umstand 
sprechen  auch  noch  deutlich  die  in  Tabelle  17  niedergelegten  monat- 
lichen Prozentsätze,  woraus  wir  ersehen,  daß  alle  Stationen  auf  der 
Leeseite  des  Hohen  Venns,  z.  B.  Bitburg,  Gerolstein,  Kelberg,  im  Ver- 
gleiche zur  Luvseite,  siehe  Imgenbroich,  Hockay,  Stavelot,  Aachen,  im 
Monat  Mai  prozentarisch  mehr  Regen  empfangen.  Ferner  zeigt  sich 
aus  dieser  Tabelle  auch  noch  deutlich  die  Wirkung  der  Luvseite  durch 
Vermehrung  der  Herbstniederschläge,  namentlich  des  Oktobermaximums. 


*)  Sehr  schön  ist  das  auch  in  der  Niederschlagskarte  des  Roergebietes  für 
den  März  1898  erkennbar. 


Weitere  Elemente  der  Niederschläge. 

(Tabelle  VIII— X.) 

Bei  der  Bearbeitung  der  Niederschlagsverhältnisse  eines  Geländes 
genügt  nicht  nur  die  Kenntnis  der  Niederschlagshöhe,  ihrer  geographi- 
schen Verteilung  und  ihres  Jahresverlaufes,  sondern  man  bedarf  auch 
der  Angabe  der  größten  Menge,  der  Zahl  der  Niederschlagstage,  der 
Schwellenwerte,  der  Niederschlagsdichtigkeit,  der  Schneeverhältnisse  etc. 
Allerdings  muß  von  einer  eingehenden  Bearbeitung  dieser  Elemente  hier 
abgesehen  werden,  da  in  der  vorliegenden  Arbeit  nicht  die  Nieder- 
schlagsverhältnisse nur  eines  einzelnen  Ortes  diskutiert  werden  soll, 
wie  es  z.  B.  für  die  Station  Aachen1)  geschehen  ist,  besonders  da  ja 
in  der  Rheinprovinz  nur  von  wenigen  Orten  langjähriges  Material  vor- 
handen ist.  Daher  sollen  hier  nur  einige  der  wichtigeren  von  den 
oben  angeführten  Elementen  derjenigen  Stationen  angeführt  werden, 
die  meist  in  dem  Zeiträume  1886 — 1895  beobachtet  haben. 


I.  Gröite  Niederschlagsmengen. 

(Tabelle  VIII.) 

a)  Größte  Tagesmengen  der  Niederschläge.  Eine  be- 
sondere Bolle  bei  allen  Fragen  der  Hydrotechnik  spielt  die  Kenntnis 
der  größten  Niederschläge  in  einer  gewissen  Zeit.  Die  eingehendsten 
Aufschlüsse  über  diese  Fragen  vermögen  nur  selbstregistrierende  In- 
strumente zu  geben;  solche  Instrumente  sind  in  der  Rheinprovinz2)  in 
Aachen  seit  1895,  Lennep  und  Nieder-Breisig  seit  1897  in  Gebrauch. 
Wir  haben  uns  daher  hier  nicht  nur  auf  die  größten  Tagesmengen 
der  Niederschläge,  deren  Resultate  in  Tabelle  Villa  und  b  niedergelegt 
worden  sind,  beschränkt,  sondern  auch  die  stärksten  Niederschläge  von 
kurzer  Dauer  eingehend  erörtert. 

Was  den  jährlichen  Verlauf  zunächst  der  mittleren  Extreme 
anbelangt,  so  schließt  er  sich  im  allgemeinen  dem  der  Niederschlags- 


*)  Polis,  Das  Klima  von  Aachen,  I.  Teil:  Niederschläge.  Deutsches 
Meteorologisches  Jahrbuch  für  Aachen  1896,  II.  Jahrgang,  S.  12 — 32. 

2)  Ebenfalls  wird  mit  Mai  1899  an  der  der  Meteorologischen  Zentral- 
station Aachen  unterstellten  Regenstation  Gemünd  auf  der  Leeseite  des  Venns 
ein  Hei  Im  annscher  Registrierregenmesser  aufgestellt. 


57]  P*  Poliß,  Die  Niederschlagsverhältn.  d.  mittleren  Rheinpro  v.  u.  d.  Nachbargeb.    5  7 

höhe  an,  erreicht  also  sein  Maximum  in  den  Sommermonaten  Juni  und 
Juli  (20—32  mm),  während  er  im  Februar  und  April  die  geringsten 
Werte  (6 — 12  mm)  hat.  Ferner  bemerken  wir  in  der  Tabelle  bei 
mehreren  Stationen  ein  Oktobermaximum;  dieses  ist  jedoch  nur  den 
Gebirgs-  und  Uebergangslagen  eigen,  wie  wir  dies  schon  früher  auch 
bei  der  Niederschlagshöhe  fanden. 

Im  Jahres  verlaufe  der  absoluten  Maxima  entfallen  auch  hier 
wieder  auf  die  Sommermonate  die  größten  Werte,  und  umgekehrt  die 
kleinsten  auf  die  Monate  Februar  und  April;  bezüglich  des  Weiteren 
sei  auf  die  Tabelle  selbst  verwiesen.  Durchmustert  man  jedoch  das 
Beobachtungsmaterial  sämtlicher  Stationen,  so  zeigt  sich,  daß  in  den 
vier  Jahren  1892 — 1895  Niederschlagssummen  von  ]>  100  mm  über- 
haupt nicht  vorgekommen  sind.  Beträge  von  >  80  mm  treffen  wir 
außer  in  Imgenbroich,  dessen  Wert  allerdings  fraglich  ist,  nur  in  Meudt 
im  Juli  an.  Regenhöhen  von  >  60  mm  weisen  u.  a.  die  Stationen 
Hirschfeld  im  Oktober,  St.  Vith  im  Juni,  Gummersbach  im  Juli  und 
Lindlar  im  April  auf.  Daß  jedoch  auch  in  der  Rheinprovinz  Summen 
von  ]>  100  mm  vorkommen  können,  beweisen  die  Wolkenbrüche  im 
Monat  Juni  1898,  in  welchem  Falle  am  10.  auf  Station  Zweifalls- 
hammer im  Gallbachthale  115  mm  und  in  Mariawald  110  mm  gefallen 
sind.  Ueber  die  bei  dieser  Gelegenheit  in  der  dortigen  Gegend  (Lee- 
seite des  Yenns)  gefallenen  Wassermassen  giebt  folgende  Tabelle1) 
Aufschluß: 

Quellen  des  Callbaches  bis  zum  Lammersdorfer  Bach  30  qkm    26  mm     780  000  cbm 

Lammersdorfer  Bach  bis  Silberscheider  Bach      .     .  13     „      40    „       520000     , 

Silberacheider  Bach  bis  Diefenbach 17     ,      80    ,     1860000     „ 

Diefenbach  bis  zur  Mündung 19     ,     115    .     2185000     , 

Summa     ....  79qkm  4845000  cbm 

Hieraus  ergiebt  sich,  daß  allein  in  dem  nur  19  qkm  großen  Nieder- 
schlagsgebiete des  Gallbaches  vom  Diefenbach  bis  zur  Mündung  über 
zwei  Millionen  Kubikmeter  Wasser  gefallen  sind,  welche  Menge  dem 
Doppelten  des  Inhaltes  der  Thalsperre  bei  Remscheid  gleichkommt. 
1897  maß  man  an  der  Regenstation  Gemünd  bei  einem  Gewitter  am 
28.  Juni  80  mm.  Dies  dürfte  wiederum  ein  Beweis  für  die  schon  oben 
vertretene  Ansicht  sein,  wonach  die  Leeseite  der  Gebirge  weit  mehr 
von  Gewittern  und  auch  wolkenbruchartigen  Regen  heimgesucht  wird, 
als  die  Luvseite. 

Ferner  seien  für  Aachen  die  Tage,  an  welchen  30  mm  und 
]>  Niederschlag  in  24  Stunden  gefallen  sind,  hier  mitgeteilt;  hieraus 
ist  ersichtlich,  daß  die  Sommer-  und  Herbstmonate  sich  den  Frühlings- 
und Wintermonaten  gegenüber  ganz  besonders  durch  größere  Nieder- 
schlagsmengen auszeichnen.  Charakteristisch  tritt  der  Januar  hervor, 
welcher  in  den  bearbeiteten  28  Jahren  keinen  Niederschlagstag,  ebenso 
der  April,  der  nur  einen  Tag  mit  mehr  als  30  mm  aufweist. 


l)  Polis,   Die  wolkenbruchartigen  Niederschläge   des  Juni  1898  im  Maas- 
und  Roergebiete.    Meteorologische  Zeitschrift  „Wetter*,  Heft  9,  1898. 


58 


P.  Polis, 


[58 


Regentage  mit  30  mm 

und  me 

1869: 

12.  Febr. 

mit  30,0  mm 

1884: 

4.  Dez. 

1869: 

28.  Nov. 

* 

49,4 

* 

1885: 

6.  Okt. 

1870: 

11.  Aug. 

9 

41,1 

* 

1887: 

19.  Sept. 

1870: 

27.  Okt. 

9 

43,3 

* 

1888: 

30.     „ 

1874: 

19.     . 

* 

35,6 

ii 

1888: 

24.  Juni 

1875: 

24.  Juni 

1t 

75,0 

i» 

1890: 

18.  Okt. 

1875: 

5.  Juli 

r 

45,1 

9 

1891: 

10.  März 

1876: 

l.Mai 

r 

34,3 

9 

1892: 

1.  Juni 

1878: 

15.  Juni 

9 

30,2 

9 

1893: 

21.  Sept. 

1880: 

20.  Dez. 

* 

43,8 

9 

1893: 

18.  Okt. 

1881: 

26.  Juli 

9 

39,3 

1893: 

20.  Nov. 

1881: 

2.  Aug. 

9 

55,8 

9 

1894: 

31.  Okt. 

1881: 

9.  Sept. 

* 

32,9 

9 

1896: 

18.  Juli 

1882: 

26.  Juli 

9 

62,4 

9 

1897: 

2.  April 

1882: 

12.  Sept. 

T 

53,7 

v 

1898: 

22.  Juni 

1882: 

26.  Dez. 

9 

42,8 

9 

mit  30,9  mm 

30,1  , 

43.3  „ 

30.4  , 

33.0  „ 

80.7  „ 

30.3  , 

39.8  , 

36.1  „ 

31.2  , 

32.4  „ 
37,1  „ 

42.9  „ 

32.3  „ 
37,3  „ 


b)  Große  Niederschläge  in  kurzer  Zeit.  Bei  Anlagen 
von  Kanälen,  Drainagen  u.  s.  w.  sind  namentlich  wichtig  genaue  An- 
haltspunkte über  die  stärksten  Niederschläge  in  kurzer  Zeit.  Um  die 
Intensität  der  großen  Niederschläge  zu  ermitteln,  werden  an  den 
Regenstationen  bei  starken  Regenfällen  (Gewitterregen,  sog.  Wolken- 
brüchen) die  Messungen  gleich  nach  dem  Aufhören  des  Platzregens 
vorgenommen  und  sowohl  Dauer  als  Niederschlagshöhe  vermerkt.  Ein- 
gehendes Material  dieser  Art  gewähren  die  bisher  veröffentlichten  Bände 
(1891—94)  der  Niederschlagsbeobachtungen  des  Kgl.  Preußischen 
Meteorologischen  Instituts,  nach  welchen  Tabelle  VIII  c  zusammen- 
gestellt wurde.  In  dieser  sind  die  Niederschläge  nach  ihrer  Dauer  in 
verschiedenen  Gruppen  angeordnet  und  zwar  wurde  mit  Hellmann1) 
unterschieden  1 — 5,  6 — 15,  16 — 30,  31 — 45,  46 — 60  Minuten,  1  bis 
2  Stunden,  2 — 3  und  mehr  als  3  Stunden.  Außerdem  ist  in  den  ersten 
fünf  Gruppen  die  Regenintensität  für  die  Minute  angegeben,  in  den 
letzten  drei  Gruppen  noch  die  für  die  Stunde  außerdem  hinzugefügt. 
Die  Stationen  sind  nach  der  Intensität  der  Niederschläge  geordnet;  um 
dieselben  ihrer  geographischen  Lage  nach  leicht  aufzufinden,  bediene 
man  sich  der  alphabetisch  angeordneten  Tabelle  I. 

Die  Aufführung  der  intensivsten  Niederschläge  für  jede 
dieser  acht  Gruppen  giebt  folgende  Zusammenstellung: 

Dauer  Betrag  per  Minute 

46—60  Minuten  ....        0,96  mm 

1  Std.  1  Min.  bis  2  Std.        0,57     „ 

2  ,     1     „      „    3    „  0,20    , 
Mehr  als  3  Std 0,15     „ 


Dauer 

Betrag  per  Minute 

1 — 5  Minuten  .  . 

.  .  .         1,40  mm 

6-15      ,        .  . 

.  .  •        1,07    . 

16—30      , 

1,98    r 

31-45       „ 

1,08     „ 

Wie  diese  Anordnung  lehrt,  nimmt  die  Intensität  der  Nieder- 
schläge mit  zunehmender  Dauer  fast  gleichmäßig  ab.  Die  größte 
Intensität  für  die  Rheinprovinz  ergab  Rötgen  auf  der  Nordseite  des 
Hohen  Venns  mit  1,98  mm  in  der  Minute,  an  zweiter  Stelle  kommt 
Abenden  mit  1,56  mm,  beide  am  27.  August  1894.  Der  Wolkenbruch 
im  Urft-  und  Callbachthale  am  10.  Juni  1898  läßt  als  größte  Intensität 


*)  Ergebnisse    der    Niederschlagsbeobachtungen    im  Jahre   1891  ff.  in  den 
Veröffentlichungen  des  Kgl.  Preußischen  Meteorologischen  Instituts. 


59]  Die  Niedenchlagsverh&ltnisse  der  mittleren  Rheinprovinz  u.  d.  Nachbargeb.     59 

1,24  mm  in  Mariawald  erkennen.  Auch  lehrt  eine  Durchsicht  der 
Stationen,  daß  die  Ebene  und  namentlich  die  Leeseite  gegenüber  den 
Gebirgen  und  der  Luvseite  von  stärkeren  Niederschlägen  in  kurzer  Zeit 
bevorzugt  sind,  eine  Thatsache,  worauf  wir  schon  oben  hinwiesen. 
Sehr  starke  Niederschläge  pflegen  nur  kurze  Zeit  anzuhalten,  so  daß 
dieselben  niemals  auf  die  Stunde  umgerechnet  werden  dürfen,  ein  Ver- 
fahren, was  bei  den  Ingenieuren  beliebt  ist  und  zu  unrichtigen  Er- 
gebnissen führt,  worauf  zuerst  He  11  mann1)  aufmerksam  machte. 

Auch  seien  hier  die  Beträge  mit  >  0,50  mm  in  der  Minute 
nach  den  Beobachtungen  des  selbstregistrierenden  Regenmessers  an  der 
Station  Aachen  für  den  Zeitraum  1895—98  mitgeteilt: 

Tabelle  18. 

Niederschläge  von  >  0,50  mm  in  der  Minute  zu  Aachen 

1895  —  98. 


1896  4.  Juni .  . 

1897  27.  Juli  .  . 

1898  4.    „     .  . 
1897  22.    » 
1897  31.  August 
1897  29.  April  . 


26,0  mm  in  52  Minuten,  d.  h.  0,50  mm  in  der  Minute 

9,6    ,     „    16        ,  ,     0,60    ,     „      „ 
2,4    „     „     4  „     0,60    ,     ,      , 

7,4    ,     ,    12         „  „      0,62    „     „      „ 

3,9    „     „      6        „  ,     0,65    „     „      „         „ 

8,6    „     *    13        •  ,     0,66    „     ,      „         „ 


1896  5.  September  10,2  „      ,  15  „  „  0,67 

1896  9.  Juli  .  .  .  .  10,4  ,      ,  15  „  „  0,69 

1896  19.  August  .  .  17,8  „      m  25  „  ,  0,71 

1897  6.  September  2,2  r      „  3  „  „  0,73 

1897  21.  Juli  ....  7,0  ,,  9  „  „  0,78 

1898  28.  April  .  .  .  5,0  „      *  6  ,  ,  0,82 

1898  19.  August  .  .  8,5  ,     „  10  ,  „  0,85 

1898  22.  Juni ....  9,2  ,„  10  ,  ,  0,92 

1895  26.  Juli  ....  11,3  ,     „  12  „  0,94 

1898  6.  Mai  ....  7,9  ,     „  40  „  „  0,98 


8,5 

* 

9 

10 

9,2 

9 

Ji 

10 

11,3 

V 

9 

12 

7,9 

9 

9 

40 

13,3 

9 

9 

13 

4,3 

9 

T 

4 

13,0 

„ 

9 

12 

1895    10.  August  .  .  13,3    »     „    13  ,      1,02    »      ,      , 

1895    24.  Juli  ....    4,3    ,     T     4        „  „      1,08    ,      „      , 

1897    25.  Juni ...  .  13,0    ,     „    12  ,      1,08    „     „      , 

Hieraus  ergiebt  sich,  daß  in  den  vier  Jahren  19mal  Werte  von 
0,50  mm  und  mehr  in  der  Minute  vorgekommen  sind. 

2.  Niederschlagshäufigkeit. 

(Tabelle  IX.) 

Endlich  liegt  es  noch  ob,  eine  Uebersicht  der  Häufigkeit  der 
Niederschlagsmengen  an  den  einzelnen  Stationen  zu  geben,  die  aller- 
dings, um  die  Subjektivität  des  Beobachters  auszuscheiden,  in  der  Weise 
gewonnen  wurde,  daß  nur  die  Tage  mit  mehr  als  0,2  mm  Niederschlag 
als  Regentage  gerechnet  wurden.  In  der  Tabelle  IX  sind  die  Resultate 
für   das  Decennium  1886 — 95   der  betreffenden  Stationen  niedergelegt. 

Hieraus  ersehen  wir  zunächst,  daß  die  Gebiete  mit  geringen 
Niederschlagsmengen    auch    durch    eine    kleinere   Anzahl  von   Nieder- 


*)  He  11  mann,   Das  Klima  von  Berlin.    I.  Teil  Niederschläge,   S.  95.    Ab- 
handlungen des  Egl.  Preußischen  Meteorologischen  Instituts,  Bd.  I,  Nr.  4,  1892. 


60  P.  Polis,  [60 

schlagstagen  ausgezeichnet  sind,  und  umgekehrt.  In  der  Schneifei 
und  im  Venn  haben  wir  bei  den  untersuchten  Stationen  auch  die 
meisten  Niederschlagstage  (^  185),  während  die  Bergischen  Höhen, 
der  Westerwald  und  der  Hunsrtick  eine  weit  geringere  Anzahl  von 
Regentagen  aufweisen.  Etwas  auffallend  ist  die  geringe  Zahl  an  der 
Station  Birkenfeld  (129),  die  vielleicht  den  tatsächlichen  Verhältnissen 
nicht  ganz  entsprechen  dürfte,  aber  sich  dennoch  nicht  allzuweit  von 
der  Wirklichkeit  entfernt,  wie  dies  die  Messungen  an  dem  benachbarten 
Simmern  erkennen  lassen,  welches  nur  150  Regentage  im  Mittel  zählt. 
Sonst  entfallen  die  wenigsten  Niederschlagstage  in  die  Rheinebene  und 
das  Moselthal. 

Was  den  jährlichen  Verlauf  anbelangt,  so  schließt  derselbe 
sich  im  allgemeinen  dem  der  monatlichen  Summen  an,  erreicht  also 
für  die  Ebene  sein  Maximum  im  Juli  und  sein  Minimum  im  April; 
auch  tritt  für  manche  Gegenden  ein  Septemberminimum  hervor.  Bei 
den  Gebirgsstationen  prägen  sich  auch  hier  die  früher  schon  so  oft 
betonten  Herbst-  bezw.  Winterregen  aus.  So  finden  wir  z.  B.  im 
Oktober  in  Schneifelforsthaus  18,3,  in  Hollerath  17,5  Niederschlags- 
tage; ebenfalls  ist  in  den  Vennorten  der  Januar  durch  große  Nieder- 
schlagshäufigkeit gekennzeichnet.  In  der  Rheinebene  weist  der  regen- 
reichste Monat  etwa  16  Niederschlagstage  auf;  nur  wenn  wir  weiter  in 
die  norddeutsche  Tiefebene  hineinschreiten,  nimmt  die  Anzahl  der  Regen- 
tage zu,  wie  wir  dies  am  besten  an  der  Station  Gützenrath  sehen. 

Hinsichtlich  der  einzelnen  Jahreszeiten  ist  zu  bemerken, 
daß  sich  fast  allenthalben  der  Sommer  durch  die  größte,  der  Frühling 
durch  die  geringste  Niederschlagshäufigkeit  bemerkbar  macht.  Nur  bei 
einigen  Stationen  kommen  Abweichungen  vor;  so  zeigt  Schneifelforst- 
haus die  größte  Anzahl  von  Niederschlagstagen  im  Herbst  und  Gum- 
mersbach im  Winter,  was  durch  die  schon  früher  erörterten  speziellen 
Verhältnisse  begründet  ist.  Das  Winterhalbjahr  ist  im  Gegensatze  zum 
Sommerhalbjahr  überall  durch  eine  größere  Regenhäufigkeit  charakteri- 
siert. Nur  ist  dabei  zu  berücksichtigen,  daß  in  den  Gebirgslagen  sich 
die  Unterschiede  zwischen  den  beiden  Halbjahren  vergrößern,  während 
im  Flachlande  Sommer-  und  Wintersemester  nahezu  gleichviel  Nieder- 
schlagstage haben. 

3.  Schneeverhältnisse. 

(Tabelle  X.) 

Als  letztes  Element,  welches  wir  noch  betrachten  wollen,  sei  eine 
kurze  Uebersicht  der  Schneeverhältnisse  gegeben.  Allerdings  ist  das 
Material  kein  reichhaltiges;  denn  erst  in  jüngster  Zeit  ist  man  dazu 
übergegangen,  demselben  größere  Aufmerksamkeit  zu  schenken.  Beob- 
achtungen der  Anzahl  der  Schneetage  liegen  für  Aachen  seit 
50  Jahren  vor,  nämlich  von  1838 — 1851  und  1861  bis  heute;  wir  wollen 
daher  die  am  Ende  stehende  Tabelle  X,  die  sich  auf  die  Periode 
1886 — 1895  bezieht,  durch  das  Aachener  langjährige  Material  ergänzen. 
Wie  uns  die  Anordnung  der  Stationen  lehrt,  sind  für  den  untersuchten 
Zeitraum  die  Monate  Januar  und  Februar  die  schneereichsten. 


<31]  Die  Niederschlagsverhältnisse  der  mittleren  Rheinprovinz  u.  d.  Nach  bar  geb.    61 

Tabelle  19. 
Schneehäufigkeit  zu  Aachen    1838—51   und    1858  —  95. 


Zahl  der  Tage  mit  Schnee 

Winter 

«4 

S 

M 
O 

u 

a 

> 

u 

£ 

a 

© 

© 

3 

es 
•-9 

eS 

s 

ja 

Summe 

Summe  1838—51, 
1858-95, 50  Jahre 

Mittel 

Maximum 

Minimum 

26 

0,52 

6 

80 

1,60 

6 

225 
4,50 
22 

278 
5,46 
21 

253 
5,06 
22 

278 
5,56 
19 

85 

1.70 

16 

14 

0,28 
3 

1234 
24,68 

57 

6 

Aus  den  langjährigen  Aachener  Beobachtungen  geht  jedoch  her- 
vor, was  Hellmann1)  auch  für  Berlin  nachgewiesen  hat,  daß  der 
schneereichste  Monat  der  März  ist,  so  daß  der  Januar  erst  an  zweiter 
Stelle  kommt.  Wie  nicht  anders  zu  erwarten,  wächst  die  Anzahl  der 
Schneetage  mit  zunehmender  Höhe  und  treffen  wir  die  meisten  Schnee- 
tage, wie  die  Beobachtungen  von  Schneifelforsthaus  (64  Tage)  und 
Hollerath  (60  Tage)  lehren,  auf  den  höchsten  Erhebungen  des  Hohen 
Yenns  und  besonders  der  Schneifei  an,  die  also  mit  Recht  ihren  Namen 
verdient.  Bemerkenswert  ist  noch  in  jenen  Gegenden  ein  Schneetag  des 
Monats  Juli  1888,  der  sowohl  in  Schneifelforsthaus  als  in  Hollerath 
beobachtet  wurde.  Die  Bergischen  Höhen,  der  Westerwald  und  auch 
der  Hunsrück  sind  lange  nicht  so  schneereich  (etwa  40  Tage)  als  die 
nördlichen  Ausläufer  der  linksrheinischen  Gebirge.  Je  mehr  wir  in  die 
Ebene  hinabsteigen,  um  so  stärker  verringert  sich  die  Zahl  der  Schnee- 
tage, die  in  dem  Rheinthale  bis  auf  26  im  Jahre  heruntersinkt.  Der 
niedrigen  Temperatur  auf  dem  Venn  und  der  Hohen  Eifel  wegen  weist 
daher  auch  der  Monat  Mai  die  meisten,  sowie  der  September  die  ersten 
Schneetage  auf.  Die  äußersten  Grenzen  für  den  ersten  und  letzten 
Schneefall  sind  für  Aachen: 


13.  Oktober  1838 

12.  Januar     1889 

21.  Mai    .  .  1850 

3.  März  .  .  1841 


Zwischenzeit  93  Tage 

89      , 


Die  Auszählung  der  Schneetage  nach  Pentaden,  die  ebenfalls  für 
Aachen  erfolgte,  ergab  für  den  Zeitraum  1881 — 1895  als  schneereichste 
Zeit  die  vom  6. — 15.  Januar. 

Trotz  der  großen  Wichtigkeit  der  Schneedecke  sowohl  in 
meteorologischer  Hinsicht,  als  sie  die  Wärmeleitung  mit  dem  Erdboden 
abschneidet  und  somit  die  Bedingungen  zu  strenger  Winterkälte  einleitet, 
als  auch  in  hydrotechnischer  Beziehung  durch  Ansammlung  von  Wasser- 


*)  He  11  mann,    Das    Klima  von  Berlin,   I.  Teil:    Niederschläge, 
lungen  des  Kgl.  Preufi.  Meteorologischen  Institus,  Bd.  I,  Nr.  4,  1892. 


Abhand- 


62 


P.  Polis, 


[62 


massen,  hat  man  erst  seit  kurzer  Zeit  mit  diesen  Untersuchungen  begonnen. 
Die  Höhe  und  Dichtigkeit  derselben  stehen  in  unmittelbarer  Beziehung 
zu  der  Wasserhöhe  der  Flüsse,  und  sind  schnelle  Schneeschmelzen,  wie 
bekannt,  meist  von  außerordentlichem  Anschwellen  derselben  begleitet. 
Für  die  Rheinprovinz  ist  das  Material  so  vereinzelt,  daß  es  nicht  loh- 
nend erschien,  dasselbe  einstweilen  weiter  zu  verarbeiten1).  Hier  für 
Aachen  liegen  seit  1888  derartige  Untersuchungen  vor,  die  wir  der 
Wichtigkeit  wegen,  namentlich  für  den  Wasserbauingenieur,  nach- 
stehend etwas  ausführlicher  mitteilen  wollen. 

Tabelle  20. 
Beobachtungen  an  der  Schneedecke  zu  Aachen  1888 — 97. 


Novemb. 

Dezemb. 

Januar 

Februar 

März 

April 

Jahr 

Winter 

I 

X 

i 

2 

3 

i 

a 
1 

SO 

SP 

EH 

s 

i 

1 

© 

ja 

:0 

n 

i 

i 

a 

CS 

! 

© 

3 

© 
SP 

Eh 

i 

i 

a 

© 

!P 

1 
3 

© 
SP 

H 

Summel888bis 

i 

1 

i 

i 

1897  (9  bezw. 

i 

10  Jahre)    .  . 

10 

2 

— 

26 

47 

— 

54 

94 

— 

54 

82 

— 

24 

84 

— 

0 

i 

— 

260  - 

Mittlere  Höhe 

1,1 

— 

— 

2,9 

— 

— 

5,4 

— 

— 

5,4 

— 

— 

2,4 

— 

— 

0,0 

— 

— 

—    - 

MittlereAnzahl 

— 

0,2 

— 

5,2 

— 

— 

9,4 

— 

8,2 

— 

— 

3,4 

— 

— 

0,1 

— 

26,5- 

Maximum  .  .  . 

— 

— 

10i 

— 

— 

17 1 

— 

— 

31 

— 

— 

81' 

— 

— 

24 

— 

— 

— 

31    - 

Minimum  .  .  . 

i 

i 

i 

(2)?6  - 

Unsere  Tabelle  lehrt,  daß  im  jährlichen  Verlaufe  die  kältesten 
Monate  Januar  und  Februar  sowohl  die  größte  mittlere  Höhe,  als  auch 
die  meisten  Tage  mit  Schneedecke,  aufweisen ;  dieses  steht  in  unmittel- 
barer Beziehung  zu  den  Frost-  und  Kälteperioden.  Der  März  und  der 
Dezember  treten  in  dieser  Hinsicht  gegen  die  beiden  erstgenannten 
Monate  zurück.  Im  November  kam  es  nur  selten  zur  Bildung  einer 
langandauernden  Schneelage. 

Die  größte  Höhe  wurde  hierselbst  in  dem  strengen  und  schnee- 
reichen Februar  1894/95   und   im  Januar  1896/97   mit  31  cm  erreicht. 

Die  längste  andauernde  Schneeperiode  wies  ebenfalls  der  erst- 
genannte Winter  auf,  und  zwar  mit  52  Tagen,  nämlich  vom  22.  Januar 
bis  zum  15.  März.  Ferner  ist  noch  bemerkenswert,  daß  jeder  Monat 
während  der  beobachteten  10  Jahre  mehrmals  keine  Schneedecke  zeigte, 
während  es  im  Verlaufe  des  ganzen  Winters  stets  zur  Bildung  einer 
solchen  kam. 

In  der  Abflußfrage  ist  es  unerläßlich,  neben  der  Höhe  der  Schnee- 
decke auch  den  Wassergehalt  kennen  zu  lernen. 


*)  Wir  wollen  noch  darauf  hinweisen,  daß  seit  dem  Jahre  1897  im  Hohen 
Venn,  von  der  Meteorologischen  Zentralstation  Aachen  aus,  eingehende  Unter- 
suchungen über  die  Höhe  und  den  Wassergehalt  der  Schneedecke  angestellt  wurden; 
in  dem  schneearmen  Winter  1897 — 98  erreichte  z.  B.  die  Schneedecke  auf  der  höchsten 
Erhebung  des  Venns,  dem  Monte  Rigi,  eine  Höhe  bis  zu  45  cm  bei  einem  Wasser- 
gehalt von  97  mm,  in  Station  Jägerhaus  42  cm  bei  einem  Wassergehalt  von  115  mm. 


63]  Die  Niederschlagsverhältnisse  der  mittleren  Rheinprovinz  u.  d.  Nachbargeb.     63 

Bestimmungen   desselben  liegen  jedoch   erst  seit  1895  vor.     Im 
Mittel  gaben  die  einzelnen  Monate: 


Höbe 

Wassergehalt 

1895  Januar  .  .  110,8  cm 

158,5  mm            1  cm  =  1,48  mm 

,     Februar  .  237,5   „ 

422,7    , 

.     =  1,87    „ 

„     März  ...     25      „ 

72,2    „ 

,     =2,81    , 

„     Dezember    44      „ 

61,1    , 

,     =  1,30    „ 

1896  Dezember    62      , 

89,2    , 

,     =  1,44    , 

1897  Januar  .  .  157      , 

211,3    , 

.     =  1.34    , 

,     Februar  .    28      . 

69,7    „ 

,    =  2,50    , 

Summe    .  664,8  cm 

1084,7  mm 

Selbstverständlich  ergiebt  Lagerschnee  weit  mehr  Wasser  als  Neu- 
schnee, und  sind,  um  diese  Beziehungen  näher  zu  untersuchen,  eben- 
falls die  Maxima  des  Wassergehaltes  angeordnet.  Diesem  entspricht 
auch  der  größere  mittlere  Wassergehalt  der  Schneedecke  im  Februar 
und  März  gegenüber  dem  Dezember  und  Januar: 

1895    7.  Jan.    ergaben    5  cm  Schneehöhe  15,9  mm  Wasser 

22.  Febr.  15   ,  „  38,2  „ 

25.     ,  „         13   »  9  39,2  »  v 

27.     ,  ,        14B  „  40,1  . 

1.  März  .         12    ,  „  38,2  „ 

8.    ,  13   .  ,  34,0  „ 

1897    2.  Febr.  6    .  „  19,8  „ 

*        3.      «  „  5    „  „  17,1  „  „ 

Der  Lagerschnee  ist  nach  dieser  Zusammenstellung  im  stände, 
eine  außerordentlich  große  Wassermasse  —  vergl.  die  Maxima: 

13  cm  geben  39,2  mm 

12   „         .      38,2    , 

5    ,         ,       17,1    . 

aufzuspeichern,  und  wird  daher,  wenn  plötzlich  geschmolzen,  den  Flüssen 
eine  ebenso  große  Menge  Wasser  zuführen  können,  als  dies  starke 
Regenfälle  in  kurzer  Zeit  bewirken. 


Wir  haben  die  Niederschlagsverhältnisse  der  mittleren  Rheinprovinz 
eingehend  bearbeitet  und  daraus  die  mannigfaltigen  Beziehungen  zwischen 
Technik  und  Landwirtschaft  erkannt.  Hängt  doch  der  Wohlstand  des 
Landes  in  nicht  geringer  Weise  von  den  klimatischen  Verhältnissen  ab ; 
eine  genaue  Kenntnis  derselben  vermag  in  der  Landwirtschaft  durch 
Anlage  von  Kulturen,  in  der  Technik  durch  Ausnützung  der  Wasserkräfte, 
die  volkswirtschaftlichen  Verhältnisse  beträchtlich  zu  fordern. 

Zieht  man  daher  eine  Parallele  zwischen  dem  niederschlagsreichsten 
und  dem  niederschlagsärmsten  Gebiete,  nämlich  dem  Hohen  Venn  einer- 
seits und  dem  mittleren  Rhein-  mit  dem  unteren  Moselthal  anderer- 
seits, so  ist  der  Wohlstand  des  letzteren  Gebietes  dadurch  begründet, 
daß  die  dortselbst  herrschenden  klimatischen  Verhältnisse  das  Gedeihen 
der  edelsten  Wein-  und  Obstsorten  ermöglichen,  während  umgekehrt 
die  großen  Niederschläge  in  den  Venngegenden  durch  Ausnützung  der 
Wasserkräfte  ihrerseits  wieder  dazu  beitragen  werden,  in  absehbarer 
Zeit  den  Wohlstand  der  jetzt  meist  in  kärglichen  Verhältnissen  leben- 
den Bevölkerung  zu  heben. 


Ergebnisse. 

Methode.  Die  Prüfung  der  benutzten  Perioden  ergab  für  das 
langjährige  Normalmittel  1851 — 1890  der  Station  Köln  einen  wahr- 
scheinlichen Fehler  in  der  Jahrsumme  von  +  13  mm.  Aus  der  Prü- 
fung der  Reduktionsmethode  ging  sowohl  die  Bestätigung  der  Hann- 
schen Regel  hervor,  als  auch  ließ  sich  dadurch  die  Unsicherheit,  die 
der  Jahreskarte  zu  Grunde  liegt,  mit  ±  5°/o  annähernd  erkennen. 
Weiter  sind  die  langjährigen  Reihen  der  Rheinprovinz,  namentlich  die 
von  Trier,  Köln  und  Aachen,  ein  neuer  Beweis  für  die  von  Brückner 
ausgesprochenen  Klimaschwankungen,  indem  niederschlagsreichere  und 
Trockenperioden  der  Lustren  ziemlich  regelmäßig  miteinander  ab- 
wechseln. Die  größere  Anzahl  der  Jahresniederschläge  bewegt  sich  für 
das  untersuchte  Gebiet  innerhalb  einer  Schwankung  von  200  mm. 

Niederschlagsbildung.  Die  Niederschlagsbildung  ist  in  erster 
Linie  von  der  Luftdruckverteilung  selbst  abhängig,  indem  in  den  baro- 
metrischen Depressionen  die  mit  diesen  verbundenen  aufsteigenden 
Ströme  den  Wasserdampf  der  Luft  zur  Kondensation  bringen.  Außer 
der  Luftdruckverteilung  spielen  die  Temperatur  und  Feuchtigkeit  noch 
eine  Hauptrolle,  da  bei  größerem  Feuchtigkeitsgehalt  der  Luft  das 
Wassergas  leichter  zur  Kondensation  gelangt.  Im  engsten  Anschlüsse 
daran  bringen  die  mit  Wasserdampf  geschwängerten  Westwinde  weit 
mehr  Regen  als  die  trockenen  Ostwinde  hervor. 

Für  die  Niederschlagsverteilung  eines  Ortes  während  des  Jahres 
wird  nicht  nur  seine  Lage  zum  Meere,  sondern  auch  die  Oberflächen- 
beschaffenheit des  Landes  selbst  von  größtem  Einflüsse  sein;  denn 
letztere  bringt  durch  Emporsteigen  der  Luftströmungen  eine  wesent- 
liche Beeinflussung  der  Temperatur  und  Feuchtigkeit  und  damit  auch 
der  Niederschlagsbildung  hervor.  Sie  bewirkt  im  Gegensatze  zur  Ebene 
eine  Vermehrung  der  Jahresniederschläge ;  ferner  beeinflussen  die  Ge- 
birge die  Niederschlagsmengen  nicht  nur  innerhalb  des  betreffenden 
Gebigsstockes,  sondern  auch  im  Bereiche  der  Luvseite  durch  Vermehren 
und  auf  der  Leeseite  durch  Vermindern  der  Jahresniederschläge. 

In  Bezug  auf  die  jährliche  Verteilung  bewirken  die  Gebirge  eine 
Zunahme  der  Winter-  und  Herbstregen,  eine  Abnahme  der  Sommerregen; 
das  Maximum  im  Oktober  ist  eine  Folge  des  größeren  Feuchtigkeits- 
gehaltes der  Luft  und  der  großen  Cyklonenfrequenz  in  jenem  Monat. 
Die  Vergrößerung  der  Niederschlagsmenge  mit  der  Höhe  ist  in  erster 
Linie  an  die  freie  Lage  des  betreffenden  Gebirgsstockes  gebunden.   Vor- 


651   P»  Polifl,  Die  Niederachlagsverhöltn.  d.  mittleren  Rheinprov.  u .  d.  Nachbargeb .   (35 

gelagerte  Berge  wirken  bei  gleicher  Höhenlage  regenvermindernd.  Das 
Gebirge  bedingt  eine  Verschärfung  der  Temperaturgegensätze  an  der 
Leeseite  und  umgekehrt  eine  Milderung  an  der  Luvseite.  Es  werden 
daher  auf  der  Luvseite  die  Winterregen,  auf  der  Leeseite  jedoch  die 
Sommerregen  vermehrt.  Die  durch  die  Aenderung  in  der  Windrich- 
tung hervorgerufenen  Wechsel  in  der  Luv-  und  Leeseite  äußert  sich 
für  die  Niederschlagsbildung  dahin,  daß  in  der  Sommerzeit  die  Nord- 
westseite, in  der  Winterzeit  jedoch  die  Süd  Westseite  mehr  Regen  empfängt. 
Das  öftere  Wehen  der  Ostwinde  in  den  Monaten  März  bis  Mai  verur- 
sacht weiter  eine  Vermehrung  der  Frühlingsregen  an  der  östlichen  Ab- 
dachung der  Gebirgsstöcke. 

Die  Regenmenge  eines  Ortes  ist  daher  von  drei  Faktoren  ab- 
hängig: 

1.  die  Meereshöhe; 

2.  die  Lage  den  regen  bringenden  Winden  gegenüber; 

z.  B.  Gummersbach 250  m  Seehöhe     1117  mm 

Munstermaifeld 249  „        ,  423    „ 

3.  die  Stauwirkung  der  Luft; 

Meinerzhagen 408  m  Seehöhe    1191  mm 

Halver 420  „        „  1068    , 

Geographische  Verteilung.  Innerhalb  des  Bereiches  der 
Karte  steigt  die  Niederschlagshöhe  an  zwei  Stellen  über  1000  mm  an, 
im  Hohen  Venn  und  den  Bergischen  Höhen,  während  die  Gebiete 
größter  Trockenheit  den  unteren  Lauf  der  Mosel  und  des  Nethethales 
sowie  das  Rheinthal  von  Lorch  bis  oberhalb  Geisenheim,  einschließlich 
des  Nahethaies  bis  Sobernheim  umfassen.  Die  höchsten  Erhebungen 
des  Venns  sind  niederschlagsreicher  als  das  Ebbegebirge;  jedoch  ist 
die  Ausdehnung  der  Fläche  von  1000  mm  und  mehr  im  Venn  infolge 
der  Vorlagerung  durch  die  Ardennen  geringer  als  in  den  Bergischen 
Höhen;  es  sind  also  die  niedrigen  Erhebungen  des  Sauerlandes  im 
Vergleiche  zum  Venn  in  der  gleichen  Höhenlage  niederschlagsreicher.  In 
den  Ardennen  sind  ebenfalls,  wie  die  Beobachtungen  von  Poncel  und 
Libramont  zeigen,  Gebiete  über  1000  mm  jährlicher  Regenhöhe.  Der 
Hunsrück  und  die  Hohe  Eifel  jedoch  weisen  kaum  eine  jährliche  Nieder- 
schlagsmenge von  1 000  mm  auf. 

An  den  Gebirgsstöcken  läßt  sich  deutlich  eine  Luvseite  (SW  bis  W) 
und  eine  Leeseite  (NE  bis  E)  unterscheiden.  Besonders  charakteristisch 
sind  diese  Verhältnisse  bei  der  Eifel  und  dem  Hohen  Venn  ausgeprägt, 
indem  dort  auf  der  Leeseite  bei  gleicher  Höhenlage  etwa  die  Hälfte 
von  der  auf  der  Luvseite  gefallenen  jährlichen  Niederschlagsmenge  ge- 
messen wird.  Die  geographische  Verteilung  der  einzelnen  Jahreszeiten 
dürfte  aus  den  beigegebenen  Karten  ersichtlich  sein. 

Jahreszeitige  Verteilung.  Die  Ebene  und  die  beiden  Haupt- 
flußthäler  haben  den  meisten  Regen  im  Sommerhalbjahre  (April  bis 
September),  die  Gebirge  jedoch  in  dem  Winterhalbjahre  (Oktober  bis 
März).  Der  Uebergang  hierzu  macht  sich  bei  den  niedrigen  Gebirgs- 
lagen und  den  Ausläufern  bemerkbar.  Von  den  Jahreszeiten  ist  der 
Sommer  am  reichsten,  der  Frühling  am  wenigsten  absolut  mit  Nieder- 
schlägen bedacht.     Der  Herbst  ist  jedoch  im  Gebirge  durch   größere 

Forschungen  zur  deutschen  Landes-  und  Volkskunde.    XII.   1.  5 


66     P.  Polis,  Die  Niederschlagsverhältn.  d.  mittleren  Rheinprov.  u.  d.  Nachbargeb.  [66 

Regenfälle  als  im  Flachlande,  ausgezeichnet.  In  der  monatlichen  Ver- 
teilung weist  die  Ebene  ein  ausgesprochenes  Juni-  bezw.  Julimaximum, 
die  Gebirge  jedoch  ein  Oktobermaximum  auf.  Der  trockenste  Monat 
ist  so  wohl  für  das  Gebirge  wie  für  die  Ebene  durchweg  der  April, 
was  im  engsten  Zusammenhange  mit  den  daselbst  vorherrschenden  öst- 
lichen Winden  steht. 

Größte  Niederschläge.  Größte  mittlere  und  absolute  Tages- 
werte folgen  im  Gange  der  Niederschlagshöhe  in  der  Ebene,  erreichen 
also  ihr  Maximum  in  den  wärmsten  Monaten  Juni  und  Juli,  ihr  Minimum 
im  Februar  und  April.  In  dem  untersuchten  Zeiträume  1892 — 1895 
kamen  in  der  Rheinprovinz  in  24  Stunden  Beträge  von  mehr  als  100  mm 
überhaupt  nicht  vor,  mehr  als  80  zweimal,  mehr  als  60  viermal.  Die 
neueren  Beobachtungen  für  1897  und  1898  lehren  jedoch,  daß  die 
Leeseite  des  Hohen  Venns  für  wolkenbruchartige  Regenfälle  prädis- 
poniert ist,  indem  dort  sogar  Beträge  von  115  mm  an  einem  Nieder- 
schlagstage fallen  können. 

Aus  der  Untersuchung  der  Niederschläge  in  kurzer  Zeit  für  den 
Zeitraum  1891 — 94  geht  als  größter  Wert  in  der  Minute  1,98  mm 
hervor.  Auch  nimmt  die  Intensität  der  Niederschläge  mit  der  Dauer 
gleichmäßig  ab.  Die  Ebene  und  namentlich  die  Leeseite  ist  durch 
Niederschläge  von  größerer  Intensität  bei  kürzerer  Zeitdauer  vor  den 
Gebirgen  und  der  Luvseite  ausgezeichnet.  Aus  den  selbstregistrierenden 
Beobachtungen  zu  Aachen  folgt,  daß  Beträge  von  0,50  mm  und  mehr 
in  der  Minute  etwa  5 — 6mal  im  Jahre  vorkommen  und  zwar  ausschließ- 
lich in  der  warmen  Jahreszeit.  Das  Intensitätsmaximum  beträgt  1,08  mm 
in  der  Minute. 

Niederschlagshäufigkeit.  Die  Gebirge  sind  im  Gegensatze 
zum  Flachlande  auch  durch  häufigere  Regenfälle  ausgezeichnet;  der 
jährliche  Verlauf  schließt  sich  genau  dem  der  Niederschlagshöhe  an, 
auch  insofern,  als  das  Gebirge  in  der  kalten  Jahreszeit,  im  Oktober  und 
Januar,  in  der  Ebene  jedoch  die  wärmere  Jahreszeit  mit  der  größten 
Häufigkeit  im  Juli  gekennzeichnet  ist. 

Schneeverhältnisse.  Wie  die  langjährigen  Beobachtungen  der 
Station  Aachen  zeigen,  fällt  am  häufigsten  Schnee  im  März,  hierauf 
folgt  der  Januar  und  an  dritter  Stelle  der  Februar.  Für  die  unter- 
suchte Periode  1886 — 1895  sind  jedoch  die  schneereichsten  Monate  der 
Januar  und  Februar  gewesen.  Mit  zunehmender  Erhebung  wächst  die 
Zahl  der  Schneetage  schnell  und  erreicht  in  der  Rheinprovinz  auf  dem 
Venn  und  der  sogenannten  Schneifei  die  größte  Anzahl  der  Tage  mit 
etwa  60.  Der  Hunsrück,  der  Westerwald  und  die  Bergischen  Höhen 
zählen  ca.  40  Schneetage  im  Jahr.  Der  letzte  Schnee  kommt  in  den 
Gebirgen  im  Mai,  der  erste  im  September  vor,  vereinzelt  steht  noch 
ein  Schneefall  im  Juli  im  Hohen  Venn  (1888).  In  den  10  Jahren 
1887 — 1896  erreichte  die  Schneedecke  ihre  größte  Höhe  im  Flachlande 
mit  31  cm.  Lagerschnee  kann  bis  zu  3,5  mm  Wasser  per  cm  Schnee- 
höhe aufspeichern. 


Tabelle  I. 
Uebersicht  über  die  Stationsverhältnisse. 

A  =  Aachener  Zentralstation  ;B  =  Observatoire  royal  de  Belgique;  F  =  Forstakademie  Eberswalde; 
M  =  Kgl.  Pr.  Meteorologisches  Institut;  P  =  Private. 
*  bedeutet:  Unsicherheit  der  Höhenangabe. 


S  tation 


"11 


la 


in 


•jo 


'fi 

IC« 

5ZJ 


Höhe 


u 


dS, 


Beobachtete 
Jahre 


Bemerkungen 


Aachen  .  .  .  .  . 

Abenden   .  .  .  . 
Adenau 

Alf  (Forsthaus) 

Alsdorf 

Altenkirchen  .  . 

Aken 

Amel 

Arlon 

Arzfeld 

Asbach 

Anbei 

Aywaille  .  .  .  . 


Baraque  Michel 

Bastogne  .... 
Battice 

Bell 

Bensberg  .... 
Bergheim  .... 

Bergneustadt.  . 


232 


221 
110 

78 

52 

98 
214 
199 

177 

49 


98 
209 
188 


195 

37 

208 


81 
143 
165 

131 


E 

6°  5' 


6  29 

6  56 

7  8 

6  28 

7  39 
6  15 
6  10 

5  48 

6  17 


7  26 
5  50 
5  40 


6    8 

5  43 
5  48 


7  25 
7  10 

6  38 

7  39 


N 

50°47' 


50  40 
50  23 

50    3 

49  53 

50  41 
50  32 
50  21 


49  42 

50  5 


50  40 
50  42 
50  28 


50  31 

50    0 
50  38 


50  4 
50  58 
50  57 

50    1 


bis  Okt. 

1894 
177, 

dann 

169 

200 
302 

180 

215 

215 
555 

470 


442 
490 


264 
235 
130 


670 

500 
335 


180 
70 

224 


m 

1886-1,5 

1887-Wt. 

1894  1,0, 

dann 

=  1,7 

1 
1 


1844-51 ;  1861-95 


1893-95 

Juni  1898  bis 

Dez.  inkl.  1895 

Juni  1899  bis 

Dez.  inkl.  1895 

Juli  1892  bis 

Dez.  inkl.  1895 

1888,  1890—95 

Febr.-Dez.  1897 

Sept.1890b.Aug. 

inkl.  1895,  aus- 

geschl.Hail895 

1886-95 

Okt.  1899  bis 

Dez.  inkl.  1895, 

ausgeschl.Okt.. 

Nov.,  Dez.  1893 

u.Okt.Nov.189» 

1895 

1886—95 

1886— 95,  aus- 

geschl.  Febr. 

1895 


1886—90 

1886-95 
1886-95 


1893-95 

1893-95 

Juni  1892  bis 

Dez.  inkl.  1895 

1893—95 


Entnahme    des  älteren 
Materials  siehe :  P  o  1  i  s, 
Niederschlagsverhält- 
nisse von  Aachen 


Sehr  lückenhaft  und  da- 
her unzuverlässig 


Juni  1895  zu  gering 


1891— 95  von  der  Verrech- 
nung ausgeschlossen, 
weiizu  geringe  Werte. 
Zu  freie  Aufstellung?] 

Februar  u.  März  Monats- 
summe addiert,  jede 
einzeln  auf  Jalhay  in- 
terpoliert 

Sept.  1893,  Dez.  1895 
unzuverlässig 

Aug.  1894  und  Juni  1895 
zu  gering 


68 


P.  Polis, 


[68 


Station 


ll 


in 


Höhe 


ss 
1*1 

SS* 


sag! 


Beobachtete 
Jahre 


Bemerkungen 


Birkenfeld  .  . 

Bitburg  .  .  .  . 
Blankenberg  . 
Blankenheim . 


Bleialf  .  .  . 

Bogel  .  .  .  . 
Bollendorf  . 

Bonn  .... 
Boppard  .  . 
Bourcy  .  .  . 
Braubach  I. 
Braubach  II 
Breckerfeld . 

Brüggen    .  . 

Brühl  .... 

Burbach  .  . 
Burscheid .  . 

Coblenz  .  . 
Conzen  .  .  . 

Dankerath  . 
Dasburg    .  . 

Dattenfeld  . 
Daun  .... 

Densborn  .  . 

Dhünn  .  .  . 
Dierdorf  .  . 
Dittlingen    . 

Dockweiler  . 
Dolhain  .  .  . 
Drinhausen . 

Düren  .... 
Düsselthal  . 

Eichen  .  .  . 
Elkenroth    . 


51 
125 

105 


48 

22 

45 


23 
38 
24 
25 
175 

163 

140 

119 
158 


89 
222 


108 
42 


£ 

7°  10' 

6  34 

7  21 
6  39 


6  17 

7  48 
6  22 


6  47 

6  55 

8    5 

7  7 


7  36 
6  14 


6  50 

6    8 


124 
73 

7  34 
6  50 

62 

6  36 

152 
95 
34 

7  16 
7  40 

6  28 

106 

191 

99 

6  47 
5  57 

7  25 

226 

169 

6  29 
6  49 

i  117 

;i2o 


7  58 
7  53 


N 

49°39' 

50  0 
50  46 
50  26 


50  14 

50  11 

49  51 

50  44 
50  14 
50  3 
50  16 

50  16 

51  16 

50  51 
50  50 

50  45 

51  5 


50  22 
50  38 


50  20 
50    3 

50  48 
50  12 

50  7 

51  7 
50  33 
49  35 


50  15 
50  37 
50  40 

50  49 

51  15 

50  59 
50  44 


m 
396* 

335 
170 
470 


477 

355 
180 

56 
99 
507 
66 
6Q 


95 

65 

380 


69 

550 


432 
260 

112 
400 

308 

220 
236 
355 


540 

200* 

260 

129 
38 


302 
471 


m 

1 

1 
1 

1,8 


1 
1 

1,8 

1 
1 
1 

1 

1 

1 
1 


1861—95 

1887—95 

1898—95 

Juni  1892  bis 

Dez.  inkl.  1895. 

ausgeschl.  Juli 

1894  bis  Febr. 

inkl.  1896 

1898—95 

1893-95 
Juli  1892  bis 
Des.  inkl.  1895 
1848—70 
1845-90 
1887—95 
1893—95 
1894—95 

1898—95,  aus- 

geschl.  Des.  1898 
Juni  1892  bis 
Mai  inkl.  1895 
Juni  1892  bis 
Des.  inkl.  1895 

1892—95 

April  1898  bis 

Dez.  inkl.  1895, 

ausgeschl.  Aug., 

Sept.,  Okt.,  Nov. 

1895 

1819-42, 

60-66,  86—95 

Febr.-Dez.  1897 


1895 

Juli  1892  bis 

Dez.  inkl.  1895 

1893-95 

Jali  1892  bis 

Dez.  inkl.  1895 

Juni  1892  bis 

Dez.  inkl.  1895 

1893—95 

1893 

Aug.  1892  bis 

Dez.  inkl.  1895, 

ausgeschLOkt., 

Not.,  Dez.  1893 

1893—94 

1888-95 

März  1892  bis 

Dez.  inkl.  1898 

1894-95 

1893—95 


1893-95 
Febr.  1889  bis 
Dez.  inkl.  1895 


Regenmesser    stand 
früher  10  m  über  dem 
Erdboden 

Erstes  Lustrum  etwas 
zu  gering,  daher  1887 
bis  1890  auch  auf  Trier 
berechnet] 


April  1894  und  Juni  1895 
unzuverlässig 
Juli  1899  su  gering 


Mittel  der  Bonner  Stern- 
warte; neue  Beobach- 
tungsreihe beginnt  in 
Poppeisdorf  mit  1898] 


Juni  1895  su  hoch,  daher 
von  der  Verrechnung 
ausgeschlossen 

Jan. ,  Mai  1892  zu  hoch 
Okt.  1898  zu  gering 


Lustrum  1866—90  zu  ge- 
ring 


Nov.-Dez.  1895  unzuver- 
lässig 


1890  unzuverlässig 


69]    Die  Niederschlagsverhältnisse  der  mittleren  Rheinprovinz  u.  d.  Nachbargeb.     69 


Station 


n 


2  8« 

H! 


<D 


Höhe 


fal§ 


Beobachtete 
Jahre 


Bemerkungen 


Elsenborn 
Eltville  .  . 
Eppenrod 
Erezee    .  . 


Erkelenz 
Erp  .  .  . 


Eschweiler 
Enpen .  .  . 

Euskirchen 

Eynatten  . 


,|201 

1 
28 

185 

r 
J 

237 
162 


230 
190 

161 

192 


Freudenberg  .... 


Geichlingen   . 

Geilenkirchen 
Geisenheim .  . 
Gemmerich .  . 
Gemünden  .  . 
Gerolstein    .  . 

Gerre8heim  .  . 
Godesberg  .  . 
Gogarten  .  .  . 

Gornhausen  . 
Gouvy  

Grevenbroich 
Gützenrath  .  . 

Gummersbach 


Hachenburg  . 
Hahnenberg  . 
Halver  .... 
Hartkopsbever 
Hasselbach  .  . 


118 


43 

234 

3 

31 

9 

61 


115 
144 

72 
183 


166 
236 

133 


92 
147 
176 
146 

97 


E 

6°  13' 
8  7 
7  56 
5  33 


6  20 
6  44 


6  17 
6    2 

6  47 

6    5 


7  53 


6  16 


8 

58 
46 
29 


6  40 

6  51 

7  9 
7  30 

7    3 
5  58 


6  35 

6  13 

7  34 


7  50 
7  24 
7  30 
7  21 
7  32 


N 

50°27' 
50  2 
50  24 
50  17 


51    5 
50  46 


50  49 
50  38 

50  40 

50  43 


50  54 


49  57 

50  58 

49  59 

50  14 

49  54 

50  13 

51  14 

50  41 

51  6 

49  52 

50  9 


51     6 
51  13 

51     2 


50  40 

51  12 
51  11 
51  8 
50  43 


627 

97 

318 

334 


99 
128 


155 

282 

160 
268 


315 

74 
103 
340 

280 
378 

67 

65 

360 

485 
465 


52 


250 


370 
400 
420 
? 
250 


m 
1 
1 
1 


1 

1 
1,3 
1 
1 
1 

1 
1 

1 


1,4 
1,2 

1,5 

1 
1 


1894 
1893—95 
1893—95 
1886—95 


1894—95 

Juni  1892  bis 

Dez.  inkl.  1895. 

ausgeschLAprü, 

Mal,  Juni,  Juli 

1895 

1897 

Juli  1893  bis 

Dez.  inkl.  1895 

Juni  1892  bis 

Dez.  inkl.  1896 

1897 


1892—95 


Juli  1892  bis 
Dez.  inkl.  1895 

1894-95 
1886—95 
1893-95 
1893—95 

1887—95.  aus- 
geschl.  Aug., 
Sept.  1888 
1893-95 
1891—95 
1894  bis  Dez. 
inkl.  1895 

Juli  1892  bis 
Dez.  inkl.  1895 
1886—95,  aus- 
geschl.  Jan., 
Febr.,  März  1891 
u.  Febr.  1895 
1894-95 
Mai  1887  bis 
Dez.  inkl.  1895 

1886,  1888-89, 

1892—95,  aus- 

geschl.  Mai, 

Juni,  Juli,  Aug., 

Sept.  1892 

1886—95 
1893—95 
1892—95 
1893-95 
Juli  1892  bis 
Dez.  inkl.  1895 


M 


Aug.  1894  zu  gering 
Febr.  und  März  1895,  ad- 
diert, daher  jede  der 
beiden  Monatesummen 
auf  La  Boche  inter- 
poliert] 
Sept.  1894  zu  hoch 


Die  genaue  Prüfung 
durch  Kurvenvergleich 
bestätigte  die  unge- 
wöhnlich hohen  Werte] 

1889  unzuverlässig 


1887von  der  Verrechnung 
ausgeschlossen.  Aug. 
u.  Dez.  1889  zu  hoch 


Sommer  1893   unzuver- 
lässig 


70 


P.  Polis, 


[70 


Station 


si 

JA 


.gl« 

jte 


•'S  .-§ 

PPS  ® 


Hohe 

Sa 

!■§! 

5«» 

tili 

m 

92 

m 

1 

122 

300 
39 

1 
1 
1 

340 

1 

55 

— 

285 

115 

47 

300* 
460 

1 
1 
1 
1 
1 

44 
537 
310 
617 

1 

1 

1,6 

75 

80 

1 

552 

1 

330 

1 

561 

1 

290 
70 
86 

1 

410 

1 

561 

1 

522 

1 

464 
482 
190 
315* 

1 
1 
1 
1 

Beobachtete 
Jahre 


Bemerkungen 


Hattenheim 


Hausen 

Heidweiler 

Heinsberg 

Hergarten 

Hermalle  -  sous  -  Ar- 
genteau 

Hergehbach 

Herzogenrath    .  .  . 

Hilden 

Hillscheid 

Hirschfeld 

Hitdorf 

Hockay 

Höchstenbach  .  .  • 
Hollerath 

Honnef 

Huy 


Imgenbroich  .... 
Ittel  Kill 

Jägerhaus 

Jalhay  (Barrage  de 
la  Gileppe)   .  .  . 

Jemeppe 

Jülich 


Kaisersesch    .  .  .  . 

Ealterherberg  .  .  . 
Ealterherberg  (Rei- 
chenstein)  .  .  .  . 


Kammerforst  .  . 

Kelberg 

Kirn 

Klein-Maischeid 


101 

68 

235 


164 
206 


94 
233 

156 

85 

6 

154 

186 

91 

218 

113 
181 


216 

65 


224 

196 
182 
231 


80 
212 
213 


17 
109 

7 
87 


£ 

8°  4' 


7  24 
6  45 
6    6 


6  33 
5  39 


7  44 
6    6 

6  56 

7  42 
7  15 

6  55 

6  1 

7  45 

6  24 

7  14 
5  11 


6  16 
6  35 

6  18 

6    0 

5  30 

6  22 

7  9 
6  12 
6  12 


7  53 

6  55 

7  28 
7  37 


N 

50°  r 


50  33 
49  55 

51  4 


50  37 
50  43 


50  35 

50  52 

51  10 

50  24 

49  54 

51  4 

50  29 
50  38 

50  28 

50  39 
50  28 


50  35 

49  52 

50  38 

50  34 
50  37 
50  55 

50  14 
50  32 
50  32 


50     1 
50  17 

49  47 

50  31 


1893—93,  aus- 

geschl.  April, 

Mal,  Juni  1894 

u.Jan, Febr.  1895 

1891 

1893—95 

1893—95 


1893-95 

1886—95,  aU8- 
gesctal.  Juli  1893 

u.  Jan.,  Febr., 
März  1895 
1893—95 
1894—95 
1893—95 
1893 

April  1893  bis 

Dez.  inkl.  1895 

1893—95 
1886—95 
1893-95 
1886—95 

1893—95 
1886—95 


1886-95 

Juli  1892  bis 
Dez.  inkl.  1895 


Febr. -Dez.  1897 

1886—90 
1886-95 
1894—95 


Juli  1892  bis 
Dez.  inkl.  1895 
März-Dez.  1897 

Juli  1892  bis 
Dez.  inkl.  1895 


1894—95 

1886—95 

1890—95 

1893 


M 


M 


M 
M 
M 
M 
M 

M 
B 

M 
F.A 
<«w) 

M 

B 


M,A 

(1«M)| 

M 


Nov.  1893  zu  hoch 

Station  wurde  mit  April 

1895  nach  Waldfeucht 

verlegt,    etwa  10  km 

von  Heinsberg  entfernt 

Febr., Okt.  1893 zu  gering 


Sept.  1895  nicht  beobach- 
tet, daher  interpoliert 


Febr.  1889  zu  hoch, 
her  interpoliert 


da- 


Regenmesser  bis  Sept. 
1886  Durchmesser  von 
18  om,  von  da  an  von 
35  cm 


Aug. 
dazu 


er  interpoliert 


1892  unzuverlässig.  Auf- 
stellung des  Regenmes- 
sers verändert  fj 


Unzuverlässige  Werte, 
daher  teils  interpoliert. 
Regenmesser  etwas  zu 
frei 

Sommermonate  unzu- 
verlässig] 


7 1]   Die  Niederscblagsverhältnisse  der  mittleren  Rheinprovinz  u.  d.  Nachbargeb.     7 1 


Station 


IS 


der  Station 
über  dem    ,_, 
Meere       W 

N 

50°56' 
51  20 

49  51 

50  2 

m 

60 

42 

90 

340* 

50  88 

550 

50  27 
50  9 
50  27 
50  11 

355 
835 
195 
221 

49  55 
51  9 

90 
500 

51  12 

49  54 

50  38 

340 

480 

75 

50  38 

125 

51  1 

50  6 

218 
460* 

49  58 

105 

— 

427 

50  3 

50  22 

51  13 

82 
594 
403* 
447 

50  8 

470 

51  7 
50  26 

35 
330 

49  38 

50  10 
50  39 
50  37 
49  48 

440 
495 
455 
300 
120 

Bemerkungen 


Köln  ... 
Krefeld  .  . 
Kreuznach 
Kyllburg  . 


142 

13 
63 


Lammersdorf   .  .  .   j  223 
Landshube     (Forst-  j 

bans) ' 

Langenschwalbach  I 

La  Reid '!  197 

La  Roche I  184 


88 


Laubenheim 
Lengelscheid  , 


16 
173 


Lennep '149 

Libramont 179 


Liege  I 


204 


Liege  Cointe  ....    205 


Lindlar J 136 

Lingerhahn 83 

i! 

Löenicb ij   76 

Longlier <  180 


Lorch 

Loaheim  .  .  . 
Lüdenscheid  . 
Lutremagne    . 

Lutzerath .  .  . 


21 

40 

174 

86 


79 


210 

Malmedy 202 

Mambäcbel 11 

Mappershain  .  .  .  .  j   18 


Mechernicb ,160 


123 


Mehring 


66 


E 

6°57' 

6  34 

7  52 
6  35 


6  18 

7  43 

8  4 
5  51 
5  33 

7  54 
7  40 


7  16 
5  26 
5  83 

5  33 


7  22 
7  84 

7    3 


7  48 

6  22 

7  31 


7    0 


5  47 

6  2 

7  22 

8  0 
7  59 
6  40 
6  50 


1,3 

1 
1 

1 


1 
2,5 


1848-95 

1848-85,  98-95 
1851-70, 1889-95 
1898—95,  aus- 
geschl.  April, 
Mai,  Juni,  Juli 
1894 

Febr. -Dez.  1897 

1893—95 
1876-87 
1886-95 

1886—95,  aus- 

geschl.  Febr., 

Aug.  1895 

1893-95 

1892—95,  aus- 

geschl.  Jan., 

März,  Aug., 

Sept.,  Okt.  1893 

1893—95 

1890—96 

1881—89    SU8- 

geschl.  Febr., 

März  1888 

—  1886—90 


1898—95 

1893—95,   aus* 
geschl.  Nov.  1893 
u.  März  1895 
Aug.  1899  bis 
Dez.  inkl.  1895 
1886—95 

1893—95 

1893-95 

1891-94 

1886—91,  Febr. 

1893  bis  (ein- 

schliessl.)  Nov. 

1895 

1888—92 


1886—95 

1893—95,  aus- 

geschl.  Sept.  1893 

1893—95 

1895 
1893—95 

1897 
Juli  1892  bis 
Dez.  inkl.  1895 


Bis  Juli  1883  Regenmes- 
ser System  Aßmann 
hr  =  3,3  m  etwas  be- 
engt aufgestellt.  Von 
da  ab  System  Hell- 
mann mit  einwands- 
freier  Aufstellung 


Ziemlich  unzuverlässige 
Werte 


Station  bis  1887  in  der 
Rue  St. Esprit,  von  da  ab 
im  Botanischen  Garten 

PrinzipiellverkehrteAuf- 
stellung  auf  18  m  hohem 
Turme  bis  1892.  Von 
Lancaster  berech- 
neter Fehlbetrag  von 
110  mm  pro  Jahr  wurde 
an  den  betreffenden 
Jahrsumm.  angebracht] 

Sept.,  Okt.  1893  u.  Jahr, 
besonders  Juni  1894  un- 
zuverlässig 


1886—89  inkl.  unzuver- 
lässig, daher  v.  der.  Ver- 
rechnung ausgeschl. 

Sommerl894  abweichend 


Höchst 
Werte 


unzuverlässige 


Juni  1888  zu  gering 


72 


P.  Polis, 


[72 


Station 


ja 


1*1 


Höhe 


Fi 
51* 


Beobachtete 
Jahre 


Bemerkungen 


6C 


Meinerzhagen 


Meisenheini . 
Merzig   .  .  . 

Meudt.  .  .  . 
Mondorf    .  . 


Monte  Rigi. 
Morbach   .  . 


Morsbach 

Much 

Mühlenbach  .... 
München-  Gladbach 
Münstereifel  .... 

Münstermaifeld   .  . 

Mützenich 


Nassau 

Nastätten  .... 

Nennig 

Ne88onvaux .  .  . 

Neuß 

Neu-Straßburg  . 

Neuwied   .... 


Newel 

Nieder-Breisig  . 
Nieder-Emmel  . 

Nieder- Wipper. 

Nittel 

Nohn 


Ober-Geckler.  . 

Ober-Honnefeld 
Ober-Kail.  .  .  . 


Ober-Oefflingen 
Ober-Pleis   .  .  . 


Ober-ReifFerschei  d 


172 

12 
55 

26 
139 


211 
69 

121 
128 
132 
288 
158 

84 

215 


29 
30 
33 
194 
167 
50 

90 

58 

104 

71 

145 

35 

107 


44 

102 
67 

74 
129 

219 


7  40 

6  38 

7  54 
7  5 


6  8 

7  8 

7  44 
7  24 
7  85 
6  26 

6  46 

7  22 
6  13 


7  48 
7  52 
6  23 

5  45 

6  42 

6  32 

7  28 


6  35 

7  18 

6  56 

7  26 
6  27 
6  47 


6  18 

7  31 
6  41 

6  52 

7  17 

6  27 


N 

51°  6' 

49  42 

49  27 

50  30 
50  47 


50  31 

49  49 

50  52 

50  54 

51  4 
51  12 
50  33 

50  15 

50  37 


50  19 
50  12 

49  32 

50  33 

51  12 
50  7 

50  26 


49  49 

50  81 
49  53 

51  7 

49  39 

50  20 


49  58 

50  34 
50  2 

50  4 
50  43 

50  28 


m 

m 

408 

1 

155 
175 

362 
54 

670 
430 

215 

207 

410 

52 

290 

1,3 

249 

590 

88 
265* 
155 
108 

40 
467 

— 

68 

1,1 

365 

60 

140 

1,2 

275* 

141 

? 

1,5 

400* 

370 
365 

405 
126 

1 
1,5 

540 

1 

1892-95,  aus- 
geschl.  April  bis 
Aug.  u.  Okt.  1896 

1893—95 

Juli  1892  bis 
Dez.  inkl.  1895 

1893—95 
1894-95,  aus- 

geschl.  Nov., 
Dez.  1894  und 

März.  April. 
Mai,  Juni  1895 
April-Dez.  1897 

Juli  1899  bis 
Dez.  inkl.  1895 

1893—95 
1893—95 
1893—95 
1893—95 

Juli  1892  bis 
Dez.  inkl.  1895 

Juli  1892  bis 
Dez.  inkl.  1895 

1897 


1893-95 

1893—95 

1893—94 

1886-95 

1893—95 

Juli  1892  bis 

Dez.  inkl.  1895 

Juli  1887  bis 

Dez.  inkl.  1895 

1893—95 

1892—95 

Juni  1892  bis 

Dez.  inkl.  1895 

1893 

1893—95 

1893 


Juli  1892  bis 
Dez.  inkl.  1895 

1891—95 

Aug.  1892  bis 

Dez.  inkl.  1895 

1893 

1893—95 

Juli  1892  bis 
Dez.  inkl.  1895, 
ausgeschl.  Jan., 

Febr.,  März, 
Aug  ,  Sept.  1894 


M 

M 
M 

M.| 

M     Ziemlich  unzuverlässige 
Werte 


A 
M 

M 
M 
M 

Mi 
M 

M 

Mi 


M, 

M 

M 

B 

M 

M 

M 

M 
M 
M 

M 
M 
M 


Ml 

m: 
m! 

m' 

M 
M 


Nov.  1894  zu  hoch 


Regenmesser  Syst.  Aß- 
mann,  mit  Latten4 
zäun  umgeben 

Febr.  1893  zu  gering 


Dez.  1894  und  Juni  1895 
zu  gering 
Jan.  1893  zu  gering 


73]  Die  Niederschlaggverhaltnisse  der  mittleren  Kheinprovinz  u.  d.  Nachbargeb.     73 


Station 


Odenspiel 

Offermaiinsheide .  . 

Olpe 

Osburg 

Otzenhausen  .... 
Overath 

Pfalzkyll 

Poncel 

Poppeisdorf    .  .  .  . 

Presberg 

Prüm       (Forstbaus 
Tettenbusch) .  .  . 

.Puderbach 


Raffelsbrand  . 
Ramersbach   . 

Recht 

Remagen  .  .  . 

Remscheid  .  . 
Rheinsfeld  .  . 

Rötgen  .... 

Rüdesheim  .  . 
Ruppicbteroth 


Salzburg 

Saint   Nicolas  lez- 

Liege 

Schieiden 

Schmidtheim .... 

Schneifei  forsthaus  . 
Schönan    

Schwelm 

Selters 

Siegburg 


sl 


184 

187 

170 
60 

53 


185 


64 

178 

116 

20 

47 
96 


225 
111 
200 
112 

150 
54 

227 

4 
127 


122 

203 
220 

217 

46 
157 

148 

86 

130 


s§-3 


£ 

7°43' 

7  16 
7  51 

6  48 

7  0 
7  17 


6  38 


7    6 
7  54 

6  26 

7  87 


6  18 

7  6 

6  3 

7  14 

7  12 
6  53 

6  12 

7  55 
7  29 


8    3 

6  29 
6  34 

6  25 

6  47 

7  18 
7  45 
7  13 


3* 

»PO 

55 


N 

50*56' 

51  0 
51  2 
49  43 

49  36 


50  56 


49  57 


50  44 
50    3 

50  13 
50  36 


50  38 
50  29 
50  20 

50  35 

51  11 

49  41 

50  89 

49  59 

50  51 


50  40 

50  32 
50  29 

50  18 

50  31 

51  17 
50  32 
50  48 


Höhe 


ja 


m 

403 

? 

331 
460 

420* 


92 


195 

383 

60 

405 

460 
214 


470 

440 

410 

65 

310 
495 

398 

85 
156 


604 

137 
380 

570 

657 
355 

210 

250 

67 


»SS 
5  8.8 


m 
1 

1 

1 

1,5 

1 


1 

1 

1,3 
1 

1 
1 


1,7 

1 


1 
1 

2,1 

1 

1 
1 
1 


Beobachtete 
Jahre 


1895-95,  aus- 
geschl. Sept.  95 
1893—95 
1893-95 

1895—95,  aus- 

geschl.  Mai  1893 
1893—95 


1893—95 


Juli  1899  bis 
Dez.  inkl.  1895 

1886-90,  1892-94 

1893-95 

1893—94,   aus- 
geschl.  Jan.  1894 

Juli  1892  bis 

Dez.  inkl.  1894 

1891-95 


Febr. -Dez.  1897 

1893-94 

1893—95 

Juli  1892  bis 

Dez.  inkl.  1895 
1893—95 

Aug.  1892  bis 

Okt.  inkl.  1895 

1893-95 


1893—95 

Aug.  1892  bis 
Dez.  inkl.  1895, 

ausgeschl. 

Sept., Okt., Nov., 

Dez.  1893 

1893—95 

1888-95 
Juli  1892  bis 

Dez.  inkl.  1895 
Juli  1892  bis 

Dez.  inkl.  1895 

1887-95 

Juni  1892  bis 

Dez.  inkl.  1895 

1893—95 

1894—95 

1893 


Bemerkungen 


Febr.,  März  1894  abwei- 
chend 


Febr. ,  Mai,  Juli,  Okt.1893 
u.  Febr.  1894  unzuver- 
lässig 

Mai  1895 ,  Nov.  1895  zu 
hohe  Werte 


Jahrsumme  1895  zu  ge- 
ring. Messungs  fehler? 
unzuverlässige  Werte 

1891  und  1896  unzuver- 
lässig, daher  v.  d.  Ver- 
rechnung ausgeschl.] 


Febr.  1894  zu  gering 

Sommermonate  1894  und 
1895  abweichend  Ge- 
witterregen?] 

Nov.,  Dez.  1895  zu  hoch, 
daher  ausgeschlossen. 
Schneeverwehung  ? 

Jan.,  Febr.,  März  1896 
unzuverlässig.  Schnee- 
verwehung 

Sommermonate  zu  ge- 
ring 

Höchst  unzuverlässige 
Werte  und  lückenhaft 


Nov.  1895  zu  hoch 

Höhe  des  Regenmessers 
1,80  m  bis  11.  Nov.  1890, 
von  da  ab  5,10  m,  daher 
auch  die  Niederschlags- 
abnahme in  den  folgen- 
den Jahren] 

Jahrsumme  1887  wegen 
Verdun  stungs  Verlust 
etwas  zu  gering 


74 


P.  Polis, 


[74 


Station 


Simmern 8 

Singhofen j    32 

Sobernheim    ....  I    10 
Solingen 151 

Stavelot 187 

i 

Stolberg 229 

Stromberg  (Gollen-  II 

felß) "   15 

St  Vith 39 


Ternell  .  .  . 
Theux.  .  .  . 
Thommen.  . 
Thronecken 


Treis   . 
Trier    . 

Ulmen 


Verviera,  Tirlemont 
Villip 

Visa 


Wahn.  . 

Waldbröl . 
Walheim  , 


189 

198 

41 

70 

82 

57 


77 


193 
114 

207 


141 

126 
228 


Wallmerod 27 

Wassenach 103 


Wegeringhausen . 
Wiltingen  .... 
Windhagen.  .  .  . 
Winterbach  .  .  . 
Witterschlick.  .  . 

Wittlich 

Wollmer8chied .  . 


Zerf  (Bahnhof) 
Zingsheim  .  .  . 

Zons 


im 

56 
100 

14 
138 

75 
19 


59 
159 

155 


sS-S 

■gfg 

ill 


E 

7°31' 
7  50 
7  39 
7  5 

5  57 

6  13 

7  46 

6  7 


6  7 

5  47 

6  5 

6  59 

7  18 
6  38 

6  59 


5  52 

7  6 


7  5 

7  37 
6  7 


7  57 
7  17 

7  44 

6  36 

7  21 
7  38 
7  2 

6  53 

7  52 


6  43 
6  40 

6  51 


3* 


Höhe 


SIS 


N 

49°  59' 

50  16 

49  47 

51  10 

50  23 

50  47 

49  57 

50  17 


50  36 
50  32 
50  13 

49  44 

50  10 
49  45 


50  13 


50  36 
50  38 

50  44 


50  51 

50  53 
50  42 


50  29 

50  26 

51  3 

49  40 

50  38 

49  52 

50  42 

49  49 

50  7 


49  36 

50  31 

51  7 


380 
310 
152 
219 
320 

180 

294 
482* 


500 
170 
490 
400 

81 

150 


429 


255 
175 

199 


50 

266 
264 


320 

278 

418 

144 

320* 

400 

135 

175 
385 


372 

530 

37 


§*>£§  Beobachtete 
~  "^  ~         Jahre 

5« 


1 
1,6 


1 
1 

1 

1,3 

1,3 


1 
1 

1 
1 

1,4 
1,2 

1 

1,5 

1 

1 
1 


1886—95 

1893—95 

1893—95 

1893—95 

188fi-95,  aus- 

ge8chl.Febr.l895 

1897 

1893-95* 
1887—89 


1897 

1886—90 

1893—95 

Juli  1892  bis 

Dez.  inkl.  1895 

Juni  1892  bis 

Dez.  inkl.  1895 

1806-80, 1850-97 


Juli  1892  bis 
Dez.  inkl.  1895 


1886—90 
Juni  1892  bis 
Dez.  inkl.  1895 
1886—95,  aus- 
geschl.  Febr., 
Juli  1895 

Juni  1892  bis 

Dez.  inkl.  1895 

1893—95 

1892— 95,  aus- 

geschl.  Febr., 

März  1895 

1893—95 

Juni  1892  bis 

Dez.  inkl.  1895 

1892—95 

1893—95 

1891 

1893—95 

Juni  1892  bis 

Dez.  inkl.  1895 

1893 

1893—95 


1894—95 
Juni  1892  bis 
Dez.  inkl.  1895 

1893—95 


M 


M 

M 
PA 

(96) 
M 
M 

M 
M 

M 
M 
M 

M 

M 


Bemerkungen 


Ziemlich  unzuverlässige 
Werte 


Regenmesser  einwande- 
frei im  Gymnasialgar- 
ten aufgestellt 


1889,  90  u.  91  nicht  EU- 
verlässig,  daher  ausge- 
schlossen 


Station  des  Städtischen 
Wasserwerks  Aachen. 
Aeußerst  unzuverläs« 
sige  Werte,  zum  Teil 
interpoliert.  Bis  Aug. 
1896  Regenmesser  eige- 
ner Konstruktion  an  zu 
freier  Stelle.  Von  da 
ab  System  Hellmann 
geschlitzt  aufgestellt 


75]  Die  Niederschlagsverh&ltnisse  der  mittleren  Rheinprovinz  u.  d.  Nachbargeb.     75 


TabeUe  II. 
Vieljährige  Monats-  und  Jahreswerte  der  Niederschläge. 


T 
I    i 

Halbjahr 


GS 

Station      ,  2 

*4 


I    *- 
I 


Aachen  1844b. 

1851,1861-95 

BaraqueMichel 

1864—1866, 

1879—1892 
Birkenfeld 

1861—1879, 

1886—1895 
Bonnl848— 70 
Boppard  1846 

bis  1890  .  . 
Brüssel    1883 

bis  1890  .  . 
Hockay    1882 

bis  1895  .  . 

Köln  1848— 97 

Krefeld    1848 

bis  1885, 1893 

bis  1895 .  .  . 

Kreuznach 

1851—1870, 

1889—1895 

Langenscnwal- 

bach  1876-85 

Trier  1806  bis 

1830,1850-97 

Aachen  1844  b. 

1851,1861-95 

Baraqne  Michel 

1864—1866, 

1879—1892 
Birkenfeld 

1861—1879, 

1886—1895 
Bonnl848— 70 
Boppard  1846 

bis  1890  .  . 
Brüssel    1833 

bis  1890  .  . 
Hockay    1882 

bis  1895  .  . 

Köln  1848— 97 

Krefeld    1848 

bis  1885, 1898 

bis  1895 .  .  . 
Kreuznach 

1851-1870, 

1889—1895 
Langenscnwal- 

bach  1876-85 
Trier  1806  bis 

1830,1850-97 


In  Millimeter 


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66 

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79]  Die  Niederschlagsverhältnisse  der  mittleren  Rheinprovioz  u.  d.  Nachbargeb.     79 


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81]  Die  Niederechlagsverhältnisse  der  mittleren  Rheinprovinz  u .  d.  N  achbargeb.     8 1 


Tabelle  VI. 

Jahresniederschläge  im  mittleren  Rheingebiet  in  Millimeter. 

Stationen  nach  Flußgebieten  geordnet. 

Vergleichsstationen:   Aa  =  Aachen;   AI  =  Altenkirchen;   Ar  =  Arlon;  Bd  =  Birkenfeld 

Bg  =  Bitburg ;  C  =  Coblenz ;  Ge  =  Geisenheim ;  Gr  =  Gerolstein ;  Ga  =  Gummersbach ;  Gt  =  Gützen- 

rath ;  Hg= Hachenburg ;  Ht = Hollerath  •  I  =  Imgenbroich ;  Ee  =  Kelberg ;  Kö  =  Köln ;  L  =  Longlier 

N  =  Neuwied;  Soh  =  Schneifelforsthaus ;  S  =  Simmern ;  T  =  Trier. 

*  bedeutet:  Beobachtungsmaterial  lückenhaft. 


is 

! 

V 

Reduzierte  Werte 

bS 

1 
Station 

Beobachtungs- 

9 

a 

1891 

Ver- 

1886 

Ver- 

r° 

zeit 

0 

bis 

gleichs- 

bis 

gleichs- 

1 

1895 

station 

1895 

Station 

Rhein. 

l 

......   Eltville  .... 

1893—95 
i       1898-95* 

745 
526 

747 
533 

Ge 
Ge 

746 
534 

Ge 

2 

. 

Hattenheim    . 

Ge 

3 

Geisenheim .  .  ' 

'       1886-95 

476 

478 

— 

476 

— 

4 

Rüdesheim  .  . 

1       1893—95 

453 

442 

N,Ge 

462 

N,  Ge 

5 

Birkenfeld  .  . 

1886-95 

740 

721 

— 

740 

— 

6 

(  wj>chfeld  ■  • 

'  April  1893—95 

610 

602 

S 

627 

S 

7 

Kirn 

1890—95 

510 

514 

— 

521 

S 

8 

(Kellen- r  Simmern  .  .  . 
bach)    \  Gemünden  .  . 

1886—95 

594 

566 

— 

594 

— 

9 

1893-95 

522 

499 

S 

537 

s 

10 

<x> 

Sobernheim    . 

1893-95 

492 

474 

S 

496 

s 

11 

c3< 

/pi.^  (Mambachel.  . 
<Glan)  \Meisenheim.  . 

i       1893—95 

724 

685 

Bd 

710 

Bd 

12 

* 

;       1893—95 

545 

521 

Bd 

548 

Bd 

13 

Kreuznach  .  . 

1889—95 

486 

491 

— 

497 

Ge 

14 

^{wi-w-d.  • 

1893-95 

515 

508 

S 

530 

S 

15 

(GbSr{stroniber»  •  • 

1893—95* 

526 

507 

S 

528 

S 

16 

Laubenheim  . 

1893-95 

461 

466 

Ge 

466 

Ge 

17 

Kammerforst . 

1894—95 

450 

426 

Ge 

429 

Ge 

18 

(  Mappershain  . 

w;-^«.       1  Wolmerschied 
Wisper  .  .    ?re8berg  m  9  m 

l  Lorch 

1895 

711 

595 

Hg 

599 

Hg 

19 

1893—95 

631 

635 

Ge 

633 

Ge 

20 

1893—94 

499 

484 

Ge 

486 

Ge 

21 

j       1893—95 

461 

450 

N.Ge 

456 

N,  Ge 

22 

(?3-(Bo«el 

1893-95 

604 

615 

Ge 

615 

Ge 

28 

Boppard   .  .  . 

1886-90 

593 

— 

— 

552 

S 

24 

Braubach  I  .  . 

1       1893—95 
1894—95 

504 
535 

510 
547 

Ge 
Ge 

512 
541 

Ge 

25 

Ge 

Lahn. 

26 

(  Meudt 

1893—95 

900 

S86 

N 

887 

N 

27 

Gelbach .  .{  Wallmerod  .  . 

1       1893-95 

844 

832 

N 

832 

N 

28 

[  Eppenrod .  .  . 

|       1893-95 

737 

721 

N 

722 

N 

29 

Nassau   .... 

j       1893—95 

643 

634 

N 

637 

N 

30 

(  Nastätten  .  .  . 

1893—95 

601 

590 

Ge 

602 

Ge 

31 

Mühlbach  l  Gemmerich  .  . 

i       1893-95 

646 

638 

N 

641 

N 

32 

1  Singhofen .  .  . 
Mosel. 

!       1893—95 

602 

611 

Ge 

607 

Ge 

33 

Nennig  .... 

1893-94 

594 

585 

T 

609 

T 

34 

Ditzingen    .  . 

Aug.  1892—95* 

G85 

664 

T 

700 

T 

35 

Nittel 

1893-95 

647 

617 

T 

640 

T 

36 

(S 

lauer)  .  .   Lutremagne   .  , 

1886-91, 1893-95 

747 

— 

— 

833 

L 

Forschungen  zur  deutschen  Landes-  und  Volkskunde.    XII.  l. 


82 


P.  Polis, 


[82 


i* 

a 
a 

Reduzierte  Werte 

Ji 

Station 

Beobachtungs- 

1891 

Ver- 

1886 

Ver- 

o B 

zeit 

GQ 

bis 

gleichs- 

bis 

gleichs- 

1895 

atation 

1895 

Station 

37 

/  f\xm*.\  /  Baetogne  .  .  . 

1886—95 

861 

845 

861 

38 

v          '  l  Bourcy  .... 

1887—95 

685 

633 

— 

685 

— 

39 

(  St.  Vith .... 

1887—89 

728 

— 

— 

712 

I,Ht 

40 

<™  䣣.::: 

1893—95 

1012 

1004 

Ht 

954 

Ht 

41 

1893-95 

820 

808 

Seh 

844 

Seh 

42 

l  Dasburg.  .  .  . 

Juli  1892-95 

683 

683 

Gr 

669. 

Gr 

43 

(Gay»   f  Geichlingen    . 
bach)   l  Ober-Geckler . 

Juli  1892-95 

764 

767 

Bg 

725 

Bg 

44 

u 

Juli  1892-95 

755 

758 

Bg 

722 

Bg 

45 

<D 

Bollendorf  .  . 

Juli  1892—95 

586 

593 

Bg 

552 

Bg 

46 

9 
cB 

/  Schneifelforst- 

QQ 

haue 

1887—95 

956 

924 

— 

960 

T 

47 

Prüm(Forsth8. 

Tettenbusch) 

Juli  1892—94 

711 

719 

Seh 

744 

Seh 

48 

(Prüm) 

Bleialf 

1893—95* 

786 

715 

Seh 

748 

Seh 

49 

Arzfeld  .... 

Okt.  1892—95* 

613 

647 

Gr 

635 

Gr 

50 

Neu-Straßburg 

Juli  1892—95 

745 

741 

Gr 

726 

Gr 

51 

Bitburg  .... 

Juli  1887—95 

663 

/709 
\690 

T 

661 

T 

52 

*               *  Alsdorf  .... 

Juli  1892-95 

611 

615 

19 

584 

Bg 

53 

u  l  /-p«^ö\  f  Otzenhau8eu  . 
*    (Prm*)(  Rheinsfeld  .. 

1893—95 

1014 

955 

975 

Bd 

54 

Aug.1893b.Okt  1895 

953 

951 

T 

987 

T 

55 

*|                  Merzig   .... 

Juli  1892—95 

726 

724 

T 

748 

T 

56 

\                 Wiltlingen  .  . 

1893-95 

667 

641 

T 

650 

T 

57 

Trier 

1886—95 

656 

631 



656 

— 

58 

(Biewerbach)Newel 

1893—95 

726 

689 

T 

713 

T 

59 

m  „™^     /  zerf  (Bahnhof) 
(Ruwer).  \  0gh^g  _[ 

1894—95 

806 

753 

T 

754 

T 

60 

1893—95* 

771 

714 

T 

748 

T 

61 

Gerolstein    .  . 

1887—95 

669 

686 

— 

671 

T 

62 

Densborn  .  .  . 

Juni  1892—95 

790 

781 

Gr 

762 

Gr 

63 

Kyll  .... 

Kyllburg  .  .  . 
Pfalzkyll  .  .  . 

1893—95* 

764 

804 

Bg 

749 

Bg 

64 

Juli  1892—95* 

588 

579 

»/ 

540 

Bg 

65 

1  Ittel-Kili   .  .  . 

Juli  1892-95 

606 

601 

631 

T 

66 

Mehring.  .  .  . 

Juli  1892—95 

623 

620 

T 

646 

T 

67 

Salm   ...Ig^-i1" 
l  Heidweiler  .  . 

Aug.  1892—95 

771 

761 

Bg 

731 

Bg 

68 

1893—95 

646 

643 

» 

602 

Bg 

69 

tu».™        /  Morbach   .  .  . 
Dhron.  .  -\  Thronecken.  . 

Juli  1892—95 

702 

695 

721 

T 

70 

Juli  1892—95 

725 

718 

T 

754 

T 

71 

Nieder-Emmel 
Gornhausen    . 

Juni  1892-95 
Juli  1892—95 

660 
766 

648 
767 

T 
T,  S 

670 
800 

T 

72 

T.S 

73 

[  Daun 

Juli  1892-95 

688 

685 

Gr 

669 

Gr 

74 

Lieser .  .  .{  Ob.-OefFlingen 

1893 

667 

699 

Bg 

655 

Bg 

75 

l  Wittlich    .  .  . 

1893 

619 

645 

Bg 

607 

¥ 

76 

Lösnich  .... 

Aug.  1892—95 
Juli  1892—95 

663 

648 

T 

673 

77 

Alf            /  Ulmen 

Alt.  .  .  .  .\  Aif (Forgtnau8) 

631 

631 

Ke,Gr 

620 

Ke,Gr 

78 

Juni  1892—95 

663 

667 

Ke,  S 

681 

Ke,  S 

79 

(Uesbach)    Lutzerath  .  .  . 

1888—92 

684 

742 

Ke 

726 

Ke 

80 

(Poby{^8eMe8Ch- 

(Flaumbach)  Bell 

Juli  1892—95 

591 

597 

Ke,  S 

608 

Ke,  S 

81 

1893—95 

748 

725 

S 

757 

S 

82 

Treis 

Juni  1892—95 

480 

480 

Kef  S 

495 

Ke,  S 

83 

(Beybach).   Lingerhahn.  . 

Januar  1893—95 

711 

682 

S 

711 

S 

84 

Münstermaifld 

Juli  1892—95 

414 

423 

Ke,N 

423 

Ke,N 

85 

q 

jöhrbach) 

Hillscheid.  .  . 

1893 

664 

— 

— 

— 

— 

83]   Die  Niederschlagsverhältnisse  der  mittleren  Rheinprovinz  u.  d.  Nachbargeb.     83 


Station 


Beobachtungs- 
zeit 


B 
S 

S 
GQ 


Reduzierte  Werte 


1891 
bis 
1895 


Ver- 
gleichs- 
station 


1886 

bis 

1895 


Ver- 
gleichs- 
station 


86 
87 


Sayn. 


117 
118 
119 
120 
121 
122 
123 
124 
125 
126 
127 
128 
129 
130 
131 
132 
133 
184 
135 


Selters    .... 
Kl.-Mai8cheid 
Landshabe 
(Forsthaus) 

Coblenz  .  .  . 

Neuwied    .  . 
Höchstenbach 
Hachenburg 
Altenkirchen 
Herschbach 
Dierdorf   . 
Puderbach 
*|  Hasselbach 
Asbach  .  . 
Drinhausen 
Windhagen 
Hausen  .  . 
I  Ob.-Honnefeld 

(Brohlbach  Wassenach 

Nieder-Breisig 
Blankenheim 
Dockweiler 
Nohn   .  .  . 
Dankerath 
Kelberg  .  . 
Adenau  .  . 
.  Ramersbach 
Remagen  . 
Honnef  .  . 

Godesberg.f  Villip  .  .  . 
Bach     \  Godesberg 
Poppeisdorf 

Sieg. 

(Ferndorfer  /  _.  _ 

Bach)       \  Eichen    .  .  . 

Freudenberg 

(Heller)  .  .   Burbach    .  . 

Elkenroth.  . 

(Wisser).  .  Morsbach  .  . 
Grosse  j  Salzburg  .  . 
Nister    \  Marienberg . 

Dattenfeld  . 

Blankenberg 

p  -,  /  Waldbröl  .  . 

ürö1  *  '  '  \  Ruppichteroth 

(Wahn)  .  .   Much  .... 

(Pleisbach)   Ober-Pleis    . 

Siegburg  .  . 

Bergneustadt 
Mühlenbach 
Gummersbach 
Odenspiel . 
Overath.  . 


Agger  . 


1894—95 
Jahr  1893 

1893—95 
1886-95 

Juli  1887—95 
1893—95 
1886—95 

1888,  1890-95 
1893—95 
Jahr  1893 
1891—95 

Juli  1892—95 
Jahr  1895 

März  1892—93 
Jahr  1891 
Jahr  1891 
1891-95 

Juni  1892—95 
1892-95 

Juni  1802  b.März  95' 

März  1893—94* 

1893 

1895 

1886—95 

Juni  1892—95 
1893—94 

Juli  1892—95 
1893—95 

Juni  1892-95 
1891—95 
1893—95 


1893—95 
1892—95 
1892—95 
1889—95 
1893—95 
1893—95 
1893—95 
1893—95 
1893—95 
1893—95 
Aag.i89Sb.Jan.95' 
1893—95 
1893—95 

1893 
1893—95 
1893—95 
1886—95* 
1893—95 
1893—95 


851      761 
6371    — 


778 
505 

532 

860 
825 
774 
841 
635 
792 
855 
886 
736 
774 
668 
774 
478 
498 
638 
758 
608 
527 
632 
603 
518 
551 
626 
579 
604 
551 


1082 

1086 

891 

999 

1075 

1058 

943 

877 

785 

1101 

520 

1014 

708 

594 

1116 

1304 

1160 

1270 

1017 


790 
540 
559 
523 
806 
842 
792 
790 

792 

850 

788 


774 
480 
501 
633 
732 
627 

640 
604 
546 
557 
596 
562 
604 
534 


959 

1084 

886 

962 

950 

987 

890 

774 

748 

976 

506 

899 

676 

713 

988 

1152 

1098 

1104 

991 


N 

N 

Ke,  S 

Hg 

°? 
N,  Kö 

N 


N,Ke 

N 

Kö 

Gr 
Gr,Ke 


Ke,N 

N 

N 

N,Gu 

Kö 

Kö 


Gr 
Hg 
Hg 

Gu 
5g 

Gu 
N,Gu 

Gu 

Kö 

Gu 
N,  Gu 

Kö 

Gu 

Gu 

Kö 

Gu 

Kö 


764 


789 
507 
458 
527 

797 
826 
758 
782 


870 
809 


783 
483 
513 
664 
712 
618 

632 
608 
557 
571 
591 
578 
626 
558 


990 

1070 

872 

994 

969 

968 

871 

789 

744 

988 

522 

925 

674 

748 

1005 

1171 

1117 

1139 

1019 


N 


N 

Ke,S 

KefKö 

Hg 

N,  Kö 
Hg 

N,Kö 
N,  Kö 

N 


N,Kö 
N,Ke 

N 

Kö 

Gr 
Gr,Ke 


Ke,  N 

N 

N 
N,Gu 

Kö 

Kö 

Kö 


Gr 

g* 
Hg 

N,Kö 

Gu 

S* 

Gu 
N,Gu 

Gu 

Kö 

Gu 
N,Gu 

Kö 

Gu 

Gu 

Kö 

Gu 

Kö 


84 


P.  Polis, 


[84 


Ss 

i 

• 

1       Reduzierte  Werte 

Station 

Beobachtungs- 

§  ' 

1891 

Ver- 

1886 

Ver- 

Ig 

1            zeit 

bis 

gleicht- 

bis 

gleiohs- 

O 

i 

1895 

Station 

1895 

station 

136 

Am»».        /  Lindlar  .... 
Agger  .  .  .\  offermamwhde 

1893-95 

1111 

988 

Gu 

1007 

Gu 

137 

1893-95 

1135 

1015 

Gu 

1040 

Gu 

138 

Witterechlick 

Juni  1892—95 

549 

532 

Kö 

550 

Kö 

139 

Mondort    .  .  . 

Jan.  1894  b.  Dez.  95* 

515 

461 

Kö 

473 

Kö 

140 

Brühl 

Juni  1892—95 

624 

617 

Kö 

637 

Kö 

141 

Wahn 

Juni  1892—95 

631 

635 

Kö 

650 

Kö 

142 

Köln 

'       1886-95 

662 

644 

— 

662 

— 

143 

(Strunder  Bach)  Bensberg  .  .  . 

,       1893—95 

855 

831 

Kö 

861 

Kö 

144 

Gogarten  .  .  . 

!       1894—95 

1470 

1300 

Gu 

1305 

Gu 

145 

Niederwipper 
Hartkopsbever 

1893 

1063 

1074 

Gu 

1095 

Gu 

146 

i* 

1893—95 

1171 

1033 

Gu 

1050 

Gu 

147 

o 

Hahnenberg  . 

1893—95 

1250 

1107 

Gu 

1132 

Gu 

148 

Gl, 

3 

Schwelm  .  .  . 

1893-95 

1072 

952 

Gu 

971 

Gu 

149 

Lennep  .... 

1893-95 

1283 

1146 

Gu 

1156 

Gu 

150 

£ 

Remscheid  .  . 

1893—95 

1236 

1077 

Gu 

1090 

Gu 

151 

Solingen   .  .  . 

1893—95 

1053 

944 

Gu 

966 

Gu 

152 

lDhta-{Sa*i::: 

1893-95 

1105 

993 

Gu 

1015 

Gu 

153 

!       1893—95* 

916 

840 

Gu 

863 

Gu 

154 

Hitdorf  .... 

1893—95 

737 

658 

Gu 

677 

Gu 

155 

Zons  

1893—95 

667 

598 

Gt 

618 

Gt 

156 

(Itterbach)    Hilden    .... 

1893-95 

723 

666 

Gt 

661 

Gt 

157 

Schönau.  .  .  . 

:    Juni  1892—95 

632 

632 

Ke 

624 

Ke 

158 

Münstereifel  . 

jl  Juli  1892—95 

580 

591 

Ke 

589 

Ke 

159 

Zingsheim    .  . 

'  Juni  1892—95 

605 

591 

Kö 

610 

Kö 

160 

Mechernich.  . 

1            1897 

545 

477 

Kö 

490 

Kö 

161 

Erft  .  .  .  . 

Euskirchen  .  . 

Juni  1892—95 

548 

541 

Kö 

560 

Kö 

162 

Erp 

Juni  1892—95* 

554 

574 

Kö 

593 

Kö 

163 

Brüggen    .  .  . 

Juni  1892—95* 

601 

595 

Kö 

615 

Kö 

164 

Hergarten    .  . 

1893—95 

591 

558 

I.Ht 

561 

I,  Ht 

165 

Bergheim  .  .  . 

Juni  1892—95 

738 

723 

Kö 

741 

Kö 

166 

.  Grevenbroich. 

|       1894-95 

685 

610 

Gt 

601 

Gt 

167 

Neufi 

,       1893-95* 

667 

710 

Kö 

734 

Kö 

168 

nfloaÄl        /  Gerre8heim  .  . 
Dussel.  .  .x  Dü88elthal   m  m 

1893—95 

725 

699 

Kö 

728 

Kö 

169 

1893-95 

736 

709 

Kö 

731 

Kö 

Ruhr. 

I 

170 
171 

Lenne!BM%eringhan8. 

1893—95 
1892—95 

1138 
1256 

1009 
1161 

Gu 
Gu 

1033 
1181 

Gu 
Gu 

172 

Meinerzhagen 

1892—95* 

1243 

1189 

Gu 

1191 

Gu 

173 

<v 

Lengelscheid  . 

1892-95 

1150 

1122 

Gu 

1154 

Gu 

174 

J 

Lüdenscheid 

1 

o 

(Straße)  .  .  . 

1891—94 

1040 

985 

Gu 

1001 

Gu 

175 

> 

.,           /  Breckerfeld .  . 
Lnnepe(Halyer 

1893-95* 

1202 

1068 

Gu 

1082 

Gu 

176 

1892—95 

1118 

1056 

Gu 

1068 

Gu 

Maas. 

1 

| 

177 

*  f                 Arlon 

!       1886-95 

725 

i   674 

— 

725 

— 

178 

|l                 Poncet 

a>  1  tt,"ä— Ä  /  Libramont  .  . 
MlVierre\Longlier    .  .. 

1886—94* 

1092 

— 

— 

1280 

Ar 

179 

1890—96 

1134 

— 

— 

1173 

Lo 

180 

1       1886—95 

1035 

1029 

— 

1035 

— 

181 

Huy 

i       1886—95 

701 

,    700 

— 

701 

— 

182 

Jemeppe  .  .  . 

,       1886—95 

520 

493 

— 

520 

— 

183 

i  Gouvy  

Ourthe   .  .{  La  Roche.  .  . 

1886—95 

805 

797 

— 

805 

— 

184 

1886—95 

855 

839 

— 

855 

— 

185 

L  ErezSe 

1886-95 

i 

927 

932 

i 

— 

927 

— 

85]    Die  Niederschlagsverhältnisse  der  mittleren  Rheinprovinz  u.  d.  Nachbargeb.      85 


&ä 

[  Beobachtungs- 

S    1 

s   i 

Reduzierte  Werte 

Sa 

Station 

1891 

Ver- 

1886 

Ver- 

M es 

'           zeit 

w    ||  bis 

gleichs- 

bis 

gleichs- 

1 

||  1895 

station 

1895 

station 

186 

[Hockay  .... 

Ambleve]  Stavelot.  .  .  . 

1  Aywaille   .  .  . 

1886-95 

1217 

1154 



1217 



187 

1886—95 

899 

941 

— 

899 

— 

188 

1886—95 

903 

814 

— 

903 

— 

189 

Ternell  .... 

1897 

1174, 

1129 

I 

1162 

I 

190 

Eupen 

Juli  1892-95 

966 

943 

Aa 

938 

Aa 

191 

Dolhain  .... 

1888—95 

785 

860 

— 

876 

Aa 

192 

9 

2 

Eynatten  .  .  . 

1897 

859 

916 

Aa 

910 

Aa 

193 

-C 

'■a 

Verviers,  Tirl. 

1886—90 

747 

— 

— 

741 

Aa 

194 

5 
> 

Nessonvaux .  . 

1886—95 

778 

808 

— 

778 

— 

195 

3 

ffil       f  Baraque  Mich. 
^MjalhTy 

1886-90 

1117 

— 

— 

1169 

Aa 

196 

o 

1886-90 

1004 

— 

— 

1001 

Aa 

197 

ntlmmtki  La  Reid.  .  .  . 

1886—95 

981 

895 

— 

981 

— 

198 

1886—90 

890 

— 

— 

895 

Aa 

199 

^_f            Amel   .  .  .  .  , 

1891—95 

760 

741 

Seh 

769 

Seh 

200 

gl            Recht 

<  1 «    l  f  Elsenborn .  .  . 

*ll«*\  Malmedv  ... 

St.  Nicolas    .  . 

1893—95 

826 

802 

I,Ht 

808 

I,  Ht 

201 

1894 

1186 

1068 

I 

1088 

I 

202 

1893—95* 

1024 

1032 

I 

1047 

I 

203 

1888-95 

1881-89* 

1886-90 

631 
675 
600 

674 
652 

Aa 

616 
653 

Aa 

204 

.  r Li&re  I    .  .   .  . 

Aa 

205 

Liege  Cointe  . 

— 

206 

1 Hermalle-8.-A. 

1886—95 

611 

508 

— 

611 

— 

207 

Vise 

1886—95 

508 

534 

— 

508 

— 

208 

Rfl     ■„,     i  Battice   .... 
Berwine.  .{  AnM 

1886—95 

906 

1026 

— 

906 

— 

209 

1886—95 

860 

80.") 

— 

860 

— 

210 

Maesyk  .... 

1886—95 

736 

764 

— 

736 

— 

211 

Monte  Rigi.  . 

1897* 

1436 

1278 

I 

1321 

I 

212 

Kalterherberg 

1897* 

1286 

1144 

I 

1183 

I 

213 

v  -Rckheitteii 

Juli  1892—95 

1136 

1118 

Aa,  I 

1119 

Aa,I 

214 

Alzen 

1897* 

1055 

939 

I 

971 

I 

215 

Mützenich   .  . 

1897 

1320 

1175 

I 

1214 

I 

216 

Imgenbroich  . 

1886—95 

945 

918 
965 

Aa,Kö 

945 
922 

Aa,Kö 

217 

[  Schmidtheim  . 

Juli  1892—95 

783 

797' 

Ht 

785 

Ht 

218 

jj  -.    1  Hollerath  .  .  . 
Urtt  1  Oberreiffersch. 

1886—95 

849 

865 

— 

849 

— 

219 

1892—95* 

659 

703 

Ht 

693 

Ht 

220 

1  Schieiden  .  .  . 

Juli  1892—95 

759 

750 

Aa,  I 

754 

Aa,I 

221 

® 

Abenden  .  .  . 

1893—95 

644 

612 

Aa 

609 

Aa 

222 

o 

(  Conzen  .... 

1897* 

1211 

1078 

I 

1114 

I 

223 

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Call-  1  Lammersdorf . 

1897* 

1087 

967 

I 

1000 

I 

224 

bach  1  Jägerhaus.  .  . 

1897* 

1049 

934 

I 

965 

I 

225 

1  Raffelsbrand  . 

1897* 

1040 

926 

I 

957 

I 

226 

Düren 

1894—95 

659 

613 

Aa 

613 

Aa 

227 

f  Rötgen  .... 

1893—95 

1134 

1088 

I,Aa 

1099 

1,  Aa 

228 

Vicht- 1  Walheim  .  .  . 

1892—95* 

688 

780 

Aa 

779 

Aa 

229 

bach  1  Stolberg    .  .  . 
1  Eschweiler  .  . 

1897 

803 

851 

Aa 

843 

Aa 

230 

1897 

707 

749 

Aa 

742 

Aa 

231 

Jülich 

1894—95 

599 

559 

Aa 

557 

Aa 

232 

(Wurm)  Aachen  .... 

1886—95 

867 

872 

— 

867 

— 

233 

Herzogenrath 
Geilenkirchen 

1894—95 

799 

724 

Aa,Gt 

724 

Aa,Gt 

234 

1894—95 

676 

601 

Aa 

604 

Aa 

235 

1893-95 

704 

669 

Aa 

669 

Aa 

236 

(Schwalm)    Qützenrath  .  . 

Mai  1887—95 

739 

708 

— 

707 

Aa 

237 

1894—95 

700 

630 

Aa 

627 

Aa 

288 

Sil 

er» 

'  '    l  München-Gldb. 

1893—95* 

719 

650 

Gt 

652 

Gt 

86  P.  Polis, 

Tabelle  VII. 

Jahreszeitliche  Niedersohlagsmittel  im  mittleren  Rheingebiet 


[86 


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1 

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1886—95 

Rhein. 

1 

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111 

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1*2 

217 
141 

132 

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138 
105 

290 
200 

186 

2 

HattetiKeim  ,  ■  « 

121 

8 

•  „.,,+»-.»,  Geisenheim    * 

10&  ; 

79 

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141 

93 

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121 

4 

Rüdeaheim.  .  .  . 

,  110 

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116 

132 
182 

128 
210 

99 
198 

92 
158 

148 
199 

123 

5 

Birkenfeld  .... 

185 

6 

(Habeokcb)   Hirschfeld  .... 

1  164 

90 

183 

165 

151 

115 

206 

155 

7 

Kirn 

127 

96 

139 

152 

115 

116 

156 

184 

8 

■*— (SSS;:::: 

135 

90 

181 

160 

125 

116 

203 

150 

9 

o 

139 

89 

141 

130 

129 

116 

170 

122 

10 

M 

Sobernheim  .  .  . 

:  124 

81 

136 

133 

115 

104 

152 

125 

11 
12 

061 

n,         /  Mambächel    .  .  . 
uian     \  Meisenheim  .  .  . 

!  200 
121 

125 
106 

167 
136 

193 
158 

186 
113 

171 
144 

183 
147 

170 
139 

13 

Kreuznach  .... 

100 

95 

154 

142 

93 

110 

167 

127 

14 

(Gr&feibtcb)   Winterbach  .  .  . 

136 

86 

159 

122 

126 

111 

179 

114 

15 

(Gildcnbacb)   Stromberg  .... 

148 

87 

128 

144 

138 

111 

144 

135 

16 

Laubenheim  .  .  . 

;  100 

73 

158 

135 

86 

90 

174 

116 

17 

.  / Kammerforst   . 

!  102 
1  190 

96 
121 

107 

148 

121 
136 

87 
168 

120 
152 

118 
143 

104 

18 

(  Mappershain.  .  . 

t,t.                  )  Wolmerschied  .  . 
Wisper  ...  |  prefiberg 

1  Lorch 

136 

19 

150 

102 

195 

188 

128 

129 

215 

161 

20 

84 

75 

169 

156 

93 

72 

187 

134 

21 

1  102 

76 

135 

137 

92 

96 

145 

123 

22 

(Hasenbach)  .  Bogel 

119 

90 

224 

182 

101 

112 

246 

156 

23 

ßoppard  

96 

87 

168 

159 

119 

82 

118 
108 

177 
185 

143 

24 

Braubach  I .  .  .  . 

137 

Lahn. 

26 

t  Meudt 

Gelbach .  .  .  !  Wallmerod .... 
1  Eppenrod   .... 

!225 

130 

302 

229 

209 

153 

309 

216 

27 

203 

125 

277 

227 

188 

147 

283 

214 

28 

;  181 

118 

218 

204 

168 

138 

223 

193 

29 

!  136 

110 

209 

179 

126 

128 

214 

169 

30 

(  Nastätten    .... 

■  118 

79 

213 

180 

100 

113 

234 

155 

31 

Mühlbach .  .     Gemmerich   .  .  . 
1  Singhof en  .... 

136 

104 

228 

170 

126 

122 

232 

161 

32 

120 

84 

210 

197 

102 

105 

231 

169 

Mosel. 

33 

Nennig 

148 
136 

105 
137 

177 
203 

155 

188 

138 
127 

137 

180 

190 
217 

144 

34 

Dittlingen  .  .  . 

176 

35 

Nittel 

160 

110 

183 

164 

148 

144 

196 

152 

37 

So-J(Wiltz)  Bastogne !  219 

155 

232 

239 

199 

178 

252 

232 

39 

Ott 

1  (Our)   St.  Vith ~~ 

—     174 

ll 

139 

240 

159 

i 

li 

87]   Die  Niederschlagsverhältnisse  der  mittleren  Rheinprovinz  u. d.  Nachbargeb.     87 


M 


Station 


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I 

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8 
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1891—95 


I 


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8 

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o 

00 


1886—95 


40 
41 
42 
43 
44 
45 
46 
47 

48 
49 
50 

51 

52 
53 
54 
55 
56 
57 
58 
59 
60 
61 
62 
63 
64 
06 
61 
68 
69 
70 
71 
72 
73 
74 
76 
77 
78 
79 
80 
81 
82 
83 
84 
86 


89 


I  « 


Our      I 
Gaybach  j 

Prüm 


|     Prims    { 


(Biewerbach) . 


Ruwer . 


Kyll. 


Salm    . 
Dhron  . 


■•{ 


Lieser . 


Alf { 

(üesbach) .  .  . 
(Pommerbach) 
Flaumbach  .  . 

(Beybach).  .  . 


Sayiu 


Losheim  .  .  . 
Thommen  .  . 
Daeburg  .  .  . 
Geichlingen  . 
Obor-Geckler 
Bollendorf.  . 
Schneifelforsths. 
Prüm  (Forsthaas 
Tettenbusch)  .  . 

Bleialf 

Arzfeld 

Neu-Straßburg   . 

Bitburg | 

Alsdorf 

Otzenhausen.  .  . 
Rheinsfeld  .... 

Merzig 

Wiltlingen.  .  .  . 

Trier 

Newel 

Zerf  (Bahnhof)   . 

Osburg 

Gerolstein  .... 
Densborn    .... 

Kyllburg 

Pfalzkyfi 

Mehring 

Ober-Kail  .... 
Heidweiler.  .  .  . 

Morbach 

Thronecken  .  .  . 
Nieder-Emmel .  . 
Gornhausen  .  .  . 

Daun 

Ober-Oefflingen . 
Lösnich.  .  .  .  *  ' 

Ulmen 

Alf  (Forsthaus)  . 
Lutzerath  .... 
Eai8er8e8ch   .  .  . 

Bell 

Treis 

Lingerhahn  .  .  . 
Münstermaifeld  . 

Selters 

Landshube(Forst- 
haus) 

Coblenz 


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114 
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171 
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195 
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177 
208 
150 
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182 
210 
224 
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182 
194 
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169 
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166 
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158 
154 
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143 
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137 
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111 
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119 
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226 

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238 
284 
242 
225 
209 
209 
236 
217 
196 
211 
251 
183 
219 
231 
215 
211 
232 
215 
243 
195 
201 
222 
192 
217 
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192 
246 
161 
223 
149 
255 

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159 


225 
216 
171 
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136 
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141 
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181 
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105 

106 

107 

109 

110 

111 

112 

113 

114 

115 

116 


117 
118 
119 
120 
121 
122 
123 
124 
125 
126 
128 
129 
181 
132 
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134 
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186 
137 


138 
140 
141 
142 


Wied  . 


(ßrohlbach) . 


Ahr 


Godesberger 
Bach 


Neuwied  .  .  . 

Höchstenbacb 

Hachenburg  . 

Altenkirchen 

Herschbach   . 

Puderbach  .  . 

Hasselbach.  . 

Ober-Honnefeld 
.  Wassenach.  . 

Nieder-Breisig 

Blankenheim 

Dockweiler . 

Nohn  .... 

Eelberg   .  . 

Adenau.  .  . 

Ramer8bach 
.  Remagen .  . 
.  Honnef .  .  . 
[  Villip .... 
I  Godesberg  . 
•  Poppeisdorf 

Sieg. 


(r«nd#rfer  Bac»-)   . 

(Heiler)  .'.'!! 

(Wisser).  .  .  . 
Große  Nister  { 


Bröl 

(Wahn) 
(Pleisbach)  .  . 


Agger  . 


Eichen  .  .  . 
Freudenberg 
Burbach  .  . 
Elkenroth  . 
Morsbach    . 
Salzburg  .  . 
Marienberg 
Datenfeld  . 
Blankenberg 
Waldbröl    . 
Much  .... 
Ober-Pieis  . 
Bergneustadt 
Mühlenbach 
Gummersbach 
Odenspiel 
Overath   . 
Lindlar.  . 
Offermannsheide 


Rhein. 

.  Witterschlick 

.  Brühl 

.  Wahn 

.  Köln 


112 
197 
229 
201 
183 
202 
220 
197 

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157 
137 
182 
142 
125 
138 
116 


270 
311 
254 
256 
250 
268 
250 
208 
177 
286 
238 
142 
272 
306 
315 
246 
245 
281 


111 
131 
128 
150 


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138 
125 
137 
131 
132 
141 
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174 
107 
114 
109 
106 
101 
100 
114 

92 
106 
102 


155 
175 
148 
167 
146 
150 
150 
124 
147 
148 
147 
138 
150 
172 
177 
242 
192 
170 
191 


93 
110 
125 

108 


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256 
269 
242 
277 
239 
281 
230 
147 
156 
181 
197 
184 
189 
173 
166 
171 
179 
189 
203 
163 


282 
831 
258 
296 
277 
293 
264 
236 
240 
280 
278 
215 
303 
335 
328 
824 
308 
303 
808 


177 
216 
218 
221 


142 
215 
219 
212 
199 
219 
208 
211 
137 
140 
148 
245 
172 
176 
168 
142 
154 
161 
156 
157 
153 


252 
267 
226 
243 
277 
276 


184 
262 
236 
181 
263 
839 
278 
292 
246 
234 
250 


151 
160 
164 
165 


105 
174 
202 
180 
162 
185 
202 
181 
103 
112 
116 
153 
181 
188 
141 
180 
126 
130 
111 
123 
104 


239 
275 
224 
249 
223 
286 
220 
185 
162 
254 
212 
130 
242 
272 
280 
288 
218 
250 
235 


99 
117 
114 
184 


102 
173 
157 
152 
164 
159 
171 
155 
96 
107 
208 
127 
184 
126 
125 
120 
121 
120 
110 
128 
121 


185 
220 
185 
187 
175 
188 
188 
148 
156 
176 
188 
147 
178 
205 
211 
218 
229 
202 
228 


111 
181 
142 
129 


186 
247 
260 
234 
268 
251 
295 
242 
154 
161 
193 
198 
190 
201 
181 
172 
178 
182 
201 
217 
175 


314 
323 
250 
818 
296 
283 
250 
252 
244 
298 
296 
219 
823 
357 
350 
343 
828 
323 
829 


189 
280 
282 
235 


184 
203 
207 
192 
188 
213 
202 
20* 
180 
133 
147 
284 
163 
167 
161 
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159 
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158 

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252 
252: 
213 
240 
275 
261 
218 
204 
182 
260 
234 
178 
262: 
837 
276 
290^ 
244 
232 
248 


151 

159 
162 
164 


89]   Die  Niederschlagsverhältnisse  der  mittleren  Rheinprovinz  u.  d.  Nachbargeb.     8  9 


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143 

(Strunderbach)  Bensberg .  .  .  . 

201 

158 

274 

198 

180 

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334 

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385 

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145 

Niederwipper  . 

.     281 

166 

349 

278 

250 

198 

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146 

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Hartkopsbever . 

296 

168 

302 

267 

263 

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265 

147 

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Hahnenberg  .  . 

296 

196 

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289 

263 

284 

348 

287 

148 

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Schwelm  .... 

268 

164 

276 

244 

238 

196 

294 

243 

149 

3 

Lennep  

Remscheid  .  .  . 

.     337 

195 

828 

286 

300 

232 

840 

284 

150 

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.     809 

189 

321 

258 

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226 

883 

257 

151 

Solingen  .... 

.     255 

159 

295 

235 

227 

190 

315 

234 

152 

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.     268 

177 

298 

250 

238 

211 

818 

248 

153 

.     208 

156 

262 

214 

185 

186 

280 

212 

154 

Hitdorf 

Zons 

164 
142 

124 
109 

203 
190 

167 
157 

146 
126 

148 
127 

217 

204 

166 

155 

......... 

156 

156 

(Itterbach)  .  .  Hilden 

166 

113 

222 

165 

148 

125 

221 

167 

157 

Schönau  .... 

155 

98 

196 

188 

130 

112 

208 

174 

158 

Münstereifel  .  . 

124 

105 

197 

165 

102 

121 

209 

157 

159 

Zingsheim  .  .  . 
Euskirchen.  .  . 

185 

115 

171 

170 

121 

137 

182 

170 

161 

.     101 

93 

195 

152 

90 

111 

208 

151 

162 

Erft 

Erp 

.     120 

104 

198 

152 

106 

125 

211 

151 

168 

Brüggen  .... 

.     120 

103 

215 

157 

107 

128 

229 

156 

164 

Hergarten  .  .  . 

162 

96 

142 

158 

140 

111 

155 

155 

165 

Bergheim    .  .  . 

160 

114 

229 

220 

142 

136 

244 

219 

166 

Grevenbroich   . 

154 

115 

177 

164 

188 

120 

176 

167 

168 

Dussel \  Dusselthal  .  .  . 

164 

111 

236 

188 

146 

141 

252 

189 

169 

164 

126 

234 

185 

146 

151 

250 

184 

Ruhr. 

170 
171 

LeMe{Bi^fwegeringhausen 

282 
384 

161 
177 

807 
350 

259 
300 

250 
297 

193 
211 

881 
874 

259 
299 

172 

Meinerzhagen  .  . 

343 

193 

351 

802 

286 

230 

374 

801 

173 

© 

Lengelscheid    .  . 

292 

166 

381 

333 

260 

208 

854 

382 

174 

J 

Lüdenscheid 

© 
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(Straße) 

299 

163 

285 

238 

266 

194 

304 

287 

175 

"«»•{lÖS*!4.::: 

840 

177 

282 

269 

302 

211 

301 

268 

176 

290 

177 

815 

274 

258 

211 

326 

273 

Maas. 

177 

.3  (                  Arlon 

162 

115 

191 

206 

180 

151 

202 

192 

178 

|  1                   Poncel 

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— 

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851 

204 

322 

403 

179 

— 

— 

— 

— 

325 

218 

382 

303 

180 

292 

147 

284 

806 

273 

185 

294 

283 

181 

Huy 

170 

119 

198 

213 

153 

141 

216 

191 

182 

,  Jemeppe 

140 

89 

187 

127 

123 

103 

163 

131 

183 

[  Gouvy   

238 

125 

215 

219 

158 

148 

271 

228 

184 

Ourthe  .  .  .  {  ^a  Roche   .  .  .  . 

252 

159 

199 

229 

204 

183 

241 

227 

185 

Erezee  

266 

1          i 

171 

245 

250 

1 

222 

197 

267 

241 

Band  III. 

Heft  1.  Die  Verbreitung  und  wirtschaftliche  Bedeutung  der  wichtigeren  Wald- 
baumarten innerhalb  Deutachlands,  von  Prof.  Dr.  B.  Borggreve.    Preis  M.  1.— 

Heft  2.   Das  Meissnerland,  von  Dr.  M.  Jaschke,    Preis  M.  1.90. 

Heft  3.  Das  Erzgebirge.  Eine  orometrisch - anthropogeographische  Studie  von  Oberlehrer 
Dr.  Johannes  Burgkhardt.    Preis  M.  5.60. 

Heft  4.  Die  Kurische  Nehrung  und  ihre  Bewohner,  von  Prof.  Dr.  A.  Bezzenberger. 
Preis  M,  7.  50. 

Heft  5.  Die  deutsche  Besiedlung  der  östlichen  Alpenländer,  insbesondere  Steier- 
marks,  Kärntens  und  Krains,  nach  ihren  geschichtlichen  und  Ortlichen  Verhältnissen, 
von  Prof.  Dr.  F.  von  Krones.    Preis  M.  5.  60.' 

Band  IV. 

Heft  1.  Haus,  Hof,  Mark  und'  Gemeinde  Nordwestfalens  im  historischen 
Ueberblicke,  von  Prof.  J.  B.  Nordhoff.    Preis  M.  1.20. 

Heft  2.    Der  Rhein  in  den  Niederlanden,  von  Dr.  H.  Blink.    Preis  M.  4.20. 

Heft  3.  Die  Schneedecke,  besonders  in  deutschon  Gebirgen,  von  Prof.  Dr. 
Friedrich  Ratzel.    Preis  M.  8.  — 

Heft  4.  Rechtsrheinisches  Alamannien;  Grenze,  Sprache,  Eigenart,  von  Prof. 
Dr.  A.  Birlinger.    Preis  M.  4.80.  . 

Heft  5.  Zur  Kenntnis  der  niederen  Tierwelt  des  Riesengebirges  nebst  ver- 
gleichenden Ausblicken,  von  Dr.  Otto  Zacharias.    Preis  M.  1.50. 

Band  V. 

Heft  1.  Nährpflanzen  Mitteleuropas,  ihre  Heimat,  Einführung  in  das  Gebiet 
und  Verbreitung  innerhalb  desselben,  von  Dr.  F.  Hock.    Preis  M.  2.20.    - 

Heft  2.  Ueber  die  geographische  Verbreitung  der  Süsswasserfische  von  Mittel- 
europa, von  Dr.  E.  Schulze.    Preis  50  Pfennig. 

Heft  3.  Der  Seifenbergbau  im  Erzgebirge  und  die  Walensagen,  von  Dr.  H.  Schnrtz. 
Preis  M.  2.  60. 

Heft  4.  Die  deutschen  Buntsand  stein  gebiete.  Ihre  Oberflachengestaltung  und  anthropo- 
geographisohen  Verhältnisse,  von  Dr.  Emil  Küster.    Preis  M.  3.20. 

Heft  5.    Zur  Kenntnis  des  Taunus,  von  Dr.  W.  Sievers.    Preis  M.  3.60. 

Heft  6.  Der  Thüringer  Wald  und  seine  nächste  Umgebung,  von  Dr.  H.  Pröscholdt. 
Preis  M.  1.70. 

Heft  7.  Die  Ansiedelungen  am  Bodensde  in  ihren  natürlichen  Voraussetzungen. 
Eine  anthropogeographische  Untersuchung,  von  Dr.  A.  Schlatterer.    Preis  M.  8.60. 

Band  VI. 

Heft  1.  Die  Ursachen  der  Oberflächengestaltung  des  norddeutschen  Flach- 
landes, von   Dr.  F.  Wahnschaffe.    Preis  M.  7.  20. 

Heft  2.  Die  Volksdichte  der  Thüringischen  Triasmulde,  von  Dr.  C.  Kaesemacher. 
Preis  M.  3.  20. 

Heft  3.    Die  Halligen  der  Nordsee,  von  Dr.  E.  Traeger.    Preis  M.  7.  50. 

Heft  4.  Urkunden  über  die  Ausbrüche  des  Vernagt-  und  Gurglergletschers 
im  17.  und  18.  Jahrhundert,  von  Prof.  Dr.  E.  Richter.    Preis  M.  7.  ■— 

Band  VII. 

Heft  1.  Die  Volksdichte  im  Grossherzogtum  Baden.  Eine  anthropogeographische 
Untersuchung,  von  Prof.  Dr.  Ludwig  Neumann.    Preis  M.  9. 40. 

Heft  2.  Die  VerkehrBstrassen  in  Sachsen  und  ihr  Einfluss  auf  die  Städteent- 
wickelung  bis  zum  Jahre  1500,  von  Dr.  A.  Simon.    Preis  M.  4. — 

HeftS.    Beiträge  zur  Siedelungskunde  Nordalbingiens,  von  Dr.  A.  Gloy.  Preis  M.  8.40. 

Heft  4.  Nadelwaldflora  Norddeutschlands.  Eine  pflanzengeographische  Studie,  von 
Dr.  F.  Hock.    Preis  M.  3.  — 

Heft  5.    Rügen.    Eine  Inselstudie,  von  Prof.  Dr.  Rudolf  Credner.    Preis  M.  9.— 

Fortsetzung  auf  Seite  4  des  Umschlags 


Band  VAU 

Heft  1.    Kliroatographie  des  Königreichs  Sachsen.  Erste  Mitteilung  rou  Prell 
Schreiber.    Preis  M.  4. — 

Heft  2.    Die  Vergletscherung  des  Riesengebirges  zur  Eiszeit,   tf&ch  eigenen  Ümtrffc^.' 
suchangen  dargestellt  von  Prof.  Dr.  Joseph  Parteeh.    Preis  M.  6. — 

Heft  S.    Die  Eifel.    Von  Dr.  Otto  FollmaniL    Preis  M.  3.20, 

Heft  4.    Die  landeskundliche   Erforschung  Altbayerns  im   16.,   17.  und  1&  Jahr- 
hundert von  Dr.  Christian  Gruber.    Preis  M.  3. — 

Heft  5.    Verbreitung  und  Bewegung  der  Deutschen  in  der  französischen  Schweis. 
Von  Dr.  J.  Zemmrich.     Preis  M.  3.80. 

Heft  6.    Das  deutsche  Sprachgebiet  Lothringens  und   seine  Wandelungen  von   dar 

Feststellung  der  Sprachgrenze  bis  zum  Ausgang  des  16.  Jahrhunderts,  von  Dr.  Hans  Witte. 

Preis  M.  6.  50. 

Band  IX. 

Heft  1.    Die  Art    der  Ansiedelung    der    Siebenbürger    Sachsen»     Von   Direktor    Dr. 

Friedrich  Teutsch.  —  Volksstatistik  der  Siebenbürger  -Sachsen.  Von  Prof. 

Fr.  Schuller.    Preis  M.  4.80. 
Heft  2.    Volkstümliches  derSiebenbürgerSachsen.  Von  Gymnasiallehrer  0,  Wittstock.  — 

DieMundartderSiebonbürgerSachsen.  Von  Direktor  Dr.  A.Sch  einer.  Preis  M.6. 50.  ■ 
Heft  3.    Die  Regenkarte  Schlesiens   und   der  Nachbargebiete.     Entworfen   und. 

erläutert  von  Professor  Dr.  Joseph  Part  seh.    P«eis  M.  4.70. 
Heft  4.    Laubwaldflora  Norddeutschlands.    Von  Dr.  F.  Hock.    Preis  M.  2.70. 
Heft  5.    Die  geographische  Verteil  ung  der  Niederschläge  im  nordwestliches 

Deutschland.     Von  Dr.  Paul  AJoldenhauer.    Preis  M.  4. — 
Heft  6.    Der   Hesseiberg   am   Frankenjura    und    seine    südlichen  Vorhöhen.     Von 

Dr.  Christian  Gruber.    Preis  M.  5.20. 

Band  X. 

Heft  1.    Zur  Hydrographie  der  Saale.    Von  Professor  Dr.  Willi  Ule.    Preis  M.  4.50. 
Heft  2.    Der  Pinzgau.    Physikalisches  Bild  eines  Alpengaues.     Von  Oberlehrer  Dr.  Wilhelm 

Schjerning.    Preis  M.  8.80. 
Heft  3.    Die  Pinzgauer.    Von  Oberlehrer  Dr.  Wilhelm  Schjerning.    Preis  M.  5. — 
Heft  4.    Zur  Geschichte  des  Deutschtums  im  Elsass  und  im  Vogesengebiet.     Von 

Dr.  Hans  Witte.    Preis  M.  7.60. 

Band  XI. 
Heft  1.   Magnetische  Untersuchungen  im  Harz.  Von Prof.Dr.M.Eschenhagen. Preis M.1.60. 
Heft  2.   Beitrag  zur  physikalischen  Erforschung  der  baltischen  Seeen.     Von 

Professor  Dr.  Willi  Ule.    Preis  M.  3.— 
Heft  3.    Zur  Kenntnis  des    Hunsrücks.     Von  Dr.  Fritz  Meyer.    Preis  M.  4. — 
Heft  4.    Die  Veränderungen   der  Volksdichte   im   nördlichen  Baden   1852—1895. 

Von  Dr.  Carl  Uhlig.    Preis  M.  10.— 
-    Heft  5.    Entwicklungsgeschichte  der  phanerogaraen  Pflanzendecke  Mitteleuropas 

nördlich  der  Alpen.    Von  Dr.  August  Schulz.     Preis  M.  8.40. 

»and  XII. 

Heft  1.  Die  Niederschlagsverhältnisse  der  mittleren  Rheinprovinz  und  der  Nach- 
bargebiete. Von  Dr.  P.  Polis,  Direktor  der  Meteorologischen  Zentralstation  in  Aachen. 
Mit  10  Tabellen,  9  Karten  und  3  Textillustrationen.     1899.     96  Seiten.    Preis  M.  12.— 

Heft  2.  Das  Vogtland  als  orographisches  Individuum.  Eine  Studie  zur  deutschen 
Landeskunde.  Von  Dr.  A 1  b  e  r  t  W  o  h  1  r  a  h  in  Leipzig.  Mit  1  Uebersichtskarte,  7  Licht- 
drucktafeln und  12  Textillustrationen.     1899.    89  Seiten.     Preis  M.  6.40. 

Neu  eintretende  Abonnenten,  die  alle  bisher  erschienenen  Hefte  nach- 
beziehen, erhalten  Band  1—5  zum  halben  Preis. 


Druck  der  Union  Deutsche  Verlagsgewllschaft  in  Stuttgart. 


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i€>  Forschungen 

zur  deutschenluandes-  und  Volkskunde 

im  Auftrage  der 

Centralkommission  für  wissenschaftliche  Landeskunde  von  Deutschland 

herausgegeben  von 

Dr.  A,  Kirchhoff, 

"~  Professor  der  Erdkunde  ftn  der  Universität  Halle. 

Zwölfter  BatuL 

Heft  2. 

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Das  Vogtland 

als  orographisches  Individuum. 


Eine  Studie  zur  deutschen  Landeskunde. 

Von 

DR-  ALBERT  WOHLRÄB 

IN  LEIPZIG 


Mit  1  Uebersiehtskarle,  7  Lichldrucktafeln  und  12  Textülustrationen. 


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STTJTTGART. 

VERLAG    VON    J.   ENGELHORN. 

1899. 


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jie  „ Vorsehungen  zur  deutschen  Landes-  und  Volkskunde"  sollen  dazu  helfen,  die 
heimischen  landes-  und  volkskundlichen  Studien  zu  fördern^  indem  sie  aus  allen  Gebieten 
derselben  bedeutendere  und  in  ihrer  Tragweite  über  ein  bloss  örtliches  Interesse  hinaus- 
gehende Themata  herausgreifen  und  darüber  wissenschaftliche  Abhandlungen  hervorragender 
Fachmänner  bringen.  Sie  beschränken  sich  dabei  nicht  auf  das  Gebiet  des  Deutschen  Reiches, 
sondern  so  weit  auf  mitteleuropäischem  Boden  von  geschlossenen  Volksgemeinschaften  die 
deutsche  Sprache  geredet  wird,  so  weit  soll  sich  auch,  ohne  Rücksicht  auf  staatliche  Grenzen, 
der  Gesichtskreis  unserer  Sammlung  ausdehnen.  Da  aber  die  wissenschaftliche  Betrachtung  der 
Landesnatur  die  Weglassung  einzelner  Teile  aus  der  physischen  Einheit  Mitteleuropas  nicht 
wohl  gestatten  würde,  so  sollen  auch  die 'von  einer  niohtde  utachen  Bevölkerung  eingenommenen 
Gegenden  desselben  samt  ihren  Bewohnern  mit  zur  Berücksichtigung  gelangen.  Es  werden  dem- 
nach ausser  dem  Deutschen  Reiche  auch  die  Länder  des  cisleithanischen  Oesterreichs,  abgesehen 
von  Galizien,  der  Bukowina  und  Dalmatien,  ferner  die  ganze  Schweiz,  Luxemburg,  die  Nieder- 
lande und  Belgien  in  den  Rahmen  unseres  Unternehmens  hineingezogen  werden.  Ausserdem 
aber  sollen  die,  Sachsen  Siebenbürgens  mit  berücksichtigt  werden  und  auch  Arbeiten  über  die 
grösseren  deutschen  Volksinseln  des  Russischen  Reiches  nicht  ausgeschlossen  sein. 


Unsere  Sammlung  erscheint  in  zwanglosen  Heften  Ton  ungefähr  2 — 5  Bogen;  jedes  Heft 
enthält  eine  vollständige  Arbeit  (ausnahmsweise  von  kürzeren  auch  mehrere)  und  ist  für  sich 
käuflich.  Eine  entsprechende  Anzahl  von  Heften  wird  (in  der  Regel  jahrgarigsweise)  zu  einem 
Bande  vereinigt. 

Bisher  sind  erschienen : 

Haud  I. 

Heft  1.    Der  Boden  Mecklenburgs,  von  Prof.  Dr.  E.  Geinitz.    Preis  80  Pfennig. 

Heft  2.  Die  oberrheinische  Tiefebene  und  ihre  Randgebirge,  von  Prof.  Dr. 
L  e  p  s  i  u  s.    Preis  M.  2.  — 

Heft  3.  Die  Städte  der  Norddeutschen  Tiefebene  in  ihrer  Beziehung  zur  Boden- 
geataltung,  von  Prof.  Dr.  F.  G.  Hahn.    Preis  M.  2.  — 

Heft  4.  Das  Münchener  Becken.  Ein  Beitrag  zur  physikalischen  Geographie 
Südbayerns,  von  Chr.  Gruber.     Preis  M.  1.  60. 

Heft  5.  Die  mecklenburgischen  Höhenrücken  (Geschiebestreifen)  und  ihre 
Beziehungen  zur  Eiszeit,  von  Prof.  Dr.  E.  Geinitz.    Preis  M.  8. 10. 

Heft  6.  Der  Einfluss  der  Gebirge  auf  das  Klima  von  Mitteldeutschland,  von 
Dr.  R.  A 88 mann.    Preis  M.  5.50. 

Heft  7.  Die  Nationalitäten  in  Tirol  und  die  wechselnden  Schicksale  ihrer 
Verbreitung,  von  Prof.  Dr.  H.  J.  Bid ermann.  Preis  M.  2.40. 

Heft  8.  Poleographie  der  eimbrischen  Halbinsel,  ein  Versuch,  die  An  Sied- 
lungen Nordalbingiens  in  ihrer  Bedingtheit  durch  Natur  und  Ge- 
schichte nachzuweisen,  von  Prof.  Dr.  K.  Jansen.     Preis  M.  2.  — 

Band  II. 

Heft  1.    Die  Nationalitäts-Verhältnisse  Böhmens,  von  Dr.  L.  Schlesinger.    Preis 

80  Pfennig. 
Heft  2.    Nationalität  und  Sprache   im   Königreiche   Belgien,   von  Geh.  Rechnungsrat 

K.  Brämer.    Preis  M.  4.  — 
Heft  3.    Die  Verbreitung  und  Herkunft  der  Deutschen  in  Schlesien,  von  Prof.  Dr. 

K.  Weinhold.    Preis  M.  2.40. 
Heft  4.    Gebirgsbau  und  Oberflächengestaltung  der  Sächsischen  Schweiz,  von 

Dr.  A.  Hettner.     Preis  M.  5.25. 
Heft  5.    Neuere  slavische  Siedlungen  auf  süddeutschem  Boden,   von  Prof.  Dr. 

H.  J.  Bidermann.    Preis  M.  1.25. 
Heft  6.    Siedlungsarten    in    den    Hochalpen,    von    Prof.    Dr.    Ferdinand    Löwl. 

Preis  M.  1.75. 

Fortsetzung  auf  Seite  3  des  Umschlags. 


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DAS  VOGTLAND 


ALS  OROGRAPHI8CHES  INDIVIDUUM. 


EINE  STUDIE  ZUR  DEUTSCHEN  LANDESKUNDE 

VON 

Db.  ALBERT  WOHLRAB 

IN  LEIPZIG. 


MIT  EINER  ÜBERSICHTSKARTE, 
^SIEBEN  LICHTDRÜCKTAFELN  UND  ZWÖLF  TEXTILLÜSTRATIONEN. 


STUTTGART. 

VERLAG   VON   J.  ENGELHORN. 

1899. 


Druck  der  Union  Deutsch«  Verlagegeeellscliaft  in  Stuttgart. 


Inhalt 


Seite 
Einleitung.     Lage   des  Vogtlandes.    Name.    Abgrenzung.    Aufgabe 

der  Arbeit 101      [5] 

I.  Teil.   Der  geologische  Aufbau  des  Vogtlandes 106  [10] 

1.  Einleitender  üeberblick 106  [10] 

2.  Charakteristik   der    das   Vogtland   aufbauenden  For- 
mationen        107  [11] 

A.  Die  archaischen  Formationen 107  [11 

£.  Die  paläozoischen  Formationen 107      11 

G.  Die  Tektonik  des  paläozoischen  Systems 110      14* 

a)  Ursprüngliche  Lagerungsverhältnisse 110      14 

b)  Schichtenstörungen 111      15 

D.  Die  neozoischen  Formationen 116  [20' 

3.  Die  Eruptivgesteine 117  [21] 

A.  Die  Granite  und  ihre  Eontakthöfe 117  [2V 

B.  Gangförmige  Eruptivgesteine 118  [22' 

4.  Erzvorkommnisse  und  Mineralquellen 119  [23] 

5.  Zusammenfassung  behufs  Definition  des  Gebietes  .    .  120  [24] 

IL  Teil.   Die  Urographie  des  Vogtlandes 122  [26] 

1.  Die  Thäler 122  [26] 

A.  Bedeutung  der  Thäler  für  die  Urographie  des  Vogtlandes. 

Ihr  Verhältnis  zur  Geotektonik  desselben 122  [26 

B.  Einzeldarstellung  der  Thäler 123  [27' 

a)  Die  Thäler  der  Weißen  Elster  und  ihrer  Zuflüsse ...  123  [27 

b)  Die  Thäler  der  Saale  und  ihrer  Zuflüsse 129  [33 

c)  Die  Thäler  des  vogtländischen  Egergebietes 131  [35* 

C.  Ergebnisse 132  [36" 

2.  Die  Höhenrücken 135  [39] 

A.  Gliederung  des  Gebietes 135  [39 

B.  Der  östliche  Teil 136  [40' 

C.  Der  südliche  Teil 140  [44' 

D.  Der  westliche  Teil 142  [46; 

E.  Berechnung  der  Mittelwerte.    Vergleiche 144  [48' 


100  Das  Vogtland  als  orographisches  Individuum.  [4 

Seite 
III.  Teil.   Der  landschaftliche  Charakter  des  Vogtlandes 150    [54] 

1.  Das  Schiefer-Diabasgebiet 150    [54] 

A.  Das  Höhenbild:  Hochflächencharakter.  Abweichungen  vom 
Flächenhaften,  begründet  im  Gesteinsauf  bau.  Farben  des 
Landschaftsbildes.  Verkehrswege  und  Siedelungen.  Jahres- 
zeitenbild   150    [54] 

B.  Das  Thalbild:  Unterschied  zwischen  Thal-  und  Höhenbild. 
Das    Elsterthal    oberhalb    Oelsnitz.      Die    Thalverengungen. 

Der  Greizer  Kessel.    Das  Weidathal.    Das  Saalethal   ...     154    [58] 

2.  Das  Granitgebiet 160    [64] 

Definition  des  Gebietes 161     [65] 


A.  Das  Lauterbach-Bergener  Granitgebiet.  Höhenbild.    Thalbild    160 

B.  Das  Granitgebiet  des  Kapellenberges 160 


IV.  Teil.   Anthropogeographische  Folgen  der  orographischen  Verhält- 
nisse des  Vogtlandes 163    [67] 

1.  Das  Vogtland,  ein  Durchgangsgebiet  des  Verkehrs         163    [67] 

A.  Seine  Befähigung  zum  Durchgangsgebiet 163     [67] 

Seine  Höhe.  Zentrale  Lage.  Buchtenlage.  Nähe  eines  oro- 
graphischen und  ethnographischen  Hindernisses.  Mängel  des 
Gebietes. 

B.  Die  Durchgangsstraßen 165    [69^ 

a)  Ihre  Abhängigkeit  von  den  Pässen 165  [69' 

b)  Ihr  Verlauf 166  [70; 

c)  Die  Höhenlage  der  Hauptdurchgangsstraßen      ....  170  74' 

d)  Die  Eisenbahnen 174  [78] 

C.  Wirkungen  des  Durchgangsverkehres 177  [81' 

Kriegerischer  Verkehr.  Einfluß  des  Handelsverkehrs  auf  Siede- 
lungen und  Industrie.  Einfluß  auf  die  staatliche  Zugehörigkeit 

des  Gebietes.    Bückwirkung  des  Staates  auf  den  Verkehr. 

2.  Die  Siedelungen  des  Vogtlandes 180    [84] 

A.  Die  Lage  der  Siedelungen 180    [84] 

Klassifizierung.  Siedelungen  in  Thalweitungen,  auf  Thal- 
gehängen, in  Mulden  der  Hochfläche,  auf  den  Höhenrücken. 
Durchschnittliche  Höhenlage. 

B.  Die  Form  der  Siedelungen 183    [87] 


Einleitung. 


In  der  Form  eines  Zickzacks  durchzieht  der  nördliche  Rand  des 
deutschen  Mittelgebirges  das  deutsche  Land  von  Osten  nach  Westen. 
Ganz  im  Osten  nimmt  die  norddeutsche  Tiefebene  einen  weit  nach 
Süden  bis  zum  50.°  nördl.  Breite  reichenden  Raum  ein,  wird  drei 
Längengrade  westlich  davon  durch  das  Lausitzer  Bergland  über  einen 
Breitengrad  weit  nach  Norden  zurückgedrängt,  um  wiederum  drei 
Längengrade  weiter  im  Westen  in  der  sächsisch-thüringischen  Tief- 
landsbucht um  einen  Breitengrad  nach  Süden  vorzurücken.  Im  Thü- 
ringerwald, Weserbergland  und  Harz  dringt  das  Mittelgebirge  darauf 
nach  Norden  bis  über  den  52.°  nördl.  Breite  hinaus  vor  und  weicht 
dann  vor  der  niederrheinischen  Tiefebene  allmählich  bis  zu  der  Breite 
zurück,  in  der  es  in  den  Sudeten  begann.  In  der  Mitte  dieser  Linie, 
im  Schnittpunkte  der  Erzgebirgs-  und  Thüringerwaldlinie,  erhebt  sich 
das  Fichtelgebirge,  seiner  Lage  nach  der  mitteldeutsche  Gebirgsknoten  *) 
genannt.  Nach  Norden  zu  geht  das  Fichtelgebirge  in  eine  mit  kurzen 
Hügeln  besäte  Hochfläche  über,  die  sich  südlich  von  der  sächsisch- 
thüringischen Tieflandsbucht  in  dem  Gebirgswinkel  zwischen  dem  Erz- 
gebirge und  dem  Thüringerwald  ausbreitet2).  Diese  Hochfläche  wird 
bald  den  drei  benachbarten  Gebirgen  zugeteilt,  bald  auch  als  selb- 
ständiges Landschaftsgebiet  betrachtet.     Es  ist  das  Vogtland. 

Name  des  Gebietes.  Das  Gebiet  hat  seinen  Namen  von 
seinen  ehemaligen  staatlichen  Verhältnissen.  Die  auf  der  Burg  Weida 
sitzenden  Lehnsträger  der  Thüringer  Landgrafen  führten  von  der  Wende 
des  12.  Jahrhunderts  an  den  Titel  Vogt,  ebenso  ihre  Nachkommen,  die 
Plauen,  Gera  und  Greiz  inne  hatte.  In  einer  Prager  Urkunde  König 
Karls  von  Böhmen  vom  Jahre  1343,  in  der  Karl  den  Vögten  Heinrich 
dem  Aelteren  und  Heinrich  dem  Jüngeren  die  Sorge  für  die  Sicherheit 


J)  Vgl.  Cotta,  Deutschlands  Boden,  1854,  S.  318.  —  Kutzen,Das  deutsche 
Land,  3.  Aufl.,  S.  215.  —  Gümbel,  Geognost.  Beschreibung  des  Fichtelgebirges, 
S.  8.  —  Kapp,  Vergleichende  allgemeine  Erdkunde,  2.  Aufl.,  S.  379.  —  Schürt z, 
Die  Pässe  des  Erzsrebirffes    S.  10. 

2)  Berghaus,  Länder-  und  Völkerkunde,  Bd.  IV,  1839,  S.  20:  „Das  Plateau- 
land, welches  nördlich  von  diesem  Gebirge  (Fichtelgebirge)  zwischen  der  Zwickauer 
Mulde  und  der  Saale  liegt,  begreifen  wir  unter  dem  Namen  der  Voigtländischen 
Terrasse,   von  der  die  äußere  Fichtelbergebene  die  südliche  Abteilung  ausmacht." 


102  Albert  Wohlrab,  [6 

des  Klosters  Waldsassen  überträgt,  lesen  wir  das  erste  Mal  den  Namen 
„terre  advocatorum".  Wenige  Jahre  später  finden  wir  die  Bezeichnung 
„in  der  voite  landen",  „VoiÜandt",  „in  der  vogte  lantu,  „Voytland*, 
„Voygtland"  x).  Als  die  Vögte  von  der  Mitte  des  14.  Jahrhunderts, 
von  der  Zeit  ihres  Kampfes2)  um  ihre  Unabhängigkeit  an,  den  Titel 
„Vogttt  fallen  ließen  und  sich  „Herren*  nannten,  behielt  ihr  Gebiet 
den  alten  Namen.  Nach  jenem  Kampfe  verloren  die  Vögte  immer 
mehr  von  ihrem  Gebiet,  und  als  1466  selbst  die  Herrschaft  Plauen 
an  die  Wettiner  fiel,  hatten  letztere  von  den  ehemals  von  den  Vögten 
zu  Lehen  getragenen  Ländereien  einen  Teil  inne,  der  so  groß  war, 
daß  derselbe  Anspruch  auf  den  Namen  „ Vogtland tt  machen  konnte, 
und  daß  sich  die  Anwendung  dieses  Namens  vorwiegend  auf  diesen 
Teil  beschränkte.  Bis  1835  bildete  der  sächsische  Anteil  am  Vogt- 
lande mit  Plauen  als  Hauptstadt  den  vogtländischen  Kreis,  der  sich 
im  wesentlichen  mit  den  heutigen  Amtshauptmannschaften  Plauen, 
Auerbach  und  Oelsnitz  deckte.  In  Büschings  Erdbeschreibung3)  heißt 
es  vom  vogtländischen  Kreis:  „Er  gränzet  an  den  erzgebirgischen  Kreis, 
an  Böheim,  an  das  Fürstentum  Culmbach  und  an  den  gräflich-reußischen 
Anteil  am  Vogtlande/ 

Abgrenzung  des  Gebietes.  Auf  unseren  heutigen  Karten 4) 
trägt  gewöhnlich  das  Gebiet  zwischen  der  Göltzsch  oder  der  oberen 
Zwickauer  Mulde   und   der  oberen  Saale  die  Bezeichnung  „Vogtland44. 

Es  ist  dies  ein  Gebiet,  das  nicht  bloß  eine  historische  Landschaft 
ist,  sondern  auch  Anspruch  erheben  darf  auf  natürliche  landschaftliche 
Selbständigkeit.  Letztere  ist  schon  in  der  von  Berghaus  gebrauchten 
Bezeichnung  „Vogtländische  Terrassen"  ausgesprochen.  Liebe  benennt5) 
mit  dem  Ausdrucke  „Vogtländische  Gebirgsterrassen"  „das  ziemlich 
hoch  aufragende  Bergland,  welches  den  inneren  Winkel  zwischen  dem 
Erzgebirge  und  dem  Thüringerwald  ausfüllt*.  Regel6)  wendet  für 
dieses  Gebiet  den  Namen  „Vogtländisches  Bergland*1  an.  Nach  ihm 
dehnt  es  sich  „im  Norden  des  Frankenwaldes  und  des  Elstergebirges 
zwischen  der  Saale  im  Westen  und  der  Zwickauer  Mulde  im  Osten 
weithin  aus  und  geht  im  Osten  allmählich  in  das  sächsische  Bergland 
über*.  Als  Grenze  gegen  Westen  läßt  er  „nur  zur  Not*  das  obere 
Saalethal  gelten,  da  das  vogtländische  Bergland  mit  dem  Frankenwald 

*)  B.  Schmidt,  Urkundenbuch  der  Vögte  von  Weida,  Gera  und  Plauen, 
Bd.  I,  ürk.  Nr.  24.  28.  99.  338.  395.  732.  855. 

2)  Vgl.  Wen ck,  Der  vogtländische  Krieg,  S.  10  (Anhang  zu:  Die  Wettiner 
im  14.  Jahrhundert).  —  M.  Luther,  Die  Entwicklung  der  landständischen  Ver- 
fassung in  den  wettinischen  Landen  bis  zum  Jahre  1485,  Dies.  1895,  Leipzig,  S.  54. 

3)  Büsching,  Erdbeschreibung,  3.  Teil,  2.  Bd.,  1778,  S.  798. 

4)  Vgl.  Debes,  Neuer  Handatlas,  1895,  Bl.  14.  19.  20.  22.  26.  —  Andree, 
Handatlas,  1896,  Bl.  17/18.  25/26.  27/28.  29/30.  40/41.  45/46.  —  Sydow- Wagner, 
Method.  Schulatlas,  1896,  Bl.  19.  22.  —  Spamers  großer  Handatlas,  S.  18.  27. 
32.  21,  Fig.  3.  —  Vogel,  Karte  des  Deutschen  Reiches,  27  Blätter  im  Maßstab 
1:500000,  BL  19. 

8)  Erläuterungen  zur  geologischen  Spezialkarte  von  Preußen  und  den  thü- 
ringischen Staaten,  Blatt  Zeulenroda,  S.  1.  —  Bezügl.  Berghaus  vgl.  vorige 
Seite,  Anm.  2. 

6)  Regel,  Thüringen,  Bd.  I,  S.  37.  2.  22. 


7]  Das  Vogtland  als  orograp Irisches  Individuum.  103 

geologisch  in  engem  Zusammenhang  steht.  Thüringen  reicht  nach 
ihm  nach  Osten  bis  zum  Elsterknie  und  schließt  den  westlich  der 
Linie  Hof-Elsterknie-Elster  liegenden  Teil  des  Vogtlandes  in  sich  ein. 
Cotta l)  teilt  das  ganze  „  Grauwackengebiet "  des  Vogtlandes  und  des 
südöstlichen  Thüringerwaldes  nebst  dem  Frankenwalde  dem  Hochplateau 
des  Fichtelgebirges  zu.  „Das  tbtiringisch-fränkisch-voigtländische  Grau- 
wackengebiet mit  seinen  untergeordneten  Einlagerungen  bildet  die  etwas 
erhöhte  Basis  des  Fichtelgebirges,  umfassend  den  östlichen  breiten  Teil 
des  Thüringerwaldes,  den  Frankenwald,  das  Plateau  von  Hof  und  das 
Voigtland. "  Gümbel8)  verlegt  ebenfalls  die  Grenze  des  Fichtelgebirges 
bis  zur  Elster,  ebenso  Burgkhardt s)  die  Grenze  des  Erzgebirges.  Letz- 
terer macht  aber  dabei  auf  seinen  Uebergang  auf  fremdes  Gebiet  selbst 
aufmerksam. 

Bei  einer  Grenzlegung,  wie  die  angeführten  Autoren  anwenden, 
bleibt  von  einer  selbständigen  natürlichen  vogtländischen  Landschaft 
nichts  mehr  übrig.  Wird  aber,  wie  Cotta  thut 4),  die  Grenze  des  Erz- 
gebirges über  Reichenbach,  Falkenstein,  Zwotathai  gezogen  und  vom 
Fichtelgebirge  das  von  Gümbel  und  von  Thüringen  das  von  Regel  als 
vogtländisches  Bergland  bezeichnete  Gebiet  abgetrennt,  so  wird  damit 
eine  Landschaft  gewonnen,  die  mit  größerem  Rechte  als  einer  ihrer 
Teile,  der  einem  Nachbargebiete  zugeschrieben  wird,  den  Anspruch 
auf  die  Bezeichnung  „ Vogtländisches  Bergland"  oder  —  wie  zur  Ver- 
meidung der  für  dieses  Gebiet  nicht  ganz  zutreffenden  Benennung 
»Bergland"  gesagt  werden  soll  —  den  Namen  »Vogtland*  verdient5). 

Im  allgemeinen  ist  demnach  das  in  dieser  Arbeit  als  „Vogt- 
land* bezeichnete  Gebiet  abgegrenzt  durch  eine  Linie,  welche  verläuft 
über  die  Orte  Weida,  Reichenbach,  Graslitz,  Hof,  Ziegenrück.  Da  im 
Laufe  der  Arbeit  die  orometrischen  Werte  desselben  bestimmt  werden, 
so  macht  sich  eine  eingehendere  Darlegung  der  Abgrenzung  nötig, 
die  schon  hier  folgen  soll6). 


*)  Cotta,  Deutschlands  Boden,  S.  298.  300. 

2)  Gümbel,  Geogn.  Beschreibung  d.  Fichtelgeb.,  S.  8.  14. 

3)  Burgkhardt,  Das  Erzgebirge,  1888,  S.  11. 

4)  Cotta,  Deutschlands  Boden,  S.  318. 

5)  Schurtz,  Pässe  des  Erzgebirges,  S.  60:  »Das  Vogtland  ist  weder  im 
geologischen  noch  im  ethnographischen  Sinne  zum  Erzgebirge  zu  rechnen;  schon 
die  slawischen  Bewohner  müssen  hier  eine  Völkergrenze  vorgefundeu  oder  ge- 
schaffen haben.  Das  Thal  des  Erinitzbaches  mit  den  Orten  Ober-  und  Nieder- 
krinitz  westlich  von  Kirchberg  ist  diese  alte  Grenze  gegen  das  Vogtland,  da  der 
Name  des  Baches  jedenfalls  von  granica  —  Grenze  herzuleiten  ist ;  der  Krinitzberg 
bei  Eibenstock  mag  die  südliche  Fortsetzung  dieser  Völkerscheide  bezeichnen. 
Vgl.  auch  Buschick,  Volksdichtigkeit  in  Sachsen,  S.  33. 

fl)  Die  dabei  benutzten  Karten  sind  folgende: 

Topogr.  Karte  des  Königreichs  Sachsen ,  i.  M.  1  :  25  000 ;  die  Sektionen 
Reiboldsgrün,  Elsterberg,  Reichenbach,  Ebersbrunn,  Pausa,  Kauschwitz,  Treuen, 
Auerbach,  Mißlareuth,  Plauen,  Oelsnitz,  Falkenstein,  Eibenstock,  Blosenberg,  Boben- 
neukirchen,  Adorf,  Zwota,  Brambach,  Hennebach,  Schönberg. 

Spezialkarte  der  österr.-ung.  Monarchie,  i.  M.  1:75000,  Sektion  Roßbach- 
Oelsnitz,  Asch,  Graslitz- Johanngeorgenstadt,  Eger. 

Topogr.  Karte  des  Königreichs  Bayern,  i.  M.  1 :  50  000,  Sektion  Nordhalben, 
Hof,  Marktleuthen. 


104  Albert  Wohlrab,  [8 

Von  der  Mündung  der  Weida  in  die  Elster  bis  zur  Mündung 
der  Göltzsch  bildet  die  Weiße  Elster,  darauf  bis  zu  dem  östlich  vom 
Rehhübel  entspringenden  Quellbache  die  Göltzsch  die  Nordost-  und 
Ostgrenze  des  Gebietes.  Von  da  an  verläuft  die  Grenze  auf  einer 
Geraden,  die  zur  Quelle  der  Zwota  führt,  und  darauf  längs  dieses 
Flusses  hinab  bis  zur  500  m-Isohypse  x).  Diese  Linie  bildet  die  Süd- 
grenze bis  zu  dem  Punkte,  wo  sie  vom  Seebach,  der  zur  Eger  fließt, 
durchschnitten  wird.  Sie  grenzt  das  Gebiet  gegen  den  Franzensbader 
Kessel  ab.  Die  Südwestgrenze  folgt  im  allgemeinen  der  Bahnlinie 
Eger- Asch;  im  besonderen  geht  sie  erst  am  Seebach  aufwärts  bis 
zur  Einmündung  des  Höllbaches,  dann  am  Höllbache  hinauf  zur 
böhmisch-bayrischen  Grenze ,  dann  entlang  derselben  bis  zum  Lauter- 
bach, der  westlich  von  Asch  entspringt  und  als  Perlenbach  bis  zur 
Schwefinitz  führt,  die  bei  Oberkotzau  in  die  Saale  mündet.  Mit  der 
eben  angegebenen  Südwestgrenze  dürfte  der  Verlauf  der  tiefsten  Ein- 
senkung  zwischen  dem  Fichtelgebirge  und  dem  Vogtlande  bezeichnet 
und  eine  orographisch  zu  rechtfertigende  Grenze  zwischen  beiden  Ge- 
bieten gewonnen  worden  sein.  Die  Saale  bildet  die  Westgrenze  des 
Gebietes  bis  zur  Mündung  des  Drebabaches  in  Ziegenrück.  Im  Nord- 
westen helfen  der  Drebabach,  eine  Gerade  vom  obersten  Quellteiche 
desselben  zum  nächsten  Quellteiche  der  Auma,  die  Auma  und  die 
Weida  (von  der  Mündung  der  Auma  bis  zur  Elster)  die  Abgrenzung 
vollenden. 

Aufgabe  der  Arbeit.  Das  in  vorstehendem  umschriebene 
Gebiet,  auf  das  sich  die  vorliegende  Arbeit  erstreckt,  'gehört  zu  den 
kleinen  Räumen,  deren  Eigentümlichkeit  bei  einer  allgemeinen  Be- 
trachtung des  größeren  Raumes,  dem  sie  zugehören  —  das  ist  in 
diesem  Falle  das  deutsche  Mittelgebirge  —  unerkannt  bleibt;  und 
doch  zeigt  es  sich  als  eine  natürliche  Einheit,  als  landschaftliches 
Individuum,  wie  der  Vergleich  des  Gebietes  mit  seiner  Umgebung 
lehrt.  Die  Wahrheit  des  Satzes,  „die  meisten  Erscheinungen  einer 
Erdstelle  sind  ursächlich  miteinander  verbunden  und  machen  jede 
Erdstelle  dadurch  zu  einer  natürlichen  Einheit,  der  man  Eigenart 
oder  Individualität  zusprechen  kann " 2) ,  zeigt  sich  in  diesem  Gebiete 
besonders  deutlich.  Um  freilich  die  Individualität  kleiner  Räume  zu 
erfassen,  dazu  gehört  eine  ins  einzelne  gehende  Kenntnis  von  der 
Natur  des  betreffenden  Gebietes.  Dieser  Voraussetzung  ist  der  Ver- 
fasser vorliegender  Arbeit  sich  wohl  bewußt.  Wenn  er  gleichwohl  es 
im  folgenden  unternimmt,  das  Vogtland  als  ein  landschaftliches  In- 
dividuum zu  zeichnen,  so  kann  er  dies  nur  als  einen  schüchternen 
Versuch  bezeichnen.  Diesen  Versuch  zu  wagen,  machte  ihm  deswegen 
besondere  Freude,  weil  das  Vogtland  seine  Heimat  ist. 


Topogr.  Karte  des  Deutschen  Reiches,  i.  M.  1:100000,  Sektion  Gera, 
Rudolstadt,  Greiz,  Zwickau,  Lobenstein,  Hof,  Johanngeorgenstadt ,  Wunsiedel, 
Mammersreuth. 

1)  Vgl.  Burgkhardt,  Erzgebirge,  S.  10. 

2)  Hettner,  Geographische  Forschung  und  Bildung.  Geograph.  Zeitschr. 
Bd.  I,  1895,  S.  10. 


9]  Das  Vogtland  als  orographisches  Individuum.  105 

Der  Nachweis  der  landschaftlichen  Selbständigkeit  des  Vogtlandes 
soll  dadurch  erbracht  werden,  daß  dieses  Gebiet  nach  seinen  orographischen 
und  mit  der  Urographie  in  engem  Zusammenhange  stehenden  Verhält- 
nissen dargestellt  wird.  Als  Grundlage  zum  Verständnis  des  ganzen 
Gebietes  wird  sein  geologischer  Aufbau  dargelegt  werden.  Soweit  es 
überhaupt  möglich  ist,  soll  darauf  gezeigt  werden,  inwieweit  von  dem 
geologischen  Aufbau  die  orographischen  Verhältnisse  abhängig  sind, 
womit  eine  Berechnung  der  orometrischen  Werte  verbunden  werden 
wird.  Hierauf  wird  der  landschaftliche  Charakter  des  Gebietes  ge- 
zeichnet werden.  Zum  Schluß  soll  auf  die  wichtigsten  anthropo- 
gepgraphischen  Folgen  der  orographischen  Verhältnisse  hingewiesen 
werden. 


I.  Teil. 

Der  geologische  Aufbau  des  Vogtlandes1). 

1.  Einleitender  Ueberblick. 

Am  deutlichsten  tritt  die  Selbständigkeit  des  vogtländischen  Ge- 
bietes in  seinem  geologischen  Aufbau  hervor,  der  fast  ausschließlich 
paläozoische  Schichten  und  im  wesentlichen  eine  zwischen  der  erz- 
gebirgischen  und  der  ostthüringischen  Hauptaufwölbung  gelegene  Mulde, 
die  vogtländische  Hauptmulde2),  zeigt.  Die  paläozoischen  Formationen, 
die  das  Erzgebirge  und  die  in  erzgebirgischer  Richtung  verlaufende 
Waldsteingruppe  des  Fichtelgebirges  in  einem  mehr  oder  weniger 
schmalen  Streifen  in  nordöstlicher  Richtung  begleiten,  breiten  sich  hier 
infolge  ihrer  Tektonik  weit  aus.  Im  Süden,  an  der  Grenze  gegen  das 
Fichtelgebirge,  lagern  sie  auf  archäischen  Schichten,  südlich  deren  der 
fichtelgebirgische  Granit  den  Kapellenberg  aufbaut.  Im  Westen  und 
Norden  schließen  sich  auf  dem  nördlichen  Flügel  der  ostthüringischen 
Hauptaufwölbung  bis  zur  Bahnlinie  Weida-Saalfeld  jungpaläozoische 
Schichten  an,  jenseits  deren  sich  die  thüringische  Trias  ausbreitet. 
Nach  Nordosten  zu  werden  die  paläozoischen  Schichten  des  Vogtlandes 
vom  Oberkarbon  und  Rotliegenden  des  erzgebirgischen  Beckens  dis- 
kordant  überlagert,  während  im  Osten  das  Kirchberger  und  das  Eiben- 
stocker  Granitmassiv  die  Grenze  bilden,  im  Südosten  aber  der  böhmische 
Absturz  diese  Funktion  übernimmt.  Die  Unterlagen  zu  der  folgenden 
gedrängten  Darstellung  des  geologischen  Aufbaues  des  Vogtlandes 
boten  folgende  Publikationen: 

Erläuterungen  zur  geolog.  Spezialkarte  des  Königreichs  Sachsen,  Sektion 
Ebersbrunn,  Kirchberg,  Treuen,  Auerbach,  Schneeberg,  Plauen,  Oelsnitz, 
Falkenstein,  Eibenstock-Aschberg,  Bobenneukirchen-Gattendorf,  Adorf,  Zwota, 
Elster-Schönberg.  —  Erläuterungen  zur  geolog.  Spezialkarte  von  Preußen 
und  den  thüringischen  Staaten,  Sektion  Greiz  (Beichenbach),  Naitzschau 
(Elsterberg) ,  Zeulenroda  (Reiboldsgrün) ,  Pörmitz  ,  Ziegenrück ,  Liebengrün, 
Weida,  Triptis.  —  Abhandlungen  zur  geolog.  Spezialkarte  von  Preußen 


*)  Zur  allgemeinen  Orientierung  über  die  in  dieser  Arbeit  besprochenen 
geologischen  Verhältnisse  benutze  man:  Richard  Lepsius,  Geolog.  Karte  des 
Deutschen  Reiches  in  27  Bl.,  Sektion  19:  Dresden. 

2)  Erläuterungen  zur  geolog.  Spezialkarte  von  Preußen  und  den  thüringischen 
Staaten,  Blatt  Greiz  (Reichenbach),  bearb.  von  Liebe  und  Zimmermann,  S.  78. 


U]  Albert  Wohlrab,  Das  Vogtland  als  orographisches  Individuum.  107 

und  den  thüringischen  Staaten ,  Bd.  V ,  Heft  4 :  Liebe,  Uebersicht  über 
den  Schichtenaufbau  Ostthüringens,  1884.  —  Liebe,  Seebedeckungen  Ost- 
thüringens,  Progr.  des  Gyron.  z.  Gera,  1881.  —  Gümbel,  Geognostische 
Beschreibung  des  Fichtelgebirges,  1879.  —  Jokely,  Aufnahme  des  Egerer 
Kreises.  Jahrb.  der  geolog.  Reichsanstalt,  1856.  —  Jokely,  Zur  Kenntnis 
der  geolog.  Beschaffenheit  des  Egerer  Kreises  in  Böhmen.  Jahrb.  d.  geolog. 
Reichsanstalt,  1856  u.  1857.  —  F.  Katzer,  Geologie  von  Böhmen,  1892. 


2.  Charakteristik  der  das  Yogtland  aufbauenden  Formationen. 

A.  Die  archäischen  Formationen. 

Die  archäischen  Schichten,  auf  denen  das  vogtländische  Paläo- 
zoicum  im  Süden  auflagert,  erstrecken  sich  vom  Fichtelgebirge  aus  in 
das  Yogtland. 

Südöstlich  von  Spielberg  an  verläuft  in  nordöstlicher  Richtung 
an  Selb  vorbei  bis  südlich  von  Asch  und  von  da  in  östlicher  Richtung 
bis  Bärendorf  am  Kapellenberg  und  am  linken  Ufer  des  Fleißenbaches 
hin  bis  Fleißen  eine  schmale  Gneiszone,  die  „als  Fortsetzung  der 
Wunsiedeler  Gruppe  betrachtet  werden  kann* *).  Beck2)  unterscheidet 
in  derselben  der  Struktur  nach  körnig-schuppigen  bis  streifig-stenge- 
ligen Gneis,  schieferigen  Gneis  (Gneisglimmerschiefer)  und  Augengneis. 

Einlagerungen  zwischen  diesen  Gneisvarietäten  sind  nur  unter- 
geordneter Natur;  so  findet  sich  krystallinischer  Kalkstein  bei  Ober- 
reufch,  egeranführender  Augitschiefer  bei  Hohendorf  und  Bärendorf  am 
Kapellenberg. 

Als  kontaktmetamorphisches  Gebilde  des  Granits  im  Gebiete  der 
Gneisformation   tritt   bei  den  letztgenannten  Orten  Andalusitgneis  auf. 

Der  Gneiszone  des  südlichen  Vogtlandes  ist  Glimmerschiefer 
konkordant  aufgelagert.  Die  Glimmerschieferformation  ist  petrographisch 
sehr  einförmig  und  besteht  aus  Muskovitschiefer  und  Einlagerungen  von 
Amphibolit  und  Quarzitschiefer. 

Weit  größere  Flächen  als  die  vorhergehende  nimmt  die  Phyllit- 
formation  ein,  die  ihr  konkordant  auflagert.  Sie  ist  eine  monotone 
Formation,  ohne  große  Abwechselung.  Ihre  Schiefer  zeigen  in  ihren 
dem  Glimmerschiefer  benachbarten  Schichten  großen  Atlas-  oder  Seiden- 
glanz, der  hervorgerufen  wird  durch  ihre  Glimmerigkeit,  die  nach  oben 
zu  abnimmt.  Diesen  glimmerigen  Phylliten  sind  feinkörnige  Quarzit- 
schiefer eingelagert. 

B.  Die  paläozoischen  Formationen. 

Eine  scharfe  Grenze  der  Phyllitformation  nach  oben  und  damit 
eine  Grenze  der  archäischen  gegen  die  paläozoische  Formationsgruppe 
läßt  sich  nicht  ziehen.  Früher  wurden  im  Vogtland ischen  Phyllit  zwei 
ineinander   übergehende  Zonen   unterschieden8),   eine   untere,   von  der 


')   Gümbel  a.  a.  0.  S.  311. 

2)  Erl.  z.  Sektion  Elster  Schönberg,  S.  4  ff. 

3)  Vgl.  Erl.  z.  Sekt.  Zwota,  S.  1  ff. 


108  Albert  Wohlrab,  [12 

eben  die  Rede  war,  und  eine  obere,  von  der  noch  zu  sprechen  sein 
wird  und  die  neuerdings1)  dem  Cambrium  zugerechnet  wird,  wie  ja 
auch  als  Verbindungsglied  zwischen  Phyllit  und  Cambrium  noch  ein 
Präcambrium  abzutrennen  sein  wird.  „Im  Erzgebirge  und  Vogtlande 
gehen  die  glimmerigen  Phyllite  der  sich  innig  an  den  archäischen  Gneis 
anschließenden  krystallinischen  Schieferformation  nach  oben  zu  in  erst 
noch  phyllitische,  dann  normale  Thonschiefer  über.  .  .  .  Bei  der  engen 
Verknüpfung  dieser  phyllitischen ,  präcambrischen  und  cambrischen 
Schichtenreihen  durch  konkordante  Lagerung  und  petrographische  Ueber- 
gänge  und  infolge  des  Mangels  an  charakteristischen  organischen  Resten 
im  dortigen  Cambrium  lassen  sich  scharfe  Formationsabgrenzungen 
innerhalb  dieses  ältesten  Schiefergebirges  kaum  bewerkstelligen2)/ 

Die  früher  als  obere  Zone  des  Phyllits  bezeichneten  normalen  bis 
thonschieferähnlichen  Phyllite  mit  Einlagerungen  grauwackenähnlicher 
Quarzite  werden  jetzt  als  unteres  Cambrium8)  bezeichnet. 

Das  obere  Cambrium  hat  im  allgemeinen  denselben  petro- 
graphischen  Charakter;  es  wechseln  Thonschiefer  mit  quarzitisch  ge- 
bänderten Schiefern  und  in  den  oberen  Schichten  mit  quarzitischen 
Sandsteinen.  In  den  Schiefern  treten  als  Steinkerne  von  Tangen  ge- 
deutete und  Phycodes  circinnatus  benannte  Körper  auf,  nach  denen  die 
Schiefer  dieser  Stufe  als  Phykodenschiefer  bezeichnet  werden. 

Die  Einlagerungen  von  Diabasen,  Schalsteinen  und  Hornblende- 
gesteinen im  Cambrium  sind  von  untergeordneter  Bedeutung. 

Das  Cambrium  nimmt  einen  wesentlichen  Anteil  am  Aufbau  des 
Vogtlandes. 

Ebenso  innig  wie  zwischen  den  beiden  Formationen  Phyllit  und 
Cambrium  ist  daselbst  der  Zusammenhang  zwischen  letzterem  und  seinem 
Hangenden,  dem  Silur4).  Dieses  läßt  eine  Zweiteilung  in  Untersilur 
und  Obersilur  erkennen.  Das  Untersilur  baut  sich  auf  aus  Thon- 
schiefern  nebst  Quarziten,  Thuringitgesteinen ,  Diabasen  und  Diabas- 
tuffen und  zeigt  im  größten  Teile  seines  Gebietes  einen  auffallenden 
Mangel  an  Leitfossilien.  Eine  Ausnahme  hiervon  machen  nur  die  nach 
dem  Dorfe  Leimitz  benannten  Leimitzschichten  bei  Hof,  die  zum  tief- 
sten Silur  gerechnet  werden.  Das  Obersilur  hingegen  kennzeichnet  sich 
durch  die  Führung  von  Graptolithen ;  die  dieser  Formation  angehörigen 
Kiesel-  und  Alaunschiefer  geben  vorzügliche  Leithorizonte  ab.  Die 
Quarzite  treten  auf  in  der  Form  von  Bänken  oder  Linsen  und  heben 
sich  als  härtere  Gesteinspartieen  aus  den  Nebengesteinen  rippen-  oder 
felsartig  heraus.  Auch  körnige  Diabase  stellen  sich  ein  in  der  Form 
von  kleinen  Lagern  und  von  Gängen. 

Das  Obersilur  gliedert  sich  in  einen  unteren  und  einen  oberen 
Graptolithenhorizont.  Zu  unterst  lagern  Kieselschiefer  nebst  Alaun- 
schiefern   mit    gebogenen   Graptolithen    (unterer  Graptolithenhorizont). 


*)   Erl.  z.  Sekt.  Bobenneukirchen-Gattendorf,  S.  3. 
*)  H.  Credner,  Lehrbuch  der  Geologie,  8.  Aufl.,  1897.  S.  896. 
8)  Erl.  z.  Sekt.  Greiz  (Reichenbach),  S.  6. 

4)  H.  Credner,  Lehrb.   d.  Geologie,   S.  404   —  Erl.   z.  Sekt.  Bobenneu- 
kirchen-Gattendorf, S.  15. 


13]  Das  Vogtland  als  orographisches  Individuum.  109 

Darüber  folgt  nach  Liebe *)  ein  Komplex  von  Alaunschiefern  mit  geraden 
Graptolithen  und  von  Kalkknotenschiefern  und  Knotenkalk  (oberer 
Graptolithenhorizont).  Der  Knotenkalk  weist  undeutliche  Reste  von 
Crinoiden,  Brachiopoden  und  Trilobiten  auf.  Durch  Führung  von  leicht 
zu  Eisenocker  verwitterndem  Eisenkarbonat  wird  er  zum  Ockerkalk. 
Sowohl  dem  unteren  als  auch  dem  oberen  Graptolithenhorizont  sind 
Diabaslager  eingeschaltet. 

Das  Devon  besitzt  im  Vogtlande  eine  allenthalben  rasch  wech- 
selnde Mächtigkeit.  Sowohl  hier  als  auch  im  benachbarten  Fichtel- 
gebirge lassen  sich  drei  Abteilungen  desselben  unterscheiden. 

Das  Unterdevon  baut  sich  auf  aus  einer  Reihe  von  Schiefern, 
die  reich  sind  an  Tentakuliten ,  die  ihnen  den  Namen  Tentakuliten- 
schiefer  gaben  und  denen  sich  meist  dünne  Lagen  von  Quarziten  ein- 
schieben. Letztere  sind  mit  Nereiten  (das  sind  Kriechspuren  von  An- 
neliden u.  dgl.)  bedeckt,  wovon  das  Gestein  den  Namen  Nereitenschiefer 
oder  Nereitenquarzit  erhielt.  An  manchen  Orten  bewirkt  die  Anhäu- 
fung von  Tentakulitenschälchen  knollige  Kalkkongretionen.  Als  paläo- 
vulkanische  Gesteine  treten  im  Unterdevon  körnige  Diabase,  Paläo- 
pikrite  und  Diabasmandelsteine  nebst  Diabasphorphyr  auf,  die  durch 
Tuffe,  Schalsteine  und  Konglomerate  mit  den  Schichtgesteinen  ver- 
bunden und  diesen  in  Form  von  Lagern  eingeschaltet  sind.  Von  ihrer 
landschaftlichen  Funktion  wird  später  gehandelt  werden. 

Die  Wechsel  vollste  Formation,  sowohl  nach  ihrer  Mächtigkeit  als 
auch  nach  ihrem  Gesteinsauf  bau,  ist  das  Mittel  de  von.  Dieses  besteht 
von  unten  nach  oben  zu  aus  dunklen  Thonschiefern  mit  eingeschalteten 
Lagern  von  Diabas,  aus  Grauwackensandsteinen  nebst  Konglomeraten, 
in  Wechsellagerung  mit  grauen  oder  tuffigen  Schiefern  und  von  diesen 
öfters  vertreten,  selten  aber  begleitet  von  Diabasen,  sowie  endlich  aus 
tuffigen  Schiefern.  Letzteren  sind  Breccien  und  Diabase  eingelagert, 
die  abwechseln  mit  tuffigen  Grauwackensandsteinen  oder  Konglomeraten. 
Die  oberen  Schichten,  die  aus  paläontologischen  Gründen  von  manchen 
jetzt  dem  Oberdevon  zugerechnet  werden  (Planschwitzer  Schichten),  sind 
reich  an  Versteinerungen,  die  lokal  Korallenkalke  bilden,  und  werden 
gewöhnlich  von  körnigen  Diabasen  und  Diabasmandelsteinen  begleitet. 

Das  Ob  er  de  von  ist  im  wesentlichen  zusammengesetzt  aus  Cypri- 
dinenschiefer ,  aus  Kalksteinen  mit  Orthoceratiten ,  Goniatiten  und 
Clymenien,  aus  tuffigen  Schiefern  mit  Kalkknoten  und  aus  Diabas- 
breccien.  An  manchen  Stellen  verdrängen  die  mächtig  entwickelten 
Diabasbreccien  die  übrigen  Gesteine  des  Oberdevons  fast  gänzlich. 

Das  Unterkarbon  ist  im  Vogtlande  in  seiner  litoralen  Facies 
durch  den  Kulm  vertreten.  Dieser  läßt  sich  trennen  in  eine  untere 
Stufe,  in  der  Thonschiefer,  und  in  eine  obere  Stufe,  in  der  die  Grau- 
wacken  und  Grauwackensandsteine  tiberwiegen.  Im  unteren  Kulm  ge- 
sellen sich  zu  den  Thonschiefern,  Grauwacken  und  Grauwackensand- 
steinen noch  Einlagerungen  von  Kieselschiefern  und  Konglomeraten, 
ferner  stellenweise  auch  Bänke  von  Kohlenkaik  (Foraminiferenoolith 
und  Brachiopodenkalk).     Der  obere  Kulm  zeigt  in  den  Verwitterungs- 


*)  Liebe,  Schichtenaufbau,  S.  12. 


HO  Albert  Wohlrab,  [U 

Produkten  seiner  Grauwacken,  Thonschiefer  und  Konglomerate  eine  röt- 
liche oder  bräunliche  Färbung,  weshalb  er  auch  wohl  als  bunter  Kulm 
bezeichnet  wird1). 


C.  Die  Tektonik  des  paläozoischen  Systems. 

a)   Ursprüngliche   Lagerungsverhältnisse. 

Im  wesentlichen  sind  es  die  eben  kurz  charakterisierten  Formationen, 
die  das  Vogtland  aufbauen.  Die  Tektonik  derselben  ist  aber  keines- 
wegs eine  einfache,  leicht  zu  übersehende.  Credner2)  faßt  die  Schwie- 
rigkeiten dieses  Aufbaues  in  folgendem  Urteile  zusammen:  „In 
dem  größeren  Teil  des  Vogtlandes  lagen  (bei  dessen  geologischer  Kar- 
tierung) besondere  Schwierigkeiten  vor,  weil  hier  einerseits  bei  beträcht- 
licher Mannigfaltigkeit  der  Formationsglieder  und  Gesteine  der  Habitus 
der  einzelnen  Oebirgsglieder  auf  nur  kurze  horizontale  Erstreckung  hin 
sich  von  vornherein  abzuändern  pflegt,  und  weil  andererseits  infolge 
sich  kreuzender  Sattelung  allenthalben  eine  große  Zahl  von  Verwer- 
fungen und  Verschiebungen  den  ursprünglichen  Aufbau  sehr  gestört 
hat  und  in  Zusammenhang  damit  die  Gesteine  vielfach  späteren  Um- 
änderungen unterliegen  mußten."  Nur  mit  Hilfe  dieser  außerordent- 
lich verwickelten  Tektonik  kann  man  sich  das  Unruhige,  Regellose  in 
dem  Landschaftsbilde  des  Vogtlandes  erklären.  Zu  letzterem  Zwecke 
ist  eine  kurze  Skizze  der  architektonischen  Verhältnisse  des  Vogtlandes 
unerläßlich. 

Von  der  petrographischen  Mannigfaltigkeit  der  Forma- 
tionsglieder giebt  die  vorausgehende  Charakteristik  ein  Bild.  Hierzu 
gesellen  sich  als  die  gleichmäßigere  und  beträchtlichere  horizontale 
Erstreckung  der  Formationsglieder  beeinträchtigende  Ursachen  noch 
die  von  Liebe  in  seinem  Schichtenaufbau  Ostthüringens  eingehend  be- 
handelte ungleichmäßige  ursprüngliche  Entwickelung  der  einzelnen  Ab- 
teilungen des  paläozoischen  Systems,  die  spätere  Zerstörung  größerer 
Flächen  derselben,  ferner  übergreifende  Lagerungen  und  endlich 
Schichtenstörungen. 

Die  ungleichmäßige  Entwickelung  einzelner  Formations- 
abteilungen des  paläozoischen  Systems  zeigt  sich  weniger  bei  den 
ältesten  Komplexen  des  Paläozoicums  als  vielmehr  im  Devon. 

Wenn  oben3)  von  Konglomeraten  und  Breccien  der  Devon-  und 
Kulmzeit  die  Rede  war,  so  ist  damit  schon  darauf  hingewiesen,  zu 
welchem  Zeitpunkte  die  Zerstörung  gewisser  älterer  Ablage- 
rungen stattfand.  Ihr  aber  gingen  schon  Wegführungen  obersilurischer 
Schichten  (des  unteren  Graptolithenhorizontes)  voraus.  Auch  das  lücken- 
hafte Auftreten  höherer  Schichten  des  Obersilurs4)  weist  auf  eine  par- 


*)  Erl.  z.  Sekt.  Plauen- Oelsnitz,  1.  Aufl ,  1887,  8.  64. 

2)  H.  Credner,  Die  geolog.  Landesuntersuchung  des  Königreichs  Sachsen. 
Mitteilungen  d.  Ver.  f.  Erdkunde  z.  Leipzig,  1880,  S.  40. 
»)  Siehe  S.  109  [13]. 
4)  Vgl.  Erl.  z.  Sekt.  Bobenneukircfaen-Gattendorf,  S.  26. 


15]  Das  Vogtland  als  orographisches  Individuum.  Hl 

tielle  oder  lokale  Zerstörung  derselben  hin,  die  unmittelbar  vor  der 
Ablagerung  des  Unterdevons  stattfand.  „Die  Abtragung  unterdevoni- 
scher Schichten  in  der  Mitteldevonzeit  beweisen  die  massenhaften  Frag- 
mente von  Tentakulitenschiefern  und  Nereitenquarziten  in  den  mittel- 
devonischen Grauwacken  (Mohnberg  bei  Unterlosa,  südöstlich  von 
Planschwitz)  X).Ä  Andere  Bruchstücke  in  den  mitteldevonischen  Kon- 
glomeraten entstammen  den  Diabasen,  dem  Kieselschiefer  des  Ober- 
silurs, den  Schiefern  und  Quarziten  des  Untersilurs,  ja  Gesteinen,  wie 
Graniten  und  Gneisen,  die  von  den  östlichen  und  südöstlichen  Grenz- 
gebieten herrühren2).  In  gleicherweise  deuten  die  Breccien  des  Ober- 
devons auf  Zerstörungen  mitteldevonischer  und  älterer  Lager  hin.  Die 
Konglomerate  und  Grauwacken  des  Kulms  bestehen  aus  Zerstörungs- 
produkten aus  allen  älteren  Formationen,  vorwiegend  aus  Kieselschiefern, 
Quarziten  und  Schiefern  silurischer  und  cambrischer  Abkunft.  Alle 
diese  Erscheinungen  sind  Beweise  dafür,  daß  in  den  Zeiträumen  zwi- 
schen der  Ablagerung  der  einzelnen  Abteilungen  des  paläozoischen 
Schichtensystems  jedesmal  partielle  Vernichtungsprozesse  des  nächst 
älteren  Schichtensystems  durch  Erosion  und  Denudation  stattgefunden 
haben. 

Mit  diesen  Zerstörungsprozessen  gingen,  infolge  von  Transgres- 
sionen  des  Meeres,  übergreifende  Ueberlagerungen  der  jüngeren 
über  die  älteren  Formationsglieder  Hand  in  Hand. 

b)   Schichtenstörungen. 

Viel  späteren  Ursprunges  sind  jene  tektonischen  Störungen,  welche 
die  bereits  fertigen,  häufig  in  diskordantem  Verbände  stehenden  paläo- 
zoischen Schichtenkomplexe  des  Vogtlandes  betroffen  haben. 

Schon  am  Eingange  dieses  Abschnittes  wurde  darauf  aufmerksam 
gemacht,  daß  das  Vogtland  hauptsächlich  gebildet  wird  von  einer 
vogtländischen  Hauptmulde,  der  südwestlichen  Fortsetzung  der  erz- 
gebirgischen  Hauptmulde.  Erstere  liegt  zwischen  der  erzgebirgischen 
Hauptaufwölbung  (im  SO)  und  der  ostthüringischen  oder  vogtländischen 
(im  NW).  Die  erzgebirgische  Hauptaufwölbung,  deren  nordwestlicher 
Flügel,  soweit  er  diesseits  des  Eibenstocker  Granitmassivs  liegt,  am 
Aufbau  des  Vogtlandes  beteiligt  ist,  setzt  sich  hier  zusammen  aus  den 
oben  besprochenen  archäischen  und  den  diesen  konkordant  aufgelagerten 
cambrischen  Schichten,  deren  Streichrichtung  im  allgemeinen  eine  süd- 
west-nordöstliche  ist.  Die  vogtländische  Hauptmulde,  deren  Tiefstes 
im  SW  durch  das  Auftreten  von  Devon,  weiter  im  NO  durch  dasjenige 
des  Kulms  dokumentiert  wird,  verläuft  ungefähr  in  der  Richtung  Zedt- 
witz-Mehltheuer-Elsterberg.  Die  ostthüringische  oder  vogtländische 
Hauptaufwölbung,  deren  Kern  cambrische  Schichten  aufweist,  erstreckt 
sich  vom  Saalknie  bei  Blankenstein  über  Pausa  nach  Berga  a.  d.  Elster 
und  darüber  hinaus.  Diesem  Sattel  folgt  im  NW  eine  Mulde,  deren 
ausgedehntes  Kulmgebiet  noch  weiter  im  NW,  also  auf  der  Linie  Weida- 


J)  Erl.  z.  Sekt.  Plauen-Oelsnitz,  S.  67. 
a)  Liebe,  Schichtenaufbau,  S.  33.  34. 


112  Albert  Wohlrab,  [16 

Pöfineck-Saalfeld ,  von  jungpaläozoischen  und  mesozoischen  Schichten 
diskordant  überlagert  wird. 

Neben  diesen  Hauptsattelungen  treten  noch  untergeordnete 
Faltungen  verschiedener  tektonischer  Bedeutung  hervor,  die  wie  die 
ersten  in  erzgebirgischer  Richtung  (SW/NO)  verlaufen.  Nimmt  man 
mit  Zimmermann1)  vier  Ordnungen  solcher  Faltungen  an,  so  gehören 
die  eben  besprochenen  Aufsattelungen  der  ersten,  dahingegen  die  kleinen, 
zum  Teil  minimalen,  in  größeren  Aufschlüssen  mit  einem  Blick  zu  über- 
sehenden Sättel  oder  Mulden  der  vierten  Ordnung  dieser  tektonischen 
Störungen  an,  während  die  der  zweiten  und  ebenfalls  noch  oft  die- 
jenigen der  dritten  Ordnimg  ihren  Ausdruck  erst  auf  der  geologischen 
Spezialkarte  finden,  zum  Teil  auch  in  ihrem  Einflüsse  auf  das  Land- 
schaftsbild zu  erkennen  sind.  Schon  im  Süden,  auf  Sektion  Boben- 
neukirchen-Gattendorf,  bezeichnet  die  Linie  Heintzenshöhe-Platzerberg 
die  Achse  einer  solchen  sekundären  Sattelung,  der  sich  andere  an- 
schließen. In  der  Verlängerung  der  westlichen  Abbruchsspalte  des 
Münchberger  Gneisgebietes  in  der  Richtung  von  Vogelherd  westlich 
von  Hof  nach  Feilitzsch  am  Regnitzbach  bringt  eine  Nordostfalte  alt- 
silurische  Schiefer  zu  Tage2).  In  größerer  Anzahl  treten  uns  solche 
Falten  im  Zentrum  des  Vogtlandes,  auf  Sektion  Plauen-Oelsnitz,  ent- 
gegen. Auf  einer  tektonischen  Uebersichtskarte  bringt  Weise3)  die 
bedeutendsten  derselben  zur  übersichtlichen  Darstellung.  „Die  Achse 
des  am  klarsten  hervortretenden  Sattels  von  erzgebirgischem  Streichen 
verläuft  von  Thiergarten  in  nordöstlicher  Richtung  über  Reusa.  .  .  . 
Ein  zweiter  Sattel  dieser  Art  beginnt  an  der  östlichen  Sektionsgrenze 
und  setzt  sich  fort  über  Oberlosa  und  Unterlosa.  Die  Auffaltung  der 
Schichten  zwischen  Rosenberg  und  Göswein  darf  vielleicht  als  dessen 
südliche  Fortsetzung  angesehen  werden.  Eine  in  gleicher  Richtung 
nach  SW  fortlaufende  Falte  trennt  den  Feilebach  von  dem  Kemnitz- 
bach  in  ihrem  unteren  Lauf/  Weiter  im  Norden  des  Vogtlandes,  auf 
Sektion  Greiz,  wird  die  vogtländische  Hauptmulde  „durch  das  vier- 
malige Auftreten  nordöstlich  gerichteter  Streifen  von  Obercambrium  in 
fünf  Einzelmulden  zerlegt,  von  denen  die  mittelste  die  tiefste  ist;  diese 
nimmt  noch  Unterdevon  in  ihren  Kern  auf,  während  jede  der  beiden 
seitlichen  Nebenmulden  nur  Untersilur  aufweisen*4  4).  Sättel  und  Mulden 
zweiter,  dritter  und  noch  geringerer  Ordnung  und  erzgebirgischer  Rich- 
tung machen  sich  ferner  auf  der  Nordwestflanke  der  ostthüringischen 
Hauptaufwölbung,  in  der  dortigen  Kulmmulde,  bemerklich. 

Diese  erzgebirgische  Sattelung  wird  gekreuzt  von  einer  sie  in 
rechtem  Winkel  schneidenden,  nordwestlich  verlaufenden,  die  im  Verein 
mit  der  ersten  einen  ganz  wesentlichen  Faktor  in  der  Entstehung  des 
vogtländischen  Landschaftsbildes  abgiebt.  Dieselbe  wird  entweder  nach 
dem  Thüringerwald  als  hercynische  oder  nach  dem  Frankenwald  als 
frankenwäldische  oder  nach  ihrem  Vorherrschen  in  der  Lausitzer  Pro- 


l)  Erl.  z.  Sekt.  Liebengrün  S.  25.  26. 

*)   Gümbel,  Fichtelgebirge,  S.  436. 

8)  Erl.  z.  Sekt.  Plauen-Oelsnitz,  1.  Aufl.,  S.  69. 

4)   Erl.  z.  Sekt.  Greiz  (Reichenbach),  S.  78. 


17]  Das  Vogtland  als  orographisches  Individuum.  113 

vinz  des  Königreichs  Sachsen  als  Lausitzer  Sattelung  bezeichnet.  Auch 
bei  ihr  lassen  sich  Sättel  und  Mulden  verschiedener  Ordnung  unter- 
scheiden. 

Ein  Sattel  erster  Ordnung  verläuft  zwischen  Hof  und  Lobenstein 
und  hebt  das  Cambrium  bis  zu  Tage.  Ihm  folgt  weiter  im  NO  eine 
Mulde,  deren  Inneres  von  silurischen  und  devonischen  Schichten  ein- 
genommen wird.  Ein  zweiter  frankenwäldischer  Sattel,  der  in  der 
Richtung  des  unteren  Thalabschnittes  der  Oöltzsch  verläuft,  bildet  die 
Brücke  zwischen  dem  nordwestlichen  Flügel  der  erzgebirgischen  und 
der  ostthüringischen  Hauptaufwölbung. 

Ebenso  wie  im  erzgebirgischen  System  gesellen  sich  auch  zu 
diesen  frankenwäldischen  Hauptaufsattelungen  solche  von  sekundärer 
Bedeutung.  Einer  solchen  entspricht  die  „Bobenneukirchener  Hercyn- 
falte*4  *),  deren  Sattelachse  bezeichnet  wird  durch  die  Höhe  von  Wasser- 
loh, den  Platzerberg,  den  Steinpöhl,  den  Pfaffenberg,  den  Katzenpöhl 
und  die  Höhe  von  Großzöbern.  Wie  die  Aufzählung  dieser  der  Sattel- 
achse angehörigen  orographischen  Höhen  beweist,  markiert  sich  diese 
Antiklinale  bereits  in  topographischer  Beziehung  auf  das  entschiedenste. 
Ihr  folgen  weiter  nach  Norden  zu  noch  mehrere  andere.  »Eine  breite 
Welle  läuft  über  die  Südwestecke  der  Sektion  Plauen  von  Bösenbrunn 
bis  Schwand,  ihr  fast  parallel  eine  solche  von  Lauterbach  im  Südosten 
über  Schönbrunn,  Planschwitz,  Rosenberg,  Weischlitz  bis  Kröstau.  Da- 
zwischen drängt  sich  der  kurze,  aber  steile  Sattel  des  Eichelberges  bei 
Pirk.  ...  In  .  .  .  größerer  Entfernung  schneidet  ein  Sattel  von  Oelsnitz 
aus,  nördlich  von  Raschau  vorüber2).14  Auf  Sektion  Oelsnitz-Bergen 
streicht  eine  andere  Aufwölbung,  in  deren  Achse  sich  ein  breiter 
Cambrium8treifen  ausdehnt,  von  Tirpersdorf  bis  Tauschwitz.  „  Je  weiter 
nach  Norden,  desto  mehr  verklingen  die  Wirkungen  der  Frankenwald- 
erhebung3). *  Sie  sind  dort  oft  nur  angedeutet  durch  eine  Art  Falten- 
wurf, den  die  Flügel  der  erzgebirgischen  Sattelung  senkrecht  zum 
Streichen  zeigen. 

Zu  diesen  beiden  Faltensystemen,  dem  erzgebirgischen  (SW/NO) 
und  dem  frankenwäldischen  (SO/NW),  gesellen  sich  im  Yogtlande 
noch  drei  andere  Dislokationsrichtungen,  eine  nordnordöstiiche,  eine  ost- 
südöstliche und  eine  ostwestliche.  Die  erstgenannte  »ist  schön  zu  beob- 
achten südlich  von  Saalburg  .  .  .  und  namentlich  nördlich  bei  Greiz, 
wo  der  mächtig  entwickelte,  emporgewölbte,  obercambrische  Quarzit  im 
stände  war,  den  späteren  Zusammenschiebungen  vermöge  seines  wenig 
biegsamen  Materials  erfolgreich  Widerstand  zu  leisten ;  die  Rücken  des 
Sauberges  und  der  Gomlaer  Berge  bei  Greiz  bestehen  aus  derartigen 
Sätteln  4)tt.  Diese  Sattelbildung  wird  fast  rechtwinkelig  gekreuzt  von 
der  nach  Ostsüdost  streichenden,  die  sich  auch  in  der  Gegend  von  Greiz 
und  Reichenbach  geltend  macht.  Die  in  Sektion  Plauen-Oelsnitz  ver- 
zeichneten fast  nordsüdlichen  Antiklinalen  Steins-Schwand ,   westlicher 


')  Erl.  z.  Sekt.  Bobenneukirchen-Gattendorf  S.  16. 
a)  Erl.  z.  Sekt.  Plauen-Oelsnitz,  S.  69.  70. 
•)  Liebe,  Schichtenaufbau,  S.  40. 
4)  Liebe,  Schichtenaufbau,  S.  41. 
Forschungen  zur  deutschen  Landes-  and  Volkskunde.    XII.    2. 


114  Albert  Wohlrab,  [18 

Deichselberg  und  Kloschwitz-Kobitzschwalde-Zwoschwitz,  sowie  die  ost- 
westliche, über  Bösenbrunn  wegziehende  sind  jedenfalls  Resultanten 
der  in  den  oben  besprochenen  beiden  Hauptsattelungen  wirkenden 
Komponenten. 

Als  solche  Wirkungen  der  Zusammenfaltung  durch  den  ge- 
birgsbildenden  Druck,  die  nicht  in  der  Tektonik  und  im  Landschafts- 
bilde, sondern  nur  in  der  Struktur  zum  Ausdruck  kommen,  sind  die 
Runzelung  und  Fältelung  und  die  transversale  Schieferung  zu  betrachten, 
sowie  dynamometamorphische  Veränderungen  der  Schichtkomplexe,  wo- 
durch z.  B.  kulmische  Schiefer  das  halbkrystalline  Aussehen  cambrischer 
Phyllite  erhalten  können1)  (z.  B.  in  dem  Landstrich  zwischen  Elster- 
berg und  Mehltheuer),  und  welche  die  geologische  Deutung  der  Gesteine 
oft  sehr  erschweren. 

Aus  dem  Zusammenwirken  der  beiden  Hauptdruckrichtungen  und 
der  zum  Teil  daraus  resultierenden  Sättel  ergiebt  sich  im  zentralen 
Teile  des  Vogtlandes,  in  der  Sektion  Plauen-Oelsnitz,  „ein  Aufbau  au» 
excentrischen ,  mehr  oder  weniger  geschlossenen,  elliptischen  Falten- 
ringen, deren  größte  Achse  nach  WNW  gerichtet  ist2)*.  Da  die 
Falten  gegenseitig  ineinander  greifen,  so  kommt  dadurch  eine  gitter- 
förmige  Tektonik  zu  stände,  die  ebenfalls  im  zentralen  Teile  des  Vogt- 
landes besonders  deutlich  bemerkbar  ist. 

Bei  der  verschiedenen  Richtung  und  der  dadurch  bewirkten  Durch- 
kreuzung der  Falten  wurden  Zerreißungen  und  Verwerfungen  der 
Schichten  erzeugt,  deren  Zahl  im  Vogtlande,  und  zwar  .besonders  im 
zentralen  Teile  desselben,  eine  sehr  ansehnliche  ist.  Dieselben  unter- 
scheiden sich  von  denen  anderer  Gebiete  dadurch,  daß  sie  meist  nur 
kurzen  Verlauf  und  eine  nicht  sehr  beträchtliche  Sprunghöhe  aufweisen. 
Im  allgemeinen  folgen  sie  den  Hauptsattelachsen,  streichen  also  ent- 
weder nach  NO  oder  nach  NW. 

An  seiner  Südostgrenze  wird  das  Vogtland  berührt  durch  den 
erzgebirgischen  Steilabsturz  gegen  die  Eger  hin,  einen  der  großartigsten 
Verwerfer  Zentraleuropas.  Die  bedeutendste  Dislokation  in  erzgebirgi- 
scher  Richtung  innerhalb  des  besprochenen  Gebietes  selbst  nennt  Weise 3) 
den  großen  Elsterthalverwerfer,  der  von  der  Possig  an  der  Thiergartner 
Leithe  über  Plauen  (unteren  Teils)  nach  Chrieschwitz  verläuft.  „Die 
Verwerfer  zwischen  Thiergarten  und  Straßberg,  in  der  Richtung  nach 
Eürbitz  und  zwischen  Geilsdorf  und  Ruderitz  können  als  seine  südliche 
Fortsetzung  angesehen  werden/  Auf  Sektion  Oelsnitz  zieht  eine  ver- 
werfende Kluft  östlich  von  Oelsnitz  nach  NO  zu  bis  nahe  an  die  Alt- 
mannsgrüner  Mühle.  Etwas  weiter  im  N  bei  Tauschwitz,  zwischen 
Schloditz  und  Hartmannsgrün,  und  bei  Großfriesen  zeigen  sich  nord- 
wärts gerichtete  Spalten,  auf  Sektion  Treuen  zwischen  Möschwitz  und 
Pohl  wieder  eine  solche  von  nordöstlicher  Richtung.  Ein  ganzes 
System   südwestlich   gerichteter  Bruchlinien,   das   bis  zum  Quellgebiet 


*)  Liebe,  Schichtenaufbau,  S.  54. 
*)  Erl.  z.  Sekt.  Plauen-Oelsnitz,  S.  71. 
3)   Erl.  z.  Sekt.  Plauen-Oelsnitz,  S.  73. 


19]  Bas  Vogtland  als  orographisches  Individuum.  115 

der  Saale  hinstreicht,  beginnt  im  Südosten  der  Sektion  Bobenneu- 
kirchen  x). 

Die  erzgebirgischen  Verwerfungen  werden  sehr  oft  abgeschnitten 
oder  selbst  wieder  verworfen  durch  solche  von  frankenwäldischer  Rich- 
tung, die  sich  ebenfalls  auf  die  Mitte  des  Vogtlandes  konzentrieren, 
„Vorzügliche  Beispiele  von  nordwestlichen  Verwerfern  sind  diejenigen 
an  der  Thiergartener  Leithe,  von  denen  der  eine  das  Oberdevon  neben 
tiefes  Untersilur,  ein  anderer  dieselbe  Formation  neben  Untersilur  und 
Unterdevon  rückt,  ein  weiterer  sogar  den  Kulm  mit  dem  Untersilur  in 
gleiches  Niveau  bringt.  In  der  Fortsetzung  dieses  ganzen  Systems  liegt 
der  Meßbach-Taltitzer  Verwerf  er  8).Ä  Gleiche  Richtung  haben  die  Spalten 
östlich  von  Weischlitz,  sowie  die  vom  Dockeisberge  bei  Oelsnitz,  von 
Planschwitz,  dem  Vorderen  und  hinteren  Eulm,  dem  Eichelberge  bei 
Qeilsdorf,  die  von  Schönbrunn  und  Bösenbrunn  und  derjenige  östlich 
von  Oelsnitz  (Alter  Berg-Raasdorf).  Auf  Sektion  Reichenbach8)  ver- 
läuft in  gleicher  Richtung  eine  bedeutsame  Dislokation  nordöstlich  von 
Kleingera  an  über  das  Dorf  Reuth  zum  Stoppbach thale  und  setzt'  sich 
auf  Sektion  Treuen  fort;  hier  jedoch  lenkt  sie  ihre  Richtung  in  eine 
nordsüdliche  um,  in  welcher  sie  etwa  in  der  Mittellinie  des  Blattes 
Treuen  sich  deutlich  hervorhebt.  Auch  auf  Sektion  Plauen4)  setzen 
nordsüdliche  Verwerfer  auf.  Als  die  bedeutendsten  derselben  können 
bezeichnet  werden  derjenige  westlich  von  Schwand  und  Steins  und  der- 
jenige zwischen  Kröstau,  Kloschwitz  und  Kobitzschwalde.  Nach  Liebe 5) 
sind  die  Nordsüdspalten  im  westlichen  und  mittleren  Ostthüringen  sehr 
selten,  häufen  sich  dagegen  in  der  Gegend  zwischen  Zeulenroda  und 
Reichenbach. 

In  der  Richtung  der  oben  aufgezählten  Verwerfungsspalten  waltet 
die  von  NW  nach  SO  unbedingt  vor,  während  das  Streichen  der  Falten 
durch  die  Richtung  von  SW  nach  NO  beherrscht  wird.  Faltungen 
und  Verwerfungen  in  sich  kreuzenden  Richtungen  bewirken  eine  mosaik- 
artige Gliederung  des  Schichtenaufbaues,  die  nicht  bloß  der  kartographi- 
schen Darstellung,  sondern  auch  dem  Landschaftsbilde  ein  zerhacktes 
Aussehen  giebt. 

In  kausalem  Zusammenhange  mit  diesen  Schichtenstörungen  stehen 
jene  Erderschlltterungen,  die  das  Vogtland  zeitweilig  heimsuchen 
und  dasselbe  zu  einem  chronischen  Schüttergebiete  gestalten.  „Haben 
doch  von  den  seit  dem  Jahre  1875  registrierten  38  sächsischen  Erd- 
beben nicht  weniger  als  22  ihren  Ursprung  im  Vogtlande6)/  Das  be- 
deutendste von  diesen  erstreckte  sich  über  den  Zeitraum  vom  24.  Ok- 
tober bis  29.  November  1897  und  äußerte  sich  in  einer  lokal  beäng- 
stigenden Stärke. 


*)  Erl.  z.  Sekt.  Bobenneukirchen-Gattendorf,  S.  17. 

2)  Erl.  z.  Sekt.  Plauen-Oelsnitz,  S.  73. 

3)  Erl.  z.  Sekt.  Greiz  (Reichenbach),  S.  79. 
*)  Erl.  z.  Sekt.  Plauen-Oelsnitz,  S.  70i 

5)  Liebe,  Schichtenaufbau,  S.  41. 

6)  H.  Credner,  Die  sächs.  Erdbeben  wahrend  der  Jahre  1889—1897,  insbes. 
das  sächs.-böhm.  Erdbeben  vom  24.  Okt.  bis  29.  Nov.  1897.  XXIV.  Bd.  d.  Abhdlgn. 
d.  math.-phys.  Kl.  d.  königl.  sächs.  Gesellsch.  d.  Wissenschaften.    Leipz.  1898,  S.  390. 


116  Albert  Wohlrab,  [20 

Das  Alter  dieser  Schichtenstörungen,  also  der  Faltungen 
und  Verwerfungen,  läßt  sich  in  geologischem  Sinne  ziemlich  genau 
fixieren,  indem  diesen  Dislokationen  sämtliche  paläozoische  Schichten 
bis  hinauf  zum  Kulm,  und  zwar  einschließlich  desselben,  -  unterworfen 
gewesen  sind.  Da  nun  bei  Zwickau  auf  den  Köpfen  der  steil  auf- 
gerichteten Schichten  des  Kulms  und  Devons  die  Komplexe  der  produk- 
tiven, also  oberen  Steinkohlenformation  diskordant  und  in  ungestörter 
Lage  auflagern,  so  muß  die  Stauung,  welche  zu  all  den  beschriebenen 
Schichtenstörungen  Veranlassung  gegeben  hat,  in  den  Zeitraum  zwischen 
dem  unteren  und  oberen  Kulm  fallen,  ist  also  mittelkarbonischen  Alters. 

D.  Die  neozoischen  Formationen« 

Bis  in  das  Gebiet  des  Vogtlandes  selbst  greifen  die  Ablagerungen 
des  Karbons  und  des  Rotliegenden  vom  erzgebirgischen  Becken  aus  nicht 
über.  Ebensowenig  ist  innerhalb  desselben  eine  Spur  von  mesozoischen 
Formationen  vorhanden.  Eine  Zunge  von  Buntsandstein  reicht  zwar 
zwischen  Weida  und  Gera  weit  nach  Südosten  hin,  allein  ihr  letzter, 
südlichster  Ausläufer,  eine  einzelne  Scholle  von  Buntsandstein  und 
Muschelkalk  beim  Idawaldhaus  bei  Greiz1),  liegt  noch  nördlich  von 
den  oben  (S.  104  [8])  gezogenen  Grenzen. 

Ebenso  wie  Trias,  Jura  und  Kreide  fehlt  auch  im  Vogtlande 
marines  Tertiär  und  die  Braunkohlenformation.  Nur  isolierte  Lappen 
von  Flußkiesen  sind  die  einzigen  Vertreter  der  Tertiärformation. 
Solche  Ablagerungen  fluviatiler  Kiese  und  Sande  finden  sich  auf  den 
Hochflächen  beiderseits  der  heutigen  Flüsse,  zum  Teil  in  einer  Höhe 
von  50  m  über  der  Thalsohle,  so  an  der  Elster  von  Oelsnitz  abwärts, 
an  der  Trieb  bei  Alten-  und  Neuensalz,  bei  Pohl  und  Jocketa,  an  der 
Göltzsch  bei  Weißensand,  Mtihlwand,  Mylau,  Netzschkau,  Reuth. 

Während  der  langen  Zwischenzeit  zwischen  dem  Mittelkarbon  und 
der  Diluvialzeit  bewirkten  Wasser  und  Atmosphärilien  auf  dem  Wege 
der  Verwitterung,  Erosion  und  Denudation  eine  oberflächliche,  aber 
tiefgreifende  Abtragung  der  Falten  und  schufen  die  flachwellige  Hoch- 
fläche, als  welche  sich  das  Vogtland  jetzt  repräsentiert.  Reste  dilu- 
vialer Säugetiere,  nämlich  von  Canis  spelaeus,  Felis  spelaea,  Elephas 
primigenius,  Rhinoceros  tichorhinus,  Equus  caballus  fossilis,  Gervus 
euryceros,  Cervus  tarandus,  Bos  priscus,  wurden  bei  Oelsnitz  gefunden  *). 
Nordische  Geschiebe,  die  eine  Annahme  der  Bedeckung  eines  Teiles 
des  Vogtlandes  durch  nordisches  Inlandeis  rechtfertigten,  weist  das  Ge- 
biet nirgends  auf,  wenngleich  sich  die  Grenze  des  Inlandeises  bei  Ronne- 
burg  demselben  bis  auf  zwei  Meilen  Entfernung  nähert.  Wenn  nun 
auch  das  Vogtland  von  der  Bedeckung  durch  skandinavisches  Inland- 
eis verschont  blieb,  so  lassen  doch  gewisse  Beobachtungen  die  Annahme 
zu,  daß  die  vogtländischen  Höhen  ähnlich  wie  z.  B.  das  Riesengebirge 
selbständige,  also  autochthone  Gletscher  erzeugten.     Zu  den  auf 


*)  Erl.  z.  Sekt.  Greiz  (Reichenbach),  S.  85. 
*)   Erl.  2.  Sekt.  Oelsnitz-Bergen,  S.  60—62. 


21]  Das  Vogtland  als  orographisches  Individuum.  H7 

derartige  GUacialphänomene  im  Vogtlande  und  Frankenwalde  hinweisen- 
den Vorkommnissen  gehören  lappenförmige  Reste  der  Grundmoräne 
alter  Gletscher,  wie  sie  Dathe1)  aus  der  Gegend  von  Saaiburg  und 
Wurzbach  beschrieb.  Aus  der  Gesamtheit  seiner  einschlägigen  Beob- 
achtungen zieht  Dathe  den  folgenden  Schluss:  »Ob  nun  die  Ver- 
gletscherung des  Frankenwaldes  und  des  vogtländischen  Berglandes 
eine  allgemeine  gewesen  ist,  oder  ob  nur  besonders  orographisch  be- 
vorzugte Striche  derselben  von  dem  Glacialphänomen  betroffen  worden 
sind,  lä&t  sich  jetzt  noch  nicht  bestimmt  entscheiden.  Soweit  sich  die 
Verhältnisse  beurteilen  lassen,  möchte  ich  letztere  Annahme  für  wahr- 
scheinlich halten2)." 

Das  Alluvium  der  Thalsohlen  der  Flüsse  setzt  sich  zusammen 
aus  Sanden  und  Kiesen,  die  oft  überlagert  werden  vom  Aulehm  und 
von  Schlemmprodukten  der  in  der  Nähe  anstehenden  Gesteine.  Moor- 
bildungen sind  an  den  Grenzen  des  Gebietes  nicht  selten,  so  bei  Pausa 
(die  »Weide*),  auf  der  Hochebene  von  Reuth,  bei  Tanna,  bei  Gefell, 
am  Kapellenberge,  auf  den  Abhängen  südlich  und  westlich  von  Schön- 
eck, im  Bergener  Kessel  und  an  anderen  Orten.  Die  Torfmoore  werden 
an  verschiedenen  Orten  abgebaut,  meist  jedoch  nur  zur  Deckung  des 
Hausbedarfes. 

3.  Die  Eruptivgesteine. 

A.  Die  Granite  und  ihre  Kontakthöfe. 

Einen  wesentlichen  Anteil  am  Aufbau  des  Vogtlandes  nimmt  der 
Granit.  Derselbe  bildet  nicht  etwa  nur  im  Osten  und  Südwesten  die 
Grenze  dieses  Gebietes,  sondern  taucht  auch  inmitten  des  östlichen  Vogt- 
landes wie  eine  Insel  aus  dem  Schieferareale  empor.  Bis  zum  Kapellen- 
berge an  der  Südgrenze  des  Gebietes  erstreckt  sich  der  zentrale  Ge- 
birgsstock  des  Fichtelgebirges.  Sicher  hängen  mit  diesem  Massive, 
dessen  nordöstlichen  Grenzpfeiler  der  Kapellenberg  bildet  und  dem  auch 
die  in  Böhmen  gelegenen  Höhen  von  Schnecken  und  Wildstein  (Zitter- 
däl-,  Vogelherd-  und  Störelberg)  angehören,  die  nordwestlich  von  ihm 
zu  Tage  tretenden,  nur  durch  eine  schmale  Gneis-  und  Glimmerschiefer- 
zone von  ihm  getrennten  Massive  des  großen  Waldsteines  und  des 
großen  Kornberges  unterirdisch  zusammen. 

Etwa  20  km  nordöstlich  vom  Kapellenberg  erhebt  sich  vom  linken 
Ufer  der  Zwota  an  das  Neudeck-Eibenstocker  Granitmassiv,  dem  im 
Norden  das  Kirchberger  Massiv  vorgelagert  ist.  Von  letzterem  ist  es 
oberirdisch  nur  durch  einen  schmalen  Streifen  von  Schiefern  geschie- 
den, hängt  aber  unterirdisch  unzweifelhaft  mit  ihm  zusammen. 

Inmitten  paläozoischer  Schiefer  erhebt  sich  westlich   von   diesen 


*)  E.  Dathe,  Gletschererscheinungen  i.  Frankenwalde  u.  Vogtl.  Bergland. 
Jahrb.  d.  geolog.  L.-Anst.  1881,  S.  816  ff. 

*)  Dathe  S.  329.  330.  —  Siehe  jedoch  die  Einwürfe  von  Penck  (Pseudo- 
glaciale  Erscheinungen,  Ausland  1884,  S.  644).  Vgl.  auch  Regel,  Thüringen,  I, 
S.  162. 


118  Albert  Wohlrab,  [22 

beiden  großen  Granitarealen  das  kleine  Massiv  Ton  Bergen-Lauterbach 
bis  zur  Oberfläche. 

Die  vom  Granit  durchbrochenen  und  ihm  benachbarten  Komplexe 
sämtlicher  Schichten  vom  Phyllit  bis  hinauf  zum  Devon  sind  von  seiner 
Glut  metamorphisiert  worden,  und  zwar  bis  zu  einer  solchen  Entfernung, 
daß  sich  der  Eontakthof  des  kleinen  Lauterbacher  Massivs  mit  dem  des 
östlich  davon  gelegenen  Kirchberger  Massivs  berührt. 

In  der  inneren  Zone  des  Kontakthofes,  in  der  nächsten  Nähe  des 
Granits,  haben  die  Schiefer  naturgemäß  die  intensivste  Umwandlung 
erfahren,  so  daß  die  dünnplattigen  normalen  Thönschiefer  und  Phyllite 
zu  einem  unregelmäßig  flaserigen,  ja  massigen  Gesteine,  zu  Andalusit- 
glimmerfels,  geworden  sind.  In  etwas  größerer  Entfernung  vom  Granit, 
wo  dessen  kontaktmetamorphische  Einwirkung  abnahm,  bleibt  der 
Schiefer  seiner  ursprünglichen  Beschaffenheit  ähnlicher,  wird  hier  zum 
Fruchtschiefer  umgestaltet,  der  nach  außen  ganz  allmählich  zu  Fleck- 
schiefer und  durch  diese  in  die  normalen,  unverändert  gebliebenen 
Schiefer  übergeht. 

Südsüdwestlich  vom  Lauterbach-Bergener  Massiv,  auf  dem  linken 
Elsterufer,  deutet  bei  Eichigt  die  petrographische  Beschaffenheit  der 
Schiefer,  welche  den  charakteristischen  kontaktmetamorphischen  Habitus 
angenommen  haben,  auf  einen  in  verhältnismäßig  geringer  Tiefe  an- 
stehenden, von  der  Denudation  noch  nicht  erreichten  und  bloßgelegten 
Granitstock  hin  x). 

Ebenso  wie  die  Schiefer  unterlagen  auch  die  eingeschalteten  unter- 
geordneten Einlägerungen  mehr  oder  weniger  intensiven  kontaktmeta- 
morphischen Umwandlungen.  So  wurde  dichter  devonischer  Kalkstein 
zu  Marmor,  Diabas  und  Diabastuffe  in  Hornblendeschiefer,  Alaunschiefer 
zu  Chiastolithschiefer  metamorphisiert. 

B.  Gangförmige  Eruptivgesteine. 

Von  nur  untergeordneter  Bedeutung  sind  die  im  Vogtlande  auf- 
tretenden gangförmigen  Eruptivgesteine2). 

Feinkörniger  porphyrischer  Granit,  Granitporphyr,  Quarzporphyr, 
feinkörniger  Syenit,  Glimmerdiorit,  Glimmerporphyrit,  porphyrischer 
Diabas,  Glimmerdiabas  und  verwandte  Gesteine  bilden  vorzugsweise  in 
der  Nähe  der  besprochenen  Granitmassive  und  innerhalb  derselben 
Gänge  von  verschieden  langer  Erstreckung  und  schwankender  Mächtig- 
keit. Längs  des  ostthüringischen  Sattels  treten  ganz  vereinzelt  Gänge 
von  Lamporphyr  auf. 

Die  jungvulkanischen  Gesteine  werden  im  gesamten  Vogtlande 
ausschließlich  durch  Basalte  vertreten,  die  z.  B.  bei  Zwota,  bei  Eb- 
math,  in  der  Nähe  des  Kapellenberges  das  Grundgebirge  in  der  Form 
von  Gängen  (z.  B.  die  „Kegel*4  bei  Erlbach)  an  der  Oberfläche  kuppen- 
artig aufgestaut  haben. 


2)  Erl.  z.  Sekt.  Adorf,  S.  19  u.  z.  Sekt.  Bobenneukirchen-Gattendorf,  S.  13.  14. 
2)  Vgl.   Köhler,    Die   Eruptivgesteine    des    sächs.    Vogtlandes.    Reichen- 
bach 1873. 


23]  Das  Vogtland  als  orographisches  Individuum.  119 

4.  Erzvorkommnisse  und  Mineralquellen. 

Von  größerer  volkswirtschaftlicher  Bedeutung,  als  sie  es  jetzt  sind, 
waren  die  zahlreichen  Erzvorkommnisse  in  früheren  Zeiten.  Sie  be- 
sitzen teils  die  Form  von  Gängen,  teils  von  Lagern. 

Die  Lager  von  Eisenerzen  stehen  ursächlich  und  daher  auch 
räumlich  mit  den  Lagern  von  Diabasen,  Schalsteinen  und  Breccien  in 
Zusammenhang  und  führen  wesentlich  Rot-  oder  Brauneisenstein. 
Manche  dieser  Erzlager  haben  Nickelerze,  Kupferglanz  und  andere 
Kupfererze  enthalten.  Auch  Eisenkieslager  sind  so  bei  Hirschberg  und 
Schleiz  bekannt1). 

„Die  Gänge  enthalten  vorzüglich  Eisenerze,  sowie  Kupfererze, 
Nickel-  und  Kobalterze  und  Antimonerze2)/  Vertreter  dieser  Gang- 
formation  treten  auf  bei  Reichenbach,  in  dem  Arealstreifen  zwischen 
Plauen  und  Hof,  bei  Saalburg,  Lobenstein  und  Schleiz.  Bei  Greiz 
wurde  früher  ein  zeitweise  ergiebiger  Bergbau  auf  silberhaltigen  Blei- 
glanz betrieben.  Bei  Oelsnitz  stand  im  16.  Jahrhundert  der  Bergbau 
auf  Zinn  in  hoher  Blüte3). 

In  älteren  Schriften  wird  ausführlich  über  Gewinnung  von  Wasch- 
gold aus  dem  Sande  der  Göitzsch,  der  Elster  und  der  Wettera  be- 
richtet. 

Im  Vogtlande  bestanden  früher  eine  große  Anzahl  von  Eisen- 
gruben, die  aber  nach  und  nach  alle  auflässig  geworden  waren.  Nach  dem 
Jahrbuch  für  das  Berg-  und  Hüttenwesen  im  Königreich  Sachsen 4)  ist 
seit  dem  Sommer  1895  „im  Vogtlande  die  Aufschürfung  einiger  teils 
früher  schon  bearbeiteter,  teils  noch  unverritzter  Eisensteinlager  in  An- 
griff genommen  worden".  Im  Jahre  1890  wurden  in  der  „Anna  Fund- 
grube" am  Zotner  bei  Straßberg  342,0 1  Eisenerze  und  in  der  „Ludwig 
Fundgrube  vereinigt  Feld"  bei  Schönbrunn  (Oelsnitz)  40,0  t  Eisenerze 
und  805,0  t  Flußspat  ausgebracht,  während  die  Grube  „Lanibzig"  zu 
Lambzig  und  die  „Pohlenz  Fundgrube"  bei  Foschenroda  zwar  belegt 
waren,  das  Jahrbuch  aber  kein  Ausbringen  dieser  Gruben  für  das 
Jahr  1896  angiebt.  Auch  die  Gruben  „Isolde  vereinigt  Feld"  bei 
Hauptmannsgrün,  „Saxonia  und  Bavaria  vereinigt  Feld"  am  Eichberge 
bei  Röttis  und  „Schallers  vereinigt  Feld  samt  Erbstolln"  bei  Pohl 
waren   bis   in  die   letzten  Jahre  hinein  in  Betrieb  (1895,  1896,  1897). 

Reich  ist  das  Vogtland  an  meist  eisenhaltigen  Säuerlingen. 
Bad  Elster  weist  allein  deren  12  auf,  während  sich  in  der  Umgegend 
noch  zahlreiche  andere  verstreut  finden,  so  in  Sohl  (2),  Niederreuth, 
Brambach,  Oberbrambach  (2),  Fleißen  und  Großenteich.  Auch  im 
Norden  des  Vogtlandes  fließen  bei  Pausa  2  eisenhaltige  Quellen,  die 
zur  Gründung  eines  Bades  Anlaß  gegeben  haben. 


*)   Liebe,  Schichtenaufbau,  S.  121. 

2)  Cotta,  Die  Erzlagerstätten  Europas,  1861. 

8)  Schur  ig,  Beiträge  z.  Gesch.  d.  Bergbaues  i.  sächs.  Voigtlande.  Plauen 
1875,  S.  5  ff. 

4)  Jahrb.  f.  d.  Berg-  u.  Hüttenw.  i.  Königr.  Sachsen,  Jahrg.  1896,  B,  S.  90.  — 
Jahrg.  1897,  B,  S.  64  ff. 


120  Albert  Wohlrab,  [24 

Ein  derartiger  Reichtum  des  Vogtlandes  an  Mineralquellen  und 
Säuerlingen  stebt  naturgemäß  in  genetischer  Beziehung  zu  dessen  kom- 
plizierter, von  einem  die  Wässer  durchlassenden  Spaltennetz  durch- 
zogenen Tektonik. 

5.  Zusammenfassung  behufs  Definition  des  Gebietes. 

Ein  Ueberblick  über  die  vorangegangenen  ausführlichen  Dar- 
legungen ergiebt  folgendes  kurzgefaßte  geologische  Gesamtbild  des 
Vogtlandes. 

Die  den  erzgebirgischen  Nordwestflügel  begleitenden,  hier  wenig 
entwickelten  altpaläozoischen  Schichten  breiten  sich  westlich  und  nord- 
westlich vom  Südende  des  Erzgebirges  infolge  vielfacher  Dislokationen, 
die  sie  durch  Aufsattelungen  und  wiederholte  Verwerfungen  erlitten 
haben,  bis  zum  thüringischen  Becken  und  zum  fränkischen  Vorlande 
aus.  Durch  einen  in  nordöstlicher  Richtung  von  Blankenberg  a.  d.  Saale 
nach  Berga  a.  d.  Elster  verlaufenden  Schichtensattel  wird  das  Gebiet 
in  eine  südöstliche  und  eine  nordwestliche  Hälfte  zerlegt.  In  letzterer 
herrscht  der  Kulm  oberflächlich  vor,  während  die  östliche  Mulde  sämt- 
liche paläozoischen  Formationen  bis  zum  Kulm,  wenn  auch  in  ungleich- 
mäßiger Entwicklung  der  einzelnen  Abteilungen,  aufweist.  Ein  großer 
Verwerfer,  der  von  Gräfentbal  über  Lobenstein  nach  SO  verläuft,  trennt 
das  vogtländische  vom  frankenwäldischen  Gebiete.  Diesem  letzteren 
und  dem  nordwestlichen  Kulmgebiet  gegenüber  hebt  sich  der  im  Osten 
der  genannten  Blankenberg-Bergaer  Sattellinie  gelegene  Landstrich  als 
in  sich  geschlossenes  geologisches  Bild  ab:  er  ist  es,  der  das  Vogtland 
repräsentiert. 

Der  Aufbau  des  eigentlichen  Gebirgsuntergrundes  des  Vogtlandes 
beschränkt  sich  ausschließlich  auf  krystallinische  Schiefer,  und  zwar 
namentlich  auf  die  Phyllite,  vorzüglich  aber  auf  die  altpaläozoischen 
Formationen,  während  sich  an  demselben  weder  Oberkarbon  und  Rot- 
liegendes, noch  irgend  eine  mesozoische  Formation  beteiligt.  Die 
paläozoischen  Schichtkomplexe  werden  in  ihrer  größten  Erstreckung 
von  Diabasen  und  Diabastuffen  begleitet,  die  ihnen  als  Produkte  gleich- 
altriger vulkanischer  Eruptionen  deckenartig  eingeschaltet  sind. 

Die  Aufsattelungen,  Faltungen  und  Verwerfungen  innerhalb  dieses 
Gebietes,  also  die  Herausbildung  seiner  jetzigen  Tektonik,  vollzogen 
sich  in  der  Mitte  der  Karbonzeit.  Von  diesem  Zeitpunkte  an  begann 
die  Abtragung  durch  Denudation  und  Erosion,  welche  zur  Herausbil- 
dung des  heutigen  Antlitzes  der  Oberfläche  führte.  Erst  nach  der 
wesentlichen  Modellierung  und  Fertigstellung  der  Hauptzüge  des  letzteren, 
also  in  jüngster  geologischer  Vergangenheit,  sind  auf  diesem  alten 
Felsuntergrunde  durch  tertiäre  und  diluviale  Flüsse,  jedoch  in  weit 
höherem  Niveau  als  ihre  heutigen  Thalsohlen,  Schotter,  Kiese  und 
Lehme,  vielleicht  auch  Produkte  einheimischer  Gletscher  abgelagert 
worden,  welche  im  Verein  mit  den  Verwitterungsprodukten  des  felsigen 
Untergrundes  und  deren  Zusammenschwemmmassen  die  Oberfläche  des 
eigentlichen  Gesteinsbaues   meist  nur  schleierartig,  an  manchen  Orten 


25]  Da*  Vogtland  als  orographischea  Individuum.  121 

(so  in  den  diluvialen  Thalwannen  der  Elster)  etwas  mächtiger  über- 
ziehen. 

Der  an  und  für  sich  einfache  geologische  Aufbau  des  Vogtlandes 
wurde  durch  ungleichmäßige  Entwicklung  einzelner  Abteilungen  der 
paläozoischen  Formationsreihe,  durch  die  Denudation  einzelner  Kom- 
plexe vor  Ablagerung  ihres  Hangenden,  durch  übergreifende  Lagerung 
gewisser  Schichtgruppen  über  ältere  und  durch  Faltungen  und  Ver- 
werfungen zu  einem  außerordentlich  komplizierten  gestaltet.  Zwei 
Hauptrichtungen  beherrschen  diese  Faltungen  und  Verwerfungen,  eine 
nordöstliche  und  eine  nordwestliche.  Neben  ihnen  macht  sich  eine  von 
NNO  nach  SSW,  ferner  eine  solche  von  WNW  nach  OSO  und  eine 
von  W  nach  0  verlaufende  Störungsrichtung  geltend.  Eine  derartige 
tektonische  Zerklüftung  giebt  dem  Gebiete  den  Charakter  einer  Riesen- 
breccie  und  ist  noch  jetzt  die  Ursache  häufiger  Erdbeben. 

Im  östlichen  Gebiete  des  Vogtlandes  durchbricht  der  Lauterbach- 
Bergener  Granitstock  das  Schiefergebirge  und  hat  in  diesem  die  Heraus- 
bildung eines  scharf  ausgeprägten  Kontakthofes  bedingt.  An  der  Ost- 
grenze des  Gebietes  erhebt  sich  über  dasselbe  das  Eibenstock-Kirch- 
berger  Granitmassiv  und  im  Süden  der  fichtelgebirgische  Granit,  an 
den  sich  jene  archäischen  Schichten  anlegen,  auf  welche  das  vogt- 
ländische  Paläozoicum  folgt. 


IL  Teil. 

Urographie  des  Vogtlandes. 

1.  Die  Thäler. 

A.  Bedeutung  der  Thäler  für  die  Urographie  des  Vogtlandes.    Ihr 
Verhältnis  zur  Geotektonik  desselben. 

Mit  der  Skizze  der  geologischen  Verhältnisse  des  Vogtlandes  sind 
die  Grundlagen  gegeben  zum  Verständnis  der  Urographie  dieses  Ge- 
bietes. Das  heutige  landschaftliche  Bild  desselben,  wovon  weiter  unten 
noch  zu  handeln  sein  wird,  ist  das  einer  flachwelligen  Hochfläche.  Die 
seit  dem  Tertiär  nachweisbaren  Flußläufe  und  kleinere  Gewässer  schnitten 
in  dieselbe  Thäler  ein,  deren  Richtung  und  Tiefe  im  allgemeinen  das 
Relief  und  damit  auch  die  Form  und  Richtung  der  Bergrücken  be- 
stimmen, da  die  die  Hochfläche  überragenden  Höhen  im  Vergleich  zu 
den  Thaleinschnitten  nur  geringe  Niveauunterschiede  hervorbringen. 
Es  ist  daher  zweckmäßig,  zunächst  den  Verlauf  der  Thäler  kennen  zu 
lernen.  Dabei  wird  sich  Gelegenheit  geben,  nach  den  Beziehungen  des 
Thalverlaufes  zum  geologischen  Bau  zu  fragen. 

Auffallend  ist  die  Erscheinung,  auf  die  auch  Gümbel1)  hinweist, 
„das  rechtwinklige  Abbiegen  der  Laufrichtung,  welche  sich  strecken- 
weise fast  in  jedem,  selbst  der  kleineren  Flußläufe  bemerkbar  macht*4. 
Ihre  Erklärung  findet  sie  in  den  beiden  im  Vogtlande  vorherrschenden 
geotektonischen  Richtungen.  Letztere  finden  in  den  Flußläufen  ihren 
Ausdruck,  und  es  kann  uns  gar  nicht  wundern,  daß  zwischen  einigen 
Gewässern  ein  gewisser  Parallelismus  besteht.  Ein  Vergleich  der  Fluß- 
läufe der  Elster,  Saale  und  Weida,  der  Göltzsch,  Trieb  und  Wiesen- 
thal, der  unteren  Hälfte  der  Weida  und  der  Auma  zeigt  diese  Erschei- 
nung auf  der  Karte  augenfällig. 

Daß  die  Hauptrichtung  der  größeren  Gewässer  (und 
infolgedessen  auch  ihrer  Thäler)  eine  nördliche  ist,  beruht  auf  der  nach 
Norden  gerichteten  Abdachung  der  Hochfläche.  Diese  Nordrichtung 
ist  die  Resultante  zweier  anderer,  der  Nordwest-  und  der  Nordostrich- 
tung, die  als  die  Hauptrichtungen  der  Falten  und  Verwerfer  schon  ge- 


*)   Gümbel,  Fichtelgebirge,  S.    19  ff. 


27]  Albert  Wohlrab,  Das  Vogtland  als  orographisches  Individuum.  123 

nannt  wurden.  Beziehungen  zwischen  den  Flußläufen  und  den  Haupt- 
falten läßt  schon  die  geologische  Uebersichtskarte  x)  erkennen.  Elster, 
Weida  und  Saale  verfolgen  während  eines  beträchtlichen  Teiles  ihres 
Laufes  die  Richtung  der  Hauptsättel,  so  die  Saale  zwischen  Joditz  und 
Harra  die  Richtung  der  Hof-Lobensteiner,  zwischen  Gottliebsthal  und 
Saalburg  die  Richtung  der  ostthüringischen  Hauptaufwölbung.  Letztere 
bestimmt  auch  den  größten  Teil  des  Weidalaufes.  Die  Wiesenthal  hält 
zwischen  Mühltroff  und  Schleiz  die  Richtung  einer  frankenwäldischen 
Mulde  erster  Ordnung  ein.  Die  Elster  wird  zwischen  Oelsnitz  und  dem 
Elsterknie  und  zwischen  letzterem  und  der  Friesenbachmündung  durch 
beiderlei  Faltungen  zweiter  Ordnung,  die  Göltzsch  im  letzten  Teile 
ihres  Laufes  durch  einen  frankenwäldischen  Sattel  erster  Ordnung  in 
ihrer  Richtung  bestimmt. 


B.  Einzeldarstellung  der  Thäler. 

a)  Die  Thäler  der  Weißen  Elster  und  ihrer  Zuflüsse. 

Innerhalb  des  Vogtlandes  selbst  kommt  in  der  Hauptsache  nur 
ein  Hauptthal  in  Betracht,  das  der  Weißen  Elster.  Dieser  Fluß  ist  die 
Hauptader  des  ganzen  Gebietes,  das  darum  auch  den  Namen  Elster- 
bergland trägt2). 

In  dem  nordwestlich  vom  Kapellenberg  gelegenen  Elsterwald 
nimmt  das  Thal  der  Weißen  Elster  im  Gebiete  des  Granites  seinen 
Anfang3),  durchquert  darauf  die  Schichten  des  Gneises  und  Glimmer- 
schiefers in  nordwestlicher  und  nördlicher  Richtung  und  zeigt  schon 
wenige  Kilometer  weit  von  der  Quelle  Gehänge  von  etwa  10°  Neigung. 
Bis  zur  Einmündung  des  Aschbaches  wächst  letztere  bis  zu  etwa  25  ° 
an  und  behält  diese  Größe,  wenigstens  auf  dem  rechten  Ufer,  bis  zur 
Einmündung  des  Raunerbaches.  Unterhalb  dieser  Stelle  nimmt  die 
Steilheit  der  Gehänge  ab,  die  Thalwände  treten  weiter  zurück  und  die 
Thalsohle  wird  doppelt  so  breit  als  vorher.  Von  Grün  in  Böhmen  an 
zieht  sich  neben  dem  Flusse  bis  hinunter  nach  Oelsnitz  eine  Landstraße 
hin.  In  diesem  obersten  Teile  ihres  Laufes  folgt  die  Elster  im  all- 
gemeinen der  Richtung  des  Schichteneinfallens,  also  der  Richtung  nach 
NW  und  NNW;  ihr  Thai  erscheint  so  als  ein  Querthal  der  in  erz- 
gebirgischer  Richtung  verlaufenden  Hauptfalte.  Doch  weist  sie  schon 
in  diesem  Teile  ihres  Laufes  geringe  Abweichungen  von  dieser  Rich- 
tung auf,  indem  sie  in  rechtem  Winkel  von  derselben  abbiegt,  so 
zwischen  der  Aschbachmündung  und  dem  Dorfe  Grün,  wo  sie  auf  der 
Grenze  zwischen  dem  Glimmerschiefer  und  dem  Phyllit  hinfließt,  und 
zwischen  Bad  Elster  und  Adorf.  Am  oberen  Ende  von  Bad  Elster  er- 
fährt   der  Fluß   durch   einen   sich   ihm    quer    vorlagernden  Quarzgang 


*)  Lepsius,  Geolog.  Karte  des  Deutschen  Reiches  in  27  Blättern,  Nr.  19, 
Sekt.  Dresden. 

2)  Penck,  Das  Deutsche  Reich.    Länderkunde  von  Europa,  I,  S.  404. 

s)  Vgl.  0.  Metzner,  Wo  liegt  die  Quelle  der  Weißen  Elster?  Ztschr. 
Unser  Vogtland,  4.  Bd.,  1898,  S.  101  ff. 


124  Albert  Wohlrab,  [28 

(Schwedenschanze  am  Zollhaus  bei  Elster)  eine  westliche  Ablenkung, 
„so  daß  die  Anhöhe  des  Schillergartens  (bei  Bad  Elster)  in  Form  eines 
in  das  Erosionsthal  des  Flüßchens  vorspringenden  Thalspornes  erhalten 
blieb" *).  Außer  dem  Aschbach,  der  ganz  im  Gebiete  des  Glimmer- 
schiefers verläuft  und  dem  Raunerbach,  der  seinen  Ursprung  im  Glimmer- 
schiefer hat,  gehören  die  in  diesen  obersten  Teil  der  Elster  einmünden- 
den Bäche  sämtlich  dem  Gebiete  des  Phyllits  und  Cambriums  an. 

Bis  Oelsnitz  nimmt  die  Weiße  Elster  außer  den  schon  genannten 
Bächen  noch  von  links  den  Telterweinbach,  den  Lochersbach  und  den 
Ebersbach,  von  rechts  den  Floßbach  oder  Schwarzbach,  den  Eisenbach, 
den  Würschnitzbach,  den  Görnitzbach  und  den  Gerberbach  auf. 

Die  Thäler  der  drei  von  links  einmündenden  Bäche  haben  nur 
geringe  Längen,  verfolgen  (zum  Teil  mit  kurzen  Abweichungen  nach 
SO)  die  Richtung  nach  NO  und  zeigen  bedeutend  sanftere  Böschungen 
als  das  oberste  Elsterthal. 

Das  längste  unter  den  oberhalb  Oelsnitz  einmündenden  Thälern 
ist  das  des  Floßbaches.  In  seinem  oberen  Teile  heißt  dieser  Bach 
Schwarzbach.  Derselbe  gräbt  sich  vom  Ursprungberge  ab  erst  nach 
NW,  dann  nach  W,  darauf  nach  WSW  bis  Erlbach  ein  tiefes  Thal 
ein  mit  Gehängen  von  bedeutender  Neigung  und  zum  Teil  über  100  m 
Höhe.  Von  Erlbach  bis  Siebenbrunn  fließt  er  nach  W,  von  da  bis  zur 
Mündung  nach  WNW;  die  Böschung  der  Thal  wände  wird  dabei  immer 
geringer. 

Der  Eisenbach,  der  nördlich  von  Gunzen  aus  dem  Schönecker 
Walde  herauskommt,  richtet  seinen  Lauf  erst  nach  S,  dann  nach  SW, 
dabei  dreimal  auf  Kilometerlänge  zur  NW-Richtung  abbiegend. 

Von  der  Höhe  des  Schönecker  Waldes  herab  strömen  auch  die 
Quellbäche  des  Würschnitzbaches.  Diese  bilden  unterhalb  des  Dorfes 
Eschenbach  eine  flache  Mulde,  die  sich  zwischen  Saalig  und  Schübach 
verengert.  Von  da  an  nehmen  die  Gehänge  an  Neigung  zu.  Die  all- 
gemeine Richtung  des  Baches  ist  eine  westliche,  dabei  pendelt  er 
zwischen  WNW  und  WSW  hin  und  her. 

Der  Görnitzbach  fließt  von  der  Höhe  von  Schöneck  herab  erst 
nach  NW,  dann  bis  zur  Aufnahme  des  Zaulsdorfer  Wassers  nach  W 
und  endlich  bis  zur  Mündung  nach  WSW.  Eine  Menge  wasserreicher 
Bäche,  die  alle  von  der  Höhe  des  Schönecker  Waldes  herabkommen, 
speisen  ihn.  Von  der  Höhe  zwischen  Raasdorf  und  Oelsnitz  kann  man 
nach  0  hin  in  die  Thalweitung  hineinschauen,  die  gebildet  wird  durch 
die  hier  zusammenstoßenden  unteren  Thalenden  dieser  Quellbäche2). 

Von  der  Höhe  der  Theumaer  Schieferbrtiche  eilt  der  in  Oelsnitz 
in  die  Elster  einmündende  Gerberbach  herab.  Seine  Thalgehänge  sind 
ziemlich  flach  geböscht  und  steigen  erst  in  größerer  Entfernung  vom 
Bache  zu  bemerkenswerten  Erhebungen  empor. 

Zwischen  den  Städten  Oelsnitz  und  Plauen,  die  etwa  8  km  weit 
voneinander  entfernt  sind,  bildet  die  Elster  ein  nach  W  gebogenes  Knie, 
sodaß    die   Länge   ihres   Thaies    zwischen  beiden  Orten  etwa  20  km, 


*)  Erl.  z.  Sekt.  Elster-Schönberg,  S.  32. 
*)  Erl.  z.  Sekt.  Oelsnitz-Bergen,  S.  2. 


29]  Das  Vogtland  als  orographisches  Individuum.  125 

also  das  Zweiundeinhalbfache  der  geraden  Entfernung,  beträgt.  Bis 
zum  Elsterknie  ist  das  Thal  nach  WNW  gerichtet,  bis  Straßberg  nach 
NNO,  darauf  bis  unterhalb  Plauen  nach  NO  und  endlich  bis  Greiz  fast 
genau  nach  N.  Das  Thal*  zwischen  Plauen  und  Greiz  ist  reich  an  be- 
deutenden Windungen. 

Die  Abhängigkeit  des  Thalverlaufes  von  den  Schichtenfalten  ist 
hier  deutlich  zu  erkennen.  Die  den  Erläuterungen  zur  Sektion  Plauen 
der  geologischen  Spezialkarte  beigegebene  tektonische  Uebersichtskarte 
stellt  diese  Verhältnisse  klar  und  übersichtlich  dar.  Von  Oelsnitz  bis 
Magwitz  fließt  die  Elster  in  der  Mulde  zwischen  zwei  in  der  Franken- 
waldrichtung verlaufenden  Sätteln,  von  denen  der  eine  über  Lauterbach, 
Schönbrunn,  Planschwitz,  Rosenberg,  Weischlitz  bis  Eröstau,  der  andere 
von  Oelsnitz  aus  über  Taltitz  und  Rosenberg  streicht.  Bei  Magwitz 
durchbricht  sie  den  ersten  der  beiden  Sättel  und  fließt  an  dessen  an- 
derem, südwestlichem  Flügel  hin.  Wie  die  oligocänen  Kieslager  auf 
dem  linken  Ufer  erkennen  lassen,  floß  sie  früher  in  einem  nach  Süden 
hin  breiteren  Bette.  Durch  die  Diabase  des  Hungerberges  bei  Geils- 
dorf  wurde  sie  gezwungen,  ihre  Richtung  zu  ändern  und  nach  N  um- 
zubiegen. Sie  durchbricht  hierbei  die  eben  erwähnte  Antiklinale  zum 
zweitenmal  und  schlägt  nun  die  Richtung  einer  von  Süden  her  von 
Weischlitz  bis  Reusa  verlaufenden  erzgebirgischen  Falte  ein,  deren 
nordwestlicher  Flügel  den  großen  Elsterthalverwerfer  bildet. 

Der  erste  größere  Bach,  der  unterhalb  Oelsnitz  in  die  Elster  ein- 
mündet, ist  der  Triebelbach.  An  der  Grenze  des  Phyllites  gegen  das 
Cambrium  nimmt  er  auf  der  Eichigter  Höhe  seinen  Anfang  und  durch- 
fließt erst  ein  flaches,  Torfbildungen  aufweisendes  Wiesenthal.  Seine 
Gehänge  beginnen  sofort  einen  schroffen  Charakter  anzunehmen,  nach- 
dem der  Bach  das  Gebiet  des  Cambriums  durchmessen  hat  und  sich 
ihm  Diabasgesteine  entgegenstellen.  Das  Triebelbachthal  ist  ein  dem 
Laufe  der  Elster  zwischen  Adorf  und  Oelsnitz  parallel  gerichtetes  Längs- 
thal und  trennt  vom  sächsisch-böhmisch-bayerischen  Grenzrücken  den 
Triebelbach-Elsterrücken  ab,  auf  dem  die  Oelsnitz-Roßbacher  Straße 
verläuft.  Erst  kurz  oberhalb  der  Mündung  bricht  der  Fluß  die  NW- 
Richtung  rechtwinklig  ab  und  wendet  sich  in  einer  kurzen  Thalschlucht 
nach  NO  der  Elster  zu. 

Der  Feilebach  weist  in  seinem  obersten  Teile  eine  flache  Mulde 
auf  (8.  Profil  1).  Diese  hat  eine  nordwestliche  Richtung  und  ist  be- 
Profil 1.  Profil  2.  Profil  3. 


Querprofil  in  Sachsgrün.  Querprofll  unterhalb  Querprofil  zwischen  Dröda 

wiedersberg.  und  Pirk. 

stimmt  durch  eine  in  frankenwäldischer  Richtung  verlaufende  Synklinale, 
die  jedenfalls  weiter  im  SO  auch  die  Richtung  des  Seifelsbaches,  der 
zur  Regnitz  (oberhalb  Hof)  fließt,  und  einen  Teil  des  Laufes  des  letz- 
teren Baches  selbst  beherrscht.  Hat  dieser  obere  Teil  des  Feilebach- 
thales   für   den    sächsisch-böhmisch-bayerischen  Grenzrticken   die   Be- 


126  Albert  Wohlrab,  [30 

deutung  eines  Längsthaies,  so  durchquert  der  größere  untere,  nach  NO 
gerichtete  Teil  denselben,  um  schließlich,  nachdem  seine  Gehänge  eine 
ganz  bedeutende  Neigung  (Profil  2  u.  3)  angenommen  haben,  in  Nr 
Richtung  sich  zur  Elster  zu  gesellen. 

Der  Kemnitzbach,  der  von  der  Höhe  von  Mißlareuth  herabfließt, 
hat  eine  ähnliche  Thalbildung.  Unterhalb  Eemnitz  verengt  sich  die 
flache  Mulde,  das  Gewässer  muß  sich  durch  die  Diabasbreccie  durch- 
sägen, die  sich  ihm  hier  entgegenstellt.  Der  obere,  größere  Teil  dieses 
Thaies  ist  nach  SO,  der  folgende  nach  0,  etwa  das  letzte  Fünftel  nach 
NO  gerichtet. 

Der  Rosenbach  und  die  Syra  fließen  in  südöstlicher  Richtung  zur 
Elster,  bilden  beide  auf  der  Hochfläche  flache  Mulden  und  schneiden 
erst  in  der  Hälfte  ihres  Thaies  sich  tiefer  ein.  Die  Syra  wird  ober- 
halb Plauen  von  einem  35  m  hohen,  212  m  langen  und  11  Bogen 
zeigenden  Viadukt  der  Eisenbahnlinie  Plauen-Eger  überspannt.  , 

Der  von  S  herkömmende,  in  Chrieschwitz  in  die  Elster  mündende 
Friesenbach  ist  insofern  bemerkenswert,  als  von  seiner  Mündung  an 
die  Elster  ihre  Richtung  ändert  und  nach  N  zu  fließt,  also  die  Richtung 
dieses  Baches  aufnimmt,  der  nur  kurz  vor  der  Mündung  von  dieser 
Richtung  abweicht. 

Mannigfaltige  Formen  zeigt  das  Thal  der  Trieb.  Als  Geigen- 
bach sammelt  sie  eine  Menge  Wasserfäden,  die  dem  Schönecker  Walde 
entströmen.  Der  stärkste  unter  diesen  entquillt  einer  moorigen  Wiese 
nördlich  vom  Bahnhofe  Schöneck.  Bis  Unter-Neudorf  bildet  das  Thal 
dieses  Gewässers  eine  flache  Mulde  (Profil  4),  die  nach  N  zu  gerichtet 

Profil  4.  Profil  5. 


Profil  6.  Profil  7. 


ist.  Von  der  Kreuzung  mit  der  Straße  Oelsnitz-Falkenstein  an  wendet 
sich  der  Bach  nach  NW  und  durchbricht  in  einem  engen  Thale  (Profil  5), 
dessen  Wände  nahe  am  Flusse  bis  zu  einer  relativen  Höhe  von  mehr 
als  100  m  aufragen,  den  Schiefermantel  des  Bergener  Granitmassivs. 
Unterhalb  dieser  Durchbruchsstelle  breitet  sich  eine  flache  Mulde  aus, 
das  Innere  des  Massivs  (Profil  6).  Ziemlich  in  nördlicher  Richtung 
fließt  die  Trieb  hindurch.  Wo  sie  auf  der  anderen  Seite  des  Massivs 
wieder  an  den  Schiefermantel  stößt,  weicht  sie  diesem  eine  kurze  Strecke 
nach  NO  hin  aus,  um  ihn  zwischen  Altmannsgrün  und  Siebenhitz  zum 
zweitenmal,  aber  in  einem  weniger  engen  und  von  niedrigeren  Höhen 
umgebenen  Thale  als  beim  ersten  Durchbruche  zu  durchschneiden.  Nach 
kurzem  NNW-    und    darauf  WNW-Laufe   wendet   sie    sich    oberhalb 


31]  Das  Vogtland  als  orographisches  Individuum.  127 

Altensalz  nach  WSW,  wobei  ihre  Gehänge  ungefähr  die  gleiche  mäßige 
Böschung  beibehalten,  und  fließt  darauf  nach  NW  der  Elster  zu,  wobei 
sich  ihr  Thal  immer  mehr  verengt.  Nur  noch  einmal,  beim  Dorfe 
Pohl,  bildet  es  eine  kleine  Thalweitung,  die  von  der  alten  Reichsstraße 
Plauen-Reichenbach  zum  Uebergang  von  dem  einen  Ufer  zum  anderen 
benutzt  wurde.  Zwischen  Pohl  und  der  Mündung  der  Trieb  wird  das 
Thal  (Profil  7)  einer  Schlucht  immer  ähnlicher1),  eine  Folge  des  Auf^ 
tretens  größerer  Massen  von  Diabasgesteinen. 

Der  Treuensche  Bach  (auch  Eselsbach  genannt),  der  von  rechts 
in  die  Trieb  einmündet,  kommt  vom  westlichen  Abhänge  des  Wendel- 
steines her.  Er  fließt  um  den  Eontakthof  der  nördlichen  Hälfte  des 
Lauterbach-Bergener  Massivs  herum  und  schneidet  letzteres  bei  Schreiers- 
grün an.  Sein  Thal  zeigt  denselben  Wechsel  der  Richtung  wie  die 
anderen  Thäler,  nämlich  erst  die  N-,  dann  die  NW-,  dann  die  SW-, 
dann  wieder  die  NW-  und  zuletzt  wieder  die  SW-Richtung.  Der  von 
links  in  die  Trieb  einmündende  Rattenbach  fließt  in  einem  flachen  Thale 
nach  N. 

Der  Triebitzbach  bildet  eines  der  wenigen  Nebenthäler  der  Elster, 
die  eine  Hauptrichtung  ziemlich  streng  innehalten.  Der  Bach  heißt  in 
seinem  oberen  Teile  Frotschabach.  Seine  Hauptrichtung  ist  die  nach 
NO,  erst  kurz  oberhalb  seiner  Mündung  wendet  er  sich  nach  0  hin. 
Dabei  bildet  er  schon  in  seinem  oberen  Laufe  ein  Thal  mit  Wänden 
von  bedeutender  Neigung,  die  dem  unteren  Ende  zu  bis  zur  Steilheit 
zunimmt.  Er  deckt  sich  mit  einem  Teil  der  Achse  der  großen  vogt- 
ländischen  Hauptmulde,  in  deren  Mitte  Kulm  abgelagert  ist,  dessen 
Schiefer  durch  den  Gebirgsdruck  so  gehärtet  wurden,  daß  sie  an  Härte 
den  cambrischen  gleichkommen.  Die  daraus  sich  ergebende  größere 
Schwierigkeit  der  Ausarbeitung  des  Thaies  erklärt  auch  die  größere 
Neigung  der  Gehänge  desselben. 

Die  Göltzsch,  deren  westlicher  Quellbach,  die  Weiße  Göltzsch, 
dem  großen  Waldreviere  von  Schöneck  entströmt,  bildet  sofort,  nach- 
dem sich  die  zahlreichen  Quellbäche  des  Göltzschgesprenges  vereinigt 
haben,  in  den  phyllitischen  Schiefern  ein  tiefes  Thal  mit  Thalwänden 
von  über  100  m  Höhe.  Zu  ihrem  Wasserreichtum  trägt  der  obere 
Floßgraben  bei,  der  ihr  Wasser  aus  der  Mulde  zuführt,  das  sich  im 
„Riß"  in  mehreren  kleinen  Fällen  zu  ihr  herabstürzt.  Von  der  Göltzsch- 
mühle  ab  schlägt  die  Weiße  Göltzsch  etwa  2  km  weit  eine  NW-Richtung 
ein,  darauf  bis  Falkenstein  die  Richtung  nach  N,  sodann  kurz  unter- 
halb der  Vereinigung  mit  der  Roten  Göltzsch  eine  NO-Richtung,  worauf 
sie  bis  Rodewisch  wieder  die  nach  N  erwählt.  Von  der  letzteren  weicht 
sie  bis  unterhalb  Lengenfeld  ab  nach  NNW,  um  nun  bis  Weißensand 
nach  W  und  von  da  bis  zu  ihrer  Mündung  nach  NW  zu  fließen.  In 
der  ersten  Hälfte  ihres  Laufes  hält  sie  sich  in  der  Mitte  zwischen  den 
beiden  Granitmassiven  von  Eibenstock  und  Lauterbach-Bergen,  jeden- 
falls auch  beeinflußt  durch  den  Quarzitzug  des  Wendelstein-Kuhberg- 
rückens (vgl.  S.  138  [42]  u.  152  [56]).   Von  Rodewisch  an,  nach  der 


!)  Vgl.  die  Ausführungen  auf  S.  156  [80],  unten,  sowie  H.  Grüner,  Beiträge 
zur  Hydrologie  der  Weißen  Elster.    Mitteilg.  d.  Ver.  f.  Erdk.  z.  Leipzig,  1891,  S.  18* 


128  Albert  Wohlrab,  [32 

Aufnahme  des  Wernsbaches,  nähert  sie  sich  der  Westseite  des  Kirch- 
berger  Massivs,  dessen  Schiefermantel  sie  anschneidet,  um  den  Plohn- 
bach  aufzunehmen,  der  die  Wasserfaden  des  südwestlichen  Teiles  dieses 
Granitgebietes  sammelt.  Der  unterste  Teil  des  Göltzschthales  wird  be- 
stimmt durch  eine  in  frankenwäldischer  Richtung  verlaufende  Antiklinale, 
längs  deren  eine  Reihe  von  Verwerfern  sich  hinzieht,  die  vielleicht 
ursprünglich  mitwirkten  bei  der  Bildung  des  Thaies ;  wenigstens  liegen 
die  tertiären  Eieslager  ihnen  sehr  nahe,  während  sie  auf  dem  anderen 
Flußufer  ganz  fehlen. 

Die  größeren  der  Göltzscb  zufließenden  Bäche  kommen  von  rechts; 
links  gestattet  der  schmale  Wendelstein-Kuhbergrücken  nur  wenig 
Raum  zur  Bildung  von  Bächen. 

Unterhalb  der  Göltzschmündung  nimmt  die  Elster  in  der  Stadt 
Greiz  die  Quirle  auf,  die  in  einem  kurzen,  engen  Thale  in  östlicher 
Richtung  herabeilt. 

Ebenda  vereinigt  sich  mit  ihr  auch  der  Aubach.  Dieser  hat  ein 
sehr  weites  und  flaches  Quellgebiet,  das  sich  von  der  Höhe  von  Brunn 
bis  zum  Werdauer  Walde  erstreckt,  wo  einer  der  Quellbäche  eine  Strecke 
weit  auf  der  Grenze  zwischen  dem  Rotliegenden  und  dem  Kulm  hin- 
fließt. Die  Richtung  des  vom  Aubach  gebildeten  Thaies  ist  im  all- 
gemeinen die  nach  WSW.  Das  weite  Auffanggebiet  bildet  für  die  Be- 
wohner des  unteren  Thaies  eine  große  Gefahr;  denn  zuzeiten  großer 
Regengüsse  vermag  das  Bett  des  Baches  die  Menge  des  Wassers  nicht 
zu  fassen,  sodaßdas  enge  Thal  dann  Ueberschwemmungen  ausgesetzt  ist. 

Unterhalb  Greiz  durchschneidet  die  Elster  den  von  SW  her  ziehen- 
den ostthüringischen  Hauptsattel  in  nördlicher  Richtung  und  bildet  von 
Wtinschendorf  an  eine  breite  Thalaue.  Während  auf  der  Strecke  des 
Durchbruchs  die  am  Flusse  sich  erhebenden  Thalwände  bis  zu  Bergen 
von  200  m  relativer  Höhe  sich  erheben,  treten  weiter  unten  die  Ge- 
hänge immer  mehr  zurück  vom  Flusse,  werden  niedriger,  und  schließ- 
lich öffnet  sich  das  Thal  vollends  zur  Leipziger  Tieflandsbucht. 

Unterhalb  Wünschendorf  nimmt  die  Weiße  Elster  die  Weida 
auf.  Diese  hat  ihren  Ursprung  südlich  von  Pausa  und  verläuft  dort 
in  einer  flachen,  an  Teichen  reichen  Mulde,  die  bis  unterhalb  Weckers- 
dorf eine  nach  NW  zeigende  Hauptrichtung  aufweist  und  dabei  mehr- 
mals (oberhalb  Pausa,  bei  Unterreichen  au)  nach  N  umbiegt.  Unter- 
halb Weckersdorf  wendet  sich  die  Weida  nach  NO  und  nimmt  von 
links  die  Modelitzsch  und  nahe  ihrer  Mündung  die  Auma,  von  rechts 
die  Triebes  und  den  Leubabach  auf.  Die  Neigung  der  Thalgehänge 
ist  in  der  Nähe  des  unteren  Thalendes  am  größten.  Maßgebend  fiir 
den  oberen,  nach  NW  gerichteten* Teil  des  Weidathales  ist  jedenfalls 
eine  in  dieser  Richtung  verlaufende  sekundäre  Schichtenstörung,  die 
parallel  der  S.  113  [17]  erwähnten  franken  wäldisch  gerichteten  Mulde 
erster  Ordnung  den  ostthüringischen  Hauptsattel  quert.  Der  nach  NO 
gerichtete  Teil  des  Thaies  wird  durch  die  eben  erwähnte  Hauptaufwölbung 
bestimmt,  in  dessen  zerrissenen  nordwestlichen  Flügel  der  Fluß  sich 
eingegraben  hat. 

Die  Triebes,  deren  Richtung  im  wesentlichen  eine  nördliche  ist, 
fließt  zuerst  im  Pöllwitzer  Walde  in  einer  wasserreichen,  flachen  Mulde, 


33]  Das  Vogtland  als  orographisches  Individuum.  129 

in  der,  wie  im  benachbarten  oberen  Gebiete  der  Weida,  eine  Menge 
Teiche  liegen.  Wo  sich  der  Bach  der  Stadt  Zeulenroda  nähert,  treten 
die  Thalgehänge  näher  aneinander  heran  und  nehmen  an  Neigung  zu, 
noch  mehr  aber  auf  der  Strecke  unterhalb  Triebes  bis  zur  Mündung 
in  die  Weida.  Der  obere  Teil  des  Thaies  gehört  dem  bis  zum  Garn* 
brium  hinein  bloßgelegten  ostthüringischen  Hauptsattel,  der  untere  Teil 
dem  zerfetzten  Nordwestflügel  desselben  an.  Jedenfalls  übten  auf  die 
Richtung  der  Triebes  nordwärts  gerichtete  Verwerfer  Einfluß  aus,  von 
denen  hier  mehrere  auftreten. 

Der  Leubabach  hat  zwar  auch  eine  nördliche  Hauptrichtung,  doch 
neigt  sein  Oberlauf  mehr  der  NO-,  sein  Unterlauf  mehr  der  NW- 
Richtung  zu  und  verrät  damit  seine  Abhängigkeit  von  der  das  Gebiet 
beherrschenden  Tektonik. 

Die  Auma,  die  sich  in  der  Stadt  Weida  mit  der  Weida  vereinigt, 
windet  sich  in  der  Kulmmulde  auf  dem  nordwestlichen  Flügel  der  ost- 
thüringischen Hauptaufwölbung  in  mehreren  Bogen  nach  NO;  schlägt 
aber  im  oberen  Teile  ihres  Laufes  erst  eine  südöstliche  Richtung  ein. 
Sie  bewirkt  den  Abfluß  zahlreicher  in  der  Kulmmulde  liegenden  Teiche. 
Entsprechend  dem  Charakter  des  Kulms  zeigen  ihre  Thalgehänge  nur 
flache,  sanfte  Böschungen.  Auma  und  Weida  sind  getrennt  durch  einen 
Höhenzug,  der  in  der  Höhe  nördlich  von  Dragensdorf  484  m  erreicht. 

b)  Die  Th&ler  der  Saale  und  ihrer  Zuflüsse. 

Aehnlich  wie  das  Elsterthal  und  seine  Nebenthäler  sind  der  im 
Vogtlande  in  Betracht  kommende  Teil  des  Saalethaies  und  seine  Neben- 
thäler gebildet;  vornehmlich  gleichen  die  dem  sächsisch-reußischen 
Grenzrücken  angehörigen,  zur  Saale  sich  öffnenden  Thäler  denen  des 
Elstergebietes. 

Das  Saalethal  bildet  von  der  Mündung  der  Schweßnitz  bis  zur 
Mündung  des  Drebabaches  die  Grenze  des  Vogtlandes.  Von  der  N- 
Richtung,  die  es  oberhalb  Hof  einhält,  geht  es  bis  Hirschberg  allmäh- 
lich zur  NW-Richtung,  darauf  bis  Blankenberg  zur  W-  und  WSW- 
Richtung  über.  Nach  der  Aufnahme  der  Selbitz  schlägt  es  seinen  Weg 
nach  N  zu  ein.  Die  reine  N-Richtung  kommt  aber  fast  gar  nicht  zur 
Erscheinung,  das  Thal  weicht  entweder  nach  NW  oder  NO  von  der- 
selben ab.  Gilt  dies  schon  von  der  Hauptrichtung,  so  noch  viel  mehr 
von  der  Richtung  der  zahlreichen. Windungen,  die  nach  den  verschie- 
densten Himmelsrichtungen  zeigen.  Nach  der  Aufnahme  der  Wiesen- 
thal und  noch  entschiedener  nach  der  Aufnahme  des  Drebabaches  in 
Ziegenrück  wendet  sich  das  Thal  der  Saale  nach  W. 

Die  Aufnahme  der  Schweßnitz  erfolgt  noch  im  Mtinchberger  Gneis- 
gebiete. Nach  dem  Verlassen  desselben  folgt  das  Saalethal  der  Rich- 
tung eines  in  Frankenwaldrichtung  verlaufenden  Sattels.  Unterhalb 
Lemnitzhammer  gräbt  sich  der  Fluß  in  den  ostthüringischen  Haupt- 
sattel ein  enges  Bett,  verläßt  die  Richtung  desselben  aber  oberhalb 
Burgk  und  läßt  in  seinem  Laufe  durch  die  im  NW  folgende  Kulm- 
mulde keinen  Einfluß  der  Geotektonik  des  Gebietes  mehr  erkennen, 
wenigstens  nicht  auf  seine  Hauptrichtung. 

Forschungen  zur  deutschen  Landes-  und  Volkskunde.    XTI.    2.  9 


130  Albert  Wohlrab,  [34 

In  der  Richtung  der  für  das  Saalethal  oberhalb  und  unterhalb 
Hof  maßgebenden  frankenwäldischen  Sattelung  verläuft  der  als  Lauter- 
bach westlich  von  Asch  im  Gneisgebiet  entspringende  Perlenbach,  der 
in  Rehau  in  die  Schweßnitz  mündet.  Letztere  kommt  von  NO  her  und 
nimmt  die  Richtung  des  wasserreicheren  Perlenbachs  auf.  In  Ober- 
kotzau  vereinigt  sie  sich  mit  der  Saale.  Die  beiden  Gewässer,  Perlen- 
bach und  Schwefinitz,   bilden  auf  der  Hochfläche  breite  Thalwannen. 

Dieselbe  Thalbildung  zeigt  der  obere  Regnitzbach,  der  erst  nach 
NW,  dann  nach  SW,  dann  nach  W  fließt.  Ein  Teil  seines  nach  NW 
gerichteten  Laufes  gehört  der  frankenwäldischen  Mulde  an,  die  den 
Oberlauf  des  Feilebaches  bestimmt  (vgl.  S.  125  [29]). 

Der  Leimitzbach,  der  Krebsbach  und  der  untere  Regnitzbach,  die 
in  und  unterhalb  Hof  in  die  Saale  einmünden,  zeigen  verhältnismäßig 
flache  Gehänge.  Alle  drei  verlaufen  im  wesentlichen  in  südwestlicher 
Richtung. 

Der  oberhalb  Hirschberg  mündende  Tannbach  (Kegelbach)  bildet 
auf  der  reußischen  Hochebene  eine  flache  Mulde  und  erst  in  der  unteren 
Hälfte  seines  Laufes  ein  Thal  mit  Gehängen  von  größerer  Neigung. 
Seine  Hauptrichtung  ist  die  nach  SW.  Dieselbe  Richtung  hat  auch 
anfangs  der  dem  gleichen  Quellgebiete  entstammende  Kupfer-  oder 
Töpenbach  inne,  der  sich  aber  im  letzten  Teile  seines  Laufes 'nach  NW 
wendet. 

Der  Ehrlichbach  zeigt  in  seinem  oberen  Laufe  die  gleiche  Thal- 
bildung; von  Gefell  an  schneidet  er  ein  enges  und  tiefes,  nach  SW  ge- 
richtetes Thal  in  die  Hochfläche  ein  und  endet  in  Hirschberg. 

Aehnlich  verläuft  der  Aubach.  Auf  der  Höhe  von  Göttengrün 
und  Blintendorf  sammeln  sich  seine  Quellarme  in  einer  flachen  Mulde 
und  schneiden  dann  weiter  im  SW  ein  Thal  ein,  dessen  Wände  je 
weitet  der  bei  Sparnberg  erfolgenden  Mündung  zu  desto  steiler  werden. 

Dieselbe  Thalbildung  weisen  auch  der  Triebischbach,  der  Triebigs- 
bach  und  der  Wetterbach  auf.  Während  der  erste  dieser  Bäche  wesent- 
lich der  NW-Richtung  folgt,  wendet  sich  der  zweite  in  seinem  Unter- 
laufe nach  W;  der  dritte  dagegen  wechselt  in  seiner  Richtung,  indem 
er  nacheinander  nach  N,  NW,  SW,  W,  NW  und  nach  SW  fließt. 

Die  Wiesenthal1)  bildet  mit  dem  Schwazbach  und  dem  Zelterbach 
auf  der  reußischen  Hochfläche  eine  flache  Einsenkung  und  beginnt  erst 
unterhalb  Mühltroff  (Profil  8  u.  9),  wo  sie  ihre  nördliche  Richtung  auf- 
giebt,  eigentliche  Gehänge  zu  zeigen.  Auf  diesen  bis  zur  Lössaumühle 
nach  NW  gerichteten  Teil  ihres  Laufes  hat  sicher  die  hier  auftretende 
franken  wäldisch  gerichtete  Mulde  Einfluß  ausgeübt.  Sie  wendet  sich 
darauf  erst  in  einem  nach  N,  dann  in  einem  nach  S  konvexen  Bogen 
nach  W  und  bildet  im  untersten  Teile  ihres  Laufes  eine  große  Anzahl 
von  Serpentinen.     Unterhalb  Dörflas  (Profil  10)  fällt  sie  in  die  Saale. 

Der  Triebigsbach ,    der  Wetteraubach  und  die  Wiesenthal  zeigen 


*)  Als  Quellann  wurde  unter  Anlehnung  an  die  Ausführungen  Brückners 
(G.  Brückner,  Landes-  und  Volkskunde  des  Fürstentums  ßeufi  j.  L.,  Gera  1870, 
S.  47)  der  von  Mißlareuth  über  Rothenacker  kommende  Hatschenbach  betrachtet. 


35]  Das  Vogtland  als  orographisches  Individuum.  131 

in  der  Richtung  ihrer  Thäler  eine  auffallende  TJebereinstimmung.  Von 
der  anfanglichen  N-Richtung  biegen  sie  nach  W  um. 

Unterhalb  der  Wiesenthal  mündet  beim  Schießhause  in  Ziegen- 
rtick  der  Plothenbach,  der  aus  der  an  Teichen  reichen  Mulde  von 
Plothen  südlich  vom  Quellgebiet  der  Auma  seinen  Anfang  nimmt  und 
sich  erst  nach  SW  wendet.  Nahe  Volkmannsdorf  biegt  er  nach  W  um 
und  bildet  ein  tief  eingeschnittenes,  enges  Thal. 

Der  nordwestliche  Grenzbach  unseres  Gebietes,  der  Drebabach, 
teilt  in  seinem  Ursprunggebiet  in  seinen  Thalböschungen  den  flächen- 
haften Charakter  des  Inneren  der  Kulmmulde.  Er  hat  eine  südwest- 
liche Richtung  und  schneidet  sich  je  weiter  abwärts  ein  um  so  tieferes 
und  steilwandigeres  Thal  ein,  in  dessen  unteren  Ausgang  sich  das 
Städtchen  Ziegenrück  drängt. 

Den  geringsten  Anteil  am  Vogtlande  haben  die  nach  Süden  zur 
Eger  sich  öffnenden  Thäler. 

c)  Die  Thäler  des  vogtländischen  Egergebietes. 

Das  bedeutendste  unter  diesen  ist  das  Thal  der  Zwota  (in  Böhmen 
Zwodau  genannt).     Dieser  Fluß  kommt  aus  dem  gleichen  Quellgebiet 

Profil  8. 


470- 

Querprofil  der.  Wiesenthalmulde  bei  Mühltroff. 
Profil  9.  Profil  10. 


Querprofil  unterhalb  Schleiz.  Querprofll  oberhalb  der  Mündung. 

wie  die  Göltzsch,  die  Trieb  und  die  Görnitz  und  Würschnitz.  Erst 
fließt  er  wenige  Kilometer  weit  in  südlicher  Richtung  auf  der  wald- 
bedeckten Hochfläche  dahin,  seine  zahlreichen  Quellfäden  sammelnd; 
von  den  ersten  Häusern  des  Dorfes  Oberzwota  an  aber  schneidet  er 
ein  enges  Thal  ein,  das  begleitet  wird  von  Höhen  bis  zu  200  m  und 
erst  nach  0  zu  gerichtet  ist,  dann  aber  nach  SO  sich  wendet. 

Die  westlichen  Nachbarthäler ,  die  Thäler  des  Leibitschbaches, 
Fleifienbaches,  Schönbaches  und  Rohrbaches,  sowie  des  Seebaches  und 
Höllbaches  sind  im  Anfange  tief  und  steilwandig,  werden  aber  weiter 
abwärts,  wo  sie  die  Terrassen  des  zur  Eger  abfallenden  Gebirges 
queren,  flacher.  Ihre  Hauptrichtung  ist  der  Abfallrichtung  des  Ge- 
birges entsprechend  eine  südliche.  Nach  Jokäly1)  sind  sie  sämtlich 
Erosionsthäler. 


l)  Jahrbuch  der  geolog.  Reichsanstalt,  1857,  S.  1  ff. 


132 


Albert  Wohlrab, 


[36 


i 


G.  Ergebnisse. 

Der  die  Thäler  beherrschende  Wechsel  der  Richtung  bezeugt  den 
unverkennbaren  Einfluß  der  geotektonischen  Verhältnisse  auf  die  Ent- 
I     !     1 »  Wickelung  der  Thäler.    Einzelne  derselben, 

wie  die  zuletzt  angeführten,  zum  Egergebiet 
gehörigen,  sowie  einzelne  Thalstrecken,  wie 
der  zum  Gebiete  der  archäischen  Schichten  ge- 
hörige Teil  des  Elsterthaies  und  des  Rauner- 
bachthales,  sind  ebenso  gewiß  Erosionsthäler. 
Bestimmte  die  Tektonik  des  Gebietes  die  Rich- 
tung der  meisten  Thäler  und  giebt  sie  uns  da- 
mit das  Recht,  dieselben  als  tektonische  Thäler 
zu  bezeichnen,  so  schuf  ihnen  doch  das  Wasser 
ihre  eigentliche  Hohlform. 

Doch  auch  in  den  Formen  der  Thäler 
und  einzelner  Thalstrecken  zeigt  sich  der  Ein- 
fluß des  Gesteinsauf  baues.  Wo  das  Wasser 
Gebirgsfalten  durchschneidet,  geschieht  dies  in 
einem  engen,  steilwandigen  Thale  (z.  B.  Elster- 
thal unterhalb  Pirk).  Aehnliche  Formen  zeigt 
es,  wo  es  sich  in  die  gelockerten  Gesteins- 
schichten der  teilweise  außerordentlich  oft  zer- 
brochenen und  zerrissenen  Sättel  eingrub  (z.  B. 
unteres  Göltzschthal).  Wo  Verwerfer  die  Thal- 
p  bildung  beeinflußten,  zeigt  sich  dies  teilweise 
fe  in  einer  beträchtlichen  Verschiedenheit  der 
-  beiden  Gehänge.  Meist  bildet  der  stehen  ge- 
bliebene Flügel  eine  steile,  der  abgesunkene 
eine  sanft  -ansteigende  Lehne  (z.  B.  Elsterthal 
bei  Weischlitz).  Zu  dieser  Ungleichheit  der 
Ufer  tragen  auch  die  zahlreichen  Serpentinen 
bei ;  während  an  der  inneren  Seite  Ablagerungen 
von  Sedimenten  stattfinden,  wird  an  der  äußeren 
die  Schroffheit  der  Gehänge  durch  die  zerstörende 
Wirkung  der  anprallenden  Wellen  erhöht. 

Die  Thalanfänge  sind  meist  breite,  flache 
Mulden,  die  in  die  Hochfläche  eingesenkt  sind  und 
in  denen  sich  die  Quellbäche  sammeln  ( Weidathal, 
Wiesen  thal  u«  a.).  Nur  wenige  sind  tief  eingeschnit- 
ten (Elsterthal,  Göltzschthal,  Floßbachthal). 

Die  graphische  Darstellung  der  Ge- 
fällskurven der  Trieb  (Profil  11)  und  des  Feile- 
baches (Profil  12,  nebenstehende  Seite)  und  die 
den  Bau  der  Thäler  dieser  Gewässer  und  der 
Wiesenthal  demonstrierenden  Querprofile  (auf 
S.  125  [29],  126  [30],  131  [35])  mögen  als  Bei- 
spiele für  das  Gefälle  und  den  Bau  der  Thäler 
des  Vogtlandes  dienen. 


2 


H 

3. 


37] 


Das  Vogtland  als  orographisches  Individuum. 


133 


Eine  Zusammenstellung  der  oben  angeführten  Thäler  giebt 
die  folgende  Tabelle  I.  Dieselbe  umfaßt  die  Thallänge,  die  Höhe  des 
Thalanfanges  und  des  Thalendes,  die  mittlere  Thalhöhe,  die  Fallhöhe 
der  Thalsohle,  den  mittleren  Neigungswinkel  der  Thalsohle,  die  gerad- 
linige Entfernung  des  Thalanfanges  und  Thalendes  und  die  Thalent- 
wickelung. Besonders  charakteristisch  für  die  einzelnen  Thäler  sind 
unter  diesen  Werten  der  mittlere  Neigungswinkel  und  die  Thalent- 
wickelung. 

Den  größten  mittleren  Neigungswinkel  besitzen  die  im  ersten 
Teile  des  Elsterlaufes  einmündenden  (Minimum  1  °  Ol',  Maximum  1  °  510, 

Profil  12. 


Längsprofil  des  Feilebachthal  es. 

ferner  die  kurzen,  unterhalb  Greiz  vom  Elster- Weidarücken  herab- 
sinkenden Nebenthäler  des  Elsterthaies,  die  vom  Tannaer  Rücken  herab- 
reichenden Nebenthäler  des  Saalethaies  und  die  zum  Egergebiet  ge- 
hörigen Thäler.  Die  geringsten  mittleren  Neigungen  weisen  außer  dem 
unser  Gebiet  begrenzenden  Teile  des  Saalethaies  (0°06/)  das  Hauptthal 
des  Vogtlandes,  das  Elsterthal  (0°  15')  und  die  vom  südlichen  Teile  des 
Gebietes  nach  der  Saale  zu  sich  öffnenden  Nebenthäler  auf. 

Die  Thalentwickelung,  das  Verhältnis  der  geradlinigen  Ent- 
fernung des  Thalanfanges  und  Thalendes  zur  Thallänge,  bewegt  sich 
zwischen  den  Verhältniszahlen  0,45  (Saalethal)  und  0,97  (Aubachthal, 
unterhalb  Hirschberg  mündend). 


Tabelle  I  >). 


1                     2 
II 

S           4 

5            6           7          8 

9 

10 

1 

N 

CR 

tu 

a 

3 

a 
-v 
u 
O 

Name  des  thalbilden- 
den Gewässers 

B 
W 

a 

SÄ 

1 

9  2 

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H 

0 

5.83 
13 

Uli 

ab0* 

ja  a 

1. 

2. 

I.Weiße  Elster  (b.z. 
Weidamündung)  . 

!  Aschbach 

Raunerbach    .... 

km 

111,0 

6,9 

11,0 

m 

695 
680 
670 

m 

203 
514 
455 

m 

361  (37) 
585  (4) 
555  (5) 

m 

492 
166 
215 

0°15' 
1°23' 

1°07' 

km 

81,0 
4,7 
8,0 

0,73 
0,68 
0,73 

l)  Vgl.  L.  Neumann,  Orometrie  des  Schwarzwaldes,  Kap.  XI  (Penck 
Abhandlungen,  I,  2).  Zur  Ermittelung  der  Thallängen  (Rubrik  3)  wurde  ein 
Kurvimeter  von  ü  1  e  (D.R.P.  79  948),  hergestellt  von  M.  We  s  s  e  1  h  o  e  f  t  in  Halle  a.  S. 
benutzt. 


134 


Albert  Wohlrab, 


[38 


I   7 


10 


1 

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3. 

4. 

5. 

6. 

7. 

8. 

9. 
10. 
11. 
12. 
13. 
14. 
15. 
16. 
17. 
17a. 
17b. 
18. 
19. 
19a. 
19b. 
19c. 
20. 
21. 
22. 
23. 
23a. 
23b, 
23c. 


1. 

la. 

2. 

3. 

4. 

5. 

6. 

6a. 

7. 

8. 

9. 
10. 
11. 
12. 
13. 
14. 


Floßbach 

Telterweinbach   .  . 

Eisenbach 

Lochersbach  .... 
Würschnitzbach  .  . 

Ebersbach 

Görnitzbach  .... 

Gerberbach 

Triebelbach    .... 

Feilebach 

Kemnitzbach .... 

Rosenbach 

Syra 

Friesenbach   .... 

Trieb 

Treuenscher  Bach . 

Rattenbach 

Trieb  itzbach  .... 

Göltzsch 

Wernsbach 

Plohnbach  

Raumbach 

Aubach 

Quirle 

Harnbach 

Weida 

Triebes 

Leubabach  

Auma 

ü.  Saale  (zwischen 
Schweßnitz-  und 
Drebamündung .  . 

Schweßnitz 

Perlenbach 

Oberer  Regnitzbach 

Leimitzbach  .... 

Krebsbach 

Unt.  Regnitzbach  . 

Tannbach    

Eupferbach    .... 

Ehrlichbach   .... 

Aubach 

Triebischbach  .  .  . 

Triebigsbach  .... 

Wetteraubach  .  .  . 

Wiesenthal 

Plothenbach  .... 

Drebabach 


n 


km 

m 

15,0 

745 

9,0 

608 

11,4 

720 

4,7 

550 

12,2 

740 

3,8 

525 

13,4 

720 

7,5 

520 

14,0 

610 

16,5 

575 

12,5 

560 

11,2 

508 

9,0 

470 

9,0 

450 

32,0 

750 

16,0 

640 

8,5 

520 

12,3 

500 

46,0 

680 

9,0 

650 

12,0 

510 

14,0 

440 

12,0 

370 

5,0 

398 

4,0 

328 

56,5 

480 

21,0 

450 

15,0 

405 

36,0 

490 

96,0 

483 

21,0 

575 

27,0 

680 

27,0 

610 

3,0 

520 

7,0 

540 

13,6 

555 

6,7 

589 

8,8 

580 

11,2 

592 

7,5 

565 

6,5 

527 

9,0 

574 

18,5 

580 

45,9 

570 

16,6 

481 

13,5 

490 

m 

440 
429 
424 
415 
411 
403 
393 
388 
365 
363 
361 
342 
330 
322 
304 
386 
362 
275 
258 
419 
366 
297 
255 
254 
215 
203 
282 
267 
226 


304 
483 
525 
477 
471 
467 
468 
450 
479 
437 
427 
376 
373 
357 
327 
305 
304 


m 

m 

536  (8) 

305 

490  (6) 

179 

536  (6) 

296 

471  (4) 

135 

530  (8) 

329 

460  (7) 

122 

518  (7) 

327 

439  (4) 

132 

458  (7) 

245 

444(7) 

212 

463  (8) 

199 

411  (6) 

106 

419  (5) 

140 

385  (5) 

128 

478  (18) 

446 

497  (7) 

254 

430  (6) 

158 

379  (6) 

225 

409  (22) 

422 

535  (6) 

231 

433  (7) 

144 

370  (9) 

143 

315  (5) 

115 

327  (4) 

148 

264  (4) 

113 

343(19) 

277 

362  (9) 

168 

334  (7) 

128 

356  (9) 

264 

414  (17) 

179 

524  (5) 

92 

574  (4) 

105 

520  (9) 

233 

502  (3) 

49 

488(6) 

73 

505  (8) 

87 

517  (4) 

139 

533  (6) 

101 

504  (6) 

155 

494  (5) 

138 

467  (6) 

151 

469  (7) 

201 

485  (8) 

223 

461  (17) 

243 

411  (6) 

176 

387  (7) 

186 

1°08' 
1°09' 
1°29' 
1°39' 
1°33' 
1°51' 
1°24' 
1°01' 
1°00' 
0°43' 
0°55' 
0°51' 
0°53' 
0°48' 
0°48' 
0°54' 
1°04' 
1°03' 
0°31' 
1°28' 
0°41' 
0°35' 
0°83' 
1°37' 
1°37' 
0°17' 
0°27' 
0°29' 
0°25' 


0°06' 
0°15' 
0°13' 
0°29' 
0°56' 
0°86' 
0°22' 

i°ir 

0°39' 
0°48' 
1°03' 
1°20' 
1°16' 
0°41' 
0°18' 
0°38' 
0°47' 


km 

12,5 

6,4 

8,0 

4,3 

9,5 

3,4 

10,5 

6,0 

11,5 

10,5 

9,0 

8,5 

7,2 

6,4 

22,0 

9,0 

7,5 

10,5 

25,0 

7,0 

7,0 

9,3 

8,0 

4,5 

3,6 

28,5 

14,0 

11,5 

22,0 


43,0 

10,5 

16,0 

18,0 

2,7 

6,0 

8,6 

5,9 

5,2 

6,0 

7,3 

5,5 

6,8 

12,6 

21,5 

9,4 

10,7 


0,70 
0,72 
0,73 
0,91 
0,78 
0,89 
0,78 
0,80 
0,82 
0,64 
0,72 
0,76 
0,80 
0,71 
0,69 
0,56 
0,88 
035 
0,54 
0,77 
0,58 
0,66 
0,66 
0,90 
0,90 
0,50 
0,67 
0,77 
0,60 


0,45 
0,50 
0,59 
0,66 
0,90 
0,86 
0,63 
0,88 
0,59 
0,54 
0,97 
0,88 
0,75 
0,68 
0,47 
0,58 
0,80 


39] 

Das  Vogtland 

als  orographisches  Individuum. 

135 

1 

2 

3           4      !      5 

6 

7 

8           9 

10 

1 

ti 

fcfl 

2 

s 

u 

O 

Name  des  thalbilden- 
den Gewässers 

i 
Ec 

a 

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•  2 

•  2 

O 

PC 

SB  £fl  *» 

35 

1* 

al 

So  .3 

5 

KM 

IS  §5 
SM*« 

H.2 

1. 

la. 

2. 

2a. 

2b. 

3. 

4. 

III.  Zum  Egergebiet 
gehörig : 

Seebach 

Höllenbach 

Fleißenbach  .  . 

Rohrbach 

Schönbach  

Leibitschbach   .  .  . 
Zwota 

km 

6,7 
6,3 
7,2 
3,5 
5,5 
15,5 
21,0 

m 

705 
590 
690 
570 
600 
760 
745 

m 

500 
509 
500 
500 
500 
500 
500 

m 

567  (4) 
548(4) 
577  (5) 
530  (3) 
544(4) 
590  (8) 
620  (13) 

m 

205 
81 
213 
70 
100 
260 
245 

1°50' 
0°44' 
1°42' 
1°15' 
1°02' 
0°57' 
0°41' 

km 

5,0 
5,5 
4,7 
3,2 
5,0 
11,8 
11,2 

0,75 
0,87 
0,65 
0,90 
0,91 
0,77 
0,54 

2.  Die  Höhenrücken. 


A.  Gliederung  des  Gebietes. 

Die  tiefen  Rinnen,  welche  die  Gewässer  in  die  Hochfläche  ein- 
schnitten und  so  das  Vogtland  vertikal  gliederten,  bewirkten,  daß 
dieses,  wenn  man  in  den  Thälern  wandert,  den  Eindruck  eines  Berg- 
landes macht.  Die  so  entstandenen  Bergrücken  oder  Kämme  (soweit 
man  ihnen  überhaupt  diese  Bezeichnung  geben  kann)  lassen  sich  zur 
Besprechung  ihrer  orometrischen  Verhältnisse  leicht  in  mehrere  Gruppen 
bringen. 

Von  selbst  ergiebt  sich  eine  Gliederung  des  ganzen  Gebietes  in 
drei  Teile,  in  einen  östlich,  einen  südlich  und  einen  westlich  vom 
Elsterknie. 

Der  erste  und  dritte  Teil  sind  geschieden  durch  die  Weiße  Elster 
vom  Elsterknie  an  abwärts.  Der  zweite  Teil  wird  vom  ersten  getrennt 
durch  die  Weiße  Elster  vom  Elsterknie  an  aufwärts  bis  zur  Mündung 
des  Raunerbaches,  durch  den  Raunerbach  bis  zur  Raunermühle,  durch 
das  von  Rohrbach  heruntereilende  Bächlein,  durch  den  Sattel  von 
Rohrbach,  der  bis  zur  Höhe  von  595  m  herabreicht,  und  durch  den 
Rohrbach,  der  hinab  bis  zum  Fleißenbach  fließt.  Vom  westlichen 
Teile  trennt  ihn  der  Feilebach  bis  zur  Haagmühle,  der  Sattel  südlich 
von  Blosenberg  (545  m  Höhe)  und  der  unterhalb  Hof  mündende  (untere) 
Regnitzbach. 

Der  östliche  Teil  kann  als  der  erzgebirgische  bezeichnet 
werden;  denn  er  bildet  die  westliche  Fortsetzung  des  Abfalls  des 
Erzgebirges,  steht  mit  diesem  Gebirge  in  engstem  Zusammenhang  und 
ist  durch  keinen  tiefen  Einschnitt  im  Kamme  des  Gebirges  von  ihm 
getrennt.  Eine  ganz  auffallende  Kerbe  bildet  aber  der  Sattel  von 
Rohrbach,  östlich  vom  Galgenberg  bei  Brambach.    Dieser  Sattel  reicht 


136  Albert  Wohlrab,  [40 

bis  zur  Höhe  von  595  m  herab,  und  von  hier  an  nimmt  das  Gebirge 
eine  andere  Richtung  an.  Der  hier  beginnende  südliche  Teil  des 
Vogtlandes,  der  der  fi cht e Ige birgi sehe  genannt  werden  soll,  läßt 
in  seinem  Aufbau,  besonders  in  seinem  südlichsten  Kamm,  die  Nachbar- 
schaft des  Fichtelgebirges  deutlich  erkennen.  Auf  den  zum  östlichen 
Teile  gehörigen  erzgebirgischen  Grenzkamm  und  auf  den  südlichen 
Teil  des  Vogtlandes,  ja  wohl  auch  auf  jenen  Kamm  allein,  wird  öfters 
die  Bezeichnung  Elstergebirge  angewendet1).  Der  westliche  Teil, 
den  Regel 2)  zu  Thüringen  rechnet,  dürfte  seiner  Bodenform  und  seiner 
politischen  Zugehörigkeit  nach  als  sächsisch-reufiische  Hoch- 
ebene zu  benennen  sein. 

Das  ganze  Gebiet  umfaßt  2483  qkm.     Davon  entfallen 

auf  den  östlichen  Teil 761  qkm 

„      „     südlichen    „ 536    „ 

„       „     westlichen  „ 1186    „ 

Der  staatlichen  Zugehörigkeit  nach  verteilt  sich  das  Gebiet  auf 
sieben  Länder,  auf  die  Königreiche  Sachsen,  Bayern  und  Preußen,  auf 
das  Großherzogtum  Sachsen- Weimar,  auf  die  beiden  Fürstentümer  Reuß 
und  auf  das  österreichische  Kronland  Böhmen. 

B.  Der  östliche  Teil. 

Der  östliche  Teil,  gelegen  zwischen  der  Weißen  Elster,  der  Göltzsch 
und  der  Zwota,  hat  seine  höchste  Erhebung  im  Ursprungberg  (818,9  m), 
seinen  tiefsten  Punkt  in  der  Göltzschmündung  (257,3  m). 

Der  Ursprungberg  gehört  dem  höchsten  Kamme  des  östlichen  Teiles 
an,  dem  erzgebirgischen  Grenzkamm.  Dieser  reicht  vom  Rohr- 
bacher Sattel  bis  an  die  Höhe  nördlich  vom  Tannenhaus  bei  Schöneck 
(Sign.  801,4  m)  und  hat  eine  Länge  von  30  km.  Vom  Rohrbacher 
Sattel  bis  zum  Ursprungberg  verfolgt  er  (wenn  wir  nur  die  Haupt- 
richtungen berücksichtigen)  14  km  weit  eine  nordöstliche,  vom  Ursprung- 
berge bis  zur  Höhe  beim  Tannenhause  16  km  weit  eine  nordwestliche 
Richtung.  Seine  mittlere  Gipfelhöhe  (735  m)  wurde  aus  folgenden 
10  Höhen  berechnet: 

Schieferknock 669  m 

Triangulationsstation  bei  Landwüst  ....  664  „ 

Höchster  Punkt  nördlich  von  Dürrengrün  658  „ 

„  „       südlich  von  Eubabrunn    .     .  671   „ 

Hoher  Stein 777   „ 

Ursprungberg 819  „ 

Gemeinberg 780  „ 

Der  Hohe  Brand 804  „ 

Rauner  Berg 732   „ 

Höhe  beim  Tannenhaus 776  „ 

*)  Vgl  Debes,  Neuer  Handatlas,  1895,  Bl.  19.  20.  22.  23.  —  Andre e, 
Handatlas,  13.  Aufl.,  1896,  Bl.  15/16.  25/26.  —  Sydow- Wagner,  Method.  Schul- 
atlas, 6.  Aufl.,  1896,  Bl.  19.  21.  22. 

»)  Regel,  Thüringen,  I,  S.  2. 


41]  Das  Vogtland  als  orographisches  Individuum.  137 

Die  mittlere  Sattelhöhe  (677  m)  wurde  aus  folgenden  10  Höhen* 
angaben  gefunden: 

Sattel  zwischen  Galgenberg  und  Schieferknock *)     .     .     .  595  m 

,  „         Schieferknock  und  Land  wüster  Höhe  .     .  618  „ 

„  „         Landwüster  Höhe  und  Dürrengrün     .     .  625  „ 

Höchster  Punkt  der  Straße  von  Wernitzgrün  nach  Schön- 
bach2)   655  , 

Sattel  zwischen  der  Höhe  von  Eubabrunn  und  dem  Hohen 

Stein 657  „ 

Sattel  zwischen  dem  Hoben  Stein  und  dem  Ursprungberg  735  „ 

„  „  „     Ursprungberg  und  dem  Gemeinberg  747  „ 

„  „  „     Gemeinberg  und  dem  Hohen  Brand  751  „ 

*  „  „     Hohen  Brand  und  dem  Rauner  Berg 3)  726  „ 

„      südwestlich  vom  Bahnhof  Oberzwota4)     ....  663  „ 

Aus  der  mittleren  Gipfelhöhe  (735  m)  und  der  mittleren  Sattelhöhe 
(677  m)  ergiebt  sich  als  die  Differenz  beider  ein  dritter  Mittelwert,  die 
mittlere  Schartung  (58  m)  und  als  arithmetisches  Mittel  der  beiden 
ersten  die  mittlere  Kammhöhe  (706  m).  Der  erzgebirgische  Grenzkamm 
bildet  einen  Teil  der  Wasserscheide  zwischen  der  Weißen  Elster  und 
der  Eger;  der  Roten  Mulde  fließt  eine  geringe  Wassermenge  vom 
nordöstlichen  Ende  des  Kammes  zu. 

Von  den  von  diesem  Hauptkamme  ausgehenden  Nebenk'ämmen 
seien  nur  folgende  genannt: 

Der  Floßbach-Raunerbachkamm,  der  12  km  lang  ist,  eine  Haupt- 
richtung von  SO  nach  NW  zeigt,  und  dessen  aus  5  Höhenpunkten 
berechnete  mittlere  Gipfelhöhe  611  m,  dessen  aus  3  Höhenangaben  be- 
rechnete mittlere  Sattelhöhe  575  m,  dessen  Schartung  demnach  37  m 
und  dessen  mittlere  Kammhöhe  593  m  beträgt; 

der  Eisenbach-Floßbachkamm,  der  südwestlich  vom  Bahnhofe 
Oberzwota  in  südwestlicher  Richtung  abzweigt  und  bis  zur  Mündung 
des  Eisenbaches  eine  Länge  von  14  km  hat.  Seine  Gipfelhöhe  beträgt 
619  m,  seine  Sattelhöhe  574  m,  seine  Schartung  45  m,  seine  Kamm- 
höhe 597  m ; 

der  Leibitsch-Schönbachkamm ,  der  bei  einer  Länge  von  15  km 
eine  Hauptrichtung  von  NW  nach  SO  (NWjSO  =  11  km,  N/S  =  4  km) 
zeigt  und  eine  mittlere  Gipfelhöhe  von  641  m,  eine  mittlere  Sattelhöhe 
von  589  m,  also  eine  Schartung  von  52  m  und  eine  mittlere  Kamm- 
höhe von  615  m  hat; 

der  Zwota-Leibitschkamm  mit  23  km  Länge  in  nordwest-süd- 
östlicher  Erstreckung  (NW/SO  =  7  km,  N/S  =  16  km),  mit  660  m 
Gipfelhöhe,  604  m  Sattelhöhe,  56  m  Schartung  und  632  m  mittlerer 
Kammhöhe. 

Von   der  Höhe  nördlich  vom  Tannenhause   an   (Sign.  801,4  m) 


*)  Sattel  von  Rohrbach. 

*)  Paß  der  Straße  von  Markneukirchen  nach  Schönbach  in  Böhmen. 

3)  Paß  der  Straße  von  Markneukirchen  nach  Klingenthal. 

4)  Paß  der  Eisenbahn  zwischen  Oberzwota  und  Markneukirchen. 


138  Albert  Wohlrab,  [42 

teilt  sich  der  Kamm  in  zwei  Rücken,  deren  östlicher  die  Göltzsch  bis 
zu  ihrer  Mündung  auf  dem  linken  Ufer  begleitet  und  ihr  nur  die  Bil- 
dung kurzer  Bäche  gestattet,  deren  westlicher  hingegen  sich  zum  Elster- 
knie wendet. 

Der  östliche  Rücken,  der  nach  den  beiden  sein  südliches  und 
sein  nördliches  Ende  krönenden  Höhen  der  Wendelstein-Kuhberg- 
rücken benannt  werden  kann,  ist  von  seinem  südlichen  Ende  an  bis 
zur  Höhe  nördlich  vom  Auerbacher  Bahnhof  13  km  weit  nach  Norden 
zu,  dann  aber  22  km  weit  nach  Nordwesten  zu  gerichtet,  hat  also 
eine  Länge  von  35  km.  Er  bildet  die  Wasserscheide  zwischen  der 
Göltzsch  und  der  oberen  Elster.  Seine  mittlere  Gipfelhöhe  (556  m) 
wurde  aus  folgenden  13  Höhenangaben  berechnet: 

Höhe  nördlich  vom  Tannenhaus  (der  Muldenbrand)  .  801  m 

„      von  Grünbach 708  „ 

Wendelstein 732  „ 

Höhe  nördlich  von  Falkenstein 590  „ 

„      beim  oberen  Bahnhof  Auerbach 555  „ 

„      östlich  von  Eich 532  „ 

Wilhelmshöhe  bei  Treuen                     496  „ 

Höhe  südöstlich  von  Pfaffengrün 486  „ 

„      westlich  von  Pfaffengrün 498  „ 

„      östlich  von  Reimersgrün 467  „ 

Kuhberg  bei  Netschkau 510  „ 

Die  Sose 460  „ 

Gipfel  des  Göltzschberges 390  „ 

Die  mittlere  Sattelhöhe  (509  m)  ergab  sich  aus  folgenden 
12  Höhen: 

Sattel  südlich  von  Grünbach 695  m 

„      nördlich  „  „  697  „ 

„  „        „       Falkenstein 568  „ 

„      beim  Feldschlößchen  bei  Reimtengrün    .     .     .  548  „ 

„      nördlich  von  Rebesgrün 515  „ 

„      zwischen  Wühelmshöhe  und  Buch     ....  485  „ 

„      westlich  von  Buch 464  „ 

r,      südlich  von  Pfaffengrün 465  „ 

Bahnhof  Herlasgrün 429  „ 

Sattel  südlich  vom  Kuhberg 445  „ 

„       von  Brockau 433  „ 

„         „     Kleingera 369  „ 

Aus  der  mittleren  Gipfelhöhe  und  der  mittleren  Sattelhöhe  folgt 
eine  mittlere  Schartung  im  Betrage  von  47  m  und  eine  mittlere  Kamm- 
höhe von  533  m. 

Von  diesem  Hauptkamme  zweigt  nur  ein  nennenswerter  Neben- 
kamm ab,  der  Frohnbergrücken,  der  sich  zwischen  der  Trieb  und  dem 
Treuenschen  Wasser  bis  zur  Mündung  des  letzteren  in  einer  Länge 
von  14  km  hinzieht  (SO/NW  =  4  km,  SW/NO  =  3  km,  SO/NW  =  7  km), 


43]  Das  Vogtland  als  orographiscbes  Individuum.  139 

eine  Gipfelhöbe  vod  572  m,  eine  Sattelhöhe  von  523  m  und  demnach 
eine  Schartung  von  49  m  und  eine  mittlere  Kammhöhe  von  547  m 
aufweist. 

Der  westliche  der  beiden  vom  erzgebirgischen  Grenzkamm  ab- 
zweigenden Bücken,  der  mittelvogtländische  Rücken,  verläuft 
in  einem  nach  Süden  offenen  Bogen  nach  Westen  zum  Elsterknie. 
Seine  Gewässer  fließen  alle  dem  rechten  Ufer  der  Elster  zu.  Seine 
ganze  Länge  beträgt  29  km.  Davon  sind  etwa  20  km  nach  NW,  9  km 
nach  SW  gerichtet.  Seine  mittlere  Gipfelhöhe  (572  m)  wurde  aus 
folgenden  11  Höhen  gefunden: 

Höhe  des  Sign.  763,7  nördl.  vom  Bahnhofe  Schöneck  764  m 

Eimberg 684  „ 

Höhe  östlich  von  Pillmannsgrün 655  fl 

Die  Hohe  Reuth 629  „ 

Höhe  der  Theumaer  Schieferbrüche 558  „ 

Die  Alte  Burg  bei  Obermarxgrün 524  „ 

Wachhübel .    ....  508  , 

Culmberg 515  „ 

Mohnberg 496  „ 

Höhe  nordöstlich  von  Taltitz 480  „ 

„      westlich  von  Rosenberg 474  „ 

Die  aus  folgenden  10  Höhen  ermittelte  Sattelhöhe  beträgt  520  m: 

Sattel  südlich  von  Werda 632  m 

„  östlich  von  Kottengrün      .     .     .     .  638  „ 

„  nördlich  von  Pillmannsgrün  .     .     .  618  „ 

„      von  Lottengrün 539  „ 

„         „    Obermarxgrün 482  „ 

„  zwischen  Culmberg  und  Alter  Burg  495  „ 

„      von  Oberlosa 462  „ 

„         *     Unterlosa 456  „ 

„  südwestlich  von  Meßbach  ....  438  „ 

„      von  Rosenberg 438  „ 

Die  Schartung  des  Rückens  beträgt  52  m,  die  Kaminhöhe  546  m. 

Von  diesem  Rücken  gehen  zwei  bemerkenswerte  Seitenrücken  aus : 
der  Eichbergrücken,  der  von  der  Höhe  der  Theumaer  Schieferbrüche 
in  einer  Länge  von  14  km  erst  nach  Norden  und  dann  nach  Nord- 
nordwest bis  zur  Triebmündung  sich  erstreckt  und  eine  Gipfelhöhe 
von  466  m,  eine  Sattelhöhe  von  422  m,  also  eine  Schartung  von  44  m 
und  eine  mittlere  Eammhöhe  von  444  m  hat,  und  der  Reusaer  Rücken, 
der  sich  7  km  weit  nach  Norden  zu,  nach  der  Friesenbachmündung 
hin,  erstreckt  und  eine  Gipfelhöhe  von  450  m,  eine  Sattelhöhe  von 
418  m,  mithin  eine  Schartung  von  32  m  und  eine  mittlere  Kammhöhe 
von  434  m  hat. 


140  Albert  Wohlrab,  [44 

C.  Der  südliche  Teil. 

Der  südliche  Teil  des  Vogtlandes  hat  seine  höchste  Erhebung 
im  Kapellenberg  (759  m),  seinen  tiefsten  Punkt  in  der  Feilebach- 
mündung (363  m). 

Der  höchste  Berg  giebt  dem  Kamme,  der  die  höchsten  Höhen 
dieses  Teiles  in  sich  vereinigt,  den  Namen  Kapellenbergkamm. 
Derselbe  reicht  vom  Rohrbacher  Sattel  bis  zum  Sattel  südwestlich  von 
Asch,  über  den  hinweg  die  Straße  nach  Selb  führt.  Die  Kammlinie 
verläuft  im  allgemeinen  vom  Rohrbacher  Sattel  bis  zum  Kapellenberg 
von  NO  nach  SW  (11  km),  vom  Kapellenberg  bis  zum  Ascher  Sattel 
von  SO  nach  NW  (9  km).  Der  Berechnung  der  mittleren  Gipfelhöhe 
(711  m)  lagen  folgende  10  Höhen  zu  Grunde: 

Galgenberg 638  m 

Hengstberg 638  „ 

Wachtberg 716  „ 

Höchster  Punkt  des  Donichwaldes    .     .  746  „ 

Gipfel  westlich  von  Bärendorf      .     .     .  749  „ 

Kapellenberg 759  „ 

Westlicher  Gipfel  im  Elsterwald  ...  735  w 

Gipfel  südlich  von  Nassengrub     .     .     .  695  „ 

Lerchenberg  bei  Asch 736  „ 

Kegelberg 692  „ 

Zur  Berechnung  der  mittleren  Sattelhöhe  (677  m)  dienten  folgende 
11  Höhen: 

Sattel  zwischen  Galgenberg  und  Hengstberg *)  .  608  m 

„  „          Hengstberg  und  Wachtberg8)    .  612  „ 

„      von  Oberreuth 3) 684  , 

„      südlich  vom  Donichwald 722  „ 

„      von  Bärendorf 712  „ 

„      im  Elsterwald 725  „ 

„      von  Himmelreich 685  „ 

„         „     Nassengrub4) 645  „ 

„      östlich  von  Asch 705  „ 

„  zwischen  Lerchenberg  und  Kegelberg 5)  .  678  „ 

„      westlich  vom  Kegelberg6) 665  „ 

Die  Schartung  dieses  Kammes  beträgt  35  m,  die  mittlere  Kamm- 
höhe 694  m.  Das  Wasser  der  nördlichen  Abdachung  fließt  der  Weißen 
Elster,  das  der  südlichen  Abdachung  der  Eger  zu. 


*)   Paß  der  Straße  von  Plauen  nach  Eger  (Paß  von  Oberbrambach). 
*)  Paß  der  Eisenbahn  von  Plauen  nach  Eger. 
')  Paß  der  Straße  von  Brambach  nach  Asch. 

4)  Paß  der  Straße  vom  Staatsbahnhof  Asch  nach  Nassengrub,  Wernersreuth, 
Niederreuth. 

5)  Paß  der  Straße  von  Haslau  nach  Asch. 

6)  Paß  der  Straße  von  Selb  nach  Asch. 


45]  Das  Vogtland  als  orographisches  Individuum.  141 

Von  diesem  Kamme  aus  geht  nach  Norden  der  Baunerbach- 
Elsterkamm,  der  vom  Wachtberge  aus  sich  9  km  weit  erstreckt  mit 
einer  Gipfelhöhe  von  649  m,  einer  Sattelhöhe  von  596  m,  einer  Schar- 
tung  von  54  m  und  einer  mittleren  Eammhöhe  von  622  m.  Der  gleich- 
falls nordwärts  gerichtete,  5  km  lange  Hainbergkamm  hat  eine  Kamm- 
höhe von  731  m,  die  aus  der  Höhe  des  Hainberges  (757  m)  und  der 
des  südlich  davon  gelegenen  Sattels  (705  m)  berechnet  wurde. 

Nordwestlich  vom  Sattel  bei  Asch,  durch  den  die  Straße  nach 
Selb  führt,  beginnt  der  sächsisch-böhmisch-bayrische  Grenz- 
rücken, der  sich  39  km  weit  nach  Nordwesten  zu  erstreckt,  wohei 
die  einzelnen  Strecken  des  Rückens  mehrmals  die  Richtung  wechseln 
(SO/NW  =  4  km,  SW|NO  =  1  km,  SO/NW  =  1  km,  SW/NO  =  2  km, 
S/N  =  10  km,  O/W  16  km ,  S;N  =  5  km).  Aus  folgenden  13  Höhen 
wurde  die  mittlere  Gipfelhöhe  (642  m)  berechnet: 

Gipfel  westlich  von  Asch 676  m 

Raubhäuser  Berg 7Ö3  „ 

Hungersberg 689  „ 

Köstelauwald .  671  „ 

Höhe  nordwestlich  von  Galgendorf  .     .  636  „ 

Bubenstock 631  „ 

Platzer  Berg 629  „ 

Höhe  von  Haselrain  .......  623  „ 

Galgenberg  bei  Posseck 615  „ 

Höhe  nördlich  von  Hasenreuth     .     .     .  611  „ 

Geifibühl  bei  Gumpertsreuth    ....  586  „ 

Der  Hohe  Pohl  bei  Wiedersberg      .     .  570  „ 

Der  Berechnung  der  mittleren  Sattelhöhe  (610  m)  lagen  folgende 
11  Höhenangaben  zu  Grunde: 

Sattel  westlich  von  Asch1)  660  m 

„      von  Eilfhausen 662  „ 

„         „    Thonbrunn 658  „ 

„      beim  Bahnhof  Roßbach2) 605  „ 

„  „     Grenzzollhaus  an  der  Straße  von  Roßbach  nach 

Oelsnitz 625  „ 

„      zwischen  Tiefenbrunn  und  Ebmath 609  „ 

„  „  Platzer  Berg  und  Höhe  von  Haselrain ö)  .  595  „ 

„      nordöstlich  vom  Galgenberg8) 585  „ 

„      südlich  vom  Gassenreuth 8) 595  „ 

„       nördlich  von  Kirch-Gattendorf3) 570  „ 

„      südlich  vom  Hohen  Pohl 545  „ 

Die  Schartung  dieses  Rückens  beträgt  32  m,  die  mittlere  Kamm- 
höhe 626  m.     Der  Rücken  verläuft  von  Asch  aus   mitten  durch   den 


1)  Paß  der  Straße  von  Asch  nach  Rehan  und  der  Eisenbahn  von  Asch  nach 
Boßbach. 

Paß  der  Straße  von  Rehau  nach  Roßbach. 

Diese  Sättel  werden  berührt  von  der  Straße  Hof-Oelsnitz. 


3 


142  Albert  Wohlrab,  [46 

gleichnamigen  Bezirk  nach  Norden  bis  zur  sächsischen  Grenze  und 
schlägt  dann  deren  Richtung  ein.  Er  bildet  einen  Teil  der  Wasser- 
scheide zwischen  Elster  und  Saale.  Die  Gewässer  der  nördlichen  Ab-* 
dachung  fließen  direkt  zur  Elster,  die  der  südlichen  werden  zum 
größten  Teil  von  der  oberhalb  Hof  in  die  Saale  mündenden  Regnitz 
gesammelt. 

Wenige  Kilometer  nördlich  vom  Anfange  dieses  Rückens  zweigt 
in  nordwestlicher  Richtung  der  22  km  lange  Schwefinitz-Regnitzrücken 
ab,  der  sich  zur  Regnitzmündung  oberhalb  Hof  hinzieht,  wobei  er 
mehrmals  in  andere  Richtungen  Übergeht.  Etwa  9  km  weit  hat  er 
die  Richtung  SO/NW,  5  km  weit  die  Richtung  N/S,  ebensoweit  die 
Richtung  O/W  und  auf  etwa  3  km  die  Richtung  NO/SW  inne.  Seine 
mittlere  Gipfelhöhe  beträgt  608  m,  seine  mittlere  Sattelhöhe  584  m,. 
demnach  seine  Schartung  24  m  und  seine  mittlere  Eammhöhe  596  m. 
Der  Rücken  scheidet  die  der  oberen  Regnitz  zufließenden  Bäche  von 
den  Wässerchen,  die  zur  Schweßnitz  eilen,  gehört  also  ganz  zum  Ge- 
biete der  Saale. 

Wo  der  sächsisch-böhmisch-bayrische  Grenzrticken  beim  Buben- 
stock die  südnördliche  Richtung  verläßt  und  eine  nordwestliche  ein- 
schlägt, sendet  er  6  km  weit  nach  Norden,  dann  9  km  weit  nach  Nord- 
westen zwischen  die  Elster  und  den  Triebelbach  hinein  den  Triebelbach- 
Elsterrücken,  der  eine  mittlere  Gipfelhöhe  von  531  m,  eine  mittlere  Sattel- 
höhe von  494  m,  eine  Schartung  von  37  m  und  eine  mittlere  Kammhöhe 
von  513  m  aufweist.  Wo  die  nordwestliche  Richtung  des  Hauptrückens 
in  eine  südwestliche  übergeht,  von  der  Höhe  von  Haselrain  an,  zweigt 
nach  Norden  ein  zweiter,  9  km  langer  Seitenkamm  ab,  der  Triebelbach- 
Feilebachrücken ,  dessen  Gipfelhöhe  552  m,  dessen  Sattelhöhe  518  m, 
dessen  Schartung  mithin  35  m  und  dessen  Kammhöhe  535  m  beträgt. 

D.  Der  westliche  Teil. 

Nördlich  vom  Sattel  von  Blosenberg  beginnt  der  westliche  Teil 
des  Vogtlandes,  die  sächsisch- reußische  Hochebene.  Die  höchste  Er- 
hebung derselben  ist  der  Rosenpöhl  nordwestlich  von  Mißlareuth  (653  m), 
ihr  tiefster  Punkt  die  Weidamündung  (203  m). 

Die  Haupterhebung  dieses  Teiles,  der  reußische  Grenz- 
rücken, der  beim  Sattel  von  Blosenberg  beginnt  und  bis  zur  Grenze 
des  Gebietes  zwischen  dem  Auma-  und  dem  Drebabachthale ,  dem 
Sattel  der  „Auma",  südöstlich  von  der  Triangulationsstation  von  Kleina 
(535  m)  55  km  lang  ist,  hat  eine  nordwestliche  Hauptrichtung.  Im 
einzelnen  verläuft  der  Rücken  erst  5  km  weit  von  S  nach  N,  dann 
7  km  weit  von  SO  nach  NW,  darauf  3  km  weit  von  W  nach  0,  hierauf 
18  km  weit  von  S  nach  N,  und  endlich  22  km  weit  von  SO  nach  NW. 
Aus  folgenden  16  Höhen  dieses  Rückens  wurde  die  mittlere  Gipfelhöhe 
(567  m)  berechnet: 

Blosenberg 591  m 

Höhe  südlich  von  Heinersgrün     ...     578  fl 
-      nördlich  vom  Butterhübel  .     .     .     603  „ 


47]  Das  Vogtland  als  orographisches  Individuum.  143 

Triangulationsstation  Kandelstein      .     .  610  m 

Höhe  von  Mißlareuth 633  „ 

Windmühle  bei  Reuth 592  „ 

Stelzenhöhe 610  „ 

Höhe  westlich  von  Eornbach  .     .     .     .  561  „ 

„      nordwestlich  von  Drochaus      .     .  559  „ 

Bärenhübel   . 552  „ 

Sandberg 543  „ 

Höhe  nördlich  von  Lössau 517  „ 

„      westlich     n         „    • 503  „ 

„      östlich       „     Oettersdorf     .     .     .  490  „ 

„      von  Dittersdorf 500  „ 

„      in  den  Plothenhölzern    .     .     .     .  514  „ 

Die  mittlere  Sattelhöhe  (530  m)  ergab  sich  aus  folgenden  Hohen: 

Sattel  südlich  von  Blosenberg l)  .     .     .  •  545  m 

„       nördlich  „  „  ...  565  „ 

„       westlich  „    Heinersgrün     .     .     .  565  „ 
Straßenkreuzung  zwischen  Heinersgrün, 

Gutenfürst  und  Krebes         ....  577  „ 

Brandhaus 585  „ 

Sattel  östlich  von  Mifilareuth  ....  568  „ 

Straßenübergang  beim  Bahnhof  Reuth  .  583  „ 

Sattel  südlich  von  Kornbach    ....  547  „ 

Bahnhof  Schönberg 514  „ 

Sattel  östlich  vom  Bärenhübel      ...  527  „ 

,      zwischen  Bärenhübel  u.  Sandberg  512  „ 

,      südlich  von  Dröswein    ....  485  „ 

„'      westlich  von  Lössau      ....  485  „ 

„      südöstlich  von  Oettersdorf      .     .  485  „ 

„      östlich  des  Pörmitzer  Teiches      .  463  „ 

„      westlich  von  den  Plothenhölzern  500  „ 

Sattel,  die  „Auma" 509  „ 

Die  Schartung  des  Rückens  beträgt  37  m,  die  mittlere  Kammhöhe 
549  m.  Der  Rücken  bildet,  wie  der  sächsisch-böhmisch-bayrische 
Grenzrücken,  einen  Teil  der  Wasserscheide  zwischen  der  Elster  und 
der  Saale.  In  der  Senke  „die  Auma*  machen  wir  Halt.  Wir  be- 
finden uns  auf  einer  Hochfläche,  in  deren  Bodenform  sich  die  Tektonik 
des  Gebietes  besonders  deutlich  und  eigenartig  geltend  macht;  „es 
kommt  eine  verwickelte  Gitterstruktur  des  Bodens  zu  stände:  es  be- 
stehen zahlreiche  kleine,  den  Maschen  eines  Netzes  vergleichbare  flache 
Mulden,  in  welchen  das  Wasser  sich  ansammelt,  da  der  Boden  durch 
Thonschichten  undurchlässig  ist;  auf  solchen  Verhältnissen  beruht  die 
Erklärung  für  das  gehäufte  Auftreten  ungewöhnlich  zahlreicher  stehender 
Gewässer  in  der  Umgegend  von  Plothen  und  Knau  nordöstlich  von 
Ziegenrück;    Hunderte  von  meist  sehr  ansehnlichen  Teichen   drängen 


*)   Paß  der  Straße  von  Hof  nach  Plauen  (Paß  von  Ullitz). 


144  Albert  Wohlrab,  [48 

sich  hier  auf  engem  Räume  zusammen**  *).  —  Die  Mittellinie  der  Kulm- 
mulde, die  ungefähr  mit  dem  Verlaufe  des  zwischen  Auma  und  Ziegen- 
rück  gelegenen  Teiles  der  Bahnlinie  Triptis-Ziegenrück  und  mit  dem 
unterhalb  der  Stadt  Auma  gelegenen  Teile  der  Auma  zusammenfallt, 
bildet  die  nordwestliche  Grenze  des  in  dieser  Arbeit  mit  dem  Namen 
„Vogtland*  bezeichneten  Gebietes. 

Wo  der  reußische  Grenzrticken  zum  erstenmal  seine  Richtung 
ändert,  erstreckt  sich  nach  Nordosten  der  Feilebach-Eemnitzbachrücken 
in  einer  Länge  von  8  km  mit  einer  Gipfelhöhe  von  573  m,  einer  Sattel- 
höhe von  485  m,  einer  Schartung  von  88  m  und  einer  Eammhöhe  von 
529  m. 

Oestlich  von  Mißlareuth  zweigt  sich  in  der  Hauptsache  in  süd- 
östlicher Richtung  der  Schwander  Rücken  ab  mit  einer  Länge  von 
11  km,  einer  Gipfelhöhe  von  541  m,  einer  Sattelhöhe  von  513  m,  mithin 
einer  Schartung  von  28  m  und  einer  Eammhöhe  von  527  m. 

Nach  der  Saalecke  bei  Blankenstein  zieht  sich  von  der  Höhe  von 
Mißlareuth  aus  ein  22  km  langer  Seitenkamm,  der  Tannaer  Rücken, 
der  erst  2  km  weit  nach  Westen,  dann  5  km  weit  nach  Norden,  die 
übrige  Strecke  von  15  km  aber  nach  Südwesten  zu  verläuft.  Er  hat 
eine  Gipfelhöhe  von  608  m,  eine  Sattelhöhe  von  581  m,  demnach  eine 
Schartung  von  27  m  und  eine  mittlere  Eammhöhe  von  595  m. 

Die  von  diesem  Rücken  westlich  von  Mißlareuth  eingeschlagene 
nördliche  Richtung  verfolgt  der  Wetterau-Wiesenthalrücken  weiter, 
der  zwischen  der  Wetterau  und  der  Wiesenthal  sich  zur  Mündung 
der  Wiesenthal  hin  26  km  weit  erstreckt.  Er  verfolgt  erst  die  Richtung 
nach  Norden  (8  km  weit),  dann  nach  Westen  (7  km  weit),  dann  nach 
Nordwesten  (10  km  weit).  Seine  Gipfelhöhe  beträgt  541  m,  seine  Sattel- 
höhe 522  m,  seine  Schartung  19  m,  seine  Eammhöhe  532  m. 

Von  der  Höhe  von  Drochaus  aus  (Sign.  559,3  m)  zieht  der  Elster- 
Weidarücken  erst  4  km  weit  nach  Osten,  dann  36  km  weit  nach 
Norden  der  Weidamündung  zu.  Er  hat  eine  Gipfelhöhe  von  441  m, 
eine  Sattelhöhe  von  418  m,  eine  Schartung  von  23  m  und  eine  Eamm- 
höhe von  430  m.  Zwischen  Syra  und  Rosenbach  hinein  sendet  er  in 
südöstlicher  Richtung  den  12  km  langen  Syra-Rosenbachrücken ,  der 
eine  Gipfelhöhe  von  491  m,  eine  Sattelhöhe  von  467  m,  eine  Schartung 
von  23  m  und  eine  Eammhöhe  von  479  m  aufweist. 


E.  Berechnung  der  Hittelwerte.    Vergleiche. 

Wenn  im  vorstehenden  bei  den  einzelnen  Höhenrücken  der  Ver- 
lauf ihrer  Richtung  und  die  Länge  desselben  angegeben  wurde,  so 
sollte  damit  das  Material  zur  Feststellung  der  vorherrschenden 
Richtung  geliefert  werden.  Zu  letzterem  Zwecke  wurden  in  Tabelle  II 
die  Eämme  und  die  Längen  ihrer  Erstreckungen  nach  den  vier  Haupt- 
richtungen zusammengestellt.  Bei  der  Berechnung  des  Gesamtergeb- 
nisses wurden  die  Summen  der  Richtungslängen  der  Hauptkämme  von 


J)  Regel,  Thüringen,  I,  S.  37. 


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49] 


Das  Vogtland  als  orographisches  Individuum. 
Tabelle  II. 


145 


Länge  der  Erstreckimg  (km)  nach 


Bezeichnung  des  Kammes 
(Rückens) 


N/S 


NW/SO 


W/O 


SW/NO 


1. 

la. 

Ib. 

lc. 

Id. 

2. 
2a. 

3. 

3a. 

8b. 

4. 

4a. 

4b. 

5. 
5a. 
5b. 
5c. 

6. 
6a. 

6b. 

7. 
7a. 

8. 
8a. 


Erzgebirgischer  Grenzkamm 
Floßbach-Raunerbachkamm 
Eisenbach-Floßbachkamm  . 
Leibitsch-Schönbachkamm 
Zwota-Leibit8chkamm   .    << 

Wendelstein-Knhbergriicken 
Frohnb ergrücken  .... 

Mittelvogtländischer  Rücken 
Eichbergrücken     .... 
Reusaer  Rücken   .... 


Kapellenbergkamm  .  . 
Raunerbach-Elsterkamm 
Hainbergkamm     .    .    . 


Sächs.-böhm.-bayr.  Grenzrücken 
Seh  wefinitz-  Regnitzrücken 
Triebelbach-Elsterrücken  . 
Triebelbach-Feilebachrücken 

Reiiiischer  Grenzrücken    . 
Feilebach-  Kern  nitzbach  rücken 
Schwander  Rücken   .    .     . 


Tannaer  Rücken    .... 
Wetterau-Wiesenthalrticken 

Elster-  Weidarücken   . 
Syra-Rosenbachrücken  .     . 


Summen    der    Richtungslängen 
Hauptkämme    .... 

Summen  der  Richtungslängen 
Kämme 


der 


aller 


4 
16 

13 


14 

7 

9 
5 

15 
5 

6 


5 

8 

36 


92 
175 


16 
12 

11 

7 

22 
11 

20 


29 

11 

10 

12 

101 
193 


16 
5 


2 

7 

4 


25 
37 


14 
14 


11 


8 
15 


52=270km 
80=485  km 


denen  aller  Kämme  (Haupt-  und  Nebenkämme)  geschieden.  Zeigt  das 
Ergebnis  auch  nicht  genau  dieselben  Verhältnisse  der  vier  Zahlen  zu 
einander,  so  ist  doch  daraus  zu  ersehen,  daß  die  vorherrschende  Rich- 
tung der  Kämme  die  von  NW  nach  SO  ist.  Nächst  dieser,  ja  ihr  an 
Länge  der  Erstreckung  nur  wenig  nachstehend,  tritt  die  Richtung  von 
N  nach  S  auf,  während  die  Richtung  von  SW  nach  NO  der  Kilometer- 
zahl nach  nur  halb  so  stark  vertreten  ist,  die  Richtung  von  W 
nach  0  aber  selbst  gegen  die  letztere  noch  bedeutend  zurücktritt. 

Entsprechend  den  hydrographischen  Verhältnissen,  die  zwei  deut- 
lich erkennbare  Hauptquellgebiete  aufweisen,  den  Schönecker  Wald 
und  die  Gegend  von  Mißlareuth-Tanna,  zeigt  auch  die  Anordnung  der 
Kämme  zwei  Zentren,  die  mit  den  beiden  Hauptquellgebieten  zusammen- 
fallen. 

Um  die  Höhenverhältnisse  des  Gebietes  „durch  einige  leicht  über- 
schaubare Zahlen  zu  kennzeichnen  und  damit  der  Vergleichung  der 
Forschungen  zur  deutschen  Landes-  und  Volkskunde«    XII.    8.  10 


146 


Albert  Wohlrab, 


[50 


Einzelgebilde  und  ihrer  Teile  untereinander  größeren  Vorschub  zu 
leisten,  als  es  durch  eine  Beschreibung  geschehen  kann"1),  stellt 
Tabelle   III    die    Durchschnittswerte2)    der    besprochenen    Höhen- 


Tabelle  III. 


& 

19 

•9  N 


Bezeichnung  des  Kammes  (Rückens) 


S 


n.ra  z  a) 
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c8< 


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S 


2 


03   © 


1. 

la. 

Ib. 

lc. 

Id. 

2. 

2a. 

3. 

3a. 

3b. 


4. 

4a. 

4b. 

5. 

5a. 

5b. 

5c. 


6. 

6a. 

6b. 

7. 
7a. 

8. 


Erzgebirgiscber  Grenzkamm  .     .     . 

Floßbach-Raunerbachkamm    .     . 

Eisenbach-Floßbachkamm  .     .     . 

Leibitsch* Schönbachkamm  .     .    . 

Zwota-Leibitschkamm  .... 
Wendelstein-Kuhbergrücken  .     .     . 

Frohnbergrücken 

Mittelvogtländischer  Rücken .     .     . 

Eichbergrücken 

Reusaer  Rücken 

o-a-  ™:  lÄ^benkamn!e 

Kapellenbergkamm 

Raunerbach-Elsterkamm     .     .     . 

Hainbergkamm 

Sächs.-böhm.-bayr.  Grenzrücken 

Schwefinitz-Regnitzrücken  .     .     . 

Triebelbach-Elsterrücken    .     .     . 

Triebelbach-Feilebachrücken  .     . 

Südl.  Teil:  SauPLU'  Nebenkämme 
Hauptkämme  .... 

Reußischer  Grenzrücken    .... 

Feilebach-Kemnitzbachrücken 

Schwander  Rücken 

Tannaer  Rücken 

Wetterau-Wiesenthalrücken  .  . 
Elster- Weidarücken 

Syra-Rosenbachrücken    .... 

Westl.Teil:gauPLu-  Nebenkämme 
Hauptkämme  .... 

Das  ganze  (Haupt-  u.  Nebenkämme 
Gebiet     VHauptkämme .... 


km 
30 
12 
14 
15 
23 
35 
14 
29 
14 
7 

193 
94 

20 
9 
5 

39 

22 

15 

9 

119 
59 

55 
8 
11 
22 
26 
40 
12 

174 
117 

486 
270 


m 

735  (10) 
611  (5) 
619  (4) 

641  (7) 
660  (10) 
556  (13) 
572  (4) 

572  (11) 
466  (6) 
450  (4) 

594 
617 

711  (12) 
649  (2) 
757  (1) 

642  (13) 
608  (12) 
531  (10) 
552  (5) 

632 
665 

567  (16) 

573  (4) 
541  (6) 
608  (10) 
541  (10) 
441  (9) 
491  (6) 

533 
533 

581 
591 


677  (10) 
575  (3) 
574  (2) 
589  (5) 
604  (6) 
509  (12) 
523  (3) 
520  (10) 
422  (5) 
418  (4) 

555 
565 

677  (11) 
596  (2) 
705  (1) 
610  (11) 
584  (9) 
494  (9) 
518  (3) 

598 
632 

530  (17) 
485  (2) 
513  (5) 
581  (6) 
522  (6) 
418  (10) 
467  (5) 

502 
503 

547 
553 


m 
58 
37 
45 
52 
56 
47 
49 
52 
44 
32 

39 
52 

35 
54 
52 
32 
24 
37 
35 

34 
33 

37 
88 
28 
27 
19 
23 
23 

81 
30 

34 
38 


m 
706 
593 
597 
615 
632 
533 
547 
546 
444 
434 

575 
591 

694 
622 
731 
626 
596 
513 
535 

615 
649 

549 
529 
527 
595 
532 
430 
479 

518 

518 

564 
572 


*)  H.  Wagner,  Lehrbuch  der  Geographie,  6.  Aufl.,  1896,  S.  372. 

2)  Bei  der  Berechnung  derselben  wurde  nach  dem  Beispiele  v.  Sonklars 
(Allgemeine  Urographie,  1873,  S.  177)  verfahren,  indem  die  mittleren  Höhenwerte 
der  Einzelkämme  mit  ihren  Kammlängen  multipliziert  und  die  Summe  der  Produkte 
jedes  Teiles  und  schließlich  des  ganzen  Gebietes  durch  die  Summe  der  jeweiligen 
Kammlängen  dividiert  wurden. 


51] 


Das  Vogtland  als  orographisches  Individuum. 


147 


rücken  zusammen,  giebt  ferner  die  aus  denselben  berechneten  Werte 
für  die  drei  Teile  des  Gebietes  und  endlich  für  das  ganze  Gebiet  selbst, 
wobei,  wie  in  Tabelle  II,  die  aus  den  Werten  der  Hauptkämme  be- 
rechneten Durchschnittswerte  noch  besonders  angegeben  sind. 

Geben  die  so  gefundenen  Mittelwerte  schon  hinreichendes  Material, 
um  die  Höhen  Verhältnisse  der  drei  Teile  des  Gebietes  miteinander  und 
die  des  gesamten  Gebietes  mit  denen  benachbarter  zu  vergleichen,  so 
erübrigt  es  noch,  eine  Zahl  hinzuzufügen,  welche  die  mittlere  Höhe 
der  ganzen  Gebirgsmasse  in  sich  zusammenfaßt,  die  mittlere  See- 
höhe. Diese  wurde  gefunden,  indem  die  Flächeninhalte  der  Höhen- 
schichten der  drei  Teile  auf  den  oben  (siehe  S.  103  [7],  Anm.  6) 
bezeichneten  Karten  in  Abständen  von  100  zu  100  m  mittels  eines 
Amslerschen  Planimeters  ausgemessen  l)  und  daraus  die  Volumina  der 
drei   Gebietsteile    und    des    ganzen   Gebietes    berechnet    wurden.     Der 

V 
Quotient  -~-  (V  =  Volumen,  G  =  Grundfläche)  ergab  dann  die  mittlere 

Seehöhe  des  Gebietes  und  seiner  drei  Teile.  Die  Flächeninhalte  der 
Höhenschichten  giebt  Tabelle  IV ,  die  Berechnung  der  Volumina 
Tabelle  V. 

Tabelle  IV. 
Flächeninhalte  der  Höhenschichten  in  qkm. 


Höhenschicht    200-300 


300-400 


400-500 


500-600 


600-700  700-800 


800-900 


Summe 


Oestl.  Teil  . 
Südl.  Teil  . 
Westl.  Teil. 

Vogtland  .  . 


3,24 

28,19 
31,43 


66,88 

3,73 

327,82 

398,43 


245,92 

71,88 
520,27 

838,07 


255,06 
321,99 
291,15 

868,20 


125,79 

130,32 

19,16 

275,27 


63,77 
7,66 

71,41 


0,35 


0,35 


761,01 

535,58 

1186,53 

2483,12 


Eine  Zusammenstellung  aller  berechneten  Mittelwerte  des  Vogt- 
landes und  seiner  drei  Teile  giebt  Tabelle  VI. 

Nach  derselben  weist  der  südliche  Teil  die  größten  mittleren 
Höhenwerte  auf.  Seine  mittlere  Schartung  jedoch  ist  geringer  als  die 
des  östlichen  Teiles.  Der  östliche  Teil  hat  zwar  im  Ursprungberg 
(818,9  m)  die  höchste  Erhebung  des  ganzen  Gebietes,  und  der  erz- 
gebirgische  Grenzkamm  zeigt  unter  allen  Hauptkämmen  die  größte 
mittlere  Kammhöhe  (vgl.  Tabelle  III;  die  größte  mittlere  Kammhöhe 
überhaupt  hat  der  nur  5  km  lange  Hainbergkamm,  der  aber  dem 
sechsmal    so    langen    Hauptkamm    gegenüber    gar    nicht    in    Betracht 

0  Die  Flächeninhalte  der  zwischen  zwei  Isohypsen  (100 :  100  m)  gelegenen 
Höhenschichten  wurden  mittels  des  Amslerschen  Polarplan imeters  Nr.  576  von 
A.  Ott  in  Kempten  gemessen.  Einer  Anregung  Hammers  in  Behms  Geogr. 
Jahrbuch  (1894,  S.  85)  folgend,  wurde  der  für  ein  Kartenblatt  gefundene  Flächen- 
inhalt verglichen  mit  dem  entsprechenden  Teile  des  Inhaltes  eines  Gradtrapezes 
(Geogr.  Jahrb.  1890)  und  der  gefundenen  Differenz  entsprechend  korrigiert.  Ein 
anderer  Modus  der  Kontrole  bestand  in  der  planimetrischen  Bestimmung  des  In- 
haltes einer  gewissen  Anzahl  von  Quadraten  eines  Millimeterpapiers. 


148 


Albert  Wohlrab, 

Tabelle  V. 
Volum  berech  nung1). 


[52 


s 


Oestlicher  Teil 


Südlicher  Teil 


Westlicher  Teil 


i! 


< 


© 

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II 


CD 

O 

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B 


0 
0) 

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l 


.«ig 


S 

9 


CO 


200-300 

300-400 

400-500K), 

500-600 

600-700 

700-80Ö 

800-90Q 


km 

0,2787 
0,35 
i,45 
0,55 
0,65 
0,75 
0,8095 


qkm 

3,24 

66,88 

245,92 

255,06 

125,79 

63,77 

0,35 


cbkm  ||  km 
0,9030'|    — 
23,664flp,3819 
110,6640J0,45 


140,2830| 


0,55 


81,76350,65 


47,8275 
0,2833 


0,7296 


qkm 

3,73 

71,88 

321,99 

130,32 

7,66 


cbkm  |;  km 
—      0,2771 
1,4244J0,35 


32,34601 
177,0945 


0,45 
0,55 


84,7080  0,6255 

5,5887    — 


qkm 

28,19 
327,82 
520,27 
291,65 

19,16 


cbkm 

7,8114, 

114,7370 

234,1215 

160,1325 

12,0037 


cbkm 

8,7144 

139,5694 

377,1814 

477,5100 

178,4752 

53,4162 

0,2 


~     II    -   1761,01 


405,1323'    — 


535,581301,1616! 


1186,53|528,8061l|1235,1000 


(des  östlichen  Teiles  =  405,1323 :    761,01  =  0,532 km  =  532  m 

,    südlichen      ,  =  301,1616 :    535,58  =  0,562  „    =  562  , 

,    westlichen    ,  =  528,8061:1186,58  =  0,446,    =446, 

des  Vogtlandes  .-   .  =  1235,1000  :  2483,12  =  0,494  ,    =  494  m 

Tabelle  VI2). 


Summe 

aller 
Kamm- 
längen 

Mittlere 
Gipfel- 
höhe 

Mittlere 
Sattel- 
höhe 

Mittlere 
Schaltung 

Mittlere 
Kamm- 
höhe 

Mittlere 
Seehöhe 

Oestlicher  Teil    .  . 
Südlicher  Teil .  .  . 
Westlicher  Teil  .  . 

Vogtland 

km 
193  (94) 
.119(59) 
174  (117) 

486  (270) 

m 
594(617) 
632  (665) 
533 (533) 

581  (591) 

m 

555  (565) 
598  (632) 
502  (503) 

547  (553) 

m 
39  (52) 
34  (33) 
31  (30) 

34  (38) 

m 
575  (591) 
615  (649) 
518  (518) 

564  (572) 

m 
532 

562 
446 

494 

kommt);  allein  da  dieser  Gebietsteil  nach  Norden  und  Nordwesten  zu 
sich  ganz  bedeutend  senkt,  so  ergab  sich  für  ihn  eine  40  m  niedrigere 
Kammhöhe,  dagegen  eine  wenn  auch  nur  wenig  größere  Schartung. 
Die  geringste  Schartung  weist  der  westliche  Teil  auf,  der  überhaupt 
die  niedrigsten  Durchschnittswerte  zeigt.  Ueber  die  Hochfläche  er- 
heben sich  nur  flache  Buckel.  Erst  am  Rande  des  Plateaus,  wo  die 
Thäler  der  Elster  und  der  Saale  sich  einschneiden,  finden  sich  auf- 
fallende Höhenunterschiede.  Zahlenmäßig  darstellen  läßt  sich  dieser 
Höhenunterschied  durch  einen  Vergleich  der  Werte  des  Gebietsteiles 
mit  denen  der  ihm  angehörigen  Thäler,  besonders  mit  den  Höhen  der 
Thalenden. 


r)  Ueber   das   Verfahren   vgl.   Neumann,    Orometrie   des    Schwarzwaldes, 
S.  40.  —  Burgkhardt,  Das  Erzgebirge,  S.  82.  83. 

s)  Die  in  Klammer  ( )  beigefügten  Zahlen  sind  die  Werte  der  Hauptkämme. 


53] 


Das  Vogtland  als  omographisches  Individuum. 


149 


unsere  Zusammenstellung  der  Durchschnittswerte  des  Vogtlandes 
wird  nur  dann  ihren  Zweck  ganz  erfüllen,  wenn  wir  die  gefundenen 
Mittelwerte  noch  in  Vergleich  bringen  mit  denen  benachbarter 
Gebiete.  Dies  geschieht  in  Tabelle  VII,  wo  die  in  Tabelle  VI  für 
das  Vogtland  berechneten  Werte  verglichen  werden  mit  denen  des 
Thüringerwaldes,  des  Erzgebirges  und  des  Fichtelgebirges.  Freilich 
wird  die  Vergleichbarkeit  der  Zahlen  sehr  beeinträchtigt  durch  die 
verschiedenen  Methoden  ihrer  Ermittelung. 


Tabelle  VII. 


Mittelwert 

■ 
Thüringer- 
wald1) 

Fichtel- 
gebirge2) 

Vogtland 

Erzgebirge8) 

Mittlere  Gipfelhöhe   .... 
Sattelhöhe   .... 

„        Schaltung 

„        Eammhöhe  .... 
„        Seehöhe 

765,66 
725,6 
51,03 
740,63 
531,75 

866 

810 
678 

581 
547 
34 
564 
494 

877,77 
810,81 
66,86 
844,24 
565,17 

Die  Tabelle  zeigt  das  Vogtland  als  ein  Gebiet ,  das  auffallend 
geringere  Mittelwerte  hat  als  seine  Nachbargebiete;  sie  zeigt  das  Vogt- 
land als  die  öebirgslücke  zwischen  dem  Thüringerwald  und  dem  Erz- 
gebirge und  als  das  niedere  Vorland  des  Fichtelgebirges. 


l)   Stange,  Orometrie  des  Thüringerwaldes.    Halle  1885,  S.  11.  44. 

»)  Gümbel,  Fichtelgebirge,  S.  22. 

8)  Burgkhardt,  Erzgebirge,  S.  21.  83. 


III.  Teil. 

Der  landschaftliche  Charakter  des  Yogtlandes. 
1.  Das  Schiefer-Diabasgebiet. 

A.  Das  Höhenbild. 

Schon  aus  den  orometrischen  Werten  des  Vogtlandes  geht  sein 
Charakter  als  Hochfläche  hervor;  beträgt  doch  der  Unterschied  zwischen 
seiner  mittleren  Seehöhe  und  seiner  mittleren  Kammhöhe  nur  80  m, 
während  er  beim  Erzgebirge  280  m,  beim  Thüringerwald  208  m  aus- 
macht (vgl.  Tabelle  VII).  Diese  orographischen  Verhältnisse  sind  be- 
gründet in  den  geologischen.  Die  Darstellung  der  letzteren  zeigte, 
daß  das  Vogtland  zu  den  (in  geologischem  Sinne)  älteren  Gebieten 
gehört,  deren  Gebirgsfalten  durch  langandauernde  Verwitterung,  Ero- 
sion und  Denudation  abgetragen  wurden.  „Setzt  sich  diese  Ab- 
tragung durch  lange  Perioden  fort,  so  verfallen  die  Gebirge  dem 
Schicksale  der  Vernichtung  und  Nivellierung.  Sie  werden  zu  flach- 
welligen Plateaus  und  Hügelländern,  zu  Rumpfgebirgen,  welche  nur 
noch  durch  ihre  komplizierte  innere  Tektonik  auf  ihre  einstige 
Natur  als  hohe  Faltengebirge  hinweisen1)."  »Es  entspricht  der  Art 
der  Entstehung  und  späteren  Durchfurchung  der  Rumpfgebirge,  daß  ab- 
geflachte und  sanft  gewölbte  Formen  in  ihnen  vorwalten.  Es  fehlen 
schroffe  Gipfel:  die  Kämme  bieten  einfache  Profillinien,  da  die  Höhen 
von  Gipfeln  und  Pässen  wenig  von  einander  abweichen2)/  RatzeP) 
faßt  das  Wesentliche  derartiger  Landschaften,  wie  sie  fast  alle  deut- 
schen Mittelgebirge  aufweisen,  zusammen  in  den  Satz:  „Die  deutschen 
Mittelgebirge  sind  charakterisiert  durch  eine  Gleichmäßigkeit  der  Er- 
hebung, die  weniger  spitze  Gipfel  und  scharfe  Kämme  als  flache  Kuppen 
und  breite  Rücken  schafft."  Aus  diesen  allgemeinen  Erörterungen  läßt 
sich  schon  ermessen,  welchen  Charakter  die  Landschaft  des  Vogtlandes 
aufweist. 

Einigermaßen  läßt  sich  derselbe  schon  erkennen,  wenn  man  mit 
der  Eisenbahn  von  Hof  nach  Reichenbach   fährt.     Gewährt  doch  eine 


*)   Credner,  Lehrb.  d.  Geologie,  S.  176. 

2)   v.  Richthofen,  Führer  f.  Forschungsreiaende,  S.  671. 

8)  Ratzel,  Die  deutsche  Landschaft.  Deutsche  Rundschau,  1896,  III,  S.  355. 


551  Albert  Wohlrab,  Das  Vogtland  als  orographisches  Individuum.  151 

solche  Fahrt  nicht  bloß  Fernblicke  über  die  Hochfläche  hinweg, 
sondern  von  den  Thalüberbrückungen  aus  auch  Einblicke  in  die  Thal- 
landschaften. Auf  dem  größten  Teile  der  Strecke  ist  freilich  die  Hoch- 
fläche arm  an  Abwechslung,  und  der  Zug  saust  mit  derselben  Ge- 
schwindigkeit auf  derselben  dahin  wie  in  der  Leipziger  Ebene.  Das 
landschaftliche  Bild  ist  im  allgemeinen  ein  einförmiges.  Besteigen  wir 
nahe  der  Station  Gutenfürst  den  Eandelstein  oder  nahe  der  Station 
Reuth  die  Stelzenhöhe,  die  beide  gleich  hoch  und  beide  Triangulations- 
Stationen  sind,  beide  dem  langgestreckten  und  breiten  Höhenzug  an- 
gehören, den  wir  als  den  reu&ischen  Grenzrücken1)  bezeichnen,  und 
die  beide  umfängliche  Rundsichten  bieten,  so  schweift  unser  Blick  un- 
gehindert nach  allen  Himmelsrichtungen  hin  über  flache  Mulden  und 
sanfte  Erhebungen.  Bis  nach  Hof  hinein,  wo  der  Turm  auf  dem 
Labyrinthenberg  einen  guten  Orientierungspunkt  abgiebt,  dehnt  sich 
die  Hochfläche  aus.  Eine  Bodenwelle  erhebt  sich  hinter  der  anderen 
mit  derselben  Gleichförmigkeit  wie  die  vorhergehende,  nirgends  bietet 
sich  dem  Auge  ein  auffallender  Ruhepunkt,  nirgends  eine  die  Land- 
schaft beherrschende  Erhebung.  „Es  herrscht  eine  Gleichmäßigkeit, 
die  trotz  des  steten  Wechsels  ermüdet14  2).  Ganz  in  der  Ferne  erst 
wird  das  Rundgemälde  abgeschlossen,  im  S  und  SW  von  den  Berg- 
häuptern des  Fichtelgebirges  und  Franken waldes,  im  Osten  durch  die 
dunkel  bewaldeten  Höhen  des  westlichen  Erzgebirges  und  östlichen 
Vogtlandes,  während  nach  den  anderen  Richtungen  hin  ferner  gelegene 
Bodenwellen  von  geringer  Höhe  den  Blick  begrenzen.  Liebe 3)  schreibt 
von  dem  reußischen  Oberlande,  dessen  größerer,  diesseits  der  Saale  ge- 
legener Teil  dem  in  dieser  Arbeit  als  Vogtland  bezeichneten  Gebiete 
angehört,  es  „macht  von  irgend  einer  der  hervorragendsten  Höhen  aus 
gesehen  den  Eindruck,  als  sei  es  einst  flüssig  gewesen  und  als  seien 
die  Wellen  dieses  Meeres  dann  plötzlich  erstarrt.  Es  scheint,  als  ob 
oben  ein  Südostwind  über  ein  Meer  geweht  und  als  ob  dann  plötzlich 
die  ganze  Wassermasse  mit  ihren  Wellen  versteinert  sei."  Vollständig 
und  allenthalben  trifft  dieses  Bild  freilich  nicht  zu  und  kann  leicht  zu 
der  Annahme  verleiten,  als  ob  die  in  dieser  Hochfläche  auftauchenden 
Höhen  alle  lange,  zusammenhängende  Rücken  bilden. 

Dies  ist  nicht  der  Fall,  sondern  die  stumpfen,  breiten  Rücken 
sind  fast  alle  kurz.  Auf  ihnen  erheben  sich  häufig  Buckel  von  geringer 
Höhe  oder  rundliche  Felskuppen  oder  auch  schroffe,  zackige  Felsrippen. 
Oft  treten  mitten  im  Felde  an  den  Höhen  kleine  Felshöcker  unver- 
mittelt auf  und  machen  sich  durch  ein  wenig  Buschwerk  noch  besonders 
bemerklich.  Die  steileren  Felskuppen,  die  das  nackte  Gestein  zu  Tage 
treten  lassen,  zeigen  unterhalb  ihres  Gipfels  abgewitterte  Blöcke  und 
Schutt.  Diese  Kuppen  sind  oft  in  Reihen  angeordnet,  eine  Folge  der 
oben  besprochenen  Schichtenfaltungen.  Jedoch  ist  die  Reihenbildung 
nicht  die  Regel,  und  eine  fast  wirr  zu  nennende  Anordnung  bewirkt  im 
Verein  mit  den  tief  eingeschnittenen  Thälern,  daß  das  Ganze  den  Ein- 


*)  Siehe  S.  142  [46]  ff. 

2)  Gümbel,  Fichtelgebirge,  S.  14. 

3)  Brückner,  Landeskunde  von  Reufi  j.  L.,  S,  24 


152  Albert  Wohlrab,  '  [56 

druck  des  Unruhigen,  Zerrissenen  macht.  Vor  allem  ist  dies  der  Fall 
im  mittleren  Teile  des  Vogtlandes,  der  umgrenzt  wird  durch  die  Orte 
Jocketa,  Thoßfell,  Theuma,  Görnitz,  Bobenneukirchen,  Kemnitz,  Leub- 
nitz,  Jößnitz.  Zwischen  den  niedrigen  Kuppen  und  flachen  Hügelrücken 
liegen  kleine,  sanft  geschwungene  Hochflächen.  Einen  Ueberblick  über 
dieses  Gebiet  erhalten  wir  auf  der  Höhe  des  Eemmlers  bei  Plauen 
oder  zum  Teil  auch  von  einer  der  Höhen  aus,  die  links  der  Elster 
unterhalb  Oelsnitz  sich  erheben,  oder  auf  dem  neuerdings  gleich  dem 
Kemmler  mit  einem  Turme  gekrönten  Eisenberge  bei  Jocketa,  welcher 
zugleich  die  Thallandschaften  der  unteren  Trieb  und  eines  Teils  der 
Elster  schauen  läßt.  Die  gleichen  Verhältnisse  treffen  wir  an  in  der 
Gegend  zwischen  Schleiz  und  Weida. 

Diese  Buckel,  Küppen,  Felshöcker,  Felsrippen  bauen  sich  auf  entweder 
aus  Quarziten  oder  Kieselschiefer  oder  Diabas  oder  Diabasbreccie,  also 
aus  Gesteinen,  die  der  Verwitterung  länger  widerstehen  als  die  Schiefer,, 
denen  sie  eingelagert  sind.  Die  Mannigfaltigkeit  der  hier  auftretenden 
Schichtenstörungen  trägt  nicht  wenig  zu  ihrer  Bildung  bei. 

An  Erhebungen,  die  aus  Quarziten  und  quarzitischen 
Schiefern  aufgebaut  sind,  ist  besonders  der  Osten  des  Vogtlandes 
reich.  Dies  beweisen  die  verschiedenen  „  Steine a  in  der  Gegend  von 
Schöneck,  der  Friedrichstein,  der  Königstein,  der  Bettelstein,  die  Brand- 
steine, der  Wendelstein  bei  Falkenstein  mit  seinen  Nachbarn,  wie  der 
Behhübel  bei  Grünbach,  der  große  Rinnelstein,  der  kleine  Affenstein 
und  der  Löcherstein,  die  alle  mehr  oder  minder  scharfkantige,  vom 
Wetter  zerfetzte  Felsen  darstellen  und  alle  dem  Quarzitzuge  angehören* 
der  einen  großen  Teil  des  Wendelstein-Kuhbergrückens  aufbaut.  Oest- 
lich  von  Markneukirchen  bilden  jenseits  der  böhmischen  Grenze  Quarzit- 
schiefer  und  Quarzite  den  „zackigen,  ruinenhaft  gestalteten  Kamm"  de» 
Hohen  Stein;  andere,  der  Verwitterung  größeren  Widerstand  entgegen- 
setzende Quarzite  ragen  als  klippenartige  Felsmauern  über  die  leicht 
zerstörbaren,  weichen  Phyllite  empor,  so  am  Glasberge  und  am  Schönauer 
Berge  bei  Graslitz,  oder  erheben  sich  als  buckelartige  Hervorragungen 
über  ihre  Nachbarschaft. 

Eine  ähnliche  Funktion  haben  die  Hornblendegesteine  in  derselben 
Gegend.  „Die  der  unteren  Zone  der  oberen  Phyllitstufe  seh  warmartig 
eingeschalteten  Einlagerungen  von  Hornblendegesteinen  machen  sich 
topographisch  deutlich  bemerkbar,  indem  sie  sich  in  Form  von  Buckeln, 
zinnenartigen  oder  bankförmigen  Felsriffen  über  das  benachbarte  Phyllit- 
terrain  erheben,  wie  dies  am  Goldberge,  am  Grünberge  und  im  Ruh- 
städter  Thale  der  Fall  ist1)/ 

Zeigen  die  Quarzite  nicht  selten  schroffe  Formen,  so  bilden  die 
Kieselschiefer  hingegen  gern  sanfte  Hügel  und  Bücken.  Solche 
treten  zahlreich  auf  in  der  Mitte  des  Vogtlandes,  bei  Kürbitz,  Thier- 
garten,  Thoßfell,  Pohl,  Ruppertsgrün,  im  Westen  bei  Mühltroff,  Tanna, 
Langgrün,  Gottliebsthal,  im  Süden  zwischen  Oelsnitz  und  Hof,  bei 
Haselrain,  Kirch-  und  Neu-Gattendorf,  Nentschau,  Ramoldsreuth. 

Diabas  und  Diabasbreccien  bauen  die  charakteristischen,  abge- 


l)  Erl.  z.  Sekt.  Zwota*,  S.  16. 


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57]  Da*  Vogtland  als  orographisches  Individuum.  153 

rundeten  Kuppen  bei  Plauen  auf,  besonders  diejenigen  zwischen  Plauen 
und  Thiergarten,  die  felsigen  Hügelzüge  zwischen  Meßbach  und  Taltitz, 
zwischen  Geilsdorf  und  Schwand,  die  schöne,  runde  Kuppe  des  Eichelberges 
bei  Ruderitz,  die  Ruderitzberge,  die  Platten,  die  Höhe  des  Kandelsteines, 
den  Burgstein,  die  Höhen  des  sächsisch -bömisch- bayrischen  Grenz- 
rückens zwischen  Wiedersberg  und  Haselrain,  die  Kuppen  bei  Gans- 
grün und  Herlasgrün,  den  Eisenberg  bei  Jocketa,  ebenso  aber  im  Nord- 
westen des  Vogtlandes  viele  von  den  Höhen,  die  sich  von  der  Saale 
unterhalb  Saalburg  an  über  Schleiz  hin  nach  der  Weida  und  an  dieser 
entlang  erheben  (bei  Kirschkau,  Göschitz,  Weckersdorf,  Quingenberg, 
Weißendorf,  Dörtendorf  u.  a.  0.).  Auch  die  cambrischen  Schalsteine 
bei  Untertriebel  und  Oberhermsgrün  heben  sich  infolge  ihrer  größeren 
Widerstandsfähigkeit  gegen  die  Verwitterung  in  Form  kleiner  Hügel 
heraus. 

Oestlich  von  Markneukirchen  bringen  zwei  Basaltvorkommen,  die 
„Kegel*  bei  Erlbach,  neue  Formen  in  das  Landscbaftsbild. 

Im  mittleren  Teile  des  Vogtlandes  überwiegt  im  Landschaftsbilde 
das  Ackerland.  Wald  bedeckt  nur  die  durch  diese  Bedeckung  noch 
deutlicher  hervortretenden  Erhebungen;  zuweilen  tritt  an  die  Stelle  des 
Waldes  nur  ein  kleines,  aus  niedrigem  Gestrüpp  bestehendes  Gehölz. 
So  wechseln  Feld  und  Wald  miteinander  ab,  wenn  auch  das  erstere 
überwiegt.  Zu  dem  Dunkelgrün  des  Waldes  und  dem  Braun  (im  Ge- 
biete des  Diabases)  oder  Grau  (im  Kieselschiefergebiet)  des  Ackerlandes 
gesellt  sich  noch  das  helle  Grün  der  in  den  flachen  Mulden  gelegenen 
Auen,  aus  denen  hier  und  da  ein  oder  mehrere  stille  Weiher  herüber- 
blinken. Einzelne  Büsche  und  Baumgruppen  bringen  ein  weiteres 
Moment  der  Abwechslung  in  das  Bild  der  Landschaft,  über  der  nur 
den  kleineren  Teil  des  Jahres  hindurch  ein  heiterer  Himmel  sich  spannt, 
während  im  größeren  Teile  der  Zeit  Wolken  das  Bild  verdüstern  und 
ihm  einen  ernsten  Charakter  verleihen.  Große  Waldbestände  bilden 
den  fernen  dunklen  Hintergrund  zu  dem  Bilde  und  schließen  dasselbe 
am  Horizonte  ab. 

Verkünden  die  Aecker  das  Walten  des  Landmannes,  des  ersten 
Bezwingers  des  Bodens,  dessen  Wohnorte  sich  in  den  flachen  Mulden 
zwischen  kleinen  Bodenerhebungen  ausbreiten  oder  auch  überragt  von 
einem  einfachen,  weißgetünchten  Kirchlein  von  den  Höhen  selbst  her- 
niederschauen, oder  auch  ihre  Lage  inmitten  einer  Thalweitung  oder 
am  Gehänge  eines  der  engen  Thäler  durch  die  von  dorther  aufsteigen- 
den Rauch  Wölkchen  bekunden,  so  verraten  die  auf  den  Höhen  bin  oder 
über  sie  hinweg  führenden,  deutlich  sich  vom  Horizonte  abhebenden 
Baumreihen  (meist  Vogelbeereschen)  das  Vorhandensein  zahlreicher 
Straßen,  die  charakteristischen  langen  Rauchwolken  der  Lokomotiven 
die  modernen  Verkehrswege  der  Eisenbahn,  sowie  der  über  manchen 
Stellen  des  Landscbaftsbildes  schwebende  rußige  Dunst  als  Wahrzeichen 
der  Industriestätten  die  Richtung,  in  der  wir  gewerbreiche  Orte  zu 
suchen  haben,  deren  hochgelegene  Fabriken  ihre  Schlote  weithin 
schauen  lassen  (Treuen,  Netzschkau,  Reichenbach,  Falkenstein). 

Am  freundlichsten  erscheint  jedenfalls  das  Bild,  wenn  um  die 
Zeit  der  Sommersonnenwende   die  grünen  Saatfelder  wogen,   wenn  im 


154  Albert  Wohlrab,  [58 

Felde  der  rote  Klee,  am  Feldraine  der  gelbe  Besenstrauch  und  am 
Wegesrande  die  wilde  Rose  blüht,  wenn  sich  neben  dem  Kraut-  und 
Kartoffelacker,  der  noch  die  nackte  Erdscholle  sehen  läßt,  ein  dichter, 
farbenreicher  Wiesenteppich  ausbreitet  und  die  Lerche  ihre  Kreise  über 
der  Flur  zieht.  Am  ödesten  ist  der  Eindruck  der  Hochfläche,  wenn 
im  Spätherbst  der  Wind  über  die  Stoppeln  saust.  Zwar  fehlt  es  auch 
dann  nicht  an  Farben;  an  der  Vogelbeeresche  (Sorbus  aucuparia)  glühen 
die  Doldentrauben  der  roten  Früchte,  der  Rosenbusch  zeigt  an  seinen 
Hagebutten  die  gleiche  Farbe,  am  Waldrande  und  auf  der  kahlen 
Kuppe  verblaßt  die  blühende  Heide,  Kartoffelfeuer  senden  ihren  bläu- 
lichen Rauch  empor;  allein  über  dem  allen  schwebt  ein  grauer  Himmel, 
und  den  Wanderer  überkommt  schneller  und  leichter  denn  anderwärts 
und  zu  anderer  Zeit  das  Gefühl  der  Einsamkeit.  Ist  aber  im  Winter 
die  weite  Fläche  bedeckt  mit  einer  dicken  Schneedecke,  über  die  sich 
einzelne  Bäume  in  der  Landschaft  gespensterhaft  erheben  und  zu  der 
der  dunkle  Wald  einen  scharfen  Kontrast  bildet,  dann  überwiegt  der 
Eindruck  der  weichen  Formen,  die  sich  als  Folge  der  ausgleichenden 
Wirkung  des  Schneefalles  einstellen  *). 

B.  Das  Thalbild. 

Wie  es  wohl  im  deutschen  Mittelgebirge  überhaupt  Regel  ist, 
daß  wir  kühne  Landschaftsformen  seltener  auf  den  Höhen  finden  als 
in  den  Thälern,  so  auch  im  Vogtlande.  „In  diesen  Hochebenengebirgen 
bringt  die  Erhebung  immer  nur  Enttäuschung,  statt  neue  Eindrücke 
zu  erschließen.  An  ihrem  Fuß  stehen  wir  staunend  vor  den  kühnen 
Felsenwänden.  Wir  klimmen,  wo  die  Nahe,  die  Lahn,  die  Mosel,  der 
Rhein  sich  ihre  Wege  durchgebrochen  haben,  irgend  einen  verlorenen 
Steig  empor,  der  einmal  ein  Burgweg  war  und  nun  zu  einem  Winzer- 
häuschen führt,  wir  glauben  endlich  von  dem  höchsten  Punkte  eine 
weite  Umschau  zu  gewinnen,  und  was  sehen  wir?  Eine  weite  Fläche 
mit  mageren  Aeckern  und  dünnem  Wald,  eine  Hochebene  mit  Spuren 
rauhen  Klimas,  die  in  jeder  Beziehung  scharf  sich  abhebt  von  dem 
Thale,  welches  in  sie  eingesenkt  ist:  Dieses  geschützt,  mild  und  reich 
in  seinen  steilen  Wänden  ruhend,  der  Sitz  des  blühenden  Lebens  einer 
dichten  Bevölkerung;  jene,  eine  hochgelegene  Ebene,  das  Spiel  aller 
der  von  dort  ausgeschlossenen  Winde,  mit  dünnem  Wald  und  weitem 
Moor  dem  Menschen  eine  rauhe  Heimath  2).a  Was  hier  Ratzel  von 
den  Hochebenen  und  den  in  sie  hineingeschnittenen  Thälern  des  rheini- 
schen Schiefergebirges  schreibt,  trifft  mit  wenigen  Abänderungen  auch 
im  Vogtlande  zu. 

In  den  Thälern  half  das  Wasser  Formen  schaffen,  die  im  Verein 
mit  der  sie  umhüllenden  Pflanzenwelt  und  mit  dem  ruhelosen,  plätschern- 
den  und   schäumenden  Bach   oder  Fluß    „eine   merkwürdig   anmutige 


*)  Vgl.  Ratzel,    Die  Schneedecke.     Forschungen  zur  deutschen  Landes-  u. 
Volkskunde,  Bd.  IV,  2,  1890,  S.  116.  —  Ratzel,  Deutschland,  1898,  S.  179. 
2)  Ratzel,  Die  deutsche  Landschaft,  S.  357. 


59]  Das  Vogtland  als  orographisches  Individuum.  155 

Landschaft,  der  auch  das  Großartige  nicht  fehlt44  *),  zwischen  den  Hoch- 
flächen hervorzaubert.  Im  Schiefer-Diabasgebiet  des  Vogtlandes  sind 
die  Thallandschaften  im  allgemeinen  überall  dieselben.  Die  Bilder,  die 
das  Elsterthal  bietet,  wiederholen  sich  im  kleinen  in  seinen  Neben- 
thälern.  Durchwandern  wir  einmal  den  in  das  Gebiet  des  Vogtlandes 
fallenden  Teil  des  Elsterthaies! 

Oberhalb  der  sächsischen  Grenze  tritt  die  Elster  in  das  Gebiet 
der  alten  Schiefer  ein  und  bildet  bis  Bad  Elster  ein  enges  Wiesenthal, 
das  auf  der  Ostseite  von  waldigen  Höhen  begleitet  wird,  während  auf 
der  Westseite  der  Boden  unter  dem  Pfluge  steht.  In  Bad  Elster  selbst 
erweitert  sich  das  Thal  kesselformig  durch  Aufnahme  eines  von  Westen 
her  sich  öffnenden  kleinen  Seitenthaies.  Die  Breite  des  Thaies  nimmt 
nach  Aufnahme  des  Raunerbaches  noch  zu  und  gewährt  an  der  Mün- 
dung des  Schwarzbaches  Raum  für  die  Stadt  Adorf.  Unterhalb  der- 
selben, .wo  die  Elster  in  das  Gebiet  des  Cambriums  eintritt,  fließt  sie 
in  einer  bis  zu  einem  Kilometer  breiten  Thalaue  in  unzähligen  kleinen 
Windungen,  begleitet  von  einer  Landstraße  und  von  einer  Eisenbahn, 
bis  Oelsnitz  hin.  Hier  erweitert  sich  das  Thal  beträchtlich.  Außer 
•der  Aufnahme  des  Gerberbaches  trägt  zu  dieser  kesselartigen  Er- 
weiterung der  Umstand  bei,  daß  hier  die  Elster  ihre  Richtung  wechselt; 
sie  geht  von  der  nordwestlichen  zu  einer  fast  westlichen  Richtung  über. 
In  der  Thalweitung  und  an  den  sanft  ansteigenden  Anhöhen  breitet 
sich  die  Stadt  Oelsnitz  aus,  deren  zweitürmige  Hauptkirche  nach  beiden 
Richtungen  hin  in  das  Thal  hineinschaut. 

Etwa  drei  Kilometer  unterhalb  Oelsnitz  beginnt  innerhalb  des 
paläozoischen  Schiefergebietes  die  erste  Thalverengung,  eine  liebliche 
landschaftliche  Schönheit.  Bis  an  das  Ufer  der  Elster  heran  treten 
zu  beiden  Seiten  die  Thal  wände,  die  bisher  sich  mehr  oder  minder 
sanft  abdachten.  Die  Höhen  nehmen  kühne  Formen  an,  einzelne  Felsen 
dunklen  Diabasgesteins  treten  schroff  auf  (Ulanensprung  bei  Plansch- 
witz), und  nur  mit  Mühe  konnte  der  Eisenbahn  durch  die  Thalenge 
hindurch  ein  Weg  geschaffen  werden.  Ein  gewöhnlicher  Fahrweg  fehlt 
in  dieser  Enge,  und  nur  ein  schmaler  Pfad  führt  auf  halber  Höhe  der 
Thalwand  dahin  und  bietet  an  den  Lichtungen  und  von  den  vorspringen- 
den, schroff  abfallenden  Felsen  herab  Ausblicke  auf  den  Fluß,  dessen 
Wellen  über  die  Felsblöcke  schäumend  hinwegspringen.  Kein  Wunder, 
daß  ein  Naturfreund  sich  hier  ein  „ stilles  Plätzchen"  erkor,  von  dem 
aus  er  sein  Auge  labte  an  dem  Gemisch  von  hellem  und  dunklem  Grün 
der  Erlenbüsche,  der  hohen  Eichen,  Fichten  und  Tannen,  die  die  gegen- 
überliegenden schroffen  Thalwände  bekleiden.  Von  der  Höhe  herab 
schaut  ein  einsam  gelegenes  Bauerngut,  das  Laneckhaus,  und  am  Fuße 
des  Felsens,  der  es  trägt,  bricht  aus  einer  Schlucht  der  kleine  Meißner- 
bach hervor.  Die  verstreut  umherliegenden  Blöcke  erzählen  von  der 
Arbeit,  die  das  Wasser  Jahrtausende  hindurch  hier  verrichtete,  um  sich 
den  Weg  nach  Norden  zu  bahnen,  da  die  harten  Diabasfelsen  im 
Westen  ihm  den  Weg  vertraten.  Kaum  aber  erweitert  sich  das  Thal 
um  ein  Geringes,   so  nimmt  der  Mensch  Besitz  von  dem  Räume,   den 


*)  Ebenda,  S.  358. 


156  Albert  Wohlrab,  [60 

der  Fluß  nicht  beansprucht,  und  baut  eine  Mühle  hin.  Noch  kaum 
zwei  Kilometer  weiter,  und  die  Thalaue  hat  sich  so  verbreitert,  daß 
zwei  Orte,  Ober-  und  Unterweischlitz,  in  ihr  und  an  den  sanften  Lehnen 
sich  ausbreiten  können.  Dem  aufmerksamen  Beobachter  wird  ein 
Unterschied  zwischen  den  beiden  Thalgehängen  auffallen.  Die  öst- 
lichen Gehänge  erheben  sich  schneller  und  zeigen  in  geringerer  Ent- 
fernung vom  Thalrande  kuppige  Höhen  als  die  westlichen,  die  lang- 
samer und  in  derselben  Entfernung  vom  Ufer  zu  niedrigeren  Erhebungen 
ansteigen  und  den  flächenhaften  Charakter  des  dahinter  liegenden  Ge- 
ländes andeuten.  Das  steilere  östliche  Gehänge  ist  hier  eine  Wirkung 
des  großen  Elsterthalverwerfers.  In  und  an  der  weiten  Thalaue  breiten 
sich  freundliche  Dörfer  aus,  und  da,  wo  sich  von  links  die  Syra,  von 
rechts  der  Milmesbach  in  tief  eingerissenen  Seitenthälern  der  Elster 
zugesellen,  nimmt  die  Stadt  Plauen  Besitz  von  dem  Boden  bis  hinauf 
auf  die  Höhen,  auf  denen  sich  wieder  der  Hochflächencharakter  be- 
merkbar macht.  Unterhalb  Plauen,  vom  Dorfe  Chrieschwitz  an,  wo 
die  Elster  ihre  zuletzt  eingehaltene  Richtung  aufgiebt  und  die  des  dort 
einmündenden  Friesenbaches  einschlägt,  verengt  sich  das  Thal  aufs 
neue,  diesmal  aber  auf  eine  bedeutend  längere  Strecke.  Die  immer 
näher  an  den  Fluß  herantretenden  Wände  weisen  dichte  Laub-  und 
Nadelholzbestände  auf,  und  einzelne  umherliegende  Felsblöcke  bereiten 
allmählich  vor  auf  die  Landschaftsbilder,  die  sich  dem  Wanderer  weiter 
unten  darbieten.  Während  der  Fußweg  immer  auf  dem  linken  Ufer 
verläuft,  führt  die  Eisenbahn  bald  auf  diesem,  bald  auf  dem  anderen 
Ufer.  An  manchen  Stellen  mußte  für  sie  ein  Weg  durch  die  Felsen 
hindurch  gehauen  oder  mittels  steiler  Böschungen  an  ihnen  entlang 
errichtet  werden.  Freistehende  Felsbildungen,  denen  das  Volk  mythische 
Namen  beigelegt  hat,  und  hohe  Felszinnen  ragen  auf  und  scheinen  mit 
ihren  Spitzen  den  Himmel  zu  berühren.  Im  Flusse,  der  uns  begleitet, 
stürzt  das  Wasser  lärmend  über  die  Steinblöcke  hinweg.  An  der  Stelle 
der  größten  Verengung  fällt  von  links  im  Nymphenthale  der  Jößnitz- 
bach  herein.  Schattiges  Laub-  und  Nadelholz  erfüllt  die  enge  Thal- 
spalte, bemooste  Steine  versperren  den  Weg  zu  der  weiter  aufwärts 
gelegenen  Pfaffenmühle.  Unterhalb  dieses  Thälchens  aber  gesellt  sich 
zur  Elster  aus  einer  schluchtartigen  Oeffnung  die  Trieb,  die  eines  der 
schönsten  Flußthäler  unserer  Mittelgebirge  bildet.  Besonders  der 
unterste  Teil  des  Thaies  hat  eine  Fülle  sehenswerter  Formen:  schroff 
aufsteigende  Diabasfelsen,  die  zum  Teil  das  nackte  dunkle  Gestein 
zeigen,  zum  Teil  mit  grauen  Flechten  und  grünen  oder  bräunlichen 
Moosen  überzogen  sind,  zum  Teil  auch  Vorsprünge  aufweisen,  an  denen 
in  einsamer  Höhe  Büschel  von  Gräsern  und  Kräutern  kleben  oder  in 
deren  Felsritzen  Brombeer-,  Himbeer-  oder  wilde  Rosensträucher  haften; 
hochragende  dunkle  Fichten  und  Tannen  mit  langen,  silbergrauen 
Flechtenbärten ;  in  dem  Flusse  aber  riesige  Felsenblöcke,  zwischen 
denen  das  dunkle  Gebirgswasser  ruhelos  sich  hindurchzwängt;  daneben 
der  schmale  Weg,  der  aufwärts  an  saftigen  Wiesen  vorbei  zu  einem 
ehemaligen  Eisenhammer  führt,  oberhalb  dessen  die  Gehänge  zurück- 
treten und  an  deren  einem  bis  zur  Höhe  hinauf  sich  ein  Dorf  anbaut, 
das   freundliche  Pohl,   auf  das  der  mit  einem  steinernen  Aussichsturm 


61]  Das  Vogtland  als  orographisches  Individuum.  157 

gekrönte  Eisenberg  herabschaut.  Auf  dem  anderen  Ufer  der  Elster, 
dem  Eisenberge  gegenüber,  lugt  von  der  Höhe  der  Thalwand,  die  den 
Namen  Friedrich- Auguststein  trägt,  ein  alleinstehendes  Vorwerk  herab 
ins  Thal  der  Elster,  dessen  größte  Enge  überspannt  wird  von  einem 
menschlichen  Kunstwerke,  der  68  m  hohen  Elsterthalbrücke.  Diese 
Brücke  giebt  den  Rahmen  ab  zu  dem  Bilde,  das  die  unterhalb  der- 
selben folgende  kleine  Thalweitung  bietet,  in  der  Bartmühle  liegt.  Von 
der  Höhe  der  östlichen  Thalwand  schaut  weiter  unten  die  Ruine  der 
Burg  Liebau  hernieder  und  bezeugt,  wie  schon  die  alten  Ritter  bei  der 
Anlage  ihrer  Sitze  Sinn  für  landschaftliche  Schönheit  bekundeten,  und 
wie  sie  verstanden,  dabei  im  Einklänge  zu  bleiben  mit  den  strategi- 
schen Rücksichten,  von  denen  sie  ausgingen.  Aber  auch  der  moderne 
Mensch  weiß  noch  Punkte  zu  finden,  wo  sich  selbst  ein  auf  kost- 
spieligem Unterbau  aufgeführter  Sammelpunkt  für  Wanderer  und  Er- 
holungsbedürftige lohnt.  Nicht  gering  ist  denn  auch  der  Fremden- 
verkehr, der  in  der  besseren  Jahreszeit  hierherströmt  und  vor  allem 
dem  unterhalb  Rentzschmühle  gelegenen  Teile  des  Elsterthales ,  dem 
„Steinicht*  seinen  Besuch  abstattet.  Wald  und  Felspartieen  schieben 
sich  hier  untereinander.  Kahle  Felszacken,  steile  Wände,  schroffe  Ge- 
steinsmassen, reichbewaldete  Höhen,  Nadel-  und  Laubholzgruppen  in 
schöner  Abwechslung,  hellgrüne  und  graue  Moos-  und  Flechtenlager 
an  den  meist  aus  dunkelgrüner  Diabasbreccie  bestehenden  Felsen  wie 
an  den  wirr  daliegenden  groben  Blöcken  bieten  sich  dem  Auge  dar. 
Zwischen  all  dieser  oft  unheimlichen  Herrlichkeit  bahnt  sich  der  Fluß 
in  großen  Windungen  den  Weg. 

Das  Thalbild  ist  zu  jeder  Jahreszeit  anmutig.  Im  Herbst  ist  es 
die  Buntheit  der  Farben,  die  erzeugt  wird  durch  das  dunkle  Grün  der 
Nadelbäume,  durch  die  mannigfachen  Schattierungen  des  Braun  im 
Laube,  durch  das  hellere  Grün  der  kleinen  Rasenfleckchen  am  Fluß- 
ufer, durch  das  grünliche,  bläuliche  oder  bräunliche  Schwarz  der  Felsen, 
die  an  manchen  Stellen  einen  silbergrauen  Ueberzug  von  Flechten  er- 
halten haben,  und  dazu  die  spiegelnde  Fläche  des  Flusses,  dessen  weißer 
Schaum  über  die  mit  grünen  Algen  bedeckten  Steine  sich  ergießt.  Im 
Winter  ist  die  Pracht  eine  ganz  andere.  Wenn  der  Schnee  alles,  Weg 
und  Flußufer,  Baum  und  Fels  mit  seinen  Kryställchen  überzuckert  hat, 
dann  fehlen  an  den  Gegenständen  der  Landschaft  die  bunten  Farben, 
und  nur  Weiß  und  Schwarz  heben  sich  voneinander  ab.  Dafür  aber 
bricht  sich  das  Licht  der  Sonne  in  den  Milliarden  kleiner  Eisnädelchen, 
die  über  die  Oberfläche  der  Schneedecke  hervorragen,  und  in  den  un- 
zähligen kleinen  Tröpfchen,  die  an  den  Spitzen  der  Aeste  aus  dem 
schmelzenden  Schnee  entstehen. 

Am  unteren  Ausgange  des  Steinicht  liegt  auf  einem  niedrigen 
Höhenrücken,  der  eine  große  Thalschlinge  der  Elster  veranlaßt  und 
dessen  schroff  zur  Elster  abfallender  nordöstlicher  Rand  die  Ruine 
Lobdaburg  trägt,  das  freundliche  Städtchen  Elsterberg,  dessen  Um- 
gebung wiederum  die  schon  erwähnte  Beobachtung  machen  läßt,  daß 
das  rechte  Ufer  des  Thaies  bedeutend  steilere  Gehänge  aufweist  als 
das  linke.  Die  Rothenthaler  Enge  versperrt  aufs  neue  der  Eisenbahn 
den  Weg;    durch    einen  Tunnel  nähert  sie   sich  dem  lieblichen  Greiz. 


158  Albert  Wohlrab,  [62 

Aus  engem,  schluchtähnlichen  Thale,  an  dessen  durch  Hochwald  etwas 
verdecktem  Ausgange  sich  jäh  aufsteigende  Felsen  postieren,  tritt  die 
Göltzsch  heraus  und  begrüßt  gemeinsam  mit  der  älteren  Schwester  die 
Stadt,  die  in  einem  durch  die  Thalausgänge  des  Aubachs  und  der 
Quirle  noch  verbreiterten,  reizenden  Thalkessel  liegt,  beherrscht  von 
seinem  inmitten  des  Kessels  auf  isoliertem  Felskegel  erbauten  Schlosse. 
Das  Bild  ist  eines  der  schönsten  im  Vogtlande.  Steil  fallen  die  Wände 
des  etwas  in  die  Länge  gezogenen  Schloßbergkegels  ab,  sanfter  böschen 
sich  die  Gehänge,  die  den  Kessel  einschließen.  Unterhalb  Greiz  aber 
beginnt  aufs  neue  der  Kampf  des  Flüssigen  mit  dem  Festen,  eine  Thal- 
enge, die  an  Kühnheit  der  Formen  und  an  Ausdehnung  jene  beiden 
geschilderten  noch  übertrifft.  Dann  aber  hat  die  Elster  ihre  größte 
Arbeit  gethan.  Sie  verläßt,  nachdem  sie  noch  ein  schmales  Band  von 
Zechstein  durchschnitten  hat,  das  paläozoische  Gebiet  und  tritt  in  das 
des  Buntsandsteins. 

Vorher  nimmt  sie  noch  ihren  wichtigsten  Nebenfluß  von  links 
auf,  die  Weida,  die  im  ganzen,  sowohl  in  Bezug  auf  Richtung,  als 
auch  auf  Thalbildung  ein  verkleinertes  Ebenbild  der  Elster  ist.  Der 
Hauptunterschied  beider  besteht  in  den  flachen  Muldenbildungen,  die 
das  Weidathal  in  seinem  oberen  Teile  mit  den  anderen  Thälern  des 
paläozoischen  Schiefergebietes  gemein  hat,  die  aber  der  Elster  fehlen, 
da  sie  im  archäischen  Gebiete  entspringt.  Die  Weida  gräbt  sich  von 
Weckersdorf  an  in  den  nordwestlichen  Flügel  der  ostthüringischen 
Hauptaufwölbung  ein.  Dieser  aber  ist  infolge  Häufung  kleinerer  Falten 
von  erzgebirgischer  Richtung  und  infolge  der  Durchkreuzung  dieser 
durch  Falten  von  frankenwäldischer  Richtung,  sowie  infolge  der  hier- 
durch sich  ergebenden  Bruchlinien  ebenso  zerrissen  und  zerbrochen  wie 
die  Mitte  des  Vogtlandes.  „Zwar  nicht  weitgreifend,  aber  um  so  inten- 
siver ist  der  Einfluß,  den  bei  der  Faltung  die  außerordentlich  zahlreich 
eingestreuten  Diabas-  und  Breccienlager  ausübten,  da  sie  bei  dem  mehr 
oder  weniger  horizontal-seitlich  wirkenden  Druck  einen  viel  kräftigeren 
Widerstand  zu  leisten  vermochten  als  die  weichen  Schiefer,  deren  Lager 
in  der  Nähe  der  Diabasstöcke  daher  gewöhnlich  stark  verquetscht  und 
zerrissen  sind.  Unter  solchen  Umständen  ist  es  nicht  zu  verwundern, 
daß  die  Oberflächengestaltung  des  Landes  eine  gewisse  Mannigfaltig- 
keit zeigt1)." 

Es  würde  ermüden,  wenn  die  anderen  Thäler  des  paläozoischen 
Schiefergebietes  des  Vogtlandes  mit  gleicher  Ausführlichkeit  geschildert 
werden  würden;  es  würde  dies  auf  eine  stete  Wiederholung  des  schon 
Gesagten  hinauslaufen.  Wohl  aber  möchten  wir  noch  einige  Worte 
über  das  Saalethal  hinzufügen. 

In  der  Gegend  von  Hof  hat  es  große  Aehnlichkeit  mit  dem  Elster- 
thale  oberhalb  Plauen  und  oberhalb  Oelsnitz.  Weiter  unten,  bei  Joditz 
und  an  der  Tannbachmündung  treten  hohe,  wilde,  aus  cambrischem 
Quarzit  gebildete  Felsgruppen  auf.  Fast  cafionartig  schneidet  sich  das 
vielfach  gewundene  Thal  ein.    Zimmermann 2)  entwirft  von  dem  Saale- 


*)   Erl.  z.  Sekt.  Zeulenroda,  S.  2. 
2)   Erl.  z.  Sekt.  Liebengrün,  S.  4  ff. 


631  Das  Vogtland  als  orographisches  Individuum.  159 

thale  des  Kulmgebietes  folgende  anschauliche  Schilderung:  „man  sieht 
diese  Einschnitte  in  der  Regel  erst  dann,  wenn  man  nahe  der  Berg- 
kante selbst  steht,  die  fast  stets  sehr  deutlich  ist.  Vorher  drang  der 
Blick  hinüber,  ohne  ihrer  gewahr  zu  werden;  man  erblickte  die  jen- 
seitigen Höhen  ganz  in  der  Nähe,  und  nichts  ließ  vermuten,  daß  ein 
200—400,  ja  bis  600  Fuß  tiefes  Thal  mit  mächtigen  Steilgehängen 
des  Wanderers  Schritt  schwere  Hindernisse  entgegenstellen  würde. — Ein 
Bild  von  überraschender  Schönheit  und  Großartigkeit  ist  es  denn  aber 
auch,  wenn  man  an  schönen  Sommermorgen  nach  der  Wanderung  über 
die  öde  Hochfläche  plötzlich  einen  Einblick  gewinnt  flußauf-  und  ab- 
wärts in  das  vielgeschlungene  Saalthal  mit  seinen  Seitenschluchten,  in 
dessen  Tiefe  die  wogenden  Nebel  im  Sonnenglanz  erstrahlen,  während 
die  oberen  Thalwände  mit  prächtigem  Waldstand  daraus  wie  die  Küsten 
eines  Meeres  emporragen.  Zwischen  den  Saalschlingen  und  den  kleineren 
Seitenthälern  in  der  Nähe  unseres  Standorts  sehen  wir  wie  Coulissen 
die  Bergrücken  sich  von  rechts  und  links  ineinander  schieben,  und  je 
näher  dem  Flusse  um  so  schärfer  zergliedert  sich  und  löst  sich  die 
ganze  Plateaumasse  in  einzelne  steiler  gewölbte  und  steiler  abfallende 
Rücken  auf  und  deutlicher  tritt  der  Charakter  der  Berglandschaft  her- 
vor. .  .  .  Wir  sind  endlich  ganz  unten  im  Thale  angekommen:  es  ist 
schluchtartig  eng,  oft  hat  kaum  das  Flußbett  Raum.  Felsen  treten 
hier  und  dort  in  dasselbe  vor  und  versperren  den  Weg,  und  gefährlich 
ist  es,  solche  Stellen  zu  erklettern.  Auch  das  Flußthal  selbst  ist  mit- 
unter von  den  anstehenden  Schichtenköpfen  gebildet,  welche  Strom- 
schnellen erzeugen.  Neben  dem  Fluß  zieht  sich  noch  ein  schmaler 
Wiesenstreifen  hin,  oder  auf  einer  etwas  höheren,  aber  auch  nur 
schmalen  Uferterrasse  hat  man  Feldbau  versucht.  Hier  ist  es  fast  allein 
und  in  ein  paar  Mühlen  —  meist  ehemaligen  Eisenhämmern  —  wo 
sich  dauernd  Menschen  in  diesen  engen  Thälern  niedergelassen  haben, 
und  nur  weithin  schallende  Axthiebe  verkünden  außerdem  noch  am 
häufigsten  ihre  Anwesenheit;  sonst  sieht  man  in  dem  wildarmen  Wald 
selten  einen  Jäger,  etwas  häufiger  auf  der  Saale  Flößer  und  Fischer. 
Auch  muntere  Lieder  der  Singvögel  hört  man  selten,  nur  das  Hämmern 
der  Spechte  oder  das  Gekreisch  von  Raubvögeln  belebt  zuweilen  die 
Luft.  Ueber  die  hohen  Thalwände  kommt  an  vielen  Stellen  die  Sonne 
nur  eine  kurze  Zeit  des  Tages  oder  gar  des  Jahres,  und  den  Schatten 
der  Berge  verdüstert  noch  das  Dunkel  des  Nadelholzes  und  vermehrt 
mit  dem  schwer  weichenden  Nebel  die  Kühle,  ja  Kälte  der  Luft,  die 
allerdings  manchmal  an  steinigen,  der  unmittelbaren  Mittagssonne  zu- 
gänglichen Wänden  erhitzt  werden  und  selbst  wilden  Epheu  dort  zum 
Blühen  bringen  kann.  Im  allgemeinen  also  verbinden  sich  doch  mit 
der  erhabenen  Schönheit  und  Großartigkeit  des  landschaftlichen  Charakters 
des  Saalthaies  leblose  Ruhe,  kühler  und  düsterer  Ernst  und  beeinträch- 
tigen, wenn  auch  nicht  sehr,  den  Genuß  an  dem  sonst  sehr  dem  Be- 
suche zu  empfehlenden  Thale." 


.  160  Albert  Wohlrab,  [64 

2.  Der  landschaftliche  Charakter  des  Granitgebietes. 

A.  Das  Lauterbach-Bergener  Granitgebiet. 

Eine  sowohl  dem  Höhenbild  wie  dem  Thalbilde  nach  ganz  andere 
Landschaft  bietet  das  dem  Vogtlande  im  Osten  eingelagerte  Granit- 
massiv  von  Bergen  und  Lauterbach,  das  wie  ein  vom  Kirchberg-Eiben- 
stocker  Massiv  ausgestellter  Vorposten  im  Schiefergebiete  steht.  „Aehn- 
lich  wie  dies  bei  dem  Eirchberger  Granitmassiv  der  Fall  ist,  markiert 
sich  auch  der  Bergener  Granit  infolge  tiefgreifender  Verwitterung  gegen 
das  umgebende  Schiefeigebirge  topographisch  in  Gestalt  einer  sehr 
deutlich  ausgesprochenen  kesselartigen  Einsenkung.  Innerhalb  dieser 
Vertiefung  bringen  indessen  einzelne  kuppenartige  Hügel,  welche  aus 
widerstandsfähigeren  Partieen  des  im  ganzen  leicht  zersetzbaren  Granites 
hervorgegangen  sind,  Unterbrechung  und  Abwechslung  hervor.  Diese 
in  der  dortigen  Gegend  als  ,Pöhlek  bezeichneten  Erhebungen  sind  in 
der  Regel  von  kleinen  Laubholzbeständen  gekrönt,  welche  sich  durch 
ihr  helleres  Grün  gegen  den  Hintergrund  des  vorwiegend  mit  Nadel- 
holz bestandenen  Schieferwalles  freundlich  abheben.  Die  peripherische 
Granitschiefergrenze  verläuft,  abgesehen  von  lokalen  Unregelmäßig- 
keiten, ungefähr  20 — 30  m  höher  als  das  Niveau,  welches  diese  Granit- 
kuppen erreichen1).44  Dieses  Landschaftsbild  bietet  sich  am  besten  dar 
vom  Streuberge  aus,  einer  dem  Schiefermantel  angehörenden  Höhe  süd- 
lich von  Bergen.  Eesselartig  senkt  sich  das  Granitmassiv  ein,  seine 
tiefste  Einsenkung  durcheilt  die  Trieb,  die  oberhalb  Bergen  die  ge- 
härteten Schichten  der  Schieferzone  durchsägt  hat.  „Wallartig  um- 
geben die  härteren  Gesteine  der  beiden  Granitkontaktzonen,  der  Anda- 
lusitglimmerfels  und  der  Fruchtschiefer,  den  die  Sohle  des  Bergener 
Thalbeckens  bildenden  Granit,  dessen  Grenze  gegen  die  Schiefer  sich 
durch  eine  gut  ausgeprägte  Terrasse  im  Landschaftsbilde  kennzeichnet/ 

Die  das  Granitmassiv  durchziehenden  Thäler  sind  flach  und 
wasserreich2).  Letzteres  bezeugen  zwar  nicht  wie  am  Südfuße  des 
Kapellenberges  eine  Menge  Teiche,  wohl  aber  ein  Netz  ungezählter 
Wasserfäden,  die  von  den  Höhen  herabrieseln,  sowie  häufig  auftretende 
Torfmoore  und  die  schöne  Reihe  frischer,  grüner  Wiesen.  Wo  aber 
die  Thäler  die  Schichten  der  Kontaktzonen  durchbrechen,  da  werden 
die  Gehänge  schroff.  Dieses  Lauterbach-Bergener  Granitmassiv  stimmt 
in  seinem  Landschaftsbild  überein  mit  seinem  großen  östlichen,  dem 
Erzgebirge  zugehörigen  Nachbar.  Anders  verhält  es  sich  mit  dem 
Granite  des  Kapellenberges. 

B.  Das  Granitgebiet  des  Kapellenberges. 

Der  Granit  des  Kapellenberges  bildet  einen  Stock,  der  an  Höhe 
die  ihm  benachbarten,  aus  Glimmerschiefer  aufgebauten  Berge  überragt. 


*)  Erl.  z.  Sekt.  Oelsnitz-Bergen,  S.  40. 

2)   Oberhalb  Bergen  ist  das  Auffanggebiet  für  die  Wasserleitung  der  Stadt 
Plauen. 


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162  Albert  Wohlrab,  Das  Vogtland  als  orographisches  Individuum.  [66 

Relief  und  damit  die  Form  und  Richtung  der  Berge  bestimmen,  da  die 
die  Hochfläche  überragenden  Hügel  nur  geringe  Niveauunterschiede 
hervorbringen. 

Dieser  allgemeine  Charakter  der  Landschaft,  eine  Folge  der  die- 
selbe aufbauenden  paläozoischen  Schieferformationen  und  ihrer  Ein- 
lagerungen, wird  im  östlichen  Teile  des  Gebietes  unterbrochen  durch 
das  Lauterbach-Bergener  Granitmassiv,  das  eine  kesselartige  Einsenkung 
bildet,  umgeben  von  den  aus  Eontaktgesteinen  gebildeten  Höhen. 

Nach  Südosten  zu  findet  ein  allmählicher  Uebergang  statt  zu  den 
Höhen  des  Erzgebirges. 


IV.   Teil. 

Anthropogeographische  Polgen  der  orographischen 
Verhältnisse  des  Vogtlandes. 

1.  Das  Vogtland,  ein  Durcfagangsgebiet  des  Verkehrs. 

A.  Seine  Befähigung  zum  Dnrohgangsgebiet. 

Uebereinstimmend  mit  den  orometrischen  Werten  des  Vogtlandes 
zeigte  sein  Landschaftsbild  den  Hochflächencharakter  desselben.  Der 
Vergleich  der  orometrischen  Werte  in  Tabelle  VII  ließ  in  ihm  die 
Gebirgslücke  zwischen  dem  Erzgebirge  und  dem  Thtiringerwalde  er- 
kennen. Wenn  Mittelzahlen  der  Ausdruck  für  die  verkehrhindernde 
Wirkung  einer  Erhebung  sind1),  dann  bietet  das  Vogtland  dem  Ver- 
kehr geringere  Hindernisse  als  die  benachbarten  Gebiete.  Daraus  folgt, 
daß  der  Verkehr  das  Vogtland  bevorzugen  wird,  sofern  nicht  etwa 
andere  Verhältnisse  dem  entgegenwirken. 

Das  wichtigste  aller  den  Verkehr  beeinflussenden  Verhältnisse  ist 
die  Lage  eines  Gebietes.  Die  vorteilhafteste  Lage  ist  die  zentrale. 
Das  Vogtland  hat  eine  solche.  Wir  erkennen  dieselbe  sofort,  wenn  wir 
die  am  Eingange  unserer  Arbeit2)  beschriebene  Linie  ziehen,  die  als 
nördlicher  Rand  des  deutschen  Mittelgebirges  dieses  gegen  das  Tief- 
land abgrenzt.  Wie  Deutschland  als  das  Herz  Europas,  so  kann  das 
Vogtland  als  das  Herz  Deutschlands  bezeichnet  werden.  Der  50.  Breiten- 
grad, der  Deutschland  in  eine  nördliche  und  eine  südliche  Hälfte  teilt, 
zieht  wenige  Kilometer  südlich  von  unserem  Gebiete  vorüber.  Das 
Gebiet  selbst  wird  durchschnitten  von  dem  12.  Längenkreis  östl.  v.  Green- 
wich,  der  die  Mitte  bildet  zwischen  dem  6.  und  18.  Längenkreis,  die 
miteinander  die  Hauptmasse  des  Deutschen  Reiches  abgrenzen. 

Eine  andere  vorteilhafte  Lage  ist  die  Buchtenlage.  Zwar  spricht 
man  von  einer  solchen  in  erster  Linie  nur  bei  Küstengebieten.  Allein 
wie  der  Seeverkehr  bestrebt  ist,  seinen  Weg  möglichst  weit  in  das 
Land  hinein  zu  nehmen,  so  der  Landverkehr,  solange  wie  möglich  auf 
dem  für  den  Verkehr  am  meisten  geeigneten  Boden  zu  bleiben8).   Einen 

*)   Kohl,  Verkehr  und  Ansiedelungen  der  Menschen,  1841,  S.  218,  Anm. 

*)   Siehe  S.  101  [5]. 

•)  Ratzel,  Anthropogeographie,  I,  S.  182  ff. 


164  Albert  Wohlrab,  [68 

solchen  bietet  die  Ebene  des  norddeutschen  Tieflandes.  Daher  sind  es 
die  Tieflandsbuchten,  die  vom  Verkehr  aufgesucht  werden.  Unter  den 
drei  großen  Tieflandsbuchten,  welche  in  das  deutsche  Gebirgsland  hin- 
eindringen, nimmt  die  sächsisch-thüringische  eine  bevorzugte  Stelle  ein. 
Entbehrt  sie  auch  eines  großen  Stromes  *),  so  ist  ihr  doch  die  Elbe 
nahe  genug,  um  ihr  einen  Teil  ihres  Verkehres  zuzuweisen.  Ebenso 
nähert  sich  ihr  von  Süden  her  die  Donau  im  Regensburger  Knie  und 
lenkt  nach  ihr  hin  einen  Teil  ihres  Verkehrs. 

Jenseits  des  Gebirges  liegt  im  SW  Franken,  im  SO  Böhmen.  Da 
letzteres  durch  seinen  Gebirgswall  dem  durchgehenden  Verkehre  eine 
große  Schranke  zieht  und  das  nichtdeutsche  Element  seiner  Bevölke- 
rung2) demselben  mindestens  nicht  forderlich  gegenübersteht,  so  tritt 
der  Verkehr  durch  dieses  Land,  wenigstens  in  der  Richtung  von  W 
nach  0,  zurück  und  wird  zum  größten  Teile  durch  das  Vogtland  ge- 
lenkt. So  kommt  es  denn,  daß  durch  dieses  hindurch  nicht  allein  die 
Straßen  von  Franken  und  der  Oberpfalz,  von  den  Städten  Bamberg, 
Nürnberg,  Regensburg  und  Augsburg,  sondern  auch  von  weiter  im 
Südwesten  des  Reiches  gelegenen  Gauen  nach  Sachsen,  Schlesien  und 
Polen  führen. 

Diesen  Vorzügen  des  Gebietes  (seiner  im  Vergleich  zu  den  Nach- 
bargebieten geringeren  Höhe,  seiner  zentralen  Lage,  seiner  Buchten- 
lage, seiner  Lage  in  der  Nähe  eines  orographischen  und  ethnographischen 
Hindernisses)  stehen  aber  auch  Mängel  gegenüber.  Cotta3)  urteilt 
über  das  Vogtland:  „Dem  Verkehr  hat  unser  Gebiet  stets  bedeutende 
Schwierigkeiten  entgegengestellt,  weniger  durch  seine  absolute  Erhebung 
als  durch  die  große  Breite  des  nach  allen  Richtungen  von  vielen  stark 
gewundenen  Thälern  durchschnittenen  Plateaus.  Dennoch  ist  es  durch 
seine  Lage  zwischen  drei  anderen  Gebirgsketten  seit  uralter  Zeit  von 
einer  der  Hauptverbindungsstraßen  zwischen  Süd-  und  Norddeutschland 
durchschnitten.  Die  Umwandlung  dieser  Straße  in  eine  Eisenbahn  ge- 
hörte zu  den  schwierigsten  und  kostspieligsten  in  ganz  Deutschland, 
namentlich  wurden  dabei  die  großartigen  Thalüberbrückungen  nötig, 
welche  überhaupt  zu  Gunsten  von  Eisenbahnen  bis  jetzt  ausgeführt 
worden  sind,  die  berühmten  Ueberbrückungen  des  Elster-  und  des 
Göltzschthales/  Die  Schwierigkeiten,  auf  die  Cotta  aufmerksam  macht, 
erscheinen  als  besonders  bedeutend  nur  in  Rücksicht  auf  die  in  den 
Jahren  1846—51  erfolgte  Anlage4)  der  Bahnlinie  Hof-Reichenbach,  die 
in  einer  Zeit  vor  sich  ging,  in  der  die  Erfahrungen  im  Bau  von  Eisen- 
bahnen noch  gering  waren.  Außerdem  waren  jene  Schwierigkeiten 
nicht  bloß  orographische ,  sondern  auch  politische,  bereitet  durch  die 
Regierung  des  Fürstentums  Reuß  älterer  Linie. 

Ein  anderer  Mangel  des  behandelten  Gebietes  ist  seine  geringe 
Ausdehnung,  die  die  Lage  desselben  als  noch  von  zweifelhaftem  Werte 


*)  Kirchhoff,  Ueber  die  Lagenverhältnisse  der  Stadt  Halle.  Mitteil.  d. 
Ver.  f.  Erdkunde  z.  Halle,  1877,  S.  88  ff. 

2)  Ratzel,  Politische  Geographie,  S.  670/671. 

8)  Cotta,  Deutschlands  Boden,  S.  317. 

4)  A.  v.  Mayer,  Geschichte  und  Geographie  der  deutschen  Eisenbahnen 
1891,  I,  S.  487  ff. 


69]  Das  Vogtland  als  orographisches  Individuum.  165 

erscheinen  läßt ;  denn  ein  Gebiet  von  geringer  Ausdehnung  kann  leicht 
umgangen  werden.  Beim  Vogtlande  tritt  dieser  Mangel  ganz  zurück, 
da  es,  wie  oben  gezeigt  wurde,  mit  den  Vorteilen  einer  in  mehrfacher 
Beziehung  günstigen  Lage  die  Vorzüge  seiner  orographischen  Verhält- 
nisse verbindet1). 

Deutlicher  als  ein  anderes  Gebiet  zeigt  das  Vogtland  seinen 
Charakter  als  Durchgangsland  des  Verkehrs.  Es  ist  darum  nicht  zu 
verwundern,  wenn  von  der  das  Gebiet  durchschneidenden  Hauptstraße 
als  einer  „seit  uralten  Zeiten*  *),  „lange  bestehenden*4  8),  „uralten  Völker- 
straße **4)  gesprochen  wird. 


B.  Die  Dnrohgangsstra&en. 

a)  Ihre  Abhängigkeit  von  den  Pässen. 

„Wege  und  Straßen  sind  älter  als  die  Menschheit/  „Es  giebt 
Straßen  und  Wege,  die  von  der  Natur  vorgezeichnet  sind,  die  eine 
Abweichung  kaum  gestatten  —  es  sind  die  Pässe415).  Diese  werden 
um  so  mehr  maßgebend  sein  für  die  Richtung  der  Verkehrswege  eines 
Gebietes,  je  geringer  ihre  Zahl  ist  und  je  tiefer  sie  (ihre  Zugänglich- 
keit vorausgesetzt)  in  den  Gebirgsrücken,  den  die  Straße  zu  überschreiten 
hat,  eingeschnitten  sind.  Die  Kämme  des  Vogtlandes  zeigen  an  und 
für  sich  keine  oder  nur  wenige  unübersteigbare  Höhen,  sind  ferner 
reich  an  Sätteln,  welche  sie  gliedern,  wenn  dieselben  auch  nur  geringe 
Höhenunterschiede  im  Vergleich  mit  den  Gipfeln  aufweisen,  und  lassen 
daher  der  menschlichen  Willkür  in  der  Bestimmung  der  Wege  einen 
reichen  Spielraum.  Der  Mensch  hat  aber  bei  der  Auswahl  unter  den 
vorhandenen  Möglichkeiten  diejenigen  ausgesucht,  diejenigen  im  Laufe 


')  Ein  nicht  zu  unterschätzender  Vorzug  des  Vogtlandes  ist  sein  Reichtum 
an  Gesteinen,  die  zum  Sraßenbau  geeignet  sind.  Eine  auf  der  sächsisch-thüringischen 
Industrie-  u.  Gewerbeausstellung  in  Leipzig  vom  königl.  sächs.  Finanzministerium 
gezeigte  Sammlung  der  zum  Straßenbau  verwendeten  Gesteinsarten  wies  folgende 
im  Straßen-  u.  Wasserbaubezirk  Plauen  (Amtshauptmannschaften  Plauen,  Auerbach 
u.  Oelsnitz)  benutzten  Gesteine  auf:  I.  Granit  von  Schreiersgrün,  Trieb,  Röthen- 
bach  (3,1  °/°);  H.  Quarzitschiefer  von  Herlagrün,  Vogelsgrün,  Rothenkirchen,  Ober- 
göltzsch  (14,4  °/o);  III.  Kieselschiefer  von  Altraannsgrün,  Raasdorf,  Oelsnitz,  Posseck, 
Ramoldsreuth,  Oberreichenau,  Langenbach,  Tanna;  grauwackenartiger  Quarzit  von 
Hohenstein  bei  Markneukirchen,  Schöneck,  Neudorf,  Ellefeld,  Hohengrün,  Brunn; 
Fruchtschiefer  von  Eich  (35,3%);  IV.  Quarzfels  von  Tannenbergsthal  u.  Morgen- 
röthe;  Quarzit  von  Thoßfell;  Grauwackensandstein  von  Meßbach  (8,9  °/o) ;  V.Diabas 
von  Neumark,  Mylau,  Steinsdorf,  Neuensalz,  Elsterberg,  Herlasgrün;  Hornblende- 
schiefer von  Niederauerbach  (16,9  °/o);  VI.  Quarzporphyr  von  Schreiersgrün  (2,1  °/o); 
VII.  Nephelinbasalt  von  Breitenfeld,  Oberzwota,  Oberreuth  (19,0  %)  (dazu  Lesesteine 
0,8  %)•  Die  Prozentzahl  bezeichnet  den  mittleren  Anteil  der  betreffenden  Gesteins- 
gruppe an  den  verbrauchten  Steinmengen  des  Bezirkes.  Vgl.  die  Druckschrift  z. 
Ausstellung  königl.  sächs.  Staatsverwaltungen.    Leipzig  1897,  S,  16. 

2)  Cotta,  Deutschlands  Boden,  S.  317. 

•)   Simon,  Verkehrsstraßen,  S.  37. 

4)  M.  Schmidt,  Zur  Geschichte  der  Besiedelung  des  sächs.  Vogtlandes. 
Beilage  z.  VII.  Jahresbericht  der  städtischen  Realschule  zu  Dresden-Johannstadt, 
1897,  S.  19. 

')  Schurtz,  Pässe  des  Erzgebirges,  S.  3. 


1G6  Albert  Woblrab,  [70 

der  Zeit  als  seinen  Zwecken  dienstlichsten  festgelegt,   die  er  bei  einer 
Ueberlegung  a  priori  als  solche  erkennen  würde1). 

Unter  den  oben  besprochenen  Höhenrücken  kommen  als  solche, 
die  dem  Verkehre  durch  ihre  absolute  Höhe  bedeutende  Hindernisse 
bereiten,  nur  der  erzgebirgische  Grenzkamm,  der  Eapellenbergkamm 
und  der  sächsisch-böhmisch-bayrische  Grenzrücken  in  Betracht.  Im 
orographischen  Teile  dieser  Arbeit*)  wurden  die  Sättel  schon  bezeichnet, 
die  auf  den  eben  genannten  Höhenrücken  die  Funktion  von  Pässen 
inne  haben.  Von  den  dort  aufgeführten  Pässen  sind  es  vor  allem  vier, 
die  besonders  hervortreten:  der  Ullitzer  Paß,  der  Paß  südlich  von  Asch, 
der  Paß  von  Oberbrambach  und  der  Paß  von  Friebus  östlich  von  Mark- 
neukirchen. 

b)  Der  Verlauf  der  Durchgangsstraßen. 

Bereits  in  der  Sorbenzeit  scheinen  diese  Pässe  von  hoher  Be- 
deutung gewesen  zu  sein3).  Die  vom  Regnitzlande  her  vorgeschobenen 
sorbischen  Siedelungen  Unterkotzau,  Zedtwitz,  Feilitzsch,  Trogen,  Ullitz 
(=  die  Gasse),  Regnitzlosau,  Vierschau,  Nentschau,  Trogenau  (=  die 
am  Wege  Wohnenden),  Posseck,  sowie  die  von  der  Mitte  des  Vogt- 
landes herüberreichenden  Orte  Dobeneck,  Planschwitz,  Magwitz,  Tirbel, 
Klein-  und  Großzöbern  deuten  auf  eine  in  der  Richtung  dieser  Orte 
verlaufende  Straße  zwischen  diesen  beiden  slawischen  Siedelungsgebieten 
hin.  Dasselbe  Verhältnis  zu  einander  zeigen  die  beiden  Reihen  von 
Orten,  die  vom  Egerthale  (Nebanitz,  Doberau,  Mühlessen,  Hörsin, 
Fleißen)  und  im  Elsterthale  (Oelsnitz,  Görnitz,  Würschnitz,  Leubetha, 
Meltau  [alter  Ortsteil  von  Adorf])  herauf  nach  den  Pässen  des  Kapellen- 
bergkammes  weisen.  Zwischen  den  beiden  eben  näher  bezeichneten 
Wegen  führte  ein  dritter  „aus  dem  Thal  der  Selb  (Selb  slawisch)  über 
das  Ascher  Plateau  (Belitzmühle  slawisch)  in  das  Aschbach-  und  Elster- 
thal.    Vermutlich  bestand   auch  schon  eine  Verbindung  zwischen  dem 


')  Hettner,  Der  gegenwärtige  Stand  der  Verkehrsgeographie.  Geogr. 
Zeitschr.,  III,  S.  629,  „ —  thatsächlich  wird  nur  in  seltenen  Ausnahmefällen  .  . .  das 
Wegenetz  einer  bewußten  Ueberlegung  des  Menschen  seinen  Ursprung  verdanken; 
in  den  meisten  Fällen  wird  es  vielmehr  allmählich,  durch  das  Schaffen  vieler  auf- 
einander folgender  Generationen  entstanden  sein,  die  dabei  keine  bestimmten, 
aufs  Ganze  gerichteten  Pläne  hatten,  sondern  sich  nur  von  den  nächstliegenden 
Zielen  leiten  ließen.  —  Die  Entwickelungstheorie  hat  uns  gelehrt,  daß  im  sozialen 
Leben  ebenso  wie  in  der  organischen  Natur  aus  dem  scheinbaren  Spiel  der  Willkür 
und  des  Zufalls  gesetz-  und  zweckmäßige  Zustände  hervorgehen." 

*)  Siehe  S.  137  [41],  140  [44],  141  [45],  143  [47]. 

s)  Nach  M.  Schmidt  (Zur  Geschichte  der  Besiedelung  des  sächsischen 
Vogtlandes,  S.  19),  der  sich  in  seinen  Angaben  auf  Gradl  (Geschichte  des  Eger- 
landes)  stützt,  waren  vermutlich  die  ältesten  Bewohner  des  Vogtlandes  die  Kelten, 
„die  im  nahen  Fichtelgebirge  Zinnbergbau  trieben,  das  Vogtland  durchzogen  und 
vielleicht  schon  mit  Ansiedelungen  besetzten.  Die  erste  nachweisbare  Bevölkerung 
des  Vogtlandes  ist  jedoch  das  .  .  .  Volk  der  Hermunduren,  welches  von  seinen 
Stammsitzen  an  der  unteren  Saale  allmählich  und  schon  früh  in  die  Thäler  der 
umgebenden  Mittelgebirge  eindrang  und  dieselben  südwärts  überschritt.  Bereits 
im  2.  Jahrhundert  n.  Chr.  erscheinen  sie  südlich  von  dem  hercynischen  Walde. 
Dabei  wurden  natürlich  die  Pässe  des  Vogtlandes  im  Süden  als  Heeresstraßen 
benutzt.* 


71]  Das  Vogtland  als  orographisches  Individuum.  167 

Göltzschthal  und  dem  Egerlande1).*  Nach  Schurtz*)  deutet  der  Orts- 
name Friebus,  der  an  der  Straße  von  Markneukirchen  nach  Ellingen* 
thal  unterhalb  des  Rauner  Berges  auftritt  und  die  Bedeutung  von 
Uebergang,  Pafiweg  hat,  auf  eine  alte  Verkehrsverbindung  zwischen 
dem  oberen  Elsterthale  (durch  das  Floßbachthal  hindurch)  und  dem 
Zwotathaie  hin. 

Urkundliche  Zeugnisse  über  den  Verlauf  der  das  Vogtland  durch- 
ziehenden Straßen  liegen  erst  aus  der  Zeit  der  deutschen  Besiede- 
lung  des  Gebietes  vor.  Ausführlich  werden  dieselben  besprochen  in 
der  Schrift  von  Simon8)  über  die  Verkehrsstraßen  in  Sachsen,  in  der 
ein  Abschnitt  von  den  vogtländischen  Straßen  und  Städten  handelt. 
Danach  verlief  die  wichtigste  dieser  Straßen,  die  aus  Franken  her- 
ziehende, von  Hof  aus  an  den  Orten  Blosenberg,  Ebersberg,  Heiners- 
grün und  Hartmannsreuth  vorbei  über  Grofizöbern,  Pirk,  Weischlitz, 
Kürbitz,  Straßberg  nach  Plauen  und  von  hier  aus  über  Chrieschwitz, 
Möschwitz,  Pohl,  an  Netzschkau  vorbei  nach  Mylau  und  Beichenbach. 
Ihre  Fortsetzung  fand  sie  über  Neumark  (wo  eine  Straße  nach  Werdau 
abzweigte),  Schönfels  und  Lichtentanne  nach  Zwickau.  Hier  kreuzten 
sich  zwei  Straßen,  die  von  Leipzig  über  Altenburg  nach  Böhmen  und 
die  aus  der  Lausitz  über  Dresden,  Freiberg,  Chemnitz  nach  Franken 
verlaufende.  Neben  dem  schon  bezeichneten  bestand  zwischen  Plauen 
und  Reichenbach  noch  ein  anderer  Weg  über  die  Orte  Alten-  oder 
Neuensalz,  Thoßfell,  Hartmannsgrün.  Aus  dem  Verbote,  das  Kaiser 
Karl  IV.  erließ4),  daß  auf  der  Straße,  die  über  Hartmannsgrün  nach 
Reichenbach  führte,  die  Stadt  Reichenbach  „niemand  unerinnert  bey- 
aeits  umgehen "  solle,  geht  hervor,  daß  verschiedentlich  der  Weg  nicht 
von  Hartmannsgrün  aus  herein  ins  Göltzschthal  (zur  Schotenmühle)  und 
über  die  Höhe  hinweg  nach  Reichenbach,  sondern  nach  Osten  hin  direkt 
auf  Zwickau  zu  genommen  wurde,  wobei  Reichenbach  links  liegen  blieb. 
Seit  dem  Anfange  dieses  Jahrhunderts  führt  die  Straße  von  Thoßfell 
über  Pfaffengrün,  Buchwald,  Mühlwand  nach  Reichenbach. 

»Von  diesem  Wege  Hof-Plauen-Zwickau  zweigte  eine  zweite 
Straße  ab  und  zwar  bei  Plauen  (früher  vielleicht  oberhalb  Plauen  bei 
der  Feste  Tirbel,  um  am  Thal  der  Elster  entlang,  an  Magwitz,  Plansch- 
witz, dem  ,Stein4  und  Dobeneck  vorüberziehend,  Oelnitz  zu  erreichen). 
Der  Weg  führte  von  Plauen  geradlinig  über  Oberlosa  nach  Oelsnitz 
und  von  hier  immer  thalaufwärts  über  Asch  nach  Eger6)."  „Die  Post- 
straße, welche  über  Anordnung  Kaiser  Ferdinands  H.  (1619 — 1637)  zur 
Beförderung  der  nordischen  Korrespondenz  gebaut  wurde,  hatte  ihren 
Zug  von  Prag,  Karlsbad,  Mühlessen,  Eger,  Asch,  Krugsreuth,  Adorf 


*)  M.  Schmidt,  Zur  Geschichte  der  Besiedelung,  S.  25. 
2)  Schurtz,  Passe,  S.  57. 


? 


A.  Simon,  Die  Verkehrsstraßen  in  Sachsen  und  ihr  Einfluß  auf  die 
Städteentwickelung  bis  zum  Jahre  1500.  Forschungen  zur  deutschen  Landes-  und 
Volkskunde,  Bd.  VII,  Heft  2,  1892,  S.  34-42. 

4)  J.  Müller,  Urkunden  und  Urkundenauszüge  zur  Geschichte  Plauens 
und  des  Vogtlandes  in  den  Mitteilungen  des  Altertumsvereins  zu  Plauen  i.  V., 
5.  Jahresschr.,  1884/85,  Urkunde  Nr.  466. 

5)  Simon,  Verkehrsstraßen,  S.  39. 


168  Albert  Wohlrab,  [72 

u.  s.  w.1)."  Jetzt  verläuft  die  staatliche  Landstraße  nach  Eger  von  Adorf 
nach  Mühlhausen,  im  Raunerbachthal  aufwärts  bis  Oberbrarabach,  her- 
ein nach  Brambach,  das  im  Thale  des  Fleifienbaches  liegt,  und  dann 
nicht,  wie  man  erwarten  könnte  und  wie  zeitweilig  auch  von  den  Fuhr- 
leuten mag  gefahren  worden  sein,  über  Fleißen,  Großloh  und  Wildstein 
herein  zum  Egerthal,  sondern  über  den  Eapellenbergkamm  zum  zweiten- 
mal und  diesmal  in  noch  bedeutenderer  Höhe  (652  m)  als  bei  Ober- 
brambach  (618  m)  hinweg  und  am  Schlosse  Schönberg  vorbei  über 
Voitersreuth  und  Franzensbad. 

Neben  diesen  Hauptwegen  führten  noch  „beywege"  von  Hof 
über  Gattendorf  und  Posseck  nach  Oelsnitz,  von  Oelsnitz  über  Theuma, 
Treuen,  Lengenfeld  nach  Zwickau,  von  Adorf  über  Markneukirchen 
und  Friebus  ins  Zwotathai.  Von  größerer  Wichtigkeit  für  das  Vogtland 
war  der  von  Norden  her  durch  die  Elster  vorgezeichnete  Weg;  auf 
ihm  „mögen  die  ersten  Missionare  von  Naumburg,  Zeitz,  Gera,  die 
Herren  von  Eberstein  und  später  die  Vögte  von  Weida  und  Gera  ins 
Land  gekommen  sein.  ...  Er  stieg  jedoch  ins  enge  und  ungangbare 
Thal  selbst  oberhalb  Gera  nur  in  Greiz  und  Elsterberg  herab,  hielt 
sich  sonst  auf  dem  linken  Thalrand8)/  An  der  Ostgrenze  des  Vogt- 
landes führte  eine  Straße,  von  Zwickau  herkommend,  an  der  Göltzsch 
aufwärts,  geschützt  durch  die  Burgen  Plohn  und  Auerbach  (ad  aquam 
Golz  et  eam  ad  summum  Grodini,  womit  eine  Burg  gemeint  ist,  die 
an  der  Göltzsch  stand,  entweder  die  zu  Obergöltzsch  oder  die  zu  Auer- 
bach3), und  über  Falkenstein,  Schöneck  herein  nach  Markneukirchen4) 
oder  weiter  im  Osten  nach  Kreuzung  des  oberen  Muldenthaies  herein 
ins  Zwotathai9). 

In  seiner  Geschichte  des  Handels5)  spricht  Falke  von  einer  alten 
Salzstraße,  die  von  Halle  über  Zeitz  durch  das  Vogtland  auf  Bayreuth 
und  in  die  fränkischen  Gegenden  führte,  ohne  deren  Verlauf  näher  zu 
erörtern.  Es  kann  damit  die  schon  erwähnte  auf  dem  linken  Thal- 
rande der  Elster  hinziehende  gemeint  sein;  es  ist  aber  auch  möglich, 
dass  eine  weiter  im  Westen  des  Vogtlandes  verlaufende  Straße  dar- 
unter zu  verstehen  ist,  die  später  als  „  Beiweg tt  der  Hauptstraße  Hof- 
Plauen- Zwickau  öfters  genannt  wird.  „1521  gab  Herzog  Johann  (der 
spätere  Kurfürst  Johann  der  Beständige)  von  Weimar  aus  dem  Zwickauer 
Rate  bekannt,  daß  er  die  süddeutschen  Fuhrleute,  welche  die  von  Hof 
über  Plauen,  Zwickau  oder  Werdau,  Altenburg  und  Borna  nach  Leipzig 
führende  Handelsstraße  verlassen  würden,  mit  hohen  Strafen  belegen, 
wolle.  Diese  Verordnung  wurde  1521,  als  Nürnberger  und  Regens- 
burger Fuhrleute  von  Hof  aus  auf  einer  viel  weniger  bequemen,  längs 
der  Saale  und  Weißen  Elster  nordwärts  ziehenden  Straße  über  Schleiz,. 
Gera,  Zeitz  und  Pegau  nach  Leipzig  zu  gelangen  suchten,   wiederholt 


')  J.  Tittmann,  Heimatskunde  des  Ascher  Bezirks.    Asch  1893,  S.  123. 
2)   Simon,  Verkehrsstraßen,  S.  40.  41. 

8)  Freitag,  Beiträge  zur  Geschichte  der  Besitzer  der  Herrschaft  Auerbach. 
7.  Jahresschr.  d.  Mitteil.  d.  Altertumsver.  zu  Plauen  i.  V.,  1888/89,  S.  12.  13. 

4)  M.  Schmidt,   Zur   Gesch.   d.  Besiedelung  des  sächsischen  Vogtlandes, 
S.  52.  53  u.  61. 

5)  Falke,  Geschichte  des  Handels,  II,  S.  54. 


73]  Das  Vogtland  als  orographisches  Individuum.  169 

und  verschärft1)."  Es  ist  das  derselbe  Weg,  der,  als  um  1680  die  Pest 
im  mittleren  Eibgebiet  wütete,  vom  Leipziger  Rate2)  neben  einem 
anderen,  der  auch  noch  genannt  werden  wird,  als  Route  nach  Nürn- 
berg bekannt  gegeben  wird.  Er  führte  durch  die  Orte:  „Zwenkau, 
Langendorf,  Gera,  Schleiz,  Gefeil9),  Düben  (Töpen),  Hof,  Conradsriet, 
Münchberg,  Gefrees,  Berneck,  Bayreuth,  Creusing,  Hilpertstein,  Grefen- 
berg,  Eschenau,  Hertelsberg*  nach  Nürnberg.  Die  andere  Route  hatte 
bis  Schleiz  denselben  Verlauf,  bog  aber  dann  nach  Westen  und  nahm 
die  Richtung  „Nordhalben,  Cronach,  Lichtenfels,  Staffelstein,  Bamberg, 
Forchheim,  Berensdorf,  Erlang,  Teneloh,  Buch"  an,  um  Nürnberg  zu 
erreichen.  Nach  dem  Erlöschen  der  Pest  untersagen  mehrere  kurfürst- 
liche Verordnungen4)  »die  von  Hof,  Plauen  und  Oelsnitz  über  Gfell 
und  Schlaitz,  ingl.  von  Eger  über  Weyda  nach  Gera  angemaßten  Bey- 
wege".  Auf  der  Straße  von  Leipzig  über  Gera,  Schleiz,  Hof,  Bayreuth, 
Erlangen  nach  Nürnberg  verkehrte  seit  1686  „eine  geschwinde  fahrende 
Postkalesche"5).  Von  dem  Verlaufe  der  Straße,  die  von  Schleiz  aus 
nach  Westen  bezw.  Südwesten  führt,  spricht  die  Landeskunde  von 
Brückner6)  ausführlicher.  „Die  längste  von  allen  Straßen  des  Fürsten- 
tums (Reuß  jüngere  Linie)  war  und  ist  die  Nürnberg-Cronach -Loben - 
stein-Saalburg-Schleiz-Gera-Leipziger  Straße.  .  .  .  Bei  dem  Rodacher 
Brunnen  den  Frankenwald  übersteigend,  führte  sie  über  Neundorf  und 
Lobenstein,  von  da  am  Galenberg  oder  den  Drei  Linden,  am  Grünen 
Esel  oder  Grauen  Affen,  am  Pollerhaus  und  Hartmannsberg  vorbei  nach 
Zoppothen,  Pöritzsch,  Saalburg,  Grafen warth  und  über  Oschitz  nach 
Schleiz,  jetzt  dagegen  durchschneidet  sie  Schönbrunn,  Ebersdorf  und 
Heinrichsruhe.  Von  Schleiz  aus  nahm  sie  eine  doppelte  Richtung,  näm- 
lich teils  über  Neustadt  und  Jena,  teils  über  Gera  und  Langenberg. a 
Die  Verbindung  zwischen  Hof  und  Eger  stellte  eine  Straße  her, 
die  längs  der  Südwestgrenze  des  Vogtlandes  verlief.  Ueber  sie  schreibt 
Tittmann7):  „Die  früher  bestandene  alte  Heerstraße  zog  sich  von  Eger 
über  Sauerbrunn,  Haslau,  Rommersreuth  (unterhalb  dem  Goethestein), 
gegen  das  Forsthaus  im  Egerer  Stadtwalde  durch  die  Hölle  nach 
Egrisch-Reuth  (später  Himmelreich)  und  Nassengrub  gegen  Asch,  beim 
alten  Schießhause  durch  die  jetzige  Alleegasse,  Kaiserstraße,  beim  Rat- 
hause vorüber  durch  die  Widemgasse  über  den  Kaplanberg  gegen 
Schönbach  (Knallhütte),  Neuhausen,  über  Rehau  nach  Hof.u 


*)  Heller,  Die  Handelswege  Innerdeutschlands,  S.  15  (Leipziger  Rats- 
archiv, XLV.  A.,  14). 

2)  Hasse,  Geschichte  der  Leipziger  Messen,  S.  468,  Anlage  XI  (Leipziger 
R.-A.  I,  34,  T.,  Bl.  181). 

8)  Urk.  Nr.  XVI  (J.  Müller,  Urkundenmitteilungen  etc.  1.  Jahresschrift) 
nennt  die  Orte  Gefell  (gefeil),  Venzka  (fenzka),  Münchenreuth  (munchenreut), 
Hirschberg  (hirsperg)  1246;  Urk.  Nr.  66  v.  J.  1279  nennt  das  Dorf  Stelzen  (stelzne); 
ürk.  Nr.  68  Tanna  im  Lande  Wisenta,  J.  1279 ;  Urk.  Nr.  136  v.  J.  1300  Reinhardts- 
walde; Urk.  Nr.  142  v.  J.  1302  Rodersdorf  und  Grobau. 

4)   Hasse,  Gesch.  d.  L.  M.,  S.  86,  Anra.  1. 

8)   G.  Schäfer,  Geschichte  des  sächs.  Postwesens,  1879,  S.  80. 

8)  G.  Brückner,  Landes-  und  Volkskunde  des  Fürstentums  Reuß  j.  L. 
Gera  1870,  S.  276. 

7)  Tittmann,  Heimatskunde  d.  Ascher  Bezirks,  S.  123. 


170  Albert  Wohlrab,  [74 

c)  Die  Höhenlage  der  Hauptdurchgangsstraßen. 

Nachdem  im  vorstehenden  der  Verlauf  der  das  Vogtland  durch- 
ziehenden Straßen  in  seinen  Hauptrichtungen  aufgeführt  worden  ist, 
soll  nunmehr  die  Höhenlage  derselben  erörtert  werden,  um  so  über 
den  Charakter  der  einzelnen  Straßen  als  Höhen-  oder  Thalstraßen  zu 
entscheiden.  Die  Straße  Hof-Plauen-Reichenbach  beginnt  an  der  Saale- 
brücke unterhalb  Hof  mit  einer  Höhe  von  470  m,  hat  am  Friedhofe 
von  Hof,  von  wo  an  sie  ihren  Verlauf  über  den  Höhenrücken  weg 
nimmt,  488  m  Höhe,  am  Labyrinthenberg  511  m  und  513  m,  am  Aus- 
gange des  Dorfes  Haidt  512  m,  und  steigt  dann  bis  536  m  Höhe  an. 
Südwestlich  von  Ullitz  erreicht  sie  bei  Sign.  562,8  ihren  höchsten  Punkt 
und  senkt  sich  nun  durch  den  Paß  von  Blosenberg  (oder  Ullitz)  herein 
nach  dem  Feilebachthale,  dabei  folgende  Höhen  aufweisend:  Ullitz 
560  m,  Wegegabel  westlich  von  Wiedersberg  518  m,  Sign,  unterhalb 
dem  Dorfe  Blosenberg  487,5,  oberhalb  der  Hammermühle  449  m  und 
465  m,  östlich  von  Berglas  430  m.  Bei  Kümmelbüchse  (Unter berglas) 
verläßt  sie  das  von  hier  an  sich  bedeutend  verengende  Feilebachthal 
und  steigt  wieder  auf  den  Höhenrücken,  hat  zwischen  Groß-  und  Klein- 
zöbern  noch  einmal  über  500  m  Höhe  und  senkt  sich  am  linken  Ge- 
lände eines  zum  Feilebach  fallenden  Thälchens  zum  zweitenmal  ins 
Thal  des  genannten  Baches  und  zeigt  dabei  unterhalb  Eleinzöbern  460  m, 
oberhalb  Pirk  400  m  Höhe.  Die  das  Elsterthal  durchmessende  Eisen- 
bahn überschreitet  sie  in  367  m  Höhe.  Da  die  Elsterthalverengung 
unterhalb  Pirk  ihr  verbietet,  dem  Laufe  des  Flusses  zu  folgen,  so  über- 
steigt sie  den  mittelvogtländischen  Höhenrücken,  um  sich  in  Plauen 
zum  zweitenmal  zum  Flusse  herabzusenken,  wobei  sie  folgende  Höhen- 
marken aufweist:  404,5  m,  455,1  m,  425,6  m,  389,7  m,  385,9  m,  381,4  m. 
Während  die  Straße  früher  in  Plauen  die  Elster  querte  und  sich  im 
Thale  derselben  bis  Chrieschwitz  hinabzog,  steigt  sie  jetzt  über  den 
Reusaer  Höhenrücken,  auf  dem  sie  395  m  Höhe  erreichte1),  zum  Friesen- 
bache (356  m)  und  über  den  nächsten  Rücken  (Höhen  von  412  m  und 
435  m)  zum  Rattenbach  (in  Neuensalz  380  m)  und  zur  Trieb  (vor  Thofi- 
fell  408  m ,  Brücke  über  die  Trieb  368  m).  Indem  sie  sich  aus  dem 
Triebthale  sofort  wieder  nach  der  Höhe  wendet,  um  den  Wendelstein- 
Kuhbergrücken  zu  überschreiten,  zeigt  sie  auf  einer  etwa  10  km  langen 
Strecke  folgende  ziemlich  gleichmäßigen  Höhen:  Thoßfell  438  m, 
Kreuzung  der  Bahnlinie  Herlasgrün-Falkenstein  465  m,  Sign,  südwest- 
lich von  der  Goldnen  Höhe  482  m,  Goldne  Höhe  478  m,  nördlicher 
Ausgang  von  Pfaffengrün  450  m,  Oberbuchwald  470  m,  Straßengabelung 
nach  Netzschkau  441  m.  In  Mühlwand  führt  sie  in  etwa  322  m  Höhe 
über  die  Göltzsch,  steigt  mit  großen  Windungen  herauf  zur  Schwarzen 
Tafel  (425  m)  und  senkt  sich  dann  hinab  nach  Reichenbach  (338  m). 

Die  Straße  durchquert  das  Vogtland  von  SW  nach  NO,  also 
rechtwinkelig  zu  der  in  den  Höhenrücken  herrschenden  Richtung.  Sie 
steigt  auf  der  Strecke  von  Hof  bis  Reichenbach  erst  über  den  reußischen 


')  Seit  etwa  12  Jahren  steigt  die  Straße  nur  noch  bis  etwa  388  m  Höhe 
an,  indem  sie  einen  geringen  Umweg  beschreibt. 


75]  Das  Vogtland  als  orographisches  Individuum.  171 

Grenzrücken  (an  seiner  Grenze  gegen  den  sächsisch-böhmisch-bayrischen 
Grenzrücken),  dann  über  den  westlichen  Teil  des  mittel vogtländischen 
Rückens,  dann  über  den  Reusaer-  und  den  Eichbergrücken  und  schließ- 
lich über  den  Wendelstein-Kuhbergrücken,  nordwestlich  von  dem  sie 
noch  den  Höhenzug  zwischen  der  Göltzsch  und  der  Stadt  Reichenbach 
zu  überwinden  hat.  Sie  steigt  dabei  zweimal  herein  ins  Thal  der 
Elster  und  je  einmal  ins  Thal  des  Friesenbaches,  der  Trieb  und  der 
Göltzsch.  Es  geschieht  dies  in  Thalweitungen,  die  dicht  oberhalb  be- 
deutender Thalengen  liegen.  Teilweise  werden  dabei  in  diese  Thäler 
einmündende  Nebenthäler  zum  Abstieg  von  dem  Höhenrücken  benutzt, 
so  das  Feilebachthal  dort,  wo  das  Elsterthal  zum  erstenmal  über- 
schritten wird,  das  Milmesbachthal  dort,  wo  sich  die  Straße  zum 
zweitenmal  zur  Elster  senkt.  Da  die  Straße  diese  Thäler  nur  zum 
Uebergange  von  dem  einen  Rücken  zum  anderen  benutzt  und  nicht 
länger  in  ihnen  verläuft,  als  dieser  Zweck  es  erfordert,  so  ist  sie  als 
eine  Höhenstraße  zu  bezeichnen. 

Von  der  eben  besprochenen  zweigt  beim  Friedhofe  unterhalb  Hof 
(486  m)  die  Straße  von  Hof  nach  Schleiz  ab,  tiberschreitet  den  Krebs- 
bach und  den  unteren  Regnitzbach  dicht  oberhalb  ihrer  Mündung  (470  m 
und  471  m),  wendet  sich  am  rechtsseitigen  Abhänge  des  Rohrbaches 
durch  Zedtwitz  (516  m)  hindurch  nach  der  Höhe  von  Moosanger  (568  m), 
überschreitet  in  Töpen  den  Kupferbach  (505  m)  und  oberhalb  der 
Kögelmühle  den  Tannbach  (494  m)  und  erklimmt  dann  die  Höhe  von 
Juchhöh  (587  m  und  593  m),  von  der  sie  fast  ebenso  steil  wieder  herab 
zum  Ehrlichbach  fällt  (513  m),  an  dem  Gefell  liegt  (548  m).  Oberhalb 
dieses  Städtchens  zieht  sich  die  Straße  auf  der  reußischen  Hochebene 
hin,  zeigt  am  Ausgange  von  Gefell  561  m,  an  der  preußisch-reußischen 
Grenze  633  m,  an  der  Vereinigungsstelle  mit  der  von  Hirschberg  her- 
aufziehenden Straße  608  m,  westlich  von  Tanna  beim  Gasthaus  zur 
Kapelle  603  m,  unterhalb  Zollgrün  500  m,  an  der  Brücke  über  den 
Wetteraubach  etwa  460  m,  kurz  vor  Heinrichsruhe  etwa  546  m  und  an 
der  Brücke  über  die  Wiesenthal  in  Schleiz  etwa  424  m  Höhe.  Von 
hier  aus  erklimmt  sie  das  hochgelegene  Oettersdorf  (475  m)  und  wendet 
sich  von  dort  entweder  über  Pörmitz,  Pahnstangen,  Bucha,  Bahren 
nach  Pösneck  und  Orlamünde  oder  über  Dittersdorf  (490  m)  nach  Neu- 
stadt a.  d.  Orla,  Stadt  Roda,  Lobeda  a.  d.  Saale  oder  über  Tegau  (452  m), 
Crölpa  (414  m)  nach  Auma  (376  m)  und  über  Triptis  (=  Dreiwege- 
stadt) nach  Gera.  Auch  diese  Straße  verläuft  vorzugsweise  auf  den 
Höhenrücken  und  benutzt  die  Thäler  des  Kupferbaches,  Tannbaches, 
Ehrlichbaches,  Wetteraubaches  und  der  Wiesenthal  hauptsächlich  nur 
zum  Uebergang  von  einem  Höhenrücken  zum  anderen. 

Gleiche  Verhältnisse  bietet  die  südöstliche  Fortsetzung  dieser 
Straße  dar,  die  Strecke  Hof-Eger,  die  längs  der  südwestlichen  Grenze 
unseres  Gebietes  verläuft.  Früher  führte  sie  von  Hof  aus  über  Jördens 
Anlage,  Neutauperlitz  zum  oberen  Regnitzbach,  jetzt  dagegen  benutzt 
sie  bis  unterhalb  Kautendorf  das  Thal,  erst  das  rechte  Saaleufer,  dann 
das  rechte  Ufer  des  Regnitzbaches,  in  dessen  Thal  sie  bis  zu  490  m 
heraufsteigt.  Zwischen  Kautendorf  und  Rehau  erreicht  sie  eine  Höhe 
von  562  m  und  fällt  dann  herein  zur  Schweßnitz  (Rehau  527  m).    Am 


172  Albert  Wohlrab,  [76 

rechten  Thalgehänge  derselben  erklimmt  sie  dann  den  Höhenrücken, 
über  den  hinweg  (Sign,  südlich  von  Schilderberg  682  m,  Zollhaus  Neu- 
hausen 613  m,  westlich  von  Asch  657  m)  sie  Asch  erreicht.  Unter- 
halb der  Stadt  senkt  sie  sich  herein  ins  Thal  des  Aschbaches,  führt  in 
Asch  selbst  nach  Süden  und  über  den  Sattel  (680  m)  hinüber  auf  die 
Südseite  des  Gebirges.  Am  Goethestein  bei  Rommersreuth  (625  m) 
vorbei  fällt  die  Straße  herein  nach  Haslau  (547  m),  Pranzensbad  (441  m) 
und  Eger  (448  m).  Die  Straße  bietet  von  dem  Höhenrücken  zwischen 
Kautendorf  und  Rehau,  sowie  in  der  Gegend  von  Asch  weitreichende 
Umblicke  über  die  Hochfläche. 

Eine  vierte  Höhenstraße  ist  die  zwischen  Hof  und  Oelsnitz.  In 
471  m  Höhe  beginnt  sie  am  südlichen  Ende  von  Hof,  berührt  Jördens 
Anlage  (531  m),  nähert  sich  dem  Dorfe  Leimitz  (Wegegabel  533  m), 
erreicht  im  Langen  Holze  542  m ,  in  und  bei  Gattendorf  559  m  und 
577  m,  kurz  vor  der  sächsischen  Grenze  594  m  Höhe,  am  Galgenberge 
östlich  von  Gassenreuth  und  bei  Haselrain  sogar  614  m,  quert  in  Unter- 
triebel  (461  m)  das  Triebelbachthal,  nimmt  südlich  von  Lauterbach 
(Sign.  530  m)  die  von  Roßbach  herkommende  Straße  auf  und  wendet 
sich  herein  zur  Elster  in  Oelsnitz  (386  m). 

Deutlicher  als  die  besprochenen  vier  Straßen  zeigt  den  Charakter 
einer  Höhenstraße  diejenige,  welche  die  Orte  Asch,  Roßbach  und  Oels- 
nitz miteinander  verbindet.  Sie  erhebt  sich  unterhalb  Asch  aus  dem 
Thale  des  Aschbaches  auf  den  sächsisch-böhmisch-bayrischen  Grenz- 
rücken, hat  bei  Sorg  618  m,  nördlich  von  Elfhausen  675  m,  am  Aus- 
gange von  Thonbrunn  652  m,  in  Roßbach  584  m,  nördlich  von  Roß- 
bach 636  m,  am  Bubenstock  622  m,  bei  Obereichigt  591  m,  in  Süße- 
bach 556  m  Höhe  und  vereinigt  sich  bei  Sign.  530  m  südlich  von 
Lauterbach  mit  der  Hof-Oelsnitzer  Straße.  Sie  verläuft  mit  Ausnahme 
ihrer  südlichen  und  nördlichen  Endstrecke,  in  der  sie  aus  dem  Thale 
heraufsteigt,  ihrer  ganzen  Länge  nach  auf  dem  Höhenrücken. 

Die  Straße  von  Eger  nach  Oelsnitz  ist  im  größten  Teile  ihres 
Verlaufes  eine  Thalstraße,  zwischen  Oelsnitz  und  Plauen  trägt  sie  den 
Charakter  einer  Höhenstraße.  Aus  dem  Egerthale  führt  die  Straße 
über  den  Galgenberg  nach  Franzensbad,  Oberlohma  (463  m),  Voiters- 
reuth  (525  m),  an  Schönberg  (582  m)  vorbei  bis  zur  Höhe  von  653  m 
und  am  Abhänge  des  zum  Fleißenbache  geleitenden  Thaies  hinab  nach 
Brambach.  Viel  bequemer  und  nur  wenig  länger  ist  der  Weg,  der 
östlich  von  der  Bahnlinie  Voitersreuth-Brambach  über  Wildstein  (464  m), 
Großloh  (475  m),  Fleißen  (517  m)  nach  Brambach  (546  m)  führt.  Erst 
von  diesem  Orte  aus  kreuzt  die  Straße  die  Wasserscheide  zwischen 
Eger  und  Elster  (615  m)  und  benutzt  dann  von  Oberbrambach  (589  m) 
bis  Mühlhausen  (459  m)  das  Raunerbachthal  und  von  dessen  unterem 
Ende  bis  Oelsnitz  das  Elsterthal.  Von  Oelsnitz  (400  m)  aus  übersteigt 
sie  den  mittelvogtländischen  Höhenrücken  (Untermarxgrün  434  m, 
Oberlosa  468  m,  Reinsdorf  374  m),   um  Plauen  (341  m)  zu  erreichen. 

Ueber  denselben  Höhenrücken  hinweg  führt  auch  einer  der  oben l) 
erwähnten  „beywege",  eine  Höhenstraße  von  Oelsnitz  über  Oberschloditz 


J)  Siehe  S.  168  [72], 


77]  Das  Vogtland  als  orographisches  Individuum.  173 

529  m)  und  Theuma  (486  m)  nach  Neuensalz  zu  der  Hauptstraße, 
Plauen-Reichenbach.  Bei  Thoßfell  biegt  von  letzterer  die  Straße  ab, 
die  über  Treuen  (453  m),  Buch  (etwa  490  m),  Lengenfeld  (389  m, 
Hoyersmühle  375  m),  Irfersgrün,  Vogtsgrün,  Planitz  nach  Zwickau  ver- 
läuft. Bei  dieser  Straße  tritt  der  Charakter  der  Höhenstraße  erst  in 
dem  außerhalb  des  Vogtlandes  liegenden  Teile,  zwischen  Lengenfeld 
und  Zwickau,  hervor,  der  andere  Teil  der  Straße  hält  sich  an  die  in 
dieser  Richtung  verlaufenden  Thäler. 

Durch  das  Zwotathai  und  das  Floßbachthal  wird  der  Verlauf  der 
von  Graslitz  (500  m)  über  Zwota  (575  m),  über  den  Rauner  Berg  (726  m), 
Friebus  (641  m),  Wohlhausen  (570  m)  und  Markneukirchen  (487  m) 
nach  Adorf  führenden  Straße  bestimmt.  Dagegen  ist  der  von  Schön - 
bach  in  Böhmen  (525  m)  über  Wernitzgrün  (615,6  m)  nach  Markneu- 
kirchen verkehrende  Weg  ein  Höhenweg.  Ein  solcher  ist  auch  die 
Straße,  die  aus  dem  Zwotathaie  über  Kottenhaide  (780  m  und  799  m), 
Tannenhaus  (776  m),  Schöneck  (Chausseehaus  738  m),  Poppengrün 
(640  m),  Neustadt  (578  m)  nach  Falkenstein  (570  m)  gerichtet  ist  und 
sich  in  Poppengrün  mit  der  von  Oelsnitz  über  Zaulsdorf  (497  m),  Tir- 
persdorf  (480  m),  Pillmannsgrtin  (680  m),  Werda  (617  m)  herkommen- 
den Höhenstraße  vereinigt. 

Von  Falkenstein  an  findet  die  Straße  ihre  Fortsetzung  im  Göltzsch- 
thal,  nimmt  in  Auerbach  eine  andere  aus  dem  Zwotathaie  heraus  über 
Klingenthal,  Sachsenberg,  Tannenbergsthal,  Jägersgrün  (an  der  Zwickauer 
Mulde)  und  Hohengrün  führende  alte  Straße  auf  und  vereinigt  sich  in 
Lengenfeld  mit  der  Straße  Lengenfeld-Zwickau.  Der  zwischen  Rode- 
wisch und  Lengenfeld  gelegene  Teil  dieser  Straße  ist  erst  neuerdings 
von  der  Höhe  herein  ins  Thal  verlegt  worden.  Die  Fortsetzung  in  der 
Richtung  des  Göltzschthales  verläuft  wegen  der  unterhalb  Lengenfeld 
beginnenden  Enge  des  Thaies  über  den  Höhenrücken  weg  nach  Reichen- 
bach und  Mylau  (Wegegabel  nach  Waldkirchen  oberhalb  Schönbrunn 
462  m). 

Ebenso  führt  in  der  Richtung  des  Elsterthaies  von  Plauen  auf 
dem  Elster- Weidarücken  abwärts  eine  Straße,  deren  Anfang  in  Plauen 
früher  die  „Reichsstraße"  bildete,  jetzt  nach  Norden  zu  (382  m)  über 
das  Forsthaus  (429  m) ,  den  Tannenhof  (etwa  485  m) ,  an  Steinsdorf 
(422  m)  vorbei  herein  nach  Elsterberg  (271  m)  und  im  Elsterthale  ab- 
wärts durch  die  Rothenthaler  Enge  nach  Greiz  (früher  jedenfalls  auf 
dem  Höhenrücken  westlich  der  Elster  über  Moschwitz  und  Unter- 
Grochlitz  hinweg).  Von  Greiz  (257  m)  aus  sucht  sie  wieder  den  west- 
lichen Höhenrücken  auf,  indem  sie  im  Thale  der  Quirle  nach  Gommla 
(410  m)  heraufsteigt  und  über  Pomeranz  (378  m),  Wildetaube  (376  m), 
Wittchendorf,  Kleindraxdorf  (339  m),  Zschorte  sich  herein  nach  Cronsch- 
witz  und  Wünschendorf  senkt,  von  wo  an  sie  im  Elsterthale  nach  Gera 
zu  strebt. 

Alle  diese  Straßen,  die  früher  mehr  oder  weniger  im  Dienste  des 
Durchgangsverkehres  standen,  haben  diese  Bedeutung  an  die  Eisen- 
bahnen abgetreten  und  dienen  heute  nur  noch  dem  lokalen  Verkehr. 


174  Albert  Wohlrab,  [78 

d)  Die  Eisenbahnen. 

„An  vielen  Stellen  kann  man  beobachten,  daß  die  modernen 
Eisenbahnen,  von  den  Abweichungen  im  einzelnen  abgesehen,  den- 
selben Linien  wie  die  alten  Saumwege  und  Fahrstraßen  folgen.  An 
anderen  Stellen  hat  allerdings  die  technische  und  finanzielle  Möglich- 
keit größerer  Kunstbauten  zur  Wahl  anderer  Linien  geführt.  Zum 
Teil  hängt  es  hiermit  zusammen,  daß  die  Thalwege  mehr  und  mehr 
an  die  Stelle  der  Rücken-  und  Plateau wege  getreten  sind1).*1  Die 
beiden  hierin  ausgesprochenen  Beobachtungen,  daß  die  Eisenbahnen 
den  alten  Straßen  folgen  und  daß  sie  früher  auf  die  Höhenrücken, 
später  in  die  Thäler  verlegt  wurden,  finden  in  den  Eisenbahnlinien  des 
Vogtlandes  ihre  volle  Bestätigung. 

Die  Richtung  der  Straße  Hof-Plauen-Reichenbach  hält  der  ent- 
sprechende Teil  der  sächsisch-bayrischen  Eisenbahn  ein.  Diese  Ver- 
kehrslinie steigt  aus  dem  Thale  der  Saale  am  Gehänge  der  unteren 
Regnitz  herauf  zum  reußischen  Grenzrücken,  überschreitet  im  Passe 
westlich  vom  Eandelhof  die  Wasserscheide  und  verläuft  auf  diesem 
Höhenrücken  und  auf  seiner  nordöstlichen  Fortsetzung,  dem  Elster- 
Weidarücken,  bis  zum  Thalrande  der  Weißen  Elster.  Ueber  das  Thal 
hinweg  gelangt  sie  auf  einer  68  m  hohen  und  278  m  langen  Brücke. 
Nachdem  sie  darauf  den  Wendelstein-Kuhbergrücken  durchquert  hat, 
setzt  sie  über  das  Göltzschthal  in  einem  78  m  hohen  und  574  m  langen 
Viadukte  hinweg  und  erreicht  die  Stadt  Reichenbach.  Wenige  Kilo- 
meter nach  dieser  Station  überwindet  sie  die  Wasserscheide  zwischen 
der  Elster  und  der  Pleiße  und  folgt  dem  zuletzt  genannten  Flusse  hinab 
nach  Leipzig;  oberhalb  der  Stadt  Werdau  zweigt  sich  von  ihr  in  der 
Richtung  der  alten  „aus  dem  Reiche u  nach  Polen  über  Chemnitz, 
Dresden,  Bautzen  führenden  Straße  eine  Eisenbahnlinie  nach  Zwickau 
ab.  Innerhalb  des  Vogtlandes  liegen  an  ihr  die  Stationen  Hof  (505  m), 
Feüitzsch  (495  m),  Gutenfurst  (567  m),  Reuth  (578  m),  Schönberg 
(514  m),  Mehltheuer  (512  m),  Plauen  (409  m),  Jocketa  (871  m),  Herlas- 
grün (429  m),  Netzschkau  (380  m)  und  Reichenbach  (399  m).  Auf 
dieser  74  km  langen  Strecke,  deren  tiefsten  Punkt  die  Fahrbahn  der 
Göltzschthalbrücke  aufweist  (367  m),  beträgt  der  größte  Unterschied 
der  Höhen  rund  200  m. 

Die  andere  Hauptlinie  der  vogtländischen  Eisenbahnen  ist  eine 
Thalbahn.  Während  jene  erste  in  den  Jahren  1841 — 1851  erstand, 
wurde  diese  als  vollständige  Thalbahn  erst  1874  vollendet.  Es  ist  die 
Linie  Plauen-Oelsnitz-Eger.  Allerdings  bestand  diese  als  „vogtländische 
Linie"  schon  seit  1865,  allein  ihr  Ausbau  als  Thalbahn  war  erst  9  Jahre 
später  beendet,  als  die  Strecke  Plauen-Oelsnitz  fertig  war.  Vor  Voll- 
endung dieser  Strecke  fand  sie  ihren  Anschluß  an  die  Linie  Hof- 
Reichenbach  in  der  Station  Herlasgrün  und  verlief  von  dort  weg  längs 
des  Wendelstein-Kuhbergrückens  über  Treuen  (470  m),  Eich  (damals 
Station  Lengenfeld,  496  m),  Auerbach  (540  m)  nach  Falkenstein  (550  m) 


*)    Hettner,    Der  gegenwärtige  Stand   der  Verkehrsgeographie.     Geogr. 
Zeitschr.  III,  S.  663. 


79]  Das  Vogtland  als  orographisches  Individuum.  175 

und  über  den  mittelvogtländischen  Höhenrücken  hinweg,  vorbei  an  den 
Stationen  Bergen  (518  m),  Lottengrün  (531  m)  und  Untermarxgrün 
(447  m),  nach  Oelsnitz.  Seit  1874  senkt  sie  sich  vom  Bahnhof  Plauen 
(oberer  Bahnhof  409  m)  herein  ins  Elsterthal  (Kürbitz  357,6  m)  nach 
Weischlitz  (356,9  m)  und  steigt  in  demselben  an  Pirk  (367,4  m),  Oels- 
nitz (392,8  m)  und  Hundsgrün  (445,8  m)  vorbei  nach  Adorf  (444,4  m) 
und  von  Station  Elster  (472,5  m)  an  im  Raunerbachthale  herauf  zur 
Wasserscheide  zwischen  der  Elster  und  Eger.  Ueber  den  Sattel  zwischen 
dem  Hengstberge  und  dem  Wachtberge  hinweg  (612  m)  erreicht  sie 
die  Station  Brambach  (576  m)  und  fällt  dann  in  großen  Serpentinen 
herein  nach  Voitersreuth  (512  m),  Franzensbad  (450  m)  und  Eger. 
Diese  Eisenbahnstrecke  ist  zwischen  Plauen  und  Eger  ebenfalls  74  km 
lang,  fällt  aber  vom  Wachtberge  bis  Weischlitz  250  m. 

Ihre  Fortsetzung  im  Elsterthale  nach  Norden  zu  hat  diese  Bahn- 
linie in  der  Strecke  Weischlitz-Gera  gefunden,  die  1875  als  Linie 
Weischlitz- Wolfsgefährt  (an  der  Elster  unterhalb  der  Weidamtindung) 
eröffnet  wurde.  Der  Schwierigkeiten,  denen  ihre  Anlage  begegnete, 
wurde  schon  gelegentlich  der  Wanderung  durch  das  Elsterthal  gedacht. 
Ueberschreitet  doch  die  Bahnlinie,  die  in  ihrer  ersten  Anlage  55  km 
lang  war,  die  Elster  in  29  Brücken  und  bahnt  sich  ihren  Weg  durch 
8  Tunnel  in  der  Gesamtlänge  von  1483  m,  von  denen  der  Elsterberger 
356  m  lang  ist.  Seit  1892  führt  die  Bahn  nicht  mehr  von  Wünschen- 
dorf nach  Wolfsgefährt  hinüber,  sondern  auf  dem  rechten  Elsterufer 
bis  Gera  und  weist  seit  1897  eine  die  Verkehrsbedeutung  des  Vogt- 
landes beweisende  Schnellzugsverbindung  auf  zwischen  Eger- Weischlitz- 
Gera- Weimar  als  einer  Teilstrecke  der  direkten  Zugsverbindung  zwischen 
Wien-Eger-Gera-Weiraar-Cassel-Aachen. 

Ihr  parallel  verläuft  auf  dem  Elster- Weidarücken  die  an  die 
sächsisch-bayrische  Eisenbahnlinie  anstoßende  Strecke  Mehltheuer- 
Weida,  die  35  km  lang  ist  und  in  Weida  Anschluß  findet  an  die 
preußische  Eisenbahnlinie  Leipzig-Gera-Probstzella.  Im  nördlichen  Teile 
benutzt  die  Strecke  die  Thäler  der  Triebes  und  der  Weida;  sie  ist  also 
zur  Hälfte  Höhen-,  zur  Hälfte  Thalbahn.  Der  Bau  dieser  Bahn  wurde 
1872  begonnen,  aber  erst  1884  vollendet.  Sie  sollte  ihrer  ersten  An- 
lage nach  den  Verkehr  zwischen  Leipzig  (und  Halle)  und  Hof  (und 
Eger)  abkürzen.  Die  Länge  der  Linie  Hof-Plauen-Leipzig  (bayrischer 
Bahnhof)  beträgt  164,6  km,  die  der  Strecken  Hof-Mehltheuer,  Mehl- 
theuer- Weida,  Weida-Leipzig  (thüringischer  Bahnhof)  157,7  km;  erst 
wenn  man  von  der  letztgenannten  Länge  noch  die  des  großen  Bogens 
zwischen  Leipzig  (thüringischer  Bahnhof)  und  Leipzig-Lindenau  (10,9  km) 
abzieht,  erscheint  die  zweite  Verbindung  mit  der  ersten  vergleichbar 
(146,8  km)  und  zeigt  ihre  Funktion  als  Abkürzungsstrecke.  „Der  Staat 
hat  die  Linie  (Mehltheuer-Weida)  jedoch  nur  als  Sekundärbahn  aus- 
gebaut, da  seiner  leistungsfähigen  Bahn  Leipzig-Hof  gegenüber  die 
geringe  Abkürzung  der  neuen  Strecke  zu  wenig  ins  Gewicht  fiel1)/ 

An    die    Stelle    der   Straße ,    die    aus    dem    Floßbachthal    über 


l)  A.  v.  Mayer,   Geschichte   und  Geographie  der  deutschen  Eisenbahnen, 
1891,  1.  Bd.,  S.  419. 


176  Albert  Wohlrab,  [80 

Friebus  ins  Zwotathai  führte,  ist  die  Eisenbahn  Adorf- Markneu- 
kirchen-Oberzwota  getreten,  die  ein  Teil  der  großen  Linie  Adorf- Aue- 
Chemnitz  ist  und  von  Oberzwota  ihre  Fortsetzung  herein  ins  Zwota- 
thal  findet. 

Auch  ins  Göltzschthal  hinüber  hat  die  Zwotathalbahn  neuer- 
dings1) Anschluß,  seit  von  Station  Muldenberg  (der  Linie  Adorf- Aue) 
eine  Verbindungsstrecke  nach  Falkenstein  hergestellt  wurde,  nach  einer 
Station,  die  schon  bei  der  Erwähnung  der  vogtländischen  Linie  genannt 
wurde  und  wo  seit  1875  eine  Bahnlinie  abzweigt,  die  als  Thalbahn  im 
Göltzschthal  abwärts'  bis  Lengenfeld  und  dann  als  Höhenbahn  auf  der 
Wasserscheide  zwischen  der  Göltzsch  und  Pleiße  einerseits  und  der  Mulde 
andererseits  nach  Zwickau  gelangt9). 

Wenn  von  den  angeführten  Bahnlinien  auch  nur  drei  (Hof-Leipzig, 
Eger-Reichenbach,  [Eger]-Weischlitz-Gera)  durchgehende  Schnellzüge3) 
aufzuweisen  haben,  so  dienen  sie  doch  mehr  oder  weniger  alle  dem 
Durchgangsverkehre  zwischen  Sachsen  und  den  beiden  südlichen  Grenz- 
ländern Bayern  und  Böhmen.  Den  Verkehr  mit  Böhmen  vermitteln 
insbesondere  auch  die  zuletzt  erwähnten  Linien,  die  seit  dem  Ausbau 
der  verbindenden  Strecken  in  den  Fahrplänen  auftreten  unter  den  Be- 
zeichnungen Zwickau  -Oelsnitz  (mit  den  Hauptstationen  Lengenfeld, 
Auerbach,  Falkenstein)  und  Herlasgrün-Muldenberg-Klingenthal  (mit 
den  Hauptstationen  Treuen,  Auerbach  oberer  Bahnhof,  Falkenstein  und 
Zwota). 

Lediglich  dem  Lokalverkehr  dienen  die  an  die  sächsisch-bayrische 
Eisenbahn  angeschlossenen  Linien  Schönberg-Schleiz  und  Schönberg- 
Hirschberg,  von  denen  die  erstere  im  Thale  der  Wiesenthal,  die  andere 
ihrer  ganzen  Länge  nach  (20  km)  auf  der  sächsisch-reußischen  Hoch- 
ebene verläuft. 

Von  den  beiden  an  den  Grenzen  des  Vogtlandes  vorüberlaufenden 
Bahnlinien  Leipzig-Gera-Saalfeld-Probstzella  und  Hof-Eger  hat  die  erste 
als  Anschlußbahn  der  Linien  Weischlitz-Gera  und  Mehltheuer-Weida 
für  das  Vogtland  große  Bedeutung,  während  der  Einfluß  der  zweiten 
zurücktritt.  An  die  erste  der  beiden  Linien  schließt  sich  in  Triptis 
noch  die  Lokalbahn  Triptis-(Ziegenrück-Lobenstein-)Blankenstein  an, 
die  zwischen  Auma  und  Ziegenrück  ungefähr  mit  der  nordwestlichen 
Grenze  unseres  Gebietes  zusammenfällt.  Von  der  zweiten  Linie  führt 
vom  Bahnhof  Asch  ab  eine  Lokalbahn  nach  Roßbach,  die  während  des 
größten  Teiles  ihres  15  km  langen  Verlaufes  den  Kamm  des  sächsisch- 
böhmisch-bayrischen Grenzrückens  benutzt. 

Das  oben  abgegrenzte,  2483  qkm  Flächeninhalt  aufweisende  Ge- 
biet des  Vogtlandes  hat  also  folgende  Bahnlinien,  die  innerhalb  des- 
selben folgende  Längen  aufweisen: 


x)  Seit  dem  Jahre  1892. 

2)  Eine  Göltzschthal  bahn  Bengenf eld-Mylau  befindet  sich  im  Bau. 

*)  Die  beiden  erst  seit  1897  verkehrenden  Schnellzüge,  der  Nord-Südexpreßzug 
(Brennerzug),  der  von  Berlin  über  Leipzig-Hof- Regensburg -München-Innsbruck  nach 
Verona  läuft,  und  der  S.  175  [79]  erwähnte  Wien  und  Aachen  (über  EgerGera- 
Weimar-Cassel)  verbindende  zeigen  recht  deutlich  die  wichtige  Lage  unseres  Gebietes. 


81]  Das  Vogtland  als  orographisches  Individuum.  177 

1.  Hof-Reichenbach  (Säalebrücke-Göltzschthalbrücke)     .  78,0  km 

2.  Plauen-Eger  (Plauen- Voitersreuth) 59,6  „ 

3.  Weischlitz-Gera  (Weischlitz-Wünschendorf)       .     .     .  50,5  „ 

4.  Mehltheuer-Weida .  35,1  „ 

5.  Adorf-Oberzwota-Muldenberg 18,2  „ 

6.  Herlasgrün-Falkenstein-Muldenberg 32,8  „ 

7.  Oelsnitz-Falkenstein-Zwickau  (Oelsnitz-Lengenfeld)    .  37,7  „ 

8.  Schönberg-Schleiz 14,9  „ 

9.  Schönberg-Hirschberg 19,9  ^ 

10.  Asch-Roßbach 15,0  , 

Zusammen  361,7  km 

Auf  1000  qkm  Flächeninhalt  entfallen  demnach  145,6  km  Eisen- 
bahn. Im  Deutschen  Reiche  kommen  77,4  km,  im  Königreiche  Sachsen 
aber  149,2  km  auf  die  gleiche  Fläche  l). 

Das  Eisenbahnnetz  des  Vogtlandes  ist  also  fast  ebenso  dicht  wie 
das  des  Königreiches  Sachsen,  das,  abgesehen  von  den  Gebieten  von 
Bremen  und  Lübeck,  das  dichteste  Eisenbahnnetz  im  Deutschen  Reiche 
hat.  Das  Vogtland  hat  also  seine  Bedeutung  für  den  Verkehr  auch 
bei  den  veränderten  Verkehrsmitteln   bis   in  die  neueste  Zeit  gewahrt. 


G.  Wirkungen  des  Durchgangsverkehres. 

Die  Wirkungen,  die  der  das  Vogtland  durchziehende  Verkehr  aus- 
übte, sind  verschieden. 

Auf  die  Wirkungen  des  kriegerischen  Verkehrs  soll  hier 
nur  kurz  eingegangen  werden.  M.  Schmidt  weist  darauf  hin2),  daß 
während  der  Wanderungen  der  deutschen  Stämme  vom  2. — 6.  Jahr- 
hundert n.  Chr.  das  Vogtland  „von  fortwährenden  Durchzügen  heim- 
gesucht wurde,  welche  die  ansässige  Bevölkerung  zum  Abzüge  veran- 
lagten ".  Alle  die  Truppendurchzüge  aufzuführen,  welche  das  Vogtland 
berührten,  die  Lasten  aufzuzählen,  die  dadurch  der  Bevölkerung  er- 
standen, die  Mißhandlungen  zu  schildern,  die  wilde  Kriegshorden  hier 
verübten,  würde  zu  viel  Raum  in  Anspruch  nehmen.  Erzählungen 
von  den  Greuelthaten  aus  dem  Hussitenkriege  und  dem  Dreißigjährigen 
Kriege  leben  heute  noch  im  Munde  des  Volkes.  Ein  Beispiel  von  den 
Schrecknissen  des  Krieges,  von  dessen  zerstörendem  Einflüsse,  mag  hier 
Platz  finden.  In  der  Nacht  vom  9.  zum  10.  Oktober  1806  ließ  der 
französische  Marschall  Soult  die  hochgelegenen  Dörfer  Thiergarten, 
Groß-  und  Kleinzöbern  anzünden,  um  seine  Stellung  dem  bei  Schleiz 
stehenden  Marschall  Ney  zu  signalisieren,  der  das  ebenfalls  hochgelegene 
Dorf  Oettersdorf  bei  Schleiz  hatte  in  Brand  stecken  lassen3). 


')  Gebauer,  Volkswirtschaft  i.  Königr.  Sachsen,  111,  S.  752.  Nach  der 
deutschen  Eisenbahnstatistik,  herausgeg.  vom  Reichseisenbahnamt,  für  1896/97 
kommen  auf  1000  qkm  Grundfläche  in  Sachsen  156,5  km  Eisenbahnen. 

2)   A.  a.  O.,  S.  20. 

')  Fiedler,  Die  Stadt  Plauen  im  Vogtlande.  Eine  historische  Skizze, 
1874,  S.  50. 

Forschungen  zur  deutschen  Landes-  and  Volkskunde.    XII.   8.  12 


178  Albert  Wohlrab,  [82 

Von  dem  Einfluß  des  Handelsverkehrs  auf  unser  Gebiet 
spricht  die  schon  angeführte  Schrift  von  Simon.  Nach  derselben  haben 
die  das  Vogtland  durchziehenden  großen  Straßen  die  Entstehung  der 
daran  gelegenen  Städte  zur  Folge  gehabt.  Seiner  Verkehrslage  soll 
das  Vogtland  auch  die  beiden  bekannten  Industrieen,  die  Weißwaren- 
industrie und  die  Musikinstrumentenindustrie  verdanken.  Kaufmann 
Höffer  in  Plauen  schreibt  über  den  Ursprung  der  ersten1):  „Nach  der 
Tradition  oder  mündlichen  Uiberlieferung,  weil  keine  schriftliche  Nach- 
richt hierüber  zu  haben  ist;  legten  einige  Familien,  die  der  Religion 
wegen  aus  der  Schweitz  vertrieben  wurden,  und  sich  in  Hof  und  Plauen 
niederließen,  im  sechszehnten  Jahrhundert  den  Grund  zu  dieser  Fabric. 
Sie  fingen  an,  was  sie  dort  gelernt  hatten,  sogenannte  baumwollne 
Schlör  oder  Schleyer  zu  verfertigen.  .  .  .tt  „Das  Bässe-  und  Geigen- 
machen soll  1580  durch  böhmische  Exulanten  —  namentlich  aus  Schön- 
bach und  Graslitz  —  nach  Markneukirchen  gebracht  worden  sein1)." 
Was  die  erstgenannte  Industrie  seinerzeit  brauchte,  Wasser  und  Wiesen, 
das  besaßen  auch  andere  Gegenden,  ja  vielleicht  in  einer  noch  besser 
geeigneten  Art;  daß  sie  sich  hier  niederließ,  ist  durch  die  Verkehrs- 
lage des  Gebietes  bewirkt. 

Der  Einfluß  der  Verkehrslage  des  Gebietes  macht  sich  auch 
geltend  auf  seine  staatliche  Zugehörigkeit.  „Jedes  Verkehrs- 
gebiet strebt  aber  auch,  ein  politisches  Gebiet  zu  werden8).*  Inter- 
essant ist  der  Verlauf,  den  in  dieser  Beziehung  im  Vögtlande  die  Ver- 
hältnisse nahmen.  Zuerst  sehen  wir,  wie  die  mit  dem  Gebiete  be- 
lehnten Vögte  sich  zu  selbständigen  Herren  des  Landes  erheben  wollen. 
Dann  beginnen  die  mächtigeren  Nachbarn  an  Einfluß  zu  gewinnen. 
Nachdem  Kursachsen  seine  Rivalen  (König  von  Böhmen  und  Burggraf 
von  Nürnberg)  beiseite  gedrängt  und  den  größten  Teil  des  Gebietes  in 
seine  Gewalt  gebracht  hat,  benutzt  es  seine  staatlichen  Machtmittel, 
um  die  Funktion  des  Gebietes  als  Verkehrsgebiet  einzig  und  allein  auf 
den  von  ihm  gewonnenen  Teil  zu  übertragen. 

Den  Unabhängigkeitsbestrebungen  der  Vögte,  die  ursprünglich 
Lehensträger  der  Thüringer  Landgrafen  waren,  kam  an  der  Wende  des 
13.  Jahrhunderts  die  Uneinigkeit  der  Wettiner  sehr  zu  statten4);  allein 
nach  der  Mitte  des  14.  Jahrhunderts  wurden  sie  von  den  Wettinern 
immer  mehr  aus  ihren  Besitzungen  verdrängt.  Die  zeitweise  mit  den 
Wettinern  rivalisierenden  Könige  von  Böhmen  unterstützten  diese  zu 
jener  Zeit  in  ihren  Bemühungen,  um  sich  ihrer  Hilfe  bei  anderen 
Unternehmungen  zu  sichern.  Für  die  Lande  der  Wettiner  gewann  mit 
dem  Wachstume  der  Leipziger  Messen  das  Gebiet  der  Vögte  so  große 


')  Versuch  einer  Geschichte  der  Baumwollnen  Waren-Manufactur  im  Voigt- 
ländischen Creiß  von  1550 — 1790.  Von  Carl  Heinrich  Höffer,  Kaufmann  in 
Plauen,  enth.  in  d.  Mitteil.  d.  Altertumsver.  z.  Plauen  i.  V.,  9.  Jahresschrift, 
1892/93,  S.  3. 

2)   Metzner,  Vogtland.  Wanderungen,  1882,  S.  163. 

s)  Ratzel,  Politische  Geographie,  S.  404. 

4)  We  n  c k ,  Der  vogtlandische  Krieg  (Anhang  zu :  Die  Wettiner  im  XIV.  Jahr- 
hundert), S.  9  ff.  —  Hermann  Ahrens,  Die  Wettiner  und  Kaiser  Karl  IV.  Leipzig, 
Diss.,  1895,  S.  6.  —  Martin  Luther,  Die  Entwicklung  der  landständischen  Ver- 
fassung in  den  wettinischen  Landen  bis  z.  J.  1485.    Leipzig,  Diss.,  1895,  S.  54. 


831  Das  Vogtland  als  orographisches  Individuum.  179 

Bedeutung,  daß  die  Wettiner  danach  streben  mußten,  die  wichtige 
Zufahrtsstraße  von  Süden  her  den  Händen  der  Vögte  zu  entreißen. 
Unter  dem  Vorwande,  die  Vögte  begünstigten  das  Räuberunwesen, 
begann  1354  der  vogtländische  Krieg,  durch  den  die  wichtigsten  Plätze 
an  der  Elster  und  einige  Gebiete  zwischen  Elster  und  Saale  an  Meißen 
kamen  und  die  Macht  der  Vögte  völlig  gebrochen  wurde.  Zwar  bringt 
in  der  Mitte  des  16.  Jahrhunderts  der  thatkräftige  Burggraf  Heinrich  V. 
von  Plauen,  ein  Parteigänger  des  Kaisers  Karl  V.,  sowohl  die  Gebiete 
seiner  Vettern  als  auch  die  an  die  Wettiner  übergegangenen  Landes- 
teile an  sich,  erobert  Hof  und  hat  die  Aussicht,  das  einst  dem  Hause 
der  Vögte  gehörige  Regnitzland  zu  gewinnen,  allein  nach  dem  frühen 
Tode  dieses  Mannes  gehen  die  eben  wiedergewonnenen  Gebiete  den 
Vögten  fllr  immer  verloren. 

Als  der  ganze  östliche  Teil  des  wichtigen  Verkehrsgebietes  in  den 
Händen  des  benachbarten,  stärkeren  Staates  (Sachsen)  war,  wußte  dieser 
sofort  das  neue  Gebiet  seinen  wirtschaftlichen  Interessen  dienstbar  zu 
machen  zum  Nachteile  der  den  Vögten  verbliebenen  westlichen  und 
nördlichen  Gebiete  (die  Fürstentümer  Reuß  älterer  und  jüngerer  Linie). 
„Die  Macht,  die  einen  Gebirgsübergang  umfaßt,  zieht  zunächst  Einfluß 
aus  ihrer  Beherrschung  des  Verkehres,  der  diesen  Weg  benutzt1)."  Es 
wurde  schon  darauf  hingewiesen,  wie  von  Sachsen  aus  den  Fuhrleuten 
der  Weg  durch  das  westliche  Gebiet  (die  Straße  Hof-Schleiz-Gera- 
Leipzig)  verboten  wird.  Welcher  Anstrengungen  es  bedurfte,  um  diesen 
Verboten  Achtung  zu  verschaffen,  zeigen  die  mehrfachen  Erneuerungen 
dieses  Mandats  in  den  Jahren  1697  und  1708,  die  eine  1680  der  Pest 
wegen  gegebene  Erlaubnis,  jene  Wege  zu  benutzen,  wieder  aufhoben2). 
Waren  es  in  jener  Zeit  die  Zölle,  Geleitsabgaben  u.  dgl.,  welche  das 
Interesse  des  Staates  erweckten,  so  sind  es  heutzutage  die  aus  den 
Eisenbahnen  erwachsenden  Einnahmen.  Daß  der  sächsische  Staat  die 
Linie  Mehltheuer-Weida  als  Sekundärbahn  ausbaute  und  nicht  als  zwei- 
gleisige Hauptbahn3),  die  dem  Verkehr  zwischen  Leipzig  und  Hof  eine 
Abkürzung  bietet,  wie  die  Absicht  der  die  Bahn  gründenden  Privat- 
gesellschaft war,   ist  eine  jenen  Straßenmandanten  analoge  Thatsache. 

Ungünstig  für  den  Verkehr  auf  der  zuletzt  genannten  Linie  und 
damit  für  den  Durchgangsverkehr  durch  das  Vogtland  ist  die  Kon- 
kurrenz der  dem  preußischen  Staate  gehörigen  Linie  Leipzig-(Halle-) 
Gera-Weida-Saalfeld-Probstzella,  die  gegenüber  jener  eine  wesentliche 
Abkürzung  der  Entfernung  zwischen  Leipzig  und  Nürnberg  herbei- 
führt; es  beträgt  die  Länge  der  Strecke  Leipzig-Hof-Bamberg-Nürnberg 
354  km,  die  Länge  der  Strecke  Leipzig-Probstzella-Nürnberg  nur  324  km. 
Die  Strecke  Leipzig-Hof-Marktredwitz-Nürnberg  ist  331  km  lang. 


f)  Ratzel,  Politische  Geographie,  S.  686. 

2)  Heller,  Handelswege,  S.  60.  61. 

3)  Ulbricht,    Geschichte   der   königl.    sächs.    Staatseisenbahnen.     Dresden, 
1899,  S.  62.  -  A.  v.  Mayer,  a.  a.  0. 


180  Albert  Wohlrab,  [84 

2.  Die  Siedelnngen  des  Vogtlandes. 

A.  Lage  der  Siedelangen. 

Die  geographischen  Verhältnisse  des  Vogtlandes  zeigen  zwei  her- 
vortretende Eigentümlichkeiten,  es  sind  die  im  Vergleich  zu  den  Nach- 
bargebieten geringere  absolute  Höhe  und  der  Hochflächencharakter. 
War  die  erste  Eigentümlichkeit  der  Anlaß,  die  Eigenschaft  des  Gebietes 
als  Durchgangsland  des  Verkehres  nachzuweisen,  so  regt  die  zweite 
die  Frage  nach  der  Lage  der  Siedelungen  in  demselben  an.  Bei  der 
Zeichnung  des  Landschaftsbildes  wurde  schon  darauf  aufmerksam  ge- 
macht; denn  „die  menschlichen  Ansiedelungen  gehören  nicht  nur  durch- 
aus zum  äußeren  Bilde  der  Landschaft,  aus  der  wir  sie  uns  nicht  ent- 
fernt denken  können,  ohne  das  Bild  ganz  zu  verändern,  sondern  stehen 
auch  mit  den  übrigen  geographischen  Erscheinungen  gebend  und 
empfangend  in  so  engem  ursächlichem  Zusammenhang,  daß  das  System 
geographischer  Thatsachen  ohne  sie  eine  klaffende  Lücke  zeigen  würde"  1). 
Ein  Eingehen  auf  die  Lage  der  Siedelungen  scheint  daher  bei  der  Be- 
sprechung der  anthropogeographischen  Folgerungen  aus  den  orographi- 
schen  Verhältnissen  nötig  zu  sein. 

„Bei  der  Untersuchung2)  der  Gesamtheit  der  Ansiedelungen  einer 
Gegend  wird  man  bemerken,  daß  viele  Ansiedelungen  gleichartige 
Lagenverhältnisse  haben.  Man  wird  also  Klassen  bilden  oder  Typen 
aufstellen  und  wird  Gesetze  aussprechen  können,  die  zunächst  aller- 
dings nur  für  die  betreffende  Gegend  gültig  sind/  Jedes  gebirgige 
Land  läßt  der  Lage  nach  zwei  Hauptklassen  von  Siedelungen  als  mög- 
lich erscheinen,  Siedelungen  auf  den  Höhen  und  Siedelungen  im  Thale. 
Der  oben  gezeichnete  Charakter  unseres  Gebietes  läßt  in  der  Klasse 
der  Höhensiedelungen  wieder  zwei  Möglichkeiten  zu.  Die  Orte  können 
auf  den  Bergrücken  selbst  liegen  oder  in  den  Mulden  zwischen  den- 
selben ihren  Platz  haben.  Die  Siedelungen  im  Thale  können  entweder 
auf  den  Thalboden  oder  an  das  Thalgehänge  (auf  Thalterrassen)  ge- 
baut sein.  In  den  Thälern  des  Vogtlandes  wechseln  Thalengen  mit 
Thalweiten  ab.  Abgesehen  von  den  Einzelsiedelungen  lassen  sich  daher 
in  unserem  Gebiete  Orte  vorzugsweise  in  den  Thalweitungen  erwarten, 
wie  sie  sich  zeigen  an  Thalkrümmungen  und  an  den  Mündungen  von 
Nebenthälern.  Nach  ihrem  Verhältnis  zu  den  orographischen  Formen 
des  Gebietes  lassen  sich  demnach  vier  Klassen  von  Siedelungen  unter- 
scheiden, die  im  landschaftlichen  Teile  der  Arbeit  schon  angedeutet 
wurden3):  Siedelungen  in  Thalweitungen,  an  Thalgehängen,  in  Mulden 
der  Hochfläche  und  auf  den  Höhenrücken.  Wenn  sich  die  Siedelungen 
des  Vogtlandes  auch  nicht  nach  diesen  vier  Klassen  scharf  voneinander 
unterscheiden   lassen   und   manche  Siedelungen  Uebergänge  von  einem 


*)  Hettner,  Die  Lage  der  menschlichen  Ansiedelungen.    Geogr.  Zeitechr.,  I, 
S.  361. 

2)  Hettner,  a.  gleichen  0.,  S.  374. 

8)  Siehe  S.  153  [57]. 


85]  Das  Vogtland  als  orographisches  Individuum.  181 

Typus  zum  andern  oder  Kombinationen  zweier  Typen  darstellen,  so  ist 
es  doch  möglich,  für  jeden  derselben  zahlreiche  Beispiele  aufzuführen. 

In  Thalweitungen  liegen  die  Städte  Greiz,  Plauen  und  Oelsnitz, 
die  freilich  über  den  engen  Rahmen  des  Thalbodens  längst  hinaus- 
gewachsen sind,  am  weitesten  von  allen  drei  Städten  Plauen,  dessen 
Häuserreihen  in  neuester  Zeit  auf  der  Hochfläche  ein  bedeutendes  Vor- 
dringen aufweisen.  In  der  Thalweitung  der  Elster  oberhalb  Plauen 
haben  sich  die  Dörfer  Straßberg,  Kürbitz  und  Weischlitz  angesiedelt. 
Neuerdings  breitet  sich  auch  die  Stadt  Adorf  immer  mehr  in  der  Thal- 
aue aus,  während  der  ältere  Teil  derselben  am  westlichen  Gehänge 
aufgebaut  ist.  Aehnliche  Verhältnisse  zeigt  Bad  Elster.  An  der  Mün- 
dung der  Auma  in  die  Weida  liegt  in  der  Thalweitung  und  am  Thal- 
gehänge das  Städtchen  Weida,  an  der  Mündung  des  Raumbaches  in 
die  Göltzsch  das  Städtchen  Mylau,  beide  überragt  von  einer  alten  Burg. 
Innerhalb  des  Granitgebietes  fließt  die  Trieb  in  einem  breiten  und 
flachen  Thale,  in  dem  sich  die  Dörfer  Bergen,  Trieb  und  Schönau  an- 
gesiedelt haben.  Typische  Beispiele  für  die  Lage  in  Thalweitungen 
bieten  ferner  die  Dörfer  Dröda  im  Peilebachthale,  Görnitz,  Raasdorf, 
Zaulsdorf  und  Tirschendorf  im  Thale  des  Görnitzbaches  und  in  seinen 
Nebenthälern ,  die  Stadt  Markneukirchen  und  das  Dorf  Erlbach  im 
Floßbachthale,  Brambach  und  Pleißen  im  Thale  des  Fleißenbaches, 
Steingrub  im  Thale  des  Rohrbaches.  Im  Gebiete  der  Saale  sei  auf  die 
Lage  von  Hof  und  Hirschberg  hingewiesen. 

Selten  sind  im  Vogtlande  die  langgestreckten  Dörfer,  die  sich  in 
einem  beträchtlichen  Teile  eines  Thaies  hinziehen.  Es  fehlt  an  hierzu 
geeigneten  Thälern.  Im  Elsterthale  selbst  findet  sich  kein  derartig 
angelegter  Ort.  In  der  Mitte  des  Gebietes  sind  nur  die  Orte  Unter- 
triebel  im  Triebelbachthale  und  Bösenbrunn  in  einem  Nebenthaie  des 
letzteren  als  solche  anzuführen.  In  den  Grenzgebieten  sind  sie  häufiger. 
Im  Thale  der  Weida  ist  Weckersdorf,  im  Thale  der  Leuba  Langen- 
wetzendorf,  im  Göltzschthale  Grün,  Rodewisch,  Auerbach,  Ellefeld,  in 
Nebenthälern  der  Göltzsch  Oberreichenbach,  Schneidenbach,  Waldkirchen, 
Lengenfeld,  am  Treuenschen  Wasser  Dorfstadt  und  Reumtengrün  zu 
nennen.  Im  unteren  Raunerbachthal  streckt  sich  das  lange  Mühlhausen 
aus ;  im  westlichen  Vogtlande  zeigt  das  in  einem  Nebenthaie  der  Wiesen- 
thal gelegene  Crispendorf  eine  ähnliche  Anlage.  Auch  Orte,  wie  Langen- 
bach,  Langenbuch  (bei  Mühltroff)  und  Langgrün  (südwestlich  von  Tanna) 
würden  mit  zu  dieser  ersten  Klasse  zu  zählen  sein,  wenn  sie  nicht  so 
nahe  der  Hochebene  lägen  und  besser  als  Siedelungen  in  Mulden  der 
Hochfläche  bezeichnet  werden.  Da  diese  langgestreckten  Dörfer  im 
Vogtlande  selten  sind,  so  können  die  wenigen  Vertreter  derselben  der 
Klasse  der  Dörfer  in  Thalweitungen  zugezählt  werden;  denn  thatsäch- 
lich  ist  ihre  Anlage  nur  in  weiten  Thalabschnitten  möglich. 

Eine  zweite  Klasse  von  Siedelungen  des  Vogtlandes  ist  die 
Gruppe  derer,  die  am  Thalgehänge  angebaut  sind,  sei  es,  daß  sie 
vom  Thale  bis  hinauf  zum  Rande  der  Hochfläche  sich  ausdehnen,  sei 
es,  daß  sie  auf  einer  Thalterrasse  Platz  gefunden  haben.  Eine  der- 
artige Lage  zum  Elsterthale  oder  zu  unmittelbaren  Nebenthälern  des- 
selben  weisen  folgende  Orte   auf:   Clodra,   Dittersdorf  (südöstlich  von 


182  Albert  Wohlrab,  [86 

Weida),  Alt-Gernsdorf,  Grochlitz,  Caselwitz,  Gablau,  Kurtscliau,  Sachs- 
witz, Kleingera,  Liebau,  Pirk,  Magwitz,  Schönbrunn  (bei  Oelsnitz), 
Lauterbach  (bei  Oelsnitz).  Die  entsprechende  Lage  zum  Weidathale 
haben  Gräfenbrück,  Schüptitz,  Göhren,  Staitz,  Dörtendorf,  Quingenberg, 
Kleinwolschendorf,  Läwitz,  Förthen,  zum  Aumathale  die  Stadt  Auma 
und  das  Dorf  Crölpa.  Großfriesen  bei  Plauen  hat  eine  ähnliche  Lage 
zu  einem  Nebenthaie  des  Friesenbachthaies ,  Pohl  und  Thoßfell  zum 
Thale  der  Trieb,  Kloschwitz,  Rodersdorf  und  Kobitzschwalde  (südwest- 
lich von  Plauen)  zum  Thale  des  Rosenbaches  und  seiner  Nebenthäler. 
Aehnliche  Lagen  Verhältnisse  zum  Saalethale  zeigen  Pottiga  (westlich 
von  Hirschberg),  Saaldorf,  Weidmannsheil,  Saalburg  (auf  einer  Thal- 
terrasse), zum  Thale  des  Wetteraubaches  Rayla,  zum  Thale  der  Wiesen- 
thal Grochwitz  und  Moschwitz. 

Zahlreicher  als  die  beiden  eben  genannten  Klassen  ist  die  Klasse 
der  Ortschaften,  die  in  Mulden  der  Hochfläche  liegen.  Im  öst- 
lichen Teile  des  Gebietes  treten  uns  als  solche  entgegen  die  Orte 
Reimersgrün,  Christgrün,  Herlasgrün,  Eich,  Rebesgrün,  Thiergarten, 
Meßbach,  Unterlosa,  Altmannsgrün  bei  Oelsnitz,  Droßdorf,  Tirpersdorf, 
Arnoldsgrün,  Schilbach  bei  Schöneck,  Werda  u.  a.  Im  südlichen  Teile 
begegnen  wir  ähnlichen  Lagen  bei  den  Orten  Elf  hausen,  Thonbrunn, 
Prex,  Posseck,  Regnitzlosau,  Trogenau,  Nentschau,  Kirchgattendorf, 
Gumpertsreuth,  Oberhartmannsreuth,  Gassenreuth,  Sachsgrün,  Lodden- 
reuth,  Troschenreuth  u.  a.  Im  westlichen  Teile  des  Vogtlandes,  der 
den  Hochflächencharakter  am  deutlichsten  zeigt,  weisen  die  meisten 
Orte  die  bezeichnete  Lage  auf.  Die  folgende  Reihe  kann  daher,  ebenso 
wie  die  oben  angeführten,  keine  vollständige  sein,  sondern  soll  nur 
Beispiele  bieten.  Solche  sind :  Münchenreuth,  Mödlareuth,  Gebersreuth, 
Gefell,  Rothenacker,  Spilmeß,  Willersdorf,  Ober-  und  Unterkoskau, 
Schleiz,  Mühltroff,  Tanna,  Blintendorf,  Frössen,  Seubtendorf,  Schillbach 
bei  Tanna,  Mielesdorf,  Frankendorf,  Kauschwitz,  Zwoschwitz,  Pausa, 
Alt-  und  Neupöllwitz,  Dobia,  Wellsdorf,  Erbengrün,  Wenigenauma, 
Pahren,  Löhma,  Kirschkau,  Pörmitz,  Plothen. 

Eine  große  Anzahl  vogtlandischer  Siedelungen  erhebt  sich  auf 
den  Höhenrücken  und  schauen  von  diesen  über  die  Hochfläche  hin- 
weg. Solche  Orte  sind  im  östlichen  Teile:  Brockau,  Pfaffengrün, 
Lauschgrün,  Buchwald,  Treuen,  Falkenstein,  Schöneck,  Poppengrün, 
Neustadt,  Lottengrün,  Theuma,  Schloditz,  Obermarxgrün,  Oberlosa, 
Breitenfeld,  Landwüst.  Im  südlichen  Teile  schauen  von  den  Höhen 
herab  die  Orte  Hohendorf,  Bärendorf,  Oberreuth,  Eichigt,  Ebmath, 
Süßebach,  Pabstleithen,  Tiefenbrunn,  Haselrain,  Engelhardtsgrün,  Ebers- 
berg, Neu-  und  Schloß-Gattendorf,  Planschwitz.  Im  westlichen  Teile 
haben  eine  Höhenlage  inne  die  Orte  Blosenberg.  Großzöbern,  Straßen- 
reuth,  Heidefeld,  Mißlareuth,  Göttengrün  bei  Gefell,  Reuth,  Stelzen, 
Schwand,  Steins,  Schönberg,  Kornbach,  Mehltheuer,  Syrau,  Steinsdorf, 
Hohndorf,  Pansdorf,  Alt-  und  Neugommla,  Daßlitz,  Hainsberg,  Küh- 
dorf, Lunzig,  Kauern,  Wildetaube,  Wittchendorf,  Hohenölsen,  Klein- 
Draxdorf,  Teichwitz,  Hohenleuben,  Brückla,  Mehla,  Neuärgernis,  Weißen- 
dorf, Zeulenroda,  Tegau,  Lössau,  Dittersdorf,  Oettersdorf,  Eßbach, 
Tausa,  Bucha,  Knau. 


87] 


Das  Vogtland  als  orographisches  Individuum. 


183 


In  seiner  orometrisch-anthropogeographischen  Studie  über  das 
Erzgebirge  zählt  Burgkhardt  die  Ortschaften,  die  auf  einer  Höhenstufe 
liegen,  und  berechnet  den  prozentualen  Anteil  jeder  Höhenstufe  an  der 
Zahl  der  Ortschaften  und  an  der  Bevölkerungsziffer.  Im  Gebiete  der 
drei  Amtshauptmannschaften  Oelsnitz,  Plauen  und  Auerbach,  soweit  sie 
östlich  der  Elster  liegen  und  die  mit  der  Osthälfte  unseres  Gebietes  im 
wesentlichen  zusammenfallen,  liegen 

auf  der  Höhenstufe  800— 900  m    2  Ortschaften,  das  sind     1,02V) 


700—800  ,  6 
600—700  ,  24 
500—600  ,  39 
400—500  ,  80 
300—400  ,  45 
200—300  ,     1 


3,05, 
12,18  , 
19,80  , 
40,61  , 
22,84  , 

0,51, 


Werden  in  gleicher  Weise  alle  Ortschaften  des  in  der  vorliegen- 
den Arbeit  behandelten  Gebietes  zusammengestellt,  so  ergiebt  sich  fol- 
gendes Bild: 


Z 

ahl   der   Ortschaften 

Höhenstufe 

Nach  Pro- 

des öst- 

des süd- 

des west- 

des ganzen 

zenten 

lichen  Teiles 

lichen  Teiles 

lichen  Teiles 

Gebietes 

700-800 

5 





5 

0,82 

600-700 

25 

35 

3 

63 

10,31 

500-600 

50 

101 

60 

211 

34,53 

400-500 

67 

25 

106 

198 

32,41 

30(M00 

39 

3 

78 

120 

19,64 

200-300 

1 

— 

13 

14 

2,29 

Die  vorstellende  Tabelle  zeigt,  daß  die  meisten  Ortschaften  des 
Gebietes  (66,94 °/o)  auf  der  Höhenstufe  400 — 600  m  liegen;  die  durch- 
schnittliche Höhenlage  ist  demnach  die  von  etwa  500  m  Höhe,  die 
mit  der  mittleren  Seehöhe  des  Gebietes  (494  m)  übereinstimmt. 


B.  Die  Form  der  Siedelungen. 

Aus  dem  schon  erwähnten  Mangel  des  Vogtlandes  an  Ortschaften 
mit  der  charakteristischen  langgestreckten  Anlage  ist  zu  erkennen,  daß 
die  orographischen  Verhältnisse  auch  Einfluß  haben  auf  die  Anlage 
oder  Form  der  Siedelungen.  Burgkhardt2)  macht  auch  hierauf  aufmerk- 
sam. „Es  sei  noch  bemerkt,  daß  die  Bodenform  des  Vogtlandes  eine 
Bauart  der  Dörfer  bedingt,  welche  sich  von  der  des  westlichen  Erz- 
gebirges oft  wesentlich  unterscheidet.    Infolge  seines  Plateaucharakters 


')  Burgkhardt,  Erzgebirge,  S.  39. 
2)  A.  a.  O.,  S.  38. 


184  Albert  Wohlrab,  [88 

und  der  wenig  tief  aasgefurchten  Flufithäler  nämlich  finden  sich  nicht 
so  viele  langgestreckte  Ortschaften;  sowohl  auf  der  Nord  Westseite  als 
auch  in  dem  der  Südseite  des  Gebirges  angehörenden  Teile  des  Vogt- 
landes nähert  sich  der  Grundriß  der  Dörfer  mehr  dem  Kreise.  Darin 
liegt  auch  die  Ursache,  daß  nur  wenige,  nämlich  nur  sieben  von  ihnen, 
zwei  Höhenstufen  angehören/  Hierbei  ist  jedoch  zu  bedenken,  daß 
der  ring-  oder  hufeisenförmige  Aufbau  des  Dorfes  als  zuverlässiges 
Kennzeichen  seines  wendisch-sorbischen  Ursprunges  gilt1).  Da  nun  das 
Vogtland  reich  ist  an  Siedelungen  diesen  Ursprunges,  so  erscheint  es 
berechtigt,  die  Form  derselben  lediglich  ethnographisch  zu  erklären. 
Dies  thut  Brückner2)  in  seiner  Landeskunde  von  Reuß  jüngerer  Linie. 
„Bestimmte  die  Natur  die  Stätte,  so  die  Nationalität  die  Form  der 
Dörfer.  Darauf  bezüglich  trifft  man  hier  zwei  verschiedene,  trotz  der 
im  Laufe  der  Zeit  durch  mancherlei  Einflüsse  bewirkten  Veränderungen 
doch  noch  leicht  erkennbare  Dorfanlagen,  nämlich  eine  slawische  und 
eine  deutsche.  Im  allgemeinen  ist  jene  eine  geschlossene  Rundform, 
diese  langweilig  und  lose.  ...  In  der  Regel  bildeten  die  meist  kleinen, 
nur  aus  fünf  bis  neun  Gehöften  bestehenden  Sorbendörfer  einen  einzigen 
King,  wie  in  Otticha,  hier  und  da  aber  auch,  namentlich  um  Terrassen- 
teiche, zwei  und  drei  Ringe  oder  Rundlinge,  wie  dies  in  Niederböhms- 
dorf der  Fall  ist.  An  Flüssen  und  Bächen  geschah  die  Dorfanlage  in 
mehr  länglichen  Bogen.  Uebrigens  trifft  man  die  sorbische  Dorfanlage 
auch  in  Dörfern,  die  einen  deutschen  Namen  haben.  Offenbar  ist  ihre 
Gründung  von  den  Sorben  ausgegangen,  was  außer  der  Dorfform  auch 
von  den  Flurnamen  solcher  Orte  bezeugt  wird."  Die  Zerlegung  der 
Dorfflur  in  unregelmäßige,  ungeordnet  liegende  Blöcke  ist  ein  weiteres 
Kennzeichen  des  sorbisch-wendischen  Ursprungs  einer  Siedelung.  Die 
Beantwortung  der  Frage  nach  dem  Einfluß  des  Plateaucharakters  der 
Landschaft  auf  die  Form  der  Siedelung  ist  nur  möglich,  wenn  sich 
feststellen  läßt,  daß  es  im  Vogtlande  auch  ringförmig  angelegte  Dörfer 
giebt,  die  nicht  von  den  Sorben- Wenden  gegründet  worden  sind3). 
Unter  Benutzung  der  Flurkarten  stellt  M.  Schmidt  fest,  welche  von 
den  Ortschaften  des  sächsischen  Vogtlandes  deutsche  Siedelungen  sind. 
Die  deutschen  Waldhufendörfer  lassen  sich  zum  Teil  schon  auf  den 
topographischen  Karten  im  Maßstabe  1 :  25000  und  1 :  100000  erkennen 
an  den  vom  Dorfe  ausgehenden  teilweise  parallel  zu  einander  verlaufen- 
den Feldwegen.  Als  deutsche  Siedelungen,  deren  Anlage  eine  kreis- 
förmige oder  der  Kreisform  sich  nähernde  ist,  liegen  in  dem  östlichen 
Teile  des  Vogtlandes:   Herlasgrün,  Eich,  Poppöngrün,  Werda,  Lotten- 


*)  E.  O.  Schulze,  Die  Kolonisierung  und  Germanisierung  der  Gebiete  zwi- 
schen Saale  und  Elbe,  1896,  S.  22. 

2)  S.  133. 

s)  Der  Einwand,  die  deutschen  Siedler  könnten  die  Form  der  benachbarten 
sorbischen  Orte  nachgeahmt  haben,  wird  widerlegt  durch  die  Erfahrung,  daß  die 
Deutschen  soweit  wie  möglich  die  gewohnten  Verhältnisse  ihrer  Heimat  auch  auf 
die  neuen  Siedelungen  zu  übertragen  bestrebt  waren  (Ortsnamen,  Flurteilung),  und 
daß  das  Waldhufendorf  dort,  wo  die  Bodenverhältnisse  dazu  geeignet  sind,  auch 
im  Vogtlande  die  charakteristische  langgestreckte  Form  erhält  (Beispiele  siehe 
8.  181  [85]). 


89]  Das  Vogtland  als  orographisches  Individuum.  185 

grün,  Droßdorf,  Altmannsgrün  bei  Oelsnitz,  Stöckigt,  Tirpersdorf,  Hart- 
mannsgrün bei  Treuen,  Tirschendorf,  Willitzgrün,  Korna,  Schöneck, 
Gunzen,  Breitenfeld,  Sträßel;  im  südlichen  Teile:  Ebmath,  Schönbrunn 
bei  Oelsnitz,  Ottengrün,  Gassenreuth,  Ebersberg,  Schönberg  bei  Bram- 
bach;  im  westlichen  Teile:  Schönberg  bei  Plauen,  Berglas,  Ramolds- 
reuth,  Schollenreuth,  Münchenreuth,  Göttengrün  bei  Gefell,  Tanna,  Schil- 
bach  bei  Tanna,  Wernsdorf  bei  Saalburg,  Künsdorf,  Seubtendorf. 

Die  Frage:  Hat  die  Bodenform  des  VogÜandes  die  ringförmige 
Anlage  von  Siedelungen  bedingt?  ist  demnach  zu  bejahen. 

Die  orographischen  Verhältnisse  des  Vogtlandes  geben  diesem  im 
Verein  mit  seiner  Lage  die  Bedeutung  eines  Durchgangslandes  des 
Verkehres,  verweisen  die  Straßen  und  Siedelungen  vorwiegend 
auf  die  Hochfläche  und  bewirken  eine  ringförmige  Anlage 
der  Dörfer. 


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Band  III. 

Heft  1.    Die  Verbreitung   und  wirtschaftliche  Bedeutung  der  wichtigeren  Wald- 

baumarten  innerhalb  Deutschlands,  von  Prof.  Dr.  B.  Borggreve.    Preis  M.  1.— 
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Heft  8.    Das  Erzgebirge.     Eine   orometrisch - anthropogeographische  Studie  von  Oberlehrer 

Dr.  Johannes  Burgkhardt»    Preis  M.  5.  60. 
Heft  4.    Die  Kurische  Nehrung  und  ihre  Bewohner,  von  Prof.  Dr.  A.  Bezzenberger. 

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marks,  Kärntens  und  Krains,  nach  ihren  geschichtlichen  und  Ortlichen  Verhältnissen, 

von  Prof.  Dr.  F.  von  Krones.     Preis  -M.  5.  60, 

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Heft  2.    Der  Rhein  in  den  Niederlanden,  von  Dr.  H.  Blink.    Preis  M.  4.20. 

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Friedrich  Ratzel.    Preis  AI.  8.  — 

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Dr.  A.  Birlinger.    Preis  M.  4.80. 

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geographischen  Verhältnisse,  von  Dr.  Emil  Küster.    Preis  M.  3.20. 

Heft  6.    Zur  Kenntnis  des  Taunus,  von  Dr.  W.  Sievers.    Preis  M.  8.60. 

Heft  6*  Der  Thüringer  Wald  und  seine  nächste  Umgebung,  von  Dr.  H.  Pröscholdt. 
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Eine  anthropogeographische  Untersuchung,  von  Dr.  A.  Schlatterer.    Preis  M.  3.60. 

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landes, von   Dr.  F.  Wahnschaf.f  e.    Preis  M.  7.  20. 

Heft  2.  Die  Volksdichte  der  Thüringischen  Triasmulde,  von  Dr.  C.  Kaesemacher. 
Preis  M.  3.  20. 

Heft  8.    Die  Halligen  der  Nordsee,  von  Dr.  E.  Traeger.    Preis  M.  7. 50. 

Heft  4.  Urkunden  über  die  Ausbrüche  des  Vernagt-  und  Gurglergletschers 
im  17.  und  18.  Jahrhundert,  von  Prof.  Dr.  E.  Richter.    Preis  M.  7. — 

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wickelung  bis  zum  Jahre  1500,  von  Dr.  A.  Simon.    Preis  M.  4. — 

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Heft  4.  Nadel waldflora  Norddeutschlands.  Eine  pflanzengeographische  Studie,  von 
Dr.  F.  Hock.    Preis  M.  3. — 

Heft  5.    Rügen.     Eine  Inselstudie,  von  Prof.  Dr.  Rudolf  Credner.    Preis  M.  9. — 

Fortsetzung  auf  Seite  4  des  Umschlags. 


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Band  VIII.  ;~s.  *\ 

Heft  1.    Klimatographie  des  Königreichs  Sachsen.  Erste  Mitteilung  von  Prof.  Dn  Paal 

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suchungen dargestellt  von  Prof.  Dr.  Joseph  Part  seh.    Preis  M.  6. — 
Heft  3.    Die  Eifel.    Von  Dr.  Otto  Follmann.    Preis  M.  3.20. 

Heft  4.    Die  landeskundliche  Erforschung   Altbayi&ms  im   16.f   17.  und  18.  Jahr- 
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Friedrich  Teutsch.  —  Volksstatistik  der  Siebenbürger  Sachsen.  Von  Prof. 

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Heft  2.    Volkstümliches  derSiebenbürgerSachsen.  Von  Gymnasiallehrer  O.Witts  tock.  — 

ELieMujadart  der  Siebenbürger  Sachsen.  Von  Direkter  Dr.  A.Schein  er.  Preis  M.6. 50. 
Heft  3.    Die  Regenkarte  Schlesiens   und   der  Nachbargebiete*     Entworfen  und 

erläutert  von  Professor  Dr.  JosephPartsch.    Preis  M.  4. 70. 
Heft  4.    Laubwaldflora  Norddeu tsclilands.    Von  Dr.  F.  Hock.    Preis  M.  2.70. 
Heft  5.    Die  geographische  Verteilung   der  Niederschläge  im  nordwestlichen 

Deutschland.     Von  Dr.  Paul  Moldenhauer.    Preis  M.  4. — 
Heft  6.    Der   Hesseiberg   am    Frankenjura    und    seine    südlichen  Vorhöhen.     Von 

Dr.  Christian  Gruber.    Preis  M.  5.20. 

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Heft  1.    Zur  Hydrographie  der  Saale.    Von  Professor  Dr.  Willi  Ule.    Preis  M.  4.50- 
Heft  2.    Der  Pinzgau.    Physikalisches  Bild  eines  Alpengaues.    Von  Oberlehrer  Dr.  Wilhelm 

S  c  h j  e  r  n  i  n  g.    Preis  M.  8.80. 
Heft  3.    Die  Pinzgauer.    Von  Oberlehrer  Dr.  Wilhelm  Schjerning.    Preis  M.  5. — 
Heft  4.    Zur  Geschichte  des  Deutschtums  im  Elsass  und  im  Vogesengebiet.     Von 

Dr.  Hans  Witte.    Preis  M.  7.60. 

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Heft  1.   Magnetische  Untersuchungen  im  Harz.VonProf.Dr.M.Eschenhagen.PreisM.1.60. 
Heft  2.   Beitrag  zur  physikalischen  Erforschung  der  baltischen  Seeen.    Von 

Professor  Dr.  Willi  Ule.    Preis  M.  3.— 
Heft  8.    Zur  Kenntnis  des    Hunsrücks.     Von   Dr.  Fritz  Meyer.    Preis  M.  4.— 
Heft  4.    Die  Veränderungen   der  Volksdichte   im   nördlichen  Baden   1852  — 1895. 

Von  Dr.  Carl  Uhlig.    Preis  M.  10.— 
Heft  5.    Entwicklungsgeschichte  der  phanerogamen  Pflanzendecke  Mitteleuropas 

nördlich  der  Alpen.     Von  Dr.  August  Schulz.     Preis  M.  8.40. 

Band  XII. 

Heft  1.  Die  Niederschlagsverhältnisse  der  mittleren  Rheinprovinz  und  der  Nach- 
bargebiete. Von  Dr.  P.  Polis,  Direktor  der  Meteorologischen  Zentralstation  in  Aachen. 
Mit  10  Tabellen,  9  Karten  und  3  Textillustrationen.     1899.     96  Seiten.    Preis  M*.  12.— 

Heft  2.  Das  Vogtland  als  orographisches  Individuum.  Eine  Studie  zur  deutschen 
Landeskunde.  Von  Dr.  Albert  Wohl ral»  in  Leipzig.  Mit  1  Uebersichtskarte,  7  Licht- 
drucktafeln und  12  Textillustrationen.     1899.    89  Seiten.     Preis  M.  6.40. 

Neu  eintretende  Abonnenten,  die  alle  bistier  erschienenen  Hefte  nach- 
beziehen, erhalten  Band  1—5  zum  halben  Preis. 


Druck  der  Union  Deutsche  Verlagsgesellschaft  in  Stuttgart. 


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Forschungen 

zur  deutsckenTiandes-  und  Volkskunde 

im  Auftrage  der 

Cenfcralkommission  für  wissenschaftliche  Landeskunde  von  Deutschland 

herausgegeben  von 

Dr.  A.  Kirchhoff, 

Profeaaor  der  Erdkunde  an  der  UnIveraU&t  Malle.   . 

Zwölfter  Band. 

Heft  3. 


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Das  Ries. 


Eine 


geographisch  -volkswirtschaftliche  Studie. 


Von 


D"  CHRISTIAN  GRÜBER 

IN  MÜNCHEN 


Mit  2  Kartenbeilagen  und  12  Textilluetrationen. 


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STUTTGART. 
VERLAG    VON    J.   ENGELHOKN. 

1899. 


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iie  „Forschungen  zur  deutschen  Landes-  und  Volkskunde*  sollen  dazu  helfen,  die 
heimischen  landes-  und  volkskundlichen  Studien  zu  fördern,  indem  sie  aus  allen  Gebieten 
derselben  bedeutendere  und  in  ihrer  Tragweite  über  ein  bloss  örtliches  Interesse  hinaus- 
gehende Themata  herausgreifen  und  darüber  wissenschaftliche  Abhandlungen  hervorragender 
Fachmänner  bringen.  Sie  beschranken  sich  dabei  nicht  auf  das  Gebiet  des  Deutschen  Reiches, 
sondern  so  weit  auf  mitteleuropäischem  Boden  von  geschlossenen  Volksgemeinschaften  die 
deutsche  Sprache  geredet  wird,  so  weit  soll  sich  auch,  ohne  Rücksicht  auf  staatliche  Grenzen, 
der  Gesichtskreis,  unserer  Sammlung  ausdehnen.  Da  aber  die  wissenschaftliche  Betrachtung  der 
Lande8natur  die  Weglassung  einzelner  Teile  aus  der  physischen  Einheit  Mitteleuropas  nicht 
wohl  gestatten  würde,  so  sollen  auch  die  von  einer  niohtdeutschen  Bevölkerung  eingenommenen 
Gegenden  desselben  samt  ihren  Bewohnern  mit  zur  Berücksichtigung  gelangen,  ßs  werden  dem- 
nach ausser  dem  Deutschen  Reiche  auch  die  Länder  des  cisleithanischen  Oesterreichs,  abgesehen 
von  Galizien,  der  Bukowina  und  Dalmatien,  ferner  die  ganze  Schweiz,  Luxemburg,  die  Nieder- 
lande und  Belgien  in  den  Rahmen,  unseres  Unternehmens  hineingezogen  werden.  Ausserdem 
aber  sollen  die  Sachsen  Siebenbürgens  mit  berücksichtigt  werden  und  auch  Arbeiten  über  die 
grösseren  deutschen  Volksinseln  des  Russischen  Reiches  nicht  ausgeschlossen  sein. 


Unsere  Sammlung  erscheint  in  zwanglosen  Heften  von  ungefähr  2 — 5  Bogen;  jedes  Heft 
enthält  eine  vollständige  Arbeit  (ausnahmsweise  von  kürzeren  auch  mehrere)  und  ist  für  eich 
käuflich.    Eine  entsprechende  Anzahl  von  Heften  wird  (in  der  Regel  jahrgangsweise)  zu  einem 
'  Bande  vereinigt. 

Bisher  sind  erschienen : 

Band  I. 

Heft  h    Der  Boden  Mecklenburgs,  von  Prof.  Dr.  E.  Geinitz.     Preis  80  Pfennig. 

Heft  2.  Die  oberrheinische  Tiefebene  und  ihre  Randgebirge,  von  Prof.  Dr. 
Lepsin  s.    Preis  M.  2. — 

Heft  3.  Die  Städte  der  Norddeutschen  Tiefebene  in  ihrer  Beziehung  zur  Boden- 
gestaltung, von  Prof.  Dr.  F.  G.  Hahn.    Preis  M.  2. — 

Heft  4.  Das  Münchener  Becken.  Ein  Beitrag  zur  physikalischen  Geographie 
Südbayern«,  von  Chr.  Gruber.    Preis  M.  1.60. 

Heft  5.  Die  mecklenburgischen  Höhenrücken  (Geschiebestreifen)  und  ihre 
Beziehungen  zur  Eiszeit,  von  Prof.  Dr.  E.  Geinitz.    Preis  M.  3. 10. 

lieft  6.  Der  Einfluss  d^er  Gebirge  auf  das  Klima  von  Mitteldeutschland,  von 
Dr.  R.  Assmann.    Preis  M.  5.50. 

Heft  7.  Die  Nationalitäten  in  Tirol  und  die  wechselnden  Schicksale  ihrer 
Verbreitung,  von  Prof.  Dr.  H.  J.  Bidermann.  Preis  M.  2.40. 

Heft  8.  Poleographie  der  cimbrischen  Halbinsel,  ein  Versuch,  die  Ansied- 
lungen  Nordalbingiens  in  ihrer  Bedingtheit  durch  Natur  und  Ge- 
schichte nachzuweisen,  von  Prof.  Dr.  K.  Jansen.    Preis  M.  2. — 

Band  II. 

Heft  1.    Die  Nationalitäts-Verhältnisse  Böhmens,  von  Dr.  L.  Schlesinger.    Preis 

80  Pfennig. 
Heft  2.    Nationalität  und  Sprache  im  Königreiche   Belgien,   von  Geh.  Rechnungsrat 

K.  Brämer.     Preis  M.  4.  — 
Heft  8.    Die  Verbreitung  und  Herkunft  der  Deutschen  in  Schlesien,  von  Prof.  Dr. 

K.  Weinhold.    Preis  M.  2.40. 
Heft  4.    Gebirgsbau  und  Oberflächengestaltung  der  Sächsischen  Schweiz,  von 

Dr.  A.  Hettner.    Preis  M.  5.25. 
Heft  5.    Neuere  slavische  Siedlungen  auf  süddeutschem  Boden,  von  Prof.  Dr. 

H.  J.  Bidermann.     Preis  M.  1.25. 
Heft  6.    Siedlungsarten    in    den    Hochalpen,    von    Prof.    Dr.    Ferdinand    Löwl. 

Preis  AI.  1.  75. 

Fortsetzung  auf  Seite  3  des  Umschlags. 


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DAS  RIES. 


EINE  GEOGRAPHISCH -VOLKSWIRTSCHAFTLICHE  STUDIE 


VON 


Db.  CHRISTIAN  GRUBER 

IN  MÜNCHEN."" 


MIT  ZWEI  KARTENBEILAGEN  UND  ZWÖLF  TEXTILLÜSTRATIONEN. 


<•»•> 


STUTTGART. 

VERLAG  VON  J.  ENGELHORN. 

1899. 


Druck  der  Union  Deutsche  Verlagsgesellschaft  in  Stuttgart. 


MEINEM  FREUNDE, 

Herrn  kgl.  Professor  Dr.  JOSEPH  RITZ, 

REKTOR  DER  STÄDTISCHEN  HANDELSSCHULE  IN  MÜNCHEN, 

ZUM  FÜNFZIGSTEN  GEBURTSTAGE 


IN  DANKBARER  VEREHRUNG 


DARGEBRACHT. 


Inhalt 


Seite 

Statt  eines  Vorwortes 193  [7] 

I.  Teil. 

Lage  und  Eingrenzung  der  Rieslandschaft 195  [9] 

IL  Teil. 

Die  Herleitung  des  Namens  Ries 202  [16] 

III.  Teil. 

Das  Ries  als  geographische  Individualität 205  [19] 

1.  Abschnitt.    Allgemeines 205  [19] 

2.  Abschnitt.     Die  Entstehung   und   geognostische    Ausstattung 

des  Rieses 208  [22 

3.  Abschnitt.    Landschaft  und  Relief  im  Ries 225  [39 

A.  Die  Riesumrahmung  und  ihr  Hinterland 225  39 

B.  Allgemeiner  Charakter  der  Rieslandschaft 231  '45' 

G.  Die  Höhenverhältnisse  des  flachen  Rieses 234  48 

D.  Die  Inselberge  und  Höhenrücken  im  Ries 238  52 

a)  Wallerstem 238  [52* 

b)  Goldberg 241  '55* 

c)  Der  Nördlinger  Höhenzug 242  [56 

d)  Das  Schönefeld 246  [60; 

e)  Der  Holheim-Schmähinger  Höhenzug 247  61' 

f)  Die  Inselberge  zwischen  unterster  Eger  und  Wörnitz  254  68 

g)  Der  Goßheim-Bühler  Höhenzug 259  [73' 

4.  Abschnitt.    Ein  Blick  auf  die  Bewässerung  und  das  Pflanzen- 
leben des  Rieses 260  [74] 

IV.  Teil. 

Das  Volk  des  Rieses  und  seine  Siedelungen 267  [81] 

V.  Teil. 

Die  Erwerbsverhältnisse  im  Ries 279  [93] 

Erste  Beilage:   Karte  der  Rieslandschaft  in  1:75000.    5  Profile  aus  dem 
Ries: 

1.  Schnitt  durch  das  flache  Ries  von  Norden  nach  Süden  (Nivellement  längs 
der  Eisenbahnstrecke  Oettingen-Nördlingen-Hoppingen); 

2.  Schnitt  von  Osten  gegen  Westen  (Wemding-Goldberg); 

3.  Profil  des  Nördlinger  Höhenzugs; 


192  Inhalt.  [6 

4.  die  Landschaft  der  Inselberge  zwischen  der  untersten  Eger  und  Wörnitz ; 

5.  der  Lehmberg  bei  Goßheim. 

A  n  m.  Die  Profile  sind  so  gestellt,  daß  sie  der  Richtung  ihrer  Schnittlinien 
im  Kartenbilde  ungefähr  entsprechen. 

Zweite  Beilage:  3  Kartchen  über  die  prozentuale  Verteilung  der  wich- 
tigsten Erwerbszweige  im  Ries. 

Diagramme  über  die  Erwerbsverhältnisse  in  den  einzelnen  Ortschaften  des 
nördlichen  und  südlichen  Rieses. 


Statt  eines  Vorwortes. 


Verum  id,  quod  est. 

Die  Publikation  dieser  Studie  bedarf  keiner  Rechtfertigung.  Im 
Gegenteil:  Es  mag  seltsam  anmuten,  daß  eine  geographische  Mono- 
graphie der  Rieslandschaft  erst  so  spät  zur  Veröffentlichung  kommt, 
während  ihre  geognostische  Ausstattung  und  der  Charakter  ihrer 
Pflanzenwelt,  die  Eigenart  ihres  Volkes  und  dessen  historische  Schick- 
sale längst  zu  ergebnisreichen  Forschungen  Veranlassung  gegeben 
haben. 

Was  mich  anregte,  das  Antlitz  des  Rieses  im  Sinne  der  modernen 
Landeskunde  zu  beschauen,  war  einerseits  der  Umstand,  daß  dieses 
Gebiet  auffällig  individualisiert  ist,  eine  kleine  Welt  für  sich  darstellt, 
wie  Melchior  Meyr  einmal  schreibt,  reich  an  Gegensätzen  und  Ab- 
stufungen. Andererseits  war  es  die  Ueberzeugung,  daß  man  der  Er- 
kundung des  heimatlichen  Bodens  und  seiner  Bewohner  gegenwärtig, 
wo  die  ausgiebigste  Förderung  der  vaterländischen  Geographie  durch 
staatliche  Behörden  und  wissenschaftliche  Vereinigungen  erfolgt,  mit 
Detailstudien  am  besten  dient. 

Gerade  in  Bayern  sind  solche  nicht  minder  nötig,  als  anderswo 
in  deutschen  Landen.  Gesamtdarstellungen  über  diesen  Staat  giebt  es 
seit  Philipp  Apians  „Declaratio  tabulae  sive  descriptionis  Bavariae",  die 
im  Anschluß  an  des  Gelehrten  „XXIV  bayrische  Landtaflen"  bereits 
1579  ff.  publiziert  wurde,  geradezu  mehr  als  genug.  Schon  H.  Simons- 
feld zählt  mit  Einschluß  wichtigerer  Schulwerke  nicht  weniger  als 
205  derselben  auf  („Zur  Landeskunde  Bayerns.  Gesamtschilderungen 
und  Reisewerke *.  Jahresbericht  der  Geographischen  Gesellschaft  in 
München  für  1892/93).  Und  sie  alle  tragen  mehr  oder  minder  das 
Wesen  des  Unfertigen,  vielfach  auch  des  Dilettantenhaften  an  sich. 

Was  aber  unerläßlich  notwendig  scheint,  das  ist,  den  landes- 
kundlichen Stoff  auf  allen  einschlägigen  Forschungsgebieten  mit  fach- 
männischer Sorgfalt  und  soweit  als  möglich  lückenlos  zu  sammeln,  zu 
sichten  und  zu  verarbeiten.  Eine  gewaltige  Summe  von  Bausteinen 
in  Form  von  Monographieen ,  Schilderungen  und  Einzelbeobachtungen 
ist  erst  noch  herbeizuschaffen  und  zuzumeißeln,  ehe  an  die  Aufrichtung 
eines  litterarischen  Denkmals  über  Bayerns  Land  und  Volk  gegangen 
werden  kann,   das  dem  geographisch  abwechslungsreichsten  Staate  im 


194     Christian  Gruber,  Das  Ries.  Eine  geographisch- volkswirtschaftl.  Studie,     [g 

Deutschen  Reiche  allseitig  gerecht  wird  und  den  Forderungen  der 
Wissenschaft  auf  weitere  Zeiträume  hinaus  entspricht,  als  es  die  zwi- 
schen 1860  und  1866  geschriebene  8Bavaria"  thun  konnte. 

Die  beigefügte  Karte  über  das  Ries,  bei  deren  Entwurf  mir  Herr 
königl.  Topograph  Heinrich  Lutz  treu  mit  Rat  und  That  zur  Seite  stand, 
will  nicht  bloß  ein  einseitiges  Bild  von  der  Modellierung  des  Bodens 
unseres  Gebietes  geben.  Sie  möchte  zugleich  auch  sein  landschaft- 
liches Aussehen  in  den  Hauptzügen  andeuten  und  damit  allen  Forde- 
rungen, die  man  an  eine  wissenschaftlich  gehaltene  Karte  stellen  kann, 
in  gewissem  Sinne  genügen.  Leider  mangeln  für  den  württembergischen 
Anteil  am  Ries  bisher  die  Positionsblätter  (Meßtischblätter)  in  1  :  25000. 
Deshalb  mußten  für  ihn  auch  die  Höhenlinien  auf  Grund  des  vorhandenen, 
allerdings  ziemlich  reichen  Messungsmaterials  frei  konstruiert  werden. 

Bei  Ausführung  der  Vorarbeiten  zu  dieser  Riesstudie  haben  mich 
folgende  Herren  vielseitig  gefördert :  Oberregierungsrat  Probst, 
Vorstand  des  königl.  bayerischen  Statistischen  Bureaus;  Ministerial- 
direktor y.  Zeller,  Vorstand  des  königl.  württembergischen  Statistischen 
Landesamts;  Generalmajor  Neureuther,  Direktor  des  Topographischen 
Bureaus  beim  königl.  bayerischen  Generalstab;  Oberstleutnant  Heller, 
Sektionschef  bei  der  gleichen  Behörde;  königl.  Professor  und  Rektor 
Ritz;  Hof  rat  und  königl.  Professor  Mayer  in  Nördlingen;  Privatier 
A.  Frickhinger  und  Apotheker  H.  Frickhinger  ebendort;  Ge- 
heimsekretär am  königl.  bayerischen  Statistischen  Bureau  Zwickh; 
Universitätsprofessor  Paul;  Reallehrer  Assmus  und  fürstlich  waller- 
steinischer  Bibliothekar  Grupp  in  Maihingen.  Ihnen  allen  sei  hiermit 
freudiger  Dank  ausgesprochen. 

Wohl  ist  es  nur  ein  räumlich  beschränktes  Gebiet,  zu  dessen 
geographischer  Kenntnis  ich  im  folgenden  einen  Beitrag  liefere.  In- 
dessen fühlen  jene,  welche  ihn  durchblättern,  vielleicht  da  und  dort 
heraus,  daß  mir  bei  Verabfassung  desselben  W.  Müllers  Worte  nicht 
fremd  waren: 

Es  ist  das  kleinste  Heimatland 
Der  größten  Liebe  nicht  zu  klein; 
Je  enger  es  dich  rings  umschließt. 
Je  näher  wird's  dem  Herzen  sein. 

München  im  Juli  1899. 

Dr.  Christian  Gruber. 


I.  Teil. 

Lage  und  Eingrenzung  der  Rieslandschaft 

Die  Begrenzungslinien  des  Rieses  sind  bisher  überaus  flüchtig  und 
lückenhaft  gezogen  worden.  Unter  einem  weithin  bekannten  Land- 
schaftsnamen hält  sich  ein  undeutlich  fixierter  geographischer  Begriff 
verborgen.  Und  zwar  nicht  nur  im  älteren  Schrifttum,  dem  eine  sichere 
Einmarkung  der  einzelnen  landeskundlichen  Gebiete,  soweit  sie  nicht 
staatliche  oder  administrative  Grenzen  betrafen,  gewöhnlich  fernab  lag, 
sondern  auch  in  den  jüngsten  und  grundlegenden  Arbeiten  zur  Kennt- 
nis des  süddeutschen  Bodens.  Sowohl  die  Kompilatoren  früherer  Zeiten, 
welche  das  Ries  nur  in  dem  meist  trüben  und  verzerrenden  Spiegel  der 
vorhandenen  Bücherlitteratur  sahen,  als  die  modernen,  auf  eine  müh- 
same Autopsie  sich  stützenden  geologischen  Forscher  haben  versäumt, 
die  Lineamente  unseres  Gebietes  unzweideutig  zu  bestimmen. 

Vor  allem  muß  hervorgehoben  werden,  daß  die  heutige  Riesland- 
schaft durchaus  nicht  als  identisch  mit  dem  alten  Riesgau  genommen 
werden  darf.  Dieser  ist  historisch,  jene  geographisch  zu  fassen.  Wohl 
hat  das  Ries  seinen  Namen  vom  Pagus  Retia  überkommen,  und  wohl 
bildete  es  einstens  das  bedeutsamste  Stück  desselben.  Aber  die  Grenzen 
des  Riesgaues  waren  ungleich  weiter  hinausgerückt,  wie  schon  die 
uralte  Umschreibung  derselben  in  dem  Chronicon  Gottvvicense  (T.  pro- 

drom.  P.  II,  Lib.  IV,  p.  740)  erweist: Rieza,  Pagus  Nordgowiae 

et  Ducatus  Bajoariae  ac  Sueviae  postmodum,  inter  fluvios  Brentam, 
Agiram  (Eger)  et  Wernizam  usque  ad  Almonam  (Altmühl)  et  Danu- 
bium  extensus,  Comitatus  Pappenheimensem ,  Oettingensem,  et  partem 
Dynastiae  Heidenheimensis  complectebatur.  Vocatur  adhuc  hodie  das 
Ries,  ita  tarnen  ut  illos  terrae  tractus,  qui  lingua  vernacula  der  Hanen- 
kamp,  das  Schwanenfeld  et  das  Hertfeld  appellantur,  simul  etiam  com- 
prehenderit. 

Auf  Falkensteins  „Delineatio  Nordgoviae  veteris*  (Homanns  Erben, 
1733)  dehnt  sich  der  Pagus  Rhaetiensis  mit  Einschluß  der  Grafschaft 
Truhendingen  von  Herrieden  im  Norden  bis  Höchst -Donauwörth  im 
Süden,  von  Bopfingen  im  Westen  bis  über  Wemding  im  Osten  aus. 
Zinkernagel  aber,  der  in  seinen  »Historischen  Untersuchungen  über  die 
Grenzen  des  Riesgaues "  eine  wahrhafte  Halde  geschichtlicher  Hypo- 
thesen wie   Schutt  zur  Seite  räumt,   läßt  auf  seiner,   der   erwähnten 


196  Chrißtian  Gruber,  [10 

Schrift  beigegebenen  Karte  „Pagus  Retiensis"  den  letzteren  von  Feucht- 
wangen-Crailsheim  im  Norden  bis  Höchst-Donauwörth  im  Süden,  von 
Aalen  im  Westen  bis  Monheim  im  Osten  reichen.  Und  ihm  stimmt 
auch  der  kritisch  kecke  Heinrich  v.  Lang  in  seinem  Buche  „über  Bayerns 
Gauen  nach  den  drei  Volksstämmen  der  Alemannen,  Franken  und  Bojo- 
waren  aus  den  alten  Bistumssprengeln  nachgewiesen  *  (Nürnberg  1830) 
nur  mit  der  Ausnahme  zu,  daß  er  Ellwangen  nicht  mehr  zum  Ries- 
gau rechnet. 

In  Wirklichkeit  umfaßte  der  letztere  ursprünglich  also  das  ge- 
samte Wörnitzgebiet  ohne  den  Ursprung  des  Flusses  und  den  Oberlauf 
der  Eger,  sodann  ohne  die  Gegend  um  Wassertrüdingen  und  Heiden- 
heim, welche  schon  über  die  Grenzen  des  Schwabenlandes  hinausliegen. 

Auf  der  ältesten  gedruckten  Karte  von  Deutschland,  die  bekannt- 
lich auf  Veranlassung  des  Kardinals  Nikolaus  von  Cusa  1491  zu  Eich- 
stätt  erschien  und  deren  Original  im  Germanischen  Museum  in  Nürn- 
berg aufbewahrt  wird,  findet  sich  der  Name  unserer  Landschaft  noch 
nicht  verzeichnet. 

Dagegen  giebt  Seb.  Münsters  „Cosmographia*  die  erste  geo- 
graphische Schilderung  derselben,  indem  sie  »Von  dem  Riefi"  (in  der 
deutschen  Ausgabe  vom  Jahre  1550)  erzählt:  „Es  hat  difi  land  guten  körn 
baw,  aber  kein  wein  wachß,  vil  viech,  gut  weid,  allerlei  obfi,  schone 
roß,  dann  das  sie  gerne  erblinden,  vil  gel  genß  vnnd  schwein,  man 
fürt  auß  diesem  Rieß  die  genß  mit  grossen  scharen  an  den  Rheinstrom 
vnder  Straßburg  biß  ghen  Mentz.  Es  stoßt  diese  landschafft  an  das 
Hertfeld  bey  Bopffingen,  an  den  Hanenkam  bey  Teckingen,  an  das 
Schwanfeld  bey  Wemlinge  (Wemding)  vnd  an  den  Viragrund  bey  hohen 
Trühadingen  ly 

Weiterhin  ist  dem  Kapitel  über  Schwaben  in  der  Cosmographie 
ein  Kärtchen  unter  dem  Titel  beigegeben:  Land-Taffel  etlicher  Gowen 
des  Schwaben-Landes,  darinnen  die  neuen  Namen  aller  Städte,  Flecken, 
Dörffer,  Wasser  und  Wälder,  wie  sie  zu  unseren  Zeiten  genennet,  auch 
wie  die  alten  Namen  verändert  und  verdeutscht,  verzeichnet  werden. 
Hierüber  bemerkt  schon  Hauber  treffend  in  seiner  „Historie  von  denen 
Land-Charten  deß  Schwäbischen  Craifies"  (Ulm  1724,  S.  47):  „Das 
Chärtlein  begreifft  nur  die  Gegend  um  die  Oettingische  und  Ellwangische 
Lande,  und  selbiger  Orten,  die  ungefehr  das  sogenannte  Ries  aus- 
machen, hat  viele  Orte,  aber  wenig  Namen  der  Gave,  welche  hingegen 
in  dem  darzu  gehörigen  Capitel  umständlich,  auch  mit  Benennung  ihrer 
Gräntzen  beschrieben  werden." 

Ueberhaupt  waren,  nebenbei  gesagt,  die  kartographischen 
Bilder  über  das  Ries  bis  weit  herein  in  unser  Jahrhundert  höchst  un- 
zulänglich. Daher  urteilt  auch  Hauber  in  der  eben  erwähnten  „Historie 
von  denen  Land-Charten  u.  s.  w.tt  (S.  56):  „Die  Hoch-Fürstliche  und 
Hoch-Gräfliche  Oettingische  Lande  seind  eine  von  denen  Gegenden  deß 


*)  Ueberau8  originell  wird  dort  auch  der  Name  Nördlingen  gedeutet,  den 
Münsters  Gewährsmann  im  Gegensatz  zur  vulgären  Bezeichnung  Nereling  den 
„außlendern"  zuschreibt:  „Es  ist  auß  dem  bedenken  geschehen,  das  es  gegen 
Nord,  das  ist  gegen  Mittnacht,  ist  gelegen,  wie  ander  Rhetia  gegen  Mittag  und 
der  hohen  gepirg  zu  ligt." 


11]  Das  Ries.  Eine  geographisch-volkswirtschaftliche  Studie.  197 

Schwabenlandes,  welche  in  denen  geroeinen  General- Charten  darvon  am 
schlechtesten  beschaffen  seind.  Der  Herr  Capitain  Michal  hat  eine 
Charte  darvon  gezeichnet,  welche  er  auch  in  seine  Qeneral-Charte  ein- 
getragen hat;  weilen  sich  aber  noch  unterschiedliche  Fehler  darinnen 
befunden,  so  hat  dieses  Gelegenheit  gegeben,  daß  eine  andere  Charte 
in  diesem  Lande  selbst  verzeichnet  worden/  Hauber  meint  damit  die 
Karte  des  Ingenieurleutnants  Lüttich.  Auch  sie  ist  indessen  eine  ebenso 
unselbständige,  als  unvollkommene  Leistung,  vor  allem  im  Hinblick  auf 
Johann  Georg  Vetters  „Tabula  geographica  nova  exhibens  partem  infra 
montanam  Burggraviatus  Norimbergensis ,  sive  Principatum  Onols- 
bacensem"  (vom  Jahre  1710  an  aufgenommen). 

Ein  vertrauenswertes  Kartenbild  über  die  Rieslandschaft  war 
übrigens  schon  aus  dem  Grunde  nicht  möglich,  weil,  trotz  zahlreicher 
Grenzirrungen,  Aufnahmen  und  Vermessungen  des  Oettingischen  Ge- 
bietes zum  Zweck  von  kartographischen  Zeichnungen  im  17.  und 
18.  Jahrhundert  höchst  wahrscheinlich  überhaupt  nicht  gemacht 
wurden.  Wenigstens  konnten  trotz  genauester  Nachforschungen  im 
fürstlich  wallersteinischen  Archiv,  welche  auf  meine  Anregung  hin  Herr 
Dr.  A.  Diemand  anzustellen  so  freundlich  war,  keine  Aktenaufschlüsse 
hierüber  gefunden  werden. 

Auch  die  in  der  außerordentlich  reichen  fürstlich  wallersteinischen 
Bibliothek  zu  Maihingen  aufbewahrten,  geradezu  ärmlichen  Handzeich- 
nungen über  das  Ries  geben  hierfür  ein  sprechendes  Zeugnis.  Vor  allem 
ein  namenloses,  in  Goldrahmen  gespanntes  Blatt  (Höhe  123,  Breite 
129  cm),  vielleicht  aus  der  ersten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts,  unge- 
schlacht ausgeführt  und  mit  rauher  Andeutung  der  Rieshöhen.  Ferner 
Heinrich  Brenners  Landtafel  der  Oettingen- Wallersteinischen  Herrschaft 
vom  Jahre  1716,  ohne  Terrainzeichnung,  aber  mit  Ausscheidung  der 
Wälder,  Gewässer  und  Ortschaften.  Aus  der  ersten  Hälfte  des  18.  Jahr- 
hunderts stammt  weiterhin  eine  gewöhnliche  Ortskarte  des  Rieses  ohne 
Andeutung  von  Flüssen,  Bergen  und  Wegen  (41,5:60,5  cm),  sowie 
eine  farbig  gehaltene  Originalzeichnung  des  Oettingischen  Gebietes  in 
den  Oberämtern  Aalen  und  Neresheim  (um  1750;  37:59).  Sehr  viel 
jünger  ist  eine  Zollkarte  der  Grafschaft  Oettingen  (50 :  43,5),  und  be- 
reits dem  Anfang  unseres  Jahrhunderts  gehört  eine  klar  gezeichnete, 
kolorierte  Wald-  und  Flußkarte  des  Rieses  an  (45,5 :  35,5). 

Von  den  gedruckten  Blättern,  welche  das  Rieser  Gebiet  insge- 
samt oder  nur  bruchstückweise  darstellen,  sei  in  diesem  Zusammen- 
hange nur  J.  Majers  Ducatus  Wurtenb.  erwähnt  (J.  B.  Homann,  Nürn- 
berg 1710;  kolorierter  Kupferstich).  Die  Karte  ist  nach  30jährigem 
Bemühen  von  einem  Walddorfer  Pfarrherrn  zu  stände  gebracht  worden. 
Sie  stützt  sich  auf  Schickharts  Triangulierungen,  Maestlins  Ortsbestim- 
mungen, Kiesers  Forstkarten,  sowie  eigene  Aufnahmen  und  diente  fast 
ein  Jahrhundert  lang  allen  Bedürfnissen. 

Doch  zurück  zu  den  Riesgrenzen.  Wie  für  andere  Gebiete,  so 
wurde  auch  für  unsere  Landschaft  Münsters  Cosmographie  eine  Quelle, 
woraus  zahlreiche  Plagiatoren  jahrhundertelang  schöpften.  Nicht  allein 
M.  Roeder  hat  sie  noch  in  seinem  „  Geographischen  Statistisch- Topo- 
graphischen Lexikon  von  Schwaben*  (Ulm  1791 — 1797,   2  Bände  und 


198  Christian  Gruber,  [12 

Zusätze;  2.  Auflage  1800 — 1801)  bei  Angabe  der  Riesgrenzen  mit 
schülerhafter  Ungeschicklichkeit  benutzt  (II.  Band,  S.  453).  Auch 
G.  Prändel  klammert  sich  u.  a.  hilflos  an  Münsters  Worte,  wenn  er  in  der 
„Erdbeschreibung  der  gesamten  pfalz-bayrischen  Staaten"  (Amberg  1805, 
1.  Abteilung,  S.  431)  sagt:  „Unter  dem  Ries  versteht  man  bekanntlich 
die  Gegend,  die  an  das  Hertfeld  bey  Bopfingen,  an  den  Hahnenkamm 
bei  Deggingen,  an  das  Schwanfeld  bey  Wemdingen  und  an  den  Virn- 
grund  bey  Dinkelsbühl  gränzt." 

Indessen  vermag  man  sich  über  solche  Nachschreibereien  kaum 
zu  verwundern,  wenn  man  erfährt,  daß  unter  anderem  sogar  die  Hand- 
schriften zur  Ortskunde  des  Rieses  über  dessen  Grenzen  sich  gänz- 
lich ausschweigen,  so  Wengs  „Brevissima  Rhaetia" ,  Molls  „Samm- 
lung von  dem  Ries4*,  1764,  Weckerts  „Materialien  zur  Geschichte  des 
Marktes  Wallerstein " ,  der  Sammelband :  „  Genealogisch  -  statistische 
Collectaneen  mit  besonderer  Berücksichtigung  des  Rieses  und  seiner 
Umgebung",  sowie  die  Anonyma:  „Topographische  Beschreibung  des 
Oberamtes  Harburg** ,  1791,  „Topographie  des  Fürstentums  Oettingen 
nach  seinem  älteren  und  neueren  Umfang",  und  „Statistische  Beschrei- 
bung der  Fürstlich  Wallersteinischen  Gerichte  und  Rentämter",  1833  bis 
1834 1).  Ebenso  bietet  die  Mehrzahl  der  gedruckten  landeskundlichen 
Werke  hierüber  entweder  gar  nichts  oder  man  begnügt  sich  mit  derart 
unsicheren  Angaben  wie:  „Nördlingen  liegt  fast  in  der  Mitte  des  vntern 
Rhaetiae,  jetzt  Rieß  genannt4*  (M.  Merian,  Topographia  Sueviae, 
1743).  —  „Das  eigentliche  Ries  ist  eine  fruchtbare  und  angenehme 
Ebene  zwischen  der  Eger  und  Wörnitz,  an  dem  Kesselthal,  dem  Rauhen 
Hertfeld,  den  Virngrund  gegen  Dinkelsbühl  und  den  fränkisch-bayrischen 
Grenzen**  („Allgemeine  Königlich-Bayrische  Vaterlandskunde.**  Ange- 
regt und  herausgegeben  von  F.  E.  v.  Seida  und  Landensberg  und 
J.  G.  Dingler,  Augsburg  1807).  —  „Sobald  man  die  Jurakalkhöhen 
etwa  des  großen  Hahnen-  oder  Bocksberges  bei  Harburg,  oder  der 
Rauhen  Wanne  bei  Hohenaltheim  erreicht  hat  und  nach  Norden  blickt, 
sieht  man  sich  vor  eines  der  auffallendsten  und  merkwürdigsten  Ver- 
hältnisse im  ganzen  Zug  des  schwäbisch-fränkischen  Juragebirges  ge- 
stellt. Anstatt,  daß  die  Jurabildung  in  der  bisherigen  Weise  in  Nord- 
ostrichtung weiter  fortsetzt,  breitet  sich  plötzlich  eine  gegen  100  m 
vertiefte,  fast  kreisrunde,  mehr  als  20  km  breite,  kesselartige  Ver- 
ebnung  aus,  in  welcher  nur  einzelne  kegelförmige  Hügel  wie  Inseln 
sich  erheben.  Es  ist  dies  das  Ries,  oft  auch  der  Rieskessel  genannt** 
(Gümbel,  Geognostische  Beschreibung  der  Fränkischen  Alb  u.  s.  w., 
S.  198). 

Gegenüber  derlei  flüchtigen  Angaben  über  Situation  und  Um- 
grenzung des  Rieses  in  einheimischen  Schriften  erscheint  es  doppelt 
auffallend,  daß  schon  vor  70  Jahren  ein  Franzose,  Ami  Bou£,  die  Um- 
risse unserer  Landschaft  auf  Grund  genetischer  Erwägung  wenigstens 
annähernd  genau  skizziert  hat:  „Die  Grenzen  des  Riesbeckens, u  sagt 
er,  „sind  etwa  folgende:  Monheim,  Wemdingen,  Oettingen,  Fremdingen, 


*)  Sämtlich  in  der  Bibliothek  zu  Maihingen. 


13]  Das  Ries.  Eine  geographisch- volkswirtschaftliche  Studie.  199 

Ingelspot  (? !),  Wallerstein,  Nördlingen,  Ammerdingen,  Deggingen  und 
Heroldingen1).8 

Neuerdings  endlich  bat  W.  Götz  in  seinem  „Geographisch-histo- 
rischen Handbuch  von  Bayern"  (S.  910)  das  Ries  durch  einen  Streifen 
umschlossen,  „ welcher  die  Gemarkungen  Oettingen,  Wemding,  Grofi- 
sorheim,  HohenaJtheim,  Hürnheim,  Holheim,  Pflaumloch  (württemb.), 
Benzenzimmern  (württemb.),  Markt  Offingen  nacheinander  berührt". 

Um  nun  die  Grenzen  des  Rieses  so  festzulegen,  daß  sie  als 
wissenschaftlich  stichhaltig  gelten  können  und  zugleich  eine  einheitliche 
großzügige  Linie  darstellen,  muß  untersucht  werden,  auf  welchem  Wege 
dies  möglich  ist.  Sie  historisch  zufassen,  geht,  wie  erwähnt,  schon 
aus  dem  Grunde  nicht  an,  weil  sich  die  Rieslandschaft  mit  der  Aus- 
dehnung des  einstigen  Riesgaues  auch  nicht  annähernd  deckt.  Um- 
schloß doch  der  letztere  zwischen  den  Eeuperhügeln  der  Fränkischen 
Höhe  und  der  Donauthalung  Gebiete  in  sich,  welche  nach  Relief,  Ge- 
stein und  wirtschaftlicher  Ausstattung  grundverschieden  waren. 

Auch  die  ethnographischen  Verhältnisse  lassen  sich  zur  Ein- 
markung  des  Rieses  nicht  benutzen.  Sein  Volk  ist  hierzu  keineswegs 
einheitlich  abgeschlossen  genug.  Weniger  der  Charakter  des  Rieses 
als  Durchgangsland  vom  mittleren  Franken  zur  Donau,  als  vielmehr 
der  Umstand,  daß  seine  letzte  Besiedelung  offenbar  zugleich  von  Osten 
und  Westen  her  gegen  die  Wörnitz  vor  sich  ging,  ließ  kein  geschlos- 
senes Volkstum  aufkommen.  Man  schuf  dasselbe  auch  nicht,  indem 
man  die  Rieser  als  „angefränkelte  Schwaben0  charakterisierte.  Sie 
stehen  in  der  schmalen  Osthälfte  der  Landschaft  mit  der  fränkischen, 
in  der  ganzen  breiten  Westhälfte  aber  mit  der  schwäbischen  Art  in 
so  innigem  Zusammenhang,  daß  dieselben  von  den  benachbarten  Be- 
völkerungselementen nur  mit  Zwang  zu  scheiden  sind. 

Ganz  unmöglich  erscheint  es  weiterhin,  dem  Ries  administrative 
Grenzen  zu  geben.  Haben  doch  Bayern  und  Württemberg  an  ihm 
gemeinsam,  wenn  auch  sehr  ungleich,  Teil  und  greifen  auf  das  Gebiet 
des  bayerischen  Rieses  allein  vier  Amtsgerichte  und  zwei  Bezirks- 
ämter über. 

Dagegen  läßt  sich  die  Riesdepression  rein  topisch  scharf 
und  unzweideutig  von  ihrer  Umgebung  absondern.  Sie  kennzeichnet 
sich  als  klar  umrandetes  Senkungsfeld  im  deutschen  Jura  nördlich  von 
Donauwörth,  das  nunmehr  ein  Stück  der  unteren  Wörnitzthalung  mit 
durchaus  individuellem  Gepräge  repräsentiert. 

Die  Angaben  über  den  allgemeinen  Umriß  des  Riesbeckens  freilich 
erweisen  so  recht  überzeugend,  wie  naturwidrig  es  ist,  die  Lineamente 
einer  Landschaft  in  streng  geometrische  Formen  einzuzwängen.  Irre- 
geleitet von  dem  Rundbilde,   welches   sich  dem  forschenden  Auge  bei 


x)  Geognoetisches  Gemälde  von  Deutschland.  Herausgegeben  von  G.  C.  v.  Leon- 
hard.  Frankfurt  a.  M.  1829.  Dieses  Buch  ist  aus  der  Vereinigung  mehrerer,  teils 
in  französischer,  teils  in  englischer  Sprache  publizierter  Aufsätze  entstanden.  In 
der  Hauptsache  aber  liegt  demselben  eine  Abhandlung  im  Maiheft  des  Journal 
de  physique  für  1822  zu  Grunde  („Memoire  geologique  sur  Allemagne4). 


200  Christian  Gruber,  [14 

einem  Blick  vom  Turm  der  Georgskirche  in  Nördlingen,  vom  Wallerstein, 
dem  Bopfinger  Ipf  oder  den  Höhen  bei  Wemding  aus  bietet,  wo  die  Kon- 
turen des  Gebietes  —  im  Duft  der  Ferne  verschwimmend  —  ineinander 
fließen,  hat  die  Mehrzahl  der  bayerischen  und  württembergischen  Forscher 
dem  Ries  eine  zirkelrunde  Form  angedichtet.  Gümbel  kennzeichnet 
dasselbe  mit  Vorliebe  als  eine  maarähnliche  Depression,  deren  Mittel- 
punkt am  Zusammenflusse  von  Eger  und  Mauch  bei  Klosterzimmern 
zu  suchen  sei.  Nach  einem  phantasievollen  Vergleiche  von  E.  Sueß 
hat  man  im  „wunderbaren  Rieskessel"  einen  weiten,  flachen  Teller  zu 
sehen  („Antlitz  der  Erde",  I.  Bd.,  S.  259).  0.  Fraas  giebt  ihm  die 
Form  eines  länglichen  Vierecks  („Geognostische  Beschreibung  von 
Württemberg*  u.  s.  w.,  S.  165).  A.  Penck  dagegen  schreibt  geradezu 
von  einer  beinahe  quadratischen  Riesfläche  („Unser  Wissen  von  der 
Erde14,  I.  Teil,  1.  Hälfte,  Länderkunde  von  Europa,  S.  222),  und  auch 
er  hat  seine  Epigonen  gefunden. 

In  Wirklichkeit  ist  das  Riesbecken  polygonal  begrenzt.  Und  zwar 
spannt  sich  seine  Niederung  als  ein  irreguläres  Sechseck  aus.  Dessen 
Winkel  werden  durch  die  Orte  Hochaltingen,  Trochtelfingen,  Karlshof 
bei  Hohenaltheim,  Deggingen,  Goßheim,  den  Sachsenhart  zwischen 
Mögesheim  und  Ursheim  und  wiederum  Hochaltingen  annähernd  mar- 
kiert. Seine  Umgrenzung  erleidet  indes  breite  und  tiefe  Unterbrechungen 
durch  die  Thäler  der  Wörnitz,  Eger  und  Rohrach,  sowie  durch  eine 
geräumige  buchtenförmige  Ausbiegung  zwischen  Wemding  und  Huis- 
heim  im  sandigen  Gebiete  der  Schwalb.  Dieser  Umstand  und  die 
Thatsache,  daß  der  Riesrahmen  in  einer  vielgeschwungenen,  häufig 
durch  vorgeschobene  Höhenrücken  und  Buhle  abgelenkten  Linie  zieht, 
verleihen  der  Depression  eine  nichts  weniger  als  regelmäßige  Gestalt. 

Ihre  genaue  Grenze  kann  auf  der  Kartenbeilage  I  verfolgt 
werden.  Sie  verläuft  von  Oettingen  westlich  nach  Ehingen  und 
Beizheim ,  dann  südlich  über  Herblingen  und  Utzwingen  nach 
Maihingen,  hierauf  südwestlich  über  Markt-Offingen  nach  Kirchheim 
und  südlich  zum  Egerthal  bei  Trochtelfingen.  Jenseits  des  letzteren 
streicht  die  Grenze  der  Riesniederung  von  Utzmemmingen  aus  südöstlich 
bis  zum  Eingang  ins  Karthäuserthal  und  weiterhin  östlich  zur  Wörnitz; 
von  Heroldingen  aus  setzt  sie  sich  wiederum  in  östlicher  Richtung  bis 
Goßheim  fort  und  geht  sodann  nördlich  mit  kleiner  Ausbiegung  über 
Wemding  nach  Amerbach ,  Polsing- Trendel  und  den  Sachsenhart  bei 
Ursheim ;  zuletzt  wendet  sie  sich  westlich  nach  der  Wörnitz  bei  Hains- 
farth-Oettingen  zurück. 

Auch  das  Volk  giebt  der  Rieslandschaft  eine  ausschließlich 
topographische  Begrenzung.  Nach  der  vulgären  Meinung  be- 
greift jene  allerdings  nur  die  flachgewellte,  schwerbödige  Niederung 
mit  ihren  Inselbergen  und  Höhenzügen  in  sich,  welche  vom  Jura  an  der 
untersten  Wörnitz  eingerandet  wird,  nicht  aber  die  Hänge  der  Umrah- 
mung selbst.  Ehingen,  Kirchheim  und  Wemding  werden  daher  auch 
ausdrücklich  als  „am  Ries"  gelegen  bezeichnet.  Faßt  man  das  letztere 
in  diesem  Sinne,  so  beträgt  seine  größte  Erstreckung  von  Norden  nach 
Süden  21,  von  Westen  nach  Osten  aber  24  km,  und  sein  Flächeninhalt 
macht  alsdann  rund  380  qkm  aus. 


15]  Das  Ries.  Eine  geographisch-volkswirtschaftliche  Studie.  201 

Dem  genetischen  Standpunkte  freilich,  welcher  stets  am 
unanfechtbarsten  bleiben  wird,  da  er  die  geographischen  Erscheinungen 
nach  ihrem  Gewordensein  ansieht,  kann  weder  die  vulgäre,  noch  eine 
rein  topische  Ummarkung  der  Rieslandschaft  genügen.  Er  findet 
mit  Recht  ihre  Grenzen  dort,  wo  die  tektonischen  Störungen 
enden,  welche  die  Entstehung  des  Senkungsfeldes  be- 
gleiteten, wo  die  Juraschichten  wieder  ihre  ungestörte, 
normale  Lagerung  zeigen,  wo  vulkanische  Tuffe  und  Ur- 
gesteine verschwinden.  Allerdings  werden  hierdurch  die  Grenzen 
der  Landschaft  stellenweise  bis  auf  20  km  von  der  Riesniederung  weg- 
gerückt, und  zwar  im  Süden  bis  über  das  Kesselthal  bei  Amerdingen 
hinaus,  im  Osten  bis  Otting  und  Döckingen  im  Hahnenkamm,  im 
Westen  bis  ans  Sechtathai.  Außerdem  zeigt  sich  die  verhältnismäßig 
breite  Randzone  des  Gebietes  mehr  den  dahinter  liegenden  Jurahöhen, 
als  dem  Ries  im  volkstümlichen  Sinne  verwandt.  Aber  dieser  Rahmen 
gehört  eben  mit  zum  Ries  wie  die  Ufer  zum  Flußbett,  das  Gestade  zu 
einem  See.  Die  geographische  Betrachtung  muß  ihn  berücksichtigen, 
wenn  anders  das  Bild  der  Landschaft  vollständig  sein  soll.  Darum 
habe  ich  auch  im  III.  Teil  dieser  Studie  seine  Modellierung  wenigstens 
in  breiten  Strichen  anzudeuten  versucht. 


II.   Teil. 

Die  Herleitung  des  Namens  Ries. 

Eine  sichere  Deutung  des  Namens  «Ries  wird  durch  die  urkund- 
lich erhaltenen  Formen  desselben  keineswegs  erleichtert.  Schon  im 
Chronicon  Gottvvicense  finden  sich  jene,  wenigstens  der  Hauptsache 
nach,  gesammelt.  K.  F.  B.  Zinkernagel1),  G.  Schmeller2),  A.  Bac- 
meister8),  Chr.  Mayer4)  und  weiterhin  A.  Steichele5)  haben  sodann 
die  älteren  Schreibweisen  chronologisch  geordnet  und  der  einzelnen 
Namensform  wohl  auch  den  Quellenbeleg  zugefügt. 

Ursprünglich,  und  zwar  vom  8. — 11.  Jahrhundert,  tritt  die  Be- 
zeichnung Ries  bekanntermaßen  als  Name  eines  Gaues  auf.  Dessen  Um- 
risse wurden  bereits  S.  195  u.  196  [9  u.  10]  gezogen.  Er  findet  760 
seine  früheste  Erwähnung:  Pippinus  rex  Francorum  monasterio  Fulda 
tradit  uilla,  qui  dicitur  Thininga  (Deiningen)  sitam  in  pago  Rezi  super 
fiuuio  qui  vocatur  Agira  (Eger).    (Cod.  dipl.  Fuld.,  ed.  Dronke,  p.  14.) 

Ueberschaut  man  die  übrigen  alten  Formen,  so  ergeben  sich 
zwangslos  zwei  Gruppen :  Rehtsa,  Recia,  pagus  Retiensis,  Retia,  Rhecia 
einerseits  —  Riezhia,  pagus  Riezzin,  pagus  Rieze,  Riez,  Rieszhalde,  in 
den  Riehsen,  Rieß  andererseits.  Eine  Mehrzahl  von  Gelehrten  —  und 
darunter  so  stimmberechtigte  Namen  wie  Schmeller  und  Bacmeister  — 
verteidigt  nun  die  Meinung,  daß  in  der  Bezeichnung  Ries  die  römische 
Rhaetia  fortlebe.  Anderen,  wie  z.  B.  auch  dem  hochverdienten  Nörd- 
linger  Forscher  Chr.  Mayer,  steht  ihre  Herkunft  noch  nicht  zweifellos 
fest.  Gegen  beide  hat  sich  längst  Zinkernagel  in  seiner  unzweideutigen 
und  herben  Art  gewandt.  Er  erinnert  daran,  daß  die  Namensähnlichkeit 
schon  zu  unzähligen  Irrtümern  Anlaß  gegeben  habe.  Wertvoller  als 
eine  barocke  Gelehrsamkeit  erschien  ihm  die  Sprache  der  Natur,  die 
weder  eine  überschwengliche  Phantasie,  noch  philologische  Dogmen 
kennt  und  vielfach  in  der  That  eine  treffliche  Namendeuterin  ist.  Und 
so  knüpft  er  denn  seine  Herleitung  des  Wortes  Ries  an  den  geographi- 


!)   Historische  Untersuchungen  der  Grenzen  des  Riesgaues  und  seiner  Grafen 
in  der  Zeit  des  Mittelalters.    Wallerstein  1802. 

2)  Bayerisches  Wörterbuch,  Bd.  II,  S.  149. 

3)  Alemanische  Wanderungen,  I,  S.  67. 
*)  Ueber  die  Ortsnamen  im  Ries,  S.  10. 

h)  Das  Bistum  Augsburg,  historisch-statistisch  beschrieben,  III.  Bd.,  S.  555  ff. 


17]    Christian  Gruber,  Das  Ries.  Eine  geographisch- volkswirtschaftl.  Studie.    203 

sehen  Charakter  unserer  Landschaft,  ihr  Aussehen  und  ihre  Entstehung 
an.  »Wir  brauchen/  meint  er  in  der  vorhin  zitierten  Schrift,  »weder 
zur  Rhaetia  transdanubiana,  noch  zu  dem  Flusse  Rezat  unsere  Zuflucht 
zu  nehmen,  um  unserem  Ries  einen  Namen  zu  schöpfen;  wir  finden  ihn 
auf  dem  leichtesten  Wege  in  unserer  alten  deutschen  Sprache,  die  eine 
feuchte,  mit  Rohr  bewachsene  und  von  Bergen  und  Wäldern  durch- 
schnittene Gegend  Ried  oder  Ries  nannte,  welches  im  Lateinischen  des 
Mittelalters  durch  Resa  und  Riesa  übersetzt  wurde.  Der  erste  Anblick 
unseres  Rieses  bestätigt  diese  Behauptung;  es  ist  rings  von  Bergen 
eingeschlossen  und  hat  nur  bei  Harburg  eine  schmale  Oeffhung,  wo- 
durch sich  die  Wörnitz  den  Weg  in  die  Donau  bahnt.  Ehe  sich  also 
Menschen  hier  ansiedelten,  konnte  diese  Gegend  nichts  anderes  als  ein 
großer  Sumpf,  ein  großes  Ried  gewesen  sein.  So  wenig  ich  auch 
Freund  von  Traditionen  bin,  so  ist  die  noch  bis  auf  den  heutigen  Tag 
unter  dem  Volke  herrschende  Sage,  daß  das  Ries  ehemals  ein  großer 
See  gewesen  sei,  doch  von  großer  Wahrscheinlichkeit  » . .  Ebenso  zeugen 
auch  die  hohen  Plätze  dieser  Gegend,  auf  welchen  man  lauter  Naturalien 
trifft,  die  sich  nur  in  Gewässern  antreffen  lassen.* 

So  erfreulich  es  nun  aber  wäre,  wenn  sich  in  dem  Namen  Ries 
ein  wesentlicher  Zug  im  Antlitz  unserer  Landschaft  widerspiegeln 
würde,  so  muß  doch  Zinkernagels  Meinung  schon  aus  dem  Grunde  als 
irrig  zurückgewiesen  werden,  weil  ein  Zusammenhang  mit  dem  mhd. 
»riet*  lautlich  unmöglich  ist.  Ebensowenig  kann  „riezen*  in  Betracht 
gezogen  werden.  Lexer  giebt  allerdings  die  Grundbedeutung  dieses  Wortes 
mit  »fließen*  wieder;  aber  er  hat  darin  nicht  Recht.  Denn  in  der  ein- 
zigen Stelle,  welche  er  für  seine  Deutung  anzieht,  liegt  offenbar  eine 
ungewöhnliche  poetische  Verwendung  des  Wortes  vor,  das  in  Wirklich- 
keit »weinen*  bedeutet. 

Wie  erklären  sich  nun  die  beiden  urkundlichen  Namenreihen,  und 
wie  sind  sie  in  Einklang  zu  bringen? 

Zur  Lösung  dieser  Frage  geben  u.  a.  der  unbekannte  Verfasser  des 
Chron.  Gott,  und  Sebastian  Münster  in  seiner  Cosmographia  univ.  rich- 
tunggebende Andeutungen.  Jener  schreibt  ausdrücklich:  Retiensis,  Recia, 
Raetia,  Reci,  Reciensis,  Rieza  .  .  .  Vocatur  adhuc  hodie  das  Ries.  Den 
schwergewappneten  Folianten  Münsters  aber  schmückt  (in  der  von  mir 
benützten  Ausgabe  von  1554)  S.  576  u.  577  ein  Bild  Nördlingens  mit 
der  Aufschrift:  Noerdlinga  ciuitas  imperalis,  sita  in  Rhetia  trans- 
danubiana, uulgo  Riess  dieta.  Als  Gewährsmann  für  den  jener  alt- 
ehrwürdigen Reichsstadt  gewidmeten  Abschnitt  seines,  die  gesamte 
damals  bekannte  Welt  umspannenden  Werkes  nennt  Münster  den  Nörd- 
linger  Stadtschreiber  Wolfgang  Vogelmann.  Er,  der  gewiß  Orts-  und 
Namenkundige,  kennzeichnet  hier  somit  den  Namen  Ries  ausdrücklich 
als  volkstümlich.  Und  volkstümlichen  Ursprungs  scheint  auch  die 
ganze  Namenreihe  Riezha,  pagus  Riezzin,  pagus  Rieze,  Riez,  Rieszhalde, 
in  den  Riehsen,  Rieß  zu  sein.  Hermann  Paul,  einer  der  berufensten 
Germanisten  unserer  Zeit,  giebt  mir  darin  in  einer  Zuschrift  »zweifellos 
Recht*.  Die  andere  Gruppe  von  Schreibungen:  Rehtsa,  Recia,  pagus 
Retiensis,  Retia  und  Rhecia  dürfte  sicher  gelehrten  Ursprungs  sein. 
Forschungen  zur  deutschen  Landes-  und  Volkskunde.    XII.   3.  14 


204    Christian  Gruber,  Das  Ries.  Eine  geographisch- volkswirtschaftl.  Studie.  [18 

Sie  enthält  den  unverkennbaren  Hinweis  auf  Rhaetia  und  ist  im  An- 
schluß an  geschichtliche  Erinnerungen  niedergeschrieben.  Es  kann 
dies  um  so  zwangloser  angenommen  werden,  als  die  Verfasser  der 
Urkunden  vom  8. — 13.  Jahrhundert  gewöhnlich  gelehrte  Männer  im 
Sinne  ihrer  Zeit  waren. 

Uebrigens  steht  durchaus  nichts  im  Wege,  auch  die  volkstümliche 
Bezeichnung  auf  Rhaetia  zurückzuführen.  Das  t  mußte  durch  die  Laut- 
verschiebung zu  z  werden,  ae  aber  wurde  wie  sonst  e  durch  ea,  ia  hier- 
durch zu  ie,  wie  in  Ziegel  aus  tegula  oder  in  mhd.  Kriech  =  Graecus. 

Endlich  weist  Schindler  —  und  in  seine  Fußstapfen  tritt  auch 
Bacmeister  —  noch  darauf  hin,  daß  „über  die  Identität  dieses  Riez, 
Rieß  mit  dem  Rhaetia  der  Alten  wohl  um  so  weniger  ein  Zweifel  sein 
kann,  als  jenes  Wort  früher  eine  viel  ausgedehntere  Landfläche  be- 
zeichnete*. In  einer  Glosse  des  11.  Jahrhunderts  steht  geschrieben:  Tres 
sunt  Retiae,  Retia  curiensis  (Chur  in  der  Schweiz),  Retia  augustensis  .  .  . 
Die  Schwäbische  Alb  heißt  im  12.  Jahrhundert  Alpes  Retianae.  Bruder 
Berhtolt  (um  1260)  sagt:  „Var  hin  gein  einem  lande,  daz  heizet  daz 
Riez,  da  ist  ein  stat  inne,  diu  heizet  Auguspurc."  Augsburg,  schon 
von  Tacitus  splendidissima  Raetiae  colonia  genannt,  heißt  noch  in 
Aventins  Chronik  (375,  384)  „Augspurg  im  Rieß%  und  in  einer  Augs- 
burger Chronik  von  1483  liest  man:  „Die  stat  Augspurgk  im  obern  rieß*. 


III.  Teil. 

Das  Ries  als  geographische  Individualität. 


I.  Abschnitt. 
Allgemeines. 

Ein  wesentlicher  Zug  im  Antlitz  Süddeutschlands  ist  sein  Reichtum 
an  individuell  ausgeprägten  Landschaften.  Er  wird  nicht  allein  durch 
den  mannigfaltigen  Charakter  einer  Reihe  von  Gebirgen  hervorgerufen, 
die  nach  ihrer  Architektur  und  natürlichen  Ausstattung  so  typisch  von- 
einander verschieden  sind  wie  Alpen  und  Rhön,  Bayerwald  und  Spes- 
sart.  Auch  die  Plateauscheitel,  Htigelgelände  und  Thalfurchen  zwischen 
den  wolkenhohen  Bergfirsten  an  der  Südmarke  des  Reiches  und  den 
flach  profilierten  Höhen  der  nördlichen  Mainlande,  den  waldernsten, 
tief  abgewetterten  Bergzügen  längs  der  bayerisch- böhmischen  Grenze 
und  der  ihnen  geographisch  so  nahe  verwandten  Ostumwallung  der 
oberrheinischen  Graben  Versenkung  tragen  vielfach  die  Reize  eigenartiger 
Einzellandschaften  an  sich. 

Man  braucht  dabei  keineswegs  nur  an  die  oberdeutsche  Hoch- 
fläche zu  denken,  auf  deren  südliche  Hälfte  die  Alpen  gleichsam  einen 
Teil  ihrer  vielseitigen  Naturschönheit  übertragen  haben.  Hier  aller- 
dings, wo  sich  das  Relief  eines  diluvialen  Gletschergebiets  in  seiner 
ganzen  launischen  Mannigfaltigkeit  aufthut,  wo  jeder  der  großen  See- 
spiegel mit  seiner  Umrahmung  ein  mehr  oder  minder  selbständiges  Bild 
darbietet,  wo  inmitten  meilenbreiter  Moorwiesen  vom  Pflug  noch  un- 
berührte Heidestrecken  liegen,  wo  die  beryllgrünen  Wellen  alpiner 
Wasseradern  stellenweise  in  schmal  eingerissenen,  waldverhüllten  Defilds 
dahintreiben  und  dann  wieder  über  offene  oder  mit  struppigem  Busch- 
wald bestandene  Geröllfelder:  hier  ist  die  Fülle  individueller  Land- 
schaften nicht  weiter  zu  erweisen. 

Aber  auch  selbst  in  Mittelfranken,  dem  unter  allen  Kreisen  Bayerns 
ein  gebirgshaftes  Relief  am  wenigsten  zukommt,  mangeln  jene  topo- 
graphischen Gegensätze  nicht,  welche  die  Eigenart  selbständiger  Land- 
schaften mit  bedingen.  Mühelos  und  zur  bleibenden  Erinnerung  haftet 
der  Kontrast  zwischen  dem  kleinen,  jedoch  markanten  System  uralter 
Caiionthäler  in  der  Fränkischen  Schweiz  und  den  weichgeformten,  echt 
genrehaften  Hügelgeländen  der  Frankenhöhe  jedem  im  Gedächtnis,  der 


206  Christian  Gruber,  [20 

nur  flüchtig  den  Fuß,  in  jene  Gegenden  gesetzt  hat.  Und  zwar  schon 
um  deswillen,  weil  sich  der  Charakter  der  fränkischen  Landschaften 
besonders  augenfällig  auch  in  der  Art  der  Siedelungen  und  des  Häuser- 
baues widerspiegelt.  Mit  feinstem  Naturverständnis  hat  A.  Kirchhoff 
neuerdings  die  eintönig  prosaischen  Ortschaften  der  mittelfränkischen 
Keuperebene  mit  den  Dorfidyllen  an  den  dortigen  Höhenzügen  und 
längs  der  Flußläufe  in  Vergleich  gesetzt *). 

Besonders  die  Tiefenlinien  im  Relief,  wie  sie  die  Thalungen  aller 
bedeutsamen  Gewässer  ziehen,  tragen  in  Nordbayern  ungleich  mehr  zur 
Individualisierung  des  Landes  bei,  als  auf  der  Donauhochebene.  Nicht 
nur,  daß  fast  jede  derselben  ihre  landschaftliche  Besonderheit  hat,  die 
Rinne  der  Fränkischen  Saale  eine  wesentlich  andere  Physiognomie  zur 
Schau  trägt,  als  jene  der  Aisch  oder  Pegnitz.  Auch  die  Thalfurche 
des  gleichen  Gewässers  zeigt  oft  Bilder  von  überraschendem  Wechsel 
und  grundverschiedener  Modellierung.  Man  gedenke  nur  des  einschnei- 
denden Gegensatzes  zwischen  dem  felsumrahmten  Donaudurchbruch  um 
Weltenburg  und  der  fruchtschweren  Stromniederung  in  der  bayerischen 
Kornkammer.  Bei  einem  Hochwasser  gleicht  der  stundenbreit  aus- 
einandergezogene Altmühlgrund  um  Gunzenhausen  einer  mächtigen, 
eindrucksvollen  Seefläche.  Und  zu  gleicher  Zeit  zieht  der  Fluß  bei 
Pappenheim  und  Eichstätt  nur  als  trüb  gefärbtes,  wenig  auffallendes 
Band  zwischen  turmhohen  Bruchufern  dahin. 

Es  ist  nicht  überflüssig,  darauf  hinzuweisen,  daß  wie  im  mitt- 
leren, so  auch  im  südlichen  Deutschland  für  den  tieferen  und  empfind- 
sameren Beobachter  nicht  nur  jede  Höhenlandschaft  ihre  individuellen 
Züge  an  sich  trägt,  sondern  auch  kaum  ein  Thal  dem  anderen  gleicht. 
Und  während  einerseits  die  faltigen  Mäntel  schattendunkler  Hochforste 
sich  um  die  Hänge  der  Berge  schlingen  und  dabei  ihre  genaueren 
Formen  gänzlich  verhüllen  oder  doch  stark  nivellieren,  zeigt  anderer- 
seits ein  reizvoller  Wechsel  von  Saatfeldern  und  Matten,  Obsthainen 
und  Weinbergen  den  Sieg  der  Kultur  über  die  rauhen  Forderungen  der 
natürlichen  Verhältnisse.  Dazu  weisen  Bayern  und  Schwaben,  Ost-  und 
Rheinfranken  die  Sonderart  der  deutschen  Volksstämme,  ihre  verschiedene 
körperliche  und  seelische  Ausstattung,  ihre  Weise  zu  wohnen,  zu  arbeiten 
und  zu  leben  klar  auf  und  so  vielfach,  wie  kaum  anderwärts,  kann 
man  auch  hier  den  Anregungen  nachgehen,  welche  die  Landesnatur 
dem  Schaffen  des  Menschen  auf  verschiedenen  Zweigen  des  materiellen 
Lebens  gab  und  damit  auch  zum  Teil  der  Ausprägung  der  wirtschaft- 
lichen Verhältnisse. 

Die  Vielseitigkeit  besonders  der  nordbayerischen  Gegenden  wird 
auch  demjenigen  auffallen,  welcher  der  alpinen  Landschaft  von  ver- 
schiedenen Seiten  her  ins  Gesicht  gesehen  hat.  Nur  muß  er  sich  hüten, 
den  Maßstab  des  Hochgebirgs  unmittelbar  an  sie  anzulegen.  Er  wird 
die  Erinnerung  an  den  im  ganzen  wie  im  einzelnen  großartigen  Auf- 
bau der  Alpen,  an  ihre  wildkühnen,  hochaufgestauten  Kämme,  blinkenden 
Firnfelder  und  Eisströme,   ihre  mauergleichen  Plattengehänge,  weiten, 


v)  Das  deutsche  Volkstum.  Herausgegeben  von  Hans  M e y  e r.   II.  Abschnitt: 
Die  deutschen  Landschaften  und  Stämme,  S.  76. 


21]  Das  Ries.  Eine  geographisch-volkswirtschaftliche  Studie.  207 

mit  Krummholz  umsäumten  Schutthalden  und  unermüdlich  spiegelnden 
Seeaugen  zurückdrängen  müssen.  Und  wozu  auch  Vergleiche  zwischen 
Landschaften,  die  nicht  bloß  nach  Höhe  und  Relief,  Entstehung  und 
Gesteinsbeschaffenheit,  sondern  auch  an  geschichtlicher  Bedeutung  und 
nationalökonomischem  Wert  so  weit  voneinander  verschieden  sind!  In 
unserer  Zeit,  wo  man  von  der  Erdkunde  weniger  Phantasie  und  mehr 
Naturtreue,  weniger  Reflexion  und  mehr  Thatsachen  verlangt,  giebt  es 
selbst  für  geistvolle  Gedankenspielereien  und  philosophische  Betrach- 
tungen von  solcher  Art  wenig  Raum  mehr. 

Keine  Landschaft  Bayerns  nun  trägt  alle  Kennzeichen  individueller 
Eigenart  so  unzweideutig  und  in  wahrhaft  schulgerechtem  Sinne  an 
sich,  als  das  Ries.  Gleich  einer  fremden  Welt  wurde  dasselbe  im 
Durchschnitt  80  m  tief  in  den  Deutschen  Jura  versenkt.  Mit  Recht 
betonen  C.  Deffner  und  0.  Fraas  in  den  Begleitworten  zu  den  Atlas- 
blättern  Bopfingen  und  Ellenberg  der  geognostischen  Spezialkarte  von 
Württemberg:  „Bei  keiner  einzigen  Ortschaft  kann  man  im  Zweifel 
sein,  ob  sie  zum  Ries  gehöre  oder  nicht;  denn  in  scharfen  geologischen 
Grenzlinien  ist  der  eigentliche  Rieskessel  seiner  Zeit  in  den  Jura  ein- 
gebrochen.* 

Wer  von  den  walddunkeln,  trümmerbestreuten  Kalkflächen  bei 
Neresheim  oder  Monheim  aus  in  diese  offene,  dicht  besiedelte  Korn- 
kammer Nordbayerns  hineinschreitet,  den  mutet  ein  Gegensatz  in  der 
Landschaft  an,  wie  er  auffallender  nicht  gedacht  werden  kann.  Ihn 
mag  nur  annähernd  derjenige  mitfühlen,  welcher  von  den  Hochwäldern 
des  Spessarts  hinaus  in  die  sonnenbeglänzte,  fruchtbare  Mainniederung 
tritt  oder  jemand,  der  von  den  enggescharten  Vulkanhöhen  des  Sieben- 
gebirges aus  um  sich  schaut :  dem  im  Westen  das  Rheinthal  entgegen- 
blinkt, voll  Helle  und  Sonne,  voll  fröhlichen  Erwerbs,  reich  an  an- 
mutigen Ortschaften,  geschmückt  mit  dem  wunderherrlichsten  Denkmal 
mittelalterlicher  Frömmigkeit,  dem  Kölner  Dom  —  und  der  im  Osten 
und  Norden  auf  die  walddüsteren  und  schwach  bewohnten  Plateau- 
ebenen des  Bergischen  Landes  und  des  Westerwaldes  schaut,  der  Heimat 
armer  Leute,  wo  die  Braut  an  ihrem  Ehrentage  statt  der  Rose  einen 
Büschel  Kartoffelblüten  an  die  Brust  stecken  soll. 

An  Flächenraum  nimmt  zwar  das  Ries  nur  annähernd  den  vierten 
Teil  der  bedeutendsten  aller  bayerischen  Thalebenen  ein,  der  schiefen 
Fläche  an  der  mittleren  Isar  um  München,  welche  1485  qkm  mißt1). 
Doch  unterbricht  dasselbe  die  breitscheiteligen  Jurahöhen  auf  so  auffällige 
Art  und  so  geräumig,  daß  man  im  Drange,  die  vaterländischen  Relief- 
formen nach  den  Leitlinien  einer  veralteten  Tradition  systematisch  an- 
zuordnen, die  Grenzscheide  zwischen  dem  Schwäbischen  und  Fränkischen 
Jura  nicht  ganz  mit  Unrecht  hierher  verlegt  hat. 


*)  Das  Münchener  Becken  von  Ch.  Grub  er.     Forschungen   zur   deutschen 
Landesr  und  Volkskunde,  Bd.  1,  Heft  4,  S.  6. 


208  Christian  Gruber,  [22 

IL    Abschnitt. 

Die  Entstehung  und  geognostische  Ausstattung  der 
Riesdepression. 

Es  ist  vorauszusehen,  daß  besonders  die  Genesis  dieser  von  ihrer 
Umgebung  so  deutlich  abgehobenen  Landschaft  Thatsachen  ergiebt, 
welche  für  ihre  Individualität  sprechen.  Freilich  ist  die  Vielheit  der 
hier  auftretenden  geologischen  Erscheinungen  gegenwärtig  noch  keines- 
wegs so  weit  geklärt,  daß  sich  daraus  ein  wissenschaftlich  unanfecht- 
bares Bild  von  der  Entstehung  der  Riessenke  entwerfen  ließe.  Was 
vor  30  Jahren  der  mit  der  ganzen  Gewissenhaftigkeit  eines  hervor- 
ragenden Autodidakten  erfüllte  C.  Deffner  aussprach,  gilt  uneingeschränkt 
auch  gegenwärtig  noch:  „Das  Ries  ist  eine  tief  in  Schlamm  und  Sand 
versunkene  Sphinx  und  giebt  dem  Forscher  Rätsel  auf,  die  nur  durch 
lange  anhaltende  Bemühungen  und  nicht  in  kurzem  Siegeslauf  zu  lösen 
sind"1). 

Trotzdem  die  ältesten  Nachrichten  über  Versteinerungen  und 
Bodenprofile  im  Ries  bis  zum  Jahre  1758  zurückreichen  und  bereits 
Matthias  Flurl  in  dem  trotz  aller  Mängel  seiner  Zeit  doch  nicht  zu  unter- 
schätzenden Buche  „Ueber  die  Gebirgsformationen  in  den  dermaligen 
churpfalz-baierischen  Staaten"  (1805)  schrieb,  ihm  scheinen  die  Kalk- 
steinberge um  Monheim  auf  einem  ausgebrannten  Vulkan  aufzusitzen ; 
trotzdem  Forscher  wie  B.  v.  Cotta  und  Voith,  Deffner  und  Fraas, 
Schafhäutl  und  v.  Ammon  hier  mit  gründlicher  Sorgfalt  arbeiteten 
und  Gelehrte  von  dem  Weitblick  eines  Sueß  und  Gümbel  die  Riesfrage 
erörterten,  steht  sie  zur  Zeit  noch  offen. 

Nur  so  viel  scheint  mir  sicher,  daß  man  im  Ries  keine  Krater- 
wanne im  gewöhnlichen  Sinne  vor  sich  hat2),  keine  Bildung, 
welche  genetisch  mit  den  Maaren  der  Eifel  zu  vergleichen  wäre.  Seine 
Verwandtschaft  mit  jenen  ist  vielmehr  rein  äußerlicher  Art.  Sie  klebt 
bloß  an  den  Konturen  und  der  Reliefform  im  großen  und  ganzen. 

Abgesehen  davon,  daß  der  Boden  des  Rieskessels  selbst  den 
Laacher  See  um  das  Hundertfache  an  Fläche  übertrifft,  stellt  die  Rhein- 
eifel  im  Vergleich  zu  unserem  Gebiete  eine  unendlich  vielseitigere 
altvulkanische  Landschaft  dar,  in  welcher  die  eruptive  Thätigkeit  wäh- 
rend des  Miocäns  begann  und  erst  in  der  jüngeren  Diluvialzeit  endete,  und 
von  der  Leopold  v.  Buch  einmal  an  einen  seiner  Freunde  schrieb:  „Sie 
wird  Führer  und  Lehrer  werden,  manch  andere  Gegend  zu  begreifen, 
und  ihre  Kenntnis  kann  gar  nicht  umgangen  werden,  wenn  man  eine 
klare  Ansicht  der  vulkanischen  Erscheinungen  erhalten  will.* 

Im  Gegensatze  zu  all  den  Kratern  und  Schlackenkegeln,  Lava- 
strömen und  großartigen  Tuffablagerungen  des  Gebietes  von  Laach  und 
der  vulkanischen  Vordereifel  sind  die   kesseiförmigen  Eintiefungen  der 


J)  Württembergische  naturwissenschaftliche  Jahreshefte,  Bd.  26,  S.  141. 
8)   Vgl.    hierüber    A.  Penck,    Morphologie    der    Erdoberfläche,    IL    Bd., 
S.  296  ff. 


23]  Das  Ries-  Eine  geographisch-volkswirtschaftliche  Studie.  209 

Maare  verhältnismäßig  einfache  Gebilde.  Man  hat  sie  bekanntlich  als 
Vulkane  aufgefaßt,  welche  bereits  im  ersten  Stadium  ihrer  Thätigkeit 
zur  Ruhe  kamen.  Sie  sind  offenbar  eine  Wirkung  von  Explosionen, 
die  überhitzte  Gasmassen  des  Erdinnern  in  einem  stellenweise  schon 
tektonisch  gestörten  Gebiete  verursachten.  Ihr  experimentelles  Vorbild 
haben  sie  in  Minensprengungen,  bei  denen  der  Erdboden  ja  auch  meist 
rundlich  durchlöchert  wird.  Wenn  es  nun  an  sich  schon  mehr  als 
hypothetisch  wäre,  dem  gewaltigen  ßieskessel  einen  explosiven  Ursprung 
zu  geben,  so  widersprächen  dem  auch  die  außerordentlich  verwickelten 
Lagerungsstörungen,  welche  sich  in  der  Umrahmung  der  Senke  bis  auf 
ungefähr  20  km  Entfernung  vorfinden.  Sie  weisen  ebensosehr  auf  ab- 
senkende, als  auf  hebende  Dislokationen  hin.  Die  Gesteinsschichten  sind 
hier  nach  allen  Himmelsgegenden  geneigt.  Sie  fallen  fast  ebenso  häufig 
gegen  den  Boden  der  Kesselvertiefung  ein,  als  sie  sich  von  ihm  weg- 
neigen. Ihr  einstiger  Aufbau  ist  gänzlich  zerrüttet.  „Der  Zusammen- 
hang der  ursprünglichen  Ablagerungen  ist  aufgehoben  und  der  ganze 
Bau  in  einzelne  größere  oder  kleinere  Schollen  auseinander  gebrochen, 
welche  bald  emporgestaut,  bald  niedergesunken,  bald  auf  den  Kopf 
gestellt  und  sogar  übergekippt  sind,  bald  seitlich  ineinander  ge- 
preßt oder  übereinander  weggeschoben  liegen,  oder  auch  in  lang  hin- 
ziehenden Spalten  eingesunken  und  eingeklemmt  erscheinen.  Zuweilen 
sind  die  ordnungslos  durcheinander  geworfenen  Formationstrümmer  auch 
zu  einem  unentwirrbaren  Mischmasch,  dem  Riesgrus  oder  der  bunten 
Breccie  des  Rieses,  zusammengeknetet. B  Dazu  kommt,  daß  man  schwer- 
lich in  einem  anderen  deutschen  Gaue  eine  solche  Vielartigkeit  von 
Schichtengliedern  auf  so  engem  Raum  hart  bei  einander  findet,  wie  am 
Riesrande.  Er  und  die  Inselberge  über  der  Niederung  bergen  fast  alle 
Gebirgsarten  in  der  verschiedensten  petrographischen  Zusammensetzung 
und  voll  bunter  Farben  in  ihrem  Schöße:  Granite,  altkrystallinische 
Schiefer  und  vulkanische  Aufschüttungen,  mesozoische,  tertiäre,  quar- 
täre  und  alluviale  Ablagerungen,  gänzlich  umgewandelte,  äußerlich  nur 
angeschliffene  und  unverändert  gebliebene  Gesteinstrümmer,  seltene 
Mineralien,  wie  Pittizit  und  Arragonit,  massenhafte  Versteinerungen  von 
der  Zeit  des  Keupers  an  bis  herab  zu  den  Schalen  der  Lößschnecken. 
So  unberechenbar  gemischt  ist  dieses  eigenartige  P6le-m6le,  daß  die 
geologische  Karte  keineswegs  im  stände  ist,  es  voll  und  ganz  zur  Dar- 
stellung zu  bringen. 

Es  steht  dem  Geographen  nicht  zu,  das  Feld  der  Meinungen  über 
die  Entstehungsgeschichte  des  Rieses  zu  beschreiten  oder  es  gar  zu 
erweitern.  Wenn  er  aber  die  bisher  aufgefundenen  und  sicher  be- 
gründeten Fragmente  zu  einer  solchen  Entstehungsgeschichte  zusammen- 
fügt, zeigt  sich  vor  allem,  daß  man  im  Ries  durchaus  kein  iso- 
liert stehendes  Gebilde  vor  sich  hat.  Es  ist  vielmehr  nur  ein 
allerdings  sehr  markantes  Glied  in  einer  Reihe  allgemeiner 
tektonischer  Erscheinungen  des  südlichen  Deutschlands. 

Das  Ries  gehört  der  Region  des  weiten  Senkungsfeldes  zwischen 
den  granitischen  und  altkrystallinischen  Berggruppen  des  Schwarzwaldes 
und  Odenwaldes  einerseits,  des  ostbayerischen  Grenzgebirges,  Franken- 
und  Thüringerwaldes  andererseits  an,  innerhalb  dessen  die  triassischen 


210  Christian  Gruber,  [24 

und  jurassischen  Schichtenkomplexe  in  Staffeln  längs  ausgedehnter 
Brücke  absanken,  die  mit  dem  Fuße  der  alten  Gebirge  in  annähernd 
gleicher  Richtung  ziehen  *).  Es  liegt  ferner  in  nächster  Nähe  des 
scharfen  Abbruchs  der  Jurabänke  am  Rande  des  Donauthals,  der  parallel 
mit  dem  Alpenrande  verläuft  und  0.  Fraas  zu  dem  Ausspruche  ver- 
anlaßt hat,  daß  zur  selben  Zeit,  als  die  Falte  der  Alpen  sich  hob,  das 
Tafelland  des  Juras  im  gleichen  Sinne  barst. 

Auch  innerhalb  des  Deutschen  Juras  selbst  wurden  längst  eine 
Reihe  von  Querspalten,  sowie  zahlreiche  und  unzweideutige  Zeichen  von 
Einbrüchen  nachgewiesen.  Es  ist  nicht  zufällig,  daß  sich  gerade  in 
unmittelbarer  Nähe  des  Rieses  ähnliche  Depressionen  vorfinden:  das 
Steinheimer  Becken,  die  Senkungsfelder  bei  Neresheim,  zwischen  Ellen- 
berg und  Bopfingen,  bei  Urach  und  jene  unserer  Landschaft  direkt  be- 
nachbarten insularen,  aber  doch  in  einer  bestimmten  Achsenrichtung 
liegenden  Bewegungszentren,  welche  die  württembergischen  Forscher 
„Umwälzungssporaden*  genannt  haben.  An  sie  alle  reiht  sich  endlich 
noch  der  weiter  entfernte  Hegau  an,  in  dem  gleichfalls  ein  kesselähn- 
liches Stück  aus  der  Hochfläche  der  Schwäbischen  Alb  herausgebrochen 
wurde  und  sich  gesenkt  hat. 

Alle  diese  Thatsachen  und  weiterhin  die  Beweise,  welche  Gümbel 
für  die  Hebung  altkrystallinischer  Schollentrümmer  aus  dem  Unter- 
grunde des  Rieses  herbeizuschaffen  getrachtet  hat,  legen  nahe,  daß  die 
Entstehung  unseres  Gebietes  ursprünglich  und  im  wesent- 
lichen auf  tektonische  Ursachen  zurückzuführen  sei.  Inwie- 
weit die  letzteren  mit  jenen  Streifen  des  Riesrandes  verknüpft  sind, 
längs  deren  sich  die  auffallendsten  Schichtenstörungen,  die  bedeut- 
samsten Eruptionserscheinungen  und  Lager  von  Urgesteinstrümmern 
anordnen,  ob  die  vulkanische  Thätigkeit  und  das  Emporrücken  der 
Urgesteine  gleichzeitig  oder  nicht  erfolgte,  und  ob  vielleicht  die  Ries- 
senke durch  eine  Art  Querthalung  im  Jura  schon  vorgebildet  war, 
dies  alles  ist  erst  noch  nachzuweisen.  Darin  wird  geradezu  die  Haupt- 
aufgabe der  künftigen  geologischen  Forschungen  im  Ries  zu  suchen 
sein.  Erst  wenn  die  tektonischen  Achsen  2)  auf  Grund  aller  wichtigen 
Details  sicher  nachgewiesen  und  endgültig  in  den  Hauptzügen  kon- 
struiert sind,  was  allerdings  durch  die  Schuttverhüllung  der  zu  unter- 
suchenden Gebiete  wesentlich  erschwert  ist,  kann  auf  die  Genesis  des 
Rieses  das  aufhellende  Licht  fallen.  Bis  dahin  wird  sich  nur  behaupten 
lassen,  man  habe  im  Ries  ein  beträchtliches  Senkungsfeld  vor 
sich,  bei  dessen  Bildung  sich  wahrscheinlich  die  dislocieren- 
den  Kräfte  in  ähnlicher,  wenn  auch  ungleich  schwächerer 
Weise  kombinierten,  wie  bei  der  Auffaltung  eines  Stückes  der 
Erdoberfläche,  und  die  gleichzeitig  vulkanische  Reaktionen 
auslösten.  Auf  letztere  allein  die  Genesis  des  Rieses  zurückzuführen, 
widerspricht  zahlreichen  geologischen  Beobachtungen,  vor  allem  an  der 
Westumrahmung   des  Gebietes,   und  erinnert  an   ein  warnendes  Wort, 

')  Vgl.  hierüber  E.  Sueß,  Das  Antlitz  der  Erde,  1.  Bd.,  S.  254  ff. 

2)  C.  Deffner  hat  bereits  versucht,  für  die  West-  und  Nordseite  des  Ge- 
bietes verschiedene  Bruchlinien  festzulegen :  die  Sighart-Hürnheimer  Achse  und  ihre 
Parallelbrüche,  ferner  die  Zipplinger  und  die  Fremdingen- Gailsheimer  Achse. 


25]  -Das  Ries.  Eine  geographisch- volkswirtschaftliche  Studie.  211 

das  Franz  Von  Paula  Schrank,  der  polyhistorisch  angelegte  altbayerische 
Naturforscher,  bereits  1786  niederschrieb:  „Es  ist  ein  großer  Fehler 
wider  die  Naturgeschichte,  alles  durch  einen  Grundsatz  erklären  zu 
wollen.*4 

Was  aber  dem  Ries  seine  Eigenart  und  einen  Vorrang 
gegenüber  den  ihm  unmittelbar  benachbarten  Depressionen 
im  Schwabenjura  wahrt,  das  sind  seine  bedeutende  Größe, 
das  Auftauchen  der  schon  erwähnten  Schollentrümmer  alten 
Gesteins  und  die  eigenartige  Ausprägung  der  vulkanischen 
Erscheinungen. 

Nun  stellen  allerdings  auch  die  letzteren  kein  vereinzeltes  Vor- 
kommnis dar.  Sie  sind  bloß  ein  Stück  in  jener  Reihe  vulkanischer  Kraft- 
äußerung0n,  die  während  der  jüngeren  Tertiärzeit  bei  der  Ausgestal- 
tung des  Reliefs  in  einem  großen  Teile  von  Mitteleuropa  thätig  gewesen 
sind  und  deren  Eruptionsprodukte  in  einer  langen  Flucht  vom  böhmi- 
schen Mittelgebirge  an  durch  das  Egerland  und  über  die  Rhön,  den 
Vogelsberg  und  Meißner  hinaus  bis  zum  Siebengebirge  und  zur  Eifel 
lagern.  Und  selbst  im  Deutschen  Jura  finden  sich  außer  dem  Ries 
bekanntlich  noch  an  drei  weiteren  Stellen  vulkanische  Gesteine  und  die 
Einwirkungen  eruptiver  Thätigkeit:  nahe  dem  nördlichen  Ausgange 
des  Gebirges  am  Patersberg  und  bei  Wernstein  in  der  Umgebung  von 
Kulmbach,  sowie  bei  Oberleinleiter  unfern  Heiligenstadt ;  ferner  an  den 
125  Auf  bruchsteilen  um  Urach,  welche  Professor  Dr.  W.  Branco  bis 
in  alle  Einzelheiten  erforscht  und  sehr  anschaulich  als  Vulkanembryonen 
bezeichnet  hat1);  endlich  am  Südrande  des  Juras  im  Hegau,  dessen 
gesamte  Entstehungsgeschichte,  wie  auch  seine  vulkanischen  Ablage- 
rungen den  Erscheinungen  des  Rieses  vielleicht  am  nächsten  ver- 
wandt sind. 

Obwohl  die  oberfränkischen  Eruptivgebilde  mit  jenen  des  Rieses, 
um  Urach  und  im  Hegau  ungefähr  in  gleicher  Richtung  von  NO  nach  SW 
sich  anreihen,  ist  es  doch  unwahrscheinlich,  daß  sie  auf  einem  gemein- 
samen Spaltenaufbruche  liegen.  Denn  hier  mangelt  nicht  bloß  jene  Kon- 
tinuität, welche  so  unverkennbar  z.  B.  bei  Rhön  und  Vogelsberg,  Sieben- 
gebirge und  Eifel  hervortritt.  Auch  die  eruptive  Thätigkeit  im  ein- 
zelnen und  ihre  reliefbildende  Wirkung  war  an  den  von  ihr  betroffenen 
vier  Jurastellen  außerordentlich  ungleich.  Am  Patersberg  und  bei 
Wernstein  schuf  sie  zwei  Kuppen  von  Nephelinbasalt,  bei  Oberleinleiter 
nur  einen  die  Weißjuraschichte  durchsetzenden  Gang.  Um  Urach  da- 
gegen wurde  von  ihr  die  Juradecke  geradezu  siebförmig  durchlöchert. 
Man  findet  dort  nach  Brancos  vorbildlicher  Monographie2)  auf  der 
Hochebene  der  Alb  3  Basalt-  und  35  Tuffmaare,  am  Steilrand  der  Alb 
32  aufgeschlossene  Tuffmaare  und  die  tufferfüllten,  in  die  Tiefe  nieder- 
gehenden Ausbruchskanäle  derselben,  im  Vorlande  der  Alb  54  Maar- 
tuffgänge. Je  nachdem  die  vulkanischen  Gesteine  im  Bereich  des 
weißen  Juras  oben  auf  der  Alb  selbst   oder  im  Dogger-  und  Lias  auf 

*)  Schwabens  125  Vulkanembryonen  und  deren  tufferföllte  Ausbruchröhren, 
da*  größte  Gebiet  ehemaliger  Maare  auf  der  Erde.  Stuttgart,  Schweizerbart 
(E.  Koch)  1894. 

2)   S.  173  ff. 


212  Christian  Gruber,  [26 

dem  Vorlande  der  Alb  liegen,  zeigen  sie  eine  andere  „äußere  Erschei- 
nungsweise". Während  die  vulkanischen  Tuffmassen  auf  der  Hochfläche 
des  Schwaben juras  fast  nirgends  über  die  sie  umgebenden  Gelände 
hervorragen,  ja  im  Gegenteil  sich  meist  in  dieselben  eingesenkt  zeigen, 
bilden  sie  im  nördlichen  Vorlande  der  Alb  kegel-  oder  seltener  wulsten- 
förmige  Erhebungen,  Buhle  und  niedrige  „ Bolle ft,  deren  unterer  Teil 
meistens  aus  braunen  oder  schwarzen  Juraschichten  aufgebaut  ist. 

Echte  alte  Vulkane  mangeln  indes  dem  Uracher  Gebiet.  Die  Tuffe 
und  der  Basalt  sind  hier  der  Erdoberfläche  nicht  aufgesetzt,  sondern 
derselben  nur  in  schmalen  Gängen  oder  Röhren,  den  einstigen  Aus- 
bruchsschloten, eingelagert.  Sie  sind  bloß  Ausfüllungsmassen  von  Spalten. 
„Auch  die  hochaufragenden  Buhle  sowohl  wie  die  kleinen  Bolle  sind 
nur  für  in  die  Tiefe  niedergehende  Tuffgänge  anzusehen,  deren  Köpfe 
aus  ihrer  Jurahülle  herausgeschält  und  dann  mehr  und  mehr  wieder 
abgetragen  wurden/ 

Einen  ganz  anderen  Typus  repräsentiert  die  alteruptive  Thätig- 
keit  im  Ries  und  Hegau.  Beide  Landschaften  sind  geräumige,  kessel- 
artige Senkungsfelder.  Hier  wie  dort  fanden  wirkliche  Ausbrüche 
vulkanischer  Gesteinsmassen  statt  und  häuften  sich  ihre  Aufschüttungen 
über  der  Erdkruste  an.  Doch  waren  die  Eruptionen  in  Hegau  ungleich 
stärker  als  im  Ries.  Sie  scheinen  überhaupt  mit  der  Entfernung 
vom  Alpenrande  nach  Norden  zu  an  Kraft  und  wahrscheinlich 
auch  an  Dauer  abgenommen  zu  haben,  so  daß  sie  um  Urach  nur 
noch  die  erwähnten  embryonalen  Bildungen  zuließen.  Bisher  gelang  es 
im  Ries  nicht,  auch  nur  an  einer  einzigen  Stelle  festes  Eruptivgestein 
aufzufinden.  Dagegen  trifft  man  im  östlichen  Hegau  Phonolith,  im 
westlichen  Melilithbasalt  in  reicher  Menge.  Beide  ragen  aus  dem 
Senkungsfelde  als  pralle,  kegelähnliche  Erhebungen  zu  mehr  als  200  m 
Höhe  empor  und  sind  offenbar  nichts  anderes  als  „Sbeinkeme  aus  einem 
Schmelzfluß,  die  einst  im  Krater  unter  mächtigen  Aschenkegeln  erstarrten 
und  von  der  Verwetterung  später  ihres  Mantels  aus  Asche  und  Tuffen 
entblößt  wurden"   (Branco). 

Letztere  treten  übrigens  immerhin  noch  in  beträchtlichen  Ablage- 
rungen wie  um  Urach  und  im  Ries,  so  auch  im  Hegau  auf.  Und  zwar 
stets  als  Tuffbreccien  mit  zahlreichen  Einschlüssen  von  jenen  Gesteins- 
arten, die  gelegentlich  der  eruptiven  Thätigkeit  durchbrochen  und 
dabei  stark  verändert  wurden:  also  von  bröckeligen  Graniten,  Gneißen, 
triassischen  und  jurassischen  Schichtengliedern. 

Die  Denudation,  welche  mit  den  mehr  oder  minder  locker  auf- 
geschütteten Gesteinsmassen  in  den  altvulkanischen  Gegenden  Deutsch- 
lands so  gründlich  aufgeräumt  hat,,  daß  manche  derselben,  wie  z.  B. 
der  Vogelsberg,  geradezu  nur  noch  als  Bruchstücke  von  Skeletten  eines 
früheren  Bergkörpers  erscheinen,  hat  freilich  auch  im  Ries  die  Spuren 
der  vulkanischen  Thätigkeit  arg  verwischt.  Die  Lager  stark  poröser,  in 
allen  Nuancen  von  Grau  gefärbter  trachytischer  Tuffe  um  Hainsfarth, 
bei  Amerbach,  Fünfstätten,  Huisheim,  Großsorheira,  Holheim,  Schmä- 
hingen,  Pflaumloch  und  Kirchheim1)  sind  —  wie  die  in  den  gleichen 


*)  Bedeutsamerweise   finden   sich    die    größten    Anhäufungen    vulkanischer 


27]  Das  Ries.  Eine  geographisch- volkswirtschaftliche  Studie.  213 

Gegenden  vorkommenden  Fetzen  ausgeworfener  Lava  in  Form  von  breit- 
gedrückten Schlackenfladen  und  Bomben  mit  tauartig  gewundener,  viel- 
fach auch  rissiger  Außenseite  —  offenbar  nur  geringe  Residua  von  einst 
ungleich  mächtigeren  Anhäufungen.  Sie  beeinflussen  gegenwärtig 
das  Relief  und  die  landschaftliche  Ausstattung  der  Ries- 
umrahmung in  kaum  beachtenswertem  Maße.  Dieselben  sind 
ungleich  mehr  von  geologischer,  als  von  orographischer  Be- 
deutung. Nichts  überzeugt  hiervon  deutlicher,  als  der  an  20  m  hohe 
Tuffbruch  an  der  Altenbürg  bei  Holheim,  dem  einst  die  Steine  für  die 
Georgskirche  in  Nördlingen  und  die  Burg  Niederhaus  entnommen  wur- 
den. Auf  Umfang  und  Dauer  der  eruptiven  Thätigkeit  lassen 
die  vulkanischen  Tuffe  durchaus  keinen  Schluß  zu.  Wohl 
aber  kann  aus  den  Tertiärschichten,  welche  sich  über  ihnen  in  regel- 
rechter Lagerung  abgesetzt  haben,  mit  Sicherheit  auf  die  geologische 
Periode  geschlossen  werden,  zu  welcher  der  Vulkanismus  im  Ries 
thätig  war.  Diese  Schichten  werden  durch  Sylvanakalke  und  andere 
obermiocäne  Absätze  gebildet.  Es  fanden  demnach  die  vulkanischen 
Ausbrüche  und  ihre  Einwirkung  auf  das  Relief  unseres  Gebietes  während 
des  unteren  und  mittleren  Miocäns  statt. 

Wenn  im  übrigen  Gümbel  nur  eine  Aufbruchstelle  im  Ries  an- 
nimmt, von  einem  Vulkan  mit  Kraterbildung  im  Sinne  der  rezenten 
Feuerspeier  schreibt  und  ihn  in  die  Gegend  von  Klosterzimmern  ver- 
legt, so  schwebt  er  damit  auf  rein  spekulativem  Boden.  Mit  dem 
gleichen  Rechte  könnte  man  das  Ries  auch  als  eine  unfertige  oder 
unvollständige  vulkanische  Landschaft  kennzeichnen,  in  der 
es  nicht  zum  Ergüsse  von  Lavaströmen  und  Lavadecken  oder  zur  Aus- 
füllung eines  Vulkanschlotes  mit  massigem  Eruptivgestein  gekommen 
ist,  sondern  nur  zur  bloßen  Aufhäufung  lockerer  Massen,  wie  es  eben 
Bimsstein,  Asche,  Lapillen  und  Bomben  sind,  und  dadurch  zur  Tuff- 
bildung. 

C.  Deffner,  der  phantasievollen  Hypothesen  nicht  immer  abhold 
war,  hat  versucht,  aus  der  petrographischen  Zusammensetzung  dieser 
rhyolithischen  Tuffe *)  Schlüsse  auf  Wesen  und  Ursprung  des  Vulkanis- 
mus im  Ries  zu  ziehen.  Er  meinte2),  daß  die  in  den  eruptiven  Kon- 
glomeraten neben  schlackenförmiger  Perlsteinlava  liegenden  Trachyt- 
trümmer  nichts  weiter  seien,  als  durch  die  Hitze  der  vulkanischen 
Agentien  umgewandelte  granitische  Gebirgsarten ,  welche  durch  die 
Eruption  losgerissen  und  mit  an  die  Oberfläche  gebracht  wurden.  So 
sicher  könne  ihre  Entstehung  verfolgt  werden,  daß  man  oft  noch  die 
Granit-  und  Gneisart  zu  bestimmen  im  stände  sei,  aus  welcher  der 
Trachyt  entstand.  Man  erkenne  auch  deutlich,  daß  die  Trachyteinschlüsse 
oft  sehr  verschiedene  Einwirkungen   der  Hitze   erlitten   haben,    sei  es, 


Breccien  ansehnlich  weit  im  Süden  von  der  Riesniederung  erst  bei  Auf  hausen, 
Amer dingen,  Ringingen  und  Mauren. 

*)  lieber  deren  Beschaffenheit  findet  sich  Näheres  bei  Gümbel:  Der  Ries- 
vulkan. Berichte  der  Münchener  Akademie,  Sitzung  der  math.-phys.  Klasse  vom 
5.  Februar  1870,  S.  172  ff. 

2)  Begleitworte  zur  geologischen  Spezialkarte  von  Württemberg,  Atlas- 
blätter Bopfingen  und  Ellenberg,  S.  12. 


214  Christian  Gruber,  [28 

daß  sie  derselben  längere  Zeit  oder  in  einem  höheren  Grade  aus- 
gesetzt waren.  Denn  man  finde  alle  Uebergänge  vom  gewöhnlichen 
dichten  Trachyt  bis  zur  großblasigen  Schlacke  und  der  deutlich  ge- 
flossenen Lava. 

Danach  wären  die  vulkanischen  Ablagerungen  des  Rieses  im  Grunde 
nur  auf  eine  stellenweise  Umschmelzung  des  altkrystallinischen  Funda- 
ments der  Landschaft  infolge  lokaler  Ueberhitzung  zurückzuführen. 
Offenbar  irrt  Deffner  aber  hierin  in  ähnlicher  Weise,  wie  bei  seiner 
Annahme  einer  diluvialen  Vergletscherung  des  Rieses.  Vorläufig  steht 
nur  so  viel  sicher,  daß  eruptive  und  granitische  Gesteine  im 
Ries  stets  vergesellschaftet  sind  und  daß  die  aus  den  Absätzen 
heißer  Quellen  gebildeten,  später  noch  ausführlicher  zu  erwähnenden 
Sprudelkalke  fast  immer  auf  Urgesteinstrümmern  ruhen. 

Schon  aus  diesem  Grunde  erscheinen  die  letzteren  für  unser  Ge- 
biet von  höchster  Bedeutung.  Aber  auch  für  die  rein  geographische 
Betrachtung  des  Riesreliefs  sind  sie  wichtiger,  als  alle  vul- 
kanischen Residua  zusammen.  Sie  sind,  abgesehen  von  den  Quartär- 
bildungen, das  verbreitetste  Gestein  in  der  Riesniederung,  zumal  wenn 
man  in  Betracht  zieht,  daß  sie  auf  der  geologischen  Karte  nicht  in 
ihrer  ganzen  Ausdehnung  hervortreten,  weil  sie  Kappen  aus  Süßwasser- 
kalk tragen. 

Nach  einer  etwas  stark  gewagten  hypothetischen  Ansicht  Gümbels  *) 
sind  dieselben  nur  Stücke  eines  Riffes,  „  welches  im  Untergrund  der  ganzen 
schwäbisch-fränkischen  Alb  hindurchzieht  und  wohl  auch  auf  deren 
Richtung  bestimmenden  Einfluß  ausübte".  Indes  treten  weder  im  Hegau, 
noch  um  Urach  Granite  und  altkrystallinische  Gesteine  derart  häufig 
und  reliefbildend  auf,  als  gerade  im  Ries.  Sie  sind  eine  spezifische 
Erscheinung  desselben  und  bilden  einen  hervorstechenden 
Zug  in  seinem  Antlitze.  Dieselben  liegen  vielfach  unmittelbar  den 
Malmschichten  an  und  sollen  nach  den  bisherigen  Anschauungen  ein 
Beweis  für  ausgiebige  Hebungen  innerhalb  des  Einbruchsfeldes  sein. 
Sie  gehören  dem  typischen  Granit,  Gneis,  Hornblende-  und  Diorit- 
schiefer,  stellenweise  auch  dem  Urkalk  zu.  Ferner  streicht  in  dem 
Gneis  des  Wennenbergs  ein  Gang  kersantitähnlichen  Gesteins.  Mit  Aus- 
nahme des  letzteren  sind  die  nirgends  in  eigentlichen  Felspartieen  an- 
stehenden Urgesteine  des  Rieses  durch  vulkanische  Hitze,  sowie  den 
Einfluß  der  Mofetten  und  der  Verwetterung  sehr  stark  zersetzt,  sowohl 
an  der  Oberfläche  des  Riesbodens,  als  im  Untergrund.  A.  Frickbinger 
hat  z.  B.  beim  Graben  eines  Kellers  auf  dem  Stoffelberge  bei  Nörd- 
lingen  in  ungefähr  20  m  Tiefe  noch  beliebige  Stücke  von  Granit  mit 
der  Hand  wegnehmen  können.  Meist  werden  denn  auch  die  alten  Ge- 
birgsarten  im  Riese  als  Bausand  ausgehoben  und  finden  bei  weitem  nicht 
die  praktische  Verwendung  wie  die  Tuffe.  Zwar  eignen  sich  die  letz- 
teren, weil  sie  wegen  ihres  porösen  Geftiges  die  Grundfeuchtigkeit  in 
hohem  Maße  aufsteigen  lassen,  wenig  zur  Fundamentation  von  Häusern- 
Wohl  aber  hat  man  gemahlenen  Tuff  bei  den  Festungsanlagen  in 
Ingolstadt  und   beim  Betonieren   der  Brücken-   und  Uebergangsbauten 


*)   Geologie  von  Bayern,  S.  803. 


29]  Das  Ries.  Eine  geographisch* volkswirtschaftliche  Studie.  215 

längs  der  Haupteisenbahnlinie  des  Rieses  benützt.  Außerdem  gebraucht 
man  ihn,  wenn  er,  wie  z.  B.  am  Buscheiberg  bei  Hainsfarth,  mit  Süß- 
wasserkalk vereinigt  vorkommt,  zu  Uferschutz-  und  Wehranlagen.  Weil 
er  an  der  Luft  und  besonders  im  Feuer  stark  erhärtet,  wurde  derselbe 
früher  auch  vielfach  zur  Herstellung  von  Backöfen  und  ähnlichen 
„Feuerbauten*  verwendet  und  soll  sogar  die  Donau  abwärts  nach  Wien 
und  Ungarn  verschickt  worden  sein.  Jedoch  ist  der  vulkanische  Ries- 
tuff nicht  annähernd  in  dem  Grade  feuerfest,  wie  es  etwa  die  berühmten 
Trasse  der  Rheineifel  sind. 

Die  Trümmer  des  Urgesteins  sind,  wie  vorauszusehen,  durchaus 
nicht  gleichmäßig  über  den  Boden  und  Rand  der  Riesdepression  ver- 
teilt. Sind  sie  wirklich  die  Zeugen  energischer  Hebungen  in  ihr,  so 
müßten  diese  den  südlichen  Teil  des  Gebietes  ungleich  stärker  betroffen 
haben,  als  den  nördlichen.  Und  da  gleichzeitig  an  ihr  Vorkommen 
jenes  der  rhyolithischen  Tuffe  gebunden  ist,  so  könnte  ein  übereilter 
Beobachter  schließen,  daß  auch  die  vulkanischen  Kraftäußerungen  in 
der  unteren  Rieshälfte  stärker  gewesen  seien.  In  der  That  mangelt 
dem  Boden  des  Senkungsfeldes  im  Norden  bis  zum  Mellenberg  bei 
Marktoffingen  jede  Spur  von  Tuffen  und  altem  Gestein.  Aber  auch 
innerhalb  des  weitgespannten  Bogens  des  Riesrandes  zwischen  Polsing 
und  Maihingen  finden  sich  nur  geringe  Residua  von  ihnen  bei  Hains- 
farth und  Ehingen.  Dagegen  tauchen  die  Schollen trümmer  altkrystalli- 
nischer  Gebirgsarten  nicht  bloß  als  Sockel  des  Nördlinger  Höhenzuges 
und  aller  Inselberge  in  der  südlichen  Riesniederung  selbst  auf,  sondern 
auch  vielfach  in  der  Umrahmung  derselben,  und  zwar  häufiger  im 
Westen  als  im  Osten.  Hier  fehlen  sie  im  wesentlichen  nur  zwischen 
Amerbach  und  Eleinsorheim,  mithin  bedeutsamerweise  gerade  in  jenem 
Teil  des  Rahmens  unserer  Landschaft,  welchem  der  Höhenzug  von  Lier- 
heim  bis  zum  Wennenberg  vorlagert.  So  bilden  denn  auch  die  alten 
Gesteine  bei  aller  Lückenhaftigkeit  ihres  Vorkommens  einen  ungleich 
vollständigeren  und  breiteren  Gürtel  um  den  Riesboden,  als  die  nur 
sporadisch  aufgelagerten  rhyolithischen  Tuffe. 

Mit  dem  hypothetisch  angenommenen  Emporrücken  der  Trümmer 
von  Urgestein  und  dem  Erlöschen  der  vulkanischen  Thätigkeit  endet 
die  stürmische  Periode  in  der  Geschichte  des  Rieses.  Es  folgt  ihr  jene 
große  Spanne  Zeit  ruhiger  Entwicklung,  welche  sedimentäre  Ablage- 
rungen mannigfaltigen  Charakters  und  von  einschneidendem  wirtschaft- 
lichen Werte  charakterisieren. 

Doch  hörte  der  Vulkanismus  auch  im  Ries  nicht  katastrophen- 
artig rasch  auf.  Wenn  man  ihn  mit  Poulett  Scrope  dahin  definiert, 
daß  er  jedwedes  Ausstoßen  von  festen,  flüssigen,  halbflüssigen  und  luft- 
förmigen  Massen  aus  dem  Erdinnern  bedeutet,  so  dauern  seine  Nach- 
wirkungen in  unserer  Landschaft  noch  eine  geraume  Weile  fort.  Denn 
es  finden  sich  an  den  Inselbergen  des  Rieses,  dem  Goldberg,  Waller- 
stein, Hahnen-  und  Spitzberg  unzweifelhafte  Beweise  von  der  'Wirk- 
samkeit heißer,  mit  Calciumkarbonat,  Kohlensäure  und  auch  mit  arsen- 
saurem Eisen  beladener  Sprudelquellen.  Gleich  den  rezenten 
Thermen  waren  sie  keine  allgemeine  Erscheinung  im  Ries, 
sondern   lokal   beschränkt.     Auch   ihre   Thätigkeit  fällt  ins  Ober- 


216  Christian  Gruber,  [30 

miocän,  aber  in  eine  Zeit,  in  welcher  die  Riesdepression  schon  von 
den  ihr  zuströmenden  Wasseradern  seeartig  breit  ausgefüllt  war. 

Daß  die  seltsamen,  hier  marmorartig  festen  und  krystallinisch 
körnigen,  dort  schalig  wulstigen  und  blasig  porösen  Süßwasserkalke 
auf  den  erwähnten  Inselbergen  des  Rieses  von  stark  gashaltigen  Warm- 
quellen herrühren,  lehrt  am  klarsten  die  durch  einen  Felzsturz  entblößte 
Nordostseite  des  Wallersteins.  Ein  Vertikalprofll  zeigt  an  dieser  Höhe 
zunächst  eine  Grundanschwellung  aus  granitischem  Trümmerwerk. 
Ueber  ihr  lagert  eine  Schicht  außerordentlich  dichten  Süßwasser- 
kalks. An  dem  darauf  folgenden  eigentlichen  Wallersteiner  Burgberg 
ist  es  nun  leicht,  die  schönsten  Sprudelsteine  und  Blasenkalke  zu  be- 
obachten und  dabei  die  Gasgänge  zu  verfolgen,  um  die  sich  mantel- 
förmig  konzentrische  Schalen  lagern,  seitlich  und  von  oben  her  von 
Oeffnungen  durchbrochen,  durch  die  das  Gas,  welches  sich  selbst  ein- 
zumauern anfing,  wieder  ausbrach,  um  eine  neue  Blase  oder  Röhre 
zu  bilden,  die  abermals  sich  schloß,  so  daß  sich  das  Spiel  sofort  aufs 
neue  in  gleicher  Art  fortsetzte.  Namentlich  auf  dem  Gipfel  des  Burg- 
felsens wird  das  Gestein  porös  und  blasig,  die  Kalklamellen  sind 
gebogen,  wellig  und  zerrissen  und  der  Vergleich  ihrer  Bildung  mit 
Karlsbader  und  Cannstatter  Sprudelstein  wird  unwillkürlich  nahegelegt. 
Dazu  sind  die  von  den  Quellgasgängen  erzeugten  Hohlräume  mit  Arragonit 
überzogen  und  Nestchen  von  Eisenocker  liegen  in  den  Gesteinsporen. 
„Alles  zusammen  macht  den  deutlichen  Eindruck  von  Quellabsätzen 
eines  Kohlensäuerlings. tt 

Gerade  die  von  den  Thermen  im  Ries  abgesetzten  Süßwasserkalke 
sind  nun  auch  außergewöhnlich  reich  an  Ueberresten  tertiärer  Säuge- 
tiere und  Wasservögel,  an  Schilf,  Gras  und  Charafrtichten,  und  am 
Wallerstein  hat  man  auch  den  Abguß  einer  Landschildkröte  aufgefunden. 
K.  v.  Zittel  und  0.  Fraas  haben  ganze  Schränke  mit  Vogelknochen, 
Federn  und  Eierschalen  vom  Goldberg,  Spitzberg  und  Hahnenberg 
gesammelt  und  sammeln  lassen.  Sehr  anschaulich  sagt  denn  auch 
Fraas:  „Kaum  kann  sich  jemand  ein  reicheres  Material  vorstellen;  denn 
der  Süßwasserkalk,  der  den  Felsen  bildet,  besteht  stellenweise  nur  aus 
einem  Haufenwerk  von  Vogelknochen  und  Eiern,  aus  den  Skeletten  von 
Pelikan,  Storch,  Reiher,  Gans,  Ente  und  kleineren  Singvögeln.  Da- 
zwischen liegen  einzelne  Platten  mehrere  Centimeter  hoher  Eierschalen- 
haufen, sehr  selten  vollständige  Eier,  daneben  das  Gewölle  der  größeren 
Vögel,  bestehend  aus  Helixschalen ,  Mausschädeln,  Eidechsenknochen 
und  allerlei  unverdaulichem  Gemengsei.  Mitten  darin  wieder  Schilf 
und  Rohr,  als  ob  wir  an  einem  modernen  Brtiteplatz  von  Wasservögeln 
uns  befänden,  wo  Tausende  von  Nestern  aufeinander  und  nebeneinander 
gesetzt  und  auf  ausgebrütete  Eierschalen  wieder  frische  Eier  gelegt 
werden1)/ 

Von  den  unregelmäßigen  Kalkabsätzen  der  warmen  Sprudelquellen 
sind  übrigens  die  regelrecht  geschichteten  Bänke  aus  Süßwasser- 
kalk wohl  zu  unterscheiden,  welche  an  den  Rändern  des  Riessees  zur 
Ablagerung  kamen.     Sie  finden  sich  vor  allem  am  nördlichen  Rahmen 


')  Neues  Jahrbuch  für  Mineralogie,  1879,  S.  555  ff. 


31]  Das  Ries.  Eine  geographisch-volkswirtschaftliche  Studie.  217 

des  Gebietes  stark  entwickelt,  seltsamerweise  besonders  in  dem  schon 
früher  erwähnten,  an  Tuff-  und  Urgestein  armen  Bogen  zwischen  Polsing 
und  Maihingen,  sowie  am  Nördlinger  Höhenzug  und  seinen  Ausläufern. 
Wo  sich  der  Süßwasserkalk  aber  doch  mit  Tuff  vergesellschaftet  findet, 
trennt  ihn  oft  nur  eine  dünne  Breccienschichte  von  demselben.  Neben 
dem  Reichtum  an  Helix  sylvana  verbergen  sich  in  ihm  noch  Massen 
von  grau,  gelb  und  bräunlich  gefärbten  Schälchen  der  Hydrobia  trochulus 
Sdb.  und  von  Cypris  faba. 

Die  Süßwasserkalke  liefern  im  steinbedürftigen  Ries,  mögen  sie 
nun  von  heißen  Sprudelquellen  erzeugt  oder  in  stagnierendem  Gewässer 
ruhig  abgesetzt  worden  sein,  ein  vielbegehrtes  Baumaterial.  Seit  Jahr- 
hunderten wurden  sie  in  solchen  Mengen  gebrochen,  daß  die  aus  ihnen 
aufgebauten  Höhen  an  Volumen  ansehnlich  vermindert  und  in  ihrem 
Aussehen  wesentlich  beeinflußt  wurden.  Allüberall:  an  den  Abhängen 
des  Buscheis  bei  Hainsfarth  wie  am  Goldberg,  an  der  Reimlinger 
Höhe  wie  am  Adlerberg  fallen  die  schroffen  Wände  auf,  welche  die 
Steinbrucharbeit  geschaffen  hat  und  die  bei  Morgen-  und  Abendlicht 
in  warmen  gelblichen  Tönen  schimmern.  Der  allerdings  plateauartig  breit 
auseinandergezogene  Kalkaufsatz  des  Goldbergs  wird  gar  von  Osten, 
Süden  und  Norden  her  gleichzeitig  abgetragen.  Manche  der  Riesberge 
haben  daher  auch  ihre  ursprünglich  flachscheitelige  Form  großenteils 
eingebüßt,  Sie  sehen,  wie  Spitzberg  und  Adlerberg,  gezahnt  aus  und 
besitzen,  nicht  zum  Nachteil  der  harmlos  einfachen  Konturen  ihrer  Um- 
gebung, scheinbar  eine  mehrfach  ausgebrochene  Gratböhe.  Die  Hänge 
derselben  aber  sind  durch  die  Wühlarbeit  der  Steinbrecher  und  die  von 
ihnen  herabgeworfenen  Schutthalden  unregelmäßig  gewulstet  und  wie 
mit  niedrigen,  verwaschenen  Höckern  umhüllt,  über  denen  Licht  und 
Schatten  in  launischem  Wechsel  spielen. 

Im  Vergleich  zu  den  Süßwasserkalken  besitzen  die  anderen  jung- 
tertiären Gesteinslager  an  den  Erhebungen  und  Rändern  des  Rieses  für 
das  Relief  der  Landschaft  geringere  Bedeutung.  Es  sind  petrographisch 
überaus  mannigfaltige  Neubildungen  in  Form  von  Konglomeraten  oder 
auch  bloß  losen  Schottern  aus  dem  Material  älterer  Schichten,  welches 
durch  die  dislocierenden  Kräfte  bis  ins  kleinste  zerstört  und  ausein- 
andergebrochen wurde.  Am  deutlichsten  fallen  die  ansehnlichen  Lager 
von  lockerem,  aus  oberen,  mittleren  und  unteren  Malmsteinen 
bestehendem  „miocänen  Juraschutt"  auf,  wie  württembergische 
Forscher  diese  Trümmerkalke  des  Rieses  allerdings  im  heftigen  Wider- 
streit zu  Quenstedt  nennen.  Sie  werden  als  ein  von  der  Natur  selbst  her- 
gestelltes Kleingeschläge  für  Straßenbeschotterung  allenthalben  benützt. 
Dagegen  treten  die  hartverkitteten  Griesmassen  („bunte  Breccien") 
geographisch  wenig  hervor.  Doch  ist  es  für  die  Meinungen  über  die  Ent- 
stehung unseres  Gebietes  vielleicht  nicht  belanglos,  daß  auch  sie,  gleich 
den  Urgesteinen,  vulkanischen  Tuffen  und  losen  Schuttanhäufungen  sich 
häufiger  in  der  südlichen,  als  in  der  nördlichen  Rieshälfte  finden. 

Hierher  zählen  vor  allem  jurassische  Breccien  aus  eckigen  und 
auch  aus  abgerundeten  Trümmern  aller  Juraetagen,  welche  inkrustierende 
Gewässer,  oft  mit  Schalen  von  Landschnecken,  so  hart  verbunden  haben, 
daß  sie  in  Nördlingen  durch  lange  Jahrhunderte  als  Piastersteine  ver- 


218  Christian  Gruber,  [32 

wendet  wurden.  Man  findet  sie  u.  a.  an  der  Altenbürg,  bei  Holheim 
und  Deggingen.  Ferner  wird  von  den  Sandgräbern  an  vielen  Stellen 
im  Ries  ein  Konglomeratfels  aus  Keuperbruchstücken  aufgedeckt,  die 
«in  Zement  aus  kohlensaurem  Kalk  zu  einer  Art  tertiären  Keupers 
zusammengebacken  hat.  Wo  die  ungewöhnlich  stark  zersetzten  graniti- 
schen Trümmerstücke  „in  Kontakt  mit  Tertiärablagerungen  treten,  setzte 
sich  tertiärer  Kalkschlamm  mit  Schnecken  in  jedem  Sprung  und  jeder 
Kluft  des  alten  Gesteins  fest."  So  entstand  ein  Neogranit,  den  Deffner 
am  Reisberg  bei  Nähermemmingen  instruktiv  aufgeschlossen  traf.  Auch 
die  Bänke  des  eigenartigen  Quarzitfelsens  am  Stoffelberg,  dann  am 
Sandhof  in  der  Nähe  von  Huisheim  und  bei  Deggingen  im  Brändle, 
welche  A.  Frickhinger  mit  glücklichem  Scharfsinn  als  Süßwasserquarz 
gedeutet  hat,  hält  man  für  ein  Neuprodukt  aus  Granit  und  Gneis. 
Endlich  lagern  noch  tertiäre  Konglomerate  aus  weißem  Jura,  Quarz- 
körnern, Kalktufffragmenten  und  Bestandteilen  des  Trasses  dort  ein, 
wo  die  Bänke  von  Rieskalk  in  vulkanischen  Tuff  übergehen,  wie  beson- 
ders anschaulich  ein  wiederum  von  Deffner  skizziertes  Profil  am  Büschel 
bei  Hainsfarth  klarlegt. 

Während  so  in  der  jüngsten  Tertiärzeit  die  isolierten  Erhebungen 
des  Rieses  durch  Aufsätze  aus  Süfiwasserkalk  an  Masse,  wie  an  Höhe 
und  charakteristischer  Form  gewannen  und  am  Rande  des  Gebietes  die 
Bildung  fester  Breccienlager  aus  degeneriertem  Schutt  vor  sich  ging, 
begann  gleichzeitig  die  Ausfüllung  und  Verebnung  des  weitausgespannten 
Bodens  der  Depression.  Und  zwar  übertreffen  auch  hier  die  thonigen, 
sandigen  und  kalkigen  Ablagerungen  aus  der  jungmiocänen  Zeit  alle 
späteren  an  Mächtigkeit  so  bedeutend,  daß  man  auch  in  Bezug  auf  die 
Konfiguration  des  Flachgebietes  unserer  Landschaft,  ihrer  mild  gewellten 
Ebenen  an  Wörnitz  und  Eger  behaupten  kann,  im  Ries  seien  alle 
wesentlichen  Züge  der  Bodengestalt  während  des  Tertiärs 
ausgeprägt  worden. 

Die  durch  spätere  diluviale  und  alluviale  Ueberlagerungen  gründ- 
lich verhüllten  Schichten  des  Riesuntergrundes  wurden  mittels 
einer  Reihe  von  Bohrungen  auf  Braunkohlen  erschlossen,  welche  stellen- 
weise bis  56,5  m  tief  abgetäuft  sind.  Die  gewonnenen  20  Profile 
lassen  erkennen,  daß  das  gesamte  Gebiet  wahrscheinlich  auf  einem 
Fundament  aus  granitischem  Gestein  ruht,  über  welchem  in  bunter 
Wechsellagerung  plastische  Thone  und  Kalkmergel,  Braunkohlenflöze  und 
niedrige  Kalkbänke  sich  aufbauen.  Schon  bei  ungefähr  8  m  liegt  in 
braun-  oder  blaugrauem  Tertiärletten  stellenweise  Papierkohle.  Sie  hat 
neuerdings  Hermann  Frickhinger  analysiert x).  In  unscheinbare  Blättchen 
spaltbar,  ist  dieser  Dysodil  durch  seine  Verbrennlichkeit  und  die  Er- 
zeugung einer  intensiv  weiß  leuchtenden  Flamme  ausgezeichnet.  Bei 
100°  C.  getrocknet  besteht  er  aus  63,39  Kohlenstoff,  12,51  Wasser- 
stoff, 19,13  Sauerstoff,  2,39  Wasser.  Im  gleichen  Horizont  wie  die 
Papierkohle  findet  sich  anderwärts  lettiger  Kohlenmulm.    Bei  10 — 12  m 


x)   Verhandlungen  der  phys.-medizinischen  Gesellschaft  in  Würzburg.    Neue 
Folge,  VIII.  Bd.,  S.  238  ff. 


33]  Das  Rica.  Eine  geographisch-volkswirtschaftliche  Studie.  219 

stellt  sich  alsdann,  um  C.  Deffners  Worte  zu  zitieren1),  in  der  Regel 
das  erste  Ealkbänkchen  mit  Cypridinen  ein.  Darauf  folgt  das  obere, 
bis  1  m  mächtige  Kohlenflöz.  Vielfach  schiebt  sich  eine  Zwischenlage 
von  Thon  in  dasselbe  ein.  Es  kommen  darauf  aschgraue,  grünliche 
und  dunkle  Thone,  unregelmäßig  von  porösen  Kalken  und  Kalksanden 
durchsetzt,  in  welchen  dieselben  Schnecken  und  Cypris  stecken,  wie  in 
den  am  Rand  der  Ebene  zu  Tage  tretenden  hügelbildenden  Kalklagen. 
Ungefähr  mit  20  m  Tiefe  stellt  sich  das  untere  Flöz  von  2  m  Mächtig- 
keit ein.  Es  sollte  zum  Abbau  kommen.  Unter  demselben  werden  die 
Thone  gerne  mager,  leichter,  kalkreicher  und  gehen  in  förmlichen 
Kalksand  über,  der  sich  zuletzt  mit  granitischem  Gries  vermengt.  (In 
welcher  Weise  die  Ablagerungen  im  einzelnen  an  einer  Reihe  bedeut- 
samer Stellen  sich  folgen,  findet  sich  auf  Seite  13  u.  14  der  Begleit- 
worte zu  den  geognostischen  Atlasblättern  Bopfingen  und  Ellenberg 
eingehend  mitgeteilt.) 

Die  im  Hauptversuchsschacht  zwischen  Oettingen  und  Bettendorf 
1859  geförderten,  eher  mulmigen  als  lignitischen  Rieskohlen 
hatten  einen  so  großen  Gehalt  an  Feuchtigkeit  und  an  Schwefelkies, 
daß  sie  zum  Brand  erst  getrocknet  werden  mußten;  wenn  sie  aber 
brannten,  so  gaben  sie  so  viel  schwefelige  Säure  von  sich,  daß  sie  für 
technische  Zwecke  durchaus  unbrauchbar  waren.  Auch  das  starke  An- 
dringen von  Grundwasser  und  das  Auftreten  von  Schwaden  machte  den 
Abbau  des  nur  19  m  tief  liegenden  Flözes  gewinnlos.  Damit  war  der 
Wahn  einzelner  Vaterlandsfreunde  zerstört,  daß  der  Riesuntergrund  durch 
seinen  Kohlenreichtum  eine  ähnliche  Bedeutung  für  Gewerbe  und  In- 
dustrie gewinnen  könnte,  wie  sie  der  fruchtbaren  Oberfläche  des  Ries- 
boden für  Ackerbau  und  Viehzucht  innewohnt2). 

So  tief  man  auch  die  Tertiärschichten  im  flachen  Ries  erbohrte, 
man  fand  sie  stets  in  ungestörter  horizontaler  Lage.  Sie  erweisen 
sich  dadurch  als  Produkte  ruhiger  Niederschläge  in  einem  geräumigen 
Seebecken.  Die  Tiefe  des  letzteren  kann  im  Durchschnitt  wohl  nicht  allzu 
beträchtlich  gewesen  sein.  Denn  sowohl  das  Vorkommen  von  Dysodil, 
als  hauptsächlich  jenes  der  an  sich  nicht  unbedeutenden  Braunkohlen- 
flöze setzt  eine  üppige  Vegetation  streckenweise  in  der  stagnierenden 
Wassermasse  des  damaligen  Riessees  selbst  voraus.  Gümbels  Meinung, 
daß  das  Pflanzenmaterial  zur  Kohlenbildung  allein  aus  der  reichbewaldeten 
Umrahmung  in  den  See  geführt  wurde,  scheint  mir  bei  der  weiten  Aus- 
dehnung der  Braunkohlenschichten  durchaus  nicht  stichhaltig. 

Nebenbei  mag  in  diesem  Zusammenhange  noch  erwähnt  sein,  daß 
man  auch  von  verkieseltem  Holz  im  Ries  seit  fast  anderthalb  Jahrhun- 
derten Kunde  hat.  Gelegentlich  der  Angabe  eines  Bodenprofils  bei  Wechin- 
gen,  die  dem  ersten  Verzeichnis  von  in  unserer  Landschaft  gesammelten 
Petrefakten  3)  beigefügt  ist,  wird  mitgeteilt:  „Sobald  man  über  6  Klafter 


*)  Begleitworte   zur  geognostischen  Spezialkarte  von  Württemberg,   Atlas- 
blätter Bopfingen  und  Ellenberg,  S.  15. 

*)  Auch  auf  der  Höhe  östlich  von  Wemding  wurden  früher  Braunkohlen  in 
der  Grube  Concordia  abgebaut. 

8)   Oettingsche  Bibliothek  von  G.  A.  Michel.  Ansbach  1758  (Jakob  Christ. 
Posch),  S.  152—104. 

Forschungen  zur  deutschen  Landes-  und  Volkskunde.    XII.    3.  15 


220  Christian  Gruber,  [34 

in  schwarzen  Letten  kommt,  liegen   Ligna  fossilia  in  ganzen  Stämmen 
und  von  dreierlei  Art  (Föhren,  Fichten,  Eichen)  durcheinander. a 

Wahrscheinlich  noch  während  der  Ablagerung  der  jüngsten  Tertiär- 
gesteine im  und  am  Ries  begann  die  Bildung  des  Defiles,  welches  der 
Abfluß  des  Riessees  allmählich  in  die  Jurahöhen  zwischen  Hoppingen 
und  Wörnitzstein  erodierte.  Dadurch  fanden  nach  und  nach  die  bisher 
gestauten  Ansammlungen  der  Wörnitz-  und  Egergewässer  ihren  Weg 
zur  Donau  und  wurde  eine  Thalstrecke  geschaffen,  welche  durch  ihre 
Enge,  die  waldverhüllten  Steilufer  und  die  vereinzelt  aus  ihr  aufstre- 
benden dolomitischen  Felspartieen  an  den  Altmühldurchbruch  bei  Eich- 
stätt  und  die  Thäler  der  Fränkischen  Schweiz  gemahnt. 

Auch  die  diluviale  und  recente  Periode  verliefen  für 
das  Ries  im  Vergleich  zum  mittleren  Miocän  ausnehmend 
ruhig.  Doch  wurde  der  Riesrand  noch  von  jenen  auffallend  schwierig 
zu  deutenden  tektonischen  Verschiebungen  betroffen ,  die  C.  Deffner 
am  Buchberg  bei  Bopfingen  so  eingehend  nachwies  1).  Ueber  den  Ries- 
grund aber  wurden  die  Trümmergesteine  der  Umrahmung  durch  die 
ihm  allseitig  zuströmenden  hochgehenden  Gewässer  da  und  dort  in 
seichten  Lagen  ausgebreitet. 

Die  diluviale  Vergletscherung  konnte  das  Ries  nicht  berühren. 
Dazu  mangelte  ihm  wie  seiner  Umgebung  die  notwendigste  Voraus- 
setzung: eine  Höhenlage,  welche  über  die  Schneelinie  der  Eiszeit  hinaus- 
greift. J.  Partsch  hat  dieselbe  für  Süddeutschland  zu  1000  m  berechnet. 
Rand  und  isolierte  Erhebungen  des  Rieses  bleiben  aber  volle  4 — 500  m 
unter  dieser  Höhe.  Von  End-  und  Grundmoränen,  Rundhöckern  und 
erratischen  Blöcken  kann  also  hier  im  Ernste  keine  Rede  sein. 
Pseudoglaziale  Erscheinungen  allerdings  mangeln  nicht.  „Bei 
Lauchheim  und  Bopfingen  sind  Ablagerungen  vorhanden ,  welche 
die  charakteristischen  Eigenschaften  glazialer  Bildungen  in  vollem 
Umfang  zur  Schau  tragen.  Sie  ruhen  auf  horizontal  geschliffenen 
Flächen  auf  und  bestehen  aus  in  der  Richtung  der  Schliffe  transpor- 
tiertem Material,  das  gekritzte  Geschiebe,  darunter  solche  des  Goldshöfer 
Sandes  birgt,  welch  letzterer  wahrscheinlich  altquartär  ist.  So  voll- 
ständig ist  die  Analogie  mit  einer  Geschiebelehmbildung,  daß  ihr 
nicht  glazialer  Ursprung  erst  bewiesen  werden  muß."  Diesen  Beweis 
hat  nun  A.  Penck  in  authentischer  Weise  geliefert2).  Er  führt  an,  da& 
weder  in  der  weiteren  Umgebung  von  Nördlingen,  noch  in  dem  Thal 
von  Bopfingen,  weder  am  Ipf,  noch  im  Wörnitzthale  Moränenwälle  mit 
gekritzten  Geschieben  oder  Rundbuckel  zu  finden  seien.  Es  fehle 
jeder  See,  und  nicht  das  kleinste  Moor  sei  vorhanden.  Freilich,  fremdes 
Gesteinsmaterial  mangle  nicht,  das  als  charakteristisch  gelten  könnte; 
aber  dieses  leite  sich  nicht  von  irgend  einem  hochgelegenen  Punkte 
her,  sondern  stamme  aus  der  Tiefe.  Es  sei  unzweifelhaft,  daß  nicht 
ein  glazialer  Horizontalschub,  sondern  eine  im  Grunde  genommen  vul- 
kanische Thätigkeit  jene  Trümmer  in  vertikaler  Richtung  herbeigeschafft 
habe.    Auch  darauf  weist  jener  Gelehrte  noch  hin,  daß  eine  supponierte 

*)  Jahresh.  d.  Vereins  f.  vaterl.  Naturk.  in  Württemberg,  Bd.  XXVI,  1870. 
2)   Pseudoglaziale  Erscheinungen.     „Das  Ausland*  1884,  S.  641  ff. 


35] 


Das  Ries.  Eine  geographisch-volkswirtschaftliche  Studie. 


221 


Vergletscherung  des  Rieses  gänzlich  aus  der  Harmonie  herausfallen 
würde,  welche  die  Entwickelung  des  süddeutschen  Glazialphänomens 
beherrscht,  und  daß  weder  die  über  der  Malmstufe  sich  findenden  Ab- 
lagerungen des  braunen  Juras  bei  Bopfingen,  noch  das  Chaos  von 
Lauchheim  die  Erscheinungsweise,  den  Habitus  eines  Blocklehms, 
einer  Grundmoräne  an  sich  tragen.  —  Diese  Thatsachen  werden  auch 
durch  Kockens  neueste  Mitteilungen  über  Glazialspuren  am  westlichen 
Riesrand  nicht  erschüttert. 

Während  das  Ries  sonach  ohne  Zweifel  von  der  eiszeitlichen  Ver- 
gletscherung nicht  berührt  wurde,  erhielt  es  anderseits  in  der  Diluvialzeit 
die  an  Fläche  ausgedehnteste  und  wirtschaftlich  hervorragendste  aller 
seiner  Gesteinsablagerungen:  jene  mächtige  Lehmdecke,  die  sich  vom 
rechtseitigen  Borde  der  Wörnitz  an  bis  hinaus  zum  Rahmen  des  Rieses 
erstreckt.  Es  ist  ein  „Brotflöz"  in  unbeschränktem  Wortsinn.  Auf 
ihm  beruht  größtenteils  der  Segen  der  Landschaft,  ihr  Reichtum  an 
allen  Produkten  des  schwäbisch- fränkischen  Feldbaus  sowohl  in  allzu 
regenreichen,  als  allzu  trockenen  Jahrgängen. 

Wie  die  nachfolgende  Gegenüberstellung *)  erweist,  zeigt  sich  der 
Rieslehm  eigentümlicherweise  dem  Löß  bei  Ems  und  Bonn,  ja  selbst 
dem  Nilschlamm  nach  seinen  Hauptbestandteilen  näher  verwandt,  als 
dem  schwäbischen  Lehm,  welchem  für  gewöhnlich  nur  47 — 50°/o  Kiesel- 
erde zukommen. 


II 


III 


IV 


VI 


VII 


VIII 


IX 


Kieselsäure  ...  1 61,17 
Thonerde  ....  1 12,83 
Eisenoxyd  ....!;   3,90 

Magnesia 1,20 

Kalk ;    1,48 

Natron j  \o14r 

Kali !  T'74 

Kalkkarbonat  .  .  |    9,50 
Magnesiakarbon.        — 
Wasser ;    7,10 


I: 


66,07 

12,90 

5,27 

1,61 

2,60 

0,59 
10,96 


64,28 
8,57 
6,38 
2,20 
1,09 

2,00 
13,05 

0,80 


54,51 
7,77 
4,57 
0,42 
0,80 
0,91 
1,21 

24,96 
3,78 
0,72 


52,38 
6,60 
2,75 
1,91 
0,41 
1,27 
1,22 

29,29 
1,97 
0,81 


58,97 
9,97 
4,25 

0,04 
0,02 
0,84 

Ul 

20,16 

4,21 

1,37 


62,43 
7,51 
5,14 
0,21 

}l,75 

17,63 
3,02 
2,31 


54,59 
11,66 
20,22 
0,76 
1,91 
0,55 
0,47 
3,72 


50,14 
4,77 
2,69 
0,34 
0,77 
0,54 
0,55 

30,76 
1,24 
0,99 


Rieslehm  zwischen  Marienhöhe  und  Totenberg  bei  Nördlingen,  unterste, 
gelbe  Lage; 
II  =  Rieslehm  ebendorther,  höhere,  rötlichsandige  Lage; 

III  =  Löß  von  der  Kapelle  am  Spieß  bei  Ems; 

IV  —  Heidingsfeld  bei  Würzburg; 
V  =  Mauer,  Elsenzthal,  Baden; 

VI  =  Siebengebirge  bei  Heisterbach ; 
VII  =  Zwischen  Bonn  und  Ippendorf ; 
VIII  =  Nilschlamm,  Durchschnitt  aus  8  Proben; 
IX  =  Rheinabsatz  im  Jtodenseedelta. 

Auch  nach  Farbe,  Einschlüssen  und  physikalischen  Eigenschaften 
kennzeichnet  sich  der  Rieslehm  zweifelsohne  im  allgemeinen  als  eine  Löß- 
bildung, worauf  bereits  Gümbel  hingewiesen  hat.    Er  besitzt  die  braune 


*)  Roth,  Chemische  Geologie,  1.  Bd.,  S.  619. 


222  Christian  Gruber,  [36 

Abtönung  des  Lößes,  die  Neigung  zu  vertikaler  Abblätterung  und  die 
Eigentümlichkeit,  in  senkrechten  Wänden  stehen  zu  bleiben.  Man  findet 
in  ihm  weiterhin  jene  oft  hohlen,  derbgeformten  Kalkknollen,  die  unter 
dem  Namen  Lößpuppen  bekannt  sind  x)  und  bohnerzähnliche  mangan- 
haltige  Körnchen,  welche  ihrer  chemischen  Zusammensetzung  nach  eine  Art 
Sumpferz  darstellen.  Auch  dem  Rieslöß  mangelt  eine  eigentliche,  strenge 
Schichtung,  und  er  enthält  zwei  charakteristische  Lößkonchylien :  Succinea 
oblonga  und  Pupa  muscorum.  Im  Durchschnitt  bemißt  sich  die  Mächtig- 
keit des  Rießlößes  auf  2 — 3  m.  Sie  ist  im  Innern  der  Niederung 
größer  als  gegen  den  Rand  hin  und  man  findet  eine  allerdings  seichte, 
oft  dicht  mit  dem  anstehenden  Gestein  überstreute  Lößhülle  sogar  an 
den  Einzelerhebungen  des  Rieses.  Größere  Aufsammlungen  von  Löß 
zeigen  sich  vor  allem  im  weiten  Umkreis  von  Nördlingen,  wie  neuer- 
dings die  Erdarbeiten  unterhalb  der  dortigen  Eisenbahnbrücke  wieder 
erwiesen  haben,  und  wie  auch  die  Gruben  im  Sattel  zwischen  Toten-  und 
Galgenberg  lehren.  Ein  besonders  hohes  Lager  von  Lehm  und  Löß  steht 
ferner  zu  beiden  Seiten  der  Wörnitz  unmittelbar  bei  Harburg  an.  Es 
scheint  vor  der  gänzlichen  Fertigstellung  des  untersten  Abschnittes  des 
Wörnitzdurchbruches  aufgesammelt  worden  zu  sein,  ist  bis  8  m  mächtig 
und  enthält  fast  keine  Konchylien. 

Der  Rieslöß  ist  weder  äolischen,  noch  limnischen  Ur- 
sprungs. Er  stellt  vielmehr  ein  geschlemmtes  Zerreibungsprodukt 
aus  all  den  Trümmergesteinen,  ganz  besonders  auch  den  altkrystallini- 
schen,  dar,  welche  die  Riessenke  gegenwärtig  noch  so  massenhaft  um- 
säumen, einen  höchst  fein  zermalmten  Detritus,  den  die 
fließenden  Gewässer  leicht  transportieren  und  allenthalben  absetzen 
konnten.  Es  ist  wiederum  kennzeichnend,  daß  die  Lößdecke  gerade 
auf  jener  Seite  des  Rieses  sich  vorfindet,  wo  nicht  nur  die  vulkanischen 
Ablagerungen  und  die  verwetterten  Urgebirgstrümmer  am  häufigsten 
sind,  sondern  von  woher  auch  die  meisten  und  verhältnismäßig  stärksten 
Wasseradern  dem  Riese  zukommen.  Erst  an  der  Wörnitz  findet  der  Ries- 
lehm seine  Grenze.  Der  früher  offenbar  mit  stärkerer  Strömung  gehende 
und  gewaltige  Sandmengen  aus  dem  Keuper  und  Jura  mit  sich  wälzende 
Fluß  verhinderte  lehmige  Absätze  im  östlichen  Drittel  unserer  Landschaft. 

Als  fluviatiles  Gebilde,  das  quartären  Geschieben  aufliegt,  hat  die 
Lößdecke  selbstverständlich  mit  der  tertiären  Wasseranstauung  im  Riese 
nichts  gemein. 

An  ihrer  Oberfläche  ist  dieselbe  allenthalben  stark  verwettert  und 
infolge  Entziehung  des  Kalkes  durch  Regen  und  Schneewasser  vielenorts 
zu  rötlichem  Lößlehm  geworden.  Auch  eine  mindestens  2000jährige 
Arbeit  der  Menschenhand  und  des  Pfluges,  sowie  der  Einfluß  der  Dünge- 
mittel hat  sie  wesentlich  verändert.  Gerade  die  hierdurch  herbeigeführte 
Auflockerung  aber  scheint,  neben  dem  Ueberwiegen  von  f einstgepulverter 
Kieselerde,   die  Fruchtbarkeit  des  Rieslößes  wesentlich  mitzubedingen. 

Industriell  werden  die  Lößgruben  des  Gebietes  durch  nicht  allzu 


l)  Sie  entstanden  bekanntlich  dadurch,  daß  das  atmosphärische  Wasser  den 
oberen  Lößpartieen  Kalk  auslaugte,  welcher  in  den  tieferen  Schichten  zusammen 
mit  Magnesiakarbonat  Konkretionen  bildete. 


37]  Das  Ries.   Eine  geographisch- volkswirtschaftliche  Studie.  223 

zahlreiche  Ziegeleien  einfachen  Betriebs  und  das  Thonwerk  von  Märker 
bei  Harburg  ausgenutzt.  Letzteres  hat  innerhalb  eines  Jahrzehnts 
einen  so  großartigen  Aufschwung  genommen,  daß  es  nunmehr  jährlich 
ca.  3  Mill.  Maschinensteine,  Dachplatten  und  Drainageröhren  erzeugt. 
Es  ist  mit  einer  durchaus  modern  eingerichteten  Fabrikanlage  für 
Zementwaren  verbunden,  in  der  neuerdings  hauptsächlich  hydraulischer 
Sackkalk  und  Kalkzement  hergestellt  werden,  welch  letzterer  als  wetter- 
beständiges, steinhartes  Verputzmaterial  in  Zukunft  ausgedehnte  Ver- 
wendung finden  dürfte.  (An  gebranntem  Kalk  liefern  die  Märkerschen 
Oefen  alljährlich  190—200000  Ztr.) 

Im  Wörnitzgebiete  wird  die  Niederung  des  Rieses,  wie  schon 
angedeutet,  nicht  von  Löß  überkleidet,  sondern  teilweise  von  einer  Art 
Schwarzerde.  Man  hat  dieselbe  mit  dem  Schlamm  austrocknender 
Teiche  verglichen.  Sie  macht  sich  durch  die  sehr  dunkle  Färbung  der 
Ackerböden  jedem  bemerkbar,  der  mit  der  Eisenbahn  von  Dürren- 
zimmern gegen  Oettingen  fährt.  Gleich  dem  Rieslöß  sehr  fruchtbar, 
leiden  ihre  Ernteergebnisse  unter  nassen  Sommern  in  ungleich  be- 
trächtlicherem Maße,  als  jene  der  Lehmgebiete.  Doch  ist  andererseits 
hervorzuheben,  daß  den  Landstrichen  mit  Schwarzerde  viel  weniger 
nasse  Oedungen  eigen  sind,  als  der  Zone  des  Rieslößes.  Als  saure 
Viehweiden  breiten  sie  sich  in  kleineren  oder  größeren  Flecken  allent- 
halben in  der  letzteren  aus,  besonders  aber  zwischen  Oettingen  und 
Heuberg  und  westlich  von  Dürrenzimmern.  Dieselben  wurden  übrigens 
schon  vielfach  mit  Erfolg  unter  Kultur  genommen. 

Mit  dem  räumlich  beschränkten  Gebiet  der  Schwarzerde  kontrastiert 
der  weitaus  größte  Teil  der  Niederung  zwischen  dem  linken  Wörnitz- 
ufer  und  dem  östlichen  Riesrand,  und  zwar  sowohl  in  geognostischer, 
als  in  landschaftlicher  und  wirtschaftlicher  Hinsicht.  Hier  schreitet 
der  Wanderer  über  breite,  bis  16  m  tiefe  Lager  von  Quarzsand. 
Graugelb  bis  goldrot  ist  seine  Farbe,  fein,  wenn  auch  von  unterschied- 
licher Größe  sein  Korn,  gleichmäßig  seine  chemische  Zusammensetzung. 
Zu  99°,o  besteht  er  aus  reiner  Kieselerde;  auch  derbere  Quarzstücke 
von  rötlicher  bis  weißer  Farbe  mischen  sich  ihm  ein;  von  Kalk  sind 
kaum  Spuren  zu  finden.  Unter  der  seichten  Ackerkrume  liegt  der- 
selbe in  horizontaler  Schichtung,  streifenförmig  fein  gebändert. 

Und  dieser  mit  dem  Rieslöß  gleichalterige  Quarzsand  ist  nicht 
in  jene  langhingezogenen,  eintönig  auf-  und  niederwogenden  Boden- 
wellen verwischt,  wie  jener.  Er  zeigt,  wo  er  höher  angehäuft  wurde, 
wie  am  oberen  Schwalbthale ,  eine  so  kräftig  undulierte  Oberflächen- 
gestalt, daß  schon  A.  Frickhinger  dort  an  Dünenbildung  dachte.  Aber 
so  vergleichsweise  unregelmäßig  gestaltet  das  Hügelgelände  z.  B.  um 
die  Schwalbmühle  auch  sein  mag,  wo  über  100  m  breite  Flächen  mit 
kurzen,  schmalen  Rücken  wechseln :  das  Spiel  des  Windes  hat  an  seiner 
Entstehung  nur  geringfügigen  Anteil.  Die  kennzeichnenden  Formen 
und  asymmetrischen  Abböschungsverhältnisse  der  echten,  wandernden 
Dünenlandschaften  fehlen.  Der  schärfer  zusehende  Blick  merkt  bald, 
daß  er  nur  Pseudodünen  vor  sich  hat.  Hier  wirkte  wesentlich  das 
rinnende  Wasser  relief  bildend.  Eine  flachwellige  Sandanhäufung  wurde 
durch  dasselbe  vielfach  auseinandergerissen  und  zerschnitten.    Daher  auch 


224  Christian  Gruber,  [38 

die  ausgedehnten  Ebenen  schon  hart  im  Süden  und  Westen  der  Schwalb- 
mühle, daher  die  Richtung  vieler  der  steilwandigen,  meist  nur  bei  Regen 
wasserführenden  Rinnen  und  Thälchen  zur  Ader  der  Schwalb  hin.  Was 
aber  den  besonderen  Schmuck  dieser  Sandflächen  ausmacht,  das  ist  ihr 
Waldreichtum.  Dort  steigen  die  Forste  der  Riesumrahmung  ungehindert 
herab  in  die  Riesniederung.  In  der  Region  der  Diluvialsande  allein, 
welche  die  Wörnitz  einst  aus  den  von  der  Denudation  um  Hunderte 
von  Metern  abgetragenen  Gebieten  des  fränkischen  Keupers  und  des 
Juras  herein  ins  Ries  führte,  finden  wir  in  letzterem  ausgedehnte 
Waldpartieen.  Sie  lohnen  auf  weite  Strecken  hin  mehr  als  ein  kärg- 
licher Ackerbau.  Und  gar  seltsam  wandert  sich's  durch  den  park- 
artigen Föhrenwald  des  Schwalbenholzes,  dessen  Wipfelbüschel  träume- 
risch leise  rauschen  wie  der  nicht  allzuferne  Bach,  und  dessen  mit  tauben 
Föhrenzapfen  und  dürrem  Geäst  bestreuter  Boden  von  gelbem  Ginster, 
Heidekraut  und  Heidelbeeren,  grau  verwitterten  Grashalmen,  sowie  Ge- 
sträuch aus  Eichen,  Fichten  und  Brombeeren  verhüllt  wird. 

Zu  den  geologischen  Besonderheiten  des  Rieses,  welche  seinen 
Charakter  als  individuelle  Landschaft  mitbedingen  und  die  in  den 
benachbarten  verwandten  Depressionen  des  Schwabenjuras  auch  nicht 
annähernd  in  so  bedeutendem  Maße  hervortreten,  gehört  auch  der 
außergewöhnliche  Gegensatz  zwischen  den  Lagerungsver- 
hältnissen der  Gesteine  im  evakuierten  Gebiete  und  der 
ganzen  weitgeschweiften  Umrahmung  des  letzteren.  In  der 
Riesniederung  selbst  wurde  das  jungtertiäre  Braunkohlengebirge,  soweit 
es  sich  nicht  einem  unregelmäßigen  Untergrund  anzuschmiegen  hatte,  in 
horizontalen  Schichten,  wurden  der  diluviale  Löß  und  Sand,  sowie  die  noch 
jüngere  Schwarzerde  in  ungestörten  regelrechten  Anhäufungen  abgesetzt. 

Wie  ganz  anders  am  Riesrande!  Wie  schon  erwähnt,  scheint 
hier  jede  Ordnung  verschwunden,  alles  regellos  zerrüttet  und  durch- 
einandergeworfen zu  sein.  Man  hat  gesagt,  daß  in  diesem  Randgebirge 
das  Geheimnis  des  Rieses  versteckt  liege.  In  der  That  kann  nur  hier 
ein  Verständnis  für  seine  Genesis,  und  sei  es  auch  noch  so  lückenhaft, 
erholt  werden.  Welche  Summe  gründlicher  Beobachtungen  und  welch 
scharfe  Kombinationsgabe  hierzu  indes  notwendig  sind,  vermag  keine 
Stelle  des  gesamten  landeskundlichen  Schrifttums  anschaulicher  dar- 
zulegen, als  die  Schilderung  der  geologischen  Erscheinungen  am  Lauch- 
heimer  Eisenbahntunnel  von  0.  Fraas  x).  Wer  aber  diese  Verhältnisse  mit 
eigenen  Augen  sehen  will,  der  steige  etwa  von  den  Höhen  des  Härtfeldes 
über  den  Reitersbuck  nach  Nördlingen  hinab.  Er  ist  keine  hundert 
Schritte  sicher,  auf  Schichtenglieder  zu  stoßen,  die  hier  am  allerwenig- 
sten vermutet  würden.  Vulkanische  Tuffmassen,  in  tertiäre  Konglomerate 
übergehend,  hängen  am  Rande  des  weißen  Juras.  Blasige  Schlacken 
sind  darin  eingebacken;  darunter  schaut  da  und  dort  noch  weißer 
Jura  hervor,  aber  gesprengt  und  zerfetzt  mit  allen  seinen  Einschlüssen 
und  doch  wieder  heilgekittet.    Hundert  Schritte  davon  liegt  der  Sand- 


*)  Württembergische  naturwissenschaftliche  Jahreshefte,  20.  Jahrgang,  1864, 
S.  33-37. 


39]  Das  Ries.  Eine  geographisch-volkswirtschaftliche  Studie.  225 

stein  des  schwarzen  Juras  mit  Cardinien,  ein  sonst  meilenweit  vom 
weißen  Jura  entferntes  Formationsglied.  Hart  daneben  streckt  sich 
Granit  empor;  aber  kein  Granit,  wie  er  in  den  Hochgebirgen  ansteht, 
sondern  bis  ins  Innerste  zerfressen  und  zerstört,  sein  Feldspath  in 
Kaolin  verwandelt,  das  Ganze  bröckelig  und  fast  unter  den  Fingern 
zerreibbar.  Einige  Meter  weiter  stellen  weiße  Mergel  und  bunte  Sande 
sich  ein,  die  wie  zum  Eeuper  gehörig  aussehen.  Sie,  wie  die  Granite 
und  Gneise,  tragen  Kappen  von  Landschneckenkalk.  So  geht  es  fort 
bis  herab  in  die  eigentliche  Riesniederung.  Rings  um  sie  wiederholt 
sich  die  gleiche  Erscheinung.  Zunächst  findet  sich  ein  Saum  miocäner 
Kalke  vom  Alter  des  Mainzer  Beckens  und  Sandbergers  Litorinellen- 
kalk.  Unter  diesem  Tertiär  und  über  dasselbe  gegen  den  Riesrand 
hinausgreifend  liegen  Fragmente  von  Tufflagern  und  Schollentrümmern 
des  Urgesteins.  Dann  folgen  Reste  von  allen  Formationsgliedern,  die 
nur  irgend  in  der  Gegend  anstehen,  das  eine  Mal  noch  ziemlich  frisch 
und  erkenntlich,  das  andere  Mal  verwaschen,  mit  Tertiärschlamm  ver- 
mengt und  so  ineinandergeknetet ,  als  ob  oft  wie  geflissentlich  das 
Unterste  zuoberst  gekehrt  und  das  Nächste  zum  Entferntesten  geworden 
wäre.  Endlich  im  äußersten  Ringe  hinter  dem  großen  bunten  Gemisch 
von  Schichtenfetzen  fängt  wieder  eine  mehr  geordnete  Gliederordnung  an. 
Es  liegen  die  Schichten  wenigstens  noch  regelrecht  übereinander,  wenn 
auch  geneigt,  selbst  auf  dem  Kopf  stehend  und  gegen  die  Mitte  der 
Riessenke  einfallend.  Hiermit  ist  die  Riesgrenze  erreicht.  Hinter  dieser 
dritten  äußersten  Zone  wird  alles  wieder  ruhig  und  die  Schichten- 
schwankungen sind  nur  wenig  auffallend.  Kein  Mensch  ahnt  mehr, 
welch  mächtiges  Becken  zwischen  Harburg  und  Oettingen  einerseits, 
Kirchheim  und  der  Wemdinger  Höhe  andererseits  in  die  jurassischen 
Gebilde  einbrach. 

Die  tektonischen  Störungen  am  Riesrande  sind  so  durchgreifender 
Art,  daß  man  sie  in  ähnlichem,  freilich  ungleich  gewaltigerem  Maße 
nur  wieder  in  den  Alpen  findet.  Sie  reichen,  teilweise  mit  ihren  gerade 
am  unsichersten  zu  erklärenden  Erscheinungen,  bis  tief  herein  in  die 
Quartärzeit.  Sollten  ihre  letzten  Nachwirkungen  nicht  in  den  Erd- 
erschütterungen zu  suchen  sein,  welche  das  Ries  verhältnismäßig 
häufig  heimgesucht  haben?  Insbesondere  für  Nördlingen  verzeichnen 
die  Chronisten  solche  in  den  Jahren  1471,  1511,  1517,  1590,  1601, 
1670,  1690,  1822.  Und  schon  Sebastian  Münster  läßt  seinen  Gewährs- 
mann fürs  Ries  in  der  „Cosmographie"  der  gebildeten  Welt  jener  Zeit 
vom  Nördlinger  Erdbeben  am  26.  Juni  des  Jahres  1517  erzählen. 

III.  Abschnitt. 
Landschaft  und  Belief  des  Rieses. 

A.  Die  Riesumrahmung  und  ihr  Hinterland. 

So  zwangslos  sich  das  Ries  nach  seiner  Entstehungsgeschichte 
als  eine  eigenartige  Landschaft  inmitten  des  Deutschen  Juras  charakte- 
risiert,  so  wenig  scheint  sein  Relief  individuelle  Züge  zu  tragen.     Im 


226  Christian  Gruber,  [40 

landeskundlichen  Schrifttum  ist  es  denn  auch  seit  Sebastian  Münster 
Tradition,  dasselbe  gemeinhin  als  eine  weite  Fläche  ohne  Falten  und 
Runzeln  zu  bezeichnen.  Ihr  folgt  noch  Gümbel,  wenn  er  den  von 
bildersuchenden  Naturschilderern  allzu  häufig  mißbrauchten  Vergleich 
zieht:  „Wie  der  leichtbewegte  Spiegel  eines  großen  Sees  breitet  sich 
die  braune,  fruchtbare  Ebene  des  Rieses,  rings  von  hohen,  kalkfelsigen 
Steilrändern  eingeschlossen  und  nur  von  einigen  kegelförmigen,  insel- 
artigen Hügeln  unterbrochen,  im  Umfange  von  18  Stunden  vor  uns  aus" 1). 

Und  doch  ist  das  Ries  auch  nach  seiner  Oberflächengestalt  eine 
deutsche  Sonderlandschaft,  wenn  anders  man  nur  der  Modellierung 
seines  Bodens  im  einzelnen  nachzugehen  sich  bemüht  und  die  von  den 
jüngsten  topographischen  Aufnahmen  festgelegten  Details  zu  einem  Ge- 
samtbilde zusammenzufügen  trachtet. 

Zwei  Ursachen  individualisieren  das  Relief  des  Rieses:  Einerseits 
der  Gegensatz  zwischen  seiner  Niederung  und  ihrem  Hinterlande,  anderer- 
seits die  Oberflächenform  der  Niederung  selbst  und  ihrer  Einzel- 
erhebungen. 

Der  Kontrast  zwischen  dem  flachen  Gelände  unseres  Gebietes  und 
seinem  Hinterlande  beruht  in  allen  Elementen,  die  zur  Landschaft  ge- 
hören. Ernst  und  weithin  durch  Buchen-  und  Tannenforste  verschlossen, 
trägt  letzteres  den  typischen  Charakter  eines  leicht  gehügelten  Tafel- 
landes zur  Schau.  Seine  Breitenausdehnung  beherrscht  allüberall  die 
flache  Profilierung  nach  der  Höhe.  Dieselbe  kommt  um  so  deutlicher 
zur  Geltung,  als  den  weit  ausgespannten,  mit  krümeligem  Alblehm  oder 
da  und  dort  mit  einer  seichten  Lößhülle  überkleideten  Plateaus  ein 
markant  emporstrebender,  abschließender  Hintergrund  mangelt.  Un- 
gleich mehr  als  die  nicht  allzu  spärlich  verteilten,  niedrigen  Auf- 
wölbungen bringen  hier  die  Tiefenlinien  des  Reliefs,  so  schmal  ein- 
gerissen sie  auch  sein  mögen,  Bewegung  und  Gliederung  in  das 
Landschaftsbild.  Sie  verbergen  gemeinsam  mit  ihren  klaren,  rasch 
pulsierenden  Wasseradern  im  Gegensatze  zu  den  monoton  auseinander- 
gezogenen Hochflächen  eine  Fülle  genrehaft  anmutiger  Einzelheiten 
für  Stift  und  Palette.  Die  meist  kleinen  Siedelungen  schmiegen  sich 
der  Skulptur  des  Bodens  durchaus  nicht  einseitig  an;  Sie  sind  viel- 
mehr regellos  über  seine  Anschwellungen  und  Senken,  Hügelgehänge 
und  Mulden  verteilt.  Bei  dem  Mangel  an  geräumigen  Thalgründen 
und  kräftigen  Bachläufen  zeigen  dieselben  meist  eine  rundliche  Anlage. 
Die  auffallend  zahlreichen  Einzelhöfe  und  Weiler,  welche  zwischen  sie 
einlagern,  lassen  die  Besiedelung  dichter  erscheinen,  als  sie  ziffernmäßig 
in  der  That  ist.  Im  Verein  mit  den  weiten  Fluren  um  •  sie  her,  welche 
die  Forstbestände  breit  durchlöchern,  verleihen  diese  Niederlassungen 
dem  waldbeschatteten  Antlitz  des  auslaufenden  Schwaben-  und  des  be- 
ginnenden Frankenjuras  heitere  und  farbenmuntere  Züge. 

Trotz  aller  Uebereinstimmung  in  seinen  orographischen  Grund- 
linien zeigt  aber  das  Hinterland  des  Rieses  doch  auch,  wie  vieldeutig 
und  unsicher  die  Kennzeichnung  eines  Erdstriches  als  „ welliges  Plateau" 
ist.     Obschon  manche  bücherweisen  Theoretiker  der  Landeskunde  gerade 


])   Der  Riesvulkan,  S.  153. 


41]  Das  Ries.   Eine  geographisch-volkswirtschaftliche  Studie.  227 

diesen  Ausdruck  mit  Vorliebe  auf  genetisch  und  bodenplastisch  so 
grundverschiedene  Gebiete  anwenden,  wie  es  z.  B.  Hart  und  Rheinisches 
Schiefergebirge,  Deutscher  Jura  und  Frankenwald  sind,  erscheint  gerade 
er  oft  genug  bis  zur  Fehlerhaftigkeit  allgemein  und  bietet  zudem  der 
inneren  Anschauung  nur  einen  schwankenden,  unsteten  Halt. 

Längs  der  nördlichen  Hälfte  des  Rieses  ist  seine  Umrahmung 
vor  allem  zwischen  Polsing  und  Markt  Offingen  ungleich  niedriger 
und  offener,  als  auf  der  südlichen.  An  der  Westseite  ist  der  Wald 
hier  weit  von  der  eigentlichen  Riesniederung  zurückgedrängt,  und  wer 
etwa  von  Ehingen  über  Hochaltingen  nach  Markt  Offingen  wandert, 
dessen  Blick  vermag  weit  gegen  die  bayerisch-württembergische  Grenze 
hin  zu  treiben  über  eine  körn-  und  wiesenreiche  Hochfläche  mit  kaum 
hervortretenden  Niveauunterschieden.  Ohne  Vermittelung  vorgeschobener 
Buhle  und  Rücken  steigt  man  zu  ihr  vom  Riese  her  40 — 45  m  hoch 
auf,  an  Saatfeldern,  Matten  und  unansehnlichen  Waldparzellen  vorüber. 
So  zieht  sich  Ehingen  ungemein  malerisch  am  Rieshange  von  435  auf 
480,8  m  empor.  Beizheim  liegt  445,5,  Herblingen  451,2  m  hoch,  Hoch- 
altingen dagegen  479,2  m.  Und  während  sich  Maihingen  zwischen 
425,7  und  435,9  m  ausdehnt  und  der  Eisenbahnstation  Markt  Offingen 
die  Kote  441,2  m  zukommt,  steigt  der  Ramstein  über  letzterem  Orte  bis 
485,2  m  an.  Wo  der  Birkhauser  Graben  die  Straße  Markt  Offingen- 
Wallerstein  kreuzt,  fließt  er  in  429,2  m;  der  Lehberg  über  Munzingen 
indessen  erhebt  sich  auf  484  m. 

Auf  der  Ostseite  erscheint  die  nördliche  Riesumrahmung  wald- 
reicher, wie  schon  die  Forstbestände  auf  dem  Scheitel  des  Buschelberges 
und  südlich  von  ihm,  sowie  der  Sachsenhart  zwischen  Mögesheim  und 
Ursheim  andeuten.  Auch  der  Höhenunterschied  zwischen  der  Ries- 
niederung und  ihren  Randhöhen  erscheint  dort  beträchtlicher  und  be- 
mißt sich  im  Durchschnitt  auf  75  m,  was  die  nachstehende  Uebersicht 
im  einzelnen  erweist: 

Seehöhe  von 

Bahnhof  Oettingen  417  m  —  Büschel  494,7  m  —  Wornfeld 
497,2  m; 

Straße  Oettingen-Mögesheim  an  der  Bahnkreuzung  415,7  m  — 
Hainsfarth  442,2  m  —  Kirchenberg  489,4  m ; 

Mögesheim  424,2  m  —  Rauher  Kopf  490  m ; 

Laub  421,2  m  —  Trendel  475,2  m; 

Polsing  436,4  m  —  Polsinger  Berg  500,5  m ; 

Amerbachkreut  435,4  m  —  Auf  der  Wart  497,8  m ; 

Amerbachmühle  430,8  m  —  Amerbach  438,4  m  —  Waldhöhe 
über  Amerbach  493,2  m; 

Wemdinger  Wallfahrtskirche  436,7  m  —  Anliegende  Höhen  dar- 
über 494  und  521  m; 

Wemding   436,8  m  —  Galgenberg  568,8  ra. 

Und  wie  die  Randhöhen  im  Osten  der  Nordhälfte  des  Rieses  jene 
im  Westen  deutlich  überragen,  so  erhebt  sich  auch  der  vielfach  wald- 
verhüllte Hahnenkamm  mit  seinen  von  unserer  Landschaft  weg  an  Höhe 
zunehmenden  Rücken  und  den  massigen,    oft  nur   mit  kurzschopfigem 


228  Christian  Gruber,  [42 

Rasen  überkleideten  Aufwölbungen  vor  allem  zwischen  Ursheim  (466  m), 
Döckingen  (519  m)  und  Auernheim  (631  m)  beträchtlich  über  die 
freundliche  Hochfläche  um  Fremdingen  (Eisenbahnstation  444  m).  Wer 
auf  dem  uralten  Bergfried  der  zu  Grunde  gegangenen  Hohentrüdinger 
Burg  steht,  der  nunmehr,  mit  einer  niedrigen  Dachhaube  überdeckt, 
als  Kirchturm  zu  dienen  hat,  den  lehrt  die  Flucht  der  kulissenartig 
hinter-  und  übereinandergeschobenen  Höhenzüge,  daß  er  im  Hahnenkamm 
den  orographisch  wechselreichsten  Teil  des  Fränkischen  Juras  vor  sich 
hat.  Er  ist  hier  durch  langgezogene  Thalfurchen,  sowie  durch  starke 
Einschnürungen  und  Sattelungen  seiner  Rücken  ungleich  mehr  gebirgs- 
artig  modelliert,  als  selbst  die  sogen.  Fränkische  Schweiz.  Eine  seiner 
markantesten  Thalrinnen  mündet  unmittelbar  ins  Ries  aus,  jene  der 
Rohrach.  Wer  in  derselben  von  ihrem  Ursprünge  an  der  Südflanke 
des  dem  Hahnenkamm  kanzeiförmig  vorgeschobenen  Spielberges  aus 
über  Heidenheim  und  Hechlingen  nach  Ursheim  und  weiter  hinab  ins 
Ries  wandert,  der  fühlt  sich  in  eine  echt  deutsche  Mittelgebirgsland- 
schaft versetzt  und  unwillkürlich  an  die  Thäler  des  vorderen  Taunus 
und  des  Thüringerwaldes  erinnert.  Es  ist  ein  stilles,  weltfernes  Ge- 
biet, das  er  durchschreitet,  weitab  von  der  lauten  Fahrstraße  des  modernen 
Lebens  und  ihrer  nach  Zeit  und  Erwerb  geizenden  Hast.  Man  braucht 
nicht  greisenhaft  müden  Sinnes  zu  sein  und  kann  sich  doch  über  die 
idyllischen  Kleinigkeiten  erfreuen,  die  an  diesem  Thale  zwischen  Urs- 
heim und  Polsing  haften:  die  leichtgestuften,  bis  über  100  m  hohen 
Gehänge,  welche  in  ihrer  oberen  Hälfte  Jungwald  einhüllt,  in  der 
unteren  aber  ertragreiches  Saatfeld  mit  Hopfengeländen  und  ein- 
gestreuten Obstgärten,  die  bis  580  m  aufsteigende  grasige  Jurahöhe 
über  Ursheim,  den  dunkeln,  weidenumbuschten  und  gemächlich  rinnenden 
Bach,  das  oben  am  Thalhang  zwischen  Fruchtbäumen  verborgenen 
Trendel  mit  seinem  schmucklosen,  niedlichen  Kirchturm  und  das  statt- 
liche, quellenreiche  Polsing  unten  im  Thalgrund  selbst. 

Die  Südhälfte  des  Rieshinterlandes  im  Osten  ist  nun  aller- 
dings gleichförmiger  ausgestaltet,  als  das  zentrale  Stück  des  Hahnen- 
kammes. Doch  vermittelt  es  durch  seine  meist  sanft  und  regelmäßig 
abgeböschten  Kalkhöcker,  wie  sie  besonders  um  Fünfstetten  (bis  540  m) 
sich  zeigen,  den  Uebergang  vom  Frankenjura  zu  den  strengeren  Plateau- 
formen der  Schwäbischen  Alb. 

Hier  verläuft  auch  von  Goßheim  ab  der  Riesrand  unruhiger,  und  es 
ragen  da  und  dort  Vorlagerungen  in  die  Niederung  unserer  Landschaft 
herein,  so  um  Huisheim  und  wiederum  bei  Heroldingen,  wo  der  die  kenn- 
zeichnenden Umrisse  der  Jurahöhen  aufweisende  Baderberg  (474  m)  sich 
vor  das  waldumschattete  Plateaustück  „  Auf  der  Burg"  (522,6  m)  schiebt. 

Die  Höhenabstände  zwischen  dem  Ries  und  seinen  Randhöhen  in 
der  südlichen  Hälfte  der  Ostumrahmung,  welche  im  Mittel  auf  90  m 
veranschlagt  werden  können,  möge  folgende  ZifFernreihe  illustrieren: 

Seehöhe   von 

Goßheim  463  m  —  Rohrberg  556,7  m; 
Huisheim  451,2  m  —  Roßkopf  542  ra; 
Argeisbach  418,2  m  —  Markthof  458,6  m  —  Himmelberg  511,8  m. 


43]  Daa  fties-  Eine  geographisch-volkswirtschaftliche  Studie.  229 

Die  Hochflächen  des  Schwabenjuras  marken  das  Ries  auf  seiner 
ganzen  Süd-  und  Westseite  von  Harburg  ab  bis  an  den  Floch- 
berg  und  die  Kirchheimer  Höhen  ein.  Für  ihr  geographisches 
Gesamtaussehen  ist  die  Bezeichnung  Härtfeld,  für  ihre  Gipfelgestalten 
die  trümmerbestreute,  kahle  und  daher  auch  aussichtsreiche  Flachkuppe 
des  sogen.  „Bocks"  hinter  Harburg,  sowie  die  wald verhüllte  Rauhe 
Wanne  (615  m),  für  ihre  öfters  trocken  liegenden  Terrainfurchen  das 
landschaftlich  viel  berufene  Kessel-  und  Karthäuserthal  charakteristisch. 

Mehr  noch  als  die  Rinne  der  Rohrach  liegt  dieses  letztere  zwischen 
walddunkeln  Höhen  schmal  eingesenkt,  stundenweit  ferne  von  Nörd- 
lingen  wie  von  Neresheim.  Auch  wer  nicht  einbildungsreich  genug 
ist,  um  die  Schleier  der  Sage  und  einer  fernen,  unsicheren  Geschichte 
um  Felswand  und  Wald,  Bach  und  Thalmatte  flattern  und  die  blaue 
Blume  der  Romantik  an  dem  Burggetrümmer  von  Hochhaus  und 
Niederhaus  und  den  Ruinen  des  gänzlich  zerfallenen  Karthäuserklosters 
„in  unseres  Herren  Garten*  sprießen  zu  sehen,  mag  dort  befriedigt 
rasten.  Die  Natur  selbst  kann  ihm  genug  sein:  die  in  schroffen 
Böschungen  niedersteigenden  Kalkhöhen,  die  glasklare  Wasserader  des 
Baches,  hochgewölbte  Buchenhallen  mit  ernst  aufstrebenden  Tannen 
und  lichtschimmernden  Felswänden  dazwischen,  und  die  der  prunklosen 
Landschaft  sich  zwanglos  anschmiegende  Staffage  eines  vereinzelten 
Gehöftes.  Es  ist  ein  in  der  Form,  wie  in  der  Farbe  gleich  lebhafter 
Gegensatz,  der  zwischen  der  Riesniederung  und  dem  Karthäuserthal 
besonders  zur  Sommerszeit  sich  aufthut.  Dort  im  Flachlande  die  von 
der  Juli-  und  Augusthitze  gebleichten  Getreidefelder,  die  braunen 
Schollen  der  Brachäcker,  die  abgemähten  und  ausgetrockneten  Wiesen- 
ebenen,  zwei  unhörbar  leise  dahinrinnende  Flüsse,  wenig  Waldschatten, 
aber  zahlreiche  schmucke  Dörfer,  von  denen  es  uns  aus  der  Ferne 
dünkt,  als  wären  sie  zusammengebaut  und  stadtähnlich  ausgedehnt. 
Hier  im  Karthäuserthal  am  Rand  des  Rieses  dagegen  das  gesättigte 
Grün  von  Forsten  und  taufrische  Matten,  ein  kühles,  munter  dahin- 
treibendes  Gewässer,  engumschlossene  Ausblicke  und  dicht  unter  alters- 
grauen Ruinen  eine  verlassen  im  Grunde  gelegene  Mühle. 

An  seiner  Süd-  und  Südwestseite  erhebt  sich  der  Riesrand  am 
höchsten  und  steilsten  und  so  waldduftig,  daß  der  Rieser  denselben  im 
Gegensatze  zur  Kornkammer  seiner  Ebene  als  „Holzland "  bezeichnet. 
Er  erreicht  hier  eine  mittlere  relative  Höhe  von  100  m. 

Seehöhe    von 
Großsorheim  458,7  m  —  Hühnerberg  hinter  Harburg  572  m; 
Kleinsorheim  419,7  m  —  Höhe  südlich  über  Möggingen  526  m; 
Deggingen  460,6  m  —  Höhe  südlich  über  Deggingen  534  m; 
Hohenaltheim  464,0  m  —  Ochsenberg  537,0  m ; 
Niederaltheim  455,7  m  —  Rauhe  Wanne  615,8  m; 
Ederheim    468,4  m    —    Höhen    südlich    davon    530—559  m    — 
Blankenstein  sogar  644,8  m  —  Reitersbuck  566,3  m; 

Eisenbahnstation   Trochtelfingen   477,9  m  —  Rauhberg   642,7  m. 

Trotzdem  sich  dem  Riesrand  zwischen  den  beiden  Sorheim  und 
Nähermemmingen   eine  Reihe  von  Höhenrücken   und  Einzelerhebungen 


230  Christian  Gruber,  [44 

vorlagern,  deren  Relief  bei  Betrachtung  des  flachen  Rieses  in  breiten 
Strichen  gezeichnet  werden  soll,  umschließt  er  doch  die  von  ihm  ein- 
gehegte Niederung  so  scharf,  daß  man  seinen  Verlauf  auch  aus  weiter 
Ferne  lückenlos  verfolgen  kann.  An  Lebhaftigkeit  und  Wechsel  der 
Formen  freilich  erreichen  die  Hänge  des  Härtfeldes  die  Umrahmung 
des  Rieses  zwischen  Utzmemmingen  und  Kirchheim  nicht:  jenes  durch 
Deffners  sorgfältige  Untersuchungen  im  geologischen  Schrifttum  bekannt 
gewordene  Gebiet,  wo  schon  die  Ausgestaltung  des  Reliefs  die  tektonischen 
Störungen,  eruptiven  und  pseudoglazialen  Erscheinungen  deutlich  wieder- 
spiegelt, die  sich  hier  so  hart  aneinanderdrängen,  wie  sonst  nirgendswo 
im  Ries.  Da  erhebt  sich  zwischen  Ederheim  und  Utzmemmingen  die 
Ruine  Altenbürg  (527  m)  und  der  Reitersbuck  (566,3  m).  Nach  der 
Rohrbachthalung  stehen  Eapf  (550,8  m)  und  Rauhberg  (642,7  m)  an. 
Dann  folgt  noch  diesseits  des  Egerlaufes  die  außerordentlich  markant 
abgehobene  Gruppe  der  Bopfinger  Höhen:  der  nahezu  isolierte,  kegel- 
förmig schroff  emporstrebende  Flochberger  Schloßberg  (579,6  m),  an 
welchen  sich  die  ärmlichen  Hütten  des  Dörfchens  Flochberg  anlehnen, 
dessen  seltsame  Bewohner  mit  saurer  Mühe  einen  Teil  der  wohl- 
geformten Höhe  urbar  machten;  die  deutlich  von  ihr  abgeschiedene, 
ihre  jähe  Gestalt  nachahmende  Beiburg  (581,9  m);  der  flach  scheitelige 
Buchberg  (578,8  m) ,  mit  jenen  beiden  durch  eine  Brücke  von  weißem 
Jura  verbunden  und  steil  gegen  Bopfingen  abbrechend;  endlich  der 
stattliche  Breitwang  mit  seinem  geräumigen  Gipfel,  welcher  gemeinsam 
mit  dem  Engelberg,  dem  prallen,  allseitig  von  den  Albhöhen  los- 
gelösten Waldplateau  des  Illenschwangs,  dem  Schenkenstein  und  Sand- 
berg (664,5  m)  einen  Zirkel  von  Einzelhöhen  bildet,  die  eine  auffallende 
Bewegung  in  den  äußersten  Schwabenjura  bringen.  Jenseits  der  Eger 
aber,  deren  Quellbrunnen  in  grüner  Einsamkeit  aus  Kalkfelsen  zwischen 
Thierstein  und  Sachsenberg  so  wasserreich  hervorbricht,  daß  er  wenige 
hundert  Schritte  abwärts  schon  ein  Mühlwerk  treiben  kann,  erhebt  sich 
hart  am  Sechtathai  der  breitabgeschnittene,  regelmäßige  Kegelstumpf 
des  Ipfs  (668,3  m),  unverhüllt  und  mit  umwalltem  Scheitel x).  Im  Osten 
stehen  ihm  gegenüber  der  Schnittbühl,  die  schattendunkeln,  flach- 
modellierten Höhen  um  Osterholz  und  dem  Heerhof  (503,9  m)  und  jene  bei 
Kirchheim:  Blaßenberg  (618,7  m),  Reimersberg  (534  m)  und  Höllenberg 
(537,9  m).  Auf  sie  alle,  wie  auf  die  Buhle  um  Dirgenheim,  Wessingen 
und  Munzingen,  deren  höchster  552,2  m  mißt,  grüßt  der  Schloßberg 
von  Hohenbaldern  herab  (628  m),  nach  Deflners  trügerischer  Spekulation 
der  bezeichnendste  aller  eratischen  Punkte  am  Ries,  „auf  dessen  regel- 
mäßig braunjurassischer  Pyramide  die  Felsblöcke  des  weißen  Juras 
Epsilon  und  Delta  zerstreut  herumliegen  und  wo  120  m  Gebirge  in  der 
normalen  Aufeinanderlage  zwischen  den  Weißjurablöcken  und  dem 
Liegenden  des  braunen  Juras  fehlen". 


*)  Ueber  ihn  und  seinen  Ringwall  siehe  die  Schriften  des  Württemb.  Altertums- 
vereins, II,  1875,  S.  81. 


45]  Das  Ries.  Eine  geographisch- volkswirtschaftliche  Studie.  231 


B.  Allgemeiner  Charakter  der  Rieslandsohaft. 

Was  an  der  Rieslandschaft  besonderes  Wohlgefallen  erregt,  das 
ist  ihre  Bildmäßigkeit.  Das  Relief  derselben  ist  so  angeordnet,  daß 
es  sich  allüberall  leicht  überblicken  und  auffassen  läßt  und  sich  auch 
später  in  der  Erinnerung  nicht  wesentlich  verzerrt.  Mag  man  am 
Rande  oder  auf  den  Einzelhöhen  des  Rieses  stehen,  stets  hat  man 
einen  räumlich  durchaus  nicht  beschränkten  Ausschnitt  aus  der  Natur 
vor  sich,  einheitlich,  wohl  abgerundet  und  mit  keineswegs  aufdringlichen 
Formen  erfüllt.  Man  konnte  sagen,  unsere  Landschaft  besitze  Stil, 
wenn  anders  darunter  ein  natürliches  Gleichgewicht  ihrer  einzelnen 
Bestandteile  nach  Gestalt,  Abtönung  und  architektonischer  Staffage  ver- 
standen werden  darf. 

Diese  Bildmäßigkeit  der  Riesgegend  kann  zwar  zeitweise  —  z.  B.  bei 
tiefem  Sonnenstande  —  durch  eine  Beleuchtung  erhöht  werden,  welche 
scharfe  Kontraste  zwischen  Licht  und  Schatten  bedingt  und  dadurch 
die  Einzelheiten  des  Reliefs  deutlicher  gliedert,  sie  plastischer  heraus- 
treten läßt.  Aber  ausschließlich  abhängig  vom  wechselreichen  Spiel 
des  Lichtes  und  breit  ausgegossener  Farbenmassen,  wie  sie  die  winterliche 
Schneedecke  oder  das  sommerliche  Grün  hervorrufen,  ist  jene  nicht. 

Neben  ihrer  Bildmäßigkeit  fällt  an  der  Rieslandschaft  eine  im 
gewissen  Sinne  fast  rhythmische  Wiederholung  der  Relief- 
formen  auf.  In  ihren  Grundlinien  kehren  diese  mit  geringen  Varia- 
tionen allenthalben  wieder:  die  flach  und  weit  auseinandergezogenen 
Bodenwellen  der  Niederung,  die  prallen,  ruinengeschmückten  Klötze 
oder  die  behäbigen  Plateauscheitel  der  Inselberge  aus  Sprudelkalk,  wie 
Wallerstein  und  Alerheimer  Schloßberg  einerseits,  Goldberg,  Hahnen- 
berg und  Wennenberg  andererseits,  sowie  die  durch  Steingräberei  zahn- 
artig ausgebrochenen  Höhenkronen,  welche  Adler-  und  Steinberg  so 
übereinstimmend  aufzeigen.  Und  eine  ähnliche  Wiederholung  tritt  im 
Charakter  der  braunen,  leise  wie  Wolkenschatten  dahinschleichenden 
Wasseradern,  der  breiten  Wiesenbänder  zu  ihren  beiden  Seiten  und 
der  Anlage  der  vielfach  langgezogenen  Siedelungen  mit  ihren  meist 
hochaufstrebenden,  kräftigen  Kirchtürmen  hervor. 

Dem  sinnenden  Beobachter  schmälern  indes  derlei  Wiederholungen 
die  ästhetischen  Wirkungen  der  Rieslandschaft  keineswegs.  Denn  sie 
sind  ihm  durch  natürliche  Voraussetzungen  bedingt  und  tragen  ins 
Antlitz  der  Gegend  etwas  Gesetzmäßiges,  Motiviertes  hinein.  Zudem 
aber  halten  in  der  Riesniederung  nicht  minder  wie  am  Riesrande  die 
Farbenunterschiede  jede  Eintönigkeit  fern,  welche  der  Anbau  der 
mannigfaltigsten  Feldfrüchte  gemeinsam  mit  dem  tiefsatten  Grün  des 
Wiesenbodens  und  dem  warmen  Dunkelbraun  der  Brachäcker,  sowie  all 
die  Schatten  und  Lichter  über  den  Waldparzellen  und  Obstbaumalleen  her- 
vorbringen. Und  ist  der  Schmuck  auch  anspruchslos,  womit  Siedelungen 
und  Felder,  Matten  und  Baumreihen  das  flache  Ries  zieren,  so  gemahnt 
er  doch  allüberall  an  die  Fruchtbarkeit  dieses  Gefildes  und  steht  mit 
dem  Gesamtcharakter  der  Bodenformen  im  Einklang.  Auch  in  ihm  ist 
ein  Stück  Vergangenheit  der  Landschaft  sichtbar,   wenn  auch  ein  un- 


232  Christian  Gruber,  [46 

gleich  kürzeres  und  weniger  stürmisches,  als  jenes  ist,  worauf  die  Viel- 
zahl der  hier  lagernden  Gesteine  deutet.  Er  hilft  wesentlich  mit  jenen 
Ausdruck  des  ruhig  Heiteren  erzeugen,  welcher  dem  Riese  eigen  ist, 
„des  harmlos  Mannigfaltigen  ohne  Buntheit,  des  friedlich  Belebten  und 
einfach  Schönen  ohne  Erhabenheit  und  poetische  Großartigkeit14. 

Es  wäre  Unrecht,  die  Rieslandschaft  mehr  zu  beleben,  als  sie 
ohnedies  schon  ist,  psychologische  Motive  in  ihr  zu  suchen.  Wir  wollen 
dieselbe  im  folgenden  vielmehr  mit  ungeschminkten  Worten  so  schildern, 
wie  sie  sich  in  Wirklichkeit  darstellt,  und  unsere  Reflexionen  und  Ge- 
mütsbewegungen nicht  auf  sie  übertragen.  Denn  das  fruchtschwere, 
in  schwankende  Halme  gebettete  Land  träumt  ja  nicht,  und  die  seiner 
Umrahmung  hastig  entsprudelnden  Brunnen  und  Bäche  kennen  ebenso- 
wenig eine  Leidenschaft,  als  etwa  die  starren  Inselberge  und  Rand- 
höhen über  das  Rätsel  ihres  Daseins  nachdenken. 

Friedsam  liegt  die  Fläche  des  nördlichen  Rieses  vor  dem 
Wanderer.  Wie  in  langrollenden  Wogen  hebt  und  senkt  sich  der  hier 
vorwiegend  tiefdunkle  Boden.  Nur  gegen  die  Riesränder  hin  stauen  sich 
jene  stellenweise  zu  grösserer  Höhe  auf.  Aehrenschwere  Getreidefelder, 
Kartoffelland,  Flachs-  und  Kleesaaten,  sowie  hochgrasige  Wiesen  breiten 
sich  über  ihnen  aus.  Letztere  begleiten  auch  gleich  einem  stattlichen, 
tiefgrün  gefärbten  Saum  den  Bord  der  Wörnitz  und  Eger.  Sie  lassen 
selbst  aus  der  Ferne  die  regellos  gewundenen  Flußläufe  deutlicher  er- 
kennen, als  die  vereinzelten  Flecken  Wassers,  die  gleich  angetrübten 
Spiegelflächen  da  und  dort  entgegenschimmern.  Selten  verstärkt  hier 
ein  Stück  schattendunkeln  Nadelforstes  das  verwaschene,  gleichförmige 
Relief.  Frei  ergeht  sich  das  Auge  wie  der  Gedanke  in  diesem  kultur- 
freundlichen, mit  Dutzenden  von  Siedelungen  überstreuten  Gau,  bis  es 
endlich  an  den  waldgeschmückten  Randhöhen  haftet,  welche  ihn  als 
ein  prunkloser  Rahmen  einhegen,  der  bald  in  flachen  und  doch  deutlich 
erkennbaren  Linien  leicht  modelliert  ist,  bald  von  charakteristisch  ge- 
formten Einzelerhebungen,  wie  Bopfinger  Ipf,  Kirchheimer  Höhe,  Hoch- 
baldern  und  Hesseiberg  weit  überragt  wird. 

Mannigfaltiger  ist  die  Südhälfte  des  Rieses  gestaltet.  Dort 
ist  unsere  Landschaft  nur  in  ihrer  Mitte  und  am  Ostrande  zwischen 
Wemding  und  Bühl  verebnet. 

Schon  vor  Nördlingen,  dem  Mittelpunkte  des  gesamten  Rieses 
mehr  im  wirtschaftlichen  als  im  rein  geographischen  Sinne,  ragt  der 
ruinenhafte  Felsen  von  Wallerstein  auf,  um  den  sich  Häuser  und  Park- 
anlagen des  gleichnamigen  Ortes  wie  um  einen  von  der  Natur  auf- 
gerichteten schützenden  Bergfried  eng  scharen.  Im  Südwesten  von 
ihm  aber  wurde  die  breitschulterige  Plateauhöhe  des  Goldberges  gegen 
die  Riesniederung  vorgeschoben,  an  deren  gelbbraunen,  schuttverhüllten 
Wandabbrüchen  Licht  und  Schatten  im  seltsamen  Wechsel  spielen. 

Bei  Nördlingen  selbst,  dessen  spätgotische  Hallenkirche  St.  Georg 
mit  ihrem  90  m  hohen  Turme  das  gesamte  Ries  beherrschend  über- 
schaut, zieht  sich  ein  leicht  profilierter  Rücken  mehrere  Kilometer  lang 
nach  Süden  hin.  Seine  hervorragenderen,  großenteils  zu  schattigen 
Anlagen  umgestalteten  Einzelerhebungen  sind  als  Totenberg  (Emerams- 
berg),  Galgenberg,  Stoffelberg  und  Adlerberg  bekannt  und  viel  besucht. 


47]  Das  Ries.   Eine  geographisch-volkswirtschaftliche  Studie.  233 

Sie  vereinigen  bei  Nördlingen  alle  Reize  einer  fruchtbaren,  weitaus- 
gespannten Ebene  mit  jener  einer  freundlich  geformten,  wechselreichen 
Hügellandschaft.  Westlich  und  südlich  von  dieser  letzteren  stehen  in 
flachscheiteligen  Plateauhöhen  der  Albuch  und  der  großenteils  waldige 
Häselberg  an,  gemeinsam  mit  dem  Schönefelde  bei  Keimlingen  die  heute 
noch  Schanzenreste  tragenden  Stätten  der  Schlacht  bei  Nördlingen  im 
Jahre  1634.  An  sie  ist  der  Lachberg  und  der  mauerähnliche  Höhen- 
zug des  Himmelreiches  bei  Holheim  angeschlossen,  welch  letzterer, 
durch  Steinbrucharbeiten  viel  zerwühlt,  an  seiner  Südwestflanke  zeigt, 
daß  dem  Ries  auch  ausgedehnte  Felspartieen  und  Höhlenbildungen 
keineswegs  versagt  blieben. 

Auch  der  östliche  Teil  der  Südhälfte  des  Rieses  hat  zwischen 
Wörnitz  und  unterster  Eger  seine  Höhen.  Dort  erheben  sich  in  flach 
aufgewölbten,  wiederum  durch  Hacke  und  Schaufel  der  Steinbrecher 
stark  abgetragenen  Kuppen  Spitzberg  und  Hahnenberg,  dort  ragen 
die  malerisch  ernsten  Mauerreste  am  Alerheimer  Schloßberg  auf,  wo 
Bayern  und  Franzosen  kurz  vor  Schluß  des  30jährigen  Krieges  noch- 
mals hart  miteinander  rangen ,  dort  endlich  steht  der  terrassenartig 
gestufte  stattliche  Wennenberg  mit  seiner  Haube  aus  niedrigem  Wald, 
unmittelbar  an  das  träge  Hauptgewässer  des  Rieses  hingeschoben. 

Außerdem  haben  sich  gerade  in  der  Südhälfte  des  Rieses  eine 
Reihe  von  Buhlen  und  Steinhöckern  erhalten,  so  der  Reisberg  bei 
Pflaumloch,  (Seehöhe  476,1  m,  relative  Höhe  über  der  Eger  41  m),  das 
Hohlbüchele  bei  Utzmemmingen  (Seehöhe  471,  relative  Höhe  38  m), 
das  Hahnenbüchele  bei  Herkheim  (478,  bezw.  16  m),  der  rote  Berg 
bei  Schmähingen  (468,  bezw.  20  m),  der  Lerchenberg  bei  Hohenaltheim 
(463 ,  bezw.  26  m) ,  der  Lehmberg  und  das  westlich  von  ihm  weg- 
ziehende Jurarifif  (siehe  S.  259  [73]),  der  Metzlesberg  im  Schwalbgebiet 
(442,  bezw.  27  m). 

Endlich  gehört  dem  südlichen  Ries  auch  noch  die  schon  früher 
(S.  223  [37])  in  gedrängten  Zügen  charakterisierte  Landschaft  von 
Pseudodünen  im  Osten  der  Wörnitz  bis  zur  volkstümlichen  Grenze  der 
Landschaft  bei  Wemding  und  Goßheim  an.  Und  diesem  stark  koupierten 
Terrain  entspricht  auch  allenthalben  eine  massige,  waldernste  Um- 
rahmung, deren  Gesamtaussehen  gleichfalls  schon  angedeutet  wurde 
(siehe  S.  229  [43]). 

Uebrigens  versagt  das  Ries  auch  in  der  so  unebenen  Südhälfte  seine 
Fruchtbarkeit  nicht.  Wo  die  Höhen  mit  ihrer  kurzschopfigen,  trockenen 
Rasenhülle  nicht  als  Viehtrift  dienen,  gräbt  der  Pflug  des  emsig  biederen 
Riesbauern  bis  auf  ihre  Scheitel  hinauf  seine  Furchen.  Selbst  diesem 
steinbestreuten  Boden  zwingt  er  eine  Ernte  an  Halmfrüchten,  Flachs, 
Kartofieln  und  Klee  ab,  mag  sie  auch  geringer  sein  als  jene  unten 
auf  der  flachen  Kornkammer  des  von  der  Natur  so  reich  bescherten 
Gaues. 

Oft  bin  ich  während  der  Sommer  1897  und  1898  auf  den  Rand- 
höhen und  den  Inselbergen  des  Rieses  gesessen  und  habe  den  Blick 
über  das  weite,  breite  Land  zu  meinen  Füßen  schweifen  lassen.  Reich 
an  Farbe  und  Friede  lag  es  vor  mir.  Jede  Scholle  zeugte  vom  Fleiß 
der  Menschenhand,  jede   Siedelung   von   anspruchsloser  Behaglichkeit, 


234  Christian  Gruber,  [48 

jeder  der  meist  starken,  schmucken  Kirchtürme  vom  vertrauensvollen, 
gläubigen  Sinn  der  Bewohner.  Und  doch  haben  bei  der  Entstehung 
dieser  kleinen  Welt  echt  ländlicher  Ruhe  und  unerschöpften  Segens 
jene  tibergewaltigen  Naturerscheinungen  wesentlich  mitgeholfen,  die 
man  häufig  nur  von  ihren  zerstörenden  und  menschenfeindlichen 
Wirkungen  her  kennt:  gewaltige  Gleichgewichtsstörungen  im  Gerüste 
der  Erde  und  der  Vulkanismus. 


G.  Die  Höhenverliältnisse  des  flachen  Rieses. 

Wie  wenig  die  Riesniederung  auch  in  ihren  scheinbar  ebensten 
Teilen  als  faltenlose  Fläche  sich  ausspannt,  beweisen  am  über- 
zeugendsten die  Nivellements,  welche  gelegentlich  der  Tracierung 
des  unserer  Landschaft  zugehörigen  Stückes  der  bayerischen 
Ludwigs-Südnordbahn  (Lindau-Hof)  ausgeführt  wurden.  Sie  sind 
um  so  lehrreicher,  als  jenes  durchaus  nicht  in  gerader  Linie  verläuft, 
wie  der  längs  der  Wörnitz  quer  durchs  Ries  führende  Straßenzug.  Es 
bildet  vielmehr,  da  Nördlingen  von  ihm  berührt  werden  mußte,  einen 
weitgeöffneten  Winkel  zwischen  Oettingen  und  Harburg.  Vom  nörd- 
lichen Eingang  ins  Ries  bei  Hainsfarth  bis  zum  Beginn  des  Wörnitz- 
defitös  nächst  Hoppingen  senkt  sich  nun  das  Gebiet  bei  27  km  Erstreckung 
im  ganzen  nur  auf  5  m.  Sein  Gefälle  bemißt  sich  zwischen  den  ge- 
nannten Orten  demnach  bloß  auf  rund  0,19  °/oo. 

Aber  auf  der  ganzen  Länge,  welche  die  erwähnte  Bahnlinie  im 
eigentlichen  Ries  durchzieht,  verläuft  das  Terrain  nur  an  zwei  Stellen, 
nämlich  zwischen  Dürrenzimmern  und  Nördlingen,  sowie  zwischen  Nörd- 
lingen und  Möttingen  auf  kurze  Strecken  hin  glatt  und  ungefaltet.  Im 
übrigen  aber  schwankt  dasselbe  ununterbrochen  auf  und  nieder,  selbst 
in  der  Erstarrung  ruhelos,  wie  die  Wellen  des  Sees  und  der  diluvialen 
Wasser,  die  einst  hier  fluteten.  Und  seine  Bewegung  hält  sich  durch- 
aus nicht  immer  in  unansehnlichen  Grenzen.  Sieht  man  von  den  ge- 
ringeren Niveaudifferenzen  ab,  so  erscheint  der  Riesboden  zwischen 
Oettingen  und  Hoppingen  flach  schildförmig  aufgewölbt.  Derselbe  er- 
reicht seine  Maximalhöhe  unmittelbar  im  Süden  des  Nördlinger  Bahnhofs, 
wo  er  bis  434  m  ansteigt.  Seine  niedrigste  Stelle  sinkt  unterhalb 
Oettingen  auf  412,  bei  Hoppingen  auf  413  m  herab.  Die  größten 
Höhenunterschiede  innerhalb  des  Profiles  betragen  sohin  22  bezw.  21  m. 
Im  einzelnen  bemessen  sich  dieselben  zwischen  Oettingen  und  Dürren- 
zimmern auf  15,  zwischen  Dürrenzimmern  und  Nördlingen  auf  11, 
zwischen  Nördlingen  und  Möttingen  auf  21,  zwischen  Möttingen  und 
Hoppingen  auf  7  m.  Am  unruhigsten  ist  das  Terrain  der  Riesniederung 
jedenfalls  aber  an  den  beiden  Eingängen  zu  ihr.  Doch  hebt  und  senkt 
sich  dasselbe  ungleich  weniger  am  nördlichen,  als  am  südlichen  Durch- 
bruch des  Riesrandes,  wo  es  zwischen  Hoppingen  und  Harburg  bis 
unter  400  m  herab-  und  bis  über  422  m  aufsteigt.  Es  entspricht  dies 
einerseits  der  längeren  Zeit,  welche  der  Fluß  zur  vollständigen  Bildung 
seines  Defil^s  bis  über  Wörnitzstein  hinaus  infolge  der  bedeutenden 
Höhe  der  dortigen  Umrahmung  der  Landschaft  nötig  hatte.    Andererseits 


49]  Das  Ries.  Eine  geographisch-volkswirtschaftliche  Studie.  235 

aber  prägt  sich  auch  hierin  die  größere  Unebenheit  der  Südhälfte  des 
Rieses  überhaupt  im  Vergleich  zur  Nordbälfte  aus. 

Hinsichtlich  der  Einzelheiten  des  Terrainbildes  unserer  Landschaft 
in  der  von  dem  erwähnten  Schienenstrang  durchschnittenen  Linie  sei  auf 
Profil  1  der  ersten  Beilage  verwiesen.  Ich  habe  dasselbe  aus  einer 
doppelten  Absicht  wiedergegeben.  Vor  allem,  um  die  Ausgestaltung 
des  Reliefs  der  flachen  Teile  des  Rieses  im  ganzen  sowohl,  wie  im 
Detail  auf  Grund  unanfechtbarer  Messungen  aufzuzeigen.  Sodann  aber, 
um  endgültig  die  vielhundertjährige  Meinung  zu  beseitigen,  das  Ries 
sei  gleich  einem  Parkettboden  flach  ausgespannt.  Gehört  es  doch  mit 
zu  den  wesentlichen  Aufgaben  der  modernen  Landeskunde,  der  geo- 
graphischen Wirklichkeit  zu  ihrem  Rechte  zu  verhelfen  gegenüber  dem 
Trug  des  Augenscheines  und  dem  gleißenden  Schimmer  unhaltbarer 
Traditionen.  Letztere  vor  allem  müssen  abgeschüttelt  werden,  wie 
dürres  Rankenwerk  vom  lebensfrischen  Geäste  eines  Baumes. 

Wesentlich  andere  Verhältnisse  als  ein  Durchschnitt  durchs  Ries 
von  Norden  nach  Süden  ergiebt  ein  solcher  quer  durch  das  Gebiet 
von  Osten  gegen  Westen.  Vor  allem  ist  beachtenswert,  daß  eine 
Gesamtneigung  der  Landschaft  von  den  Rändern  her  gegen  die  Mitte 
keineswegs  zu  erkennen  ist.  Zwar  dacht  sich  die  Bodenfläche  von 
Wemding  aus  bis  zur  Wörnitzbrücke  bei  Fessenheim  in  ungebrochener 
Linie  erst  rascher,  dann  kaum  merklich  von  456  m  auf  408  m  ab. 
Zwischen  Wörnitz  und  Eger  aber  schwillt  das  Terrain  zu  einem  breiten, 
mäßig  undulierten  Rücken  an,  der  in  422  m  kulminiert.  Bei  Deiningen 
senkt  sich  derselbe  rasch  zur  Eger  ab  (Brücke  413  m).  Dann  hebt 
sich  der  Boden  wiederum  in  flacher  Profilierung  und  zeigt  im  Bereich 
von  Nördlingen  seine  höchste  Aufwölbung  (433  m).  Jenseits  des  Eger- 
thales  (Egerbrücke  426  m)  steigt  er  endlich  nochmals  bis  zur  württem- 
bergischen  Grenze  (435  m)  und  Pflaumloch  (Kirche  440  m)  sanft  auf. 

Ueberblickt  man  das  Profil  im  ganzen,  so  ist  leicht  ersichtlich, 
daß  sich  die  Oberfläche  des  Rieses  vom  Ostrande  aus  gegen  die  Wörnitz, 
vom  Westrande  her  gegen  die  Eger  zu  neigt.  Zwischen  Nördlingeu 
und  Fesenheim  aber  schieben  sich  zwei  breitgezogene  Bodenwellen  ein. 
Sie  sind  durch  die  Egerniederung  bei  Deiningen  geschieden  und  erfüllen 
fast  die  Hälfte  des  gesamten  Durchschnittes.  Die  Tbalgründe  von 
Wörnitz  und  Eger  sind  keineswegs  augenfällig  eingeschnitten;  vor 
allem  nicht,  wenn  man  sie  mit  der  rasch  emporstrebenden  Umrahmung 
des  Rieses  vergleicht,  die  von  Pflaumloch  bis  zum  Scheitel  des  Gold- 
berges 74,  von  Wemding  bis  zum  Gipfel  des  Galgenberg  sogar  112  m 
an  relativer  Höhe  erreicht. 

Ungleich  vielseitiger  und  vollständiger  als  die  eben  be- 
trachteten Profile  erweist  das  kartographische  Bild  der 
Riesniederung,  wie  mannigfach  bewegt  und  reich  undu- 
liert  die  Oberfläche  der  letzteren  auch  in  ihren  flachsten 
Stücken  ist.  Nirgends  ziehen  hier  die  Isohypsen  in  jenem 
steifen,  parallelen  Verlauf  dahin,  der  Thalebenen  vom  Cha- 
rakter der  Münchener  Quellmoore  oder  weiter  Striche  des 
Lechfeldes  charakterisiert.  Vielfach  gewunden  und  ver- 
Forschungen zur  deutschen  Landes-  und  Volkskunde.    XII.    3.  16 


236  Christian  Gruber,  [50 

bogen,  launisch  ausgebuchtet  und  wiederum  eingelappt, 
spiegeln  sie  in  klaren  Zügen  die  Art  der  Skulptur  der 
Riesniederung  auch  dort  wieder,  wo  dieselbe  vom  Auge  des  Wanderer» 
im  einzelnen  nicht  erkannt  zu  werden  vermag.  Und  sie  thun  dies  um 
so  treuer,  je  enger  man  ihre  Aequidistanz  nimmt.  Daher  finden  sich 
auch  auf  der  I.  Kartenbeilage  die  Höhenlinien  für  das  flache  Ries  in 
regelmäßigen  Abständen  von  5  zu  5  m  gezogen. 

Die  gesamte  Riesniederung  läßt  sich  nach  ihrem  Relief  in 
drei  an  sich  merklich  verschiedene  Stücke  scheiden.  Anders  ist  ihr 
Westen  in  seiner  Nordhälfte  gestaltet,  als  in  der  Südhälfte.  Und  wieder 
andere  Kennzeichen  als  er  trägt  das  Flachgebiet  östlich  der  Wörnitz- 
zur  Schau. 

Westliches  Ries  im  Norden.  Es  stellt  den  am  unruhigsten 
und  am  meisten  gegliedertsten  Teil  des  flachen  Riesbodens  dar.  Eng 
nebeneinander  schieben  sich  hier  rückenförmige  Bodenanschwellungen 
zwischen  den  einzelnen  Wasseradern  bis  zur  Wörnitz  vor.  Sie  tragen 
zahlreiche,  namenlose  Aufwölbungen  mit  bescheidener,  bald  rundlicher, 
bald  schmal  hingezogener  Scheitelhöhe.  Unter  ihnen  Jieben  sich  besonder* 
hervor:  jene  nordwestlich  von  Nittingen  (428  m  Seehöhe,  relativ  über 
Nittingen  8  m),  nördlich  und  nordwestlich  von  Heuberg  (439  und  441r 
bezw.  21  und  23  m),  westlich  von  Munningen  (417  bezw.  7  m),  östlich 
von  Maihingen  (435  bezw.  18  m),  westlich  von  Dürrenzimmern  (42& 
bezw.  9  m),  östlich  von  PfäfFlingen  (426  bezw.  10  m),  westlich  von 
Wechingen  (420  bezw.  11  m)  und  diejenige  westlich  von  Holzkirchen 
(425  bezw.  15  m). 

Diese  mit  Löß  überzogenen  Bodenwellen  schließen  sich  vielfach 
unmittelbar  dem  Riesrande  an,  von  dem  sie  gleichsam  wegzubranden 
scheinen.  Dies  ist  vor  allem  bei  der  markanten  Erhebung  zwischen 
Mühlbach  und  Grimmgraben  der  Fall.  Sie  zieht  vom  Nonnenberge- 
(456  m)  bei  Hochaltingen  aus  und  erstreckt  sich ,  durch  einen  breiten 
Wiesengrund  zerschnitten,  9  km  lang  bis  Munningen.  Außer  dem 
Nonnenberge  gehören  ihr  nicht  weniger  als  10  kleinere  Kuppen  und 
Flachrücken  zu.  Die  Mehrzahl  von  ihnen  liegt  im  südlichen  Abschnitt 
der  Erhebung,  während  der  nördliche  einfach  als  langhinrollende,  all- 
mählich zerrinnende  Welle  erscheint. 

Aehnliche  Formen  besitzen  weiterhin  auch  die  niedrigen  Höhen 
hart  an  der  Nordgrenze  des  Rieses  zwischen  dem  Mühlbach  und  Oet- 
tingen,  die  zuletzt  in  422  m  (relativ  4  m)  kulminieren,  sowie  diejenigen 
zwischen  Grimmgraben- Mauch,  Mauch-Birkenhausergraben  und  Birken- 
hausergraben-Goldbach. Die  mattenbegrünten  Rinnsale  dieser  unansehn- 
lichen Wasseradern  sind  landschaftlich  und  für  die  Modellierung  der 
nördlichen  Westhälfte  des  Rieses  von  nicht  geringerer  Bedeutung,  als 
die  blasenförmig  niedrigen  Aufwölbungen  über  den  Bodenwellen.  Die 
letzteren  häufen  sich  übrigens  gerade  unmittelbar  längs  des  Wörnitz- 
laufes  vom  Bahnhof  Oettingen  weg  über  Munningen,  Wechingen  und 
Holzkirchen  bis  Fessenheim  und  sind  auch  auf  der  rechten  Seite  der 
Mauch  und  Eger  zwischen  PfäfFlingen  und  Deiningen  nicht  selten. 

Im  Gegensatze  zu  ihnen  liegen  die  hervortretendsten  Erhebungen 
der  nördlichen  Hälfte  des  Westrieses  weit  draußen   nahe  dem  Rahmen 


51]  Das  Ries.  Eine  geographisch-volkswirtschaftliche  Studie.  237 

der  Landschaft:  der  Melierberg  im  Süden  Maihingens  (441  m);  Eulen- 
stein, Einling  und  Vonmuth  (494  m)  südlich  von  Dirgenheim  und  Benzen- 
zimmern, sowie  der  Serenbuck  (451  m)  bei  Goldhurghausen. 

Südhälfte  des  westlichen  Rieses.  Die  breitgemessene 
Egerthalung,  welche  von  Nähermemmingen  an  bis  zur  Aumühle  bei 
Löpsingen  nordöstlich  und  sodann  bis  Elosterzimmern  rein  östlich  ver- 
läuft, läßt  derartig  lang  hingezogene  Bodenschwellen  nicht  zu,  wie  sie 
der  Nordhälfte  des  Westrieses  angehören. 

Südlich  vom  Goldbach  ziehen  daher  die  Isohypsen  auch  weniger 
lang  und  schmal  nebeneinander  nach  Osten  hinaus.  Sie  verlaufen  viel- 
mehr kurz  zwischen  den  einzelnen  Gewässern,  vor  allem  von  Ehringen 
nach  Baldingen.  Hier  ist  es,  als  ob  sich  die  Abdachung  des  Randes,  frei- 
lich in  deutlich  abgeschwächter  Form,  in  der  Riesniederung  fortsetzte. 
Und  hier  hat  auch  jede  der  einzelnen  Höhenlinien  denselben  mehrfach 
gezackten  Verlauf.  Damit  ist  schon  auf  dem  Kartenbilde  eine  gleich- 
förmige Konfiguration  der  Bodenoberfläche  angedeutet,  welche  an  der 
bayerisch-württembergischen  Grenze  zwischen  Baldingen  und  Goldburg- 
hausen auf  440  und  jenseits  derselben  auf  fast  450  m  ansteigt. 

Dem  übrigen  Teil  der  Südhälfte  des  westlichen  Rieses  kommt 
ein  lebhafteres  Relief  zu.  Zwar  verlaufen  zwischen  Nördlingen, 
Deiningen  und  Grosselfingen  Aufwulstungen  des  Bodens,  welche  un- 
willkürlich an  jene  im  nördlichen  Stück  des  Westrieses  erinnern  und  im 
Nachberg  428,  westlich  vom  Nördlinger  Bahnhof  sogar  432  m  messen. 
Aber  zwischen  dem  Höhenzuge  von  Nördlingen  und  seinen  Ausläufern 
einerseits,  Deiningen  und  Möttingen  andererseits  ist  die  Riesniederung 
im  kleinen  vielfach  und  wenig  regelmäßig  ausgestaltet.  Dort  sowohl, 
wie  zwischen  Balgheim  und  dem  Rollerberge  bei  Hoppingen  dehnen 
sich  die  Bodenanschwellungen  nicht  bloß  einseitig  in  der  Ostrichtung 
aus.  Sie  ziehen  vielmehr  auch  nach  Norden  und  Nordosten  und  manche 
isolierte  Einzelhöhen  ragen  merklich  über  sie  auf;  so  der  Erbesberg 
bei  Reimlingen  (439  m),  der  Rotenberg  bei  Schmähingen  (468  m),  der 
Mühlberg  nördlich  von  Hohenaltheim  und  der  Balgheimer  Hahnenberg 
(463  m,  relativ  über  dem  Forellenbach  36  m). 

Ostseite  des  flachen  Rieses.  Die  Niederung  in  der  Ost- 
hälfte des  Rieses  entspricht  am  meisten  der  irrtümlich  landläufigen  An- 
schauung, welche  bisher  über  das  Relief  unseres  Gebietes  herrschend 
war.  Wie  hier  die  Urgebirgstrümmer  oberirdisch  ungleich  beschränkter 
auftreten  als  im  Westries,  wie  sich  der  Hahnenberg  bei  Lierheim,  der 
Spitzberg,  Alerheimer  Schloßberg  und  Wennenberg  an  Ausdehnung 
und  Zusammenhang  mit  dem  Nördlinger  Höhenzug  und  seiner  Fort- 
setzung bei  Reimlingen  oder  den  Erhebungen  zwischen  Himmelreich 
und  Albuch  nicht  messen  können,  wie  hier  im  Osten  an  Stelle  der 
tiefgründigen  Lehm-  und  Lößlager  vielfach  Sandanhäufungen  und  rezente 
Gebilde  treten,  und  wie  endlich  die  Umrahmung  des  östlichen  Rieses 
bei  weitem  nicht  die  reiche  Skulptur  hat,  wie  der  Süd-  und  Westrand 
um  Hohenaltheim  und  Bopfingen:  so  wurde  auch  die  Niederung  selbst 
hier  nur  unauffällig  modelliert.  Die  einfache  Ausgestaltung  derselben 
ist  eine  wesentliche  Folge  ihrer  geognostischen  Beschaffenheit.  Fest- 
liegendem,  nicht   wandernden  Sand,   Schwarzboden  und  jungalluvialen 


238  Christian  Gruber,  [52 

Bildungen  gehören  allenthalben  auf  der  Erde  die  einfachsten  Ober- 
flächenformen zu.  Sie  unterliegen  einer  gleichmäßigeren  Ablagerung 
und  auch  Nivellierung  durch  Wasser  und  Wetter,  als  die  mehr  plasti- 
schen und  widerstandsfähigen  Lehmschichten. 

Die  östliche  Riesniederung  besitzt  nur  drei  Streifen  flacher  Boden- 
wellen zwischen  Gänsbach  und  Rohrach,  Rohrach  und  Dosbach,  Dos- 
bach und  Schwalb. 

Innerhalb  des  zuerst  genannten  Striches  findet  sich  eine  Anschwel- 
lung zwischen  Lerchenbühl  und  Haid,  die  an  der  Straße  von  Möges- 
heim  nach  Wemding  bis  433  m  emporsteigt.  Dort  ist  ferner  an  der 
Rohrach  dem  Rieshang  bei  Trendel  der  Kronberg  vorgelagert,  dem 
443  m  Seehöhe,  aber  nur  17  m  relative  Erhebung  zukommen.  Ihm 
kongruent  liegt  am  Bord  der  Wörnitz  die  unscheinbare,  aber  breite 
Bodenerhöhung  bei  Schwörsheim.  Sie  erreicht  417  m,  ragt  indessen 
nur  4  m  über  dem  erwähnten  Ort  selbst  auf. 

Im  mittleren  Streifen  des  Ostrieses  lehnt  sich  an  den  Polsinger 
Berg  die  Kuppe  südlich  vom  Kronhof  mit  445  m  Seehöhe  (20  m  relative 
Erhebung).  Westlich  von  ihr  steht  zwischen  Kronhof  und  Laub  ein 
Flachhöcker  mit  428  m  (5  m  relativ)  an.  Amerbachkreut,  am  Fuß  des 
Wartberges,  liegt  bei  435,  die  Höhe  westlich  vom  Eulenhof  zwischen 
Eichholz  und  Weilerholz  bei  423,  Speckbrodi  bei  413  m.  Es  treffen 
sonach  auf  fast  5  km  Entfernung  nur  25  m  Niveaudifferenz. 

Deutlicher  ausgeprägt  ist  das  Relief  der  östlichen  Riesniederung 
in  ihrem  südlichen  Streifen  zwischen  Dosbach  und  Schwalb.  Dort  ent- 
ragt ihr,  durch  die  Sandhügel  des  Schwalbholzes  vom  Riesrand  ge- 
schieden, der  schon  erwähnte  Metzlesberg  (442  m,  19  m  über  Wild- 
bad Wemding)  und  die  Kuppe,  an  deren  Südflanke  der  Kriegsstatthof 
sich  findet  (424  m,  18  m  über  der  Wörnitz,  13  m  über  der  Schwalb). 
Des  Höhenzuges  südlich  der  zuletzt  genannten  Wasserader,  welcher  mit 
dem  Lehmberg  bei  Goßheim  beginnt  und  riffartig  schmal  erst  bei  Bühl 
verläuft,  wird  bei  den  Höhenrücken  und  Inselbergen  des  Rieses  beson- 
ders zu  gedenken  sein. 

An  wirklichen  Oedungen  finden  sich  im  Flachgebiete 
des  Rieses  13  westlich  und  11  östlich  der  Wörnitz.  Sie  sind  indessen 
meistens  von  sehr  geringem  Umfang;  die  bemerkenswertesten  von  ihnen 
liegen  um  Dürrenzimmern,  bei  Deiningen,  zwischen  Alerheimer  Schloß- 
berg und  Enkingen  und  an  der  Schwalb  nordöstlich  von  Bühl.  Ihre 
Gesamtfläche  bemißt  sich  auf  6,77  qkm. 

D.  Die  Inselberge  und  Höhenrucken  des  Rieses. 

a)  Der  Wallerstein. 

Durch  alle  Formen  der  Erdoberfläche  geht  ein  Zug  der  Zer- 
störung. Ihre  Konturen  ändern  sich  im  großen  und  kleinen  unablässig. 
Sie  sind  in  einer  beständigen  Umprägung  begriffen.  Nun  offenbart 
sich  freilich  auch  in  dieser  Auswechselung  der  scheinbar  starren  Ge- 
stalten des  Festen  ein  Stück  der  ruhelos  schöpferischen  Kraft  der  Natur. 


53]  Das  Rtes.  Eine  geographisch-volkswirtschaftliche  Studie.  239 

Aber  sie  ist  es  auch,  die  keine  Dauer  des  Reliefs  zuläßt,  sondern  nur 
Bilder  von  vergänglicher  Wahrheit  duldet.  Einigt  sich  mit  ihr  nun 
noch  die  Menschenhand,  so  zertrümmern  die  Bodenformen  um  so  leichter 
und  gründlicher.  Sie  werden  dann  zu  Ruinen,  die  eine  Rekonstruktion 
ihres  ursprünglichen  Aussehens  nur  in  groben  Umrissen  mehr  zulassen. 

Auch  der  Wallersteiner  Felsen  ist  durchaus  von  ruinenhaftem 
Charakter.  Sein  einstiger  Umfang  läßt  sich  nicht  mehr  genau  fest- 
legen. Doch  trägt  seine  vergleichsweise  schmale  Gestalt  trotz  aller  Zer- 
störung auch  heute  noch  das  wesentlichste  Kennzeichen  der  Inselberge 
des  Rieses  an  sich:  den  flach  verebneten  Scheitel. 

Wohl  steht  der  Wallerstein  nunmehr  vereinsamt  über  der  Ries- 
ebene, 3,8  km  von  ihrem  Rande,  4,5  km  vom  Nördlinger  Höhenzug 
entfernt.  Und  doch  ist  er  nach  Lage,  Fundament  und  Aufbau  nur  ein 
isoliertes  Glied  des  letzteren.  Er  findet  sich  in  gleicher  Streichungs- 
richtung mit  diesem.  Sein  granitischer,  niedrig  aufgewölbter  Sockel 
aber  ist  offenbar  ein  Teil  jener  Urgebirgsscholle,  die  nördlich  von 
Hohenaltheim  ansetzt,  quer  durchs  Ries  bis  Nördlingen  streicht,  dann 
oberirdisch  verschwindet,  um  am  Wallerstein  kurz  aufzutauchen  und 
sich  weiter  nach  dem  Lehberg  bei  Munzingen  fortzusetzen,  wo  sie 
mit  dem  Granitgebiet  von  Marktoffingen  im  Zusammenhange  steht. 

Ueber  der  nur  wenig  aufgeschlossenen  altkrystallinischen  Grund- 
anschwellung erhebt  sich  jene  breite  Etage  von  marmorhartem,  plumpen 
Süßwasserkalk,  welche  die  den  eigentlichen  Schloßberg  umsäumenden 
Gebäude  und  Parkanlagen  trägt.  Auf  ihr  ragt  sodann  der  aus  Kalk- 
sinter zusammengesetzten  Wallerstein  selbst  wohl  an  20  m  hoch  auf. 
Sein  Scheitel  besitzt  eine  unregelmäßig  rechteckige  Form  und  mißt  in 
der  Länge  gleichfalls  etwa  20,  in  der  durchschnittlichen  Breite  etwa  4  m. 
Er  ist  mehr  rasengrün  als  felsig  und  gegen  Osten  hin  leicht  schratten- 
artig  verwettert.  Seine  Seehöhe  beträgt  496  m,  und  derselbe  erhebt  sich 
über  dem  Bahnhof  Wallersteins  42,  über  Ehringen  64  m. 

Gegen  Südwesten  zeigt  der  Wallerstein  gemeinsam  mit  seinem 
Unterbau  eine  dreifache  Abtreppung.  Die  Höhe  der  Terrassenstufen, 
welche  nach  unten  hin  immer  breiter  werden,  schwankt  zwischen  8  und 
10  m.  Sie  entspricht  im  allgemeinen  wohl  der  Gesamtanlage  der  alten, 
1648  zerstörten  Burg  Wallerstein1)  und  einer  1815  ausgeführten 
Planierung  des  Felssockels.  In  ihrer  oberen  Hälfte  durchaus  steinig, 
wird  ihr  unterer  Teil,  welcher  den  Akkumulationsterrassen  zuzuzählen 
sein  dürfte,  von  jenen  prächtigen  Baum-  und  Strauchgruppen  überschattet, 
die  zwischen  1842  und  1848  angelegt  wurden.  Aus  jener  Zeit  stammt 
ferner  die  festgefügte  Quadermauer,  welche  heute  die  oberste  der 
Terrassen  am  Wallerstein  stützt.  Hier  an  der  Südwestseite  liegt  auch 
der  aus  15,  teilweise  in  den  gewachsenen  Stein  eingehauenen  Stufen 
bestehende  Aufgang  zu  der  Plattform  des  Felsens. 

An  der  Ost-  und  Nordseite  zeigt  der  Wallerstein  nur  zwei  Stufen. 
Sie  entsprechen   dem  wandähnlichen,   rauhwulstigen  Felsen  selbst  und 


*)  Vgl.  deren  authentische  Geschichte  in  der  prächtigen  Schrift:  Der  Waller- 
steiner Felsen,  von  Dr.  Anton  Diemand.  Druck  und  Verlag  von  Th.  Reischle 
in  Nördlingen. 


240 


Christian  Gruber, 


L54 


seinem  mit  Verwetterungsschutt  und  den  Abraummassen  der  Steinbruch- 
arbeiten überdeckten  Unterbau.  Dort  im  Norden  hat  sich  der  Burg- 
felsen in  seiner  ganzen  Höhe  gespalten.  Und  dort  liegt  auch  jenes 
echte  kleine  Blockmeer,  das  1854  durch  einen  gewaltigen  Abbruch  der 


o 


09 


I 

CD 

3 


•«3 

c»5* 


Felsen  des  Sprudelkalks  hervorgerufen  wurde.  Da  lagern  Blöcke  aller 
Größen  wirr  durcheinander,  stark  angewettert,  übermoost  oder  mit  Gras 
spärlich  verhüllt.  Auf  und  an  ihnen  aber  wuchern  Schwarzhollunder, 
Ahorn,  Berberitzen,  Birken,  Fichten,  Föhren  und  die  schwanken  Wedel 
von  Farrenkräutern.  An  den  Wandabbrüchen  haben  sich  dagegen  lichte 
Flechten  angesiedelt,   und   ihre  goldhelle  Färbung  kontrastiert  seltsam 


.55]  Das  Ries.  Eine  geographisch-volkswirtschaftliche  Studie.  241 

mit  dem  derben  Grau  all  der  abgestürzten  Steinmassen  und  dem 
dunkeln  Grün  der  Sträucher  und  Baumanlagen.  Unter  dem  Fels- 
meer liegen  zwei  kleine  Höhlungen  fast  ganz  begraben;  eine  dritte, 
ungleich  geräumigere  findet  sich  am  Rand  des  Felsabbruches  nahe 
•dem  westlichen  Parkeingang.  Sie  stellt  eine  scharfgebogene,  mannshohe 
Unterwölbung  an  einer  hüttentiefen  Felspartie  dar,  und  wurde  bis  in  die 
Mitte  unseres  Jahrhunderts  herein  als  Eiskeller  benützt. 

Voa  der  alten  Burg  Wallerstein  ist  kein  Mauerbrocken  mehr 
übrig.  Doch  raacjjt  Diemand  darauf  aufmerksam,  daß  die  Stelle  an 
der  Behauung  der  Felsen  wohl  erkennbar  sei,  wo  die  Schloßkapelle 
-einst  stand *).  Und  wie  die  ehemalige  Burg  dem  letzten  Jahre  des 
großen  Religionskrieges  zum  Opfer  fiel,  so  wurde  auch  der  Wallerstein 
selbst  nicht  von  der  zerstörenden  Menschenhand  verschont.  Diemand 
•erzählt«,  daß  ein  jeder,  dem  es  einfiel,  sich  mit  Steinbrechen  zu  er- 
nähren, mit  Pickel  und  Schaufel  kam,  Felsstücke  grub  und  sie  ver- 
kaufte, selbst  ohne  um  Erlaubnis  anzufragen.  Die  Wallersteiner  Bürger- 
schaft aber  holte  jederzeit  mit  Einwilligung  der  Herrschaft  das  zum 
Bau  von  Häusern  und  zur  Ausbesserung  der  Pflaster  und  Wege  nötige 
Material  vom  Burgfelsen.  Die  Verwaltung  des  ganzen  Steinbruches 
wurde  1786  dem  fürstlichen  Bauamte  übergeben,  und  der  Ertrag  hier- 
aus bemafi  sich  z.  B.  für  das  Jahr  1788  nach  Abzug  aller  Kosten  auf 
1916  fl.  46  kr.  für  385  Klafter  Steine,  64  Fuhren  Sand  und  1234  Fuhren 
Kies.  So  ist  denn  auch  der  Wallerstein  gleich  den  meisten  Erhebungen 
aus  Süßwasserkalk  im  Ries  gegenwärtig  nur  noch  ein  Fragment  von 
dem,  was  er  ursprünglich  war,  freilich  immerhin  noch  ein  Felsklotz, 
•der  stattlich  und  trutzig  genug  über  das  Ries  wegschaut. 

b)  Der  Goldberg 

trägt  von  allen  Rieshöhen  den  Plateaucharakter  am  ausgeprägtesten 
an  sich.  So  vergleichsweise  schmal  und  turmähnlich  die  Felsruine  des 
Wallersteins  aus  ihrer  flachen  Umgebung  sich  emporreckt,  so  breit  und 
gedrungen  ist  die  Gestalt  des  Goidbergs.  Und  während  jener  völlig 
isoliert  der  Riesniederung  entragt,  liegt  dieser  in  nächster  Nachbar- 
schaft derjenigen  Stelle  des  Riesrandes,  wo  man  den  vulkanischen 
Trümmerresten  am  frühesten  und  eingehendsten  nachgegangen  ist.  Oest- 
lich  und  nördlich  von  ihm  zieht  eine  Zunge  von  Opalinusthon  ins  Ries 
hinein.  Sie  kulminiert  mit  dem  Fuchsberg  (512,6  m)  und  kann  oro- 
graphisch  in  gewissem  Sinne  als  Fortsetzung  des  Goldberges  gelten. 
Der  Südhang  des  letzteren  steht  unmittelbar  über  den  Lößgründen  unserer 
Landschaft  an.  An  seiner  Westflanke  aber  finden  sich  neben  Weißjura- 
breccien  die  gleichen  traehytischen  Ablagerungen  und  Auswürflinge, 
wie  um  den  vielgenannten  Heerhof  und  jenseits  des  Goldbaches  am 
Schönbergle  und  bei  Pflaumloch. 

Die  Konturen  des  Goldberges  selbst  werden,  wie  schon  im  dritten 
Teile  erwähnt  wurde,  durch  ein  mächtiges,  fossilienreiches  Lager  von 
Süßwasserkalk  bestimmt,    dessen  Ausbeute  durch   Steingräber   die   ur- 


')  Der  Wallersteiner  Felsen  und  seine  Geschichte,  S.  71. 


242  Christian  Gruber,  [56 

sprüngliche  Gestalt  der  Höhe  gründlich  verwischt  hat.  Ihr  Scheitel  strebt 
bis  515  m  auf.  Die  relative  Erhebung  desselben  über  den  ihn  im 
Süden  bespülenden  Goldbach  bemißt  sich  auf  59,  über  Goldburghausen 
und  den  Serenbuck  auf  64,'  über  Pflaumloch  auf  73  m.  Obschon  die 
nahe  Umrahmung  des  Rieses,  wie  Reimersberg  (534  m)  und  Schön- 
bergle  (519  m)  den  Goldberg  an  Höhe  übertrifft,  erscheint  er  doch 
auch  von  ihr  aus,  seiner  deutlichen  Isolierung  durch  das  Goldbachthal 
und  der  jäh  niederbrechenden  Gehänge  wegen,  als  selbständige  und 
beträchtliche  Erhebung.  Am  eindrucksvollsten  freilich  ist  sein  Bild 
von  Süden,  Osten  und  Norden  her.  Gleich  massigem  Mauerwerk  ragt 
er  auf,  an  welchem  die  schmale  Linie  einer  Straße  eingerissen  erscheint. 
Trotz  aller  Zerstörung  durch  Menschenhand  findet  man  das  Ruinen- 
hafte an  ihm  nicht  in  dem  Maße  ausgeprägt,  wie  am  Wallerstein. 
Seine  Flanken  schimmern  vom  lichtesten  Gelb  bis  zum  goldigen  Rot, 
auch  wenn  sie  vom  Sonnenlicht  nicht  Übergossen  werden,  und  ihre 
Farbe  hat  der  Höhe  wohl  auch  den  Namen  gegeben. 

Wie  schroff  sie  aber  auch  niederbrechen,  wie  felsenhaft  kahl  die- 
selben trotz  vielfacher  Berasung  sind  und  wie  hüttentief  hier  die  Trüm- 
mermassen an  den  Steinbrüchen  sich  aufhäufen:  so  flach  und  gemäch- 
lich neigt  sich  der  untere  Teil  der  Berghänge,  so  saatengrün  und 
wohlausgenützt  zieht  sich  dort  Ackerland  bis  zu  den  benachbarten 
Wässeradern  abwärts.  Und  so  fällt  denn  die  Zweiteilung  dieser  Höhe 
nach  ihrem  landschaftlichen  Aussehen  nicht  minder  zudringlich  auf,  als 
der  Gegensatz  zwischen  dem  eigentlichen  Burgfelsen  und  seinem  Unter- 
bau am  Wallerstein. 

Auch  die  Scheitelfläche  des  Goldbergs  ist  nicht  ohne  Relief.  Wer 
vom  Pflaumloch  her  zu  demselben  aufsteigt,  der  gewahrt  im  Westen 
von  ihm  eine  Kuppe  mit  wulstigen  Hängen  und  verwetterten  Fels- 
partieen.  Vom  eigentlichen  Bergmassiv  trennt  sie  eine  grüne  Einsatte- 
lung, bis  zu  welcher  die  vom  Pflug  gezogenen  Ackerbeete  emporsteigen. 
Gegen  Norden  ragen  noch  vier  weitere  Höcker  15 — 20  m  auf,  deutlich 
voneinander  geschieden  und  gleichfalls  stellenweise  blanken  Fels  auf- 
zeigend. Das  ca.  250  m  breite  Gipfelplateau  wird  von  rabendunklem, 
lehmigen  Humusboden  überdeckt  und  teilweise  als  Ackerland  bebaut. 
Von  ihm  aus  schaut  man  25 — 30  m  tief  die  Wände  der  Steinbrüche  hinab. 

Gleich  dem  Bopfinger  Ipf  wurde  auch  diese  Höhe  schon  in  der 
Steinzeit  als  Siedelungsplatz  und  Kultusstätte  benützt.  Bedeutsamer- 
weise gleichen  die  auf  dem  Goldberg  gefundenen  uralten  Werkzeuge 
aus  Stein  und  Bein  jenen  aus  den  Pfahlbauten  der  oberschwäbischen 
Seen.  Doch  wage  ich  nicht,  jenen  zu  folgen,  welche  den  Schluß  ziehen, 
diese  Thatsache  „weise  unwiderleglich  auf  einerlei  Bevölkerung  hin, 
die  sowohl  die  Bergeshöhen,  als  die  Seeen  für  ihre  Zwecke  benutzte". 

c)  Der  Nördlinger  Höhenzug. 

Die  Gestalt  und  Ausdehnung  der  Rieshöhen  ist  von  ihrer  Grund- 
anschwellung aus  altkrystallinischem  Gestein  abhängig.  Wo  dieselbe 
nur  warzenförmig  vereinzelt  über  die  lößverhüllte  Niederung  auftaucht, 
bauen  sich  schlanke  Inseiberge  klotzartig  prall  und  schwer  zugänglich 


57] 


Das  Ries.   Eine  geographisch-volkswirtschaftliche  Studie. 


243 


(X) 


'S 
CD 


244  Christian  Gruber,  [58 

auf,  wie  Wallerstein  und  Alerheimer  Schloßberg.  Wo  sie  sich  jedoch 
riffartig  schmal  und  lang  hindehnt,  wie  südlich  von  Nördlingen,  ruhen 
auf  ihr  Höhenzüge  von  rückenartigem  Charakter  und  lebhaft  auf-  und 
niederwogendem  Profil. 

Der  Nördlinger  Höhenzug  erstreckt  sich  zwischen  der  Egerthalung 
und  dem  Hahnenberg  bei  Keimlingen  4  km  weit  nach  Südosten.  Seine 
durchschnittliche  Breite  ist  auf  600  m,  seine  mittlere  Höhe  auf  465,8  m 
zu  veranschlagen.  Er  kulminiert  im  Adlerberg  mit  487  und  im 
Stoffelberg  mit  481,6  m,  und  überragt  seine  Umgebung  im  ganzen 
um  30  m.  In  seineu  tiefsten  Einschartungen  sinkt  derselbe  zwischen 
Toten-  und  Galgenberg  auf  445,  zwischen  Stoffelberg  und  Adlerberg 
auf  447  m  herab.  Im  einzelnen  gestalten  sich  seine  Relief  Verhältnisse 
folgendermaßen : 

Vom  Egerspiegel  aus,  dem  hier  428  m  Seehöhe  zukommen,  steigt 
die  Erhebung  rasch  und  unvermittelt  zum  Totenberge  (Em  er  am  s- 
berge)  auf  452  m  an.  Sein  geräumiger,  nach  Osten  überhängender 
Scheitel  trägt  nunmehr  den  Nördlinger  Friedhof  mit  seinem  schmucken 
gotischen  Kirchlein.  Oleich  zahlreichen  ähnlichen  Höhen  anderswo  ist 
er,  als  ein  von  der  Natur  gegebener  Stütz-  und  Verteidigungspunkt, 
in  der  tiefverschleierten  Gründungsgeschichte  der  Stadt  Nördlingen, 
deren  eng  begrenztes  Gebiet  sich  bis  über  die  Mitte  des  13.  Jahrhunderts 
hinaus  auf  ihm  selbst  befand,  von  Bedeutung  gewesen. 

Die  Südflanke  des  Totenberges,  an  welcher  die  Straße  Ederheim- 
Neresheim-Ulm  vorüberzieht,  senkt  sich  zu  einer  etwa  400  m  breiten 
Einsattelung  herab.  Ihre  tiefste  Stelle  liegt,  wie  schon  angedeutet,  bei 
445  m.  Sie  ist  mit  vielfach  bereits  ausgebeuteten  Schichten  von  Löß 
überdeckt  und  dient  nunmehr  vorwiegend  als  Ackerland. 

Die  Verbindung  zwischen  ihr  und  dem  nun  folgenden  Rücken  des 
Galgenberges1)  stellen  4  Terrassen  her,  von  den  kaiserlichen  Truppen 
aufgeworfene  Schanzwerke  aus  der  Zeit  der  ärgsten  Bedrängnis  Nörd- 
lingens  vor  dem  Entscheidungskampfe  des  Jahres  1634.  Die  grasigen 
Steilhänge  der  beiden  untersten  von  ihnen  sind  an  10  m  hoch  und  ihre 
fast  ebenen  Stufenflächen  messen  gleichfalls  ungefähr  10  m  in  die  Breite. 
Sie  sind  unter  den  Pflug  genommen  und  teilweise  durch  eine  Bier- 
kelleranlage in  ihrer  Regelmäßigkeit  gestört.  Auch  die  platte  Fläche 
der  dritten ,  6  m  hohen  und  breiten  Treppe  wird  zum  Feldbau  aus- 
genützt, während  ihr  Abfall  Baumschmuck  trägt.  Die  oberste  Stufe 
endlich  ist  am  ausgedehntesten  und  schrägsten  von  allen  und  deutlich 
zweigeteilt:  die  untere  Hälfte  stellt  10  m  breites  Ackerland,  die  höhere 
einen  12  m  breiten  Waldstreifen  dar,  von  welchem  aus  ein  unansehn- 
licher Hang  zum  Rücken  des  Galgenberges  selbst  führt. 

Dessen  Nord-  und  Südende  liegen  in  gleicher  Höhe,  nämlich  bei 
der  Kote  für  470  m.  Die  geringe  Aufwölbung  von  3  m  aber,  die  er 
in  seiner  Mitte  besitzt,  kommt  bei  der  Länge  des  Rückens  von  600  m 
und   seiner  Verhüllung   mit  Waldanlagen   nicht   zur  Geltung.     Und  so 


*)  Ich  folge  hier  ausschließlich   der  Nomenklatur   der  bayerischen  General- 
stabskarten. 


59]  Das  Ries.  Eine  geographisch-volkswirtschaftliche  Studie.  245 

ist  denn  der  Galgenberg  in  der  Wirklichkeit  auch  das  einfachste  Stück 
des  Nördlinger  Höhenzuges. 

Der  sehr  flach  eingebogene  Sattel,  welcher  ihn  vom  Stoffel- 
berg scheidet,  reicht  nur  auf  463  m  herab.  Auch  der  Stoffelberg  ist 
rückenförmig  ausgestreckt  und  unscheinbar  gewellt,  hat  aber  durch 
eine  blockförmige ,  mit  einer  ansehnlichen  Nische  versebene  Auf- 
ragung von  jungtertiärem  Süfiwasserkalk  einige  Skulptur  und  zugleich 
481,6  m  Seehöhe  erhalten.  Von  dem  Aussichtsturme  aus,  welcher  hart 
an  jener  und  dem  zinnenumrahmten  Sammelbecken  der  Nördlinger 
Wasserleitung  steht,  thut  sich  zwar  trotz  der  hochaufstrebenden  Wald- 
anlagen die  Rieslandschaft  in  einem  weiten  Rundbild  nach  Westen, 
Norden  und  Nordosten  auf.  Doch  ist  der  Ausblick  von  der  Mehrzahl 
der  Inselberge  des  Rieses  oder  den  Randhöhen  bei  Wemding  und 
Bopfingen  unvergleichlich  freier  und  weniger  eingehemmt  als  hier. 

Nach  Süden  senkt  sich  der  Stoffelberg  sehr  beträchtlich  tiefer 
als  gegen  Norden.  Der  Einriß  zwischen  ihm  und  dem  Adlerberg 
reicht  bis  447  m  herab.  Und  so  tritt  denn  auch  der  felsige,  vielzer- 
wühlte  Gipfel  des  letzteren  frank  aus  dem  gesamten  Höhenzuge 
hervor.  Durch  die  Steingräber  mitten  entzwei  gebrochen,  erhebt  sich 
nach  Süden  sein  höheres  (487  m),  nach  Norden  das  niedrigere  Stück. 
Treppen-  und  quaderförmige  Kalkmassen  und  scharfkantiger  Schutt 
erfüllen  die  von  Westen  nach  Osten  gerichtete,  stark  gebogene  Gasse 
zwischen  beiden.  Gegen  Morgen  lagern  den  noch  stehenden  Felspartieen 
5  hüttenhohe  Schutthügel  an;  nach  Norden  ragen  die  dunkelgrauen, 
von  Flechten  und  Moosen  besiedelten  Wände  verlassener  Steinbrüche 
auf,  und  auch  nach  Süden  zeigt  sich  der  Adlerberg  stark  abgehoben 
und  getreppt;  nur  wuchert  hier,  wo  Schaufel  und  Pickel  längst  nicht 
mehr  im  Bergkörper  wühlen,  Gras  über  den  Trümmern  des  Süßwasser- 
kalks. Von  der  lichtschimmernden  Felskrone  des  Gipfels  aus  aber 
ziehen  sich  launisch  gewulstete,  überaus  höckerige  Schuttgehänge  nieder, 
ärmlicher  Triftboden,  der  erst  nahe  dem  Bergfuße  gutem  Ackerlande 
weicht. 

Die  mehr  als  400  m  breite  Depression,  welche  sich  zwischen  dem 
Adlerberg  und  der  letzten  Aufwölbung  des  Nördlinger  Höhenzuges,  dem 
Reimlinger  Hahnenberg,  einlagert,  geht  nicht  unter  467  m  nieder. 
Trotzdem  zeigt  sich  die  Kuppe  des  Hahnenberges  als  selbständige, 
wenn  auch  niedrige  und  breit  verwaschene  Hügelgestalt  (477  m).  Auch 
aus  ihr  wurden  so  beträchtliche  Steinmassen  gehoben,  daß  die  Höhe 
stellenweise  wie  terrassiert  aussieht.  Indes  tritt  der  blanke  Süßwasser- 
kalk hier  nicht  annähernd  so  aufdringlich  und  weithin  sichtbar  hervor, 
wie  am  Adlerberg. 

Das  bedeutsamste  Merkmal  des  Nördlinger  Höhenzuges 
ist  neben  der  deutlichen  Gliederung  seiner  Profillinie  der 
Gegensatz  im  Relief  und  dem  landschaftlichen  Aussehen 
seiner  beiden  Flanken. 

Als  fast  regelrechte  Schräge,  sanft  abgeböscht  und  nur  selten 
durch  unscheinbare  Stufen  unterbrochen,  fällt  das  Westgehänge  gegen 
Kleinerdlingen  und  Herkheim  nieder.  Es  trägt  alle  Merkmale  einer 
flachgewundenen,  fast  formlosen,  bis  an  den  Scheitel  unter  die  Kultur 


246  Christian  Gruber,  [60 

genommenen  Bodenschwelle  an  sich.  Nur  an  der  oberen  Hälfte  von 
Adler-  und  Hahnenberg  haben  die  Steinbrucharbeiten  das  schon  ange- 
deutete wulstenförmige  Terrain  geschaffen. 

Ungleich  kräftiger  ist  dagegen  die  Ostseite  des  Höhenzuges  model- 
liert, vor  allem  am  Galgen-  und  Stoffelberg.  Steil  neigt  sie  sich  zwischen 
Nördlingen  und  Reimlingen  nieder,  streckenweise  scharf  gestuft.  Doch 
verlaufen  hier  die  Terrassen  nicht  ungestört  einheitlich  und  in  ununter- 
brochen systematischem  Zuge,  wie  etwa  jene,  welche  sich  längs  der 
Thalweiten  der  südbayerischen  Flüsse  vor  ihrem  Austritte  aus  den  Alpen 
oft  stundenweit  verfolgen  lassen.  Sie  bilden  vielmehr  nur  Treppen- 
fragmente mit  der  oft  sehr  breiten,  unregelmäßig  geformten  Stufen- 
fläche alter  Schanzbefestigungen.  Weniger  von  der  Natur  geschaffen, 
als  durch  Menschenhände  umgeformt,  wurden  dieselben  weiterhin  durch 
die  Anlage  von  Bierkellern  —  man  findet  am  Galgen-  und  Stoffelberg 
deren  nicht  weniger  als  11  —  häufig  wieder  verwischt.  So  jäh  aber 
die  an  einzelnen  Stellen  bis  15  m  hohen  Steilhänge  dieser  Bruchstücke 
von  Terrassen  niederbrechen,  so  flach  und  breit  hingestreckt  dehnt  sich 
der  Fuss  des  Nördlinger  Höhenzuges  auch  auf  der  Ostseite  hin;  un- 
vermerkt setzt  er  sich  in  die  Lößgründe  der  Riesniederung  fort. 

Und  wie  nach  ihrem  Relief,  sind  die  West-  und  Ostflanke  der  Er- 
hebung auch  nach  ihrer  landschaftlichen  Physiognomie  grundverschieden. 
Dort  im  Westen  durchaus  Ackerland,  dessen  lange  und  wie  nach  dem 
Richtmaß  gezogene  Beete  bis  hinauf  zu  dem  schmalgemessenen  Rücken 
der  Höhe  ziehen  und  damit  das  Aussehen  des  kornreichen,  bunt- 
gebänderten  Flachgebietes  unserer  Landschaft  auch  auf  sie  übertragen. 
Hier  im  Osten  dagegen  schattenreiche  Waldanlagen  aus  Birken  und 
Linden,  Eschen  und  Lärchen,  Fichten  und  Föhren  und  dazwischen 
lichte,  sonnenbeglänzte  Matten  und  Wiesenhänge,  freundliche  Alleen 
und  Obstbaumpflanzungen,  Zeilen  dichter  Hecken  und  breitästige  Baum- 
gruppen ;  tief  unten  aber  am  flach  abgeschrägten  Gehänge  ertragreicher 
Getreideboden.  All  das  im  fröhlichen  Wechsel  macht  die  Reize  der 
Ostseite  des  Höhenzuges  aus.  Und  sie  werden  verstärkt  einerseits  durch 
den  Blick  auf  Nördlingen,  das  gerade  von  hier  aus  manch  altertüm- 
lichen Zug  an  sich  erkennen  läßt:  seine  aus  düsterem  Trachyttuff 
erbaute,  hochstrebende  Georgskirche,  seine  einst  stark  bewehrte  Um- 
fassungsmauer mit  wohlerhaltenen  Türmen  und  dem  nun  reich  be- 
pflanzten Stadtgraben,  welche  dem  Orte  immer  noch  den  Charakter  des 
Geschlossenen,  Festeartigen  verleihen,  seine  hochgiebeligen,  eng  zusam- 
mengescharten  Häuser  mit  ihrer  roten  Bedachung  —  und  andererseits 
durch  den  Blick  auf  die  Riesniederung  und  ihre  Inselberge  vom  Waller- 
stein an  bis  zum  Roller  bei  Hoppingen. 

d)  Das  Schönefeld. 

An  den  Nördlinger  Höhenzug  schließt  sich,  nur  durch  einen 
schmalen,  bis  zur  Kote  von  465  m  reichenden  Sattel  von  ihm  getrennt, 
das  breitschulterige  Schönefeld  an.  Es  streicht  in  spitzem  Winkal  zu 
Galgen-,  Stoffel-,  Adler-  und  Hahnenberg  von  Herkheim  her  gegen 
Reimlingen  und  Schmähingen  und  ist  geologisch  ungleich  mannigfaltiger 


61]  Das  Ries.  Eine  geographisch-volkswirtschaftliche  Studie.  247 

aufgebaut  als  jene,  wie  denn  überhaupt  mit  der  Annäherung  an  den 
Riesrand  auch  die  Gesteinsbeschaffenheit  der  Höhen  vielseitiger  wird. 
Neben  mächtigen  Auflagerungen  von  Süßwasserkalk,  die  oberhalb  Reim- 
lingens  ähnlich  wie  am  Goldberg  in  großen  Mengen  gebrochen  werden, 
nehmen  der  Breccienkalk  des  weißen  Juras,  streifenweise  vulkanischer 
Tuff,  sowie  das  bunte  Konglomerat  des  Rieses  an  der  Zusammensetzung 
dieser  Erhebung  Anteil.  Auch  das  Fundament  aus  Urgestein  tritt  hier 
deutlich  zu  Tage. 

Das  Schönefeld  bricht  nach  allen  Seiten  ziemlich  steil  nieder;  am 
geringsten  freilich  gegen  Norden  bei  Herkheim,  am  schroffsten  dagegen 
nach  Osten  hin  gegen  Reimlingen  und  Schmähingen.  Wie  dem  Galgen- 
und  Stoffelberg  mangelt  auch  seinem  Scheitel  der  Schmuck  einiger 
Waldparzellen  nicht.  Im  „  Schanzengewand B,  wo  während  der  Nörd- 
linger  Schlacht  die  kaiserlichen  und  bayerischen  Völker  standen,  erreicht 
das  Schönefeld  516  m.  Eine  bis  493  m  absinkende  Einbiegung  des 
Terrains  liegt  zwischen  dem  Schanzengewand  und  der  von  verwetterten 
Felsmassen  durchbrochenen  rasigen  Plateauhöhe  des  Kirchberges  (508  m) 
über  Schmähingen.  Er  fällt  jäh  zu  jenem  friedsam  gelegenen  Ries- 
dorfe  60  m  hoch  ab.  Jenseits  des  Schmähinger  Thals  erhebt  sich  als- 
dann noch,  ähnlich  vereinzelt  wie  der  Rotenberg  zwischen  Schmähingen 
und  Balgheim,  die  aus  Weißjurabreccien  und  braunem  Jura  bestehende 
Flachkuppe  „am  Birkletf  zu  476  m,  deren  Südflanke  sich  allmählich  zum 
Wiesengrunde  des  Forellenbaches  abdacht. 

e)  Der  Holheim-Schmähinge r  Höhenzug. 

Die  breitundulierte  Hochfläche  des  Schönefelds  vermittelt  sowohl 
geologisch  als  orographisch  den  Uebergang  zu  einer  rückenförmigen 
Erhebung  des  Rieses,  welche  mit  dem  Nördlinger  Höhenzug  annähernd 
parallel  streicht  und  nur  durch  den  südlichen  Teil  der  von  Deffner 
konstruierten  sogen.  Sighart-Hürnheimer  Achse  vom  westlichen  Ries- 
rande getrennt  ist.  Auch  sie  ist  nach  allen  Seiten  von  ihrer  Umgebung 
deutlich  losgelöst.  Ihre  West-  und  Südwestgrenze  wird  durch  das 
Thal  des  Rezen-  und  jenes  seichten  Zuflusses  des  Rohrbaches  gebildet, 
der  zwischen  Reitersbuck  und  Altenbürg  entquillt  und  bei  [Jtzmemmingen 
mündet.  Im  Nordosten  liegt  derselben  das  Flachgebiet  von  Holheim 
bis  über  Kleinerdlingen  vor.  Ihr  Nordende  markiert  das  Hohlbüchele 
bei  Utzmemmingen,  ihren  Südrand  die  schon  erwähnte  Höhe  „am  Birkle* 
bei  Schmähingen. 

Nach  Gesteinsbeschaffenheit  und  Oberflächenform  ist  dieser  Hol- 
heim-Schmähinger  Höhenzug  ungleich  mehr  der  Umrahmung  unserer 
Landschaft,  als  den  Erhebungen  im  Süden  von  Nördlingen  verwandt. 
Er  zeigt  bereits  die  ganze  geologische  Buntheit  der  ersteren.  Alt- 
krystallinische  Gesteine  umsäumen  nur  seinen  Südrand.  Seine  beträcht- 
licheren Höhen  bauen  sich  alle  aus  dem  plumpen  Felsenkalk  des  weißen 
Juras  auf.  Daneben  erscheinen  im  mittleren  Drittel  des  Zuges  haupt- 
sächlich noch  Schwammkalk  (Stufe  des  Ammonites  tenuilobatus  und 
pseudomutabilis)  und  die  jungtertiären  Süsswasserablagerungen  des 
Rieses. 


248  Christian  Gruber,  [62 

In  der  Gesamtlänge  mißt  dieser  Höhenzug  6,25  km,  in  der  mitt- 
leren Breite  1,2  km.  Seine  durchschnittliche  relative  Höhe  kann  zu 
30  m  veranschlagt  werden.  Die  Profilierung  der  Erhebung  ist  noch 
einfacher,  als  jene  des  Schönefelds.  Sie  erscheint  als  ein  höchst  wahr- 
scheinlich durch  tektonische  Ursachen  losgelöstes  Plateaustück  des 
Schwabenjuras,  das  im  Himmelreich  und  im  Lindle  je  532,  im  Albuch 
535  m  erreicht.  Doch  wird  die  Monotonie  der  Formen  teilweise  durch 
Wald  verhüllt,  wie  am  Lindle  zwischen  Holheim  und  Ederheim  und 
am  Häselberg,  teilweise  durch  schroff  niederbrechende  Hänge,  die  jähen, 
bräunlich  in  die  Ferne  leuchtenden  Wände  und  das  höckerige  Haufen- 
werk der  Steinbrüche,  sowie  ausgedehnte,  oft  schrattenartig  verwetterte 
Felspartieen  ferngehalten.  Letztere  begegnen  vor  allem  im  nördlichen, 
landschaftlich  wechselreichsten  Drittel  der  Erhebung:  am  Scheitel  und 
den  Flanken  des  Himmelreichs  und  am  Ostabfall  des  Lindle: 
Höhen,  welche  durch  den  Straßenzug  Nördlingen-Neresheim-Ulm  aus- 
einandergehalten werden,  gemeinsam  mit  der  Ederheimer  Thalung  und 
der  dahinter  aufsteigenden  waldernsten  Riesumrahmung  einige  unzwei- 
deutige Züge  aus  dem  Antlitz  der  deutschen  Mittelgebirge  an  sich 
tragen  und,  ähnlich  wie  auch  diese  vielfach,  eine  weite  Rundschau 
übers  nördliche  Ries  und  hinaus  bis  zu  der  kunstlos  aufgebauten  Ge- 
stalt des  Hesseibergs  bei  Wassertrüdingen  gewähren.  Dem  mittleren 
Drittel  des  Höhenzuges  gehören  der  weit  auseinandergezogene,  baum- 
lose Lachberg,  sowie  der  rückenartig  verschmälerte,  überaus  steil- 
randige  Häselberg  zu.  Im  Süden  aber  schließt  jener  mit  dem 
kastenförmigen  Plateaustück  des  Albuchs. 

Ehe  wir  des  letzteren  und  seiner  Umgebung  ausführlicher  ge- 
denken, soll  daran  erinnert  sein,  daß  dem  Holheim-Schmähinger  Höhen- 
zug die  ausgedehnteste  Höhle  des  Rieses  zukommt,  die  Ofnet. 
Mit  ihr  können  sich  an  Größe  der  Auswölbung  und  Bedeutung  für 
die  uralte  Besiedelungsgeschichte  der  Landschaft  weder  die  einfache 
Grotte  desHohlensteinsam  Riesrand  über  der  Ederheimer  Thalmühle, 
noch  das  kaum  erwähnenswerte,  großenteils  zugestopfte  Weifiloch  in 
der  Nähe  von  Ursheim  oder  die  geringen  Höhlungen  am  Wallerstein 
messen.  Mit  allem  Grund  wird  in  den  Begleitworten  zu  den  geognosti- 
schen  Atlasblättern  Bopfingen  und  Ellenberg  behauptet:  „Kaum  wird 
es  ein  zweites  Höhlenpaar  geben  auf  der  ganzen  höhlenreichen  Schwäbi- 
schen und  Fränkischen  Alb,  so  klar  bloßgelegt,  so  sicher  ausgebeutet 
und  »so  leicht  verständlich  als  gesicherter  Wohn-  und  Schutzplatz,  durch 
einen  Felsklotz  verschließbar  und  doch  noch  durch  einen  seitlichen 
Schlupf  erreichbar.  Im  fetten  Lehmgries  selber  aber  lag  gemengt  mit 
Asche  und  Kohle,  was  in  erster  Linie  der  Mensch  und  in  zweiter  die 
Hyäne  übrig  ließ:  zernagtes  und  zerbissenes  Gebein,  Zähne  in  zahl- 
loser Menge,  Tausende  von  Feuersteinsplittern,  seltener  zugeschärfte 
Geweihstücke  und  Knochen  neben  verschiedenen  Zwecken  dienenden 
Gegenständen,  z.  B.  Farben,  abgeriebenen  Belemniten,  Mühlsteinen, 
Kugelsteinen  u.  dgl.a 

Die  grottenartige  Höhlung  der  Ofnet  liegt  noch  innerhalb  des 
bayerischen  Rieses  in  jener  grauverwetterten  und  zerklüfteten  Steinmasse 
aus  plumpem  Felsen-  oder  Marmorkalk,  welche  die  Westflanke  des  Himmel- 


61]  Das  Ries.  Eine  geographisch- volkswirtschaftliche  Studie.  247 

aufgebaut  als  jene,  wie  denn  überhaupt  mit  der  Annäherung  an  den 
Riesrand  auch  die  Gesteinsbeschaffenheit  der  Höhen  vielseitiger  wird. 
Neben  mächtigen  Auflagerungen  von  Süßwasserkalk,  die  oberhalb  Reim- 
lingens  ähnlich  wie  am  Goldberg  in  großen  Mengen  gebrochen  werden, 
nehmen  der  Breccienkalk  des  weißen  Juras,  streifenweise  vulkanischer 
Tuff,  sowie  das  bunte  Konglomerat  des  Rieses  an  der  Zusammensetzung 
dieser  Erhebung  Anteil.  Auch  das  Fundament  aus  Urgestein  tritt  hier 
deutlich  zu  Tage. 

Das  Schönefeld  bricht  nach  allen  Seiten  ziemlich  steil  nieder;  am 
geringsten  freilich  gegen  Norden  bei  Herkheim,  am  schroffsten  dagegen 
nach  Osten  hin  gegen  Reimlingen  und  Schmähingen.  Wie  dem  Galgen- 
und  Stoffelberg  mangelt  auch  seinem  Scheitel  der  Schmuck  einiger 
Waldparzellen  nicht.  Im  „ Schanzengewand",  wo  während  der  Nörd- 
linger  Schlacht  die  kaiserlichen  und  bayerischen  Völker  standen,  erreicht 
das  Schönefeld  516  m.  Eine  bis  493  m  absinkende  Einbiegung  des 
Terrains  liegt  zwischen  dem  Schanzengewand  und  der  von  verwetterten 
Felsmassen  durchbrochenen  rasigen  Plateauhöhe  des  Kirchberges  (508  m) 
über  Schmähingen.  Er  fällt  jäh  zu  jenem  friedsam  gelegenen  Ries- 
dorfe  60  m  hoch  ab.  Jenseits  des  Schmähinger  Thals  erhebt  sich  als- 
dann noch,  ähnlich  vereinzelt  wie  der  Rotenberg  zwischen  Schmähingen 
und  Balgheim,  die  aus  Weifijurabreccien  und  braunem  Jura  bestehende 
Flachkuppe  „am  Birkle*  zu  476  m,  deren  Südflanke  sich  allmählich  zum 
Wiesengrunde  des  Forellenbaches  abdacht. 

e)  Der  Holheim-Schmähinger  Höhenzug. 

Die  breitundulierte  Hochfläche  des  Schönefelds  vermittelt  sowohl 
geologisch  als  orographisch  den  Uebergang  zu  einer  rückenförmigen 
Erhebung  des  Rieses,  welche  mit  dem  Nördlinger  Höhenzug  annähernd 
parallel  streicht  und  nur  durch  den  südlichen  Teil  der  von  Deffner 
konstruierten  sogen.  Sighart-Hürnheimer  Achse  vom  westlichen  Ries- 
rande getrennt  ist.  Auch  sie  ist  nach  allen  Seiten  von  ihrer  Umgebung 
deutlich  losgelöst.  Ihre  West-  und  Südwestgrenze  wird  durch  das 
Thal  des  Rezen-  und  jenes  seichten  Zuflusses  des  Rohrbaches  gebildet, 
der  zwischen  Reitersbuck  und  Altenbürg  entquillt  und  bei  Utzmemmingen 
mündet.  Im  Nordosten  liegt  derselben  das  Flachgebiet  von  Holheim 
bis  über  Kleinerdlingen  vor.  Ihr  Nordende  markiert  das  Hohlbüchele 
bei  Utzmemmingen,  ihren  Südrand  die  schon  erwähnte  Höhe  „am  Birkle" 
bei  Schmähingen. 

Nach  Gesteinsbeschaffenheit  und  Oberflächenform  ist  dieser  Hol- 
heim-Schmähinger Höhenzug  ungleich  mehr  der  Umrahmung  unserer 
Landschaft,  als  den  Erhebungen  im  Süden  von  Nördlingen  verwandt. 
Er  zeigt  bereits  die  ganze  geologische  Buntheit  der  ersteren.  Alt- 
krystallinische  Gesteine  umsäumen  nur  seinen  Südrand.  Seine  beträcht- 
licheren Höhen  bauen  sich  alle  aus  dem  plumpen  Felsenkalk  des  weißen 
Juras  auf.  Daneben  erscheinen  im  mittleren  Drittel  des  Zuges  haupt- 
sächlich noch  Schwammkalk  (Stufe  des  Ammonites  tenuilobatus  und 
pseudomutabilis)  und  die  jungtertiären  Süsswasserablagerungen  des 
Rieses. 


250  Christian  Gruber,  [64 

reichs  landschaftlich  auszeichnet.  Den  Eingang  zur  Höhle  markiert  nunmehr 
eine  kleine,  mit  Schwarzhollunder  bestandene  Schutthalde.  Er  konnte 
einst  durch  gewaltige,  noch  vorhandene  Steinblöcke  verschlossen  werden. 
Man  betritt  die  Ofnet  durch  eine  mehr  als  4  m  hohe  und  2  */*  m  lange 
Vorhalle.  Ihr  Gestein  zeigt  einen  Belag  von  dunkeln  und  moosgrünen 
Flechten.  An  der  Deckenwölbung  findet  sich  zur  Rechten  des  Ein- 
tretenden eine  nischenförmige  Vertiefung.  Nach  links  aber  zieht  ein 
niedriger,  ungefähr  5  m  langer  und  schuttiger  Seitengang. 

Die  eigentliche,  nach  Süden  leicht  abgebogene  Höhle  zerfallt  in 
einen  vorderen  und  inneren  Raum.  Jener  ist  an  der  ausgedehntesten 
Stelle  ungefähr  9  m  breit,  jedoch  nur  1,6  bis  wenig  über  2  m  hoch. 
Das  Deckengewölbe  zeigt  unansehnliche  Nischenbildungen  ohne  Tropf- 
steinansätze. Seine  Felsen  hängen  stellenweise  koulissenförmig  nieder; 
sie  schwitzen  wenig  Wasser  aus  und  auch  auf  ihnen  wuchern  allenthalben 
lichtere  und  dunklere  Flechten.  Das  innere  Stück  der  Ofnet  hat  die 
Gestalt  einer  domartigen,  etwa  10  m  hohen  Grotte  mit  massig  ge- 
wulsteter  Decke  aus  lichtgrauem  Kalk  und  einer  kaminartig  verengten, 
rundlichen  Spalte  an  der  Felswand  des  Hintergrundes.  Von  diesem  aus 
führt  ein  etwa  1  m  höher  als  der  Höhlenboden  gelegener  Gang  von  10  m 
Länge ,  2 — 4  m  Breite  und  2  */*  m  durchschnittlicher  Höhe  wiederum 
hinaus  zur  Außenseite  der  Felspartie  des  Himmelreichs  und  zu  jener 
Oeffnung  der  Kalkwände,  die  einen  zweiten  kleineren  Eingang  in  die 
Ofnet  darstellt  und  offenbar  als  Schlupfloch  benutzt  wurde,  wenn  der 
untere  eigentliche  Zugang  zur  Höhle  abgeschlossen  war  und  nicht  ge- 
öffnet werden  sollte. 

Oskar  Fraas  hat  vor  einem  Vierteljahrhundert  die  Bodenschichten 
der  Ofnet  nach  prähistorischen  Resten  durchforscht.  Die  Grabungen 
im  feuchten,  gelben  Lehm,  mit  welchem  die  Höhle  ausgiebig  belegt 
ist,  haben  eine  geringe  Mühe  unverhofft  reich  belohnt.  Treulich  hat 
jener  die  Lebensspuren  aus  einer  Zeit  bewahrt,  „die  wohl  noch  vor  der 
Glazialperiode  liegt,  einer  Zeit,  wo  Mammut,  Nashorn,  Scheich  (Moor- 
hirsch) und  Wisent  in  den  Riessümpfen  hausten,  das  wilde  Pferd,  der 
Esel  und  das  Ren  auf  den  grasumhüllten  Höhen  der  Riesumrahmung 
weideten  und  die  Höhlenhyäne,  der  Höhlenbär  und  der  Wolf  in  den 
Klüften  und  Grotten  der  Jurafelsen  Unterschlupf  fanden.  Und  sie  alle 
wurden  die  Jagdbeute  des  ärmlich  ausgestatteten  Menschen,  der  gleich- 
falls in  Höhlen  sich  barg,  aus  denen  er  oft  erst  die  Hyänen  zu  ver- 
treiben hatte.  Im  harten  Kampfe  um  Leben  und  Nahrung  führte  er 
keine  anderen  Waffen,  als  die  mit  der  Feuersteinlamelle  zugespitzte 
Lanze,  die  Holzkeule  und  den  Totschläger:  faustgroße  Geschiebe  aus 
dem  Jura  in  eine  Haut  eingenäht.  Später  dann,  als  der  Mensch  auf 
die  Höhen  der  Inselberge  und  in  die  Niederungen  an  Wörnitz  und 
Eger  zog,  lagen  Menschen-  und  Tierreste  friedlich  bei  einander  im 
Höhlenlehm  und  zwar  ungestört  durch  Wühlarbeiten  zwischen  Aschen- 
schichten und  Kohlenmulm. " 

Von  Menschenresten  hat  Fraas  nur  die  zerschmetterten  Schädel  von 
3  Individuen  gefunden.  Aber  er  grub  nicht  weniger  als  270  Feuer- 
steinmesser aus,  darunter  150  sehr  wohl  erhaltene,  abgespaltete  Stücke 
bis  zu  12  m  Länge,  jetzt  eine  Zierde  des  Stuttgarter  Naturalienkabinetts. 


<J5]  Dfts  Ries.  Eine  geographisch- volkswirtschaftliche  Studie.  251 

Von  den  Tierknochen  trifft  die  Mehrzahl  auf  das  Pferd  (64°/o),  von 
welchem  allein  1530  Zähne  gefunden  wurden,  sodann  auf  die  Höhlen- 
hyäne (ll°/o)  und  das  Nashorn  (6,8  °/o),  den  Bären  und  Riesenhirsch 
(je  2°/o),  sowie  auf  das  Mammut  und  Wisent  (1,7  bezw.  1,6  °/o).  Da- 
gegen sind  Ueberbleibsel  von  Wolf,  ür,  Esel,  Ren  und  Schwein  nur 
in  Spuren  erhalten  (je  0,2  °/o).  Außerdem  fand  Kustos  Munk  aus  Augs- 
burg neuerdings  noch  2  Oberkieferzahnfragmente  des  Höhlenlöwen, 
die  Herr  Kreismedizinalrat  Dr.  Roger  bestimmte. 

Aber  welch  harmlosem  Getier  dient  jener  alte  Hyänenhorst  gegen- 
wärtig! An  seiner  Wölbung  hängen  schlaftrunkene  Fledermäuse,  und 
Schafherden  oder  vereinzelte  kranke  Tiere  aus  ihnen  suchen  hier  Schutz 
bei  Sturm  und  Regenschauer. 

Etwa  10  m  höher  als  die  Ofnet  und  kaum  15  m  von  ihr  ent- 
fernt befindet  sich  eine  zweite,  ungleich  einfachere  und  kleinere  Höhle 
von  der  Form  einer  geräumigen  Nische.  Sie  ist  ungefähr  5  m  tief, 
3  m  hoch,  4  m  breit  und  besitzt  eine  derbwulstige  Decke.  Auch  an 
anderen  Stellen  zeigen  sich  in  den  Felsen  des  Himmelreichs  flache 
Eintief ungen :  Gebilde  chemischer  Erosion  im  klüftereichen  und  sehr 
ungleich  harten  Jurakalk. 

Wie  erwähnt,  endet  der  Holheim-Schmähinger  Höhenzug  im  Süden 
mit  dem  Albuch.  Er  steht  jedoch  nur  gegen  Westen  durch  den 
Häselberg  mit  ihm  in  einem  unmittelbaren  Zusammenhang;  auf  allen 
übrigen  Seiten  ist  er  deutlich  isoliert.  Am  jähesten  stürzt  der  Berg 
nach  Norden  ab,  weniger  steil  nach  Osten  und  Süden.  Dagegen  wurden 
an  diesen  Seiten  vom  Wasser  einzelne  beträchtliche  Runzeln  in  seinen 
Körper  genagt,  deren  letzte  Ausläufer  fast  bis  hinauf  zur  Gipfelfläche 
ziehen.  Auf  Schmähingen  und  das  Schönefeld  zu  zeigen  die  Hänge 
mehrfach  Reste  alter  Brustwehren  in  Form  deutlicher  Terrainstufen. 
Die  Flanken  des  Albuchs  sind  zum  Teil  Hut-,  zum  Teil  Ackerland. 
Kartoffel-,  Klee-,  Flachs-  und  Wickenfelder  finden  sich  noch  unmittel- 
bar am  Scheitel  der  Höhe.  An  500  m  breit,  hebt  sich  die  letztere  als 
sanftwellige  Aufwölbung  von  der  Hauptmasse  des  Berges  ab.  Dort 
steht,  von  niedrig  über  den  Rasen  herausschauenden,  bleichen  Weiß- 
jurafelsen und  struppigem  Wachholder  umsäumt,  das  Denkmal  zur  Er- 
innerung an  das  letzte  blutige  Ringen  in  der  Schlacht  bei  Nördlingen, 
eine  vierkantige  abgestumpfte  Pyramide  mit  quadratischem  Sockel  und 
der  Aufschrift  auf  einer  Metallplatte:  „Auf  dieser  Höhe  ward  am 
6.  Dezember  1634  die  denkwürdige  und  folgenreiche  Schlacht  bei  Nörd- 
lingen entschieden/ 

In  Wirklichkeit  war  der  Holheim-Schmähinger  Höhenzug  in  seiner 
ganzen  Erstreckung  vom  Himmelreich  und  Lindle  an  bis  zum  Albuch 
und  Schönefeld  Schauplatz  des  Kampfes,  über  welchen  vor  allem  Oskar 
Fraas  in  seinem  Schriftchen  „Die  Nördlinger  Schlacht"  (Nördlingen  1869) 
und  ferner  A.  Steichele  („Das  Bistum  Augsburg**,  3.  Bd.,  S.  1041  ff.) 
und  G.  Droysen  („Biographie  Herzog  Bernhards  von  Weimar**,  Leip- 
zig 1885)  eingehend  geschrieben  haben. 

Es  ist  in  diesem  Zusammenhange  nicht  gerechtfertigt,  den  Ver- 
lauf jener  rein  geschichtlichen  Begebenheit  zu  verfolgen.  Wir  senden 
vielmehr  von  ihrem  Denkmal  weg  den  Blick  hinaus  zum  Südrande  des 

Forschungen  zur  deutschen  Landes-  und  Volkskunde.    XII.    3.  17 


252  Christian  Gruber,  [66 

Rieses,  dessen  landschaftliche  Eigenart  in  aller  Anmut  und  Herbheit 
gerade  von  hier  aus  besonders  klar  sich  aufthut. 

Nur  um  Bopfingen  ist  die  Umrahmung  unserer  Landschaft  ähn- 
lich stark  gegliedert.  Wie  sie  dort  durch  den  breiten  Wiesengrund 
der  Egerthalung  geöffnet  wird,  so  hier  durch  den  schmäleren  Einriß 
des  Karthäuserthaies.  Auch  stumpfe,  vielfach  trocken  liegende  Sack- 
thäler  mangeln  nicht,  welche  gleich  kürzeren  oder  längeren  Verzwei- 
gungen von  der  Hauptfurche  ausgehen  und  die  waldigen  Hochflächen 
zerspalten.  Und  so  ernst,  enge  und  weltabgeschieden  vor  allem  das 
Karthäuserthal  im  eigentlichen  Sinn  von  Christgarten  aufwärts  erscheint, 
so  freundlich  breit  und  eindrucksvoll  thut  sich  die  mattenbelegte  Rinne 
des  Retzenbaches  von  der  Thalmühle  weg  auf,  eine  klare  tektonische 
und  orographische  Grenzlinie  zwischen  dem  Holheim- Schmähinger  Höhen- 
zug und  dem  Riesrand. 

Indessen  sind  die  Bergformen  hier  weniger  abwechslungsreich  als 
an  der  Eger  bei  Bopfingen  und  damit  die  Konturen  der  Landschaft 
einseitiger.  Derartig  modellierte  Höhen  wie  Flochberg  und  Ipf  sucht 
man  vergebens.  Allenthalben  drängt  sich  der  Eindruck  auf,  daß  hier 
nur  die  Erosion  reliefbildend  war,  daß  man  eben  doch  nur  einen 
durch  fließendes  Wasser  mehrfach  zerteilten  Plateaukörper  vor  sich  hat. 
Das  erweisen  der  schroff  niederbrechende  Gänsen berg  mit  seinen  beiden 
kaum  nennenswerten  Aufwölbungen  (539  m),  die  gleich  jenem  wald- 
bestandene, auffallend  regelmäßige  Doppelkuppe  des  Altenbühls  (521  m), 
der  langgedehnte  Linden-  und  der  massig  plumpe  Ochsenberg  um 
Nieder-  und  Hohenaltheim  ebenso,  wie  der  Jakobs-  und  der  auf  seiner 
Ostseite  undeutlich  abgetreppte  Kreuzberg  (475  m)  bei  Ziswingen,  sowie 
endlich  der  Kleine  Hühnerberg  (511  m)  mit  seiner  stark  abgeböschten 
Nordabdachung  östlich  von  Kleinsorheim.  Und  auch  die  Staffage  täuscht 
hierüber  nicht  weg,  welche  die  Trümmer  der  früheren  Burgen  des 
Edelgeschlechtes  von  Hürnheim  der  Landschaft  verleihen,  obschon  über 
ihnen  der  Glanz  einer  uralten,  vielbewegten  Vergangenheit,  der  mächtige 
Anreiz  des  Althistorischen  liegt:  Es  ist  das  auf  einem  jähen,  551  m 
hohen  Hang  im  Wald  auftauchende  Gemäuer  von  Hochhaus  und  jen- 
seits des  beginnenden  Karthäuserthals  dasjenige  von  Niederhaus  mit 
seinem  verwetterten  Turmbau,  welches  einst  über  einer  niedrigen,  bauni- 
freien  Erhebung  direkt  auf  blankem  Jurafels  errichtet  wurde. 

Auch  der  Rollerberg  (497  m)  bei  Hoppingen  ist  vom  Albuch  aus 
wohl  erkennbar :  jene  rasige,  vorwiegend  aus  Schwammkalk  bestehende 
Berghöhe  mit  ihrer  allmählich  verlaufenden  West-  und  schroff  zur 
Wörnitz  niedergehenden  Ostflanke,  über  deren  oberer  Hälfte  die  ver- 
wetterten Felsmassen  des  unteren  weißen  Juras  kammartig  ausgebrochen 
hervorschauen. 

Zwischen  dem  Rollerberg  und  der  ihm  gegenüber  liegenden  Wald- 
höhe „Auf  der  Burg*  (523  m)  endet  die  eigentliche  Rieslandschaft  und 
beginnt  das  Defil^  der  Wörnitz  durch  den  Jura.  26  km  lang  zieht  es  sich 
bis  unterhalb  Wörnitzstein  hin,  begleitet  von  derbprofilierten,  trift-  und 
feldreichen  Weißjurahöhen.  An  seiner  landschaftlich  hervortretendsten 
Stelle  liegt  bekanntlich  Harburg,  wo  sich  jähe,  klüftige  Felsmauern, 
gekrönt  von  einem  umfangreichen,  äußerlich  scheinbar  wenig  ruinösem 


67] 


Das  Ries.  Eine  geographisch-volkswirtschaftliche  Studie. 


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Christian  Gruber, 


[68 


Schloßbau,  schattendunkle  Waldh'änge  und  sonnenbeglänzte  Fruchtfelder 
und  Mattenhöhen  mit  der  dunkeln,  traumhaft  dahinschleichenden  Wörnitz 
und  einer  freundlich  über  der  schmalbemessenen  Thalsohle  ansteigenden 
Siedelung  zu  einem  Bilde  einen,  wie  es  an  den  bayerischen  Flüssen 
nicht  allzuoft  wiederkehrt. 

So  unscheinbar  der  Eintritt  der  Wörnitz  ins  Ries  bei  Hainsfarth 
erfolgt,  wo  sich  ihr  mit  Ackerland,  Wiesen  und  einem  Flecken  Wald 
belegter  westlicher  Uferhang  niedrig  und  mählich  herabbeugt,  während 

Fig.  5. 


Alerheimer  Schloßberg  mit  Ruine. 

H(li  auf  der  Ostseite  der  Kirchenberg  zwar  steiler,  aber  vielfach  schmal 
gestuft  und  zwischen  den  Feldern  mit  Bruchstücken  von  Heckenzäunen 
versehen  emporwölbt  —  so  auffallend  und  markant  gestaltet  sich  ihr 
Austritt  aus  unserer  Landschaft,  welche  unbestritten  den  bedeutsamsten 
und  eigenartigsten  Thalabschnitt  während  ihres  ganzen  Laufes  von  der 
Frankenhöhe  zur  Donau  darstellt. 


f)  Die  Inselberge   zwischen   unterster  Eger  und  Wörnitz. 

Während  den  südlichen  Teil  des  Westrieses  zwei  rückenförmig 
ausgestreckte  Höhenzüge  erfüllen,  zwischen  denen  das  Schönefeld  eine 
breite  Verbindung  herstellt,  erhält  das  zentrale  Stück  unserer  Land- 
schaft an  der  untersten  Eger  und  der  Wörnitz  seine  Skulptur  durch 
fünf  typische  Inselberge.  Dieses  auffallende  Relief  findet  seine  Er- 
klärung einerseits  in  dem  lückenhaften  Auftauchen  der  krystallinischen 


67] 


Das  Ries.  Eine  geographisch-volkswirtschaftliche  Studie. 


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256  Christian  Gruber,  [70 

Gesteine,  an  welche,  ähnlich  wie  am  Wallerstein  auch,  die  Sprudel- 
kalkaufsätze der  Lierheimer  Höhe,  des  Lierheimer  Hahnenbergs,  Aler- 
heimer  Schloßbergs  und  Wennenbergs  gebunden  erscheinen,  anderer- 
seits in  der  starken  Denudation,  die  im  Gebiet  der  Vereinigung  von 
Wörnitz  und  Eger  besonders  intensiv  wirken  konnte.  Sie  trug  auch 
offenbar  die  Hülle  von  jüngerem  Süßwasserkalk  ab,  welche  einst  den 
schmalen  granitischen  Streifen  überdeckte,  der  vom  Spitzberg  aus  in 
nördlicher  Richtung  bis  zur  Wörnitz  bei  der  Wennenmühle  zieht.  Die 
Höhe  von  Lierheim  ist  weniger  von  orographischer  als  geologischer 
Bedeutung  wegen  des  Vorkommens  von  Lithionitgranit  und  der  un- 
mittelbar  daran   anstehenden  bunten  Reibungsbreccie  des  Rieses.     Die 

Fig.  7. 


Eingang  ins  Ries  von  Süden  her  und  Rollerberg. 

473  m  hohe  Heroldinger  Kuppe  aber  steht  im  Bereich  des  Schwamm- 
kalks und  ihr  mangelt  das  Fundament  aus  Urgestein.  Die  übrigen 
Aufragungen  dagegen  bilden  kleine  Bergindividuen  oder  doch  Hügel- 
gestalten für  sich  und  besitzen  eine  übereinstimmende  geognostische 
Struktur. 

Der  Hahnenberg  erhebt  sich  so  hart  an  der  untersten  Eger 
(408  m) ,  daß  ihre  Wellen  die  Süd-  und  Westseite  seines  Fußes  be- 
spülen und  dort  einen  wandartigen  Abbruch  erodiert  haben.  Trotz- 
dem er  bis  466  m  aufstrebt,  bildet  er  doch  nur  eine  unscheinbare  Flach- 
kuppe, vor  deren  breitverwaschenen  Flanken  die  relative  Erhebung 
zurücktreten  muß.  Sein  Scheitel  hat  die  Form  einer  niedrigen  Schild- 
wölbung; er  ist  ungefähr  200  m  lang  und  100  m  breit.  Am  Stidwest- 
rande  desselben  steht  eine  kleine  Felspartie  an,  stark  verwettert  und 
von   hohem  Gras    um  wuchert.     Fast    der    ganze  Berg   ist   Fruchtland; 


71] 


Das  Ries.   Eine  geographisch-volkswirtschaftliche  Studie. 


257 


doch  ist  allenthalben  der  Boden  mit  den  Trümmern  von  Süß  wasserkalk 
dicht  überstreut.  Gen  Westen  sind  die  Flanken  des  Hahnenbergs  deut- 
lich vierfach  abgetreppt.  Auch  auf  den  dem  Spitzberg  und  der  Schloß- 
ruine Alerheim  zugewandten  Seiten  findet  sich  hart  unter  der  Gipfel- 
höhe je  eine  offenbar  durch  Menschenhand  hergestellte  Doppelstufe. 
Die  obere  von  ihnen  mißt  80  m  in  der  Länge ,  und  ihre  größte  Höhe 
beträgt  2  m;  die  untere  umschließt  reifähnlich  fast  den  gesamten 
Inselberg  und  ist  im  Mittel  3  m  hoch.  Zwischen  beiden  schiebt  sich 
eine  an  der  geräumigsten  Stelle  7 — 8  m  breite,  platte  Fläche  ein. 

Von   dem  ihm  östlich  benachbarten  Spitzberg  ist  der  Hahnen- 
berg durch  eine  Einsattelung  geschieden,  welche  bis  433  m  herabreicht. 

Fig.  8. 


Harburg  an  der  Wörnitz. 

Ueber  sie  erhebt  sich  sonach  der  Spitzberg,  dem  495  m  Seehöhe  zu- 
kommen, ebenso  hoch,  als  der  Hahnenberg  über  den  Egerspiegel.  In 
seinem  Aussehen  erinnert  jener  deutlich  an  die  beiden  südlichsten  Er- 
hebungen im  Nördlinger  Höhenzug.  Auch  er  ist  nur  eine  Bergruine, 
und  auch  sein  besonders  nach  Süden  und  Osten  stark  abgegrabener 
Gipfel  stellt  bloß  ein  Fragment  der  ursprünglichen  Erhebung  dar. 
Selbst  am  Adlerberg  haben  Pickel  und  Schaufel  der  Steinbrecher  kein 
so  auffallend  höckeriges  Gehänge  erzeugt,  dem  Antlitz  des  Berges  kein 
so  gleichsam  pockennarbiges  Aussehen  gegeben,  als  hier  am  Spitzberg. 
1,2  km  vom  Spitzberg  entfernt  steigt  der  Alerheimer  Schloß- 
berg bis  457  m  auf.  Genau  in  der  Mitte  zwischen  Hahnenberg  und 
Wennenberg  und  in  gleicher  Flucht  mit  ihnen  von  Nord-Nordost  nach 
Süd-Südwest  gelegen,   ist  er  nichts  weiter  als  ein  massiger  Block  aus 


258  Christian  Gruber,  [72 

jüngerem  Süßwasserkalk  auf  einem  sanft  abgeböschten  granitenen  Sockel. 
So  formlos  plump  er  aber  auch  als  Hügelgestalt  erscheint  und  so 
wenig  er  an  relativer  Höhe  mißt  und  orographisch  bedeutet,  so  deut- 
lich hebt  sich  derselbe  mit  seiner  Burgruine  aus  dem  wenig  bewegten 
Flachgebiete  zwischen  Wörnitz  und  Eger  ab  und  so  willkommen  ist 
er  mit  seinem  Getrümmer  als  architektonische  Staffage  neben  den 
schmucklos  breitgezogenen  und  unverhüllten  Höhen  seiner  Nachbarschaft. 
Die  untere  Hälfte  desselben  erhebt  sich,  wie  bei  allen  Höhen  des 
Rieses,  nur  allmählich  und  dient  als  sehr  ertragfähiges  Ackerland  bis 
hart  an  die  Ueberreste  der  Umfassungsmauer  des  einstigen  Schlosses. 
Trotzdem  letztere  vielfach  zerfallen  und  zerstückelt  ist,  bildet  sie  doch 

Fig.  9. 


Wörnitzstein  am  Ausgang  des  Wörnitzdurchbruches. 

das  am  besten  erhaltene  Fragment  der  Ruine:  gegen  Süden  und  Süd- 
westen noch  zinnengezackt,  gegen  Osten  mit  dem  hoch  und  breit  ge- 
wölbten Doppelthor  aus  regelrecht  gefügtem,  vulkanischen  Tuff,  zwei 
turmähnlichen  Vorbauten  mit  Schießscharten  und  dem  etwa  6  m  tiefen, 
nunmehr  mit  Obstbäumen  bestandenen  Burggraben,  gegen  Norden  auf 
Alerheim  hin  aber  mit  einer  fast  quadratischen  Bastion.  Nur  an  zwei 
Stellen  ist  die  Umfassungsmauer  so  tief  herab  zerbrochen  worden,  daß 
man  von  außen  her  ungehindert  über  sie  hinwegschreiten  kann.  Zwi- 
schen ihr  und  den  Mauerresten  der  Burg  verläuft  rundum  ein  Streifen 
Ackerland,  stellenweise  mit  Kirschbäumen  besäumt.  Den  jähen  Kalk- 
felsen des  Burghügels  selbst  aber,  der  hellgrau  bis  goldbraun  gefärbt, 
mehrmals  in  seiner  ganzen  Höhe  zerspalten  und  vor  allem  gegen  Süden 
deutlich  aufgeschlossen  ist,  überzieht  eine  dichte  Grasnarbe,  hier  und 
dort  von  Fliederbüschen  überdeckt.  Die  oft  über  2  m  dicken,  vorwiegend 
aus  Tuff  und  Stißwasserkalksteinen  errichteten  Trümmer  der  früheren 
Burgbauten  lehnen  sich  unmittelbar  an  den  gewachsenen  Felsen.  Sie 
sind  auf  der  Thorseite,  also  nach  Osten  hin,  am  unversehrtesten. 
Dort  hat  man  auch  mit  Benutzung  der  alten  Umfassungsmauer  kleinere 


73]  Das  Ries-  Ein©  geographisch-volkswirtschaftliche  Studie.  259 

Oekonomiegebäude  aus  ihnen  hergestellt.  Wie  beherrschend  und 
keck  sich  die  schon  1634  von  kaiserlichen  Völkern  niedergebrannte 
Feste  über  das  Ries  erhob,  beweist  der  „Prospekt  von  dem  ehe- 
maligen Schloß  Allerheim  im  Ries.  Oder:  Genauer  Abriß,  wie  diese 
Burg  vor  ihrer  Zerstörung  ausgesehen/  Oettingen,  Lose  1758.  (Die 
Ansicht  des  Schlosses  ist  einem  Dokument  aus  der  ersten  Hälfte  des 
17.  Jahrhunderts  nachgestochen).  Heute  aber  steht  ihr  rauhes,  zer- 
bröckelndes Mauerwerk  und  der  düstere  Thorbogen  in  einem  merk- 
würdigen Gegensatze  zu  dem  wohnlichen  Bauerhaus  innerhalb  des  alten 
Burgfriedens,  an  dessen  weißgetünchten  Wänden  und  grünen  Fenster- 
läden Spalierbäume  lustig  ranken,  und  auch  zu  den  wenigen  Gebäuden 
jenseits  des  Burggrabens. 

Wer  vom  Alerheimer  Burgberg  aus  der  nördlichsten  Höhe 
zwischen  Wörnitz  und  unterster  Eger  zuwandert,  durchschreitet  das 
Schlachtfeld  von  1645  seiner  ganzen  Breite  nach  und  berührt  das  lang- 
gezogene Dorf  Alerheim,  um  welches  damals  Ströme  von  Blut  sowohl 
auf  Seite  der  Franzosen,  als  auf  jener  der  Bayern  flössen.  Es  ist  das 
gleiche  niedrig  gewellte  Gelände,  wie  es  auch  nördlich  vom  Spitzberg 
und  östlich  der  Burgruine  Alerheim  entgegentritt;  nur  daß  sich  statt 
des  altkrystallinischen  Gesteins  Ueberbleibsel  von  Süßwasserkalk- 
ablagerungen unmittelbar  im  Osten  vom  Dorf  Alerheim  vorfinden.  Die 
außerordentlich  kräftige  Denudation  hat  also  auch  hier  alle  orographi- 
schen  Merkmale  verwischt,  welche  eine  gründlich  verschiedene  Gesteins- 
beschaffenheit dem  Bodenrelief  tausendfältig  anderwärts  aufgedrückt  hat. 

Auch  der  Wennenberg  ist  eine  stark  verwaschene  Berggestalt, 
die  sich  bis  470  m  aufreckt  und  am  höchsten  von  der  Wörnitz  aus 
erscheint,  über  deren  Wasserfläche  ihr  Gipfel  64  m  hoch  ansteigt. 
Die  Umrisse  des  Wennenbergs  erinnern  im  allgemeinen  an  diejenigen 
des  Lierheimer  Hahnenbergs.  Doch  liegt  jener  nicht  so  offen  da  wie 
dieser.  Seine  ungefähr  160  m  lange  und  etwa  100  m  breite,  von 
Süden  nach  Norden  leicht  ansteigende  Scheitelfläche  deckt  eine  Haube 
aus  Jungwald  und  an  der  Westflanke  der  Höhe  überschattet  eine  Baum- 
gruppe aus  Linden,  Roßkastanien  und  Pseudoakazien  einen  prächtig 
gelegenen  Bierkeller.  Weiterhin  ist  der  Wennenberg  überaus  deutlich 
gestuft.  Ihm  ist  nach  allen  Seiten  hin  ein  ausgeprägt  terrassiertes 
Profil  eigen,  das  Steingräberei  und  stellenweise  auch  alte  Verschanzungen 
hervorgerufen  haben.  Am  vielfachsten  ist  die  Abtreppung  der  Gehänge 
gegen  Norden,  wo  sich  5  Stufen  von  2,5 — 8  m  Höhe  und  15 — 18  m 
Breite  übereinander  aufbauen,  und  nach  der  Wörnitz  hin,  wo  sich  — 
den  sanft  verlaufenden  Bergfuss  außer  acht  gelassen  —  3  Treppen 
zeigen,  deren  Höhe  von  2 — 4  m  und  deren  Breite  zwischen  6  und  10  m 
schwankt.  Gegen  Südosten  wurde  in  den  tuffähnlichen,  mürben  Schichten 
des  Süßwasserkalks  eine  unauffällige  Höhlung  künstlich  ausgegraben. 
Besonders  kennzeichnend  für  den  mit  struppigen  Büschen  aus  Weiß-  und 
Schwarzdorn  viel  bestandenen  Wennenberg  ist  die  etwa  8  m  hohe  Steil- 
wand aus  Gneis  an  seiner  Nordflanke,  welche  das  Liegende  und  Hang- 
ende des  dunkeln,  kersantitähnlichen  Wennenbergits  ist. 


260  Christian  Gruber,  [74 

g)  Der  Goßheim-Bühler  Höhenzug. 

Wie  sich  die  Riesniederung  im  Osten  der  Wörnitz  durch  ihre 
Sandbedeckung  und  ihre  überaus  flache  Skulptur  von  dem  lößreichen 
und  stärker  modellierten  westlichen  Teile  augenfällig  unterscheidet,  so 
auch  durch  ihre  Armut  an  Höhenzügen.  Sie  besitzt  nur  einen  Er- 
hebungsstreifen, der  4  km  lang  von  Goßheim  bis  Bühl  streicht,  keine 
Aufschlüsse  aus  Urgestein  und  nur  geringfügige  Auflagerungen  von 
Süßwasserkalk  zeigt,  dagegen  nach  seiner  Gesteinsbeschaffenheit  eng 
dem  benachbarten  Riesrande  verwandt  ist.  In  seinem  östlichen  Stücke 
setzt  er  sich  aus  Breccienkalk  des  unteren  und  mittleren  Malms,  weiter 
nach  Westen  aus  vielfach  in  Steinbrüchen  abgebautem  Werkkalk  zu- 
sammen. Offenbar  hat  man  hier  einen,  wenn  auch  stark  ein- 
gesunkenen und  denudierten  Ueberrest  der  einstigen  Jura- 
decke über  dem  nunmehrigen  Ries  vor  sich. 

Auch  nach  seinem  Relief  zerfällt  der  Goßheim-Bühler  Höhenzug 
in  zwei  grundverschiedene  Hälften:  im  Osten  steigt  der  Lehmberg  an, 
im  Westen  aber  zieht  sich  eine  klippenartig  schmale  und  niedrige 
Bodenwelle  gegen  die  Wörnitzthalung  hin,  welcher  die  Hügel  des 
Bühler  Hühnerberges,  Leithenberges  und  Rotensteins  zugehören. 

Der  Lehmberg  besteht  aus  drei  größeren,  in  einem  rechten 
Winkel  angeordneten  und  über  ihre  Umgebung  rasch  aufsteigenden 
Kuppen.  Zwei  derselben  lagern  sich  in  der  Richtung  von  Ost  nach 
Westen  gegenüber,  die  dritte  und  höchste  steht  samt  einer  kleinen 
seitlichen  Aufwölbung  südlich  davon.  Sie  erreicht  478,7  m  und  mißt 
an  relativer  Höhe  über  der  Angermühle  bei  Huisheim  46,7  m;  der 
nordöstliche  Gipfel  bleibt  nur  um  2  m  hinter  ihr  zurück.  Die  Ver- 
bindung zwischen  den  einzelnen  Kuppen  stellt  ein  lebhaft  auf-  und 
niederwogender  Rücken  dar.  Er  sinkt  bis  464  m  herab  und  seine 
stärkste  Schartung  liegt  in  unmittelbarer  Höhe  der  größten  Erhebung. 

Auch  in  seinem  landschaftlichen  Aussehen  kennzeichnet  sich  der 
Lehmberg  als  jurassische  Höhe.  Im  Osten  und  Süden  besteht  er 
größtenteils  aus  offener  Trift  mit  kurzer  Rasennarbe ;  die  nach  Westen 
vorgeschobene  Kuppe  deckt  bis  hinauf  zum  Scheitel  Laubwald;  den 
Fuß  der  Höhe  indessen  umsäumt  Ackerland,  das  streifenweise  auch  den 
gesamten  Berghang  einnimmt. 

IV.   Abschnitt. 

Ein  Blick  auf  die  Gewässer  und  das  Pflanzenleben  des  Rieses. 

Der  Charakter  der  Riesdepression  als  beckenartige  Einsenkung 
innerhalb  des  Deutschen  Juras  spiegelt  sich  deutlich  in  den  hydro- 
graphischen Verhältnissen  wieder.  Sie  sind  in  der  Hauptsache 
von  der  topischen  Veranlagung  unserer  Landschaft  abhängig.  Bei  ihrer 
Ausgestaltung  haben  im  letzten  Grunde  sonach  tektonische  Ursachen 
ungleich  intensiver  eingewirkt  als  die  geognostische  Struktur  des  Ries- 
bodens, die  erosiven  Kräfte  und  die  Verschiedenheit  der  Niederschlags- 
menge längs  des  untersten  Wörnitzlaufes  zusammen. 


75]  Das  Ries.  Eine  geographisch-volkswirtschaftliche  Studie.  261 

Leider  entbehrt  man  für  das  Ries  länger  andauernde  und  zu- 
verlässige meteorologische  Aufzeichnungen.  Es  fehlt  dem  so  bedeut- 
samen Gebiete  heute  noch  eine  amtliche  Beobachtungsstation,  so  daß 
ich  mich  über  die  klimatischen  Zustände  desselben  überhaupt  aus- 
schweigen muß,  wenn  ich  nicht  ältere  Angaben  wiederholen  will,  was 
jedoch  nicht  in  meiner  Absicht  gelegen  ist. 

Nach  der  ombrometrisch- hydrographischen  Karte  von  Bayern 
(München,  1885)  ziehen  die  Kurven  für  700  und  800  mm  Nieder- 
schlag parallel  miteinander  durch  die  gesamte  Länge  des  Rieses.  Im 
Osten  liegt  das  Hinterland  des  letzteren  innerhalb  der  Isohyete  für  650, 
im  Westen  dagegen  zum  Teil  innerhalb  derjenigen  für  850  mm.  Doch 
wird  hierdurch  ebensowenig  eine  stärkere  Bewässerung  der  Rieshälfte 
rechts  von  der  Wörnitz  bedingt,  als  etwa  durch  ihre  Hülle  von  schwer- 
durchlässigem Lehm  und  Löß  im  Vergleich  zu  den  permeabeln  Sand- 
anhäufungen im  Osten  des  Gebietes. 

Die  Wasseradern  des  Rieses  verteilen  sich  nicht  ein- 
seitig, aber  auch  nicht  radiär,  wie  Gümbel  meint.  Dieses  ver- 
bietet schon  das  Relief  der  Niederung,  die  sich  durchaus  nicht  gleich- 
mäßig von  den  Rändern  her  gegen  die  Mitte  neigt  (s.  S.  235  [49]), 
sondern  innerhalb  deren  Bodenwellen  der  verschiedensten  Länge,  Höhe 
und  Richtung  auf  und  nieder  wogen. 

Die  Anordnung  der  Wasserläufe  ist  im  Ries  übrigens  die 
gleiche,  wie  im  gesamten  Einzugsgebiete  der  Wörnitz,  das 
sich  in  seinen  Konturen  mehr  den  südbayerischen  Alpenflüssen,  als  den 
Gewässern  Nordbayerns  verwandt  zeigt.  Aehnlich  wie  Hier-,  Lech- 
und  Isargebiet  zieht  es  lang  und  schmal  gegen  die  Donau  herab, 
während  die  Rednitz  z.  B.  eine  fast  zirkelrunde  Einzugsfläche  besitzt. 
Gleich  den  Isohyeten  verlaufen  auch  zweiB  ander  fließenden  Wassers 
nebeneinander  durch  das  Ries  von  Norden  nach  Süden,  der  Haupt- 
sammelkanal:  die  Wörnitz  und  ihr  wichtigster  Zufluß,  die  Mauch- 
Eger.  Die  obere  Hälfte  der  letzteren,  welche  östlich  und  nordöstlich 
gerichtet  ist,  bleibt  dabei  freilich  außer  Betracht.  Dadurch,  daß  die 
Eger  durch  die  Bodenschwelle  zwischen  Klosterzimmern  und  Holzkirchen 
gezwungen  ist,  nach  Süden  auszubiegen,  gewinnt  die  gleichmäßige  Be- 
wässerung der  Landschaft  wesentlich,  und  erst  am  Fuße  des  Roller- 
berges bei  der  Egermtihle  unfern  Heroldingen  erfolgt  die  Vereinigung 
der  Hauptadern  des  Rieses. 

Ihnen  kommen  nun  von  beiden  Seiten  her  eine  ansehnliche  Reihe 
von  Bächen  und  Gräben  zu,  welche  sämtlich  dem  Rahmen  oder  doch 
dem  Hinterlande  des  Rieses  entquellen,  also  aus  dem  Jura  stammen. 
Auch  sie  dokumentieren  die  Wasserfülle  der  angeschnittenen  kalkigen 
und  thonigen  Schichten  des  letzteren  stellenweise  in  nicht  geringerem 
Maße,  als  etwa  das  Thal  des  Möhrenbaches  bei  Treuchtlingen  oder  die 
Canons  der  Fränkischen  Schweiz.  Ihre  geographische  Bedeutung  beruht 
hauptsächlich  darin,  daß  sie  die  Gliederung  des  flachen  Rieses  erleich- 
tern ;  deshalb  wurden  auch  die  wichtigsten  derselben  bei  der  Betrachtung 
seiner  Bodenmodellierung  bereits  erwähnt. 

Die  Wörnitz  erhält  ihre  Zuflüsse,  wie  es  die  topischen  Verhältnisse 
fordern,  fast  ausschließlich  von  Osten  her.    Es  sind  Gänsgraben,  Fieber- 


262  Christian  Gruber,  [76 

graben,  Rohrach,  Dosbach  und  Schwalb  mit  Argeisbach.  Von  Westen 
her  empfängt  dieselbe  nur  den  Schaffhauser  Graben,  Belzheimer  Mühl- 
bach, Grimmgraben,  sowie  den  kurzen  Faul-  und  Lohgraben.  Der  Eger 
indes  sind  ihre  Seitengewässer  fast  ausschließlich  von  Westen  her  tributär. 
Im  Rieshinterlande  bei  Bopfingen  mündet  in  sie  die  Sechta  und  weiter 
östlich  der  Utzmemminger  Rohrbach ,  in  der  Riesniederung  die  in  der 
Nähe  von  Fremdingen  entspringende  Mauch  mit  dem  Arenbach,  der 
Birkenhauser  Graben,  der  Goldbach  mit  dem  Ehringer  Goldbachgraben, 
der  südlich  von  Enkingen  gegenüber  dem  Lierheimer  Hahnenberg  aus- 
laufende Wasserfaden,  die  über  der  Thalmühle  bei  Ederheim  als  Rezen- 
bach  entquellende  Ader,  welche,  nachdem  sie  den  Karthäuserbach  auf- 
genommen, im  Unterlaufe  den  Namen  Forellenbach  trägt,  und  zuletzt 
der  Bautenbach,  der  sich  bei  Hohen-  und  Niederaltbeim  sammelt* 

Die  beiden  Flüsse  des  Rieses  tragen  eine  Reihe  gemeinsamer 
Merkmale  an  sich.  Graugrün  ist  die  Färbung  ihres  Wassers,  träu- 
merisch schleichend  und  mäanderisch  viel  gewunden  ihr  Lauf,  niedrig 
ihr  mit  Schilf,  Acorus  calamus  und  Senecio  paludosus  bestandenes  Ufer, 
wiesenbesäumt  ihr  breiter  Grund.  Das  Bett  derselben  zeigt  einen  steten 
Wechsel  von  manchmal  5 — 8  m  tiefen  Auskolkungen,  sogen.  Gumpen, 
mit  seichteren,  durchwatbaren  Strecken.  Auch  ist  ihr  Wasserspiegel 
bald  bis  auf  60  m  weiherartig  breit  ausgezogen,  bald  bandförmig  schmal 
verengt,  letzteres  vor  allem  im  südlichen  Riese;  dagegen  finden  sich 
dort  ausgedehnte  Altwasser,  vor  allem  zwischen  Fessenheim  und  Bühl 
an  der  Wörnitz.  Wie  nach  der  Tiefe  sind  Wörnitz  und  Eger 
sonach  auch  nach  der  Breite  launisch  wechselnd.  So  gering 
ist  ferner  das  Gefälle  der  ersteren,  daß  sich  ihr  Spiegel  während  des 
gesamten  Laufes  durch  unsere  Landschaft  nur  12  m  neigt.  Und  während 
die  Eger  auf  der  kurzen  Strecke  zwischen  Oberdorf  bei  Bopfingen  und 
Nähermemmingen  am  Riesrande  um  volle  20  m  sinkt,  bemißt  sich  ihr 
Gefälle  innerhalb  ihres  dreimal  längeren  Laufes  durch  die  Riesniederung 
nur  auf  30  m.  Daher  schleichen  denn  diese  Flüsse  auch  lautlos  dahin  wie 
die  Wolkenschatten  über  die  Wiesenebenen  um  sie  her.  An  der  Wörnitz 
bemerkt  man  häufig  erst  bei  aufmerksamerem  Zusehen  die  Richtung 
des  Fliefiens,  und  Südwinde  treiben  die  scheinbar  stagnierende  Wasser- 
oberfläche direkt  thalaufwärts.  Die  von  mir  an  diesem  Flusse  an- 
gestellten Messungen  ergaben,  daß  er  bei  hohem  Wasserstand  und 
günstiger  Windrichtung  am  Eingang  ins  Ries  zur  Zurücklegung  von 
1000  m  33  Minuten  nötig  hat.  Ein  Wasserteilchen  an  der  Oberfläche  der 
Wörnitz  braucht  sonach  etwa  20  Stunden,  um  durch  die  Riesniederung 
zu  treiben;  ein  alpiner  Fluß  der  oberdeutschen  Hochebene  hätte  dazu 
unter  den  gleichen  Voraussetzungen  nur  etwa  5  x\%  Stunden  nötig.  Das 
unbedeutende  Gefalle,  die  daraus  resultierende  sehr  geringe  Geschwindig- 
keit, die  im  Durchschnitt  außerordentlich  niedrige  Uferhöhe  und  die 
zahlreichen  Seitengewässer  der  Wörnitz  sind  auch  der  Grund ,  warum 
im  Riese  bei  stärkeren  und  anhaltenderen  Regen,  sowie  zur  Zeit  der 
Schneeschmelze  und  des  Eisganges  Inudationen  von  großer  Ausdehnung 
eine  gewöhnliche  Erscheinung  sind.  Nicht  nur,  daß  der  Flußschlauch 
viel  zu  enge  ist,  um  die  anströmenden  Wassermengen  zu  fassen,  sie 
können  auch  nicht  rasch   genug   zur  Abfuhr  gelangen.     Und   so    ist 


771  Das  Ries.  Eine  geographisch- volkswirtschaftliche  Studie.  263 

denn  die  Wörnitz-  und  auch  die  Egerniederung  zu  niederschlagsreichen 
Zeiten  gar  oft  weithin  überschwemmt  und  auch  in  trockenen  Perioden 
zum  Nutzen  des  Wieswachses  an  Grundwasser  ungewöhnlich  reich. 

Frickhinger  und  Schnitzlein  *)  haben  schon  vor  einem  halben  Jahr- 
hundert darauf  hingewiesen  t  daß  das  Ries  neben  einem  dichten  Netz 
von  Wasseradern  auch  mit  zahlreichen  Quellen  an  seiner  Um- 
rahmung und  mit  einigen  Hungerbrunnen  ausgestattet  ist.  Von 
letzteren  gehören  nun  allerdings,  soviel  ich  zu  erkunden  vermochte, 
nur  zwei  der  eigentlichen  Riesniederung  an;  der  eine  von  ihnen  liegt 
hart  hinter  Huisheim,  der  andere  in  dem  fruchtbaren  Grunde  zwischen 
Goßheim  und  Huisheim. 

An  Bedeutung  erreichen  sie  auch  keineswegs  den  Brunnen  des 
Egerursprungs  (vgl.  S.  230  [44])  und  die  kräftigen  Quellen  des  Kar- 
thäuserthales  und  seiner  Nachbarschaft  —  oder  auch  die  einem  tek- 
tonisch  vielgestörten  Gebiete  zugehörige  Quellengruppe  bei  Polsing  und 
jene  im  oberen  Gebiet  der  Schwalb.  Letztere  entfließt  dem  diluvialen 
Quarzsand  über  den  Juraschichten,  zählt  zu  den  aufsteigenden  Quellen, 
verstärkt  einen  munter  dahineilenden  Bach,  der  Mühlwerk  um  Mühlwerk 
treibt  und  nährt  ferner  einen  schattenvoll  bei  der  Schwalbmühle  im 
Schilf  versteckten  Teich.  Ihre  Temperatur  liegt  wenig  über  dem 
Jahresmittel  von  Nördlingen  (8,7°  C.?),  schwankt  nur  innerhalb  un- 
bedeutender Grenzen  und  kommt  auch  annähernd  dem  Wasser  der 
alten  Pumpbrunnen  in  der  ebengenannten  Stadt 2),  sowie  dem  die  Thal- 
mühle bei  Ederheim  treibenden  Bach  zu. 

Die  drei  bekanntesten  Mineralquellen  des  Rieses  liegen  sämt- 
lich in  seiner  Niederung,  und  zwar  in  der  zentralen  Zone  derselben.  Sie 
sind  im  Maximum  20  km  voneinander  entfernt,  entquellen  den  tertiären 
Braunkohlenlagern  im  Riesuntergrund  und  verdanken  ihre  wesentlichsten 
Bestandteile  der  Zersetzung  des  Schwefelkieses,  welcher  in  die  Braun- 
kohlenflöze eingesprengt  ist. 

Die  Heilwirkung  derselben  ist  schon  seit  Jahrhunderten  bekannt 
und  es  hat  sich  eine  kleine  balneographische  Litteratur  über  sie  auf- 
gesammelt, aus  welcher  die  folgenden  Schriften  erwähnt  werden  sollen : 

Er  au  8,  Joh.  Quirin,  Mineralogia  Hidromatica  Wemdingensis.   Oettingen  1686. 

Jaser,  Joh.  Ant.,  Thermologia  Wemdingana.    Ellwangen  1737. 

Woltber,  J.  A.  de,  Oblectamentum  Phisico-medicum  ad  taedii  Levamentum  .  .  . 
Oettingen  1743.  In  der  Vorrede  ist  auch  das  Wasser  von  Klösterzimmern 
gewürdigt. 

Hierl,  G.  J.  A.,  Thermographia  Triplicis  Fontis  Medicati  Wemdingani.  Nörd- 
lingen 1752.  % 

Schnitzlein,  K.  F.,  Das  Wildbad  bei  Wemdingen.    Nördlingen  1830. 

Gutbier,  Das  Schwefelbad  Wemding.    München  1873. 

Seh  och,  J.,  Das  Wildbad  Wemding. 

Trillich,  H.,  Chemische  Untersuchung  der  Schwefelquellen  des  Bades  Wemding. 
München  1887. 


v)  Die  Vegetationsverhältnisse  der  Jura-  und  Keuperformation  in  den  Fluß- 
gebieten der  Wörnitz  und  Altmühl.     Nördlingen  1848,  S.  22  ff. 

*)  Ihre  chemische  Beschaffenheit  beschrieb  Hermann  Frickhinger  im 
ärztlichen  Intelligenzblatt,  Münchener  medizinische  Wochenchrift,  1884,  S.  36. 


264  Christian  Gruber,  [78 

Wencker,  Christian  und  Stang,  Daniel  Fr.,  Kurze  Beschreibung  des 
St.  Johannis  Bads  Wohllöbl.  Reichsfreyer  Stadt  Nördlingen  zugehörig. 
II.  Aufl.    Nördlingen  1761. 

Frickhinger,  Albert,  Chemische  Analyse  des  Wassers  vom  Johannisbade  bei 
Nördlingen.    Nördlingen  1841. 

Durch  die  zuletzt  genannte  Arbeit  fand  Frickhinger,  daß  die 
Temperatur  des  Johannisbader  Wassers  zwischen  3,75  und  11  °C. 
in  der  Art  schwankt,  daß  es  der  Steigerung  der  Luftwärme  nur  träge 
und  allmählich  nachfolgt.  Das  spezifische  Gewicht  desselben  beträgt 
1,001,  Sein  Geschmack  ist  schwach  herb,  im  übrigen  nicht  un- 
angenehm. Es  ist  ein  eisenhaltiger,  alkalisch-salinischer  Brunnen  und 
16  Unzen  desselben  enthielten  nach  Frickhingers  Untersuchungen: 

schwefelsaures  Natron 0,224  g 

Chlornatrium 0,102  , 

kohlensaures  Natron 0,087  , 

„  Magnesia 0,674  „ 

kohlensaurer  Kalk 2,225  „ 

kohlensaures  Eisenoxydul 0,117  „ 

„  Manganoxydul    ....  0,009  „ 

Kieselsäure 1,095  n 

Das  den  Wemdinger  Quellen  ähnliche  schwefelhaltige  Wasser 
zu  Klosterzimmern  gab  am  Beginn  des  18.  Jahrhunderts  Anlaß  zur 
Errichtung  eines  glänzenden  Bades  durch  den  Fürsten  Albrecht  Ernst  II. 
von  Oettingen-Oettingen1).  Eine  Reihe  von  hochadeliger  Familien  hielt 
dort  fröhlichen  Sommeraufenthalt,  zumal  nachdem  herrliche  Garten- 
anlagen und  eine  Fasanerie  in  dem  stillen  Riesdörf lein ,  wo  übrigens 
auch  längere  Zeit  eine  bedeutende  Kattunfabrik  bestand,  errichtet 
worden  waren.  Nach  dem  Tode  Albrecht  Ernsts  aber  wurde  das 
Badehaus  in  eine  Kaserne  verwandelt,  die  berühmten  Glashäuser 
wurden  eingelegt  und  der  Brunnen  ohne  Bedachung  gelassen.  Mit  dem 
äußeren  Glanz  scheint  auch  der  Glaube  an  die  Kraft  des  Wassers 
verloren  gegangen  zu  sein;  denn  gegenwärtig  wird  seiner  kaum  mehr 
gedacht. 

Ungleich  lebenskräftiger  haben  sich  die  3  Wemdinger  Quellen 
erwiesen 2).  Ihr  Wasser  ist  frischgeschöpft  krystallhell,  perlt  etwas,  und 
seine  Temperatur  schwankt  während  des  Jahres  nur  zwischen  6  und 
10°  C.  Bei  längerem  Stehen  oder  beim  Kochen  scheidet  dasselbe  sehr 
fein  verteilten  Schwefel  und  Kalk  aus. 

Die  Wemdinger  Quellen  wurden  1829  von  A.  Vogel,  1872  von 
G.  Wittstein,  später  durch  Gutbier  und  im  Jahre  1887  durch  H.  Tril- 
lich  analysiert.  Nach  der  neuesten  eingehenden  Untersuchung  haben 
dieselben  eine  in  qualitativer  und  quantitativer  Hinsicht  ziemlich  gleiche 


*)  Das  Ries,  wie  es  war  und  wie  es  ist.    X.  Heft,  S.  42. 
2)  Vgl.  Das  Wild-  und  Schwefelbad  Wemding  nebst  einem  Krankenbericht 
über  die  Jahre  1887—1899,  von  Dr.  Klein. 


79]  Da«  Ries.  Eine  geographisch-volkswirtschaftliche  Studie.  265 

Zusammensetzung,   sind   aber  in  ihrem  Gehalt  an  Schwefelwasserstoff 
etwas  verschieden.     In  1000  g  Wasser  sind  enthalten: 

Gramm 

Baryumsulfat 0,00145  ' 

Calciumsulfat 0,32098 

Kaliumchlorid 0,01022 

Kaliumsilikat 0,02644 

Natriumsilikat 0,00815 

Natriumkarbonat 0,00784 

Lithiumkarbonat 0,00235 

Ammonkarbonat 0,00192 

Aluminiumphosphat 0,00109 

Calciumphosphat 0,00267 

Calciumbikarbonat 0,12063 

Magnesiumbikarbonat 0,33135 

Eisenoxydulbikarbonat 0,00447 

Manganoxydulbikarbonat 0,00044 

Jod 0,00002 

Wasserlösliche   organische  Substanzen  0,00277 

Alkohollösliche  „  „  0,02424 

Der  Besuch   des   Wemdinger  Wildbads   ist  in  ununterbrochener 

Steigerung   begriffen.     1898   fanden   dort  240  Badegäste  Heilung  und 

Erholung. 

*  * 

* 

Warum  die  wildwachsende  Vegetation  der  Riesniederung  nicht 
ihrer  bunten  Ausstattung  mit  Gesteinen  der  mannigfaltigsten  Art, 
sowie  ihrem  Reichtum  an  Wasseradern  und  an  Grundgewässer  ent- 
sprechen kann,  ist  unschwer  nachzuweisen.  Pflug  und  Dünger,  die  ge- 
fährlichsten Gegner  jedes  ursprünglichen  Pflanzenlebens,  wirken  hier  dem 
letzteren  seit  Jahrtausenden  entgegen.  Die  Flachgebiete  unserer  Land- 
schaft sind  zu  gründlich  kultiviert,  als  dag  sie  dem  Botaniker  eine 
große  Ausbeute  gewähren  könnten.  Man  vermag  über  sie  stundenlang 
zu  wandern,  ohne  auf  den  Schatten  eines  vereinzelten  Baumes,  Busches 
oder  eines  Heckenzaunes  zu  treffen,  unter  dem  sich  die  Wildlinge  der 
Flora  zu  erhalten  vermöchten.  Der  Ackerboden  ist  zu  kostbar  und 
zu  ergiebig,  als  daß  man  ihn  jenen  überlassen  könnte. 

Und  doch  trägt  auch  die  Vegetation  des  Rieses  zu  dessen  geo- 
graphischer Individualität  nicht  unwesentlich  bei.  Seine  Wal  dar  mut *) 
steht  in  einem  auffallenden  Gegensatze  zu  den  meilenbreiten  Hoch- 
forsten an  der  Umrahmung  und  auf  dem  Hinterlande  des  Gebietes. 

Ferner  ist  für  das  Ries  ein  auffallender  Gegensatz  der  Pflanzen- 
welt in  seiner  lößüberzogenen  West-  und  seiner  sand- 
erfüllten Osthälfte  kennzeichnend.  Er  vermag  um  so  stärker 
hervorzutreten,  als  das  östliche  Ries  kräftiger  bewässert  wird,  infolge- 


*)  Ueber   die  geringen   Waldbestände  im   flachen  Riese  siehe  die  Tabelle 
S.  277  u.  278  [91  u.  92]. 


266   Christian  Gruber,  Das  Ries.  Eine  geographisch-volkswirtschaftl.  Studie.   [80 

dessen  auch  mehr  versumpfte  und  überschwemmte  Stellen  und  zugleich 
umfassendere  Waldbestände  besitzt,  als  das  westliche.  Allenthalben 
wird  man  hier  gewahr,  daß  man  sich  im  Gebiete  der  Hauptwasserader 
der  Landschaft,  der  Wörnitz,  befindet  und  daß  die  nahe  derselben  ge- 
legene Umrahmung  quellenreicher  ist,  als  viele  der  Jurahänge  drüber  im 
Westen  an  der  württembergischen  Grenze.  Hier  im  weiten  Gebiete 
des  Quarzsandes  und  der  Pseudodünen  ist  der  Getreidebau  zwar  mager, 
der  Wieswachs  aber  um  so  kräftiger.  Da  gedeihen  mitten  in  dem 
vom  Jura  umschlossenen  Flachlande  zahlreiche  Pflanzen,  welche  sonst 
für  die  Sandstriche  des  Keupers  charakteristisch  sind,  und  die  das 
verbindende  Glied  zwischen  der  oberdeutschen  und  der  nördlicheren 
Keupersumpfflora  darstellen.  Ihre  hervorragendsten  Repräsentanten  hat 
A.  Frickhinger  sorgfältig  im  XIV.  Bericht  des  Naturhistorischen  Vereins 
in  Augsburg  (1861,  S.  21 — 41)  aufgezählt.  Im  Nonnenholz  zwischen 
Fesenheim  und  Laub  wuchern  fernerhin  Sphagnumpolster,  und  am 
Riedgraben  zwischen  Wemding,  Laub  und  Holzkirchen  fand  der  gleiche 
Forscher  moorähnliche  Bildungen  mit  einer  Vegetation,  welche  teils 
dem  hohen  Norden,  teils  den  Alpen  angehört,  wie  Pedicularis 
sceptrum  Carolinum,  Iris  sibirica,  Primula  farinosa,  Salix  repens,  Salix 
nigricans  Fries.,  Vaccinium  oxycoccos  und  uliginosum,  Gentiana  utri- 
culosa,  Polemonium  coeruleum,  Centaurea  austriaca,  Tofieldia  calyculata 
und  viele  Riedgräser.  Seltsamerweise  gehören  dem  Ostriese  aber  auch 
Pflanzen  an,  welche  an  eine  südliche  Klimazone  gemahnen,  so: 
Echinops  sphaerocephalus ,  Chrysocoma  linosyris,  Aster  amellus,  Rosa 
cinnamomea,  Euphorbia  amygdaloides ,  Asperula  galioides,  Teucrium 
montanum,  Centaurea  maculosa  u.  s.  w.  Die  alpinen  und  nordischen 
Formen  des  Rieses  stören  die  Kombinationen  über  Vegetationslinien 
nicht  so  erheblich,  wie  A.  Schnitzlein  glaubt1).  Gerade  Vertreter  der 
Hochgebirgsflora  konnten  durch  das  Defile'  der  Wörnitz  leicht  ihren 
Weg  von  Südbayern  aus  gegen  das  Ries  hin  nehmen  und  fanden  hier 
in  den  feuchtkalten,  oft  und  lange  überschwemmten  Lagen  am  Ried- 
graben ähnliche  Voraussetzungen  für  eine  gedeihliche  Ansiedelung,  wie 
auf  den  Hoch-  und  Quellmooren  des  Alpenvorlandes. 

Von  anderen,  dem  Riese  eigentümlichen  Pflanzen  ver- 
dienen noch  kurze  Erwähnung :  Villarsia  (Menyanthes)  nymphoides  und 
Senecio  paludosus,  Euphorbia  virgata  (auf  den  granitischen  Höhen  süd- 
lich hinter  Nördlingen),  Atriplex  rosea  (am  Fuß  des  Wallersteiner 
Felsens)  und  Diptamus  fraxinella  (»Auf  der  Burg*  oberhalb  Herol- 
dingens). 


l)  Bavaria,  III.  Bd.,  2.  Abtig.,  S.  838. 


IV.  Teil. 

Das  Rieser  Volk  und  seine  Siedelnngen. 

Die  frühesten  Spuren  der  Besiedelung  des  Rieses  reichen, 
wie  die  Funde  in  der  Ofnet  erweisen  (s.  S.  248  [62]),  beträchtlich  tief 
in  die  Diluvialperiode  hinein.  Es  sind  Ueberreste  einer  außerordent- 
lich ärmlichen  Troglodytenkultur  aus  einer  Zeit,  wo  die  Riesniederung 
noch  größtenteils  eine  mächtige  Sumpflandschaft  darstellte,  der  Mensch 
mit  Mammut  und  Nashorn,  Moorhirsch  und  Wisent,  dem  Höhlenbären 
und  der  Höhlenhyäne,  dem  Ren  und  wilden  Pferde  gleichzeitig  hauste 
und  diese  Tiere  mit  Waffen  aus  Stein  und  Bein  jagte.  Man  darf 
wohl  annehmen,  daß  seitdem  die  Ansiedelungen  im  Riese,  mochten 
sie  auch  noch  so  lückenhaft  und  unstet  sein,  ununterbrochen  fort- 
dauerten. 

Nach  den  Höhlen  boten  die  breiten  Plateauscheitel  der  Einzel- 
hebungen des  Rieses,  wie  vor  allem  die  Abgrabungen  am  Goldberg 
bezeugen,  Zufluchts-  und  religiöse  Verehrungsstätten.  Doch 
mangeln  der  auf  ihnen  gefundenen  Kulturschicht  bereits  die  Reste  des 
nordischen  Elefanten,  des  Riesenhirsches,  Bisons  und  Rentieres.  Hin- 
gegen finden  sich  neben  Steinmeißeln  und  Feuersteinsplittern,  ge- 
schärften Knochen  und  gespitzten  Geweihenden  nunmehr  bereits  Mengen 
von  Scherben  roher  Thongefäße  und  auch  Spinnwirtel,  die  auf  eine 
ruhige  Beschäftigung  in  den  menschlichen  Wohnstätten  hinweisen 
(vgl.  Weiteres  hierüber  in  den  Schriften  des  Württembergischen  Alter- 
tumsvereins, Bd.  2  ff.).  Doch  auch  in  der  Riesniederung  selbst  wurden 
nach  Ohlenschlagers  Prähistorische  Karte  von  Bayern,  Blatt  Ans- 
bach, Steinfunde  gemacht,  so  im  Süden  von  Oettingen,  bei  Maihingen, 
östlich  von  Munningen,  westlich  von  Nördlingen  und  bei  Alerheim; 
Gegenstände  aus  Bronze  aber  grub  man  gleichfalls  bei  Oettingen  und 
Maihingen,  einem  Grabhügel  südlich  von  Beizheim  und  endlich  west- 
lich von  Kleinerdlingen  aus. 

Im  übrigen  ist  Näheres  über  die  Urbewohner  des  Rieses  bis  zur 
keltischen  Einwanderung  ums  Jahr  400  nicht  bekannt.  Die  Kelten 
(Vindelicier)  aber  wurden  gleich  ihren  südlichen  Nachbarn,  den  Rätiern, 
bekanntlich  unter  Kaiser  Augustus  von  den  Römern  nach  kurzem,  aber 
blutigem  Ringen  unterworfen.  Der  Rest  des  Volkes  mischte  sich,  wie 
Baumann  in  einem  gedankenreichen  Vortrage   „Ueber  die  Bevölkerung 

Forschungen  zur  deutschen  Landes-  and  Volkskunde.    XII.    3.  13 


268  Christian  Gruber,  [82 

des  bayerischen  Schwabens  in  ihrer  geschichtlichen  Aufeinanderfolge*  *) 
darlegt,  mit  einem  massenhaften  Zuzug  von  Romanen.  So  entstand 
in  der  aus  rätischen  und  vindelicischen  Gebieten  neueingerichteten 
Provinz  R'ätia  ein  Misch volk  mit  lateinischer  Sprache  und  römischer 
Gesittung.  Nur  einzelne  Fluß-  und  Bachbezeichnungen  gemahnen  im 
Ries  noch  an  die  keltische  Vorzeit,  so  Wörnitz  (Warinza),  Eger  (Agira), 
Sechta  (Sequada),  Kessel  (Kassula)2).  Es  wurden  also  auch  hier,  wie 
vielfach  anderswo,  die  Namen  der  Hauptgewässer  von  den  später  zu- 
gewanderten Völkern  aus  dem  Wortschatze  der  früheren  Bewohner 
übernommen. 

Ueber  die  Spuren  aus  der  Römerzeit  im  Ries  und  das  Stück 
des  Straßenzuges,  welches  nach  der  Tabula  Peutingeriana  unser  Gebiet 
durchschnitten  hat,  ist  ein  ausgiebiges  Schrifttum  vorhanden,  an  dem 
bayerische  und  wtirttembergische  Gelehrte  gleichmäßig  Anteil  haben.  Be- 
reits W.  Freiherr  Löffelholz  von  Colberg  hat  es  in  seinen  Oettingana  (S.  XXX 
bis  XXXII)  zusammengestellt.  Auch  suchte  man  durch  Aufnahme  der 
vorgeschichtlichen  Fundreste  in  das  Nördlinger  Stadtmuseum  und  durch 
Schaffung  einer  Abteilung  für  archäologische  Funde  bei  den  Kunst-  und 
wissenschaftlichen  Sammlungen  zu  Maihingen  der  Prähistorie  gerecht 
zu  werden.  Unentbehrliche  Fingerzeige  über  das  einschlägige  For- 
schungsmaterial enthält  außerdem  F.  Ohlenschlagers  „Verzeichnis  der 
Funde  zur  prähistorischen  Karte  Bayerns*  (München  1875,  I.  Teil, 
S.  71  ff.  —  Vgl.  auch  den  Katalog  der  Ausstellung  vorgeschichtlicher 
und  anthropologischer  Funde  Deutschlands  in  Berlin  1880,  S.  70  und 
Supplement  S.  LI1I). 

Trotz  des  Schutzes,  welchen  der  Limes  Rätien  gewähren  sollte, 
verheerten  schon  seit  dem  2.  Jahrhundert  nach  Christus  germanische 
Stämme  diese  Provinz:  Chatten,  Hermunduren  und  sodann  Alemannen. 
Zu  welcher  Zeit  die  räto- romanische  Bevölkerung  des  äußersten  Rä- 
tiens  ihre  Nationalität  verlor  und  unter  den  Alemannen  (Schwaben)8) 
aufging,  ist  nicht  sicherzustellen.  Doch  kann  angenommen  werden, 
daß  letztere  bereits  in  der  zweiten  Hälfte  des  3.  Jahrhunderts  die  nörd- 
lich der  Donau  gelegenen  römischen  Gebiete  besiedelten,  also  auch 
das  Ries.  Nach  ihrer  neuen  Heimat  nannten  sie  sich  geradezu  Raeto- 
varii:  Mannen  aus  Rätien.  Die  vielen  Ortsnamen  auf  ingen,  welche 
nach  einem  treffenden  Ausspruch  Christian  Mayers  in  die  Namenkarte 
unseres  Gebietes  eine  bedauerliche  Eintönigkeit  bringen,  erweisen  mit 
Sicherheit,  daß  die  Raetovarii  in  geschlossenen  Sippen  von  der 
neuen  Heimat  Besitz  ergriffen.  Weiterhin  haben  auch  die  Siede- 
lungsnamen  mit  den  Grundformen  weiler  (etwa  10)  und  hofen  aleman- 
nischen Charakter. 

Neben  ihnen  trägt  nun  freilich  mehr  als  ein  Fünftel  aller  Orts- 
bezeichnungen im  Ries  die  entschieden  fränkischen  Suffixe  heim  — 


')  Beiträge  zur  Anthropologie  und  Urgeschichte  Bayerns,  12.  Bd.,  1898. 

2)  Näheres  hierüber  siehe  in  Chr.  Mayers  sehr  lehrreicher  Abhandlung: 
Ueber  die  Ortsnamen  im  Ries.  Programm  zum  Jahresbericht  der  königl.  Real- 
schule Nördlingen,  1886/87,  S.  19—21. 

3)  Ueber  die  Einheit  der  Schwaben  und  Alemannen  vgl.  Baumanns 
schon  erwähnten  Vortrag,  S.  116—124. 


83]  Das  Ries.  Eine  geographisch- volkswirtschaftliche  Studie.  269 

hauptsächlich  im  Süden  der  Landschaft  —  und  hausen.  Es  haben 
sonach  auch  fränkische  Siedler  bei  der  eigentlich  deutschen  Ortsgrtindung 
von  0  und  SO  her  wesentlichen  Anteil  genommen.  Jene  ist  vom  4.  und 
5.  bis  8.  Jahrhundert  vor  sich  gegangen,  einem  Zeitraum,  der  zugleich, 
was  gerade  die  fränkischen  Endsilben  in  den  Ortsnamen  andeuten,  den 
Uebergang  von  unstet  wechselvollen  Wohnplätzen  zur  festen  Hausanlage, 
vom  halbnomadischen  Leben  zum  seßhaften  Ackerbau  bei  den  germanischen 
Völkern  kennzeichnet l).  Und  wie  Franken  bei  der  deutschen  Besiede- 
lung  unseres  Gebietes  ansehnlich  beteiligt  waren ,  so  geht  auch  heute 
noch  ein  Hauch  fränkischer  Art  über  den  Rieser.  Und  keines- 
wegs zu  seinem  Schaden,  wie  Melchior  Meyr,  immer  noch  der  fein- 
sinnigste Kenner  seiner  Landsleute,  so  unübertrefflich  geschildert  hat. 
„Denn  hierdurch  paart  sich  mit  der  dem  Schwaben  eigenen  Innerlich- 
keit und  Tiefe,  dem  Ftirsichsein,  seinem  Zornmut  und  seiner  Starr- 
köpfigkeit des  Franken  heitere  und  gesellige  Natur,  seine  Leichtigkeit 
und  unmittelbare  Gewandtheit.  —  Aber  auch  sonst  ist  das  Rieser  Volks- 
tum reich  an  Gegensätzen  und  Abstufungen.  Seine  östlichen  Grenz- 
dörfer haben  ein  durchaus  fränkisches  Gepräge,  in  den  zu  Württem- 
berg gehörigen  Ortschaften  hingegen  ist  ein  anders  eingerichtetes 
Gemeindeleben  nicht  ohne  Einfluß  auf  die  Landbevölkerung  geblieben. 
Katholiken  und  Protestanten,  von  der  freiesten  bis  zur  orthodox  strengsten 
Ueberzeugung,  wohnen  bunt  und  duldsam  durcheinander,  einzelne  Orte 
sind  auch  paritätisch.  Israeliten  finden  sich  an  den  verschiedensten  Orten 
zerstreut,  und  wieder  in  anderen  aus  geschichtlichen  Gründen  auffallend 
konzentriert,  so  in  Wallerstein  und  Hainsfarth.  Dazu  kommen  noch 
die  Nachkommen  der  früheren  ,Freileute4  auf  dem  Flochberg,  wegen 
ihres  zigeunerhaften  Wesens  und  ihrer  Vorliebe  für  Katzen-,  Hunde- 
und  Pferdefleisch  auch  heute  noch  bis  hinein  nach  Mittelfranken  be- 
rüchtigt. Endlich  sind  die  Leute,  welche  auf  der  waldernsten  Um- 
rahmung des  Rieses  sitzen,  in  einigen  Dingen  anders  als  jene,  welche 
das  eigentliche  Fruchtland  der  Ebene  bewohnen.  Man  hält  sie  für 
stiller,  für  schlichter,  weniger  prunkend  und  weniger  reinlich  als  den 
wohlhabenden  Mittelrieser. tt 

Wie  die  Rieslandschaft  keine  auffallend  hervorstechenden  Züge 
an  sich  trägt,  so  auch  das  Wesen  ihrer  Bewohner.  Die  Lebens- 
führung derselben  hat  mich  öfters  schon  an  ein  Urteil  erinnert,  das 
einmal  Kriegk  in  seinen  Schriften  zur  allgemeinen  Erdkunde  (S.  303) 
über  den  Charakter  der  Schwaben  und  Franken  überhaupt  fällt:  Sie 
sind  heiter  ohne  Lustigkeit,  ernst  ohne  Finsterheit,  regsam  und  thätig 
ohne  Feuer  und  lebhafte  Beweglichkeit,  fleißig  ohne  Ueberbietung  der 
Kräfte,  genügsam  in  ihren  Genüssen,  derb  ohne  Uebermut,  stabil  in 
Gesinnung  und  äußerer  Lebensweise,  sittsam  aus  Gewohnheit  und  von 
einer  rein  gemütlichen  Religiosität. 

Der  Rieser  Bauer  und  Söldner  lebt  ein  eng  umschlossenes  Leben 
voll  Emsigkeit,  sparsamen  Betriebs  und  häufig  wohl  auch  herber  Ent- 

*)  Daß  die  Fruchtbarkeit  des  Rieses  schon  zu  früher  Zeit  gründlich  aus- 
genützt wurde,  mag  unter  anderem  die  Thatsache  lehren,  daß  während  des  Mittel- 
alters nicht  weniger  als  130  adelige  Geschlechter  in  demselben  lebten,  die  freilich 
fast  alle  Öttingische  Vasallen  waren. 


270  Christian  Gruber,  [84 

sagung.  Er  ist  klug  im  Kreise  seiner  Traditionen,  Anschauungen  und 
Meinungen.  Ihm  ist  die  Gabe  eigen,  mit  wenigem  sich  zu  begnügen, 
mit  solider  Behaglichkeit  zu  leben,  muntere  Schalkhaftigkeit  und  sinnig 
derbe  Sangesfreude  zu  pflegen.  Mit  der  Natur  und  allen  Vorgängen, 
welche  sein  Wirtschaftsleben  beeinflussen,  steht  er  in  einem  engeren 
Zusammenhange,  als  mit  den  wogenden  sozialen  und  politischen  Ver- 
hältnissen im  weiten  Vaterlande,  obwohl  er  auch  ihnen,  besonders  in 
den  Monaten  der  winterlichen  Ruhe,  seine  Aufmerksamkeit  nicht  ver- 
sagt. Auch  vom  Handelsgeist  der  Schwaben  hat  er  sein  Teil  tiber- 
kommen. Bei  allem  Festhalten  am  Alten  schreitet  der  Rieser  doch  rüstig 
vorwärts.  Er  arbeitet  und  sorgt  zwar  im  ähnlichen  Sinne  wie  Vater 
und  Ahne,  denn  er  hat  den  gleichen  Naturbedingungen  zu  gehorchen 
wie  jene.  Aber  er  weiß  die  Verhältnisse  besser  auszunützen,  auf  die 
Forderungen  der  Zeit  mehr  zu  achten,  und  er  schafft  vielfach  mit  an- 
deren Hilfsmitteln,  wie  ein  Blick  auf  die  allenthalben  im  Ries  an- 
gewandten, modernen  landwirtschaftlichen  Geräte  dartaut.  Und  zugleich 
gestaltet  er  sein  Leben  angenehmer;  er  hat  für  die  verwischten  alten 
Bräuche  Kenntnisse  eingetauscht,  weiß  freundlicher  zu  wohnen,  bei 
Besuch  der  nahegelegenen  Städte  genußreicher  zu  leben  und  kleidet 
sich  auch  modischer  als  seine  Ahnen1). 

Doch  hat  gerade  die  Tracht  im  Riese  noch  manches  Altertüm- 
liche und  Praktische  an  sich.  Vor  allem  begegnet  man  in  gewissem 
Sinne  beim  Landvolke  einer  allgemeinen  Arbeitstracht.  Zu  ihr 
gehören  statt  der  Joppe  oder  des  Kittels  ein  blaues  Arbeitshemd,  ge- 
wöhnlich aus  kräftigem  Baumwollenstoff,  am  Halsring,  den  Achseln  und 
Manschetten  weiß  oder  rot  ausgenäht ;  ferner  enge,  lederne,  unter  dem 
Knie  zusammengebundene  Hosen,  schwarze  oder  lichte  Wollstrümpfe, 
Knöchelschuhe,  mit  Lederriemen  gebunden,  die  zugleich  ausgezackte  und 
durchlochte  Lederlappen  als  Schmuck  des  Schuhwerks  festhalten  —  oder 
lange,  zum  Teil  über  die  Oberschenkel  heraufgezogene  Stiefel ;  endlich 
eine  schmucklose,  dunkle  Hausmütze  mit  flachem,  rundem  Boden  und 
langer  Quaste. 

Ganz  anders  sieht  die  alte  Staatstracht  der  Rieser  aus,  die 
hier  durchaus  noch  nicht  in  dem  ausgiebigen  Maße  verschwunden  ist, 
wie  in  vielen  Gegenden  Mittelfrankens.  Sie  wurde  neuerdings  von 
Heinrich  Leher  eingehend  und  sachgetreu  geschildert,  und  seiner  Zu- 
vorkommenheit verdanke  ich  auch  die  beiden  Bilder  hierüber.  Diese  lassen 
vor  allem  erkennen,  daß  sich  Katholiken  (Fig.  10,  S.  272  [86])  und 
Protestanten  (Fig.  11,  S.  273  [87])  im  Riese  auch  durch  ihre  Tracht 
unterscheiden.  Das  Sonntagskleid  der  ersteren  ist  wesentlich  farbiger 
und  lichter  verziert  als  jenes  der  letzteren,  das  dunkle  Stoffe  und  be- 
sonders bei  den  Männern  eine  fast  puritanische  Einfachheit  zeigt. 

Ucber  die  Staatstracht  der  Katholiken  im  einzelnen  sagt  der  vorhin  ge- 
nannte Gewährsmann:  Der  beliebteste  weibliche  Kopfschmuck  ist  die  bekannte 
Reginahaube.  Sie  gewährt  der  Trägerin  ein  stattliches  Aussehen.  Nach  hinten 
fallen  große,  80  cm  lange,  20  cm  breite  Moireebänder  mit  Chenillefransen ;  zwei 


*)  Leider  können  wir  über  die  körperliche  Veranlagung  der  Rieser, 
wie  sie  sich  z.  B.  aus  den  militärischen  Aushebungslisten  ergiebt,  hier  nichts  Authen- 
tisches mitteilen. 


85]  DaB  Ries.  Eine  geographisch-volkswirtschaftliche  Studie.  271 

etwas  kürzere  Bänder  gehen  vorne  herab,  während  zwei  kleinere  Bändchen  zur 
Befestigung  der  Haube  unter  dem  Kinn  dienen.  Die  pfauenradartig  ausgebreitete 
Scheibe,  welche  auf  der  schwarzen  Haube  sitzt,  ist  von  Gold ;  weiße  Perlen  bilden 
die  Randeinfassung.  In  dem  Goldgrunde  ruht  eine  sich  3mal  wiederholende  Reihe 
von  amethystähnlichen  schillernden  Steinen,  welche  dann  wieder  mit  Perlen  um- 
faßt sind.  In  der  obersten  Reihe  stehen  8,  in  der  mittleren  und  in  der  letzten 
4  solcher  Steine.  Wir  erblicken  außerdem  eine  andere  ältere,  mehr  spezifisch  riese- 
rische  Form  der  Spitzenhauben.  An  das  althergebrachte  Häubchen  schließen  sich 
leierförmiee  Seitenflügel.  Die  Zahl  der  Moireebänder  bleibt  die  gleiche.  Das  hinten 
am  Häubchen  befindliche  „Bödele"  kann  durch  Herausnehmen  gewechselt  werden; 
es  ist  gewöhnlich  aus  Goldstoff,  der  bei  Trauer  durch  Schwarz  oder  Blau  ersetzt  wird. 

Das  Jäckchen,  welches  die  Rieserinnen  „Kittle"  nennen,  ist  von  braunem 
oder  blauem  Stoff;  seine  Aermel  sind  gefältelt,  gepufft,  an  der  Achsel  und  am 
Oberarm  stark  wattiert,  vorn  eng  und  mit  hübscher  Posamentierarbeit  ausgeputzt. 
Der  Rock  ist  in  Farbe  und  Stoff  dem  „ Kittle"  gleich.  Für  die  Schürzen  sind 
helle,  sanfte  Farben  beliebt,  z.  B.  grauer  Atlas  mit  gleichfarbigen  eingewirkten 
Blumenmustern ;  dagegen  finden  wir  ausgiebige  Verwendung  von  Schmelz  an  jenen. 
Das  seidene  Halstuch  zeigt  ebenfalls  zarte  Farben,  z.  B.  eine  Mischung  von  Tauben- 
grau mit  Violett;  an  den  Ecken  treten  farbige  Blumen  hervor,  für  welche  früher 
Gold-  und  Silberstickereien  beliebt  waren.  Die  Halstücher  sind  stets  mit  langen 
Fransen  versehen.  Der  Lieblingsschmuck  der  Neuzeit  ist  ein  goldenes  Kettchen 
mit  Kreuz;  mehrfach  findet  man  auch  noch  6-,  7-  und  8gliederige  Halsketten. 

Die  Männer  tragen  niedrigen,  steifen,  schwarzen  Filzhut  und  lange,  bis 
unter  die  Kniee  reichende  schwarze  Röcke,  die  oben  in  der  Taille  etwas  hoch  ge- 
nommen sind.  Die  schwarze  Lederhose  reicht  bis  unter  die  Kniee,  über  sie  wird 
der  weiche,  hohe  Stiefel  gezogen.  Die  Weste,  »Leible"  genannt,  ist  aus  schwarzem 
Sammet  mit  blauen  oder  gelben  Blümchen.  Ein  blauschwarzes  seidenes  Halstuch 
läßt  den  weißen  Hemdkragen  hervortreten. 

Bei  den  Protestanten  tragen  die  Männer  gleichfalls  niedere,  schwarze, 
steife  Filzhüte  mit  schmalen  Krempen.  Auch  der  Rock  gleicht  jenem  der  Katho- 
liken. Die  Weste  wird  in  der  Erinnerung  an  den  einstigen,  noch  von  M.  Meyr 
angeführten  Herstellungsstoff  kurz  „Manchester'  genannt.  Sie  ist  heute  aus  besserem 
schwarzen  Sammet  und  mit  nicht  weniger  als  18  Stück  silbernen  runden  Knöpfen 
besetzt.  Zwei  derselben  befinden  sich  am  Kragen  der  Weste,  ähnlich  den  Knöpfen 
der  Gefreiten  beim  Militär.  Die  Sitte  heischt,  die  Weste  in  der  Mitte  offen  zu 
halten  und  nicht  zuzuknöpfen.  Die  Lederbeinkleider  sind  hübsch  weiß  ausgenäht 
und  an  der  Messertasche  darf  der  Namenszug  des  Besitzers  nicht  fehlen.  Die 
Zugstiefel  werden  weit  bis  über  das  Knie  heraufgezogen.  Es  gilt  als  stutzerhafte 
Neuerung,  zwischen  Stiefel  und  Beinkleid  die  weißen  Strümpfe  hervorschauen  zu 
lassen.    Alte  Leute  haben  übrigens  schwarze  Strümpfe. 

Die  Mädchen  und  Frauen  tragen  das  einfache  zierliche,  althergebrachte 
schwäbische  Häubchen,  welches  kokett  fast  ganz  auf  den  Haarbund  oder  „Schop- 
pel"  aufgesetzt  wird.  Es  steht  in  seiner  Einfachheit  der  Rieserin  sehr  wohl,  und  sie 
thut  klug  daran,  es  festzuhalten.  Hinten  befindet  sich  ein  ovales  „Bödele",  das 
an  den  feinsten  Hauben  silbern  oder  golden  ist.  —  Während  bei  den  katholischen 
Frauen  die  4  Moireebänder  am  Rücken  einzeln  herabfallen,  lassen  die  evangelischen 
ihre  2  Bänder  als  Ganzes,  indem  beide  Enden  am  Häubchen  befestigt  sind.  Bei 
Trauerfällen  wird  der  Moiree  durch  schwarzes  Band  ersetzt.  —  Die  Haare  sind 
rechte  und  links  vom  Scheitel  heruntergekämmt  und  in  einer  geschwungenen  Linie 
hinters  Ohr  gezogen.  —  Rock  und  Taille  sind  ein  Ganzes.  Als  Farben  der  Kleider- 
stoffe findet  man  dunkle  Töne,  stahlgrün  u.  s.  w.  Bei  Trauer  und  an  Festtagen  wird 
schwarz  getragen.  Die  Schürze  ist  gern  in  lebhaftem  Kornblau  gehalten ,  mit 
einem  reichen  Aufputz  in  Schmelz  und  Spitzen.  Besondere  Sorgfalt  ist  dem 
Schuhwerk  geschenkt.  Die  Sitte  erfordert  zierliche  Zeugstiefelchen  mit  Leder- 
kappen, welche  vorne  hübsch  weiß  abgenäht  sein  müssen. 

Jede  Rieserin  hat  im  übrigen  nicht  bloß  einen  gewöhnlichen  und  einen 
festlichen,  sondern  auch  einen  farbigen  und  einen  schwarzen  Anzug,  welch  letz- 
terer von  den  Protestanten  bei  Todesfällen  und  zum  Kirchgang  getragen  wird. 

Aehnlich  wie  sich  das  Rieser  Volk  nach  seinen  geistigen  und 
seelischen  Eigenschaften  vielfach  angefränkelt  zeigt,  so  auch  in  seiner 


172 


Christian  Gruber, 


[86 


87] 


Das  Ries.  Eine  geographisch-volkswirtschaftliche  Studie. 


273 


274  Christian  Gruber,  [88 

Mundart1).  Sie  gehört  zweifellos  dem  schwäbischen  Idiom  an,  schon 
wegen  des  vielfachen  Gebrauchs  der  Zischlaute,  und  besitzt  unverkennbare 
Aehnlichkeiten  mit  dem  Mittelschwäbischen.  Aber  der  Rieser  Dialekt 
ist  nicht  nur  oft  in  recht  nahegelegenen  Ortschaften  merklich  verschieden, 
sondern  auch  in  den  weiten  Gegenden  westlich  der  Wörnitz  sehr  viel 
reiner  schwäbisch  als  östlich  derselben,  wo  vor  allem  das  Rohrachthal 
eine  bequeme  Verbindung  mit  dem  fränkischen  Hinterlande  vermittelt, 
so  daß  die  Leute  in  Polsing  und  Trendel  durchaus  fränkisch  sprechen. 
Eine  scharfe  Grenzlinie  zwischen  der  schwäbischen  und  fränkischen 
Mundart  im  und  am  Riese  zu  ziehen,  wie  dies  A.  Frickhinger  versucht 
hat  (Beiträge  zur  Anthropologie  und  Urgeschichte  Bayerns,  8.  Bd., 
1889),  ist  nur  nach  sehr  gründlichen  Einzelforschungen  möglich.  Und 
auch  dann  wird  sich  immer  ein  vergleichsweise  breiter  Landstreifen 
ergeben,  innerhalb  dessen  eine  starke  Vermischung  beider  Idiome  vor- 
kommt. —  Erwähnenswert  ist  übrigens  noch  die  gleichfalls  schon  von 
Frickhinger  berührte  Thatsache,  daß  in  den  paritätischen  Orten  des 
östlichen  Rieses  die  Protestanten  mehr  die  fränkische,  die  Katholiken 
indes  mehr  die  schwäbische  Mundart  gebrauchen.  Rothenberg  am  öst- 
lichen Riesrande  kann  hierfür  als  Beispiel  dienen.  Dieser  auffallende 
Umstand  findet  nun  allerdings  zwanglos  seine  Erklärung  darin,  daß  die 
protestantischen  Familien  Rothenbergs  nach  dem  fränkischen  Döckingen 
eingepfarrt  sind  und  dorthin,  sowie  nach  anderen  fränkischen  Dör- 
fern ihre  Familienverbindungen  haben,  während  die  Katholiken  zur 
Pfarrei  des  schwäbischen  Wolferstadt  gehören  und  persönliche  Be- 
ziehungen hierhin  pflegen. 

Die  bayerische  Riesniederung  und  ihr  Rahmen  im  topographischen 
Sinne  wurden  nach  der  Volkszählung  vom  1.  Dezember  1895  von 
39455  Seelen  in  60  politischen  Gemeinden  bevölkert.  Die  Siedelungen 
verteilen  sich  zwar  über  die  weite  Landschaft  hin  ziemlich  unregelmäßig. 
Doch  ergeben  sich  aus  ihrer  Anordnung  einige  Thatsachen  von  all- 
gemeiner Gültigkeit,  welche  mit  der  natürlichen  Ausstattung  des  Ge- 
bietes in  kausalem  Zusammenhange  stehen. 

Was  zunächst  die  Besiedelung  der  Riesumrahmung  an- 
langt, so  ist  dieselbe  in  der  Nordhälfte  ungleich  stärker  als  in  der 
Südhälfte,  und  im  Westen  sehr  viel  dichter  als  im  Osten.  Hier,  wo 
die  ansehnlichen,  waldbedeckten,  teilweise  auch  unwirtlichen  Ausläufer 
des  Hahnenkamms  anstehen,  beschränken  sich  die  Ortschaften,  von 
Hainsfarth  abgesehen,  auf  Trendel,  Amerbach,  Wemding,  Goßheim f 
Huisheim,  Katzenstein  und  Ronheim.  Dort  dagegen,  wo  das  Ries- 
hinterland von  Oettingen  aus  bis  nahe  an  die  Egerthalung  eine  weite, 
offene,  ertragsfähige  Hochfläche  darstellt  und  die  Hänge  nach  Süden 
und  gegen  die  aufgehende  Sonne  situiert  sind,  reiht  sich  Siedelung 
an  Siedelung,  und  viele  der  Dörfer  erhalten  dadurch,  daß  sich  ihre 
Häuser  vom  flachen  Boden  des  Rieses  aus  malerisch  die  Halden  hinan - 


*)  Von  der  älteren  Litteratur  hierüber  sei  nur  erwähnt:  Schmidt,  Die 
Rieser  Mundart.  München  1848.  Neuerdings  haben  G.  Jakob  und  Joh.  Kahn 
frisch ,  gemütvoll  und  schelmisch  anmutende  Dichtungen  in  diesem  Dialekte  ver- 
öffentlicht. 


89] 


Das  Ries.  Eine  geographisch-volkswirtschaftliche  Studie. 


275 


ziehen,  ein  landschaftlich  anmutiges  Aussehen.  Da  liegen  hart  neben- 
einander: Ehingen,  Beizheim,  Hochaltingen,  Herblingen,  Utzwingen, 
Maihingen,  Marktoffingen,  Munzingen,  Dirgenheim,  Benzenzimmern, 
Kirchheim,  Trochtelfingen,  Utzmemmingen,  und  weiter  südlich  Hürn- 
heim,  Hohen-  und  Niederaltheim,  Deggingen,  Möggingen,  Harburg 
und  Hoppingen. 

Auch  die  in  den  Riesrand  einschneidenden  Thalbuchten  sind  auf 
der  schwäbischen  Seite  des  Gebietes  mehr  bevölkert  als  auf  der  fränki- 
schen. Während  sich  hier  in  der  stark  verengten,  den  Hahnenkamm 
nicht  vollständig  durchschneidenden  Rinne  der  Rohrach  neben  Polsing 

Fig.  12. 


** 


Bauernhof  im  Ries. 

nur  Ursheim  findet,  das  seinerseits  wieder  4,3  km  von  Hechlingen 
entfernt  liegt,  folgen  sich  in  der  breiten,  sonnenbeglänzten  Egerthalung 
Oberdorf,  Bopfingen,  Flochberg  und  Trochtelfingen  unmittelbar. 

Sie  alle  weisen,  wie  der  Lauf  der  Eger  überhaupt,  auf  Nördlingen 
hin,  das  am  Ausgange  bedeutsamer  Verbindungswege  nach  dem  benach- 
barten westlichen  und  südwestlichen  Schwabenlande  (Bopfingen-Aalen- 
Stuttgart  einerseits,  Neresheim-Ulm  andererseits)  unter  dem  Schutze 
eines  leicht  zu  befestigenden  Höhenzuges  zum  wirtschaftlichen  Mittel- 
punkte besonders  für  das  produktive  Westries  aufwuchs.  Und  so  waren 
denn  auch  seit  alters  die  Beziehungen  zwischen  unserer  Landschaft  und 
den  anliegenden  württembergischen  Gebieten  sehr  viel  lebhafter  und 
bedeutungsvoller,  als  jene  mit  den  benachbarten  Teilen  Mittelfrankens 
im  Osten,  zumal  auch  das  Bett  der  Wörnitz  zwischen  ihnen  und  der 
größeren  westlichen  Hälfte  des  Rieses  einlagert. 


276  Christian  Gruber,  [90 

Im  flachen  Riese  wird  die  Lage  der  Ortschaften  vor  allem 
durch  die  beiden  Hauptflußläufe  und  ihre  Seitengewässer  bestimmt. 
Schon  M.  Meyr  schreibt  daher:  „Liegt  ein  Dorf  nicht  an  einem  Fluß 
oder  Flüßchen,  so  fehlt  doch  nicht  ein  Bach,  der,  mit  Weiden  an- 
gepflanzt, durch  den  Gemeindeanger  rinnt  oder  schleicht  und  den  Gänsen, 
die  daran  ihre  Lager-  und  Weideplätze  haben,  die  nötige  Erfrischung 
reicht1)."  In  der  That  stellen  Wörnitz-  und  Mauch-Egergrund  zwei 
große  Siedelungsstreifen  in  der  Riesniederung  dar.  Doch  unter- 
scheiden sich  die  Dörfer  innerhalb  jener  beiden  nach  ihrer  Gesamt- 
anlage augenfällig.  Längs  der  Wiesenbänder  an  der  Wörnitz 
sind  sie  meist  lang  auseinandergezogen;  ihre  Häuser  gruppieren 
sich  in  schmalen  Zeilen  längs  des  mit  dem  Flusse  parallel  verlaufenden 
Straßenzuges,  vor  allem  in  Munningen,  Wechingen,  Holzkirchen  und 
weiterhin  in  Rudelstetten,  Wörnitzostheim  und  Heroldingen.  Hört  man 
doch  im  Ries  bei  Vergleichen  nicht  selten  die  Redensart:  „So  lang 
wie  Weching."  Aehnliche  Konturen  haben  ferner  alle  Dörfer  längs 
der  schmalen,  mattengrünen  Niederung  am  Rezen-  und  Forellenbach 
von  Hürnheim  abwärts  bis  Möttingen.  Und  auch  an  den  kleinen 
Bächen  und  Nebengewässern  ist  für  das  Aussehen  der  Dörfer  die 
lange  Hauptgasse  vielfach  kennzeichnend,  so  in  Heuberg,  Birken- 
hausen, Mögesheim,  Laub,  Niederaltheim  und  Ziswingen.  Hingegen 
zeigen  die  Orte  im  Eger-Mauchgebiet  und  am  Fuße  der  süd- 
westlichen Höhenzüge  des  Rieses  gewöhnlich  eine  konzen- 
trierte, in  die  Breite  gehende  Anlage,  was  Dürrenzimmern,  Pfaff- 
lingen,  Löpsingen,  zum  Teil  auch  Deiningen  und  Großelfingen,  sodann  Unter- 
Reimlingen,  Holheim,  die  beiden  Sorheim  und  Deggingen  beweisen. 

Endlich  ist  noch  die  auffallend  dichte  Scharung  der  Siede- 
lungen auf  der  Nord-,  West-  und  Südseite  Nördlingens 
hervorzuheben,  wo  Baldingen,  Ehringen,  Wallerstein,  Goldburghausen, 
Pflaumloch,  Nähermemmingen,  Utzmemmingen ,  Kleinerdlingen ,  Hol- 
heim, Herkheim  und  Reimlingen  sich  aneinanderdrängen ,  während 
seltsamerweise  der  geräumige  Landstrich  östlich  von  Nördlingen  zwi- 
schen Löpsingen,  Reimlingen  und  Großelfingen  an  der  Eger  durchaus 
unbewohnt  ist:  eine  Thatsache,  die  wiederum  deutlich  genug  die  hervor- 
ragenden Beziehungen  des  inneren  Rieses  mit  seinem  werblichen  Rand 
und  dem  württembergischen  Schwaben  zu  verdeutlichen  vermag. 

Die  nachfolgende  Uebersicht  stellt  für  die  Ortschaften  des  bayeri- 
schen Rieses  die  Bevölkerungsziffern  nach  der  Zählung  von  1895,  die 
Größe  der  Gemeindebezirke,  die  Fläche  ihrer  Haus-  und  Hofräume, 
der  Wege  und  Gewässer  etc.,  der  Oedungen  und  Unländer,  sowie 
ihrer  Waldanteile  zusammen,  und  zwar  auf  Grund  der  mir  vom  königl. 
bayerischen  Statistischen  Bureau  hierüber  zur  Verfügung  gestellten 
authentischen  Zifferreihen  und  der  im  LX.  Heft  der  „Beiträge  zur 
Statistik  des  Königreichs  Bayern tt  enthaltenen  Angaben.  Man  ersieht 
daraus,  daß  auf  Nördlingen  mit  seinen  8216  Seelen  Oettingen  mit  3099, 
Wemding   mit  2128,   Wallerstein   mit  1348,   Harburg  mit  1239   und 


*)    „Bavaria",  II,   2.   S.  852  ff.    Dort  findet  man  auch   das  geographisch 
Wissenswerte  über  die  Anlage  der  Rieser  Bauernhäuser  mitgeteilt. 


91] 


Dag  Ries.  Eine  geographisch-volkswirtschaftliche  Studie. 


277 


Hainsfarth  mit  1021  Einwohner  als  Hauptorte  folgen.  Sie  liegen, 
mit  Ausnahme  von  Wemding,  sämtlich  an  den  breiten  Eingangspforten 
ins  Ries  von  Norden,  Westen  und  Süden  her  oder  doch,  wie  Waller- 
stein, nahe  daran.  Hinsichtlich  der  Verteilung  der  Bevölkerung  auf 
die  übrigen  Riesorte  ergiebt  sich  keine  durchgreifende  Regel.  Es 
finden  sich  sowohl  in  der  flachen,  offenen  Niederung  als  am  wald- 
geschmückten Rahmen,  im  Löß-  wie  im  Sandgebiete,  an  den  stärkeren 
wie  an  den  schwächeren  Wasseradern  umfangreichere  und  kleinere 
Siedelungen  ordnungslos  zerstreut. 


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Name  der  Gemeinde 

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bezirks      || 

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Bemerkungen 

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Amtsgericht 
Nördlingen 

Nördlingen 

8216 

1426 

40,68 

81,74 

13,67 

— 

Alerheim .... 

748 

1021 

7 

33 

— 

1 

Appetshofen     .     . 

542 

872 

6 

22 

— 

2 

Baidingen     .     . 

411 

556 

4 

27 

2 

— 

Balgheim      .     .     . 

441 

739 

6 

14 

— 

— 

Birkenhausen    .     . 

331 

453 

3 

11 

— 

18 

Bohl 

270 

475 

3 

10 

— 

40 

Deggingen    .     .     . 

584 

992 

7 

12 

1 

562 

Deiningen     .     . 

930 

1533 

12 

50 

— 

69 

Ederheira      .     . 

408 

926 

4 

10 

— 

538 

Ehringen      .     .     . 

324 

498 

4 

1 

9 

— 

Enkingen      .     .     . 
Gro  fielfingen 

201 

328 

2 

19 

— 

— 

447 

629 

4 

18 

— 

— 

Grofihorheim    . 

472 

965 

4 

18 

63 

264 

Herkheim  . 

197 

344 

3 

9 

— 

— 

Heroldingen 

319 

593 

4 

24 

4 

146 

Hohenaltheim  . 

390 

928 

4 

15 

— 

432 

Holheim  .     .     . 

267 

412 

2 

10 

— 

29 

Hoppingen    .     . 

181 

206 

2 

15 

36 

5 

Hürnheim     .     . 

248 

454 

4 

9 



47 

Kleinerdlingen . 

323 

285 

4 

1 

5 

— 

Eleinsorheim 

334 

631 

4 

12 

45 

173 

Löpsingen     .     . 

750 

1077 

7 

12 

20 

— 

Merzingen    .     . 

125 

226 

1 

4 

— 

— 

Möttingen     .     . 

547 

609 

6 

16 

— 

— 

Munzingen   .     . 

300 

494 

30 

42 

— 

24 

Näherm  emmingen 

343 

464 

4 

6 

7 



Niederaltheim  . 

287 

852 

3 

17 

1 

421 

Keimlingen  .     . 

544 

955 

7 

19 

1 

8 

Rudelstetten 

291 

516 

3 

16 

4 

79 

Schmähingen    . 

326 

519 

3 

11 

4 

8 

Schrattenhofen    * 

141 

142 

1 

5 



Wallerstein  .     . 

1348 

498 

13 

23 





Wörnitzo8theim 

225 

328 

2,5 

13 





Ziswingen 

213 

469 

2 

7 

. — 

156 

Oettingen 

3099 

1016 

21 

63 

_ 

23 

Amtsgericht 
Oettingen 

Amerbach 

418 

770 

5 

15 

7 

117 

Beizheim .     .     . 

374 

702 

4 

15 

— 

14 

278    Christian  Gruber,  Das  Ries.  Eine  geographisch-volkswirtschaftl.  Studie.    [92 


Name  der  Gemeinde 


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Bemerkungen 


Dürrenzimmern 

Ehingen  .     .  . 

Fessenheim  .  . 

Hainsfarth    .  . 

Herblingen  .  . 

Heuberg  .    .  . 

Hochaltingen  . 

Holzkirchen .  . 
Laub   .... 

Maihingen    .  . 

Marktoffingen  . 

Mögesheira  .  . 
Memmingen 

Nittingen      .  . 

Pföfflingen  .  . 

Schwörsheim  . 

Utzwingen    .  . 

Wechingen  .  . 

Harburg  .     .  . 

Ronheim  .     .  . 

Polsing    .     .  . 

Trendel    .     .  . 

Wem  ding     .  . 

Goßheim  .     .  . 

Huisheim      .  . 


293 
469 
347 
1021 
245 
239 
282 
373 
508 
557 
621 
703 
521 
159 
401 
487 
372 
618 

1239 
125 

499 
234 


2128 

477 
622 


ha 
514 
860 
618 

1222 
496 
659 
364 
653 
808 
849 
970 

1253 
745 
508 
580 
725 
566 

1131 

1343 
467 

729 
421 


2391 
1302 
1109 


ha 

3 

6 

4 
12 

4 

4 

3 

4 

4 

7 

8 

8 

6 

2 

6 

4 

4 

7 

8 
1,6 

3 

4 


21 
5 
6 


ha 
17 
23 
20 
43 
12 
44 
12 
19 
16 
20 
26 
27 
24 
15 
2 

19 
14 


44 
19 

11 
31 


11 
33 
21,5 


ha 


5 
46 
14 
18 
41 


8 
2 

224 
0,8 

1 
12 


55 
12 


ha 

22 

38 

91 

8 

14 

97 
49 

2 
264 


150 

56 

289 
79 

280 
26 

1057 
393 
139 


Amtsgericht 
Oettingen 


Amtsgericht 
Donauwörth 


Amtsgericht 
Heidenheim 
am  Hahnen- 

kämm 

Amtsgericht 

Monheim 


Den  württembergischen  Ortschaften  des  Rieses  kommen  nach 
der  Zählung  von  1895  folgende  Bevölkerungsziffern  zu:  Benzenzim- 
mern 222,  Dirgenheim  229,  Kirchheim  885,  Goldburghausen  234,  Pflaum- 
loch  458,  Trochtelfingen  777,  Utzmemmingen  529  Seelen. 


V.   Teil. 

Die  Erwerbsverhältnisse  im  Ries. 


Vorbemerkung. 

Die  nachfolgenden  Betrachtungen,  welche  in  dieser  Ausführlichkeit 
auf  Grund  von  tausenden,  durch  amtliche  Erhebungen  gewonnenen 
Ziffern  zum  erstenmal  für  ein  größtenteils  bayerisches  Gebiet  dargeboten 
werden,  ermöglichten  mir  vor  allem  Herr  Oberregierungsrat  im  königl. 
bayerischen  Staatsministerium  des  Innern  Dr.  Probst,  Vorstand  des 
königl.  bayerischen  Statistischen  Bureaus,  und  Herr  Ministerialdirektor 
v.Zell er,  Vorstand  des  königl.  Statistischen  Landesamtes  für  Württem- 
berg. Beiden  Herren  sei  denn  auch  wiederholt  ehrerbietiger  Dank  für 
ihr  Entgegenkommen  ausgesprochen. 

Die  geographische  Gesamtausstattung  des  Rieses  weist  sein  Volk 
seit  alters  auf  eine  ausgiebige  Benutzung  des  im  ganzen  höchst  er- 
tragsfähigen Bodens  hin.  Und  der  Rieser  ist  betriebsam  genug,  um 
die  natürlichen  Gegebenheiten  voll  auszubeuten,  den  mit  Löß,  Schwarz- 
erde und  Sand  überzogenen  Gründen  seiner  Heimat  alle  Früchte  ab- 
zugewinnen, deren  Anbau  die  klimatischen  Verhältnisse  zulassen  und 
auch  lohnen. 

Von  den  39455  Bewohnern  des  bayerischen  Rieses  beschäftigten 
sich  1895  nicht  weniger  als  21721,  also  55°/o,  mit  Landwirtschaft. 
Dazu  hatten  unter  jenen,  welche  Gewerbe  und  Handel  trieben,  1873 
einen  Nebenberuf,  der  gleichfalls  hauptsächlich  in  Ackerbau  und  Vieh- 
zucht bestand.  Andererseits  freilich  waren  auch  2129  Personen  unter 
der  landwirtschaftlichen  Bevölkerung  vorhanden,  die  sich  nicht  aus- 
schließlich von  der  Bodenbenutzung  ernährten,  sondern  nebenbei  ein 
Gewerbe  oder  den  Handel  ausübten. 

Aehnliche  Ziffern  ergeben  sich  für  den  württembergischen  Anteil 
am  Riese.  Hier  lebten  in  dem  erwähnten  Jahre  2422  Leute  von  land- 
wirtschaftlichen, 642  von  gewerblichen  Betrieben,  92  vom  Handel  und 
298  waren  Sonstige  (Pfarrer,  Lehrer,  Altsitzer  u.  s.  w.).  Von  den  Ge- 
werbsleuten und  Handeltreibenden  aber  hatten  wiederum  151  Neben- 
berufe, von  den  Landwirten  278. 

In  manchen  Gemeinden  des  Rieses  erreichte  die  Zahl  der  Land- 
wirte über  90°/o    der  Gesamtbevölkerung,    so   in  Herblingen  (99,2  °/o), 


280 


Christian  Gruber, 


[04 


Munzingen  (95  V),  Laub  (92,9  °/o),  Schrattenhofen  (92°/o),  Wörnitzostheim 
(91,6  °,o),  Amerbach  (91,4  °/o)  und  Nittingen  (90,6  °/o);  außerdem  bemafi 
sich  dieselbe  in  fast  zwei  Dritteln  sämtlicher  Ortschaften  auf  80 — 90°/o. 
Vor  allem  herrschen,  wie  die  Karte  über  die  prozentuale  Ver- 
teilung der  landwirtschaftlichen  Bevölkerung  im  Ries  beweist,  innerhalb 
der  weiten  Flächen  des  zentralen  Gebietes  unserer  Landschaft  durchaus 
Ackerbau  und  Viehzucht  vor.  Der  Bauer  ist  sich  hier  auch  seiner 
volkswirtschaftlichen  Bedeutung  und  des  Einflusses  seiner  Ernteergeb- 
nisse auf  die  Lebensführung  der  Stadtbewohner  stolz  bewußt.  Aus 
diesem  Bewußtsein  heraus  hat  er  das  übertriebene  Wort  erfunden: 

„Gedeiht  der  Eeara  im  Ries, 
So  spürt  ma's  bis  Paris/ 

ein  Ausspruch,  der  gegenwärtig  allerdings  nicht  mehr  in  dem  Maße 
wahr  ist,  wie  dies  früher  der  Fall  sein  mochte. 

Nur  im  Umkreis  der  größeren  Siedelungen  und  am  Riesrande 
muß  die  Landwirtschaft  naturgemäß  hinter  Gewerbe  und  Handel  zurück- 
treten. In  Nördlingen  gehören  ihr  bloß  8,9,  in  Oettingen  17,9,  in 
Wallerstein  31,2,  in  Harburg  31,4,  in  Wemding  41,5,  in  Hoppingen 
48,1,  in  Kleinerdlingen  48,9  °/o  der  Bevölkerung  an. 

Die  folgende  tabellarische  Uebersicht  und  die  Diagramme  auf 
Tafel  II,  welche  für  jeden  Ort  des  gesamten  Rieses  die  Höhe  der 
landwirtschaftlichen  Bevölkerung  ohne  und  mit  Nebenberufen  ver- 
anschaulichen, überheben  mich  weiterer  Ausführungen  im  einzelnen. 
Sie  lassen  schon  durch  einen  raschen  Blick  das  Vorwiegen  des  rein 
bäuerlichen  Elementes  im  Riese  allenthalben  erkennen,  beweisen  aber 
auch,  daß  in  den  einzelnen  Gemeinden  viel  beträchtlichere  Unterschiede 
hinsichtlich  der  Erwerbsverhältnisse  herrschen,  als  gemeinhin  ange- 
nommen wird.  Von  einer  durchgreifenden,  schematisch  gleichförmigen 
Verteilung  derselben  kann  keine  Rede  sein. 


Uebersicht  der  Berufe  der  Bevölkerung  In  den  Riesgemeinden  nach  der 
Zählung  vom  Jahre  1895. 

A.  Bayerisches  Ries. 


Gemeinde 


Hauptberufe 


L 


Mit  Neben- 
berufen 


Von  100  Personen 
der  Gesamtbevölke- 
rung treffen  auf 


B 


D-F 


Amtsger.  Donauwörth. 


Harburg 
Ronheim 


414 
107 


Amtsger.  Monheim. 

Goßheim '428 

Huisheim j  503 

Wemding |  884 


487 
2 


19 

70 

754 


152 


1 

1 

157 


186 
7 

I 

29 

48 

333 


48 
19 


24 
101 
169 


208 
1 


4 

26 

255 


36 

1 


58 


33,4 
85,6 


89.7 
80,9 
41,5 


39,3 
1,6 


4,0 
11,2 
35,5 


12,3 
7,2 


0,2 
0,2 
7,4 


15,0 
5,6 


6,1 

7,7 
15,6 


95] 


Das  Ries.   Eine  geographisch-volkswirtschaftliche  Studie. 


281 


1 Hauptberu 

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rung  treffen  auf 

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1 

Q 

A 

B 

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A   |    B 

C 

D-F 

Amtsger.  Nördlinge». 

Alerheim 

627 

57 

1 

63 

58 

17 

—  83,* 

7,7 

0,1 

8,4 

Appetshofen 

448 

34 

5 

55 

25 

17 

2!  82.7 

6,3 

0,9 

10,1 

Baldingen    .     . 

297 

70 

4 

40! 

25 

24 

1J72.3 

17,0 

1,0 

9,7 

Balgheim     .     . 

386 

13 

— 

42 

35 

3 

—  !*7,5 

8,0 

— 

9,5 

Birkhausen  .     . 

284 

26 

12 

9 

24 

5 

2  85,8 

7,9 

3,6 

2,7 

Bühl    .... 

237 

8 

1 

24 

26 

1 

— 

87,8 

2,9 

0,4 

8,9 

Deggingen 

351 

132 

27 

74 

42 

41 

1 

60,1 

22,6 

4,6 

12,7 

Deiningen    .     . 

700 

148 

19 

63 

50 

36 

5 

75,3 

15,9 

2,0 

6,8 

Ederheim     .     . 

308 

66 

4 

30 

42 

22 

2 

75,5 

16,2 

1,0 

7,3 

Ehringen     .     . 

285 

22 

2 

15 

22 

3 

— , 

88,0 

6,8 

0,6 

4,6 

Enkingen     .     . 

166 

9 

5 

21 

12 

3 

1 

82,6 

4,5 

2,5 

10,4 

Grosselfingen   . 

381 

12 

10 

44 

19 

1 

2 

85,2 

2,7 

2,2 

9,9 

Grofisorheim    . 

351 

74 

14 

33 

90 

32 

8 

74,4 

15,7 

3,0 

6,9 

Herkheim    .     . 

i    163 

21 

2 

11 

7 

4 

—  82,7 

10,7 

1,0 

5,6 

Heroldingen     . 

285 

8 

— 

26' 

22 

1 

—  1*9.3 

2,5 

— 

8,2 

Hohenaltheim  . 

262 

6* 

11 

49 

23 

20 

3|  67,2 

17,4 

2,8 

12,6 

Holheim  .     .     . 

215 

41 

4 

7 

28 

6 

— 

80,5 

15,4 

1,5 

2,6 

Hoppingen  .     . 

*7 

47 

24 

23 

11 

1« 

13 

48,1 

25,9 

13,3 

12,7 

Hürnheim    .     . 

216 

17 

— 

15 

10 

1 

— 

*7,1 

6,9 

— 

6,0 

Kleinerdlingen 

158 

94 

33 

38  | 

8 

3 

— 

48,9 

29,1 

10,2 

11,8 

Kleinsorheim    . 

272 

34 

3 

25  i 

34 

1 

— 

81,4 

10,2 

0,9 

7,5 

Löpsingen    .     . 

627 

64 

5 

54 

51 

15 

— ' 

83,6 

8,5 

0,7 

7,2 

Merzingen   .     . 

112 

5 

— 

8 

27 

1 

—  !89,6 

4,0 

— 

6,4 

Möttingen    .     . 

365 

69 

38 

75 

27 

19 

8 

66,7 

12,6 

7,0 

13,7 

Munzingen 

285 

2 

— 

13 

20 

— 

— 

95,0 

0,7 

— 

4,3 

Nähermemmingen 

250 

62 

2 

29! 

29 

24 

2 

72,8 

18,1 

0,6 

8,5 

Niederaltheim  . 

243 

27 

3 

14! 

14 

9 

— . 

84,7 

9,4 

1,0 

4,9 

Keimlingen  .     . 

465 

40 

10 

29' 

10 

4 

11 

85,5 

7,4 

1,8 

5,3 

Rudelstetten     . 

259 

4 

— 

25 

20 

4 

—  J89.0 

2,4 

— 

8,6 

Schmähingen   . 

27* 

11 

— 

37 

6 

— 

—  85,3 

3,4 

— 

11,3 

Schrattenhofen 

!    130 



— 

11 

7 

— 

—  92,2 

— 

— 

7,8 

Wallerstein .     . 

421 

402 

152 

3731) 

37 

45 

23 

31,2 

29,8 

11,3 

27,7 

Wörnitzostheim 

206 

5 

1 

13 

15 

— 

— 

91,6 

2,2 

0,4 

5,8 

Ziswingen    .     . 

191 

9 

2 

11 

52 

5 

— 

89,7 

4,2 

0,9 

5,2 

Amtsger.  Oettingen. 

! 

Amerbach 

382 

2 

2 

32 

52 

— 

1 

91,4 

0,5 

0,5 

7,6 

Beizheim 

322 

34 

— 

1* 

22 

3 

—  !«M 

9,1 

— 

4,8 

Dürrenzimmern    .     .     . 

229 

22 

16 

26 

12 

4 

1 

78,1 

7,5 

5,5 

8,9 

Ehingen 

411 

6 

— 

52: 

40 

— 

— ; 

87,6 

1,3 

— 

11,1 

Fessenheim 

270 

30 

11 

36 

61 

13 

4 

77,8 

8,6 

3,2 

10,4 

Hainsfahrt 

521 

273 

133 

94 

23 

39 

17 

51.0 

26.7 

13,0 

9,3 

Herblingen 

243 

— 

— 

2; 

18 

— 

— 

99,2 

— 

— 

0,8 

Heuberg  ...... 

205 

7 

2 

25 

ls 

3 

— 

85.8 

2,9 

0,8 

10,5 

*)  Diese  vergleichsweise  hohe  Ziffer  erklärt  sich  mit  daraus,  daß  in 
Wallerstein  eine  von  den  sogen,  englischen  Fräulein  geleitete  Töchterschule  mit 
Pensionat  besteht. 


282 


Christian  Gruber, 


[96 


Gemeinde 


Hauptberufe 


'S  * 


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•■B 

C 

o 

GG 


Mit  Neben- 
berufen 


Von  100  Personen 
der  Gesamtbevölke- 
rung treffen  auf 


B 


D-F 


Hochaltingen 
Holzkirchenen 
Laub  .    .     . 
Maihingen  . 
Marktoffingen 
Mögesheim  . 
Munningen  . 
Nittingen     . 
Oettingen    . 
Pfäfflingen  . 
Schwörsheim 
Utzwingen  . 
Wechingen  . 


Amtsger.  Heidenheim 


Polsing 
Trendel 


ünm.  Stadt  Nördhngen 


205 
328 
472 
486 
439 
572 
468 
144 
556 
346 
431 
312 
513 


271 
216 

732 


40 

24 

5 

39 

113 

72 

28 

1251 
11 

18 
28 
35 


34 
4 

3508 


2 

3 

2 

26 
10 

8 
553 
4 
1 
5 
4 


13 

1 

2085 


35 
18 
31 
30 
43 
49 
25 
7 
739 
40 
37 
27 
66 


181 
13 


18 
65 
23 
60 
18 
62 
59 
3 
43 
34 
32 
11 
59 


11 
18 


1891   78 


5 

1 

14 

33 

21 

6 

110 
4 
7 
4 
6 


12 


312 


45 
2 

1 
1 


151 


72,7 

88,0 
92,9 
87,2 
70,7 
81,4 
89,8 
90,6 
17,9 
86,3 
88,5 
83,9 
83,0 


54,3 
92,3 

8,9 


14,2 
6,4 
1,0 
7,0 
18,2 
10,2 
5,4 

40,4 
2,7 
3,7 
7,5 
5,7 


6,8 
1,7 

42,7 


0, 

0,8 

0,4 
4,2 
1,4 

5.0 
17,8 
1,0 
0,2 
1,3 
0,6 


2,6 
0,4 

25,4 


12,4 
4,8 
6,1 
5,4 
6,9 
7,0 
4,8 
4,4 

23,9 

10,0 
7,6 
7,3 

10,7 


36,3 
5,6 

23,0 


Summa 


21721 


8620 


3595 


5519ii2129 


1471 


4021 


B.  Württembergisches   Ries. 


beramt  Neresh 

eim. 

Benzenzimmern    .     .    . 

187 

3 

— 

32 

48 



— 

84,3 

1,3 



14,4 

Dirgenheim      .     . 

176 

29 

— 

24 

24 

7 

— 

76,8 

12,6 

— 

10,6 

Kirchheim    .     . 

591 

217 

10 

67 

35 

39 

2 

66,7 

24,6 

1,2 

7,5 

Goldburghausen 

293 

27 

— 

34 

33 

9 

— 

82,2 

7,6 

10,2 

Pflaumloch  .     . 

217 

132 

52 

57 

46 

32 

11 

47,1 

28,8 

11,3 

12,8 

Trochtelfingen . 

628 

83 

24 

421 

59 

19 

6 

80,0 

10,7 

3,1 

5,4 

Utzmemmingen 

330 

151 

6 

4$ 

33 

25 

1 

62,4 

28,5 

1,1 

8,0 

Summ 

a 

• 

2422 

642 

92 

298 

278 

131 

20 

— 

— 

— 

— 

Der  Ackerbau  im  eigentlichen  Sinne,  welcher  im  Ries  bis  vor 
30  Jahren  in  der  altererbten  Form  der  Dreifelderwirtschaft  betrieben 
wurde,  erstreckt  sich  auf  fast  alle  Fruchtgattungen  der  deutschen 
Agrikultur.  Man  baut  Winter-  und  Sommerweizen,  Winter-  und 
Sommerspelz,  Winter-  und  Sommerroggen,  Winter-  und  Sommergerste, 
Hafer,  Mais,  Erbsen,  Linsen,  Bohnen,  Wicken  als  Grünfutter  und  zur 
Körnergewinnung,  Menggetreide  und  Mischfrucht,  Kartoffeln,  Zucker- 
und Runkel-,  Weiß-  und  Kohlrüben,  Kraut,  gewöhnliches  Gemüse, 
Flachs  und  Hanf,  Hopfen  (diesen  sehr  wenig);  von  Futterpflanzen 
Klee,  Luzerne,  Esparsette  und  Grassaaten  verschiedener  Art;  endlich 
in  den  Haus-  und  Obstgärten  und  längs  der  Alleen  auch  einfaches 
Obst.     Am  bedeutsamsten  und  gewinnbringendsten  ist  der  Anbau  von 


97] 


Das  Ries.  Eine  geographisch-volkswirtschaftliche  Studie. 


283 


Dinkel  oder  Spelz,  von  Sommergerste,  Hafer  und  Kartoffeln.  Weit 
nach  dem  Frankenland  hinein  sind  die  Rieser  Frühkartoffeln  (besonders 
aus  dem  öttingischen  Gebiete)  und  KochrUben  bekannt.  Bei  dem  aus- 
geprägt konservativen  Charakter  der  landwirtschaftlichen  Verhältnisse 
im  Ries  kann  wohl  ohne  Bedenken  gewagt  werden,  in  nachfolgender 
Uebersicht  ein  Bild  von  der  Bodenbenutzung  innerhalb  unserer  Land- 
schaft auf  Grund  der  Ermittelungen  vom  Jahre  1893  zu  geben. 


Uebersicht  der  Bodenbenutzung  im  Ries. 


H    e 

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Gemeinde 

'S 

§ 

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Alerheim    ■    ♦ 

100 

108 

50 

101 

124 

_ 

44 

24 

8 

5 

11 

W> 

71 

208 

65 

Appetshofen 

19 

136 

31 

l:W 

67 

1 

67 

31 

14 

5 

10 

Jö 

60 

159 

45 

Bai  diu  gen  . 

4 

107 

15 

121 

24 

'» 

60 

16 

7 

2 

2 

45 

H 

86 

3 

BalgheiEii    , 

4 

174 

31 

146 

46 

1 

74 

20 

7 

1 

6 

70 

20 

70 

37 

Birkenlmusen 

33 

M> 

28 

89 

31 

1 

U* 

13 

15 

3 

1 

51 

19 

68 

2 

Bühl  .     .     - 

10 

LH 

77 

m 

13 

0,5 

IG 

13 

3 

U 

2 

12 

40 

125 

43 

Begingen 

1 

HÜ 

28 

67 

20 

2 

2!* 

27 

14 

3 

3 

84 

4 

26 

53 

D^iningen  . 

46 

214* 

25 

■J14 

175 

3 

70 

43 

30 

4 

5 

88 

94 

318 

85 

Ederheim    , 

3 

m 

19 

70 

33 

4 

17 

13 

4 

1 

2 

27 

25 

35 

41 

E  bringen     . 

5 

75 

22 

104 

41 

6 

3H 

21 

3 

1 

6 

41 

20 

91 

1 

Enkingen    . 

3 

54 

7 

45 

9 

1 

17 

6 

3 

1 

2 

22 

24 

102 

7 

Grossei  fingen 

28 

gg 

2!> 

102 

54 

— 

35 

15 

13 

3 

6 

30 

36 

156 

16 

Großsorbeim 

4 

113 

43 

L08 

39 

2 

47 

24 

13 

2 

3 

57 

55 

87 

— 

Herkheim   . 

1 

70 

W 

82 

IS 

4 

21 

9 

3 

1 

2 

30 

10 

45 

22 

Heroldingen 

3 

35 

42 

73 

in 

3 

1 

15 

7 

1 

5 

20 

18 

133 

26 

Hohen  altheim 

— 

101 

21 

99 

22 

4 

3 

20 

6 

1 

4,5 

36 

18 

82 

8 

Hol  beim 

3 

75 

21 

69 

1-J 

3 

3' 

8 

4 

— 

1 

20 

1" 

52 

■> 

Hoppingen  > 

— 

26 

5 

89 

6 

1 

12 

9 

. — 

1 

— 

7 

10 

26 

— 

Hürnheira   . 

3 

73 

17 

64 

24 

H 

18 

13 

3 

1 

3 

29 

25 

50 

;►►.; 

Kleinerdlingen 

— 

84 

8 

48 

15 

2 

18 

10 

3 

2 

1 

22 

5 

43 

10 

Klein!  orheim 

2 

75 

22 

90 

2* 

2 

24 

12 

6 

1 

4 

24 

32 

64 

— 

Löpsingen  . 

34 

190 

29 

211 

69 

— 

56,5 

23 

13 

2,5 

7 

74 

4 

244 

8J 

Merzingen  . 

1 

57 

11 

36 

14 

— 

16 

7 

2 

1 

3 

10 

5 

41 

14 

Möttingen  .     . 

8 

122 

21 

111 

30 

— 

80 

17 

10 

2 

8 

51 

18 

91 

8 

Munzingen .     . 

3 

50 

30 

80 

20 

4 

24 

12 

4 

1 

3 

15 

12 

109 

10 

Nähermemmingei 

1 

2 

94 

22 

98 

28 

— 

26 

19 

3 

1 

4 

38 

19 

69 

13 

Niederaltheim 

— 

60 

16 

98 

32 

1 

22 

12 

2 

1 

2 

34 

21 

58 

42 

Keimlingen 

10 

199 

44 

230 

55 

4 

94 

23 

7 

3 

1 

60 

10 

147 

30 

Rudelßtetten   . 

14 

6 

81 

38 

23 

2 

14 

17 

13 

0,7 

2,5 

17 

3 

141 

37 

Schmähingen  .     . 

1 

80 

20 

89 

28 

0,4 

22,6 

11 

3 

1 

5,5 

35 

41 

60 

89 

Schrattenhofen 

6 

22 

8 

29 

7 

— 

7 

4 

4 

1 

1 

8 

4 

23 

3 

Waller8tein 

5 

70 

22 

79 

42 

1 

23 

25 

5 

2 

1 

32 

25 

96 

4 

Wörnitzostheim 

♦ 

12 

49 

10 

50 

25 

— 

18 

7 

4 

1 

2 

17 

20 

85,5 

9 

Ziswingen  .     .     . 

1 

52 

19 

65 

15 

1 

29 

12 

5 

1 

4 

22 

15 

40 

17 

Amerbach  .     . 

25 

4 

78 

83 

32 

1 

3 

36 

12 

1 

3 

30 

27 

198 

66 

Beizheim    .     .     . 

72 

30 

48 

84 

76 

4,5 

23 

21 

13 

2 

1 

24 

72 

119 

72 

Dürrenzimmen 

Q    . 

66 

26 

22 

51 

65 

— 

10 

19 

8 

2 

3 

40 

56 

110 

13 

Forschungen  zur  deutschen  Landes-  und  Volkskunde.   XII.    3. 


19 


284 


Christian  Graber, 


[98 


Hektar 

Gemeinde 

© 

© 

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Ehingen  .     .     . 

103 

12 

78 

100 

95 

3 

18 

25 

7 

3 

3 

45 

102 

141 

49 

Fessenheim  .     . 

58 

19 

59 

42 

41 

— 

18 

18 

15 

1 

1 

27 

48 

180 

26 

Hainsfarth    .     . 

103 

6 

112 

134 

86 

4 

19 

51 

5 

3 

1 

51 

33 

248 

98 

Herblingen   .    . 

19 

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42 

75 

42 

3 

7 

12 

7 

1 

1 

22 

60 

102 

18 

Henberg  .    .     . 

96 

7 

22 

45 

109 

— 

19 

15 

8 

1 

2 

36 

96 

122 

19 

Hochaltingen    . 

14 

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27 

46 

30 

1 

7 

12 



2 

1 

15 

23 

67 

43 

Holzkirchen .    . 

55 

!5 

56 

58 

37 

— 

12 

22 

13 

1 

4 

25 

47 

160 

12 

Laub    .... 

6,05 

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112 

83 

40 

0,5 

3,5 

73 

10 

4 

7 

27 

12 

206 

32 

Maihingen    .     . 

13 

HO 

65 

138 

93 

— 

27 

52 

— 

1 

40 

40 

157 

30 

Marktoffingen  . 

24 

110 

70 

130 

70 

3 

52 

32 

6 

2 

2 

80 

92 

176 

21 

Mögesheim  .     . 

78 

13 

108 

75 

108 

1 

18 

51 

26 

3 

2 

43 

82 

314 

1 

Mnnningen  .     . 

87 

27 

41 

68 

107 

— 

20 

26 

11 

1 

1 

45 

— 

169 

— 

Nittingen      .     . 

43 

15 

19 

25 

40 

2 

26 

7 

4 

3 

2 

19 

30 

208 

— 

Oettingen     .     . 

74 

J0 

66 

120 

90 

1 

25 

50 

10 

3 

— 

37 

29 

276 

57 

Pfafflingen   .    . 

69 

44 

12 

70 

73 

— 

17 

12 

8 

2 

4 

30 

60 

150 

15 

Schwörsheim     . 

13 

— 

151 

20 

36 

1 

2 

84 

8 

3 

4 

30 

13 

160 

9 

Utzwingen    .     . 

7 

75 

47 

88 

46 

— 

8 

16 

4 

2 

1 

31 

97 

94 

12 

Wechingen  .     . 

80 

58 

90 

33 

156 

1 

21 

35 

16 

4 

4 

40 

126 

349 

7 

Harburg  .     .     . 

4,2 

115 

78 

146 

58 

4,8 

19 

30 

8 

3 

0,6 

49 

61 

144 

9 

Ronheim .     .     . 

1 

17 

33 

46,5 

17 

3,2 

4,8 

6 

2,2 

0,4 

1,3 

17 

24 

86,5 

68,5 

Polsing    .     .     . 

26 

3 

73 

40 

21 

4 

7 

25 

5 

2 

8 

29 

27 

96 

43 

Trendel     .     . 

30 

3 

51 

39 

89 

4 

3 

23 

11 

1 

1 

17 

37 

66 

5 

Wemding     .     . 

38 

10 

161 

123 

72 

10 

14 

67 

20 

6 

0,2 

38 

20 

560 

71 

Goßheim .     .     . 

9 

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110 

100 

51 

2,5 

6 

28 

3 

2 

2,4 

28 

100,6 

250 

82 

Huisheim      .     . 

32 

19 

110 

138 

72 

1,8 

7,6 

25 

0,6 

3,2 

2 

29 

153,5 

182 

83 

Innerhalb  des  Verwaltungsbezirks  der  Stadt  Nördlingen  waren 
1893  angebaut:  753  ha  mit  Getreide  und  Hülsenfrüchten,  39  ha  mit 
Kartoffeln,  20  ha  mit  Futterrüben,  81,60  ha  mit  Futterpflanzen;  4  ha 
waren  Brachland,  352,36  ha  wurden  als  Wiesland,  5  ha  als  Weiden 
und  Hutungen  benutzt. 

Vielfach  liefert  der  Getreideboden  das  Zehn-  bis  Zwölffache  der 
Aussaat;  ein  Tagwerk  Wiesland  aber  giebt  im  Mittel  30 — 40  Zentner 
Heu  und  Grummet.  Die  Arbeit  des  Landmannes  lohnt  sich  demnach  im 
Riese  reichlich.  Aber  auch  die  Grundpreise  treiben  zu  gesteigerter  Pro- 
duktion, zur  sorgfältigsten  Ausnutzung  des  Bodens  und  zu  mannigfal- 
tigem Bracheinbau  mit  Klee,  Grünwicken,  Ackerbohnen  und  Flachs. 
Ein  Tagwerk  Ackerland  ist  oft  genug  schon  mit  2000,  ein  Tagwerk 
Wiesboden  mit  1700  M.  bezahlt  worden. 

Ihr  zum  Verkauf  bestimmtes  Getreide  bringen  die  Rieser  Land- 
wirte zum  großen  Teile  nach  der  Nördlinger  Schranne.  Doch  ist  es 
natürlich  nur  ein  sehr  fragmentarisches  Bild  vom  Getreidehandel  in 
unserem  Gebiete,  welches  uns  die  Summen  über  die  alljährlichen  Um- 


99]  Das  Ries.  Eine  geographisch-volkswirtschaftliche  Studie.  285 

sätze  an  jener  aufzeigen.  Im  Jahre  1895  l)  betrug  der  Gesamtverkauf 
dort  129929  Zentner  um  934372  M.;  1896 2)  83059  Zentner  um 
659508  M.;  1897  100387  Zentner  um  822237  M.  Hauptsächlich 
kommen  Korn  (18763,  13721  und  18536  Zentner),  Gerste  (78338, 
48945  und  58940  Zentner)  und  Haber  (14048,  9577  und  10230  Zent- 
ner) zum  Absatz.  Die  Malzfabrik  Nördlingen  berichtet  über  das  Ge- 
schäftsjahr 1895/96,  daß  die  Rieser  Gerste,  wenn  sie  bei  trockenem 
Wetter  ausreift  und  frei  von  Niederschlägen  eingeheimst  werden  kann, 
in  Bezug  auf  Zuckergehalt  und  Ausbeute  ihre  ganz  besonderen  Vorzüge 
hat.  Deshalb  gehen  auch  an  die  Großbrauereien  Münchens  stets  größere 
Mengen  von  dieser  Fruchtgattung  ab. 

Neben  dem  Ackerbau  wird  von  jeher  auch  die  Viehzucht  im 
Riese  nicht  vernachlässigt.  Der  anerkannte  „Bauer"  ist  stolz  auf  sein 
„  Anspann  von  Rossen M  kräftigen  Schlags,  der  ihn  vom  Söldner  unter- 
scheidet, und  schon  der  Mittelbegüterte  hat  neben  der  Dreschtenne 
seinen  Stall  voll  Kühen  mit  Nachwuchs  und  Stieren,  die  er  zum  Ver- 
kaufe heranfüttert.  Die  zahlreichen  Weideländer  und  Hutungen  an  den 
Höhenzügen  des  Rieses  und  seiner  Umrahmung  begünstigen  die  Schaf- 
zucht. Das  Geflügel  aber  wird  so  gehalten,  daß  „oft  zweifelhaft  ist, 
ob  auf  seine  Pflege  oder  auf  jene  der  Kinder  größere  Sorgfalt  verwendet 
wird".  Seit  Eröffnung  des  Eisenbahnverkehrs  in  seinem  Gaue  geht  das 
Hauptbestreben  des  Riesers  dahin,  sehr  frühe  Zuchten  zu  erhalten. 
Schon  im  Frühling  gehen  nunmehr  Herden  von  Gänsen  und  ganze 
Wagenladungen  von  jungen  Hühnern  nach  Augsburg  und  München, 
ins  Württemberger  Land  und  gegen  den  Rhein  hin,  wo  sie  um 
teures  Geld  abgesetzt  werden  können. 

Aehnlich  wie  die  Nördlinger  Schranne  werden  auch  die  Nörd- 
linger  Viehmärkte  von  den  Rieser  Landwirten  mit  Vorliebe  aufgesucht. 
Es  kamen  dort  zum  Verkauf 

auf  den  Viehmärkten: 

1895:      4508  Stück  für  1062242  M.  25  Pf., 
1896:       5148      „         ,      956220    „    —    „ 
18973):   2960      ,         „      526233    „    —    . 

auf  den  Schafmärkten: 

1895:  13755  Stück  (Zutrieb  24023  Stück), 
1896:  15622  „  (  „  37363  ,  ), 
1897»):  11925       „       (      ,        23148       „    ); 


l)  Diese  Angaben  sind  den  Verwaltungsberichten  des  Stadtmagistrats  Nörd- 
lingen und  den  Jahresberichten  der  Handels-  und  Gewerbekammer  für  Schwaben 
und  Neuburg  entnommen. 

*)  In  dem  genannten  Jahre  gab  e9  infolge  allzu  häufiger  Niederschläge 
weniger  als  eine  Mittelernte. 

8)  Damals  herrschte  in  Nördlingen  und  Umgegend  die  Maul-  und  Klauen- 
seuche. 


286  Christian  Gruber,  [100 

auf  den  Pferdemärkten: 

18951):  32  Stück  (Zutrieb  472  Stück), 
1896:  33  ,  (  „  277  ,  ), 
1897:      21       „       (      „        191       „    ). 

Auf  dem  Wollmarkt 

wurden  1895:  537  Zentner, 

1896:  620 


abgesetzt. 


1897:  783 


Wenn  auch  die  wirtschaftliche  Bedeutung  des  Eieses  in  erster 
Linie  auf  seiner  außergewöhnlichen  Fruchtbarkeit  und  der  gewissen- 
haften Ausnutzung  von  Qrund  und  Boden  beruht,  so  werden  doch 
hierdurch  die  gewerbliche  Thätigkeit,  der  Handel  und  Ver- 
kehr nicht  so  in  den  Hintergrund  gedrängt,  daß  sie  volkswirtschaft- 
lich ohne  beträchtliche  Wichtigkeit  wären.  Im  Gegenteil,  sie  haben 
sich  nicht  bloß  rings  an  der  Peripherie  des  Eieses  erfreulicherweise 
entwickelt,  sondern  auch  mitten  in  der  Kornkammer  der  Landschaft 
findet  sich  ein  hoher  Prozentsatz  von  Bauern  mit  Nebenberuf.  Denn 
hier  übt  vielfach  der  Kleinbegüterte  ein  Handwerk  in  Form  von  Ge- 
sellenarbeit aus,  der  Mittelbegüterte  in  Form  von  Meisterarbeit,  während 
der  rechte  Bauer  sich  freilich  nicht  zum  Betriebe  eines  solchen 
herbeiläßt. 

Im  ganzen  hat  man  1895  im  bayerischen  Riese  8620  Handwerks- 
leute und  Industrielle,  sowie  3595  Handeltreibende  gezählt.  Jene  machen 
21,8,  diese  9,1  °/o  der  Gesamtbevölkerung  aus.  Zentren  für  Gewerbe 
und  Handel  sind  vor  allem  Nördlingen  mit  3508  Gewerbs-  und  2085 
Handelsleuten  (42,7  bezw.  25,4 °/o  der  Bevölkerung)2),  Oettingen  mit 
1251  und  553  solchen  (40,4  und  17,8  °/o),  Harburg  mit  487  und  15a 
(39,3  und  12,3  °/o),  Wemding  mit  754  und  157  (35,5  bezw.  7,4  °/o), 
Wallerstein  mit  402  und  152  (29,8  und  11,3  °/o),  Hainsfarth  mit  273 
und  133  (26,7  und  13,0». 

Dagegen  haben  keine  Gewerbetreibenden:  Schrattenhofen,  Herb- 
lingen,  Nittingen  —  und  in  Balgheim,  Heroldingen,  Hürnheim,  Mer- 
zingen, Munzingen,  Eudelstetten ,  Schmähingen,  Schrattenhofen,  Beiz- 
heim, Ehingen,  Herblingen,  Laub,  Munningen,  Benzenzimmern,  Dirgen- 
heim  und  Goldburghausen  finden  sich  keine  eigentlichen  Handelsleute. 

Die  Arten  der  Einzelgewerbe  und  größeren  Gewerbebetriebe,  die 
im  bayerischen  Riese  und  besonders  in  Nördingen  vorkommen,  werden 
in  den  folgenden  Tabellen  aufgezählt: 


2)  Die  Nördlinger  Pferdemärkte  leiden  darunter,  daß  sich  die  Handelsleute 
davon  fernhalten. 

2)  Für  München  betragen  die  einschlägigen  Ziffern  47,7  bezw.  23,5  °/o. 


99]  Das  Ries.  Eine  geographisch-volkswirtschaftliche  Studie.  285 

sätze  an  jener  aufzeigen.  Im  Jahre  1895  l)  betrug  der  Gesamtverkauf 
dort  129929  Zentner  um  934372  M.;  1896 2)  83059  Zentner  um 
659508  M.;  1897  100387  Zentner  um  822237  M.  Hauptsächlich 
kommen  Korn  (18763,  13721  und  18536  Zentner),  Gerste  (78338, 
48945  und  58940  Zentner)  und  Haber  (14048,  9577  und  10230  Zent- 
ner) zum  Absatz.  Die  Malzfabrik  Nördlingen  berichtet  über  das  Ge- 
schäftsjahr 1895/96,  daß  die  Rieser  Gerste,  wenn  sie  bei  trockenem 
Wetter  ausreift  und  frei  von  Niederschlägen  eingeheimst  werden  kann, 
in  Bezug  auf  Zuckergehalt  und  Ausbeute  ihre  ganz  besonderen  Vorzüge 
hat.  Deshalb  gehen  auch  an  die  Großbrauereien  Münchens  stets  größere 
Mengen  von  dieser  Fruchtgattung  ab. 

Neben  dem  Ackerbau  wird  von  jeher  auch  die  Viehzucht  im 
Riese  nicht  vernachlässigt.  Der  anerkannte  „Bauer44  ist  stolz  auf  sein 
„Anspann  von  Rossen M  kräftigen  Schlags,  der  ihn  vom  Söldner  unter- 
scheidet, und  schon  der  Mittelbegüterte  hat  neben  der  Dreschtenne 
seinen  Stall  voll  Kühen  mit  Nachwuchs  und  Stieren,  die  er  zum  Ver- 
kaufe heranfüttert.  Die  zahlreichen  Weideländer  und  Hutungen  an  den 
Höhenzügen  des  Rieses  und  seiner  Umrahmung  begünstigen  die  Schaf- 
zucht. Das  Geflügel  aber  wird  so  gehalten,  daß  „oft  zweifelhaft  ist, 
ob  auf  seine  Pflege  oder  auf  jene  der  Kinder  größere  Sorgfalt  verwendet 
wird".  Seit  Eröffnung  des  Eisenbahnverkehrs  in  seinem  Gaue  geht  das 
Hauptbestreben  des  Riesers  dahin,  sehr  frühe  Zuchten  zu  erhalten. 
Schon  im  Frühling  gehen  nunmehr  Herden  von  Gänsen  und  ganze 
Wagenladungen  von  jungen  Hühnern  nach  Augsburg  und  München, 
ins  Württemberger  Land  und  gegen  den  Rhein  hin,  wo  sie  um 
teures  Geld  abgesetzt  werden  können. 

Aehnlich  wie  die  Nördlinger  Schranne  werden  auch  die  Nörd- 
linger  Viehmärkte  von  den  Rieser  Landwirten  mit  Vorliebe  aufgesucht. 
Es  kamen  dort  zum  Verkauf 

auf  den  Viehmärkten: 

1895:      4508  Stück  für  1062242  M.  25  Pf., 
1896:       5148      „         ,      956220    „    —    „ 
18973):  2960      ,         ,      526233    „    —    „ 

auf  den  Schafmärkten: 

1895:  13755  Stück  (Zutrieb  24023  Stück), 
1896:  15622  ,  (  „  37363  „  ), 
18973):  11925      „       (      „        23148       ,    ); 


')  Diese  Angaben  sind  den  Verwaltungsberichten  des  Stadtmagistrats  Nörd- 
lingen und  den  Jahresberichten  der  Handels-  und  Gewerbekamin  er  für  Schwaben 
und  Neuburg  entnommen. 

*)  In  dem  genannten  Jahre  gab  es  infolge  allzu  häufiger  Niederschläge 
weniger  als  eine  Mittelernte. 

s)  Damals  herrschte  in  Nördlingen  und  Umgegend  die  Maul-  und  Klauen- 
seuche. 


288 

Christian  Gruber, 

[102 

Gewerbeart 

Zahl  der 

Name  der  Ge- 
meinde 

Gewerbeart 

Zahl  der 

Name  der  Ge- 
meinde 

1 

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Wemding.  .  .  . 

Grob-  u.  Huf- 

4 

10 

Wemding.  .  .  . 

Seilerei 

3 

7 

Alerheim  .... 

schmiede 

2 

4 

Oettingen.  .  .  . 

4 

5 

Deggingen  .  .  . 

1 

1 

Deiningen    .  .  . 

3 

4 

Wemding.  .  .  . 

Buchbinderei 

1 

2 

Ederheim  .... 

1 

1 

Oettingen.  .  .  . 

4 

5 

Großsorheini  .  . 

2 

2 

Hohenaltheim   . 

1 

3 

Harburg   .... 

Gerberei 

3 

3 

Löpsingen    .  .  . 

1 

2 

Oettingen.  .  .  . 

5 

6 

Wallerstein.  .  . 

2 

4 

Oettingen.  .  .  . 

3 

8 

Harburg    .... 

Sattler 

3 

5 

Hain8farth  .  .  . 

2 

2 

Wemding.  .  .  . 

2 

6 

Marktoffingen  . 

1 

2 

Deggingen  .  .  . 

1 

2 

Mögesheim  .  .  . 

2 

2 

Wallerstein.  .  . 
Hainsfarth  .  .  . 

2 

1 

5 
2 

Harburg   .... 

Schlosser 

3 

9 

Oettingen.  .  .  . 

3 

10 

Wemding .... 

3 

7 

Alerheim  .... 

1 

4 

Harburg   .... 

Sagemühlen 

2 

2 

Deggingen  .      . 
Wallerstein.  .  . 

2 

4 

Wemding.  .  .  . 

3 

6 

1 

5 

Ederheim  .... 

1 

2 

Hainsfarth  .  .  . 

1 

3 

Hainsfarth  .  .  . 

2 

2 

Marktoffingen  . 

1 

2 

Oettingen.  .  .  . 

1 

2 

Oettingen.  .  .  . 

5 

16 

Harburg   .... 

Tischlerei 

4 

8 

Harburg    .... 

Zeug-  und 

1 

2 

Huisheim  .      .  . 

2 

3 

Oettingen.  .  .  . 

Messer- 

3 

5 

Wemding.  .  .  . 

7 

15 

schmiede 

Alerheim  .... 

2 

2 

Oettingen.  .  .  . 

Fabrikation 

2 

22 

Deggingen  .  .  . 

1 

2 

landwirtsch. 

Ederheim  .... 

1 

3 

Maschinen 

Großsorheim  .  . 

1 

2 

Harburg    .... 

Wagner 

2 

5 

Hohenaltheim  . 

2 

4 

Wemding  .... 

3 

5 

Eleinerdlingen . 

1 

2 

Deiningen.  .  .  . 

2 

3 

Löpsingen   .  .  . 

1 

1 

Großsorheim  .  . 

1 

2 

Möttingen    .  .  . 

1 

1 

Löpsingen    .  .  . 

1 

2 

Wallerstein.  .  . 

2 

7 

Wallerstein.  .  . 

1 

3 

Hainsfarth  .  .  . 

4 

10 

Hainsfarth  .  .  . 

2 

2 

Marktoffingen  • 

2 

7 

Marktoffingen  . 

1 

2 

Oettingen.  .  .  . 

11 

28 

Mögesheim  .  .  . 

3 

3 

Oettingen.  .  .  . 

1 

3 

Harburg   .... 
Wemding.  .  .  . 

Böttcherei 

2 
2 

4 
4 

Wallerstein.  .  . 

Uhrmacher 

1 

2 

Wallerstein.  .  . 

1 

2 

Oettingen.  .  .  . 

3 

5 

Oettingen .... 

2 

4 

Oettingen.  .  .  . 

Pianofabrika- 
tion u.  Orgel- 

3 

82 

Wemding.  .  .  . 

Drechslerei 

4 

3f 

bau1) 

Harburg    .... 

Getreide-, 

3 

4 

Harburg   .... 

Leinen- 

5 

5 

Huisheim  .... 

Mahl-  und 

1 

1 

Alerheim  .... 

weberei 

7 

7 

Wemding .... 

Schälmühlen 

2 

3 

Deiningen    .  .  . 

6 

6 

Alerheim  .... 

1 

5 

Näh  er  memmin  g. 

7 

7 

Deggingen  .  .  . 

2 

2 

Oettingen.  .  .  . 

5 

6 

Deiningen.  .  .  . 

3 

6 

')  Firma  Steinmeyer  u.  Söhne. 


103] 


Das  Ries.  Eine  geographisch-volkswirtschaftliche  Studie, 


289 


Name  der  Ge- 
meinde 


Ederheim  .  . 
Großsorheim 
Löpsingen  . 
Möttingen  . 
Nähermemming. 
Hainsfarth  . 
Oettingen.  . 

Harburg  .  . 
Wemding.  . 
Alerheim  .  . 
Baldingen  . 
Deggingen  . 
Deiningen  . 
Ederheim  .  . 
Großsorheim 
Löpsingen  . 
Möttingen  . 
Wallerstein . 
Hainsfarth  . 
Oettingen.  . 

Wallerstein 
Oettingen.  . 

Harburg  . 
Wemding . 
Baldingen 
Deiningen 
Wallerstein 
Oettingen . 

Wemding . 
Alerheim  . 
Mögesheim 

Harburg    . 

Huisheim  . 

Wemding . 

Deggingen 

Deiningen 

Großsorheim 

Hohenaltheim 

Kleinerdlingen 

Möttingen   .  . 

Nähermemming. 

Wallerstein 

Hainsfarth 

Marktoffingen 

Mögesheim 

Oettingen . 

Harburg  . 
Huisheim  . 


Gewerbeart 


Getreide-, 

Mahl-  und 

Schälmühlen 


Bäckerei 


Konditorei 


Fleischerei 


Molkerei  und 
Käserei 


Brauerei 


Näherei 


Zahl  der 


•gflS 

■  •  o 


3 

3 
5 

7 
9 
7 
4 

10 
20 
1 
1 
2 
4 
1 
1 
2 
2 
6 
2 
30 

3 
11 

13 

10 

2 

2 

5 

28 


1 

3 

1 

2 

2 

3 

3 

7 

1 

2 

5 

12 

1 

3 

1 

4 

1 

1 

1 

3 

1 

5 

1 

2 

1 

1 

1 

3 

1 

2 

1 

1 

1 

2 

4 

14 

Name  der  Ge- 
meinde 


Wemding.  . 
Baldingen.  . 
Löpsingen  . 
Hainsfarth  . 
Mögesheim  . 
Oettingen .  . 

Harburg  .  . 
Huisheim  .  . 
Wemding.  . 
Deggingen  . 
Deiningen.  . 
Wallerstein . 
Hainsfarth  . 
Mögesheim  . 
Oettingen.  . 

Harburg  .  . 
Wemding.  . 
Alerheim  .  . 
Deggingen  . 
Deiningen.  . 
Ederheim  .  . 
Großsorheim 
Hohenaltheim 
Kleinerdlingen 
Löpsingen  .  . 
Möttingen  .  . 
Nähermemming. 
Wallerstein.  . 
Hainsfarth  .  . 
Marktoffingen 
Mögesheim  .  . 
Oettingen.  .  . 

Harburg  .  .  . 
Wemding.  .  . 
Wallerstein.  . 
Oettingen.  .  . 

Oettingen.  .  . 

Harburg  .  .  . 
Huisheim  .  .  . 
Wemding .  .  . 
Alerheim  .  .  . 
Deggingen  .  . 
Deiningen  .  . 
Großsorheim  . 
Kleinerdlingen 
Löpsingen  .  . 
Wallerstein.  . 
Hainsfarth  .  . 


Zahl  der 


Gewerbeart 


s  Ifl 


NB  flu  Ö 


Näherei 


Schneiderei 


Schuh- 
macherei 


Barbiere 


Wasch- 
anstalten 

Maurer 


'■3  2 


1 

10 

5 

15 

7 
2 
9 
2 
5 
4 
4 
1 
16 

11 
17 
4 
2 
5 
1 
1 
1 
4 
1 
2 
2 
2 
5 
4 
4 
21 

1 
6 
1 
8 

10 

6 
5 
14 
5 
1 
8 
1 
2 
1 
3 
7 


7 
2 
2 

11 
5 

15 

11 
4 

13 
7 
6 

11 
8 
3 

23 

12 
26 
4 
4 
6 
2 
3 
3 
5 
1 
5 
2 
4 
6 
5 
6 
21 

2 

8 
2 

2 

10 

6 
5 

33 

6 

2 

12 

6 

4 

10 

18 

14 


290 


Christian  Gruber, 


[104 


Gewerbeart 

Zahl  der 

Name  der  Ge* 
meinde 

Gewerbeart 

Zahl  der 

Name  der  Ge- 
meinde 

ig 

—  _  - 
ä  ~  s 

1 

c  - 

5jß-  ff 
%  ^  ff 

«1 
pa 

Markto  ffingen   . 

Maurer 

7 

6 

Hainsfarth  .  ,  . 

Handel  mit 

3 

2 

Mögesheim  .  .  . 

7 

7 

Mögesheim  ,  .  , 

Kolonial* 

2 

4 

Oettingen,  ,  ♦  , 

8 

28 

Oettingen,  .  .  . 

waren 

21 

24 

Harburg    .... 

Zimmerer 

4 

9 

Harburg    ,  ,  .  ♦ 

Handel  mit 

1 

2 

Wemding. 

a 

20 

Walleratein,  .  . 

Wein  und 

1 

1 

Alerheim  . 

3 

11 

Oettingen .  ,  .  . 

Spirituosen 

2 

8 

Baldingen . 

1 

5 

Deggingen 
Deiningen 
Ederheim  i 
Löpsingen 
Wallerytein 

2 
3 

9 

4 

Harburg    .  .  .  ■ 

Handel  mit 

6 

11 

1 
1 

1 

3 
1 
7 

Wemding ,   ,  ,  . 
Wallerstetn.  ,  . 
Hainsfarth   .  ,  . 

Manufaktur- 
waren 

1 

3 
2 

2 
5 

3 

Markto  i'iiii  gen   . 

I 

2 

Oettingen .... 

6 

10 

Oettingen  *  .  .  . 

3 

7 

Harburg    .... 

Handel  mit 

1 

2 

Harburg    «  .  .  . 

Glaser 

I 

2 

Oettingen.  .  .  . 

Kurs-  und 

9 

9 

Wemding .  .  .  , 

3 

6 

Galanterie- 

Alerheim .... 

1 

1 

waren 

Oettingen  .... 

l 

2 

Harburg    .... 

Handel  mit 

8 

in 

Huisheim  ,  ,  .  . 

verschiede- 

7 

7 

Walleratein,  :  . 

Maler 

1 

2 

Wemding .  .  ,  . 

nen  Wareu 

7 

w 

Oettingen .  .  .  , 

3 

t> 

Alerheim  .... 
D einlegen    .  .  , 

1 

4 

1 

5 

Harburg   .... 

»Schornstein- 

1 

2 

Groüsorheim  .  . 

2 

2 

Wemding.  .  .  . 

feger 

1 

2 

Löpsingen    .  .  . 

1 

1 

Wallerstein.  .  . 

1 

2 

Wallerstein.  .  . 

4 

5 

Oettingen.  .  .  . 

1 

2 

Hainsfarth  .  .  . 
Mögesheim  .  .  . 
Oettingen.  .  .  . 

5 

3 

13 

7 

4 

15 

Wemding.  .  .  . 

Buch- 

1 

3 

Oettingen .... 

druckerei 

1 

4 

Oettingen.  .  .  . 

Handels- 
vermittelung 

8 

9 

Harburg 

Handel  mit 

7 

7 

Deggingen 
Möttingen 
Hainsfarth 
Oettingen . 

Tieren 

2 

1 

22 

12 

4 

2 

22 

12 

Harburg    .... 
Huisheim  .... 
Wemding .... 
Alerheim  .... 

Beherber- 
gung 

10 

3 

17 

3 

15 
3 

33 
5 

Deggingen  .  .  . 

3 

5 

Harburg    .... 

Handel  mit 

1 

1 

Deiningen    .  .  . 

5 

6 

Wemding . 

landwirtsch. 

10 

10 

Ederheim .... 

2 

3 

Alerheim  . 

Produkten 

1 

1 

Großsorheim  .  . 

1 

2 

Wallerstein 

2 

4 

Kleinerdlingen . 

3 

b* 

Oettingen . 

13 

18 

Löpsingen    .  .  . 

3 

6 

Möttingen    .  .  . 

3 

6 

Nähermemming. 

2 

2 

Harburg    .... 

Handel  mit 

7 

11 

Wallerstein.  .  . 

9 

18 

Wemding . 

Kolonial- 

19 

24 

Hainsfarth  .  .  . 

2 

2 

Deggingen 

waren 

2 

2 

Marktoffingen  . 

2 

3 

Ederheim . 

1 

2 

Mögesheim  .  .  . 

4 

4 

Wallerstein 

5 

5 

Oettingen.  .  .  . 

17 

35 

105] 


Das  Ries.  Eine  geographisch-volkswirtschaftliche  Studie. 


291 


Gewerbeart 

Zahl  der 

Name  der  Ge- 
meinde 

Gewerbeart 

Zahl  der 

Name  der  Ge- 
meinde 

.2 

® 

»  ®  0 

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u 

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18g 
« ?s  0 

Harburg    .... 
Baldingen    .  .  . 
Hohenaltheim  . 
Löpsingen   .  .  . 

Schank-  und 
Speisewirt- 
schaften 

2 
3 
2 
1 

2 
3 

3 

1     1 

1 

Möttingen  .  .  . 
Wallerstein.  .  . 
Hainsfarth  .  .  . 

1 

1 

Schank-  und 

Speisewirt- 

schaften 

2 
2 
2 

2 
2 
4 

Am  Ende  dieser  Ausführungen  über  die  Erwerbsverhältnisse  im  Ries 
sei  noch  angedeutet,  daß  innerhalb  des  von  uns  betrachteten  Gebietes 
die  Güterbewegung  durch  ein  dichtes  und  vielverzweigtes  Netz  von 
Straßenzügen,  sowie  durch  drei  Schienenstränge  erleichtert  wird,  welche 
allerdings  in  hervorragendem  Maße  gleichzeitig  auch  dem  Transitver- 
kehr dienen:  durch  das  am  15.  Mai  1849  eröffnete  Stück  der  Ludwigs- 
Südnordbahn,  die  unsere  Landschaft  in  einem  breitgeöffneten  Winkel 
zwischen  Oettingen,  Nördlingen  und  Harburg  durchzieht,  durch  einen 
Teil  der  Vizinalbahn  von  Nördlingen  nach  Dinkelsbühl,  deren  Betriebs- 
eröffnung am  2.  Juli  1876  erfolgte,  und  durch  die  dem  Verkehr  am 
3.  Oktober  1863  übergebene  Eisenbahnlinie  Nördlingen-Bopfingen- 
Wasseralfingen. 

Die  drei  Verkehrswege  münden  in  Nördlingen  zusammen,  und 
hier  erreichte  denn  auch  die  Güterbewegung  in  den  Jahren  1893—1896 
die  nachstehenden  Höhen  l) : 

1893: 


Abgegangene  Güter: 


19432,59  t;    angekommene  Güter:    33062,27  t; 
Gesamtsumme:  52494,86  t. 


1894: 

Abgegangene  Güter:    18336,76  t;    angekommene  Güter:   34195,45  t; 

Gesamtsumme  52,532,21  t. 

1895: 
Abgegangene  Güter:    19832,07  t;   angekommene  Güter:   36832,68  t; 
Gesamtsumme:  56664,75  t. 

189  6: 

Abgegangene  Güter:    17132,66  t;   angekommene   Güter:   39429,14  t; 

Gesamtsumme:  55561,80  t. 

Vergleicht  man  die  gesarate  Güterbewegung  in  Nördlingen  mit 
jener  in  anderen  schwäbischen  Städten,  so  ergiebt  sich,  daß  sie  sich 
ungefähr  auf  die  Hälfte  derjenigen  von  Lindau  und  den  zwölften  Teil 
derjenigen  von  Augsburg  bemißt,  sonach  gewiß  sehr  beträchtlich  er- 
scheint. 


')  Jahresbericht  der  Handels-  und  Gewerbekammer  für  Schwaben  und  Neu- 
burg für  1897,  Anhang  II. 


\ 


Tafel  2. 


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Sonstige 
(Attsiixer  f  Geistliche  t  LeArer  ics.wß 


ii'-f.'i'.jtoutv.Vtjrwrli  Detos.IetpsiJ 


Hnnd  IIB. 

Heft  1.  Die  Verbreitung  und  wirtschaftliche  Bedeutung  der  wichtigeren  Wald- 
baumarten innerhalb  Deutschlands,  von  Prof.  Dr.  B.  Borggreve.    Preis  M.  1.— 

Heft  2.    Das  Meissnerland,  von  Dr.  M.  Jäschke.    Preis  M.  1.90. 

Heft  3.  Das  Erzgebirge.  Eine  orometrisch-anthropogeographische  Studie  von  Oberlehrer 
Dr.  Johannes  Burgkhardt.    Preis  M.  5. 60. 

Heft  4.  Die  Kurische  Nehrung  und  ihre  Bewohner*  von  Prof.  Dr.  A.  Bezzenberger. 
Preis  M.  7.  50. 

Heft  5.  Die  deutsche  Besiedlung  der  östlichen  Alpenländer,  insbesondere  Steier- 
mark^ Kärntens  und  Krains,  nach  ihren  geschichtlichen  und  örtlichen  Verhältnissen, 
von  Prof.  Dr.  F.  von  Krone».    Preis  M.  5.  60. 

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Ueb erblicke,  von  Prof.  J.  B.  Nordhoff.    Preis  M.  1.20. 

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Heft  3.  Die  Schneedecke,  besonders  in  deutschen  Gebirgen,  von  Prof.  Dr. 
•         Friedrich  Ratzel.    Preis  M,  8.  — 

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Dr.  A.  Birlinger.    Preis  M.  4.80. 

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und  Verbreitung  innerhalb  desselben,  von  Dr.  F.  Hock.    Preis  M.  2.20. 
Heft  2.    Ueber  die  geographische  Verbreitung  der  Süsswasserfische  von  Mittel- 

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geographischen  Verhältnisse,  von  Dr.  Emil  Küster.  Preis  M.  3.20. 
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Eine  anthropogeographische  Untersuchung,  von  Dr.  A.  Schlatterer.    Preis  M.  3.60. 

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Heft  1.  Die  Ursachen  der  Oberflächengestaltung  des  norddeutschen  Flach- 
landes, von   Dr.  F.  Wahnschaffe.    Preis  M.  7.  20. 

Heft  2.  Die  Volksdichte  der  Thüringischen  Triasmulde,  von  Dr.  C.  Kaesemacher. 
Preis  M.  3.  20. 

Heft  8.    Die  Halligen  der  Nordsee,  von  Dr.  E.  Traeger.    Preis  M.  7.  50. 

Heft  4.  Urkunden  über  die  Ausbrüche  des  Vernagt-  und  Gurglergletschers 
im  17.  und  18.  Jahrhundert,  von  Prof.  Dr.  E.  Richter.    Preis  M.  7. — 

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Untersuchung,  von  Prof.  Dr.  Ludwig  Neu  mann.    Preis  M.  9. 40. 

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Heft  5.    Rügen.     Eine  Inselstudie,  von  Prof.  Dr.  Rudolf  Credner.    Preis  M.  9. — 

W nvt a fit ynn er  nnf  SaHa  A.   /Iao  TTmcMi1a<ya 


BanU  VIII.  .'  '*«*'* 

Heft  1.    Klimatographie  des  Königreichs  Sachsen.  Erste  Mitteilung  von  Prof.  Di.  Paul 

Schreiber.    Preis  M.  4. —  9 

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suchungen  dargestellt  von  Prof.  Dr.  Joseph  Partsch.    Preis  M.  6. — 
HeftS.    Die  Eife  1.    Von  Dr.  Otto  Follniann.    Preis  M.  3.20. 

Heft  4.    Die  landeskundliche  Erforschung  Altbayerns  im   16.,  17.  und  18.  Jahr- 
hundert von  Dr.  Christian  Gruber.    Preis  M.  3. — 
Heft  5.    Verbreitung  und  Bewegung  der  Deutschen  in  der  französischen  Sehweis. 

Von  Dr.  J.  Zexnmrich.    Preis  M.  3.80. 
Heft  6.    Das  deutsche  Sprachgebiet  Lothringens  und   Beine  Wandelungen  von  der 

Feststellung  der  Sprachgrenze  bis  zum  Ausgang  des  16.  Jahrhunderts,  von  Dr. Üans  Witte. 

Preis  M.  6.  50. 

Band  IX. 
Heft  1.   Die   Art    der  Ansiedelung   der    Siebenbürger    Sachsen.     Von   Direktor  Dr. 

Friedrich  Teutsch.  —  Volksstatistik  der  Siebenbürger  Sachsen.  Von  Prof. 

Fr.  Schuller.    Preis  M.  4.  80. 
Heft  2.    Volkstümliches  derSiebenbürgerSachsen.  VonGymnasiaUehrerO.Wittstoek.  — 

DieMundart  der  Sieben  bürg  erSachsen.  Von  Direktor  Dr.  A.Schein  er.  Preis  M.6,50. 
Heft  3.    Die.  Regenkarte  Schlesiens  und   der  Nachbargebiete.     Entworfen*  und 

erläutert  von  Professor  Dr.  Joseph  Partsch.    Preis  M.  4» 70* 
Heft  4.    Laubwaidflora  Norddeutschlands.    Von  Dr.  F.  Hock.    Preis  M.  2.70. 
Heft  5.    Die  gebgraphische  Verteilung  der  Niederschläge  im  nordwestlichen 

Deutschland.     Von  Dr.  Paul  Moldenhauer.    Preis  M.  4.— 
Heft  6.    Der  Hesseiberg   am  Frankenjura   und    seine    südlichen  Vorhöhen.     Von 

Dr.  Christian  Gruber.    Preis  M.  5.20. 

Band  X. 

Heft  1.    Zur  Hydrographie  der  Saale.    Von  Professor  Dr.  Willi  üle.    Preis  M.  4.50. 

Heft  2.   Der  Pinzgau.    Physikalisches  Bild  eines  Alpengaues.    Von  Oberlehrer  Dr.  Wilhelm    i 

Schjerning.    Preis  M.  8.80.  *  j 

Heft  3.    Die  Pinzgauer.    Von  Oberlehrer  Dr.  Wilhelm  Schjerning.    Preis  M.  5. —  | 

Heft  4.    Zur  Geschichte  des  Deutachtums  im  Elsass  und  im  Vogesengebiet.     Von 

Dr.  Hans  Witte.    Preis  M.  7.60. 

Band  XI. 

Heft  1.   Magnetische  Untersuchungen  im  Harz.  VonProf.Dr.M.Eschenhagen.PreisM.1.60. 
Heft  2.   Beitrag  zur  physikalischen  Erforschung  der  baltischen  Seeen.    Von 

Professor  Dr.  Willi  Ule.    Preis  M.  8.— 
Heft  3.    Zur  Kenntnis  des    Hunsrücks.     Von  Dr.  Fritz  Meyer.    Preis  M.  4.— 
Heft  4.    Die  Veränderungen   der  Volksdichte   im  nördlichen  Baden  1852  — 1895. 

Von  Dr.  Carl  ü  hl  ig.    Preis  M.  10.— 
Heft  5.   Entwicklungsgeschichte  der  phanerogamen  Pflanzendecke  Mitteleuropas 

nördlich  der  Alpen.     Von  Dr.  August  Schulz.     Preis  M.  8.40. 

Band  XII. 

Heft  1.  Die  Niederschlagsverhältnisse  der  mittleren  Rheinprovinz  und  der  Nach- 
bargebiete. Von  Dr.  P.  P  o  1  i s ,  Direktor  der  Meteorologischen  Zentralstation  in  Aachen. 
Mit  10  Tabellen,  9  Karten  und  3  Textillustrationen.     1899.    96  Seiten.    Preis  M,  12.— 

Heft  2.  Das  Vogtland  als  orographisches  Individuum.  Eine  Studie  zur  deutschen 
Landeskunde.  Von  Dr.  Albert  Wohl r ab  in  Leipzig.  Mit  1  Uebersichtskarte,  7  Licbfc- 
drucktafeln  und  12  Textillustrationen.     1899.    89  Seiten.     Preis  M.  6.40. 

Heft  3.  Das  Ries.  Eine  geographisch-volkswirtschaftliche  Studie  von  Dr.  Chr.  Grub  er  in 
München.   Mit  2  Kartenbeilagen  und  12  Textillustrationen.    1899.    105  S.   Preis  M.  10.5a 

Neu  eintretende  Abonnenten,  die  alle  bisher  erschienenen  Hefte  nach- 
beziehen,  erhalten  Band  1—ft  zum  halben  Prew, 


Druck  der  Union  Doutsehfi  Verlagsgesellschaft  in  Stuttgart. 


Forschungen 

zur  dentschenTjandes-  und  Volkskunde 

im  Auftrage  der 

Centralkommission  für  wissenschaftliche  Landeskunde  von  Deutschland 

herausgegeben  von 

Dr.  A.  Kirchhoff, 

Professor  der  Erdkunde  au  der  Universität  Halle. 

Zwölfter  Band. 

Heft  4. 


Die  Volksdichte 


der  Grossherzoglich  Hessischen 


PROVINZ  STARKEN  BURG 

auf  Gnmd 

der  Volkszählung  Tom  2.  Dezember  1895. 

Von 

DR  KARL  BERGMANN, 

Lehrer  an  u>r  Yiktoriast'hule-  und  dein  Lehrerinnen-Seminar  2u  Darmstadt. 
Mit  einer  Karte. 


■-»«-- 


STUTTGART. 

VERLAG    VON    J.   ENGELHORN, 

1900. 


^t  m  ii  i  Cm in  m  ui  iti  m  1 1 1 1  n  u  1 1 1 1 1  n  1 1 1 1 » 1 1  h  » 1 1 1 1 1 1 1 1 1  n  1 1  >  1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1  m  n  1 1  m  1 1  n  1 1 1 1  ii  m  i  u  m  i  n  1 1  >  m  m  i  ii » 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1  n  1 1 1 1  n  il  ii  1 1  h  1 1 


jie  ä Forschungen  zur  deutschen  Landes-  und  Volkskunde"  sollen  daiu  helfen,  di€- 
heimischen  landes-  und  volkskundlichen  Studien  zu  fördern,  indem  sie  aas  allen  Gebieten 
derselben  bedeutendere  und  in  ihrer  Tragweite  über  ein  bloss  örtliches  Interesse  hinaus- 
gehende Themata  herausgreifen  und  darüber  wissenschaftliche  Abhandlungen  hervorragender 
Fachmänner  bringen.  Sie  beschranken  sich  dabei  nicht  auf  das  Gebiet  des  Deutschen  Reiches, 
sondern  so  weit  auf  mitteleuropäischem  Boden  von  geschlossenen  Volksgemeinschaften  die 
deutsche  Sprache  geredet  wird,  so  weit  soll  sich  auch,  ohne  Rücksicht  auf  staatliche  Grenzen, 
der  Gesichtskreis  unserer  Sammlung  ausdehnen.  Da  aber  die  wissenschaftliche  Betrachtung  der 
Landesnatur  die  Weglassung  einzelner  Teile  aus  der  physischen  Einheit  Mitteleuropas  nicht 
wohl  gestatten  würde,  so  sollen  auch  die  von  einer  nichtdeutschen  Bevölkerung  eingenommenen 
Gegenden  desselben  samt  ihren  Bewohnern  mit  zur  Berücksichtigung  gelangen.  Es  werden  dem- 
nach ausser  dem  Deutschen  Reiche  auch  die  Länder  des  cialeithanischen  Oesterreiohs,  abgesehen 
von  Galizien,  der  Bukowina  und  Dalmatien,  ferner  die  ganze  Schweiz,  Luxemburg,  die  Nieder- 
lande und  Belgien  in  den  Rahmen  unseres  Unternehmens  hineingezogen  werden.  Ausserdem 
aber  sollen  die  Sachsen  Siebenbürgens  mit  berücksichtigt  werden  und  auch  Arbeiten  über  die 
grösseren  deutschen  Volksinseln  des  Russischen  Reiches  nicht  ausgeschlossen  sein. 


unsere  Sammlung  erscheint  in  zwanglosen  Heften  von  ungefähr  2 — 5  Bogen;  jedes  Heft 
enthält  eine  vollständige  Arbeit  (ausnahmsweise  von  kürzeren,  auch  mehrere)  und  ist  für  sich 
käuflich.  Eine  entsprechende  Anzahl  von  Heften  wird  (in  der  Regel  Jahrgangs  weise)  zu  einem 
Bande  vereinigt. 

Bisher  sind  erschienen : 

Jland  I. 

Heft  1.    Der  Boden  Mecklenburgs,  von  Prof.  Dr.  E.  Geinitz.    Preis  80  Pfennig. 

Heft  2.  Die  oberrheinische  Tiefebene  und  ihre  Randgebirge,  von  Prof.  Dr. 
L  e  p  8  i  u  8.    Preis  M.  2.  — 

Heft  3.  Die  Städte  der  Norddeutschen  Tiefebene  in  ihrer  Beziehung  zur  Boden- 
gestaltung, von  Prof.  Dr.  F.  G.  Hahn.    Preis  M.  2. — 

Heft  4.  Das  Mtinchener  Becken.  Ein  Beitrag  zur  physikalischen  Geographie 
Südbayerns,* von  Chr.  Gruber.    Preis  M.  1.  60. 

Heft  5.  Die  mecklenburgischen  Höhenrücken  (Geschiebestreifen)  und  ihre 
Beziehungen  zur  Eiszeit,  von  Prof.  Dr.  E.  Geinitz.    Preis  M.  3. 10. 

Heft  6.  Der  Einfluss  der  Gebirge  auf  das  Klima  von  Mitteldeutschland,  von 
Dr.  R.  Assmann.    Preis  M.  5.50. 

Heft  7.  Die  Nationalitäten  in  Tirol  und  die  wechselnden  Schicksale  ihrer 
Verbreitung,  von  Prof.  Dr.  H.  J.  Bidermann.   Preis  M.  2.40. 

Heft  8.  Poleographie  der  cimbrischen  Halbinsel,  ein  Versuch,  die  Ansied- 
lungen  Nordalbingiens  in  ihrer  Bedingtheit  durch  Natur  und  Ge- 
schichte nachzuweisen,  von  Prof.  Dr.  K.  Jansen.     Preis  M.  2.  — 

Band  II. 

Heft  1.    Die  Na  tionalitats- Verhältnisse  Böhmens,  von  Dr.  L.  Schlesinger,    Preis 

80  Pfennig. 
Heft  2.    Nationalität  und  Sprache  im  Königreiche  Belgien,  von  Geh.  Rechnungsrat 

K.  Brämer.    Preis  M.  4.  -  """" 

Heft  3.    Die  Verbreitung  und  Herkunft  der  Deutschen  in  Schlesien,  von  Prof.  Dr. 

K.  Weinhold.    Preis  M.  2.40. 
Heft  4.    Gebirgsbau  und  Oberflächengestaltung  der  Sächsischen  Schweiz,  von 

Dr.  A.  Hettner.    Preis  M.  5.  25. 
Heft  5.   Neuere  slavische  Siedlungen  auf  süddeutschem  Boden,  von  Prof.  Dr. 

H.  J.  Bidermann.    Preis  M.  1.25. 
Heft  6.   Siedlungsarten    in    den    Hochalpen,    von    Prof.    Dr.    Ferdinand   Löwl. 

Preis  M.  1. 75. 

Fortsetzung  auf  Seite  3  des  Umschlags. 


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'S* 


DIE  YOLKSDICHTE 


DEE  GROSSHERZOGLICH  HESSISCHEN 


PROVINZ  STARKENBURG 


AUF  GRUND 


DER  VOLKSZÄHLUNG  VOM  2.  DEZEMBER  1895. 


VON 


DB.  KARL  §ERQMANN, 

LEHRER  AN  DER  VIKTORIASCHULE  UND  DEM  LEHRERINNEN-SEMINAR 
ZU  DARMSTADT. 


mit'einer  karte. 


-*«••►- 


STUTTGART. 

VERLAG  VON  J.  ENGELHORN. 

1900. 


Druck  der  Union  Deutsche  Verlagsgesellschaft  in  Stuttgart. 


Inhalt 

Seite 

Einleitung 297  [5] 

1.  Aeltere  Diohtekarten  der  Provinz  Starkenburg 297  [5 

2.  Zweck  der  vorliegenden  Arbeit 303  [11' 

3.  Umfang  der  vorliegenden  Arbeit 804  [12' 

Allgemeiner  Teil 806  [14] 

I.  Gang  der  Untersuchung 806  [14] 

1.  Statistisch-geographische  Vorarbeiten 806  [14 

2.  Die  bei  der  vorliegenden  Arbeit  befolgte  Methode     ....  807  f  15 

3.  Das  Quellenmaterial 315  23' 

a)  Volksdichtearbeiten 815  [28' 

b)  Statistische  Werke 816  [24' 

c)  Kartenwerke 316  [24 

d)  Geologische  Abhandlangen 316  [24 

e)  Allgemeine  Werke  über  das  Großherzogtum  Hessen    .    .  316  124' 

f)  Abhandlungen  über  einzelne  Teile  der  Provinz  Starkenburg  317  [25 

II.  Hauptergebnisse  der  Specialuntersuchung 317  [25] 

Specialuntemohung 319  [27] 

A.  Die  Rheinebene  und  die  Mainebene  westlich   der  Verkehrs- 
linie Frankfurt-Darmstadt 320  [28] 

B.  Die  große  Verkehrslinie  Frankfurt-D  ärmst  ad  t-Heidelberg  .     .  326  [34] 

C.  Die   Ostlich   der  Verkehrslinie  Frankfurt-Darmstadt  gelegene 
Mainebene 832  [40 

D.  Die  Vorhöhen  des  Odenwaldes 337  45 

E.  Der  Odenwald 340  [48 

1.  Der  westliche  Odenwald 340  [48] 

2.  Das  Gersprenz-  und  das  Weschnitzthal 347  55' 

3.  Der  mittlere  Odenwald 350  58' 

4.  Das  Mümlingthal 356  [64 

5.  Der  östliche  Odenwald 858  [66' 

6.  Das   Neckarthal   und   die  Neckarseitenthäler.    (Der  süd- 
östliche Odenwald.) 860  [68] 


1 


Erklärung  der  Abkürzungen. 

Beitr.  Stat.  —  Beitrage  zur  Statistik  des  Großherzogtums  Hessen. 

Centralst.  Landesst.  =  Mitteilungen  der  Großherzoglich  Hessischen  Centralstelle 

für  die  Landesstatistik. 
£rl.  Mörfelden  u.  s.  w.  =  Erläuterungen  zu  Blatt  Mörfelden  u.  s.  w.  (der  geolog. 

Karte  von  Hessen). 
Nk.,   Studien  Volksdichte  =  Neukirch,  K.,   Studien  über  die  Darstellbarkeit 

der  Volks  dichte.    Braunschweig  1897. 
Nrn.,  Yolk8d.  Baden  =  Neumann,  L.,  Die  Volksdichte  im  Großherzogtum  Baden, 

in  Forschungen  zur  deutschen  Landes-  und  Volkskunde,  VII.,  1892. 
Nrn.,  Südl.  Schwarzwald  =  Neumann ,  L.,  Die  Veränderungen  der  Volksdichte 

im  südl.  Schwarzwalde  1852—1895.    Freiburg  i.  Br.  u.  Leipzig  1896. 
P.  M.  =  Peter  mann  8  Mitteilungen. 
Spr. ,  Rheinisches  Deutschland  1820  =  Sprecher  von  Bernegg,  Die  Verteilung 

der  bodenständigen  Bevölkerung  im  rheinischen  Deutschland  im  J.  1820. 

Göttingen  1887. 
Wilbrand,  Odw.  =  Wilbrand,  Der  Odenwald,  in  Deutsche  geographische  Blätter. 

Bremen  1889. 


Einleitung. 


1.  Aeltere  Dichtekarten  der  Provinz  Storkenburg. 

Dichtekarten,  welche  nur  die  Dichteverhältnisse  der  hessischen 
Provinz  Starkenburg  berücksichtigen,  giebt  es  nicht.  Wer  sich  über 
diese  Verhältnisse  unterrichten  will,  muß  sich  mit  den  Karten  be- 
gnügen, welche  die  Dichte  von  Europa,  Deutschland  und  einzelnen 
Teilen  Deutschlands  zur  Darstellung  bringen.  Auf  den  folgenden 
Seiten  soll  nun  der  Versuch  gemacht  werden,  die  wichtigsten  dieser 
Arbeiten,  soweit  Starkenburg  in  Betracht  kommt,  zu  besprechen,  ohne 
jedoch  näher  auf  die  jeweils  befolgte  Methode  einzugehen.  Eine  aus- 
führliche Zusammenstellung  der  bis  jetzt  erschienenen  Dichtearbeiten 
und  eine  eingehende  Darstellung  und  Kritik  der  verschiedenen  Me- 
thoden findet  man  in  der  Dissertation  von  Karl  Neukirch  *).  Wo  es 
jedoch  angezeigt  schien,  wurde  auch  auf  andere  Werke  aufmerksam 
gemacht,  die  ebenfalls  Beiträge  zur  Methodik  bringen. 

Ueber  die  Dichtekarten  von  Europa2)  können  wir  kurz  hinweg- 
gehen. Es  ist  selbstverständlich,  daß  sie  bei  der  Kleinheit  des  Maß- 
stabes und  der  rein  statistischen  Methode  nur  die  allergröbsten  Züge 
vorführen  können,  ohne  auf  die  Einzelheiten  einzugehen.  So  zerfällt 
z.  B.  auf  der  Dichtekarte  von  Europa  in  H.  Berghaus,  Physikalischer 
Atlas,  die  Provinz  Starkenburg  in  zwei  Hauptteile,  die  durch  eine 
Linie  geschieden  werden,  welche  von  Mannheim  nach  Frankfurt,  und 
zwar  östlich  dieser  Stadt  sich  hinzieht.  Der  westlich  von  dieser  Linie 
gelegene  Teil   weist  eine  Dichte   von   150 — 200  Einwohnern   auf   das 


')  Neukirch,  Karl,  Studien  aber  die  Darstellbarkeit  der  Volksdichte. 
Freiburger  Dias.     Braunschweig  1897. 

')  Heinrich  Berghaus,  Physikalischer  Atlas,  1892.  Bevölkerungsdichtig- 
keit von  Europa  gegen  Ende  des  19.  Jahrhunderts  (M.  1:25000000),  Taf.  62.  — 
Stülpnagel  u.  Bär,  Die  Dichtigkeit  der  Bevölkerung  Europas;  in  Stülp- 
nagel u.  Bar,  Karte  von  Europa,  Neue  Ausg.  von  A.  Petermann.  Gotha  1855. 
Erste  Nebenkarte.  —  E.  Behm  u.  F.  Hanemann,  Dichtigkeit  der  Bevölkerung 
in  Europa  (M.  1:11000000),  in  Petermanns  Mitteilungen,  Erg.-Bd.  VIII,  1874, 
Taf.  IL  —  E.  Levasseur,  Carte  de  la  density  de  la  population  en  Europe 
(penode  1880—1885)  (M.  1 :  14000000).  Bulletin  de  Vlnstitut  International  de  Sta- 
tistique.    Rome.    T.  IL    L.    2.  Ann£e,  1887. 


298  Karl  Bergmann,  [6 

Quadratkilometer  auf,  der  östliche  Teil  dagegen  nur  eine  solche  von 
100—150.  Ein  Streifen  schwacher  Bevölkerung  (Dichte  50 — 75)  ragt 
in  den  östlichen  Odenwald  hinein.  Es  stellt  sich  also  der  größte  Teil 
des  östlich  der  Linie  Frankfurt-Darmstadt  gelegenen  Gebietes  der  Main- 
ebene als  schwächer  bevölkert  dar  als  die  Rheinebene,  was  den  wirk- 
lichen Verhältnissen  nicht  entspricht. 

Die  Dichtigkeitsdarstellung  von  Europa  in  P.  M.,  Erg.-Bd.  VIII, 
1874,  Taf.  II  kommt  den  wirklichen  Verhältnissen  insofern  näher,  als 
sie  die  Provinz  Starkenburg  in  mehrere  Gebiete  zerfallen  läßt,  die  im 
Vergleich  zu  der  Karte  bei  Berghaus  den  Eindruck  größerer  Natur- 
wahrheit hervorrufen.  Es  ist  das  eine  Folge  der  hier  angewandten 
Methode,  der  sogen.  Kurvenkonstruktion,  welche  von  dem  dänischen 
Marinelieutenant  Ravn  zuerst  ausgedacht  wurde.  Indem  diese  Methode 
im  Gegensatz  zur  statistischen  die  administrativen  Grenzen  ganz  auf- 
giebt,  bemüht  sie  sich,  deren  Unnatürlichkeit  durch  Einführung  von 
Kurven  zu  vermeiden.  Während  aber  Ravn  diese  Kurven  nach  einem  ge- 
wissen mathematischen  Verfahren  herstellt 1),  konstruierten  E.  Behm  und 
F.  Hanemann  ihre  Kurven  nicht  mathematisch,  „sondern  zogen  sie  mit 
Rücksicht  auf  die  größere  oder  geringere  Häufigkeit  der  Ortschaften, 
wie  sie  auf  topographischen  Karten  ersichtlich  ist*  *).  Auf  der  nach 
dieser  Methode  entworfenen  Dichtekarte  von  Europa  stellen  sich  nun- 
mehr die  Verhältnisse  für  Starkenburg  wie  folgt  dar:  Der  am  stärksten 
bevölkerte  Teil  mit  über  8000  Einwohnern  auf  die  geographische  Quadrat- 
meile befindet  sich  im  Südwesten;  er  reicht  zu  beiden  Seiten  des  Rheins 
südlich  weit  über  Mannheim  hinaus.  Der  nördlichste  Teil  dieses  stark 
bevölkerten  Gebietes  auf  dem  rechten  Rheinufer,  etwa  die  Gegend  von 
Viernheim,  Lampertheim,  Bürstadt,  gehört  jedoch  noch  zu  Starkenburg. 
Das  linke  Mainufer  bis  Hanau  etwa  erreicht  eine  Dichte  von  7 — 8000. 
Der  größere  Teil  des  Odenwald  es  weist  die  Dichte  5—6000,  der  öst- 
lichste Teil  dagegen  nur  eine  solche  von  4 — 5000  auf.  In  der  Nord- 
westecke der  Provinz,  also  in  dem  von  Rhein  und  Main  gebildeten 
Dreieck,  trifft  man  nur  auf  eine  Dichte  von  3 — 4000.  Der  übrige 
Teil  der  Ebene  hat  die  Dichte  6—7000.  Diese  Karte  weist  also  dem 
Odenwalde  eine  wesentlich  geringere  Dichte  zu  als  der  Rhein-Main- 
Ebene.  Auch  unterscheidet  sich  der  östliche  Odenwald  durch  seine 
geringere  Dichte  vom  westlichen.  Ferner  ist  eine  allmähliche  Zunahme 
der  Bevölkerung  in  der  Mainebene  nach  dein  Maine  hin  festzustellen 
(5—6000,  6-7000,  7-8000). 

Wir  könnten  hier  die  Dichtekarte  von  Mitteleuropa  in  Sydow- 
Wagners  Schulatlas s)  anführen;  bei  ihrem  kleinen  Maßstabe  (1 :  6000000) 
kann  sie  aber  durchaus  nichts  Neues  bringen.  Sie  hat,  wie  die  in  an- 
deren Schulatlanten  erschienenen  Dichtekarten,  eben  nur  den  Wert 
einer  Uebersichtskarte. 


1)  Beschreibungen  dieses  Verfahrens  befinden  sich  u.  a.  bei  E.  Behm, 
P.  M.,  Erg.-Bd.  VIII,  S.  93;  J.  J.  Kettler,  S.  89,  40;  E.  Träger,  S.  8,  9; 
s.  Quellen  Verzeichnis. 

2)  P.  M.f  Erg.-Bd.  VIII,  Nr.  35,  S.  93. 

3)  Sydow- Wagners  Meth.  Schulatlas ,  6.  Aufi.  H.  Wagner,  Gotha  1895. 
Tafel  14. 


7]  Die  Volksdichte  der  Provinz  Starkenburg.  299 

ungleich  wichtiger  sind  die  Karten,  welche  die  Dichtigkeit^ 
Verhältnisse  von  Deutschland  behandeln.  Es  kommen  hier  zwei  Ar- 
beiten in  Betracht,  die  von  E.  Behm  und  F.  Hanemann  und  die  von 
J.  J.  Eettler  ')•  Die  in  beiden  Arbeiten  befolgte  Methode  ist  ebenfalls 
die  Eurvenmethode.  Aber  „dem  größeren  Maßstabe  und  der  reicheren 
topographischen  Grundlage "  entsprechend,  können  „die  geographischen 
Bedingungen  in  ihrer  Wirkung  auf  die  Volksverteilung  mehr  hervor- 
treten* *).  Die  Behm-Hanemannsche  Karte  bietet  denn  auch  einen 
ziemlich  deutlichen  Einblick  in  die  Dichteverhältnisse  Starkenburgs. 
Das  linke  Mainufer  bis  Offenbach  hat  eine  Dichte  von  über  8000  Ein- 
wohnern auf  die  geographische  Quadratmeile.  Der  südlich  hiervon  ge- 
legene Teil  der  Mainebene  zerfällt  in  drei  wesentlich  gleich  große  Ge- 
biete: das  nördlichste  Gebiet  weist  eine  Dichte  von  7—8000  und  das 
mittlere  eine  solche  von  6—7000  auf;  der  südliche  Teil,  einschließlich 
der  Vorhöhen  des  Odenwaldes,  hat  die  Dichte  5 — 6000.  Der  Oden- 
wald selbst  ist  in  drei  Gebiete  »eingeteilt:  dem  größeren  westlichen 
Teil  bis  zum  Mümlingthal  ist  eine  Dichte  von  5 — 6000  zugefallen, 
während  die  zwei  kleineren  östlichen  Gebiete,  also  das  Mümlinggebiet 
und  der  östlich  davon  gelegene  Höhenzug,  die  Dichten  4 — 5000  bezw. 
3 — 4000  besitzen.  Im  südlichen  Odenwald  erhebt  sich  das  Hirschhorner 
Gebiet  zu  einer  Dichte  von  6 — 7000.  In  der  Rheinebene  ist  nach 
dieser  Karte  ebenfalls  der  südwestlichste  Teil  sehr  stark  bevölkert 
(Dichte  über  8000).  Zwischen  dieses  Gebiet  und  die  Bergstraße  mit 
der  Dichte  6 — 7000  schiebt  sich  eine  Zone  ein,  welche  die  Dichte 
7—8000  hat.  Letztere  stößt  im  Norden  auf  ein  schwach  bevölkertes 
Gebiet  (Dichte  2 — 3000),  das  bis  nahe  zur  Mainmündung  sich  hinzieht. 

Man  sieht  auf  den  ersten  Blick ,  daß  diese  Karte  im  wesentlichen 
dieselben  Verhältnisse  aufweist,  wie  die  Dichtekarte  von  Europa  in 
P.  M.,  Erg.-Bd.  VHI,  Nr.  35.  Nur  kann  sie  selbstverständlich  mehr  in 
die  Einzelheiten  eingehen,  wodurch  sie  den  wirklichen  Verhältnissen 
viel  näher  kommt.  So  haben  wir  eine  reichere  Gliederung  des  Oden- 
waldes (vier  Teile  gegen  zwei).  Das  schwach  bevölkerte  Gebiet  in  der 
Rheinebene  mit  seiner  Dichte  2—3000  grenzt  nicht  unmittelbar  an 
den  Main,  wie  auf  der  Karte  von  Europa,  sondern  die  Zone  mit  der 
Dichte  8000  trennt  es  vom  Maine,  so  daß  das  vom  Main  und  Rhein 
'  gebildete  Dreieck  als  stark  bevölkert  erscheint ,  wie  es  ja  auch  that- 
sächlich  der  Fall  ist.  Auffallend  ist  der  Umstand,  daß  sowohl  bei 
der  Mainebene  wie  bei  der  Rheinebene  ein  stufenweises  Anschwellen 
der  Bevölkerung  nach  den  Flüssen  hin  stattfindet,  was  einen  zwar  sehr 
eleganten  und  anmutigen,  aber  auch  gekünstelten  Eindruck  macht. 

Nach  denselben  Prinzipien  ist  die  Eettlersche  Karte  entworfen. 
Aber  im  Gegensatz  zur  Hanemannschen  mehr  verallgemeinernden  Kurven- 
zeichnung thut  Kettler  „einen  Schritt  weiter  in  der  Richtung  größerer 


')  E.  B e h m  (und  F.  Hanemann),  Die  Landschafben  des  Deutschen  Reiches 
nach  ihrer  Volksdichtigkeit  (M.  1 :  8700000).  P.  M.  XX,  1874,  S.  1  und  Taf.  I.  — 
J.  J.  Kettler,  Dichtigkeit  der  Bevölkerung  im  Deutschen  Reich  (M.  1:8000000), 
in  Andree-Peschel,  Physikalisch-statist*  Atlas  des  D.  Reichs.  Bielefeld  und 
Leipzig  1878.  Taf.  15. 

«)  P.M.,  Bd.  XX,  1874,  8.  1. 


300  Karl  Bergmann,  [8 

Natur  Wahrheit u  1).  Bei  Eettler  ist  das  Bestreben  ersichtlich,  „mehr 
ins  Detail  zu  gehen,  der  wirklichen  Verteilung  der  Bevölkerung  energi- 
scher nachzuspüren.  Während  nämlich  Hanemann  wohl  an  den  Ab- 
hängen der  Gebirge  stehen  bleibt  und  seine  Kurve  geradlinig  dem 
Rande  entlang  zieht,  wie  z.  B.  im  Elsaß,  wo  er  die  Vogesenthäler 
mit  den  einschließenden  Höhen  unter  einem  einheitlichen  Farbenton 
zusammenfaßt,  dringt  Kettler  strenger  sichtend  in  die  dichtbevölkerten 
unteren  Thäler  ein  und  weist  den  waldigen  Höhen  den  ihnen  zu- 
kommenden geringen  Grad  von  Dichtigkeit  an,  indes  jene  in  die  Kurve 
der  Löß-  und  Diluviallandschaften  einbezogen  werden*1  *).  Das  Be- 
streben, „mehr  ins  Detail  zu  gehen"  und  „strenger  sichtend  in  die 
dichtbevölkerten  unteren  Thäler"  einzudringen,  trifft  für  die  Vogesen 
allerdings  zu,  wie  ein  Blick  auf  die  Karte  lehrt.  Hier  bei  den  Vogesen 
zieht  die  Kurve  nicht  „geradlinig  dem  Rande  entlang11,  wohl  aber  bei 
der  hessischen  Bergstraße  bis  Darmstadt,  von  wo  sie  sich  in  ost- 
nordöstlicher Richtung  zum  Maine  hinzieht,  um  dann  das  Mainthal  bis 
Mainz  nicht  mehr  zu  verlassen.  Sie  weist  eine  Dichte  von  über  8000 
auf.  Von  einem  sichtenden  Eindringen  in  die  Thäler  ist  keine  Rede. 
Die  Thäler  der  Gersprenz  und  der  Weschnitz  treten  nicht  hervor;  nur 
das  Mümlingthal  ist  gesondert  dargestellt,  allerdings  mit  der  ge- 
ringen Dichte  von  4—5000,  während  der  westliche  Odenwald  bis 
zum  Mümlingthal  die  Dichte  5 — 6000  besitzt:  die  Höhen  erscheinen 
also  dichter  besiedelt  als  das  Thal !  Man  kann  wohl  mit  Recht  sagen, 
daß  —  soweit  Starkenburg  in  Betracht  kommt  —  die  Behm-Hane- 
mannsche  Karte  den  wirklichen  Verhältnissen  gerechter  wird  als  die 
Kettlersche. 

Auch  in  dem  Handatlas  von  Andree  1890  befindet  sich  eine 
Volksdichtekarte  von  Deutschland  im  Maßstab  1  :  7000000.  Ueber  die 
bei  der  Herstellung  der  Karte  befolgte  Methode  wird  nichts  weiter 
mitgeteilt.  Es  sind  für  die  Provinz  Starkenburg  wesentlich  sechs 
Teile  zu  unterscheiden.  Das  linke  Mainufer  von  Mainz  an  über  Frank- 
furt, Offenbach  bis  nach  Hanau  etwa  hat  die  Dichte  8000.  Von  hier 
aus  zieht  sich  dieses  stark  bevölkerte  Gebiet  südlich  mitten  durch  die 
Mainebene,  wendet  sich  dann  nach  Westen  bis  Darmstadt,  um  hierauf 
an  der  Bergstraße  entlang  zu  ziehen.  Der  übrige  Teil  der  Rhein- 
Main-Ebene  erreicht  nur  den  Dichtegrad  4 — 6000,  welcher  auch  für* 
den  Odenwald  gilt,  mit  Ausnahme  des  östlichsten  Teils,  dem  nur  die 
Dichte  2 — 4000  zukommt.  Außerdem  schiebt  sich  noch  eine  Zone  mit 
der  Dichte  4 — 6000  in  den  östlichen  Odenwald  hinein;  offenbar  wird 
hier  das  Mümlingthal  mit  Erb  ach,  Michelstadt  u.  s.  w.  berücksichtigt. 
Auch  auf  dieser  Karte  hat  das  Hirschhorner  Gebiet  die  hohe  Dichte 
6—8000. 

Bei  allen  seither  besprochenen  Karten  war  ein  Eingehen  auf 
Einzelheiten  nicht  möglich.  Charakteristische  Gebiete,  wie  z.  B.  die 
Bergstraße  oder  die  Odenwaldthäler,  treten  entweder  gar  nicht  oder 
nur  unvollkommen  hervor.    Eine  derartige  Berücksichtigung  der  Einzel- 


')   Spr.,  Rheinisches  Deutschland  1820,  S.  4. 
2)  Spr.,  Rheinisches  Deutschland  1820,  S.  4. 


11]  Die  Volksdichte  der  Provinz  Starkenburg.  303 

über  Langen,  Sprendlingen ,  Dudenhofen  (nicht  Dudenheim,  wie  auf 
der  Karte  steht)  nach  Offenbach  zieht  und  mittelstarke  Dichte  er- 
reicht. Stark  bevölkert  ist  das  Mainthal  von  Offenbach  bis  südlich  von 
Seligenstadt.  Aeußerst  klar  liegen  die  Verhältnisse  im  Odenwald:  der 
westliche  Odenwald  ist  mittelstark  bevölkert,  mit  Ausnahme  des  dichter 
besiedelten  nordwestlichen  Teils  (Nähe  Darmstadts).  Dann  folgen  das 
Gersprenz-  und  das  Weschnitzthal  mit  starker  Bevölkerung,  die  sich 
auch  noch  nordwärts  über  Grofi-Zimmern ,  Dieburg  und  Babenhausen 
bis  zum  Main  fortsetzt.  Der  zwischen  dem  Gersprenz-  und  Weschnitz- 
thal einerseits  und  dem  Mümlingtbal  andererseits  gelegene  Odenwald 
ist  schwach  bevölkert,  ebenso  der  östlich  vom  Mümlingtbal  gelegene 
Höhenzug  und  der  südöstliche  Odenwald  einschließlich  des  Neckarthals. 
Das  Mümlingthal  selbst  ist,  wie  schon  oben  bemerkt,  sehr  stark  be- 
völkert. £)aß  nach  Sprecher  das  Neckarthal  nur  von  Heidelberg  bis 
Neckargemünd  sehr  stark  bevölkert  sein  soll,  während  der  übrige  Teil 
bis  Zwingenberg  in  schwach  bevölkertes  Gebiet  fällt,  kann  auch  für 
das  Jahr  1820  gewiß  nicht  den  Thatsachen  entsprechen1),  ebenso- 
wenig wie  der  Umstand,  daß  der  Streifen  sehr  starker  Bevölkerung 
nördlich  von  Zwingenberg  an  der  Bergstraße  jäh  abbricht,  ohne  sich 
noch  weiter  nordwärts  fortzusetzen. 

Ueberblicken  wir  die  bis  jetzt  besprochenen  Arbeiten,  so  fällt 
sofort  auf,  daß  gewisse  Gegenden  mehr  oder  weniger  übereinstimmend 
dargestellt  sind.  Hierher  gehören  z.  B.  die  stark  bevölkerten  Gegenden 
der  Südwestecke  der  Provinz,  des  Mainthals  und  des  Neckarthals  bei 
Hirschhorn.  Beim  Odenwald  blickt  überall  der  Unterschied  zwischen 
dem  westlichen  und  dem  östlichen  Teile  durch.  In  der  nordwestlichen 
Rhein-Main-Ebene  trifft  man  ein  schwach  bevölkertes  Gebiet  an.  Es 
sind  das  aber  immer  nur  die  allergröbsten  Züge,  in  denen  uns  die 
Dichteverhältnisse  Starkenburgs  vorgeführt  werden,  da  ja  ein  Eingehen 
auf  die  Einzelheiten  wegen  der  angewandten  Methode  und  des  Maßstabes 
der  Karte  nicht  statthaft  ist.  Nur  bei  Sprecher  ist  ein  deutlicher 
Versuch  zu  bemerken,  die  Einzelheiten,  im  Odenwald  z.  B.  die  beiden 
großen  Längsthäler,  hervortreten  zu  lassen. 

2.  Zweck  der  vorliegenden  Arbeit. 

In  der  vorliegenden  Arbeit  soll  nunmehr  der  Versuch  gemacht 
werden,  die  Volksdichte  der  hessischen  Provinz  Starkenburg  auf  Grund 
der  Volkszählung  vom  2*  Dezember  1895  zu  ermitteln,  kartographisch 
darzustellen  und  zu  begründen.  Da  es  sich  hier  um  eine  Special- 
untersuchung handelt  und  die  Karte  im  Maßstabe  von  1  :  250000  ent- 
worfen ist,  so  soll  und  kann  hier  zum  Unterschied  von  allen  seither 
erschienenen  Arbeiten,  die  auch  die  Provinz  Starkenburg  berücksichtigen, 
versucht  werden,  innerhalb  der  großen  Gebiete  auf  die  Einzelheiten 
einzugehen.    Während  bei  Sprecher  z.  B.  die  Bergstraße,  das  Mümling- 


»)  Vgl.  auch  Nrn.,  Volksd.  Baden,  S.  99. 


302  Karl  Bergmann,  [10 

zu  beschreiben.  Da  Deutsch  seine  Dichtestufen  in  Abstanden  von 
je  1000  (von  10000  ab  in  Abständen  von  je  2000)  folgen  läßt,  so  fallen 
die  Kreise  Heppenheim,  Lindenfels,  Darmstadt,  Dieburg  und  Offenbach 
in  eine  Stufe  zusammen.  Die  ganze  Mainebene,  der  westliche  Oden- 
wald und  die  südwestliche  Rheinebene  weisen  also  eine  Dichte  von 
5 — 6000  auf.  Der  nördliche  Teil  der  Rheinebene  hat  dagegen  nur  die 
Dichte  3 — 4000.  Zwischen  diesem  nördlichen  und  dem  südwestlichen 
Teil  der  Rheinebene  dehnt  sich  dann  das  stark  bevölkerte  Gernsheimer 
Gebiet  mit  einer  Dichte  von  6—7000  aus.  Diese  starke  Bevölkerung 
erklärt  sich  einfach  dadurch,  daß  zum  Kreise  Gernsheim  die  wohl- 
bevölkerte Bergstraßenstrecke  Bensheim-Zwingenberg-Jugenheim  gehört. 
Der  östliche  Odenwald  ist  in  seinem  nördlichen  Teil  (Neustadt)  stärker 
bevölkert  als  der  südliche  (Erbach);  die  Dichten  sind  4 — 5000  bezw, 
3—4000. 

Viel  wertvoller  ist  die  Sprechersche  Karte.  Sie  gehört  wie  die 
Karten  von  Behm,  Hanemann  und  Kettler  der  Kurvenmethode  an; 
aber  durch  die  Wahl  eines  größeren  Maßstabes  und  durch  eingehende 
Benutzung  der  topographischen  Karte  hat  Sprecher  bedeutend  zur 
Verbesserung  der  Methode  beigetragen.  „Die  Karte,  und  zwar  die 
eigentliche  topographische  Karte,  wird  nunmehr  zum  grundlegenden 
Faktor"  *).  So  macht  denn  die  Sprechersche  Karte  einen  viel  natür- 
licheren Eindruck  als  die  steife  Delitschsche  Karte;  obgleich  erstere  die 
Verhältnisse  um  das  Jahr  1820  darstellt,  kommt  sie  doch  den  heutigen 
Verhältnissen  viel  näher,  als  die  die  Zustände  um  1865  ins  Auge 
fassende  Karte  von  Deutsch. 

Sprecher  unterscheidet  elf  Dichtestufen,  die  er  in  fünf  Gruppen 
einteilt: 

1.  Unbewohnte  und  ganz  schwach   bevölkerte  Gebiete  (Dichtig- 
keit unter  20  Einwohner  auf  das  Quadratkilometer). 

2.  Schwach  bevölkerte  Gebiete  (20—60). 

3.  Mittelstark  bevölkerte  Gebiete  (60—100). 

4.  Stark  bevölkerte  Gebiete  (100—160). 

5.  Sehr  stark  bevölkerte  Gebiete  (160  bis  über  200)  *). 

Nach  Sprecher  giebt  es  in  Starkenburg  drei  Gebiete  mit  sehr 
starker  Bevölkerung:  die  Bergstraße  von  Zwingen berg  an  bis  zur 
badischen  Grenze,  das  Mümlingthal  und  das  Mainthal  bei  Offenbach. 
Die  Rheinebene  zerfällt  in  zwei  Teile,  die  durch  die  Linie  Lampertheim- 
Griesheim- Groß-Gerau  getrennt  sind.  Der  westlich  dieser  Linie  gelegene 
Teil  ist  mittelstark  bevölkert,  mit  Ausnahme  des  südlichsten  Teils  bei 
Lampertheim,  der  stark  bevölkert  ist.  Oestlich  dieser  Linie  haben 
wir  starke  Bevölkerung.  Der  Lorscher,  Gernsheimer  und  Griesheimer 
Wald  sind  als  Gebiete  geringster  Dichte  gesondert  dargestellt.  Die 
Mainebene  stellt  sich  als  ein  sehr  schwach  bevölkertes  Gebiet  dar  als 
Folge  der  gerade  hier  so  ausgedehnten  Wälder.  Eine  Ausnahme 
bildet   ein  Streifen,    der  quer  durch   die  Ebene  von  Groß-Gerau    an 


1)  Spr.,  Rheinisches  Deutschland  1820,  S.  11. 

2)  Spr.,  Rheinisches  Deutschland  1820,  S.  15  u.  16. 


11]  Die  Volksdichte  der  Provinz  Starkenburg.  303 

über  Langen,  Sprendlingen ,  Dudenhofen  (nicht  Dudenheim,  wie  auf 
der  Karte  steht)  nach  Offenbach  zieht  und  mittelstarke  Dichte  er« 
reicht.  Stark  bevölkert  ist  das  Mainthal  von  Offenbach  bis  südlich  von 
Seligenstadt.  Aeußerst  klar  liegen  die  Verhältnisse  im  Odenwald:  der 
westliche  Odenwald  ist  mittelstark  bevölkert,  mit  Ausnahme  des  dichter 
besiedelten  nordwestlichen  Teils  (Nähe  Darmstadts).  Dann  folgen  das 
Gersprenz-  und  das  Weschnitzthal  mit  starker  Bevölkerung,  die  sich 
auch  noch  nordwärts  über  Groß- Zimmern ,  Dieburg  und  Babenhausen 
bis  zum  Main  fortsetzt.  Der  zwischen  dem  Gersprenz-  und  Weschnitz- 
thal einerseits  und  dem  Mümlingthal  andererseits  gelegene  Odenwald 
ist  schwach  bevölkert,  ebenso  der  östlich  vom  Mümlingthal  gelegene 
Höhenzug  und  der  südöstliche  Odenwald  einschließlich  des  Neckarthals. 
Das  Mümlingthal  selbst  ist,  wie  schon  oben  bemerkt,  sehr  stark  be- 
völkert. £)aß  nach  Sprecher  das  Neckarthal  nur  von  Heidelberg  bis 
Neckargemünd  sehr  stark  bevölkert  sein  soll,  während  der  übrige  Teil 
bis  Zwingenberg  in  schwach  bevölkertes  Gebiet  fällt,  kann  auch  für 
das  Jahr  1820  gewiß  nicht  den  Thatsachen  entsprechen1),  ebenso- 
wenig wie  der  Umstand,  daß  der  Streifen  sehr  starker  Bevölkerung 
nördlich  von  Zwingenberg  an  der  Bergstraße  jäh  abbricht,  ohne  sich 
noch  weiter  nordwärts  fortzusetzen. 

Ueberblicken  wir  die  bis  jetzt  besprochenen  Arbeiten,  so  fällt 
sofort  auf,  daß  gewisse  Gegenden  mehr  oder  weniger  übereinstimmend 
dargestellt  sind.  Hierher  gehören  z.  B.  die  stark  bevölkerten  Gegenden 
der  Südwestecke  der  Provinz,  des  Mainthals  und  des  Neckarthals  bei 
Hirschhorn.  Beim  Odenwald  blickt  überall  der  Unterschied  zwischen 
dem  westlichen  und  dem  östlichen  Teile  durch.  In  der  nordwestlichen 
Rhein-Main-Ebene  trifft  man  ein  schwach  bevölkertes  Gebiet  an.  Es 
sind  das  aber  immer  nur  die  allergröbsten  Züge,  in  denen  uns  die 
Dichteverhältnisse  Starkenburgs  vorgeführt  werden,  da  ja  ein  Eingehen 
auf  die  Einzelheiten  wegen  der  angewandten  Methode  und  des  Maßstabes 
der  Karte  nicht  statthaft  ist.  Nur  bei  Sprecher  ist  ein  deutlicher 
Versuch  zu  bemerken,  die  Einzelheiten,  im  Odenwald  z.  B.  die  beiden 
großen  Längsthäler,  hervortreten  zu  lassen. 

2.  Zweck  der  vorliegenden  Arbeit. 

In  der  vorliegenden  Arbeit  soll  nunmehr  der  Versuch  gemacht 
werden,  die  Volksdichte  der  hessischen  Provinz  Starkenburg  auf  Grund 
der  Volkszählung  vom  2.  Dezember  1895  zu  ermitteln,  kartographisch 
darzustellen  und  zu  begründen.  Da  es  sich  hier  um  eine  Special- 
untersuchung handelt  und  die  Karte  im  Maßstabe  von  1  :  250000  ent- 
worfen ist,  so  soll  und  kann  hier  zum  Unterschied  von  allen  seither 
erschienenen  Arbeiten,  die  auch  die  Provinz  Starkenburg  berücksichtigen, 
versucht  werden,  innerhalb  der  großen  Gebiete  auf  die  Einzelheiten 
einzugehen.    Während  bei  Sprecher  z.  B.  die  Bergstraße,  das  Mümling- 


l)  Vgl.  auch  Nrn.,  Volksd.  Baden,  S.  99. 


304  Karl  Bergmann,  [12 

thal,  das  Mainthal  von  Offenbach  aufwärts  unter  einem  einheitlichen 
Farbentone  erscheinen,  können  hier  entsprechend  dem  größeren  Maß- 
stabe, aber  auch  den  wirklichen  Verhältnissen  gemäß,  Abstufungen 
gemacht  werden.  Dasselbe  gilt  auch  für  die  inneren  Gebirgsland- 
schaften, die  bei  Sprecher  etwas  gar  zu  einförmig  sich  ausnehmen. 

3.  Umfang  der  vorliegenden  Arbeit. 

In  welchem  Umfang  hat  die  Untersuchung  zu  erfolgen  ?  Hat  sie 
sich  auf  die  politischen  Grenzen  der  Provinz  Starkenburg  zu  beschränken 
oder  darüber  hinauszugehen  und  eine  mehr  den  natürlichen  Verhält- 
nissen Rechnung  tragende  Abgrenzung  zu  suchen?  Die  Nachteile,  die 
die  Beschränkung  auf  den  politischen  Staat  wohl  mit  sich  führen  mag, 
werden  wieder  durch  die  Vorteile  aufgehoben,  die  aus  einem  einheit- 
lichen statistischen  Material  entspringen.  Diese  Einheitlichkeit  geht 
jedoch  verloren,  wenn  wir  auch  die  angrenzenden  Teile  der  Nachbar- 
länder mit  berücksichtigen,  da  die  verschiedenen  Staaten  die  nicht 
immer  nach  gleichen  Gesichtspunkten  gewonnenen  Ergebnisse  ihrer 
statistischen  Erhebungen  auch  auf  verschiedene  Weise  veröffentlichen. 

Immerhin  sollen  hier  als  Ergänzung  meiner  Untersuchungen  die 
Ergebnisse  der  Volksdichtearbeit  von  Carl  Uhlig1)  mitgeteilt  werden. 
Ein  Blick  auf  Uhligs  Karte  zeigt,  daß  die  Dichteverhältnisse,  wie  ich 
sie  für  den  hessischen  Teil  der  Bergstraße,  des  südlichen  Odenwalds 
und  der  Rheinebene  gefunden  habe,  auch  für  den  angrenzenden  badischen 
Teil  im  wesentlichen  dieselben  sind:  auch  bei  Uhlig  ist  die  badische 
Bergstraße  von  Heidelberg  bis  Weinheim  dicht  bevölkert,  woran  sich 
aber  die  drei  Orte  Sulzbach,  Hemsbach  und  Laudenbach  mit  nur  mittel- 
starker Bevölkerung  (nach  meiner  Stufeneinteilung)  anschließen.  Der 
zwischen  der  Bergstraßenstrecke  Weinheim-Heidelberg  einerseits  und  dem 
nach  Baden  hineinragenden  Hirschhorner  Gebiet  andererseits  gelegene 
badische  Odenwaldanteil  ist  in  seinem  nördlichsten  Teile  mittelstark, 
in  seinem  mittleren  und  südlichen  (dem  Neckarthal  zu  gelegenen)  Teile 
stark  und  sehr  stark  bevölkert.  Der  nördlich  vom  Neckar  sich  aus- 
dehnende badische  Teil  der  Rheinebene  stellt  sich  in  seinem  östlichen 
Teil  als  mittelstark,  in  seinem  westlichen  als  stark  und  sehr  stark 
bevölkert  dar  (Nähe  Mannheims). 

Auch  der  preußische  Teil  des  linken  Mainufers  mit  den  Orten 
Oberrad,  Niederrad  und  Schwanheim  ist  dicht  bevölkert,  wie  aus  den 
„Beiträgen  zur  Statistik  der  Stadt  Frankfurt  a.  M."  hervorgeht2).  Hier 
werden  die  Ortschaften  in  der  Umgebung  von  Frankfurt  nach  Maß- 
gabe ihrer  Entfernung  zu  verschiedenen  Zonen  zusammengefaßt.  Ober- 
rad gehört  zur  ÜI.  Zone  mit  der  Dichte  1807  auf  das  Quadratkilo- 
meter3), während  Schwanheim  zur  Zone  VII  mit  der  Dichte  211  gehört. 


')   G.  Uhlig,   Die  Veränderungen   der   Volksdichte   im   nördlichen   Baden 
1852—1895.    F.  d.  L.  u.  V.,  XL  Bd.,  Heft  4,  1899. 

2)  Beitr.   zur  Statistik   der  Stadt  Frankfurt  a.   M.    Neue  Folge,    1.  Heft, 
I.  Teil,  S.  100,  101.     Frankfurt  1892. 

3)  Zu  Grunde  liegt  die  Volkszählung  vom  1.  Dezember  1890. 


13]  Die  Volkadichte  der  Provinz  Starkenburg.  305 

Allerdings  wird  das  kaum  den  Thatsachen  entsprechen,  denn  auch 
Bürgel  gehört  zu  dieser  Zone,  obgleich  die  wirkliche  Dichte  dieses 
Ortes  816  ist! l)  Die  geringe  Dichte  von  Schwanheim  und  Bürgel 
erklärt  sich  eben  durch  die  bei  der  Frankfurter  Berechnung  angewandte 
Methode,  die  nicht  die  Ortschaften  nach  ihren  natürlichen  Bedingungen 
zusammenfaßt,  sondern  in  rein  äußerlicher  Weise  alle  von  Frankfurt 
innerhalb  eines  gewissen  Kilometerumkreises  liegende  Ortschaften  zu 
einer  Zone  gruppiert.  So  werden  z.  B.  mit  Schwanheim  und  Bürgel 
die  nicht  so  günstig  gestellten  Orte  Bonames  und  Niederursel  vereinigt, 
so  daß  die  Dichte  der  ersteren  herabgedrückt  wird.  Die  wirkliche 
Dichte  Schwanheims  wird  sich  also  wohl  wesentlich  höher  stellen  als  211, 
wenn  auch  dieser  Ort  natürlich  nicht  die  hohe  Dichte  Oberrads  und 
Niederrads  erreichen  kann,  deren  höhere  Dichte  ja  auch  sehr  wohl  mit 
dem  Satze  übereinstimmt,  daß  nach  den  großen  Verkehrscentren  hin 
die  Volksdichte  zunimmt. 


')  Vgl.  S.  832  [40],  Gruppe  22. 


Allgemeiner  Teil. 


L  Gang  der  Untersuchung. 

1.  Statistisch-geographische  Vorarbeiten. 

Die  Ergebnisse  der  Volkszählung  vom  2.  Dezember  1895  sind 
niedergelegt  in  den  „Mitteilungen  der  Großh.  Hess.  Centralstelle  für  die 
Landesstatistik  "f  Nr.  632,  Dezember  1896. 

Das  Areal  für  die  einzelnen  Gemeinden  (Ackerfeld,  Wiesen,  Wein- 
berge, Wald,  Gesamtareal)  ist  angegeben  in  „Beiträge  zur  Statistik  des 
Großherzogtums  Hessen44,  24.  Bd.,  1.  Heft,  Darmstadt  1884. 

Da  aber  diese  Veröffentlichungen  zu  weit  zurückliegen,  so  wurden 
bei  der  vorliegenden  Arbeit  die  Anbauflächen  von  1892 — 93  zu  Grunde 
gelegt,  die  gelegentlich  der  Feststellung  des  Viehstandes  in  den  «Mit- 
teilungen der  Großh.  Hess.  Centralstelle  für  die  Landesstatistik ",  Nr.  580 
und  581,  Jahrgang  1894,  für  jede  einzelne  Gemeinde  veröffentlicht 
wurden.  So  waren  also  im  wesentlichen  nur  das  Gesamt-  und  das 
Waldareal  aus  den  Beiträgen  von  1884  zu  ersehen. 

Außer  diesen  statistischen  Arbeiten  kommt  hier  noch  in  Betracht 
die  kartographische  Darstellung  der  Bevölkerungsdichtigkeit  des  Deut- 
schen Reiches  nach  dem  Ergebnis  der  Volkszählung  vom  1.  Dezember 
1875,  erschienen  in  „Monatshefte  zur  Statistik  des  Deutschen  Reiches44, 
Berlin  1878,  Bd.  XXX,  Taf.  1  (M.  1 :  3000000). 

Selbstverständlich  liegen  hier  nur  die  politischen  Bezirke,  für 
Starkenburg  also  die  Kreise,  zu  Grunde.  Am  stärksten  bevölkert  sind 
nach  dieser  Darstellung  die  Kreise  Darmstadt  und  Offenbach  mit  der 
Dichte  von  120 — 149,9  Einwohnern  auf  das  Quadratkilometer,  ohne  die 
Städte  Darmstadt  und  Offenbach.  Es  folgen  dann  als  gleich  stark  be- 
völkert die  Kreise  Dieburg,  Bensheim  und  Heppenheim  mit  einer  Dichte 
von  100 — 119,9;  am  schwächsten  bevölkert  sind  die  Kreise  Erbach  und 
Groß-Gerau  (80—99,9  bezw.  70—79,9). 

Auch  von  der  hessischen  Centralstelle  für  die  Landesstatistik 
werden  die  Ergebnisse  der  Volkszählungen  bezüglich  der  Dichte  kreis- 
weise zusammengestellt,  ohne  jedoch  kartographisch  fixiert  zu  werden. 
Diese  Zusammenstellungen  sind  veröffentlicht  in  „Beiträge  zur  Statistik 
des  Großherzogtums  Hessen41,  Bd.  34  und  38,  Darmstadt  1890  und  1895. 


15]               Karl  Bergmann,  Die  Volkadichte  der  Provinz  Starkenburg.             307 

Danach  stellen   sich   die   Volksdichten  für  die  einzelnen   Kreise 
und  für  die  Jahre  1885  und  1890  wie  folgt: 

1885  1890 

Einwohner  auf  das     Einwohner  auf  das. 

Quadratkilometer  Quadratkilometer 

281,9  305,9 

124,6  127,9 

105,1  106,4 

80,2  78,3 

88,6  92,1 

108,0  107,9 

226,5  246,3 


Kreis  Darmstadt     .  . 

„      Bensheim      .  . 

„      Dieburg   .     .  . 

„      Erbach     .     .  . 
„      Groß-Gerau 
„      Heppenheim 

„      Offenbacb      .  . 

Provinz  Starkenburg  . 


133,3     .  139,0 


Sogar  aus  diesen  gewiß  nur  dürftigen  statistischen  Veröffent- 
lichungen kann  man  einen  allgemeinen  Ueberblick  über  die  Verteilung 
der  Bevölkerung  erhalten :  die  industriellen  Kreise  Darmstadt  und  Offen« 
bach  haben  die  stärkste  Bevölkerung,  dann  folgen  die  landwirtschaftlich 
begünstigten  Kreise  Bensheim,  Heppenheim  und  Dieburg,  während  der 
mitten  im  Odenwald  liegende  Kreis  Erbacb  und  der  teilweise  sehr 
schlechten  Boden  aufweisende  Kreis  Groß-Gerau  mit  ihrer  geringen 
Dichte  an  letzter  Stelle  kommen. 


2.  Die  bei  der  vorliegenden  Arbeit  befolgte  Methode. 

Bei  den  auf  S.  297 — 303  [5 — 11]  besprochenen  Arbeiten  von 
E.  Behm,  F.  Hanemann,  J.  J.  Kettler,  Sprecber  von  Bernegg  und 
O.  Deutsch,  denen  hier  noch  die  Arbeit  von  L.  Neumann  über  die 
Volksdichte  Badens  angeschlossen  sei,  wurde  die  Dichte  dargestellt 
unter  Vorausnahme  topographischer  und  kultureller  Kenntnisse  der 
betreffenden  Gebiete.  Die  bei  der  vorliegenden  Arbeit  angewandte 
Methode  enthält  sich  jedoch  der  Vorausnahme  derartiger  Kenntnisse, 
sondern  gewinnt  „aus  den  statistisch  gegebenen  Zahlen  durch  Rechnung 
unabhängig  von  Voraussetzungen  die  Dichte  der  möglichst  kleinsten 
Einheiten"  l)  und  faßt  die  gleich  oder  ähnlich  dicht  bevölkerten  zu 
Gruppen  zusammen,  wobei  sie  möglichst  die  unter  gleichen  Bedingungen 
stehenden  Orte  berücksichtigt. 

Was  ist  aber  die  möglichst  kleinste  Einheit?  Einige  legten  der 
Berechnung  der  Dichte  und  der  Konstruktion  der  Karte  geometrische 
Figuren  (Sechsecke,  Quadrate)  zu  Grunde.  Dagegen  wendet  sich  mit 
Recht  O.  Deutsch,  wenn  er  sagt,  „daß  sich  weder  die  Bildung  der 
Erdoberfläche  noch  die  Entwickelung  des  menschlichen  Lebens  auf  der- 
selben jemals  nach  der  Schablone  mathematischer  Linien  und  Figuren 
gerichtet  habe"2).   Als  kleinste  natürliche  Einheit  bleibt  dann  die  Ge- 


')  Nk.,  Studien  Volksdichte,  S..  36. 
2)   O.  Deutsch,  S.  3  u.  4. 


308  Karl  Bergmann,  [16 

raeinde  übrig.  So  wurde  in  Uebereinstimmung  mit  E.  Friedrich1)  die 
Gemeinde  als  Einheit  für  die  Dichteberechnung  gewählt.  „An  die  eine 
Volksanhäufung  ursächlich  bedingende  Bodeneinheit,  die  Gemarkung, 
hat  die  Volksdichteermittelung  anzuknüpfen11  *). 

Damit  ist  ein  scharfer  Gegensatz  zu  Neumann  ausgesprochen, 
der  verlangt,  daß  die  Dichteberechnung  nicht  für  jede  einzelne  Gemeinde 
zu  erfolgen  hat,  sondern  für  eine  Zusammenfassung  aller  Gemeinden 
eintritt,  die  unter  möglichst  gleichen  Bedingungen  stehen,  und  dann 
erst  die  Dichte  dieser  zusammengefaßten  Gruppe  berechnet.  Als  Ge- 
sichtspunkte für  die  Abgrenzung  der  einzelnen  Gebietsteile  wählt  Neu- 
mann die  Höhe,  die  Konfiguration  und  geologische  Beschaffenheit  des 
Bodens,  die  Prozente  der  Bewaldung,  des  Ackerlandes,  der  Wiesen, 
die  Verkehrslage  u.  s.  w.8).  Sowie  aber  Neumann  dies  thut,  gehört 
seine  Arbeit  nicht  mehr  zu  der  Gruppe,  die  die  Dichte  ohne  Voraus- 
nahme irgend  welcher  Kenntnisse  des  betreffenden  Gebietes  ermittelt, 
denn  eine  Gruppenbildung  ist  doch  nur  auf  Grund  derartiger  Vorkennt- 
nisse möglich.  Deshalb  ist  es  mir  auch  nicht  verständlich,  wie  Neu- 
kirch die  letzte  Arbeit  Neumanns  über  die  Veränderungen  der  Volks- 
dichte im  südlichen  Schwarzwalde  1852 — 1890  unter  diejenigen  rechnen 
kann,  die  sich  der  Vorausnahme  der  Kenntnisse  enthalten,  obgleich 
diese  doch  auch  bei  der  Dichteberechnung  von  der  Gruppenbildung 
ausgeht  4). 

Weshalb  spricht  sich  aber  Neumann  überhaupt  gegen  die  Dichte- 
berechnung für  jede  einzelne  Gemeinde  aus?  Sein  Vorgehen  ist  voll- 
kommen berechtigt,  wenn  wir  die  zwischen  den  einzelnen  Orten  oft  in 
sehr  bedeutendem  Maße  stattfindenden  Wechselbeziehungen  berücksich- 
tigen; eben  dieser  Wechselbeziehungen  wegen  stimmt  oft  die  für  eine 
einzelne  Gemeinde  ermittelte  Volksdichte  nicht  mit  den  thatsächlichen 
Verhältnissen  Uberein.  Nachstehendes  Beispiel,  das  der  vorliegenden 
Arbeit  selbst  entnommen  ist,  mag  dies  erläutern.  Die  Anbauflächen 
der  Gemeinden  Jugenheim  und  Zwingenberg  an  der  Bergstraße  betragen 
152  bezw.  293  ha.  Die  Bevölkerung  von  Jugenheim  belauft  sich  auf 
1057  Einwohner,  die  von  Zwingenberg  auf  1589  Einwohner.  Ohne 
den  bestehenden  nachbarlichen  Wechselbeziehungen  Rechnung  zu  tragen, 
berechnet  sich  die  Volksdichte  für  Jugenheim  auf  695,  für  Zwingen- 
berg auf  542.  Nehmen  wir  aber  jetzt  an,  Bewohner  der  Gemeinde 
Jugenheim  hätten  25  ha  Besitztum  in  der  Gemarkung  Zwingenberg, 
so  wird  die  Anbaufläche  von  Jugenheim  um  25  ha  vermehrt,  sie  be- 
trägt also  177  ha,  die  der  Gemeinde  Zwingenberg  dagegen  wird  um 
25  ha  vermindert,  sie  beträgt  nur  noch  268  ha.  Somit  verändern  sich 
auch  die  Volksdichten:  Jugenheim  hat  nur  noch  die  Dichte  597, 
Zwingenberg  jedoch  593.     Das  sind  also  erst  die  den  wirklichen  Ver- 


l)  E.  Friedrich,  Die  Dichte  der  Bevölkerung  im  Reg.»Bez.  Danzig 
(M.  1:400000).  Diss.  Königsberg,  Danzig;  in  Schriften  der  Naturforsch.  Ges.  in 
Danzig.   N.  F.   IX.  Bd.,  Heft  1.    1895. 

*)   E.  Friedrich,  S.  3  (citiert  nach  Nk.,  Studien  Volksdichte,  S.  39). 

»)   Nrn.,  Südl.  Schwarzwald,  S.  167. 

4)   Nk.,  Studien  Volksdichte  S.  55,  H,  c,  ß,  Nr.  156. 


17]  Die  Volksdichte  der  Provinz  Starkenburg.  309 

hältnissen  entsprechenden  Dichtezahlen,  die  wir  bei  einer  Vereinigung 
beider  Gemeinden  zu  einer  Gruppe  gleich  gefunden  hätten. 

Aus  diesem  gewiß  sehr  stichhaltigen  Grund  der  nachbarlichen 
Wechselbeziehungen  dürfte  sich  also  die  Methode  Neumanns  empfehlen. 
Aber  sie  hat  auch  ihre  Bedenken.  Die  Vorausnahme  der  geographischen 
Kenntnisse  bei  der  Gruppenbildung  ist  zu  tadeln,  da  „der  Einfluß  der 
Höhenlage  und  anderer  natürlicher  Faktoren  auf  die  Volksdichte  sich 
aus  der  Karte  ergeben  soll"  *).  Auch  sind  wir  bei  einer  Vorwegnahme 
der  Kenntnisse  gewissermaßen  befangen  und  leicht  der  Gefahr  ausgesetzt, 
eines  vorurteilsfreien  Verfahrens  bei  der  Volksdichteermittelung  verlustig 
zu  gehen. 

Um  jedoch  richtig  die  Vorteile  der  Einzelberechnung  kennen  zu 
lernen,  braucht  man  nur  einmal  den  Weg  der  Einzelberechnung  und 
den  der  Gruppenberechnung  einzuschlagen  und  die  Ergebnisse  beider 
miteinander  zu  vergleichen.  Ich  wähle  zu  diesem  Zwecke  die  Gemeinden 
Würzberg,  Erlenbach,  Erbuch  und  Bullau2).  Sie  liegen  alle  vier  auf 
dem  östlich  vom  Mümlingthal  sich  entlangziehenden  Odenwaldhöhenzug. 
Die  klimatischen  Verhältnisse  sind  wenig  günstig,  die  Verkehrslage  ist 
für  alle  vier  Gemeinden  dieselbe,  die  Prozente  des  Ackerlandes  betragen 
78  bezw.  80,  84,  85,  also  keine  wesentlichen  Unterschiede,  die  Be- 
waldungsprozente sind  hoch  (50,  66,  60,  66  °/o).  Ich  konnte  also  diese 
Gemeinden  ganz  gut  zu  einer  Gruppe  zusammenfassen  und  alsdann  ihre 
Dichte  berechnen.  Sie  beträgt  137.  Ich  ermittelte  nunmehr  die  Dichten 
für  die  einzelnen  Gemeinden  und  erhielt  für  Würzberg  127,  Erlenbach 
195,  Bullau  164,  Erbuch  54.  Erbuch  steht  also  in  schärfstem  Gegen- 
satz zu  den  übrigen  Gemeinden;  die  Einbeziehung  dieses  schwach  be- 
völkerten Ortes  hat  die  Dichte  der  Gesamtgruppe  auf  137  erniedrigt, 
während  doch  thatsächlich  Erlenbach  und  Bullau  viel  dichter  be- 
siedelt sind.  Allerdings  ist  der  Unterschied  zwischen  Würzberg  und 
Erlenbach  auch  bedeutend  (68),  aber  er  ist  zu  erklären  durch  die  nach- 
barlichen Wechselbeziehungen,  während  für  Erbuch  eine  derartige  Er- 
klärung des  allzu  großen  Dichteunterschiedes  wegen  (141  zwischen 
Erlenbach  und  Erbuch!)  unstatthaft  ist.  Die  geringe  Dichte  von  Er- 
buch mußte  also  auf  eine  andere  Ursache  zurückzuführen  sein,  und 
meine  Aufgabe  war  es,  dieser  Ursache  nachzuforschen.  Nun  stellte  es 
sich  heraus,  daß  sich  bei  Erbuch  der  eine  Volksverdichtung  verhin- 
dernde Großgrundbesitz  ausgebildet  hat:  von  den  8  landwirtschaftlichen 
Betrieben  sind  nur  2  vorhanden  mit  unter  50  ar,  2  mit  1 — 3  ha,  1  mit 
3—5  ha,  dagegen  1  mit  10—20  ha  und  2  mit  20—50  ha.  Bei  Würz- 
berg giebt  es  unter  132  landwirtschaftlichen  Betrieben  nur  4  mit  20 
bis  50  ha,  15  mit  10-20  ha,  28  mit  3-10  ha,  85  dagegen  mit 
unter  3  ha! 

Worin  besteht  also  der  Vorteil  der  Einzelberechnung?  Indem  wir 
von  der  Einzeldichte  ausgehen,  werden  wir  in  vielen  Fällen  auf  Fak- 
toren aufmerksam  gemacht,   die   sehr  häufig  bei  der  Volksdichte  mit- 


*)  Nk„  Studien  Volksdichte,  S.  32. 
*)  Vgl.  auch  S.  359  [67]. 
Forschungen  zur  deutschen  Landes-  and  Volkskunde.   XII.   4.  21 


31Ö  Karl  Bergmann,  [18 

wirken,  die  uns  aber  bei  der  Dichteberechnung  der  zusammengefaßten 
Gruppen  leicht  entgehen  können. 

Deshalb  wurde  bei  der  vorliegenden  Arbeit  zunächst 
die  Dichte  für  jede  einzelne  Gemarkung  berechnet;  alsdann 
erst  wurde  unter  Zugrundelegung  und  ständiger  Berücksich- 
tigung der  für  die  einzelnen  Gemeinden  ermittelten  Volks- 
dichten zur  Zusammenfassung  der  Orte  geschritten,  die  unter 
möglichst  gleichen  Bedingungen  stehen. 

Ich  habe  seither  als  selbstverständlich  vorausgesetzt,  daß  bei  der 
Dichteermittelung  von  der  Anbaufläche  ausgegangen  wird  und  nicht 
von  der  Gesamtfläche,  daß  also  der  Wald  bei  der  Volksdichteberechnung 
auszuscheiden  sei  und  sich  letztere  auf  das  waldfreie  Kulturareal  zu 
beziehen  habe.  Für  die  Ausscheidung  des  Waldes  waren  folgende 
Erwägungen  maßgebend.  Der  Wald  verlangt  keine  Bearbeitung  des 
Bodens  (Düngung  und  Bewässerung),  sondern  nur  Verjüngung  und 
Ernte.  Dazu  gehört  allerdings  menschliche  Arbeit;  aber  es  sind  nie- 
mals so  viel  Arbeiter  nötig,  als  eine  landwirtschaftliche  Benutzung  des 
Bodens  erfordert.  Auch  ist  der  Wald  meist  Eigentum  des  Staates  oder 
der  Gemeinden;  deshalb  genießt  der  Arbeiter  den  Ernteertrag  nicht 
selbst  und  wird  daher  nicht  zur  Ansiedelung  verlockt1).  So  ist  denn 
der  Wald  thatsächlich  unbewohnt  oder  nur  schwach  bevölkert  und  auf 
der  Karte  gesondert  darzustellen. 

Diese  Forderung  der  gesonderten  Darstellung  des  Waldes  ist 
nicht  allgemein  anerkannt.  Neu  mann  selbst  in  seiner  Arbeit  über  die 
Volksdichte  Badens  zieht  den  Wald  bei  der  Dichtebestimmung  mit  in 
Rechnung.  Nach  ihm  ist  der  Wald  „für  die  Bewohner  neben  Acker- 
bau, Viehzucht  und  Gewerbebetrieb  durch  den  Holzerlös  allein  eine 
wichtige  Einnahmsquelle  seit  alters  her  gewesen  und  bis  heute  ge- 
blieben .  .  .tt  „Der  Wald  hat  die  Holzflößerei  ins  Leben  gerufen  und 
somit  viele  Siedelungen,  deren  Insassen  von  ihr  den  Lebensunterhalt 
gewannen,  entstehen  lassen;  ihm  verdanken  die  überaus  zahlreichen 
Sägewerke  ihr  Dasein,  die  im  Schwarzwald  eine  typische  Erscheinung 
geworden  sind,  auf  ihn  sind  die  Holzschnitzerei  und  die  Anfänge  der 
Uhrmacherei  zurückzuführen u  2).  In  seiner  neuesten  Arbeit  jedoch  über 
die  Veränderungen  der  Volksdichte  im  südlichen  Schwarzwalde  1852 
bis  1895  hat  auch  Neumann  den  Wald  bei  der  Dichteberechnung  als 
thatsächlich  unbewohnt  ausgeschlossen  und  auf  der  Karte  gesondert 
dargestellt. 

Auch  Deutsch  berücksichtigt  den  Wald  bei  der  Berechnung  der 
Volksdichte;  ja  er  zieht  sogar  den  unfruchtbaren  Boden,  Heiden,  Moore, 
Wasserflächen  mit  in  die  Berechnung  hinein 3).  Aber  zu  welchen  Re- 
sultaten würde  man  gelangen,  wenn  man  diese  unfruchtbaren  Gegenden 
mit  berücksichtigen  wollte!  Sehr  treffend  läßt  sich  darüber  Träger*) 
aus:   ,, Schließt  man  das  Moor  in  die  Berechnung  ein,  so  vermindert  man 

J)    Spr.,  Rheinisches  Deutschland  1X20,  S.  33,  und  Uhlig,  S.  164  u.  165. 
»)   Nrn.,  Volksd.  Baden,  S.  (52. 
s)   0.  Deutsch,  S.  6  u.  7. 

4)  E.  Träger,  Die  Volksdichtigkeit  Niederschlesiens.  Diss.  Kiel,  Weimar 
1888,  S.  11. 


19]  Die  Volkadichte  der  Provinz  Starkenburg.  311 

die  wahre  Dichtigkeit  des  Fruchtlandes  vielleicht  ganz  bedeutend,  und 
das  bis  auf  wenige  Torfhütten  vollständig  verödete  Sumpfterrain  er- 
scheint in  einem  Lichte,  welches  der  Wirklichkeit  absolut  nicht  ent- 
spricht. Aehnlich  liegt  die  Sache  bei  großen  Heideflächen. u  Auch  für 
den  Wald  können  wir  diesen  Ausspruch  gelten  lassen :  durch  eine  Mit- 
einbeziehung des  Waldes  in  die  Berechnung  werden  unwahre  Resultate 
nach  unten,  also  nach  der  negativen  Seite  hin,  geliefert. 

E.  Friedrich  in  seiner  Arbeit  über  den  Reg. -Bez.  Danzig  scheidet 
gleichfalls  den  Wald  aus  und  kennzeichnet  ihn  auf  der  Karte  zwar  als 
bevölkert,  aber  als  Gebiet  geringster  Dichte  *). 

Was  die  wichtige  Frage  der  Städteausscheidung  anlangt, 
so  kommt  diese  für  die  vorliegende  Arbeit  deshalb  weniger  in  Betracht, 
weil  außer  Darmstadt  und  Offenbach  nur  eine  geringe  Anzahl  von  Ort- 
schaften über  eine  Einwohnerzahl  hinauskommen,  bei  der  von  einer 
Ausscheidung  die  Rede  sein  könnte.  Nimmt  man  als  solche  die  Zahl 
5000  an,  so  kämen  hier  nur  in  Betracht  die  Gemeinden  Pfungstadt, 
Bensheim,  Lampertheim,  Heppenheim,  Viernheim  und  Neu-Isenburg. 
Die  Zahl  der  auszuscheidenden  Gemeinden  würde  sich  allerdings  be-  • 
deutend  vermehren,  wenn  man  als  Grenze  eine  Einwohnerzahl  von 
3000  annähme.  Dann  müßten  noch  ausgeschieden  werden  die  Orte 
Arheilgen,  Eberstadt,  Griesheim,  Oberramstadt,  Bürstadt,  Lorsch,  Die- 
burg, Groß-Umstadt,  Grofi-Zimmern ,  Michelstadt,  Gernsheim,  Groß- 
Gerau,  Rüsselsheim,  Bürgel,  Langen,  Mühlheim,  Seligenstadt  und 
Sprendlingen.  Durch  eine  Ausscheidung  dieser  Orte  würde  aber  nicht 
die  Gesamtbevölkerung  zur  Darstellung  kommen.  Ich  schließe  mich  in 
dieser  Frage  vollständig  den  Ausführungen  Neumanns2)  an,  wonach 
die  Bevölkerung  der  großen  Orte  einen  so  bedeutenden  Bruchteil  der 
Gesamtbevölkerung  ausmacht,  „daß  ihr  Ausscheiden  jedenfalls  die  Folge 
hat,  daß  die  graphische  Darstellung  der  übrigen,  also  der  rein  länd- 
lichen Bevölkerung,  nicht  mehr  als  das  Bild  der  wirklich  vorhandenen 
Verteilung  der  gesamten  Bewohnerschaft  eines  Landes,  und  um  diese 
handelt  es  sich  doch,  angesehen  werden  darf.  Da  nun  diese  städtische 
Bevölkerung  wesentlich  als  gewerbetreibende  und  als  Handel  und  Ver- 
kehr bestimmende  gelten  darf,  während  bei  ihr  die  Landwirtschaft  nur 
noch  von  geringer  Bedeutung  ist,  so  darf  sie  hier,  wo  eben  allen 
Momenten,  welche  die  Volksdichte  beeinflussen,  Rechnung  getragen 
werden  soll,  unbedingt  nicht  ausgeschlossen  werden/  Entschließt  man 
sich  aber  doch  für  die  vollständige  Ausscheidung  dieser  Gemeinden, 
dann  müssen  sie  doch  immerhin  auf  der  Karte  durch  eine  besondere 
Farbe  dargestellt  werden,  was  das  Kartenbild  nur  unruhig  macht  und 
schließlich  doch  auch  nichts  anderes  als  stark  bevölkert  bedeutet.  Will 
man  aber  bei  einer  großen  Gemeinde  nur  die  von  der  Landwirtschaft 
lebenden  Einwohner  mit  in  Berechnung  bringen,  so  ist  dafür  kein 
sicheres  statistisches  Material  vorhanden,  und  die  Berechnung  der  land- 
wirtschaftlichen Bevölkerung  auf  Grund  der  Reinerträge  des  Kultur- 
landes  läßt   den  Vermutungen  zu   großen  Spielraum.     Wenn   es   aber 


')  Nk.,  Studien  Volksdichte,  S.  40. 
2)   Nrn.,  Volksd.  Baden,  S.  64. 


312  Karl  Bergmann,  [20 

auch  wirklich  gelingt,  die  landwirtschaftliche  Bevölkerung  zu  ermitteln, 
so  ist  immer  noch  kein  rechter  Grund  einzusehen,  weshalb  man  die 
Gesamtbevölkerung  nicht  darstellen  soll,  da  ja  doch  auch  die  übrigen 
Bewohner  meistens  zur  Ansiedelung  verlockt  werden  durch  Dinge,  die 
man  sehr  wohl  als  geographische  Momente  bezeichnen  kann.  Wenn 
z.  B.  durch  Verwaltungsämter,  höhere  Schulen  u.  s.  w.  eine  Volksver- 
dichtung eingetreten  ist,  so  spielt  doch  dabei  insofern  die  Geographie 
eine  Rolle,  als  man  zum  Sitz  von  Behörden,  Schulen  u.  dgl.  nur  geo- 
graphisch günstig  gelegene  Orte  wählen  wird.  Wenn  ein  anderer  Ort 
wieder  Pensionäre,  Kurgäste  u.  s.  w.  herbeilockt,  so  ist  das  doch  auch 
immer  auf  Grund  günstiger  klimatischer  Verhältnisse,  des  Vorhanden- 
seins von  Heilquellen  u.  's.  w.  der  Fall.  Schließlich  ist  die  Industrie 
auch  großenteils  an  den  Boden  gebunden,  also  „bodenständig*,  ob- 
gleich gerade  hier  Zufall  und  Willkür  in  der  Neuzeit  eine  große  Bolle 
spielen. 

Nachdem  diese  drei  Hauptfragen  der  Wahl  der  kleinsten  Einheit, 
der  Ausscheidung  des  Waldes  und  der  größeren  Ortschaften  entschieden 
.  waren,  wurden  die  Berechnungen  selbst  ausgeführt  und  die  Gruppen- 
bildung vorgenommen.  Alsdann  handelte  es  sich  um  die  endgültige 
Aufstellung  der  Dichtestufen.  Zuerst  hatte  ich  die  zehn  Neu- 
mann sehen  Dichtestufen  zu  Grunde  gelegt1).  Dann  warf  sich  jedoch 
die  Frage  auf,  ob  nicht  eine  stärkere  Zusammenfassung  dieser  Dichte- 
stufen geboten  wäre.  Einmal  schien  dies  sehr  wünschenswert  im  Inter- 
esse der  Uebersichtlichkeit  des  Kartenbildes,  das  uns  vor  allen  Dingen 
die  Hauptgegensätze  in  der  Volksdichte  zur  Anschauung  bringen  soll, 
während  das  Eingehen  auf  die  Einzelheiten  den  Tabellen  und  dem  er- 
läuternden Texte  überlassen  werden  kann.  Als  durchaus  notwendig 
erschien  jedoch  eine  stärkere  Zusammenfassung,  wenn  die  Volksdichten 
der  einzelnen,  zu  zwei  benachbarten  Dichtestufen  gehörenden  Ge- 
meinden miteinander  verglichen  wurden.  Hierbei  ergab  sich  nämlich 
öfters  in  äußerst  deutlicher  Weise,  wie  die  Mehrzahl  der  zwei  benach- 
barten Dichtestufen  angehörigen  Orte  im  wesentlichen  gleiche  Dichten 
hatten.  Wenn  sie  trotzdem  zwei  verschiedenen  Dichtestufen  an- 
gehörten, so  beruhte  die  Ursache  in  dem  Umstände,  daß  naturgemäß 
zwischen  den  einzelnen  Stufen  eine  feste  Grenze  gezogen  werden  muß. 
So  hatte  ich  z.  B.  bei  der  ersten  Bearbeitung  für  die  Gruppe  Wallbach, 
Ober-  und  Mittel-Kinzig,  Birkert,  AfFhöllerbach,  Hembach,  Ober-Kains- 
bach,  Langenbrombach,  Gumpersberg  die  Dichte  112  erhalten;  sie  ge- 
hörte also  der  III.  Dichtestufe  an,  denn  112  ist  100  (III.  Stufe)  näher 
als  125  (IV.  Stufe).  Die  daran  anstoßende  Gruppe  Unter-  und  Ober- 
Gersprenz  erreichte  die  Dichte  113;  sie  gehörte  also  zur  IV.  Stufe. 
Die  beiden  Gruppen  sind  nur  um  1  verschieden ;  trotzdem  gehören  sie 
verschiedenen  Dichtestufen  an:    ein  Grund,    daß  wir  die   Dichtestufen 


l)   Nrn.,  Südl.  Schwarzwald. 
I.  Stufe  um  50,  IV.  Stufe  um  125,  VII.  Stufe  um  250, 

II.      ,        „     75,  V.      „  150,  VIII.      ,        „    300, 

III.      .        .  100,  VI.      ,        ,     200,  IX.      .        ,    400, 

X.      ,    über  600. 


21]  Die  Volksdichte  der  Provinz  Starkenburg.  313 

nicht  in  zu  kleinen,  sondern  in  größeren  Abständen  aufeinander  folgen 
lassen.  Auch  dann  noch  wird  man  den  eben  erwähnten  Mißstand  mit 
in  den  Kauf  nehmen  müssen,  denn  eine  feste  Abgrenzung  muß  sein; 
nur  wird  sich  dieser  Uebelstand  bei  Dichtestufen  mit  größeren  Ab- 
ständen weniger  häufig  wiederholen. 

Während  in  vorliegendem  Fall  eine  Vereinigung  zweier  benach- 
barter Dichtestufen  vollzogen  wurde,  kann  auch  der  Fall  eintreten, 
daß  eine  derartige  Vereinigung  unstatthaft  ist,  wenn  nämlich  die  eine 
Gruppe  mehr  nach  der  nächst  höheren,  die  andere  mehr  nach  der  nächst 
niederen  Stufe  zuneigt.  Ich  nehme  wieder  die  Gruppe  Wallbach  u.  s.  w. 
mit  der  Dichte  112  (III.  Stufe).  Daran  grenzt  die  Gruppe  Annelsbach- 
Forstel  mit  der  Dichte  64  (II.  Stufe).  Beide  Gruppen  gehören  also 
zwei  benachbarten  Stufen  (III  und  II)  an;  trotzdem  vereinigte  ich  sie 
nicht,  weil  Gruppe  Anneisbach  schon  zur  Stufe  I  hinneigt,  Gruppe 
Wallbach  dagegen  zur  Stufe  IV.  Während  weiter  oben  die  Gruppen 
Wallbach  und  Gersprenz  sozusagen  sich  gegenseitig  entgegenkamen, 
entfernen  sich  die  Gruppen  Wallbach  und  Anneisbach  voneinander  in 
dem  zuletzt  besprochenen  Falle. 

Wenn  es  sich  demnach  empfiehlt,  Dichtestufen  mit  größeren 
Abständen  zu  wählen,  so  dürfen  letztere  jedoch  auch  nicht  zu  groß 
genommen  werden,  wie  es  meines  Erachtens  Neukirch  thut,  der  die 
Dichtestufen  1—100,  100—250,  250—350  und  über  350  unterscheidet. 
Hier  werden  doch  ganz  gewiß  voneinander  durchaus  verschiedene  Ge- 
biete vereinigt,  die  unbedingt  getrennt  bleiben  müßten.  Nach  Neukirch 
würde  ein  Gebiet  mit  der  Dichte  110  zusammenfallen  mit  einem  Ge- 
biet, welches  die  Dichte  240  hat.  Nun  wird  letzteres  vor  dem  ersteren 
sicherlich  in  irgend  einer  Weise  bevorzugt  sein,  sei  es  durch  frucht- 
bareren Boden,  günstigere  Lage  oder  Einwirkung  der  Industrie  u.  s.  w. 
Unter  allen  Umständen  müssen  derartige  Unterschiede  auch  auf  der 
Karte  zum  Ausdruck  kommen.  Ebenfalls  bedenklich  scheint  mir  die 
Zusammenfassung  aller  Dichtestufen  über  350.  Ein  Gebiet  mit  der 
Dichte  350  und  darüber  wird  wesentlich  ein  Industriegebiet  sein.  Unter 
den  Industriebezirken  giebt  es  aber  doch  wieder  so  viel  Abstufungen, 
die  durch  verschiedene  Umstände  —  es  sei  hier  nur  an  die  Verkehrs- 
lage erinnert  —  bedingt  sind,  daß  ein  Zusammenwerfen  aller  dieser 
Dichtestufen  den  Zweck  der  Karte  nicht  völlig  erfüllen  und  die  Dar- 
stellung interessanter  Unterschiede  verhindern  würde. 

Deshalb  habe  ich  einen  Mittelweg  eingeschlagen  und  folgende 
Dichtestufen  aufgestellt : 


I. 

Dichtestufe 

um    . 

.     .     .      50, 

II. 

* 

T>          * 

.     .     .     100, 

in. 

* 

1> 

.     .     150, 

IV. 

?» 

J» 

.     .     200, 

V. 

» 

»           •           « 

.     .     300, 

VI. 

» 

n 

.     .     400, 

VII. 

» 

*       •        * 

.     .     600, 

VIII. 

* 

» 

.     .     700. 

Um  möglichst  scharf  die  Hauptgegensätze  in  der  Bevölkerungs- 


314  Karl  Bergmann,  ,  [22 

dichtigkeit  hervortreten  zu  lassen,  fasse  ich   je  zwei   der  Dichtestufen 
zusammen,  so  daß  vier  Hauptgruppen  entstehen,  nämlich: 

Stufen    50  und  100  schwach  bevölkerte  Gebiete 
„      150     „     200  mittelstark      „ 
„      300     „     400  stark 
,      600     „     700  sehr  stark       „ 

Noch  sind  einige  Worte  über  die  Einrichtung  der  Tabellen  und 
die  Herstellung  der  Karte  zu  sagen.  Die  Tabellen  wurden  möglichst 
vollständig  ausgestattet,  um  das  Verständnis  der  Arbeit  zu  erleichtern. 
Ich  unterscheide  neun  Rubriken.  In  der  ersten  sind  die  Namen  der 
einzelnen  Gemeinden  mitgeteilt.  In  der  zweiten  ist  das  Gesamtareal 
jeder  einzelnen  Gemarkung  angegeben.  Hierdurch  ist  es  möglich,  bei 
einem  Vergleich  der  verschiedenen  Gruppen  zu  erkennen,  ob  man  es 
mit  vorwiegend  kleinen,  mittleren  oder  großen  Gemeinden  zu  thun  hat. 
In  der  Rubrik  3  werden  die  Waldverhältnisse,  ausgedrückt  in  Prozenten 
der  Gesamtfläche,  dargestellt.  Diese  Rubrik  ist  äußerst  wichtig  und 
dürften  hier  Vergleiche  zwischen  den  einzelnen  Gruppen  (so  z.  B. 
Gruppe  11  einerseits  und  Gruppe  87  andererseits)  nicht  uninteressant 
sein.  Die  vierte  Rubrik  enthält  die  Anbaufläche,  also  das  waldfreie 
Kulturareal,  d.  h.  das  Areal  der  Gemeinde  mit  Abzug  des  Waldes,  des 
Weg-,  Oed-  und  Unlandes.  Ein  Vergleich  zwischen  Rubrik  2  und  4 
zeigt  uns  das  Verhältnis  zwischen  Gesamt-  und  Anbaufläche.  Die  An- 
baufläche kann  verwendet  werden  zu  Acker-,  Wiesen-,  Weideland  und 
Weinbergen.  Die  Weiden  verschwinden  in  Starkenburg  fast  vollständig. 
Die  Prozentangaben  beschränken  sich  deshalb  auf  Ackerland  und  Wein- 
berge (Rubrik  5  und  5  a).  Die  Prozentverhältnisse  für  Wiesen  ergeben 
sich  dann  durch  Abzug  der  Ackerlandsprozente  von  100  von  selbst. 
In  der  Rubrik  6  wurde  der  Versuch  gemacht,  den  Viehstand  für  jede 
einzelne  Gemarkung  darzustellen  (auf  den  Hektar  bezogen).  Allerdings 
sind  die  hier  mitgeteilten  Zahlen  nicht  immer  maßgebend  für  Gunst 
oder  Ungunst  der  Vieh  Verhältnisse ,  indem  oft  nur  eine  Viehgattung 
in  einer  Gemeinde  besonders  stark  vertreten  ist  und  durch  sie  hohe 
Einnahmen  erzielt  werden.  So  erreicht  z.  B.  Pfungstadt  nur  den  Vieh- 
stand 1,77,  obgleich  es  eine  hervorragende  Ziegenzucht  betreibt.  Immer- 
hin vervollständigen  diese  Zahlen  das  Gesamtbild  von  der  Lage  der 
einzelnen  Gruppen  und  dürften  auch  hier  Vergleiche  am  Platze  sein. 
Aus  Rubrik  7  sind  die  absoluten  Bevölkerungszahlen  zu  ersehen.  Aus 
den  Rubriken  4  und  7  ergeben  sich  dann  die  in  Rubrik  8  mitgeteilten 
Volksdichten.  Die  entsprechenden  Dichtestufen  sind  in  Rubrik  9 
enthalten. 

Als  Grundlage  für  die  Volksdichtekarte  von  Starken  bürg 
diente  die  Karte  vom  Großherzogtum  Hessen,  aufgenommen  vom  Großh. 
Hess.  Generalquartiermeisterstab  im  Maßstab  1 :  50000.  Für  die  Provinz 
Starkenburg  kommen  die  Sektionen  Oflfenbach,  Darmstadt,  Dieburg, 
Neustadt,  Michelstadt,  Erbach,  Sensbach,  Hirschhorn,  Bensheim,  Viern- 
heim und  Kelsterbach  in  Betracht.  Die  einzelnen  Sektionen  wurden 
in  demselben  Maßstabe  reproduziert  und  zwar  nur  mit  Berücksichtigung 
des  Waldes  und  der  Gemeindegrenzen.     Nachdem  alsdann  die  Dichte- 


23]  Die  Volksdichte  der  Provinz  Starkenburg.  315 

berechnung  und  die  Gruppenbildung  erfolgt  waren,  wurden  sektions- 
weise die  unter  eine  Dichtestufe  fallenden  Gemeinden  mit  einem  ge- 
meinsamen Farbentone  überdeckt  und  hierauf  die  verschiedenen  Sektionen 
aneinander  geheftet.  So  erhielt  ich  ein  großes  Kartenbild,  das  einen 
vortrefflichen  Ueberblick  gewährte  und  eine  stärkere  Zusammenfassung 
der  einzelnen  Gruppen  verhältnismäßig  leicht  gestattete.  Nach  erfolgter 
stärkerer  Zusammenfassung  wurde  die  Karte  reduziert.  Durch  den  ge- 
wählten Maßstab  von  1 :  250  000  stellen  sich  auch  die  kleinsten  Ge- 
meinden noch  deutlich  auf  der  Karte  dar.  Zum  Unterschied  von  Neu- 
mann *)  wird  auf  meiner  Karte  auch  der  Wald  von  den  Gemeinde- 
grenzen durchzogen,  so  daß  man  sofort  beim  Blick  auf  die  Karte 
erkennen  kann,  wie  die  Waldverhältnisse  bei  jeder  einzelnen  Gemeinde 
gestaltet  sind. 

3.  Das  Quellenmaterial. 

Außer  den  schon  oben  (S.  306  [14]  u.  307  [15])  erwähnten  amtlichen 
statistischen  Werken  und  der  Generalstabskarte  ist  noch  als  besonders 
wichtig  zu  erwähnen  die  „ Geologische  Karte  des  Großherzogtums  Hessen1*, 
herausgegeben  von  R .  Le  p  s  i  u s ,  Darmstadt  1 886  -  1 898,  Maßstab  1 1 25  000. 
Einem  jeden  Blatte  sind  „Erläuterungen"  beigefügt,  in  denen  besonders 
zwei  Kapitel  für  vorliegende  Arbeit  von  großem  Werte  waren,  einmal 
„Technisch  nutzbare  Materialien11  und  dann  „Bodenkundliche  Verhält- 
nisse*. Ebenfalls  sehr  wertvoll  waren  die  Berichte  der  Handelskammern 
zu  Darmstadt  und  Offenbach  1895.  Dieselben  enthalten  ein  Verzeichnis 
der  fabrikmäßigen  Betriebe  im  Handelskammerbezirk  Darmstadt  bezw. 
Offenbach.  Es  sei  hier  darauf  hingewiesen,  daß  fast  alle  Angaben 
über  Fabrikbetriebe  aus  diesen  Handelskammerberichten  stammen.  Wo 
die  Angaben  anderen  Quellen  entnommen  sind,  ist  eigens  darauf  auf- 
merksam gemacht.  Es  möge  jetzt  hier  ein  genaues  und  vollständiges 
Verzeichnis  der  Quellen  folgen. 

a)  Volksdichtearbeiten. 

Berghaus,  H.,  Physikalischer  Atlas.    1892. 

A.  Peter manns  Mitteilungen  aus  Justus  Perthes1  Geographischer  An- 
stalt.   Gotha,  Erg.-Bd.  VIII,  Nr.  35.   1874. 

A.  Peter  manne  Mitteilungen,  Bd.  XX,  1874. 

Kettler,  J.J.,  Dichtigkeit  der  Bevölkerung  im  Deutschen  Reich  (M.  1 :  3000000), 
in  Andree-Peschels  physikal.-stat.  Atlas  des  Deutsch.  Reiches.  Taf.  15. 
1878. 

Andree,  Handatlas,  Bielefeld  u.  Leipzig  1890. 

Deutsch,  O.,  Eartogr.  Darstellung  der  Bevölkerungsdichtigkeit  von  West- 
deutschland auf  Grund  hypsometr.  u.  geognost.  Verhältnisse,  in  V.  Jahres- 
bericht des  Vereins  von  Freunden  der  Erdkunde  zu  Leipzig.   1865. 

Sprecher  v.  Bernegg,  Hektor,  Die  Verteilung  der  bodenständigen  Be- 
völkerung im  rheinischen  Deutschland  im  J.  1820.  Diss.   Göttingen  1887. 

Träger,  E.,  Die  Volksdichtigkeit  Niederschlesiens.  Diss.  Kiel,  Weimar  1888 
und  in  Zeitach r.  f.  wissenschaftl.  Geographie  zu  Weimar,  VI. 


')   Nrn.,  Südl.  Schwarzwald. 


316  Karl  Bergmann,  [24 

Neu  mann,  L.,  Die  Volksdichte  im  Großherzogtum  Baden,  in  Forschungen 

zur  deutschen  Landes-  u.  Volkskunde,  VII.    1892. 
Neumann,  L.,  Die  Veränderungen  der  Volksdichte  im  südl.  Schwarz walde 

1852 — 1895.    In  Freihurger  Universitätsfestprogramm  zum  70.  Geburtstag 

Sr.  königl.  Hoheit   d.  Großherzogs  Friedrich.    Freiburg  i.  Br.  u.  Leipzig. 

1896. 
Neukirch,  K. ,   Studien   Über  die  Darstellbarkeit  der  Volksdichte.    Freib. 

Diss.   Braunschweig  1897. 
ühlig,  Die  Veränderungen  der  Volksdichte  im  nördl.  Baden  1852—1895, 

in  Forschungen  zur  deutschen  Landes-  und  Volkskunde.  XI.   1899. 

b)  Statistische  Werke. 

Mitteilungen  der  Großh.   Hessischen  Centralstelle  für  die  Landesstatistik. 

Darmstadt.    Jahrgänge  1894,  1895,  1896.  1897. 
Beiträge  zur  Statistik  des  Großherzogtums  Hessen.   Darmstadt.   Bände  24,  32, 

34,  88.    1884,  1889,  1890,  1895. 
Jahresbericht  der  Handelskammer  zu  Darmstadt.   1895. 
Jahresbericht  der  Handelskammer  zu  Offenbach.   1895. 
Monatshefte  zur  Statistik  des  Deutschen  Reiches,  Bd.  XXX.    Berlin  1878. 
Beiträge   zur  Statistik   der  Stadt  Frankfurt  a.  M.    N.  F.   1.  Heft,    1.  Teil. 

Frankfurt  1892. 

c)  Kartenwerke. 

Karte  vom  Großherzogtum  Hessen,  aufgenommen  vom  Großh.  hess.  General- 
quartiermeisterstab. Darmstadt.  Ohne  Jahreszahl.  Maßstab  1:50000. 
Sektionen  Bensheim,  Darmstadt,  Dieburg,  Erbach,  Hirschhorn,  Kelster- 
bach, Michelstadt,  Neustadt,  Offenbach,  Sensbach,  Viernheim. 

Geologische  Karte  des  Großherzo^tums  Hessen  im  Maßstabe  1:25000. 
Herausgeg.  durch  das  großh.  Ministerium  des  Innern  und  der  Justiz. 
Bearbeitet  unter  Leitung  von  Richard  Lepsius.  Darmstadt  1886 — 1898. 
Erschienen  sind  bis  jetzt  die  Blätter  Mörfelden,  Darmstadt,  Zwingenberg, 
Bensheim,  Messe],  Roßdorf,  Babenhausen,  Groß-Umstadt,  Brensbach,  Er- 
bach, Schaafheim,  Neustadt,  König,  mit  Erläuterungen  von  C.  Chelius, 
G.  Klemm  und  Chr.  Vogel. 

Geologische  Uebersichtskarte  für  das  Großherzogtum  Hessen.  Bearbeitet 
von  R.  Ludwig.  Herausgeg.  vom  Mittelrhein,  geolog.  Verein.  Darm- 
stadt 1867. 

Höhenschichtenkarte  des  Großherzogturos  Hessen.    Maßstab  1:25000. 

Liebenow,  Karte  von  Mitteleuropa.  Maßstab  1:300000.  Sektionen  Mann- 
heim und  Frankfurt. 

Hoff  mann,  H. ,  Vergleichende  phänologische  Karte  von  Mitteleuropa,  in 
P.  M.  Bd.  XXVII. 

d)  Geologische  Abhandlungen. 

Erläuterungen   zur  Geologischen  Karte  des  Großherzogtums  Hessen  (siehe 

auch  unter  c). 
Cotta,  Deutschlands  Boden,  sein  geologischer  Bau  und  deren  Einwirkungen 

auf  das  Leben  der  Menschen.    Leipzig  1854. 
Lepsius,  R.,  Das  Mainzer  Becken.    Darmstadt  1883. 
Luedecke,   Die  Böden  des  vorderen  Odenwaldes.    Notizblatt  des  Vereins 

für  Erdkunde.   IV.  Folge.   16.  Heft.    Darmstadt  1895. 
Chelius,  Die  Steinindustrie  im  Odenwald  und  seiner  Umgebung.    Nr.  18, 

14,  15  des  Gewerbeblattes  für  das  Großherzogtum  Hessen.    Darmstadt  1898. 

Siehe  auch  „Frankfurter  Zeitung*  Nr.  72,  1898,  Morgenbl.  (14.  März  1898). 

e)  Allgemeine  Werke  über  das  Großherzogtum  Hessen. 

Beiträge  zur  Land-,  Volks-  und  Staatskunde  des  Großherzogtums  Hessen. 
Darmstadt  1850. 


25]  Die  Volksdichte  der  Provinz  Starkenburg.  317 

Walther,  Ph.  A.  F.,  Das  Großherzogtum  Hessen.    Darmstadt  1854. 

Weidenhammer,  Die  Landwirtschaft  im  Großherzogtum  Hessen.  Darm- 
stadt 1882. 

Dieffenbach,  F.,  Das  Großherzogtum  Hessen  in  Vergangenheit  und 
Gegenwart.    Darmstadt  1883. 

Scher  er,  Geographie  und  Statistik  des  Großherzogtums  Hessen.  Gießen 
1883. 

Künzel-Soldan,  Das  Großherzogtum  Hessen.     Gießen  1893. 

f)  Abhandlungen  über  einzelne  Teile  der  Provinz 
Starkenburg. 

Wind  hau  s,  G.f  Führer  durch  den  Odenwald  und  die  Bergstraße.  Darm- 
stadt 1896. 

Wilbrand,  Der  Odenwald,  in  Deutsche  geograph.  Blätter,  Heft  3,  Bd.  XU. 
Bremen  1889. 

Der  Rheinstrom  und  seine  wichtigsten  Nebenflüsse.  Im  Auftrag  der  Reichs- 
kommission  zur  Untersuchung  der  Rheinstromverhältnisse  herausgeg.  vom 
Zentralbureau  für  Meteorologie  und  Hydrographie  im  Großherzogtum 
Baden.    Berlin  1889. 

Küster,  E.,  Die  deutschen  Buntsandsteingebiete,  ihre  Oberflächengestaltung 
und  antbropogeogr.  Verhältnisse.  Forschungen  zur  deutschen  Landes- 
und Volkskunde,  Bd.  V.    Stuttgart  1891. 


II.  Hauptergebnisse  der  Specialuntersuchung. 

Fassen  wir  jetzt  noch  kurz  die  Resultate  zusammen,  die  sich  aus 
der  Specialuntersuchung  selbst  ergeben  haben  und  in  der  Karte  nieder- 
gelegt sind. 

Die  große  Verkehrsstraße  Frankfurt-Darmstadt-Heidelberg  trennt 
zwei  verschiedene  Gebiete: 

I.  Westlich:  die  Rheinebene  und  die  Mainebene  westlich  der 

genannten  Linie. 
IL  Oestlich:    a)  Odenwald, 

b)  Mainebene. 

Die  Rheinebene  und  der  westliche  Abschnitt  der  Main- 
ebene sind  im  wesentlichen  nur  schwach  und  mittelstark  bevölkert. 
Starke  Bevölkerung  haben  wir 

1.  im   südlichen  Teil   (Tabaksbau,    Einfluß   von  Worms,   Mann- 
heim, Weinheim); 

2.  im  nördlichen  Teil  (Einfluß  von  Mainz  und  Frankfurt); 

3.  bei  Groß-Gerau  (Mittelpunkt   der  nordwestlichen  Rhein-Main- 
Ebene)  ; 

4.  westlich  und  südwestlich   von  Darmstadt  (Einfluß  Darmstadts 
und  auch  eigene  Industrie). 

Die  Verkehrsstraße  selbst  ist  stark  und  sehr  stark  bevölkert,  mit 
Ausnahme  zweier  Stellen  an  der  Bergstraße  bei  Bickenbach  und  Malchen. 
Ein  allmähliches  Anwachsen  der  Bevölkerung  von  Darmstadt  bis  Frank- 
furt ist  deutlich  festzustellen. 


318  Karl  Bergmann,  Die  Volkedichte  der  Provinz  Starkenburg.  [26 

Der  Odenwald  ist  ein  in  der  Hauptsache  schwach  und  mittel- 
stark bevölkertes  Gebiet  Auf  den  Höhen  und  in  den  engen  Thälern 
ist  die  Bevölkerung  meist  schwach,  in  den  größeren  Thälern  mittel- 
stark. Im  westlichen  Odenwald  wirkt  die  Steinindustrie  an  manchen 
Stellen  stark  verdichtend.  Im  südöstlichen  Odenwald  haben  wir  zum 
Teil  starke  Bevölkerung  (Eichenschälwaldbetrieb).  Beerfelden  hat  durch 
seine  Lage  starke  Bevölkerung  (vgl.  damit  Groß-Gerau).  Von  den  drei 
Hauptodenwaldthälern  weist  das  Neckarthal  sehr  starke,  das  Mümling- 
thal  sehr  starke,  starke  und  mittelstarke,  das  Gersprenz-  und  Weschnitz- 
thal  starke,  mittelstarke  und  schwache  Bevölkerung  auf.  Sowohl  in 
der  Mitte  des  landwirtschaftlichen  Gersprenz-  und  Weschnitzthales,  als 
auch  in  der  Mitte  des  industriellen  Mümlingthales  ist  eine  Bevölkerungs- 
anhäufung zu  bemerken. 

Im  westlichen  Odenwald  ist  nach  der  Bergstraße  zu  eine  Ver- 
dichtung der  Bevölkerung  wahrzunehmen. 

Ein  Vergleich  des  westlichen  Odenwalds  einerseits  mit  dem  mitt- 
leren und  östlichen  andererseits  zeigt,  daß  ersterer  dichter  bevölkert  ist. 
Als  Gründe  lassen  sich  dafür  anführen  besserer  Boden,  milderes  Klima, 
geringere  Bewaldungsprozente,  bessere  Verkehrslage  und  Wegeverhält- 
nisse, größere  landschaftliche  Reize  und  dadurch  stärkerer  Fremden- 
verkehr. Was  den  Wegbau  anlangt,  so  kommt  ihm  das  Terrain  im 
westlichen  Odenwald  insofern  zu  Hilfe,  als  durch  seine  vielfachen  Win- 
dungen es  ermöglicht  wird,  auch  beträchtliche  Höhen  zu  ersteigen.  Im 
östlichen  Odenwald  dagegen  ist  der  Wegbau  von  einem  Längsthal  zum 
anderen  wegen  der  steilen  Bänder  sehr  schwierig1). 

Die  Vorhöhen  des  Odenwaldes  sind  wesentlich  mittelstark 
bevölkert,  nach  Darmstadt  zu  tritt  Verdichtung  ein.  Die  Gruppe  33 
(Reinheim)  zeigt,  daß  Fruchtbarkeit  und  dichte  Bevölkerung  nicht  immer 
Hand  in  Hand  gehen,  indem  sich  nämlich  in  solchen  Gegenden  häufig 
der  einer  Volksverdichtung  hinderliche  Großgrundbesitz  ausbildet. 

Der  östliche  Abschnitt  der  Mainebene  ist  im  großen  und 
ganzen  stark  und  sehr  stark  bevölkert,  zum  Unterschied  von  dem  west- 
lichen Abschnitt  der  Mainebene.  Die  dichte  Bevölkerung  im  östlichen 
Teile  wird  hervorgerufen  durch  die  drei  großen  Industriestädte  Frank- 
furt, Offenbach  und  Hanau.  Nach  dem  Maine  hin  findet  ein  allmäh- 
liches Anschwellen  der  Bevölkerung  statt. 


l)  Scherer,  Geogr.  u.  Statistik  d.  Grofih.  Hessen,  S.  22. 


Specialuntersuchung. 


Die  Provinz  Starkenburg  zerfällt  in  zwei  große  Hauptgebiete,  die 
durch  die  Verkehrsstraße  Frankfurt-Darmstadt-Heidelberg  voneinander 
getrennt  werden.  Das  westlich  von  dieser  Verkehrsstraße  gelegene 
Hauptgebiet  wird  gebildet  von  der  Rheinebene  und  dem  westlich  der 
genannten  Linie  gelegenen  Teil  der  Mainebene.  Oestlich  der  großen 
Verkehrsstraße  lassen  sich  wieder  zwei  große  Unterabteilungen  unter- 
scheiden: im  Norden  die  Mainebene,  im  Süden  der  Odenwald.  Der 
Odenwald  zerfallt  seinerseits  wieder  in  den  westlichen,  den  mittleren, 
den  östlichen  und  den  südöstlichen  Odenwald.  Zwischen  dem  west- 
lichen und  dem  mittleren  Odenwald  zieht  sich  das  Gersprenz-  und 
Weschnitztbal  hin ;  zwischen  dem  mittleren  und  dem  östlichen  das  Müm- 
lingthal.  Im  Norden  geht  der  Odenwald  allmählich  mit  seinen  Vor- 
höben in  die  Mainebene  über. 

Es  sind  demnach  folgende  Gebiete  zu  unterscheiden: 

A.  Die  Rheinebene  und  die  Mainebene  westlich  der  Verkehrslinie 
Darm  stadt-Frankf urt. 

B.  Die  Verkehrslinie  Frankfurt-Darmstadt-Heidelberg. 

C.  Die  östlich  der  Verkehrslinie  Frankfurt-Darmstadt  gelegene 
Mainebene. 

D.  Die  Vorhöhen  des  Odenwaldes. 

E.  Der  Odenwald: 

1.  Der  westliche  Odenwald. 

2.  Das  Gersprenz-  und  Weschnitzthal. 
»1  Der  mittlere  Odenwald. 

4.  Das  Mümlingthal. 

5.  Der  östliche  Odenwald. 

6.  Das  Neckarthal  und  die  Neckarseitenthäler  (der  südöst- 
liche Odenwald). 


320 


Karl  Bergmann, 


[28 


Die  Rheinebene  und  die  Mainebene  westlich  der  Verkehrslinie 
Frankfurt-Darmstadt. 


1 

2 

! 

3 

4 

5 

6 

7 

8 

9 

Namen  der  Gemeinden 

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300 

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Lampertheim1) 

m.  Hüttenfeld,  Neu- 

scbloß  und  Rosen- 

garten  

44,58 

30 

26,62 

81 

2,12 

7258 

272 

V 

Viernheim.    .    .    . 

48,42 

59 

17,82 

91 

1,80 

6550 

367 

VI 

Bürstadt    .... 

17,26 

— 

16,56 

63 

2,21 

4199 

253 

V 

124,66 

34 

73,59 

78 

2,12 

21795 

296 

V 

2.  Klein-Hausen 
Groß-Hausen  . 
Schwanheim  . 
Fehlheim  .  . 
Rodau,  KrJtensheim 
Langwaden 
Hähnlein    .     . 


3.  Eschollbrücken. 

Eich 

Hahn 

Goddelau   mit  Hof- 
heim     

Stockstadt.    .    .    . 


. 

5,78 

— 

5,51 

44 

3,00 

1158 

210 

IV 

16,67 

73 

3,92 

94 

2,01 

522 

13* 

m 

. 

4.27 

15 

3,48 

94 

2,15 

542 

155 

m 

. 

2,45 

— 

2,38 

78 

2,23 

543 

228 

IV 

1 

1,24 

— 

1,19 

98 

8,92 

242 

203 

rv 

. 

1,26 

— 

1,18 

76 

3,11 

210 

178 

IV 

. 

7,64 

2 

7.17 

74 

2,07 

1170 

16* 

III 

1 

1  39,31 

33 

24,83 

78 

2,43 

4387 

176 

IV 

3,70 
0,51 
3,59 

— 

3,46 

0,48 
3,36 

61 
81 
81 

2,70 
2,85 
4,07 

715 

105 

1061 

207 
219 
316 

8,80 
1     8,45 

7 

8,37 
6,52 

80 
76 

1,53 
2,14 

1779 
1322 

212 
202 

25,05 

2 

22,19 

76 

2,30 

4982 

225 

4.  Gernsheim 

5.  Pfungstadt 
Griesheim  .    . 


Gräfenhausen 
Weiterstadt  . 
Büttelborn. 
Dornberg  .  . 
Klein-Gerau   . 


IV 
IV 
V 

IV 
IV 


IV 


32,05 1    32    1 19,69  I    93    I    1,56  I  8750  I    190   I    IV 


.    !.  35,21  1    42 
.    1)  28,92 1     25 

18,09 
16,66 

82    1    1,77  1  5903  1   326 
72    1    1.76  1  4835  |   290 

V 

V 

||  64,13  |    34 

34,75 

79     1    1,77  110738  1   809 

V 

.    !|  10,41 

26 

7,15 

89 

1,81 

13(i6 

191 

IV 

.       15,70 

35 

9,11 

93 

1,88 

1512 

166 

III 

.     '  14,33 

26 

9,94 

81 

1,91 

1477 

148 

111 

.     i    1,35 

10 

1,06 

80 

2,12 

194 

183 

rv 

5,87 

30 

3,86 

94 

2,35 

654 

169 

III 

I1  47,66 

li 

29 

31,12 

88 

1,94 

5203 

167 

III 

*)  Diejenigen  Orte,  nach  denen  im  Texte  die  ganze  Gruppe  benannt  wird, 
sind  gesperrt  gedruckt;  es  sind  das  meist  solche  Orte,  die  entweder  im  Mittel- 
punkt der  genannten  Gruppe  liegen  oder  sonstwie  einen  bekannten  Ruf  genießen. 
Sind  die  von  den  Gruppen  umfaßten  Gebiete  sehr  ausgedehnt,  so  werden  zwei, 
auch  drei  Orte  gesperrt. 


29] 


Die  Volksdichte  der  Provinz  Starkenburg. 


321 


1                        2 

3 

4 

5 

6 

7 

8        9 

Namen  der  Gemeinden 
des  Gebietsteilen 

M 

3 

Sä 

g  er 
de 

£ ""* 

a-  ta  m 

fl    4)    y 

J.a 

Ackerland  in 
Prozenten  der 
Anbaufläche 

1 

M 

0 

1 

o 

"öS 
6 

1 

7.  Groß-Gerau    .     *    . 

15,54 

ÜB 

12,11 

a5 

1,69 

39*8 

339 

V 

$.  Schneppenhausen . 
Braunsbardt  ».    *    '» 
Worfeldcn      .    ,    .    j 


fc   Walldorf   , 
Mörfelden 


2M 
4,72 
84» 


15,751      7 

3,  161     - 
14.371     32 


2,641  no 
4,221  89 
7.17      94 


1,93 
U* 
1.80 


14,08     02 


370 
»55 
848 


,64      1573 


140 

84 

118 


3.081 
9,16! 


100 
83 


2,79 
1,72 


1319 
2450 


428 
26* 


111 
II 

Ml 


H2  I    n 


VI 
V 


17,681     26     j    12,241     88     |    1,98  I  3775  I    308 


10  Kelsterbach  . 
Rnunheim  .  . 
Rüsselaheim  mit 
Hof  Schön  au 
Bischofs  heim , 
Ginabeim  -    - 


12,88 
7,92 

51 
45 

5,45 
&7S 

97 
96 

1,74 
133 

1855 
1005 

340 
270 

V 
V 

15,59 
9,31 
S,*6 

14 
5 
7 

12,30 
8,22 

7, Uli 

94 
96 
93 

i,*o 

2,21 
2,0* 

3406 
2264 
1828 

277 
275 

258 

Y 
V 

v 

!   54,56 

24 

36,75 

96 

1,94  110858 

i 

282 

V 

11.  Hau  loch     .     . 
Kflnigstudten, 
Bausch  b  ei  ra    . 
Astheim     .     , 
Nauheim    ■ 
Trebur     .     , 
Gemsheim.     . 
Lee  heim     .     , 
Wolfskehlen  . 
Crumstadt ■     . 
E  r  f  e  I  d  e  n 
Dornheim  ,     . 
Berkach      .     . 
Walleratftdten 
ßiebesheim 
G roß  Rohrheim 
Klein-Rohrheim 
Biblis    ,     ,     . 
Watten  heim  . 
Nord  heim  .     . 
Bobstadt     , 
Hof he  im    , 


Summe  1—11 


3.41 

37 

WO 

91 

1,30 

248 

124 

11 

9,37 

10 

7,59 

n 

1,90 

931 

123 

11 

7,00 

M 

0,10 

90 

1.72 

616 

100 

11 

7.75 

— 

7,25 

87 

1,34 

806 

111 

[] 

9,75 

26 

6,74 

82 

2,05 

1309 

1*4 

IV 

22.00 

2 

20.54 

63 

1,36 

1902 

92 

If 

10,19 

— 

9,72 

77 

hm 

998 

102 

11 

14,75 

2 

13,57 

75 

1,40 

1176 

86 

II 

12.76 

3 

11,32 

7« 

1.60 

1054 

93 

11 

L4.0S 

2 

13,10 

SB 

1,35 

1358 

103 

]f 

21.46 

19 

IM« 

55 

1,26 

931 

69 

1 

14,77 

g 

13,0(3 

71 

1.6« 

1343 

103 

ü 

2,80 

— 

2.63 

68 

1,81 

285 

10* 

II 

10.W 

3 

10,01 

73 

1,45 

BIS 

91 

11 

17,56 

4 

14,89 

73 

1,99 

1836 

123 

n 

17.24 

14 

13,87 

65 

1,98 

1660 

119 

ii 

4,29 

2 

4.02 

88 

0,90 

215 

58 

i 

22M 

15 

17.20 

66 

1,63 

2362 

137 

m 

4,23 

4 

3.90 

73 

1,3* 

3*7 

99 

ii 

11.98 

20 

7,45 

82 

1,3* 

789 

106 

ii 

4.40 

7 

3,94 

89 

1,67 

563 

142 

in 

12.40 

1 

11.70 

>I 

1.54 

15*2 

135 

in 

|j  355,71 1      S 

214,03 

70 

1,58 

23269 

108 

ii 

1691.95 

- 

495.33 

— 

— 

93818 

189 

IV 

Ein   flüchtiger  Blick   auf  die   Karte    zeigt,    daß    wir   es  hier  mit 
einer  vorwiegend  schwach  oder  mittelstark  bevölkerten  Gegend  zu  thun 


322  Karl  Bergmann,  [30 

haben.  Nur  die  Gruppen  1  (Lampertheim),  5  (Pfungstadt),  7  (Grofi- 
,Gerau),  9  (Mörfelden)  und  10  (Rüsselsheim)  weisen  starke  Bevölkerung 
auf.  Um  diese  geringe  Volksdichte  zu  verstehen,  müssen  drei  Dinge 
in  Rücksicht  gezogen  werden :  die  geologische  Beschaffenheit,  die  Lage 
der  Orte  zum  Rheinwasserspiegel  und  die  Besitzverhältnisse  *). 

Die  Rhein-Main-Ebene  besitzt  die  verschiedensten  Bodenarten, 
vom  unfruchtbarsten  Flugsand,  der  sehr  oft  zu  ganzen  Dünenzügen 
zusammengeweht  ist,  so  z.  B.  bei  Bickenbach,  bis  zur  fruchtbarsten 
Ackererde.  Große  Gebiete  der  Rheinebene  sind  mit  Flugsand  bedeckt 
und  infolgedessen  nur  als  Waldgebiete  (besonders  Kiefernwald)  zu  be- 
nutzen. Wo  diese  Sandgebiete  doch  zum  Feldbau  benutzt  werden,  lohnt 
das  Feld  kaum  die  Saat;  es  trägt  für  gewöhnlich  nur  Hafer  und  Roggen 
mit  kurzen  und  schwachen  Halmen  und  spärliche  Kartoffeln2).  Als 
große  Waldgebiete  sind  hervorzuheben  die  Viernheimer  Heide,  der 
Lampertheimer,  Lorscher,  Jägersburger-  und  Gernsheimer  Wald.  Ein 
zweites  großes  Waldgebiet  befindet  sich  zwischen  Bickenbach,  Pfung- 
stadt, Griesheim  und  der  Bergstraße  (bis  einschließlich  Darmstadt).  Ein 
drittes  Waldgebiet  endlich  erstreckt  sich  zwischen  dem  Main  und  den 
Gemeinden  Königstädten,  Haßloch,  Groß-Gerau,  Worfeiden,  Langen 
und  Neu-Isenburg  mit  einer  Lichtung,  in  der  die  Gemeinden  Walldorf 
und  Mörfelden  liegen. 

Da  der  Flugsand  leicht  vom  Winde  über  große  Strecken  hin  ge- 
weht werden  kann,  trägt  er  sehr  oft  zur  Versandung  von  ursprünglich 
fruchtbaren,  aber  leichten  Böden  bei,  während  er  bei  schwereren  Böden 
eher  als  eine  Art  natürlicher  Melioration  angesehen  werden  kann3). 

Die  übrigen  Bodenarten   der  Rheinebene   sind  der  humose  Flug- 


!)  Vgl.  dazu  die  klare  Schilderung  der  Rheinebene  bei  Uh  Hg,  Veränd. 
d.  Volksd.  i.  nördl.  Baden,  S.  118/119,  die  hier  folgen  mag,  da  sie  im  wesent- 
lichen anch  für  den  hessischen  südlichen  Teil  der  Rheinebene  gilt.  U  h  1  i  g  unter- 
scheidet folgende  vier  Zonen,  die  von  Westen  nach  Osten  aufeinander  folgen: 

1.  Die  Rheinniederung,  auch  das  natürliche  Ueberschwemmungsgebiet  des 
Stroms  genannt,  mit  einer  durchschnittlichen  Breite  von  3  ktn.  Die  Be- 
siedelung  dieses  Streifens  ist  wenig  dicht. 

2.  Das  Hochgestade  des  Rheins  mit  einer  durchschnittlichen  Breite  von 
13  km.    Hier  ist  zu  unterscheiden 

a)  ein  schmaler  Streifen  bebauten  Landes, 

b)  die  breite  Waldfläche. 

Der  Boden  von  a)  und  b)  besteht  aus  den  dem  Ackerbau  sehr  ungün- 
stigen Rheinkiesen  und  Sanden,  doch  wird  auch  diese  wenig  fruchtbare 
Gegend  mehrfach  durch  fruchtbare  Ablagerungen  der  Nebenflüsse  des 
Rheins  unterbrochen. 

3.  „Der  östlichste  Teil  der  Rheinebene  ist  in  seinen  tieferen  Teilen,  den 
Spuren  ehemaliger  Fluß-  und  Bachläufe,  die  auch  heute  streckenweise  von 
fließenden  Rinnen  durchzogen  sind ,  ziemlich  feucht  und  daher  als  Wiesen- 
land genutzt.  Daneben  findet  sich  ergiebigster  Ackerbau.*  Bodenbescbafl'en- 
heit  und  Lage  am  Steilabfall  der  Gebirge  (Bergstraße)  sind  vereint  die  Ur- 
sachen sehr  dichter  Bevölkerung. 

4.  Die  Ränder  und  Hänge  des  Odenwalds:  sie  besitzen  in  den  tieferen 
Lagen  das  Klima  der  Rheinebene  und  sind  berühmt  durch  ihren  Reichtum 
an  Wein  und  Obst.  Uhlig  bezeichnet  dieses  Gebiet  als  , Bergstraßen- 
gebiet*. 

2)   Erl.  Mörfelden,  S.  23  u.  24. 

•)   Erl.  Zwingenberg- Bensheira,  S.  104. 


31]  Die  Volkadichtc  der  Trcrnnz  Stftrkenburg.  323 

saud,  der  überschlickte  Flugsandhoden  ,  der  Fliißsclilick-  und  Lehm- 
boden, sowie  die  Anschwemmungen  der  Bliebe1).  Letztere  liefern  die 
vorzüglichste  Ackererde;  auch  die  anderen  Buden  sind  fruchtbar,  be- 
sonders der  überschlickte  Flugsandboden,  da  er  in  feuchten  Jahren  nicht 
so  an  Nässe  leidet,  wje  der  reine  Schlickboden.  Eine  grnlae  Rolle 
spielt  der  buxnoae  Plugsand  bei  Lorsch,  Hausen  und  Bitkenbach,  Aber 
die  Fruchtbarkeit  dieser  Bodengattung  ist  natürlich  da  bedeutend 
höher,  wo  der  Grund  Wasserspiegel  nicht  allzu  tief  steht,  .so  z.  B.  in 
den  tiefer  gelegenen  Parzellen  bei  Lorsch ,  während  die  beträchtlich 
hoher  liegenden  Areale  desselben  bei  Birke  nbach,  welche  viel  trockener 
sind,  weit  weniger  sichere  Hesultate  ergeben2).  Sehr  fruchtbaren 
Boden  haben   Goddelau*  Erfelden   und  lYunistadt a). 

Der  günstige  Einfluß  dieser  Buden  wird  aber  andererseits  wieder 
beeinträchtigt  durch  das  Vorhandensein  großer  Torfstrecken,  die  den 
Verlauf  der  alten  Rhein-* ,  Neckar-  und  YWsehnitz betten  bezeichnen. 
Diese  alten  Flußbetten  leiden  an  groüer  Nässe:  in  sehr  feuchten  Früh- 
jahren kann  man  z.  B,  große  Teile  der  W  iesenflächen  westwärts  von 
Heppenheim  and  Laudenbach  in  einen  See  verwandelt  sehen1).  Infolge 
iinvr  groljen  Nässe  können  < l l*j--  alten  Flu&betten  nur  als  Wiesenboden 
benutzt  werden.  l)ie  Gräser  sind  jedoch  meist  sauer  und  taugen  wenig 
zum  Viehfutter,  Außerdem  sind  diese  ehemaligen  Flußbetten  ein  Ver- 
kehrshemmiiis,  da  sie  für  Menschen  und  Tiere  meist  unpassierbar  sind*). 
Bessere  Verhältnisse  liegen  in  dieser  Beziehung  bei  Esehollbrücken 
vor,  wo  man  in  geeigneter   Weise  diesem    Oebelstande  abgeholfen  hat. 

Auch  der  Abbau  des  Torfes  der  alten  Neckarbetten  lohnt  sich 
nicht;  er  wird  nur  noch  bei  Pfungstadt  abgebaut**).  In  den  durch  den 
Abbau  entstandenen  Löchern  baut  die  Gemeinde  Pfungstadt  in  nutz- 
bringender Weise  Schilfrohr    an,    dessen   Ernte    im    Winter   stattfindet. 

Einen  durchaus  ungünstigen  Boden  treffen  wir  in  dem  Khein- 
sehotter,  besonders  in  der  Gegend  westlich  von  Bensheim  an.  Der 
Rheinschütter  ist  ein  oft,  sehr  steiniger,  armer  Ackerboden,  dem  mir 
durch  große  Sorgfalt  in  der  Bearbeitung  und  Düngung  kärgliche  Er- 
trüge  an  Korn  entlockt  werden  können7). 

Auch  ist  die  Rheingegend  infolge  ihrer  niedrigen  Lage  den 
Tel >nsch wemmungeii  ausgesetzt ,  die  oft  ungeheueren  Schaden  sin- 
richten.  So  belief  sich  z,  B.  im  Jahre  187<5  der  Schaden  auf 
ca,  2  Millionen  Mark,  während  er  im  Winter  1882:83  noch  bedeutender 
u;!i"it  Die  durch  diese  niedrige  Lage  hervorgerufene  Gefahr  der 
Ueberschweinmung  —  die  Einwohner  der  zur  Gruppe  Trebur-Erfelden- 
Bobstadt  gehörigen  Gemeinden  sitzen  sozusagen  im   Wasser  —  übt  auf 


]i   Krl.  Darmstadt,  £ 
8)    Krl.  ßwiBgenbergBensheim,  8.  10$, 

'■■    \  'gl,  dazu   die  geringe  Dichte  von  Erfelden  und  Crumstadt  (S.  :SJI   [39]) 
die  U  rund  besitz  Verhältnisse  dieser  Gemeinden  (8.  :S'24  [32  i- 
li   Krl  Xwmgenberg-Beiusheim.  3.  73- 
I    Krl.  Dann stadt.  S.  4U.  50. 
•)  Krl,  Zwingenberg-Benaheira,  8.  8G> 
:)    Krl,  Zwingen  herg  Bens  heim,  S,   10:i,  104. 

Sr  herer.  Ueogr.  u-  Statist  d.  lirnj'di,   Hessen,  S.  -"J. 


324  Karl  Bergmann,  [32 

den  Ackerbau  häufig  hemmenden  Einfluß  aus  und  bedingt  zum  Teil 
die  geringe  Dichte. 

Gleichfalls  schlechten  Boden  liefern  die  Schotterablagerungen  bei 
Braunshardt  und  Schneppenhausen ,  wo  besser  Aufforstung  für  den 
kummerlichen  Ackerbau  eintreten  würde1).  In  der  Gegend  von  Klein- 
Gerau,  Büttelborn,  Mörfelden  ist  der  Boden  durch  den  wenn  auch  ge- 
ringen Lehmgehalt  ertragsfahiger  und  durch  den  Anbau  von  Früh- 
kartoffeln und  Gemüsen  werden  hohe  Einnahmen  erzielt8).  Ebenfalls 
lehmreicheren  und  dadurch  besseren  Boden  haben  wir  bei  Arheilgen 
und  Erzhausen,  so  daß  hier  der  Boden  geeignet  ist  zum  Weizen-  und 
Gemüsebau3). 

Was  die  klimatischen  Verhältnisse  anlangt,  so  ist  die  Rheinebene 
eine  der  wärmsten  Gegenden  Deutschlands.  Infolge  des  Einflusses  des 
nahen  Odenwaldes,  des  Rheins  und  des  Mains,  sowie  des  starken  Wald- 
bestandes ist  die  Rheinebene  mit  Niederschlägen,  namentlich  mit  Nebeln, 
reich  bedacht4).  Dagegen  leidet  der  waldfreiere  Teil  der  Ebene  zwi- 
schen Rhein  und  Bergstraße  zuweilen  an  Trockenheit  im  Sommer, 
indem  die  Gewitter  und  Wolken,  nachdem  sie  den  Rhein  passiert,  rasch 
nach  der  Bergstraße  zueilen,  wo  sie  sich  dann  entladen. 

Hemmenden  Einfluß  auf  die  Volksdichte  üben  die  Grundbesitz- 
Verhältnisse  aus.  In  vielen  Bezirken  kommen  große  Güter  vor,  wie 
aus  nachstehender  Uebersicht  erhellt5): 

Gesamtzahl  der  Und-      unter    „ mu«     in_onii«       »a    «u»i,™       Über 

Wirtschaft!.  Betriebe       3  ha     *~10  ha     10~20  ha       ^°~M^      50  ha 

Nordheim  177  96       69  6  6  — 

Klein-Rohrheim  36  11       12  4  8  1 

Trebur  340  202       72  45  19  2 

Crumstadt       1  Gut  von  275  ha  (Hof  Wasserbiblos), 

1  „  „  100  ,  (Hof  Gräbenbruch,  Bruchhof), 

Erfelden          1  „  „  325  „  (Bensheimer  Hof), 

Wolfskehlen   1  „  ,       75  m  (Weiler  Hof), 

Leeheim          1  m  „  175  „  (Kammerhof), 

1  „  „  200  „  (Hof  Haina), 

Dornheim        1  „  „       ?  „  (Hof  Riedhausen)6). 

So  entstehen  infolge  der  erwähnten  ungünstigen  Boden-  und 
Wasserverhältnisse  oder  wegen  des  Großgrundbesitzes  ausgedehnte  Ge- 
biete schwacher  Bevölkerung.  Wo  mittelstarke  Bevölkerung  zu  ver- 
zeichnen ist,  bildet  der  fruchtbarere  Boden  die  Ursache;  so  bei  Gruppe  2 
(Hausen),   wo  der  humose  Flugsand  den  Ackerbau  unterstützt  und  die 


»)  Erl.  Mörfelden,  S.  24. 

*)  Erl.  Mörfelden,  S.  23;  Erl.  Dannstadt,  S.  48. 

8)  Erl.  Mörfelden,  S.  24. 

4)  Scherer,  Geogr.  u.  Statist,  d.  Großh.  Hessen,  S.  58. 

5)  Die  Angaben  über  die  Grundbesitzverhältnisse  entstammen  entweder  Mit- 
teilungen, die  ich  an  Ort  und  Stelle  erhalten  habe,  oder  der  Centralstelle  für 
die  Landesstatistik,  die  für  mich  in  entgegenkommender  Weise  die  in  dieser  Ab- 
handlung veröffentlichten  Zusammenstellungen  gemacht  hat. 

')  Die  Angaben  für  die  fünf  letzten  Orte  nach  persönlichen  Mitteilungen. 


33]  Diß  Volks  dichte  der  Provinz  Stark  enburg.  325 

höhere  Lage  auf  der  aus  Sandhügeln  bestehenden  Wasserscheide  zwischen 
dein  Rhein  und  dem  alten  Neckarthal  insofern  bessere  Verhältnisse 
hervorruft,  als  das  Ueberschwemraungsgebiet  nicht  hierher  reicht;  in 
den  Gemeinden  Klein-  und  Groü-Hausen  wird  Tabaksbau  getrieben1)* 
Fruchtbarer  Boden  wirkt  gleichfalls  günstig  bei  Gruppe  3  (Escboübrucken) 
und  Gruppe  6  (Büttelborn).  Bei  Genisheim  (Gruppe  4)  ist  die  lebhafte 
Industrie  zu  erwähnen;  es  befinden  sich  daselbst  eine  Kartoffelmehl-, 
Malz-,  Obstpräserven-  und  eine  chemisch«  Fabrik;  femer  ein  Dampf- 
sägewerk und  eine  Dampfmühle-). 

Bei  S  Gruppen  ließ  sich  schon  starke  Bevölkerung  feststellen  (vgL 
S.  322  [30]),  Gruppe  1  (Lampertheim)  verdankt  ihre  hohe  Dichte  dem 
Anbau  von  Handelspflanzen,  insbesondere  des  Tabaks,  der  großen  chemi- 
schen Fabrik  Xeuschlon  bei  Lampertheim  und  besonders  der  Nähe  der 
Fabrikstädte  Worms  und  Mannheim.  Auch  gute  Bahnverbindungen 
fördern  hier  den  Verkehr;  zu  erwähnen  sind  die  Linie  Worms-Bens- 
heim,  die  in  die  große  Verkehrslinie  Frank  fürt- Darmstadt-Heidelberg 
einmündet,  die  Linie  Mannheim-Lampertheim- Worms  und  ibre  Fort- 
setzungen im  Norden  nach  Mainz,  Frankfurt,  Darmstadt,  sowie  die 
Nebenbahn  Mannheim- Viernheim- Weinheim. 

Von  der  Wichtigkeit  des  Tabaksbaues  in  der  dortigen  Gegend 
mag  der  Wert  der  Tabakserute  im  Hauptsfceueramt  Darmatadt  (wozu 
unser  Gebiet  als  wichtigstes  gehört)  einen  Begriff  gehen  *);  er  belief 
sich  in  den  Jahren 

1898,94  1894/95  1895/96 

auf  Mk.  803688  Mk.  945815  Mk.  1012130. 

Mit  Tabak  bepflanzt  waren  in  den  drei  hier  hauptsächlich  in  Be- 
tracht kommenden    Gemeinden  Lorsch,  Lampertheim  und   Viernheim: 

1893  94  1894/95  1 895  96 

Lorsch     .     .     .     .        0247  ar  8629  ar  10460  ar 

Lampertheim    .     .     15472  ,  18626  9  20959  B 

Viernheim    .     .     .     14579  #  19236   „  23977   „ 

Die  Zahl  der  Tabakspflanzer  belief  sich  1893/94 

für  Lorsch  auf 281 

0    Lampertheim  auf 373 

M     Viernheim  auf     ......      418 

Die  Zahl  der  in  diesen  drei  Orten  vorhandenen  Zigarrenfabriken 
beträgt  19, 

Die  drei  anderen  Gruppen  (5,  9  und  10)  verdanken  ihre  starke 
Bevölkerung  hauptsächlich  der  Industrie.  Pfungstadts  hohe  Blüte  ist 
in    erster    Linie    der    mächtig    entwickelten    Industrie    zuzuschreiben. 


1894/9.'» 

1895/96 

360 

425 

452 

502 

518 

620 

■)   Es  waren  mit  Tabak  bppHanzt  in 

1893/94  1894/95  1895/Uß 

Klein-Hausen  .     .     .     .     137  ar  540  ar  705  ar 

GroB-Hausen  .    .    ,    .     148  «  279  ,  574  . 

a)   Handelskammer  Darmstadt  18 95. 
3J  Centralst.  Landesst,  1895—97. 
Forschungen  zur  deutsrjjfcn  Landes-  und*  Volkskunde.    XI I.    4. 


326 


Karl  Bergmann, 


[34 


22  Fabrikbetriebe  giebt  es  hierselbst,  darunter  die  bekannte  Brauerei 
Hildebrand,  ferner  Zündhölzer-,  Zigarren-,  Papierfabriken,  Ziege- 
leien u.  s.  w.  Auch  ist  der  Boden  in  einem  großen  Teil  der  Ge- 
markung fruchtbar  und  ertragsreich,  und  in  hervorragender  Weise  wird 
die  Ziegenzucht  getrieben.  In  unfruchtbarer  Sandgegend  liegt  Gries- 
heim. Aber  die  unmittelbare  Nähe  von  Darmstadt  und  auch  eigene 
Industrie  (z.  B.  die  Samenklenganstalten)  heben  teilweise  die  Nach- 
teile der  Unfruchtbarkeit  auf.  Dazu  kommt  noch  der  große  Militär- 
übungsplatz, der  Griesheim  nicht  allein  größeren  Verkehr  bringt,  son- 
dern auch  insofern  für  die  Landwirtschaft  von  Vorteil  ist,  als  durch 
den  von  ihm  herstammenden  Dung  die  Aecker  ertragsfähiger  gemacht 
werden.  Gruppe  9  (Walldorf-Mörfelden)  hat  starke  Arbeiterbevölke- 
rung, was  durch  die  Nähe  Frankfurts  und  die  direkte  Bahnverbindung 
mit  dieser  Stadt  erklärlich  ist.  Gruppe  10  (Rüsselsheim)  steht  eben- 
falls unter  dem  Einfluß  von  Frankfurt  und  Mainz,  ihre  Bewohner  finden 
in  den  Fabriken  dieser  Städte  lohnenden  Verdienst.  Aber  Rüsselsheim 
und  Ginsheim  treiben  auch  selbst  Industrie.  Hier  sind  zu  erwähnen 
in  Ginsheim  die  Maschinenfabrik  und  Brikettfabriken,  in  Rüsselsheim 
Matten-,  Zichorien-,  Mineralwasserfabrik,  Hasenhaarschneiderei ,  vor 
allem  aber  die  bekannte  Opelsche  Nähmaschinen-  und  Fahrräderfabrik. 
Die  Erzeugnisse  der  durch  fruchtbaren  Lehmboden  begünstigten  Land- 
wirtschaft können  bei  der  Nähe  von  Mainz  und  Frankfurt  und  bei  der 
bequemen  Eisenbahnverbindung  zwischen  diesen  Städten  gut  verwertet 
werden. 

Groß-Gerau  (7)  endlich  erhebt  sich  durch  seine  Dichte  bedeutend 
über  seine  Umgebung.  Es  treibt  lebhafte  Industrie,  hat  Brauereien, 
Zucker-,  Käse-,  Kisten-,  Maschinen-  und  Palmkernölfabriken  und  ist 
äußerst  begünstigt  durch  seine  Lage  im  Mittelpunkt  der  nordwestlichen 
Rhein-Main-Ebene,  sowie  als  Knotenpunkt  der  Eisenbahnen  Mainz- 
Darmstadt-Aschaffenburg  und  Frankfurt-Mannheim(- Worms). 


B.  Die  große  Verkehrslinie  Frankfurt-Darmstadt-Heidelberg. 


1                            2 

3!4J5'6!7'8|9 

Namen  der  Gemeinden     >|  S  § 
des  Gebietsteiles             g  ö 

Wald  in  Proz. 
der  Gesamt- 
flache 

Anbaufläche 
in  qkm 

Ackerland  in 
Prozenten  der 
Anbaufläche 

Q 

3 

CO 

-s 

> 

Volkszahl 
Volksdichte 

«2 

3 

OD 

Q 

12.  Neu-Isenburg.     .     .        4,41 

- 

3,96 

86 

2,87 

6365  |  1607 

vm 

13. 


Sprendlingen 
Dreieichenhain 
Langen    .    . 


1 

1 

9,38 

5,20 

25,42 

89 
52 

8,85 

2,90 

11,14 

84 
87 
88 

2,06 
3,27 
2,26 

3811 
1360 
4960 

430 
469 
445 

VI 
VI 
VI 

1 

40,00 

38 

22,89 

86 

23,1 

10131 

442 

VI 

35] 


Die  Volks  dicht  es  der  Provinz  Starken  bürg. 


327 


1 

•2 

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4 

0 

« 

j 

8 

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Nomen  der  Gemeinden 
des  Gebietsteile* 

'■3 

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3 

14.  Kgelsbaehm.B 

llLT^- 

eich     ,     . 

14.14 

33 

8,60 

80 

1,62 

275 

V 

Rrzhausen 

7,3(> 

24 

5,18 

75 

1,77 

1151 

222 

IV 

Wishau-'  n 

ti,27 

16 

1,90 

*0 

1241 

253 

V 

A  rheilgen 

32,7{J 

51 

15,13 

77 

I.K4 

3933 

259 

V 

60,5b" 

32 

33,81 

7* 

1.74 

8688 

257 

V 

1">.  Kberstadt  . 

' 

17,^7 

47 

7,90 

95 

IM 

1338 

540 

VII 

10.  Matchen     ,     , 

1,03 

18 

<>,7s 

94 

L,86 

17^ 

230 

!V 

1 

2 

3 

4 

5 

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7 

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Nami-n  der  öe 
mein  den  des 
Gebietsteile« 

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CJ 

3 

17.  Seehfeim   .    . 

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3,7, 

öl 

3,07 

1325 

■M, 

V 

lH.UiekenbaLih 

1 

mit  Hartrnau 

9,32 

19 

7,06 

ÜG 

1,6M 

1208 

171 

in 

Alsbach      .     . 

8,97 

28 

6,03 

S4 

2 

1,43 

791 

134 

in 

1B,29 

23 

13,09 

74 

1 

I,6G 

1909 

152 

IM 

T.K  J  u^cnlieiiu 

8*7 

19 

1,52 

90 

3/24 

H>:,7 

$95 

VIII 

Zwirnen  In  'i>r 

3,25 

2,93 

67 

10 

4.5tl 

1589 

542 

VII 

«j,ü'2 

26 

4,45 

75 

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_i^Hi 

594 

vn 

2n.  Auerbach     , 

11,65 

32     ' 

7,02 

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9     ! 

1,7G 

L!m;o 

279 

V 

1  \  e  ii  s  h  e  i  in  . 

20.46 

13 

16,69 

81 

11 

1,88 

6665 

31*9 

VI 

Schönberg  •, 

1,94 

35 

1,17 

*9 

7 

2,63 

■710 

435 

VI 

34.05 

21 

24,88 

71 

10 

1,80  , 

9135 

367 

V! 

21    Heppenheim 

30,86 

28 

L'll/M 

53 

r,    | 

Ul 

-5409 

25R    . 

V 

Summ"   12     21      225,4^1  130,49 


50215  j    368 


VI 


Diu  große  Verkehrsstrafk  Frank furfc-Darnistadt- Heidelberg  üer- 
tallt  in  zwei  wohl  zu  unterscheidende  Teile;  der  nördliche  zieht  mitten 
durch  die  Ebene  von  Frankfurt  nach  Darrustudt,  der  südliche  an  dem 
restlichen  Abhang    des  Odenwaldes  entlang,    soweit    hessisches  Gebiet 


320 


Karl  Bergmann, 


[28 


A.  Die  Rheinebene  und  die  Mainebene  westlich  der  Verkehrslinie 
Frankfurt-Dannstadt. 


1                  ; 

! 

2 

3 

4 

5 

6 

7 

8 

9 

Namen  der  Gemeinden 
des  Gebietsteiles 

<D 

i  s 

es  fl 
O 

Wald  in  Proz. 
der  Gesamt- 
fläche 

CO 

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Ackerland  in 
Prozenten  der 
Anbaufläche 

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l 

«2 

p 

OD 

'S 

5 

1.  Lorsch ; 

Lampertheim1) 
m.  Hütton  fei  d,  Neu- 
schloß und  Rosen- 
garten  1 

Viernheim.     .     .     . 

Bürstadt    .     .    .     .     | 

14,40 

44,58 
48,42 
17,26 

7 

30 
59 

12,59 

26,62 

17,82 
16.56 

74 

81 
91 
63 

2,45 

2,12 
1,80 
2,21 

3788 

7258 
6550 
4199 

300 

272 
367 
253 

V 

V 
VI 
V 

II 

124,66 

34 

73,59 

78 

2,12 

21795 

296 

V 

Klein-Hausen  .  . 
Groß-Hausen  .  .  . 
Schwanheim  .  .  . 
Fehlheim  .... 
Rodau,  KnBensheim 
Langwaden  .  .  . 
Hähnlein    .... 


3.  Eschollbrücken. 

Eich 

Hahn 

Goddelau  mit  Hof- 
heim     

Stockstadt.     .     .    . 


4.  Gernsheim 


5,78 

— 

5,51 

44 

3,00 

1158 

210 

16,67 

73 

3,92 

94 

2,01 

522 

IS.« 

4.27 

15 

3,48 

94 

2,15 

542 

155 

2,45 

— 

2,38 

78 

2,28 

543 

228 

1.24 

— 

1,19 

98 

3,92 

242 

203 

1,26 

— 

1,18 

76 

3,11 

210 

178 

7,64 

2 

7.17 

74 

2,07 

1170 

163 

1  39,31 

33    | 

24,83 

78 

2,43 

4887 

17ö 

IV 

III 
III 

IV 
IV 
IV 

III 


IV 


3,70 
0,51 
3,59 



3,46 
0,48 
8,36 

61 
81 
81 

2,70 
2,85 
4,07 

715 

105 

1061 

207 
219 
316 

IV 
IV 
V 

8,80 
8,45 

7 

8,37 
6,52 

80 
76 

1,53 
2,14 

1779 
1322 

212 

202 

IV 
IV 

25,05 

2 

22,19 

76 

2,30 

4982 

225 

IV 

32,05 1    32     1 19,69  I    93    I    1,56  I  3750  I    190    I    IV 


5.  Pfungstadt 
Griesheim  .    . 


Gräfenhausen 
Weiterstadt  . 
Büttelborn. 
Dornberg  .  . 
Klein-Gerau    . 


.    II  35,21  1 
.    ||  28.92  1 

42 
25 

18,09 
16,66 

82 
72 

1,77  1  5903 
1.76  1  4835 

326 

290 

V 
V 

||  64,13  1 

34 

34,75 

79 

1,77  110738 

809 

V 

10,41 

26 

7,15 

89 

1,81 

1806 

191 

IV 

15,70 

35 

9,11 

93 

1,88 

1512 

166 

III 

14,33 

26 

9,94 

81 

1,91 

1477 

148 

111 

1,35 

10 

1,06 

80 

2,12 

194 

183 

IV 

5,87 

30 

8,86 

94 

2,35 

654 

169 

III 

1 

47,66 

29 

31,12 

88 

1,94 

5203 

167 

III 

')  Diejenigen  Orte,  nach  denen  im  Texte  die  ganze  Gruppe  benannt  wird, 
sind   gesperrt  gedruckt;   es  sind  das  meist  solche  Orte,   die  entweder  im  Mittel- 

Eunkt  der  genannten  Gruppe  liegen  oder  sonstwie  einen  bekannten  Ruf  genießen, 
ind  die  von  den  Gruppen  umfaßten  Gebiete  sehr  ausgedehnt,   so   werden   zwei, 
auch  drei  Orte  gesperrt. 


29] 


Die  Volksdichte  der  Provinz  Starkenburg. 


321 


1                           2 

3 

4 

5 

6 

7 

8 

9 

n    fij 

il  ^ 

Oh   d   * 

D      «      LI 

9 

a  &  oj 

■^ 

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Namen  der  Gemeinden 
des  Gebietsteiles 

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7.  GroEäGerau    ...         15,54 

15 

12,11 

85 

1,60 

SWR 

329 

V 

8.  Schneppeiihausen 

2,84 

2 

2,64 

90 

1,93 

370 

140 

11! 

Braunshardt  .    .     . 

4,72 

9 

4,22 

89 

1,18 

355 

84 

II 

Worfeiden      .    . 

8,19 

7 

7,17 

94 

1,80 

848 

118 

III 

15,75 

7 

14,03 

92 

1,64 

1578 

112 

n 

9.  Walldorf  ....},     3,16 



3,081 

100 

2,79  1  1319 

428 

VI 

Mörfelden  .    . 

II    H,37 

32 

9,16] 

83 

1,72  1  2456 

268 

V 

17,53 

26 

12,24 

88 

1,98  1  3775 

308 

V 

10.  Kelsterbach    .    .     . 

1   12,88 

51 

5,45 

97 

1,74 

1855 

340 

V 

Raunheim  .... 

7,92 

45 

8,72 

96 

1,83 

1005 

270 

V 

Rüsselsheim   mit 

Hof  Schönau    .     . 

15,59 

14 

12,80 

94 

1,80 

3406 

277 

V 

Bischofsheim .     .     . 

9,31 

5 

8,22 

96 

2,21 

2264 

275 

V 

Ginsheim  .     .     . 

8,86 

7 

7,06 

93 

2,08 

1828 

258 

V 

|j   54,56 

24 

36,75 

96 

1,94 

10358 

282 

V 

11.  Haßloch     .... 

3,41 

37 

2,00 

91 

1,30  .     248 

124 

11 

Königstädten . 

9,87 

16 

7,59 

93 

1,90 

931 

123 

II 

Bauschheim   . 

7,06 

10 

6,10 

90 

1,72 

616 

100 

II 

Astheim     .     . 

7,75 

— 

7,25 

87 

1,34 

806 

111 

II 

Nauheim    .    . 

9,75 

26 

6,74 

82 

.2,05 

1809 

194 

IV 

Trebur     .    . 

22,00 

2 

20,54 

63 

1,36 

1902 

92 

II 

Gemsheim .    . 

10,19 

— 

9,72 

77 

1,39 

998 

102 

II 

Leeheim     .    . 

14,75 

2 

13,57 

75 

1,40 

1176 

86 

II 

Wolfskehlen  . 

12,76 

3 

11,32 

76 

1,60 

1054 

93 

II 

Crumstadt .     . 

14,08 

2 

18,10 

88 

1,85 

1358 

103 

II 

Erfelden 

21,46 

19 

13,49 

55 

1,26 

931 

69 

I 

Dornheim  .     . 

14,77 

8 

13,00 

71 

1,68 

1843 

103 

11 

Berkach     .     . 

2,80 

— 

2,63 

83 

1,81 

285 

108 

II 

Wallerstädten 

10,87 

3 

10,01 

73 

1,45 

918 

91 

II 

Biebesheim 

17,56 

4 

14,89 

73 

1,99 

1836 

123 

II 

Groß- Rohrheim 

17,24 

14 

13,87 

65 

1,98 

1660 

119 

IL 

Klein-Rohrheim 

4,29 

2 

4,02 

88 

0,90 

215 

53 

I 

Biblis    .     .     . 

22,59 

15 

17,20 

66 

1,68 

2362 

137 

III 

Wattenheim  . 

4,23 

4 

3,90 

73 

1,38 

387 

99 

II 

Nordheim  .     . 

11,98 

20 

7,45 

82 

1,38 

789 

106 

II 

Bobstadt 

4.40 

7 

3,94 

89 

1,67 

563 

142 

HI 

Hofheim    .    . 

12,40 

1 

11,70 

81 

1,54 

1582 

185 

III 

Summe  1—11 

255,71 

9 

214,03 

70 

1,58 

23269 

108 

II 

|  691,95 

— 

495,33 

— 

— 

93818 

189 

IV 

Ein  flüchtiger  Blick   auf  die   Karte   zeigt,   daß   wir  es  hier  mit 
einer  vorwiegend  schwach  oder  mittelstark  bevölkerten  Gegend  zu  thun 


322  Karl  Bergmann,  [30 

haben.  Nur  die  Gruppen  1  (Lampertheim),  5  (Pfungstadt),  7  (Groß- 
%Gerau),  9  (Mörfelden)  und  10  (Rüsselsheim)  weisen  starke  Bevölkerung 
auf.  Um  diese  geringe  Volksdichte  zu  verstehen,  müssen  drei  Dinge 
in  Rücksicht  gezogen  werden :  die  geologische  Beschaffenheit,  die  Lage 
der  Orte  zum  Rheinwasserspiegel  und  die  Besitzverhältnisse  1). 

Die  Rhein-Main-Ebene  besitzt  die  verschiedensten  Bodenarten, 
vom  unfruchtbarsten  Flugsand,  der  sehr  oft  zu  ganzen  Dünenzügen 
zusammengeweht  ist ,  so  z.  B.  bei  Bickenbach ,  bis  zur  fruchtbarsten 
Ackererde.  Große  Gebiete  der  Rheinebene  sind  mit  Flugsand  bedeckt 
und  infolgedessen  nur  als  Waldgebiete  (besonders  Kiefernwald)  zu  be- 
nutzen. Wo  diese  Sandgebiete  doch  zum  Feldbau  benutzt  werden,  lohnt 
das  Feld  kaum  die  Saat;  es  trägt  für  gewöhnlich  nur  Hafer  und  Roggen 
mit  kurzen  und  schwachen  Halmen  und  spärliche  Kartoffeln2).  Als 
große  Waldgebiete  sind  hervorzuheben  die  Viernheimer  Heide,  der 
Lampertheimer,  Lorscher,  Jägersburger-  und  Gernsheimer  Wald.  Ein 
zweites  großes  Waldgebiet  befindet  sich  zwischen  Bickenbach,  Pfung- 
stadt, Griesheim  und  der  Bergstraße  (bis  einschließlich  Darmstadt).  Ein 
drittes  Waldgebiet  endlich  erstreckt  sich  zwischen  dem  Main  und  den 
Gemeinden  Königstädten,  Haßloch,  Groß-Gerau,  Worfeiden,  Langen 
und  Neu-Isenburg  mit  einer  Lichtung,  in  der  die  Gemeinden  Walldorf 
und  Mörfelden  liegen. 

Da  der  Flugsand  leicht  vom  Winde  über  große  Strecken  hin  ge- 
weht werden  kann,  trägt  er  sehr  oft  zur  Versandung  von  ursprünglich 
fruchtbaren,  aber  leichten  Böden  bei,  während  er  bei  schwereren  Böden 
eher  als  eine  Art  natürlicher  Melioration  angesehen  werden  kann3). 

Die   übrigen  Bodenarten   der  Rheinebene   sind  der  humose  Flug- 


')  Vgl.  dazu  die  klare  Schilderung  der  Rheinebene  bei  Uhlig,  Yeränd. 
d.  Volksd.  i.  nördl.  Baden,  S.  118/119,  die  hier  folgen  mag,  da  sie  im  wesent- 
lichen auch  für  den  hessischen  südlichen  Teil  der  Rheinebene  gilt.  Uhlig  unter- 
scheidet folgende  vier  Zonen,  die  von  Westen  nach  Osten  aufeinander  folgen: 

1.  Die  Rheinniederung,  auch  das  natürliche  Ueberschwemmungsgebiet  des 
Stroms  genannt,  mit  einer  durchschnittlichen  Breite  von  3  km.  Die  Be- 
siedelung  dieses  Streifens  ist  wenig  dicht. 

2.  Das  Hochgestade  des  Rheins  mit  einer  durchschnittlichen  Breite  von 
13  km.    Hier  ist  zu  unterscheiden 

a)  ein  schmaler  Streifen  bebauten  Landes, 

b)  die  breite  Waldfläche. 

Der  Boden  von  a)  und  b)  besteht  aus  den  dem  Ackerbau  sehr  ungün- 
stigen Rheinkiesen  und  Sanden,  doch  wird  auch  diese  wenig  fruchtbare 
Gegend  mehrfach  durch  fruchtbare  Ablagerungen  der  Nebenflüsse  des 
Rheins  unterbrochen. 

3.  „Der  östlichste  Teil  der  Rheinebene  ist  in  seinen  tieferen  Teilen,  den 
Spuren  ehemaliger  Fluß-  und  Bachläufe,  die  auch  heute  streckenweise  von 
fließenden  Rinnen  durchzogen  sind,  ziemlich  feucht  und  daher  als  Wiesen- 
land genutzt.  Daneben  findet  sich  ergiebigster  Ackerbau/  Bodenbeschaffen- 
heit und  Lage  am  Steilabfall  der  Gebirge  (Bergstraße)  sind  vereint  die  Ur- 
sachen sehr  dichter  Bevölkerung. 

4.  Die  Ränder  und  Hänge  des  Odenwalds:  sie  besitzen  in  den  tieferen 
Lagen  das  Klima  der  Rheinebene  und  sind  berühmt  durch  ihren  Reichtum 
an  Wein  und  Obst.  Uhlig  bezeichnet  dieses  Gebiet  als  , Bergstraßen- 
gebiet". 

2)   Erl.  Mörfelden,  S.  23  u.  24. 

*)   Erl.  Zwingenberg-Bensheim,  S.  104. 


311  Die  Volksdichte  der  Provinz  Starkenburg.  323 

sand,  der  überschlickte  Flugsandboden,  der  Flußschlick-  und  Lehm- 
boden, sowie  die  Anschwemmungen  der  Bäche1).  Letztere  liefern  die 
vorzüglichste  Ackererde;  auch  die  anderen  Böden  sind  fruchtbar,  be- 
sonders der  überschlickte  Flugsandboden,  da  er  in  feuchten  Jahren  nicht 
so  an  Nässe  leidet,  wie  der  reine  Schlickboden.  Eine  große  Bolle 
spielt  der  humose  Flugsand  bei  Lorsch,  Hausen  und  Bickenbach.  Aber 
die  Fruchtbarkeit  dieser  Bodengattung  ist  natürlich  da  bedeutend 
höher,  wo  der  Grundwasserspiegel  nicht  allzu  tief  steht,  so  z.  B.  in 
den  tiefer  gelegenen  Parzellen  bei  Lorsch,  während  die  beträchtlich 
höher  liegenden  Areale  desselben  bei  Birkenbach,  welche  viel  trockener 
sind,  weit  weniger  sichere  Resultate  ergeben2).  Sehr  fruchtbaren 
Boden  haben  Ooddelau,  Erfelden  und  Crumstadt "). 

Der  günstige  Einfluß  dieser  Böden  wird  aber  andererseits  wieder 
beeinträchtigt  durch  das  Vorhandensein  großer  Torfstrecken,  die  den 
Verlauf  der  alten  Rhein-,  Neckar-  und  Weschnitzbetten  bezeichnen. 
Diese  alten  Flußbetten  leiden  an  großer  Nässe;  in  sehr  feuchten  Früh- 
jahren kann  man  z.  B.  große  Teile  der  Wiesenflächen  westwärts  von 
Heppenheim  und  Laudenbach  in  einen  See  verwandelt  sehen4).  Infolge 
ihrer  großen  Nässe  können  diese  alten  Flußbetten  nur  als  Wiesenboden 
benutzt  werden.  Die  Oräser  sind  jedoch  meist  sauer  und  taugen  wenig 
zum  Viehfutter.  Außerdem  sind  diese  ehemaligen  Flußbetten  ein  Ver- 
kehrshemmnis, da  sie  für  Menschen  und  Tiere  meist  unpassierbar  sind5). 
Bessere  Verhältnisse  liegen  in  dieser  Beziehung  bei  Eschollbrücken 
vor,  wo  man  in  geeigneter  Weise  diesem  Uebelstande  abgeholfen  hat. 

Auch  der  Abbau  des  Torfes  der  alten  Neckarbetten  lohnt  sich 
nicht;  er  wird  nur  noch  bei  Pfungstadt  abgebaut").  In  den  durch  den 
Abbau  entstandenen  Löchern  baut  die  Gemeinde  Pfungstadt  in  nutz- 
bringender Weise  Schilfrohr   an,    dessen  Ernte   im  Winter  stattfindet. 

Einen  durchaus  ungünstigen  Boden  treffen  wir  in  dem  Rhein- 
schotter, besonders  in  der  Gegend  westlich  von  Bensheim  an.  Der 
Rheinschotter  ist  ein  oft  sehr  steiniger,  armer  Ackerboden,  dem  nur 
durch  große  Sorgfalt  in  der  Bearbeitung  und  Düngung  kärgliche  Er- 
träge an  Korn  entlockt  werden  können7). 

Auch  ist  die  Rheingegend  infolge  ihrer  niedrigen  Lage  den 
Ueber8chwemmungen  ausgesetzt,  die  oft  ungeheueren  Schaden  an- 
richten. So  belief  sich  z.  B.  im  Jahre  1876  der  Schaden  auf 
ca.  2  Millionen  Mark,  während  er  im  Winter  1882/83  noch  bedeutender 
war8).  Die  durch  diese  niedrige  Lage  hervorgerufene  Gefahr  der 
Ueberschwemmung  —  die  Einwohner  der  zur  Gruppe  Trebur-Erfelden- 
Bobstadt  gehörigen  Gemeinden  sitzen  sozusagen  im  Wasser  —  übt  auf 


1)  Erl.  Darmstadt,  S.  48. 

2)  Erl.  Zwingen  berg- Bensheim,  S.  106. 

8)  Vgl.  dazu  die  geringe  Dichte  von  Erfelden  und  Crumstadt  (S.  321  [29]) 
und  die  Grundbesitzverhältnisse  dieser  Gemeinden  (S.  324  [32]). 

4)  Erl.  Zwingenberg-Bensheim,  8.  73. 

5)  Erl.  Darmstadt,  S.  49,  50. 

8)  Erl.  Zwingenberg-Bensheim,  S.  80. 

7)  Erl.  Zwingenberg  Bensheim,  S.  103,  104. 

*)  Scherer,  Geogr.  u.  Statist,  d.  Großh.  Hessen,  S.  52. 


324  Karl  Bergmann,  [32 

den  Ackerbau  häufig  hemmenden  Einfluß  aus  und  bedingt  zum  Teil 
die  geringe  Dichte. 

Gleichfalls  schlechten  Boden  liefern  die  Schotterablagerungen  bei 
Braunshardt  und  Schneppenhausen ,  wo  besser  Aufforstung  für  den 
kümmerlichen  Ackerbau  eintreten  würde1).  In  der  Gegend  von  Klein- 
Gerau,  Büttelborn,  Mörfelden  ist  der  Boden  durch  den  wenn  auch  ge- 
ringen Lehmgehalt  ertragsfahiger  und  durch  den  Anbau  von  Früh- 
kartoffeln und  Gemüsen  werden  hohe  Einnahmen  erzielt8).  Ebenfalls 
lehmreicheren  und  dadurch  besseren  Boden  haben  wir  bei  Arheilgen 
und  Erzhausen,  so  daß  hier  der  Boden  geeignet  ist  zum  Weizen-  und 
Gemüsebau3). 

Was  die  klimatischen  Verhältnisse  anlangt,  so  ist  die  Rheinebene 
eine  der  wärmsten  Gegenden  Deutschlands.  Infolge  des  Einflusses  des 
nahen  Odenwaldes,  des  Rheins  und  des  Mains,  sowie  des  starken  Wald- 
bestandes ist  die  Rheinebene  mit  Niederschlägen,  namentlich  mit  Nebeln, 
reich  bedacht4).  Dagegen  leidet  der  waldfreiere  Teil  der  Ebene  zwi- 
schen Rhein  und  Bergstraße  zuweilen  an  Trockenheit  im  Sommer, 
indem  die  Gewitter  und  Wolken,  nachdem  sie  den  Rhein  passiert,  rasch 
nach  der  Bergstraße  zueilen,  wo  sie  sich  dann  entladen. 

Hemmenden  Einfluß  auf  die  Volksdichte  üben  die  Grundbesitz- 
verhältnisse aus.  In  vielen  Bezirken  kommen  große  Güter  vor,  wie 
aus  nachstehender  Uebersicht  erhellt5): 


Gesamtzahl  der  land- 
wirtschaftl.  Betriebe 

7tV  8-lt)ha  10-Mha    *°-Mha   u£ 

Nordheim 

177 

96      69            6            6           — 

Klein-Rohrheim 

36 

11       12            4            8             1 

Trebur 

840 

202       72          45           19             2 

Crumstadt 

1  Gut 

von 

275  ha  (Hof  Wasserbiblos), 

1     , 

« 

100  ,    (Hof  Gräbenbruch,  Bruchhof), 

Erfelden 

1     . 

u 

325  ,    (Bensheimer  Hof), 

Wolfskehlen 

1     , 

T» 

75  ,    (Weiler  Hof), 

Leeheim 

1     „ 

m 

175  «    (Kammerhof), 

1     . 

m 

200  ,    (Hof  Haina), 

Dornheim 

1     , 

« 

?      ,    (Hof  Riedhausen) 6). 

So  entstehen  infolge  der  erwähnten  ungünstigen  Boden-  und 
Wasserverhältnisse  oder  wegen  des  Großgrundbesitzes  ausgedehnte  Ge- 
biete schwacher  Bevölkerung.  Wo  mittelstarke  Bevölkerung  zu  ver- 
zeichnen ist,  bildet  der  fruchtbarere  Boden  die  Ursache;  so  bei  Gruppe  2 
(Hausen),  wo  der  humose  Flugsand  den  Ackerbau  unterstützt  und  die 


l)  Erl.  Mörfelden,  S.  24. 

")  Erl.  Mörfelden,  S.  23;  Erl.  Darmstadt,  S.  48. 

8)  Erl.  Mörfelden,  S.  24. 

4)  Scherer,  Geogr.  u.  Statist,  d.  Großh.  Hessen,  S.  53. 

5)  Die  Angaben  über  die  Grundbesitzverhältnisse  entstammen  entweder  Mit- 
teilungen, die  ich  an  Ort  und  Stelle  erhalten  habe,  oder  der  Centralstelle  für 
die  Landesstatistik ,  die  für  mich  in  entgegenkommender  Weise  die  in  dieser  Ab- 
handlung veröffentlichten  Zusammenstellungen  gemacht  hat. 

6)  Die  Angaben  für  die  fünf  letzten  Orte  nach  persönlichen  Mitteilungen. 


33]  Die  Volksdichte  der  Provinz  Starkenburg.  325 

höhere  Lage  auf  der  aus  Sandhügeln  bestehenden  Wasserscheide  zwischen 
dem  Rhein  und  dem  alten  Neckarthal  insofern  bessere  Verhältnisse 
hervorruft,  als  das  Ueberschwemmungsgebiet  nicht  hierher  reicht;  in 
den  Gemeinden  Klein-  und  Groß-Hausen  wird  Tabaksbau  getrieben1). 
Fruchtbarer  Boden  wirkt  gleichfalls  günstig  bei  Gruppe  3  (Eschollbrücken) 
und  Gruppe  6  (Büttelborn).  Bei  Gernsheim  (Gruppe  4)  ist  die  lebhafte 
Industrie  zu  erwähnen;  es  befinden  sich  daselbst  eine  Kartoffelmehl*, 
Malz-,  Obstpräserven-  und  eine  chemische  Fabrik;  ferner  ein  Dampf- 
sägewerk und  eine  Dampfmühle2). 

Bei  5  Gruppen  ließ  sich  schon  starke  Bevölkerung  feststellen  (vgl. 
S.  322  [30]).  Gruppe  1  (Lampertheim)  verdankt  ihre  hohe  Dichte  dem 
Anbau  von  Handelspflanzen,  insbesondere  des  Tabaks,  der  großen  chemi- 
schen Fabrik  Neuschloß  bei  Lampertheim  und  besonders  der  Nähe  der 
Fabrikstädte  Worms  und  Mannheim.  Auch  gute  Bahnverbindungen 
fördern  hier  den  Verkehr;  zu  erwähnen  sind  die  Linie  Worms-Bens- 
heim,  die  in  die  große  Verkehrslinie  Frankfurt-Darmstadt-Heidelberg 
einmündet,  die  Linie  Mannheim-Lampertheim-Worms  und  ihre  Fort- 
setzungen im  Norden  nach  Mainz,  Frankfurt,  Darmstadt,  sowie  die 
Nebenbahn  Mannheim- Viernheim- Weinheim. 

Von  der  Wichtigkeit  des  Tabaksbaues  in  der  dortigen  Gegend 
mag  der  Wert  der  Tabaksernte  im  Hauptsteueramt  Darmstadt  (wozu 
unser  Gebiet  als  wichtigstes  gehört)  einen  Begriff  geben8);  er  belief 
sich  in  den  Jahren 

1893/94  1894/95  1895/96 

auf  Mk.  803688  Mk.  945  815  Mk.  1012130. 

Mit  Tabak  bepflanzt  waren  in  den  drei  hier  hauptsächlich  in  Be- 
tracht kommenden   Gemeinden  Lorsch,  Lampertheim  und  Viernheim: 

1893/94  1894/95  1895/96 

Lorsch     ....       6247  ar  8629  ar  10460  ar 

Lampertheim    .     .     15472  „  18626  „  20959  „ 

Viernheim    ...     14579  „  19236  „  23977  „ 

Die  Zahl  der  Tabakspflanzer  belief  sich  1893/94  1894/95  1895/96 

für  Lorsch  auf 281  360  425 

„    Lampertheim  auf 373  452  502 

„    Viernheim  auf 418  518  620 

Die  Zahl  der  in  diesen  drei  Orten  vorhandenen  Zigarrenfabriken 
beträgt  19. 

Die  drei  anderen  Gruppen  (5,  9  und  10)  verdanken  ihre  starke 
Bevölkerung  hauptsächlich  der  Industrie.  Pfungstadts  hohe  Blüte  ist 
in    erster    Linie    der    mächtig    entwickelten    Industrie    zuzuschreiben. 


')  Es  waren  mit  Tabak  bepflanzt  in 

1893/94 
Klein-Hausen  .  .  .  .  137  ar 
Groß-Hausen  .     .     .     .     148  „ 

2)  Handelskammer  Darmstadt  1895. 

8)  Centralst.  Landesst  1895—97. 

1894/95 
540  ar 
279  , 

1895/96 
705  ar 
574  „ 

Forschungen  zur  deutschen  Landes-  nnd  Volkskunde. 

XII.     4. 

22 


326 


Karl  Bergmann, 


[34 


22  Fabrikbetriebe  giebt  es  hierselbst,  darunter  die  bekannte  Brauerei 
Hildebrand,  ferner  Zündhölzer-,  Zigarren-,  Papierfabriken,  Ziege- 
leien u.  s.  w.  Auch  ist  der  Boden  in  einem  großen  Teil  der  Ge- 
markung fruchtbar  und  ertragsreich,  und  in  hervorragender  Weise  wird 
die  Ziegenzucht  getrieben.  In  unfruchtbarer  Sandgegend  liegt  Gries- 
heim. Aber  die  unmittelbare  Nähe  von  Darmstadt  und  auch  eigene 
Industrie  (z.  B.  die  Samenklenganstalten)  heben  teilweise  die  Nach- 
teile der  Unfruchtbarkeit  auf.  Dazu  kommt  noch  der  große  Militär- 
übungsplatz, der  Griesheim  nicht  allein  größeren  Verkehr  bringt,  son- 
dern auch  insofern  für  die  Landwirtschaft  von  Vorteil  ist,  als  durch 
den  von  ihm  herstammenden  Dung  die  Aecker  ertragsfähiger  gemacht 
werden.  Gruppe  9  (Walldorf-Mörfelden)  hat  starke  Arbeiterbevölke- 
rung, was  durch  die  Nähe  Frankfurts  und  die  direkte  Bahnverbindung 
mit  dieser  Stadt  erklärlich  ist.  Gruppe  10  (Rüsselsheim)  steht  eben- 
falls unter  dem  Einfluß  von  Frankfurt  und  Mainz,  ihre  Bewohner  finden 
in  den  Fabriken  dieser  Städte  lohnenden  Verdienst.  Aber  Rüsselsheim 
und  Ginsheim  treiben  auch  selbst  Industrie.  Hier  sind  zu  erwähnen 
in  Ginsheim  die  Maschinenfabrik  und  Brikettfabriken,  in  Rüsselsheim 
Matten- ,  Zichorien- ,  Mineralwasserfabrik ,  Hasenhaarschneiderei ,  vor 
allem  aber  die  bekannte  Opelsche  Nähmaschinen-  und  Fahrräderfabrik. 
Die  Erzeugnisse  der  durch  fruchtbaren  Lehmboden  begünstigten  Land- 
wirtschaft können  bei  der  Nähe  von  Mainz  und  Frankfurt  und  bei  der 
bequemen  Eisenbahnverbindung  zwischen  diesen  Städten  gut  verwertet 
werden. 

Groß-Gerau  (7)  endlich  erhebt  sich  durch  seine  Dichte  bedeutend 
über  seine  Umgebung.  Es  treibt  lebhafte  Industrie,  hat  Brauereien, 
Zucker-,  Käse-,  Kisten-,  Maschinen-  und  Palmkernölfabriken  und  ist 
äußerst  begünstigt  durch  seine  Lage  im  Mittelpunkt  der  nordwestlichen 
Rhein-Main-Ebene,  sowie  als  Knotenpunkt  der  Eisenbahnen  Mainz- 
Darmstadt-Aschaffenburg  und  Frankfurt-Mannheim(-Worm8). 


B.  Die  große  Verkehrslinie  Frankfurt-Darastadt-Heidelberg. 


Namen  der  Gemeinden 
des  Gebietsteiles 

lamtfläche 
in  qkm 

ld  in  Proz. 
r  Gesamt- 
flache 

h 

cerland  in 
zenten  der 
baufiache 

■8 

•  pH 

2 

CS 
N 

OD 

3 

00 

M 

9 

CO 

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3 

08    0J 

PJ 

o  o  c 

> 

;> 

O 

■  e 

£^ 

< 

<£< 

> 

Q 

12.  Neu-Isenburg.    .     . 

4,41 

— 

3,96 

86 

2,87 

63(55 

1607 

VIII 

13.  Sprendlingen 
Dreieichenhain 
Langen    .    . 


9,38 

5,20 

25,42 

89 
52 

8,85 

2,90 

11,14 

84 
87 
88 

2,06 
8,27 
2,26 

3811 
1360 
4960 

430 
469 
445 

VI 
VI 
VI 

40,00 

38 

22,89 

86 

23,1 

10131 

442 

VI 

35] 


Die  Volksdichte  der  Provinz  Starkenburg. 


327 


1 

2 

3 

4 

5 

6 

7 

8 

9 

Namen  der  Gemeinder 
des  Gebietsteiles 

I  « 

II  * 

1    ä  c 

1  I* 

u 

Oh.     3     & 

e    «  — 
.5    «    3 

11  t^  k* 

'S  £ 

3:  -3 

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0  £  « 

'S     0,3 

'S    P    3 

1 

B 
m 

2 

[4 

CO 

Ji 

5 

| 

1 

> 

d 

■ 
0 

>M 
H 

s 

14,  Egelsbach  m.  Baiers 

eich     .... 

14,14 

33 

8,60 

80 

1,62 

2363 

275 

V 

Erzhausen .     .     . 

7,36 

24 

5,18 

75 

1,77 

1151 

222 

IV 

Wixhaasen     .     . 

6,27 

16 

4,90 

80 

2.20 

1241 

258 

V 

Arheilgen   .     . 

32,79 

51 

15,13 

77 

1,64 

3933 

259 

V 

;  60,56 

32 

88,81 

78 

1,74 

8688 

257 

V 

15.  Eberstadt  .    . 

16.  Malchen     .    . 


117,87  ;     47        7,90  |     95     !    2,34  |  4338  |     549  |    VII 
I    1,03  I     18     !    0,78  !     94        1,86       179  I     230  i    IV 


1 

2 

3 

4 

5 

r,a 

6 

7 

* 

Namen  der  Ge- 
meinden des 
Gebietsteiles 

| 

S  B 
B  & 
0 

ei   aj 

1 

J.S 

< 

Ackerland  in 
Prozenten  der 
Anbauflüche 

ß    D    J 
-    ^-  — 
l>   O    ß 

1 
1 

1 

1 

> 

3 
1 

i 

> 

ja 

1 

| 

17.  Seeheim   T     . 

11,74 

63 

3,79 

"i 

8 

3,07 

1325 

349 

V 

18.Bickenbach 
mitHartenau 
Aisbach 


19.  Jugenheim 
Zwingenberg 


20.  Auerbach 
Bensheim 
Schönberg  • 


II 

!]    9,32 
8,97 

19 

28 

7,06 
6.03 

66 

84 

2 

1,68  1 
1,43  1 

1208 
791 

171 
134 

III 
III 

1  18,29 

23 

13,09 

74 

1 

1,66  I 

1999 

152 

11 1 

21.  Heppenheim 
Summe  12—21 


II  11,65 
l|  20,46 

:   1,94 


'    3,871 
3,25  1 

49 

1    1,52  1 
1    2,93  1 

90 
67 

10 

1    3,24  1 

1    4,56  1 

1057  1 
1589  1 

695 
542 

1  VIII 
VII 

]    6,621 

26 

1    4,4S  1 

75 

6 

1    3,52 

2646  1 

594 

VII 

32 
13 
85 


7,02 

16,69 

1.17 


34,05  I     21     1 24,88 


66 

9 

1,76 

1960 

279 

V 

81 

11 

1,88 

6665 

399 

VI 

89 

7 

2,63 

510 

435 

VI 

71 


10     I    1,80  I    9135 


367    I    VI 


||  30,86 

28 

|  20,94 

53     | 

5 

1,31  |    5409 1    258 

V 

!|225,43 

— 

1 136,49 

_     1 

— 

!    —     1 50215]    368    1 

VI 

Die  große  Verkehrsstraße  Frankfurt-Darmstadt-Heidelberg  zer- 
fällt in  zwei  wohl  zu  unterscheidende  Teile;  der  nördliche  zieht  mitten 
durch  die  Ebene  von  Frankfurt  nach  Darmstadt,  der  südliche  an  dem 
westlichen  Abhang   des  Odenwaldes  entlang,   soweit  hessisches  Gebiet 


328 


Karl  Bergmann, 


[36 


in  Betracht  kommt,  bis  Heppenheim  und  ist  unter  dem  Namen  „Berg- 
straße" bekannt.  So  sehr  auch  diese  beiden  Teile  in  Bezug  auf  Güte 
des  Bodens  und  klimatische  Beschaffenheit  voneinander  abweichen,  so 
ist  beiden  doch  gemeinsam  die  so  überaus  günstige  Lage  an  der  großen 
Verbindungsstraße  zwischen  der  Schweiz  und  Baden  einerseits  und  Nord- 
deutschland andererseits.  Nachdem  der  Verkehr  sich  naturgemäß  am 
Gebirgsrande  entlang  gezogen  hatte,  suchte  er  dann  den  kürzesten  Weg 
nach  dem  Main  bei  Frankfurt  auf,  und  es  konnte  deshalb  nicht  aus- 
bleiben, daß  sich  eine  Volksanhäufung  an  dieser  Linie  bemerkbar 
machte.  Die  für  den  nördlichen  Teil  der  Verkehrslinie  in  Betracht 
kommenden  Gruppen  weisen  nicht  sonderlich  günstige  Bodenarten  auf. 
Die  Gemeinden  Neu-Isenburg,  Sprendlingen ,  Dreieichenhain,  Langen, 
Egelsbach,  Arheilgen  liegen  teils  fast  ganz  in  sandiger  Fläche,  teils  auf 
der  Grenze  zwischen  Sandboden  und  dem  auch  nicht  günstigen  Boden 
des  Rotliegenden  (vgl.  S.  336  [44]),  z.  B.  Egelsbach,  Langen  und 
Sprendlingen.  Aber  die  Nähe  der  beiden  Städte  Frankfurt  und  Darm- 
stadt wirkt  günstig  durch  die  guten  Absatzverhältnisse  und  erhöht  in- 
folgedessen den  Wert  der  landwirtschaftlichen  Erzeugnisse.  Für  Drei- 
eichenhain z.  B.  sind  Frankfurt  und  Offenbach  gute  Abnehmer  (be- 
sonders für  die  Milch).  Ueberdies  haben,  wie  schon  oben  (S.  324  [32]) 
erwähnt  ist,  Arheilgen  und  Erzhausen  besseren  Boden.  Dazu  gesellt 
sich  noch  die  Arbeitsgelegenheit,  die  den  Bewohnern  dieser  Gemeinden 
in  Frankfurt,  Offenbach  und  Darmstadt  geboten  wird,  und  bei  einigen 
Gemeinden  auch  eigene  Industrie.  So  hat  Arheilgen  eine  Nudel- 
fabrik, Langen  Fabrikation  von  Hörn-  und  Beinknöpfen,  Cognacbren- 
nereien ,  ausgedehnte  Steinbrüche  im  Rotliegenden l) ,  Sprendlingen 
Fabrikation  von  eisernen  Kassen,  Seilerwaren  und  Ziegeln.  Besonders 
aber  besitzt  Neu-Isenburg  eine  blühende  Industrie  in  eisernen  Herden, 
Kassenschränken,  Pflügen,  Möbel-  und  Bautischlerei,  Hasenhaarschneide- 
reien  und  Lederartikeln.  Ferner  werden  in  Neu-Isenburg  wie  auch  in 
Sprendlingen  die  sogen.  Frankfurter  Würstchen  hergestellt. 

Am  stärksten  muß  sich  selbstverständlich  der  Einfluß  der  Groß- 
stadt Frankfurt  äußern,  insofern  die  Verdichtung  der  Bevölkerung  um 
so  stärker  wird,  je  mehr  wir  uns  Frankfurt  nähern;  folgende  Dichte- 
zahlen geben  dafür  einen  klaren  Beweis: 


Arheilgen      .     . 

259 

Wixhausen    .     . 
Erzhausen 

253 
222 

V.  Stufe 

Egelsbach 
Langen      .     . 
Dreieichenhain 

275* 
445) 
.      469}  VI.  Stufe 

Sprendlingen . 
Neu-Isenburg 

.       430 
.     1607 

VIII.  Stufe 

Man  vergleiche  hiermit  auch  S.  336  [44]. 

Die  südliche  Fortsetzung  der  Verkehrsstraße  Frankfurt-Darmstadt 
heißt  „Bergstraße",  d.  i.  der  steil  zur  Rheinebene  abfallende  westliche 


J)  Erl.  Messel,  8.  61. 


37]  Die  Volksdichte  der  Provinz  Starkenburg.  329 

Abhang  des  Odenwaldes.  Die  denselben  bildenden  Vorhöhen  sollen  in 
Zukunft  als  die  „Bergsträfier  Diluvialterrasse "  bezeichnet  werden.  An 
ihrem  Fuße  liegen  die  Ortschaften  der  Bergstraße :  Eberstadt,  Malchen, 
Seeheim,  Bickenbach,  Aisbach,  Jugenheim,  Zwingenberg,  Auerbach, 
Bensheim,  Schönberg1),  Heppenheim.  Die  Gemarkungen  dieser  Ge- 
meinden ziehen  sich  aber  von  der  Ebene  über  diese  Diluvialterrasse 
ins  Gebirge  hinauf  und  erstrecken  sich  somit  über  geologisch  ver- 
schiedene Gebiete:  a)  die  diluviale  Ebene;  b)  die  diluviale  Terrasse; 
c)  die  archäischen  bewaldeten  Odenwaldberge. 

Auf  S.  328  [36]  dieser  Abhandlung  wurde  schon  auf  den  großen 
Unterschied  hingewiesen,  der  in  Bezug  auf  Boden  und  Klima  zwischen 
dem  nördlichen  und  dem  südlichen  Teil  unserer  Verkehrslinie  besteht. 
Beide  Faktoren  sind  von  größtem  Einfluß  für  die  Besiedelung  der 
Bergstraße.  Es  sollen  deshalb  zuerst  die  Böden  der  Bergstraße,  als- 
dann das  Klima  und  als  Produkt  von  Boden  und  Klima  die  verschie- 
denen Kulturarten  besprochen  werden. 

Als  Hauptbodenarten  der  hier  allein  in  Betracht  kommenden 
Diluvialterrasse 2)  sind  der  Flußschotter  und  der  Lößboden  zu  erwähnen. 
Erstere  Bodenart,  die  meist  eine  dünne  Flugsandhülle  bedeckt,  ist  ein 
kiesiger  Sandboden,  dessen  wasserhaltende  Kraft  nur  gering  ist.  Der 
Lößboden  ist  als  Bodenbildner  für  die  Bergsträßer  Diluvialterrasse  von 
größter  Bedeutung  und  wird  von  Sprecher  „  geradezu  als  Schöpfer 
dieser  üppigen  Zone"  betrachtet3). 

Das  Klima  der  Bergstraße  ist  das  denkbar  günstigste.  Der 
hinter  der  Terrasse  sich  steil  erhebende  Höhenzug  gewährt  Schutz  vor 
den  rauhen  Ost-  und  Nordostwinden,  so  daß  sich  die  mittleren  Tem- 
peraturen verhältnismäßig  hoch  stellen.  Ich  lasse  hier  einige  von  der 
großherzoglichen  Centralstelle  für  die  Landesstatistik4)  herausgegebene 
vergleichende  meteorologische  Beobachtungen  folgen  und  ziehe  zum 
Vergleich  Darmstadt  und  das  im  Mümlingthal  gelegene,  klimatisch 
ebenfalls  bevorzugte  Michelstadt  heran. 

Die  mittlere  Jahrestemperatur  betrug  1889  für 

Darmstadt 7,25  °  C. 

Bensheim 7,86°  „ 

Michelstadt 5,56°  „ 

Die  mittleren  Temperaturen  betrugen  für  1889 

Darmstadt  Bensheim  Michelstadt 

im  Winter    .     .     -0,39°C.  -0,43°C.  -2,29°C. 

„    Frühjahr      .         7,80°  „  8,52°  ,  5,16°  „ 

„    Sommer.     .        15,05°  „  16,07°  „  12,90°  , 

„    Herbst    .     .         6,91°  „  7,39°  „  6,10°  „ 


1)  Schönberg  liegt   allerdings  am  Ausgang   eines  Seitenthaies,  kann  aber 
seinen  ganzen  Verhältnissen  nach  als  Bergstraßenort  aufgefaßt  werden. 

2)  Auf  die  Diluvialterrasse  kommt  es  hier  nur  an,  denn  die  Bodenarten  der 
Ebene  wurden  schon  bei  der  Rheinebene  besprochen  (S.  822—324  [30—32]). 

8)   Spr.,  Rheinisches  Deutschland  1820,  S  88. 
4)   Centralst.  Landesst.  1890. 


330 


Karl  Bergmann, 


[38 


Für   das  Jahr   1890   stellten   sich   die  Temperatur-   und  Nieder- 
schlagsverhältnisse für  die  einzelnen  Monate  wie  folgt1): 


Monat 

T  pmpe  r  a  t  u  r                            E&tigtin 

Schnee 

Nebel 

Minimum  (Mittel)  ||  Maximum  (Mittel) 

c3 

6 

3 

c8 

ja 

eS 

6 

•s 

Da.       tie,    |  Meli.  |]   Da. 

Be.     |  Mch. 

S 

Januar 

0,58 

0,12 

0,06 

4,83 

5,06 

4,60 

'17 

14 

13 

4 

3 

1 

11 

7 



Febr.  . 

r2,73 

-3,43 

-3,94 

1,95 

3,43 

1,47 

3 

1 

— 

8 

3 

— 

7 

— 

— 

März  . 

1,73 

0,84 

0,19 

7,54 

9,32 

6,74 

13 

6 

5 

6 

3 

7 

5 

1 

— 

April  . 

3,01 

2,23 

1,64 

10,81 

12,59 

10,30 

17 

12 

12 

1 

— 

— 

— 

6 

— 

Mai.  . 

8,30 

8,10 

6,33 

16,90 

18,12 

15,83 

11 

11 

14 

— 

— 

— 

1 

8 

— 

Juni.  . 

9,12 

8,85 

6,87 

17,11 

18,14 

15,94 

20 

12 

16 

— 

— 

— 

— 

6 

— 

Juli  .  . 

9,84 

9,84 

7,72 

17,32 

17,98 

17,92 

22 

19 

20 

— 

— 

— 

— 

1 

— 

August 

11,50 

11,59 

9,27 

18,16 

19,47 

17,39 

20 

14 

21 

— 

— 

— 

1 

12 

— 

Sept.  . 

8,27 

7,66 

5,31 

15,65 

17,34 

14,66 

5 

1 

3 

— 

— 

— 

10 

18 

— 

Okt.     . 

3,86 

3,17 

1,86 

9,83 

10,52 

8,85 

18 

10 

15 

— - 

— 

— 

12 

10 

— 

Nov.    . 

1,59 

1,35 

0,93 

5,77 

6,27 

5,25 

21 

18 

21 

4 

3 

4 

16 

10 

2 

Dez..  . 

-4,98 

-6,26 

-5,90 

-0,36 

-0,84 

-1,14 

2 

1 

1 

3 

3 

4 

14 

10 

5 

Infolge  des  so  günstigen  Klimas  und  Bodens  gedeiht  in  unserem 
Gebiete  eine  üppige  Vegetation.  Der  einen  kiesigen  Sandboden  lie- 
fernde Flußschotter  erzielt  allerdings  nur  in  feuchten  Jahren  für  die 
Feldfrüchte  günstige  Resultate,  da  er  an  Trockenheit  leidet2)  (vgl. 
S.  329  [37]);  um  so  wertvoller  ist  er  aber  für  den  Weinbau.  Da- 
gegen dient  der  Lößboden  nicht  nur  zum  Weinbau,  sondern  auch  zum 
Anbau  der  verschiedenartigsten  Feldfrüchte3).  Der  Weinbau  wird 
ferner  begünstigt  durch  den  Steilabfall  der  Terrasse  zur  Rheinebene, 
denn  Je  steiler  die  Böschung,  um  so  senkrechter  fallen  die  Strahlen 
auf,  um  so  ergiebiger  strahlt  der  Boden  die  Wärme  zurück"  4).  Ein 
weiterer,  den  Weinbau  fördernder  Umstand  ist  darin  zu  erblicken,  daß 
die  Bergstraße  der  mittäglichen  und  abendlichen  Besonnung  ausgesetzt 
ist.  Neben  dem  Weinbau  gedeiht  die  Obstzucht  in  vortrefflicher  Weise : 
außer  den  gewöhnlichen  Obstsorten  kommen  Aprikosen,  Pfirsiche  und  Man- 
deln sehr  gut  fort,  Maulbeerbäume  wachsen  im  Freien,  Feigen  überwin- 
tern mit  leichter  Bedeckung  im  Garten,  schon  im  halben  März  beginnt 
die  Vegetation,  und  das  Steinobst  blüht  bereits  zu  Anfang  April  5). 

Es  waren  vorhanden  in  dem  zu  den  Kreisen  Bensheim  und  Heppen- 
heim gehörigen  Teil  der  Bergstraße: 

1893:    2181  Aprikosen-  und  Pfirsichbäume 
1897:    2087  „  6). 

Von  den  sieben  Kreisen  der  Provinz  Starkenburg  ziehen  die 
Kreise  Bensheim  und  Heppenheim  den  größten  Ertrag  aus  der  Obst- 
baumzucht. Rechnet  man  die  verschiedenen  Obstarten  zusammen,  so 
stellt  sich  für   das  Jahr  1893   z.  B.  der  Durschnittsertrag  eines  ein- 

l)  Zusammengestellt  nach  den  Veröffentlichungen  der  Centralst.  Landesst  1890 
und  1891. 

a)  Erl.  Zwingenberg-Bensheim,  S.  100. 

3)  Erl.  Zwingenberg-Bensheim,  S.  100. 

4)  Spr.,  Rheinisches  Deutschland  1820,  S.  88. 

6)   Scher  er,  Geogr.  u.  Statistik  d.  Großh.  Hessen,  S.  53. 
6)   Centralst.  Landesst.  1894,  1898. 


M.  Pf. 

.     ...     1.  90. 

1.  48. 

1.  22. 

... 

0.  93. 

0.  91. 

0.  74. 

•         • 

0.  66. 

39]  Die  Volksdichte  der  Provinz  Starkenburg.  331 

zelnen  Baumes  für  den  Kreis  Bensheim  auf  M.  1.  48.  Interessant  ist 
es,  festzustellen,  wie  die  im  Jahre  1893  erzielten  Erträgnisse  für  die 
einzelnen  Kreise  abnehmen1): 

Kreis  Heppenheim 
Bensheim 
„       Darmstadt 
Offenbach . 
Dieburg    . 
„       Erbach 
„      Groß-Gerau 

Der  in  die  Rheinebene  hineinreichende  Teil  der  Gemarkung  dient 
als  Acker-  und  Wiesenland,  so  daß  man  bei  den  Bergstraßenorten  eine 
Waldregion,  eine  Weinregion  und  eine  Acker-  und  Wieslandregion 
unterscheiden  kann.  In  dieser  glücklichen  Vereinigung  der  verschie- 
densten Kulturarten  liegt  eben  der  Vorzug  dieser  Gegend  gegenüber 
solchen  Gebieten,  die  fast  ausschließlich  Weinbau  treiben:  während 
letztere  bei  einem  Weinfehljahr  in  eine  mißliche  Lage  geraten,  kann 
bei  den  Bergstraßengemeinden  der  Schaden  durch  die  Erträgnisse  des 
Ackerlandes  weniger  fühlbar  gemacht  werden. 

Infolge  aller  dieser  günstigen  Verhältnisse  stellt  sich  das  ganze 
Gebiet  auf  der  Karte  als  dicht  besiedelt  dar,  mit  Ausnahme  von 
Gruppe  16  (Malchen)  und  Gruppe  18  (Bickenbach).  Malchen  besitzt 
nicht  denselben  fruchtbaren  Boden  wie  die  übrigen  Gemeinden,  weil 
der  Flugsand  sich  hier  bis  hoch  auf  den  Frankenstein  hinaufzieht  und 
deshalb  auch  der  Wald  der  Ebene  viel  näher  ans  Gebirge  herantritt. 
Malchen  weist  daher  nur  mittelstarke  Bevölkerung  auf,  die  es  gewiß 
nicht  erreicht  hätte,  wenn  nicht  Darmstadt  lohnenden  Verdienst  ge- 
währte2). Auch  Gruppe  Bickenbach  hat  nur  mittelstarke  Dichte;  die 
Bodenverhältnisse  sind  teilweise  nicht  günstig  (vgl.  S.  323  [31]);  auch 
gehört  die  Gruppe  und  besonders  der  Ort  Bickenbach  mit  seiner  Gemar- 
kung mehr  der  Rheinebene  als  der  Bergstraße  an.  Alle  anderen  Gruppen 
(17,  19,  20,  21)  haben  aber  starke  und  sehr  starke  Bevölkerung. 

Die  hohe  Volksdichte  Eberstadts  ist  bedingt  durch  seine  Stellung 
als  Vorort  von  Darmstadt,  mit  dem  es  in  regem  Verkehr  steht,  durch 
seine  Lage  an  der  Ausmündung  des  gut  besiedelten  Modauthales  und 
am  Fuße  des  Frankensteins,  wodurch  es  zu  einem  beliebten  Aus- 
flugsort wird.  Die  Bodenverhältnisse  sind  günstig,  denn  die  Verwitterung 
der  Gebirgsgesteine  trägt  viel  zur  Verbesserung  des  Bodens  bei,  und 
die  Industrie  ist  ebenfalls  hoch  entwickelt;  es  befinden  sich  in  Eber- 
stadt 13  Fabrikbetriebe,  namentlich  Malz-,  Ofen-,  Papierfabriken, 
Gerbereien,  Brauereien,  Müllereien. 

Die  Orte  Seeheim,  Jugenheim,  Zwingenberg,  Auerbach,  Bens- 
heim und  Schönberg  vereinigen  landschaftliche  Reize  mit  den  Vorteilen 
einer  gesunden  weichen  und  feuchten  Luft;  alljährlich  sind  daher  diese 

*)  Centralst.  Landesst.  1894.  (Aehnlich  liegen  auch  die  Verhältnisse  für 
andere  Jahrgänge.) 

s)  So  wird  z.  B.  ein  großer  Teil  der  Darmstädter  Wäsche  in  Malchen  ge- 
waschen und  gebleicht. 


332 


Karl  Bergmann, 


[40 


Orte,  besonders  Seeheim  und  Jugenheim,  das  Ziel  vieler  Sommerfrischler, 
üben  auch  große  Anziehungskraft  auf  die  Pensionäre  aus.  Ueberdies 
liegen  Jugenheim,  Auerbach  und  Bensheim  an  der  Ausmündung  der 
Odenwaldtbäler ,  so  daß  sich  ein  Teil  des  vorderen  Odenwaldverkehrs 
naturgemäß  hierherzieht.  Der  Weinbau  dieser  Orte  ist  hervorragend, 
besonders  in  qualitativer  Hinsicht;  die  Marken  Zwingenberger  und 
Auerbacher  Rott  genießen  einen  alten  Ruf.  Von  der  Anbaufläche 
dienen  als  Weinberge  in 

Seeheim   ...       6°/o  Bensheim      .     .     ll°/o 

Zwingenberg     .     10  „  Schönberg     .     .       7  „  *). 

Auerbach  .  .  9, 
In  bedeutendem  Maße  hat  sich  auch  die  Industrie  entwickelt, 
deren  Aufschwung  unterstützt  wurde  durch  die  denkbar  günstigste 
Verkehrslage  an  der  Verbindungslinie  zwischen  Süd-  und  Norddeutsch- 
land, der  Eisenbahn  Hamburg-(Berlin-)Frankfurt-Basel.  Für  Seeheim 
und  Jugenheim  sind  zu  erwähnen  Müllereien,  sowie  Nudel-  und  Zi- 
garrenfabriken, für  Auerbach  die  Ziegel-  und  Thonröhrenfabrikation, 
Möbel-  und  Bautischlerei,  die  Chininfabrik,  sowie  das  bei  Hocbstädten 
gelegene  Marmorbergwerk;  in  Bensheim  giebt  es  eine  Lederfabrik, 
Ziegeleien,  Papier-  und  Pappefabrikation,  Tabakfabrikation  u.  s.  w. 
Ferner  sind  für  diesen  Ort  noch  zu  nennen  die  Verwaltungsbehörden, 
das  Gymnasium,  das  Schullehrerseminar  (vgl.  hierzu  S.  312  [20]). 

Der  südlichste  Ort  an  der  hessischen  Bergstraße  ist  das  durch 
seine  Landesirrenanstalt  bekannte  Heppenheim  an  der  Ausmündung 
zweier  Odenwaldthäler ;  auch  hier  ist  der  Weinbau  qualitativ  von 
Wichtigkeit  (Marke  Steinköpfer),  wenn  er  auch  quantitativ  den  anderen 
Orten  gegenüber  zurücktritt  (5  °/o  von  der  Anbaufläche).  Als  Luftkurort 
und  Ausflugsort  tritt  Heppenheim  freilich  im  Vergleich  mit  den  anderen, 
näher  bei  Darmstadt  gelegenen  Orten  in  den  Hintergrund,  von  großer 
Wichtigkeit  ist  jedoch  für  Heppenheim  die  Zigarrenfabrikation  (5  Zi- 
garrenfabriken). 

G.  Die  östlich  der  Verkehrslinie  Frankfurt-Darmstadt  gelegene  Mainebene. 


I 

2 

3 

4 

5 

6 

7 

8 

9 

Namen  der  Gemeinden 
des  Gebietsteiles 

H 

,5  «  o 

—  CD  ~ 

'P  w  q^; 

0> 

-   s 

8  *  ** 
1  S-o 

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«3  *H 

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13  o  ö 

> 

> 

O 

> 

S 

—      T 

22.  Bieber     .     .     .     .    | 

8,74 

43 

4,50 

80 

2,43 

2733 

607 

VII 

Bürgel 1 

7,21 

24 

4,66 

75 

2,11 

3804 

816 

VIII 

Mühlheim  .     .     .     . 

10,30 

40 

5,50 

75 

2,33 

3586 

643 

VII 

Dietesheim     .    .    .    1 

6,49 

39 

3,35 

80 

2,37 

1571 

468 

VI 

Groß-Steinheim    . 

5,93 

48 

2,80  ;     76 

2,03 

2121 

757 

VIII 

Klein-Steinheim .     .    | 

3.67      24 

2,22  1     70 

3,04 

1941 

874 

VIII 

1 

42,34 

38 

23,03 

77 

1    2,34 

|15706 

682 

VIII 

')   Beitr.  Stat.  1884. 


41] 


Die  Volksdichte  der  Provinz  Starkenburg. 


333 


T 


T 


Namen  der  Gemeinden 
des  Gebietsteiles 


23.  Rumpen  beim  .    . 

24.  Lämmerspiel  .  . 
Obertsbausen 
Hausen  .... 
Heusenstamm 


25.  Babenbausen 
Sickenhofen 
Weißkirchen 
Rem  brücken 
Hainhausen 
Jügesheim . 
Dudenhofen 
Nieder-Roden 
Ober-Roden 
Urberach   . 


26.  Dietzenbach  . 
Götzenhain 
Offenthal1) 
Messenbausen 
Messel   .     .    . 


27.  Klein-Auheim 
Hainstadt   . 


28.  Klein-Krotzen- 

burg 

Froschhausen .     .     . 


1 

0) 

(4 

•5 

£ 

'S 

O 

M 

> 

o 

> 

6,28     22        4,42 


2,29     1038  j    235 


10,75! 
5,921 


46 
37 


5,16 
3,30 


70 

83 


1,78 
1,89 


16,671    42     I    8,46  I     75     I    1,83 


1948 
1455 


377 

440 


10,10 

4.85 


14,95 


37 
32 


85 


5,70 
8,10 


8,80 


79 
76 


1,88 
2,56 


78     I    1,80 


1944 
920 


2864 


341 
297 


825 


IV 


1 

1 

3,76 

41 

2,05 

76 

2,59 

600 

292 

V 

6,44 

36 

3,85 

73 

1,77 

1295 

336 

V 

. 

4,88 

28 

3,30 

56 

1,91 

925 

280 

V 

1 

8,53'     39 

4,95 

78 

12,0 

1911 

386 

VI 

1 

28,61 

36 

14,15 

71 

1,72 

4731 

334 

V 

31,62 

60 

10,52 

84 

1,47 

2066 

196 

IV 

5,36 

40 

2,97 

80 

1,79 

471 

158 

III 

9,11 

29 

6,10 

74 

1,80 

920 

150 

III 

2,63 

40 

1,50 

80 

2,89 

251 

167 

III 

4,77 

37 

2,89 

79 

2,20 

499 

173 

III 

13,64 

42 

7,42 

89 

1,91 

1704 

229 

IV 

22,26 

50 

10,42 

93 

1,79 

1426 

137 

III 

15,22 

40 

8,33 

82 

1,56 

1818 

158 

III 

16,73 

40 

9,74 

75 

1,45 

1963 

201 

IV 

12,44 

40 

7,35 

79 

1,78 

1609 

219 

IV 

| 

133,78 

46 

67,24 

82 

1,72 

12227 

18ü 

1  IV 

! 

19,88 

34 

12,56 

78 

1,64 

2081 

161 

III 

i 

6,43 

7 

5,72 

68 

1,94 

689 

120 

II 

5,37 

4 

4,94 

73 

2,08 

686 

139 

III 

.    ,1     0,91 

17 

0,71 

79 

1.21 

89 

125 

III 

.     II     9,27 

39 

5,36 

70 

1,63 

854 

159 

III 

41,86 

26 

29,29 

73 

l,7ö 

4349 

148 

III 

VI 
VI 


3408  I    402    I    VI 


V 
V 


29.  Seligenstadt  . 


20,451    50     j    9,38  I    81     I    2,55  I  3840  I   409    [    VI 


30.  Klein-Welzheim .     . 
Mainflingen   .     . 
Zellhausen.     .     .     . 

1     5,68 
1     9,25 
,     8,56 

33 

58 
48 

3,33 
3,27 
5,13 

75 
79 
54 

2,41 
1,64 
1,89 

697 

860 

1038 

209 
268 
202 

IV 
V 
IV 

,1   23,49 

48 

11,73 

67 

1,97 

2595 

221 

IV 

l)  Wenn  auch  die  Gruppe  Offen thal  geologisch  betrachtet  zum  Odenwald 
gehört,  so  gliedert  sie  sich  doch  ihren  sonstigen  Verhältnissen  nach  besser  der 
Mainebene  an. 


834 


Karl  Bergmann, 


[42 


1 

i 
2 

3 

4      1      5 

6 

7 

8 

9 

Namen  der  Gemeinden 
des  Gebietsteiles 

i  s 

s  * 

o 

WaldinProz. 
der  Gesamt- 
fläche 

Ja 

IB.* 

Ackerland  in 
Prozenten  der 
Anbaufläche 

TS 

§ 

-4-> 
00 

•  pH 
> 

3 

00 

M 

> 

i  ■ 

00 

'S 

«2 

3 
.+» 

•8 

S 

31.  Harreßhausen      .    . 

8,40 

38 

4,84 

63 

1,17 

397 

82 

II 

Hergershausen    .     . 

9,61 

36 

5,64 

58 

1,67 

626 

110 

II 

Harpertshausen  .     . 

8,62 

24 

2,57 

86 

2,24 

257 

100 

II 

Langstadt  .     .     . 

7,76 

80 

4,99 

79 

1,92 

638 

127 

in 

Eleestadt  .    .     .     . 

6,55 

22 

4,67 

70 

2,20 

493 

105 

II 

Riehen | 

6,00 

6 

5,43 

66 

2,10 

490 

90 

H 

| 

41,94 

28 

28,14 

74 

1,85 

2901 

103 

II 

32.  Eppertshausen 
Münster  .  . 
Dieburg  .  . 
Groß-Zimmern 
Klein-Zimmern 


7,52 

40 

4,09 

68 

1,67 

1304 

318 

V 

1   12,80 

40 

7,23 

79 

1,93 

2200 

304 

V 

1.  23,36 

42 

12,53 

82 

1,93 

4782 

381 

VI 

1   17,89 

39 

10,15 

85 

2,59 

3180 

313 

V 

l!    2,86 

— 

2,73 

88 

1,50 

691 

25S 

V 

64,43 

39 

36,73 

81 

2,05 

12157 

831 

V 

>    -429,80 

i. 

— 

241,37 

— 

— 

65811 

272 

V 

Während  seither  immer  die  Fruchtbarkeit  oder  Unfruchtbarkeit 
des  Bodens  betont  wurde,  tritt  diese  Frage  bei  der  Gruppe  22  (Bieber- 
Steinheim)  vor  dem  mächtigen  Einfluß  der  Industrie  in  den  Hinter- 
grund. Auch  dürfte  es  schwer  sein,  für  dieses  Gebiet,  wie  auch  für 
Gruppe  24  und  die  zweite  Hälfte  der  Gruppe  25,  ein  bestimmtes  Urteil 
Über  die  Böden  zu  fällen,  so  sehr  sind  sie  geologisch  voneinander  ver- 
schieden. Neben  Thon-  und  Torfboden  treten  noch  Thonmergel-, 
Sand-,  Kalkmergel-,  Lehm-  und  Basaltlehmböden  auf.  Besonders  am 
Mainufer  bei  Bieber,  Bürgel,  Mühlheim  und  Dietesheim  ist  der  Boden 
an  vielen  Stellen  kalk-  und  mergelhaltig,  was  für  den  Ackerbau  sehr 
günstig  ist.  Während  also  in  geologischer  Hinsicht  keine  Einheit- 
lichkeit besteht,  wird  diese  hergestellt  durch  die  Industrie.  Drei  Städte 
sind  es,  die  die  Volksdichte  nach  oben  hin  beeinflussen:  Frankfurt, 
Offenbach  und  Hanau.  Der  Einfluß  dieser  drei  großen  Industrie- 
centren wird  sich  naturgemäß  am  kräftigsten  in  der  näheren  Um- 
gebung dieser  drei  Städte  äußern,  so  daß  wir  hier  die  stärkste 
Menschenanhäufung  in  der  ganzen  Provinz  haben. 
Aber  ihre  Wirkung  breitet  sich  auch  auf  die  weitere  Umgebung 
aus,  weshalb  auch  die  ungünstiger  gestellten  Gemeinden  bezüglich 
der  Volksdichte  günstig  beeinflußt  werden.  So  erreicht  die  Gruppe  25 
(Babenhausen-Dudenhofen)  die  vierte  Dichtestufe,  obgleich  ein  großer 
Teil  dieses  Gebietes  unfruchtbaren  Sandboden  hat.  Die  Strecke  von 
Seligenstadt  bis  Neu-Isenburg  ist  mit  sandigem  Schutthaufwerk  be- 
deckt; der  Flugsand  dieses  Striches  wird  vom  Wind  zu  Dünen  auf- 
gehäuft und   liefert  einen  Boden,   der  nur  den  Waldbäumen  Nahrung 


43] 


Die  Volksdichte  der  Provinz  Starkenburg. 


335 


bietet  x) ;  daher  haben  wir  denn  hier  auch  recht  hohe  Bewaldungs- 
prozente (Rem brücken  40  °/o,  Dudenhofen  50  °/o,  Jügesheim  42  °/o).  Wenn 
trotz  der  Ungunst  dieser  Verhältnisse  doch  mittelstarke  Bevölkerung  zu 
verzeichnen  ist,  so  muß  das  dem  verdichtenden  Einfluß  der  Städte  Frank- 
furt, Offenbach  und  Hanau  zugeschrieben  werden.  Auch  sind  für  Nieder- 
Roden,  Ober-Roden  und  Urberach  die  Hasenhaarschneidereien  zu  er- 
wähnen, ferner  für  Babenhausen  die  jetzt  verlegte  Dragonergarnison, 
welche  auch  insofern  von  Wichtigkeit  war,  als  dadurch  billiger  Acker- 
dung geliefert  werden  konnte. 

In  wie  mächtiger  Weise  gerade  für  die  in  Frage  stehenden  Gebiete 
der  Einfluß  der  Industrie  sich  geltend  macht,  wird  am  besten  aus  dem 
prozentualen  Verhältnis  von  landwirtschaftlicher  und  industrieller  Be- 
völkerung im  Kreise  Offenbach  hervorgehen,  zu  dem  die  Gruppen  22, 
23,  24,  26,  27,  28,  29  ganz  und  von  der  Gruppe  25  die  fünf  letzten 
Gemeinden  gehören.  Nach  der  Berufszählung  vom  14.  Juni  1895 2) 
gab  es  im  Kreise  Offenbach  6325  Personen,  die  Landwirtschaft  trieben; 
sie  hatten  7823  Angehörige  und  Dienstboten,  so  daß  die  landwirt- 
schaftliche Bevölkerung  im  ganzen  14 148  Personen  betrug,  d.  i.  13,9  °/o 
der  Gesamtbevölkerung  des  Kreises.  Dieser  landwirtschaftlichen  Be- 
völkerung von  14148  Personen  steht  die  industrielle  Bevölkerung  gegen- 
über mit  28995  Erwerbstätigen  und  36  668  Angehörigen  und  Dienst- 
boten, zusammen  65663  Personen,  d.  i.  64,6  °/o  der  Gesamtbevölkerung. 
Das  Ueberwiegen  der  Industriebevölkerung  über  die  landwirtschaftliche 
wird  aber  nicht  etwa  durch  den  Einfluß  der  Stadt  Offenbach  hervor- 
gerufen, sondern  sie  ist  auch  für  den  Landkreis  Offenbach  festzustellen, 
wie  aus  der  Berufszählung  von  1882  hervorgeht3)  (für  1895  sind  Stadt 
und  Kreis  nicht  getrennt).  Nach  dieser  Zählung  ergiebt  sich  folgende 
Bevölkerungsverteilung : 


Erwerbstätige  der 

Landwirtschaft   .     .     . 

dazu   Angehörige   und 

Dienstboten    .     .     . 


Kreis  Offen-    Stadt  Offen- 


bach 
6619 

9945 
16564 


bach 

259 
420 


Landkreis  Offen- 
bach 
6360 

9525 


Erwerbstätige  der 

Industrie 19357 

dazu    Angehörige    und 

Dienstboten    .     .     .     29340 


48697 


679 

8311 

11814 
20125 


15885 

11046 

17526 
28572 


Also  auch  im  Landkreis  Offenbach  überwiegt  die  industrielle 
Bevölkerung  (28572  gegen  15885).  Von  1882—1895  hat  die  land- 
wirtschaftliche Bevölkerung  des  Kreises  Offenbach  um  2416  Seelen  ab-, 
die  industrielle  dagegen  um  16966  Seelen  zugenommen. 


*)   Geolog.  Uebereicbtskarte  von  Ludwig,  Sektion  Offenbach.  S.  1. 
*)  Centrale!.  Landesst.  1897. 
3)  Beitr.  Stat.,  82.  Bd.,  1889. 


336  Karl  Bergmann,  [44 

Der  verdichtende  Einfluß  von  Frankfurt,  Offenbach  und  Hanau 
wird  sich  selbstverständlich  um  so  weniger  fühlbar  machen,  je  weiter 
man  sich  von  diesen  Industriecentren  entfernt,  und  dieselbe  Erscheinung, 
die  sich  schon  bei  der  Verkehrsstraße  Frankfurt-Darmstadt  feststellen 
ließ  (S.  328  [36]),  wiederholt  sich  hier.  Am  klarsten  tritt  dies  im 
Mainthale  hervor,  wo  von  Gruppe  29  (Mainflingen)  an  bis  zur 
Gruppe  22  (Bieber-Steinheim)  ein  stetiges  Anwachsen  der  Bevölkerung 
stattfindet : 

Klein-Welzheim  ....  209  | 

Mainflingen 263  >  IV  mittelstark 

Zellhausen 202  J 

Seligenstadt 409     VI  stark 

Klein-Krotzenburg    .     .     .  341  \  v    .     , 

Froschhausen 297  j  v  stark 

Klein-Auheim      ....  377  \  yT    .    , 

Hainstadt 440  )  V1  star* 

Groß-Steinheim   ....  757  |  vm      ,       ,    , 

Klein-Steinheim  .     .     .     .  874  /  Vm  sehr  8tark* 

Also  zuerst  mittelstarke,  dann  starke,  zuletzt  sehr  starke  Be- 
völkerung. Was  die  einzelnen  Dichtestufen  anlangt,  laßt  die  Reihe  IV, 
VI,  V,  VI,  VIII  ein  stetiges  Anwachsen  erkennen,  das  nur  einmal 
von  Seligenstadt  (28)  gestört  wird,  das  infolge  seines  Braunkohlen- 
bergwerks, der  Zigarren-  und  Sagofabrikation  und  seiner  historischen 
Entwickelung  als  ehemalige  Benediktinerabtei  und  Hohenstaufenpfalz 
eine  Sonderstellung  einnimmt.  Ebenso  hängt  Rumpenheims  (23)  nur 
mittelstarke  Bevölkerung  mit  der  dortigen  Hofhaltung  der  Landgrafen 
von  Hessen  zusammen,  indem  kein  Arbeiterzuzug  nach  diesem  Orte 
stattfand.  Steinheim  und  Hainstadt  treiben  auch  eigene  Industrie;  in 
Steinheim  giebt  es  Ziegeleien,  Zigarren-  und  Schuhleistenfabriken,  für 
Hainstadt  ist  die  sehr  bedeutende  Thonfabrikation  zu  erwähnen. 

Es  bleiben  noch  zu  besprechen  übrig  die  Gruppen  26  (Offenthal), 
31  (Langstadt)  und  32  (Dieburg).  Erstere  erreicht  nur  die  III.  Stufe. 
Die  Gemeinden  dieser  Gruppe  liegen  im  Rotliegenden,  einer  dem 
Ackerbau  wenig  zusagenden  Bodenart.  Man  kann  hier  zwei  Hälften 
unterscheiden,  die  durch  die  von  Langen  über  Urberach  nach  Dieburg 
ziehende  Chaussee  getrennt  sind.  In  der  größeren  südlichen  Hälfte 
dehnt  sich  ein  großer,  nur  durch  die  Gemarkung  des  durch  seine 
bedeutende  Paraffinölgewinnung  bekannten  Dorfes  Messel  unterbrochener 
Waldbezirk  aus.  In  der  nördlichen  Hälfte  wird  die  Gegend  offener 
und  bewohnter ;  hier  liegen  mehrere  Ortschaften :  Götzenhain ,  Offen- 
thal, Dietzenbach,  Messenhausen,  aber  auch  hier  finden  sich  „aus- 
gedehnte Stellen  auf  den  flachen  Höhen,  welche  den  Feldbau  nicht 
lohnen"  *).  Teilweise  noch  ungünstigere  Bodenverhältnisse  treffen  wir 
bei  Gruppe  31  (Langstadt),  die  sogar  auf  die  II.  Dichtenstufe  herab- 
sinkt: bei  Harreshausen  östlich  von  Babenhausen  z.  B.  sind  die  Er- 
trägnisse in  trockenen  Jahren  so  gering,  daß  sie  kaum  die  Kosten  der 


')  Beitr.  zur  Landes-,  Volks-  u.  Staatskunde  des  Großh.  Hessen,  S.  128. 


45] 


Die  Volksdichte  der  Provinz  Starkenburg. 


337 


Bestellung  und  Düngung  tragen;  auch  die  Kartoffel  liefert  recht  un- 
sichere Ertrage  *). 

Viel  günstigere  Böden  haben  die  Gemeinden  Langstadt,  Klee- 
stadt, Riehen ;  trotzdem  erheben  sich  diese  Orte  nicht  über  die  II.  Stufe. 
Auch  Großgrundbesitz  kann  nicht  zur  Erklärung  der  geringen  Dichte 
angeführt  werden,  denn  in  Kleestadt  giebt  es  unter  110  landwirtschaft- 
lichen Betrieben  überhaupt  keine  von  über  20  ha,  nur  2  von  10 — 20  ha, 
56  von  3—10  ha,  die  übrigen  52  sinken  alle  unter  3  ha.  Aehnlich 
sind  die  Verhältnisse  bei  Riehen,  wo  es  50  Betriebe  unter  3  ha,  26  von 
3—10  ha,  10  'von  10—20  ha  giebt. 

Gruppe  32  (Dieburg)  erreicht  die  Dichte  V.  Von  größter  Wichtig- 
keit für  diese  Gruppe  sind  die  zahlreichen  Thonlager  zur  Herstellung 
von  Backsteinen,  Dachziegeln,  Oefen  und  Töpferwaren 2).  Dazu  gesellt 
sich  noch  in  Münster  eine  Eisengießerei  und  Hasenhaarschneiderei,  in 
Dieburg  Blechwaren-  und  Stärkemehlfabrikation,  Rot-  und  Weißgerberei, 
Leineweberei  und  eine  Kokosmattenfabrik  mit  50  Arbeitern;  auch  ist 
hier  der  Sitz  von  Verwaltungsbehörden.  In  Groß-Zimmern  giebt  es 
vier  Zunder-  und  Pappdeckelfabriken ;  ferner  sind  für  diesen  Ort  noch 
die  Viehzucht  und  der  Geflügelhandel  zu  erwähnen. 


D.  Die  Vorhöhen  des  Odenwaldes. 


1 

2 

3 

4 

5 

6 

7 

8 

9 

Namen  der  Gemeinden 
des  Gebietsteiles 

9 

•8 

°*.3 

.3  «'S 

0  er 

*  «T3»C 

©  S  08 
Ja  n»o 

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1 

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p 

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o  P  O 

> 

> 

> 

S 

33.  Altheim     .    .     .     . 

4,96 

4,68 

83 

2,48 

744 

161 

in 

Semd , 

15,99 

50 

8,01 

80 

2,33 

1111 

138 

III 

Habitzheim    ... 

8,29 

— 

8,07 

94 

1,75 

952 

117 

II 

Spachbrücken     .     . 

5,06 

— 

4.87 

92 

2,58 

843 

173 

III 

Gundernhausen  .     . 

6,75 

30 

4,44 

73 

2,60 

908 

204 

IV 

Georgenhansen  .     . 

1,32 

— 

1.24 

84 

3.29 

248 

200 

IV 

Zeilhard     .... 

2,75 

— 

2,64 

90 

2,05 

413 

156 

III 

Reinheim  mit  111- 

bach 

12,24 

10 

10,48 

78 

2,30 

1728 

165 

III 

Ueberan     .... 

6,37 

— 

6,16 

98 

2,61 

834 

135 

III 

Nieder-Klingen  .     . 

4,02 

— 

3,82 

91 

2,70 

492 

129 

III 

Ober-Klingen .    .     . 

9,56 

33 

6,18 

92 

1,71 

605 

98 

" 

Lengfeld  mitZipfen 

13,21 

30 

8.75 

82 

2,44 

1316 

150 

III 

| 

90,52 

20 

69,29 

87 

2,32 

10189 

147 

111 

34.  Hering    .     .     .     . 

Wiebeisbach,  Kreis 

Dieburg   .     .     .     . 

Ober-Nau8ee  .    .     . 


2,78  ' 

10 

2,39 

70 

1,73 

459 

192 

IV 

4,08  ! 
2,48 

80 

78 

2,66 
0,51 

80 
66 

1,74 
1,86 

409 
103 

154 
201 

III 
IV 

9,34 

63 

5,56 

75 

1,75 

971 

174 

III 

')  Erl.  Babenhausen,  S.  29. 

2)  Erl.  Messel,  S.  62,  und  Künzel-Soldan,  S.  723. 


838 


Karl  Bergmann, 


[46 


1 

1 

2      !      S 

4 

5 

• 

' 

8 

9 

Namen  der  Gemeinden 
des  Gebietsteiles 

Gesamtfläche 
in  qkm 

[Wald  in  Froz. 
1  der  Gesamt- 
fläche 

1s 

«4 

Ackerland  in 
Prozenten  der 
Anbaufläche 

TS 

Ö 
öS 

öS 

N 
OD 

M 
'S 

> 

'S 

> 

9 
3 

•s 

s 

35-  Frjm-Nauses      .     . 
SchloJa-Nausea     .     -     , 

3.05       m 

1,62       57 

Q,8ü 
Ü,Ü2 

84 
68 

1,40 

2,48 

53 
2» 

66 
45 

I 
1 

i 

3,67 

58 

1,42 

78 

1,85 

81 

57 

I 

36.  Groß-Umstadt 
Raibach  .  .  . 
Heubach  .  .  . 
Hetschbach    .     . 


27,66 
3,22 
8,96 
3,19 


41 

48 
47 
63 


15,26 
1,54 
4,47 
1,08 


88 
94 
88 
87 


2,20 
3,89 
247, 
2.13 


3341 
440 

1254 
296 


37. 


Schaafheim  .  . 
Schlierbach ,  Kreis 
Dieburg  .  . 
Klein-Umstadt 
Mosbach  .  . 
Radheim  .  . 
Dorndiel    .     . 


1 43,03  j     45     122,35 
18,01       37        10,65 


3,54 
9,80 
6,59 
4,04 
2,76  1 


25 
25 
33 
22 

32 


2,51 
6,91 
4,07 
3,02 
1.76 


88 

93 

88 
97 
84 
91 
93 


2,38  I  5331 


19,8  ,    1666 


218 
285 
280 
274 


238 


IV 
V 
V 
V 


IV 


2,84 
2,33 
1,77 
2,18 
1,56 


379 
902 
569 

482 


156    |    III 


151 
130 
140 
160 


264      150 


I!  44,74 


Summe  33—37      191,30 


31     I  28,92 


—      127,54 


95 


2,10      4262 


20834 


147 


163 


III 
III 
III 
III 
III 


III 


UI 


Mit  Gruppe  33  (Reinheim)  betreten  wir  die  Stelle,  wo  die  Ger- 
sprenz  den  eigentlichen  Odenwald  verläßt  und  durch  die  Vorhöhen  des 
Odenwaldes  in  die  Mainebene  hinaustritt. 

Ein  großes,  fast  waldfreies,  der  Landwirtschaft  überlassenes  Ge- 
biet öffnet  sich  vor  uns.  Ein  hügeliges,  wellenförmiges  Terrain  be- 
günstigt den  Ackerbau,  und  die  Bodenarten  Lehm  und  Löß  sichern 
der  Gegend  hohe  Fruchtbarkeit.  Gute  Wiesen  bei  den  an  der  Ger- 
sprenz  liegenden  Gemeinden  begünstigen  die  Viehzucht.  Aber  eben 
dieser  Fruchtbarkeit  wegen  erhebt  sich  die  Volksdichte  nicht  über  die 
III.  Stufe:  es  hat  sich  Großgrundbesitz  gebildet,  und  die  geringe 
Dichte  erklärt  sich  durch  die  Abneigung  der  reichen  Bauern  gegen 
eine  starke  Familie,  um  einer  Zersplitterung  ihrer  Güter  vorzubeugen. 
Gerade  in  dieser  Gegend  ist  deshalb  das  sogen.  Zweikindersystem  be- 
liebt *).  So  ist  es  denn  dieser  Besitz  Verhältnisse  wegen  für  den  Taglöhner 
äußerst  schwierig,  sich  Land  zu  erwerben,  ja  es  wird  ihm  der  Erwerb 


')  Ganz  im  Gegensatz  zur  landwirtschaftlichen  scheint  die  industrielle  Be- 
völkerung eine  stärkere  Familie  vorzuziehen,  wohl  auch  aus  dem  Grunde,  weil  die 
Kinder  der  Arbeiterfamilien  schon  frühzeitig  zum  Verdienen  herbeigezogen  werden 
können.  Sind  Ackerbau  und  Industrie  verbunden,  wie  es  auf  dem  Lande  zu- 
weilen der  Fall  ist,  dann  können  die  Kinder  bei  dem  Hauptgewerbe,  dem  Acker- 
bau, helfen,  während  die  überschüssige  männliche  Arbeitskraft  der  Industrie  sich 
widmet  (vgl.  Wilbrand,  Odw.  S.  234). 


47]  Die  Volksdichte  der  Provinz  Starkenburg.  339 

fast  unmöglich  gemacht,  da  der  Bodenpreis  in  der  Lößgegend  ein 
sehr  hoher  und  in  guten  Lagen  Land  fast  überhaupt  nicht  käuf- 
lich ist1).  Die  Besitzverhältnisse  werden  durch  nachstehende  Tabelle 
erläutert : 


Gesamtzahl  der 

landwirtschaftl. 

3-10  ha 

10-20  ha 

20— 50  ha 

Aber  50  ha 

Betriebe 

Habitzheim  .     .     .     175 

35 

9 

2 

1  (275  ha) 

Gundernhausen      .     184 

47 

7 

— 

1  (100  , ) 

Lengfeld      ...     219 

25 

22 

11 

1 

Ueberau.     ...     190 

35 

12 

7 

— 

Zeilhard.     ...       74 

16 

1 

2 

r  (75 ,  )*) 

Reinheim     ...     292 

53 

3 

3 

2 

Nieder-Klingen            96 

31 

15 

— 

— 

Gleichfalls  die  III.  Stufe  weisen  auf  die  Gruppen  34  (Hering) 
und  37  (Schaaf heim) ,  welche  neben  Buntsandstein  auch  fruchtbaren 
Gneis-  und  Lehmboden  besitzen. 

Gruppe  36  erreicht  nur  die  IV.  Stufe  trotz  des  Zusammenwirkens 
vieler  günstiger  Faktoren.  Groß-Umstadt  selbst  hat  wegen  sehr  frucht- 
baren Bodens  äußerst  günstige  landwirtschaftliche  Verhältnisse8),  die 
beste  Verkehrslage  am  Gebirgsrand  und  an  der  Eisenbahn  Hanau- 
Eberbach  und  ist  Knotenpunkt  zahlreicher  aus  dem  Odenwald  nach 
der  Mainebene  führender  Landstraßen.  Für  die  günstige  klimatische 
Lage  zeugen  die  Weinberge,  von  denen  1882  25  ha  vorhanden  waren 
und  die  auf  den  für  den  Weinbau  günstigen  Porphyr-  und  Granit- 
böden angepflanzt  sind.  Die  Industrie  ist  entwickelt,  neben  den  Bier- 
brauereien sind  besonders  noch  eine  Scheren-,  Leder-,  Maschinen- 
fabrik, sowie  eine  Schneid-  und  Lohmühle  zu  erwähnen.  Für  Rai- 
bach  und  Heubach  kommen  die  großen  Sandsteinbrüche  in  Betracht4). 
Wenn  nun  diese  Gruppe  doch  nicht  über  die  IV.  Stufe  hinaus 
kommt,  so  ist  das  zum  Teil  bedingt  durch  die  ausgedehnten  großen 
Güter. 

In  gleicher  Weise  erklärt  sich  die  geringe  Dichte  der  Gruppe  35 
(Nauses) : 

Gesamtzahl  der 

landwirtschaftl.  unter  3  ha    3—10  ha    10—20  ha    20—50  ha 
Betriebe 

Frau-Nauses  ...     7  2  —  —  5 

Schloß-Nauses    .     .     6  3  1  —  2 


l)  Erl.  Groß-Umstadt,  S.  41.  Daselbst  heißt  es  weiter:  „Wesentlich  dem 
LÖß  ist  es  zu  verdanken,  daß  die  Orte  Groß-Umstadt,  Lengfeld,  Ueberau  und  Nieder- 
Klingen  zu  den  bestsituierten  des  Odenwaldes  gehören/ 

8)  Die  Angabe  der  Anzahl  der  Hektare  nach  persönlichen  Mitteilungen. 

s)  Vgl.  die  Anm.  1  auf  dieser  Seite. 
'<)  Erl.  Groß-Umstadt  S.  40. 


340 


Karl  Bergmann, 


[48 


E.  Der  Odenwald. 

Ueber  die  Einteilung  des  Odenwaldes  in  natürliche  Gebiete  habe 
ich  schon  auf  S.  319  [27J  berichtet,  will  aber,  um  Mißverständnissen 
vorzubeugen,  noch  folgendes  beifügen.  Die  Unterabteilungen  1  und  5 
habe  ich  als  den  westlichen  bezw.  östlichen  Odenwald  bezeichnet. 
Diese  Einteilung  hat  nichts  zu  thun  mit  der  hergebrachten  Einteilung 
des  Odenwaldes  in  einen  westlichen  und  östlichen  in  geologischer 
Hinsicht,  wonach  der  westliche  Teil  Grundgebirge,  der  östliche  Bunt- 
sandsteingebirge ist;  eine  von  Heidelberg  nach  Hanau  gezogene  Linie 
giebt  etwa  die  Grenze  beider  Formationen  an.  Die  in  dieser  Abhand- 
lung befolgte  Einteilung  bezeichnet  als  westlichen  Odenwald  den  zwi- 
schen Bergstraße  einerseits  und  dem  Gersprenz-  und  Weschnitzthal 
andererseits  gelegenen  Teil;  dann  kommt  als  mittlerer  Odenwald  das 
zwischen  diesem  großen  Längsthal  und  dem  Mümlingthal  gelegene 
Gebiet;  der  östlich  vom  Mümlingthal  gelegene  Höhenzug  wurde  als 
östlicher  Odenwald  aufgeführt.  Das  Gersprenz-Weschnitzthal  und  das 
Mümlingthal  werden  als  selbständige  Gebiete  behandelt,  ebenso  das 
Neckarthal  mit  seinen  Seitenthälern.  Man  ersieht  daraus,  daß  zum 
Einteilungsprinzip  die  auf  die  Volksdichte  so  großen  Einfluß  aus- 
übenden Verkehrsverhältnisse  gewählt  wurden:  die  vom  Verkehr  ab- 
geschlossenen Gebirgszüge,  die  den  Verkehr  in  sich  aufsaugenden 
großen  Thäler.  Schließlich  sei  noch  bemerkt,  daß  der  westliche  Oden- 
wald (nach  meiner  Einteilung)  dem  krjstallinen  Grundgebirge  angehört; 
der  kleinere  nordwestliche  Teil  des  mittleren  Odenwalds  gehört  eben- 
falls zum  Grundgebirge.  Der  größere  südöstliche  Teil  des  mittleren, 
der  östliche  und  südöstliche  Odenwald  (die  Neckarthäler)  gehören  zur 
Buntsandstein  for  mation . 


1.  Der  westliche  Odenwald. 


1. 

2 

1      3 

4 

5 

6 

8 

9 

Namen  der  Gemeinden 
des  Gebietsteiles 

Gesamtfläche 
in  qkm 

WaldinProz. 
der  Gesamt- 
fläche 

< 

Ackerland  in 
Prozenten  der 
Anbaufläche 

TS 

l 

09 

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1 

00 

'S 

o 

'S 

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8 

ü 
Q 

38.  Neutsch     .... 

1    3,40 

41 

2,23 

t>9 

1,83 

158 

71 

1 

Herchenrode  .     .     . 

1,94 

29 

1.33 

83 

1,57 

84 

64 

I 

Hoxhohl    .... 

.    1,93 

31 

1,21 

74 

1,57 

117 

97 

11 

Allertshofen  .     .     . 

1,63 

23 

1,25 

80 

1,64 

169 

135 

111 

Staffel 

1,12 

15 

0,91 

84 

1,48 

63 

69 

I 

Beedenkirchen    mit 

1 

Wurzelbach .     .     . 

1   4,95 

22 

3,63 

77 

1,85 

389 

107 

II 

Balkhausen  m.Quat. 

1 

telbach    .... 

!   4,70 

48 

2,16 

78 

1,98 

313 

145 

III 

Hochstädten  .     .     . 

3,88 

35 

2,39 

85 

1,25 

213 

89 

II 

Knoden  mit  Breiten- 

, 

wiesen 

1    1,94 

37 

1,17 

72 

1,80 

95 

80 

II 

1 

25,49 

— 

16,28 

— 

- 

1601 

- 

— 

49] 


Die  Volksdichte  der  Provinz  Starkenburg. 


341 


1                      i     2 

l! 

3 

4 

5 

6 

7 

8 

9 

Namen  der  Gemeinden 
des  Gebietsteiles 

:  «8  g 

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1     eö.2 

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3 

Uebertrag 

25,49 

_ 

16,28 

_ 

___ 

1601 





Raidelbach     .     .     . 

2,02 

20 

1,59 

72 

1,47 

95 

59 

I 

Glattbach  .     . 

2,31 

24 

1,70 

75 

1,52 

185 

109 

n 

Winkel.     .     . 

2,21 

23 

1,60 

80 

1,91 

132 

82 

II 

Winterkasten 

6,36 

33 

3,92 

67 

1,94 

538 

137 

in 

Kolmbach  .     . 

2,38 

23 

1,78 

78 

1,59 

246 

138 

in 

Laudenau  .    . 

3,29 

29 

3,23 

76 

2,07 

316 

141 

in 

Neunkirchen  . 

1,92 

43 

1,01 

66 

1,84 

96 

95 

II 

Meßbach    .     . 

2,25 

44 

1,23 

77 

1,60 

79 

64 

i 

Nonrod .     .     . 

1,10 

33 

0,71 

80 

2,01 

74 

104 

II 

Webern     .    . 

1,19 

46 

0,61 

60 

1,14 

49 

80 

II 

Klein-Bieberau 

3,21 

36 

1,97 

77 

2,25 

252 

128 

m 

Asbach  .    .     . 

3,68 

48 

1,85 

66 

2,25 

254 

137 

m 

Rodau   mit  Hotten 

bacher  Hof,  Ereu 

Dieburg   .     .     . 

5,46 

50 

2,61 

84 

2,10 

294 

112 

ii 

Seidenbach 

1,35 

30 

0,93 

79 

1,74 

86 

92 

n 

Eulsbach    .     . 

0,80 

27 

0,56 

81 

1,80 

58 

103 

H 

Ellenbach  .     . 

3,93 

16 

3,23 

80 

2,16 

418 

129 

m 

Igelsbach  .     . 

0,99 

29 

0,71 

81 

1,57 

37 

52 

i 

WaldErlenbach 

1,70 

32 

1,09 

81 

1,91 

118 

108 

H 

Linnenbach    . 

1,79 

26 

1,53 

80 

1,64 

139 

90 

ii 

Lörzenbach     . 

3,13 

12 

2,64 

81 

1,26 

210 

79 

n 

Lauten-  Weschnitz 

1,58 

20 

1,21 

80 

3,92 

160 

132 

in 

77,14 

37 

50,99 

77 

1,85 

5437 

106 

ii 

39.  Ober-Hambach 


1,06  I     15     I    0,88  I     74     I    2,00 


81 


92 


II 


40.  Eberbach  .... 

!    1,68 

20 

1,30 

74 

1.45 

71 

53 

I 

41.  Niedernhausen    .     . 

4,57 

45 

2,49 

68 

2,22 

507 

203 

IV 

Lützelbach ,     Kreis 

Dieburg   .... 

2,41 

43 

1,37 

65 

2,06 

222 

162 

III 

Brandau.     .     .     . 

6,89 

40 

3,84 

74 

2,79 

750 

195 

IV 

ErDsthofen     .     .     . 

3,60 

21 

2,76 

77 

2,04 

414 

150 

III 

Frankenhausen   .     . 

2,41 

20 

1,86 

84 

2,76 

301 

161 

III 

Wembach  mit  Hahn 

2,30 

— 

2,20 

81 

3,10 

492 

223 

IV 

Rohrbach  .... 

2,13 

— 

2,05 

86 

3,40 

425 

207 

IV 

Nieder-Modau  .     . 

4,80 

33 

3,05 

85 

2,20 

627 

206 

IV 

Ober-Modau  .     .     . 

4,55 

36 

2,30 

72 

2,24 

369 

161 

III 

Nieder-Beerbach 

8,25 

56 

3,43 

80 

2,35 

830 

242 

IV 

Ober-Beerbach    mit 

Schmal  -  Beerbach 

u.  Stettbach     .     . 

8,10 

32 

5,30 

82 

1,96 

917 

173 

III 

Forschungen  zur  deutschet 

!  50,01 
i  Landes 

36 
-  und  Vo 

30,65 
lkskundi 

79 

3.     XII. 

2,41 

4. 

5854 

191 
23 

IV 

342 


Karl  Bergmann, 


[50 


1 

'     2 

i 

3 

4 

5 

6 

7 

n- 

9 

Namen  der  Gemeinden 
des  Gebietsteiles 

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26 

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S 

42.  Ober-Ramstadt 

mit  V*  Dilshofen    . 

22,48 

35 

13,54 

89 

1,62 

3209 

237 

IV 

Nieder-Ram  stadt 

10,29 

14 

5,82 

91 

1,54 

1387 

238 

IV 

Traisa 

2,27 

13 

1,88 

88 

2,43 

712 

379 

VI 

Waschenbach     .    . 

2,16 

57 

0,90 

84 

2,71 

224 

249 

IV 

Roßdorf     .... 

18,85 

35 

8,35 

80- 

2,37 

2492 

298 

V 

1 

51,05 

36 

30,49 

87 

1,90 

8024 

263 

v 

43.  Steinau    .     .    . 

Billinge      .     .     . 

Lichtenberg  mit 

Obernhausen     . 


44.  Reichenbach 
Lautern      .     . 
Gadernheim   . 


45.  Elmshausen 
Wilmshansen 
Gronau .    .    . 


1,96 
1,33 

51 
26 

0,91 
0,93 

64 
72 

2,72 
2,56 

228 
213 

250 
229 

IV 
IV 

1,64 

64 

0,56 

83 

3,21 

226 

404 

VI 

4,93 

48 

2,40 

7, 

2,77 

667 

278 

V 

7,45 
1,64 
4,55 

40 
28 
40 

13,64 

39 

4,08 
1,09 
2,55^ 

7,72 


76 
70 
67 


71 


2,32 
2,40 
2.58 


2,44 


1381 
271 
911 


2563 


338 
248 
357 


332 


V 
IV 
V 


! 

3,87 
1,26 
7,69 

35 
18 
54 

2,38 
0,97 
3,14 

86 

88 

77 

2,19 
2,91 
1,79 

548 
197 

477 

230 
203 
152 

IV 
IV 
III 

1 

i 

12,82 

45 

6,49 

82 

2,10 

1222 

188 

IV 

46.  Lindenfels. 


3,38  I    48     I    1,60 


75 


3,04  I  1276  I    797    I  VIII 


47.  Schannenbach 
Seidenbach 
Mitter8hau8en 

Schenerberg 
Erlenbach  . 
Schlierbach , 

Bensheim .     . 


48.  Erbach,  Kreis  Hep 
penheim  .    .    . 

Kirschhausen 

Sonderbach    .     . 

Bonsweiher    .    . 

Albersbach  m.  Kreis 
wald    .... 

Mit-Lechtern  .    . 

Ober-Lauden 
bach  .... 

Nieder  -  Lieberebach 


. 

0,95 

36 

0,58 

64 

1,62 

88 

0,15 

67 

mit 

2,43 

23 

1,73 

65 

, 

0,94 

20 

0,71 

74 

Kreis 

2,01 

28 

1,40 

72 

7,95 

39 

4,57 

70 

1,90 
5,08 
2,30 
3,26 

1,27 
1,94 

2,21 
4,40 


20 
40 
43 
32 

16 
25 

26 
13 


1,46 
2,86 
1,25 
2,14 

1,02 
1,39 

1,60 
3,67 


22,36  I  28  I  15,39 


90 
86 
80 
79 

83 
81 

85 
88 


84 


2,07 
5,40 

2,27 
3,26 

JJ,22 

2,48" 


2,38 
1,99 
2,00 
1,96 

2,07 
2,17 

2,13 
1,59 


1,83 


113 
184 

295 
177 

322 

1091 


226 
452 
221 

406 

148 
230 


195 
1226 

170 
249 

230 
238  ~ 


155 
158 
176 
189 

145 
165 


341   213 

704   191 


IV 
VIII 

III 
IV 

IV 

IV 


III 
III 
IV 
IV 

III 
III 

IV 
IV 


2728  I  177 


IV 


51] 


Die  Volkadichte  der  Provinz  Starkenburg. 


343 


1                       2 

3 

4 

5 

5a 

6 

7 

8     '     9 

1    o 
Namen  der  Ge-     y  *s  q 

meinden  des          a^ 

Gebietsteiles      ii  £.5 

;  es 

WaldinProz. 
der  Gesamt- 
fläche 

Anbaufläche 
in  qkm 

Ackerland  in 
Prozenten  der 
Anbaufläche 

Weinberge  in 
Prozenten  der 
Anbaufläche 

I 

•8 

> 

1 

00 

l 

9 

1 
'S 

OD 

M 

<2 
5 
2 
•8 

S 

49.  Zell   .    .     . 

Unter -Ham- 

bach .     .     . 

r 
3,66 

1    4,96 

27 
47 

2,43 
2,44 

75 

74 

18 
16 

2,94 
3,87 

581 
859 

239 
352 

IV 
V 

|    8,62 

39 

4,87 

76 

17 

3,32 

1440 

295 

V 

50.  Ober-Liebers- 


bach. 
Summe  38—50    i|258,39 


1,98 1     34 


1,26 


158,61 


82     I     — 


1,29 


55 


80509 


43 


192 


IV. 


Die  Bevölkerungsdichtigkeit  des  westlichen  Odenwaldes  weist 
sämtliche  Hauptdichtestufen  auf:  schwache,  mittelstarke,  starke  und 
bei  Lindenfels  sogar  sehr  starke  Bevölkerung. 

Daß  ein  großer  Teil  des  in  Frage  stehenden  Gebietes  nur  schwach 
bevölkert  sein  kann,  wird  sich  nach  Prüfung  der  Verhältnisse  als  natür- 
lich herausstellen.  Es  sind  dies  meist  Gemeinden,  die  entweder  auf 
der  Höhe  selbst  liegen  oder,  wenn  sie  auch  in  Thälern  liegen,  doch 
durch  die  Enge  dieser  Thäler  gezwungen  sind,  ihre  Gemarkungen  auf 
die  angrenzenden  Höhen  auszudehnen1).  Während  sie  einesteils  der 
Vorteile  der  Thalgemeinden  (Thalbreite,  Alluvialboden  der  Thalsohle) 
verlustig  gehen,  haben  sie  auf  der  anderen  Seite  die  Nachteile  ihrer 
ungünstigen  Lage  zu  tragen:  die  schlechte  Verkehrslage,  die  häufig 
bis  tief  ins  Frühjahr  hinein  eintretenden  Spätfröste,  die  Gefahr  des 
Abschwemmens  der  Ackererde  von  den  steilen  Gehängen  bei  ver- 
heerenden Unwettern.  Dazu  kommen  für  einen  großen  Teil  unserer 
Gemeinden  die  eine  Anhäufung  der  Bevölkerung  nicht  zulassenden 
Besitzverhältnisse,  wie  aus  nachstehender  Tabelle  hervorgeht: 
Gesamtzahl  der 


landwirtschaftl. 

unter  3  ha 

8-10  ha 

10—20  ha 

20- 

Betriebe 

Glattbach    .     . 

23 

13 

3 

4 

3 

Kolmbach   .     . 

41 

29 

4 

5 

3 

Staffel    .     .     . 

.       9 

1 

4 

3 

1 

Hoxhohl      .     . 

.     21 

12 

3 

6 

Neutsch      .     . 

.     19 

— 

4 

14 

1 

Lörzenbach 

.     34 

21 

8 

4 

Beedenkirchen 

.     61 

32 

19 

10 

1 

Enoden  .     .     . 

15 

5 

4 

4 

2 

Raidelbach .     . 

12                   — 
a  für  einzelne  Gemeinden: 

6 

5 

1 

')  Höhenangabe] 

Neutsch 

. 

350 

m          Allertehofen   . 

.     .     360  m 

Brandau    . 

360 

„          Lützelbach 

.     .    400  , 

344  Karl  Bergmann,  [52 

Gesamtzahl  der 

landwirtschaftl.     unter  3  ha    3—10  ha     10—20  ha    20—50  ha 
Betriebe 

Winkel  ....  16  8  4  2  2 

Winterkasten  .     .  72  39  12  16  5 

Igelsbach    ...  4  —  —  2  2 

Ober-Liebersbach.  7  —  3  2  21) 

Hier  befindet  sich  somit  eine  ganze  Reihe  von  mittleren  und 
größeren  Gütern,  und  die  Besitzverhältnisse  sind  offenbar  bedingt 
durch  die  oben  genannten  ungünstigen  Verhältnisse.  Diese  können 
nämlich  nur  überwunden  werden  von  einem  wirtschaftlich  starken 
Bauern,  der  die  durch  Spätfröste,  Unwetter  u.  dgl.  verursachten 
Schäden  leichter  verschmerzen  kann  als  der  kleine  Bauer.  Dazu  ge- 
sellt sich  noch  häufig  die  Schwierigkeit  der  Ackerbestellung,  die  eines 
starken  Zugmaterials  bedarf,  dessen  Anschaffung  und  Erhaltung  für 
den  Großbauern  offenbar  leichter  ist  als  für  den  Kleinbauern;  eine 
vorteilhafte  Bewirtschaftung  des  Gebietes  durch  Großbauern  ist  aber 
um  so  eher  möglich ,  weil  der  durch  .  Verwitterung  des  Granits 
entstandene  Boden  fruchtbar  ist.  Der  Boden  ist  „im  allgemeinen 
kräftig  und  frisch  und  liefert  bei  verständigem  Bau  gute  Erträge*4  2), 
die  vielfach  zwischen  Humus  und  festem  Gestein  befindliche  Kies- 
bildung nimmt  die  Niederschläge  leicht  auf  und  verhindert  deshalb 
eine  Herabflutung  des  Humus s) ,  und  daher  können  noch  Abhänge 
mit  Neigungswinkeln  von  über  20°  in  den  tiefer  gelegenen  Stellen 
mit  dem  Pflug  bebaut  werden. 

Aus  diesem  großen  Gebiet  schwacher  Bevölkerung  heben  sich 
als  dichter,  und  zwar  als  mittelstark  besiedelt,  heraus  die  Gruppen  41 
(Brandau-Modau) ,  45  (Elmshausen) ,  47  (Erlenbach)  und  48  (Kirsch- 
hausen-Ober-Laudenbach).  Die  Gemeinden  der  Gruppe  41  liegen  meist 
in  den  Thälern  der  Beerbach  und  der  Modau,  die  der  Gruppe  45  in 
Seitenthälern  der  Bergstraße  (Elmshausen  und  Wilmshausen  im  Lauter- 
thal), die  der  Gruppe  48  in  Seitenthälern  der  Bergstraße  und  der 
Weschnitz.  Fruchtbarer  Alluvialboden 4)  und  Lößbedeckung  der  das 
Thal  begrenzenden  Höhen,  günstigere  klimatische  Verhältnisse,  bessere 
Verkehrsbedingungen  nach  der  Bergstraße  einerseits,  nach  dem  Weschnitz- 
thal  andererseits,  die  Ausnutzung  der  Wasserkraft  durch  Mühlen  5)  und 
die  die  Viehhaltung  fördernden  fruchtbaren  Wiesen  sichern  diesen  Ge- 


l)  Auch  in  diesen  Gemeinden  herrscht  zum  Teil^das  schon  S.  388  [46]  er- 
wähnte Zweikindersystem. 

8)  Wilbrand,  Odw.,  S.  234. 
«)  Scherer,  8.21. 

4)  Zur  Charakterisierung  der  verschiedenen  Böden  in  Bezug  auf  ihre  Frucht- 
barkeit sei  hier  der  mittlere  Feinerdegehalt  in  %o  des  Gesamtbodens  angegeben, 
nach  den  Untersuchungen  von  Dr.  Luedecke  (Die  Böden  d.  vord.  Odenw.,  S.  16 — 18); 
die  Untersuchungen  beziehen  sich  natürlich  auf  die  Ackerkrume: 

Alluvium 986°/oo      Gneis 842°/oo 

Diluvium  (Sandböden)     .     .     980  „         Buntsandstein  (östl.  Odenwald)    738  , 

Löß .     979  ,         Granit 710  „ 

Lehmböden 962  „ 

5)  So  heißt  z.  B.  der  untere  Teil  des  Modauthales  geradezu  das  Mühlthal. 


531  Die  Volkedichte  der  Provinz  Starkenburg.  345 

bieten  eine  mittelstarke  Bevölkerung.  Mit  größtem  Erfolg  wird  z.  B. 
Obstbau  betrieben,  und  das  Obst  dieser  Gegend  genießt  in  qualitativer 
Hinsicht  einen  hervorragenden  Ruf,  da  es  sich  besser  konservieren  soll 
als  das  Obst  der  wärmeren  Rheinebene  1).  In  manchen  Bezirken,  z.  B. 
in  der  Modaugegend,  ist  ein  sehr  günstiger  Yiehstand  zu  verzeichnen. 

Ebenfalls  mittelstarke  Bevölkerung  hat  Gruppe  47  (Erlenbach), 
obgleich  die  in  ihr  liegenden  Gemeinden  nicht  alle  die  oben  beschrie- 
benen Vorteile  genießen. 

Ein  anderer  Umstand  muß  also  ihre  Yolksdichte  günstig  be- 
einflußt haben:  es  ist  das  die  Steinindustrie,  welche  für  den  ganzen 
Odenwald  von  der  größten  Bedeutung  ist.  Nach  den  Angaben  der 
Fabrikinspektion  für  die  Provinz  Starkenburg8)  beschäftigen 

die  Granit-  und  Syenitwerke  in  .     .       23  Betrieben  940  Arbeiter 
„    Sandsteingewinnung  u.  -bearbei- 

tung  in    .     . 110         „  1150 

„    Basalt-  und  Schotterwerke .     .       10         „  840         „ 

n    Marmorgewinnung  m      .     .     .         1  Betriebe  12         „ 

zusammen  in  144  Betrieben  2942  Arbeiter. 

„Rechnet  man  hierzu  die  zahlreichen  Beamten  und  Agenten,  die 
Fuhrleute  und  mittelbar  durch  die  Steinindustrie  beschäftigten  Personen 
und  Angehörigen,  so  erkennt  man,  daß  ein  erheblicher  Prozentsatz  der 
Odenwaldbevölkerung  durch  die  Steinindustrie  ihren  Unterhalt  ge- 
winnt44 a). 

Schön  schildert  Wilbrand  4)  die  Bedeutung  der  Steinindustrie  für 
den  Odenwald:  „Die  ältesten  Sandsteinbrüche  befinden  sich  längs  des 
Neckars,  wo  der  billige  Wassertransport  die  Verfrachtung  nach  den 
rheinischen  Städten  leicht  ermöglichte.  Mit  dem  Ausbau  des  Straßen- 
netzes und  der  Bahnen  drangen  die  Steinbrecher  weiter  in  das  Innere 
des  Gebirges  vor  und  legten  dort  Brüche  an,  wo  der  Stein  besonders 
gute  Eigenschaften  zeigte.  Die  Steine  werden  an  Ort  und  Stelle  in 
den  Brüchen  meist  so  zugehauen,  wie  sie  zu  Ornamenten,  Baikonen, 
Fenster-  und  Thürfassungen ,  Pfosten  u.  a.  im  Plane  der  Baumeister 
vorgesehen  sind.  Wo  ein  solcher  Bruch  eröffnet  wird,  da  kommt 
neues  Leben  in  die  Gegend.  Unsere  aufblühenden  Städte  haben 
großen  Bedarf,  die  Bestellungen  gehen  nicht  aus.  Wer  Geschick  hat 
in  den  nächstgelegenen  Ortschaften,  bildet  sich  zum  Steinbrecher  und 
Steinhauer  aus.  Fremde  tüchtige  Arbeiter  siedeln  sich  an  und  dienen 
als  Lehrmeister,  es  werden  in  der  Nähe  der  Brüche  Neubauten  er- 
richtet, die  Geschäftsleute  der  Stadt  kommen  und  gehen,  der  Wohl- 
stand hebt  sich." 

Diesem  bodenständigen  Industriezweig  verdanken  teilweise  oder 
ganz  die  Gruppen  42  (Ober- Ramstadt),  43  (Steinau),  44  (Reichenbach) 
und  46  (Lindenfels)    ihre    starke  Bevölkerung.     In  Billings ,    Steinau, 


»)  Wilbrand,  Odw.f  S.  234. 

2)  Chelius,  Steiiiind.,  S.  2. 

8)  Chelius,  Steinind.,  S.  2. 

4)  Wilbrand,  Odw.,  S.  233. 


346  Karl  Bergmann,  [54 

Lichtenberg  befinden  sich  zahlreiche  kleinere  Schleifereibetriebe  von  je 
1 5 — 50  Arbeitern *).  In  Reichenbach  giebt  es  zwei  Werke  mit  200  Ar- 
beitern 2) ;  auch  genießt  Reichenbach  den  Vorteil  der  Thalerweiterung. 
Für  Lautern  ist  noch  das  Blaufarbenwerk  zu  nennen  3).  Der  Hauptsitz 
der  Steinindustrie  ist  jedoch  Lindenfels  (Firma  Kreuzer  und  Böhringer), 
das  außerdem  einen  hervorragenden  Ruf  als  Ausflugs-  und  Luftkurort 
genießt,  so  daß  es  sich  durch  seine  sehr  starke  Bevölkerung  weit  über 
die  anderen  Odenwaldorte  erhebt.  Für  Gruppe  42  sind  zu  erwähnen 
die  Basaltwerke  in  Ober-Ramstadt,  die  200  Arbeiter,  und  die  in  Nieder- 
Ramstadt,  welche  100  Arbeiter  beschäftigen4). 

Bei  Roßdorf  tritt  noch  die  Töpferwarenfabrikation  hinzu 5).  Auch 
andere  Industriezweige  werden  noch  getrieben,  und  für  die  Arbeiter, 
die  an  diesen  Plätzen  selbst  keine  Beschäftigung  finden  können,  bietet 
Darmstadt  vortreffliche  Arbeitsgelegenheit.  Diese  Stadt  ist  auch  ein 
günstiger  Absatzplatz  für  die  landwirtschaftlichen  Erzeugnisse,  denen 
der  fruchtbare  Kies-  und  Lehmboden  zu  statten  kommt. 

Die  Gemeinden  der  Gruppe  49  (Zell  und  Unter-Hambach)  sind 
gewissermaßen  schon  als  Bergstraßenorte  aufzufassen;  beide  treiben 
Weinbau;  Zell  fabriziert  Holzdraht  für  Zündhölzer. 

Die  geringe  Dichte  von  Eberbach  erklärt  sich  durch  die  Besitz- 
verhältnisse: die  Gesamtfläche  dieser  Gemarkung  beträgt  nur  168  ha, 
wovon  sich  mehr  als  50  ha  in  den  Händen  von  zwei  Bauern  befinden. 

Es  sei  hier  noch  auf  einen  Unterschied  aufmerksam  gemacht, 
der  zwischen  den  Industriecentren  der  Mainebene  und  den  Industrie- 
bezirken des  Odenwaldes  stattfindet.  Für  die  Mainebene  zeigt  uns  die 
Karte  ein  allmähliches  Anschwellen  der  Bevölkerung  nach  den  In- 
dustriecentren hin,  während  im  Odenwald  sich  die  stark  bevölkerten 
Gebiete  mitten  aus  einer  schwach  bevölkerten  Gegend  herausheben. 
Hier  im  Odenwald  wird  sich  der  Einfluß  der  Industrie  hauptsächlich 
auf  den  Ort  äußern,  in  welchem  der  betreffende  Industriezweig  ge- 
trieben wird,  und  die  Arbeiter  werden  natürlich  auch  meist  in  diesen 
Orten  wohnen,  denn  sie  finden  ja  hier  billige  Lebensverhältnisse.  Die 
in  den  großen  Städten  beschäftigten  Arbeiter  dagegen  werden  vor- 
ziehen, eben  in  Anbetracht  der  billigeren  Lebensweise,  auf  dem  Lande 
zu  wohnen,  mag  auch  die  Entfernung  noch  so  groß  sein.  So  blieben 
z.  B.  —  was  Offenbach  anlangt  —  die  Arbeiter  aus  den  entfernteren 
Gemeinden  die  Woche  über  in  Offenbach  und  kehrten  nur  Samstags 
nach  Hause  zurück.  Jetzt  haben  sich  die  Verhältnisse  geändert  durch 
die  Eröffnung  der  Rodgaubahn  Offenbach-Reinheim,  obgleich  noch 
immer  viele  Arbeiter,  die  in  Frankfurt  z.  B.  beschäftigt  sind,  nur 
Samstags  nach  Hause  zurückkehren. 


!)  Chelius,  Steinind.,  S.  4/5. 

»)  Chelius,  Steinind.,  S.  4/5. 

*)  Handelskammer  Dannstadt  1895. 

*)  Chelius,  Steinind.,  S.  8. 

5)  Erl.  Mmel,  S.  93. 


55] 


Die  Volksdichte  der  Provinz  Starkenburg. 


347 


2.  Das  Gersprenz-  und  das  Weschnitzthal  (von  Grofi- 
Bieberau  bis  Birkenau). 


1 

2 

3 

4 

5 

6 

7 

8 

9 

Namen  der  Gemeinden 
de«  Gebietsteiles 

ä  s 

§.5 

8 

s  S 

.a  8 'S 

'S  * 

es  cy 

0 

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> 

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CO 

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4> 

1 

O 
> 

3 

•8 

S 

51.  Groß  Bieberau    mit 

! 

Hippeisbach .     .     . 

18,27 

32 

8,57 

89 

2,17 

1616 

188 

IV 

Wersau  mit 2/«  Bier- 

bach   ..... 

5,68 

20 

4,38 

82 

2,15 

708 

163 

in 

Brensbach  .    .     . 

:    5,92 

20 

4,50 

86 

2,60 

1184 

262 

V 

Nieder-Kainsbach    . 

2,26 

— 

2,14 

79 

2,35 

373 

174 

IV 

Fränkisch-Crumbach 

i 

mit    V*    Bierbach, 

Erlau,  Güttersbach 

i 

und  Michelbach    . 

16,11  !    83 

10,35 

76 

1,84 

1624 

157 

III 

|  43,24 

27 

29,94 

82 

2,13 

1  5505 

183 

1 IV 

52. 


53. 


Reicheisheim. 
Pfaffen-Beerfurth 
Kirch-Beerfurth  . 


Frohnhofen    .     . 
Groß-Gumpen  . 
Klein-Gurapen 
Ober-  Kleingumpen 
Krumbach .     .     . 


54.  Fürth  mit  Alt- 
Lechtern  .     .     . 

Fahrenbach    .     . 

Steinbach,  KreisHep 
penheim  .    .    . 

R  i  m  b  a  c  h  m.Lützel 
Rimbach  u.Münsch 
bach    .... 

Zotzenbach  m.Unter 
Mengelbach .    . 


4,62 
1,86 
3.17 


9,65 


11 

6 

64 


28 


3,84  I  75 
1,67  I  77 
1,04  j     71 


6,55  I     74 


3,24 
2,34 

2,84 


2,95 


1937 
538 
350 


2825 


504 
322 
336 


431 


55.  Mörlenbach  mit 
Bettenbach,  Groß- 
Breitenbach, Klein- 
Breitenbach  u.  Nie- 
der-Mumbach  .  . 
Reisen  mit  Schim- 
bach 


VI 
V 
V 


VI 


.    i 

1,33 

35 

0,82 

71 

1,63 

43 

52 

I 

i 

5,34 

29 

3,60 

76 

1,90 

250 

69 

I 

2,92 

19 

2,30 

67 

1,56 

243 

105 

II 

.    !|    1,78 

26 

1,28 

75 

1,55 

104 

81 

II 

.     1    5,02 

34 

3,08 

78 

1,62 

341 

110 

II 

1 

16,39 

29 

11,08 

74 

1,69 

981 

88 

II 

9,31 
3,64 

24 
35 

6,75 
2,29 

81 
81 

1,65 
1,58 

1496 
247 

221 
107 

IV 
II 

0,97 

10 

0,85 

75 

1,47 

129 

151 

III 

10,68 

23 

7,89 

80 

1,68 

1728 

219 

IV 

1    7,68 

37 

4,63 

79 

1,90 

804 

173 

III 

|  32,28 

27 

22,41 

79 

1,70 

4404 

196 

IV 

11,82 

20 

9,02 

80 

1,70 

998 

110 

3,34 

21 

2,57 

80 

2.40 

320 

124    ' 

15,16 

20 

11,59 

80 

1,85 

1318 

118    | 

II 
II 


348 


Karl  Bergmann, 


[56 


h 

1                          2 

3 

4 

5 

6 

7 

8 

9 

1 
1 

Namen  der  Gemeinden 

des  Gebietsteiles 

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s 

56.  Birkenau   .     .     .     .    ||    7,36 

46 

4,31 

81. 

1,74 

1662 

385 

VI 

Summe  51—56    1 

124,03 

— 

85,88 

— 

— 

16695 

194 

IV 

Das  Gersprenzthal  und  das  sich  südlich  anschließende  Weschnitz- 
thal  sind  von  größter  Bedeutung  für  den  Odenwald.  Diese  beiden 
Hauptthäler  des  westlichen  Odenwaldes  bilden  eine  große  Furche, 
„ welche  bei  Birkenau  schmal  beginnt  und  als  breites,  hügeliges  Thal 
über  Fürth,  Reicheisheim  und  Brensbach  in  einer  durchschnittlichen 
Breite  von  einer  Stunde  bis  zur  Mainebene  hinzieht" l).  Dieses  Thal 
hat  von  jeher  als  Verkehrsstraße  zwischen  der  Rhein-Neckar-Ebene 
einerseits  und  der  Mainebene  andererseits  gedient.  Es  ist  ferner  be- 
günstigt durch  den  für  den  Ackerbau  so  vorteilhaften  Alluvialboden. 
Die  Bewaldungsprozente  sind  nicht  bedeutend,  weil  das  Thal  eben  seit 
langer  Zeit  Durchgangsstraße  war,  der  Wald  beschränkt  sich  auf  die 
oberen  Teile  der  Abhänge  der  das  Thal  begleitenden  Höhenzüge,  die 
Feldkultur  steigt  bis  zur  mittleren  Höhe  von  300  m  2) ;  im  Thale  selbst 
befinden  sich  nur  einzelne  Waldparzellen,  keine  zusammenhängenden 
Wälder. 

Am  breitesten  ist  das  Thal  bei  Fürth  und  Rimbach.  Nördlich 
davon  bei  Erumbach  und  Gumpen  verengert  es  sich  durch  den  halb- 
inselartig bei  Lindenfels  vorspringenden  Schenkberg  und  den  gegen- 
überliegenden Stotzberg.  Hier  —  am  Gumpener  Kreuz  —  liegt  die 
Wasserscheide  zwischen  Weschnitz  und  Gersprenz. 

Was  die  Besiedelung  des  Thaies  anlangt,  so  sind  alle  Stufen 
von  der  schwachen  bis  zur  starken  zu  verzeichnen.  Als  Grundstufe 
ist  die  mittelstarke  anzunehmen:  sie  findet  sich  bei  den  Gruppen  51 
(Brensbach)  und  54  (Fürth-Rimbach).  Diese  bilden  ein  landwirtschaft- 
liches Gebiet ;  nur  in  Groß-Bieberau  und  in  Fränkisch-Crumbach  wird 
etwas  Industrie  getrieben:  in  Groß-Bieberau  giebt  es  eine  Spritzen- 
fabrik und  in  Fränkisch-Crumbach  eine  Zigarrenfabrik.  In  Anbetracht 
der  günstigen  landwirtschaftlichen  Verhältnisse  sollte  man  daher  eigent- 
lich stärkere  Bevölkerung  erwarten,  aber  auch  hier  spielen  die  Grund- 
besitzverhältnisse eine  Rolle;  so  ist  für  Fränkisch-Crumbach  z.  B.  das 
große  Freiherr  v.  Gemmingsche  Gut  zu  erwähnen.  Auch  ist  gerade 
bei  diesem  Ort  die  Unvollkommenheit  des  statistischen  Materials  stö~ 
rend ,  denn  in  manchen  Fällen  werden  mit  einem  Hauptort  mehrere 
in  seiner  Nähe  liegende  kleinere  Orte  für  die  Feststellung  des  Areals, 
der  Volkszahl  u.  s.  w.  vereinigt.     Nun  sind  aber  sehr   oft  diese  klei- 


')  Walther,  Hessen,  S.  48. 

*)  Weidenhammer,  Landw.  Hessen,  S.  50. 


20  ba 

20—50  ha 

8 

9 

7 

1 

2 

0 

1 

57]  Die  Volksdichte  der  Provinz  Starkenburg.  349 

neren  Orte  ungünstiger  gestellt  als  der  Hauptort,  so  daß  durch  die 
notgedrungene  Miteinbeziehung  dieser  Orte  bei  Berechnung  der  Volks- 
dichte, der  Waldprozente  u.  s.  w.  auch  der  Hauptort  in  ungünstigem 
Sinne  beeinflußt  wird  *).  Im  südlichen  Teil  des  Weschnitzthales  bei 
Mörlenbach,  wie  auch  bei  Fürth,  sollen  es  die  Bewohner  an  der  nötigen 
Arbeitsamkeit  und  Thatkraft  fehlen  lassen  (vgl.  damit  S.  355  [63]), 
Mörlenbachs  geringe  Dichte  erklärt  sich  auch  durch  die  Besitzver- 
hältnisse: es  befindet  sich  dort  das  große  v.  Wamboltsche  Gut. 

In  der  Verengung  des  Thaies  bei  Gumpen  liegt  ein  schwach 
bevölkertes  Gebiet,  woran  wohl  die  Verengung  selbst  schuld  sein  mag, 
andererseits  tritt  aber  auch  hier  wieder  stark  der  Großgrundbesitz  in 
den  Vordergrund: 

Gesamtzahl  der 

landwirtschaftl.  unter  3  ha    3—10  ha    10- 
Betriebe 
Groß-Gumpen    .     .       33  13  3 

Klein-Gumpen   .     .       36  24  4 

Ober-Kleingumpen       15  8  5 

Krumbach     ...       63  44  12 

Ebenso  ist  auch  Frohnhofen  durch  Großgrundbesitz  ausgezeichnet: 
die  ganze  Gemarkung  hat  133  ha,  aber  nur  5  landwirtschaftliche  Be- 
triebe, darunter  3  von  20—50  ha. 

In  schärfstem  Gegensatz  zu  diesem  schwach  bevölkerten  Gebiet 
steht  Gruppe  52  (Reich elsheim)  mit  starker  Bevölkerung.  Die  Lage 
dieser  Gruppe  —  ziemlich  in  der  Mitte  dieses  großen  Längsthaies  — 
fährt  ihr  von  Norden  und  Süden  den  Verkehr  zu.  Neben  starker 
Viehzucht  ist  auch  noch  die  Industrie  zu  erwähnen :  in  nächster  Nähe, 
bei  Bockenrod,  befinden  sich  bedeutende  Manganerzgruben,  die  gegen 
400  Arbeiter  beschäftigen2).  Für  Reicheisheim  selbst  kommt  noch 
die  Elfenbeinschnitzerei  und  Pfeifenfabrikation,  sowie  die  Herstellung 
von  Schirm-  und  Spazierstöcken  in  Betracht.  Schließlich  treten  auch 
bei  Reicheisheim  noch  Weinberge  auf,  die  in  der  Neuzeit  sogar  ver- 
größert werden3). 

Wie  die  Mitte,  so  ist  auch  der  Ausgangspunkt  eines  Thaies  hin- 
sichtlich der  Verkehrslage  günstig  gestellt,  besonders  wenn  dieser 
Ausgangspunkt  sich  in  einer  so  bevorzugten  Gegend  befindet,  wie  es 
die  Bergstraße  ist.  Der  Ort  Birkenau  hat  deshalb  eine  starke  Be- 
völkerung aufzuweisen;  durch  seine  landschaftliche  Schönheit  ist  er 
auch  noch  das  Ziel  vieler  Touristen.  An  fabrikmäßigen  Betrieben  be- 
finden sich  in  Birkenau  eine  Feilenfabrik  und  Müllerei  und  die  „Ver- 
einigten Farbenfabriken*.  Aeußerst  günstig  wirkt  ferner  die.  Nähe  des 
badischen  Städtchens  Weinheim,  bekannt  als  Luftkur-  und  Badeort 
(Stahlbad  und  Wasserheilanstalt),  durch  seinen  Obst-  und  Weinbau  und 
seine  bedeutende  Industrie  (besonders  Lederfabrikation)4). 


')  Ebenso  verhält  es  sich  auch  bei  Gruppe  55  (Mörlenbach). 
*)   Wilbrand,  Odw.,  S.  238. 
»)  Wilbrand,  Odw.,  S.  219. 

4)   ühlig,  Ver.  d.  Volksd.  i.  nördl.  Baden  1852—1895.    Forsch,  d.  L.  u.  V., 
XI.  Bd.,  S.  204/205  [98/99]. 


350 


Karl  Bergmann, 


[58 


3.  Der  mittlere  Odenwald. 


1 

2 

3 

4 

5 

6 

7 

N 

9 

Namen  der  Gemeinden 
des  Gebietsteiles 

08   fl 

OD  •** 

n 

WaldinProz.i 

der  Gesamt-  , 

fläche 

Is 

es  & 

3.5 
a 
< 

Ackerland  in 
Prozenten  der 
Anbaufläche 

13 

i 

OD 

M 

> 

1 

N 

OD 

> 

•** 

•8 

''S 

09 

> 

«2 

9 

OS 

■s 
s 

57.  Gorxheim  mit  Kun- 

zenbach   .... 

2,24 

66 

0,71 

73 

2,60 

233 

32« 

V 

58.  Kalistadt   .     .     .     .    1 

1.09 

23 

0,82 

84 

3,15 

47 

57     | 

i 

59.  Waldmichelbach 

m. Ober-Mengelbach 

19,52 

51 

8,59 

75 

1,52 

1880 

218 

IV 

Siedeisbrunn  .    .     . 

3,00 

38 

1,74 

78 

1,60 

447 

257 

Y 

Ober-u.  Unter-Abt- 

steinach    .     .     . 

9,08 

39 

5,45 

76 

1,75 

869 

159 

III 

Löhrbach  mit  Buch- 

Klingen    .... 

4,73 

26 

3,37 

77 

1,74 

594 

176 

IV 

Trösel 

5,28 

42 

2,98 

80 

1,91 

443 

148 

III 

Unter  -  Flockenbach 

mit  Eichelberg.    . 

2,94 

35 

1,83 

78 

1,95 

366 

200 

IV 

144,55 

43 

I  23,96 

76 

1,67 

4599 

192 

IV 

60.  Weiher     .... 

5,13 

36 

3,12 

76 

1,62 

427 

136 

III 

Ober-Mumbach  mit 

Geisenbach  .    .     . 

2,65 

22 

2,01 

77 

1,94 

260 

129 

III 

Hornbach  .... 

2,50 

39 

1,49 

74 

2,39 

203 

136 

III 

Rohrbach,  KreisHep- 

penheim  .... 

0,66 

32 

0,32 

81 

1,75 

34 

106 

11 

Vöckelsbach  .     .     . 

2,57 

34 

1,71 

76 

2,00 

109 

64 

I 

Mackenheim       mit 

Schnorrenbach .     . 

1,95 

36 

1,21 

74 

1,21 

105 

86 

II 

Kreidach    .... 

3,02 

28 

2,08 

72 

1,48 

263 

126 

III 

Harten  rod .... 

1,52 

24 

1,10 

70 

1,80 

124 

112 

11 

Gadern 

3,13 

29 

2,08 

83 

1,31 

207 

100 

II 

Kocherbach    .     .     . 

2,81 

42 

1,53 

78 

1,32 

164 

107 

II 

Ober-Scharbach  .     . 

2,02 

24 

1,41 

77 

1,78 

173 

122 

II 

Lützelbach ,     Kreis 

Heppenheim .     .     . 

1,97 

45 

1,03 

76 

1,42 

125 

121 

II 

Erzbach     .... 

2,86 

30 

2,04 

70 

1,95 

192 

94 

II 

Rohrbach,  Kreis  Er- 

bach 

3,63 

30 

2,45 

69 

2.20 

282 

115 

II 

Ober-Ostern   .     .     . 

5,73 

28 

3,96 

73 

1,75 

442 

112 

H 

Unter-Ostern  .     .     . 

4.47 

31 

2,95 

72 

1,98 

371 

125 

II 

Bockenrod .     .     . 

2,01 

36 

1,21 

68 

2,17 

201 

163 

III 

Weschnitz.     .     .     . 

2,35 

56 

1,06 

64 

1,49 

158 

149 

III 

Kröckelbach  .     .     . 

1,48 

31 

0,96 

75 

1,29 

113 

117 

11 

Brombach  .... 

1,77 

43 

0,97 

70 

1,31 

61 

62 

I 

54,23 

33 

34,69 

74 

1,75 

4014 

115 

11 

61.  Hammelbach  ...    II   7,46  I     45 


3,85 


1,70  I     982  I    255    I    IV 


59] 


Die  Vollrauchte  der  Provinz  Starkenburg. 


351 


1 

!     2 

3 

4 

5 

6 

7 

8 

9 

Namen  der  Gemeinden 
des  Gebietsteiles 

Gesamtfläche 
in  qkm 

Wald  in  Proz. 
der  Gesamt- 
fläche 

1b 

-8.9 

< 

Ackerland  in 
Prozenten  der 
Anbaufläche 

p 

3 

OD 
> 

1 

ä 

> 

T3 

OD 
> 

«2 

p 

1 

'S 

S 

62.  Güttersbach   .    .     . 

1 
7,07 

60 

2,63 

72 

1,65 

287 

109 

II 

Hüttenthal     .     .     . 

9,28 

67 

2,86 

80 

1,46 

345 

120 

II 

Unter  •  Hiltersklin- 

gen    u.   Ober -Hü- 

te rsklin  gen  .     .     . 

j    8,66 

68 

2,59 

72 

2,17 

444 

171 

III 

Ober-Mossau  .    .    . 

!   8,91 

51 

3,71 

78 

1,43 

425 

114 

11 

Unter-Mossau     .     . 

10,00 

53 

4,38 

80 

1,61 

588 

134 

HI 

GünterfQrst    .     .     . 

4,08 

43 

2,15 

80 

2,07 

302 

140 

III 

148,00 

60 

18,32 

77 

1,69 

2391 

130 

III 

mit 
Stier 


63.  Wallbach  . 

Gumperaberg 

Ober-Kinzig 

Mittel-Einzig 

Birkert  .     . 

Affhöllerbach 
Kilsbach  u. 
bach     .     . 

Hembach 

Ober-Kainsbach 

Langenbrom 
bach  (FQrstenauer 
Seits  u.  Brenberger 
Seit«) 

Unter-Gersprenz  . 

Ober-Gersprenz !)    . 


3,51 
1,45 
3,22 
1,91 

1,98 


3,26 
1,69 
7,81 


7,67 
1,17 
1,18 


34,85 


45 
28 
16 
38 
27 


33 
27 

38 


30 
29 
23 


36 


1,84 
0,99 
2,53 
1,10 
1,40 


1,92 
1,17 

4,48 


4,99 
0,79 
0,83 


22,04 


79 
79 
81 

82 
81 


81 
82 
73 


78 
75 
82 


78 


1,50 
1,51 
1,57 
2,40 
1,76 


1,41 
2,07 
1.57 


1,83 
2,03 
1,83 


1,64 


195 
87 
294 
104 
166 


201 

99 

489 


687 
J   184 


2506 


106 
SH 

116 
94 

118 


104 

84 
109 


137 
113 


114 


II 
II 
II 
II 
II 


II 
II 
II 


III 
II 


II 


64.  Anneisbach 
Forstel  .    .    . 


1!    1,87 
!    1,65 

50 

30 

0,89 
1,11 

82 
87 

2,50 
1,91 

62 
66 

69    |     I 
59    1     I 

j|   3,52 

40 

2,00 

84 

2,18 

128 

64    |      I 

65.  Steinbach  mit  Neu- 
dorf    .... 


66.  Höllerbach     . 
Hassenrotb 
Pfirschbach 
Hummetroth  . 
Nieder-Kinzig 
Kirch-Brombach  mit 
Baisbach  .    . 
Böllstein     . 


3,80  |     19    I    2,55  I    83    |    2,21  |    441  |    173    |    IV 


2,55 

48 

1,26 

81 

2,26 

252 

200 

IV 

3,20 

46 

1,61 

80 

2,13 

328 

203 

IV 

2,15 

52 

0,97 

84 

1,82 

141 

145 

III 

1,48 

14 

1,19 

73 

2,14 

302 

253 

IV 

t 

2,42 

27 

1,70 

91 

2,47 

803 

178 

IV 

6,03 

28 

4,02 

81 

1,80 

864 

215 

IV 

2,07 

34 

1.27 

78 

2,33 

253 

199 

IV 

19,90 

35 

12,02 

80 

2,08 

2443 

203 

IV 

l)  Ober-Gersprenz  und  Unter-Gersprenz  mit  besonderen  Gemarkungen  bilden 
eine  Gemeinde  (Centralst.  Landesst.  1896,  Nr.  682). 


352 


Karl  Bergmann, 


[60 


1 

2 

3 

4 

5 

i 
6 

7 

8 

i  9 

il   ® 
•** 

ld  in  Proz. 
r  Gesamt- 
fläche 

i  t* 

^ 

-g 

1  z 

Namen  der  Gemeinden 
des  Gebieteteiles 

1    6  * 
1    8-2 

MB    " 

s  er 
J.S 

kerland 
zenten 
baufläc 

'           00 

-3 

00 

M 

'S 

CO 

s 

1  ° 

OB    en 

5 

t> 

> 

O 

> 

Q 

67.  Asselbrunn      .     . 

2,24 

42 

1,23 

73 

0,97 

61 

50 

I 

Rehbach    .... 

10,30 

70 

2,91 

79 

1,54 

222 

76 

II 

Roßbach     .... 

4,01 

64 

1,29 

86 

0,69 

75 

58 

I 

Eisbach 

3,(>0 

50 

1,40 

82 

1,97 

61 

43 

I 

Haisterbach    .     . 

5,88 

49 

2,75 

81 

1,65 

228 

83 

II 

Etzean 

1    4.70 

66 

1,41       82 

1.12 

89 

63 

I 

|  30,13 

60 

10,99 

81 

1,41 

736 

67 

I 

Summe  57—67 

249,27 

— 

131,95 

— 

— 

18520 

140 

III 

Der  mittlere  Odenwald  ist  ein  im  wesentlichen  schwach  und  mittel- 
stark bevölkertes  Gebiet.  Abgesehen  von  allen  aus  seiner  gebirgigen  Lage 
entspringenden  Nachteilen,  ist  er  auch  in  geologischer  Hinsicht  wenig 
begünstigt:  der  östliche,  nach  dem  Mümlingthal  zu  gelegene  Teil  des 
Gebietes  gehört  der  Buntsandsteinformation  an,  die  der  Landwirtschaft 
meist  nur  mageren  Boden  bietet.  Ueber  den  Wert  des  Buntsandsteins 
als  Ackerland  heißt  es  in  den  Erläuterungen  zur  geologischen  Karte  l) 
wie  folgt:  „Von  größter  Bedeutung  für  die  Fruchtbarkeit  des  Bodens 
ist  das  Vorhandensein  oder  Fehlen  einer  Deckschicht  von  Lößmaterial, 
die  ursprünglich  wohl  ganz  allgemein  als  eine  vom  Wind  abgelagerte 
Hülle  die  ganze  Oberfläche  des  Gebiets,  vielfach  wohl  nur  in  einer 
Mächtigkeit  von  wenigen  Decimetern  überzogen  hat,  später  aber  durch 
die  abspülende  Thätigkeit  des  atmosphärischen  Wassers  vielerorts  ganz 
entfernt,  anderswo  wenigstens  stark  reduziert  wurde,  während  an 
anderen  Stellen  die  abgeschwemmten  Lößmaterialien,  mit  Sand  und- 
Gesteinsschutt  vermengt,  abgesetzt  und  angehäuft  wurden.  Die  Atmo- 
sphärilien erhalten  immer  neue  Angriffspunkte  für  die  Auflösung  des 
Gesteins,  das  allmählich  —  wohl  besonders  durch  die  Wirkung  des 
Frostes  —  in  einen  losen  Sand  verwandelt  wird.  Jeder  Regen  bringt 
dann  massenhaft  Sand  von  den  Höhen  zu  Thal,  und  an  vielen  Stellen, 
die  nicht  durch  Wald  gegen  die  abspülende  Wirkung  des  Regens  ge- 
schützt sind,  sieht  man,  wie  tiefe  Furchen  ein  heftiger  Gewitterregen 
zu  reißen  vermag.  Daher  hat  der  Buntsandstein  an  den  Steilflanken 
sehr  oft  einen  sandigen  und  sehr  sterilen  Charakter.  Infolge  der  leichten 
Durchlässigkeit  der  Verwitterungsprodukte  des  Buntsandsteins  wird  die 
Lößhülle  derselben  fast  völlig  entkalkt;  in  dem  dadurch  entstehenden 
Kalkmangel  sind  die  nachteiligsten  Eigenschaften  aller  Böden  des 
Buntsandsteins  zu  erblicken." 

Wilbrand 8)   läßt  sich   über  die   landwirtschaftlichen  Verhältnisse 


*)  Erl.  Erbach-Michelstadt,  S.  64. 
*)   Wilbrand,  Odw.,  S.  234. 


61]  Die  Volk8dichte  der  Provinz  Starkenburg.  353 

im  Buntsandsteingebiet  folgendermaßen  aus:  „Schwieriger  ist  der  Be- 
trieb der  Landwirtschaft  im  Buntsandsteingebiet.  Der  Boden  ist  matter 
und  trockener  und  bedarf  starker  Düngung.  Der  sandige  Boden  ist 
leicht  beweglich.  Der  Dünger,  welcher  unter  schwerer  Anstrengung 
der  Zugtiere  auf  den  Acker  am  Bergeshang  geschafft  worden  ist,  wird 
durch  den  Regen  wieder  abgeschwemmt,  die  Besserung  geht  verloren. 
Weizen  und  Handelsgewächse  gedeihen  nicht  mehr,  als  wichtigste 
Halmfrucht  tritt  der  Hafer  in  den  Vordergrund.  Die  Ernten  sind 
gering,  der  Betrieb  des  Ackerbaus  schafft  Sorge  um  Sorge  und  wenig 
Gewinn.  Selbst  Bauern  mit  großem  Grundbesitz,  die  fleißig  bei  der 
Arbeit  sind,  kommen  finanziell  nicht  recht  vorwärts.  .  .  .  Die  Bauern 
sind  in  diesem  Gebirgsteile  in  schwieriger  Lage,  groß  ist  die  Zahl  der 
dem  Verkauf  ausgesetzten  Güter  und  ihr  Preis  beim  Uebergang  in 
andere  Hand  nicht  hoch/ 

Ein  großer  Teil  der  Gemarkungen  unseres  Gebietes  ist  mit  Wald 
bedeckt  und  so  der  Landwirtschaft  entzogen.  Die  Bewaldungsprozente 
steigen  bis  zu  70°/o;  ihre  Höhe  ist  eben  eine  Folge  der  geologischen 
Beschaffenheit:  auf  dem  Buntsandstein  ist  die  Waldkultur  vorherrschend, 
während  im  westlichen  Odenwald  die  Bodenverhältnisse  mehr  die  Feld- 
kultur begünstigen.  Nachstehende,  der  Abhandlung  von  E.  Küster1) 
entnommene  Zahlen  mögen  dies  erläutern. 

Vom  ganzen  hessischen  östlichen 2)  Odenwald  sind  62  °/o  mit 
Wald  bedeckt,  vom  westlichen  nur  36,5.  Die  einzelnen  Waldarten 
verteilen  sich  wie  folgt: 

Westlicher  Teil  Oeatlicher  Teil 

65,7  °/o   .     .  Laubholzhochwald  .     .     .     20,2  °/o 

24,5  ,    .     .  Nadelholz 31,7  r 

9,6  „    .     .  Gemischter  Wald  ...       7,4  „ 

0,2  „    .     .  Niederwald 40.7  „ 

Im  östlichen  Odenwald  herrschen  also  im  Hochwald  die  Nadel- 
hölzer vor;  einen  großen  Prozentsatz  erreicht  der  Niederwald,  von  dem 
noch  weiter  unten  die  Rede  sein  wird  (S.  362  [70]). 

Ein  weiterer  Grund  für  die  schwächere  Bevölkerung  des  mitt- 
leren und  östlichen  Odenwaldes  ist  auch  darin  zu  suchen,  daß  große 
Teile  dieses  Gebietes  den  Standesherren  gehören,  so  den  Grafen  v.  Erbach- 
Erbach  und  von  Erbach-Fürstenau.  Große  Strecken  fruchtbaren  Landes 
sind  mit  Wald  bedeckt  und  somit  dem  Ackerbau  entzogen,  der  sich  mit 
den  minder  fruchtbaren  Strecken,  häufig  an  den  sandigen  Steilflanken, 
begnügen  muß3).  Aus  nachstehenden  Zahlen4)  gehen  die  Besitzver- 
hältnisse hervor: 


*)  £.  Küster,  Die  deutschen  Buntsandsteingebiete.  Forsch,  d.  L.  u.  V., 
V.  Bd.,  S.  243—244  [77—78]. 

s)  Hier  ist  unter  „östlichem  Odenwald*  das  dem  Buntsandstein  angehörende 
Gebiet  zu  verstehen. 

8)   Erl.  Neustadt-Obernburg,  S.  35. 

4)  Wilbrand,  Odw.,  S.  224.  In  der  Abhandlung  von  Wilbr and  befindet 
sich  auch  eine  Waldkarte  vom  Odenwald  im  M.  1 :  225000 ,  aus  der  deutlich  die 
Besitzverhältnisse  ersichtlich  sind. 


354  Karl  Bergmann,  [62 

Größe  des  Waldes  im  ganzen  Odenwald 126153  ha 

davon  im  Besitze  des  Staates 11734  „ 

Ä  „         „        der  Gemeinden  und  Körperschaften  55909  „ 

-  .  -  „    Privaten 58510  „ 


126153  ha. 

Von  dem  Privatbesitz  gehören  in  Hessen  15814  ha  den  Standes- 
herren, und  zwar  liegen  diese  standesherrlichen  Wälder  fast  ausschließ- 
lich im  mittleren  und  östlichen  Odenwald,  nur  zum  verschwindenden 
Teil  im  westlichen. 

Wenn  nun  in  unserem  Gebiet  einige  Gemeinden  sogar  auf  die 
unterste  Dichtenstufe  sinken  oder  die  zweite  Stufe  nur  knapp  erreichen 
oder  wenig  über  sie  hinausgehen,  so  spielt  hierbei  auch  der  Groß- 
grundbesitz mit,  wie  die  nachstehende  Uebersicht  zeigt: 

Gesamtzahl  der 

-50  ha 


landwirtschaftl. 

unter  3  ha 

3- 10  ha 

10-20  ha 

20— { 

Betriebe 

Anneisbach  . 

.      10 

2 

4 

3 

1 

Birkert    .     . 

.     30 

19 

7 

3 

1 

Eisbach   .     . 

6 

2 

1 

— 

3 

Etzean     .     . 

.     16 

9 

5 

1 

1 

Forstel     .     . 

.       9 

1 

1 

7 



Hembach 

.     15 

5 

4 

4 

2 

Ober-Kainsbach 

.     60 

31 

31 

11 

5 

Wallbach      . 

.     40 

24 

11 

4 

1 

Güttersbach . 

— 

— 

— 

— 

2 

Als  Gebiete  mit  mittelstarker  Bevölkerung  (Stufe  IV)  sind  zu 
nennen  die  Gruppen  59  (Waldmichelbach-Abtsteinach),  61  (Hammel- 
bach), 65  (Steinbuch)  und  66  (Hassenroth-Böllstein).  Starke  Bevölkerung 
weist  das  im  romantischen  Gorxheimer  Thal  gelegene  Gorxheim  auf, 
das  wie  Birkenau  auch  schon  als  Bergstraßenort  aufgefaßt  werden  kann. 

Bei  Gruppe  59  (Waldmichelbach-Abtsteinach)  liegen  günstigere 
Bodenverhältnisse  vor,  was  sich  sofort  an  den  geringeren  Waldpro- 
zenten zeigt  (vgl.  Gruppe  59  mit  Gruppe  67).  Waldmichelbach  selbst 
liegt  in  einem  weiten  Thalkessel,  ist  Mittelpunkt  von  zwei  großen 
Kirchspielen  und  ein  vielbesuchter  Ausflugsort;  auch  sind  für  Wald- 
michelbach  eine  Pappdeckelfabrik   und  Sandsteinbrüche   zu  erwähnen. 

Löhrbach,  Trösel  und  Unter-Flockenbach  liegen  in  Seitenthälern 
der  Bergstraße  (vgl.  S.  344  [52]),  die  beiden  Abtsteinach  im  Steinach- 
thal; letztere  treiben  auch  Steinhauerei.  Bei  Hammelbach  und  Stein- 
buch ist  ebenfalls  die  Industrie  zu  verzeichnen :  bei  Hammelbach  giebt 
es  Steinbrüche,  Steinbuch  steht  unter  dem  Einfluß  von  Michelstadt  und 
Steinbach  (siehe  auch  S.  357  [65]).  Bei  Gruppe  66  (Hassenroth- 
Böllstein)  liegen  für  die  mittelstarke  Dichte  verschiedene  Ursachen  vor, 
so  haben  einige  Gemeinden,  z.  B.  Nieder-Kinzig  und  Kirch-Brombach, 
fruchtbaren  Lehmboden.  Bei  anderen  ist  wieder  die  Zusammensetzung 
der  Bevölkerung  der  Grund  der  höheren  Dichte;  in  Pfirschbach  z.  B. 
trifft  man  ziemlich  starke  Arbeiterbevölkerung,  besonders  Maurer,  an, 
und  ebenso  hat  das  rauh  gelegene  Böllstein  verhältnismäßig  hohe  Dichte, 


63]  Die  Volksdichte  der  Provinz  Starkenburg.  355 

weil  es  meist  von  Arbeitern,  Taglöhnern,  Holzfällern  u.  s.  w.  bewohnt 
wird.  Der  Verdienst  ist  knapp ,  die  Kinder  werden  schon  zur  Arbeit 
herangezogen,  sie  können  sich  durch  Besenbinden  u.  s.  w.  nützlich  machen 
und  so  zum  Unterhalt  der  Familie  beitragen.  Eine  zahlreiche  Familie 
zu  haben  vereinbart  sich  hier  mit  den  Interessen  dieser  armen  Leute, 
während  es  den  Interessen  der  Großbauern  zuwiderläuft  (vgl.  S.  338  [46]). 
Auch  sind  die  Bewohner  dieses  Gebietes  fleißig  und  von  zäher  Ausdauer ; 
obgleich  wegen  der  ungünstigen  Beschaffenheit  des  Bodens  —  in  regen- 
armen Jahren  leidet  er  an  Trockenheit  —  die  landwirtschaftliche  Be- 
bauung nur  wenig  lohnt,  hat  doch  der  zähe  Fleiß  einiger  Bewohner  des 
Böllsteiner  Gebietes,  wie  in  Böllstein  selbst,  in  Pfirschbach,  Anneisbach, 
Einzig  gute  Erträge  und  günstige  Verhältnisse  geschaffen.  Andere 
Gemeinden  dagegen  leiden  wieder  schwer  „  unter  der  Ungunst  der 
Bodenverhältnisse  und  haben  dadurch  den  Sinn  und  die  Mittel  für 
notwendige  Verbesserungen  des  Bodens  verloren*4  *). 

Die  klimatischen  Verhältnisse  der  Böllsteiner  Hochfläche  sind 
nicht  so  ungünstig,  als  man  häufig  anzunehmen  geneigt  ist.  Sind 
auch  die  mittleren  Jahrestemperaturen  auf  den  Höhen  niedriger  als  in 
den  Thälern,  so  daß  das  Klima  der  Höhen  rauher  erscheint,  so  zeichnet 
sich  doch  die  Böllsteiner  Hochfläche,  ähnlich  anderen  hochgelegenen 
Punkten  im  Odenwald,  wie  Nonrod,  Lichtenberg,  Lindenfels,  „ durch 
eine  gleichmäßigere  Temperatur  gegenüber  den  Thälern  aus*2). 
„  Während  in  den  Thälern  die  mittlere  Jahrestemperatur  wohl  etwas 
höher  ist  als  auf  den  Höhen,  zeigen  letztere  weder  so  niedrige  Kälte- 
grade, noch  auch  so  hohe  Wärmegrade  als  die  Thäler,  in  denen  der 
Temperaturwechsel  weit  häufiger,  unvermittelter  und  größer  ist.  Die 
Abende  und  Nächte  auf  den  Höhen  sind  öfters  wärmer  als  in  den 
Thälern.  Der  Schnee  bleibt  auf  den  Höhen  viele  Wochen  unversehrt 
liegen,  während  er  in  den  Thälern  bei  den  höheren  Mittagstempera- 
turen mehrmals  schmilzt,  nachts  aber  wieder  gefriert.  In  den  kalten 
Wintern  der  letzten  Jahrzehnte  war  die  niedrigste  Temperatur  auf  den 
Höhen  8—10°  gegen  15—17°  R.  in  den  Thälern"8). 

Diese  günstigen  klimatischen  Verhältnisse  finden  ihren  Ausdruck 
in  der  Vegetation.  So  trifft  man  denn  auf  den  Höhen  oft  eine  Vege- 
tation an,  die  in  den  Thälern  nur  schwer  oder  gar  nicht  fortkommen 
kann.  „Das  Gedeihen  der  eßbaren  Kastanien  in  mächtigen,  alten 
Bäumen,  der  Quitten-  und  Obstbäume  auf  den  Höhen,  das  schnelle 
Absterben  der  Kastanien  in  den  Thälern,  das  häufige  Erfrieren  der 
Obstbäume  daselbst  bestätigt  vielleicht  sicherer  als  weitere  Einzel- 
beobachtungen der  Temperaturen  den  geringen  Wechsel  von  Kälte 
und  Wärme  auf  den  Höhen,  da  diese  Pflanzen  wohl  eine  niedrige 
mittlere  Temperatur  vertragen,  aber  nicht  ein  öfteres  rasches  Erfrieren 
und  Auftauen B  4). 

Die  oben  erwähnte  Thatkraft  der  Bewohner  des  Böllsteiner 
Gebietes    steht    im    Gegensatz    zu    der  auf   S.  349    [57]    gemachten 

>)  Erl.  Brensbach-Böllstein,  S.  71. 

2)  Erl.  Brensbach-Böllstein,  S.  73. 

8)  Erl.  Brensbach-Böllstein,  S.  73. 

4)  Erl.  Brensbach-Böllstein,  S.  73—74. 


356 


Karl  Bergmann, 


[64 


Bemerkung  über  einige  Gemeinden  des  Weschnitzthales.  Vielleicht 
hängt  dies  zusammen  mit  den  ursprünglichen  Besiedelungsverhältnissen. 
Als  die  Franken  das  Land  in  Besitz  nahmen,  wurden  die  zäheren  und 
arbeitsameren  Alemannen  auf  die  Höhen  zurückgedrängt,  während  die 
leichter  beweglichen,  aber  auch  weniger  arbeitsamen  Franken  die 
fruchtbaren  Thäler  für  sich  beanspruchten. 

Außer  Gorxheim  erhebt  sich  nirgends  die  Bevölkerung  über  die 
mittelstarke  Stufe  hinaus.  Es  macht  sich  hier  der  fördernde  Einfluß 
der  Industrie,  besonders  der  Steinindustrie,  nicht  in  dem  Maße  geltend, 
wie  es  im  westlichen  Odenwald  der  Fall  ist. 


4.  Das  Mümlingthal. 


1 

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3 

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5 

6 

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Namen  der  Gemeinden 
des  Gebieteteiles 

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« 

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s 

68.  Neustadt     .     .     . 

4,88 

56 

1.76 

71 

4,54 

726 

412 

VI 

Sandbach  .... 

3,36 

30 

2,13 

70 

2,81 

712 

334 

V 

Höchst     .... 

10,29 

54 

4,13 

74 

3,03 

1813 

439 

VI 

Mümling-Grumbach 

5,67 

56 

2,15 

78 

2,34 

684 

318 

V 

König      .... 

12,46 

44 

6,37 

77 

2,58 

1974 

309 

V 

1 

36,66 

49 

16,54 

74 

2,90 

5909 

357 

VI 

69.  Etzen-Gesäß 

70.  Zell  .    .    . 


1,41  |     27 
jl   4,82  |    38 


0,94  |     66 
2,71  I     76 


3,18  I    216      230    j    IV 
2,20  I     482  I    177    I    IV 


71.  Michelstadt 
Steinbach  .  . 
Stockheim .  . 
Erbach     .     . 


72.  Lauerbach.  . 
Schönnen  .  . 
Ebersberg  . 
Hetzbach   .     • 


12,24 

3,94 
1,03 
5,63 


53 
26 
40 
20 


22,84  I     40 


5,18 
2,68 
0,56 
4,07 


65 
83 
84 

78 


12,49  I     74 


2,92 
2,17 
4,16 
2,24 


2,59 


3112 

1181 

247 

2784 


600 
440 
441 
684 


VII 
VI 
VI 
VII 


7324  I    586    I    VII 


2,27 

5,53 

3,95 

12,73 

40 
69 
66 
62 

1,25 
1,64 
1,24 
4,31 

82 
77 
80 
85 

1,95 
1,92 
2,59 
1.91 

215 

198 
186 
779 

172 
120 
150 
180 

III 
II 
III 
IV 

24,48 

62 

8,44 

81 

2,02 

1378 

163 

III 

1 

90,21 

— 

41,12 

— 

15309 

372 

VI 

Summe  68—72 


Im  Gegensatz  zu  dem  breiten,  hügeligen  Gersprenz-  und  Weschnitz- 
thal  besitzt  das  Mümlingthal  enge  Thalsohlen  und  steile,  glatte  Ab- 
hänge. Nur  bei  Erbach,  Michelstadt  und  Höchst  kommen  Thalerweite- 
rungen vor,  bei  welchen  das  begleitende  Gebirge  mit  seinen  steilen, 
waldbedeckten  Abdachungen  zurücktritt  und  einen  durchschnittlich  600 
bis  700  m  breiten  Raum  der  Feldkultur  ausschließlich  überläßt.    Ober- 


65]  Die  Volksdichte  der  Provinz  Starkenburg.  357 

und  unterhalb  dieser  Thalweiten  aber  verengert  sich  das  Thal  so  sehr, 
daß  bei  Ebersberg  und  unterhalb  Asselbrunn  Thalengen  auftreten. 
Für  eine  gute  Bewässerung  des  Thaies  sorgt  die  Mümling:  die  an 
ihren  Ufern  sich  ausbreitenden  saftigen  Wiesengründe  begünstigen  die 
Viehzucht.  In  klimatischer  Hinsicht  ist  das  Mural ingthal  den  Höhen 
gegenüber  natürlich  bevorzugt;  aber  auch  an  und  für  sich  ist  es  in 
dieser  Beziehung  günstig  gestellt,  wie  aus  der  S.  329,330  [37/38]  mit- 
geteilten Aufstellung  hervorgeht.  Sehr  vorteilhaft  wirkt  für  das  Klima 
die  durch  die  nordsüdliche  Richtung  des  Thaies  hervorgerufene  aus- 
giebige Besonnung1). 

Da  sich  das  im  ganzen  enge  Thal  für  die  Landwirtschaft  nicht 
so  gut  eignet  wie  das  Gersprenz-  und  Weschnitzthal,  so  hat  sich  zum 
Ersatz  dafür  eine  blühende  Industrie  entwickelt.  Von  den  hier  in  Be- 
tracht kommenden  Gemeinden  treiben  alle,  mit  Ausnahme  von  Schönnen, 
Industrie.  Als  Mittelpunkte  der  Industrie  sind  Michelstadt  und  Er- 
bach,  die  Residenz  der  Grafen  v.  Erbach-Erbach,  zu  bezeichnen. 
Michelstadt  hat  Tuch-,  Maschinen-  und  Pfeifenfabriken,  Baumwollen- 
weberei, Schuhfabrikation  u.  s.  w. ,  Erbach  mehrere  Tuchfabriken, 
Tuchwalkerei,  Pfeifen-,  Schäfte-  und  Schuhfabrik;  erwähnenswert  ist 
ferner  die  Elfenbeinschnitzerei,  deren  Hauptsitz  im  Mümlingthal  ist 
und  für  die  in  Erbach  eine  eigene  Schule  besteht.  „Die  Schnitzerei 
in  Elfenbein  und  verwandten  Materialien,  die  Holzbildhauerei,  Pfeifen- 
fabrikation und  verwandte  Gewerbe  beschäftigen  zur  Zeit  in  Erbach 
ca.  240,  in  Michelstadt  180,  in  Steinbach  20,  in  Stockheim  10—15,  zu- 
sammen demnach  über  350  Personen  in  nächster  Nähe ;  das  Absatzgebiet 
erstreckt  sich  über  Deutschland,  Oesterreich,  die  Schweiz,  England, 
Schottland,  Bulgarien,  Rußland,  Italien  und  Frankreich;  die  Produkte 
der  Pfeifen-  und  Zigarrenspitzenfabrikation  gehen  auch  nach  Amerika 
und  den  englischen  Kolonien"  2).  Jedoch  befindet  sich  in  der  Gegen- 
wart diese  Industrie  nicht  mehr  in  so  günstiger  Lage  als  früher;  das 
Absatzgebiet  beschränkt  sich  jetzt  auf  Deutschland,  Tirol  und  die 
Schweiz.  Man  hofft  eine  Neubelebung  dieses  Industriezweiges  durch  die 
oben  erwähnte,  vor  fünf  Jahren  gegründete  Fachschule3).  Von  den 
unmittelbar  bei  Michelstadt  liegenden  Orten  Stockheim  und  Steinbach 
zeichnet  sich  besonders  das  letztere  durch  seine  Industrie,  Eisen- 
gießerei, Maschinenfabriken,  Gelatinefabrik,  aus.  Ferner  haben  alle 
hier  in  Betracht  kommenden  Orte  den  Vorteil  der  Lage  in  dem  von 
jeher  als  Verkehrsstraße  dienenden  östlichen  Längsthal,  und  die  Er- 
zeugnisse der  Industrie  finden  bequeme  Weiterbeförderung  durch  die 
Eisenbahn  Darmstadt-Frankfurt-Hanau-Eberbach(-Stuttgart-Zürich). 

So  stellt  sich  das  Mümlingthal  auf  unserer  Karte  als  ein  wohl- 
bevölkertes Gebiet  dar.  Nur  an  einer  Stelle  sinkt  die  Bevölkerung 
auf  die  unterste  Dichtenstufe  herab,  bei  Asselbrunn  (vgl.  S.  352  [60]), 


')  Vgl.  K.  Oppermann,  Die  Thäler  d.  Taunus  u.  i.  anthrop.  Bedeutung, 
in  Jahresber.  d.  Frankf.  Ver.  f.  Geogr.  u.  Stat.    Jahrg.  51  u.  52,  S.  41,  43.   Frankfurt. 

2)   Künzel-Soldan,  Hessen,  S.  727. 

8)  Beck,  Gewerbe  und  Handel  in  „Der  Odenwald  und  seine  Nachbar- 
gebiete \  Eine  Landes-  und  Volkskunde,  herausgegeben  von  Georg  Volk.  Stutt- 
gart 1900. 

Forschungen  zur  deutschen  Landes-  and  Volkskunde.    XII.    4.  24 


358 


Karl  Bergmann, 


[66 


wo  das  Mtimlingthal  sich  zu  einer  Thalenge  verengt.  Ebenfalls  unter 
der  Thalverengung  leiden  die  Gruppen  69  (Etzen-Gesäß) ,  70  (Zell) 
und  72  (Ebersberg).  Der  Nachteil  der  Thalverengung  wird  aber  teil- 
weise wieder  aufgehoben  durch  die  Industrie:  so  befinden  sich  bei 
Lauerbach  eine  Diamantschleifern  und  Gerberei,  bei  Ebersberg  eine 
Holzschneiderei,  bei  Hetzbach  eine  Pulverfabrik  und  Sandsteinbrüche, 
bei  Zell  eine  Holzdrahtfabrik,  Pappdeckelfabrik  und  Müllerei,  bei 
Etzen-Gesäß  eine  mit  englischen  und  westfälischen  Fabriken  kon- 
kurrierende Fabrik  stählerner  Geräte.  Immerhin  kommen  diese  Ge- 
biete nicht  über  eine  mittelstarke  Bevölkerung  hinaus.  Umgekehrt 
sichern  die  Thalweite  und  die  Lage  in  der  Mitte  des  Thaies1)  der 
Gruppe  Erbach-Michelstadt  eine  sehr  starke  Bevölkerung.  Die  Lage 
in  der  Mitte  des  Thaies  ist  deshalb  wichtig,  weil  sich  dadurch  der 
Verkehr  von  Norden  und  Süden  hier  zusammenzog,  was  für  die  Ent- 
wickelung  der  Industrie  von  großer  Bedeutung  ist.  Ebenso  weist  die 
nördlich  von  Zell  in  erweitertem  Thale  gelegene  Gruppe  68  (König- 
Höchst-Neustadt)  starke  Bevölkerung  auf,  denn  sie  treibt  in  glück- 
licher Vereinigung  Industrie,  Ackerbau  und  Viehzucht.  Höchst  hat 
eine  Spatmühle  und  Holzschneiderei,  König  drei  Zigarrenfabriken,  Holz- 
schneiderei und  Müllerei,  Mümling-Grumbach  eine  Holzdrahtfabrik,  Neu- 
stadt eine  Spatmühle  und  Sandbach  eine  Oelmüllerei. 

5.  Der  östliche  Odenwald. 
(Der  östlich  vom  Mümlingthal  gelegene  Höhenzug.) 


1 

1     2 

3 

4 

5 

6 

7 

8 

9 

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Namen  der  Gemeinden 
des  Gebietsteiles 

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78.  Wald-Amorbach 

3,63 

60 

1,42 

85 

3,42 

285 

200 

IV 

Hainstadt  mitRosen  • 

bach 

4,13 

25 

2,80 

68 

2,76 

566 

202 

IV 

Rai-Breitenbach .     . 

4,82 

57 

1,87 

76 

2,85 

340 

181 

IV 

Mü hl  hausen    .     .    . 

0,18 

— 

0,16 

63 

2,37 

39 

243 

IV 

Rimhorn.     .     .     . 

4,15 

22 

3,07 

92 

2,17 

586 

198 

IV 

Breitenbrunn .     .     . 

6,33 

54 

2,65 

84 

2,06 

544 

205 

IV 

Vielbrunn  mit  Brem- 

Hof.  • 

6,99 

29 

4,64 

76 

2,07 

1601 

237 

IV 

1 

30,23 

40 

16,61 

40 

2,41 

3461 

208 

IV 

74.  Dusenbach      .    .     . 

Jl.04 

20 

0,77 

68 

1,81 

55 

71    | 

1 

75.  Seckmauern    .     .    j 

4,95 

45 

2,66 

91 

2,81 

834 

313 

V 

Lützel  -Wiebeisbach 

6,44 

40 

3,51 

87 

2,05 

1000 

285 

V 

Haingrund      .     .     . 

3,27 

58 

1,43 

83 

1,89 

429 

800 

V 

14,66 

46 

7,60 

82 

2,29 

2263 

298 

V 

')  Einschließlich  der  Fortsetzung,  die  das  Mümlingthal  im  S.  im  Gammels- 
barher Thal  findet. 


67] 


Die  Volksdichte  der  Provinz  Starkenburg. 


359 


.;  * 

3 

4 

5 

6 

7 

8 

9 

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Namen  der  Gemeinden 
des  Gebietsteiles 

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76.  Fürstengrund,    .     .    | 

5,08 

47 

2,50 

92 

2,67 

344 

187 

III 

Momart   i    . 

5,27 

48 

2,64 

74 

1,54 

335 

127 

III 

Kimbach    . 

3,29 

29 

2,26 

79 

1.69 

318 

140 

III 

.  Weitengesäß 

9,21 

52 

4.11 

82 

1,52 

610 

148 

III 

Ern8bach    . 

2,59 

61 

0,89 

79 

2,35 

118 

132 

III 

Wtirzberg 

10,72 

50 

5,10 

78 

1,79 

647 

127 

III 

Dorf-Erbach 

1     4,09 

62 

1,38 

76 

2,07 

218 

158 

III 

Erlenbach  . 

1    4,28 

66 

1,35 

80 

1,7« 

263 

195 

IV 

Bullau 

II    8,05 

66 

2,53 

85 

1,66 

414 

164 

III 

1 

52,58 

54 

22,76 

80 

1,S2 

3267 

148 

in 

II    2'74 

60 

1,04 

84 

2,88 

56 

54 

I 

101,25 

— 

48,78 

— 

— 

9102 

186 

IV 

77.  Erbuch 

Summe  73—77 

Der  das  Mümlingthal  östlich  begleitende  Höhenzug  hat  mit  seinen 
breiten,  flachen  Längerücken  echten  Buntsandsteincharakter.  Wird  auch 
der  Ackerbau  durch  die  Terrainverhältnisse  begünstigt,  so  leidet  er 
doch  andererseits  schwer  unter  der  Ungunst  der  Bodenverhältnisse  und 
des  Klimas.  Der  südliche  und  mittlere  Teil  hat  meist  unfruchtbaren 
Boden.  Was  auf  der  einen  Seite  den  Ackerbau  fördert,  nämlich  das 
ebene  Terrain,  ist  auf  der  anderen  Seite  wieder  ein  ebenso  großer  Nach- 
teil, indem  auf  dem  Plateau  das  Wasser  stagniert  und  den  Boden  kalt, 
naß  und  schwer  zum  Bearbeiten  macht1).  Das  Klima  ist,  besonders 
im  südlichen  Teil,  ebenfalls  ungünstig,  was  sich  aus  den  wirtschaft- 
lichen Verhältnissen  von  Bullau  ergiebt*):  „  Obstbau  kann  infolge  des 
rauhen  Klimas  nicht  getrieben  werden ;  die  Birne  wird  überhaupt  nicht 
gezogen,  die  Zwetschen  reifen  nicht,  die  Aepfel  nur  in  besonders  guten 
Jahren."  Die  Ernte  des  Wintergetreides  beginnt  erst  im  August, 
während  sie  im  westlichen  Odenwald  und  in  dem  Weschnitz-  und 
Gersprenzthal  in  die  erste  Hälfte,  im  mittleren  Teile  des  Odenwaldes 
und  im  Mümlingthal  in  die  zweite  Hälfte  des  Juli  zu   fallen   pflegt3). 

1)  Erl.  König,  S.  26. 

2)  Scherer,  Hessen,  S.  20. 
8)  Walt  her,  Hessen,  S.  56. 

Im  Anschluß  an  die  oben  beschriebenen  wirtschaftlichen  Verhältnisse  von 
Bullau  seien  hier  noch  folgende  pflanzenphänologische  Erscheinungen  mitgeteilt, 
um  die  verschiedenen  Landesteile  der  Provinz  Starkenburg  bezüglich  des  Klimas 
genauer  zu  kennzeichnen.  H.  Hoff  mann  (gest.  1891  in  Gießen)  stellt  hinsicht- 
lich der  Hochpunkte  des  Odenwaldes  folgende  Kulturgrenzen  auf  (nach  Weiden- 
hammer, Landwirtschaft  im  Großh.  Hessen,  S.  56): 

Otzberg:  Süßkirschen,  Walnuß.  —  Knoden:  Aepfel,  Birne,  Süßkirsche 
(keine  Weinreben),  Walnuß.  —  Felsberg:  Zwetschen,  Aepfel.  —  Neun- 
kirchen: Aepfelbäume  gut  fruchtend,  Walnuß  (fruchtend),  Süßkirsche 
(blüht  Anfangs  Mai  oder  Ende  April),  Roßkastanie,  Hanf,  Kartoffel,  Spelz, 
Roggen,  Weizen  unsicher  im  Gedeihen.  —  Bullau:  siehe  oben. 


360 


Karl  Bergmann, 


[68 


Ein  lohnender  Ersatz  für  diese  ungünstigen  Verhältnisse  bietet  sich  in 
der  sogen.  Hackwaldkultur,  die  hier  wie  im  südöstlichen  Teile  des  Oden- 
waldes  herrscht  (vgl.  S.  362  [70]).  Bessere  Verhältnisse  weist  der 
nördliche  Teil  unseres  Gebietes  auf.  Der  Boden  ist  hier  fruchtbarer, 
weil  diluvialer  Lehm  die  Gehänge  oder  die  Hochflächen  teilweise  be- 
deckt. Auch  liegt  dieser  Teil  100  m  tiefer  als  der  südliche  *),  so  daß 
sich  dadurch  auch  die  klimatischen  Verhältnisse  besser  gestalten2). 
So  stoßen  wir  denn  hier  in  der  Gruppe  75  (Seckmauern)  sogar  auf  starke 
Bevölkerung,  die  auch  durch  die  Nähe  des  fruchtbaren  Mainthaies  und 
der  bayrischen  Städtchen  Wörth  (große  Holzwarenfabrik)  und  Klingen- 
berg (berühmtes  Thonbergwerk)  hervorgerufen  wird. 


6.  Das  Neckarthal  und  die  Neckarseitenthäler. 


1 

;    2 

3 

4 

5 

6 

7 

8 

9 

Namen  der  Gemeinden 
des  Gebietsteiles 

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II 
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2 

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5 

78.  Beerfelden      .     .     . 

1 13,32 

47 

6,42 

90 

2,13 

2271 

353 

VI 

79.  Ober-Sensbach    .     . 

||  11,60 

79 

2,28 

85 

1,82 

245 

110 

11 

80.  Aidenbach     .     .     . 

||   8,97 

62 

3,21 

75 

1,75 

310 

96 

11 

81.  Gammelsbach     .     . 
Unter-Sensbach    . 
Hebsthal    .... 
Schöllen  bach      mit 
Kailbach,  diesseits 
Kailbach,  jenseits 

||  U,90 

!  13,46 

6,77 

14,25 
II   3,62 

77 
73 
79 

80 
69 

3,22 
3,15 

1,88 

2,54 
0,83 

73 

83 
79 

80 
69 

1,97 
1,93 
3,22 

1,40 
1,02 

616 
560 
313 

503 

109 

191 
177 
166 

198 
131 

IV 
IV 

in 

IV 

in 

|  53,00 

71 

11,62 

79 

1,97 

2101 

180 

IV 

82.  Hesselba  ch     .     .     . 

|!   7,17  | 

68 

2,16  j 

84    | 

1,36  | 

196 

90 

ii 

Ausgezeichnete  Aufschlüsse  über  die  Vegetationsverhältnisse  in  Starkenburg 
liefert  Hoffmanns  Phänologische  Karte  von  Mitteleuropa,  P.  M.  Bd.  XXVI 1. 
Während  aber  Hoff  mann  die  Eintrittszeiten  der  Aprilblüten  auf  Gießen  bezieht, 
werden  dieselben  hier  auf  Darmstadt  bezogen.  Die  Zahlen  geben  an,  um  wieviel 
Tage  sich  die  Aprilblüten  gegenüber  denjenigen  von  Darmstadt  verfrühen  (+)  oder 
verspäten  (— ). 


Roßdorf 
Ober- Ramstadt 
Messel  .  .  . 
Jugenheim  .  . 
Bensheim  .  . 
Birkenau 


5,6  Tage 
2 

12  . 
3  , 
4,5  , 
3 


Neunkirchen  .     .     . 

-    17  Tage 

Felsberg  (Odenwald) 

-    11      . 

Eolmbach  .... 

-    20      , 

Rehbach     .... 

-    11      , 

Siedeisbrunn   .     .     . 

-    18     , 

Die  Feldgemarkungen  im  südlichen  Teil,  wie  Vielbrunn,  Würzberg,  Bulla u 
u.  s.  w.,  haben  eine  durchschnittliche  Höhe  von  400 — 500  m  (Weidenhammer, 
Landw.  S.  50).     Vgl.  damit  die  Höhenangaben  S.  343  [51].  Anm. 
a)  Erl.  König,  S.  26. 


69] 


Die  Volk8dichte  der  Provinz  Starkenburg. 


3Ü1 


1 

1            3 

4 

n 

ö 

7 

8 

9 

Namen  der  Gemeinden 
des  Gebietsteiles 

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Sil  Falken^esäß      .     . 

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61 

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19 

2,10 

5*9 

160 

in 

84.  Ünter-Scharbach 
Wahlen  .  .  . 
Gras-Ellenbach  . 
Olfen    .     .     .     . 


1 

2,48 

48 

1,17 

70 

1,97 

220 

188 

IV 

2,79 

47 

1,39 

60 

1,53 

247 

177 

IV 

1 

6,15 

59 

2,34 

57 

1,58 

401 

171 

III 

1    4,53 

68 

1,33 

70 

2,62 

240 

180 

IV 

! 

15,95 

58 

6,23 

63 

1,87 

1108 

177 

IV 

85.  Aschbach  ....    II  2,50  I     63     I   0,86  I    67     I   2,24  I     303  I   352    I    VI 

86.  Raubach    .     ...    II   7,73  I    90     I    0,76  I     53     I    1,55  I      92  j    121    I     II 

87.  Dürr-Ellenbach  .    .    II   3,34  I    76     I    0,76  I     76    I    —     I        3  1       4    I     I 


Affolterbach  .     .     . 

Ober- Schön  mat- 
tenwag     .     .    . 

Unter-Schönmatten- 

wag 

Langenthai     .     .     . 

Ober-Finkenbach 

Unter-Finkenbach  . 

Rothenberg  m.Ober- 
Hainbrunn    .     .     . 


6,99 

56 

2,85 

63 

1,91 

659 

281 

6,98 

58 

1,51 

76 

2,33 

343 

227 

18,46 
6,35 
5,50 
2,17 

59 
65 

77 
69 

3,46 
0,92 
1,13 
0,58 

78 
83 
71 
68 

1,91 
3,09 
2,74 
2,22 

1150 

238 

404 

91 

332 

258 

J  258 

18,42 

67 

4,20 

75 

2,41 

1123 

272 

64,87 

61 

14,65 

65 

2,10 

4008 

273 

IV 

IV 

V 
V 

V 

V 


89.  Grein 3,21 

Darsberg    .    .    .     .     |    2,42 


5,63 


80 
66 


0,70 
Ul 


1,81 


76 
50 


72 


1,74 
2,21 


114  I    163 
262      236 


2,03  I     376  I    207 


III 
IV 


IV 


90.  Neckar-Hausen  , 
Neckar-Steinach . 
Hirschhorn 


Summe  78- 


.    II    0,58 
.    |!  10,75 
.    ii  24,41 

31) 
74 
79 

0,35 
1,98 
3,67 

80 
74 
61 

3,85 
8.36 
2,82 

144 
1420 
1938 

411 

717 
528 

VI 
VIII 
VII 

35,74 

76 

6,00 

67 

3,06 

8502 

583 

VII 

90     240,13 

_ 

60,37 

— 

— 

15104 

250 

V 

Das  Mümlingthal  findet  seine  Fortsetzung  südlich  in  dem  Gam- 
melsbacher Thal ;  beide  Thäler  sind  getrennt  durch  den  hochgelegenen 
Sattelpunkt  Beerfelden.  Dieser  Ort  hat  eine  günstige  Verkehrslage 
zwischen  beiden  Thäler n,  ist  Knotenpunkt  der  Straßen  nach  dem  3er- 


')  Die  geringe  Bewaldung  bei  Neckar-Hausen  erklärt  sich  dadurch,  daß  der 
bei  dieser  Gemeinde  gelegene  Wald  zum  Großherzogtum*  Baden  gehört. 


362  Karl  Bergmann,  [70 

sprenz-,  Weschnitz-,  Müniling-,  Gammelsbacher-  und  Finkenbachthal  und 
tritt  durch  die  beiden  letzteren  in  unmittelbare  Verbindung  mit  dem  Neckar- 
thal; seine  Lage  auf  einer  Hochfläche  erlaubt  ausgedehnten  Ackerbau; 
neben  Holzschneiderei  ist  noch  die  Bürsten-,  Kämme-  und  Tuchfabri- 
kation zu  erwähnen.     Alles   dies  erklärt  die  hohe  Dichte  Beerfeldens. 

Das  Gammelsbacherthal  fuhrt  mich  zur  Besprechung  der  im 
südöstlichen  Odenwald  zum  Neckar  sich  hinziehenden  Längsthäler  des 
Itterbachs,  Sensbachs,  Gammelsbachs,  Finkenbachs  und  Ulfenbachs. 
Steile,  mit  Wald  bedeckte  Abhänge,  die  fast  keinen  Platz  zur  Feld- 
kultur bieten,  charakterisieren  diese  Thäler.  Mitten  im  Buntsandstein 
gelegen,  erreichen  die  Bewaldungsprozente  eine  ungewöhnliche  Höhe, 
sie  steigen  bis  90°/o!  Nur  im  Ulfenbachthal ,  das  sich  durch  größere 
Breite  auszeichnet,  zeigen  sich  geringere  Bewaldungsprozente.  Aber 
gerade  diese  starke  Bewaldung  ist  von  hoher  Wichtigkeit  für  die  ganze 
Gegend.  Der  Platz  für  die  Feldkultur  wird  gewonnen  durch  den  sogen. 
Hackwaldbetrieb l) ,  der  sich  im  Gefolge  des  gerade  für  diesen  Teil 
des  Odenwaldes  so  überaus  wichtigen  Eichenschälwaldbetriebs  ent- 
wickelte. Der  Eichenschälwaldbetrieb  zielt  auf  die  Erzeugung  eines 
möglichst  großen  Quantums  wertvollster  Eichenlohrinde  ab.  Die  Eichen- 
schälwaldfläche  des  Odenwaldes  beträgt  etwa  15350  ha,  ihr  größter 
Teil  befindet  sich  im  südöstlichen  Odenwald.  In  manchen  Gegenden, 
so  z.  B.  in  den  Bergen  am  Neckar,  haben  die  Niederwaldungen  so 
große  Ausdehnung,  daß  die  in  der  nächsten  Nachbarschaft  bei  der 
Rindenernte  zur  Verfügung  stehenden  Arbeitskräfte  nicht  ausreichen 
und  Zuzug  von  auswärts  stattfinden  muß;  die  Arbeit  bei  der  Rinden- 
ernte ist  lohnend  und  nicht  gerade  schwer.  Die  Verwertung  der  er- 
zielten Lohrinde  findet  auf  den  alljährlich  in  Hirschhorn,  Heidelberg 
und  Erbach  stattfindenden  Rindenmärkten  statt.  Im  Jahre  1888  kamen 
77809  Zentner  zum  Ausgebot,  davon  allein  in  Hirschhorn  49795  Zentner, 
während  der  Rest  sich  auf  Heidelberg  und  Erbach  verteilt.  Der  Erlös 
dafür  betrug  M.  455631.  Die  Absatzplätze  für  diese  Lohrinde  sind  be- 
sonders die  Centralplätze  der  deutschen  Lederindustrie  Worms  und 
Heilbronn 2). 

So  haben  wir  es  in  dieser  Gegend,  trotz  der  nicht  sonderlich 
günstigen  Verhältnisse,  doch  mit  einer  mittelstarken  Bevölkerung  zu 
thun,  die  sich  in  einigen  Bezirken  sogar  zu  großer  Dichte  erhebt. 
Meist  tritt  dann  noch  Industrie  hinzu,  wie  bei  Aschbach,  wo  ein  Eisen- 
hammer sich  befindet  und  Papier  fabriziert  wird,  und  bei  Finkenbach, 
wo  Tuch-  und  Papierfabriken,  sowie  Holzschneiderei  betrieben  werden. 
Unter  die  mittelstarke  Bevölkerung  sinken  nur  die  in  den  oberen  Teilen 
der  Thäler  gelegenen  Gemeinden.  Interessant  ist  es  —  gerade  bei  diesen 
Seitenthälern  —  zu  verfolgen,  wie  die  Volksdichte  in  dem  Maße  zu- 
nimmt, als  man  sich  von  der  Quelle  der  Mündung  nähert.  Man  kann 
dies  feststellen  für  das  Sensbacherthal,  das  Finkenbachthal  und  für 
ein  Seitenthal  des  Finkenbachs.  Die  Gemeinden  sind  in  der  Reihe 
angegeben,  wie  sie  von  der  Quelle  an  aufeinander  folgen. 


')   Vgl.  S.  853  [61}  u.  360  [68]. 

2)   Wilbrand,  Odw.,  S.  228  u.  230. 


71]  Die  Volksdichte  der  Provinz  Starkenburg.  363 

Sensbacherthal: 

Ober-Sensbach 110 

Unter-Sensbach      .     .     .     .    ' 177 

Hebsthal 166 

Finkenbachthal: 

Olfen 180 

Finkenbach 258 

Rothenberg  mit  Ober-Hainbrunn      .     .     .     272 

Seitenthal  des  Finkenbachs: 

Airlenbach 96 

Falken-Gesäß 160 

Am  Ausgang  des  Finkenbach-  und  des  Ulfenbachthals  liegt  das 
Städtchen  Hirschhorn  im  reizenden  Neckarthal,  dem  bedeutendsten 
Querthale  des  Odenwaldes.  Auch  hier  haben  wir  steile  Abhänge,  die 
bis  zur  schmalen  Thalsohle,  die  oft  kaum  Platz  für  die  Chaussee  hat, 
mit  Wald  bedeckt  sind.  Die  Neckarorte  Neckar-Steinach,  Neckar-Hausen 
und  Hirschhorn  haben  eine  äußerst  günstige  Verkehrslage.  Sie  liegen 
nahe  dem  Punkte,  wo  das  Neckarthal  in  die  oberrheinische  Tiefebene 
ausmündet,  an  der  wichtigen  Eisenbahnstrecke  (Basel-Mannheim-Frank- 
furt)-Heidelberg -Eberbach -(Würzburg -Frankfurt -Stuttgart),  und  der 
schiff-  und  flößbare  Neckar  selbst  bildet  hier  eine  wichtige  Verkehrs- 
straße. Der  ganze  Verkehr  des  südlichen  Odenwaldes  zieht  sich  nach 
dem  Neckarthal  durch  die  hier  ausmündenden,  weiter  oben  genannten 
Thäler.  Dazu  kommt  eine  hochentwickelte  Industrie,  wobei  besonders 
die  großartigen  Steinbrüche  zu  erwähnen  sind,  an  die  sich  auch  Stein- 
hauerei angeschlossen  hat.  Große  Steinbrüche  befinden  sich  bei  Neckar- 
Hausen  und  Neckar-Steinach ;  in  Neckar-Steinach  giebt  es  ferner  eine 
Lederfabrik,  eine  Lohmühle,  eine  Kunstwolle-,  eine  Matratzen-  und 
eine  Blumenfabrik ;  in  Hirschhorn  eine  Seidengarnfärberei,  Holzschnei- 
derei und  Kistenfabrik.  Alljährlich  findet  der  S.  362  [70]  erwähnte 
Rindenmarkt  in  Hirschhorn  statt.  Von  Feldbau  ist  natürlich  wenig 
die  Rede,  die  Eichenschälwaldkultur  tritt  hier  voll  in  ihre  Rechte. 
Auch  die  Bienenzucht  des  Neckarthaies  sei  erwähnt,  denn  wenn  auch 
die  Bienenzucht  allgemein  in  Starkenburg  verbreitet  ist,  so  gilt  dies 
doch  für  das  Neckarthal  wie  für  den  Odenwald  überhaupt,  ganz  be- 
besonders1),  und  der  im  östlichen  Odenwald  angebaute  Buchweizen 
ist  gerade  für  die  Bienenzucht  von  Vorteil.  Die  Bienenzüchter  des 
Neckarthaies   bringen   zur  Zeit   der  Blüte   des  Heidekorns  die  Bienen- 


])  Auf  den  Hektar  Anbaufläche  kamen  im  Jahre  1892  Bienenstöcke 

im  Kreis  Darmstadt 0,04 

„      Bensheim 0,05 

,      Dieburg 0,04 

„      Groß-Gerau 0,05 

„      Heppenheim 0,08 

„     Erbach 0,12 

,      Offenbach 0,04. 


364 


Karl  Bergmann,  Die  Volksdichte  der  Provinz  Starkenburg. 


[72 


stocke  in  den  Odenwald,  um  das  Volk  an  dem  süßen  Saft  der  schönen 
roten  Blüten  weiden  zu  lassen ,  ganz  wie  in  der  nordischen  Heide  *)• 
Erscheint  dieser  Umstand  auch  nicht  sonderlich  wesentlich,  so  kommt 
dadurch  doch  Leben  in  die  Gegend,  und  der  Erlös  der  Bienenzucht 
wird  nicht  zu  unterschätzen  sein.  So  bringt  z.  B.  auch  die  Heidel- 
beerernte den  ärmeren  Leuten  im  Odenwald  oft  reichlichen  Verdienst. 
Schließlich  sei  noch  erwähnt,  daß  das  Neckarthal  seiner  landschaft- 
lichen Reize  halber  das  Ziel  vieler  Touristen  ist,  so  daß  auch  in 
dieser  Beziehung  sich  eine  Erwerbsquelle  für  die  dortigen  Bewohner 
eröffnet.  Nördlich  von  Neckpr-Steinach  liegen  die  Orte  Grein  und  Dars- 
berg  mit  mittelstarker  Bevölkerung. 


Zusammenstellung  der  unter  A  —  E  enthaltenen  Tabellen 
nach  ihren  Endergebnissen. 


h 

M 

äs 

1 

1 

«2 
2 

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M 

OD 

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XL 

8' 

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> 

> 

s 

A.  Die  Rheinebene  und   die  Mainebene 

westlich   der   Verkehrslinie   Frank- 

furt-Darmstadt   

691,95 

495,33 

93818 

189 

IV 

B.   Die    große   Verkehrslinie   Frankfurt- 

Darmstadt-Heidelberg    

225,43 

136,49 

50215 

368 

VI 

C.   Die  östlich  der  Verkehrslinie  Frank- 

furt-Darmstadt gelegene  Mainebene 

429,80 

241,37 

65811 

272 

V 

D.  Die  Vorhöhen  des  Odenwaldes      .    . 

191,30 

127,54 

20834 

163 

III 

E.  1.  Der  westliche  Odenwald  .... 

258,39 

158,61 

30509 

192 

IV 

2.  Das  Gersprenz-  und  das  Weschnitz- 

thal   (von  Grofi-Bieberau   bis  Bir- 

kenau)   

124,08 

85,88 

16695 

194 

IV 

3.  Der  mittlere  Odenwald     .... 

249,27 

131,95 

18520 

140 

III 

4.  Das  Mümlingthal 

90,21 

41,12 

15309 

372 

VI 

5.  Der  östliche  Odenwald  (der  östlich 

vom  Mümlingthal  gelegene  Höhen- 

zug)  

101,25 

48,78 

9102 

186 

IV 

6.  Das  Neckarthal   und   die  Neckar- 

seitenthäler  (der  südöstliche  Oden- 

wald)      

240,13 

60,37 

15104 

250 

V 

Summe  von  A — E  (Provinz  Starkenburg 

I 

mit  Abzug  der  Städte  Darmstadt  und 

Offen bach,  der  Exklaven  Wimpfen  und 

Steinbach,    der  nicht   eingemeindeten 

Einzelhöfe,  der  Wald-  und  Feldgemar- 

kungen und  der  Rhein- Auen)      .     .     . 

2601,81 

1527,44 

335917 

219 

IV 

Provinz  Starkenburg  insgesamt .... 

3018,99 

1 

1607,20 

444562 

276 

V 

l)  Scherer,  Hessen,  S.  21  u.  22. 


/ 


i     • 


Band  III. 

Heft  1.  Die  Verbreitung  und  wirtschaftliche  Bedeutung  der  wichtigeren  Wald- 
baumarten innerhalb  Deutschlands,  von  Prof.  Dr.  B.  Borg greve.    Preis  M.  1.— 

Heft  2.    Das  Meissnerland,  von  Dr.  M.  Jäschke.    Preis  M.  1.90. 

Heft  3.  Das  Erzgebirge.  Eine  orometrisch  -  anthropogeographische  Studie  von  Oberlehrer 
Dr.  Johannes  Burgkhardt.    Preis  M.  5.  60. 

Heft  4.  Die  Kurische  Nehrung  und  ihre  Bewohner,  von  Prof.  Dr.  A.  Bezzenberger. 
Preis  M.  7.  50. 

Heft  5.  Die  deutsche  Besiedlung  der  östlichen  Alpenländer,  insbesondere  Steier- 
marks,  Kärntens  und  Kratfs,  nach  ihren  geschichtlichen  und  Ortlichen  Verhältnissen, 
von  Prof.  Dr.  F.  von  Krön  es.     Preis  M.  5.  60. 

Band  IV. 

Heft  1.  Haus,  Hof,  Mark  und  Gemeinde  Nordwestfalens  im  historischen 
*  Ueberblicke,  von  Prof.  J.  B.  Nordhoff.    Preis  M.  1.20. 

Heft  2.    Der  Rhein  in  den  Niederlanden,  von  Dr.  H.  Blink.    Preis  M.  4.20. 

HeftS.  Die  Schneedecke,  besonders  in  deutschen  Gebirgen,  von  Prof.  Dr. 
Friedrich  Ratzel.    Preis  li.  8. — 

Heft  4.  Rechtsrheinisches  Alamannien;  Grenze,  Sprache,  Eigenart,  von  Prof, 
Dr.  A.  Birlinger.    Preis  M.  4.80. 

Heft  5.  Zur  Kenntnis  der  niederen  Tierwelt  des  RiesengebirgQs  nebst  ver- 
gleichenden Ausblicken,  von  Dr.  Otto  Zacharias.    Preis  M.  1.50. 

Band  V* 

Heft  1.  Nährpflanzen  Mitteleuropas,  ihre  Heimat,  Einführung  in  das  Gebiet 
und  Verbreitung  innerhalb  desselben,  von  Dr.  F.  Hock.    Preis  M.  2.20. 

Heft  2.  Ueber  die  geographische  Verbreitung  der  Sttsswasserfische  von  Mittel- 
europa, von  Dr.  E.  Schulze.    Preis  50  Pfennig. 

Heft  8.  Der  Seifenbergbau  im  Erzgebirge  und  die  Walensagen,  von  Dr.  H.  SchurU. 
Preis  M.  2.  60. 

Heft  4.  Die  deutschen  Buntsandsteingebiete.  Ihre  Oberflächengestaltung  und  anthropo- 
geographischen  Verhältnisse,  von  Dr.  Emil  Küster.    Preis  M.  3.20. 

Heft  5.    Zur  Kenntnis  des  Taunus,  von  Dr.  W.  Sievers.    Preis  M.  3.60. 

Heft  6.  DerThüringer  Wald  und  seine  nächste  Umgebung,  von  Dr.  H.  Pröscholdt 
Preis  M.  1.70. 

Heft  7.  Die  Ansiedelungen  am  Bodensee  in  ihren  natürlichen  Voraussetzungen. 
Eine  anthropogeographische  Untersuchung,  von  Dr.  A.  Schlatterer.    Preis  M.  3.60. 

Band  VI» 

Heft  1.  Die  Ursachen  der  Oberflächengestaltung  des  norddeutschen  Flach- 
landes, von   Dr.  F.  Wahnschaffe.     Preis  M.  7.  20. 

Heft  2.  Die  Volksdichte  der  Thüringischen  Triasmulde,  von  Dr.  C.  Kaesemacher. 
Preis  M.  3.  20.  s 

HeftS.    Die  Halligen  der  Nordsee,  von  Dr.  E.  Traeger.    Preis  M.  7.50. 

Heft  4.  Urkunden  über  die  Ausbrüche  des  Vernagt-  und  Gurglergletschers 
im  17.  und  18.  Jahrhundert,  von  Prof.  Dr.  E.  Richter.    Preis  M.  7. — 

Band  VII. 

Heft  1.  Die  Volksdichte  im  Grossherzogtum  Baden.  Eine  anthropogeographische 
Untersuchung,  von  Prof.  Dr.  L u d w i'g  Neumann,    Preis  M.  9. 40. 

Heft  2.  Die  Verkehrsstrassen  in  Sachsen  und  ihr  Einfluss  auf  die  Stadteent- 
wickelung  bis  zum  Jahre  1500,  von  Dr.  A.  Simon.    Preis  M.  4. — 

Heft  8.    Beiträge  zur  Siedelungskunde  Nordalbingiens,  von  Dr.  A.  Gloy.  Preis  M.  3.40. 

Heft  4.  Nadel  w aldflora  Norddeutschlands.  Eine  pflanzengeographische  Studie,  von 
Dr.  F.  Hock.    Preis  M.  3. — 

Heft  5.   Rügen.    Eine  Inselstudie,  von  Prof.  Dr,  Rudolf  Cr edn er.    Preis  M.  9.— 

Fortsetzung  auf  Seite  4  des  Umschlags. 


I 


Band  VIII. 

Heft  1.    Klimatographie  des  Königreichs  Sachsen.  Erste  Mitteilung  von  Prof.  DrJ3 
Schreiber.    Preis  M.  4. — 


Heft  2.    Die  Vergletscherung  des  Riesengebirges  zur  Eiszeit.    Nach  eigenen  Unter- 
f,  suchangen  dargestellt  von  Prof.  Dr.  Joseph  Part  seh.    Preis  M.  6. — 

Heft  3.    Die  Eifel.    Von  Dr.  Otto  Follniann.    Preis  M.  3.20. 

Heft  4.    Die  landeskundliche  Erforschung   Altbayerns  im   16»,   17.  und  18.  Jahr- 
hundert von  Dr.  Christian  Gruber.    Preis  M.  3. — 
Heft  5.    Verbreitung  und  Bewegung  der  Deutschen  in  der  französischen  Schweiz. 

Von  Dr.  J.  Zemmrich.    Preis  M.  3.80. 
Heft  6.    Das  deutsche  Sprachgebiet  Lothringens  ttad   seine  Wandelungen  von  der 

Feststellung  der  Sprachgrenze  bis  zum  Ausgang  des  16.  Jahrhunderts,  von  Dr.  Hans  Witte. 

Preis  M.  6.  50. 

Band  IX. 
Heft  1.    Die   Art    der   Ansiedelung    der    Siebenbürger    Sachsen.     Von   Direktor  Dr. 

Friedrich  Teutsch.  —  Volksstatistik  der  Siebenbürger  Sachsen.  Von  Prof. 

Fr.  Schuller.    Preis  M.  4.80. 
Heft  2.    Volkstümliches  derSiebenbürgerSachsen.  Von  Gymnasiallehrer  O.Witts  tock. — 

Di  eMundart  der  Siebenbürger  Sachsen.  VonDirektorDr.A.Scheiner.PreiBM.6.50. 
Heft  3.    Die  Regenkarte  Schlesiens   und   der  Nachbargebiete.     Entworfen  und 

erläutert  von  Professor  Dr.  Joseph  Parts  eh.    Preis  M.  4.70. 
Heft  4.    Laubwaldflora  Norddeutschlands.    Von  Dr.  F.  Hock.    Preis  M.2.70. 
Heft  5.    Die  geographische  Verteilung  der  Niederschläge  im   nordwestlichen 

Deutschland,     Von  Dr.  Paul  Moldenhauer.    Preis  M.  4. — 
Heft  6.    Der   Hesseiberg   am   Frankenjura   und    seine    südlichen  Vorhöhen.     Von 

Dr.  Christian  Gruber.    Preis  M.  5.20. 

Band  X. 

Heft  1.    Zur  Hydrographie  der  Saale.    Von  Professor  Dr.  Willi  Ule.    Preis  M.  4.50. 
Heft  2.    Der  Pinzgau.    Physikalisches  Bild  eines  Alpengaues.    Von  Oberlehrer  Dr.  Wilhelm 

Schjerning.    Preis  M.  8.80. 
Heft  3.    Die  Pinzgau  er.    'Von  Oberlehrer  Dr.  Wilhelm  Schjerning.    Preis  M.  5. — 
Heft  4.    Zur  Geschichte  des  Deutschtums  im  Elsass  und  im  Vogesengebiet.     Von 

Dr.  Hans  Witte.  .  Preis  M.  7.60. 

Band  XI. 

Heft  1.   Magnetischeünter8uchungenim  Harz.VonProf.Dr.M.Eschenhagen.PreisM.1.60. 
Heft  2.   Beitrag  zur  physikalischen  Erforschung  der  baltischen  Seeen.    Von 

Professor  Dr.  Willi  Ule.    Preis  M.  3.— 
Heft  3.    Zur  Kenntnis   des    Hunsrücks.     Von   Dr.  Fritz  Meyer.     Preis  M.  4. — 
Heft  4/  Die  Veränderungen   der  Volksdichte   im   nördlichen  Baden   1852  —  1895. 

Von  Dr.  Carl  Uhlig.    Preis  M.  10.— 
Heft  5.    Entwicklungsgeschichte  der  phanerogamen  Pflanzendecke  Mitteleuropas 

nördlich  der  Alpen.     Von  Dr.  August  Schulz.     Preis  M.  8.40. 

Band  XII. 

Heft  1..  Die  Niederschlagsverhältnisse  der  mittleren  Rheinprovinz  und  der  Nach; 
bar  gebiete.  Von  Dr.  P.  Polis,  Direktor  der  Meteorologischen  Zentralstation  in  Aachen. 
Mit  10  Tabellen,  9  Karten  und  3  Textillustrationen.     1899.     96  Seiten.    Preis  M.  12.— 

Heft  2.  Das  Vogtland  als  orographisches  Individuum.  Eine  Studie  zur  deutschen 
Landeskunde.  Von  Dr.  Albert  Wohl r ab  in  Leipzig.  Mit  1  Uebersichtskarte,  7  Licht- 
drucktafeln und  12  Textillustrationen.     1899.     89  Seiten.     Preis  M.  6.40. 

Heft  3.  Das  Ries.  Eine  geographisch-volkswirtschaftliche  Studie  von  Dr.  Chr.  Gruber  in 
München.    Mit  2  Kartenbeilagen  und  12  Textillustrationen.    1899.    105  S.    Preis  M.  10.50. 

Heft  4.    Die  Volksdichte  der  grossherzoglich  hessischen  Provinz  Starkenburg  auf    t 
Grund    der    Volkszählung  vom    2.  Dezember    1895/     Von  Dr.   Karl   Bergmann  in 
Darmstadt.    Mit  einer  Karte.     1900.     72  Seiten.     Preis  M.  5.70. 

Nen  eintretende  Abonnenten,  die  alle  bisher  erschienenen  Hefte  nach- 


beziehen, erhalten  Band  1—5  zum  halben  Preis. 


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Drurk  d*r  Union  Dcutsi-b1  Vorlagsgesellschaft  in  Stuttgart. 


J 


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DffBBKaftmsimmiiLmTmirnmnii^ 


I  ! 


Forschungen 

zur  deutschenTjandes-  und  Volkskunde 

im  Auftrage  der 

Centralkommission  für  wissenschaftliche  Landeskunde  von  Deutsch] and 

herausgegeben  von 

Dr.  A.  Kirchhoff, 

Professor  der  Erdkunde  an  der  Universität  Halle. 

Zwölfter  Band. 

Heft  5. 

L'-LlTAÄLL?  IL«"'  » tTTTVft  i  t  I  iT»  »V»  i±f  i.i'i  j"»  1 1  FiTf  i  iTTTTTTijT  *±  tj  i_i  i'tj  *  i  •  •  t  •  t  i_i.  t  11*111)  i\  i.Ti  t  iiViTi  •  "»  im 

Die  Germanisierung 

der 

Rätoromanen  in  der  Schweiz. 


Volkswirtschaftliche 
und  nationalpolitische  Studien 


yon 


A.  Sartorius  Freiherrn  v.  Waltershausen, 

ord.  Professor 
der  Nationalökonomie  an  der  Universität  Strassburg. 


Mit  einer  Karte; 


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STUTTGART. 

VERLAG    VON   J.   ENGELHORN. 

1900. 


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Pill 


lie  „ Forschungen  zur  deutschen  Landes-  und  Volkskunde8  sollen  dazu  helfen,  die 
!  heimischen  landes-  und  volkskundlichen  Studien  zu  fördern,  indem  sie  aus  allen  Gebieten 
derselben  bedeutendere  und  in  ihrer  Tragweite  über  ein  bloss  örtliches  Interesse  hinaus- 
gehende Themata  herausgreifen  und  darüber  wissenschaftliche  Abhandlungen  hervorragender 
Fachmänner  bringen.  Sie  beschränken  sich  dabei  nicht  auf  das  Gebiet  des  Deutschen  Reiches, 
sondern  so  weit  auf  mitteleuropäischem  Boden  Von  geschlossenen  Volksgemeinschaften  die 
deutsche  Sprache  geredet  wird,  so  weit  soll  sich  auch,  ohne  Rücksicht  auf  staatliche  Grenzen, 
der  Gesichtskreis  unserer  Sammlung  ausdehnen.  Da  aber  die  wissenschaftliche  Betrachtung  der 
Landesnatur  die  Weglassung  einzelner  Teile  aus  der  physischen-  Einheit  Mitteleuropas  nicht 
wohl  gestatten  würde,  so  sollen  auch  die  von  einer  nichtdeutschen  Bevölkerung  eingenommenen 
Gegenden  desselben  samt  ihren  Bewohnern  mit  zur  Berücksichtigung  gelangen.  Es  werden  dem- 
nach ausser  dem  Deutschen  Reiche  auch  die  Länder  des  cisleithanischen  Österreichs,  abgesehen 
von  Galizien,  der  Bukowina  und  Dalmatien,  ferner  die  ganze  Schweiz,  Luxemburg,  die  Nieder- 
lande und  Belgien  in  den  Rahmen  unseres  Unternehmens  hineingezogen  werden.  Ausserdem 
aber  sollen  die  Sachsen  Siebenbürgens  mit  berücksichtigt  werden  und  auch  Arbeiten  über  die 
grösseren  deutschen  Volksinseln  des  Russischen  Reiches  nicht,  ausgeschlossen  sein. 

Unsere  Sammlung  erscheint  in  zwanglosen  Heften  «von  ungefähr  2 — 5  Bogen;  jedes  Heft 
enthält  eine  vollständige  Arbeit  (ausnahmsweise  von  kürzeren  auch  mehrere)  und  ist  für  sich 
käuflich.  Eine  entsprechende  Anzahl  von  Heften  wird  (in  der  Regel  Jahrgangs  weise)  zu  einem 
Bande  vereinigt. 

Bisher  sind  erschienen: 

Band  I. 

Heft  1.    Der  Boden  Mecklenburgs,  von  Prof.  Dr.  E.  Geinitz.    Preis  80  Pfennig. 

Heft  2.  Die  oberrheinische  Tiefebene  und  ihre  Randgebirge,  von  Prof.  Dr. 
L  e  p  8  i  u  s.    Preis  M.  2.  — 

Heft  3.  DieStädte  der  Norddeutschen  Tiefebene  in  ihrer  Beziehung  zur  Boden- 
gestaltung, von  Prof.  Dr.' F.  G.  Hahn.    Preis  M.  2. — 

Heft  4.  Das  Münchener  Becken.  Ein  Beitrag  zur  physikalischen  Geographie 
Südbayerns,  von  Chr.  Gruber.    Preis  M.  1.60. 

Heft  5.  Die  mecklenburgischen  Höhenrücken  (Geschiebestreifen)  und  ihre 
Beziehungen  zur  Eiszeit,  von  Prof.  Dr.  E.  Geinitz.    Preis  M.  8. 10. 

Heft  6.  Der  Einfluss  der  Gebirge  auf  das  Klima  von  Mitteldeutschland,  von 
Dr.  R.  A 88 mann.    Preis  M.  5.50. 

Heft  7.  Die  Nationalitäten  in  Tirol  und  die  wechselnden  Schicksale  ihrer 
Verbreitung,  von  Prof.  Dr.  H.  J.  Bidermann.   Preis  M.  2.40. 

Heft  8.  Poleographie  der  cimbrischen  Halbinsel,  ein  Versuch,  die  Ansied- 
lungen  Nordalbingiens  in  ihrer  Bedingtheit  durch  Natur  und  Ge- 
schichte nachzuweisen,  von  Prof.  Dr.  K.  Jansen.    Preis  M.  2.  — 

Band  II. 

Heft  1.    Die  Nationalitäts-Verhältnisse  Böhmens,  von  Dr.  L.  Schlesinger.    Preis 

80  Pfennig. 
Heft  2.   Nationalität  und  Sprache  im  Königreiche  Belgien,  von  Geh.  Rechnungsrat 

K.  Brämer.    Preis  M.  4.  — 
Heft  8.   Die  Verbreitung  und  Herkunft  der  Deutschen  in  Schlesien,  von  Prof.  Dr. 

K.  Weinhold.    Preis  M.  2.40. 
Heft  4.    Gebirgsbau  und  Oberflächengestaltung  der  Sächsischen  Schweiz,  von 

Dr.  A.  Hettner.    Preis  M.  5.25. 
Heft  5.    Neuere  slavische  Siedlungen  auf  süddeutschem  Boden»  von  Prof.  Dr. 

H.  J.  Bidermann.    Preis  M.  1.25. 
Heft  6.    Siedlungsarten    in    den    Hochalpen,    von    Prof.    Dr.    Ferdinand'  LöwL 

Preis  M.  1. 75. 


vS 


DIE  GERMANISIERUNG 


DER 


RÄTOROMANEN  IN  DER  SCHWEIZ. 


VOLKSWIRTSCHAFTLICHE 
UND  NATIONALPOLITISCHE  STUDIEN 

VON 


aT|aRTORIUS  FREIHERRN  v.  WALTERSHAUSEN, 

ORD.  PROFESSOR 
DER  NATIONALÖKONOMIE  AN  DER  UNIVERSITÄT  STRASSBÜRG. 


MIT  EINER  KARTE. 


-*♦•*►- 


STUTTGART. 

VERLAG   VON   J.  ENGELHORN. 

1900. 


Druck  der  Union  Deutsche  Verlagsgesellschaft  in  Stuttgart. 


Inhalt. 


Seite 

Kapitel    I.    Einleitung 369      [5] 

II.    Statistische  Grundlage 374    [10] 

,       III.    Die  Sprachgrenze 395    [81] 

IV.     Die  Italiener  in  Graubünden 431     [67] 

„        V.    Die    wirtschaftlichen  Interessen    und    der  Rückgang  des 

Romanentums 436     [72] 

,      VI.    Die  Schule 451     [87] 

,     VII.    Die  Kirche 461     [97] 

,  VIII.     Staatliches  Leben  und  romanische  Nationalität     ....  464  [100] 
Sprachenkarte  des  Kantons  Graubünden. 


I.  Kapitel. 

Einleitung. 


In  weiterem  Sinne  werden  in  der  Schweiz  alle  diejenigen  als 
Romanen  bezeichnet,  deren  Sprache  sich,  wenn  auch  unter  der  Bei- 
mischung fremder  Worte,  aus  dem  Lateinischen,  speziell  aus  der  lingua 
rustica  entwickelt  hat.  Es  gehören  dahin  die  Westschweizer,  welche 
selbst  ihr  Gebiet  la  Suisse  romande  nennen,  die  italienisch  Sprechenden 
am  Südabhang  der  Alpen  und  in  dem  Kanton  Graubünden,  einem  Teil 
der  alten  römischen  Provinz  R'ätien,  die  Rätoromanen  oder  die  Romanen 
im  engeren  Sinne.  Diese  reden  eine  Sprache,  welche  ähnlich  wie  die 
französische,  italienische,  spanische,  portugiesische,  rumänische  eine 
eigenartige  Ausbildung  erfahren  hat.  Mit  ihnen  werden  sich  die  nach- 
folgenden Ausführungen  ausschließlich  beschäftigen. 

Die  rätoromanische  Sprache  wird  in  Graubünden  in  zwei  Haupt- 
formen gesprochen,  erstens  in  derjenigen  des  Bündner  Ober- 
landes, d.  h.  des  Vorderrheinthaies  mit  mehreren  Seitenthälern  und 
einiger  ihm  nahen  Gebiete,  besonders  des  Heinzenbergs ,  Domleschgs, 
Schamser-  und  unteren  Albulathales ,  Filisur  noch  einbegriffen,  und 
zweitens  in  der  desEngadins  und  einiger  sich  ihm  anschließenden 
Gegenden,  des  Münsterthaies,  des  oberen  Albulathales  von  Bergün  an, 
des  Oberhalbsteines.  Die  erstere,  Romonsch  oder  Romantsch 
bezeichnet,  gliedert  sich  wieder  in  zwei  Arten,  das  Sürselvische  und 
Suhsylvanische ,  d.  h.  die,  welche  ob  dem  Walde  bei  Flims  in  dem 
westlichen  Teile,  und  die,  welche  unter  dem  Walde,  in  dem  öst- 
lichen Teile,  gesprochen  wird,  die  zweite  das  Ladinische,  welches 
als  besonderer  Dialekt  auch  in  Tirol  besteht,  ist  in  Graubünden 
ebenfalls  nichts  Einheitliches,  wie  sich  denn  die  Sprache  des  En- 
gadins  von  derjenigen  des  Münsterthaies  und  Oberhalbsteines  wohl 
unterscheidet.  Noch  mehrere  Unterabteilungen  lassen  sich  bei  genauer 
Durchforschung  feststellen,  und  es  ist  sogar  behauptet  worden,  daß 
jedes  Thal  oder  selbst  jeder  größere  Thalabschnitt  seine  eigene  Mundart 
besitze *). 


')  Ueber  die  Sprache  sei  zur  nächsten  Orientierung  nur  genannt:  Gärtner, 
Rätoromanische  Grammatik,  Heilbronn  1883 ;  Gröber,  Grundriß  der  romanischen 


370  A.  Sartorius  Freiherr  v.  Waltershausen,  [ß 

Alle  diese  philologischen  Feinheiten  jedoch,  so  interessant  sie 
an  sich  sein  mögen,  liegen  in  der  Hauptsache  außerhalb  unserer  Be- 
trachtung, in  welcher  wir  uns  im  Gegensatz  zum  Deutschen  und  Ita- 
lienischen, welche  Sprachen  auch  ihre  Dialektverschiedenheiten  in  der 
Schweiz  haben,  die  romanisch  sprechende  Bevölkerung  als  eine  ein- 
heitliche Sprachgemeinschaft  denken.  Die  eidgenössische  Sprachstatistik, 
mit  der  wir  uns  im  zweiten  Abschnitt  beschäftigen  werden,  kennt 
ebenfalls  Differenzen  des  Romanischen  nicht,  welche  für  sie  auch  gar 
nicht  zu  erfassen  gewesen  wären. 

Die  Frage,  ob  die  Rätoromanen  eine  eigene  Nationalität  bilden, 
läßt  sich  nur  beantworten,  wenn  wir  zu  diesem  in  Wissenschaft  und 
Leben  keineswegs  als  fest  anerkannten  Begriff  Stellung  nehmen.  Zum 
genaueren  Verständnis  desselben  schicken  wir  ein  Wort  über  das  Wesen 
der  Rasse  voraus.  Unter  einer  solchen  verstehen  wir  eine  Summe 
von  Individuen  mit  gemeinsamen,  auf  die  Nachkommenschaft  in  gleicher 
Weise  sich  übertragenden,  sachlich  nachweisbaren  Merkmalen.  Welche 
Merkmale  nun  zur  Einteilung  der  Menschenrassen  am  richtigsten  zu 
wählen  sind,  ist  heute  nach  einem  mehr  als  hundertjährigen  Streit 
der  Anthropologen  immer  noch  kontrovers,  und  es  ist  unsere  Auf- 
gabe nicht,  darauf  einzugehen.  Wir  haben  nur  an  die  erwiesene 
Thatsache  anzuknüpfen,  daß  es  in  jedem  europäischen  Staat,  ja  in  der 
Regel  auch  in  jeder  Gemeinde  eine  Vielheit  physisch  genau  zu  um- 
schreibender Menschentypen,  mithin  daß  es  keine  reinen  Rassen- 
völker giebt. 

Wer  nach  Graubünden  reist  und  mit  offenem  Blick  dort  die 
Einheimischen  mustert,  wird  über  die  Mannigfaltigkeit  der  Physiogno- 
mieen  und  Gestalten  erstaunt  sein,  mag  er  den  Körper-  oder  Schädelbau, 
oder  die  Art  des  Haares,  die  Farbe  der  Augen  und  der  Haut  be- 
trachten. Die  Geschichte  des  Landes,  die  Eroberungen  und  Einwande- 
rungen machen  dies  im  allgemeinen  verständlich,  einen  quantitativen 
Ausdruck,  wenn  auch  nur  auf  einem  beschränkten  Forschungsgebiet, 
gewährt  die  statistische  Aufnahme,  welche  im  Jahre  1879  und  1880 
bezüglich  der  Augen-,    Haar-  und  Hautfarbe  der  Schulkinder  in  der 


Philologien,  I,  S.  288  ff.  und  422  ff.;  E.  Böhmer,  Romanische  Studien,  1871—1885; 
F.  R  a  u  8  ch ,  Geschichte  der  Litteratur  des  rhätoromanischen  Volkes,  Frankfurt  1870 ; 
Th.  Parmentier,  Vocabulaire  rh6toroman,  Paris  1896;  J.  Muoth,  Ueber  den 
Ursprung  und  Verbreitung  der  rhätoromanischen  Litteratur  im  Sonntagsblatt  des 
.Bund«,  1880. 

Es  giebt  verschiedene  Lexika  des  Rätoromanischen,  so  von  Matthias 
Conradi,  Pfarrer  in  Andeer,  das  erste,  Zürich  1823 — 1828,  von  C arisch  1848, 
von  Carigiet  1882,  von  Zaccaria  und  Emil  Pallioppi,  Dizionari  dels  idioms 
romauntschs,  Samedan  1895.  Die  romanischen  Dialekte  gehen  oft  kaum  merklich 
ineinander  über.  Im  Oberhalbstein  z.  B.  wird  die  Haus-  oder  Familiensprache 
mit  Recht  dem  Ladinischen  zugerechnet.  Da  dieselbe  aber  keine  eigene  Litteratur 
besitzt ,  ist  dort  Bibel,  Katechismus,  Gesangbuch,  Zeitung  u.a.  w.  im  Vorderrhein- 
thaler  Dialekt  eingeführt  worden,  und  so  ist  das  Romonsche  hier  zur  Schriftsprache 
geworden,  wodurch  die  gesprochene  Sprache  beeinflußt  wird.  Im  obersten  Ende 
des  Thaies,  dort,  wo  die  Julier-  und  Septimerstrafie  zusammentreffen,  ist  eine 
Untermundart  des  Oberhalbsteinschen  (Surseissischen)  vorhanden;  vgl.  R.  Lanz, 
Jl  Biviano. 


7] 


Die  Germanisierung  der  Rätoromanen  in  der  Schweiz. 


371 


Schweiz  vorgenommen  worden  ist x).  Es  ist  in  dem  Aufnahmeformular 
von  der  Augenfarbe  zunächst  ausgegangen  worden,  indem  blau,  grau, 
braun  oder  schwarz  unterschieden  wurde,  und  dann  ist  damit  ver- 
schiedentlich nach  der  vermutlichen  Häufigkeit  des  Typus  die  Farbe 
des  Haares  und  der  Haut  kombiniert  worden.  Im  Kanton  Graubünden 
ist  über  13410  Schulkinder  berichtet  worden,  von  denen  1776  blau- 
äugig, 5235  grauäugig,  6282  braun-  oder  schwarzäugig  waren.  Dazu 
kamen  117,  auf  welche  das  Kombinationsformular  nicht  anwendbar 
war,  z.  B.  die  Verbindung  graue  Augen,  schwarze  Haare  und  helle 
Haut.  Sondern  wir  aus  den  erforschten  Kombinationen  die  drei  als 
rein  angenommenen  Typen  aus:  1.  blaue  Augen,  blonde  Haare,  helle 
Haut,  2.  graue  Augen,  blonde  Haare,  helle  Haut,  3.  braune  oder  schwarze 
Augen,  braune  oder  schwarze  Haare,  helle  oder  braune  Haut,  mit  1115, 
2830,  4497  Kindern,  so  bleiben  für  den  verschiedenartig  gemischten 
Typus  (4)  4959  übrig.     In  Prozenten  entfallen  auf: 

1.  8,3, 

2.  21,2, 

ö.        Ou,Oj 

4.     37,0. 

Einen  genaueren  Einblick  in  die  Verteilung  der  Rassen  in  diesem 
Sinne  gewinnen  wir  aber  erst,  wenn  wir  die  Prozentsätze  der  einzelnen 
Amtsbezirke  des  Kantons  der  Prüfung  unterziehen: 


1 

2 

3 

4 

Braune  oder 

Amtsbezirke 

schwarze  Au- 

Blaue Augen, 

Graue  Augen, 

gen,  braune 
oder  schwarze 

Gemischter 
Typus 

blonde  Haare, 

blonde  Haare, 

helle  Haut 

helle  Haut 

Haare,  helle 

oder  braune 

Haut 

1.  Albula 

12,3 

22,3 

26,3 

39,1 

2.  Bernina     .     .     . 

7,9 

13,9 

34,7 

43,5 

3.  Glenner     .    .     . 

8,2 

26,2 

29,0 

36,7 

4.  Heinzenberg .     . 

9,8 

25,4 

26,9 

37,9 

5.  Hinterrhein   .     . 

3,5 

25,2 

32,5 

38,8 

6.  Imboden  .    .    . 

7,8 

21,2 

41,2 

29,8 

7.  Inn 

9,5 

20,7 

33,2 

36,6 

8.  Ober-Landquart 

6,4 

26,2 

36.6 

30,8 

9.  Unter-Landquart 

7,4 

19,2 

35,3 

38,1 

10.  Maloja.     .     .     . 

3,9 

16,8 

43,8 

35,5 

11.  Moesa  .... 

10,2 

15,0 

32,3 

42,5 

12.  Münsterthal  .     . 

11,6 

20,6 

37,6 

30,2 

13.  Plessur.     .    .     . 

5,9 

19,9 

39,0 

35,2 

14.  Vorderrhein  .     . 

12,1 

20,2 

26,6 

38,1 

l)  Das  Material,  welches  bisher  für  Graubünden  eine  detaillierte  Be- 
arbeitung nicht  gefunden  hat,  ist  mir  von  der  naturforschenden  Gesellschaft  in 
Bern  freundlichst  zur  Verfügung  gestellt  worden  und  wird  uns  im  Verlaufe 
unserer  Untersuchung  noch   gelegentlich   beschäftigen.    Die   Zählungen   und  Be- 


372  -A-  Sartoriuß  Freiherr  v.  Waltershausen,  [8 

Wir  ersehen  aus  dieser  Zusammenstellung,  daß  es  keinen  Bezirk 
mit  einer  einheitlichen  Rasse  nach  den  angegebenen  Merkmalen  giebt, 
daß  vielmehr  in  allen  die  drei  Haupttypen  nebeneinander  vorkommen 
und  die  Mischung  eine  große  Bolle  spielt.  Es  gilt  dies  sowohl  für 
die  deutsch  redenden  Bezirke  wie  Plessur,  Ober-  und  Unter-Landquart, 
als  auch  für  die  rein  italienischen  Bernina  und  Moesa,  und  für  die 
überwiegend  romanischen  wie  Vorderrhein,  Inn,  Münsterthal. 

Wollten  wir  die  Meinung  vertreten,  daß  die  Menschheit  in  eine 
Anzahl  Rassen  geteilt  werde,  z.  B.  nach  der  Art  des  Schädelbaues, 
und  daß  diese  Rassen  wieder  Unterabteilungen  hätten,  die  Nationali- 
täten hießen,  bei  denen  nach  der  Augen-,  Haar-  und  Hautfarbe  ge- 
rechnet werde,  so  würden  wir  in  Graubünden  zwar  von  verschiedenen 
Nationalitäten  sprechen  können,  aber  den  Begriff  der  deutschen,  ita- 
lienischen, romanischen  Nationalität  verwerfen  müssen.  Denn  die 
deutsch  Redenden  decken  sich  nicht  mit  dem  blauäugigen  germanischen 
Typus,  die  Romanen  oder  Italiener  nicht  mit  dem  dunkeln. 

Unter  Nationalität  ist  in  der  That  auch  etwas  ganz  anderes  zu 
verstehen  als  ein  somatologisches  Merkmal.  Wenn  wir  fragen,  was 
denn  ihr  eigentliches  Wesen  ist,  so  werden  als  Antwort  physische 
Abzeichen  nur  in  nebensächlicher  und  unbestimmter  Weise  angegeben. 
Man  sagt  nicht  richtig,  daß  sich  die  deutsche  Nation  durch  blaue 
Augen  und  blonde  Haare  bestimmen  lasse,  denn  was  wollten  dazu 
z.  B.  die  Rheinländer  oder  Süddeutschen  sagen,  bei  denen  der  dunklere 
Typus  überwiegt?  Vielmehr  spricht  man,  um  das  nationale  Wesen 
zu  kennzeichnen,  von  bestimmtem  erworbenen  geistigen  Be- 
sitz, von  Richtungen  des  Denkens,  von  Idealen,  ferner  von  Aeußerlich- 
keiten,  der  Tracht,  des  Eonsums,  der  Wohnung.  Es  zeigt  sich  in 
einem  Thun,  Sichbenehmen,  Sichunterhalten.  Wir  kennen  eine  natio- 
nale Litter atur,  Kunst,  Sitte,  Bildung  und  vor  allem  eine  nationale 
Sprache.  In  dieser  letzteren  spiegelt  sich  alles  Vorhergenannte  nicht 
nur  wieder,  sondern  es  bildet  sich  auch  in  ihr  weiter  und,  wie  Denken 
und  Sprechen  des  Individuums  in  steter  Wechselwirkung  zu  einander 
stehen,    so    ist    der  Lebensprozeß    der  Nation    aufs   innigste  mit  der 


rechnungen  sind  nach  meinen  Angaben  durch  einen  technisch  geschulten  Hilfs- 
arbeiter des  Statistischen  Bureaus  für  Elsaß- Lothringen  ausgeführt  worden.  — 
Die  Ergebnisse  der  schweizerischen  Enquete  sind  auf  Grundlage  von  Kantons-, 
nicht  Bezirkseinheiten  sorgfältig  bearbeitet  worden  von  Prof.  Dr.  Kollmann  in 
den  Denkschriften  der  schweizerischen  naturforschenden  Gesellschaft  von  1881  unter 
dem  Titel :  Die  statistischen  Erhebungen  über  die  Farbe  der  Augen,  der  Haare  und 
der  Haut  in  den  Schulen  der  Schweiz ;  in  dem  Referat,  gehalten  vor  der  elften  all- 
gemeinen Versammlung  der  deutschen  Gesellschaft  für  Anthropologie  1881  und  in 
dem  Korrespondenzblatt  der  deutschen  Gesellschaft  für  Anthropologie  1880-  Ferner 
ist  zu  nennen  Dr.  G.  Beck,  Ueber  die  anthropologische  Untersuchung  der  Schul- 
kinder mit  besonderer  Berücksichtigung  der  schweizerischen  Erhebung  in  den  Mit- 
teilungen der  naturforschenden  Gesellschaft  in  Bern,  1879.  Speziell  über  Bern, 
Prof.  Dr.  Th.  S  tu  der,  Ueber  die  statistische  Aufnahme  der  Farbe  der  Haut 
und  der  Augen  im  Kanton  Bern  in  den  Mitteilungen  der  naturforschenden  Gesell- 
schaft in  Bern,  1880.  —  Ueber  die  Erhebungen  des  Graubünden  angrenzenden 
Tirols  ist  zu  vergleichen  G.  A.  Schimmer,  Erhebungen  über  die  Farbe  der 
Augen,  der  Haare  und  der  Haut  bei  den  Schulkindern  Oesterreichs  in  den  Mit- 
teilungen der  anthropologischen  Gesellschaft  in  Wien,  Supplement  I,  1884. 


9]  Die  Germanisierung  der  Rätoromanen  in  der  Schweiz.  373 

Sprache  verknüpft.  Gut  Schreiben,  sagte  Bttffon,  ist  nichts  anderes 
als  richtig  Denken.  Richtig  Sprechen,  kann  man  hinzusetzen,  ist  auch 
nichts  anderes  als  richtig  national  empfinden.  Nationales  Wollen, 
Fühlen,  Denken  kommt  erst  zum  klaren  Ausdruck  in  der  Sprache. 
Andererseits  entwickelt  die  Sprache  den  Geist  der  Nation,  welcher  nur 
in  ihrer  Geschichte  zu  begreifen  ist. 

Nationalität  ist  also  —  das  Wort  ist  unglücklich  gewählt  — 
eine  Summe  historisch  erzeugter  Merkmale,  welche  sich  mehr  oder 
minder  scharf  ausgeprägt  bei  allen  Individuen  einer  Gruppe  von  Men- 
schen zeigen.  Dies  „Mehr  oder  Minder"  ist  nicht  zu  übersehen, 
weil  gerade  dadurch  der  geschichtliche  Vorgang  deutlich  veranschau- 
licht wird.  Die  Ausbildung  des  Nationalen  läßt  sich  auf  verschiedenen 
Stufen  verfolgen,  im  Auf-  und  Absteigen  der  politischen  Macht,  im 
Anschluß  an  die  auswärtigen  politischen  und  inneren  sozialen  Schick- 
sale des  Volkes,  auch  in  großer  Verschiedenheit  innerhalb  der  einzelnen 
gesellschaftlichen  Klassen. 

Wenn  wir  mit  diesem  Begriff  der  Nationalität  an  das  Räto- 
romanentum  herantreten,  so  sind  wir  befugt,  ihn  auch  auf  dieses  zur 
Anwendung  zu  bringen.  Es  hat  neben  der  Gemeinsamkeit  der  Sprache, 
des  wichtigsten  Abzeichens,  auch  gemeinsame  Sitten,  Gebräuche,  Lebens- 
gewohnheiten, welche  eine  gewisse  Sonderheit  darstellen.  Aber  manches 
ist  nicht  zur  vollen  Blüte  gelangt,  anderes  erscheint  abgeblaßt,  ein 
Rest  früherer  lebendiger  Zustände.  Während  die  deutsche,  die  fran- 
zösische, die  italienische  Sprachgemeinschaft  in  der  Schweiz  durch  die 
Ausbildung  der  Rede  und  Litteratur  und  durch  die  Aufnahme  zahl- 
reicher Bildungselemente  aus  Deutschland,  Frankreich  und  Italien, 
endlich  die  beiden  ersteren  auch  durch  ihre  politische  Machtstellung 
in  der  Schweiz  zu  organisch  gegliederten  Individualitäten  heranreifen 
konnten,  blieb  dies  im  gleichen  Maße  den  auf  sich  allein  angewie- 
senen, numerisch  schwachen,  vielfach  zerstreut  lebenden  Romanen 
versagt.  Ihr  Nationaltum,  das  sich  in  der  Wirtschaft,  der  Politik 
und  Kultur  der  deutschen  Vormacht  in  der  Ostschweiz  anbequemt  hat, 
mußte  auf  einer  niederen  Stufe  der  Entwickelung  beharren.  Da  in 
der  Geschichte  der  Völker  Stillstand  Rückschritt  bedeutet,  so  haben 
in  der  Konkurrenz  mit  dem  deutschen  Volkstum  die  Romanen  den 
abschüssigen  Weg  betreten,  der  zum  Verlust  ihrer  Nationalität  auch 
in  der  Sprache  führen  wird. 

Zu  zeigen,  wie  dies  im  einzelnen  gekommen  ist,  soll  die  Aufgabe 
dieser  Schrift  sein.  Sie  wird  anführen,  wie  den  wirtschaftlichen  Inter- 
essen bei  diesem  Vorgange  die  größte  Bedeutung  zukommt,  und  wie 
andere  auf  den  ersten  Blick  scheinbar  wichtigere  Vorgänge  doch  nur 
im  Hinblick  auf  jene  ganz  zu  verstehen  sind.  Das  ist  in  unserem 
Jahrhundert,  in  welchem  das  ökonomische  Leben  der  Völker  eine  Um- 
wälzung durchgemacht  hat  wie  in  keinem  vorhergehenden  nur  zu 
begreiflich,  aber  gerade  eine  solche  historische  Auffassung  wird  ge- 
eignet sein,  uns  vor  der  plumpen,  einseitigen  Theorie  zu  bewahren, 
daß  die  Verschiebungen  der  Nationalitäten  zu  allen  Zeiten  und  unter 
allen  Umständen  eine  zureichende  Erklärung  in  Zuständen  und  Vor- 
gängen der  Volkswirtschaft  gefunden  hätten. 


IL  Kapitel. 

Statistische  Grundlage. 

Die  eidgenössische  Sprachenstatistik1)  kommt  für  unsere  Unter- 
suchung insofern  in  Betracht,  als  sie  erstens  zeigt,  welchen  Anteil  die 
Rätoromanen  an  der  schweizerischen  Gesamtbevölkerung,  und  welches 
Zahlenverhältnis  sie  zu  den  anderen  Nationalitäten  haben,  und  zweitens, 
wie  sie  in  den  einzelnen  Kantonen,  insbesondere  in  ihrem  Hauptgebiete 
Graubünden,  verbreitet  sind.  Die  Erhebungen  über  die  Muttersprache 
der  Schweizer  beginnen  im  Jahre  1850. 

Sie  sind  freilich  noch  unvollkommener  Art.  Aus  den  Volks- 
zählungstabellen ist  nur  eine  allgemeine  Uebersicht  über  die  Schweizer 
Wohnbevölkerung  nach  der  Sprachzugehörigkeit  zu  ermitteln,  indem 
die  einzelnen  Gemeinden  dem  einen  oder  anderen  Sprachgebiete  zu- 
gerechnet wurden,  je  nachdem  sich  ihre  Bewohner  bei  der  Zählung 
der  in  den  verschiedenen  Sprachen  ausgestellten  Formulare  bedient 
hatten.  Die  Wohnbevölkerung  betrug  damals  in  dem  Gebiete  der  Eid- 
genossenschaft 2392  740  Personen,  von  denen  zur  deutschen  Zunge 
gehörig  1680896,  zur  französischen  540072,  zur  italienischen  129333, 
zur  romanischen  42439,  geschätzt  wurden.  In  Prozenten  und  ab- 
gerundet bedeutet  dies,  daß  70  deutsch,  23  französisch;  4  italienisch, 
2  romanisch  waren. 


l)  Die  Grundlagen  sind  enthalten  in:  1.  Uebersichten  der  Bevölkerung  der 
Schweiz  nach  den  Ergebnissen  der  letzten  eidgenössischen  Volkszählung,  Bern  1851, 
I.  Teil,  Taf.  VI;  2.  Eidgenössische  Volkszählung  vom  10.  Dezember  1860;  3.  Eid- 
genössische Volkszählung  vom  1.  Dezember  1870,  Bd.  I;  4.  Eidgenössische  Volks- 
zählung vom  1.  Dezember  1880,  Bd.  I;  5.  die  Ergebnisse  der  Eidgenössischen  Volks- 
zählung vom  1.  Dezember  1888,  Bd.  I.  Zu  vergleichen  ist  ferner  die  Schweizerische 
Statistik,  Lieferung  84,  S.  72*,  und  über  Fehler,  die  in  Graubünden  gemacht 
worden  sind:  M.  Truog  in  der  Zeitschrift  für  Schweizerische  Statistik,  Bern  1882, 
S.  119. 

Frühere  Schätzungen  der  Nationalitätsgrößen  finden  sich  in  «Stefano 
Franscini's  Statistik  der  Schweiz",  bearbeitet  von  G.  Hagnauer,  Aarau  1829, 
S.  382,  und  in  der  , Neuen  Statistik  der  Schweiz'  von  demselben,  aus  dem  Ita- 
lienischen, Bern  1848,  S.  56.  Das  erstere  Buch  rechnet  1387000  Deutsche, 
440000  französiche,  116000  italienische,  85  000  romanische  Schweizer,  das  zweite 
(20  Jahre  später)  1670000  deutscher,  474000  französischer,  133500  italienischer, 
42000  romanischer  Sprache. 


1 1  ]  A.  Sartorius  Frhr.  v.  Waltershausen,  Die  Germanisierung  der  Rätoromanen  etc.  375 


Die  Untersuchungen  von  1860  und  1870  dürfen  als  weit  genauer 
bezeichnet  werden,  wenn  auch  gegen  sie  noch  erhebliche  Bedenken 
geltend  zu  machen  sind.  Sie  beruhen  auf  der  Zahl  der  Haus- 
haltungen in  nachfolgender  Weise: 


Deutsch 


Französisch 


Italienisch 


Romanisch 


Andere 
Sprachen 


1860 
1870 


367065 
384561 


123438 
134183 


28697 
30293 


8882 
8759 


23 
24 


Die  Möglichkeit  des  Irrtums  ist  bei  dieser  Zählungsweise,  falls 
man  die  Stärkeverhältnisse  der  Nationalitaten  erfassen  will,  vor  allem 
darin  zu  erblicken,  daß  die  Angaben  von  dem  Haushaltungsvorstand 
gemacht  wurden  nach  derjenigen  Sprache,  welche  in  der  Familie  vor- 
herrschend üblich  war,  mithin  Dienstboten,  Lehrlinge,  in  Logis  und 
Kost  aufgenommene  Personen  u.  s.  w. ,  auch  wenn  sie  anderssprachig 
waren,  bei  der  statistischen  Aufnahme  nicht  berücksichtigt  werden 
konnten.  Da  nun  die  Wanderung  von  einem  Sprachgebiete  zum  anderen 
innerhalb  der  Schweiz  weit  mehr  einzelne  Personen  als  Familien  umfaßte, 
so  konnte  der  genannte  Fehler  wohl  bedeutend  werden.  Zudem  ist 
zu  beachten,  daß  die  Haushaltungen  im  Durchschnitt  nach  ihrer  Kopf- 
zahl durch  große  Gebiete  hin,  welche  möglicherweise  mit  nationalen 
Grenzen  zusammenfallen,  verschieden  groß  sein  können,  z.  B.  nach  der 
Kinderzahl  der  Familien  oder  der  Art  des  Wirtschaftsbetriebes,  wo- 
durch der  Schluß,  daß  die  Bevölkerung  nach  der  Sprache  gezählt  der 
Haushaltungsziffer  proportional  ist,  hinfällig  wird1). 

Die  beiden  Volkszählungen  von  1880  und  1888  haben  daher,  um 
zu  einem  exakteren  Bilde  der  Sprachverbreitung  zu  gelangen,  von  den 
einzelnen  Personen  den  Ausgang  genommen,  womit  nun  allerdings  die 
Vergleiche  mit  den  vorausgehenden  Jahrzehnten  hinfällig  werden,  aber 
für  vergleichende  Berechnungen  mit  künftigen,  ebenfalls  exakten  Er- 
hebungen eine  zuverlässige  Grundlage  gegeben  worden  ist. 

Die  Vergleichung  der  aufeinander  folgenden  Volkszählungen  ist  des- 
halb von  so  großer  Wichtigkeit,  weil  aus  ihr  die  Verschiebung  zu  ersehen 
ist,  welche  die  Sprachgemeinschaft  in  einem  bestimmten  Zeitraum  von 
Jahren  örtlich  oder  bezüglich  ihrer  Größe  erlitten  hat.  Nun  unterscheidet 
die  schweizerische  Statistik  die  ortsanwesende  und  die  Wohnbevölkerung, 
indem  unter  ersterer  die  am  Zählungstage  an  einem  Ort  anwesenden 
und  gezählten,  unter  letzterer  die  dauernd  niedergelassenen,  wenn  auch 
am  Zählungstage   vom  Ort  abwesenden  Personen   verstanden   werden. 


x)  Schweiz.  Statistik,  Lief.  84,  S.  72*,  und  J.  Siegfried,  Statistik  der 
Schweiz.  Bevölkerung  nach  den  Landessprachen  in  der  Zeitschrift  für  Schweiz. 
Statistik,  1873,  S.  179.  J.  Hunziker,  Die  Sprachverhältnisse  in  der  Westschweiz 
in  der  Schweiz.  Rundschau,  1895,  S.  277  ff.  u.  381  ff.:  „Für  beide  Volkszahlungen 
gilt,  daß  die  daraus  sich  ergebenden  relativen  Zahlen  für  die  Deutschen  zu  niedrig 
sind,  denn  die  zahlreichen  Deutschen,  welche  französischen  Haushaltungen  an- 
gehören, konnten  dabei  nicht  berücksichtigt  werden,  und  die  deutschen  Haus- 
haltungen zählen  durchschnittlich  mehr  Köpfe  als  die  französischen." 


376  A.  Sartorius  Freiherr  v.  Waltershausen,  [12 

Beide  Größen  brauchen  sich  nun  keineswegs  zu  decken,  da  die  Zahl 
der  ortsanwesenden  Ausländer  größer  oder  kleiner  sein  kann,  als 
die  gleichzeitig  im  Auslande  befindliche  ortsabwesende  Wohnbevölke- 
rung. Für  die  genannte  Verschiebung  hat  die  Ermittelung  der  Wohn- 
bevölkerung entschieden  die  größere  Bedeutung,  weil  in  ihr  ein  an- 
dauernder Zustand  zum  Ausdruck  gelangt,  und  die  Volkszählung  von 
1888  hat  auch  die  Sprachenstatistik  dementsprechend  für  die  ganze 
Schweiz,  die  Kantone,  Amtsbezirke,  Kreise  und  Gemeinden  ermittelt. 
Hingegen  bezieht  sich  die  definitiv  maßgebende  Zählung  nach  der 
Muttersprache  aus  dem  Jahre  1880  auf  die  Ortsanwesenden.  Es 
läßt  sich  daher  nicht  in  Abrede  stellen,  daß  eine  ganz  befriedigende 
Vergleichung  der  Sprachstatistiken  von  1880  und  1888  ausgeschlossen 
ist.  Im  Jahre  1888  ist  nun  aber  auch  die  ortsanwesende  Bevölke- 
rung gezählt  worden,  und  zwar  bezüglich  der  Muttersprache  auch 
für  die  Kantone  und  Bezirke,  nicht  aber  für  die  Kreise  und  Gemein- 
den, und  es  hat  sich  ergeben,  daß  dieselbe  im  ganzen  um  5°/oo  oder 
absolut  betrachtet  um  etwa  15000  Personen  größer  ist  als  die  Wohn- 
bevölkerung. Wenn  man  die  prozentuale  Verteilung  der  ortsanwesen- 
den von  1888  derjenigen  der  Wohnbevölkerung  desselben  Jahres  gegen- 
überstellt, ist  der  Unterschied  nicht  sehr  erheblich,  so  daß  man,  wie 
es  das  statistische  Jahrbuch  der  Schweiz  z.  B.  auch  thut,  die  Prozent- 
sätze der  1880er  ortsanwesenden  und  der  1880er  Wohnbevölkerung  ver- 
gleichen kann.  Bei  der  Zusammenstellung  der  absoluten  Zahlen  der 
Wohnbevölkerung  von  1888  und  der  ortsanwesenden  von  1880  wird  man 
sich  des  Fehlers  bewußt  bleiben  müssen,  daß  die  erstere  für  die.  ver- 
schiedenen Sprachgemeinschaften  im  Durchschnitt  um  5°/oo  zu  klein 
dargestellt  worden  ist1).  Bedarf  man  zum  Vergleich  der  Sprach- 
statistik nur  der  Kantone  und  Bezirke,  so  kann  man  sich  an  die  Er- 
mittelungen über  die  Ortsanwesenden  von  1880  und  1888  halten,  die 
freilich,  wie  gesagt,  nicht  so  wertvoll  sind,  als  solche  über  die  Wohn- 
bevölkerung sein  würden.  Auch  ist  hinzuzusetzen,  daß  jene  Zählung 
der  Ortsanwesenden  von  1888  als  vorläufiges  Ergebnis  veröffentlicht  *) 
und  später  nur  bezüglich  seiner  Gesamtsumme  einer  Korrektur  unter- 
stellt wurde,  während  die  die  Muttersprache  betreffenden  Zahlen  so 
gelassen  und  in  der  definitiven  Statistik  nicht  aufgenommen  worden 
sind,  hingegen  nur  die  auf  die  Wohnbevölkerung  bezüglichen  Platz 
gefunden  haben. 

Die  beiden  Zählungen  von  1880  und  1888   haben  für  die  ganze 
Eidgenossenschaft  folgende  Resultate  ergeben: 


')  Die  genaue  Aufklärung  dieser  Thateache  verdanke  ich  Herrn  J.  Dürr  er, 
Adjunkt  des  eidgen.  statistischen  Bureaus,  der  mich  brieflich  über  dieselben 
unterrichtete. 

s)  Vorläufige  Resultate  der  eidgen.  Volkszählung  vom  1.  Dezember  1888, 
6  Wochen  nach  dem  Zählungstage  publiziert. 


13] 


Die  Germaniaierung  der  Rätoromanen  in  der  Schweiz. 


377 


Deutsch 

Französisch 

Italienisch 

Romanisch 

Andere 
Sprachen 

1880 

1 

ortsanwesende  Bevölkerung  . 

2030792 

608007 

161923 

38705 

6675 

1888 

ortsanwesende  Bevölkerung  . 

2092  580 

637972 

156606 

38375 

8574. 

Wohnbevölkerung    .... 

2083097 

634613 

155 133 

38357 

6557 

In  Prozenten: 

1880 

ortsanwesende  Bevölkerung . 

71,35 

21,36 

5,69 

1,36 

0,23 

1888 

Wohnbevölkerung    .... 

71,39 

21,75 

5,31 

1,31 

0,23 

1888 

orts anwesende  Bevölkerung  . 

71,31 

21,74 

.  5,34 

1,31 

0,29 

Es  läßt  sich  aus  diesen  Angaben  ersehen,  daß  die  prozentuale 
Zusammensetzung  der  ortsanwesenden  schweizerischen  Bevölkerung  nach 
der  Muttersprache  betrachtet  binnen  der  acht  Jahre  in  der  Weise  ver- 
ändert worden  ist,  daß  diejenige  italienischer  Sprache  0,85,  romanischer 
0,05,  deutscher  0,04  °/o  verloren,  hingegen  französischer  0,38  und  an- 
dere 0,06 °/o  gewonnen  hat.  Uns  interessiert  an  dieser  Stelle  vor- 
nehmlich der  Rückgang  des  Romanentums,  der  sich  absolut  zwar  nur 
auf  320  der  Ortsanwesenden  beziffert,  aber  innerhalb  des  Wachstums 
der  Gesamtbevölkerung  doch  weit  mehr  bedeutet,  da  die  Romanen 
1880  a/7  3  und  1888  nur  J/76  derselben  ausmachten.  Da  nun  der  An- 
teil der  italienischen  Sprachangehörigkeit  ebenfalls  eine  rückgängige 
Bewegung  und  zwar  eine  größere,  ungefähr  von  V19  auf  V17  zeigt, 
so  erscheint  innerhalb  des  Ganzen  ihm  gegenüber  das  Romanentum 
als  etwas  gewachsen,  während  es  den  anderen  Sprachen  gegenüber 
seine  Abnahme  deutlich  kennzeichnet. 

Wenn  wir  uns  nun  zur  Statistik  des  Kantons  Graubünden  wenden, 
so  möchte  ich  zum  Verständnis  der  politischen  Einteilung  desselben 
vorausschicken,  daß  er  in  14  Amtsbezirke  zerfallt,  welche  in  der  Ein- 
leitung bei  der  Aufstellung  der  Rassenstatistik  bereits  genannt  sind. 
Von  ihnen  haben  Albula  4  Kreise,  Bernina  2,  Glenner  3,  Heisen- 
berg 3,  Hinterrhein  3,  Imboden  2,  Inn  3,  Ober-Landquart  5,  Unter- 
Landquart  4,  Maloja  2,  Moösa  3,  Plessur  3.  Münsterthal  und  Vorder- 
rhein umfassen  nur  je  einen  Kreis. 

Im  ganzen  bestehen  also  39  Kreise,  welche  sich  aus  223  poli- 
tischen Gemeinden  zusammensetzen. 

Die  Bevölkerung  des  Kantons  nach  der  Muttersprache  ergiebt 
sich  aus  der  folgenden  Tabelle: 


378 


A.  Sartorius  Freiherr  v.  Waltershausen, 


[14 


Deutsch 

Französisch 

Italienisch 

Romanisch 

Andere 
Sprachen 

Kantonale 
Bevölke- 
rung 

1850 

Bestimmung  d.  Ein- 

zelpersonen aus  der 

.überwiegenden 

Muttersprache     in 

den  Gemeinden  .  . 

35500 

— 

11956 

42439 

— 

89895 

1860 
Haushaltungen  .  .  . 

9152 

15 

2849 

8858 

— 

Wohnbevöl- 
kerung 
90713 

Wohnbevöl- 

1870 

kerung 

Haushaltungen  .  .  . 

9347 

29 

3024 

8740 

— 

92103 
Wohnbevöl- 

1880 

kerung 

Ortsanwesende  .  .  . 

43664 

115 

12976 

37  794 

442 

94991 

1888 

Ortsanwesende 

(vorl.  Ergebnis)  .  . 

44272 

239 

13957 

37  077 

746 

96291 

(96235  def. 

1888 

Ergebnis) 

Wohnbevölkerung  . 

43671 

173 

13721 

37,036 

209 

94810 

Aus  dieser  Zusammenstellung  läßt  sich  zunächst  ersehen,  daß  die 
Bevölkerung  in  dem  Eanton  nur  sehr  langsam  zugenommen  hat,  und 
zwar  von  1850—1860  auf  1000  Einwohner  jährlich  um  0,8,  von 
1860—1870  um  1,5,  von  1870—1880  um  1,9,  von  1880—1888  um 
1,13,  während  für  die  Schweiz  im  ganzen  die  folgenden  Promilleziffern 
gegolten  haben:  4,5,  5,6,  6,5,  3,7.  Da  nun  die  romanische  Sprache 
so  gut  wie  ausschließlich  in  Graubünden  gesprochen  wird,  und  in  allen 
Teilen  dieses  Landes  die  Bevölkerungszunahme  eine,  wenn  auch  ver- 
schiedentlich, langsame  gewesen  ist,  so  haben  schon  die  Romanen  aus 
dem  Grunde  des  langsamen  Bevölkerungsanwachsens  keine  Aussicht 
gehabt,  in  der  schweizerischen  Gesamtbevölkerung  ihren  Anteil  zu  er- 
höhen. Die  Ursache  der  geringen  Volksvermehrung  ist  wohl  zu- 
nächst darin  zu  finden,  daß  der  Eanton,  obgleich  er  der  größte  von 
allen  ist,  doch  für  eine  dichte  Besiedelung  keine  günstigen,  natür- 
lichen Voraussetzungen  hat.  Nach  einer  Zusammenstellung  vom  eid- 
genössischen Bureau  des  Bauwesens  aus  dem  Jahre  1877,  welche  durch 
Angaben  der  Kautonsregierung  wiederholt  ergänzt  worden  ist,  umfaßt 
die  Gesamtfläche  Graubündens  7184,8  qkm *).  Davon  entfallen  auf 
die  Waldfläche  1268,8,  auf  Rebland  2,6,  auf  Aecker,  Wiesen,  Weiden, 
Gärten  2580,42,  d.  h.  total  3851,6  qkm,  oder  53,61  °/o  der  Gesamt- 
fläche auf  Nutzboden.  Dem  stehen  gegenüber  an  unproduktivem  Ge- 
biet: Gletscher  mit  359,2,  Seeen  mit  15,1,  Städte,  Dörfer,  Gebäude 
mit  7,2,  Flüsse,  Bäche  mit  23,5,  Schienen-  und  Straßenwege  mit  8,5, 
Felsen  und  Schutthalden  mit  2919,7  qkm.  Das  sind  im  ganzen  3333,2  qkm 
oder  46,39 °/o  des  Kantonsgebietes.  Stellen  wir  dies  Verhältnis  der 
nutzbaren  zur  landwirtschaftlich  unproduktiven  Fläche  demjenigen  der 


*)   Statist.  Jahrb.  der  Schweiz  von  1898,  S.  4. 


15]  Die  Germani8ierung  der  Rätoromanen  in  der.  Schweiz.  379 


Schweiz  im  ganzen,  nämlich  von  71,68  :  28,32  gegenüber,  so  müssen 
wir  es  als  sehr  ungünstig  bezeichnen,  und  es  wird  nur  von  den  Kan- 
tonen Uri  und  Wallis  tibertroffen. 

Die  Höhenlage  des  zur  Landwirtschaft  dienlichen  Bodens  ist  viel- 
fach derart,  daß  sie  einen  ergiebigen  Getreidebau,  den  Weinbau  und 
die  Gartenkultur  ausschließt.  Die  Winter  oben  im  Gebirge  sind  lang 
und  die  Sommer  kurz,  wodurch  nicht  nur  die  Arbeit  im  Freien  er- 
schwert wird,  sondern  auch  die  Ansprüche  an  Nahrung,  Kleidung 
und  Wohnung  erhöht  werden.  Von  je  100  Einwohnern  in  Graubünden 
entfallen  auf  die  Gemeinden  in  der  Höhe  von  weniger  als  500  m  3, 
von  500 — 599  m  46,  von  1000  m  oder  mehr  51.  Mehr  als  die 
Hälfte  der  Bewohner  leben  also  in  Gemeinden  in  einer  Höhe  von 
über  1000  m,  während  die  Schweiz  im  Durchschnitt  hierfür  nur  5°/o 
und  für  die  beiden  anderen  Abteilungen  49°/o  und  46°/o  kennt1).  Von 
dem  Kantonsgebiet  liegt  nur  ein  kleiner  Teil  am  Südabhange  der 
Alpen  im  Amtsbezirk  Moesa  tiefer  als  500  m,  wo  hingegen  die  beiden 
Bezirke  Inn  und  Münsterthal  sich  ganz  in  der  Höhenzone  über  1000  m 
befinden. 

In  der  gleichen  Lage  befinden  sich  in  den  Gemeinden  von  Al- 
bula  95°/o  der  Bevölkerung,  von  Maloja  91°/o  ,  Vorderrhein  83°/o, 
Bernina  72°/o,  Hinterrhein  68°/o,  Oberlandquart  64°/o  und  Glenner  63°/o. 

Die  orographische  Gestaltung  des  Landes  bringt  es  ferner  mit 
sich,  daß  die  gesamte  Nutzfläche  auf  etwa  150  durch  hohe  Bergketten 
voneinander  gesonderte  Thäler  verteilt  wird.  Größere  ebene  Flächen, 
auf  denen  ein  gewinnbringender  landwirtschaftlicher  Großbetrieb  Platz 
greifen  könnte,  sind  daher  selten.  Hingegen  ist  ein  bedeutendes  Kosten- 
element für  den  Acker-  und  Wiesenbau  darin  zu  sehen,  daß  sich  die 
Landparzellen  oft  von  der  Thalsohle  in  starker  Steigung  bergwärts 
erheben,    oder  überhaupt   hoch   oben  an   den  Abhängen   gelegen  sind. 

Durch  die  gebirgige  Natur  Graubündens  wird  auch  der  Trans- 
port- und  Handelsverkehr  zwischen  den  einzelnen  Ortschaften,  sowie 
mit  anderen  schweizerischen  Kantonen  oder  mit  fremden  Ländern  er- 
schwert, so  daß  Jahrhunderte  hindurch  die  meisten  Alpenthäler  des  Landes 
ein  von  der  Außenwelt  fest  abgeschlossenes  Dasein  geführt  haben. 
Aber  während  die  natürlichen  Vorbedingungen  für  die  Landwirtschaft 
bisher  nur  in  geringem  Maße  einer  Verbesserung  zugänglich  gewesen 
sind,  hat  die  bildende  Hand  des  Menschen  für  die  Erleichterung  des 
Verkehrs  so  viel  gethan,  daß  heute  das  ganze  Netz  der  vielverzweigten 
Thäler  zu  einem  lebendigen  Gliede  der  schweizerischen  Volkswirtschaft 
werden  konnte. 

Mit  dem  Aufschwung  des  Handels  und  der  Transportbesorgung 
hat  jedoch ,  anders  als  sonst  in  so  vielen  Teilen  der  Schweiz ,  die  in- 
dustrielle Entwickelung  nicht  Schritt  gehalten.  Nach  der  Gewerbe- 
statistik von  1880  nahm  Graubünden  von  sämtlichen  Kantonen  die 
drittletzte  Stelle  in  Bezug  auf  industrielle  Ausbildung  ein,  indem  von 
1000  erwerbsfähigen  Personen  industriell  und  gewerblich  nur  217  be- 


0  Vgl.  die  Ergebnisse  der  eidgen.  Volkszählung  von  1888,  S.  190  ff. 


380  A.  Sartorius  Freiherr  v.  Waltershausen,  [16 

sch'äftigt  waren1).  Nach  der  statistischen  Aufnahme  von  1888  ernährten 
sich  durch  Landwirtschaft,  Viehzucht  und  Gartenbau  54  von  100  Per- 
sonen der  Wohnbevölkerung;  oder  von  je  100  Personen  bekannten 
Berufsverhältnisses  gehörten  58  zur  Landwirtschaft.  In  dem  letzten 
Jahrzehnt,  vor  allem  wohl  im  Anschluß  an  den  Bahnbau  nach  Thusis 
und  Davos,  sind  einige  neue  industrielle  Etablissements  entstanden, 
auch  finden  wir  über  das  ganze  Land  zerstreut  gewerbliche  kleine 
Unternehmungen  verschiedener  Art,  aber  alles  bedeutet  doch  quantitativ 
sowohl  nach  dem  investierten  Kapital  als  auch  nach  dem  erzeugten 
Produkt  äußerst  wenig2).  Daß  unter  der  heutigen  industriellen  Kon- 
kurrenz der  sonstigen  Schweiz  und  des  Auslandes  eine  große  Industrie 
erblühen  könne,  ist  durchaus  nicht  anzunehmen,  denn  es  sind  die 
Roh-  und  Hilfsstoffe  dafür  in  ganz  besonders  reichlichem  Maße  nicht 
gegeben3),  obgleich  die  Ausnutzuug  der  vorhandenen  Wasserkräfte 
nicht  gering  veranschlagt  werden  soll,  auch  die  Möglichkeit  der 
Wiederaufnahme  des  im  16.  und  17.  Jahrhundert  ergiebigen  Berg- 
baues nicht  ganz  zu  verneinen,  und  der  Reichtum  an  Waldungen  nicht 
zu  vergessen  ist.  Indessen  muß  heutzutage  jede  Großindustrie,  um 
lebensfähig  zu  werden,  großen  Absatz  haben,  Exportgewerbe  sein, 
dessen  Expansion  bei  der  Stärke  der  Weltkonkurrenz  an  erster  Stelle 
durch  die  Gunst  der  Absatzwege  bedingt  ist.  So  vortrefflich  nun  auch 
die  Alpenstraßen  über  den  Julier-,  Albula-,  Flüela-  und  Ofenpaß,  im 
Vorder-  und  Hinterrhein thal,  im  Innthal  und  Bergeil  sein  mögen,  und 
so  unzweifelhaft  es  auch  ist,  daß  die  Eisenbahn  auch  im  Innern  Grau- 
bündens  der  Landstraße  immer  mehr  folgen  wird,  ebenso  sicher  ist  es 


l)  Dabei  ist  aber  zu  berücksichtigen,  daß  die  gesamte  Milchwirtschaft  mit 
Einschluß  der  Käserei  zur  Urproduktion  gerechnet  worden  ist. 

*)  Im  Jahre  1896  wurden  in  Graubünden  14  Brauereien  gezählt,  von  denen 
aber  nur  3  über  5000  hl  Bier  im  Jahre  erzeugt  hatten ,  mit  einer  Gesamtleistung 
von  45  407  hl ;  während  gleichzeitig  die  Schweiz  eine  Produktion  von  1  879  567  hl 
besaß.  Der  Schweizerische  Verein  von  Dampf  kesselbesitzern  zählte  1896  2215  Mit- 
glieder und  3608  Dampfkessel ,  auf  Graubünden  entfallen  nur  30  Mitglieder  und 
89  Dampfkessel.  (Statist.  Jahrb.  der  Schweiz,  1898)  —  1895  (vgl.  Stat.  Jahrb.  der 
Schweiz  von  1896)  hatte  Graubünden  58  industrielle  Etablissements,  die  Schweiz 
hingegen  4933,  im  Kanton  waren  darin  beschäftigt  1142  männliche  und  253  weib- 
liche Arbeiter,  in  der  Schweiz  hingegen  119  204  und  80995.  Eine  Zunahme  ist  auch 
in  Graubünden  seit  1888  zu  konstatieren,  in  welchem  Jahre  41  Etablissements  mit 
761  männlichen  und  348  weiblichen  Arbeitern  gezählt  wurden.  In  demselben  Jahre 
(vgl.  Schweiz.  Statistik  Lieferung  96)  waren  bei  der  Veredlung  der  Natur-  und  Ar- 
beitserzeugnisse  6283  Männer  und  2401  Frauen  thätig. 

Daß  die  Bündner  Industrie,  so  gering  sie  ist,  sich  doch  ziemlich  vielseitig 
gestaltet  hat,  bewies  die  kantonale  Gewerbeausstellung  von  Chur  im  Jahre  1877. 
Nach  dem  „Volkswirtschaftlichen  Blatt  für  den  Kanton  Graubünden",  Nr.  18,  1877, 
waren  hier  u.  a.  vertreten:  die  Parkettfabrik  von  Trons,  Möbelfabrik  Davos,  Ma- 
schinenfabrik Landquart,  Glockengießerei  Felsberg,  Kochherde-  und  Käsekessel- 
fabrik Thusis,  Seifensiederei  Ziezers;  in  Chur  waren  gefertigt:  Wollstoffe,  Leder- 
waren, Thonwaren,  Ziegelfabrikate,  Chaisen,  landwirtschaftliche  Wagen.  —  Detai- 
lierte  Angaben  über  die  Bündner  Gewerbe  in  der  Gewerbestatistik  von  1888 
(Schweiz.  Statistik,  Lief.  96). 

8)  Wenn  es  auch  an  Manchem  nicht  fehlt:  Es  befinden  sich  Marmorlager 
in  Splügen,  bei  Canicül,  Vals  und  Untervatz;  Serpentine  werden  bei  Davos  und 
Marmels,  Sil 8  Maria,  im  Schanfigg  gefunden ;  Plattensteine  im  Oberhalbstein,  Speck- 
steine im  Tavetsch,  Gipslager  bei  Klosters,  Alvaschein,  Crusch,  Kalklager  am  Albula. 


17]  Die  Germamsierung  der  Rätoromanen  in  der  Schweiz.  381 

auch,  daß  die  Transportkosten  im  gebirgigen  Gebiete,  das  zudem  der 
Kanal-  und  Flußschiffahrt  entbehrt,  den  Wettbewerb  mit  denen  des 
Hügel-  und  Flachlandes  nicht  aufnehmen  können.  Die  Bedeutung 
eines  Transitverkehrs  zwischen  Deutschland,  Oesterreich  und  Italien 
wird,  als  von  anderen  wirtschaftlichen  Faktoren  bestimmt,  durch  eine 
solche  Erwägung  nicht  berührt. 

Versuche,  industrielle  Unternehmungen  in  Graubünden  zu  schaffen, 
sind  schon  im  18.  Jahrhundert  wiederholt  gemacht  worden1),  welche 
keineswegs  imstande  gewesen  sind,  bei  den  Einwohnern  ein  leb- 
haftes Interesse  zu  erwecken.  Es  mag  dies  damit  zusammen- 
hängen, daß  auch  das  Handwerk,  auf  dem  sich  die  Industrie  hätte 
aufbauen  können,  damals  unter  ihnen  nur  wenig  in  Uebung  war. 
„Außerhalb  der  Stadt  Chur,*  berichtet  uns  ein  Bündner  Historiker2), 
„wo  so  ziemlich  alle,  auch  die  höheren  Handwerke  vertreten  waren, 
herrschte  im  18.  Jahrhundert  eine  große  Armut  an  Gewerben.  Gab 
es  doch  eine  gar  nicht  geringe  Zahl  kleiner  Ortschaften,  wo  durchaus 
kein  Handwerker,  nicht  einmal  ein  Hufschmied,  ein  Schneider,  ein 
Schuhmacher  zu  finden  war.  In  größeren  Dörfern  traf  man  wohl  den 
Schmied,  den  Zimmermann,  Maurer,  Tischler,  vielleicht  hier  und  da 
einen  Schlosser,  aber  in  ganz  Bünden  gab  es  außerhalb  Chur  keinen 
gelernten  Buchbinder,  Flachmaler,  Klempner,  Uhrmacher,  Metzger, 
selten  einen  Bäcker  und  nur  noch  in  Thusis  einen  Sattler  und  in 
Ilanz  einen  Kupferschmied/  In  der  Gegenwart  duldet  der  Verkehr 
diese  primitiven  Zustände  zwar  nicht  mehr,  aber  der  Mangel  ist  doch 
noch  unverkennbar.  Der  Bündner  hat  sich  in  seiner  Heimat  dem 
Handwerk  nur  wenig  anbequemt,  überläßt  es  gern  eingewanderten 
anderen  Schweizern  oder  Deutschen,  Italienern  und  Oesterreichern8). 
Im  Oberengadin  habe  ich  z.  B.  Mailänder  Schneider  angetroffen,  in 
Tiefenkastell  Schlosser  und  Hufschmiede  aus  der  deutschen  Schweiz, 
im  Münsterthal  Handwerker  aus  Tirol.  Daß  die  Bündner  zum  Hand- 
werk überhaupt  nicht  tauglich  seien,  wird  man  nicht  behaupten  köunen, 
denn  im  Auslande,  in  Italien,  besonders  Venedig,  Frankreich,  Deutsch- 
land, Polen,  Dänemark,  Rußland,  waren  sie  früher  und  zum  Teil  jetzt 
noch  als  rührige  Zuckerbäcker,  Pastetenbäcker,  Likörverfertiger,  Cafö- 
tiers,  Glaser,  Scherenschleifer  und  Schuhmacher  bekannt,  wobei  frei- 
lich nicht  zu  übersehen  ist,  daß  in  diesen  Berufen  die  kaufmännische 
Thätigkeit  gar  oft  die  handwerksmäßige  überwog. 


*)  J.  Andr.  v.  Sprecher,  Geschichte  der  Republik  der  drei  Bünde  im 
18.  Jahrhundert,  Bd.  II,  S.  134  ff. 

2)  J.  Andr.  v.  Sprecher  a.  a.  0.,  S.  141.  Vgl.  den  neuen  Sammler,  ein 
gemeinnütziges  Archiv  für  Bünden,  herausg.  von  der  ökonomischen  Gesellsch.  Chur 
1805—1812,  IV,  140  ff.  über  die  Abneigung  der  Schamser  Thalbewohner  gegen 
das  Handwerk. 

8)  A.  Schreiber,  Graubündens  Einwohner  nach  ihren  Berufsarten,  Chur 
1873.  —  M.  Caviezel,Das  Engadin  in  Wort  und  Bild,  Samaden  1896,  S.  268  ff. 
„Der  Handwerkerstand  ist  schwach  vertreten.  In  manchem  Bauerndorf e  sind  kaum 
genügend  Schuster,  Schneider,  Grobschmiede  und  Schlosser,  um  den  notwendigen 
Bedürfnissen  des  Bauernstandes  zu  genügen."  Besser  ist  Ilanz,  der  Hauptort  des 
Vorderrheinthal  es ,  verseben,  wo  ich  Schneider,  Schuster,  Uhrmacher,  Bürsten- 
macher, Buchbinder,  Hufschmiede,  Tapezierer  vorfand. 

Forschungen  zur  deutschen  Landes-  and  Volkskunde.    XII.   6.  26 


382 


A.  Sartorius  Freiherr  t.  Walterehausen, 


[18 


Graubünden  ist  nach  den  bisherigen  Ausführungen  und  zwar, 
wie  wir  weiterhin  sehen  werden,  in  seinen  verschiedenen  Gegenden 
in  verschiedenem  Maße,  ein  Agrikulturland,  in  dem  zwar  Handel  und 
mancherlei  sonstiger  Verkehr  Eingang  gefunden  haben,  wodurch  auch 
die  gesamten  Grundlagen  des  Wirtschaftslebens  umgewälzt  worden 
sind,  aber  in  welchem  die  größere  industrielle  Entwickelung  ausge- 
blieben ist. 

Die  langsame  Bevölkerungszunahme,  also  auch  diejenige  der  Ro- 
manen in  der  Schweiz,  wird  durch  diese  wirtschaftlichen  Zustände  mit- 
bestimmt, vielleicht  noch  in  stärkerer  Weise  als  durch  die  Ungunst 
der  natürlichen  Verhältnisse,  welche  wir  zuerst  geltend  gemacht  haben. 

Es  haben  Untersuchungen  über  das  ganze  schweizerische  Gebiet 
gezeigt,  daß  diejenigen  Gegenden,  welche  überwiegend  landwirtschaft- 
liche sind,  eine  weit  langsamere  Zunahme  der  Bevölkerung  aufweisen, 
als  die  vorwiegend  gewerblichen  oder  auch  die  gemischten. 

In  dem  statistischen  Jahrbuch  der  Schweiz  von  1895,  heraus- 
gegeben vom  statistischen  Bureau,  sind  hierüber  folgende  interessante 
Zusammenstellungen  veröffentlicht  worden:  Die  184  politischen  Be- 
zirke, welche  die  25  Kantone  umfassen,  sind  in  vorwiegend  gewerb- 
liche (weniger  als  40°/o  landwirtschaftlicher  Berufsarten),  gewerblich- 
landwirtschaftlich  gemischte  (40 — 59°/o)  und  vorwiegend  landwirt- 
schaftliche (wenigstens  60°/o)  gesondert  und  in  dieser  Gruppierung 
auf  die  Zunahme  resp.  Abnahme  der  Bevölkerung  untersucht  worden. 
Wenn  die  Jahre  1850  und  1888  verglichen  werden,  so  zeigt  die  erste 
Kategorie  eine  durchschnittliche  jährliche  Zunahme  von  9,3  auf  1000  Ein- 
wohner, die  zweite  von  2,1,  die  dritte  von  0,5.  Nehmen  wir  nur  den 
Zeitraum  von  1880 — 1888,  so  haben  wir  für  die  erste  eine  Zunahme 
von  8,7,  für  die  beiden  folgenden  eine  Abnahme  von  0,8  und  1,1. 

In  die  nähere  Ursache  dieser  verschiedenen  Zunahme  resp.  Ab- 
nahme giebt  die  folgende  Zusammenstellung  einen  wichtigen  Einblick : 


Gesamtbevölkerung 

Zu-  oder  Abnahme  von  1880—1888  durch 
UeberschuÜ  der 

Gebiete 

Geburten 

Ein-  oder 
Auswande- 

Geburten 

Ein-  oder 
Auswande- 

1888 

1880 

im  Gi 

rung 
inzen 

jährlich  au 

rung 
f  1000  Einw. 

i 
1.  Vorwiegend     ge- 
werbl.  Bezirke  .  . 

1438656 

1 341 880 

84039 

12  737 

7,6 

1.1 

2.  Gewerblich- land- 

wirtschaftlich ge- , 

mischte  Bezirke  . 

1039592 

1046435 

63197 

-70040 

7,4 

—  8,2 

3.  Vorwiegend  laud- 
wirtechaftl.     Be- 

zirke  i 

439  506 

443472 

25874 

—  29840 

7,2 

-8,3 

Total 

12917  754 

2831787 

173110 

—  87  143 

7,5 

1     -3,8 

Wir  sehen  daraus,  daß  der  Geburtenüberschuß  durch  das  ganze 
Land  hin  ein  ziemlich  gleichartiger,  ferner  die  Mehrauswanderung 
(d.  h.  der  Ueberschuß   der  Auswanderung   über   die  Einwanderung)  in 


19] 


Die  Gennanisierung  der  Rätoromanen  in  der  Schweiz. 


383 


der  zweiten  und  dritten  Abteilung  sehr  erheblich  ist,  woraus  sich  die 
langsame  Zunahme  von  3,7  (7,5 — 3,8)  für  das  gesamte  Gebiet  erklärt. 
Es  ist  dies  ein  Durchschnitt.  Betrachten  wir  die  Bezirke  im  einzelnen, 
so  zeigt  ein  Teil  derselben  eine  Abnahme  der  Bevölkerung,  die  durch 
besondere  Mehrauswanderung  hervorgebracht  worden  ist. 

Auf  Graubünden  angewendet,  zeigt  die  vorgeführte  Untersuchung, 
daß  dieser  Kanton  als  ein  vorwiegend  landwirtschaftlicher  unter  den 
heutigen  Verhältnissen  keine  Aussicht  auf  eine  starke  Bevölkerungs 
zunähme  hat,  mithin  für  die  Ausdehnung  der  romanischen  Sprache 
auch  aus  diesem  Grunde  keine  günstigen  Aussichten  vorliegen  dürften. 

Wenn  wir  die  einzelnen  14  Bezirke  des  Kantons  untersuchen,  so 
finden  wir,  daß  1888  zu  den  vorwiegend  landwirtschaftlichen  8,  zu 
den  gemischten  6  gehörten: 


iVon  100  Per- 
sonen der  Ge- 
sanitbevölke- 
R  p  7  i  r  lr  p                   runS  ernähren 
oezir  &e                 sich  durch  Land- 
wirtschaft, 
Viehzucht  und 
1       Gartenbau 

Durchschnittl. 
Zahl  auf  1  qkm 

Sprache 

1.  Albula 

2.  Bernina 

3.  Glenner 

4.  Heinzenberg.     .     .    . 

5.  flinterrhein   .... 

6.  Imboden 

7.  Inn 

8.  Ober-Landquart     .     . 

9.  Unter-Landquart    .     . 

10.  Maloja 

11.  Moesa 

12.  Münsterthal  .... 

13.  Plessur 

14.  Vorderrhein  .... 

65 
61 
70 
56 

66 
57 
64 
47 
56 
36 

68 
63 
22 

|          69 

9 
17 
15 
26 

6 
25 

6 

14 
35 

6 

12 

8 

41 

10 

Überwiegend  romanisch 
fast  ganz  italienisch 
überwiegend  romanisch 
deutsch,  jedoch  starke 

rom.  Minorität 
halb  deutsch,  halb  rom  an. 
über  2/z  romanisch, 
Überwiegend  romanisch 
„             deutsch 
„             deutsch 
gemischt,   rom.,  deutsch, 

italienisch 
fast  ganz  italienisch 
überwiegend  romanisch 

,            deutsch 
fast  ganz  romanisch 

Total 

1          54 

13 

Es  ergiebt  sich  aus  dieser  Zusammenstellung,  daß  die  6  als 
romanisch  zu  bezeichnenden  Bezirke  (Albula  mit  65,  Glenner  mit  70, 
Imboden  mit  57,  Inn  mit  64,  Münsterthal  mit  63,  Vorderrhein  mit  69) 
sämtlich  eine  landwirtschaftliche  Bevölkerung  haben,  welche  dem  Pro- 
zentsatz nach  über  dem  Graubündschen  Durchschnitt  (54)  steht,  und 
daß  5  von  ihnen  vorwiegend  landwirtschaftliche  Bezirke  in  dem  oben 
genannten  Sinne,  d.  h.  wenigstens  60°/o  umfassend,  sind.  Nur  Im- 
boden hat  57°/o,  kommt  also  dieser  Grenze  auch  sehr  nahe. 

Die  Zusammenstellung  lehrt  uns  ferner  die  Thatsache,  daß  von 
diesen  6  romanischen  Bezirken  4  eine  dünnere  Bevölkerung  haben  als 
Graubünden  im  Durchschnitt,  daß  Glenner  etwas  und  nur  Imboden 
erheblich  günstiger  dasteht.  Die  beiden  italienischen  Bezirke  Bernina 
und  Moesa  haben  ähnliche  Verhältnisse  als  die  romanischen,  ebenso 
der  gemischte  Hinterrhein.    Hingegen  haben  die  überwiegend  deutschen 


384  A.  Sartorius  Freiherr  v.  Waltershausen,  [20 

eine  ganz  andere  Physiognomie.  Sie  zeichnen  sich  weniger  durch  landwirt- 
schaftliche, also  mehr  durch  gewerbliche  Bethätigung  und  durch  größere 
Dichtigkeit  der  Bevölkerung  aus.  Am  günstigsten  steht  Plessur  mit 
22°/o  Landwirten  und  41  Personen  auf  einem  Quadratkilometer,  stark 
beeinflußt  durch  die  Stadt  Chur,  dem  bedeutendsten  Ort  des  Kantons, 
der  viele  Jahre  hindurch  der  Endpunkt  der  aus  der  deutschen  Schweiz 
herführenden  Eisenbahn  war,  Bischofssitz,  das  Zentrum  der  kantonalen 
Verwaltung  und  die  Niederlassung  größerer  kaufmännischen  Geschäfte 
und  verschiedener  industriellen  Anlagen  ist.  Auf  Plessur  folgt  Ober- 
landquart mit  dem  großen  Kurort  Davos  mit  47°/o  landwirtschaft- 
licher Bevölkerung,  dann  Unterlandquart  und  Heinzenberg  mit  56°/o. 
Die  Dichtigkeit  der  Bevölkerung  beträgt  in  diesen  3  Amtsbezirken 
14,  35  und  26.  Im  Durchschnitt  zeigen  die  6  romanischen  64,7  °/o, 
die  4  deutschen  45,2  °/o  und  eine  Dichtigkeit  von  12,1  und  29. 

Wir  können  somit  als  bisheriges  Resultat  dieser  statistischen 
Betrachtung  hervorheben,  daß  Graubündens  deutsche  Bevölkerung,  als 
mehr  gewerbliche,  günstigere  Chancen  des  Wachstums  hat  als  die 
romanische,  die  in  stärkerem  Maße  der  Landwirtschaft  zuneigt,  und 
daß  dieser  Vorgang  bereits  in  der  relativen  Dichtigkeit  der  Ein- 
wohnerzahl einen  Ausdruck  gefunden  hat. 

Die  ungünstige  Lage  der  Landwirtschaft  in  Graubünden,  welche 
die  Ursache  starker  Auswanderung  ist,  muß  einerseits  auf  die  Um- 
stände zurückgeführt  werden,  durch  welche  die  gesamte  westeuropäische 
Landwirtschaft  bedrückt  ist,  auf  die  sinkenden  Produktenpreise  bei 
steigenden  Betriebskosten,  besonders  Arbeitslöhnen.  Dazu  kommen 
andererseits  besondere  Schwierigkeiten,  unter  denen  die  Hochgebirgs- 
bewohner in  der  Schweiz  ganz  allgemein  leiden.  Auch  bei  ihnen  hat 
das  moderne  Wirtschaftsleben  Platz  gegriffen,  ohne  daß  es  ihnen  mög- 
lich gewesen  wäre,  sich  die  Vorteile  desselben  in  gleichem  Maße  zu  eigen 
zu  machen,  wie  es  die  mit  ihnen  auf  dem  Gebiete  der  Milch-,  Butter-, 
Käseproduktion  und  der  Viehzucht  konkurrierenden,  unter  günstigeren 
orographischen  Bedingungen  wohnenden  Leute  des  Vorgebirges  oder 
der  Ebene  vermochten. 

Geldwirtschaft  und  Zerstörung  der  Eigenproduktion,  also  Ver- 
kauf der  erzeugten  Güter,  Kapitalismus  und  Steigerung  der  Bedürf- 
nisse charakterisieren,  wie  im  Flachlande,  so  im  Hochgebirge  die  wirt- 
schaftenden Menschen,  aber  in  dem  letzteren  steht,  trotz  aller  An- 
strengungen, die  Ausbildung  der  Verkehrsmittel  gegenüber  dem  ersteren 
zurück  und  damit  bleiben  die  Arbeitsteilung,  der  Großbetrieb,  die  Aus- 
nutzung der  Konjunktur,  die  Anpassung  an  verbesserte  technische 
Methoden  der  Landwirtschaft  unvollkommen1). 


l)  Zu  vgl.  R.  v.  Tavel,  Die  wichtigsten  Aenderungen  in  der  Lebens- 
haltung der  schweizerischen  Hochgebirgsbewohner  im  Laufe  des  19.  Jahrhunderts, 
Bern  1891,  Heidelberger  Dissertation.  —  Volkswirtschaftliches  Blatt  für 
denKanton  Graubünden,  1885,  Nr.  2,  über  den  Mangel  rationeller  Fruchtfolge 
im  Oberlande;  1887,  Nr.  14,  über  die  österreichische  Konkurrenz;  1888,  Nr.  10, 
über  die  Schafzucht  und  Schaf handel ;  1883 ,  Nr.  21 ,  Vorschläge  zur  Hebung  der 
Landwirtschaft:  1.  Erlaß  eines  Flurgesetzes,  2.  Aufhebung  der  Gemeindeatzung 
(1   und  2  verlangen  also  die  Beseitigung  aus  dem  früheren  Wirtschaftsleben  stam- 


21] 


Die  Germanisierung  der  Rätoromanen  in  der  Schweiz. 


885 


Nach  der  oben  gemachten  Angabe  hat  von  1880 — 1888  die 
deutschsprechende,  ortsanwesende  Bevölkerung  um  608,  die  italienische 
um  981  Personen  zu-,  die  romanische  um  717  abgenommen. 

Ob  diese  Verschiebung  aus  der  Mehranwanderung  und  dem  Ge- 
burtenüberschuß allein  zu  erklären  ist,  oder  ob  auch  bei  einem  Teil 
der  Bevölkerung  die  Sprachzugehörigkeit  verändert  worden  ist,  läßt 
sich  auf  Grund  des  vorhandenen  statistischen  Materials  nicht  mit 
Sicherheit  feststellen.  Wir  können  nur,  wenn  wir  die  einzelnen  Bezirke 
miteinander  vergleichen,  darüber  einige  Vermutungen  aussprechen. 


Ortsanwesende 

Zu-  oder  Ab- 
nahme von  1880 
bis  1888  durch 
Ueberschuß 

Amtsbezirke 

s 
s 

a 

s 
s 

a 

•8 

.3 

S 

Q 

9 

1 

p 

fl 

3 

0 
.2 

3 

2 

fl 

< 

U 

der  Ge- 
burten 
(Sterbe- 
falle) 

derEin- 
od.  Aus- 
wande- 
rung 

1880 

1888 

1880 

1888 

1880 

1888 

1880 

1888 

1.  Albula .     .     . 

2.  Glenner     .     . 
8.  Imboden   .     . 

4.  Inn  .... 

5.  Münsterthal  . 

6.  Vorderrhein  . 

5242 
8009 
3950 
5355 
1175 
5805 

5190 
7780 
3595 
5167 
1180 
5691 

1026 

2837 

1570 

932 

260 

70 

919 

2722 

1568 

939 

298 

93 

120 
69 
40 

194 
14 
23 

108 
46 
27 

219 
23 
21 

10 
5 

8 
5 

1 

12 
18 

4 
7 
1 
5 

+  120 
+  265 
+  274 
+  214 
+   63 
+  130 

-342 
-615 
-600 
-361 
-    17 
-224 

Summe  der  roro 
Bezirke  .    . 

29536 

28603 

6695 

6539 

460 

444 

29 

47 

+  1066 

-2159 

7.  Heinzenberg . 

2743 

2689 

4131 

8756 

78 

86 

4 

7 

+   66 

-   527 

8.  Ober-Landquar 

9.  Unter-Landquarl 
10.  Plessur.     .     . 

t        167 
t        122 
.   1  1102 

355 
119 

1288 

8270 
11311 
10482 

9054 
11426 
10634 

90 

89 

331 

474 
607 
279 

429 

25 
39 

616 
37 

68 

+  264 
+  555 

+  249 

+  1076 

+     78 
+    100 

Summe  v.  8 — IC 

)  1  1391 

1762 

30063 

31114 

510 

1360 

493 

721 

+ 1068 

+  1254 

11.  Hinterrhein   . 

1563 

1366 

1550 

1404 

55 

53 

1 

— 

+   28 

-861 

12.  Maloja.     .     . 

.      2426 

2558 

1050 

1310 

1842 

2049 

17 

186 

+  179 

+  456 

18.  Bernina     .     . 
14.  Moesa  .    . 

41 
1       94 

66 
33 

62 
113 

74 
75 

4042 
5989 

4013 
5952 

6 

7 

19 
5 

+  218 
+   45 

-245 
-142 

Summev.13u.l4 

t  ||    185 

99 

175 

149 

10031 

9965 

13 

24 

+  263 

-387 

Tota] 

l   ||37794 

37077 

43664 

44272 

12976 

13957 

557 

985 

+  2670 

-1624 

1 

II    2 

I1 

3 

4 

5 

6 

7 

8 

9 

10 

11 

In    der   vorstehenden  Tabelle  sind  zu  dem  Zweck  die  Nationali- 
täten des  Kantons   nach  Amtsbezirken    gruppiert   und   in   den  beiden 


mender  Fesseln  der  heutigen  Betriebsweise),  3.  Erlaß  eines  Gesetzes  über  Unter- 
stützung des  bäuerlichen  Kredites,  4.  Gesetz  über  die  Haltung  von  Zuchtstieren, 
5.  Viehseuchenkasse,  6.  Forderung  der  Bodenkultur,  7.  des  Vereinswesens ,  8.  der 
Korbweidenkultur,  9.  des  landwirtschaftlichen  Bildungswesens ,  10.  Aenderung  der 
Schweinezucht,  11.  des  Obstbaues. 


386  A.  Sartorius  Freiherr  v.  Walterehausen,  [22 

letzten  Spalten  die  Ueberschüsse  der  Geburten  über  die  Sterbefälle  und 
diejenigen  der  Mehraus  Wanderung  oder  Mehreinwanderung,  berechnet 
nach  der  Wohnbevölkerung,  angegeben.  Wir  können  daher  diese 
letzten  Zifferreihen  nur  unter  dem  im  Anfang  des  Kapitels  gemachten 
Vorbehalt  mit  den  vorhergehenden  in  Verbindung  bringen. 

Der  Vergleich  von  Spalte  2  und  3  zeigt,  daß  die  Romanen  in 
den  6  überwiegend  romanischen  Bezirken  1 — 6,  ferner  in  Heinzenberg, 
Unter-Landquart,  Hinterrhein  und  Moösa  um  1220  Personen  ab-,  in 
Bernina,  Ober-Landquart,  Plessur,  Maloja  um  503  zugenommen  haben. 
Das  ergiebt  eine  Gesamtabnahme  von  717.  Wir  können  damit  die 
Differenz  der  Ueberschüsse  der  Geburten  über  die  Sterbefalle  und  der- 
jenigen der  Mehrauswanderung  resp.  Mehreinwanderung  nicht  un- 
mittelbar vergleichen,  weil  aus  den  romanischen  Bezirken  auch  Deutsche 
oder  aus  den  deutschen  Bezirken  Romanen  ausgewandert  sein  können. 
Wir  können  aber  auf  Grundlage  der  Volkszählung  von  1880  unter  der 
Voraussetzung,  daß  sich  für  alle  Bewohner  eines  Bezirkes  die  Be- 
völkerungsbewegung gleichmäßig  gestaltet  habe,  die  Quoten  für  die 
Romanen  berechnen,  also  schätzen,  wie  viele  der  letzteren  gemäß  der 
Bevölkerungsbewegung  in  den  Bezirken  mehr  oder  weniger  sind.  Eine 
solche  Berechnung  ergiebt  für  den  einen  Teil  der  Bezirke  ein  Minus 
von  1226  und  für  den  andern  (Maloja,  Plessur,  0.-  u.  U.-Landquart) 
ein  Plus  von  665.  Die  Differenz  561  bedeutete  also  den  durch  die 
Bevölkerungsbewegung  hervorgebrachten  Verlust  an  Romanen,  während 
die  Volkszählung  einen  solchen  von  717  kennt.  Man  darf  also 
schließen,  daß  in  den  acht  Jahren  156  germanisiert  oder  italienisiert 
worden  sind  in  dem  Sinne,  daß  sie  ihre  Muttersprache  deutsch  oder 
italienisch  statt  romanisch  angegeben  haben.  Ein  solcher  Fall  wird 
sich  namentlich  dann  ereignen,  wenn  Kinder  romanischer  Eltern  bei 
der  ersten  Volkszählung  als  Romanen  gezählt  worden  sind  und  dann 
bei  der  zweiten,  nachdem  sie  durch  Schule,  Verkehr,  Kirche  u.  s.  w. 
die  fremde  Sprache  vollständig  gelernt  haben,  aus  der  Familie  aus- 
geschieden, z.  B.  durch  Verheiratung,  sich  als  deutsch  oder  italienisch 
bezeichnet  haben-  Daß  übrigens  eine  Italienisierung  nicht  hat  Platz 
greifen  können,  wird  in  dem  vierten  Kapitel  nachgewiesen  werden. 

Es  wurde  oben  darauf  aufmerksam  gemacht,  daß  die  langsame 
Zunahme  der  Bevölkerung  oder  auch  deren  Rückgang  in  den  vor- 
wiegend landwirtschaftlichen  und  landwirtschaftlich  gewerblich  ge- 
mischten Gebieten  der  Schweiz  im  allgemeinen  nicht  dem  geringen 
Geburtenüberschuß  über  die  Sterbefälle,  sondern  der  Mehrauswanderung 
zuzusprechen  sei.  Daß  die  letztere  auch  in  Graubünden  eine  hervor- 
ragende Rolle  spielt,  haben  wir  gesehen1).  Es  ist  aber  auch  darauf 
hinzuweisen,  daß  hier  der  Geburtenüberschuß  hinter  dem  allgemeinen 
schweizerischen  Durchschnitt  stark  zurückbleibt,  nur  3,59  gegen  7,5 
ist,  und  daß  die  sechs  romanischen  Bezirke  mit  ihrer  überwiegend 
landwirtschaftlichen  Betriebsform  dem  mittleren  Satz  der  schweizerischen 


')  Nach  dem  statistischen  Jahrbuch  der  Schweiz  von  1898  betrug  die  Ge- 
samtauswanderung aus  Grau bün den  von  1887 — 1896  in  das  Ausland  2158  Per- 
sonen, von  denen  2026  nach  den  Vereinigten  Staaten  von  Amerika  gezogen  sind. 


23] 


Die  Germanisierung  der  Rätoromanen  in  der  Schweiz. 


387 


vorwiegend  landwirtschaftlichen  und  gemischten  Bezirke  nachstehen, 
nur  4,03  statt  7,2  resp.  7,4  haben. 

Wir  müssen  daher  hier  hervorheben,  daß  auch  der  geringe  Ge- 
burtenüberschuß bei  den  Romanen  ihr  ziffermäßiges  Verhältnis  in  der 
Gesamtbevölkerung  des  Landes  beeinflußt.  Man  würde  auch  sagen 
können,  überwöge  ihre  Geburtenzahl  die  Sterbefalle  in  stärkerem  Maße, 
so  würde  die  Wirkung  der  Auswanderung  sich  nicht  so  fühlbar 
machen.  Doch  werden  wir  besser  auf  diese  Ausdrucksweise  Verzicht 
leisten,  weil,  wie  wir  sogleich  nachweisen  werden,  die  geringe  Ge- 
burtenziffer in  der  Größe  und  Art  der  Wanderung  eine  entscheidende 
Ursache  findet. 

Die  nachfolgende  Zusammenstellung  umfaßt  die  vier  Volksstämme 
der  gesamten  Schweiz  und  gewährt  auch  für  unsere  Untersuchung, 
insofern  die  Stellung  der  Romanen  innerhalb  der  übrigen  Nationali- 
täten dadurch  bestimmt  wird,  eine  wertvolle  Ergänzung1)« 


1 

., 

s 

Jährlicher  Durchschnitt  von 
1871—1890 

t<lrPi 

ati  sä 
«TS  o  sfl 

—  ~  —  s  r—  "S  - 
-^.  -  —  ^  -  -  ■ 

lag 

Schweiz    .......... 

258 
256 

459 
4Ö3 

248 
250 

;   30,8 
81,0 

deutsche        |                                       | 
französische  1  Rfl  'i_p 

italienische       Ueijrke 

romanische    1 

259 

458 

243 

80,6 

I 

278 

419 

246 

29,7 

252 

415 

245 

26,4 

beruflich  gemischte  j  deutsche    .     - 

protestantische  Be-   }  französische  ■ 

sirke              ]  romanische    . 

235 

490 

264 

31,7 

231 

523 

227 

2y,9 

II 

257 

419 

247 

27,4 

Landwirtschaftliche  i  deutsche   .    ■ 

228 

504 

256 

30,8 

protestantische  Be-     französische  , 

221 

532 

236 

29,0 

111 

zirke               i  romanische    . 

252 

461 

217 

26.1 

|  italienische    . 

238 
237 
249 

410 
444 

391 

295 

281 
260 

30t3 
31,1 
26,1 

IV 

279 

392 

246 

28,1 

Wenn  wir  zuerst  die  Ziffern  näher  betrachten,  welche  die  Be- 
zirke allein  nach  der  Sprachzugehörigkeit  unterscheiden,  so  zeigen  die- 
jenigen für  die  Romanen  mit  Ausnahme  von  Spalte  4  die  niedrigsten. 
Daß  bei  ihnen  nur  252  Frauen  im  Alter  der  Gebärfähigkeit  auf 
1000  Einwohner  entfallen,  hängt  gewiß  nicht  mit  einer  verhältnis- 
mäßig hohen  Einderzahl  innerhalb  der  Bevölkerung,  deren  Gegenteil 
vielmehr  sich  aus  der  letzten  Spalte  folgern  läßt,  zusammen,  noch  mit 
einem  Mangel  an  Frauen   im   Vergleich   zu  den   Männern   überhaupt, 


')  Schweizer.  Statistik,  182.  Lief.,  S.  24*.  —  Man  vergleiche  für  Oesterreich 

die  interessanten  Ausführungen  von  Dr.  M.  Hainisch,  Die  Zukunft  der  Deutscn- 

Oesterreicher,  Wien  1892,  S.  64. 

t 


388  A.  Sartorius  Freiherr  v.  Waltershausen,  [24 

denn  Graubünden  zählte  1888  45982  ortsanwesende  Männer  und 
48828  ortsanwesende  Frauen,  sondern,  wie  ich  vermute,  mit  der 
starken  Auswanderung  der  Frauen  im  Alter  der  Heiratsfähigkeit.  Auf 
Grund  persönlicher  Erkundigung  konnte  ich  diese  Thatsache  wiederholt 
feststellen,  indem  z.  B.  aus  dem  Bezirke  Vorderrhein  viele  als  Dienst- 
mädchen, Ladnerinnen,  Kellnerinnen  u.  s.  w.  nach  Davos,  Chur  und 
in  die  deutsche  Schweiz  fortziehen.  Die  Ursache  dieser  Wanderung 
wird  größtenteils  die  ungünstige  Lage  der  Landwirtschaft  sein,  welche 
nur  niedrige  Löhne  zahlen  kann,  niedrig  namentlich  im  Vergleich  zu 
den  in  den  Städten  üblichen. 

Die  Häufigkeitsziffer  der  Verheiratung  (Spalte  3)  hängt  jedenfalls 
mit  dem  relativen  Mangel  an  heiratsfähigen  Frauen  zusammen,  findet 
aber  auch  eine  weitere  Erklärung  darin,  daß  in  den  romanischen  Be- 
zirken im  jährlichen  Durchschnitt  von  1886 — 1890  nur  42  Ehe- 
schließungen auf  je  1000  unverheiratete  Männer  entfallen  sind  *).  Sicher- 
lich wird  diese  Thatsache  auch  zum  Teil  wenigstens  sich  auf  die  un- 
günstigen Erwerbs  Verhältnisse  zurückführen  lassen,  welche  sowohl  die 
heiratsfähigen  Männer  zur  Auswanderung  antreibt,  als  sie  auch  ver- 
hindert, überhaupt  sich  zu  verheiraten. 

Der  jährliche  Durchschnitt  der  ehelich  Geborenen  (Sp.  4)  steht 
bei  den  Romanen  ebenfalls  hinter  demjenigen  der  Schweiz  im  ganzen 
zurück,  ohne  jedoch  eine  erhebliche  Abweichung  zu  bringen.  Daß 
eine  mitwirkende  Ursache  in  einer  relativ  späten  Verehelichung  beider 
Geschlechter  zu  finden  ist,  kann  nur  als  Hypothese  aufgestellt  werden8). 

Die  geringe  Geburtenziffer  von  26,4  gegen  30,8  der  Schweiz 
(Sp.  5.)  ist  eine  notwendige  Folge  des  bisher  Ausgeführten  und 
schwerwiegend  für  die  künftige  Stärke  der  Romanen  in  der  schwei- 
zerischen Gesamtbevölkerung. 

Es  erübrigt  noch,  auf  die  Tabellen  II — IV,  in  denen  die  Kon- 
fession neben  der  Sprachzugehörigkeit  und  dem  Erwerb  Beachtung 
gefunden  hat,  einen  Blick  zu  werfen.  Der  Vergleich  der  konfessio- 
nellen Einwirkung  setzt  landwirtschaftliche  Bezirke  voraus  und  ist 
auf  gemischte  und  gewerbliche  nicht  zu  erstrecken,  da  es  keine  solche 
für  ihn  giebt.  Die  relative  Summe  der  Frauen  im  Alter  der  Gebär- 
fähigkeit ist  in  protestantischen  wie  katholischen  Bezirken  nicht 
wesentlich  verschieden  und  die  geringe  vorhandene  Differenz  von  252 
und  249  kann  bei  der  Beschränktheit  des  Beobachtungsfeldes  unschwer 
auch  durch  andere  Ursachen  erklärt  werden  als  durch  die  Konfession. 
Hingegen  wird  in  Spalte  3  und  4  auch  auf  romanischem  Gebiete  be- 
stätigt, was  für  die  Schweiz  im  allgemeinen  gilt,  daß  die  Häufigkeit 
der  Verheiratung   in  protestantischen  Bezirken   größer    als    in    katbo- 


')  Schweizer.  Statistik,  108.  Lief.,  S.  20.  In  der  Schweiz  hingegen  im  Durch- 
schnitt 52. 

2)  Infolge  der  Auswanderung  gelangen  öfters  die  Zurückbleibenden  in  die 
Lage,  verhältnismäßig  große  Landkomplexe,  z.  6.  Gemeindeweiden,  zu  bewirt- 
schaften, was  dann  nur  mit  Dienstboten  oder  Tagelöhnern  möglich  ist.  Diese 
können  sieb,  soweit  sie  ganz  im  Haus  des  Arbeitgebers  aufgenommen  werden,  nur 
teilweise  verheiraten;  und  bei  den  landwirtschaftlichen  Saisonarbeitern  erschwert 
ebenfalls  die  Erwerbsart  die  Eheschließung. 


25] 


Die  Germanisierung  der  Rätoromanen  in  der  Schweiz. 


389 


tischen  ist,  hingegen  die  durchschnittliche  Geburtenzahl  in  den  Ehen 
bei  diesen  diejenige  in  jenen  überwiegt.  Daß  beide  Thatsachen,  ge- 
ringere Häufigkeit  der  Eheschliessung  und  größere  Geburtenzahl  in 
der  Ehe  und  der  umgekehrte  Fall,  welche  an  sich  gegensätzliche  Ten- 
denzen in  Bezug  auf  die  Größe  der  Geburtenzahl  überhaupt  enthalten, 
hier  gleich  stark  sind,  ergiebt  sich  aus  der  fünften  Spalte,  die  26,1 
Geburten  auf  1000  Einwohner  jeder  der  beiden  Konfessionen  an- 
giebt  *)•  Für  die  Zu-  oder  Abnahme  des  Romanentums  ist  also  die 
eine  oder  andere  Eonfession  nicht  verantwortlich  zu  machen. 

Anders  gestaltet  sich  das  statistische  Resultat  der  Geburten- 
häufigkeit, wenn  wir  nur  die  Graubündener  Amtsbezirke  betrachten. 
Da  ein  großer  Teil  der  deutsch  Redenden  in  der  Schweiz  unter  ganz 
anderen  wirtschaftlichen  Bedingungen  als  die  Romanen  lebt,  so  ist  es 
sehr  begreiflich,  daß  die  Gegenüberstellung  aller  deutschen  und  aller 
romanischen  Bezirke  eine  auffallende  Verschiedenheit  erkennen  läßt. 
Ziehen  wir  hingegen  den  Vergleich  nur  auf  bündnerischem  Gebiete, 
so  muß  die  geringere  Verschiedenheit  der  Erwerbsverhältnisse  auch 
erheblich  geringfügigere  Wirkungen  für  die  Bevölkerungsbewegung 
zur  Erscheinung  bringen. 

Durchschnittliche  Jahresberechnung  der  Ergebnisse  von 
1871-1890. 


1 

2                    3 

4 

&                      6 

7             &      |        9 

Auf  je  1000  Per- 
sonen der  Ge- 
samtbevölke- 
rung kommen 
Frauen  i.  Alt.  d., 
Gebarfahigkeit 

Von  je  1000 
Frauen  im  Alter 
der  Gebärfähig- 
keit sind 

Jährliche  Durchschnitts- 
zahl aller  Geborenen 

®  £.5 'S 

■S 

e 

P4 

*+  flO.fi  g 

ver- 
heiratet 

unver- 
heiratet 

Graubünden  .  . 

Albula 

Bernina 

Glenner 

Heinzenberg  .  . 
Hinterrhein.  .  . 
Imboden   .... 

Inn 

Ober-Landquart 
Unt-  Landquart 

Maloja 

Moe'sa 

Münstertbal   .  . 

Plessur  

Vorderrhein   .  . 

257 
253 
269 
250 
252 
240 
239 
258 
265 
242 
275 
286 
254 
271 
242 

420 
391 
392 
394 
405 
453 
453 
464 
432 
484 
391 
369 
459 
415 
383 

580 
609 
608 
606 
595 
547 
547 
536 
568 
516 
609 
631 
541 
585 
617 

26,3 
26,2 
28,4 
26,2 
24,9 
23,8 
29,1 
26,8 
26,3 
26,5 
25,7 
25,6 
27,7 
26,0 
26,0 

102 

104 

105 

105 

99 

99 

122 

1Ö4 

100 

109 

93 

89 

109 

96 

107 

4,0 
3,9 
5,2 
4,9 
3,9 
4,1 
4,4 
3,5 
3,8 
4,1 
3.4 
4,2 
4,6 
3,6 
4,4 

d.r.i. 

r. 

i. 

r. 

d.r. 
d.r. 

r. 

r. 

d. 

d. 
d.r.i. 

i. 

r. 

d. 

r. 

54 
65 
61 
70 
56 
66 
57 
64 
47 
56 
36 
68 
63 
22 
69 

Schweiz 

258 

459 

541 

30,8 

120 

4,0 

d.  f. 
i.  r. 

— 

*)  Vgl.  Schweizer.  Statistik,  112.  Lief.,  S.  23.  Als  Grund,  dag  bei  den 
Konfessionen  diese  Verschiedenheit  der  Bevölkerungsbewegung  Platz  gegriffen  hat, 
wird  angeführt  einerseits  die  katholische  Verherrlichung  der  Ehelosigkeit,  welche 
die  protestantische  Kirche  nicht  kennt,  andererseits  die  katholische  Sittenlehre, 
wonach  die  künstliche  Unfruchtbarmachung  der  Ehen  als  Sünde  gilt  und  gegen 
welche  Lehre  der  Protestantismus  sich  indifferent  verhält. 


390  A.  Sartorius  Freiherr  v.  Waltershausen,  [26 

Die  sechs  romanischen  Bezirke  haben,  den  Durchschnitt  der  Be- 
zirksziffern genommen,  auf  je  1000  Personen  der  Gesamtbevölkerung 
nur  249  Frauen  im  Alter  der  Gebärfähigkeit,  hingegen  die  deutschen 
und  national  gemischten  257,5  und  die  italienischen  277,5.  Die  letztere 
Ziffer  hängt  wohl  mit  der  definitiven  und  temporären  männlichen  Ar- 
beiterauswanderung zusammen,  die  wie  in  Italien  und  im  Kanton 
Tessin  sich  auch  in  Bernina  und  Moesa  geltend  macht.  Eine  solche 
ist  den  6  romanischen  Bezirken  nicht  eigen,  wo  vielmehr  der  Fortzug 
der  Frauen,  wie  oben  bemerkt  wurde,  überwiegen  dürfte.  Daher  hier 
vielleicht  die  geringe  Zahl  249,  die  von  den  deutschen  und  gemischten 
Bezirken  mit  den  Frauenanwanderungsgebieten  Plessur  (Chur),  Maloja 
(Oberengadin),  Ober-Landquart  (Davos)  bedeutend  übertroffen  werden. 

Aus  der  Spalte  3  ergiebt  sich  für  die  6  romanischen  Bezirke 
eine  gleichmäßige  Erscheinung  nicht.  In  Albula,  Glenner  und  Vorder- 
rhein haben  die  verhältnismäßig  wenigen  Frauen  im  heiratsfähigen 
Alter  auch  keine  günstigen  Aussichten  sich  zu  verheiraten,  während 
in  Imboden,  Inn  und  Münsterthal  die  Verhältnisse  für  sie  besser  liegen. 
In  Moösa  und  Bernina  entspricht  die  relativ  hohe  Ziffer  heiratsfähiger 
Frauen  der  Thatsache,  daß  viele  von  ihnen,  631  und  608  auf  tausend, 
unverheiratet  bleiben.  Die  übrigen  Bezirke  des  Kantons  zeigen  keine 
bestimmte  Regel,  stehen  jedoch  mit  dem  Durchschnitt  von  430  über 
demjenigen  der  Romanen  mit  426. 

Die  fünfte  Spalte,  welche  die  jährliche  Durchschnittszahl  aller 
Geborenen  enthält,  läßt  einen  bedeutenden  Unterschied  zwischen  der 
Schweiz  im  ganzen  und  Graubünden  ersehen,  indem  auf  1000  Personen 
der  Gesamtbevölkerung  dort  30,8,  hier  nur  26,3  entfallen.  Die  drei 
romanischen  Bezirke  Albula,  Glenner  und  Vorderrhein  stehen  auch 
hier  wieder  ungünstiger  als  die  drei  anderen,  während  alle  sechs  im 
Durchschnitt  höhere  Ziffern  aufweisen  (27,3)  als  die  deutschen  und 
sprachlich  gemischten  (25,5)  und  den  italienischen  (27,0)  etwa  gleich- 
stehen. Es  ist  dies  auffallig,  da  die  relative  Summe  der  gebärfähigen 
Frauen  (Sp.  2)  und  die  Heiratshäufigkeit  (Sp.  3)  für  die  deutschen 
und  sprachlich  gemischten  Bezirke  höher  sind,  wird  aber  aus  Spalte  7 
erklärlich,  welche  die  Zahl  der  ehelich  Geborenen  auf  je  eine  Ehe- 
schließung umfaßt1).  Graubünden  hat  den  Durchschnitt  4,0,  die 
sechs  romanischen  Bezirke  haben  jedoch  4,4,  die  deutschen  und  sprach- 
lich gemischten  3,8,  die  italienischen  4,7.  Von  den  sechs  Bezirken 
sind  4  überwiegend  katholisch.     (Durchschnitt  4,6.) 

Als  Resultat  unserer  statistischen  Untersuchung  über  die  Geburten- 
zahl ergiebt  sich  nun:  In  dem  stark  oder  ganz  romanischen  Gebiete 
ist  die  durchschnittliche  Kinderzahl  einer  Ehe  größer  als  in  Grau- 
Bünden  und  der  Schweiz  im  Durchschnitt.  Doch  folgt  daraus  wegen 
der  sonstigen  mitwirkenden  Thatsachen  (Sp.  2 — 4)  nicht,  daß  in  der 
Schweiz  im  ganzen  die  Durchschnittszahl  aller  Geborenen  auf  1000 
Personen  geringer  sei  als  in  den  romanischen  Gebieten.     Vielmehr  ist 

l)  Die  Zahl  der  unehelich  Geborenen  ist  in  den  romanischen  Bezirken  relativ 

gering:   in   Graubünden  kommen   auf  1000   unverheiratete  Frauen  im  Alter  der 
rebärfähigkeit  7  uneheliche  Kinder,  in  Albula  5,  in  Glenner  6,  in  Vorderrhein  6, 
in  Münsterthal  und  Inn  7  und  in  Imboden  8;  im  Durchschnitt  also  6,5. 


271  Die  Germanisierung  der  Rätoromanen  in  der  Schweiz.  391 

das  Gegenteilige  der  Fall,  so  daß  trotz  der  Fruchtbarkeit  der  Ro- 
manen sie  weit  geringeren  Geburtenüberschuß  über  die  Sterbefalle 
aufweisen,  als  die  schweizerische  Bevölkerung  im  Durchschnitt  ge- 
nommen. 

Die  ganze  Auseinandersetzung  hat  für  die  definitive  Bevölkerungs- 
bewegung nur  einen  mittelbaren,  wenn  auch  nicht  unerheblichen 
Wert,  da  bei  ihr  stets  die  Wanderung  zugleich  mit  der  Differenz  der 
Geburten  und  Sterbefälle1)  zu  berücksichtigen  ist. 

Es  erübrigt  noch,  einen  Blick  auf  die  vereinzelten  Romanen  zu 
werfen,  welche  von  Graubünden  in  andere. Kantone  der  Schweiz  ver- 
zogen sind.  Es  waren  dies  1880  911  der  ortsanwesenden  Bevölkerung 
und  1888  1298  derselben.     Es  lebten: 

im  Kanton:  1880  1888 

St.  Gallen 239  339 

Zürich 150  225 

Schwyz 63  43 

Glarus 58  95 

Genf 50  107 

Aargau 45  27 

Tessin 39  80 

Waadt 39  61 

Bern 36  58 

Thurgau 33  56 

Basel  Stadt 31  61 

Zug 30  16 

Uri 23  18 

Appenzell  (Aufier-Rhoden)      .  22  26 

Sonstige  11  Kantone      ...  53 86 

Summa  911  1298 

Es  zeigt  sich  also,  daß  die  Hauptkontingente  auf  das  Graubünden 
nahe  St.  Gallen  und  auf  Zürich,  dem  kommerziellen,  industriellen  und 
politischen  Vorkanton  für  die  östliche  Schweiz,  entfallen,  ferner  daß 
die  Ziffer  der  Romanen  in  den  8  Jahren  um  fast  400  größer  ge- 
worden ist.  Dieser  Zusatz  wird  zum  größten  Teil  auf  eine  Aus- 
wanderung aus  Graubünden  zu  rechnen  sein.  Alle  diese  Romanen 
bilden  in  den  übrigen  Kantonen  nur  ganz  verschwindend  kleine  Minori- 
täten, welche  schon  darum  einer  Entnationalisierung  verfallen  sind. 
Daß  die  Romanen  leicht  italienisch  lernen,  ist  bei  der  Aehnlichkeit 
der  Sprache  selbstverständlich,  daß  ihnen  das  Französische  nicht 
schwer  wird,  ist  allgemein  beobachtet  worden.  Sie  werden  daher 
leicht  unter  den  Tessinern  und  Westschweizern,  soweit  die  Sprache 
von  Bedeutimg  ist,  fortkommen  und  sich  deren  Nationalität  anpassen. 
In  der  deutschen  Schweiz  werden  sich  vor  allem  solche  von  ihnen 
niederlassen    können,    die   der    deutschen   Sprache   mächtig  sind,   und 

')  Eine  spezielle  Untersuchung  der  Sterbefälle  ist  mir  für  die  Romanen 
nicht  möglich,  da  das  den  bisherigen  Ausführungen  entsprechende  Material  vom 
statistischen  Bureau  noch  nicht  veröffentlicht  worden  ist. 


392  A.  Sartorius  Freiherr  v.  Waltershausen,  [28 

dies  sind  die  meisten.  Hier  werden  sie  freilich  die  Muttersprache 
schwerer  verlernen,  aber  doch  der  fremden  Nationalität  schließlich  an- 
heimfallen, wenn  sie  lange  vereinzelt  in  derselben  leben.  Romanische 
Familien  sind  außerhalb  Graubündens  nicht  zahlreich,  und  daher  fehlt 
den  romanischen  Auswanderern  die  wichtigste  Einrichtung  für  die 
Erhaltung  der  Muttersprache.  Die  Sprachenstatistiken  von  1860  und 
1870,  welche  noch  Haushaltungen  zählten,  fanden  solche  nur  in  ge- 
ringer Zahl  außerhalb  Graubündens  vor.  (1860  nur  24  und  1870 
nur  19.) 

Diese  ungünstigen  Chancen  für  die  romanische  Sprache  treten 
statistisch  auch  noch  in  scharfer  Weise  hervor,  wenn  man  im  An- 
schluß an  die  Bearbeitung  der  Ergebnisse  der  eidgenössischen  Volks- 
zählung von  1888  ^  diejenigen  Amtsbezirke,  in  denen  eine  Sprache 
die  herrschende  oder  doch  am  stärksten  vertretene  ist,  das  eigene 
Gebiet  dieser  Sprache  nennt,  dem  gegenüber  alle  anderen  schwei- 
zerischen Amtsbezirke  das  auswärtige  Gebiet  dieser  nämlichen 
Sprache  ausmachen  und  nun  die  Stellung  der  Romanen  zu  den  anderen 
Sprachgemeinschaften  untersucht.  Es  befanden  sich  von  den  Ange- 
hörigen der  vier  Landessprachen  damals  2  757  845  auf  ihrem  eigenen 
und  153352  auf  auswärtigem  Sprachgebiete  wohnhaft.  Diese  Aus- 
wärtigen machten  53°/O0  der  Gesamtzahl  im  Durchschnitt  aus,  aber 
bei  den  Angehörigen  der  französischen  Sprache  bloß  36°/00,  bei  denen 
der  deutschen  53  °/00,  bei  denen  der  italienischen  134  °/00  und  bei  denen 
der  romanischen  153  °/00.  Danach  sind  unter  den  heutigen  Verhält- 
nissen die  letzteren  am  meisten  zerstreut  und  der  Assimilation  an  die 
anderen  ausgesetzt,  wenn  auch  in  den  überwiegend  deutschen  Bezirken 
Graubündens  die  Verdeutschung  wegen  der  nachbarschaftlichen  Ver- 
hältnisse, der  romanischen  Presse,  gelegentlichen  Haussprache  u.  s.  w. 
nicht  so  schnell  vorschreiten  mag  als  in  entfernten  Kantonen. 

Als  Gegenstück  zu  dem  Aufenthalte  der  Romanen  in  der  übrigen 
Schweiz  ist  auf  denjenigen  von  Schweizer  Bürgern  anderer  Kantone 
in  Graubünden  hinzuweisen.  Da  dieselben  keine  Romanen  sind,  so 
ist  bei  ihnen  auch  die  Möglichkeit  vorliegend,  daß  sie  die  Nationalitäts- 
verschiebung beeinflussen. 

Es  lebten  in  Graubünden  Schweizer  Bürger  anderer  Kantone  *) : 

1850  3228  (Wohnbevölkerung) 

1860  4350  (Wohnbevölkerung) 

1870  4947  (Ortsanwesende) 

1880  5946  (Ortsanwesende) 

1888  6490  (Wohnbevölkerung). 

Die  Zunahme  ist  unverkennbar;  den  größten  Betrag  lieferten  im 
letztgenannten  Jahr  St.  Gallen  mit  2135,  Tessin  mit  1032  und  Zürich 
mit  957.  Ob  dieser  Einwanderung  eine  nationalisierende  Bedeutung 
zuzuschreiben  ist,  können  wir  aber  erst  ersehen,  wenn  wir  sie  nach 
den  Graubündener  Amtsbezirken  gruppieren: 

»)  Schweizer.  Statistik,  84.  Lief.,  S.  74*. 
2)   Volkszählung  von  1888,  S.  200. 


29] 


Die  Germanieierung  der  Rätoromanen  in  der  Schweiz. 


393 


Deutsche  Schweizer 

Tessiner 

Franz.  Schweizer  inkl. 
Freiburg  und  Wallis 

1880 

1888      |     1880 

1888           1880 

1888 

1.  Albula 

2.  Glenner 

8.  Imboden 

4.  Inn 

5.  Münstertbal.  .  . 

6.  Vorderrhein.  .  .  | 

76 
97 
174 
70 
4 
37 

71 
103 
136 

61 
9 

43 

30 

20 

9 

1 

5 

4        1          1 
25                  1 
10        1        — 

-       ;!         5 

""4     !      = 

5 
2 

Summe  d.  rom.  Bez.  1 

458 

423 

65 

43 

7 

7 

i 

Deutsche  Schweizer 

Tessiner 

Franz.Sch  weizer  inkl. 
Freiburg  und  Wallis 

1880 

1888 

1880 

1888     ! 

1880 

1888 

7.  Bernina 

8.  MoSsa 

9.  Maloja  .     ... 

10.  Heinzenberg  .  . 

11.  Hinterstein .  .  . 

12.  Plessur 

13.  Ober-Landquart 
14.Unter-Landquart 

14 

40 
222 

456 

78 

2007 

524 
1045 

17 

38 

274 

423 

67 

2180 

754 

1201 

16 

863 

2 

9 

23 

81 

2 

3 

12 

868 

3 

1 

27 

59 

14 

5 

3 

8 

14 
6 

1 
9 

12 
9 

8 
20 
15 

Summe  allerBezirke 

4844 

5377 

|    1064 

1 

1082 

38 

81 

Wir  sehen  aus  dieser  Tabelle,  daß  in  den  sechs  romanischen  Be- 
zirken sowohl  die  Deutsch-Schweizer  wie  die  Tessiner  nur  geringe 
Zahlen  umfassen,  und  daß  ihre  Zahl,  wohl  infolge  der  ungünstigen 
Erwerbsverhältnisse  in  den  acht  Jahren  abgenommen  hat.  Wenn 
also  auch  der  germanisirende  Einfluß  dieser  Einwanderung  nicht  be- 
stritten werden  kann,  so  dürfen  wir  ihn  doch  keineswegs  als  bedeutsam 
veranschlagen.     Noch  weit  geringer  ist  derjenige  der  Tessiner. 

Der  größte  Teil  der  Deutsch-Schweizer  lebt  in  den  drei  ganz 
deutschen  Bezirken  Ober-  und  Unter-Landquart  und  Plessur  und  ist 
hier  in  der  Zunahme  begriffen,  der  größte  der  Tessiner  in  dem  diesem 
Kanton  angrenzenden  Moesa.  Durch  beide  Fälle  wird  zwar  die  Zu- 
sammensetzung der  Graubündener  Gesamtbevölkerung  in  ihren  natio- 
nalen Quoten,  aber  nicht  die  lokale  Durcheinanderwürfelung  der  ver- 
schiedenen Sprachangehörigen  berührt.  In  Heinzenberg  und  Maloja 
hingegen,  deren  Romanentum,  wie  wir  weiter  unten  sehen  werden,  am 
meisten  gefährdet  ist,  trägt  die  Einwanderung  von  Deutschschweizern 
entschieden  dazu  bei,  hier  das  Deutschtum  zu  fordern. 

Zur  Beurteilung  der  Einwanderung  sei  noch  als  Ergänzung  die 
Ausländer-Statistik  hinzugefügt,  bei  der  wir  uns  auf  die  beiden  wich- 
tigsten Länder,  das  Deutsche  Reich  und  Italien,  beschränken: 


394  A.  Sartoriu8Frhr.  v.  Waltershausen,  Die  Germanisierung  der  Rätoromanen  etc.  [30 
Ausländer  (1880  Ortsanwesende,  1888  Wohnbevölkerung). 


i 

Deutsches  Reich 

Italien 

1 

1880 

1888 

1880 

1888 

Albula 

18 

16 

84 

102 

Glenner 

74 

80 

51 

40 

Imboden 

33 

22 

34 

26 

Inn 

21 

33 

176 

210 

Münstertbal 

— 

1 

9 

23 

Vorderrhein 

6 

8 

53 

29 

Summa 

152 

160 

407 

430 

Von  den  sechs  romanischen  Bezirken  tritt  die  Ausländerzahl  nur 
in  Inn  einigermaßen  hervor  und  zeigt  auch  ein  Wachstum  vermutlich 
infolge  der  Anziehungskraft,  welche  von  dem  Kurort  Schuls-Tarasp  auf 
Arbeiter  und  Geschäftsleute  ausgeübt  wird. 


Ausländer. 


Deutsches  Reich 

Italien 

1880 

1888 

1880 

1888 

Bernina 

Moesa 

Maloja 

Heinzenberg 

Plessur 

Hinterrhein 

Ober-Landquart  .... 
Unter-Landquart      .     .     . 

9 

96 

91 

685 

12 

618 

126 

5 
3 

134 
70 
789 
9 
496 
192 

382 

949 

475 

71 

174 

48 
98 
85 

372 

1074 

627 

82 
172 

44 
432 
472 

Summe  aller  Bezirke  des 
Landes 

1787 

1858 

2689 

3705 

Es  tritt  uns  hier  für  Maloja  eine  Vermehrung  der  Einwanderung 
entgegen,  die  wesentlich  durch  die  Fremdenindustrie  des  Oberengadins 
herbei  gezogen  sein  dürfte.  In  dem  deutschen  Gebiete  Plessur  und  in 
den  Landquarts  hat  sich  von  1880 — 1888  wenig  geändert,  in  den  letzteren 
tritt  aber  die  Italienerzuwanderung  deutlich  hervor,  die  im  vierten 
Kapitel  eine  Besprechung  finden  wird  und  nur  als  eine  vorübergehende 
betrachtet  werden  kann.  Auf  die  Italienisierung  innerhalb  Graubündens 
hat  sie  keinen  Einfluß.  Eine  Germanisierung  der  Romanen  durch 
Reichsdeutsche  ist  an  sich  nicht  in  Abrede  zu  stellen,  doch  kann  ihr 
nur  ein  bescheidenes  Maß  zuerkannt  werden,  da  ihre  Ziffer  nur  klein 
und  ihre  Zerstreuung  groß  ist. 


IU.   Kapitel. 

Die  Sprachgrenze. 

Der  84.  Lieferung  der  schweizerischen  Statistik,  welche  die  Er- 
gebnisse der  eidgenössischen  Volkszählung  von  1888  enthält,  ist  eine 
Karte  beigegeben,  welche  die  Verteilung  der  Bevölkerung  jedes  Amts- 
bezirkes nach  der  Muttersprache  durch  farbige  Darstellung  ersehen 
läßt.  Wenn  in  einem  der  182  Bezirke  der  Schweiz  über  95°/o  der 
Bevölkerung  einer  Sprache  angehören,  so  ist  derselbe  einfarbig  dar- 
gestellt, sonst  mehrfarbig  unter  Benutzung  von  Streifen  verschiedener 
Breite,  entsprechend  der  Mischung  von  deutsch,  französisch,  italienisch, 
romanisch. .  Es  läßt  sich  so  im  großen  Ganzen  jedes  Sprachgebiet  in 
seinem.  Zusammenhange  erkennen,  das  große  Centrum  der  Deutsch- 
schweizer, im  Westen  davon  die  französische  Schweiz,  im  Süden  und 
Südosten  die  Wohnstätte  der  Italiener  und  Romanen.  Da  nun  nach 
dieser  Karte  die  Abgrenzung  der  vier  Komplexe  nur  mit  den  Bezirks- 
grenzen, eventuell  mit  den  Kantonsgrenzen  zusammenfallen  kann,  so 
entspricht  ihr  die  wirkliche  Sprachscheide  nur  insoweit,  als  sie  gerade, 
was  thatsächlich  öfters  so  ist,  mit  ihr  übereinstimmt,  während  sie  inner- 
halb der  gemischten  Bezirke  überhaupt  •  nicht  zu  ersehen  ist. 

Die  Sprachgrenze  des  romanischen  Gebietes  in  der  Gegenwart 
muß  man  sich  nun  nicht  so  denken,  daß  auf  der  einen  Seite  immer 
ausschließlich  die  eine,  auf  der  anderen  die  andere  Muttersprache  besteht. 
Eine  solche  scharf  trennende  Linie  ist  auch  anzutreffen,  insbesondere 
dort,  wo  sie  durch  die  natürliche  Scheidewand  eines  Gebirgskammes 
gebildet  wird,  und  war  wohl  in  früheren  Zeiten,  als  die  Bevölkerung 
im  Vergleich  zu  heute  weit  mehr  seßhaft  war,  häufiger.  Oft  stellt 
sich  aber  die  Sprachgrenze  als  ein  Grenzgebiet  dar,  in  welchem  Ort- 
schaften liegen,  in  denen  beide  Muttersprachen  üblich  sind,  und  Einzel- 
höfe, die  der  einen  oder  der  anderen  angehören.  Innerhalb  dieses 
Grenzgebietes  kann  man  nun  eine  genauer  scheidende  Linie  in  der 
Weise  gezogen  denken,  daß  die  Gemeinden  oder  zusammenhängende 
Teile  derselben,  in  denen  die  Majorität  romanisch  spricht,  dem  roma- 
nischen, und  diejenigen,  in  denen  die  Majorität  sich  des  Deutschen 
bedient ,  dem  deutschen  Sprachgebiet  zugerechnet  werden.  Da- 
neben sind  dann  auf  beiden  Seiten  oft  in  größerer  Entfernung  noch 
Sprachinseln  möglich,    d.  h.  Landkomplexe  mit   einer  Sprachmajorität 


396  A.  Sartorius  Freiherr  v.  Waltershausen,  [32 

ganz  umgeben  von  Gebieten,  welche  die  gleiche  Sprache  nur  in  Minorität 
oder  gar  nicht  haben.  Ihre  geschichtliche  Entstehung  gleicht  der  Ent- 
stehung einer  Insel  im  Meere.  Entweder  sind  sie  ein  Ueberrest,  welcher 
durch  die  vordringende  Flut  fremder  Sprachwogen  von  seinem  Kontinente 
abgetrennt  worden  ist,  oder  sie  haben  sich  neu  gebildet,  aus  ihrer 
Umgebung  heraus  erhoben.  Die  Sprachgrenze  selbst  ist  auch  der- 
jenigen von  Land  und  Meer  ähnlich.  Sie  zeigt  uns  vorgestreckte  Halb- 
inseln und  tief  eingeschnittene  Buchten,  sie  verändert  sich  im  Verlaufe 
der  Jahrhunderte  an  einzelnen  Teilen,  während  sie  an  anderen  unver- 
rücklich  feststeht. 

Beispiele  für  das  Verständnis  von  Sprachinseln  bieten  uns  die  Ost- 
alpen mehrfach  dar.  In  Oesterreich  haben  wir  das  Grödener  Thal,  das 
Nonsberg  und  Sulzberg  als  romanische  isolierte  Gemeinden,  welche 
durch  Deutschtirol  von  dem  gleichsprachigen  Hauptgebiet  der  Schweiz 
getrennt  und  noch  länger  als  das  alte  Rätien  bestand,  mit  demselben 
im  Zusammenhang  gewesen  sind.  Ortsnamen  romanischen  Ursprunges 
im  heutigen  deutschen  Etschgebiet  sind  für  diese  Thatsache  ebenso 
beweisend,  wie  die  anthropologischen  Untersuchungen  über  Augen-,  Haar- 
und  Hautfarbe  der  Bewohner  im  südlichen  Tirol,  soweit  dasselbe  ger- 
manisiert worden  ist1).  Während  aber  die  Sprachinseln  Gröden  und 
des  Nonsberg  als  ein  Rest  eines  früheren  großen  Gebietes  ange- 
sehen werden  können,  sind  diejenigen  von  Obersaxen,  Vals,  Saßen  im 
Bündner  Oberland,  des  Avers,  des  Hintersteinthaies  Beispiele  für  die 
zweite  Art  der  Entstehung.  Diese  Orte  sind  deutsche  Niederlassungen 
im  romanischen  resp.  italienischen  Gebiete2). 

In  ähnlicher  Weise  erwachsen  heutzutage  zahlreiche  Sprachinseln. 
Es  sind  die  in  der  Germanisation  befindlichen  Orte,  welche 
sich  durch  folgende  Merkmale  auszeichnen: 

1.  Steigende  Quote  der  sich  der  deutschen  Muttersprache  Be- 
dienenden innerhalb  der  Gesamtbevölkerung  des  Ortes  von  Jahrzehnt 
zu  Jahrzehnt. 

2.  Das  Deutsche  wird  mehr  und  mehr  Verkehrssprache3). 

3.  In  den  Gemeindeversammlungen  wird  das  Deutsche  die  Regel. 
Amtssprache. 

4.  Es  gewinnt  als  Schulsprache  in  den  unteren  Klassen  mehr 
Verbreitung. 

5.  Auch  verdrängt  deutsche  Predigt  die  romanische.  Kirchen- 
gesang, Gebet,  Beichte  werden  ebenfalls  deutsch.     Kirchensprache. 

Als  solche  in  der  Germanisation  befindliche  Orte  habe  ich  in  der 
Gegenwart  eine   ganze  Anzahl  gefunden,   bei  denen  nun  freilich  nicht 

*)  Man  vergleiche  die  im  zweiten  Kapitel  erwähnten  schweizerischen  Re- 
sultate mit  denjenigen  von  Tirol,  welche  in  den  Mitteilungen  der  Anthropologischen 
Gesellschaft  in  Wien,  Supplement  I,  1884,  mitgeteilt  worden  sind:  G.  A.  Schim- 
mer, Erhebungen  über  die  Farbe  der  Augen,  der  Haare  und  der  Haut  bei  den 
Schulkindern  Oesterreichs,  S.  XIII.  Ueber  die  östlichen  Ladiner  ist  zu  vergleichen 
Schneller  in  Petermanns  Mitteilungen,  Bd.  23,  S.  365. 

2)  Näheres  sie  unten. 

3)  Es  sind  üblich  deutsche  Schilder  an  den  Geschäftshäusern  und  Gast- 
häusern, deutsche  Wegweiser,  deutsche  Zeitungen,  die  Geschäftsreisenden  bedienen 
sich  des  Deutseben  u.  s.  w. 


33]  Die  Germani8ierung  der  Rätoromanen  in  der  Schweiz.  397 

jedes  der  angeführten  Kennzeichen  in  gleicher  Deutlichkeit  hervortritt, 
aber  der  Gesamttypus  doch  unverkennbar  ist. 

Leider  kann  für  die  Quotenverschiebung  ein  ganz  genauer  statisti- 
scher Nachweis  nicht  geführt  werden  aus  Gründen,  die  im  Anfang  des 
vorigen  Kapitels  erörtert  worden  sind.  Da  es  sich  bei  ihnen  in  den 
Gemeinden  oft  nur  um  kleine  Zahlen  handelt,  so  ist  es  denkbar,  daß 
die  verschiedene  statistische  Erhebungsweise  die  ganze  Differenz  aus- 
reichend erklärt. 

Doch  geht  für  die  wichtigsten  Orte  wegen  der  Bedeutsamkeit 
der  Zahlenunterschiede  die  Germanisierung  auch  aus  dem  vorhandenen 
statistischen  Material  hervor.  Dies  ist  der  Fall  in  St.  Moritz,  Pontre- 
sina,  Ilanz,  Bonaduz,  Katzis.  Wenig  sicherer  aus  den  Zahlen 
abzuleiten,  aber  dennoch  unverkennbar,  vollzieht  sich  der  Uebergang 
zur  deutschen  Nationalität  in  Flims,  in  Samaden,  ferner  im  Münster- 
thal in  Münster  und  Santa  Maria,  im  Amtsbezirk  Heinzenberg  in 
Paspels,  Rotels  nebst  Pratval,  Scharans,  Almens,  ßothen- 
brunnen,  im  Kreis  Thusis  in  Flerden,  im  Amtsbezirk  Albula  in 
Filisur. 

Das  romanische  Sprachgebiet  in  der  Schweiz1),  welches  sowohl 
durch  das  deutsche  als  auch  durch  das  italienische  begrenzt  wird,  zer- 
fällt, wie  die  beigefügte  Skizze  ersehen  läßt  (rosa  Grundfarbe),  in  zwei 
selbständige,  fast  für  sich  abgeschlossene,  nur  durch  ein  schmales  Band 
zusammenhängende  Teile,  einen  kleineren  westlichen  und  einen  größeren 
östlichen.  Der  Zusammenfluß  des  vorderen  und  hinteren  Rheins  ist 
ungefähr  der  Punkt,  wo  sich  beide  berühren.  Zwischen  ihnen  nach 
Süden  hingestreckt  liegt  eine  große  deutsche  Sprachinsel,  die  im  Süden 
von  dem  italienischen  Idiom  umsäumt  wird. 

Das  westliche  romanische  Gebiet  umfaßt  das  Bündner  Oberland. 
Im  Norden  wird  es  von  dem  deutschen  Sprachgebiet,  vom  Oberalppaß 
bis  zur  Ringelspitze  durch  die  Kette  der  Glarner  Alpen  im  Anschluß  an 
die  Graubündner  Kantonsgrenze  abgetrennt,  durch  eine  Linie,  welche 
von  Westen  nach  Osten  genauer  bestimmt  ist  durch  die  Gipfel  Ober- 


])  Die  nachfolgenden  Aufzeichnungen  der  Sprachgrenze  beruhen  auf  Er- 
kundigungen ,  die  ich  in  Graubünden  an  Ort  und  Stelle  eingezogen  habe.  Eine 
verdienstvolle  Vorarbeit  hat  A.  Wäber  gegeben:  Die  Sprachgrenzen  in  den  Alpen. 
Jahrb.  d.  S.  A.  C.f  1878/79,  S.  493  ff.  —  Die  Schilderungen  der  Grenzgebiete  oder 
der  germanisirten  Orte  sind  ebenfalls  auf  Grund  persönlicher  Anschauung  nieder- 
geschrieben. Ich  habe  in  den  Jahren  1896-1899  in  6  Reisen  alle  Hauptthäler 
und  die  wichtigsten  Nebenthaler,  sowie  alle  größeren  Ortschaften  des  Landes  be- 
sucht und  mich  bei  Pfarrern,  Lehrern,  Gemeindebeamten,  Bergführern,  Geschäfts- 
leuten, Wirten  u.  s.  w.  nach  den  fraglichen  Verhältnissen  erkundigt.  Es  ist  mir 
nicht  möglich,  hier  die  Herren  zu  nennen,  da  viele  von  ihnen  mir  dem  Namen  nach 
nicht  bekannt  sind,  und  die  Aufzählung  eines  Teiles  derselben  mir  als  mindere 
Dankbarkeit  den  anderen  gegenüber  ausgelegt  werden  könnte.  Ich  möchte  nur 
an  dieser  Stelle  hervorheben,  daß  ich  durchweg  bei  meinen  Forschungen  das 
freundlichste  Entgegenkommen  gefunden  habe,  und  ein  solches  Verständnis  für 
alle  lokalen  Angelegenheiten,  daß  ich  jedesmal  mit  gleicher  Achtung  vor  der  be- 
stehenden allgemeinen  Volksbildung  von  Graubünden  geschieden  bin.  —  Die  bei- 
gegebene farbige  Skizze  dient  zur  allgemeinen  Orientierung,  die  Details  lassen  sich 
auf  den  Blättern  der  schweizerischen  Generalstabskarte,  der  sogen.  Siegfriedkarte, 
ersehen,  welche  bezüglich  der  Ortsbezeichnungen  allein  benutzt  worden  ist. 
Forschungen  zur  deutschen  Landes-  und  Volkskunde.    XII.    5.  27 


398  A.  Sartorius  Freiherr  v.  Waltershausen,  [34 

alpstock,  Tödi,  Hausstock,  Saurenstock,  Ringelspitze.  Die  Grenze  wendet 
sich  nun  südlich  und  folgt  dem  zum  Rhein  führenden  Lavoitobel,  der 
zwischen  Trins  (r.)  und  Tamins  (d.)  endigt.  Das  schon  genannte  Ver- 
bindungsband des  westlichen  und  östlichen  romanischen  Gebietes  ist 
hier  erreicht,  genauer  bezeichnet  durch  die  Landstraße  Reichenau, 
Bonaduz,  Versam,  oder  durch  den  Vorderrhein,  der  nördlich  von  dieser 
Straße  fließt,  von  seiner  Vereinigung  mit  dem  Hinterrhein  westlich 
stromaufwärts  bis  zur  Einmündung  der  aus  dem  Safierthal  heraus- 
strömenden Rabiusa.  Von  diesem  Mündungspunkt  an  bis  zur  Gemeinde- 
grenze von  Kästris  ist  der  Vorderrhein  die  Sprachscheide,  südlich  redet 
man  deutsch,  wo  die  Orte  Versam  und  Vallendas,  ferner  das  Safierthal 
liegen,  nördlich  romanisch  in  den  Orten  Sagens,  Laax,  Fellers.  Oestlich 
vom  Ort  Kästris,  der  1888  377  Romanen  und  17  Deutsche  zählte, 
macht  die  Grenze  einen  scharfen  Winkel,  wendet  sich  nach  Süden, 
durchschneidet  die  Gruob  und  steigt  zur  Signinakette  hinauf.  Vor 
der  Spitze  dieses  Winkels  liegen  die  Orte  Schleuis,  Schnaus,  Ilanz, 
welcher  letztere  eine  starke  deutsche  Minorität  hat.  Auch  die  beiden 
ersteren  zeigen  ein  zunehmendes  Deutschtum.  Westlich  vor  diesem 
Gebiete  liegt  die  deutsche  Sprachinsel  Obersaxen. 

Ehe  wir  der  Sprachgrenze  weiter  folgen,  sind  die  zuletzt  ge- 
nannten Gegenden  kurz  zu  charakterisieren. 

Ilanz,  an  der  Einmündung  des  Glennerflusses  in  den  Rhein  gelegen, 
hatte  1880  530  romanische  und  307  deutsche  Einwohner,  1888  466 
und  304.  Das  Städtchen  ist  für  den  östlichen  Teil  des  Vorderrhein- 
thales  der  Hauptmarkt  und  das  Centrum  des  Verkehrs  mit  zahlreichen 
Kaufläden  und  Handwerkerstätten.  Gewerblicher  Verdienst  inmitten 
eines  nur  von  Bauern  bewohnten  Landes  haben  aus  deutschredenden 
Ländern  wohl  schon  seit  langer  Zeit  Leute  herbeigezogen,  deren  zahl- 
reiche Namen  auf  den  Schildern  der  Werkstätten  und  Handlungen 
zu  finden  sind  (z.  B.  Oswald  Eisenhandlung,  Hesse  Handlung,  Weber 
Eisenhandlung,  Kayser  Barbier,  Lutz  Kupferschmied,  Wetzel  Schuh- 
macher, Etter  Uhrmacher,  Brenn  Hufschmied,  Häßler  Tapezierer). 
Deutsche  Namen  weisen  auf  deutsche  Einwanderung  hin,  wenn  wir 
auch  nicht  selten  in  Graubünden  deren  Träger  mit  romanischer  Mutter- 
sprache vorfinden.  Solche  Romanisierung  hat  in  abgelegenen  Dörfern 
indessen  viel  leichter  Platz  greifen  können,  als  in  den  größeren  Markt- 
flecken des  Thaies,  wie  Ranz,  wo  einerseits  eine  Anzahl  deutsch  Sprechen- 
der lebt,  die  in  stetem  Gedankenaustausch  miteinander  sind,  und  wo 
andererseits  durch  den  Geschäfts-  und  Touristenverkehr,  durch  Politik 
und  Verwaltungswesen  ungezählte  Verbindungsfäden  mit  der  deutschen 
Schweiz  gezogen  sind. 

Daß  Schleuis  und  Schnaus  beachtenswerte  deutsche  Minoritäten 
aufweisen  (1880  60  d.,  325  r.  und  38  d.,  91  r.;  1888  78  d.,  321  r.  und 
35  d.,  81  r.),  hängt  wohl  mit  der  Nähe  von  Ilanz  und  der  bequemen 
Verbindung  mit  diesem  Ort  durch  die  Poststraße  zusammen.  Die  eben- 
falls nahe  gelegenen  Dörfer  Luvis,  Ruschein,  Ladir,  Seewis  sind  ganz 
romanisch,  sie  liegen  aber  hoch  auf  dem  Berge,  und  wenn  ihre  Be- 
wohner  auch   täglich   auf   den  Kirchturm  von  Ilanz  hinabschauen  und 


35]  Die  Gennanisierung  der  Rätoromanen  in  der  Schweiz.  399 

thalaufwärts  und  abwärts  die  gelben  Postwagen  rollen  sehen,  so  bleiben 
sie  doch  abgeschlossen  für  sich  in  alten  Sitten,  in  Sprache  und  Ge- 
wohnheiten. 

Nordöstlich  von  Ilanz,  kaum  10  km  davon  entfernt,  liegt  Plims 
mit  der  berühmten  Kuranstalt,  den  Waldhäusern.  Die  Statistik  von  1880 
und  1888  zeigt  keine  wesentliche  Veränderung  der  Sprachangehörigkeit 
(1880  95  d.,  742  r.;  1888  89  d.,  688  r.).  Dennoch  nimmt  hier  die 
Germanisation  unverkennbar  zu.  Im  Sommer  während  des  großen 
Fremdenverkehrs  wandern  zahlreiche  Kellner,  Zimmermädchen,  Kutscher, 
Händler  hier  ein,  die  zwar  im  Herbst  wieder  verschwinden,  aber  ebenso 
wie  die  zahlreichen  Kurgäste  hauptsächlich  deutsch  reden  und  die  Ein- 
geborenen zwingen,  sich  dieser  Sprache  zu  bedienen.  Alle  Personen  im 
Dorfe  Flims  verstehen  dieselbe  und  die  meisten  können  sie  auch  gut 
reden.  Die  Predigt  ist  deutsch  und  ebenso  der  Schulunterricht  schon 
von  der  dritten  Klasse  an. 

Die  Sprachinsel  Obersaxen,  d.  h.  eine  Gemeinde  supra  saxa, 
000  m  oberhalb  der  Thalsohle  und  oberhalb  der  von  ihr  auf- 
steigenden Felsen  gelegen,  rheinaufwärts  von  Ilanz,  wird  von  einem 
Völkchen  bewohnt,  das  eine  kleine  Welt  für  sich  bildet  und  abge- 
sondert von  den  Romanen  jahrhundertelang  sich  sein  deutsches  Leben 
bewahrt  hat. 

Die  Leute  von  Obersaxen  sollen  Walser  sein,  welche  sich  hier  im 
12.  oder  13.  Jahrhundert  als  Kolonisten  angesiedelt  haben  oder  als 
solche  angesiedelt  worden  sind1).  Sie  wohnen  in  Einzelhöfen,  nur  an 
dem  Maierhof  hat  sich  eine  dorfähnliche  Niederlassung  im  Verlauf  der 
Zeit  bei  der  Kirche,  Schule  und  dem  Gasthaus  angesetzt.  Die  Höfe 
tragen  zum  Teil  rätoromanische  Namen  wie  Markal,  Huot,  Tusa,  Mira, 
Tschappina,  Zarzana,  andere  deutsche  wie  Maierhof,  Großtobel,  Hauschen- 
haus, Frickenhau,  St.  Martin,  Axenstein,  wieder  andere  haben  sowohl 
deutsche  wie  romanische  Bezeichnungen,  wie  Affeier  (am  Weier)  oder 
Viver,  Largera  oder  Eggen,  endlich  finden  wir  gemischte  Ausdrucksweise: 
Alp  de  Tobel,  Belaue,  Misanenga  (Misaningen),  Platengia  (Plattingen), 
Miraninga,  K iranin ga.  Zwei  deutsche  Höfe,  Thomahaus  (casa  Thoma) 
und  Vali,  gehören  politisch  zur  Gemeinde  Brigels  im  Kreis  Disentis, 
national  aber  zu  Obersaxen.  Die  romanischen  Bezeichnungen  sind  ver- 
mutlich älter  als  die  germanische  Kolonisation,  wenn  auch  daneben  die 
romanische  Nachbarschaft  später  ihre  Einwirkung  geltend  gemacht 
haben  kann. 

Die  Statistik  von  1880  hat  in  der  Gemeinde  628  deutscher  und 
126  romanischer  Muttersprache  gezählt,  acht  Jahre  später  601  und  126. 
Die  Abnahme  der  ersteren  ist,  wie  dies  auch  schon  vor  1880  der  Fall 
war,  auf  Auswanderung  zurückzuführen,  besonders  nach  Amerika,  da 
die  landwirtschaftlichen  Erwerbsverhältnisse  sich  hier  wie  im  ganzen 
Bündner  Oberlande  ungünstig  anließen.  Die  landwirtschaftliche  Ver- 
fassung in   der  Gemeinde  besteht   darin,   daß  die  hochgelegene,   nach 


*)  Dr.  P.  C.  v.  Planta,  Die  kurrätiscben  Herrschaften  in  der  Feudalzeit. 
Bern  1881,  S.  360  ff.  —  J.  C.  Muoth,  Ueber  bündnerische  Geschlechtsnamen. 
Beilage  zum  Kantonsscbulprogramm  1891/92  u.  1892/98,  II.  Ortsnamen. 


400  A.  Sartoriu8  Freiherr  v.  Walterahauaen,  [36 

dem  Piz  Mundaun  sich  hinziehende  Alpenweide  einer  Genossenschaft 
von  in  verschiedenem  Maße  Realberechtigten  zusteht;  an  der  tieferen 
im  Frtihsommer  und  Spätherbst  benutzten  sog.  Heimweide  alle  Bürger 
und  Domizileingekaufte  nach  Bedürfnis  teilhaben,  daß  endlich  unter- 
halb derselben  die  Einzelhöfe  mit  Acker-  und  Wiesenparzellen  liegen. 
Diese  Uöfe  sind  meist  nicht  arrondiert,  oder  richtiger  nicht  mehr 
arrondiert,  vielmehr  durch  Heirat  und  Erberteilung  unter  dem  System 
der  Freiheit  des  Eigentums  durch  die  ganze  Flur  hin  stark  zersplittert. 
Der  Roggen  gedeiht  hier  auf  der  Höhe  von  1300  m,  wenigstens  in 
warmen  Jahren,  die  Produktion  ist  indessen  auf  die  Eigenkonsumtion 
durchaus  beschränkt.  Die  Schafzucht  ist  stark  zurückgegangen  und 
die  Milchwirtschaft  leidet  unter  fremder  Konkurrenz.  Von  den  Aus- 
wanderern haben  die  Fortziehenden  ihre  Parzellen  und  Anteile  an  der 
Alp,  auf  denen  sie  ihr  Leben  nicht  mehr  bestreiten  konnten,  verkauft, 
so  daß  es  eine  nicht  geringe  Anzahl  Landbesitzer  giebt,  die  mehr  Land 
zur  Verfügung  haben,  als  sie  mit  der  Arbeitskraft  ihrer  Familie  bestellen 
können.  Sie  sind  daher  auf  Hilfskräfte  angewiesen  und  da  sie  am  Ort 
keine  Tagelöhner  bekommen  können,  so  haben  sie  das  System  der 
Halbpacht  zur  Anwendung  gebracht,  das  in  Graubünden  auch  sonst 
von  alters  her  üblich  war1),  demzufolge  der  „Lehn er"  Land  nebst 
Anteil  an  der  Weide,  Stall,  Haus,  Vieh,  Werkzeuge,  Viehfutter  nach 
dem  abgeschätzten  Werte  übernimmt,  damit  wirtschaftet  und  dann  vom 
verkauften  oder  verkauf  baren  aufgezogenem  Vieh,  von  der  verkauften  Milch 
und  dem  Käse  u.  s.  w.  die  Hälfte  an  den  Eigentümer  abgiebt.  Da  nun 
alle  Obersaxen  umgebenden  Gemeinden  romanisch  sind  und  aus  diesen 
die  Halbpächter  herbeiziehen,  hat  sich  nach  und  nach  in  der  deutschen 
Enclave  die  genannte  fremdsprachige  Minorität  gebildet.  Dieselbe  ist 
freilich  genötigt,  auch  deutsch  zu  lernen ,  sei  es  wegen  des  Verkehrs 
mit  den  Verpächtern,  sei  es  wegen  Kirche  und  Schule,  die  sich  hier 
ganz  nach  der  Majorität  richten.  Die  Nationalitätsverschiebung  auf 
Grundlage  eines  rein  wirtschaftlich-sozialen  Vorganges  tritt  hier  an 
einem  Beispiel  des  kleinen  Gemeindelebens  recht  deutlich  hervor. 

Wir  wollen  nun  die  Sprachgrenze,  der  wir  bis  zum  Nordabfall 
der  Signinakette  nachgegangen  waren,  in  ihrem  weiteren  Verlaufe  ver- 
folgen. Dieser  Gebirgszug,  hier  bestimmt  durch  die  Gipfel  La  Caunia, 
Piz  Riein,  Günerhorn,  Plankhorn,  scheidet  das  romanische  Lugnetz  vom 
deutschen  Safierthal  bis  zum  Ursprung  des  Duviner  Tobeis,  dort  wo 
sich  die  Camaneralp  des  Safierthales  zum  Grat  hinaufzieht.  Hier  bei 
dem  Crapgrisch  biegt  die  Sprachgrenze  im  rechten  Winkel  nach  Westen 
um  und  senkt  sich  über  die  Alp  Calasa  nach  St.  Martin  im  St.  Peters- 
oder Valserthal,  wie  der  obere  rechte  Zweig  des  Lugnetz  heißt,  hinab. 
Das  Thal  ist  deutsch  und  wird  ebenfalls  wie  Obersaxen  als  Walser- 
kolonie angesehen.  Der  dort  gesprochene  deutsch-schweizerische  Dialekt 
soll  dem  des  Oberwallis  bis  ins  kleinste  gleichen.  In  St.  Martin  und 
Vals  am  Platz  wurden  1888  neben  804  deutscher  Sprache  nur  21 
romanischer  gezählt,  hauptsächlich  Personen,  die  vom  unteren  Thal  hierher 
geheiratet  hatten.     Da  das  linke  Seitenthal  des  Lugnetz,  das  Vrinthal, 


J)   Sprecher  a.  a.  O.,  II,  S.  270. 


37]  Die  GermanisieniDg  der  Rätoromanen  in  der  Schweiz.  401 

mit  den  Orten  Vigens  und  Vrin  ganz  den  Romanen  angehört,  so  steigt 
dementsprechend  die  Sprachgrenze  von  St.  Martin  wieder  zum  Berg- 
kamme hinauf,  der  Vrinthal  und  Valserthal  trennt,  erreicht  den  Piz  Aul, 
das  Schwarzhorn,  das  Frunthorn  und  den  Piz  Scharboden,  und  bald 
hinter  diesem  Gipfel  die  Graubünden -Tessiner  Kantonsgrenze.  Die 
deutsch-romanische  Scheidewand  findet  hier  ihren  Abschluß,  und  es  tritt 
an  ihre  Stelle  die  italienisch-romanische,  welche  der  genannten  Kantons- 
grenze in  mannigfachen  Windungen  nun  nachgeht,  markiert  durch  den 
Piz  Terri,  Piz  Caglianera,  Piz  Medel,  Scopi,  Lukmanierpaß,  Piz  Blas, 
Piz  Alv.  Hier  berühren  sich  die  drei  Kantone  Graubünden,  Uri  und 
Tessin.  Die  Sprachgrenze  wird  wieder  deutsch-romanisch,  schließt  sich 
der  kantonalen  von  Uri  und  Graubünden  genau  an,  überschreitet  den 
Piz  Ner,  den  Badus  (Six  Madun)  und  senkt  sich  vom  Pazzolastock  zum 
Oberalppaß  hinunter. 

Wir  haben  das  kleinere  romanische,  das  westliche  Gebiet  ganz 
um  wandert,  welches  als  das  Bündner  Oberland  bezeichnet  wird  und 
das  Romanentum  am  meisten  bewahrt  hat.  Selbstverständlich  ist  dies 
nicht  überall  im  gleichen  Maße  der  Fall.  Am  wenigsten  ist  vom 
Deutschtum  der  westliche  Teil  berührt,  das  Tavetsch  genannt,  d.  h.  das 
obere  Vorderrheintal  mit  seinen  Seitenthälern.  In  Orten  wie  Tschamutt, 
Selva,  Rueras,  Sedrun  trifft  man  noch  manchen  Bauern  und  noch  mehr 
Bäuerinnen  an,  die  kaum  ein  Wort  deutsch  verstehen,  von  hier  kommen 
junge  Leute  in  das  Militär,  die  sich  nur  in  ihrer  Muttersprache  ver- 
ständigen können,  hier  finden  wir  auch  Volksschulen,  die  sich  aus- 
schließlich der  romanischen  Sprache  bedienen  1).  Die  einzige  Zeitung, 
die  von  den  Bauern  gelesen  wird,  ist  die  in  Disentis  erscheinende 
Gazetta  romontscha *).  Wirte,  Bergführer,  Kutscher,  also  Leute,  die 
mit  der  Fremdenindustrie  zu  thun  haben,  sprechen  durchweg  auch 
deutsch ;  ebenso  die  Pfarrer  und  Lehrer,  welche  letzteren  meist  in  Chur 
ausgebildet  worden  sind. 

Der  Fremdenverkehr  ist  hier  aber  lange  nicht  so  bedeutend  wie 
im  östlichen  Graubünden.  Die  Landschaft  ist  weniger  großartig  als 
im  Engadin,  kennt  keine  Seeen  und  kein  so  ausgedehntes  Gletscher- 
gebiet wie  die  Berninagruppe.  Es  fehlen  hier  die  berühmten  Bäder, 
wie  St.  Moritz  und  Tarasp,  endlich  führt  von  hier  keine  so  wichtige 
Straße  nach  Italien,  wie  die  über  den  Splügen  oder  über  den  Maloja- 
paß.  Denn  seit  dem  Bau  der  Gotthardbahn  hat  der  Lukmanierpaß 
einen  großen  Teil  seines  Verkehrs  eingebüßt,  und  der  Oberalppaß,  über 
den  eine  Verbindung  zwischen  Chur  und  Göschenen  besteht,  kann  durch 
die  Bahnen  nach  dem  Vierwaldstätter  See  mit  Vorteil  umgangen  werden. 

Für  das  größere  romanische  östliche  Gebiet  nehmen  wir  den  Aus- 
gangspunkt von  dem  schon  genannten  Verbindungsband  mit  dem  west- 


!)  Nur  in  den  oberen  Schulklassen  wird  etwas  Deutsch  als  Fremdsprache 
gelehrt,  wodurch  aber  irgend  welche  Befähigung  zum  Sprechen  nicht  erreicht 
wird.    Wer  Deutsch  lernen  will,  muß  in  die  Klosterschule  von  Disentis  gehen. 

*)  Ein  Wochenblatt,  welches  seit  einem  halben  Jahrhundert  von  demselben 
Redakteur,  Herrn  Placidus  Condrau,  herausgegeben  wird  und  sich  um  die  Bildung 
der  vorderrheinischen  Bauern  sehr  verdient  gemacht  hat. 


402  A.  Surtorius  Freiherr  v.  Waltershausen,  [38 

liehen.  Rechnen  wir  Bonaduz,  im  Anschluß  an  die  statistische  Auf- 
nahme von  1888,  noch  zum  romanischen  Gebiete,  obgleich  der  Ort 
stark  in  der  Germanisation  befindlich  ist,  alle  Leute,  auch  die  alten, 
deutsch  verstehen  und  es  reden  können,  so  beginnt  die  Sprachgrenze 
bei  der  Einmündung  der  Rabiusa  in  den  Vorderrhein,  folgt  dem  Versam- 
tobel  ein  Stück  nach  Süden,  biegt  nach  der  Bonaduzer  Alp  östlich  ab, 
läuft  nun  wieder  südlich  zum  Gebirgsgrat  empor,  welcher  den  Kreis 
Thusis  von  dein  Kreis  Saßen  trennt.  Sie  folgt  dem  Grat  bis  zur 
Präzer  Höhe  und  zu  dem  Gipfel  La  Tguma,  wo  sie  sich,  die  Gemeinde 
Sarn  (r.)  umgehend,  bis  Tartar  (d.)  östlich  wendet,  weiter  ein  kurzes 
Stück  nördlich  bis  zum  Tignetzer  Tobel,  dann  wieder  östlich  geht  und 
bei  Rotels  den  Hinterrhein  erreicht.  Rechnen  wir  Rotels,  wenn  auch 
im  Uebergang  zum  Deutschtum  befindlich,  noch  zum  Romanentum, 
so  zieht  sich  die  Grenze  nun,  die  deutschen  Gemeinden  Fürstenau,  Zoll- 
brücke und  Sils  umschließend,  am  rechten  Rheinufer  hin  zur  Albula, 
folgt  diesem  Flusse  aufwärts  bis  zum  Muttener  Tobel  und  umkreist 
die  Gemeinde  Mutten  bis  dort,  wo  der  Traversiner  Tobel  in  den  Rhein 
unterhalb  des  Ortes  Rongellen  einmündet.  Auch  diese  Gemeinde  ist 
deutsch,  so  daß  die  Sprachgrenze,  sie  nördlich  lassend,  an  ihr  vorbei- 
läuft und  nun  in  westlicher  Richtung  zum  Piz  Beverin  emporsteigt. 

Von  diesem  berühmten  Aussichtspunkte  geht  sie  südwestlich  weiter 
zum  Piz  Tuff  und  zum  Gelbhorn,  biegt  bei  demselben  nach  Südosten 
um  und  streicht  über  den  Grat  der  Grauhörner  und  die  Gemeindescheide 
Sufers-Andeer  wiederum  zum  Hinterrhein  hinunter.  Vom  Rheinwald- 
thal läuft  sie  südlich  zum  Surettahorn,  die  gleichnamige  Alp  und  das 
Thal  noch  in  das  romanische  Gebiet  einschließend,  und  gewinnt  die 
schweizerisch-italienische  Staatsgrenze  und  die  Sprachgrenze  zwischen 
romanischem  und  italienischem  Gebiete. 

Ein  Blick  auf  unsere  Skizze  zeigt  uns,  daß  wir  nunmehr  durch 
die  bisherige  Feststellung  der  deutsch-romanischen  Sprachgrenze  im 
westlichen  und  östlichen  Graubünden  auch  die  große  deutsche  Sprach- 
insel des  Safier-,  Valser-  und  Hinterrheinthaies  markiert  haben,  mit 
Ausnahme  des  Südens,  wo  sie  das  italienische  Sprachgebiet  berührt. 
Die  deutsch-italienische  Scheidelinie  läuft  hier  vom  Surettahorn  der 
Staatsgrenze  entlang  bis  zum  Piz  Tambo,  dann  zugleich  die  Amts- 
bezirke Moesa  und  Hinterrhein  trennend  über  den  Guggermüll  und  das 
Einshorn  zum  San  Bernhardino-Paß  (das  Hospiz  ist  deutsch),  weiter  über 
den  Zapportgrat  zum  Ponc.  della  Frecione,  von  wo  an  die  Graubünden- 
Tessiner  Kantonsgrenze  mit  der  Sprachscheide  zusammenfällt.  Dieselbe 
macht,  bisher  von  Osten  nach  Westen  laufend,  nunmehr  eine  Wendung 
nach  Norden,  passiert  das  Rhein  Waldhorn  und  den  Plattenberg  und 
gewinnt  in  der  Nähe  des  Piz  Scharboden  den  Anschluß  an  die  romanisch- 
deutsche Linie,  die  gemäß  unserer  obigen  Beschreibung  vom  Vorder- 
rheinthal hinaufführt. 

Wir  haben  somit  die  große  deutsche  Sprachinsel  vollständig  Um- 
schriften. Sie  verdankt  ihr  Deutschtum  einerseits  der  mittelalterlichen 
Kolonisation  im  Valser-,  Safier-,  Hinterrheinthal,  in  Rongellen  und 
Mutten,  andererseits  im  Kreise  Thusis  auch  neueren  Vorgängen. 

Das  1473  m  hoch    gelegene  Untermutten,    dessen   sämtliche  Be- 


39]  Die  Germanisierung  der  Rätoromanen  in  der  Schweiz.  403 

wohner  im  Sommer  mit  ihrem  Vieh  auf  die  Weiden  von  Obermutten 
(1874  m)  hinaufziehen,  ist  vollständig  deutsch  und  auch  die  1898  hier 
lebenden  sechs  aus  romanischen  Dörfern  stammenden,  verheirateten 
Frauen  bedienten  sich  überwiegend  des  Deutschen.  Man  nimmt  an1), 
daß  Mutten  von  Davos  aus  besiedelt  worden  ist,  dessen  Dialekt  hier 
gesprochen  wird.  Da  Davos  eine  Walserkolonie  ist,  so  leiten  sich  also 
auch  die  Muttener  von  den  Waisern  indirekt  ab  und  haben  einige 
Geschlechternamen,  welche  sich  auch  in  anderen  Walserniederlassungen 
vorfinden.  Auf  der  Allmende  in  Unter-  und  Obermutten  kann  jeder, 
der  in  der  Gemeinde  seinen  Wohnsitz  genommen  hat,  sein  Vieh,  ob 
er  viel  oder  wenig  hat,  weiden  lassen.  Doch  besteht  die  Beschränkung, 
daß  er  nicht  mehr  Stücke  auftreiben  darf,  als  er  mit  eigenem  Futter, 
das  innerhalb  der  Gemeinde  gewachsen  ist,  überwintern  kann.  Infolge- 
dessen ist  die  Zuwanderung,  wenn  sie  nicht  durch  Verheiratung  statt- 
findet, erschwert,  so  daß  die  Muttener,  wie  in  der  Vergangenheit,  so 
in  der  Gegenwart,  ein  abgeschlossenes,  konservatives  Leben  führen. 
Sie  haben  jahrhundertelang  inmitten  einer  romanischen  Bevölkerung 
sich  ihr  Deutschtum  erhalten,  welches  einzubüßen  heute  keine  Gefahr 
mehr  für  sie  besteht,  da  die  Kreise  Thusis  und  Domleschg  immer  mehr 
germanisiert  werden,  und  auch  die  Orte  die  Albula  aufwärts  bald  dem 
Deutschtum  verfallen  sein  dürften,  ein  Vorgang  der  mit  der  Vollendung 
der  in  Angriff  genommenen  Bahn  Thusis-Schyn-Bergün-Engadin  unver- 
kennbar hervortreten  wird. 

Im  Kreise  Thusis  sind  die  Gemeinden  T seh app in a  und  Thusis 
schon  in  der  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  als  deutsche  Orte  genannt2) 
und  Urmein  war  wohl  hinzuzurechnen;  Katzis  und  Portein  als 
romanische,  von  denen  das  erstere  heute  zur  Hälfte,  das  zweite  über- 
wiegend deutsch  ist3).  Masein  ist  als  deutsch-romanisch  bezeichnet, 
ein  Ort,  von  dem  die  Statistik  von  1860  und  1870  nur  deutsche  Haus- 
haltungen nachwies.  Flerden  hatte  1860  10  deutsche  und  22  romanische 
Haushaltungen,  hingegen  1888  52  deutsche  und  62  romanische  Ein- 
wohner; in  Tartar  hat  sich  der  Uebergang  noch  schneller  vollzogen, 
indem  der  Ort  1888  141  Deutsche  und  44  Romanen  zählte,  während 
1870  die  Zahl  der  Haushaltungen  gleich  war.  Wir  haben  es  bei  der 
Feststellung  der  Sprachgrenze  dem  deutschen  Gebiete  zugerechnet. 
Als  der  alten  Sprache  noch  angehörig  sind  nur  Sarn  und  Präz  zu 
nennen,   von   denen   der   letztere  Ort   seit  1860  jedoch   eine  Zunahme 


')  Geschichte  von  Kurrätien  und  der  Republik  gemeiner  drei  Bünde  von 
Konradin  v.  Moor,  Chur  1870,  I,  8.  112. 

2)  Allgemeines  helvetisches,  eidgenössisches  oder  schweizerisches  Lexikon 
von  Hans  Jakob  Leu,  1747 — 1765,  berichtet  von  den  meisten  Orten  des 
Kreises  die  Sprache.  Von  Thusis  heißt  es:  „Thusis  evangelischer  Religion  und 
ungeachtet ,  daß  rings  umher  alles  die  romansche  Sprach  gebraucht ,  dannoch 
Deutscher  Sprach.  Die  Einwohner  ernähren  sich  von  Wirtbschaften,  Gewerben, 
Handwerken.* 

8)  Katzis  1860  65  d.,  92  rom.  Haushaltungen,  1870  76  d.  u.  76  r.,  1880 
885  d.,  387  r.  Ortsanwesende,  1888  359  d.,  342  r.  Personen  der  Wohnbevölkerung. 
Port  ein  1860  2  d.,  11  r.  1870  6  d.,  6  r.,  Haushaltungen,  1888  26  d.,  21  r,  Ein- 
wohner. Im  Dorf  Katzis  sprechen  die  Leute  untereinander  fast  nur  deutsch.  Das 
Romanische  hält  sich  auf  einigen  vom  Ort  entfernten  Höfen. 


404  A.  Sartorius  Freiherr  v.  Waltershauaen,  [40 

an  deutschen  Bewohnern  zeigt  und  neuerdings  zur  deutschen  Predigt 
übergegangen  ist.  Betrachtet  man  den  Kreis  Thusis  im  ganzen,  so 
darf  man  ihn  unbedenklich  als  stark  in  der  Germanisation  befindlich 
bezeichnen,  ähnlich  dem  anliegenden  Domleschg,  das  wir  weiter  unten 
noch  zu  besprechen  haben  werden. 

Weniger  dem  Deutschtum  verfallen  ist  das  südlich  von  Thusis 
vom  Hinterrhein  durchflossene  Schamserthal.  Die  Statistik  verzeichnet 
für  1880  1519  Romanen  und  259  Deutsche,  die  von  1888  1337  und 
291.  Die  Veränderung  ist  unverkennbar  zu  Gunsten  der  letzteren  ein- 
getreten, besonders  in  den  Thalorten  Zillis,  Andeer,  Donath,  während 
die  abseits,  meist  hochgelegenen  kleinen  Dörfer,  wie  Lohn,  Mathon» 
Fardün,  bei  ihrer  fast  ausschließlich  romanischen  Muttersprache  be- 
harren. Im  allgemeinen  kann  man  jedoch  sagen,  daß  die  heran- 
wachsende Jugend  deutsch  spricht,  liest  und  schreibt,  und  daß  unter 
den  Erwachsenen  nur  wenige  sein  dürften,  welche  diese  Fähigkeit  nicht 
besitzen.  Wie  sehr  das  Thal  im  Fortschreiten  des  Deutschen  begriffen 
ist,  erhellt  u.  a.  aus  der  Thatsache,  daß,  als  (1899)  die  kantonale  Er- 
ziehungsdirektion einen  Aufruf  zum  Zweck  einer  mildthätigen  Samm- 
lung erließ  und  denselben  für  Schams  in  romanischer  Sprache  ver- 
schickt hatte,  verschiedene  Reklamationen  dagegen  erfolgten  mit  dem 
Ersuchen,  die  Formulare  auch  in  deutsch  auszustellen. 

Im  Anfang  unseres  Jahrhunderts  waren  es  nur  die  bei  dem  Transit- 
wesen beschäftigten  Männer,  welche  deutsch  verstanden,  aber  schon 
damals  wurde  darüber  debattiert,  ob  es  nicht  zweckmäßig  sei,  dasselbe 
ganz  allgemein  einzuführen.  Zu  Gunsten  dieses  Vorschlages  *)  wurde- 
geltend gemacht,  daß  der  Mangel  an  religiösen  und  wissenschaftlichen 
Schriften  dann  aufhören  würde,  daß  wohlfeile  Bücher  für  die  Dorf- 
jugend  nun  beschafft  werden  könnten,  daß  der  Staat  die  romanische 
Uebersetzung  der  Verordnungen  erspare,  und  daß  die  Gleichheit  der 
Sprache  die  Einwohner  des  Landes  enger  miteinander  verbinden  werde. 
Diesen  Argumenten  gegenüber  wurden  aber  als  Bedenken  hervorgehoben, 
daß  die  Sprachänderung  eine  Härte  gegen  die  älteren  Leute  sei,  daß 
die  Kenntnis  der  romanischen  Sprache  das  Erlernen  mehrerer  anderer 
Sprachen  erleichtere  und  vor  allem,  daß  sich  die  Idee  ohne  Zwang  nicht 
verwirklichen  lasse,  gegen  den  ein  heftiger  Widerspruch  zu  erwarten  sei* 

Die  gegenwärtige  Germanisierung  vollzieht  sich  ohne  jeden  Zwang 
und  stößt  daher  auch  auf  keine  Gegnerschaft.  Die  beste  Politik  bei 
Nationalitätskonflikten  ist  die  des  laisser  aller,  freilich  nicht  des  ab- 
soluten, denn  jeder  mehrsprachige  Staat  bedarf  zur  Ordnung  der  Gesamt- 
verwaltung bestimmte  Regeln  für  den  Sprachgebrauch.  Will  ein  Staat 
eine  nationale  Minorität  der  Majorität  assimilieren,  so  sollte  er  sein 
Hauptmerkmal  darauf  richten,  diesen  Uebergang  jener  als  vorteilhaft 
empfinden  zu  machen,  und  die  nötigen  praktischen  Maßregeln  dazu 
ergreifen. 

Wir  waren   der  Grenze  des  westlichen  romanischen  Gebietes  bi& 


J)  Der  neue  Sammler,  ein  gemeinnütziges  Archiv  für  Bünden,  1808,  Bd.  IV,. 
S.  140. 


41]  Die  Germanisierung  der  Rätoromanen  in  der  Schweiz.  405 

zum  Surettahorn  nachgegangen  (S.  402  [38]).  Für  eine  kurze  Strecke  fällt 
sie  jetzt  mit  der  schweizerisch-italienischen  Staatsgrenze,  über  die  Punkte 
Passo  di  Madesimo,  Piz  d'Emet,  Punta  della  Palü  und  die  Ortschaft 
Starlera,  die  zu  Innerferrera  oder  Canicül  gehört,  und  dort  liegt,  wo 
das  Val  di  Lei  in  das  Averserthal  mündet,  zusammen,  trennt  also  die 
romanische  von  der  italienischen  Sprache,  schließt  dann  die  im  Westen, 
Süden  und  Osten  vom  Italienischen  umsäumte  deutsche  Sprachinsel 
Avers  gegen  das  nordöstlich  gelegene  Oberhalbstein  ab  mit  den  Punkten 
Weißberg  und  Piz  Platta. 

Das  Avers  verdankt  seine  Sprache  der  mittelalterlichen  Kolonisation. 
Dabei  ist  es  streitig,  ob  dieselbe  von  Waisern  oder  Schwaben  ihren 
Ausgang  genommen  hat.  Die  letzteren  sollen  von  den  hohenstaufischen 
Kaisern  an  mehreren  Alpenpassen  zum  Schutz  für  den  Uebergang  nach 
Italien  angesiedelt  worden  sein,  so  auch  in  Avers  im  Interesse  des 
Septimers.  In  der  That  führte  im  Mittelalter  ein  viel  begangener 
Saumpfad  vom  Schamserthal  durch  das  Avers  und  über  den  Stallerberg 
nach  Bivio,  wo  die  beiden  Wege  über  den  Julier  und  Septimer  zu- 
sammentreffen. Daß  die  Averser  in  Cresta  und  Umgebung  einen  aus- 
reichenden Schutz  für  diese  Route  hätten  abgeben  können,  ist  wenig 
glaublich.  Niederlassungen  zu  diesem  Zweck  hätten  vor  allem  in  Bivio 
und  Casaccia  gegründet  werden  müssen,  den  wichtigsten  Verbindungs- 
punkten am  Septimer.  Es  giebt  allerdings  noch  andere  Uebergänge 
vom  Avers  ins  Bergell,  so  namentlich  der  über  die  Forcellina,  von  denen 
es  mir  aber  wegen  ihrer  Höhe,  Steilheit  und  Schneeverhältnisse  unwahr- 
scheinlich erscheint,  daß  sie  dem  größeren  Verkehr  gedient  haben. 

Daß  hingegen  die  Averser  Nachkommen  von  Waisern  sind,  ergiebt 
sich  aus  mehreren  alten  Familiennamen  in  Cresta1),  auch  soll  der 
Dialekt  an  den  von  Vals  stark  erinnern,  vor  allem  aber  aus  der  anthro- 
pologischen Thatsache,  daß  die  Typen  in  Avers  denen  des  Hinter- 
rheins, Vals,  Safierthales,  Oberlandquart  u.  s.  w.  ähnlich  und  keines- 
wegs schwäbisch  geartet  sind.  Die  Erhebungen  der  Augen-,  Haar- 
und  Hautfarbe  der  Schulkinder  haben  für  das  heutige  Württemberg 
24,46 °/o  des  blonden,  blauäugigen  Typus  nachgewiesen,  während  wir 
in  den  Walserkolonieen  folgende  Zahlen  antreffen  *) : 

Blaue  Augen    Graue  Augen    Dunkler  Typus 

Ober-Landquart     ...  85  349  422 

Saßen  und  Tenna       .     .  15  51  33 

Obersaxen 15  26  35 

Rheinwald 7  .79  82 

Mutten 2  7  8 

Schmitten 7  20  3 

Vals —  66  56 

Avers —  14  14 


l)  Jos,  Savier,  Klucker,  Stoffel,  Wolf,  Salis,   Jagers,  Plalner,   Rudi  sind 
Namen  des  Kirchenbuches  in  Cresta. 

*)  Vgl.  S.  371  [5],  wo  die  drei  Typen  des  näheren  beschrieben  worden  sind. 


406 


A.  Sartori us  Freiherr  v.  Waltershause», 


[42 


Es  ist  hieraus  ersichtbar,  daß  der  blonde,  blauäugige  Typus  sehr 
zurücktritt,  nur  9,4  °/o  der  Gesamtheit  beträgt,  wohingegen  auf  die  grau- 
äugigen 43,8  °/o  und  auf  die  brünetten  Kinder  46,8  °/o  entfallen.  Vals 
und  Avers  stehen  sich  insofern  gleich,  als  die  erste  Kategorie  ganz 
fehlt  und  die  beiden  anderen  annähernd  in  gleicher  Stärke  vertreten  sind. 
Auch  in  der  Gemeinde  Splügen  ist  das  Verhältnis  ähnlich  (1  +  24+18). 

Es  sei  bei  dieser  Gelegenheit  bemerkt,  daß  durch  den  gleichen 
anthropologischen  Beweis  die  Herkunft  der  Walser  aus  Oberwallis 
wahrscheinlich  gemacht  wird.  In  den  östlichen  Amtsbezirken  des 
Kantons  Wallis  findet  man: 


Brig   .... 
Goms .... 
östl.  Baron  .     . 

Blaue 
.       94 
.     .       81 
.     792 

Graue 

372 

282 

17 

Dunkle 
376 
297 
113 

Summa    .     .     . 

.     .     254 

826 

786 

In  Prozenten     . 

.     .    13,6 

44,3 

42,3 

Es  geht  hieraus  hervor,  daß  der  erste  Typus  schwach  vertreten  ist, 
und  daß  die  beiden  anderen  annähernd  gleich  stark  sind,  also  dasselbe 
zu  Tage  tritt,  wie  in  den  Walserniederlassungen.  Wenn  die  Blau- 
äugigkeit hier  im  Oberwallis  etwas  stärker  erscheint  als  in  Graubünden, 
ferner  die  Braunäugigkeit  etwas  der  Grauäugigkeit  gegenüber  zurück- 
steht, so  findet  dies  eine  ungezwungene  Erklärung  aus  einer  Beein- 
flussung durch  die  Grenzgebiete,  indem  einerseits  nördlich  von  Goms 
das  an  Blauäugigen  weit  stärkere  Oberhasle,  und  westlich  yon  Brig 
die  ebenfalls  in  dieser  Hinsicht  reicheren  Bezirke,  das  westliche  Raron 
und  Frutigen  liegen,  andererseits  die  Walserkolonieen  von  Gebieten  um- 
geben sind,  in  denen  der  dunkle  Typus  sehr  vorwiegend  ist. 

Es  sei  auch  schließlich  noch  erwähnt,  daß  in  Brig  und  Goms 
acht  Gemeinden  gar  keine  blauäugigen  Kinder,  also  wie  das  Avers, 
aufweisen. 

Das  Avers  hatte  von  der  Mitte  des  17.  bis  zur  Mitte  des  18.  Jahr- 
hunderts, wie  das  Kirchenbuch  in  Cresta,  welches  bis  zum  Jahre  1656 
zurückreicht,  zeigt,  eine  Bevölkerung,  die  doppelt  so  groß  war  als  die 
heutige.  Damals  war,  sowohl  im  unteren  Thal  bei  Canicül,  wie  im 
oberen  und  im  Madriserthal  Bergbau  im  Betrieb,  der  später  unrentabel 
wurde  und  dadurch  eine  Auswanderung  der  Averser  verursachte.  Seit 
jener  Zeit  waren  diese  deutschredenden  Kolonisten  wieder  ausschließlich 
auf  die  Landwirtschaft  angewiesen,  lebten  abgeschlossen  für  sich  und 
nur  selten  im  Jahre  wanderte  einer  von  ihnen  nach  Andeer  im  Schamser- 
thal oder  nach  Olafen  im  Bergell,  um  dort  etwas  Tauschhandel  zu 
betreiben. 

Wir  haben  die  Grenze  des  romanischen  Sprachgebietes  auf  S.  405  [41] 
bis  zu  dem  Piz  Platta  verfolgt.  Sie  läuft  in  westlicher  Richtung  weiter 
und  umschließt  die  beiden  Gemeinden  Marmor ea  und  Bivio  bis  zum  Piz 
Lunghino  (welche  auf  unserer  Skizze  durch  senkrechte  blaue  Streifen  auf 
rosa  Grunde   bezeichnet  sind)  und  senkt  sich  zum  Malojapaß  hinunter. 

Die  Gemeinden  Bivio   oder   Stalla   und   Marmorea   oder   Marmels 


4g]  Die  Germanisierung  der  Rätoromanen  in  der  Schweiz.  407 

haben  ganz  eigentümliche  Sprachverhältnisse.  Die  eidgenössische 
Statistik  von  1860  zeigt  für  die  erstere  47  italienische  und  9  romanische 
Haushaltungen,  für  die  zweite  36  italienische,  diejenige  von  1870  hin- 
gegen für  Stalla  30  romanische,  34  italienische,  1  deutsche,  für 
Manuels  36  romanische  und  2  deutsche  Haushaltungen.  Diese  starke 
Verschiebung  ist  bei  den  im  ganzen  stabilen  sozialen  Zuständen  dieser 
Dörfer  nur  durch  die  Annahme  verständlich,  dag  ein  Teil  der  Haus- 
haltungen, die  1860  als  italienisch  gezählt  wurden,  1870  dem  Romani- 
schen zugerechnet  worden  sind.  Der  romanische  Dialekt  nämlich,  der 
hier  im  Oberbalbstein  gesprochen  wird,  enthält  ziemlich  viel  von  dem 
Bergeller  Italienisch,  so  daß  frühere  Forscher  ihn  für  italienisches 
Patois  erklärt  haben  1). 

Die  Individualstatistik  nach  der  Muttersprache  von  1880  und 
1888  verfährt  nun  so,  daß  sie  das  Oberhalbsteinsche  und  den  Bergeller 
Dialekt  als  Romanisch  und  Italienisch  genau  unterscheidet. 


Romanen 

Italiener 

Deutsche 

1880  Manuels      . 

.     .     149 

— 

2 

1888 

.     .     149 

1 

1 

1880  Stalla     .     . 

.     .     110 

53 

— 

1888      .         .     . 

.     .     107 

50 

1 

Die  Muttersprache  ist  demnach  in  Marmels  ganz  romanisch, 
in  Stalla  für  */s  der  Bewohner,  während  l\v  die  italienische  besitzt. 
Dieses  Drittel  enthält  in  fünf  Familien  noch  die  Nachkommenschaft 
einer  aus  Soglio  im  Bergell  stammenden  Einwanderung,  die  von  den 
Herren  von  Salis  hier  im  16.  Jahrhundert  angesiedelt  worden  ist.  Sie 
brachte  den  protestantischen  Glauben  mit,  dem  heute  ungefähr  */s  der 
Bewohner  von  Stalla  zugethan  sind2).  Die  Kirchensprache  der 
Evangelischen  ist  daher  seitdem  die  italienische8).  Der  heutige 
Geistliche  beherrscht  die  romanische,  italienische  und  deutsche  Sprache 
in  gleicher  Weise,  um  den  vielsprachigen  Bedürfnissen  des  Ortes  zu 
genügen.  Er  stammt  aus  dem  romanischen  Münsterthal  und  hat  so- 
wohl in  der  deutschen  Schweiz  wie  auch  in  Florenz  studiert. 

Auch  die  katholischen  Geistlichen  in  Stalla  und  Marmels,  das 
ganz  katholisch  ist,  bedienen  sich  des  Italienischen  beim  Gottesdienst. 
Da  nun  das  oberhalbsteinsche  Romanisch  keine  ausgebildete  Schrift- 
sprache besitzt,  hat  man  in  den  beiden  Gemeinden  wohl  im  Anschluß 
an  die  Kirchensprache  die  italienische  Schriftsprache  in 
Uebung4),    und    dementsprechend    auch   die    italienische    Schul- 


')  Daß  die  Sprache  jedoch  eine  romanische  Abart  ist,  ergiebt  sich  aus  der 
Schrift  von  R.  Lanz,  II  Biviano. 

a)  Vor  1500  war  in  Stalla  alles  romanisch,  wie  die  Akten  von  Hexen - 
Prozessen  bewiesen,  die  aufbewahrt  worden  sind.  (Mitteilung  von  Herrn  R.  Lanz 
in  Stalla.) 

•)  Leu,  Lexikon  a.  a.  O.  von  1762:  „Die  Sprach  ist  allda  (in  Stalla)  ver- 
mischt und  weder  recht  romanisch  noch  recht  italienisch,  doch  wird  der  evan- 
gelische Gottesdienst  in  italienischer  Sprach  gehalten." 

4)  Im  unteren  Oberhalbstein  von  Molins  abwärts  hat  man  die  Oberländer 
Schriftsprache  eingeführt. 


408 


A.  Sartorius  Freiherr  v.  Waltershausen, 


[44 


spräche.  Doch  wird  in  den  beiden  oberen  Klassen  der  beiden  Orten 
gemeinsamen  Volksschule  auch  deutsch  gesprochen.  Da  für  beide 
Dörfer  das  Kreisgericht  in  Schweiningen  die  unterste  Instanz  ist,  so 
haben  sie  als  Gerichtssprache  das  Romanische. 

Endlich  ist  noch  zu  erwähnen,  daß  Bivio  (Zweiwege),  von  wo 
die  Straße  über  den  Julierpaß  nach  Silvaplana  im  Engadin,  und  der 
Saumpfad  über  den  Septimer  nach  Casaccia  im  Bergell  führt,  für 
Umspann  und  Vorspann,  für  Nachtquartier  der  Kutscher  und  Reisenden 
eine  gewisse  Bedeutung  hat,  mithin  alle  die,  welche  mit  dem  Trans- 
portwesen zu  thun  haben,  des  Deutschen  und  Italienischen  als  der 
Verkehrssprachen  mächtig  sein  müssen. 

Nach  den  bisherigen  Ausfuhrungen  würde  es  nichts  Ungewöhn- 
liches sein,  daß  ein  Bauer  aus  Stalla  früh  morgens  mit  den  Seinigen 
auf  romanisch  die  Arbeiten  und  Geschäfte  des  Tages  bespricht,  bald 
darauf  in  der  Kirche  die  italienische  Predigt  des  Pfarrers  anhört, 
nachher  im  Wirtshaus  sitzt  und  mit  Kutschern  aus  Chur  und  Thusis 
ein  deutsches  Gespräch  führt,  einem  derselben  einen  von  ihm  selbst 
italienisch  geschriebenen  Brief  nach  Vicosoprano  im  Bergell  mitgiebt; 
dann  nach  Hause  zurückgekehrt  die  deutsche  Schularbeit  seines  Sohnes 
durchsieht,  nachmittags  mit  dem  Bergeller  Fourgon  nach  Mühlen 
fährt  und  sich  unterwegs  mit  dem  Führer  desselben  vortrefflich  ita- 
lienisch unterhält,  abends  in  Schweiningen  eintrifft,  um  am  anderen 
Morgen   einer   romanisch   geführten  Gerichtsverhandlung  beizuwohnen. 

Vom  Malojapaß,  oder  genauer  schon  vom  Piz  Lunghino  bis  zum 
Stilfser  Joch  scheidet  sich  das  romanische  vom  italienischen  Sprach- 
gebiet, zunächst  entlang  der  politischen  Grenze  der  beiden  Kreise  des 
Bezirkes  Maloja  Bergell  und  Oberengadin  bis  zum  Murettopaß,  dann 
entlang  der  schweizerisch-italienischen  Staatsgrenze  über  die  Punkte 
Piz  Fora,  Tremoggia,  Glüschaint,  Roseg,  Scersen,  Fuorcla  fräst'  agüzza, 
Piz  Zupo  bis  zu  den  Palüspitzen.  Hier  tritt  sie  wieder  in  das  Gebiet 
der  Schweiz  hinein,  um  den  italienisch  redenden  Bezirk  Bernina  von 
dem  Oberengadin  zu  trennen. 

Nördlich  von  der  soeben  geschilderten  Sprachgrenze  liegen  die 
bekannten  Orte  des  Oberengadins,  St.  Moritz,  Samaden,  Pontresina,  über 
deren  Nationalitätsverhältnisse  die  nachfolgende  Statistik  zunächst  einen 
Einblick  gewährt: 


1860 
Haus- 
haltungen 


1870 
Haus- 
haltungen 


1880 
Orts- 
anwesende 


1888 
Wohnbevölke- 
rung 


d. 


St.  Moritz '     H 

Samaden 25 

Pontresina 28 


44 
90 
47 


38 
48 
32 


40 

86 
44 


128 
316 

184 


202  278 
354  326 
175       252 


254 
420 
234 


45]  Die  Germanisierung  der  Rätoromanen  in  der  Schweiz.  409 

Wenn  wir  auch,  wie  in  dem  zweiten  Kapitel  ausgeführt  worden 
ist,  aus  den  Zahlen  dieser  Jahre  wegen  der  verschiedenen  statistischen 
Erhebungsweise  einen  ganz  genauen  Vergleich  nicht  ziehen  können, 
so  geht  doch  die  konstante  absolute  und  relative  Zunahme  des  Deutsch- 
tums deutlich  aus  ihnen  hervor  mit  der  einen  Ausnahme  von  1880  bis 
1888  für  Samaden. 

Bedeutungsvoll  für  alle  drei  Orte  ist  die  Fremdenindustrie  ge- 
worden, welche  eine  Zuwanderung  aus  deutschen  Ländern  nach  sich 
gezogen  hat.  Die  Volkszählungen  von  1880  und  1888  haben  im 
Winter  stattgefunden,  in  welchem  damals  die  Saison  von  St.  Moritz 
noch  wenig  besagen  wollte.  Die  statistischen  Ergebnisse  vom  1.  De- 
zember 1900  werden  daher  hier  für  die  Ortsanwesenden  ganz  andere 
Resultate  ergeben  *). 

Jedoch  schon  ehe  der  Fremdenstrom  in  großem  modernen  Maß- 
stab sich  in  das  Oberengadin  ergoß,  besaß  Pontresina,  wie  die 
erste  Spalte  uns  mitteilt,  23  deutsche  Haushaltungen.  Dieselben 
hatten  ihren  Ursprung  in  Davosero  und  Prättigauern ,  die  sich  bereits 
im  vorigen  Jahrhundert  dort  niedergelassen  hatten. 

Es  ist  bekannt,  daß  die  Oberengadiner  seit  Jahrhunderten  in 
viele  Staaten  Europas  auswandern,  um  dort  als  Zuckerbäcker,  Gafetiers, 
Likörfabrikanten ,  Kauf  leute  u.  s.  w.  tbätig  zu  sein  2).  Manche  von 
ihnen  sind  zurückgekehrt,  um  ihren  erworbenen  Wohlstand  als  alte 
Leute  in  ihrer  Heimat  zu  genießen.  So  sehr  auch  diese  Wanderung 
die  volkswirtschaftliche  Kapitalbildung  fördern  mochte,  so  hatte  sie 
doch  andererseits  den  Nachteil,  daß  junge  Leute,  nicht  selten  ganze 
Gruppen  von  ihnen,  plötzlich  der  üblichen  Arbeit  auf  Alm  und  Feld 
oder  dem  Transitverkehr  auf  den  Saum  wegen  entzogen  wurden. 

In  Pontresina,  von  wo  aus  schon  im  vorigen  Jahrhundert  ein 
eifriger  Transportverkehr  besonders  in  Wein  über  den  Berninapaß  mit 
dem  Veltlin  im  Schwünge  war,  sind  nun  die  gewerblichen  und  kom- 
merziellen Auswanderer  durch  Davoser  und  Prättigauer  ersetzt  worden. 
Dieselben  kamen  meist  als  unbemittelte  Fuhrleute  herbei,  die  nach 
und  nach  verdienten,  Lasttiere  halten  konnten  und  dann,  da  sie  für 
dieselben  Heu  gebrauchten,  Wiesen  und  Weiden  pachteten.  Diese 
Pächter  kamen  schließlich  zu  Haus  und  Hof  und  hielten  wie  die 
Walsergemeinden  in  guter  Weise  an  ihrem  Deutschtum  fest.  Auch 
in  unserer  Zeit  sind  noch  Schreiner  und  Tagelöhner  aus  Davos  nach 
Pontresina  zugezogen,  und  unter  der  zunehmenden  Bedeutung  der 
Hochtouristik  im  Berninagebiet  sind  aus  ihnen  wie  überhaupt  aus 
den  deutschen  Familien  die  Bergführer  hervorgegangen,  unter  denen 
man  nur  ausnahmsweise  romanische  Namen  findet.  Es  ist  infolge 
der  geschilderten  Wanderung  verständlich,  daß  1888  in  diesem  Ort 
nur    55    Bürger    der    Wohngemeinde     lebten ,     neben     399     anderer 


1)  Im  Dorf  St.  Moritz  waren  während  des  Winters  1898/99  alle  Hotels  ge- 
öffnet und  die  Zahl  der  Winterkurgäste  hatte  1000  bereits  überschritten. 

2)  Näheres  darüber  bei  Sprecher,  Geschichte  der  Republik  der  drei  Bünde 
a.  a.  O.,  II,  S  148—186.  —  G.  Ph.  H.  Norrmann,  Geographische,  statistische  Dar- 
stellung des  Schweizerlandes,  1795,  II,  S.  2429. 


410  A.  Sartorius  Freiherr  v.  Waltershausen,  [46 

Gemeinden  Graubündens ,  22  sonstigen  Schweizern  und  34  Aus- 
ländern. 

Auch  Samaden  und  St.  Moritz  haben  ähnliche  Bürgerver- 
hältnisse. Der  erstere  Ort  zählt  108  anwesende  Bürger  neben  735  Nicht- 
bürgern,  während  von  den  Bürgern  manche  im  Ausland  leben  und  arbei- 
ten, gegenwärtig  mehrfach  als  Hoteliers  in  Italien.  Ein  Teil  von  ihnen 
kommt  während  des  Sommers  zurück,  um  sich  von  der  Jahresarbeit 
in  der  heimatlichen  Sommerfrische  zu  erholen,  ein  Teil  erst  nach  einer 
Reihe  von  Jahren,  die  Mehrzahl  aber  immer  mit  erworbenem  Kapital, 
welches  der  Oberengadiner  Fremdenindustrie  so  sehr  zu  statten  ge- 
kommen ist.  Für  die  Nationalitätsverhältnisse  hat  dies  die  Wirkung, 
erstens,  daß  viele  Romanen  im  Ausland  sind  und  dort  für  die  Er- 
haltung ihrer  Sprache  nichts  leisten  können,  zweitens,  daß  die  Zurück- 
bleibenden die  Wiesen  und  Weiden  nicht  mehr  ausreichend  bewirt- 
schaften können  und  fremde  Hirten  und  Heumäher,  Italiener  vielfach, 
heranziehen.  Das  erworbene  Vermögen  drittens,  in  Fremdenindustrie 
umgesetzt,  ist  Veranlassung  geworden,  daß  deutsch  redende  Handwerker, 
Kaufleute,  Dienstboten,  Geschäftsführer,  Aerzte  u.  s.  w.  zugewandert 
sind,  um  an  dem  blühenden  Sommer-  und  Wintergeschäft  teilzunehmen. 
Wenn  von  1880 — 1888  in  Samaden  die  absolute  und  relative  —  d.h. 
den  Deutschen  gegenüber  —  Zahl  der  Romanen  wieder  etwas  zu- 
genommen hat,  so  hängt  dies  vermutlich  mit  dem  besserem  Er- 
werbsleben zusammen,  indem  einige  von  denen,  die  früher  im  Auslande 
Arbeit  suchten,  jetzt  zu  Hause  lohnende  Anstellung  gefunden  haben, 
und  indem  aus  umliegenden  romanischen  Dörfern  Arbeiter  und  Dienst- 
boten herbeigezogen  wurden,  um  den  steigenden  Bedarf  an  Arbeits- 
kräften zu  decken. 

In  St  Moritz  waren  1888  nur  51  Bürger  und  659  Nichtbtirger, 
ein  Verhältnis,  das  sich  zu  Gunsten  der  letzteren  seitdem  mit  der  zu- 
nehmenden Einwanderung  noch  verstärkt  haben  dürfte.  Der  Ort  ist 
heute  schon  so  gut  wie  ganz  deutsch.  Das  Romanische  ist  aus  der 
Gemeindeversammlung,  der  Schule,  der  Kirche,  dem  Geschäftsverkehr 
fast  verdrängt  worden,  und  die  Kinder  romanischer  Eltern  verlernen 
im  Verkehr  mit  ihren  deutschen  Schulgenossen  die  Muttersprache. 

Wir  haben  auf  unserer  Karte  die  drei  Oberengadiner  Orte  als 
in  der  Germanisation  befindlich  verzeichnet.  In  nicht  zu  langer  Zeit 
dürfte  in  diesem  Alpenthal  eine  ausgedehnte  deutsche  Sprachinsel  vor- 
handen sein.  Die  angrenzenden  Orte  Bevers,  Celerina,  Campfer,  Silva- 
plana,  Sils,  in  denen  heute  bereits  alle  jüngeren  Leute  deutsch  sprechen, 
und  die  älteren  es  wenigstens  durchweg  verstehen,  werden  sich  dem 
Einfluß  des  deutschen  Gentrums  um  so  weniger  entziehen  können,  als 
die  bei  Bevers  in  das  Oberengadin  einlaufende,  bereits  im  Bau  be- 
griffene Eisenbahn  dem  Fremdenverkehr  nur  neuen  Vorschub  leisten  wird. 

Die  romanisch-italienische  Sprachgrenze,  welche  wir  bis  zu  den 
Paltispitzen  festgestellt  haben,  senkt  sich  nun  zum  Berninapaß  hin- 
unter und  steigt  stets  im  Anschluß  an  die  Bezirksgrenze  von  Maloja 
und  Bernina  zur  Forcia  di  Livigno  hinauf.  Von  hier  fällt  sie  wieder 
mit  der  Staatsgrenze  zusammen,  umzieht  die  große  italienische  Sprach- 


47] 


Die  Germanisierung  der  Rätoromanen  in  der  Schweiz. 


411 


halbinsel  des  Livignothales  und  erreicht  über  die  Gipfelreihe  Piz  della 
Stretta,  Mt.  Cotschen,  Piz  Casanna,  Vetta  maggiore,  Las  Palas,  Piz 
Murtarol,  Piz  Schumbraida,  Piz  Umbrail  das  Stilfser  Joch. 

Von  hier  aus  nimmt  sie  Richtung  nach  Norden,  jetzt  wieder 
das  Gebiet  der  romanischen  von  der  deutschen  Sprache  abtrennend. 
Sie  ist  hier  auch  leicht  festzustellen,  da  sie  der  Tiroler  Staatsgrenze 
entspricht.  Als  bestimmende  Punkte  seien  hier  nur  erwähnt  zunächst 
der  Piz  Costainas,  Piz  Minschuns  und  die  Thalsohle  des  Münsterthaies 
bei  Puntwiel  (Tirol). 

Das  Münsterthal  ist  auf  unserer  Sprachenskizze  als  romanisch 
angegeben,  die  beiden  Orte  Santa  Maria  und  Münster  sind  jedoch  in 
der  Germanisation  begriffen.  Dieser  Uebergangszustand  ist  vielleicht 
nicht  in  dem  Maße  ausgeprägt  vorhanden  wie  beispielsweise  bei 
St.  Moritz  und  Ilanz,  aber  ist  doch  unverkennbar.  Nach  der  Statistik 
von  1880  und  1888  hatten  die  Gemeinden  nachfolgende  Sprach  Ver- 
hältnisse : 


Romanisch 

i 

Deutsch 

Italienisch 

1880 

1888 

1880 

1888 

1880 

1888 

Cierfa 

Faldera 

Lü 

Münster 

St.  Maria 

126 
98 
53 
459 
316 
128 

126  1 

88 

60 
474 
282 
185  | 

28 
23 
19 
60 
73 
57 

21 
12 
13 
79 
112 
60 

1 

10 
2 

1 

16 
8 

Valcava i 

3 

Münsterthal 

1175 

1165  1 

260 

297 

14 

27 

Was  zunächst  die  wenigen  Leute  italienischer  Sprache  angeht,  so 
haben  sich  in  Münster  zwei  Welschtiroler  Familien  niedergelassen, 
die  übrigen  sind  Straßenarbeiter  und  Maurer,  deren  Zahl  vorübergehend 
infolge  des  in  Angriff  genommenen  Straßenbaues  von  St.  Maria  zum 
Stilfser  Joch  durch  das  Val  Muranza  noch  steigen  wird.  Eine  ita- 
lienische dauernde  Zuwanderung  aus  dem  dem  Münsterthal  im  Süden 
anliegenden  Veltelin  hat  nicht  stattgefunden. 

Die  deutsche  Sprache  ist  vor  allem  vom  Osten  her,  in  neuerer 
Zeit  aber  auch  vom  Westen  her  vorgedrungen.  Seit  1872  ist  die 
Straße  über  den  Ofenpaß  vollendet,  wodurch  eine  bequeme  Verbindung 
mit  dem  Engadin  und  zugleich  mit  der  deutschen  Ostschweiz  geschaffen 
worden  ist.  Vordem  war  das  Thal  mit  dem  deutschen  Graubünden 
und  der  Hauptstadt  Ghur  nicht  viel  mehr  in  Berührung  getreten,  als 
es  die  aus  der  politischen  Zusammengehörigkeit  erwachsenden  Be- 
dürfnisse gerade  verlangten.  Heutzutage  bezieht  es  die  meisten  In- 
dustrieprodukte aus  der  deutschen  Schweiz  oder  wenigstens  durch  die 
Vermittelung  derselben.  Butter  und  Vieh  werden  für  die  erhaltene 
Ware  über  den  Ofenpaß  zurückgesandt.  Denselben  Weg  zieht  auch 
jährlich     eine    Anzahl    junger     Leute,      um     als     Kellner,     Dienst- 


412  A-  Sartoriiw  Freiherr  v.  Waltershausen,  [48 

mädchen  u.  s.  w.  in  der  Engadiner  Fremdenindustrie  für  einige 
Monate  Verwendung  zu  finden,  bei  welchem  Beruf  die  Erlernung 
des  Deutschen  notwendig  ist. 

Der  wirtschaftliche  Verkehr  mit  Oesterreich  ist,  abgesehen  viel- 
leicht vom  Schmuggelhandel,  nach  der  Erbauung  der  Ofenpafistrafie 
zurückgegangen,  immerhin  äußert  er  besonders  im  Winter  noch  seine 
germanisierende  Wirkung,  und  der  Wagen-  und  Postverkehr  zwischen 
Münster,  Taufers  und  Mals  in  Tirol  ist  ein  reger.  Das  Deutsche,  das 
in  Münster  und  St.  Maria  gesprochen  wird,  ist  dem  Tiroler  Dialekt 
nahestehend;  von  Tirol  her  hat  auch  eine  Zuwanderung  von  Männern 
und  Frauen  stattgefunden,  und  von  der  temporären  Auswanderung 
des  Thaies  wendet  sich  ein  Teil  in  deutsch-österreichische  Alpenländer. 
Auch  als  niedergelassene  Geschäftsleute  findet  man  Münsterthaler  in 
Oesterreich,  die  in  reger  Verbindung  mit  der  Heimat  geblieben  sind 
und  gern  junge  Verwandte  von  dorther  in  Arbeit  und  Verdienst  nehmen. 
Von  den  Kaufleuten,  welche  im  Ausland  —  auch  in  Deutschland 
leben  einige  —  ihr  Glück  gemacht  haben,  kehrt  wenigstens  regel- 
mäßig ein  Teil  nach  Hause  zurück.  Diese  Leute  erwerben  dann  Haus 
und  Land,  auf  dem  sie  mit  Hilfe  ihres  erworbenen  Kapitals  trotz  der 
gedrückten  Lage  der  Landwirtschaft  in  bescheidener  Bequemlichkeit 
leben  können. 

Der  verdeutschende  Einfluß  des  Grenzlandes  Tirol  ist  erst  mit 
dem  Straßenbau  dorthin  in  unserem  Jahrhundert  recht  sichtbar  ge- 
worden. Vor  120  Jahren  lebten  in  dem  Tiroler  Grenzort  Taufers 
noch  Romanen,  als  ein  Rest  des  ehemals  ganz  romanischen  oberen 
Etschthales,  welches  zur  Römerzeit  der  Provinz  Raetia  secunda  zuge- 
hörte1). Eine  Reihe  von  Ortsnamen  erinnert  an  diese  Thatsache 
ebenso,  wie  die  zahlreichen  dunkeläugigen  und  dunkelhaarigen  Männer 
und  Frauen,  die  uns  dort  begegnen. 

Der  Einfluß  deutscher  Sprache  und  Kultur  konnte  sich  im  Mün- 
sterthal erst  geltend  machen,  als  die  ihm  im  Osten  vorgelagerte  Maiser 
Heide  ihr  vollständig  anheimgefallen  war. 

Diejenigen  Leute,  welche  sich  der  romanischen  Muttersprache 
bedienen8)  und  als  solche  in  der  obigen  Statistik  der  Zahl  nach  an- 
geführt worden  sind,  verstehen  mit  nur  ganz  geringen  Ausnahmen 
das  Deutsche,  die  meisten  sprechen  es  auch  leidlich  und  schreiben  und 
lesen  es  geläufig.  Dasselbe  ist  für  den  auswärtigen  Verkehr  maß- 
gebend, und  auch  in  dem  inneren  wird  es  von  Jahr  zu  Jahr  mehr 
gebraucht.  In  Santa  Maria  wird  in  den  beiden  letzten  oberen  Klassen 
der  Volksschule  deutsch  unterrichtet,  und  die  dortige  Realschule  kennt 
nur  die  deutsche  Unterrichtssprache.  In  Münster  werden  die  Knaben 
nur  in  den  beiden  Unterklassen  in  romanischer  Sprache  belehrt,  sonst 


')  P.  Foppa,  Das  bündnerische  Münsterthal,  eine  historische  Skizze. 
Chur  1864. 

*)  Es  besteht  ein  eigener  Dialekt  im  Thal,  um  dessen  Erforschung  sich 
der  Kapuzinerpater  L.  Justinian  Lombardin  in  Münster  ein  dauerndes 
Verdienst  erworben  hat.  Derselbe  hat  Wilhelm  Teil  in  diese  Sprache  übersetzt 
(Wilhelm  Teil,  Verti  a  sentimaint  in  Ladin  da  Müstair,  Coira  1888),  welches  Buch 
gewissermaßen  als  authentisches  Lexikon  des  Dialektes  angesehen  wird. 


49]  Die  Germanisierung  der  Rätoromanen  in  der  Schweiz.  413 

in  der  deutschen.  Für  die  Mädchen  besteht  die  Schule  der  katho- 
lischen, nur  deutsch  redenden  Klosterfrauen,  die  unentgeltlich  den 
Unterricht  erteilen  und  der  Gemeinde  nichts  kosten.  Es  wird  dies 
germanisierende  Institut  als  Schuleinrichtung  sehr  gelobt,  dessen 
Lehrerinnen  den  staatlichen  Anforderungen  auf  Vorbildung  genügen 
müssen,  und  deren  Thätigkeit  der  staatlichen  Schulinspektion  unter- 
worfen ist. 

Die  katholische  Geistlichkeit  des  Thaies  kommt  überwiegend  aus 
Tirol,  wenn  sie  auch  dem  Bistum  Chur  unterstellt  ist.  Ihre  Predigt 
ist  ausschließlich  deutsch.  Im  oberen  Thal  tiberwiegt  der  reformierte 
Glaube,  im  unteren  der  katholische.  In  jenem  ist  der  Gottesdienst 
stets  romanisch  gewesen,  nachdem  es  um  1620  vom  Engadin  aus  dem 
neuen  Glauben  zugeführt  worden  ist. 

Von  der  Sohle  des  Münsterthals  bei  Puntweil  zieht  sich  die 
Sprachgrenze  nun,  stets  in  Uebereinstimmung  mit  der  Staatsgrenze  der 
Schweiz  und  Tirols,  hinauf  zum  Piz  Terza,  und  weiter  zum  Piz 
Starlex,  Piz  Sesvenna,  Piz  Russenna,  Piz  Lad,  senkt  sich  in  das  Inn- 
thal  hinab  zum  Zollamt  Martinsbruck,  und  umzieht  den  Piz  Mondin 
bis  Altfinstermünz  und  bis  zum  Dorf  Spifi.  Von  hier  an  verläßt  sie 
die  politische  Grenze,  da  die  schweizerische  Gemeinde  Samnaun,  das 
Thal  des  Schergenbaches  oder  Schakelbaches ,  dem  deutschen  Sprach- 
gebiet zuzurechnen  ist.  Sie  läuft  dementsprechend  von  Spiß  aus, 
welcher  Ort  österreichisch  ist,  zunächst  nach  Süden  dem  Grat  zwischen 
Val  Sampuoir  und  dem  Samnaun  folgend  über  Piz  Val  Motnair  und 
die  schwarze  Wand  bis  zum  Gipfel  des  Muttiers;  hier  nimmt  sie  ihre 
Richtung  nach  Westen  bis  zur  Stammerspitze,  dann  nach  Nordwesten 
bis  zur  Visilspitze,  wo  wieder  die  Staatsgrenze  erreicht  wird,  die  das 
Unterengadin  vom  Paznaun  und  Montafon  scheidet. 

Daß  das  Samnaun  heutzutage  ganz  deutsch  ist,  erklärt  sich  im 
letzten  Grunde  aus  seiner  geographischen  Abgeschlossenheit  vom 
romanischen  Bezirk  Inn,  mit  dem  es  politisch  verbunden  ist,  und  aus 
seiner  geographischen  Zugehörigkeit  zum  deutschen  Tirol.  Vom 
ersteren  wird  es  durch  hohe  Berge  und  schwer  zugängliche  Pässe 
geschieden,  die  zwischen  2700  und  2900  m  hoch  liegen  und  keine 
eigentlichen  Wegbauten  kennen *) ,  mit  letzterem  hingegen  besteht 
eine  zweifache  Verbindung,  ein  Saumpfad  führt  nach  Pfunds  und  ein 
gut  gehaltener  Fußweg  nach  Finstermünz  hinaus.  Der  wirtschaftliche 
Verkehr  des  hochgelegenen  Thaies  bewegt  sich  demgemäß  stets  nach 
Tirol  hinunter,  und  das  genannte  Pfunds  ist  sein  Thalmarkt,  neben 
welchem  auch  noch  Nauders  in  Betracht  zu  ziehen  ist.  Eine  Fahr- 
straße an  Stelle  des  genannten  Saumpfades  zu  setzen,  würde   die  Be- 


l)  Von  Schieins  ans  führt  über  Sampuoir  ein  Fußweg  nach  Samnaun,  der 
im  Winter  nicht  gangbar  ist.  Auch  von  Sent  aus  geht  ein  schmaler  Pfad  über 
das  Gebirge,  vgl.  M.  Caviezel,  Das  Engadin  in  Wort  und  Bild,  Samaden  1896, 
S.  389  u.  392.  —  Der  «Bau  eines  Fahrweges  vom  Samnaun  nach  Martinsbruck  am 
Schalkelbach  entlang  ist  oft  beraten,  aber  wegen  der  hohen  Kosten  niemals  in 
Angriff  genommen  worden. 

Forschungen  zur  deutschen  Landes-  und  Volkskunde.    XII.    5.  28 


414 


A.  Sartoriue  Freiherr  v.  Waltershausen, 


[50 


friedigung  des  hauptsächlichsten  Verkehrsbedürfnisses   der  Samnauner 
bedeuten. 

Der  erste  Einfluß  des  Tiroler  Deutschtums  auf  das  früher 
romanische  Thal  liegt  zeitlich  jedenfalls  weit  zurück.  Daß  dasselbe 
ganz  romanisch  gewesen  ist,  wird  zunächst  durch  die  Thatsache  be- 
wiesen, daß  fast  alle  Ortsnamen  in  der  Gemeinde  (rom.  Samagnun) 
dieser  Sprache  angehören,  wovon  man  sich  durch  einen  Blick  auf  die 
Siegfried-Karte  (Blatt  417)  leicht  überzeugen  kann  *).  Ferner  treffen 
wir  eine  Anzahl  romanischer  Familiennamen,  wie  Karnot,  Maloth,  Denoth 
an,  vor  allem  aber  ist  es  historisch  erwiesen  und  heute  noch  in  der 
Tradition  der  Dorfbewohner  feststehend,  daß  am  Anfang  unseres 
Jahrhunderts  die  Mehrzahl  der  Bevölkerung  die  romanische  Mutter- 
sprache gebrauchte,  und  daß  sich  bis  1820  die  Predigt  ihr  anschloß2). 
Von  den  Männern,  welche  damals  ihr  Vieh  auf  den  Tiroler  Märkten 
verkauften  und  Salz,  Tabak,  Werkzeug  von  dort  bezogen,  verstanden 
viele  schon  das  Deutsche  und  sprachen  es  einigermaßen.  Aber  zu 
Hause  bediente  man  sich  des  althergebrachten  Idioms.  Das  wurde 
aber  anders,  als  im  Anfang  der  zwanziger  Jahre  ein  Lehrer  aus  Tirol 
nach  Compatsch,  dem  Hauptorte  der  Gemeinde,  kam  und  in  der  Schule 
zwanzig  Jahre  hindurch  seiner  Muttersprache  ein  solches  Uebergewicht 
zu  verschaffen  wußte,  daß  sein  Nachfolger,  ein  geborener  Samnauner, 
die  deutsche  Schulsprache  als  die  einzig  mögliche  von  ihm  übernahm. 
Eine  Opposition  gegen  diese  Belehrung  bestand  nicht,  da  die  wachsen- 
den wirtschaftlichen  Beziehungen  mit  Oesterreich  die  Kenntnis  der 
dort  üblichen  Sprache  als  außerordentlich  nützlich  erscheinen  ließen. 
Heiraten  mit  Tirolerinnen  kamen  auch  gelegentlich  vor,  die  ihren 
heimatlichen  Dialekt,  der  heute  im  Samnaun  gesprochen  wird,  in  die 
Häuser  einführten.  Die  eidgenössische  Statistik  seit  1860  giebt  fol- 
genden Ausweis: 


1 

Deutsch 

Romanisch 

Konfession 

Haushaltungen  1860      .     .     .     . 

1870      .    .    .    . 

Ortsanwesende  1880     .    .     .    . 

Wohnbevölkerung  1888     .     .    . 

68 

70 

309 

317 

10 

1 

366  kath.,  9  protest. 
294      ,     -       , 
sämtlich  katholisch 

»                » 

In  früherer  Zeit  war  die  Zahl  der  Protestanten  größer,  wie  man 
aus  der  Thatsache  des  überkommenen  protestantischen  Kirchenfonds 
schließen  kann.  Da  Remüs  und  Schieins,  die  nächsten  Unterengadiner 
Dörfer,  protestantisch  sind,   so  besteht  mit  diesen  und   dem  Samnaun 


1)  Einige   deutsche  Ortsnamen  stammen  jedenfalls  aus  jüngster  Zeit:   Im 
Bergli,  In  den  Löchern,  Schwarze  Wand,  Roßboden. 

2)  „Samnaun   oder  Samagnium  ist  vermischter  Religion  und  haben  beyde 
Religionen  ihre  eigne   Kirch  und  Pfarrer,    ist  auch  Romanscher  Sprach.*     All- 

femeines   helvetisches    eidgenössisches   oder   schweizerisches  Lexikon   von  Hans 
akob  Leu,  1760. 


51]  Die  Germonißierung  der  Rätoromanen  in  der  Schweiz.  415 

schon  seit  der  Mitte  unseres  Jahrhunderts  kein  kirchlicher  Zusammen- 
hang mehr,  und  der  Tiroler  Katholizismus  hat,  wie  im  unteren  Münster- 
thal, auch  hier  die  Germanisierung  befördert,  wenn  auch  die  Gemeinde 
zur  Diöcese  Ghur  gehört,  deren  Bistum  indessen  ja  auch  ein  deutsch- 
sprachiges ist. 

Im  allgemeinen  fühlen  sich  die  Samnauner  wohl  als  Schweizer 
und  erkennen  das  dankbar  an,  was  ihnen  die  Eidgenossenschaft  bietet. 
Die  jungen  Leute  werden,  wenn  sie  ihrem  Militärdienst  in  Chur  ob- 
liegen, mit  deutsch-schweizerischen  Anschauungen  bekannt  und  mögen 
davon  auch  einiges  in  die  Heimat  zurückbringen.  Aber  ihr  Weg  nach 
Chur  geht  über  den  Arlberg,  d.  h.  durch  österreichisches  Gebiet,  in 
dem  sie  mit  ihrem  Tiroler  Dialekt  sich  besser  verständigen  können 
als  in  dem  Schweizerdeutsch,  das  in  Chur  gesprochen  wird.  Auch 
finden  wir  im  Samnaun,  wie  in  der  Schweiz  überhaupt,  ein  verbreitetes 
gutes  Verständnis  für  die  politischen  Einrichtungen  des  Landes,  und 
die  verschiedenen  Wahlen  für  Kanton  und  Bund  bringen  immer  wieder 
die  Erinnerung  an  die  Zugehörigkeit  zum  Unterengadin,  aber  doch  ist 
es  nicht  zu  verkennen,  daß  ein  Samnauner  die  Monarchie  in  Oester- 
reich  und  die  Einrichtungen  des  Kaiserreichs  mit  ganz  anderen  Augen 
ansieht  als  ein  Züricher  Demokrat  und  jedenfalls  nicht  gerade  un- 
glücklich sein  würde,  wenn  seine  Gemeinde  dem  katholischen  Kaiser- 
staate angegliedert  würde.  Die  wirtschaftlichen  äußeren  Beziehungen, 
besonders  der  Viehhandel  liegen  in  Tirol.  Neben  dem  Frankengeld, 
das  zur  Steuerzahlung  in  Remüs  erforderlich  ist,  kursieren  Gulden  und 
Kronen,  mit  denen  in  Pfunds  und  Nauders  die  Einkäufe  gemacht 
werden  müssen.  Die  Samnauner  haben  also  zwei  Währungen  nötig, 
von  denen  ihnen  die  österreichische  als  die  wichtigere  erscheinen  muß. 
Das  Thal  gehört  weder  zum  schweizerischen  noch  zum  österreichischen 
Zollgebiete  und  huldigt  dem  Freihandel.  Was  aus  Oesterreich  hinein- 
.  kommt,  ist  zollfrei,  falls  es  sich  um  eine  Versendung  in  Postpaketen 
handelt,  desgleichen  alles,  was  die  Schweiz  sendet,  jedoch  muß  im 
'  letzteren  Falle  von  Martinsbruck  bis  zur  Spießermühle,  d.  h.  auf  öster- 
reichischem Gebiete,  die  Ware  unter  Zollverschluß  geben.  Würde  sie 
über  den  Bergpaß  von  Schieins  oder  Remüs  gebracht,  so  würde  sie  hin» 
gegen  völlig  frei  geführt  werden  können.  Was  aus  dem  Thal  aus- 
geht, ist  sowohl  in  der  Schweiz  wie  in  Oesterreich  zollpflichtig,  eine 
Ausnahme  besteht  nur  von  Seiten  des  letzteren  bezüglich  des  Viehes, 
das  von  dort  her  in  das  Samnaun  zur  Aufzucht  hingebracht  und  binnen 
zwei  Jahren  unter  Identitätsnachweis  wieder  zurückgebracht  wird. 
Schließlich  ist  noch  zu  erwähnen,  daß  der  Postbote  regelmäßig  von 
Pfunds  kommt,  und  ein  billiger  österreichischer  Posttarif  für  das 
Grenzgebiet  besteht. 

Das  Unterengadin  von  Martinsbruck  aufwärts  bis  Zernetz  hat  im 
allgemeinen  das  Ladinische  weit  mehr  bewahrt  als  das  Oberengadin. 
In  den  hoch  über  dem  Thalboden  gelegenen  Orten  namentlich  trifft 
man  ältere  Leute  genug  an,  die  eine  im  Deutschen  an  sie  gerichtete 
Anfrage  nicht  verstehen.  Bei  den  jüngeren  hingegen  merkt  man 
den  Einfluß  der  Schule,  und  es  versteht  sich  von  selbst,  daß  die 
Wirte,    Kutscher,    Bergführer,    überhaupt  am  Verkehr  beteiligte  Per- 


416  A.  Sartorms  Freiherr  v.  Waltershausen,  [52 

sonen  durchweg  zweisprachig  sind.  Doch  ist  die  Fremdenindustrie 
nur  in  Schuls-Tarasp  während  des  Hochsommers  bedeutsam,  die  übrigen 
Orte  haben  Touristen  und  Sommerfrischler  lange  nicht  so  angezogen 
wie  die  oberste  Stufe  des  Innthales  mit  ihren  Gletschern  und  Seeen. 
Hier  haben  die  Bewohner  mehr  städtisches  Wesen,  im  unteren  mehr 
ländlich-bäuerliches,  sie  sind  daher  im  ersteren  moderner  und  mehr 
deutsch  kultiviert,   in  dem  anderen  konservativer  in  Sitte  und  Sprache. 

Wir  sind  der  Sprachgrenze  nachgegangen  bis  dort,  wo  sie  die 
Gemeinde  Samnaun  verläßt  und  mit  der  politischen  Scheidewand 
gegen  Oesterreich  wieder  zusammentrifft.  Sie  überschreitet  die  Gems- 
bleispitze, dann  das  Fluchthorn,  die  Dreiländerspitze,  den  Piz  Buin 
und  das  Signalhorn. 

Jetzt  tritt  sie  wieder  in  das  Innere  des  schweizerischen  Gebietes 
ein  und  führt  zunächst  entlang  der  Grenze  der  beiden  Amtsbezirke 
Inn  und  Oberlandquart  (d.)  über  Gletscherkamm,  Verstanklahorn,  Ver- 
nelapafi,  Pillerhorn,  Plattenhörner,  Fleßpaß,  Gemsspitze,  Weißhorn, 
Flüelapaß,  Schwarzhorn,  Radünerkopf,  zum  Piz  Grialetsch  (in  der 
Nähe  des  Piz  Vadret).  Von  hier  schließt  sie  sich  an  die  der  Amts- 
bezirke Maloja  und  Oberlandquart  auf  eine  kurze  Strecke  an,  die 
Punkte  Scalettahorn ,  Scalettapaß,  Kühalphorn,  Sertigpaß  berührend. 
Nahe  hinter  denselben  trifft  sie  auf  die  Grenze  der  Bezirke  Albula 
und  Oberlandquart,  der  sie  zunächst  folgt,  zur  Bergüner  Furca,  zum 
Plattenhom,  Hochducan,  dann  entlang  der  Ducankette  bis  zum  gleich- 
namigen Paß,  und  steigt  wieder  hinauf  zum  Gypshorn  und  Btihlen- 
horn.  Nun  verläßt  sie  diese  politische  Grenze  der  Amtsbezirke  und 
tritt  in  den  Bezirk  Albula  ein,  folgt  dem  Stulsergrat,  stets  im  Norden 
das  deutsche  Gebiet  habend,  bis  zum  Muchettagipfel,  von  wo  sie  sich 
in  südlicher  Richtung  zur  Albulastraße  herabsenkt  und  bei  dem  Säge- 
werk Ballalüna  die  Gemeindegrenze  von  Filisur  trifft.  Sie  umläuft  • 
dieselbe,  wenn  diese  Gemeinde  zum  deutschen  Gebiet  gerechnet  wird, 
bis  nach  Alvaneubad,  das  ebenfalls  deutsch  ist,  obgleich  das  Dorf 
Alvaneu  dem  anderssprachigen  Gebiete  angehört.  Dessen  Gemeindegrenze, 
zunächst  gegen  die  Orte  Schmitten  und  Wiesen,  dann  Arosa  (im 
Schanfigg),  folgt  sie  zum  Gugernell,  umzieht  zugleich  immer  noch 
mit  der  Alvaneuer  Gemeindegrenze  den  Welschtobel  bis  zum  Aroser 
Rothorn,  wendet  sich  zum  Parpaner  Rothorn  entlang  der  Gemeinde- 
grenze Arosa-Lenz,  geht  um  die  Alp  Scharmoin  herum,  welche  zu 
Obervatz  (r.)  gehört,  schneidet  kurz  vor  Parpan  —  Valbella  ist  noch 
romanisch  —  die  Landstraße,  welche  von  Lenz  über  die  Heide  nach 
Parpan  führt. 

Aus  dem  soeben  Mitgeteilten  läßt  sich  ersehen,  daß  ein  nörd- 
licher an  Oberlandquart  anstoßender  Teil  von  Albula,  welcher  Amts- 
bezirk 1888  913  deutsch  und  5166  romanisch  redende  Einwohner 
hatte,  deutsch  ist.    Er  umfaßt1)  die  Gemeinden  Wiesen,  zu  der  Jennis- 


l)  Von  der  Gemeinde  Mutten  wird  hier  abgesehen,  da  dieselbe  oben  bereits 
eine  Besprechung  gefunden  hat. 


53]  Die  Germanisierung  der  Rätoromanen  in  der  Schweiz.  417 

berg  kirchgenössig  und  politisch  zugehörig  ist,  Schmitten  und  Filisur. 
Die  beiden  ersteren  Orte  sind  alte  deutsche  Kolonieen,  von  Waisern 
oder  von  Davos  aus  gegründet 1).  Das  benachbarte  Dorf  Schmitten 
ist  schon  seit  langer  Zeit  germanisiert  worden2). 

Filisur  hatte  1860  22  deutsche  und  42  romanische  Haus- 
haltungen, 1870  35  und  38,  1880  183  und  109,  1888  173  deutsch 
und  92  romanisch  redende  Personen.  Die  Statistik  von  1888  giebt 
an,  daß  von  der  Wohnbevölkerung  nur  72  Bürger  der  Wohngemeinde 
sind,  185  Bürger  anderer  Gemeinden  des  Wohnkantons,  11  Schweizer- 
bürger anderer  Kantone  und  9  Ausländer. 

Die  eigentlichen  Gemeindebürger,  die  also  nur  ein  Viertel  der 
Wohnbevölkerung  ausmachen,  sind  diejenigen,  welche  sich  die  alte 
Sprache  bewahrt  haben.  Sie  sind  die  hauptsächlichsten  Grundbesitzer 
in  der  Gemeinde,  und  da  sie  außer  stände  sind,  ihr  großes  Eigentum 
allein  zu  bewirtschaften ,  haben  sie  Wiesen  und  Felder  an  Zuwanderer 
aus  Oberlandquart,  besonders  aus  Davos  verpachtet.  Diese  Leute,  die 
früher  meist  unter  dem  System  der  Halbpacht,  jetzt  unter  dem  des 
Pachtzinses  leben,  sind  die  Bringer  des  Deutschtums.  Sozial  erscheinen 
sie  als  die  betriebsame,  aufsteigende  Klasse  im  Gegensatz  zu  den  be- 
sitzenden, in  ihrer  Zahl  zusammenschrumpfenden,  etwas  am  Alten 
hängenden  Bürgern.  Unter  dem  Zustand  der  modern  demokratischen 
Gemeindeverfassung  haben  sie  durch  ihre  Majorität  das  politische  Ueber- 
gewicht  gewonnen,  und  die  deutsche  Schule,  die  Predigt  und  die  Ge- 
meindesprache legen  Zeugnis  davon  ab. 

Dieser  Nationalisierungsprozeß  hat  sich  jedoch  in  ganz  friedlicher 
Weise  vollzogen,  weil  die  allgemeinen  Verkehrsinteressen  sich  mit  ihm 
in  Einklang  gesetzt  haben.  Dauernde  Beziehungen  zu  Oberlandquart 
vermittelt  einerseits  die  nahe  Landwasserroute,  andererseits  liegt  Filisur 
an  der  Albulastraße,  auf  welcher  ein  reger  Waren-  und  Personen- 
verkehr zwischen  Chur,  Thusis  und  dem  Engadin  stattfindet. 

Die  gegenwärtig  in  Angriff  genommene  Bahn  von  Thusis  in  das 
Oberengadin  wird  durch  das  Albulathal  gelegt  werden,  dann  auch 
Filisur  als  Station  aufnehmen  und  dem  dortigen  Deutschtum  neue 
Kräfte  zuführen.  Auch  andere  Orte  im  Thal,  wie  namentlich  Tiefen- 
kastell und  Bergün,  müssen  davon  berührt  werden. 

In  diesen  beiden  großen  Dörfern  kann  man  den  Rückgang  der 
alten  Landessprache  auch  jetzt  schon  im  Schulwesen  und  im  Geschäfts- 
verkehr deutlich  wahrnehmen.  In  dem  ersteren  Ort  liegen  die  Ver- 
hältnisse insofern  ähnlich  wie  in  Filisur,  als  die  Bürger  der  Wohn- 
gemeinde 1888  nur  ein  Drittel  der  Wohnbevölkerung  ausmachten,  und 
die  von  auswärts  Zugezogenen  die  Träger  des  Deutschtums  sind,  die 
aber  hier  in  dem  Verkehrszentrum  der  Julier-,  Albula-,  Schyn-  und 
Parpan  -  Churer  -  Straße  als  Kauf  leute,  Handwerker,  Hotelbedienstete 
vorwiegend  auftreten.  Wenn  wir  erwägen,  daß  die  8 — 10  eigentlichen 
Bürgerfamilien  in   Tiefenkastell  verhältnismäßig    sehr    wenige  Kinder 


*)  Geschichte  von  Eurr&tien  von  Konradin  v.  Moor,  Chur  1870, 1,  S.  112. 
a)  Leu,  Lexikon  (1760)  a.  a.  O. :  Schmitten  ist  katholischer  Religion  und  das 
einige  Deutscher  Sprach  in  diesem  Hochgericht  (Bellfort). 


418  A.  Sartoriu8  Freiherr  v.  Waltershausen,  [54 

haben,  daß  ein  erheblicher  Teil  der  Bürger  unverheiratet  ist,  der 
Fremden-  und  Geschäftsverkehr  in  der  Zunahme  begriffen  ist,  die  Zu- 
wanderung von  Romanen  immer  mehr  zurücktreten  wird,  je  weniger 
diese  werden,  so  dürfte  unsere  Behauptung  nicht  fehl  gehen,  daß  wir 
auch  diesen  Ort  vielleicht  schon  im  Verlaufe  weniger  Jahre  als  stark 
in  der  Germanisier ung  fortschreitend  bezeichnen  müssen. 

Nicht  so  schnell  wird  es  mit  Bergün  gehen,  wo  wir  übrigens 
gegenwärtig  nur  noch  einige  wenige  Leute  antreffen,  die  das  Deutsche 
gar  nicht  verstehen.  Die  Zuwanderung  ist  aber  nicht  groß,  und  die 
hier  lebenden  zehn  deutschen  Familien  sind  eine  zu  geringe  Minorität 
in  der  Dorfgemeinde,  um  etwa  deren  Amtssprache  beeinflussen  zu 
können.  Die  Albulabahn  wird  aber  dem  herrlichen  Thal  und  Gebirge 
einen  verstärkten  Fremdenverkehr  zuführen. 

Wir  hatten  die  Sprachgrenze  bis  Parpan  verfolgt.  Sie  steigt 
von  neuem  zum  Gebirge,  zum  Stätzerhorn  hinauf,  läuft  dem  Grat  nörd- 
lich entlang  über  die  Juchser  Alpe  und  die  Häuser  von  Juchs  in  den 
Pargäratobel  und  zum  Dreibündenstein  und  senkt  sich  hinunter  zum  Rhein- 
thal, Ems  westlich  im  romanischen  Gebiete  lassend,  während  Felsberg 
jenseits  des  Flusses  deutsch  ist.  Von  hier  bis  Reichenau  südwestlich 
sich  wendend,  fällt  sie  mit  dem  Rhein  zusammen.  Damit  haben  wir 
das  Verbindungsband  zwischen  östlichem  und  westlichem  romanischem 
Gebiet  wieder  erreicht,  von   dem  wir  den  Ausgang  genommen  haben. 

Das  westlich  von  der  zuletzt  geschilderten  Sprachgrenze  liegende 
Gebiet  ist  der  Kreis  Domleschg.  Auf  unserer  Skizze  ist  er  als  roma- 
nisch bezeichnet,  versehen  aber  mit  zahlreichen  doppelt  unterstrichenen 
Ortschaften.  Als  überwiegend  romanisch  sind  die  Orte  Feldis,  Scheid, 
Tomils,  Paspels  zu  bezeichnen,  mit  starker  deutscher  Minorität  Almens, 
Rotels,  Rothenbrunnen,  Pratval  und  Scharans.  Die  fünf  Orte  hatten 
1880  738  ortsanwesende  Romanen  und  304  Deutsche,  1888  eine  Wohn- 
bevölkerung von  639  und  350.  In  den  letzten  10  Jahren  soll  das 
Deutschtum,  vermittelt  durch  Kirche,  Schule  und  wirtschaftlichen  Ver- 
kehr, überall  noch  Fortschritte  gemacht  haben.  In  Rothenbrunnen  hat 
in  letzterer  Beziehung  die  Kuranstalt  mit  ihrer  Eisenquelle  —  daher 
der  Name  —  sich  als  wirksam  erwiesen  und  auch  das  Einziehen 
einiger  deutscher  Familien  in  das  Dorf  veranlaßt.  Rotels  liegt  dem 
von  alters  her  deutschen  Ftirstenau  nahe  und  ist  dem  Verkehr  auf 
der  Thalstraße  nach  Thusis  leicht  zugänglich,  im  Gegensatz  dazu  die 
höher  am  Berghang  gelegenen  Ortschaften  ein  mehr  stilles  Dasein 
führen  und  daher  ihr  Romanentum  länger  erhalten.  Sils  im  Domleschg 
ist  deutsch  und  auf  unserer  Karte  wie  Fürstenau  und  Zollbrücke  dem 
blauen  Terrain  zugerechnet. 

Der  Ort  Sils  ist  erst  in  unserem  Jahrhundert  germanisiert  worden. 
Noch  im  Jahre  1827  wurde  die  gesamte  Bevölkerung  als  romanisch 
angegeben1),    die   sich  eines  besonderen  Dialektes  bedient  haben  soll, 

')  Nach  Leu,  Lexikon  a.  a.  0.  von  1762,  ist  Sils  im  Domleschg  ganz 
romanisch.  MarkusLutz:  «Eine  vollständige  Beschreibung  des  Schweizerlandes, 
Aarau  1827",  berichtet,  daß  Sils  277  romanische  Bewohner  zähle. 


55]  Die  Germanisierung  der  Rätoromanen  in  der  Schweiz.  419 

1860  hingegen  kennt  die  Statistik  ausschließlich  74  deutsche  Haus- 
haltungen. Bei  der  folgenden  statistischen  Aufnahme  von  1870  finden 
wir  wieder  6,  jedenfalls  zugewanderte,  romanische  Familien,  und  auch 
die  späteren  Erhebungen  fanden  eine  geringe  Minderheit  Die  Ger- 
manisierung von  Sils  hängt  mit  der  Nähe  des  nur  2  km  entfernten, 
seit  langem  deutschen,  für  die  dortige  Gegend  entscheidenden  Handels- 
ortes Thusis,  dann  auch  mit  der  in  der  Nähe  des  Ortes  angelegten 
Spinnerei  und  Weberei  zusammen,  welche  Werkführer  und  Arbeiter 
in  größerer  Zahl  aus  deutschem  Gebiet  herangezogen  hat. 

Auffällig  muß  es  erscheinen,  daß  das  große  nur  6  km  von 
Chur  entfernte  Dorf  Ems  1888  neben  153  Deutschen  1285  Ro- 
manen zählte.  Es  gehört  zum  Amtsbezirk  Imboden,  der  dicht  neben- 
einander starke  nationale  Gegensätze  zeigt.  Felsberg  auf  dem  linken 
Rheinufer  Ems  gegenüber  ist  ganz  deutsch,  Tamins  bergaufwärts  von 
Reichenau  gelegen  ebenfalls,  aber  Trins,  die  Nachbargemeinde,  ist 
ganz  romanisch.  Bonaduz  ist  heute  fast  germanisiert,  Rhäzüns,  2  km 
davon  entfernt,  hält  weit  mehr  am  Alten  fest.  Die  Unter- 
schiede sind  geschichtlich  gegeben,  gleichen  sich  aber  in  unserer  Zeit 
des  rastlosen  Verkehrs  doch  allmählich  aus.  Im  ganzen  Bezirk  werden 
nur  wenige  Leute  zu  finden  sein,  die  nicht  Deutsch  verstehen,  und 
die  schulpflichtige  romanische  Jugend  kann  es  auch  schreiben  und 
lesen.  Denn  in  Ems  ist  die  Volksschule  von  Anfang  an,  in  Rhäzüns 
von  der  zweiten  Klasse  an  deutsch  geworden.  Der  erstere  Ort  ist  ein 
sehr  großes,  der  Zuwanderung  wenig  ausgesetztes1),  wohlhabendes, 
mit  Handlungen  verschiedener  Art  ausgestattetes  Dorf,  also  ökonomisch 
ziemlich  selbständig,  ferner  für  den  Transport  von  Waren  und 
Reisenden  nur  ein  Durchfahrt»- ,  nicht  ein  Aufenthaltsort.  Beides 
mag  dazu  beigetragen  haben,  daß  die  alte  Sprache,  die  hier  aber 
mit  besonders  vielen  deutschen  Worten  durchsetzt  ist,  so  lange  ge- 
blieben ist. 

Wenn  die  wirtschaftlichen  und  politischen  Zustände  Graubündens, 
die  in  späteren  Abschnitten  noch  eine  besondere  Beachtung  finden 
werden,  in  ähnlicher  Weise  wie  bisher  fortdauern,  und  der  Kanton  sich 
immer  mehr  zu  einem  lebendigen,  gebenden  und  nehmenden  Glied  der 
schweizerischen  Volkswirtschaft  und  des  Gesamtstaates  ausbilden  sollte, 
so  muß  sich  auch  der  Germanisierungsprozeß  in  ähnlicher  Weise  wie 
bisher,  vielleicht  noch  in  beschleunigterem  Tempo  vollziehen.  Auf  der 
beigegebenen  Sprachenkarte  ist  das  Gebiet  bezeichnet,  welches  unter 
der  Voraussetzung  der  Fortdauer  des  gegenwärtigen  Nationalisierungs- 
prozesses um  etwa  1920  dem  Deutschtum  verfallen  sein  dürfte. 

Im  Hinblick  auf  die  heute  im  Uebergang  zum  Deutschtum  be- 
findlichen Gemeinden  ist  es  zunächst  wahrscheinlich,  daß  die  Verbin- 
dung zwischen  dem  westlichen  und  östlichen  Teil  des  romanischen  Ge- 
bietes verschwinden  wird.  Es  bleiben  dann  zwei  Sprachinseln  übrig, 
deren  Widerstand  gegen  die  sie  umwogenden  fremden  Elemente  in 
dem  Maße  abnehmen  muß ,   als  sie  das  Bewußtsein  ihrer  einstigen  Zu- 


*)   1888   waren  von  der  Wohnbevölkerung  1208  in  der  Gemeinde  geboren, 
183  im  sonstigen  Graubünden,  36  in  anderen  Kantonen,  23  im  Auslande. 


420  A.  Sartorius  Freiherr  v.  Waltersbausen,  [56 

sammengehörigkeit  verlieren.  Das  Hinterrheinthal  von  Reichenau  auf- 
wärts bis  Thusis  und  Sils  wird  in  nicht  zu  langer  Zeit  dem  Deutsch- 
tum anheimfallen,  wenn  auch  die  abgelegenen  Orte  eine  nach  und 
nach  hinschwindende  romanische  Minorität,  die  ohne  Einfluß  auf  Schule, 
Kirche  und  Verkehrssprache  sein  wird,  noch  behalten  mögen.  Ebenso 
wird  das  Deutschtum  durch  das  Vorderrheinthal  über  Flims  und  bis 
Ilanz  hinauf  vordringen  und  schließlich  die  heutige  Sprachinsel  Ober- 
saxen  in  sich  aufnehmen.  Das  Schamserthal  wird,  dem  heutigen 
Heinzenberg  vergleichbar,  in  der  Gegend  von  Andeer  vielleicht  ganz 
deutsch  sein.  In  der  Osthälfte  des  Kantons  wird  der  untere  Teil  des 
Münsterthaies  ähnlich  wie  das  Samnaun  und  dann  das  Oberengadin 
von  Maloja  bis  Bevers  das  Romanische  einbüßen.  Dieser  Sprache 
würden  dann  nur  noch  verbleiben:  das  westliche  Vorderrheinthal,  das 
Oberhalbstein,  Teile  des  Schamserthaies,  das  Engadin  bis  Bevers  auf- 
wärts, das  obere  Münsterthal  und  die  Umgebung  von  Lenz  und  Ober- 
vatz,  endlich  von  Bergün.  Aber  auch  in  diesen  Gebieten  würden  wieder 
Orte  liegen,  die  der  Verdeutschung  stark  entgegen  gehen,  wie  Schuls, 
Süs,  Tiefenkastell,  und  die  Generation  alter  Leute  in  Graubünden,  die 
heute  nur  ihren  romanischen  Dialekt  versteht,  wird  weggestorben  sein. 
Es  wird  dem  Schreiber  dieser  Aufsätze  nicht  schwer,  ohne  Sentimen- 
talität diesem  notwendigen  Vernichtungsvorgang  zuzuschauen,  nicht 
etwa  nur  aus  dem  an  sich  begreiflichen  Grunde,  daß  der  Sieg  des 
Deutschtums  ihm  eine  Befriedigung  nationalen  Bedürfnisses  verursachte, 
sondern  auch  weil  er  der  Meinung  ist,  daß  diesem  tüchtigen  und  ge- 
sunden Alpenvolke  die  Segnungen  der  höheren  deutschen  Kultur  zum 
Wohle  gereichen  werden.  Es  werden  die  Vorteile  nicht  verkannt, 
welche  die  Zweisprachigkeit  dem  Graubündner  bei  Handel  und  Verkehr 
bietet,  aber  die  Masse  des  Volkes  besteht  nicht  aus  Kaufleuten,  und 
zudem  wird  eine  wahrhaft  produktive  Geisteskultur  doch  nur  erlangt 
im  engsten  Anschmiegen  an  eine  hoch  entwickelte  Sprache,  was  ja 
nicht  ausschließt,  daß  andere  als  Fremdsprachen  daneben  geübt  werden 
sollen. 

Wenn  zwei  Sprachgebiete  nebeneinander  liegen,  und  man  die 
Einwirkung  der  Bewohner  des  einen  auf  die  des  anderen  beurteilen 
will,  so  liegt  es  zunächst  nahe,  danach  zu  sehen,  wie  sich  die  Dinge 
an  der  Grenze  vollziehen,  ob  hier  eine  Verschiebung  nachweisbar  fest- 
zustellen ist.  Die  Geschichte  von  Grenzgebieten  zeigt  uns  nun  dieses: 
entweder  ein  fortgesetztes,  schnelleres  oder  langsameres  Vordringen 
eines  Idioms  resp.  Zurückweichen  des  anderen,  also  ununterbrochene 
Bewegung  oder  einen  lange  Zeit  unveränderten  Zustand,  gänzliche 
Ruhe.  Das  erstere  hat  z.  B.  an  der  graubündischen  Ostgrenze 
im  Samnaun,  Tirol  gegenüber,  stattgefunden,  vollzieht  sich  gegen- 
wärtig im  unteren  Münsterthal,  im  Amtsbezirk  Albula  in  der  Gegend 
von  Filisur,  im  Amtsbezirk  Heinzenberg  auf  beiden  Seiten  des  Rheins; 
das  zweite  ist  zu  beobachten  zwischen  Italien  und  der  Schweiz  von 
Maloja  bis  zum  Stilfser  Joch,  zwischen  Graubünden  und  Tessin  vom 
Piz  Alv  bis  zum  Rhein waldhorn,  zwischen  Glarus  und  dem  Bündner 
Orleband,  zwischen  dem  Avers  und  dem  Bergell. 


57]  Die  Germanisierung  der  Rätoromanen  in  der  Schweiz.  421 

Nach  allem  einzelnen,  was  wir  über  die  Veränderung  der 
Sprachgebiete  in  Graubünden  in  dem  Vorstehenden  gesagt  haben,  er- 
übrigt uns  nur  noch  eine  allgemeine  Bemerkung  über  die  Einwirkung 
der  jeweiligen  Beschaffenheit  der  Sprachgrenze  auf  die  Ver- 
änderung der  nationalen  Gebiete.  Bei  der  Beurteilung  sind  namentlich 
zwei  Momente  maßgebend:  ihre  natürliche  Beschaffenheit  und  ihr  Zu- 
sammenfallen oder  Nichtzusammenfallen  mit  der  politischen. 

Ihre  Natur  kann  derart  sein,  daß  sie  den  Verkehr  erschwert  oder 
erleichtert  oder  ihm  wenigstens  nicht  hinderlich  ist.  Das  erstere  läßt 
sich  bei  hohen,  fortlaufenden  Gebirgszügen,  das  zweite  bei  schiffbaren 
Flüssen,  in  Thalsohlen,  in  ebener  Gegend  oder  breiten  Thälern  beob- 
achten. Die  romanisch-deutsche  Sprachscheide  z.  B.  zwischen  Glarus 
und  dem  Oberland  ist  durch  die  Glarner  Alpen,  die  romanisch-italienische 
für  eine  längere  Strecke  durch  die  Gipfel  und  Grate  der  Berninagruppe 
fixiert.  Es  finden  keine  Heiraten  zwischen  den  Dorfbewohnern  auf  beiden 
Seiten  des  Gebirges  statt,  durch  welche  wirtschaftliche  und  Familien- 
beziehungen angebahnt  werden  könnten ;  der  Hausierhandel  bewegt  sich 
nur  ganz  selten  über  die  hohen  vereisten  Pässe  hin,  Jahrmärkte  und 
Viehmärkte  werden  gegenseitig  nicht  besucht,  Lohnarbeiter  suchen 
ihren  Verdienst  lieber  thalauf-  oder  abwärts,  als  daß  sie  die  Berge 
überschreiten.  Der  auf  wenige  Sommermonate  beschränkte  Touristen- 
verkehr ist  viel  zu  sehr  auf  einzelne  Routen  und  auf  dieselben  wenigen 
Bergführer  angewiesen,  um  für  die  Vergesellschaftung  der  Grenzgebiete 
etwas  zu  leisten. 

Eine  andere  Entwickelung  nehmen  die  Dinge,  wenn  die  Sprach- 
grenze ein  Thal  durchquert,  wie  z.  B.  zwischen  Chur  und  Ems,  oder 
sogar  das  Thal  entlang  läuft,  wie  nördlich  von  Thusis,  oder  im  Vorder- 
rheinthal westlich  von  Rhäzüns.  Hier  entsteht  ein  geregelter  und 
häufiger  Verkehr  wirtschaftlicher  wie  auch  geistiger  Art,  der  eine  ge- 
wisse Kenntnis  beider  Sprachen  für  die  Grenzbewohner  rasch  ver- 
mittelt und  durch  Heirat,  Dienstverhältnis,  kaufmännische  und  land- 
wirtschaftliche Niederlassung  das  Zusammenwohnen  von  Leuten  ver- 
schiedener Muttersprache  befördert.  Es  entsteht  ein  zweisprachiges 
Grenzgebiet,  das  im  Verlauf  der  Zeit  der  siegreichen  Nationalität  an- 
heimfällt, die  dann  ihre  Grenze  von  neuem  vorwärts  schiebt. 

Als  zweites  wichtiges  Moment  haben  wir  die  politische  Grenze 
zu  würdigen.  Sie  ist  das  Ergebnis  bestimmter  geschichtlicher  Ereig- 
nisse, aber  häufig  wird  sie  mit  den  von  der  Natur  gezogenen  Linien 
wie  Gebirgsgraten,  Flüssen,  Seeen  zusammenfallen.  Die  Sprachgrenze 
kann  sich  nun  mit  der  politischen  decken  oder  nicht.  Im  ersteren 
Falle  ist  sie  weit  schwerer  der  Veränderung  ausgesetzt  als  im  letzteren. 
Denn  die  staatliche  Abschließung  wirkt  immer  hemmend  auf  jede  Art 
des  Verkehrs  ein,  mag  nun  die  Zollerhebung  oder  eine  sanitäre  oder 
militärische  Maßregel  die  Ursache  sein.  Dazu  kommt  noch,  daß  der 
Staat  durch  sein  Gerichts-  und  Verwaltungswesen,  durch  seine  Schulen, 
seine  Armee,  durch  seine  innere  Wirtschafts-  und  Sozialpolitik  und 
manches  andere  seine  Angehörigen  an  sich  zu  fesseln  und  sie  auch 
als  ausschließlich  von  ihm  zu  pflegende  Kulturgemeinschaft  anderen 
Staaten   gegenüber    gegensätzlich   fühlen  zu    machen    weiß.     Infolge- 


422  A.  Sartorius  Freiherr  v.  Waltershausen,  [58 

dessen  sondern  sich  aus  wirtschaftlichen  und  ethischen  Gründen  die 
Nachbarn  voneinander  ab  und  festigen  die  Sprachgrenze,  wenn  sie 
mit  der  staatlichen  zusammentrifft.  In  Graubünden  ist  dies  so  im 
Osten  und  an  einem  Stück  des  Nordens  Oesterreich  und  im  Süden 
mehrfach  Italien  gegenüber. 

Auch  die  politischen  innerstaatlichen  Scheidelinien,  in  der  Schweiz 
also  der  Kantone;  Amtsbezirke,  Kreise  und  Gemeinden,  haben  eine, 
wenn  auch  vergleichsweise  zur  staatlichen  Scheidewand  sehr  abge- 
schwächte Bedeutung  für  die  Erhaltung  der  Sprachgebiete.  Denn  auch 
diese  Gebilde  sind  Kulturverbände  mit  besonderem  die  Eigenart  schätzen- 
den und  schützenden  Willen,  der  um  so  mehr  alle  Lebensverhältnisse 
berühren  muß,  als  die  Selbstverwaltung  eine  staatrechtliche  Aner- 
kennung gefunden  hat.  So  trennen  sich  in  Graubünden  die  italienisch 
redenden  Bezirke  Moesa  und  Bernina  vom  deutschen  Bezirk  Hinter- 
rhein und  von  dem  romanischen  Teile  Malojas,  Yorderrhein  und 
Glenner  vom  Kanton  Uri  und  Glarus,  Oberlandquart  von  Inn.  Auf  Ge- 
meinden mit  verschiedener  Amtssprache,  die  nebeneinander  liegen,  ist 
in  der  vorstehenden  Schilderung  wiederholt  hingewiesen  worden. 

Fassen  wir  das  über  die  Kombination  der  verschiedenen  Grenz- 
arten Gesagte  zusammen,  so  wird  die  Sprachgrenze  am  gefestigsten 
dort  sein,  wo  sie  mit  der  natürlichen  Scheidewand  des  Gebirges  und 
mit  der  staatlichen  übereinstimmt,  sie  wird  der  Aenderung  hingegen 
am  leichtesten  unterworfen  sein,  wenn  die  natürlichen  Verhältnisse  an 
ihr  den  Verkehr  erleichtern,  und  wenn  sie  im  Innern  des  Staats  liegt 
und  dort  sich  auch  möglichst  wenig  mit  derjenigen  der  Selbstverwal- 
tungskörper deckt. 

Ohne  Zweifel  gestattet  ihre  Verschiebung  einen  wichtigen  Schluß 
auf  das  Vorrücken  oder  Zurückweichen  einer  Nationalität,  aber  es  ist  doch 
nicht  richtig,  in  ihr  das  einzige  Symptom  davon  zu  erblicken.  Denn  die 
Grenze  kann  durch  Einwanderung  übersprungen  werden,  so  daß  sich  im 
Innern  eines  Volksstammes  ein  anderssprachiger  ansiedelt,  wie  dies  so 
z.  B.  bei  den  Walser  Kolonieen  war,  oder  wie  es  sich  in  neuerer  Zeit 
in  Pontresina,  St.  Moritz,  Filisur  vollzogen  hat.  Ferner  kann  sich  auch 
innerhalb  der  Grenze,  vermittelt  durch  Schule  und  Kirche  und  die  Be- 
dürfnisse des  wirtschaftlichen  und  staatlichen  Lebens,  eine  Sprachge- 
nossenschaft einer  anderen  Sprache  zuwenden.  Im  allgemeinen,  glaube 
ich,  wird  man  nicht  fehl  gehen  anzunehmen,  daß  in  der  Gegenwart 
mit  ihren  vorzüglichen  Verkehrsmitteln  einem  solchen  von  der  Sprach- 
grenzenverschiebung unabhängigen  Germanisierungsprozeß  Graubündens 
mehr  Bedeutung  zukommt  als  in  der  Vergangenheit,  mithin  die  genaue 
statistische  Untersuchung  der  Nationalitätsstärken  eine  steigende  Wich- 
tigkeit gegenüber  der  geographischen  Feststellung  in  Anspruch  nimmt. 

Wir  haben  in  dem  Bisherigen  das  Romanentum  gegen  andere 
Nationalitäten  abgetrennt,  wie  es  die  Verhältnisse  der  Gegenwart  mit 
sich  bringen.  Zum  Verständnis  im  einzelnen  war  es  notwendig,  ge- 
legentlich auch  auf  vergangene  Zeiten  zurückzugreifen.  Dabei  ergab 
sich  als  unzweifelhaft,  daß  das  romanische  Gebiet  in  früherer  Zeit  weit 
ausgedehnter  gewesen  ist  als  in  unseren  Tagen. 


59]  Die  Germanisierung  der  Rätoromanen  in  der  Schweiz.  423 

Es  ist  nicht  die  Aufgabe  dieser  Untersuchung,  in  die  Details 
einer  historischen  Forschung  einzugehen,  aus  welchen  die  Germani- 
sierung vergangener  Jahrhunderte  ersichtlich  werden  könnte.  Wenn 
dies  einer  berufeneren  Feder  überlassen  werden  muß,  so  verlangt  doch 
die  bisherige  Ausführung  zur  Ergänzung  eine  kurze  historische  Ueber- 
sicht,  welche  nur  als  Hintergrund  in  dem  entworfenen  Gemälde  unserer 
Zeit  zu  wirken  bestimmt  ist. 

Als  bald  vor  dem  Beginn  unserer  Zeitrechnung  das  römische 
Weltreich  sich  die  östlichen  Alpenländer  der  heutigen  Schweiz,  des 
Vorarlbergs,  Tirols  und  Bayerns  unterwarf  und  aus  ihnen  zusammen 
mit  dem  nördlich  vorliegenden  bis  zur  Donau  reichenden  Flachland  die 
Provinz  Rätien  schuf,  begann  in  dem  heutigen  Graubünden  die  Ro- 
manisierung  des  dort  angesessenen  Gebirgsvolkes,  von  dessen  Ur- 
sprung, Sprache  und  Einrichtungen  wir  wenig  wissen  und  welches  die 
einen  für  Etrusker,  andere  für  Kelten,  wieder  andere  je  nach  den  ver- 
schiedenen Oertlichkeiten  für  beides  halten.  In  welchem  Zeitraum  sich  das 
Provinziallateinisch,  römische  Sitten  und  Gebräuche  eingebürgert  haben, 
ist  schwer  zu  sagen.  P.  G.  Planta1)  schreibt  darüber:  „Es  ist  zu 
vermuten,  daß  die  sprachliche  Romanisierung  der  rätischen  Provin- 
zialen  in  verhältnismäßig  kurzer  Zeit  geschah,  indem  das  Lateinische 
die  offizielle  Sprache  nicht  nur,  sondern  auch  diejenige  der  sich  schnell 
mehrenden  Aristokratie,  namentlich  des  Kaufmannes  und  höheren  Ge- 
werbestandes war,  dagegen  den  ungebildeten  und  für  schriftliche  Mit- 
teilung nicht  einmal  verwendbaren  Idiomen  des  politisch  rechtlosen 
Rätiers  keine  Rücksicht  geschenkt  wurde.  So  blieb  letzteren  nichts 
übrig,  als  mit  Verzichtleistung  auf  ihre  Muttersprache  sobald  als  mög- 
lich sich  das  Lateinische  anzueignen,  das  ihnen  allein  das  Mittel  zum 
Fortkommen  bot/ 

Derselbe  Verfasser  setzt  noch  hinzu,  daß  der  Uebergang  zur 
römischen  Kultur  dem  Stamme  der  Rätier  leicht  geworden  sei,  da  er 
für  Aufnahme  fremder  Bildungselemente  sich  empfänglich  erwiesen 
habe,  daß  mancherlei  Berührung  mit  den  Italikern  durch  die  Militär- 
und  Handelsstraßen  gebracht  worden  sei,  und  auch  vielfach  Rätier  in 
römische  Legionen  eingetreten  seien.  Schon  im  Laufe  des  ersten  Jahr- 
hunderts sei  die  lateinische  Sprache  Volkssprache  geworden.  Nach 
Konradin  v.  Moor  hat  sich  der  Romanisierungsprozeß  nicht  so 
rasch  vollzogen2).  Die  römische  Bildung  habe  da  zuerst  Platz  ge- 
griffen, wo  die  Römer  feste  Punkte  besetzt  hielten  oder  Kolonieen  an- 
legten, oder  wo  sie  ihre  Straßen  durchzogen.  So  in  Chur,  im  Dom- 
leschg,  Schams,  Rhein wald,  Oberhalbstein,  Bergell.  Die  Hirten  auf 
den  Alpen  hätten  ihren  Dialekt  unvermischt  erhalten,  anders  die  Kauf- 
leute, welche  die  Straßen  befuhren  oder  diejenigen,  welche  zu  Chur 
Recht  suchten.  Der  Ausgleich  sei  in  500  Jahren  jedoch  vollständig 
erfolgt. 

Die  Landessprache  war  nicht  das  Lateinische  wie  es  in  Rom  ge- 


l)   P.  C.  Planta,  Das  alte  Rätien.    Berlin  1872,  S.  219. 
*)  Konradin  v.  Moor,  Geschichte  von  Kurrätien  und  der  Republik  „ge- 
meiner drei  Bünde".     Chur  1870,  I,  S.  117. 


424  A.  Sartoriu8  Freiherr  v.  Waltershausen,  [60 

sprochen  wurde,  sondern  ein  minderwertiger  Provinzialdialekt,  eine 
Lingua  rustica,  die  zudem  mit  keltischen  oder  etruskischen  Worten 
durchsetzt  war.  Aus  ihr  ist  unter  späterer  Einwirkung  des  Deutschen 
das  gegenwärtige  Rätoromanisch  hervorgegangen. 

Das  heutige  Graubünden  war  als  Teil  der  Provinz  Rätien  zur  Zeit 
der  Römerherrschaft  rings  von  Gebieten  umgeben,  in  welchen  eben- 
falls die  italische  Kultur,  ins  Provinziale  übersetzt,  bestand.  Im  Norden 
lag  das  romanische  Sarganser  Land,  Gaster  und  Glarus,  im  Westen  das 
römische  Helvetien,  im  Osten  gehörte  Tirol  und  Vorarlberg  zu  Rätien, 
und  im  Süden  war  die  unmittelbare  Verbindung  mit  Italien  gegeben. 
Dieser  Gürtel  von  Ländern  mußte  sprachlich  betrachtet  erst  gesprengt 
werden,  ehe  die  Zersetzung  des  Romanentums  in  Graubünden  beginnen 
konnte.  Zunächst  erfolgte  der  Riß  im  Norden,  später  folgt  die  Ein- 
wirkung aus  dem  Westen,  noch  später  aus  dem  Osten.  Die  südlichen 
Thäler  hingegen  blieben  in  so  enger  Verbindung  mit  Italien,  daß,  als 
hier  im  Mittelalter  das  Italienische  entstand,  dasselbe  auch  in  den  an 
den  Nordspitzen  des  Corner-  und  Langensees  mündenden  Thälern  Ein- 
gang fand  und  bis  an  den  Kamm  der  zentralen  Alpenkette  hinaufdrang. 

Die  Völkerwanderung  mit  den  in  ihrem  Gefolge  einherschreitenden 
neuen  Staatengebilden  ergoß  sich  auch  über  das  östliche  Alpenland. 
493  erobert  Theoderich  Oberitalien,  und  damit  kam  auch  das  heutige 
Graubünden  in  seine  Gewalt.  Die  Ostgoten  ließen  die  römischen 
Einrichtungen  hier  fortbestehen  und  waren  auch  nicht  so  zahlreich, 
um  das  Land  besiedeln  zu  können.  Sie  hatten  in  Italien  genug  zu 
beherrschen  und  ökonomisch  nutzbar  zu  machen.  Das  Rätiertum 
blieb  daher  in  unserem  Gebiete  unverändert  fortbestehen,  wurde  viel- 
leicht sogar  noch  durch  Zuwanderung  aus  dem  nördlichen  Teile  Rätiens 
gestärkt,    wo   seit  451    die  Allemannen  ihren  Einzug  gehalten  hatten. 

Auf  die  Goten  folgen  als  Herren  des  Landes  die  Franken.  Die 
Merowinger  lassen  auch  in  der  Hauptsache  die  überkommenen  Einrich- 
tungen, wie  sie  waren,  da  ihnen  daran  gelegen  ist,  in  dem  strategisch 
gegen  Italien  wichtigen  Grenzgebiet  mit  dessen  rätischen  Einwohnern 
in  gutem  Einvernehmen  zu  leben.  Mit  dem  Bau  von  Schutzburgen 
kamen  allerdings  auch  Besatzungen  fränkischer  Männer  in  das  Land, 
die  sich  aber  wohl  ähnlich  wie  in  Frankreich  dem  Römertum  anzu- 
passen geneigt  waren.  Unter  den  Karolingern1)  wird  das  damalige 
Rätien  eine  Markgrafenschaft  unter  einem  deutschen  Grafen,  und  ver- 
mutlich 843  wird  das  Bistum  Ghur,  in  dem  der  Bischof  und  seine  Be- 
amten bisher  stets  Rätier  gewesen  waren,  dem  Erzbistum  Mainz  unter- 
stellt. Damit  gelangten  die  wichtigsten  geistlichen  und  weltlichen 
Aemter  in  den  Besitz  von  deutschen  Grafen  und  Herren. 

Inzwischen  war  die  allemannische  Wanderung  mehr  und  mehr 
nach  dem  Süden  vorgedrungen  und  schon  zur  Zeit  Karls  des  Großen 
finden  wir  sie  nachweisbar  in  Vorarlberg,  im  Oberrheinthal  und  Gaster. 
„Ohne   Zweifel2)  wurde  durch   die  Aufhebung  der   kurrätischen  Ver- 


*)  Der  Kampf  um  das  Deutschtum,  Heft  10,  Die  Schweiz  von  Prof.  Dr.  Hun- 
ziker,  München  1898,  S.  7. 

')  Planta,  Das  alte  Rätien  a.  a.  0.,  S.  371. 


61]  Die  Germanisierung  der  Rätoromanen  in  der  Schweiz.  425 

fassung  und  die  Einsetzung  deutscher  Grafen  die  Germanisierung  Kur- 
rätiens  besonders  in  den  der  allemannischen  Einwanderung  am  meisten 
ausgesetzten  Gegenden  erheblich  befördert.  Da  sich  'die  Grafen  vor- 
zugsweise mit  deutschen  Dienstleuten  und  Vasallen  umgaben,  so  ge- 
staltete sich  das  Verhältnis  allmählich  so,  daß  die  Edelleute  und  großen 
Grundbesitzer  vorherrschend  ja  fast  ausschließlich  deutsch,  die  bäuer- 
liche Bevölkerung  dagegen  vorherrschend  oder  je  nach  der  Gegend 
fast  ausschließlich  romanisch  waren/ 

Im  Jahre  916  wurde  Rätien  mit  dem  Herzogtum  Schwaben  ver- 
bunden und  blieb  in  dieser  Vereinigung  bis  zum  Ausgang  des  hohen- 
staufischen  Kaisertums.  „Eine  zahlreiche  deutsche  Ansiedelung1),  vor- 
züglich ein  zahlreicher  deutscher  Adel  und  mit  ihm  das  ausgebildete 
deutsche  Lehenwesen,  hielt  vom  10.  bis  12.  Jahrhundert  im  unteren 
und  sogar  im  oberen  Rätien  Eingang.  Die  Grafen  von  Ober-  und 
Unterrätien,  die  Bischöfe  von  Chur  und  die  Aebte  von  Pfävers  tragen 
fast  ausschließlich  deutsche  Namen.  Sie  kamen  mit  deutschen  Ge- 
fährten, zogen  deutsche  Verwandte  und  Bekannte  nach  sich  und  über- 
trugen diesen  wiederum  ihrerseits  Aemter  und  Güter  zu  Lehen."  Da 
nun  diese  Feudalherren  Gericht  übten,  abhängige  Leute  mit  in  den 
Krieg  nahmen  und  sonst  in  ihren  persönlichen  Dienst  stellten,  so  können 
wir  uns  vorstellen,  wie  sich  die  mittelalterliche  Germanisation  auch  in 
den  unteren  Klassen  der  Bevölkerung  zwar  stetig,  aber  doch  nur  lang- 
sam vollzog. 

Der  Fortschritt  des  Deutschtums  in  dem  13.  und  14.  Jahrhun- 
dert ist  vor  allem  vermittelt  worden  durch  Kolonisation.  Dieselbe  er- 
folgte vermutlich  in  sehr  verschiedener  Rechtsform,  indem  je  nach 
Umständen  die  Ansiedler  in  größerer  oder  geringerer  Abhängigkeit  ge- 
halten wurden,  ein  Teil  hörig  blieb,  ein  anderer  mit  weitgehenden 
Freiheiten  ausgestattet  wurde.  Vor  allem  sind  von  den  letzteren  die 
Walser  zu  nennen,  auf  welche  oben  bereits  hingewiesen  worden  ist. 
Ihre  Verpflichtungen  dem  Territorialherrn  gegenüber  bestanden  nur 
in  einem  zu  entrichtenden  geringen  Zins  und  darin,  im  Kriegsfalle  mit 
Schild  und  Speer  für  ihn  einzutreten.  Die  höhere  Gerichtsbarkeit  stand 
ihm  ebenfalls  zu,  während  die  niedere  wenigstens  ein  Teil  der  Kolonisten 
selbständig  ausüben  durfte2).  Die  günstigen  Bedingungen  der  Nieder- 
lassung lassen  sich  jedenfalls  daraus  erklären,  daß  große  Gebiete  am 
Hinterrhein,  im  Lugnetz,  Oberlandquart,  Avers  u.  s.  w.  den  Grund- 
herren zustanden,  und  daß  Wälder  und  Gebirgsweiden  nicht  anders 
nutzbar  zu  machen  waren  als  dadurch,  daß  Einwanderern  leichter  Land- 
erwerb und  günstige  politische  Bedingungen  zugesichert  wurden.  Es  ist 
dies  ein  ähnliches  Verhältnis,  wie  es  auch  mutatis  mutandis  die  eng- 
lischen Kolonieen  in  Nordamerika   stets  befürwortet  haben,  um   Aus- 


*)  Wartmann,  Das  Kloster  Pfävers,  S.  8.  Neujahrsblatt  des  St.  Gallischen 
historischen  Vereins,  1883. 

*)  Dr.  P.  C.  Planta,  Die  kurratischen  Herrschaften  in  der  Feudalzeit. 
Bern  1881,  S.  360.  Hunziker  a.  a.  0.,  S.  14.  Fl.  Egger,  Die  freien  Walser, 
die  ersten  deutschen  Bewohner  Rätiens,  Ragatz  1873,  hält  die  Walser  für  Alle- 
mannen. Julius  Studer,  Walliser  und  Walser.  Eine  deutsche  Sprach  Ver- 
schiebung in  den  Alpen.    Zürich  1886. 


426  A.  Sartorius  Freiherr  v.  Waltershausen,  [62 

Wanderer  aus  Europa  in  ihr  Gemeinwesen  aufnehmen  zu  können,  in 
einer  Zeit,  als  in  der  alten  Welt  die  Freiheit  des  Grundeigentums  noch 
nicht  zum  Prinzip  erhoben  war  *). 

Daß  diese  Walserkolonieen  sich  einer  weitgehenden  Freiheit  er- 
freuten, ist  für  das  Deutschtum  nicht  ohne  Belang  geblieben.  Die 
Selbstverwaltung  gestattete  ihnen  ihre  ursprünglichen  Sitten  und  ihre 
Sprache  zu  bewahren  bis  in  eine  Zeit  hinein,  in  der  die  Gefahr  der 
Romanisierung  für  sie  verschwunden  war.  Eine  weitere  Bedeutung 
haben  sie  dadurch  gehabt,  daß  sie  wirtschaftlich  rasch  erblühten  und 
zur  Gründung  von  neuen  Gemeinden  ihre  überschüssige  Bevölkerung 
aussenden  konnten. 

Auch  im  15.  Jahrhundert  scheint  sich  im  nördlichen  Graubünden 
ein  Fortschritt  der  Germanisation  vollzogen  zu  haben,  welcher  dann 
im  16.  Jahrhundert  durch  die  Reformation  noch  verstärkt  wurde.  Im 
Schanfigg,  im  Prättigau,  in  Churwalden  wurde  um  1450  noch  viel 
romanisch  gesprochen,  während  bald  nach  der  Reformationszeit  bereits 
diese  Orte  ganz  verdeutscht  waren.  Die  große  und  blühende  Walser- 
kolonie in  der  Davoser  Gegend  einerseits,  das  Vordringen  des  alle- 
mannischen  Elements  im  Rheinthal  andererseits,  im  Prättigau  wohl 
auch  der  politische  Einfluß  Oesterreichs,  der  wohl  ähnlich  wirkte,  wie 
später  in  Schuls-Tarasp ,  werden  im  15.  Jahrhundert  gleichmäßig 
das  Deutschtum  gefördert  haben,  das  dann  durch  die  Reformation, 
welche  Kirchengesang,  Predigt,  lutherische  Bibelübersetzung  und  Geist- 
liche aus  der  deutschen  Schweiz  nach  Plessur  und  Unterlandquart 
brachte,  so  gefestigt  wurde,  daß  sein  Sieg  seitdem  nicht  in  Frage  ge- 
stellt werden  konnte. 

Daß  die  Reformation  aber  hier  auf  nationalem  Gebiete  nur  das 
vollenden  konnte,  was  längst  begonnen  war,  zeigt  uns  die  Thatsache, 
daß  sie  in  dem  romanischen  Albulathal,  im  Engadin  und  im  Münster- 
thal nicht  germanisierte,  sondern  nur  in  der  dortigen  Sprache  Eingang 
finden  konnte  und  dieselbe  durch  Andachts-  und  Gesangbücher,  durch 
Uebertragung  des  neuen  Testamentes  erst  zur  Schriftsprache  erhob 
und  damit  ihr  neue  Kraft  und  Haltbarkeit  verlieh. 

„Die  Eroberungen  des  deutschen  Elementes  auf  romanischem  Ge- 
biete,*4 schreibt  ein  Bündner  Historiker2),  „scheinen  seit  dem  16.  Jahr- 
hundert stille  gestanden  zu  sein.  Am  Ende  des  18.  Jahrhunderts 
sprachen  und  verstanden  nur  die  Gebildeten,  zu  denen  damals  fast 
lediglich  der  Adel  und  die  Geistlichkeit  gehörten,  im  ganzen  Engadin, 
im  Münsterthal,  in  den  protestantischen  Gemeinden  des  Albulathales 
(Wiesen  ausgenommen)  und  im  ganzen  Oberhalbstein,  Oberland,  Schams, 
Domleschg,  Imboden  deutsch.  Die  große  Masse  des  Volkes  verstand 
ausschließlich  das  Romanische/ 

Die  Ursachen  dieses  Stillstandes  sehe  ich  zunächst  darin,  daß 
die  Wanderungen  sowohl  aus  dem  allemannischen  Norden,  als  auch 
aus  den  Walser  Kolonieen 8)  200  Jahre  hindurch  so  gut  wie  ins  Stocken 

*)  Sartorius  v.  Waltershausen,  Die  Arbeitsverfassung  der  englischen 
Kolonieen  in  Nordamerika,  1894,  S.  27  ff. 

s)  J.  A.  v.  Sprecher  a.  a.  0.,  Bd.  II,  S.  434. 

*)  Eine  Ausnahme  macht  die  Zuwanderung  in  Pontresina,  s.  oben  S.  409  [45]. 


63]  Die  Germaniaierung  der  Rätoromanen  in  der  Schweiz.  427 

geraten  waren.  Es  waren  die  Zeiten  des  dreißigjährigen  Krieges  wenig 
geeignet  für  sie,  und  später  wurde  der  Bevölkerungsüberschuß  so  vieler 
junger  Männer  im  ausländischen  Kriegsdienst  absorbiert.  Regelmäßig 
standen  Tausende  von  Bündnern,  darunter  viele  Ghurer,  Prättigauer  und 
Davoser,  im  Solde  Prankreichs,  Oesterreichs,  Spaniens,  Piemonts,  Hol- 
lands, von  denen  gar  mancher  in  der  Schlacht  umkam  und  in  den 
Regimentern  immer  von  neuem  ersetzt  werden  mußte1).  Bedenkt  man 
nun  ferner,  daß  der  wirtschaftliche  Verkehr  nur  gering  war,  und  die 
meisten  Gemeinden  überwiegend  unter  dem  Zustand  der  Eigenpro- 
duktion2) lebten,  so  wird  man  verstehen,  daß  jede  Anregung  deutschen 
Leben»  und  deutschen  Geistes  in  den  rein  romanischen  Gegenden  fehlte. 
Zudem  war  die  Einwirkung  der  Schriftsteller  aus  dem  Reich  so  gut  wie 
ausgeschlossen.  In  den  100  Jahren  nach  dem  dreißigjährigen  Krieg  ist 
Deutschland  selbst  so  arm  an  litterarischer  Produktion,  daß  französische 
Sprache  und  französischer  Geist  in  ihm  Einzug  hielten,  wie  hätte  es  im* 
stände  sein  sollen,  durch  die  Kraft  der  Bildung  in  außerdeutschen  Landen 
für  die  Erweiterung   seiner  nationalen  Art  die  Fahne  hochzuhalten? 

Im  Gegensatz  dazu  war  damals  Italien  das  Land,  welches  wenig- 
stens einen  gewissen  Einfluß  auf  das  romanische  Bünden  hatte,  der 
sich  jedenfalls  auf  die  bestehenden  Sprachverhältnisse  im  nichtdeutschen 
Sinn  äußern  mußte.  Er  wurde  vermittelt  durch  den  Handel  mit 
dem  Veltelin,  Chiavenna,  Bergamo,  Brescia  und  Mailand  und  durch 
die  gewerbliche  und  kommerzielle  Auswanderung.  Der  Warentransit  über 
den  Splügen,  den  St.  Bernhardin  und  den  Septimer  war  bis  zum  sieben- 
jährigen Krieg,  während  dessen  der  Verkehr  ins  Stocken  geraten  war, 
sehr  bedeutend  gewesen8),  dann  machte  sich  die  Konkurrenz  des 
Brenners  und  des  St.  Gotthards  geltend,  der  die  Bündner  Straßen  nicht 
gewachsen  waren.  Auch  der  Handel  mit  Bündner  Vieh  war  auf  nord- 
italienischen Märkten  ein  reger.  Die  Bauern  trieben  ihre  Ochsen  und 
Kühe  dort  auf  und  kamen  so  Jahr  für  Jahr  mit  Italienern  in  Berührung. 

Die  gewerbliche  und  kommerzielle  Auswanderung,  welcher  wir 
bereits  wiederholt  begegnet  sind,  hatte  ihren  Ausgang  nach  dem  Vene- 
tianischen  genommen*).  Dort  waren  die  Bündner  als  Cafetiers,  Zucker- 
und Pastetenbäcker,  Scherenschleifer,  Schuhmacher,  Glaser  im  17.  und 
18.  Jahrhundert  in  großen  Mengen  thätig.  Viele  der  Fortgezogenen 
kehrten  mit  dem  gewonnenen  Wohlstand  in  ihr  Bergdorf  zurück  und 
entfalteten  dort  italienischen  Luxus,  städtische  Moden  und  fremde  Sitten. 
Als  seit  1766  diesen  Auswanderern  in  Venedig  auf  Betreiben  dortiger 
einheimischer  Konkurrenten  ihr  Geschäft  unmöglich  gemacht  wurde, 
zog  ein  Teil  von  ihnen  in  andere  Städte  Ober-  und  Unteritaliens  und 
setzte  so  die  Verbindung  zwischen  dem  Romanentum  und  dem  Süden  fort. 
Aber  der  größere  Teil  wandte  sich  jetzt  nach  Frankreich,  Oesterreich, 
Deutschland,  Polen  und  Rußland,  welchen  Ländern  gegenüber  schon 
am  Ende  des  18.  Jahrhunderts  Italien  stark  zurückgetreten  war. 

Wie  im  19.  Jahrhundert  der  Einfluß  des  Südens  mit  demjenigen 

*)  Vielerlei  Detailangaben  bei  J.  A.  v.  Sprecher  a.  a.  0.,  Bd.  II,  S.  272  ff. 

*)  S.  u.  Kapitel  V,  S.  436  [72]. 

3)  Näheres  bei  Sprecher  a.  a.  0.,  II,  S.  246  ff. 

4)  Sprecher  a.  a.  0.,  S.  148  ff. 


428  A.  Sartoriua  Freiherr  v.  Waltersbaugen,  [64 

des  Nordens  nicht  Schritt  halten  konnte,  bleibt  zur  Besprechung  einem 
späteren  Abschnitte  noch  vorbehalten.  Die  Veränderung  des  Wirtschafts- 
lebens in  Europa,  die  Umbildung  des  schweizerischen  Staatswesens, 
der  Kulturfortschritt  des  Grenzlandes  Tirol,  die  zunehmende  Bildung 
großer  Volksschichten  in  Graubünden,  das  Erstarken  des  National- 
bewußtseins in  Deutschland,  die  dortige  Litteratur  seit  Goethe  und 
Schiller,  alles  dies  und  jedes  in  seiner  Weise  hat  Anteil  an  der  Hebung 
des  Deutschtums  in  den  rätoromanischen  Gemeinden  und  an  dem  Zurück- 
drängen der  italienischen  Einwirkung  gehabt. 

Die  kurze  historische  Uebersicht  zeigt  uns,  wie  sich  im  Verlaufe 
von  1500  Jahren  die  deutsch-romanische  Sprachgrenze  in  Graubünden 
verschoben  hat.  Diese  Veränderung  ist  schließlich  nur  im  Rahmen 
eines  großen  weltgeschichtlichen,  langsam  zur  Reife  gelangenden  Vor- 
ganges zu  begreifen,  der  Uebernahme  der  Kulturführung  in  Europa 
seitens  der  germanischen  Völker.  Er  beginnt  mit  dem  Zurückwerfen 
der  Römerherrschaft  aus  Germanien  und  den  Alpenländern,  dem  für 
unser  engeres  Beobachtungsgebiet  das  Eindringen  der  Franken  und 
Allemannen  in  Rätien  entspricht.  Eine  zweite  Stufe  wird  in  dem 
mittelalterlichen  Kaisertum  deutscher  Nation  erreicht,  in  welcher  Zeit 
das  östliche  Alpenland  zum  Schutz  des  Reiches  und  der  Verbindung 
mit  Italien  in  den  Besitz  deutscher  Aristokratie  gelangt.  Die  dritte 
Epoche  ist  die  Kirchenreformation,  eine  That  deutschen  Geistes,  deren 
Wirkungen  weit  über  konfessionelle  Angelegenheiten  hinausgingen.  Ihr 
unmittelbarer  Einfluß  auf  das  Deutschtum  in  Graubünden  ist  unverkenn- 
bar, wenn  auch  ihr  Hauptergebnis,  der  Aufschwung  freiheitlichen  Denkens 
wichtiger  war,  sich  aber  erst  später  geltend  machen  konnte.  Ein  vierter 
Akt  der  großen  geschichtlichen  Handlung  spielt  sich  in  der  Gegenwart 
ab.  In  dem  wirtschaftlichen  Konkurrenzkampf  werden  die  romanischen 
Nationen  auf  der  ganzen  Linie  zurückgeworfen,  und  da  das  Nerven- 
system der  Eisenbahnen  und  Telegraphen  die  Berührung  und  Verände- 
rung des  weltwirtschaftlichen  Organismus  an  jedem  Punkte  zu  einer  allge- 
meinen Empfindung  bringt,  so  muß  auch  jedes  bündnerische  Dorf  den 
wirtschaftlichen  Gesetzen,  die  das  Ganze  beherrschen,  gehorchen. 

Das  große  Alpengebiet  des  ehemaligen  Rätiens  kennt  heutzutage 
nur  noch  einige  romanische  Sprachinseln,  die  immer  mehr  in  sich  zu- 
sammensinken. Auch  ohne  einen  historischen  Rückblick  auf  die  Er- 
eignisse der  Vergangenheit  zu  werfen,  kann  uns  dies  eine  genaue  Orts- 
karte lehren.  Wenn  wir  die  Blätter  der  schweizerischen  Siegfriedkarte 
durchsehen,  welche  das  heutige  deutsche  Graubünden  umfassen,  so  finden 
wir  dort  zahlreiche  rätoromanische  Bezeichnungen  von  Bergen,  Flüssen, 
Thälern,  Dörfern,  Alpen  und  Wäldern  als  einen  Ueberrest  einer  früheren 
anderssprachigen  Bevölkerung.  Bei  einem  Vergleich  der  einzelnen  Tafeln 
bemerken  wir  eine  große  Abstufung  in  der  Häufigkeit  nichtdeutscher 
Worte.  Nehmen  wir  z.  B.  die  Karte  417  mit  dem  Samnaun,  welches, 
wie  wir  wissen,  erst  in  unserem  Jahrhundert  germanisiert  worden  ist, 
so  treffen  wir  nur  auf  ganz  wenige  deutsche  Ortsbezeichnungen 1).   Ver- 


l)  S.  oben  S.  414  [50]. 


65]  Die  Germanin erung  der  Rätoromanen  in  der  Schweiz.  429 

gleichen  wir  damit  Blatt  419,  „Davos",  eine  Gegend,  die  seit  Jahr- 
hunderten im  Besitz  der  Deutschen  ist,  so  finden  wir  dort  die  roma- 
nische Bezeichnung  nur  als  eine  Ausnahme,  z.  B.  Pischa,  Ober- 
Novai. 

Die  Abstufung  in  der  Verbreitung  deutscher  und  als  Gegenstück 
romanischer  Ortsnamen  wird  aus  folgendem  Entwickelungsgang  viel- 
leicht am  ehesten  übersichtlich: 

Die  einwandernden  Deutschen  fanden  je  nach  der  Stärke  der  bis- 
herigen romanischen  Besiedelung  detaillierte  Ortsbenennungen  vor, 
welche  zu  ändern  für  sie,  mochten  sie  nun  Herren  oder  Knechte  sein, 
keine  oder  nur  eine  ausnahmsweise  Veranlassung  vorlag.  Die  Macht 
der  Tradition  ist  entscheidend,  solange  sich  keine  praktischen  Bedürf- 
nisse ihr  entgegenstellen.  Wie  in  der  Vergangenheit,  so  ist  es  auch 
heutzutage.  Mir  liegt  der  Anbauplan  einer  größeren  Kaffeeplantage 
in  Deutsch-Ostafrika  aus  dem  Jahre  1898  vor,  deren  Hauptteile  wie  der 
Name  des  Ganzen  die  landesüblichen  Bezeichnungen  beibehalten  haben. 
So  finden  wir  z.  B.  Sakarre-Rodung,  vordere  Manka-Rodung ,  erste 
Msasa-Rodung  links  des  Tinindibaches,  Ngezi  Berg.  Allerdings  daneben 
auch  einige  deutsche  Worte,  wo  bisher  Bezeichnungen  fehlten,  z.  B. 
Hausberg,  roter  Hügel,  runder  Berg. 

Der  gleiche  Vorgang  wird  sich  auch  bei  der  Kolonisation  in  der 
Graubündner  Vergangenheit  vollzogen  haben,  wenn  auch  die  Neube- 
zeichnung als  Ausdruck  praktischen  Bedürfnisses,  z.  B.  bei  der  An- 
legung von  Höfen  und  Wegen,  bei  der  Teilung  von  Alpen,  Wäldern, 
Feldern,  Maiensässen,  nach  und  nach  entstanden  sein  mag.  Nehmen 
wir  Blatt  413  des  Siegfriedatlas  zur  Hand,  auf  dem  die  Walser-Nieder- 
lassung Vals  Platz  verzeichnet  steht,  so  haben  wir  dort  südlich  vom 
Dorf  die  Selva  Alp,  also  eine  romanische  Bezeichnung,  aber  innerhalb 
derselben  die  deutschen  Worte  zur  speziellen  Angabe:  Rossbodmen, 
Staffelmättle ,  Ebene ,  Hohbühl  u.  s.  w.  Westlich,  jenseits  des  Valser 
Rheins,  liegt  die  Alp  Pedanatsch,  und  hier  wiederholt  sich  für  die  ge- 
nauere Ortskenntnis  die  Annahme  deutscher  Worte,  wie  Moos,  Dach- 
berg, Heuberge. 

Wir  haben  bisher  diejenige  Nationalitätsveränderung  eines  Ge- 
bietes berücksichtigt,  welche  durch  Einwanderung  verursacht  worden 
ist.  Dieser  steht  —  wenigstens  rein  logisch,  wenn  auch  praktisch- 
historisch beide  Arten  ineinander  fließen  —  diejenige  gegenüber,  bei 
der  die  Bevölkerung  Sprache  und  Sitten  ablegt  und  beides  neu  von 
einem  anderen  Volksstamme  annimmt.  In  diesem  Falle  kann  das  ganze 
Wohn-  und  Wirtschaftsgebiet  bereits  detailliert  mit  Namen  versehen 
sein  und  die  Ortsnamen  sind  dann  vielleicht  die  konservativste  Ein- 
richtung im  Lande,  da  für  ihre  Erhaltung  die  Ordnung  des  Verkehrs 
spricht  und  das  Bedürfnis  zur  Ergänzung  zunächst  wenigstens  fehlt. 
So  ist  es  vermutlich  mit  dem  Prättigau  gewesen,  dessen  Reichhaltig- 
keit an  romanischen  Namen  heute  nach  400jährigem  Deutschtum  noch 
auffällig  ist.  Man  werfe  einen  Blick  auf  Blatt  273  und  415  des  Siteg- 
friedatlas. 

Wie  nun  auch  immer  die  Nationalitätsverschiebung  erfolgt  sein 
mag,  im  Verlaufe  der  Zeit  fängt  die  nun  herrschende  Sprache  an,  die 

Forschungen  zur  deutschen  Landes-  und  Volkskunde.  XII.   5.  29 


430  A.  Sartori  ue  Frhr.  v.  Waltershausen,  Die  Germanisierang  der  Rätoromanen  etc.  [tf(> 

alten  Ortsnamen  zu  modifizieren.  Entweder  wird  das  alte  Wort  der 
Sprachbequemlichkeit  der  Gegenwart  entsprechend  umgeformt  oder  es 
entstehen  zwei  Bezeichnungen  nebeneinander,  nicht  selten  sind  es  nur 
Uebersetzungen ,  von  denep  dann  die  ältere  nach  und  nach  ver- 
schwindet. 

Beispiele  für  den  ersteren  Vorgang  sind  Alvaneu  statt  Alvagne, 
Schanfigg  statt  Scanfeig,  Zillis  statt  Ziraun,  Lenz  statt  Lansch,  Remüs 
statt  Ramosch,  Scanfs  statt  S'chanf,  Zuz  statt  Zuoz.  Beispiele  für  die 
zweite  Art  sind  Ochsenberg  gleich  Bovilan  (Prättigau),  Rheinwaldhorn 
Piz  Valrhein,  Weifiensteinhorn  gleich  Piz  Tomil  (Vals),  Stätzerhorn 
gleich  Piz  Raschill,  Oberalpstock  gleich  Piz  Tgietschen. 

Da  die  Sprache  niemals  in  ihrer  Bildung  zum  Stillstand  kommt, 
weil  das  Leben  ewig  wechselt,  so  geht  der  Germanisierungsprozeß  der 
Ortsnamen  schrittweise  weiter,  und  wenn  die  Philologen  künftiger  Zeiten 
die  heutigen  Graubündner  Karten  nicht  zur  Verfügung  haben  sollten , 
so  wird  ihnen  manches  Wort  als  ein  unlösbares  Rätsel  erscheinen,  wie 
den  gegenwärtigen  viele  rätoromanische  Bezeichnungen,  von  denen  man 
nicht  weiß,  ob  sie  keltischen  oder  tuscischen  Ursprunges  sind. 

Es  ist  nicht  unsere  Aufgabe,  in  das  Detail  der  Graubündner 
Ortsnamenkunde  einzudringen,  sondern  es  sollte  nur  die  eine  Thatsache 
nicht  unbeachtet  bleiben,  daß  die  Verschiebung  der  Sprachgrenzen  und 
die  Nationalisierung  ganzer  Gebiete  zwar  auch  die  Ortsnamen  mit  er- 
greift, aber  dabei  ihre  eigenen  verschlungenen  Wege  wandelt.  Die 
Sprache  folgt  dem  Leben,  aber  der  Rückschluß  von  ersteren  auf  da» 
letztere  ist  nur  mit  großer  Vorsicht  zu  wagen. 


IV.    Kapitel. 

Die  Italiener  in  Granblinden. 

Die  italienisch  sprechende  Bevölkerung  in  der  Schweiz,  welche 
als  zusammenhängende  Yolksmasse  erstens  in  Tessin  und  in  dem  diesem 
Kanton  lokal  sich  anschließenden  graubündnischen  Amtsbezirke  Moesa, 
d.  h.  dem  Mesocco-  und  Calancathal,  zweitens  im  Bergeil,  drittens  im 
Bezirk  Bernina  ihren  Wohnsitz  hat,  und  in  dem  sonstigen  Gebiete  der 
Eidgenossenschaft  nur  zerstreut  lebt,  wird  ihrem  absoluten  und  relativen 
Umfang  nach  aus  folgenden  Ziffern  ersichtlich: 


1 

Zahl  der 

italienisch 

Sprechenden 

Gesamtbevölke- 
rung der 
Schweiz 

Prozent  der  ita- 
lienischSprechen- 
den  in  d.  Gesamt- 
bevölkerung 

Schätzung  1850 

129333 
28697 
30239 
161923 
156606 
155 130 

2392740  Wohnb. 
2510494     „ 
2655001      , 
2846102      . 
2934057     „ 
2917754     „ 

5,4 

5,7 
5,3 
5,3 

f  1  RfiO 
Haushaltungen  <Jo°q 

OrUanwesende  /1880 

Bevölkerung    \1888 

Wohnbevölkerung  1888  ...  . 

Der  Anteil  dieser  Italiener  an  der  Gesamtbevölkerung  ist  also 
nur  ein  geringer.  Von  1850—1880  hat  er  zu-,  von  1880—1888  ab- 
genommen. Da  dieser  letztere  Vorgang  auch  mit  den  Zuständen  Grau- 
bündens  in  einem  gewissen  Zusammenhang  steht,  so  sei  auf  ihn  kurz 
eingegangen.  Eine  oberflächliche  Betrachtung  der  statistischen  Ergebnisse 
kann  zu  der  Meinung  verführen,  daß  der  Ausfall  an  italienisch  Sprechen- 
den in  direktem  Zusammenhang  mit  dem  Fortzug  der  Arbeitermassen 
nach  Italien  aus  denjenigen  Kantonen  stehe,  durch  welche  die  Gott- 
hardbahn  gelegt  worden  ist.  Die  Maurer  und  Taglöhner  waren  1880 
noch  beschäftigt,  aber  bei  der  folgenden  statistischen  Aufnahme  nicht 
mehr,  da  inzwischen  die  Bahn  vollendet  und  dem  Verkehr  übergeben 
wurde.  1880  beherbergte  Schwyz  1377,  Uri  5313,  Tessin  129409 
(Ortsanwesende),  1888  hingegen  waren  nur  dort  350,  184,  124502 
(Wohnbevölkerung). 

Diese  Verminderung  in  den  genannten  Kantonen  ist  unbestreitbar, 
aber  es  stammte  nur  ein  Teil  der  fortgezogenen,  wenn  auch  der  größere, 


432  A.  Sartorius  Freiherr  v.  Waltershausen,  [68 

aus  dem  Königreich  Italien.  Unter  den  Arbeitern  befanden  sich  auch 
Welsch  tiroler ,  eine  dritte  Abteilung  setzte  sich  aus  Tessinern  und 
Graubündnern  zusammen,  so  daß  keineswegs  alle  in  das  Ausland  zurück- 
kehren konnten,  und  die  schweizerische  Bevölkerung  verkleinern  mußten. 
Ferner  giebt  die  schweizerische  Ausländerstatistik  folgende  Ziffern: 

1880     41530  Italiener  aus  dem  Königreich  (Ortsanwesende) 
1888     41881  ,  ,  (Wohnbevölkerung). 

Es  ist  mithin  kein  Ausfall,  sondern  eine  Zunahme  an  Italienern 
aus  dem  Königreiche  zu  konstatieren.  Einzelne  Kantone  haben  an 
solchen  verloren,  andere  haben  gewonnen1).  Die  Bückwanderung  mag 
1882  groß  gewesen  sein,  aber  eine  dauernde  Zuwanderung  hat  in  den 
folgenden  Jahren  den  Verlust  mehr  als  ausgeglichen.  Eine  erhebliche 
Vermehrung  weisen  namentlich  die  Kantone  Zürich,  Bern,  St.  Gallen 
und  diejenigen  französischer  Sprache  auf. 

Wenn  also  die  Minderung  italienisch  Sprechender  um  6793  Per- 
sonen stattgefunden  hat,  so  muß  sie  1.  auf  die  Welschtiroler  oder 
2.  auf  Tessiner  und  Graubündner  entfallen,  oder  3.  durch  Germani- 
sierung oder  Französierung  hervorgebracht  sein. 

Ueber  den  ersten  Punkt  lassen  sich  keine  statistischen  Angaben 
machen,  da  die  Welschtiroler  nur  als  Oesterreicher  neben  anderen 
Angehörigen  des  Kaiserstaates  in  der  Schweiz  gezählt  worden  sind. 
Ihre  Ziffer  wird  nur  wenige  Hundert  umfassen.  Bezüglich  des  zweiten 
lind  dritten  Punktes  läßt  sich  der  Nachweis  erbringen,  daß  ungefähr 
zu  gleichen  Quoten  auf  jeden  der  Ausfall  zu  verrechnen  ist.  In  Tessin, 
Bernina,  Moesa  und  Bergeil  lebten  1880  141024  der  italienischen 
Sprache  Zugehörige  (Ortsanwesende),  1888  hingegen  135970  (Wohn- 
bevölkerung). Mithin  ein  Minus  von  5054.  Da  nun  1880  1770  Italiener 
aus  dem  Königreiche  in  dem  genannten  Gebiete  mehr  lebten  als  acht 
Jahre  später,  so  sind  dieselben,  da  nur  die  veränderte  Zahl  der  Inländer 
betrachtet  werden  soll,  in  Abzug  zu  bringen.  Der  Verlust  beträgt 
mithin  3284.  Er  hängt  mit  der  ungünstigen  wirtschaftlichen  Lage 
dieser  Gegenden  zusammen,  die  freilich  nicht  überall  die  gleiche  ist, 
und  bezüglich  der  Graubündner  Landesteile  noch  eine  weitere  Be- 
sprechung finden  wird. 

Daß  eine  Französierung  und  Germanisierung  italienischer  Schweizer 
und  Ausländer  in  vielen  Kantonen  Platz  gegriffen  hat,  die  sich  darin 
äußerte,  daß  dieselben  bei  der  statistischen  Aufnahme  deutsch  oder 
französisch  als  ihre  Muttersprache  angegeben  haben,  läßt  sich  in  der 
Weise  berechnen,   daß   man  für  jeden  Kanton   (Graubünden  mit  An- 


*)  Nach  der  Statistica  della  Emigratione  italiana  gingen  nach  der  Schweiz : 

1881 10245 

1882 8476 

1883 6348 

1884 5509 

1885 4583 

1886 4346 

1887 5  561 

1888 6237 


69]  Die  Germanisierung  der  Rätoromanen  in  der  Schweiz.  433 

schluß  der  italienischen  Teile)  die  italienischen  Ausländer  und  ange- 
sessenen Tessiner  (von  den  Graubündner  italienisch  Sprechenden  in 
anderen  Kantonen  der  Schweiz  mußte  abgesehen  werden,  da  diese  nicht 
statistisch  erfaßbar  sind,  aber  auch  nur  eine  geringe  Zahl  ausmachen 
dürften)  ermittelt  und  mit  der  Summe  der  im  Kanton  italienisch 
Sprechenden  vergleicht.  Ergiebt  sich,  daß  die  Zahl  der  ersteren  größer 
ist  als  die  der  letzteren,  so  dürfen  wir  auf  eine  Wandelung  der 
Nationalität  schließen.  Es  zeigt  sich  für  1880  eine  solche  Differenz 
von  5288  und  für  1888  von  8603.  Mithin  hat  in  dem  8jährigen  Zeit- 
raum eine  Nationalisierung  von  3315  stattgefunden. 

Als  Resultat  ergiebt  sich,  daß  die  6793  aus  der  schweizerischen 
Gesamtbevölkerung  fortfallenden  italienisch  Sprechenden  sich  zusammen- 
setzen aus: 

1.  3284  Tessinern  und  Grau  bündnern, 

2.  3315  germanisierten  und  französisierten,  bisher  italienisch 
Sprechenden. 

6599. 

Der  geringe  Rest  von  194  besteht  entweder  aus  fortgewanderten 
Welschtirolern  oder  ursprünglichen  graubündnerischen  Italienern,  welche 
ihre  Sprache  verändert  haben,  (lieber  den  Wert  des  statistischen  Ver- 
gleiches s.  oben  S.  376  [12].) 

Gehen  wir  nun  des  Näheren  auf  Graubünden  ein.  Die  Sprach- 
grenze zwischen  dem  italienischen  Gebiete  einerseits  und  dem  romani- 
schen und  deutschen  andererseits  ist  in  dem  vorhergehenden  Kapitel 
beschrieben  worden.  Es  ist  eine  scharfe  Linie,  welche  die  Nationalitäten 
absondert,  nicht  ein  breiter  Landstreifen  mit  Zweisprachigkeit.  Sowie 
man  den  Bernina-,  den  Maloja-,  den  San  Bernhardinopaß  überschreitet, 
ist  man  in  einem  neuen  Sprachgebiet.  Da  die  Nationalitäten  hier  durch 
eine  natürliche  Scheidewand  getrennt  sind,  so  ist  die  Verschiebung  der 
Sprachgrenze  unwahrscheinlich.  Es  können  Italiener  vom  Westen  und 
vom  Süden  in  das  Oberengadin  einwandern,  daß  sie  sich  aber  an  den 
Pässen  ansiedeln  werden,  ist  nicht  anzunehmen. 

Es  ist  auf  S.  378  [14]  eine  statistische  Uebersicht  über  die  Verbrei- 
tung der  italienisch  Redenden  in  Graubünden  mitgeteilt  worden,  wobei  die 
Zahl  der  Ortsanwesenden  zu  Grunde  gelegt  wurde.  Der  Kanton  zeigt 
von  1880—1888  eine  Zunahme  von  981.  Die  beiden  Amtsbezirke  Bernina 
und  Moesa  haben  sie  nicht  bewirkt.  Vielmehr  ist  bei  ihnen  ein  Aus- 
fall von  66  Personen  vorhanden.  Die  sechs  romanischen  Bezirke,  sowie 
Hinterrhein  und  Heinzenberg  haben  sich  auf  ihrem  Stand  ungefähr  ge- 
halten (1880  593, 1888  583  Personen).  Plessur  hat  ein  Weniger  von  52. 
Ganz  abgesehen  davon,  daß  in  diesen  neun  Bezirken  eine  Italienisierung 
wegen  der  so  geringen  Minorität  der  Italiener  ganz  ausgeschlossen  ist, 
haben  sie  sogar  einen  Ausfall  von  62  Ortsanwesenden. 

Hingegen  hat  Maloja  ein  Plus  von  207,  Ober-  und  Unterland- 
quart ein  solches  von  384  und  518.  Maloja  enthält  den  italienischen 
Kreis  Bergeil,  allein  hier  hat  sich  die  Zahl  der  der  Landessprache 
Angehörigen    nur  um  9  vermehrt,  so  daß  auf  das   Oberengadin,  dem 


434  A.  Sartorius  Freiherr  v.  Walterahausen,  [70 

anderen  Kreis  von  Maloja,  198  entfallen.  Es  läßt  sich  mithin  die 
Italienervermehrung  durch  Einwanderung  erklären,  welche  im  Ober- 
engadin  mit  dem  Aufschwung  der  Fremdenindustrie,  in  Landquart  mit 
dem  Eisenbahnbau  nach  Klosters  und  Davos,  bei  dem  italienische  Arbeiter 
Verwendung  gefunden  haben,  zusammenhängt.  Daß  diese  Einwanderung1 
von  1100  Personen  hauptsächlich  aus  dem  Königreich  stammt,  zeigt 
die  Tabelle  auf  S.  394  [30],  nach  welcher  die  Wohnbevölkerung  von 
1888  ein  Mehr  von  873  gegenüber  den  Ortsanwesenden  von  1880  auf- 
weist. Die  ortsanwesenden  Fremden  aus  Italien  haben  jedenfalls  1888 
eine  noch  größere  Ziffer  umfaßt. 

Eine  Italienisierung  der  Romanen  in  Graubünden  ist,  soweit  unsere 
bisherigen  statistischen  Untersuchungen  reichen,  völlig  ausgeschlossen. 
Die  Hauptzunahme  der*  Italiener  hat  in  einem  ganz  deutschen  Ge- 
biete stattgefunden  und  zwar  als  eine  überwiegend  vorübergehende 
Erscheinung.  Die  fremden  Arbeiter  leben  für  sich  und  sind  ohne 
dauernden  sozialen  Einfluß,  so  daß  sie  eher  nationalisiert  werden,  als  daß 
sie  selbst  nationalisieren.  Die  Einwanderung  im  Engadin  setzt  sich  über- 
wiegend aus  Dienstboten,  Straßenarbeitern,  Maurern,  Hirten  und  einigen 
Handwerkern  zusammen,  die  sowohl  ihrer  kleinen  Anzahl  wegen,  als 
auch  wegen  ihrer  niederen  gesellschaftlichen  Stellung  als  Verbreiter 
ihrer  Muttersprache  durchaus  ungeeignet  sind. 

Es  ist  denkbar,  daß  die  in  Moesa,  Bernina  und  Bergell  einge- 
wanderten Romanen,  welche  hauptsächlich  Taglöhner  und  Dienstboten 
sind,  in  dem  dortigen  Italienertum  aufgehen.  Sicher  ist,  daß  sie  rasch 
die  Landessprache  erlernen,  ob  sie  aber  ihre  Nationalität  aufgeben,  ist 
statistisch  nicht  zu  ermitteln.  1880  waren  186  Ortsanwesende  und 
1888  189  Einwohner  in  dem  genannten  Gebiete  Romanen.  Ihre  Ziffer 
ist  also  zu  gering,  um  eine  erhebliche  Wirkung  der  Nation alitäts Ver- 
änderung hervorzubringen.  Nicht  wenige  von  ihnen  sollen  auch  nach 
ein-  oder  mehrjährigem  Aufenthalt  in  die  Heimat  zurückkehren. 

Auf  Grundlage  persönlicher  Beobachtung  habe  ich  die  Ueber- 
zeugung  gewonnen,  daß  deutscher  Einfluß  in  dem  italienischen  Grau- 
bünden nicht  in  Abrede  zu  stellen  und  seit  einigen  Jahren  in  der  Zu- 
nahme begriffen  ist.  Im  Puschlav  wie  im  Bergell  ist  der  steigende 
Fremdenverkehr  zu  berücksichtigen,  dann  die  deutsch  demokratische 
Politik,  die  vermittelst  Zeitungen  und  Korrespondenzen  von  Chur  und 
von  Zürich  aus  bis  in  diese  Thäler  ihre  Schwingungen  verbreitet.  In 
den  Oberklassen  der  Volksschule  wird  sowohl  in  Poschiavo,  wie  in 
Stampa,  Vicosoprano,  Casaccia,  Maloja  Kulm  Unterricht  im  Deutschen 
erteilt.  Das  Gleiche  gilt  von  der  Realschule  in  Stampa.  Die  Kinder 
in  wohlhabenden  Familien  besuchen  auch  jahrelang  die  Kantonsschule 
in  Chur  oder  die  landwirtschaftliche  Anstalt  Plantahof  bei  Landquart 
und  kehren  des  Deutschen  völlig  kundig  zurück,  das  sie  während  des 
Militärdienstes  dann  später  aufzufrischen  Gelegenheit  haben.  Eine  Reci- 
procität  in  der  deutschen  Volksschule  bezüglich  der  Erlernung  des 
Italienischen  giebt  es  nicht,  und  auch  die  sonstigen  genannten  Ver- 
hältnisse sind  durchaus  einseitiger  Natur.  In  den  größeren  Ortschaften 
des  Bezirkes  Bernina  und  des  Kreises  Bergell  sprechen  heutzutage 
die   meisten  jüngeren   erwachsenen  Männer,    sowie   auch   eine  Anzahl 


71]  Die  Germamsierung  der  Rätoromanen  in  der  Schweiz.  435 

Frauen  deutsch,  die  Bauern  hingegen  beharren  bei  ihrem  gewohnten 
Dialekt. 

In  Moesa  mit  den  drei  Kreisen  Roveredo,  Calanca,  Mesocco  liegen 
die  Verhältnisse  etwas  anders.  Es  ist  hier  weniger  Wohlstand  vor- 
handen, so  daß  die  Zahl  derer,  welche  in  Chur  oder  in  der  deutschen 
Schweiz  höheren  Unterricht  genießen  können,  geringer  ist.  Auch  geht 
die  Volksschule  im  Deutschen  kaum  über  die  Anfangsgründe  hinaus. 
Der  Fremdenverkehr  ist  unbedeutend,  namentlich  im  Calancathal,  welches 
einen  Fahrweg  nur  etwa  bis  zu  seiner  Mitte  hat,  während  durch  das 
Misox  die  Alpenstraße  zum  Bernhardin  führt.  Wenn  dennoch  im  ganzen 
Amtsbezirk  zahlreiche  Männer,  auch  minderer  Bildung,  deutsch  sprechen, 
so  erklärt  sich  dies  aus  der  temporären  Auswanderung  vieler  Arbeiter 
nach  Deutschland  und  nach  der  deutschen  Schweiz.  Die  Frauen  bleiben 
durchweg  zu  Hause,  und  daher  findet  man  unter  ihnen  auch  nur  aus- 
nahmsweise solche,  welche  die  deutsche  Sprache  beherrschen. 

Die  Bewohner  des  italienischen  Oraubündens  sind  durchweg  gute 
Schweizer.  Sie  haben  nicht  die  geringste  Neigung  dazu,  Angehörige 
des  südlichen  Königreichs  zu  werden.  Das  wirtschaftliche  Interesse 
spricht  schon  dagegen,  da  Steuerlast  und  Militärdienst  dort  weit  drücken- 
der sind  als  in  der  Eidgenossenschaft.  Dann  haben  diese  Leute  einen 
gewissen  Zug  der  Internationalität  an  sich,  da  viele  von  ihnen  als 
Geschäftsleute  oder  Arbeiter  lange  in  Frankreich,  Deutschland,  Spanien, 
England  gelebt  haben.  Die  Republik  ohne  monarchische  Tradition  und 
mit  weitgehender  politischer  Selbstbestimmung  ist  ihnen  daher  sym- 
pathisch. Es  ist  ihnen  die  bundesstaatliche  Politik  durchaus  nicht  gleich- 
gültig, und  da  diese  von  der  nationalen  Vormacht  des  Landes,  den 
Deutschen,  im  wesentlichen  getragen  wird,  so  unterliegen  sie  auch  inso- 
fern deren  Beeinflussung. 

Daß  auch  das  Wirtschaftsleben  der  deutschen  Kantone  sich  hier 
südlich  der  Alpen  mehr  geltend  macht  als  dasjenige  Italiens,  wird  im 
nächsten  Kapitel  noch  des  näheren  gezeigt  werden.  Auch  daraus  wird 
man  den  Schluß  ziehen  können,  daß  das  Deutschtum  hier  langsam 
aber  sicher  Wurzel  zu  fassen  beginnt. 

Für  die  Beurteilung  der  Zukunft  des  Rätoromanentums  ist  alles 
dies  nicht  unwichtig.  Dasselbe  findet  keinen  Rückhalt  zum  Fortbestehen 
in  den  Angehörigen  einer  verwandten  Sprache,  die  mit  ihm  denselben 
Staat  bewohnen.  Denn  diese  sind  selbst  ihrer  Nationalität  nicht  mehr 
vollkommen  sicher.  Darum  auch  wird  man  nicht  glauben  dürfen,  daß 
sie  jemals  imstande  sein  würden,  sich  den  Rest  der  Romanen  zu 
assimilieren.  Diese  sind  vielmehr  ausschließlich  dem  deutschen  Wesen 
oder  der  maßgebenden  Kultur  des  Landes  verfallen. 


V.    Kapitel. 

Die  wirtschaftlichen  Interessen  nnd  der  Rückgang  des 

Romanentums. 

Daß  das  19.  Jahrhundert  seine  Eigenart  den  wirtschaftlichen 
Umwälzungen  und  zwar  an  erster  Stelle  den  Veränderungen  des  Trans- 
portverkehrs  verdankt,  ist  eine  Thatsache,  die  man  wie  an  der  Welt- 
wirtschaft ebenso  auch  an  dem  Leben  und  Treiben  in  einem  bündnerischen 
Dorfe  zu  beobachten  Gelegenheit  hat.  Haben  sich  hier  Verkehrswirt- 
schaft und  Kapitalismus  auch  in  anderer  Weise  eingebürgert  als  in 
den  Bezirken  der  englischen  Baum  Wollindustrie  oder  als  in  den  Eisen- 
und  Eohlengegenden  des  Rheinlandes,  dies  Resultat  ist  das  gleiche, 
daß  jetzt  Gunst  oder  Ungunst  jedes  individuellen  wirtschaftlichen  Er- 
werbes von  demjenigen  der  gesamten  Volkswirtschaft,  ja  drüber  hinaus, 
von  demjenigen  fremder  Völker  in  Abhängigkeit  geraten  ist. 

Im  Anfang  unseres  Jahrhunderts  wirtschafteten  die  Graubündner 
Bauern  noch  vorwiegend  in  der  Betriebsweise  der  Eigenproduktion, 
d.  h.  bei  weitem  das  meiste  von  dem,  was  sie  verbrauchten,  war  durch 
die  eigene  Wirtschaft  in  natura  erzeugt  worden.  Dahin  gehörten  zu- 
nächst die  Lebensmittel,  die  Produkte  des  Landbaues  und  der  Vieh- 
zucht. Der  Landwirt  und  Hirt  war  aber  auch  Metzger  und  Zimmer- 
mann, im  Winter  verfertigte  er  Milchgeschirre,  Schlitten,  Holzschaufeln, 
Griffe  und  Stiele  zum  eisernen  Handwerkszeug  *).  Die  Wohnung  er- 
richtete er  aus  eigenem  Material  mit  Unterstützung  seiner  Nachbarn. 
Der  Flachs  seiner  Felder  wurde  im  Hause  gesponnen,  die  Leinewand 
dort  gewoben,  die  Wolle  der  eigenen  Schafe  zu  einem  festen,  rauhen 
Tuche  verarbeitet.  Die  Frauen  schneiderten  es  zu  Anzügen  zurecht, 
sie  strickten  Strümpfe,  Kappen,  auch  Beinkleider  und  Röckchen  für  die 
Kinder.  Die  Hausfrau  mahlte  das  Getreide,  buk  das  Brot,  trocknete 
Fleisch  in  der  Gebirgsluft,  bereitete  Käse,  fertigte  Salami  für  den 
Winter  bedarf.  Die  Viehhäute  gingen  in  die  größeren  Dörfer  zum 
Gerber  und  kamen  dann  zum  Bauern  zurück,  ein  Schuster  ging  von 
Haus  zu  Haus,  „auf  den  Stör",  d.  h.  machte  für  alt  und  jung  das 
Schuhwerk  aus  dem  dort  gelagerten  Rohstoff 

l)  Der  neue  Sammler,  ein  gemeinnütziges  Archiv  für  Bünden,  heraus- 
gegeben von  der  ökonomischen  Gesellschaft,  Chur  1805—1812,  Bd.  I,  S.  542, 
II,  S.  443,  III,  S.  47,  IV,  S.  140,  VII,  S.  199  u.  250. 


73]  A.Sartoriu8Frhr.v.  Waltershausen,  Die  Germanisierung  der  Rätoromanen  etc.  437 

Einige  Ware  wurde  von  auswärts  bezogen,  für  den  Hausbau  Nägel 
und  Schrauben,  das  Handwerkszeug,  Farbe,  Butzenscheiben,  Schlösser. 
Für  das  Gebiet  des  Innthales  kam  dergleichen  aus  Italien,  aus  Chur  für 
dasjenige  des  Rheines.  Ferner  wurden  aus  Tirol  das  Salz,  der  Wein 
aus  dem  Veltlin  eingeführt.  Reis,  Kastanien,  Tabak,  Branntwein,  Kaffee 
waren  für  die  Wohlhabenden  in  den  größeren  Thalorten  gelegentlich 
importierte  Luxusgüter,  welche  der  Süden  lieferte.  In  den  hochgelegenen 
Bergdörfern  lebte  man  viel  einfacher,  aber  da  man  hier  sich  über  der 
Getreidegrenze  befand,  war  man  genötigt,  das  Mehl  gegen  Butter,  Käse 
und  Wolle  umzusetzen. 

Die  Geldwirtschaft  war  erst  in  ihren  Anfängen  vorhanden.  Der 
Verkehr  vollzog  sich  überwiegend  noch  in  der  Form  des  Naturaltausches. 
Die  Unterengadiner  verhandelten  Butter  und  Käse  gegen  Veltliner  Eisen 
und  Getränke,  rohe  Schaffelle  gegen  Topf-  und  Glaswaren,  Gerste  und 
Roggen  gegen  Prättigauer  gedörrtes  Obst  und  Jungvieh,  Getreide 
gegen  Tiroler  Salz.  Die  Averser  brachten  Häute  und  Wolle  nach 
Cläfen  und  tauschten  dort  Wein  und  Metallwaren  dafür  ein,  die  Davoser 
und  Oberländer  trieben  einmal  im  Jahr  ihr  Vieh  auf  italienische  Märkte, 
um  im  Tausch  den  ganzen  Bedarf  an  fremden  Produkten  zu  decken. 
Hausierer  zogen  zur  Sommerszeit  durch  die  Dörfer,  um  Handwerks- 
zeug und  Schmucksachen  gegen  Lebensmittel  abzusetzen  *). 

Im  Verlaufe  unseres  Jahrhunderts  haben  sich  diese  Verhältnisse  nach 
und  nach  verändert,  in  wirklich  auffälliger  Weise  aber  doch  erst  in 
den  letzten  30  Jahren.  Die  geographische  Gestaltung  des  Landes,  der 
Mangel  an  schiffbaren  Strömen,  die  hohen  Bergketten,  welche  Thal 
von  Thal  trennen, *die  Schwierigkeit  des  Wegbaues  zwischen  oberer 
und  unterer  Thalsohle,  die  langen  Winter,  welche  die  Pässe  mit  Schnee 
bedecken  und  verschließen,  die  kurzen  Sommer,  welche  die  Dorfbewohner 
über  die  Alpen  zerstreuen,  die  Dörfer  veröden  lassen,  wenn  der  Ver- 
kehr von  außen  her  am  leichtesten  stattfinden  könnte,  dies  alles  war 
ein  Bollwerk  für  ein  äußerst  konservatives  Wirtschaften. 

Daß  die  geschilderten  Zustände  des  isolierten  Dorflebens  früherer 
Zeit  für  die  Erhaltung  alter  Sitten,  der  hergebrachten  Lebensanschauung, 
der  gewohnten  Sprache  in  hohem  Grade  günstig  waren,  ist  sehr  be- 
greiflich. Die  Bäuerinnen  und  die  Kinder  verließen  selten  oder  nie 
ihr  heimatliches  Dorf,  die  Männer,  wenn  auch  keineswegs  alle,  be- 
suchten wohl  jährlich  einmal  den  Markt  in  Chur,  Thusis,  Ilanz,  Cläfen, 
Lugano,  kehrten  aber  baldigst  heim,  ohne  einen  nachhaltigen  Eindruck 
von  der  fremden  Kultur  empfangen  zu  haben.  In  den  romanischen 
Landesteilen  fehlte  daher  im  allgemeinen  das  wirtschaftliche  Bedürfnis 
für  die  Erlernung  des  Deutschen.  Nur  diejenigen,  welche  im  Dienste 
des  Transitwesens  regelmäßig  nach  Thusis  und  Chur  kamen,  machten 
eine  Ausnahme  ebenso  wie  die,  welche  zeitweise  nach  Deutschland  aus- 
wanderten. 


l)  Der  neue  Sammler  a.  a.  0.,  I,  542;  Das  Engadin,  1837,  a.  a.  0., 
S.  107  u.  126.  Daselbst  auch  Näheres,  wie  im  Tauschverkehr  gerechnet  wurde. 
Ueber  den  geringen,  in  neuerer  Zeit  noch  bestehenden  Tauschhandel  vgl.  Volks- 
wirtschaftliches Blatt  für  den  Kanton  Graubönden,  1878,  Nr.  7,  1888,  Nr.  10. 


438  A.  Sartoriu8  Freiherr  v.  Waltershausen,  [74 

Die  wirtschaftlichen  Verhältnisse  haben  sich  nun  im  Verlauf  des 
19.  Jahrhunderts  in  der  Weise  verändert,  als  erstens  die  Eigenproduktion 
mehr  und  mehr  eingeschränkt  worden  ist,  was  zuerst  und  vor  allem 
in  den  Hauptthälern  und  größeren  Ortschaften  stattgefunden  hat,  und 
die  verkehrsmäßige  oder  Warenproduktion  an  ihre  Stelle  getreten  ist; 
als  zweitens,  was  damit  Hand  in  Hand  gegangen  ist,  der  Naturaltausch 
der  Geld  Wirtschaft  fast  ganz  gewichen  ist;  als  drittens  die  kapitalistische 
Betriebsweise  die  entscheidende  Form  des  Wirtschaftslebens  geworden  ist. 

Graubünden  besaß  im  vorigen  Jahrhundert  nur  eine  völlig  aus« 
gebaute  Straße,  die  für  jederlei  Gefährt  passierbar  war,  die  Reichs- 
straße, welche  von  Chur  aus  nördlich  zur  St.  Gallenschen-Lichtenstein- 
schen  Grenze  führte.  Die  sonstigen  vorhandenen  Thalstraßen  waren 
nur  mit  Wägelchen  befahrbar,  gingen  von  Dorf  zu  Dorf,  ohne  plan- 
mäßige Anlage  bergauf  und  bergab  und  wurden  nur  notdürftig  von 
den  Gemeinden  erhalten.  Die  Bergpässe  waren  im  Sommer  für  Saum- 
tiere gangbar,  im  Winter  auch  für  kleine  Fahrschlitten,  solange  es 
möglich  war  die  Schneemassen  zu  durchbrechen.  Heute  umfaßt  das 
bündnerische  Straßennetz  25  Chausseen,  an  die  sich  noch  eine  Anzahl 
Lokalstraßen  anschließt;  es  hat  eine  Länge  von  977  km,  rund  17  Millionen 
Baukosten  erfordert,  und  beansprucht  zur  Erhaltung  einen  jährlichen  Auf- 
wand von  450000  Frs.  *).  Die  Straßen  durchziehen  alle  bedeutenden  Thäler, 
verbinden  dieselben  vermittelst  der  Paßübergänge  und  haben  an  der 
Kantonsgrenze  Anschluß  an  die  wichtigen  Verkehrswege  der  anliegenden 
Staaten.  Ein  Blick  auf  die  Karte  zeigt  uns,  daß  die  beiden  Haupt- 
thäler  des  Landes  das  des  Inns  und  das  des  Rheins  sind.  In  dem 
ersteren  liegt  die  Engadinerstraße,  Silvaplana-Mttrtinsbruck ,  gebaut 
1846—1865,  an  die  sich  in  südwestlicher  Verlängerung  anschließt  die 
Route  von  Silvaplana  nach  Maloja  und  durch  das  Bergell  nach  Castasegna 
(d.  h.  ein  Teil  der  sogen,  oberen  Straße,  geb.  1820 — 1840).  Bei  letzterem 
Ort  ist  die  italienische  Grenze  auf  dem  Wege  nach  Chiavenna-Comersee 
erreicht,  bei  Martinsbruck  die  österreichische,  hinter  welcher  der  Ort 
Nauders,  an  der  Landeck-Meraner  Poststraße  liegt.  Der  Engadin  hat 
zwei  weitere  Zugänge  vom  Südosten:  die  Berninastraße,  Samaden- 
Campo  Cologno  (1864/65)  und  die  über  den  Ofenpaß  Zernetz-Münster 
(1871/72),  ferner  drei  Zugänge  vom  Nordwesten:  über  den  Julier  (obere 
Straße  1820—1840),  den  Albula  (1856-1865)  und  den  Flüela  (1867). 
Mehrere  am  Berghang  gelegene  Ortschaften  des  Unterengadins  haben 
Verbindung  mit  der  Hauptlinie  im  Thal,  durch  die  Guarda-  (1869),  Vul- 
pera-  (1862),  Tarasper-  (1873),  Fetaner-  (1865—1892),  Sentner-  (1865), 
Schieinser-  (1865)  und  Remüserstraße  (1866). 

An  den  Rhein  schließen  sich  folgende  Chausseen  an.  Die  alte 
Reichsstraße  von  Chur  stromabwärts  wurde  bereits  erwähnt,  als  Seiten- 
straße hat  sie  erstens  die  Prättigauer,  Landquart-Davos  (1843 — 1860)  mit 
Anschluß  zum  Flüela;  zweitens  die  Schanfigger,  Chur-Langwies  (1874  bis 
1876)  und  Langwies- Arosa  (1888—1891).  Von  Chur  stromaufwärts  führt 
die  Route  nach  Reichenau,  wo  Vorder-  und  Hinterrhein  zusammenfließen. 


!)  M.  Caviezel,   Daa  Engadin  a.  a.  O.,  S.  171—176.     Dieser  Quelle  sind 
auch  die  Baujahre  entnommen. 


75]  Die  Germanisierung  der  Rätoromanen  in  der  Schweiz.  439 

Im  Vorderrheingebiet  liegt  die  Oberländerstraße  Reichenau-Disentis  (1842 
bis  1855)  und  die  Oberalpstraße  Disentis-Oberalppaß  (1880/1881).  Seiten- 
resp.  Anschlußwege  sind  die  von  Bonaduz-Versam  nach  Ilanz  führende 
(1880/1881)  nebst  die  im  Safierthal  (1882—1885),  ferner  die  Lugnetzer- 
straße  Ilanz- Vals  (1872 — 1879)  und  Lukmanierstraße,  Ilanz-Paßhöhe  des 
Lukmaniers  (1877),  welche  nach  Bellinzona  im  Kanton  Tessin  hinüber- 
führt. In  das  Gebiet  des  Hinterrheins  gehören  die  Verbindungen  Reichenau- 
Thusis-Schamserthal-Splügen ,  von  wo  Anschluß  nach  Chiavenna  und 
Splügen-Bernhardin-Val  Mesocco,  also  bis  zur  Grenze  des  Kantons  Tessin 
(1818  —  1840).  Von  letzterer  Hauptlinie  bei  Roffla  zweigt  die  Averser- 
straße (1891  begonnen)  von  Grono  die  Straße  in  das  Calancathal  ab; 
Thusis  und  Tiefenkastell  verbindet  die  Schynstraße  (1869).  Von  dem 
letzteren  Ort  gehen  aus:  1.  die  Julierstraße  durch  das  Oberhalbstein  (s.  o.), 
2.  die  Albulastraße  via  Lenz-Bergün  (s.  o.),  3.  die  alte  Route  nach  Chur 
über  die  Lenzerheide  (1820  begonnen),  4.  die  Straße  nach  Davos  via 
Alveneu  (1871—1873). 

Mit  Eisenbahnen  ist  Graubünden  bisher  noch  schlecht  versorgt. 
Es  ist  seit  1857  die  Strecke  Chur -St.  Galler  Grenze  im  Betrieb,  die 
allerdings  äußerst  wichtig  geworden  ist,  da  sie  die  Verbindung  mit 
dem  Bodensee  im  Norden,  mit  Zürich  im  Westen,  mit  Oesterreich  (Arl- 
berg)  im  Osten  vermittelt  hat.  Mit  der  rätischen  Bahn  kann  sowohl 
Davos  von  Landquart  (seit  1889)  aus,  als  auch  Thusis  von  Chur  aus 
erreicht  werden  (seit  1897).  In  den  nächsten  Jahren  werden  zwei 
neue  Routen  entstehen,  die  eine  wird  von  Thusis  durch  das  Albulathal 
nach  Bevers  im  Oberengadin,  die  zweite  von  Bonaduz  ins  Vorderrhein- 
thal nach  Ilanz  und  Disentis  geführt  werden.  Wenn  die  Engadiner 
Linie  über  Maloja  in  das  Bergell  verlängert  sein  wird,  wird  Grau- 
bünden eine  Alpenbahn  besitzen,  zu  welcher  auch  der  Splügen  und 
der  Lukmanier  früher  ins  Auge  gefaßt  worden  sind,  bis  der  Bau  der 
Gotthardbahn  diese  Pläne  vereitelte. 

Der  Transport-  und  Nachrichtenverkehr  auf  den  genannten  Wegen 
hat  eine  bedeutende  Förderung  erfahren,  erstens  durch  das  anerkannt 
vorzügliche  eidgenössische  Post-  und  Telegraphenwesens,  und  zweitens 
durch  das  in  Pferden  und  Fuhrwerken  angelegte  Kapital  der  Privaten. 
Die  Graubündner  Kutscher  genießen  einen  über  ihr  Land  hinausgehenden 
Ruf  und  werden  als  Spezialisten  für  Alpenstraßen  auch  in  anderen 
Kantonen  gesucht. 

Das  Bündner  Verkehrsstraßennetz  hat  viele  der  isolierten  Privat- 
wirtschaften und  Gruppen  solcher  im  Lande  in  die  Lage  versetzt,  eine 
enge  geschäftliche  Verbindung  untereinander  einzugehen,  und  zugleich 
mit  dem  Auslande  und  der  übrigen  Schweiz  Beziehungen  anzuknüpfen, 
die  früher  undenkbar  gewesen  wären.  Der  uns  dabei  hier  besonders 
interessierende  Punkt  ist  der,  ob  die  Nationalitäten  dadurch  eine  Ver- 
änderung in  ihrer  Zusammensetzung  und  ihren  Kräften  erfahren  haben, 
genauer  ob  das  Romanentum  geschwächt  worden  ist,  das  Deutschtum 
und  Italienertum  gewonnen  haben,  und  welches  von  diesen  beiden  im 
stärkeren  Maße? 

Im  ersten  Viertel  unseres  Jahrhunderts  wurde  das  Wirtschafts- 
leben der  Romanen  im  Innern  Graubündens  durch  fremde  Länder  be- 


440  A.  Sartorius  Freiherr  v.  Waltershausen,  [76 

rührt:  1.  bei  dem  oben  erwähnten  quantitativ  wenig  bedeutenden 
Handel  zur  Ergänzung  der  Eigenproduktion,  2.  durch  den  Transitver- 
kehr über  den  Splügen,  Bernhardin,  Fluela,  Bernina  und  Septimer. 

Das  Mesocco-  und  Calancathal  waren,  um  mit  dem  ersten  Punkt 
zu  beginnen,  wie  auch  heute  von  dem  Thalmarkte  Bellinzona  abhängig, 
also  von  einem  italienisch  sprechenden  Orte,  das  Engadin,  das  Pusch- 
lav,  das  obere  Prättigau  hatten  den  Hauptviehmarkt1)  in  dem  damals 
österreichischen  Tirano,  wo  die  Verkehrssprache  ebenfalls  italienisch 
war,  das  Avers,  das  Bergeil,  das  Oberhalbstein  mit  seinem  Septimerweg 
handelten  ganz  nach  Chiavenna  hin,  ja  selbst  die  Schamser  und  Ober- 
länder Bauern  bis  Flims  hinunter  verkauften  ihr  Vieh  auf  Märkten 
italienischer  Zunge,  namentlich  in  Lugano.  Der  Verkaufsmarkt  war 
für  sie  auch  ein  Einkaufsmarkt.  Der  Transitverkehr  über  die  Bündner 
Pässe,  der  im  17.  Jahrhundert  den  Warentransport  von  dem  westlich 
von  Lindau  gelegenen  Deutschland  und  von  Holland  nach  Mailand,  Genua 
und  selbst  nach  Venedig  besorgte,  litt  schon  im  18.  unter  der  Konkurrenz 
des  Brenners  und  des  Gotthards,  welche  beiden  Pässe,  im  19.  Jahrhundert 
mit  Eisenbahnen  versehen,  ihn  auf  ein  Minimum  zurückgeführt  haben. 
Es  verdienten  an  ihm  die  Säumer  vom  Domleschg  und  Schamserthal, 
welche  infolge  ihres  Gewerbes  deutsch  und  italienisch  verstehen  mußten ; 
bei  dem  Verkehr  mit  Veltliner  Wein  die  Davoser  und  Engadiner, 
welche  ihre  Saumtiere  über  den  Bernina-,  Fluela-  und  Scalettapaß 
trieben. 

Das  Samnaun,  die  östlichen  Orte  des  Unterengadins,  das  Münster- 
thal hatten  schon  damals  mancherlei  Beziehungen  zu  Tirol,  und  Pfunds, 
Nauders  und  Mals  waren  für  die  genannten  Thäler  wichtige  Märkte, 
deren  Zugang  allerdings  durch  das  österreichische  Zollwesen  schon 
damals  erschwert  wurde.  Die  nördlichen  Teile  Graubündens,  die  Be- 
zirke Ober-  und  Unterlandquart,  Plessur,  Imboden  und  Heinzenberg 
lebten  in  wirtschaftlichen  Beziehungen  zu  der  Hauptstadt  und  durch  die 
Vermittelung  derselben  zu  der  deutschen  Ostschweiz  und  zu  Deutschland. 

Durch  den  Straßenbau  und  weiterhin  durch  den  Eisenbahnbau  hat 
sich  der  wirtschaftliche  Verkehr  in  den  drei  Zonen  unter  italienischem, 
österreichischem  und  deutsch-schweizerischem  Einfluß  quantitativ 
außerordentlich  gehoben ,  jedoch  in  den  beiden  letzteren  in  relativ 
stärkerem  Maße.  Die  Waren  konnten  jetzt  weit  billiger  als  früher 
transportiert  werden,  wodurch  einerseits  fremde  Produkte  im  Lande  zu 
geringerem  Preise  zu  haben  waren,  andererseits  die  Landeserzeugnisse 
weiterhin  nutzbringend  zu  verschicken  waren.  Daß  der  Verkehr  mit 
dem  nördlich  gelegenen  Gebiete  einem  besonderen  Aufschwünge  ent- 
gegeneilte, erklärt  sich  erstens  daraus,  daß  die  industrielle  Entwickelung 
in  der  deutschen  Schweiz  und  in  Deutschland  so  rasch  fortgeschritten 
ist,  zweitens  dadurch,  daß  die  einzigen  Eisenbahnen  des  Landes 
ihr  Vorschub  geleistet  haben.  Zu  Gunsten  der  Verbindung  mit  der 
deutschen  Ostschweiz  ist  auch  auf  das  Zollwesen  hinzuweisen.  Die 
Eidgenossenschaft  ist  ein  einheitliches  Zollgebiet,  das  die  eigene  Pro- 
duktion  bevorzugt    und   deren  Absatz   im  Inlande   zu  fördern  bestrebt 


')  Das  Engadin  a.  a.  0.,  S.  121. 


77]  Die  Germanisierang  der  Rätoromanen  in  der  Schweiz.  441 

ist.  Diese  Tendenz  trat  in  den  fünfziger  und  sechziger  Jahren  weniger 
hervor  als  in  den  letzten  zwei  Dekaden  des  19.  Jahrhunderts,  in  welchen 
die  die  Schweiz  umgebenden  Großstaaten,  unter  sich  in  scharfer  Kon- 
kurrenz befangen,  dem  Schutzzollsystem  sich  in  verstärkter  Weise  zu- 
wandten und  jene  in  dieselben  Bahnen  drängten.  Dieselben  Ursachen, 
welche  es  bewirkt  haben,  daß  die  Verkehrssteigerung  von  Norden  aus 
diejenige  von  Süden  her  überwogen  hat,  haben  es  nun  auch  mit  sich 
gebracht,  daß  sich  die  Yerkehrszonen  selbst  verschoben  haben.  Die 
Einfuhr  nach  und  die  Ausfuhr  von  Italien  besteht  im  Süden  Grau- 
bündens  ja  auch  heute  noch  fort,  namentlich  wird  das  Bergell,  das 
im  Süden  nur  an  Italien  sich  anschließt,  bezüglich  der  Lebensmittel 
davon  berührt,  das  Mesocco-  und  das  Calancathal  hingegen  sind  in  eine 
gewisse  Abhängigkeit  von  der  Gotthardbahn  geraten,  die  zwar  die  Be- 
ziehungen nach  Italien  auch  erleichtert,  aber  diejenigen  zu  der  Nord- 
schweiz eigentlich  erst  ermöglicht  hat.  Der  Markt  für  den  Bezirk 
Moesa  ist  wie  früher  auch  Bellinzona,  aber  hier,  wenn  wir  Wein,  Oel, 
Eonserven  und  einige  andere  Lebens-  und  Genußmittel  ausnehmen, 
beziehen  die  meisten  Kaufleute  ihre  Ware  aus  dem  Norden  und  ger- 
manisieren den  Konsum.  Das  Puschlav,  früher  wirtschaftlich  nicht 
viel  mehr  als  ein  Annex  zum  Veltelin,  kauft  heute  auch  von  Chur  und 
der  deutschen  Schweiz  Eisenwaren  und  Kleidung,  die  entweder  unter 
Zollverschluß  per  Gotthard-  und  Veltelinerbahn  oder  über  Davos,  Fluela- 
und  Berninapaß  geschickt  werden.  Nach  Eröffnung  der  Bahn  durch 
das  Albulathal  werden  diese  Verkehrsbeziehungen  noch  verbessert  und 
Italien  wird  noch  mehr  zurückgedrängt  sein. 

Wenn  so  die  südlichen  Alpenthäler  schon  zu  einer  Konkurrenz- 
zone geworden  sind,  in  der  sich  die  Waren  aus  dem  Norden  und  dem 
Süden  begegnen,  so  muß  der  Einfluß  des  ersteren  in  dem  Centrum 
Graubündens  noch  unvergleichlich  mehr  hervortreten.  Seitdem  die  Bahn 
bis  Thusis  vollendet  worden  ist,  ist  das  Albulathal  und  Schamser- 
thal ganz,  das  Oberhalbstein  und  Avers  und  das  Engadin  zum 
größten  Teil  dem  südlichen  Warenzug  entfremdet  worden.  Tiefen- 
kastell liegt  in  der  deutschen  Zone,  da  nur  der  kurze  und  nicht  hohe 
Schynpaß  den  Ort  von  Thusis  trennt,  auch  die  beiden  Straßen  von 
Chur  und  Davos  das  ihrige  beitragen.  Das  obere  Albulathal  und  die 
hoch  über  ihm  liegenden  Orte  wie  Lenz,  Obervatz,  Alvaschein  sind 
bezüglich  ihres  Verkehrs  ebenso  zu  beurteilen.  Das  Schamserthal  ist 
durch  den  Markt  und  die  Handlungshäuser  von  Thusis  dem  Einfluß 
von  Chiavenna  gänzlich  entrückt  worden,  und  mit  dem  Avers  wird  es 
bald  dasselbe  sein.  Das  Mehl  beziehen  die  Leute  von  Cresta  z.  B.  heute 
schon  mehr  aus  Thusis,  wo  auch  das  Vieh  verkauft  wird,  als  aus 
Chiavenna,  von  wo  es  früher  allein  kam,  und  die  Industrieprodukte 
werden  nur  noch  ausnahmsweise  aus  Italien  genommen.  Das  Ober- 
halbstein ist  in  seinem  unteren  Teil  »unter  dem  Wald",  d.h.  ungefähr 
bis  Tinzen,  also  einschließlich  der  Orte  Conters  und  Schweiningen,  in 
der  nördlichen  Warenzone  gelegen;  es  wird  nicht  mehr  wie  ehedem 
italienisches,  sondern  österreichisches  Mehl  konsumiert,  das  via  Arl- 
berg  bis  Thusis  mit  der  Bahn  transportiert  wird.  Italienischer  Wein 
kommt  noch  überwiegend   über   den  Maloja;   falls  die  Bahn  über  den 


442  A.  Sartoriu8  Freiherr  v.  Waltershausen,  [78 

Schyn  vollendet  sein  wird,  wird  es  billiger  sein  ihn  über  den  Gotthard 
und  die  deutsche  Schweiz  zu  spedieren,  und  Gastwirte  und  Bauern  des 
Thaies  werden  dann  auch  durch  Churer,  Thusiser,  Züricher  Weingroß- 
handlungen ihren  Bedarf  decken  lassen.  Das  Oberhalbstein  ob  dem 
Wald,  namentlich  in  seinen  dem  Bergell  nahe  gelegenen  Orten  Bivio 
und  Marmorea,  ist  zur  Zeit  (1898)  noch  geschäftlich  mehrfach  mit 
Chiavenna  verbunden.  Italienische  Scheidemünze  läuft  hier  ziemlich 
viel  um,  welche,  obgleich  unterwertig  gegenüber  der  schweizerischen, 
doch  genommen  wird,  weil  sie  auf  dem  südlichen  Markte  zur  Ver- 
wendung zu  bringen  ist.  Zwischen  dem  unterhalb  der  genannten  Orte 
liegenden  Mühlen  (Molins)  und  dem  Bergell  verkehrt  zum  Warenhandel 
wöchentlich  ein  Fourgon  von  fünf  Pferden  gezogen.  Aber  auch  hier 
ist  der  Handel  mit  der  deutschen  Schweiz  in  der  Zunahme  begriffen. 
Bis  Castasegna  im  Bergell  hinunter  gehen  Werkzeuge,  Hausgeräte, 
Kleidung  und  Möbel,  während  Wein,  Oel,  Getreide,  Gemüse,  Konserven 
aus  Chiavenna  und  Mailand  über  die  Grenze  gehen  und  bis  Maloja  hinauf 
verkauft  werden. 

Betrachten  wir  nun  das  Engadin.  Ehe  der  Chausseebau  existierte, 
war  es  ein  von  der  Welt  ziemlich  abgeschlossenes  Thal,  das  in  seinem 
östlichen  untersten  Teil  mit  Davos  und  Tirol  eine  lose  Handelsver- 
bindung unterhielt  und  im  oberen  westlichen  mit  dem  Bergell  und 
Veltelin  dürftige  Fühlung  hatte.  Gegenwärtig  haben  die  drei  vom 
Norden  kommenden  Alpenstraßen,  über  den  Julier,  Albula  und  Fluela 
vielfache  und  regelmäßige  Beziehungen  zu  Chur  resp.  Thusis  geschaffen, 
welche  quantitativ,  d.  h.  in  Bezug  auf  den  Verkehr  der  Reisenden  und 
mit  Waren,  denjenigen  von  Nauders  her,  den  aus  dem  Bergell  und 
Puschlav  bedeutend  übertreffen.  Gemüse  und  Obst,  besonders  für  die 
Fremdensaison,  auch  Fleisch,  weniger  schon  den  Wein  liefert  der  Handel 
über  den  Maloja-  und  Berninapaß,  auch  hat  der  Viehmarkt  in  Tirano 
immer  noch  seine  Bedeutung  für  die  Engadiner  Bauern,  und  es  hat 
auch  die  Gotthardbahn  durch  die  Anschlußroute  Chiasso-Lecco-Chiavenna 
das  Transportgeschäft  im  Bergell,  z.  B.  durch  die  Versendung  deutscher 
Steinkohlen,  um  einiges  gehoben,  aber  alles  dies  tritt  zurück  gegenüber 
der  Ueberlegenheit  der  nördlichen  Wirtschaftsgebiete,  welche  durch 
die  genannten  Alpenstraßen  und  die  rätische  Bahn  im  Engadin  sich 
geltend  macht.  Das  meiste  von  dem,  was  die  Fremdenindustrie  ver- 
langt, mancherlei  Lebensmittel,  wie  feineres  Fleisch,  Wild,  Geflügel, 
Fische,  Kolonialwaren,  Getränke,  Tabak,  Höteleinrichtung,  Fuhrwerke, 
ferner  die  vielerlei  Materialien  zum  Hausbau,  das  Mobiliar,  Konfektion 
und  Luxusgüter  stammt  aus  der  deutschen  Schweiz  und  Deutschland, 
einiges  auch  aus  Oesterreich,  von  wo  es  die  Arlbergbahn  nach  Chur 
gebracht  hat.  In  Martinsbruck  geht  nur  wenig  ein,  etwas  Tiroler 
Wein  und  Tiroler  Früchte,  Industrieware  aber  fast  gar  nicht.  Churer 
Ware  dieser  Art  geht  sogar  über  den  Ofenpaß  in  das  Münsterthal  und 
in  das  Puschlav  über  den  Bernina.  Die  künftige  Bahn  von  Thusis 
nach  Bevers  wird  diesen  Handel  noch  verstärken,  und  wenn  die  Linie 
später  über  Maloja  nach  Chiavenna  fortgesetzt  werden  wird,  so  wird 
auch  Italien  als  Exportland  davon  seinen  Vorteil  haben,  aber  es  ist  frag- 
lich,  ob   es  der  industriellen  Kraft  des  Nordens  gewachsen  sein  wird. 


79]  Die  Germanisier ung  der  Rätoromanen  in  der  Schweiz.  443 

Noch  andere  Wirkungen  der  weltwirtschaftlichen  Entwickelung 
unserer  Zeit  lassen  sich  bis  in  das  Quellgebiet  des  Inns  verfolgen,  wenn 
sie  auch  weniger  deutlich  hervortreten  als  die  bisher  genannten.  Die  Ber- 
gamasker  Schafherden  z.  B.  mit  ihren  italienischen  Hirten,  welche  im 
Sommer  kommen  um  die  Engadiner  Hochalpen  abzuweiden  und  im  Herbst 
nach  Italien  zurückkehren,  nehmen  sichtlich  an  Zahl  und  Umfang  ab.  Der 
Import  überseeischer  Wolle  hat  den  Norditalienern  die  Schafzucht 
weniger  rentabel  gemacht,  und  der  hohe  Zoll  Frankreichs,  in  welchem 
Lande  früher  ein  großer  Teil  norditalienischer  Wolle  verkauft  wurde, 
hat  in  gleicher  Richtung  gewirkt.  Wie  der  Rückgang  der  Eigen- 
produktion des  Bündner  Tuches,  um  noch  eine  weitere  Wirkung  her- 
vorzuheben, durch  den  heute  auf  dem  Weltmarkt  bestimmten  Woll- 
preis berührt  worden  ist,  wird  noch  gezeigt  werden.  Den  Vorteil  der 
Veränderung  werden  sich  allein  die  Churer  Händler  des  in  Fabriken 
hergestellten  Tuches  und  ihre  Lieferanten  berechnen  können. 

Auch  das  Bündner  Oberland  ist  durch  den  Straßen-  und  Eisen- 
bahnbau dem  Einfluß  des  deutsch- schweizerischen  Wirtschaftsleben 
unterworfen  worden,  allerdings  nicht  in  der  Weise,  als  man  nach  der 
guten  Ausgestaltung  des  oberländischen  Verkehrsnetzes  erwarten  sollte. 
Der  Einfluß  von  Chur  ist  natürlich  unverkennbar  und  wird  selbstver- 
ständlich noch  stärker  werden,  wenn  die  Eisenbahn  bis  Ilanz  und 
Disentis  in  Betrieb  gesetzt  sein  wird.  Die  Oberalpstraße  hingegen, 
welche  die  Verbindung  mit  Uri  und  dem  Tessin  herstellt  und  an  die 
Gotthardbahn  bei  Göschenen  einen  Anschluß  findet,  hat  heute  eine 
geringere  Bedeutung  als  vor  der  Erstellung  der  Gotthardbahn.  Die 
Reisenden,  welche  vom  Engadin,  Chur,  Thusis,  Ragaz  aus  Orte  nörd- 
lich und  südlich  des  Gotthards  besuchen  wollen,  fahren  heute  billiger 
und  schneller  über  Arth  und  Luzern  mit  der  Bahn  als  auf  dem  langen 
Wege  durch  das  Vorderrheinthal.  Noch  mehr  hat  die  Lukmanierroute 
durch  die  Konkurrenz  der  Gotthardlinie  gelitten.  Sie  vermittelte  früher 
einen  lebhaften  Verkehr  der  Ostschweiz  mit  Bellinzona  und  Lugano 
über  den  nur  1917  m  hohen  Paß,  während  der  Splügen  mit  der  Höhe 
von  2117,  der  Bernhardin  mit  2063,  der  St.  Gotthard  mit  2114  m  ihr 
gegenüberstanden.  Mit  dem  Bau  der  Thalbahn  bis  Disentis  hat  der 
Lukmanier  wiederum  mehr  Chancen  des  Gedeihens;  die  Oberalpstraße 
wird  aber  auch  dann,  wie  heute,  nur  einem  beschränkten  Lokalverkehr 
dienen,  vielleicht  jedoch  dem  Touristenverkehr  etwas  mehr  als  heute 
wert  sein. 

Aus  den  bisherigen  Ausführungen  ergeben  sich  für  die  Ver- 
schiebung der  nationalen  Kräfte  in  Graubünden  einige  Schlußfolgerungen. 
Die  Verkehrsinteressen  des  ganzen  Landes  sind  mit  dem  Deutschtum 
aufs  engste  verknüpft  worden  und  mit  Italien  im  Nachlassen  begriffen. 
Zum  Bezug  der  meisten  Waren,  die  gebraucht  werden,  zu  Zahlungen, 
zu  Anfragen  u.  s.  w.  ist  die  Korrespondenz  in  deutscher  Sprache  er- 
forderlich und  üblich,  die  auch  wohl  die  meisten  romanischen  Geschäfts- 
leute sich  bald  anzueignen  wissen.  Zahlreiche  Geschäftsreisende,  von 
denen  nur  ein  geringer  Teil  die  romanische  Sprache  beherrscht,  kommen 
jährlich  vom  Norden  her,  um  Aufträge  für  den  Ortsbedarf  und  die 
Fremdenindustrie  zu  suchen. 


444  A.  Sartorius  Freiherr  v.  Waltershausen,  [80 

Im  Vorderrheinthal  tritt  im  Vergleich  zum  Engadin,  Albula-  und 
Schamserthal,  dem  Oberhalbstein  der  das  Deutsche  beanspruchende 
Verkehr  wesentlich  zurück,  und  hier  ist  die  Hochburg  des  Romanentums. 

Ein  wichtiges,  das  Deutschtum  förderndes  Ergebnis  des  Baues 
der  Straßen  und  Bahnen  ist  das  Entstehen  und  der  Aufschwung  der 
Fremdenindustrie.  Dieselbe  setzt  aber  bedeutende  Wirtschaftsmittel 
voraus,  die  erst  geschaffen  werden  mußten.  Das  Kapital  tritt  zuerst 
in  den  größeren  Ortschaften  als  Geldsumme  auf,  die  eine  feste  Ver- 
zinsung oder  einen  Gewinn  beanspruchte,  früh  auch  schon  im  Berg- 
bau, der  im  16.  Jahrhundert  seinen  Höhepunkt  in  Bünden  erreicht  hat. 
Größeren  Umfang  hat  das  Kapital  erst  im  vorigen  Jahrhundert  ange- 
nommen, als  die  Offiziere  und  Soldaten,  die  im  Auslande  gedient  hatten, 
die  Ersparnisse  ihres  Soldes  und  ihre  Renten  der  heimischen  Volks- 
wirtschaft zuführten,  und  vor  allem  als  die  gewerbliche  und  kommerzielle 
Auswanderung  groß  wurde,  derzufolge  nicht  unbedeutenden  Summen 
in  das  Land  strömten.  Der  Erwerb  der  Bündner  im  Ausland  dauert 
in  der  Gegenwart  noch  fort  und  man  geht  gewiß  nicht  fehl,  wenn 
man  annimmt,  daß  die  meisten  Kapitalien,  welche  im  Oberengadin  zum 
Bau  und  zum  Betrieb  der  Fremdenhötels  verwendet  worden  sind,  ihm 
entstammen.  Auch  das  Bergell,  das  Unterengadin ,  das  Münsterthal, 
das  Prättigau  und  Davos  sind  durch  den  Verdienst  im  Auslande  kapital- 
kräftig geworden.  Die  Fremdenindustrie  des  Kantons  beruht  ganz 
überwiegend  auf  Mitteln  seiner  Einwohner. 

Dies  Gewerbe  eine  Industrie  zu  nennen,  ist  eigentlich  nicht  ganz 
zutreffend,  da  bei  ihm  weit  weniger  Verarbeitung  als  Verkauf  von 
Waren  und  Nutzungen  das  ökonomisch  Entscheidende  ist.  Der  Betrieb 
ist  fast  allgemein  ein  kapitalistischer.  Nur  selten  noch  nimmt  ein 
Bauer  im  Dorfe  oder  der  Geistliche  den  Reisenden  auf,  oder  schenkt 
ihm  ein  Glas  Wein  aus,  um  das  Verdiente  in  seinem  Haushalt  als  an- 
genehme Zugabe  bei  der  häuslichen  Bedürfnisbefriedigung  zu  verwenden. 
In  kleinen  Ortschaften  ist  das  Gasthausgewerbe  auch  noch  bisweilen  ein 
Nebenbetrieb  des  Kaufmannes  oder  des  Bauern.  In  der  Regel  aber 
findet  der  Fremde  ein  Hotel  vor,  das  mit  seiner  ganzen  inneren  Ein- 
richtung, mit  Stallung,  Wagen,  Pferden,  Barmitteln,  ein  Kapital  ist, 
das  in  der  Saison  Profit  und  Abschreibung  aufbringen  soll.  Die  großen 
Gasthöfe  in  Pontresina,  Samaden,  St.  Moritz,  Davos  u.  s.  w.  sind  Aktien- 
gesellschaften, deren  Anteilhaber  die  Bündner  selbst  sind,  andere  Unter- 
nehmungen gehören  verzweigten  Familien,  die  meisten  kleineren  Be- 
triebe sind  im  Besitze  einzelner  Personen.  Die  Geschäfte  sind  im 
allgemeinen  gut  geleitet,  da  der  Bündner  mit  seinem  kaufmännischen 
Sinne  ein  tüchtiger  Hotelier  ist.  Das  Gewerbe  ist  geachtet,  wie  etwa 
in  den  Seestädten  das  des  Großkaufmanns  oder  in  Manchester  das  des 
Industriellen.  In  den  hochgelegenen  Kurorten,  Sommerfrischen,  Berg- 
steigerquartieren ist  durch  die  Witterung  ein  hohes  geschäftliches 
Risiko  gegeben,  so  im  Engadin,  von  dem  man  sagt,  daß  es  dort  im 
Jahre  acht  Monate  Winter  und  vier  Monate  kalt  sei.  Seit  einigen 
Jahren  hat  die  Wintersaison  in  St.*  Moritz  größeren  Umfang  ange- 
nommen, der  in  Davos  schon  seit  längerer  Zeit  bestand. 

Der  Aufschwung  der   Graubündner   Fremdenindustrie   ist   erst  in 


gl]  Die  Germanisierung  der  Rätoromanen  in  der  Schweiz.  445 

den  letzten  30  Jahren  ein  konstanter  und  großer  geworden1).  Die 
Wirkungen  derselben  für  die  Germanisierung  konnten  daher  auch  erst 
in  neuerer  Zeit  beobachtet  werden,  und  werden  sich  in  ihrer  vollen 
Bedeutung  erst  in  Zukunft  übersehen  lassen  2). 

Die  Kurgäste,  Sommerfrischler,  Touristen,  welche  Graubünden 
aufsuchen,  gehören  verschiedenen  Völkern  an.  Am  meisten  international 
gemischt  sind  die  großen  Kurorte  St.  Moritz,  Tarasp,  Davos.  Im  übrigen 
machen  Reichsdeutsche  und  Deutschschweizer  das  Hauptkontingent  aus. 
Die  Engländer  und  Amerikaner,  welche  der  Zahl  nach  an  zweiter  Stelle, 
wenn  auch  in  bedeutendem  Abstände,  folgen,  haben  ihre  besonderen 
Gegenden,  in  denen  sie  sich  mit  Vorliebe  aufhalten.  Die  Franzosen 
treten  in  der  Ostschweiz  sehr  zurück.  Die  Oesterreicher  werden  durch 
das  Gebirge  im  eigenen  Lande  in  Anspruch  genommen,  auch  die  Italiener 
haben  ihre  eigenen  Alpen,  denen  sie  sich  mit  Vorliebe  zuwenden,  doch 
wird  das  Bergell  bis  Maloja  von  ihnen  geschätzt,  im  übrigen  Grau- 
bünden sind  sie  selten0). 

Für  alle  diejenigen,  welche  sich  an  der  Fremdenindustrie  unmittel- 
bar beteiligen  als  Wirte,  Kellner,  Portiers,  Hausknechte,  Zimmermädchen, 
Geschäftsführer,  Bureaubedienstete,  Bergführer,  Träger,  Kutscher,  ist 
die  romanische  Sprache  im  Verkehr  mit  den  Fremden  unbrauchbar. 
Das  Italienische  ist  ebenfalls  ohne  viel  Wert  zu  diesem  Zwecke,  da 
die  Reisenden  aus  Italien  denen  gegenüber  aus  anderen  Ländern  recht 
zurücktreten.  Englisch  und  Französisch  zu  erlernen,  ist  nur  einer  geringen 
Anzahl  nützlich,  welche  in  den  ganz  großen  Hotels  Stellung  finden.  Es 
bleibt  also  als  eigentliche  Verkehrssprache  das  Deutsche,  zu  dessen 
Erlernung  sich  den  Romanen  vielfache  Gelegenheit  in  Schule,  Kirche 
und  im  politischen  Leben  bietet. 

Der  Fremdenverkehr  hat  ferner  die  Folge  gehabt,  daß  eine  Zu- 
wanderung von  deutsch  sprechenden  Handwerkern,  Kleinkauf leuten, 
Hötelangestellten  Jahr  für  Jahr  oder  auch  für  dauernd  stattgefunden 
hat.  So  wird  die  Ortsbevölkerung  national  anders  zusammengesetzt, 
wodurch  wieder  die  deutsche  Verkehrssprache  begünstigt  wird. 


*)  Gustav  Peyer,  Geschichte  des  Reisens  in  der  Schweiz,  Basel  1885; 
Das  Engadin,  1837,  a.  a.  0.  Caviezel  a.  a.  0.,  Kapitel  XII— XIV;  K.  Ba- 
de ker,  Die  Schweiz,  ein  Handbuch  für  Reisende,  1852,  1873,  1895.  Derselbe 
kennt  1852  in  Graubunden  68  Wirtshauser  und  Hotels,  davon  hatte  Davos  Platz 
ein  Wirtshaus,  ebenso  Davos  Dörfli,  Klosters,  St.  Moritz  Dorf,  St.  Moritz  Bad 
(das  Kurhaus  von  1832),  Pontresina  besaß  2  Gasthäuser;  1873  war  die  Ziffer  auf 
163  Hotels,  Restaurationen,  Caf£s,  Pensionen  angewachsen.  1895  kennt  das  Hand- 
buch 382  Hotels,  Pensionen,  Kurhäuser,  Wirtschaften,  Cafös,  Fremdenvillen.  Der 
Jahresbericht  des  Schweizer  Handels-  und  Industrievereins  von  1894  giebt  für  den 
Kanton  248  Fremdenhötels  und  14370  Betten  an. 

2)  Das  Bäder-  und  Heilquellen wesen  spielte  bereits  im  18.  Jahrhundert  eine 
bescheidene  Rolle  im  Wirtschaftsleben  Graubündens,  vgl.  J.  A.  Sprecher,  Ge- 
schichte der  Republik  der  drei  Bünde  im  18.  Jahrhundert,  II,  S.  10  ff.  u.  207  ff.  — 
Die  Bergtouristik  im  eigentlichen  Sinne  beginnt  etwa  um  1860,  vgl.  Caviezel, 
Das  Engadin,  Kap.  XIV. 

3)  Die  Hotelgäste  der  Schweiz  verteilten  sich  1897  der  Nationalität  nach: 
Deutsche  und  Schweizer  52,1%,  Engländer  und  Amerikaner  24,6  °/o»  Franzosen 
11,1  °/o,  Italiener  2,1  °/o,  übrige  9,4 °/o.  Zeitschrift  für  Sozialwissenschaft,  1898, 
S.  924. 

Forschungen  zur  deutschen  Landes-  und  Volkskunde.    XII.    5.  30 


446  A.  Sartoriu8  Freiherr  v.  Waltershausen,  [82 

Außerdem  wird  der  Handelsverkehr,  der  Einkauf  von  Lebens- 
mitteln ,  die  Beschaffung  von  Gasthauseinrichtung  u.  s.  w.  durch  den 
Fremdenzuzug  mit  seinen  großen  und  vielseitigen  Ansprüchen  gehoben, 
und  da  hauptsächlich  Lieferanten  in  deutsch  redenden  Gebieten  in  Be- 
tracht kommen,  so  muß  auch  dies  der  Hebung  im  Deutschen  zu  gute 
kommen.  Deutsche  Zeitungen  aus  Chur,  Zürich,  aus  dem  Reich  werden 
über  das  ganze  Land  verbreitet  und  manches  Stück  deutscher  Litteratur 
schließt  sich  ihnen  an.  Endlich  werden  die  gesamten  Verkehrsver- 
hältnisse besser,  die  Geldwirtschaft  verdrängt  die  Naturaltauschwirt- 
schaft  gänzlich,  das  Post-,  Telegraphen-,  Telephon-  und  Fuhrwesen 
wird  intensiver  gestaltet.  Dadurch  verwächst  Graubünden  immer  mehr 
mit  der  übrigen  schweizerischen  Volkswirtschaft,  welche,  da  sie  über- 
wiegend eine  deutsche  Bevölkerung  hat,  ihr  deutsches  Wesen  unmerkbar 
durch  Tausende  von  Kanälen  den  romanischen  Dörfern  zuführt. 

Es  wurde  oben  der  Zustand  der  Eigenproduktion  bezüglich  der 
Kleidung  erwähnt,  welcher  im  vorigen  Jahrhundert  in  den  Dörfern 
Graubündens  ganz  allgemein  bestand.  Auch  heute  ist  er  dort  noch 
zu  finden,  wo  der  moderne  Verkehr  nicht  recht  eindringen  konnte. 
Wir  können  ihn  in  deutschen  und  romanischen  Gegenden  beobachten  und 
in  den  letzteren  liegt  die  Sache  im  allgemeinnn  so,  daß  dort,  wo  er  noch 
klar  und  deutlich  nachzuweisen  ist,  gleichzeitig  das  alte  Romanentum  noch 
erhalten  geblieben  ist.  Man  kann  hier  an  einem  Beispiel  im  kleinen, 
aber  deutlich,  nachweisen,  wie  wirtschaftlicher  Fortschritt  und  Zer- 
setzung des  Romanentums  Hand  in  Hand  gegangen  sind.  Unter  dieser 
Voraussetzung  bitte  ich  den  Leser,  den  folgenden  kleinen  wirtschafts- 
geschichtlichen Exkurs  auffassen  zu  wollen. 

Viele  Bauern  hatten  Schafe  auf  der  Weide,  deren  Wolle  von  den 
Frauen  und  Mädchen  gesponnen  wurde.  Das  Garn  wurde  auch  im 
Hause  weiter  verarbeitet,  entweder  beim  Stricken  verwendet  oder  zu 
Tuch  verwoben,  aus  dem  dann  für  alt  und  jung  durch  die  der 
Schneiderei  kundige  Bäuerin  Kleidungsstücke  gefertigt  wurden.  Während 
es  wohl  nur  selten  eine  Familie  gab,  in  der  nicht  in  älterer  Zeit  zum 
Spinnen  ein  Bockrad,  das  mit  der  Hand  gedreht  wurde  oder  später 
das  verbesserte  Trittrad  in  Gebrauch  war,  war  der  Handwebstuhl  schon 
eine  im  Verhältnis  dazu  teuere  Einrichtung,  welche  nicht  jeder  an- 
schaffen oder  auch  nicht  genügend  ausnutzen  konnte,  da  seine  Wolle 
oder  sein  Garn  der  Menge  nach  dazu  nicht  ausreichten.  Diejenigen, 
welche  woben,  nahmen  auch  gelegentlich  das  Garn  von  Nachbarn,  die 
ohne  Webstuhl  waren,  an,  machten  für  sie  gegen  Entgelt  Tuch  daraus; 
andere,  die  über  mehr  Wolle  verfügten,  als  sie  zur  eigenen  Konsumtion 
bedurften,  nutzten  auch  durch  Heranziehen  mehrerer  Familienmitglieder 
oder  in  Dienst  befindlicher  Leute  ihren  Webstuhl  in  der  Weise  aus, 
daß  sie  Tuch  herstellten,  welches  sie  im  Dorf  oder  im  Thal,  selbst 
gelegentlich  auf  dem  städtischen  Markt,  z.  B.  in  Cläfen  oder  Tirano  *), 
vertauschten  oder  verkauften.  Wir  sehen  also  hier,  wie  die  Eigen- 
produktion ohne  Aenderung  der  Transportverhältnisse  allein  infolge  der 


l)  Das  Engadin  a.  a.  0.,  S.  127. 


83]  Die  Germanisierung  der  Rätoromanen  in  der  Schweiz.  447 

sozialen  Differenzierung  der  Dorfbewohner  durchbrochen  und  zu  An- 
fängen der  Tauschwirtschaft  wird  *)• 

Spinnrad  und  Webstuhl  dienten  auch  zur  Herstellung  von  Lein- 
wand zunächst  in  den  Gegenden  Graubündens ,  wo  der  Flachs  gedieh, 
d.  h.  in  nicht  zu  trockenen  und  nicht  zu  hoch  gelegenen,  dann  aber 
auch  dort,  wo  der  Rohstoff  eingeführt  werden  mußte,  wie  z.  B.  im 
Oberengadin,  Samnaun,  Avers.  Wir  sehen  also  hier,  wie  durch  die 
klimatische  Sonderheit  verschiedener  Landesteile  in  Verbindung  mit  dem 
Wunsch,  die  vorhandenen  Kräfte  ökonomisch  zu  verwenden,  ebenfalls 
aber  in  einer  anderen  Weise  die  Tauschwirtschaft  angebahnt  wird. 

Die  Auflösung  der  Eigenproduktion  vollzog  sich  nicht  schnell 
und  sprungweise,  sondern  allmählich  vermittelt  durch  verschiedene 
aneinander  sich  anschließende  Etappen.  Die  Herstellung  von  Lein- 
wand mit  importiertem  Flachs  ist  wohl  überall  bereits  verschwunden, 
die  älteren  Leute  erinnern  sich  aber  derselben  noch  gut  und  erzählen, 
daß  ehemals  das  Leinen  das  Doppelte  wert  gewesen  sei  als  jetzt,  und 
daß  dieser  Preis  die  Arbeit  gelohnt  habe.  Den  Flachs  aus  der  Ferne 
her  zu  beschaffen  und  zu  kaufen  koste  aber  bald  so  viel  Geld  als  die 
damit  herzustellende  Produktenmenge,  welche  von  auswärts,  wo  sie  in 
großen  Fabriken  angefertigt  wird,  bezogen  werde,  so  daß  die  Arbeit  des 
Webens  im  Hause  für  nichts  gethan  werden  müsse 2).  Im  Oberlande  von 
Disentis  bis  Sedrun,  im  Unterengadin  von  Remüs  bis  Zernetz  wird  gegen- 
wärtig aus  dort  gebautem  Flachs  noch  in  einzelnen  Häusern  Leinen  zum 
eigenen  Gebrauch  gewoben,   was  früher  ganz  allgemein  üblich  war. 

Enger  als  die  Leinenerzeugung  war  diejenige  des  Tuches  mit 
der  Graubündner  Volkswirtschaft  verknüpft,  da  für  dieses  der  Roh- 
stoff durchweg  auf  dem  eigenen  Boden  geliefert  wurde  und  die  Schaf- 
zucht einen  wichtigen,  mit  dem  landwirtschaftlichen  Betrieb  eng  zu- 
sammenhängenden Teil  des  Einkommens  schuf.  Die  auswärtige  Kon- 
kurrenz und  die  Großproduktion  fanden  daher  in  der  Haustucherzeugung 
einen  kräftigen  Widerstand,  der  erst  in  der  neueren  Zeit  entschieden 
gebrochen  worden  ist. 

Das  erste  was  geschah,  war,  daß  der  Verkauf  des  Bündner  Tuches 
auf  den  Märkten  von  Chur,  Thusis,  Ilanz  u.  s.  w.  zurückging.  Die 
fremde  billigere  Ware  konnte  diese  Thalorte  am  leichtesten  erreichen 
und  dort  ihren  Wettbewerb  fühlbar  machen.  Die  dadurch  hervor- 
gebrachte Absatzschwierigkeit  des  Landesproduktes  führte  zur  Be- 
seitigung des  Hilfspersonals  bei  der  Weberei  und  zur  Beschränkung 
der  Arbeit  ausschließlich  auf  die  Deckung  des  eigenen  Bedarfes. 

In  dieser  Form  konnte  die  Produktion  trotz  aller  Fortschritte  der 
auswärtigen  Fabrikationstechnik  noch  lange  Zeit  aufrecht  erhalten 
werden,  weil  während  des  langen  Winters  im  Gebirge  die  Arbeit  der 
Frauen  meist  im  landwirtschaftlichen  Betrieb  unverwendbar  war,  daher 
gewissermaßen  unentgeltlich  zur   Verfügung  stand.     Doch   auch  diese 

J)  Ich  habe  diesen  Vorgang  an  einem  anderen  Beispiel  ausgeführt  in :  „Die 
Entstehung  des  Tauschhandels  in  Polynesien",  Zeitschrift  für  Sozial-  und  Wirt- 
schaftsgeschichte, IV,  S.  28  ff. 

")  So  wurde  mir  in  Bevers  (Oberengadin),  Cresta  (Avers),  Compatsch  (Sam- 
naun) berichtet. 


448  A.  Sartoriu8  Freiherr  v.  Waltershausen,  [84 

Arbeitsart  wurde  erschüttert  und  zwar  zunächst  nicht  durch  die  Kon- 
kurrenz des  Warenangebotes,  sondern  durch  die  auf  Seiten  der  Kon- 
sumtion. Die  von  auswärts  kommenden,  in  den  verschiedensten  Farben 
und  Mustern  hergestellten  glatten  und  glänzenden  Kleiderstoffe  gefielen 
den  Bäuerinnen  und  dann  auch  ihren  Männern  besser  als  das  eigene  grobe, 
rauhe  graue  Tuch.  Zuerst  wirkte  die  bestehende  Macht  der  Mode  in 
den  größeren  Ortschaften  der  Hauptthäler,  wohin  infolge  der  besseren 
Wege  die  Hausierer  gern  kamen  und  wo  später  in  den  Kaufläden 
die  Begehrlichkeit  immer  von  neuem  einen  Anreiz  fand.  Dann  drang 
die  Bedürfnissteigerung  auch  langsam  in  die  abgelegenen  Dörfer  und 
Höfe  vor.  Die  Verwandtschaft  und  die  Freunde  unten  im  Thal  wußten 
sich  bei  Taufen  und  Hochzeiten  doch  ganz  anders  modern  und  ge- 
schmackvoller zu  kleiden  als  die  Frau  des  doch  auch  wohlhabenden 
Bauern  dort  am  Berge  oberhalb  des  Waldes.  Wozu  sich  noch  immer 
des  Winters  abmühen,  sagte  sich  diese,  wenn  in  Schuls,  Thusis  und 
Disentis  beim  Händler  billig  zu  haben  war,  was  das  Herz  begehrte, 
und  man  dann  auch  wegen  der  Altmodischkeit  nicht  mehr  ausgelacht 
wurde.  So  wurde  sie  dem  althergebrachten  Gewerbe  gegenüber  „ hoch- 
mütig", wie  sich  ein  Bauer  im  Oberlande  ausdrückte,  als  sich  der  Ver- 
fasser nach  der  Hausweberei  erkundigte. 

Es  kam  also  diese  Art  der  Winterarbeit  in  Verfall,  wenn  auch 
mancher  einsichtsvolle  Mann  das  „Nichtsthun  der  Frauen  im  Winter* 
mißmutig  beklagte  und  die  Gefahr  der  vermehrten  Geldausgaben  begriff, 
da  die  Geldeinnahmen  gleichzeitig  nicht  gewachsen  waren.  An  manchen 
Orten  verfiel  man  daher,  zudem  die  große  Haltbarkeit  des  eigenen 
Produktes  geschätzt  wurde,  auf  den  Ausweg  dasselbe  zu  verbessern. 
Freilich  konnte  man  die  Betriebsweise  in  den  Grundzügen  nicht  ver- 
ändern. Walkereien  waren  auch  in  älterer  Zeit  nicht  in  jedem  Thal 
vorhanden  gewesen  und  das  Haustuch  mußte  bisweilen  zu  denselben 
weithin  fortgeführt  werden.  Jetzt  wurden  nicht  nur  verbesserte  Walk- 
methoden eingeführt,  sondern  auch  eine  neuere  Appretur,  die  in  Orten 
wie  Thusis,  Alvaneu,  Chur  zuerst  Eingang  gefunden  hatte,  und  auch 
die  Färbung  des  Fadens  im  Ursprungsdorf  wurde  seltener  und  durch 
die  des  Garnes  oder  Gewebes  in  den  Färbereien  ersetzt x). 

So  hätte  das  Bündner  Tuch  noch  wieder  zu  besserem  Rufe  ge- 
langen können,  wenn  nicht  durch  einen  neuen  Feind  seine  Herstellung 
an  der  Wurzel  ergriffen  worden  wäre.  Die  Schafzucht  wurde  immer 
weniger  rentabel,  nach  und  nach  vermindert  und  damit  schwand  das 
Rohmaterial  für  den  Hausfleiß  dahin.  Ueber  die  bedrohte  Lage  der 
Landwirtschaft  in  Graubünden  habe  ich  oben  schon  gesprochen  und 
die  Gründe  angeführt,  aus  welchen  sie  entstanden  ist.  Erkundigt  man 
sich  nach  den  Ursachen,  welche  den  Rückgang  der  Schafzucht  im 
einzelnen  herbeigeführt  haben,  so  erhält  man  die  Antwort  immer  zu- 
nächst, daß  man  der  durch  den  modernen  Verkehr  ermöglichten  aus- 
wärtigen Konkurrenz   nicht  gewachsen  sei.     In  der  neueren  Zeit  wird 


*)  Nach  Berichten  aus  Cresta,  Matten,  Beyers,  Obersaxen,  Rueras,  Tschamutt, 
Sedrun.  Das  Tuch  wurde  ursprünglich  aus  naturfarbigem  schwarzem  und  weißem 
Faden  gewoben,  zu  dem  dann  als  dritter  der  gefärbte  blaue  hinzutrat. 


85]  Die  Germanisierung  der  Rätoromanen  in  der  Schweiz.  449 

namentlich  auf  die  Bedeutung  der  Arlbergbahn  hingewiesen,  durch 
deren  Vermittelung  die  Ostschweiz  mit  gutem  und  billigem  öster- 
reichischen oder  ungarischen  Hammelfleisch  versehen  werde,  und  die 
Wolle  erziele  überhaupt  keine  lohnenden  Preise  mehr,  seitdem  das  über- 
seeische Angebot  so  groß  geworden  sei.  Zugleich  erfährt  man  aber 
auch  bei  näherer  Nachforschung,  daß  nichts  oder  wenig  gethan  sei,  der 
Konkurrenz  zu  begegnen.  Die  Rassen  seien  nicht  verbessert  worden, 
um  feineres  Fleisch  und  feinere  Wolle  zu  erzielen,  die  Winternahrung 
sei  zu  schlecht,  die  Ställe  seien  zu  kalt,  die  Schafe  blieben  zu  lange 
im  Herbst  auf  den  Bergen,  die  jungen  Tiere  würden  zu  früh  ge- 
schoren u.  s.  w.  Auch  werde  der  Handel  ohne  genügende  Umsicht 
betrieben  und  verlasse  selten  die  mühsamen  Bahnen,  die  er  von  alters 
her  zu  wandeln  gewohnt  sei. 

In  manchen  Gegenden  -Graubündens  ist  heutzutage  die  Schäferei 
ganz  verschwunden,  z.  B.  in  Samaden,  in  anderen  ist  sie  erheblich 
eingeschränkt,  so  auf  den  rechtsseitigen  Berghängen  des  Vorderrhein- 
thales,  während  sie  sich  auf  dessen  linker  Seite,  die  gegen  Süden 
gelegen  ist,  noch  besser  lohnt,  da  hier  die  Schaf  weide  länger  schnee- 
frei bleibt.  Dementsprechend  ist  auch  die  Erzeugung  des  Bündner  Tuches 
lokal  eingestellt  oder  stark  vermindert  worden. 

Im  allgemeinen  hat  die  Weberei  rascher  nachgelassen  als  das 
Spinnen.  In  vielen  Orten  fand  ich  nur  noch  einen  oder  zwei  Web- 
stühle vor,  von  denen  mancher  mehr  als  hundert  Jahre  gedient  hatte. 
Die  alten  Maschinen  gehen  nach  und  nach  zu  Grunde  und  neue  anzu- 
schaffen bedeutet  eine  Ausgabe,  vor  der  sich  die  Leute  wegen  ihrer 
geringen  Rentabilität  scheuen.  Nur  im  Oberlande  werden  gelegentlich 
noch  neue  Stühle  angeschafft.  Das  Spinnrad  hingegen  ist  viel  billiger 
und  beansprucht  wenig  Raum.  Infolgedessen  wird  es  noch  öfters  durch 
ein  neues  ersetzt,  wenn  es  verbraucht  ist  und  so  ist  mehr  Garn  vor- 
handen als  verwoben  werden  kann.  Der  Ueberschuß  wird  vor  allem 
nach  Chur  verschickt,  wo  er  in  größeren  Betrieben  zu  Tuch  verarbeitet 
wird  und  dann  an  die  Garnbesitzer  in  dieser  Form  zurückkommt.  An- 
dere, die  nicht  mehr  spinnen,  senden  zu  dem  gleichen  Zwecke  auch  ihre 
Schafwolle  dorthin.  Die  heutigen  Eigentümer  der  Webstühle  in  den 
Dörfern  sind  häufig  Kleinbauern,  deren  Wollbesitz  für  die  eigene  Arbeit 
nicht  ausreicht.  Sie  erhalten  dann  von  ihren  Nachbarn  Hausgarn  in 
Arbeit,  das  sie  gegen  einen  festen  Satz  verweben  und  stellen  so  eine 
geringfügige  „ Hausindustrie "  dar,  bei  der  der  „Verleger"  nur  den  eigenen 
Konsum  berücksichtigt,  die  Arbeiterin  wenig  verdient,  weil  sie  unter 
dem  Konkurrenzdruck  des  auswärtigen  Großbetriebes  steht. 

Aber  auch  diese  Reste  des  alten  Betriebssystems  der  Eigenwirt- 
schaft finden  dort  keine  Beachtung  mehr,  wo  die  Frauen  im  Winter 
geeignetere  Gelegenheit  haben,  ihre  Arbeitskraft  zu  bethätigen.  So  in 
St.  Moritz  und  Davos  bei  dem  dortigen  Fremdenverkehr.  Auch  wollen 
wir  nicht  vergessen,  daß  infolge  des  verbesserten  Volksschulwesens  die 
geistige  Bildung  der  Bäuerinnen  auf  eine  höhere  Stufe  gehoben  worden 
ist,  so  daß  manche  Abendstunde  im  Winter  mit  Lesen  verbracht  wird, 
in  der  früher  der  Webstuhl  und  das  Spinnrad  allein  eine  Unterhaltung 
gewährte.     So  sind  es  denn  meist  die  alten  Frauen,  die  mit  dem  Ge- 


450  A.SartoriuBFrhr.v.Waltershauseii,  Die  Germanisierung  der  Rätoromanen  etc.  [86 

werbe  der  vergangenen  Zeit  Bescheid  wissen,  die  Jugend  wird  nicht 
mehr  regelmäßig  darin  unterrichtet,  am  wenigsten  dort,  von  wo  die 
erwachsenen  Mädchen  auswandern,  um  als  Dienstboten  u.  s.  w.  in  den 
Städten  für  Jahre  oder  dauernd  Arbeit  zu  suchen. 

Wir  sind  bei  unserer  volkswirtschaftlichen  Untersuchung  von 
unserem  Thema  über  die  Romanen  etwas  abgekommen.  Doch  nur 
scheinbar.  Denn  in  den  romanischen  Gebieten  entspricht  im  großen 
und  ganzen  dem  Rückgang  der  häuslichen  Tuchanfertigung  ein  solcher 
des  Romanentums.  Arbeitsteilung,  Verkehr,  Markt  sind  Erscheinungen 
der  modernen  Wirtschaftsweise  und  zugleich  gestaltende  Kräfte  bei 
der  Germanisierung.  In  den  großen  Thalorten,  in  den  Zentren  der 
Fremdenindustrie  hat  das  Deutschtum  seine  Herrschaft  zuerst  befestigt, 
und  dort  suchen  wir  sicher  vergebens  nach  einem  Webstuhl.  Wir 
müssen  in  die  kleinen  Dörfer  wandern,  wenn  wir  ein  Modell  davon  zu 
sehen  wünschen.  Hier  kann  es  uns  passieren,  daß  die  alte  Frau,  die 
an  ihm  arbeitet,  unsere  deutsche  Anfrage  nicht  versteht,  da  sie  nur 
ladinisch  oder  oberländisch  antworten  kann.  Im  Vorderrheinthal  wird 
die  Leinwand-  und  Haustuchfabrikation  noch  relativ  eifrig  betrieben 
und  dort  ist,  wie  wir  wissen,  der  Schwerpunkt  des  Romanischen.  Das 
Unterengadin  ist  demselben  weit  mehr  ergeben  als  das  obere  und  in 
jenem  ist  auch  die  alte  Eigenproduktion  noch  mehr  als  in  diesem  ver- 
breitet. Im  Oberhalbstein  und  Schamserthal  haben  an  der  Julier-  und 
Splügenstraße  die  Bewohner  das  Weben  und  Spinnen  meist  verlernt 
und  das  Deutsche  gelernt,  weil  beides  der  Verkehr  fordert.  In  den  Dörfern 
hoch  oberhalb  der  Straße  beharrt  man  aber  in  Sprache  und  Wirt- 
schaft noch  gern  bei  dem  Althergebrachten. 

Wir  würden  in  den  Zusammenhang  der  wirtschaftlichen  Interessen 
mit  der  Nationalitätswandelung  nicht  so  in  das  Einzelne  vorgedrungen 
sein,  wenn  er  in  der  Wissenschaft  und  im  Leben  hinreichend  gekannt 
wäre  und  beachtet  würde.  Wollte  der  Staat  Graubünden  oder  die  Eid- 
genossenschaft —  was  beiden  ganz  fernliegt  —  positive  Nationalitäts- 
politik in  romanischen  Gebieten  zu  Gunsten  des  Deutschen  treiben,  so 
würde  nach  unseren  bisherigen  Ausführungen  kaum  etwas  geeigneter 
dazu  sein,  als  die  Verbesserung  der  Verkehrsmittel,  die  Anlage  von 
Bahnen,  die  Vermehrung  der  Straßen,  die  Hebung  des  Handels.  Gegen 
solche  wirtschaftliche  Maßregeln  bestände  keine  Opposition,  im  Gegen- 
teil, sie  würden  nur  mit  Freuden  begrüßt  werden.  Der  Staat  erreichte 
hier  mit  Sicherheit  sein  Ziel  in  Uebereinstimmung  mit  der  nationalen 
Minderheit,  welche  sich  der  deutschen  Mehrheit  anschließen  sollte. 

Die  wirtschaftlichen  Zustände  der  Länder  überhaupt  stehen  in 
sehr  verschiedener  Weise  mit  den  Nationalitätsfragen  in  Verbindung, 
weshalb  das,  was  für  die  Ostschweiz  gilt,  für  die  westliche  noch  lange 
nicht  richtig  zu  sein  braucht  und  was  man  für  Elsaß-Lothringen  em- 
pfehlen kann,  ist  darum  für  Posen  noch  nicht  zutreffend.  Wenn  ein 
Volk  einheitlich  national  sein  will,  muß  es  dafür  auch  ökonomische 
Opfer  bringen  können.  Was  ihm  die  Gunst  der  Verhältnisse  zur  nationalen 
Kräftigung  von  selbst  bringt,  das  festzuhalten  wird  ihm  die  Klugheit 
gebieten.  Was  es  aber  bewußt  mit  edelster  Anstrengung  sich  erworben 
hat,  das  wird  ihm  nicht  wieder  verloren  gehen. 


VI.   Kapitel. 

Die  Schale. 

Der  Einfluß  der  Schule  auf  die  Veränderung  der  Sprache  in 
einem  Lande  wird  leicht  überschätzt.  Man  denkt  sich,  wenn  man 
sieht,  welche  raschen  Fortschritte  die  schulpflichtigen  Kinder  in  der 
Erlernung  einer  Fremdsprache  bisweilen  machen,  häufig  die  Sache  so, 
daß  es  der  Staat  immer  durch  zwangsweise  Einführung  einer  Schul- 
sprache oder  durch  nachhaltige  Förderung  einer  fremden  Sprache  als 
Unterrichtsgegenstand  vermittelst  guter  Lehrer,  zahlreicher  Lehrstunden 
und  obligatorischen  Schulbesuches  in  der  Hand  habe,  die  heran- 
wachsende Jugend  einer  Sprachgemeinschaft  definitiv  zuzugesellen, 
wie  es  ihm  beliebe.  Ganz  abgesehen  davon,  daß  das  Erlernte  nur 
dann  dauernd  behalten  wird,  wenn  die  Lebensstellung  nach  Verlassen 
der  Schule  Gelegenheit  bietet,  es  weiter  zu  üben,  zeigt  aber  die  Er- 
fahrung, daß  der  Staat  ein  solches  Ziel  nicht  oder  doch  nur  recht 
unvollkommen  erreicht,  wenn  seitens  der  Familien  der  Schüler,  welche 
die  andere  Sprache  erlernen  sollen,  ein  Widerstand  dagegen  vorhanden 
ist.  Die  heutigen  Zustände  in  Böhmen  und  Ungarn,  wo  die  Deutschen 
oder  die  Rumänen  oder  Kroaten  keineswegs  von  der  behaupteten 
Kulturmission  des  Tschechischen  oder  Magyarischen  überzeugt  sind, 
beweisen  dies  tagtäglich.  Hingegen  ist  der  Erfolg  der  Schule  unge- 
mein groß,  wenn  die  Ausbildung  in  einer  Fremdsprache  von  einer 
Nationalität  als  ein  dringendes  Bedürfnis  empfunden  wird,  und  dem- 
nach die  Bevölkerung  den  staatlichen  Bestrebungen  mit  voller  Sym- 
pathie entgegenkommt.  So  ist  es  z.  B.  in  den  Vereinigten  Staaten  von 
Amerika,  wo  die  Kinder  deutscher,  französischer,  polnischer  und 
anderer  Einwanderer  sich  gern  und  mit  Zustimmung  ihrer  Eltern  das 
Englische  aneignen,  weil  ihnen  nur  im  Besitz  desselben  das  ökono- 
mische Fortkommen  im  Lande  gesichert  erscheint  und  ihnen  Amt,  An- 
sehen und  praktische  Politik  nur  so  möglich  ist.  Der  Staatsmann, 
welcher  innerhalb  eines  national  gemischten  Gebietes  Sprachminori- 
täten verschwinden  lassen  will,  sollte  daher  niemals  übersehen,  daß  er 
durch  die  Schule  nur  dann  günstige  Ergebnisse  erzielen  wird,  wenn 
er  jenen  die  Nützlichkeit,  die  Majoritätssprache  zu  erlernen,  sachlich 
hat  nachweisen  können. 

In  Graubünden  haben  die  Romanen,  wie  im  einzelnen  gezeigt 
worden  ist,    am   Sprechen  und   Schreiben   des   Deutschen   das   größte 


452  A.  Sartorius  Freiherr  v.  Waltershausen,  [88 

wirtschaftliche  und  auch  ein  entschiedenes  politisches  Interesse.  Wir 
finden  daher  in  allen  romanischen  Landesteilen,  in  welchen  das  Be- 
wußtsein erwacht  ist,  daß  Kulturfortschritt  und  Deutschtum  für  sie  zu- 
sammenfallen, das  eifrige  Bestreben,  den  Kindern  und  jungen  Leuten 
in  der  Schule  den  Vorteil  des  Deutsch-Lernens  zu  sichern.  Die  Landes- 
regierung, welche  im  gleichen  Sinne  vorgeht,  begegnet  daher  hier 
keiner  nationalen  Opposition,   sondern   einer   aufrichtigen  Dankbarkeit. 

Im  vorigen  Jahrhundert  und  in  einem  noch  großen  Teile  des 
unserigen  war  es  mit  dem  Schulwesen  in  Bünden  nicht  gut  bestellt1). 
Von  seiten  des  Staates  geschah  für  den  Elementarunterricht  gar  nichts, 
da  er  rechtlich  für  denselben  nicht  im  mindesten  kompetent  war.  Die 
größere  Zahl  der  Gemeinden  sorgte  zwar  für  etwas  Volksbildung,  aber 
es  fehlten  der  Schulzwang,  tüchtige  Lehrer,  gute  Schulmittel,  aus- 
reichende Schuldauer  und  die  Aufsicht  sachverständiger  Inspektoren. 
Das  bißchen  Deutsch,  das  hie  und  da  in  romanischen  Gegenden 
mittels  einer  mechanischen  Methode  beigebracht  wurde,  war  durchaus 
nicht  geeignet  zu  germanisieren  und  würde  schwerlich  gelehrt  worden 
sein,  wenn  überhaupt  brauchbare  Lehr-  und  Lesebücher  des  Romanischen 
vorhanden  gewesen  wären. 

Wie  in  der  Schweiz  durchweg,  so  ist  auch  heutzutage  in  Grau- 
bünden für  die  Volks-  oder  Primarschule  der  obligatorische  Besuch 
durch  das  Gesetz  ausgesprochen.  Die  Schulpflicht  erstreckt  sich  über 
acht  Jahre  vom  7.  bis  15.  des  Lebens  und  auf  einen  jährlichen  Winter- 
kursus von  wenigstens  24  Wochen.  Dieses  Minimum  wird  aber  viel- 
fach tiberschritten  und  außerdem  bestehen  noch  Sommer-  und  Jahres- 
schulen2). 

Die  Unterbrechung  des  Unterrichts  im  Sommer,  während  dessen 
die  größeren  Kinder  vielfach  in  der  Landwirtschaft  Verwendung  finden, 
hat  einerseits  den  Nachteil,  daß  von  dem  erlernten  Deutsch  manches 
wieder  vergessen  wird,  weil  in  dem  Verkehr  auf  den  Alpen  und  Fel- 
dern das  Romanische  wieder  zur  Anwendung  gelangt.  Andererseits  hat 
das  System  auch  seine  Vorzüge.  Die  Lehrer  sind  genötigt,  von  April  bis 
bis  zum  Oktober  sich  nach  einer  anderen  Beschäftigung  umzusehen« 
Einen  nicht  geringen  Teil  derselben  absorbiert  die  Fremdenindustrie  als 
Bureauangestellte,  Kellner,  Bergführer,  Portiers,  andere  das  Postwesen, 
und  alle  diese  müssen  fortgesetzt  deutsch  sprechen  und  werden  sich 
hierin  vervollkommnen,  wenn  ihre  Muttersprache  romanisch  ist.  Die 
Graubündner  Lehrer  bleiben  nicht  alle  während  des  Sommers  im  Lande, 
sondern  manche  von  ihnen  finden  ihre  Stellung  in  deutschen  Kantonen, 
von  deren  Einrichtungen  und  nationalem  Wesen  sie  dann  im  Winter  ihren 
Schülern  erzählen  können.  Sie  sind  keineswegs  einseitig  dorfbefangen 
und  daher  wohl  geeignet,  Geographie,  Wirtschaft  und  Politik  des 
ganzen  Schweizerlandes  zu  lehren.     Sie  werden  von  der  Gemeinde  für 


1)  Vgl.  Sprecher  a.  a.  0.,  II,  S.  484  ff.;  Das  Engadin,  1887,  a.  a.  0.,  S.  167. 

2)  Albert  Haber,  Schweizer.  Schulstatistik,  1894/95,  I,  236.  Im  Bezirk 
Inn  ist  in  vielen  Orten  die  Schuldauer  26,  in  Maloja  80,  auch  36  und  39  Wochen ; 
im  Münsterthal  für  die  Hälfte  der  Gemeinden  26  Wochen ;  in  Vorderrhein  nur  24, 
in  Glenner  ebenso,  mit  Ausnahme  von  llanz;  in  Albula  haben  Bergün  und  Stalla  30, 
Filisur  26  Wochen;  in  Hinterrhein  und  Imboden  einige  Orte  26. 


89]  Die  Germanisierung  der  Rätoromanen  in  der  Schweiz.  453 

einen  oder  mehrere  Winter  gewählt  und  wieder  gewählt,  wenn  sie 
sich  als  tüchtig  erwiesen  haben.  Obgleich  die  Gehalte  nur  gering 
sind,  so  erübrigen  sich  die  meisten  bei  ihrer  Sparsamkeit  und  bei 
dem  oft  guten  Sommerverdienst  im  Verlaufe  von  20 — 25  Jahren 
so  viel,  daß  sie  ein  kleines  Geschäft  oder  Hotel  begründen,  ein  Gut  kaufen 
und  so  ihre  Versorgung  im  Alter  auf  die  eigenen  Schultern  nehmen 
können.  Die  Folge  dieser  Zustände  ist  nun,  daß  die  Volksschulen 
meist  nur  Lehrer  haben,  welche  die  besten  Jahre  des  Lebens  dem 
Unterricht  widmen.  Sie  arbeiten  daher  höchst  intensiv  und  erzielen 
bei  28 — 33 *)  Stunden  die  Woche  in  ihren  Winterkursen  höchst 
achtenswerte  Resultate.  Für  den  Fremden,  welcher  diese  Volksschulen 
kennen  lernt,  ist  es  besonders  auffällig,  wie  viel  Sorgfalt  auf  die 
Verbreitung  der  Kenntnis  des  Schweizerlandes  gelegt  wird,  auf 
die  Geschichte  desselben,  seine  Wirtschaft  und  Verkehrsverhältnisse, 
seine  bundesstaatliche  und  kantonale  Verfassung  und  Verwaltung. 
Das  Wichtigste  dabei  ist,  daß  die  Schüler  diese  Bildung  erwerben  auf 
der  sittlichen  Grundlage  der  Vaterlandsliebe  und  der  Schätzung  der 
politischen  Freiheit.  Sie  lernen  begreifen,  welcher  Kraftanstrengung 
durch  Jahrhunderte  hindurch  es  bedurfte,  die  Kultur  zu  schaffen,  die 
heute  besteht,  wodurch  sie  den  unhistorischen  Weltverbesserern  gegen- 
über mit  einer  Kritik  ausgestattet  werden,  die  schwer  zu  erschüttern 
ist.  Sie  lernen  aber  auch  aus  der  Geschichte,  was  das  deutsche  Ele- 
ment für  die  Schweiz  bedeutet  hat,  daß  aus  ihm  die  staatliche  und 
innerpolitische  Selbständigkeit  erwachsen  ist,  auf  welche  der  Schweizer 
so  stolz  ist. 

Die  Schulsprache  in  Graubünden  ist  entweder  deutsch  oder  ita- 
lienisch, oder  romanisch.  Außerdem  giebt  es  noch  die  sog.  deutsch- 
romanischen und  deutsch -italienischen  Schulen,  in  deren  unteren 
Klassen  romanisch  oder  italienisch,  in  deren  oberen  deutsch  der 
Unterricht  erteilt  wird.  Die  Schule  ist  eine  Gesamtschule,  wenn  ein 
Lehrer  alle  Klassen  zu  übernehmen  hat,  oder  ist  in  Ober-  und  Unter- 
schule, oder  in  Ober-,  Mittel-  und  Unterschule  eingeteilt,  wenn  zwei 
oder  drei  Lehrer  vorhanden  sind.  Einige  größere  Anstalten  verfügen 
sogar  über  vier  Lehrer  und  einige  Gemeinden  haben  wegen  der 
großen  Kinderzahl  mehr  als  eine  Primarschule. 

Bei  der  Schulstatistik  muß  man  wohl  unterscheiden,  ob  nur 
eigentliche  Schulen,  d.  h.  Komplexe  von  8  Klassen,  oder  ob  auch 
Schulabteilungen  als  Einheiten  gezählt  worden  sind.  Die  verschiedenen 
Ergebnisse  statistischer  Aufzeichnungen  sind  zum  großen  Teil  hierauf 
zurückzuführen. 

Die  Schweizerische  Schulstatistik  von  A.  Huber  2)  von  1894/95 
kennt  für  die  Amtsbezirke  Graubündens  nach  der  Nationalität  ge- 
sondert folgende  Ziffern: 


*)  Zu  vergleichen  ist  der  Lehrplan  für  die  Primarschulen  des  Kantons  Grau- 
bünden, Chur  1894,  S.  88.  89. 

2)  Albert  Huber,  Schweizer.  Schulstatistik,  1894/95,  Bd.  I.  Zu  den 
romanischen  Schulen  sind  auch  die  gerechnet,  in  denen  das  Deutsche  zwar  gelehrt 
wird,  aber  doch  sehr  zurücktritt. 


454 


A.  Sartorius  Freiherr  v.  Waltershausen, 


[90 


deutsch 

ital. 

d.,  ital. 

rom. 

d.,  rom. 

Albula 

ßernina 

Glenner 

Heinzenberg 

Hinterrhein 

Imboden 

Inn 

Ober-Landquart 

Unter-Landquart    .... 

Maloja 

Moesa 

Münsterthal 

Plessur 

Vorderrhein 

8 

18 
31 
19 
21 

5 

42 
52 

4 

1 
44 

1 
27 

10 
31 

1 
1 

8 

30 

1 

3 

18 

8 

6 

26 

17 

9 
3 
3 
1 
13 

10 
3 
3 

Total 

245 

69 

2 

100 

62 

Aus  diesen  Zahlen  ist  bereits  zu  ersehen,  in  welchem  Maße  die 
deutsche  Schule  tiberwiegt.  Nach  der  Volkszählung  von  1888  lebten 
in  dem  Kanton  46°/o  Deutsche,  39°/o  Romanen,  15°|o  Italiener.  Die 
letzteren  haben  genau  ihrem  Prozentsatz  gemäß  Schulen,  entsprechend 
dem  Umstände,  daß  in  ihrem  Gebiete  die  eigene  Sprache  die  allein 
herrschende  ist.  Die  Romanen  hingegen  verfügen  nur  über  33°/o  und 
wenn  wir  die  gemischten  in  Abrechnung  bringen,  wozu  wir,  wie  wir 
weiterhin  sehen  werden,  berechtigt  sind,  nur  über  21°/o.  Das  Gegen- 
stück tritt  dann  bei  den  deutschen  Schulen  hervor  mit  55°/o  resp.  64°/o. 

Eine  andere  Statistik,  welche  noch  einen  besseren  Einblick  in 
die  fraglichen  Verhältnisse  gewährt,  ist  von  der  bündnerischen  Re- 
gierung zusammengestellt  worden. 

Zum  Verständnis  ist  folgendes  vorauszuschicken: 

Die  Stellung  des  Staates  zu  den  romanischen  Volksschulen  er- 
giebt  sich  aus  dem  von  ihm  angeordneten  Lehrplan  vom  18.  Sep- 
tember 1894:  „Der  Beginn  des  deutschen  Unterrichtes  in  romanischen 
Schulen  soll  in  der  Regel  im  vierten  Schuljahr  stattfinden.  Es  bleibt 
jedoch  den  Schulräten1)  unbenommen,  denselben  auf  einen  früheren 
Zeitpunkt  anzusetzen.  Unter  Berücksichtigung  der  Verschiedenheit 
der  Verhältnisse  kann  der  Kleine  Rat 2)  ausnahmsweise  auf  gestelltes 
Gesuch  hin  gestatten,  daß  erst  im  fünften  Schuljahr  mit  dem  deutschen 
Unterricht  begonnen  werde.  Je  nachdem  hat  das  Deutsche  im  siebten 
oder  achten  Schuljahr  als  hauptsächlichste  Unterrichtssprache  auf- 
zutreten.** 

Diese  Bestimmungen,  welche  für  die  Germanisierung  sehr  günstig 
lauten,  erschienen  30  Gemeinden  des  Oberlandes  nicht  genehm  und 
sie  richteten  daher  eine  Petition  an  die  Regierung  des  Inhalts,  daß  die 


')  Die  unmittelbare  Leitung  der  Schule  steht  dem  Schulrat  der  Gemeinde 
zu.  Er  setzt  sich  wenigstens  aus  drei  Mitgliedern  zusammen ,  darunter  ist  der 
Pfarrer  der  Gemeinde. 

2)  D.  h.  die  Exekutivgewalt  des  Staates. 


91]  Die  Germanisierung  der  Rätoromanen  in  der  Schweiz.  455 

Bestimmung  über  obligatorischen  Unterricht  in  der  deutschen  Sprache 
für  die  romanischen  Schulen  gestrichen  werde  und  daß  der  §  19  der 
Schulordnung  beibehalten  werde,  wonach  in  den  romanischen  Schulen 
dieser  Unterricht  n  soweit  thunlich"  erteilt  werden  solle  *). 

Um  diese  Petition  einer  sachlicheren  Prüfung  unterziehen  zu 
können,  ordnete  das  Erziehungsdepartement  bei  den  Schulräten  der 
romanischen  Gemeinden  eine  Umfrage  an,  um  den  gegenwärtigen  Zu- 
stand des  deutschen  Unterrichts  daselbst  zu  ermitteln.  Nach  Eingang 
der  Antworten  wurde  von  der  Regierung  nachfolgendes  Ergebnis2)  ver- 
öffentlicht: 

„Unser  Kanton  zählt  im  ganzen  123  romanische  Gemeinden  mit 
einer  Gesamtzahl  von  32674  romanischen  Einwohnern3)  und  mit 
6098  schulpflichtigen  Kindern.  Die  Zahl  der  Schulen  beträgt  134 4), 
wovon  81  Gesamtschulen,  31  Schulen  mit  zwei,  16  Schulen  mit  drei 
und  6  Schulen  mit  vier  Lehrern.  In  Bezug  auf  den  Unterricht  in  der 
deutschen  Sprache  kann  man  folgende  Kategorieen  bilden: 

I.  Schulen,  in  welchen  kein  romanischer  Unterricht  erteilt  wird, 
sondern  durch  alle  Klassen  deutsche  oder  (in  zwei  Fällen)5)  italienische 
Unterrichtssprache  besteht. 

IL  Schulen,  in  welchen  der  deutsche  Unterricht  bereits  im  ersten 
und  spätestens  im  dritten  Schuljahr  beginnt  und  das  Deutsche  im 
dritten  oder  vierten  Schuljahr  als  Unterrichtssprache  eingeführt  ist. 

III.  Schulen,  in  welchen  das  Deutsche  im  zweiten  und  dritten 
Schuljahr  gelehrt  wird  und  im  fünften  oder  sechsten  Schuljahr  als 
Unterrichtssprache  auftritt. 

IV.  Schulen,  in  welchen  der  Beginn  des  deutschen  Unterrichts 
in  das  vierte  Schuljahr  fällt  und  das  Deutsche  als  hauptsächliche 
Unterrichtssprache  im  sechsten  oder  siebten  Schuljahr  angewendet  wird. 

V.  Schulen,  die  den  deutschen  Unterricht  im  fünften  Schuljahr 
beginnen  und  in  welchen  das  Deutsche  im  siebten  oder  achten  Schul- 
jahr als  Unterrichtssprache  verwendet  wird. 

VI.  Schulen,  in  welchen  das  Deutsche  erst  vom  sechsten  oder 
siebten  Schuljahr  an  gelehrt  wird  und  wenig  oder  gar  nicht  als  Unter- 
richtssprache auftritt. 

VII.  Schulen,  in  welchen  kein  Unterricht  in  der  deutschen  Sprache 
erteilt  wird.14 

In  obige  Kategorieen  lassen  sich  die  einzelnen  Schulen  folgender- 
maßen einreihen: 


1)  Amtsblatt  des  Kantons  Graubünden,  Nr.  35,  vom  30.  August  1895. 

2)  Amtsblatt  des  Kantons  Graubünden  a.  a.  0. 

•)  Die  Übrigen  Romanen  wohnen  in  überwiegend  deutschen  und  italienischen 
Gemeinden. 

4)  Diese  Ziffer  ist  geringer  als  diejenige  der  Huberschen  Statistik,  weil  in 
dieser  selbständig  verwaltete  Schulabteilungen  als  Schulen  gerechnet  worden  sind. 

s)  Nämlich  in  Marmorea  und  Stalla,  vgl.  S.  406  [42].  Beide  Gemeinden  sind 
in  die  Statistik  nicht  mit  einbezogen. 


456 


A.  Sartorius  Freiherr  v.  Waltershausen, 


[92 


Schulpflicht.  Kinder  j 

Anzahl 

Anzahl  der  Lehrer 

Kategorie 

, 

der 
Schulen 

i 

Anzahl 

Prozent  1 

1 

2 

3 

4 

I 

1230 

20,2      1 

21 

12 

3 

4 

2 

II 

188 

3,1 

5 

3 

1 

1 

— 

III 

694 

11,4 

17 

11 

4 

2 

— 

IV 

2149 

35,2 

87 

14 

12 

7 

4 

V 

954 

15,6 

24 

17 

5 

2 

— 

VI 

548 

9,0 

15 

9 

6 

— 

— 

VII 

335 

5,5      1 

15 

15 

— 

— 

— 

6098 

100       | 

134 

1 

81 

31 

16 

6 

Wenn  wir  die  Eategorieen  bezüglich  ihrer  lokalen  Verteilung 
zunächst  untersuchen  *) ,  so  liegen  von  den  ganz  deutschen  Schulen 
3  im  Bezirk  Imboden,  nämlich  in  Ems,  Bonaduz,  Rhäzüns,  das  ist 
der  ganze  Kreis  Rhäzüns;  8  im  Kreis  Domleschg:  Trans,  Pratval, 
Rotels,  Rothenbrunnen,  Paspels,  Tomils,  Scharans,  Almens;  3  im  Kreise 
Thusis:  Sarn,  Katzis,  Flerden.  Infolgedessen  wird  im  Amtsbezirk 
Heinzenberg  nur  noch  in  den  drei  Gemeinden  Feldis,  Scheid,  Präz  in 
romanischer  Sprache  Unterricht  erteilt.  Ferner  sind  es  6  Gemeinden 
im  Schamserthal:  Pignieu,  Wergenstein,  Mathon,  Clugnin,  Lohn,  An- 
deer,  und  in  Glenner  der  Ort  Ilanz,  welche  ganz  zur  deutschen  Schul- 
sprache übergegangen  sind. 

Setzen  wir  als  den  stärksten  Gegensatz  dem  gegenüber  die  Ka- 
tegorie VII  mit  Schulen,  in  denen  kein  deutscher  Unterricht  gegeben 
wird,  so  liegen  diese  Orte  sämtlich  im  Bezirk  Vorderrhein. 

Die  Kategorieen  II — IV,  denen  gemäß  für  die  Erlernung  des 
Deutschen  schon  recht  viel  gethan  wird,  umfassen  die  Gemeinden  des 
Ober-  und  Unterengadins,  des  Albulathales,  des  Oberhalbsteines,  des 
Münsterthaies,  ferner  der  Bezirke  Imboden  und  Heinzenberg  und  des 
Schamserthaies,  soweit  nicht  die  Kategorie  I  maßgebend  ist,  endlich 
Schnaus  und  Kästris  vom  Bezirk  Glenner. 

Die  Orte  der  V.  und  VI.  Kategorie  liegen  sämtlich  in  Glenner 
und  Vorderrhein  mit  Ausnahme  der  einen  Gemeinde  Präsanz,  welche 
dem  Oberhalbstein  zugehört. 

Der  Germanisierungsprozefi  steht  nun  keinen  Augenblick  still, 
und  dies  äußert  sich  auch  auf  dem  Gebiete  des  Schulwesens.  So  war 
z.  B.  im  Jahre  1899  St.  Moritz  zur  ganz  deutschen  Schule,  Zuoz  und 
Martinsbruck  von  der  IV.  in  die  III.  Kategorie  übergetreten. 

Eine  gleiche  statistische  Erhebung  etwa  10  Jahre  nach  der  vor- 
geführten würde  vermutlich  manche  Abweichungen  zeigen  und  einen 
wertvollen  Maßstab  für  den  Fortschritt  des  Deutschen  in  Graubünden 
darbieten. 

Die  Untersuchung  von  1895  giebt  uns  aber  auch  schon  die 
Ueberzeugung,   daß   für  das   Deutschtum    in   Graubünden   von  Schul- 

*)  Das  Material  der  statistischen  Aufnahme  wurde  mir  von  Herrn  Regie- 
rungsrat Vital  in  Chur  freundlichst  zur  Verfügung  gestellt. 


931  Die  Germanisierung  der  Rätoromanen  in  der  Schweiz.  457 

wegen  viel  gethan  worden  ist.  34,7  °/o  der  Schulen  in  romanischen 
Gemeinden  leisten  mehr  als  der  Schulplan  verlangt,  50,8  °/o  entsprechen 
seinen  Anforderungen  und  nur  14,5  °/o  erreichen  dieselben  nicht. 

Es  liegt  nun  der  Kantonsregierung  durchaus  fern,  in  den  zuletzt 
genannten  Gemeinden  mit  strengen  Maßregeln  vorzugehen,  um  auch 
hier  den  Lehrplan  zu  verwirklichen,  vielmehr  erklärte  der  Kleine  Rat, 
gestützt  auf  die  statistische  Aufnahme  und  andere  genaue  Untersuchungen 
des  Gegenstandes,  auf  die  oben  erwähnte  Petition  des  Oberlandes  hin, 
daß  sich  zwar  der  Staat  die  Oberaufsicht  über  den  deutschen  Unter- 
richt in  den  romanischen  Gemeinden,  sowie  die  Aufstellung  des 
Schulplanes  entschieden  vorbehalte,  es  aber  den  Grundsätzen  der  Ver- 
waltung entspreche,  die  besonderen  Verhältnisse  der  einzelnen  Gemeinden 
möglichst  zu  berücksichtigen.  Es  wurde  daher  den  Oberländern  ge- 
stattet, ihre  Einrichtungen,  welche  der  V. — VII.  Kategorie  entsprechen, 
beizubehalten.  Der  Nationalitätsstreit  wurde  auf  diese  Weise  ver- 
mieden, und  die  maßgebenden  Männer  in  Chur  waren  sich  dessen  wohl 
bewußt,  daß  man  mit  der  Zeit  Rosen  pflücken  kann. 

In  dem  Lehrplan  für  die  Primarschulen  von  1894  ist  eingehend 
festgesetzt  worden,  in  welcher  Weise  das  Deutsche  in  den  romanischen 
Schulen  zu  lehren  ist1).  Diese  Erlernung  geht  erstens  rascher  oder 
langsamer  von  statten,  je  nach  der  Anzahl  deutscher  Kinder  in  der 
Gemeinde,  mit  denen  diejenigen  romanischer  Familien  in  und  außerhalb 
der  Schule  verkehren.  In  St.  Moritz  und  Bonaduz  z.  B.  reden  gegen- 
wärtig fast  alle  Kinder  untereinander  deutsch,  während  es  in  der 
Häuslichkeit  der  älteren  Leute  wegen  noch  nicht  so  weit  gekommen 
ist.  Zweitens  ist  die  Stärke  des  geschäftlichen  und  Fremdenverkehrs 
einflußreich,  so  daß  also  in  den  größeren  Thalorten  im  allgemeinen 
die  deutsche  Schule  bessere  Resultate  aufweist  als  in  den  abgelegenen 
Bergdörfern. 

Daß  die  Persönlichkeit  des  Lehrers  viel  ausmacht,  versteht  sich 
von  selbst.  Im  Oberlande  giebt  es  heute  noch  manche  Lehrer,  welche 
das  Deutsche  nicht  so  beherrschen,  um  einen  ersprießlichen  Unter- 
richt darin  erteilen  zu  können2),  während  das  Unterengadin,  das 
Schamser-  und  Albulathal  und  das  Oberhalbstein  ausreichend  mit  ge- 
eigneten Kräften  versehen  sind. 

Die  Urteile,  ob  die  romanischen  Kinder  das  Deutsche  leicht  er- 
lernen, lauten  sehr  verschieden,  und  dies  ist  nach  dem  Gesagten  über 
die  außerhalb  der  Schule  mitwirkenden  Faktoren  ganz  begreiflich. 
Erfahrene  Lehrer,  welche  neben  solchen  Kindern  auch  Italiener  unter- 
richteten, haben  sich  in  der  Weise  ausgesprochen,  daß  die  ersteren 
rascher  als  die  letzteren  des  Deutschen  mächtig  würden.  Es  mag  dies 
damit  zusammenhängen,  daß  in  der  rätoromanischen  Sprache  nicht 
wenige  deutsche  Worte  oder  Wortstämme  zu  finden  sind3). 


*)  Lehrplan  a.  a.  0.,  Nr.  VI,  S.  22  ff. 

a)   Amtsblatt  a.  a.  0.,  S.  419. 

3)  Z.  ß.  Ardöfel  (Erdapfel),  Gabla  (Gabel),  Gents  (Gänse),  Kesel  (Kessel), 
Pot  (Bote),  Brust  (Brust),  Baza  (Batzen),  Feldwaibel,  Hofmeister,  Zimmermann, 
Spaisa  (Speise),  Stoer  (Steuer),  tafer,  tapfer  (tapfer),  Trumbaschlager  (Trommel- 
schläger).   Vgl.  Annalas   della  societad   Rhaeto-romanscha ,   Cuira    1896,  Glossar, 


458  A.  Sartorius  Freiherr  v.  Waltershausen,  [94 

Die  Geschichte  Graubündens  kann  über  die  Einbürgerung  fremder 
Wörter  mancherlei  Auskunft  erteilen.  Ich  erinnere  nur  an  die  Ein- 
wirkung der  deutsch -protestantischen  Predigt  in  und  nach  der  Refor- 
mationszeit, an  die  des  Kriegsdienstes  in  der  Fremde,  des  kaufmän- 
nischen Verkehrs  und  des  Erwerbs  der  ßündner  im  Auslande,  der  Ge- 
richtssprache ,    der  auswärtigen  Litteratur  bei  dem  Mangel  an  eigener. 

Die  Romanen  in  Graubünden  lernen  in  der  Schule  Hoch-  oder 
Schriftdeutsch,  daher  kann  sich  ein  Norddeutscher  mit  seiner  hanno- 
verschen oder  Berliner  Mundart  in  einem  Seitenthal  des  Vorder-  oder 
Hinterrheins  oder  des  oberen  Inns  mit  den  Einheimischen  besser  ver- 
ständigen als  mit  einem  Bürger  der  Stadt  Glarus  oder  St.  Gallen. 
Das  Schweizerdeutsch  lernen  die  Romanen  erst,  wenn  sie  sich  in  der 
deutschen  Schweiz  aufhalten,  zu  der  auch  das  deutsche  Graubünden 
zu  rechnen  ist.  Im  Safier-,  Valser-  und  Averserthal,  in  Mutten,  in 
Chur  und  Umgebung,  in  Ober-  und  Unterlandquart  sprechen  die  Leute 
untereinander  Dialekt,  den  man  ausnahmsweise  auch  in  romanischen  Ge- 
genden antrifft,  wenn  in  größeren  Orten,  z.B.  inSamaden  oder  St. Moritz, 
Angehörige  einer  engeren  Heimat  miteinander  verkehren.  In  der 
Regel  aber  haben  sich  die  Deutsch-Schweizer  der  reinen  Schriftsprache 
zu  befleißigen,  wenn  sie  sich  mit  ihren  romanischen  Mitbürgern  deutsch 
unterhalten  wollen.  Wollte  man  im  Vorderrheinthal  Chur-  oder  Urner- 
deutsch,  im  Münsterthal  tyrolerisch,  im  Unterengadin  die  Davoser 
Mundart  lehren,  so  würde  das  Deutsche  weit  langsamer  im  roma- 
nischen Lande  fortschreiten,  während  es  in  Wahrheit  eine  einheitliche 
Sprache  darstellt  und  in  seiner  inneren  Geschlossenheit,  die  sich  vor 
allem  in  der  Schrift  äußert,  den  verschiedenen  Dialekten  des  Roma- 
nischen kraftvoll  tiberlegen  gegenübertritt.  Die  Litteratur  des  letzteren 
ist  jung  und  umfaßt  nur  wenige  Wissenszweige.  Sie  beginnt  im 
16.  Jahrhundert  mit  der  religiösen  Bewegung,  als  der  von  Norden 
vordringende  Protestantismus,  um  wirkungsvoll  zu  werden,  es  angezeigt 
erachtete,  Bibelwort  und  Katechismus  auch  in  das  Romanische  zu 
übertragen.  Sie  bleibt  dreihundert  Jahre  lang  fast  nur  religiösen  In- 
halts, zu  der  höchstens  etwas  Poesie  weltlicher  Art  hinzukommt.  Erst 
in  unserem  Jahrhundert  mit  dem  Aufschwung  des  Zeitungswesens  und 
der  billigen  Herstellung  des  Druckes  beginnt  ein  bescheidenes  poli- 
tisches Buch-  und  Broschüren wesen.  Doch  fehlen  die  höheren,  um- 
fassenden Bildungsmittel  durchaus,  sowohl  in  der  Naturwissenschaft 
und  Medizin,  als  auch  in  den  Staats  Wissenschaften  und  der  Geschichte. 
Die  litterarischen  Bildungsmittel  für  alles  höhere  Wissen  und  die  Ge- 
lehrsamkeit bieten  daher  nur  die  fremden  Sprachen  und  unter  diesen 
an  erster  Stelle  die  deutsche.  Das  Verständnis  für  die  Poesie  sucht 
der  Oberengadiner  nicht  in  Dante  und  Tasso,  sondern  in  Schiller  und 
Goethe,  und  die  jungen  romanischen  Aerzte,  Juristen  und  Theologen 
studieren   selten   in    Italien,   meistens   vielmehr   auf  den  Universitäten 


S.  58  ff.  —  Th.  Gärtner,  Rätoromanische  Grammatik,  Heilbronn  1883,  S.  16, 
bemerkt,  daß  sich  das  Deutsche  mehr  in  das  Romanische  am  Rhein  als  am  Inn 
eingemengt  habe.  Auch  für  die  Syntax  habe  das  Deutsche  vielfach  als  Vorbild 
gedient. 


951  Die  Germanisierung  der  Rätoromanen  in  der  Schweiz.  459 

Zürich,  Basel,  Bern,  und  nicht  wenige  von  ihnen  auch  auf  den  Hoch- 
schulen des  Reichs. 

Neben  der  Volksschule  ist  nun  auch  das  höhere  Bildungswesen 
bei  der  Germanisierung  nicht  zu  übersehen.  Hier  sind  zunächst  die 
Portbildungs-  und  Repetierschulen  zu  nennen,  deren  es  im  Jahre  1895 
40  mit  639  Schülern  gab.  Sie  schließen  sich  an  die  oberste  Klasse 
des  Volksunterrichts  an  und  bedienen  sich  in  den  romanischen  Ge- 
bieten vielfach  des  Deutschen  als  Unterrichtssprache,  da  die  Schüler 
entsprechend  dazu  vorgebildet  sind  *).  Ferner  kommen  die  Secundar- 
oder  Realschulen  in  Betracht;  es  waren  1895  20  mit  526  Schülern. 
Sie  umfassen  mindestens  zwei  Kurse,  die  sich  auf  zwei  Jahre  verteilen 
und  prinzipiell  über  das  in  Volksschulen  Gelernte  hinausgehen.  Sie 
haben  in  den  meisten  romanischen  Gebieten  die  deutsche  Unterrichts- 
sprache, im  Vorderrheinthal  die  gemischte2). 

Eine  weitere  Ausbildung  kann  der  junge  Graubündner  in  der 
Kantonsschule  zu  Chur  erhalten.  Sie  hatte  1897  408  Zöglinge,  welche 
sich  auf  die  Abteilungen  Gymnasium,  Progymnasium ,  technische 
Schule,  Handelsschule  und  Lehrerseminar  verteilen.  Die  Schulsprache 
für  die  Romanen  ist  die  deutsche  oder  die  italienische,  welche  letztere 
von  ihnen  jedoch  wenig  in  Anspruch  genommen  wird3).  In  dem 
Lehrerseminar  erhalten  sie  auch  nach  den  beiden  Hauptdialekten, 
Ladinisch  und  Oberländisch,  getrennten  Unterricht  in  ihrer  Mutter- 
sprache 4). 

Eine  Universität  besitzt  der  Kanton  nicht.  Die  am  meisten  von 
ihm  aus  benutzte  dürfte  wohl  die  nächste  sein  —  Zürich,  welcher 
Ort  für  die  akademischen  Bedürfnisse  der  ganzen  Ostschweiz  sorgt. 
Da  hier  ausschließlich  deutsch  doziert  wird,  werden  die  romanischen 
Studenten  ihre  Kenntnisse  des  Deutschen  noch  bereichern  können,  falls 
dies  erforderlich  sein  sollte. 

In  den  bisherigen  Ausführungen  ist  der  Versuch  gemacht  worden, 


')  Hub  er,  Schulstatistik  a.  a.  0.  Regulativ  für  die  graubündnischen 
Fortbildungs-  und  Repetierschulen  vom  23.  I.  1884:  „Die  Fortbildungsschulen 
schließen  sich  unmittelbar  an  die  Primarschule  an  und  haben  ebensowohl  die 
Wiederholung  und  Erhaltung  des  in  der  Primarschule  Erlernten  als  auch  eine 
weitere  Ausbildung  mit  besonderer  Rücksicht  auf  das  Berufsleben  ins  Auge  zu 
fassen.  Für  die  Romanen  wird  im  ersten  Kurs  die  deutsche  Sprache  als  Fremd- 
sprache angesehen."  Dies  ist  bei  Kategorie  II — V  (s.  oben  S.  455  [91]  nicht  er- 
forderlich). 

2)  In  Trins  Villa,  Iianz  z.  B.  ist  die  Unterrichtssprache  teils  deutsch,  teils 
romanisch,  auch  wird  romanische  Lektüre  getrieben. 

3)  An  dem  italienischen  Kurs  der  Kantonsschule  nehmen  in  der  Regel 
nur  Italiener  aus  der  Mesolcina,  allenfalls  auch  aus  dem  Bergell  und  Puschlav  teil. 

4)  Ein  Examen  im  Romanischen  besteht  für  cfie  Volksschullehrer  nicht. 
In  diesem  Seminar  trieben  die  Oberländer  auch  etwas  Ladinisch  und  die  Ladiner 
Oberländerisch,  so  daß  sie  sich  wenigstens  gegenseitig  verständigen  können. 

Es  giebt  in  Graubünden  noch  außerdem  folgende  höhere  Bildungsanstalten : 
Die  Erziehungsanstalt  und  das  Lehrerseminar  in  Schiers,  1897  131  Schüler,  welches 
ganz  deutsch  ist;  das  Fridericianum  in  Davos,  ebenfalls  deutsch,  besonders  von 
Ausländern  besucht;  der  Plantahof,  eine  landwirtschaftliche  Schule  bei  Landquart, 
deutsch;  das  Proseminar  in  Roveredo  ist  italienisch,  aus  dem  von  1893 — 1898 
23  patentierte  Lehrer  und  Lehrerinnen  hervorgegangen  sind ;  für  Mädchen  besteht 
das  höhere  Töchterinstitut  Constantineum  zu  Chur  mit  deutscher  Unterrichtssprache. 


460  A.  SartoriusFrhr.v.  Waltershausen,  Die  Germanisierung  der  Rätoromanen  etc.  [96 

den  unmittelbaren  Einfluß  der  Schule  auf  Stärkung  des  Deutschtums 
nachzuweisen.  Wenn  wir  von  dem  Oberlande  absehen,  besteht  wohl 
in  allen  romanischen  Gemeinden  ein  entschiedenes  Bedürfnis,  die 
deutsche  Sprache  zu  fordern.  Wäre  das  Gegenteil  der  Fall,  so  würden 
die  Gemeinden  bei  der  bestehenden  politischen  Verfassung  (wie  es 
teilweise  in  Glenner  und  Vorderrhein  geschehen  ist)  dieser  Förderung 
entgegen  getreten  sein.  Sie  wählen  die  Volksschullehrer  selbst  und 
zwar  meist  nur  für  einen  Winter,  ihr  Schulrat  führt  die  fortlaufende 
Aufsicht  über  den  Unterricht.  Trotz  aller  staatlichen  Regulative 
würden  sie  daher  der  Germanisierung  durch  die  Schule  große  Schwierig- 
keiten hierin  bereiten  können. 

Aber,  wie  gesagt,  die  wirtschaftlichen  und  politischen  Zustände 
des  Landes  —  auf  die  letzteren  werden  wir  in  dem  Schlußkapitel 
noch  näher  eingehen  —  haben  die  Entscheidung  zu  Gunsten  des 
Deutschen  längst  abgegeben.  Das  Interesse  an  der  Erhaltung  der 
romanischen  Sprache,  sagte  mir  ein  einfacher  Mann  aus  dem  Volke, 
der  viel  im  Lande  umhergekommen  war,  bestehe  nur  noch  bei  wenigen 
Gebildeten,  insbesondere  bei  den  Professoren,  die  sich  mit  der  Sprache 
beschäftigten,  das  Volk  denke  anders.  Diese  Ansicht  ist  die  Ueber- 
treibung  einer  einseitigen  Beobachtung.  Richtig  allerdings  ist,  daß 
für  die  Erhaltung  des  Romanischen  durch  Sprachforschung,  Heraus- 
gabe von  Zeitschriften,  Glossaren,  Lexikons,  nur  wenige  Personen 
etwas  leisten,  während  sich  die  Masse  der  romanischen  Bevölkerung 
gegen  diese  Bestrebungen  ziemlich  indifferent  verhält,  aber  daraus  folgt 
nicht,  daß  nicht  sehr  viele  Leute  wissen,  wie  ihnen  neben  dem 
Deutschen  auch  das  Romanische  recht  nützlich  sein  kann.  Durch  die 
Kenntnis  desselben  wird  ein  leichtes  Erlernen  des  Italienischen,  Fran- 
zösischen und  Spanischen  vermittelt.  Das  ist  sowohl  bei  der  noch 
immer  bestehenden  temporären,  kommerziellen  Auswanderung,  als  auch 
bei  dem  bestehenden  Verkehr  mit  Italien  und  mit  den  Italienern  im 
Lande  keineswegs  zu  unterschätzen. 

Freilich,  wer  zwei  Sprachen  gleichmäßig  gut  redet,  wird  in  der 
Regel  keine  mit  Vollendung  beherrschen.  Wenn  Graubünden  einmal 
ganz  deutsch  sein  wird,  so  wird  man  sich  über  den  Verlust  der 
romanischen  Sprache  in  deren  bisherigem  Gebiete  vielleicht  mit  dem 
Gedanken  trösten,  daß  man  an  Sprachqualität  kulturell  mehr  gewonnen 
als  man  an  Quantität  eingebüßt  habe.  Dieser  Trost  scheint  mir  be- 
gründet zu  sein. 


VII.  Kapitel. 

Die  Kirche. 

Auch  die  Kirche  in  Graubünden  trägt,  obgleich  sie  neben  der 
Schule  nur  an  zweiter  Stelle  zu  nennen  ist,  zu  der  Germanisierung 
des  Landes  bei.  Ihre  auffalligste  Vermittelung  ist  dann  vorhanden,  wenn 
Predigt  und  Gebet  in  romanischen  Gebieten  deutsch  abgehalten  werden. 
In  katholischen  Gemeinden  ist  ferner  auf  die  Beichte  hinzuweisen,  bei 
der  sich  der  Geistliche  und  das  Beichtkind  zu  verständigen  haben,  und 
schließlich  bei  beiden  Konfessionen  auf  den  sonstigen  persönlichen 
Verkehr  des  Pfarrers  mit  den  Dorfbewohnern. 

Nun  sollte  man  es  für  selbstverständlich  halten,  daß  der  Pfarrer, 
um  den  geistlichen  Bedürfnissen  seiner  Gemeinde  zu  genügen,  auch 
deren  Muttersprache  handhabt.  Dieser  Anforderung  stellen  sich  aber 
zwei  Schwierigkeiten  entgegen,  welche  abweichende  und  zwar  zu 
Gunsten  des  Deutschtums  wirkende  Zustände  hervorbringen.  Erstens 
sind  viele  Gemeinden  zweisprachig,  so  daß  der  Pfarrer  romanisch  und 
deutsch  reden  muß.  Da  nun  die  Leute  deutscher  Muttersprache  nur 
selten  romanisch,  die  Romanen  aber  fast  immer  ordentlich  deutsch 
verstehen,  so  ist  es  begreiflich,  daß  der  Pfarrer,  dem  doch  daran  liegt, 
daß  seine  Predigt  möglichst  viele  seiner  Zuhörer  fesselt,  dem  Deutschen 
einen  Einfluß  einräumt,  der  dem  nationalen  Zahlenverhältnis  in  der 
Gemeinde  vielfach  nicht  entspricht.  So  wird  z.  B.  in  Paspels  und 
Rothenbrunnen  (Heinzenberg) ,  wo  zwar  alle  deutsch  verstehen,  die 
Majorität  aber  romanische  Muttersprache  hat,  fast  nur  deutsch  ge- 
predigt. In  Pontresina  und  St.  Moritz,  in  Flims  und  Filisur  ist  der 
romanische  Gottesdienst  ebenfalls  verschwunden.  In  Scharans  (Heinzen- 
berg) und  Zuoz  (Oberengadin)  werden  die  Sprachen  abwechselnd  einen 
Sonntag  um  den  anderen  gebraucht,  obgleich  nur  deutsche  Minoritäten 
dort  leben.  Bezeichnend  ist  dies,  daß  der  Pfarrer  des  letztgenannten 
Ortes,  ein  Deutschschweizer,  der  eine  Zeit  lang  im  Bergell  angestellt 
war,  italienisch  und  oberländerromanisch  zu  predigen  wußte,  aber 
sich,  bis  er  das  Ladinische  erlernte,  ausschließlich  des  Deutschen  be- 
diente, weil  dies  besser  verstanden  wurde  als  jene  beiden  anderen 
Sprachen. 

In  mehreren  Orten  des  Engadins,  z.  B.  in  Campovasto,  Schuls, 
ist  einmal  im  Monate  deutscher  Gottesdienst,  in  anderen  nur  am  zweiten 

Forschungen  zur  deutschen  Landes-  und  Volkskunde.    Xn.    6.  31 


462  A.  Sartorius  Freiherr  v.  Waltershausen,  [9g 

Oster-,  Pfingst-  und  Weihnachtstag,  wie  in  Remüs,  Strada,  Martins- 
bruck,  Zernez.  In  diesen  Fällen  ist  zwar  dem  Bedürfnis  der  roma- 
nischen Mehrheit  Rechnung  getragen,  allein  man  muß  als  Gegenstück 
dazu  festhalten,  daß  in  deutschen  Gemeinden  mit  geringer  romanischer 
Minorität  auf  diese  in  gleicher  Weise  keine  Rücksicht  genommen  wird. 

Die  zweite  Schwierigkeit  ist  der  Mangel  an  protestantischen  wie 
katholischen  Geistlichen  aus  romanischen  Gegenden,  der  sich  sowohl 
aus  der  Abnahme  der  Nationalität  als  auch  aus  der  vielfach  schlechten 
Besoldung  bei  steigenden  Lebensansprüchen  und  bei  den  verschiedenen 
sonstigen  besseren  Erwerbsgelegenheiten  im  Lande  und  außerhalb  des- 
selben erklärt.  Er  wird  vermutlich  in  Zukunft  noch  mehr  hervor- 
treten, je  mehr  das  romanische  Sprachgebiet  eingeengt  wird,  und  je 
größere  Ansprüche  die  Fremdenindustrie  an  die  Verwendung  gebildeter 
Kopfarbeiter  stellt.  In  früheren  Zeiten  war  das  Unterengadin  ein  er- 
giebiger Produzent  an  protestantischen  Pfarrern.  Manche  Orte  hatten 
deren  mehrere,  indem  wohlhabende  Männer  bei  ganz  geringer  Besoldung 
die  Stellung  eines  Predigers  als  eine  Art  Ehrenamt  übernahmen.  Auch 
das  Oberland  bildete   mehr  katholische  Geistliche   aus  als  heutzutage. 

Dieser  Mangel  hat  zur  Folge,  daß  sich  die  Dörfer,  falls  sie  ihr 
Pfarramt  nicht  unbesetzt  lassen  wollen,  an  anderssprachige  Gebiete 
wenden  müssen,  in  denen  ein  Ueberschuß  an  Geistlichen  über  den  Be- 
darf vorhanden  ist.  Hierbei  kommt  erstens  Italien  mit  seinen  Ordens- 
geistlichen in  Betracht,  so  sind  z.  B.  in  Tomils,  Almens  (Heinzenberg), 
Schweiningen,  Tiefenkastell  italienische  Kapuziner  angestellt,  zweitens 
die  deutsche  Schweiz,  Deutschland  und  0 esterreich.  Das  letztere  Land 
versorgt  das  Münsterthal,  soweit  es  katholisch  ist;  aus  den  beiden 
anderen  Gebieten  finden  wir  Pfarrer  beider  Konfessionen  in  verschiedenen 
Gegenden  des  romanischen  Graubündens.  Die  Italiener  sind,  obgleich 
sie  schnell  den  romanischen  Dialekt  des  Ortes  erlernen  und  für  die 
Gemeinde  billig  zu  haben  sind,  da  ihre  Lebensbedürfnisse  nicht  hoch 
sind,  und  sie  auch  von  ihrem  Orden  unterstützt  werden,  im  allgemeinen 
weniger  geschätzt  als  die  in  der  Schweiz  ausgebildeten  Geistlichen, 
weil  sie  sich  infolge  ihrer  einseitigen  Klostererziehung  selten  einen 
umfassenden  Gesichtskreis  für  Land  und  Leute  aneignen  und  das  Deutsche 
niemals  lernen.  Daher  stoßen  wir  auf  die  auffallende  Erscheinung, 
daß  rein  oder  überwiegend  romanische,  katholische  Gemeinden  bisweilen 
ausschließlich  deutsch  redende  Pfarrer  zu  sich  berufen.  So  ist  z.  B. 
in  Stürvis  (Kreis  Alvaschein),  wo  die  statistische  Aufnahme  von  1888 
keinen  Deutschredenden  kennt,  ein  Geistlicher  aus  Deutschland,  ebenso 
ist  es  in  Bonaduz1),  wo  noch  die  Majorität  romanisch  gezählt  wurde. 
Von  den  protestantischen  Gemeinden  ist  Zillis  im  Schamserthal  und 
Präz  im  Kreise  Thusis  zu  erwähnen,  wo  der  Prediger  aus  einem  sprach- 
lich deutschen  Gebiete  gekommen  ist  und  sich  beim  Gottesdienst  nur 
seiner  Muttersprache  bedient. 


*)  Wie  sehr  in  Bonaduz  die  Germanisierung  schon  fortgeschritten  ist,  erhellt 
ans  der  Thatsache ,  daß  der  dortige  Geistliche ,  ein  Badenser ,  nach  einem  Jahre 
seines  Dortseins  von  der  Gemeinde  einstimmig  wiedergewählt  wurde,  obgleich  er 
gar  nicht  romanisch  redet. 


99]  Die  Germanisierung  der  Rätoromanen  in  der  Schweiz.  463 

Wenn  nun  auch  in  solchen  Fällen  der  Seelsorger  allmählich 
mit  seiner  Gemeinde  sich  in  deren  Dialekt  verständigen  lernt,  so  bleibt 
dies  doch  immer  unvollkommen,  und  es  liegt  in  dem  Wesen  der  Sache, 
daß  er  seiner  Muttersprache  den  Vorzug  geben  und  so  germanisieren 
wird.  In  den  sprachlich  gemischten  Gemeinden,  in  denen  ein  starker 
Fremdenverkehr  ist,  wie  z.  B.  in  Bergün  und  Samaden,  früher  auch 
in  Pontresina,  St.  Moritz  und  Flims,  wo  die  Predigt  jetzt  ganz  deutsch 
ist,  wird  der  protestantische  Gottesdienst  im  Sommer  als  ein  freund- 
liches Entgegenkommen  gegen  die  Fremden,  überwiegend  im  Deutschen 
abgehalten,  an  dem  dann  auch  die  angesessenen  Romanen  teilnehmen. 

So  sehen  wir,  wie  nach  verschiedener  Richtung  hin  die  modernen 
Wirtschafts-  und  Verkehrsverhältnisse  auch  die  Kirchensprache  berührt 
haben,  deren  Germanisierungswerk  unverkennbar  ist.  Aber  auch  hier, 
wie  bei  der  Schule,  sind  die  hinter  den  unmittelbar  wirkenden  Faktoren 
stehenden  Bedürfhisse  des  materiellen  Lebens  die  eigentliche  treibende 
Ursache. 

Die  Frage,  ob  die  katholische  Kirche  nicht  etwa  ein  bestimmtes 
Interesse  an  der  Germanisierung  oder  an  der  Erhaltung  des  Romanischen 
habe,  wird  nicht  gleichmäßig  beantwortet.  Von  deutsch-protestantischer 
Seite  habe  ich  wohl  gehört,  daß  der  katholische  Klerus  im  Oberlande 
und  im  Oberhalbstein  die  romanische  Sprache  begünstige,  weil  die 
ihm  feindlichen  Lehren  in  der  deutsch-liberalen  Schweiz  und  im  Reiche 
dadurch  ferngehalten  würden.  Sollte  dies  so  sein,  also  etwa  eine 
Parallele  mit  Böhmen  bestehen,  wo  er  zum  Tschechentum  aus  analogen 
Gründen  hinneigt,  so  würde  es  doch  falsch  sein,  aus  solchen  That- 
sachen  den  Schluß  zu  ziehen,  daß  der  Katholizismus  sich  überhaupt  in 
Graubünden  antideutsch  in  diesem  Sinne  verhalte.  Denn  im  Münster- 
thal treffen  wir  genau  die  entgegengesetzte  Erscheinung,  weil  dort  im 
oberen  Thal  protestantische  Romanen,  im  unteren  katholische  Deutsche 
wohnen,  mithin  die  Ausdehnung  der  deutschen  Sprache  eine  stärkere 
Beeinflussung  der  Bevölkerung  durch  die  Tiroler  Geistlichkeit  bedeutet. 
Ich  möchte  der  Meinung  zuneigen,  daß  die  katholische  Kirche  viel  zu 
realistisch  zu  denken  gewohnt  ist,  um  sich  prinzipiell  an  bestimmte 
Mittel  zur  Erreichung  ihrer  allein  feststehenden  Zwecke  zu  binden. 
Ein  Politiker  oder  Staatsmann  mit  nationalen  Zielen  wird  seine  Stellung 
zu  den  Kirchengemeinschaften  ändern,  je  nachdem  sie  ihm  dabei  ent- 
gegenkommen oder  nicht,  die  katholische  Kirche  wird  bei  nationalen 
Gegensätzen  ähnlich  verfahren,  also  in  ihnen  nur  etwas  Wechselndes 
erblicken,  das  wechselnd  zu  benutzen  ist. 


VIII.   Kapitel. 

Staatliches  Leben  und  romanische  Nationalität 

Man  ist  gewohnt,  in  dem  heutigen  Bundesstaate  der  Schweiz  mit 
der  weitgehenden  kantonalen  und  gemeindlichen  Selbständigkeit  ein 
Extrem  dezentralisierter,  politischer  Verfassung  zu  erblicken.  Diese 
Anschauung  ist  als  Ergebnis  eines  Vergleiches  mit  anderen  europäischen 
Staaten  berechtigt,  wenn  man  aber  das  heutige  schweizerische  Staats- 
recht demjenigen  des  18.  Jahrhunderts  gegenüberstellt,  so  kann  man 
sich  leicht  davon  überzeugen,  daß  der  gegenwärtige  politische  Partiku- 
larismus sich  mit  jenem  vergangener  Zeit  an  Stärke,  Tiefe  und  Viel- 
gestaltigkeit gar  nicht  messen  kann.  Die  alte,  aus  dem  Mittelalter 
erwachsene  Eidgenossenschaft  war  ein  locker  gefügter  Staatenbund 
zum  Zweck  gemeinsamen  Schutzes  nach  außen  und  des  Ausgleichs 
von  Streitigkeiten  unter  den  Mitgliedern.  Dieselben  hatten  das  Recht, 
je  nach  ihren  Bedürfnissen  Separatbünde  untereinander  abzuschließen, 
und  neben  ihnen  standen  noch  die  „Verbündeten",  welche  in  noch 
minderer  Weise  einer  bundesrechtlichen  Gewalt  unterworfen  waren  als 
die  „ regierenden  Stände  *,  die  eigentlichen  alten  Teilnehmer  der  Ge- 
nossenschaft. 

Unter  diesen  Verhältnissen  war  es  begreiflich,  daß  die  Schweiz  wenig 
geeignet  war,  der  auf  ihrem  Gebiete  wohnenden  Bevölkerung  gemein- 
sames politisches  Empfinden  und  gemeinsame  Lebensanschauung  zu 
vermitteln.  Sie  ließ  das  lokale  Recht,  die  lokale  Sitte  und  Sprache 
unangetastet  und  bot  so  in  allen  Formen  des  öffentlichen  und  privaten 
Lebens  ein  unvergleichlich  buntscheckiges  Bild  dar. 

Zu  den  verbündeten  oder  zugewandten  Orten  der  Eidgenossen- 
schaft gehörten  auch  die  rätischen  Bünde,  der  obere,  der  Gotteshaus- 
und  der  Zehntgerichtenbund ,  welche  das  heutige  Graubünden  in  sich 
teilten.  Sie  waren  selbst  nur  eine  ganz  lose  Konföderation,  welche 
mehrere  hundert  Gemeinden,  noch  im  18.  Jahrhundert  die  eigentlichen 
Träger  der  politischen  Souveränität,  in  sich  vereinigten.  Die  Gemeinden 
schlössen  sich  in  Gerichten  und  Hochgerichten  zu  größeren  Gerichts- 
und Verwaltungsverbänden  zusammen  und  wählten  als  solche  ihre 
Richter  und  auch  die  Boten  zu  den  Bundestagen  und  Kongressen,  auf 
denen  die  gemeinsamen  Angelegenheiten  der  drei  Bünde  zur  Beratung 
standen. 


10  J]  A.SartoriusFrhr.v.  Walt  ershausen^DieGermanisierung  der  Rätoromanen  etc.  465 

Eine  stehende  Regierung  war  in  dieser  Republik  der  drei  Bünde 
nicht  vorhanden,  sondern  die  Boten  und  Beamten  kamen  von  Zeit  zu 
Zeit  zusammen,  um  die  politischen  Geschäfte  zu  erledigen.  Wie  wenig 
bedeutungsvoll  dieselben  waren,  geht  unter  anderem  daraus  hervor, 
daß  das  Budget  der  Republik  um  1774  die  Ausgabe  auf  22929  und 
die  Einnahme  auf  30060  Gulden  bezifferte  l). 

Der  Schwerpunkt  aller  politischen  Verwaltung  lag  in  den  Ge- 
meinden, deren  Bürger  ihre  Beamten  wählten,  die  Dorfmeister,  die 
Kriminal-  und  Zivilgeschworenen  mit  dem  Ammann  an  der  Spitze, 
den  Kirchen-  und  Schulrat  und  den  Pfarrer.  Viele  Gemeinden  hatten 
ihre  besonderen  Satzungen  für  Polizei,  Alp-  und  Waldwesen,  für  Ab- 
gaben u.  s.  w. ;  die  Gerichte  und  Hochgerichte  hatten  ihre  eigenen 
Zivil-  und  Krimmalstatuten,  die  sie  nur  auf  Grund  der  Abstimmung 
nach  Gemeinden  aufheben  oder  ändern  konnten. 

Bei  dieser  so  weitgehenden  politischen  Selbstverwaltung  war  es 
so  gut  wie  ausgeschlossen,  daß  die  Republik  der  drei  Bünde  auf  die 
Nationalitätsverhältnisse  des  Landes  irgendwie  einwirkte.  Die  deutsche 
Sprache  wurde  allerdings  „in  den  allgemeinen  Standesversammlungen, 
in  den  Protokollen  und  öffentlichen  Briefen tt  gebraucht2),  ihre  Abgeord- 
neten zu  den  eidgenössischen  Versammlungen  mußten  sich  derselben  be- 
dienen8), auch  wurden  die  Korrespondenzen  mit  fremden  Mächten  in 
ihr  abgefaßt.  Aber  alles  dies  wollte  doch  für  die  Germanisierung  nichts 
besagen,  solange  die  Verwaltungsthätigkeit  der  Bünde  so  geringfügig  blieb. 

Der  moderne  Staat,  demzufolge  alle  Teile  und  Teilchen  des  Volkes 
zusammenhängen,  sich  gegenseitig  stützen  und  ergänzen,  demzufolge 
das  Wohl  des  Ganzen  und  dasjenige  der  einzelnen  Bürger  sich  gegen- 
seitig bedingen,  ist  in  der  Schweiz  und  besonders  in  Graubünden  weit 
später  entstanden  als  in  Frankreich,  Oesterreich,  Preußen  oder  Bayern. 
Die  Verwaltungsorganisation,  welche  in  diesen  Staaten  das  absolute 
Regiment  im  17.  und  18.  Jahrhundert  geschaffen  hatte,  hat  die  Schweiz 
und  überwiegend  auch  ihre  Kantone  erst  im  19.  nachholen  können.  Man 
darf  dies  nicht  vergessen,  wenn  man  die  Nationalitätsfrage  in  der 
Schweiz  beurteilen  will.  In  jedem  modernen  Staatswesen  liegt  eine 
Tendenz  zur  Vereinheitlichung  und  als  Aeußerung  derselben  auch  das 
Streben  nach  der  Einheit  der  Sprache.  Denn  es  wird  durch  die  That- 
sache  einer  einzigen  Sprache  sowohl  die  innere  Verwaltung  vereinfacht 
und  damit  erleichtert,  als  auch  die  Ausbildung  des  Nationalgefühls  als 
einer  bedeutsamen  ethischen  Macht  gefördert.  Wenn  somit  jeder 
Staat  in  sich  eine  zentripetale  Kraft  trägt,  die  nichts  anderes  ist  als 
seine  Selbsterhaltung  anderen  Völkern  gegenüber  und  diese  auch  auf 
innerem  nationalem  Gebiete  äußert,  so  ist  es  doch  fraglich/ob  es  ihm  ge- 
lingt,  sich   die   Sprachminderheiten   seiner   nationalen   Hauptmacht   so 


J)  Vgl.  Sprecher  a.  a.  0.,  II,  S.  566. 

2)  Johann  Eonrad  Fäsis  genaue  und  vollständige  Staats-  und  Erd- 
beschreibung der  ganzen  helvetischen  Eidgenossenschaft.  Zürich  1768,  I,  S.  63, 
IV,  S.  80. 

8)  Versuch  eines  Handbuches  der  schweizerischen  Staatskunde  von  J.  C.  Fäsi. 
Zürich  1796,  S.  48. 


466  A.  Sartoriiw  Freiherr  v.  Walterabausen,  [102 

zu  assimilieren,  daß  sie  ihm  nicht  feindlich  entgegentreten  und  damit 
sein  Bestehen  gefährden. 

Der  erste  Versuch,  aus  der  Schweiz  einen  modernen  Staat  zu 
machen,  war  die  von  Frankreich  1798  vorgenommene  Gründung  der 
helvetischen  Bepublik,  in  welcher  die  Kantone  zu  Verwaltungsbezirken 
gemacht  wurden,  die  von  einem  Zentrum  aus  geleitet  werden  sollten. 
Diesem  im  höchsten  Maße  gegen  das  Gesetz  der  schrittweisen  geschicht- 
lichen Entwickelung  verstoßenden  Experiment  war  nur  ein  kurzes  Dasein 
beschieden,  und  daß  es  zu  nationalen'  Schwierigkeiten  führen  mußte, 
ist  nur  deshalb  von  den  Zeitgenossen  nicht  empfunden  worden,  weil 
es  zusammenbrach,  ehe  sich  seine  Wirkungen  auf  diesem  Gebiete 
fühlbar  machten. 

Napoleon  schuf  1803  in  der  „Vermittelungsakte"  den  Schweizern 
eine  neue  Verfassung  und  erklärte  ihren  Abgesandten  bei  der  Beratung 
über  dieselbe,  daß  sich  ihr  Vaterland  in  hohem  Maße  für  den  Födera- 
lismus eigne,  „  in  welchem  jeder  Kanton  nach  seinerSprache,  nach 
seinen  Sitten,  Bedürfnissen  und  Meinungen  konstituiert  seiu  1). 

Einer  der  damaligen  19  Kantone  war  auch  Graubünden,  von 
dem  jedoch  die  Unterthanenlande  Worms,  Cläfen  und  das  Veltlin  ab- 
getrennt und  der  italienischen  Republik  zugehörig  blieben.  Die  heu- 
tigen Kantonsgrenzen  stammen  aus  jener  Zeit. 

Nach  dem  Sturze  der  französischen  Weltmacht  wurde  auch  das 
von  ihr  geschaffene,  eine  äußerst  mäßige  und  vernünftige  Einheits- 
verwaltung gewährende  schweizerische  Staatsrecht  wieder  umgeworfen 
und  dem  unzeitgemäßen  alten  Partikularismus  wieder  größerer  Spiel- 
raum gewährt. 

Es  ist  nicht  uninteressant,  die  Etappen  auf  dem  Entwickelungs- 
gang  zur  politischen  Einheit  einerseits  der  Schweiz  und  Deutschlands 
andererseits  in  diesem  Jahrhundert  miteinander  zu  vergleichen. 

Beiden  Ländern  brachte  die  Restaurationszeit,  in  welcher  die 
Regierungen  glaubten,  daß  sie  die  Vorgänge  der  letzten  dreißig  Jahre 
ungeschehen  machen  könnten,  einen  Staatenbund,  in  welchem  die  alten 
lokalen  und  landsmannschaftlichen  Sonderheiten  möglichst  konserviert 
werden  sollten,  in  beiden  war  aber  schon  als  Inhaberin  des  immer 
bedeutsamer  werdenden  Produktionsmittels  des  Kapitals  ein  kräftig  auf- 
strebendes, nicht  städtisches,  sondern  staatliches  Bürgertum  vorhanden, 
das  energisch  verlangte,  im  Staatsleben  Berücksichtigung  zu  finden. 
In  Deutschland  wurden  unter  diesem  Impuls  unter  verschiedenen  Staaten 
Zollverträge  während  der  zwanziger  Jahre  abgeschlossen,  aus  welchen 
dann  1833  der  deutsche  Zollverein  hervorgegangen  ist,  der  auf  dem 
Gebiete  des  Zoll-,  Steuer-,  Geld-  und  Gewichts wesens  u.  s.  w.  mancherlei 
Einheitliches  schuf  und  für  die  Verwirklichung  der  politischen  Einheit 
so  anregend  gewirkt  hat.  In  der  Schweiz  wurde  1832  eine  neue 
Bundesverfassung  angestrebt,  nach  der  die  Zölle  an  die  Landesgrenze 
verlegt,  ein  einheitliches  Post-,  Münz-  und  Maßwesen  geschaffen  werden 
sollte.    Freilich  scheiterte  dieser  Plan,  aber  die  Bedürfnisse  einer  wich- 


!)  Leonard    Meisters    Helvetische   Geschichte,    Bd.   IV,    1799—1807, 
S.  63  ff.,  und  Allgemeine  Zeitung  von  1802,  S.  355. 


103]        -        Die  Germanisierung  der  Rätoromanen  in  der  Schweiz.  467 

tigen  Klasse  in  der  Gesellschaft  waren  mit  ihm  unzweifelhaft  nach- 
gewiesen worden.  Das  Jahr  1848  verlief  hingegen  für  die  Eid- 
genossenschaft günstiger  als  in  Deutschland.  Sie  wurde  ein  Bundes- 
staat und  ordnete  eine  gewisse  Zentralisation  an,  die  auf  ökonomischem 
Gebiete  als  so  notwendig  empfunden  wurde.  In  Deutschland  schlug 
als  verfrühtes  Experiment  die  Bemühung  nach  staatlicher  Einheit  fehl, 
was  aber  darum  um  so  eher  verwunden  wurde,  als  der  Zollverein  un- 
berührt fortbestehen  blieb.  Als  nun  1867  der  norddeutsche  Bund  und 
1871  das  Reich  begründet  wurden,  glaubte  auch  die  Schweiz  mit  einer 
weiteren  Verstärkung  der  Bundesgewalt  nicht  warten  zu  dürfen  und 
unterzog  1874  in  diesem  Sinne  die  Verfassung  einer  Revision. 

Seitdem  finden  wir  in  beiden  Staaten  die  Entstehung  einer  wenn 
auch  nur  schrittweise  vorgehenden  Gesetzgebung  zur  Vereinheitlichung 
des  Rechtes  und  zur  Zusammenfassung  der  Verwaltung.  Es  sei  be- 
züglich der  Schweiz  nur  an  das  Zivilrecht ,  das  Alkoholmonopol ,  die 
Verstaatlichung  der  Eisenbahnen  erinnert. 

Da  nun  die  Eidgenossenschaft  ein  Staatswesen  geworden  ist  mit 
der  Befugnis,  durch  Gesetz  und  Beamte  in  die  Lebensverhältnisse  aller 
Schweizer  einzugreifen,  konnte  es  nicht  ausbleiben,  daß  die  deutsche 
Hauptmacht  auf  die  nationalen  Minderheiten  einen,  wenn  auch  sehr 
verschiedenen  Druck  ausübte.  Am  meisten  ist  jedenfalls  das  Romanen- 
tum  betroffen  worden,  das  einen  entscheidenden  Widerstand  weder 
leisten  konnte  noch  wollte. 

Dies  äußerte  sich  schon  in  der  Nichtberücksichtigung  des  Ro- 
manischen in  den  Ratsversammlungen  in  Bern  1).  Die  alten  13  Orte  der 
Eidgenossenschaft  bis  1798  waren  rein  deutsch,  bei  der  Tagessatzung 
wurde  nur  deutsch  gesprochen,  und  die  Korrespondenzen  zwischen  den 
Kantonen  waren  in  derselben  Sprache;  als  dann  Waadt  und  Tessin 
in  der  Helvetik  zur  Unabhängigkeit  gelangten,  wurde  auch  die  fran- 
zösische und  italienische  Sprache  zugelassen.  Unter  der  Vermittelungs- 
akte  blieb  es  so,  in  der  Restaurationsepoche  hingegen  finden  wir  als 
einen  Ausdruck  der  Vorliebe  für  das  Alte  in  den  Protokollen  nun  wieder 
deutsch,  bis  dann  1848  auf  Antrag  des  Kantons  Waadt  die  Verfassung 
den  gegenwärtig  geltenden  Grundsatz  aufnahm:  „Die  drei  Haupt- 
sprachen der  Schweiz,  die  deutsche,  französische,  italienische,  sind 
Nationalsprachen  des  Bundes/ 

Hieraus  ist  dann  die  Folgerung  gezogen  worden,  daß  alle  Ge- 
setze, Verordnungen  u.  s.  w.  in  allen  drei  Sprachen  gedruckt  werden 
müssen  und  so  als  authentischer  Text  gelten,  daß  die  Abgeordneten 
im  Stände-  und  Nationalrat  nach  ihrem  Belieben  sich  jeder  der 
Sprachen  bedienen  dürfen,  daß  die  Eidesformel  der  Abgeordneten  in 
drei  Sprachen  vorzulesen  ist,  und  daß  zum  Verständnis  der  Rats- 
mitglieder untereinander  Uebersetzer  für  die  Verhandlungen  zu  halten 
sind.  Ebenso  ist  im  ßundesgericht  die  Dreisprachigkeit  bei  den  Rich- 
tern zu  wahren,  und  die  Parteien  können  ihr  gemäß  bei  den  Verhand- 
lungen sprechen. 


*)   Handbuch    des    schweizerischen    Bundesrechtes     von    Dr.    J.    Blumer, 
herausg.  von  Dr.  J.  Morel  1887,  Bd.  II,  S.  235. 


468  A.  Sartoriu8  Freiherr  v.  Waltershausen,  [104 

Wir  sehen  also,  daß  dem  Romanischen  keine  Beachtung  ge- 
schenkt worden  ist1),  wobei  als  Motivierung  angeführt  wurde,  daß. 
weder  der  ganze  Kanton  Graubünden  sich  desselben  bediene,  die  Haupt- 
sprache vielmehr  dort  das  Deutsche  sei,  noch  die  Abgeordneten  bisher 
daran  festgehalten,  vielmehr  ihre  Reden  immer  deutsch  gehalten 
hätten. 

Daß  dieser  Ausschluß  des  Romanischen  von  den  Bundessprachen 
für  die  Germanisation  Graubündens  nicht  ohne  Belang  ist,  geht  vor 
allem  daraus  hervor,  daß  die  Bundesgesetzgebung,  die  immer  um- 
fangreicher wird  und  auch  in  Zukunft  das  gesamte  Privatrecht  um- 
fassen wird,  in  ihrer  deutschen  Form  gelesen  und  gebraucht  wird,  so 
daß  jeder  Romane,  der  mit  juristischen  Dingen  etwas  zu  thun  hat, 
ein  Interesse  darin  findet,  das  Deutsche  gründlich  zu  erlernen. 

Die  Verwaltungsthätigkeit  des  schweizerischen  Bundesstaates 
greift  in  mannigfaltiger  Weise  in  die  Sprachverhältnisse  ein.  Ich 
erwähne  hier  zunächst  das  Militärwesen2).  Die  Exerzierreglements 
und  Dienstanleitungen  sind  von  alters  her  in  deutscher,  französischer 
und  italienischer  Sprache  redigiert  und  den  Truppen  vermittelt  worden r 
mit  der  einzigen  Einschränkung,  daß  wenigstens  die  Kommandos  auch 
bei  den  italienisch  und  romanisch  sprechenden  Truppen  im  deutschen 
Idiom  abgegeben  werden  mußten 8).  Es  giebt  fünf  rein  deutsche  Divi- 
sionen und  zwei  „welsche",  d.  h.  französisch  redende,  dazu  kommt 
als  achte  eine  gemischte,  in  welcher  deutsch,  italienisch,  französisch 
und  romanisch  von  den  Mannschaften  gesprochen  wird.  Von  den  ein- 
gestellten romanischen  Rekruten  verstehen  die  meisten  infolge  der 
Schulbildung  deutsch,  doch  kommt  immer  eine  Anzahl  „Stockromant- 
scher"  zur  Truppe,  vor  allem  aus  dem  Oberland,  gelegentlich  auch 
aus  dem  Oberhalbstein  und  Unterengadin.  Sie  werden  zur  Instruktion 
in  deutsch  sprechende  Kompanieen  eingereiht,  in  welchen  sich  stets 
Instruktions-  und  Milizoffiziere,  sowie  auch  einige  Unteroffiziere  be- 
finden, welche  der  romanischen  Sprache  mächtig  sind,  und  diesen  wird 
dann  die  Ausbildung  der  romanischen  Rekruten  übertragen.  Die  Kom- 
mandos sind  für  diese  Leute  ganz  deutsch  und  nur  im  Anfang  werden 
die  Vorbereitungskommandos  auf  romanisch  und  deutsch  gegeben4). 


])  Jedoch  werden  wich  tigere  Erlasse  des  Bundes  in  Uebersetzungen  den 
Romanen  zugänglich  gemacht.    Vgl.  Hunziker  a.  a.  0.,  S.  42. 

*)  Ich  beziehe  mich  hier  auf  eine  briefliche  Mitteilung  des  Herrn  Oberst 
Bollinger  in  St.  Gallen,  welche  mir  durch  die  freundliche  Vermittelung  des 
Herrn  Prof.  Dr.  Meili  in  Zürich  zugekommen  ist. 

8)  Wobei  es  an  dem  Vorkommen  drolliger  mißverstandener  Wendungen 
nicht  fehlt,  z.  B.  Furrer  rex  statt  Führer  rechts. 

4)  Sprachenverhältnisse  der  Infanterieeinheiten  der  VIII.  Armeedivision : 
Füs.-Regt.  29: 
Füs.-Bat.  85  Kanton  Glarus:  deutsch, 
»         86        „         Schwyz :     „ 
Schützenbataillon  8: 

1.  Komp.  Graubünden:  deutsch  und  romanisch, 

2.  „       Tessin:  italienisch, 

3.  „       Glarus:  deutsch, 

4.  „        Schwyz:     „ 


105]  Die  Germanisierung  der  Rätoromanen  in  der  Schweiz.  469 

Daß  unter  diesen  Einrichtungen,  namentlich  dort,  wo  deutsche 
und  romanische  Rekruten  in  derselben  Kompanie  dienen,  der  Militär- 
dienst eine  Art  praktischer  Fortsetzung  des  deutschen  Unterrichtes  ist, 
darf  mit  Sicherheit  angenommen  werden,  und  bei  den  häufigen  spä- 
teren wochenlangen  militärischen  Uebungen  bietet  sich  immer  von 
neuem  Gelegenheit,  das  Gelernte  zu  wiederholen. 

Eine  ganz  andersartige,  aber  darum  nicht  minder  bedeutsame 
germanisierende  Einwirkung  erzeugt  das  wie  über  die  ganze  Schweiz, 
so  auch  über  das  romanische  Gebiet  verbreitete  Post-  und  Telegraphen- 
wesen. Alle  Postbeamten,  die  mit  den  höheren  Instanzen  in  Chur 
und  Bern  schriftlich  zu  verkehren  haben,  ferner  die,  welche  am  Schalter 
mit  dem  Publikum  verhandeln  oder  als  Kutscher  und  Kondukteure  bei 
der  Fahrpost  thätig  sind,  müssen  das  Deutsche  vollständig  beherrschen 
und  entsprechen  auch  dieser  Pflicht  durchaus.  Die  Post  kommt  auch 
mit  allen  Schichten  der  Bevölkerung  in  Berührung  und  nötigt  diese, 
die  deutschen  Reglements,  Fahrpläne  u.  s.  w.  zu  studieren.  Dieser 
doppelte  Einfluß  der  staatlichen  Verkehrseinrichtungen  wird  sich  in 
späterer  Zeit  noch  in  verstärktem  Maße  zeigen,  wenn  erst  Bundes- 
bahnen die  bündnerischen  Thäler  durchziehen  werden,  deren  Central- 
verwaltung  in  einer  deutschredenden  Stadt  liegen  wird. 

Da  verfassungsgemäß  der  Bund  die  Oberaufsicht  über  die  Straßen, 
besonders  die  Alpenstraßen  und  Brücken,  über  Flußkorrektionen,  das 
Auswanderungswesen,  die  Fischerei  und  Jagd,  das  Forstwesen,  das 
Gesundheitswesen  ausübt,  so  stehen  seine  Organe  in  steter  Verbindung 
mit  Graubündner  Lokalbeamten,  und  es  versteht  sich  von  selbst,  daß 
die  erforderlichen  Zustellungen,  Anordnungen,  Antworten  in  deutscher 
Sprache  abgefaßt  sind. 

Schließlich  ist  noch  das  eidgenössische  Zollwesen  zu  nennen.  Daß 
die  Zollbeamten  in  Martinsbruck ,  in  Münster,  in  Castasegna,  in  Cam- 
pocologno  im  Interesse  des  Fremdenverkehrs  deutsch  verstehen  müssen, 
will  nicht  viel  besagen,  da  aber  der  schweizerische  Tarif  der  inländischen 
Produktion  mancherlei  Schutz  gewährt,  so  bilden  sich  in  allen  roma- 
nischen Dörfern  Verkehrsbeziehungen  zu  den  Haupthandels-  und 
Produktionsorten  der  deutschen  Ostschweiz  heraus,  indem  von  hier 
aus  vielfach  am  billigsten  der  Bedarf  gedeckt  wird.  Zu  Gunsten  der 
Germanisierung  kommt  dabei  als  negative  Wirkung  hinzu  die  Er- 
schwerung des  Verkehrs  mit  Norditalien  durch  die  Zollgrenze.  Jeder, 
der  weiß,  von  welchem  Einfluß  die  Zölle  auf  die  zeitweilige  Ausbildung 
einer  Volkswirtschaft  sind,  und  wie  durch  sie  die  nationalen  Kräfte 
der  Wirtschaftszweige  in  gegenseitige  Verbindung  miteinander  treten, 

Füs.-Regt.  30.: 

Füs.-Bat.  88  Kanton  Wallis:  3  Komp.  französisch,  1  Komp.  deutsch, 
„         89        ,        Oberwallis:  ganz  deutsch, 

„         90       „        Graubünden:  3  Komp.  romanisch,  1  Komp.  italien. 
Füs.-Regt.  31 : 
Füs.-Bat.  91  Kanton  Graubünden:  deutsch, 
t         92        *  „  , 

„         93        „  „  romanisch  und  deutsch. 

Füs.-Regt.  32: 
Füs.-Bat.  94—96  Kanton  Tessin:  italienisch. 


470  A.  Sartorius  Freiherr  v.  Waltershausen,  [106 

wird  auch  ein  Verständnis  dafür  haben,  wie  die  Gewerbe  der  deutschen 
östlichen  Schweiz  insbesondere,  aber  auch  die  des  Nordens  mit  denen 
Graubündens  sich  verknüpfen  müssen,  und  daß  alles,  was  dabei  ge- 
sprochen und  geschrieben  wird,  nicht  romanisch,  sondern  deutsch  ist, 
bedarf  keiner  weiteren  Erörterung. 

Neben  dem  Bundesstaat  ist  auch  noch  der  Kanton  Graubünden, 
als  ein  politischer  Faktor  der  Verbreitung  des  Deutschtums  zu  nennen. 
Wir  haben  bei  der  Erörterung  des  Schulwesens  darauf  hingewiesen, 
daß  die  Gemeinden  noch  über  eine  relativ  große  Selbständigkeit  ver- 
fügen, aber  wenn  wir  eine  längere  Reihe  von  Jahren  überschauen,  so 
kommen  wir  zu  der  Ueberzeugung ,  daß  sich  auch  im  Kanton  eine 
Verstärkung  der  Staatsgewalt  vollzogen  hat.  Die  Kantonsgesetzgebung 
und  im  Anschluß  daran  die  Verwaltungsthätigkeit  erstreckt  sich  auf 
verschiedene  Zweige  des  Wirtschaftslebens  und  Verkehrs,  auf  das 
Polizei- ,  Schul-  und  Sanitätswesen.  Damit  sind  mancherlei  Korre- 
spondenzen verbunden,  die  von  Seiten  der  Regierung  mit  den  roma- 
nischen Gemeinden  in  der  Regel  im  Deutschen  geführt  und  auch  in 
der  gleichen  Sprache  dem  Herkommen  nach  beantwortet  werden,  ob- 
gleich  rechtlich  auch   das  Oberländische  und  Ladinische  zulässig  ist. 

Der  Große  Rat,  bestehend  aus  direkt  gewählten  Abgeordneten, 
berät  und  bereitet  die  Gesetze  vor,  welche  dem  Volke  zur  Abstimmung 
vorgelegt  werden.  Diese  Vorschläge  werden  im  deutschen,  italienischen 
und  oberländischen  Text  vorgelegt,  der  authentische  Text  des  an- 
genommenen Gesetzes,  welches  auf  Beschluß  des  Großen  Rates  über- 
setzt werden  kann,  ist  aber  nur  der  deutsche.  In  der  Ratsversamm- 
lung steht  es  jedem  Mitgliede  frei,  in  welcher  der  landesüblichen 
Sprachen  es  sein  Votum  abgeben  will.  Einige  Abgeordnete  bedienen 
sich  gelegentlich  des  Italienischen,  das  Romanische  hingegen  wird 
selten  gesprochen. 

So  wirken  Gesetz  und  Herkommen  auch  hier  zusammen,  um  dem 
Deutschen  die  Ueberlegenheit  zu  sichern1). 

Das  Gerichtswesen  erleidet  durch  die  Mehrsprachigkeit  des  Landes 
manche  Erschwerung. 

Die  unterste  Instanz  ist  das  Kreisgericht,  dessen  Sprache  in 
überwiegend  romanischen  Landesteilen  die  dort  vorherrschende  ist, 
wie  z.  B.  in  Samaden,  Schweiningen,  Süs.  Doch  kann  das  Gericht 
beschließen,  daß  auch  Verhandlungen  im  Deutschen  vorgenommen 
werden,  obgleich  Protokoll  und  Urteil  immer  noch  romanisch  nieder- 
geschrieben werden.  Die  älteren  Advokaten  plädieren  in  dem  orts- 
üblichen Dialekt,  die  jüngeren,  die  auf  Universitäten  deutscher  Zunge 
ausgebildet  worden  sind  —  denn  es  giebt  keine  romanische  Juris- 
prudenz — ,  sind  heutzutage  nicht  mehr  durchweg  dessen  fähig,  so 
daß  das  Gericht  ihnen  entgegenzukommen  genötigt  ist,  indem  es  ihnen 
das  Deutsche  gestattet. 

Ueber  den  Kreisgerichten  stehen  als  zweite  Instanz  die  Bezirks- 
gerichte.    Hier  hängt  die  Gerichtssprache  von  demjenigen  Gebiete  ab, 


])  Vgl.  Rechtskalender  der  schweizerischen  Eidgenossenschaft  von  F.  Seh  lat- 
ter, 1874,  und  Geschäftsordnung  für  den  Großen  Rat  vom  2.  Juni  1881. 


107]  Die  Germani8ierang  der  Rätoromanen  in  der  Schweiz.  471 

dem  sie  dient.  So  wird  z.  B.  in  Silvaplana  für  das  Bergeil  italienisch, 
für  das  Oberengadin  romanisch  verhandelt.  Hat  der  Bezirk  viele 
deutsche  Einwohner,  so  bürgert  sich  das  Deutsche  als  Gerichtssprache 
bald  ein.     So  z.  B.  in  Tiefenkastell  für  den  Bezirk  Albula. 

In  den  Bezirken  Imboden  und  Heinzenberg  ist  die  Gerichts- 
sprache gemischt.  Protokolle,  Urteile,  Erlasse  werden  meist  in  Deutsch 
abgefaßt,  während  die  mündlichen  Verhandlungen  auch  noch  romanisch 
vorgenommen  werden. 

Die  höchste  Instanz  im  Kanton  ist  das  Kantonsgericht  in  Ghur. 
Es  verhandelt  und  schreibt  prinzipiell  deutsch,  stellt  aber  für  die 
Romanen  und  Italiener  Dolmetscher,  falls  es  erforderlich  ist.  Die 
wesentlichen  romanischen  Akten,  welche  aus  den  unteren  Instanzen 
einkommen,  werden  übersetzt.  Im  allgemeinen  ist  daher  auch  im 
Gerichtswesen  die  Einwirkung  zu  Gunsten  der  Germanisierung  unver- 
kennbar. 

Wir  möchten  hier  am  Schluß  noch  kurz  beantworten,  warum  bisher 
in  der  Schweiz,  welche  doch  vier  Nationalitäten  umfaßt,  ein  Konflikt 
derselben  untereinander  ausgeschlossen  gewesen  ist.  Wir  werden  dann 
auch  von  allgemeineren  Gesichtspunkten  aus  beurteilen  können,  weshalb 
eine  „rätoromanische  Frage44  nicht  hat  aufgeworfen  werden  können. 

Vergleiche  zwischen  der  Schweiz  und  Oesterreich,  wo  der  Natio- 
naütatsstreit  von  alters  her  tobt,  sind  oft  gezogen  worden,  und  da  die 
politischen  Verfassungen  beider  Länder  verschieden  sind,  so  hat  man 
in  der  schweizerischen  die  Bürgschaft  dafür  zu  finden  gemeint,  daß 
hier,  trotz  vorhandener  nationaler  Gegensätze,  ihre  Träger  von  Streit 
und  Kampf  verschont  geblieben  sind.  Allein  eine  ausreichend  be- 
friedigende Erklärung  vermögen  wir  hierin  nicht  zu  finden.  Man 
glaubt  erstens,  daß  die  bundesstaatliche  Organisation  der  Eidgenossen- 
schaft und  die  damit  verbundene  weitgehende  Selbständigkeit  der  Kantone 
ein  Schutz  gegen  ein  etwaiges  staatliches,  von  der  deutschen  Haupt- 
macht angeregtes  Eingreifen  in  die  Sonderheiten  der  anderssprachigen 
Minoritäten  sei.  Während  in  Oesterreich  das  deutsche  Beamtentum, 
dadurch,  daß  es  rücksichtslos  Slaven,  Ungarn,  Italiener  regiert  habe, 
den  Sprachenstreit  heraufbeschworen  habe,  sei  in  der  Schweiz  eine 
solche  Verwaltungszentralisation  mit  einer  Beamtenhierarchie  aus- 
geschlossen gewesen.  Allein  die  Verfassungsgeschichte  dieses  Landes 
in  unserem  Jahrhundert  zeigt,  daß  zwar  langsam  und  bedächtig,  aber 
doch  stetig  die  Bundesgewalt  gestärkt  worden  ist.  Es  ist  nur  an  das 
Militär-,  das  Post-,  Telegraphen-,  Zollwesen,  in  neuerer  Zeit  an  die 
Eisenbahnen  zu  erinnern,  und  dem  Alkoholmonopol  wird  vielleicht  das 
Tabakmonopol  des  Bundes  folgen.  Die  nationalen  Minderheiten  haben 
im  allgemeinen  stets  gegen  die  Vermehrung  der  Bundesgewalt  ge- 
stimmt, weil  sie  darin  eine  Gefahr  für  sich  erblickten,  aber  sich  auch 
immer  wieder  beruhigt,  weil  in  dem  sozialen  Leben  kein  günstiger 
Nährboden  für  eine  solche  dauernde  Opposition  vorhanden  war. 

Als  eine  zweite  politische  Schutzwehr  gegen  nationale  Kämpfe 
hat  man  die  Demokratie  gepriesen,  welche  vermittelst  der  politischen 
Freiheit  die  staatliche  Verwaltung  der  steten  Volkskontrolle  unterwerfe. 


472  A.  Sartorius  Freiherr  v.  Waltershausen,  j  [108 

Indessen  Demokratie  ist  auch  Majoritätsherrschaft,  und  italienische  wie 
französische  Schweizer  sind,  wie  eben  erwähnt,  öfters  überstimmt  worden. 
Als  die  romanischen  Gemeinden  des  Bündner  Oberlandes  1895  gegen 
den  staatlichen  Lehrplan  für  die  Primarschulen  Verwahrung  einlegten* 
ging  der  Große  Rat  über  deren  Petition  zur  Tagesordnung  über  und 
überließ  es  der  Regierung,  den  berechtigten  Wünschen  der  betreffenden 
Thalschaften  Rechnung  zu  tragen.  Es  blieb  die  der  Verdeutschung^ 
so  günstige  Schulverordnung  bestehen,  und  es  wurde  nur  der  höheren 
Verwaltungsbehörde  aufgegeben,  ein  damit  übereinstimmendes  Arrange- 
ment zu  suchen.  Daß  dieselbe  dieser  Pflicht  in  geschickter  Weise 
nachgekommen  ist,  wurde  in  dem  Kapitel  über  das  Schulwesen  bereits 
hervorgehoben. 

Es  sind  namentlich  zwei  unabhängig  von  dem  heutigen  Staats* 
wesen  stehende  Thatsachen,  welche  in  der  Schweiz  dahin  gewirkt 
haben,  daß  der  Nationalitätsstreit  bisher  von  ihr  fern  geblieben  ist. 
Die  erste  ist  die  relativ  günstige  lokale  Gliederung  der  Sprachgemein- 
schaften. Die  Italiener  leben  durch  hohe  Gebirge  von  den  anderen 
getrennt  am  Südabfall  der  Alpen  bisher  als  kompakte  Masse,  ohne 
von  anderen  Nationalitäten  in  nennenswerter  Weise  durchsetzt  zu  seinr 
in  Tessin  und  in  den  vier  Bündner  Thälern.  Es  ist  also  die  örtliche 
Kollision,  die  Ursache  endloser  Reibereien,  wie  sie  Böhmen,  Mähren,. 
Siebenbürgen  u.  s.  w.  tagtäglich  bringen,  nicht  möglich.  Die  Deutsch- 
schweizer wohnen  ebenfalls  in  einem  zusammenhängenden  Gebiete. 
Von  den  25  Kantonen  sind  17  ganz  deutsch,  Wallis,  Bern,  Freiburg,. 
Neuchätel  sind  zwar  gemischt,  aber  in  der  Hauptsache  liegt  hier  doch 
die  Sache  so,  daß  durch  die  Kantone  die  Sprachgrenze  hindurchgeht, 
also  deutsch  und  französisch  Redende  lokal  getrennt  sind1). 

Endlich  sind  Genf  und  Waadt  ganz  überwiegend  französisch, 
aber  auch  in  sich  zusammenhängend.  An  der  Sprachgrenze  sind  Ver- 
schiebungen möglich,  und  in  diesen  vier  gemischten  Kantonen  sind 
nationale  Differenzen  nicht  ganz  ausgeschlossen.  Doch  werden  sie  die 
Gesamtmasse  des  Schweizer  Volkes  nicht  so  leicht  erregen,  da  diese 
sich  infolge  ihrer  örtlichen  Sonderung  kaum  davon  berührt  fühlen  wird. 
In  Graubünden  ist  das  Italien ert um  so  isoliert,  daß  es  deutsches 
und  romanisches  Wesen  so  weit  von  sich  fern  halten  kann  als  es  will. 
Die  Deutschen  und  Romanen  wohnen,  wie  wir  wissen,  in  einigen  Amts- 
bezirken gemischt  durcheinander.  Daß  es  unter  ihnen  national  friedlich 
hergeht,  ist  an  erster  Stelle  dem  Umstände  zu  verdanken,  daß  die  letz- 
teren im  allgemeinen  bereit  sind,  in  den  ersteren  aufzugehen. 

Die  zweite  Thatsache,  welche  für  den  nationalen  Frieden  der 
Schweiz  von  großer  Wichtigkeit  ist,  besteht  darin,  daß  der  Gegensatz, 
welchen  Sprache,  Sitte,  Lebensanschauung  der  Nationalitäten  mit  sich 
bringt,  nicht  mit  einem  wirtschaftlich-sozialen  oder  konfessionellen 
gepaart  ist.  Der  nationale  Haß  zwischen  Engländern  und  Iren  auf 
der  grünen  Insel  ist  nicht  zum  wenigsten  immer  dadurch  wieder  ge- 
nährt worden,   daß  aus  jenen  überwiegend  die  Klasse  der  protestan- 


])   Vgl.  J.  Z  i  m  m  e  r  1  i ,  Die  deutsch-französische  Sprachgrenze  in  der  Schweiz,. 
2.  Bd.,  Basel  1891  u.  1895. 


109]  I>ie  Germanisiercng  der  Rätoromanen  in  der  Schweiz.  473 

tischen  Grundbesitzer,  aus  diesen  die  Klasse  der  katholischen  Klein- 
pächter entstammte.  In  Böhmen  waren  seit  dem  dreißigjährigen  Kriege 
die  Deutschen  die  Herren,  Grundbesitzer  auf  dem  Lande,  Kapitalisten  in 
den  Städten,  die  Tschechen  hingegen  die  Feldarbeiter,  die  Dienstboten, 
die  Tagelöhner. 

Beispiele  dafür,  daß  mit  der  sozialen  Gruppierung  eine  nationale 
zusammenfällt,  bietet  die  Geschichte  wohl  eines  jeden  größeren  Volkes. 
Mit  der  Eroberung  eines  Gebietes  wurde  die  besiegte  Nationalität  in 
größere  oder  geringere  wirtschaftliche  Klassenabhängigkeit  gebracht. 
So  begründeten  z.  B.  die  Normannen  in  Sizilien  ihre  Herrschaft  und 
so  die  Spanier  die  ihrige  in  der  Neuen  Welt. 

Auch  die  Vergangenheit  der  Schweiz  macht  keine  Ausnahme. 
Der  allemannische  Adel,  der  sich  in  Rätien  festsetzte,  unterwarf  sich 
die  angesessene  Bevölkerung  und  verfuhr  gegen  die  Helvetier  nicht 
anders.  Wie  im  ganzen  kontinentalen  Europa  bestanden  bis  zum  An- 
bruch der  neuen  Zeit,  welche  dem  Jahre  1789  gefolgt  ist,  auch  in 
der  Schweiz  ständische  Gesellschaft  und  politische  Ungleichheit,  sei  es 
der  einzelnen  Menschengruppen,  sei  es  ganzer  Landesteile.  Mit  natio- 
nalen Verschiedenheiten  fiel  ein  Abhängigkeitsverhältnis  namentlich 
in  zwei  Fällen  zusammen:  im  Gebiete  des  heutigen  Kantons  Tessin 
und  in  demjenigen  des  Waadtlandes. 

Durch  das  Eingreifen  Frankreichs  wurden  die  Unterthanenverbände 
gelöst,  und  alle  Landesteile  wurden  gleichberechtigte  Mitglieder  der  Eid- 
genossenschaft. 

Es  würde  mich  zu  weit  abseits  führen,  die  Entstehung  der  heu- 
tigen schweizerischen  Gesellschaft  zu  erklären.  Das  steht  fest,  es  giebt 
innerhalb  der  vier  Nationalitäten  sowohl  Grundbesitzer  wie  Tagelöhner, 
Kapitalisten  wie  gewerbliche  Lohnarbeiter,  Reiche  wie  Arme,  große 
wie  kleine  Landwirte,  Kaufleute  wie  Bauern  u.  s.  w.  Nirgends  ist 
ein  nur  irgend  auffälliges  Zusammentreffen  zwischen  sozialer  und 
nationaler  Schichtung  vorhanden.  Mit  der  Konfession  ist  es  nicht  viel 
anders.  In  der  deutschen  wie  französischen  Schweiz  giebt  es  über- 
wiegend protestantische  wie  katholische  Kantone.  Z.  B.  Zürich  ist 
protestantisch,  Luzern  katholisch,  Waadt  protestantisch,  Wallis  katho- 
lisch. Die  Schweizer  italienischer  Sprache  sind  zwar  in  erheblicher 
Majorität  katholisch,  aber  im  Bergell  namentlich  und  im  Puschlav  auch 
protestantisch.  Endlich  sind  die  Romanen  am  Vorderrhein  über- 
wiegend katholisch ,  im  Innthal  protestantisch.  Imboden ,  Heisen- 
berg, Albula,  Hinterrhein  sind  so  gemischt,  daß  bisweilen  das  eine 
Thal  diesen,  das  Nachbarthal  den  anderen  Glauben  hat,  und  nicht 
selten  sogar  haben  romanische  Dörfer,  die  ganz  nahe  bei  einander 
liegen,  verschiedene  Konfession. 

Infolge  der  geschilderten  Thatsachen  ist  es  verständlich,  daß, 
wenn  gelegentlich  hervorgerufen  durch  politische  Vorgänge,  nationale 
Differenzen  entstehen,  ihnen  jede  Grundlage  für  die  Ausartung  zu 
einer  Verbitterung  fehlt.  Man  hat  keinen  Grund,  sich  zu  erregen, 
weil  die  wichtigsten  Interessen  des  Lebens  nicht  berührt  werden.  Die 
Staatsverwaltung  hat  es  daher  nicht  zu  schwer,  einen  objektiven  Stand- 
punkt einzunehmen,   und   wird  allen  chauvinistischen  Treibereien  fern 


474  A.SartoriusFrhr.  v.  Walteren  au8en,Die  Germanisierung  der  Rätoromanen  etc.  [1 1 0 

bleiben,  weil  sie  begreift,  daß  das  Volk  wichtigere  Interessen  zu  ver- 
treten hat.  Endlich  aber  wollen  wir  nicht  vergessen,  daß  das  Gesamt- 
bewußtsein des  Schweizerbürgertums,  welches  in  allen  vier  Nationalitäten 
in  so  schöner  Weise  vorhanden  ist,  und  dessen  Weiterentwickelung 
allen  einsichtsvollen  Politikern  in  der  Schweiz  so  sehr  am  Herzen 
liegt,  die  nationalen  Gegensätze  fortwährend  abschwächt,  aber  selbst 
nur  aus  der  geschilderten  glücklichen  Schichtung  ganz  zu  be- 
greifen ist. 


474  A.S 

bleiben 
treten  ! 
bewußt 
in  so  i 
allen  e 
liegt,  < 
nur  ai 
greifen 


r  w  — t 

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Heft  2.  Die  Volksdichte  der  Thüringischen  Triasmulde,  von  Dr.  C.  Kaesemacher. 
Preis  M.  8. 20. 

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%  Fortsetzung  auf  Seite  4  das  Umschlags. 


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Heft  8.    Die  Eifel.    Von  Dr.  Otto  Follmann.    Preis  M.  3.20. 

Heft  4.  Die  landeskundliche  Erforschung  Altbayerns  im  16.,  17.  und  18.  Jahr- 
hundert von  Dr.  Christian  Gruber.    Preis  M.  3. — 

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Feststellung  der  Sprachgrenze  bis  zum  Ausgang  des  16.  Jahrhunderts,  von  Dr.  H  ans  Witte. 
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Friedrich  Teutsch.  —  Volksstatistik  der  Siebenbürger  Sachsen.  Von  Prof. 
Fr.  Schulier.    Preis  M.  4.  80. 

Heft  2.  Volkstümliches  derSiebenbürgerSachsen.  Von  Gymnasiallehrer  O.Witts  tock. — 
DieMundart  derSiebenbürgerSachsen.  Von  Direktor  Dr.  A.Se  he  in  er.  Preis  M.6.5Ö. 

Heft  3.  Die  Regenkarte  Schlesiens  und  der  Naohbargebiete.  Entworfen  und 
erläutert  von  Professor  Dr.  Joseph  Partsch.    Preis  M.  '4.  70. 

Heft  4.    Laubwaldflora  Nordcleutschlands.    Von  Dr.  F.  Hock.    Preis  M.  2.70. 

Heft  5.  Die  geographische  Verteilung  der  Niederschläge  im  nordwestlichen 
Deutschland.     Von  Dr.  Paul  Moldenhauer.    Preis  M.  4. — 

Heft  6.  Der  Hesseiberg  am  Frankenjüra  und  seine  südlichen  Vorhöhen.  Voo 
Dr.  Christian  Gruber.    Preis  M.  5.20. 

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Schjerning.    Preis  M.  8.80. 
Heft  3.    Die  Pinzgauer.    Von  Oberlehrer  Dr.  Wilhelm  Schjerning.    Preis  M.  5. — 
Heft  4.    Zur  Geschichte  des  Deutschtums  im  Elsass  und  im  Vogesengebiet.     Von 

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Heft  3.    Zur  Kenntnis  des    Hunsrücks.     Von   Dr.  Fritz  Meyer.    Preis  M.  4. — 
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Heft  5.    Entwicklungsgeschichte  der  phanerogamen  Pflanzendecke  Mitteleuropas 

nördlich  der  Alpen.    Von  Dr.  August  Schulz.     Preis  M.  8.40. 

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Mit  10  Tabellen,  9  Karten  und  3  Textillustrationen.     1899.    96  Seiten.    Preis  M.  12.— 

Heft  2.  Das  Vogtland  als  orographisches  Individuum.  Eine  Studie  zur  deutschen 
Landeskunde.  Von  Dr.  AlbertWohlrab  in  Leipzig.  Mit  1  Uebersi*  htskarte,  7  Licht- 
drucktafeln und  12  Textillustrationen.     1899.    89  Seiten.    Preis  M.  6.40. 

Heft  3.  Das  Ries.  Eine  geographisch-volkswirtschaftliche  Studie  von  Dr.  Chr.  Gruber  in 
München.   Mit  2  Kartenbeilagen  und  12  Textillustraüonen.    1899.    105  S.   Preis  M.  10.50. 

Heft  4.  Die  Volksdichte  der  grossherzoglich  hessischen  Provinz  Starkenburg  anf 
Grund  der  Volkszählung  vom  2.  Dezember  1895.  Von  Dr.  Karl  Bergmann  in 
Darmstadt.    Mit  einer  Karte.     1900.    72  Seiten.    Preis  M.  5.70. 

Heft  5.  Die  Germanis'ierung  der  Rätoromanen  in  der  Schweiz.  Volkswirtschaft- 
liche und  nationalpolitische  Studien.  Von  A.  Sartorius  Freiherrn  von  Walterg- 
hausen, Professor  an  der  Universität  Strassburg.  Mit  einer  Karte.  1900.  110  Seiten. 
Preis  M.  5.20. 

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