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Dritte und vierte, vermehrte und ergänzte Auf läge
Mit 133 Abbildungen und 11 handkolorierten Tafeln.
Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorbehalten.
Copyright S. Fischer, Verlag, Berlin.
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Einleitung
Die Kunst der Widersprüche ... 13
Der erste Widerspruch in der Musik' 14
Noch ein zweiter Widerspruch in der
Musik 19
Dritter Widerspruch: Der Text. Zu-
erst der Stoff 25
Dann die Sprache ... 32
Dann die Deklamation . .36
Endlich die Autoren 41
Vierter Widerspruch: Das Orchester 43
DIE PARADOXIE DER OPER
9 Fünfter Widerspruch: Die Auffüh-
rung
Sechster Widerspruch: Die Gesell-
schaft
Die Bilanz
Das Publikum ...
Der Erfolg . . .
Schicksale
Siebenter Widerspruch: Die Theorie
Die Geschichte selbst als letzter
Widerspruch
50
62
63
66
77
78
82
DIE KULTUR DER OPER
Gluck und die klassizistische Oper
Der Harfenklang 97
Die altitahenische Oper 102
Die alten Franzosen 104
Neapel .110
Händel .III
Vergleiche 113
Gluck 115
Das Miheu von Paris 121
Literarische Beziehungen 127
Orpheus 130
Alceste 133
Paris und Helena .... 136
Die aulische Iphigenie . '.l^
Armide 138
Die taurische Iphigenie 140
Orphica 141
Die Buffooper und Mozart
Anfänge der italienischen Buffooper 143
Die englische Bettleroper .... 147
Deutsche Singspiele ... . 149
Mozarts Jugend .... '52
Die Entführung . . -159
Figaros Hochzeit 163
Don Juan 172
Cosi fan tutte 181
Tito 185
Zauberflöte 187
Andere Deutsche 194
Andere Italiener 200
Fidelio
Beethoven und die Oper ..... 206 Geschichte des Fidelio 215
Cherubini 209 Die Ouvertüren 219
Mehul 214 Die einzelnen Nummern 221
Opera CO mique
Monsieur Bourgeois 229
Anfänge .... 230
Inhalte ... ... 232
Lebenstypen 236
Generationen 241
Die \^'erke 245
Die Details . . 254
Offenisach 262
Spontini ....
Auber
Rossini
Meyerbeer ...
Robert der Teufel
Hugenotten ...
Die große historische Oper
270 Sänger und Orchester 297
Prophet 300
... 277
... 278
... 287
. . . 290
... 293
Deutsche
Afrikanerin 302
Komisches 303
Halevy
Berlioz
305
306
Weber . .
Freischütz
Euryanthe
Oberon
Exotisches
Gounod .
Thomas
Bizet . .
Östliches .
Ungarn
Tschechen
Polen . .
312
315
321
324
Romantik
Spohr 326
Marschner 327
Lortzing 332
Die Übrigen 341
Na tionale Opern
. . 345 Russen 361
. . 346 Glinka 363
. . . 349 Serow 369
, . . 351 Dargomyschski 370
, . . 355 Mussorgski 371
, . . 356 Borodin 374
. . . 357 Rimsky-Korssakow 375
, . . 361 Tschaikowski 377
Verdi
Bellini . . .
Donizetti . .
Verdi . . .
Jugendopern
Rigoletto . .
Troubadour
Traviata . .
383
385
387
391
393
397
398
Wa gner
Mittlere Opern 402
Maskenball 404
Aida 408
Othello 413
Falstaff 415
Das Erbe 418
Die Paradoxie als Erlebnis
Leben
Werke
Das Dranja
Die Verse
421
423
425
429
447
Der Gesang 449
Das Orchester 452
Die Musik 461
Das Erbe 478
DIE ANARCHIE DER OPER
Die Stile 485
Die Verwaisten 486
Modernes Italien 489
Franzosen 498
Zwischen den Völkern 504
Verzeichnis der Bilder Seite 561, Sachregister Seite 562
Deutsche Gruppen 5 '9
Richard Strauß 531
Schluß 547
Nachtrag zur zweiten Auflage . . 549
DIE FARAD OXIE DER OPER
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-4
Alt französisches Opernkostüm. Paris, Opernarcliiv
Einleitung
DIE Oper ist ein unmögliches Kunstwerk. Aus einem Mißverständnis,
der Nachahmung antiker Tragödien, geboren, kostet sie alle Sünden
theatralischer Schaustellungen durch, um sich einem fürstlichen Publikum
feilzubieten. Unter den einfachen Bürgerbelustigungcn der Jahrmärkte ge-
sundet sie zu einem neuen Leben, das schnell genug auf den beneideten Thron
eines Königtums unter den Künsten führt. Alle die Künste, die ihrer Hof-
fart dienen können, macht sie sich Untertan und nutzt sie aus, bald als eine
bloße Schminke, mit der sie das Volk verführt, bald als seelisches Ausdrucks-
mittel, um das die Ernstesten als Erlösung ihrer Lebensnöte buhlen. Die
Künste in ihrem Gefolge vertragen sich oder vertragen sich nicht; vertragen
sie sich, so redet ihnen dies einer der Liebhaber der Oper ein, der nichts Eili-
geres zu tun hat, als gegen diesen Vertrag selbst zu sündigen — und vertragen
sie sich nicht, so sinken die Verlassenen unter ihnen bald in dieselbe niedrige
Sphäre, in der ihre Herrin sich einst wohlgefühlt hat, um auf dem kompro-
mittierendsten Punkte ihrer Karriere plötzlich wieder einen unstillbaren Ehr-
geiz nach den gesitteten Salonen zu empfinden. Sänger und Dichter spielen
in diesem Roman ihre zweifelhaften Rollen, das Publikum jongliert, unbarm-
herzig lächelnd, mit ihren Schicksalen, Rechnungen werden angestellt und
durch galante Abenteuer aufgehoben, Prachthäuser erbaut und von Fürsten
dem Volke geschenkt, blutende Künstlerherzen und verschwenderische Hof-
feste — es ist ein Traum, der niemals ganz Leben werden kann, weil er un-
wirklich wird, wenn er seine Illusionen verliert. An diesem Kunstwerk zer-
schellt die Logik, die uns auf der Bühne den wahrscheinlichsten Ausschnitt
des Lebens geben möchte, zerschellt die Geschichte, die sich stetig in lang-
samem Aufbau einer Idee entwickelt, zerschellt das Prinzip, das aus einer
klugen Theorie die erfolgreiche Praxis bilden will. Es ist paradox bis zur Toll-
heit, immer das Gleiche in tausend Veränderungen, Medea, Kundry, Sa-
lome, eine Kokotte, von Philosophen geliebt, ein Rätsel der spekulativen
Kunst, das sich nur dadurch löst, daß es existiert. Es gibt nichts, was voll-
kommener gedacht wäre als diese Vereinigung so vieler schönen Künste, und
darum nichts, was unvollkommener in die Erscheinung tritt. Die Opernauf-
fiihrung, die höchste Summe von Disziplin, ist von so zahllosen Zufälligkei-
ten menschlicher Nerven abhängig, daß es auch nicht eine Minute in ihrer
Ausdehnung gibt, die die Absichten des produzierenden und reproduzieren-
den Künstlers ungeschmälert herausbringt. Keine Kunst verschwendet so,
um mit dem Rest ihrer Laune uns noch eine zufriedene Stunde zu geben.
Keinen Menschen gibt es, der das Gesamtkunstwerk gleichmäßig empfinden,
der ohne Abzug hören, verstehen, sehen könnte, der gleichmäßig real begreifen
und ideal stilisieren könnte, der die gleichzeitige Symphonie und Vokalmusik
in sich balanzierte, das hohe Niveau aller Künste verlangte, aushielte, steigern
wollte — die Oper bleibt ein Begriff, ein Wunsch, ein Ideal, um so heißer er-
sehnt, als die bunte Sinnlichkeit ihres geschichtlichen Lebens uns zum Glauben
an ihre Macht verführt, um so heißer umstritten, als die besten Kräfte unserer
Künstler, ja ganze Lebensinhalte sich in ihren Dienst stellen, der wunder-
vollen babylonischen Teufelin und Zauberin und — Heiligen ... Sie ant-
wortet: Teufelei? Zauberei? Heilig? Ihr werdet in der tiefsten Erniedri-
gung meines Lebens starke sinnliche Kräfte entdecken, die ich aufziehen
mußte, um eure Organe wach zu halten; ihr werdet auf den Höhen in Ab-
gründe sehen, die euch die Grenzen alles Lebens erkennen lassen; Leben
werdet ihr zerstören sehen, damit Leben entstehen können, Systeme verflie-
gen, Tafeln zerbrechen, Leidenschaften einschlafen und Leidenschaften auf-
brausen sehen, Widersprüche lachen und Unmöglichkeiten atmen sehen, da-
mit ich sei. Ihr sollt an mir lernen, Irrtümer anzubeten, Visionen zu bewei-
sen und die Toten tanzen zu lassen. Ihr seid erwachsene Männer und Schrift-
steller und Gelehrte: lebt und laßt mich leben, macht aus euren Dienern
Masken, aus euren Weibern Sängerinnen, aus euren Berufen ein Orchester.
Was ist Unwahrheit ? Die Wahrheit. Und was ist Wahrheit — seht ihr,
diese Kußhand.
Ich weiß nicht, ob sie mit mir zufrieden sein wird. Ich will noch einmal,
che ich alt werde, dies heiter-ernste Theater an mir vorüberziehen lassen,
das mir so oft das lieblichste und so oft das rührendste Erlebnis gewesen ist.
Als junger Wagnerianer sah ich darin alles, was mich von höchsten Idealen
bewegen konnte, und jetzt, bei Mozart und Verdi, sehe ich darin alles, was
mir vorbeischwebte und im Dämmer des Lebens verloren ging. Es war nie
das bloße Theater, obwohl diese Schauform einen großen Teil der angebore-
nen Einstellung unseres Bcobachtungsvermögens deckte. Es war die sinnliche
Nähe der einzigen Kunst, die über das Leben herüber- und hinüberrcicht,
der Musik, in Symbolen verkörpert, die uns die Reinheit der absoluten Kunst
vergessen ließ. Es war die Süßigkeit der Assoziation geliebter Klänge mit
Schicksalen der Helden und ihrer Damen, die uns wie ein Erinnerungsduft
durch die Jahre begleitete. Es waren die Wunder schöner Stimmen und die
Triumphe des Beifalls und der Rausch großer Abende, die wie ein Fest zwi-
lO
sehen den Alltäglichkeiten standen, soziale erhebende Empfindungen von
Abenteuern und Freuden und Leiden der Künstler und Sänger und der dar-
gestellten Menschen, die anhüben, wenn der Vorhang aufging, und nach-
zitterten, wenn er sich senkte. Und immer dachte ich: vielleicht wird einst
die Stunde kommen, da du dich entschließt, dieses gebannte und verdichtete
Leben einer Kunst, das zwischen dem Auf- und Abgehen eines Vorhangs
liegt, aus deiner Erfahrung niederzuschreiben, nicht zu gelehrt, nicht archi-
varisch oder philologisch, nein, so aus dem Reflex heraus, ein Leben im
Leben, eine unendliche Mannigfaltigkeit in dieser mannigfaltigsten Kunst,
beziehungsreich und vollgesaugt von den Gedanken und Gefühlen, die sich
jahrzehntelang da herum angesetzt haben. Ich will es versuchen. Ich
glaube, die Oper ist dafür ruhig genug geworden und ich auch. Der Ge-
lehrte, der auf das Neue gehen muß, wird so gut wie nichts von mir er-
warten. Wer aus den undurchsuchten Bibliotheken und Archiven alle ein-
stigen Opern herausschreiben wollte, brauchte drei Leben. Wer sie ge-
schichtlich beschreiben wollte, zwei. Eines reicht allenfalls, die Hauptstücke
zu kennen und ihnen ein Buch zu widmen. Ich mache in den Jahren, da
ich dies schreibe, auf nichts Anspruch als eine persönliche Aussprache über
ein Gebiet menschlicher Kultur, der ich mich reproduktiv nahe fühle, weil
ich sie produktiv nicht leisten konnte. Immer ist das Schreiben die Rache
am Schaffen.
Aber wie nun darüber schreiben? Die bloße Geschichte dieser Kunst-
gattung zu erzählen, habe ich weder Grund genug, noch die Geduld. Über
die einzelnen Abschnitte sind wir ja belehrt worden. Über die alten Floren-
tiner liest man Emil Vogels Aufsätze, denselben Autor über Monteverdi,
über die alte römische Oper Hugo Goldschmidt, über die spätere vene-
zianische Kretzschmar, den größten Kenner dieser ganzen Materie und auch
als Darsteller den glücklichsten, über die frühen Neapolitaner schrieb der
Engländer Dent, der Italiener Leo, über die späteren Neapolitaner ist Aberts
Jommellibuch wenigstens ein Anfang, über Gluck, Mozart, Wagner und
alle anderen haben wir bedeutende Spezialliteraturen, die Älteren hat Leich-
tentritt in der Neuausgabe des vierten Ambrosbandes verarbeitet, für die
Späteren ist vielleicht Langhans' Musikgeschichte im Historischen immer
noch die beste Zusammenfassung und sie verdiente eine musikalische Aus-
führung — ich kann das nicht. Ich kann nicht eine trockene Geschichte
einer lebendigen Kunst, zumal mit dem Bewußtsein der Unvollständigkeit,
nacherzählen, und gar die Geschichte einer Kunst, deren Wesen es ist, daß
sie eigentlich gar nicht als Geschichte, sondern mehr als Spirale sich abspielt,
stets wieder, wenn auch auf verschiedenem Niveau, von demselben Punkte
II
anfangend. Ich möchte vielmehr in meinen Betrachtungen von diesem re-
sistenten Wesen der Oper ausgehen, weil mir das mehr zu ihrem Charakter,
zu meinem Material und schließlich zu meinem eigenen Charakter zu passen
scheint. Ich will Leben im Leben zeigen und den Tod im Toten lassen —
so lehrte es mich Frau Oper. Was vorbei ist, ist vorbei. Nur was nocJi leben-
dig ist, geht uns Lebende an, sofern wir uns künstlerisch dazu stellen. Das
Leben hat eine grausame Gerechtigkeit; es stößt ab, was es verdaut hat oder
unverdaulich findet, und assimiliert sich, aus allen Zeiten und Gegenden,
was ihm Nahrung zuführt. Dies Prinzip ist nicht methodischer, aber orga-
nischer als die Wissenschaft, und es ist das einzige mir mögliche Behandlungs-
prinzip dieses Stoffes, weil es eben prinzipienlos, durchaus nur vital ist, wie
die Oper selbst. Will ich ihren Reflex geben, so muß ich den Spiegel auch
richtig einstellen. Will ich Kunst von Kunst geben, so muß sie von ihr Cha-
rakter und Methode nehmen. Man kann einen Wald forstwirtschaftlich be-
handeln, aber auch malerisch. Die Wissenschaft bleibt ihrem Stoff gegenüber
keusch, die Kunst verheiratet sich mit ihm. Ich möchte künstlerisch begrei-
fen, also über die Oper opernmäßig schreiben. Man versteht das als Dank
gegen das Leben.
Somit will ich zunächst einmal von der Unmöglichkeit dieses Kunst-
genres ausgehen: weil sie der erste Reiz des Schreibens ist. Eine platte und
simple Materie in ein darstellendes Kunstwerk umzusetzen, etwas, was eben
nur materiell wirkt, reizt so wenig, als eine Landschaft ohne Luft, Licht,
Ausschnitt, Flächenempfindung, Farbenvalcurs, Linienstil zu malen; der
Reiz beginnt mit dem Spielen der Reflexe, den Auffassungsmöglichkeiten
in Farbe und Form, den IVIedien, die die Dinge verwirren, um unserer Phan-
tasie das Recht und das Glück zu geben, sie einheitlicher wiederherzustellen.
Die Oper ist so ein Ensemble unwägbarer Medien und Valeurs und Reflexe,
innerer Widersprüche, balanzierender Kräfte, Sünden und Tugenden, daß sie
uns munter hält. Die Paradoxie der vereinigten Künste verführte die ge-
nialsten Meister immer wieder zum Schaffen, sie verführt auch den ärmsten
aller nachzeichnenden Schriftsteller, sich von ihr aus einem Stoff zu nähern,
den er in seinen festen Umrissen abzukonterfeien schaudert. Jene haben viel-
fach über das seltsame Mischwesen, das sie unter den Fingern hatten, nach-
gedacht und es mit weisen Theorien zu erziehen versucht, aber schließlich
im Komponieren das Problematische vergessen dürfen — dieser braucht das
Problem, um seine Materie im Herzen zu treffen, denn im Herzen sitzt das
Blut, und von dem lebt er. So ist der Beginn leider ein Sezieren. Eine Ana-
lyse. Eine Operation. Aber es wird vorübergehen und vergessen sein, wenn
wir das Tröpfchen Blut im Wein werden trinken dürfen.
12
Die Kunst der IVidersprüche
ALSO habe ich das Wesen der Oper in einer Reihe von inneren Widersprü-
chen gefunden, die sie amCeben erhalten und die ihr Leben so reizA'^oll,
so schwankend, so romantisch gestaltet haben. Sie ist die Kunst der Wider-
sprüche, mehr als irgendeine andere. Ja, es ist ihr Problem, widersprechende
Künste aufeinander zu führen, um sie in ihren letzten Spannungen zu erpro-
ben, und da es im Grunde nur eine einzige Ästhetik gibt, nämlich die des
Widerspruchs von Kunst und Leben und von Kunst zu Kunst, so ist sie eine
leibhaftige Lehre alles Ästhetischen geworden, das wir an ihr mit lächelndem
Munde ablesen. Sie ist der große Kriegsruf der Künste, die große Illusion
ihrer Verwandtschaft, die wunderbarste Enttäuschung und das ungelöste
Problem — ein ewig Werdendes, das im Spiel der Kräfte sich erhält und sich
vergnügt.
Die Widersprüche, die in ihr sitzen, sind von einer geradezu dramatischen
Steigerung, selbst eine Oper der Oper, eine Kontrapunktik von Feindselig-
keiten, ein System von Programmlosigkeiten. Sie legen sich Akt für Akt
komplizierter, zusammen, bis sie schließlich sich selbst aufheben und die Ge-
setze der Entwicklung zu einem Spott machen. Und doch tun sie dies alles
in einer bewundernswerten Folgerichtigkeit und in einer Fruchtbarkeit des
Schaffens, daß man sich nichts Positiveres denken kann als diese Negationen.
Es ist begeisternd, dieser Zersetzung zu folgen, die eine Theorie herstellt,
während die Praxis blüht.
Ich habe nämlich noch gar nicht definiert, was eine Oper ist, von der dies
Buch handelt. Und diese Definition kann nichts anderes sein, als was ich
eben vorhabe: blühende Widersprüche aller Künste zu zeigen, aller Kri-
tiken, aller Geschichte. Die Oper ist nicht ein Drama, das ganz oder teil-
weise gesungen wird — was wäre das besonderes ? Sondern die Oper ist die
Einbildung, daß es möglich ist, stundenlang eine zusammenhängende Musik
zu schreiben, daß einige Noten dieser Musik von Sängern zu einem richtigen
Drama als Wortunterlage gesungen werden, teilweise sogar alle untereinan-
der, daß das begleitende Orchester seine Selbständigkeit trotzdem wahrt,
daß das alles auf einer Bühne wirklich gemacht wird mit Dekorationen, In-
dispositionen, Eifersüchteleien und Balletten, daß dieser ganze Apparat im
Verhältnis zum Publikum, v\elches ja im Grunde unmusikalisch ist, ein gut-
gehendes Rechenexempel wird und daß endlich, nachdem man alle diese
Schwierigkeiten eingesehen hat, sich noch Leute finden, die eine Oper kom-
ponieren. Man mag es Tragödie, man mag es Komödie nennen, ein merk-
würdiger Konfliktsfall bleibt es, so traurig und heiter, wie ihn keine andere
13
Kunst kennt, die immer nur ein Endchen dieser Komplikationen streift.
Nehme ich es tragisch oder komisch ? Zu ernst jedenfalls nicht, das lernte
ich von der Oper. Buffoklänge schlagen mir ans Ohr. Hinter der Maske
sitzt der Ernst, hinter dem Ernst lockt das heitere Spiel. Eines ist wahr:
sinnlich ist dieser Widerspruchskomplex, lebenswarm, temperamentvoll
und unwiderstehlich in den Möglichkeiten seiner Launen. Das ist die
Oper. Und mehr als die Oper.
Der erste Hldcrspritch in der Musik
DER erste Widerspruch, der Kern aller lebensvollen Widersprüche liegt
in der Musik selbst. Ich sehe in der Musik das Abbild aller Künste, ihre
Metaphysik und auch ihre Physik, ich sehe die Motoren der Künste, ihre
Agentien und Reagentien hier in der reinsten Form. Die Musik, die so lieb-
lich, heiter und einfach schön scheint, wird ^'on einem doppelten Seelen-
kampf bewegt, den beiden großen Prinzipienwidersprüchen aller Kunst : dem
Streit zwischen Zeitlichem und Räumlichem, und dem Streit zwischen Dar-
stellendem und Baulichem. Der erste Fall ist so: die Musik geht sowohl hin-
tereinander als gleichzeitig miteinander, sie ist melodisch und sie ist harmo-
nisch möglich. Der zweite Fall ist so: die Musik ist sowohl imstande, psycho-
logisch nachzuahmen, zu schildern, Inhalt zu geben, als architektonisch zu
bauen, rhythmische Glieder und Wiederholungen zu bilden. Diese Doppel-
fähigkeiten sind unermeßlich reich und unlösbar feindlich. Sie sind Krieg
und Seligkeit, Friede und Gestaltungsdrang. Die Musik ist unser größtes
Glück, aber sie ist kein Glück ohne Reue, denn ihre Melodie ist ewig auf der
Lauer, die Harmonie nach ihren Wünschen zu lenken, die Harmonie die Me-
lodie zu verachten, der Inhalt die Form zu zerstören und die Form den Cha-
rakter zu verleugnen. Zeitalter der Musik haben sich aus diesen Gegensätzen
gebildet, die alte homophone Musik, die spätere rein harmonische, die unsere
melodisch-harmonische, wie sie keine Kunst in solchen prinzipiellen Llnter-
schieden kennt. Nationalitätenkämpfe haben sich gebildet aus dem verschie-
denen Geschmack an mehr inhaltlicher, mehr formaler Musik, Kunstgattungen,
Sinnenlüste und Geistestriumphe, Lager von südlicher Naivität und nördlicher
Wahrheitssucht. Die Musik hat allen recht gegeben und weiser als die Wala, hat
sie niemals aus dem offenen Streit das Ende prophezeit, sondern im Gegenteil
immer wieder erleben lassen, was war, ist und immer wieder sein wird.
Wenn ich sagte, der erste Widerspruch in der Musik sei der, daß sie so-
wohl zeitlich als räumlich sein könne (womit sie die beiden existierenden An-
14
schauungsformen erledigt), so ist das so gemeint: sie kann die Töne sowohl
aufeinander folgen, als gleichzeitig erklingen lassen. Die Alten taten jenes,
das Mittelalter dieses, wir tun beides und das gibt uns eine unerhörte musi-
kalische Lebenskraft. Die Alten waren melodisch, das Mittelalter kontra-
punktisch, wir verstehen den Reiz der Monodie, aber auch die Fülle des En-
sembles — wir können das Melodische als harmonisch begründet hören (was
im Volkslied dunkel geahnt war), aber auch das Harmonische in einer melo-
dischen Gesamtbewegung (was die Niederländer entbehrten). Erst war die
unharmonische Melodie, dann die Harmonie als Kontrapunktik einzelner
melodischer Linien, jetzt ist alles : die Musik bewegt sich und sie steht doch
jederzeit. Auf die Oper angewendet führt das zu aufregenden Problemen.
Die Oper stellt dar. Die Darstellenden singen Melodisches. Die Musik
an sich treibt sie dazu, auch gleichzeitig zu singen. Gleichzeitiges Singen ist
unlogisch, aber schön. Singen sie gleichzeitig, so stellen sie beinahe schon
nicht mehr sich dar, sondern den Stoff, um den es sich handelt. Wo ist die
Grenze ? In dem Augenblick, da sich Darsteller überhaupt darauf einlassen,
zu singen, was man im Leben nicht tut, sind sie den lieblichen Intrigen der
Musik ausgeliefert.
Noch ehe unsere Oper getauft war, im Jahre 1 597, erschien eine „commedia
harmonica" von Orazio Vecchi, unter dem Titel L'Amfiparnasso. Sie ist im
26. Band der Eitnerschen Publikationen neu gedruckt, die interessanteste
aller alten Madrigalopern. Ein merkwürdiges Werk, das sich lohnt, an dieser
Stelle zu betrachten, eine Oper, die keine Oper ist, sondern nur eine Zusam-
menstellung von Madrigalen oder Chansons, in fünf Stimmen zu singen, wie
sie es sonst auch gab, hier aber vereinigt als Darstellung eines dramatischen
Stoffes. Der Autor sagt in der Vorrede, wie ein Maler auf seinem Bilde einige
Hauptfiguren in ganzer Größe male, andere nur als Brust- oder Kopfstücke,
den Rest in der Ferne untereinander gemengt, so sei dies Stück. Nie hat ein
Autor seine Arbeit mit einem größeren Mißverständnis eingeleitet. Das Bild,
wie es ihm vorschwebt, entspricht der späteren, der wirklichen Oper, die ihre
Hauptdarsteller ganz in den Vordergrund bringt und die Nebenfiguren leicht
darum ordnet, nach dem Muster der reifen Renaissancekunst, die den edlen
Menschen in harmonischer Umgebung kultiviert. Sein Werk aber ist byzan-
tinische, ravennatische Kunst: Parallelismus des Mosaiks, Korporation des
Gegenständlichen, Projektion des Inhalts in ein neutrales dekoratives En-
semble. Hier singen irgendwelche Stimmen Szenen, die zwischen bestimm-
ten Menschen spielen, Szenen zwischen Herr und Diener, Herr und Kurti-
sane, ein besseres Liebespaar, ja sie singen die Klage der Liebenden allein,
sie singen Eifersucht und sie singen Parodien, in vielen Dialekten, sie singen
15
(als Vorahnung der „Salome") eine Szene lärmender Juden, die bei der Sab-
batfeier keine Zeit haben, einen Diamanten zu beleihen, halb feierlich, halb ko-
misch, Kontrapunktik auf hebräischen Jargon — sie singen, wie unbeteiligte
Instrumente, irgendwelche Szenen, die sie von der Persönlichkeit absichtlich
loslösen. Es war die Anwendung des mittelalterlichen Musikstils auf ein
Drama : geschehen durch den Zufall, daß das Instrument des Mittelalters
der Chor war. Das ist das Merkwürdige.
Wer weiß, vielleicht hätte unter anderen Umständen aus dieser Kunst-
form etwas werden können. Sie ist durchaus nicht lächerlich. Die Chöi-e
teilen sich vielfach nach den Charakteren, es trägt sich in einem leicht
sprechenden Tone vor, sehr biegsam trotz aller Fugierungen, sehr geschickt
auf Pointen gestellt, die komischen Szenen von ganz modernem Fluß, im
einzelnen nicht ohne dramatischen Effekt (die Stelle: „Lucio lebt!") mit hüb-
schen musikalischen Refrains, in den Liebesszenen so reizend in einer alten
galanten Stimmung, wie Kupferstiche in Musik. Aber die Zeit war nicht vor
solchen Versuchen, sondern hinter ihnen. Man vertrug nicht, die Menschen
von Menschen geschildert zu hören, sondern wollte sie mehr und mehr dar-
gestellt, gespielt, lebendig gemacht sehen, man vereinzelte sie, man entriß
sie dem Ensemble, man wollte die Musik nicht nur hören, sondern auch
sehen — die Renaissance erwachte. An diesem Punkte zeigte es sich strahlend.
Die neue Oper brachte den Sieg der horizontalen Musik über die vertikale.
So roh, wie ich die Perioden vorhin schnitt, sind sie nicht gewesen. Die Mo-
nodie im neuen melodisch-harmonischen Sinn war, wie man jetzt weiß, lange
in Italien auch kunstmäßig vorbereitet worden, aber der Mut, wie ich sagte,
die monodische Stimme nicht bloß zu hören, sondern auch zu sehen, war
jetzt erst, in der Oper, reif. Auf der Bühne stehen einzelne Menschen, die sie
selber sind. Sie singen lange Gesänge, die ihre eigenen Melodien sind. Die
Gesänge sitzen auf Begleitungen, die so leicht wie möglich gezimmert sind.
Alles ist gemacht, das Relief der Person zu erhöhen. Diese Begleitungen
sind zunächst einfache Baßnoten, über die Ziffern geschrieben werden, um
ihren Akkord zu bezeichnen : der Generalbaß, der die natürliche Folge der
Konturmelodie war. Die Italiener spielen den Generalbaß leicht und ein-
fach. Rousseau noch bewundert ein zehnjähriges Kind, das als Baßspieler
auf einem Clavecin eine italienische Operntruppe begleitet: es spielt mit
zwei Fingern die sparsamsten Akkorde. Die Melodie ist emanzipiert — bis
wieder der Pendel nach der anderen Seite geht, bis wieder die vertikale Ton-
fülle, die das Ohr nicht entbehren mag, über dem Generalbaß, in der aus-
geführten Begleitung, im reicheren Orchester sich einschleicht, breit macht
und gefährlich wird. L^nd nicht am wenigsten auf der Bühne selbst.
i6
Wie weit die harmonische Alusik sonst der melodischen Konkurrenz
machte, war ihre eigene Sache, war Geschmack der Zeit und Trieb des Kom-
ponisten. Auf der Bühne war es Problem. Nicht bloß die logische Unmög-
lichkeit des Zusammensingens mehrerer Personen mußte überwunden wer-
den, auch ein innerer Widerspruch trat hervor : die Personen haben verschie-
dene Charaktere, im Dialog werden sich diese Charaktere absetzen können,
im Duett und Terzett — werden sie sich vereinigen können ? Wagner war
vielleicht der einzige wirklich musikalische Feind' der Ensembles. Er war es
ja auch nur theoretisch und nur zeitweise und hat sich nicht besser wider-
legen lassen, als er es selbst tat. Man kann sagen: er vermied Chöre und
Duette in einer gewissen, theoretisch zersetzten Zeit seines Lebens. Die De-
bussysche Logik (ist Debussy noch Musiker ?) der absoluten Ablehnung jedes
Zusammensingens, das der Möglichkeit des Redens widerspricht, durfte und
konnte er sich nicht antun. Debussy geht in seiner Praxis weiter, als die fran-
zösischen Enzyklopädisten in der Theorie gewünscht hatten. Rousseau, des-
sen musikalische Befähigung eine recht simple war, haßt die duos engambes,
diese Verschränkungen strengen ihn an, er verlangt die über beide Personen
fortlaufende Melodie, die höchstens an Stellen lyrischer Ekstase siqji in ein-
fachen Terzen oder Sexten vereinigen dürften: als Muster das Duett des
ersten Aktes der Pergoleseschen Serva padrona ! Und Grimm in seiner Lettre
sur Omphale, ganz unmusikalisch, wie er ist, weiß nichts zu sagen als: les
duos, en general, ont dejä l'inconvenient d'etre hors de nature. II n'est pas
naturel que deux personnes disent, tournent et retournent les memes paroles
pendant une demi-heure. Auch nur in den leidenschaftlichsten Momenten
ihrer Szene erlaubt er ihnen, von diesem Mittel Gebrauch zu machen, das
die Musik als ihr Eigentum proklamiert. Arme Rationalisten! Die Musik
ließ es sich durch keinen Einspruch nehmen, vor der Ekstase, nachher und
mittendrin die Stimmen zu einem Ensemble zu vereinigen, wenn sie einen
Grund dazu hatten. Diese Gründe aber waren musiklogischer Natur. Die
Musik vereinigt Gleichgestimmte und Gegengestimmte. Sie ist keine Über-
setzung, sie ist eine eigene Sprache. Sie ist die Sprache des unbewußten Mi-
lieus, der schwebenden Versöhnungen, des Maßes der Leidenschaft, der hei-
teren Menschlichkeit und des zeitlosen Weltblickes, der die Geschehnisse in
ihrem furchtbaren und in ihrem lächerlichen Nebeneinander sieht. Sie
scheint den Dialog nur zu brauchen, um auf diesem gemeinen Wege ihre
Figuren so weit zu führen, daß sie nun ihr eigentümliches Spiel mit ihnen
treiben kann, ihre Widersprüche ineinander hetzt, ihre Seelen aufeinander
entzündet, ihre Feigheiten deckt, ihren Stolz herausbrechen läßt und dies
ganze wunderbare stumme Bild der zusammengeführten und sich loslösenden
17
Menschen aufklingen läßt, das uns täglich vor Augen steht, durch keine
Sprache wiederzugeben, zwischen den Worten, zwischen den Taten. Dies,
o Enzyklopädisten, ist der Wert der Ensembles. Dies ihre höhere Logik, die
ihre weiten Horizonte zeichnet, um die einzelne Figur, die Stimme, den Aus-
druck doppelt zu entfalten, wenn er sich aus den Vielen ablöst. Französisch
parallel, italienisch imitierend, mit dem Solo gemischt, mit dem Chor ge-
mischt, werdend und vergehend, fließend und stehend — in tausend For-
men hat die Musik das Ensemble durchgearbeitet, in einem höheren Sinne
das Leben nachahmend.
Vom Duett bis zum Chor sind alle Möglichkeiten des Ensembles er-
schöpft worden. Der Chor war der feste Punkt auf der anderen Seite
des Monologs. Auch nur fest, so weit es die vielfältigen Theoretiker der
Musik zuließen. Die Franzosen liebten ihn, selbst d'Alembert, der ge-
rechteste, aber farbloseste unter den Enzyklopädisten, billigt ihn. Die
Italiener schlössen ihn streckenweise aus, Bontempi in der Vorrede seines
Paride 1662 fordert seinen Wegfall. Seine Seltenheit erhält die italienische
Oper virtuoser im Solo, intimer im Ensemble, und seine Beliebtheit gibt
der französischen Oper den Glanz und die Massensuggestion. Aber der
Streit um ihn war mehr ein wirtschaftlicher oder persönlicher, als ein ästhe-
tischer und logischer. Niemand bezweifelt, daß eine Menge Menschen
in einem gleichen Gefühl sich äußern und harmonisch singen kann, um so
weniger als diese Form der musikalischen Betätigung eine althergebrachte
und erprobte ist.
Zwischen diesem Massenmenschen und jenem Einzelmenschen entwickeln
sich rapide alle die dehnbaren Künste des Ensembles, in den merkwürdigen
Ensemblerezitativen der italienischen Oper des 17. Jahrhunderts, überall dort,
wo sich Milieus bilden, nicht bloß lyrische, wie in den Liebesduetten, auch
kanonische Milieus in der Art des Briefduetts im Figaro, oder dramatische in
der Art des Rigolettoquartetts, das zwei feindliche Paare musikalisch bindet,
und solche mit dem Ausbruch einer schönen Seele aus einer dumpfen Atmo-
sphäre, wie in dem Sextett der Verkauften Braut. Der gegebene Moment
ist ein Aktschluß. Zum Aktschluß sind die Wege der Personen so weit ge-
führt, daß die dramatische Spannung auf der Höhe ist, es reizt die Musik,
sie zusammenzufassen und die einzelnen Stimmen einzuregistrieren, sie zieht
gleichsam ein stimmensymphonisches Fazit aus ihren bisherigen Versuchen,
und sie tut das um so geschäftiger, wenn sie die letzten solistischen Regungen
mit den Ergüssen des Ensembles noch mannigfach mischt oder gar gerade in
diesem turbulentcnMilicu noch einen besonderen dramatischen Akzent nieder-
gehen läßt — es ist die Geschichte aller Finales, die aus diesem Grunde eine
18
so wichtige und so bunte Gegend der Opernliteratur geworden sind. Es ist
lehrreich, zu erfahren, aus welchen schüchternen Anfängen sich das große
Opernfinale, das wir in seiner fortreißenden Gewalt am Ende des zweiten
Tannhäuseraktes kennen, entwickelt hat. Die Legende wies seine Erfindung
dem Neapler Logroscino zu und die neuere Musikforschung hat ihr nicht
ganz unrecht geben können. Es ist schon in der Buffooper des 17. Jahrhun-
derts bescheiden versucht, aber in größerem Stile erst viel später in die ernste
Oper übernommen worden: Neapel vermittelt es. Dent in seiner Mono-
graphie über Alessandro Scarlatti, den Begründer der neapler Oper, teilt ein
Finalequartett von ihm mit, in dem eigentlich nichts geschieht, als daß ein
Hauptthema durchgeführt wird. Die Neapler Vinci, Leo, Piccini kennen
es auch so: in der Buona figliuola des Piccini ist es ein Rondo. Dagegen
Logroscinos Oper Governatore, über die Kretzschmar im Petersjahrbuch von
1908 nach ihrer merkwürdigen Auffindung in Münster geschrieben hat —
die Noten sind dort nachzulesen — zeigt wirklich ein großes Finaleensemble,
das erste jedenfalls, das uns in dieser Art erhalten ist, ein bißchen monoton,
aber doch frei in der Form, nicht im strengen Dakapo, sondern aus der
Situation gewonnen, sogar mit dem dramatischen Akzent eines plötzlichen
Haftbefehls. Der Governatore ist von 1747. Dies Neapler Finale ist der
Kern der eigentlichen Musikoper innerhalb der Dialogoper geworden.
Durch die Kraft des Ensembles und seiner Mischungen, durch die freie
Ausdehnung der vertikalen Musik.
Noch ein zweiter Widerspruch in der Musik
ICH habe an einigen Punkten den Konflikt aufgedeckt, der zwischen der
melodischen und harmonischen Musik in der Oper besteht. Ich wende
mich zu der anderen Antinomie: zwischen dem psychologischen Instinkt und
den formalen Ansprüchen. Es wird ernst.
Ein natürlicher Ausdruck kann nicht gegliedert sein, und eine überlegte
Gliederung kann psychologisch nicht wahr sein. Die natürliche Musik folgt
dem Ausdruck, die gegliederte dem rhythmischen Bedürfnis des Baus; jene
ist ehrlich, diese schön — da aber Ehrlichkeit auch immer schön und Schön-
heit immer ehrlich ist, so haben beide Prinzipien recht, sie folgen nur ver-
schiedenen Ansprüchen, das eine mehr inneren, die äußere werden wollen,
das andere mehr äußeren, die innere werden wollen. Die Musik, Weltseele,
die sie ist, vereint beides, ja, sie zeigt, daß beides nur Koeffizienten eines
höheren Produktes sind, der Synthese von Form und Inhalt. Sie hat der
19 2»
Kunst, dem Geschmack, den Fähigkeiten überlassen, im einzelnen Falle die
Grenze zu ziehen.
Es müssen große Momente gewesen sein, da in den ersten Opern die vor-
tretenden Solistinnen ihre ganze Seele in ausgedehnte Monodien ergossen. Vor
der Ariadne Monteverdis, vor der Tetis und Medea Cavallis fühlte man das
musikalische Herz, das jahrhundertelang starr gewesen war, erweichen. Der
Abschied von Äneas und Creusa in Cavallis Dido rührte zu Tränen. Die
Geister der Unterwelt in seiner Tetis und dem Giasone offenbarten eine
ungeahnte darstellende Kraft. Die Sehnsucht nach natürlichem Ausdruck
hatte die Anfänge der Oper, der ganzen neuen Musik beflügelt. In dem
Dialog, den Vincenzo Galilei della musica antica e dclla modcrna 1581 er-
scheinen ließ (dem Grafen Bardi gewidmet, dem Protektor der neuen Schule),
weist er auf den seelischen Charakter der Sprache guter Schauspieler, vor
allem auf die Charakteruntersch'iede in der Sprache verschiedener Stände als
Vorbild der musikalischen Gestaltung hin — „sie sollen acht geben, wie der
Fürst mit den Vasallen oder Bittstellern, wie der Zornige, wie der Eilfertige,
wie die Matrone, wie das Mädchen redet, wie der einfältige Knabe spricht,
wie die schlaue Buhlerin, wie der Liebende zur Geliebten, um ihr Herz zu
rühren, wie der Klagende, der Schreiende, der Furchtsame, der Lustige —
hat doch selbst das Tier seine Stimme, um auszudrücken, ob ihm wohl oder
wehe ist". Galilei sieht man jetzt als den theoretischen und auch praktischen
Beginner der neuen, der heutigen Musik an, aber was er anstrebte, konnte
erst durch die Notwendigkeiten der Oper gelöst werden. Die Ausdrucks-
wellen, die aus den Werken Monteverdis und Cavallis hervorbrechen, sind
Lebensforderungen auf der Bühne. Monteverdi liebt diesen stilo concitato,
der Mimik und Ausdruck auf eine ganz andere scharfe Weise vereinigt, als
der gewöhnliche Theaterstil, den er „weich" nennt. Er hält sich für den
Erfinder des ,, concitato". Er schreibt das Halbballctt Combattimento di
Tancredi e Chlorinda, um die präziseste Gleichzeitigkeit von Gebärde und
Musik daran zu lehren, der erste bewußte Versuch des Gesamtkunstwerks.
Was ist das anderes als die Anrufung der Musiksecle ? Wie er in einem Briefe
aus Venedig vom 9. Dezember 161 6 sagt: ,, Ariadne rührte uns, weil sie ein
Weib war, und ebenso rührte uns Orpheus, weil er ein Mann war — und
nicht ein Wind." Die Musik entdeckt sich neu, indem sie Sprache wird,
sie öffnet der Melodie den Mund, der so lange nur ein Instrument gewesen
war, nun Menschliches zu künden; sie öffnet den Mund der Begleitung, der
Harmonie, den Violinen, den Bläsern, und das Genie Monteverdis erfindet
nicht nur neue seelische Instrumentalbehandlungcn, wie das berühmte Tre-
molo, das das bange Zittern eines dauernden Scelenzustandes wiederzugeben
20
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scheint, sondern auch die Nuancen
der sprechenden Akkorde, der Sep-
timenakkorde, die eine Begierde nach
einer dramatischen Lösung in sich
tragen, farbig wie alle Akkorde, die
mit der Zeit seelische Beziehungen
so unwillkürlich ansetzen, daß Wil-
helm Heinse in seinem Opernroman
,, Hildegard von Hohenthal" ganze
Tabellen des Akkordausdrucks an-
legt, nach den bestehenden Opern
in Beispielen durchgeführt. Und
doch — wie ist es mit dem Aus-
druck ? Man hat gesagt, Glucks
Orpheus könnte, ohne die Musik
seiner Arie zu verändern, statt ,,Ich
habe sie verloren" singen : .,Ich habe
sie gewonnen" — und die Arie wäre
nicht weniger schön und nicht weni-
ger wahr. Monteverdi machte aus
seiner großen Ariadneklage einen
Gesang der Mater dolorosa mit um-
geändertem Text. Mozart machte aus alten Chören zum Drama König
Thamos kirchliche Hymnen mit lateinischem Text. Der Musikausdruck
ist keine patentierte Etikette. Er ist spezifisch: in gewissen kleinen Zügen,
die er nachmalt, und in gewissen Zeiten, die ihn bis zur Photographie der
Seele gesteigert haben. Aber er ist im allgemeinen ein Stimmungsfaktor,
der vielen Auslegungen freisteht und gutem Zureden gern folgt. Ist er
Kultur, so gibt er der angesammelten, assoziativen Empfindung einer Zeit
die Gestalt. Ist er Detail, so richtet er sich nach der persönlichen Farbe,
Laune, Seelenkonstitution des Komponisten. Er malt hier und da und er
malt das Ganze. Wie man will. Er ist nicht zu fassen. Wäre er zu fassen,
so wäre die Seele der Musik eine Farce wie der Sprung eines Exzentriks.
Und doch ist er heiß wie das Innere der Erde. Im i8. Jahrhundert
schwärmte man für die psychologische Beweglichkeit, den schönen Ausdruck
der formellen italienischen Opernmelodie, der sich in jedem Tempo bewähre.
Es war das Klima der Zeit. Verdi läßt auf den Dreivierteltakt des Walzers
Klagen ertönen, daß man ihre Weise sein Leben lang in ähnlichen Stim-
mungen nicht los wird. Ist das Leben so bunt ? Aber der Walkürenritt wird
S. Th. Stadcn, Komponist der ältesten erhaltenen
deutschen Oper. Stich von Sandrart nach Herr 1669
21
nie ein Trauermarsch und die Trauermusik Siegfrieds nie ein Liebeslied sein
— oder doch ? Die Situation der Oper fixierte den Ausdruck, bis man ihn
ihr glaubte. Der Ausdruck ist Feuer, heiß und gestaltlos. Er setzt sich an
zündbare Stoffe, verfolgt sie ihren Linien nach und hat ihre Form zerstört,
wenn er sie ohne Hemmungen in Gase verwandeln darf.
Darum wahren sie sich zuzeiten ihre Form. Sie appellieren an die andere
Kunst der Musik, zu bauen, zu schmieden, zu reimen, in rhythmischen Wie-
derholungen sich zu gliedern. Sie geben der Leidenschaft die Grenze des
Schönen, und der Wahrheit erlauben sie, sich zu schleifen, lyrisch zu fazet-
tieren, als Gebilde aus Menschenhand zu glitzern. „Musik, auch in der
schaudervollsten Lage," schreibt Mozart, „darf das Ohr nie beleidigen, son-
dern doch dabei vergnügen." Nun, Vergnügen ist die Wahrheit auch —
aber wer weiß es, wo sie aufhört ? Das Ohr ist das große Geräusch der Welt
gewohnt, das aus Dissonanzen uns zur Musik ruft. Es kehrt zur Welt zurück:
Monteverdi setzt den verminderten Septimenakkord hin, der alle Schauer
und Qualen in vier aufeinander folgenden, höchst konsonanten kleinen Ter-
zen vereinigt. Die Wahrheit ist ohne Ende und — das Ohr auch. Aber die
Form, die gestaltenbildend in den Strukturen der Dinge lebt, heißt uns
scheiden und wählen und anfangen und aufhören und Beziehungen schaffen :
eine rhythmische Räumlichkeit, eine musikalische Kausalität. Die Oper, das
Abbild dieses und jenes Lebens, lehrte, zwang, forderte die Ordnung. Sie
scheidet das Erzählende und das Lyrische, das sie im Dramatischen verbindet.
Das Erzählende läßt sie in einem leichten Sprechton sich abwickeln, erhöhte
Rede, niedergedrückte Musik : das Rezitativ. Es läuft fast taktlos, von spar-
samen Harmonien gestützt, die in alten Zeiten der Clavecinist spielt. Es ist
nichts als wahr: der stilo rappresentativo, mit dem die Oper begann. Wie
wenig ist es darum! Es sehnt sich aus seinem trockenen Zustande (Secco-
Rezitativ) heraus. Es wird pointierter Ausdruck, sorgsamer deklamiertes Rezi-
tativ, Akkompagnato, vom Orchester begleitet, mit Zwischenspielen, Aus-
brüchen, Malereien, schon nicht mehr erzählend, sondern dramatisch, zu
kolossalen, explosiven Steigerungen sich erhebend: so schreitet es von den
psalmodierenden Gesängen der ersten Italiener und Franzosen zu Jonimellis
vielbewunderten Hochrezitativen vor.
Das Rezitativ ist der Bruder, die Arie die Schwester. Beginnt er, setzt
sie fort, wie es das Schema der meisten Opern war; so ist die Sexualität der
Musik nach allen Seiten gewahrt. Die Arie entsteht als lyrisches Korrelat
zum rezitativischen Epos. Die Erzählung ist zum Punkte geführt: nun macht
sich das Gefühl breit, es singt sich aus. „Arien," sagt Heinse, „sind gleich-
sam reizende Thuner und Genfer Seen nach den Stürzen der Aare und der
22
Rhone." Die Arie ist kein Lied. Das strophische Lied, dies natürliche Pro-
dukt des singenden und reimenden Volkes, sitzt wohl hier und da in der
Oper, aber als Blume, als Schmuck, als Zitat. In Nürnberg wird i6^ eine
Art Oper, „Seelewig", aufgeführt (so etwa Herkules am Scheidewege), von
Harsdörfer und Staden, gänzlich verloren in der Weltgeschichte, eine alte
Oper mit deutschem Text: da gibt es gar kein Rezitativ, sondern alle Er-
zählungen und Dialoge sind liedmäßig behandelt. Wie im alten französischen
Singspiel, wie in der englischen Volksoper das Liedchen steht. Man könnte
philosophieren, ob damit nicht eine Kunstgattung verloren ging — die mon-
däne Form der Arie triumphierte über alle solche Versuche. Wagner haßte
sie ihrer Mondänität wegen, er sah in ihr (,,Oper und Drama") ein künst-
liches Gezücht, eine Destillation der Natur, eine Melodie, die man ebenso
singen, wie spielen, wie pfeifen könne — den Geschäftsartikel von Rossini.
Wir sind unpolemischer. Wir verkehren mit ihr, als mit einer Dame von
Welt, die ihr Kostüm nach der Mode schneidet, ohne damit viel herzu-
machen — sie ist sich ihres Sieges sicher, sie lächelt mit einem Unterbewußt-
sein von Sinnlichkeit, sie kennt die Verlockungen des süßen Dakapo und die
Spielereien der Kadenz und die instrumentale Virtuosität, die kaum noch
der Worte bedarf, um verstanden zu werden : Sentiments lösen sich in guten
Manieren auf, die Situation bewahrt ihre Haltung, eine dekorative Moral
schützt vor allzu intimen Konfidenzen und scheut vor gefährlichen Avancen,
unter denen nur die des Erfolges geduldet und sogar gezüchtet werden. Ihr
Kostüm ist meist die Dakapoform, die sich schüchtern schon vorher, schon
in Venedig empfohlen hatte: in der Geburtsstadt der mondänen Oper, wo
die Koloratur, das Finale, das begleitete Rezitativ den Schnitt erfahren,
wird sie sanktioniert. Die Historiker finden sie fertig schon 1661 bei dem
Florentiner Tenaglia oder 1686 im Befreiten Jerusalem und 1687 in der
Antiope des Dresdeners Carlo Pallavacino, aber sie geben doch dem Neapler
Scarlatti die Ehre, sie in der Oper als ständige Institution — 1693 mit der
Teodora — eingeführt zu haben. Die Dakapoarie wiederholt ihren Anfang
zum Schluß, schiebt also einen unterschiedenen Mittelteil dazwischen. Ein
Ritornell leitet sie ein, die Melodie verräterisch anklingen lassend: dann er-
greift die Stimme diese Weise, führt sie durch alle ihre Künste, setzt, wie
in einer Anwandlung ernster Nachdenklichkeit, den zweiten Teil dagegen
und strahlt ihre Bravour in der Wiederholung aus, die das entzückte Ohr
als eine Schmeichelei seines rhythmischen Gewissens empfindet. Ist es die
Rondoform, so wird das Prinzip der Wiederholung (mit wechselnden Gegen-
sätzen) noch suggestiver. Ist es die Kavatine, wiederholt sich einfach der
erste Teil. Oder der erste Teil der Arie wird auf der Oberdominante wieder-
23
holt, dann kommt der Gegensatz und zuletzt die Wiederholung in der
Grundtonart. Es finden sich alle nur möglichen Varianten. Alle diese Reize
haben die Neapler gekannt, probiert und auf lange Zeit in die Welt gesetzt:
Wiederholungen von Wiederholungen, das Dakapo einer Dakapoform, das
durch Gewohnheit und Formsicherheit triumphieren mußte. Mit dem Ge-
setz der großen Welt sollten sich selbst die Verständigen abfinden — Agri-
cola in der Bearbeitung vonTosis Gesangsschule fordert die Textdichter auf,
ihre Worte so zu setzen, daß sie durch die Wiederholung der Teile nicht
Sinn und Kraft verlieren. „Vielleicht kann man es sogar so weit bringen,
daß die Arien, durch die Wiederholung von vorn, noch eine neue Stärke be-
kommen." Die Wiederholung ist die Erfüllung eines Versprechens, ein Ren-
dezvous nach der ersten Vorstellung, und schließlich doch die gute Sitte der
Refrainbildung in allem Lyrischen. Es macht den Vortrag zur Nummer.
Die Nummer kann man aus der Oper in den Konzertsaal, in die Gesellschaft
exportieren — sie ist ohne Milieu. Sie ist heimatlos wie die große Dame, die
heute in Neapel, morgen in Wien ihre Abenteuer hat. Ihre Formen sind die
Formen der Welt. Sie sind vorherbestimmt nach der Konvention. Das
Schicksal ist in Szenen geregelt. Die Oper setzt sich mit ihren Rezitativen,
Ensembles, Arien, Kavatinen, Romanzen, Rondos, Couplets aus export-
fähigen Nummern zusammen. Der Inhalt wird numeriert, der Ausdruck
paginiert, die Darstellung schabionisiert, das Erlebnis skandiert — bis die
unnumerierte Seele dieser Welt endlich revolutioniert ! Ist dies das alte
Buffolied ? Der alte Weltenreim ? Wie das epische Rezitativ sich in das
Drama zurücksehnt, sehnt sich die lyrische Arie ebendahin zurück. Sie ver-
liert ihre Grenzen, sie schämt sich der Coupierung, sie schwört der Psycholo-
gie neue Treue, sie verwirft das Kostüm der Dakapoform und den Schmuck
der Koloratur und die Koketterie der hohen Töne und alie Neapler und
europäischen galanten Manieren und kehrt zurück, woher sie gekommen : in
den Ausdruck. Das Drama hat seine Bestandteile, in die es sich zersetzte,
um nicht zu verfließen, wieder in sich aufgenommen — um einst das Spiel
von neuem zu beginnen ? Das Drama ist Gesang geworden, um wieder
Drama zu werden. Die Darstellung Vortrag, um wieder Darstellung zu wer-
den. Ausdruck — Form — Ausdruck — ein anderer Galilei, der Sohn Vin-
cenzos, hatte das Gesetz des Pendels gefunden.
24
Dritter WidersprucJi : Der Text
Zuerst der Stoff
DOCH nun genug vorläufig von der Musik. Wenden wir uns zur Sprache,
zu dem Verhältnis von Ton und Wort, zu der neuen, großen Anti-
nomie, die sich bildet, indem diese Töne nicht bloß tönende, sondern ge-
sungene Töne sind, gesungen von dem leidenschaftlichen Instrument der
menschlichen Kehle, dem seelenvollsten und farbigsten aller Instrumente,
aber auch dem anspruchsvollsten, da es nicht aufhören will zu sprechen, auch
wenn es singt. Wie kommt die Sprache mit dem Gesang aus ? Welche
neuen Schwierigkeiten, Irrationalitäten bilden sich da ? Ist die Musik die
Führerin oder die Poesie ? Gibt es eine Einigung ? Ein Wald von Meinungen,
Widersprüchen, Parteien hat sich um diese Frage aufgerichtet. Ich möchte
nicht in das Gestrüpp geraten. Ich möchte klar fragen und antworten : Welche
Probleme bilden sich dadurch, daß eine Oper eine gesungene Dichtung ist ?
Vier Probleme bilden sich. Erstens das des Stoffes, des Inhaltes der Oper.
Zweitens das der Sprache und Nationalität. Drittens das der Deklamation
in Musik. Viertens die Personalfrage der Librettisten und Komponisten.
Alles geht hinein in diese vier Szenen, die den zweiten Akt der Opernanti-
nomie ausmachen. Und es sind Szenen voll dramatischen Lebens, wie ich
sie sehe.
Der Inhalt einer Oper breitet sich nicht ungestraft in der \'erzweigtheit
eines gesprochenen Schauspiels aus. Heut werden Dramen, die als Schau-
spiele geschrieben sind, wie die Salome, die Elektra, Pelleas und Melisande,
mit geringen Abzügen in Musik gesetzt, Dramen wie Hofmannsthals „Ro-
senkavalier", der als Text geschrieben, als Schauspiel stark genug wäre —
wenn sie nur jenen leichten Hauch noch von darübergelagerter Musik ahnen
lassen, wie ihn Rostands „Romantische", der nie komponierte und muster-
gültigste aller Operntexte am jungfräulichsten atmet, ein Blumenduft, der
aus gutgezüchteten Worten aufzusteigen scheint, um von der Musik gefangen
zu werden. Hier hat die Poesie gesiegt, endgültig gesiegt, nachdem sie so oft
angestrebt hatte, der Musik durch anständige Haltung zu imponieren. Wirk-
lich endgültig ? Die Musik hat sich, zugestanden oder nicht zugestanden,
von jeher für die Hauptsache einer Oper gehalten, weil sie ihr den besonderen
Charakter gibt. Sie hat ihre Ansprüche an die Poesie gestellt und diese hat
ihr willfahren müssen, um eine für sie unentbehrliche Verschwisterung nicht
zu verlieren. Unentbehrlich ? Ja, ein Fragezeichen folgt dem anderen. Man
hat sich entschieden, daß Opern existieren. Man hat der Musik gar nicht
25
'das Recht zu geben brauchen, die Poesie zu zähmen, denn dies Recht lag in
der Existenz des musikalischen Dramas. Und weil daneben noch das litera-
rische Drama existierte, kam der Poesie die Kraft, ein Gewissen zu besitzen
und Übergriffe der Musik Zurückzudrängen, ja sie mitunter zur Dekoration
herab- und heraufzuwürdigen. Es stritt die Musik, der an sich das Wort
wohl entbehrlich war, mit dem Drama, dem an sich die Musik wohl entbehr-
lich war, um die Oper, die man rasend liebte.
Der hitzige Neffe Rameaus, den Diderot der Welt vorstellte, schreit
aus : „Die Leidenschaften müssen stark sein. Die Zärtlichkeit des lyrischen
Poeten und des Musikus muß extrem sein. Die Arie ist fast immer am Schluß
einer Szene. Wir brauchen Ausrufungen, Interjektionen, Suspensionen, Un-
terbrechungen, Bejahungen, Verneinungen. Wir rufen, wir flehen, wir
schreien, wir seufzen, wir weinen, wir lachen von Herzen. Keinen Witz,
keine Sinngedichte, keine hübschen Gedanken, das ist zu weit von der ein-
fachen Natur." Die Musik, die durch diesen Mund spricht, verwirft alle
Kompliziertheiten der Seele und des Denkens, sie ruft nach einfachen, ver-
ständlichen Situationen, nach den großen Leidenschaften, den allgemein
menschlichen Szenen. Die Iphigenien treten hervor, die Alceste und Or-
pheus und Daphne und Thetis und Jason und alle mythologischen Figuren,
deren Schicksale einfache und bekannte sind. Das Sagenhafte rückt sie aus
den realen Bedingungen, idealisiert ihre Lebensführung, empfiehlt sie der
Musik, deren Ehrgeiz sich auf abgearbeiteten Stoffen besser erfüllt. Die Mu-
sik umgibt sie dafür mit einer Aureole, nach der sie sich sehnten, als sie sich
entschlossen, den Weg vom Drama in die Oper zu nehmen, umkleidet sie
mit den Künsten der Virtuosität, mit den letzten Rührseligkeiten ausströ-
mender Seelen. Und die Völker folgen nach, die Völker aller Mythologien,
bis nach Persien und dem Nordland, die Völker der neuentdeckten deutschen
Mythologie, keltische und slawische Verwandte, die Heiliggesprochenen aus
der Geschichte um Nero und Alexander, die romantischen Wesen um Ar-
mida und Roland und Tankred, alles, was je die Literatur oder die Historie
in das allgemeine Bildungsbewußtsein der Menschen senkte, als Namen für
bekannte Schicksale, als Träger der ewig wiederkehrenden Empfindungen
von Herrschsucht, Liebe, Neid und Rache. Sobald sich ein Literaturstoff
genügend abgesetzt hat, um Zitat werden zu können, greift die Musik nach
ihm und knechtet sich ihn. Ein Fischfang sondergleichen von einer Kunst
in der anderen, keine Umsetzung wie in der Malerei, sondern ein Fischfang
mit Zubereitung und Sauce. Ist es künstlerisch hoch zu schätzen ? Ich
glaube: niemals hatte eine der vielen textgedichteten, auch keine der fertig
komponierten Iphigenien ihre höchsten Rivalinnen aus dem literarischen
26
Fach nur ansehn dürfen, ohne zu erröten. Aida war ein frei erfundener
Text, eine schöne Maske. Hans Sachs, der nicht errötet, hat immerhin ge-
lebt. Er war der erste textgedichtete Mensch, der sich nicht zu schämen
brauchte.
Grimm sagt in der Lettre surOmphale: „Ein Gott kann staunen machen,
aber kann er interessieren ?" Mehul schreibt einmal: ,,Ich habe immer emp-
funden, daß es leichter ist, Paladine als Senatoren und Konsuln singen zu
lassen." Der eine ist für das reale Leben, der andere dagegen. Sie einigen
sich in der Mitte, bei der Romantik, die die Verarbeitung zur Oper am ehe-
sten verträgt. Was tut denn die Oper ? Soll sie immer ein Schäferspiel sein,
wie sie es war, als man der Gegenwart nicht ins Auge sehen konnte ? Sind
Opernfiguren Gespenster, anakreontischc Puppen, unkontrollierbare Ritter
oder Halbgötter aus einer wesenlosen Zeit ? Ah, sie singen. Man singt nicht
im realen Leben und die Götter sind nicht unsere Götter. Also nehmt die
Mitte, Menschen, die immerhin noch Menschen sind, aber doch singen dür-
fen, weil sie in einer zeitlosen Zeit lebten, wo man ihnen alles zutraut, selbst
diese wunderbare Gabe, im Gesang ihre Seele zu öffnen, die erschütterndste
Kunst, die wir kennen. Welche Zweifel! Die. erschütterndste Kunst und
wesenlose Wesen, menschliches Glück und Schmerz und Geschichte, Mytho-
logie, Romantik oder gar — Bibel ? Die Hamburger Oper am Gänsemarkt,
in deren Komitee ein Lizentiat war, begann ihre Tätigkeit 1678 mit einem
Singspiel „Adam und Eva", das nächste Jahr gab es „Die Makkabäische
Mutter", zwei Jahre darauf die Oper „Die Geburt Christi". Heut entsetzen
sich die Milliardärstöchter von New York vor der Wilde-Straußschen Sa-
lome, die an Ernst und Tiefe sämtliche Hamburger Texte glatt nieder-
schlägt. Vielleicht wenn man einen Hanswurst an den Hof des Herodes
brächte ? Damals genierte man sich nicht. Joseph in Ägypten und Samson
ist erlaubt, das Alte Testament. Ist die Bühnenmusik eine so vergnügliche
Dirne, daß man ihr das Neue Testament nicht anvertraut ? So leidet sie an
den Sünden ihrer Väter. Schreibt Militäropern. Die Uniform ist die letzte
Möglichkeit einer modernen Mythologie.
Ich schweife in den Stoffverlegenheiten der Oper umher und rette mich
in die Buffa.
Ich weiß nicht, ob die Oper sich entschloß, dem alltäglichen Leben näher
zu treten, weil es furchtbar komisch für die Musik ist, Milchfrauen und
Bauernlümmel in Töne zu setzen, oder weil es die Poesie kitzelte, rührende
und einfache Geschichten aus dem Dorf dem reinen Ausdruck dieser seelen-
vollen Kunst zu übergeben. Jedenfalls traf es sich. Die Romantik der See-
jungfern und Ritterabenteuer schleicht sich unter der Decke der Musik in
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die Mythologie, und das Leben Venedigs, galante und bfssige Svenen schlei-
chen sich in die romantische Oper. Der Momus in Cavallis Tetis, der stot-
ternde Demo in seinem Jason sind Volkstypen vom Markusplatz. Sie singen
zu hören macht unbändigen Spaß. Es ist, als.ob sich die musikalische strenge
Form belebte, wenn sie unmusikalischen Regungen angepaßt wird. Sie wird
Witz. Der Buffoton ist die reizendste Paradoxie, zu der die Musik fähig ist,
ein wirkungsvoller Widerspruch zwischen einer höchst alltäglichen Laune
und dem feierlichen Ernst einer gegliederten Eorm : eine Anwendung von
gewöhnlichen Begrüßungen, höchst gleichgültigen Erzählungen, ungeheuer
wichtigtuenden Renommagen,tausendmaldagewesenenLamentationen, Duck-
mäusereien, Verstellungen und Feigheiten auf die ehrbare und festgenietete
Form des Rondos, der Arie, des Marsches, des Tanzes. Erkennt man, was
das bedeutet ? Der Widerspruch der Oper wird These, die Paradoxie Stil.
Die Buffoopcr wurde die Lösung des ganzen Opernrätsels, indem sie aus dem
Schmerz eine Wollust machte, aus der Unmöglichkeit einen Witz. Die Opera
seria ist noch halb möglich, darum sehr problematisch; dieBuffa ist ganz un-
sinnig, darum durchaus möglich. Gegen Iphigenie kann man einwenden, daß
sie sich pathetisch maskiert. Gegen Papageno kann man nichts sagen : es ist
der Karneval aus Absicht. Von den ersten Buffofiguren konnte man Großes
prophezeien: Hier hat die Musik die Waffen niedergelegt und gelacht, dar-
aus wird Wundervolles werden, daraus wird Echteres werden als aus allem
vergeblichen Ernst, der sich spreizt und langweilt, daraus wird Geist sprühen,
Feuer, Erfindung, Witz und Laune, und schließlich wird man diesen von der
Musik so flott auf die Beine gebrachten Leuten vielleicht mehr Mitleid und
Rührung gönnen als allen hehren singenden Wesen, die uns die Ungeheuer-
lichkeit ihrer hundertmal dagewesenen literarischen Empfindung schildern
wollen. Es melden sich die kleinen Leute zur Oper, die gänzlich unmytholo-
gischen. Die Oper fühlt, daß in deren einfachen Empfindungen vielleicht
mehr musikalische Hoffnungen liegen als in den, oft durch unendlich ge-
häuftes Material barock verwickelten hohen Gcscllschaftsszenen der alten
Seria. Die komische Oper setzt ihre Lyrik an. Ja sie setzt zeitgenössisches
Kulturgefühl an. Figaro wird aus einem Barbier ein Revolutionär. Ja sie
vergißt ganz ihre komische Herkunft und gibt sich als musikalisches Lebens-
stück mit dem letzten Ausdruck aller gesungenen Schmerzen und Freuden.
Ganz schnell kommt die Oper auf diesem Wege dem realen Leben nahe. Bis
zur Tragödie des Dorflebens im neuen italienischen Stil, bis zur Fedora, bis
— keine Grenze ist mehr zu sehen. Wo ist nicht Musik? Die musikalische
Anschauungsfähigkeit durchdringt alle Stoffe. Musik ist unter den Nihi-
listen, im großen Salon, im Erwachen des Pariser Tags, unter einer Lampe,
28
Ukpart DES COMEUiENS Italiens kn ibq?
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i',\Aiii .lull 7 initii-f ff liihtiiji' 1 i;\l, i/t'niui u ^•iifiiu-i^,^
Abzug der italienischen Truppe 1697. Stich von Jacob nach Watteau
in einem Baum, auf den Lippen eines Narren und in der Mühle eines Be-
rufs. Wo ist nicht Musik? Ja, wo ist nicht Mythologie und Ewigkeit und
Stimmung und Erinnerung, wenn die Musik sie uns lehrt zu linden ? Die
Musik macht alles zur Poesie und die Poesie lohnt es ihr durch anständige
Haltung. Immer ? Wenn die Musik alles poetisch macht, so verführt sie die
Poesie zum Leichtsinn und Dilettantismus; wenn die Poesie aber ihre letzte
Parole ausgibt, verführt sie die Musik zur Aufdringlichkeit und Geschwätzig-
keit. Wieder sind wir auf dem Punkte. Die Buffooper der Tragödie und die
Tragik der Buffooper.
Was geschieht r Der Jvampf zwischen den musikalischen und den poeti-
schen Ansprüchen hört niemals auf. Ich kenne Musiker, die jedes Stück auf
eine Oper prüfen, und Dramatiker, denen jede Tristanaufführung unerträg-
liche Schmerzen bereitet. Die Wahrheit ist, daß die Musik in jedem Men-
schen, in dem sie sitzt, alle Energie durchstrahlt und in jedem Werk, an dem
sie teilhat, unbedingt nach der Macht strebt und sich selbst Schäden zu er-
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setzen weiß. In der Oper suchte sie erst das Unreale, um ein breiteres Feld
zu haben, dann macht sie das Unreale, um ein größeres Recht zu besitzen.
So wächst ihre Herrschaft. Gleichzeitig wächst die Selbständigkeit, Freiheit
und Schönheit der Poesie, und die Spannung ist nun eine doppelte.
Die Rechte, die die Musik dem Stoff gegenüber ausübte, bestanden zu-
nächst in einer starken Vereinfachung. Der Text soll etwas Typisches be-
kommen, die Szenen konventionell und gleichsam immer bekannt sein, da die
Musik gute Voraussetzungen braucht, um auf ihre Art tüchtig arbeiten zu
können. Es gibt daher ein ganzes Arsenal typischer Szenen, die sich mit Nu-
ancen stets wiederholen. Ich rolle einige der Filme auf, die unermüdlich in
diesem Genre kopiert worden sind. Das Echo antwortet dem Klagenden,
zwei Verliebte nehmen Abschied, ein Trinklied wird geschmettert, ein Zank-
duett abgefeuert, oder die Feierlichkeit des Orakels (seit Cavallis Tetis), eine
Aufführung in der Oper (seit dem Paris-Urteil-Intermezzo in demselben
Stück), ein plötzliches Gewitter, die Stille-Stille-Chöre, oder die große Rache-
arie, der hohe Fluch, Soldaten im Krieg mit Marsch, Jagd, Ständchen, Ver-
führung und Entführung, Ausrufer, Verspottungen, Tierstimmen, das Flehen
um ein Leben, die Soloarie der weiblichen Hauptfigur, Verkleidungsmotive,
Befreiungsmotive, Himmelsszenen und Höllenszenen mit Feuerzauber, der
schlafende Held in der schönen Natur (Rinaldo und Siegfried), die große Er-
zählung im dritten Akt, der solenne Aufzug — man könnte eine alte Oper
beinahe aus diesen etikettierten Szenen zusammensetzen, die sich als musik-
dankbar erwiesen haben. Man könnte nicht bloß Szenenepidemien, auch
ganze Stoffepidemien konstruieren: vom Donjuanballett Glucks bis zur
Buffooper Mozarts, die an dem Übergangspunkte zur Tragödie steht, von
der Cestischen La Dori, wo ein Mann als Frau verkleidet seine gefangene
Gattin rettet, bis zu den Fidelioopern des Gaveaux, des Paer, zu der „Farsa
sentimentale" dieses Inhalts bei Simon Mayr, bis zu Beethovens einsamer
Oper, die Josephepidemien nach Mehul, die germanistische Epidemie nach
Wagner — man studiere die erschreckend gleichartigen Themen in Ric-
manns Opernlexikon, man lese einen Artikel von Preibisch im zehnten
Sammelband der I. M. G. bloß über sämtliche Türkentexte und alle Kom-
positionen der Serailentführungen. Wenn es ein Recht der Musik war, sich
diese typischen Stoffe so billig einzurichten, so hat sie dieses heute sicherlich
durch die Ansprüche der Poesie so ziemlich verloren. Wir sehen noch ty-
pische Zusammenhänge zwischen dem Vampyr, Hans Heiling und dem
Fliegenden Holländer, der Euryanthe, Templer und Jüdin und dem Lohen-
grin; Alberich, wenn er flucht, erinnert sich scluvach noch seiner fluchenden
Opernvorfahren, die Nixen der Nereiden, Kundry der Armida und Falsirena,
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die Erda der Deae ex machina, aber im allgemeinen hat die Stereotypie des,
Textes aufgehört. Richard Strauß weiß gar nicht, daß Gretry schon eine
Elektra komponiert hat. Man hütet sich davor. Man vermeidet die Familie.
Die Musik ist machtvoll genug, alle Szenen des Lebens und der Mythologie
in ihre Sphäre zu heben, und die Poesie ist selbständig genug, ihr statt
Klischees originelle Erfindungen zu überliefern. Die Intensität beider
ist gewachsen. Aber die Doppelschaukel geht dadurch nur noch heftiger
nach beiden Seiten: bis man den Dichter unter der Musik nicht mehr
versteht.
Und noch eine Wendung: die Musik neigt zur Versöhnlichkeit. Wie
Brahms sein Schicksalslied aus den pessimistischen Niederungen des Hölder-
linschen Gedichtes musikalisch wieder in die milden Regionen der Götter
zurückführt, so scheut oder scheute die Musik immer vor dem Eingeständ-
nis der Tragödie. Die Mystiker unterscheiden eine seraphische und eine dä-
monische Musik. Ich glaube, diese Kunst liegt noch vor der Differenzierung,
in Engel und Teufel. Sie gibt selbst dem Leid eine Verklärung, indem sie es
seines Schmerzes entkleidet und es als ruhige Tatsache, als Naturereignis in
den Ring alles an sich so neutralen Geschehens einreiht. Es dauerte einige
Zeit, bis sie sich in der Oper dazu entschloß. Von den sinnlosen Amüsements
nicht zu reden, denen sie in den rohen Texten der sensationellen Hamburger
Oper oder in allen willkürlich zusammengestellten Opernteilen, den Pa-
sticci, Spectacles coupes, Quodlibets, zu dienen hatte — im Ernstfalle wen-
dete sie das Geschick ihrer Textbefohlenen gern zu einem freundlichen Ende
und verbesserte manche Winterlandschaft alter Sagen bewußt in ein Sommer-
klima, das dem idealen künstlerischen Bedürfnis zu entsprechen schien. Die
Malerei drang in den Winter ein, die Musik in den Schmerz. Wagner er-
zählt in seinen „Erinnerungen an Auber", wie erschütternd neu dessen tra-
gischer Schluß in der ,, Stummen" auf die Zeitgenossen wirkte — wie sich,
Spontini noch weigerte, seine Vestalin mit der Begräbnisplatzszene enden zu
lassen, nein, es mußte noch der Rosenhain mit dem Venustempel kommen,
und das glückliche Paar zum Altar geleitet werden. Wer empfindet heut
den tragischen Opernschluß als Kühnheit? Man sucht in der Geschichte der
Oper langsam nach den ersten Wahnsinnigen (in der Nina Dalayracs), nach
den ersten Verzweifelnden, stumm Tragischen, die sich an den Schluß wa-.
gen (die Armida Glucks, die Kalypso in Mayrs Telemaco). Es gab indessen
viele Lucias, die ihren Wahnsinn in Koloraturen ausströmen, und Liebestod-
verklärte, die aus poetischer Gerechtigkeit sich hinreißend schön einer Musik
opfern, die ihren eigenen lyrischen Vorteil davon hat. Nichts ist so gewöhn-
lich, daß es von Musik nicht gehoben werden könnte, und nichts so leidvoll,
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daß es die Alusik nicht trösten könnte — sagt die Musik und damit erweitert
sie ihre Macht und stachelt die Poesie nur zu neuen Taten an — Teurer
Heide, wie liebt' ich dich — ließ ich dich nicht ? Aber wer weiß, wie
ihr das bekommen wird : kurzlebig ist alles Tragische auf der Erde wie
auf der Bühne.
Dann die Sprache
IN dem Kampfe um den Stoff der Oper ist es beiden Gegnern nur gelungen,
sich stärker zu machen. Sehen wir weiter zu, gehen wir zur Sprache über,
und dann zur Deklamation. Nun wird es schwierig. Die Musik hat so viel
elementare Kraft, Beweglichkeit, Sinnlichkeit auf ihrer Seite, daß die Poesie
gehörig ihre Points wird vermehren müssen, um ihr standzuhalten. Die
Sprache scheint ihre Domäne. Die Musik ist international, die Sprache na-
tional. Wie verträgt sich das ? Die Sprache trennt die Völker mehr als ihre
Rasse, die Musik vereinigt sie mehr als alle Verkehrsmittel. Das Alusikdrama
ist in einer bestimmten Sprache geschrieben, deren allgemeine Verständlich-
keit nicht über die Grenzen des Landes hinausreicht, deren Atmosphäre und
Klima dem Lande eigen ist, deren Verhältnis zur Musik im Gesänge ein ver-
schiedenes wird sein müssen. Sehen wir zu.
Die italienische und die französische Oper lagen in dem heftigsten Kriege,
den die Musikgeschichte kennt. Es tritt eine ganz scharfe Differenzierung
des Geschmacks und Stils ein. Aber dieser Krieg hat zwei verschiedene Ge-
sichte. Politisch, als Machtfrage, wird er lange Zeit zugunsten der Fran-
zosen entschieden, indem vom 17. Jahrhundert an alle Versuche der italieni-
schen Oper, in Paris festen Fuß zu fassen, nach gewisser Zeit abgeschlagen
werden, von den ersten Herüberziehungen der Italiener unter Mazarin bis
zu dem Siege Glucks über Piccini. Diese Repressalien sind Notwehr. Denn
die französische Nationaloper, die von Lully begründet ist, fühlt sich un-
sicher vor der erobernden Liebenswürdigkeit der Italiener, verbietet und
schließt ihnen immer wieder ihre Theater. Literarisch genommen sieht die
Sache ganz anders aus. Die Kunstregicrung liebte wohl die französische
Oper, das Volk neigte zu den Italienern. Die ganze Literatur des eigenen
Landes tritt, mit geringen polemischen Ausnahmen, für den Stil der Frem-
den ein. Bis man sich schließlich, durch die Persönlichkeit Glucks bezwungen,
sowohl machtpolitisch als kunstliterarisch für dessen Oper einsetzt, die ja gar
nicht national französisch, sondern von einem Deutschen in fremder Sprache
besorgt war. Welches Schauspiel! Tatsache ist: die gebildeten Franzosen
opfern ihre eigene Sprache den bestechenden Vorzügen einer fremden Musik.
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Man lese, wie Raguenet 1702 in seiner Parallele des Italiens et des Fran^ais
die Werte beider opernliebenden Nationen abwägt: die Italiener machten zu
konventionellen Arien einen Canevastext, die Franzosen liebten das wirkliche
Drama, jene neigten zu weichlichen und kastrierten Stimmen, diese haben
die vollen schönen Tiefbässe, jene haben zur Abwechslung nur ihre Buffo-
intermezzi, diese die großen Tänze und Chöre, und wären in Kostümen
besser und spielten gebundener die Geige — aber, aber was kommt gegen
die italienische Sprache an, wie stramm und kühn sind ihre Arien gebaut
(,,sie hasardieren, aber sicher des Erfolgs"), wie verbindet sich bei ihnen das
Zarte und das Lebhafte, und Raguenet schreibt einen berauschten Hymnus
auf die italienische Melodie. Ein gewaltiger Literaturstreit hebt von dieser
Schrift um den Wert der beiden Operngenres an, blendende Parodien auf
die Langweiligkeit der französischen, unbeschränkte Loblieder auf die Be-
weglichkeit und Ausdrucksfähigkeit der italienischen Oper, bis hin zu den
Enzyklopädisten, deren musikalischer Wortführer Rousseau seine flammende
Lettre sur la musique fran^aise gegen die französische Sprache verfaßt: ein
Werk, wie einst das Raguenetsche, schön geschrieben für eine fremde Me-
lodie gegen das eigene Idiom, das dem Autor ein so williges Instrument ist.
War je eine solche Verwicklung der Instinkte da ? Italiener, sagt Rousseau,
singen Arien von Lully ohne jedes Gefühl, wie man arabische Worte, die
man nicht versteht, in französischen Buchstaben lesen würde. Ein Armenier,
erzählt er, hört französischen Gesang — er ist stutzig, er hört Italiener, sein
Herz lacht ihm. Die italienische Sprache ist süßer und sie ist kühner in ihren
Modulationen und sie ist präziser in ihrem Rhythmus. Wer von den Völkern
der weiten Erde gibt ihm nicht recht ? Die Musik fand in dieser Sprache
ein Instrument, so weich und vokalig und rhythmisch, daß sie ihren größten
Trumpf ausspielen konnte : vor Schönheit der Sprache die dramatische Ehre
des Inhalts zu verachten, das Wort unterzulegen und den Sinn zu zerstören.
In dieser Oper herrschte die Musik, war die Sprache als nationaler Gehalt
an dramatischen Empfindungen Null ■ — • eben weil sie so musikalisch war.
Der italienische Text wurde ein Singtext, kein Drama der Italiener. Die
Frage war, ob die anderen Sprachen sich das gefallen lassen würden. Wer
die Musik leidenschaftlich liebte, konnte ihr wohl das italienische Kostüm
gestatten. Wer den Text in der Oper als Teil der nationalen Poesie hoch
hielt, mußte remonstrieren — oder aus seinem Klima heraus etwas Neues
versuchen.
Man mache sich die Gegensätze klar: der Italiener komponiert Opern
aus Musik und macht den Text dazu — der Franzose, ein Sprachenmensch
viel eher als ein Musiker, schafft sich ein nationales Drama und komponiert
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es. Die Musik siegt immer. Darum siegte Italien und versuchte Franjcreich,
sich offiziell zu halten, während es künstlerisch längst kapituliert hatte. Nach-
dem der Sieg der Musik entschieden war, findet kein Franzose mehr darin
eine Schwierigkeit, eine französische schöne Oper zu schreiben. Seine Poesie
beugt sich dem musikalischen Genie seiner besten Meister, und dieses Genie
beseitigt alle Paradoxien sprachlicher Scheidung, indem es sie nur schafft,
um sie zu überstrahlen.
Der dritte war der Deutsche. Der Deutsche kommt immer zuletzt, aber
dann auch gehörig. Der Deutsche kam so spät, daß nicht einmal mehr, wie
die Franzosen gegen die französische Oper, die Deutschen gegen die deutsche
Oper schreiben wollten oder konnten. Erst als sie vollständig mit der italieni-
schen Oper durchsetzt waren, erhoben sie den Kopf und fragten schüchtern
nach der Nationaloper. Burney reist durch Deutschland und wundert sich,
daß man hier gar keine eigene Oper habe — dann hört er von Hiller. Heinse
schreibt: „Vielleicht schon binnen wenig Jahren, wenn eine Nationaloper er-
scheint, das ist eine deutsche Oper mit Volksmelodien, die allgemein gefallen,
gleichen die deutschen Städte Neapel, Paris und London." Und Mozart:
,,Jede Nation hat ihre Oper, warum sollten wir Deutsche sie nicht haben ?"
Der ,, Freischütz" ist die erste wirkliche deutsche Oper, nachdem ganz lang-
sam und vorsichtig die deutschen Residenzen die eingebürgerte italienische
Opernwirtschaft durch heimatlichen Personalbestand und deutsche Texte
umgewandelt hatten — Wien mit Umlauff, Mannheim mit Holzbauer. Erst
Weber beendet den Krieg gegen Italien. Vor Webers Tätigkeit in Dresden
wird Mozarts Zauberflöte und Woigls Schweizerfamilie für diese Bühne
noch italienisch umgedichtet, um gegeben werden zu können — was ein
Onkel Richard Wagners, Adolf Wagner, besorgte. Welche Ironie. Weber
kollidiert in Dresden mit dem italienischen Kapellmeister Morlacchi, dessen
Andenken noch in den vierziger Jahren bei der Dresdener Intendanz höher
stand als das seine, er wird in Berlin als der passive Führer gegen Spontini
ausgespielt. An dem denkwürdigen Abend, da Spontini das Berliner Pult
unter dem Hohn des Publikums verlassen mußte, ist erst der deutsche Sieg
ganz entschieden. Das aber war ein reinlicher und gerader Kampf gewesen.
Es kam Wagner und der europäische Siegeszug der deutschen Oper. Und
wieder rückte die Cavalleria ein und — wieder beginnt man das alte Italien
mehr zu lieben ? Aber es ist ungefährlich geworden, weil es Stil wurde.
So stehen, von den kleineren musikalischen Völkern abgesehen, die drei
großen Opernnationen in ihrer Selbständigkeit nebeneinander. Die italieni-
sche Bemutterung wird abgelehnt. Durch die Betonung der eigenen Sprache
wird das eigene Klima gestärkt. Und durch die Stärkung des Klimas wird
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auch die internationale Musik nationaler gefärbt. Es gibt eine italienische,
eine französische, eine deutsche Opernmusik, im Charakter verschieden. In
diesem Sinne wirkt die Allgemeinheit der Musik, die die Differenzierung
in der Sprache nicht vermeiden konnte, schließlich auf sich selber zer-
setzend und dennoch befruchtend. Die gesangliche Oper Italiens,
die lyrische Frankreichs, die symphonische Deutschlands werden Kunst-
gattungen.
Die Geschichte ruft nach einem Ausgleich. Wie kann man die Antinomie
der Musik und der Sprache überwinden ? Die Musik, wenn sie stark ist,
bleibt nicht im Lande, die Sprache geht nicht gern aus dem Lande. Die
Musik hat ein deutliches Bestreben zum Gleichgewicht, die Sprache zum
Spezifikum. Und nun hebt eine gewaltige Freizügigkeit und L^mlogiererei
an, die die Opern und Komponisten aller Orte unheimlich durcheinander
bringt. Was bedeutet sie ? Den Herrschaftsdrang der Musik, die die wider-
strebenden Eigensinnigkeiten der Sprache zu überwinden trachtet. Entweder
wird geschwindelt, wie bei Weigl und Mozart in Dresden, überall, wenn es
nötig erscheint, ein heimisches Werk unter italienischer Flagge besser einzu-
führen. Oder man importiert Stückchen fremder Opernsprache in die in-
ländische: wie jene italienisch-französischen Einschiebsel, die sich die Ham-
burger deutsche Oper gefallen lassen mußte, und die italienischen Intermezzi
der Opera comique in ihren Anfängen. Oder die Musik verpflanzt ihre
Jünger zum Zwecke ihrer Propaganda in fremde Residenzen: der Italiener
Cesti wird Kapellmeister und Komponist in Wien, Steffani zieht nach Han-
nover, Lotti und Porpora nach Dresden, Galuppi nach Petersburg, Caldara
und Conti nach W^ien, Jommelli nach Stuttgart, Händel nach London,
Bononcini nach Berlin, und so fort alle Träger des italienischen Opernruhn-.s
an den Stätten ihrer Triumphe. Oder der Komponist verleugnet seine hei-
matliche Sprache und komponiert zu einem ausländischen Text: die Ita-
liener Lully, Duni, Rossini, die Deutschen Gluck und Meyerbeer franzö-
sisch, die Deutschen Händel, Mozart, Nicolai italienisch, der Italiener Si-
lieri sogar eine deutsche Oper, ,,Der Rauchfangkehrer". Oder man macht
die nötigen Bearbeitungen — von Cavallis Scrse über den Orpheus von
Gluck bis zum Tannhäuser eine ganze Reihe charakteristischer Verparise-
rungen. Oder — enfin, man übersetzt. Die Übersetzungen werden die
schlimmste Rache, die die Musik an dem Eigensinn der Sprache nimmt. Sie
haben zu einer unendlichen Folge von Sinnverdrehungen und Sprachver-
zerrungen geführt, die man literarisch nicht für möglich halten sollte. Die
üblichen Übersetzungen, besonders neuerer ausländischer Werke, Carmen,
Troubadour, Cavalleria, sind Martern für das deutsche Sprachgefühl. Sol-
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len wir fremde Opern in ihrer Originalsprache aufführen ? Es hat sich ge-
zeigt, daß das in Ländern ohne starlce Nationaloper, wie England und Ruß-
land, möglich ist, daß es sich aber nur aus Rücksicht auf Bühnengäste bei
uns ausnahmsweise einführt. Der ideale Zustand wäre es. Nie wird, selbst
Hermann Levi, eine Übersetzung gelingen, die das fremde Wort genau un-
ter die gegebene Melodie preßt, und nie wird sich das fremde Idiom so har-
monisch der gegebenen Musik anschmiegen. Es hat sich die Poesie gegen-
über der Siegesbewußtheit der Musik eine kleine, aber feine und unglaublich
wirksame Revanche bewahrt: sie hat in der nachdrücklichen Betonung einer
guten Deklamation aus der in der Sprache schlummernden Musik eine wache
Musik geschaffen, die ihrer Heimat nicht mehr ganz untreu sein kann. Die
schmelzende italienische Sprache hat ihrer Musik die Flügel der Freiheit ge-
geben, die französische weiche Sprache ihrer Musik den lyrischen Zauber,
die harte und kräftige deutsche Sprache ihrer Musik den Expilosionston und
die Sehnsucht nach dem konsonantischen Orchester.
Dann die Deklamation
SO kommen wir auf die Deklamation. Madame de Motteville sagte, das
Opernsingen sei ihr zuwider. Es störte sie (was bei der langweiligen alt-
französischen Oper kein Wunder war) die Musik zum Texte. Sie sprach
offen aus, was nach ihr viele verheimlichten. Viele finden es unerträglich,
daß man sich hinstellt und Worte singt. Kann überhaupt die Sprache und
die Musik einträchtig zusammengehen ? Es scheint nicht. Entweder ist die
Musik selbständig in ihrer Form und Linie, dann knechtet sie die Sprache
— oder diese wahrt ihre Gesetze, dann ist jene nur eine Art Erhöhung von
ihr und maßlos eintönig. Um die Wahrheit zu sagen: dieser Fall ist nie ganz
ausgefochten worden, er ist nicht auszufechten. Die Musiker können nicht
ganz gegen die Deklamation sündigen, und die Deklamatoren sich nie der
schönen Wirkung einer absoluten musikalischen Wendung ganz entschlagen
— es sei denn, sie sind Puritaner wie Debussy. Man macht es ein biß-
chen so und ein bißchen so. Schubert ist nicht undeklamatorisch und Hugo
Wolf nicht unmelodisch. Die Praxis des wundervollen Liedes schlägt alle
Betrachtungen nieder. Es geht. Es muß gehn. Weil es unmöglich, unlo-
gisch ist, ist es schön. Der Gedanke leuchtet, die Sprache entfaltet sich, die
Musik bricht heraus — in diesem Kampfe enthüllt sich das Herz. Das Lied
ist der Sieg des irrationalen Gefühls.
Gehen wir der Reihe nach. Die Pantomime ist das Umgehen des Worts.
Der Fall ist der einfachste. Der Effekt des stummen Spiels, das in den hoch-
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sten Lebensszenen, denen des Todes und denen der Liebe, das Wort nicht
mehr kennt, nicht mehr braucht, ist rein, aber beschränkt. Ich hätte sehen
mögen, wie die Pantomime wirkte, als die staatlichen Pariser Bühnen der
komischen Oper selbst den Dialog verboten und die Szene unter Erklärung
von Plakaten nur gemimt wurde. Das Schweigen des Worts darf nicht Not,
sondern kann nur Pointe sein. Gewisse magnetische Situationen gestatten es :
wenn Othello die Desdemona würgt, wenn Walther und Eva sich im Hause
von Sachs wiedersehen, wenn Beckmesser Walthers Lied findet. Oder die
Pantomime scheidet ganz aus dem Betriebe der Oper und wird selbständiges
Werk. Noverre dichtete darin Tragödien derselben mythologischen Texte,
wie die Opern seiner Zeit sie liebten. Adams Giselle ist der beste Nieder-
schlag der Oper in eine Pantomime: angereihte Schatten von Rezitativen,
Arien, Chören, die Operntechnik, vom Orchester vermittelt, auf Mimik
übertragen. Ist Nichtsprechen wahrscheinlicher als Singen ? Nun, es ist
eine Sache für sich, und die Oper nimmt sich daraus, was sie brauchen kann.
Sie nimmt überall.
Die nächste Stufe: man läßt gesprochenes Wort und begleitende Musik
nebeneinander laufen. Man nennt das Melodrama. Rousseau schrieb seinen
sehr schwächlichen Pygmalion und Benda machte gleich nach ihm mehrere
mythologische Melodramen, die Aufsehen erregten. Goethe ließ seine Proser-
pina so aufführen. Bis heute ist in gewissen Kreisen die Sehnsucht nach dem
Melodrama nicht geschwunden: man sieht darin eine Lösung des Opern-
problems. Es ist aber keine Lösung, sondern eine Vermeidung. Die Oper
hat auch davon stellenweise Gebrauch gemacht, sie nimmt überall. Zu
Beginn des 19. Jahrhunderts war das Melodrama eine typische Szene.
Bisweilen bleibt aber nur das kurze gesprochene Wort über der Musik
stehen: am wirksamsten, wenn es einen erregten Umschlag des Gesanges
in die tonlose Sprache darstellt, wie an den Schlüssen der Cavalleria
und der Bajazzi. Im allgemeinen ist für die Abneigung des Musikers
gegen das Melodrama die Metamorphose von Humperdincks Königskindern
bezeichnend. In der ersten Fassung war die Deklamation mit stummen
Noten angedeutet. Aus dem verschämten Gesang ging dann die reguläre
Oper hervor.
Die nächste Stufe: gesprochener Dialog und gesungene, begleitete Musik
wird hintereinander gelassen. Man verlegt das Tatsächliche in die Sprache
und das Lyrische in die Musik: eine Opernform, die lange Zeit sich gehalten
hat, besonders in Paris, wo die niedere komische Oper als eine Art Dome-
stikenklasse sich gesetzlich nicht der höheren rezitativischen Musik der großen
Oper bedienen durfte. Cherubini, Kreutzer, Lesueur verleugnen die Rezi-
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tative und schreiben Dialog, um auf dem Theätre Feydeau aufgeführt zu
werden. Der Geschmack dafür ist verschieden. Stradella hatte schon den
Dialog benutzt, die venezianische Oper neigte nicht dazu, in Deutschland
sah man es gern. Heut ist es das Recht der Operette. Mozart gibt man bald
mit Dialog, bald mit Rezitativen. Wie ist das ästhetische Urteil ? Wird
halb gesprochen, halb gesungen, gewinnt die Musik an stilisierender Kraft,
sie isoliert sich mehr in ihrem Charakter, sie entwickelt mehr ihre Zauber-
formel. Andererseits ist die Umschaltung eine gefährliche und paradoxale.
Die Widersprüche der Oper werden greller beleuchtet, das Nichteinheitliche
wird schärfer betont. Es ist eine Konzession an die Selbständigkeit der
Sprache, die man nicht für immer ausgehalten hat. Die Dialogoper blieb
inferior. Die Musik hat mehr und mehr diese Keile unkomponierter Dramen
ausgetrieben. Eine Oper, die etwas auf sich hält, duldet heut keine Sprech-
intermezzi mehr. Sie fühlt sich einfach zu symphonisch dafür. Was sie ist,
will sie ganz sein — das ist so die Art der Musik.
Also läuft Wort und Ton gleichzeitig in einem. Nachdem die Musik dies
fertiggebracht hat, beginnt der Kampf um die Silbe. Die schöne INIelodie
will sich unabhängig vom Wort behaupten. Sie zerreißt den Sinn und den
Akzent des Wortes in alten deutschen Liedopern bis zur Unkenntliclikeit:
sie frißt es auf, wenn sie nur ihre Linie bewahrt. Oder sie läßt das Wort
stehen, wo es steht, und entwickelt über ihm ihre ganze Beweglichkeit, in
beliebig langgezogenen Silben, in sprühenden Koloraturen, die über irgend-
einen Vokal ihre eigenen Läufe besorgen, bis sie nach Minuten absoluten
musikalischen Vergnügens das Wörtchen wiederfinden, das sie einst verließen.
Oder sie wiederholt die Worte, so oft sie sie braucht, stellt sie um, bröckelt
sie ab, ohne Rücksicht auf deren sprachliche Seele, rein als Material ihres ge-
sanglichen Stils, tote Steine für die Paläste ihrer Melodien. Es gibt keinen
Musiker, nicht bloß die alten Italiener, sondern ganz puritanische neue
Deutsche, dem nicht an einigen Stellen seines Werks das musikalische Herz
so aufgegangen wäre, daß er sich zu diesem Morde an der Poesie nicht ent-
schlossen hätte. Der Rausch dieser unwiderstehlich machtvollen Kunst
blendet Bildung, Sprachgefühl, Logik, Sinn und Verstand ab. Das Wort de-
mütigt sich und fühlt sich fortgerissen im Strome der Melodie, deren Schwung
und Feuer nun doch alle die kleinen Ausdruckswahrheiten überstrahlt, die.
in seinen Buchstaben ruhen mögen. Schon der alte Caccini, der Erneuerer
des deklamatorischen Gesangs, sündigt in seiner Euridice munter gegen
das Gesetz. Ist euch an der Weise nichts gelegen ? Mich dünkt, 's sollt
passen Ton und Wort. Ja, Hans Sachs, so sagst du zu Beckmesser. Und
wenn du das schöne, logisch unmögliche und musikalisch überwahrschein-
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liehe Quintett zum Schlüsse führst, so brichst du doch in sein Thema aus
und singst auf seine neun Noten die zwei Silben „Weise" — „diese Weise,
was sie leise mir anvertraut im stillen Raum" mit dem hochgenommenen
„sie" und „an" und dem Akzent auf „was" und „traut", und verlierst dich
wonnevoll in seiner Melodie, im Spiel dieser fünf klingenden Stimmen —
denn du liebst die Musik.
Kein Wunder, daß das Wort mit allen Mitteln sprachlicher Logik gegen
eine solche Überherrschaft sich auflehnt. Es besteht, sooft und soviel es
kann, auf der richtigen Deklamation, deren Akzente und Hebungen die
Grundlage der Musik bilden sollen. Eine lange Reihe von Kämpfen wird
durchgefochten. Ist der gereimte, ist der skandierte, ist überhaupt der Vers
einer singenden Musik angenehm ? Schon Cavalli mühte sich ab, die weib-
lichen Versfüße harmonischer in Noten umzusetzen, Heinse noch konstruiert
bei Gluck, der sich von der französischen Jambik freier macht, die ganze
Folge alter griechischer Versmaße, die er im Rhythmus seiner Musik wieder-
zuerkennen meint, nach dem abgeblaßten Muster der alten Odenkompo-
nisten. Die gereimte und skandierte Verspoesie hat lange Zeit geglaubt, mit
ihren Maßen die Maße der Miisik zu geben. Verwickelte Probleme erheben
sich. Kann der Takt der Verse dem der Melodie überhaupt entsprechen ?
Ist der Verston in der Musik möglich, ohne zu ermüden ? Vielleicht ist er
es im Komischen, weil durch die Verbindung beider Akzentarten, der im
Verse und der im Musiktakte, Effekte erzielt werden, die in ihrer Unnatür-
lichkeit witzig sind. Aber im Ernst — die Versrhythmik wird für die Musik
niemals die Bedeutung haben wie die Ausdrucksrhythmik, die mit ihr in der
Regel nicht zusammenfällt. Ich sage ein Gedicht auf: der Nachdruck fällt
auf die Vershebungen und die Schlüsse reimen sich — die Musik wird da-
durch nur gefesselt, oder ist sie frei, geht der Versakzent und der Reim in
ihr spurlos unter, ist also überflüssig. Aber in der Deklamation des Gedich-
tes ist noch ein anderer Akzent zu merken : der des Ausdrucks, das innere Be-
tonen der Wortfolge nach Bedeutung und Stellung. Dieser Akzent wird der
Musik sympathisch sein. In jenem fing sie die Poesie, in diesem können sie
sich vereinen. Menetrier in seinen Representations en musique von 1681 lobt
schon die kurzen wogenden Verse des Teofili als besonders musikglücklich:
„Choix et arrangement des mots, repos, cadences, rimes" — der Musiker
könne nicht genug darauf achten. Die aufgelösten Verse, versi sciolti alter
Italiener, die Perrin bei den Anfängen der Pariser Oper liebte, eine Poesie,
fast nur als erhöhte Prosa, von nichts beengt als dem natürlichen Akzent der
Sprache, wird das Ideal. Die deutsche Sprache hat den Vorzug, wenigstens
Versakzent und Wortakzent nie in Konflikt geraten zu lassen. Hier tritt die
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Sehnsucht nach dem freien Text stärker als überall sonst hervor. Mozart
sagt: „Bei einer Oper muß schlechterdings die Poesie der Musik gehorsame
Tochter sein." Verse seien im Text gut, Reime aber schädlich und gefähr-
lich. Goethe in dem Brief an Kayser vom 23. Januar 1786 sagt, wie er der
ewigen Jamben, Trochäen, Daktylen müde geworden und davon abgewichen
sei, als Unterlage der Musik. ,, Vorzüglich hat mich Gluckcns Komposition
dazu verleitet. Wenn ich unter seine Melodien statt eines französischen Textes
einen deutschen unterlegte, so müßte ich den Rhythmus brechen, den der
Franzose glaubte sehr fließend gemacht zu haben. Gluck aber hatte wegen
der Zweifelhaftigkeit der französischen Quantität würklich Längen und
Kürzen nach Belieben verlegt und vorsätzlich ein anderes Silbenmaß ein-
geleitet, als das war, dem er nach dem Schleuder hätte folgen sollen . . . ich
fing also an, den fließenden Gang der Arie, wo Leidenschaft eintrat, zu unter-
brechen, oder vielmehr ich dachte ihn zu heben, zu verstärken, welches auch
gewiß geschieht, wenn ich nur zu lesen, zu deklamieren brauche." Er meint,
■ daß durch die freien, unterbrochenen Rhythmen der Musiker nur zu neuen
Schönheiten angeregt würde, „wie der Bach die lieblichste Krümme durch
einen entgegenstehenden Fels gewinnt".
Nun, dieser Fels war eine Forderung des Bachs geworden. Die Poesie
hatte sich gerüstet, mit Versmaßen, Reimen, Strophen, ihrem eigenen rhyth-
mischen Material der Musik auf den Leib zu rücken (sie verwechselte es),
da sagte ihr diese, daß sie sich aus Reimen nichts, aus Versen etwas mehr,
aus einer schönen, rhythmisch ausdrucksvollen Sprache alles mache. Und
schon eilt ihr die Poesie zu dienen. In allen Zeiten und Ländern sitzen die
Komponisten deklamierend und gut sprechend, ehe sie komponieren. Me-
tastasio läßt seine Texte erst laut lesen, ehe er sie dem Komponisten anver-
traut. Lully lernt die Worte Quinaults auswendig, bis sich die Melodie aus
ihnen erhebt. Gretry in seinen Memoiren kommt von diesem Problem über-
haupt nicht los: einmal schlägt er vor, erst solle der Musiker eine Symphonie
etwa wie Haydn machen, dann erst kämen die Worte dazu, in Prosa skizziert,
endlich sei beides zusammen als Oper fertigzustellen. Er korrigiert die Mu-
sik nach der Deklamation der Clairon. Mit Voltaire unterhielt er sich lange
über das stumme e. Dieser sagt zu ihm: „Sie sind Musiker und haben Geist,
das ist selten." Er meint: auf dem Theater genüge es nicht, Musik über die
Worte zu machen, man muß sie mit den Worten machen. Heinrich von
Preußen sagt zu ihm : „Vous avez le courage d'oublier que vous etes musicien
pour etre poetc." Scheibe in seinem „Kritischen Musikus", der besten der
vielen barocken, pamphletischen Musikschriften Deutschlands im 18. Jahr-
hundert, ist vielleicht der erste, der über die deutsche Gesangssprache ge-
40
nauere Untersuchungen anstellt und das Gewissen des Stils wachruft. Von
Bach verstand er nichts, vom Theater wußte er gründlich Bescheid. Die
französische Sprache Ist niemals so verzerrt worden wie die unsere. Was
Goethe sich überlegte, was Scheibe etwas methodisierte, ist erst langsam
Verpflichtung geworden. Wagners Deklamation war der Sieg. Trotz aller
Sünden an sich selbst (die Gretry genau so beging) hat er die Notwendigkeit
sinngemäßen Worttons so evident gefordert und bewiesen, daß selbst die
neuen Italiener davon abkommen, die Worte nur als Spielball der Musik zu
nehmen. Als Strauß' Salome französisch übersetzt wurde, entspann sich
eine fast wissenschaftliche Diskussion zwischen Romain Rolland und ihm
über die Deklamation der einzelsten Silben. Man verglich unter ^dem Mi-
kroskop Sprachausdruck und Melos. Die Poesie rieb sich schmunzelnd die
Hände. Aber die Musik kicherte schon hinter der Kulisse. Sie kennt ihre
Sünder. Sie weiß ganz genau, daß sie durch diesen äußersten Vorstoß der
Sprache schließlich doch nichts verlieren, sondern den Feind nur in ihre
eigenen Gärten locken wird.
Endlich die Autoren
TON und Stoff, Ton und Sprache, Ton und Wort — und endlich der Ton-
dichter und der Textdichter. Die Konflikte der Objekte setzen sich
in den Subjekten fort. Bontempi in seiner ersten, in Dresden aufgeführten
italienischen Oper Paride (1662) sagt: „Meine Kunst in der Poesie erstreckt
sich nicht weiter als etwa ein Werklein zur Musika gehörend zu verfertigen;
und solches mehr zum Gebrauch meiner eigenen als fremden Sätze; mehr
wegen Mangels anderer Poeten als wegen Profession." Aber der Entschluß,
selbst schlechte Texte zu schreiben, oder die Fähigkeit, selbst gute zu dich-
ten, findet sich selten beim Musiker. Die Personalunion des Librcttisten und
Komponisten ist eine Ausnahme. Marcello, die sächsische Prinzessin Maria
Antonia, Schülerin von Porpora und Hasse, Rousseau, Lortzing, Wagner —
es sind abnorme Fälle von doppelter Veranlagung, die sogar der Gabenver-
teilung, die die Natur liebt, widerspricht. Der Musiker hat zu allen Zeiten
krampfhaft den Dichter gesucht, der ihm den Text zurechtmacht. Wie
Gretry es beschreibt (mit vorzüglichen Analysen der Menschen), wie er mit
der Laterne seine Dichter sucht, besucht, antreibt, erzieht — so ist es die
Regel. Die Musik, immer die erste, gibt dem Komponisten den Vorrang.
Der Dichter ist angestellt. Die Verschiedenheit der Musik ist in früherer
Zeit das Unbedingte, die des Textes das Bedingte. Operntexte werden ge-
druckt, den Bühnen verschickt, wahllos und rücksichtslos von den Kompo-
41
nisten bearbeitet. Sie scheinen Gemeingut. Reichardt auf seiner Pariser
Reise 1802 kommt in ein Opernhaus, sieht einen Tamerlan über einen Text,
den er einst selbst komponierte, ahnungslos, und mit allen möglichen Ballett-
einlagen. Die Texte des Rinuccini, der die ersten Florentiner Opern dichtet,
werden unbesorgt von verschiedensten Komponisten nacheinander vertont.
Metastasios Texte sind jeder fünf- bis sechsmal komponiert worden (von
Hasse allein meist doppelt, einige sogar vierfach), noch Mozart nahm seinen
Titus, der 56 Jahre alt war. Glucks Innocenza wird als Pasticcio aus den
verschiedensten alten Szenen Metastasioscher Texte bunt zusammengesetzt.
Die Zeiten haben sich geändert. Die Würde der Poesie duldet keine Vogel-
freiheit der Operntexte mehr. Nicolai und Verdi komponieren dieselbe
Falstaffepisode, Puccini und Leoncavallo dieselbe „Boheme", aber die Texte
wiederholen sich nicht. Damals stellte man Hofpoeten an, die für das Ma-
terial zu sorgen hatten. Am Ende des 17. Jahrhunderts sitzt an jedem Hofe
einer: in Wien Silvio Stampiglia, in Hannover Hortensio Manso, in Dresden
David Schirmer, später in Wien Zeno und der berühmteste von allen, Meta-
stasio, der aus einem Wunderkind ein Philister geworden war, der Hofmytho-
logiedichter mit einer Routine, wie sie nur noch Scribe für die moderne
Oper, als Typ des Librettisten, wiederholt. Aus ernstem, gemeinsamem
Streben oder einfach aus Gewohnheit bilden sich die Ehen zwischen Kom-
ponisten und Librettisten, besonders in Frankreich en vogue: Perrin mit
Cambert, Quinault mit Lully, Dauchet mit Campra, Sedaine mit Monsigny,
Calsabigi und Roullet mit Gluck. Ein königliches Dekret von 171 3 gibt in
Paris dem Dichter den gleichen Honoraranteil wie dem Komponisten. In
Deutschland herrscht lange eine strafbare Gleichgültigkeit gegen den Text.
Die erste deutsche Opernaufführung, die es gab, Schützens Dafne auf dem
Schlosse Hartenfels in Torgau 1627 (sie ist verloren) war eine Bearbeitung des
alten Rinuccinischen Textes, den schon Peri komponiert hatte. Die Bearbei-
tung machte Opitz — man weiß nicht, ob er nach Schütz, der Rinuccini
komponierte, oder Schütz nach ihm, da Peris Musik nicht mehr paßte. Dit-
tersdorf in seiner Autobiographie, Mozart noch bei der Erwähnung seiner
„Entführung" kennen wenig ihre Textdichter, verwechseln sie, nennen sie
kaum — den Figaro wünschte Mozart, den Don Juan schlug Dapontc
vor, Cosi fan tutte war ein Auftrag, bei der Zauberflöte blutete er unter
Schikaneders Einsprüchen. Webers Erfahrungen mit seinen Librettisten sind
voller Hohn. Was bedeutete Wagners Tat, mit jedem Texte nicht nur ein
ausgewähltes Werk, sondern ein Stück Leben zu geben, wie er es in der
„Mitteilung an meine Freunde" darstellt! Das literarische Gewissen war
gewachsen. Verdis Korrespondenzen mit seinen Textdichtern haben noch
42 . • .
etwas von der alten italienischen Zuschneidermanier auf die Wirkung der
Musik. Deutschland, das Land der besten Deklamation, ist auch in der Per-
sonalfrage aristokratisch genug geworden. Strauß dringt bis zu Hofmannsthal :
ein Zug eines Musikers auf das Niveau der bestehenden Literatur, wie er nur
noch bei den französischen Maeterlinck-Komponisten sich findet. Die Eigen-
heit des Dichters im Stoff, in der Sprache, in dem Rhythmus, in dem lite-
rarischen Wert ist gewahrt. Der Musiker ladet ihn gelassen dazu ein, weil
er in diesem großen Kampfe der beiden Kunstäußerungen des schließlichen
Sieges und der Machtsteigerung seines Idioms sicher zu sein glaubt. Ein
Friede aber ist geschlossen, der nur ein Krieg in Glaces ist. Es ist ein Pakt
auf Selbständigkeit zweier Gegner, die dazu berufen sind, sich zu schlagen und
zu küssen.
Das Kapitel ,,Oper und Drama" wird nie zu Ende sein. Wir wollen es
hier mit diesen Andeutungen beschließen, die nichts beabsichtigen, als das
Problem ohne Einseitigkeit (auch ohne Wagncrsche) hinzustellen. Ich
brauche die Klarheit dieser Paradoxen, um in Ruhe mich in Werke und
Menschen versenken zu können, die auf diesem vulkanischen Boden doppelt
fruchtbar erwuchsen. Denn niemals wird uns wieder gelingen, an einem
Objekt so lebenswahr zu zeigen, wie aus dem Zwiespalt der Kräfte die
Größe des Geistes entspringt.
Vierter JViderspntcli : Das OrcJiester
ICH gehe zunächst in dem Drama dieser Paradoxien weiter. Ich habe die
Differenzierung der Musik gezeigt, ich habe ihren Kampf mit dem Wort
durchgenommen, ich stelle jetzt dieses Ensemble von Ton und Wort einem
neuen freundlichen Eeinde gegenüber: dem Orchester. In demselben Augen-
blick, da auf der Bühne die melodische Linie des Gesanges durchgeführt
wird, muß sich die Harmonie in dem begleitenden Orchester niederlassen,
und dieser neue Apparat wächst naturgemäß an Selbständigkeit, wie alles
Keimfrohe, was in die Erde gelegt wird, wachsen will. Die Antinomie der
Oper ist, daß der von den Stimmen zur Begleitung herangezogene Apparat
so frei und frech wird, daß er schließlich droht, die Stimmen zu verschlingen
und sich selbst zum republikanischen Herrscher zu machen: ein Krieg, der
so andauernd und zielbewußt geführt wurde, daß man kaum sagen kann, daß
seine Chancen schwankten. Auf einem wunderbar breiten Boden, geogra-
phisch bedingt im Verlauf der Entwicklung, siegt die deutsche Symphonie
über den italienischen Gesang. Das Problem heißt: wie kann die Stimme
43
kJj 7 7 7 7~T^ ^ f't£t S tf S l^h
bleiben, wenn das Orchester selbständig wird, und wie kann das Orchester
etwas leisten, wenn es sich nicht nach allen Seiten entfaltet ? Legen wir die
Stationen fest.
Es gibt begleitende Orchester vor der Bühne und Bühnenmusiken auf
ihr. Die Bühnenmusiken reizen als Beigabe von Aufführungen, als Musik in
der Musik zu allen Zeiten. Sie komplizieren den Apparat aus Logik: indem
sie instrumentales Spiel als einen wirklichen Teil der Vorgänge auf der Bühne
hineinziehen. Das geht von den Lauten und Flöten der alten Italiener bis
zu Mozarts drei Bühnenorchestern in Don Juans Saal, den Morgenruftrom-
peten im Lohengrin und dem Blasorchester Verdischer Feste. Virtuose Jäger,
Ständchenbringer, Pianisten, Sackpfeifer und Trompeter rücken hier ein —
das macht keine Schwierigkeit.
Unproblematisch sind auch die selbständigen Stücke, die das Orchester
absetzt. Zunächst die Ouvertüre, die in alter Zeit zwischen allen möglichen
Formen schwankt. Die Form Lullys (langsam, schnell, langsam) siegte zu-
nächst über die Form Scarlattis (schnell, langsam, schnell). Doch gibt es
keine Regel. Es wdrd ein beliebiges
Konzertstück, das man sich selbst
von einer zur andern Oper oft borgt.
„ T^ j ^ , , „ Rameau borgt sich seine Zoroaster-
Hasses Dresdner Orchester nach Rousseau °
(DIctionnalre): ouvcrtütc für Seinen Castor und
i) u. 2) Cembalo, 3) Celli, 4) Bässe, 5) erste viol., Pollux, obwohl er cinst damit den
6) zweite Viol., 7) Oboen, 8) Flöten, a) Bratschen, n i t ■ 1 1 1 -i 1
b) Fagotte, c) Hörner, d) Trompeten und Pauken ZoroaStCr dcS LlchtS hatte Schildern
wollen, wie in der ,,Nais" den Ti-
tanenkampf, im ,, Piatee" die Stimmen der Natur — eine Milieuvorbereitung
des Dramas. Dann wieder bevorzugt und verfeinert man die italienische
Ouvertüre. Die eigentliche thematische Beziehung zur Oper beginnt bei
Gluck. Gluck liebte dafür die Sonate, die späteren Franzosen das Potpourri,,
wir die motivische symphonische Dichtung. Die ganze Freiheit sympho-
nischer Gestaltung liegt hier offen. Noch mehr in den Zwischenspielen.
Aus Cavallis Sinfonia infernale, die die Hölle herauflockt, seiner Sinfonia
di Viole in Tetis, die einen Liebesgram zu heilen hat, entwickeln sich die
zahllosen, unnennbaren, unwiderstehlichen Zwischenspiele, die Szenen über-
leiten, stumme Bühnen beleben. Wie kann das Orchester sprechen, fragt
Rousseau, wenn auf der Bühne niemand spricht ? Ja, das Theater ist leer,,
aber der Zuschauer nicht. Das Orchester nourritet contient cette Impression.
Hier hat die Musik eine klare und einfache Aufgabe — sie arbeitet für sich,.
einer einzigen Stimmung hingegeben, die durch Erinnerungen getränkt, durch
Aussichten belebt ist und dazu den Vorteil genießt, als unkomplizierte Aus-
44
*H^Mi"I lg Jüüil
4-t^ fFFi-i--i m M )^
■spräche inmitten einer Reihe bewegter und verwebter Kunstansprüche eine
ersehnte Ruhe darzubieten. Das ist nicht schwierig.
Die Schwierigkeit beginnt im sogenannten begleitenden Orchester, das
neben der Handlung läuft. Der Clavecinist, der in der ersten Zeit seine Har-
monien hält, nach einem bloßen bezifferten Baß, von einfachen Streichern
und Bläsern, die nur im Notfall ausgeschrieben sind, unterstützt, gibt schüch-
tern selbständigen Regungen nach. Aber das Orchester wächst, während
die Stimmen nicht wachsen. Die Singmöglichkeiten stehen fest, sind be-
grenzt — das Orchester wird der gewaltigste Apparat, den eine Kunst kennt,
es läßt sich auch in der Oper nicht darauf ein, Diener zu bleiben, es drängt
nach Entfaltung, es drängt nach Betätigung, ja aktiver Teilnahme.
Es sieht sich vor Möglichkeiten: entweder begleitet es einfach den Ge-
sang oder — und hier wird es schon rüstiger — es illustriert durch eigene
Ausdruckslinien das Leben
der Bühne, oder — und nun
ahnt es seine ganze große
INIission — CS teilt uns Dinge
mit, die auf der Bühne ver-
schwiegen werden und wer-
den sollen, es sagt die Wahr-
heit, wenn sie dort oben
sich belügen, es spricht un- "™ '""'' " VJkV;' <i
Sere unmittelbaren Emp- Crundnii a^s Bayri;uthi:r Orchesters beim Parsifal
findungen aus, wenn sie
dort oben die ihrigen innerhalb der Befangenheit ihres Dramas produzieren.
In Melanis, des alten Sängerkomponisten, Buffooper Tancia (1612) gibt es
noch eine Stelle, wo das Orchester, weil einer davon spricht, daß er nicht
schlafen kann, ein Schlafliedchen spielt — dumm, auf das Stichwort Schlaf.
Heut geht das nicht mehr. Lügen die Instrumente, so lügen sie absichtlich,
als Parodie: sie können in die Verlegenheit kommen, mit der Hexe aus Han-
sel und Gretel alle guten Kinder zu umschmeicheln. Aber dann hört man
es ihnen an, dann bedienen sie lachend die lügnerischen Worte. Glucks Orest
behauptet, er sei ruhig; das Orchester wird unruhig; man tadelt Gluck und
er ruft: Orest lügt, die Bratschen haben recht, er hat die Mutter erschlagen!
Der Mund kann lügen, die Instrumente lügen nicht. Sie rufen Verzauberten
Erinnerungen wach, sie künden Verschämten das Unausgesprochene. Sie sa-
gen Siegmund und Sieglinde, daß sie sich lieben, ohne daß diese es ausspre-
chen, ja ahnen. Das Orchester hat den Blutstropfen Fafners gekostet: es
hört hinter die Natur. Es hört auch, daß Mime Siegfried töten will, und ist
45
so berauscht von dieser Entdeckung, daß es Mime die entgegengesetzten
Worte in den Mund gibt als die, die er spricht. Er sagt zu Siegfried: ich will
dich töten. Ja, Siegfried hört's, wir wissen's, aber sagen dürfte er's nicht.
Der Kontrast des Wortes und der Musik muß bestehen, damit diese ihr Recht
hat. Wie konnte Wagner, der die Wahrhaftigkeit des Orchesters zum Siege
brachte, diesen Übergriff dulden? In der Salome dagegen spricht Hero-
des von dem Winde, den er in der Luft fühle. Das Orchester spielt den Wind.
Man fragt erstaunt : wie kann es den Wind spielen, der nur eine Einredung
von Herodes ist? Aber es antwortet: ist er eine Einredung? Geht nicht
etwas wie neuer Wind durch diese Luft ? Und es streut das Johannesmotiv
in seinen Wind — und es hat recht.
Im Gegensatz zum Wort ist das Orchester die Seele der Bühne. Es ist
das tönend gewordene Auge des Wahren. Es ist die zweite Sprache, die
hinter der konventionellen Sprache ruht — weil es wortlos ist und die Lüge
des Wortes nicht braucht, nicht kennt. Es zeichnet wahrnehmbar den Ho-
rizont der Stimmung, das Milieu der Sceleneinstellung, die innere Regie der
Instinkte, die das gesprochene Drama zwischen den Zeilen ruhen läßt.
Alles, was zwischen dem Wort und dem Zuhörer liegt, wird sein Reich. Aus
einem Begleiter wird ein Prophet.
Eine unerhörte Aufgabe stellt sich dem Orchester. Es fühlt die Zügel
der Oper in seiner Hand. Es holt alle Ressourcen heran, die ihm zur Ver-
fügung stehen, sein Machtbewußtsein wächst ins Unendliche. Um dauernd
zu illustrieren, jede Landschaft, jede rhythmische Bewegung, jede innere
Regung, jede Charakterverschiedenheit, jede Stimmung, jede Erinnerung zu
schildern, nutzt es die Quantität und die Qualität der Instrumente um so
mehr aus, als sich gerade in der Oper die Assoziationsmöglichkeiten der ab-
soluten Musik, die Deutungen des bloßen Tons durch einen gegebenen In-
halt doppelt leicht ergeben. Mit Monteverdi beginnen sofort diese Regungen
im Orchester. Er benutzt in seinem Orfco auf eine mystisch seltsame Art
die Farben der alten Instrumente, er gründet später das Streicherkorps als
festen Bestand der neuen Oper, um das die Bläser kolorierend spielen, wäh-
rend Akkordinstrumente die Harmonien halten. Die Streichmusik blüht in
den beiden Orchesterkörpern von Paris, der grand bände von 24 Musikern,
den petits violons von 16 Musikern, in der Zeit Lullys. Scarlatti teilt die
ersten und zweiten Geigen bisweilen (wie Richard Strauß) in je vier Stimmen,
verstärkt sie durch Oboen, fügt Hörner, Flöten, Fagotte hinzu : das Solo-
instrumcnt beginnt seine Sprache. Lajarte in seinem Katalog der Pariser
Opernbibliothek gibt folgende interessante Statistik des dortigen Opern-
orchesters: 1671 — 97 sechs Streicherpartien, zu fünf oder drei zusammengezo-
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gen, für Rezitative Baß und Clavecin, sehr selten Pauken und Trompeten, zwei
Flöten und zwei Oboen gehen mit den beiden Violons, ein Fagott mit dem
Baß. 1697 — 1733: zu vier Streichern im Violoncharakter kommen noch vier
im Baßcharakter, wobei auch fünfsaitige benutzt werden. Der Kontrabaß,
1 716 in den Fetes de l'ete von Monteclair das erstemal benutzt, wird von Be-
deutung. 1733 — 74: die Holzbläser werden selbständiger. Hörner, Trom-
peten, Pauken wirkungsvoller, der Streichkörper ist wie heut fünffach — die
erste Klarinette findet sich in d'Herbains Celince 1766; Rameau, der große
Instrumentenkolorist, gebraucht sie höchstens in seinen letzten Werken.
Und später: die Posaune tritt bei Gluck hervor, die Schlaginstrumente er-
weitern sich durch die orientalischen Opern, vier richtige Hörnerreihen zeigt
erst Kreutzers Astyanax 1801, der alte Serpent bereitet das Kontrafagott
vor. Diese Tabelle ist die ungefähre Statistik der Orchesterbesetzung im all-
gemeinen. Wir haben noch wenig Studien: Hugo Goldschmidt schrieb die
Geschichte des Orchesters im 17. Jahrhundert mit seinen wundervollen Mi-
schungen absterbender Instrumente, Fritz Volbach eine leichte Übersicht
des modernen Orchesters in seiner rapiden Entwicklung. Ich zeichne hier nur
die Konturen. Ich erinnere an die in Rousseaus Musiklexikon enthaltene, von
Burney bestätigte berühmte Grundrißzeichnung des Dresdener Orchesters:
in der Mitte der Clavecin maitre, links an der Seite das Clavecin d'accom-
pagnement, neben diesem und rechts an der Seite je ein Cello und ein Kontra-
baß, immer mit dem Klavier; rechts vorn acht erste Geigen, hinten (mit dem
Rücken gegen die Bühne) sieben zweite; links fünf Oboen und zwei Flöten;
vordenzweitenGeigen vier Bratschen; zwei Hörncr und fünf (!) Fagotte links,
vorn, an den Seiten Pauken und Trompeten. Ich erinnere an Gretrys feinen
Orchestersinn — er lobt einmal die Instrumente, die ein Mädchen, welches die
Liebe leugnet, reizend verraten — wie er die Trauer der Fagotte, den nicht
so pathetischen Schmerz der Klarinette, die Hoffnung der Oboe, die Liebes-
süßigkeit der Flöte, den Ruhm der Trompete, die Jagdlust des Horns malt.
Ich erinnere an die frühe Entwicklung der Tonsprache des Orchesters, wie
man sie bei Simon Mayr, dem von Goethe Verehrten, beobachtet: der einen
näselnden Advokatenchor in der Buffooper Belle ciarli e fatti tristi schon
von Sordinentrompeten begleiten läßt, Streicher und Bläser mit Mozartscher
Delikatesse gruppiert, das Pizzikato nach italienischer Art kennt, das Eng-
■ lischhorn benutzt, den Solostellen des Cello, der Viola, Violine, Oboe ihre
Wirkung gibt. Ich denke an das Experiment, das Mehul in seinem „Uthal"
machte: eine Oper ganz ohne Violinen zu schreiben. Welche Entwicklung,
um nur bis zu dieser Zeit zu gehen, vom alten Peri, in dessen Euridice
ein Klavizimbel, ein Chitarrone, eine Tenorlaute und eine Lira grande (von.
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Adligen gespielt) neben den drei Flöten des Schäferritornells die ganze In-
strumentalbegleitung darstellten, bis zum berühmtesten und größten Or-
chester des l8. Jahrhunderts, dem Neapler S. Carlo mit seinen achtzehn
ersten Violinen, die selbst heutige Elektra- Forderungen noch übertreffen.
Der Damm ist gebrochen. Das Orchester des 19. Jahrhunderts zieht alle Far-
ben auf die Palette — schon unregistrierbar. Die malerischen Fähigkeiten ver-
breiten sich von den Streichern zu den Holzbläsern, zu den Blechbläsern, zu
den Pauken. Alle beginnen selbständige Gruppen zu bilden, durch neue Er-
findungen sich zu ergänzen, ihre Dimensionen auszufüllen, und die Ton-
wellen dieses beweglichen, singenden, ehernen Orchesters, von allen Arten
rhythmischer und harfenähnlicher und auch absichtlich archaistischer In-
strumente unterstützt, fluten gegeneinander, das Gemälde eines inneren
Seelenlebens der Bühnenfiguren darzustellen. Es ist die letzte Emanzipation,
der Triumph eines technischen Zeitalters. Das Salome-Orchester umfaßt über
hundert Mitglieder. Ein ungeheurer Apparat wird eingestellt, die Farben einer
Symphonie dem Drama aufzulegen : wir hören keine Oper, wir hören eine
Opernsymphonie.
Ich werde mich an dieser Stelle nicht in die feinen Details der instrumen-
talen Kunst von Mozart, Weber, Berlioz, Wagner, Strauß zersplittern, ich
habe jetzt nur den Finger auf alle die Ausdrucksmöglichkeiten zu legen, die
durch diese Erweiterung und Verfeinerung des Orchesters in die Oper ge-
langten. Das Orchester malt nicht bloß Szenen und Menschen, es etikettiert
sie auch. Von den Anfängen bei den Florentinern, den Römern, bei Monte-
verdi, dem „sinnigen Zitieren" Scarlattis, über die Erinnerungen der Ro-
manzen in der opera comique, die Anspielungen bei Weber, Lortzing, bis
zu Wagner, ist das Leitmotiv eine wachsende Gewohnheit, durch bestimmte
Phrasen an Personen oder Situationen zu mahnen, die sich mit ihnen das
erstemal, da sie erschienen, verbanden. Es ist das Zeichen für den Einbruch
des Orchesters auf die Bühne. Es begleitet nicht mehr, ja es illustriert nicht
mehr allgemein, sondern es formt nach den Vorgängen der Bühne knappe
instrumentale, charakteristische Wendungen, die es bei der Wiederkehr der
Personen und Situationen den veränderten Umständen entsprechend va-
riiert. Konsequent durchgeführt, wie zuerst bei Wagner, der ganze Szenen
nur aus der Kombination von Leitmotiven im Orchester zusammensetzt, be-^
deutet es die Übertragung der Bühne in eine Symphonie, die in ihrer eigenen
wortlosen Sprache die Ereignisse des Dramas miterzählt. Das Drama wird
das literarische Programm für eine symphonische Dichtung, die beinahe auch
ohne dieses aufführbar und verständlich wäre. Es ist möglich, und es ist
geschehen, die leitmotivische Arbeit nach Nummern und Unternummern so
48
zu analysieren, daß jede Nuance der Bühne, jede Abwechslung im Personen-
stand wie von einem Zettel ablesbar wird. Alotiv des Ringfluchs, Motiv der
Familienliebe, Schönheitsmotiv, Siegschwertmotiv, Motiv des Hausfriedens.
Den Komponisten darf die Lächerlichkeit dieser Etikettierung nicht wundern.
£r ist bis an die Grenze der Bühnensymphonie gegangen, er hat die Themen
absoluter Musik mit wirklichen, sichtbaren Inhalten gefüllt, er darf keine
Unbewußtheit vorschützen in einer Methode, die ganz auf klare und über-
legte Bewußtheit gestellt ist und auch davon nichts verliert, wenn det Hörer
unfähig sein sollte, ihrer Systematik im Augenblick genau zu folgen. Früher
baute sich die Oper aus Gesangsnummern. Jetzt baut sie sich aus Leit-
motiven. Ein Bau ist es immer noch. Nur war jener in die Sinne fallend,
und dieser ist eine fast unsichtbare, zuerst kaum merkliche innere Konstruk-
tion. Wird sie nicht gemerkt, ist sie doch überflüssig. Wird sie gemerkt,
ernüchtert sie. Das Orchester fraß die Bühne, weiter konnte es nicht gehen.
Debussy leugnet die leitmotivische Methode. Die Zukunft wird sie mit
leiser Reaktion verlassen.
Das Orchester frißt die Bühne und frißt die Stimmen. Es ist bisher
jedem Opernkomponisten gegen seine V^orgänger vorgeworfen worden, daß
er ein zu lautes Orchester habe. Die Enzyklopädisten bedauerten es, Mozart
wurde es nachgesagt, Wagner hörte es wieder, Strauß hört es jetzt. Gretry
schlug schon das unsichtbare Orchester vor, Bayreuth führte es ein. Es war
eine Tugend aus der Not, aber hinwiederum kam die Not aus der Tugend
des modernen, des deutschen Symphonikers, sich im Orchester blendend
ausdrücken zu können. Die größte Not betraf die Stimmen der Sänger.
Nicht nur in ihrer Dynamik — das wäre eine Kraftfrage, aber mehr noch in
ihrer Melodik. Die Stimme wird von der Gesamtsymphonie einbezogen. Sie
ist ein Teil der ganzen Musik, nicht ihre Kontur, ihre Höhenlinie. Gretry
sagt von Gluck, er mache eine Symphonie mit oft unwesentlicher (accessoire)
Stimme, er selbst versuche das Gegenteil, Sacchini stehe in der Mitte. Was
hätte er von uns Heutigen gesagt ? Selbst der Italiener kann sich nicht mehr
ganz der symphonischen Anschauung der Stimme verschließen. In Höhe-
punkten gewinnt der Gesang die Herrschaft, im Fluß der Begebenheiten
sinkt er als eine der vielen Linien in das symphonische Gewebe hinein. Das
Orchester begleitet ihn nicht mehr, er begleitet das Orchester. Er müht
sich der schönsten Deklamation, des literarischesten Gewissens, des wahrsten
Ausdrucks und ist doch oft nicht viel mehr als eine Oboe oder gar zweite
Violine — der Träger einer dramatischen Farbe, der in das Orchester ein-
gestellt ist. Puccini schreibt noch gut für Gesang, der Deutsche hat auch
dies verlernt. Er ist sehr gebildet in seinem Schaffen, aber mit seinem ge-
49 4
liebten und wirklich so wundervollen Orchester tötet er alles, was er in lang-
samer Erziehung auf der Bühne sich eroberte. Es ist, als ob die Alusik für
den Vorstoß der Poesie da oben sich hier unten durch einen ihrer gewaltig-
sten Schläge rächte. Und wieder stehen wir vor der Unmöglichkeit. Sie muß
in ihren Pol umschlagen.
Fünfter IViderspruch : Die AuffüJintng
SO rückt das Schauspiel der Künste in der Oper vor. Monodie und En-
semble, Form und Ausdruck, Musik und Stoff, Heimat und Welt, Rede
und Melodie, Komponist und Librettist, Gesang und Orchester sehen sich
scharf ins Auge, Vorteile zu erspähen, Niederlagen zu ergänzen, Lücken zu
füllen, die Macht der eigenen Sphäre zu erweitern. Aber das alles ist gleich-
sam erst die geschriebene Oper, in der die Paradoxien noch unbewußt ruhen.
Jetzt wird sie gespielt und ein neuer Akt, ein Akt voll furchtbarer Kämpfe,
Ärgernisse, Tyranneien und Verzichte beginnt, in dem die ganze theore-
tische Unmöglichkeit dieser Kunstgattung ihre praktische Bestätigung findet.
Eine Antinomie erhebt sich zwischen Werk und Aufführung. Die Oper ist
nicht nur da — sie wird von jemandem gegeben. Dieses ,,Von Jemandem"
stellt eine neue, sehr schwierige, sehr nervöse Gruppe von Interessenten der
Familie von Wort und Ton und Orchester gegenüber, die sich da zusammen-
getan haben, eine frohe Geburtsstunde zu erleben. Die Aufführung ist sonst
eine Frage, bei der Oper ist sie ein Problem. Sie greift tief und schmerzlich
in das Kunstwerk ein. Fin des plaisirs, commencement des desagrements
schreibt Mehul unter eine seiner Opern.
Indem ich hier die täglichen Aufführungssorgen der Oper als eine ästhe-
tische Antinomie zusammenfasse, sie nach ihren wichtigsten Befunden ordne,
stelle ich folgende Tatsachen nebeneinander.
Die gegebenen Verschiedenheiten der menschlichen Stimmregister wir-
ken auf die Disposition der Oper. Ganz allgemein zunächst. Schon Doni,
der große MusikschriftstcUcr der Renaissance, bemerkt in seinem Trattato
della musica sccnica, Jesus müsse Tenor singen (ein weicher Tenor wie der
des Francesco Bianchi), Gott Bariton, die Engel Sopran und Alt, der Teufel
tiefen Baß, Apollo Tenor oder Kontraalt, Merkur Falsett (wegen des Be-
trügerischen) : ein rechtes Einteilungssystem für einen mythologischen, anti-
kisierenden Methodiker, der auch für jeden Gott seine Tonart empfiehlt, für
Venus die lydischc, für Saturn die hypodorische, wobei er, wie Ambros sagt,
an alles gedacht Jiat, nur nicht an die Menschen. An die Menschen auch als
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Sänger dachten die alten Italiener überhaupt wenig, sie ergötzten sich am
■Klang der schönen Stimme an sich, und sie scheuten nicht davor zurück,
den Mann zu verstümmeln, damit er die männliche Ausdauer und die weib-
liche Klanghöhe zu einer perversen Einheit verbinde, die die Feinschmecker,
die Orecchianti, entzückte. Der erste Kastrat, der in eine päpstliche Kapelle
aufgenommen wird, ist der Pater Girolamo Rossini aus Perugia um i6oi.
Es vergeht nur kurze Zeit, und die JCastraten dringen in die Oper ein. Wäh-
rend in Peris Euridice noch ein Knabe die Rolle der Dafne singt, ist Ca-
vallis Alcibiades als Sopran, sein Xerxes als Alt Kastrat. Die natürliche Ver-
teilung der Register, die in den älteren Opern noch Regel ist, wird auf den
Kopf gestellt. Der Fall aus Scarlattis Trionfo dell'onore wird als Ku-
riosum oft genannt: der Liebhaber ist Sopran, die Geliebte Alt. Schließlich
verbietet Clemens XII. ganz das Auftreten der Frauen auf dem Theater,
und die Kastraten erobern noch dazu das Reich aller weiblichen Rollen.
Heinse baut die Pointe seines Opernromans Hildegard von Hohenthal dahin
aus, daß Hildegard in Rom als Weib auf einer Opernbühne singt. Es war
dies ein Ereignis, wie heut der Flug über den Kanal. Gluck schreibt seinen
Orfeo in Althöhe noch für den Kastraten Guadagni. Da man in Paris trotz
der Schwärmerei Raguenets und aller Italienfreunde diese Sorte Sänger nicht
verwendet, ändert er die Rolle in die Tenorlage um. Das Weib als Mann aber
bleibt für lange Zeit ein Typ der Oper. Den Genuß an der Kastratenstimme
ersetzt der Reiz des verkleideten Geschlechts. Der Page, vom Cherubin über
den Hugenottenurban bis zum Rosenkavalier ist der legitime Erbe eines ver-
schnittenen Sängervolks, bei dem ein Stück Mann das Weib, ein Stück Weib
den Mann sang — abenteuerliche, hermaphroditische Künste des Chevaliers
d'Eon, die der paradoxen Geschlechtslosigkeit der Oper schmeichelten.
Burney auf seiner italienischen Reise (1770) erkundigt sich lebhaft nach
der Fabrik der Kastraten. Aber es wird ein absichtliches Dunkel über ihre
Herkunft gebreitet. In Mailand sagen sie, es geschehe in Venedig — in Ve-
nedig, es sei in Bologna; von Bologna weise man nach Florenz, von dort nach
Rom, nach Neapel. Der britische Konsul in Neapel sage, sie kämen aus
Leocia in Puglia. Sie würden erst geprüft, ehe man die Operation vornehme.
Und doch stehe die Todesstrafe darauf — man rede sich oft mit einer Krank-
heit aus. Was will man mehr von der Muse der Oper ? Sie nimmt den Men-
schen das Geschlecht und tötet das Gesetz aus Genuß. Sie zieht hundert
Jahre lang die Kastraten groß und sendet sie mit der italienischen Pvlusik
in die weite Welt. Sie teilen Ruhm und Niedergang dieser ]\Iusik. Die
Deutschen wenden sich mit dem Brustton logischer Empfindlichkeit dagegen.
„Die Symphonie geht zu Ende," schreibt Scheibe im ,, Kritischen Musikus",
51 4'
„der Vorhang wird aufgezogen. Man
hört eine weibische, doch helle Stim-
me, welche von einem Körper gespro-
chen wird, dessen Kleidung uns das
Bild eines Helden darstellen soll. Lasset
uns einmal in dem Buche nachsehen,
ob dieses ein verkleidetes Frauen-
zimmer, eine Amazoninn .oder eine
Person aus der verkehrten Welt ist ?
Nein, keines von allen Dingen, es ist
der große Alexander. Wie ? Der große
Alexander ? Seit welcher Zeit hat
man diesen gewaltigen Weltbezwinger
in einen Unvermögenden oder wohl
gar in ein Weib verwandelt ? Doch
wer ist denn dieser, der anitzo mit
^^ — — =^ einer matten Altstimme auf den Knien
^^„^ ^> v.^;^ ; j''*^^ um die (junst semer holden Cjottmn
,. . I- ■ 11- • r- 1 4u T7„j., 1^1, „„„ so beweglich, so weibisch und so
Kastrat Farinclh in (jala. Alte rcderzcichniing o '
niederträchtig seufzet ? Ist es nicht
einer von den Hofpagen des großen Alexanders ? Nein, keineswegs. Es ist
der stolze Hephästion, einer der vornehmsten Generäle dieses berühmten
Königes. Es ist Hephästion, der durch seine Klugheit und Tapferkeit alles,
was sich ihm entgegensetzte, zu Boden trat. Wir werden aber doch einmal
einen ähnlichen Charakter finden. Lasset uns nachsehen, wer dieser ist, der
sich anitzo in einer kreischenden Diskantstimme über die Grausamkeit des
Glückes und über die Unbarmherzigkeit einer vermählten Dame beklaget ?
Unfehlbar wird dieses ein wollüstiger Schmaruzer sein ? Weit gefehlet. Es ist der
tugendhafte Lisimachus, der, bloß mit seinen Händen und ohne die gering-
sten Waffen, einen Löwen überwand; der sich durch seine Tugend und Ge-
duld die ihm durch den Neid seiner Feinde entzogene königliche Gnade auf
das rühmlichste wieder erwarb. Endlich werden wir einen Chor der Helden
hören. Wie ? Es sind ja lauter Diskant- und Altstimmen. Hat denn Alexan-
der mit einer Menge Weiber die \\'elt bezwungen ?"
Nun, die Geschlechter sind wieder arrangiert, Sopran, Alt, Tenor und
Baß haben ihre natürlichen Funktionen übernommen und dem rationellen
Musiker an Charakter ersetzt, was dem alten Theaterbesucher an sinnlichem
Reiz zugute kam. Noch immer schreiben die Italiener für die Stimme, wie
die Deutschen für die Instrumente, und jene für die Stimme in diesen, wie
52
Kastrat Farinelli im Reisekleid.
Alte Federzeichnung
diese für die Instrumente in jenen.
Die Instrumente stehen, die Stimme
wandelt sich, wie die instrumentalen
Möglichkeiten sich wandeln, und die
Stimmöglichkeiten stehen. Gegen-
spiele und Paradoxe. Der Deutsche
ist individueller, der Italiener schreibt
für Individuelleres, für diesen ganzen
wechselnden Zauber farbiger Stim-
men, die jede Rolle in neue Valeurs
setzen, jedem Abend eine neue Dis-
position geben, erst leben, wenn sie
da sind, erst Leben wecken, wenn sie
selbst leben. Farblos und neutral auf
dem Papier, wird die italienische Oper
Melodie und Genuß und Erfindung
und Klangreiz, wenn sie gesungen
wird, ihre Existenz ist eine fliegende,
aber ihre Kraft eine stehende. Sie ist
nur Geist, wenn sie Materie wird.
Und nun wimmelt diese Schar Künstler mit dem nervösesten aller
Instrumente um den Komponisten herum und bringt ihn in Verlegenheit,
stößt ihn, liebt ihn, bittet ihn, verleugnet ihn und läßt ihn im Stich. Die
Geschlechter sind eingerichtet, die Charaktere versprochen, aber die Men-
schen sind keine Klarinetten. Burney erzählt, wie ein fehlender Tenor durch
einen Einhelfer aus einem Loche ersetzt wird. Gretry, wie einer eine ganze
Orange ißt, bis der Partner sein Rezitativ beendet hat. Solche Geschichten
gab es hunderte. Verkehr und Disziplin sind bes'ser geworden, aber die Verant-
wortlichkeit ? Die Schröder-Devrient wirft Wagner, die Rienzipartitur an
den Kopf und fast alle ihre Kollegen sind gegen fast alle neuen Werke,
die ihnen immer zu schwer, immer zu unverständlich sind. Ein halbes
Jahr Tristanproben in Wien, und es kommt zu keiner Aufführung. Unter-
scheiden wir. Die Italiener schrieben vokal, die Deutschen schreiben instrumen-
tal, auch für die Stimme. Die Italiener gaben ihre Arien dem Gutdünken
der Sänger preis, aus deren Kehle und für deren Kehle sie komponierten.
Die Rosinenarie aus dem Barbier ist in Tonart und Koloratur frei gewor-
den wie ein Vogel. Zahlreiche Stücke werden für bestimmte Sänger auf
Wunsch eingefügt. Sacchini schließt sich bei seiner Primadonna ein, bis er
mit seiner Oper fertig ist. Keiser in Hamburg, Purcell in London schreiben
53
ihre berühmten Riesenkoloraturen, weil sie wissen, fürvven sie schreiben.
Mozart komponiert seine Königin der Nacht für diese eine Josepha Weber.
Dafür leben auch alte Stücke oft nur mit ihren Sängerinnen und sterben mit
ihnen, auch wenn ein Meister sie hält. Die Norma ist tot, weil sie nie-
mand mehr singt. Man hilft sich mit Änderungen und Strichen. Man än-
dert, streicht, kombiniert an alten Opern mit einer Nonchalance, die inner-
halb des Schauspiels unerhört wäre. Das Schauspiel kann jeder lesen, die Par-
titur nur wenige — die Oper will gehört sein. Sie lebt auf der Bühne und
findet dort erst ihre endgültige Form. Es gibt keine Oper, die jemals zu
allen Zeiten und an allen Orten so aufgeführt wurde, wie sie geschrieben
war. Nur Pietät, eine sehr untheatralische Tugend, gestattet originale For-
men. Und doch Pietät! Mahler streicht aus dem Fidelio die Roccoarie als
dumm, setzt die dritte Leonorenouvertüre Aor die letzte Szene ein, als wirk-
samstes, symphonisches Zwischenspiel, und komponiert für den Figaro neue
Rezitative hinzu, aus der Beaumarchaisschen Gerichtsszene, die die revolutio-
näre Tendenz steigern. Was die Italiener früher an Stimmpersönlichkeit ver-
langten, verlangen die Deutschen jetzt an Stimmdynamik. Hans Sachs, als
Rolle zusammengerechnet, singt länger als eine ganze alte, kleine Oper dau-
erte. Sie verlangen eine Schauspielfähigkeit, die den Sängern selten gegeben
ist. Sie ,, denken" sich die Rollen und sind zufrieden, wenn die Hälfte ihrer
Absichten auf der Bühne verwirklicht wird. So steht der Konflikt. Die Alten
gaben sich in den Dienst der Sänger und setzten ihre eigene Selbständigkeit
herunter. Die Neuen zwingen die Sänger auf ihr Niveau und kümmern sich
nicht darum, ob ihnen dabei der Atem ausgeht. Jene Werke litten dadurch
an ihrer Einheit, diese leiden an ihrer Energie. Ist diese Differenz jemals
auszugleichen ?
Bei der alten, der italienisierenden Oper sind erst die Sänger da, dann wird
komponiert — später war es umgekehrt. Die Italiener hatten den Vorteil,
aus einer bestehenden Kunst und vollendeten Ausbildung der Kehle ihre
Werke herzuleiten, in Deutschland mangelt es zuerst überhaupt an Sängern,
dann an den passenden. Im alten Hamburg muß Mattheson falsettieren, um
seine Kleopatra zu singen. Ein Fräulein Conradi, Tochter eines Dresdener
Barbiers, exzelliert als Sängerin, obwohl sie nicht Noten lesen kann. Dann
wird das Material besser, aber andere Nöte entstehen, die größten, als die
Wagnersche Oper aufgeführt werden soll. Der Briefwechsel Wagners mit
seinen Künstlern ist eine einzige Bemühung um passende Darsteller, die aus
der italienischen Überlieferung sich befreien und seinen dramatisch-dekla-
matorischen Absichten Verständnis entgegenbringen. Langsam erzieht er
sie sich. Wie die italienischen Sänger ihre Musik geschaffen hatten, so
54
schafft hier die deutsche
Musilc ihre Sänger. Der
Natursänger, bei dem ein
glücklicher Instinkt den
konventionellen Akzent er-
setzt (wie schon Gretry von
Garat sagte), gewinnt an
Ansehen und — — ge-
fährdet die Oper.
Der Umstand, daß die
Oper erst in der Auffüh-
rung ihre sinnlich-endgül-
tige Form erhält, wirkt
auf die Autoren der älte-
ren Zeit beinahe demora-
lisierend. Die Noten sind
oft ein unverantwortliches
Material, erst die Szene
gibt Wert und Tatsäch-
lichkeit. Die Originalität
der Persönlichkeit ist nicht
die Hauptsache. Peri und
Caccini am Beginn der
Florentiner Oper arbeiten
zusammen, fügen sich ge-
genseitig Nummern ein. In Pcris und Gaglianos Opern stehen Stücke,
von adeligen Dilettanten eingesetzt, denen die Autoren noch schmeicheln.
Im Jahre 1721 wird in London eine Oper „Muzio Scaevola" aufge-
führt, deren erster Akt von Mattei, zweiter von Bononcini, dritter
von Händel stammt. Rebel hat mit Francocur zehn Opern zusammen-
gearbeitet. Herold machte seine Marquise de Brinvilliers mit neun anderen
zusammen, darunter Boieldieu, Auber, Cherubini, Paer. Die Benutzung
älterer Opernstücke in neuen Werken ist ebenso geläufig: Rameau nimmt
Teile seines wegen kirchlichen Widerspruchs unaufgeführten Samson in den
Zoroaster auf, dessen Ouvertüre er sich wieder zum Castor borgte. Gluck
borgt sich eigene Ouvertüren und Arien, Händel mit Vorliebe, Rossini
desgleichen — noch Weber macht solche Selbstanleihen, er, der auf den
Proben des Oberon dieser Oper überhaupt erst die endgültige Gestalt gibt.
Anleihen bei Fremden sind nicht ganz so häufig, aber sie sind nicht immer
55-
Apotheose FanntUis. Stich vun Wagiur nach Amiconi
illoyal. Händel nimmt von Keiser, Gluck von Feo und Bach, Philidors Le
Sorcier enthält eine Romanze, Note für Note nach Glucks Objet de mon
amour im Orpheus. Die Ausarbeitung weniger wichtiger Partien wird andern
überlassen: Lully und Gretry übertragen Mitarbeitern die Instrumentation;
die Rezitative — in Paris beim Freischütz, bei Carmen, um sie „akademiefähig"
zu machen — werden unzählige Male von andern besorgt. Die Opernproduktion
nimmt eine unheimliche Ausdehnung an. Die typischen vierzehn Tage, in
denen noch Donizetti den Liebestrank komponierte, kehren auf den Arbeits-
listen vieler berühmter Italiener wieder. Die Blätter fliegen unter der Hand,
oft gar nicht gedruckt, in Abschriften verbreitet, die Bühne verschlingt sie, sie
braucht jährlich neue. Rossini wird eine Zeitlang von Barbaja engagiert, um
jährlich zwei neue Opern zu liefern. Sacchini hatte im Alter von 36 Jahren,
in dem Wagner erst aufzusteigen begann, schon 50 Opern geschrieben. Scar-
latti. machte 115 Opern, noch Gluck 107. Hasse konnte sich selbst kaum
aUer seiner Opern erinnern, nachdem sie Friedrich der Große bei der Be-
lagerung von Dresden verbrannt hatte. Es ist klar, daß diese Produktions-
menge auf den Stil der Komposition wirken mußte — sie stilisiert die Form,
versteinert das Gerüst, macht Ausdruck, Verteilung und musikalische Ge-
stalt stereotyp, aber stärkt die Schule und die Routine. Die neue Oper kennt
diese Massenwirtschaft nicht mehr. Sie verliert dadurch die formale Über-
lieferung, gewinnt an innerer Tiefe, an persönlicher Durchdringung.
Das Einheitsmaß zwischen Bühne und Orchester, den Rhythmus der
lebendigen Aufführung gibt der Taktstock des Dirigenten, ditser Zauber-
stab, der alle die hier vereinigten Kräfte und alle persönlichen Divergenzen
in die Herrschaft seines eigenen Tempos zwingt. Das Tempo ist der ob-
jektive Zusammenhalt der tönenden Massen — aber, indem es einem Ein-
zigen anvertraut ist, wird es wieder zu einer subjektiven Äußerung, die sich
aus Temperament, Laune, Klima und momentaner Rücksicht merkwürdig
zusammensetzt. Die Geschichte des Taktschiagens ist eine Geschichte der
Wandlung roher Disziplin, wie sie noch der heftige, aufschlagende Taktstock
des französischen 18. Jahrhunderts zeigt, in die nervöseste Äußerung per-
sönlichen Empfindens, wie sie* den Dirigenten seit Wagner auszeichnet.
Rousseau in seinem Musiklexikon unterscheidet den italienischen Taktschlag
mit wiederholten, nur senkrechten, sinnfälligen Bewegungen vom französi-
schen, der schon mit eingelegten wagerechten Linien für die mittleren Takt-
teile arbeitet. Heut ist er nicht mehr zu definieren — er wird ein irratio-
naler Ausdruck von Mimik des Tempos und der Dynamik, der seine Schul-
regeln vergessen muß. Gretry erzählt, daß man im nördlichen Frankreich
langsamer, im südlichen schneller dirigierte, im nördlichen Italien schneller,
56
in Rom sehr langsam, daß man Lullys und Rameaus Tempi akzeleriert habe.
Wir finden heut oft, daß der Italiener dieselben Passagen langsamer singt
als der Deutsche — weil seine Technik zuverlässiger ist. Wir erleben, daß
Tempi sich in Bayreuth verlangsamen, aus einer Art Verfeinerung und Ver-
tiefung schon konventioneller rhythmischer Werte, und daß Richard Strauß
am Pulte den Nibelungenring, aus der Veranlagung seines reißenden Tem-
peraments, so hetzt, daß ihm die Sänger nicht mehr folgen können und
wollen. Ich erwähne das, um innerhalb aller Paradoxien des Opernwesens
auch diese nicht zu vergessen, daß die feste Schiene, auf der die Aufführung
in die Zeit hinein zu gleiten hat, weder aus Eisen ist, noch auf der Erde
ruht. Das Schauspiel hat seinen Regisseur für das Tempo, der vor der Auf-
führung arbeitet. Die Oper hat ihren Temporegisseur während der Auf-
führung — er ist ein Mensch, ein Künstler, oder gar der Komponist selbst.
Die Regie der Bühne tritt in neue Schwierigkeiten, da sie aus einem dra-
matischen Milieu einer musikalischen Aufgabe entgegensieht. Wie verhält
sich die Natürlichkeit der Bühnenvorgänge zu der Abhängigkeit vom Diri-
genten ? Die Alten sangen ihre Arien über die Rampe ins Publikum, von
Zeit zu Zeit durch eine Handbewegung, eine leichte Umarmung oder Rück-
wendung die Forderungen des Dramas markierend. Die Chöre stellten sich
auf, die Ensembles reihten sich an. Wenn es heute natürlicher geworden ist,
ist es nur schwieriger geworden. Bühnendirigenten helfen dem Chor, der
den Lohengrinschwan nur sehen kann, wenn er dem Kapellmeister den Rücken
kehrt. Gregors Komische Oper in Berlin zeichnete sich durch diese rationelle
dramatische Regie aus, durch ungestörtes Volksleben im ersten Carmenakt»
im zweiten Bohemeakt, durch den Versuch der vollkommenen Ausschaltung
des Konvergierens auf den Dirigenten. Man fühlte, daß die Musik oft dabei
zu kurz kam. Ist das Problem zu lösen ? Der Dirigent ist unsicher, er hat nicht
nur Musik unter sich, sondern auch ein selbstisches Drama. Geht man ins-
Drama, verliert man gegenüber der disziplinierten Musik, geht man in die
Musik, verliert man gegenüber der Illusion der Bühne. Im alten Stil machte
man Scheinkonzessionen: einen sogenannten Idealismus, der seine Frontbe-
wegungen in einer großzügig unbeweglichen Monumentalität verbirgt, in der
Art der klassischen Faustina, der pompösen Schauspielerin mit dem Cantar
granito. Und die konzertierende Haltung der alten Oper war ja auch zu-
gleich Ursache und Wirkung dieses Kompromisses. Aber die realistische mo-
derne Oper kann das nicht, sie sitzt so tief in dem Dilemma, daß man oft
nicht mehr weiß, ob die Darsteller den Dirigenten oder dieser jene mehr
irritiert. Schließlich muß es irgendwie gemacht werden, und man findet eine
anständige Mitte, die keinen von beiden Kontrahenten beleidigen soll, wäh-
57
rend sie tatsächlich nur die Unmöglichkeit einer endgültigen Aussöhnung
kaschiert.
Und so komme ich zum Kapitel der Sichtbarkeit der Oper, die mit ihrer
Hörbarkeit sich auseinanderzusetzen hat. Hier scheint kein Kompromiß
mehr, hier scheint offene Feindschaft und Gegensätzlichkeit. Der Rahmen
der Bühne, die Dekoration, die Ausstattung sind eine beharrende Kunst, die
Musik eine laufende — und dennoch soll auch dieses Drama sich vor ein-
drucksvollen Bildern, in wirksamen Stellungen abspielen. Jetzt sage ich schon
vorsichtiger: gerade weil es kein gesprochenes, sondern ein musikalisches
Drama ist, wird die offene Gegensätzlichkeit der Raum- und Zeitkünste nicht
ohne weiteres zugegeben, sondern sie suchen sich zu beeinflussen, anzuähneln,
zu steigern — die einzige Vertragsbrüderschaft, die die beiden Kategorien
jemals versucht haben. Der Oper bleibt auch dieses Experiment nicht ver-
sagt: sie schlägt alles zusammen und alles auseinander.
Zunächst, wie stellt sich die Regie zur detaillierten Musik ? Nicht die
technische Regie der Abhängigkeit vom Dirigenten, sondern diese künstle-
rische Regie des Verhältnisses vom Schauspiel zur Musik ? Gagliano in der
Vorrede seiner Dafne macht bereits eine Reihe weiser Bemerkungen über
•die Lösungen dieser Inkongruenz. Die Reformatoren haben sich immer da-
mit aufgeregt : Rousseau schwärmt für die genaue Befolgung der Musik-
phrasen durch das Spiel. Wagner denkt sich eine ganze Tanzkunst der Mimik
in präziser Übereinstimmung mit der gehörten Gebärde des Tons. Das Or-
chester wird dadurch gebärdenreicher, die Mimik musikalischer. Susanne und
Chcrubin spielen die Achtel ihres Duetts, das Wotansschwert wird gezogen,
wenn die Trompete es bedeutet, Loge dreht sich mit seiner Chromatik,
Quickly verbeugt sich dalle due alle tre und Basilio erhebt sich in ganzer
Größe mit dem Kreszendo der Calomnia. Ist die Präzision vollkommen, ist
ein Buffoeffekt sicher: ist sie nicht durchgeführt, spalten sich die Organe des
Auges und Ohres. In diesem Falle ist das Spiel wahrscheinlicher, aber un-
tänzerischer — in jenem tänzerischer, aber karikaturhafter: Gliederpuppen
mit Gebrauchsanweisung. Die Praxis schwankt auch hier in einer unklaren
Mitte zwischen den festen Bühnenbildern, die die Konturen stellen, und der
beweglichen Musik, die die Innenzeichnung liefert, halb in diese, halb in jene
schielend. Das sind die doppelten Sorgen der Opernregie.
Die Dekoration macht in der Oper mehr als sonst Anstrengungen, der
Beweglichkeit der Musik zu folgen. Die Wandcldckoration des Parsifal ist
die letzte von vielen. Die Prozessionen, in hundert Abarten, oft willkürlich,
bisweilen motiviert, sind typische Mobilisierungen der ruhigen Bühne. Alles
Zauberische und Technisch-Verblüffende der Dekoration verbindet sich am
58
Buniacini, Dekoration zu Ctstis Porno d'oro. Wien 1667
liebsten mit der Oper, nicht bloß weil sie daa Schaustück aller Schaustücke
ist, sondern auch, weil die festliche Zeitlichkeit der Musik zu solchen Dar-
stellungen reizt. Bis zur geschmacklosesten Prachthäufung und Material-
verschwendung geht das Fest der alten, und nicht bloß der alten Oper vor.
Die Riesenfeste mit Pferdeballetten, Göttererscheinungen und Landschafts-
illusionen in der Renaissance drängen sich nach der Kunstgattung der Oper
hin. Was Menetrier 1681 in seinen representations en musique beschreibt,
sind solche Monstra : bis zum Orpheus mit Militäreinlage. Das ist ein wei-
tes Feld, auf dem wir etwas verweilen müßten. Ambros fand ein beson-
ders amüsantes Beispiel auf der Prager Bibliothek: die „Liebespfeile" mit
einer schlechten Musik von Boschetto-Boschetti im Stil der ersten rezitati-
vischen Oper, 161 6 in Viterbo aufgeführt — auch eine Geschichte von der
Liebe des Mars zur Venus, von Vulkan entdeckt. Nackte Zyklopen in Rauch-
grotten, Vulkan aus dem Olymp geworfen, die Wolke mit Amor (Locken aus
Gold, Edelsteinkleider), neue Wolken mit Mars und den Venusgrazien. Venus
in lichtrotem Brokat, darunter Silber, Rosenhaar und Rosenschleier, azurner
Mantel — die Grazien nur in dünnen Gazen. Die Nacht steigt aus der Erde,
mohnbekränzt, im Sternenmantel, mit der „Ruhe", einem grauen Greis, dem
,, Vergessen", einem blinden Jüngling, dem „Schweigen", einem Alten im
Wolfsfell, und dem „Schlaf" im Dachsfell. Aurora, in Scharlach, drückt von
oben die Nacht herunter. Zuletzt die Fama, mit Augen und Ohren bemalt,
59
eine Trompete in der Hand. Diese Wesen singen teils direkt, teils indirekt
den sogenannten Inhalt der Oper. Ein Beispiel für viele — die mythologische
Dekoration in ihren wiederkehrenden Typen, die mythologischen Kostüme
in ihren bunten allegorischen Zustutzungen, Praclit, Prunk, Pomp, Renais-
sanceroheit und methodisierte Symbolik beherrschen die Bühne. Schließ-
lich wird die Handlung auf diese Schaustellungen hin eingerichtet — die Oper
sieht lächelnd zu, selbst ein Werk wie der Pomo d'oro des Venezianers Cesti,
das musikalisch ernst zu nehmen ist — wie ist die Proserpinaarie in A-moU
von einer fast Gluckschen Schönheit, wie walzerfein sind die melodiösen Ko-
loraturen der Venus (cingetemi il crine), wie offenbachsch temperamentvoll
ist das Terzett der drei Parisgöttinnen. Und welche Klangfarben! Die
schöne Melancholie der verlassenen Eunone wird von Graviorgano und Gam-
ben begleitet, die Proserpina von dem Unterweltsorchester zweier Zinken,
dreier Posaunen, Fagott und Regal. Und doch war dieses berühmte Stück
nichts als eine Fest- und Gelegenheitsoper, zur Hochzeit Leopolds 1667 in
Wien gegeben, in einem Extratheater von 5000 Personen, das der Festkünst-
ler Burnacini baute. Sie ist ganz erhalten, mit allei; Musik und allen Deko-
rationen, und in den „Öster-reichischen Denkmälern" neu gedruckt. 100 000
Taler waren die Kosten. Sängerinnen stehen erst nicht in den Verzeichnissen,
sie sind nur provisorisch beschäftigt. Apollo ist Alt, Alceste Alt, Adrast Alt,
die Amme ist Tenor, Alcindo, zweiter Liebhaber ist Alt, also höher als die
Amme. Pluto hat glücklich das tiefe C. Der Sbarrasche Text, in akademi-
schen Dialogen, meist Sechszeilern, die sich in der Leidenschaft verkürzen,
behandelt unter Zulassung der üblichen komischen Personen (Momo, Amme,
Caron) in 6"] Auftritten die Legende vom Erisapfel und Parisurteil, zurecht-
gemacht in etwa folgende Dekorationen: Schauplatz des österreichischen
Ruhms, Unterwelt, Olymp, Wald auf dem Ida, Palasthof des Paris, Garten
der Freude, Hafen, Hölle, Waffenplatz, Tritonischer Sumpf, Äolushöhle, Tal
des Xanthus, Zeughaus des Mars, Meer, Kampfplatz, Cedernhain, Pallas-
tempel, Himmel mit Milchstraße und Feuerkugel, Venusatrium, Marsfestung,
Parisvilla, Waffenplatz des Mars, Himmelreich und irdisches Reich mit See-
ausblick. Alle Maschinenkunststücke kann man nachlesen. In der Licenza,
der Schlußwendung, erhält natürlich die Kaiserin den Apfel, der auf diese
Weise durch sämtliche typischen Reiche der alten Prachtoper gewandert ist.
Sie möge ihn behalten, l'.in einziges Mal sollten wir den Vorhang lüften vor
einer Oper, in der alle anderen Künste sich nur dadurch zu vertragen scheinen,
daß sie der unwesentlichsten, der Dekoration, selbstlos dienen.
Aber ist sie so unwesentlich ? Sie gibt dem Fluß des musikalischen Dra-
mas einen bleibenden Fond, eine Stimmungszentrale, einen Horizont von
60
Bcrain, Dekoration zu Collastes Thclis und Peicus.
Paris 1669
grundlegender Lyrik. Sie ist der
sichtbare Generalbaß der wechseln-
den Vorgänge. Sie bringt in das
Drama das Bild, das Zusammen-
fassende, die Atmosphäre, das Milieu
— es ist nicht unmusikalisch von der
Bühne, so zu empfinden. Man merkt
Wagner an, wie er diese sichtbaren
Grundrhythmen absichtlich ver-
teilt: Tag und Nacht, Freies und
Geschlossenes, Weites und Intimes
in Kontrast setzend. Das Schau-
stück der Dekoration, der Regie, der
Intermezzi als Selbstzweck ist ge-
fallen. Die italienische Anschauung,
Gesehenes und Gehörtes sinnfällig zu
rahmen, ist auch hier der nordischen
gewichen. Gesehenes und Gehörtes
zu einer organischen Verfassung zu
zwingen. Die Aufzüge werden motiviert, die Ballette in das Drama einbezogen,
die Kostüme (in Italien heut noch öfters in typischer Phantastik) realisiert.
Um 1770 schwindet in Paris mit der gesamten Reaktion gegen Kastratentum,
Maskentänzer, mythologischen Aufputz, militärische Festphrase, der Reif-
rock und die Perücke, der symbolische Doktrinarismus des Kostüms. Die
Bühne wird entgöttert. Noch immer will man das Auge nicht langweilen, aus
einer geheimen Hoffnung, durch dieses leichter zugängliche Organ etwaige
Mißstimmungen des Ohrs zu besänftigen oder zu unterbinden. Noch immer
ist von der alten Oper Schaulust zurückgeblieben, Gelegenheitsmacherei für
Entwicklung von Riesendimensionen in Massen, Kostümen, Kulissen, tech-
nischen Wundern — aber die Augenweiden sind legitimer. Ja, wie einst die
Musik sich vor der Dekoration auf die Knie warf, so erleben wir jetzt eine
Harmonisierung, Stilisierung der Dekoration aus dem Wesen der Musik.
Karl Walsers Arbeiten für die Oper, viele Versuche Gregors in der Berliner
Komischen Oper betonten das Bild im Bilde, das Hintergrundhafte der Deko-
ration, ihren lyrischen Refrain, ihre sichtbaren Reime zu der laufenden, fliehen-
den Musik. Vor allem das Licht, als ihr bester Leiter, wirkt seine leisen Zauber :
es ist das besondere Interesse Appias in seiner Schrift über Inszenierungen.
Das Konsequenteste lieferte Roller in Wien. Aus Mozarts stilisierter Oper stili-
siert er seine Dekorationen in variablen Turmvorbauten mit schnell wech-
61
selnden Fonds. Die Grundfarbe des revolutionären Figaro nimmt er Rot.
Jedes Kostüm ist ein Produkt historischer und symbolischer Überlegung:
das Ganze ein einheitliches Farbenbild, dessen Teile in Dekoration und Tracht
zueinander stehen, genau wie Harmonie und Melodie. Die Bühne ist voller
Musik. Sie klingt auch dem Auge. Und wieder ist ein Kreis merkwürdiger
Antinomien geschlossen ? So bunt und klingend ist der Inhalt, daß wir der
Gefahren kaum noch achten, die in dem Bewußtsein der Selbständigkeit und
in dem malerischen Richtungsbekenntnis der Dekoration ruhen: am bezau-
berndsten im feinen Sezessionismus des modernen Rußlands.
Sechster IVidersprncJi : Die GeselhcJiaft
DIES alles ist nun die Oper, die von jemandem gespielt wird : es geht weiter
im Kreise — die Oper wird auch jür jemanden gespielt. Zu der gesang-
lichen, der textlichen, der orchestralen, der szenischen Antinomie kommt
eine neue, sehr bittere und sehr aufreizende : die gesellschaftliche.
Die Gesellschaft steht nicht außerhalb der Oper, sie ist in ihr Wesen ver-
flochten. Es ist nicht da oben ein Stück und da unten eine Gruppe Zu-
schauer, sondern es besteht Rücksicht von oben nach unten, von unten nach
oben, gegenseitige Beeinflussung, ein Budget der Finanzen, aber auch der
Schicksale und des gesellschaftlichen Zuschnitts, wie in keiner anderen öffent-
lichen Kunst. Die Musik, die Trägerin des Ganzen, wird sich ihrer beiden
Seiten bewußt : der tief innerlichen Metaphysik und der höchst dekorativen
Unterhaltung.
Die Oper ist kein Volksgewächs wie das Drama, sie ist eine, wie wir immer
mehr sehen, unwahrscheinliche, unmögliche, künstliche Kunst. Sie ist nicht
erst Bedürfnis, um dann am Leben erhalten zu werden, sie wird erst ins Le-
ben gerufen, um dann Bedürfnis zu bleiben. Adlige ersehnen sie, Fürsten
brauchen sie, das Volk übernimmt sie, Schicksale von Sängern und Kompo-
nisten ketten sich vom Leben zu ihr hinüber und zurück. Sie ist festgelegt,,
ein geliebter künstlicher Schmuck, ein künstlerisches verzweiflungsvolles-
Ideal, Not und Tugend, Sünde und Bekenntnis, von niemandem begehrt,,
und von allen umworben — das Schmerzenskind der buhlenden Musen. Sie
ist geboren, ohne Wollen, sie ist schön, ohne Hygiene, sie ist gefällig, ohne
Charakter, liebenswürdig, ohne Geschlecht — man ist verpflichtet, sie zu
erhalten, weil man mit Inbrunst Paradoxien zu pflegen auf der Erde ist. Ein
Fürst küßt seine Primadonna — die Oper erhält sich. Es kommt die Revolu-
tion. Statt der Galanterien, die der Maitre des Plaisirs vermittelt, setzt der
62
Staat die budgetgeregelte Subvention ein. So ist es in Paris, so ist es ähnlich
überall. Aus einem Ressort der Vergnügungen und Mätressen wird ein
öffentliches Obligo der Unterhaltung, schließlich der Erziehung. Aber nichts
ist schwerer zu demokratisieren als die Oper, das uneheliche Kind der Feu-
dalzeit. Finanzprobleme zerbrechen an ihr. Das Volk wird zugelassen,,
es soll bezahlen. Es reicht nicht. Die galante Quelle wird nicht gestopft, die
wachsende moralische Verantwortlichkeit aber mindert den Zufluß. Schießt
der Fürst, der Staat zu, verlangt er seine Rücksicht; schießt das Volk zu, dies
die seine. Das Rechenexempel geht niemals auf. Niemals erhält sich eine
vollkommene, musterhafte Oper von selbst. Und wenn sie sich nicht von
selbst erhält, ist sie von ihrem Mäzen abhängig. Und wenn sie abhängig ist,
wird die Gesellschaft ein produzierender Bestandteil ihres Wesens. An der
Oper haben nicht nur Künstler, sondern auch Zuhörer mitgearbeitet. Der
Konflikt, die Beziehungen zwischen beiden sind Fluidum ihres Lebens.
Die Bilanz
ZUNÄCHST, um die Unmöglichkeit einer finanziellen Balanzierung ein-
zusehen, rechne man die Ausgaben für die hier versammelten Künste
zusammen, die bindend sind, während die Einnahmen fakultativ sind, und
bedenke, daß die Tendenz der Darsteller eine steigende, die des Publikums
eine abnehmende ist. Fürstenau in seiner Geschichte des Dresdener The-
aters stellt fest, daß die Ausgaben für die italienische Oper 171 8 über
45000 Taler betrugen, wobei Lotti und seine Frau mit 10 000 berechnet
wurden — und dies, nachdem man kurz vorher die Erfahrung eines voll-
kommenen Opernbankerotts gemacht und das Theater in eine katholische
Hofkapelle verwandelt hatte. Der berühmte Hasse und seine Frau, die große
Sängerin Faustina Bordoni, werden berufen und erhalten 6500 Taler Jahres-
gehalt mit Reiseurlaub. Die erste Blütezeit Dresdens beginnt — nur aus
persönlichem Interesse und Opfermut Augusts HI. Er stirbt, der Etat wird
gestrichen. In der Hamburger bürgerlichen Oper gab man Telemann ein
Komponistengehalt von 300 Talern, zahlte aber 15 000 Taler für die Deko-
ration eines Salomotempels : der Krach war unvermeidlich. Die Ausgaben
für die Bühnenausstattung sind in der ersten Zeit die größten, sie gehen in
den Hoffestspielen bis ans Irrationale. Es folgt die Steigerung der Ausgaben
für Sänger und Dirigenten. Nach einer alten Statistik von Ricci über das
Theater in Bologna war der Verdienst Jommellis an seiner Eumene bei
27 Aufführungen 900 Lire, aber der des Sängers Appiani 3400. Die altitalic-
63
nische Primadonna erhielt ungefähr 1600 Mark für die Karnevalsaison. Seit
den Zeiten der Paris-Londoner Glanzoper gingen diese Rechnungen rapide
herauf. Rubini bekam in London 156000 Mark die Saison, 1862 Titiens in
Neapel für acht Aufführungen 16000 Mark. 1866 erhielten Mario und die
Giulia Grisi für einen Abend zusammen 6000 Mark; während der Yorkfeste
in London bekam die Grisi für einen Abend schon 4000 Mark, Caruso er-
hält heut über 10 000 Mark. Der Dirigent von Drury Lane hatte 1858
noch 160 Mark monatlich, 1875 bezog Costa schon 1000 Mark, Richard
Strauß bekam für die Leitung der Elektra in Covent Garden ein kleines
V^ermögen. Fünf Elektraaufführungen in London kosteten über 150000
Mark. Zuletzt rangieren in ihrer geschichtlichen Steigerung die Autoren-
ausgaben. Man muß das alte venezianische Theater San Cassiano bewun-
dern, das dem Cavalli gegen die Verpflichtung, nur diesem Institut jährlich
eine Oper zu liefern, ungefähr 2500 Franken zahlt. Aber die Briefe, Kon-
trakte, Dokumente dieser Zeit, die Kretzschmar im 14. Petersjahrbuche ver-
öffentlichte, reden trotzdem von keinem großen Glück, keiner wirtschaft-
lichen Selbständigkeit. Cesti ist auf Cavalli eifersüchtig, er müsse mehr be-
kommen, da er ein Hofkomponist sei • — was tut der Hof ? Er beordert ein-
fach die von ihm gewünschten Sänger, mit denen sich der arme Komponist
auseinanderzusetzen hat. Metastasio bekam als Hofpoet 600 Louisdor, sei-
nen Reichtum hatte er von den Martinez, die ihn aushielten. In Paris wächst
es zuerst. Rameau genoß außer einer höfischen Pension von 2000 Franken
noch eine zweite lebenslängliche von der Akademie, 1500 Franken. Gluck
bekam von Wien jährlich 2000 Gulden, von Paris 3000 Franken und für
jede Pariser Oper 20 000 Franken. Als der Großunternehmer Barbaja Ros-
sini für 12 000 Lire engagierte, ihm jährlich zwei Opern zu schreiben, wurde
diese alte italienische Gepflogenheit des Opernauftrags, der Scrittura, kapi-
talistische Spekulation. Die neue Zeit brach an. Meyerbeer setzte in Berlin
die Tantiemebeteiligung durch. Verdi bekam vom ägyptischen Khedive für die
Aida 80 000 Mark. Das alte deutsche Opernhonorar von 50 — loo Talern
wurde lächerlich. Richard Strauß' Verlagseinnahme, die Tantiemen nicht
gerechnet, beträgt das fünfhundertfache. Die erhöhten Verlagsforderungen
wirken wieder auf das Budget der Theater zurück. Wenn je eine Kunst, ist
die Oper in eine unlösbare Differenz des Idealen und Wirtschaftlichen ge-
raten. Ihre Glieder sind in das System der modernen Industrie eingespannt,
pressen sich gegenseitig hoch. Einst, 1700, wurde die Pariser Oper mit einer
noch heut bestehenden Armenabgabe belastet, dafür gab man ihr die Ein-
nahmen der Opernbälle. Die Gagenkosten eines mittleren Operntheaters be-
tragen heutzutage etwa 3000 Mark, die durchschnittliche halbe Kassenein-
64
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Altfranzösisches Opcrnballettkostüm: ein Grieche. Paris, Opernarchiv
nähme deckt dies erst, und es bleiben die übrigen Kosten. Eine Ausgabe wie
die 300 000 Mark für das Berliner Ballett Sardanapal kann nur durch starke
Zuschüsse bewältigt werden, die anderen, besseren Aufgaben wieder schäd-
lich sind. Die Zeiten sind vorüber, da Gye und Mapelson 1869 in Covent-
garden bei einem Ausgabenetat von 890 000 Mark 710 000 Mark verdien-
ten. Festspielweise, durch Konzentration großer Abende in wenigen Wo-
chen oder Monaten bei stärksten Billettpreisen ist allenfalls eine Balanzierung
möglich. Der Berliner Parkettpreis vor 130 Jahren ist 12 Groschen, heut
8 — 10 Mark. 20 Mark ist der internationale Durchschnitt. Bayreuth erhielt
sich zur Not mit diesem Preise, und muß nun auch aufschlagen. Metropoli-
tan verlangt die Deckung eines Defizits von selten seiner Milliardenaktionäre
— die Kosten sind wöchentlich 80 000 Dollar, die Einnahmen 60 000. Die
Hoftheater und Stadttheater haben die Subvention ihrer Fürsten, Staaten,
Gemeinden. Das private kleine Opernhaus muß an Material sparen, um sein
Leben zu fristen. Die Pariser Große Oper, die 2000 Leute beschäftigt, hat
für den Abend 17 000 Franken Kosten. Wien hat 2 Millionen Kronen De-
fizit, die Scala 300 000 Lire. Wohlhabenheit, Glanz und Reichtum liegt über
diesem Kunstunternehmen. Da es nun einmal wider Recht und Gewissen in
dieser Welt existiert, will es sein Leben genießen, schöne Frauen verführen,
blendende Gesellschaft sehen und wirtschaftlich jedem hinwerfen, was er in
der Spannung der ökonomischen Kräfte erreichen mag. Mit der Schönheit
deckt es die Industrie, mit der Verschwendung die Logik, mit der unerhörten
Großartigkeit seiner Dimensionen die lügnerische Mathematik, die die Über-
lieferung einer galanten Epoche mit dem Rechnungssinn einer bürgerlichen
Demokratie in Einklang zu bringen sucht.
Die Wirtschaftsgeschichte der Oper würde an ihrem besten, weil para-
doxesten Beispiel alle ökonomischen Versuche aufweisen, die Menschen ge-
macht haben, um eine Institution voller persönlicher Interessen und nervöser
Verfassungen (wie auch das Leben ist) mit der Sicherheit papierner Berech-
nungen auszugleichen (wie auch die Wissenschaft ist). Durch die Laune eines
Geldgebers, mit dem Temperament eines Liebhabers entsteht und stirbt die
Oper. Donna Elvira ist vergessen, Donna Anna singt die Rachearie, aber
Zerline wird in das Schloß geführt. In Spanien mehr, in Deutschland we-
niger. Wo das Auge leuchtet, wo das Glas perlt, wo das Ständchen klingt, ist
die Heimat. Leporello führt die Rechnung und wird doch nur zum Narren
gemacht. Er hat auch nichts dagegen einzuwenden. Läßt sich das berech-
nen ? Gut, man liebt und spielt nicht täglich. Man spielt in der Karnevals-
zeit, auch etwas vorher zum Winterbeginn, auch etwas nachher zu Ostern.
Sind Liebesorgien Ferien der Religion ? Es kostet zu viel. Man beschränkt
65 5
die Saison, in London, in New York. Aber es reicht nicht. ]\Ian wagt es
doch wieder täglich, man wirft das Geld, man bedienert die Fürsten; geht
es nicht, so geht es nicht. Händel gründet in London die Royal Academy,
Hofkreise unterstützen ihn, der König gibt looo Pfund, er engagiert in
Dresden seine Sänger, wo der Kurprinz Hochzeit feiert und Opern befiehlt.
Nach acht Jahren ist man fertig, es geht nicht. Die Leute laufen in die Gay-
sche Bettleroper, wo kleine Verliebte bürgerliche Liedchen singen. Ein Di-
rektor Heidegger kauft das Haus', die Reste, die Materialien und macht
Händel nächstes Jahr zum Leiter einer neuen, privaten Oper: neue Italiener,
neue Krache, neue Leiden. Der Kastrat Senesino wird entlassen, eine Kon-
kurrenz tut sich auf mit diesem Kastraten Senesino, und mit Farinelli und
Porpora und Hasse, Heidegger gibt ihnen sein Haymarket, Händel versucht
Covent-Garden auf eigene Rechnung zu halten. Er übernimmt sich, gibt
es verloren. Gleichzeitig sind die Gegner auch fertig. Heidegger ist zur
Stelle und sammelt aus beiden Ruinen eine neue Oper, die noch kurzlebiger
ist. Alles liegt am Boden — aber eines steht durch diese ganze Zeit fest,
Händeis Werke, die er für seine treulosen geliebten Theater geschrieben.
Auch sie sind heut zerbröckelt. Ein Wind weht über die Steppe.
Das PublikuDi
WIE schützt man sich vor den Tücken Don Juans ? Man reicht sich die
Hände und gründet Genossenschaften. Der Fürst hat seine Tage, die
Sänger haben ihre Stunden, nur der Genuß bleibt. Der Genuß wird soziali-
siert, das Amüsement in Aktien ausgegeben. Das genossenschaftliche Prinzip
geht stark durch die Geschichte der Operngründungen. Das Abonnement
ist die Grundlage der Berechnung. Die Mailänder Oper im l8. Jahrhundert
hat einen Stamm von dreißig Edelleuten als Subskribenten, das übrige wird
vermietet. 1727 in der Hamburger Oper zahlt der Subskribent 25 Taler. In
Italien wandert die Truppe, in Deutschland ist sie mit dem Theater ver-
fassungsmäßig verbunden. Dort hat die Truppe ihr Repertoire, hier das
Theater. Dort haben die Abonnenten ihre sichere Abwechslung, hier ist
ohne den Zulauf von Fremden ein dauerndes Interesse unmöglich. Opern-
repertoires sind schwieriger zu erneuern als Schauspielrepcrtoires. Das mas-
sivere Repertoire gleicht sich im Süden eher mit der Freizügigkeit der Sänger
aus. Dafür nimmt man im Norden das Stück ernster und macht es nicht so
sehr von der Konstellation der Sänger abhängig. In diesem Sinne rechnet
die südliche Oper mehr auf ein ständiges Publikum und wechselnde Sänger,
66
die nordische auf ein wechselndes Publikum und ständige Sänger. Die süd-
liche bildet das Abonnentenwesen in den Logen aus, die nördliche das de-
mokratische System im Amphitheater. Die Loge bestimmt den gesellschaft-
lichen Charakter. Sie gibt dem Abonnenten Freiheit und Benehmen, Hal-
tung und Ungeniertheit, sie kultiviert eine besondere Art von Verkehr unter
der Einstellung auf den scheinbaren Zweck der Bühne und doch mit aller
Öffentlichkeit der leicht abgetrennten Interessen. Man besucht sich, man
verlDindet die befreundeten Logen, man beobachtet sich vis-a-vis, man zieht
sich zurück, geht und kommt nach Wunsch — eine öffentliche Intimität,
um die die Musik ihre gesellschaftlichen Zauber schlingt. Man darf schweigen
und ist doch beieinander. Man darf sich treffen und hat sich doch nicht ver-
abredet. Man simuliert eine Absicht und hat doch keinen anderen Tic als
den der Geselligkeit. Man verdeckt seine eigenen Augen mit dem Opernglas,
um die fremden desto sicherer zu verfolgen. Die Paradoxie des Kunstwerks
schlägt auf die Paradoxie der Gesellschaft zurück. Dieser Reiz aber wirkt
auf den Abonnenten und kommt dem Kunstbudget zugute. Die Loge reicht
schon von Italien über Wien nach London und Amerika. In Deutschland je-
doch abonniert man das Parkett und die Balkonreihen. Die Loge ist hier ver-
kümmert, sie ist rudimentär. Der Deutsche sitzt mit sachlicher Begeisterung
in der Oper, haßt seinen Nachbar, verdammt das Zuspätkommen, entrüstet
sich über unzeitgemäße Gespräche, sieht mit dem Opernglas auf die Bühne
und belächelt den Frack. Er ist ein Arbeiter und Ernstnehmer. Darum hat
er gesiegt. Aber die Rache der Unsachlichkeit wird süß sein.
Der Franzose Gretry hat das deutsche Normalthcater vorgeahnt. Er
denkt sich in der Direktion drei Dichter und drei Musiker, die zusammen-
arbeiten und eine Jury für die Einsender bilden. Der Zuschauerraum ist ein
Amphitheater, das tausend Personen faßt — braun gehalten, ainsi les femmes
seraient jolies et la scene eclatante! Keine Logen. Das Orchester unsichtbar.
Eine geschlossene Opern- und Tanzschule ist angegliedert mit Klassen und
Preisen. Alles ist abonniert. Das Honorar ist Tantieme. In Bayreuth ist
diese Oper erstanden — auf die Initiative eines einzelnen Geistes. Die drei
Dichter und drei Musiker waren in ihm vereinigt. Eine Jury war nicht nötig,
da er das Haus«nur für sich baute. Das Honorar fiel nicht ab, da die Kosten
unermeßlich waren. Die Subskribenten fanden sich schwer, und der Khe-
dive von Ägypten zahlte das meiste. Aber das amphitheatralische Haus ist
erstanden, gegen den Glauben der Masse, aus dem Willen des deutschen De-
mokraten. Niemals in der ganzen Kunstgeschichte ist eine ähnliche Tat ge-
schehen. Es war in einem einzigen Wurf der Protest gegen das Jahrhunderte
alte italienische Gesellschaftstheater. Und unglaublich: es hat sich mit den
67 5*
Jahren rentiert. Es hat Nachahmung gefunden. Es ist Mode geworden. Es
ist Gesellschaft geworden. Selbst die jolies femmes fehlten nicht. Und es
ist immer ausverkauft, ohne nur einen Abonnenten zu haben. So wirkt der
Mut eines einzigen unwirtschaftlichen großen Menschen wirtschaftlicher auf
die Organisation der Oper, als alle flüsternden, kichernden, kerzenhellen,
spiegelnden, duftenden Logen es je getan haben.
Die unwillkürliche Neigung des Volkes geht dahin, sich selbst die Oper
zu verdanken und zu pflegen, und doch wird es in großem Maßstabe nie
dazu kommen, sie der Sorge und Bestimmung des Fürsten und Mäzens ganz
zu entziehen. Die Museen sind ruhige halbstaatliche Anstalten, selten nimmt
der Fürst Gelegenheit, in ihren Gang einzugreifen, nachdem sie wie seine un-
bewohnten Schlösser und Parke demokratisiert worden sind, und das Mäze-
natentum wirkt still und unter der Decke. Die Oper ist aktiver. Der Hof
gibt sie nicht ganz aus der Hand, das private Mäzenatentum wieder scheut
vor ihrer Beweglichkeit, das Volk nimmt sie in Pacht, aber besitzt sie nicht.
Es ist ein Zustand, der in seinen Einflüssen nicht unklarer gedacht werden
kann. Beim Fürsten Lobkowitz fand 1809 eine italienische Aufführung von
Paers Camilla statt, der Fürst selbst machte den Schloßvogt, sonst wirkten
Dilettanten und Künstler mit und ein eigenes Orchester. In solcher Sphäre
ist die Oper aufgewachsen. Sie hatte eine gute Kinderstube in den Adels-
häusern der Italiener, die sie erfanden, in den Privattheatern der Fürsten
und Mäzene, die sie pflegten. Aber ihre magnetischen Eigenschaften reizten
das Volk, die Industrie, alle Vergnügungssüchtigen und Eiteln und Missions-
bedürftigen und Spekulanten, und diese alle zusammen oder gegeneinander
buhlen um sie, wie um den Ring Alberichs, den ein Zauberwort zum Welt-
herrscher macht, ohne verhindern zu können, daß er dem Besitzer selbst ent-
rissen wird. Der Kampf der deutschen Oper gegen den Fürstencinfluß litt
deutlich unter diesen verwickelten Interessen. Die deutsche Oper, in allen
kleinen Residenzen eine Gründung des Fürsten, meist über die Zeit hin ita-
lienisch, wird dem zahlenden Publikum erst sehr spät erschlossen. Friedrich
der Große sitzt hinter seinem Dirigenten und verfolgt mit ihm die Partitur.
Er liebt den schwachen Graun und übersieht den großen Gluck. Sein Nach-
komme hält sich heut von den bedeutenderen Neuaufführui»gen fern, emp-
findet gegen seine Epoche, protegiert die hohle historische Phrase von Meyer-
beer bis Leoncavallo und verschiebt den Ausgabenetat zuungunsten derer,
die mit Recht auf Berlin warten. Hier liegt einer der letzten Fälle vor, da
das Monarcheninteressc sich noch nicht von der aktiven Beteiligung an der
Oper lossagen kann. Inzwischen haben sich die Zeiten so geändert, daß diese
Sorge um sein Haus, einst ein schöner und fruchtbarer Vorzug adliger Mä-
68
Moreau, la petite löge
zenc, eine fossile Behinderung des gegenwärtigen Lebens, der strebenden
Kunst wird — und eben leider doch nicht entbehrt werden kann. Hier sitzt
die Oper in der Klemme, sie, die dem Volke geben w^ill, was des Volkes ist,
und dem Kaiser, was des Kaisers ist, und dabei ihre liebenswürdige Seele
aushaucht. Der Landtag bewilligt die Erhöhung der Dotation und hüllt
sich in ehrfurchtsvolles Stillschweigen über diese Paradoxie.
69
Das funktionelle Verhältnis der Völker zur Oper ist ein verschiedenes.
Die Italiener nehmen sie sofort als Volksbesitz in Anspruch, die Franzosen
behandeln sie als eine politische Angelegenheit der Parteien, die Engländer
als eine Industrie, und die Deutschen als ein Fürstengeschenk, das man mit
der gebührenden Hochachtung hinnimmt, wenn nicht gerade einmal der
Stolz eines Revolutionärs oder die Philistrosität eines biederen Stadtpubli-
kums zu einer anständigen Opposition begeistert. Lesen wir, was Heinse
über die gute Gesellschaft der Operndeutschen seiner Zeit schreibt: „Die
Produkte der Kunst müssen in Deutschland wie das Unkraut wachsen; da
ist keine Pflege und Wartung und sie gehen selten ins wirkliche Leben über.
Das was man bei uns gute Gesellschaft nennt, der Hof und der Adel und die
Gelehrten selbst, welche alle gleich der Frühlingssonne sie erziehn und zur
Reife bringen sollten, bekümmern sich wenig um sie, betrachten sie als un-
nütz, als schlechten Zeitvertreib, und haben sie niemals zur Beschäftigung
gemacht, um echten guten Geschmack an ihnen zu gewinnen." Dies war
vor der Zeit der deutschen Nationaloper. Er geißelt das Italienertum aller
damaligen deutschen Mäzene. Was hat sich geändert? Die gesamte gute
deutsche Oper hat sich gegen das Interesse der meisten Fürsten durchgesetzt,
und nur, wo der Einfluß des Hofes heut aus Bequemlichkeit sich nicht be-
merkbar macht, gedeiht die Gegenwart. Ludwig II. war eine Ausnahme aus
Schwärmerei, und Dresden ist ein Vorort aus Gleichgültigkeit des Königs.
Diese Gleichgültigkeit des Mäzens ist der scheinbare Sieg, den das deutsche
Opernvolk errungen hat. Es ist nicht einmal eine Verfassung, die aus Kraft
und Charakter nicht eingehalten wird.
Das alte Venedig ist typisch für die italienische Kongruenz von Publikum
und Oper. Nach den ersten Versuchen in den Palästen der Adligen wird schon
1637 das öffentliche Opernhaus S. Cassiano gegründet, einer der Unterneh-
mer, Ferrari, Textdichter und -Komponist, spielte im Orchester selbst die
Theorbe mit. 1639 f°^g^ ^^^ Oper S. Giovanni e Paolo (sie wird immer nach
den naheliegenden Kirchen benannt), 1641 S. Mose. Bis 1699 werden acht-
zehn Operntheater errichtet, acht bestehen mitunter gleichzeitig. Die Text-
bücher werden gedruckt und verkauft. Die Leute sitzen mit Wachskerzen,
sie zu beleuchten. Als Reste dieser ersten Andachten öffentlicher Opern-
besucher haben alle alten reizenden, schön gedruckten, mit zahlreichen
Szenenkupfern geschmückten Texte (mit ihren Wachsflecken) einen beson-
deren Sammlerwert erhalten. Die venezianischen und die späteren Ham-
burger Texte sind bibliophil — nicht zufällig gerade Texte von Volkstheatern.
Schatz in Rostock war einer ihrer bedeutendsten Sammler. Die italienische
Oper bleibt Volksliebhaberei bis in unsere Tage. Niemals sind hier politische
70
Konflikte aufgetreten. Ob die Scala oder San Carlo Fürsten- oder Volks-
gründungen sind, überlegt man sich kaum. Und weil die italienische Oper
solchen übereinstimmenden Beifall hatte, brauchte sie nicht zu kämpfen, er-
schlaffte und versank in ihrer traditionellen Größe. Kaum entschließen sich
ihre Gelehrten heut noch, die alten Drucke und Manuskripte systematisch
herauszugeben, wie es Franzosen und Deutsche längst tun.
Der Blick in die französische alte Oper ist diffiziler. Es sitzen zwei Par-
teien im Theater, die sich bis auf das Messer befehden. Die Oper stachelt
die aktiven Interessen auf, nach links und nach rechts. Nach links für die
leichtere, italienisierende Buffoart, nach rechts für die ernste und langweilige
französische Nationaloper. Es gibt einen traditionellen Coin du roi und einen
revolutionären Coin de la reine. Buffonisten und Antibuffonisten, Picci-
nisten und Gluckisten sprechen, singen, brüllen und schreiben gegeneinan-
der. Von der Polemik Raguenets für die Italiener und Lecerf de Vionvilles
für die Franzosen bis in die letzten Schriften der Enzyklopädisten, bis in die
Reformationsbestrebungen Glucks, der gar nichts Persönliches gegen Pic-
cini hatte, geht durch das i8. Jahrhundert der offene Parteistreit des Ge-
schmacks, eine Spaltung, die durchaus nicht bloß von Nationalitätenhaß ge-
nährt ist. Die Oper bleibt, statt nur fürstlich oder nur populär zu sein, ein
Spielball zwischen Akademie und Persönlichkeit, zwischen Amüsement und
Gestaltungskraft. Sie erhält sich dadurch lebendig, sie vibriert mit den Ner-
ven der ^eit. Die Italiener sind Melodiker, die Franzosen Sprachmenschen
— sie sind dem Stofflichen gegenüber zugänglich. Die kleine bürgerliche
Spieloper, in der sich Figaro langsam, zielbewußt heranbildet, zittert vor
Erregung der kommenden Revolution. Die Revolution kommt, die Tuile-
rien werden gestürmt. Die Königin soll sich noch einmal dem Publikum
zeigen, sie geht in die Comedie italienne zu Gretrys Evenements imprevus.
Ein Beifall begrüßt sie in der Loge. Sie weint, und der Dauphin, auf ihren
Knien, sieht gerührt zu ihr auf. Da singt die Dugazon ihr „J'aime mon
maitre tendrement. Ah, combien j'aime ma maitresse" — und blickt, die
Hand aufs Herz, die Königin an. Das wird das Signal. Die Jakobiner stür-
men, man springt auf die Bühne, die Sängerin zu lynchen, man jagt die Kö-
nigin aus dem Theater. Die Revolution nimmt die Oper für ihre Zwecke in
Anspruch. Aus literarischen Parteien werden politische. Man ist sich der
suggestiven Kraft der Musik bewußt. Gretrys Memoiren sind in ihren ersten
beiden Teilen voll von sprühender Lebenslust, Menschenkenntnis, Welt-
läufigkeit der Musik — dann wendet er sich an die Citoyens, wird moralisch,
langweilig, rücksichtsvoll und entsetzlich pädagogisch. Die Wendung in die-
sem Buch ist die Wendung in der Zeit. Die Opernsängerin Maillart muß in
71
Notredame auf dem Altare in mythologischem Kostüm als Göttin der Ver-
nunft die Scharen der Freien, Brüderlichen, Gleichen vor sich knien sehen
— die paradoxeste Oper, die sie jemals darzustellen hatte. Mehuls Phro-
sine und Melidor wird nur geduldet, wenn er einige Einlagen macht, in
denen das Wort liberte genügend vorkommt. Sein Jeune Henri entflammt
die Royalisten, erzürnt die Republikaner so heftig, daß der Lärm die Auf-
führung nicht über die erste Szene gelangen läßt. Aber alle diese Aufregun-
gen sind heut vorüber. Der letzte Fall war die Auslösung der Belgischen
30er Revolution durch die Stumme von Portici. Beim Sardanapal, der ein
großer Jäger und Beschützer der Künste ist, blieb hier alles ruhig.
Wir haben ein wenig in die Seele dieses gemischten Publikums hinein-
geleuchtet, das in Verlegenheit vor einer so hybriden Gattung der Kunst
bald sich in der Musik unterhalten will, bald die Texte politisch beschnüffelt,
bald den Geschmack seinem Fürsten bestreitet oder nicht bestreitet und
schließlich doch nichts tut, als ein schlechtes Drama auf seine Äußerlich-
keiten anzusehen, entschuldigt durch die ISIusik, die es nicht versteht. Der
Glanz des gesellschaftlichen Lebens, dieser höchsten repräsentativen Gesell-
schaft, die sein Fürst kennt und die es ihm nachahmt, bestrahlt seine Anwesen-
heit und beschattet alle Zweifel. Das Berliner Opernhaus ist das bestbeleuch-
tete. In Pest kommt auf den Platz 4000 Mark Baukosten. Das Wiener
Opernhaus kostete 10 Millionen, das Pariser 30. Die Pariser Oper ist die
Mitte der Welt. Man ist vergnügt und zufrieden. Ein Kaiser hat sie gebaut.
Diese Fürsten, diese Großen, diese Kleinen, Geber und Nehmer, selbst
ein so widerspruchsvolles Publikum, dem die Repräsentation das mangelnde
Verständnis entschuldigt und das keimende Verständnis die mangelnde
Loyalität, die Liebe verschwenden und Verschwendung lieben, alle diese
sitzen vor der Oper wiederum nicht ohne Herrschaft und Einfluß gegen
Werke und Menschen da oben, die sie sich selbst holten und erzogen. Merk-
lich und unmerklich modellieren sie, wirken auf die weiche Masse, die sich
im Chaos ihrer unverschmelzbaren Teile, in der Unsicherheit ihrer ökono-
mischen Bilanz dem geringsten Druck völlig hinzugeben scheint, und for-
dern ihren Titel an einer Verfassung, die niemals eine werden wird. Die
Oper buhlt um ein Publikum, dessen Launen so unberechenbar sind — wie
sie selbst.
Leopold L komponiert fast zu jeder seiner \\'icner Opern ein paar Num-
mern hinzu. Sein Sohn Karl VL stellt sich an die Spitze des Orchesters und
dirigiert Fuxens Elisa. Friedrich der Große begleitet die zu engagierenden
Sänger häufig beim Probesingen. Er dichtet Texte für Graun und kompo-
niert Metastasios Verse. Auch ohne' die alten Prologe und Epiloge, in denen
irgendein Stoff auf zwangvolle Art zu einer Huldigung des Ersten der Zu-
hörer gedreht und geschraubt wird, ist die Rücksicht auf den Fürsten maß-
gebend — eine Rücksicht im Betriebe der Oper, wie jene eine Rücksicht in
der Form der Oper war. Napoleon befiehlt plötzlich eine Probe der Pro-
serpina seines Lieblings Paesiello bei sich. Alle werden in Eile zusammen-
geholt. Er bleibt ruhig sitzen, hört zu — dann beginnt er die Deklamation
zu tadeln. Paesiello ist höchst betroffen, da er gerade sich berufen glaubt,
französische Texte mustergültig zu komponieren. Der Kaiser sagt zu Me-
hul, sie könnten da in Paris doch nie eine Buffooper machen — Mehul kom-
poniert seinen Irato als eine Art Parodie auf die Buffa, Napoleon lobt es,
aber er ist tief beleidigt, da er es ihm nun auch widmet — es ist für immer
aus. Eine 1807 komponierte miserable Oper Triomphe de Trajane von
Lesueur und Persuis wird eine so grobe Verherrlichung des Kaisertums, daß
Napoleon dagegen selbst protestiert — der Polizeipräsident hatte sie aus
Liebedienerei den Autoren empfohlen. Sie kostete loo 000 Franken und
brachte 520000. Andere Monarchen waren nicht so maliziös. Boieldieu
kam zum Zaren und verpflichtete sich, jährlich drei Opern zu machen,
deren Texte der absolute Herrscher selbst zu bestimmen habe. Der deutsche
Kaiser bat Leoncavallo um den Roland von Berlin. Was will man mehr ?
Eine Oper ist ein schweres Risiko und sie hat schon halb gewonnen, wenn
sie unter den Augen des Fürsten entsteht. Der Fürst bestimmt, daß sie
hundertmal gegeben werden muß und bezahlt das leere Haus. Das Publikum
ist nicht so freigebig, aber es ist noch tyrannischer. Es gibt keine Opern in
Auftrag, aber es will dauernd interessiert sein. Was am Hof durchfällt, war
ein altes Opernsprichwort, reüssiert in Paris. Was in Berlin durchfällt,
könnte man auch sagen, reüssiert bei seinem Hofe. Das Publikum hat in der
Oper nicht so viel eigene Meinung als im Schauspiel, aber es ist um so schwerer
zu gewinnen. Seine Interessen und seine Mitarbeit sind die entgegenge-
setzten des Hofes. Der Fürst arbeitet vor der Oper, das Publikum nachher.
Der Fürst arbeitet — viel zugespitzter als im Schauspiel — für seine Zwecke,
als Regisseur, Komponist, Repräsentant, eben weil die Oper ein verantwor-
tungsvoller Posten im Budget seines Prestiges ist, die suggestivste Kunst der
Machtentfaltung. Ist sie fertig, ist sein Interesse zu Ende und das des Pu-
blikums beginnt, nicht minder verantwortlich von dieser Seite — denn auch
das Publikum hat sein Opernprestige und weiß es zu verwalten. Alle Mei-
ninger Schauspielinteressen, alle Hamburgischen Dramaturgien sind nichts
gegen die Vitalität dieser zweifelhaften Kunst, die sich immer zum Mittel-
punkt des geistigen Salons einer Gemeinde zu machen versteht, immer um
die Gunst der Menge buhlt, wenn sie auch Jahrzehnte warten muß, eine
73
Buhlerin von langem Atem und blutsaugenden Küssen. „Die Aktschlüsse
müssen laut und schnell sein," schreibt Mozart, ,, damit die^eute zum Klat-
schen nicht kalt werden." O, die Leute verschlingen die Oper und stoßen
sie ab, verhöhnen sie und umarmen sie, wie man sie ihnen gibt. Die Italiener
rühmen sich der Zahl der Wiederholungen, die sie von einer Oper sahen,
und registrieren die Nummern der Szenen gleichwie die ihrer Logen, indem
sie die Sänger als wandelnde Gäste dieser Nummern einladen, bewillkomm-
nen, wieder fallen lassen, vergessen. Die deutsche Oper buhlt um den Ar-
beitssinn und Ernst ihrer Zuhörer, gibt ihnen Rätsel, deren Mystik sie be-
wundern, überschüttet sie mit Polyphonien, deren Gelehrsamkeit sie anstau-
nen, hält sie mit Weltanschauungen stundenlang gefesselt, ohne daß sie sich
nach dem Vorhang sehnen dürfen. Hundert Jahre, bevor Wagner die 2V2
Stunden reinsten Rheingoldes wagen durfte, ist es in England vorgekommen,
daß man (und dieser Mann war der jüngste Sohn von Bach mit seinem Kom-
pagnon Guglielmi) zum Gluckschen Orpheus Zusätze von Gassenhauern
machen mußte, um die Leute zu fangen. In Paris richtet man gleichzeitig
die Zauberflöte als Mysteres d'Isis zu (man sagt Miseres d'ici) mit eingeleg-
ten Arien aus Don Juan und Titus und einem gewaltigen Papagenoballett.
Gleichzeitig in Wien schließt man den Don Juan mit einer Pantomime, die
die Eingeweide der Hölle enthüllt. Was hat das Publikum an diesem Don
Juan allein gearbeitet. Die Buffofassung Mozarts genügte ihm nicht, es ver-
weigerte den freundlichen Schluß, es geheimnißte mit E. T. A. Hoffmann
die schwierigsten Lebensprobleme hinein, es wurde romantisch und machte
einen romantischen Don Juan, es ließ die Oper mit seinem dämonischen
Tode zu Ende gehen, es erfand je nach seiner Stimmung, der komischen,
tragischen, romantischen, klassischen, realistischen, stilisierten und sogar
pietätvollen, einen neuen Don Juan und freute sich, wie stark der alte war,
alles das auszuhalten.
Schließlich arbeiten sie alle zusammen mit, die Oper — nicht wie ein
Drama durch Striche lebensfähig zu halten, in der Aufführung der Zeit zu
assimilieren — , sondern wie einen Schmuck, der nicht verloren gehen soll,
neu zu fassen, gegen den Einspruch des Materials, gegen Gerechtigkeit und
Wahrheit, zu zerstückeln, x.u verlängern, zu montieren, zu schleifen und dann
wegzuwerfen. Auch heute noch, da man wegen äußerer Wirkungen den
Oberon in Wiesbaden, den Orpheus in Berlin umfassen läßt, zum Me-
hulschen Josef hochdramatischc Rezitative komponiert, die aulische Iphi-
genie mit dem Wagnerschcn Schluß beibehält. Meyerbeer und Verdi mit
Zwischenspielen versieht — man kann nicht sagen, daß in unserer sachlichen
Zeit das Gebilde der wiederholten Oper fester und unzerstörbarer geworden
THEATRE
DE LOPEBA-COMIQUE.
LOGE
1) Jit t c u, du ntrcc /lour
Ce
0 At
^c
c/yonne
Logenentree in der Restaurationszeit
wäre. Es ist Auffüh-
rungssache, gut, aber
es ist noch mehr
Zuhörersache, Sache
des Genießenden und
Liebenden, sich ein
Werlc, dessen Kost-
barkeiten er schätzt,
2u erhalten und zu
sichern. Für ihn ge-
schieht das alles, oft
erbärmlich, oft aber
auch eigensinnig groß
und tyrannisch, oft
buhlerisch, oft aber
auch gestaltend und in einer sonderbaren zeitlosen Art mitschaffend, für
ihn erfüllt sich das Paradoxon, daß man ein Objekt, um es zu erhalten,
ändert, und weil man es liebt, auflöst.
Seit Jahrhunderten sitzt der Zuhörer vor der Oper in dem spannenden
Gefühl, ob sie seiner Revision standhalten, ob er sie wird umschalten oder
neu verpacken müssen. Die junge deutsche Oper in ihrer straffen Einheit-
lichkeit wird ihm einst darin Schwierigkeiten machen. Wird ihre Zeit ge-
kommen sein, wird sie wie ein Koloß in den Abgrund sinken. Die alte Num-
mernoper durfte sich spielender verlieren. Sie hatte ein Generationsgefühl
im Glänze ihrer Gesellschaft. Da schreibt Campra 1710 seine Petes veni-
tiennes — tänzerische Intermezzi, die zu pieces a tiroir werden, beliebig
umzustellen und zu verändern. Es ist ein wahres Repertoire der Zeitvergnü-
gungen : weissagende Zigeuner, dann der Amor als Seiltänzer, dann die Oper
der Oper (eine Liebesszene mit Gesangsunterricht und Aufführung), dann
die Oper des Tanzes (als Wettbewerb der kolorierten Künste eines Musik-
und eines Tanzlehrers), zuletzt Serenaden mit reizenden italienischen Lie-
dern — die Gesellschaft wirft diese „Entrees" wie Bälle und jongliert mit den
Szenen, die alle Vorzüge unzusammenhängender Amüsements haben, wie sie
es am liebsten mit jeder Oper tun möchte. Lullys Theseus wird das erste-
mal am 16. Februar 1677 aufgeführt: die berühmten Tänzer Magny, Noblet,
Beauchamps, Allard, Pecour wirken mit. Die siebente Wiederholung findet
am 29. November 1729 statt mit der Pelissier als Aegle, dem Thevenard als
Egee, den nunmehr weiblichen Tänzerinnen Camargo, Salle. Weitere Wie-
derholungen bringen schon Tanzeinlagen der Camargo, der Herren Blondy
75
und Dumoulin. 1767 arbeitet Mondonville die ganze Musik um. Das Publi-
kum jedoch ist noch nicht so weit: es verlangt stürmisch seinen Lully wieder.
Mondonville wird viermal gespielt, Lully wieder zwanzigmal hintereinander.
Aber das Unvermeidliche tritt trotzdem ein: am 28. Februar 1782 erscheint
Text und Musik so renoviert, daß nur eine einzige ursprüngliche LuUyarie übrig-
bleibt! Dann ist dieser Theseus für immer erledigt. Genau ebenso geht es
mit Marais' Alcyone, die allmählich außer dem berühmten ,, Sturm", einer
der ersten großen Operprogrammusiken, durch andere Nummern ersetzt
wird. Ist so etwas in der Literatur je vorgekommen ? Hat je ein Publikum
sich einen Racine oder Shakespeare gefallen lassen, dessen Szenen von anderen
durch andere ersetzt worden sind ? Und mit welcher Ausdauer hängt es an
der Literatur einer Epoche, aus deren gleichzeitigen Opernwerken sich kaum
noch der Name des Autors erhalten hat. Die Dichtung berührt das große
bleibende Leben, die Musik hat ihren wechselnden Stil und ihre Zeitornamen-
tik. Die Dichtung ist leichteren Körpers und fliegt durch die Geisteswelt,
die Musik ist kostbarer und will sich bezahlt machen. Die Oper, die einmal
zur Repräsentation einer Epoche wurde, will nicht ungesühnt von der Bild-
fläche verschwinden. Der junge Autor im Paris des 18. Jahrhunderts wartet
mit dem Druck seines Werkes häufig, bis das Publikum sein Urteil gesprochen,
oder veröffentlicht im Mercure Reueartikel über Fehler, die er gemacht,
um zu retten, was zu retten ist. Und die alte Oper schminkt sich immer
wieder mit Salben und Pflastern, um ihre Ehre, ihren Erfolg nicht zu ver-
lieren. Was nützt es ihr ? Sacchinis Oedipe de Colone, seine erfolgreichste
Oper, die er übrigens nicht mehr erlebte, zu deren Generalprobe (wie nur
noch bei Glucks aulischer Iphigenie) ein öffentliches Publikum für 3 Fran-
ken zugelassen worden ist, wurde in Paris 583mal aufgeführt und ist versun-
ken. Rousseaus Devin de Village, dessen Erfolg ein Kapitel der Confessions
füllt, ist während 66 Jahren 40omal dort gegeben worden und ist versunken.
Ein grausames Geschick wirft die teuerste und repräsentativste Kunst einer
schwankenden Menge vor die Füße, die ihre Bitten mit ebensoviel Liebe als
Haß beantwortet. Und alle Mühe, die auf diesen Worten, dem Gesänge,
dem Orchester, der Szene ruht, wird dem Erfolge ausgeliefert, der para-
doxesten aller menschlichen Einrichtungen, die aus Mißverständnis Tugen-
den belohnt, die sie nicht erkennt, Hoffnungen erweckt, die sie nicht befrie-
digt, Enttäuschungen bereitet, die sich zu spät zum Siege wenden. Der Er-
folg ist die letzte der Komödien dieses Theaters des Theaters.
76
Der Erfolg
DER Erfolg — das Budget des Lebens, das auch nicht aufgeht, nie aufgeht,
wie die Oper, deren Rechnung eine irrationale ist. Da lärmt das südliche
Publikum im Parterre, wie Instrumente, die gestimmt werden, gestimmt zur
Entscheidung über Lebensschicksale, dort eine Angelegenheit voU Aufre-
gung und Parteinahme, heute im Norden eine stumme Wahlhandlung. Sie
schwatzen, essen, bestürmen die Verkäufer, lesen sich die Zettel vor, galante
Mädchen sprechen ihre Nachbarn an, Engländer, so unaufmerksam wie sie
Burney aus seinen Pariser Reisen schildert, staunen über eine Publikumszene
im Feydeau : Boieldieus Ma tante Aurore wird gegeben, ein inszenierter
Skandal erhebt sich, man spielt kaum zu Ende, der dritte Akt wird gestrichen,
es wandelt sich in einen Riesenerfolg. Boieldieu ? Er wird in der Gesellschaft
nicht mehr aufgenommen, weil er die Tänzerin Clotilde geheiratet hat. Alle
inszenierten Skandale bis zum Jockeyklub des Tannhäuser wandeln sich in
solche Erfolge. August, der Chef der Claque, der sich erlaubte. Meyerbeer
auf den Proben Ratschläge für Änderungen zu geben, hätte sich kein besseres
Mittel zur Organisation des Beifalls erdenken können. Die Organisation des
Beifalls ist die Rhythmik der südlichen Temperamentsausbrüche. Sie ist
ebenso verächtlich als interessant. Wer die Geschichte der Beifallsbezeugun-
gen schriebe, hätte die Claque auf ihre rhythmischen Fähigkeiten zu kriti-
sieren, wie sie die Höhepunkte zu fassen versteht und die angesammelte Be-
geisterung des Publikums zu regulieren, ohne den Sänger zu stören. Sie
gräbt, würde der Philosoph der Claque sagen, dem Applaus seine sicheren
Bahnen, die auch schwankende und in der Richtung unentschiedene Neben-
flüsse mit sich ziehen und durch diese Kanäle für den Erfolg und die Sug-
gestion fruchtbar werden, also latente Massengefühle auslösen und produktiv
machen — und doch niemals etwas Ernstliches erreichen, wenn die Gefühle
nicht ehrlich sind. Dieses Fluidum des Erfolgs schwebt um die Oper mit
mythologischen Flügeln — es hat seine abergläubischen Götzen, Fetische
und alle Teufel der jettatori gefunden, es koboldet in den Hörnern, es patzt
in den Ensembles, in tausend Kleinigkeiten flunkert es ab und leuchtet es
auf, bei der nervösen Oper legendarischer und romantischer als je sonst im
Theater. Der LTnternehmer kennt seine geheimnisvolle Kraft, wie sie aus
zwei Handflächen, die sich berühren, schicksalswendend hervorgeht. „Der
Claqueur ist übrigens nur eine etwas übertrieben bewundernde Natur," sagt
Gautier. Aber Monsieur August, den Berlioz besungen hat, wie er in kühler
Würde seine Schlachtpläne entwirft, auffällig durch einen grünen oder röt-
lichen Rock, ein wahrer Dirigent der von ihm psychologisch haarfein be-
77
obachteten Publikumsstimmung, Monsieur August, der Patriarch aller Cla-
queure, wird vom Direktor Veron vor jeder Oper befragt und um Rat ge-
beten, das Werk wird außer seinem Inhalt noch auf eine zweiteOper in der Oper
\ orher durchgenommen, auf das Kreszendo und die Ritardandi des Beifalls, auf
die Rhythmik des Erfolges, die man zu lenken hat : man verabredet eine chro-
matische Tonleiter, deren höchste Töne, erzählt Veron In seinen Memoiren,
eine Aufforderung zum Beifall bedeuten, die tiefen aber kühles Verhalten —
je nach dem Kredit, den man den Sängern zu bewilligen gedenkt. Dr. Veron
ist der skrupellose -Impresario der Pariser Großen Oper, deren Pacht er mit
einem Vermögen übernahm, das er an Hustenbonbons verdient hatte. Die
Julirevolution hat ihn heraufgebracht und er verbürgerlicht sein Theater :
die Geldaristokratie erobert die Logen der Geburtsaristokratie. „Die Oper
soll das Versailles der Menge werden." Von Musik aber verstand er nichts.
Der Typus des geschäftsmäßigen Opernunternehmers in großem Stile ist
hier das erstemal ganz getroffen: man lese seine Karikatur in Heines Pariser
Briefen. Barbaja, der in den Spielhöllen Neapels als Kellner sich das Geld
verdient hatte, mit dem er in S. Carlo und am Kärntnertor seine Truppen in
Bewegung hielt, war nur ein kleiner Vorläufer gewesen gegen diesen „Gott
des Materialismus" mit dem roten Gesicht in der ungeheuren weißen Kra-
watte, deren Vatermörder bis über die Ohren reichten.
Schicksale
DIE Schicksale der auf der Drehscheibe der Bühne thronenden, trium-
phierenden, gleitenden, fallenden Künstler sind ein Kampf der angebore-
nen Instinkte mit den Bewegungsgesetzen, der Zentrifugalkraft dieser wir-
belnden Institution, deren Erfolge auf der einen Seite A'Iißgeschicke auf
der anderen bedeuten, deren Lachen nicht ohne Weinen, deren Pracht nicht
ohne Rücksichtslosigkeit abgeht. Hier ist das freie Leben des Künstlers,
dort ist eine spielerisch-ernste Kette von Notwendigkeiten und Zufällen
— nun fangt oder laßt euch fangen. Der große Akt der Lebensparadoxie
wird auf seine Formel gebracht.
Aus den ersten Zeiten der Oper leuchten uns Renaissancemedaillons ent-
gegen. Der beneidete Ruhmeskranz wird auf die schönen Haare der Sängerin
gesetzt. Über die Leonora Baroni erscheint ein Band in allen Sprachen:
Applausi poetici alle glorie della signora. Sie singt schamhaft und wohl-
anständig, sie spielt selbst die Theorbe, die Mutter die Lyra, die Schwester
die Harfe, alle drei singen dazu (welches feine alte Bild!), daß INIaugars in
78
Repertoire des Theaters von Fontainebleau 8. Oktober — 12. November 1765
seiner Lobschrift auf italienische Musik im Jahre 1639 ^'°^ ihnen sagt: so-
schön, daß ich meine condition mortelle vergaß.
Beweglicher wird das Bild der Sängerin in den nächsten Generationen.
Von der Maupin erzählt Laborde in seinen Essays: sie ist 1673 geboren, Toch-
ter des Sieur d'Aubigny, des Sekretärs des Grafen Armagnac. Herr Maupin
aus St. Germain en Laye heiratet sie sehr jung und läßt sie unvorsichtiger-
weise während einer Reise zu Hause. Sie verliebt sich in ihren Fechtlehrer.
Sie fliehen und treten aus Not in Marseille in die Oper ein — beide stimm-
begabt, besonders sie. Sie hat für ihr eigenes Geschlecht viel übrig, ohne das
andere zu verachten. Sie verführt eine junge Marseillerin — Skandal —
diese wird in ein Kloster gesteckt. Die Maupin läßt sich sofort dort als No-
vize aufnehmen. Nach einiger Zeit stirbt eine der Nonnen, wird begraben,,
die Maupin gräbt sie aus, legt sie ins Bett der Freundin, entzündet ein
Feuer und entführt im Trubel die Geliebte. Sie wird verfolgt, gefaßt, zum
Feuertod verurteilt. Die Freundin wird nach Hause geschickt, das Urteil
nicht vollstreckt. Die Maupin kommt nach Paris, nimmt ihren Namen, den
sie verborgen gehalten hatte, wieder an, debütiert als Pallas im Cadmus
1695 mit größtem Erfolg, wird als Stern der Oper Nachfolgerin der Rochois,
dieser kleinen und gewöhnlichen Person, die wenigstens eine gute Schauspie-
lerin auf der Bühne gewesen war. Sie ist es auch im Leben. Sie bekommt
Streit mit dem Kollegen Dumenil, verkleidet sich als Mann, stellt ihn mit
79 -
dem Degen — er will sich nicht schlagen, sie verhaut ihn und nimmt ihm
Uhr und Tabatiere. Den nächsten Morgen renommiert Dumenil, er habe
sich gegen drei Räuber verteidigen müssen. Sie blamiert ihn vor den Kol-
legen, indem sie die Zeugen ihres Renkontres zeigt. Bei einem Ball des Bru-
ders von Louis XIV. verkleidet sife sich wieder als Mann, diesmal, um eine
Dame zu verführen. Drei Herren verteidigen diese, zitieren und stellen sie
— sie hätte sagen können, wer sie ist, sie tut es nicht, tötet die drei, geht
kalten Sinnes in den Saal zurück und erhält vom Prinzen Pardon. Sie liebt
die Fanchon Moreau und macht einen Selbstmordversuch, da sie sie nicht
erhört. Schließlich geht sie nach Brüssel, wird Mätresse des Kurfürsten von
Bayern.- Der verläßt sie für die Gräfin Arcos und schickt ihr durch deren
Mann 40 000 Livres. Sie wirft dem Grafen Arcos die Börse an den Kopf
und kehrt wieder an die Pariser Oper zurück. Sie stirbt 1705, 32 Jahre alt.
Hier ist der Schwung eines Lebenswurfs vor zweihundert Jahren. Das
Teufelsrad ist schön und dreht und wirft sie, wie sie es aushalten und wie sie
fallen. Es ist großer Atem darin, derselbe Atem, mit dem in dieser Zeit der
Kastrat Ferri die chromatische Tonleiter durch zwei Oktaven nahm, ohne
Luft zu holen, mit einem Triller auf jedem Ton. Der Kastrat Caffarelli, der
Ludwig XV. Vorschriften machen durfte für die Geschenke, die er ihm zu
geben habe, kauft sich von seinen Ersparnissen ein Herzogtum und schreibt
über sein Tor: Amphion Thebas, ego domum. Farinelli, der für 50 000 Fran-
ken jährlich angestellt ist, Philipp V. von Spanien zur Erheiterung seines Ge-
müts jeden Abend dieselben vier Arien vorzusingen, scheint in seiner Kunst
eine Wendung von der Virtuosität zur Einfachheit und Ehrlichkeit durch-
gemacht zu haben: Burney erzählt, daß ihn der Kastrat Senesino, sein Ri-
vale, aus Bewunderung auf einer englischen Bühne — er fiel einfach aus der
Rolle — umarmt habe. Die Cuzzoni und die Bordoni brachten es nicht so
weit. Ihr Leben ist im Gegensatz zur Tesi (die nicht schön war und friedlich
als Lehrerin in Wien auslebte) bewegt und mannigfaltig. Quanz, dessen Me-
moiren voll sind von den Schicksalen der Opernprimadonnen und erfolg-
hungrigen Komponisten, nennt die Cuzzoni einen Drachen an Charakter.
Sie hat ihren Mann ermordet. Sie hat sich geweigert, unter Händel in Lon-
don zu singen: Händel reißt sie in der Probe ans Fenster und droht, sie her-
unterzustürzen, wenn sie nicht nachgibt: ,,0h, Madame, ich weiß wohl, daß
Sie eine wahre Teufelin sind, aber ich werde Ihnen zeigen, daß ich Beelze-
bub bin, der Herrscher der Teufel." Die Cuzzoni hat einen angenehmen
hellen Sopran, rein, von c' bis c'", mehr rührend als virtuos, eine schlechte
Schauspielerin. Wie scharf sind Leben und Kunst gegeneinander! Es bilden
sich im Publikum Parteien der Francesca Cuzzoni und der Faustina Bordoni,
• 80
wie sich einst, 1626 in Rom, um zwei Sängerinnen die Parteien der Costistcn
und der Cecchisten gebildet hatten, so scharf, daß ihnen das gemeinsame
Auftreten verboten wurde. Diesen wird es nicht verboten. Sie geraten so
aneinander, daß sie sich bei einer Vorstellung des Astyanax von Bononcini
in London auf offener Bühne unter dem Gejohle und Gezische des Publi-
kums verprügeln. Die Cuzzoni endigt arm als Knopfarbeiterin, die Bordoni
in o-länzenden Verhältnissen bei ihrem Gatten Hasse. Noch einmal entfaltet
sich in der Sophie Arnould, deren Biographie Goncourt schrieb, der bunte
Stil des Primadonnenlebens mit aller Macht der Instinkte — wir werden sie
in der Gesellschaft Glucks wiederfinden. Dann wird diese Region bürger-
licher, freilich noch lange nicht bürgerlich genug für die Maße des industriel-
len Instituts, das im Budget seiner Kräfte mit den ungebrochenen Trieben
der Opernzuchtlosigkeit nicht rechnen will.
Eifersucht, Ruhmbegier, Übermut und wieder höchstes ideales Gfewissen
wirbeln die Künstler und Autoren durch die Opern der Welt — eine Kette
Trunkener von Glück und Unglück. Wer erkennt sie immer ? Hinter dem
Pseudonym Piva verbarg sich der große Steffani, dessen diplomatischem Ge-
schick das Haus Hannover mindestens so viel Ehre verdankte, als seinen Opern
Vergnügen. Er war ein Weltmann mit doppeltem Gewissen. Ehe er Händel
nach Hannover berief, hatte ihn Mattheson in Hamburg protegiert, aus Eitel-
keit. Mattheson singt in seiner eigenen Oper Cleopatra den Antonius un-
ter Händeis Direktion. Antonius stirbt eine halbe Stunde vor Schluß. Mat-
theson stürzt ans Dirigentenpult, Händel zu verdrängen. Sie ohrfeigen sich
und ziehn den Degen. Matthesons Klinge zerbricht Gott sei Dank an einem
metallenen Knopf Händeis. Welche Aufregung! Der größte Hamburger
Komponist Keiser fährt wie ein Kaiser durch die Stadt mit Bedienten in
Auroralivree, während seine Schulden ins maßlose wachsen. Bononcini, dessen
Opern in Berlin die Königin Sophie Charlotte selbst am Klavier begleitet,
tritt in London in die großartige, durch ihre Protektoren geradezu politisch
gefärbte Rivalität zu Händel und geht als Plagiator gebrandmarkt zugrunde,
von einem Alchimisten aufs letzte beraubt. Mattheson aber schreibt sein
Lexikon: die ,, Ehrenpforte" und gibt vielen großen vergessenen Namen ihre
Artikel, auch dem Meister „Stradel". Stradella wurde das opernhafteste Le-
ben aller Opernautoren angedichtet : die Entführung der venezianischen Mä-
tresse, die Dingung der Mörder, deren Rührung vor seinem Gesang, und
wieder neue Mörder und endlich in Genua beider Tod — noch immer
herrscht legendarische Unklarheit über diese Geschichte, die Flotow zur
Oper erweiterte. Oper über Oper! Die Autorenschicksale machen eine
Wandlung durch von der allgemeinen Boheme aller Komödianten zum tra-
81 ■ 6
gischen Konflikt mit dem Theater. Die alten Italiener werden mit der Oper
herumgeworfen, die neuen werfen sich gegen die Oper herum. JommelH, in
Neapel ein Gott, wird in Stuttgart deutsch vertieft und kehrt unverstanden,
trostlos in seine Heimat zurück. Monsigny wie Rossini erleben ihre großen
Schweigezeiten. Weber findet noch im Tode keine Heimat. Lortzing hun-
gert unter Erfolgen. Wagner verzweifelt gegen eine Welt von Unverständnis.
Es ist wunderbar zu sehen, wie sich diese Geschicke ihre Melodie suchen,
und wie sie sie finden — eine Melodie, so irrational wie möglich, wenn man
sie mathematisch ausrechnet, und doch zuletzt so ganz Seele und Einheit,
auf den wandelnden Harmonien der Erfahrungen, ganz organische Tona-
lität, mit allen Bitterkeiten der Fermaten und Ritardandi, und mit allen
Süßigkeiten selbst der spielenden Koloratur.
Denn hier ist unsere letzte Station. Hier werden Kräfte wach und Orga-
nismen lebendig auf diesem vulkanischen Boden. Hier keimt die Frucht
aller dieser Paradoxien. Hier steht der große Mensch.
Siebenter IViderspntcli : Die Tlieorie
UND noch einmal blicken wir auf dieses Schauspiel einer unmöglichen
Kunst zurück, das in allen seinen widerspruchsvoll-fruchtbaren Szenen
jetzt vor uns liegt. Die mütterliche Musik ist die geheime Tyrannin in die-
sem Familienkreise und macht dem väterlichen Drama, diesem sachlichen
und berufstüchtigen Genre, das Leben nicht leicht. Sie hat zu wenig kon-
krete Interessen, um die in sich gekehrte Arbeit des Rivalen ganz verstehen
zu können. Sie verlangt von ihm eine Geselligkeit, die er nicht bieten kann,
eine Verstellungsgabe, die seine Ehrlichkeit nicht leistet, Galanterien, zu
denen er sie nicht geheiratet hat, und eine Verehrung ihres Geschlechts, die
mit seinem Gewissen und seinem Ruf nicht in Einklang steht. Er weiß,
daß schließlich doch sein Prinzip den Ausschlag gibt, seine Vorstellungen die
Formel und seine Qualitäten der Boden sind, auf dem sich dieses Unternehmen
bewegt. Er weiß auch, daß er die nervösen Zustände seiner Partnerin nur
steigert, wenn er ihr zu scharf widerspricht, und daß jede dauernde Diskussion
mit ihr die schwebenden Differenzen vergrößert. Denn sie ist unlogisch. Er
sorgt für sie, ohne große Gebärden, er läßt ihr ihre Meinungen, ihre Klagen,
ihre Begierden in der ruhigen Zuversicht auf den eisernen Gang aller Ent-
wicklungen, die sich durch die bloße Macht der Tatsachen so bewegen, wie
es gut für sie ist. Reden und Programme kehren wieder, aber helfen nichts.
Bestenfalls lächelt er ein wenig zynisch und zählt die Perioden ah, in denen
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sich diese Ehekonflikte regelmäßig wiederholen müssen, während die Leute
seine Güte und Tüchtigkeit und ihre Gefälligkeit und Liebenswürdigkeit
rühmen, ohne von dem wahren Sachverhalt eine Ahnung zu haben. Er weiß,
daß diese Ehe nur durch die Schwäche eines Teils bestehen kann; sind
beide schwach, versandet sie; sind beide stark, zerspringt sie. Die Frau
weiß nichts, sie lebt ihr Triebleben, behauptet immer, anderen die Wahr-
Ifeit zu sagen, und hört es wenigstens nicht gern, wenn man sie ihr sagt.
Sie will geschmeichelt sein., Sie liebt die große Welt und löst die eine
Leidenschaft durch die andere ab, immer ein wenig melancholisch gefärbt
über die entrissene Vergangenheit. Sie macht das Budget und rechnet den
Kindern gern etwas zugute, die sie einst klein und bescheiden begleitet
haben und jetzt zu großen selbständigen Orchestermusikern aufgewachsen
sind — ihre Kinder, denen der Vater nur mitunter eine kleine Pantomime
vormacht. Es ist sehr unruhig in dieser Familie, desto unruhiger, je genauer
man zusieht. Beobachtet man bei den periodischen Konflikten die Vorwürfe
durch das ganze Genre, die sie sich hier gegenseitig machen, die ganze
aufgestapelte Masse von Kränkungen und Verzerrungen, die der Stolz der
einen Seite dem der anderen ins Gesicht wirft, die unendlichen Verwicklungen
von Diplomatie, Neugierde, Offenheit, Instinkt, Berechnung und Nieder-
tracht, die sich da ergeben, die Vcrdeckungen des Lebensdefizits, die Aus-
sichtslosigkeiten des Budgets, die Posen gesellschaftlicher Haltung, die Lügen
aller geheimen Reserven und zum Gleichgewicht notwendigen Debauchen,
die Geniertheit vor den Kindern und deren unwillkürlichen Sinn für gele-
gentliche Chancen in diesem Kampfe — so glaubt man, alles sei zu Ende„
diese Einrichtung müsse sich selbst zerstören, sich aufreiben in ihrer Kräfte-
vergeudung. Aber die Kunst ist stärker als das Leben. Sie gewinnt aus diesen
Reibungen eine leidenschaftliche Kraft zur Produktion, und sie erlebt kaurr»
eine Trübung, so wird diese schon ihre Farbe, kaum eine Reizung, so wird
diese schon Vertiefung. Die Kunst erkennt und erlebt sich in dieser Oper,
die unmöglich scheint, selbst. Denn nichts ist die Kunst, als in den Schein
der Dinge eine Ordnung zu bringen, die ihr das Leben selbst immer wieder
zerstört, um sie immer wieder zu locken.
Andächtige und Ketzer der Oper, beide gehören zu ihrem Dasein, sind
selber Figuranten in diesem großen Schauspiel, dessen nächster Akt immer
die Antithese und zugleich Sanktion des vorhergehenden ist. Sie stehen nun
lächelnd um unsere Betrachtung herum und wir gehen, ihnen allen die Hand
zu schütteln. Gottsched hatte die Oper das ungereimteste Werk genannt,
welches der menschliche Verstand jemals erfunden habe. Er hat recht,
A. W. Schlegel weiß das auch, in seinen dramaturgischen Vorlesungen, und
83 6-.
Nietzsche weiß es auch, aber sein Organ für Paradoxie ist entwickelt genug,
um eben aus dieser Ungereimtheit die Wunder der Oper zu erklären. Er
hat in der ,, Fröhlichen Wissenschaft" einen schönen Aphorismus (Nr. 80),
in dem er erklärt, was kaum zu erklären ist, wie hier eben der gemeine Reiz
der Illusion einem höheren Reiz zu weichen hat — • Rossini wäre logisch ge-
wesen, seine Sänger bloß la-la-la singen zu lassen, aber die „Unnatürlichkeit,
derentwegen man in die Oper geht", sei nicht weniger wert als die Unlogik,
mit der der Grieche die wildeste Leidenschaft in schöne Rede kleide. Neben
den Leugnern stehen die Parodisten. Die Parodie der Oper, des beau monstre,
wie Voltaire sagt, ist so billig, daß sie sehr gut sein muß, um nicht als Ernst
zu wirken. Sulzer parodiert sie in seinem Lexikon, Simon Mayr in seiner
Schrift über die Agenten (I sensali), Addison in seinem Spectator von 1710,
1720 erscheint die berühmteste aller Opernsatiren: Marcellos Teatro alla
moda, nicht so witzig wie Addison, aber breiter und lohnender — die ty-
pischen Requisiten der konventionellen Oper, die Lügen des Erfolgs, die
LTnverständlichkeit der Handlung, der monumentale Blödsinn der über-
lieferten Bewegungen, das falsche Altersverhältnis, die Provinzialismen der
Dekorationen, das System der Freibillette und das der Reklame, die über-
triebenen Ratschläge an Protektoren, Masken, Kopisten, Schneider, Pagen
und nicht am schlechtesten das Orchester und ganze Szenen voll Klatsch
■und Dialekt zwischen den Müttern der Sängerinnen. Man kann viele alte
Satiren heut im Neudruck nachlesen: Marcello in einer venezianischen Aus-
gabe von 1887, Addison im 9. Sammelband der L M. G., Simon Mayr in
der Schiedermairschen Übersetzung. Die letzten geistvollen Opernsatiren
•schrieb Berlioz in seinen Soirees d'orchestre — moralische Studien über Pu-
blikum und Tenöre. Aber lebendiger blüht der Streit um die Oper in den
wiederholten Meinungsverschiedenheiten und schwankenden Zweifeln ihrer
Betrachter, die hier ein Objekt finden, das sich für literarische Ästhetik
außerordentlich zu eignen scheint und doch zerfließt, sobald man es fest-
halten möchte. Ein Stimmengewirr! In jedem Künstler und Kritiker vi-
briert, doppelt furchtsam bei diesem Vexierspiel der Oper, die Angst um die
Zukunft. Hasse schimpft auf die Gegenwart, Metastasio schimpft, Paesiello
hält Mozart für übertrieben orchestral, Schlegel Mozart für zu weichlich.
Heut ist Mozart die Richtung des Ideals geworden. Metastasio sagt, die
Musik sei nur das Kleid, Mozart sagt, die Poesie sei nur die Dienerin. Rous-
seau bekehrte sich zu Gluck, Forkel hielt ihn für ekelhaft. Ambros rettet
gegen die Überschätzung Glucks die alten Ncapler, Wagner weist gleich-
zeitig auf die allumfassende Musik der Zukunft, die er in der Gegenwart er-
füllt. Welcher Wirrwarr! Welche Gelegenheit zu schöngeistiger Literatur!
84
Moreaii, Sortie de l'opera
Die Literatur über die Berechtigung der Oper und ilire nationalen Grenzen
geht durch das Frankreich des ganzen l8. Jahrhunderts, spielt sich in engerem
Kreise um die Hamburger Oper ab, läßt heut noch nicht nach. Addison
war gegen die Benutzung der englischen Sprache in der Oper gewesen.
Grimm schwärmt für die englische Volksliedoper als Milieu. Er schreibt die
Satire Le petit prophete de Boemischbroda gegen die nationale französische
Oper. Die französische Oper exzelliert durch ihre Tänze, Grimm und Rous-
85
seau bekämpfen diese unlogischen Störungen. Für Rousseau, gegen Rous-
seau, fürRamcau, gegen Rameau — es ist eine Bibliothek vonPrinzipienstreitig-
keiten, die die Enzyklopädisten aufstellen, unaufzählbar viele Schriften, die von
einer stillen Liebe zur italienischen Melodie und einer unmöglichen Konstruk-
tion eines Opernrationalismus ihren geistreich-schwankenden Charakter erhal-
ten. Unter ihnen steht Voltaire nicht bloß als der abgesagte Feind der Oper,
sondern als ihr Verächter und Warner in einer schrecklichen Konsequenz avif-
recht: in der Vorrede zu seinem Oedipus liest man die Worte: „Die Oper
ist ein ebenso bizarres, wie prächtiges Schauspiel, wo Auge und Ohr sich mehr
befriedigt als der Geist, wo die Dienstfertigkeit gegen die Musik zu den
lächerlichsten Fehlern führt, wo man Lieder singt bei der Zerstörung einer
Stadt und tanzt um ein Grab — man erträgt die Extravaganzen, oder man
liebt sie gar, weil man im Lande der Feen ist, und vorausgesetzt, daß es etwas
zu sehen gibt, schöne Frauen, gute Musik, einige interessante Szenen, ist man
zufrieden." Voltaire hat recht: für den Rationalisten gibt es keine Oper.
Gleichzeitig prophezeit Herder sein „Odeum, das zusammenhängend ly-
rische Gebäude, in dem Musik, Poesie, Aktion und Dekoration eines sind".
Und gleichzeitig im Troisieme Entretien sur le fils naturel schwärmt Diderot
von der Zukunftsoper, die die Philosophie, Musik und Poesie zu einem ein-
heitlichen Kunstwerke verbinde, wobei zwei Arten, der einfache tragisch-
orchestrale Stil, und der figurierte gesungene Stil zur \'erfügung stehen —
eine Idee, die in ihrer unentschiedenen Zwiespältigkeit Goethe in der An-
merkung „Musik" zu seiner Übersetzung von Rameaus Neffen ähnlich aus-
führt, als letzten Nachklang der Geschmacksdifferenz von Gluckisten und
Piccinisten. Drehen wir uns im Kreise .'' Rousseau hatte erst die franzö-
sische Opernsprache geleugnet, dann selbst den Devin de village geschrieben,
und Diderot komponiert ihn nach dem Modell seiner eigenen idealen Zu-
kunftsoper um! Wo ist das Heil? Der Messias der Oper aber ist in dieser
Literatur oft ersehnt worden, während er schon lebte. Gretry (il faut
reunir tous les arts dans un seul cadre, ils doivent se faire sacrifice mutuel)
sagte noch 1812: er sähe in Gedanken ein liebenswürdiges Wesen, das, begabt
mit melodiösem Instinkt, mit dem schönsten Naturell einen Teil des harmo-
nischen Reichtums unserer jungen Athleten verbinden wird — und sieht
nicht Mozart. Graf Algarotti, der Freund Friedrichs des Großen, hatte in
seinem Saggio sopra l'opera in musica noch 1763 in Verachtung der flachen
und inkongruenten Oper seiner Zeit auf das einzig erstrebenswerte Gesamt-
kunstwerk hingewiesen: und Glucks Orpheus datiert von 1762. Alle bauenden,
alle andächtigen Freunde der Oper werden, wie Gluck, wie Wagner, immer
wieder dazu verführt, eine Natürlichkeit in dieser Kunst, eine Gleichberech-
86
tigung ihrer Teile, eine Ausdruckseinheit und Seelenwahrheit theoretisch zu
verlangen, die ihnen die Zweifel schlichten soll, welche sie in ihrer künstle-
rischen Arbeit empfinden müssen. Innerhalb der Theorie der Oper wieder-
holen sich die Widersprüche ihrer Praxis. Recht haben allein ihre Feinde —
denn es ist auch kleineren Geistern als Voltaire bequem, die Unmöglichkeit
dieser Kunst nachzuweisen. In einem inneren Konflikte sind alle ihre theore-
tischen Liebhaber, die zwischen den Anforderungen ihrer Sinne und ihrer
Vernunft nicht entscheiden können. Tragisch sind die Produktiven, die über
sie nachdenken : denn sie werden nie die Beruhigung der Ästhetik über ihre
Zerrissenheit finden und wiederum nie ihre schöpferische Kunst in das
strenge Reglement ihrer Theorie geben. Lully machte es empirisch. Gluck
fand seine Opern noch glimpflich mit seinen Vorreden ab. Wagner schwebte
beständig in der Polarisation des Gedankens und der Kunst, und wenn schließ-
lich auch die Kunst siegte, hat er doch Epochen durchmachen müssen, in
denen sie in Gefahr war, von einer Theorie anzublassen, die zu nichts anderem
taugte, als widerlegt zu werden.
Denn was dürfen wir sagen, die wir uns im Mittelpunkt dieses unend-
lichen Kreises befinden: die Oper ist unmöglich, aber sie ist groß. Die Oper
ist nicht wert, daß man nur einen Funken kritischen Verstandes auf sie an-
wendet, aber sie ist überwältigend in ihrer produktiven Kraft und Intensität.
Sie ist richtig, nur wenn man sie komisch nimmt, aber sie ist das tragischeste
Erlebnis der Kunst auf Erden. Sie ist der Beweis, daß das Schaffen irrational
ist, daß Narrheit und Genie Geschwister bleiben, daß das bloße Dasein,
Wachsen, Streben, Leben und Sterben die Wahrheit ist und alles Analysieren,
Berechnen, Messen, Zählen und Berichten ein Gespenst. Auch dieses Buch.
Die Oper ist da — wer über sie schreibt, ist ihr erster Narr, aber er ist ein
Narr, wie der Dichter, der sich von der Welt befreit, indem er sie darstellt.
Indem dieses Buch ein solches Eingeständnis macht, darf es beinahe schon —
innerhalb der Opernweltanschauung — existieren. Es ist der letzte Schluß
der Antithesen, die wir erlebten. Und ist dennoch, oder ist deswegen eine
Produktion, wie die Oper selbst — trotz seiner ist es da ! Es wird die Voltaires
gegen sich haben, die Enzyklopädisten werden sich bei ihm unterhalten und
belehren, die Produktiven werden seine Tragik fühlen und es verbessern. Ich
steige nun zu ihnen hinauf. Ich lasse Widerspruch Widerspruch sein und
beuge mich vor der Größe. Ich will Schöpfung sehn und Kräfte fühlen.
Ich will Menschen.
87
Die Geschichte selbst als letzter U'iderspntcJi
DIE großen Werke der Oper hat ihre Geschichte abgesetzt, als Kulturen,
die sie in ihren geheimnisvollen und schmerzreichen Geburtsstunden zeit-
los, bedingungslos, als ewige Schönheit aus sich heraus erfand. Die Geschichte
der Oper ist eine geschichtslose Geschichte, die sich im Kreise schließt wie
ihre Theorie. Sie ist ein Problem, das durch die Jahrhunderte und Nationen
und Klimata geworfen wird, ohne sich Schaden zu tun. Es nuanciert sich,
aber bleibt dasselbe. Denn es ist mehr als ein Kunstproblem.
Jetzt ist es am Ort, diese Geschichte im Abriß zu geben, weil sie uns die
Widersprüche löst, indem sie sich selbst aufhebt. Die Zeit im Wandel macht
aus der dogmatischen Antithese die fruchtbare Entwicklung des Werkes und
der Persönlichkeit. Sie bringt den Fluß in die Fluten, die sich, auf engen
Raum zusammengedrängt, stauen müßten. Sie bringt Lebensfrist und Ver-
gänglichkeit in die Arbeit am Unlösbaren und setzt den Menschen in die
chaotische Verwirrung hinein. Ich lege das trockene Land hin, das wir zu
bevölkern haben. Ich erzähle die Hauptepochen, nernie die ersten Namen
und Titel und füge die Zahlen hinzu. Das ist das letzte, was ich in diesem
Abschnitt noch zu erledigen habe. Es muß ganz schnell vorübergehen.
Die Oper ist wirklich nicht vom Himmel gefallen. In der italienischen
Renaissance setzt sich die Musik bereits an die Tragödie, und die Intermezzi
unterbrechen die Komödien. Die Favola pastorale bringt Monodien, mit-
ten im Zeitalter der Chöre Einzelgesänge, deren halb vergessene Übung man
jetzt, besonders in Florenz, bis in das Mittelalter zurückdatieren kann. Die
Madrigale werden mehrfach szenisch zu einer Art Oper zusammengesetzt^
in einer Sammlung von Intermedii et Concerti, die Malvezzi 1591 herausgibt,
finden sich madrigaleske und auch schon monodische Musiken von Cavalieri,
Peri, Caccini zu Texten von Rinuccini — die Reformgemeinde von Florenz
noch ohne Opernbewußtsein. Die Instrumente beginnen farblich abgestimmt
zu werden. Große Feste führen Gesänge und Tänze zu einer unterhaltenden
Mischgattung zusammen — bis in das Ballet de la reine, von Katharina von
Mcdici in Paris veranstaltet. Nebenbei wirken von der anderen Seite die
geistlichen musikalischen Schauspiele. Die Kulturen der Feste und der My-
sterien bereiten den Boden. Es fehlt nur noch der klare Begriff. 1574 wird
in Venedig eine Tragödie von Frangipano, Musik von Merulo aufgeführt,
mit Chören, verschiedenem Orchester, „in der Art der Antike", wie es in
der Vorrede zur zweiten Auflage heißt, quando soli, quando accompagnati
— hier und da mag es in der Luft gelegen haben. Die Tat geschieht in
Florenz.
88
*ü
in
Abreise des Direktors in der Provinz. Alte französische Lithographie
Im Hause des Florentiner Grafen Bardi war die neue, rezitierende, mono-
dische, ausdrucksvolle Musik, der stilo rappresentativo, zuerst diskutiert wor-
den. Im Hause des Edlen Corsi wurde die Anwendung auf die Oper gemacht.
Jacopo Peri, der rote Lockenkopf, war der Liebling dieses mäzenatischen
Salons. Rinuccini, der leidenschaftlich-ritterliche Dichter, ein interessanter
Mensch von Tassophysiognomic, dichtet seine vornehme und geschliffene
Dafne, Peri komponiert sie, sie wird im Hause Corsis 1594 aufgeführt con
gusto indicibile della cittä tutta. Das war die erste Oper. Ihre Musik ist ver-
loren. Es war die erste bewußte Anwendung der neuen Tonkunst, die Ga-
lilei, der musikalische Bahnbrecher, in seinen Gesängen, Bardi und Corsi in
ihren dilettantischen Anregungen, Cavalieri kurz darauf auch im Oratorium,.
Caccini in jenen berühmten Nuove musiche von 1601 verkündeten, die für
das Publikum das Programm der neuen Richtung wurden. Caccini, offenbar
ein etwas unreinlicher Mensch, ein kluger und eitler Virtuose, und der freund-
liche Peri streiten, nicht ohne Perfidie, um den ersten Opernruhm. 1600
komponiert Peri die Euridice von Rinuccini und gleichzeitig auch Caccini.
Beide Stücke sind erhalten. Die Oper, die favola in musica, war bei ihrer
Entstehung als eine aristokratische Nachahmung der antiken Tragödie emp-
funden worden, deren Ideal in der Florentiner Camerata verfochten wird.
Jetzt rückt sie in die altgewohnte Festunterhaltung ein — . die Euridice
wird zur Vermählung des von Rubens verklärten Heinrich IV. von Frank-
89
Teich mit Maria von Medici in Florenz aufgeführt — und Nummern beider
■streitenden Komponisten werden untereinander gesungen. 1608 wird der
umgearbeitete Text der Dafne Rinuccinis von Gagliano neu komponiert,
zu einer fürstlichen Hochzeit in Mantua aufgeführt. 1628 macht er für eine
Farnesehochzeit in Florenz seine Flora. Peri stellte ihn über sich selbst.
Er schließt die erste Periode der Oper, die Florentiner Zeit, ab. Drei Jahre
vorher war der Ruggiero der Francesca Caccini gegeben worden, der gro-
ßen Sängerin und Spielerin, berühmten Tochter des berühmten Vaters —
die erste Opernkomponistin, die erste romantische Oper, aber trotz aller Be-
gabung ein Spektakelstück mit Pferdeballett, der Florentiner Reflex der be-
ginnenden Prachtoper mit allegorischem Prologe. Der polnische Fürst La-
dislaus Sigismund wurde in der Villa Poggio reale mit ihr begrüßt.
Die neue Richtung, der deklamatorische Gesang auf dem bezifferten
Generalbaß, der höchste Ausdruck der Monodie auf der mathematisch ge-
ordneten Harmonicj gewinnt schnell Italien. Hier und da in der Provinz
taucht die neue Oper auf. Eine geschlossene Gruppe läßt sich in Rom be-
obachten. Die römische Oper hat den Zusammenhang mit dem geistlichen
Schauspiel bewahrt. Cavalieris Rappresentazione dell' anima e di corpo
von 1600, Agazzaris Eumelio von 1606, ein allegorisches Schäferspiel, sind
die Stufen. Stefano Landis, des bedeutendsten altrömischen Opernkompo-
nisten, ,,Orfeo" datiert von 161 9. 1634 kommt sein San Alessio, dessen Text
von Rospigliosi stammt, dem nachmaligen Papst Clemens IX. Mit diesem
Werk wird der Theatersaal des Palazzo Barberini eingeweiht, der die mäze-
natische Stätte der neuen römischen Oper bleibt. Beide Opern von Landi
sind Tragikomödien — der Orfeo, der die ungewohnten späteren Schick-
sale von Orpheus behandelt, enthält ein Lethetrinklied Charons, das als
eines der ersten Buffostücke angesehen wird. Die Buffobegabung der Römer
wirkt wie eine Reaktion gegen die vorherrschende geistliche Stimmung. Ro-
spigliosi selbst, der eine ganze Reihe Texte verfaßt, schreibt „Che soffre.
speri", von Mazzocchi und Marazzoli komponiert (1639) ^^'^ 5>D^1 n^al il
bene", von Marazzoli und Abbatini komponiert (1654), ^^^^i richtige rusti-
kale Buffoopern. Der San Alessio Landis, die Geschichte des Heiligen, der
unter der Treppe des väterlichen reichen Hauses wohnt, schließt buffoneske
V^olkselemente ein, Pagenduette, aber auch große Familienterzette, Final-
steigerungen. Die musikalische Behandlung ist polyphoner und ensemble-
vollcr, reicher an Kammersymphonien, als die der Florentiner Oper, dem römi-
schen Geschmack entsprechend. Die geschlossenen tanzartigen Formen, die
breite kontemplative Lyrik in Mazzocchis d. Ä. Catena d'Adone (1626), die
pastoralen Einlagen in Michelangelo Rossis Erminia (1637), Vittoris von ihm
90
selbst gedichtete Galatea (1639) mit dem oft gerühmten madrigalartigen
Trauerchor sind die interessantesten Beispiele der römischen konzertierenden
geistlich-schäferlichen Oper. Die Blüte der Barberinioper wird durch die
Vertreibung dieses Geschlechts nach Paris eine Zeit lang unterbrochen.
In Paris sprechen sie von der neuen Gattung, Mazarin beruft 1646 den
Luigi Rossi hin — er kommt aus Rom mit 20 Musikern, worunter
8 Kastraten. Sein Orpheus wird 1647 dort französisch aufgeführt, mit einem
Prolog an Louis XIV — die erste Opernbrücke Italiens nach Frankreich.
Der Charakter der altvenezianischen Oper ist Öffentlichkeit und Genia-
lität. Der Chor verschwindet allmählich, die Arie, nicht ohne Einfluß der
befreiten Kirchenmusik, emanzipiert den Sänger als Virtuosen, den Kompo-
nisten als Erfinder, das Publikum, das in öffentlichen Theatern sitzt, als Be-
urteiler. Monteverdi ist das Genie der ersten rein künstlerischen Oper. Er
wird, aus Mantua berufen, 161 3 Kapellmeister der Markuskirche. Sein Or-
feo, in dem mit dem Zauberklang einer fast noch mittelalterlichen Mystik
die Ära der primitiven Oper abgeschlossen wird, entstand schon 1607. Es ist
das älteste Opernwerk, das noch gelegentlich (und nicht bloß historisch in-
teressant) aufgeführt wird. 1608 folgt seine Arianna (Text von Rinuccini)
— ihre Rezitative schrieb Peri — nur die Klage der Ariadne, heut noch
so oft gesungen, ist als einziges Stück dieser Oper auf uns gekommen. Von
späteren, erhaltenen Werken sind die wichtigsten: der Tancred (1624),
halb episch mit verbindendem Text, II ritorno d'Ulisse (1630), L'incoro-
nazione di Poppea (1642) — in Farbe des Orchesters, Kraft der Harmonien,
Wahrheit des Ausdrucks, dramatischer Atmosphäre die Grundlagen aller
Opernerfindung. Cavalli stärkt den Ausdruck zu ergreifender Emphase,
mischt geschickt effektvolle Buffoarien hinein, schreibt 42 Opern — 1660
den Serse für die Hochzeit Ludwigs XIV. Cesti, nicht ohne Lieblichkeit
und Süße, erscheint äußerlicher — wird nach Wien berufen, wo unter
Leopold I. eine sehr prunkvolle Nachblüte der venezianischen Oper statt-
findet.
Der Charakter der Neapler Oper ist der Sieg des Sängers über den Kom-
ponisten : die Ausbildung des bei canto, die Virtuosität, das Schlußensemble,
die Selbständigkeit des Buffo. Sie wird von Alessandro Scarlatti begründet
(t 1725), der in Rom angefangen hat. Leo, Porpora, Vinci, Jommelli, Hasse,
Piccini, Sacchini, Majo, Traetta (in Parma), Logroscino, Pergolesi, Pae-
siello, Cimarosa mehr im komischen Genre, sind die Meister. Unter dem"
Einfluß der französischen Oper und Ästhetik tritt am Ende des 18. Jahrhun-
derts ein Umschwung ins Seelenvollere, Monumentale, Ausdrucksechte ein,
gleichzeitig nehmen die Chöre und Tänze wieder zu. Über diese Reformen
91
der Neu-Neapler, besonders Traettas, hat die Musikgeschichte noch zu arbei-
ten. Die Reformoper Neapels ist das Teatro del Fondo, die später auch
Paers Griselda bringt — es ist die Zeit der ersten großen Mischungen, die
sich bis in den Eklektizismus Simon Mayrs verlaufen (stirbt erst 1845), in dem
der Glanz Frankreichs, das leidenschaftliche Akkompagnato Jommcllis, das
deutsche Lied, die farbige Orchestertechnik sich treffen. Die Kraft, die aus
diesen Mischungen ihre Größe zog, hieß Gluck.
Die französische Oper, reich an Chören, Tänzen, Dekorationen, war aus
privaten, vornehmen Anfängen Mitte des 17. Jahrhunderts unter Perrin in
die feste Form der privilegierten Akademie gelangt — 1671 eröffnet mit Cam-
berts Pomone, deren Text er gedichtet. Perrin verband sich mit Cham-
peron, der an der Kasse saß, und Sourdeac, dem Maschinisten • — beides waren
Ausbeuter, Kapital gab es nicht. Nuitter und Thoineau, die Verfasser der
Origines de l'opera fran^ais, haben Perrin seinen nationalen Nimbus ge-
nommen und Lully gerechtfertigt, der nicht ohne Brutalität das Patent der
Akademie an sich brachte, aber nun auch mit praktischer Genialität die na-
tionale Oper durchsetzte: Reinheit der Deklamation, Keuschheit des poeti-
schen Gewissens. Lully stammte aus Florenz: seine Karriere Küchenjunge,
Musikpage, Geiger, Leiter des Orchesters, Tänzer, Schauspieler, Chef des
ganzen Opernressorts, Vertrautester Ludwigs XIV. Seine Werke sind die
erste Reaktion gegen Opernauswüchse : eine Wiederaufnahme Florentiner
Prinzipien in langweiliger französischer Akademiedoktrin. Ramcau vergei-
stigt, färbt, beseelt seine Richtung: der Begründer der modernen Harmonie-
anschauung. Lully lebt 1632 — 1687, Rameau 1683 — 1764.
Italienische Buffonisten (die zweite Invasion in Paris) geben 1752 Per-
golesis Serva padrona und lösen die französische komische Oper aus. Sie
geben auch Rinaldo da Capuas Zingara, die einzige Buffooper, die von die-
sem Liebling seiner Zeit erhalten ist. Aus der Pariser Jahrmarktsoper bildet
sich (die Buffonisten werden ausgewiesen) die opera comique in einem gra-
ziösen Stil, der im Gegensatz zur Akademie die bessere Hälfte des französi-
schen Wesens fortwirkend zum Ausdruck bringt : Rousseau, Duni, Monsigny,
Philidor und Gretry (zum Teil) sind die Meister. Hier erfolgt die Mischung
mit Italien. Piccinis Buona figliuola ist Paris in Neapel. Andere ernstere
Opern schreibt er für Paris französisch. Er tritt wider Willen in den Wett-
kampf mit Gluck, dessen Persönlichkeit ihn schließlich nicht bloß äußerlich
bezwingt.
Einige Splitter sind noch zu erwähnen: die Hamburger bürgerliche
Oper, die von 1678 an fünfzig Jahre wirkte — Hauptmeister Keiser, Händel,
Mattheson, Telemann. In England Purcell mit einer nur in der Sprache
92
nationalen Oper — stirbt 1695. Alles
nur Ausläufer der italienischen Oper,
die beide Hälften der Erde erobert.
Die ganze Entwicklung der Seria
faßt sich in der Persönlichkeit Glucks
zusammen, der Frankreich und Ita-
lien verbindet, die der Buffa in Mo-
zart, der Deutschland und Italien
verbindet. Mit ihnen beginnt die
lebende Oper. Es ersteht der ein-
same Fidelio.- Es plaudert die fran-
zösische komische Oper. Es wälzt
sich die Pariser historische Oper da-
her. Es blüht die deutsche Roman-
tik. Es pulsiert die nationale Oper
exotischer Nationen. Es faßt Verdi
die melodienreiche neue Oper Ita-
liens zusammen. Es faßt Wagner
die letzte Romantik des deutschen
Geistes zusammen. Dieses werden
unsere neun Musen sein. Und es
schiebt sich die Musik von Italien
nach Frankreich und von Frankreich
nach Deutschland und ist immer wieder neu und immer wieder dasselbe —
und Wagner erlebt, was Monteverdi erlebt hatte, und Lully sagt, was Galilei
gesagt hatte, und die ganze moderne Oper spielt alles wieder zusammen,
was sie alle gesagt, erlebt und gewollt hatten, und wir werden Italien nicht
los und bleiben doch deutsch, und es löst sich nie auf zwischen Mystik und
Reformation, Sinnlichkeit und Vernunft, im Zauber der Zeiten und Länder,
unberechenbar, unentwickelt, eine Historie wie das Leben — voller Ziele
und doch ziellos, ein Prozeß, ein
Leopold I. Stich von Kilian
Geschehen, dessen einzige Wahrheit
die Größe des Menschen, die Größe
des Werkes ist.
Es ist Zeit. Wir sehnen uns
heraus aus diesem Kreis der Kreise
und wollen die Linien gehen, die
neun großen Linien der Schöpfung.
•.«^
Handschrift der Schröder-Devrient
93
DIE KUL TUR DER OPER
GLUCK UND DIE KLASSIZISTISCHE OPER
Der Harfeiiklang
DIE steinerne Ruhe liegt für uns über der antiken Welt. Alles Bewegliche
ist starr geworden, alle Leidenschaften, Stürme, Elend, Rausch und Blut
sind eine geologische Schicht der Kultur geworden, unvergeßlich, aber fest.
Dionysos ist geflohen, und ApoUon sitzt auf den Trümmern, die eine gold-
gelbe Patina ansetzten. Das Malerische ist ein Schatten geworden, die Ge-
schichte ein Lehrbuch, die Poesie ruht rhythmisch wohlgeordnet in Büchern,
der Mythos wurde Bildung: alles steht zu uns in dem Symbol der Form, in
der sich die antike Plastik erhielt, die einzige ihrer Äußerungen, die durch
die Jahrtausende substantiell blieb. Ihre politischen Organisationen, ihre
rhetorischen Künste, ihre Dekoration und Literatur ist für uns eine einzige
große Statue geworden, an der wir unsere romantische Sehnsucht nach dem
Nichtromantischen befriedigen. Wir nennen diese Geistesrichtung klassi-
zistisch, wir fassen in ihr alles zusammen, was als formaler Trieb und ab-
strakter Stil in uns wirksam bleibt. Es ist eine innere Nötigung, im Alltags-
leben des Realen Zeichen letzter Vollendung zu träumen, Gebilde aus we-
sentlichen, gleichbleibenden, neutralen und normalen, gesetzlichen und or-
ganisierten Kräften, denen der Wohlklang ewiger Schönheit eignet. Wir
haben die Antike zu dem goldenen Zeitalter gemacht, aus dem uns diese
erste Formwerdung der Natur wie ein Vermächtnis der Schöpfung erhalten
ist. In der antiken Statue wurde zum erstenmal, seit die Erde bestand, der
Begriff des schönen Menschen formal ganz rein gefaßt. Die antike Statue
ging in unsere Augen ein, als Maßstab alles Gleichen und Entgegengesetzten.
Die antike Welt steht vor unserer Phantasie, im Gegensatz zu der unfor-
malen, innerlich verwebten Bibel, als eine äußerlich verstrebte andere Bibel,
heidnisch kühl und ein Harfenklang über ausgeruhten Schicksalen.
Doch der Harfenklang ist unser. Aus dieser ganzen, großen, trocken schö-
nen, heiter ausgelebten Welt klingt kein Ton zu uns, kaum ein Widerhall
philosophischer Schwärmer. Der Saft der Musik, der in ihr gebunden war,
ist entwichen, als ob die steinerne Form sich vor diesem belebenden, feurigen,
wandelnden Ingrediens gefürchtet hätte. Kein Sterblicher noch kann sich
eine wahre Vorstellung von der antiken Musik machen. Fruchtlos rekon-
97 7
struicren sie die Gelehrten. Fruchtbarer nahmen die Künstler die antike
Welt mit ihrem eigenen musikalischen Organ auf, mit dem intensivsten aller
Organe, das romantische Künstler besitzen, die sich nach dem Paradies
dieser unromantischen Gegend zurücksehnen. Der Wahn der Wiedererwek-
kung der antiken Tragödie ist eine der besten Triebkräfte für die moderne
musikalische Kunst geworden. Er hat der kühlen Ruhe, mit der der alte
Mythos inmitten der Gelehrsamkeit, Bildnerei und Poesie liegt, nichts an-
haben können, aber er hat dem Musiker einen Bestand an fester Materie für
sein Drama verschafft, der in seinem Wert für die Produktion weit über
das Mißverständnis ging, mit dem diese in Szene gesetzt wurde.
Es gibt keinen reformatorischen Kopf in der älteren Geschichte der Oper,
der nicht von dem Gedanken beseelt und geleitet worden wäre, die antike
Tragödie zu erneuern. Es ist sogar vorgekommen, daß Wagner, der nicht
einmal mit antiken Stoffen arbeitete, seinen Philosophen fand, der aus einer
merkwürdigen dichterischen Quellung seiner philologischen Interessen den
Tristan für die ,, Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik" in an-
tikischem Sinne ausgeben durfte. Nietzsches Jugendschrift liegt auf der
Grenze seiner erkennenden und seiner prophetischen Periode. Die Idee des
wiederzuweckenden Dionysos erwacht in ihm, die Verachtung der Sklaven-
moral bildet sich als erster Gegensatz in leichten Umrissen, als zweiter be-
ginnt die Abwendung vom ,, theoretischen Menschen", der seit den Tagen
des Sokrates gegen den dionysischen Zwang der Produktion erkennend und
zersetzend bis zur „heiteren Wissenschaft" gelangt sei. Er habe das diony-
sische Element zerstört, er trage noch die Schuld dieser schrecklichen bleichen
Gelehrsamkeit, die über der altitalienischen Oper liege, er sei erst endgültig
besiegt in dem neuen dionysischen Drang, der hervorbrechend und im
Rausche fordernd in Wagner erstanden sei. Als Nietzsche den Pol seiner
Drehungen später von Wagner in die eigne Idealgestalt verlegte, kam er dar-
um, die großartigen, selbst dionysischen Irrtümer zu widerlegen, die in
dieser schwärmerischen, zum Teil blendend fazettiertcn, zum Teil unge-
regelt vulkanischen Schrift enthalten sind, die allermißverständlichste und
allerstärkste der Reihe von Regenerationsillusionen, die die antike Tragödie
in unseren Köpfen gezeitigt hat.
Die grausamen und scharfen Züge der griechischen Sage und Geschichte
scheinen für uns wie in einer Maske versteinert, die nach der Belebung des
modernen Menschen, der immer ein romantischer ist, verlangt. Die furcht-
baren Schicksale in der Familie Agamemnons, die entsetzlichen Erfahrungen
des Ödipuskreises, alle homerischen Erzählungen von den blutigen und
fruchtlosen Kämpfen um Troja und von den unverschuldeten Qualen des
98
Odysseus, die Klagen des Or-
pheus und Admet, alle diese
schaurigen Niederlagen, die
ein unversöhntes Geschick
den Sterblichen bereitet,
würden uns Menschen des
freien Lebens wenig berüh-
ren, würden uns vielleicht
abstoßen, wenn sie nicht in
einer literarischen Fassung
auf uns gekommen wären,
die ihnen mindestens den
Anteil an jeder allgemeinen
Bildung sicherte. Es ist der
Inhalt der ersten europä-
ischen Kunstwerke, es ist die
verbriefte Phantasie unserer
Kulturahnen, es ist der Stoff
für die große Form, die
wir rückschauend verehren.
Mehr als irgend eine später
entdeckte heimische Sage ist
diese der feste Grund unseres
mythischen Besitzes gewor-
den, nicht so sehr das innere
Eigentum, als der Fond un-
serer Vorstellungen, eine zweite Natur der dichtenden Phantasie, wie die
erste Natur da draußen immer der Fond der bildenden ist. Von den Alten
bis zu diesen Tagen, bis zu dieser Stunde, da eine lyrisch gestimmte Pessi-
mistin ihre Erfahrungen in die Konturen der Danaelegende gießt oder ein
ironischer Geist die Schatten des Prometheus und Epimetheus immer und
immer heraufruft, niemals ist das Symbol des antiken Mythos ausgestorben.
Es liefert die Typen, die wir mit immer neuem, persönlichem Leben füllen,
CS gibt zur Not die Etikette, in der wir uns auf einen besonderen, gänzlich
unantiken Fall erklären. Es ist der Cantus firmus der Figurationen aller
Welt. Nicht einmal immer der Cantus firmus, denn seine Melodie wird nach
den Wandlungen der Zeit und Empfindung verändert und umgebogen^ Es
bleibt ein unverrückter Bestand an Personen und Ereignissen, heilig wie
irgend eine Überlieferung, immer bereit, verarbeitet, umgedichtet, neu
TUfl \un C.tttUi:
99
motiviert, neu verwickelt, neu entfaltet zu werden. Die Unsterblichkeit der
trojanischen Helden und mykenischen Mörder ist weniger ein Beweis ihrer
Vollendung, als des Bedürfnisses einer späteren Zeit, nicht ohne festen Grund
zu phantasieren. Der Mythos bildete, die Dichter legten aus. Die Bildform
des Mythos wirkte statuenhaft auf sie. Sie gaben sich ihm hin, wenn sie
formal zu empfinden vorzogen, oder er bildete sie formal, wenn sie in ge-
reiften Lebensepochen sich ihm anvertrauten. So decken sich ganze Strecken
der französischen Literatur oder die zweite Hälfte der Goetheschen Produk-
tion in ihren formalen Bestrebungen mit antikisierendem Inhalt. Die Iphi-
genie wird modernisiert, indem Goethe antikisiert wird. Auch das Wieland-
Kleistsche Satyrspiel fehlt dieser Neigung nicht.
Die Masken der antiken Literatur sind verschieden — die satirische des
Aristophanes, die bürgerliche des Terenz, die hieratische des Aschylos, die
rednerische des Sophokles, die realistische des Euripides, Lukians Feuilleton
und, der Vater aller Flüsse, der ruhige breite Strom Homers: von jedem
gehen Reize aus. Für die Oper warten vor allem die drei attischen Tragiker
auf Antwort, auf eine Beseelung ihrer Maske, die tonlos wurde und starr wie
ein gedrucktes Buch. Da liegen die antiken Dramen. Wer führt uns ihre
alte lebendige Form, die in Musik aufklang, wieder vor ? Die Musiker sind
ungelehrt genug zu glauben, daß sie es können, und sie raffen aus der ganzen
antiken Mythologie und legendarischen Geschichte Stoffe und Themen zu-
sammen, die sie nach diesem Muster auf die Bühne bringen. Es ist die naivste
Eingießung unseres Geistes in die überlieferte antike Form, die wir kennen,
es ist aber auch die ehrlichste aller dieser Bestrebungen, weil sie, im Glauben,
wiederherzustellen, zerstört, was da ist, so umformt, daß nur Namen und
Dinge bleiben und nicht der Schimmer eines literarischen Zwanges besteht.
Der Dichter versucht den Seelengängen und Handlungsmotiven der Figuren
nachzugehn, die ihm das antike Buch überläßt, der Musiker sucht die er-
habene und gelassene Stimmung herzustellen, die über diesen Worten einst
schwebte. Sie sprechen und handeln, aber sie singen auch, und der Stil ihrer
Musik, der monumentale Ton ihrer Melodie, die Weiträumigkeit ihrer Har-
monie hinterläßt einen Eindruck von Größe und Maß, der uns das Bild des
antiken Paradieses mit unseren Mitteln viel eindringlicher zurückruft, als
es die dichterische Umgestaltung und Weiterbildung je vermag. Die Größe
Racincs ist die des französischen Hofes, die Größe der Goetheschen Iphigenie
ist die unermeßliche seiner persönlichen Wandlung — die Größe von Glucks
Orpheus ist elementarer, suggestiver, allgemeingültiger: sie ist klassizistische
Stimmung, weil sie mit der Antike nichts mehr zu tun hat, sondern nur mit
unserer Vorstellung einer schönen, edlen, erhabenen, ausgeglichenen Welt,
lOO
Handschrift Montcvcrdis (Poppea)
die wir mit unserer Kunst uns vorzaubern, mit der Musik, der wahren Kunst
der Erinnerung und Feier. Es ergibt sich, daß alle literarische Fortpflanzung
der Antike einen unschätzbar wertvollen persönlichen und klimatischen Er-
folg hatte, daß aber für das Gefühl allein diejenige Kunst, die aus jener Weh
verloren ging, in unserer Welt die Sehnsucht ganz zum Ausdruck brachte,
die wir klassizistisch nennen. Sie stirbt nicht aus, so lange Menschen sind.
Sie steigert sich, wenn das Leben über seine Mitte wächst, und die Beruhi-
gung der Form uns not tut, das Ideal als Gesetz seine ewigen Forderungen
stellt. Sie blickt zurück auf die Kultur, die uns als Organisation der ersten
Form gilt. Sie ziert sich mit den Vorstellungen der Namen und Legenden
ihres Mythos, der unseren ersten Kunstwerken seinen Inhalt gab. Im Wahne,
die antike Tragödie neu zu entdecken, hat die Musik in einer bestimmten
Epoche unserem Klassizismus sein Bekenntnis gefunden. In einem anderen
und höheren Sinne, als sie selbst konnte und glaubte, hat sie für die Nach-
geborenen erreicht, was sie wollte und sollte. Heut nach anderthalb Jahr-
hunderten wissen wir, daß das so war. Denn es ist nicht wiedergekommen
und so geblieben.
lOI
Die altitalieniscJie Oper
SEHEN wir, wie es reif wurde. Hätte Gluclc die alten Florentiner
Opern gehört, so wäre ihm die Empfindung einer merkwürdig primi-
tiven Form desselben Stils gekommen, den er anstrebte. Die unendlichen
Rezitative, die sich auf dem Generalbaß als ein leicht gesanglich deklamiertes
Drama hinschleichen, mögen ihn langweilen. Aber was ist das ? In einer
natürlichen sprachlichen Pathetik wiederholt Orpheus sein Venga, vcnga in
Caccinis Euridice. Venga, venga! Er findet diese, er findet ähnliche schüch-
terne melodische Regungen. Er beobachtet die Unterschiede. Welche Ab-
wechslung schon bei Gagliano im Ensemble, im Takt, in der Melodie, in
der Harmoniestellung. Über denselben Text schreibt Caccini, der bewußte
Sänger, eine schon viel plastischere Musik als Peri, nicht ohne Koloratur,
die dann wieder in Gaglianos Dafne oft eine eigene träumerische Art zeigt,
wie Interjektionen von Urvölkern, die sich im absoluten Genuß der musi-
kalischen Folge ergehen. Er untersucht mit Vorliebe die Anfänge der Lied-
gestaltung in Orpheus' Rückkehrarie bei Peri ,,Gioite al canto mio" mit
dem süß abklingenden Schluß, in Apolls Arie bei Gagliano mit ihren be-
wegten Fiorituren und dem dreimal gleichen Anfang. Ein Akkordzwischen-
spiel ertönt dazu auf Apolls Lyra (scheinbar — denn versteckte Streicher
führen es aus), wie zu der Tirsiarie bei Peri ein Triflauto-Ritornell gehört.
Ritornelle, Sologesänge, rhythmische Wiederholungen der Chöre: muß ihm
diese oratorienstrenge Anordnung nicht wie eine erste Linie seines klassi-
schen Schemas erscheinen ? Sospirate aure celcsti, singt bei Caccini ein alt-
modisch schöner fünfstimmiger Chor als Refrain zu den Soli. Non vede un
simil par d'amanti '1 sole singen der Pastore del coro, die Ninfa del coro,
der Chor refrainiert es vierstimmig. Die Chöre lehnen sich leicht motivisch
an die lyrischen Phrasen der Soli an, die sie aufnehmen. Der wundervollste
seiner Art ist der Chor Odi il pianto aus Gaglianos Dafne, der in seiner aus
vier und zwei Stimmen abwechselnden melancholischen Schönheit, als Ri-
torncU nach sehr kantilenenhaften Soli, schärfer im Ohr bleibt als irgend ein
Stück altflorentiner Opernmusik. Hätte ihn seine ausgeglichene Feder nicht
schreiben können ? Wie edel und ruhig stehen diese Ritornellchöre und wie
klingen sie rhythmisch wieder in den abwechselnden Chor- und Solotänzen,
in denen die Oper sich zum Schluß monumentalisicrt. Aus dem Begriff
der Neutralität des Chors ist in einem lyrischen Rezitativdrama das klassi-
zistische Empfinden Stil geworden. Ja, Stil — aber doch noch wenig Musik.
Und nun lernt er, denke ich mir gern, den Orpheus von Monteverdi
kennen, um eine Musik zu finden, bei der er die Forderungen des klassischen
I02
Stils vor den Schönheiten der dramatischen Leidenschaft zu vergessen meint.
Die Partitur zeigt ihm 2 Klaviere, 2 Kontrabässe, 10 Armgeigen, i Doppelharfe,
2 kleine französische Violinen, 2 große Gitarren, 2 Flötenorgeln, 3 Celli, 4 Po-
saunen, I Zungen-Regal, 2 Zinken, i kleine Flöte, i hohe Trompete mit
drei gedämpften Trompeten — war das alles schon da, war schon eine solche
Partitur da, die in ihren mystisch tiefen Farben gleich durch das Orchester
dem Drama sein Halbdunkel gab ? Und er liest die merkwürdig eigenen
Symphonien, die Vor- und Zwischenspiele des Orchesters, das C-Dur-Trom-
petenstück zu Beginn, die achtstimmige moderne Architektur zum Schluß
des fünften Aktes, er erkennt das rhythmische Genie in der Freude erster
Entdeckungen, das Antizipieren der Harmonie durch melodische Noten,
den Effekt aller Wiederholungen, die Ausbreitung der Kantilene in schönen
Durchgängen und Brechungen der Akkorde, mit allen Konsequenzen der
Dissonanz, die Stöße der Synkopen, alles Ausnutzen der verwandten Töne
in der Harmonie mit den schönen verhauchenden Abfällen in die Dominante
und Tonika, das Edle und Distingierte der Modulation, die Septimen der
gravi sospici, die Kühnheit der freieren Nonen, die Berauschungen der stei-
genden Melodiephrase und den Sieg der Wahrheit im Ausdruck. Das Wort
Morto auf plötzlichem A-Moll nach Gis-MoU und E-Moll, darauf Orpheus'
Oime auf D-Dur — welche Kraft der geschlossenen Charakteristik in jenem
Dialog zwischen Orpheus und der Botin, der an Gestalt der Linie und
Tonart ganze Opernjahrhunderte vorauszunehmen scheint ? Und lange
hört er, gerade er, der Gluck, der sich mit antikischen Träumen trägt,
den großen Offenbarungen dieses ersten musikdramatischen Genies zu:
solchen schönen kleinen Arien mit der Dakapoahnung, wie Orpheus am
Anfang des zweiten Akts, seinen reinen melodischen Phrasen tu se' morta,
addio terra, addio cielo, seinem rendetemi il mio bcn, das er auf dem
Boot fahrend in die Weite singt, und von allen schönen Chören dem
seltsamsten Geisterchor, murmelnde Bewegungen, ins Bodenlose gespenstisch,
mittelalterlich niedersinkend, von krächzenden Instrumenten begleitet. Ein
gewaltiges Werk ist aus mittelalterlicher Farbe von einem gestaltenden
Genie auf die Bühne gestellt worden, und Apollon fährt mit Orpheus
kolorierend, duettierend in den Himmel, während unten eine Moresca
getanzt wird.
Die Chöre lassen nach, das Drama der Solisten beginnt, das Schaustück
macht sich breit, die Singstimme nimmt die Verse immer leichter, die Wir-
kung immer schwerer, immer mehr setzt sie in Pausen aus, die das Orchester
füllt, verhält sich zum Ritornell geschmeidiger, trotzt auf ihrem ganzen Um-
fang, formuliert die Kadenzen, die Dakapos, alle Schönheit des Vortrags,
103
alle Gesetze der Isolierung — Gluck hat die ersten Ahnungen seines Stils
in der Geschichte kennen gelernt und sie überwunden gesehn, die Klassik
durch das Genie, die Lyrik durch das Drama: wird es möglich sein, dies
einst so zu vereinen, daß antike Stimmung und musikalische Erfindung,
lyrische Hoheit und dramatisches Leben sich durchdringen ? Nehmen -wir
Monteverdis Orfeo ihm wieder aus der Hand, sein Glaube könnte irre werden
an dieser mittelalterlichen Antike im Geiste des modernen Genies. Noch
mußte alles auseinandergehn.
Wo ist antiker Geist in Monteverdis Poppea, dieser unauflöslichen In-
trigengeschichte aus der Nerozeit mit ihren Mischungen von Indolenz,
Charakteristik, Buffoepisodik, Schlummerliedern, Liebesrausch, plötzlicher
Dramatik, feierlichem Dreiklangedikt und Virtuosenkoloratur ? \^'o in Ca-
vallis leidenschaftlicher Erotik und herzlichem großen Ausdruck, in der
Gefühlsvirtuosität seines gesanglich und musikalisch herausblühenden Gia-
sone ? Instrumente, Stimmen, Ensembles individualisieren sich und das mu-
sikalische Drama ringt nach seiner Form in Tausenden von versunkenen Wer-
ken, die den Schutt für Glucks Bau bilden. Die Antike wird Name der Ver-
gangenheit, das Drama Sehnsucht der Zukunft. Die römische Oratorium-
oper wird noch bei Lebzeiten vergessen, die virtuose Neapler Oper erobert
die Welt, weil sie so unantik wie möglich ist. Nur aus Büchern dringt die
Kunde der antikischen Anfänge zu uns, die kühlen Dramen von Florenz mit
ihren bescheidenen melodischen Blüten und stilisierten Chören, über die
erst alle una'ntike Musik gegossen werden mußte, damit ihr Geist in ewiger
Form auflebe. Darauf wartet Gluck, der verwickelten Differenzierung dieses
Prozesses gänzlich unkundig. So legt er den Orfeo Monteverdis aus der
Hand, ein Zittern im Auge, eine merkwürdige Bewegung in den Fingern,,
wie Zweifeln und Ahnen und Fürchten. Ist da etwas unwiederbringlich
verloren ?
Die alten Franzosen
ELLY hatte, wie Mattheson ihn beschreibt, kleine Augen, eine große
Nase, einen großen Mund, erhabene Lefzen und ein kurzes, schwaches
Gesicht. Er war ein cholerischer Herr, der die Violinen auf dem Buckel
seiner Orchestermitglieder zerschlug, um diese dann feierlich einzuladen.
Seine Energie, die die Librettisten, Sänger und Tänzer bis zu der letzten
Kraftspannung brachte, machte nur vor der Kirche Halt. Wir denken ihn
uns als einen zielbewußten Ehrgeizigen, der zum erstenmal erkannte, wieviel
französischer Geist in der Repräsentation, Deklamation, Schaufreude und
104
Lully. Stich von Roullet nach Mignard
Tanzlust der Oper geborgen lag. Nach seinen nicht unbedeutenden An-
lagen und dem Geschmack seiner hohlen Zeit brachte er sie so heraus, daß
er trotz aller Langweiligkeit oder vielleicht gerade deswegen als der National-
heros der Pariser Oper an den Sternenhimmel versetzt wurde. Die Pseudo-
nyme lettre de Clement Marot von 1688 ist eine ebenso witzige wie phan-
tasievolle, satirische Apotheose dieses seines Ruhms, ein Zeitkulturbild, wie
es wenige in der Geschichte dieser Literatur gibt. LuUy zieht in die Champs-
Elysees vor Proserpinas Thron, mit seinen Freunden Orpheus, dem mythischen
Ahnen, und Beaujoyeux, dem Intendanten und Komponisten des Ballet
comique de la reine, der ersten unklaren Ahnung französischen Tanz- und
Singspiels, und erst recht mit seinen Feinden Petrin, dem Gründer der paten-
tierten Akademie, und Carissimi, Orlando Lasso, Moliere, die ihm seine
Sünden vorhalten. Schließlich marschieren alle nach dem Palast des Guten
Geschmacks, der bei Vorführung einer Lullyschen Schlafszene aus dem
Atys selbst einschläft, die offenherzigste Genugtuung, die ihm werden
konnte.
In LuUys Opern, die bis zu Gluck lebendig blieben, kleidet sich die An-
tike in das klassizistische Gewand des Stils Louis XIV., nicht nur die Antike,
sondern alle Stoffe, die auf eine wenig verschiedene Art nach ihrem Muster
behandelt werden: mit Prologen im Charakter höfischer Reverenzen, mit
einer sprachlich stolzen und reinlichen Deklamation, mit allen Verpflich-
tungen steifer Konventionen, mit den Kreuzungen der Intrigen und dem
höchsten musikalischen Pathos. Die üblichen prächtigen Dekorationen wan-
deln die Sagenmotive nach ihrem Effekt, burschikose komische Elemente
(die Diener Lynkas und Straton ift der Alceste) sind eine seltene Unter-
brechung. Die Schlachtmelodien — aux armes, aux armes — , die schon die
Venezianer entzückt hatten, schmeicheln den Franzosen in typischer Wieder-
kehr. Die in alter Weise häufig noch überschüssige Rhythmik der Takte, die
kontrapunktischen Zwischenspiele, die zahlreiche Verwendung diatonisch
absteigender Bässe sind dem Ohr von Italien her gewohnt. Ein eigentümlich
neues Leben regt sich in Chören und Tänzen. Die Niederträchtigkeiten, die
den balletthaften Chor des „Hasses" in der Armide bilden, die Passacaglia der
Geister, die Renaud bezaubern, die Schattenchöre zu der berühmten Cha-
ronarie in der Alceste, ebenda die Totenklage mit den plötzlichen naturali-
stischen Einzelstimmen, am Schlüsse dieser Oper die besonders schönen alt-
väterlichen Tänze sind viel bewußtere rhythmische Wirkungen, als sie Ita-
lien je kannte und liebte. Hier monumentalisiert sich die Oper auf Gluck
hin, ohne daß die musikalische Dramatik immer darunter leidet. Die Soloarie
■der Armide „venez, haine implacable" auf ihrem polonäsenartigen Rhythmus
106
Rameau. Alter Stich
ist von reißender Kraft. Die
Schlummerarie Renauds, in
der Wirkung ja nie zu ver-
fehlen, ist ein sehr weiches
und träumerisches Stück. Der
Dialog zwischen dem sterben-
den Admet und der weinen-
den Alceste ist voller Ruh- /
rung und Charakter. In der i
„Isis", die neben den berühm- j
testen Opern „Armide" und i
,,Thesee", als die feinste \
„opera des musiciens" ge-
nossen wurde (sie behandelt
die Jo-Sage) sind in den rezi-
tati vischen Dialogen zwischen
Jupiter und Juno, und Ju-
piter und Jo bei aller schwim-
menden Gestaltung im Detail
große Ausdruckswahrheiten,
ein Stil, der in einer merkwürdig starken, freien Arie des Hierax im dritten
Akt Form gewinnt, eine Ahnung der späteren leidenschaftlichen Akkom-
pagnati. In der Isis finden wir sehr originelle Schäferspiele, in einem alter-
tümlichen Moll, mit zwei konzertierenden Flöten, die auch programmatisch
als Seufzer der Nymphen verwendet sind. Die Nymphen singen ,,N'aimons
Jamals", die Satyrn „Aimons sans cesse". Syrinx, der Liebe zu entfliehen,
stürzt sich ins Wasser und wird in Schilf verwandelt, auf dem die Satyrn
flöten. Diese „Klage der Syrinx" ist ein holdes Intermezzo der Jo-Oper,
die durch alle Dekorationen und Himmelsstriche führt — bis in die große
Kälte bei den Skythen im vierten Akt, wo die Furie die arme Jo quält unter
Chören der Einwohner, die vor Frost in gestoßenen vier Achteln zittern.
Ist Lully, der geborene Italiener, der Italiens Tradition dem Klima
von Frankreich anpaßte, der Gründer des Versailles der Oper, so ist Rameau
Trianon. Dort die abgezirkelte Größe und Macht, die Energie des Intellekts,
hier die erfinderische Menschlichkeit, das musikalische Genie. Rameaus
Opern, Hippolyte, Castor, Dardanus, Indes galantes, Zoroastre, an denen
sich offensichtlich Glucks Anschauung bildete, sind uns heute noch eine
Quelle musikalischer Genüsse, im Ausdruck und im Stil. Das Charakterge-
fühl dieses hageren, schweigsamen Menschen ist durchgebildet bis in die
107
Ouvertüren, in alles Motivische, in die Dramatik der Harmonien, die er —
ihr theoretischer Begründer — mit intuitiver Praxis, kühn, bewußt, dehnend
und straffend, vorbereitend und verblüffend, aber immer in geordnetem
Bau verwendet. Im Zoroastre (1749), der den Sieg des Strahlenden über das
Dämonische schildert, ist es schön, wie die Sonne in reinen w^allenden G-Dur-
akkorden erscheint, Violinen, Oboen und Flöten, woraus sich dann Marsch
und Hochzeitstanz entwickelt. Aus Zoroastres Palast brechen die Feuer in
breitem E-Dur, wie die Unterweltsdonner sich in verminderten Septimen
malen. Dieser große Kolorist versteht die Wirkungen starker gebrochener
Akkorde und schleichender, rollender Skalen gegeneinanderzusetzen, die zu
Motiven des Zoroastre und des Abramane werden, er malt in jeder Beglei-
tung. Seine deklamatorische Phrase ist fester, gesanglicher, dimensionaler
als diejenige Lullys. Die Arie, in aller klassischen Keuschheit, bindet die
Forderungen freien rezitativischen Ausdrucks mehr an die Formen des ver-
pflichtenden Dakapo. Die G-Mollarie des Abramane im vierten Akt des
Zoroastre, die Arie des Pollux im Castor und PoUux (1737) „Ah laisse moi
percer jusqu'aux sombres bords", Jupiters heroische Ansprache „Et la beaute
fait les deesses", am Schlüsse dieses Werks in einem fast Wagnerschen Helden-
ton, sind geschlossene Gesänge von durchdringender Dramatik. Seine Chor-
und Tanzstimmungen erreichen das Ideal dieses pathetischen Stils. Das
Unterweltsbild des vierten Aktes Zoroastre ist ein grandioses Gemälde dämo-
nischer Ensembles, die Trauerszene im Castor in ihrer gedämpften geheimnis-
vollen Lyrik ist vor der Schwelle des Gluckschen Orpheus. Die Tanzlieder
der glücklichen Schatten, mild und einfach gegen Glucks selige Gefilde, sind
von einer lieblichen, erfindungsfrohen Melodik. Losgelöst von den vergesse-
nen Opern leben Rameaus Tänze heut noch fort, die feinsten Blüten eines,
archaischen Stils, der in seinem herben Wohllaut und in seinem pathetischen
Melos die rhythmische Linie der klassischen Kunst in einer rührenden Schön-
heit unserm inneren Auge bewahrt hat.
In den Chefs d'oeuvre classiques de l'opera fran^ais, die Weckcrlin heraus-
gab, finden sich die wichtigsten Opern dieser Epoche von Beaujoyeux bis-
Sacchini in Neudruck mit gehaltvollen Einleitungen. Sie geben das groß-
artige, organisierte Bild einer nationalen Entwickelung, deren Texte ebenso
im Alexandriner gebunden waren, wie ihre Musik im stolzen Schritt höfischer
Erziehung ging. Persönlichkeiten der Musiker sind Nuancen, die rhythmische
Macht des Ensembles und Tanzes ist die klassische Note. Ich möchte wenig-
stens noch auf ein späteres Werk der französischen Schule hier hinweisen, das
nicht ohne die straffe Erziehung der Buffoüberlieferung entstanden wäre, die
sehr bald dem höfischen Einfluß die Wage hielt. Philidors Ernelinde ist ein
108
Aufführung in Versailles 1745. Alter Stich
ausgezeichnetes Stück {^"J^jjjj), weil es nicht mehr rein pariserisch ist und
doch ohne die Atmosphäre dieser nationalen Musikdramatik nicht zu denken
wäre. Kaum klassisch zu nennen, trifft es doch die Mitte zwischen Dekla-
mation und Rhythmik, die für die Gestaltung der endgültigen Form frucht-
bar werden sollte, die Mitte zwischen dramatischem Sinn und der Disziplin
des Taktes, die Italien indessen, die besonders die Buffooper ausgebildet
hatte. Die italienisch gemessene Arie, die mesuree, tritt in die Oper ein,
gegen Rameaus noch altgewohnt psalmodierende, taktwechselnde Deklama-
tion von einer stupenden melodischen Knappheit, die Rezitative parlando
mit präzisen Harmonien, die Lieder von gesehener und doch beweglicher
Schönheit, merkwürdige Männerensembles als Schwurchöre, spielende Duette,
Finales von Händelscher Schlagkraft, seelenvolle Soli und Instrumente, Kon-
traste langgedehnter Gefangenenchöre mit reißenden Arien (eine Situation
wie Aida mit Ahnungen des Florestan), eine Meisterarbeit in der Stimmfüh-
rung, Partitur und musikalischen Gebundenheit • — ■ einzig vielleicht auf
Kosten des Wortes. Ein Buffokomponist, Schachspieler, Weltmann befreit
in diesem außergewöhnlichen Werk die französische Deklamation ihres
klassizistischen Pathos und gibt dem Gesänge die Kraft und Baulichkeit, die
die Tänze seiner Heimat längst besaßen. Seine Ernelinde hatte den typischen
Mißerfolg der Premiere. Man begreift, daß Cesar Franck sich dafür interes-
sierte, die Herausgabe des Neudrucks zu übernehmen.
Neapel
FRANKREICH gibt die Atmosphäre, Italien den Boden, dort gedeiht
das Monumental-Dramatische, hier das Musikalisch-Dramatische. Es
ist, als ob ein Jahrhundert mit allen Kräften in allen Ländern arbeite, um
die Blüte Glucks hervorzubringen — der große Mann ist immer ein persön-
liches Genieprodukt aus den Mischungen des Zeitstroms. Gewiß scheint
die Neapler Oper sehr unklassisch, von allen Zielen antikischer Renaissance
weit entfernt — aber Renaissance, Hochrenaissance, um im Sinne der Ge-
schichte bildender Künste zu sprechen, ist sie doch darin, daß sie das Maß
und den Rahmen der klassischen Oper schafft. Renaissance heißt Rahmen.
Die Abgrenzung der Soli- und Ensembleformen ist bewußte Arbeit für den
formalen Schluß und Rahmen des musikalisch dahinfließenden Dramas. Die
ersten plastischen Akkompagnati bei Vinci, die vokale Tektonik bei Scarlatti
und Feo, die die Stimmen kanonisch eintreten läßt, um sie homophon weiter
zu bewegen, die sorgsame Faktur Leos und seine strenge Bedachtsamkeit
HO
in gutem Satz, diekonzertierenden Instrumente,
die sich bald in die Selbständigkeit von Mittel-
stimmen (zunächst den zweiten Violinen) über-
tragen, die absichtliche Dynamik, zunächst in
scharfen Absätzen der Stärkegrade, dann (in
Jommellis Artaserse frühestens beobachtet) als
richtiges schwellendes Orchesterkreszendo, alle
routinierte Zunahme der kleinen Ensembles
und die Gestaltung des Finale, die Dakapo-
ausbildung der Arie und gleichzeitig die rezita-
tivische Erhöhung der Deklamation bis in ein
Akkompagnato, dem gar keine Arie mehr folgt
— das sind verschiedene Wege zu der einen not-
wendigen Individualisation und Spezifikation
des Tonkörpers, die eine klare und übersicht-
liche Einteilui\g geben will, nicht anders wie ein
Bau Palladios oder ein Bild der Bologneser Aka-
demie : und zwar rein auf das Musikalische ge-
dacht, auch in der Musik individualisiert gegen
die übrigen Künste. Vielleicht war es ein gefährlicher Prozeß, aber er war
organisch und fruchtbar. Das Begleitsame, Phantastische, Malerische bleibt
zuerst im Rückhalt. Es beschränkt sich auf die beliebten Glcichnisarien, in
denen ein wirksames Motiv vergleichender Stimmung aus dem Naturleben
durchgeführt wird. Es verdichtet sich in typischen Ausdrucksgenres, wie den
Ombraszenen, in denen ein visionärer Geist zitiert wird, oder den Lamento-
szenen, die seit der prachtvollen Dannatomonodie Gaglianos mit ihren
alten Koloraturschleppen und Harmoniewolken oder der tiefmelancholischen
Ariadneklage Monteverdis, dem einzigen Rest seiner verlorenen Oper, eine
der dankbarsten musikalischen Situationen gewesen sind.
Faustina Hasse
Händel
IM Kampf ums Dasein der Oper gibt es, ausgehend von den keuschen
Anfängen des Neapler Stils, noch eine außer der französischen und ita-
lienischen Art dritte Gattung von musikalischer Sprache, die wir polyphon
nennen und als deutsch bezeichnen könnten. Es wird sich zeigen, daß sie mit
dei Zeit abfällt, weil sie den Extremen der Pariser Augenmusik und Neapler
Ohrenmusik nicht standhalten kann. Wir finden sie, rein oder gemischt, in
III
einer Gruppe von Komponisten, wie Hasse, Keiser, Händel, denen sich ge-
wisse Italiener wie Bononcini anschließen. Sie ist gänzlich unopernhaft und
von einer Monumentalität, die nicht auf der Bühne, sondern in der Kirche
oder im Saal gewachsen ist. Gut gearbeitete gleichmäßige Stücke ohne be-
sondere dramatische Akzente, stark kolorierte Arien, eine instrumentale Be-
handlung der Stimme, Chöre wie ein gesungenes, polyphones Orchester, in
einem höchst achtbaren Schema, reich und beweglich, aber in Ausdruck,
Nuance und Takt theoretisch konzertierend, eine solche Oper kann wohl
in diesem und jenem glücklichen Einfall die Wirkung absolut musikalischer
Kraft ausüben, aber sie kann nichts darstellen als ein Surrogat des Oratoriums
auf der Bühne. Gleichviel war auch sie eine Zeitlang nötig zur Schule des
guten, ja gelehrten Satzes. Daß wir von Hasses solider Musique ecrite heut
noch unmittelbare Wirkungen verspüren, darf nicht behauptet werden.
Lesen wir Keisers Ottavia mit ihrem deutschen amüsanten Text (ein blödes
Chasser croise von Paaren, zu dem Seneca sagt: O Eitelkeit), in den italie-
nische Koloraturarien eingestreut sind, so kommen wir aus der Stillosigkeit
nicht heraus: die leichten Rezitative und die beladenen Arien, Ottavias
grandioser Selbstmord und die komische Totengräberszene, falsch betonte
Senecalieder und ein verblüffender Aufruhr während des Tanzes, Neros
Flucht unter Koloraturen und die Flöten- und Violinenombraszene der
Ottavia — hier fehlt in Hamburg etwas zwischen Neapel und der Spieß-
bürgerei, es fehlt die große künstlerische Reinigung. Händel vollzieht sie
zweifellos. Händeis zahlreiche Opern sind im Repertoire verschwunden, ihre
musikalische Genialität konnte sie nicht vor dem Schicksal retten, das im
Konzertsaal dankbar, auf der Bühne unbarmherzig ist. Ihr Unterschied von
seinen Oratorien ist verschwindend. Sie entwickeln sich in demselben fresko-
haften, plastischen, emotionellen Stil, der auf alle seine Nachfolger den musi-
kalisch stärksten Einfluß gehabt hat, aber sie sind nicht von der Bühne ge-
boren. So italienisch sie sich geben wollen, sie haben das abstrakte Naturell
des Deutschen, das das Drama nicht genug liebt, um ihm die Musik anzu-
vertrauen, und die Musik zu sehr, um ihren sinnlichen Freuden alles zu opfern.
Es gibt überraschend viel Szenen aus seinen Opern, die im Lichte göttlicher
Eingebung strahlen, monumentale Rezitative, Malereien des Orchesters,
plötzliche harmonische Wendungen, scharfe unbegleitete Rufe, rührende
Lamentos, geniale melodische und rhythmische Einfälle, grandiose Schlacht-
licdcr, idyllische Tänze, archaische Anmut, polyphone Sehnsüchte, schlagende
Rachearien, fliegende Flammen, blühende Gleichnisse — aber es sind nur
Szenen, die im Gedächtnis bleiben, nicht Dramen. Woran erinnern wir uns ?
Das synkopisch begleitete Liebesduett aus dem ,,Otto", das graziöse Liebes-
112
Neapel 1749. Aufführung des „Sogno di Olympia'', Text von Calsabigi, Musik von Giuseppe di Majo.
Fünftes Blatt der „Narrazione delle solenne feste reale"
duett aus dem „Rinaldo", die Arie der „Alcina" am ersten Aktschluß in
den strengen Dominantenwendungen, die Gluck und Beethoven vorbereiten,
die gefühlvolle langsame E-Durarie Ruggieros ebendaher, die Almirenaklage
aus Rinaldo, das leidenschaftliche Trinklied aus dem Xerxes — hier war
eine Kraft der Gestaltung, eine Vielseitigkeit des Ausdrucks, die nach außen
so viel umfaßte, als Bach nach innen. Die Rezitative des Jephtha, die rei-
zend naiven Arien der Susanna, das Himmelsduett der Semele, die schleierige
Gefängnisklage der Theodora, das spannungsweite Belsazargebet — es ist
keine musikalische Grenze zwischen den Gesängen seiner Opern und Orato-
rien, starke und lichte Gesänge, die man zu einem Kranz ohnegleichen
vereinigt, abgepflückte Blumen, nach ihren Spezies geordnet, in den sechs
Händelbänden der Victorie Gervinus findet. Dies ist ihr Ende.
Vergleiche
DAS europäische Interesse verweilte nicht lange bei diesen Abzweigungen
Neapels in den Norden hinein. Hasse war gefeiert und international.
Keiser blieb zwischen den Klimaten stecken. Händel wurde unsterblich
außerhalb der Bühne. Europa wendete sich den schnell bereiten und nach-
haltigen Genüssen der späteren Neapolitaner zu, d^ren Opern es verglich und
zu einem letzten leidenschaftlichen Wettbewerb aufrief. „Es gehört mehr
warmer, zarter Sinn, scharfer Verstand, Kunst und Erfahrung dazu, eine
Armida von Jommelli zu machen, als diese und jene Schlacht zu gewinnen, wo
oft das Glück entscheidet." Man einigt sich, daß alle Armidakomponisten,
Gluck, Jommelli, Sacchini, Traetta, Salieri, Righini die Armida besser treffen
als den Rinaldo. Man spricht von der schönen Altarie in der Olimpiade
JommeUis, die seine Geliebte, die Buonani singt. Wieviel hat Traetta der
Gabricli zu verdanken ? Seine Ombraarie aus der Antigone hat sie berühmt
gemacht. Das Interesse für die Oper und für die Sänger ist nicht zu trennen.
Man vergleicht die Dido-Opern. Bei Jommelli ist Aeneas ein ChevaHer
d'industrie und Dido verlobt sich mit dem Narren Jarbas, um ihn eifersüch-
tig zu machen. Bei Piccini verzeiht sie ihm noch auf dem Scheiterhaufen. Die
Dido-Arie „Qu'ils portent le fer" mit den Oktavenrucken auf veränderter
Harmonie sei eine der schönsten aller Musik. Traettas Dido sei wenig,
Fuxens kindisch. Ein blühendes, heiteres, junges Talent ist Majo, von dem
man viel erhofft. Das Publikum zieht seine taurische Iphigenie der Jom-
mellischen vor. Traettas Iphigenie sei voller Bravour und Glucks gebe dem
Publikum nach — wer spricht so ? Es sind Gedanken, die durch Heinses
"3 8
Hildegardroman fliegen, wie man immer mehr erkennen wird, ohne jedes
tiefe Urteil, aber ein Echo der plaudernden Zeit, die die Namen Glucks,
Jommellis, Piccinis, Sacchinis, Majos, Traettas im Munde führt, beliebte Arien
wie Galuppis ,,se per me", Sacchinis ,,se cerca, se dice", Piccinis ,,se il ciel"
gegeneinander setzt, wie Preise eines musikalischen Rennens. Florimo, der
erste Historiker von Neapels Oper, definiert es so: Piccini original fruchtbar,
Sacchini fröhlich leicht, Paesiello lebendig neu, Cafaro harmonisch gelehrt,
Galuppi bühnenerfahren. Gluck eine filosofia economica. All dies Geplauder
ist Unterhaltung italienischer Logen.
Soweit man es übersehen kann, hebt sich Jommelli als interessanter Typ
heraus, mit dem uns Aberts Monographie sehr vertraut gemacht hat. Meta-
stasios Operntexte, in der geschraubten Manier höfischen Stils, reich an Fi-
guren und Intrigen, voll pathetischer Szenen und Ergüsse, beherrschen die
Zeit. Jommelli stellt sich zu ihnen bald kritisch. Er komponiert sie auf ihre
Wesentlichkeit, auf die psychologischen Momente. Aristokratische Wiener
Kreise um den Grafen Durazzo schüren die Gegnerschaft. Man liebt unter
französischem Einfluß das Orchester und den Chor gegen den Neapler Solo-
gesang. Jommelli gibt sich diesem Einfluß zeitweise hin, es ist ein Vorspiel
der Gluckschen Tat. Als er nach Stuttgart kommt, wird es Methode. Das
große Akkompagnato, die Malereien des Orchesters nach dem Muster der
feinen Mannheimer Partitur, Refrainrundgesänge, alle Chöre und Ensembles,
bis zum Quintett, sind die Merkmale seiner Stuttgarter Opern. Gleichzeitig
wirkt dort Noverres Einfluß auf die Tänze, des dramatischen Reformators
französischer Ballette. Aus guten deutschen Satzkünsten, aus französischen
Tanz- und Chorstücken, aus italienischer Erinnerung bildet sich ein Produkt,
das nur des genialen Musikers bedarf, um Leben zu werden. Gespenstische
Unisonochöre, Athletenchöre, Chöre in die Ouvertüre herein, die freien dra-
matischen Formen der Oper Fetonte, die furiose Leidenschaft tu me da ^me
dividi, barbaro, die tiefe Klage se cerca, se dice l'amico dov'e (aus der Olim-
piadc) : hier ist ein Italiener so intensiv und stark geworden, daß Mozart ihm
seine Gelehrsamkeit vorwarf! Noverre und Jommelli am Stuttgarter Hofe:
es hätte wirklich werden können. Die Bedingungen waren da. Aber sie
vertrugen sich noch nicht. Denn dieser Stuttgarter Hof war eine Hölle von
Frivolität und Leichtsinn, ein luxuriöser Markt für Ankauf und Verkauf von
Menschen.
Um Glucks endliche Tat liegen gute und schöne Werke, die die Zeit
gewaltig interessierten, aber heut nur noch das Studium der Gelehrten bil-
den, die „Vorläufer" suchen. Traetta, der Reformator im Kleinen, ist ver-
sunken. In Sacchinis Oedipe bewundern wir mozartisch holde Chöre und
114
Arien, gefühlvolle Liebesszenen,
einige hinreißende Steigerungen,
einen knappen und edlen Satz,
dessen sich Gluck nicht hätte zu
schämen brauchen. Aus Piccinis
Dido und Roland erinnern wir uns
mancher zarten Regung und reizen-
den pastoralen Erfindung, seine
Iphigenie beginnen wir durchzu-
sehen, aber • — • was ist es, das uns
immer wieder mit einem kalten
historischen Luftzug ins Gesicht
weht ? Wir vergleichen es mit
Gluck und finden es schwächer.
Wir legen alle Notizen mit den
melodischsten Noten und anmu-
tigsten Arientexten , alle augen-
blicklichen Bewunderungsausrufe,
die uns das Studium entlockte,
unverwertet beiseite, um uns die
breite Ruhe im Hafen Glucks
nicht zu stören. Wir wollen verstehen, wie die Geschichte recht gehabt
hat, aus allen diesen klassizistischen Versuchen, die wir nicht ungerührt
wieder verlassen, den einen als Reifen uns zu bewahren, der sie tilgt, indem
er sie ersetzt.
-•/-VÄ.'-7-J»t> VI v^rj-KI-i.t DI .f /, . , _o
„ ,p^^^,i f^in^^f- ,',-n,tlt,i. r*tfiifrr,tHrr •» *y4„-f,a4ir ,n/fM
tL Ulf Dt POLUKIA ktBTronB Jll lAlfONIA ^^
Jommelli. Zeichnung von Ghczzi 1731
Gluck
ES ist, als ob die Götter der Klassik Glucks Leben so geführt hätten, daß
die Bedingungen seiner Mission sich möglichst vollkommen erfüllten.
Um ihn nicht zu französisch und nicht zu italienisch werden zu lassen gibt
ihm das Schicksal seine Heimat in Mittelfranken, nahe dem musizierenden
Böhmen: 2. Juli 1714 zu Weidenzwang. Ein natürliches musikalisches
Talent macht sich bemerkbar, das in der Zukunft nicht unnötig verbildet
wird. Sein Vater ist Förster beim Lobkowitz, und er selbst spielt in den Dör-
fern zum Tanze auf, oft genug mit Eiern bezahlt. Dies ist eine hübsche, klein-
deutsche Jugend, die man sich seit den ersten Kapiteln von Marx' ausführ-
licher (etwas kindergärtnerischer) Biographie in Gedanken mehr als einmal
ausgemalt hat. Jetzt kommt der lombardische Fürst Melzi auf eine Soiree zu
115
Lobkovvitz, bemerkt den 22jährigen Christoph Willibald und gibt ihn nach
Mailand zur Ausbildung. 1741 erscheint die erste Oper dieses Spätgereiften,
der fortan in seinem ganzen Leben nur einmal für die Kirche schrieb. Die
Opern, konventionellen italienischen Stils, womit die Neapler Sphäre er-
ledigt wird, machen ihn berühmt genug, daß er für London aufgefordert
wird. Mit einem eigenen Pasticcio aus früheren Opern fällt er durch, aber
er hat die Musik Händeis dort in sich aufgenommen, dessen Bild später über
seinem Bett hing. Die dritte Beimischung vollzieht sich in Paris: er sieht
Rameaus Opern, der erst mit fünfzig Jahren sich der Bühne zugewendet hat,
in letzter Reife. Vor den Trauer- und Dämonenchören des Castor und Pol-
lux müssen in seiner Seele sich die ersten Ahnungen des Orpheus vollzogen
haben. Von 1750 an wohnt er in Wien, von 54 — 64 Hofkapellmeister, vom
Papste zum Ritter ernannt. Das Neapolitanische, das Pariserische, das macht-
voll Deutsche und Polyphone beginnen sich in seinem einfachen und musi-
kantenhaften Gemüt zu einer neuen Einheit zu finden, für die Wien der vor-
bereitende, Paris der fruchttragende Boden wird. Dies ist eine ausgezeichnete
Fuge der Vorsehung.
In Wien wachsen seine Opern langsam an musikalischem Gehalt und
monumentaler Größe. Schon die Semiramis, schrecklich verworren im In-
halt, hatte Stellen von Händelscher Schwungkraft. Die Innocenza giustifi-
cata, aus Operntextstücken Metastasios zusammengestellt, eine Vestalin-
geschichte, neigt zur Verinnerlichung. Allerlei Werke des Hofdienstes, deren
Namen vergessen werden sollen, deren Noten er oft in spätere Arbeiten
rettete, bleiben Parerga. Wichtig werden die Beziehungen zum französischen
Singspiel. Auf Anraten Favarts, der seine gute französische Deklamation in
einem schmeichelhaften Briefe an den Wiener Direktor Durazzo rühmt,
komponiert er teilweise oder ganz eine Reihe von kleinen, feinen, graziösen
Buffonerien, aus denen für unsere Jahre (in neuen Bearbeitungen) der ,, be-
trogene Kadi" und die ,, Maienkönigin" übrigblieben, Zeichen eines plötz-
lich sehr beweglichen Naturells. Eine neue Ader war entdeckt. Dies Stück
der Erziehung auf knappe melodische Form hatte noch gefehlt. Jetzt war
die Zeit ganz in ihn aufgenommen und der Reformationsgedanke war reif.
Tira sangue, sagt er.
Raniero de Calsabigi, Rat bei der niederländischen Rechnungskammer in
Wien, Herausgeber des Metastasio, den er zuerst anschwärmt, um sich dann
zu der herberen Art Alfieris zu entwickeln, ein literarisch fein gebildeter und
zärtlich empfindender Mann, dichtet ihm den Orpheus, dessen Einfachheit
und Großzügigkeit das intelligente Produkt ihrer beider Wünsche ist. Calsa-
bigi, wie uns der Vergleich seiner Schriften durch Heinrich Welti (Viertel-
116
i
jahrsschrift 1891) gezeigt hat, ist in seiner dichterischen Prätention und ge-
.samtkünstlerischen Begeisterung nicht immer sehr klar gewesen. Er brauchte
Gluck zu seiner Erschließung, wie dieser ihn zur Festigung. Beide gaben sich
einander. Dejr Dichter warf die verzwickte Intrige seiner Zeit aus dem
Drama heraus, der Musiker, angefüllt mit routinierten Konventionen der-
selben Epoche, sehnte sich, auf dieser ruhigen Grundlage die Erfindung seiner
Phantasie blühen zu lassen. Dieser Drang nach musikahsch erhebender
Sprache ist das Wesentliche. Er setzte die Kräfte in Bewegung. Er sprach
das Stichwort der Revolution aus. Hätte Gluck diese Offenbarung nicht in
sich gefühlt, ihm hätten zehn lyrische Dramatiker nicht helfen können.
Der Orpheus wird 1762 in Wien aufgeführt, die Alceste 1767, „Paris
und Helena" 1770, alle von Calsabigi gedichtet, in einer musikalischen Ent-
wickelung, die uns gesondert interessieren wird. Allerlei Aletastasio-Opern
in der altgewohnten Form liegen dazwischen: dies ist wohl zu beachten.
Einst hatte Gluck am eigenen Leibe eine kleine Intrigen- und Liebes-
oper erfahren, die sich in seinem Leben gut ausnimmt. Er liebte die Tochter
des reichen Wiener Wechslers Pergin, ohne die Zustimmung des Vaters zur
Heirat erhalten zu können. In dieser Zeit folgt er einem Ruf nach Rom, er
reist dahin in einer Kapuzinerkutte. Dort wird sein Telemacco gemacht,
eine wüste Entstellung der Circesage, wo Telemach, der seine Mutter tot
glaubt, sich in eine gewisse Asteria verliebt, den Vater bei der göttlichen
Zauberin findet — Gluck rettete auch aus dieser Musik manches in spätere
Opern. Immerhin starb der alte Pergin indessen, und er heiratete. Kinder
waren ihm nicht beschert. Er nahm eine singende Nichte in sein Haus, die
ihn mit seiner Frau auf Reisen begleitete. Marianne hatte eine feine, kleine
Stimme und wir lesen von den Studien, die er in seiner behaglichen Häus-
lichkeit mit ihr machte, wobei Traettas Opern eine nicht unbedeutende
Rolle spielten.
Sein Einzug in Paris, 24 Jahre später, gestaltet sich anders. Le Blanc du
Roullet, Attache der französischen Gesandtschaft in Wien, bearbeitet ihm
Racines aulische Iphigenie, die nach langen Verhandlungen endlich in Paris,
französisch, 1774 auf der Großen Oper ihre weltbewegende Premiere erlebt.
Gluck ist sechzig Jahre. Der Wert seiner Musik wird vor Europa verhandelt.
In bitteren Kämpfen Hterarischer und persönlicher Art siegt er noch bei Leb-
zeiten über alle Zweifel. Er bearbeitet einige Singspiele, gallisiert Orpheus
und Alceste, schreibt die Armide (i'7?7) und die Taurische Iphigenie (1779),
alles für die Pariser Bühne, auf der der deutsche Meister eine ungewohnte
Zucht "einführt. An diesem Orte, dessen Herrschaft über alle Kolonien
der Oper ausging, hatte sich das Resultat seines sich wundervoll steigernden
117
Lebens vollzogen. Er kehrte dann endgültig in die Altersruhe von Wien
zurück, wo er 1787 starb: man erzählt, an einem verbotenen Likör, wie man
von Lully erzählte, daß er an einer Verletzung beim Taktschlagen starb.
Die gemeine Geschichte braucht solche ironischen Genugtuungen. Seine
Büste von Houdon, aus der man seine Güte im Leben, seinen Ernst im Amte,
seine geistige Helläugigkeit, seine melodische Grazie herauslesen kann, wurde
neben Rameau in der Pariser Oper aufgestellt, mit der Inschrift: Musas
praeposuit Sirenis.
Das Praeposuit ist richtig, denn man kann ehrlicherweise nur sagen, daß
er die Musen den Sirenen vorzog, nicht daß er die Sirenen vertrieb oder
haßte. Gluck war kein Märtyrer, er war Kind genug des 18. Jahrhunderts,
um in dieser Mischung von System, Zweifel, Genuß und Grazie der Logik
eine Haltung zu bewahren, die dem Weltmann nichts nahm. Wir können
ihn uns schwer in dem schweigsamen Ernst vorstellen, den ihm E. T. A.
Hoffmann in seinen Phantasiestücken gespenstisch andichtete. Er war zu
klug dazu. Er schrieb, während der Jahre seiner reformatorischen Tätigkeit,
Ballette und Festopern für den Hof, der ihn bezahlte, und er nutzte das große
Einzelhonorar, das ihm die Pariser Oper anbot, nach Kräften in Bearbeitung
älterer Stücke aus. Er legte sein Geld gut an, war Spekulationen nicht ab-
geneigt und hinterließ an 600000 Franken. Wir sind nach den Beispielen spä-
terer Zeiten nur zu leicht geneigt, uns starre Typen zu konstruieren von hei-
ligen deutschen ernsten Männern, die aus Idealismus jede Lebenschance vor-
beilassen, und wieder von gewinnsüchtigen Opportunisten, die ihre Über-
zeugung für den geringsten Vorteil verkaufen. Gluck ist zweifellos Idealist,
aber es hindert ihn nicht, auch Opportunist zu sein, ja es läßt sich schwer
sagen, wie weit seine Reformation nicht den Stachel des Erfolges in sich trug
und seine Dienstfertigkeit nicht seinem Ideale auf den Weg half. Es werden
Gespräche überliefert, in denen er sich zum Gelderwerb als offenem Ziele
bekennt. Sie mögen parteiisch verzerrt, einseitig aufgegriffen sein — doch
denke ich mir Gluck sehr wohl in heiterer Unterhaltung recht praktisch und
smart genug, seinem Jahrhundert keine Unehre zu machen. Ich sage: er
war kein Märtyrer, denn was er erlitten hat, ist wenig gegen das, was er in
der Fülle der Kraft erreichte. Die Zielbewußtheit macht aus seinem Leben,
das ein Kunstwerk der Vorsehung war, auch ein inneres Kunstwerk.
Alles Sirenenhafte, Dienstfertige, Gelegentliche, Zeitgemäße ist aus den
zahllosen Opern, die er geschrieben, in die Vergessenheit gesunken. Heut
lebt er in den Reformopern, auf die hin sich schließlich sein Leben gipfelte,
Orpheus, Alceste, Paris und Helena, Armide und die beiden Iphigenien.
Eine höfliche Schonung, sagte A. W. Schlegel von den Opern Metastasios,
118
liegt bei ihnen in allem, in der Behandlung der Leidenschaften wie des
Unglücks und der Verbrechen, es ist eine Beobachtung der SchickUchkeit
und eine scheinbare Sittsamkeit, denn die Wollust wird in diesen Schau-
spielen nur eingeatmet, nicht genannt, und es ist immer nur vom Herzen
die Rede. Die Giftbecher werden immer zur gehörigen Zeit von den Lippen
weggestoßen, Dolche entfallen den Händen oder werden ihnen entrungen.
Die Scheu vor dem Lächerlichen, dieses Gewissen aller Dichter, die für die
schöne Welt schreiben, ist sehr sichtbar in der Vermeidung aller nicht schon
hergebrachten Kühnheiten, in der Enthaltung vom ÜbernatürHchen, weil
solch ein Publikum selbst zu der bunten Schaubühne der Oper keinen Wun-
derglauben mitbringt. Das sagt der Romantiker von dem steifsten Typus
dci klassizistischen Oper, der in seiner höfischen Kultur und gemessenen Zu-
rücklialtung das Gegenteil seiner eigenen Wünsche darstellt. Man zitiert
diesen Ausspruch oft, um die Unmöglichkeit der Texte des weltberühmten
Metastasio durch eine literarische Autorität zu beweisen. Und doch beweist
er nur die Unmöglichkeit des Romantikers, sich in die klassizistische Welt zu
versenken. Gluck und seine Dichter haben nicht in einem einzigen dieser
Punkte den Einfluß Metastasios überwunden, sie haben nur die Anschauung,
die aus diesem Drama spricht, von ihrer sentenziösen Gespreiztheit gereinigt
und auf das Wesentliche und MusikaHsch-Dankbare gebracht, viel klarer, als
der Musikdilettant Metastasio es sich eingebildet hatte. Es ist die Anschau-
ung, die die Welt der alten Sagen als einen ruhigen Spiegel menschlicher Lei-
denschaft in einen abgestimmten Rahmen faßt und die nur aller Kreuz-
und Querzüge, aller französisch-pikanten Intrigen und Nebenmotive ent-
kleidet zu werden braucht, um ihr Pathos als eine dankbare und breite Stim-
mung der Musik zur Vertiefung darzubieten. Schlegels Worte sind die Kritik
der romantischen Oper an der klassischen, Glucks Reformen sind die Kritik
der zeitlosen Schönheit an der zeitgebundenen, innerhalb des Klassizismus.
Dies wird gut einander entgegenzuhalten sein.
Wenn Gluck zu sagen pflegte, er vergesse, daß er Musiker sei, so war das
eine verzeihliche Koketterie, s^elbst wenn man an die Deklamation seines
Textes denkt, die sich so wenig wie bei Caccini, Monteverdi oder Rameau
scheut, die musikalische Schönheit zu achten — höchstens hat ihn LuUys
trockene Strenge darin übertroffen. Er wußte selbst, daß wahr deklamieren
noch nicht heißt, unschön deklamieren. Daß er die Zerfleischung der Poesie,
die dem Italiener in seiner Koloratur geläufig war, nicht mitmachte, ist selbst-
verständlich. Im übrigen war er Musiker genug, der reizvollen Wendung des
Gesanges alles zu geben, was sie verlangte, und das Versschema, besonders
•des gänzlich unmusikaHschen Alexandriners mit seinen gejagten Reimen,
119
nicht über das Maß zu achten. Seine gereinigte Vorstellung des neuen ly-
rischen Musikdramas setzte er zunächst im Orpheus als Tat hin. Dann
schrieb er zur Alceste und zum Paris je eine berühmt gewordene Vorrede, in
der er die Prinzipien der Wahrheit und Einfachheit nicht anders ausdrückte,
als es jeder Reformator getan hat. Er wendet sich gegen die blühenden
Schilderungen, die unnützen Bilder, die kalten und wortreichen Sitten-
sprüche der konventionellen Texte, die Forderungen der Sängereitelkeit.
„Ich suchte demnach die Musik zu ihrer eigentlichen Bestimmung zurück-
zuführen, nämlich die Dichtung zu unterstützen, um den Ausdruck der Ge-
fühle zu verstärken und die Handlung in ihren verschiedenen Entwicklungs-
phasen verständlicher zu machen, ohne sie durch unnütze Verzierungen des
Gesanges zu unterbrechen." Er meint, die Musik verhalte sich zum Drama
wie die Farbe und Schattierung zur Zeichnung (eine falsche Bescheidenheit
im Sinne der gebildeten Ästhetik seiner Zeit), und denkt, er habe nie mehr
Farbe gegeben, als es die Zeichnung verlange (welcher große Maler hält sich
für einen sparsamen Austuscher fremder Zeichnungen?). Er will ein maß-
volles Orchester, keine unnötigen Zwischenspiele, vor allem die bella sem-
plicitä. Welche entzückten Verwirrungen sehen wir hier in der Seele eines
klassizistisch gestimmten Musikers! Er beruft sich auf die Logik des gesun-
den Menschenverstandes und lebt durch die Größe seiner Phantasie. Er ge-
riert sich' als Diener des Zeichners und hat alle diese Zeichnungen nur durch
die Gewalt seiner Farbe gerettet. Es lebt in ihm das Winckelmannsche Ideal
einer edlen und stillen Einfalt, aber nicht in der Plastik, die darin beruhen
mag, sondern Musik ist in ihm, die aus einer tiefen, fließenden Empfindung
den Worten ihre Landschaft gibt. Nein, seine Farbe ist Zeichnung, sein
Text Papier, seine Einfachheit Naturell, seine Größe die musikahsche Erfin-
dung. In der Vorrede zum Paris setzt er die Charaktertypen seiner Opern
und der Szenen in den Opern gegeneinander und flucht den Barbaren, die
ihn nicht verstehen. Er hätte daran merken können, daß seine Reform nicht
eine Sache der Logik war, sondern der Kraft, der Größe, der Stilreinheit,
der Tiefe, die immer die Wahrheit ist gegen die Fläche.
Also sind auch diese Vorreden nur Beruhigungen eines Gewissens, das
sich staunend vor einem Gebilde der eigenen Intuition entdeckt und den
Wahrheitsbeweis antreten möchte, weil es die Gründe des Instinkts miß-
achtet sieht. Aber keine Vorrede hätte ihm durchgesetzt, was die Kraft sei-
ner Musik tat. Das Bild der reinen Klassizität, durch eine starke und stilvolle
Musik aus den Netzen der Zeitlichkeit gehoben, verdrängte eine Weile leicht-
sinniges Italienertum, um als letztes reifes Produkt einer langen, vielfältigen
Entwickelung in unserem Besitz zu bfeiben. Der Kampf geht weniger gegen
120
eine künstlerische Rich-
tung, als gegen das kon-
servative Beharren in einer
Welt, die sich mit Frivo-
lität schützte. Als Roullet
Glucks Iphigenie in Paris
anbringen will, schreibt er
einen sehr geschickten Brief
an den Direktor der Aca-
dcmie royale, in dem er
Wien gar nicht als den
Triumphplatz Glucks er-
wähnt, sondern nur seine
Aufführungen in Italien
nennt , und andererseits
den französischen Text des
verbesserten Racine in sei-
ner Sprachwahrheit gegen-
über den Verführungen der
italienischen Vokale lobt.
Direktor Dauvergne läßt
den Brief, der an den Pariser Nationalstolz appelliert, im „Mcrcure"
drucken, und Gluck antwortet ebenda, indem er das antike Ideal anruft
und für die Internationahtät der Oper plädiert. Der Direktor hatte
recht: er meinte, nur wenn Gluck ihm gleich sechs solche Opern schriebe,
könne er diese nehmen, denn sie schlüge alles. Trotz dieses literarischen \'or-
spiels kam die Annahme der Iphigenie erst zustande, als sich seine einstige
Schülerin Marie Antoinette (die es mit allen gut hielt) einsetzte. Das war
das rechte Vorspiel für die Pariser Diskussionen. Sie waren literarischer
Natur oder persönliche Intrige. Da die Feinde seiner Größe eine Maske
brauchten, liehen sie sich die italienische.
Englische Karikatur Handels
Das Milien von Paris
SEIT Lullys strengem Regiment hatte die Pariser Oper nicht solche Tage
der Zucht gesehen wie vor der Premiere von Glucks aulischer Iphi-
genie. Was Lully aus Herrschergefühl erreichte, versuchte Gluck aus ange-
borenem deutschen Ernst, der — wie man das Leben leicht als Spiel nahm —
121
das Spiel wiederum nur als Disziplin verstand. Hier bildet sich der persön-
liche Gegensatz einer frivolen und eingebildeten Truppe und eines strengen
und sachlichen Meisters. Larrivee ist auf der Probe ein mäßiger Agamemnon.
„Warten Sie auf mein Kostüm," sagt er zu Gluck, ,,Sie werden mich nicht
wiedererkennen." Als er im Kostüm singt, ruft ihm Gluck zu: ,, Larrivee,
Larrivee, ich erkenne Sie!" Vestris, der berühmte Tänzer, will sich nicht
dreinreden lassen — er wird ,,der Gott des Tanzes" genannt. Gluck sagt
zu ihm : ,, Tanzen Sie im Himmel, wenn Sie der Gott des Tanzes sind, nicht
in meiner Oper." Bei der Umarbeitung des Orpheus, in der die Altrolle für
Tenor umgeschrieben wird, verlangt Legros seine besondere Arie. L'espoir
renait dans mon äme wird ihm zugestanden, aber diese Bravourarie ist aus
dem Tankred von Bertoni und Gluck gibt unbegreiflicherweise seine Sanktion.
Der typische Gegensatz des sachlichen Meisters und der Primadonna von
einer Frivolität, die ebenso biologisch entzückend war, wie sie tatsächlich
recht schwierig wurde, stellt sich im Verhältnis Glucks zu seiner Iphigenie
dar, der berühmten Sophie Arnould, mit der er die heftigsten Szenen hatte.
Ich möchte ihr Bildchen mitten in diese Erzählung von den Schicksalen und
Werken des großen deutschen Klassizisten einsetzen, nachdem die Goncourts
ihr Leben in einem Bande, voll süßer Frechheiten, dokumentarischer Notizen
und großer Einsicht in die Kultur und das Dasein beschrieben haben. Denn so
wie wir es aus diesen Briefen, Aufzeichnungen und Räsonnements kennen
lernen, ist es das wahre Widerspiel zu Glucks Leben, und es ist eine der wun-
dervollsten närrischen Weisheiten des Theaters, daß in der Kreierung der
Iphigenie diese beiden Lebenslinien zusammentreffen sollten.
Die Arnould ist in dem Zimmer geboren, in dem CoHgny ermordet
wurde. Ihre Amme ist eine Ziege. Durch eine zufällige Vertretung kommt
sie dazu, zu singen, mit einem durchschlagenden Erfolg, daß sich die Lec-
zinska und die Pompadour in einer unbarmherzigen Rivalität um sie streiten.
Sie heiratet früh, ohne dadurch sich gehindert zu fühlen, mit anderen
Männern zu leben. Ihre Galerie reicht vom Prinzen bis zum Friseur — ah
c'etait le beau temps, j'etais bien malheureuse. „Die Natur hatte," schreibt
sie über sich selbst, „den musikahschen Geschmack unterstützt mit einer
Stimme, die recht angenehm, zwar nicht groß, aber sonor war, ohne indessen
ersten Ranges zu sein, sie war rein und timbriert, mit schöner Aussprache,
ohne jeden Fehler außer einem kleinen Anstoßen der Zunge, das aber nicht
schlimm war, so daß man auch in den größten Räumen nichts vom Gesang
verlor." Also ihre Stimme ist nicht groß, nicht bedeutend, aber sie ist be-
seelt von einem Atem, für den Galiani Phrasen der Bewunderung hat, und
von einem sentimentalen Ausdruck, der einem Gesicht entspricht, wie es im
122
Geschmack der Zeit La Tour malte : mit schön zusammengehenden Augen-
brauen, glänzenden Augen, die zu beten scheinen, gen Himmel gewendet,
mit einem entzückenden Oval, das ein leises Leiden zu verhüllen scheint,
den Mund halbgeöffnet, daß auf ihm eine letzte Bitte oder ein letztes Lä-
cheln erstirbt. Sie singt die Rollen, deren Titel und Kostüme man bei den
Goncourts nachlesen kann, sie wechselt die Liebhaber, deren Romane man
dort findet. Unter den Parteien der lesbischen Nuancen huldigt sie der rein-
sten Form, deren Messen am Donnerstag in ihrem Hotel gelesen werden.
An den Dienstagen empfängt sie Literatur und Kunst. Rousseau, Garrick,
Sedaine, der Prince de Ligne, Dorat, d'Alembert, Duclos, Diderot, Helvetius,
Marmontel, Beaumarchais, Voltaire haben ihren Salon beehrt. Sie ist ebenso
gebildet wie witzig, wie lügnerisch. In den Jahren, da sie sich zurückzieht,
gießt sie ihre zärtliche Seele in Briefe, die nach dem Tempo ihrer Epoche
aus wehmütigen Klagen, schwärmerischen Erinnerungen und scharfen Be-
obachtungen sich mischen. Sie schreibt an ihren Jugendverführcr Laura-
guais, an den Baumeister ihres Hauses, Belanger, an alle alten Freunde, die
den Triumph ihres Körpers und ihres Gesanges erlebten. Es geht ihr nicht
mehr gut, ihre Honorare waren nie sonderlich gewesen, ihre Ausgaben sind
unökonomisch, die falsche Rührseligkeit eines billigen Landlebens tröstet sie
nur scheinbar. Sie ist einsam gestorben. Aus dem Denkmal, das ihr die
Goncourts setzten, löse ich unter den Briefen eine reizend ungebildete Im-
provisation ab, die ich als Zeugnis späterer Jahre hier einfüge. Sie schreibt
am 21. Januar 1800 an den Minister des Inneren, Lucicn Bonaparte:
„Citoyen ministre. Ich nenne mich Sophie Arnould, vielleicht kennen Sie
mich noch nicht, aber einst war ich sehr bekannt am Theätre des Dieux. Je
chantais, ne vous deplaise. Doch ich möchte Ihnen nicht die Zeit rauben,
Sie nicht mit einer langen Vorrede ennuyieren, um Ihnen meine 26 Un-
glücksfälle zu schildern. Ich hatte mir schon erlaubt, meine Klage dem
Ersten Konsul einzureichen, aber ich höre eben, daß er sie nur durch Sie
aufnehmen will, und so habe ich mir gesagt : Sei zufrieden, Sophie, geh, das
ist ein Familienherz, erzähl ihm deine Aussichten seit meinen jungen
Jahren, ohne irgendwie anders dafür bestimmt zu sein als durch den Zufall,
der so viele Dinge beherrscht, zwanzig Jahre meines Lebens sind dem Theätre
des Arts gewidmet gewesen, wo einige natürliche Anlagen, eine sorgfältige
Erziehung, alles gepflegt, gefördert von Ratschlägen der Leute von Ge-
schmack, Gelehrten, Künstler, kurz mit Recht berühmter Leute : so viel an
mir lag, hatte ich als Empfehlung ein glückliches Naturell, große Jugend,
Lebhaftigkeit, Seele, schlechten Kopf und gutes Herz — unter solchem Stern
123
war ich recht glücklich, das Ziel meines Lebens zu erreichen und eine gewisse
Berühmtheit, Vermögen und eine große Anzahl von Freunden zu erwerben.
Ach, heute ist alles umgekehrt. Was die Berühmtheit anbelangt, mein Name
wird noch mit etwas Ehrfurcht genannt als Psyche, Thelaire, Iphigenie, Egle,
Pomone, kurz am Theätre des Arts — und die Freunde, ich kann sagen, ich
habe sie so gut gehalten, daß nur der Tod mir einige nahm oder das Beil
der Dezemvirn — dieses tückische materielle Schicksal allein, ohne Sinn und
Verstand, hat mir sein Wort nicht gehalten, und unter welchen Umständen!
Da ich zu alt bin für die Liebe, und zu jung für den Tod. Sehen Sie, citoyen
ministre, wie sehr grausam ist es, nach so viel Glück in eine so elende Lage
zu kommen, und nachdem man so viel Flammen entzündet, heut nichts zu
haben, womit man ein Scheit im Kamin anzünde, denn die Wahrheit ist,
seitdem mich die Nation hochgehoben hat, daß ich mich nicht niederlegen
kann und nichts zu beißen habe — ich will keine Reichtümer, gewiß nicht,
aber nur das Nötige, um mein Leben zu vollenden und kein böses Alter zu
haben; ich habe große Lasten, weil ich in den guten Zeiten meines Lebens
die Armen aus der Familie unterstützte, das mußte sein, meine Armut aber
gibt ihnen keinen Reichtum wieder. Also, citoyen ministre, ich bitte Sie,
helfen Sie mir, setzen Sie mir die Unterstützung fort, die mir mein Freund
Fran^ois de Neufchateau, als er Minister war, besorgte • — ich schulde diese
Wohltat seinem Herzen. Im Unterstützungsetat, den er anderen Künstlern
gab, war ich mit 200 Franken monatlich registriert, bitte setzen Sie das fort;
und ich hätte Sie noch um eine Gnade zu bitten, deren Bewilligung meinen
alten Kameraden — es ist eine Benefizvorstellung für mich, aber wenn es
wahr ist, wie man mir sagt, daß ich eine Hauptrolle dann übernehmen müßte,
mich verkleiden als Thelaire, Iphigenie etc. — o, das ist unmöglich! Das
würde mich so lächerlich machen, wie die alte Mme. Turcaret ,En Venus,
ma chere, en Venus!' Also, citoyen ministre, ich erwarte von Ihnen alles,
was ich beanspruchen darf, alles, was das Unglück erwartet von einer guten
und zärtlichen Seele, wie die Ihre, Sie sind zu jung, um mich zu kennen,
aber viele Ihrer Freunde, Gelehrte, Literaten, Künstler aus Ihrem Kreise
machten einst meine Gesellschaft; sie werden Ihnen sagen, wer das ist, diese
Sophie — aber welche Vorzüge sie mir auch geben werden, sie werden Ihnen
zu wenig sagen, wenn sie nicht die Empfindung der Bewunderung, der Liebe,
der tiefen Achtung schildern, von der ich durchdrungen bin für mein Vater-
land, unsere Gesetze und Ihre Tugenden. Sophie Arnould."
Gluck hatte einmal bei der Arnould für die Alceste probiert. Ihr Lieb-
haber, der Prince d Henin tritt plötzlich ein und benimmt sich ärgerlich
124
gegen die Musik Glucks.
Der beachtet ihn nicht.
Der Prinz: ,,Es scheint mir
Sitte in Frankreich, daß
man aufsteht , wenn ein
Mann von Namen eintritt."
Gluck : ,,In Deutschland
steht man vor niemandem
auf, den man nicht achtet.
Fräulein Arnould, wenn
Sie nicht Herrin in Ihrem
Hause sind, gehe ich und
komme nicht wieder." Er
ging und gab Rosalie Le-
vasseur die Alceste. Epi-
gramme hagelten herüber
und hinüber. Die Alceste
fiel zunächst durch. Jemand
rief: ,,Die Alceste ist gefal-
len." „Ja, vom Himmel,"
antwortete Gluck. Viel-
leicht war Sophie die in-
trigante Teufelin gewesen.
In diesem Milieu stand
er. Das Publikum folgte ihm langsam, und die Szenen, da Offiziere vor lauter
Begeisterung bei einer Achillarie die Degen ziehen, gehörten nicht zur Regel.
Seine Kraft bildete Parteien und die Parteien mißverstanden ihn beide, seine
Feinde, indem sie ihn gegen Italien ausspielten, 'seine Freunde, indem sie ihn
als Nachfolger Lullys und Rameaus priesen, während er in Wahrheit die
Synthese Italiens und Frankreichs war. Hat er sich nicht selbst mißver-
standen ? Er schreibt vor der Armidc an Roullet, daß deren Musik anders
sei als Alceste, er habe angestrebt, mehr Dichter und Maler als Musiker zu
sein, habe jeder Person ihre Sprache gegeben — der Brief ist die Fortsetzung
jener Vorreden, in denen er seine Musik zurückdrängte, weil er sie recht-
fertigen zu müssen glaubte. Er ist immer mehr Musiker als Dichter und
Maler gewesen. „Ich habe die Musik schon so eingerichtet, daß sie nicht so
leicht veralten wird." Eingerichtet!
Das gesamte Material an Schriften und Briefen, das sich auf den Streit
um Gluck bezieht, sammelte Lcblond 1781 unter dem Namen Memoires
Metastasio. Stich von Succhi nach de Maitcns
125
pour servir ä l'histoire de la revolution operee dans la musique par Monsieur
le Chevalier Gluck. Siegmeyer gab es 1821 deutsch heraus. Es ist ein heute
recht veraltetes unendliches Gerede über den Wert oder Unwert Glucks
(„Agamemnon und Achill können nicht gleichzeitig reden — aber sie reden
ja nicht, sie singen!"), aus dem als bedeutendste Äußerung der Brief Arnauds
an den gelehrten und wohlwollenden Padre Martini vom 2. Dezember 1777
hervorragt. Arnaud und Suard sind die ersten Parteigänger Glucks, Mar-
montel, Guingene und Laharpe die Führer der Gegner. Marmontel war für
Piccini interessiert, mit dem er seine Texte genau so ernst durcharbeitet, wie
Gluck die seinen mit seinen Dichtern. Piccini war von Laborde (Kammer-
diener Ludwig XV., Generalpächter, Musikhistoriker, stirbt unter der Guil-
lotine) nach Paris berufen und kam, ohne zu wissen wie, in den Strudel der
literarischen Kämpfe um die Zukunftsoper. Die gluckfeindlichen Literaten
erheben ihn auf den Schild. Die Parteien der Gluckisten und Piccinisten
werden künstlich geschürt. Es gilt für unanständig, neutral zu sein. Die
Schriftsteller ergötzen sich in Szenen, da man die Wache holt, weil ein Herr
in der Oper seine Farbe nicht bekennen will. Sie werfen sich Beleidigungen
über die Logen zu. In einem Heftchen Suite des'entretiens sur l'etat actuel
de l'opera de Paris 1779, dem gemeinsten der Pamphlete, lesen wir von Gluck,
das sei ein Genre, das sich von der guten Musik entfernt und mit seinen
Schreien, Klagen und Bewegungen nur auf ein Volk wirkt, das nichts Besseres-
will. Piccini übertreibe niemals. Melodiendiebstahl wird Gluck massenhaft
vorgeworfen und belegt. Schließlich sei alles Gute an ihm doch italienisch.
Die italienfreundlichen Enzyklopädisten sind ihm außer d'Alembert nicht
abgeneigt. Rousseau, der LuUy entgöttert hatte, bekehrt sich zu ihm: „Ich
finde, der Gesang dringt ihm aus allen Poren." Grimm beschreibt die ge-
waltige Wendung, die die Iphigenie hervorgerufen, in journalistischer
Hitze. Es war viel Journalismus und Dilettantismus in diesem Streit, aber
so falsch eingestellt er war, er half schließlich durch die Beflissenheit der
Freunde und die Niedrigkeit der Feinde dem deutschon Meister. Er hat uns
nur einen Verlust gebracht: den Roland von Gluck. Der Roland war
ihm in Paris in Auftrag gegeben worden, da hört er in Wien, daß man Pic-
cini mit demselben Stoff beehrt habe — eine Wut überkommt ihn und er
zerreißt die Skizzen. Die Piccinisten waren hinterlistig. Gluck schlug sie mit
seiner Kraft, die mit einer solchen lächelnden Milde gepaart war, daß er
schließlich dem ängstlichen Piccini noch bei den Rolandproben half. Bei der
taurischen Iphigenie versuclitcn die Gegner noch einmal denselben Streich
und ließen Piccini wieder dasselbe Sujet komponieren. Diesmal kam ihnen
Gluck zuvor und errang den entscheidendsten Sieg, im Augenblick — Pic-
126
cini ließ seine Iphigenie nachlaufen, aber nach wenigen Aufführungen gab
sie den Wettbewerb auf. Als Gluck starb, zeigte sich Piccini, der ihm musi-
kalisch läng&t gefolgt war, so anständig, eine große Feier für ihn veranstalten
zu wollen. Aber nicht einmal das gelang ihm.
Literarisclic Beziehungen
ES war eine Gesellschaft von altgewohnten Koterien und mäßigen dichte-
rischen Veranlagungen, in die sich Gluck in Paris versetzt sah, das für die
Weltherrschaft seiner Musik unumgänglich wurde. Im Grunde stand der
Klassizismus literarisch dort schon auf der Rückseite und nur epigonische
Talente, wie Chateaubrun oder Laharpe, wie in der Malerei Lairesse oder
Werff pflegten seine Erinnerungen. Das Rührstück, das bürgerliche Schau-
spiel, die englische Aufklärung sind die wahren Triebkräfte der Literatur,
selbst bei Voltaire, der die klassizistische Form noch nicht aufgibt. Boileaus
Theorie wurde erst wieder lebendig, als die Revolution in einer anderen
Form die antike Schulung und das spartanische Heldengefühl aus politischer
Parallele empfahl. Die Glucksche Musik ist dazwischen. Sie ist der letzte
reife Ausdruck einer Stimmung, die Jahrhunderte strenger Renaissance be-
herrschte, und wieder ein Vorklang gereinigter Empfindung, die als Resultat
der neuen Revolution in die griechischen Geister des kommenden Jahrhun-
derts einzog. Alles Antike liegt in dieser ihrer schwebenden Atmosphäre.
Zwischen Schule und Revolution steht die Schöpfung eines Genies, das aus
persönlicher Kraft einer dauernden Veranlagung unseres Geistes die zeitlose
musikalische Form gibt. Gluck lebte mit der Literatur seiner Zeit oder gar
seines Landes nicht in intimer Beziehung. Er sehnte sich hier und da, er
tastete da und dort, er komponiert Klopstock, er sieht sich um und findet
noch nicht die Lösung — er bleibt der Musiker. Es ist reizvoll für unsere
historische Phantasie, sich zu denken, wie alles sich gestaltet hätte, wenn der
Zusammenschluß dieser ersten großen deutschen Opernbegabung mit der
ersten großen deutschen Literatur sich vollzogen hätte. Wenn Weimar auch
sein Ort geworden wäre. Wenn sein Leben, das in der Entwicklung des musi-
kalischen Ideals so fein organisiert scheint, der Teil eines weiten künstlerischen
deutschen Strebens nach der Vollendung der Bühne, unter dem Lichte des
aufgehenden Goetheschen Klassizismus, geworden wäre. W^hn der empha-
tische Herder begrüßte als einen Retter der reinen musikalischen Empfindung
und ohne Erfolg ihm seinen Text des Brutus anbot. Wo der naive Wieland
sagt, daß er gezeigt habe, was die Musik tan könnte, wenn in diesen unseren
127
Tagen irgendwo in Europa ein Athen wäre, und in diesem Athen ein Peri-
kles aufträte, der für das Singspiel tun wollte, was jener für die Tragödie des
Sophokles und Euripidcs tat. Ein Jahr später schrieb Wieland an Gluck beim
Tode seiner Nichte folgenden Brief, den ich als ein Zeugnis gefühlter und nie
gewordener Beziehungen mit Bedeutung hierher setze.
Weimar, den 13. Juli 1776.
,,Ich bin ganz beschämt, verehrungswürdigster Mann, auf Ihre freund-
liche, vertrauensvolle Zuschrift aus Paris so lange geschwiegen zu haben, und
jetzt doch mit leeren Händen vor Ihnen zu erscheinen. In der Verfassung,
worin mich Ihr Brief antraf, könnt' ich mit Ihnen weinen, Ihren Verlust
innig fühlen und beklagen, aber etwas hervorbringen, das des entflohenen
Engels und Ihres Schmerzes und Ihres Genius würdig wäre, das könnt' ich
nicht, ■ und werd' ich niemals können. Außer Klopstock konnte das nur
Goethe. Und zu dem nahm ich auch meine Zuflucht, zeigte ihm Ihren Brief;
und schon den folgenden Tag fand ich ihn von einer großen Idee erfüllt, die
in seiner Seele arbeitete. Ich sah sie entstehen und freute mich unendlich
auf die völlige Ausführung, so schwer ich diese auch fand; denn was ist Goethe
unmöglich ? Ich sah, daß er mit Liebe über ihr brütete, nur etliche ruhige,
einsame Tage, so würde, was er mich in seiner Seele sehen ließ, auf dem Papier
gestanden haben: aber das Schicksal gönnte ihm und Ihnen den Trost nicht.
Seine hiesige Lage wurde um selbige Zeit immer unruhvoller, seine Wirk-
samkeit auf andere Dinge gezogen, und nun, da er seit einigen Wochen dem
unbeschränkten Vertrauen und der besonderen Affektion unseres Herzogs,
zugleich eine Stelle im geheimen Conseil einzunehmen, sich nicht entziehen
konnte, nun ist beinahe alle Hoffnung dahin, daß er das angefangene Werk
sobald werde vollenden können. Er selbst hat zwar weder den \'\'illcn, noch
die Hoffnung aufgegeben; ich weiß, daß er von Zeit zu Zeit ernstlich damit
umgeht; aber in einem Verhältnisse, wo er nicht von einem einzigen Tage
Meister ist, was läßt sich da versprechen ? Indessen sehen Sic, theuerster
Herr, was mich von einer Woche zur anderen zurückhielt, Ihnen zu schrei-
ben; denn immer hoffte ich, mit dem beiliegenden Zeugniss, wie sehr Karl
August Sie liebt und an Ihrem Schicksal Antheil nimmt, Ihnen zugleich
entweder das ganze Stück, welches Goethe dem Andenken Ihrer liebens-
würdigen Nichte heiligen wollte, oder doch wenigstens einen Theil desselben
schicken zu können. Goethe selbst hofltc immer, und vertröstete mich: ich
bin auch gewiß, so wie ich den herrlichen Sterblichen kenne, daß es noch
zu Stande kommen wird — und so spät es auch kommen mag, Freude wird
Ihr Genius und der Geist Uircr Seligen daran liaben, das bin ich gewiß —
128
T
Sophie Arnoulil, in „Pyramus und Thisbe". Nacli Carmontelle gez. von Lante, gest. von Gatinc
Piccini. Stich von Citliclin nach Robinoau
aber länger könnt' ich's doch un-
möglich anstehen lassen, Ihnen von
allem diesem Nachricht und also
von meinem seltsamen Stillschwei-
gen Rechenschaft zu geben.
„Ich habe Augenblicke, wo ich
eifrig wünsche, ein lyrisches Werk
hervorbringen zu können, das werth
wäre, von Gluck Leben und Un-
sterblichkeit zu empfangen. Zuwei-
len ist mir auch, ich könnt' es. Aber
dies ist nur vorübergehendes Gefühl,
nicht Stimme des Genius. Übrigens
fehlt es mir an Sujets, die zugleich
dem lyrischen Drama anpassend
wären. Vielleicht, liebster Ritter
Gluck, kennen Sie Eines, das Sie
ausgeführt und alsdann bearbeiten
mochten. Irre ich mich hierin nicht,
so theilen Sie mir Ihre Gedanken mit,
und ich will versuchen, ob ich die Muse noch einmal geneigt machen kann.
Einmal war mir Antonius und Klcopatra stark im Kopf und Herzen — aber,
wenn ich mich auch hineinarbeiten könnte, so ist dieß wenigstens kein Sujet
für Wien, wo dieser Exzeß von Liebe, wie ich nicht zweifle, zu anstößig ge-
funden würde. Die drei größten Sujets, Orpheus, Alceste und Iphigenie
haben Sie schon bearbeitet — und was ist noch übrig, das Ihrer würdig wäre ?
Ohne Zweifel giebt es noch interessante Gegenstände und Situationen —
aber werde ich sie ausführen können ? Ja, wenn ich neben Ihnen, unter Ihren
Augen, von Ihrem Feuer erwärmt, von Ihrer Allgewalt über alle Kräfte der
Musik ergriffen, arbeiten könnte! Aber hier in Weimar! —
„Dieses Blatt von Karl August ist schon lange in meinen Händen. Ver-
zeihen Sie . mir, daß ich's Ihnen so lauge vorenthalten habe. Ich habe
Ihnen die Ursache gesagt, und doch entschuldigt sie mich kaum gegen Ihn
und Sie.
„Möchten Sie in Wien einige Entschädigung, wenigstens durch dieses
Nepenthe, diesen Zaubertrank, den Parthenia dem leidenden Admet an-
bietet (in Wielands Alceste) finden können! Und o möchten wir einst glück-
lich genug sein, Sie hier zu sehen und zu hören! Und ich den Mann von An-
gesicht sehen und in seiner Gegenwart mich eines Theiles der Empfindungen
129
tntledigen können, womit mich selbst das Wenige, was ich (nur sehr unvoll-
kommen vorgetragen) von seinen herrliclien Werken gehört habe, auf ewig
für ihn erfüllt hat!"
Wielands deutsche Alceste, deren Text er hiermit Gluck sandte, hatte
ein gewisser Schweitzer komponiert, im hergebrachten italienischen Stile.
Die erste Aufführung fand in Weimar 1773 statt. Man täuschte sich in der
Erwartung der großen deutschen Operntat und hatte nur Goethes Spott
herausgefordert.
Orpheus
DIE Ouvertüre zum Orpheus hat indessen begonnen, ein gleichgültiger
Satz in Sonatenform, von C über G nach C zurückkehrend. Wir haben,
von ihm zerstreut, alles vergessen, was rings um die Werke Glucks liegt, alle
schönen Dissertationen, die Calsabigi und andere über die Bedeutung der
Oper als antikes Drama schrieben, und sollen uns nun sammeln, sie selbst zu
hören. Der Vorhang geht auf und die monumentalste aller Trauerszenen
hält uns gefangen. Ein steinerner, edelgeformter Chor trauert um Euridice,
Orpheus setzt seine Stimme in abgerissenen Klagerufen darüber. Er ergeht
sich in einem kleinen Rezitativ. Eine Pantomime von süßester Traurigkeit
bewegt die Gruppen ein wenig. Und wieder erstarrt alles zu dem ersten Chor,
dem ein Nachspiel folgt, das das Vorspiel in niederhängenden Stimnmngen
ausführt. Orpheus' Klage verdichtet sich in eine kurze Arie, deren End-
phrasen von einem Echo wiederholt werden. Diese atmosphärische Ausdeh-
nung bleibt in den Rezitativen, die das Triptychon dieser Arie zweimal unter-
brechen. Nan wird sein Rezitativ etwas dramatischer. Amor, ohne jede Er-
regung, mischt sich ein und verspricht ihm die Geliebte, wenn er sie ungesehen
aus dem Hades heraufführen könne. Daran schließt sich im Kontrast das
leichte und frohe I-ied Amors. Das Ende des Akts ist ein knappes Akkom-
pagnato des Orpheus, das seinen Entschluß schildert.
Der zweite Akt zerfällt in Hölle und Himmel. Die Hölle singt in einem,
dem Wortakzent folgenden scharfen rhythmischen Chor, der sich steigert, um
schließlich Orpheus' Gesang zu weichen. Er wird von einer Pantomime und
den drei Gesängen des Orpheus unterbrochen. Der himmlische Teil, die se-
ligen Geister, beginnt mit einem Ballett, es folgt die große landschaftlich
ausgestattete Orpheusarie Che puro ciel, ein wiederholter Chorsatz, in dessen
Rahmen ein Ballett und Rezitativ eingeschlossen ist, führt ihm Euridice ohne
besondere Akzente zu.
130
Der dritte Akt: erst die langen rezitativischen Verhandlungen zwischen
Orpheus und Euridice, die in einem Duett sich kristallisieren, dann die
Klage der Euridice in Rezitativ und Arie, das Akkompagnato, das die
Schuld des Orpheus und Euridices zweiten Tod ausführt, die berühmte
Klage des Orpheus Che faro senza Euridice (ach, ich habe sie ver-
loren), das erneute versöhnte Einschreiten Amors, Euridice erwacht,
Ballett, der Schluß rondohaft mit den verschiedenen Soli des Orpheus,
des Amor, der Euridice, die von Chören im Refrain gleich beantwortet
werden.
Wer sich diesen Bau ansieht, wer ihn gleichsam tabellarisch registriert,
wird seine organische Gliederung bewundern müssen. Es sind nicht nur aus
den Formen der verschiedenen Genres der Rezitative und Arien, den Chören
und Soli, den Tänzen und Zwischenspielen Einheiten geworden, sondern es
ist ein monumentales Ganzes hingestellt, das, auf eine Kontrastentfaltung
und Differenzierung seiner Elemente bewegt, doch niemals die ruhigen Li-
nien einer lyrischen Grundstimmung verläßt. Die wenigen dramatischen
Momente, das Erscheinen Amors, die Wiederfindung und das Wiederver-
lieren Euridices brechen das Gesetz nicht. Es ist die Architektur einer Mu-
sik, die dem Gesicht so wohltut wie dem Gehör. Es ist das große Sonett
eines Parnassien, das uns die formale Macht klassizistischer Empfindungen
in einem Maß überliefert, wie es alle historischen Nachahmungen der
antiken Tragödie, alle Massenchorversuche unserer Zeit nicht vermögen.
Es bleibt das Wunder einer plastischen Schönheit in Tönen. Was wir
in das goldene Zeitalter der Antike zurückträumen, ist hier erreicht und
gegeben.
Ungern zerlegen wir diesen Bau in seine Glieder, um ihre Zeitlichkeit zu
prüfen. Dann gewinnt die Fröhlichkeit Amors einen störenden Beigeschmack,
und die unmögliche dramatische Situation zu Beginn des dritten Aktes läßt
die Frage offen: warum sagt er ihr nichts von dem Verbot, damit seine Qual
und Schuld noch größer werde ? Er würde die lyrische Stimmung brechen.
Nehmt es als eine Folge lyrischer Bühnenbilder, legendarisch begründet, und
an diesem Werke wird kaum eine Patina sein, die nicht den Stilreiz seines
Alters erhöht. Seine ungekünstelten Harmonien, sein absichtlich gleich-
mäßiger Rhythmus, der Frühlingsduft seiner erdgewachsenen Melodien geben
ihm heute Schönheiten wie am ersten Tage. Ein unbeschreiblicher silberner
Glanz liegt auf den Gesängen und Tänzen der seligen Geister. Die graziöse
Beweglichkeit des schwebenden Basses, die göttliche Sprache dieser melodi-
schen Linien, die bald eine himmlische Freude verheißen, bald eine süße
Strenge verraten, oder eine empfindsame Rührung, die Kontur ihrer Ent-
faltung aus stillen Träumereien zu herzlichen Gebärden, die Tonartenfolge
in ihrer reichen und doch so einfachen Lagerung, diese seligen Geister um-
klingen uns von allen Orpheusgesängen am verheißungsvollsten durch unser
Leben. In hellen Gewändern, langsamen Schrittes, zeitlos und sorgenlos be-
wegen sich die Genien durch paradiesische Fluren, jedes Drama zu einem
Gedicht wandelnd, das längst im Schöße der Ewigkeit gelöst ist, jedes Erleb-
nis seiner Materie entlastend. Eine Solooboe führt Orpheus durch das Ely-
sium in breiten, breiten Gängen. Die ersten Violinen wiegen ihre Triolen,
die geteilten Bratschen geben ihre Terzenachtel, zweite Violinen und Flöten
streichen hindurch, Hörn, Fagott und Cellosolo halten das Pedal, der Baß
setzt ein leichtes, aber bestimmtes Pizzikatofundament darunter, und darüber
singt Orpheus seinen Sonnenruf, das sehnsüchtige Auge auf die Geliebte ge-
richtet, die ihm die balsamische Luft, immer wieder in einer wundersamen
Ruhe wogender Ewigkeit über seine Seufzer sich hinunterlegend, zuzuführen
scheint.
Die selige Ruhe des für Wien italienisch geschriebenen Orpheus wurde
vielfach gestört, als die Oper 1774 nach Paris versetzt und umgearbeitet
wurde. Die Bravourarie des Orpheus, die gänzlich aus dem Stil fällt, eine
neue Amorarie, ein großes Furienballett, neue Himmelballette, der an sich
so holdselige Satz der Euridice mit dem Chor (der sie unlogisch auf die
Bühne führt, ehe sie noch Orpheus sucht), wieder noch neue Tänze, ein
Schlußterzett, bringen den Bau ins Wanken, oder wenigstens gliedern ihn
anders, theatralischer, vielleicht dramatischer, sicherlich dankbarer, zumal in
der Instrumentation vieles aus neuen Erfahrungen verbessert ist. Aber man-
ches wird auch schlechter. Der Zinken in der Trauermusik fällt fort, das
Englischhorn verblaßt in eine Klarinette, die Altstimmen werden auch in
den Chören in hohen Tenor umgeschrieben, den haute-contrc, der in Paris
bis etwa 1800 dem ungewohnten Kontraalt vorgezogen wird. Die nachlässig
geschriebene Partitur Glucks verleitet zu Torheiten. Bcrlioz crzälilt, daß
man durch früheren Einsatz der Posaunen ihre Wirkung abschwächte, — sie
sollten erst durch ihren plötzlichen Stoß zu dem Nb des Höllenchors er-
schrecken. Kurz: die Partitur des Orpheus geriet trotz manchen Zutaten
und durchgehenden Revisionen in eine gewisse Verwirrung, die ihr bis
heut geblieben ist. Von da ab sind die Aufführungen in einer gemischt ita-
lienischen und französischen Form. Wir in Deutschland haben gewöhnlich
die italienische Form, aber nehmen die schöne Stelle der Euridice mit dem
Chor der Seligen, die Pariser Ursprungs ist, hinzu. Der Willkür der Sänger
war alles freigegeben. Auch in Paris wird der Orpheustenor wieder ein Alt,
eine weibliche Rolle. Die Viardot singt das j'ai pcrdu mon Eurydice erst
132
zurückhaltend, dann das zweitemal sotto voce, bebend, tränenerstickt, dann
über die Bühne stürzend, indem sie die tote Euridice verläßt, in einer wahn-
sinnigen Verzweiflung, fortissimo, mit entstellten Worten, Akkorden, mit
einer virtuosen Fermate auf dem hohen G.
Alceste
DIE Pariser Umarbeitung der italienischen Wiener Alceste war noch
viel durchgreifender. Es ist weniger als die Härlfte des ursprünglichen
Stücks übriggeblieben, das andere hinzukomponiert. Die Freundin Alcestes,
Ismene, fällt fort, die Kinder sind sturnm geworden, die ganze Szene in der
Unterwelt fehlt, und ein Herakles wird eingefügt, der eine drollige Ver-
gangenheit hat. In der lächerlichen Komödie des Euripides ist er nur betrun-
ken und rettet Alceste aus Liebe zu seinem Gastfreunde Admet. In dem
Quinaultschen Texte ist er sogar in sie verliebt und rettet sie aus einem Egois-
mus, der schließlich nur seiner Dummheit weicht. Calsabigi eliminierte ihn,
aber sein Pariser Bearbeiter beging den kaum von Gluck gebilligten Fehler,
ihn neben Apollo, dem deus ex machina, als Todbezwinger wieder einzu-
führen und ihm eine Arie zu geben, die so schlecht komponiert ist, daß man
Gossec als ihren Autor betrachtet. Calsabigi, Glucks Dichter, hatte das
Motiv des Gattenopfers wirklich aus dem Wust von Betrügereien, Taktlosig-
keiten, Klatschereien, Liebesintrigen, der sich in der Literatur an diese ein-
fache Sage angesetzt hatte, gereinigt. Admet soll sterben, im Tempel kündet
das Orakel, daß der Gottheit ein freiwilliges Opfer genehm wäre, Alceste,
seine Gattin, nimmt es auf sich; sie nähert sich den Pforten des Hades; Freu-
denchöre klingen um den genesenden Admet; er erfährt erst nach langem
Drängen, daß sie es ist, die sich für ihn opfere ; beide streiten aus Liebe um den
Tod, bis Apollo gerührt ihnen beiden das Leben gibt. Hier war das Wesentliche
hingestellt und die dankbaren dramatischen Möglichkeiten daraus entwickelt."
Der Opferkonflikt, der den Inhalt von Glucks Alceste bildet, stellt uns
diese Oper dramatischer in die Erinnerung als seinen Orpheus. Die Lei-
denschaften gehen höher, die Kontraste spitzen sich schärfer. Wir kennen sie
fast nur in der französischen Fassung, die straffer und eindrucksvoller ist.
Die ernste Ouvertüre führt hier sofort in einen um Rettung schreienden Chor,
das Rezitativ des Herolds, mit den einzigen Trompeten des Stücks, der stark
zusammengefaßte Klagechor, der zum Doppelchor anwächst, das Heraus-
wachsen von Alcestes Gesang aus den Wiederholungen dieser Chöre, das gibt
eine schnelle Entwicklung, die die ähnliche Anlage des ersten Orpheusaktes
an Schwung übertrifft. Mit der wundervoll archaistischen Pantomime treten
wir in den Apollotempel: Posaune, Hörn, Fagott in C-Dur und die Stimme
des Oberpriesters, der gewaltige Phöbuschor mit der unendlich wiederholten
dreitönigen Phrase, die zwischen dem Priester und der Menge hin und her
geht, unter dem schwirrenden und fliegenden Orchester, eine zweite, noch
gefühlvollere Pantomime, auf mächtigen Dreiklangflügeln der Glanz des
Gottesbildes, das Kreszendo des Priesterrezitativs, der Ausbruch der Blech-
bläser, das Orakel auf Posaunen, die Flucht des Chores, die Ausdrucksfülle
von Alcestens Rezitativ, ihre noble entschlossene Arie Non ce n'est point
un sacrifice, ihr grandioser Ruf an die Nacht und endlich ihre berühmte ra-
pide gesteigerte Arie Divinites du styx — diese Seiten gehören zu den größten
dramatischen Äußerungen der alten monumentalen Oper. ISIanwird ihr Tem-
perament ebenso bewundern wie ihre musikalische Schönheit im einzelnen.
Marx hat die italienische Fassung, die ganz anders disponiert ist und viele
andere Stücke enthält, mit Unrecht vorgezogen. Ich will das Detail hier
nicht vergleichen, ich opfere die ältere Form unbedingt dieser neuen. Ich
opfere auchgern die große Unterweltszene, mit der der zweite Akt zuerst begann,
Chöre und Tänze der Hölle, Gesänge des Nume infernale, Arien der Ismene
und Alceste, zumal das interessanteste Stück, die Alcestearie Chi mi parla,
naturalistisch, in gestoßenen Worten auf zitternder Begleitung, häufig in die
moderne Fassung an anderer Stelle übernommen wird. Die Freudenchöre,
die um den genesenden Admet klingen, haben ihr bestes Teil aus „Paris und
Helena" entlehnt, den reizenden schaukelnden G-Dursatz in Dreiviertel auf
Pizzikatobegleitung. In ausdrucksvollen Rezitativen spannt sich der Konflikt
zwischen den Gatten und eine nicht unvirtuose Arie der Alceste führt zum
Ende. Ein rührendes Stück ist das Lamento Evanders, das den dritten (fran-
zösischen) Akt eröffnet mit dem Nachhallen des Chors in den Palast hinein —
bei der Flucht des Tempelchors hatte die italienische Ausgabe einen ähnlichen
guten Effekt in einem zitternden Baßchor im Innern des Hauses. Die grausig
unfruchtbare Landschaft der Höllengeister, Charons Hörner (mit den Stürzen
gegeneinander) und der von Berlioz zu Unrecht verurteilte Schlußchor mit
seiner konsequenten, beethovensch-eisernen diatonischen Phrase (er stand im
Italienischen schlechter am ersten Aktschluß) sind die Hauptmomente dieses
Aktes, der in der langsamen Entwicklung des schleichenden Dramas auf der
Bühne an Wirkung verliert.
Ich bewege mich durch ein Werk, das seine Zeit aufregte. Angebrochener
als der Orpheus, hinterläßt es uns Erinnerungen an große Momente, an
edle Arien, an die rauschende Tempelszenc, aber es beginnt zu sterben. Wie
liebevoll beschäftigte sich mit ihm noch Berlioz in seinem „A travcrs chants",
..■" "^i
,MM^
Gluck. Lithographie nach Maurin
dessen beste Abschnitte Gluck gelten. Mit besonderem Interesse lesen wir
seine Betrachtungen über das Glucksche Orchester, das tremolo appogiato,
ein Fingerbeben auf der Saite, das unter den festen Tönen der Oboe, der
Klarinette und des Horns Alcestes Ruf an die Töchter der Nacht gespen-
stisch begleitet, die Wirkung der hohen Kontrabässe, die Katarakte der Strei-
cher in der Tempelszene, und doch wieder die allgemeine Glanzlosigkeit des
Klanges infolge durchgehender Anwendung der Mittellage hoher Instru-
mente. Hier spricht ein Fachmann. Sein gar zu schwärmerisches Urteil über
die Divinites-Arie, seine Rettungsversuche schwächerer Partien des zweiten
und dritten Aktes werden wir nicht so immer unterschreiben. Zum Schluß
führt er uns die fünf Pariser Alcestes bis zu seiner Zeit vor: die Levasseur mit
großer, aber ungeschulter Stimme, die St. Huberti als vollendete Künstlerin,
die Maillart, schön, aber dumm, die schwarzäugige Branchu, ebenso tempera-
mentvoll wie kultiviert im Deklamieren und Nuancieren, und die ^'iardot,
ausgezeichnet in ihren antikischen Stellungen.
Paris und Helena
CALSABIGIS Orpheus wurde, zum Vergessen, auch von Bertoni kom-
poniert, seine Alceste auch von Guglielmi, mit einer Bravourarie Ad-
mets und graziösen Höllenchören, sein „Paris und Helena" ist bei Gluck ge-
blieben, der ihm selbst nicht viel helfen konnte. Helena ist die Verlobte des
Menelaos, Paris kommt, sie zu holen, es entwickelt sich ein Streit der Ge-
ständnisse und Gefühle, schließlich gibt sie trotz der Warnung Athenas
nach. Wieder sind es nur drei Hauptpersonen, aber die dritte, der als Erasto
verkleidete Zwischenträger Amor erinnert mit dem ganzen Intrigenspiel
dnd Liebesgerede an die schlechtesten Masken der gleichzeitigen italienischen
Libretti. Die Ouvertüre hat die ausgesprochene dreisätzige Symphonie-
form, eine marschförmige Einleitung, ein Moderato, ein Allegro — die Mo-
tive sind zum größten Teil der Oper selbst entlehnt. Was bleibt uns aus der
Oper ? Ich streiche nur Stellen an. Der hübsche Venuschor zu Beginn, der
in die Alceste übernommen wurde, die gute Parisarie mit dem reizenden
Echo der Oboe, der plötzliche, merkwürdig gewagte dramatische Abbruch
seines Spinge amate, diese und jene kleine feine Malerei, wie in Amors rosiger
Beschreibung von Paris, die harten Athletenchöre und -tanze, der charakte-
ristische aspro ed ingrato canto der Spartaner im Gegensatz zur weichlichen
Melodie derPhryger, das flüssige Duett im dritten Akt, das neckische Terzett,
das etwas virtuose, aber stark einsetzende Schlußduett — viel ist es nicht und
das Wenige verblüht in einer flauen Atmosphäre. Es ist genug seichtes Tän-
deln. Es fehlen die festen Striche seiner monumentalen Szenen. Ein Intermezzo.
Die aulische iphigcnic
DER aulischen Iphigcnie hat sich Wagner angenommen. Ist es heut
schwer möglich, Gluck unbearbeitet zu geben, so ist Wagners Bearbeitung
ein Muster an dramatischer Einbindung. Das Original und seine Partitur zu
vergleichen gibt Genüsse philologischen Entzückens, besonders wenn er
136
seine Handschrift nicht verstellen kann. Ich denke wenig an die Gerichtsver-
handlung, die Euripides aus dieser Sage machte, oder an das edle Vexierspiel,
das Racine mit ihr anstellte. Roullet hat sich redliche Mühe gegeben, aus
seinen Vorlagen einen dankbaren Text herzustellen. Es ist ja gleich, so gleich-
gültig, wenn wir Glucks Musik hören, die hier eine neue Blüte erzielt. Sie
ist von einer außerordentlichen herben Strenge und bitteren Melodik, die
sich in dem Ernst der großzügigen Ouvertüre sofort ankündigt, einem So-
natensatz, der auf symphonische Zeitalter wirkte, Agamemnons Gesicht vor-
ausweisend. Inmitten der holden Begrüßungen Iphigeniens und zarter
Frauenchöre, neben dem Hochdruck der Klytämnestraarien, dem Stolz der
Achillarien, den starken Duetten des Liebespaares, unter dem Säuseln be-
wegter Lüfte in Iphigeniens zierlichem F-Durstück, den ziehenden Vorhal-
ten, reizenden Augenaufschlägen ihrer Vaterliebe, nach dem C-Durauf-
schwung des großen drängenden Terzetts von Mutter, Tochter und Gelieb-
ten, wir hören nur immer die gewaltige berühmte Soloszene Agamemnons,
ausbrechend, fortreißend, ein Sturm von Dramatik, der alle Kräfte der Zeit
zu lösen scheint. Ein Akkompagnato beginnt, von rollenden Läufen unter-
brochen, auf Schlägen, auf Tremoli fühlt er sein Herz bluten über das ver-
langte Opfer, lentO). presto hart aufeinander, Schreie, denen die Figur des
Orchesters mit rasender Begierde folgt, eine lange Pause, das Wüten er-
schöpft sich in chromatischen Abstiegen, das Orchester singt mit ihm das
dechirer mon coeur, ein ruhiger A-Moll-Satz (Wagner kürzt), dakapo angelegt,
bringt seine Stimmung in geordneten Fluß, ein Allegro in A-Dur gibt den
pathetischen Schluß (den Wagner erweiterte) : er bietet sich der grausamen
Göttin und ihrem Priester selbst an, Wahrheit und Wirkung. Wagner streicht
die Figur des Patroklos, er vereinfacht, wo es ihm recht scheint, er knüpft
organische Bindeglieder, er erweitert, wo die Aktschlußwirkung es ihm emp-
fiehlt, er stellt die lebensfähigen Arien und Chöre scharf zusammen, vermin-
dert die Tänze, er gibt der Iphigcnie ein ganzes schönes Abschiedslied im
vollendeten Lohengrinstil, Lohengrinakkordc begleiten sie zum Altar und er
läßt sie retten durch die Erscheinung der Artemis, die derselben Oper hul-
digt. Dieser Schluß hat seine Geschichte. Ursprünglich sagte Kalchas nur, der
Scheiterhaufen hätte sich von selbst entzündet, die Götter seien gut, der Wind
wehe gen Troja. Eine Griechin sang ein Liedchen, das der Donzellearie aus
,, Paris und Helena" nachgebildet war, und nach einer Chaconne brach ein L^ni-
sonochor hervor, partons, volons ä la victoire, wie ein Volksgesang gallischen
Akzentes, eine erste Marseillaise, mächtig im Rhythmus, Bühne und Zuhörer
im Taumel des Sieggefühls fortreißend, eine der strahlendsten Eingebungen
Glucks. Warum er dann fortfiel, weiß ich nicht. Alte Khvierauszüge kennen
ihn nicht. Man findet ihn im Anhang von Marx neugedruckt. Aber schon
in alten Korrekturen läßt Gluck die Artemis selbst die Versöhnung übernehmen.
Wagner wußte das kaum, er komponierte sie neu. Er schließt mit dem Ruf
„nachTroja", ohne Erinnerung, daß Gluck diesen Ruf einst ausgeführt hatte.
Die Einfachheit der Orpheusmelodie hat einem größeren Zug weichen
müssen. Die monumentale Härte Rameaus, die schwer bewegte Händeische
Polyphonie, die Lieblichkeiten feiernder junger Stimmen und die dramatische
Kraft des großen Akkompagnato, alle diese Zeitelemente finden eine Form
genialer Prägung und höchster Elastizität. Was an ihnen nicht mehr ganz lebt,
ist die gewisse Monotonie ihres gesanglichen Schemas und der orchestralen
Graue ; was lebt, ist die reine Anschauung eines hohen Pathos und einer formalen
Dichtigkeit, die keine dramatischen Willkürlichkeiten kennt. Alle diese Achill-,
Iphigenien-, Klytämnestra-, Agamemnonarien leben in unserer Erinnerung
trotz ihres persönlichen Charakters als Gebilde allgemein musikalischer Abso-
lutheit, Teile einer letzten Auseinandersetzung eines Genies mit seiner Zeit.
Ich schreibe hier nicht von dem, was war, sondern was für uns ist. Wir alle
stellen uns dazu wie Wagner, das Starke bindend, das Peripherische verlierend.
Armide
WIR bearbeiten uns innerlich seine Armide, indem wir die musika-
lischen Charaktere seines Dramas loslösen. Er übernahm den alten Qui-
naultschen Text, trotz seiner Verästelungen vielleicht einen der besten der Tra-
dition, weil er verhältnismäßig dankbare und einfache Situationen bietet. Die
Verherrlichung der Armide im ersten Akt, die Verführung des feindlichen
Ritters Rinald im zweiten, die Szene der Armide mit dem verbündeten „Haß"
im dritten, die Episode Ubalds und des dänischen Ritters im vierten (ein über-
flüssiges Illusionspendant im Kabarettstil), die Liebesszene, Rettung Rinalds,
die Verzweiflung Armidens im fünften Akt gaben gute Kontraste. Gluck stellte
sich nicht sonderlich romantisch dazu, er gab von seinen Formen nichts an das
Zaubermärchen ab, aber er suchte schärfer als je die Charaktere und ihre Gegen-
sätze herauszubilden. Nach der gleichgültigen Ouvertüre, die er schon im Tele-
mach und in den Feste d' Apollo verwendet hatte, findet er liebliche Töne für
die Dienerinnen der Armide. Der Charakter kehrt wieder bei den Najaden-
gesängen, die Rinald einschläfern, reizende Stücke in G-Dur voll delikater
melodischer Wendungen. Der sich anmutig schlängelnde Gesang der seligen
Geister um Rinald C'cst l'amour trifft denselben Ton. Der scharfe Gegen-
satz liegt in den Furienchören, noch mehr in dem ausgezeichneten Furien-
tanz, der eine dämonische Kraft entwickelt. Stark im Rhythmus stößt das
138
Ensemble Armidens mit
dem Haß und seinem
Chor. Der stürmisch-
ste aller Chöre ist der
Kriegschor poursuivons,
der unter dem Triolen-
geschmetter des Orche-
sters,von den Solisten ge-
führtjineineberauschen-
deSteigerung auswächst.
Hidraot, der Vater, ver-
trittdasschwerePrinzip :
pour vous, quand il vous
plait, tout l'enfer est
arme ist schlagend', zer-
rissen, hochgezogen, un-
geordnet, wie Barbaren-
tum. Seine Beschwö-
rungsszene mit Armida
(aus demTelemach um-
gearbeitet) ist ein wil-
des Rollen, in das, ähn-
lich wie in Agamemnons
Wut, Oboe oben, Fa-
gott unten drohend einschneiden. Armide selbst, die abtrünnige Tochter
der Hölle, ist voll ritterlicher, stolz punktierter Träume, sehr gefühlvoll mit
Ritenuto und Nachdenklichkeiten der Begleitung, besonders wirksam in der
musikalisch ergreifenden Schlußwendung des dritten Aktes, Oh ciel, auf
schwirrendem Orchester, das seltene melodische Blüten in Verdis Art auf-
steigen läßt, und am Ende des Ganzen, wo ihre ohnmächtige Wut unter
starken Schlägen des Orchesters und gewaltigen Aufschreien tremolo da-
niedersinkt. Rinald ist voll Sinnigkeit. Der Ritter verliert im Zaubergarten
der Feindin und Geliebten seine Schwertfreude und wird ein empfindsamer
Held. Eine Komposition ohnegleichen ist das Schlummerlied, das ihn in eine
wogende, flüsternde Landschaft sich verlieren läßt, von allen Rinaldo-
schlummerliedern das genialste an breiter Empfindung und musikalischer
Feinheit. Eine entzückende Instrumentation, so vielfarbig wie nur je in der
orchestral ziselierten Armide, gibt den Bläsern ihre Melodien, Haltenoten,
Kolorismen in den wiegenden Streichern. Rinald und Armide vereinigen ihre
Glucks Handschrift: Erste Seite der Armide
139
Gefühle in dem großen Liebesduett, dessen musikalische Faktur man nur mit
derjenigen Lullys über denselben Text zu vergleichen braucht, um das alte
Schwache und das neue Starke, um zwei Zeitalter zu unterscheiden.
Lully beginnt mit einem allemandenartigen Vorspiel. Armide, vous
m'allez quitter wird eine altertümliche Schlußfigur, ritornellartig. Vous
brülez pour la gloire, Armide geht in Dreiviertel über, wird melodischer,
liedmäßiger mit hübscher archaischer Schlußrepetition. Rinald bleibt im
selben Takt: la gloire gibt ihm immer wieder eine melodische Hebung. Er
singt ein paar nette Kantilenen, wenn er behauptet, die Liebe dem Ruhm
vorzuziehen. Er bleibt in der Mittcllage, auf einige leichte Silben schwingt
er sich zum as und b empor. Beide bleiben monoton im Dreivierteltakt,
C-Dur, C-Moll, C-Dur, C-Moll, bis zum Duett Aimons-nous, auch wieder
monoton, aber in Vierviertel. Schließlich fordert Armide die Geister rezi-
tativisch auf, während ihrer Abwesenheit ihm eine Passacaglia vorzumachen.
Gluck beginnt mit gefühlvollen Vorhalten, die den Ruf an Armide moti-
visch aufnehmen. Schon entwickelt sich dramatisches Leben. Sie reizt ihn
lieblich in Bindungen herunter, er entgegnet ihr heroisch. Un noir pressen-
timent — verminderter Septimenakkord. Das Liedmäßige, Melodische ge-
winnt. Die Tonarten gehen scharf vorwärts, F, B, Es, über C-Moll, plötzlich
eintretend C-Dur mit dem Duett: jauchzend, in diatonischer Größe, Domi-
nantenakzente auf die „Non", auf „Flamme" steigende Figur, in Sexten über
dem tiefen G, über d, e, f, bis a, von einer jubelnden Stimme her empfunden.
Noch stärker: non, rien ne peut changer mon äme in schlagender Leidenschaft,
beethovensch hart auf Tonika und Dominante abwechselnd, mit dem breiten
Opernschluß a, herunter f, c, d zum c. Ein sanftes Armidenrezitativ leitet
zart nach B-Dur, worin die reizende Chaconne der Geister beginnt.
Die tauriscJic Ipliigenie
DER Stoff der taurischen Iphigenie war im Laufe der Zeiten verwirrt und
intrigiert worden, wie irgendeiner. Bei Euripides erkennt Iphigenie den
Orest durch den Kniff, daß sie Pylades für etwaige Schiffsunfälle den Inhalt
des Briefes, den sie ihm in die Heimat gibt, mündlich mitteilt. Er ist der Mann
der Elektra, und sie ein dummes, neugieriges Mädel. In der Oper des Majo
war Klytämnestra nur aus Versehen von Orest getötet worden, während schon
Jommclli und Traetta gerade in der Furienverfolgung ein dankbares Motiv
ausbildeten. Die Goethesche Wendung, daß Iphigenie dem Thoas einfach
ihre List gesteht und daß er begütigt einwilligt, wäre dem dramatischen
Trieb dieser Textdichter sicher nicht sympathisch; lieber ließen sie, wie
140
Guillard, der Librettist Glucks, die ganze Rettung und Waschung des Ar-
temisbildes überhaupt fort und entwickelten das Drama katastrophal. Pylades
ersticht den Thoas und Orest wird erst am Opferaltar erkannt.
Gluck stürzt sich in dieses Drama. Das Vorspiel, am Schluß motivisch
wiederholt, führt sofort in den Sturm mit Pikkoloflöte, zur Iphigenie, zu den
Priesterinnen. Die Ruhe kehrt zurück und Iphigenie ergeht sich in ausdrucks-
voller Klage. Thoas kontrastiert mit wuchtigen niederfallenden Akkorden.
Das Barbarentum steigt auf: ein Skythenchor mit Pikkolo, Klarinette, Oboe,
großer Trommel, Becken, Triangel. Orest erscheint, nicht ohne italienisches
Pathos; mit einer Reminiszenz aus Glucks Telemach, während Pylades in
seiner reizenden, gefühlvollen A-Durarie den milderen Gottheiten sich an-
vertraut. In Sextenrezitativen verteidigen sie sich gemeinsam. Im Gefäng-
nis singt Orest seine berühmte Arie le calme rentre dans mon coeur: auf den
wirbelnden Bratschen Schumannsche Empfindung. Die Ruhe war erlogen.
Die Furien erscheinen, ein schaudernd schöner Chor, in den seine Erbar-
mungsrufe hineinschneiden. Wundervoll das Rezitativ, in dem Iphigenie das
Unglück ihrer Familie beklagt, süße Trostchöre der Priesterinnen, und ihre
Arie O malheureuse mit der obligaten Oboe, die Bachsche Erinnerungen durch
frühere Bearbeitungen in eine neue zarte Schönheit wendet, und, Kranz von
Melodien, contemplez ces tristes apprets, Chor und Iphigenie in einem- La-
mento süßester Tränen. Die Seele einer abschiednehmenden Musik spricht
aus dem Gesang Iphigeniens, da sie Einen unter den Beiden zum Opfer
wählt, sie schürt den edlen Wettstreit der Freunde, deren Duett ihr Leben
noch einmal zuckend, sinkend vereint. Die drei Schläge der Furien: Orest
ersehnt das Ende, die Tempi werden schnell blaß und wieder rot (ich kürze),
sein synkopisch atmender Dank, der mozartisch reine Chor Chaste fille de
Lutonc, die zitternde Erregung des Opfermessers, der Moment der Erken-
nung Orests und das Gewitter der über Thoas hereinstürzenden Katastrophe.
Es war die erste Oper, die ganz ohne Liebe vorbeiging (Richard Strauß hat
sich ihrer in einer neuen Bearbeitung angenommen), aber sie'hatte eine an-
dere Leidenschaft, die der Bühne, die noch nie so schlagend dreingefahren
war. Hier siegte der Dramatiker Gluck über Italien, Paris und uns alle.
Orpliica
ORPHEUS hatte der Liebe entsagt, als er Euridice nicht wiederfand.
Bacchus läßt ihn dafür von den Mänaden zerreißen. Jupiter aber setzt
ihn als Halbgott in den Himmel. Diese Version der Orpheussage hatte
Stefano Landi, den römischen Komponisten, zu einer Oper begeistert, die
symbolischer war, als er dachte. Liebe und Drama, Orpheus und Dionysos,
Gefühl und Leidenschaft fochten ihren Streit aus um die Bühne. Vergils
tragischen Ausgang verwarf Rinuccini, der Dichter Caccinis und Peris — sie
kennen kein Verbot Plutos, sie vereinen konfliktlos Orpheus und Euridice und
schließen in Freude. Diese freudige Euridice eröffnete die erste Epoche der
Oper, die zweite der Orfeo Monteverdis, der den Konflikt kennt, aber von
Apollo im Himmel schlichten läßt, die dritte der Orpheus und die Euridice
Glucks, die an der Schwelle des neuen Dramas nicht mehr von einem deus
ex machina, sondern von der „Liebe" selbst dazu geführt werden, sich in
keine Tragödie zu stürzen. Liebe und Drama ! Seine letzte große Oper ist
ohne Liebe, aber sie ist das höchste Drama der Opferkonflikte und des
Freundschaftseifers, die er einzeln vorher besungen. Und Orpheus wird
doch ein Halbgott.
Gluck gab seiner Zeit, so viel er an Gestaltung der Charaktere und Passion
des Dramas erreichen konnte. Sein Bild bleibt uns aber in diesem Orpheus,
der die monumentale Form der klassischen Oper in ihrer reinsten und in
einer bisher unübertroffenen Größe hingestellt hat. Das Drama wurde nach
ihm leidenschaftlicher, die Charaktere noch schärfer, die Klassik der lyrischen
Situation ist ihm geblieben. In Poussins Armide spielt der Glanz eines pa-
thetischen Idealismus, in Marees Hesperiden erkalten die Farben eines frag-
mentarischen Koloristen, in Feuerbachs Medea erstarrt die Form einer stili-
sierenden Bühne, das antike Orpheusrelief mit dem unentwegten Rhythmus
seiner Gestalten und der ewigen Ruhe seines schamhaften Gefühls bleibt
durch die Geschichte ein Wahrzeichen. Glucks Rezitativ ist von diesem
rührend unverfälschten Ausdruck, seine Deklamation ist keusch und rein,
seine Ensembles sind ein gefügter Bau, seine Arien sind Linien voll ruhiger
Ehrfurcht, die der Bodengestaltung seiner wohlgeschichteten Harmonien,
ohne alle Erregungen des willkürlichen Augenblicks, folgen, seine Tänze sind
das Bild gleichbewegter Rhythmen, seine Chöre sind Stereometrie von mas-
siver Gesetzmüßigkeit. Die Soli und die Ensembles verbinden sich zu sym-
metrischen Gebilden von der Ornamentalität des alten Reliefs. Alles ist auf-
einander bezogen, aneinander gerichtet und wohl abgemessen im Verhältnis
des Dramas zum Tableau, des Lyrischen zum Bewegenden, des schattierten
Orchesters zur leibhaftigen Person. Die Szenen seines Orpheus sind das
Vermächtnis einer Zeit, die das stehende Oratorium auch auf der Bühne den
letzten Anforderungen der Dramatik nicht opferte. Es sind die seligen Geister
des Klassizismus.
142
DIE BUFFO-OPER UND MOZART
Anfänge dcy italienischen Bnffoopey
DIE italienische Buffooper ist von einem Papst begründet worden. Als er
noch nicht Clemens IX. hieß, dichtete Giulio Rospigliosi die Komödie
Che soffre, speri, die Mazzocchi und Marazzoli in Musik setzten. Über die
Eindrücke der ersten Aufführung in Rom 1639 ist sogar ein Brief Miltons
erhalten. Heut wäre der Eindruck nichts als Langeweile. Denn die Musik
besteht zum größten Teil aus leichten, hingeworfenen Sekkorezitativen, deren
Parlandostil hier zum erstenmal sich bewährte. Wenig geschlossene Nummern,
einfache Chöre, Aber es hatte einer gewagt, neben den (schwächlichen) Edel-
leuten Bauern und Volksfiguren der Musik zu empfehlen, deren Typen durch
die florentinische Bauernkomödie genug realistisch vorgearbeitet waren, um
sich musikalisch illustrieren zu können. Der Inhalt ? Hugo Goldschmidt in
seinen Studien zur Geschichte der italienischen Oper entwickelt ihn für
historische Philologen. Unerzählbar. Die beiden großen Motive der Buffa,
Hunger und Verkleidung, sind da. Ein Jahrmarkt mit den kontrapunktierten
Stimmen der Ausrufer, die schon die alte programmatische Vokalmusik ge-
liebt hatte. Die Sprache in den unteren Schichten Dialekt.
So ganz Buffostil ist dieses Stück trotzdem nicht. Es ist nur mit Musik
begossen, nicht in Musik gesetzt. Der Buffostil will Spott. Er will die Schick-
sale der Menschen auf ihre geheimen tänzerischen Qualitäten anspielen, sie-
sollen ihre Empfindungen zu Liedchen machen und im scharfen Takte laufen
lassen und sollen sich über diese reizende Unart mit ein wenig Lyrik trösten.
Kommt her, geschwätziger Doktor Graziano aus Bologna, und du, alter gei-
ziger, betrogener Pantalon aus Venedig, und der schlagfertige Bergamasker
Diener Harlekin, ihr renommistischen Soldaten des Plautus und Terenz, die
liebe Bande der Commedia dell' arte, der Pulcinell mit der ganzen Reihe
seiner Geliebten, Lucrezia oder Zeza zuerst, dann Rosina, Carminc, Pimpi-
nella, Colombine, singt lustig und zärtlich, wie ihr seit alten Zeiten singt,,
in den Intermezzi, die man in die ernsten Schauspiele einschiebt, macht
Spanier, Deutsche, Juden, Sizilianer in feinen Chören nach, wie Orazio.
Vecchi es euch in den Veglie di Siena empfahl, verstellt euch als Tiere und
geniert euch nicht vor Naturlauten, tritri die Grille, quaqua der Frosch,
bebe das Lamm, cuccherico der Hahn, und die Kanone bon-bon und gar
der glucksende Wein im Bauch clo-clo, — ihr habt eine Welt da auf der Bühne
zu erobern, die kleinen Leute für die kleinen Leute. Und das wird das Größte
werden.
Schon zuckt es allerorten vom Spott gegen das Pathos, in manchem Cha-
ron, in manchem Stotterer, in manchem Renommiersoldaten. Da lacht Vul-
kan in Cestis Disgrazie d'amore, da mozartelt leise in seiner Magnamintiä
d'Alessandro die Aliffa ,, Bella usanza certo si", da flucht der Soldat in Ca-
vallis Doriclea auf den Krieg und verulkt die hundertfach gehörten Rufe
All' armi, da spottet in Landis San Alessio (von unserem Freund Rospi-
gliosi) so zierlich melodiös das Duett der Pagen und Luigi Rossis Orfeo
schämt sich nicht der Operette — Rospigliosi hatte 1654 eine zweite komische
Oper gedichtet, Dal mal il bene, nach Motiven des Calderon, dessen Hei-
mat er unterdessen als Nuntius besucht hatte: steife Edelleute und lustige
Volksfiguren, Herr Tabacco und Fräulein Marina. Abbatini hatte den ersten
und dritten Akt komponiert, Marazzoli den zweiten. Abbatini macht die ersten
richtigen Finales, natürlich noch ohne Individualisierung, aber er fühlt doch
die Konsequenz des Buffostils zum Ensemble. Leporelloklagen des Dieners,
verzwickte Verwechslungen, Wiedererkennungen, Schlußpaare sind typisch.
Tabacco ist ein Ahn des Figaro. Er proklamiert eine Weltanschauung, die
die Moral aller Buffoopern sein könnte: Traurigkeit schadet der Gesundheit.
Seine trällernden Liedchen, während er versteckt beobachtet, seine tänze-
rischen Bekenntnisse, deren lustige Melodie er schließlich nur noch auf do re
mi fa fortsummt, sind sehr sympathisch. Musikalische Reize : die ausgehal-
tenen Töne über wechselnden Bässen, ein Terzett im Dakapostil, hübsch me-
lodische Arietten, mehrstimmige Rezitative, Ansätze zur Charakteristik —
und doch ist das Genre noch etwas literarisch geblieben, viel sprühender als
der erste Versuch es war, aber mehr über das Volk, als aus dem Volk. Nicht
anders die komische Oper Tancia von Moniglia und IMelani: Liebeserklä-
rung des Tölpels, Abweisung, Rache, Verwechslungen, Ständchen, Prügel,
Erkennung der Tochter, Entführung beim Fest, Tierstimmenimitation, ab-
sichtlich falscher Dialekt, Parodie venezianischer Beschwörungsszene — jeder
Akt schließt mit einem Ensemble. Das Springende und Spottende ist mehr
eine Einlage in das Gewebe einer halbseriösen Oper im halbvenczianischcn
Stil. Die Tancia eröffnete 1657 das Pergolatheatcr in Florenz.
Die Stadt des Pulcinell wird die wahre Buffostadt. Ganz klar ist es
nicht, weil es so ganz aus dem Volke kam. D'Arienzo hat versucht, in seiner
,, Entstehung der komischen Oper" das Dunkel dieser lustigen Epoche zu
lichten. Der Komponist Cirillo taucht auf, als Überleitet von Florenz nach
Hogarth: Dritter Akt der Bettleroper, Miss Fenton als Polly. Der Herzog von Bolton und Gay unter den Zuschauern
\
Neapel, im 17. Jahrhundert, der dieselbe Orontea vertonte wie Geist.
Und neben ihm Provenzale mit seinem Schiavo della sua moglie (1671.)
Er ist Scarlattis Lehrer, dessen Trionfo dell' onore 1719 (ein Don Juan-
stoff) die älteste erhaltene Neapler Buffooper ist, und dieser der Lehrer Lo-
groscinos, bei dem der Stil, das Parlando, das Finale fertig wird. In Vincis
Zite'n galera sprechen alle, außer einem, Dialekt, das Finale hat fünf Per-
sonen, die Verspottung der tragischen Effekte ist der Witz eines Duetts —
und lyrische Ergüsse sind die Sauce. Liebe und Prügel sind der Inhalt, wie
sie der Inhalt von Pergolesis Frate innamorato sind, der an musikali-
schem Gehalt die Vorläufer in Schatten stellt. Das war 1732. Im nächsten
Jahr schrieb dieser meteoraufleuchtende, früh sterbende Komponist die
Serva padrona, die erste reine, die erste durchbrechende Buffooper, die
heut noch nicht verschwunden ist. Man muß immer bedenken, daß diese
alten Meister ihre Buffoopern neben den ernsten Werken, durchaus nicht
als einziges Lebensziel, arbeiteten. Wer weiß noch etwas von Pergolesis
Olimpiade oder Flaminio ? In der Kirchenmusik und auf der Buffo-
bühne ist er geblieben. Das Schicksal der Serva padrona ist wunderbar.
Das Stück hat nur drei Personen. Eine, der Diener, ist stumm und gibt
sich zu den üblichen Püffen und Verkleidungen her, um die Eifersucht zu
wecken, die die Serva braucht, ihren Padrone zur Ehe zu zwingen. Diese
beiden singen, von einfachen Streichern begleitet, ihre Parlandi, ihre kleinen
Soloarien und am Schlüsse jedes der beiden Akte ein Duett. Die Musik ist
von einer kristallncn Klarheit, die Melodie von süß bewegten Reizen, der
mimische Ausdruck ihres Buffocharakters schlagend und alles auf so knappe
und präzise Faktur gebracht, daß es den einfachen musikalischen Sinn nicht
weniger befriedigt, als es dem verwöhnten Ohr durch seine archaisch gebun-
dene Ehrlichkeit schmeichelt.
Am 4. Oktober 1746 wird die Serva padrona in Paris zum erstenmal
im Theätre des Italiens gegeben. Des Venezianers Sacrati Pinta pazza war
hundert Jahre vorher schon in Paris gespielt — und vergessen worden. Der
Mercure schrieb nur darüber: Es scheint ähnlich zu sein, wie die Buffoauf-
führungen 1729 in der Opera comique italienne, gemischt mit Prosa, die
Musik fand man exzellent, von einem auteur ultramontain „Pergolese", mort
fort jeune. 1752 geben es die Bouffons in der Großen Oper als ein Inter-
mezzo zu Acis und Galathee. Sie werden ausgewiesen. 1754 wird es fran-
zösisch übersetzt und in der Comedie italienne gegeben, als so großer Erfolg,
daß es die ganze antifranzösische Stimmung in Fluß bringt, die Buffonisten-
parteien weckt, die französische komische Oper ins Leben ruft und somit
aller Welt zeigt, wie man jung und frisch werden könne, wenn man lieb und
145
nett ist. Die \\ cUenkreise gingen in die gesamte Oper, bis an den letzten
Rand des Pathos.
Welche dunklen oder gelehrten Namen habe ich da in die Anfangs-
geschichte der komischen Oper geworfen, bis ich an diesem Punkte war.
Aber ich wollte wissen, wie es um diese Laune zur Musik aussah, ehe Mozart
wurde. Es ist kein Roman, es ist ein Stückchen Liebhaberei des Volkes, die
die Künstler zielbewußt aufnehmen. Alles Literarische, der marinistische
Ton der Edlen und das Volksgespringe und realistische Getue der Niederen,
der Spott und die Parodie in Venedig und in Florenz, alles das versank vor
der Laune Pulcinells, der sich in Bürgerkreise begab, um die Tragikomödie
des täglichen Lebens in Liedern zu belachen und zu besingen. Er selbst zog
vor, hinter den Kulissen zu bleiben und die Regie zu führen. Der Spott war
nur das Kostüm, ein rührsames Herz schlug dahinter. Der Adel lebt woll-
lüstig, der Diener wird gefoppt, der Bürger hat sein Recht auf die Musik.
In der Parodie steckte Revolution, in der Klage die Sanftmut einer schön
beruhigten Form. So kam die Form über das Pathos und der Geist wieder
über die Form. Man sang und tanzte das bürgerliche Leben zwischen der
Geste der vornehmen Welt und der Karikatur des Sklaven, zwischen Spanien
und Terenz, in dieser lichtvollen, klingenden Neapler Heimat. Man war
ganz frei und musizierte nach Lust, schöne, gefaßte, heimlich tanzende und
liedmäßige Musik, ein wohlgeordneter Ball von Gefühlen, der mit der Kraft
aller vergnüglichen Disziplin auf die große Oper hinüberwirkte.
Von Neapel aus, nach Neapel hinüber folgt Buffoopcr auf Buffooper.
Wer zählt sie auf! Ein Abschnitt scheint wieder mit Piccinis Buona figliuola
erreicht, die in Rom 1760 ihren Welterfolg hat. Adel und Bauern. Die
Bäuerin ist schließlich Adelskind. Viel Dialekt und ungebildete Sprache.
Ein naiver und dummer Text: wenn einer in eine dramatische. Verlegenheit
kommt, sagt er einfach ,,vivement" die Wahrheit. Aber in der Musik sind
geschliffene Schönheiten: die berühmten Finales, mit Wiederkehr der An-
fangsmotive, also noch rondomäßig, dazwischen sauber rhythmisch gesetzte
Repliken, das famose Lied unseres alten Freundes, des Renommiersoldaten
Taillefcr, feine Kontraste im Duett zwischen diesem derben Kerl und dem
sensiblen Marquis, das reizend melodische, auf Tonika und Dominante wie-
gende Duett zwischen den Sopranen Marton und Annette und vor allem im
letzten Akt das Duett des Marquis mit der Rosette, in Linie und Bau des
Meisters würdig, auf den alle diese Wege hinzielen.
146
Z)/^ englische Bettleropey
ITALIEN hatte gleichzeitig eine ernste und eine komische Oper von Be-
deutung gehabt, Frankreich kam ihm, wenn auch zögernd, in dieser Doppel-
seitigkeit nach, Deutschland erst viel, viel später, und England zog sich sehr
teilweise aus der Affäre. Man bezeichnete Purcell im 17. Jahrhundert als
nationalen Komponisten, weil seine großen Opern englischen Text hatten —
in Wahrheit waren sie italienische Derivata. Aber 1727 passierte etwas Merk-
würdiges. Man war es gewohnt, auf der Bühne Volkslieder zu hören, auch
mit neuem untergelegtem Text, der aus der Situation schöpfte. John Gay
entschloß sich, ein ganzes
solches Stück zu machen.
Es war seine berühmte
,, Bettleroper", das epoche-
machende Werk dieses
Genres der Ballade-opera.
Er griff in die Hefe des
Volkes. Wirklich lebende
Personen wurden persi-
fliert. Jonathan Wild war
ein Polizeispitzel -gewesen,
ein überzeugter Deist, was
ihn nicht gehindert hatte,
35 Räuber, 22 Einbrecher,
10 anderweitige Verbre-
cher der Gerechtigkeit zu
überliefern und fünfmal verheiratet zu sein. Aus Swiftschen Anregungen,
oppositionell gewappnet, machte Gay seinen Text, der \iclleicht das
Witzigste und Lebensvollste ist, was je einer Oper geboten wurde. Herr
Jonathan Wild wurde das Modell eines Spitzels, namens Peacham, dessen
Tochter Polly mit dem Verbrecher Macheath verheiratet ist. Peacham in
seiner natürlichen Abneigung gegen diesen Beruf verhaftet seinen Schwie-
gersohn, der sofort, seiner gemeinen Veranlagung getreu, Polly abschwört.
Daß er schließlich doch nicht gehängt wird, ist das Resultat einer der
Operntragik abgeneigten Unterhaltung zwischen dem Player und dem
Beggar, die Prolog und Epilog des Stückes bestreiten. Wir sind mitten unter
Apachen und Dirnen, atmen die Luft ihrer versteckten Lokale, verkehren
mit ihnen unter ihren Gaunernamen, sprechen mit ihnen in ihrer Verbrecher-
sprache und verstehen sie durch die Musik. Die Musik ist, außer einer von
Hogarth. Ticket zur Bcttlcropcr
147
[ '7 ]
THE
BEGGAR'S OPERA.
ACT I.
S C E N E Pcachum's Houfc.
Peachumy?/;<nj at aTahle, ivith alarge Book ef Accotmts
befcre kirn.
A [ R I.
An old woman cloathed in ora
ae##teffg
Pepusch komponierten kleinen Ou-
vertüre, nichts eigen Erfundenes,
sondern alles sind Volkslieder, Bal-
laden, Tänze, wie sie reicher als je
im englischen Mund leben und das
englische Publikum entzücken. Wel-
cher Rhythmus, welcher kräftige
Schnitt in den Figuren, welcher
herbe Reiz in den alten knochigen
Kanten und plärrend weiten Inter-
vallen. Bald singen sie diese Lieder
allein, bald wechselnd im Duett,
bald im Refrain des Chors : der
akrobatische Tanz bewegt sie, eine
klowneske Parodie auf die große
Arie, die Gauner im Kontretanz,
die Gefangenen in Ketten tanzend,
aber der Trost der verspotteten
heroischen Gebärde heißt : The grea-
test heroes have been ruined by
women. Die neu. hinzugedichteten
Texte zu diesen ^'olksliedern sind
literarisch ein Genuß, sie stehen in
ihren scharfen und feinen Rhythmen
als vollendete Lyrik mitten in dem
breiten und witzigen Dialog. Ich
habe einen Originaldruck der Beggar's opera in der Hand. Die Noten sind
nur einstimmig gegeben, der ursprüngliche Text des Volksliedes steht im
Stichwort immer darüber. Die Begleitung kann sich jeder machen.
Das englische Genre, das die einfachsten musikalischen Instinkte auf eine
sehr anständige Weise befriedigte, hatte seine unübersehbaren Fortsetzungen.
Es wirkte ins Leben, in die Kunst, in die Malerei — zu Hogarth. Die Dar-
stellerin der Polly, Miß Fenton, heiratet den Herzog von Bolton. Indessen
pflanzt sich die literarische Polly fort zu einem zweiten Stück dieser Art
,, Polly", das in Amerika spielt mit Indianerepisoden, auf der einen Seite ein-
facher und rührender, auf der anderen aber schon degeneriert durch italie-
nische Arien und französische Chansons als Einlagen. Man liest das Nähere in
Sarrazins Schrift über Gay, der den Text neu druckt. Die Ballade-operas wach-
sen ins maßlose. In Berlin finden sich noch ganze Manuskriptbündel.
148
'T'HROUGH alt ibe employmenls of life
Each mi^hboiir alujes hu brother ;
IVhore r.nd Rc^ut ihn ic'.t Hiiß-j-nd and IVifi :
AU profeffwns he ro^ut one ano'.her.
the Piicfi cal/s ihi Luifyci n cheat,
The Lawyer he-hi/ives tbt Divine;
Aiid ihe Sial/fman, btcaufe he's fo great,
7btHks bis trade as hcneß as mine.
B A Lawyef
Eine Seite aus der Bettlcroper. Druck von 1777
Deutsche Singspiele
ENGLISCHE Einflüsse mischen sich in Paris mit denen der italienischen
Buffooper, um die geistsprühende französische komische Oper zu wecken,
in Deutschland regen sie ein Singspiel an, das sich bald als die Quelle einer Kunst
erweist, die viel nationaler gefärbt ist als alle große Oper. In Wien war die
große Oper venezianisch geblieben bis hinunter zu Fuxens Costanza e for-
tezza, deren Bombenaufführung in Prag uns Quantz geschildert hat — das
Stück ist mit seinem ganzen Apparat in den österreichischen Denkmälern
neu gedruckt. In Deutschland herrschte die Maske des Italienertums von
Schützens Dafne bis Holzbauers Günther, auch vor den deutschen Text-
worten. Die Hamburger um Keiser, die vielen Opern des Wolfenbüttlers
Schürmann, Scheibes Thusnelda, Müllers Niobe, die deutschen Opern
Schweitzers, die ihre Zeit in Aufregung setzten, waren Enttäuschungen.
Der Mannheimer Hof, der das beste Orchester züchtete und die Anfänge
der modernen Symphonie kultivierte, ließ auch diesen Schweitzer kommen,
er gab sich um die deutsche Oper Mühe, er setzte seine größten Hoffnungen
auf Holzbauer, dessen Günther von Schwarzburg 1777 (von Kretzschmar
in den Deutschen Denkmälern herausgegeben) für die Verwechslung der
Phrase mit dem Naturell bezeichnend war. In diesem Texte, der einen na-
tionalen kriegerischen Stoff unter Beziehungen auf die Pfalz in Metastasioart
mit Liebesgeschichten verquickt, geht es hoch her mit Schildklappern und
Vater-Teut-Rufen und Günther stirbt: „Entnervender als Zwietracht ist
Hang zu fremder Sitte. Stolz, deutsch zu sein, ist Eure Größe." Es hatte
noch Zeit bis zu den Meistersingern. Das unbeschreiblich kindische, sprach-
lich-deklamatorisch ganz willkürlich behandelte Libretto wird in der Musik
entnationalisiert, die im allgemeinen symphonisch arbeitet und, einige glück-
liche Stellen ausgenommen, ebenso mechanisch, wie äußerlich, wie undeutsch
ist; aber kontrapunktisch anständig, monoton bald, bald koloriert wie
Hasse. Das Beste ist das fein behandelte Orchester, das die treffliche Mann-
heimer Schule zeigt. Die vielen Akkompagnati mit gemaltem Beben, mit
Wüsten, Donner, Nacht, empörten Elementen, Wind, Blättern, Wogen,
Klüften, Himmeln sind die typischen italienischen. Die große Szene der
Pfalzgräfin geht in diesen Übertreibungen unter, die sonst in ihren Arien
manche Zärtlichkeiten aufweist. Ein Sturmchor, einiges Tem'perament im
Liebesduett, vor allem die Es-Dur-Arie Rudolfs ,,Wenn das Silber deiner
Haare" bleiben in der Erinnerung. Der Timbre dieser Arie mahnt wirklich
schon etwas an Mozarts Zauberflötengesang, mit dem man auch sonst gern
diese Oper in eine leise Berührung bringt, weil sie dem Meister gefallen hat.
149
Die Berührung ist nur äußerlich. Anständige Gesinnung und Genie ver-
pflichten einander nicht. O, es ist all das so ungeschickt.
Die innerlich deutsche Art kam langsam, auf Umwegen, plötzlich er-
leuchtet von Mozarts Genie, reif erst in Weber, aus dem Singspiel. Die Wege
dieser ersten deutschen Singspiele sind selbst eine kleine Buffooper der Ge-
schichte, an Intrigen, Verwechslungen, Verkleidungen und Hanswurstereien
überreich. Springen wir hindurch. Gay und Coffey arbeiten, als Folge
der Bettleroper, in England 1728 den Devil to pay und 1735 als zweiten
Teil den Merry cobler. Volkslieder sind darin und auch Neukomponiertes.
Die Schönemannsche Truppe in Berlin macht es sich zunutze, gibt danach
ein Singspiel „Der Teufel ist los", 1743, aus Vorsicht im Manuskript, über-
setzt von Brock, dem ersten Übersetzer von Shakespeares Cäsar. Einige
Jahre darauf hat die Kochsche Truppe das Stück, zwei Teile „Der Teufel ist
los" und ,,Der lustige Schuster". Dort handelt es sich um die Vertauschung
einer reichen schlechten und einer armen guten Frau durch einen Zauberer
— hier wird ein grober Schuster gefügig gemacht. Die Texte hat Koch selbst
und Weiße bearbeitet, die Musik Standfuß gemacht, der deutsche Singspiel-
begründer: einfache, derbe Melodien, nicht ohne italienischen Buffoein-
schlag, die Begleitung gern etwas realistisch. Standfuß stirbt. Weiße arbeitet
den Text noch einmal um nach des Parisers Sedaine Diable a quatre, einem
der hundert Singspiele der Franzosen, die nach derselben englischen An-
regung ihre Texte mit Volksliedern oder Parodien großer Arien beleben, —
ihre Herkunft festzustellen ist wieder einer Doktordissertation würdig. Den
neuen Weißeschen Text komponiert Hiller. Er ist ein grämlicher Mann und
hat Kopfschmerzen, aber er bringt das deutsche Singspiel auf seine erste spie-
ßige Höhe. Er liebt Hasse und stellt sich gebildet: Koloraturen, Sequenzen.
Er will höher. Favart hat in Paris seine Fee Urgele gemacht, eine Zauber-
oper, wo eine Art Leporello, eine Art Papageno und ein Verlieben in ein Bild-
nis vorkommt: genug, um als Vorstufe Mozarts angesehen zu werden. 1764
bearbeitet Schiebcler danach einen deutschen Text, der französisch Lisuart
und Dariolctte heißt, und Hiller macht eine proto-romantische Musik dazu,
die aber ganz italienisch ausfällt. Großer Erfolg der Kochschcn Truppe.
Johann Adam Hiller, der Gründer der Gewandhauskonzerte, Musikzei-
tungserfinder, Popularisierer des deutschen Liedes, der berühmte einfache
deutsche Mann, war ein Philister. In ihrer Schrift über die ersten deutschen
Singspiele, die dies reizende Material sehr interessant zusammenbringt, stellt
Calmus die französischen Originale und die Hillerschen Singspiele neben-
einander: welcher Abstand! Grazie und Suff. Die rhythmische Beweglich-
keit, die Ensemblefreudigkeit, der elegante Schliff und das skeptische Lächeln
150
des Parisers wird plump, steif, bür-
gerlich dumm und gräßlich senti-
mental. Hiller ereifert sich gegen
das französische Verfahren mit persi-
flierten, geborgten Liedern : er fühlt
sich besser als Gluck und Gretry,
auch er verwechselt Gesinnung und
Genie. In dem Qui pro quo dieser
alten internationalen Singspiele
spielt er die Rolle des Michel, der
seine Zipfelmütze für eine Krone
ausgibt : man zieht sie ihm über seine
treuen Augen, damit er seinen Hei-
land nicht sehe.
Der Italiener Ciampi hatte seinen
Bertoldo in corte gemacht, danach
Favart seine Ninette a. la cour,
danach Weiße und Hillcr ihre Lott-
chen am Hofe: schließlich ging die
Geschichte wieder nach Italien zu-
rück und zuletzt wirkte sie womöglich
auf Beaumarchais' Figaro. Schlechte
Edelleute und gute Bürger, ein Mädel
wird vom Hofmann verführt, die Gräfin statt ihrer im Finstern, Verderbnis,
Entdeckung, Anspielungen — Hillcr war in diesem Stück leichter geworden,
er vermeidet das Dakapo, er versucht die Einheit zwischen dem \'^olkslied der
niederen Guten und dem Arioso der adligen Schlechten. Frau Favart, die
große Brcttldiva, einst die Mätresse des Marschalls von Sachsen, wie Casanova
von ihr berichtet, hatte einen Freund, den Abbe Voiscnan, genannt Archiveque
de comedie italienne. Er machte ihr Annette et Lubin und nach diesem und
anderen Stücken schweißte Weiße die ,, Liebe auf dem Lande" zusammen, die
Hiller komponierte. 1753, in der Serva-padrona-Zeit, war gegen die Buffo-
nisten Mondonvilles Titon et Aurore aufgeführt worden. Favarts Lubin pa--
rodiert jetzt noch (1762) die Arien Titons, Annette aber verspottet ihn mit
einem Volkslied. So waren die Zeiten. Die deutsche Übersetzung nimmt es
ganz naiv auf. Was wollte Hiller von den französischen Parodien ? Sie waren
so geistvoll, daß in ihnen sich sogar Herr und Frau Favart gegenseitig aufzogen.
Doch ich komme in das entzückende Fahrwasser der Pariser komischen Oper
— die Tour ist zu lohnend, sie muß für einen besonderen Tag bleiben.
fi.A.]HlIOLlElx.o
Iliik-r. Alter Stich
151
Es geht mit Hiller so weiter. Die „Jagd", 1770 in Weimar aufgeführt,
Anna Amalia gewidmet, ist einer der Schlager der Kochschen Truppe ge-
worden. Wieder aus französischen Mustern zusammengesetzt. Der König,
unerkannt im Volke, wird von dessen Liebe gerührt, die Guten werden be-
lohnt, die adligen Verführer bestraft. Ein Gewitterduettchen mit rollenden
Passagen. Ein Sturmorchester, Zwischenspiel bei leerer Szene. Das welt-
berühmte Hannchcnlied ,,Als ich auf meiner Bleiche ein Stückchen Garn be-
goß". Hiller sinkt in das Herz der Deutschen. Noch Spohr liebte ihn. Seine
Ensemblechen, auch am Aktschluß, alle kleinen drastischen Soli mit Sprech-
witzen und Orchesterbildchen, das Schnarchen und Brummen und Hüpfen,
die lieben Melodien und sonntäglichen Gefühle, das Vornehmgetue und das
Volkstümliche in ihrer harmlosen Trennung und Vereinigung mischten end-
lich das englische Lied mit der italienischen Buffokunst, und so hatte der
Deutsche von allem, was er wollte. „Das liebe Patschgen zu küssen, ist eine
Panacee, heißt es im Dorfbarbier. Es traf Instinkte. Noch Lortzing be-
arbeitete die Jagd. Bis 1890 hielt sie sich.
Mozarts fugend
HERR Meßmer, der berühmte Magnetiseur, hatte reich geheiratet und
besaß ein Landhaus bei Wien. Dort wurde im Jahre 1768 ein kleines
deutsches Singspiel aufgeführt, „Bastien und Bastienne", das einen zwölf-
jährigen Knaben namens Wolfgang Amadeus Mozart zum Komponisten
hatte. Der Text war von einem Herrn Weiskern nach einer französischen
Vorlage der Madame Favart bearbeitet worden, die wieder eine Parodie auf
Rousseaus berühmten „Devin de village" gewesen war, nicht so pastoral-
idyllisch wie das Original, sondern derb-bäuerlich, mit Dialekt, und Madame
Favart hatte selbst darin als Bäuerin mit Holzpantinen die Herzen der kleinen
Leute hingerissen. Es ist die einfache Geschichte eines Bauern und einer
Bäuerin, die ihre gegenseitige Liebe anzweifeln und schließlich, nicht ohne
Vermittlung eines vermeintlichen Zauberers, wiederfinden, was zu einer Reihe
Liedchen und Duettchen Veranlassung gibt, die der Dialog verbindet. Wer
war aber der kleine Kerl, der da so hübsche Melodien setzte, die mindestens
auf der Höhe der Hillerschen standen ? Man brauchte es niemandem in dieser
Gesellschaft mehr zu sagen. Jeder kannte ihn. Das war das Weltwunder von
Salzburg, das halb Europa schon in Aufregung versetzt hatte. Onkel Schacht-
ner, der Trompeter, hatte es so vielen schon erzählt, wie er bereits mit vier
Jahren eine Art Klavierkonzert hingekleckst hat, und die Violine spielte er,
152
fast ohne sie zu lernen — aber seine Trompete, die mochte er nicht leiden,
die tat ihm weh. Und erst das Klavierspielen! Nannderl, die fünf Jahre älter
war, und er, der Bub von sechs Jahren, waren mit dem Vater gereist und
hatten gespielt, erst in München und Wien, dann in der ganzen Welt, in
Weimar, Frankfurt, Aachen, Trier, Brüssel und in Paris und London und im
Haag, in der Schweiz, drei Jahre waren sie fort gewesen, manches Ungemach,
manche Krankheit hatten sie durchgemacht, aber die Könige und Fürsten
hatten ihnen kostbare Geschenke gegeben, und sie verkehrten an allen Höfen,
und die Musiker hatten Wolfgang, dessen Violinsonaten schon gedruckt und
Symphonien aufgeführt wurden, aufs Gewissen geprüft: Gott, er spielte auf
verdeckter Klaviatur, er improvisierte, komponierte, las vom Blatt, Schwierig-
keiten gab es nicht. Mit zehn Jahren hatte er schon ein Oratorium geschrie-
ben. Kaiser Joseph H. hatte ihm auch eine Oper zu machen gegeben: „La
finta semplice". Es war ein richtiges Buffostück mit Ensembles. Aber Intri-
gen verhinderten die Aufführung, der Direktor mit dem schönen Namen
Afflisio war ein fauler Kopf, er hatte sich ein Offizierspatent erschwindelt und
soll zuletzt als Fälscher auf die Galeeren gekommen sein — unter Casanovas
Bekannten wimmelt auch er herum.
Erst später, in Salzburg, wurde dieses Stück aufgeführt, und so blieb das
kleine deutsche Singspiel Bastien und Bastienne, sehr bezeichnenderweise,
sein öffentliches Theaterdebüt. Nun, es ist ganz nett, aber nicht weiter be-
deutend. Die Formen der Arien sind nicht zu streng, gar nicht schulmäßig,
und die Ensembles sind gar leicht. Wir suchen unbesonnen nach dem späteren
Mozart. Das naturalistische Gis im D-Dur des Dudelsacks fällt uns auf,
manche melodische Wendung in der Arie der Bastienne läßt uns aufhorchen,
die Hokuspokusarie des Zauberers amüsiert uns und — in der Bastienarie, im
Duett fliegen nicht Figarotöne an unser Ohr?
Verfolgen wir den jungen Mann weiter auf den Stationen seiner
Opern, der Opern, denen die Nachwelt ein besonderes Andenken bewahrt
hat, so treffen wir ihn wieder in München, im Winter 1 774/1 775, wo seine
von dem musikliebenden Kurfürsten Maximilian HL für den Karneval be-
stellte Oper La finta giardiniera der Aufführung harrt. Nannderl ist mit da und
viele Salzburger, sogar der Erzbischof, obwohl dem nicht arg an Mozart lag.
Was hatte er indessen erlebt! Er war beim alten Bischof mit dreizehn Jahren
erzbischöflichcr Konzertmeister geworden, hatte dirigiert und gespielt, eine
große italienische Reise gemacht, bei der berühmten Bastardella gespeist, die
noch auf dem dreigestrichenen F trillerte, vor dem verwöhntesten Publikum
und den gelehrtesten Musikern bestanden, war zum Cavaliere ernannt wor-
den und Mitglied der gestrengen Bologneser Akademie, und hatte, vierzehn-
153
Mozart. Alte Lithographie nach dem verlorenen Bilde des
Schwagers Lange
jährig, in Mailand mit der
Seria-OperMitridate unge-
heueren Erfolg gehabt. Ein
neuer Erzbischof kommt,
HieronymuSjZu dessen Ein-
führung er die Oper Traum
des Scipio schreibt und im
selben Jahre, 1 772, ist schon
wieder in Mailand eine neue
Premiere : Lucio Silla. Nun
fließt die Komposition, die
Messen, die Kammermusik
und Symphonien, die Be-
gleitmusik zum KönigTha-
mos, deren Chöre die Zau-
berflöte ahnen lassen. Es
ist nur gerecht, wenn die
Münchener Aufführung
der Pinta giardiniera endlich auch einmal in Deutschland seinem theatra-
lischen Genie die Genugtuung gibt, die Italien ihm so eifrig gewährt hatte.
Der Erfolg ist groß, seine musikalische Erfindung strahlt zum erstenmal im
vollen Glänze ihres Frühlings. Noch war Wien ihm nicht so geneigt. Im
selben Jahre wird dort die Pinta giardiniera aufgeführt, aber mit der Musik
von Anfossi.
Der Text ist haarsträubend und verhindert heut eine Aufführung dieser
Mozartschen Buffooper, die das Publikum durch ihre entzückende Musik
in Staunen setzen würde. Liebesintrigen und Verkleidungen, die gar nicht
auszuwickeln sind. Eine Marchesa sucht ihren Geliebten als verkleidete Gärt-
nerin und sticht in ein Wespennest von Galanterien. Auf dem Zettel ist
gleich der Versuch einer Orientierung gemacht : der Podestä, Liebhaber San-
drinas, diese Sandrina, die finta giardiniera, liebt Belfiore, Belfiore liebt jetzt
Arminda, Arminda ehemalige Geliebte Ramiros, Ramiro jetzt von Arminda
verschmäht, Zofe Serpetta, in den Podestä verliebt, Diener Roberto von
Serpetta verschmäht- Es ist kein Wunder, daß Sandrina und Belfiore zeit-
weise wahnsinnig werden, bald Pastorales singen, bald sich einbilden, Me-
duse und Herkules zu sein, bald die wildesten Tänze aufführen. Mozart
bringt eine himmlische Ordnung in diese Verhältnisse, indem er gänzlich
unliterarisch eine Musik darüber schüttet, die an Einfällen, Schönheit, Geist-
reichtum und Hingebung die ganze Epoche schlug. Zum erstenmal komme
154
:.^-
Konstanzc Mozart. Alte Lithographie nach dem verlorenen
Rlldc des Schwagers Lange
ich in die nahe Berührung
mit dem größten musika-
lischen Genie, das die Welt
erlebte. Wie folge ich mit
Worten seinem Fluge ? Ich
wiege mich im Genuß,
lesend und spielend. Im
ersten Ensemble gleich, wie
scharf werden die Charak-
tere gegeneinander abge-
setzt, das reizende Vöglein
der Ramiroarie schwingt
sich auf, der Podestä schä-
kert mit den Orchester-
instrumenten, die süßen
Linien der Melodie in Ar-
mindas A-Dur-Arie, der
Buffostolz von Belfiores
Ahnengalerie, die wehende zarte Turteltaubenarie der Sandrina, die spaßige
Persiflage Nardo-Robertos der Liebeserklärungen sämtlicher Sprachen, dieser
Garten von mozartischen Melodieblüten, und die pointierten Septimen- und
Nonenakkorde, und das Buffounisono des Basses und all das Geschnatter der
lustig hervorstürzenden Sechszehntelvvortc und die rührende Malerei des
Orchesters in Landschaften der Natur und der Seele, und vor allem San-
drinas großzügiges Stück in C-MoU mit der reizend bewegten Begleitung
und dem herzlich gehobenen Rezitativ und dann dem lächelnden Schluchzen
in A-Moll, wundervoll zuletzt das Sichsuchen von Bclfiore und Sandrina in
schüchternem Erwachen und das Sichfinden im Duett, das sich jubelnd über-
singt und überspannt in den Tonikaquinten und Dominantseptimen, die
einander das Wort vom Munde nehmen, und über allem unvergeßlich die
beiden großen Finales, Ensembles aller Personen, eine Kette von blühenden
Melodien, die einander im Takte ablösen, immer wieder die neue Situation
einspinnend und jeder Figur darin ihren musikalischen Platz anweisend, ein
Sichneigen, Wiederaufnehmen, Abbrechen, Hochführen, Kränzen und Jauch-
zen von Musik, durch Harmonien aufgezogen und hinabgesenkt — o Piccini,
deine Buona figliuola ist nur ein paar Jahre älter, aber sie versinkt völlig
vor diesem Genie, das die alten Neapler Arien und Akkompagnati und Fi-
nales mit einem ungeahnten musikalischen Leben füllt, bewundernswert bis
zu den zögernd wartenden Akkorden und dem hervorstürzenden Sopransolo
155
des Schlußchors auf der allerletzten Seite. Es ist die Handschrift des Figaro-
meisters. Sein Autograph aber ist nur vom zweiten und dritten Akt erhalten.
Die alte deutsche Übersetzung überwachte er selbst.
Übel alle äußeren Umstände seines Lebens und seiner Werke unterrichtet
die von Deiters bearbeitete Jahnsche Biographie, ein deutsches Muster
an Treue und Fleiß, den Leser genügend. Ich habe das hier nicht zu wieder-
holen, ich möchte das Bild Mozarts malen, das unserer Zeit geblieben ist,
dieses liebenswürdig heitere, seelisch beschwingte Bild, dessen Züge uns eine
seltene und von Jahr zu Jahr fruchtbarere Gnade, eine himmlische Offen-
barung geworden sind. Und schon stutze ich vor dem patriarchalischen Spe-
zialismus Jahns, wenn ich mich der opera seria Mozarts zuwende. Ich lese
Kretzschmars kurzen Aufsatz „Mozart in der Geschichte der Oper" im
12. Petersjahrbuch und frage mich: ist dieses Urteil eines ebenso sachlich ge-
bildeten wie künstlerisch feinfühligen und selbständig prüfenden Gelehrten
nicht wertvoller, ich meine, anregender als der ganze Jahn ? Kretzschmar er-
klärt den Mangel der Seriabegabung Mozarts mit der ganzen Art, wie er in
diese Richtung hineingekommen ist. Es ist wahr, Majo, der „Benjamin" der
Neuneapler, und Pergolesi, die ebenfalls schon in sehr jungen Jahren Opern
schrieben, wuchsen in dieser Branche auf; Mozart trat ihr auf Umwegen
näher, auf den Umwegen über die Instrumentalmusik, die seine Jugend war.
Er lehnte Jommelli ab, Hasse und Traetta wurden nicht seine Gegend, er
war beleidigt, als ihn Grimm selbst auf den Piccinischen Roland hinwies,
dessen Glucksche Einflüsse ihn wenig interessierten, die Glatteren und Leich-
teren, Lampugnani, Latilla wirkten auf ihn, und so läßt sich nicht sagen,
daß er in seinen Seriaopern Hasse, Sarti oder Gluck, selbst den Salieri, der
sich an Gluck anlehnte, als er ihn nicht umwerfen konnte, übertroffen
habe. Bis in die Konstanze, die Elvira, die Königin der Nacht verfolgt
Kretzschmar diese schlechten Muster. Aber wir fragen uns : warum — war-
um blühte ein Genie, das in sämtlichen anderen Zweigen der Musik blühte, in
diesem einen nicht ? Warum war er schwach, wenn wir schon zugeben, daß
er es war ? Bloße Abhängigkeit von Kastraten, einseitige Erziehung, zufälliges
Hören erklärt es nicht. Und hätte er wirklich, anders gestellt, der alten Seria
soviel Zuwachs bringen k(')nncn ? Nein, diese Form war mit Neapel und Gluck
erfüllt. Sie war, in ihrer seelischen Provinz, nur wieder zu finden von einem
anderen Wege her, der mit ungezwungener Zielrichtung und durch schone
Prospekte dahin führte : durch die Vertiefung der Buffa. Das war seine Mis-
sion, sowie es darauf Wagners Mission war, den dritten Weg von der Sym-
phonie her zu finden. Beide wußten es nicht. Mozart schreibt noch 1778 an
den Vater: ich \\i\\ eine Seria machen, keine Buffa. Er tat es später, anders
156
als er meinte. Die richtigen Serias aber, die er sclirieb, blieben konventionell,
ohne daß er es merkte.
Mit solchen Gedanken treffen wir ihn wieder in München, beim Karneval
1781, der seine Seriaoper Idomeneo brachte. Er war unterdessen in der
Welt wieder umhergereist. Salzburg begann ihn abzustoßen. Der hoch-
mütige, scharfe, musiklose Bischof Hieronymus, den die Geschichte wegen-
seines verständnislosen Benehmens gegen Mozart auf ihre schwarze Liste ge-
setzt hat, bevorzugte die Italiener. Mozart reiste mit der Mutter nach Mün-
chen, nach Mannheim, nach Paris, wo sie ihm wegstarb. Zu aller Verwirrung
kommt die erste starke Liebe in Mannheim über ihn: Aloysia Weber, die
Sängerin, — es gibt schlimme Stunden, Vorwürfe, Heimlichkeiten, Tränen,
Befehle, Ergebungen, schließlich löst ihre Heirat mit Lange seine Verlegen-
heit und er komponiert ihr zum Abschied die erste Alcestearie aus Glucks
Oper — als ein Bravourstück! Und fügt für seine Mannheimer Freunde
Ramm und Ritter obligate Oboe und Fagott hinzu. Opernpläne und -ver-
suche werden erwogen für Mannheim, für Wien, sogar für Paris, wobei die
anonyme Musik zu Noverres Petits riens abfällt, man sieht Fäden sich zu-
sammenziehen, wie sie bei Gluck zu einem festen Gewebe geführt hatten,
hier werden sie nicht aufgesponnen oder sie werden fallen gelassen, und end-
lich ist das einzige Resultat der pfälzisch-bayrischen Interessen dieser Auf-
trag des Idomeneo, in dem nichts anderes Neues herauskam als ein feines
Orchester im Mannheimer Stil. Es ist nicht das zielbewußte Kunstwerk in
Mozarts Leben, es ist ein Spiel mit seinem Genie. Dies sind die beiden
Lebenstypen von Gluck und Mozart : ein Serio- und ein Buffotyp. Wie lie-
ben wir den Buffo.
So tritt von ungefähr der Idomeneostoff an ihn heran, den nach franzö-
sischen Vorbildern, nicht besser, aber milder, sein Landsmann, der Salzburger
Hofkaplan Varesco für ihn arbeitete. Idomeneo, der für seine Rettung Po-
seidon als Opfer den ersten, den er trifft, versprochen hat, tötet nicht mehr
seinen Sohn, der eben dies Opfer sein soll, sondern eine Götterstimme, der
einzige Baß in der Oper, legt die Sache gütlich bei, Ilia, die Glückliche, hei-
ratet den Sohn und Elektra, die Intrigantin, die ihn vergeblich geliebt hat,
stürzt davon: etwa Niveau des Metastasio. Mozart nimmt die Sache halb
italienisch, halb französisch, Bravourarien mit Sekkorezitativen und Chören,
die nötigen Requisiten, Stürme, Seeungeheuer, Aufzüge, Gebete, Tänze sind
vorhanden — wie es Brauch ist, arbeitet er während der Proben das Stück
fertig, nach persönlichen Wünschen, den Idomeneo für den alten, guten,
eitlen Raaff, den Sohn Idamante für den dummen Kastraten del Prato, die Ilia
für die famose Dorothea Wendling, vielleicht hat er den dritten Akt gar erst
in München gemacht, denn er ist so viel besser. Von der Aufführung wissen
wir nicht viel, Vater und Schwester waren da, also existieren keine Briefe.
Aber über die Proben schrieb er ausführlich und mit so sicherem Erfolgs-
gefühl, daß man meinen könnte, Hasses Prophezeiung (bei Gelegenheit der
Ascanio-Aufführung in Mailand), Mozart werde die Zukunft der Seria sein,
sei jetzt schon eingetroffen.
Der Idomeneo ist für uns ziemlich leere \'ergangenheit. Sein Genie
leuchtet wenig. Die Phrasen sind charakterlos, die Koloraturen äußerlich,
die Motive abgebraucht, die Herzlichkeit Gott sei Dank nicht zu viel vor-
handen. Lichtblitze machen den Schatten nur schwärzer: die melodische
Blüte mitten in Ilias Es-Dur-Arie, das gefühlvolle Thema der G-Dur-Arie
der Elektra, die Grazie der Zephyrettenarie der Ilia, der schöne Todesangst-
chor mit dem wirksamen Zwischensatz des Oberpriesters, überhaupt die
Chöre, der Männerdoppelchor der Schiffbrüchigen in Akkorden und des Volks
auf der Bühne mehr imitatorisch, von geteiltem Orchester begleitet, der lieb-
liche Chor über die Meeresstille, der etwas Glucksche Gebetchor und noch
besser die Ensembles, das frische Duett des Liebespaares, das ausgezeichnet
gebaute und warm-musikalische große berühmte Quartett, das Mozart am
meisten aus dieser Oper liebte, mit dem Gesang des Idamantes „dem Tod
seh ich entgegen", der sich in den Schluß verliert, wie er den Anfang herauf-
führtc, und vielleicht noch wertvoller das Terzett, ein Sichsuchen der klagen-
den Stimmen von Idomeneus, Idamantes und Elektra, bis sie sich in Wehmut
verschlingen, um von dem gewaltigen Chor über den erneuten Sturm auf-
gesaugt zu werden. Nun, das alles bleibt, aber es wäre nicht zu nennen, wenn
es nicht von Mozart wäre, dessen Seria der dunkle Fond ist, auf dem sich
für uns seine strahlende Buffokunst abhebt. Reichardt hielt den Idomeneo
für sein feinstes Werk. Wir halten es für eine schwache Nachgeburt der
französisch-italienischen Stilmischung, die Gluck längst vollendet hatte. Mo-
zart war sehr lustig, als es vorbei war. ,,In München, das ist wahr, da hab ich
mich zu viel unterhalten — doch kann ich Ihnen bei meiner Ehre schwören,
daß ich, bevor die Opera in Scena war, in kein Theater gegangen und nir-
gends als zu den Cannabichschen gekommen bin. — Daß ich hernach zu
lustig war, geschah aus jugendlicher Dummheit — ich dachte mir, wo kömmst
du hin ? — nach Salzburg, mithin mußt du dich letzen." Jetzt sind wir wie-
der bei ilim.
'58
Die Entfiihnmg
ABER Salzburg war schnell erledigt. Der gänzliche Bruch mit dem un-
heiligen Hieronymus war unvermeidlich und Mozart zog einfach nach
Wien, wo wir ihn im nächsten Jahre bei der Aufführung der Entführung
wiedertreffen. Was hatte er in Wien ? Aussichten und Möglichkeiten. Vor
allem hatte er die Familie Weber, von der ihn das Schicksal seit Mannheim
nicht trennte. Aloysia war in Wien engagiert und sie hausten alle da bei-
sammen. Mozart nahm bei ihnen Wohnung. Es heißt, er hänge an einer
jüngeren Schwester, Konstanze, jetzt wie einst an der Aloysia. Da, über die
Themen einer Klaviersonate, schreibt er den Namen Sophie, da den Namen
Konstanze. Der Vater mahnt. Er antwortet ihm: „Gott hat mir mein
Talent nicht gegeben, damit ich es an eine Frau henke und damit mein junges
Leben in Unthätigkeit dahin lebe . . . wenn ich die alle heyrathen müßte,
mit denen ich gespaßt habe, so müßte ich leicht loo Frauen haben." Er be-
schreibt die Töchter : „Die älteste Josepha ist eine faule, grobe, falsche Per-
son, die es dick hinter den Ohren hat. Die Aloysia ist eine falsche, schlecht
denkende Person und eine Coquette. Die jüngste Sophie ist noch zu jung,
um etwas seyn zu können, ist nichts als ein gutes, aber zu leichtsinniges Ge-
schöpf — Gott möge sie vor Verführung bewahren! Die mittelste aber,
nämlich meine gute, liebe Konstanze ist — die Marterin darunter, und eben-
deswegen vielleicht die gutherzigste, geschickteste und mit einem Worte die
beste darunter — die nimmt sich um alles im Hause an, und kann doch nichts
recht tun." Nun war er verlobt. Er zog aus. Er heiratete. Das Haus, in
dem Webers wohnten, hieß „das Auge Gottes-". Er nannte die Heirat die
Entführung aus dem Auge Gottes. Konstanze nahm sich auch bei ihm im
Hause um alles an und konnte nichts recht tun. Es ging so la-la. Es war ein
Wohnen bei offenen Türen.
Da war die andere, die komponierte Entführung der Konstanze eine etwas
sicherere Sache, und keineswegs hatte er sein Talent an die Frau gehenkt.
Denn es gibt bis heut nichts Entzückenderes in diesem Genre und es schlug
damals an Bedeutung und Genialität alles, was da war. Joseph H. war ge-
sonnen, nach dem Muster des Nationaltheaters auch eine deutsche Oper zu
gründen, ein Nationalsingspiel. 1777 war es mit Umlauf fs „Bergknappen"
eröffnet worden, einem etwas, schweren, üppigen, altmodischen, kontrapunk-
tischen Stück, nicht sehr volkstümlich trotz seines BergleuteHedes und des
Schlußrundgesanges. Man wollte es besser machen als in Norddeutschland,
\vo es eine Unmasse leichter Singspiele und wenig Sänger dafür gab. Man
nahte sich dem Singspiel in Wien nicht vom Spielen, sondern vom Singen her.
Die „Bergknappen" waren literarisch ungebildet, aber musikalisch geschult,
ganz und gar nicht Hillersch. Für musikalische Naturen war das eine Hoff-
nung. Und Mozart, der noch lange keine Anstellung in Wien bekam, war
wenigstens zufrieden, den Auftrag zu einem Singspiel in deutscher Sprache
zu erhalten. Endlich zeigte sich eine Frucht der langjährigen Verhandlungen
mit Wien. Aber hatte er nicht noch so etwas liegen ? Da war ein Operchen,
schon 1780 fast fertig, niemals ganz zu Ende geführt (es heißt heut Zaide),
mit einem Text von Schachtner, die Liebe eines Christen zu einer Sultans-
dame, sogar vom Sklavenaufseher unterstützt, Flucht, Einfangen, hoffentlich
ein guter Schluß, mit vielen reizenden Musikstücken, einem echt mozartschen
Quartett und einigen merkwürdigen Melodramen statt der begleiteten Re-
zitative — ginge das nicht wieder vorzunehmen ? Es scheiterte am Text, und
Stephanie, der Inspizient, machte ihm einen anderen türkischen Vorschlag:
er bearbeitete ihm Bretzners Belmont und Konstanze oder die Entführung
aus dem Serail. Mozart war davon sehr eingenommen : aus der Zaide ret-
tete er nichts als ein Motivchen für eine Konstanzearie. Und es war doch viel
besser. Jetzt hatte er einen rührenden Liebhaber und eine annehmbare Ge-
liebte, die der Sultan in Gewahrsam hielt. Und ein hübsches Nebenliebes-
pärchen. Und den famosen Aufpasser Osmin, dem er aufpacken konnte, so-
viel er wollte, denn der glänzende Bassist Fischer sollte ihn singen, und Adam-
berger den Belmont und die virtuose Cavalieri die Konstanze. Und diese
ganze Entführungsoperation, ciie ursprünglich sogar ein großes Ensemble
noch im dritten Akt werden sollte, von dem nichts als das Ständchen Pedrillos
musikalisch übrig blieb. Und der hochherzig versöhnte Schluß. ,,Ich freue
mich sehr auf diese Oper, das muß ich gestehen." Er war längst fertig, es gab
Intrigen, endlich befahl der Kaiser: den 16. Juli 1782. Der Kaiser sagte:
„Zu schön für unsere Ohren, und gewaltig viel Noten, lieber Mozart." Mo-
zart erwiderte : „Gerade soviel Noten, Ew. Majestät, als nötig sind." Gluck
hörte sie noch und lud ihn zum Essen ein. Die Spießer zogen vielleicht immer
noch Hiller vor, aber es ging mächtig durch die Welt. Goethe schrieb an
seinen Singspielmitarbeiter Kayscr: ,, Alles unser Bemühen, uns im Einfachen
und Beschränkten abzuschließen, ging verloren, als Mozart auftrat. Die
Entführung aus dem Serail schlug alles nieder."
Es war freilich noch etwas anderes als die Finta giardiniera, denn es war,
ganz in Mozarts innerstem Sinne, nicht bloß so ein Buffostück, sondern es
war für ein deutsches Nationaltheater geschrieben, mit Herzlichkeit und Ge-
fühl, ein verfeinertes Singspiel, eine kleine deutsche Oper mit allen Finessen
der italienischen Schule. Wieder trafen Ströme zusammen. Das Deutsche,
'Von England über Frankreich her angeregt, und das Italienische, in einer
160
großen Tradition durchgebildet. Das jGenie führt es zusammen. Und der
Buffone beginnt, in seiner Brust ein merkwürdig zartes Gewissen zu fühlen,
wie der Singspieler beginnt, in seiner Kunst eine weitzügige Anlage durchzu-
bilden. Das war das Ereignis.
Mit Janitscharenklang, Pickelflöten, Trompeten, Pauken, Becken, Tri-
angel, großer Trommel empfängt uns die neckisch wilde Ouvertüre. Sie kehrt
sich nicht an die Form. Sie bringt einen zarten Mittelsatz in C-Mol) —
und was ist dieser Mittelsatz ? Er ist, in Dur verwandelt, Belmonts erste
Arie, die die Violine, Oboe, Flöte wie in einem Traume geahnt hatten, diese
hauchende, zitternde, im Atem bewegte und begleitete Melodie, die keinem
traditionellen Buffomunde mehr entstammt. Osmins Liedchen „Wer ein
Liebchen hat gefunden", wie wendet es sich reizend, immer verschieden be-
gleitet, zum Schluß immer verschiedeui harmonisiert, Belmont macht ihm
nach, legt seine Melodie über seinen stoßenden Baß, beide vereinigen sich
zur Wut, bis in das Presto. Osmin ist in Stimmung, er schnellsingt seine
große Arie, ein Meisterstück der Kollerei, dessen F in A-Moll mündet, im
ganzen Trubel des Janitscharenorchesters, immer mit den Vorschlägen über
dem E von Fagott und Oboe, dieselbe eigentümliche Klangwirkung wie im
Figaromarsch. Er hat sich beruhigt. Belmont tritt hervor mit dem hellen
A-Dur, von der Oboe gereizt, seine Konstanze zu besingen, begleitet von den
vibrierenden Sechszehntelschlägen, die eine unbeschreiblich suggestive Atmo-
sphäre um seine Melodie breiten. Krach, ein Janitscharenchor, mit sämt-
lichen Instrumenten bis zur Pickelflöte, im Rhythmus von hinreißender
Verve. Die Konstanzearie in B, ein wenig virtuos — aber wie rührend ist
dieses süße, verständnisvolle Liebesblicken da in der F-Dur-Melodie, die sich
so vielsagend in den Mittelsatz einschiebt. Der erste Aktschluß das Terzett,
der rollende, paukende Baßbuffo mit den darüber fliegenden Stimmen des
Belmont und Pedrillo zu einem Musikstück vereinigt, das am ehesten in dieser
Oper seine Buffoherkunft nicht verleugnet, wo sonst alles gar nicht so sehr
nach der italienischen Vorlage gesetzt ist, als vielmehr nach einem Muster
deutscher Lieder, die instrumental angeregt sind. Welche Folge schon in
diesem ersten Akt! Welches musikalische und dramatische Leben! Was be-
wundern wir mehr ? Es ist so bescheiden und niedlich, und doch so angefüllt
mit Ideen und Charakteren, daß wir nicht wissen, wohin zuerst sehen. Wir
freuen uns ^uf den zweiten Akt.
Da stehen Blonde und Osmin: er geht mutig bis zum Es hinab, in seiner
großherrlichen Verliebnis, und das Mädel fliegt lustig wie ein Schmetterling
in Stakkati und Figuren ihm davon. Konstanze singt ihre große und traurige
Arie mit den seltenen Bassetthörnern, den alten Baßklarinetten, wie schön,
l6l n
wie ausdrucksvoll die Unisono-Leere „welkt mein banges Leben hin", und
das zweite Mal, wie es klagend auf Akkordstufen über dem D heruntersinkt.
Ein Orchesterzwischenspiel: die obligate Sprache der Oboe, Violine, Flöte,
des Cello, die folgende Konstanzearie aber ist ein Opfer an die Zeit — ein
Bravourstück, das wir mitleidslos streichen. Wir werden durch Blondchens
liebliches Rondo ,, Welche Wonne, welche Lust" geschmeichelt, wir lachen
über Pedrillos Kampfarie, das alte und doch so sublimierte typische Soldaten-
stück, wir berauschen uns am übermütigen Trinkduett des Osmin und Pe-
driUo, fühlen noch einmal mit Belmont die Kantilene seiner Schmerzen und
stehen nun vor dem großen Quartett. Die herabziehenden Achtelfolgen der
Sehnsucht im Duett der ersten Liebenden, die zweiten in Stakkato-Verab-
redungen — war der Augenblick schon da, herab auf A, das Orchester sagt :
er ist da, herab auf D, alle zusammen in D freudig bewegte Hoffnung, IVlittel-
satz Sorgen, Zweifel (für die Musik eingeschoben), Belmont ernst, Pedrillo
stoßend, Oboe und Flöten suchen vergeblich zu versöhnen, zitternde Beglei-
tung, Tonartenwechsel, die Paare treffen sich gegenseitig fragend, endlich
Adagio alle zusammen, es geht nach A-Dur, wiegendes %? es ist alles gut und
die Melodien fließen in A weiter, Blonde erregter in Triolen, Konstanzc
fester in *U, gleichzeitig, schließlich alle gleichzeitig in kunstvollem Satz, der
breiter wird, um in einem freudigen D-Dur, der Anfangstonart, die Stimmen
über kanonische Treppen kletternd zum Jubel in geraden Akkorden zu ver-
einen. Es ist wahr, so etwas hatte es auf deutsche Texte noch nicht gegeben.
Aber vergessen wir nicht die Musik über dem Bau ? Welche Kostbar-
keiten. Im dritten Akt immer diese unendlich wohligen melodischen Sticke-
reien, die Mozart auf Tonika und Dominante in schöner Arabeske auszu-
führen versteht, in Belmonts Eröffnungsarie, oder das aparte Ständchen Pe-
drillos vom Mädel im Mohrenland, eine geniale, im Schluß leicht nuancierte
Melodie auf Pizzikatostreichern (ohne Kontrabaß), exotisch bunt, fremdartig
von D auf C sinkend, um im Eis zu landen, Osmins weitsprüngiges, kolo-
raturheulendes, sprühend humoristisches „Ha, wie will ich triumphieren",
die ergreifende Wendung der Konstanze, chromatisch sinkend ,, Belmont, du
stirbst meinetwegen", das todestriumphierende Duett, Dur und Moll scharf
aufeinander, das Orchester die Dominante (Mozart und Verdi) umspielend,
und zum Schluß die unvergängliche Melodie des Vaudeville, das alle nach-
einander singen (nur Osmin findet sich natürlich nicht zurecht) mit dem
zündenden Marschrefrain, erst auf dem wiegenden Solocello, dann Tutti mit
ganzem Baß, ein Abschied, aus dem Musik lacht, die des Sieges ihrer bezau-
bernden Liebenswürdigkeit sicher ist.
162
Figaros Hochseif
AM I. Mai 1786 findet in Wien die Premiere der italienischen Buffo-
. oper Le nozze di Figaro statt. Mozart steht, im roten Pelz und Tres-
senhut, bei der Generalprobe auf der Bühne und ruft dem Figaro des Benucci
sein lautes Bravo zu. Es ist allgemeine Siegesstimmung, die das Publikum
am Abend bestätigt. Intrigen hat es genug gegeben, Parteien der Sänger
und der Komponisten. Neben Mozart mit seinem Figaro hatte Righini mit
seinem Demogorgone und vorher auch Saheri mit seiner Grotta di Trofonio
um Bevorzugung gestritten, Mozart heftig und stolz, Righini wie ein Maul-
wurf im Dunkeln und, wie der Sänger Kelly erzählt (der Basiho im Figaro),
Saheri, der eine crooked wisdom nach Bacons Wort besaß, eine Schlauheit
der krummen Wege. Mozart war überraschend mit seinem Werk gekommen.
Er hatte Interesse gefunden an Beaumarchais' Figaro, der, nach langen Kämp-
fen aufgeführt, in Wien noch nicht zugelassen war. Es reizte ihn, das zu kom-
ponieren. Da lernte er den Lorenzo da Ponte kennen, einen wegen seiner
freien Gesinnungen flüchtigen Venezianer, der von Salieri nach Wien emp-
fohlen, aber nach dem Mißerfolg eines für ihn gedichteten Librettos fallen
gelassen war. Da Ponte, kaiserlicher Theatraldichter, war ehrgeizig und
suchte Mozart. Sie treffen sich, Mozart schlägt ihm den gefährhchen Figaro
vor, da Ponte nimmt die Idee auf, bearbeitet den Text, in größter Heim-
lichkeit, Mozart komponiert ihn ebenso heimlich, in angeblich sechs Wochen,
da Ponte geht zum Kaiser, der zweifelt an Mozart, dessen Entführung „keine
große Sache" gewesen sei, schließlich hört er einige Nummern und befiehlt
die Aufführung, in der Meinung, der gesungene Figaro sei ungefährlicher
als der gesprochene. So erzählt da Ponte in seinen Memoiren und spricht
sich das Verdienst zu, gegen alle Zweifel und Intrigen Mozart durchgesetzt
zu haben — dem er jetzt seine Unsterbhchkeit verdankt. Ein Wunder in
der Geschichte des Komponierens bleiben diese kurzen Monate, in denen
der Figaro geschrieben wurde, gleichzeitig mit allen möglichen Sonaten und
Konzerten, die das Werk-Tagebuch Mozarts für den Zeitraum vom 5. No-
vember bis 29. April angibt.
Mit der offiziellen deutschen Oper war es nämhch, trotz Mozarts und
mancher anderer Einsichtigen Hoffnungen, in Wien bald wieder vorbei. Die
Versuche wurden wiederholt, schließlich siegte die itaUenische Oper, die
im April 1783 mit Saheris Scuola dei gelosi eröffnet, im Mai mit Sartis Fra
due Htiganti einen ungeheuren Erfolg hatte. Die guten Sänger reizen ihn
zuletzt doch. Er sieht an „hundert Büchel" durch, etwas zu finden, er be-
ginnt die Oca del Cairo, wieder mit Varesco (einige figarowürdige Skizzen
163 II*
sind erhalten), beginnt den Sposo deluso (aus Resten beider Opernskizzen
mit anderen Stüclcen ist neuerdings eine Mozart-Pasticciooper, L'oie de
Caire, von Mctor Wilder hergestellt worden), das einzige, was zunächst wirk-
lich wird, ist der kleine Scherz ,,Der Schauspieldirektor", der sogar ein Auf-
trag des Kaisers war. Im Februar 1786 war eine Feier in Schönbrunn: Salieri
machte dafür ein italienisches Gelegenheitsstück, Mozart das deutsche. Es
beginnt mit einer sehr frischen und lieblich thematisierten Ouvertüre, ent-
wickelt den Wettstreit zweier Sängerinnen, zwischen denen ein Tenor laviert,
ebenso charakteristisch wie musikalisch amüsant, und schließt mit einem ent-
zückenden Vaudeville, in das sich noch ein Baßbuffo mischt, Aloysias Mann,
der Schauspieler Lange, der zur Not auch einmal singen mag. Die Madame
Herz war Aloysia selbst, die andere Sängerin, Madame Silberklang, die Ca-
valieri, also die Konstanze der ersten Entführung. Stephanie hatte es ge-
macht und gab den Schauspieldirektor, der in dieser Verlegenheit der En-
gagements Mozarts Theatererfahrungen in ein so nettes Ensemble verwan-
delte: ein momentanes Stück Bühnenleben, das niemals ganz ausgestorben
ist. Goethe nahm die Musik in seine Bearbeitung von Cimarosas Theatra-
lischen Abenteuern mit auf, so wurde es in Weimar 1797 gegeben. Später
haben sowohl L. Schneider wie R. Genee Operetten gemacht, in denen diese
Musik, mit anderen Mozartschen Stücken, auch dem Bandlterzett, der Ge-
legenheitskomposition im Jacquinschen Hause, verwendet wird und Mozart
selbst, sei es in der Zauberflötezeit bei Schikaneder, sei es bei seinem Besuch
in Berlin in persona auftritt. Das ist ein Ring von persönlichen Erlebnissen
und künstlerischen Äußerungen, halb frei, halb gewaltsam, der seines ge-
schichtHchen Interesses nicht entbehrt: ein Stückchen Buffonerie des Berufs
und der Historie.
So kommt es. Mozart liebt die Maskerade. Auf einem Tanzfest soU eine
Pantomime aufgeführt werden. Er selbst macht den Harlekin, die Aloysia
die Kolombine, Lange den Pierrot, der Maler Grassi den Dottore, und die
Musik natürlich der Harlekin, der gegen seine einstige Geliebte und jetzige
Schwägerin Kolombine kühl genug geworden ist. Mozart tanzt leidenschaft-
lich, er spielt Billard, er trinkt, wenn er komponiert, er scherzt und ist guter
Dinge, wenn es auch daheim genug Sorgen gibt. Die Konzerte und Stun-
den müssen es machen, die Opernhonorare steigen langsam — der Figaro
bringt hundert Dukaten. Aber es reicht schwer. Man muß sich gut kleiden,
man muß leben. Auf den anderen Bühnen bekommt er nichts, Schulden
lassen sich nicht vermeiden. Was macht es? Wer einem die Ehre kränkt,
der soll nur ein Tänzchen wagen (Hallo, Graf Arco, du erzbischöflicher
Schuft, der du den Mozart in Salzburg mit Fußtritten herausspediertest, in
164
■^^^*ccr
Handschrift Mozarts: Figaros Hochzeit
einer berühmten Figaroarie sollst du es für ewige Zeiten kriegen) — sonst
lieber sterben, als sich graue Haare wachsen lassen. Im Ausgabenbuch von
1784 steht beim ersten Mai zwey Mayblumel l Kr, und 27. Mai Vogel Stahrl
34 Kr. Daneben eine Vogelmelodie, die er später in einem Rondo verwendet.
Dazu schreibt er: „Das war schön!" Hier, armer alter Klavierstimmer, du
verlangst einen Taler, hier hast du ein paar Dukaten. Lacht ihr mich aus ?
Kinder, ich liebe euch. Ich liebe euch, die Welt ist schön und Gott hat mir
die Musik gegeben.
Er improvisiert und sein Antlitz strahlt. Ein kleiner Mensch rhit kleinen
Händen, blassem Gesicht, matten Augen, nicht bedeutenden Zügen wird jetzt
ein Seher, eine Gottheit spricht aus ihm. Er schreibt nicht gern, er wartet
bis zum letzten Augenblick. Im Freien singt er ein Thema, freut sich seiner
und denkt mit Schrecken an die Ausarbeitung in der Stube. Musik arbeitet
jede Sekunde in ihm. Er sieht einen an und denkt innerlich Noten. Er ist
nie ruhig, zappelt, wackelt, spielt Klavier auf dem Hut, den Taschen, dem
Uhrband. Er kann gleichzeitig Musik ausschalten, um seine eigene zu hören,
er arbeitet, während man sich unterhält. Während er niederschreibt, wächst
ihm im Kopfe schon neue Musik. Er sitzt die Nächte lang am Klavier, sich.
165
anzuregen.^ Aber wenn er schreibt, braucht er das Instrument nicht, er
schreibt Noten wie Briefe. Als er den Figaro macht, verlegt er alle Stunden
auf den Nachmittag, er arbeitet früh und arbeitet in der Nacht. Das Noten-
papier ist immer zur Hand, noch können wir die Skizzen, die Änderungen
verfolgen. Eine feine Folge wichtiger Änderungen in seinen Opern stellt
Jahn zusammen, dessen Buch voll ist solcher kleinen Züge, die wir neugierig
sammeln, um ein irdisches Bild dieses Göttlichen zu haben — würden wir
es aushalten, ihm zu begegnen ?
In einem himmlischen Lichte, wie kein zweiter, strahlt er uns von fern:
jung im Leben und jung im Tode. Es sind 125 Jahre verflossen seit dem
Figaro, und ich schreibe dies wie vor einem Wunder unserer Tage. Die
Partitur liegt seit langem neben mir, und immer von Zeit zu Zeit blättere
ich darin, ein Cherubinlied, ein Finale, um zu schlürfen wie einen langen
Trunk, der alles Leben erträglich macht und verstehen lehrt. Mein Geist
entzückt sich und meine Sinne laufen süße Bahnen. Die Jahre sind da,
da wir erst ganz wissen, was dieses musikalische Genie uns bedeutet. Prüf-
' stein für die Sänger, Schule aller Komposition, Korrektiv aller Sorgen,
Maß aller Leidenschaften, stille und sichere Beobachtung der Menschen und
ihrer Charaktere, wundersam versöhnliche Bindung aller ihrer einzelnen Re-
gungen in ein unauflösliches, sachte bewegtes, harmonisch gestimmtes En-
semble, Form und Inhalt in einem, das ist Wese:* der Musik als erlösender
Kunst, und Schönheit über allem, die ewig gerufene, ewig bedankte Schön-
heit, deren Stärke Anmut ist, deren Trauer ein Lächeln, deren Witz ein
Tanz — reicht mir Verse, die sich binden, um der Liebe und Bewunderung
ein Gefäß zu bilden. Die dramatische Kraft von einer einfachen Fertigkeit
und Unbeirrtheit, die Staunen erregt : Beaumarchais' Geist versank vor die-
ser Konzentration der persönlichen, der szenischen Stimmung. Die rhyth-
mische Kraft ohnegleichen in der Vielseitigkeit ihres Ausdrucks, in dem
lichten und feinen Spiel ihrer stets bereiten Mittel. Die harmonische Kraft
in ihrer dauernden Abwechslung und kultivierten Verteilung, eine Archi-
tektur von licbhcher Notwendigkeit und organischer Einfühlung. Und die
Melodie ! Welches ist der Zauber der Mozartschen Melodie ? Ist es Dia-
tonik, ist es Chromatik, ist es die Kongruenz mit dieser Harmonie, ihr Licht-
schimmer in der Kontur der wandelnden Akkorde und Tonalitätcn ? Schwer
zu sagen. Es ist ihre bildnerische Kraft, die in jedem Augenblick zugleich
ihrer harmonischen Basis folgt und diese wieder mit sich formt, die, schon
aus der Erfindung fließend, durch eine ungeahnte, entzückende Wendung
•dem Genuß des nächsten Taktes zustrebt, Blüte aus Blüte sprießend, immer
schmiegsam, immer wieder neu geboren, neu gebogen und gelenkt, eine neue
166
Schönheit, die sich in der vorigen entdeckt und eine dritte schon heranlockt.
Ein inneres Leben voll musikalischer Phantasie eingeordnet in den Stil des
wirksamen und wohnlichen Formenbaus, eine dramatische Gesichtsstärke und
Gefühlstiefe eingeordnet in die Gesetze der absoluten musikalischen Schön-
heit — das ist die zentrale Gewalt und Macht Mozarts — welche Worte!
— das ist seine himmlische Güte. Bleibt von mir mit Geschichte und Sta-
tistik, laßt mich in der ersten Morgenstunde diese Töne hören und damit
zur Ruhe gehen. Ohne Pathos, ohne Gebärde, in aller stillen und feinen
Liebe zur Musik, über die man nicht sprechen kann, ohne sie an das deutende
Wort zu verraten. Aber wir werden jung bei ihr und dieser unserer ersten
und letzten Jugend, dieser unserer einzigen und wahrhaften Liebe hat das
Geständnis gar wohlgetan. Jetzt sitzen wir verlegen da und starren auf die
Fäden dieses Gewebes. Zurückspinnen!
Das reißende Tempo der Ouvertüre bringt uns in den Strudel. Mozart
hatte einen langsamen Mittelsatz beabsichtigt, aber diese spielenden Fluten,
aus denen so feine Melodien hervorlugen (sie baden sich in den plätschernden
Achteln, und manchmal lächeln sie uns zu), haben alles verschlungen, es ist
eine Buffosonate geworden.
Jetzt mißt Figaro das Zimmer, und Susanne probiert den Hut, die
Violinen mit dem Baß bilden aus den Messen ein reizend gezogenes Thema,
die Bläser, von den Streichern immer am Ende gestreichelt, ein zweites lieblich
auf- und absteigendes Glücksthema, dann wird alles verwechselt, umgekehrt,
verknüpft, und das ertc frcudge Duett hat sein Musikbild gewonnen.
Gleich ein zweites Duett, din, din, don don, graziös übermütig, zum
Schluß in koketten Zweifeln zögernd: noch harmlose Beziehungen der Diener
zum Grafen und zur Gräfin. Figaro wird stutzig: er bietet dem Grafen das
Menuett-Tänzchen an, in ein Presto sich überstürzend.
Die Gegenpartei tritt auf: Bartolo singt eine Arie, deren Rhythmen aus
den Akzenten der Bosheit, schleichenden Akkorden und kriechenden Triolen
zusammengesetzt sind. Nun hat er seine Schuldigkeit getan. Gegen Beau-
marchais' Original schrumpfte er zusammen, und man muß nicht darüber
reden, wie Mozart ihn musikalisch illustrierte. Marcelline schrumpfte noch
mehr, sie wurde eine kleine Koloratursängerin, und dies ist am wenigsten ihr
Charakter gewesen, mindestens in dieser Epoche ihres Lebens. Vorläufig
singt sie mit Susanne das hübsche Komplementierduett, aus einem neckisch
aufgereizten Motiv gebildet, mit famosen sich überkletternden, übertrumpfen-
den Phrasen.
Der Page erscheint, die holdseligste Figur von allen, so dankbar für die
Musik, die das erwachende, sentimentale Liebesleben zu zeichnen sich freut.
167
Non so piü cosa son, diese wunderbar gebaute, in ihren Gelenken so
weiche, in ihren Gefühlen so hingegebene Melodie, in deren Sordinenbe-
gleitung die Bläser, voran die Klarinette, deutend und verstehend hinein-
spielen.
Es schürzt sich. Im Terzett steht der maliziöse Basilio, halb wahr, halb
falsch, zwischen dem bösen Grafen und der ängstlichen Susanne. Die Ent-
deckung Cherubins auf dem Sessel bildet die Mitte. Eine genial gefundene
chromatisch gewellte Akkordfolge, ein zweites scharf geschnittenes Motiv,
rhythmisch geschlagen, kehren in beiden Situationen wieder: das rhythmische
Motiv von Basilio erst in höhnischer Entschuldigung benutzt, dann als Be-
kräftigung seines sospetto, dann vom Grafen aufgenommen bei der Cherubin-
entdeckung und mit dem Heben der Decke nach oben entwickelt, endlich
von Basilio wiederholt, diesmal fünf Töne höher, in ironischer Transposition.
So schaukelt noch reizend die Musik.
Wir sollen uns vergnügen : hört den zierlichen Landchor und den Militär-
marsch Figaros mit Cherubin, Trompeten und Pauken, die Melodie im Or-
chester, die Stimmen eingewebt, Malereien zu Tänzen.
Stimmungen beginnen sich zu entschleiern, das Orchester horcht auf.
Die Gräfin singt allein ihre kurze Arie, zu der das Orchester fast ebensoviel
allein spielt. Und Cherubin hält sein zweites Lied, die Kanzone, wieder so
zart und ergebungsvoll profiliert, so jugendlich und doch so kultiviert in
seiner Anatomie, auf Pizzikati, über die die Bläser, wie Engelsseelen, ihre
schwebenden, schwingenden, einzeln oder gemeinsam ziehenden Rufe streuen
— Mozart, der Erlöser der Holzbläser! Das Orchester vor ihm hat die Holz-
bläser noch als Beamte der Streicher, wie er selbst noch die Blechbläser
hat. Das Orchester seit ihm hat ihre Innerlichkeit, ihr Menschentum er-
kannt : Mozart, der Schöpfer des berühmten Qumtetts für Klavier, Hörn,
Oboe, Klarinette, Fagott, das die Offenbarung dieser seelenvollen Instru-
mente wurde. Wie spielen sie reizend und himmhsch unbefangen um die
Arie der Susanne, die den Cherubin verkleidet — das Fagott ladet die Vio-
line zu einer geipeinsamen Phrase ein: wenn ihn die Mädchen lieben, so
wissen sie warum.
Die Atmosphäre zieht sich zusammen. Der Graf vermutet im Neben-
zimmer den Galan, die Gräfin will ihn nicht verraten, und Susanne, ver-
steckt, beobachtet den Handel, den sie in eine leichte Koloratur aufzulösen
versucht: das gibt ein Terzett von gedrängter Stimmung, das sich in wirk-
samer Wiederholung gegenseitig die Phrasen abnimmt, wenn auch der ge-
strenge Herr Graf den Gang des C-Dur durch ein energisches As-Dur zu
stören sich unterfängt.
i68
Pause: Susanne und Cherubin, von fliegenden Streichern gehetzt.
Cherubin fliegt aus dem Fenster — und alles' ist zum Finale gestellt,
dem reichsten und schönsten Finale, das bis dahin geschrieben wurde,
heut noch einzig.
Es zerfällt in seine scharf getrennten Abschnitte. Die Abschnitte machen
die Situationen. Der Graf und die Gräfin stehen vor der Tür, die die Ent-
scheidung birgt: ihre verschiedenen Charaktere staffeln sich, die melodischen
Wendurigen nehmen sie sich ab, vor jeder Zäsur tritt die musikalische Form
in ihr Recht und sammelt die Stimmen und Harmonien. Zweiter Abschnitt :
statt des erwarteten Cherubin tritt Susanne ein, zerrissener, überraschter
Rhythmus, auf dem sich Melodie nistet, immer in dem schön verteilten,
glättenden, beruhigenden Liedschema, das Mozart selten verläßt. Nächster
Teil: versöhnliche Stimmung, ausgebreitet auf dem Kanevas rühriger Achtel-
bewegung, unterbrochen von den schwirrenden Stakkati der Susanne, die
die Flöten mitmachen, allmähliche Verwebung eines netten Giebelmotivs
in Stimmen und Instrumenten. Viertens: Figaro tritt ein, plötzliche forsche
Fröhlichkeit, aber bald mißliche Situation. Figaro weiß nicht recht, wie er
sich zu der Frage nach dem Brief verhält, den er als spaßigen Warner dem
Grafen sandte — der Graf erwartet Marcelline, die das Eheversprechen Fi-
garos einlösen will, wodurch Susanne ihm frei wird. Musikalisch sehr miß-
lich. Was tut Mozart ? Er erfindet zwei Melodien, mit die schönsten der
Oper, eine lustig hüpfende in C, eine getragen bewegte in G, und spannt die
ganze Geschichte in Sonatinenform darauf. Ist es denn so wichtig, was er
für ein musikalisches Drama aus dem von da Ponte zurechtgeschnittenen
Beaumarchais machte ? Nein, sein Wert liegt in den Einfällen, die er zu
den Szenen hatte, wie die Szene ihm ein Musikbild wird, wie er erfindet,
vertieft, rettet, plaudert, Noten macht und Melodien singt, mit Musik das
Drama erobert — ■ er löst keine Aufgaben, er gestaltet aus einem reichen
Innern. Bei Opernstoffen interessieren ihn die musikalische Begabung der
Figuren, die Möglichkeit von Ensembles — das übrige, es kommt schon.
Seine Erkenntnis liegt nicht in einer schulmäßigen, Logik, sie liegt im intui-
tiven Genie. Aber schon tritt der betrunkene Gärtner ein, der Cherubins
Fensterflucht entdeckte. Erst ein eifriges, dann ein beruhigteres Clairobscur
im Orchester, Verlegenheiten, Zischeln, Geheimnisse, eine bewegte Handlung,
deren Ensemble der Abschnittschluß zusammentreibt. Endlich Bartolo, Ba-
silio, Marcelhne, ein Gewirr, durch das des Grafen Silenzio einschneidet.
Deutlich gruppieren sich die \'ier gegen die Drei. Die Scheidung der Par-
teien ist jetzt ausgesprochen, auch musikalisch. Der Schluß schmiedet sie
in starken Akkorden scheinbar wieder zu einer Masse : die Musik wird sie
169
schon fangen. Es ist die Hälfte des Stücks : nicht bloß Musikbilder, sondern
eine Taktik, eine Strategie der Musik.
Die Verstellungen, die alle ernste Spannung lösen sollen, beginnen, und
Mozart wird im Gegenteil ernster, verstellungsloser. Welches starke Gefühl
in der Szene des Grafen mit der Susanne, mi sento dal contento, ein Aus-
bruch echter Liebe. \'edrö, mentr' io sospiro, felice un servo mio — seine
Arie mit einem heißen Strom wahrer und stolzer Herzenstöne! Mozart
nimmt ihn schwer. Er entfernt sich weit von der Harmlosigkeit des Buffo.
Es keimt in ihm ein Großes: die wahren Menschen, zu denen ihn keine Seria
führte, entdeckt er in der Buffa und legt seine ganze deutsche Gefühlsstärke
und Seelentiefe hinein. Die Gelehrten haben darüber geschrieben, in wel-
chen Punkten er sich von Beaumarchais unterschied. Kein Urteil ist rich-
tiger als das Stendhals: er habe von der Grazie des südländischen Geistes
nichts getroffen, Cimarosa und Fioravanti hätten das besser gemacht. Wich-
tiger als alle Unterschiede ist diese Trennung. Er lächelt nicht über seine
Aienschen, er führt sie nicht in anmutiger Frivolität über eine Bühne skep-
tischen Geistes, sondern er glaubt ihnen, weil er so musikalisch ist, daß er
nur die Tiefe und Wahrheit verträgt. Er hat hier einen Stoff voller Intrigen
und Verkleidungen, außen und innen, aber seine Musik enthüllt diese Mas-
ken, noch ehe sie das Drama enthüllt. Glaubte er vorhin noch eine Buffo-
oper zu schreiben, die lustige Farcen mit Geschick und Witz hinstellt ?
Er glaube uns jetzt, daß er das längst aufgegeben hat und daß er Menschen
hier erlöst hat, weit, weit mehr noch, als alle Holzbläser.
Es ist das Sextett nach dem Gericht. Die Alelodie der Marcelline leitet
es ein, noch ist die Situation ungeklärt, die Marcellinenmelodie kehrt wieder,
aber Susanne überzeugt sich, daß Bartolo und Marcelline Figaros Eltern
sind. Sie geht zu deren Partei über. Der Graf und der Richter singen sotto
voce in traurigem Unisono dazwischen. Eine neue Konstellation in den En-
sembles ist eingetreten, von rührender Empfindung gelenkt.
Die Musik gibt die Taktik auf, sie sucht nur Wahrheit und Herzlichkeit.
Die Gräfin schmachtet in weicher und tief gefühlter Erinnerung und sie
weiß nun, wie die Bläser ihre Seele verstehen. Sie schreibt mit Susanne den
Brief und es ist ein Brief, wie er ernster nie geschrieben wurde, in diesem
entzückenden Hinundher des Diktats, das Oboe und Fagott beneiden.
Aber es scheint, die Musik will sich aus ihrer Beseelung erholen. Der
Rosenchor bringt sein Intermezzo, der Marsch geleitet uns festlich hinüber,
■die zwei holden Mädchenstimmen lösen sich ab, das kleine Ballett (das
schönste des i8. Jahrhunderts), entwickelt sich über einer alten Fandango-
melodie, sprühend instrumentiert, nur Fagott und Oboe stoßen einen Icich-
170
ten Seufzer aus, da sich der Graf in die Nadel sticht, die das billet doux ver-
schließt.
Das kleine Nadelliedchen der Barberina, die Konzessionsarie der Mar-
celline, die Eselshautgeschichte des Basiho — noch ist Buffotechnik und Ko-
loraturvirtuosität nicht vergessen. Vorsicht!
Nun sitzt Figaro im Garten. C'etait la revolution dejä en action, sagte
Napoleon von der großen zürnenden Rede, die er an dieser Stelle bei Beau-
marchais hält. Mozartsch war das nicht. Die politische Erregung des fran-
zösischen Schriftstellers, die einem Diener in den Mund gelegt wird, gehört
nicht zu seinen Motiven. Es bleibt eine gewöhnliche Weiberklage übrig.
Vorsicht, die Figarooper ist in Gefahr!
Schon stockt das Menschliche und also auch das Musikalische, denn es
ist in Mozart eines der Grund des andern. Da erscheint Susanne als Ret-
terin. Ihr hauchendes Rezitativ, ihre holdselige Gartenarie, ein Ständchen
wieder auf Pizzikati, die die Bläser schmeichelnd umspielen, bannt uns sofort
in den Kreis eigentümlich Mozartscher Rührung.
Beschämt verzeihen wir ihm, und fürchten für ihn. Denn die letzte Ge-
fahr liegt im zweiten Finale. Die Verkleidungskomödie wird durchgeführt.
Es ist wunderbar, wie Mozart sie nimmt. Drei Männer werden hier düpiert.
Cherubin von der Gräfin (als Susanne) scharf zurückgewiesen — so kommt
Wahrheit in ihren Ton. Figaro von der Susanne (als Gräfin) genasführt,
doch er erkennt sie bald, und indem er die Täuschung ihr weiter vortäuscht,
dringt ein heimlicher Ton echten Gefühls in ihre Szene, der, musikalisch in
denselben Wendungen von der ganzen Täuschung durch die verstellte in die
aufgehobene Täuschung beibehalten, nur so brennender und wärmender hin-
durckschlägt. Die Susanne sang bei der Premiere die Storace, später legte
er für die Ferrarese eine Arie ein, die höchst pathetisch die Gefühle der Gräfin
schildert, die Susanne vorgibt — so nahe war er immer wieder der Gefahr,
zugunsten der persönlichen oder dramatischen Illusion die Vorzüge seiner
Musik zu opfern. Es bleibt als einzig ganz Düpierter der Graf, dessen Hei-
lung durch diesen Spaß endhch das schöne Resultat hat, daß sie sich alle
in jener überirdischen G-Dur-Melodie vereinen, die er anstimmt: Contessa,
perdona. Nun hat sie die Musik gefangen, weil sie die Wahrheit in ihnen
herausbrachte durch alle Scherze hindurch, die das Drama ihr aufbaute.
Ich aber bitte um Verzeihung, daß ich den ganzen Weg des Figaro mit
Mozart abgegangen bin. Ich wollte einmal zeigen, welcher Wechsel seiner
musikalischen Taktik darin zu beobachten ist und welche Klippen sein Genie
glücklich umgangen hat. Er begann ein Drama zu Musik zu machen, und
er endete, indem er Figuren zu Menschen machte. Ein System hatte er da-
171
bei nicht, er Iconiponierte ohne Problem und Prinzip. Die Musik selbst
führte ihn tiefer, als er sie hatte führen wollen. Dies war das Ereignis des
Figaro und dies ist seine IMission geworden — wir aber haben es unwieder-
bringlich verloren. Wir sind zu klug geworden, so klug, daß wir dies sogar
wissen.
Don Juan
AM 29. Oktober 1787 sitzt Mozart in Prag am Dirigentenklavier und
■■leitet die erste Aufführung seines Don Juan. Warum in Prag? Die
Wiener waren nicht dankbar genug für den Figaro. Sie bejubelten Martin
mit seinem Burbero di buon core und erst gar mit seiner Cosa rara, sie zogen
Dittersdorf vor, der ihrem populären Buffogeschmack mehr zusagte, sie ga-
ben sogar zwei Jahre lang den Figaro gar nicht mehr. W'ogegen er in Prag
unbeschreiblich reüssierte, fast jeden Abend gespielt wurde, dem Theater-
unternehmer alles Glück brachte, und es gab keinen Harfenisten auf der
Bierbank, der nicht das non piü andrai hören ließ. Was hatte Mozart viel
von Wien ? Er arbeitete nach Kräften, er schrieb Arien für die Sänger, be-
sondere Arien auf Texte alter Opern und Einlegearien in die Opern anderer
(eine ganze schöne Literatur von Opern-Parerga), er enthüllte eine staunens-
werte Vielseitigkeit in sämtlichen Genres der Musik von der Messe bis zum
Kanon für lustige Gesellschaften, dirigierte, spielte — eine Stellung bekam
er erst Ende 1787, als Kapellmeister in wirkHchen Diensten, also eine Art
Nachfolger des eben verstorbenen Gluck, als k. k. Hofkompositeur, nur gab
ihm der k. k. nichts zu komponieren auf und seine amtliche Tätigkeit bestand
in dem Arrangement der Maskenballmusiken. Der Vater war im Mai "dieses
Jahres gestorben. Da war es ihm ganz recht, daß der Prager Direktor ihm
den Wunsch geäußert hatte, das nächste Werk für die Saison 87/88 zu be-
kommen. Da Ponte wurde zitiert und er schlug Mozart den Don Juanstoff
vor, sie fanden sich schnell einig. Mozart reiste mit dem halbfertigen Werk
hin und erlebte in Prag eine Zeit voll Lustigkeit und Wohlbehagen, die
Sonnenzeit seines späteren Lebens, die Zenitzeit, die fast schon ein wenig
Mythologie angesetzt hat. Er liebelt mit den Sängerinnen, er komponiert
fünfmal um, bis es den Herren gefällt, er plaudert mit da Ponte über den
Text von Fenster zu Fenster der Straße, er bringt der Zerline auf eine ge-
hörige Weise den Angstschrei bei, er debattiert mit den Posaunisten (der Fi-
garo war ganz posaunenlos gewesen) über die berühmte Akkordbegleitung
des Komturs in der Kirchhofszene und gibt ihnen schließlich, da sie strei-
ken, die Holzbläser zur Stärkung zu, er schreibt diese und jene .Arie neu
172
y. /*V- -"'^-r
Don GiDvae^ni .
Bassi. der erste Don Juan. Stich von
Thoenert
hinein (man sieht das an den Einlegeblättern
des Autographs) und in der letzten Nacht,
wohl vor der Generalprobe, entschließt er
sich endlich noch die Ouvertüre hinzu-
schreiben, so eins, zwei, drei aus dem Kopf
— vieles davon mag nicht wahr sein, aber
alles ist schön erfunden. Der Duft von
Mozarts Persönlichkeit, der noch immer an
einigen Erinnerungen in Prag haftet, hat
Mörike zu einer Novelle begeistert, die
freilich weder für Mozart sehr charak-
teristisch ist, noch für Mörike selbst. Immer-
hin — es ist ein Rokokokranz auf dies
göttliche Haupt.
Der Prager Erfolg des Don Juan hat
■sich nicht sogleich fortgesetzt. Am 7. Mai
1788 fiel er in Wien ab. Das Publikum
war mehr für Salieris Axur, dessen Text
da Ponte, gleichzeitig mit dem Don Juan,
aus dem Französischen umgearbeitet hatte.
Der Kaiser sagte, Don Juan sei schöner als Figaro, aber keine Speise für
die Zähne seiner Wiener, und Mozart antwortete : „Lassen wir ihnen Zeit
zu kauen." Allmählich kauten sie sich auch in dieses wirklich neue Genre
hinein und dann ging es. Mozart hatte Konzessionen gemacht. Er schrieb
für die Elvira der Cavalieri die schöne Es-Dur-Arie hinzu, mit den wunder-
taren Akkompagnatostellen, und dem Ottavio des Morella nahm er die
^roße Arie ab und stellte ihm die in G-Dur zur Verfügung. Beide Wiener
Arien sind heut noch im Gebrauch, aber man hat längst beobachtet, daß
die Es-Dur-Arie der Elvira nur einen Sinn hat nach einem, als dritte
Einlage für Wien geschaffenen Duett, in dem Zerline den Lcporello be-
schimpft und festbindet — ein Stück, so mäßig in Geschmack und Phan-
tasie, daß man es mit Recht jetzt wieder fortläßt. Daher kommt es, daß
die Elvira in Es heut in der Oper so verlassen und stellenlos umherirrt,
wie im Leben! Opfern wir doch den Ehrgeiz der Cavalieri und lassen wir
die Prager Form zu Recht bestehen. Muß eine Oper heut verschoben sein,
weil vor 125 Jahren eine Sängerin ihre Bravour zeigen wollte? Schade, daß
die Arie so gut ist. Opernschicksale! Schicksale des Don Juan, der durch
die Welt zieht, nicht heiter und froh wie Figaro, sondern an allen Ecken und
Enden mißverstanden, zugestutzt, entstellt, im Genre zwischen Buffa und
17:
Seria, Gefühl und Virtuosität, das sich nirgends sofort einregistriert, weil
es nirgends die gewohnten Rubriken trifft. Die Berliner sagen: Grille, Laune,
Stolz, aber nicht das Herz war Don Juans Schöpfer. Italien, überhaupt nicht
mehr sehr mozartfreundlich, lehnt ihn vielfach als langweilig ab. In Paris
wurde et zunächst nur durch unglaubliche Zutaten und Verstümmelungen
mögHch: in demselben Paris, das heut durch eine unverzeihliche Nachlässig-
keit Deutschlands als Erbe der Viardot in der Konservatoriums-Bibliothek
die Originalhandschrift des Don Juan besitzt.
Der Mozartsche Don Juan hat eine Literatur für sich, die man bei Jahn
findet — bis zu der ,, mathematisch-harmonischen Analyse" Gustav Engels,
die die Zerstörung eines Kunstwerks durch die ätzende Wissenschaft bedeutet.
Dort wird man auch über alle die Inszenierungsfragen nachlesen, was der
Bremenser Bulthaupt in seiner Dramaturgie der Oper Schlechtes sagte, was
der Wiener Kalbeck und andere Vernünftiges. Und man wird die ganze
Reihe der Übersetzungsversuche finden, von Mozarts eigenen Anfängen über
die schrecklichen, naiven Entstellungen späterer Zeit bis zu den vielfachen,
leider unpopulären Reinigungen in unserer hygienischen Epoche. Es ist nicht
viel zu sagen: gibt man heut den Don Juan in der Prager Form, in ita-
lienischer Sprache und mit einfachen, historisch nicht gerade falschen, aber
auch nicht zu phantastischen und stilisierten Dekorationen, in einer vernünf-
tigen Einrichtung des Ab- und Zugangs der Personen, so läuft man keine
Gefahr, mehr Probleme zu stellen als Musik zu genießen. Nur keine Philo-
sophie über so ein unbefangenes Werk! Keine großartigen Deutungen der
Charaktere und mystischen Dämonien. Da Ponte hat sich kaum den Kopf
darüber zerbrochen. Es gab eine ganze Herde von Don Juan-Dichtungen
vor ihm, auch ein paar Opern, zehn Jahre vorher die von Righini, 1787 allein
drei andere, von Fabrizi in Rom, von Gardi in Venedig und von Gazzaniga
auch in Venedig, von denen die letzte besonders im Anfang der Mozartschen
so ähnlich ist, daß man im Ernst darüber disputiert hat, nicht nur ob die
Librettisten sich benutzten, sondern ob auch Mozart nun in der großen
Geschichte des Don Juan-Motiys ist sicherlich weniger durch da Ponte,
der einen sehr bescheidenen Text lieferte, als durch Mozart hier ein gewal-
tiger Einschnitt geschehen. Don Juans Diener hieß bis dahin noch Arlekin
oder Sganarell oder Pasquariello. Jetzt bekommt er seinen bürgerlichen Na-
men Leporello. Der Arlekin ist gestrichen. Das Stück wird motivierter und
menschlicher. Die früheren Don Juan-Opern hießen meist „Der steinerne
Gast". Da Pontes Stück hieß II dissoluto punito o il Don Giovanni. Der
bestrafte Wüstling fällt langsam ab. Es bleibt die Figur eines dämonischen
Don Juan, zu der Mozarts Musik das Bild liefert. So entzündet er Hoff-
•74
Il, Dkssoi.uto Punito
Don Gioa^'Vmni
Drainma oiocoso in due. Atti
IN Pakt I -11! RA
Titelblatt der Don-Jiian-Panitur. Zeichnung von Kinninger
manns Phantasieseele, so geht er in Byron, in Grabbe, in Lenau ein, so kehrt
er sich in Shaw um. Die Wendung in der Operngeschichte wurde auch eine
Wendung in der Sagengeschichte — durch die innere Wendung Mozarts.
Diese innere Wendung geht von der Tradition der Buffa, vom dramma
giocoso, als das Don Juan begonnen wurde, an die Grenze des Tragischen,
dort, wo aus tiefen Menschlichkeiten der Ton in das ernste Bekenntnis sich
erhebt und die Musik Seelenlandschaften schildert, die in des Lebens wahren
Leiden leuchten. Die antike Maske ist fortgeschleudert, die Buffonerie in
eine untere Etage verwiesen, wo sie als Kontrapunkt fortwirken mag, aus der
ReaHtät des Stoffes wächst die Angst und die Gewalt und die Erlösung der
hohen Funktionen des Lebens, Lust und Tod, Genuß und Rache, eine enorme
Machtsteigerung dieser Gefühle, die zwischen der harmlosen Idylle und der
1/5
eitlfen Virtuosität sich ein Reich von unwiderstehlicher, wahrer und tiefer
Wirkung erobern. Dies hat Mozart so aus sich heraus gemacht, es wuchs
ihm schon während des Figaro, hier stürzte es alle Überlieferung. Der Text
war mäßig, aber dieser Stoff war grandios für ihn. Und darum soll man
da Ponte dankbar sein, auf dessen Schemen von diesem mächtig hervor-
brechenden Licht ein Schimmer zurückfiel.
Alasetto und Zcrhne, deren Wesen sehr gut eine alte Buffooper aus-
gefüllt hätte, sind in die untere, freilich sehr freundliche Etage verwiesen,
wie das zweite Liebespaar, das in der hohen Zeit der deutschen Literatur
die Erinnerung des Schäferspiels gegenüber der ernsten Tragödie vertritt.
Ihr liebhches Tanzlied mit dem Chor, die lustige IVlasettoarie Ho capito
ganz im populären Schnitt, das unnachahmlich entzückende Rondo der Zer-
line Batti, batti mit dem obhgaten Cello, nicht weniger das überaus an-
mutige Vedrai carino sind Blumen an diesen Fenstern: die graziösesten Me-
lodien, die diese Zeit erfand. Leporello ist Satire. Die Registerarie ist ein
Muster parodistischer Laune, das pickende, rollende Orchester, in das er
schließlich hineingerät, malt ihm in einem zweiten Menuettsatz die Typen
der schönen Frauen (bekannthch haben die alten Übersetzungen hier alles
zerstört) in einer reizenden Galerie von ausdrucksvollen Persiflagen. In der
Arie Ah pietä erregt er ein komisches Mitleid, indem er eine flehend gestreckte
Dreiklangsfigur dauernd mit seiner Stimme herzieht. Seine Ensembles mit
Don Juan bleiben im Buffoton: selbst bei der Einladung der Komturstatue,
mit den zappelnden Septimen, den plötzlichen Wechseln der Tonart, verharrt
die Malerei der gespenstischen Angst im Stil der Karikatur, den Don Juan
nicht unterbricht. Ein merkwürdig einheitliches Stück ist das Terzett ge-
worden: Don Juan und Leporello tauschen nicht bloß die Kleider, auch die
Phrasen nehmen sie sich ab und geben sie an Elvira weiter. Eine eigenartig
schürfende Melodie geht motivisch durch die Szene, sie lockert das Erd-
reich in einer Freudigkeit der Gesangs-Imitation, daß kein Pathos aufkommt.
Diese drei verstehen, sich gut anzusingen. Die reine Gesangsfreude, die
bloße schöne Form der Melodie, die man aus einer guten Laune bildet und
wie einen Tanz der Sinne durchkostet — diese Buffokunst hat Don Juan
selbst durchaus nicht vergessen. Ja, sie ist seine natürliche Äußerung, wenn
ihn niemand stört. Er bleibt ein Buffo und ist weit entfernt davon, groß-
artige romantische Expektorationen über seine Weltanschauung loszulassen:
zumal das einem Bariton in dieser Zeit gar nicht anstände. La ci darem,
so ist er. Fin ch'an dal vino, so fängt er den Atem, Deh vieni alla finestra,
so singt er zur Mandolinc und — nicht bloß als Leporello verkleidet — wenn
er die Leute verteilt, sich selbst zu fangen, Metä di voi qua vadano, verfaßt
176
Garcia als Don Juan. Pariser Lithograptiie
RuIIli. IJtkoration zu Don Juan
er eine Musterbuffoarie mit
höchst spaßiger Malerei und
höchst genialen melodischen
Einfällen. Er ist und bleibt
Buffo, und deswegen muß
er untergehen. Denn Mozart
liebt Donna Anna. An ihr
erwacht sein Ernst und seine
Tiefe, ihr gibt er das letzte,
was er zugeben hat, aber dem
Don Juan hat er nur edlere
Singemelodien gegeben als
Zerline, nur feinere Buffo-
manieren als Leporello, er
hat niemals zu da Ponte
gesagt: mir fehlt noch die
Hauptarie, in der ich Don
Juans Abgründe zeige. Er ließ ihn singen und spielen. Don Juan ist ein
Bufforitter, Leporello ein Buffodiener, Zerline eine Buffobäuerin.
Die Atmosphäre um Donna Anna schuf das Gewitter, unter dessen Blit-
zen Don Juan sein Gesicht faltete. Sie sammelt seine Sünden, die ihn zum
großen Sünder machen. Sie treibt die Vergeltungen, die sein Leben zum
großen Schicksal machen. Sie offenbart die Tiefen, die diese Oper zum Be-
ginn einer musikalischen und romantischen Liebe der Tragik machen. Das
Gewitter bricht in der ersten Szene los. Tod und Feuer. Leporellos dumme
Klagen, die den lustigen Opernton markieren, werden verschlungen von die-
sem dramatischen Leben, das noch keine Oper gekannt: im schüchternen
Buffobaß klingt Leporellos feige Stimme zum Liebesringkampf Don Juans
mit Donna Anna, zum Tode des Komturs. Ein Verbrechen ist geschehen,
leise weinend sinken die Bläser darüber herunter. Eine ungeheure Klage er-
hebt sich, ein Duettrezitativ Donna Annas und Don Ottavios, von seelen-
vollen Zwischenspielen gedeutet, und die gewaltige Vereinigung im Schwüre,
von gebrochenen Akkorden geleitet, an die die Stimme angstflehend sich
klammert, in trotzigen Septimen, schluchzenden Synkopen, schaurigen Pau-
sen, das Bild einer tragischen Verzweiflung, so erschütternd, musikstark, wie
es Gluck niemals geschrieben hatte. Anna hat den Mörder ihres Vaters er-
raten. Das Orchester krallt sich, Trompeten schneiden hinein, es zieht den
Schmerz aus, es dehnt ihn und bereitet das Feld für die Rachearie, die in
ihrer penetranten Leidenschaft nun ihrerseits das Orchester bis zur Raserei
177
aufwühlt: die Verinnerlichung der Virtuosität, die Steilheit des Ausdrucks,
die Lust am stilisierten Schrei, als Schönheit geboren in den Grenzgebieten
Italiens und Deutschlands, zwischen Passion und Bravour, wo die Tragik
sich ihres Pathos nicht schämt und das Pathos sich im Stil wieder festigt.
Das Gemüt beruhigt sich. Die F-Dur-Arie bringt in das vorangehende Re-
zitativ schon ihre melodisch süße Ahnung, dann breitet sie ihre feingezogene,
seelenzarte Stimmung über Annas Wesen, das wie in einer Erinnerung an
seine Herkunft noch einmal, in dem Allegro-Nachsatze, der bloßen Kolo-
ratur und virtuosen Verve Lebewohl sagt. Sie ist darüber längst hinausge-
wachsen und ist entschlossen, ihren tatenlosen Ottavio und ihre sentimentale
Helferin Elvira dort zurückzulassen, wo das bloße schöne Ariensingen und
der konzertmäßige Vortrag rührender Empfindungen dem Bedürfnis nach
Aussprache genügt. Es ist merkwürdig, daß Don Juan und Leporello in der
Arie Nr. 3 ihre Elvira nicht erkennen, die bei der Ausdrucksweise der ge-
wohnten Abbandonata beharrt, obwohl ihr die beiden durch das reizend
neckische Spiel über der federnden Dominante allen Anlaß dazu geben, an
ihrem Rutschpathos irre zu werden.
Schon im Quartett versucht Elvira die Sphäre der Anna einzusaugen:
Te vuol tradir ancor, so schlägt sie dies einsam klagende Motiv an, das sich
durch den ganzen Satz in den Stimmen, im Orchester durchzieht, um ihm
noch nachklingend seine mahnende Einheit zu geben. Aber während Ottavio
durchaus in den ernsten Bann des gemäßigten Stils der Donna Anna ge-
rät, versagt sich Elvira nicht einige koloraturfreudige Ausbrüche und findet
sich teilweise mit Don Juan, der sie im Buffoton für verrückt erklärt, in
diesem Genre zusammen. Die alte Operntradition muß noch besser einge-
fangen werden. Don Juan vermag es nicht, aber Mozart versucht es. In
den beiden Finales und im Sextett ist das geschehen.
Das erste Finale, in vielen kleinen Stücken aneinandergereiht, sogar sze-
nisch unterbrochen (man sollte es möglichst ohne Pause arrangieren) hat
vier große Teile, die, wenn man es kurz sagen will, die Zerstörung des Tanz-
festes in Don Juans Schloß durch den Geist der Rache und Verschwörung
wachsend schildern. Zuerst idyllisches Vorspiel mit heimlicher Erregung:
Masetto, Zerline, Don Juan, die liebliche F-Dur-Stelle, aus dem Palast
dringen acht Takte des Konters, alle drei finden sich zusammen, aber nur
musikalisch. Dann zweiter Abschnitt, die drei Rächenden kommen, eine
innerliche Dreiheit, zitternde Bewegung im Orchester, das Menuett tönt
aus dem Palast, Leporello ruft sie hinein und der Augenblick ergibt ihr
wundersames Terzett, zu dem alle Streicher schweigen, in einer absolut mu-
sikalischen Gesangsschönhelt, auf dem dunklen Fond der Bläser, wiegend und
178
wechselnd und drohend und flaggend, Anna und Elvira einig in der Figura-
tion und Koloratur, die sie aus ihrer Vergangenheit zu einer neuen zeitlosen
Monumentalität verbindet. Das Fest, drittens, findet statt und der Tanz
erringt die Herrschaft, er kompliziert sich, nach der vergnügten Vs Einlei-
tung, zu einem Ensemble von drei Tänzen, dem Menuett für die Edlen, der
Follia (Konter) für Don Juan und Zerline, der Alemana (Walzer) für Masetto
und Leporello. Die Tänze, von verschiedenen Bühnenorchestern gespielt,
staffeln sich, trotz ihres verschiedenen Taktes, ineinander ein. Der Schrei
der verführten Zerline unterbricht diese Epoche und leitet den letzten Teil
ein : den Sieg des Rachegesangs über das Tanzfest. Immer gewaltiger steigt
das Drohen, Rollen, Fugieren, Schlagen der Angreifer gegen das Paar des
stolzen Don Juan und des affigen Leporello an, immer breiter und breiter,
-die Katastrophe scheint vor der Tür — aber es geschieht nichts, sie treffen
sich schließlich alle im gemeinsamen C-Dur, wie sie sich immer am Ende der
katastrophalen Finales trafen, und statt zur Tat zu schreiten bleiben sie im
Gesang stecken. Der Tanz scheint besiegt, aber die Buffotradition hat sich
doch durchgesetzt. Mozart muß weiter gegen seinen Don Juan streiten.
Das Sextett gruppiert sich um den als Don Juan verkleideten Leporello.
Donna Elvira hat eine kurze Szene mit ihm, in Es, plötzlich Trompeten,
D-Dur, Ottavio und Anna treten ein (welcher unsagbare Schwung in ihrer
Gebärde), eine schleichend chromatische Figur senkt sich herab, wir sind in
Es zurück, als C-Moll, Masetto und Zerline kriechen mit unter diese chroma-
tische Decke, alle gegen Leporello, der dieselbe Figur in seine flehenden
Finger nimmt — er wird erkannt. Alle andern schließen sich in rhythmisch
knappen Maßen gegen ihn zusammen — che mai sarä ! Und doch, so lächer-
lich sie den Moment empfinden, sie erheben sich zu einem absoluten, philo-
sophischen, schicksalsschweren Stil, in Akzenten der Tonarten, im Wett-
eifern der Konturen, zuletzt fast in reiner Akapella-Mystik, immer wieder
von dem tragischen Gefühl ihrer Mission aufbegeistert, die an dem Gesetz
der Buffos zu scheitern scheint. Wird Mozart über Don Juan siegen ?
Das letzte Finale beginnt lustig mit dem schmausenden Don Juan und
hungernden Leporello. Die andern Don Juan-Opern brachten an dieser
Stelle Toaste, die das Publikum apostrophierten. Mozart hatte eine geist-
reiche Idee: er läßt die Tafelmusik erst aus Martins Cosa rara, dann aus
Sartis Fra due litiganti, endlich aus seinem Figaro spielen — in Worten ge-
sagt, ihr kennt den Martin und den Sarti, deren beliebte Arien mich über-
all verdrängen wollen, euch, meine Prager, danke ich den Erfolg des Figaro,
der mich stolz macht. Man stelle sich diese Wirkung bei der Premiere vor.
Alle wiegen sich in Wohlbehagen, alle fühlen sich persönlich angesprochen
179
von diesem Komponisten, diesem Dirigenten, der einen Tafelschmaus be-
liebter Opernstücke veranstaltet, ein freudiges Murmeln geht durchs Theater
— da öffnet sich die Tür und der weiße Komtur erscheint, das Lächeln
erstirbt, es hebt eine Szene an, wie sie noch keine Buffooper kannte, wie sie j
mehr Bedeutung und Erfolg und Zukunft für Mozart und alle Oper wurde,
als diese Zitate je ahnen ließen: von Elvira, der Warnenden, von Leporello,
dem Zitternden, vorbereitet, von dröhnendem Blech begleitet, auf schwer- ,
lastenden Akkorden, von klagenden ziehenden Streichern umgeben, einge- |
hüllt in die Wolken steigender und plötzlich im Piano fallender Skalen,
drängend, hart, steinern bis auf das unweigerliche D, ausweichend im Kampfe
des No und Si, der nun einen neuen tragischen Klang erhält, durch Ton- j
arten der Nähe flüchtend, in gewaltigen Schlägen zusammenbrechend und
im D-Moll versinkend, vollendet sich das Schicksal Don Juans. In D-Moll ? .
Im Momente seines Höllensturzes wandelt sich die Terz f in die Terz fis, |
das Moll in Dur und ein heiterer Schluß in G setzt ein. Sie kommen alle,
zu fragen, ein artiges Larghetto besänftigt den Schrecken, ein Endensemble
vereinigt sie in einer Art kirchlicher Weltanschauung, in der die einzelnen j
Charaktere noch tiefer untertauchen als sonst in solchem Finale. An diesem
Schluß hat man herumprobiert. Er wurde schon in alter Zeit ganz fallen
gelassen, oder nur teilweise, oder in das Camposanto verlegt, oder durch
ein Stück aus Mozarts Requiem oder gar fremde Kompositionen ersetzt. 1
Aus der Sphäre dieser Oper muß er bleiben. Bei aller Tragik — Don Juan
hat sich sein Los allein bereitet und der Komtur tut nichts, als Gleiches
mit Gleichem vergelten. Ja, eine Gewitteratmosphäre ist um Donna Anna,
es zuckt und donnert, aber diese Wolken hängen nur über Don Juan, sie sind
es nicht, die ihn treffen. Noch im Tode hat seine Buffoehre Macht genug,
alle seine Feinde in versöhnlicher Stimmung zu vereinen und einen schönen
Schlußgesang verfassen zu lassen. Sein Buffoschicksal liegt eingeschlossen in
dieser Landschaft hoher und heiliger und tragischer Gefühle, die nun ein-
mal erst erschaffen war, um dann ihre Menschen zu finden und zu erhalten,
die nur ihren eigenen Gesetzen folgen. Es ist eine stehende tragische Land-
schaft, noch beziehungslos, noch unverbindlich, aber schön bis in alle Tiefen
des Herzens, die hier gebildet wurde. Deutsches und Italienisches, Ernstes
und Komisches, Virtuoses und Empfindungsvolles, Ausdruck und Stil haben
von beiden Seiten an ihr gearbeitet. Die Insel ist im Meere geboren und
dort legt Donna Anna den Kranz auf Don Juans Grab, der für sie starb.
Die Oper ist fertig. Mozart geht an das letzte Stück, die Ouvertüre. Er
setzt die Klänge der Komturszene an den Anfang. Er. gibt dem folgenden
Allegrosatz ein drohendes, faustballendcs, diatonisch absteigendes Motiv,
180
I
inmitten ritterlicher Zwischenrufe und neckischer Ablenkungen, er verviel-
fältigt, verstaffelt, verbohrt dieses Motiv, aber dann läßt er es milder werden,
und bescheidener, und leitet mit sanfter Hand ohne Schluß in die Spaße
Leporellos hinüber. So zeichnete er seine Oper und seine eigene Bestimmung.
£jE;.A^f7^^'
, Ein Briefanfang von Mozart
Cos) fall f litte
ZU einem sonderbaren Spaß wurde er einige Jahre später berufen. Cosi
fan tutte erscheint von ihm, am 26. Januar 1790 in Wien. Ein Auf-
trag des Kaisers und zwar mit diesem Text da Pontes, der ihm befohlen
wurde. Wenigstens ein Auftrag. Glücklich war er nicht. Es fehlt an Geld
und die Frau kränkelt. Er hatte wieder mal eine Künstlerreise versucht und
wäre beinahe in Berlin stecken geblieben, wo ihm der interessierte König die
erste Kapellmeisterstelle für 300oTalcr angeboten hatte. Unnütze Träumerei,
was geworden wäre, wenn er es annahm ! (Ich glaube, er wäre von Intrigen
erstickt worden.) Rechnerisch war er gar nicht, er schlug es ab, um in Wien
zu bleiben. Der Dank des Kaisers war Cosi fan tutte. Wirklich nicht;
tutti. Der Kaiser hatte wenig Ahnung von ihm. Er hätte ihm Goldoni und
Moliere vor die Füße legen sollen. Cosi wurde kein großer Erfolg. Es ist
damals nur zehnmal in Wien gegeben worden. Dresden wachte erst an dieser
Oper auf: es war 1791 dort die erste Mozartpremiere, aber bis 181 2 folgte
in der Originalform keine andere. Bis heut ist das Stück nicht populär ge-
worden.
Man hat den Text dafür verantwortlich gemacht. Man sagte, zwei Lieb-
haber, die sich verkleiden, um kreuzweise ihre Bräute zu verführen und sich
so von ihrer Untreue zu überzeugen, der Freund Alfonso als malitiöser An-
stifter, die Zofe Despina als verkleideter Arzt und Notar, das sei zu unwahr-
scheinlich, ja sei zu frivol, um irgend jemanden zu fesseln : also unwahrschein-
181
lieh frivol, durch die beste Musik nicht zu retten ? Man änderte. Man
machte Alfonso zu einem Zauberer, Despina zu einem Ariel; man schob
eine lange Reise vor die Wette; man verkleidete statt der Liebhaber helfende
Freunde; man ließ sie parallel verführen, statt kreuzweise; man verriet den
Personen vorher ihr eigenes Stück, so daß sie die Täuschung nur vortäusch-
ten. Oder man eliminierte den ganzen Text und setzte einen funkelnagel-
neuen unter die Musik, Barbier und Carre schoben Shakespeares Verlorene
Liebesmühe unter, Scheidemantel hat soeben einen ähnlichen Versuch ge-
macht. Geholfen hat das alles nichts. E. T. A. Hoffmann war ziemlich der
einzige, der das Stück als „Ausdruck der ergötzlichsten Ironie" verteidigte, in
dem weisen Gespräch, das Dichter und Komponist in den „Serapionsbrüdern"
führen. Man nehme es mir nicht übel, wenn ich mich ihm anschließe. Ich
brauche nicht zu versichern, daß ich das nicht mit literarischem Kennerblick
tue, sondern im Gegenteil, ich bin froh, daß ich dies Kennerauge zudrücken
darf. Es ist mir möglich, die Unmöglichkeit dieses Stückes mit der ganzen
Heiterkeit meiner Buffoseele zu empfinden. Ich weiß, sie verkleiden sich; ich
weiß, das geht alles nicht und ist ein Spiel mit singenden Scherzen; ich weiß,
daß das Leben ernst ist und die Wahrheit langweilig und die Logik tödlich
und die dramatischen Gesetze nach einem Bremenser Kodex zu untersuchen
sind. Aber ich fühle ein wenig von Don Alfonso in mir, der mit einem be-
haglichen Lächeln diese Künste, obwohl er sie kennt, spielen läßt, und, ob-
wohl er sie verachtet, anstiftet, und ich bin imstande, mich so buffonesk zu
stilisieren, daß ich alle Frivolität der Croises und alle kleine Tierquälerei der
Liebe wie einen Maskenscherz mir vormachen lasse, hinter dem ich ein Leben
sehe, das ich vergessen will. Gern gebe ich dabei zu, daß der Librettist seine
Sache noch viel besser hätte machen können, und ich stimme Jahn vollkom-
men bei, der den zweiten Akt für zu gleichmäßig hält und statt des Quartetts,
in dem Alfonso und Despina die Parteien der Zögernden übernehmen, lieber
ein großes verwickeltes Ensemble gesehen hätte. Aber da Ponte zu mo-
nieren ist weder ein Grund, mich zu entrüsten, noch mich zu langweilen,
da ich ihn in Mozarts Gesellschaft finde. Sein einziger Mißerfolg ist die Lln-
fähigkeit der Hörer, sich auf eine feine Ironie einzustellen. Mozart fand den
inneren Ton. Die Leute finden ihn nicht.
Es ist eine köstliche Feinheit, eine spielende Ironie, mit der er diesen
Maskenball der Wahlverwandtschaften in Töne setzt. Hinter den Figaro-
personen hatte er Menschen gesucht, hinter Don Juans Frauen ein Schick-
sal, immer gesucht, nicht vollendet, denn er hatte keine Probleme und Ten-
denzen — hier suchte er gar nichts, sondern er spielte nur, und darum ist
diese Oper vielleicht die problemloseste, aber auch die einheitlichste von allen
182
Herr und l'i
geworden, eine wunderbare Selbst-
zersetzung dieser Gattung, eine
Vollendung der Ironie, ein Ziel des
Buffowesens, das seine Wesenlosig-
keit kennt und in schöner Musik
befriedigt. Dieses Stück läßt sich
vernichten, wenn man von Charak-
teren, Logik und Gefühl spricht,
aber am nächsten Tag st^t es
wieder auf und lächelt uns so ver-
führerisch an, daß wir uns schämen
und fragen: wissen wir noch, was
Wahrheit ist ? Ist alles nur Spiel ?
Wäre es doch — —
Elvira ist zur Fiordiligi gewor-
den, die Ferrarese singt sie. Dok-
toranden arbeiten über die Arien,
die Mozart für einzelne Sänger und
Sängerinnen schrieb, und rekonstru-
ieren deren Stimmgattung aus die-
sen Indizien. Mozart verwechselt
und vertauscht während der Arbeit die Rollen der Schwestern. Einmal ist
Fiordiligi oben (da Ponte hatte ein Verhältnis mit der Ferrarese), einmal
die Dorabclla, die die Villeneuve singt, selbst wieder eine Schwester der
Ferrarese. Dorabella ist entschieden impulsiver, Fiordiligi treuer und stol-
zer. Das Spiel verwechselt sie, das Spiel bringt den weicheren Ferrando
zur herrischen Fiordiligi, den unbesorgten Guglielmo zur temperament-
vollen Dorabella. Hat das Spiel vielleicht recht ? Sie werden sich nach
dem Austausch weniger gut vertragen. Denn dann beginnt das Leben
und hier ist noch die Kunst, die sie mit einer Fülle von Phantasie und
Illusion beschüttet, an die sie sich gern erinnern werden. Wie schön war diese
Ouvertüre, sie sagte nur Cosi fan tutte und dann jagte sie die Instrumente in
einem Wirbeltanz nacheinander, daß sie sich ihr Feuer holten, in dem sie das
ganze Stück durch sprühten, so beweglich und zierlich und fein und verständ-
nisvoll, die liebenden Klarinetten, die pochenden Oboen, die kriegerischen Pfei-
fen, die klingenden Pizzikati, die eitlen Hörner, die philosophischen Fagotte,
alle sie, die den großen Vorteil haben, nicht sprechen zu müssen, was man von
den Personen da oben verlangt, um ihnen ihre Gedanken nachzurechnen, die
ihre ungefragt blühende Musik verraten. Wie töricht. Diese Musik blüht wie
183
Stich von Bcrgcr
die Wiesenblume. Ist Wolfsmilch unecht ? Ist der Mohn ein Unkraut ? Wir
wissen nur noch, zu wieviel schönen Sexten und Terzen die Melodien dieser
Paare führen mußten, wie zierliche chromatische Wendungen im Diskant
lagen, wie viel neue und zarte Durchgangstöne in den Mittellagen, wie drol-
lige Ecken die Akkorde bildeten, wie frisch die Tonarten sich ablösten. Diese
unaufhörlichen Ensembles, in denen sich die Stimmen immer wieder in an-
deren Nachahmungen fanden und das Orchester immer wieder neue Farben
ihnen hinterspannte. Zerstören wir uns nicht die Erinnerung durch die Er-
zählung aller dieser Feinheiten, deren unermüdlichen Zauber wir in unseren
glücklichsten Stunden nur stumm am Klavier wiederherzustellen versuchen.
Gab es eine hoffnungsvollere Zeit, als da wir in dem Quintett Abschied nah-
men und uns eine nie gefühlte deutsche Romantik überschlich, von wiegen-
der Begleitung getragen, langsam sich verdichtend, bis diese eine melodische
Phrase sich von Fiordiligis Lippen löste, diese eine Melodie, die uns mehr
rührte, als alle gesprochene Literatur es je vermochte ? Und weißt du, dieses
Motiv im folgenden Terzettino, dieses Flehen und Schmeicheln der Winde
und Wellen, umwogt von flüssigen Terzen, umhaucht von weichen Harmo-
nien, sagte es uns nicht mehr als alle Librettisten ahnten ? Es kam irgend-
woher aus weiter silberner Ferne, wo wir es kannten, als wir noch keine
Menschen waren. Der gute Alfonso zitierte indessen Metastasio und sang
immer so zweideutig sein finem lauda, Despina und die beiden Männer mach-
ten entzückende chromatische Durchgänge, wenn sie vor den Damen knieten,
um in einem Walzer abzubrechen, Fiordiligi stürmte mit ihren weiten Inter-
vallen in der Felsenarie los, Guglielmo überlegte sich, ob er sein anmutiges
G-Dur-Liedchen singen solle oder die große Arie mit der Mythologie und
den Nachtigallen, beide waren sie hübsch, aber schließlich entschied er sich
für die spielende Grazie und reichte die pathetische Parodie dem Autor mit
Dank zurück, der ihm lachend recht gab. Die Männer lachten im Terzett,
Ferrando sang ein wundervolles Andante cantabilc, dessen Motive das Or-
chester wie in einem gerechten Stolz auf ihre schöne Erfindung weiterspann
und hochhob, die Herren wanden sich chromatisch in ihrer simulierten
Vergiftung, in reizender Verwirrung, stakkato hüpfend, dann legato biegend,
näherten sich ihnen die Damen, sie sangen gar erhebend und kunstvoll zu-
sammen, Despina kam als Arzt, apostrophierte den alten Freund Mesmer,
machte höchst amüsante altmodische Sperenzien und es ging in reißendem
Laufe dem Schlüsse des Finale zu. Kinder, welch ein Finale war das. Wel-
cher Bau, welches Tempo, welcher süße Zwang in unseren verschiedensten
Maskeraden. Welcher Alfonso gibt uns heut eine solche Erziehung? Wir
lebten unter einem Rausch von Rhythmus und Melodie, der unsere Fähig-
184
keiten, unsere Lust zur Musik gegeneinander
trieb, daß wir kaum merkten, wie er sie
dirigierte. Despina singt ihren verlockenden
Walzer, die Damen nehmen sich die reizenden
Phrasen vom Munde ab, die Herren eröffnen
eine artige Serenade, Guglielmo und Dora-
bella finden sich in ein^m Duett von einer
unbeschreiblich atmenden Süßigkeit, die bei-
den anderen machen ein großartiges Akkom-
pagnato, Ferrando läßt das A von F-Dur
und das A über C in fröhlichster Laune
zusammenstoßen, Fiordiligi konzertiert mit
den Hörnern, und eine Arie fällt ihr ein,
deren erstes Motiv den Kuß Ferrandos ver-
dient, der endlich nach vielen lustigen Liedchen, erhabenen Schmerzcns-
schreien und witzigen a parts, an einer prachtvollen Stelle der Partitur
erfolgt. Was wollt ihr ? Die Croiseküsse verraten den Parallelismus der
Liebe, aber die Musik feiert gerechtere Triumphe. Die zwei Paare ver-
einigen sich im zweiten Finale zu einem Larghetto von solcher Pracht und
Schönheit, daß man ihnen die Gedanken streichen müßte, die sie aussprechen.
Nur die Gedanken, die Pflicht, die Loyalität bringen sie wieder auseinander,
die im Gesang so zärtlich zusammenpaßten. Sie kleiden sich um, sie singen
ihre Leitmotive und die Komödie ist zu Ende, die Ehe beginnt. Was ist
die Seligkeit des Buffo ? Das Opfer der Vernunft an die Musik.
Catarina Cavalicri
Tito
IN Prag ist am 6. September 1791 wieder eine Mozart-Premiere: die Cle-
menza di Tito. Sie hatten sich dort gern an ihn erinnert und zur böh-
mischen Krönung des neuen Kaisers Leopold H. die Oper bei ihm bestellt-
Er war nie mehr ganz froh und fühlte sich nicht sehr wohl. Er war wieder
gereist, aber es kam nicht viel dabei heraus. Diese Musik mußte er ganz
schnell machen, im Wagen, im Gasthaus. Der Text war der alte von Meta-
stasio, den schon viele Großen komponiert hatten, er wurde etwas gereinigt
und verändert, die Ensembles kamen hinzu. Besser wurde er schließlich nicht.
Diese triefende Milde des römischen Kaisers gegen alle Kabale und Liebe
seiner Umgebung, diese Intrigen, die immer zu früh kommen, und Arien,
die immer zu spät kommen, können selbst als Festspiel keine Entschuldigung
185
finden. Scxtus und Annius waren als Weiberrollen gedacht, das ganze Stück
ist ein W'eiberstück. Und wie regten sich die Zeitgenossen auf. Manche
verglichen es im Ernst mit Torquato Tasso. Stendhal versichert in der kleinen
(zum Teil entlehnten) Schrift über Mozart, Haydn und Metastasio: beim
Titus könne man kaum die Tränen zurückhalten. Metastasio ist für ihn
Ideal. Diese Klarheit ohne Träumerei! Metastasio sagt gleichsam: soyez
heureux au fond de votre löge. Wie macht er das ? Seine Technik sei so :
es gibt sechs Personen, tous amoureux, der erste Sopran, die Primadonna,
der Tenor haben jeder fünf Arien, patetica, bravura, parlante, demi-carac-
tere und brillante, die ordentlich gemischt werden; der erste und zweite Akt
schließen mit wichtigeren Arien, der zweite und dritte haben in schönen Nischen
das obligate Rezitativ und das große Liebesduett. Fallt ihr, o Tränen ? Nun, der
Titus in der Mozartschen Form hat diese Regeln schon verlassen, er hat seine
Ensembles und Finales. Weinet, weinet! Stendhal hält Idomeneus und Titus
für die besten opere serie. Er sah Titus nach dem Rückzug aus Rußland, in
Königsberg, wo sie zwanzig Tage ausruhten. Vielleicht war er besonders
empfänglich. Er hält Mozart für eine INIischung von Geist und Melancholie,
ohne jeden Humor. Cosi fan tutte hätte Cimarosa machen müssen — der
kann badiner avec l'amour, die Liebe zerstört bei ihm nicht das Wesen der
Menschen, wie bei den Deutschen. Gewiß, hier versteht man die südliche
Laune Stendhals, das Unitalienische von Mozart — aber darum den Titus
ernst zu nehmen, heißt den Schatten zum Lichte machen. Damals, 1814,
verachtete Stendhal noch Rossini. Die Sevigne hatte gesagt, der Cafe und
Racine werde vorübergehen. Sie hat ebenso recht behalten wie Stendhal
über Rossini und Mozart.
In den Essais über Haydn zählt Stendhal einmal die Legenden der ver-
schiedenen Komponistenmethoden auf: Gluck arbeite auf der Wiese mit
Klavier und zwei Sektflaschen, Sarti im einsamen finsteren Zimmer, Cima-
rosa im Lärm der Freunde, Sacchini mit seiner Mätresse und seinen Katzen,
Paesiello im Bett, Zingarelli nach der Lektüre der heiligen Väter, Anfossi
beim gebratenen Huhn — jedenfalls schmecken alle Opern dieser Herren
nicht so nach ihrem Milieu wie Mozarts Titus nach Post und Hotel. Er hat
eilig etwas ziemlich Wertloses zusammengeschrieben und nicht einmal seinen
Idomeneo, zumal er diesen später veränderte und verbesserte, erreicht. Was
bleibt in Erinnerung? Die Melodie des Duetts von Annius und Servilia,
gefühlvoll geschwungen, im Nachspiel auf sinnige Harmonien gesetzt. Vi-
tellias zerrissene Sextusrufe im Terzett des ersten Akts. Die trauernden En-
sembles im ersten Fin.ilc nach dem Kapitolsbrand. Einige rührende Wen-
dungen in Annius' Trostarie an Sextus. Die schwere Ruhe der Szene, da
186
der verurteilte Sextus vor Titus erscheint: gleich wieder aufgehoben durch
die unfreiwillige Komik des A-Dur-Allegro, das eines Buffo würdig wäre.
Was noch ? Das Menuett der Servilia ist ein reizendes Stück, weil es ganz
herausfällt. Sextus' Reuegesang zu Beginn des zweiten Finales — es ist ein
Klang darin — aber die Schablone siegt, Einfälle gibt es wenig, wahres Ge-
fühl ist ausgeschlossen, kaum erkennt man Mozarts Züge. Seine Sonaten,
seine Symphonien haben eine organisierte, steigende Entwicklung. Die
Kirchenmusiken schon weniger. Die Opern sind ein Spielball. Man kann
nicht mehr sagen, als daß er an diesem Tage die opera seria schnell noch ein-
mal in die Hand nahm und für immer wegwarf. Metastasio kann zu Tüten
gedreht werden.
Zaiibcyßöte
A yiERUNDZWANZIG Tage nach dem Titus hatte Mozart die Premiere
der Zauberflöte, in einem privaten, aber k. k. privilegierten Theater
an der Wieden in Wien, das Schikaneder leitete. Schikaneder war ein Filou,
wahrscheinlich ein sehr netter Kerl, frech, lebenslustig und eine Va Banque-
Natur. Vielleicht hatte er von einer Art Chanteclerdichtung, die er einmal
verbrochen, noch einen Fundus von Vogelfedern übrig und erfand daraufhin
den Papageno, den er selbst spielte. Den übrigen Text schusterte er aus dem
Zauberflötenmärchen in Wielands Dschinnistan zusammen und fügte allerlei
hinzu, wer weiß woher. Seine Ungebildctheit ist in seinen Versen monu-
mental geworden, sein Leichtsinn in der Fabel des Stücks. Die Königin der
Nacht wird mittendrin ein schlechter Charakter, im Augenblicke, da Sarastro,
der ursprünglich ein böser Zauberer war, menschenfreundlich und freimau-
rerisch wird. Wohin die schönen drei Knaben gehören, weiß man nun schon
gar nicht mehr: die Nacht sendet sie zum Geleit, aber sie führen Tamino
und Pamina zum Licht. Monostatos, der Mohr, besinnt sich rechtzeitig auf
seine Herkunft und desertiert zur Nachtkönigin. Die Mission und die Liebe
Taminos sind miteinander so verquickt, daß die ursprünglich ganz dumm-
naive Pamina in schreckliche Verlegenheit kommt. Diese Widersprüche im
Text haben die Philologen längst erklärt. Gerade als Schikaneder in der
Arbeit war, kam in der Leopoldstadt Wenzel Müllers Kaspar der Fagottist
oder die Zauberzither heraus (die einen „zweiten Teil" zeugte, wie die
Zauberflöte, -wie Cosa rara, wie einst die Bettlcroper und „Der Teufel ist
los" und viele andere). Es war derselbe Inhalt. Um der Konkurrenz zu be-
gegnen, drehte Schikaneder den Spieß um und leitete die Fabel in die hei-
ligen Hallen Sarastros: es stimmte zwar nicht, aber er hatte die Neuheit
187
und die Brüderlichkeit auf seiner Seite. Und den Erfolg. Denn bei aller
Haltlosigkeit wirkten der Volkston, die triefende Ethik, die überzeugende
Symbolik von Nacht und Licht, und nicht zuletzt die vielen drastischen
Spaße und eleganten Ausstattungsmöglichkeiten so gewinnend auf die Sinne
der Leute, daß sie auch bessere Geister irritierten.
Die größte Frechheit Schikaneders war gewesen, sich an A'Iozart um die
Musik für sein Stück zu wenden. Der größte Übermut Mozarts war, sich
darauf einzulassen. Jenem half der Instinkt, diesem das Genie — eine lustige
Brüderschaft, die das nicht mißzuverstehende Feuer einer Sängerin, der Pa-
pagcna Madame Gerl, kräftig schürte. Mozart sitzt in einem Gartenpavillon
neben dem Theater und arbeitet unter Klausur die Musik. Schikaneder
verwirft dies, lobt jenes, manches wird mehrere Male vorgenommen, bis es
dem Herrn Direktor gefällt. Die erste Aufführung hat einen mäßigen Er-
folg. Aber langsam setzt es sich durch und es wird der größte Sieg, den
Mozart erlebte: volkstümlich durch alle Welt. Schikaneder schwindelt wei-
ter. Bei der 135. Aufführung zählt er auf dem Zettel die 200. Er wird reich
und baut sich davon ein neues schönes Theater mit seinem Bildnis als Pa-
pageno.
Mozart aber war tot, noch nicht ein Vierteljahr nach der ersten Auffüh-
rung, so unbegreiflich, wie er gelebt hatte.
Man sucht und reißt sich um die einzelnen Blätter der in die Partitur
nicht aufgenommenen, von Schikaneder verworfenen Stücke. Man über-
schüttet die Zauberflöte mit allen Phantasien der Dekoration, von den ägyp-
tischen Bildern bis zu den klassischen Edelarchitekturen, die Schinkel für
Berlin entwarf, von den Stilisierungen Rollers in Wien bis zu den Pracht-
monstren der modernen Technik. Und man nimmt den Arbeitspavillon
Mozarts und setzt ihn als Museumsobjekt in seine Vaterstadt Salzburg.
In dieser Zauberflöte war uns eine Welt von Musik hinterlassen worden.
Ich sage: eine Welt — denn über diesem Libretto hat Mozart eine Summe
von musikalischen Formen erfunden, die in ihrer Kombination ebenso einzig
ist wie in ihrer liebenswürdigen Schönheit. Er hatte endlich wieder mal
einen deutschen Text, ohne Rezitativdialog, ohne strenge Buffotradition,
märchenfrei und zauberleicht, mit vielen Ensemblemöglichkeiten, gemischt
aus Ernst und Spott, Moral und Kaprice, miserabel, aber dankbar, und er
schlug ein Album auf, in dem jede Gattung ihr reizendes Plätzchen fand.
Eine Welt von Musik, eine Welt als Musik — so mußte er von uns Abschied
nehmen. Gehen wir diesen Garten durch, indem wir Schikaneder zurück-
lassen und die Mozartbeete ordnen, pflegen, begießen, diese Blumen des
Unvergeßlichen.
188
Handschrift Mozarts: Zauberflöte
Als Vorplatz empfange uns die alte feierliche, orchestische Einleitung,
der Priestermarsch zum Beginn des zweiten Akts, melodisch ernst bewegt,
koloriert von der Flöte, dem Fagott, dem Bassetthorn, gefüllt von Hörnern
und Posaunen, die die drei hieratischen Akkordgruppen im Rhythmus des
Freimaurerzeichens wiederholen.
Zum Wort leite uns über das große dramatische obligate Rezitativ Tami-
nos mit dem Priester, im ersten Finale, ein ausgedehntes Akkompagnato
von einer ganz neuen Kraft und Wahrheit des Ausdrucks, wenig stilisiert
von den einfallenden unsichtbaren Chören, frei dem Inhalt der Sprache und
der wechselnden Empfindung hingegeben.
Und schon sprießen die Lieder. Da ist Papagenos Vogelfängerlied mit
der Rohrpfeife und den Hörnern, auf Harmonien süß sich schaukelnd, und
vom Glockenspiel begleitet, sein „Mädchen oder Weibchen", das alten Cho-
ral- und Volksmelodien folgt. Da ist das Schnell-Lied des Monostatos, flok-
kiger Wirbeltanz der Stimme mit der Pickelflöte. Da ist Sarastros Isis- und
Osirisarie, auf den tiefen Streichern, nur Bratsche und Cello mit sonoren
Bläsern, vom Chor refrainicrt, ein schönes Baßlied, das den ruhigen und
ernsten Charakter dieses Registers auch melodisch in einer beglückenden
Reinheit herausbrachte, die neu war, neu auch den Oberpriestern der Pariser
Opern. Deutsch und gut sind alle diese Lieder, und sie geben der Zauber-
189
flöte ihren nationalen Halt. Und da ist das zweite Baßlied Sarastros, die
heiligen Hallen, in denen eine romantische Luft wehte, die die Skalen der
aus mächtigen Tiefen schön aufsteigenden Kantilene in einer träumerischen
Großartigkeit belebte, wie Schatten und Kühle des Waldes.
Allmählich aber (denn eine ägyptische Landschaft ist in dieser Musik
nicht) bewegen wir uns von dem französischen Marsch durch die deutschen
Lieder in die Gefilde der italienischen Arie, wenn wir auch niemals mehr in
ihre Neapler traditionellen Bezirke gelangen. Paminas G-MoU-Arie, die Mo-
zart nicht zu langsam nahm, ist das gefühlvollste Stück dieser Oper, getragen
von einem unendlichen Wohllaut in schmerzvoll steigenden und bald ver-
söhnten Septimen, auf einem dumpf pulsenden Orchester, das ihr wunder-
volle Tränen nachweint: nicht ohne das Pathos südlichen Temperaments
und seine Lust, in Figuren sich zu ergehen. Tamino, da er ihr Bildnis be-
zaubernd schön findet, nimmt die Gelegenheit wahr, eine Arie in bewegter
Rührung zu singen, die zwar frei und fließend in der Form ist, aber die
Ornamentik italienischer Bauglieder zu vermeiden keinen Grund findet. In
der C-Dur-Arie des ersten Finales spielt er sich das Ritornell selbst auf der
Flöte und gestattet sogar ein baldiges Dakapo und eine Coda, die ins Presto
stürzt, das einzige Mal, daß er seine italienische Erziehung offen eingesteht.
Wir sind vor der Grenze der Bravour, die das Reich der Nachtkönigin ist.
Sie zielt, ohne große Formbindung, auf die Koloratur, die in der Kehle
von Mozarts Schwägerin Josepha saß. In der ersten ihrer Arien macht sie
noch die solenne Entwicklung der Einleitung, des Rezitativs, des langsamen,
melodisch gehobenen Satzes, des verzweifelten Allegro durch, um dann am
Schluß mit einem Virtuosenlächeln ihre Kunstfertigkeit zu zeigen. In der
zweiten Arie mischt sie schneller Pathos und Koloratur, die in doppelten
Zügen einander folgen. Kein Mensch wird sie deswegen in Schutz nehmen,
und Mozart hat sie früher gerichtet, als sein Textdirektor. Aber im Garten
der Zauberflöte stehen nun einmal auch diese Figuren.
Wir haben ihre Prüfungen überstanden und nahen uns dem Tapis der
Ensembles. Es wächst in wunderbarer Vielgestaltigkeit auf. Das Edikt des
Schweigens, das über den Tenor und seinen Baßbuffo zeitweise verhängt
wird, hindert sie nicht sonderlich: denn singt man nicht Ja, so singt man
eben Nein. Da stehen zuerst ein paar reine Duette. Papageno singt mit
Pamina von den Männern und Weibern, welche Liebe fühlen: eine Situa-
tion, die der Regisseur retten kann, wenn er sich daran erinnert, daß diese
Dame die Tochter der Nacht ist, aber eine Musik, die so einschmeichelnd
und schmiegsam ist, daß man ihnen auch so die Sünde verzeihen wird. Dann
das Duett der beiden Priester, das uns in C-Dur vor Weibertücken bewahren
190
Schinkfl: Dekoration zur Zauberflöte
soll, aber eine so verführerische Wendung nach G-Dur hat, daß wir der Er-
fahrung dieser Herren mehr glauben als ihrem Rate. Jetzt geht es in die
Terzette. Die drei Damen haben die Schlange getötet und verlieben sich
in Tamino, mit reizenden imitatorischen Wendungen, die dritte immer höchst
selbständig, mit rührenden Schlußbildungen, ein fein geschriebener und ein-
geteilter Satz, der gleich am Anfang uns das klangliche Symbol dieser Oper
ins Ohr zaubert: weibliche Terzette. Ein wenig dahinter das Terzett, in
dem Papageno den Monostatos erschreckt, da er der Pamina den Hof macht:
ein rhythmischer Spaß ohnegleichen. Am Beginn des Finales das schöne
Knabenterzett, so seltsam feierlich punktiert, ohne Kontrabässe, mit Po-
saunen, gedämpften Trompeten und Pauken, ein lichtes Himmelsbild. Und
da sie zum zweitenmal kommen, eine ganz andere Farbe: irdisch heiter
bewegt, so unnachahmlich lustvoll die Stimmen auseinander und gegenein-
ander fließend, das Orchester ein Heer von Schmetterlingen. Wie lieblich
ist diese Gegend, welcher Duft und welche Anmut einer überirdischen Selig-
keit. Welches Gleichmaß und welche Bescheidenheit. Aber bald dabei ist
das Terzett Sarastros mit den beiden Liebenden, das wiederum ein Muster
darstellt an dramatischer Bewegung und gegenseitiger Wendung im Fluß der
vollendeten Musik. Wie sie sich bald zweifach, bald dreifach gruppieren nach
der Stellung der Gefühle, wie sie jede Biegung des Gedankens mit einer
neuen harmonischen Abzweigung und einer freudigen melodischen Blüte er-
191
widern, wie sie sicli die Schönheit der musikalischen Phantasie in einer ge-
meinsamen Erregung untereinander teilen und wieder überraschend zurück-
geben, wie sie beim Abschiedswort in einer plötzlichen Hingebung eine kurze
Phrase in dreifacher Erhöhung zu einem wundersamen hängenden Blumen-
kelch hinzaubern ! Regen wir uns ein wenig ab beim Terzett der Pamina
und des Papageno mit Monostatos im ersten Finale. Es ist ein lockeres Buffo-
stück voll schnell singenden Übermuts mitten in der Jagd, die Taminos Flöte
und Papagenos Pfeife miteinander anstellen: der Glöckchentanz bringt die
Mohren auf die Beine, und ein Duettliedchen im Volkston bleibt übrig, ach
Schikaneder!, eine sprudelnde Folge lachender Musik. Das klinget so herr-
lich, das klinget so schön; nie hab ich so etwas gehört noch gesehn.
Aber schon erweitert sich der Garten. Da ist die wundervolle Gegend,
am Beginn des letzten Finales, wo die drei Knaben in einem lyrisch reizenden
Gesänge den Sonnenaufgang verkünden, um sich bald in eine Szene mit der
leidvollen Pamina einzulassen, die ihre Stimmen gegeneinander und wieder
gegen Pamina und erregter mit ihr zusammen zu einem einzigschönen Ge-
webe verbindet, in immer neuen Gängen und immer rührenderen Rufen.
Wir können nicht aufhören, in diesem Wohllaut, in diesem natürlichen Gegen-
spiel einer heiteren Traurigkeit zu wandeln. Doch schon locken uns die
Quintette. Da ist das eine, wo die beiden Kandidaten der Seligkeit von den
drei Damen ihre Geschenke, die Flöte und das Glockenspiel erhalten, aus
einer Buffolustigkeit zu einem sinnigen Märchen entwickelt, das freundlich
nachklingt. Und dann das andere, zwischen denselben Personen, wo die Da-
men ihre Helden so lange warnen, bis sie vom Teufel geholt werden —
durchzogen vom Silberfaden einer synkopisch wiegenden Figur, die den Fond
dieser wunderlichen Begebenheit belebt. Und erst die vielgestaltigen En-
sembles des letzten Finales! Denn wir trennen gern die losen Stücke dieser
Finales, um in ihren Bezirken frei nach unserer Wahl zu spazieren. Feuer
und Wasser drohen als letzte Prüfung. Die geharnischten Männer mit Ta-
mino, dann dieser mit Pamina, und beide mit beiden in einer schmeichelnden
Figur, die sich um die Dominante dreht, wandeln durch des Tones Macht
und tragen das Volkslied durch Feuer und Wasser, die von dem Marsch der
Flöte bezwungen werden, so seltsam fremd und mystisch auf den Spitzen
der Akkorde von Blechbläsern und den Schlägen der Pauke. Folgt mir gleich
darauf in die große Papagcnoszene, ein Tal von geschäftiger Lustigkeit und
Betulichkeit, auch da er sich den Tod geben will, so schön aufschluchzend
„drum geschieht es mir schon recht", und immer wieder diese schluckende
Phrase, und Sterbewalzerchen, und gar ein überzeugtes Moll — aber schon
kommen die Knaben, das Glockenspiel ertönt, die Papagena steht da, und
192
Unzelmann und Ambrosch als Lux und Adam, in Schenks Dorfbarbior. Alte Berliner Lithographie
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aus allen alten Erinnerungen aller Buffo-
narrenliebeleien wird ein Stakkato- und
Plapperstückchen, Papageno, Papagena
von porzellanener Puppensüßigkeit.
Folgt mir in die nächste Szene: immer
wieder ein andersfarbiges neugestaltiges
Ensemble. Monostatos mit den drei
Damen und der Nachtkönigin versuchen
in den Tempel zu dringen: ein ergötz-
liches Motiv von dämonischer Tapsigkeit
begleitet sie bis zur Versenkung. Durch
grüne, gelbe, schwarze Beete lustwandeln
wir, und die reizende Verwirrung der
Stimmen löst sich in eine wohlgeordnete
musikalische Regie auf. Die Wäldchen
der Chöre, lauter verschiedene Wäld-
chen, umfangen uns jetzt. Der einfache
Isis- und Osirischor, auf tiefen Strei-
chern, metallischen Bläsern, von Flöte
und Oboe konturiert, erhebt sich wie ein
würdiger Hain. Der Chor der letzten
Apotheose spielt als freudige, ins Allegro
sich steigernde Bewegung, ein Schwingen
von Zweigen. Der Schluß des ersten Aktes hat die Elemente des Finales in
schneller Dramatik auf nivelliertes Terrain gesetzt: in herzlicher Rührung
Sarastro mit Pamina und Tamino, von kitzelnden Lüften gehetzt Mono-
statos, alle im heißen Wechselspiel ihrer Empfindungen, von Jubelchören
gerahmt. Welche Blumen pflücken wir dazwischen! Aus dem Herzen Sara-
stros blüht es und glüht es im zarten Leuchten der Melodie. Wir sind reif,
daß uns der Meister auch in die Regionen der strengen und gebundenen
Musik führe. An der Grenze des Kirchlichen stehen die Gesänge der gehar-
nischten Männer vor den Wasser- und Feuertoren. Sie singen einen Cantus
firmus als Choral, umspielt von fugiertem Orchester und tropfendem Or-
nament in altem Stil, vielleicht sogar nach einem Muster des Kirnberger.
Wie aufrecht sie stehen in dieser flirrenden und bunten Welt! Aber die Fuge,
das äußerste System der gesetzmäßigen Kontrapunktik, erleichtert sich zu
einem transparenten Spiel neckisch absichtlicher Stimmen in der Ouvertüre,
die zwischen den Priesterposaunen aus einem überbrachten Motiv, wohl von
Clementi, in allen Mustern der Schule und doch so genial frei im leichten
Zettel der Uraufführung der Zauberflöte
193
13
Wurf aller Beantwortungen und Engführungen und VerStaffelungen des
schnellfüßigen Themas das letzte Zauberland der Musik eröffnet. Einen herr-
lichen Weg sind wir bis dahin gegangen, oft umgekehrt als der Weg Schikane-
ders, nicht in den Tempel, wo Tamino die Tochter der bösen Nacht aus Liebe
zum Licht führt und sich zur Erkenntnis der Menschlichkeit reift, sondern
einen anderen, viel schöneren und aussichtsvolleren Weg, den Mozart uns
durch die Welt der Musik führte und dessen Lehre heißt: mache dein Leid
zum Lied und deine Widerstände zum Ensemble. Wir sinken vor dir auf
die Knie, göttlicher Mann, und danken dir, daß uns dieser Garten täglich
geöffnet ist. Niemals wirst du gestorben sein.
Andere Deutsche
ICH spiele Mozart weiter, während ich mich mit den Buffoleuten und Sing-
spielkomponisten beschäftige, die ungefähr in seiner Zeit gearbeitet haben.
Während ich ihn spiele, entdecke ich täglich neue Feinheiten, geniale Züge
seiner Faktur, überraschende Details, reizende Einfälle, treffende Ausdrücke,
die ich in der Partitur lasse, um durch ihre Darstellung nicht ein Buch zu
erdrücken, das ihm nicht mehr bieten kann als einen Gruß. Bei seinen Mit-
bewerbern habe ich diese Gewissensregung selten. Die Geschichte hat recht
und billig gesiebt. Sie versinken sämtlich gegen .seine Bedeutung und es
bleibt nicht sonderlich viel zu notieren, was als interessant oder merkwürdig
der Nachwelt zu retten wäre. Welche Namen und Werke stehen da herum,
um zunächst mal in der deutschen Gegend zu bleiben. Haydn selbst streckte
gern die Waffen vor Mozart, den er mit ganzer Gerechtigkeit bewunderte,
und machte nicht viel Redens von seinen Opern, die meist für den Privat-
bedarf Esterhazys geschrieben waren und selten für unsere Zeit aufgefrischt
wurden. Reichardt, der Überzeugte, und Himmel, der Bonvivant, schrei-
ben eine Unzahl von Operchen für ihre Residenz Berlin, gern darauf be-
schränkt, das Singspiel zu einem Liederspiel zu machen, das ist ein Schauspiel
mit eingelegten Liedern, wie es Goethe empfahl und mehrfach, zu beschei-
den für die Literatur und für die Musik zu wenig ergiebig, versucht hat.
Benda, der berühmte Melodramenkomponist, Vogel, der Gluckianer, der
Bonner Neefe, der biedere Zumsteeg ruhen mit ihren ernsten und komischen
Opern im Archiv der Geschichte. Ein wenig lebendiger winkt Dittersdorf
zu uns herüber, schon weil er sein Leben, das sich an kleinen und sonder-
baren Höfen abspielte, so nett beschrieben hat. Sein Doktor und Apotheker,
die ihre Kinder unter Spaß und List verheiraten müssen, ist noch nicht ganz
194
tot. Und das Stück ist wirklich recht hübsch. Gut verzwickte Ensembles
sind darin, mit wirksamen Buffozwischenrufen, gefühlvolle Nachspiele, die
angenehme Folge diatonisch steigender Phrasen, viel Eilen und Schlagen und
Drehen des Buffostils, auch das beliebte lateinische Kanonisieren, viel Ma-
lerei von Trunkenheit, Verlegenheit und Einschlafen, gute rhythmische
Kunststücke in italienischer Art ohne sonderliche Melodieblüten, genügend
Koloratur und Dakapogewohnheit, alles italienischer als ^Mozart, dessen Ge-
fühlstiefe keiner hat, und doch wiederum von deutschem Klange im Lied-
und Volksmäßigen. Das Anfangsquintett auf den schönen- Abend mutet uns
wie einer jener populären Chöre aus der Verkauften Braut an. Die Marsch-
tanzlieder Sicheis „Wenn man will zu Mädchen gehn" und „Nur nicht
lange sich besonnen" pulsieren. Berühmt ist die Steigerung des gesamten
Orchesters und Personals im ersten Finale auf einer erst von unten, dann
von oben genommenen, dauernd wiederholten Quarte der verschiedenen
freudig und ängstlich pochenden Herzen, und ähnlich ist eine repetierte
Skalenfigur im zweiten Finale beim Erscheinen der Polizei, nur noch viel
pedantischer. Diese Phrasenwiederholungen lähmen ihm oft das Drama und
das Sextett leidet unter dem gleichmäßigen Takt, den Mozart, wenn er auch
äußerlich oft nicht viel abwechselte, doch innerlich stets so weise vermied.
Am besten bleiben bei Dittersdorf lustig bewegte Duette, wie hier zwischen
Krautmann und Gallus das amüsante Duett über den Wert des Arztes, oder
das Schimpfduett zwischen Doktor und Apotheker, das der Kern des Stückes
ist. Der ,,Hieronymus Knicker" ist zweifellos schwächer: die Geschichte
eines Geizhalses, der durch ein Liebespaar hintergangen wird, ebenso von
Stephanie d. J. zurechtgemacht. Das sehr nette erste Finale habe^ich ein-
mal mit Vergnügen in einem Konzert gehört: Personen, die immer mit dem-
selben Motiv nacheinander im Finstern auftreten, mit einer reizenden fran-
zösisch-eleganten Finalefigur in G-Dur, die sehr graziös zum Schluß abfällt,
mit dem altmodischen Nachtwächter und der großen Steigerung Pum, Pum,
Knall. Eine Parodie auf die Opcrnrezitative mit Blitz, Donner und Meer,
oder auf das Zitieren von Geistern (hier ein türkischer Hokuspokus), oder
von dem tauben Filz, der Donner, Glocken, Kanonen, Trompeten, Ochsen,
Orgel und Nonnen, Trommel und das ganze Orchester mit der nötigen In-
strumentalmalerei hört, nur die Sänger versteht er nicht, was sie sagen —
solche Parodien sind in dieser Zeit typisch, typisch wie alle diese Soldaten-
lieder oder die Liebesszenen mit Ja, Ja, Nein, Nein, oder die abgehaspelten
Schnellmelodien: Mein Onkel ist ein halber Narr, hat niemals Gold und
Geld genug (wiederholt), und Gold und Geld und Gold und Geld und
Gold und Geld genug (Achtelpause), niemals Gold und Geld genug. Mit
195 '3*
mehr oder weniger Witz wird der Prozeß der Buffomelodie ausgestattet:
erst ein Vorspiel, dann erhebt die Stimme ihre Kantilene, dann legt eine
bewegte Figur los, die Stimme holt sie ein, sie rasen um die Harmonien,
drehen sich zuletzt um Tonika und Dominante, die Stimme fliegt plötzlich
auf, wirft ihre Koloraturen über die Stackete der Akkorde und trumpft
schließlich auf Unterdominante, Oberdominante zur Tonika, das Orchester
spielt den Rhythmus nach, man tanzt ab. So ist im allgemeinen der gute,
liebe, schlaue Dittersdorf. Er lacht und weint mit Berechnung. Im „Roten
Käppchen" das Lied „Es war einmal ein alter Mann" oder Hedwigs Arie
„Ach höre mich, Bruder", in der „Liebe im Narrenhaus" wenigstens in
einigen Teilen des zweiten Aktes ist viel echte Volksart, oft ist so etwas wie
die Vorstufe zu Lortzing geschaffen, bei allem Gedudel und Gefiedel
ein gewisser kultivierter Bürgerton, das Arienlied mit der banalen Lebens-
weisheit.
Die Operettenmischung dieses Genres scheitert für unseren Geschmack
oft an der unglaublichen Albernheit der Texte, die immer irgend eine listige
Heirat mit Erpressungen und Verkleidungen schildern, und der Langmut
der Musik, die zwischen der Posse und dem Lied sich ohne viel eigene Schwer-
kraft hin und her stoßen läßt. Ein schlechtes Beispiel ist Schenks seinerzeit
so berühmter Dorf barbier, trotz der Liedchen des Barbierlehrlings und
der Suschenpolonäse, ein übler Wechselbalg. Als ein viel besseres und rein-
licheres Muster empfiehlt sich der urwienerische Wenzel Müller, der an dem
Leopoldstädter Theater Operette nach Operette verzapfte und doch nicht
die Puste verlor. Nimmt man's nicht zu schwer, wird man an seinen „Schwe-
stern von Prag" heut noch ein tänzerisches Vergnügen finden. Der Titel
ist gesucht, der Inhalt derselbe wie alle diese Stücke. Frische Couplets,
lustige Lieder, nette Parodien zeugen von einem einfachen, aber unverdor-
benen Geschmack. ,,Ich bin der Schneider Kakadu," singt Schneider Kris-
pin, „Ich bin der Doktor Sassafras," singt der verkleidete Liebhaber und
kopiert das Thema der Zauberflötenouvertüre. Sein Diener verkleidet sich
als Tante aus Prag und gibt eine ergötzliche illustrierte Beschreibung seiner
schwierigen Postfahrt zum besten, in Falsett parodierend, in einer Koloratur
zusammenbrechend. Ein Ständchenensemble von vormeistersingerlicher Art
füllt das erste Finale. Eine Flöte wetteifert mit einer Geige, ein Diener
kommt die Posaune machend, Krispin dazu mit einer Leier, Kaspar (der alte
Kaspar-Hausknecht) gar mit einem Hackebrett, und Flöte, Geige, Posaune,
Drehlcier und angehendes Pianoforte mit den p. p. Gesängen ihrer Herren
veranstalten einen nächtlichen Spaß, der nicht nur in eine Keilerei übergeht,
sondern auch seinen Nachtwächter findet.
196
Wie lieb ist es, in diesem Zusammenhange auch Schuberts gedenken zu
dürfen. Die Opern, die er uns hinterließ, sind entweder Bruchstücke oder
keine Dramen, so durchsättigt von seiner frühlingsgrünen Lyrik, daß sie
kaum auf beiden Beinen stehen können und im musikalischen Rausch den
Boden unter den Füßen verlieren, so schön empfunden, so lang ausgedehnt,
so herzlich bühnenlos. Mit dem „Häuslichen Krieg" haben die Rettungs-
versuche noch das meiste Glück gehabt. Schon weil das textliche Motiv
sich auch sonst bewährte : das Lysistratamotiv vom Streike der Weiber gegen
die Männer, hier kriegerische Ritter, die sich mit einem Gegenstreik rächen,
der sehr hübsch eingefädelt wird, bis alles aus Liebe und Güte sich zum
versöhnlichen Schlüsse wendet. Immerhin mal etwas anderes, von Castelli
mit mehr Geschick als Witz in einem Akt zurechtgemacht. Aber ein Schu-
bert vom ersten bis zum letzten Takt. Er läßt die Leute eben seine Lieder
und Ensembles singen, und im übrigen wartet er mit der Aufführung bis
33 Jahre nach seinem Tode. Ein Duett zwischen dem Dienerliebespaar ist
die Einleitung, mit jenen entzückenden, lächelnden, überraschenden Wen-
dungen in die Tonika zurück, die seine Physiognomie verraten. Nun die ge-
fühlvolle schöne Romanze der liebenden Helene, ein melancholisches F-Moll-
Stück mit dem erheiternden Schluß in Dur. Jetzt das Ensemble der bera-
tenden Frauen, in eine Poloijiäse eingefügt, von der Gräfin geleitet, ins
Weinerliche umschlagend, zuletzt ein eifriges Allegro, mit einer Melodie
zum Küssen, neckischem Spiel um die Dominante, lustiger Stimmenjagd.
Und noch ein zweites Frauenensemble, ein Schubertscher Frauenchor, die
Verschwörung, so fein disponiert, Flüstern des zukünftigen Glücks, wiegende
Hoffnung, ein tränendes B, das das Nachspiel schon in H auflöst. Aber schon
erklingt der Marsch der Herren, ein Kabinettstück Schubertscher Tanzbe-
haglichkeit. Nun umgekehrt das erste Männerensemble, vielfach gewendet,
Solisten mit dem Chor spielend, alle so musikfroh gegeneinander, bis zum
übermäßigen Es-Dur-Akkord, der ihnen ordentlich eine ernste Miene gibt.
Jetzt Frauen und Herren zusammen, eine gereimte Lyrik im Austausch schö-
ner Musik, an der sie sich nicht satt singen können, mit dem plötzlichen Son-
nenlicht auf dem C-Dur-Akkord, allen möglichen Tanzrhythmen, großer
Baßvergnügtheit, melodischen Einfällen von göttlicher Ungeniertheit und
einem süßen Ausklingen im Orchester, das dramatisch wird, wo es abzieht.
Der meistliebende Herr und die meistliebende Dame singen ein Duett in
einem heißatmenden, kurzgebundenen Dreiachteltakt, in wohlerzogener
Symmetrie, trotz einer gewissen Steigerung über umspielte wachsende Do-
minanten, die Wagner lieben lernen sollte, auf einer None jauchzend im
schnelleren Nachsatz, — gab es in Opern sonst diesen Ton ? Ritterlich,
197
deutsch, innig — es bilden sich Sphären. Der meiststreikende Herr und die
meiststreikende Dame folgen in einer Doppelarie, deren Refrain „Für dich"
die lyrische Disposition gibt — woher kennen wir diesen Ton ? Das deutsche
große Lied ist in die Oper eingetreten, Schubert, Schumann — wo sind wir ?
Wir sind in einer Singspieloper alter Zeit mit deutschem Dialog und elf
komponierten Nummern, die ein musikalisches Genie, das das größte der
Welt geworden wäre, hätte es nicht so frühen Tod gefunden, vom Tanze,
vom Liede, von keimenden neuen Landschaften her, beglänzt. Das Finale
bringt eine strahlende Polonäse, einen zuckenden Alarsch mit dem Akzent
auf der None, einen seltsam skandierten Doppelchor mit herausblühendem
Sopransolo, ein B-Dur-Quartett mit dem Erdgeruch alter Volksbildkraft
und einen schmeichelnden Wechselschlußchor, wie ein Abschiedsständchen.
Sprach ich schon einmal von den Vorklängen der Verkauften Braut r Hier
sind sie in deutscher Schlichtheit. Wienerisch-deutsch. Was zwischen den
Buffospäßen und Coupletliedern aller dieser Leute in heimlicher Lyrik lag,
einsam, unaufdringlich, bühnenfremd, auch sonst ohne Anspruch, ohne Pro-
gramm und Problem, ohne Kampf und Erlösung, nur so musikalisch, so
schön und so ewig, — wer weiß, was es war, gewiß keine Oper.
Aber Weigls Schweizerfamilie war sicherlich eine Oper und hatte ra-
senden Erfolg: Ein Rührstück, schrecklich in die Länge gezogen und viel-
leicht zum erstenmal ganz berechnet auf die eigentümliche Kraft der Musik,
Unausgesprochenes zu sagen. Erwartetes zu vollenden. Die Schweizerfami-
lie ist vom Gutsherrn aus Dank für seine Lebensrettung nach Deutschland
verpflanzt worden, er hat ihnen eine künstliche Szenerie nach dem Muster
ihres Heimatdorfs aufgebaut, aber leider vergessen, der jungen Emmeline
ihren Liebsten mitzutransportieren, über den sie nicht spricht. So bewegt
sich in diesen Erwartungen das erste Finale, gut und recht gearbeitet. Der
Liebste kommt ganz von selbst, wird ihr aber noch nicht gezeigt. Letzte
Szene: Großes Melodram, leitmotivische Erinnerungen an die ganze Oper,
sie naht sich schweigend seiner Hütte, es tönt eine Schalmei, sie nimmt
deren Melodie solo auf, er singt solo dazu, das Orchester beteiligt sich
allmählich, sie sehen sich, sie duettieren, der \'ater singt noch einmal das
Schalmeimotiv und alles wird, wie es in jeder Oper wurde — auf diese
originelle und nicht unrühmlich gearbeitete Stelle wartete das ganze Stück.
Tränen und Applaus. Auch dies gebe ich als ein Muster seiner Gattung,
des idvllischen Rührstücks, das seine unwiderstehlichen Reize durch die
Musik erhöhte. Heut lächelt man, wo man einst weinte. Sauberer als
unsere Rühroperette ist es immer noch gewesen. Und man wird einst
weinen, wo man heut lächelt.
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Die romantische Farbe, die Volksstimmung, das Rührende und Bewe-
gende, das Moralische und Sinnige, das zwischen den Touren der Buffos
von jeher in diesen Opern schimmerte, will sich gestalten. Figaro ist ruhig
geworden, die Revolution hat gesiegt, die Reaktion macht gefühlvoll. Die
Zauberflöte hatte nicht nur schön, auch zeitgemäß gespielt. Wieder wendet
Goethe, der einen dunklen Trieb zu dieser spielenden Ethik hatte, seinen
Sinn dorthin. Er versucht, nachdem er seine Singspiele Mozart gern geopfert
hatte, die Zauberflöte seinerseits fortzudichten, und das erhaltene Fragment
spricht von der hohen Vergeistigung Sarastros, der Lichtwelt der Flöte, der
Rache der Nachtkönigin, selbst von Papagenos Beruf, — es war so innerlich
voller Musik, daß es keine äußere mehr brauchte und fand. Der banalere
und erfolgreichere Fortsetzer der Zauberflöte hätte am liebsten für Tamino
und Pamina noch einen wahren Lunapark von Prüfungen erfunden, die sie
zu bestehen haben, um der letzten Rache der Nachtprimadonna zu entgehen.
Er begnügt sich mit einem Labyrinth, einer Papagenofamilie, diversen Teu-
feln und einem großen Kriege beider Parteien, der im Zweikampf Taminos
mit Typheus, dem Nachtbräutigam Paminas, für Sarastros Weltanschauung
ruhmvoll endet. Peter von Winter, der vielgereiste Münchener Meister,
komponiert dies „Labyrinth" als zweite Zauberflötenoper, freilich, zu sei-
nem Glück, ganz unmozartsch, mehr im Stil der großen Pariser Oper, mit
mächtigen dramatischen Aufschreien, viel Maestoso, Doppelchören und dem
ganzen szenischen Apparat der Hochoper, den er auch in seinen ,, Pyramiden
Babylons", wo eine halbe Stunde Mädchen am Seil schwebend zu singen
haben, nicht gespart hatte. Im übrigen ist die Musik nicht so schlecht. Er
benutzt Mozarts Posaunenmotiv der Priester und das Rohrpfeifenmotiv Pa-
pagenos geschickt leitmotivisch, mit viel Variation und Gelenkigkeit, schlägt
aus den drei Damen (die hier in Venus, Amor und Page zur Verführung Ta-
minos verwandelt sind) neues Kapital, macht sehr artige Papagenostückchen,
entwickelt die Baßsphäre Sarastros zu neuen Wirkungen, arbeitet für das
Gefühl kräftig mit Vorhalten verminderter Septimen und hat eine gewisse
harte und anständige Hand bei der Faktur der Ensembles: wie sich im La-
byrinth Taminos und Paminas Stimmen suchen, über der punktiert rücken-
den Phrase der Königin der Nacht, -das ist aller Ehre wert. Winter steht zwi-
schen der Singspielzauberoper und dem kommenden historischen Musik-
drama, Fäden, die sich über Gluck von hierher nach dorthin herüberziehen.
Sein bekanntestes Werk, das Unterbrochene Opferfest, von 1796, bereitet
die historische Prunkoper vor, aber ist musikalisch viel schlechter als die
fortgesetzte Zauberflöte : ehrenwert wieder in der Arbeit, aber bodenlos leer,
in hohlen Choreffekten und Bravourismen, im Ausdruck ganz unpersönlich.
199
Ein Engländer ist durch Schicksale beim Inka von Peru (die Peruaner singen
ein Leitmotiv Kohe, Kohe) Feldherr geworden, er wird aus Eifersucht ver-
raten, zum Holzstoß verurteilt, zuletzt gerettet; alle nötigen Liebhaberinnen,
Gespielinnen, Intriganten, Freunde, Priester, Buffodiener sind ihm zuge-
geben. Ein peruanischer Metastasio. Schließlich war der ungemeine Erfolg
dieser Oper ein Rührerfolg, unterstrichene Menschlichkeiten, die in dem
exotischen Aufputz besonders erschütternd wirken mußten, zumal man ge-
wöhnlich alle Buffoarien wegließ. Man trennte, was Mozart vereint hatte.
Damit rührte man wohl Instinkte auf, aber überlieferte das Werk seinem
Schicksal. Heut sind alle diese Vorgänge nur die Folie für Mozarts Größe,
der durch die Macht der Musik Freuden und Leiden dieser Welt aus Einem
erfassen durfte und darum allein geblieben ist.
Andere Italiener
71 BER auch Form und Inhalt dieser Welt — darum mußten ihm die
1 V Italiener weichen, die nichts als Form geworden waren, tadelloser Bau,
spielende Technik, gewiegte Routine. Es sind silberne Stäbchen, die in der
italienischen Buffooper klingen. Klang als Instrument, Klang als Stimme,
auf dem Papier ein trockenes Notensystem, auf der Bühne lebende Sinnlich-
keit. Eine anmutige Konvention schaltet das allzu Persönliche, allzu Ver-
trauens- und Gefühlsselige aus, kaum achtet man noch auf schöne Verse,
die einst Metastasios Eifer und Stolz gewesen waren; die Deklamation, im
Deutschen fast immer grausam, erleichtert sich hier durch die neutralen \'a-
leurs einer wohllautenden Vokalisation ; Parlandorezitative beflügeln gewöhn-
lich den Dialog — Hauptvergnügen ist die Situation, ihfe scharfe rhyth-
mische Fassung, die vollendete Form ihrer musikalischen stilisierten Faktur.
Maestro di musica, finta pazza, pazza per amore — die Stoffe kehren unend-
lich wieder; nicht neu, sondern unterhaltend zu sein, bei geringsten \'or-
aussetzungen, ist Aufgabe und Genuß. In Stradellas uraltem Duett quel tuo
petto di diamante gibt es schon das No, no — si, si als Pointe der Imitation,
es ist tausendmal w^iedcrgekehrt. Schon dort fand man dieselbe Phrase, mit
der Papageno sich aufhängen möchte, Mozartsche Wendungen trifft man bei
Guglielmi, Anfossi, Sarti, Tractta, aber zwischen dem Geloso in cimento,
dem Cavaliere errantc und Mozart bleibt doch derselbe LTnterschied, wie
zwischen seiner empfindungsvollen Figaro-Gräfin und der kalten Gräfin in
Sartis Fra due litiganti. Mozart hat Herz, die Italicner haben Konvention.
In Hasses Numa Pompilio gibt es ein reizendes, wortspielendes Duett
200
Die Persiani als Rosine. Lithographie von Lacauchie
zw
ischen Marcantonio und Pimpinella über die zukünftigen Kinderfreuden.
— und doch sind Papageno und Papagena eine Stufe höher. Die Anlehnun-
gen, die Zitate sind Zeichen der äußeren Verwandtschaft, und doch ist es
nicht dasselbe, wenn Traetta im Cavaliere errante die Orpheusarie Che farö'
zitiert und Mozart im Don Juan Martins Cosa rara. Glaubt man, daß Martins
Bauernszenen auf diejenigen des Don Juan gewirkt haben ? Die Cosa rara
ist nicht übel, man versteht den immensen Erfolg der Oper dieses vielge-
wandten Spaniers. Wir ziehen sie dem noch erfolgreicheren, aber schwäche-
ren „Baum der Diana" vor. Man könnte fast für jede Cosa rara-Stelle Pa-
rallelen Mozarts finden, und doch ist es nicht dasselbe. Die glänzend straffe
Form, die ernsteren Mollweisen, die schäkernden Duette des zweiten Liebes-
paares, die dramatischen Ensembles, die Finsternisscherze, die Zittoliedchen,
das Buon-Giornowünschen, die Schauerarie von der Eifersucht, der Anfang
der A-Dur-Arie der Lilla — es ist die Brücke von Mozart zu Rossini, Musik,
die existiert, indem sie kHngt, ohne jeden Rest von Unschuld, aber in Lieb- .
kosungen, die ihre Wirkungen den Erfahrungen der großen Welt angepaßt
haben und nicht durch Prätention zerstören, was sie durch Haltung und
Kennerschaft gewinnen. Kein Wunder, daß diese Genüsse, die im Augenblick
lebten und nur wie durch ein leichtes Netz einer allgemeinen Amüsements-
Verfassung gehalten wurden, im Dasein der Oper aufrauschten und ver-
gingen. Portugal, der genannteste portugiesische Komponist, amüsierte fast
jedes Jahr seine Landsleute, die Italiener, die Pariser, die Brasilianer mit
einer neuen Oper in diesem Genre er ist nicht mehr. Fioravanti hatte
einen Riesenerfolg mit seinen „Dorfsängerinnen", es gab da die beliebte
Parodie des ernsten Gesanges in karikierten Musikstunden, die Parodie einer
Opernaufführung, oder das Dirigieren einer Symphonie, indem die einzelnen
Instrumente moniert werden, Soldatenangstarien, Finalestörungen durch
plötzliche Ehemänner, alles ohne viel Erfindung, aber mit dem nötigen Tem-
perament und rhythmischen Witz. In Paers „Kapellmeister" war solche
Musikparodie der Hauptinhalt bei einem unbeschreiblich albernen Text:
zwei Soldaten verstellen sich als Musiker, um das Mündel des Kapellmeisters
zu kriegen. Schon sieht man überall die Linie des „Barbiers". Duette mit
Persiflage der italienischen Aussprache, Gesangsstunde, Soldatenangst, Gour-
mandie, das sind die typischen Beigaben zu einer großen Szene, in der der
Kapellmeister seine eigene Oper Antonius und Cleopatra beschreibt, mit
Nachahmung des Orchesters, der malenden Instrumente, des italienischen
Vortragsstils, er mimt den ganzen musikalischen Verlauf und Erfolg des Stücks
als Oper in einer Oper! Pacr, viel herumgeworfen durch Venedig, Wien,.
Dresden, Warschau, Paris, ist einer der Lieblinge des Publikums der napole-
20 1
onischen Welt. In seinen Donne cambiate nimmt er das alte englische
Possenmotiv des „lustigen Schusters" mit der \'crtauschung der reichen und
der armen Frau noch einmal auf, wobei ihm gut treibende Ensembles und
eine höchst anmutig rollende Rondoarie der Luise gelingen : alles Schablone
und Konvention gegen Mozart. Seine berühmteste Oper Camilla zeich-
net sich nicht nur durch die reizend sinnige Ghittaaric im ersten Akt aus,
sie hat auch einen starken humoristischen Ehrgeiz und, was das Wichtigste
scheint, einen etwas romantischen Beigeschmack, Lieder und Balladen, die
einen deutschen Einschlag verraten
Cimarosa ist von all diesen der beweglichste. Seine Büste steht im rö-
mischen Pantheon neben Sacchini und Paesiello. Er reiste mit seinen Opern
durch die Welt, bis nach Rußland, ein Abgott des Geschmacks, so daß er
sogar nach der Teilnahme am 98 er Neapler Aufstand vom Todesurteil be-
gnadigt wurde. Die Werke sind das Muster dieses aus rhythmischem Gesang
lebenden Stils, hundertmal dagewesene Phrasen in Bewegung gebracht, Baß-
sprünge, breite Sopranmelodien über dem Toben der Stimme, L^nisonoläufe,
Pendeln der Tonika und Dominante, kleine Malereien in den Instru-
menten. Man lese die Renommierarie des Fabrizio in seinem Matrimonio per
raggiro auf die bullernde Realistik. Man lese ebenda die Wutarie des Bab-
bione und man hat den Typ. Es ist eine Art Rennen der Stimmen in solchen
Buffonummern. Ein Melodiechen der Streicher, die Stimme läuft aus, Sep-
timen machen ihre Barrikaden, es geht weiter, immer breiter, mit allen alten
Schulsprüngen und allen alten Hindernissen: der Akkord auf der Sekunde
der Tonika (was fang ich an ?) bis zum Übermaß. Das Orchester wird in
löteln und 32teln angetrieben, gewirbelt, gekitzelt, die Phrasen wiederholt,
mehrere Personen dakapo auf dieselbe Phrase oder Arie, die typische Gebärde
des Auslaufens, die Tempivariationen, das Ensemblerennen mit imitatori-
schem Start und gleichem Ende — wetten wir auf die Pferde oder Sänger ?
Bravo, dieser Lauf war ein Rekord. Alle Völker der Erde werden in der
„Reise um die Welt" auf die Phrase h d a c geplappert. Die „heimliche Ehe"
ist der größte Schlager, der jubelnde Erfolg Wiens 1792 und noch die Lieb-
lingsoper Stendhals. Jedes Gefühl tanzt mit dem Buffo, kleine blumige Melo-
dien im Orchester, von Neapler Düften umfächelt, versüßen die Situation,
in tiefem Schweigen singt man spielende, kokette Ensembles. Sie sind heim-
lich verheiratet, und es kommt heraus, nicht zu viel Geschehnisse, nur dank-
bare Singgelegenheiten : daß sie mit den Stimmen picken können oder ein
Schnellparlando unter eine Melodie legen oder unisono mit dem Orchester
laufen oder ein paar Koloraturen hineinwerfen. Heimliche Liebe, hin und
her, von leichten, leisen Tönen umtanzt! Carolina mit ihrer Arie Perdo-
202
nate Signor mio stellt jene fliegende Gesangsmelodie dar, die wir heut noch
von Rossini kennen. Noch besser ihr Paolino mit der flüsternden Entfüh-
rungsarie Priache spunti in ciel l'aurora. Und beide, noch heimlicher in dem
Duett des letzten Finales. Das schwirrt, schleicht, gleitet substanzlos. Ein
Humorstück ist des Grafen Son lunatico, in dem er sich der Lisetta unaus-
stehlich machen will: eine Buffobeichte menschlicher Ehefehler. Das Ende:
er verzichtet auf Carolina, nimmt Lisetta: Melodie, Stakkato, Triolen. Mu-
sikalische Wesen sind es, die man nicht greifen kann — sie klingen durch die
Luft, Rhythmus ist ihre Essenz, den Ton leihen sie sich aus der Kehle.
Aber eine wunderbare Schule leichter Anmut hat sie zu einem vollendeten
Ensemble vereinigt, das selige Erinnerungen an schöne Lebensstunden auslöst.
Rossini steigt freudig bewegt aus dieser Schule auf, lebendiger als Paesiello.
Paesiello ist der Konkurrent Cimarosas, von Neapel bis nach Petersburg,
mit dem Intermezzo in Paris am Hofe des ihn verehrenden Napoleons. Man
hat über hundert Opern von ihm gezählt. Soweit wir sie kennen, sind sie ohne
besondere Physiognomie, das ewige neckische rhythmische Spiel mit Figür-
chen und Melodiechen über dummen Texten, mit Verkleidungen und Notar-
späßen. Für Petersburg schrieb er auch den Barbier von Sevilla, der aus
Beaumarchais' Lustspiel mit allerlei possenhaften Hinzufügungen nach dem
Geschmack der typischen Buffoszenen zurechtgemacht war. Mit diesem
verhältnismäßig praktikablen Text hatte er den größten Erfolg, der sich auch
auf seine schwächliche Musik ausdehnte. So sehr, daß Rossinis Barbier, der
über denselben Text 1816 in Rom seine Premiere erlebte, deswegen durch-
fiel. Man sah es als Blasphemie an. Rossini jst verstimmt und dirigiert die
zweite Aufführung nicht. Diesmal hat er einen ungeheuren Erfolg und ist
erschüttert, in seinem Hause ein jubelndes Publikum zu empfangen, das ihm
mit improvisierten Fackeln gratuliert. Er schlug Cimarosa, er schlug Pae-
siello, er schlug sie alle, und wir werden diesem merkwürdigen Menschen
noch ausführlicher zu begegnen haben. Heute gibt er uns in seinem Barbier
das Resultat dieser ganzen italienischen Buffonerie, deren Stil er durch die
Schärfe seines musikalischen Geistes für alle Zeiten annehmbar machte.
Das letzte Rokoko atmet hier. Wir hören mit Vergnügen und heiteren
Sinnes diese Töne, die keine neuen, die nur die besten ihrer Zeit waren,
und denken zurück an die Tage der galanten Welt, der Welt Casanovas,
die im Spiel ihre Existenz fand und in der Liebe ihr Spiel. Warum kommen
uns solche Träume ? Substanzlos schwirrt diese Musik an uns vorüber, ein
gläsernes Spiel blinkender Rhythmen, eine transparente Form, unirdisch, un-
sentimental. Eine späte Blüte, und darum die reizvollste und bunteste.
Mieten wir uns einen Garten in der Zuecca, verborgene Liebesabenteuer zu
203
bestehen ? Wie flirrt dieses beinahe posaunenlose Orchester, von der Pickel-
flöte erhellt, im Wurf der leicht gewordenen, sich jagenden Instrumente.
Leise, leise, ein Gitarrenständchen. Schlag C, E, D, G und sofort D, A, G, C
— Figaro, Figaro ist da, plötzliche Tonarten, plötzliche Schläge, mit dem
Grafen in reißenden Triolen. Lächelnde Verschwörung mit einer süßen Me-
lodie. Der Walzer seines Ladens, mit dem Grafen duettiert. Es ist Karne-
val, das Publikum sitzt in Masken. Wer lüftet sie ? Wer ist wirklich da vor-
handen ? Una voce poco fa, heut in der Tonart, morgen in einer andern,
heut mit dieser Koloratur, morgen mit jener — wer ist Rosine ? Ein schwe-
bendes Figürchen, das nur in den Kehlen der Sängerinnen lebt, schon durch
hundert Jahre : faßt sie nicht, sie geht in Luft auf. Lüftet die Masken nicht,
ihr werdet erkannt und die Zuecca rächt sich. Groß ist die Malerei der
Verleumdung, die dieser Basilio herrichtet — aus drei Zeilen Beaumarchais'
macht er ein Gebirge von Musik, zum Totlachen, von ganz unten bis ganz,
oben, von ganz leise bis ganz stark, die rhythmische Landschaft der steigenden
Calomnia und des abziehenden Calunniato — wie wir ihn abziehen sehn,
wie er das mimt! Noch lebt Harlekin und Pantalone und noch ist aller
Dramen Inhalt dieselbe listige Heirat und aller Musik Gebärde dieselbe dra-
stische Tanzfigur. Figur wird alles: Rosinchen in G-Dur, die lange Doktor-
arie Bartolos, die Architektur des Finales. Almaviva als Soldat, als Betrunkener
— zerrissener, rhythmisch funkelnd geschlagener Takt (denkt ihr noch aller
alten Soldatenlieder?), kletternde Ensembles, der rutschende Bartolo ein-
gebaut, der walzende Figaro (signor, prudenza per caritä — unisono a la Mo-
zart), die Erwartung geheimnisvoller Akkorde beim Erscheinen der Wache,
der schüttende Kanon der BeteiHgten vor der Polizei (o Rosenkavalier!), der
stockende Kanon der aus der statuarischen Verschnupftheit niesend Erwa-
chenden, ein Streicherzwischenspiel, als ob auf zwei Takte Schubert Rossini
besucht hätte, der unisono punktierte und triolenwirbelnde Schluß — , ach,
ich habe meinem Fräulein Theresa oder Christine oder Henriette oder C. C.
die Hand zerdrückt. Fein, fein — das gibt es nicht mehr, diese italienische
Buffomusik ist eine körperliche Musik, das ist Laune, Takt, Leben, Tanz,
Freude, Schmuck, Zärtlichkeit, Besitz, Abwechslung, Morgenröte. Ja, kör-
perlich gemimte Musik, gerade weil sie so himmlisch luftig ist. Vorhang,
Foyer. Wir lachen mit den Sängerinnen, wir besuchen sie in der Garderobe,
in der Ecke wird eine Pharaobank aufgelegt. Wir kommen zu spät, aber
diese Arie ist ja gar nicht von Rossini — diese Gänseleberpastete ist eher von
ihm. Lassen wir den Grafen als Gesangslehrer Herrn Bartolo begrüßen,
welche Farce: pace e gioja sia con voi, er wird nicht fertig und wird nicht
fertig. Gesangsstundenscherze klingen durch die Logentür. Rosine singt ihre
204
Einlage — was singt sie da ? Cherubins Non so piu cosa son, cosa faccio.
Ich werde einen Augenblick sehr nachdenklich. Was trifft mich, was erin-
nert mich ? Aber schon stößt mich C. C. mit dem Fuße, ich muß lachen und
weiß, was ich zu erwidern habe. Jawohl, Sie haben ein Koloraturfieber,
lieber Basilio, buona sera, buona sera, mein Herr, sehr lustig, das reine buona
sera-Vaudeville. Seifenschaum und Violinsechzehntel. Eine Triolenjagd
■durchs Zimmer. Es klopft jemand an die Logentür, Marzellina wird ge-
schenkt (immer wieder diese arme Marzellina geschenkt!) und das Gewitter,
ein Operngewitter Nummer 333 seit Marais' Alcyone, geht vonstatten. Ich
höre noch das fliegende Terzett, wo die Instrumente Rosine und dem Grafen
nachmachen, und Figaro ihnen nachmacht, und ich mache Figaro nach.
Zitti, Zitti — entzückend hüpft es mir im Blute, sachte, sachte, Fräulein
C. C, kommen Sie, noch zwei Viertel, noch zwei Viertel, Stakkato, kom-
men Sie. Polonäse. Der Wagen rollt davon.
Ich erkläre Fräulein C. C, daß hier schon Ahnungen von Donizetti und
Verdi sind, Arientanzlieder, Unisoni mit solchen feurigen Melodien — sie
lacht. Ich spreche ihr von der Herrschaft der bloßen Form und dem nack-
ten Rhythmus — sie lacht noch mehr. Ich schwärme von den Instrumenten
und will ihr erklären, wie berühmt einst der Opernkomponist Simon Mayr
in dieser Kunst gewesen sei, den aber Rossini vollständig aus dem Felde
schlug — sie findet den Namen abscheulich. Sie brauchte nicht lange Zeit,
bis ich ihr in allem recht gab, und sie lehrte mich lieben, ohne zu denken.
Addio, Pulcinella, sagte ich ihr, das waren gute Stunden. Face e gioja sia
con voi.
205
FIDELIO
Beethoven und die Oper
BEETHOVEN in einem Wiener Opernhause sich vorzustellen gibt
einen scharfen und herben Geschmack auf die Zunge. In den Bravour-
arien der Italiener sieht er eine fremde Virtuosität, die ihn belästigt, obwohl
er sie als eine Art weltumfassender Macht und Größe nicht ganz mißachten
möchte. Sein Geist wälzt sich zwischen der Überlieferung des virtuosen
Triumphes, der internationalen Schule und einer Romantik voll Menschheits-
gefühl und rhythmischer Ehrlichkeit der persönlichen Empfindung. Sieht
er etwas in diesen Iphigenienopern und Bauernsingspielen ? Sieht er sinnlich
oder sieht er moralisch ? Hört er Wirkungen oder hört er Anschauungen ? Es
quält ihn. Mit einem Wohlwollen, das ganz leicht und unbestimmt um den
Rand seiner schöpferischen Seele flutet, faßt er ehrliche Arbeit, guten Satz,
alle Möglichkeiten der unmittelbaren Emotion dankbar lächelnd auf. Heut
schreibt er einen Brief über eine gelungene Don Juan-Aufführung, schaden-
froh gegen Paesiello. Morgen gesteht er, daß es ihm unverständlich sei, wie
man Don Juan oder Figaro komponieren könne. Die Zauberflöte in-
teressiert ihn als Formenmuster. Er lehnt sich, besser zu hören, an die Or-
chesterbrüstung desTheaters an derWieden, und bei diesen beiden, bei Cheru-
bini und Mehul, hält er, wie Seyfried erzählt, bis zum letzten Bogenstrich aus,
„stumm wie ein Ölgötze". Er schreibt an Cherubini: „Wahre Kunst bleibt
unvergänglich, und der wahre Künstler hat inniges Vergnügen an großen
Geistesprodukten. Ebenso bin ich auch entzückt, sooft ich ein neues Werk
von Ihnen vernehme, und nehme größeren Anteil daran als an den meinigen."
Naiv gegen die Stoffe, zornig gegen Frivolität, streng gegen die Musik, steht
er da, Beethoven im Opernhaus, immer in einem heißen Bemühen, seinen
rhythmischen Puls mit den Vorgängen eines unkeuschen Musikschauspiels in
Einklang zu bringen. Was reden sie da, was singen sie ? Eine Fremdheit bil-
det sich zwischen ihm und der Bühne. Aber diese Fremdheit, in ihrer elek-
trischen Spannung sehnsüchtig nach dem Funken, hatte eine verborgene
Fruchtbarkeit. Sie konfrontierte den Symphoniker mit dem Drama.
Fremd mußte in ihm liegen bleiben, was in Wagner reif wurde, da dieser
eine dramatische Natur war, Beethoven eine wunderbar undramatischc, eine
206
Einladung der Müdor
direkte, menschliche, aus-
brechende Natur, in jeder
Weise ohne Maske, ohne
Bedürfnis der Künste des
Außersichseins. Wie ein
Hohn kHngt sein nach
den FideUomißerf olgen an
dasHoftheater gerichtetes
Gesuch, ihm eine Anstel-
lung für jährliche Opern-
komposition und sonstige
Gelegenheitsmusik zu ge-
ben ; es wurde , Gott
sei Dank, rundweg abge-
lehnt. Wie darf ich sagen :
ein Hohn ? Ihm war alles Ernst, er hat nie sich prinzipiell gegen die Oper ge-
äußert, er hat sie immer angestrebt, er wußte nicht, wie fremd sie ihm war.
Über seinen Tisch gingen Pläne zu Macbeth und Faust, zu Metastasio-
opern, zu einer Melusine Grillparzers — er hat nur einmal gesagt, es lohne
sich nicht mit den Wiener Opern, sie würden zu schlecht bezahlt. Der
Fidelio blieb die einzige Schwergeburt dieser künstlichen Ehe. Dieses
Werk krallt sich in die Operngeschichte ein, ein Unikum, ein Zentaur mit
MenschenantHtz auf den vier Füßen der Konvention. Denn er war der erste
Sprecher in der Musik, aber ohne Worte, der erste Singer, aber ohne Kehle.
So stieß in ihm die Kraft; ungebunden, wie sie war, brauchte sie diese Ge-
bundenheit.
Er machte die Symphonie reden. In dem von Nottebohm veröffentlich-
ten Skizzenbuch von 1803 stehen Entwürfe der Eroika neben Entwürfen
des Fidelio. Welches Drama wurde größer? Die Eroika war die erste
dramatische Aussprache in Symphonieform, die es in der Welt gegeben hat.
Noch heut starrt uns das Blut, wenn wir diese lebensdrängenden, ausein-
ander kreisenden Gänge einer musikalischen Phantasie bewundern, die nur
in Instrumenten redet, aber sinnlicher, erschütternder, körperlicher als hun-
dert Opern um sie herum. Fort ihr Kulissen mit eurer kindischen Pracht,
ihr lächerhchen Kostüme, ihr falschen Worte, dieser ganze Plunder einer mas-
kierten Schaustellung, der sich aus Eitelkeit und Gefühlsanleihe zusammen-
setzt — könnt ihr je die Wahrheit erreichen, die dieses tief innerhche und
schmucklose absolute symphonische Gemälde darstellt? Aus einem Spiel
von Mozarts Bastienouvertüre wird das Thema dieses Es-Dur-Helden destil-
207
liert, das in den Celli beginnt und sie alle so heftig aufruft, daß die Solobläser
es begütigen müssen, bis zum zweiten Thema, einem Zwiegespräch zwischen
Streichern und Bläsern, wenn man dieses alles Thema nennen kann. Es sind
leibhaftige Wesen, die in einem Leitmotiv leben, sich darstellen, verändern,
aufregen, beruhigen, abwägen, unterhalten, hineingesetzt in eine Atmosphäre
greifbarer Stimmung und Rhythmik. Unruhe, Schläge, Brüten, die große
Durchführung, die krampfhaften Zuckungen bis in den Schrei des e mit
dem f, Beben, Zurückfallen, die Sanftmut der E-Moll-Episode, von deren
Konzeption Beethoven ausging, neue Kämpfe zwischen dem aufbäumenden
Heldentum und den herabsinkenden Beruhigungen, neues Drohen, Lauern.
Zittern, das Zittern auf der dissonierenden Dominantseptime, zu der das
Hörn wie einen Weckruf das erste Thema zitiert, die Rückkehr mit erneutem
Interesse der ringsherum lagernden Instrumente, ein Wogen auf Es, unver-
mittelt auf Des, plötzlich fortissimo auf C ■ — die Faust des Helden, und der
Schlußtriumph wie in einem wachsenden Chorensemble. Wer dies Drama
beschriebe, würde es entstellen ; wer es dichtete, tüten. Zweiter Akt : Violinen
und Oboe sprechen die Trauer aus, der C-Dur-Satz windet seine Kränze,
die Fuge stärkt das Gewissen, auf dem einsamen As sinnt die erste VioHne,
ein Schrei, Trompeten, die Wiederholung in reichen Gehängen, die Coda
auf wiegendem As-Dur-Geläut, das zerreißende Thema: wer wagt diese
Trauermusik in Kostüme zu stecken ? Dritter Akt: das gespenstische Treiben
im Streichertrab, von Bläsern erhellt und thematisiert, bis dann endhch alle
in Es-Dur zusammenwirbeln, rings um den romantischen Hörnermittelsatz :
Beethoven opferte ein Menuett dieser unerhörten Malerei. Vierter Akt:
ein Thema aus seinem Prometheusballett tritt nackt auf, wird variiert, eine
zweite Prometheusmelodie, schön wie von Gott, legt sich darüber, sie gewinnt
thematische Macht, beide Themen tanzen ihr Promctheusballett, einen un-
gctanzten Tanz in unendlichen Phantasien miteinander, gekrönt von einem
dritten Motiv, dem G-MoU-Satz, der Girlanden über das Variationsthema
wirft: das melodiöse Motiv steht still, besinnt sich, wird Andante, singt,
versöhnt, verschönt wie ein Figaroschlußensemble — die Tonarten schwingen
sich, alles wird Spiel, und das Presto läßt den Vorhang fallen. Heldentum,
Erinnerung, Nachtgespenster, Festesklang — es ist ein Drama der Welt, zu
groß, um Napoleon gewidmet zu sein. Seine Leidenschaften sind wortlos
ewig und seine Landschaften vom Horizont der Seele. Ich habe es mir
vorüberziehen lassen als wahre und ehrliche Oper Beethovens und
schaudere einen Augenblick vor der Sünde des Theaters. Ich lasse alle
seine Symphonien mir so vorüberziehen und weiß keinen Theaterdichter,
der ihre dramatische Überzeugungskraft erreichte. Seit ich über Opern
208
schreibe, seit ich dieses Buch begann, höre ich sie leibhaftiger als alle
Bühne.
Beethoven gehört zu den großen Untheatralischen, die von Bach bis
Brahms reichen. Ihre musikalische Anschauung ist so rein und absolut,
daß sie sich scheut, eine angewandte Kunst zu werden. Weil sie ihre Sympho-
nie oder ihr Oratorium, alle nicht dargestellte Musik, so voller Bilder und
Körper sehen, liegt es ihnen nicht, die Bühne so voller Musik zu sehen. Selbst
die menschliche Stimme wird ihnen nur ein Instrument. Und weil sie die
Bühne so voller Prostitution und Selbstgefälligkeit sehen, geben sie der Wort-
losigkeit und Dienstbarkeit ihrer Instrumente allen Segen des subjektiven
Ausdrucks und der malerischen Suggestion. Es sind die Glücklichen, die
keine fremde Materie brauchen, sich im Spiegel darzustellen. Der lasterhafte
Kreis der Opernkünste dreht sich um ihre Unschuld herum. Sie stehen in
der Mitte und sind die Könige. Der Sünder aber, der die Oper liebt, im
Spielen und auch im Schreiben, sinkt vor ihnen auf die Knie und bittet um
Gnade. Sie lächeln. Denn sie wissen, daß auch ihnen der Versucher genaht
ist. Außer dem unnahbaren Bach, der nicht einmal die Inbrunst dieser
Beichte versteht, weil er die Si'nde nicht kannte.
Cherubini
ES sei erlaubt, an dieser Stelle Cherubini gegenüber Beethoven Platz
nehmen zu lassen. Wir verstehen heut die Verwandtschaft und Hoch-
achtung, die Beethoven für ihn fühlte. Aber es genügt uns nicht, die Ähn-
lichkeiten und Unterschiede in ihren Werken aufzuzeigen, wir vergleichen
gern auch den Künstlertyp miteinander und erkennen in Cherubini ein in
seiner Art bewundernswertes Gegenbeispiel. Er litt an Zartheit, wie Beet-
hoven an Stärke litt. Seine italienische Abstammung wies ihn auf die Oper,
für die er gar nicht die ursprünglichste Begabung gehabt hat. Seine äußere
Heimatlosigkeit spiegelt sich in seiner immer geistvollen, aber niemals boden-
ständigen Musik wider, oder auch umgekehrt. Rein artistisch von ähnlicher
Phantasie wie Beethoven, findet er niemals ganz sein eigenes Klima, seine
gerade eigentümliche Linie, wie dieser Gewaltige. Der Fidelio steht unter
Beethovens Werken wie ein krampfhafter Griff in eine fremde Welt, Cheru-
binis Opern, sonderbar und ganz außer der Zeit, scheuen im Gegenteil vor
einer brutalen Wirklichkeit zurück und erwecken in ihrer absoluten musi-
kalischen Vortrefflichkeit fast ein Gefühl des Mitleids um ihre Schönheit.
Fidelio lebt in Beethoven weiter, Chcrubini wird allen Kennern immer
209 14
interessant und
liebt sein, aber er ist tot,
weil er nur halb lebte. Na-
turen wie die seine haben
früh zu sterben; gleich-
wohl wurde er 82 Jahre alt.
Es ist kein Zufall, daß er
mit Kirchenkompositionen
begann und endigte. Seine
leicht abstrakte Begabung
fand darin ihr eigentliches
Feld. Die ersten italieni-
schen Opern von ihm sind
vergessen, doch übte er ihre
Routine immer weiter, in-
dem er mitten in seinem
neuen Pariser Stil Einlagen
für das Repertoire arbei-
tete. Die Psychologie seiner
Pariser Wandlung scheint
unklar: sie war sicherhch
nichts anderes als die Not
der Verfeinerung. Mit dem Demophon 1 788 in der Großen Oper fällt er durch.
Damit war jede Anlehnung an Gluck endgültig erledigt. Seine weiteren Werke
werden an dem kleinen Theätre Feydeau aufgeführt, dem früheren Theätre
Monsieur, das der Friseur Marie Antoinettes gegründet hatte. Es ist ein
Opernhaus ohne Rezitative, mit gesprochenem Dialog. Cherubini ist dort drei
Jahre lang Dirigent und die Große Oper bleibt ihm so gut wie verschlossen,
zumal er sich mit Napoleon immer in den Augenblicken, da es darauf an-
kommt, schlecht stellt. Lodoiska, Elisa, Medea, der Portugiesische Gast-
hof, der Wasserträger sind die Hauptstaffeln des Pariser Ruhms. 1806
schreibt er für Wien, das ihn liebt und fetiert, die deutsche Faniska. Es
scheint, daß ihn Friedrich Wilhelm III. (aus irgendeinem Mißverständnis)
181 5 nach Berlin ziehen wollte. London hat er mehrfach besucht. Ein Welt-
ruf ging von ihm aus, merkwürdig genug, bei der üngewöhnlichkeit seiner
Musik — er strahlte aus seinem reinen und edlen Wesen. Ungeheuren Beifall
und furchtbare Feindschaft hat er am Theater erlebt, das nur die Hälfte seines
Lebens füllt. Man muß denken, daß er zwanzig Jahre im hohen Alter noch
Direktor des Pariser Konservatoriums war, das er einst mit organisiert hatte.
Chcrubinis Handschrift: Wasserträger
210
Ich muß bei seiner Musik
etwas verweilen, denn ihre
Feinheit und Originalität
entzückt uns immer wieder,
wenn wir sie aus alten Pa-
pieren hervorsuchen, und wir
erkennen die Ahnen des Fi-
delio wie in Euryanthe den
Lohengrin. Seine Opern sind
fast alle Rettungs- oder Wie-
dervereinigungsstücke , die
dem rührseligen Geschmack
der hart geprüften Revolu-
tionsepoche entsprechen: der
Wasserträger (deux journees),
der unmittelbare Vorgänger
der Rettungsoper Fidelio, ver-
einigte gleich mehrere Be-
freiungsmotive. Elisa hatte
für die Wiederfindung das
dankbare Milieu der Alpen.
Nur Medea entzieht sich
diesem Geschmack, sie steht auf einer experimentellen Mitte, zwischen
der alten klassischen und der kommenden romantischen Oper, so mächtig
und stark immerhin, daß Kretzschmar in seinem lesenswerten Cherubini-
Essai (Petersjahrbuch 13) von ihr sagen konnte: hätte sie mehr Bedeu-
tung gewonnen, so hätte sie Weber und Wagner manche Not erspart.
Medeas leidenschaftliche Arien, die gewaltigen Duette mit Jason, die
rhythmisch heftige G-Moll-Arie der Neris sind wolkiger als es je die
italienische Musik der Zeit war; am stupendesten aber müssen die Ouver-
türen gewirkt haben, besonders die zum zweiten Akt, ein kurzes beet-
hovensch stoßendes Stück, und die zum dritten, eine in der Opernwelt bis
dahin unerhörte Symphonie, klimatisch zwischen Beethoven und Wagner
gelegen, ein zweimaliges Aufbrausen in wogenden Akkordklängen zwischen
leisen monodischen Klagen. Cherubinis Ouvertüren selbst zu seinen weniger
bekannten und doch sehr merkwürdigen Opern, Anacreon, Abencer-
ragen, Alibaba, heut noch nicht ganz abgestorben, offenbaren einen
genialen symphonischen Willen, der zwischen die Akte der Oper sich drängt,
weil er sonst keinen Weg zu finden glaubt. Das mußte Beethoven rütteln.
Chcriibini. Lithographie nach Vigncron. 1832
211
'4
Das war geradewegs deutsch empfunden, war der Anfang des Kriegs, den die
Symphonie gegen die Oper eröffnete, noch unklar in einem südländischen
Gehirn, das etwas Pariser Orchestermalerei ererbt und einen natürlichen
Instinkt für Instrumente gepflegt hatte. Wäre die dritte Leonore sonst
geboren worden ? y
Cherubinis Feder ist selten dramatisch erregt. Im Wasserträger ist
allein der Schluß bei Armands Entdeckung bühnenmäßig empfanden. In
der Elisa die große Szene mit der Lawine, Florindos Rettung, Elisas Ohn-
macht, in der Lodoiska das zweite Finale — es gibt wenig solche Aus-
brüche. Die Tugenden des Komponisten liegen mehr auf dem Gebiete
der absoluten und instrumentalen Musik, selbst stimmlich, wenn er auch
mit Recht an Beethoven die Gesangsschule seines Konservatoriums zur
freundlichen Benutzung schenken durfte. In der Faniska interessieren
wiederum am meisten die drei Ouvertüren, die erste übermütig pickende,
die zweite ein kurzes solistisches Larghetto, die dritte ein sonderbar schwanken-
der Achtelzug. An aparten Einfällen, eigenartigen Wendungen, ungewohnten
Bewegungen scheint Faniska nicht übertroffen zu sein, oft versteht man
heut noch den Vorwurf der Bizarrerie. Cherubini ist frei vom laufenden
Strom der italienischen Melodie, er liebt die knappe Phrase, die er gern als
Erinnerungsmotiv wiederholt, die Wirkung des musikalischen Gedankens
und des Solos, der nackten Homophonie, der sprechenden Instrumente, der
weit geöffneten Vorhalte (wie das Wagnersche Motiv vor dem Faniska-
terzett Nr. 4), der Unisonobegleitung, der zwischengeworfenen Orchester-
figuren, der kühnen Enharmonien, der bloßen Akkordtatsachen, alle Dinge,
die sich aus einer nicht von der Bühne erlebten, sondern auf die Bühne
projizierten Musik ergeben. Seine Bravour selbst hat einen ernsten, herben
Schnitt, wie in dem schönen Duett Rasinski-Faniska des zweiten Aktes;
von Beethovenschem Adel ist das Quartett und die Wiedervereinigung am
Schluß der Lodoiska. Eigentümlich sind ihm die Ensembles mit dem
ruhig gleitenden Kanon einer lastenden Stimmung, wie wir sie aus dem
Fidelioquartett kennen : ,,venez dans ces licux" in der Elisa, oder in der
Faniska „Hoffnung, du trocknest wieder". Es ist ein Vergnügen, seinen
Ensemblesatz zu lesen, so scharf und fein ist er gezeichnet und registriert,
so süß biegen die Konturen der Eckstim nien heraus und so sicher geht die
Mittelstimme, niemals konventionell und doch nicht unnatürlich: wie eine
gütige Gelehrsamkeit. Im Portugiesischen Gasthof erscheinen die Ensem-
bles fast wie eine wissenschaftliche Komik, und neben den reizenden Schmet-
terarien des Roselbo interessiert das genial erfundene Schlußvaudeville durch
seine intellektuelle Harmonisation. Ein Kunststück in der Lodoiska be-
212
Die Schröder-Devrient. Lithographie von CramoUni 1835
Steht in der Kontrapunktierung
eines ernsten Liedes mit einer
verwegenen Polonäse. Sein sym-
phonisches Gefühl treibt ihn
immer entweder zum unter-
strichenen Einton oder zum dif-
ferenzierten Gegenton. Obli-
gate Hörner, Oboen sind natür-
lich sehr beliebt. Aber wichtiger
ist, daß der Sänger sich gegen
die Melodie der Orchesterarie
recht selbständig benimmt: die
Gefängnisarie Lodoiskas.
Vielleicht hat sich der Was-
serträger länger gehalten durch
die anständige Form seines Tex-
tes, der die Rettung eines ver-
folgten Paares durch die Treue und List des Savoyarden ohne die sonstigen
Schauerrequisiten schildert, vielleicht auch durch die Musik, die die vor-
romantischen Züge des Komponisten am rührendsten zeigt. Die sympho-
nische Begabung hat hier weniger Gelegenheit. Gleich die zwei ersten Lieder,
die Savoyardenballade und das Wasserträgerlied, müssen in ihrer harten,
keuschen Melancholie deutsche Seelen gefangennehmen. Beide kehren als
Motive in der Oper mehrfach wieder, Michehs Lied in dem Melodram, eine
Szenenform, wie sie fast alle diese Rührungsopern aus einer gut berechneten
Wirkung zierte. Das Terzett des ersten Aktes mit seiner wundervollen Nonen-
auflösung und das Finalesextett sind Cherubinische Meisterwerke. Nicht nur
ihre klare Disposition, auch diese schön und voll ausbrechenden Akkorde
,,Gütge Gottheit", der aufsteigende Bogen des Soprans, der ruhige, absolut
musikahsche Lauf müssen Beethoven getroffen haben. Antons Trostlied ist
eine Probe der aparten lyrischen, tonal farbigen Schreibart des Autors. Wie
absolut er schreibt, erkennt man aus dem Soldatenchor des zweiten Aktes
(mit dem merkwürdig plötzlichen B), der im Mittelsatz mit seinen gezogenen
Akkorden, den gebauten Stimmen fast eine kirchliche Faktur verrät. Das
Terzett und das Finale auch dieses Akts entzücken wieder durch die Fein-
heit ihrer Gliederung. Alles das interessiert wie schönes Kunstgewerbe.
Das dumpfe Punktieren während Armands Flucht ist höchst malerisch
und der hüpfende Marsch, mit den Bitterufen Michehs dazwischen, ein
witziger Einfall. Den dritten Akt eröffnet einer jener ländlichen Reigen,
213
die Cherubini (wie in der Elisa) mit besonderer Grazie behandelt. Wir
beachten die beinahe Schumannsch gezogenen leeren Akkorde, die die
letzte Szene einleiten, um in dieser die einzige leidenschaftliche Erhebung
des ganzen Stückes zu erleben. Wie ein dumpfer Fidelio — liegt es für uns
in diesem Werk, von zarter, allzu feiner Hand zurückgehalten, in mancher
Wendung, wie in der Orchestermelodie des zweiten Melodrams, geahnt,
ein bitteres und hartes Gefühl, noch nicht ganz hingegeben, sehr viel Kunst,
vielleicht nur Kunst ?
MeJutI
AUCH Mehul ist keine abnorm dramatische Seele, und er gehört neben
^ Cherubini in diesen Kreis Beethovenscher Figuren, aber seine Physiog-
nomie ist noch undeutlicher geworden. Pougin hat seine, wie Cherubinis,
ausführliche Biographie geschrieben, ein Material, aus dem nichts als der Joseph
in Ägypten leben blieb. Mehul stand ebenfalls nicht sehr gut mit der Großen
Oper, und hat eine bedeutende Anzahl von rezitativlosen Opern geschrie-
ben, komische, halbkomische, die, soweit man sie kennen lernt, kein son-
derliches Relief haben. In den Deux aveugles de Tolede treiben sich noch
die alten Scherze der Gesangsproben in verschiedenem Stil und Orchester-
imitationen herum, eine hübsche Alkaldenszene bleibt allein im Gedächtnis
aus dieser Mischung von Bufforesten mit feinen französischen Ensembles.
Aus dem Tresor suppose erinnere ich mich einer reizend punktierten Ouver-
türe. Die Folie, eine Verkleidungsgeschichte von demselben Bouilly, der
den Wasserträger und die Original -Leonore machte, hat vielleicht die
zierlichsten dieser gut gesetzten Ensembles. Im Joseph ist die Ensemble-
kunst sicher das Wertvollste. Man versucht diese oratorische Oper immer
wieder zu retten, kürzlich hat Zenger dazu hochdramatische Rezitative ge-
schrieben, die die Nerven ein wenig aufregen uad die musikalische Einheit
herstellen sollen. Aber seit 1807 ist mehr daran alt geworden als der Dialog.
Merkwürdig bleibt das Wagnis: es ist die erste Oper ohne Liebesmotive und
die einzige, in der nicht einmal eine weibliche führende Rolle vorkommt,
eine weiblich kostümierte — denn Benjamin ist Sopran. Der dramatische
Moment ist die Wiedererkennung Josephs durch Vater und Brüder — und
der liegt im Dialog. Das große Schuld-Ensemble verläuft in einer fast doktri-
nären Koordination. In dem Vcrzeihungsensemble ist der Ton verfehlt.
Jakob ist nicht frei von Trivialitäten. Alles Festliche (mit der Tuba) ist
recht gewöhnlich. Zwei Lieder heben sich heraus : das berühmte „Ich war
Jüngling" in einer vorlortzingschen deutschen Gefühlsseligkeit, und Ben-
214
jamins Romanze, im Dreiachteltakt leicht erzählend, wie eine französische
Chanson. Einzelne Wendungen lassen an Gluck zurückdenken: das sich
öffnende „si vous pouvez repentir" des Joseph, das zärtliche „seul appui
de ma vieillesse" des Jakob. Unter den liebenswerten Stücken stehen voran
Simeons Selbstanklagen, starr wie ein Tannhäuserfluch, mit gurgelnden
Gängen in der Begleitung und den schönen Melancholien der Brüder. Die
Instrumentation ist überall sehr lebendig vom Orchester aus gedacht, die
Arbeit nobel und ernst, der Satz edel, der Gesang eindringlich, aber gegen
Cherubinis Geist sind diese Seiten nüchtern und farblos und ersetzen durch-
aus nicht in Musik, was ihnen an Drama fehlt.
Geschichte des Fidelio
UNTER dem Einfluß des französischen Rührstücks ist der Same in Beet-
hoven gefallen. Cherubini wird in seinen Hauptwerken hintereinander
in Wien gegeben, die Faniska wird ihm aufgetragen und gleichzeitig
Beethoven um die Leonore gefragt. Bouilly hatte einen Text Leonore
ou l'amour conjugal für Gavcaux gemacht, wobei er wie im Wasserträger
Begebnisse, die er als Gouverneur von Tours erlebte, dramatisch verwertete.
Seine Routine in wirksamer Sentimentalität half ihm dabei, aber aus Vor-
sicht verlegte er die Geschichte nach Spanien. Die Oper von Gaveaux wurde
am Feydeautheater 1798 gegeben. Der Stoff wurde auch, mit vielen Albern-
heiten, ins Italienische übertragen und von Paer komponiert — 1809, zwischen
der zweiten und dritten Bearbeitung des Fidelio gab man diese Paersche
Leonore sogar in Wien. Auch der Wasserträger war außer von Cheru-
bini noch von vier anderen, darunter Simon Mayr, komponiert. Beethoven
reizt der Leonorenstoff : das Edle, Menschliche, Sittliche. Vielleicht hat
er ihn mit angeregt. Sonnleithner bearbeitet den Text in das Deutsche,
und das Jahr 1805 füllt sich mit der Komposition. Am 20. November findet
der erste Durchfall statt. Die Franzosen haben eben Wien besetzt, aber nicht
bloß künstlerisch, auch politisch. Es ist wenig Aufmerksamkeit vorhanden,
es wird nur dreimal gegeben. Eine zuerst geplante Ouvertüre (Leonore I)
ist schon durch eine andere ersetzt worden (Leonore II), Krakeele mit den
Sängern gingen voraus, die Milder-Hauptmann bejammert diese Ungesang-
lichkeit (und hat den Fidelio berühmt gemacht), der Pizarro, Herr Mayer,
der Mozarts Schwägerin, Frau Hofer, geheiratet hatte, ruft : solchen ver-
fluchten Unsinn hätte mein Schwager nicht geschrieben. Beethoven hatte
es „Leonore" nennen wollen, das Theater nannte es „Fidelio" wegen der
drohenden Verwechslung mit Paer. Die Partitur erschien nicht. Jetzt,
215
nach einem Jahrhundert, hat der ausgezeichnete Erich Prieger, der 25 Jahre
mit dem Sammeln zubrachte, aus alten verstreuten Papieren die vergessene
Form dieser ersten Leonore wiederhergestellt und in einem Klavierauszug
mit musterhaft instruktiver Eintragung der Instrumente veröffentlicht. In
seiner Einleitung findet man alle nötigen Hinweise.
Beethoven versucht auf das Drängen seiner wahren Freunde eine Um-
arbeitung. Röckel, der zweite Florestan, erzählt von dieser Konferenz bei
Lichnowskis, die von 7 bis i dauerte, die Fürstin Lichnowski und der Geiger
Clement begleiten, Röckel und Mayer singen, so gut es geht, alle Stimmen.
Beethoven, in Qualen, kämpft um jeden Takt, entschließt sich endlich zu
bedeutenden Strichen und Ausschnitten. Breuning bearbeitet den Text.
Für den 29. März 1806 ist die Neueinstudierung angesetzt. Beethoven schreibt
einmal an Mayer: „Ich bitte den Herrn von Seyfried zu ersuchen, daß er
heute meine Oper dirigiert, ich will sie heute selbst in der Ferne ansehen
und anhören, wenigstens wird dadurch meine Geduld nicht so auf die Probe
gesetzt, als so nahebei meine Musik verhunzen zu hören! Ich kann nicht
anders glauben, als daß es mir zu Fleiß geschieht. Von den blasenden Instru-
menten will ich nichts sagen, aber — daß alle pp. cresc, alle decresc. und alle
f. ff. aus meiner Oper ausgestrichen!, sie werden doch alle nicht gemacht.
Es vergeht alle Lust, wieder etwas zu schreiben, wenn man's so hören soll!
Morgen oder übermorgen hole ich Dich ab zum Essen. Ich bin heute wieder
übel auf. P. S. Wenn die Oper übermorgen sollte gemacht werden, so muß
morgen wieder Probe davon im Zimmer sein, sonst geht es alle Tage schlech-
ter." Diesmal wurde Fidelio nur einmal wiederholt. Die oft gesammelten
Kritiken jener Tage sind von einer haarsträubenden Blödigkeit. Den Ge-
fangenenchor erklärt man für mißraten. Am wehesten tut der „Freimütige"
in Berlin, der in der Ouvertüre die gräßlichen Harmonien der schneidendsten
Modulationen, das Unzusammenhängendc, Grelle, Verworrene, das Ohr
Empörende festnagelt, den Freunden Beethovens vorwirft, daß sie groß
und erhaben nennen, was nur dem gebildeten Schönheitssinn widerstrebt,
und „die klare Schönheit ohne Weichlichkeit, die kräftige und doch nicht
überladene Anwendung aller Instrumente, ein volles inneres Leben ohne
erkünstelte Spannung und Überspannung" vielmehr in einer herrlichen
Ouvertüre von Andreas Romberg findet, die er ausdrücklich als Gegenstück
empfiehlt und deren Autor ja heut nach hundert Jahren auch den Ruhm
Beethovens weit überstrahlt. Zu der zweiten Bearbeitung hatte Beethoven
nämlich diese neue, aus der vorigen umgewachsene Ouvertüre geschrieben:
die dritte Leonore. Von der Form des Jahres 1806 sammelte Otto Jahn
die vollständige Musik, die der alte Czernysche Auszug nicht gehabt hatte,.
216
Anna Milder-Hauptmann. Lithographie von Lcybold
und gab sie 1851 als Klavierauszug heraus mit einer Vorrede, die das philo-
logische Material vor Prieger zusammenfaßt.
Möglich, daß das. Publikum bei dieser zweiten Bearbeitung dankbarer
war. Aber Beethoven, erzählt Röckel, war auf Tantieme gestellt, glaubte
sich betrogen, rannte zur Direktion und beklagte sich. Baron Braun sucht
ihn zu beruhigen: die Einnahme würde steigen, wenn sich erst die oberen
217
Ränge füllten. Beethoven schreit : Ich schreibe nicht für die Galerien. Sie
ereifern sich und er zieht seine Oper zurück. So bleibt sie bis 1814 liegen.
Treitschke bearbeitet den Text noch einmal, wieder in zwei Akten (die
erste Form hatte noch drei), Beethoven komponiert es zur Hälfte neu, macht
die Ouvertüre in E-Dur davor und erlebt 22 Aufführungen. Dies ist die
Fassung, in der Fidelio heut erscheint. Er schrieb damals an Treitschke:
,,Ich bin mit dem meisten unzufrieden, und es ist beinahe kein Stück, woran
ich nicht hier und da meiner jetzigen Unzufriedenheit einige Zufriedenheit
hätte anflicken müssen."
Fidelio ist niemals ganz populär geworden. In Berlin wurde vor
kurzem nach den Priegerschen Anweisungen einige Male die erste Form
gegeben : es blieb nur ein musikhistorischer Genuß. In Rom, wo er erst
1 886 die erste italienische Aufführung erlebte, wurde er abgelehnt und unter
Hohn und Spott verrissen. Die vier existierenden Ouvertüren werden über-
all mit großer Aufmerksamkeit behandelt: Mendelssohn führte sie schon
hintereinander auf. In der edelsten Fidelioaufführung, die unsere Zeit
erlebte, unter Gustav Mahler, war die dritte Leonorenouvertüre als ein
symphonisches Zwischenspiel zwischen Kerker und Ministerszene eingescho-
ben, in den Tonarten merkwürdig passend und im Inhalt so erschütternd
an dieser Stelle, halb Erinnerung, halb Gipfel des Dramas, daß sich die
Philologie gern vor dieser Eigenwilligkeit beugte — die vielleicht im
letzten Grunde gar nicht so unbeethovensch war. Ich empfand den
wahren Ausbruch des Symphonikers. Auch andere versuchten es so, und
es ist dringend zu empfehlen. An den Anfang gehört die E-Dur-Ouvertüre.
Sie verschlägt nichts. Und der zweite Akt muß sein Florestanvorspiel
wahren.
Schindler und Breuning teilte Beethoven seine letzten Wünsche mit.
Man suchte alle Papiere zusammen, die an Rochlitz, den von ihm selbst
ausersehenen Biographen, geliefert werden sollten. Stücke der ersten Leo-
nore lagen seit Jahren schon vergraben, zu unterst eines großen Haufens
von Musikalien, unter dem — berichtet Schindler — „wir sie auf Beet-
hovens Geheiß hervorgesucht und in größter Unordnung fanden. Als unser
Freund dieses Durcheinander gesehen, machte er noch gute Witze über
seine häusliche Ordnung und äußerte dabei, daß (und dies hebt Schindler
durch besonderen Druck hervor) dieses sein geistiges Kind ihm vor allen
anderen die größten Geburtsschmerzen, aber auch- den größten Ärger
gemacht habe, es ihm daher auch am liebsten sei, und daß er es der Auf-
bewahrung und Benutzung für die Wissenschaft der Kunst vorzugsweise
wert halte."
218
I.V....
Beethovens Handschrift: Lconorc
Diese geliebte Oper, heilig in ihrer Brüchigkeit, stoßweise aufgeführt,
liegt nun vor uns in Stücken, die wir mk neugierigem Blick aus den drei
Bearbeitungen herausfinden. Die zweite ist wesentlich eine Kürzung der
ersten, die dritte übertrifft in manchem die erste, in anderem steht sie ihr
nach. Aus dem gewöhnlichen, aber immerhin erträglichen Dialog fischen
wir die einzelnen Nummern und die Vorspiele, vergleichen sie, genießen sie,
verspüren den Hauch des Unendlichen auch in diesem sterblichen Leibe.
Die Ouvertüren
DIE vier Ouvertüren zeichnen die Stellungnahme Beethovens zu seiner
Oper. In der ersten Leonorenouvertüre steht er ihr noch etwas in-
different gegenüber. Das tiefgründige Florestanmotiv aus seiner großen
Arie (dieses bitter lächelnde Auge) sitzt in der Mitte, sonst ist nichts von
der Oper. Akkorde, Skalen leiten ein, ein allgemein symphonisches Spiel
mit fremden Motiven wird durchgeführt, leicht bewegt, aber mit ernsten
Biegungen und rhythmischen Wutanfällen. In der zweiten Ouvertüre
rückt das Florestanmotiv vor, von erwartungsvoll schwer herabziehenden
219
Skalen eingeleitet, von wolkig aufsteigenden Akkordbrechungen umspielt,
beschäftigt es uns, mannigfach variieptf von rhythmischen Stößen, dumpfem
Sinnen umgeben, bis das Allegro den Kampf in Gang bringt. Das berühmte
C-Dur-Motiv, ein rhythmisiertes Drängen über diatonische Folgen, steigert
sich in gewaltigem Aufschwung zu den großen Schlägen in C und G, die die
Beethovensche Faust weisen, biegt in Fis um, über H nach E, um das Flore-
stanthema in veränderter Gestalt als Nebenmotiv sich anzuketten, in wilden
Forzati und Synkopen geht es zum ersten Thema zurück, der Konflikt
bereitet sich vor, die Durchführung bringt die beiden Themen mit ihren
Nebenformen in Hitze, es wechselt die Farbe: es wird Moll, ein riesiger
Ausbruch erfolgt — da erscheint zweimal in Es das Trompetensignal, das
in der Oper die Erlösung bedeutet, eine Erinnerung an das Florestanthema,
der reißende Unisonolauf und ein strahlender Durschluß im ersten Thema,
mit einer kleinen harten Mahnung an das zweite. Nur das Florestanmotiv
und das Trompetensignal gehören der Oper an, aber nicht nur ihre Verarbei-
tung, mehr noch die ganze Disposition des Stückes verrät das Drama in der
Symphonie: Hoffnung, Kampf, Befreiung. Und dennoch, kaum für mög-
lich zu halten, in der dritten Ouvertüre schärft und steigert sich diese
eruptiv dramatische Anschauung noch weiter. Die symphonischen Dogmen
fallen nicht ganz: im Gegenteil, eine regelrechte Wiederholung des ersten
Teils wird hier wieder eingeführt, dennoch ist die absolute Dramatik auf
symphonischem Wege, im Detail ijirer Fläche noch reiner durchempfunden.
Es gibt keinen lehrreicheren Beitrag zur Künstlergeschichte, als diese dritte
Leonorenouvertüre, das ragende Denkmal Beethovenscher Symphonie-
dramatik, in den Einzelheiten mit der zweiten zu vergleichen, aus der sie
geworden ist, wie der Alann aus dem Kinde. Die Naiven müssen jene mehr
lieben, die Reifen diese. Das einleitende Adagio, ebenso angelegt, wird
schärfer, knapper, einfacher, größer. Die Überleitung zum Allegro selbst-
bewußter. Das Allegro in seinem Aufschwung heller und intensiver. Das
aus dem Florestanmotiv entwickelte zweite Thema ist reicher und ge-
schlossener, es beginnt eigenartiger zu wuchern, sich fortzupflanzen. Die
Schläge sind männlicher, die Synkopen enger. Statt der schulmäßigen
Durchführung findet ein wundervoll brütendes phantastisches Spiel statt
in Stößen, Läufen und Stakkati über der aus Thema H abgeleiteten Zelle,
die schon am Adagioschluß sich deutlich ankündigt: zerrissene, sinkende
Vorhalte, wie Er sie liebt in seinem rhythmischen Atem. Das Trompeten-
signal erscheint in B, in einer neuen, viel präziseren und eindringlicheren
Form. Beide Male spinnt es sich in verhaltenen Melodien des Orchesters
fort, die ein Zitat derselben Stelle aus der Oper bilden. Das zwcitemal
220
wie in ferner Vision in Ges, aus Ges wird fein G, Thema I im milden Flöten-
spiel, schreiende Synkopendissonanzen, zurück in C, die Wiederholung,
auch Thema II in C eingeschlungen, aus ihm steigt der reißende Unisono-
lauf erst zögernd, dann mächtiger und mächtiger, in ungeheurem Aufschwung
jubelt I empor, bis auf den Gipfel a und as, und ohne Hemmung durch II
geht es zu Ende. Aufgefressen, verschlungen hatte Beethoven mit diesem
Werk die ganze Oper. Was er ihr gegenüber fühlte an Herbheit, Schicksal,
Hoffnung und Leid, hatte er vor weitem Horizont gezeichnet. Seine einzigen
Figuren waren Florestan, die Trompete und das C-Dur-Motiv, das ihm
mehr Atmosphäre gab, als die ganze Bühne. Man kann sagen, er war nun
fertig mit dieser Oper. Zu ihrer letzten Bearbeitung fügte er die Fidelio-
Ouvertüre in E-Dur, ohne jede Opernthematik, idyllisch, reizend wie ein
letzter Sonatensatz: also gut, ich werde euch die Oper nicht in der Ouvertüre
wegnehmen, ich leite Jaquino und Marzelline ein, oder was ihr wollt. Oper
ist Oper.
Die einzelnen Niinunern
DIE Arie der Marzelline, ursprünglich die erste Nummer, macht ihm
Beschwerden. Er hat keine so oft umgearbeitet. Jedesmal wird es
wirklich besser und fester. So, bis ihr kleiner Seufzer auf dem Solo-Fis von
Flöte, Oboe und Fagott sicher untergebracht ist, vor der schönen Stelle
mit der Hoffnung, zu der er eine Melodie erfand, würdig einer Iphigenie
oder auch Schillerschen Luise. Wie er in den Bearbeitungen auch diese
Deklamation verbessert, daß sie nicht mehr „schon" betont, sondern die
„Hoffnung" ! Doch, was sind Worte. Diese Dur-Melodie war gleich in der
ersten Form so herrlich da, wie sie geblieben ist. Nur kam sie später viel
mehr zur Geltung, da das ursprüngliche Dur des Hauptteils aus Kontrast
in Moll geändert wurde. Doch liegen alle diese Künste vor der ersten Auf-
führung. Bis zum Fidelio hat sich in diesen leichten Regionen nicht viel
geändert.
Ihr Duett mit Jaquino steht seit dem „Fidelio" vor dieser Arie; wieviel
besser war es zuerst dahinter. Zuerst waren alle diese Szenen bis zum Pizarro
ein Akt, der im Zimmer Roccos spielte, schlicht, intim und in dieser Reihen-
folge eine nette Steigerung. Denn das Duett ist so allerliebst, daß es die
Arie schlägt, also ihr nicht vorwegkommen darf. Welch reizend neckisches
Spiel in süßer Bewegung und feingliedrigem Bau, der zweimal von dem
Türklopfen skandiert wird. In der Mitte das gefühlvolle Geständnis von
Marzellinens Fidelioliebe, zuletzt ein bißchen Koloratur. Das stand alles
221
von Anfang an fest und ist in den Versionen nur immer etwas gekürzt
worden.
Um das folgende Terzett der beiden mit Rocco ist es gewiß nicht schade.
Es wurde im Fidelio ganz weggelassen und schon in der zweiten Form
mit einer schlechten Kürzung ad libitum gestellt. Die Musik ist gleichgültig.
Man vergißt sie in dem folgenden berühmten Quartett dieser drei mit
Fidelio, das schon in der ersten Leonore sich seines Daseins freute
und später nur unwesentlich zusammengezogen wurde. Hier haucht uns
zuerst Beethovens Geist an, eine eigentümliche Spannung breitet sich aus,
eine absolut musikalische Stimmung entwickelt sich, schwebend, unfaßbar • —
diese vier Menschen werden gleichsam symphonisch, w^erden Instrumente,
die einen Kanon singen, der nichts bedeutet als: hier liegen Schicksale in
der Luft. Im Text ist davon wenig zu spüren, in der Charakteristik noch
weniger — denn die auf Fidelio hoffende Marzelline, die ihre Entdeckung
fürchtende Leonore, der diesem Trugschluß zustimmende Rocco und der
über Marzellines Kühle verärgerte Jaquino haben trotz ihrer ganz verschie-
denen Gedanken dieselbe Melodie. Die Instrumente helfen ihnen freilich.
Mit Marzelline beginnen die Klarinetten, mit Leonore die Flöten, mit Rocco
die Hörner und mit Jaquino das Fagott; aber was sie an spezifischer Farbe
gewinnen, verlieren sie durch die ISIischung mit den ergänzenden Pizzikato-
Streichergruppen, die klanglich das instrumentale Gleichgewicht wieder-
herstellen. Ich erkläre dies, weil man an keinem Stück die absolute Anschau-
ung Beethovens besser erkennen kann. Dramatisch ist es sofort zu widerlegen,
musikalisch aber, schon nach dieser wie zur Besinnung mahnenden Ein-
leitung der tiefen Streicher, ist es nicht widerlegt worden, solange es eine
Oper gibt.
Die anschließende Goldarie des Rocco reißt uns aus allen Himmeln.
Sie ist in den ersten Bearbeitungen oft schon fortgelassen worden, später
wieder eingestellt. Mahler strich sie unbarmherzig. Sicherlich hat sie Ga-
veaux pikanter komponiert. Und doch in ihrer Frivolität — es sind ein paar
Stellen, da man Beethovens schwielige Hand fühlt.
Dieser gefährlichste Teil der Oper endet mit dem Terzett, in dem Rocco
der Leonore den Gefängnisbesuch verspricht, während Marzelline von diesem
Plan nicht sonderlich begeistert ist. Sie singt von ihrer Fidelioliebc, und
Fidelio singt auf dasselbe Motiv von seiner Florestanliebe. Fidelios Mut
erzeugt ein herrisch punktiertes Thema, das Wagnersche Rhythmik vor-
ausnimmt, auch seine Farbe, wenn es die Holzbläser mit den Hörnern noch
etwas rauh nachahmen. Eine wunderbar vertiefte Stelle in Es-Moll hat
Beethoven zuletzt wieder so hergestellt, wie sie in der ersten Fassung war:
222
Beethovens Maske 1S12
ein seltener Fall, da die Änderungen
sonst in Erneuerungen oder in Stri-
chen bestehen. Über die mangelnde
Dramatik leuchtet die Musik hin-
über. Die Folge der Inspirationen
im letzten Allegroteil, die harte
gestoßene Melodie, das quarten-
schwingende Thema, die synkopisch
sinkenden Terzen, der schroffe
Wechsel des Dominantenvorhalts in
Moll- und Dur-Farbe sind seine
Sprache — was die drei Figuren
sprechen, ist nur der Wind dazu.
Die Szene wandelt sich in den
Gefängnishof, durch einen kleinen
Marsch übergeführt, sowie man ihn
in den französischen Opern machte,
auffallend durch den nackten Quar-
tenstoß mit Pauken, Bässen, Kontrafagott. Pizarro tritt auf, mit der über-
lieferten italienischen Intrigantenmiene, erst Moll, dann Dur, dämonisch
im finsteren Ton wetternd, trotzdem er dem Dakapo nicht abgeneigt ist,
das Akkordthema, das Quartenthema, das Triolenthema der Reihe nach
bewältigend, mit Posaunen, in gewaltigem musikalischen Faltenwurf. Sein
„ins Ohr schreien" wird ihm im „Fidelio" etwas verkürzt, wofür die dumpfe
Wache, die ihn im Chor begleitet, vergrößert wird. Dieser murmelnde
Chor gibt der italienischen Szene einen neuen romantischen Hintergrund.
Eines der beiden ganz dramatischen Stücke der Oper ist Pizarros Duett
mit Rocco. Die stockende Einführung „Jetzt, Alter, hat es Eile", die kühnen
Septimen „Morden", die mystische tiefdunkle Malerei „der kaum mehr
lebt", die Posaune auf die Zisterne, der schrille Bläserakkord mit vier Hörnern
und Posaunen vor „ein Stoß", die wehevoll daraus aufsteigende Melodie,
aller scharfe Gegensatz der Singweise beider: hier durchbrach Beethovens
inneres Gesicht die Konvention, der Dämon wird sein Erlebnis, wird Ge-
stalt und Bühne, ein Stück, das im Fidelio darum nur wenige Kürzungen
erfuhr.
In der ersten Leonore folgte ein starker Kontrast, dfts Duett zwischen
Marzelline und Fidelio. Eine unmögliche Situation, aber ein ganz reizendes
Spiel mit obligater Violine und Cello, in neun Achtel wiegend, flüssig,
melodiös, ein Triumph Beethovenscher absoluter Musik über die Sprache,
22
O
die bis zur Unkenntlichkeit verzerrt wird. Nehmt die Worte weg, es bleibt
etwas ganz anderes, etwa eine anakrcontische Szene an einem Bach, irgend
etwas Duftendes aus Schuberts Regionen. Die Nummer wird erst gekürzt,
dann ganz gestrichen.
Die große Fidelioarie schließt ursprünglich also an dieses Duett und
Fidelio bleibt allein zurück. In der dritten Form schließt sie an Pizarros
Weggang, und so beginnt sie mit dem Fluch auf den Abscheulichen. 1805
war ihr Rezitativ einfach, die wundervolle Leonorenmelodie zeigte sie in
ihrer ganzen Schönheit, diese Arie, die Beethoven in seinem arienlosesten,
deutsch-knorrigen Herzen erfand, aber sie mischte sie mit den absonderlichen
Komplimenten gegen welsche Bravour, Koloraturen, dick und massiv, daß
sie die Kehle kratzten. ,,Komm o Hoffnung" und Beethoven ist wieder
da. Allmählich gerät er in die Allegromelodie, „süßer Trost" wird zweimal
in seiner rührendsten Gestalt kredenzt, aber das erstemal läuft er in eine
Floskel aus. Wie strömt das in ihm zusammen. Er hat sich vom Adagio-
anfang ein Orchester ausgedacht, Streicher nur mit drei solistischen Hörnern
und einem Fagott. Eine schwere, schwelende, dickflüssige, dunkelbärtige
Romantik lag darin — irgendein Wunderland kommender Phantasie, zwischen
Riesen und Nibelungen : aber Leonore ? Er behielt dies berühmte Or-
chester, das sich im Allegro zerpustete, bis in die letzte Bearbeitung bei.
Wie ist das alles so seltsam. Dieses Orchester spielt, und wenn er glaubt,
es spielt zu lange allein, schreibt er noch Worte darüber: ,, sprechend oder
singend". Schweres, tiefes Herzeleid und finster rauchende Koloratur
liegt nebeneinander. An der Sängerin selbst scheitert es. 1806 hat sie schon
ihre Kürzungen. 18 14 hat sie ein fast neues Stück. Das Rezitativ, jetzt
auf den Abscheulichen, ist eine große dramatische Szene geworden. Ein
neuer, still leuchtender Farbenbogen, eine erste Ahnung des Wolframschen
Abendsternes führt sanft wirksam zur unverändert hehren Adagiomelodic
über. Doch nun beginnen die Renovationen im einzelnen. \'\c\ ist ein-
gerissen, manches umgebaut, das meiste verbessert, nur der plötzliche ge-
schniegelte Allegroeintritt bringt uns um den ersten „süßen Trost". Aber
Beethoven hätte man keinen Text geben sollen, als die Worte Hoffnung,
Trost, Mensch, Brüder, Freiheit, namenlose Freude — da ist er immer wie
durch einen Zauber ganz vorhanden.
Geheimnisvolle Streichereinleitung zum Finale: der Gefangenenchor
beginnt auf wiegelnd breiter Begleitung, dieses Stück, das man die populärste
Rührung aller existierender Opern nennen kann. Wie es aufwächst, wie es
in das Licht blickt, unterbrochen von dem volkslicdhaften Tenorsolo, das
in ihnen allen nachzittert, abfallend in das „Sprecht leise", ein Giebelbau
224
mit Melodiespitze — das ist Seine Hand. „Noch heute" Fidelios Ruf klingt
uns unvergeßlich im Ohr, und immer ist es so schön, wenn sie von dem armen
Manne da unten sprechen : der Gouverneur bleibt leitmotivisch — vier an-
deutende Töne — im Hintergrund. Plötzlich erscheint die seltsame Sechs-
achtelpartie, sehr schwierig, vielleicht ein Oktettsatz, übertragen in Bläser
mit steigender Anteilnahme der Streicher, aber sicher nicht Rocco und Fidelio,
die sich in einem mozartelnden „O säumen wir nun länger nicht" zu trösten
wissen. Von dieser Stelle an trennen sich die Wege der ersten und der letzten
Bearbeitung. Aber beide sind nicht gejungen. Dort legt Pizarro, der von
dem Spaziergang der Gefangenen noch nichts weiß, eine Riesenbrüllarie
hin, mit der Wache und dem großen Lärmnachspiel. Hier kehren die Ge-
fangenen wieder, natürlich mit einem neuen Gesang, und ein mäßiges En-
semble aller Beteiligten, auf einen blöden Text, baut sich darüber. Be-
teiligte ? Nichts haben sie miteinander gemeinsam als den Zwang eines ab-
soluten Musikstücks.
Die Florestanarie im Kerker ist in der ersten Opernform das Herz des
ganzen Werkes. Sie hat sich bei allen späteren Bearbeitungen nur verschlech-
tert. Man kennt die dunkelschönc Graveeinleitung mit den vier Hörnern,
den Pauken, die gespenstisch in der verminderten Quint a es gestimmt sind.
Auf diesen Seiten ist nur ein Wehen, ein Pochen, ein Klagen, ein Brüten
und fernes Gewittern, ohne banale Substanz, ein Schauen neuer Welten in
neuen Farben, die trächtig wurden. Man kennt die in die Lconorenouver-
türen übergegangene bittersüße, tiefwühlende Adagiomelodie in As, wieder
mit einem rührenden „süßen Trost", mit ihren unbeschreiblich ausgearbei-
teten Details, die eine kleine Synkope oder irgendein B nuanciert. In der
„Leonore" folgte ein Andante in F-MoU, mit Sordinen, eine keusche Trauer,
von Bläsern umspielt und gehoben. Der Schluß blieb mild und wehmuts-
voll. Nirgends in der Oper ist das Orchester so fein verwebt, so reich und
farbig und wechselvoll, wie in diesem Stück. Und dies wenigstens hat Beet-
hoven beibehalten. Aber die Musik selbst hat er in der zweiten Ausgabe
schon wesentlich verändert oder gekürzt, in der dritten ging er wohl in
manchem wieder auf den Ursprung zurück, erweiterte, kürzte, aber gab
zum Schluß dem Virtuosen nach. Der gequälte Übergang in die As-Dur-
Melodie auf das Wort ,, Leiden" ist ganz unstimmlich gedacht, und der
neue AUegroteil, der von dem uralten Ombratypus noch den schönen Anruf
der geliebten Frau übrig behielt, mit dem Oboensolo und den zwei Hörnern
fein schattiert, ist gegen die Stimmung empfunden, in der diese Szene er-
dacht wurde. Der erschöpfte Orchesterschluß kann daran nichts mehr
ändern.
225 ,5
Wie wirft uns diese Oper aus Tiefen, die zu Höhen werden, auf Höhen,
die Abgründe scheinen. Rocco und Fidelio steigen ins Gefängnis herab,
um Florestans Grab zu graben. Man gibt ihnen in der dritten Form das
beliebte Melodram, das mit leitmotivischen Erinnerungen arbeitet. Sie
graben ,, hurtig", Posaune und Kontrafagott, Erlkönigrhythmus, ein har-
monisches \\'ogen mit zeitweilig schöner Lichtkontur. Aber nun begibt
sich ein Wunder, Beethoven übermannt die reine, schöne Musik. Die beiden
hurtigen Graber finden sich mit Florestan im Terzett, das aus dieser steinern
großen und erhabenen Melodie in blühenden Wendungen, natürlichem
Aufbau, süß steigenden Korresponsionen, wiegenden Beglcitungsfiguren,
schmeichelnden Tonartenbiegungen, gipfelnd in der rührenden Brot-
rcichung an den gefesselten Mann, mit der musikalischen Genialität Mozarts
sich entwickelt. Als ob es Beethoven zu „schön" gewesen wäre, verschlech-
tert er es in den Änderungen. Die zweite Form hat ganz schädliche Um-
stellungen und Kürzungen, die dritte ist nur zum Teil wieder besser, wenn
sie sich der ersten erinnert. ^
In vollem, vielfachem Orchester gibt sich das Quartett aus, scharf in seine
Charaktere gespalten, die zweite dramatische Gelegenheit der Oper, da
Pizarro hinzutritt, den feigen Mord an Florestan zu verüben. In der Mitte
steht das doppelte Signal, das des Ministers rettende Ankunft verkündet.
Ringsherum kracht es von Erregungen und drängenden Willensentladungen
in all jenen eisernen Tonkonsequenzen, die Beethovens Handschrift sind,
im stieren diatonischen Vorrücken, im rhythmischen Herausstoßen der
Dominante und in der Dissonanz, deren äußerstes \\'agnis das hohe H der
Leonore war, da sie sich als Florestans Weib zu erkennen gibt, ein H auf
G Des Es ! Und den Schluß dieser wilden Szene siegelte kein gewohnter
Dreiklang — ganz unaufgelöst und glotzäugig ein verminderter Septimen-
akkord! Es braucht nicht gesagt zu werden, daß beides später, auch schon
im alten Klavierauszug, salonfähig gemacht wurde. Der Leonore wurden
ordentlich die Haare gekämmt.
Leider, leider auch im Liebesduett, wenn man dies Jubellied jauchzen-
der Leidenschaft so nennen kann. Ja, schwer war es zuerst, aber ungeheuer
schön. Ein großes Rezitativ mit Oboensolo leitete es ein, Florestan rief
seine Leonore, wie später das Orchester den Tristan ruft, es wogt herüber,
wogt und wogt höher in G-Dur und das Duett der namenlosen Freude
schwingt sich gen Himmel. So streng und einfach in aller Expansion, bald
imitierend, bald parallel, in der Mitte wie ein Schluchzen des Herzens milder
und freundlicher, die letzte Spannkraft dieser zusammenschlagenden In-
strumente in unserer Kehle, und doch nur eine Tristanvorstufe. Reich und
226
breit ausladend war es in der ersten Konzeption, es hatte blühende Mittel-
sätze, es führte die Motive durch die verwandten Harmonien hoch, und
zweimal kehrte es in das Thema zurück. Alles ward frisiert. In der zweiten
Form ist das Rezitativ und Duett stark zusammengezogen. In der dritten
das Rezitativ ganz fortgelassen.
Problematisch wird wieder das letzte Finale. Es beginnt in den ersten
zwei Ausgaben mit einem Rachechor, in der dritten mit einem Heilchor —
die Wahl bleibt ziemlich gleich. Fernando, der menschliche deus ex machina,
tritt auf (es muß eine weite und helle Szene sein), er bessert sich von 1805
bis 1814 merklich, zuletzt appelliert er wirksam an die Bruderfreundschaft.
Die Unterschiede sind groß, aber die rührende Stelle der Kettenabnahme
ist immer dieselbe geblieben. Welch ein Augenblick! Jetzt stimmt das
himmlische F-Dur an, das in absolutem Oratoriensatz ausströmende Dank-
gefühl, auf ein altes Beethovensches Motiv gebaut, in doppeltem Quarten-
anstieg, lieblichem Achtelgeflecht und mildem Durskalaabstieg. Es hat
seine breiteste und beste Form in der ersten Fassung: die Solisten nehmen
hier den Chor erst später dazu. In der zweiten Fassung hat es der Chor eiliger,
in der dritten ist wohl eine gute wachsende Verteilung der Ensemble-
stimmen, aber die Kürzung ist nicht aufgehoben. In diesen Körpern klaffen
blutige Wunden.
Der Schlußgesang steht jetzt aus. Man gelangt um so hastiger zu ihm,
je später die Bearbeitung liegt. Dieser selbst verdient in der letzten Fas-
sung den Vorzug. ,,Wer ein holdes Weib errungen" ist eine harte, starke,
rhythmisch geschlagene Mannesmelodie, nicht unwert, dem Freudenchor der
Neunten an die Seite gestellt zu werden. Beethoven läßt die Oper gut sein,
Florestan^und Leonore sind vereint, Pizarro wird bestraft werden (wenn
auch zu mild), und alles steht, den großen Oratorienabschluß zu singen.
In der ersten Ausgabe variieren erst die Solisten, dann der Chor, dann Flore-
stan über dem Chor, in der zweiten noch Leonore über dem Chor, eine fremde
Stretta schließt. Das ist Symmetrie. In der dritten Ausgabe beginnt der
Chor, es folgt Florestan mit dem Chor, es lösen sich die Solisten unter Leo-
nores Führung und als letzte, breiteste, gewaltigste, durchgreifendste Varia-
tion findet ein reißendes Gegenspiel der Solisten mit dem Chor statt. Das
ist Kreszendo, ist symphonische Dramatik mit den Stimmen als beredtesten
aller Instrumente : Variationen über die absolute Moral einer Oper, die ge-
wesen ist.
Zwischen tiefster, innerer Ergriffenheit und der sauren Koloratur, zwi-
schen harter italienischer Konvention, dramatischen Wutausbrüchen und
ungeheurer symphonischer Landschaft wird diese Oper hin und her gestoßen,
227 ,5*
der wahnsinnig schöne und doch verstümmelte, vielleicht verfehlte Torso
eines Gottmenschen. Ist Mozart Ton, so ist Beethoven Rhythmus. Aber
obwohl er Rhythmus ist, gehen seine ursprünglichen Instinkte nicht
auf das Drama. Mozart ist alles in einem, er ist eines in der ganzen
Kraft. Dies ist die Becthovenreligion. Er schafft und zersplittert in der-
selben Bewegung. Er erfindet nur von der absoluten Musik her, von der
innerlich webenden und stoßenden Musik, von ihrem Begriff, von ihrer
Dynamik. Selbst die Instrumente empfindet er nicht funktionell. Vom Ge-
sang her projiziert er niemals sein inneres Bild. Noch weniger vom Wort,
wie es wenigstens Wagner zugestand. So einseitig ist er und so groß in seinem
Prinzip. So erhaben über Opernwesen. Aber taucht inmitten seiner dyna-
misch wahrhaften, mit ihrer Menschenseele atmenden Phrasen und Motive
einmal die schöne Melodie auf, so ist sie wie gesättigt von der umherlagern-
den Tonlosigkeit und hat das Meer und die Unendlichkeit, die wüstenweite
Sehnsucht im Auge. Dieses sind die Arien Florestans und Leonores.
228
OPERA COMIQUE
Monsieur Bourgeois
MONSIEUR Bourgeois wohnte in einem bescheidenen, aber behaglichen
Quartier, nicht weit von der Banlieue, durch deren Straßen er Soldaten
in den Feldzug ziehen und Landleute, festlich geschmückt, in die Stadt
kommen sah, was sein ständig wiederkehrendes Vergnügen bildete in der
Reihe gleicher Tage, die sein Leben füllten. Es war eine geräumige Lustig-
keit in seinem Herzen, und die rührenden Familienszenen, die sich von Zeit
zu Zeit vor ihm abspielten, hatten im Gegenteil nur den Erfolg, seine wohl-
wollende Weltanschauung zu festigen und einen gewissen romantischen
Humor in ihm zu wecken, der allen Stürmen trotzte. Er las Räubergeschich-
ten, hatte einen gediegenen Appetit und noch gediegeneren Durst und ließ
sich nach dem Souper gern von Gevatter Handschuhmacher und Schneider
zu einem kleinen Tänzchen abholen. Er verehrte seine Nation, die Armee
und die schönen Damen.
In seinem Garten lag von alten Jahren her ein Lusthaus, wie alle Lust-
häuser mit zwei Eingängen, über der einen Tür war eine Urne mit einer
Flamme in ReHef geschnitten. Das Lusthaus, einst ein verschwiegenes Juwel
der Regence, war jetzt in Schönheit verfallen, seine großen Platten waren
losgelöst, grünlicher Schimmel deckte die stolzen Blöcke, der Wind pfiff
durch die Löcher. Im Innern war mancherlei gut erhalten, das gelbe chine-
sische Bett, die große Muschelpcndulc, ein Gemälde der vier Jahreszeiten
en camaieu und verschiedene merkwürdige Porträte, die das besondere
Interesse und den heimlichen Haß des Herrn Bourgeois erregten. Das eine
stellte eine Dame als Diana dar, schneeweiß gepudert, in einem himmel-
blauen Kleid, den Halbmond auf der Stirn, in der Rechten den Bogen,
in der Linken ein Rebhuhn und den Windhund zu Füßen. Man konnte
zweifeln, ob es die Mätresse des weiland Besitzers dieses Schlößchens war
oder gar die Marquise selbst. Jedenfalls zeigte das andere Bild auch un-
verkennbare Porträtzüge, eine Omphale auf einem Gobehn, die. ihr kleines
Aschenbrödelfüßchen in einen Herkuleskothurn gesteckt hatte und sehr ver-
liebt zu diesem Halbgott aufblickte, der als Galan am Spinnrocken saß,
von Amor und dem ganzen Chorpersonal der alten Oper umgeben. In da-
229
maliger Zeit kam Theophile Gautier häufig das Lusthäuschen besuchen,
das er für eine Novelle brauchte. Bourgeois aber hatte so deutHche Zeichen
der Verachtung für diesen, wie er sagte, frivolen Rest eines hermaphro-
ditischen Klassizismus, daß er sicherHch den Pavillon zerstört hätte, wären
nicht Historiker und Dichter Hand in Hand für seine Erhaltung eingetreten.
So begnügte er sich auf gutes Zureden schließlich damit, das gelbe chinesische
Bett und die Muschelpendule in seine Wohnung herüberzuholen und konnte
später nicht leugnen, daß er sich mit ihnen einige lustige Stunden verschafft
hatte.
Dieser Bourgeois war dem Schicksal aller liberalen Herzen unterworfen,
am Tage zu träumen und in der Nacht zu wachen. Nachdem ihm die Revo-
lution den Berechtigungsschein der Selbständigkeit gegeben hatte, blieb
er zwar durch alle Zeiten sämtlicher Kaisertümer, Königtümer, Restaura-
tionen und Repubhken, unter allen klerikalen und allen bürgerlichen Herr-
schern seinem harmlosen Ideale treu, das er, von Tagesereignissen selten er-
schüttert, mit einem lachenden und einem weinenden Auge pflegte, aber er
verlängerte doch die Stunden nach dem Souper bald so bedenklich, daß ihm
während der einst so heiligen Morgenandacht noch die Tanzmelodien des
vergangenen Abends verführerisch im Blute lagen und seine Beine heimlich
hüpfen machten. Er, der Mann der Prinzipien und der konsequenten IMorali-
tät, er, der Volksbeglücker und überzeugte Rechtsstaatler, kennt jetzt kaum
noch eine Situation, die er nicht in ein Tänzchen auflöst, kaum eine These,
die ihm nicht zur Parodie wird, kaum eine Freude, die nicht die Ausspannung
der Frivolität verlangt. Er hat sich ein Theater geschaffen, das ganz sein
Werk, aber auch seine Nahrung ist, beschränkt genug, um eine außerordent-
liche Popularität zu erlangen in der zärtlichen Leichtigkeit des Gefühls,
das der Geist seiner Nation nach Möglichkeit vor dem Überschwang bewahrt,
und in der rhythmischen Wohlgefälligkeit, die den Genuß nur empfiehlt,
indem sie seine musikalische Methode feststellt. Der Bourgeois ist der Lehrer
und der Schüler der opera comique, in der er denselben Fürsten dekouvriert,
mit dessen Requisiten er sich möblieren muß.
ylllfäligc
ER gründet sein Theater in einer Art brusterweiternder Opposition, und
er führt es in diesem selben Gefühle fort, das sowohl seinem Freiheits-
drang wie seinem Philisterium genügt. Er stellt sich tapfer gegen die eigene
nationale Oper, weil er von ihr nichts versteht, und er wird von den Enzy-
230
klopädisten, die seine demokratische Stimmung in Wissenschaft bringen,
eifrig unterstützt. Er nennt sich stolz Buffonist, weil er in den einfachen
und rührenden Scherzen der Italiener, die Paris besuchen, viel mehr Er-
quickung findet als in den langweiligen Klassizismen der Academie royale.
Das berühmte Jahr .1752 schreibt er sich mit goldenen Lettern in sein Ver-
gnügungsbuch, denn damals kamen die Bouffons mit der herrlichen Serva
padrona in die Oper, und damals schrieb Rousseau seinen Devin de village,
der die Huldigung eines so großen Mannes an die Empfindungen des Volkes
war und dennoch französischen Text hatte. Man wies die Bouffons zwei
Jahre darauf aus, aber die Freiheit ließ sich nicht knebeln. Schon hatte
d'Auvergne seine Troqueurs geschrieben, schon folgten überall den Über-
setzungen und Parodien italienischer Buffostücke eigene Arbeiten, die rüh-
rigen Singspiele Favarts, und selbst Goldoni gab zu, daß die Handlungen
der französischen Opern besser seien als die seiner Landsleute. Um keinen
Posten zu verlieren, war es unbedingt nötig, die Jahrmarktsbühnen zu stützen,
die seit langen Zeiten dem unverdorbenen Geschmack des Volkes in kleinen
Coupletstücken schmeichelten. Aber niemand verträgt sich schlechter
als die Vorkämpfer der Freiheit, und nichts ist tyrannischer als die Revo-
lution. Die Comedie italienne sah durch den stark besuchten Jahrmarkt
ihre Intermezzi und Vaudevilles, die die französischen Bürger lockten, be-
droht und führte einen heftigen Kampf gegen ihn, daß die Budenbesitzer
zeitweilig gar nicht oder nur stumm oder gar mit Marionetten spielen mußten.
Endlich, 1762, gelingt die Versöhnung, und das Institut der Opera comique
wird geboren, später auch so getauft. Aber sofort gibt es eine ganze Reihe
von Theatern der komischen Musik in Paris, die sich ebenso befehden, wie
die Spezies einst von der Regierung befehdet wurde : von der offiziellen Oper,
die ihnen allen noch lange verbot, eine durchlaufende Musik zu bringen.
Nun so hatte der Bürger wenigstens seinen Dialog, den er sicherlich ver-
stand. Er hatte seinen Freihandel und seine getreue Opposition. Er hatte
die Wahl in meinen Theatern, ob die salle Favart oder das Feydeautheater,
das Variete, das Renaissance, das Lyrique und dann die Bouffes des Herrn
Offenbach, die den alten Namen wieder zu Ehren brachten. Er sah den
sozialen Wettkampf seine Früchte tragen, und schnell wuchs die Gattung
aus dem Singspiel zur Oper. Man verehrte Duni als ihren ersten rechten
Meister. Er war aus Parma gekommen, also französisch gebildet, und sein
„Milchmädchen" mit dem Vaudevillerefrain le pot au lait verse par terre
ist heut noch ein nettes Beispiel dieser frühen, halb italienischen strengen
Manier. Man verehrte Monsigny, der noch bis 181 7 lebte und fleißig mit
Sedaine arbeitete: sein Deserteur, mit vielen Liedchen, etwas flauem Gefühl
231
und reichlichem Witz ist Keut noch nicht ganz tot. Man verehrte Philidor,
der von seiner großen Begabung gerade dieser leichten Kunst viel Fortbild-
sames zufließen ließ, und verehrte vor allen Gretry, der einzige, den Grimm
bis zum Ende ernst nahm, den alle Parteien hochschätzten, der endlich die
letzte italienische Erinnerung überwand und nicht bloß die Opernmöglich-
keit in französischem Genre bewies, sondern auch eine Musik schrieb, die
vortrefflich war.
Inhalte
IN diesem beschränkten Kreise pflegte man eine bestimmte Reihe von
Szenen und Figuren, die sich um so lieber wiederholten, als man Grund
hatte, alle Überraschungen fremdartiger Stoffe oder Probleme zu vermeiden.
Man wollte genießen und sich nicht anstrengen, man mischte Gefühl und
Satire, um das Herz und den Kopf nicht auf gegenseitige Kosten zu überlasten.
Der Sinn für einfache liedartige Liebessentiments war in dem alten Sing-
spiel Adam de la Haies aus dem 13. Jahrhundert bereits in ganzer Klarheit
durchgebildet und sein Jeu de Robin et Marion, eine Perle der archaischen
französischen Musik, hatte 28 Nummern, echte oder künstliche Volkslieder,
die auch ein späterer Adam sich in seine Opern einzusetzen nicht geniert
hätte. Zu der Liebe trat der Spott, als die französische Zunge spitzer und
der Geist geschliffener wurde. In der Zeit der Favartschen Singspiele,
als dessen vielbewunderte und vielbegehrte Frau die Pariser durch ländliche
Couplets und satirische Parodien in eine doppelte Bewegung setzte, war
der Spott das unumgängliche Salz dieser populären Speise. Und er hat bis
zur Schönen Helena niemals in seinem Übermut nachgelassen, kleine geistige
Empörungen zu inszenieren, die mindestens so gewohnt wurden wie die
politischen. Niemals sonst sind Spott und Lyrik, die beiden Seelen dieser
Musik, in solche Beziehungen und auch Verlegenheiten geraten, wie hier.
Der Spott mußte zu einer Akrobatik der Gefühle führen, die deren Echtheit
zur Farce machte. Entschloß man sich vom Geiste des Tanzes aus ohne
Skrupel zu diesem Schritt, so war die Operette geschaffen, deren Wesen
darin besteht, daß sich niemand mehr ernst nehmen darf. Entschloß man sich
aber nicht zu dieser letzten Konsequenz, so mußte der Tanz aus getäuschter
Eitelkeit zum Verbrecher werden und ordinäre Gesten annehmen. Paris
schwankte zwischen der intimen balladesken Lyrik der Chopinschen Tänze
und der sinnlich schweren Luft der Walzer und Polkas im Salon des um-
schwärmten Tanzlehrers Cellarius und draußen auf den rasend besuchten
öffentlichen Bällen. Die Atmosphäre wechselte in beiden Stimmungen, sie
232
PAR PEP> in ISSION
L£^ COMED lENS
FRAN(;OIS ET ITALIENS
MAHOMET 1 OU LE FANATISME
Tngedjc de Mf- da Vclttrs. ctr^c dz tn S^t£ilLiz Ü. fuivw
DES CHASSEURS OU LA LAITIERE
OpcTi GuuSbn es un AO* <Ie M-'. /j-iui-jb*.; eisen mufit^uapr / '.r.Duny.
I <u\^ Or.i.'Tl & dcrw du S39 j
Clftnjh Jenl fal^i at^ Cent dt Lntft £rflr,t »r.'-w ci^tffanE
i^^^^^^^'se
Theaterplakat 1768
lag in ihren Witterungs-
einflüssen meßbar auf
allen Opern der Zeit.
Colin und Colette sind
ein wenigeifersüchtig auf-
einander, aber ein Dorf-
wahrsager vereinigt sie
schließlich durch seine
schlauen Künste. Diese
einfache Geschichte, die
den Inhalt von Rousseaus
Devin bildete, wäre harm-
los genug gewesen, wenn
nicht die eingefügte Pan-
tomime eines Hofmannes,
der einem Landmädchen
nachstellt, den Bauern bedroht, aber sie zuletzt auf ihr Flehen zusammenläßt,
der Szene eine bewußt bourgeoisc Pointe gegeben hätte. Der Typ war
damit festgestellt, der sich unendlich oft wiederholte. Die genauen Vor-
schriften des Komponisten beim Rezitativ „ferme" oder „Ironie et depit",
„anime", „menace", „douleur tendre" mußten den Ausdruck und das Ge-
bärdenspiel so heben, wie es dieses Genre wünschte. Seine Musik, in den
ursprünglichen wie in den nachkomponierten Stücken, brauchte nicht gar zu
bedeutend zu sein, um den natürlichen Erfolg seines Werkes zu machen,
das die Wahrheit mit einem Körnchen Ironie gegenüber der Phrase und
Konvention vertrat. Die reizenden Ländler, Menuette und Couplets hingen
als leicht verständliche Volksmusik genug im Ohr, und die Lieder auf die
simple nature, die naivetc de l'amour, Colettcs Anklage des fracas de la ville
schmeichelten dem erwachenden Sinn für gesunde und unverdorbene Tu-
genden des Landes. Es war in der Tat ein musikalischer Protest gegen die
Degeneration der Kultur, dessen Ehrlichkeit sicherlich reiner war als die der
Schriften seines Autors, wenn er ihnen auch an geistiger Potenz nachstand.
Rousseaus Bekenntnisse, nicht am wenigsten dort, wo er von dieser seiner
Oper spricht, sind theatralisch genug, um dieses sein wirkliches Theater
untheatralisch erscheinen zu lassen.
Der Ausbau der komischen Oper hatte noch nicht einmal nötig, alle
Laster zu persiflieren, die Moliere aufdeckte, und alle Tugenden zu preisen,
die Racine und Corneille übersahen, um ein ganzes schönes kleines Theater
voll Herzlichkeit und Spottseligkeit zu erfinden, das Generationen genügte..
233
^lan wurde nicht müde, die Eleganz des Städters und die Schlichtheit des
Landbewohners gegenüberzustellen, man variierte das Motiv bis in die Ver-
kleidungen von Landmenschen zu Stadtmenschen, die wir aus dem ,,Postil-
lon" kennen, wie wir das L^mgekehrte aus Flotows Martha kennen. Man
übernahm von der Buffooper die Persiflagen der sogenannten hohen Kunst,
alles Deklamierens, Opernspielens, Virtuossingens, des resoluten Orchesters
und der archaischen Geziertheit. Man verspottete den Geiz und lobte die
Armut, lachte über das Gefängnis und pries die «wunderbaren Rettungen,
die zuweilen schon bis zu modernen Erlösungert auswuchsen. Man parodierte
die Geisteranrufungen und erfand köstliche Märchenträume in einer neuen
klingenden Romantik. Man ließ die Diener als Herren, die Herren als Diener
alle Standesunterschiede verlernen und erreichte durch verblüffende Briefe
oder Testamente Schlußheiraten, die alle Gesetze und Vorurteile aufhoben,
so daß liebende Geschwister plötzlich als Nichtgeschwister, liebende Bauern
plötzlich als geborener Adel entlarvt werden. Man schwärmte für Räuber,
Soldaten, Jagd, Trinken, Spielen, vor allem die schelmische Lotterie, und
konnte keine Bühne mehr vertragen, auf der nicht ethche dieser Vergnügungen
vorgeführt wurden. Ein bißchen Beten war als Gewissenserleichterung da-
bei immer angebracht, und nichts verdiente einen gerechteren Tadel als der
tatenlose Schlaf, der mit allen seinen optischen und akustischen Neben-
erscheinungen einem periodischen Spott verfiel. Um in guter Gesellschaft
zu sein bevorzugte man alle ehrlichen Handwerker, die lustigen Studenten,
die armen rührenden Savoyarden, die singenden Spinnerinnen und klappern-
den Müller, die Marktweiber, die Brauer, die Konditoren, die Parfümeusen,
kurz die kleinen Leute, die die Szene unseres täglichen Lebens bevölkern
und das musikaUsche Herz auf dem rechten Fleck haben. Ein wenig exo-
tische Würze aus Spanien, Italien, Schottland, Indien oder gar China ent-
spricht dem steigenden geographischen Bewußtsein der Weltaüsstellungs-
epoche, und Offenbachs Brasilianer mit seiner Handschuhmacherin emp-
fehlen sich als letzte Nachkommen dieser zeitgemäßen Mischung.
Einer Bühne, die solch bunten Apparat in Bewegung setzt, um die
Hochzeit zweier Liebender in gebührender Variation zu schildern, mußte
die Musik ihre liebenswürdigsten Dienste widmen. Es kam nicht so sehr
auf die Originalität und Eigensinnigkeit der Erfindung an, und man machte
sich gewiß nichts daraus, dieselben diatonischen Schritte oder Dominanten-
spiele oder tänzerischen Exzesse immer wieder zu hören. Im Ehernen
Pferd sang, wie mir gerade einfällt, Taogin ein reizendes Liedchen oh mon
mari, mon petit mari, das man in Dreiviertel umgesetzt in Caspers „Die
Tante schläft" wiedersah, was natürlich niemanden verhinderte, diese alte
234
Operette sehr anziehend und wirksam zu finden, so daß man sie jetzt sogar
neu druckte. Nein, der typische Bestand an elegantem, melodischem, an
sauberem harmonischem Material war in der Regel nicht sehr bedeutend
und zog vielmehr seine größere Kraft aus den rhythmischen Verschieden-
heiten, die dem Temperament dieser Nation besser lagen. Gestoßene Achtel,
punktierte Ketten, das Weben fliegender Sechzehntel, die Takte der Polonäse,
'des Bolero, des Gitarrenständchens und aller europäischen Tänze, phan-
tastische Rhythmen in komischer Zerrissenheit und grotesker Nachahmung
und alles buffolustige Einbauen der Sprache in die architektonische GUede-
rung geben der Melodie und Harmonie hier erst ihr Blut, ihren Lebens-
saft. Abnormitäten sind selten, und Stellen wie der Fünfviertelmittelsatz
in Georgs Cavatine aus der Weißen Dame oder auch nur fünftaktige
Perioden wie in der Chanson proven^ale des Eremitenglöckchens werden
fast als Raffinements empfunden. Diese Musik liebt klare Nummern und
eine Einfachheit der Stimmführung, die sie selbst in den großen charakte-
ristischen und oft bedeutenden Ensembles nie verläßt. Ihr Hauptmaterial
ist das Lied, das strophenförmige Couplet, das Rondovaudeville, auch die
Erzählung in Liedform, vor allem die Romanze, an der alle musikalischen
Jünglinge arbeiten und die das Entzücken der Salone ist und die Stütze
der Oper. Sie gibt dem Stück sein Interieurlicht, seine Farbe und Einheit.
Ihr zu Liebe läßt man sich auch ein bißchen Arie gefallen und alle Koloratur,
die für die Triumphe der Sänger vonnötcn ist. Dann aber tritt das Lied
vor und reicht dem Tanz die Hand, lächelnd ihre alte Liebe durch einen
Kuß besiegelnd, dem kein Zuschauer widerstehen kann. Und wieder wird
alles Rhythmus und Gleichtakt, Marschlied, Soldatenlied, Jagdlied, Trink-
lied, von Jahr zu Jahr mehr Tanz, bis sich kein Ariensänger und kein En-
semble mehr halten kann, ohne in eine Galoppade auszubrechen. Die Wollust
des Hörers aber ist die Vorbereitung auf diesen großen nationalen Moment
des Tanzes, dieses Warten und Stechen und Kitzeln auf der Dominante,
noch einmal und noch einmal, beinahe ebensoviel Vorbereitung als Genuß,
ein Neugierigmachen, ein Kokettieren, ein Stückchen Pariser Liebesschule —
die Regence hatte es nicht anders getrieben als das second empire, und das
chinesische Bett wird neu bezogen. Arme Colette, du bist von derselben
Musik betrogen, der du einst dein treues Herz geöffnet hast. Wie singt
Offenbachs Blaubart ?
Ma premiere femme est morte
Et que le diable m'emporte
Si j'ai Jamals su comment.
235
Lebenstypen
EINES Tages wohnte Rameau einer Probe bei, die Rousseau von seinem
Werke veranstaltete. Rousseau konnte sich nicht enthalten, ihn nach
seinem Urteil zu fragen, aber Rameau war vorsichtig und schien zu zögern.
Dreimal fragte ihn Rousseau, dreimal antwortete Rameau : „Soll ich die Wahr-
heit sagen?" Rousseau war unklug genug, darauf zu bestehen, und der
andere sagte frei heraus: einiges sei gut, einiges sei schülerhaft, die Rezi-
tative zeigen eine andere Hand. Seitdem war die Feindschaft der beiden
besiegelt, die ja tiefere Gründe hatte. Gretry erzählt diese Geschichte in
einem Briefe an den Padre Martini und faßt Rousseaus Erbitterung, die in
dem berühmten Artikel des Dictionnaire über Rameau zum Ausdruck kam,
als bloße persönliche Ranküne auf. Er hatte wohl Grund dazu, denn ihm
selber war Rousseau nicht anders begegnet. Es ist bei der Aufführung von
Gretrys Fausse Magie. „Ich bin glücklich, Sie kennen zu lernen, Herr
Gretry." „Sehr liebenswürdig." „Haben Sie auch eine Frau?" „Ja, sie
ist eine Künstlertochter.'' „Das ist gerade das Rechte, ich liebe die Natur-
kinder, wir woUen recht oft Zusammensein." Die beiden gehen zusammen
fort und, da gerade auf der Straße gearbeitet wird, ist Gretry so höflich,
Rousseau beim Übergang ein wenig zu stützen. Rousseau aber stößt ihn
zurück und sagt: „Lassen Sie mich bitte. Ich helfe mir allein." Er nahm
es todübel, und sie haben sich nicht wieder gesehen. Gleichwohl, wie das
Schicksal ist, Gretry wohnte, später in derselben Montmorencywohnung, die
Rousseau berühmt gemacht hat.
Aber schalten wir Rousseau, den philosophischen Begründer einer höchst
unphilosophischen Kunstgattung, aus; seine persönliche Reizbarkeit fällt
ganz aus dem Stil der Komponisten dieser Schule, die stets von einem großen
Wohlwollen und oft einem selbstlosen Interesse für einander beseelt waren.
Der einzige Intrigante unter ihnen war Isouard, den dafür heut das Volk
auch vergessen hat. Er schuf dem jungen Auber Schwierigkeiten, und er
trat mit Boieldieu in einen persönlichen Konkurrenzkampf. Er machte die
Erfahrung, daß die Akademie ihn nicht nach dem Maße einschätzte, wie er
sich selbst. Nach Monsignys Tode fanden Wahlen statt für dessen Nach-
folger. Die Entscheidung fiel schwer, und erst nach zwölf Touren gab man
Catel den freien Sitz. Mchul starb, und Boieldieu kam an dessen Stelle.
Isouard wurde sehr traurig und soll an diesem Ärger dahingesiecht sein.
Die anderen aber hielten gut zusammen und fanden sich mit Vergnügen be-
reit, Gelcgenhcitsopcrn gemeinsam zu arbeiten. Eine solche Kompanie-
arbeit wie in dieser Zeit hat es nie wieder gegeben und Stücke, die von
236
mehreren Librettisten ver-
faßt und von noch mehr
Komponisten vertont wa-
ren, gehörten nicht mehr
zu den Ausnahmen. Jeder
machte seine Nummern,
und das Ganze gewährte
dem PubUkum den Spaß,
Namen zu raten, und der
Kritik den Ruhm, Namen
zu deuten. Boieldieu führte
in einer solchen Oper, Char-
les de France, den jungen
Herold ein, Cherubini kom-
ponierte nicht nur, son-
dern malte sogar mit Boiel-
dieu zusammen, und Adam
schätzte Auber so hoch,
daß er dessen Jugendwerke
gern seinen ängstlichen
Schülern zeigte : „Seht ihr,
das schrieb er im Anfang,
■es war nichts, und er ist
doch ein so großer Meister
geworden." Sobald einer
außerhalb dieser Gruppe zu Wort kam, klang das Urteil gleich anders. Berlioz
hat im Journal des Debats eine vernichtende Kritik über Zampa ge-
schrieben, die so ungerecht wie möglich ist : er wirft Herold die vielen Vor-
halte vor, die die Akkorde denaturieren, die Herbheit der Dissonanz zur
Diskordanz steigern und Süßigkeit in Fadheit wandeln. Gewiß ist Zampa
kein Meisterwerk, aber gerade die Ouvertüre, die Berlioz vor allem treffen
will, ist noch ihr Bestes und von solchen Fehlern ganz frei. Herold begnüge
•sich, sagt er, mit Motiven, so winzig und unbedeutend, wie Rossini sie etwa
mal fallen lasse, wenn er müde sei. Rossini selbst, wohl bewußt, was ihm
viele dieser Kollegen an Rhythmus und Linie verdankten, stellte sich bedeu-
tend freundHcher. Er wohnte eine Zeitlang mit Boieldieu im gleichen Hause
Boulevard Montmartre lo. Rossini lobt die Versteigerungsszene der Weißen
Dame über alles, die gute Führung und das stilvolle Ensemble. „Wir,
lieber Boieldieu, wir Italiener hätten viel mehr Lärm dabei gemacht mit
S^cdl^^ OMCÜ C^itify-^^LS iJcC<,/UV<l>.
Rousseau. Stich von Jugouf
237
felicitä, felicitä und solchen Dingen." Boieldieu ist gerührt, und als er sich
empfiehlt, um in seine höhere Etage hinaufzugehn, sagt er zum Abschied:
,,Ich bin Ihnen doch nur über, Meister, wenn ich schlafe." Die Bewunde-
rung Rossinis geht in dieser Zeit über alles hinaus, was wir uns heut vor-
stellen können. Er war ein Gott, ohne Widerspruch. Man sagte, Haydn
und Mozart könne man nachmachen, aber schlecht, Rossini sei unnachahm-
lich, er habe einen neuen Stil geschaffen, der sein Eigentum sei. Sein Bonmot
ist das Orakel dieser ganzen Familie von Autoren, die füreinander lebt, wirbt,
arbeitet und hofft. Ein natürliches Mittel, dieser Gemeinsamkeit Ausdruck
zu geben, finden sie in der Schriftstellerei. Von Favart bis zu Adam schreiben
sie fast alle, Erinnerungen, Kritiken, Hymnen, mit vielem Geist und noch
größerer Herzlichkeit, selten etwas Abfälliges über ihre Kollegen. Die ganze
Zeit ist förmlich belegt mit plaudersamen Memoiren der Autoren, die
dieselbe Behaglichkeit ausströmen wie ihre Werke und zu der Hochschätzung
dieser Stücke so viel beigetragen haben, daß wir uns heut wundern müssen,,
wie ernst man die kleinste komische Oper nahm. Der nationale Familien-
sinn der Opern selbst scheint sich in ihnen widerzuspiegeln und hat bis
auf ihren jüngsten Biographen fortgewirkt, Pougin, der Boieldieu gegen
Wagner ausspielt und Herold mit Weber vergleichen möchte.
In dieser Familie gibt es freilich keine Rossinis, es sind alles nette kleine
Leute, bald etwas fleißiger, bald etwas leichtsinniger, die im allgemeinen
ihren gleichen Trab gehen und von der Bourgeoisie ihrer Werke sich so viel
angeeignet haben, daß sie von ihrer Biederkeit abfärben. Die meisten von
ihnen fangen ein bißchen dilettantisch an, um dann durch ernstere Studien
die innere Wandlung zu erleben, und viele geben eine Kaufmannskarriere auf,.
um dem schöneren Ziel zu folgen, als Romanzenkomponisten die Damen
zu entzücken. So sehen wir den jungen Auber in den Salonen des Fürsten
Chimay mit seinen leichten Liedern glänzen, bis ihn der Tod des Vaters,
zum Beruf zwingt und er zu Cherubini geht — „arbeite!" — „ich bin
es nicht gewohnt" — „so stürz dich zum Fenster hinaus." Auber nennt die
Zeit vor dieser Katastrophe die seines Brautstandes mit 'der Musik, sie war
seine Geliebte gewesen, jetzt wurde sie seine Frau. Boieldieu fühlte es nicht
anders; auch sein Erweckcr und Gewissenspeiniger ist Chcrubini, und von
diesem Augenblick an hört er auf „glücklich zu sein". Obdachlos war er von
Ronen nach Paris gekommen, seine erste Oper erlebt er, als er die Nacht
auf der Flucht bei Hirten zubringt. Was soll er in Paris ? Er will sich in die
Seine stürzen, ein alter Diener seines Hauses rettet ihn. Zweite Oper.
Er verliebt sich in die Tänzerin Clotildc Malfleurai, er heiratet sie, aber sie
bleibt die Dirne, die sie gewesen ist. Er flüchtet vor ihr nach Rußland»
238
Gretry. Lithographie nach Lefevre-Maurin
den Spuren Garats folgend, der einst seine ersten Romanzen in den Salonen
gesungen. Dritte Oper ? Ach, das sind alles keine großen Erlebnisse und er
muß ruhig warten, bis diese Frau stirbt. Eine ähnliche Geschichte kehrte
schon in friedlicherer Eorm bei Adam wieder. Da war es ein Vaudeville-
mädel, und er muß sie gegen den eigenen Willen heiraten. Alle brechen
mit ihm. Aber er erreicht die Scheidung, und als auch er nach Rußland
geht, ist es nicht aus solchen Gründen. Diese Leute machen nicht viele
Reisen, sie sitzen in Paris fest und haben nichts von der Fremde und von der
Natur. Adam beschreibt in seinen Erinnerungen eine Reise nach Grindel-
wald. Es kommt dabei nichts heraus als Angst vor Gletschern. Sie sind
große Arbeiter und spinnen sich ein. Sie schreiben so unendlich viel, daß
239
man gar nicht klug daraus wird. Selten entschließen sie sich, wie Monsigny
und Boieldieu, Schluß zu machen, wenn sie merken, daß es nicht mehr geht.
Sie müssen auch verdienen. Nicht alle, wie dieser Monsigny, verstehen sich
auf Nebeneinnahmen aus Domänen- und Kanalinspektionen. Das war noch
die alte Zeit. Jetzt ist man ja nichts als ein Berufsmusiker und kann nicht
mehr mit dem Ruhme auskommen, wie Gretry, der wenig Ämter hatte.
Man wird Direktor und Lehrer am Konservatorium, Hofkapellmeister
oder so etwas, aber die politischen Wellen spülen diese Stellen weg wie Sand.
Da gibt es im besten Fall kleine Pensionen. Oder die neue Gründerwut
entflammt auch die Komponisten. Adam gründet schon ein Theätre Natio-
nal und verkracht erst recht. Also komponiert man eben ruhig weiter, und
wie es kommt, so ist "es. Das Leben ist ja immer dasselbe, und bleibt man
heiter, so tut es einem nicht viel. Man schreibt und schreibt und richtet
■sich ein, auch mit dieser verfluchten Politik, die einem den Stuhl unter
dem Rücken fortzieht und die einen doch so herzlich wenig interessiert.
Man hat seine freiheitliche Gesinnung, die aus England gekommen sein soll,
wie diese Musik aus Italien gekommen sein soll. Man weiß das schon gar
nicht mehr. Gelegentlich wird ein aktuelles politisches Stück komponiert,
je nach der Lage Barras, Denys le tyran, Henri IV. oder Bayard ä Mezieres,
«onst seien wir froh, mit dieser Angelegenheit nichts zu tun zu haben. Es
kommt vor, daß Opern politische Erregungen auslösen, sagt man uns. Wir
wissen nichts davon, das muß ein Zufall sein. Die Musik ist eine unpolitische
Macht, und vielleicht wird sie gerade darum unsere Opern viel länger am
Leben erhalten. Legt die Liste von Aubers Opern neben die Geschichts-
tabelle, sie berühren sich nicht im geringsten. Freilich haßte er die Kommune,
und es war ein Glück für ihn, als er mitten in ihrem Trubel 1871 starb,
<laß man erst geordnete Zustände abwartete, ehe man ihn beerdigte. Eben
weil er das Geordnete liebte, war er unpolitisch. Denkt nur an den guten
Boieldieu, den sie beinahe für einen Verschwörer gehalten und dem sie
ein Finale machen wollten, für das er sich bedankt hätte. Er sandte, als er
«ich in der Stellung des Petersburger Hofkompositeurs von seiner Clotilde
erholte, einmal eine Oper in verschiedenen Paketen nach Paris und nume-
rierte sie si, mi, sol. Aha, denkt der Grenzwächter, dich haben wir, das heißt
six, das heißt mille, das heißt soldats. Tablcau! Mag sein, daß diese Kom-
ponisten sechstausend Soldatenlieder geschrieben haben, aber das war für
die Armee der Großherzogin von Gerolstein.
240
Elleviou als Jean de Paris. Lithographie Delpech
Generationen
ZWEI Generationen von Komponisten lösen sich in dieser Familie ab,
den größten Lebensbogen spannt Auber, der 89 Jahre alt wurde und
das ganze Schauspiel der Operngeschichte von Gretry bis Wagner zu sehen
bekam. Seine Memoiren hätten so ziemlich dieses Buch sein können, aber
er ist einer der wenigen gewesen, die nicht geschrieben haben. Und er hat
sogar bis jetzt nicht einmal eine ordentliche Biographie bekommen. Wer
weiß, was hinter seinem schweigsamen Mund ruhte und hinter seinem
sichtlichen Phlegma, mit dem seine feurigen Augen, wie Bouillys Memoiren
ihn malen, in dauerndem Widerspruch standen. Er sitzt in seinem weiß-
goldenen Salon und „sammelt wie eine Biene". Er pflegt die Pferde und ruft
seine Lieblinge Figaro und Almaviva. Er lebt und weiß und sagt es nicht:
eine vergnüglich zynische Kälte, nennt es Wagner. Im großen Premieren-
winter 1800 war er 18 Jahre, hatte seine jugendlichen Romanzen hinter sich
tind wartete als Kaufmann in England auf den Schicksalsruf. In diesem
Jahre kam der Wasserträger Cherubinis heraus, Mehuls Ariodant, Bertons
Delire, des guten Dalayrac Maison ä vendre (er machte jedes Jahr zwei
Opern), die Dame voilee des Mengozzi, der mit seinen Kompositionen dem
eigenen Gesangsruhm (eine Pariser Spezialität wie einst der Bariton Solie)
gefährlich wurde, bis er sich in der Abfassung der großen Singschule des
Konservatoriums beruhigte, und dann gab es im selben Jahre noch Boiel-
"dieus Boniowski und Kalif von Bagdad, mit denen dieser 25jährige
Autor, seine ersten wohlbeachteten Visitenkarten abgab. Gretry war da-
mals 58 Jahre alt, aber noch rüstig genug; nachdem er 1794 gleich vier
Revolutionsoperchen in einem Jahre verfertigt hatte, war er jetzt gelassener
geworden und setzte alle zwei Jahre ein gut bürgerliches Stück ab. Mon-
signy, der nur einige Monate weniger zu leben hatte als Auber, war in
seinem 72., aber er ließ längst keine Oper mehr aus seinem Schreibtisch
heraus und dachte behaglich alter Zeiten. Man setzte neue Hoffnungen
auf den Rodolphe Kreutzer, den Violin-Kreutzer, der die Geigenschule
des Konservatoriums schrieb, oder auf Catel, der dessen Harmonieschule
übernahm, — Bruni, Carafa, es gab keinen, der nicht mal durch eine komische
Oper von sich reden machte. Am meisten aber sprach Rodolphe Kreutzer,
dessen persönliche Beziehungen heut noch ihre Wärme uns nachfühlen lassen,
von dem jungen Isouard, der in Malta geboren, Maltheserkapellmeister
gewesen und nun unter dem Namen Niccolo nach Paris gekommen war,
sein Glück zu versuchen. Damals begann er, genau so alt wie Boieldieu,
seine Karriere und ist mit ihm immer im Wettstreit geblieben, ein leicht-
241 ,6
sinniger, und, wie wir sahen, ränkesüchtiger, aber sicherlich begabter und inter-
essanter Mensch, der unruhigste Geist unter allen diesen und darum
der erfolgloseste. Sein Name ist damals in aller Munde, achtzehn Jahre
darauf war er schon tot.
So etwa zeigt sich ein Durchschnitt durch das Jahr 1800. Steigen wir
36 Jahre herunter, so ist das Bild noch sehr frisch, nur im Personalbestand
verändert. Adam ist soeben mit einem seiner populärsten Werke aufgetreten,
dem Postillon von Lonjumeau, der vielbewegliche Adam, Komponisten-
sohn des Pianistenvaters, Adam, der immer überall ist, in jedem Theater,
vif wie kein zweiter, in der engen Taille, die Hände trollend, mit seinem
bärtigen, etwas maliziösen Gesicht, immer tätig, immer spielend, immer
schreibend, im besten Alter, 33 Jahre und voller Pläne für sein Glück. Sein
Lehrer und Wecker Boieldieu war vor zwei Jahren gestorben, nachdem
er klug genug gewesen, seinen Deux nuits keine Oper mehr folgen zu lassen.
Auber aber war auf dem Zenit. Dieses Jahr gab es seine Ambassadrice, die
so viel in der Welt herumreiste und von Adam für sein Meisterwerk erklärt
wurde. Nicht weniger regte sich Adam über den „Blitz" von Hale\7- auf,
der soeben seine Premiere bestanden und die überraschende Begabung
des Großopernkomponisten für das Genre der eleganten Komik bewiesen
hatte, in diesen schmalen Grenzen von nur vier Personen, zwei Tenören und
zwei Sopranen, ohne Chor — eine feingeführte Melodie, eigenartige Knapp-
heit des Rhythmus und sorgsame Faktur der Ensembles, die uns heut einer
besseren Gelegenheit würdig zu sein scheinen. Kurz vor dieser Arbeit
hatte Halevy das traurige Amt übernommen, die nachgelassene Oper Herolds
zu bearbeiten. Herold, den alle liebten, die ihn kannten, hatte als Wunder-
kind begonnen, dann sich kläglich als Begleiter, Chordirektor und Repetitor
durchgeschlagen, bis ihm in schneller Reihenfolge die Opern Zampa und
Schreiberwiese eine Popularität brachten, die er leider nicht mehr aus-
kosten konnte — er starb, weil er keine Zeit und kein Geld gehabt hatte,
sich zu pflegen. Indessen traten schon neue Bewerber heran, die sein Anden-
ken schneller, als man dachte, vergessen lassen sollten. Aus Mecklenburg
war ein Friedrich Freiherr von Flotow nach Paris gekommen, der gerade
in diesen Jahren seine ersten Bühnenproben im Genre der leichten komischen
Oper ablegte. Er attachiertc sich an den vier Jahre älteren Grisar, auch
einen Ausländer, Belgier wie Gretry, der seinem Chef in Liverpool ausge-
rückt war und bei dem Böhmen Rcicha, dem Nachfolger Boieldieus am
Konservatorium, Unterricht nahm. Dort trafen sie zusammen, der junge
Antwerpener mit dem Mecklenburger Diplomaten, und mit ihm arbeitete
er manche Opern gemeinsam, wie dieser später mit Offenbach arbeitete.
242
Pariser Sänger. Lithographie von Planta 1832 : Lafont, Lablachc, Donzclli, Nourrit, Chollct, Levasscur.
Ponchard, Bcrdognc
Die internationale Familie findet sich auf diesem lockenden Boden und die
Theaterluft schwebt fühlbar, ein Gemisch von Lichterdunst, Kulissenleim,
Parfüm und Stallgeruch, um die Schicksale abendlicher Menschen. Man
streift sich durch die langen Haare, diskutiert über die letzte Premiere,
klatscht über einen Sänger, stürzt aus einer Akademiesitzung, gibt einer
Sängerin das Rendezvous im Mabille, lobt einen jungen Mann wegen einer
Romanze, schwärmt en passant für das Landleben und freut sich auf seine
nächste Oper a grand tralala. Adam schreibt freundlich und galant über
sie alle, Kritiken und Briefe (aber keine Briefe sind scharmanter als die von
Boieldieu an Berton), er schreibt über Masse, der einst Aubers Nachfolger
in der Akademie werden wird, er erwischt gerade noch Maillarts Eremiten-
glöckchen und das erste Operchen von DeHbes, dessen graziöse Ballette
243
i6«
uns heut noch amüsieren, während seine Lakme-Oper an derselben ver-
steckten Stilmischung sterben mußte, die Offenbach zum offenen Bekenntnis
der Operette führte. Und wieder, wenn die Saison naht, fliegen die Briefe
nach Paris, von Petersburg, von Wien, von den Landsitzen, Briefe über die
Theater und die Sänger, Wünsche und Befürchtungen — sechsmal muß
die Komische Oper schließen, Cholera, Bankerott, wer weiß was alles, hier
und da auf den vielen wechselnden Bühnen. Wird der große Tenor Pon-
chard zur Stelle sein und der natürlich ebenso große Elleviou und der große
Baß Chenard, wird der große Bariton Martin singen dürfen ? Er rettete
Boieldieu eine Ammenarie aus der riskanten Tante Aurore, mit der seine
Weltkarriere begann, — Boieldieu soll ,, Neige" komponieren.* Neige ? Nein,
das macht er nicht, es ist für Martin keine Rolle drin. Und Auber macht
Neige und gewinnt sein erstes Spiel. Die Vestalin ? Nein, keine Rolle ist
darin. Und Boieldieu lehnt sie ab, und Mehul lehnt sie ab, bis Spontini
sie macht und auch sein erstes Spiel damit gewinnt. Boieldieu ist für die
Regnault, die an Charme ersetzt, was ihr an Musik fehlt, natürlich ist Isouard
für die St. Aubin, die eine große und schwere Stimme hat, aber so kurzen
Atem. Isouard ist schlau und schreibt für beide Damen Rollen in seinem
Aschenbrödel. Boieldieu bleibt nicht zurück und macht denselben Trick,
zwei Jahre später, im Johann von Paris. Wenn sich diese Herrschaften nur
wenigstens während der Aufführung vertragen! Es naht die Premiere des
Postillon. Adam setzt sie gerade auf Freitag an, auf Freitag, den 13. Ok-
tober. Chollet singt den Chapelou, seine Frau, die Prevost, die Madeleine.
Natürlich zanken sie sich vorher wie die Irrsinnigen. Sie wollen in den Proben
nicht zusammensingen. Wer weiß, was er wieder auszufressen hat. Aber
er arbeitet der Weltgeschichte vor und legt ihr nach dem ersten Akt ein
Bracelet in die Garderobe. Das Bracelet rettet die Stimmung, und das
Publikum, in seiner Sensation befriedigt, sieht eine Oper- die Ehe zusammen-
binden, die schon zu sehr Oper geworden war, es bereitet einen doppelten
Triumph.
Madeleinc: Den heitern Sinn soll uns jetzt nichts,
ja nichts mehr rauben.
Ich liebe dich,
ich liebe ewig dich allein.
Chapelou : An leidge Prophezeiung will ich nimmer glauben . . .
244
Die We/ke
ES ist kein Roman an Opern, den diese Autoren uns hinterlassen haben,
auch keine offenherzige Selbstbiographie in Werken, es kommt mir so
vor, als habe jeder einen Novellenband gemacht, Geschichten, die die Jahre
aneinanderreihten, immer wieder Geschichten und Geschichten, von denen
manche schon im Augenblick verblaßten und wenige bis zum heutigen Tage
frisch geblieben sind. Die wenigen berühmten aber sind auch die besten,
und die Historie hat mit einer Gerechtigkeit gesiebt, die bewundernswert
ist. Es ist eine große und unermüdliche , Plauderkunst in dieser Opern-
gattung, ein musikalisches Erzählcrtalent, wie es nicht wiederkam — in diesem
reichen und pointierten Dialog, den der Franzose liebt, eine Konversation
in Tönen, die die ganze Welt verstand und eifrig aufnahm. Reife und Lebens-
kenntnis sind das Signalement solcher Kunst. Gretry sagte, mit zwanzig
Jahren könne man wohl eine gute Tragödie schaffen, doch mit vierzig erst
eine gute Komödie. Aber Herold schrieb einmal in einem Briefe : „Es ist viel
schwerer, eine italienische Oper zu machen, als zwei französische komische."
Beides ist richtig. Denn es ist in der opera comiquc noch mehr Lebenser-
fahrung als Kunsterfahrung, und ein unverbildeter Ton der Unterhaltung
gibt ihr den Reiz einer gewissen mondänen Selbstverständlichkeit, den Fluß
eines Stils, der halb schon gekannte Dinge in eine gern zugestandene und
immer wieder liebenswürdige Konvention bringt.
Je weiter die schönen Novellenbände zurückliegen, desto weniger scheint
uns diese Konvention zu interessieren, die ja im allgemeinen der Erhaltung
des komischen Genres günstiger ist als der des tragischen. Bei einer Auf-
führung des Devin de village 1829 flog schon eine alte Perücke auf die Bühne.
Und der überaus fruchtbare Gretry ist wohl nur mit zwei Werken in unserem
Gedächtnis geblieben: der Geschichte von Blondcl, der als blinder Geiger
mit seiner Romanze ,, Richard Löwenherz" im Gefängnis erkennt und seine
Befreiung und Vereinigung mit Margarete bewirkt, eine Oper voll einfacher
Herzlichkeit, frischer Volkstümlichkeit und mannigfacher dramatischer
Grazie, und dann mit der Komödie der „beiden Geizigen", einem geist-
vollen, rhythmisch sehr belebten und überaus scharmanten Stück, das das
Thema einer Heirat durch List gegen den Geiz mit einer musikalischen Ge-
nialität behandelt, die den Typus beschämt.
Boieldieu arbeitete verhältnismäßig langsam und ersetzte vieles, was ihm
an Eingebung fehlte, durch Anstand und Haltung seines ritterlichen Stils.
Der Johann von Paris ist die erste seiner Geschichten, die man heute
noch bisweilen liest — er widmete sie Gretry. Der als Bürger verstellte
245
Herr zwingt die Prinzessin seiner Liebe, mit ihm in dem Gasthof zu essen,
den er gemietet hat; sie durchschaut ihn und geht auf den Scherz ein; sein
Page Olivier und ihr Seneschall kräuseln die Peripherie dieser Begebenheit,
die eine im Gefühl kühle, im Bau klare, gerade so viel als nötig nuancierte '
Musik färbt, eine einfache Musik, die uns plötzlich einige scharfe Takte
lang ,,tout ä l'amour, tout ä Thonneur, d'un bon Frangais c'est la devise" —
im Ohre bleibt, um dann seitenlang nicht mehr nachzuklingen. Wogegen
die wie ein Satyrspiel dazu gestellte Erzählung vom ,, neuen Gutsherrn",
ein Einakter, der alle Konsequenzen des als Herrn verkleideten Dieners im
Stile der Zeit besingt, durch die altfranzösische Buffonerie und enggebaute
Lustigkeit uns heut noch sehr freundlich, auch in musikalischer Beziehung,
erregen kann. 1812 war Johann von Paris erschienen, 181 8 kam erst das
Rotkäppchen, das nur in der Programm -Ouvertüre Beziehung auf das
Märchen nahm, in der Oper selbst aber der Sage eine Liebesgeschichte
substituierte: von einem Grafen, der, als Hirt verkleidet, sein Rosliebchen
erhält, während sein Konkurrent Rudolph, der in eine Eremitenkutte
schlüpft, sich damit trösten muß, daß sie eigentlich seine Nichte ist. Man
kann nicht sagen, daß die Musik, die von den phantastischen Lizenzen
der Träume und Zauberdekorationen ihren guten Gebrauch macht, sehr
eigen wirkt; es sind wieder nur einzelne Schönheiten, die ihr eine nicht
vergängliche Farbe geben. Aber Boieldieu hatte auch nicht nötig, diesen
für ihn großen Erfolg in die Ewigkeit herüberzunehmen, da ihn die Weiße
Dame sieben Jahre später wirklich unsterblich gemacht zu haben scheint.
Die Popularität dieser Oper gestaltete sich sofort so enorm, daß sich fast
um jede ihrer Nummern eine Legende bildete. Man erzählte, welcher Ge-
lehrte ihm die schottischen Weisen gebracht, wie ihm Adam bei Scribe
die Chorballade des dritten Aktes noch nachträglich besorgt, wie er ihm
auch die halbe Ouvertüre schnell vollendet habe und wie dann schließlich —
eine ganze Omnibuslinie nach der Oper benannt worden sei. In der Tat
hat Boieldieu in diesem Werk seine etwas unpersönliche Persönlichkeit am
besten umrissen. Der ritterliche Grundton, die nicht übertriebene Origi-
nalität, die sich oft künstlich zu helfen weiß, die behagliche Symmetrie bei
aller dramatischen Charakteristik, die flüssige Arbeit und die bedeutende
Ensemblckunst geben der nicht ungefährlichen Geschichte des wieder-
gefundenen Julius, der sein Schloß durch Anna, die weiße Dame, sich selbst
ersteigert, ein sympathisches und eindringliches musikalisches Leben, das sich
dauerhafter bewährte als das Scottsche Tcxtvorbild. Boieldieu veröffentlichte
nur noch eine Oper : die Deux nuits, die bei aller Breite der Melodie und guten
Führung ihre innere Unlebendigkeit sofort bewährte und untergegangen ist.
246
Boicldicu. Lithographie von Grevcdon nach Ricscner 1826
Der Band Isouards ist
heut zurückgestellt. Eine
Heirat durch Geldgewinn
mit harmloser Alusik ohne
Chor — das ist sein einst
gefeiertes Billet de loterie.
Sein Aschenbrödel kehrte
das Los seines Sujets um:
einst gefeiert, versank es in
die Kellerräume der Ge-
schichte, und hätte doch
mit seiner reinlichen, an-
ständigen, zarten, oft et-
was populären, aber doch
besser erzogenen Musik ein
anderes Schicksal verdient.
Das Duett des Prinzen mit
seinem astrologischen Leh-
rer ist von einer klassischen Arbeit und edlen Innerlichkeit; in vielen
Ensembles spricht sich ungewöhnliche Begabung aus. Der Inhalt war das
richtige Märchen von Aschenbrödel, nach allen Seiten ausgeputzt, und die
beiden Schwestern waren dankbare Opernfiguren geworden, indem die eine
das Tanzen, die andere das Singen lernte. Aber vielleicht war der strenge
Ton, in dem Isouard schrieb, für die Dauer nicht geeignet, ein Märchen
populär zu halten, und langweilte die Nachkommen. Isouard selbst hat dieses
Niveau nie wieder erreicht. Im Joconde gibt er sich dem Einfluß Boieldieus
nicht zu seinem Vorteil hin. Er hatte im Grunde nicht das Gallisch-
Tänzerische, das ihn in diesem Kreise hätte durchsetzen können, und mußte
mit seinem etwas altmodischen Musikertum vor dem französischen Esprit
versagen.
Im Buche Herolds wird man sich nur zurechtfinden, wenn man an sein
Leben denkt, das ihm im allzufrühen Tode erst die Ruhe gab. Er ist ein
hastiger Eklektiker, der nicht von Berechnung frei ist und eine Summe von
Talent auf halbgegorene Texte verwendet. Liest man seine Tagebücher,
so glaubt man einen kleinen Meyerbeer vor sich zu haben — so sehr scheint
er zu wissen, woher man es nimmt und wozu man es macht. Aber sieht
man seine Opern, so erkennt man, daß er dies fremde Wissen nicht gemeistert
hat. Man versteht, daß er ein tüchtiger Ballettkomponist war. Drei Stücke
machten seinen Ruhm. „Marie", ein harmloses, idyllisches Werkchen, das in
247
zwölf Monaten die hundertste Aufführung erlebte, was die Weiße Dame
schon in acht Monaten erreichte. Dann der Zampa, der ihn in Deutsch-
land populär machte, die Geschichte eines Räubers, der im Augenblicke,
da er gerade wieder eine Frau unglücklich machen will, von der Statue
einer früheren Geliebten in die Hölle besorgt wird. Die Statuendramatik
verpufft, die Hochzeitsmelodien verfallen ins Triviale, Zartes wechselt mit
der Koloratur, Italienisches mit Gefühlstönen, Rossinische Fortissimorache
mit balladesker Romantik und deutschen Serenadenchören, Bellinische
Duette der Hauptpersonen mit konventionellen Buffonerien der Niederen,
es ist eine Musterkarte von Stilen mit hübschen Liedchen und begabten
Details, aber ohne Physiognomie und Anschauung — die besten Partien
rettete sich die Ouvertüre. Die dritte Oper ist die Schreiberwiese, in Frank-
reich seine populärste. Hier ist etwas von Meyerbeer, was noch nicht „Caval-
leria" geworden ist, und etwas Italienisches, was Aubersche Possen treibt.
Herold sehnte sich nach dem „höheren Genre" — dies ist die Ruine davon,
gewöhnliche Erfindung und bequeme Arbeit, ordinär oft in dankbaren
Situationen, Requisiten beliebter Amüsements, Soldaten, Maskenbälle, Volks-
belustigungen, der Instinkt für die Wehleidigkeit in der freundlich-einsamen
Margarete von Navarra, und die bunte große Szene des Duells um die
Geliebte, beim Gastwirt der Schreiberwiese, in Pariser Lokalkolorit —
die Franzosen haben diese Vorahnung der Hugenotten besser belohnt, als
es die unselbständige Musik verdiente. Sie gingen auf das Drama hinter
der Musik. Aber das Drama konnte ohne die Musik nicht leben. Herold
hatte keine Faust dafür. Er hatte im Buche seiner Kunst nichts als unglück-
liche Liebesabenteuer hinterlassen. Nun ist es vorbei, sein Leben ist ver-
griffen und man lehnt erbarmungslos seine Werke ab, weil sie das Fremde
nutzten, das Kommende ahnten, aber sich selbst nicht fanden.
Auber machte das Experiment mit dem „höheren Genre" glücklicher.
Er setzte seine Stumme vcn Portici gleich außerhalb der Gattung der
Comique, als durchkomponierte, große historische Oper, die wir an ihrem
gehörigen Ort wiederfinden werden. So machte er auch einen ,, Gustav III.",
der durch Verdis Maskenball über denselben Stoff verdrängt werden sollte,
und auch eine romantische Oper Feensee, die nach einem Märchen des.
Musäus die Liebe eines Studenten zu einer Harzfee behandelte, und auch
diese durchkomponierten Opern unterschieden sich gleich äußerlich von der
Comique, da sie keinen Dialog hatten, und kamen dadurch gar nicht in die
Verlegenheit, über ein Genre hinauszuwachsen, das zwar längst nicht
mehr ,, komisch" zu nehmen war, aber doch gewisse leichtere und temporärere
Gefühle verlangte. Das war gut von ihm, daß er die an der komischen Oper
248
Herold. Lithographie von Dupre
geübte Feder nun auch
die tragische Oper schrei-
ben ließ und die inner-
lich schwankenden Grenzen
äußerlich festhielt. Auch
Fra Diavolo schließt eigent-
lich tragisch, iind der Feen-
see eigentlich untragisch,
aber man wußte, woran
man war, und bereitete
der „Stummen" eine Auf-
nahme, die ihre Probe so-
zusagen auf der Bühne
der opera comique be-
standen hatte. Auber war
nicht nur begabter, auch
ein schärferer Kopf als
Herold, er wußte, wo alles
hingehört, und er führte die Trennung in seinen Werken so entschieden
durch, daß er in demselben Augenblick, da er sich entschloß, die Tra-
gödie zur Tragödie zu machen, auch die Komödie tänzerischer und ope-
rettenhafter bedachte, so rücksichtslos, daß ernste Männer wie Wagner
sich damals in Paris die Ohren zuhalten mußten vor den ewigen Galoppaden,
die durch die komische Oper sprengten. Die erste bekanntere der Auber-
schen Opern, der „Schnee", von 1823, die um eine heimliche Schlitten-
fahrt komponiert ist, zeigt von dieser Operette noch gar nichts und ist ein
recht ernstes Kompliment für Rossini. Zwei Jahre darauf mit dem Maurer
und Schlosser findet er seinen bürgerlichen Ton. Daß die Geschichte
der Einmauerung eines Liebespaares und ihrer Rettung durch eben diesen
Maurer an sich sehr interessiert hätte, kann man nicht sagen. Aber die Musik
Aubers gab ihr eine Wärme des Gefühls und eine dramatische Intensität,
daß man sich im Laufe des Stücks gezwungen sah, mit diesen Menschen
zu empfinden und ihre Schicksale mit zu erleben. Rogers Ausruf bei der
Rettung „O Gott, welch ein Augenblick" war einer der ersten jener tief-
melodischen Ausbrüche Aubers, die seine Seele retteten: auf starken Ak-
korden eine rührend bewegte, gesanglich strahlende Phrase, die eine Speziali-
tät dieses Komponisten wurde und der ganzen folgenden Operngeschichte
einen Typ gab. Die klare und zielbewußte Anlage der Melodie und der Har-
monie, die zur rechten Zeit immer so schön auf ihren dramatischen Quart-
249
glp
Fra Diavolo, zweiter Akt. Alte Lithographie.
Sextakkord zu kommen
weiß, ist in dieser Oper
situiert. Die charakte-
ristische Sphäre des ge-
fühlvollen Liebespaa-
res , die rhythmische
Buffonerie des edlen
Roger und des lustigen
Baptiste, die niedere
Komik der türkischen
Sklaven, die spöttische Ironie der Intrigantin, die ganze Skala musikalischer
Farben^von der Romanze bis zum Tänzchen, alles das sprang aus dem Stoff
mit solcher vergnüglichen Buntheit hervor, daß sich das Drama bis an den
Rand füllte. Es ist Zeit, die ,, große" Oper abzusetzen: die ,, Stumme" da-
tiert von 1828. Im nächsten Jahre folgt das bürgerliche Pendant zum !\Ia(;on:
die Fiancee, und 1830 entsteht das ungemischte Bekenntnis des komischen
Genres, die Krone dieser ganzen Gattung: Fra Diavolo. Fra Diavolo ist das
Entzückendste, was der französische musikalische Geist hervorgebracht hat,
auf einem lustigen Text eine Musik von solcher beweglichen Anmut,
genialen Liebenswürdigkeit und unbeschränkten Laune, so reich an Ein-
fällen, so harmlos vergnügungssüchtig und so chevaleresk weltläufig —
es ist der lachende Sieg einer fein geführten und doch temperament-
vollen Kunst über das Nichts von Inhalt. Die Gefangennahme eines
ritterlichen Räubers wird durch die reizende Lokalisierung im Gasthaus
von Terracina, durch all die Engländer, Kumpane, Soldaten und Mädel,
die sich da herumstellen, in eine Folge von Situationen gebracht, die sich
dankbarer und abwechselnder nicht erfinden lassen. Aubers musikalisches
Genie, diese nie verlegene und immer gutgestimmte Leichtigkeit der melo-
dischen Erfindung und dramatischen Rhythmik bekennt sich hier offen zur
Moral des Tanzes : die Technik des Couplets, die Disposition der Ensembles,
die Finalestrettas verraten dieselbe Sinnlichkeit, die in mancher lyrischen
Szene noch versteckt liegt, frei an die Instinkte des Publikums, daß endlich
der französische Tanz, solange eine Parallele in der Oper, ihr Nerv und ihr
Tempo wird. Und blättern wir im Buche Aubers weiter, so finden wir kaum
noch etwas anderes als die Ablagerung und Zuspitzung hier gegebener
Elemente. Der „Gott und die Bajadere" nimmt den Stoff aus dem Goethe-
schen Gedicht, die stumme Hauptrolle aus einer anderen „Stummen"
und schüttet eine mäßig gelungene Fülle von Operettenmusik über das Thema
der Erlösung eines niedergestiegenen Gottes durch ein reines und treues Weib,
250
Allbor. Lithographie von Planta 1S32
das einer ernsteren Behand-
lung vorbehalten war. Der
indische Klingklang wird
chinesischer Khngklang in
der Geschichte vom Ehernen
Pferd, das uns unter die
Blumenmädchen des Venus-
sterns trägt : wer dort nicht
liebt, darf bleiben, und wer
nicht bleibt, darf nicht aus-
plaudern, und wer plaudert,
wird eine Pagode — immer-
hin eine verschämte Ope-
rette von soviel Anmut und
Musik, daß Humperdinck
sich zu ihrer Bearbeitung
entschloß, flotte Prinzenlie-
der, frivole Gebetsglöckchen,
Trost im Tanze und Pferde-
fliege-Ensembles im Cancan-
takt. Eine noblere Konversationsnote tönt aus dem ,, Schwarzen Domino",
Maskenfest, heimliche Liebe, aragonische Verkleidung, Tanz und Leier
in Einem, die glänzend bewegten Angelacouplets, freche Walzer und
Galoppchöre, verfeinerte Koloratur und geistvolles Sentiment und — sehr,
sehr viel Charme. Die letzte elegantere Regung war Des Teufels An-
teil, die einige der subtilsten Seiten seiner ganzen Opernproduktion
zeigt, eine starke Ausdruckswahrheit im Rezitativischen, ein glänzendes
zweites Finale und eine ungeschwächte Liederfindung. Man wird es musi-
kalisch zu seinen glücklichsten Stücken rechnen müssen. Dann — er lebte
und komponierte" noch achtundzwanzig Jahre — versiegt die Kraft, die
Miene wird kalt, und die Posse des Tanzes grinst uns an, ohne inneres
Leben. In seinen letzten Tagen sitzt er und schreibt Streichquartette.
Bei seinem Lehrer Cherubini waren sie die Heimat gewesen, bei ihm sind
sie die Zuflucht.
Die meisterliche Gene, die immer noch in Aubers Schaffen lag, kümmerte
Adam wenig. Adam ist das leichtsinnigste Tierchen in dieser vergnügten
Menagerie und rühmt sich, nichts zu wollen, als schnell verständhche
und amüsante Musik. Sein Chalet schreibt er in zwei Wochen, die Giselle
in drei, den Toreador und Si j'etais roi in acht. Und dieses Chalet wurde
sein erster Triumph, so beliebt in Paris wie die Weiße Dame und die
Schreiberwiese. Das war ein merkwürdiges Schiclcsal von Goethes „Jery
und Bätely", das von Kayser bis zur Frau von Bronsart so viele kom-
poniert haben, ohne von sich reden zu machen. Scribe wußte, was er tat.
Er überließ Goethe den spitzeren Dialog, die feinere Schattierung und machte
für sich daraus ein viel wirksameres und bewegteres Drama : der unerkannte
Bruder simuliert eine Plünderung, damit seine widerspenstige Schwester
vor ihrem Daniel Schutz sucht und ihn nimmt. Es hat wenig Texte ge-
geben, die reizendere Situationen ergaben, und eben dies wirkte auf die Pari-
ser, während uns Deutsche die Musik nicht sonderlich aufregte. Der Bruder,
seine Erkennung, die Soldatengeschichten sind Scribes Korrektur an Goethe,
durch die er ihm damals den ersten wahren Erfolg seines Singspiels sicherte.
Was Adam dazu machte, waren frische Lieder und rührende Ritardandos,
in einer angenehmen Mischung und einem lustigen Bau, der ein Liebesbe-
kenntnis tapfer in einen Operettentanz auslaufen läßt. Dieser ölige Mecha-
nismus einer leichten Erfindung, die flotte Beweglichkeit der Szene, das
natürliche Temperament der musikalischen Entwicklung, das Glatte, Freund-
liche und Eingehende bleiben seine Tugenden in der ganzen großen Pro-
duktion. Mal schreibt er für England eine Oper, mal macht er für die Tag-
lioni das Donauweibchen oder die Giselle (sehr hübsche, dankbare, stumme
Opern), mal bearbeitet er — man beginnt seine Jugend zu lieben — Gretry
und Monsigny, daß Wagner sich wieder die Ohren zuhält, unermüdlich
läuft die schreibfreudige Feder. Manche seiner Werkchen belebt man immer
wieder von Zeit zu Zeit, aber der Postillon überflügelt sie doch. Gewiß,
im Postillon von Lonjumeau kommen seine Qualitäten am besten heraus.
Die nette Symmetrie, die witzigen Repliken, die fheßende LTnterhaltung,
die kleinen ausdrucksvollen Soli, die farbigen Ensembles, die Parodie auf die
Heiserkeit und der Triumph des Gesanges, die tänzerischen Refrains dieser
ganzen Geschichte, die so dankbar zwischen den Milieus einer Post und einer
Oper spielt und die Gefahren einer Bigamie auskostet, die nur eine verklei-
dete Monogamie ist, das ist frisch und amüsant und kapriziös, und man hört
es heute noch mit Vergnügen, nachdem der gute alte Wachtel es hierzu-
lande so oft gepeitscht und gesungen hat. Am Stoffe mag es liegen, daß man
seine „Giralda" schneller vergaß. Es ist ein bühnenunmögliches Quiproquo
von Verliebnissen. Aber bei aller Operettenhaftigkeit, die sich in gewohnter
Weise gern durch langsame Schlüsse kaschiert, ist dieses Stück voll von drama-
tischer Musik, wirklich durch und durch lebendig, gefühlvoll, rhythmisch
scharf bis zum Distichon, melodisch oft an der Grenze von Verdi, bunt
abgesetzt in den Charakteren des polonäsenvergnügten Königs und der
252
Adam. Lithographie von Bry
choralfrommen Königin und des
Müllers Gines, freilich wie die mei-
sten dieser Opern eine Stilmischung
von der Großkoloraturarie bis zum
ländlichen Pastorale, aber als musi-
kalische Lektüre, Blatt nach Blatt,
von unwiderstehlicher Stimulanz.
Adam hat immer noch genug alt-
bürgerlichen Fond und künstlerische
Substanz, um sich nicht offen zur
Operette entschließen zu können,
die in seinen Stücken wie eine ge-
heime Begierde zuckt. Manchmal
wünscht man es ihm. Sein Fidele
berger, eine Konditorgeschichte mit
Handschuhen, Parfüm und fidelem
Gefängnis, fiel durch. Adam schob
das auf ein Komplott der Zucker-
bäcker. Die Musik ist nicht schlechter als eine andere. Hätte er eine unge-
nierte Operette daraus gemacht und den Schritt nach links ebenso fest getan
wie Auber mit seinen heroischen Opern den Schritt nach rechts, so hätte
er auch diese Partie gewonnen.
Das letzte Bändchen, das wir aus dieser zierlichen Bibliothek nehmen,
heißt Flotow. Man muß Flotow studieren, wenn man von den Franzosen
kommt, nicht von den Deutschen. Dann versteht man, daß die Schule der
Pariser Grazie hier einem tief sentimentalen Gemüt und einem hellen musi-
kalischen Auge eine Form gab, die ihm einen Welterfolg garantieren mußte,
so glücklich mischte sich Instinkt und Konvention. In ihrer Art ist ,, Martha"
ein Muster der Zeit. Eine Plastik der Szene ist darin, eine Präzision der musi-
kahschen Erfindung im Tanzchor, in der Buffonerie, in der Romanze und im
volkstümlichen Schmelz des Liedes, daß sie baulich so fest zusammenhält
wie keine zweite Oper dieser Epoche. Scharf geschnitten und fest gefügt
sitzt da jeder Stein. Wir sind heut so gewohnt, von unserer späteren großen
deutschen Oper her, über diese Geschichte der Herrin als Magd aus Richmond
•zu lächeln, daß wir ihre Popularität mit Banalität verwechseln. Sie ist nicht
banaler als eine andere, aber sie ist technisch ein Meisterwerk. Ein gewisser
Bodensatz an deutscher GefühlsseHgkeit soll zugestanden werden, es fehlt
der letzte spritzende Schaum der echten Comique, aber ein Musiker hat
.es geschrieben, der seine Leute kannte und seine Kunst verstand, kein Genie
253
wie Auber, kein Windhund wie Adam, doch glücklicher als aUe Boieldieus,
Herolds und Isouards. Es kam etwas spät, in Wien 1847, aber Schlußsteine
kommen eben zuletzt. Drei Jahre vorher war sein StradeUa über die
Hamburger Bühne gegangen, dieser gute Griff nach einem Stoff, der seine
Oper schon in sich trug, in seiner Trinklustigkeit, Mörderspaßigkeit und
Gebetsseligkeit äußerst bewegt und spannend, aber mehr malerisch fein-
sinnig und in der Struktur zu zärtlich, um auf die Dauer die unmittelbare
Wirkung der Martha erreichen zu können. Ich weiß, ich werde die
Martha wieder vergessen und werde das Niveau Flotows wieder herunter-
drücken und sein Fleisch vom Geiste her mißbilligen, aber so im Zusammen-
hange dieser alten vergilbten Geschichten mußte ich ihm diese Gerechtig-
keit widerfahren lassen. Höre ich ihn, gleite ich im angenehmen Gefühl
einer immer willkommenen Schmökrigkeit gern in die Erinnerungen der
Jugend zurück; höre ich ihn nicht, kenne ich ihn auch nicht. Was so wirkte,
mußte auch etwas sein. Wie w^enig sonst war, genügt ein Blick auf die ,,Indra",
die eine Zeitlang von sich reden machte. Diese Rettung des großen Camoens
durch die vogelliebesliedersingende kleine Indierin hat eine einzige gelungene
Szene: das Duett über die Zigarette, eine Nebensache. In der Hauptsache
bedeutet die Anwendung des französischen Tons auf solche verzweifelten
Vorgänge ein Fiasko des Geschmacks und enthüllt die Gemeinheit.
Die Details
SO habe ich einige der Werke aus dieser unermeßlichen Produktion der
Comique genannt und das Verhältnis der Autoren zu ihnen beschrieben
— unser eigenes Verhältnis ist verschieden, je nachdem wir sie hören oder
über sie berichten. Sie zu hören ist ein leichter fließender Genuß ohne
viel Rechenschaft und Gewissen, sie zu beurteilen ist Sache einer weit-
sichtigen Kritik und eines typischen Kulturgefühls. Man analysiert sie nicht
wie den Figaro oder Fidelio, das würde ihnen schaden; man überlegt
sich ihre Gemeinsamkeiten, ihre Kunst, ihren besonderen Reiz, ihre Tech-
nik, ihren Erfolg und ihre Wirkung und hebt ihre gleichen Züge aus den
Erinnerungen an ihr angenehmes Geplauder heraus. Dieses sind dann die
Gründe, warum sie den Menschen licbhch gewesen und warum ihr Bild
in der Geschichte der Oper fest geblieben ist.
Alle diese Stücke versuchten zunächst auf eine gefälHge Art sich einzu-
leiten, die nicht zu ernste Anforderungen stellt. Gretrys Porzellanouvertüre
zu den Geizigen, die noch ein wenig klassizisierenden Ouvertüren Isouards
254
--w^.
haben Haltung. Später nimmt
man es leichter und, wenn man
sich nicht mit kurzen Ein-
leitungen begnügt, wie im
Postillon, macht man einfach
nette Potpourris aus Melo-
dien der Oper selbst oder auch
fremden hübschen Melodien,
die man nach der zunehmen-
den Schnelligkeit ordnet. Das
ergibt ein schmackhaftes Hors
d'oeuvre, man kitzelt die
Tanzsinne, man stellt seine
Tempi ein und hat zu guter
Letzt ein Konzertstück, das
die Perlen der Oper anein-
anderreiht und der Nachwelt
als schmuckes Andenken über-
liefert.
Das schmucke Orchester
ist eine der Lebensbedingun-
gen dieser Oper. Es hat der
Bühne die schwingende At-
mosphäre zu geben, deren sie bedarf, um ihre Ereignisse in ein durchsichtiges
Milieu von Luft und Licht zu stellen. Es quirlt und sprudelt und hüpft und
steht, kichert, spottet, blitzt und schlägt mit aller Grazie und Feinheit des
Details, in dauernder Beweglichkeit der Streicher, angeregtester Korrespon-
sion der niedHchen Holzbläser und soldatesker Fröhhchkeit des Blechs. Die
Partitur gleicht einem zarten Gewebe aus bunten Fäden, die in kluger Be-
rechnung akkordliche Grundlinien durch den Einschlag melodischen Zaubers
lockern und die Rhythmik der Figur durch eine unermüdliche spielende Farbig-
keit beleben. Keiner scheint hinter dem andern zurückzustehen, sie alle haben
diese laufende und spritzende Technik, die ein natürliches Erbe der Schule
ist und wie automatisch in den Fingern sitzt. Alles, was Farbe und Klang
gibt, wird herangezogen, die Orgel für die Gebetsangelegenheiten, die
Harfe für die Feenmärchen, das Piston für die Soloromantik, Gitarre und
Mandoline für die Ständchen, am liebsten die Glocken, Glocken in jeder
Fasson, im Ehernen Pferd, in den Deux nuits, im Pre aux clercs, im Postillon,
im Chalet, in Stradella, Chinesenglöckchen und Eremitenglöckchen, Schlitten-
^^^T
Flotow. Lithographie von Krichubcr 1S47
255
glocken, Herdeglocken, Trauungsglocken, Gebetsglocken und Uhrglocken,
die sich enharmonisch verwandeln. Bisweilen macht man auch kleine Ex-
perimente, wie Herold in der Schreiberwiese einmal Bratschen und Celli
auf der vierten Saite einen halben Ton tiefer stimmt, um das unterste H
zu erreichen und dem ganzen Stück l'heure nous appelle einen eigen-
tümlichen klagenden Charakter zu geben. Ja, man ist raffiniert geworden
gegen die alte Partitur Rousseaus, die, wenn sie sich nicht mit dem General-
baß begnügt, nur einige Systeme von Streichern enthält und die Bläser
dahineinschreibt, parallel zu einer Streicherstimme oder gar einmal besonders
und solo. Welcher Weg zu dem Klarinettensolo der Madeleine, dem
Violoncello unter ihrer einsamen Klage, dem Hornsolo ihres Postillons.
Jedes Instrumentchen ist im Chor dieser fiebernden Gesellschaft auf seine
kleine Individualität bedacht und versteht reizend seine Geheimnisse aus-
zuplaudern, bis das klang- und spielfrohe Ensemble es wieder an die Pflichten
der Gruppenbildung erinnert. Dann füllen die Bläser bescheiden die Har-
monien, auf denen sich die Pizzikatostreicher amüsieren, oder zwei Trom-
peten alternieren höchst kriegerisch auf den Stößen der Posaunen und
Pauken, die es bis zur Dreizahl bringen, das Pikkolo setzt dem Tutti sein
Licht auf, die vier Hörner halten mit großer Sachlichkeit ihre selbstbewußte
Mittelstimme, die beiden Trommeln, Becken, Triangel schlagen ihren
süffisanten Takt, aber nur nicht zu lange, nur nicht zu viel Lärm, damit
die Singstimme ihr schönes Lied in reiner Luft musizieren kann, und schon
findet sich wieder eine Oboe, die ihr nachmacht, eine Klarinette, die die
zweite Hälfte ihrer Periode mitsingt, ach diese Instrumente sind so teil-
nehmend und so redselig, aber sie haben sehr gute Manieren und sind Cau-
seure, würdig einer so unterhaltsamen Kunst.
Alles hat hier so gute Manieren, und die musikalische Bühne wird von einem
Stilgefühl beherrscht, das das Zeichen einer vortrefflichen Erziehung ist. Die
Franzosen haben drei Interessen an der Oper, das sprachliche, das szenische und
das rhythmische. Das Sprachliche hatten sie in ihrer ersten Nationaloper genü-
. gend befriedigt, in der deklamatorischen Oper des Klassizismus. Jetzt, in dieser
zweiten Nationaloper, die eine Volksoper war, kommen die beiden anderen
Interessen erst zu ihrer rechten Erledigung : je mehr der große Sprechdialog ge-
stattet ist, desto mehr bilden sie an der Szene und am Rhythmus, die die Musik
auf die Beine stellen und dann auch springen lassen. Das war die wichtige Arbeit,
die fruchtbare Anregung und auch das notwendige Ende. Es war eine künst-
lerische Konsequenz mit allen Vorzügen und Nachteilen der Einseitigkeit.
Sehen wir uns um. Die Liebesduette sind es nicht^so sehr, die das Neue
dieser Opern darstellen. Reizend verkehren Roger und Henriette mitein-
256
Karl Walser: Figurinen zum zweiten Akt „Hoffmanns Erzählungen'*
ander, Massarena und Angela wenden alle rhythmische Vielfältigkeit auf,
Rafael und Casilda glühen in wunderbarer Leidenschaft, Johann von Paris
und die Prinzessin necken sich ganz allerliebst, George Brown und seine
Anna finden bei aller Symmetrie ihrer Geständnisse einen hohen dramati-
schen Ausdruck, aber diese Szenen sind es nicht, die das musikalische Inter-
esse konzentrieren. Auch nicht die Spottszenen, die typisch wiederkehren
und deren Muster die Gesangsgavotte der Madame Bertrand im Maurer
und Schlosser geblieben ist. Nein, es sind die großen und kleinen drama-
tischen Situationen in vielen Figuren, die das Drama einknüpfenden oder
auslösenden Ensembleszenen, in denen sich Technik und Charakter dieser
Opern unerreicht darstellt. Das melodiös federnde Terzett des Blondel
mit den beiden Dienern der Gräfin im Richard Löwenherz, das ergötz-
liche Terzett der beiden Mädchen mit dem Jermis, der im Eimer in den
Brunnen gelassen wird, in den „Geizigen", so sind die Vorbilder dieser
Stücke, die weit über alle Überlieferung der Buffooper hinausgehen. Bei
den späteren Meistern verdichten sie sich zu vollendeten knappen Dramen
im Drama, ihre musikalischen Knotenpunkte und Zellengewebe. Im Fra
Diavolo nach der virtuosen ZerHnenarie das Terzett mit dem müden Mylord,
der ein so feines schläfriges Thema bekommen hat, und dann die große
Schlafszene mit ihrem Gebet und den drei lauschenden Räubern und den
rettenden Soldaten und allen lächelnden Mißverständnissen: es ist heute
noch unerreicht in der launigen und aparten, im Detail ungewöhnlichen
Behandlung einer Folge von Ensembles, technisch souverän, musikalisch
geistvoll, in der Stimmung eng geschlossen und auf den rechten Ton gebracht.
Der rechte Ton, diese geheime Musik eines unsichtbaren Stimmungshinter-
grundes, das musikalische Milieu der Szene ist der Erfolg solcher Stücke,
ihre gute Arbeit ihr Wert. Eine Szene aus Aubers Duc d'Olonne: der Herzog
kommt mit seiner ungekannten Frau, die als Scholar verkleidet ist, zusammen,
eine graziöse Unterhaltung entwickelt sich, von seiner Seite fesch, von ihrer
ängstlich, Rauchdn, Beten, Schlafen — leichte Melodien eines in die Ferne
gerückten Lebensschicksals ziehen durch die Luft, in die sich die Konver-
sation wie unter dem Druck der augenblicklichen dramatischen Notwendig-
keit rhythmisch hineinlegt. Dramatisches und Melodisches erscheint getrennt
in dem großen Vcrstcigerungsensemble der Weißen Dame: in der Mitte
steht das melodische Soloseptett mit Chor, wundervoll aus der Situation
gebildet, ringsherum läuft in einem Guß die dramatische Szene, die Lebens-
frage für alle Beteihgten, organisch in alle Charaktere ausstrahlend, harmo-
nisch, rhythmisch in meisterlicher Steigerung fortgeführt. Plötzlich aus
ihrem tragischen Dunkel steigt die katastrophale Szene der Schreiberwiese
257 .7
hervor: die Häscher würfeln, während hinten der Zweikampf vor sich geht,
ein Boot kommt mit einer Leiche — ist er tot ? Bewegt sich noch sein Herz ?
Wer von beiden ist tot ? Schließlich stürzt Mergy hervor und umarmt,
mitten im unschuldigsten Tanzfeste, seine Isabella. Der italienische Inten-
dant, der auch in dieser Oper intrigiert, hätte die Szene nicht so wirksam
stellen können. Nach seiner Art wäre mehr Grisars ,,Bon Soir, Monsieur
Pantalon" gewesen, eine delikate und zierliche Buffomusik in bester italienisch-
französischer Mischung, das einzige Werk, das diesen Autor heut noch leben
läßt und von allen typischen und dankbaren Schlafszcnen jedenfalls die
spaßigste enthält. Adams Szenen sind nicht so saubere Faktur wie Auber,
nicht so klar wie Boieldieu oder so romantisch wie Herold, aber sie sind
griffig und eindringlich, am stärksten das erste Postillonfinale, die breite,
vom Cello verflochtene Melodie, in der er sein Weibchen verläßt, der Walzer,
in dem der zukünftige Tenor vom Intendanten entführt wird, die Chorfuge
der nächtigen Bauern, die schöne Einsamkeit der Madeleine. Oder das
Terzett ,, Gehenkt" mit der reizenden Rhythmik der erschreckten Ent-
deckten. Oder im Toreador das spaßhafte Terzett des Ehedreiecks, das in
philosophischem Stumpfsinn nichts tut als ein altes Lied variieren, vokali-
sierend, baßbrummend, flötend. Oder das Terzett in Giralda : der König
als Manuel wie vorher Manuel als Gines kreuz und quer Jäger des gehetzten
Mädchens, ein rapides andeutendes Spiel im Finstern. Oder weiter im
dritten Akt das Quintett, wo alle Mitsingenden über die Vorgänge schweigen
müssen, und nun musizieren sie in seligen Walzern nur Interjektionen. Auch
der Flotowschen Ensembles nicht zu vergessen : das anmutige Quartett,
in dem sich die Lady und Nancy auf dem Markte an ihre Zukünftigen als
Mägde verdingen, symmetrisch im symmetrischen Chor, ein Kompliment
der Dramatik an den Rhythmus, und als Gegenstück, ein Kompliment des
Rhythmus an die Dramatik, die großen Stradellaszenen, da die gedungenen
Bravi erst im taktfreudigen Humor des Trinkens den bestellten Mord für
unangebracht erklären, um dann im nächsten Finale, trotz erhöhten Hono-
rars sein Jungfrau-Maria-Gebet so rührend zu finden, daß sie endgültig
an ihrem Beruf verzweifeln müssen. Szene an Szene steht in diesen Stücken,
jede in ihrer Art und in der Art ihres Autors den gesellschaftlichen Mittel-
punkt der Oper bildend, das wohlgefügte Ensemble ihrer dramatischen
Unterhaltungsgabc.
Die Musik selbst kann sich ihrer szenischen Mitwirkung nicht mehr
cntschlagen, sie will nicht bloß spielen, sie will tätig sein, und das ist ihr
in der Folge sehr gut bekommen. Musik ist es, durch die Blondel den Richard
L(')wenherz erkennt und befreit, Musik, durch die Carlo Broschi in Des Teufels
258
Die beiden Schwestern Grisi. Lithographie von Deveria 183J
Anteil das Herz des Königs gewinnt, zur Musik wird der Postillon von
Lonjumeau berufen, die Musik Stradellas rührt die Mörder, Musik ist
das Erkennungszeichen der Retter und Geretteten im Maurer und Schlosser,
durch Musik zieht die Aubersche „Sirene" ihre Netze, in der Parodie von
Musik, von Zerlincns Nachtliedchen, verraten sich die famosen Kumpane
Fra Diavülos. Überall Musik in Musik. Dieser ganzen Operngattung ist
es eigentümlich, die Musik in ihrer Wirkung auf Menschen dramatisch
einzustellen, in ihrer Verwendung Einheiten zu bilden, Erinnerungen,
Zitate, Erfüllungen. Die Zwischenakte und die Melodramen wiederholen,
schon bei Monsigny, hübsche und wichtige Stücke im Orchester, die man
259 .7*
eben auf der Bühne gehört hat. Szenenmotivisches geht durch die Akte
hindurch, in vielfacher Beziehung. Roger zitiert sein Liebesduett, wenn er
von der Hochzeit spricht. Die überirdischen Motive in Feensee, die Statuen-
akkorde in Zampa, das wiegende Schlafmotiv in der großen Szene Georges
in Halevys Blitz, die Phrase auf den „Herrn im Haus" im Johann von Paris
sind solche Proben des Leitmotivs. Es sind Kleinigkeiten, aber Zeichen
eines erwachenden musikdramatischen Bewußtseins. Noch ist es nicht
immer selbstverständlich. „Liebe und Geheimnis" heißen die Erkennungs-
worte zwischen dem Liebespaar in Adams Giralda : aber sie wiederholen
nur die Worte, wenn es darauf ankommt, nicht die Musik. Wie altmodisch.
„Einfachheit," Mut und Treue" ist die Devise des Isouardschen Aschen-
brödels: aber bei der Wiederkehr erinnert sie sich sofort auch der gleichen
Musik. Das ist recht von ihr! Es sind ja noch nicht Wagnersche Leitmotive
auf Personen, die sich hier zeigen, es sind szenische Motive, die die Einheit
des Dramas betonen. Nichts arbeitet für diesen Zweck besser als die über
alles seliebte balladeske Romanze. Sie scheint geradezu zur Existenz einer
opera comique notwendig zu sein, bei all den kleinen durchlaufenden Be-
gleitungsmelodien ihre eigentliche Liedsubstanz, ihr motivisches Zentrum,
ihr Halt und Signal in allen Fährlichkeiten des Dramas. Der französische
Charakter findet in ihrer dramatisch belebten Lyrik und ihrer lyrisch .ver-
klärten Dramatik eine treffliche INIischung der beiden Seiten seines Tem-
peraments. Bis weit in die Sentaballade und hinüber hat sie auf die Opern-
form gewirkt und hat in ihrer schön gereimten und sinnfälligen Melodie
den Gesangston dieser Gattung merklicher beeinflußt, als irgendein Lieder-
typ einer anderen Nation. Die Löwenherzromanze, Carlo Broschis Wiegen-
lied, das Listlied in der Auberschen Sirene, das Fra Diavolo-Lied, das Hand-
werkerlied im Maurer und Schlosser, die Ballade von der Weißen Dame,
das Postillonlied und die letzte Rose — rote Fäden sind es, die durch ihre
Opern gehen, der Buntheit ihren Grundton geben und dem Gewebe seine
Festigkeit. An ihnen haftet alle Popularität, und sie ziehen die Motive
der Oper noch von der Bühne in die Salone und wer weiß in welche Herzen
ferner und träumerischer Menschen.
Aber die französische Musik hat nicht bloß szenische Pflichten, auch
rhythmische. Und mit ihnen rührt sie nicht mehr die Herzen, sondern jene
sensiblen taktfrolien Nerven, die zu tanzen wissen auch ohne Ballsaal, zu
tanzen im Schwünge eines leichtsinnigen Gefühls und einer akrobatischen
Moral, zu tanzen selbst gegen die Wahrscheinlichkeit der Szene, bis die ganze
Welt zum Konter wird und alle Geheimnisse in einem Couplet sich aus-
lösen. Mag die große B-Dur-Arie Rogers noch so prächtig und begeisterungs-
260
voll sein, George Browns Kavatine noch so verführerisch, Lyoneis „ach so
frommes" Geständnis noch so schmelzend, in den Spinnromanzen der Mar-
garete, diesen volkstümlich gebundenen, süß ausklingenden Liedchen,
die sich Boicldieu noch auf sein Grab wünschte, liegt ein größerer Zauber,
eine galante Rhythmik, die uns nicht ruhen läßt. Nehmt die alten Savoyarden-
lieder aus Dalayracs Opern, diese reizend naiven Tanzstückchen zu Leier
und Murmeltier, nehmt alle Jagd- and Trink- und Schnee- und Soldaten-
lieder, meinetwegen die besten aus dem sonst so ordinären Eremitenglöck-
chen Maillarts, und laßt euch die fremden A'Iusiken vormachen, Gretrys
Janitscharenmärsche, Aubersche Kölner Studentenfeste und die schottischen
Weisen bei Boieldicu, das feurige Aragonenrondo im Schwarzen Domino,
die vielen Barkarolen in Fra Diavolo, in Zampa, in Stradella : da springt
etwas, was nicht zu halten ist, es will tanzen, langsam tanzen, schnell tanzen,
in Tönen tanzen, schließlich in Körpern tanzen, Tanzlieder singen, Lieder-
tänze aufführen, man betet zu Walzern, liebt im Galopp, polkat zum Adieu
und alles, was uns erregt und beschäftigt, entzweit und versöhnt, wird zu-
letzt eine Tanzfinale, geht in die Beine und überschlägt sich. Tanzen nicht
die beiden Geizigen Gretrys ihre Habsucht in ihren Duetten, tanzen nicht
Maurer und Schlosser ihre Redlichkeit in Rhythmen von taktiertet Arbeit,
tanzen nicht Stradellas Mörder ihre Heimlichkeit in huschigen Poussaden
und Promenaden, und der ganze Markt der Martha — ist er nijcht der
exerzierteste Chor, das formalste Tanzbild dieser gesamten vergnügten
Epoche, das munterste Ballett von Stimmen? Rotkäppchen und Aschen-
brödel, setzt die Füße in die fünfte Position und macht euren pas de deux.
Richard Löwenherz, was hilft es, engagiere schnell deine Margarete zu einer
Allemande. George Brown, du wirst mir nicht zürnen, wenn ich dich mit
einer weißen Dame und einer anderen Marmorbraut den Saltomortale
machen lasse. Postillon von Lonjumeau, deine Heimat weiß nichts von dir,
als daß du einen neuen Kutschergalopp erfunden hast. Angela, vergiß den
Domino nicht, wenn du heut abend zu uns auf die Schreiberwiese gehst,
denn alle Häscher Mergys und Räuber Zerlinens und Mörder Stradellas
werden zusammen einen Cancan drehen, daß ihr des Teufels Anteil in euren
Gliedern spürt. Letzte Rose, wie magst du so einsam hier blühn ? Ach,
welche Lust, Soldat zu sein. Nur Courage, nicht verzage, treue Freunde
sind dir nah — da tut sich die Tür auf, und Offenbach begrüßt uns.
261
Offcubach
ICH bin ein Jude aus Köln. Mein Vater hieß Juda Eberscht. Ich habe
das Cellospielen gelernt und dieser Jugenderinnerung in einer berühmten
Barkarole ein Denkmal gesetzt, über die ich leider sterben sollte. Ich hei-
ratete die Tochter eines spanischen Karlistenführers, und dies ist das ein-
zige Operettenhafte, was ich in meinem Leben geleistet habe. Zuerst machte
ich für Houssaye im Theätre frangais Zwischenaktsmusik, dann gründete
ich ein eigenes Theater, das ich Bouffes Parisiennes taufte. Man nannte
es scherzend die Bonbonniere, aber diese Bonbonniere wurde sehr voll, und
ich versetzte sie bald Von den Champs-Elysees nach der Passage Choiseul.
Es war guter Ton, zu mir zu pilgern, obwohl der Gottesdienst, den ich mir
für mein Genie eingerichtet hatte, nur von wenigen Personen ministriert
wurde. Ich durfte nach obrigkeitlichem Befehl nicht mehr als vier Figuren
auftreten lassen. Als ich einmal eine fünfte brauchte, ließ ich ihr von den
Sarazenen die Zunge ausreißen und sie als Stumme 'von Offenbach durch
geschriebene Zettel sich verständigen. Ich hatte damit einen großen Succes.
Endlich entschloß ich mich, mit diesen armseligen Verhältnissen zu brechen,
verfaßte den Orpheus und wurde der Beglücker der Menschheit. Peri hatte
mit seinem Orpheus die Geschichte der Oper begonnen, Monteverdi mit
seinem Orpheus die moderne Oper eingeleitet, Gluck mit seinem Orpheus
die große Reform vollbracht, und ich habe mit meinem Orpheus die vierte
weltgeschichtliche Epoche angefangen, in der wir uns jetzt so wohl be-
finden. Von diesem Zeitpunkt an organisierte ich einen Weltbetrieb und
Europas Theater wurden mir Untertan. Noch einmal versuchte ich es mit
einem eigenen Unternehmen, aber das Gaite machte seinem Namen wenig
Ehre. Ich reiste nach Amerika, ich inszenierte meine Stücke auf den ver-
schiedensten Bühnen beider Hemisphären, ich bekannte mich zu Pracht,
Ausstattung und Ballett, ich schrieb 102 Operetten, ich machte Geschäfte
und Bankerotte, hatte Erfolge und Durchfälle, aber ich habe die moderne
Zeit begriffen und ihr gegeben, was sie wünschte. Mein Name sei gelobt.
Man bewundert — erlauben Sie, daß ich mich setze — meine Einakter,
die nichts weiter sind als kleine opcra comiques im Stile einer Kunst, die ich
in meiner Jugend um mich ihr gefälliges Wesen breiten sah. Ich habe die
größte Abwechslung hineingebracht. ,,Fortunios Lied" ist eine jener süßen
Romanzen, mit denen wir Jünglinge die Herzen der Damen gewannen.
Ich komponierte sie einst für ein Stück von Musset auf dem Theätre fran^ais.
Sie wurde vergessen und blich unter meinen Papieren versteckt. Als ich
sie wieder hervorholte, ergab eben dieses Schicksal das Sujet meines Stücks.
262
Ein Pedant und Büromensch hat
sie einst in seiner Jugend erfunden,
da er noch ein feuriger Draufgänger
war, jetzt ist sie vergessen, aber im
Staube der Akten hat ihre Zauber-
macht auf die weibUchen Gemüter
nicht nachgelassen, einer seiner
Schreiber, ein jugendlicher Sänger,
findet sie und verführt damit die
Frau dessen, der sie einst kompo-
nierte. Verstehen Sie ? Ich liebe
dieses Stück sehr, ich liebe es, weil
es ein Stück meiner selbst war, und
ich freute mich, die Untreue einer
französischen Romanze besingen zu
können, nachdem meine Kollegen so
oft ihre Treue besungen hatten. Man
muß sich verkleiden können, meine
Herrschaften. Wie in meinem Mon-
sieur et Madame Denis ein junges
herziges Ausreißerpaar sich dadurch
vor den Nachstellungen rettet, daß es in die Kleider eines alten Onkel- und
Tantenpaares kriecht, denen kein Mensch mehr etwas tut, so muß man
seine Spaße und Launen nur in die konventionellen Kleider stecken, und
jedermann belobt sie. Dafür haben die Denis auch meine schönsten Walzer
bekommen. Angelus, Angelus singen sie im kanonischen Quartett der „Ver-
lobung bei der Laterne". So etwas mache ich wie ein Dompfaff. Haha!
„Hanni weint, und Hansi lacht" und ,, Fritzchen und Lieschen" weinen
und lachen auch, nicht wahr, wie bieder ist das, der reine Biedermeier. Und
die gute alte biedere Lotterie in der „Nr. 66", durch die plötzlich arme Leute
reich werden. Ich machte darauf ein richtiges großes dramatisches En-
semble. Überhaupt das Reichwerden, worüber ich einmal drei Akte schrieb,
in der ,, Prinzessin von Trapezunt", Kunstreiter, die reich werden und eben-
so rührende lyrische Duette wie fashionable Trinkwalzer singen. Am liebsten
aber hatte ich eigentlich die Soldaten. Im „Regimentszauberer" machte
ich Soldatenlieder, so gut wie Maillart, und im „Zapfenstreich", glaube ich,
noch bessere, diese dummen, betrunkenen, immer lustigen Soldatenliebes-
geschichten, und in der „Zaubergeige" vermaß ich mich sogar zu Zwei-
deutigkeiten, die ich ganz sachte zwischen die Rhythmen der Soldaten
263
Offunbach
und die der Liebe hineinlegte, wie ich überhaupt glaube, daß der Reiz
aller Soldatenmusik eine versteckte Erotik ist. Doch ich werde geschwätzig,
aber das ist meine Natur und mein Geschäft. Ich empfehle Ihnen an-
gelegentlichst diese Einakter, ehe sie vergessen werden sollten. Schreiben
Sie sie nur mit richtigen Titeln in Ihr Buch. Es heißt „Urlaub nach dem
Zapfenstreich", übrigens eine meiner sorgsamsten Arbeiten. Für die aller-
beste erkläre ich gern das „Mädchen von Elizondo". Auber hätte sich dieser
delikaten Faktur nicht zu schämen brauchen. Und von allen Trinkliedern,
die ich schrieb, steht hier das süffigste.
Nehmen Sie diese ganze Operngeschichte sehr ernst ? Ich nicht, mein
Lieber. Ich bin kein Gelehrter und kein Dogmatiker, ich will mich wohl-
fühlen in dieser Welt und weiß keine andere Philosophie als die einer lächeln-
den Kontemplation und überlegenen Ironie in einem Theater, dessen Entree
ich mit meiner Geburt bezahlte. Wozu das alles ? Ich weiß es nicht, Sie
wissen es nicht, aber das Stück wird gespielt, und die Gläubigen sinken
auf die Knie, die Fanatiker fuchteln mit den Armen, und die Organisatoren
rücken ihren Tisch in die Mitte. Also lassen wir sie das Stück spielen, immer
wieder dasselbe Stück, und amüsieren wir uns. O welche Koloratur steigt
aus dieser schmerzvollen Seele, welcher Marsch beflügelt diese kriege-
rischen Schritte, welche Akkorde murmelt diese Priesterschar und welche
Romanzen singt dieser liebende Jüngling. Mir ist in manchen Augenblicken,
wenn ich dies Theater sehe, als ob man die ihrer Rolle so ergebenen Leute
nur ein bißchen zu kitzeln brauchte, und sie fangen alle an, laut zu lachen.
Schon zuckt es in ihrem Gesichte und in ihren Beinen. Sie müssen ernst
bleiben, stramm stehen und ihren Dienst erfüllen, aber diese Sachlichkeit
und Pflichtschuldigkeit ist nur die A'Iaske einer ihnen höchst unbequemen
höheren Weltordnung, eine Maske, die sie sich aufzusetzen scheinen, um
den ganzen Stumpfsinn ihrer irdischen ETxistenz noch grotesker auszu-
kosten. Brecht die Tragik um. Laßt sie auf ihre Melodien file, file und bile,
bile singen, und ihr Iiabt ihres Wesens Kern. Patati, patata antwortet der
Chor, bing, bing, ta ta, sing sing, ba la boum, und da haben sie die Schöne
Helena, wie sie auf ihrem gelben chinesischen Bett Menelaus den Guten
betrügt, Laus den Guten. Welch ein Finale! Es paßt auf alle Finales
der Welt, und alle möchten in so einem Walzer schließen. Trotzdem gebe
ich zu, daß mir die Schöne Helena nicht ganz gelungen ist; aber mein ein-
ziger Fehler war, daß ich sie zu ernst nahm. Paris will sie wirklich entführen,
wie in der Sage, das ist kein Witz, es verleitet zu lyrischen Episoden, die eine
unverzeihliche Echtheit des Gefühls verraten, und bringt einen Schluß, dessen
Tragik geradezu historisch wirkt. Nein, daist mir der Orpheus besser geraten.
264
Denn Orpheus lehnt
sich gegen die Sage auf !
Er will ja seine Euri-
dice gar nicht wieder
haben, und er wird
von der öffentlichen
Meinung krampfhaft
gezwungen, die Rich-
tigkeit dieses Opern-
stoffs wiederherzustel-
len. Ausgezeichnet ist
mein Orpheus, mein
Witz wurde phänome-
nal, und die genialen
Einfälle überschlugen
sich in diesen Pasto-
rales und Bacchanales,
Sterbekoloraturen und
Schlafcouplets, Menu-
etten und Cancans,
Violinkonzerten und
olympischen Brettls, Fliegenduetten und Gluck — Gluck — Gluck —
ach, ich habe sie verloren, ich nahm nichts mehr ernst als den Spaß. Ich
habe in meiner Genoveva die Romantik verspottet, in meinen Banditen
die Räuberopern, auf daß ein großer Enscmblckanon sich über den Text
soyez pitoyables erhebt, ich habe in dem vortrefflichen Pariser Leben Schuster
und Handschuhmacherin so reizend wie möglich die Tragödien und Komö-
dien der sexuellen Erregung persiflieren lassen, auf das Loch eines Admirals-
rocks ein faszinierendes Ensemble komponiert und der Pariser Welt den
Spiegel in einem Domestikenball vorgehalten; ich habe im Monsieur Chou-
fleury eine Riesenparodie auf die italienische Oper geschrieben mit allen
Flüchen in verminderten Septimen, verzweifelten Rouladen, monomanen
Imitationen, blöden Dakapos, Malheurs bis zum hohen D, und Fermaten,
die noch nicht aufgehört haben, während ich Ihnen dies auseinandersetze;
ich habe diesen herrlichen Blaubart geschaffen, der die Sage beinahe so
geschickt wie Orpheus auf den Kopf stellt und nebenbei aller Weiber- und
Fürstendienerei so musikalische Rippenstöße versetzt — ich schwärme
für ihn, aber ich schwärme am meisten neben Orpheus und Blaubart für
die Großherzogin von Gerolstein, die ich Sie innigst bitte, Ihren Lesern
265
Offenbachs Handschrift: Fortunios Lied.
wieder einmal ans Herz zu legen. Sic werden selbst am besten erklären kön-
nen, wie mir in dieser Soldatenparodie eine Einheitlichkeit des spezifisch
Offenbachschen Tons gelungen ist, gegen die alle Apfelmänner und Froufrou-
roben nur Stückwerk sind, wie witzig das große Ensemble mit der Koloratur
auf den musikalisch völlig neuen Begriff ,, Nervös", wie komisch die Mord-
ballade und das Tanzrondo mit der Schlachtbeschreibung, wie entzückend
der wienerische Briefwalzer, wie plastisch das herrliche Degenlied, kurz
wie wahrhaft tänzerisch diese sprühende, pikante und im besten Sinne
frivole Musik über absolute Nichtigkeiten des Textes komponiert ist. Ich
bin jetzt über dreißig Jahre tot und also endlich frei, so weit es die Lizenzen
meiner Textdichter gestatten, denen ich hiermit ein unsterbliches Kompli-
ment mache. Ich habe der Nationaltugend der Franzosen, dem Rhythmus,
seine wahre und endgültige Aufgabe zugewiesen, alle Regungen, die unserem
Wohlbefinden schaden könnten, hinwegzutanzen und allen Unsinn, der
unser Leben verschönt, zu einer Weltanschauung von metaphysischer Akro-
batik auszubilden, die das letzte ist, was wir über die Vorgänge dieser Erde
sagen können. Sie reichen mir die Hand, ich danke Ihnen. Empfehlen Sie
mich bei Ihren Freunden, und fragen Sie in allen Theatern nach meinen
Werken.
Hiermit erfüllen wir seinen Wunsch und weisen auf seine saubere und
selbstbewußte Musik in einer Zeit, da die Operette die alten Ingredenzien
des Tanzrührstücks zu einem eklen und stillosen Brei zusammenkocht. Offen-
bach war konsequent gewesen, so gut es ging, die Traditionen Aubers und
Adams hatte er zu Ende geführt, statt sie zu ihrem Anfang zurückzudrehen.
Wir erinnern uns eines lustigen Burschen in den Deux nuits Boieldieus, er
ruft alle Geister der Scapins und Crispins und Figaros an (wobei er Mozarts
Figaro zitiert), ihm bei diesem Spiel zu helfen und sich ihnen ähnlich zu
machen. Offenbach zitiert seinen Gluckorpheus und seinen Rossinifigaro,
zitiert Don Juan und die Marseillaise, aber er lächelt bei diesen Zitaten
und weiß wohl seine eigene Art zu finden und zu schätzen. Kundig der
lieblichsten Feinheiten aller solistischen Instrumente, die in zwei Strichen
zeichnen, und des großen Cancanrausches eines losgelassenen Tutti, schenkte
er uns Partituren von prickelnder musikalischer Eigenheit. Nicht alles,
denn die Grenze der Frivolität ist scharf, aber vieles, sehr vieles ist von
einer meisterlichen zynischen Zeichnung und genialen Erfassung der Toll-
heit des Augenblicks. Dies ist sein Wesen: eine trockene Feinheit, die der
närrische Rhythmus in Schaum schlägt. Diatonisch eine Figur über die
Stufen der Tonleiter zu locken, mit der Dominante als einem süßen necki-
schen Ziel zu spielen, Tonika und Dominante einfach sich abwechseln zu
266
Karikatur: Offenbach und die Direktoren
lassen und darüber die Me-
lodie in einem harmoniscla
reizvollen Doppelsinn zu
spannen mit allen hinein-
geschmuggelten Durch-
gangstönen, die freche
Nacktheit rhythmisch ge-
ketteter Akkordtöne in un-
schuldigster Brechung, alle
kleinen Bosheiten fremder
oder halb versteckter Baß-
töne, alle faits divers plau-
dernder Zwischenmelo-
dien, alle unverschämten
Trillerchen, das spöttische
Nachleiern, die schnippi-
schen R.epliken, die plap-
pernden Schlußformeln,
das Halbsingen des Varietes
und das Parlandoschnurren, plötzliche verblüffende Übergänge in die
Halbtonstufe, das stumpfsinnige Unisono des Basses mit der Walzermelodie,
dumpfe, aufbegehrende Chöre, Pianissimogeständnisse und erschreckliche
Fortissimoschläge — aus- alledem webt sich die feine Sinnlichkeit seiner
Musik, die von einem gierigen Tempo durchzittert ist und den demi-
mondänen Instinkten des zweiten Kaiserreichs einen Glanz gibt, der sie
von der mondänen Frivolität der Regence kaum noch unterscheidet. Tan-
zende Mythologie, der olympische Cancan, böotische Romanzen, Polkas
der spartanischen Helden, ein Parisurteil als Walzer, und wieder dieser
entzückende Ballrausch „il est gris", dies Schleifen, Kokettieren, Lachen
und Küssen „tout tourne" — in diesem „Pariser Leben" besingt die
Baronin die beiden schönen Frauen, die sie in der strahlenden Gesellschaft
der Weltstadt findet: die eine, assez commode et l'orchestre est plein de
ses amants, die andere eine Komtesse von fünf- bis sechshundert Jahren
Adel. Sie kann sie nicht unterscheiden, beide sind gleich frisiert, haben
die gleichen Allüren, dieselbe Impertinenz, im Blick dieselbe hardiesse ä tout
dire, dasselbe Lächeln, dieselben jungen Leute. Was ist aus dem Bürger-
tum geworden ? Es läßt sich gehen, weil es seinen Meister findet, der es
gehen lehrt, den politischen und den musikalischen Meister, und weil es
einmal noch in diesem Leben sich austanzen will, ehe es zu spät wird, Ist
267
diese Musik cocodette oder ist sie cocotte ? Wir können es nicht
unterscheiden und wissen nur, daß sie doch sehr schön ist. Irgend
etwas leuchtete hier zum letztenmal von der Oper her, eine frische
Lüsternheit, die nur so verführerisch sein konnte, wenn sie so gefähr-
lich war.
Offenbach aber schreibt Hoffmanns Erzählungen und vollendet sie
nicht mehr. Er hat uns dieses Werk verschwiegen. Warum ? Es war sein
„höheres Genre", nach dem er sein Leben lang die Sehnsucht trug, wie Auber
oder wie Herold. War es nur sein Ehrgeiz oder war es sein Wesen, und hat
er geschauspielert und geschmeichelt, als er all das andere machte und ver-
teidigte ? War auch dieser Satiriker im innersten Kern seiner Natur ein
lyrischer, wehmütiger Mensch, der sich betäuben mußte, um nicht zu zwei-
feln, und uns belügen, um nicht sich selbst die Wahrheit einzugestehn ?
Nun fällt eine Träne von seinem Auge, und sie wurde die schönste Erinnerung
an ihn. Puppen wollte er zum Singen bringen, und sie ließen die reizendsten
Walzer erklingen, bis sie ihm zersprangen. Kurtisanen wollte er mit zaube-
rischer Fadheit einlullen, aber sie vernichteten ihn, indem sie ihm sein
Ebenbild stahlen. Virtuosinnen wollte er in den Triumph ihrer Kunst
herauslocken, aber sie starben ihm, indem sie ihm sangen. Und immer war
es derselbe Feind, der Puppenmacher, Schattenstehler und Lebenstöter,
der ihm die Liebe verdarb. Jetzt sitzt er, von der Gicht geplagt und phan-
tasiert diese Oper der Oper und schreibt eine Musik so anmutig, innig und
tapfer, so gerade und echt, erst tänzerisch, dann -schwelgend, zuletzt zärt-
lich, wie er sich nie erinnern kann, nur geahnt zu haben, — da macht ihm
sein Doktor Mirakel den allerletzten Aktschluß und holt ihn, ehe er ihn
selbst auf die Partitur gebracht. Ein großes Spötterleben fand dieses
wunderbare Schicksalsendc, in seiner Wehmut so schön wie in seinem
Werke.
Nur ein paar Worte noch an den Rand. Herve hatte vor Offenbach
mit kleinen ähnlichen Singspielen, auch auf eigenem Theater, die Gattung
vorbereitet. Nach Offenbach schlug sie weite Wellen, bis an den fernsten
Sand. Planquette ist einer der anständigsten Namen aus der Nachfolge.
Suppe verpflanzte die Schule nach Wien, wo sich die Operette mehr aus dem
Gesellschaftstanz als aus der Oper rekreieren sollte: das ist die Bedeutung
der Fledermaus. Lecocq wurde der Gefeiertste in der Pariser Heimat. Offen-
bach hatte einmal einen Preis ausgeschrieben, aus dessen Wettbewerb Bizet
und Lecocq als Sieger hervorgingen. Bizet machte sich in andere Gegenden
auf, Lecocq blieb bei der Familie. Die Mamsell Angot kam 1872 heraus
und übertraf alle seine noch sehr wohlanständigen und gcsinnungstüch-
268
ligen Werke an Tempo, Witz und Melodie. Es war das letzte populäre
Zeugnis des gallischen Rhythmus. Wenn wir seinen schönen, oft gesungenen,
■oft getanzten Walzer hören, umschweben uns die Stimmungen dieses Kapitels,
das wir ungern verlassen.
Tournez, tournez,
qu'ä la valse on se livre,
eile ch.irme, eile enivre
les Coeurs passiones . . .
269
DIE GROSSE HISTORISCHE OPER
Spontini
INDEM wir zur großen historischen Oper übergehen, wandern wir aus-
recht heiteren und glückhchen Gegenden in etwas hohle und schallende
Räume. Was hilft es, daß uns davor graut — wir haben hier ein Haus zu
bauen, das Haus der Oper, in dem der Grundriß ihrer Geschichte vollständige
zu sein hat und der Aufriß von der Lust des Schriftstellers abhängt, Menschen,
und Werke in seiner Anschauung aufeinander einzurichten und zu beziehen.
Nochmals: wir bauen, wir bauen die großen Kulturschichten, die die Oper
abgesetzt hat, zu einem Ganzen zusammen, das die Geologie musikalischer
Seelen zeigt. Es liegt uns nicht an der Analyse und Chronologie, sondern an
der Freude des Spektrums, das das Prisma der Geschichte aus einem weißen
Lichte gebrochen hat, wahrnehmbar nur in diesen abgeleiteten Farben. Die
weiße Oper ist nichts, als was sie alles gewesen ist. Am Spektrum lesen wir,
was in ihr verbrannte. Und so nur bauen wir ihr Regenbogenhaus.
Die opera comique war uns Lebenssache, etwas, was wir heut allzusehr
verloren haben und unbenommen lieben und studieren sollten, um munter
zu werden. Die historische Oper ist uns nichts als Tatsache. Es sind aus
ihrem Kreise vier, fünf Werke lebendig geblieben, weil sie ihren Typ am kräf-
tigsten vertreten. Das meiste ist dahin und ist Bibliothek geworden. Es
war eine Gattung, die nicht aus inneren Notwendigkeiten kam und auch keine
Veranlassung hatte, besonders liebenswürdig zu sein. Sie hatte nicht das Ziel :
Schönheit, sondern das Ziel: Wirkung. Geniale Momente fehlten ihr nicht,
die auch die Wirkungen auf Schönheiten zurückführten. Aber so laut ihr
Schall, so energisch ihr Stoß im Augenblick zu sein wünschte, so wenig nach-
haltig war er für eine Ewigkeit, die aus der Tiefe der Empfindung und Größe
der Auffassung ihre Schuld bezahlt.
Die historische Oper wuhnt in Paris. Sie ist ein Nachkomme der großen
französischen klassizistischen Oper, nur wendet sie die Musik, die dort noch
etwas von einer erhabenen und gläubigen Religion hatte, auf den Effekt hin,
wozu ihr die gewaltigen Aktionen und der Chor- und Tanzapparat bestens
helfen. Sie wendet das Futter nach außen. Die Komponisten, die sich zu
diesen Schaustellungen entschlossen, mußten in ihrem Gliederspiel und ihren
270
Travies: Pantluon Musical 1843. Mcycrbeer (im Käfig Prophet und Afrikanurin). Hakvy (schnupft
bei ihm). Niedermeyer, Labarrc, Carafa, Boieldieu. Berlioz (Reiseeindrücke). Grisar, Adam (als
Poslillon). Donizetti (Dampffabrik). Aubcr (im schwarzen Domino auf ehernem Pferd). Clapisson,
.Montfort, Thomas, Spontini (unzufrieden), Rossini (in seliger Ruhe)
motorischen Nerven einen großen biologischen Reiz haben. So langweilig
oft ihre Werke sind, so interessant und faszinierend sind sie als Lebewesen.
Die Autoren der opera comique waren biedere und ruhige Leute, Arbeiter
ihrer Sache — diese sind in den verschiedensten Arten Herrscher ihrer Kunst,
die sie zur glänzenden Kurtisane ausbilden.
Wagner, in seinen Erinnerungen an Spontini, gibt ihm bei aller Wirkungs-
seligkeit zu, daß er es ernst genommen habe und von sich ausgegangen sei,
während Rossini, ein frivoler Unterhalter, vom Publikum ausging, und schließ-
lich Meyerbeer beides habe verbinden wollen, also ein Nichts darstelle, von
Rossini als Heuchler, von Spontini als Verräter angesehen. Diese Einteilung
trifft die drei Charaktere, doch ärgern war uns nicht mehr so darüber.
Spontinis Lebensbogen setzt in dem italienischen Neste Majolati ein, im
Kirchenstaat, und geht dort wieder nieder, nachdem er ein napoleonisches
Schicksal durchlaufen hat. Der Vater ist ein Schuhmacher. Der Junge sitzt
stundenlang, dem Glockenspiel zuzuhören. Warum soll er auch kein Priester
werden ? Sein Bruder ist einer in einem römischen Dorf, ein anderer Mönch
in einem venezianischen Kloster, die Schwester hat den Schleier genommen.
Er wird auf das Neapler Konservatorium della Pietä geschickt. Aber er flieht.
An den Glocken hatte ihn nicht die Kirche, sondern die laute Musik interes-
siert. Cimarosa, Piccini helfen ihm. Er komponiert in Rom Opern und hat
Erfolg, erhält die Scrittura für Venedig. Das Los ist entschieden. Er fertigt
die übHche Anzahl Jugendopern an, die er später noch lächelnd als sein Kin-
derspielzeug zeigt. Er geht nach Paris — aus Opernwillen. Der Sänger Elle-
viou liebt und protegiert ihn. Er komponiert eine kleine unanständige Oper,,
271
La petite maison, die einen solchen Durchfall gab, daß das Publikum das Or-
chester hinauswarf. Jetzt hält Kaiserin Josephine die Hand über ihn — wie-
viel geschickte Machinationen müssen dazu geführt haben. Man weiß nicht
alles, das meiste noch erzählt Berlioz im dreizehnten Kapitel seiner Orchester-
soireen. Er entschließt sich zu de Jouys „Vestalin", bei deren Komposition
er den Mantel dreht und französisch empfindet, mit Gluck als Vorbild. Es
ist Ende 1807, die Arbeit hat lange gedauert, er ist schon 33 Jahre. Es wird
heftig einstudiert, und die Intrigen sind gewaltig. Die Branchu, eine
Stimme von breitem Volumen und eine leidenschaftliche Tragödin, nennt
die Rezitative der Julia unsingbar. Die Konservatoristen sagen : sein Gesang
liegt wie Haare auf der Suppe. Da ertönt Napoleons Diktum : ,,Das Unmög-
liche soll möglich werden." Der Erfolg des Abends ist entscheidend; selbst
Lesueurs Barden, die einzige Konkurrenz, müssen zurückweichen. Spontini
erhält den zehnjährigen Opernpreis Napoleons: 10 000 Franken. Der Ruhm
wendet sich nach Italien zurück. Die Vestalin beherrscht eine ganze Sai-
son von San Carlo.
Das Geschick dieser antiken Nonne hat etwas Rührendes. Sie liebt und
wird geliebt, ihr Licinius dringt in ihr Heiligtum, sie wird zum lebenden
Grab geführt, er zettelt einen Aufruhr an, aber Vesta sendet den versöhnenden
Blitz auf ihren Altar und alles mündet in ein Rosenfest. Julias Herz ist bei
diesen einfachen und starken Erlebnissen voll musikalischer Gefühle. Sie be-
klagt ihre harte Jugend — un instant de bonheur en a marque le terme, ne les
regrettons pas : da klingt etwas aus echtem, reinem Grunde. Es umschwebt
sie eine Sphäre wahrer Empfindung. Ihre große Soloszene im zweiten Akt, da
sie im Vestatempel ihren Geliebten erwartet, ist von einer keuschen Traurigkeit,
die in schönen leisen musikalischen Linien gezeichnet ist. Ein sanftabfließendes
Nachspiel ist von stimmungsvoller dramatischer Wirkung. Aber das folgende
Duett mit Licinius läßt nach, bleibt vielfach in der Konvention und ist sogar
von Geschmacklosigkeiten nicht frei. Damals faßte man es als italienische
Leidenschaft auf, heut klingt es hohl und zeigt das Skelett pedantischer
Klassizität. Die Chöre an die chaste pretresse im ersten Akt, der Trauerzug der
Vestalinnen im dritten haben von der Feinheit der Gluckschen Kontur einen
Schimmer zurückbehalten. Die großen Finale sind durchsichtig, schlicht und
klar. Die ganze Haltung ist noch sehr anständig und nicht zu äußerlich. Aber
eine sonderliche Erfindung spricht uns nicht mehr an, und längst ist das
Stück, das einst durch einige kühnere Modulationen beim Übergang der
Juliaklagen zu dem Priesterfluch oder durch das Kreszendo der geteilten
Fluchchöre eine momentan aufrüttelnde \Virkung übte, zur akademischen
Buchstabcnlitcratur geworden. Doch denkt man wohlwollend daran zurück.
272
Spontini beschäftigt sich jetzt mit einer Elektra, aber Napoleon
wünscht etwas Spanisches, und so entsteht der Ferdinand Cortez, zwei
Jahre nach der Vestalin. Es wurde eine Oper ohne Liebesszene, aber auch
überhaupt ohne innerliches Interesse. Amazily, die Mexikanerin, ist bei Cor-
tez als Geliebte und Christin; dessen Bruder Alvarez als Geißel bei Monte-
zuma; Amazilys Bruder steht zwischen den Parteien. Sie laufen alle hin und
her, machen gehörigen Lärm, aber keine Handlung. Die Katastrophe für den
Künstler ist da. Zum Tanzchorfinale des zweiten Aktes müssen die Mexikane-
rinnen ins spanische Lager kommen, damit Frauenstimmen vorhanden sind.
Cortez läßt die Schiffe verbrennen, angeblich, um jeden Rückzug unmöglich
zu machen, in Wahrheit, um dem Publikum einen Frisson zu bereiten. Der
letzte, viel umgearbeitete Akt ist ein tonloser Riesenrummel von Schlachten,
Opfern, Rührungen in krasser Mischung. Durchweg wird die Dynamik
künstlich drapiert, als Deckmantel für die schwache Harmonik und Melodie.
Die französischen Effekte wirken bis ins einzelne: in das plötzliche Marsch-
werden, in die Phrase der Gloire, in das Morendo der Aufzüge. Das Duett
Amazilys mit ihrem Bruder ist ein Muster der Leere in Modulation und
Kantilene. Anderes sticht wie ein musikalischer Blitz hervor: die schöne
Akapella-Szene der Gefangenen am Anfang, in scharfem C-Moll und C-Dur,
gut gegen die wilde, zerrissene, aber fugierte Wut der Mexikaner gesetzt.
Oder die Meuterei der geteilten Spanierchöre. Am meisten wieder gewisse
Gefühlsdetails in der Luft der Amazily: rührende Vorhalte, lange Harmo-
nien, besonders jene barocken geschobenen Akkorde, über denen die Stirnme
eigenwiUig zögert, avec expression sans presser, die Wagner in den vierziger
Jahren im Ohre geklungen sein müssen, wie die Doppelschläge in der Melodie
oder die laufenden Bässe unter breiten Märschen, die zur Handschrift Spon-
tinis gehören. Es sind wie kleine lebensfähige Keime in der Wüste dieses
hohlen Pathos.
Immer wieder decken wir eine Oper Spontinis zu, während wir seinen
Lebensweg aufwärts verfolgen. Er wird Direktor der Italienischen Oper, und
man rühmt ihn für die Aufführung des originalen Don Juan. Er wird pen-
sionsberechtigter Hofkomponist. Aber allerlei Mißlichkeiten kündigen ihm
den Schluß dieses Lebensabschnittes an, und auch seine nächste größere
Oper, die Olympia, hat keinen rechten Erfolg mehr. Olympia, zum dritten-
mal eine Oberpriesteroper, ist noch unmenschlicher, als Cortez gewesen war.
Das ist die Tochter Alexanders des Großen, sie liebt Cassander, der des Mor-
des von Alexander beschuldigt wird, Antigonus, der Intrigant, bekriegt ihn
und bekennt sich sterbend als Mörder. Dazu kommt die klagende Mutter
Statira, klassischer in ihrem Schmerz als ihre Nachfahrin, die Fides. Klas-
273 is
sisch! Das Duett Cassandcr-01ympia__hat noch^ diese Allüren des edlen
Satzes, breiten Gefühls, gesangvollen Baus, das erste Finale hat noch Herb-
heit und Strenge, ein gewaltiges Kreszendo mit chromatischen Skalen, plötz-
lichen Fortissimi, melodischen Zwischensoli, ziehenden Akkordvorhalten und
den steigenden Ringen um die Dominante, die bis in den Tristan lebendig
blieben. Es ist Fresko, Farbe, Wucht in den Rachechören mit ihren Akkord-
explosionen und konsequenten Schreien, es ist Bühne im Tod des Intri-
ganten, der in alle Hochzeitschöre sich hineinkontrapunktiert hat, bis er
hier in seitenlangen Flüchen der verminderten Septime und chromatischen
Leiter endet, es ist Instinkt in den wirksamen peitschenden Orchestervor-
spielen und ausklingenden Nachspielen, es ist ein reinerer Effekt in den In-
krustationen von Hochzeits- und Rachemotiven als in den Grausamkeiten
des Cortez — aber nichts Natürliches und nichts Hellsichtiges, nichts Un-
mittelbares lebt mehr in dieser in die Musik hineinphrasierten, auf die Wir-
kung herausmodellierten Kunst, die nur ein bemalter Gipsabguß des klassi-
schen Originals scheint. Die Meister dieser Gattung erfinden nicht, sie fin-
den nur. Sie finden die ganze große weite Musik, die sie mit imperatorischer
Gebärde in den Dienst ihrer Wirkungen befehlen, klagende Einsamkeit und
tanzende Gesellschaft, Stolz, Demut, Hingebung, Haß, Ehrgeiz, Resignation,
alles was Töne hat und seine Melodie bildet, wird auf die Rastra geworfen
und im Bühnenlicht erprobt, alles \\ird in seine Extreme gezogen und dann
auf das knappste zusammengeschlagen. Sie sind Dirigenten, Techniker,
Souveräne von Instrumenten. Auch Spontini kennt sein Orchester da unten,
wie er es da oben und da drüben kennt. Er weiß die Schwachen zu beleben
(Bratschen), er weiß die Starken zu zünden (Bläser), er weiß die Gruppen
aufeinander zu organisieren, daß die Dissonanzen der einen durch die andere
aufgelöst werden.
Er weiß, daß seine Pariser Epoche sich dem Ende zuneigt, und nimmt in
Berlin an. 1819 war die ,, Olympia", 1820 ist er bei Friedrich Wilhelm III.,
der nichts als den Prunk an seinen Opern liebt und sie mit ungeheurem Ap-
parat in Szene setzt, Pferde im renovierten Cortez, Elefanten in der Olym-
pia, die E. T. A. Hoffmann, leider begeistert für Spontini, ins Deutsche
übertragen hat. Berlin war außer sich vor Bewunderung der Wirkungen
seiner Musik, Schinkel machte die Dekorationen dazu, die ausbrechende
Leidenschaftlichkeit der Milder trug die weiblichen Hauptrollen. Es war die
einzige Epoche, da Berhn als Opornstadt etwas bedeutete, und prinzipielle
Dinge dort verhandelt wurden. Denn der Gegensatz gegen die imperato-
rische Manier Spontinis bildete sich bald heraus. Intendant Brühl, der fein-
sinnigste, der je auf diesem Posten stand, neigte zur Gegenpartei, den deut-
274
Spontini, nach der Natur gezeichnet von W. Ternik 1830. Lithographie Lemercier
sehen, eehten, herzliehen, die sich um Weber scharten. Der Generalmusik-
direktor war ihm nicht unterstellt, er ließ es darauf ankommen: dieser napo-
leonische Mann, nicht groß, fein, hofmännisch, spröde, schmal mit hohem^
Kopf, geziert, rasch, leicht, immer in dem moosgrünen, mit Orden ge-
schmückten Frack, entwickelte eine wahnsinnige Energie in der Behauptung^
seiner Stellung, die sich bis zur Majestätsbeleidigung wagte. Die Parteien
werden wachgerufen. Er schreibt Nurmahal, einen persischen Stoff. Er
275
iS«
schreibt Alcidor, durch seine Ambosse berühmter als durch seine Musik.
Sein Textdichter Theaulon erzählt in seinen Memoiren, wie er ihn gequält
hat, aber das Publikum staunte über die Flammensäulen, mit Spiritus in
Glas. Er schreibt Agnes von Hohenstaufen, in der das Orchestergewitter
mit einem Bühnenquintett und einem Nonnenchor gleichzeitig losfahren.
Rellstab wettert in Artikeln und Broschüren gegen ihn. Der Kronprinz ver-
bietet ihm eine effektvolle Neuinstrumentierung Glucks. Gegen den miß-
günstigen und eingebildeten Musiktyrannen ist endlich der Haß so gewach-
sen, daß bei einer Aufführung des Don Juan, der ihm einst in Paris den
größten Ruhm gebracht hatte, am 2. April 1841 das Publikum heftig und
andauernd demonstriert; er muß für immer das Berliner Dirigentenpult ver-
lassen. In leidenschaftlichem Kampfe ging damals für Berlin eine Epoche zu
Ende, die sich im Leoncavallo-Rummel unserer Tage kaum zu wiederholen
wagte, für Spontini aber war die zweite Herrscherperiode abgeschlossen —
ein Lebensbild von solcher Kraft der Farbe, daß wir über die stofflichen
Differenzen heute kaum noch wüten können.
1842 verläßt er Berhn und lebt ambulant, am liebsten in Paris. Eine be-
rühmte Szene aus dieser Zeit schildert uns Wagner. Spontini kommt zur
Dresdener Vestalin 1844, mit der Schröder-Devrient. Er kommt plötz-
lich und unerwartet zu den absichthch verzögerten Proben. Sofort ändert
er die Orchesteraufstellung — nach beiden Seiten gleichmäßig, was Wagner
dankbar übernimmt, wofür jener die Baßtuba des Rienzi der Vestalin
hinzufügt. In der Unterhaltung feierlich und kategorisch, ist er vor dem Or-
chester erst recht in derselben Pose. Er verlangt zwölf Kontrabässe. Er muß
einen großen Ebenholztaktstock mit Elfenbeinknöpfen haben, den er wie ein
feldmarschall in der Mitte faßt. Er dirigiert mit den Augen — linkes Auge
'ist erste Violine, rechtes zweite. Er peitscht den Chor zu staunenswerten
Evolutionen auf. Er haut die Forzati, die er immer mit ,^diese" bezeichnet,
in Paris hatte er „cette" geschrien. Er sichert sich Erfolge, indem er seine
Oper gern Sonntag ansetzt. Er behauptet, daß nach der Vestalin keine
Note geschrieben wäre, die nicht aus seinen Werken gestohlen sei. Was sollte
überhaupt nach ihm noch kommen. Die Vestalin war römisch, Cortez
spanisch, Olympia griechisch, Agnes deutsch — tout le reste ne vaut
rien. Dazwischen zeigt er Fürstenbriefe und Ordenspatente und nennt den
Freischütz ein kindisches Genre. Je ne veux pas mourir. Er starb 1851 in
demselben Hause in Majolati, in dem er seine Jugend verlebt hatte. Der ge-
waltige Kreis war geschlossen. Er soll taub und gedächtnisschwach geworden
sein, und wohltätig.
276
Aubey
ERST neun Jahre nach der Olympia kommt in Paris diejenige Oper zur
Aufführung, die das Genre des Historischen im europäischen Glänze hin-
stellte: Aubers Stumme von Portici. Das war 1828, 1829 folgte Rossinis Teil,
1 83 1 Meyerbeers Robert der Teufel, drei ungeheure Erfolge, die alles, was Spon-
tini mehr in seiner Natur als in seiner Kunst gehabt hatte, radikal durchführten.
Es waren drei Schläge von solcher Wucht in der Geschichte, wie diese Opern
selbst alles auf die Wirkung setzten. Wirkung von Wirkungen, ein Triumph
des triumphalen Prinzips, die erste wahre Weltherrschaft einer Kunst, die nichts
weiter anstrebte als zu siegen. Der Wille zur Macht, der in dieser Vereinigung
von Sensationen schlummert, in diesem Massenaufgebot aller seelischen,
akustischen und optischen Reize gegeben ist, bekennt sich endHch offen.
Die künstlerisch reinste Wirkung ging unter diesen drei Geschwistern
von Aubers Stummer aus, die die feine Erziehung der Comique durchaus
nicht verleugnete. Alles war nun nach außen präsentiert und auf das Theater
bedacht, aber die Kunst der Rezitative, die Sprache des Orchesters, die
Grazie der Tänze, die Gewalt der Ensembles Hieben kondensiert genug, um
den Zeitgenossen eine ungewohnte dramatische Erregung und den Musikern
überraschende Offenbarungen zu geben, wie sie Wagners ehrliche Schwär-
merei uns überliefert hat. Diese Oper schien gut und war dennoch Wirkung;
sie schien in ihrer freiheitUchen Tendenz aufrührend und war dennoch glück-
Hchste Erfindung. Uns ist sie das nicht mehr ganz, aber sie verdient doch
noch einen großen Teil der Liebe, die wir sonst Auber entgegenbringen.
Trifft uns schon die demokratische Stimmung dieses Masaniello, der gegen
Tyrannenlüste sein Fischcrvolk aufwiegelt, nicht mehr sonderlich, und rühren
uns die Versöhnlichkeiten der Feinde, die das Klima der sentimentalen Li-
teratur nicht verleugnen, noch weniger, so stört uns vor allem der dramatische
Mißgriff: daß aus der falschen Verhaftung seiner Schwester Fenella, der
Fürstengeliebten, diese ganze unnötige Tragödie entsteht, aus einem dummen
Mißverständnis, wie bei den Hugenotten. Scribe hatte diese Skrupel nicht,
er versteckte den faulen Fleck und breitete die ganze Karte wirkungsvoller
Szenerien aus, durch die man den Schaden vergaß : Vesuv, Revolution, Tanz,
Hochzeit, Gewitter, Barkarolen, Liebe, Markt, Feste, Gebete, alles ineinan-
dergeschoben und eine Orgie für den Musiker. Der größte Trick aber war,
Fenella nicht reden, sondern nur mimen zu lassen. Es scheint so : man fand
nach dem Abgang der Branchu nicht die Sängerin, die dem Masaniello
Nourrits und der Elvira der Damoreau-Cinti als Fenella gegenüberzustellen
wäre, man bewunderte die charakterisierende mimische Begabung der Tän-
277
zerin Noblct — ein Entschluß und es wurde Fenella stumm. Sie veranlaßte
das Orchester zu einer so ausdrucksvollen, leitmotivischen, suggestiven
Sprache, daß aus der Not die Tugend wuchs und die Stummheit dieser Rolle
eine musikalische Kraft entwickelte, die schließhch auf die singende Bühne
wieder zurückwirkte. Viele Jahrzehnte sind nun darüber hingegangen, und
die Wellen dieser stürmischen Oper haben sich verlaufen - — wir suchen am
Strande nach den Kostbarkeiten, die sie uns hinterlassen. Feine Schmerz-
lichkeiten sind in dieser Musik, die in stiller Trauer sie durchziehen, in Durch-
gangstönen, in der auf Moll schattierten Dur-Stimmung des Schlusses vom
ersten Finale, das sehr scharf, plastisch, dramatisch die von Fenella gestörte
Trauung Alfonsos schildert, in lebendigen Gegensätzen der Solisten und des
Ensembles, mit dieser wirkungsvollen Einschiebung eines melodiösen An-
dantino, nach dem Muster der Comique. Bewundernswerter ist das Finale
des zweiten Aktes, weil es eine ausgezeichnete Ironie, eine doppelsichtige
Stimmung enthält, die dramatisch und musikalisch ungemein dankbar ist:
die Fischer marschieren unter dem Gesang der famosen Barkarole gegen die
Tyrannen, um zu täuschen, um unbefangen zu erscheinen, eine Pianissimo-
rache im Kleide närrischer Masken — das Orchesternachspiel zieht ab, ein-
gesetzte Mittelstimmen flechten vielsagende Geheimnisse hindurch, die sich
verherende Melodie spricht im Schweigen. Das halbvergessene farbige, groß-
gezeichnete Duett Alfonso-Elvira (das den Sinn der Handlung noch mehr
zerstört, wenn es gestrichen wird), der lebendige Marktchor, das Urbild der
Tarantella, der ins Riesenhafte wachsende C-Dur-Akkord der aufbäumenden
Rache, die starren, wie fremden Unisonotöne im Gebet, das wundervolle
Schlaflied, die sehr geistreiche zweite Barkarole und die typische Szene des
wahnsinnigen Masaniello mit den tänzerischen Erinnerungen an alle vorher
musizierten Erlebnisse — setzt sich uns aus solchen Details das zwiespältige
Bild wieder zusammen ? Tanz und Tragik aneinandergebunden, der Rhyth-
mus der Comique und das Pathos der großen Oper zum Musikdrama zu-
sammengeschoben, mimisches Leid und hüpfende Rache, tanzender Wahn-
sinn und maskierte Revolution, das war Aubers genialer Griff, der doch so
viel unvergängliche Musik zu gestalten wußte.
Rossini
AUS einer ganz anderen Gegend stammt Rossinis Teil. Die Tat Aubers
^war eine sachliche Notwendigkeit: die musikalische Gebärde, der volks-
tümliche Rhythmus mußte einmal seine tragischen Hintergründe entdecken,
eine tragikomische Oper im großen, was die blutig-heitere, naiv-grausame
278
Rossini. Lithographie Lcmcrcicr
Chanson im kleinen ist. Der Teil war eine persönliche Angelegenheit, die
Abwendung eines begabten Menschen von seiner leichtsinnigen Vergangen-
heit, die einmalige Überlegung, seine Kräfte zusammenzunehmen und die
Eitelkeit des Könnens zu befriedigen. Ich weiß noch nicht, was mir lieber
ist, die guten Stellen im Teil oder dieses spielende, launige Leben, das
Rossini heißt. War Spontini ein Tyrann, so war Rossini ein Liebhaber des
Lebens, jeder in seiner Art ein Herrscher, aber dieser durch den Zauber und
nicht die Gewalt eines Temperaments. Wir möchten ihn fassen, wie er exi-
stierte, durch seine Existenz wirkte und entzückte. Wir vergessen seine Opern
und laufen seiner Person nach. Wo finden wir sie ? Mazzatinti und Manis
gaben seine Briefe heraus. Sie enttäuschen. Es ist ein dickes Italienisch, von
einer geschäftigen Lebendigkeit, aber barock im Witz und im Urteil von süß-
licher Phrase oder von ungebildeter Verständnislosigkeit. Nichts Geschrie-
benes spiegelt solche Naturen, nur das Wort von Mensch zu Mensch, das ver-
lorene Wort, das im Leben so aufleuchtet, wie es im Tode verblaßt. Da ist
279
ein Porträt vor dieser Briefsammlung: es ist unvergeßlich, spricht mit halb-
offenem Munde, die scharfen stechenden Augen über der gebogenen Nase,
die Winkel des Zynismus um die Lippen, ein durchgearbeiteter substanzieller
Kopf, gehärtet vom Genuß, gestählt vom Erfolg. Wie Mendelssohn von ihm
schrieb : ich kenne wenig Menschen, die so amüsant und geistreich sein können
wie der, wenn er will. Er tut ehrfurchtsvoll, aber man muß sein Gesicht sehn!
Wo ich diesen Rossini fand, das war ein wenig im Barbier von Sevilla, aber
viel mehr noch in Stendhals Buch über ihn, das 1823 herauskam, also vor
dem Teil, und ein so keckes Spiegelbild seines Wesens gibt, daß ich beinahe
darauf hereingefallen wäre. Stendhal hat sich zu Rossini bekehrt, fast
kehrt er sich von ihm schon wieder ab, denn die letzten Werke sind ihm schon
zu deutsch (soll heißen: französisch); vor dem Teil hat er sich sicher dann
bekreuzigt. Man muß dies halbvergessene Werk lesen, um die Atmosphäre
kennen zu lernen, die um Rossinis Jugend lag. Es ist eine der reizendsten
Plaudereien, die je über Musik geschrieben wurden, auch jene Musik, die
geheim in unseren Nerven liegt, die man summt, die man spielt, wenn man
sonst nichts tut. Geschrieben von einem, der die Zeit von 1800 bis 1820 mit
seinen Sinnen erlebte, mit allem Gerede um Papa Paesiello, Cimarosa, Paer,
Mayr, Dalayrac und den hehren Mozart, „der vielleicht einst der Große sein
wird, wenn Rossini erbleicht". Mozart und Rossini müssen ständig verglichen
werden, das Genie der Melancholie und das der Melodie. Wie ein Märchen
liest sich das, historisch so leichtsinnig und so geistreich falsch, und doch so
sprühend aus dem Wort, wie Rossinis Melodie aus der Kehle, so impressioni-
stisch im Glitzern der Apercus, wie die Koloratur aus Neapler frohem Ge-
sangsgetändel, und manchmal so skeptisch, wie ein Blick in die vorhanglosen
Logen von San Carlo, so gierig auf alle großen Premieren, die er wirklich sah
und beschrieb, auf alle großen Sänger und Sängerinnen, den leichten Tenor
David, den Buffobaß Paccini, die Pacchiarotti, Marchese, Crescentini, die
Marcolini, für die die Pietra del paragone geschrieben war, den Galli, für
den die Diebische Elster und der Mahomet IL gemacht war, und nichts
war, klagt er noch, für die Pasta gemacht, mit ihrem schönen Portamento,
ihrem ausgedehnten Organ, ihren farbigen Registern, aber Velluti — der
große Velluti improvisiert so viel Koloraturen über die Melodien Rossinis,
daß er sie selbst nicht mehr wiedererkennt, und so beschließt er jetzt, den
Sängern nicht mehr so freie Bahn zu lassen und schreibt die Variationen ganz
genau hin, so wie sie gesungen werden sollen. Werden sollen! — wie beklagt
das Stendhal, vorbei ist das Persönliche aller schönen Sängerlaunen, die nach
ihrer Veranlagung die Melodie ausschmückten, nach ihrer individuellen Na-
tur, nach der Kaprize des Abends, und kleine zerrissene Phrasen stehen nun
280
für das alte breite Legato. Wer macht das noch mit ? Stendhal versenkt sich
in die Jugendzeit Rossinis, da er, der Sohn eines Orchesterhornisten und
einer seconda donna, zwischen den Theatern und Impresarii herumzieht, je
nachdem er eine scrittura hat, um die ersten Vorstellungen selbst zu diri-
gieren und rauschende Erfolge oder entsetzliche Skandale zu erleben, wie es
gerade kommt. Und wie er dann von Barbaja für Neapel engagiert wird, eine
opera a. jeu, und wie er dort für die Colbrand die Elisabetta schreibt, diese
rassige spanische aufregende Schönheit, an der sich Stendhal nur literarisch
zu begeistern braucht, während Rossini an ihr hängen blieb, mit ihren
20 Goo Lire Rente und dem Bologneser Landhäuschen. An ihr allein, denn
die Weiber laufen ihm nach, aber er versteht sie fortzupflanzen. Dann hat
er sich scheiden lassen und die Olympia Pelissier geheiratet. Die Rente konnte
er entbehren, er stellte sich in Paris arm und bescheiden, aber Barbajas Spiel-
bank hat ihm abgeworfen, die Börse funktionierte zu seinen Gunsten, aus
England brachte er 250 000 Franken mit, als Geschenke, Gehälter und Pri-
vathonorar, die Pariser Gage betrug 20 000 Franken, auch als er bloß noch
,, Generalgesangsinspektor" war, für den Moses hatte er schon 4200 Fran-
ken bekommen, die Partitur des Comte d'Ory brachte 12000, die des
Teil 24 000 und sogar den Prozeß um die Pariser Pension von 6000 Fran-
ken, die durch die Politik ihm gestört wurde, gewann er. So läßt sich leben.
Selbstgebackene Pasteten, eigene Schweinezucht, ein ausgesuchter Wein-
keller — Opern ? Rossini brüllt auf einer Reise lauter schreckliche Melodien
auf eigene Texte und gibt sich als einen Antirossinianer aus. Er nimmt für
einen Durchfall in San Mose die Rache, daß er die Violinisten im Takte an
das Leuchterblech schlagen läßt. Er verändert eine auf Murat geschriebene
Hymne nach der politischen Drehung sofort im Text auf den Österreicher,
und erhält seinen Neapler Paß. Er ahmt vor dem englischen, dem englischen
König einen Kastraten nach! Nehmt das Genie als selbstverständlich, den
Gewinn als Lebensziel, den Humor als einzige Philosophie, das gute Essen
als unbestreitbare Wahrheit und die Kunst als ein Konkubinage — und ihr
werdet seinen Schatten fassen. Was kann an ihn heran ? Die Pariser Musiker
in der Akademie sind alle gegen ihn. Gut. Den Text des Mahomet macht
der Herzog von Ventignano, ein jettatore, ein mal' occhio. Gut. Er hat keine
Ouvertüre, er pumpt sich eine alte. Er hat keine Arie, er bestiehlt sich selber.
Er braucht schnell noch eine Musik zu einer Weinlagerplünderung, er nimmt
eine alte Schlachtmusik dazu. Göttliche Faulheit, nimm mich in deinen
Schoß auf. Sie lachen über das Rote Meer zum Schluß des Moses in
Neapel. Rossini liegt im Bett. „Ich habe ein Mittel gefunden, dieses Lachen
zu verhindern," ertönt die Stimme eines Besuchers. ,,Und welches wäre
281
■das ?" „Ich habe ein Gebet gedichtet, das die Hebräer vorher zu singen sich
entschließen müßten." Der Mann hat eine merkwürdig tiefe Stimme. „Ich
habe dieses Gebet im Zeitraum einer Stunde fertiggestellt." Rossini springt
aus dem Bett. „Und ich werde' es im Zeitraum einer Viertelstunde in Musik
setzen." Am nächsten Moses-Abende lachte kein Mensch mehr, außer
Rossini, der sich wieder ins Bett legt.
O könnte ich mit Stendhal um Rossini plaudern, aus den Logen unter
schönen Frauen (deren Geschichten er kennt), aus den südhchen Landschaf-
ten (deren Musik er versteht), aus diesem fliegenden, unterhaltenden, augen-
blicklichen, passionierten Temperament, das an eine Arie einen politischen
Exkurs knüpft, an eine Impresarioreise eine Novelle und an eine Koloratur
die Analyse einer Schönheit — ich würde mich im Jahre 1913 tödlich bla-
mieren. Harte, kalte Luft ist um uns und eine unüberwindliche Ernsthaftig-
keit. Ich kehre zurück, ich höre zum letztenmal dies Vogelsingen einer Kunst,
die nichts als ein Gleichnis des Lebensgenusses sein wollte, und winke diesem
göttlichen Leichtsinn mit dem tränennassen Taschentuch. Er ist weg, weit
weg. Jetzt verachte ich ihn und bekämpfe ihn, voll und ganz, mit aller Loya-
lität, die ich unserer vortrefflichen Zeit schuldig bin.
Hm. — Gioachino Antonio Rossini wurde im Jahre 1792, am Schalttag des
29. Februar, in Pesaro geboren. Er bildete seine Stimme in Bologna aus, trat
aber bald ganz zur Komposition über. Sein erster größerer Erfolg war 181 3
der Tancred im Fenicetheater zu Venedig. Es folgten in kurzen Zwischen-
räumen die Italienerin in Algier, der Türke in ItaHen, Ehsabeth, der Barbier
von Sevilla, Othello, Aschenbrödel, Die diebische Elster, Armida, Moses
in Ägypten, La donna del lago, MahometlL, Zelmira, und um nur die wich-
tigsten zu nennen, Semiramis, die 1823 in demselben Fenicetheater so
lauen Beifall fand, daß sich Rossini entschloß, erst eine Londoner Kampagne
einzuleiten und dann in Paris sich festzusetzen. Er übernahm das Theätre Ita-
lien, um es aber bald wieder wegen direktorialer Schwierigkeiten abzugeben.
Er bearbeitete in dieser Zeit für Paris den Mahomet IL als Siege de Co-
rinthe, gab auch den Moses in einer neuen, vielfach bereicherten Form her-
aus, schrieb den Comte d'Ory und schließhch als Krone seiner französischen
Schöpfungen den Teil. Vom Jahre 1829 bis zu seinem Tode, der ihn nach
mehrfachen Reisen in Ruclle bei Paris 1868 ereilte, hat er außer dem Stabat
mater und einigen Kleinigkeiten nichts mehr gearbeitet. Man erklärte dieses
Schweigen damit, daß er sich nicht glaubte übertreffen zu können. In seinen
Briefen nennt er sich Excompositore oder Pianist vierten Ranges. Gleichwohl
bewahrte ihm die Mitwelt ein dankbares Gedächtnis und überhäufte ihn mit
allen Ehrungen, die sein verdienstvolles Schaffen beanspruchen durfte.
282
Die Pasta. Lithographie von Kriehubcr 1829
Wenn wir auf seine künstlerische
Tätigkeit zurückblicken, so unter-
■scheiden wir eine frühere italienische
Epoche, in der der leichte Fluß der
Melodien vorherrscht und dennoch,
zum Beispiel durch die Ausbildung
der großen Orchesterrezitative, eine
intensivere Wirkung angestrebt wird,
und eine spätere, in der bei aller
gesanglichen Beweglichkeit der thea-
tralische Effekt und die dramatische
Massenwirkung in französischer
Manier zum Prinzip erhoben wird.
So lebt seine Jugendoper Tancred
ganz nur durch die blühenden
Stimmen, die sie verlangt. Sie schwimmt in Gesang, in Koloratur, und be-
schränkt sich auf gewisse typische musikalische und dynamische Wendungen,
unter denen das Rossinische Kreszendo einer kurzlebigen, aber immer stärker
wiederholten Phrase bereits ganz ausgebildet ist. Man findet in dem ersten
Duett von Tancred und Amenaide einige Substanz und eine gute gegen-
seitige Stimmensteigerung, man findet große Chöre, in scharfen Zäsuren und
von einer Soprankontur geschlossen, die breite, in C-Moll beginnende Kerker-
arie der Amenaide fällt durch ihre anfängliche schöne Horizontalität auf,
aber die typischen Merkmale wiegen vor: die Kettenmelodien, die sich mit
dem Orchester winden oder auf trockner gebrochener Begleitung sich schlin-
gen, die Wut des starken Unisono, die zwischengeschobenen Akapellaandantes,
die durchziehenden Finalemelodien, die Rachechöre auf einer durch die Ton-
arten modulierten Orchesterphrase, die ausfegenden Strettas und alle die
kleinen melodischen Verbindungen, die wie Nähfäden das Stück, das sie nicht
aus einem dramatischen Ganzen gestalten, sinnlich zusammenhalten. Die
harmonischen Ungewöhnlichkeiten beschränken sich fast ganz auf Medianten-
schritte, die Struktur der Melodie ist ein diatonischer Gang zur Dominante,
Wiederholung in der Tonika, durch die Septime in die Unterdominante, To-
nika auf Quartsext, Koloratur und Schluß, oder statt der Dominante die zu-
gehörige Molltonart, und sehr oft die Fortsetzung der melodischen Phrase
auf der nächsten Ganztonstufe. Dieses ist das Schema, das übrige wird aus
dem Gesangstemperament so leicht und einfach wie möglich hinzugeschaffen.
Ein besonderes Interesse hat vielleicht der Othello, der von dem schönen
Werk Verdis verdrängt werden mußte. Der Shakespearesche Text ist dahin
283
verändert, daß nicht die Taschentuchaffäre, sondern eine Briefverwechslung
die Katastrophe herbeiführt und Desdemona dem Rodrigo angetraut werden
soll. Stendhal findet das Rossinische Stück weniger rührend als das Viga-
nosche Othelloballett. In demselben Maß interessiert es uns mehr. Es ist
schärfer gearbeitet, harmonisch reicher, voll guter kriegerischer Töne, groß-
artiger Tremolorezitative. Melodische Feinheiten sind in dem Duett der
Desdemona und Emilia, Temperament und doch Klarheit im ersten Finale
(Othello gegen Rodrigo) mit starken Unisoni und Forzati der Chöre und wirk-
samen Intervallen der Solisten, im Duett Othello-Jago lebt die Rhythmik
durch das vierfache Triolenmotiv, das große Terzett Othello-Rodrigo-Des-
demona, charakteristisch durch ihre einschneidenden Synkopen, wird ein
echtes Muster der italienischen Erschütterung passionierter fliegender The-
men, die aus dem Atem gebildet scheinen, von pochendem Kreszendoorche-
ster begleitet. Wogegen das Terzett zwischen Rodrigo, Desdemona und ihrem
Vater sich ganz in unerträgliche Rouladen auflöst, eine Zerstörung des Ge-
fühlsmoments, die sich schließlich in den meisten Ensembles und Soloszenen
nach gewissen ruhigeren Anfängen bemerkbar macht und auch die rührenden
Akzente der Desdemona vor ihrem Tode verwischt, da sie sich dazu hergibt,
Variationen zu singen. Dieser Schlußakt enthüllt viel von der inneren Ge-
meinheit der Rossinischen Musik, da wir heut nicht mehr imstande sind, der
bloßen inhaltslosen Lust am Singen die Herrschaft über eine literarisch do-
kumentierte Tragödie einzuräumen. (Hm !)
Kein anderes Urteil gewinnt man aus den übrigen letzten italienischen
Opern des Meisters. Das Figurenwerk zerstört die Ausdruckswahrheit,
manche hübsche Melodie verflattert in ihre Floskel, gute Wendungen werden
sofort trivialisiert, auf gestoßenen Bässen fliegen die Phrasen, vom Partner
wiederholt, von allen koloriert, oder die Stimme überzieht das flatternde Or-
chester. Vorübergehende klassische Anwandlungen, wie das Terzettino gegen
Schluß der Semiramis können daran nichts ändern. Variete des Geistes, Tief-
stand des künstlerischen Gewissens.
Daß trotzdem der Stil des Teil nicht so plötzlich kam, zeigt ein Blick etwa
auf den Moses, besonders in seiner Pariser Fassung, die die wirklich gute, fast
vcrdische Chorarie der Anai im vierten Akt ,, quelle horrible destinee" hin-
zufügte, mit dieser rossinisch typischen laufenden Sechszehntelfigur der Gei-
gen, die noch in der Schattierung des Pilgerchors im Tannhäuser ihre letzte
welsche Erinnerung feiert. Die Tänze und das Finale im dritten Akt sind auch
in Paris zukomponiert und vollkommen im Stil der Großen Oper: das Finale
beginnt mit einer wirksamen chromatisch rauschenden Figur, in deren zornige
Rhythmen ein gutes Soloenscmble in wiegendem Dreiviertel eingeschoben
284
wird, die Figurenserie wie-
derholt sich, dann erfolgt
der Bravourschluß in ge-
waltigem Massenchor mit
dem Effekt vveitgezogener
herabsinkender Vorhalte.
Der erste Akt, ebenfalls
ganz neu für Paris, verdient
geringeres Lob. Die Ho-
lung der zehn Gebote ist
unbedeutend, der Schwur
auf sie ein Akapella ohne
Feinheit, gleich darauf ent-
steht ein gemeiner Polo-
näsenchor. Es berührt uns
immer seltsam, diese halb-
italienischen Phrasen im
Munde der Hebräer zu
hören oder die gewohnten
feurigen Melismen auf
Stoßakkorden der Duette
in diese Region zu über-
tragen. Ganz unmöglich erscheint uns Moses, der ein Finale in demselben
Rhythmus beginnt, wie etwa Almaviva, wenn er als betrunkener Soldat
kommt. Wogegen der berühmte Kriegsmarsch das echte französische Cachet
hat und der große Effekt des plötzlichen Blitzes und der Finsternisplage bei
Moses' Gottesanruf die ganze Pariser rhythmische Schärfe und Tempo-
passion im Riesenensemble auslöst. Die alte italienische Bearbeitung begann
mit dem jetzigen zweiten Akt: dem Finsternischor der Ägypter, der eine
der glücklichsten Kompositionen Rossinis ist; ernst und groß, auf rrlalerisch
schleichender Begleitung, stimmungsvoll kontrastiert zum Wunder des Mo-
ses, der das Licht vom Himmel zurückruft, eine schöne, reine und klare Stelle
mit einem guten breiten Quintett — dann aber knallt wieder das italienische
Feuerwerk, das diese intrigierte und amourisierte biblische Geschichte für
unsere Sinne nie mehr wird erhellen können.
Die Unlyrik und Seelenlosigkeit, die in Rossinis äußerer und innerer Kar-
riere gegeben war, prädestinierte ihn für die französische große historische
Oper, wenn er etwas von seiner Gesangsfreudigkeit nachließ. Er hat das ganz
entschieden im Teil getan, die Koloratur beschränkt sich, die Melodie
285
Die Malibran als Dcsdcmona. Stich von Turiu-z nach Dccaisnc
verfeinert sich, das Rezitativ kräftigt sich, die Szene substanziiert sich. Frei-
lich verspricht die unsterbliche Ouvertüre mehr noch, als das Stück hält.
Ohne melodische Beziehung zu ihm, in einer symphonisch-szenischen Ab-
breviatur des Inhalts gibt sie ihre vier Abschnitte : Das Celloidyll, das Ge-
witter, den Alpenreigen und den Sturmmarsch als Bilderdrama für sich, nicht
beethovensch verinnerlicht, sondern pariserisch veräußerlicht, aber mit einer
Kraft der Erfindung und Souveränität des Temperaments und der Expression,
daß wir uns im Stück selbst erst langsam von diesem genialen Ansturm er-
holen. Wir hören einen reizenden Landchor mit der Fischerbarkarole, wer-
den sofort auf Teils ernste Größe eingestellt, fühlen Melchthals oberpriester-
liche Erhabenheit in einem hehren punktierten Rhythmus, der für alle über-
irdischen Charaktere dogmatisch blieb, betrachten die reichliche, volle En-
semblelandschaft der großen Chöre, wägen den halbitalienisch frohen, halb-
französisch stolzen Stil Arnolds mit Teils geschlagenen Rhythmen ab, er-
götzen uns sehr an dem ausgezeichneten Hochzeitszug und Schweizersang,
mit den keuschen Hymnen, mit Melchthals einfachem, in wenig Strichen ge-
zeichnetem Segen, beloben die gute Schützenfestmusik und gratulieren zum
Finale, das nach altem Muster aus einer breiten Gebetsmelodie und einer
kurzen rollenden Kampfphrase sich aufbaut, in der Haltung noch ein wenig
von Gluck, in der Emphase und in den Protuberanzen der Tonarten ganz das
neue Paris. Das Deutsche, merken wir, ist Kostüm geblieben wie alles Eth-
nologische in diesem Genre, und Teil ist nicht schweizerischer als Moses he-
bräisch, war. Das Französische ist Stil und Gebärde geworden, nicht innen
pulsierender Takt und Tanz, wie bei Masaniello und Fenella. Das Italieni-
sche ist Vergangenheit, wie einst bei Jommelli in Stuttgart, Gluck in Paris
und Mozart in Wien. Aber, seit die Ouvertüre aufhörte, die diese Bedin-
gungen ausschaltet, ist für alles dies keine neue zwingende Anschauung ein-
getreten, keine Offenbarung des Genies, kein persönliches Gesicht, nur eine
starke Anspannung der Kräfte, eine geübte Reliefierung der Charaktere, eine
staunenswerte Konzentration der Aufgabe, eine allgemein neutrale, epikure-
ische Meisterlichkeit. In diesem Sinne hören wir weiter den Jagdchor und
die sanft abklingenden Hörner, verstehen, daß Mathildes Liebe sich nicht
isoldesch aus diesem Jagdnachtweben ablösen darf, horchen auf ihre rühr-
samen Zwischenspiele, freuen uns über jeden beliebten melodischen Sext-
aufstieg, der die Phrase so gut ins Rollen bringt, und genießen das Liebesduett
nach Paragraphen. Aus dem Terzett Teils, Walthers und des wiedergewon-
nenen Arnold klingen uns bald mozartsche Reminiszenzen, bald Ahnungen
Mcyerbcerscher melodischer Gesten, und das Tremolo der Septimen zur kom-
menden Rache gruselt uns ein wenig romantisch an. Wir sind auf dem Rütli.
286
Ein Motiv, stolz und selbstbewußt, charakterisiert Unterwaiden, ein zweites^
aufrüttelnd, Schwyz, ein drittes, geschäftig, Uri. Der große Schwur wird in
den Farben der geltenden Pariser Schule gemalt: ein kontrapunktisches Sich-
finden, das in die stoßende punktierte breite Melodie mündet, wachsend in
seiner fortreißenden Flut, mit den Forzati-Katarakten auf den verschieden
harmonisierten Es, mit unheimlicher Pianissimoschwüle und dem starr auf-
gerichteten Felsen des Schlußakkords, Es-Dur über C-Moll in Es-Dur im
Schlage aller Stimmen. Die wechselnden Bilder gleiten weiter. Merkwürdig,,
wieviel Oper doch aus dem Schiller zu holen war. Tiroliennen und der fesche
Soldatentanz. Plötzlich die grausame Apfelschußszene, von einigen Liebens-
würdigkeiten der Melodien besänftigt, die solenne Teilarie mit dem Cello,
ein erregtes Doppelchorfinale, das feuernde Kampflied Arnolds, das merk-
würdige Terzett der Frauenstimmen auf Bläsern als klassisches Intermezzo,
das übliche, die Aufmerksamkeit konservierende Gebet, das dekorative Schiffs-
gewitter und die Apotheose mit dem breiten, zweitaktig durch alle Tonarten
geschlungenen Motiv im letzten Kreszendo — alle Trümpfe der bunten Schau-
oper sind der Reihe nach ausgespielt. Merkwürdig, wie leicht der Schiller zu
entseelen war. Er hatte Freiheit gepredigt, jetzt sang man sie auf allen
Gassen der Oper. Rossini aber hatte mit dieser populären Wirkung — sich
selbst großartig verloren. Darum schwieg er. Es war der einzige Effekt, der
noch übrig war, ein Effekt, witzig genug, um die Perspektive seines Lebens
zu erheitern, und doch wahr genug, um ihm Absolution zu verschaffen.
Meyerbeer
BIS jetzt haben wir bei diesem Genre der großen historischen Oper ziem-
lich stille gehalten. Aber nun, da wir in die Regionen Meyerbeers ein-
treten, wird es bedenklicher. Hier lehnt sich etwas auf in uns, hier haben wir
etwas zu bekennen. Spontini hatte noch genug Glucksche Tradition, Rossini
viel zu viel Liebenswürdigkeit, als daß wir ihm ernstlich böse sein können.
Aber Meyerbeer war ein so großer Verführer, daß er das Genre der Oper vor
allen Gewissenhaften kompromittieren mußte. Es mußte das einmal geschehn,
jawohl, und es geschah mit ihm kräftig genug, aber es ist eine Schwäche, alles
zu verzeihen, weil man alles versteht. Meyerbeer besaß die szenische Kraft,
die Spontini noch anstrebte, er besaß den Ernst des Berufs, den Rossini erst
gar nicht suchte, und aus beidem zusammen machte er in ruhiger und reifer
Überlegung einen Prachtbau der Oper, der alles einfangen mußte, was lü-
stern war nach Sensation. Er kennt kein anderes Prinzip als: das äußerlich
287
Dankbare. Seine Texte sind raffinierte Möglichkeiten schlagender Wirkun-
gen, wie ein Varieteprogramm zusammengesetzt aus Effekt auf Effekt. Scribe
übertrifft sich darin selber. In seinen komischen Opern hatte er dankbare
Situationen geliefert, die eine anspruchslose, geistreiche Musik umspielen
sollte. In seinen tragischen Opern verfuhr er nach derselben Methode, doch
in dem Bewußtsein, daß die kommende Musik seine Texte nicht besänftigen,
sondern nur unterstreichen würde, arbeitete er dieser Wirkung mit doppelten
Kräften entgegen und häufte die blendenden Szenen zu monströsen Gebilden,
die im Augenblick ihren Eindruck nicht verfehlten, aber jedem inneren Ge-
fühl widerwärtig werden mußten. Welche Kluft spaltete sich zu Metastasio,
der immerhin die Allüren der klassizistischen Aristokratie zu wahren wußte,
oder zu Calsabigi, der aus einem abenteuernden Dilettantismus eine demo-
kratische Reinigung erfand und durchsetzte. Je größer der Aplomb dieser
historischen Opern war, je anspruchsvoller sie bedeutende Bilder der Ge-
schichte zu malen vorgaben, desto windiger war ihr Druck, eine Luftbewe-
gung, die alles niederriß, und doch nur Luft blieb. Ein mäßiger Text, der
eine gute Musik findet, geht schließlich in dieser, als seinem Kleid, einher.
Aber ein hohler Text, der nur eine wirksame Musik findet, verrät sich gegen-
seitig mit dieser Musik, sie gibt sich zu einer Art Reklame äußerlicher Sen-
sationen her, und er leiht ihr die lügnerische Maske des Historischen. Da-
mals fühlte das fast niemand, man warf sich bäuchlings vor diesem Doppel-
moloch auf den Boden. Wagner hat zuerst im großen Stile das Opfer gewei-
gert, etwas heftig, aber doch aus einem ehrlichen und tiefen Ekel, der zuletzt
mehr gilt als aller Schaubudenlärm.
Meyerbeer, der nur seinen Vornamen Jakob italienisierte, aber seinen
Glauben niemals wechselte, hatte als Sohn eines reichen und geistig belebten
jüdischen Berliner Hauses zu wenig Schwierigkeiten zu überwinden, um
seine große musikalische Veranlagung genügend im Feuer zu stählen, die
viel reproduktiver, assimilativer war als diejenige Mendelssohns. Mendels-
sohn hatte bald sein eigen Gesicht, Meyerbeer hat es nie ganz bekommen.
Er war ein bedeutender Klavierspieler und schwankte lange, ob er es nicht
bleiben solle. Er ging zum Abt Vogler nach Darmstadt und komponierte
voglersch, deutsch, kontrapunktisch. Er ging auf Salieris Rat nach Italien
und komponierte rossinisch. Er ging nach Paris und komponierte französisch.
Zwischen diesen Wandlungen zeigt sich immer eine Epoche innerer Ver-
stimmungen, sei es über Mißerfolge, sei es über Familienverluste, aber
schließlich bringen diese Gärungen doch eben nur Wandlungen hervor, keine
Selbstfindungen, wie Wagners Exil. Dies ist der Typ des Meverbeerschen
Lebens. Er hat es nicht beherrscht, wie Spontini oder Rossini, sondern er ist
288
Meyerbeer. Lithographie von Fr. Hecht
von ihm angestellt worden, im Kostüm eines Herrschers es zu dirigieren.
Es ist nicht falsch, von ihm zu sagen, daß er den Mantel gedreht hat, nur darf
man nicht vergessen, hinzuzufügen, daß er den Wind dazu oft selbst in Szene
setzte. Denn er war sehr begabt, klug, kannte sich und seine Zeit und diente
ihr mit technischer Meisterschaft. Er hat nichts erschaut oder geschaffen,
aber alles', was an wirksamen Kräften da war, auf die letzte Spannung ge-
bracht. Seine Struenseemusik, viele Stellen seiner Opern, manche plötzliche
Einfälle, Blitze der Phantasie, im ernsten Genre wie im heiteren, zeigen seine
Ressourcen — doch ist sein Werk nichts als eine intellektuelle Steigerung vor-
handener Elemente. Nicht er wirkt in diesem Werk, das ist das Unsympa-
thische, sondern seine Mittel wirken, und das ist das Gefährliche. Noch
289
iq
heute: da er immer noch lebt und keiner kam, der ihn an Brutalität der Ma-
schine übertroffen hat. Das ist das Große.
Meyerbeers italienische Ära liegt am besten gesammelt vor in seinem
„Crociato in Egitto", der 1824 in Venedig herauskam und sich von diesen
Jugendopern (er war immerhin schon 33 Jahre) am längsten gehalten hat.
Es ist der freudigste Rossinistil, eine willenlose Hingabe an die sinnliche
Mondänität der italienischen Melodie, die immer wieder, ob sie lyrisch wiegt
oder marschmäßig feuert, in die Roulade flieht, ob sie nach dem Schema der
Erhabenheit oder der Tändelei oder der taktierten Leidenschaft beginnt,
kein ander Ziel hat, als uns Liebesgenüsse mit der unterhaltendsten aller
Musen zu kuppeln, auch in den Chören, die als Akkorde leicht stützen oder
als Melodien leicht erzählen, auch in den Ensembles, die sich imitatorisch
fortpflanzen oder zum enggefügten Pavillon einer Rokokokontrapunktik sich
zusammenschließen. Der Autor beherrschte darin alle Überlieferung und ver-
stand nicht nur alle herkömmlichen Formen an rechter Stelle anzuwenden,
sondern er wandte sie auch gut an, baute die Stimmen trefflich zusammen,
oft auffallend wirksam, und warf verschwenderisch die bunten Wunder der
Arien aus. Der „Crociato" war in seiner Zeit ein glänzendes Ztugnis der
Schulreife. Die Forzati, die sotto voce der Chöre, die Evolution der En-
sembles schielten schon nach Paris, das Ballett wurde ja in Italien extra be-
sorgt, als fremde Einlage, zwischen den beiden Akten der Oper.
Robert der Teufel
MEYERBEER zieht 1826 nach Paris, um diesen Crociato dort einzustu-
dieren. Er erlebt die Stumme und den Teil. Er schreibt den Robert
der Teufel, der 1831 erscheint — sozusagen eine romantische Oper, aber doch
sehr unromantisch, voller Spektakel und Gefuchtel und Grimassen, und ein
kolossaler Erfolg. Noch ist er musikalisch gar nicht so gallisiert, wie er es in
seinem dramatischen Interesse ist. Er liebt die wirksame Szene über alles,
aber seine Musik ist mindestens so italienisch noch, wie der Crociato schon
französisch gewesen war. Ein durch den Teufel Gezeugter und Besessener
soll durch reine Liebe heil werden. Man denke nicht an die Erlösungsängste
der deutschen Romantik. Hier wird alles zur Szene, Kapital wird geschlagen
auf Kosten der Psychologie, die den Franzosen weniger interessiert als den
Germanen, wenn nur das Parfüm des schönen oder geistvollen Wortes oder
mindestens der Stallgeruch einer kräftigen Situation unsere Nerven beschäf-
tigt. Robert der Teufel ist ein Paradigma der falschen Empfindung, die
290
I'aulinc Garcia. Lithographie
Claus
keine Musik rettet, diese mäßige
Musik am wenigsten. Die Musik
betäubt die Unwahrscheinlichkeit,
unter der hier jede einzelne Szene
leidet, so daß eine laute Unter-
haltung mit dramatischen Gegen-
ständen übrigbleibt statt eines
Dramas. Alles, was vielleicht feiner,
poetischer werden könnte, wird von
dem'Raubtier Musik gefressen, ehe
es noch um Erbarmen flehen kann.
Der Zirkus tost von Beifall.
Eine Ouvertüre auf das Be-
schwörungsmotiv: damit man sein
Gesicht einstelle.
Erster Akt: Thema Verlust im
Leichtsinn, tanzende Tragik be-
währter Marke. Wie Liszt sagt:
Schwindelgefühl der Antithesen.
Trinken und Spielen, bis alles
verloren ist, unter dem Rat des Teufelintriganten Bertram. Diese falsche
musikalische Freudigkeit! Ist Robert lustig.' Nein, er ist traurig, singt
lustig, wodurch er erstens uns nicht unnötig aufregt, zweitens bei der ita-
lienischen Schablone bleiben kann, drittens eine pikante Mischung erzeugt.
Ich rieche Eau de vie. Die Szene führt zu den wichtigsten Ingredienzien
dieser Pariser Odeure: Trinkchor, Sizilienne, motivische Ballade vom
irrenden Herzog Robert, Auftreten einer jammernden Solistin namens
Ahce, eine Verhaftung, gleich darauf eine Befreiung, ein abziehender Chor
(retirons nous), eine Mutterromanze, eine Wutstretta, alles flüssig gehalten
durch periodische Zwischenschläge mit der großen Trommel. Musikalisch
nichts zu bemerken. Aber permanente Plastik, auf Kosten jeder störenden
Nachdenklichkeit oder Gefühlshemmung. Schlagwort: das Gold ist eine
Schimäre. Das Publikum wird behaglich.
Zweiter Akt: Die Liebhaberin solo, erst traurig, dann freudig, jedenfalls-
sehr koloraturwütig. Schema Feierlichkeit: Waffenherold (man denkt von
ganz weitem an zwei Takte aus dem Lohengrin). Tanz. Turnier. Kriegs-
lieder. Ein Duett im feurigen Stil: wird gewöhnlich gestrichen. Zu be-
merken : leitmotivische Erinnerung des teuflischen Zaubermotivs. Das Publi-
kum wird leidenschaftlich.
291
Dritter Akt: Buffoduett Bertram-Raimbaud mit Imitationen. Imitationen
sind entweder ironisch oder bestätigend, in allen Ensembles. Höllenwalzer,
also Hölle und Walzer. Und Gewitter. Kontrapost: Alices Romanze mit
der berühmten, sehr gemeinen Melodie. Duett Bertram-Alice, geschrieben
für den esprit gaulois, denn es geht von Galanterie über Dämonie in Galan-
terie zurück — der Teufel als Kavalier. Ein Akapellaterzett : Robert, Bertram,
Alice — auch das muß sein, als Zeugnis einer wirklich guten Arbeit. Das
Publikum wird entzückt.
Verwandlung: Beschwörung der Nonnen, die Balletteusen waren und sind.
Das große Nonnenballett im Kloster als Verführung des Robert, in irrimer
verführerische Etappen eingeteilt; zuletzt so vollkommen verführerisch, daß
er den heiligen Zweig bricht. Dieser Regisseur Bertram kennt seine Pariser.
Er will nämlich Robert durchaus in seine Gewalt bringen, aber er hat nur
bis zwölf Uhr Termin, Alice hat diesen Pakt mit der Hölle gehört, sie soll
nichts sagen, sonst kriegt sie ihren Raimbaud auch nicht, der Romanzen singt
und schrecklich dumm ist, doch das tut ja nichts zur Sache. Die Hauptsache
ist das Nonnenballett. Eine geradezu zinsentragende Idee. Hier kann man
schon soupieren gehn.
Vierter Akt: Es fehlte noch ein Frauenchor, da ist er, nachher kann er
ruhig gestrichen werden. Es fehlte noch ein Schlummerlied, da ist es. Denn
von dem Zauberzweig schlafen sie alle, was wieder zu einem guten morendo
Anlaß gibt. Aber es fehlt ja noch die große Liebesszene, da ist sie, und zwar
die wirksamste aller Liebesszenen, nämlich die Liebesszene in Gefahr! Da
quellen die Meyerbeerschen melodischen Emphasen, die die Senkung von der
Tonika zur unteren Quart lieben, da gibt es allen italienischen Furore, da
schmeißen sich die Gesangszüge nur so, und das rien oder non oder viens
knallt dazwischen, Steigerungen reißen uns in ihren Strudel, plötzliche neue
Harmonien lenken uns in ihre Häfen — die berühmte Gnadenarie, die auch
noch fehlte, wird eingeschoben, sie ist ausgezeichnet theatralisch. Tamtam,
alle erwachen. Finale mit melodiösem Solointermezzo und treibender Stretta,
auf Septimenakkorden in der federnden Sekundenlage — nun also die Klaue
des Löwen. Wer noch nicht soupieren ging, rast vor Beifall, und geht jetzt
bestimmt soupieren.
Fünfter Akt : Es ist Zeit zum Gebet. Die Mönche sind zur Stelle. Aka-
pellasoli gegen Chor, Stil archaistisch. Muttererinnerung plus Frömmigkeit.
Der Teufel ringt um ihn über der Orgel. Stolze Entwickelung des Tenors.
Terzett: Alice fromm, Robert schwankend, Bertram intrigant. Also die
Katastrophe des Dramas. Des Dramas? Es mündet ja doch alles in eine
Musik, mag sie noch so zärtlich die Figur umschmeicheln. Eine Trompete
292
bläst zum Muttermotiv. Französische Glocke. Französische Apotheose. Robert
ist gerettet, denn Meyerbeer-Scribe haben aus einem Zylinderhut eine ganze
Feerie sämtlicher existierenden Szenentypen über ihn ausgeschüttet. Das
• wirkte bis nach Havanna, Mexiko, bis nach China.
Hugenotten
ICH habe nur zu zeigen gehabt, wie dankbar diese Mache für die Musik
ist, Musik als Plakat genommen. Von der Musik selbst hatte ich wenig zu
sagen. Sie ist nicht nur äußerlich, auch recht erfindungslos, ja oft unaussteh-
lich. Anders muß ich von den Hugenotten sprechen. Die Zeiten sind vor-
bei, da man mit Heine in Robert dem Teufel ein geniales Abbild der
schwankenden Julirevolutionäre sah, oder gar in den Foyers der Hugenotten-
premiere Vergleiche mit Goethe wagte (ich kann nicht dafür) — aber daß
diese Hugenotten den Nagel auf den Kopf trafen, ist sicher. Spontini lief,
ein Gespenst seiner selbst, in Paris umher und, vom Verfolgungswahnsinn
gegen Meyerbecr getrieben, band er jedem, der es glauben wollte, das Mär-
chen auf, ein Postbeamter hätte dessen Opern geschrieben. Rossinis Koch
hatte sich selbständig gemacht, er eröffnete vis-a-vis der Oper ein Lokal, in
dem er jedermann mit seinen berühmten Parmesan-Ravioli bediente. Die
Hugenotten machten Spontini verrückt, Rossini melancholisch, Heine pa-
triotisch. Von -allen Schlägen der Schlagopern war dies der mächtigste, ein
Erfolg ohnegleichen, die Lösung eines Zeitideals, der Siegesruf aller Vir-
tuositäten, die gerade diese erwachende Epoche aufregten, das wahrhafte Er-
eignis des Jahres 1836. Robert der Teufel war ein Aufblasen eines Mär-
, chens gewesen, hier war einer der brutalsten Akte der Weltgeschichte zum
Stoff selber geworden. Und gerade darum schien er nicht so verwegen zu
sein. Was war in der Bartholomäusnacht schon alles gegeben! Religiöse Mo-
tive, Kampfszenen, Verschwörungen, Rachegesänge, alles lag offen da zum
Komponieren. Die Parteien des Kampfes selbst strotzten nur so von musi-
kalischer Dankbarkeit: hier der üppige polyphone Katholizismus, dort der
strenge und monophone Protestantismus, der gleich den motivischen Choral
von der Festen Burg für die Ouvertüre und das ganze Stück lieferte und die
Figur des Marcel gebar, des eisernen Marcel, der seine starren und reinen
Cantus firmi, von unerbittlichen Bläsern begleitet, in das Gewebe der viel-
fältigen Oper hineinkontrapunktiert. Gegeben waren die feindlichen Ele-
mente, die die Finale bewegen, gegeben alle willkommenen Soldatenrhyth-
men, Schlachtgesänge, Schwurchöre. Ohne Schwierigkeit wurde auch die
Liebe hineinprojiziert. Der Protestant Raoul liebt die Katholikin Valentine.
293
ACADKMIK ROYALE DE MUSIQUE
AIJOLRDIIII IA>Ü1 -2» revniKR 183G,
LA PREMIERE REPRESENTATION DES
HDCUENOTS
ULI turfnl
Opera cn 5 atles.
□ >ui M-Mnill>«T,S>rton. Qurnau.D«spUce>. M— Muniniu. Roljod. Forv
AltKilino.nom.iinr
Totäet Ita Entreet d» (attvr aoni ntspenduta.
( On rannrarrm o j Arurvr prViUft )
Toites les Placcs a^rant ele louees d'avanoe, les Bnreaiu ne
s«r«nt paa ouverts.
U KIBIAU DE UiCATIOn El Ol. VQIT. TOIA LC lOtAS, Ot j | REI,I115 a ^ HEL'UES
Zettel der Uraufführung der Hugenotten
Damit daraus eine Tragödie wird,
konstruiert man das Mißverständnis
von Raouls Täuschung über Valen-
tines Gespräch mit Nevers — es ist
eine notwendige, aber unglückliche
Idee, sie wird schnell in den ersten
Akt versteckt, doch sie erzeugt dann
wenigstens zwei oder drei dankbare
Musiken : die Liebesszene in Gefahr,
die Hochzeitsszene mit dem anderen
und die rustikale Segnung der beiden
Wiedervereinten durch Marcel. Es ist nur noch nötig, die Extreme ein
wenig auszuziehen und die Milieus zu bevölkern. Auf der einen Seite wird
die Königin Margarete zu einer freundlichen Dame gemacht, die Zeit hat,
Koloraturen zu singen, und von einer naiven, anmutigen Frauenschar um-
geben ist. Auf der anderen Seite werden die Kavaliere aus Brutalität und
Leichtsinn gemischt — was schon zur reichlichen Füllung des ersten Aktes
genügt. Der erste Akt hat die „Orgie". Die Kavaliere vergnügen sich
und fühlen sich zu einzelnen hübsch gesetzten Chören veranlaßt. Es gibt
drei Intermezzi: Raouls Valentinenerzählung, mit der Viola d'amore;
Marcels Schlachtgesang, recht originell in seiner knorrigen Härte, von der
großen Trommel, dem Becken, dem Pikkolo illustriert, und die Pagenarie, die
in gewissen Wendungen mit der Grazie Boieldieus wetteifert. Klugerweise
wird auch der dritte Akt, in der Mitte der Tragödie, zu einem ähnlichen
Milieufest ausstaffiert. Wir sind auf derselben Schreiberwiese, auf der einst
Herold schon den Versuch seiner hybriden Tragödie des französischen Ritter-
tums machte. Jetzt geht es mit demselben Volke und denselben Duellanten
etwas heftiger und kräftiger zu und tolle Bilder bewegter Szenen jagen sich
ab. Bois Roses meisterlich straffes Soldatcnensemble mit dem überraschenden
Dolcissimoschluß, den Meyerbeer aus dem pp versteht. Hinein die weih-
rauchende Prozession. Hinein die Zigeunertänze. Die Szene der Valentine
mit Marcel als dramatische Schwierigkeit so überwunden, daß er aus seiner
Rolle fällt und ein Buffo wird, während sie sowohl in ihrer Hingebung als in
ihrer Angst sich ganz fein italicnisiert. Also einfach auf das Konto der Musik
gesetzt. Reizende kleine Figuren nicht zu vergessen, wie beim Auftreten
von St. Bris und Raoul. Dann das Septett: sicherlich viel zu vergnügt und
hopserig, doch von klugen Mittelstimmen schattiert, wieder von plötzlichen
Dolcissimi besänftigt und in einen Schluß auslaufend ,,Nun stellet euch",
dessen reiche und weihevolle Akkordbiegungen zu Mcyerbccrs glänzendsten
294
Dekoration des fünften Aktes Hugenotten, erste Szene. Paris, Opernbibliothek
Einfällen gehören und bis in die Siegfriedwelt fortgewirkt haben. Jetzt, um
den Rahmen des Milieus wieder zu schließen, treten die Studenten in den
Kampf ein: in einer Wutlust, in einem Galgenhumor, der ein echt franzö-
sisch Kind Auberscher Muse ist, der Hochzeitszug wirft seine unschuldigen
Rhythmen hinein, Hochzeit und Krieg stoßen sich ineinander und wirbeln
das Finale auf, das schließlich doch wieder alle Parteien in einen einzigen
Gesang vereinigt, wie es die Oper seit alten Zeiten wünschte.
Ist dies alles im wesentlichen Episode oder Mache, so liegt die musika-
lische Potenz, nach der man Meyerbeers artistische Begabung immer wird
abschätzen müssen, im zweiten und vierten Akt. Die Margaretenszene — ich
höre unsere Hempel singen — hat etwas paradiesisch Heiteres, Blumenhaftes
und Südländisches, wenn sie nicht durch ängstliche Striche entstellt wird.
Die Duette der Königin mit der Flöte, inhaltlich nicht bedeutend, geben die
schmeichelnde Suggestion einer lichten Farbe, der die spielerische Virtuosität
der Koloraturfontänen nicht übel steht. Das Niveau hebt sich in dem Terzett,
dessen Rhythmen von raffinierter Kultur sind, ein Echozwischenspiel schafft
den pittoresken Horizont, das Terzett spiegelt sich in einem Chor, die So-
prankontur der Königin läuft darüber, wie über dem Chor der Badenden
■die Kontur des sich entfernenden Pagen läuft: das sind außerordentliche
Parkkünste der Musik. Raoul tritt ein und einige melodische Züge von bir-
295
kenschlanker Anmut verdecken fast die Stillosigkeiten, in die ihn Margarete
bald verwickelt. Die Herren versammeln sich und überwinden ihre anfäng-
liche Banalität in dem äußerst glücklich gesetzten Schwur, ein hartes Uni-
sono mit Akkordsäulen, eine unermüdliche Dominantensteigerung, ein Aka-
pella, ein feierliches Hornnachspiel, worauf ein Finale sich erhebt, aus rhyth-
misch gestoßenem Staunen zu einer Riesenwut wachsend, nur durch Valen-
tinens Schmerz und Marcels Frömmigkeit koloriert, sonst so fausthart, so
einstrichig, wie es in dieser Gewalt noch nicht erlebt worden war.
Meine Resultate sind keine anderen als die der Geschichte: der vierte
Akt ist Meyerbeers Höhe. Er besteht aus zwei bedeutenden, gut abgesetzten
Teilen. Erst der Schwur und die Schwerterweihe, eine glaubliche, echte
Situation, die von allen punktierten, akzentuierten Verschwörungen der
französischen Oper, mit den üblichen Zwischenrufen Gott! Ihr! Wir! die
eindringlichste Musik erhalten hat und ein Schema zum Typ führte. Der
Marseillaisenrhythmus des Hauptmotivs, dazwischen der breite Edelmut des
Nevers, die schleichenden Terzenschritte der Mönche, die großen Akkord-
tafeln des enharmonischen E und As, das satanische Furioso als Mittelsatz, die
Kolossalentwickelung des Themas mit der Flut und der Ebbe des Orchesters :
war dort im zweiten Akt das Paradies, so ist hier die Hölle, die Schmiede
aller Opernrache, die Teufelei aller Bigotterie. Wie bedacht ist das alles
eingesetzt und changiert! Wie bedacht folgt a tempo die große Liebesszene,
aus dunklen Orchesterfarben allmählich sich zum Lichte findend, zweimal
in Gefahr, stilistisch zu entgleisen, aber endlich mündend in das ebenso fein
instrumentierte, wie vokalisierte Ges-Dur: die unsterbliche Melodie Meyer-
beers, sein ergebungsvolles Sinken zur Dominante hinunter, sein sehnsuchts-
volles Streben zu ihrer Septime hinauf, Valentinens zarte, herzenseinfache
Kantilene, von einer Oboe wehmutsvoll über ihrer Ohnmacht wiederholt,
da Raoul zum Lärm hinausstürzt, dessen Überschüsse den fünften Akt füllen.
Diese Ges-Dur-Stelle ist die einzige in den Werken Meyerbeers, da ein
innerlicher Punkt berührt wird. Wir vergessen die Bühne, wir sehen Herzen.
In allen anderen Fällen, auch den faszinierendsten, beobachten wir, daß sich
seine Musik nicht nach innen, sondern nach außen wendet. Sie macht sich
nicht zur Sprache der geheimen Empfindungen, sondern der sinnlichen
Szenen. Sie offenbart nicht, sondern sie unterstreicht. Sie führt nicht die
Regie der Wahrheit, sondern des Scheins. Sie schafft und prägt Gebilde
von ungeheurem Bühnenleben, dadurch, daß sie das Drama nicht auf die
Psychologie prüft, sondern die Psychologie auf das Drama. Sie ist darin
von einem konsequenten künstlerischen Kapitalismus, der seine moralischen
Defekte nicht wahr haben will. Sie führt die Oper so nah an den schwindeln-
296
den Abgrund, daß die Nerven im Taumel der Eindrücke zwischen Tanz
und Tod Sensation und Gefühl verwechseln müssen. Gerade diesen Reiz
will sie. Sie ist unübertroffen in allem Sensationellen der Materie. Nur die
Oper konnte ihr solche Orgien bieten, die einmal in der Welt durchgekostet
werden mußten.
Sänger und Orchesfcy
DIE optische und akustische Materie wächst ins Maßlose. Die 120 bis
140 Bilder, die einst die Scala sich rühmte, in einer Saison ihren Opern zu
liefern, sind nichts mehr gegen die Architektur, Choreographie und Zoologie
dieser Szenen, die einen unstillbaren Hunger nach dekorativen Irrationali-
täten zu haben scheinen. Das Personal der Sänger steht in einem über-
irdischen Glänze, der oft in gar keinem Verhältnis zu ihren Leistungen ihre
Namen zu Sternen erhebt. Hier ist der Ort, diesen Sängerhimmcl der fran-
zösischen großen Opernwelt zu spannen, auch außerhalb Meyerbeers, in sei-
ner ganzen europäischen Ausstrahlung. Vergessen sind die lodernden Wett-
kämpfe der Mara und der Todi, die einst die harmloseren Sinne der Alt-
pariser erhitzten. Auch der Ruhm der vielgewandcrten Catalani verblaßt,
sie sitzt bei Florenz, junge Mädchen zu unterrichten. Aus Barbajas Unter-
nehmertum gehen der Bassist Tamburini, der Tenor Rubini über die Büh-
nen. Die Persiani, die beiden Grisi, der Baß Lablache bilden mit ihnen das
weltberühmte Ensemble des italienischen Theaters in Paris : ein Vogelzwit-
schern, das Heines Lutetiabriefe erheiterte. Langsam und sicher dringt die
Pasta durch, deren Technik nicht auf der Höhe ihres Vortrags steht. Nourrit,
der erste Raoul, ist der tenorale Stern der Großen Oper, Roger, der erste
Johann von Leyden, Lavigne, Duprcz konkurrieren, dieser oft ebenso ange-
zweifelt wie die Stoltz, die in den redseligen Memoiren jener Zeiten vielleicht
einen besseren Klang hatte als auf der Bühne. Die Wienerin Lucca, BerHns
Liebling, ist nur vorübergehend in Paris, kreiert bei uns die Afrikanerin,
keine klassische Stimme, aber eine Freude der Sinne. Die vergötterte Schwe-
din Jenny Lind — die Vielka in Meyerbeers „Feldlager" — im Ausdruck,
in der Technik, im Timbre unvergleichhch, schlug sie alle, alle vor ihr und
nach ihr! Sie schlug die Bielefelderin Sophie Cruvelli, die Susanne der Lind
die Gräfin der CruvelU in London. Die Cruvelli wurde zuletzt für 100 000
Franken an die Pariser Oper engagiert, von der einst Jenny Lind abgewiesen
worden war; man hatte ihre Kunst in Paris nicht erkannt und sie bheb mit
der Großen Oper böse, wofür sie die übrige Welt entschädigte. Bei Garcia
hatte sie gelernt, von dem Generationen ausgingen. Garcia, geborener Se-
297
villaner, selbst Komponist zahlreicher Opern, berühmter Tenor des italieni-
schen Theaters in Paris, mit dessen Direktrice, der Catalani, er sich ver-
kracht, um nach ihrem Bankerott dorthin zurückzukehren, ein chanteur voya-
geur größten Stils, auf irgendeiner seiner bunten Reisen alles Besitzes beraubt,
eröffnet die europäischste aller Gesangsschulen in Paris: seine Töchter, die
Malibran und die Viardot, sein Sohn Manuel sind seine nächsten Schüler,
Manuel wieder mehr ein Lehrer als ein Künstler, der jetzt erst im Alter von
loi Jahren gestorben ist. Ein anderer Schülerzweig: die Marchesi, geborene
Graumann, durch ihren Gatten Mitghed einer italienischen Sängerfamilie.
Ein neuer vielverästelter Zweig: die Artot, Schülerin der Viardot, einer der
Sterne der Meyerbeerschen Oper, selbst aus einer alten stolzen Künstler-
familie, dem Baritonisten Padilla vermählt, in ihrer Tochter, unserer heben
und feinen Lola fortlebend, deren Erzählungen aus der Ahnenreihe ihrer Ge-
sangskunst uns ebenso ergreifen, wie die Anmut ihrer wohlgebildeten Stimme
und die tänzerische Geistigkeit ihres Körpers uns die Erziehung einer Rassen-
kultur lehrt. Was wissen wir von all diesen weltwandernden Stimmen der
großen Pariser Zeit? Sie waren das Gespräch des Tages, der Genuß einer
wirklich theaterfrohen Gesellschaft, hinüber über den Kanal, hinüber über
das große Meer, die Literaten gössen ihre Entzückungen über sie aus, sie
selbst schwärmten in den Memoiren, und alles Äußere, Rastlose, Ruhmsüch-
tige, Sternenglänzende, Schicksalstolle, Arbeitsvolle und Lebensphanta-
stische schwirrt vor unserer historischen Erinnerung, die es tausendmal
nacherzählen könnte, aber nichts, nicht einmal ein Grammophon kann uns
die leeren Beschreibungen ihrer Stimme, ihres Timbres, ihrer Kunst ersetzen
— was wissen wir von der zartgefärbten, verinnerlichten, phänomenalen
Technik der Lind, von der stolzen Stimmschönheit der Catalani, den schwin-
genden Registern der Pasta, der ausdrucksvollen Leidenschaft der Viardot,
die die Fides kreierte, dem weiten Alt der Malibran, die wie ihre Schwester
selbst wieder neue Musikerfamihen einging, — Nourrit, der erste Masanicllo,
Arnold, Robert, Raoul, stürzte sich geistesverwirrt aus dem Fenster, Rubini
kaufte sich ein Herzogtum, das Schicksal der Garcias würde einen Roman
füllen, aber ihre Stimmen, das beglückende Mittel ihrer Erlebnisse, hören
wir nicht mehr. Es ist als Diamant einzusetzen in den Glanz dieser Opern-
zeiten.
Nicht bloß der Gesang, auch das Orchester als „akustische Materie" ver-
sinnhcht sich jetzt außerordentlich. Die Orchesterqualität des Komponisten
hängt nicht unbedingt damit zusammen: Leoncavallo, auch ein Schlagopern-
macher, hat keinen besonderen Sinn dafür, Simon Mayr, ein Halbitaliener,
hatte ihn, und Richard Strauß hat ihn ebenso und steht doch diesem Genre
298
ganz fern. Aber es ist das Machtgefühl der Virtuosität, das ihn bei der
ganzen Gruppe von Autoren, von denen wir sprechen, erzog und pflegte.
Meyerbeers Orchester war eine technische Steigerung, wie alle seine Künste.
Seit der mediocritas des Gluckschen Apparats war es längst in alle Dimen-
sionen gewachsen, in einer reizenden DetailUerung bei den Schöpfern der
Comique, in einer weiten Auseinanderfaltung bei den Tragischen. Von
Glucks letzten Opern bis in die ersten der großen französischen Zeit steigert
sich das Schlagwerk reichlich, Rossini in der Belagerung von Korinth exzelliert
mit der großen Trommel, dem Becken, dem Triangel und im Moses klagte
man, es sei fast soviel Schlagwerk als Gesang. Rossinis große Trommeleffekte
werden für den Lärm stilbildend, jene dumpfe Erregung, die so in die Tiefe
geht, daß sie gar keinen Ton mehr findet. Etwas von animahscher Brutalität
liegt in diesen Raubtierakzenten, ein Heraufholen der Instinkte wilder Kriegs-
völker. Costa fügte in London aus diesem Bumbum der Mode sogar dem
Don Juan und Figaro Schlagwerk, Posaunen, Ophikleiden hinzu. Die
Entwickelung in die höchsten Pikkoloregionen war Kraftsache, viel be-
wußter, aber auch tastender steigt sie in die tiefsten Abgründe; in Paris ist
das tiefe Klappenhorn, die Ophikleide, ein gewöhnliches Instrument gewor-
den, in Berlin statt ihrer die Baßposaune, deren Exemplar BerHoz so bewun-
dert, an der Stelle, da er in seinen Memoiren die BerHner Hugenotten-
aufführung unter Meyerbeer genau beschreibt, mit einer wertvollen Or-
chesteranalyse. Diese tiefen Gegenden des Orchesters sind dem Wandel un-
terworfen, sie sehen heut schon wieder anders aus, damals trieb die Lust an
grandiosen tiefen Blaswirkungen, die die tragische Oper brauchte, vielseitige
Experimente hervor, erst recht unter BerHoz, dessen Gruppenorganisation
noch schärfer ausgebildet war als Meyerbeers, der mehr ein Charakteristiker
ist. Meyerbeer hat ein scharfes Organ für die Sprache jedes Instruments,
für seine Farbe, seinen Gestaltungswert, für seine Bühnenbedeutung. Er
isoliert sie gern, er schichtet sie zu extremen Lagerungen, nur tief, nur hoch,
er zieht ihre Mittelschichten selbständig heraus, er dirigiert sie ganz frei
und souverän, nicht mehr als Begleitung des Gesanges, sondern des Milieus,
der Stimmung, der Charaktere und der Szene. Darin ging er weit über alles
italienische Spiel hinaus und arbeitete der deutschen Symphonieoper vor. Seine
Partituren sind nicht mehr Bucheinbände, sondern Bücher selbst. Wie kann
ich sie im einzelnen illuminieren? Die berühmten Bläserfarbeneffekte aus
Spontinis Vestalin verblassen gegen Meyerbeers Kombinationen mit der
Baßklarinette und dem Englischhorn, die Saxophone in allen vier Lagen als
Bühnenmusik zum Prophetenmarsch, die Vereinigung der tiefen Saiten von
Streichern oder dreifach geteilter tiefer Streicher mit mehrfach besetzten
299
dunklen Bläsern, durch die er in der Afrikanerin ungewohnte Farben er-
zielt. Die Beschwörungsszene im Propheten wird von Klarinetten, Fagotten,
Celli, Bratschen dunkel eingeleitet. Johann singt zur Baßklarinette, der sich
in raffinierter Mischung andere dunkle Instrumente gesellen. Vorher hat er
die Mutter zu hochtremolierenden Streichern hypnotisiert, jetzt antwortet
sie zu derselben Farbe. Es malt sich die dämonische Mutterverleugnung grell
und scharf in Instrumenten, die einen unerhörten Kolorismus bekennen, eine
Unterstreichung der Musik, die wieder die Szene unterstreicht — und der
Wirkung ist kein Rest mehr gelassen.
Prophet
DER Prophet kam 1849 heraus und war von Scribe wieder auf den be-
w'ährten Effekt der szenischen und musikalischen Ironie angelegt. Scribe
sagte, der Priester müsse vom Altar leben — er hatte ein Jahreseinkommen
von 200 000 — 300 000 Franlcen. Dies war selbst eine „Ironie", als welche
die Zwiespältigkeit aller Charaktere und Situationen ist. Aber die Huge-
notten erreichte er doch nicht, auch Meyerbeer nicht. Die Ironie des
Wiedertäuferstoffes sollte im dankbaren Gegensatz ihrer scheinbaren Religio-
sität und wirklichen Mordbrennerei liegen, doch blieb dieser „Schwindel der
Antithesen" eben nur ein Schwindel. Denn weil sie beides in Wahrheit
waren, Lumpe und Freiheitshelden, Schwärmer und Räuber, weil sie sich
verstellten und andere zu Verstellungen verführten (dieser Text ist ein Eiter-
herd von Lügen), versagte die Musik, die sich nicht verraten darf, die nur
dann ihren Stil rettet, wenn sie die Ironie wie eine höhere Erklärung in die
Geschehnisse hineinträgt, in den Fischeraufstand von Portici, in den Leicht-
sinn des teuflischen Robert, in die Satanismen der Bartholomäusnacht, also
in Flächen, die sie zu Körpern macht, in Fakta, die sie zu Ereignissen erhöht.
Diese Ironie war zu direkt, zu vielseitig — zu phantasielos. Es war ein auf-
gelegter Bluff. Äußerlich schien genug Material gegeben: Religion, Mord,
Volkslust, Krönung, Rache, Empörung, eine Geliebte und eine Mutter war
leicht hinzuerfunden, die erst verleugnet, dann wieder anerkannt werden
müssen — aber niemand glaubt den Wiedertäufern, also auch niemand ihrem
König Johann, also glaubt man ihm auch die Mutter und Braut nicht, wenn
er selbst noch so sehr daran glauben würde. Eine bengalische Kunst will eine
Wirklichkeit beleuchten, die selbst schon bengahsch ist. Das gibt die Ver-
zerrung, die UnmoraHtät und die Unsicherheit — als natürliche Strafe. In-
teressant zu beobachten, wie die Partien der Oper, in denen dies Widerspiel
aktuell wird, stilistisch versagen. Das Quartett Johanns mit den Wieder -
300
1-- ■J^.lyff*X'-<^*^-*->'>
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täufern, die ihn zu ihrem König
machen wollen, bleibt ohne innere
Wahrheit, ein rhythmisches Spiel,
nach dem Schema A+ BCD,
das nur an der einen Stelle der
Mutteranrufung einen äußeren
melodischen Klang erstrebt. Das
Terzett der Wiedertäufer mit dem
verkleideten Tyrannen Oberthal
will die ironische Doppelstimmung
festhalten, aber sie wird ein Buffo-
effekt, ganz schabloniert, unwahr-
scheinlich und schließlich von einer
ärgerhchen Aufdringlichkeit, die
keine Musik findet. Der Mordtanz
der Revolutionäre, der den dritten
Akt beginnt, hat etwas von mexi-
kanischer Grimasse, trotz allem
äußeren Lärm bezahlte Leiden-
schaft. Der Schluß der Oper, die
Explosion mitten im Tanze, das
TrinkUed als TodesHed, kompro-
mittiert allen Glauben Johanns an
die Heldenhaftigkeit seines Schick-
sals, das er so dummen Gläubigen anvertraute. Er ist doch nichts als ein
Meyerbeerscher Tenor gewesen. Er sollte knien vor Masaniello.
Man kann unter diesen Umständen seine Gesänge und Szenen nicht mehr
ernst nehmen, sie werden Konzertstücke, Aufführungen, Bravourleistungen
des Podiums, ein übles Getue, an das die besten Einfälle dieser Musik ver-
schwendet werden. Sein Traum ist das straffste und belebteste Stück der
ganzen Oper, aus dem er sich in die Banalität des B-Dur-Pastorale flüchtet.
Seine Harfenhymne am Schluß des dritten Aktes zeichnet sich durch eine stolze
hebräische Melodik aus, Akkordfeierlichkeiten, die sich auch sonst immer
dankbar erweisen. Der Krönungsmarsch beginnt in einem starken und treff-
lich rehefierten Rhythmus, versüßt sich aber in seinem melodischen Mittel-
satz und verliert sich, beladen mit italienischen Vorhalten, in unverständliche
Galoppgebärden. Ist hier immer noch ein unpersönliches Interesse vorhan-
den, so fällt das bei den Szenen der Fides und Berta auch fort, die nichts als
Schminke, Aufputz, Kontrast und Stillosigkeit sind. Die gerettete Fides be-
.^^"^^^ ^
Jenny Lind. Lithographie
301
nimmt sich geradezu virtuos mit ihren Gesangsfloskeln und Stimmrutschern
(nein, für jüdischen Familiensinn ist das zu pratschig), ihre Bettlerinarie ist
schwach wie ihr Geist, ihr Duett mit Berta verlogen, ihr letztes Duett mit
dem Sohn noch neapohtanischer als ihr Anfang, das Terzett aller drei von
einer verdächtigen Pastoralität und Bertas Tod noch kitschiger als ihr Leben.
In den Ensembles findet sich mancher Versuch gegen das Herkommen, Em-
pörerrhythmen in Vsj interessante Faktur des Krönungschors mit dem Kinder-
motiv, das Finale mit der schluchzenden Figur, die sich aus der Klage der
Fides hineinflicht, worein die Beschwörung gesetzt ist: an dieser Stelle,, am
Schlüsse des vierten Aktes, liegt sicherlich der meiste äußere Glanz, der
Pomp der Schauoper. Die Milieus bedeuten nicht gar viel. Weder der
Bauerntanz in Johanns Wirtshaus, noch das Eisfest und Schlittschuhballett
sehen soviel Musik her als Trubel.
Afrikancriii
DIE vierten Akte sind immer Meyerbeers Höhe, die Glanzpunkte, auf die
die Opern hingeführt werden. Auch in der Afrikanerin. Das indische
Ballett, mit dem der vierte Akt dieser Oper beginnt, hat eigenartige Farbe und
Rhythmen, mehr als irgendein anderes von ihm. Die schwärmerische An-
singung Indiens durch Vasco, seine melodische Klage ist wirksam und doch
reinhch. Beim Brahmaanruf entwickelt sich eine der breitgestrichenen, mono-
phonen Melodien, die für dies Werk charakteristisch sind, wie der ritterliche
Männerchor im ersten Akt, von Verdischem Typ. Manche Monodien, diese
einsamen in der Luft stehenden Gesänge einer Solostimme, — vorher schon
auf dem Schiff hörte man sie — bleiben im Ohr, am schönsten der originell-
fremdartige Abschiedsruf der Ines, ihr Romanzenmotiv. Das Duett zwischen
Vasco und Sehca ist gut, ein lebhaft paralleles Allegretto, ein fein verlorener
Schluß. Hier sind Wendungen eines Neuitalienismus, die der Afrikanerin ihr
Gepräge geben. Nicht mehr die Lied- und Marschphrase Rossinis, sondern
diese aufschwellende Emphase, diese kurzen starken Feuer der Erregung, die
sich in engen Kreisen bedrängen und fortschieben, — • wir denken wieder an
Verdische Art, fast an das spätere Mailand, aber wir sind philologisch über
die Afrikanerin zu wenig unterrichtet, um zu wissen, wann und woher Meyer-
beer die einzelnen Anregungen aufnahm. Denn daneben finden sich entsetz-
liche Altitalienismen. Was sie in der Versammlung des ersten Aktes, im
Kerker des zweiten zusammensingen, wie Vasco im dritten auf Don Pedros
Schiff kommt, das grenzt oft an Karikatur. Die Afrikancrin ist nicht unin-
teressant als Studium, im Va-Finale des ersten Aktes, in der Sturmballade
302
Neluscos, in einigen Partien des Duetts Ines-Selica sind aparte Ideen, aber
daneben stehen die schlimmsten Trivialitäten, die bei einer Aufführung die
ganze Oper ruinieren. Auch der berühmte Tod der Selica unter dem giftigen
Manzanillobaum ist eine mäßige Musik. Ich kann von diesem Stück nur so
hin und her sprechen, denn es ist so hin und her. Meyerbeer begann es in
den dreißiger Jahren, vollendete es l86o, aber erlebte die Aufführung nicht
mehr. Durch solche Intervalle erklären sich die Schwankungen. Der Stoff
ergab genug Dankbares, Schiff, Indien, Ruhm, Liebe, Rührung, Opfer, Ge-
bete, Aufzüge, aber er hat selbst die Mängel gefühlt, die sich im Laufe der
- Jahre nur immer fühlbarer machten. Diese italienisierenden Afrikaner aus
Indien, die so rührend den Portugiesen ihr Land zeigen und nach allerlei
unmöglichen Schicksalsfällen den Tenor und den Sopran verlobt wieder nach
Hause schicken, blieben zwischen den Stilen stecken, in einer Zeit, die längst
eine ganz andere Farbe bekannt hat als die einiger musikalischer Einfälle,
eklektischer Routine und instrumentaler Effekte.
Koiuisches
ZWEI komische Opern existieren von Meyerbeer, etwas spät für die Gat-
tung, deren Früchte sie nur pflücken, aber die spätere doch die bessere.
Der „Nordstern" kam 1854 heraus, es ist der durch eine sentimentale Me-
lodie verewigte Stern der Katharina, die nach drei Akten von Bühnenschick-
salen Zarin wird. In das Stück ist ein großer Teil der Musik des „Feldlagers
in Schlesien" aufgenommen, das Meyerbeer, der nunmehrige Generalmusik-
direktor in Berlin, Nachfolger Spontinis, 1844 für das neueröffnete Opernhaus
geschrieben hatte. Die Übernahme war polizeiwidrig. Dort flötete Friedrich
der Große, hier flötet der Zar, Katharina muß sich als Zigeunerin verkleiden,
und die Russen singen den Dessauer Marsch. Gute kalmückische, böhmische,
russische Soldatenrhythmen schwärmen herum, Würfel- und Trinkcouplets,
viel Buffoneskes, am besten das reizende Fluchduett Georges-Arascovia, und
ein allgemeiner Hochzeitschor mit musikalischem Interjektionsblödsinn, der
den Offenbachschen Winkel in Meyerbeer angenehm enthüllt. Katharina
duettiert mit Peters Flöte, wie Dinorah mit ihrem Sackpfeifer, Katharina
erinnert sich im Wahnsinn ihrer gesamten Jugendmusik, das ist des ersten
Opernteils, den ihr der Zar wieder aufgebaut hat, um sie gesund, gerührt
und zu seiner Frau zu machen — erinnert sich der Jugend wie Dinorah —
Aber Dinorah, erst 1859 geboren, ist mir Heber. Sie hat nichts mit falschen
Revolutionen und preußisch-russischen MusikaUianzen zu tun, sondern nur
303
mit einer Ziege, die ein hübsches Motiv bekommt, mit einem Hirten, den
sie liebt, und einem Sackpfeifer, der ihm einen Schatz graben soll, der sie
schließlich selbst ist. Auch sie wird ein bißchen wahnsinnig, aber in der an-
genehmen Form, daß sie mit ihrem Schatten einen entzückenden virtuosen
Walzer mit Echokoloraturen tanzt. Durch einen Brückeneinsturz, den sie
den dekorativen Ansprüchen opfert, wird sie wieder gesund. Sonst ist alles
eine Folge ganz reizender Stücke, die zwar die üblichen Schemata der Comi-
que nur wiederholen, aber mit so guter Laune und frischen Einfällen musi-
kalisch beleben, daß wir Herrn Meyerbeer kaum erkennen — oder vielleicht
nun erst ganz erkennen ? Das Wiegenlied der Ziege, die ländlichen Chöre,
der Dudelsack mit der falschen Septime, die kurzgeschürzten Couplets, die
Magiespäße und Schatzgrabereien, das Muttrinken, die Rückkehr aus der
Schenke mit einem famosen Gedudel und Geschlenker der Stimmen, das
Dalayracs würdige Liedcouplet Le vieux sorcier, die erschütternde Stumpf-
sinnsarie Corentins über die Wochentage als Schnadahüpfl mit Angstanfällen,
das gute alte Motiv des Liebespaars, das sich an einer Romanze erkennt, das
Duett Hoel-Corentin „quand l'heure sonnera", eines der graziösesten Buffo-
stücke der ganzen französischen Literatur, die malerisch spezialisierten Chöre
der Jäger, Mäher, Hirten, ihr Gebet und der aus der Jugenderinnerung herauf-
khngende melodiöse schlichte Gesang an die heilige Jungfrau mit dem reli-
giösen Marsch — was ist das ? Aus fernen Zeiten vielgespielte Szenen ziehen
da an uns vorüber, und der Herr der großen tragischen Oper ließ als alter
Mann eine berückende, süße, graziöse und tänzerische Musik aus ihnen tönen,
die alles widerlegte, was er gemacht hat und was wir über ihn schrieben. Ich
möchte ihn einmal fragen, was er darüber meint. Er würde sagen : Spielerei,
Nebenbeschäftigung, Sonntagnachmittag. Ich würde nicht weiterfragen. Am
Sonntagnachmittag duettierte Dinorah mit ihrem Sackpfeifer, erinnerte sich
ihrer Jugend, tanzte mit ihrem Schatten
Meyerbeer hat zwischen Italien, Paris, Berlin äußerlich nicht viel erlebt.
Vielleicht hat er sich selbst nie ganz gegeben. Er war anders. Gütig, glaube
ich, auf Vorteil bedacht auch für andere, nicht diktatorisch, eher ängstlich,
vorsichtig und von einer leisen Klugheit. Er starb nicht wie Spontini ver-
ärgert, wie Rossini resigniert, er starb, dreiundsiebzigjährig, mitten in der
Arbeit für die Aufführung der Afrikanerin. BerHoz hat von ihm gesagt: er
besaß nicht bloß das Glück, Talent zu haben, auch das Talent, Glück zu
haben. C'est qa..
304
Die Stoltz als Desdemona. Lithographie von Lacauchie
I
Halevy
ZWEI Italiener sind die Schöpfer der großen historischen Pariser Oper,
und zwei Juden. Halevy, musikalisch ein Kind Cherubinis, geriet in eine
falsche Karriere. Seine Jüdin, 1835, kam zwischen Robert und den Huge-
notten heraus. Scribe hatte in diesem Text nichts von der Ballettromantik
des Robert, nichts von der historischen Brutalität der Hugenotten, nichts
vom Vexierspiel des Propheten — es ist ein Stück von bloßer psychologischer
Grausamkeit. Recha, die gar keine Jüdin ist und ruhig die Frau des Fürsten
Leopold werden könnte, wird der blöden Rachsucht ihres Adoptivvaters
Eleazar martervoll geopfert. Es ließ sich kein Stoff denken, der für Halevy
ungeeigrteter war. Seine Begabung war eine fein musikalische, die auf aparte
Wendungen, ungewöhnUche Harmonien, symphonische Tiefen ging, auf
Zartes und Spielendes, nicht auf die unbarmherzigen Coups der Großen
Oper. Die Ouvertüre der Jüdin zeigt die Cherubinische Haltung, die Kava-
tine Brognis (des ungewußten Vaters der Recha) „Wenn ewiger Haß" hat
eine schwere ernste Lyrik, hübsch ist Leopolds Serenade und alles Trinkende
und Walzende in dieser Oper, das jüdische Gebet im Hause Eleazars hat eine
gute davidische Farbe, Rechas Romanze ist von derselben schweren Empfin-
dung wie manche ihrer seelenvollen Wendungen in dem Streit der Männer
um ihre Person, auch Brognis großer Fluch, der so mächtig immer wieder
von oben ausholt, mag gelten — das sind die eigenen Bezirke Halevys, Geist
und Gefühl, die ihn mehr für die Comique prädestinierten. Im „Blitz"
wagte er sich dahin, aber doch wieder zu bedächtig. Er redete sich die Große
Oper ein, deren Gesten ihn reizten. Er wollte Schlagcrfolge und war doch
viel zu naiv dazu. Die Stillosigkcit des Schmuckterzetts wirft uns heut aus
allen Illusionen. Diese Ritter und Hebräer übertreffen sich im Rossineln.
Das Duett des Liebespaars hat Feuer, hat eine sinnfäUige Melodie, aber
es bleibt im Typ. Was hätte Meyerbeer aus dem Schlußensemble des
zweiten Aktes gemacht, das hier eine Kombination einer Halben mit vier
Achteln zu Tode hetzt. Die Plastik der Meyerbeerschen Melodie fehlt,
Halevy ist enger und schmächtiger und blasser. Das große Finale ist zu
homophon, das Duett der Prinzessin und Recha gespickt mit den fliegenden
Phrasen, die den Jargon der zeitgenössischen Oper bilden, das Duett
Eleazars mit Brogni wird in hastende Achtelschläge aufgelöst, damit man
die seelischen Unmöglichkeiten nicht merkt, die große Zweifelarie Eleazars,
mit den zwei Bassetthörnern, beginnt zu liedhaft und schließt zu rossinisch,
um unseren Kontakt finden zu können. Es ist sehr schade. Wir bemerken das
Opfer eines feinen und zärtlichen Herzens an den Moloch der Mode.
305 20
Diese Oper ist ganz unmöglich geworden, ihre Risse haben sich zu Ab-
gründen erweitert.
Halevy hat dann eine Menge großer Opern, aber auch komischer Opern
geschrieben, unschuldig alles herunterkomponierend und nach dem neuen Er-
folg spähend, der nicht kam. Dieser freundliche gute Mann wollte Tod und
Teufel bezwingen; ging es nicht, so wollte er wenigstens reich heiraten und
bequem leben, wie ihn uns Wagner in seinen Memoiren schildert. Wagner
aber hat in schlechten Zeiten mit mancher Oper von ihm zu tun gehabt. \' iel-
leicht schrieb er einmal den Marsch der Jüdin ab, ahnungslos, daß diese Ko-
ordination der Fis und A, und der F und A-Dreiklänge in seinem Lohengrin
eine wunderbare Auferstehung feiern würde. Er überholte ihn bald. Nach
seinem Fliegenden Holländer, 1852, komponierte Halevy seinen Juif errant,
den ewigen Juden, ein fürchterhches Scribelibretto, mit einem nicht einmal
erlösten Ahasver mitten in byzantinischen Intrigen und Liebesgeschichten.
Wozu schrieb er noch diese Ballade des Ahasver, wozu noch diesen Welt-
schmerzfluch De dieu l'eternelle clemence — es war für die Operngeschichte
zu spät, blasse Kopien deutscher Romantik. Viel netter hatte sich sein Eklek-
tizismus auf den Bahnen der überlieferten französischen Motive bewegt.
In seinen leichteren Opern entdeckt man immer wieder Überraschungen,
aber es reicht liicht recht. In der „Pest in Florenz" die Szene, da Ginevra,
die Scheintote, in der Gruft erwacht und von Buffoflcdderern gerettet wird,
oder da sie ihren Geliebten Guido wiederfindet, das sind musikalisch merk-
würdig reizvolle Dinge, etwas absolut im Stil, doch voll von Pariser Geist
und längst nicht mehr in einem italienisch parfümierten Atem. Diese Oper
war Meyerbeer gewidmet. Fr brauchte nichts zu fürchten.
Bcrlioz
MIT einigen Worten Berlioz' Opern hier anzufügen, muß erlaubt sein,
obwohl seine Persönlichkeit von den Wirkungen seiner \'orgänger sich
entfernt. Doch hatte er auch nicht ihre Erfolge, ihre Ziele waren ihm nicht
fremd. Es ist ein letzter Aufguß des Gluck-Spontinischen Wesens, aus einer
mehr literarischen Schwärmerei hergestellt, von einem bühnenlosen Manne,
der wohl ein technisches Genie war, aber kein ursprünglicher Erfinder in
Musik, einem Manne zwischen den Zeitaltern, alt in den Formen, neu in
der Bekleidung, beethovensch in der Grundstimmung, französisch in der
Geste, voll geschichtlicher Ehrfurcht und doch der nervösesten modernen
Erregung zugänglich. Der Verstand sagte ihm alles, das Herz verschwieg
306
l'^'
I
ihm wenig, aber die Hand iU^CT
blieb berechnet und kalt.
Nirgends genießt man ihn
wie in seinen Memoiren,
deren Freiheit des Geistes,
Kunst des Schilderns und
Dialogisierens, Kultur des
Bekenntnisses von der Ver-
bitterung nur gewürzt wer-
den- Was Stendhal für die
Scala und San Carlo, was
die Lettres familieres des de
Brosses für die Oper des
früheren Dixhuitieme, ist
Berlioz für die Große Pariser
Oper dieser Zeit: aus seinen
Berichten riecht man The-
aterluft, diese Begeisterung
der jungen Leute, die für
Gluck, Spontini, Sacchini
schwärmen, Rousseau be-
mitleiden, Rossini verachten
und an die Zukunft des großen historischen französischen Musikdramas
glauben — vielleicht zu spät für diesen Berlioz, der die Qualitäten des Frei-
schütz schon so einzuschätzen wußte. Wie ehrlich tritt er für die Größe
und Unantastbarkeit der deutschen Meister ein, die ihm die Wahrheit und
die Schule scheinen, wie sie Stendhal Grausen und Verbrechen schienen. Wie
fühlt er sich symphonisch, gleich von Beginn an, ein Kenner und Analytiker
des Orchesters, wie es damals keinen Zweiten gab. Ja, etwas Deutsches war
in ihm und mag Gautier veranlaßt haben, ihn unter seine Romantiker ein-
zureihen, wie das Französische an ihm Liszt reizte und wiederum in
Deutschland für ihn arbeiten ließ. Zwischen diesen Verschiebungen litt er
und kostete das Bittere seiner Werke am eigenen Leibe.
Seine Opern sind der Benvenuto Cellini, den ihm 1838 Barbier und de
Vailly aus seiner Lieblingslektürc zurechtmachten, und die Trojaner, die er
selbst in dqp sechziger Jahren sich dichtete, in Verehrung Vergils und Shake-
speares, dem er freilich keine andere Huldigung darbrachte, als die Zitate an
die schöne Jessicanacht im Duett des Aneas mit der Dido. Sein literarisches
Niveau blieb ein kulturelles, wurde nicht schöpferisch fruchtbar. Die Lite-
tt V' m y
Berlioz' Handschrift: Cellini
O
07
U, ^^ . / ', ratur schmälerte ihm die
y letzten Effekte, wie wieder-
/> n t. 1^ f ' — 4. ^ > lim der Effekt die Litera-
mivvy yv^ ^ / ^^^^_ Schon mit dem Celhni
'''iu U^^»-^^*^ ( ' A^J Wi **^**'^]Jl_ hatte er nicht viel Freude,
<;Vwi<iA<_- cl(t—'6l^ rAyf/e^ /* <h.'H-» *X*^ ,^^j^ jgi^ Trojanern noch
il"^ yu^jifi r>t*^^^ -«/^ iiWi'c^uMXj weniger. Der erste Teil,
'^ ^i^^'^fi/ivt-'«-«—— -^. ^^^ Einnahme von Troja,
^7 ^ ^ // , ist in Frankreich bis heut
^^t^«A- ^tc. ■p/^'**^^ ^^^ konzertweise aufge-
^^
^ ' '"' "^^ <^ Buhne erschien er erst
/->, ; /7rs 1890, deutsch in Karls-
'^tn/^ 5 9 ytw'»t- /^6'^ ruhe. Der zweite Teil,
. , Die Trojaner in Karthago,
Bcrlioz: Dedikation der Trojaner an seinen Sohn _
versank bald nach seiner
Premiere im Theätre Ivrique. Berlioz hatte ihm einen Prolog mit Deklama-
tionen und Zitaten aus dem ersten Teil gegeben, um ihn selbständig zu
machen, änderte, strich oder vielmehr er ließ es geschehen, er resignierte.
Mottls Bestrebungen um dieses Werk in unseren Jahren helfen wenig.
Auch die kleine komische Oper, die Berlioz um dieselbe Zeit schrieb,
Beatrice und Benedikt, nach Shakespeares „Viel Lärm um nichts" fällt
immer wieder hin, wenn man versucht, sie aufzustellen. Was fehlt den
Stücken ?
Sie entbehren nicht der Grazie, nicht der Farbe, nicht der Ungewöhnlich-
keiten, nicht des Ernstes und aller Vorzüge einer hochentwickelten Persön-
lichkeit, aber sie sind weder von der Stimme, noch von der Bühne, noch vom
Herzen aus empfunden, die Kopfarbeit eines unglücklichen Menschen, der
wirken will und kein Theater in sich hat, es ist beste literarische Musik.
Berlioz besitzt die akustische, die dynamische Macht des Tons, vor allem die
rhythmische, die stets durch künstliche Wirbel einer vorhandenen Schönheit
zu erreichen ist, aber er denkt sich alles, wie es zu sagen ist, statt daß er es
ursprünglich und stark fühlt. Darum versagt er, er versagt fast überall, wo
ein Solo den natürlichen Ausdruck einer Empfindung zu geben hat, weniger
in Ensembles und Chören, am wenigsten im Orchester, wo die Malerei
spricht. Dort behält er verlegen die alten symmetrischen Formen bei, hier
ergeht er sich in malerische, programmatische Musik, in der er so gute Bilder
schafft, wie dort schlechte Seelen. Mit keiner seiner Figuren leben wir,
aber seine Farben interessieren uns. Genau dasselbe, was Beethovens Größe
308
Karikatur auf die Trojaner
war, wird seine Schwäche.
Und was Cherubinis Ein-
heit war, wird sein Zwie-
spalt. In diesen Abgrund
gleiten seine Werke. Sie
sind als Opern unsinnlicher
als seine Damnation de Faust
ist, die man mit Unrecht auf
die Bühne bringt. Die glän-
zenden, oft genialen Bilder
der Damnation werden in
der Phantasie bessere Bühne,
als sie es jemals wirklich
werden können. Aufgeführt,
verraten sie ihre Seelen-
losigkeit und Effektbewußt-
heit. Sie sind ein sympho-
nisch - vokaler Reflex der
großen Pariser Oper: das
ist der echteste Bcrlioz.
Derselbe Berlioz, der einmal im Konzert Meyerbeers Schwerterweihe auf-
führte, die Soli zwanzigfach verstärkte : und alles zitterte, sagte er.
Am reinsten findet er sich im Orchester seiner Opern. Da ist er der große
unumschränkte Herrscher. Die Ventilhörncr und Trompeten sind ihm recht,
diese neue Technik gewährt ihm alle Tone der Blechbläser (Meyerbeer be-
kehrte sich nicht so ohne weiteres), und er gibt nicht einmal zu, daß die Natur-
blechbläser, deren Skala beschränkt ist, sie an Kolorit übertreffen. Die Saxo-
phone umarmt er. Die Streicher teilt er in allen Lagen. Die Schlaginstru-
mente will er als Klasse in die Orchesterschule einführen, deren Programm
er in seinen Memoiren entwickelt. Jede Seite seiner Partituren lebt von einem
Orchestersinn, der nur die Gelegenheiten sucht. Ungewöhnliches in Kombi-
nationen, Malerisches in der Auswahl zu finden. Seine Instrumente atmen,
wie seine Personen tot sind. Besonders wenn wirklich tote Personen erschei-
nen, Geister Verstorbener, wühlt er in den Tiefen charakteristischer Or-
chesterfarben. Bei Hcktors Erscheinen hört man gestopfte Hörner, Celli,
geteilte Bässe, Posaunen — eine ähnliche Klangfarbe, wie sie einst der ehr-
würdige Kardinal im Cellini bekam. Die Einleitung zum dritten Akt der Kar-
thagotrojaner ist das Gegenbeispiel für Ausnutzung der Höhe: Sordinstrei-
cher, Flöten, Oboen, Klarinetten, Harfen in einer ätherischen Umspielung
309
des musikalisch schwachen Karthager-Nationalliedes. Der erste Trojanerteil
beginnt mit Bläsern, er behält sie konsequent bei, bis zum Auftreten der
Kassandra, die die Streicher lockt. Sein Orchester besprechen heißt jeden
Takt erzählen: hier sind die Vorgänge seiner Musik. Als er den Klavieraus-
zug der Trojaner selbst besorgte, war er wohl der erste, der die Instrumente
hinzuschrieb — das lag ihm am Herzen.
Ein Stück wie der zweite Akt der Karthagotrojaner gehört neben seine
großen Orchesterspiele. Es ist nur eine symphonische Szene von unerhörter
malerischer Gewalt, exaltiert in der Linie, kühn in der musikalischen Land-
schaft, Wald, Gewitter, Jagd, die Liebesgrotte von Äneas und Dido, die Chöre
der Geister, fast nur Vokalisen, dazwischen der Ruf Italic, der das Gewissen
des Helden wecken soll — vielleicht das interessanteste Stück aller Berliozopern,
weil es nicht Oper ist. Alles Pantomimisch-Choristisch-Lyrischstehende ge-
lingt. Die große Trauerpantomime der Trojaner, ihr von Harfen und Oboen
klingender Zug bei der Einbringung des hölzernen Pferdes, der fliegende,
würfige Karneval im Cellini mit der Pantomime der Sänger, die nur das
Orchester spielt, und des Publikums, das Chöre singt, Tanz und Duell in
einer rhythmisch auf das feinste durchgearbeiteten Ensembletechnik, das
huschende, instrumental gedachte Terzett mit eingefügten Stimmen, der
Teresa, Cellinis und seines Rivalen Fieramosca, der motivisch wiederholte,
etwas künstlich belebte Chor der Ziseleure, das schöne stille Nachtseptett
in den Trojanern, von einem silbern tropfenden hohen C überschleiert, alle
Tänze und Aufführungen, in denen Orchester und Takt sprühen und die
Melodie exotische Farbe gewinnt, die Sizilienne in der Beatrice, die Spott-
cnsembles, in denen die wider Willen Liebenden hier so dankbar gegeneinander
gehetzt werden, und der Hochzeitszug als komisch übertriebene Doppcl-
fuge mit einem weinenden und einem lachenden Thema: das sind die Proben
Berliozscher Kunst, seiner Stimmsymphonien, die nichts verlieren dürfen,
wenn sie vom Papier auf die Bühne gehen. Noch bis in das lyrische Duett
reicht diese Kraft. Das berühmte Notturno der beiden Frauenstimmen, die
in der Rosen- und Mondscheinnacht der Beatrice abziehen, das Duett von
Äneas und Dido, die sich dem süßen Gefühl einer „solchen Nacht" hin-
geben, sind wundervolle Konzertstücke, in eine Bühnenstimmung getaucht.
Die Melodie an sich als Äußerung der dramatischen Seele hat diese Sugge-
stion nicht. Bisweilen, wie in der Kavatine der Teresa, wird der Ausdruck
peinlich unwahr. Die große Beatricearic hilft sich mit Gluckschen Gebärden.
Eine schöne melodische Blüte taucht im Duett von Ccllini und Teresa auf,
wie eine ferne Erinnerung an heiße und brünstige Stunden unter italienischen
Lorbeeren. Ganz frisch und frei ist der Buffostil der Fechterarie von Fiera-
310
niosca, auf eine komische Rhythmik angelegt, bis zu den 5- und 7-Takten
der Degenstöße. Hier hilft die typische Paradoxie. Es ist, als ob Berlioz sich
oft sehnte, die Melodie lieber dem Orchester zu geben — so gern wiederholt
er Gesangsphrasen als Echo in den Instrumenten. Sie müssen ihm die Stimme
bestätigen.
Es kann uns nichts daran liegen, die Schwächen der Berliozschen Opern,
die sich bewährt haben, als absolute Fehler anzustreichen. Es sind nicht
Fehler, es sind Irrtümer gewesen. Absolut genommen, ist in seinen Werken
Entwickelung: von den steifen Symmetrien, verschwenderischen Koloraturen,
ungewollten Verzerrungen, bizarren Rhythmen des Cellini bis zu dem ein-
heitlichen lebendigen, dramatischen Schluß der Trojaner, dem ausgezeich-
neten Selbstmord der Dido, ist schon ein Weg. So typische Situationen, wie
der Schwur im Cellini (ein Schwur muß sein, also schwören wir, den Perseus
heut zu gießen), das Fluchtduett, das Pastorale, findet man in den Trojanern
nicht. Seine naturalistische Kleinmalerei, die dort in den Chören mit dem
Wirt, in der Fluchterzählung Cellinis bemerkt wird, belebt hier ganze
Strecken und man ahnt seine Ahnungen neuer Ausdruckskräfte. Aber dies
war schon in einer Zeit, da Wagner längst mit ganz anders organisierten
Sinnen die große Synthese des Darstellenden und Beschreibenden gefunden
hatte. Die Oper des Helden, der Leben und Liebe im Guß einer Figur aufs
Spiel setzt, hätte gut die plastische Ironie eines Meyerbeer vertragen. Die
Oper des Helden aber, der aus dem zerstörten Troja durch die Liebesepisode
der Dido nach Italien strebt, war beim besten Willen nicht mehr als ein
Nachklang alter Stoffe, die Verirrung einer privaten Liebhaberei in das
Reich der unbarmherzigsten Musikgattung.
Berlioz war ein Künstler der bewußten Mittel, darum gehört er in diese
Klasse. Aber seine Mittel mußten indirekte sein, darum verfehlte er die
Bühne.
311
/
DEUTSCHE ROMANTIK
PFeber
DIES scheinen mir doch drei sehr besondere Provinzen im Reiche der
Oper zu sein, die wir jetzt bereisen. Nicht jeden, der ein Haus hat,
nicht jeden, der sich uns vorstellen möchte, 'können wir nach Leben, Werk
und Gunst befragen, wir besuchen die Großen und forschen sie unbefangen
aus, wir stecken den Kopf neugierig in manche Hütte, verweilen auch auf
manchem Grabe, und sind es zu viele Hände, die sich nach uns ausstrecken,
reisen wir lächelnd weiter. Wir plauderten mit den Herren der opera co-
mique, es war die Provinz der amüsanten Unterhaltung. Wir verkehrten
mit den Mächtigen der Pariser Großen Oper, es war die Provinz der theatra-
lischen Wirkung. Was ruhen nicht alles für einseitige Möglichkeiten in die-
sem Arsenal von Künsten, das Oper heißt und jedem die Waffen liefert, die
er braucht. Jetzt aber kommen wir in die dritte Provinz, die der deutschen
Romantik, und sie empfängt uns am wärmsten und herzlichsten. Nicht
Geist, nicht Effekt ist es, was ihre Vorzüge macht, es ist die reine schöne
Musik, die Musik, die in der Seele singt, ohne viel Kunst und Schule, die
Musik, deren der Künstler voll ist zu allen Tagen und Nächten, die er aus
Freuden und Leiden seines Lebens heraushört und in die Freuden und Lei-
den seiner Bühne hineinhören möchte. Er ist ein Deutscher, nicht hinge-
geben der Sinnlichkeit des Moments wie der Italiener oder wie der Fran-
zose der Suggestion der Szene, er ist hingegeben allein den Phantasien seiner
musikalischen Träume und der Wahrheit des musikalischen Ausdrucks. Auch
sein Gewissen kennt die furchtbaren Schwankungen zwischen diesen Träu-
men und diesen Wahrheiten, aber darum besteigt er die Bühne, um das eine
durch das andere retten zu können. Er braucht sie, um seine Träume sich
wahr zu machen. Das ist das Wesen aller romantischen Oper.
Der große und liebe Mann, der zuerst aus solchem inneren musikalischen
Bedürfnis eine Oper schuf, ist Weber. Er stammte von der Familie Weber,
aus der sich Mozart seine Frau geholt hatte. Ein Filou von \'ater brachte
ihn beinahe in die Gefahr, durch Unstetigkeit und Ziellosigkeit seine Exi-
stenz zu verderben. Er wandert in allen möglichen Ämtern durch Deutsch-
land und Österreich, ohne geregelte Erfahrung, bis endlich dem Zigeuner
312
Das Haus VVebcrs. Nach der Natur gezeichnet von Brandt
in Prag eine gewisse Ruhe verschafft wird, wo er Kapellmeister des Landes-
theaters ist. Das war 1813, er ist schon 27 Jahre. Drei Jahre darauf wird
er nach Dresden berufen, um die deutsche Oper zu organisieren. Dort blieb
er. Sein Ansehen innerhalb des Theaters ist gleichwohl das eines Outsiders.
Die italienische Abteilung gilt als die offizielle. Ein einziges Werk wollte
er dem sächsischen König widmen, Die drei Pintos, es wurde vorher abge-
lehnt und blieb unfertig liegen. Der Freischütz wurde von Berlin aus be-
stellt, Euryanthe von Wien, Oberon von London. Er reiste und be-
reitete alles selbst vor. Paris hatte sich auch gemeldet. Aber der todkranke
Mann, tapfer bis zum letzten Augenblick, opferbereit gegen alle außer sich
selbst, starb kurz nach dem Oberon, 1826, in London. Erst 1844 kamen
seine sterblichen Reste zurück nach Dresden. Dies war Wagners Tat, und seine
Rede am Grabe war die große Wendung der Dinge: Das Eingeständnis eines
unauslöschlichen Heimatsrechts. Nun hatte der Ruhelose Frieden.
In einem wunderbaren Gegensatz zu diesem gehetzten Leben steht die
stille und sinnige Musik, die in ihm webte. Schon in der Jugend hat er eine
ausgesprochene Neigung für volkstümliche, waldesrauschende oder lebens-
heitere Stoffe. Silvana ist am bekanntesten geblieben und hat eine Stil-
31
o
Die Sontag. Lithographie nach Winterhaltcr
widrige Neubearbeitung von Ferdi-
nand Langer erfahren. Das Stück,
in der ursprünglichen Form, ist ein
bißchen im Genre von Boieldieus Rot-
käppchentext and nimmt auch wie-
der Wirkungen von Aubers Stummer
voraus, da sich das Waldmädchen
sprachlos stellt und das Orchester
zu gutem Erfolg im Solocello und
in der Solooboe aufruft. Auch Abu
Hassan trifft man noch öfter an. Das
ist eine harmlose, aber ganz nette
Geschichte von Zweien, die sich tot
stellen, um für ihre Leichen Geld
herauszuschlagen, mit dem Intrigan-
ten Omar und dem Chor der Gläu-
biger, nichts Aufdringliches, manch-
Tnal schon webersch in einer züchtigen Virtuosität seiner Punktier- und
Kettenskalen, aber doch noch sehr gemischt aus Italien, Mozart und
Deutschtum, überflüssig gegen die Entführung. Zigeunerfarben legte er
in seine Preciosamusik, die er zu irgend einem Schauspiel eines Herrn
Wolff schrieb, reizende Tanzrhythmen, die motivisch wiederkehren,
Melodramen voll Erinnerung, viel Ritterliches, auch einen Waldchor,
im allgemeinen eine Musik von französischem Charakter, womit er sich
jedenfalls bei den Berlinern beliebt machte, die es kurz vor dem
Freischütz hörten. Auch Die drei Pintos hätten noch in dies Genre
gehört. Ein Tölpelritter Pinto ist als Bräutigam bestellt, ein lustiger
Student stiehlt ihm seine Legitimation, der wirkliche Liebhaber lockt
sie wieder dem Studenten ab — diese Geschichte, im spanischen Milieu,
hatte ganz die Laune einer opera comique, und soweit Webers Skizzen
erhalten sind, bewegte sich seine Musik auch vollkommen im Stil der
französischen Schule. Ein Terzett, in dem der Student den Pinto vor
seinem Diener Liebesanträge parodieren läßt, ist beinahe moderner Falstaff,
so graziös und zynisch, wie irgend ein Stück Aubers. Ein lebhaftes Finale
mit dem Trunkenheitsmotiv Pintos, eine Seguidilla nach Originalmclodie,
ein Buffoduett des Studenten mit seinem Diener, die Charakteristik Don
Pantaleoncs, des Brautvaters, mit der Grandezza punktierter Skalen und ge-
spreizter Koloraturen, eine Fülle melodiöser Einfälle, die das Webersche Lä-
cheln haben — es wäre sicher ein reizendes Werk geworden. Kein Geringerer
,H
als Gustav Mahler hai diesen Torso gerettet; über den vom Sohne Webers
umgearbeiteten Text hat er unter Benutzung der Originalmusik und anderer
Stücke Webers ein ganz famoses und recht einheitliches Opernlustspiel her-
gestellt, das noch viel öfter hätte gegeben werden sollen.
Frcisclinfz
WEBER sitzt indessen in seinem idyllischen Winzerhäuschen zu Klein-
Hosterwitz bei Dresden, das unter seinen Spalieren die meiste Musik
zu Freischütz, Euryanthe und Oberen hat entstehen sehen. Er lebt,
so behaglich es geht, mit seiner Silvana, der Sängerin Caroline Brandt, freut
sich mit seinen Kindern, seinem Jagdhund, seiner Cyperkatze und seinem
Kapuzineräffchen. Aus einer schöngeistigen, sehr gemischten literarischen
Gesellschaft, genannt „der Dichterthee", besucht ihn bisweilen ein Schrift-
steller Friedrich Kind, so angesehen wie er heut belächelt ist, der, man weiß
nicht wie, ein „Landleben van Dycks" gedichtet hatte und der unfreiwillige
Vater der romantischen Oper wurde. Die Sache war früher schon angeregt,
jetzt wurde sie spruchreif. Den Grundstoff nahm man aus einem Gespenster-
buch Apels, wie so oft solche Schmöker in der Hand von Komponisten Träume
geweckt haben. Kind tat, was er konnte. Weber strich ihm die ersten Szenen,
in denen Agathe den Eremiten besucht, und stimmte ihm dafür zu, den
Schluß versöhnlich zu machen, während bei Apel der arme Freischütz im
Irrenhause stirbt, weil er seine Braut totgeschossen hat. Man bekam schließ-
lich eine Dialogoper fertig, die Weber recht zu lieben begann und Graf
Brühl in Berlin endgültig bestellte. Literarische Ambitionen hatte dieser
reine Musiker niemals, wenn er auch ein wenig dunkel für das Gesamtkunst-
werk schwärmte, und von allen schlechten Texten, die er komponierte, war
der Freischütz gewiß nicht der schlechteste. Er nahm ganz naiv zunächst
die Szenen vor, in denen Ännchen auftrat, denn das war gleichsam seine
Frau, dann das übrige außer der Reihe, und fügte in Berlin noch die Arie
No. 13 hinzu. Er hatte das Gefühl, etwas mehr gemacht zu haben als ein
Liedersingspiel.
Ich denke mir so gern, ich bin bei der ersten Aufführung des Freischütz
im neuerbauten Schinkelschen Schauspielhause, api 18. Juni 1821, und erlebe
das nun alles. Die Ouvertüre nimmt mich ganz gefangen. Sie beginnt mit
einem wunderschönen Dialog von zwei Hörnerpaaren, der die Stimmung
gleich festlegt. Dann werde ich in die Finsternis tiefer Akkorde gerissen,
die Streicher tremolieren, Bässe pizzikato und Pauken geben dumpfe Schläge
außer dem Takt, das Cello singt eine Melodie — es spannt mich seltsam.
Das Allcgro beginnt heftig synkopiert, darüber klagen die Blaser, jetzt geht
es in einen wilden C-Moll-Satz von grandiosem Schwung, drohende Motive
ringen durch, ein Unisono ballt sich zu einer schweren tremolierenden Wolke,
über der ein befreiendes Klarinettensolo ertönt und zu einer reizenden
Marschmelodie wird, die mit jenen drohenden Motiven ihren Durchfüh-
rungskampf tapfer durchficht. Wie angenehm hört sich das, es ist so gar nicht
dogmatisch; und schon sieht man ein Drama voll Beziehungen, Erinnerun-
gen, Verhöhnungen und Triumphen. Die Rückkehr in den ersten Teil hat
nun die Probe zu bestehen, noch einmal erscheint die Vision jener schaurigen
Beschwörung: da zerreißen die Wolken, ein strahlendes C-Dur setzt plötz-
lich ein und die sieghafte Marschmelodie führt zum jubelnden Schluß. Ich
bin musikalisch genug: die Form ist mir klar, aber da ist ein Inhalt, der über
sie hinausdrängt, reden möchte, malen möchte. Wie wird es sich klären ?
Ich habe den Text gelesen und kann mir schon einiges vorstellen, aber es
geht mir merkwürdig: ich höre selten noch den Inhalt, ich höre es wie mu-
sikalische Stimmungen, die sich abwechseln, ergänzen und steigern, ich höre
eine Herzensmusik, aus der Tiefe eines Mitgefühls. Ein Spottlied, um Maxen
unglücklich zu machen, Trostensembles in guten Liedertönen, um sein Leid
zu vereinsamen, Jagdlieder und Volkswalzer, um die Landschaft zu zeich-
nen — und nun bleibt Max allein und ich sinke mit ihm in seine Leidstim-
mung, die nur einen Ausweg hat, Musik, die ihm auf den Lippen liegt.
Eine Klarinette nimmt sich seiner an und leitet zu seiner Arie ,, durch die
Wälder, durch die Auen", die sich noch in einer leichten französischen Sen-
timentalität gibt, da verdunkelt sich die Musik und jenes schaurige Tremolo-
motiv der Ouvertüre wird lebendig in Samicl, der vorübergeht — noch ein-
mal gedenkt Max, deutscher und schlichter, seiner Agathe, da reißt ihn die
Verzweiflung fort: das Synkopenmotiv wird zur Szene, das Klarinettensolo
wird Gesang, „O dringt kein Strahl durch diese Nächte", es wälzt sich von
seiner Seele, bis hinauf zum furchtbaren „Gott" über der wilden vermin-
derten Septime, Samicl verschwindet, Caspar erscheint und das Teuflische
nimmt von ihm Besitz. Caspar singt sein verwegenes Trinklied mit» den
hohnlachenden Pickclflöten. Caspar singt seine große Arie, mit Aufgebot
des ganzen Blas- und Paukenorchesters, das bohrende Moti\- aus der Ouver-
türe hat er sich geworben, die Pickeltriller bleiben ihm treu, er schließt den
Akt mit seiner ganzen schwarzen Virtuosität, in der man nur von fern noch
die Dämonie des Italieners erkennt, von dem er abstammt.
In der Pause überlege ich : was habe ich gehört ? Zunächst ein pikfeines
Orchester, das der geringsten Regung der Szene folgt und in jedem Takte,
ohne Rausch und Überhebung, lebendig ist. Dann wenig Franzosentum
316
V
I
Weber. Zeichnung von Henscl 1S22
und Italienertum, das dachte ich mir
gleich — wer diesen Stoff wählt, muß
ihn deutsch nehmen. Da war Männer-
gesangliches, Liedtreue und Waldes-
geruch und das meiste so schlicht und
einfach, wie diese Figuren sind. Fast
Menschen, die wir kennen und denen
wir die Musik vom Munde abzulesen
meinen. Das ist neu, eigentlich. Es
war so vieles Oper, was wir in letzter
Zeit hörten, auch Romantisches. Aber
hier ist irgend ein Himmel aufgegan-
gen, etwas Brüderliches, Beglücken-
des, Unverdorbenes. Ich freue mich
auf Agathe.
Und wirklich : leuchtet hier nicht
Sonne ? Das ist gut, Ännchen in sechs
Achtel sich wiegen zu lassen ; wie gra-
ziöse Einfälle sie hat, wie nett sich ihr
Charakter absetzt gegen Agathe, die so sehnsüchtige Vorhalte braucht, so
weiche Mollwendungen und so süße Melodien lang zieht über dem tanzen-
den Ännchen. Ännchen wählt sich für den schlanken Burschen, der ge-
gangen kommt, einen feinen Polonäsentakt, das ist Webers Domäne. Sie
macht es bezaubernd volkstümlich, nicht zu welsch, und Oboe und Cello
halten indessen ein Liebesgespräch. Jetzt bin ich ganz in der Stimmung
und kann die große Agathenarie kaum erwarten. Schön, wie die Klarinette
ihr vorspielt: so wenig und herzlich, so ein Hauch innerer Musik. Oh, sie
gleitet in Moll, sie öffnet das Fenster in die Mondnacht, die Oboe scheint
sie versöhnlich in C-Dur führen zu wollen, da nimmt es ihre Stimme auf
und führt es selig in H-Dur. Schön! Die Flöten bereiten es weiter und
,, leise, leise, fromme Weise" • — auf vier gedämpften Violinen in E-Dur, ganz
still und zart, und ganz, ganz tief aus dem Innersten beginnt eine Melodie
so wundervoll und sternenklar, wie ich etwas Innigeres niemals bisher ge-
hört habe. Eine Rezitativwolke auf Bratschen, noch einmal dieses himmlische
E-Dur, nur noch einmal! Eine Bewegung in tiefen Streichern, Hornstöße
• — seine Schritte! Bewegung in allen Streichern — er ist's! Ein Zögern,
ein Tutti, und die Marschweise bricht sich jubelnd Bahn, hier ist sie, die die
Ouvertüre krönte, nach Fragen der Bläser, Fragen der Streicher, in seligen
Akkorden und auf triumphierenden Solohöhen ist sie hier und durchstrahlt
uns alle. Ich bin so eingenommen von diesem weltumfassenden Stück Musik,
die so groß ist, daß sie selbst die Virtuosität nicht ausschließt — ich finde
mich im folgenden Terzett dadurch nicht ganz zurecht. Das erste Mal habe
ich heut das Gefühl, in einer Oper zu sein. Ich weiß nicht, die Charaktere
des Max und der beiden Mädchen sind gut abgesetzt, aber doch etwas ty-
pisch; feine melodische Wendungen höre ich wohl, aber erhebt sich Dis-
position und Faktur über den Zeitstil ? Gott, die Worte verstehe ich nicht,
und schließlich, jede Musik saugt ihre Stimmung. Vor der Verwandlung
sagen mir die Italiener, die neben mir sitzen, ihnen gefalle das Terzett gerade
sehr gut. Ich antworte: um so weniger wird Ihnen, um so mehr mir gefallen,
was jetzt kommt. Und in der Tat, ich habe von der Wolfsschlucht nicht
zu viel erwartet. Sie scheint mir das Deutscheste und Romantischste an
diesem Werk zu sein: denn sie ist symphonisch und malerisch, von einer mär-
chenhaften Zwiespältigkeit, nicht bloß, weil immer der eine spricht und
der andere singt, sondern weil das Orchester mehr spricht und singt als sie
alle zusammen. Ich kann mir denken, daß man später einmal die Dekorationen
wieder noch mehr wird sprechen lassen als das Orchester. Das Maß, das
unsere Aufführung darin hielt, fand ich lobenswert. Denn, so neu und son-
derlich mir die Musik vorkam, klar und einfach war sie doch immer. Akkorde
von Klarinetten und Posaunen, die Geisterchöre, die sich um ihr Fis drehen,
das Zucken Samiels, die zerrissenen Figuren in zitternden, seufzenden,,
gezupften Streichern und in wehenden Bläsern, in schauerlichen Pauken
und tiefen Bässen, Caspars Flötenlachen, die Hornstößc, die wallenden
Xebel in Flöten und Streichern, die Erscheinung der Mutter in Holz-
bläserakkorden, der Agathe in reißenden Sechszehnteln der Flöten und
Violinen, die Erinnerung an das Motiv von Ma.xens Arienschluß — das
ist alles eine Galerie von Malerei, wie es die Musik noch nicht- wagte,,
aber doch übersichtlicli und scharf angeschaut, ohne jede sensationelle
Zutat. Ich fand mich vor einem Märchen, aber niclit vor einem Rätsel,,
erst recht, da die sieben Kugelgüsse von selbst ihre Bilder der Reihe
nach riefen: erst die schleichende Trillcrfigur mit den pickenden Vögeln,
dann der stoßende Elx-rbaß, dann die Sechzehntelvvogen des Sturms, dann
die Galopptriolen, dann die wilde Jagd mit den vier Hörnern in drei
Stimmungen, dann die Gcwitterflammen, in denen ich das tobende C-Moll-
Motiv der Ouvertüre wiederfand und endlich der große Zusammenbruch im
plötzlichen Fis-Moll. Wie schrecklich und doch schön war das! Ich hatte
in Paris einmal Campras Tancred gehört, wo auch ein solcher Zauberwald
mit schweifenden Dämonen vorkommt — sie benahmen sich recht pastoral
und fugiert. Jetzt wußte ich, daß eine neue Epoche angebrochen war.
318
Webers Handschrift : Freischütz
»
Und docli, wenn ich geglaubt hatte, den deutschen Schwerpunkt der
Oper in diesem halbsymphonischen Zwischenspiel zu finden — ich mußte
mir sagen, die Icostbare Kavatine der Agathe im nächsten Akt, mit dem obli-
gaten Cello, war es nicht doch noch deutscher, so rein und innig und musik-
ergeben singen zu dürfen ? Wie das vom Herzen geht und zum Herzen
kommt, man kann es nur mit diesen einfältigen Worten sagen. Ännchen
mit dem Kettenhund will ich nicht so verteidigen, \\'eber schrieb es für un-
sere Demoiselle Eunike erst kurz vor der Aufführung, die Solobratsche dabei
ist fast eine Parodie auf das Solocello der Agathe, aber in aller \'irtuosität
der seconda donna leuchtet doch auch manchmal ein deutsches Lichtchen:
wo die „trüben Augen" das drittemal kommen, ist es zu süß zu hören, und
die „ros'ge Hoffnung", die dann auf dieselben Töne kommt, paßt eigentlich
noch besser. Was soll ich von dem Jungfernkranz schwärmen ? Ich fühlte,
daß dies eine deutsche Volksmelodie werden wird, und bewunderte doch den
Musiker in dem feinen Nachspiel. Ich fühlte, daß der Jägerchor der schönste,
der grünste aller Jägerchöre bleiben wird, und bewunderte doch seinen raf-
finierten Takt und Satz. Das Finale hörte ich ruhigeren Gemüts an. Die
o
19
naiv gläubigen Chöre, das süße Erwachen Agathes, der böse Tod Caspars
mit dem Samielmotiv, Maxens treue Ehrlichkeit, die Attitüde Ottokars und
das verdeutschte Oberpriestertum des Eremiten schienen mir das Werk an-
gemessen zu Ende zu führen. Einzig in Erinnerung blieb mir ein kurzes
Motiv des hohen Fagotts, das in wenigen Noten einen wunderbar verdich-
teten Ausdruck enthält und immer, wenn es wiederkehrt, uns fragen will:
lebt die deutsche Seele ? Doch die Oper eilt zu Ende. Eine schöne Flöten-
melodie hält uns noch einen Augenblick zurück, eine italienisch brausende
Kantilene will uns — was ist das ? Aber schon strahlt wieder das jubelnde
Marschthema der Agathe und führt zu demselben Schluß, zu dem uns vor
wenigen Stunden die Ouvertüre führte. Ich bin durch das unerwartete Brio
etwas aus dem Kontakt gebracht. Plötzlich scheint mir auch dieses Marsch-
motiv an die Manier Spontinis zu erinnern, Spontinis, der drüben im Kgl.
Opernhause residiert. Aber nein, ich weiß jetzt, welcher Partei ich ange-
höre. Ich weiß, daß heute abend das deutsche Volk seine erste Oper gewon-
nen hat. Merkwürdig, in diesem Hause, das der geniale Klassizismus Schinkels
baute. Ich sehe in der Freischütznacht noch einmal hinauf zu diesem Bau,
der heut öffentlich wurde wie diese Oper! Wirre Gedanken wälzen sich in
meinem Kopf. Spontini, Schinkel, Weber — es lebe die deutsche Seele!
Sic lebt jetzt. Können wir uns heut noch die Umwälzung vorstellen, die
in den musikalischen Köpfen jener Zeit vor sich ging? Der Freischütz
fand Widerspruch : bei E. T. A. Hoffmann und bei Spohr, die vor ihm ver-
sucht hatten, so etwas wie romantische Opern zu machen, bei Zelter, aus
Konservativismus — aber er setzte sich gegen Neid und Reaktion als eine
Kunst durch, die mit der Volkstümlichkeit Revolution verband, eben weil
diese Revolution die des Volkes war. In Paris gab man ihn erst als Kuriosität
in einer Verunstaltung im Odeon, unter dem Titel Robin des Bois. Dann
kam er in die Große Oper, im allgemeinen unverändert, nur mit Einlagen
Weberscher Tänze, die Berlioz schließlich zugestehen mußte: er hatte die
Komposition der Rezitative übernommen, die das Gesetz dieses Instituts
verlangte — und die Pariser rochen hier ein Wild, das sie goutieren moch-
ten. Beethoven aber sagte : „Das sonst weiche Manuel, ich hätt's ihm nimmer-
mehr zugetraut. Nun muß der 'Weber Opern schreiben, gerade Opern, eine
über die andere, und ohne viel daran zu knaupeln. Der Caspar, das Untier,
steht da wie ein Haus. Überall, wo der Teufel die Tatzen rcinstreckt, da
fühlt man sie auch." „Da bist du ja, du Kerl! Du bist ein Teufelskerl. Grüß
dich Gott!" — so empfängt er ihn, als er zur Einstudierung seiner Euryanthe
nach Wien kommt.
320
Eitryaiif/ie
DER Wiener Direktor Barbaja, derselbe, der Rossini in Neapel machte,
hatte sie bei ihm bestellt. Die reizende Henriette Sontag wartete seiner
als erste Euryanthe; vielleicht die hübscheste Sängerin, die je gelebt hat,
mit einer lieblichen und schalkhaften, aber kleinen und bedeckten Stimme,
die sich mit einer klugen mezza voce hilft. Für Mozart reichte sie nicht aus,
die deutsche Romantik aber lag ihr ebenso wie Rossini, den sie in Berlin
im Königstädtischen Theater, wo die italienische und französische Spiel-
oper gepflegt wurde, einführte. Eine seltene Holdseligkeit ist um ihre Er-
innerung. Damals, 1823, war sie siebzehn Jahre. Gewiß verhalf sie der
Euryanthe zu dem momentanen Erfolge, der so wenig anhielt, wie diese
Oper bis heute nicht populär werden konnte. Wieder ist es ein roman-
tischer Gesinnungsgenosse, der sich dagegen ausspricht : Schubert. Zelter
zieht sie dem Freischütz vor, trotz aller künstlichen Lebhaftigkeit, dem
Gesuchten, Gepritzelten, aus feinen Häppchen Zusammengesetzten — den
Fleiß lohne sie nicht. Beethoven sagte nach der Aufführung: „Das freut
mich, das freut mich! So muß der Deutsche über den italienischen Sing-
sang zu Recht kommen !" Was ist nun mit der Euryanthe ?
Man hat sie die Wasserscheide der deutschen Oper genannt, und man
kann kein besseres Wort finden. Einiges in ihr läuft zurück, anderes vor-
wärts, und sie wurde die Grenze der alten und neuen Zeit, mit allen Schwie-
rigkeiten, die so ein Übergangszustand mit sich bringt. Die prachtvolle
Ouvertüre, die aus Themen der Oper schwungvolle Ritterlichkeiten, geheim-
nisvolle Ahnungen und selige Gefühle in einen einheitlichen Rahmen spannt,
zeigt Webers Wünsche: diese drei Dinge reizten ihn, aber als Drama sah
er sie noch nicht genug zusammen. Er fühlte sofort das Mißliche und half
sich gleich mit Strichen, aber das machte es nicht. Später hat man die Un-
klarheiten der Situation durch Traumerscheinungen des unglückseligen Paares
Udo und Emma zu retten versucht. Aber das Unglück lag tiefer. Weber
hatte einen unreparierbaren Mißgriff getan, indem er dieser armen Helmine
von Chezy, die ihm aus ihrer gelehrten Vergangenheit den Euryanthestoff
empfahl, seine Ausarbeitung überließ. Er sah nur die Reize für seine roman-
tische Musik, aber die Unmöglichkeiten des Textes sah er so wenig, daß er
sie durch die Erfindung jenes Geisterpaares, das die Oper zu seiner Erlösung
braucht oder vielmehr mißbraucht, nur noch verschlimmerte. Im altfran-
zösischen Original erblickt Lysiart heimlich ein Veilchenmal, das Euryanthe
unter ihrer rechten Brust hat; indem er es verrät, glaubt er ihre Treue zu
verdächtigen. Aber der Deutsche wollte solche Galanterien nicht, er brauchte
321
Erlösungsmotive und Geisterweben für schöne Sordinengeigefi, und so ward
die schreckliche Emma mit ihrem Ring, der sich nach Tränen der Unschuld
sehnt, geboren und stört die ganze Oper, indem sie die Leute zu Narren
macht. Dabei ist etwas sehr Wunderbares: daß einst ein Fluchring noch in
der deutschen Oper eine sehr wichtige Rolle spielen sollte, und daß diese
Intrigantin Eglantine, die ihren verehrten Gatten zur Schlechtigkeit reizt,
in einer sehr berühmten Figur einst wiedererstehen sollte, überhaupt dieser
ganze Kampf eines reinen Paares mit einem bösen Paare — doch von diesem
Wunder ahnte Weber noch nichts. Wagner hat die Euryanthe zur Brücke
genommen, und dann blieb sie verlassen, so oft auch feine Musiker zu ihr
hin spazierten. Jetzt lesen wir mit einem mitleidigen Verständnis Webers
programmatische Ausführungen zu dieser Oper, das Schreiben an den Bres-
lauer Musikverein oder den Brief an den Leipziger Musikdirektor Präger:
es sind nicht die präzisen Forderungen Glucks oder Wagners, es ist ein
Schwanken zwischen ästhetischer Synthese, Ehrlichkeit des Künstlers und
Sängerkonzession. Wasserscheide.
Die rückläufigen Wasser der Euryanthe sind leicht zu erkennen, es
sind gewisse französische oder italienische Prägungen und Formen, die der
Autor aus dem Zeitgeschmack nicht erlöste. Die Romanze Adolars von den
Mandelbäumen ist flau pariserisch, aber sie erhält ihr Kolorit durch das
Orchester, das geteilte Celli mit Fagotten und Bläser und Hörner mit Brat-
schen verbindet. Das Duett der beiden Frauen wird virtuos, von einer ita-
lienischen plötzlichen Freudigkeit, die als Psychologie unmöglich ist. Das
erste Finale leidet unter ähnlichen Italianismen an seinem Stil und selbst
die reizende Phrase der Euryanthe über dem fröhlichen Chor bleibt, genau
besehen, nur ein Tonspiel. Das zweite Finale hat schlimmere Äußerlich-
keiten. Adolars unvermittelte Wiederholung seines Bau-auf-Gottmotivs, Ly-
siarts malerische Passagen, plötzlich wieder der Ausbruch Euryanthes mit
allen Blechbläsern auf Streichertremoli, das sind die künstlichen Forziert-
heiten, die eine unmögliche Szene retten sollen, aber bei allen Anstrengungen
des Orchesters zwischen Wahrheit und Gewöhnlichkeit, Ausdruck und Typ
keinen rechten Weg finden. Jede der vier Figuren hat gelegentlich so viel
Reaktion als Fortschritt im musikalischen Leibe, und wir müssen sie zer-
reißen, um sie zu beurteilen.
Der Fortschritt besteht vor allem im Gefühl der szenischen EinTieitlich-
keit, das über das hergebrachte Nummernschema, mehr noch als im Frei-
schütz, hinausgeht und bindet, was zu binden ist. Diese Oper ist durch-
komponiert, die einzige, die Weber so machte. Das leitmotivische, das mu-
sikalische Erinnerungsbild ist ihm notwendiger als je. Das schöne Motiv
322
der schrecklichen Emma, das Liebesmotiv, das Motiv der Eglantine ist alles
schon ziemlich fest geworden, wenn auch nicht immer obligatorisch : wo der
gestohlene Ring der Emma gezeigt wird, regt sich nichts Motivisches, aber
wo im Walde Euryanthe vor dem König den Verrat der Eglantine erzählt,
taucht diese im Orchester auf. Viel zwingender, viel musikalisch ergiebiger
erscheint ihm die ausdrucksvolle Durchbildung alles Rezitativischen, das jetzt
einen bedeutenden Raum einnimmt. Wie sich Adolar und Lysiart zuerst
um Weibertreue streiten, das schafft ironische, feierliche, ergebene, ängst-
liche Akzente, Trotzfiguren, Ehrfiguren, bis zu dem plötzlichen Ces-Dur
auf „Gottesgericht", die die neue deutsche nachdrückliche Operndeklama-
tion herrlich vorbilden. Die naturalistischen Einwürfe des Chors, die melo-
dischen Abstürze der Eglantine in ihrer großen Arie, der aufsteigende Trotz
Lysiarts vor ihrem Verrat, alle die Wendungen der rezitativischen Sprache
auf ein unvermitteltes Dur, die Hinaufführungen auf schreiende vermin-
derte, auf drängende einfache Septimen, so daß jedes wichtige Wort seinen
charakteristischen Harmonieakzent bekommt, und alles süße Absteigen in
der ewig schönen Vorhaltkadenz — es ist die Schule Wagners geworden.
Sagt der Text „O ewger Qualen Hyder" oder „Säuseln in Lüften, schmelzen-
des Ach", so hören wir nichts — aber heißt es „Heil, Ehre, Leben" oder „Mit
Gott will ich den Kampf bestehn", so grüßen wir sofort auch hier Lohen-
grins Vorläufer. Der Freischütz achtete den deutschen Geist mehr als die
deutsche Sprache. Euryanthe ist deutsch in der Musik, wo sie aus der
gehobenen Sprache und aus dem verdichteten Gefühl quillt. Diese schmieg-
samen Weberschen Wendungen der melodischen Linie, die wie aus Liebe
zu den gleitenden Harmonien, aus Umfassung des schönen Körpers der Tona-
lität geboren scheinen, ganz ergeben in die Empfindung und ganz wahr-
haftig im Bekenntnis, sie durchziehen diese Oper wie ein vorahnender Glanz
kommender deutscher 'Melodie. Das ritterliche Motiv „Ich bau auf Gott",
die Lieblichkeiten des Friedens- und des Landchors, die Schmerzlichkeiten
am Schluß der ersten Eglantinenarie, Adolars Gottergebenheiten, vor allem
seine große Arie „Wehen mir Lüfte Ruh", von den Bläsern mit der Bratsche
stimmungsvoll eingeleitet, dann so rührend rhythmisch abgesetzt mit den
zarten melodischen Fragen auf „seliger Zeit" und „süßestes Leid" und end-
lich so schwungvoll hinströmend in der berühmten Allegromelodie, und ein
wundervolles Gegenstück dazu, wie eine ängstliche Taube, die Kavatine der
verlassenen Euryanthe, von Fagott und Streichern koloriert — Impressionen
von Melodie sind darin, die dem Gefühlsbilde im Augenblick folgen. Aber
es gibt eine ganze Reihe von geschlossenen satten und farbigen Musikbildern
oder Stimmungsszenen, die man aus der Euryanthe nehmen und als Muster
323
kommender Opern hinstellen darf. Die gefürchtete Emma hat einen mysti-
schen Chor von vier gedämpften Soloviolinen auf tremolierenden hohen
Streichern und Flöten (in der Ouvertüre sind es acht Soloviolinen), in schwe-
benden, wallenden Harmonien, mit herabsinkenden klagenden Terzen, die
eine neue Welt musikalischer Romantik enthüllen. Die große Lysiartarie
mit den scharfen Vorhalten von unten, dem langsameren Mittelsatz, der
dämonischen Gewalt dunkler Wutakzente, den rollenden Zweiunddreißig-
steln unter eisenharter Melodie blieb ein Vorbild schweren deutschen In-
trigantengesangs. Der Schwur der beiden Rachepersonen, durch Oboen, vier
Hörner, drei Posaunen und Pauken gemalt, in einem Rhythmus, der sich
des italienischen Einschlags nicht zu schämen brauchte, stand auf dunklerem
Grunde als alle französischen Schwüre. Von einer transparenten, mono-
phonen Schmerzlichkeit ist Adolars Klage im letzten Akt, in die trüben Lüfte
gehaucht. Und jauchzend in aller Volkstümlichkeit ist das Liebesduettmotiv,
von einer deutschen naiven Schlichtheit, in aller Breite parallelgeführt, wonne-
voll in seine Anfänge zurücksinkend, und in seinen Schluß verhauchend, die
Apotheose der grundehrlichen Sext und Terz, zu der das Cello harpeggierend
seine Farbe gibt. Das ist alles sehr schön, und innerlich musikaHsch. Viel
herzlicher als der Ritter- und Liebeston französischer Autoren. Selbst in
den symphonischen, choristischen, episodischen Milieus waltet ein feinerer
Geist: der Ernste Reigen ist kein Ballett, sondern Szene, der Jägerchor mit
den vier Hörnern und der Baßposaune ist so apart rhythmisiert, der Maien-
chor ist eitel Sonne und Lebenslust, und die Hochzeitsmusik zu dieser schlech-
ten Hochzeit hat nicht das falsche Getue Meyerbeerscher Feierlichkeit, sie
ist absichtlich widerspenstig und von einem scharfen Bühnenbläserkorps be-
gleitet. Denn das Orchester ist der trcueste Dolmetscher aller dieser in einem
schlechten Drama gebundenen guten Musik: es gibt jedem seinen Spiegel,
in hundert oft gerühmten Schönheiten, die nichts als Wahrheiten sind, der
Rache ihre teufhschen Bläsertriller, dem Schlangenkampf die Windungen
der Bässe und Posaunen, und der Glöckchenarie Euryanthes den süßen Trost
abwechselnd sich neigender zärtHcher Holzbläser und Celli.
Obcron
DER arme Oberen! Das war nun der letzte Operngedanke Webers. In
Drury Lane wurde ein anderer Obcron gegeben, mit einer Pasticcio-
musik von Mozart, Winter, Cherubini — den hatte er in Covent-Garden
au besiegen. Sein englischer Textmacher hatte ihm ein Stück geliefert, aus
324
Wieland und Shakespeare zusammengeschustert, das die reine Automatie von
Figuren und Dekorationen war, keine Spur von Seele. Man sagte ihm, die
Engländer wollten es so. Eine Liebesszene war nicht darin, vielleicht woll-
ten die Engländer auch das. Wie schrecklich war das alles. Er machte es
in London fertig und nahm allerlei aus eigenen alten Sachen hinein, auch die
Rossinimelodie, die Rezia im ersten Finale singt, das war sicher für die Eng-
länder. Er wollte es dann für Deutschland richtigstellen und auch den er-
drückenden Dialog herausbringen. Er starb. Manche haben es zu bearbeiten
und zu retten versucht, jetzt Gustav Mahler, früher Franz Wüllner, der
die leitmotivischen Beziehungen pflegte, umstellte, kürzte, hinzufügte, fast
nur nach Weberscher Musik — es wäre um vieles zu schade gewesen!
Besonders die Elfen- und Meermusik. Im selben Jahre, 1826, erschien
Mendelssohns Sommernachtstraum-Ouvertüre. Dieses Jahr wurde ein Elfen-
jahr, auf alle Zukunft fortwirkend. So genial die Erfindung des siebzehn-
jährigen Mendelssohn war, Webers Einfälle waren doch noch sprühender.
Mendelssohn bewegt sich in einem flotten Gleichmaß etüdenhafter Mechanik,
Weber reißt, huscht, hüpft, kitzelt. Die einsamen Hornrufe, die hohen gehal-
tenen Bläserakkorde, die fliegenden Bläserketten, die Signale der Trompeten,
der Pauken, die überschüssige Rhythmik des Puck (Berlioz hat in A travcrs
chants eine reizende Abhandlung über die Oberonrhythmik), dann die Trau-
lichkeiten der Elfenchörc, des Schiffsquartetts, des Meermädchengesangs, die
DroUigkeiten des Sturmzaubers und seine Ebbe im Orchester, das löste in
ihm eine Fülle musikalischer Reize aus, musikalischer Entdeckungen, die die
Bühne eher lockte als die bloße Schauspielouvertüre. So lockten auch die orien-
talischen Szenen eine Rhythmik, die sich von Originalmelodien anregen ließ,
abersoschelmisch-tülpisch geriet, daß sie zu den Elfenrcigen einen bewußten
Gegensatz bildete. Erlaubte es das Libretto, so wurden sogar innerhalb der
bürgerlichen Sphäre des gewöhnlichen Gesangs solche Kontraste hingestellt.
Da sind manche nette melodische Mittelsätze in den wenig erfreulichen En-
sembles, da ist die berühmte schmelzende Hüonmelodie, da ist Fatimes Schä-
kern im Stile der Comique, da ist Rezias deutsche Kavatine, mit der schönen
Ges-Dur-Weiche gegen den Schluß in F-Moll und dem verständnisvollen
Zuspruch der sich ablösenden Instrumente, da ist vor allem das berühmteste
Konzertstück der Oper: Rezias große Ozeanarie. Eine innere Landschaft
wurde hier festgelegt, die zwischen italienischer Leidenschaft und Haydn-
scher Malerei romantische Visionen schuf: stilbildend für ein Jahrhundert.
Breit umspannt Akkord und Stimme das Meer in Es-Dur, über dem C-Moll-
Sturm wirft der Gesang seine Schleuder, zerrissene Hörn- und Fagottläufe
kriechen durch wallende Achtel, ein Licht blinkt, in keuchendem Ansturm
325
geht es nach C-Dur, eine hohe VioHnterz, die Sonne erscheint in einem brei-
ten Trompetenmotiv, einem siegfriedischen Motiv, über synkopierten Har-
monien, das Auge (diese sehende Stimme) schweift weit im Lichte über den
Horizont, erkennt das Schiff, und ruhig segelt's seinen Pfad in langgewellten
Quartsexten zum vollen G, das erwartend in hohem Geigentremolo zittert,
es wird die Terz von Es-Dur, und Rezia jubelt dahinein, von schäumenden
Skalen gerissen, von den Hüon-Terzrufen berauscht, ihre orgiastische Me-
lodie „mein Hüon, mein Gatte", selig ihres virtuosen Soprans. Warum ist
es nun nicht Hüon, nicht sein Schiff, seine Sonne — verfluchter englischer
Textmacher, warum sind es Seeräuber und diese ganze Musik war Märchen ?
Nun Weber schreibt zuletzt die Ouvertüre, in die er diesen Jubel unverant-
wortlich setzte, wie unverantwortlich ohne Ausnahme die anderen Motive
der Oper. Die Ouvertüre nahm ihre Rache. Sie blieb unsterblich.
SpoJir
TEDES Kunstwerk erhält ein gewisses Maß seines Wertes durch seine Nach-
} folger. Daß Weber trotz Wagner blieb, zeigt seine Eigenkräfte. Daß
Spohr fast unterging und Marschner so ziemlich, zeigt ihre Schwäche. Ver-
setzt man sich in ihre Zeiten, so khngt Rührendes und Echtes aus ihrer Musik,
und die Opern locken geheimnisvoll wie ferne Märchen, die, keusch um unsere
Liebe werbend, in ihnen allen zu ruhen scheinen, zu blicken, zu flehen!
Aber die Nachfolge hat ihre Texte kindisch gemacht und ihre Musik zu
typisch. Ist es noch möglich, zum „Faust" Spohrs ein Verhältnis zu gewinnen,
wie es seine frühe Zeit, 1816, hatte? Dieser Faust, der von seinem lite-
rarischen Majorate nur einige Äußerlichkeiten übernahm, bekurt zwei Wei-
ber, eine naive und eine üppige; nachdem er unter Führung des intriganten
Mephisto allerlei Opernunheil angerichtet hat, versinkt er durch einen harm-
losen Walpurgiszauber in die HöUe, mehr Opern-Don Juan als Dichter-
Faust. Spohr behandelt ihn musikalisch nach demselben Muster. Er schwankt
zwischen Italien und Deutschland, er entscheidet sich für das Ideal Mozarts.
Seine Führung ist durchaus anständig, sein melodischer Sinn sehr entwickelt,
an zarten Details und dämonischen Akkorden fehlt es nicht, aber für ein
Drama ist es zu wenig. In der Jessonda, 1823, traten seine musikahschen
Qualitäten noch besser hervor und dieses Stück hat sich schüchtern bis heut
gehalten. Der Text, der die Liebe eines Portugiesen zu einer dem Holzstoß
geweihten indischen Witwe darstellt, ist von dem viel librettierenden Gehe
ganz hübsch gemacht worden — Weber hätte darüber froh sein können.
^26
Spohr komponierte es herunter, wieder ohne Bühnengefühl, aber, daß es recht
schön wurde, voll fließender weicher Musik, nur noch wenig italienisch, auch
nicht mehr zu mozartsch, eher manchmal schon schumannsch : mit einer hin-
gebungsvollen und zärtlichen violinhaften Lyrik, die vielleicht die Keime der
Trivialität enthält, doch von einer außerordentlichen musikalischen Wärme
ist, blühend in der Melodie, die das Wort umschmeichelt, fein gewebt in den
Ensembles, gar herzlich in manchemZwischenspiel des Orchesters und in reich-
lichen motivischen Erinnerungen, edel im Ausdruck, auch in den Rezitativen,
verliebt in sentimentale Septimenvorhalte, in den Kriegerchören und zier-
lichen Tänzen sogar nicht ohne Tempo. Es gibt musikalische Wendungen darin,
die man nicht vergißt : im kontrapunktischen Duett des zweiten Liebhabers
mit dem Priester, in den Bajaderengesängen, in der Staatsarie der Jessonda,
in der Kriegspolonäse des Portugiesen, in dem blumigen Duett Jessondas
mit ihrer Schwester und in deren minnigem Duett mit ihrem Nadori, vor
allem in dem wunderhübschen Terzett dieser Drei, da Nadori, statt die Witwe
zum Tod zu führen, sich in ihre Schwester verliebt und das schöne Leben
über das starre Dogma siegt. Man hängt sehr an diesen Partien, wenn man
sie wieder einmal durchnimmt, sie strömen Musik aus, aber in der persön-
lichen Erinnerung werden sie süßlich und fad, wie in der Erinnerung der
Geschichte. Das romantische Klischee schleift sich schneller ab als das klassi-
zistische oder buffoneske. Es arbeitet zuviel mit der geölten Phrase, der ge-
stempelten Innigkeit, die um so gefälliger wirkt, je konturloser und schat-
tierter, je gewohnter und allgemeiner ihre gegossene Form ist. Die späteren
Opern Spohrs sind ganz in dieser Art. Ich las den Berggeist, weil ihn
etwas ähnliches schon in seiner Jugend interessierte — Körner hätte ihm bei-
nahe einen Rübezahl gemacht, doch zog er es vor, in den Krieg zu gehen
und für eine höhere Sache sich zu opfern. Der Berggeist, von Nibelungen
und Blumenmädchen umgeben, holt sich ein Menschenweib, aber es ist ihm
versagt, Liebe zu wecken. Die Musik plätschert vorüber, warm und an-
genehm. Alberich schlug ihn leicht nieder, nachdem ihn schon Hans Helling
verwundet hatte.
Marschner
DER Dämon, der sich seines unterirdischen Wesens bewußt ist und in
allem Überirdischen kein Glück hat : das wurde der Operntyp Marsch-
ners. Alles, was sich von ihm gehalten hat, reduzierte sich darauf, es blieb
seine Signatur, weil es sein Neues war: der Intrigant ist nicht schlecht an
sich, wie es der Caspar noch war, sondern er weiß es, ja er leidet darunter
327
und wird gefühlvoll. Der Vampyr ist nur böse, weil er muß; der Templer
nur, weil er es geworden ist; HansHeiling nur, weil das Gute, das er möchte,
ihm nicht gelingt. Erst der Fliegende Holländer sollte auch von diesem
Leiden erlöst werden. Merkwürdig: Marschners Leben und Charakter selbst
nimmt sich, von fern gesehen, wie ein dunkler Spiegel davon aus. Er leidet
an seinem Wesen, an seiner Liebe, an seinem Amte, an seinen Prinzipien,
an seinen Werken, und immer arbeitet das Schicksal seinen Erlösungen ent-
gegen. So musikhaft und klingend tönereich sein Inneres ist, eine sympa-
thische Natur ist er nicht zu nennen, er ist zielbewußt ohne Größe und be-
triebsam ohne Liebenswürdigkeit, ein deutscher Lieder- und Chorsänger, in
dem dennoch nichts Menschliches uns überwindet. Vier Frauen hat er über-
nommen, Emilie und Franziska so so, Marianne als gute Sängerin und Therese
als schwärmerische Liebe des Alters, die er in Briefen voU arienhafter Gefühls-
seligkeit besingt. Beamtet sitzt er als Hofkapellmeister die längste Zeit seines
Lebens in Hannover, doch ohne genügende Achtung und ohne genügende
Löhnung, zuletzt verbittert und verfallen, wie ihn Rodenbergs Memoiren
schildern, mit dem grünen Schirm über den schlechten Augen neidvoll zum
Theater hinüberblickend, aus dem Lehnstuhl am Fenster. Neue Ideale, neue
Kräfte kamen, einst hatte er in Deutschland allein geherrscht — was wollte
dieser reklamesüchtige Wagner ? Hatte er selbst nicht einst einen Aufruf
erlassen an deutsche Dichter und Musiker ? Hatte er nicht weidlich die
Italiener bekämpft ? Und doch hörte er, daß er Bellini nachmache, und sah
er, wie Oper für Oper von ihm abfiel, dies reizende Musiklustspiel Bäbu
und Falkners Braut, und Adolf von Nassau, und Austin, und noch aus dem
Grabe vernahm er die Stimme des Predigers, der ihn als Atheisten brand-
markte, und versank zurück in seine Unterwelt.
Neulich sah ich den Vampyr wieder einmal und war erstaunt, wie ver-
blaßt er ist. So fade ist die Musik. Vielleicht das dritte Bild mit den Dorf-
tänzen, dem Lied der Emmy und der Romanze vom bleichen Mann, die
Episode der geschwätzigen Suse im guten alten Buffostil, auch die große
Aussprache des Vampyrs, in der er sein eigen Los dem Aubry schildert, das
hat noch Reiz und Gefühl, aber sonst ist es nicht zu retten. Die Doppelseele
des Vampyrs, der sich vom Blute der Bräute nährt und doch sein Schicksal
beklagt, geht uns musikalisch nicht ein — er gießt die Verführungslust in
eine große Arie und es muß ihm doch zuwider sein. Hier ist Deutschtum
und Italienertum als Empfindung so gespalten, wie als Stil der ganzen Oper.
Die romantische Melodie muß aus Lied und Inhalt fließen, wie die italienische
aus der Kehle und der Form floß, das sind grundsätzliche Unterschiede. Der
Vampyr singt gemischt, Emmy deutsch, Malwine italienisch, das stört alle
328
Marschner. Nach dem Leben gezeichnet und
lithographiert von Frickc
seelischen Möglichkeiten : denn der
romantischen Oper können wir nur
glauben, was das Kind in uns
glaubt. Ist dieser Text des Schwa-
gers Wohlbrück ein Märchen ? Da-
zu ist er zu sehr Theater. Ist er
Theater ? Dazu ist er zu unwahr-
scheinlich. Wenn Aubry weiß, daß
nur das Mondlicht des Vampyrs
Wunden heilt, warum stößt er
ihn nicht ohne Mondlicht nieder ?
Seine unmögliche Mitwisserschaft
verzögert das Finale ins Uner-
trägliche.
Dieselbe musikahsche Situation
legte Schwager Wohlbrück dem
Text von „Templer und Jüdin"
unter : der Tenor, dort Aubry, hier
Ivanhoe, rettet den unschuldigen Sopran, dort Malwine, hier Rebekka, vor den
Nachstellungen des Baritons, dort des Vampyrs Lord Ruthwen, hier des Temp-
lers Guilbert. Das dramatische Gewebe machte er zum Teil schlechter und
vernichtete dadurch viel von der Lebensfähigkeit der Oper, zum Teil besser
und führte Marschner so zu seinen ersten gelungenen großen Ensembleszenen.
Das Schlechte besteht in dem unaufgelösten Chaos der aus Walter Scotts
Roman übernommenen Szenen und Figuren, die mit der musikahschen Si-
tuation nichts zu tun haben und besonders am Anfang uns gräßlich verwirren,
zumal der Gebrauch der Worte überall von einer kindischen Unbeholfenheit
ist, die nur einen deutschen Romantiker nicht stören kann. Der deutsche
Romantiker hat Musik genug im Leibe, um sich auch auf das schwache Wort
zu stürzen, wenn er es mit Gefühl und Schönheit tränken kann. Von den
Liedchen des Narren oder des weinseligen Einsiedlers spreche ich nicht, sie
gefielen damals am meisten, sie stachelten auf, und der Refrain ora pro nobis,
mit dem der zechende Mönch seine harmlosen Satanismen schließt, führte
sogar zu Verboten. Heut ist das Nebensache geworden, wie alle Konzessionen
an das liberale Publikum, wie alle ItaHanismen und Virtuositäten, von denen
auch dieses Stück noch wimmelt. Was uns interessiert, sind die romantischen
Ehrhchkeiten und Einfachheiten, die Geständnisse der Musik: die Reinheit
des Gebets der Rebekka, der Schwung der Ansingungen von Richard Löwen-
herz, das schumanneske Lied auf das „stolze England", der sächsische Schlacht-
329
gesang in Kraft und Würde, alle die feinen gemütvollen Züge der Melodie,
bei Ivanhoes erster Wendung an Rebekka, bei Rebeklcas Erinnerung an den
Vater, bei Ivanhoes Ansprache an den König, viel wichtiger für die kom-
mende Linie der deutschen Oper als die ganze berühmte Templerarie. Auch
die beiden großen Ensembles, die Gerichtsszene und die Turnierszene, kön-
nen wir heut nicht mehr anders als von Wagner zurück sehen. Rebekka, der
Hexerei angeklagt, hat sich wie Elsa einen Kämpen zu suchen, der im Gottes-
gericht für sie eintritt. Das führt zu schönen traurigen Volkschören, zu wun-
dervollen Gottanrufen, zu der weit verflochtenen wiegenden Neunachtel-
melodie „Laßt den Schleier mir", aber alles ist auf den Wohlklang der Musik
gemacht, im Tempo wird der Geschmack der Zeit nicht verletzt, das Wort
wird naiv in die Melodie gespannt, und wenn wir es mit der Situation im
Lohengrin vergleichen, sehen wir doch immer den Musiker, der aus der
Erziehung der Mode eine reiche Tonfülle in die Szene schüttet, gegenüber
dem Dramatiker, der aus der Wahrheit des Ereignisses die Wahrheit seiner
musikalischen Phantasie bildet und kontrolliert. Bei der Turnierszene ist der
Vergleich noch dringender. Die Sonnenschatten senken sich, Rebekka steht
in letzter Erwartung, der Feind wirft ihr den Buhlen vor, Ivanhoe erscheint
als ihr Kämpe im äußersten Augenblick, er besiegt den Kläger im Waffengang
— Marschner schwankt zwischen der solennen Oper, in deren Stil der Chor den
ankommenden Ivanhoe begrüßt, und einer gewissen legendarischen Naivität,
die in des Helden Trompetenglanz, in Rebekkas Holzbläserklagen, in Guil-
berts fast burleskem Wahnsinn einfach getroffen ist. Das Visionäre fand
Wagner dazu und damit erst die innere Bindung dieser Situation, die Mär-
chen und Theater zu verschmelzen hat. Halevys Jüdin ist starke Szene,
Marschners Jüdin innere Musik, Wagners Lohengrin beides in einem. Aber
der Quell blieb Euryanthe.
Den Text zu Hans Helling hat nicht mehr Schwager Wohlbrück ge-
macht, sondern der Dramaturg und Baritonist Eduard Devrient, derselbe,
der dann bei der ersten Aufführung in Berlin die Titelrolle sang. Er hatte
ihn Mendelssohn eingereicht, der sich aber für diese schwache bleiche Figur
nicht sehr erwärmen konnte. So schickte er ihn, zunächst anonym, an Marsch-
ner, der Feuer fing. Das war sein Typ, auf Reinkultur gebracht, der rivali-
sierende Tenor zum Klischee heruntergedrückt, der unschuldige Sopran eine
saubere Volksmaid und der intrigierende Bariton ein Sohn der finsteren
Erde, der zum Licht will, die Treulosigkeit der GcHebten und aller Mensch-
heit erfährt und schließlich gern wieder in die Unterwelt zurückkehrt. Es
war scharf umrissen und es gab Gelegenheit zu einem klaren KonfHkte und zu
wirksamen Milieus, sowohl bei den Erdgeistern und der Mutter-Königin,
die für unser Gefühl sogar zu unmittelbar in die Handlung eingreifen, als
bei dem naiven, bald vergnügten, bald ängstlichen Volke. Marschner war
gut inspiriert und schuf sein Bestes. Gleichwohl fühlen wir heut, nach Wag-
ner, die starken Inkongruenzen. Kann man die romantische deutsche Musik
mit einer Landschaft vergleichen, die aus der Empfindung für tönende Werte
auch ihre Formen gewinnt, in Sonne und Gewitter alle Düfte der Erde sicht-
bar in Farben aufsteigen und die Stimmungen der Atmosphäre symphonisch
über Wasser und Berge aufklingen läßt, so würde man in dieser Landschaft
deutlich die überlebten Reste alter Schulanschauungen und künstlicher Staf-
fagen von den quellenden lyrischen Schönheiten reiner Natureindrücke unter-
scheiden. Ein Vorspiel in der Erde beginnt die Oper, voUer Herzlichkeiten,
in einem Zuge ohne Dialog komponiert, es folgt dann erst die Ouvertüre,
die nach akademischem Rezept gearbeitet ist: das' bricht die Stimmung.
Hellings große Arie erscheint bei aller Bedeutung künstlich in Form und
Bühne gebracht, aber plötzlich leuchtet aus ihr ein echt Marschnerschcr
Mittelsatz, in zwölf Achtel, ,,o laß die Treue niemals wanken", der sich aus
tiefem Herzen musikalisch wiegt und moduliert. Die große Arie der Anna
ist gegen Webers Staatsarien, trotz aller feinen melodischen Wendungen und
Zartheiten, ohne starke Disposition und Steigerung. Das Duett zwischen ihr
und Konrad bleibt ganz konzertierende Schablone. Das chorlose Finale des
zweiten Akts ist gänzlich stilgemischt, zuerst breite schöne Melodie, auf die
der Text eingespannt ist, dann wieder so eine musikselige Zwölf-Achtelpartie,
und aus einer schwachen und modischen Dramatik plötzlich herausragend
Hellings Eintritt, motivisch und rezitativisch ganz nahe an Wagner. Das
Orchester Marschners ist niemals unnötig geistreich, aber reichlich singend
und bringt daher typische Gedanken wohl zu Klang, aber nicht zu Illusionen
neuer, ungewohnter Einkleidungen. Auch sein Rhythmus ist, weit entfernt
von der großen Gebärde Webers, zu behaglich und mechanisch, um Typi-
sches wenigstens in der Wirkung aufplustern zu können : am reizvollsten ist
er, wenn er ganz naiv bleibt, wie in dem unschuldigen, moUtonigen Takt
des Racheensembles Hellings mit seinen Geistern. Ich zähle vier Stellen in
dieser Oper, die Marschners Musik am reinsten und entwickeltsten zeigen.
Zunächst das erste Finale, wo die ganze Szene Hellings mit Anna und der
Mutter gegen Konrad außerordentlich geschickt und liebenswürdig in einen
sehr hübschen und populären Walzer eingesetzt ist: hier band Marschner
die Situation durch die Sphäre seiner eigensten Kunst. Dann die Spinnszene
der Gertrud, unter dem Heulen des Windes und dem Huschen unsichtbarer
Geister summt sie, singt sie, spricht sie: hier traf er das romantische Ideal
in einer bisher noch nicht gewagten Realistik. Dann Heihngs Melodram
zu Beginn des dritten Aktes : hier ist in Zwiesprache mit den Streichern
eine satte und farbige Bläserklage gefunden, die, über Webers Anregungen
hinaus, schon mit den Lippen unserer Zeit zu reden scheint. Und endlich
das letzte Finale, die Volkspolonäse mit den lieblichen Refrains von Konrad
und Anna, es wird BHndekuh gespielt, Anna läuft HeiHng in die Arme, ihre
drängende Auseinandersetzung, der große Doppelchor aller Menschen und
Geister, die Trompete der aufsteigenden Erdkönigin, das mahnende Leit-
motiv des Zweischlags, dreimal abgestuft, Hellings Rückkehr an den Anfang
knüpfend, und das sonnig wogende Friedensschlußensemble : hier war die
äußerste Kraftanspannung der deutschen Oper, der Oper von damals, 1833,
erreicht. Es war Stückwerk, im ganzen genommen, aber doch stand da ein
Bild, leuchtend von Musik, in seinem Rahmen, und es ist immer noch nicht
endgültig ins Museum gewandert, wenn auch die Farben matter wurden
und der Firnis sprang und schmutzte.
Lortziiig
GEHÖRT nun unser guter Lortzing auch zu diesen Romantikern, die wir
hier als eine Familie zusammensetzen ? Auf den ersten Blick scheint es
nicht, denn er ist zu buffonesk dazu und vor allem zu bühnenklug und theater-
wirksam. Aber die deutsche Romantik ist ja auf der Opernbühne niemals so
rein herausgekommen wie in einem Klavierstück oder Lied oder Märchen
oder Roman, sie hat immer einen Zusatz von Italienischem oder von der
Comique oder gar von der Großen Oper, um gehörig leben zu können. Neh-
men wir es mehr seelenverwandtschaftlich, so ist kein Zweifel, daß Lortzing
in diese Nachbarschaft gehört. Er war im Grunde eine zärtliche und leicht
sentimentale Natur, die von Musik überfloß und ihre Popularität im Genre
des bourgeoisen Liedes und herzigen Chors gewann. In das Übrige wurde
er hineingeboren : nämlich in das Theaterleben, dem seine ganze Familie
gewidmet war, in das Herumziehen von Stadt zu Stadt, in die Bühnenbeweg-
lichkeit, die er selbst als Schauspieler, Sänger (Tenor und Bariton), Dichter,
Komponist und Dirigent zur Genüge kennen lernte, und schließlich in den
Humor, der ein solches Leben allein erträglich macht, der Humor des Künst-
lerbluts, der alles überwindet, weil er alles anschaulich nimmt und sich selbst
zum Theater schafft. Lortzing war recht unpraktisch, er überfüllte sein
Haus mit einem unverhältnismäßigen Kindersegen, er verwaltete schlecht
und recht sein eigenes Geschäft, er hatte oft nichts zu knabbern bei seinen
dürftigen Stellungen in Leipzig, dann in Wien, zuletzt am Berliner Fried-
rich-Wilhelmstädtischen, er war ein besserer Schauspieler als Sänger, und
(^la^^^ <i^-r^^'
Lortzing. Lithographie von Prinzhofcr 1846
besserer Komponist als Dirigent, alles so unpraktisch, aber die Laune verlor
er nicht, und in jedem Wort, in jedem Brief tritt er uns mit einer herzgewin-
nenden Offenheit und Sonnigkeit entgegen, eine der liebenswürdigsten, net-
testen Erscheinungen, die die deutsche Musikwelt gesehen hat. Pfropft man
Rossinis frühes heiteres Vagabundentum auf das strebsame Bäumchen der
französischen Buffonisten, und setzt es in das kleine deutsche Heim, so hat
man ihn. Ach Gott ja, es ist ein Fensterblümchen, und oft ist das bemalte
Rouleau heruntergelassen, wenn die Sonne zu sehr brennt, aber es muß
333
doch sehr starke Erde haben, daß es bis heut so frisch und schön bleibt und
so viele Gemüter erfreut. Mit fünfzig Jahren wurde er vom Zeitlichen er-
löst, das war recht gut, er litt zu sehr. Er mußte zu dummen Possen die
Musik Schreiben, wie er einst in seiner Jugend törichte Pasticci hatte arbeiten
müssen, zu Grabbes Don Juan und Faust eine Musik aus Mozart und Spohr
geflickt und solche Dinge. Der teilweise und ortsweise Erfolg seiner Opern
half ihm gar nichts. Das war alles so zersplittert, daß manches heut noch
nicht einmal aufgefunden ist. Die Regina entdeckte man erst jetzt und
Adolf l'Arronge pflanzte sie um, die „Opernprobe", sein letztes Werk, wurde
ausgegraben, Caramo, Großadmiral, Rolandsknappen, Hans Sachs, Casanova
schwanden dahin, der Wildschütz wollte erst nicht so recht ziehen, der
Waffenschmied hatte bei seiner Wiener Premiere gegen das Italienertum
schweren Stand, Undine wurde nicht so allgemein anerkannt, nur der
Zar war, und zwar von Berlin aus, ein recht populäres Stück. Wohin ist
das bißchen Leben geflogen ? Jetzt zu seinem Grabe möchten die alten
frohen Tunnelbrüder aus der schönen Leipziger Zeit pilgern, die im Vereins-
jargon sich „Makulaturen" nannten, Heinrich Marschner, benamset „Or-
pheus, der Vampyr", Schwager Wohlbrück als „Fleck, der Kindesmörder",
der Schriftsteller Herlossohn als „Faust, der Auerbachhöfling", Heinrich
Dorn als „Gluck, der StachHche", Redakteur Fink als „Palestrina, der Besen-
binder" und Verleger Hofmeister als „Plinius cum notis variorum"; sie möch-
ten hinpilgern und mit trauriger Miene das Sextett anstimmen :" „Zum Werk,
das wir beginnen." Es regnet, und die Makulaturen singen das Sextett unter
triefenden Schirmen. Holde Göttin Phantasie, hast du selbst diese harten
Herzen erweichen können, daß sie als Abgesandte aller Stände des deutschen
Volkes ihrem Lieblingskomponisten eine letzte Huldigung darbringen ? Siehe,
schon bricht die liebe Sonne wieder durch, die winterlichen Bäume schütteln
ihre Tränen ab, und ein romantischer, kindlich süßer Zauber vergoldet diese
bunte Versammlung, die treuherzig alsbald in den Chor mit einstimmt : die
beiden trefflichen Schützen Gustav und Wilhelm, Dragoner Schwarzbart,
der mächtige Wasserfürst Kühleborn, Schulmeister Baculus, Van Bett, der
ehrsame Bürgermeister, der lustige Deserteur Peter Iwanow, Waffenschmied
und Tierarzt Stadinger, es darf ihm aber nicht unangenehm sein, auch der
schwäbische Ritter Adelhof, und zuletzt Marie, sein lieblich Töchterlein —
sie wirft eine weiße Rose auf das Grab, dessen Inschrift lautet: „Reichtum
allein tut's nicht auf Erden!" Mit goldenen Noten und goldenen Lettern
im goldenen Eichenkranzc.
Die Texte seiner Opern (alle sind Dialogopern) machte er sich selbst, er
erfand sie nicht, sondern benutzte, zum Teil wörtlich, beliebte Dramen, die
334
Lortzings Handschrift: Zar und Zimmermann
er sehr geschickt und sehr witzig umarbeitete. So ist die Gegend Kotzebue-
Raupach, die auf unserer Schauspielbühne bereits versunken ist, in seiner
Musik noch lebendig geblieben. Ihre Sentimentalitäten, Verwechslungen und
Spaße rühren und amüsieren den naiven Sinn in uns allen, der sich durch
die Vertonung salviert sieht oder wenigstens so tut. Die Musik lockt hier
wieder einmal das Kind in uns hervor, was doch eigentlich sehr hübsch von
ihr ist, und doppelt angenehm, wenn es in einer so sympathischen und klein-
meisterlichen Form geschieht. Es ist Lust am Theater, manchmal ein biß-
chen dumm, aber nie langweilig. Das Schema ist durchsichtig und hilft uns
gleich über jede Unklarheit weg. Zum Beispiel so : Verwechslung der beiden
Tornister, das heißt die beiden Schützen, erstes Liebespaar, zweites Liebes-
paar. Wir wissen gleich, wie das läuft, und das macht das Abspielen so rei-
zend. Nun aber Verwechslung und dazu Verkleidung, Verwechslung des
verkleideten Zars und des verkleideten Deserteurs : das heißt Zar und Zimmer-
mann, bloß zweites Liebespaar, aber dafür reichliche Buffos. Oder das Agieren
335
in Originalkostüm und gleichzeitig in Verkleidung, der Ritter und sein Knap-
pe, bloß erstes Liebespaar, wieder reichliche Buffos : das wurde der Waffen-
schmied. Oder ganz toll: der Wildschütz mit doppelter Verkleidung und
vielfacher Überraschung. Das Mädel, dem der Graf und der Baron die Kur
machen, ist gar nicht des Schulmeisters Braut, sondern des Grafen Schwester
und des Barons Schwägerin, und der Rehbock, den der arme Baculus schoß,
der diese stellvertretende Braut wieder für einen Studenten hält, ist gar
kein Rehbock, sondern sein eigener Esel — die ,, Stimme der Natur" führte
zusammen, was zu einander paßt. Das war ein komplizierter Text, fürwahr,
aber Lortzing, der die Billardszene, als Comble der Verwechslung, hinzu
erfand, brachte ihn auf so dankbare Situationen, daß ihn Scribe nicht über-
troffen hätte. Zudem fiel ihm hier die beste Musik ein und so wurde es sein
gelungenstes Stück. Anders steht es mit der Undine. Sie ist das richtige
romantische Märchen, das Pendant zu den Berggeistopern, die Geschichte
der Wasserjungfer, die Liebe und Seele sucht und sich am verräterischen und
seelenlosen Geliebten rächt, indem sie ihn zu sich herabzieht. Es war ein
Stoff, so musikalisch, daß man sich nicht wundern darf, ihn in allen möglichen
Varianten als Oper wiederzufinden. E. T. A. Hoffmann hatte ihn einst mit
Fouque sich zum Texte verarbeitet und selbst komponiert. Man liest diese
Oper, die Pfitzner jetzt wieder herausgab, mit gemischten Gefühlen. Sie
ist in den Szenen sicher romantischer, aparter, visionärer, lyrischer, aber ihre
Musik ist akademisch, von Gluck und Mozart abgezogen, ohne Bühnengefühl,
fleißig verarbeitet, aber viel geschraubt und dick und schwer, merkwürdig
nur in der Selbständigkeit der orchestralen Sprache : immerhin ein Literatur-
unikum des großen deutschen Romantikers, der in der Dichtung seines Gol-
denen Topfes unendlich musikalischer war als in seinen Kompositionen.
Lortzing hat den Text ganz anders gestaltet, viel bühnenwirksamer, im Fluch-
motiv, in der Kühlebornfigur; viel konkreter, sinnlicher, im Kellermeister
Hans, im Knappen Veit sogar mit Willen ein wenig buffonesk, er schlug
auch damit alle anderen Undinenopern, aber es ist nicht zu leugnen, daß
gerade auf diesem Felde reiner Romantik seine Musik heut am ehesten zu
verblassen beginnt. Schob sich seine Undine vor die anderen, so schoben
sich vor andere Werke von ihm neuere Opern, die sie in Schatten stellen
mußten. Sein Hans Sachs ist seit den Meistersingern unmöglich geworden.
Es ist eine gewöhnhche Geschichte mit zwei Liebespaaren, Sachs liebt und
sein Lehrbube liebt. Sachs konkurriert mit einem Ratsherrn, der beim
Sängerwettkampf im Vortrag eines Liedes stockt und sich blamiert, das er
für sein Eigentum ausgibt — aber dies Lied ist Sachs von seinem Lehrbuben
gestohlen worden! Man versteht, warum ich das erzähle: und damit ist dem
336
Stück sein Urteil gespro-
chen. An solchen Ver-
gleichen mißt man am
besten den Niveauunter-
schied Wagners, den wir
heut so leicht vergessen.
Auch die Regina Lortzings
mußte überwunden wer-
den. Es ist eine ernste
Oper von einem Intrigan-
ten, der sich mit Räubern
zusammentut, um sein
Mädchen gewaltsam zu
entführen, und dieser In-
trigant hat etwas marsch-
nersche Farben, ein ver-
decktes Glückssehnen, eine
motivierte Wut auf die
Welt. Damals hieß es, es
sei eine Revolutionsoper.
Lortzing, der Freund Ro-
bert Blums, hat allerdings
einige Revolutionschöre ge-
macht, aber eine Wagner-
sche Verschwörung hat er
nie in sich gefühlt und
er besang die Freiheit,
wie jeder Opernkomponist,
dem sie eines der dankbar-
sten Motive bleibt. In der
Regina gibt es einen Streik-
chor, doch endet alles in
t^tatct bct ©tobt ScipjiS.
}r((tt|> k«» I?. Ofctmbfr »*3f.
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Zettel der Uraufführung von Zar und Zimmermann
Ordnung und Frieden. Es
ist das dramatischste Stück, das Lortzing machte, aber für das französische
Genre, dem es nachstrebt, nicht geistreich genug, und für die deutsche Tra-
gödie zu einfach und bürgerlich. Es mußte das Los Marschners teilen, in
dessen Stil es sich versuchte, ohne ihn gar zu übertreffen.
Lortzing macht sich also seine Texte nicht aus inneren künstlerischen
Nöten, sondern aus Theaterroutine. Überall da hält er sich musikalisch am
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längsten, wo er dem gewöhnlichen Verwechslungsschema d.r Buffooper treu
bleibt. Wo er aber unmittelbar dramatisch oder gar tragisch wirken will,
ist er verdrängt worden. Wieder die alte Trivialität der Geschichte: wer
das Glück hat, keinen Nachfolger zu bekommen, der es besser macht, bleibt
der erste seiner Art. Lortzing wurde in den Jahrzehnten populär, da sich
herausstellte, daß niemand nach ihm so herzige Lieder, spaßige Ensembles
und rührende bürgerliche Szenen schuf, wenigstens innerhalb des Deutsch-
tums. Immer wünschen wir dem Volk heut wieder so etwas: aber es kommt
niemand. Es scheint, er war der letzte, der die formalen Möglichkeiten da-
für hatte. Einst war der große Künstler Mozart. Dann kam viel Sinnlich-
keit, Geist und Bühne. Heut verehrt man tiefe Poesie und leidenschaftliche
Erschütterung. Dazwischen blieb der Lortzing bestehen, als einer, der eine
wichtige Angelegenheit sehr gut betrieb : nämlich in Einem weinen und
lachen zu machen. Es war nach dem Sinn des braven deutschen Mannes,
und einem solchen Theater war er dankbar.
Er blieb frisch, wenn er auf gutem altem Grunde stand. Er wiederholte
Dittersdorf, nur durchgezogen durch die schönen Erfahrungen Webers und
Mozarts und Schuberts, alles was sich fein säuberlich in einen rechten deut-
schen Weihnachtssack packen läßt. Am meisten, das muß man diesem deut-
schen Mann nachsagen, lernte er von den Franzosen, deren opera comique
die musterliafte Vereinigung lustiger und rührender Elemente gab : moti-
vische Romanzen, Couplets, in deren letzter tanzender Strophe eine Träne
quillt, gut gefaßte dankbare Situationen, schöne Vokalensembles und vor
allem die Symmetrie des Dakapostils, die Heiteres und Trauriges in einen
zierlichen Rahmen bringt, wie ihn der Bourgeois aller Länder sich gern als
Erinnerung an die Wand hängt. Natürlich, je nach der Aufgabe, machte es
Lortzing manchmal deutscher, manchmal welscher: der Zar ist französischer
als man glaubt, der Casanova ist es absichtlich, Regina ist es aus ihrer Natur
heraus, Undine wird deutscher gehalten, Hans Sachs und der Waffenschmied
bekennen sich ganz von selbst dazu. Der Wildschütz erscheint wie eine \'er-
edelung der Comique durch Mozart. Wie es auch sei, die alte Form herrscht,
sie zwingt die Charaktere, die sich sonst munter nach ihrem Schema ent-
wickeln, in ihren Parallelismus, und sie dämmt die Ausbrüche ungeregelter
Seclenphantasic in ihre Polygone.
Dies ist es, was in der Undine so erfolglos kämpft : die Verlassenheit der
Wasserprinzessin, der Tod ihres Hugo lassen neue Wege suchen, aber sie
gehen in einem Stil unter, der — wie das zweite Finale am besten zeigt —
Naivität und Pathos nicht zusammenbekommt. Eines ist in der Undine am
interessantesten: die einheitliche motivische Arbeit, die Szenen und Personen
auf ein fest gefügtes Gewebe bringt. Überall bei Lortzing sind die Motive
Absicht, im Sachs werden sie schon symphonisch kombiniert, im Casanova
das Freiheitslied, in den Rolandsknappen das Heimatslied sind motivische Ro-
manzen, im Waffenschmied singt Marie dem Ritter seine eigene Melodie
zurück „Gern gäbe ich Glanz und Reichtum hin", aber in der Undine wird
das Motivische zum Prinzip, wie eine Ahnung: als müßte für die Oper eine
neue innere Einheit entstehen, nachdem die äußere formale Einheit dem intel-
lektuellen Fortschritt der Zeit nicht mehr entsprechen will. Lortzing hat
sie noch, diese Ensembleeinheit der Szene, diese rein musikalische Freude,
verschiedene, ja widerstreitende Vorgänge in einem Tonbild zu projizieren,
das alle Figuren vereinigt, alle Leidenschaften abmißt, alle Beziehungen auf
eine Harmonie, auf einen Rhythmus bringt. Sein bester dramatischer Reiz
liegt in diesen Ensembles, und seine Kunst, sie zu fassen und zu führen, ist
nicht gering, vom kleinen Duett bis zur großen Szene, im Buffonesken sogar
so witzig, daß eine feine Selbstironic diese bindenden Formen zugleich schaf-
fen und belächeln läßt, eines im andern. Das Septett in den beiden Schützen
war sein erstes Meisterstück dieser Art, noch ein wenig italienisch, aber doch
sehr graziös in diesem Finsternisspiel närrischer Figuren. Wie belebt ist
dann schon das erste Finale des Zaren, Tanz und Ernst in französischem
Sinne gemischt, ein hübscher reiner Quartettsatz und ein lustig zweifelnder
Schlußchor, rein nach der Musik, ohne jede Textrücksicht. Sechs Männer
sitzen in dieser Oper nebeneinander und beraten, ihre Interessen sind ver-
schiedene, in zwei Gruppen geteilt : die Musik weiß sie in eine strenge Ein-
heit zu bringen, bald koordiniert und getrennt, bald subordiniert und zu-
sammen, je nach der Beleuchtung als Schein oder als Wahrheit. In der Kan-
tatenszene wird der alte komische Typ der Orchesternachahmung und Ge-
sangsaufführung zu einem witzigen, launigen Ensemble geführt : mit Falsch-
singen, Hineinkorrigieren, und doch heimlicher harmonischer Steigerung.
Selbst die Oper Hans Sachs, die uns so entschwinden mußte, zeichnet sich
darin aus : das zweite Finale, in dem Sachs verstoßen wird und Abschied
nimmt, ist in seiner szenischen Einheit und blühenden Musik das beste vom
Werk geworden, ein ganzer Lortzing. Im Waffenschmied treten diese En-
sembles etwas zurück : sie sind kürzer, strammer, das neckisch bewegte Terzett,
das Suchen der Gesellen, Graf Liebenau, schau, schau, alles eilt mit Grazie.
Der Wert des zweiten Reginaakts liegt in der musikalischen Geschlossenheit
solcher Szenen : der punktierte Chor der Marodeure, das keusche Gebet Re-
ginas, das Rettungsensemble, das Gewitter, die trunkenen Räuber, ihr Schlaf-
Dekreszendo, das gibt eine Stimmung wie in den besten Opern der Fran-
zosen. Aber die entzückendste Folge hat doch der Wildschütz, vom zweiten
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Akt an bis zu Ende ein Scharmieren in Musik, eine Kunst in der Faktur,
Mischung, Schattierung, Fluß und Phantasie, daß man seine helle Freude
hat. Damals spukte in Leipzig die Antigene mit der Mendelssohnschen Mu-
sik. Man schwärmte in Griechen. Mit einer griechischen Vorlesung beginnt
es, über die ein Dienerchor Tränen vergießt, ohne sie zu verstehen. Duette
wechseln mit Quintetten, jene südlicher bewegt, diese zarter, melodi-
scher, pointierter. Das zweite Quintett ist die Billardszene. Oben auf der
Bühne der Vorwand des Spiels, unten im Orchester ein inkrustiertes Motiv,
das mit sich selbst schäkernd und billardspielend das helldunkle Milieu der
Szene zeichnet: jeder der beiden Männer, auf der Jagd nach der verkleideten
Baronin, sucht den anderen herauszugraulen (Symmetrie), der Baculus stopft
seinen Cantus firmus dazwischen, die Gräfin macht ein verblüffendes Ende.
Bald wirbeln wir in die Tanzszene, ein reizender Chor, ein wunderhübscher
Walzer, dazwischen der unglückliche Baron. Wie hüpft das Ensemble ,, Un-
schuldig sind wir alle", so lieb und fein gesetzt. Wie gleitet und schmeichelt
der Schlußchor, so zierlich in Kontur und Satz, die Schuljugend dazwischen,
alles so munter und witzig mit dem wiederkehrenden naiven Motiv auf die
„Stimme der Natur", Natur zugleich und doch ganz Form, alles halb wirk-
lich, halb spöttisch, halb Tradition, halb Ironie, und in der Erfindung von
einer Überlegenheit des Stilgefühls, die nicht weit von Alozart ist.
Für den Musiker sind es diese gebundenen Szenen, die ihm Lortzing
wertvoll machen. Sie sind von einem Orchester begleitet, das nach dem
durchschnittlichen Geschmack der Zeit leicht und flüssig läuft. In seiner
Jugend, beim Ali Pascha, wo einmal vier Trompeten mit begleiten, oder beim
Andreas Hofer, wo einmal drei Celli mit Kontrabaß ein Lied illustrieren,
wagte er eher das Absonderliche als später — nur in der Undine finden sich
etwas ungewöhnlichere Farbenwirkungen. Das ist alles für den Musiker. Das
Publikum interessierte sich mehr für die Einzellieder und -chöre seines Mei-
sters und viele davon haben eine Popularität erreicht, die ohne Beispiel ist.
Die Melodie Lortzings fällt in die Sinne. Ob sie die italienischen schnellen
Achtelläufe hat oder die Webersche getragene Lyrik, ob sie da oben gesungen
oder da unten als instrumentales Bändchen und Schleifchcn eingeflochten
wird, immer kost sie unsere Ohren und letzt unseren Gaumen. Sie moduliert
amüsant, sie spielt auf der immer gefügigen Schaukel der Tonika und Domi-
nante, sie blüht empor aus all dem hängenden Gezweig, das an die Nachbar-
akkorde der Quartsextlage sich schmiegt wie Wein an eine Tür. In den ern-
sten Arien des Zaren oder der Bertalda mögen wir sie nicht, da ist sie steif
imd aufgeblasen. Aber in den Chören und Liedern lacht sie und weint sie,
daß den Leuten das Herz aufgeht. Die \'olkschörc im Zaren und im Wild-
schütz sind so frisch wie Morgenluft, und wenn das Publikum ihn noch kennte,
würde ihm der abendliche Venezianerchor aus dem Casanova mit dem ulki-
gen Rocco, der eine lebendige Chronik seiner Stadt ist, ebenso gefallen. Über
den tanzenden Peter in den beiden Schützen kann man sich totlachen, so
reizend ist das gemacht, und van Betts große Arie erhält das ungetrübte
italienische Buffotum bis in unsere Jahre. Lortzing wußte, warum er den
Knappen und den Kellermeister in der Undine ihre Refrains duettieren läßt:
„Im Wein ist Wahrheit nur allein." Selbst den Casanova heißt er darauf
lossingen: „Frisch durch die Welt geht es zum Liebchen." Das russische
Brautlied im Zaren ist nicht zu verachten, es hat Takt und Tempo: „Lieb-
lich röten sich die Wangen einer Jungfrau hold und schön." Die Baronin
im Wildschütz singt : „Auf des Lebens raschen Wogen," das ist ein fieberndes
Rondo. Und dann singt sie: „Auf dem Lande will ich bleiben," da hat sie
die Sentimentalität. Baculus macht den Buffo und singt die Geschichte von
den fünftausend Talern, wogegen der Graf eine Polacca schmettert „Heiter-
keit und Fröhlichkeit", die ihm ausgezeichnet gelingt. Den Rekord der Sen-
timentalität erreicht der Zar mit dem höchst larmoyanten „Einst spielt ich".
Entschieden übertrifft ihn Stadinger an deutscher Männlichkeit, der einst
ein Jüngling in lockigem Haar war. So geht es lachend und weinend durch-
einander und jeder bekommt es nach seinem Geschmack. Der Waffenschmied
ist besonders reich an solchen Liedern, sie breiten sich hier gern zur Rondo-
form größeren Stils aus, Georg, Irmentraut, Marie wetteifern darin. Und
in dieser letzten Zeit sucht das Lied auch wieder einen gewissen Arienan-
schluß. Marie trifft's am besten. Ihre Konradarie ist, um einen lustigeren
Mittelsatz herum, recht innig empfunden, schlicht und deutsch, bleibt im
Gefühl und in der Situation und läßt alle Attitüden, ein schöner Gruß an
Weber zurück, wenn auch mit einem blinzelnden Auge. Hier zuckte Lort-
zings romantische Seele, die er jener großen und unbarmherzigen Undine
verschrieben hatte, welche man Theater nennt.
Die Übrigen
7VUF dieser lieblichen Grenze zwischen Theater und Romantik steht noch
■t\ einer: Conradin Kreutzer, ein armer, herumgeworfener Schlucker wie
Lortzing. Warum hält sich sein Nachtlager von Granada ? Es ist viel
Italienisches darin, das uns nicht mehr passen will. Aber, wo es buffonesk
bleibt, in den Räuberterzetten, da kitzelt es noch ganz gut. Und in allen
Ensembles ist die Musik schwingend und fortreißend. Es war gute Schule.
Wie fein ist so ein Chor-
gebet geschrieben. Und
wie reizend sind die spani-
schen Romanzen. Es war
ein Stoff, wie ihn Auber
hätte behandeln mögen :
Hirtenpaar, übernachten
des Herrn, Stimmung, Er-
wartung, Räuber, Rettung
und viel Jägertum mit be-
rühmten Melodien. Aber
auch viel Hornsolo. Ja, auch
in Kreutzer sang eine ro-
mantische und deutsche
Seele, Gemüt, Melodie,
liebevolle Musik — er
suchte sich die Stellen, da
er es zeigen durfte, und in
dem schönen langsamen
Motiv der Gabriele wird
man heut noch den Spiegel
seines Innern erkennen.
Und noch einer steht da :
Nicolai mit den Lustigen
Weibern. Nicolai war weit in Italien herumgekommen, hatte eine Unzahl
italienischer Opern komponiert, wurde Kapellmeister in Wien, ward nach Ber-
lin berufen, führte diese Lustigen Weiber auf und starb zwei Monate danach:
1 849. Ein Meteor von einer Oper ! Trotz Verdis Falstaf f blüht sie heut noch in
ihrer quellenden, glücklichen Musik, in der Elastizität des Orchesters, in der
Pracht ihrer Erfindung, in dem Übermut ihres Stils, der Deutsches und Italie-
nisches durch die Macht einer ungehemmten Phantasie verbindet, im tiefsten
Grunde sinnig und empfindsam wie irgend ein romantisches Werk, aber mit
lächelnder Überlegenheit durch alle Erfahrungen und Finessen des Theaters
gezogen. Ein Wirbel sich jagender Töne fliegt dahin, wohlgeordnet in Grup-
pen, Parallelen, Pendants. Das herzliche Bekenntnis eines liebenden Tenors
steigt daraus empor, die Riesenbogen einer eifersüchtigen Kantilene, die ver-
stellte Klage einer Frau, die ein ganzes Ensemble bindet. Trinkwettkämpfe im
Stil einer Ballade, Walzer komplottierender Frauen und Polkas von Männern,
die sich auf die Rache freuen. Das Stakkato schüchterner Liebhaber, das
Nicolai. Lithographie von Kriehuber 1S42
342
Nicolais Handschrift: Lustige Weiber
Lerchenlied des liederfrohen Erwählten, selige Liebesduette, versteckte Lau-
scherquartette, und wieder Walzer der Eifersucht, und Finales, ohne jede
Orchesterornamentik, geworfen aus dem Tempo der Szene, gespickt, ge-
pfiffen, gerutscht, gehauen im Rhythmus, der der Modulation, und in der
Harmonie, die dem Takt nachjagt. Und vom Jagen eine schöne leidenschaft-
liche Ballade, und vom Walde rauscht es schon heimlich in die süßen Geständ-
nisse Annas, die sich aus all diesem Wirrwarr des Theaters im Leben auf dem
lebendigen Theater des Windsorwaldes zu einer deutschen Innigkeit be-
kennen will. In einer wundervollen, hängenden Pracht des Orchesters geht
der Mond auf, Märchenstimmen singen im Walde, neckisches Geflüster,
funkelnde Fetzen, Kichern der Instrumente, Ständchenterzettini, Elfen-
reigen, Harfenglissandi, Anna, aus allem Italienertum erlöst, grüßt den Oberen
ihres großen romantischen Meisters, Mücken,- Fliegen, Wespen, Rüpeltanz,
und unter ihren gar zu ausführlichen Beweisen erkennt Falstaff, daß man
aus einer italienischen Komödie ihn zu der einfachen Herzlichkeit zweier
wahrhaft Liebenden gelockt und bekehrt hat. So hat die deutsche Romantik
das italienische Theater gebraucht und überwunden.
Was noch übrig blieb, waren drei Möglichkeiten.
343
Im nächsten Jahre führte Schumann seine Genoveva auf. Dies war der
Sturz einer Theorie, die aus literarischem Empfinden eine Kunstgattung,
deutsch machen wollte, ohne eine Spur dramatischen Bluts. Aus Literatur?
Der Text der Genoveva, trotz oder vielleicht wegen der ]\Iitarbeit Schu-
manns, ist eine der gräßlichsten Entstellungen, die je eine schöne Sage er-
fahren hat. Die Musik ist das unmöglichste, was je in einer Oper geleistet
wurde. Wohl fühlt man, besonders in den Szenen der verlassenen Genoveva,
den Meister der lyrischen Kleinkunst. Wohl erkennt man, daß er nie die
gewohnten Wege gehen und alles auf deutsche Ehrlichkeit reinigen wollte.
Aber ist es nicht dumm, so ist es schlecht. Die Sänger scheinen sich danach
zu sehnen, Instrumente zu werden. Der Held und der Intrigant haben ihren
Tenor und Bariton vertauscht, sie kommen niemals auf ihr rechtes Niveau.
Der Rhythmus läuft dauernd in denselben Achteln dahin und das Drama
wird im Gleichmaß der Notation ertötet. Welche monumentale Ungeschick-
lichkeit!
Das zweite war die Schablone. In dieser Gattung wurden ganze Reihen
deutscher romantischer Opern geschaffen, die eine besser, die andere schlech-
ter, Reißiger, Rietz und Holstein, dessen Haideschacht sehr verbreitet war,
— sie versanken in der epigonischen Routine.
Das dritte war: jenen Keim der Trivialität, den alle Romantik enthält,
in Reinkultur zu entwickeln. Das ist Neßler geworden.
344
NATIONALE OPERN
Exotisches
DIESES Kapitel gehört der nationalen Oper, sagen wir der national ge-
färbten : eine beinahe geschlossene Gruppe, die ich hier zusammenfassen
werde. Sie steht mit den bunten Farben der fernen Länder mitten in der
großen Galerie der Opern, die den internationalen Stil der Bühnenmusik
verfolgen. Der Horizont der Pußta, das melancholische Rittertum Polens,
die bewegte Sangeslust der Tschechen, das dunstig feine Chaos Rußlands ver-
teidigen ihre Werte gegen die Welt. Es sind die Länder, die einen unterirdi-
schen Strom nationaler Musik besaßen und nun versuchen, ihn in den Opern
der Weltkunst münden zu lassen. Sie kamen zu spät zum Wettkampf der
großen Stile, jetzt leuchten ihre Weisen, ihre Lieder und Tänze wie exo-
tische Seltsamkeiten, ethnologische Preziosen in diesem mondänen Getriebe,
opernunfähig, wie sie an sich sind, und doch so opernsüchtig in der farbigen
Darstellung ihrer Menschlichkeit. Die Oper, die zwischen den Schicksalen
der A'Ienschen umherirrt, immer gierig, Spiel und Leben auszugleichen, ko-
stümiert sich, in echten und auch in geliehenen Kostümen, im Vertrauen,
daß man ihr dann ihre Mission besser glaubt. 5ie nimmt diese Ländlich-
keiten in ihr Treibhaus auf, weil sie ihr ein besonderes klimatisches Kolorit
geben, und die Ländlichkeiten selbst verlieren in aller künstlichen Umge-
bung doch nicht ihre natürliche Herkunft, ihre seelische Energie. Es ist ein
merkwürdiger Zusammenstoß der Konvention und der Heimat, der trium-
phierenden Bühne und der verwurzelten Lyrik, und es interessiert den Künst-
ler ungemein zu sehen, wie weit der internationale Stil seine eigene Sprache
übertönt und wie weit diese imstande ist, entgegengesetzten Stil zu bilden.
Hinter all diesen Kostümierungen steht die große Frage der Auseinander-
setzung von Beruf und Bekenntnis, von Schein und Echtheit. In einem
geographischen Problem wird sie hier akut. Man liebt die Landestracht am
heftigsten, ehe sie abstirbt.
Die italienische und die deutsche Kunst haben am ehesten aus dem Klange
ihrer Volksmusik opernhafte Gebilde schaffen können, die französische, deren
klimatische Färbung die schwächste ist, am wenigsten : gerade darum neigte
Frankreich mehr zur Aufnahme exotischer Tonbilder. Italien hat, selbst
345
heute noch, keinen Sinn für fremdnationales Kolorit in der Oper, Deutsch-
land liebt diese Reisen überhaupt nicht sehr, Frankreich hat sie geradezu
kultiviert. In den Pariser Tanzsalonen berauscht man sich an den Rhythmen
polnischer Nationalmusik, die großen Primaballerinen exzellieren in ihren
Cachuchas und Tschardas, die IMaler schlürfen die Farben des Orients, die
Dichter schweifen in tropische Fernen, die Musik findet die sinnlichen Reize
des Exotismus. Schon die opera comique und die historische Oper machte
reichlich Gebrauch von ethnologischem Material. FeUcien Davids berühmte
Ode-Symphonie Le desert, 1 844 in den Konservatoriumskonzerten aufgeführt,
sanktionierte die orientalische Musik. Die Weisen asiatischer, slawischer, spa-
nischer, magyarischer Musik fanden eine besonders gefällige Aufnahme in
der rührsamen, halb historischen, halb lyrischen Oper, die sich unter dem
Namen tragedie lyrique immer bewußter herausbildet, von Gounod, Thomas
über Bizet, den prunkvollen Reyer bis in unsere Zeit reicht, wo sie Saint
Saens und Massenet unter ähnlichen Farben halten. Die Form des nationa-
len Tonstücks ist ja meist Lied und Tanz, und nichts ist den Franzosen will-
kommener. Hier ist das Ethnologische geliehenes Kostüm. David war noch
Avirklich gereist, Bizet nur in der Phantasie. Diese Pariser kommen von der
Konvention zur Exotik, die sie wie einen Schmuck einsetzen, die Slawen
kommen von der Exotik gegen die Konvention, die sie zu färben suchen.
Beides bedingt sich, ist innerlich verwandt und sogar verstrebt. Es ging eine
Bewegung von den Franzosen zu den Russen, und eine zweite wieder zurück.
Kolorismus, Innerlichkeit, Primitivität, Sezession und feinste Nervosität fan-
den sich auf der Linie.
Gounod
ICH spreche darum hier von Gounod und Thomas, weil sie das Bett gruben.
Gounod war ein freundlicher, unbedeutender, musikalisch äußerst begab-
ter Mann. In seinen Memoiren gibt es eine Szene, wo Berlioz nach der
Premiere der Sappho mit Tränen in den Augen zu Gounod kommt und ihn
umarmt und dieser ihn bittet: „Ach, lieber Berlioz, kommen Sie zu meiner
Mutter und zeigen Sic ihr diese Augen; das ist die schönste Kritik, die sie
über mein Werk lesen kann." Es ist alles so gerührt um ihn, wie diese Szene,
durch das ganze Leben: Mutterliebe, Geistlichkeit, Chorgesang und viel
Mühe, mit der Oper durchzudringen. Man machte ihn zum Organisten,
dann zum Direktor des Sängerverbandes Orphcon, man lobte seine Messen,
aber mit der Sappho war es noch nichts. Er versuchte eine komische Oper,
Der Arzt wider Willen, nach Moliere, mit einem Trinklied, einem Prügel-
Gounod
trio, einem Konsultationssextett und
so fort, ganz im Stil der Buffa. Gou-
nod war noch sehr altmodisch. Er
liebte die stehenden Formen, er
ahmte sogar' Lully nach. Einen Er-
folg hatte er wieder nicht und, wenn
wir auch den durch Reznicek wieder
ausgegrabenen Medecin heut um
seiner guten Arbeit willen höher
schätzen, so schätzen wir ihn doch
für eine Buffooper zu spät und für
einen Gounod zu früh. Auch seinen
Philemon und Baucis hat man her-
vorgeholt. Das hat seine textlichen
Schwierigkeiten, weil Jupiter, der
das edle Paar wieder jung macht,
nichts Eiligeres zu tun hat, als die
Baucis zu verführen — Offenbach
hätte es komponieren müssen. So
wurde es für eine Operette zu schwer
und für eine Oper zu leicht, wieder zu altmodisch für uns, zu eintönig
für Gounod, schmelzend, weich, schwammig, mit einzelnen hübschen Ideen:
im ersten Akt die Szene zwischen Baucis, Jupiter und Vulkan, im dritten
die Szene Vulkans mit dem Paar sind musikalisch wertvoll. Den „Tribut
von Zamora", seine letzte Oper, verehrt man nur lokal. Seine Weltwerke
blieben ,, Faust" und ,, Romeo und Julia". Romeo ist, obwohl fast ebenso
beliebt, viel schlechter, dramatisch mag es fließender sein, musikalisch ist
es leerer, stilistisch eklektischer. Die Einleitung und das Schlußritornell
zur recht trivialen Liebesszene in Julias Zimmer ist schön, durchgewebt
in den farbigen Harmonien, es ist sicherlich ein geheimes Kompliment an
Wagner. Das geheimnisvollste Kompliment macht Julia, da sie auf ein Isolde-
motiv stirbt. Auf der anderen Seite grüßt man die Italiener mit empha-
tischen Melodiephrasen, mit Fermaten, die in Quartsextakkorde sinken, wie
im Trauungsquartett. Die Balkonszene wird von einer wiegenden Nacht-
musik in Sechsachtel gerahmt, die aus Weber und Mendelssohn gebildet
ist, auf langem Orgelpunkt, den Gounod liebt. Die Szene selbst ist nicht
einheitlich gelungen, es fehlt der Mut der lyrischen Durchführung, gute rezi-
tativische, melodische, akkordliche Linien werden durch Störungen des Chors,
des Tempos, der Stimmung zerrissen. Die Varieteschlenkrigkeit des Lorenzo-
347
trankthemas ist böse. Die Ballmusik und der Juliawalzer ist reizend. Ein
fader Geschmack bleibt zurück, musikalische Beschränktheit mit aufgepfropf-
tem Theater. Von Shakespeare so wenig zu flüstern, wie von Goethe beim
Faust. In Frankreich machte das nichts, man lebte im Glänze der Mon-
dänität. In Deutschland kann man es nicht einfach unterdrücken, man kann
sich nicht bloß in die Zelle des Musikers einschließen. Die jungen französi-
schen Literaten neigen jetzt uns zu, wie der alte deutsche Bürger Gounod
zuneigte. Sie liebten sich sentimentalisch und waren voneinander gerührt.
Der Faust kam 1859 und begründete die gefühlvolle Oper.
Faust heißt Marguerite, Gretchen aus Paris, die sich die erdenklichste
Mühe gibt, ihre traurig schöne Liebesgeschichte möglichst nach dem deut-
schen Original zu erleben, sonst nichts. Sie versteht es schon, die Sache or-
dentlich zu veropern, die Tiefen zuzuschütten, reichliches Milieu zu zaubern
und eine lockere Technik zu bereiten, so locker, daß ohne weiteres eine Arie
des Valentin und ein Ballett in die kokottenhafte Walpurgisnacht nachträg-
lich zugefügt werden konnten. Die Milieus werden unter üppige, wirksame
Musik gesetzt. Die ländHchen Chöre bei Faustens Monolog, die reizenden
Kirmes-Chöre in starkem rhythmischen und oft eigentümlich melodischem
Leben, die Schwerterszene nach gut Pariser Schnitt, der außerordentlich
fein erfundene Walzer, in allen drei Teilen sehr glücklich und inkrustiert
mit der keuschen, leisen und langsamen Begegnungsszene, die Kirchenepisode
mit dem großen Orgelspiel, die Militärszene mit dem breit ausladenden Marsch,
die flitzende Serenade mit dem Duellterzett und dem forschen Finale im
Stile der ernsten Comique, das alles sind nebensächliche Hauptsachen, die
nicht nur von einer lebhaften musikalischen Phantasie zeugen, sondern auch
den Bedarf an Kolorismus in schönster Abwechslung bestreiten. Denkt man
nicht an Faust und Faustisches, nimmt man das alles so als Stück für sich,
so leuchtet der Esprit des Franzosen in der Gestaltung des farbigen tänzeri-
schen Ensembles. Und denkt man noch weniger an das Faustische, so wird
man auch der Phantasie seiner lyrischen Szenen die Gerechtigkeit einer
blühenden musikalischen Erfindung zuteil werden lassen, die an der Grenze
der Trivialität dem Gefühl, auch dem deutschen uneingcstandenen Gefühl,
wohlige Erregungen bereitet. Das ist der eigentümlichste Gounod, der
Schwelger der langsam geschlürften Süßigkeiten, lächelnde, selbst in Tränen
lächelnde Melodien legen sich auf weich gebettete Harmonickissen, Orgel-
punkte bieten einen sicheren Grund für alle sanft niedersinkenden, sequenzen-
frohen Phrasen, wollüstig verzögerte Vorhalte auf Septimen spiegeln die Sehn-
sucht der rhythmischen Seele. Die Gartenszene, bis heut das Muster der
älteren französischen Musiklyrik, ist in ihrer bunten Reihe raffiniert und doch
348
[
■mit allem Schein verschlossener Grazie und stiller Anmut angelegt. Im
leichten Wiegen musikalischer Zephire singt Siebel ein Blümleinlied, das auf
so nachgiebigen Bässen daherschwebt, eine delikate Kleinmalerei müht sich
um alle Blumendinge, blumig süß wächst Faustens Kavatine auf, in exoti-
schen Düften schmeichelt die Musik um Gretchen und seltsam ferne nor-
dische Tropik zeichnet ihre König Thuleballade, die die Gedanken an ihren
Geliebten zart durchbrechen. Aus rührsamen Details blüht ihre Juwelen-
arie hervor, der virtuose Koloraturwalzer, der ihrer Seele das französische
Parfüm und ihrer Kehle die festliche Mondänität gibt. Das Quartett ordnet
sich gern nach den symmetrischen Regeln der Überlieferung: Divergenz der
Charaktere und Konvergenz der Ensembles. Sehr entzückend bereitet sich
allmähhch das Liebesmotiv Faustens vor, hier und da, schwül durch die
Blätter duftend, und in ihm findet sich bald das Paar liedhaft gebunden.
Die Harmonien weiten sich, die feierlich berückenden Akkorde, in denen
einst Margaretens Vision erschien, werden Duett, temperamentvolle italie-
nische Melodiephrasen feuern das Tempo an, die verschiedenen Motive ver-
schlingen sich wollüstig zu Steigerungen, sie wiegt sich höher und höher in
ihrem weiten drangvoll schwingenden Neunachtel-Larghetto, ein Schrei,
und der F-Dur-Jubel des Orchesters schließt eine Folge von mosaikhaften
Lyrismen, die über die textlichen Spannungen ohne Arroganz, aber auch ohne
Schwindelgefühl sehr geschickt und liebenswürdig Schritt für Schritt ge-
nommen haben, zufrieden, in klingender Musik ihr Glück zu finden. Die
Gefängnisszene, am Schluß, lebt nicht minder gefühlvoll von den motivi-
schen Erinnerungen an diesen Anfang. Das Aufklingen des Walzers, der
Begegnung, des Liebesduetts, des Liebesjubels als Erlösungsjubels gibt ein
eindringliches Muster der motivischen Erinnerungskraft letzter Opernszenen.
Das Lied wird sich selbst Refrain, das Gefühl schließt seinen Kreis des Er-
lebens und Gedenkens. Es gibt keine musikdramatische Wirkung, die un-
bestrittener und allgemeiner gewesen wäre. In jeder Oper, alter und neuer,
ist eine Ader davon. In der lyrischen Oper ist es das Herz.
Thomas
AMBROISE Thomas ist minderwertiger. Ist auch seine Gegend an Ge-
- fühl und Anmut der Gounodschen benachbart, so ist doch seine musi-
kalische Erfindung geringer, seine künstlerische Moral frivoler, seine ganze
Haltung italienischer. Sein Leben ist in Preisen, Reisen, Mißerfolgen und
Erfolgen wohl geordnet, die Welterfolge kamen erst zuletzt mit Mignon
349
(i866) und Hamlet (1868). Wieder Goethe und Shakespeare, aber nicht ein-
mal zu flüstern. In Mignon sind einzelne Virtuositäten des Esprits zu be-
merken, zigeunerische Weisen, das steirische Lied, das Tänzchen vor und
im zweiten Akt, meinetwegen die Titaniapolonäse, als Lichterspiel der großen
Welt. Bisweilen glänzen sinnige melodische Ideen. Nichts hält den Vergleich
aus mit dem Engellied der gefangenen Margarete oder selbst dem Jugend-
duett Faustens mit Mephisto. Die Finales werden durch gemeine Rhythmen
und Schlagmelodien unmöglich gemacht. Die Lieder Wilhelms, die Romanze
Mignons, das Schwalbenduett sind von unedler Gesinnung, fettig und grin-
send, wie verliebte alte Weiber. Wird die Frivolität offen bekannt, wie in
den Walzerchen und Koloraturen der Philine, so ist sie viel erträglicher. Es
ist schlechte Luft in dieser Oper, nicht die sinnliche Atmosphäre Gounods,
sondern Gasgeruch mit altem Parfüm und schwitzigem Fleisch, worin eine
echte Kokotte wie eine Erfrischung wirkt. Wie häßlich, daß es heut noch
so viel Leute gibt, die diese Luft gern atmen, Lakaien des verlebten second
empire. Es waren zwei Schlüsse : Mignon stirbt oder heiratet. Wenn sie
heiratet, singt Philine eine Forlane, die in der Ouvertüre vorkommt, aber die
Ouvertüre wird auch gespielt,'wenn sie stirbt. Nun, der Hamlet des Thomas
heiratet Ophelia nicht, aber immerhin, er wird König, nachdem er den Clau-
dius erstochen hat. Den Lichterglanz des dekolletierten second empire sehe
ich schleierloser in dieser Oper, vor allem in der großen Sterbeszene der
Ophelia, die ein virtuos verfeinerter Wahnsinn wird, idyllische Dämonie,
tänzerische Verzweiflung, weltmännische Operngymnastik mit exotischen
Farben, schöner Ballade, Brummstimmen des Chors, blinkendem Orchester.
Auch das groteske Totengräberduett nenne ich und die reichlich musika-
lische Begräbnisszene, die gute Stimmung des Terzetts der Königin mit
Ophelia und Hamlet und das Dunkel im Duett des Königspaares. Die Ironie
Hamlets ist musikdramatisch dankbar, er wird ein Stiefbruder Masaniellos
oder Roberts, er singt und trinkt mit den Schauspielern und plötzlich gerät
er in ein ander Tempo und Tonart. Aber daß solche Musik sehr geeignet
ist, schwankende Charaktere zu vertiefen oder gar zu enthüllen, kann man
nicht behaupten. Im Ganzen ist diese Oper, wenn sie auch noch so arien-
beklebt ist, viel sympathischer als Mignon, anständiger in der Mache, male-
rischer, reinhcher, und man begreift nicht, warum man sie bei uns vor dieser
verschminkten Theaterpuppe so ganz vergessen hat.
350
Bizet
THOMAS' Hamlet war ungefähr das musikalische KHma, das Bizet in Ent-
zücken versetzte. Vor dem Deutschen hatte er eine gewisse scheue Ehr-
furcht, das Italienische liebte er offen. Seine Konstitution war die eines
bloßen Musikers. Gab ihm einer etwas zu komponieren, so machte er es;
nahm er es ihm weg, war es auch gut. Er war ein Normalkünstler in jeder
Beziehung, ohne revolutionäre Ideen, ohne geistige Übertriebenheit, und
seine Briefe, am besten die an den Schüler Lacombe, zeigen das mittlere
Niveau. Er machte prompt alle Prüfungen, erhielt alle Preise, war wegen
seines trefflichen Spielens und Lesens und seines Gedächtnisses berühmt und
heiratete die Tochter seines Lehrers Halevy. Seine Freunde schwärmten
von seiner Improvisation und erzählten sich noch lange, wie er einmal das
Begräbnis seines Kollegen Clapisson, die Leichenreden, seine Elysiumfahrt,
kontrapunktiert gegen Themen aus Beethovens Fünfter, grotesk dargestellt
hätte. Kurz: er war ein tüchtiger Mensch, der wohl wußte, was es mit der
rechten Musik auf sich habe. Nur zwei Besonderheiten treten aus diesem
vorschriftsmäßigen Dasein heraus: die enorme musikalische Erfindung, die
sich in Carmen kundgab, und der plötzliche Tod, der kurz nach der Premiere
dieser Oper ihn schweigen machte. Daß Carmen zuerst nicht gefiel und
auch sonst seine späteren Werke wegen kühner Harmonien (man nannte das
fälschlich Wagnerismus) Anstoß erregten, gehört ja fast zur Schematik der
Laufbahn. Das unerhörte Aufleuchten seines plötzlich abgeschnittenen mu-
sikalischen Genies steht in einer Umgebung menschlicher Gewöhnlichkeiten.
Seine Jugendoper Procope fand sich neulich noch im Nachlaß von Auber,
es ist ein Rossinikind. Er rettete daraus einige Nummern in die Perlenfischer,
wie er aus der Arlesienne zwei Stücke in Carmen übernahm. Die Perlen-
fischer blieben trivial, bis auf einige harmonische Wagnisse. Diese harmoni-
schen Wagnisse waren nur die Anzeichen seines Farbensinnes, für den er
nach Betätigung suchte. Viel Reiz fand er im Ethnologischen seiner Stoffe
und, außer dem Bolero und den malerischen Modulationen seiner Vasco-
Kantate, ist es kein Zufall, daß Djamileh aus Ägypten, Carmen aus Spanien,
die Arlesienne aus der Provence, die JoHe fille de Perth aus Schottland, die
Perlenfischer aus dem Orient kamen. Bizet ist der ausgesprochene E.xotiker
unter diesen lyrischen Opernkomponisten, er färbt so viel er kann mit Landes-
farben, keinen echten, aber sehr feurigen.
In der Djamileh trat es zuerst verblüffend hervor. In dieser aus Mussets
Namouna herausgerissenen Geschichte der abgeschobenen Haremsdame, die
sich küssend und tanzend ihren Herrn doch wieder gewinnt, gibt Bizet neben
vielen Traditionen in Gounodscher Lyrik oder italienischem Buffotum oder
Pariserischem Opcrettenklang einige besondere Farben, die unvergeßlich sind:
träumerische Nilschifferchöre, verzückte Vorhalte im Sklavenmarsch, ein
Ghasel von aparter, seltsamer Exotik und einen Almeentanz, in Dur und
Moll schwankend, von glühender orientalischer Leidenschaft. Gleichmäßiger
wirkte seine koloristische Begabung in der jMusik, die er zu Daudets Arle-
sienne schrieb, damals unbeachtet (nur Reyer lobte sie), heute über das Stück
hinüber als Suite, als heimliche Oper gerettet, voll von weher Melodramatik,
heimatschweren Gesängen, bunten Harmonien, vibrierenden Rhythmen, ein
Entzücken für das tanz- und liedfrohe Ohr.
In Carmen wurde diese Art reif. Reif ? Wissen wir, was gekommen wäre ?
Bizet war 37 Jahre, 1875. Die bloße Mediterranisierung der Musik, die gegen
Wagner ausgespielt wird, können wir darin nicht sehen, sondern mehr noch:
den Sieg der absoluten musikalischen Phantasie über jedes Hindernis. Text,
Form, Gefühl, Szene, alles wird von dem Ansturm seiner Erfindung genom-
men, die in Glutströmen aufsteigt und triumphierend die Vernunft auf die
Knie zwingt. Wir wissen, wie roh und handwerklich Meilhac und Halevy
den Text aus der Merimeeschen Novelle (die im archivarischen Stil eine
heiße Welt von Blut, Trug und animalischer Leidenschaft trocken dahinsetzt)
zurecht gezimmert haben. Wir lächeln, daß sie zur Besänftigung der Gemüter
die Micacla mit ihrem ganzen Gefühlsgepäck hinzuerfanden. Wir bemerken
immer wieder in der Musik die alten symmetrischen Formen, über die Bizet in
keiner Weise hinausging, wir wissen, daß die Rezitative nachkomponiert sind, wir
sehen eingelegte Ballette, wir müssen durchaus gestehen, daß es doch eine rechte
komponierte Oper ist mit allen Schikanen der Liebe, Rache, Rührung, Lieder,
Aufzüge, Chöre und Finales. Aber wir geben uns schrankenlos dieser ein-
zigen musikalischen Gestaltungskraft hin, die in jedem Takt von Einfällen
strotzt, in jedem Tempo mit der Wucht eines ungebrochenen Tempera-
ments pulsiert. Gewohntes und Eigentümliches in den glückHchsten Fluß
bringt und mit einer Freude dahertanzt, die nur das Bewußtsein des endhchen
Sieges diesen Zügen verleiht. Wunderbares Land, da die Probleme schwei-
gen, weil die Schöpferkraft sie mit einem* Blicke erstickt. Wunderbares Ge-
hirn, wo inmitten der Alltäglichkeiten und Konventionen dieses wahrhaft
metaphysische Fest bewegter Töne unbewußt, unerzogen, fast ungewollt sich
an sich selbst berauschen darf. Jahrzehnt für Jahrzehnt verfolgte ich hier die
Opern, ihre Arten, ihre Schicksale, ihre offenen und geheimen Kräfte und
wieder sitze ich vor der Carmenpartitur und kann nichts erklären, was da
so alles überstrahlt, als die göttliche Eingebung, und schreibe diese Phrase
hin und weiß, daß, wenn ich sie beweisen wollte, sie nur eine Phrase bliebe.
A
Bizct. Radierung von Burncy
Aber es gibt keinen Menschen mehr
auf beiden Hälften der Erde, der
nicht mit dieser Musik lebte. Es
gibt feinere und es gibt größere
Opern als diese, aber keine, die nur
dies eine so allein hätte : das Ge-
fühl für Musik', diese himmlische
Kunst, die in der Kombination von
ein paar Tönen und Takten das
letzte, was uns schmerzt und was
uns freut, zu einem Naturgebilde
zurückformt.
Wie er es erreicht, ich weiß es
nicht. Ich lasse den ganzen Text
von diesem wilden Weibe, dem
Muttersöhnchen und dem Stier-
dandy beiseite, er macht es nicht,
sicherlich nicht, er ist nur so
da, als dramatische Unterlage und
könnte ebensogut ganz anders sein. Er paßt oft gar nicht und gibt nur so
allgemeine Hinweise : der erste Chor steigt wie gegen diesen Text entzückend
chromatisch auf, die Straßenjungen locken geniale Kontrapunkte, die Ziga-
rettenarbeiterinnen wiegen sich auf den kultiviertesten Harmonien, die Ha-
banera stürzt sich chromatisch herunter und tänzelt sinnlos textlich, musi-
kalisch übersinnlich fort, das Liebmutterduett zwischen Jose und Micaela
wird ein Rausch in lyrischer Melodik, der scharfe Streitchor, die national-
farbige Seguidilla, das Tempo der exotischen Zigeunereicn, der aufregende
Boleromarsch Escamillos, die ironischen Nonen des schwirrenden Schmugg-
lerquintetts, der frei schwingende Gesang Joses, Carmens Tanz mit den ein-
gesetzten Appelltrompeten, die Arie Joses schwelgerisch ausatmend, das ko-
chende Liebesduett, quälend, hinsinkend, das Finale als seine Steigerung —
ja, es mag die Situation wiedergeben, es mag die Charaktere zeichnen, aber
mehr als alles das ist es eine wundervolle Eitelkeit der Musik, die sich an sich
aufregt, über die Szene weg, jene schönste und seligste Eitelkeit, die aus
Mädchenaugen blickt, aus dem Männerschritt, aus der Lust an Verführung,
dem Bewußtsein der Macht, aus der Liebe zum Schicksal, Abenteuer, Tod,
aus allen großen Dingen, die das Geheimnis und die Kraft des Lebens ent-
hüllen. Dieses liegt in den Tönen und es ist mehr als irgendein Drama.
Es ist der ungeheure Fall, daß die Fülle und der Reichtum einer Musik, die
353
23
die Instinkte des Lebens wachruft und zum Rausche führt, sich ihr Drama
schaffen, ein Greifbares in der Begeisterung ihres Seelenflugs. Soll man die
melodischen und rhythmischen Nuancen des Carmenmotivs anmerken ? Die
verschiedene Harmonisation der Escamilloarie erklären ? Ihren seltsamen me-
lodischen Reiz tonal beschreiben ? Die Tonalität des Josegesanges ? Die
Schlußakkorde seiner Arie ? In dieser Arie die Vielgliedrigkeit des Orchesters ?
Den Harfenglanz, die Plötenfarben, Streicherteilungen, Blechperioden dieses
Orchesters ? Die Chromatik, die mit der Dur- und Mollterz operiert, in der
Modulation den Halbton wieder überspringt, innerhalb ihres Systems dia-
tonisch fortschreitet, harmonisch sich dehnt und zieht, mit dem Orgelpunkt
sich kompensiert, die melodische Konstruktion beeinflußt ? Man erklärt da-
mit nicht die seelischen Visionen, die uns im Rauche dieses Liebesduetts
aufsteigen, oder in der Verführung der Habanera, in dem Mutwillen der
Straßenjungen, im Stolz des Escamilloliedes, im Sänge, der unbegleitev in
die freie Luft strömt, und im Tanze, der mit den Trompeten kämpft. Das
sind Lebensinhalte der Musik geworden, unverwüstlich durch die Stile und
Zeiten.
Ich will so von der Carmen sprechen, gerade weil sie dem blöden Blick
leicht nur als Oper erscheint. Ich will ein wenig davon geben, was Musik
sein kann, Musik, wo sie auch hinfällt, selbst in eine Oper. Der blöde BHck
findet im dritten Akt genug Anhaltspunkte. Die zweite Hälfte ist Klasse
Gounod. Es zeigt die Herkunft und gibt die Folie für diesen seltsamen
Rhythmiker, Melodiker, Harmoniker. Die Schmugglerrhythmen, das Kar-
tenterzett, Carmens TodesHed, der launige Spottchor und Abzug umreißen
die andere Heimat: das Buffotum, das Bizet den tänzerischen Impuls gab,
der ihn weit über alle Aubers hinausführte. Er ist wirksam, wenn er drama-
tisch ist, am Schlüsse der beiden letzten Akte, aber er ist göttlich, wenn er
tanzt und singt. Er ist ein tüchtiger Charaktcristikcr, aber er ist ein begna-
deter Erfinder. Symphonien macht er mäßig, aber kleine Zwischenspiele
wundervoll. Das ist die Analyse — aber was ist sie ? Das Motiv der antreten-
den Stierkämpfer ist unsterblich, es hat mir noch jede Unlust besiegt, so-
oft ich es anschlage. Eine Wonne ist das kurze lyrische Duett Carmens und
Escamillos — ich denke an irgend etwas Gutes, stille Abende im Mondschein
zu Lovrana am Strande — da weckt mich der grausame Schluß. Doch jede
Stelle im Leben, und auch diese, ist mit einer Musik aus Carmen besetzt,
jede Stelle, die gar nichts mehr mit Jose und Micacla und der Mutter und
dem Leutnant zu tun liat. Immer hat sich ein Stück unserer Erlebnisse an
ein Stück Carmen gehängt. Carmen wurde das Buch des Lebens im höch-
sten Sinne des Tanzes. Das ist das dionysische Wunder.
354
Ich bin meinem Thema entwachsen. Ich wollte Carmen als die Oper
der exotisierenden, farbigen Musik schildern, die Nationalelemente aufnimmt
und verarbeitet. Sie hat soviel mehr Elemente aufgenommen. Soviel wei-
ter wuchs dieses Werk aus der Tragedie lyrique heraus.
Östliches
DIE westlichen Meister, wenn sie nationale Farben der Oper auflegten,
nahmen oder erfanden sie im Geschmack der südlichen oder der nor-
dischen Völker oder der ganz orientalischen. Das östliche Europa überspran-
gen sie, slawische Annäherungen finden sich nicht. Die Rache der Slawen
dafür war groß, aber ihre Verlegenheit vielleicht noch größer. Ihre Meister
fanden einen Reichtum an musikalischen Fähigkeiten in ihrem Volke, den
sie unbedingt der Oper nutzbar machen wollten, aber diese Musik hatte so
gar keine ursprünglichen Operneigenschaften, daß sie ohne Formanleihen
bei dem Vi^esten nicht auskamen. Italien hatte den Sinn für Virtuosität,
Frankreich für die Szene, Deutschland für die Lyrik, die Slawen hatten
Lieder, Tänze, Rhythmen — was war davon auf die Bühne zu stellen ?
Aber sie waren so schön und eigen, diese Lieder und Tänze, daß man
alles tun wollte, auch ihre Extensität zu erproben, wie Chopin ihre In-
tensität, ihre intime Stärke erprobt und durchgesetzt hatte. Und das
Gefühl dieser gedrückten Nation war so reich und wundervoll traurig,
daß man dem Volke helfen zu können meinte, wenn man es als musika-
lisches Drama monumentalisierte und zum öffentHchen Bewußtsein brachte.
Aus einem nationalen Bedürfnis entstand die Oper des östlichen Europa,
und ihre Landesfarben sind kein preziöscr Schmuck, wie bei den Werken
des Westens, sondern Seele und Stolz, ein Seufzer gegen die Kultur, der
man doch unterworfen ist. Manche dieser Werke gehen in dem Zwie-
spalt zum Westen unter, manche haben durch das große Geschick ihrer
Meister eine annähernd nationale Form gefunden, nur wenige sind über
ihre Heimat hinausgekommen. Ein geheimer Wunsch zieht uns zu Urnen,
wie in einer stillen Schadenfreude gegen die Herrschsucht der europä-
ischen Oper und in einem uneingestandenen Mitgefühl für diese selt-
sam weichen oder lässig ritterHchen Klänge, die in dem Versuch, die Welt
zu gewinnen, das Schicksal ihrer Nationen erfahren.
355
Ungarn
ES sind wesentlich die Slawen. Denn was die alte ungarische Oper leistete,
war nicht Musik der Magyaren, sondern Zigeunermusik, die in einem
dunkeln Zusammenhange zu dem Slawischen steht. Der Nationalheros der
ungarischen Oper ist Erkel, seine beiden Hauptwerke Hunyady Laszlo und
Bank Ban, 1844 und 1861. Bei der ersten Oper ist er noch stark im Bann
des Italienischen, in dessen Formen und Linien das Ungarische wie eingesetzt
ist, eine dumme Intrigengeschichte, die volksmäßig wirksam gemacht wird.
Bei der zweiten Oper ist das Italienische zwar nicht überwunden und Ottos
Arien ,, Holdes Wesen" oder „Melinda, wärst du mein" könnten zu den schön-
sten Erzeugnissen Donizettis, sogar Verdis rechnen, aber das System der Opern-
stilisierung ungarischer Musik ist viel klüger und künstlerischer durchgeführt,
und der populäre Text, das Strafgericht Banks am Verderben Ungarns in
der Trauer um die eigene Liebe, gibt viel nationalere Möglichkeiten. In
Hunyady Laszlo war das Ungarische in gar zu beschränkter Verwendung,
Rache, Liebe, Einsamkeit, alles auf Tschardasrhythmen und überhaupt zu viel
binärer Takt, wie ihn die ungarische Melodie mit sich bringt. In Bank Ban
sind die Opernqualitäten des Ungarischen bis aufs letzte erschöpft, und es
ist ein gutes Stück Musik geworden, naiv, ehrlich und voll von hinreißender
Melodik. Viel hilft ja diese Musik an sich schon. Die Synkope — welches
dankbare Mittel für jede Erregung oder auch für die große Feierlichkeit in
drei scharfen Schlägen (die Königsbegrüßung in Hunyady Laszlo). Das Rhap-
sodische, die Koloratur, die Verzierung, die punktierte Kette, die Stretta,
das alles liegt im Ungarischen und gibt doch bequeme Beziehungen zu Ita-
lien. Dreitaktperioden in der unsymmetrischen Manier der Zigeuner setzen
sich bizarr ab. Die Sprache der Magyaren ist schwer, aber der Takt der Zi-
geuner erleichtert sie sofort. Die Tanzgelegenheit ist groß und der unum-
gängliche Tschardas steht in der Mitte jedes BaUetts, das in der Mitte jeder
Oper steht. Dann brechen die Körper aus, die in diesen naiven Stücken so
puppentraurig hin- und hergeschoben werden. Bank Ban, wenn es an etwas
leidet, leidet am Übermaß der kindlich gereimten Dialoge, einer volksmäßigen
balladesken Epik, die sich plötzlich auf die Bühne gestellt sieht. Es ist zeit-
weise die reine Liedmacherei. Aber man muß es, wenn es nicht zuviel wird,
unbefangen nehmen, wie primitive Bilder. Dann berührt es sich mit dem
Buffotum und die Puppe wird Stil. Die Szene zwischen Bank und dem
Bauern hat diesen eigentümlichen Chansonton, Klagen, die ihren Refrain
kennen, Liedchen des tjcnds, die in keuscher Einfalt gebetet werden. Mit
solcher balladesken Stilisierung findet sich Erkel oft sehr glücklich heraus.
er verfestigt das Drama in eine volksmäßige Szene, braucht die alten Formen
und darf doch die Musik ganz im nationalen Charakter halten. Am merk-
würdigsten ist das erste Finale, ein großes Ensemble in sehr feinem Satz aus
ungarischen Motiven leidenschaftlich entwickelt, und die Szene Banks mit
Melinda, die rhapsodisch klagt, mit Viola d'amour und Zimbal, so stark und
schön in allen Folgen des Duetts aus dem Stoff der ungarischen Musik er-
funden und gestaltet, daß man sie zu den eigenartigsten und glücklichsten
Stücken der nationalen Oper überhaupt wird zu zählen haben.
TscJiccJicii
DIE ungarische Musik hat den Vorteil aller Dimensionen des Tempera-
ments, von der weichen, schwimmenden, taktlosen Rhapsodie auf glit'
zernden Harfenakkorden bis zur synkopischen kurz gt/bundenen Tanzmelo-
die, die aus einem leidenschaftlichen Wirbel um sich selbst in die federnde
Kadenz herabsinkt. Der slawischen Musik, im besonderen Sinne, fehlt dieser
Glanz und Aufschwung, aber sie sitzt dafür in einer tieferen Region des
inneren Menschen. Das Ungarische ist wie ein Tanz der Ballade, das Sla-
wische wie eine Ballade auch im Tanze. Das Ungarische ist absoluter, instru-
mentaler, das Slawische gesungener, beseelter. Die Rhapsodie der Zigeuner
wird nur künstlich gesungen, das slawische Lied vcrinnerlicht auch ihren Tanz.
Der epischen Vielfältigkeit des Ungarn setzt der Slawe seine lyrische Ver-
tiefung entgegen. Und er hofft, dadurch erfolgreicher zum Drama zu ge-
langen. Er hat seine schweren alten Lieder und er hat seine bunten wech-
selnden Tänze und er hat die tiefe Traurigkeit und den Rhythmus, wieder
den Rhythmus — wie wird er es anstellen ?
Unter den Tschechen erreichte es allein Smetana. Man bedauert, daß
er keine bedeutenderen Librettisten gefunden habe, um seine letzten musi-
kalischen Fähigkeiten zeigen zu können. Aber ich fürchte, er hätte sich ver-
loren, wenn er sich zu steigern gehabt hätte. Das war ein guter, reiner Mu-
siker, in dessen Werken keine Spur der geistigen Störung zu finden ist, die
ihn erwartete. Eine gesunde Kunst, wo sie naiv bleibt und sich nicht um
Probleme schert. In seiner Libussa versuchte er Feierlichkeiten, die alte
Prager Sage der prophetischen Richtcrin, Hochzeiterin und Gründerin klei-
det er in üppige Musik, tschechische Motive werden in europäische Ekstase
gebracht, jedenfalls sein mächtigstes Werk, und viel Schönes im zweiten Akt
— aber die Verkaufte Braut ist echter. Der „Kuß" (seine populärste Oper
zu Hause) hat reizende Einzelheiten, „Dalibor" leidet an seinen Vorbildern,
357
Smctana. Zeichnung von Max Svabinsky
das „Geheimnis" findet sich zwi-
schen den Stilen nicht zurecht —
die Verkaufte Braut ist ein Mei-
sterwerk. Deswegen eilte Smetana
aus Gotenburg, wo er eine dumme
Stellung hatte, zurück nach Prag,
weil so etwas in ihm lebte. Darin
machte er sich ganz frei von der
Protektion Liszts, die ja sehr nütz-
lich, aber doch auch sehr gefährlich
war. Darum, nach dem Erfolg der
Verkauften Braut im Jahre 1866,
wurde er der Kapellmeister an der
tschechischen Oper, die heut noch
|if . ^^^I^^^^^^^^^^^^^^^^H ^^^ Denkmal dieses tief musika-
''■ ' J^^^^^^^^^^^^^^^^^^^K lischen Stammes Ich kenne
diese fünf Opern von ihm, nichts
reicht an die Verkaufte Braut. Den
Menschen Smetana lieben wir um sein Quartett „Aus meinem Leben". Aber
wegen dieser Oper müssen wir die Tschechen um Entschuldigung bitten :
sie haben politisch nichts annähernd so Gutes geschaffen.
Hier ist nichts von einem falschen Pathos, das sich an der neudeutschen
Schule ansteckt, hier ist Natürlichkeit, Schlichtheit, Stilreinheit und sogar
eine große Kunst, aus dem Nationalen das Opernhafte zu bilden, nicht sehr
dramatisch, aber es war auch nicht nötig bei einem so einfachen Stoffe, daß
einer unter falschem Namen seine Braut an sich selber unter richtigem Namen
verkauft. Was ist von der europäischen Oper darin geblieben ? Die Ouver-
türe, ein Prachtstück, treibt aus einer fugierten Welt in das Volkslied hinein.
Das eine Terzett mit dem Heiratsvermittler Kezal „alles ist so gut wie rich-
tig" steht ungefähr auf dem Buffostandpunkt. Das zweite hat so etwas wie
eine schumannschc verschlungene Figur, in die sich, da sie nicht ganz zur
Situation paßt, die Mitglieder hineinbuffen müssen. Hans allein — wird
konventioneller. Der Typ stotternder Wenzel ist Schablone. Der Trink-
chor ist so gut wie irgendein anderer. Zum Schluß reicht die nationale
Art nicht ganz. Ein Polkaduett beim Wiedersehen ist eben zu wenig. Schluß
verlangt Pathos, es müßte gar kein Schluß sein. Es wird ja sonst auch hier
nicht viel Oper gemacht, und wenn Marie sich vom Quartett und Sextett
so schön abhebt, ist es schon genug der Herausstellung. Lied und Tanz ma-
chen das übrige. Welche Volksfrische in diesem Frühlingschor, der ein wenig
358
wienerisch eingerahmt und
ein wenig nachdenklich moll-
durchzogen ist. Wie sinnig
die Refrains, dieses seelische
Echo von Mariens Arie. Wie
zart moduliert ihr Duett mit
Hans, ein Duett als Volks-
lied und in der motivischen
B-Dur-Stelle so einfach, gol-
den, echt und alt, daß alles
Pathos davor hinsinkt. Das
Quartett wird von Tanz-
melodien gehalten, als sei es
schon Legende geworden.
Das Duett Mariens mit
Wenzel, von einer süßen
Melodie eingeleitet, versinkt
in das launische Spiel der
Tonika und Dominante, die
aus elementaren Volkstiefen
aufsteigen. Kezal macht sei-
ne Anträge an Hans in drei
verschiedenen Tanzrhythmen, einer feiner als der andere, als sängen sie längst
gesungene Balladen zusammen: Weiß ich doch eine — weiß er doch eine!
Und das Finale bewegt sich in einer reizenden wandernden Schlußfigur, sie
wandert über die Erde und wandert, alles zu einem guten Ende zu kriegen,
auf alle Schande gar lustig, und Chorvolksweisen gehen in die Begleitung
über, zum Liede wird das Erlebnis. Das wundervolle Sextett hebt sich her-
auf wie uraltes Klingen dämmernder, weinender Weisen — was träumen
wir von heimatlichen Erinnerungen, Großmuttermärchen, Kinderspiel und
Rauschen des Waldes, wenn die jungen Blätter den ersten Wind fühlen ?
In einem Wasserspiegel sahen wir den abendlichen Himmel. Dazwischen
aber ist Erde, und Erde ist Bühne, und Bühne will Sinnlichkeit. Esmeralda,
singe deine Polka. Und ihr Tänzer alle, tanzt unsere heimatlichen Tänze,
in denen Schicksale und Opern stecken, soviel ihr wollt. Die große Polka
schwingt sich durch die Tonarten mit ihrem schnippischen, kurzen Takt
und wiegt sich auf dem i, 2, 3, vom 4 springend zum i, 2, 3, von heiter
blauen Diskanten überzogen und so vergnügt und schäkerig mit den kleinen
braunen Durchgangsnoten der Bässe. Und der Furiant stampft sich los, drei
Smctanas Handschrift: Verkaufte Braut
359
Trochäen auf sechs Viertel, daß es nur so raucht, aber im Mittelsatz
wird er vornehm und läßt sich vom eleganten Walzer belecken. Da kom-
men die Komödianten und schütten ihre Takte aus, bunt wie ihre
Kleider. Geschäftige Scchszehntel zwischen harten Schlägen. Liedchen,
wie von Schumann verloren, auf ruhelosen Achteln, Trompeten, die zu
vergeblichen Schlachten blasen, Synkopen, die über Zwei-Viertel-Strecken
gleiten, und immer wieder anheben und wieder gleiten und die Füße
schleifen und die Arme lieben und die Arme wieder senken und wie-
der gleiten — ach, wieviel ^^'ahrheit ist in dieser Komödie. Braucht man
so große Gebärden ? Marie rückt das Köpfchen nach hinten, Hans schlägt
sich auf die Schenkel, der Kuppler rennt in sein altes Buffoquartier zu-
rück, und wir wissen: wenn man etwas nur so sagt, wie es ist, und es hat
eine schöne Melodie und einen guten Takt, so ist in dieser Komödie das
ganze bißchen Leben, so wie es wirklich ist, wie es im Grunde allgemein
ist, böhmische, spanische, schottische Komödie — denn Lied und Tanz
sind alles, das Lied für das Insichgehn, der Tanz für das Aussichgehn. Wie
aber kommt es nur, daß ich bei der Musik der Verkauften Braut Entzük-
kungen, Ausgleichungen, inneres Leuchten habe, wie nur noch vor der
Landschaft? Hier ist nicht bloß Musik Natur geworden, auch Natur Musik
geblieben.
Von der rechten musikalischen Deklamation stammt das eigentlich Na-
tionale, vom Gefühl für den Rhythmus der Sprache, sagt man. Ich kann das
bei fremden Sprachen nicht kontrollieren. Smetana selbst soll erst spät dazu
gelangt sein. Ich sehe einen rein musikalischen Rhythmus bei ihnen allen,
der sicherlich den Ausschlag gibt. Die Terzenschleifen, die betonten leich-
ten Taktteile, die konsequente Wiederholung von Phrasen, die mannigfachen
Achtelteilungen innerhalb der Dreiviertel, die schwerhängenden Punktie-
rungen, die Synkopenfedern, alles das scheint so herrschsüchtig, daß es sicher-
lich die Sprache zwängt. Aber es ist eine eigene Notenschrift, die man wie
ein musikalisches Geständnis abliest, selbst ohne ein Wort des Textes zu ver-
stehen, ein eigener mystischer Reiz, diese Musiksprache zu verfolgen unter
einem Drama, dessen Worte nur Klang bleiben. Und selten fühlt man den
Befehl der Sprache selbst, des Untcrmusikalischen in der Sprache. In
Dvoraks und Fibichs schwärmerischen, undramatischen Opern gewinnt
das allgemeine europäische Idiom die Oberhand. Dvoraks voramerikanische
Opern haben noch etwas nationales Gewissen. Fibich irrte lange im Me-
lodram umher und schrieb eine überzeugt« Pelops-Trilogie in dieser Gat-
tung. Seine Hedy (nach Byron), eine Mischung von Tristan, Walküre
und franz(')sisc}ier Räuberromantik, trieft von jener Emphase und Weich-
^60
lichkeit, die die tschechische Violine sich so leicht angewöhnt. Sein „Fall
Arkonas", der Kampf der Heiden und Christen um unser Rügen ist musi-
kalisch reiner und edler, aber bleich wie der Mond, geborgtes Licht.
Von Tschechentum ist darin nur die Fähigkeit der Assimilation zu spüren.
Der ausländische Stoff verauslandet die Musik erst recht.
Polen
MONIUSZKOS nationale Oper Polens, die Halka, 1847, gibt wieder ein
sympathischeres Bild. Es ist die einfache Geschichte einer verlassenen
Geliebten, die sich das Leben nimmt. Der Stil der opera comique war das
rechte Muster. Die italienischen Elemente sind vorhanden, aber sie sind
natürlich und gut. Über dem Finale senkt sich eine eindrucksvoll gewellte
Figur herunter, die treffHch verarbeitet ist. Die katholischen Enklaven sind
von kindlicher Frömmigkeit. Der polnische Rhythmus und das polnische
Lied beherrschen die wesentlichen Strecken und gestalten auch szenische
Begleitungen, motivische Milieus. Die Verlassenheit der Halka gibt die
Gelegenheiten zu schöner Klage und die Hochzeit ihres Geliebten mit
einer anderen zu schönen Festen. Klage und Fest sind die beiden Far-
ben Polens. Der Chor mit der verstoßenen Halka, diese Lieder, diese Re-
signationen sind von ergreifender Stimmung. Der Palast hat seine pracht-
vollen Masurkas und Polonäsen. Masurka, Polonäse, Varsovienne, Krako-
wiak geben zahlreiche Varianten des binären und ternären Taktes. Der
große Tanzchor der Bergbewohner ist ein sehr temperamentvolles Stück
Nationalmusik. Das Drama selbst wird in einigen, fast veristischcn Schlä-
gen akzentuiert und die Mischung des Heimatlichen und des Szenischen
scheint glücklich gelungen. Es bleibt ein Gefühl musikgewordener Sehn-
sucht und Wehmut, in der ein Durakkord überrascht, wie ein plötzliches
Lächeln auf einem melancholischen Antlitz. Ja, diese gute Musik hilft
so sehr, daß sie die Trauer einer Nation unsterblich macht.
Russen
DIE östlichste der slawischen Opern, die russische, hat sich am interessan-
testen gestaltet. Sie hatte die größte Spannkraft, durch ihre Beziehungen
und wiederum durch ihre Isolierung gegenüber Europa, sie hatte das Glück,
die verschiedensten künstlerischen Begabungen in ihren Autoren zu finden,
361
und ein unermeßliches Feld reicher musikalischer Instinkte im Volke selbst.
Sie bedeutet ein ganz merkwürdiges und besonderes Kapitel, vielleicht das
aparteste Kapitel in dem großen Opernroman. In der Nachahmung West-
europas wächst sie auf, wie die russische Literatur, der sie in der Nationali-
sierung nachfolgt, und die russische Malerei, der sie darin sogar vorangeht.
Die befruchtenden Strome kommen von Italien und Frankreich. Paesiello,
Cimarosa, Boieldieu musizieren am Petersburger Hofe. Der Import italieni-
scher Opern ist kolossal. Cavos, der Venezianer, war der regsamste. Er be-
kam in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts allmählich die ganze kaiser-
liche Musik unter sein Regime, stieg bis 21 000 Rubel Gehalt und schrieb
sowohl für die italienische, als die französische, als die russische Truppe Opern.
Die Einflüsse Deutschlands folgten. Schumann hat alle slawischen Musiker
stark infizieren müssen und Wagner zog mächtig an. Eine anregende Parallele
entstand in Chopin, dessen geniale Freiheit das Polentum weit übertraf —
wie oft erinnern uns diese russischen Opern, am Klavier gespielt, an seine
vergeistigte slawische Atmosphäre. Der Geist der russischen Harmonie und
Deklamation fand dann wieder ein Echo in der Schule Vincent d'Indys und
eine gewisse kultivierte Primitivität verband noch einmal beide Nationen,
in Rußland in den Intellekt hinein entwickelt, in Paris von ihm herauf.
Doch sollen die Beziehungen der Alusik zum Leben nicht zu eng genommen
werden, wohl zum privaten, aber nicht zum historischen. Die Oper ist im-
mer fast ein Vergnügen, die Literatur fast eine Notwendigkeit zu nennen.
Der Realismus, der die französische und russische Literatur, auch in seiner
Wirkung auf Zentraleuropa, verbindet, ist nur teilweise in der Oper, wie nur
teilweise und ganz im allgemeinen das gewaltige Chaos Dostojewskis, die
bewußte Ethik Tolstois, die mondäne Stimmungsdichtheit Turgenjews in
der russischen Oper ist. Denn alles ist darin, was der musikdramatische Sinn
verlangt. Es ist ein Reich innerhalb der Weltoper, in dem alle deren Pro-
bleme, alle deren Wesensarten experimentiert und dargestellt werden, in
einer wundervollen Mannigfaltigkeit und bunten Mischung, wie sie aus die-
sen Konflikten importierter Stile, heimatlicher Träumerei und eines Bar-
barentums entstehen mußte, das sich der Kultur, die es bewundert, wider-
setzt. Alle Zweifel und Entschlüsse, Einseitigkeiten und Balancen, die die
Schicksale der großen Oper begleiten, kehren hier auf einem engen Räume
in konzentrierter Gestalt und schneller Zeitfolge wieder und geben ein Kom-
pendium der Oper in verkürzter Fassung, einen ganzen Inhalt dieses Buches
im Buche selbst. Die Probleme des geschlossenen Musikstücks und des ehr-
lichen Worts, der Realität und des Märchens, des Erfindergeistes und der
dramatischen Wahrheit, des Europäischen und des Nationalen, des Szenischen
362
und des Lyrischen, der Deklamation und- des klangschönen Orchesters, alles
das reiht sich hier in schärfen Bildern hart aneinander. Es ist ein dunkel
gefärbter Spiegel des ganzen Opernwesens, in der Farbe jener russischen
Musik, die einen so langen Atem hat, die niemals von der Schwermut
sich ganz befreit, die wohl das Groteske, aber weder das launig Buffo-
neske, noch das tief Humoristische kennt, wenn sie feierlich wird, an
die byzantinische Kirche erinnert, der europäischen Fuge eine steinerne
Homophonie entgegens-tellt, die Koloratur seltsam eingelegter Figürchen
liebt, leiterfremde Verschiebungen, beharrende Akkordschlüsse, abnorme
Rhythmen und eine Melodie, die mit leichtem Ansatz ausholt, sich in
unendlichen Repetitionen gefällt, in ihrem Gang rührend unbeholfen
trottet und doch die ganze Seele des Volks umschließt.
Glinka
UNTER den Typen der russischen Oper wäre der erste der vorglinka-
sche Typ, die fremdstilige Oper, die man am besten in Werstowskis
„Askolds Grab" kennen lernt: seit 1835 eines der populärsten Stücke in seiner
Heimat. Es folgt ungefähr dem Schema der opera comique mit Melodram,
hat noch strenge Formen und nur in Chören und Liedern einige russische
J'arbe.
Glinka, der Schöpfer der russischen Nationaloper (man sah in jedem neuen
Experiment immer wieder die Nationaloper) stellt gleich zwei Typen auf:
im „Leben für den Zaren" das musikalische Bild des Kleinbürgerlebens
auf patriotischem Horizont und in ,,Ruslan und Ludmilla" die Märchen-
oper mit dekorativen Reizen. Jene kam 1836 heraus, diese 1842. Es ist ein
sonderbares Ringen in dieser Musik, wie in. Glinkas Leben. Das russische
Klima bekommt seiner Gesundheit nicht .und er reist vielfach nach Italien,
Spanien, Paris und Berlin, wo er die Dehnsche Schule auf sich nimmt. Seine
Musik macht dieselben Reisen, aber obwohl sie in dem Klima Liszts,
Berlioz', Bülows sich wohl fühlt, hat sie doch den russischen Boden nur
wenig und ungern vergessen und ist dort das große Losungswort geworden,
gleich bedeutend als Weckruf der Nation wie als Zeugnis eines der geist-
vollsten Künstler.
Der Text zum ,, Leben des Zaren" ist von Baron von Rosen mit aller Nai-
vität gemacht, deren er würdig ist: die Geschichte eines Russen, der die
Polen irre führt, so daß sie nicht den Zaren töten, wie sie wollen, sondern
ihn, wie er weiß. Den dramatischen Momenten ist Glinka nicht gewachsen,
363
denn er ist eine absolute, oratorische Natur, der die stehende Szene liebt,
aber in das innere Leben der Russen wie in das äußere der Polen ist er mit
seiner prachtvollen Musik so tief hineingestiegen, daß er bleibende Werte
schuf. Gewiß ist der Stil noch gemischt. Der vierte Akt beginnt total ita-
lienisch, psalmodierende Arien schlagen in ein südliches Tempo um, alles,
begeisterte Hochgehen gewinnt Neapler Feuer, plötzliche rossinische Inter-
mezzi durchbrechen russische Linien. Die motivische Arbeit, besonders da,
wo der sterbende Russe in seine schönen Monodien die Erinnerungen des
Lebens flicht, oder die Eleganz ländlicher Chöre, auch des weichen Hoch-
zeitschors in Fünfviertel, weisen auf französische Muster hin. Die starke
kanonische Verwebung in vielen Ensembles ruft die deutsche Schule ins Ge-
dächtnis. Dennoch ist die nationale Farbe vorherrschend: genauer gesagt
zwei nationale Farben. Die feindlichen Russen und Polen sind in ihren mu-
sikalischen Charakteren vollkommen getrennt. Die Polen haben eine freudig
sinnliche Polonäse und eine vorhalthüpfende Masurka, motivisch durch das
Stück festgehalten, die zu den frischesten Erfindungen ihrer Art in Opern
gehören, sie haben rassige Tänze, besonders einen genialen schleifenden Kra-
kowiak, den man vom Temperament russischer Tänzer sehen muß, um zu
begreifen, welche nationale Macht hier letzte rhythmische Ausbrüche und
Hingebungen schafft. Und sie haben da, wo sie in der berühmten Szene
des verschneiten Waldes untergehen, eine andere A'Iasurka von so herzlicher
Trauer, daß sie ihnen Chopin nicht zarter hätte schreiben können. Die
Russen dagegen versuchen ihren Anteil an der Oper aus ostslawischen Ele-
menten zu bilden, die sie bis zu großen Ensembles durchführen. Ihre Re-
zitative sind ungeschickt, ihre Lieder rührend, ihre Ensembles von herrlicher
Kunst. Die ersten feierlichen Chöre, die Psalmodierendes mit \'olksliedhaf-
tem und Fugiertcm zu einer Einheit binden, scheinen wie alte starre Mosaike
auf Goldgrund zu stehen. Die Figurationen der Antonida klingen wie Erbe
und Überlieferung der Dörfer, eine instinktive Fassung archaischer musi-
kalischer Werte in exotischen Noten. Das langsame, sich vergrabende B-Moll-
Terzett des ersten Aktes, wie ein östlicher Teppich von wiederkehrenden
zauberhaften Arabesken durchzogen, gelu'irt heute noch, auch nach dem Mei-
stersingerquintett, zu den tiefst empfundenen Ensemblestücken, einer der
wundervollsten Musiksätze aller Zeiten, in das Blut der Rasse getaucht. Das
Quartett des dritten Akts, zwischen dem 'N'ater, seinem Kinderbrautpaar
und dem Pflegesohn Wanja, auf die Folge des Liedes, des Gebets und der
'lanzrhythmen eingerichtet, gibt ein Muster der nationalen Szene, die vor
unsern Augen und Ohren zur dargestellten Legende zu werden scheint. Die
große Ensembleklage im Epilog ist ein wahres Monument von Trauer, aus
364
Glinka. Nach Rcpin
Motiven russischer Bedrücktheit klangvoll und harmonisch ineinander ge-
baut. Das sind die drei schönsten Ensembles. Am Ende entspricht der Zaren-
begrüßungschor dem Psalm des Anfangs, ohne Konvention aus kirchlich feier-
lichen und volksmäßig repetierenden Phrasen gebildet. Ob auch die Finale-
form aus russischen Motiven gelungen ist, scheint zweifelhafter, sie erfordert
noch immer zuviel Szene. Ein solches Finale ist am Schlüsse des dritten Akts
tastend versucht, rhythmisch sehr bemerkenswert. Wo die Szene feststeht,
strömt das russische Wesen am reinsten aus. Das Lied findet dann seinen
Ton. So erzählt Antonida das Fortgehen des Vaters mit den Polen nicht
rezitativisch, sondern in Balladenform mit Chorrefrain — was wir eben
noch erlebten, wird ein uralt Gedicht. Oder vielmehr es war das uralt
Gedicht, aus dem diese Oper wurde. Und wo das Lied ganz opernlos
steht, bloßes Spiel des Singens in heimatlicher Erinnerung und Jugend,
da blüht es zu unvergeßlicher melodischer Schönheit. In dem jungen
Wanja, in seinem tiefen, satten Alt liegt die Farbe Rußlands. Sein Lied
vom toten Vöglein, mit diesen hängenden Siebentaktperioden, mit diesem
365
nsnLSAjiÄr/h
onefÄ M. rAHHKn
Glinka, Leben für den Zaren. Titelblatt
hängenden, sinnenden Vokalisenrefrain, so süß verweilend und verlockend,
es geht nicht aus unserer Liebe: ein russisches Frauengesicht, verdeckt
sinnlich und gemütvoll verstehend, schwarze tiefe Haare und rehbraune
366
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onepA M. PAHnKM
W:^^i^^^^r^^:.<^ir-^SiAL<^'^^i^.L^m
Glinka, Ruslan und Ludmilla. Titelblatt
Augen, von zartem, bleichem Oval und verwirrendem Spiel der Züge, ein
Vorstrecken der Wimpern, ein sehnsüchtiges Profilbilden, ein leises Lippen-
ziehen, ein entzücktes Schließen und wieder ein weites Offnen der Pupillen,
367
Ahnungen seliger Stunden, Blumen, Kinderlieder, Tanz und plötzlich die
Versteinerung.
Ruslan und Ludmilla ist artistischer, ungleicher, lebensfremder. Hier
tritt zum erstenmal die Neigung des Russen zu abstrakten, originellen Musik-
gebilden hervor, aus dem oratorischen Organ erwachsen, ins Kunstgewerb-
liche verfeinert. Man muß schon bei dieser Musik an die zauberisch linien-
klingenden Dekorationen denken, die die Russen zu den Palästen, Nymphen,
fliegenden Zwergen, Totenfeldern und Riesenköpfen dieses Märchens erfun-
den haben. Es ist ein Neobyzantinismus der Kunst. Puschkin, der ganze
Strecken der russischen Oper mit seinen Stoffen versah, hätte beinahe das
Libretto für Glinka selbst aus seiner Dichtung zurechtgeschnitten, er starb
darüber, und es blieb ein Mosaik unzusammenhängender Szenen, über die
der Komponist seine Musik schüttete. Auch hier hat er noch das Bedürfnis,
Arienentwicklungen aus dem heimatlich Rhapsodischen in italienische Tempi
zu führen, schöne Emphasen in neuitalienischer scharfer Kurve einzusetzen,
überall ein wenig südliche Sonne durch die Wolken brechen zu lassen. Aber
er deckt es gern mit Pariser Luft. Ratmiro schläft russisch ein, träumt in
einem italienischen Walzer von schönen Frauen und wird französisch von
einem Geisterballett umduftet. Ludmilla in ihrer Gefangenschaft klagt ita-
lienisch und Geisterchöre in französischer Lieblichkeit mit Pariser Glocken-
spielen umschweben sie. Viel italienische Rage, viel französische Phrase, viel
schönes trauerndes Ritorncll und sehr viel Barbarentum, das plötzlich aller
Kultur mit naturalistischen Wahrheiten ins Gesicht schlagen will. In der
Szene, auch in den Ensembles ist ein rührendes Ungeschick, monotone Rut-
scher, auch verlegene Musikmacherei. Alles Malerische aber im Orchester
ist verblüffend, Ruslans Kampf mit dem Zwerg von einer schneidenden
Schärfe, die Schilderung des Totenfeldes geheimnisvoll grüblerisch, die Er-
scheinung der Zauberin Naina sehr phantastisch und die Tänze von einer
ungeheuren Rhythmik, besonders die geniale, sich verschnellernde Leszinska.
Von den russischen Motiven muß man sagen, daß sie in der Szene oft nicht
überwunden sind, sie sogar stören. Der russische Venusbergchor bei Naina
gefällt sich im typischen Repetieren. Ruslan findet sein Sicgesschw'ert, mit
dem er Ludmilla befreien wird, in dem Riesenkopfe, den er tötet: der Kopf
singt lebend und sterbend eintönig im Chore. Das ist Asiatentum gegen die
körperliche Mythologie Siegfrieds. Alles Märchenhafte ist hier in eine ab-
strakte Primitivität zurückversetzt, nur vom Geiste erdacht, ohne Vision der
epischen Nachschöpfung. Es wird lichter, sobald die Möglichkeit des Liedes
zugestanden ist. So singt der Zauberer Finn seine ganze Selbstbiographie in
einer feinen nationalen Ballade, die eine Phrase im Laufe der Geschicke um
368
sich selbst dreht. Schöne russische Chöre singen um die gerettete schlafende
Ludmilla. Ihr Erwachen ist eine große Variation auf ein russisches Lied im
Ensemble. In den Schlußtriumph ist ein nachdenkliches Rondo eingelegt,
das das charakteristische B in A-Moll als F-Dur hat, wie so viele Melodie-
eigenheiten dieses Stils auf der Nichtachtung der üblichen beiden Tonge-
schlechter und der Annäherung an die ungebrochene Skalenmystik der Kir-
chentonarten beruhen. So war auch Ludmillas Hochzeitsgesang ein originell
geschnittener, archaisch stilisierter Chor gewesen, mit vorsingendem Barden,
den das Pianoforte im Orchester unterstützt, in einem starren Spiel um B-Dur
herum aufjubelnd, herb, bitter, streng, wie ein russischer Beethoven. Die
sonderbarste Szene ist die Entführung Ludmillas durch die bösen Dämonen.
Der Chor hat in dem beliebten Fünfvierteltakt einen unentwegt repetie-
renden Liebesrausch gesungen, da wird das Mädchen plötzlich auf wilde,
enharmonische Akkordbizarrerien fortgerissen, und in dem Dunkel entwickelt
sich ein Ensemble, auf einem ganz weitgedehnten Orgelpunkt von Es, kano-
nisch sich aneinander vergrößernd, von schrecklich wahrer Rhythmik be-
gleitet, in eigentümlich nachtvogelflatternde Flötenfiguren auslaufend —
eines der apartesten Stücke der romantischen Oper aller Völker: Gefühl von
Schicksalsmächtcn auf einem Boden, der noch die Hölle gesehen hat.
Serow
IST Glinka sowohl in seiner Oper der Wirklichkeit als in der des Märchens
eine ausgesprochen absolut musikalische Begabung, so ist Serow gegen
ihn der Dramatiker. Er steht auf der einen Seite den Wagnerschen Prinzipien
als erster in Rußland freundlich gegenüber, auf der anderen befehdet er den
bloßen Geistreichtum und die Impressionabilität der Jungrussen. Gleich-
wohl hat bei ihm .weder das Neudeutsche, wie bei den Tschechen, die Ur-
sprünglichkeit der Erfindung verdorben, noch hat er die russische Sprache
der Musik unterdrückt. Seine Hauptwerke sind aus den sechziger Jahren Judith
und Rogneda. Judith, wenn man es europäisch einrangieren will, steht auf der
Linie der tragedie lyrique, im Charakter etwa zwischen Bizet und Saint Saens :
Tanzfarbe und Chorpathetik. Eine gewisse Ungeschliffenheit gehört dem
Russen und auch dem Autodidakten. Die Hebräer sind sakraler gehalten,
die Assyrer wilder, aber es leuchtet die Passion des wirksamen Dramas überall
auf. Das Asiatische in den Chören und Tanzgesängen der Barbaren hat seine
heimatliche Rasse bewahrt gegenüber der mehr europäischen Arienmelodie.
Der motivische Marsch, der Odaliskenwalzer, die Chöre mit persischen Ori-
369 a+
ginalvveisen sind außerordentlich koloristisch und künstlich fein verwebt.
Rogneda ist einheitlicher in der russischen Haltung, aber blasser in der Phan-
tasie. Das große Ensemble in Siebenviertel, die glänzenden wirbelnden
Tänze, die rhythmisch lebendigen Lieder haben den Russen bis heut zu
Herzen gesprochen.
DargomyscJiski
IN Dargomyschski sehen die Jungrussen ihren Vater. Er hatte 1855 eine
populäre Oper Russalka geschrieben, etwa slawischer Marschner, in den
alten Formen, reich an Ensembles, sehr russisch in der rhapsodischen Elegie
und den rassigen Tanztempi, aber nicht sehr erfindungsstark und nicht im-
mer sehr nobel. Als er 1869 starb, fand man fast vollendet das Manuskript
einer Oper Der steinerne Gast, dessen eine Szene Cui fertig machte und
die Rimsky-Korssakow instrumentierte. Es war etwas Nochniedagewesenes :
das Drama Puschkins war wörtlich untergelegt und die Musik illustrierend,
die Deklamation rezitierend gehalten. Damals nannte man es wagnersch.
Heut wissen wir, daß es eher vordebussysch als nachwagnersch zu nennen ist.
Welche Fügung, daß gerade an einem Stoffe, der in einer so klassischen Oper
fortlebte, die Revolution der auf Vernunft und Wahrheit pochenden neuen
Oper in Rußland geschah! Don Juan kommt inkognito aus der Verbannung,
tötet bei Donna Laura den Liebhaber Don Carlos und unterwirft sie, er
erkennt, überredet, gewinnt Donna Anna wieder, deren Mann, den Komtur,
er einst getötet hat (es ist besser, daß der Komtur nicht ihr Vater, sondern
ihr Mann war) — er lädt die Statue des Komturs zu seinem Liebesabend
mit Donna Anna ein, wo sie erscheint und ihn in die Hölle zitht. Der letzte,
schwache Akt verführt den Komponisten zu einem Pathos, das ihm weniger
liegt, die ersten beiden witzigen Akte lassen seinen Geist spielen. Denn es
ist ganz ein Werk des Geistes, des kühlen Geistes, der das sinnliche Drama
der übersinnlichen Musik vorzieht und in deren illustrativer und raffinierter
Gestaltung mehr Anreiz findet, als in allem Durchgehen des Gefühls. Es
gibt keine Ensembles, nur kleine Chöre, kaum eine Wiederholung oder Form-
gliederung. Die spanischen Liedchen der Laura erscheinen fast wie eine Kon-
zession. Das naturalistische Leben der Phrase, die kleinen Antworten des
Orchesters auf den Gesang, das Fortspinnen der Motive sind die einzigen
Pflichten der Musik, wie aus der Miniaturkunst des Liedes in die Oper ge-
nommen, und sie zerstören rücksichtslos die gewohnten Rubriken der Har-
monien, Konsonanzen und Schlüsse. Nur in lyrischer Gehobenheit stilisiert
sich die Melodie ein wenig nach der althergebrachten Wirkung. Das System
der Motive ist nicht architektonisch, sondern malerisch. Und in solchen zeit-
weisen Malereien leistet der Geist dieses Autors, der wie aus einer Erschlaf-
fung der Instinkte zur Methode seiner kleinen Logik kommt, künstlerisch
Wertvolleres, als man seiner Überlegung zutrauen würde. Donna Anna hat
ein Motiv diatonischer Akkorde, der steinerne Gast im Gegensatz dazu Ska-
len, aber nicht mozartsche Tonleitern, sondern jene Ganztonskalen, die die
bewußte Befreiung der russischen Musik von dem Tonalitäts- und Geschlech-
terdogma darstellen und bis heut zu Scriabine ihre prinzipielle Bedeutung
gewonnen haben. Auf diesem Ganztonmotiv ist im zweiten Akt die Statuen-
szene sehr geistreich aufgebaut. Der ganze zweite Akt ist das Muster einer
psychologisch konstruierten Musik, die sich über ihre Entdeckungen freut.
Der Monolog Don Juans ist von einer pikanten Kleinmalerei, seine Szene
mit Donna Anna ist eine Kette feinster Illustrationen, aus denen sein Motiv
„Wenn ich ein Narr war" wie ein wiederkehrendes Thema vorspringt, die
Einladung der Statue ist verblüffend wahr im musikalischen Gesicht, ein
Nicken und ein Drehen und sehr interessant der verschiedene Modus in Don
Juans und in Leporellos Einladungsform. Bildchen auf Bildchen zieht sich
durch das leichte, dem Wort gegenüber zärtliche und ehrfurchtsvolle Ge-
webe: der Zweikampf mit Don Carlos, die Hingebung Donna Lauras, An-
deutungen von Pferden, Masken, Verliebtheiten, Augen, Spazieren, die süd-
liche Nacht und das nordische Wetter werden kammermusikalisch gezeichnet
und sind schon vorüber. Was aber ist daran russisch ? Eine russische Melodie
ist es nicht, so wenig wie es überhaupt eine Melodie ist. Aber es ist der Wille
zur Traditionslosigkeit, ein intellektuell verfeinerter Nihilismus.
Mussorgski
UNTER den jungrussischen Opern, zu denen nicht alle dieser Gruppe
und manche, wie Cui, nicht sehr erfolgreich beisteuerten, ist das künst-
lerisch interessanteste und am weitesten verbreitete W^erk Mussorgskis Boris
Godunow. Mussorgski ist ein intransigenter Vertreter dieser Richtung, tech-
nisch ungeschliffen, aber in der Synthese weitherziger und in der Erfindung
glücklicher als Dargomyschski. Einmal begann er Gogols ,, Heirat" wörtlich
zu vertonen, aber er ließ diesen Versuch einer musikalischen Prosa liegen.
Seine Lieder, die Totenlieder, die Kinderlieder bringen sein System der in-
tensiven Kleinmalerei am überzeugendsten zum Ausdruck. Sie sind die in-
nere Schule seiner Opern. Er schrieb eine vermeintlich volkstümliche Oper
„Khovanchtchina", die seine beiden Seiten, den Geistreichtum und das
Russentum, gut nach außen
kehren. Aber in Boris Go-
dunow tritt das Geniale
außerhalb jedes Vergleichs.
Die Textbearbeitung des
Puschkin-Stoffes ist mäßig.
Es bleibt das Schicksal des
durch einen Prinzenmord
auf den Thron gekomme-
nen Zaren und die Gegner-
schaft des von Polen intri-
gierten falschen Demetrius
verwaschen und unpla-
stisch in Gang und Szene.
Doch Boris selbst ist eine
herrliche Rolle, eine Schal-
japinrolle, in der alles ein-
zelne greift und erschüttert
oder mindestens musika-
lisch interessiert : man emp-
findet wohl ein Drama,
ohne sich darüber Rechenschaft geben zu können. Es sind aufeinander-
folgende Genüsse musikdramatischen Ausdrucks, die sich in einem Zirkel
von Geist und Form, Episode und Verismus, Puritanertum und Oper drehen.
Boris Godunow wurde 1874 im Marientheater das erstemal gegeben, es
setzte große Kämpfe, dann bearbeitete es Rimsky-Korssakow und in dieser
Form eroberte es Europa.
Die Prinzipien Dargomyschskis und die nationale Substanz, die Forde-
rungen der Logik und die des Theaters sind hier vereinigt : das ist der Typ
des Stücks. Es gibt byzantinische Kirchen- und Krönungschöre mit wunder-
baren enharmonischen Verwechslungen, es gibt sehr geistreiche Schenken-
lieder mit resoluten Melodien auf verschnittenen Bässen, und Waarlams große
Erzählung mit dem Zwang eines melodisch motivischen Refrains ist das Mu-
ster einer malerischen Ballade. Xenia singt ein tropfendes merkwürdiges
Klagelied, die Amme singt das echte Mussorgskilied von der Mücke, zu dem
das Orchester eine kleine Menagerie von Mücken, Wanzen und Heupferd-
chen entfaltet. Und sie machen zusammen ein reizendes Klatschhändchen-
spiel im Plapperspiel national verfeinerter Kinderstuben. Die Mädchen von
Sandomir veranstalten ihre bunten üppigen Chöre und Marina stellt ihre
Mussorgski. Nach Rcpin
372
Fcdorowsky: Bojar und Schreiber, Figurinen zu
Mussorgskis Khovanchtchina
Masurkas auf. Im letzten Akt gibt
es Breughelszenen mit Vagabunden
und Blödsinnigen von grotesker Ge-
schlossenheit. Das alles ist Form
und Überlieferung, von einem hellen
Geiste erleuchtet. Die Gleichzeitig-
keit des Singens wird durchaus nicht
vermieden und die Aktschlüsse (be-
sonders geschickt bei der Entdeckung
des Demetrius als erstem Aktschluß)
haben ihre wohlbedachten Steige-
rungen. Der dritte Akt, kann man
sagen, leidet sogar an der Oper, doch
mag man das auf das polnische Konto
setzen, das diesen Akt bestreitet. Der
Jesuit und Marina entschließen sich
beinahe zu einem regulären Duett,
Marina mit dem Chor erfindet eine
rechte Theaterpolonäse (mit Fis in C-Dur) und ihre Liebesszene mit Deme-
trius gestattet sich formelle melodische Linien, die Paris alle Ehre machen
würden. Vor dem Intriganten und vor der Liebe beugt sich auch diese Oper.
Aber dies alles ist nicht ihr Wesen, es ist Episode und MiHeu. Ihr Wesen
ist die enorme Erfassung des musikalischen Charakters, der sich in einem tiefen
gesanglichen Ausdruck und in einer wundervoll pittoresken symphonischen
Gestaltung zu erkennen gibt. Jede Szene setzt ein motivisches Gebilde ab,
das malerisch den Gang der Psychologien begleitet. Je mehr das Seelische
hervortritt, desto dramatischer wird das Solo, desto freier fließt es in die
moderne empfindungsvolle Kantilcne aus, die hier zum erstenmal, nicht in
der deutschen Dogmatik, sondern in der Gesangsenergie der Romanen ihren
Stil findet. Die naturalistische Verve der Schlußszenen ist bewundernswert.
Die große „Arie" des Boris im zweiten Akt ist von einer erschütternden Lei-
denschaft bewegt. Es ist Menschentum in diesen Ausbrüchen. Die Dekla-
mation, viel intensiver als bei Dargomyschski, folgt unbeirrt dem Gefühl.
Die musikalische Anschauung der Szene ist hellsichtig bis in jene letzten
feinen Gewebe, die nur das Ohr des Poeten hinter den Dingen hört. Eine
zart abgewogene Stimmungsrhythmik balanciert den Verlauf. Eine russische
Landkarte, ein Weg nach Litauen, ein Drängen von Häschern, eine Gedanken-
folge des Chronisten, eine ganz dumme Papageiengeschichte (echt russisch
auf eine Phrasenrepetition) werden zu Tonphantasien. Trinkmotive,
373
Schlachtwünsche, Ruhmerinnerungen, plötzliche Interjektionen geben kurze
Melodiestriche in die Musik, die vielfach mit ungewohnten Takten, takt-
wechselnd, taktlos läuft. Mit einer kolossalen Illusionskraft sind die Angst-
zustände des Boris geschildert, Visionen des ermordeten Kindes mit Glocken-
farben, ein Motiv in chromatisch divergierenden Linien, das rücksichtslose,
schreiende Abgründe öffnet, Furienaugen, die im Traume erscheinen und
wie gräßliche Ringe zu schaurigen Halluzinationen auseinanderzittern. Es
ist Sphäre in diesem Stück, bei aller substanziellen Erde in melodischer He-
bung und Ensemblelandschaft — die Sphäre der unbestimmten grauen Luft
und der Unendlichkeit der Steppe, die aus dem nationalen Apparat an Musik
in ein geistiges Fluidum erhöht und umgeschaffen wird. Eine flexionsarme
Musik, mit dem Vorhalt als These, den entstilisierten Kadenzen, der ele-
mentaren Selbständigkeit des Tons und Akkords, der willensfreien Rhythmik
und der Aufhebung jeder Leibeigenschaft vor dem Seelischen.
Borodin
IST Mussorgskis Werk ein Drama, oder, will es dies wenigstens sein, so ist
Borodins „Fürst Igor" (1890 in der Bearbeitung Rimsky-Korssakow^s zuerst
gegeben) das gerade Gegenteil: es sind unzusammenhängende Szenen, in
einzelnen prachtvollen Nummern komponiert, eine Suite von Stücken. Bo-
rodin, der Gelehrte, Akademiker, Mediziner, Chemiker, raffinierte in den
Stunden, die er der Musik widmete, den russischen Ton zu einer melodischen,
harmonischen, rhythmischen Gourmandise von zauberhaftem Reiz. Diese
Oper gab ihm dreifache Gelegenheit. Fürst Igor, von den türkischen Polo-
vezen gefangen, flieht. Zu Hause steuert die Frau dem wüsten Treiben
ihres Bruders. In der Gefangenschaft verliebt sich sein Sohn in die Polovezen-
tochter und bleibt dort. Die Szenerie ist kindlich, die R.ezitative fallen un-
geschickt im Wort, der Ton verachtet den Inhalt, leichte motivische Flechten
stellen eine äußere Einheit her, aber der Glanz der Musik strahlt fast bis zur
Ermüdung. Das Gewissen der bewußten Originalität ruht nie, selbst nicht
in den etwas französelnden Liebesszenen. Geistreiche Septimen, reflexfär-
bende Orgelpunkte, chromatische Durchgänge, dekorative Imitationen,
Schleierakkorde, Schatten des Diminuendo und Bizarrerien der Taktteile
und Taktperioden sind die gewöhnliche Sprache. Einzelne Motive, wie vom
seelenvollen Owlur, dem getauften Polovczer, bleiben wie nationale Mah-
nungen im Gehör. Kriegschöre, Leichtsinnsarien, Trinkgelage stürmen in
russischen Tempi. Klagechöre weinen die Tränen der Volksfarbe und die
374
große Elegie Jaroslawnas, ein schönes klares A-Dur plötzlich in A-Moll, ist
exotisch überkoloriert. Die alten Chaconnen und Passacaglien erscheinen in
russischer Variations- und Repetierlust neu gefirnißt. Grotesken Esprit zei-
gen die komischen Szenen : Gudokspieler singen ein Dauerlied auf periodischen
H G A G, ein Glockenmotiv entwickelt sich schlau daraus, mit dem sie Igors
Rückkehr einläuten, und der Geist des intellektuellen Humors spielt mit dem
Repetierwerk der nationalen Melodie als motivischer Variation, von dem
dummen Bettlerduett bis ins Triumphfinale. Doch die Perlen in diesem Ge-
schmeide raffinierter Stücke sind die polovezischen Tänze und Lieder, die
zu den temperamentvollsten und originellsten der russischen Literatur ge-
hören : eine Carmenmusik in russischer Montierung. Kolorierte fremdartige
Soli, Mädchen, Krieger, Patrouillen in starken Rhythmen, eine russische Ta-
rantella von sinnlichster Gewalt, der große Aufzug in preziösestem Barbaris-
mus, und Chöre mit allen Modulationsgeheimnissen, die auf dem dunkeln
Grande archaischer Tonarten ruhen — das sind die letzten Geschmacks-
steigerungen, deren das koloristische Organ fähig ist.
Rimsky-Korssakow
AM Ende der russischen Oper stehen ein geistreicher Eklektiker und ein
^gefühlvoller Pathetiker, jener mit einer heftigeren nationalen Färbung,
dieser mit bewußter Neigung zur französischen lyrischen Bühne. Sie ver-
einigen die russischen Typen wieder in neuen Mischungen, ohne durch Festig-
keit des Charakters so zu überzeugen wie die Einseitigen. Es sind Rimsky-
Korssakow und Tschaikowski.
Rimsky-Korssakow war erst Mitglied der Marine und umsegelte die Welt,
ehe er als Musiker hervortrat. Aber auch als Musiker umsegelt er die Welt
und findet für jedes Sujet eine andere Sprache und einen anderen Stil. Kom-
poniert er „Mozart und Salieri", betont er die Mathematik des l8. Jahr-
hunderts; steigt er in Märchen und Romantik, läßt er den Glanz seines Or-
chesters und den Reichtum seiner verwegenen Harmonien aufrauschen. Sein
„Schneeflöckchen" blieb vielleicht seine beste, natürlichste, einfachste Oper,
lied- und tanzhaft, durchaus russisch, dabei fein, graziös und von einer ech-
ten Popularität, die selbst den Schlußchor in Elfviertel dem Ohre angenehm
macht. Wogegen die „Mainacht", die er nach Gogols Geschichte von dem
jungen mainachtstollen Verliebten, dem die Nixen zu seiner Braut verhelfen,
in schwärmerische Musik setzte, bereits alle Anzeichen der Künstlichkeit und
Stilverspieltheit trägt. Alte Formen stehen neben neuen Harmonien, Buffo-
375
spaße neben exotischen Pfingstchören, impressionistische Malereien, wie von
Busoni, neben Emphasen, wie von Mascagni. Die große Nixenszene gerät als
hyperinstrumentierte russische Romantik, ganz national in Takt, Melodie,
Modulation, phantastisch in Volkstöne und Kinderspiele zurückgedreht, voller
Geist — aber auch voller Gefühl ? Rimsky-Korssakow ist sicherlich so raffiniert
wie Borodin, aber seine Kunst hat nicht die Konzentration dieser Farbe und
diesen Glauben an den Geschmack. Man nennt seinen ,,Sadko" gern eine
Volksoper, aber es ist nicht Grund und Boden des Volkes selbst, sondern das
Parkett der Weichlichen, Interessierten, Langeweilefürchtenden, die das Volk
zu lieben vorgeben. Sadko zieht auf das Meer hinaus, um Reichtümer zu
erwerben, nachdem er veritable Goldfische gefunden hat. Die Meerfrau
Volkhova folgt ihm zurück nach Nowgorod und verwandelt sich dort in den
zukunftsreichen Fluß, während Sadko selbst seine alte gute Frau wiederfindet.
Rimsky-Korssakow machte sich solche Texte selbst zurecht, gar leicht und
seicht, aber er putzte seine musikalischen Schiffe dann um so üppiger heraus.
Er schrieb eine rechte Klingklangoper, die die Reise Sadkos mit allen Sinnen-
zaubern umgab, wo sie sich nur in Europa fanden. Die Nixen bekennen sich
zu Enkelinnen des Rheins und umgeben sich mit Pariser Dekorationsmusik.
Nowgoroder Kaufleute steuern ihre heimischen Weisen und Tänze bei. Im
Hafen singen Kaufleute von Indien, von Venedig, von sonst woher ihre Na-
tionallieder. Es gibt Meyerbeersche Opernschiffszenen und pseudoroman-
tische Hochzeiten im Meerpalast, Ballette aller Seewunder, Zwischenspiele,
die Wasserfahrten schildern, Pastorales und Feierhchkeiten der Erlösung und
Wiederfindung: also den ganzen Apparat der großen französischen Oper,
nur mit russischer Farbe überzogen und in ein weiches Spiel des Geistes
gebettet. Das Verlassenheitslied von Sadkos Frau steht darin fast wie in
einsamer Schönheit, schön wie fast alle Verlassenheitslieder, und hier beson-
ders symbolisch in seiner Ungeschminktheit mitten in einem berauschenden
und glänzenden Orchester- und Opernpomp.
Die Stilmischung innerhalb eines einzigen Werks zeigt seine ,, Zarenbraut" :
sie beginnt ohne sonderliche Erfindung im alten gebundenen Stil, ein wonig
wie tschechische Muster, Russisches in Französischem erweicht, dann bringt
sie plötzlich einen naturalistischen tragischen Schluß, dramatisch und nicht
ohne Originalität. ,, Unhold Ohneseele" dagegen ist die volle Hingabe an
Wagner, und zwar den späten Wagner, ohne jedoch die alten Formen ganz zu
meiden. Kaum ein Schatten Rußlands ist zu verspüren. Der Stoff wäre nicht
übel : der Unhold lebt in der Träne seiner Tochter, einer Art Kundry —
weint sie, stirbt er — und sie weint um einen Ritter, der des Unholds ge-
fangene Odaliske liebt. Rimsky-Korssakow aber weint nicht. Ein Herz spricht
Rimsky-Korssakow. Nach Serow
nicht, nur der Kopf arbeitet in Spitzfindigkeiten, die die musikalisclien Motive
auf äußerlichem Glanz zu einem Zaubernetz weben. Seine letzte Oper, 1907,
ein Jahr vor seinem Tode, hält sich wieder russischer, aber sie ist bleich von
Gesicht — jedenfalls hat sie den längsten Titel, den je eine Oper auf sich
setzte: „Die Legende von der unsichtbaren Stadt Kitesch und von der Jung-
frau Fewronia."
Tschaikowski
RIMSKY-KORSSAKOWS Musik ist eine Landschaft von subHm verfei-
nerter, aber doch nur dekorativer Wirkung, die den Inhalt literarisch
montiert. Aus amethystblassen Schatten steigen korallenrote Stämme auf, an
denen einzeln gezählt die Blätter aus Smaragd sitzen, unter lapislazulihartem
Himmel. Wie auf Malachit gehen die Menschen, geradhnig und stihsiert,
sie lieben aus einer pervers modernen Seele die alten Gesten und statt eines
Herzens haben sie eine Tulakapsel, in der mystische Juwelen lagern, die sie
377
je nach der Situation an steife Götter und heilige Tiere verschenken. Tschai-
kowskis Landschaften aber sind von dieser Erde. Das Gras ist weich, die
Bäume schattig, der Himmel wolkig und die Menschen werden pathetisch,
wenn sie ihre Herzen öffnen, weil es ihnen eine große Sache ist. Ihre Melodie
folgt dem natürlichen Gefühl, ihre Harmonien vermeiden die Überraschun-
gen, und Tonika und Dominante, Dur und Moll, die erwartungsvolle Quart-
sext und der sehnsüchtige Vorhalt sind wieder so schön, wie sie immer waren,
ehe der russische Nihilismus die Geschlechter und die Liebe unter den Tönen
zerstörte. Gewiß ist das oft sehr trivial.
Tschaikowski hat sich in seiner Opernlaufbahn durch mancherlei verschie-
dene Stoffe bewegt, aber er hat sich behaglich eigentlich nur dort nieder-
gelassen, wo es galt, warme Empfindungen von Menschen zu Menschen zu
gestalten, worin er fast zuviel des Guten tat, wie Rimskv-Korssakow zuwenig.
Der Gogolsche Schmied Wakula stand an seiner Opernwiege. Er holt durch
Vermittlung des Teufels, der seine Mutter, eine Hexe, liebt, auf Wunsch
der launischen Oxana die Pantoffel der Zarin, und so kriegt er sein Mädel.'
Prächtige Tschaikowskitänze hört er am Zarenhofe, Weihnachtslieder beim
Volke und allerlei russische Grotesken erlebt er mit den Liebhabern der
Hexe, die sich der Reihe nach in Säcke verstecken — aber im ganzen findet
er zuwenig Gefühl in dieser Welt, eine mondäne, fließende, unsicher ge-
festete, leicht russifizierte Musik mit französischer Sauce, die mehr gemacht
als gelebt ist. Mit Eugen Onegin kommt die Puschkinsche, atmosphärische
Stimmung über ihn, die ihm die Dinge in eine sanfte und lyrische Perspek-
tive rückt und wunderbar eröffnet, was zwischen Menschen lebt, Menschen,
die sich die Liebe nicht geben, solange sie ihr Glück wäre, und sie bekennen,
nachdem Jugend, Freundschaft und Glaube zerstört ist. Es wurde die popu-
lärste Oper Tschaikowskis, gar nicht sehr russisch in der Haltung, aber seinem
Vaterlande als Ausbruch von Seelen, die längst Verwandte waren jedes hei-
mischen Herzens, die liebste. Über alles nationale Kunstwerk siegt der Affekt
lyrischer Bewegung, der in der Pariser Schule seinen Stil findet. Einem fran-
zösischen Stoffe selbst wendet Tschaikowski sich jetzt zu, Jungfrau von
Orleans, es wird ein Mißgriff, nach einem russischen wendet er sich zurück,
Mazeppa — ein grausames Stück voll Folter, Gefängnis, Schrecken und
Tod, das ihm aber Gelegenheit gibt zu dunkeln russischen Farben, zu Wucht
und Schlagkraft, zu stampfenden heldischen Rücksichtslosigkeiten, in denen
•seine naturalistische Leidenschaft, so selten in all den Liebenswürdigkeiten,
merkwürdig geweckt wird. Frankreich und Rußland fließen dann in der
Piquedamc zusammen. Französische Erziehung legt sich wie Gleichmaß
und Beruhigung über die russische Naivität, über die hoffnungslose Liebe.
378
^.
Aber diese Liebe selbst hat
ihre fatale Operntextge-
schichte. Sie ist eine Er-
findung des Librettisten,
Bruders Modeste Tschai-
kowslci, und das genaue
Gegenteil des Puschkin-
schen Novellenhelden. Die-
ser ist ein Spieler, er hört
von dem Kartengeheimnis
der Gräfin, er muß es er-
fahren, er muß gewinnen,
und um in ihr Haus zu
kommen simuliert er die
Liebe zu Lisa, der Pflege-
tochter. Puschkin weiß :
Spieler lieben nicht. Aber
der Librettist läßt sich das
nicht gefallen. Jener sagt :
er liebt, weil er spielt.
Dieser sagt : er spielt, weil
er liebt, und macht die
verstellte Liebe zu einer
echten, um das Gefühl der
Oper zu retten. Zu guter
Letzt: was war französi-
scher als diese melodische Liebe Hermanns zu der ariosen Lisa ? Liebe über
alles. Tschaikowski schuf noch seinen Abgesang „Jolanthe", einen weichen,
zärtlichen, pariserisch schmeichelnden Einakter von der blinden Königs-
tochter, die Liebe und Licht findet — ein Liebessänger blieb er, kein Dra-
matiker, aber ein Szeniker, kein geschworener Russe, aber ein Weltmann von
gutem Stil, kein großer Geist und Entdecker, aber ein Musiker, der seine
Kunst versteht, und ein Spieler mit Tönen, nicht aus artistischer Mono-
manie, sondern um Herzen zu gewinnen. Gewiß ein wenig fade, ein wenig
vieux jeu, aber schließlich ein Mensch.
Er Hebt die Unterhaltung, die spielenden Episoden. Triquet trägt beim
Oneginfest Couplets im DixhuitiemestiWor. Piquedame hat ein ganzes Pa-
storale als Aufführung in diesem Genre, in bewußter Zauberflötenkopie. Die
jungen Damen in Onegin und in Piquedame singen reizende Klavierduett-
379
%fS^^^)
^f^fV^
Tschaikowski
chen in' alter Manier. Überall treten die Tänze als willkommenes Intermezzo
hervor. Der Oneginwalzer ist der schönste, von temperamentvoller Struktur,
im Klima zwischen Paris und Wien. Seltener schieben sich symphonische
Zwischenspiele ein, wie die großartige Poltawaschlacht in Mazeppa. Mazeppa
hat auch eine prächtig thematische Ouvertüre. Aber die scharf gereimte
lyrische Konzentration desOneginvorspiels über das süße nachdenklicheTatja-
namotiv ist echter, unter all den verschiedenartigen russischen Opernvor-
spielcn das bescheidenste und tiefste.
Tatjana und Lisa, so französisch sie sich bisweilen auch ausdrücken, rus-
sische Luft ist doch über ihnen, und eine leidenschaftliche Schwärmerei und
geduldige Demut spricht aus ihren musikalischen Physiognomien, die Tschai-
kowski am rührendsten gelangen. So ist bei ihm oft das Russische nicht mehr
in bestimmten Takten und Melismen definierbar und liegt doch als Stimmung
und Linie, selbst als formelle Linie, in und über der Szene. Der eine länd-
liche Chor in Onegin, auf den Takt von vier Sechzehnteln zwischen je zwei
Achteln, ist so absichtlich russisch, oder die letzte Tatjanaarie in Cis-MoU,
im Gefühl wie legendarisch gebunden, oder die russischen Gesellschaftslied-
chen in Piquedame, wie aus Büchern hergeholt, oder auch der Anfang des
sehr schönen Ariosos Lisas am nächtlichen Kanal. Aber heimlicher aus der
russischen Luft empfunden sind die Szenen, die das Innenleben in motivi-
schen Geweben ausbreiten. Tschaikowski liebt das Motiv als Erinnerung,
nicht nur in der Weise der Franzosen, wie er es wirkungsvoll beim Wieder-
sehen Onegins mit Tatjana als Spiegel der Erlebnisse verwendet, auch nicht
ganz in der vorbestimmten architektonischen Bedingtheit Wagners, sondern
als eine Art Mitgefühl des Orchesters mit der Stimme und dieser mit dem
Orchester, so daß sie es sich gegenseitiggestalten und abnehmen, sein schmiegsam
fließendes Orchester und seine gesangvolle Stimme, die gesangvollste aller
russischen Komponisten. Nicht immer ist das Gleichgewicht gehalten. So aus-
gezeichnet das Kartenmotiv in der Piquedame erfunden und verwertet ist, so
aufdringlich entwickelt sich das Liebesmotiv, das bis zur Erschöpfung in seinem
monotonen Rhythmus die Stimmen durchkreuzt und den Gesang aufschwellt.
Steht Tschaikowski vor einer bewegten Szene, so versagt ihm — auch das
ist allgemein russisch — das Drama. Die Absage Onegins an Tatjana erstarrt
lyrisch, bei der Forderung Lenskis kommt ein richtiges großes Ensemble,
vor dem Duell singt Lenski eine lange Arie, und beide machen ein kanonisches
Orgelpunktduett. Das ist Opernschema. Aber steht umgekehrt die Szene
vor Tschaikowski still, so regen sich seine besten Kräfte, weit über die Kon-
ventionen der Texte hinaus. Ich möchte die Schlußszene von Mazeppa her-
vorheben, wo die wahnsinnige Maria dem sterbenden Andrei ihr WiegenUed
380
singt — doch das ist fast französisch. Eine russischere Stimmung liegt in
der Schlußszene von Onegin, wo die getrennten Geliebten in einer möglichst
heimatlichen musikalischen Haltung bei aller Gesangsverve seelische Voll-
kommenheit geben, echte Schmerzen, innerste Erschütterungen — dies ist
die Wirkung dieser Oper, verwurzelte Schicksale von Menschen, durch INIusik
versüßt und verbittert, einfache, erdenschwere Schicksale, die Jeder kennt
und nun gesteigert erlebt. Schwebend, wie ein noch ungeklärtes Geheimnis
waltete die Musik zu Anfang zwischen den vier Frauen, zwischen den zwei
Paaren, viel zarter und unausgesprochener, als es bei Gounod wäre, sie singen
und singen, und doch weben sich motivisch unsichtbare Fäden ihrer Charak-
tere, ihrer Zukunft, ihrer Wahrheiten. Dann in der großen Tatjanasoloszene
tritt diese Lyrik mit einer Macht hervor, die alle unbefangenen Gemüter
bezwingt. Das seelenvoHe homophone Bewegen der breiten, sehnsüchtigen
Melodie, das synkopische Drängen des Briefschreibemotivs, der rührende Ge-
sang „Bist du mein Glück" als Ausleben einer eben noch gärenden, nach-
brodelnden, endlich verdichteten Empfindung, das ergibt eine lyrische Szene,
wie die Oper nicht viele kennt — im Hintergrund die kindlich russische
Amme, Tatjana selbst, getragen von weitem, weltenweitem Gefühl, melodie-
schwelgend, schwingend, steigernd, schmerzensselig, musikalisch gar sehr schön
und seeHsch nicht minder wahr. Aber die eigcntümhchste und originellste,
im feinsten Sinne russische Szene, die Tschaikowski schrieb, ist die der ster-
benden Gräfin in Piquedamc. Es ist dunkel, Kerzen zittern vor Heiligen-
bildern, die Bratsche zittert geheimnisvoll, geheimnisvoll ziehende Akkorde
mit weher Melodie klagen durch die Luft, dunkle müde Mägdechöre ducken
sic"h in asiatischer Demut, die Gräfin schleicht zu Bett, einst das Bett der
Venus moscovite, sie erinnert sich der großen Pariser Tänzer, die alte Gräfin
des alten Paris, und alte Verzierungen fächeln dumpf im Orchester, sie singt
zitternd das alte schwermütige Lied aus Gretrys Richard Löwenherz „je
sens mon coeur qui bat, je ne sais pas pourquoi", und schläft ein, um nur noch
einmal zu erwachen, zu ihrem Tode am Kartengeheimnis. Die Stimmung
ist übersinnlich. Tschaikowskische Weheharmonien verbinden sich mit seinen
traditionellen Neigungen zu einem seltsam kulturhistorischen Ensemble. Das
alte galante Frankreich steigt noch einmal in die traurig müde, gespenstische
Dunkelheit Rußlands herauf. Der Künstler faßt es im Bilde einer heimatUch
vertieften Musik zusammen und setzt es in ein meisterhaftes Gewebe von
Motiven, das ihm die Beziehung zum Leben gibt. So steht es da, als letztes
gefühltes Zeugnis der Operngeschichte von Paris nach Petersburg. 1784 war
der englische Löwenherz in Paris Oper geworden, 1890 schrieb Tschaikowski
in Florenz die Piquedame.
-.81
Ich will Rubinstein nicht so ausführlich wehe tun, aber doch seinen Na-
men an den Schluß dieses Kapitels setzen, das zu zeigen hatte, wie aus den
Liedern und Tänzen der Nationen sich eine farbige Opernwelt zu bilden
wußte. Er kam über die Lieder und Tänze nicht ernstlich heraus, er setzte
das Nationale allenfalls als farbigen Fleck in die Oper ein, zu einer weiteren
klimatischen Einfühlung versagte die Kraft. Ein hinreißender Künstler, ein
großer Mensch, ist er als Schaffender wesenlos geblieben. Hier ist einer, der
zwischen seinen Nationen zerrieben wurde.
382
VERDI
Bellini
ITALIEN ist kälter geworden. Schon wie im Traume tasten wir uns zu-
rüclc nach jenen seligen, sonnigen Zeiten, da unsere Großväter und Ur-
großväter sich dem leichten Spiel schnell fertiger, warm aufglühender Weisen
ergaben, die ihnen von geliebten Sängern geschenkt wurden und sie auf dem
Lebensweg begleiteten, als Erinnerungen froher, geselliger Stunden. Schwa-
chen Ersatz haben wir, wenn einmal eine italienische Sembrichtruppe den
DonPasquale aufleben läßt oder Jadlowker den Almaviva trällert mit der Bo-
setti als Rosine und d'Andrade als Figaro oder eine günstige Gelegenheit
Caruso und die Hempel im Liebestrank zusammenführt, dies holde Vögel-
chen neben seiner profunden Kraft. Kombinationen sind immer Über-
raschungen, sind die Reize solcher Abende, in denen Organe von seltener
Begabung sich treffen und für eine kurze Zeit des Lebens sich in gemein-
samem Klang suchen, finden, begeistern. Die Süßigkeit der Hempel stand
wie ein Reflex in goldiger Luft zu der männlichen, ausdruckssatten, energi-
schen Seele Carusos. Sie umgab ihn mit einem Glänze, einer leuchtenden
Kontur, einem Spiel heiterer Lust, daß diese ganze Stimmlandschaft von
den Abgründen der Empfindung bis zur Bläue des Frühlingshimmels aus-
gefüllt zu sein schien. Ich fühle, so selten, so gern in dieser Weise. Nicht
die Stücke, nicht die Arbeit geschieht an diesem Abend; sondern was geschieht
ist das Leben der Kunst und die Beziehungen großer Sangesbegabungen. Im
Traume . . .
Es war Frühling. Ein leichter Himmel spannte sich. Die Vögel sangen,
und die Bäume fächelten. Kein unnützes Fragen nach Gründen und Zwecken
vernebelte die Luft. Das Dasein an sich musizierte sich selbst. Eine feder-
leichte Rhythmik schuf feine melodische Linien, alle Trivialität löste sich im
Volksherzen auf, hier und da eine nette Wendung in der Harmonie, kichernde
Instrumente, ein bescheidener Geist, alles geschrieben für die Stimmen, die
erst Leben in die Partitur bringen und dies Leben abendlich darin erhalten,
wie sie wechseln, wie sie aufgelegt sind, wie sie sich berauschen. Die Nachti-
gall Rossini hatte vorgesungen, und Hunderte, auffliegend und oft schon ver-
schwunden, singen ihr nach. Bellini und Donizetti sind die besten unter ihren
383
Namen, leichtfingerig und
geliebt über die ganze Welt,
außer von einigen bärbei-
ßigen deutschen Theore-
tikern.
Bellini ist 34 jährig ge-
storben, und achilleische
Klagen folgten ihm. Eine
Jugend hatte gestrahlt und
war vergangen, von Cata-
nia bis nach Paris, wo er
den graziösen Empfang
seiner nationalen Oper wie
alle anderen durch ern-
stere Arbeit quittierte.
Pirata, Straniera, Romeo
und Julia, die Nachtwand-
lerin, die Norma mit der
Pasta und der Grisi 1831
in Mailand, die Puritaner,
1835, im Theatre Italien
zu Paris, es wird ernster und
tragischer, aber noch lange nicht so ernst, daß nicht der Duft seiner Melo-
dien unsere Sinne bezauberte. Die Puritaner bekommen das französische
Cachet, Soldatisches, Lugubres, Pathetisches, schöne wohlfheßende Ensembles,
doch verleugnet sich der Italiener niemals in der Behendigkeit und Selbstherr-
liclikeit der kolorierten melodischen Phrase. Wir wollen Norma, diese gallisierte
Medeageschichte, als sein bestes Vermächtnis bewahren. Denn ein Edelmut
der künstlerischen Empfindung ist darin erreicht, der weit über das Schema
hinausgeht. Eine breitere und eine sehr glückliche Feder schrieb diese Musik.
Die große Arie Casta diva bewährt heut noch, da sie niemand mehr singen
mag oder kann, ihren langen Atem, ihr klassisches Profil, wenn es sich auch
gar zu bald in einer Virtuosität erheitert, die diese Kunst, aus einer der ent-
zückendsten Eitelkeiten der Welt geboren, nicht missen darf. Eine Unzahl
populär gewordener Melodien füllen die Ensembles, das Liebesduett von
Sever und Adalgisa, im Höhcnglanzc echten Gesangsfeuers, das temperament-
volle Schlußterzett des ersten Aktes, das musikalisch reiche zweite Finale, in
dem die Ahnung Verdis schlummert, und die Duette der beiden Frauen, Ketten
von Melodien, immer so kindlich froh, auch in der Trauer, so naiver Erinne-
384-
Bcllini. Alte Lithographie
rungen voll und mundgerecht in allen Imitationen, von einer gar besonderen
Wirkung, wenn Adalgisa ihre Liebe, die sie noch nicht nennt, und Norma
dieselbe Liebe, die sie nicht mehr nennen will, wie um den Gegenstand ihres
Interesses herum in Kränzen sinniger und träumerischer Melodien ziehen.
Die Künste der Akzentuation, auch durch die Tongeschlechter, der ein-
dringlichen Rezitation, der holdseligen Erfindung wiegender Lieblichkeiten
auf leichtgezimmerten Harmonien finden hier in der leidenschaftlichen Hin-
gabe an den Gesang noch einmal eine klassische Einheit, die wie eine Erschei-
nung zerstiebt, sobald man aus einer Epoche der Traditionslosigkeit und des
Unglaubens sie nur anhaucht.
Donizetti
SIND diese Mclodienketten der Ensembles, der üppige Flor ihrer Vege-
tation ein Stück Fortschritt gegen Rossini ? Rossini besaß alles, was diese
seine Kinder verschwendeten. Alles findet sich schon bei ihm. Aber die
merkwürdige Schönheit der Ensembles scheint eine besondere Sorge der
Jüngeren gewesen zu sein, die wie er selbst, und noch heftiger, aus Italien
nach Paris gravitierten. Bellini war zu früh gestorben, Donizetti flog weiter
in die Welt. Zensurärgernisse treiben ihn aus Neapel, nach Paris, für das er
die Regimentstochter und die Favoritin und Don Pasquale schreibt, nach
Wien, für das die Linda von Chamonix bestimmt war. Er hatte gegen Bel-
lini angekämpft, mit Anna Bolena, mit Marino Falicri; als seine Lucia sich
durchsetzte, starb der Mitbewerber, und sein Feld war frei. Vielleicht hat
er sich überarbeitet, seine Produktion war maßlos. Er verlor den Verstand
und kehrte nach einer weltbewegten Karriere nach Bergamo, wo er geboren,
zurück, um dort zu sterben.
In seinen tragischen Opern ist er oberflächlich, in seinen komischen ge-
diegen: denn er ist mehr ein Komponist als ein Empfinder. Die Lucrezia,
die Linda sind kaum noch aufrecht zu erhalten. Die Lucia von Lammer-
moor gibt Virtuosinnen noch bisweilen Gelegenheit, Wahnsinnswalzer zu
singen, worin sie eigentlich bei den Koloraturhyänen dieser ganzen Opern-
gattung genug Auswahl haben. Donizettis Melodie hat nicht den naiven
und überlebenden Reiz der Bellinischen. Das beste in Lucia ist das Sextett,
in schöne Konturen auslaufend, wie fast immer das beste in diesen seinen
ernstmeinenden Opern ein solches Ensemble ist. Das übrige ist Schema:
hübsche begleitende Fadenmelodien im Orchester, Duette in der Formel
A + B = AB, gemeine Unisonochöre — und doch in der Manier seiner Me-
lodie, die plötzlich lächelnd und gewinnend eintritt, sachte auf gestoßenen
385
Vierteln, je nachdem, fun-
kelnd oder schmachtend im
Ausklingen, in den Duetten
Edgardos und Enricos mit
Lucia oder in der Edgardo-
Schlußarie Tu che a Dio, in
diesen Wendungen liegt die
Heimat Verdis, dessen Emp-
findung beseelte, was er aus
solcher Überlieferung zu
hören gewohnt war.
Man beobachtet, wie auch
das Textgerüst besser wird,
je buffonesker seine Wün-
sche sind. Lucrezia, Linda,
Lucia sind Wirrnisse. Das
Wesentliche der Lucia, Be-
trug um den Geliebten, fä-
delt man sich erst langsam
aus dem verwickelten und
falsch pointierten Stück her-
aus, das ebenso blöde einem
Scottschen Roman geraubt
ist wie alle anderen Libretti
nach aiesem Liebling der Tage. Liebestrank, Regimentstochter, Don Pas-
quale sind Stoffe gewohnter Musterung und darum sofort übersichtlich.
Der Liebestrank, eine vorzeitige Parodie auf die rcgina Isotta, ist eine
halbe Flasche Bordeaux, die der typische Dorfwahrsager dem Liebespaare
zur Beförderung seiner Geständnisse verabreicht. Ein reizendes Finale, ein
entzückender Frauenflüsterchor, belebte passionierte oder romanzenhafte
Melodien geben eine heut noch annehmbare und durch Carusos Hilfe auch
überall gern angenommene Probe der alten, guten italienischen Buffooper.
Die Regimentstochter ist total französisch und sehr pikant geblieben:
weil Soldat und Weib in einer Person addiert sind. Man hat das Canevas
der opera comique: Wechsel des Land- und Palastmilieus, Gebet, Solda-
teska, Abschiedsfuge, Romanze, Gesangsunterricht, motivische Lieder, Ti-
rolienne, Erkennung — und der Komponist versteht mit verdächtiger Verve
sich die frischesten militärischen Rhythmen zu unterwerfen, Ensembles auf
graziöse Symmetrien, scharfe /Vkzente zu bauen, den Satz sehr preziös zu
386
Donizetti. Lithographie von Kriehuber
führen und dem Lied den Pariser Charakter zu geben, der Salon plus Gefühl
ist, wie das italienische Lied Volk plus Virtuosität.
Donizetti ist wandelbar: Don Pasquale ist total italienisch, ein Meister-
werk der Buffa, der netteste Nachläufer des Barbier. Die Scheinehe mit
allem Poltern, um den Alten zu ärgern, und allem Versöhnen, um den Jun-
gen zu kriegen, ist bewährter Pulcinellospaß. Darüber jagen sich die Melo-
dien, bald ins Orchester geflochten, bald in die Stimmen gewachsen, es fliegt
und flüstert, kichert und stößt, bald breiter, bald schmaler, dankbare Rezi-
tative, schmeichelnde Tänze, knappste Rhythmik in den Ensembles, in dem
Terzett eine süße Silhouette, im zweiten Finale eine meisterhafte Ziselur,
im Dienerchor ein erquickender Übermut — welche Lebenskraft steckt in
dieser uralten, Musik gewordenen Marionettenkunst! Bei der Premiere,
1843 in Paris, war man nicht sehr außer sich. Man schwärmte für Lucia.
Lucia ist alt geworden, und Don Pasquale hat sich wieder verjüngt. Klee-
feld und Bierbaum besorgten, unter Rücksicht auf die italienische spätere
Bearbeitung, die letzte Ausgabe für das Bedürfnis einer Zeit, die wieder
Sinn hat für die Monumentalität der Puppe.
Leicht zerfließende Melodien, überlieferte Spaße, Sinnlichkeit und Tan-
zeslust klingen aus der Epoche an unser Ohr. Es sind die letzten Jahrzehnte
einer Lebenskunst der Musik, die weiß, warum sie die Haltung der Form
bewahrt. Meister kommen und Meister gehen. Mcrcadante, Pacini, die bei-
den Ricci, Petrella, Filippo Marchetti und Ponchielli, viele, viele andere
füllen neben- und nacheinander die Bühnen mit ihren Werken, die die Fa-
milienähnlichkeit aller Epigonen und auch aller Vorläufer haben: weil wir
sie von Zentren aus sehen, die bestimmend werden für ihre Frist und ihren
Wert. Der sie in sich aufnimmt und erledigt, der sie steigert und sich selbst
in neue Regionen erhebt — Verdi steht auf.
Verdi
TV US seinem freundlichen, zutraulichen, ländlich-bärtigen Gesicht blickt
-t\- uns der Spiegel eines Lebens an, das wie eine seiner schönen Melodien
dahinfloß, reich und klar, in eine prachtvolle Steigerung gebaut, mit wenig
Hindernissen, einigen Fermaten zum Schluß und einem frohen Ausklang.
Beruhigt folgen wir seiner Linie, die wir in ähnlichen Kurven von seinen
Landsmännern kennen, dieser romanischen Linie, deren Richtung von den
Domizilen der Opern bestimmt wird und deren Kraft sich nach geringen
Schwankungen immer wieder erholt. Wir suchen in dies gleitende,, glatte
387 ZS*
Verdis Gebiirtsha
Leben hineinzusehen, aus
Briefen, aus Biographien
seine Hemmungen und
Lasten zu erkennen, das
schwere Los drängender
Tage, aber nichts enthüllt
sich uns als eine gleich-
mäßige Arbeit und ein er-
gebener Dank an die Füh-
rung des Schicksals. Das
Genie leuchtet in einem
geradezu selbstverständ-
lichen Glänze, und die Entvvickelung vollzieht sich in einer so heiteren Liebens-
würdigkeit, als ob die Entfernung vom Oberto zum Falstaff nichts wäre als
eine freundliche Gebärde gegen die Schönheit und den Reichtum des mensch-
lichen Geistes. Ein feiner und froher Sinn gießt des Lebens Macht und Fülle
in Gebilde wechselnder und immer zarterer Struktur, von ebenso kluger
Einsicht geleitet, als von modernem Gefühl, von Leidenschaft und Technik
gleichmäßig beraten, noch einmal ein Mozart, aber ein bewußterer, zum
letztenmal ein Italiener alten Schlages, aber in seiner edelsten Kultur.
Vor hundert Jahren ist er in dem kleinen norditalienischen Roncole, da
bei Busseto, zur Welt gekommen. Die Hand des Schöpfers, der sonst seines-
gleichen mit Pech und Schwefel verfolgt, legte sich segnend auf das Haus
des bescheidenen Händlers mit sali e tabacchi und in seiner Gastwirtstube
klangen dem jungen Giuseppe das erstemal die Ohren. Eine idyllische Ju-
gend umgibt ihn, viel Liebe, Mäzenatentum, guter privater Unterricht, und
mit elf Jahren ist er schon dfer Organist seiner Heimat. Inmitten von Speze-
reien und Kolonialwaren findet er seine Braut, die Tochter seines Gönners
Barezzi, der den Vater mit Viktualicn, ihn selbst mit Musik und Hochzeiterei
erfreut. 1839 hat er in der Scala schon seinen ersten Opernerfolg mit Oberto,
Ricordi der Verleger meldet sich, die Opernaufträge fliegen ihm zu, und seine
Laufbahn kommt in besten Gang. Ein Bild: Barezzi verkauft gerade dem
alteii Verdi ein Pfund Käse, dann nimmt er die Flöte, musiziert mit Giuseppe,
Margherita sitzt freudestrahlend daneben, sie sprechen von alten Zeiten, da
Giuseppe heimlich im Kontor Barezzis eine Ouvertüre schrieb, die er jetzt im
philharmonischen Konzert von Busseto aufführen wird, und Barezzi wußte es
und lachte und gab ihm Geld und Zeit, und die Tochter, und öffnete ihm
Familie, Leben, Welt, und Giuseppe erhebt die Arme und dankt ihm und ihr
mit tausend Küssen. Ja, diese beiden Menschen hatten ihn als erste erkannt.
388
„^war"^^-
Er verlor die Barezzi und zwei
Kinder Schlag auf Schlag durch den
Tod. Das war die erste, aber auch
die einzige harte Prüfung seines
Lebens. Er hatte damals, 1840, die
komische Oper Un giorno di Regno
zu schreiben, und er schrieb sie
schlecht. Er blieb zwei Jahre ruhig
und kam dann mit dem Nabucco
heraus, immer wieder in der Scala,
von dem seine Lebensmelodie, äußer-
lich und innerlich, noch einmal an-
hebt, nun fast ungestört und in
stolzem Bogen. Den Nabucco hatte
Nicolai abgelehnt. Ihm brachte er
einen Riesenerfolg und seine zweite
Frau, die Sängerin Strepponi, die in
einer ganz seltenen und einzigen •
Glücksdauer Hand in Hand mit
ihm dieses schöne Leben abging.
Es passiert nichts mehr — nichts
als Arbeit Jahr für Jahr, steigende
Honorare, schwankender Erfolg, aber
ein unerschütterliches Ansehen und
eine Liebe der ganzen Welt, wie sie kaum je ein Musiker genossen. Die Lom-
barden, Ernani, die beiden Foscari, Johanna d'Arc, Alzira, Attila, Macbeth,
die Räuber (für London), die als Jerusalem umgearbeiteten Lombarden (für
Paris), der Corsar (für Triest), die Schlacht von Legnano, Luisa Miller, Stif-
felio — alles Aufträge, besser oder schlechter bedient, unsicher oft im Stil
der Nachahmung oder Selbstfindung: bis mit dem Rigoletto (1851, Venedig)
die große Epoche beginnt. Troubadour (Rom 1853) und Traviata (Venedig
1853) sind die ersten Stoffe eigener Wahl, jenes nach dem erfolgreichen Drama
des Spaniers Antonio Garcia Guttierez, dieses nach Dumas' Kameliendame, die
Verdi auf den revolutionären Gedanken bringt: ein modernes Gesellschafts-
stück in Musik zu setzen. Es wird sein einziger wichtiger Durchfall, ein
scheinbarer Premierendurchfall, wie ihn Norma auch erlebt hatte. Das
' macht nichts und geht schnell vorüber. Etwas mehr quält ihn die Zensur,
doch gibt das nur einige zornige Tage, man ändert die Namen, und die Kom-
position bleibt unangetastet. Es war schon beim Rigoletto gewesen, jetzt bei
389
Verdi
der Sizilianischen V^esper (1855 Paris) wiederholte es sich, aber beim Masken-
ball (1859 Rom) wurde es am tollsten. Die Oper war von Neapel bestellt,
ein Venezianer Librettist hatte den Text geschrieben, der die Ermordung
Gustavs III. auf dem Maskenball zum Sujet hatte, Aubers Oper desselben
Sujets war vergessen, man verbot plötzlich den Königsmord auf der Bühne,
Orsinis Napoleonattentat wurde als Schreckbild ausgestellt, der Zensur-
beamte ließ im Büro einen behördlich konzessionierten neuen Text schrei-
ben, Verdi sollte diesen mit seiner Musik zusammenkoppeln, er weigert sich,
der Direktor droht ihm mit Strafe, der König will intervenieren, Verdi lehnt
die Audienz ab, endlich wird die Handlung nach Boston verlegt und die Auf-
führung in Rom gestattet. Immer ist das Volk für Verdi, es liebt die patrioti-
schen Gesänge und den Freiheitszauber seiner Opern und häuft auf seine
Person eine Art symbolischen Eifers der erwachenden Nation. Bei der An-
nexionsabstimmung 1860 hatte Rossinis Votum gefehlt, aber den Namen
Verdi sah man begeistert in den Initialen der Worte Vittorio Emanuele
re d'Italia. Er war kein Politiker von Partei oder Programm, er war glück-
lich, Aufstieg und Einigung seines Volkes zu erleben, wofür das Volk ihm
allerorten Evviva Verdi zurief, aus dem Gefühl heraus, in seiner Kunst eine
ähnliche letzte Machtsteigerung der Rasse zu verehren wie in dieser großen
antipäpstlichen Staatenbildung. Seine Wonne umkleidete es mit den feu-
rigen Melodien des unsterblichen Meisters, die den Ruhmesweg dieser poli-
tischen Erhebung begleitet und mit einem tausendfachen Echo erfüllt
hatten.
Zwischen der Sizilianischen Vesper und dem Maskenball arbeitete Verdi
den Simone Boccanegra, der später noch einmal renoviert wird, und den
Aroldo, als Renovation des alten Stiffelio. Vieles, was gefallen war, gab er
ganz auf; aber woran er hing, änderte er immer wieder um, und desto häu-
figer, je reifer und entwickelter er wird. Die Pausen werden jetzt größer.
Für das italienische Theater in Petersburg schreibt er 1862, drei Jahre nach
dem Maskenball, die Forza del destino. Drei Jahre darauf arbeitet er für das
Theätre lyrique in Paris den Macbeth um. Zwei Jahre darauf schreibt er
für die Große Pariser Oper den Don Carlos, den er später für Mailand um-
arbeitet. Vier Jahre später, 1871, findet in Kairo die Premiere der Aida statt,
die vom Khediven, eigentlich schon vorher, zur Eröffnung des Suezkanals
bei ihm bestellt war. Ein großer Tag: die Sanktion der romanischen Oper
in der orientalischen Welt und für Verdi selbst eine erneute Stilverfeinerung,
unter nordischen, ja deutschen Einflüssen. Sechzehn Jahre danach, 1887 in
Mailand, erscheint der Othello. Sechs Jahre danach, am 9. Februar 1893 in
Mailand, der Falstaff. Im Jahre 1901 legte er sich nieder. Diese letzten
Zeiträume waren in einer wunderbaren Ruhe verflossen, Winters meist in
Genua, Sommers in Sant' Agata. Nicht einmal nach Kairo war man gereist.
Es vollendeten sich 88 Jahre eines Menschen, der das Glück seiner Gaben
bis zur Neige ausgekostet hatte. Er war zur Natur zurückgekehrt, die ihn
geschaffen. Er hatte zugesehen, sich das Seine gedacht und seine letzten
Früchte in einer bedächtigen und kühlen Weisheit reifen lassen. Er hatte
die Welt wohlwollend betrachtet und an ihr gelernt, sein künstlerisches Erbe
niemals unterschätzt, aber auch nicht überschätzt, die Menschen geliebt, er-
freut und bedankt, und als seine Guiseppina den Weg in die andere Welt
vorausging, hatte er seine Überschüsse einem Musikerasyl zugrunde gelegt.
Wenig Religiöses hatte er komponiert, und dies aus einer naiven und niemals
dargestellten Frömmigkeit. Es war nun sein Beruf gewesen, Opern zu ma-
chen, sogar oft auf sehr zweifelhaften Texten, aber an seinem letzten Tage
scheint es ihm vielleicht, daß das alles nur ein Vorwand war, eingegeben
durch sein Blut und seine Rasse, den Mitmenschen auf irgendeine wirksame
Weise die Wunder seines reinen und gütigen Genies mitzuteilen: Musik!
Jugendopern
DIE Jugendopern, von denen man in Italien wohl noch diese und jene zu
hören bekommt, habe ich durchgesehen und gefunden, daß er etwa auf
folgendem Wege sich entwickelt hat: erst Nachahmung Rossinis, mehr Bel-
linis, noch mehr Donizettis, dann das Aufflammen seines Temperaments, in
religiösen und patriotischen Gesängen, endlich der Durchbruch zu dem Aus-
druck seelischer Melodie, der ihm eigentümlich ist. Doch sind das keine
strengen Perioden, denn er hat ebensowohl plötzliche geniale Zukunftsblicke,
wie leidige Rückfälle. Seine erste Oper, der Oberto, ist nichts als ein schlech-
ter, dummer Bellini. Mit dem Nabucco beginnt die flammende Leiden-
schaft, die sich dujch die Lombarden, den Attila und die Schlacht von Le-
gnano fortsetzt — diese Schlacht von Legnano ist musikalisch wertvoller,
als man in der Erinnerung hat. Aber die zündendsten seiner Gesänge findet
man im Ernani; das ist ein Feuermeer, aus dem der Chor „Si, ridcsti il leon
di Castiglia" wie ein Wahrzeichen italienischer Begeisterung hervorragt.
Einst sang man ihn mit solcher Heftigkeit und Unermüdlichkeit im Publi-
kum mit, daß das Theater vor lauter Aufregung geschlossen werden mußte.
Es ist nicht ganz falsch, zu sagen, daß Verdi in dieser Zeit aus dem Rossini-
stil und dem Meyerbeerstil eine gewisse fruchtbare Mischung herstellte.
Aber doch beobachtet man, wie sich langsam das besondere Relief seiner Kunst
herausbildet : dieser Genuß an der typischen Modulation mit den Dominan-
ten und Medianten, die die Balance der tonalen Stimmung in einer so frischen
und harmonischen Bewegung erhält; diese Freude an der Tonika, die alles
Gute und Böse in ihren kolorierten Hafen aufnimmt; dieser Stolz auf die
immer fertige, schön entspringende Melodie (so fertig, wie die Szene selbst);
diese Lust am gewöhnlichen, aber wirksamen Unisono der Chöre und wieder
die Sauberkeit in den melodischen langsamen Ensembles; die Wonne des
Schmerzes, der sich in eine Moll-Phrase zu vergraben scheint (so oft ihm als
„Traurigkeit" vorgeworfen) und wieder die Figuration, die sich vom Stoff
befreit und im eigenen Gesangsleben weiter vegetiert; die Dominanteninter-
jektionen der einen duettierenden Stimme zur anderen; die dumpfen Schlage
und die plötzlichen Dur-Lichter; das konsequente Durchlaufen melodischer
Ketten, die Terzenschleifenschlüsse, die kontrapunktischen Gegenfäden, die
Wirbel um die Dominante (die das Duett Miller-Luise ganz der Traviata
vorbereitete) — alles das verdichtet sich aus den Ahnenbildern zu seinem
Porträt, und man kann den Finger auf die Stücke legen, in denen er zuerst
sich selbst entdeckt hat. Das Gebet der Giselda in den Lombarden reinigt
seinen Stil, die- Kavatine der Elvira in Ernani ist die erste richtige, schwin-
gende, blühende Verdiarie und des Dogen „o vecchio cor, che batti" in
den Due Foscari seine ganze schöne Traurigkeit. Die gedrängte melodische
Phrase, die er von der Traviata bis zur Aida kultiviert, wächst zum ersten-
mal gegen Ende des Ernani über die Worte ,,fino al sospiro estremo uno
solo core avremo". Man ist erstaunt, im Duett Oronte-Giselda der Lom-
barden ganz schon die biegsame Phrasierung des Rigoletto zu finden und in
den Duetten der Lucrezia mit Jacopo und mit dem Dogen in den Due
Foscari den vollen leidenschaftlichen Fluß seiner Melodien, die sich aus zwei
Kehlen im Wetteifer zu übertrumpfen suchen. Die Ensembles und Finales
kündigen besonders in den Lombarden, Ernani und Due Foscari seine Meister-
schaft an. Due Foscari interessiert auch durch das Bekenntnis motivischer
Arbeit, das auf französische Vorbilder hinweist. Und aus Attila möge man
sich die Schilderung des Sonnenaufgangs merken, die seine erste Neigung
zur Orchestermalerei darstellt.
Aber die Hauptsache bleibt Luisa Miller. Kr beschäftigte sich mit ihr
in Paris, rue de la Victoire 13, und es erscheint zweifellos, daß er zu dem
schönen Schlüsse dieser Oper, der eine Epoche für ihn bedeutete, durch den
Einfluß der französischen Bühnenmusik gekommen ist, durch die szenische
Rührung und musikalische Realistik, die ihr Vorzug war vor dem Gesangs-
schema der Italicner. Luisa Miller beginnt wie irgendein anderes Werk von
ihm mit den Melodiechcn, die wir heut so schwer zu einem seriösen Stoff
vertragen, zumal wenn er einem Nationaldrama der Deutschen entnommen
ist. Aber schon im ersten Finale, fra mortali ancora oppressa, überrascht der
Edelsinn der Haltung. Dann in dem Quartett, come celar le smanie del mio
geloso amore, streichelt uns eine seltene Zartheit. Das Temperament rückt
vor. Die leidenschaftlichen Phrasen schnellen vorüber. Die Duette der Kata-
strophe steigern und erhitzen sich, wie nur in Aida oder Othello. Die Lied-
chen hören auf. Als erschlösse sich ihm eine neue Welt, in der großen Sterbe-
szene der Liebenden, füllen sich Rezitative und Gesänge mit einem ernsten
und tiefen Ausdruck, die Melodien strahlen in einem ungewohnten Glanz
und in einer echten und herben Kraft, die Harmonien werden scharf und
schwer, die Figur wird zum dramatischen, tätigen Motiv, und wir bekennen
erstaunt, daß ein Bühnenbild, in unserem eigenen Nationaldrama voller
KünstHchkeit und Konstruktion, Leben und Seele in dieser mitfühlenden
Musik gewinnt. Ein nobles Terzett schließt das Stück und bewahrt die
Stimmung. Auf dem Umweg von Schiller über den Librettisten Camma-
rano war hier eine Szene vor ihn gekommen, in der er sich schämte, Bellini
zu spielen. Aus Ariensängern wurden Menschen, aus Rollen Charaktere, aus
dem Text Schicksal und Wirklichkeit. So war die Traviata vorbereitet.
Rigolcttü
ABER auch schon im Rigoletto darf man den französischen Einschlag nicht
i- übersehen. Von den Stücken Victor Hugos war, mehr als Lucrezia Bor-
gia oder Ernani, dieser „roi s'amuse" zum Spiel einer dramatischen Ironie,
mit starken Kontrasten und Szenenwirkungen geeignet. Es bleibt unver-
ständlich, warum die Zensur die Verwandlung Franz' L in den neutralen
Herzog von Mantua verlangte. Der Inhalt hatte ein allgemein menschliches
Interesse — der Hofnarr, der durch denselben Anschlag, mit dem er den
Verführer seiner Tochter ruinieren will, sich selbst ruiniert, gab eine Fülle
musikalischer Möglichkeiten, Formen, Typen, trotz des Mangels eines weib-
lichen Chors, durch den sich diese Oper auszeichnet. Verdi strahlt hier nach
allen Seiten hin aus, indem er den Mechanismus sowohl der franzpsischen
wie der italienischen Oper durch eine geniale musikalische Phantasie auf eine
überraschend wirksame Einheit bringt. Auf uns wirkt es heut wie eine der
ersten Musiktragödien, grausam, weil der leichtsinnige Herzog bei diesem
Spiel mit Menschenseelen frei ausgeht. Im Original saß wenigstens noch eine
Schlußszene daran, in der Gilda, die sich für ihren Geliebten geopfert, noch
einmal erwacht und mit ihrem Vater ein Duett von rührender französischer
393
Handschrift Verdis: Rigoletto
Lyrik singt, was die Un-
barmherzigkeit ihres Todes
ein wenig mildert. Ich weiß
auch nicht, warum man es
wegläßt; es ist bezeichnend
für den bittersüßen Ge-
schmack, den diese Epoche
an der Traurigkeit liebte.
Mehr als italienisch ist
der knappe scharfe Kontrast,
auf den im ersten Bilde die
frivolen und die tragischen
Elemente des Inhalts ge-
bracht werden, eine Folge
ausgezeichneter Bühnen-
tanzmusiken, die von einem
orchestralen Fluch eingelei-
tet und von dem gesungenen
Fluch des Grafen Monte-
rone (mit Wutfiguren, die
Carmen ahnen) unterbrochen wird. Die Ensemblechöre flechten sich straff
ein, die Konversation liegt leicht darauf, die ballata con eleganza des Herzogs
mit ihrer reizenden harmonischen Schlußschaukel schwingt sich heraus.
Mehr als italienisch ist auch die Ironie jenes schmerzenstrunkenen Liedes,
das der Narr singt, mit dem lustigen Munde seines Berufs, im Herzen zu Tode
getroffen durch den Raub der Tochter : in Stücke zerfetzt, verlangt es den
ganzen Schauspieler im Sänger. Wogegen Rigolettos folgende Szene mit dem
Chor, das Gnadenlied, wieder zu einfach in die direkte Stimmung zurückver-
fällt und wie aus Verlegenheit mit figurativen Nebensachen bepackt scheint.
Mehr als italienisch ist endlich auch der wundervolle Naturalismus, mit
dem die Gewitter- und Mordszene gezeichnet ist. Zwischen tiefen Quinten
und hohen Pfiffen gähnt die Öde der Situation. Der Sturm sucht sie mit
Brummstimmen zu füllen, die in kleinen Terzen, verschieden harmonisiert,
auf und ab heulen. Ein Motiv des Herzogs fliegt wie verloren durch die
Lüfte. Ein leidenschaftliches Terzett führt in zweimaligem Aufstieg die
Menschen zum Ausbruch. Das rasende Gewitter, mit der Vorstellung des
Mordes verschmolzen, fegt die wortlose Szene zu Ende. Verdi hatte mit
dieser ozeanisch-grauen Schilderung, in der die Musik wie eine Perle saß,
seine Muster längst übertroffen. i
394
Das Rigoicttoquartctt. Alte Zeichnung
In anderen Fällen bleibt er den Forderungen seiner Rasse treuer, vor allem
schöne Melodie zu geben, selbst auf Kosten des Sinnes und des Wortes,
glücklich in diesem problematischen Kampfe von Ton und Wirklichkeit
durch den Reichtum seiner musikalischen Erfindung uns leicht ynd gefällig
auf die Seite des sinnlichen Genusses zu locken — eine Sünde vielleicht,
doch eine solche, daß wir sie nicht mehr nach ihrer Schädlichkeit, sondern
nach ihrer Schönheit beurteilen. So singt Gilda ihre große Koloraturarie mit
allen Variationsübungen und netten Kontrapunkten, als eine Freude ihrer
Kehle über ihre Liebe. So singt der Herzog sein „la donna e mobile" im
frischen Studententon, als die piece de resistance seines Tenors, eine so volks-
echte, populäre Melodie, daß die Sage geht, Verdi hätte sie aus Furcht, sie
könnte schon vorher abgeleiert werden, erst bei der Generalprobe eingefügt
(was wegen ihrer motivischen Verwendung unmöglich ist). Interessant schön
und unwahr ist die Szene zwischen Rigoletto und dem Bravo gestaltet. Das
Orchester, Solocello und Solobaß mit dunkler Begleitung, spielt dazu eine
seltsam eindringliche lyrische Melodie, und ein kirchlicher Schluß bringt den
mörderischen Pakt zu Ende, daß man meinen könnte, der Teufel hätte diese
Seiten geschrieben. Aber Verdi war kein Spötter seiner selbst. Er machte
schöne, dunkle Musik und legte sie einer dunklen, bösen Verzweiflung unter,
durchaus in der Praxis der damaligen Oper. Nur unsere heutige Phantasie
395
gießt ihre satanische Mischung hinein und hängt mit entzückten Sinnen an
solchem Widerspruch.
So haben wir eine schöne Arie, ein schönes Lied und einen schönen Or-
chestergesang. Bei den größeren Ensembles stellt die reine Musik Bedin-
gungen, die selbstverständlicher sind. Der Chor der Kavaliere, die den Raub
der Gilda erzählen, ist unisono liedhaft a. la Donizetti — so naiv, daß es uns
heut ein Lächeln entlockt. Der Entführungschor ist ein gutes gewohntes
Buffostück mit seinen stakkierten Akkorden und dumpf entschlossenen Bäs-
sen. Kränze von Melodien werden die Duette; gebundene fertige Kränze,
die hier und da eine einzelne Blume fallen lassen. Nach Rigolettos ausdrucks-
vollem Rezitativ „o uomini" setzt sein Duett mit Gilda eine Folge herrlicher
Musik auf ihre Angst, formvollendete, kunstvoll verschlungene, zuletzt mo-
tivisch variierte Musik auf zwei Seelen, die sich doch voreinander fürchten :
und unvergeßliche Einzelheiten, Gildas visionäre Figur ,,se non volete di voi
parlarmi" über der absteigenden Terz, Quint, Sext, oder die Zartheit des
in A sich wandelnden Des, da wo sie die Sehnsucht nach Freiheit äußert,
solche Stellen treffen plötzlich unser Herz, und viele solche Plötzlichkeiten
gibt es in diesem Rigoletto. Das zweite Duett ist zwischen Gilda und dem
Herzog, wiederum eine laufende Melodienreihe, mit einer großen Doppel-
koloratur und einem reißenden Schluß, wie es so der Italiener macht, aber
dies ist gezeugt in einer glühenden Einbildung, die im Rausche entzückter
und entzückender Töne ihre stammelnden Silben sich immer und immer
wieder w-iederholt. Und auch das dritte Duett, Gilda und Rigoletto, beim
großen Triolenracheschwur, mit einer Erzählung, die Lied wird, einem
Schluchzen, das stilisierte Synkope wird, allen verzerrten Worten und sinn-
losen Melodisierungen : es ist Musik, die noch nie einen Hörer nach dem
Inhalt hat fragen lassen. Credo, quia absurdum?
Die Krone des Rigolettoensembles ist das Quartett, eines der großen
Kunstwerke italienischer Opernerziehung. Der Verführer singt sein Lied,
die Dirne und die Liebende schlingen ihre Motive gegeneinander, der Vater
verschiebt die harmonische Basis, wozu der Verführer und die Liebende
melodische Konturen ziehen, die Dirne rhythmisch sich bescheidet. Der
Verführer nimmt sein Lied wieder auf, die Dirne setzt ihm ihre Melodie
entgegen, der Vater und die Liebende umgrenzen das Ensemble. Die Lie-
bende gewinnt eine zitternde Kontur, die Dirne betont die herrschenden
Leittöne, der Verführer erfindet sich eine mittlere Melodie, der Vater fun-
diert den Baß, von jedem melodischen Ausbruch der Tochter zu einer er-
hebenden Phrase veranlaßt. Dies ist der Bau des berühmten Stückes. Eine
glückliche Erfindung läßt ihn in unendlich berückendem Wohllaut erklingen,
dieselbe Erfindung, die alle Musik des Rigoletto über jede Gefahr hinweg
so lebenskräftig gehalten hat. Schwächere Stellen, wie die Anfangsarie des
Herzogs im dritten Akt oder seine Szene mit dem Chor, die gewöhnlich ge-
strichen ist, fallen dagegen kaum ins Gewicht.
Troubadour
MAN vergißt leicht, daß der Troubadour später ist als Rigoletto. Denn,
einst so populär wie kaum eine zweite Oper, ist er jetzt unter den Besse-
ren ein wenig verachtet, als zu altmodisch oder zu trivial. Warum? Er hat viele
Minderwertigkeiten, die bei unseren Aufführungen gestrichen sind, aber das
Hauptübel ist sein Text, der so fade und so blöde ist, daß er mit seiner
Schmökerigkeit die Musik selbst langsam vergilbt hat. Cammarano hat ihn
auf dem Gewissen, viel ungeschickter als Piave, dem Rigoletto, Traviata und
einige andere Libretti immerhin verständlicher glückten. Dieses Malheur
von zwei Brüdern, die um dieselbe Geliebte kämpfen, ist in eine so unklare
Vorgeschichte von Zigeunerraub und -räche gerückt, daß nur dem flei-
ßigsten Philologen die Herstellung der ursprünglichen Fabel gelingen mag,
einem musikfrohen Zuhörer aber für immer verschlossen bleiben wird. Was
kann Verdi gereizt haben ? Das Geheimnisvolle, die Zigeunerromantik, das
doppelt geliebte Weib, der Troubadourgesang und die Grafeneifersucht —
Menschen wurden nicht daraus, denen wir ihr Singen glauben. Was übrig
blieb, ist eine Masse begabter Musik, in der wir wohl den Meister erkennen.
Und diese Musik rettete die Oper nicht bloß in die Künste virtuoser Tenore,
sondern auch in die Sinne harmloser Zuhörer, die den Reichtum der Erfin-
dung durch die Banalitäten der Mache hindurch zu genießen verstehen.
Da gibt es allerlei Zigeunerisches, nicht in der Originalfarbe, aber doch
bunt gestrichen und kapriziös taktiert — Ferrandos Gesang von den beiden
Knaben, das Zigeunerlager und Azucenas Lied vom Feuer, mesta genannt,
aber doch ein schöner langsamer Walzer, der motivisch verwendet wird.
Mag sein, daß das alles etwas kulissenhaft ist. Ernster muß man die Ensembles
nehmen, die Verdis hoher Kunst volle Ehre machen: das Terzett am ersten
Aktschluß als sehr schwungvolles italienisches Paradigma, die Szenen am vier-
ten Aktschluß kunstvoll kontrapunktierte Melodien und dramatisches Leben,
das große Finale des zweiten Aktes, geschmiedet in echtem Verdifeuer mit
dem Höhepunkt der leidenschaftlichen Phrasensequenz Leonores ,,0 in ciel",
vor allem aber das berühmte Miserere, ein starrer Kirchenchor, zu dem der
Troubadour und Leonore, ohne sich zu sehen, eine Art getrenntes Liebes-
397
duett voll Melodie, Fluß und Gegenseitigkeit singen — die glücklichste
Partie des ganzen Stückes, die allein an Menschlichkeiten grenzt.
Pflückt man weiter die einzelnen Gesänge und Arien aus dem Trouba-
dour, so trifft man wohl dabei einige Wiederholungen, wie sie in diesem
umgrenzten Stile unvermeidlich sind, aber man staunt doch vor der Frucht-
barkeit. Es finden sich viele Stellen von ursprünglich starkem dramatischen
Ausdruck, wie in der Szene, da Leonore das Gift nimmt (mit reizend spielen-
den Orchesterfiguren) oder zuletzt bei der breit hingestrichenen Katastrophe.
Es finden sich auch zahlreiche köstliche und merkwürdige Details, wie die
absteigende Reihe von Vorhalten der gefangenen Azucena, oder später ihre
dumpfen Trauerakkorde, denen der Troubadour eine gounodsch süße Phrase
entgegenhält, worauf sie mit einer jener konzentriert-melodischen Wendun-
gen antwortet, die den neuitalienischen Stil geschaffen haben. Doch sind die
festen Arien der eigentliche Bestand dieser Oper, in ihrem Übermut uns
heut oft ein Schlag ins Gesicht, wenn sie die Miserereszene oder die Selbst-
mordszene wie Couplets plötzlich ins Virtuose wenden. Man muß sie ein-
zeln nehmen. Die zärtliche Leonorenarie vom Schweigen der Nacht mit
ihrem Verdi-Chromatik- Aufstieg und ihrem Verdi-\'orhalt-Aufschwung, und
gleich darauf ihr trällerndes Koloraturliebeslied, des Grafen wiegendes
B-Dur vom Blitz ihres Lächelns und sein ritterhches Des-Dur von der
Freude, die ihn erwartet, die schwärmerische Romanze des Troubadours
und seine Stretta, die er kampflustig bis zum hohen C führen mag, sein breit-
gelagertes Kantabile in demselben C vor Azucena, die eine der besten Verdi-
melodien in G-MoU beginnt, man denkt ganz langsam, aber es ist velocissi-
mo, und beide singen in G-Dur einen passionierten Walzer, und plötzlich
das schöne Schlummerlied der Azucena — ist es Italien .' — ist es deutsch? —
schubertsch ? ai nostri monti ritorneremo: in meiner Jugend spielten das
alles die Leierkästen, auf denen es noch zwanzig Jahre nach der Premiere in
Rom stehen geblieben war, sie zogen in den Gassen der Heimatstadt umher, und
Abend für Abend hörte ich es, ohne zu wissen, was es ist. Ich las dazu Märchen,
und die Melodien verbanden sich in mir mit den Vorstellungen orientahscher
Prinzen und verschleierter Damen aus Bagdad. Warum auch nicht ?
Tyaviata
IN einem Bangschen Roman kam ein Organist vor, der allerlei schöne alte
Melodien spielte, und es hieß, er spielte die Melodien aus der Traviata,
die uns so das ganze Leben begleitet haben, diese alten rührenden Melodien.
Es war die Zeit, als ich dies las, da ich von dem ausschließlichen Wagnertum
t.. /" 4^'*''^*'C2
erwachte und hinter Verdi,
der mir bis dahin als der
Abgott der Trivialität ge-
golten hatte, allmählich das
musikalische Genie entdeck-
te, so ganz fern meinen Jüng-
Hngsschwärmereien , aber
doch eine andere Welt von
künstlerischer Natürlichkeit,
von beglückender Populari-
tät. Und ich begann lang-
sam zu verstehen, daß es
auch eine solche Musik geben
dürfe, eine Musik ohne Phi-
losophie und Problematik,
nur aus Freude an ihrer
eigenen Schönheit. Ich be-
gann zu verstehen, daß diese
Melodien nicht nur als Lie-
der, die man so summt und
pfeift, uns durchs Leben be-
gleiten können, sondern als
ein Schatz köstlicher Gebilde, die einen tieferen Wert in ihrer unvergäng-
lichen Elementarkraft, eine Seele in ihrem offenen Auge besitzen. Ich fing
an, sie zu lieben, ihnen zu schmeicheln, ihnen abzubitten, und es dauerte
nicht lange, so lächelten wir uns gegenseitig an, wie nach einem Mißver-
ständnis, das durch die Güte zweier Herzen aufgehoben ist. Jetzt studierte
ich sie. Es wurde mir plötzlich klar, nicht nur welche Genialität der Erfin-
dung in ihnen ruhte, die durch ilire ungeheure Popularität schon unsere Ge-
wohnheit geworden war, sondern auch wieviel reformatorischer Geist dazu
gehörte, sie einem modernen Gesellschaftsstück, dieser Kameliendame, die
eine Traviata wird, anzupassen, in ihren alten Formen das ewige Leben und
im heutigen Leben ihre ewigen Formen zu sehen. Ich las den Roman von
Dumas, sein Stück, immer weiter absteigend den Piaveschen Text, da fiel
mir, wie ein Blütenschauer, der ganze FrühHng dieser Musik vor den Augen
nieder. Sie hatte die abgelagerte Tragödie einer der großen Pariser Litera-
turkokotten zu ihrem ewig jungen Eigentum erklärt. Ich erkannte Technik
und Phantasie, und was ich einst verachtet, dann nur geliebt hatte, mußte
ich jetzt bewundern.
Handschrift V'crdis: Traviata
399
Das Vorspiel, kurz, wie es Verdi nunmehr vorzieht, schildert die Traurig-
keit ihres Sterbens und ihr Abschiedsmotiv der Liebe. So schlägt es den
Bogen zum letzten Akt und umschreibt die Einheit.
Die vier Akte selbst bringen die wesentlichen Momente des Dramas auf
ihre musikalischen Erlebnisse, sie entwickeln den Mythus dieser Geschichte.
Der Inhalt des ersten ist die Bekanntschaft und die Liebe: die Bekannt-
schaft wird in ein Festmilieu gesteckt, die Liebe in der großen Violettaszene
entfaltet; so setzt sich Chor und Solo gleich kräftig von einander ab. Die
Festmusik, von zärtlichen Nebenmotiven durchzogen, ist in einer naiven
Freudigkeit erfunden, gekrönt von einem entzückenden Walzer. Konver-
sation und Chor sitzen leicht darauf. Das erste Intermezzo ist das stür-
mische Trinklied, in das sich Alfred, Violetta und Chor teilen, das zweite
ein kleines Duett mit dem Liebesmotiv, das gut verdisch auf Treppen der
Diatonik absteigt, einer schönen melodischen Phrase, die gut verdisch mit
der Terz spielt, Tropfenkoloraturen, Doppelkadenz, alles wohl troubadour-
haft in Linie und Schatten, doch hier in einem ganz neuen Licht, rührender,
wahrhaftiger, aus dem INIunde zweier schicksalsgezeichneten Menschen. Wie
paßt das alles, das durchaus Schule und Form ist, in diese Wirklichkeit! Die
Schule hatte alles Wesentliche herausgebildet, und alles Wesentliche ist der
Triumph der Musik, ob sie Renaud und Armide, oder Alfred und Violetta
umspielt. Wesentlich war Tanz, war Festlied, war Liebesduett, wesentlich
ist das große Alleinsein der Frau, ihre Soloszene. Rezitativisch fühlt sie sich
ein, in einem weichen F-Moll gibt sie sich der ersten Arie hin, um das Liebes-
motiv in stolzem F-Dur daraus zu erheben, ein neues Rezitativ beflügelt ihre
Sinne, sie gleitet in eine Koloratur, die wie mit einem Doppelpunkt schließt :
jetzt spielt das Orchester ihr das Allegro brillante vor, glitzernd in seinen
Fazetten, sie nimmt es auf, sie schwingt es hoch, sotto il balcone tönt sein
Liebesmotiv herüber, sie umschlingt es, und beide singen ein getrenntes
Liebesduett — Schema in der Form, wie alles andere, aber Leben in der
zündenden Verve, mit der sich diese modernen Menschen, voller Musik-
freude, in die Architektur des alten Heiligtums stürzen.
Der zweite Akt heißt: Trennung und wird in drei Duetten erledigt, zwi-
schen dem Vater und Violetta, die sich zum Verzicht bringen läßt, Violetta
und Alfred, der ihre Flucht nicht begreift, Alfred und dem Vater, der ihn
zur Räson führen möchte. Voran steht, wie gewöhnhch an dieser Stelle, eine
Tenorarie, wie gewöhnlich geringfügig und willig, gestrichen zu werden.
Die drei Duette sind verschieden, wie sie sein müssen. Das erste ist, bestens
gesagt, eine Art Entwickelung vom alten Stil zum neuen, vom Vater Gcr-
mont zu Violetta. Der Alte beginnt konventionell. Das Orchester über-
400
nimmt eine bessere Führung. Violetta schlägt einen ausdrucksvolleren Ton
an, den das Orchester bald verständnisvoll gegenstützt. Freiere Gegenden
werden gesucht, aber der Vater kommt nicht hinaus über ein traditionelles
Stakkato und Doppelschläge — da reißt sich plötzlich Violetta los, in einem
prachtvollen Thema, Des-MoU, schöne Terzen, schöne Vorhalte, der schönste
Verdi, und senkt sich gut in ein feines klagendes Es-Dur, wozu der Alte sich
schon günstiger stellt, mit seinen mitleidigen Piangi-Phrasen. Noch einmal
hilft das Orchester und beide finden sich nun in der gleichen wundervollen
G-MoU-Melodie, die die liebHchsten Konturen bildet, Konturen, die noch
einmal dann allein erglänzen zum Addio. Das ist das erste Duett und ich
glaube, es interessiert, in dieser Weise es anzusehen, es wird dadurch psycho-
logischer. Das zweite Duett ist ohne jeden Zweifel psychologisch, es ist kurz,
wahr, neu. Die Wehmut der Violetta ist in jenen klagenden, leeren, ge-
zogenen Vorhalten gezeichnet, ein Starren ins Weite, eine Ergebung in die
Dominante, die fortan zur Sprache Verdis gehören. Drängender werden ihre
Vorhalte, tu m'ami, krampfhaft wirbelnd über derselben Dominante, die sie
zerreißen, zerrädern möchte, immer heftiger, immer heißer, bis sie in das
große F-Dur ausbricht, das Liebesmotiv als Abschied, seine Skala ganz her-
untergeführt und statt alles Romanzenschlagens die schärfste Konzentration
des Schmerzes in der leidenschaftlichen Kurve einer kurzen Phrase. Ein
harter Rückschlag ist dagegen das dritte Duett. Das unvermittelte Lied des
Vaters von der Heimat bleibt nach solchem Aufschwung eine Trivialität,
wie man sie auch zudecken möge, und es ist schrecklich, zu sagen, daß er im
Original noch eine Polkaarie dahinter hat, die dem Faß den Boden ausschlägt.
Die Szene ist nicht zu retten. Ich würde nicht nur halb, sondern ganz strei-
chen : Alfred erhält den Brief, im selben Augenblick tritt der Vater ein, Vorhang.
Der dritte Akt heißt : das böse Wiedersehen, und er birgt die Finalemöglich-
keit. Wieder Festmilieu, Zigeuner, die sich aus dem Troubadour verlaufen
haben, Matadore mit reizendem spanischen Tanz, der dumpfe Spielwalzer
mit der Konversation und dem dreimaligen kurzgebogenen Ausbruch der
Violetta, die erregte, gutgemalte Szene zwischen den Liebenden : so ist Ma-
terial und Stimmung da für das gewaltige Finale. Alfred beginnt es meyer-
beersch, Violetta konturiert es verdisch und immer massenhafter, in einer
fortreißenden Musik, harmonisch schön gestaffelt, in starken Synkopen,
plötzlichen Pianissimi, weiten Vorhaltbogen rückt es sich herrlich durch die
Stimmen, um in einem faustgeballten Es-Dur- Akkord die Tragik dieser
singenden Schicksale zu bekräftigen.
Im letzten Akt ist alles Pathos, aller Gewänderluxus der Musik vergessen.
Alles ist Erinnerung und Versöhnung des Todes, die fruchtbarste Gelegen-
401 26
heit lyrischer Musik. Als lyrische Szene, im besten Sinne der französischen
Oper, ist der ganze Akt gehalten, wie sie Italien bis dahin nicht gekannt
hatte, in solcher breiten, seelenvollen, einheitlichen Intimität. Das Orchester,
geteilte Sordinengeigen, hüllt die Wolken um die Szene, präludiert süße
Sterbemotive. Melodische Blüten fallen auf das Krankenlager. Ausdrucks-
zarte Rezitative klingen durch die Luft. Violetta liest tonlos den Brief des
\'aters. Das Liebesmotiv singt ihr von fern in den Ohren. Eine Oboe klagt
mit ihr und leitet sie zu dem A-Moll, darin sie ihr „Addio, bei passato dei
sogni" anhebt, wie ein uraltes Volkslied. Von der Straße tönt ein impres-
sionistisch hingefeuertes Bacchanal herauf. Wieder wirbeln wie einst die Do-
minanten in ihrem heftigen Zirkel: wie einst, da sie von ihm ging, und nun
kommt er zu ihr! Ihr Duett nimmt sich die Weisen von den Lippen, ergießt
sich in die seligsten Melodien, die je Verdi seinen Liebenden erfand. Ein
entzückender Kampf zwischen Lust und Schwäche, ein Kosen der Töne, ein
Greifen der Harmonien, ein leidenschaftliches zweites Duett auf gestoßenen
Vierteln, daß Donizetti wundernd aufbUckt, und wundernd blickt Rossini
auf, da dumpf erzitternde, hastig atmende Bässe das Terzett untermalen,
dieses kleine kostbare Terzett, das sich von Violetta über Alfred zum Vater
schlingt, um in ein nachdenkliches, süßes Soloensemble zu wachsen, immer
noch von den dumpf erzitternden, hastig atmenden, schicksalspochenden
Bässen ermahnt: da leuchtet das letztemal in hohem Tremolo das Liebes-
motiv, es schwingt sich in den Äther, Violetta stirbt in Verzückung.
Wenn sie sich im Himmel die Arien, Duette, Trinklieder, Koloraturen
und Finales zurückruft, die die Formen ihres Musiklebens gewesen waren,
so darf sie sich sagen, daß sie sie nicht demimondäner ertragen hat als
die vielen anderen Opernfiguren, die auf der Erde zurückbleiben. Sic kamen
alle nicht aus den Konventionen heraus, die ihnen Überlieferung und
Etikette diktierten, aber sehnten sich doch nach einem neuen, freieren
Dasein, das ihnen die Bürde der Form von den Schultern nehmen könnte.
So verbringen sie ihre Zeit in einem gemischten Stil und füllen damit die
ganze mittlere Schaffensperiode des Meisters.
Mittlere Oßeni
DA war zunächst die Sizilianische Vesper, die er über einen Scribeschen
Text für Paris schrieb, mit einem Ricsenballett, das malerisch die vier
Jahreszeiten auf die Beine bringt, vielen Sizilianerien, großen Ensembles,
motivischen Hinweisen, also ganz für die Gefühle der Pariser, aber nicht sehr
402
bedeutend, halb Traviataerinnerung, halb Aidaahnung. Verdi nahm es so
leicht, daß er sich die Ouvertüre, wie der alte Rossini, von einer eigenen Oper
borgte, der Johanna d'Arc, und sie durch eine Arienmelodie mit diesem
Stück zusammennähte.
Dann der Simone Boccanegra mit schönen Gartenmusiken und gutem
sostenuto religiöse, kleinen feinen Chören, reizenden Bonmots, falstaffischen
Miniaturen, und immer mit dem Entschluß, die Dinge schnell wegzutun,
hängen sie auch noch so schwer — eine prächtige Musikverschwendung auf
einen, selbst in der späteren Bearbeitung Boitos unmöglichen Text. Der
späteren musikalischen Renovation entstammt auch das große erste Finale,
das zu den ausgezeichnetsten Stücken Verdis gehört, vpll dramatischer Kraft,
gedrängter Musik, reifsten Stilgefühls und ein prächtiger Fond für die Titel-
rolle, die neben seinem König Philipp oder Mussorgskis Boris Godunow pa-
radieren könnte.
Für Rußland geschrieben und gedacht waren die großen Buffochöre, alle
Grotesken, alle Liederchen, durch die sich La Forza del Destino auszeichnet.
Aber die Oper ist in Italien selbst ungeheuer populär geworden und die Duette
zwischen Don Carlo und Don Alvaro strahlen heut noch in den Stimmen
Carusos und Scottis. Sie sind nicht das beste in der Oper, die, je weiter gegen
Ende, desto weniger selbständig, oder vielleicht weniger revidiert erscheint.
Die kleinen Einfälle, die knappen Stilisierungen, die leichten Würfe, sicher-
lich vielfach Retouchen der Revision, geben den ersten Szenen einen Charak-
ter, der besser ist als der altmodische Ruf dieser Oper. Das Pietamotiv, die
führende Phrase, ist aidasüß.
Don Carlos, die dritte seiner Schilleropern, hat sich wiederum, in der
französischen Welt, für die sie geschrieben, eher behauptet als in der deut-
schen und italienischen. Der Text war sehr lang geraten und Verdi klagte
selbst darüber. In der letzten Bearbeitung hat er den ganzen Schlußakt ge-
strichen, in dem die Erscheinung Karls V. die Zuhörer noch erschauern
machte. Für die Pariser komponierte er viel Kloster and viel Ballett hinein.
In einem Bombenfinalc mit Massenchören, Trauermärschen der zum Feuer-
tod Verurteilten, einem Extraensemble von sechs Deputierten, der über-
raschenden Entwaffnung von Don Carlos und zuguterletzt einer Stimme aus
dem Himmel, arbeitete er den großen Volksszenen der Aida vor, aber das
steht wie ein Schatten vor dem Bilde. Die Musik schwankt durchweg zwi-
schen Schema und Erfindung, Typ und Eigenart. Der späte Stil ist da, aber
das Wasser ist noch seicht. Die Duette Carlos — Posa haben die üblichen
Rhythmen. Der Freiheitsruf Posas vor Philipp wird in ein virtuoses Gesinge
versteckt. Plötzlich wieder tauchen einige Feinheiten auf, die seine reife
403 26*
Hand weisen, ziselierte Ensembles, seelische Offenbarungen, die sinnige Ro-
manze der Elisabeth. Viel hilft die Grazie der Eboli. Sie hat einen neckischen
Canzone del velo, sie hat mit Elisabeth eine reizende, spielende, geistreiche
Szene im Nachtpark mit idyllischem, fernem Chor, mit kurzer, weicher Ly-
rik, sie hat mit Carlos und Posa ein freies, fliegendes Terzett. Aber das größte
Verdienst hat die starke, ernste Gestalt Philipps. Aus den traurigen Gedan-
ken Traviatas ist eine wunderbar klagende Vorhaltrcihe geworden, unter der
eine Melodie kontrapunktiert, über der sein Rezitativ nach Ausdruck ringt.
Es ist seine Soloszene, nicht lang, aber gewaltig. Bald ergeht er sich in engen,
gepreßten Harmonien von Schümannscher Intensität, bald schwingt er
breite königliche Weisen. Dumpfe verminderte Dominantseptakkorde geben
die Farbe des Hintergrundes, vor dem dieser grandiose Monolog sich abhebt.
Der Großinquisitor erscheint und die dumpfe, malerische Tongebung setzt
sich fort, in tiefen Melodien, die das Orchester ergrübelt, heftigen Akkord-
gebärden, weitem Irren der Skala, ein Irren durch die Leere der höfischen
Konvention, ein Menschensuchen, Kirchenmotiv und Ergebung — kein En-
semble mehr, ein Gegeneinander von Kolossen, Wucht und Atem, ein Stück,
so bannend, daß alles Folgende, weil es nichts ist als gut italienisch, dagegen
abfällt. Riesengroß bleibt aus dem Don Carlos dieser König Phihpp in Er-
innerung, den wir in der Figur Schaliapins heut erleben : wie er nachdenklich
wird vor Gewissensqual, sich aufbäumt vor Königsstolz, sich niederwirft vor
Demut, bald mit dem Stock hinter den Geheimnissen herumkriecht, bald
im Ornat zur hieratischen Maske erstarrt, ein Raubtier wird vor der Königin,
vor dem Inquisitor, wie er Menschen und Dinge wirft, daß an seiner Kraft
Verdi die eigene Kraft gesammelt hat.
Maskenball
UNTER allen Opern dieser Übergangszeit ist die reizvollste der Masken-
ball, weil er durch die Delikatesse seiner Arbeit wirkt wie ein Bijou in
alter Fassung, der erklärte Liebling aller Verdifreunde, die die Gelenkigkeit
seiner musikalischen Phantasie schätzen, ohne sich des Standesbewußtseins
alter guter Formen ganz cntschlagen zu können. Es gibt einen verliebten,
aber gutherzigen Fürsten. Es gibt Verschwörer, die dem bewährten Opern-
effekt folgen, ihn auf einem Balle zu ermorden. Es gibt die dramatische Span-
nung einer Szene, in der den Mörder das Los bestimmt. Und das Los zieht
der einstige Freund, der zum Racheariensänger wurde, nachdem er seine Frau
^Is Geliebte des Fürsten entdeckt zu liabcn glaubt. Wahrsagerinnen gibt es,
404
Verdi. Porträt von Boldini
finstere romantische Zauberorte, Pagenscherze, alle Requisiten der alten
Oper sind beisammen. Die Verschwörer fugieren sich untereinander und
kontrapunktieren sich gegen die Anhänger. Duette vereinen den guten
405
Freund und die Frau, und den bösen Mann und die Frau. Ein Terzett
bringt den versteckten Liebhaber mit der Geliebten und der Wahrsagerin
zusammen, ein anderes Mann, Frau und Freund, ohne daß jener sie erkennt.
Ein Quintett und große Ensembles schlagen die ganze Geschichte ineinander.
Im ersten Finale kontrapunktieren sich zwei hymnische Melodien. Äußer-
lich genommen, wie in jeder typischen Oper. Auch in der Gestaltung bleibt
vieles auf dem alten Boden. Richard singt ein rechtes Schmelzliebeslied, das
zum Motiv wird. Der Page beschreibt die Wahrsagerin in Soubrettenmanier
und alle beschließen, zu ihr zu gehen, in einem Tempo, das Auber, beinahe
Offenbach ihnen vortanzt. Die Wahrsagerin entwickelt das ganze Pathos
einer breiten Altstimme und Amelia verachtet keineswegs die Koloratur.
Barkarolen klingen uns an und Spottlieder werden bei jeder Gelegenheit
gesungen. Immer wieder guckt Auber durch, auch Donizetti, wenn das
Liebesduett zur Stretta eilt, auch Aleyerbeer, wenn die Verschwörer
die Noten punktieren. Renate entwickelt einen starken Konservatismus
in seinen Arien und Amelia benutzt seine Wut, um die solenne Gnaden-
arie vorzubringen. Aber was bedeutet dieses alte, immer wieder aufge-
richtete Gerüst gegen die ungeahnt feinen Künste, die hinter ihm getrieben
werden ?
Ein motivisches Geflecht ganz moderner Struktur durchzieht die Oper.
Das Orchester fühlt sich frei zu selbständigen malerischen Schilderungen, wo
Amelia den verwunschenen Platz betritt, wo die Entscheidung durch das
Los vorbereitet wird. Die Bühne erschrickt nicht vor dramatischen Plötz-
lichkeiten, wo Richard der Tod prophezeit wird, wo das Los den Mörder
bestimmt. Der Gesang folgt der Wahrheit der Empfindung mehr als der
Eitelkeit des Virtuosen, wo es ernst wird: Amelias Soloszene mit diesen ge-
drängten melodischen Ausrufen, vom Orchester als Einheit genommen, das
nicht immer noch dem Sänger seine Phrase vorspielt, sondern sie ihm oft zur
freieren Rezitation abhört und unterlegt. Wie von ungefähr fallen feine
Blättchen, zarte Arabesken in das Stimmengewebe, wie Grüße einer belebten
Phantasie. Sie glitzern durch das Liebesduett. Ein entzückendes giebliges
Motiv nimmt hier Besitz von der musikalischen Bewegung, immer wieder-
holt und durchgezogen, schwärmerisch schön in der milden Sehnsucht seiner
Vorhalte, bis ins Terzett mit Renato hinein, ein Liebeslächeln voll Glück
und Angst, das vor schöner Musik vergeht. Die aparte musikalische Formung
tritt bisweilen wie in einem plötzlichen Entschluß hervor: die Wahrsagerin
im Terzett beginnt auf einmal ein wiegendes Dreiachtel, wo sie den Zauber-
ort beschreibt, Richard im Liebesduett hebt eine zarte Melodie in Sechs-
achtel an, selbst der Page auf dem Ball kleidet seine Diskretion in ein lyrisches
406
Dreiachtel, daß man überrascht ist — fände er nicht schnell seinen Auber
wieder. Sogar dieses Tänzerische gewinnt zuletzt seine ganz dehkaten Töne :
die Menuettmasurka, die den Abschied Richards von Amelia mit einer gra-
ziösen Ironie umkleidet, ist von feinen Fingern hingesetzt. Sie klingt, wie es
einer Todestanzmelodie in der Oper zukommt, bis in sein Sterben hinein.
Aber, da er stirbt, ist man erstaunt, den ätherischen Terzen keine erhebliche
Arie folgen zu sehen. Die Stimme versagt ihm auf dem hohen B mitten im
Wort.
Doch nicht so sehr in diesen entzückenden Details liegt die ganze Köst-
lichkeit des Maskenballs, die meisterliche Arbeit der Ensembles ist Genie.
Hier ist es, daß Verdi durch alle gebrauchten Formeln, durch französische
oder italienische Landschaften hindurch bis zur Quelle der musikalischen
Phantasie steigt, Mozart benachbart. Das musikalische Leben an sich fließt
dahin, rein, ursprünglich, himmlisch. Das Terzett des zweiten Akts ist ein
Muster, drei Stimmen erst zu rhythmisieren, dann zu melodisieren, mit dieser
unvergeßHchen Wendung der rollenden Skala. Die Ulrikaszenen im ersten Akt
stehen auf der Linie der edelsten Mozarts und der besten Rossinis. Wie fili-
graniert ist die kleine Episode mit dem Matrosen, wie hüpft der Takt um
die reizende Barkarole, wie gesegnet ist die Erfindung in diesem Terzett,
das sich unter die schöne Gebetsmelodie der Amelia ordnet. Dann wächst
es im Quintett zur großen musikalischen Bindung inhaltlicher Kontraste:
Richards Spottmelodie, die drohenden Sechzehntel der Feinde, der kontu-
rierende Sopran des Pagen, beim zweitenmal die eingesetzte Dominanten-
balanze der Ulrika und eine Auflösung in Akapella. Kontrastwirkung ist auch
das Thema des Spottfinales im zweiten Akt: „ve', la tragedia mutö in com-
media." In Spottlied und Spottchor übermütigster Erfindung ist die Ent-
deckung der Amelia eingeschlossen, aus dem Stelldichein wird eine Ent-
hüllung, aus Freundschaft Rache, aus Attentat Zynismus: die Musik setzt
es gegeneinander, übereinander, führt die Rache wirksam hoch, läßt den
Spott wirksam fernab ziehen. Noch einmal ergibt sich eine ähnliche Kon-
trastsituation im dritten Akt. Der Page bringt in die Verschwörerstimmung
seine operettenlustige Balleinladung: Ball und Tod kontrapunktieren sich
in einem reißenden Wirbelstrom, hinein in die Parole „Morte". Oft hatte
die Musik so gesprochen, aber selten eine solche Sprache.
407
Aida
WIR nahen uns der Aida. Es ist Spätsommer geworden, die Farben schie-
ben sich vor, die Gegenstände scheinen sich zu vereinzeln, der Mutter-
boden ist schon halb vergessen und alles trägt den satten Reichtum seines
Daseins in sich selbst, die aufgenommene Erde, die eingesaugte Luft, dasver-
innerlichte Licht, reif und saftig hängen die Früchte. Das köstliche, flirrende,
zarte, feinverästelte Ensemble des Maskenballs liegt zurück. Regionen der
Erdteile spannen sich. Eine gewaltige Repräsentation wird vorbereitet für
alle Kultur, der der Nil ^''ater war. Man erwartet in Kairo einen heroisch
glänzenden Opernzug, eine Manifestation aller Vituositäten. Was wird die-
ser Verdi geschaffen haben, auf dem das Auge der Welt ruht ? Und sein
Werk erscheint, ohne jede große und pompöse Gebärde, ohne jede Eitelkeit
und Pose — er schüttet die unendlich reiche Ernte aus, die er in diesen Jahren
gesammelt. Die erste wundervolle Ernte seines schönen Herbstes.
Ein Text wird ihm gegeben, wie ihn ein Primaner macht: die Liebe des
ägyptischen Feldherrn zur gefangenen Äthiopin und ihr gemeinsamer Tod,
ohne jede seelische Vertiefung, ohne jede dramatische Doppelseitigkeit, in
einem primitiven Nebeneinander von Szenen. Meyerbeer hätte ein Prunk-
stück daraus gemacht, ihm ist es nicht mehr möglich. Er kann nicht mehr
Rieseneffekte losdonnern, er ist musikalisch zu weise geworden, künstlerisch
zu feinfühlig. Das Nuritalienische genügt ihm längst nicht mehr, das Nur-
französische hat er nie gewollt, das Nurdeutsche wäre ihm fremd und ab-
strakt. Aber überall hat er Kräfte und Säfte gezogen und auch der neuen
nordischen Musik sein Ohr geliehen. Man nannte damals gern jede harmo-
nische Besonderheit oder jede melodische Formlosigkeit Wagnerisme, man
hörte auch hin und wieder, beim Erscheinen des Kriegsboten, beim Beten
der Aida, Lohengrinanklänge. Aber, wenn es wirklich war, war es nur äußer-
lich. Verdi hat das Deutsche viel weniger unmittelbar nachgeahmt als das
Italienische und Französische. Er hatte seine eigene Mischung gefunden, die
nicht so sehr von einem Stil ausging, als von der Quelle seiner musikalischen
Erfindung. Er war ein Weltmann der Musik geworden und ein Herrscher
an Phantasie. Über den törichten Aidatext senkte er, je weniger er drama-
tisch ergiebig war, desto reicher den Segen seiner Töne, und nicht viel früher,
als in Paris Bizet zukunftsfroh die Spieloper zu einem Lebensdokument er-
höhte, verfeinerte er die heroische Oper zu einem geklärten Bekenntnis träch-
tiger Vergangenheit.
Die Melodien der Aida sind ganz aus dem Gesänge erfunden, wenn sie
sich noch sehr der instrumentalen Linie zu nähern scheinen. Das Orchester
408
Verdi an der Gartentür
tritt als Melodieführer durchaus zurück, und selbst
als Fondmaler ist es bescheiden. Die Begleitungen
sind selten klischiert, sie haben einen starken selb-
ständigen Rhythmus und ein eigenes agogisches Le-
ben. Sind sie Füllung, so durchbrechen sie sich gern
in sorgfältiger Arbeit, Flöten, Fagotte, Celli, Brat-
schen ornamentieren in belebtem Relief die Mittel-
stimme. Das ganze Orchester individualisiert sich,
sicherlich nicht ohne nordischen Einfluß, und die
Partitur der Aida ist oft mehr Drama als die Bühne.
Um eine tragisch dunkle Farbe aufzusetzen, dort,
wo im Gerichtsakt Radames vor Amneris tritt, wird
das einzige Mal die Baßklarinette benutzt. Die
Charaktere der Singenden stehen im Ensemble ein-
ander nicht so scharf gegenüber, denn es interessiert
sie viel mehr, wahr zu sein als künstlich. Die Mitte
zwischen Gesang und Orchester, Drarna und Melodie
ist dadurch bewundernswert getroffen. Die Melodie
findet zwischen Schönheit und Ausdruck einen reizenden Weg. Im Drama-
tischen verschmäht der Chor nicht seine kurzen Einwürfe, im Musikalischen
schwelgt er in breiten Weisen. Kurze melodische Phrasen geben einigen
Zeilen einen gedrängten musikalischen Inhalt, ein andermal dehnen sich
Strophen in Lieder aus. Es gibt kein leeres Rezitativ mehr, keine selbst-
süchtige Koloratur, nichts Uniformes, nichts Billiges. Die überlieferte Ge-
lenkigkeit von Dur und Moll wird der Melodie stets zu einem Erlebnis, die
italienische Phrase wird niemals schabionisiert, sie ist auch dort, wo sie ihre
Herkunft bekennt, empfunden und neu geboren.
Motive ziehen sich hinüber, nicht doktrinär, aber doch bewußt, so be-
wußt, wie viele kleine eingestreute Wendungen hier eine motivische Sprache,
einen Vorklang, einen Nachklang bilden. Aida hat das Motiv einer verlore-
nen, süßen Träumerei, die Priester eine diatonische, fugierte Feierlichkeit,
Amneris eine breite, sehnsüchtig gebundene Melodie, die sie sich niemals
ganz zu singen entschließt, sondern immer nur in den Streichern anhört,
und ein Agitatomotiv, das ihre Angst um Radames begleitet und bis in sein
Liebesduett mit Aida seine Schatten wirft.
Das originelle, schwebende Aidamotiv ruft alle Künste der Harmonisie-
rung, die unter seine Klarinettenmelodie sich immer wieder anders ordnen,
enger, weiter, je nach der Situation, mit der ganzen Vielgliedrigkeit, die ihr
Zauber in dieser Oper ist: bis in die aparte Akkordierung der Trompeten-
409
ensemblcs und des prachtvollen Kriegssanges mit seinem Flaggenschluß. Ein
Modulationsschwung herrscht, der das romanische Ohr ebenso anstrengen
wie das deutsche entzücken mußte. Gab einst die Melodie den südlichen
Sinnen alle Form der akustischen Bewegung, so ist jetzt die Harmonie weit
über alle Architektur in ein üppiges Schlinggewächs auseinandergegangen.
Ein Zeichen der Zeit: schon stützt sie nicht immer von unten die Melodie^
schon hängt sie sich von oben an ihr herunter.
Sollte ich ein Beispiel geben für die ganze Reife dieser Kunst, ich würde
die Soloszene der Aida im ersten Akt wählen, die sie mit der Wiederholung
der abklingenden Chorphrase „ritorna vincitor" beginnt, um nach einer
wunderbaren Folge von ausdrucksvollen RezitatlA^en, arienlosen Melodien,
lyrischen Ausbrüchen, ganz Gesang und doch niemals Parade, in jenen trau-
rigsüßen, veratmenden Tönen „pietä del mio soffrir" zu enden, deren Ver-
lassenheit die Celli in einsame Höhe führen.
Sollte ich an einer Stufenleiter ähnlicher Aufgaben zeigen, wie sich diese
Kunst von der Opernparade alten Stils zu einer inneren Wahrhaftigkeit ent-
wickelt hat, ich würde die Duette nennen. Zuerst käme das Duett der un-
glücklich liebenden Amneris mit Radames im Gerichtsakt: es sind wahre
Herrlichkeiten von Melodien, männlich ernste, weiblich hingebungsvolle, die
sie da beide singen, aber man wird nicht übersehen zu bemerken, daß sie sich
am Anfang, so verschieden ihre Stimmung ist, nach guter Sitte darin teilen.
Aida und ihr intriganter Vater Amonasro vermengen sich nicht in ihrem
Duett, setzen Phrase gegen Phrase, in einer unruhigen Dramatik, die freilich
im einzelnen Gebilde noch ein wenig den altmodischen Griffel zeigt. Ganz
neu, rein und zweisprachig ist das Duett der Rivalinnen Aida und Amneris,
von den blühendsten lyrischen, melodiesüßen, harmonietriefenden Zeilen
der Amneris eingeleitet, von der Katastrophe „tu l'ami" auf Kontrabässen
wirksam unterbrochen, dann spannend auf den fernen Kriegschor gesetzt
und, wie in einem Zirkel der Gefühle, von Aida mit derselben einsamen Wen-
dung beschlossen, die ihre Soloszene endigte. Amneris nimmt sich eine leichte
Violinmelodie, Aida eine schwere Bläsermelodie: sie stehen unversöhnlich
gegeneinander, es ist der Abschied des alten italienischen Duetts in diesem
Stück, das aus dem Zwiespalt der Charaktere einen doppelten Wohllaut von
Musik gewinnt. Aber die Liebe vereint die Seelen und die Melodien, und
die gute Sitte wird dann ein wahres Leben. Im ersten Duett von Radames
und Aida schwingt er ein stolzes heldisches Motiv und fügt ein anderes dazu,
auf Trompetenrhythmik, feurig verschmilzt er sie ineinander. Aida setzt ihm
ihre heimatliche Welt entgegen, ein schillerndes Orchester, bunte Harmo-
nien, äthiopische Romantik. In einer neuen Phrase, assai vivo, gärend, über-
410
schäumend, finden sich beide zusammen, um sein Heldenthema in einem
glänzenden Unisono aufzunehmq»i. Und bald klingt ihre Sterbemelodie her-
über, die sie in ihrem zweiten Duett gemeinsam erleben : die alte Form wird
die ewige Form, aber sie ist so wahr, als sie schön ist.
Doch keine Grammatik oder Syntax erklärt diese neue Sprache. Im
Kampfe mit der Grobheit des Historizismus in der Oper wurde sie fein, im
Reichtum der göttlichen Phantasie wurde sie klingend. Wie dieser zarte
Schluß eine Große Oper ins Ätherische auflöste, so leitete sie statt einer
Kavalkade des Orchesters das lieblich verschämte Vorspiel ein, das ein sil-
bernes Gedicht aus drei Motiven formt. Statt mit einer Soldatesken Protzerei
tritt Radames mit einem Liebeslied vor den Hörer „Celeste Aida", deren F
aus Trompeten über Holzbläser in Violinen leuchtend übrig bleibt, um eine
schwärmerische Melodie, von tiefen Flöten gefärbt, von Solostreichern über-
zittert, in weiches B-Dur zu leiten. Weiche Töne und farbige Töne! Der
seltene Fall tritt ein, daß ein Italiener exotischen Kolorismus in Instrument
und Gesang verwendet, um die Reflexe der Landschaft zu verfeinern. Der
Nil glitzert in den Flageoletten der Celli, vom Funkeln der Streicher umspielt,
\ on Flöten vergoldet, und ferne Stimmen schwanken zwischen den Tonarten
um ein mystisches G. Oboen singen bunte Vogellieder aus Äthiopien und in
wunderlichen Gängen verliert sich Aidas Stimme, dunkeläugig im Zaubcr-
wald schwerer Tongehänge und zitternder Spiegelungen. Rote Schatten lie-
gen über der Tempelszene. Der Gesang der Priesterinnen brütet in chroma-
tischer Enge von kühnstem, ethnologischem Schnitt, die Priester setzen
dumpfe erzene Akkorde darunter, ein Tanz schleicht im Atem der Bläser,
die seltsame Reigen mit fremdgeborenen Streichern schlingen, ein Gebet,
in fugierter Staffelung, erhebt sich auf Posaunenachteln, die die Quinten
nicht scheuen, und sein Feuer wächst und leuchtet hoch über die roten
Schatten, in einem grellen Es-Dur-Akkord zum Himmel schlagend.
Diese Tempelszene ist eines der gewaltigen Ensembles, die die prunkenden
Säulen dieser Oper sind neben den vielen kleineren pezzi d'assieme, fünf Szenen-
ensembles, aber nicht so sehr Prunk, als wundervollste musikalische Kunst,
nicht so sehr Säulen, als Fruchtbäume von erquickender Fülle. Das Repräsen-
tative wird nicht geleugnet, aber die Kunst nimmt es auf ihr ganzes Gewissen.
Der Tempelszene in ihrer Dumpfheit entspricht am Schluß die Tempel-
szene des süßesten Opfertodes. Dem Frauenchor am Hofe des Amneris ent-
spricht der Männerchor des Gerichts. Und in der Mitte steht das gewaltige
zweite Finale.
Der Amnerisfrauenchor, reizend zweigespalten, ist ganz auf feine Modu-
lation und liebenswürdige Silhouette gestellt. Die wiederholten innig-schö-
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nen Sequenzenrufe der liebenden Königstochter unterbrechen ihn. Ein
Mohrentanz von prickelnd leichtfüßiger Hurmonisation ist eingeschoben.
Die Gerichtsszene, von Kontrabässen mit Posaunenstößen eingeleitet, be-
wegt sich in psalmodischen, hieratisch erstarrten Unisoni und Soli. Die ton-
lose große Trommel malt das Schweigen des Verklagten. Amneris bricht wie-
der in eine dreimal wiederholte Phrase aus, jedesmal um einen Halbton ge-
hoben.
Das große Festfinale, mit mehrfachen Chören, mit starker Bühnenmusik,
kann man in seiner Anlage zeichnen wie einen Grundriß : königliches Thema i ,
lyrisches Thema 2, die Priesterfuge 3, der Fanfarenaufzug 4, das farbige Bal-
lett 5. Es kombinieren sich i und 3, um zu 2 in ff zu führen +3+5- Epi-
soden der Handlung: das Amnerismotiv, Violinen unter Pickelakkorden, über
durchbrochenen Klarinetten; es ist die Krönung des Radames. Die Gefange-
nen kommen unter Motiv 3. Die kleine dramatische Szene des demütigen
Amonasro schließt und führt über. Es entwickelt sich das zentrale Ensemble
in F. Thema i beginnt von vorn. Eine letzte endesfrohe Weise setzt sich an.
Thema 3 nimmt sich wieder auf und führt über eine Stretta zum Orchester-
schluß in Thema 4. Das ist der Grundriß, gerade und klar wie ein Verwal-
tungsgebäude. Aber, was da verwaltet wird, wer kann es in Worte fassen,
diese Ernte reifster Phantasie, diese bogenweiten Rhythmen, entzückenden
Arabesken, melodischen Girlanden, harmonischen Traubengehänge, diese
edle Pracht des Orchesters und aller musikglücklichen Stimmen, den Geist-
reichtum der enharmonischen Fanfarengruppen in as und h, die schwere
Süße des F-Dur-Gesanges. Es blieb das grandioseste Finale aller italienischen
Musik, und dennoch das beste.
Die Posaunen, die Trompeten haben sich aus dem Orchester entfernt.
Eine selige verklärte Ruhe ist übrig. Aida tritt zu Radames in das Gefängnis
in todesergebener, monotoner Rezitation über dunklen Schlägen der großen
Trommel mit tiefen Klarinetten. Ihr Gefühl hebt sich, von Flöten begleitet,
bald von Streichern versüßt. Ein Tänzerisches geht durch die Luft, mit
Bläsern zu Radames' Gesang, mit Streichern zu Aida, kindliche Engclreigcn
im Himmel, den sie erwarten. Der irdische brütende Tempelchor mischt
sich noch einmal hinein. Da führt sie das Flageolett in das überirdische Ges-
Dur, in dem sie jene Melodie finden, die sie weit, weit über jede Erinnerung
ihrer Heimat in ungeahnte, neuerschaute Gefilde der Musik trägt: sie ent-
zücken sich in ihr aneinander, feiner und leichter schwingen die Flügel der
Streicher, der schwärende Duft des Tempelgesanges bleibt zurück, vier Violi-
nen, zärtlich umschlungen, schweben ihrem Andenken nach und alles schließt
in einem pppp, das der wahre Triumph dieser heroischen Oper ist.
412
Othello
UND wieder kommen wir auf einen Übergang : der heißt Othello. Diesmal
hatte er endlich einen würdigen Librettisten gefunden, Boito, den ge-
bildeten Dichter, Selbstmusiker, Wagnerianer, der ihm unter möglichster
Schonung des Originals eine wichtige textliche Disposition gab: kurze,
wirksame Szenen, Empfindungen, Worte. Durch ihn, mit ihm wächst auch
in der Musik das Charaktergefühl des Dramas. Altitalien wird verachtet,
aber ein neues Reich wird noch nicht endgültig erobert. Atavistisches und
Reformatorisches mischt sich, es kann sich immer wieder mischen in dauern-
der Entwicklung, auch die neue Aida kann alt werden, und Falstaff ist noch
ungeboren. Wohl ergibt sich daraus stellenweise eine gewisse Farblosigkeit,
aber doch wieder ein großer Reiz für die feineren Beobachter wahrhaft
künstlerischer Verlegenheiten. Da ist einer, der sich seiner Jugend erinnert,
aber nicht alt werden will, ein alter Mann mit modernem Herzen, der sehn-
süchtig mit seinen Figuren leben will. Die kühle Ehrlichkeit und bunt-
gemischte Ausmalung, das Süß-Herbe und wieder das stark Koloristische,
das zwischen Bühne und Orchester schwebt, diese wunderreiche Mitte zwischen
•Genieren und Bekennen gibt dem Othello sein Gepräge. Aber alles ist Quali-
tät, und diese macht das Niveau.
Der Rossinische Othello galt einst für den Zerstörer des überlieferten
alten Sekkorezitativs. Der Verdische kann für den Zerstörer der Arie gelten.
Große dramatische Momente, wie Cassios Demission, gehen vorüber ohne
jede typische Arienbildung. Es gibt keine regelrechte Arie mehr, es gibt
Arienanfänge, Arienmotive, Liederteile, melodische Stilisierungen, und neben
dem freien, ausströmenden Rezitativ steht, bewußt kultiviert, die kurze
eindringliche Phrase, die zur Melodie führt, weil sie die Bedeutung eines
wesentlichen Inhaltes unterstreicht wie eine Devise. Die Melodie ist nicht
mehr Mutter, sie wird Kind, man sieht sie entstehen und wachsen. In
diesem Sinne wird das Duett Othello-Jago, das erste Duett vor dem Garten-
chor, eine Neugeburt des Akkompagnato: es hat das Arienhafte durch die
ungeheure Intensität seines Ausdrucks in das Rezitativische eingesaugt.
Alles Intensive wächst, der Rhythmus, der Akkord. Jago setzt kühn sein No,
das er a part spricht, plötzlich auf die Spitze des übermäßigen Dreiklangs.
Die parallele Schärfe der Harmonien wird Formel, nicht bloß der bequemen
Sexten, auch entzückter Septimen, auch eiserner Dur -Akkorde in diato-
nischer Folge. Das Orchester ist regsam beteiligt. Bald streut es so reizvolle
Arabesken in den Dialog, wie im Duett Jago-Cassio, bald wiederholt es
malende Figuren, auch auf Kosten der Melodie, von Tuttiakzenten zusam-
- mengefaßt oder ornamentiert in Vorhaltketten, in Aklcordbrechungcn,
immer paßt es auf, deutet, rahmt, verengt, verbreitert, und- mit Vorliebe
schon pflegt es jene, für den alten Verdi so charakteristische Interpunktation,
die die Bühne durch ein leichtes Komma, einen erwartungsvollen Doppel-
punkt, ein nachdrückliches Ausrufungszeichen, ein bedenkliches Frage-
zeichen, motivische Anführungsstriche, schnellgefaßte Schlußpunkte vor-
trefflich skandiert.
Es gibt Stücke, in denen das Neuland unbedingtes Bekenntnis wird.
Der Chor um das Feuer ist ganz Naturalismus, sprühend in Stimmen, zün-
gelnd im Melodischen. Das Trinkensemble ist schon fast Impressionismus,
in schlürfender Chromatik, wankenden Großterzen, schiebenden Beglei-
tungen, lallenden Schlüssen, Vergessen und Karikieren der eigenen Melodie
in der trunkenen Mischung ineinanderstürzender Stimmen. Von den
Soloszenen ragt Jagos Credo hervor, ein wenig theatralisch freilich in seiner
Dämonie, aber großartig in der infernalischen Anlage. Wogegen Othellos
solistischer Schmerz auf ein so feines, wunderbar traurig verschlungenes,
vom Zucken eines Herzens rhythmisiertes Motiv gesetzt ist, daß die Ader
des Werks sich hier zu öffnen scheint.
Es gibt andere Stücke, die von einer inneren Quelle ausgehen, aber
schließlich doch in den bewährten Bassins der alten Formen sich sammeln.
*
So mündet der Gewitterchor, der die Oper beginnt, nach einer wilden
naturalistischen Revolution in wohlgesetzte formale Ensembles. So läuft
das Terzett Othello-Jago-Cassio, das den Spott neben die Trauer setzen will,
in den typischen Buffonismus ein. So einigen sich Othello und Jago, nach-
dem jener seine Eifersucht aus den Klammern einer Arie und dieser seine
Intrige aus den Versuchungen der schönen Erzählung von Cassios Traum
befreit hat, in den alten guten Rachetriolen, die, solange sie Verdi schrieb,
seine Aktschlüsse mit vollkommener Sicherheit über die Rampe brachten.
Und wieder gibt es Stücke, in denen er sich nicht entschließen kann ;
die Schablone verabscheut und doch seine Kunst wahren will, zugleich
delikat und ehrlich sein möchte. Es sind die schwierigen Ensembles um die
Eifersucht. Dort, w-o sie Jceimt, im zweiten Akt, ergibt es bei aller Schönheit
und Wahrheit eine schüchterne Blässe. Dort, wo sie ausbricht, im dritten
Finale, ergibt es eine fatale Unsicherheit, Verdimelismen, die man nicht
vergessen kann, und doch wieder ihre verschämte Zurücknahme, neue Ver-
suche, Selbstrcvisionen, ein immer wieder Anfangen, Zuflucht in die ab-
solute Schönheit, Gewissensbisse der Wahrheit, Angst vor dem Papier, schnelle
Siegelung — eine Folge schwankender Gestalten, die ihren Boden unter den
Füßen verlieren.
414
Der Rest sind die Stücke, die auf verwirrend neue Forderungen ver-
zichten, um das Gewohnte und Zugängliche zu veredeln. Außer dem
lieblichen Gartenchor, der eine belebte Barkarole ist, in seiner Umrahmung
von feinsten Orchesterspielen, sind es die Szenen zwischen Othello und
Desdemona. Ihre erste Liebesszene, auf weichen Harmonien, bis zum
sechsfachen Piano, durch schlagende Sechzehntel, süße Septimenfolgen,
Tremolo und Harfenklang, wollüstige Vorhaltschlüsse, ergeht sich auf all-
gemeinem grünen Rasen, bisweilen von einer atmenden Verdiphrase gehoben,
auslaufend in das schmeichelnde Kußmotiv, das dem französischen Senti-
ment huldigt. Das zweite Duett schillert in einer prachtvollen stolzen Melodie,
die hinter ihrer ritterlichen Ergebenheit schwer ihre Ironie verbirgt, und
findet sich durch Neo-Donizettismen, Verdi-Ekstasen, Piangivorhalte auf
manche freie Höhe. Das dritte ist die Sterbeszene, in tiefe Stimmung ge-
taucht, wie alle Sterbeszenen der vierten Opernakte. In alte Träume ver-
loren, erklingt die schwermütige Kanzone. Noch einmal schreit eine kurze
Verdiphrase nach dem Leben. Noch einmal versucht das Gebetslied ein
altes Dakapo. Othello tritt ein und das Orchester, in den Soli der Kontra-
bässe drohend, in Motiven mahnend, nimmt ihm die Sprache ab. Es leiht
ihm den Rhythmus für sein letztes Duett: noch einmal ein Hängen an
Melodie, noch einmal eine Imitation der Stimmen. Sie ist nicht mehr.
Ein schnelles Drama. Er tötet sich, unter der Ironie der Motive, in der,
ganzen Rührung guter französischer Lyrik.
Falstaff
DAS Ende ist der Falstaff. Ein Ende im Geiste, der alle irdischen Ver-
suchungen überwunden hat. Nicht ein Versinken in die Tiefen der Senti-
mentalität oder Religiosität, sondern ein Hinaufführen in die freudige Höhe,
in die Höhe, da man dankbar auf sein Leben zurückblickt und von ihm ge-
nesen ist zu jener großen Weisheit, die Humor heißt. Der Herbst neigt zum
Winter, alles wird fein, klein, kühl, alles wird Gehirn und Anschauung, Be-
haglichkeit der Erinnerung, Schellenklingen und Gelächter am Kamin.
Die Augen leuchten, der Witz sprüht und das Herz bleibt ruhig. Welche
innere Güte gehört zu dieser Leidenschaftslosigkeit, welcher ausgeglichene
Ernst zu diesem Humor. Das ist ein Werk, das ihn wirklich besitzt, diesen
viel beredeten Humor, den tausend andere um ihn herum durch Springen
und Grinsen zu erreichen suchen. Es sucht ihn nicht, es hat ihn; es doziert
ihn nicht, sondern es gibt ihn zu. Es nimmt sich selbst lustig und befreit
ohne Widerstand alle Sentiments. Es ist ein Wiederaufleben des alten Buffo-
tums aus dem Intellekt des modernen Menschen. Nicolai war mit dem-
selben Stoff aus dem Buffotum ins Romantische gesunken, Verdi steigt aus
jeder Romantik in das Buffotum. Boito hatte ihm den Text sehr glücklich
zurechtgemacht. Er scheidet die Verkleidungsszene aus und beschränkt
sich auf den Waschkorb. Er setzt die Paraphrase auf die Ehre aus Heinrich IV.
in die lustigen Weiber ein. Alles war knapp und spritzig. Der Übermut
Shakespearescher Worte blieb nackt, für leichte Hüllen der Musik. Und es
wurde so neu, durchsichtig, spielend, verwegen und voll letzten Geistes,
daß es niemals dem PubHkum sonderlich gefallen hat und überall die Kenner
zu einem Entzücken ohnegleichen führte.
Fenton und Nannetta, ein gleichgültiges Paar, lieben sich. Das wird die
Materie, das sogenannte Substanzielle. Ihre Liebe sitzt zuerst in den En-
sembles drin, als wolle sie Form bilden. Ein schönes wiegendes Liebes-
duett in "^rei Viertel mit schönen verklingenden Liebesrufen. Es kommt
zweimal, von der Intrigenspielerei unterbrochen, zweimal ganz naiv, plötz-
lich, wie numeriert. Es steht zwischen den mehr getrennten Ensembles
der Weiber und der Männer und dem gemeinsamen Ensemble, wo sie ihre
Motive durcheinanderwerfen. Vor dem ersten Ensemble kommt die Lek-
türe des Falstaffbriefes, nach dem letzten spielt sie noch einmal an. Also
Symmetrie wie in einer richtigen alten Oper. Formbildung, Architektur,
Grundriß. Diese Liebe ist wahr, jene Liebe ist simuliert, die dritte Liebe
ist angezweifelt, Kontraste und Reflexe. Nannetta teilt sich in die echte
und in die gespielte Liebe. Fenton im großen Nonett hat als mittelste aller
hüpfenden Stimmen eine breite Kantilene. Es ist, als ob er die Angel dieser
Tür wäre, die nach beiden Seiten schlägt.
Die Liebe hat versucht. Form zu machen, jetzt versucht sie, Handlung
zu machen. Sie steckt hinter dem Wandschirm, während die wütenden
Jäger auf Falstaff glauben, er stecke dahinter. Sie singt dort wundervolle
Dreiviertels, und im Ensemble zieht sie Konturen. Dann fällt der Schirm,
sie ist entdeckt, und mit ihrer Handlung ist es auch zu Ende.
So begnügt sie sich mit dem Rahmen. Sic leitet die Waldszene ein, gar
süß in Schlüssen, und sie schließt sie selbst noch süßer auf die Rhythmen
eines mozartlichen Menuetts, das die Hochzeit aller Gemüter verkündet.
Sie hat getan, was sie konnte, ohne zu ahnen, daß sie nichts sollte als einen
Grund bilden für alles Negative, Materienlose, Geistesflügge, das die Freude
des Alters ist. Arme, schöne Liebe. Ist es die letzte kühle Erinnerung des
Lebens? Der letzte Gruß? Form, Handlung, Stimmung ist sie gewesen,
und nun danken wir ihr.
416
Nun erhebt sich die Schar der Geister, nun beginnt das große Drama
des Narrentums, das im Fluge vergnügter Stimmen, solistischer Instrumente
vorüberrauscht, aller Pierrotkünste, die jemals eine Oboe zwangen, Trom-
pete zu sein, eine große Trommel, Baß zu singen, eine Violine, Koloraturen
zu machen, ein Cello, Tränen zu weinen, eine Pickelflöte, sich die Mütze
vom Kopf zu schleudern, Weiber, aus Liebe ihrelVIänner zu betrügen, Männer,
aus Eifersucht ihre Weiber zu küssen, Spitzbuben, zu Märtyrern zu werden
und Ritter zu Opernsängern. Viertelpause, zwei, rutsch, schlag, schlag —
welche köstliche Wut des Dottore Cajus, der das alles noch nicht einmal
weiß : die Dieberei con decoro in vier mystisch aufsteigenden Vierteln, den
falschgesungenen Kanon auf das Amen, die leuchtende Nasen-Weise, das
ritterliche Blähen oder das Bauchmotiv im Zickzack eines Themas, das durch
die ganze Breite des Orchesters getrennt ist. Enorme Falstaff! Lachst
du über diese alten Verdivorhalte, die uns dauernd versichern, daß sie Liebe
bedeuten, erfindest du Verführungsmelodien, jugendliche Skalenläufe —
ha, deine Ehre : Pfiff, Bums. Du bringst die Schurken schon auf ihre Etüden-
beine. Und Weibertriolen, Männerachtel schwirren daher und Liebes-
phrasen a la Verdi werden persifliert, Emphasen en miniature, Zittoflüstern
en miniature, Akkordgurgeln, Melodienschlenkern, Tonpicken, die Ironie
des Galanten, die Thematik des Nasenstübers: eine neunstimmige Buffo-
verschwörung gegen sich, gegen ihn, gegen die Liebe, die man nicht glaubt,
auslacht, zur Oper machen will, zur ernsten, die komisch ist, zur komischen,
die ernst ist. Reverenza! Motiv. Povera donna! Motiv. Dalle due alle
tre! Motiv. Hopp, hopp, geht der Takt. Melodien tun, als ob sie wären.
Das Orchester macht Echo. Passagen laufen aus, als ob sie gejagt würden.
Rezitative lassen sich von bewußter Dummheit begleiten. Va, vecchio
John, es will ein Marsch werden, ein lendenlahmer Marsch, da Sir John
auf die Freite geht. Und Ford kommt zu ihm, als Fontana musizierend:
verstellte Punktierung von Verlegenheiten, der sacco di monete als Kette
von Vorschlägen, Beteuerungen von Sequenzen, als liebe er, wie Verdi
einst hat lieben lassen. Es ist ein Getue von simulierter Musik, Liedchen-
trällerei, die man zitiert, Arien, die man nicht fertig kriegt, Begleitungen,
die weiter dudeln, wenn sie längst erledigt sind, Koloraturen und Imitationen,
die aller Vernunft spotten, süffige Triller auf das herausfordernde Wort
Ochse und eine stolze Themenbildung auf das Aufsetzen der Hörner. Falstaff
faucht in rigolettesken Triolen, Ford wütet in einer Othellonischen Bravour,
sie stampfen und wiederholen die Worte, als ob sie eine Oper zu singen
hätten. Falstaff ist zum Rendezvous gekleidet, Gavöttchen, Schleifchen,
Bänderchen und viel Handbewegung der Musik, einladende, keine warnende,
417 27
nicht einmal eine schnippende, denn sie würde sich lieber die Flöte zerbeißen,
als daß sie verriete, ein angeführter Mann wolle hier, um die Treue seiner
Frau zu prüfen, einen angeführten \'erführer verführen, sie zu brechen.
Sie kompromittiert nicht den Mann, nicht den Galan, nicht sich selbst.
Komödie bis in die viergestrichene Oktave! Alle feierlichen Unisoni sind
lächelndes Einverständnis, alle Apotheosen ein Stimmenkarneval der lustigen
Weiber, alle Gitarrenständchen Verlegenheiten der Liebhaber, alle Buffo-
couplets falsche Vorspiegelungen einstiger Pagenallegros con brio, und alle
Stöße, Sprünge, Pizzikati, Stakkati der Sechzehntel die gespenstische Jagd-
musik für das edle Wild, das im Waschkorb seiner Erlösung harrt. La demenza
trillante! O ihr Götter aller alten Mythologien, nehmt mich in euer letztes
Narrenfest auf. Ich will Liebesarien, Rachearien, Gebetarien, Gnadenarien
singen, wie in alter Zeit, um auch meine Erlösung zu finden. Horcht, was
ist da — Lachfontänen, Festsignalchen, Tanzrhythmen, Septimen unerlöste!
Mit einem romantischen Schauermotiv tritt er in den Wald von Windsor.
Auf zwölf romantischen Harmonien schlägt das F der Mitternachtsglocke.
Gloria, amore, Vendetta! Welcher schöne Operntrubel, welcher Ensemble-
komment, alle Galanterien der Form, aller Schwatz von Figuren, alle Kom-
plimente von Dakapoliedern, Blößen von Sekunden, Attitüden von Vorhal-
ten, Pariser Höllenfeste, wienerische Schmeicheleien tanzender Elfen: o,
sono le fate? chile guarda e morto. Nicht sterben, nicht sterben. Jetzt
endlich erkenne ich euch, ich bitte um Schonung, ohne Arie, ohne Kadenz,
ohne Kolo ihr seid ja Menschen, laßt uns leben, erlösen wir uns, reißen
wir uns die Masken herunter, seien wir fröhlich und guter Dinge, und um
dieser Wahrheit dieselbe Ehre zu geben wie unserer vortrefflichen alten
musikalischen Schule, verbindet zum Schluß ■ ein Zukünftiges mit einem
Vergangenen, singt eine große, richtige, feierlich-unfeierliche Ensemble-
fuge auf den Inhalt „Tutto in mondo e burla". Und Verdi singt eine Stimme
mit: ride ben, chi ride la risata final.
Das Erbe
DAS Werk Verdis ist der Abschied vom alten Italien. Er begann als einer
der vielen und endigte als einer der wenigen. Eine ungeheure Entwick-
lung liegt in seinen Opern beschlossen, so groß, wie sie kein zweiter erlebt
hat. Alles Abenteuernde, was der alte italienische Komponist in der Zu-
fälligkeit seiner Arbeiten, in ihrem Leichtsinn, ihrer Laune geliebt hat, über-
windet er durch eine außerordentliche Pflege seiner Begabung und durch
einsichtige Wandlung innerhalb der Zeitströmungen. Niemand hat sonst
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so viele Stufen erklettert, so viele Übergangsstufen. Auch er ist von Auf-
trägen, von Konstellationen abhängig, er sucht die Musik zwischen seinen
Aufgaben, nicht die Aufgaben zwischen seiner Musik, aber je älter er wird,
desto mehr ist er ein gewissenhafter Hüter des offenen Quells, der ihm in
seiner Erfindung fließt. Darin ist er die Vollendung Mozarts, einer ähn-
lichen Natur, die nicht mehr die Zeit und auch nicht die Epoche gehabt
hatte, sich auszuleben. Niemals hätte Rossini diese Zucht besessen, niemals
Meyerbeer diese Ehrlichkeit.
Ist die Oper in der Theorie ein unlösbares Paradoxon, so ist sie in dem
Werke ein lebendiger Organismus letzter künstlerischer Kräfte, an dem
Rasse und Persönlichkeit arbeiten. Zur Zeit der hohen Wagnerflut war
es wohl schwierig, die Augen für eine Kunstgattung offen zu halten, in der
das romanische Temperament bei aller Verfeinerung nicht einen Zoll breit
von seinen Forderungen gewichen ist. Heut sind wir schon wieder so weit,
die Melodien der Traviata, das Rigolettoquartctt, den zierlichen Archais-
mus des Maskenballs, die bunten Harmonien der Aida als eine Einheit zu
fassen, die eigen Gewächs ist, gut in seiner Art, weil es stark ist und rein.
Hier drängt sich freilich keine Subjektivität auf, hier ist alles schöne, sinn-
liche Musik geworden, führender Gesang und rücksichtsvolles Orchester,
eine freie und sich genügende Musik, die die Dinge nur braucht, um an
ihnen ihre Herrlichkeit zu entfalten. Sie ist nicht eifersüchtig auf den Ge-
danken und leidet dadurch nicht am Material, sie hat ihr Ziel in sich selbst,
und schafft sie ein Musikbild, das der Phantasie mindestens so wie dem
Gewissen huldigt, hat sie ihr Werk getan. Vielleicht erreicht sie durcli
diese dauernden Vermittlungen von Phantasie und Gewissen, Gesang und
Instrument, Bühne und absoluter Schönheit niemals das ganz Endgültige,,
wie auch Mozart niemals das ganz Letzte hinstellen konnte, aber sie setzt
in ihrer Gesamtheit eine Kultur ab, in der der Zauber der südlichen Freude
an der Musik durch die Jahreszeiten der Erde unvermindert fortwirken wird
— offenbart durch das Genie, das alle Fragen erledigt.
Besonders in unseren Tagen, da wir so oft in der Gefahr sind, in der
symphonischen Flut der Opern kunst fortgeschwemmt zu werden und zu
ertrinken, wird diese Kultur eine Erziehung und Stärkung wankender Be-
griffe bleiben müssen. Hier ist einer, der in stiller Kraft seine Kunst zu
nichts anderem machte als dem äußeren Spiegel seiner Vorstellungswelten.
Hier ist einer, der ohne Experiment die scharfen Befehle seiner Technik
verstand und befolgte, knappe Szenen, unermüdHch belebte Rhythmik,,
ein seelenvolles Melos und Charaktere, die nicht nur durch irgendeine Mytho-
logie gehalten werden, welche sie zu vertreten haben, sondern plastische
419 27"
Gebilde von Rollen geworden sind, die ihre Bühnenexistenz sichern. Die
Opernkunst, die eine Konvention ist, entfernt sich in solchen Naturen,
in denen Einbildungskraft und Wirkungswille konvergieren, niemals un-
vermittelt von der Tradition. Sie macht weder die Moden der Vergangen-
heiten sinnlos nach, noch kokettiert sie verständnislos mit den Moden
der Zukunft. Sie ist von der Notwendigkeit, auch der historischen Not-
wendigkeit des baulichen Stils viel zu sehr überzeugt, um die Prinzipien
der Musik jemals ganz der Gerechtigkeit der Psychologie zu opfern, bis in
die geistreich lächelnde Ironie der alten Formen im Falstaff. Das ist das
Erbe Verdis.
420
IVAGNER
Die Paradoxie als Erlebnis
WAGNER ist die Paradoxie der Oper als Erlebnis.
Ein grausames Schicksal hatte alle Elemente dieser Kunstgattung in
ihm gehäuft, in ihm als einer einzigen Person. Er war Musiker und dichtete,
ein rechtes Theaterblut und doch eine symphonische Natur, er dirigierte .
leidenschaftlich und hatte das Gewissen reinster Deklamation, er prüfte
die Bühne auf ihre peinlichsten malerischen, mimischen, szenischen Stil-
gesetze und fühlte sich als Erzieher eines vergnügungssüchtigen Publikums,
zu guter Letzt hat er noch erheblich theoretisch über dies alles nachgedacht,
philosophiert und geschrieben. Daß der Ton mit dem Wort, Gesang und
Orchester, Aufführung und Publikum und alles mit der Theorie in der Oper
sich streitet, war ihr Wesen. Aber daß dies alles in den Begabungen eines
einzigen Menschen vereinigt war, mußte Explosionen machen, Riesen-
kräfte entwickeln, und während der Mund nach dem Gesamtkunstwerk
schreit, in allen Feuern der Leidenschaften dieser einzelnen Elemente auf-
flammen.
Die Oper hatte alles nach seiner Art herausgebracht, das Klassizistische
und das Buffoneskc, die französische Komik und die deutsche Romantik,
die historische Pracht und die nationale Exotik. Sie hatte den Fidelio er-
lebt, der ein fragmentarischer Koloß blieb zwischen ihren Konflikten. Sie
hatte Verdi aufblühen lassen als letzte Kultur südländischer Form. Jetzt
schuf sie gleichzeitig diesen Wagner, den Deutschen, inmitten aller dieser
ihrer Probleme und Arten, und was sie im Fidelio getrennt sah, legte sie hier
zu einem furchtbaren grandiosen Spiel der Kräfte zusammen in dem letzten
Romantiker, in einem Nordländer voller Gefühle und Gedanken, in einer
zehnfach begabten Genialität. Sie war gewohnt gewesen, irgend etwas
an sich leicht zu nehmen, und so war es gegangen. Hier nahm sie endlich
einmal alles ernst, pflanzte unbarmherzig alle Keime in diese eine Seele und
machte ihren Auserwählten wunderbar unglücklich.
Er hätte können Opern dichten und komponieren und dirigieren und
wäre ein tieferer Lortzing geblieben. Er hätte können Symphonien machen,
die Regie reformieren, Erziehungsschriften verfassen oder gar ein Ästhetiker
421
werden — es wäre ein Teil seines Wesens ausgewachsen und manche Zu-
friedenheit über ihn gekommefi. Aber er sollte die Rache der ganzen Oper
an sich selbst erleben, und mußte sich am Unglück berauschen.
Sein Schreibstil ist ein Spiegel dieses zerquälten Inneren, das Sinnlich-
keit und Denken in ein kontrapunktisches Geflecht zu bringen sucht. Seine
Briefe sind die blutigsten, die je ein Künstler sich abgerungen, zerwühlt
in Illusionen, Kämpfen und Hoffnungen. Seine Autobiographie ist der kühle
Versuch, dies Leben auf eine klingende Partitur zu bringen, das aus der
einen Überwindung der anderen Überwindung besteht, um sich in eine
künstliche Monumentalität zu flüchten, deren Weihrauchduft noch um die
Stätte seines Wirkens schwebt.
In diesem Schädel war durch Schicksals Macht ein Krieg der Künste
auszufechten. Ein träumerisches Auge, ein pastorales Missionsgefühl, ein
energischer Wirkungswille arbeiten am Grund und Bau dieses Werkes:
durch und durch Charakter, bis zur Grobheit, bis zur Unausstehlichkeit.
Er ist historisch geworden. Wir brauchen ihm nicht mehr als Jünglinge
um den Hals zu fallen, die Rührung über seine Größe auszuweinen. Wir
brauchen nicht mehr sein Pathos des Gesamtkunstwerks in Ton und Ge-
bärde nachzubilden, den Schöpfer des deutschen Dramas, den Erlöser der
Künste, den Messias des Theaters in ihm zu preisen. Alle winselnden Bio-
graphien, alle orphischen Deutungen, alle exegetischen Kriechereien liegen
hinter uns, selbst alle Shawschen Zynismen. Wir nehmen ihn als etwas viel
Größeres, als das titanische Opfer des Opernschicksals an die Musik. Wer
über ihn noch redet, ohne seine Musik im Herzen tragen, ohne die un-
begrenzte Genialität seiner musikalischen Phantasie schätzen zu können,
redet über ein Postament ohne Statue. Der widerwillige Sieg der Musik
ist sein Leben. Er spricht von allem andern mehr als von ihr. Wir sprechen
von ihr mehr als von allem andern. Er führte tausend Geister mit sich
im Kreise herum, nun ist es Zeit, diese Spirale zu schließen und ihn im
großen und im ganzen zu nehmen. Die Paradoxie der Oper wird in Wagner
Erlebnis. Das ist das Wesentliche, das ist der Sinn der Geschichte. Und
während er diesen Streit der Künste durch eine geschriebene Theorie zu
schlichten sucht, rettet ihn die Musik, seine gütige Herrin, die einzige, die
es ganz ehrlich mit ihm meinte, in eine Unsterblichkeit, die über alle ästhe-
tischen Konflikte erhaben ist.
422
G
Leben
LUCKS Leben ist ein klassischer Bau der Vorsehung, Mozart ein frohes
Spiel zwischen Gelegenheiten, Auber ein häuslicher Fleiß, Rossini ein
savoir vivre, Meyerbeer ein System der Erfolge, Bizet ein Erwachen vor dem
Tode, Weber eine unentschlossene Heimatlosigkeit, Verdi eine Ökonomie
zeitlicher Kräfte, Wagners Leben ist ein Schrei, eine Kette von Not und
Elend, ein tief gefurchter Acker für eine späte Ernte. Oft ist es erzählt
worden, für Gläubige und Philologen, große und kleine Kinder. Wir aber
verstehen seine Stürme aus dem Krieg seines Innern, aus der Unruhe seiner
Seelenklimata und dem explosiven Drang der Berufe, die sich in ihm stießen.
Dieselbe Not, die im Ringen der Energien seine Werke schmiedete, hämmerte
ihm die Kurven seines Lebens, und beides ist nur der verschiedene Ausdruck
derselben Grausamkeit. Diese siebzig Jahre, vom 22. Mai 181 3 am Brühl
bis zum 13. Februar 1883 im Palazzo Vendramin, sind eine konsequente
Folge von Erderschütterungen und Ansiedlungsversuchen, die den Stößen
und den Ausgleichen eines dauernden Dilemmas in seinem Temperament
entsprechen.
Er beginnt dichtend, im Shakespearestil, aber ein Gegenreiz kommt
ihm von der Musik, von der deutschen Romantik und Symphonie. Was er
wirklich schreibt, ist unbedeutend. Er studiert an der Universität, aber
er wird Musikdirektor. Er kostet die ärmliche Wirtschaft des Magdeburger,
Königsberger, Rigaer Theaters durch und hätte schließlich irgendwo so
als Dirigent weitergelebt. Aber der Dämon treibt ihn nach Paris, nach der
Opernzentrale. Er macht die Reise auf einem Segelboot unter Gefahr des
Lebens, das er dort durch subalterne Arbeit fristet. Unter dem Eindruck
des meyerbeerschen Paris entwirft er das Gegenteil, den Fliegenden Hol-
länder. Rienzi war von Dresden gegen jede Voraussicht akzeptiert. Es wurde
sein Triumph, während er schon in romantischen Regionen weilte. Er hätte
für sich ungestört weiter schaffen können, aber er wird Dirigent in könig-
lichen Diensten. Er hat die Gelegenheit vorzüglicher, selbsteinstudierter
Premieren, aber er wird nicht mehr verstanden. Sein Holländer befremdet
das Publikum und ärgert die Konservativen und Gelehrten. Sein Tann-
häuser noch mehr. Er gerät gerade durch seine organisierende Tätigkeit
in Widerspruch zum aktuellen Theater. Mitten in der schönsten Praxis
wird er ein Prediger, Theoretiker, Erzieher, Revolutionär. Er hätte in einer
ausgezeichneten Stellung bleiben können, aber der Ehrlichkeitswille und die
Wahrheitssucherei bringen ihn in die Reihe der 48 er. Er muß flüchten
und schreibt in Zürich statt Musik Broschüren und Bücher gegen die Zeit.
423
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Der Steckbrief
Die Idee des neuen musikalischen
Dramas festigt sich in seinem Kopfe,
während Liszt in Weimar erst den
Lohengrin aufführt, den Wagner
selbst noch lange nicht hören darf.
Er dichtet den Ring, ohne ihn durch-
zukomponieren. Er gibt in der weiten Welt Konzerte, aber setzt dabei meist
zu, an Gewissen und an Geld, das er nicht hat. Napoleon befiehlt den Tann-
häuser für Paris, Wagner erweitert gegen den Stil des Werks das Ballett,
die Oper wird durch eine Organisation der Feinde zu Fall gebracht. Er
schreibt den Tristan, als eine Oper, die aufführungsmöglich sein soll, aber
weder Karlsruhe noch Wien halten ihr Versprechen. Er ist amnestiert,
aber völlig vereinsamt. Er ist zu Tode traurig und arbeitet an den Meister-
singern. Den Demokraten rettet ein Fürst. Ludwig II. ist sein Wohltäter,
doch ein kritikloser Schwärmer. Er sieht alle seine Pläne in München ver-
wirklicht, aber dieses Glück wird ihm von einer Gesellschaft kleiner Pfaffen
verbittert. Bülow führt in München den Tristan auf, doch verliert er seine
Frau an Wagner. Wagner hätte mit Minna Planer leben können, wäre er
ein gewöhnlicher Opernkomponist geblieben. Er liebte Mathilde Wesen-
donck, aber er mußte seine Liebe in die Isoldemusik retten. Er heiratete die
Tochter Liszts, aber der wunderbare Freundschaftsbund der beiden Großen,
des Eroberers und des Königs, sollte erkalten. Die Meistersinger werden
in München herausgebracht, aber eine Horde von Beckmessers meldet sich.
Der Nibelungenring wird zu Ende komponiert, doch nach der langen Pause
der Entbehrungen in einem A'eränderten Stil. Für den Sieg der Deutschen
wird der Kaisermarsch geschrieben, doch nicht aufgeführt. Die Idee eines
selbständigen, in sich begründeten, von jeder Repertoirewirtschaft los-
gelösten Theaters wird durchgesetzt: aber Bayreuth kann sich mit aller
Mühe und allen Konzessionen schwer rentieren. Die Deutschen ereifern
sich um Wagner, aber sie helfen ihm nicht. Indem er Einer wird, wie
Nietzsche will, verliert er ilm. Er schreibt den Parsifal einzig und allein für
Bayreuth, und ein Jude muß ihn dirigieren, aber er stirbt wenige Monate
darauf und jetzt, nach dreißig Jahren, wird er durch Gesetzes Kraft ihm
entrissen.
Dies ist sein Leben: ein ewiges .'Vber. Ein Aber von Musik gegen Dich-
tung, von Theorie gegen Praxis, von Beruf gegen Freiheit, von Glück gegen
Neid, von Liebe gegen Freundschaft, von Ruhm gegen Unverständnis,
von Überzeugung gegen Not, von Periode gegen Periode der eigenen Ent-
wicklung.
424
Werke
MAN wird verstehen, daß ich Wagners Leben und Werke nur im Format
dieses Buches behandeln kann. Seine Erscheinung ist schon äußerlich
darin einzig, daß vom Rienzi an jede der Opern, die er gemacht, lebenskräftig
geblieben ist. Es war nicht nur das gewaltigste, sondern auch das nach-
haltigste Produkt der ganzen Operngeschichte. Eine ungeheure Literatur
hat sich um ihn gehäuft, die in allen möglichen Beleuchtungen Entstehung
und Deutung der Werke gibt. Dies mag für sich vorhanden sein. Hier aber
handelt es sich darum, wie aus seinem Leben keine Biographie, auch aus
seinen Werken keine Grammatiken zu machen, sondern mit dem größten
Ernst den Zusammenstoß der Energien, den die Künste in ihm verursachten,
auf Wirkungen und Folgen zu erklären. Aus diesem Gesichtswinkel zeich-
nete ich die Topographie seines Lebens, aus demselben werde ich die Geo-
logie seiner Werke zu zeichnen haben. Keine Analyse des Lohengrin, Tristan,
der Meistersinger, mit denen wir täglich leben, sondern ihre Einsetzung
in den großen Kampf der Kräfte und den Sieg der Musik, der der Inhalt
aller Operngeschichte und der besonderen Operngeschichte in diesem ein-
zelnen Künstler war.
Zur Verständigung dienen die wichtigsten Daten seiner Werke.
Rienzi 1838 — 40. Erste Aufführung Dresden 1842.
Fliegender Holländer, als Einakter 1840 entworfen, 1841 in der jetzigen
Form fertiggestellt. Erste Aufführung Dresden 1843.
Tannhäuser. Idee 1841. Dichtung 43. Partitur 45. Erste Aufführung
Dresden 1845.
Lohengrin. Idee 1841. Dichtung 45. Partitur 46 — 47. Erste Auf-
führung Weimar 1850.
Tristan und Isolde. Idee 1854. Dichtung 1857. Komposition und Par-
titur 57 — 59. Erste Aufführung München 1865.
Meistersinger, zuerst 1845 entworfen. Fertige Dichtung 1861 — 62.
Komposition und Partitur mit Unterbrechungen 62 — d"]. Erste Aufführung
München 1868.
Ring des Nibelungen. Erste Idee '1846. Erster Prosaentwurf der Tetra-
logie 1848. Siegfrieds Tod, das Schlußdrama, 1848 gedichtet. Das vorher-
gehende Drama, der junge Siegfried, 1851 gedichtet. 1852 Walküre, dann
Rheingold gedichtet und das Ganze als Trilogie mit Vorspiel umgearbeitet,
ungefähr in der jetzigen Form, 1863 erst gedruckt, mit den jetzigen Titeln.
Komposition und Partitur des Rheingold 1853/54, Walküre 54/56, Siegfried
1856 begonnen, 57 im zweiten Akt unterbrochen, 65 — 71 in Abständen
425
vollendet. Götterdämmerung 1869 — 74. Erste Gesamtaufführung Bay-
reuth 1876.
Parsifal. Erster Gedanke 1854. Dichtung nach Entwürfen von 57 und
65, vollendet 1877. Komposition und Partitur 1877 — 82. Erste Aufführung
Bayreuth 1882.
Man ersieht aus dieser Tabelle, daß Wagners Werke nicht Kreise waren,
die aufeinander folgten, sondern die sich zum Teil decken oder auch ganz
den gleichen Mittelpunkt haben. Fast kann man sagen, sie sind alle gleich
im Keime da oder wachsen zellenartig auseinander. Gewisse Schichten der
früheren oder späteren Werke sind wohl zu unterscheiden, aber die gegen-
seitigen Berührungen sind wichtiger. Im großen genommen, sind es Varia-
tionen des gleichen Vorstellungskreises und auch technisch betrachtet ähneln
sie sich im Bau. Sie bewegen sich in historisch-mythischen Stoffen, deren
,,rein menschliche" Allgemeinheit ihm immer mehr am Herzen liegt: wo-
bei das Historische immer weiter vor dem Mythischen zurücktritt. Die
Romantik spricht sich fast überall in dem Motiv der Erlösung aus, die Kon-
struktion bevorzugt Liebesdreiecke, die Szene Drei- oder Vierteilungen
in dynamisch verdichtete Strophen der Handlung, die Dramatik scharfe
Kontrastbildungen und die metaphysische Tiefe wird durch eine Unterkel-
lerung in philosophischen oder ästhetischen Prinzipien erreicht. AUes das
spaltet sich nach den verschiedenen Stoffwahlen und Inhaltsbereichen,
wie Äste desselben Baumes. Die literarischen Quellen der historischen
und legendären Begebenheiten sind überwunden. Das Material wird gänz-
lich unphilologisch frei und eigen gestaltet, aus den Befehlen der Musik
heraus, die die Stoffkomplexe auf ihre tiefsten und breitesten Wirkungen
auseinanderfaltet. Nur aus dieser inneren, dichterisch-musikalischen Quelle
fließt die Erfindung. Irgendwelche äußeren Einflüsse sind auf die Dauer
nicht bestimmend gewesen, auch nicht der starke Eindruck der Schröder-
Devrient, für deren Persönlichkeit zeitweise einmal der Stoff der ,, Sara-
zenin", einer großen historischen Oper, vorgenommen wird, um bald wieder
fallen gelassen zu werden. Die Zellenbildung amalgamiert sich viel eher
gewisse bodensätzige Überlieferungen szenischer Typen von Opern, die
ihr aus dem Blute der Jahrhundertc zufließen und in ihrem Organismus
neubelcbt aufgehen. Man wird diesen Punkt mehr zu beachten haben,
als es bisher geschehen ist. Ich will nur auf eine Gruppe von Motiven hin-
weisen, die ich Händeis Opern entnehme, um irgendein historisches Wider-
spiel festzustellen: der Zaubergarten Armidas, die sich, um Rinaldo zu
täuschen, in seine Geliebte Almarena verwandelt; Theseus wird vom Vater
^n seinem Schwert erkannt; Amadis kommt an einen Turm mit der Inschrift:
426
'^,
Wagner. Lithographie von Brandt 1843
,,Es darf nur einer durch
die Flammen gehn, der
tapferste, der stärkste
Held, den unter allen auf
der Welt die Liebe dazu
ausersehn"; Dardanus,
der Melissamann, ver-
wandelt sich in Amadis,
um in dieser Schein-
gestalt dessen Geliebte
Oriana zu täuschen ;
Ruggiero liegt in den
Banden der Zauberin
Venus-Alcina, und die
edleBradamante kommt,
ihn von der Hölle zu
retten — und so fort.
Sagenmotive, die durch
die Zeiten gehen, und
Szenenmotive, die durch die Opern gehen und den Unterbau von Wagners
Phantasie bilden. Auch Typen der Karikatur sind ihm vorgezeichnet. In den
Madrigalopern um 1600 tritt mit Vorliebe ein Ständchensänger auf, der in
Text und Musik berühmte Lieder genau so unsinnig entstellt wie Beckmesser.
Aber, was auch alles an Tradition der Oper, typischen Szenen und Figuren
in Wagners Werke eingegangen ist, sie haben es ebenso überwunden und ein-
gesaugt, wie die philologischen Urtexte seiner Quellen. Es ist die Schärfe
seiner lebendigen Bühnenvorstellung nicht genug zu rühmen. Indem er
die tiefsten mythischen Grundlagen ausbohrte und dann in dem knappsten
Maß der Gestaltung formte, hat er Wesen geschaffen, die wie niemals sonst
Opernwesen populärer Besitz geworden sind. Vom Fliegenden Holländer
bis zum Parsifal sind es Wesen geworden von jener mythischen Kraft, die
alle ihre Vorbildungen zurückdrängt und ihren Typ für immer festlegt.
Lohengrin, Wolfram, Hans Sachs, Isolde sind nicht Personifikationen des
Volkes (wie etwa Figaro), es sind epische Schöpfungen, die der Phantasie
des Volks für immer in dieser Fassung einverleibt werden. Das war die
Macht der dramatischen Bildkraft Wagners, der die Musik die mythologische
L^rständigkeit gab.
So glatt sich dieser Tatbestand darstellt, so verwickelt sind die Triebe.
die an ihm arbeiten. Die Kongruenz dieser Triebe wird nur in wenigen
427
Jahren und an wenigen Stellen wirklich erreicht, in Wahrheit ist sein
Schaffen ein dauerndes Ausgleichen, ja Kombinieren und Permutieren der
Kräfte, die in ihm gleichzeitig wirksam sein wollen : der Forderungen der
Musik iind der Forderungen der Szene, der Ansprüche des Operntyps und
der des natürlichen Dramas, endlich der Gedanklichkeit und der absoluten
musikalischen Phantasie. Fast immer rückt eines dieser Elemente vor das
andere, behindert es, beschattet es, das eine hängt zu sehr noch an der Ver-
gangenheit, das andere stürzt zu sehr in die Zukunft, es vermittelt Kopf
und Herz nicht ganz, oder Drama und Oper, und gerade in der Zeit, da er
dem Gesamtkunstwerk am eifrigsten nachstrebt, ist er von ihm am weitesten
entfernt. Das Maß zwischen textlichem Gewissen und musikalischer Ein-
gebung schwankt, im Tannhäuser ist es, wenigstens in der ursprünglichen
Form, zuerst erreicht, dann tritt ein literarisches, dann wieder ein musi-
kalisches Überwiegen ein, endlich findet zuletzt eine gewisse Balance statt,
eine Selbstberuhigung, die aber keineswegs das Ziel dieses Lebens war,
sondern eher seine Resignation. Ordnet man auf diesen Kurven seine Werke,
so stellt sich der Rienzi dar als Probe auf die Tradition, der Holländer als
Präzision der Romantik, der Tannhäuser als das Muster der Gleichwertig-
keit im älteren Stil, der Lohengrin als Beginn der ersten Divergenzen, der
Ring als gewaltigste Ungleichheit aller neuen Elemente, der Tristan als
neue Opernwelt, die Meistersinger als alte Opernvvelt, beide auf eine un-
vermittelt geniale Musik angewiesen, und der Parsifal als eine bewußte
Rückschau alles Gewesenen, eine letzte Verinnerlichung der Oper. Dies
wurde die Zellenbildung, und alles, was nicht stark darin aufging, blieb
als unorganisch liegen : der rein dramatische Friedrich Rotbart, der dog-
matisch historische Jesus von Nazareth, die entsagungsvollen indischen
,, Sieger" und selbst Wieland der Schmied, der sich in der Not Flügel
schmiedet.
Das Wort Oper brauche ich mit dem nötigen Vorbehalt, der von dem
gewohnten Ausdruck für eine gebräuchliche Kunstgattung sich den Ter-
minus borgt eben für die tiefste Auseinandersetzung mit dieser Gattung,
die erlebt worden ist. Das, was da geworden ist, die seelische Heiligkeit der
Oper, kann man nicht dialektisch zerstören, so wenig wie man es qualmig
zu umnebeln hat. Es handelt sich darum, seine vulkanische Natur als sein
wahres Wesen und seine wirkliche Größe zu entwickeln. Kommt man nur
von einer Seite heran, muß es zerfallen. Man liest verstiegene musikalische
Schwärmereien, die Wagners Dichtung in einen Brei auflösen. Man liest
andererseits Angriffe von literarischer Seite, die durch die Unkenntnis
des musikalischen Triebes in nichts verpuffen. Auch der verblüffendste
428
\'orstoß dieser literarischen Puritanerei bleibt ein aus dramaturgischer
Dialektik kühl geschliffener Dolch, der Wagner nur dann zu Tode treffen
würde, wenn der Autor eine Ahnung hätte, wo das Herz der Musik sitzt.
Das Drama
IN seiner Jugendoper Die Feen, eine Vertiefung des Gozzimärchens, kind-
lich rührend, stellte Wagner mehr noch als durch musikalische Vor-
ahnungen, dramatisch seine Gegend gleich fest: in einer Art Kombination
von Orpheus, Lohengrin und Un^ine finden wir die Motive des Nichtfragens,
des zur Probe des Glücks erschaffenen Unglücks, der Sehnsucht aus dem
Geisterreich, des Tiermitleids, der Erlösung durch Musik eigentlich schon
fixiert. Aber diese eine, einfache, deutsche Welt genügt nicht. Es treiben
verschiedene Kräfte, die Gattungen wetteifern noch bis in gelegentliche
Rückfälle nach dem Holländer. Das Genre der opera comique in großem Stile
wird durch das „Liebesverbot" erledigt, ein Musikwerden von Shakespeares
,,Maß für Maß". Das Genre Her historischen Prachtoper wird durch den
Rienzi verarbeitet, nach Bulwers Roman, die letzte nach einem lite-
rarischen Vorbild kopierte Oper, die erste, in der sich eigne musikalische
Kraft zeigt. Es bleibt bis heute die beste ihrer Gattung, übertraf Spon-
tini an Gehalt und überlebte Meyerbeer an Ehrlichkeit. Die Requisiten
sind alle vorhanden, eine Hosenrolle, Liebe, Pflicht, Rache, Macht,
Gnade, Religion, Brand, Verrat, Soldaten, Feste mit inhaltlich moti-
viertem Ballett, und in den Friedensboten klingt ein Ton transzendentaler
Höhe. Noch schlafen die Elemente. Aber eine gewisse Größe und Rein-
heit des historischen Empfindens für die Tragik der Persönlichkeit, des
Herrschers, der am Menschentum zugrunde geht, gibt diesem Examen
auf Tradition eine außerordentliche Note. Ein determinierter Wille ist
fühlbar.
Konnte man hier noch nicht sagen, daß der Stoff aus Musik geboren
war (nur aus Musikwirkungen), so trifft das beim Fliegenden Holländer
ganz ein. Die Periodizität der Nöte eines ewig Schweifenden, der nur durch
die reine Liebe erlöst werden kann, ist guter Boden der Musik, und Wagner
pflügt ihn mit scharfen Instinkten, indem er seine Technik aus einer Ver-
bindung der deutschen Romantik und der opera comique gewinnt. Er geht
von der Ballade aus, als deren Bild er die Oper ursprünglich einaktig ge-
stalten wollte und setzt sie in die Realität des Lebens hinein. So legt er
die Kontraste auseinander, alles Gespenstische und alles Naive, den bleichen
429
Unerlöstcn und den verständnislosen Vermittler, das höllische und das
irdische Schiff mit allen zugehörigen Milieus. Er gewinnt Senta als Mitte,,
die träumt, sich sehnt, ihn liebt und für ihn stirbt. Eine ausgezeichnet-
scharfe Disposition, die das Wesen der romantischen Tragödie auf ihre
typischen Szenen konzentriert. Der einzige Mangel ergibt sich in der
Zufälligkeit des belauschenden Holländers, die den Apotheosentod her-
beiführt. Dieser Fehler ist eine Folge der Einführung des konven-
tionellen Liebhabers Erik, des einzigen Requisits, das in die dramatische
Einheit nicht aufging, während Steuermannslied, Schiffssturm, Verlassen--
heitsarie, Spinnszene, Ballade, Tanzfeste sich organisch fügen. Die tiefste
Wirkung tat die Musik, indem sie inneijialb dieser gespannten Einheit
den Atem der Seele einsetzte. Sie schuf die großen Pausen, in denen
Erregungen zur Ruhe kommen, um zur Sprache zu werden, sie schuf die
magnetische Situation der ersten Begegnung von Senta und dem Hollän-
der, die die erste Durchfühlung einer Sage auf das Leben hin war, das.
Wirklichwerden eines Mythus-, die Erfüllung eines Traums, das Drama einer
Musik.
■V.
Der Tannhäuser entfernt sich von dieser Konzeption um so viel, als
er von den strebenden Kräften des Operngenres nicht bloß die Romantik
mit dem Stil der Comique, das Dämonische mit dem Idyllisch-Rührenden,
das Mythische mit dem Realen verbindet, sondern noch das Ingrediens,
der großen historisierenden Oper hinzufügt. Er ist die Dramatisierung aller
bestehenden Operntypen, aus Operntypen wird dieses Drama erdichtet,
eine Technik aller Dankbarkeiten, sehr veredelt und moralisiert. Das ^'enus-
ballett, das Venuslied, die scharfe Verwandlung in das Lieblich-Fromme,
Frühling und Herbst, Schalmei, Pilger, Jagd, Rückkehr, Liebesduett, Einzug,
Sängerkampf, Finaleschrecken, und immer wieder Pilger, Elisabeths Gebet,,
die Abendsternromanze, Tannhäusers Erzählung, seine Erlösung — das
sind alles Erbstücke der verschiedenen Operngenres, die Wagner mit einer
bewunderswerten Kunst zu einem Drama zu einen und zu vertiefen verstand..
Er beherrscht das Material vollkommen, solange er auf dem Boden dieser
überlieferten Opernszenen bleibt. Er spannt das Drama durch Antithesen-
bildung: die irdische Liebe der Göttin und die göttliche der Irdischen.
So versinnlicht er das Mythische und vergeistigt das Reale. Er vergeistigt
Elisabeth zu einer Gestalt von rührender Schweigsamkeit, die sich nur in
einem einzigen Monolog, der Hallenbegrüßung, etwas opernhaft äußert,,
aber in der Empfindung sonst so zurückhält, daß ihre „unausgesprochene"-
Liebe zu Tannhäuser als eine der vornehmsten Eingebungen Wagners sich
bewährt hat. Für das Drama selbst entschließt er sich, Mythisches und Histo-
430
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Sönigli* ®od)fif({)c§ ^oftbcatcr.
Sonntag, Den 19. October 1845.
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20
risches zu mischen, die Venus-
sage in das Wartburgsänger-
fest einzusetzen, and gewinnt
so eine sehr glückliche Kon-
fliktsbildung, von der aus sich
die Charaktere der Beteiligten
gut zerlegen. Jetzt ist Flucht
von der Venus und Rückkehr
zu ihr Anfang und Ende, und
die Mitte der Verrat der einen
Liebe an der anderen im
Sangeswettstreit. Am Ende
jedes Aktes steht Elisabeth,
am ersten als Sehnsucht, am
zweiten als Mitleid, am dritten
als Erlöserin durch den Tod.
Eine musterhafte Verteilung,
die sich mit Szenischem und
Musikalischem zu einer unge-
störten Einheit zusammen-
findet. Das Schicksal wollte,
daß er sie sich selbst in der
späteren Pariser Bearbeitung
zerstörte. Er erweitert die
Venusszene auf Kosten der
Wartburg, eine neue spät-
stilige Sinnlichkeit neben der
schönen alten Geistigkeit. ,
Tannhäuser spricht jetzt zu Venus ,,mich drängt es hin zum Tode", da er
solche Dinge von Tristan gelernt hat. Wagner hat die erste und zweite
Szene in dieser Form sanktioniert und in seine Gesammelten Werke auf-
genommen, ohne die Widersprüche zu beachten. In den Aufführungen
selbst ist überall zwischen erster und zweiter Fassung, die weiterhin
noch einige andere, kleinere Verschiedenheiten haben, eine solche Ver-
wirrung eingetreten, daß das Gleichmaß des alten Tannhäuser empfind-
lich, gestört wird. In Bayreuth ist er pariserisch. Es war sein \^'ille — und
Irrtum.
Die historischen Divergenzen, die über den Tannhäuser kamen, waren
beim Lohengrin schon innerliche gewesen. Wagner liebt es, um die Spannung
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l*£mIo^ um 5 ll()r. %mm im» ö Ubr. ^ntc md) 0 Uljr.
Zettel der Uraufführung des Tannhäuser
431
seines Dramas zu erhalten, zwei Welten gegeneinander zu führen. Im Hol-
länder war es die Ballade gegen die Wirklichkeit, im Tannhäuser das Sinn-
liche gegen das Geistige, und zugleich die Sage gegen das Historische. Hier
ist es nur die Mystik gegen die Erde, aber dieser Zusammenstoß war der
schwierigste. Die Mystik kam ihm aus einer rein musikalischen, in neuem
Lichte leuchtenden Sphäre, die Erde kam ihm aus der Not des Dramas.
Es war Erlebnis der Oper, wie es der Holländer und Tannhäuser gewesen
war, aber' einseitig aus dem Herzen der Elsa, die nicht verstehen konnte,
was da vorging. „Erkennt ihr ihn, dann muß er von euch ziehn," diese tiefe
moralische Weisheit wurde für ein innerlich gefühltes Drama die Gefahr,
weil sie wohl innerlich, aber kein Drama war. Lohengrin, der unerkannt
sein wollende, will von Elsa begriffen sein, die ohne Begriffe sein muß, um
sich ihn zu erhalten. Aber seine Irrationalität ist wie die Oper selbst, die
aufhört, wenn man sie analysiert und in unendliche Verlegenheiten gerät,
wenn man ihre Musik an das Drama verraten will. Lohengrin ist die IVhisik,
Elsa das Drama — das war der Konflikt und die Wendung in Wagner. Etwas
schnell trägt Lohengrin der Elsa die Ehe und Liebe an, und unbarmherzig
zieht er von dannen, nachdem er sein Geheimnis preisgegeben hat. Wagner
schwankte selbst an dieser Stelle. Schließlich siegte die Romantik der Musik,
die den Gralsritter seiner Mystik wiedergibt, über die dramatische Forderung
eines Heldentums, das sich auf sich selbst stellen müßte. So blieben die
Divergenzen ungelöst, und überall traten Reibungen auf, wo das göttlich
Musikalische mit dem irdisch Dramatischen sich berührt. Die Erlösung
des Schwans in den Bruder Gottfried bleibt in der kalten Luft der Sage,
und Lohengrin wie Elsa bleiben in dem Gedanken ihrer traurigen Mission.
Sic sind Schemen, die Gegenpartei vonTelramund und Ortrud sind Schemata.
Immerhin sind diese Nachkommen von L}siart und Eglantinc derbe, fest-
stehende Figuren, die mit dem letzten Rest der Tradition die Oper gegen
die neue schöne Welt der Lohengrinmusik verteidigen. Der Kampf dieser
Sphären gibt dem Drama seinen eigentümlichen Reiz. Es entfernt sich stark
von der typischen Opernszene, als erlebte es selbst eine andere Welt, wie
Elsa den Lohengrin, noch kaum geahnt und verstanden. Das Erscheinen
der Elsa vor dem König, ihr ahnender Traum, die Schwanenankunft, der Got-
teskampf mit dem Gebet, Ortruds Zauberwesen und Götteranrufung, die
große Aussprache zwischen den beiden Frauen, der Münsterzug mit seinen
Störungen, die katastrophale Szene zwischen Lohengrin und Elsa, seine
Gralserzälilung und der Schwanenabschied, in all dem ist etwas wie die
äußere Silhouette der alten Oper, aber doch von einem fremden,
übersinnlichen und verklärten Geist erhellt. Wagner tat das Deutschfrohe,
Roiler: Lohengrin
das Soldatische, das Erwachen des Tages hinzu und manches andere, um
Milieu zu geben. Aber es geschah meist in einer Scheu vor dem Typ. Eine
Hochzeit findet statt, doch dringen nur verstreute Klänge von ihr durch
die Luft, und die ganze Feier besteht in einem volkstümlichen Chor ohne
jede Operngymnastik.
Der Ring des Nibelungen wurde der große Zusammenstoß, das große
gegenseitige Opfer von Gedanke, Drama und Musik. Kein Werk hat solche
Kongruenzen und keines solche Inkongruenzen. Keines solche Tiefe und
wieder solche Blässe, keines solchen Willen und wieder solche Schwäche.
Gewalten kämpfen ästhetisch gegeneinander, wie sie es inhaltlich tun, und
eine ungeheure Liebe verbrennt sich auf einem Trümmerfeld von edelsten
Tragödien der Künste.
Wagner hatte begonnen mit einem Prosaentwurf des Nibelungenmythus,
in dem er die alten Eddamotive mit der Siegfriedlegende in eine fortlaufende
Reihe von sagenhaften Ereignissen brachte, ohne sehr dringenden Zusammen-
hang, ohne genügende Motivierungen und oft von eigenen Zweifeln schon
durchsetzt, aber unendlich reizvoll in dem großen sozialen Weltbild, das
sich da aufrollte. Den letzten Teil dieses Entwurfs, der die Schicksalstragödie
des ermordeten Siegfried behandelt, gestaltet er zunächst zu dem Drama
„Siegfrieds Tod", das äußerlich ungefähr unserer ,, Götterdämmerung"
entspricht, aber innerlich von ihr recht verschieden ist. Noch weniger als
im Entwurf spielt Wotans Eingreifen irgendeine Rolle; das einzige, was
sich darauf bezieht, singt eine Norne : „Freudig trotzet ein Froher, frei
433
28
für die Götter zu streiten, durch Sieg bringt Friede ein Held." Daß Wotan
die Helden schuf, ihm eine Freiheit zu erstreiten, die er selbst nicht erreicht,
bleibt dabei ein hingeworfener Gedanke, der in der Musik gänzlich ver-
schüttet worden wäre. Alle unnötigen Beziehungen werden abgestreift.
Die Nornen haben eine viel einfachere Exposition, statt der Waltraute
haben die Walküren eine sehr gute Szene mit Brünnhilde, in antiker Chor-
rhythmik, wie auch zuletzt Männer und Frauen in antikem Gleichschritt
das Ende der Tragödie stilisieren. An anderen Stellen ist wieder mehr
Exposition und auch wieder mehr Oper (jenes in der Alberichszene, dieses bei
Siegfrieds Hochzeit), so daß die Stränge schon auseinander laufen möchten,
aber immerhin es bleibt ein klares, in sich recht geschlossenes Schicksalsdrama,
ganz offensichtlich ein wenig nach antiker Manier. Doch es läßt ihn nicht
dabei ruhen. Statt es zu komponieren dichtet er es nach vorn zu immer
weiter, auf seinen ersten Entwurf zurückgehend, der vom Raub des' Rhein-
golds bis zu Brünnhildes Feuertod sich ausdehnte. In der schwärmerischen
Begeisterung eines deutschen Vollständigkeitsmenschen entfaltet er jetzt
einen ganzen Zyklus von vier Dramen, der zunächst eine wahre Angst vor
der Musik empfindet, und doch wieder eine einzige Sehnsucht nach ihr.
Aber davon war vor der Hand noch nicht einmal die Rede, da innerhalb
des Dichterischen sich neue Schwierigkeiten herausstellen mußten.
Die Umarbeitung von Siegfrieds Tod in die Götterdämmerung ergab
Verbesserungen, die die dramatische Reife verlangte. Alles ist schärfer ge-
schnitten. Die Blutsbrüderschaft Günthers und Siegfrieds wird eindring-
licher gefaßt, Hagens schönes Zur-Wacht-Sitzen zugefunden, die Szene des
verstellten Siegfrieds gekürzt, die Hagen-Alberichszcne ihres expositiven
Charakters entledigt und im Haß vertieft, durch Umstellungen der zweite
Aktschluß mit Siegfrieds Hochzeitszug verfeinert und psychologisiert.
Aber die Notwendigkeit des Zusammenhangs der vier Stücke verlangte
tiefere Einarbeitungen. Indem der „Wurm" des Entwurfs jetzt selber
einer der Fliesen ist oder der Wälsungenvater selbst Wotan ist oder Wotan
als Wanderer über die Erde streift, sind nur Nähte des Zusammenhangs
gegeben, keine dramatische Einheit von innen. Um sie zu erlangen ent-
schheßt sich Wagner nachträglich, den ganzen Prozeß Wotans, der von
seiner eigenen Fessel gefangen wird, bedeutsam herauszuheben und zu
einer anderen, einer vorangehenden Tragödie zu gestalten, zu einer Willcns-
tragödie vor der Schicksalstragödie Sigmunds und Siegfrieds. So wird Wotan
in einer dumpfen Ahnung Schopcnhaucrschcr Gedankengänge Pessimist,
der nichts mehr will als die Verneinung, und zwei Dramen stehen nachein-
ander, deren erstes einen Helden hat, der seine Tragödie erleben will, weil
434
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Wagners Handschrift von Siegfrieds Tod mit dem ersten Notenentwurf
er muß, und deren zweites einen Helden hat, der sie erleben muß, weil er
soll. Die Folge ist die Unmöglichkeit des Endes von „Siegfrieds Tod", wo
der sterbende Siegfried und die sich opfernde Brünnhilde zu Wotan in die
Walhall zurückkehrten. Jetzt kann es keine Walhall mehr geben, Wotan
verbrennt wie seine Schützlinge. Waltraute wird befohlen, seinen letzten
Jammer zu erzählen, aber die Menschen geben ihn auf, nachdem er sie auf-
gegeben. Und beide Tragödien enden in demselben Augenblick.
Chamberlain hat die beiden Pole dieser Willenstragödie und Schicksals-
tragödie scharf erkannt, er stellt Brünnhilde in die Mitte, die gewissermaßen
beide Tragödien erlebt und zuletzt hellsichtig den Zusammenhang aller
dieser Flüche des Machtwillens erkennt, um ihre Sünde durch den Tod der
Liebe zu sühnen. Aber eben dieser rein gedankliche Zusammenhang, der
eine Rettung des Dramas vor der Idee bedeutet, gibt dem Drama selbst
kunstvolle Vernietungen, statt eines blutzirkulierenden Organismus. Über-
all, wo die Willenstragödie zur Schicksalstragödie übergeht, schmerzen die
Gelenke, beim Übergang Wotans zu den Helden, von der göttlichen zur
menschlichen Brünnhilde, vom Siegfried der Brünnhilde zu dem der Gibichun-
gen. Wotan will Freie zeugen für seine Walhall, gegen Alberich, zur Rück^
435
28'
gewinnung des Ringes, aber seine Verzweiflung, die für fremdes Heldentum
schwärmt, bleibt eine theoretische Philosophie, die ihn auf der Bühne nur
in unangenehme Situationen bringt, wenn er Mime in germanistische Ge-
spräche verwickelt oder sich von Siegfried die Lanze zerbrechen läßt (ein
Rest der Hundinge, die Siegfried im früheren Entwurf noch zu töten hat).
Diese peinliche Aufdringlichkeit ist die Folge seines Eintritts in die zweite
Tragödie, welche er schauen sollte, aber nun bühnenleibhaftig mitmachen
will: bis ihn endlich das Mitleid des Dichters in ferne Waltrauteberichte
steckt und in einer bloßen Dekoration endigen läßt. Trauriger noch steht
Brünnhilde in der zweiten Tragödie da, von Siegfried zu einer Liebe be-
redet, die sie niemals menschlich fühlen kann. Niemals haben sich Siegfried
und Brünnhilde geliebt, vielleicht solange sie schlief, erwachte in ihm
Begierde, aber da sie nebeneinander stehen, singen sie Gedanken oder Worte
vom prangenden Stern. Und noch trauriger muß sich Siegfried von dem
herrlich freien und frischen Wesen, als das ihn Wotans und Wagners Liebe
zur ,,Unwillkür" schuf, in die lügnerische Gibichungenwelt flüchten, in der
er niemals zu der Gemeinheit von Brünnhildes Täuschung fähig gewesen wäre,
wenn er der Wille des selbstischen Menschen geblieben wäre. Die Sage
sprach hier die eine Sprache, Wagners Gedanklichkeit und Symbolik die
andere, aber auf der Bühne und unter der genialsten Musik gingen sie nicht
zusammen. Da hilft kein Vergessenheitstrank, kein Chamberlain, kein
Ring und keine Wala, die zu schlafen beginnt, nachdem das Drama ver-
loren ist.
Der Ring sollte das Instrument sein, das das Drama zusammenhält,
der Ring als fluchbeladenes Symbol aller Machtgelüste. Aber er bedeutet
nur Herrschaft, er gibt sie nicht. Er ist Illusion und glaubt Kraft zu sein.
Dadurch wird er ebenso undramatisch als unmusikalisch. So klein er ist,
kaum sichtbar für das Auge des Zuschauers, der in ihm die Hauptperson
des Dramas erkennen soll, so große Verwirrung richtet er an. Alberich
schmiedet ihn sich, aber er hat alle Macht, nur nicht die über sich selbst,
und er verliert ihn durch Raub. Wotan gibt ihn auf Wunsch der Erda weg,
aber der Fluch lastet trotzdem auf ihm, so daß er sich die Frage überlegen
darf, ob nicht seine Willenstragödie schließlich doch auch nur eine Schick-
salstragödie ist, was ihn in starke philosophische Zwiespälte brächte. Fafner
besitzt ihn, ohne ihn zu verwerten. Brünnhilde erhält ihn, ohne ihn zu ver-
stehen, und will ihn aus Liebe bewahren, die ihn dann aus Liebe opfern muß.
In Siegfrieds Kopf schaltet er die Logik aus. Denn, während der Wirkung
des Vergessenheitstrankes müßte sich Siegfried sagen, daß er eigentlich
zwei Ringe besitzen sollte: den einen, den er Fafner nahm, den zweiten,
436
den er als Günther Brünnhilde nahm. Er merkt es nicht und hätte sonst
alle Tragik abwenden können, die Sage und das Drama zugleich zerstört.
Noch einmal kommt er in diese Verlegenheit. Die Rheintöchter bitten ihn
um den Ring, er will ihn nicht geben. Dann will er, und nun wollen sie nicht,
damit die Sage und das Drama erfüllet werde. So kommt er in sophistische
Überlegungen, die ihm gar nicht anstehen und auch durch die Geste mit dem
Erdkloß nicht beseitigt werden. Er verklausuliert sich. In Siegfrieds Tod
noch mehr als in der Götterdämmerung, und im Buchtext noch mehr
als im komponierten Text, da er dort noch eine lebhaftere Erinnerung an
sein Selbstbestimmungsrecht hat, das ihm hier immer mehr geraubt wird,
um ihn der Macht des philosophischen Gedankens desto sicherer aus-
zuliefern. Dieser Gedanke war mehr der Ring, als daß der Ring der Ge-
danke war.
Aber noch andere Nöte des Zusammenhangs ergaben sich. Es stellte
sich das Bedürfnis heraus, in dem einen Drama die Fäden des anderen zu
sammeln, und ganze Szenen mußten sich damit belasten, die große Aus-
sprache Wotans zu Brünnhilde, die Rekapitulation des Wanderers vor Mime,
die Gespräche der Nornen, die über das Wesen der Weltesche und über
Loges weiteres Schicksal nachzutragen haben. Die Sinnlichkeit geriet hier
in Gefahr vor dem zyklischen Gewissen, und die Musik hatte schweren
Stand. Aber die Musik wagte nicht daran zu tasten. Sie hat nur an zwei
Stellen anderer Art das literarische Drama in ihrem Sinne beeinflußt und ge-
ändert. Sie nahm den großen Auseinandersetzungen Frickas mit Wotan
ein erhebliches Stück von gedanklichen Erörterungen fort und, nach mehreren
Versuchen, Brünnhildes Schlußgesang metaphysischer zu gestalten (einmal
auch mit dem Gedanken der Wiedergeburt) entschied sie sich für die jetzt
komponierte Fassung, die die ursprüngliche ausführliche Moralphilosophie
in das einfache 'Bekenntnis der mächtigen Liebe, die über die lieblose Macht
siegt, reduziert.
So ist es gekommen, daß der Grundgedanke dieser Tetralogie, Liebe
gegen Macht, so groß und wahrhaftig er ist, infolge des Bedürfnisses, die
auseinander gewachsene Arbeit zu verinnerlichen, sich oft zwangvoll dem
Drama und der Sage auferlegt hat. Er kam aus musikalischem Empfinden,
aber er mußte vielfach ein Gedanke bleiben, der in das Drama so schwer
aufging, daß er dieses von der Musik weg, statt ihr zuzuführen drohte.
Dies ist die Tragik der Arbeit. Dies erklärt ihre Unstimmigkeiten und ihre
Mängel, die wir so oft gefühlt haben, ohne uns ihrer klar bewußt werden zu
können. Wagner war jetzt in Gefahr, aus einer tief musikalischen Einstel-
lung seiner Seele schließlich abstrakter zu werden, als es eben dies Drama ver-
437
trug, das zur Musik drängte. Seine künstlerische „Unwillkür" rettete ihn
vor den Konsequenzen. Die Musik begann zu arbeiten und hat sich ein
redlich Teil zurückerobert. Hier ein Stück weniger, dort ein Stück mehr.
Das ist das künstlerische Mosaik dieses gewaltigen Werkes.
Diese stille Erwartung dej Musik, so neu und unerhört sie sein mußte,
lebt nur für den Kenner musikalischer Hintergründe, musikalischer Zentren
und Ausstrahlungen schon in den Worten des Dramas. Als es Wagner das
erste Mal vorlas, wie wenigen außer ihm mag sie in den Sinnen geklungen
haben ? Fühlten sie den Unterschied der Literatur, die in sich selbst be-
steht, und dieser dramatischen Gesten, die nach etwas noch Unerfülltem
griffen ? Wenige Jahre nachher erschienen Hebbels Nibelungen und boten
das beste Gegenspiel, das sich denken läßt. Sie dramatisierten das ganze Nibe-
lungenlied und brachten es auf einen bewußt christhchen Ausgang. Sie
türmten ungeordnet Nibelungenhort, Alberich, den Wurm vor Brünnhilde
in einem Haufen unverstandener Sagenmotive. Sie motivierten dafür die
Personen durch Charaktere und begründeten Siegfrieds nicht sichtbaren
Betrug in einer gewissen Derbheit seines unüberlegten Wesens. Alles Be-
griffliche trat scharf hervor, dieses Dickicht der Begriffe, diese Baumrinde
von Charakteren, die Hebbels Gestalten haben. Hier stand eine Intelligenz,
die die Überlieferung von Literatur einheizte, ohne sie zu wärmen, gegen
die tiefe und jenseitige Ausdehnung der Horizonte bei Wagner, dessen
Pathos nur der Abglanz einer sehr warmen musikalischen Erregbarkeit
war. Der Verstand in das Drama projiziert ergibt Dialektik, die Musik er-
gibt Geste. Hebbel schuf so wenig Menschen, wie Wagner. Aber jener,
weil er vorgezeichnete Handlungen nur mit reflexiver Psychologie füllte,
dieser weil er eine reflexive Psychologie in vorgezeichnete Handlungen
auszugestalten unternahm. Jener war fertig, dieser noch nicht. Er durfte
mit der mythischen Kraft der Musik zurücknehmen, was er im Drama zu
viel getan hatte. Es waren die bestellten Extreme der beiden Künste, der
Literatur und der Oper, die zwischen Kopf und Herz hin und her gehen
und in auserlesenen Fällen eine wundervolle Mitte finden.
Begeben wir uns im einzelnen auf das große Schlachtfeld der Künste
und Gedanken, die der Nibelungenring einen will, so leidet das Rheingold
zweifellos am meisten durch vorgeschobene Abstraktheiten, als Vorspiel
ohne rechten Zwang und notwendige Aussicht, dichterisch wie musikalisch
etwas leer, tastend und zaghaft. Die Musik, der „Teil, der anfangs alles
war", ist das Ende noch nicht wieder geworden. Aus den musikalischen
Untergründen von Eddalandschaften sollen Personen leibhaftig werden,
die nicht mehr Edda und noch nicht Mensch sind, so schwer zu begreifen,
438
r
'x/itL'lnv
Lenbach: Wagner
wie dieser gute schwache Wotan und der Weltengeist, der zur Wala hinab-
steigt, die Walküren zu zeugen, eine und dieselbe Figur sein kann. Vergan-
genes und Zukünftiges rückt unsicher aneinander. Die Formel der Rhein-
töchter, des Alberichfluchs, der Logeerzählung, der Schmiede, der Erda,
439
des Gewitters, des Regenbogens, die Formeln balancierender Ober- und
Unterwelten sind nicht ohne Tradition der Operngeschichte. Aber doch
ist schüchterner, jungfräulicher Boden der neuen Opernszene, aus der die
Differenzierung der beiden Riesen in einen idealen und einen realen Men-
schen, oder Freias blitzender Blick aus dem Goldstapel oder Loges schwei-
fende Unwillkür „wer weiß, was ich tu" wie plötzlicher ferner Märchen-
glanz hervorleuchten. Naturgewalten versuchen zu singen, aber sie sind
eigentlich zu stark zum Präludieren und flüchten sich darum in den Ge-
danken.
Ganz anders die Walküre. Hier fand Wagner menschlichen Boden. Sieg-
munds und Sieglindes Liebe, Hundings finsterer Haß, Brünnhildes Todesver-
kündigung und ihr schönes, herzliches Schwanken um das Schicksal Sieg-
munds, der aufgeregte Haufen der Walküren, die Bestrafung der Brünnhilde,
der Feuerzauber, das ergab eine wundervolle Einheit musikalischer und dra-
matischer Innerlichkeit. Der dritte Akt mußte etwas mit operntypischem
Material belastet werden. Der zweite litt an Wotans Philosophie sowohl
wie an ihren Folgen, die ein unmusikalisches Gegensichselbsthandeln im
Kampfe Siegmunds und Hundings erzwangen. Im ersten Akt aber war
völlige Reinheit, er wurde darin die glücklichste Schöpfung Wagners, daß
er auf neuem Boden der Opernszene, in ergänzendem Fluß des Dramas
und der Musik, von keiner Gedanklichkeit behindert, sich selbst kongruent
bleibt. Nie wieder hat sich das so getroffen, wie in diesem menschlichen
Winkel des sonst so inkongruenten übermenschlich großen Nibelungen-
dramas.
Ungleicher wieder fällt Siegfried aus. So reizend seine ersten Szenen
mit Mime sind, die neue Gegenüberstellung seines frischen deutschen
Wesens (es ist der höchste Auswuchs des romantischen Jägertyps) und der
berechneten Zwergigkeit, des Nichtfürchtens und des Fürchtenmüssens,
der Schwertschmiede und der Giftküche, so verlegen ist ihre letzte Szene,
die nicht gelungene Ironie des Mordenwollenden und des Mordenmüssenden.
So abstrakt alle Wandererszenen bleiben mit Mime, mit Alberich und Fafner,
mit Siegfried, so seelisch beschwingt ist das schöne Waldreich Siegfrieds,
das aus Musik geboren ist, frei jeder Opernhaftigkeit innerhalb einer doch
bewährten und fast typischen Situation. Und so wundervoll aus Musik
empfunden und in Musik sprechend Siegfrieds Erwecken der Brünnhilde
ist, so literarisch bleibt ihre Liebe, die aus einsam tönenden Wesen eine
unmögliche Zweisamkeit herstellen will. Aber so unmöglich diese Zweisam-
keit wieder ist, so unerhört gewaltig und neu strömte die Musik, die sich
auf sie niederstürzte, gänzlich inkongruent, subjektiv, genial und über die
440
alte Oper hinweg fast schon wieder neue Oper. An dieser Stelle war der
Text liegen geblieben, die Musik aber nach der langen Unterbrechung aus
ganz anderen Tiefen hervorgesprudelt.
Das meiste litt die Götterdämmerung am Dichterischen, an der Ge-
drängtheit ihrer Vorszenen, an der Plötzlichkeit des schnellstens aufgerollten
Gibichungendramas, an allen Verzögerungen durch Waltraute und Alberich,
die die Fäden des Dramas hochhalten müssen, an der Seelenlosigkeit der
Zaubertränke, an der Unmöglichkeit der Meineidszene, die der alten Oper
ein willkommenes Ensemblematerial gegeben hätte, aber die neue psycho-
logische Oper in musikalische Schwierigkeiten bringen muß. Die Mannen-
chöre mit Hagen (der Unmensch ist hier der einzige Mensch) ragen aus
dieser Verwirrung hervor, wie zugestandene Opernreste, echt und stark
in ihrer Ironie. Und zur Oper, als wie zur einzigen Rettung aus all den
Gegenwirkungen von Gedanke, Sage, Drama und Musik, kehrt billig der
letzte Akt zurück: Jagd, Rheintöchter, Trinken, Erzählung, Tod, Trauer-
zug und große Soloszene der sich opfernden Heldin unter gewaltigem Deko-
rationseinsturz — es war ein altes, gutes technisches Gerüst, das sich nur
mit den Motiven und Erinnerungen der vergangenen viertägigen Tragödie
zu füllen hatte. Jetzt fanden sie für eine freie und dankbare musikalische
Ausbreitung endlich Zeit und Boden. Jetzt fühlten auch sie, die viel Ge-
quälten und Geopferten, Heiligen und Verfluchten etwas wie eine eigene
Erlösung. Das ist die resignierte Schönheit des dritten Akts Götterdäm-
merung.
Unterdessen hatte die Musik zwei große Triumphe erstritten, im Tristan
gegen den Gedanken, in den Meistersingern gegen den Operntyp.
Der Gedanke des Tristan, die endliche Liebesvercinigung im Tode,
der Haß gegen den scheidenden Tag, die Sehnsucht nach der verbindenden
Nacht, dieser Novalishymnus lebte in der Musik. Es ist der ausgesprochene
Protest des Irrationellen gegen die Wirklichkeit, die Auflösung des irdisch
Unaufgelösten durch den Himmel der Musik, aus dem einst Lohengrin
zuerst zur Erde stieg. Wie konnte das Drama werden ? Es war ein Gefühl,
schopenhauersch vertieft, aber Genuß und Religion des Pessimismus, wie sie
nur die Musik, die unendlich versinkende, auf dem Grunde aller Dinge
finden konnte. Ein Gefühl, das Symphonie werden konnte, wo fand es seine
Bühne l Es ersah sich Tristan und Isolde zu Trägern. Es hätte kaum einen
Marke gebraucht, der nun allerlei reden muß, was er sonst verschwiegen
hätte. Es hätte kaum den Liebestrank, die Jagd, Brangäne und Kurwenal,
den Hirten und die Schiffe gebraucht, nun mußten sie für die Bühne er-
stehen und taten das Äußerste, sich aus jedem Opernhaften zu verfeinern,.
441
zu vergeistigen. Es mußten Akte werden und Vorgänge, wenn auch nur ein
Hauch davon. Alles ward vereinfacht, die Vergangenheit der Tantrisepisode
als einziger Faden herübergenommen, fast schon zu viel. Die Tragik der
Geschehnisse, wenn sie sichtbar wird, bekommt dies Übereilte, das den
dritten Akt verwirrt. Melot, der Nebensächliche, wird der geheime Ver-
mittler der Tragik. Er reizt Tristan zum Zug nach Irland, er vollführt
den Verrat, er bringt den Tod, erbittert Kurwenal, häuft die Leichen. Er
ist der bestellte, dumme, mit keiner Musik belohnte Regisseur des notwendigen
Dramas. Aber Tristan und Isolde, die sich ewig lieben und ewig lieben werden,
wissen von alledem nichts, denn sie leben in Musik, auf Fragen wissen sie
nichts zu antworten, auf Motive der Handlung gehen sie nicht ein, sie lassen
schweigend Töne sprechen, und sprechen sie Worte, ist es der Gedanke. So
ist es geschehen, daß hier ein Werk entstand, dessen Inhalt ein Gedanke,
dessen Drama ein Schimmer von Realitäten, dessen Wesen einzig die Musik
war. Der Gedanke bleibt in der Luft, nimmt man ihn für sich; das Drama
strauchelt, nimmt man es als Handlung; aber die Musik ward eine der größten
Offenbarungen, die es auf dieser armen Erde gegeben hat. Hier ist es Wahr-
heit geworden, daß sie sich Sage, Philosophie, Drama unterworfen hat,
die ihre Schatten werden. Aber noch im Tode lächelt sie der Widersprüche
aller derer, die diese Schatten für Körper nehmen. Ob es geht ? Das weiß
sie nicht, das kann sie dir nicht sagen. Fragt Melot.
Spielen die Träger der Handlung im Tristan nur eine expositive Rolle
für das Gefühl, so sind sie in den Meistersingern von Nürnberg, ohne jede
metaphysische und mythologische Verpflichtung, selbst die Motoren des
Dramas. Dafür ist der Tristan innerlich zentral, und die Meistersinger
haben ganz eine äußere Substanz, wie irgendeine Oper. Ihr Inhalt, der Sieg
der adligen Freiheit über die bürgerliche Zunft, zumal er sich auf dem Felde
der Musik selbst abspielt, ergab ebensosehr eine feste Handlung wie eine
innere tendenziöse Beteiligung. Der Kern dieser Beziehungen wurde darum
das Plastischste, was Wagners dichterische Phantasie geschaffen hat. Hans
Sachs ist im ersten Entwurf noch kühle historische Person, unterdessen
hat er Eva lieben gelernt und mit dem Weib die Einbildungskraft und den
Zwang des Lenzes und die Seele der Gesetze und alles Wesen der Kunst
als Schöpfung — so wird er reif, wohlwollend, herzlich und dankbar für
alles Alte und Neue, auch vornehm und klug genug, seine Liebe zu Eva
als ein stilles Motiv seiner Beseelung zurückzubehalten. Kurz, er wurde
ein Mensch, wie ihn Wagner nicht wieder fand. Ein ganz konkretes und
•sinnliches Bild jener großen Liebe, die er sich in der Welt ersah und ersuchte.
Nicht so gut erging es seinen Dramengenossen, die weniger erlebt als kon-
442
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Erklärung des Tristan. Von Wagner für Mathilde Wesendonck geschrieben
struiert wurden. Vater Pogner mag ihm noch zur Seite stehen, in der Milde
und Schönheit jener unausgesprochenen dumpfen Regungen, die das Neue
fühlen, ohne es zu verstehen. Aber Eva bleibt ein wenig in der Mitte stecken
und Walther hat sicherlich den Tenor nicht ganz überwunden. David und
Lene (der Johannischor spricht von der „alten Jumbfer"!) sind atavistisch.
Beckmesser ist Produkt eines trockenen literarischen Witzes. Wagner meinte,
das sei alles aus dem Innersten von Hans Sachs angesehen. Das glaube ich
nicht, er selbst hat sich wohl entwickelt, aber seine Umgebung ist stehen
geblieben — in der langen Frist der Jahre, die über dieses Werk dahin-
gingen.
Denn in die Meistersinger ragt der gesamte Apparat der alten Oper
hmein, die von Anfang bis zu Ende die äußere Form bestimmte. Die Kirche,
443
die Preisehe der Eva, Lehrbuben, Förmlichkeiten der Freiung, die Probe-
lieder, die Finalebildung, die Spottchöre, das Schusterlied, der Rachedurst,
das Ständchen, Verkleidungen, Prügeleien und Nachtwächter, der Monolog
des Baritons, die Komposition von Liedern, die sich langsam verändern,
die Pantomime des Geprügelten und die der Liebenden, das Quintett, der
Aufzug der Gevverke, Tanz, Liedparodie, Preislied, Krönung und mahnen-
der Epilog mit allem Jubel und allen Chören — kaum erkennen wir noch
unter der ungeheuren neuen Gewalt der Musik diese Schemata, die nicht
anders als im Tannhäuser zu einer Oper zusammengesetzt wurden und doch
so ganz verwandelt erscheinen, richtige typische Opernszenen und doch
ein ganz eigenes Bekenntnis einer deutschen Künstlerseele. Wagner hat
das Drama mit vielen Details der Handlung, mit ]\Iotivierungen und Tat-
sächlichkeiten ausgestattet, die einem rein literarischen Gewissen entspringen.
Er hat ebenso eine Fülle ästhetischer und historischer Sentenzen hinein-
geschüttet, die Lehre der alten Verse und Weisen, die Bedeutung der Regeln,
die schöne Weisheit von der Wahrtraumdeuterei aller Poesie und eine tiefe
deutsche Auffassung von der Kultur echter Volkskunst, wichtige Bekennt-
nisse, die seinem philosophischen Gewissen entspringen. Aber die Dank-
barkeit der alten Oper ist geblieben. Was etwa überwucherte, hat die Musik
in einer sehr geschickten Deckung zu schützen gewußt. Diese Musik war
so sehr Kraft, wie der Text Tradition war, so sehr Genie, wie er Typ war,
so sehr letzte Einbildungskraft, wie er Konstruktion blieb. Die Meister-
singer sind nicht aus Musik geboren wie der Tristan, sondern sie sind kom-
poniert. Sie geben in Drama, Technik und Wohlgefallen der alten Oper,
was ihr einst gehörte, zurück. Ihr Triumph ist um so ewiger, als über dieser
konventionellen Grundlage einzig und allein durch die musikalische Erfin-
dung ein Werk geschaffen wurde, das der Baum von Jahrhunderten geworden
ist, mehr als alle Welteschen Wotans.
Der Parsifal war nicht nur das Schlußwort, sondern er ist es. Es ist die
Auseinandersetzung mit Wagners ganzer Vergangenheit im Symbol der
leidenden Menschen, die durch das reine und naive Wissen errettet werden.
Dabei ist das Dramatische, Gedankliche und Musikalische, Konvention
und Innerlichkeit einander so genähert, daß wieder ein Gleichmaß der Kräfte
erreicht wird, wie einst in alten Zeiten. Tannhäuser ist freilich indessen
durch Wotan und Tristan zu dem isolierten Amfortas hindurchgegangen,
Lohengrin durch Siegfried zu seinem Vater Parsifal hinaufgestiegen, Daland
durch Kurwenal zum Gurnemanz geworden und Elisabeth und Venus
haben sich in Kundry vereinigt, aber sie haben doch ihre Vergangenheit
nicht ganz vergessen und an wirksamen Kontrasten und Erfahrungen im
444
Milieu manches mit her-
übergebracht, was den
abstralcten Gedanken der
Erlösung durch Mitleid
bühnenmäßig trösten und
seiner musikalischen Her-
kunft dankbar zurückgeben
kann. Lust und Religion,
Liebe und Erlösung, Selb-
stisches und Knechtisches,
Heldisches und Intrigan-
tes, Leiden und Verstehen,
sinnliche Liebe und himm-
lische Liebe, Wald, Tiere,
Schlafen, Tod und Wunder
— was immer die Angel
seiner Welten war, es ist
hier noch einmal zu einer
weihevollen Synthese ver-
einigt. Die Titurelchöre
singen in strophischen
Wechseln, wie einst die
Walküren hatten singen
sollen, Parsifal, der einst
hatte den wunden Tristan
besuchen sollen, hat nun das
schöne Schweigen von ihm
gelernt, Kundry schläft,
wie einst Wala schlief, weil
sie nichts mehr lenken kann.
Denn Kundry leidet an die-
ser Synthese am meisten.
Da sie den Heiland einst
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Cm tiairiar SfUri f*IUI I h.
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Zettel der Uraufführung der Meistersinger
verlachte, ist ihr die furchtbare Strafe geworden, den Frommen und den
Teufeln zugleich zu dienen. Mit dem entmannten Teufel Klingsor wird sie
eher fertig, da er nicht Fleisch und Blut ist. Auch mit den Gralsrittern, da
sie es ebensowenig sind. Aber mit Wagner selbst gerät sie in den letzten
Konflikt, den er zu bestehen hatte. In der Szene mit Parsifal zwingt er sie,
eine Dialektik von Liebe und Erlösung zu entwickeln, die sie nicht leisten
445
kann. Der Gedanke krampft sich, Szene zu werden. Liebe soll Erlösung,
Erlösung Liebe hervorrufen, sie haken sich ineinander ein, wenden sich um,
betrügen sich: damit einzig Parsifal an der sinnlichen Liebe die himmlische
lerne und Wagners Leben erfülle. Doch Kundry hat es anders beschlossen.
Sie ist die Oper und rächt sich an allen Begriffen. Von Skizze zu Skizze zwingt
sie Wagner mehr, ihr zu glauben. Sie führt ihm die großen Gralschöre und
Tempelgesänge vor, sie schafft ihm die reizenden und verführerischen Blumen-
mädchen, dekorative Pracht und alle Sinnlichkeit der Religion und der Hölle
und läßt ihn ein dramatisches Oratorium schreiben, das sich schämt, sich
Oper zu nennen und dennoch ihr alle guten Wirkungen wiedererstattet, die
sie in Zeiten der Antithese glaubte verlieren zu müssen. Kundry ist die Oper,
die Synthese des Unmöglichen, die Dienerin der Heiligen und der Sünder,
gezwungene Darstellerin begrifflich dialektischer Auseinandersetzungen von
Liebe und Erlösung, dagegen wahrhaft erlöst durch die reine Torheit der
schönen Musik, die Parsifal am Karfreitag begleitet. Man nennt Parsifal ein
Genie, weil er im Erblicken der Zusammenhänge, unbefangen und unbeirrt,
dem Leidenden das Heil bringt, also ein Tatmensch wird. Aber schon Lohen-
grin hatte auf die Tat verzichtet, Tristan hatte die vorübergehende Sehn-
sucht nach dem Leben, die er im ersten Entwurf noch empfand, dann voll-
kommen aufgegeben, Walther selbst hatte seinen Tatendrang in Musik umsetzen
müssen, Wotan und Siegfried waren in einer Symphonie des Pessimismus
gestorben und auch Parsifal ist niemals ein positiver Tatmensch geworden
in der Umgebung von Symbolen, in die er hineingerät. Sein Sieg ist die
Passivität. Diese Passivität, das rhythmische Aufgehen in den Dingen an
sich, ist die Tugend, durch die die Musik die Oper befreit. Das ist die ,,Tat"
der Musik, von der Parsifal jedesmal, wenn er den mystischen Gral enthüllt,
gegen alle Nietzscheaner, die die musikalische Weltanschauung der Kon-
templation nicht begreifen, zu singen hat. Freilich: der reine Tor selbst
hat keine Ahnung, daß er zu dieser Mission berufen war.
Die Waffe ist wiedergekehrt, sie schloß die Wunde, die sie schlug, sie
endete das Leiden der Künste, den furchtbaren Kampf aller Begriffe und
Töne, Überlieferungen und Revolutionen, dramatischer Notwendigkeiten
und tiefster innerer P^lebnisse, sie führte sie veredelt in ihren Kreis zurück.
Es ist die Religion der Oper, nicht viel mehr. Und Kundry, die Oper,
stirbt in diesem heiligsten Augenblick.
Es war das Blut der Opern Wagners, das wir geschaut haben, sein Leiden
und sein Lieben, seine Kraft und seinen Kreislauf. Nun erst ist es uns ver-
gönnt, in diesem Kreise zu bleiben und den Körper der Kunst zu bewundern,
den es ernährt: die Verse, den Gesang, das Orchester, die Musik.
446
Die Verse
SO unvergleichlich schöpferisch die Sprache seiner Musik wurde, so schwan-
kend ist die seiner Worte. Sie sind dem Einflüsse der maßgebenden Musik
am fernsten gerückt, und also am unbestimmtesten. Die Verse des Rienzi
halten sich auf einem anständigen Niveau, nichts als ein Kleid für Musik-
wirkungen. Im Fliegenden Holländer tritt die Methode kurzer Ausrufungen
schon bewußter hervor, als Druck von Musik, die Balladentexte und Lied-
verse des Steuermanns, der Senta, der Spinnerinnen, der Wechselchöre
haben eine scharfe volkstümliche Wendung. Der Reim ist willkürlich und
unbeständig. Dieselbe Willkür im Tannhäuser, dessen Verse leicht wolframig
bieder und bedichtet sind, am kernigsten noch in den Altertümlichkeiten
der Pilgerchöre und des Elisabethgebets. Im Lohengrin ist eine Art Schicht-
wechsel. Bis zur Schwanankunft ist wenig Reim, dann fast alles, außer der
Szene Telramund-Ortrud, die nur in der Ehrenarie und im Duett Reime
hat. Ortruds Zauberformel ist nicht gereimt, die Verkhwörung ist gereimt,
auch das zweite Finale ist gereimt. Darin ist erst recht kein System zu er-
kennen. Wagner hatte sich nicht klargemacht, daß der Reim außer im
Strophischen der Musik nichts gibt, sondern eine zweite Musik der Sprache ist,
die inkongruent wird zu der Komposition. Und daß, wenn man ihn anwendet,
man ihn systematisch zu bringen hat, im Lyrischen mehr als im Dramatischen.
Das Maß wechselt wie gewöhnlich, vor weiblichen Reimen ist keine Scheu, das
Jambische herrscht vor, das Trochäische mehr im Jubelnden. Die Sprache ist
oft seicht, oft stockig, alles ist noch Konvention und Libretto, viel mehr,
als man nach der musikalischen Entwicklung von Lohengrin denken sollte.
Ein völliger Bruch geschieht im Ring. Nach alten literarischen Mustern
wird der Stabreim eingeführt, in freien wechselnden Maßen. Der Stabreim
gewinnt, was er an künstlichem Archaismus verliert, durch die musikalische
Bedeutung, er geht nicht wie der Endreim verloren, sondern er akzentuiert
zusammengehörende Worte. Zudem gibt er den germanischen Charakter.
Aber ihn nachzuahmen, noch einmal, nachdem er selbst schon nachgeahmt
hat, ist gefährlich. Vielleicht drückt er auch auf die Worte, die oft bei pathe-
tischer Lyrik und gezwungener Komik dick und verquollen werden. Steht
die Kraft der Sprache ungezwungen und stählern zutage, so bewundert
man Wendungen von einer Konzentration, die das Muster von Musik-
sprache scheinen. „Heut hast du's erlebt." „Was noch nie sich traf, danach
trachtet mein Sinn." „Wehre dem Kuß des verworfenen Weibes nicht."
„Mir leuchtete Wotans Auge." „Ich lieg und besitze, laß mich schlafen."
„Sterben die Menschenmütter an ihren Söhnen alle dahin?" Die Siegfried-
447
dichtung ist die Höhe dieser neuen Sprache, die die erste war, welche über-
haupt die Musik aus sich und für sich geschaffen hat. Im scharfen Schnitt
der Empfindung, des Bildes, des Klangwertes findet sie ihre Prägung, kon-
struktiv nicht zu verwickelt, vom Begriff ins Gefühl gehoben, in einer ge-
wissen symbolischen Gültigkeit.
Die Sprache des Tristan offenbart sich sofort als Schatten (nicht Ge-
burt) der Musik. Die Erfindsamkeit in der Sprache des wogenden Gefühls
und der Ahnungen, die Nietzsche an Wagner rühmte, bewährt sich hier am
ehesten. Das Wort ist oft nur die schmale Stütze des Begriffs, wie dieser
die des Gefühls ist. Der Gedanke fällt in eine kurze Lyrik herab. Die Gewalt-
samkeiten der Tag- und Nachtphilosophie ergänzen sich durch eine üppigere
Malerei und durch Korresponsionen im Stile klassischer Texte. Je mehr
sich das Wort in Musik auflöst, desto hauchiger wird seine Substanz, desto
wallender sein Rhythmus. Oft drängt es sich devisenhaft. Das Trochäische
tritt hervor. Ein seltener Stabreim, viel Endreim, auch Assonanzen —
wieder herrscht darin die Unbestimmtheit der Wahl innerhalb der absicht-
lichen Unbestimmtheit der Maße.
Die Meistersinger haben durchgeführten Reim, eine meist klare und
vollendete Sprache, die in Walthers Liedern aus Stil den Renaissance-
schwulst annimmt. Wagner gibt also das Prinzip einer besonderen Musik-
sprache, sei sie gehämmert oder nur gegossen, wieder auf. Die poetische
Selbständigkeit des Dramas will sich ihre Haltung bewahren.
Der Parsifal schließlich kehrt zum Anfang zurück. Er hat den teil-
weisen Reim. Seine Sprache ist gepolstert von Abstraktionen, Begriffsver-
dickungen, auch auf Sprungfedern der Empfindung.
Das Resultat dieser Reihe ist: die Sprache hat sich nicht endgültig von
der Musik bilden lassen, nach vorübergehenden individuellen Versuchen
ist sie in eine Gleichgültigkeit zurückgefallen, die den Verzicht bedeutet,
zwischen dem Wort und dem Ton eine Regelung des Verhältnisses herzu-
stellen. Stilfarbe, wie in den Holländer- und Waltherliedern ist Laune.
Der Parsifal leiht sie sich nicht einmal von den Psalmen. Nichts ist fest-
zustellen. Die Meistersinger haben die reifste Sprache, aber ohne Wirkung
der Musik. Tristan hat die musikalischste, aber ohne Substanz. Der Ring
hat die Substanz, aber Gewaltsamkeiten. Der Parsifal ist das letzte, aber
das schwächlichste. Alliteration ist musikalisch, aber nicht zu wiederholen.
Reim ist nicht musikalisch, aber wiederholt sich immer. Das freie, beliebige,
nicht vorn und nicht hinten gereimte, natürliche, biegsame und gefühls-
starke, klangvolle, bildscharfe Maß ist das Wahre und Bleibende für Musik:
es findet sich nirgends.
448
Der Gesang
SOBALD wir die Frage umgekehrt legen, von der Musik gegen die Sprache,
läßt sich die Anatomie geschlossener beobachten. Bis zum Lohengrin kann
man kaum sagen, daß die Sprache, außer daß sie ihr strophisches Schema
auch unwillkürlich auf die Gesangszeilen überträgt, die Musik irgendwie
bestimmt. Die starre, rein formale Arie löst sich wohl in einen freieren
Gesang allmählich aus, aber die Herrschaft der musikalischen Linie ist doch
noch unbestritten, von alters her lockerer in gewissen rezitativischen Partien,
die auch ganze Szenen, wie Telramund-Ortrud oder die Tannhäusererzäh-
lung, der modernen Deklamation näherbringen. In der Erzählung Lohen-
grins kann man noch beobachten, wie die Stimme der vorgezeichneten Melo-
die ohne viel selbständige Regung folgt.
Im Ring tritt wieder die entschiedene Revolution ein. Das deklama-
torische Prinzip wird rücksichtslos verkündet. Wagner stellt folgende Ge-
dankenreihe auf: die bisherige Opernmelodie ist eine instrumental emp-
fundene, aus dem Instrument der menschlichen Kehle. Die Logik führt
uns dazu, die Kehle nicht mehr als Instrument von Tönen, sondern ausdrucks-
voller Worte zu nehmen, die im Gesang ihre sprachliche Dynamik nicht
zerstören, sondern erhöhen sollen. Die Stimme hat also nicht die absolute.,
sondern die relative Melodie zu singen, die für die äußere Form die innere
Wahrheit setzt. Sie bildet sich nicht gegen, nicht mit den Worten, sondern
aus den Worten, Phrasen, Sätzen. Im dritten Teil von „Oper und Drama"
führt er dies mit allzu großer Ausführlichkeit durch, und er hält die Zeit
gekommen für die eigene Melodie der nordischen (er sagt „deutschen")
Sprache, die nur auf Wurzelsilben betont, während die romanischen vvill-
kürlich'betonen. Die romanische Melodie wirft darum ihre Worte in be-
liebige musikalische Akzente; die deutsche, die auch im \ ers ihrem Wurzel-
gefühl treu bleibt, hat endgültig aus dieser seelischen Rhythmik heraus ihren
Ton zu bilden. Sie hat dabei die harmonische Modulation nur nach den
Wendungen des Gefühlsganges zu richten, die sie mit jeder Biegung der
Tonalität verfolgt, ein Stimmungsgerüst unter dem melodischen Prozeß der
Worte. Harmonische Stützen der Melodie können nun nicht mehr andere
Stimmen sein, die im Ensemble ihre Selbständigkeit irgendwie doch einbüßen,
sondern nur das Orchester, das motivisch den Ablauf der musikalischen
Zustände auszudrücken hat. So gibt es keinen Zufall mehr in der Oper,
alles ist Logik der Künste. Als Gegenbeispiel gilt Beckmessers Deklamation.
Es war dies eine der größten Entdeckungen in der Oper, weil sie aus
dem untermusikalischen Leben unserer Sprache herausgehört war, und ihre
449 ^9
Wahrheit wird noch lange wirksam bleiben. Sie beherrscht vom Ring bis
zum Parsifal die meisten Strecken des Gesanges, der innerhalb der physischen
Möglichkeiten der Organe alle die vielen Nuancen musiksprachlicher Gattung
ausnützt, die früheren Reformatoren der Deklamation verborgen waren,
langgehaltene Töne, Isolierung wichtiger Phrasen, Hinüberziehen über
gleitende Portamenti, Hinaufwenden letzter Silben, alle die tausend Kurven,
Lagerungen, Ausbrüche, Ehrbarkeiten, Heimlichkeiten, Uberzeugtheiten
und Verrätereien, deren musikalische Bilder in dem ewigen Auf- und Ab-
gleiten unserer gehobenen Sprache liegen, unterschieden nach den Charak-
teren der Personen.
Aber die Wahrheit der Sprache in der Oper ist eben nur eine Wahr-
heit, der andere Wahrheiten gegenüberstehen, und somit ist die Logik
eine Theorie. Die Musik zwingt den Theoretiker in der Praxis sich selbst
zu verleugnen. Sie züchtet im Verborgenen Zugeständnisse, die sowohl
die Formlosigkeit als die Einsamkeit als den ewigen Parallelismus der Stimme
zum Orchester zu trösten haben und stellt immer mehr den unlogischen Sinn
der Oper wieder her, der der Sieg der Musik ist.
Die natürlichsten Zugeständnisse sind alle Lieder, die sich als solche
geben, wie die Meistersinger sie in ganzen Reihen haben. Doch gern kristalli-
siert sich auch sonst das Liedhafte, wie in Siegmunds Liebessang oder in
Siegfrieds Blasebalggesang, unter deutlichen formalen Zwängen, die die
Not der Lyrik sind. Die Not der Lyrik ist entschuldigt, wenn Textparallelen
wie im zweiten Akt Tristan oder dritten Walküre die Korresponsion strophi-
scher Art nahelegen. Die Not der Lyrik enthüllt dem feinsten Ohr einen
leisen, wie zauberhaften Hang zur Liedmelodie, Liedwiederholung durch
den ganzen Tristan. Die Not der Lyrik bringt Eva vor Hans Sachs dazu,
in eine melodische Phrasenreihe von absoluter Schönheit auszubrechen.
Sie verdichtet Gesänge zu melodischen Formeln in der Ironie und dem
Auftrag der Isolde, in der Loyalität der Fricka, in der Erziehungslehre
Mimes, in der motivischen Sprache des Waldvogels, in allen Schwüren
auf Trinkhorn und Lanzenspitze. Sie gestattet bald bei möglichster Selbst-
ständigkeit der einzelnen Stimme größere und immer noch größere Ensembles
und verschlingt zuletzt, schon nicht mehr ganz als lyrische, sondern als
symphonische Not die Stimme in die thematische Welt des Orchesters.
Kurz: es ist Schicksal, daß sich die stehende Musik an der laufenden rächt.
Der Ring zeigt die Wandlung in sich. Die zweite Hälfte der Kompo-
sition ist mitunter wie eine Wendung der Praxis gegen die Theorie der ersten.
Während die Nibelungen sich durchaus scheuen, einen Chor zu bilden,
und Siegfried und Mime auch gesanglich einander aus dem Wege gehen,
entsetzen sich Günther,
Hagen und Brünnhilde
nicht mehr vor einer klei-
nen Terzettepisode, Sieg-
fried singt munter zu den
vokalisierenden Rheintöch-
tern, und er und Brünn-
hilde geben sich dem schön-
sten Duett hin und gern
dazu her, die Themenbil-
dung des Orchesters als
absolute Instrumente zu
unterstützen. Gewiß ha-
ben alle diese mehr Veran-
lassung zumEnsemble, aber
sie benutzen sie auch ohne
jedes Bedenken.
Der Tristan hat die
ausgeglichenste Deklama-
tion, die in einer wunder-
vollen Lebendigkeit, einig
mit der Sprache, und doch
singende Musik, eine ganz
geheimnisvolle Liedmusik,
nur selten, und dann mit
zartester Vorsicht, die
reiche Gelegenheit nutzt,
das Ensemble des lyrischen
Zwiegesanges zu konstruieren und noch seltener, und dann mit einer ent-
zückenden Hingebung in Auseinandersetzungen mit der Symphonie gerät, die
durch ihre meist kurzen symbolischen Motive schmiegsamer wird als die
der breitgegliederten Motive des Ringes. Wenn Isolde im Liebestod ihren
Gesang auf geringe Takte der Herrschaft der absoluten thematischen Musik
preisgibt, so tut sie es wie in einer Lösung ihrer Existenz in die Macht der
Töne, die der Inhalt dieser Tragödie ist. Hier wird das Wort aufgesaugt.
Das Wort in den Meistersingern ist viel zu bestimmt und bestimmend,
um verloren gehen zu dürfen. Es verlangt einen Gesang, der dem Augen-
blick seinen ganzen Ausdruck gibt. Unter Sachsens Fliederbaum eint er sich
so erquickend mit dem Sinn der Sprache und dem des Orchesters wie nur
Mciizil: Wagner auf der l'roLic in Bavri-iitli
Mit ücnchiniguiig von F. A. Uriickmann A.-G. München
451
29'
an wenigen Stellen der Opernliteratur. Im übrigen aber hat er gerade
hier viel Gelegenheit, in fester Melodie und im Ensemble seine schönsten
Egoismen zu begehen. Im Solo schon gibt es allerlei kleine Opfer des Wortes
an die Melodie oder an das Orchester, im Zusammensingen gibt es Ver-
legenheiten, die bis zu Textwiederholungen führen. Die Oper geniert sich
nicht mehr.
Noch weniger im Parsifal, der nicht nur im Ensemble der Musik zu-
gesteht, was sie verteilt, sondern auch schon der Gesangsmelodie wieder
verlorene Rechte einräumt, sowohl bei den Gralsrittern als bei den Blumen-
mädchen, oder den Parallelismus des Orchesters nicht aufrecht erhält, wie
es Kundry im zweiten und Gurnemanz im dritten Akt passiert. Die Wahr-
heit der Musik wird der Wahrheit des Wortes überall gefährlich, und wenn
auch nicht im Stil, so doch in der Richtung blickt das Ende wieder auf seinen
Anfang hin.
Das OrcJiestcy
VERLEGEN wir unsern Standpunkt ins Orchester, so scheint es, daß
auch die Ouvertüren und Vorspiele von einer rückläufigen Richtung be-
herrscht werden. Die Rienziouvertüre hat noch die alte äußerliche Sonatenform.
Der Fliegende Holländer wird schon durch eine Art symphonischer Dich-
tung über die dramatischen Themen der Oper eingeleitet, deren Schluß
durch die spätere Bearbeitung wirkungsvoll gehoben ist. Der Tannhäuser
hat ursprünglich auch eine geschlossene symphonische Form, die den Venus-
berg in den Pilgerchor rahmt, in der Pariser Bearbeitung aber wird dieser
formale Zwang aufgehoben, und der Venusberg der Ouvertüre führt gleich
in den der Oper (so daß der Anfang mit dem Pilgerchor sinnlos wird). Lohen-
grin bricht mit solchen Kontrastanlagen. Er baut im Vorspiel einen Tempel
des Grals aus seinem einzigen ausgebreiteten Motiv, das er durch alle Schich-
ten des Orchesters, Streicher, Holzbläser, Blechbläser giebelt, um es in
seinen Anfang zurückzuführen. Das Lohengrinvorspiel ist das wundervolle
Bekenntnis der Entdeckung dieses neuen Erdteils in der Musik, und darum
der Extrakt, das symphonische Resultat eines inneren Verhältnisses zu ihr,
während die gewohnte Ouvertüre im besten Falle ein Bild des äußeren
Verhältnisses gab, das man richtiger nach, statt vor der Oper kennen lernen
sollte. Der Nibelungenring geht noch einen Schritt weiter, er verzichtet
auf jedes allgemeine Vorwort, inneres wie äußeres, und gibt nur Stimmungs-
anfänge der Szenen. Selbst das gewaltige metaphysische Bild des kosmischen
Werdens, das zu Beginn des Rheingolds aus tiefstem Es Wallen und Wogen
452'
der Welt im allmählichen Auswachsen einer einzigen Tonalität schildert,
führt uns nur auf den Grund des Rheins, dessen sinnliches Leben anhebt,
indem es das Es des Es-Dur zur Quartsext von As-Dur umschaltet. Der
Tristan stellt sich wieder neben den Lohengrin, indem er aus den Motiven
der Liebe ein geschlossenes inneres Bekenntnis formt. Die Meistersinger
wenden sich noch mehr zurück, indem sie eine richtige Ouvertüre bieten,
die mit aller kunstvollen Durcharbeitung doch das Rahmenbild der ganzen
Oper hinsetzt. Der Parsifal entschließt sich zu einem Kompromiß in den
mosaikartig gereihten Gralsmotiven, die den Kontrast der Leidensmotive
aus sich entwickeln, um der Oper selbst ihre Lösung zu überlassen.
Eine ähnliche Reihe läßt sich aus den Einleitungen der dritten Akte
feststellen, die Wagner mit besonderer Vorliebe zu größeren symphonischen
Gemälden ausgestaltet. Das Vorspiel zum dritten Akt Tannhäuser schil-
dert seinen Romzug, wie das des Parsifal seinen Leidensweg schildert. Lyri-
scher sind diejenigen des Lohengrin und Tristan, dort die Feststimmung
der Vereinigung, hier die Einsamkeit vor dem leeren Meer. Im Ring ist oft
noch äußerlich eine Erinnerung an diese symphonischen Akzente geblieben,
wenn vor dem dritten Akt Walküre der Walkürenritt sein ausgeführtes Bild
findet, vor dem dritten Akt Siegfried Wotans Sturmeswehen, vor dem
zweiten Akt Götterdämmerung das grandiose, in Fäusten der Akkorde
und Rhythmen geballte Kredo des Nibelungenhasses. Das dritte Vorspiel
der Meistersinger breitet sich zu einer Schilderung von Sachsens Innenleben
aus, aber es knüpft seine Freuden an seine Sorgen mehr in der koordinierten
Form jener Epik als in der Baulichkeit dieser Lyrik.
Doch je mehr wir uns in sein Orchester vertiefen, desto mehr schwindet
uns die Vorstellung dieser kreisförmigen Richtung der Anatomie seiner
Technik, desto leibhaftiger erfreuen wir uns des blühenden Fleisches der»
Musik — der Opernkomponist wird ein Symphoniker, ein deutscher Meister
des Orchesters, der am liebsten aus diesem Element seiner Kunst empfindet
und von ihm aus, so selten er es zugibt, die Einstellung seines Dramas gewinnt.
Er liebt die restlose Wahrheit des Ausdrucks, er findet sie nur im Orchester,
und dieses diktiert der Bühne ihre Form, nicht mehr umgekehrt. Die Auf-
fassung der Oper, in der jeder sein charakteristischstes Instrument spielt,
auch die Stimnte das des Sprachgesanges, in der das Orchester nicht
mehr begleitet und der Gesang nicht mehr mit den Flötenmelodien wett-
eifert, ja alles Aufgehen in die Gleichzeitigkeit des Gesamtkunstwerks ist
nichts als eine letzte Anwendung der deutschen symphonischen Erziehung
auf die Bühne. Was Wagner tat, tat er aus dieser Kraft. Was er Neues
fand, fand er von dort. Was er wirkte, wirkte er auf dieser Grundlage. Und
453
was er als höchstes Gut besaß, die unbegreifliche Macht seiner musikalischen
Phantasie, gewann er aus dieser Gnade.
Die Symphonie seines Orchesters bleibt beredt bis in die letzten Tage,
einmal schwächer, einmal stärker, aber immer das gleiche im Prinzip, geahnt
im Lohengrin, gemildert im Parsifal, verschiedenartig, aber immer gleich
bewußt im Ring, im Tristan, in den Meistersingern, — nicht nur in den
selbständigen Stücken, in jenen Vorspielen und Einleitungen, in allen seinen
genial umrissenen Aktanfängen, dem hinreißenden Schwung des rasenden
zweiten Walkürenvorspiels, in den Wandelmusiken des Rings und des Parsifal,
in Siegfrieds Feuergang, Rheinfahrt, Trauermusik, sondern überall, da sie
überall ihre ganze Sprache spricht. Sie wäre an sich, ohne Bühne, ein voll-
kommener Ablauf aller musikalischen Vorgänge, da sie in sich ihre eigene
Bühne hat. Sie gibt alles Agogische und alles Dynamische und alles Thema-
tische, was zum Motiv der Szene, der Person, des Charakters wird. Schon
der Lohengrin systematisiert das überkommene Erinnerungsbild zu einem
motivischen Gewebe bis in den Gesang hinein, wie es nur dem deutschen
symphonischen Gewissen erlaubt war. Die späteren Werke prägen das Leit-
motiv zu einem so verbindlichen symphonisch-dramatischen Thema, daß
es lieber alle nur denkbaren Wandlungen durchmacht, ehe es der geringsten
Zufälligkeit erlaubt, seinen Organismus zu durchbrechen. So groß wird
dieser Zwang, daß er mit Wagner vollendet ist. Seine einzige Konsequenz,
die darum sein Eigentum bleiben muß.
Die Kombination der Stimmen war eine gegebene, die er nach den freien
Forderungen des Dramas ausnützt, wachsam genug, ihre möglichste Schat-
tierung und Farbigkeit durchzuführen. Die Kombination der Instrumente
lag in seiner Hand und schon hier, im Apparat seiner musikalischen Phan-
»tasie, regt sich sein schöpferisches Organ wie zu Wundern. Seine Partituren,
unbegreiflich fertig aus dem Kopf auf das Papier gebracht, sind Instrumental-
welten geworden.
Der Fliegende Holländer ruft die sonoren Bläser und die erregten Strei-
cher. Tiefe Trompeten und Tuba erhalten große Rollen. Die Pauke über-
nimmt ein Solo bei Holländers Eintritt. Gegen das hellbläsige Sentamotiv
stehen seine dunklen Farben : Pauke und tiefe Streicher vereinigt (wie in
der Mitte des Parsifalvorspiels), Bratschen der Vernichtung, unten gehaltene
Violinen und Klarinetten. Alles Malerische wird bevorzugt: schlagende
Bläserviertel zur Feierlichkeit Sentas, der Tubeneinsatz in der Ballade
und die zitternden Gebärden der Celli, die Illustration von Eriks Traum,
die Schiffsbewegung in abwechselnden Tremoli der Streicher und Bläser
(wie im Tristan), die gespenstisch gestopften Hörner im Walzer der Matrosen
454
und die Szene der zwei Schiffe, Dialoge der drei Posaunen und Tuba, Streicher-
schatten und ein Chor von drei Pikkoli auf der Bühne, der in einer Art Luft-
perspektive des Orchesters die Dämonie der Situation aus weiten Fernen
zeichnet.
Fossiles genug bleibt im Holländer und Unvermögendes im Tannhäuser,
dessen Phantasie oft über seine Instrumentation hinausgeht. Unwirksam
bleibt der Venusberg, außer der feinen Teilung in der Grottenstelle. Frei-
lich in der Pariser Fassung schwillt er von Wirkung. Eine Schar von Bläsern
als Bühnenorchester sucht ihre Erscheinung atmosphärischer zu machen.
Die Bläser, die Elisabeths Gebet konsequent stützen, erreichen nicht ihren
Klang. Noch ist alles Tiefakkordliche besser, die gern isolierten tiefen Strei-
cher ohne Violinen, die Posaunenharmonien Wolframs im letzten Akt. Aber
das Neue wird in ungewohnten Emanzipationen erstrebt: Cellokantilenen,
schnelle Posaunengänge, Beckenwirbel, Solistentum der Harfe und die
Macht von Bläserakkorden, die aus den Streichern liegen bleiben. Alles,
was charakterisiert, wird scharf durchgebildet : der Venus kommt die Klari-
nette zu, der Elisabeth die Oboe, gestopfte Hörner dem Fluch, im Sänger-
krieg die Streicher für Wolfram, für Tannhäuser die Bläser und die Trom-
pete für Biterolf. Die Baßklarinette tritt nur beim Elisabethgebet auf
und hat den schönen Nachklang in der Melodie Wolframs, der sie mit seinem
Blick verfolgt. Die Gruppen der Instrumente sammeln sich schattierend
gegeneinander: beim Einzug, im dritten Vorspiel, Oboen wechselnd gegen
Streicher im zweiten Vorspiel, alle frommen Bläser gegen die Venustremoli
und in farbigster Wandlung der Harmonien durch Streicher, Hörner, Bläser
zu Streichern zurück beim Wiedersehen Wolframs und Tannhäusers.
Einen freien Wurf haben die Orchestermassen des Lohengrin, ein souve-
ränes Liegenbleiben und Fortnehmen, ein unbehinderter Stimmenanschluß,
schönes Herauswachsen einsamer Soli aus dem Tutti und der Entschluß
zu allen Forzati, die das notwendige Forte sofort in ein praktisches Piano
wenden. Dazu ein gewaltiges Bühnenorchester. Die Gruppen gehen in
Bläsern zu drei, vier Hörner, drei Posaunen und Tuba. Baßklarinette
und Englischhorn sind endgültig in den Bestand aufgenommen. Im ersten
und dritten Vorspiel operieren die Truppen gegen- und übereinander,
im Einzug setzen sie sich klug ab, Blechbläser verbinden sich zu ganzen
Nachschlageperioden, im Gebet treten sie als Masse zusammen. Die Holz-
bläserakkorde in ihrer prinzipiellen neuen Schönheit legen sich raffiniert,
bisweilen tiefe Flöte unter hohem Fagott. Der Schwan hat bei der Ankunft
Bläser, beim Abschied Streicher. Die Balkonszene verzichtet auf Streicher.
Alles vereinzelt sich. Die Posaune beginnt legato zu singen. Die Streicher
455
teilen sich bis zu den vier Soloviolinen des Vorspiels. Die Bratschen, oft
solo musizierend, übernehmen Farben der Ironie und des Verrats. Der
Kontrabaß weigert sich nicht mehr zu tremolieren. Die Streicher erfinden
neue Füllfiguren. Gedämpfte Bühnentrommeln illustrieren Telramunds Tod.
Der Brautchor wird von zarten Fäden alternierender Instrumente koloriert.
Holzbläser, Harfe, Trompetentönchen malen den Traum; Trompete,
Hörn und Pauke die Aufforderung zum Gotteskampf, das tiefe Hörn wie die
hohen Streicher alle A'Iystik, gestopfte Hörner und Englischhorn den Zauber.
Posaune, Pauke, Trompete, Flöte geben einzelne malerische Akzente von
impressionistischer Kraft.
Die Instrumentalwelt des Rings ist zum erstenmal auf die vollkommene
Selbständigkeit der Klanggruppen angelegt. Schon für die ersten Violinen
sind sechzehn Spieler vorgeschrieben. Oft sind die Violinen in acht Gruppen
geteilt, Bratschen und Celli sechsfach. Nur die Fagotte sind zu drei. Die drei
Oboen vervollständigen sich durch Englischhorn, die drei Klarinetten durch
Baßklarinette. Vier Flöten. Drei Trompeten und eine Baßtrompete. Drei
Posaunen und eine Kontrabaßposaune. Zwei Tenortuben, zwei Baßtuben
und eine Kontrabaßtuba, die das Orchester Walhalls bilden. Ein Charakter
von Vollständigkeit tiefer Bläser wird so geschaffen, wie er niemals nur geahnt
war. Er gibt den sonoren Untergrund des musikalischen Mythus. Aber
er herrscht nicht dauernd. Aktweise pausieren die Tuben. Sie sind so einge-
richtet, daß sie von einem Teil der Hornisten besorgt werden können. Acht
Ventilhörner sind in der Partitur. Zwei Paar Pauken. Sechsfache Harfen,
dazu eine Bühnenharfe, die meist doppelt besetzt werden muß. Die sechs
Orchesterharfen leistet sich wohl nur Bayreuth. Für das tiefe Es des Rhein-
goldvorspiels ist dort ein Orgelton konstruiert, über dem sich die wachsenden
Massen des wallenden Es-Dur fast ohne Kreszendo nur durch zunehmende
Quantität der Instrumente erheben. Die Partitur ist ein Bild des sympho-
nischen Dramas, das sich hier abspielt, zuerst schüchterner, farbloser, kom-
ponierter, dann immer bewußter und charakteristischer, nach der Pause der
Arbeit vom dritten Akt Siegfried an von einer ganz neuen und resoluten
Polyphonie. Wir müssen mit einem Praktiker vom Dirigentenpult (wie ich
es mit Leo Blech durfte) diese Notenbilder lesen, um ihre Sprache auch aus
ihren Wirkungen zu verstehen.
Wir lösen mit besonderem Interesse die Tubenwelt heraus bis in ihre
malerischen Exkurse bei Hunding und Fafner, beim Bruderschvvur. Wie
sie Walhall bauen, beim Wanderer sich schon mit Posaunen mischen, bei
der Todesverkündigung fast ganz in Posaunen und Trompeten sich ver-
menschlichen. Wir verfolgen die Welt der Hörner, wie sie den Walküren-
^öniQl. ^of- ü\\b S^Ä!th tlationaUitbriifrr.
ritt illustrieren unter all dem
Wirbel ablösender Triller,
Streicherrutscher, Harfen-
stöße, Triangel- und Trom-
melrhythmen. Wie sie die
Schmiede des Siegfried-
schwerts malen in verteilten
Schlägen. Wie sie den
Sonnenaufgang in der Gi-
bichungenhalle hinauf ent-
wickeln. Wie sie sich dämp-
fen in allen Bildern geheim-
nisvoller Ränke, beim Tarn-
helm in ganzen Modula-
tionen, bei Mimes Komplott
in einem Korps gedämpften
Blechs, beim Vergessenheits-
trank im Widerspiel des
Solocello als seltsam zwin-
gende Terz, bei Siegfrieds
Verkleidung — und alle ähn-
lichen Dämpfungen, selbst
die der Posaune, die im
Munde der Mannen so kühn
lachte, bei der dumpfen Er-
innerung an die Walküre,
wohl der erste Fall dieser
Technik. Der tiefen Bläserwelt steht gegenüber die neue Verwendung der
Harfe : die beim Regenbogen, zu der Rheintöchterharfe hinzu, in sechs verschie-
denen Systemen sich gegeneinander und übereinander bewegen soll, die dem
Feuerzauber mit den Streichern und Flöten ihren Glanz gibt, längst entwöhnt
ein Liebesinstrument zu sein, die Farbe des Schwertschmelzens übernimmt und
bei Brünnhildes Erwachen sich ihres solistischen Lichtes in nie erhoffter
Selbständigkeit rühmen darf. Welche Innenzeichnung in diesem gewaltigen
Gewebe ! Stimmführendes wird Tusche, wie Farbegebendes ein eigener Wert
wird. Alles Harpeggienhafte der Streicher wächst zu Systemen. Bisweilen
eine Geigenfigur in stürmischem Lauf, die nichts bezweckt, als irgend einen
Schatten hineinzugeben. Figurationen von ungewohnter Bew^eglichkeit
im Feuerzauber, wie Register der Klangmischung. Feuerarabesken, die
457
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-^a-r- J-- •••- j ^ t«« .* 0.. t «.11 . B.^.
Zettel der Uraufführung des Tristan
in melodische Floskeln auszüngeln. Alle Arten Sprudelfiguren der Rhein-
töchter. Und immer feiner und subtiler all dies Clairobscur von verwischten
Konturen bis in die Absetzung der Feuerfiguren von Siegfrieds Erzählung
nach kleinen, wie verriebenen Pausen. Und unaufzählbar alle die vielen
charakteristischen Kleinmalereien der musikalischen Handlung. Pauken-
schlägel auf Becken für Alberichs Ringkuß, Trommelschlägel auf Becken für
Mimes Weltentraum, alle neuen Schlageffekte, unter denen das Konzert
der achtzehn Ambosse an erster Stelle steht, die verteilten Pizzikati um Loge,
die langgehaltenen tiefen Blastöne zu Wotans Monolog, das realistische
Bärenbrummen im Siegfried, die merkwürdige Wirkung der hohen Fagotte
beim Bericht von Sieglindes Wehen, das Wotanswaldesflimmern über
tiefen schreitenden Tubatönen, die geniale Kleinigkeit des Übergangs
tremolierender Bratschen zu Celli bei der Rede des Wurms, alles Kräch-
zende der Instrumente in der Szene von Mime und Alberich und das trockene
col legno-Spielen bei Mimes Vorspiegelungen, die wachsende Freudigkeit
der Waldvögel, die romantische Virtuosität von Siegfrieds Hörn, die Glocken-
spiele zu seiner Rheinfahrt, die finstere Parade aller dunklen Instrumente
zur Szene Hagen-Alberich, die Solotronipete des Meineids, die Befreiung
des Gegentranks in Klarinetten und Englischhorn — es sind nur wenige Wir-
kungen von absolut neuer Erfindung, die ich aus einer Partitur greife, welche
in der Geschichte des Orchesters Epoche machte. Vorher war wohl das
Streben nach Gruppenbildung und nach Charakteristik im einzelnen
dagewesen — hier war es Organismus geworden, die durchgeführte Indi-
vidualisierung des Instruments und seiner Truppe, der farbigen Malerei
und der thematischen Symphonie.
Als die Tristanpartitur erschien, mußten die Orchester noch auf die
Bedeutung der neuen Ventilbläser hingewiesen werden, die zur Erzeugung
jedes chromatischen Tons fähig waren. Es war eine Forderung, die mit dem
Wesen dieser Partitur in engstem Zusammenhang stand. Denn sie konnte
nur geschrieben werden bei voller tonalen Selbständigkeit jedes Instruments.
Jedes Instrument hat hier den gleichen Anspruch als Glied des Tonkörpers,
jedes ist ein Nerv in diesem unglaublich zarten Organismus. Die Partitur
des Tristan ist die sensitivste, die es gibt. Niemals sonst sind so die Stimmen
verteilt, zerlegt, interpretiert worden nach der wechselnden Farbe der In-
strumente, die sie sich abnehmen. Niemals sonst sind so die Register gemischt
worden, daß die höchst selbständigen Bratschen die Geigen überschreiten,
die Oboen in Flötenhöhe sich ausklagen, Klarinetten ein Hörn zwingen,
ihre vierte Stimme zu sein. Die eine Gruppe geht in ein Kreszendo, während
gleichzeitig die andere ein Diminuendo hat. Nach der vereitelten Liebes-
458
Wagners Handschrift: Meistersinger
nacht streicht ein G des
Englischhorns und der Gei-
gen ruhig über dem Gis der
Oboe dahin. Das Orchester
ist nur das gewöhnliche der
dreifachen Bläserbesetzung,
aber es lebt intensiver als
ein vierfaches: in Reichtum
und in Sparsamkeit. Die
Geigen, die sich zu ganz
neuen wilden Läufen ent-
schließen, haben nur ein
einziges wirkliches Solo in
Tristans Vision, worauf der
einzige größere Blechbläser-
satz eintritt, das zauberische
Hornquartett. Die Harfe
wartet, um nicht vor dem
Liebestrank ihren ersten
Akkord zu schlagen. Ein
Harfenschlag bei Tristans Tod, ein Trompetenton bei Kurwenals Tod.
Aber die kleine Charakteristik von Personen durch eine Art obligater
Instrumente gibt es nicht mehr. Natürlich hat Marke tiefe Streicher und
Baßklarinette. Wie von selbst begleitet Isolde vor dem Ende die erste
Geige, gegen die anderen mit den anderen Streichern. Doch das Wesent-
liche ist die symphonische Innerlichkeit und das eigene dramatische Leben
der Instrumente, das bei Tristans Wahnsinn zu einer fast bühnengefähr-
lichen Selbständigkeit der Dynamik anwächst. Es folgt den Vorgängen
mit einer Psychologie der Partitur, die wir im Ablesen stärker genießen als
im Hören und Schauen der Bühne. Wie sie die Liebestodmusik in erreg-
tem Werden gestaltet, wo sie im zweiten Akt entsteht, und in ruhigen
Bindungen, wo sie den dritten endigt. Wie sie aufgeht und sich vereinzelt
und die eigenen Schönheiten kostet in den seligen Takten der Brangänewacht:
eine Teilung der Streicher in zwei Gruppen, in zwei erste und zweite Vio-
linen, in zweimal zwei solche Solisten, wieder der Hälften der Tuttistreicher
noch einmal in Hälften, eine Solobratsche über den geteilten harpeggierenden
und synkopierenden Bratschen, eine Solovioline herauswachsend, ein Solo-
cello dagegen singend, über Kontrabässen, die sich zum Teil tiefer stimmen
müssen, unter dem Glanz der Bläser und Harfen in allen nur denkbaren
459
Farben — diese Seiten der Partitur sind das Heiligtum der deutschen Opern-
musik geworden.
Das Wunder des Meistersingerorchesters ist seine strahlende Wirkung
mit einem verhältnismäßig kleinen Apparat : es sind die alten, nur zwei-
fachen Bläser, drei Trompeten, drei Posaunen mit Tuba, vier Hörner, also
fast eine archaistische Partitur. Eine unbeschreiblich überlegene Technik
schaltet mit diesem Material so reif, so klug und so kunstvoll, daß Wirkungen
von einer Größe, Macht und Abwechslung erreicht werden, die intuitiv
sind. Eine einzige Stimme ist mit Mißachtung behandelt, die Flöte, der
Wagner nicht viel zu sagen gibt, weil sie ihm nichts gibt: ihre zärtliche
Zierlichkeit paßt nicht zu seinen Stoffen und Empfindungen und, braucht
er sie nicht zur Harmonie, läßt er ihr nur so wenig kleine Gelegenheiten,
daß unsere Flötenkünstler sich gern vor ihr zurückziehen. Sparsamkeit
in anderen Instrumenten ist eine berechtigte : die Aufbewahrung erster
Violinen in der Ouvertüre, beim Meistereintritt für späte Führung, die
großen Pausen in der Tätigkeit der Posaunen. Im übrigen ist es eine gleich-
mäßige Meisterschaft, die den Schriftsteller verlegen macht, Besonderheiten
zu erwähnen aus einer Technik, die nicht wie in den alten Opern durch
ihre Inkongruenz interessant wird, sondern das Schulbuch des modernen
Komponisten wurde. Er erinnert sich an die Miniaturillustrierung der Weisen,
die David dem Walther lehrt : in ihrer Abwechslung von Strichen der Trom-
peten, Hörner, Oboen, Klarinetten und des Pizzikato, das kurze Liebe heißt.
An das Solo des Horns und der Bratsche, die das Lied vom stillen Herd
einleiten. An die Gestopftheiten und hohen Lagen Beckmessers wie an die
zauberhaften Streicherteilungen im C-Dur-Akkord, der das Preislied hin-
stellt. An die Klarinettenfiguren der schlagenden Amsel am Johannisabend
und an alle kühnen, mutwilligen HolzbläsertriUer. An die Mischung der
Hörner mit dem Ponticello der Streicher, da Sachs unterm spanischen
Flieder träumt. An die plötzliche tiefe Trompetentriole bei Walthers An-
kunft in der nächtigen Gasse. An die oft gcbencdeite Tubahummel in der
Prügelszene und an die Delikatesse aller Malerei (der einzigen ausgesproche-
nen Malerei in diesem Werk), wo das Schwirren des verliebten Glühwürm-
chens in sch^värmenden Sommerdüften der Streicher und Harfen, durch-
schäkert von Klarinette und Oboe, unterblasen von gestopften Hörnern,
sich entzückt. Ein machtvoller C-Dur-Akkord der Tutti, durch die un-
crforschliche Kenntnis dieser wenigen Instrumente auf seine einzige Kraft
gebracht, schlägt alle diese Gelegentlichkeiten zu Boden.
Die Parsifalpartitur, in den Holzbläsern außer Flöten vierfach, also
mit Kontrafagott, brachte nichts anderes hinzu als die Berechnung auf das
460
I
versenkte Orchester, die zu raffinierten koloristischen Wirkungen trieb, von
dem Holz mit gedämpften Streichern, die die Abendmahlsweise beginnen,
bis zur Harfenkonvergenz des Schlusses. As-Dur und C-MoU der Grals-
feier sind Harmonien, in denen von jeder egoistischen Regung abgesehen
nur durch rhythmische Zerlegung die Instrumente den Klang auf- und ab-
bauen. Orgelhafte Bläsergruppen, von einer hohen Trompete bisweilen
melodisiert, bleiben als das wesentliche Erinnerungsbild im Gedächtnis.
Dazwischen etwas von Kundrys Kuß in alternierender Solovioline und Solo-
klarinette unter dem Beben der Streicher — ihr Heilandslachen in schlagen-
den Bläsern und Sein Celloblick — das Harfenglissando der Lanze, die unter
tremolierenden Violinen in die Herrlichkeit der Blechbläser zurückkehrt —
Gurnemanz' Segen über geteilten tiefen Streichern — die süße Ausfädelung
des Karfreitags
Die Musik
NUN geben wir uns endlich uneingeschränkt, wenn auch ohne Befangen-
heit, der letzten wirklich schöpferischen Kraft Wagners hin, seiner
musikalischen Erfindung. Sie ist es, die seinen Werken die Flügel gab, aber
nur Eingeweihte kennen sie, erkennen sie und dürfen sie abschätzen. Es
ist nicht zu viel von ihr gesprochen worden, und es ist gefährlich, von ihr
zu sprechen. Leicht zieht sie wie Lohengrin vor den Worten wieder davon.
Sie beginnt im Rienzi sich zu regen, von Akt zu Akt stärker, indem sie
sich gleichsam durch diese Oper durcharbeitet, die wir ihrer Abstände
wegen kaum noch in der originalen Fassung zu hören bekommen. Der
langgezogene Ruf der Trompete führt uns wie ein gereinigtes Symbol der
heroischen Oper in das Stück hinein und Rienzis helle Stimme, auch unter
dem Tremolo der Streicher, bleibt uns als Erinnerung an das Heldische
dieser Gattung. Mit lauen Lüften umgeben uns die Friedensboten, in
deren schönen Gesängen die Wagnersche Akkordromantik unser Ohr zu-
erst berührt, wie auch die Melodie der Friedensgöttin im ursprünglichen
Ballett eher zu Weber als zu Spontini hinneigt. Von großer dramatischer
Kraft ist der dritte Akt mit dem durchdringenden Motiv des santo spirito
cavaliere in der echten geschlagenen Wagnerrhythmik. Der temperament-
volle Schlachtgesang, die Bewegung und Unruhe des fernen Kampfes, über
der Adriano und Irene noch italianisieren, zeigt den Bühneninstinkt. Der
billige Effekt von Pariser Ensemblcarien und Militärmärschen zum Preise
Rienzis wird allmählich verachtet. r)ie Verschwörung des vierten Aktes
hat schon Telramundtöne, das Gebet des fünften und die Szene mit
461
Irene rücken merklich in die Sphäre von Tannhäuser und Elisabeth
hinüber.
Der Fliegende Holländer holt an seinen besten Stellen die musikalische
Kraft aus den Tiefen des Mythus. Wie Urklang durchzieht ihn das Motiv
der Sekundenreihen, das von den Matrosen bis ins Spinnerlied seine Ketten
schlingt, sogar auch zum Holländer hinüber, dem sonst die UrweltUchkeit
des Quintenmotivs zu eigen ist. Der Holländer vertieft, er holt weiten Atem
und fängt von den Elementen an. Seine rezitativische Arie mit der schön-
gewellten Schlußfigur geht in ein freies Liedschema ein, ,,Dich frage ich",
auf urwüchsigem Tremolo. Wie vom Urgrund beginnt er sein weitgezogenes
,,Wie aus der Ferne", da er Senta sieht. Aber es ist ihm nicht gegeben, in
dieser Tiefe zu bleiben, sobald er mit Menschen zusammentrifft. Mit Daland
verflacht er sich. Mit Senta romantisiert er in gewohnten Gängen, nicht
ohne Koloratur, von ihren dramatischen oder feierlichen Regungen nur mit
geringem Erfolg unterbrochen. Und mit Erik und Senta im letzten Terzett
treibt er Oper, ohne noch zu ahnen, daß diese Rhythmen einst im Tristan
ihre eigene Melodie finden würden. Erik selbst hat nur einen guten Moment,
da er in der Traumerzählung romantisch werden darf, sonst gibt er sich
ganz der Operntradition hin, die selbst im unpassendsten Augenblick Kava-
tinen verlangt. Aber auf der anderen Seite der Baßgrübeleien und tiefen
Atemzüge des Holländers erhebt sich die frische Gegend der Volksgesänge,
die eine scharfe und plastische Musik finden, wie sie auch Marschner kaum
gebildet hatte. Das reliefierte Steuermannslied, die tanzstarken Schiffs-
melodien, das graziöse Spinnerlied auf munteren Bässen, das sich in reizende
Ensembles fortsetzt, die Ballade mit der dramatischen Gegeneinander-
führung des rastlosen Holländermotivs und des erlösungssanften Senta-
motivs, die Volkschörc des letzten Akts, selbst wieder wie eine Ballade in
Männer- und Frauengruppen voll tätiger Anschaulichkeit geteilt — in diesen
Partien wetzt sich der Wille zur Ursprünglichkeit, der noch durch die For-
meln der Legenden auf den lockenden Boden romantischer Tiefe hinab-
strebt.
Seine Musik ging zunächst einen anderen Weg. Ehe sie die Richtung
in diese leidensvollen Tiefen fortsetzte, kräftigte sie sich in sich selbst, bil-
dete ihren reinen Phantasiccharaktcr durch, nach dem Irdischen, nach dem
Himmlischen, stieß Jugendhchkcitcn ab und gewann neue BHcke. Das war
ihr großes unerklärbares Glück. Es sproß in ihm und trieb und offenbarte
sich im Wunder jenes Genies, das er selbst so mißachtete.
Der Tannhäuser zeigt seine Hand in allen Eigentümliclikeiten geübt,
die seinen Stil bilden, in den geschmeidigen Harmonien, dem Akkordmelo-
462
dischen, der Vorhaltsseele, den Skalenempfindungen und sich innerlich
losringenden Emphasen des Gefühls, die als deutsche Ausdrucksform den
ornamentalen Phrasengebilden der Italiener gegenübertreten. Die Venus-
musik steht unbedingt noch auf einem alten Blatt. Sie hat etwas Kindliches
und Blümerantes, dogmatisch in der Konsequenz der verminderten Sep-
timen, theoretisch in den instrumental empfundenen Harfenliedern Tann-
häusers, sentimental in den sehnsüchtlichen Motiven und von jungen-
hafter Vorstellung des Sinnlichen. Nur die Fis-Dur-Stelle der Grotte
hebt sich als feinere Anschauung heraus. In der Pariser Bearbeitung ist diese
Naivität erkannt und beseitigt. Mit Benutzung der Übermäßigkeiten
von Venus im dritten Akt, mit zahlreichen glühend sinnlichen neuen Motiven,
mit einer bacchantischen Verve von kolossaler Kraftentfaltung sind die
ersten beiden Szenen auf einen Rausch gebracht, der einzig ist in der Ge-
schichte aller Bacchanales, aber an dieser Stelle weder mit den stehen geblie-
benen Enklaven der Tannhäuserlieder, noch mit der anderen Umgebung
in einen stilistischen Zusammenhang eingerenkt werden kann. Eine durch
Tristan erhitzte Hand hat es geschrieben. Und so kommt eine neue Bedräng-
nis hinzu: den Stil der größten Symphonie heiliger Liebe auf die unheilige
angewendet zu sehen. In keiner Hinsicht kann die Pariser Venus bestehen,
und ihrer glänzenden Lüge ziehen wir immer noch ihre alte schülerhafte
Wahrheit vor. Es ist dieselbe Naivität, die die Pilger solche Männerchöre
in behaglicher Taktzahl singen läßt und die Reinheit Wolframs in seinen
biederen Melodien auf und unter der Wartburg zeichnet, bis zur rührseligen
Anschwärmung des Abendsterns.
Unbedenklicher sind alle die schönen Partien, die in dem milden Lichte
einer reifen, romantischen Musik leuchten, das herzensklare Hirtenlied,
oder das gefühlvoll geschwungene Ensemble des zurückkehrenden Tann-
häuser, oder das kindlich reine Elisabethgebet auf den frommen Akkorden.
Den größten landschaftlichen Reiz hat die malerisch behandelte Erzählung
Tannhäusers, die in jenen feierlichen Romharmonien gipfelt, hieratischer
als der santo spirito und die unmittelbare Vorstufe zu Parsifalgebilden.
Stilistisch am interessantesten bleibt das zweite Finale, das größte aller
deutschen Opern, in einer gewissen Scheu vor Formalismus immer wieder
ausholend, nicht im großen Bogen gelegt, aus dem seelenvollen H-Moll
der Elisabeth, über ihre motivische H-Dur-Melodie (,,Ich fleh für ihn"),
die erste echte eigengefühlte Wagnermelodie, unter erregtem Bohren der
Streicher über Fugati zu steigenden Dominantenringen und schließlich
in eine Cantus-firmus-Figuration entwickelt, die psychologisch den Pilgern
entgegenführt. Auch der Einzugsmarsch bewegt sich auf verfeinertem
463
Niveau: aus Geblase und Gewimpel seine gut Webersche Melodie vorfüh-
rend, öffnet er in dem Mittelsatz, den erst die Streicher in G, dann die Bläser
in Es bringen, eine ganz seltene weiche, liebliche Blüte der romantischen
Melodie, die uns wie ein plötzlich aufgeschlagenes Auge mitten aus der Kon-
vention anblickt. Die edelste Luft reiner deutscher Romantik atmen die
ersten Elisabethszenen des zweiten Aktes. Hier klingt Musik, die sich ihres
vornehmen Stiles bewußt ist, eine eigene Mischung von realem Ausdruck
und fernem Wunder, ehrlich auch gegen die Virtuosität, geschult in einem
lebendigen Geiste der Überlieferung, eingewebt in ein seelisch bewegtes
Spiel von Harmonien und Melodien, selbst im Zusammensingen voller
Haltung und Ehrfurcht.
Die Geheimnisse Lohengrins schweben über einem Grunde von Tradi-
tion. Dort ahmt Telramund den Lysiart nach und Ortrud die Eglantine,
jener schlechter, wenn er seine Arie von der italienisch kadenzierten Ehre
singt, diese besser, wenn sie mit Aufbietung aller Höhe ihre Götter anruft,
und dennoch gerade diese beiden in der Welt ihrer Motive und ihrer Rezi-
tative wieder so neuerungssüchtig, daß man etwas wie das Dämmern der
nordischen Wagnermusik fühlt. Sie kämpfen alle gegen Rückfälle da unten.
Elsa vor Ortrud am Münster wird wolframisch, das Gebetsensemble voll-
zieht den Tannhäuserstil. Webersche Männerchöre singen am Morgen.
Am Abend der Hochzeit singt man ein Brautlied von schöner, altroman-
tischer Färbung, aus der wieder solch ein verständnisvolles Auge blickt :
das kleine unvergeßliche Nachspiel in D. Ritterliches stellt sich auch leicht
zur hergebrachten Mode, beim Gotteskampf, beim Heeresaufzug, selbst
im letzten Duett. Den ersten Akt schließt ein beschwingtes, aber noch
formbewußtes Finale. In den Münsterzug, den die Edelknaben als Kinder
der Friedensboten begrüßen, fällt ein merkwürdiges helles Licht aus der
Sphäre der neuen Welten. Das große Ensemble im zweiten Akt schwimmt
zwischen Motiv, Wahrheit und Wirkung, es scheint sich in Schönheit auf-
zugeben, es ist der letzte große Versuch spätdeutscher Finalebildung, so
voller Schwankungen, daß der König und Lohengrin der Trivialität nicht
mehr ausweichen. Es ist das letzte Finale, denn neues begibt sich wieder
als Beginn.
Es stößt zusammen in der Szene zwischen Elsa und Ortrud, wie sie selbst
zusammenstoßen. Aus romantischer Melodie, ererbten Wendungen, dem
Zwang der Motive und der neuen Seligkeit fügt sich ein Duett, das die Was-
serscheide der Oper, Wagners, aller Musik wurde. Wenn die biegsam schöne
G-Dur-Melodie die beiden Frauen begleitet, wissen wir, daß ein Glück
•ohne Reue gefunden ist, ein anderes als Elsa ahnt, ohne das Sentiment des
464
zufriedenen Abgesanges, aber in der Entdeckung einer neuen musikalischen
Welt.
Über dem Gleichmaß des Taktes, das diese Oper beherrscht, spannt
sich eine Tonschönheit um die Figuren von Lohengrin und Elsa, die etwas
Überirdisches haben mußte für die Glücklichen, denen sie neu kam. Ein
seliges Akkordwiegen, ein Nachfühlen der melodischen Seele, ein Wühlen
in weichen Anschlüssen, ein silbernes Klingen verstehender W^eisen, wie es
noch nicht gehört war, bis in die kleine Episode des dritten Akts beim Glocken-
zeichen Lohengrins. A-Dur leuchtet um ihn. Die Schwanenharmonien
gleiten um F und A und Eis durch süße Medianten. Wie in den Himmel
singt er in zärtlichem Solo den hellen Dank. Ein Chor antwortet in der-
selben mystischen Stimmung pp. Eine Figur webt sich hervor wie eine
melodische S-Linie, die der Liebling der neuen Musik wird bis in Isoldes
Minne. Ein Rhythmus - - ^ - kristallisiert sich aus dem Holländer und
Tannhäuser, der bis in den Parsifal das Zeichen alles Erhabenen bleibt.
In seiner Erzählung stellt Lohengrin das Bild der Gralswelt in träu-
merische Höhe, und ein unendlich feingesponnener Chorabstieg antwor-
tet ihm. Elsa aber bei ihrem Erscheinen führt Elisabeths Flehen in neue
zartere Regionen. Dort findet sie die inbrünstige Schönheit ihrer Einsam-
keit in trüben Tagen, die Seelenkraft ihrer Bitte zum König und zu Gott,
dort singt sie den Lüften ihr Glück in diesen Wonnen der Akkordseligkeiten,
die sich nicht sättigen können. Und solange das Glück w'ährt in den Szenen
mit Lohengrin, schwingt es in derselben Stimmung, in der sich beide Welten
treffen. Gegen die scharfen Sekunden Telramunds unsagbar zart und sen-
sitiv bewegt im ersten Duett, und nur durch die Starrheit des A-Moll unter-
brochen, das nicht nach Nam' und Art befragt sein will. Und im dritten
Akt ein Genießen schwebender, streichender, sich kettender und küssender
Melismen, von jenen Bläsern umschmeichelt, die Mozart zuerst berufen hatte,
das selbst durch die Ansingung „süßer Düfte" nicht gestört werden kann,
bis es im Entgleiten sein dramatisches Ende findet. Uns ist das alles täg-
liche Sprache geworden, was einst keusche Erfindung war. Es hat Lohen-
grin und Elsa besser zusammengebunden als das Drama. Denn was Elsa
dramatisch nicht konnte, Lohengrin begreifen — musikalisch hat sie es
getan.
Denken wir uns einmal (es ist grausam, aber schön) vom Ring das Bühnen-
drama fort und nehmen ihn als symphonische Dichtung, so erhalten wir
das großartigste Dokument thematischer Musik, das wir besitzen, eine
viertägige Symphonie, in der in unendlicher Abwechslung und Verknüpfung
alle nur erdenklichen Motive als Sinnbilder aller Weltgefühle ihr Drama
465 3°
vollenden. Das elementare Werden wallender Dur-Harmonien, das Metall
hehrer Gewalten, die Skalen von Verträgen, das Tapsige aller Dummstarken,
die Bogen der Schönheit, Legendenklänge ewiger Jugend, Chromatik des
listigen Feuers, Hämmern der niedrigen Arbeit, Synkopen eines metaphysi-
schen Hasses, die Luftleere geheimnisvoller Verwandlungen, Septimen-
drohungen eines Fluches, Signale reinigender Gewitter, der Schnitt eines
Heldenschwerts, Akkordsenkungen des Verhängnisses, glänzende Verspre-
chungen aller Regenbogen, der melodische Blick einer Liebe und die Vor-
halte einer sehnsüchtigen Frau, Galopp von Geisterrossen, Sturm der Ver-
zweiflung, grübelnde Sorge, scheuchende Flucht, beleidigende Animalität,
das Haupt- und Nebenthema eines jungen Helden, ein zauberischer Schlaf,
ein rastlos weiser Wanderer; ein kleinlicher Boshafter, Fragen des Schick-
sals, webende Mächte und stierhornige Knechte, Sprünge der Menschen-
hirne und alles Wogen ruhiger Elemente, Liebe in Entzückung, in Raserei,
in Entsagung — dreimal so viel festgelegte Motive, kürzere, längere, sym-
bolische, gefühlsmäßige, malerische, melodische, harmonische, rhythmische,
die ganze Welt deutscher Thematik, die ganze Rhetorik der Symphonie
mit allen Abschattierungen und Kontrapunktierungen ist hier niedergelegt
und ganz eigentlich nur zu nehmen, wenn man ihr die Spezialisierung durch
die Bühne nicht gönnt. Das Ringmotiv ist ein Terzenkreis, dessen Schwäche
man leider versteht, wenn man seine dramatische Schwäche kennt. Aber
gewinnt sie dadurch ? Was gewinnen wir, wenn wir die Fanfare nicht weit
vom Beginn des ersten Symphonieabends als Motiv des Rheingolds erkennen ?
Oder daß dem Siegfried beim Aufstieg zu Brünnhilde dasselbe hausväterliche
Thema klingt, wie es Fricka dem Wotan vorsingt ? Oder daß Siegmund
in der Kraft der Liebe dasselbe Thema ergreift, das vorher der Entsagung
der Liebe zuerteilt war .^ Wird das alles absoluter gefaßt, so w^ird es reiner:
es ist da ein bindendes Motiv, ein herausforderndes, ein behagliches, ein
refrainartiges, alles bezieht sich aufeinander, aber in gewissen irrationalen
Gegenden der Musik, die noch" nicht die verwirrende Verbindlichkeit des
Sinnfälligen gesucht und gefunden haben. Die Musik schützt die Beziehungen
aller Dinge an sich, indem sie sie dem Gefühl zurückgibt; das Drama ge-
fährdet sie, indem es sie dem Verstand ausliefert. Hier ist eine ungeheure
Symphonie geschrieben worden, von einer echten Orchesterhand, die es
nicht wahr haben und Gedankefi, Szene, selbst Gesang sich zwingen wollte.
Da man sie nie ungefährdet zu hören bekommt, lasse man das Auge immer
wieder über die Partitur gleiten, um die unerschöpfliche Gestaltungskraft
zu genießen, die aus dem Themenmaterial, keimend und keimend, neue
Gebilde formt. Die versartige Melodiezeile, die bis dahin auch im Orchester
466
Atem und Rhythmus gern be- o^^tMj^Up
stimmte, ist der absolut instrumen- «- -— ^v», L\z^ y-^,.^^^^
talen Phrase gewichen, die keine ^_4_
geheimen Worte mehr unter sich .' ^iu.uLyiiJUj .
birgt. Die Opernnummer, die immer ^-— \ ^i »
noch ein traditionelles Leben fristete, \ (]l.v /<iu.i^^ ^7iw.~ ^^ .^ Ql^ ^3 Xi^
ist ein Unsinn geworden, die Szenen- f
einteilung ein äußerer Schein, das '^^ '^ t^^a^LT''^ J^^ ' ''^^'^^^T^
Bedürfnis der thematischen Ent- ».-^ ,„^_ .j*-^,.^ ,-4- ßffvjd^^
Wicklung bestimmt allein Akzente z*"^ ~
und Zäsuren. Das Thematische, ^~. oLLM' "H/Lvv* '
auch in den undramatischeren Par- L/J^^— -^ v^/ /^ '^'^u^'
tien, ist durch jeden Akt, jeden ti^
Abend, alle vier Abende mit solcher
Kunst gefädelt, verdickt, verfeinert, ÖJi^^uMj^i EL-m^U
abgedämpft, gesteigert, daß das »
eigentümliche Vergnügen an dieser f // 'J \-i k
Phantasiearbeit kaum einen Augen- "_Z-J/
blick nachläßt. Vielleicht erscheint ^ —
das Rheingold bisweilen noch etwas Die letzte Bitte in Bayreuth
zaghaft und unsicher in dieser Art
von musikalischer Anschauung eines Dramas, die gänzlich ohne Vorbild
war, vielleicht ist auch gegen Ende des zweiten Akts Siegfried, da wo die
große Pause in der Komposition eintritt, eine Müdigkeit zu verspüren, da-
für spricht dann der dritte Akt mit einem Temperament des Orchesterbluts,
das die letzte ganz starke Äußerung seiner musikalischen Schöpferkraft
blieb.
Von selbst steigen die Gipfel dieser Riesenkomposition dort auf, wo die
Einfühlung in die Symphonie dem musikalischen Trieb sein uneingeschränk-
tes Recht gibt und sogar bestätigt. Schon die wenigen Ensemblepartien
gehören dazu. Das frauliche Trio der Rheintöchter, liedmäßiger im Rhein-
gold, opernhafter in der Götterdämmerung, die scharfe Naturalistik des
Walkürenchores und die heidnische Bärenbeißerei der Hagenmannen wirken
wie Erlösungen der Bühne, die sich einmal selbst symphonisch geben darf.
Sobald das Herz der beteiligten Personen den Sinn des Dramas beschämt,
schwelgt die musikalische Erfindung in rührenden, dankbar nachgefühlten,
mit hingebender Liebe gestalteten Weisen: in der Szene der Brünnhilde-
strafe und des Wotanabschieds mit ihrer weitgebärdigen Melodie, so stark
und ernst fortgebildet aus der Lohengrinschen Akkordmelodik, die nun
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ein verschwärmtes kleines Mägdlein dagegen erscheint. Welche Größe
der Empfindung, welche Seligkeit des Schmerzes in der Musik der flehenden
Brünnhilde, die aus dem Typ der alten Gnadenarie einen Strom brennender
Leidenschaften erschaffen hat, vom Urgrund beginnend, wie einst der
Holländer, aber zu VVeltenumarmungen entwickelt, die immer neue Tiefen
zwischen den Wirklichkeiten durch die Macht der Töne zu überbrücken
scheinen. Mag sein, daß Wotan solchen Ergüssen nicht standhalten kann
und in seiner Musik ein wenig wolframisch wird. Doch er hat den Opern-
schluß — Brünnhilde selbst hatte vorher in einer ähnlichen Situation gegen-
über Siegmund es glücklicher gefunden, Stil und Herz auszugleichen. Die
stilisierte Todesverkündigung, eine wundervolle Monumentalität klar be-
stehender Musik, geht in der natürlichen Entwicklung des Tempos in eine
Dramatik über, die das Mitgefühl über den Auftrag, das Menschliche über
das Göttliche siegen läßt. Wotan hatte ein Ende zu stilisieren, Brünnhilde
eine Stilisierung zu beenden. Auf- und Absteigen der Gefühlskomplcxe,
ihr Werden und ihr Vergehen sind die gegebenen Momente für INlusik,
die in allen Lenzen und Herbsten der Handlung sich am stärksten empfindet.
Näher tritt sie uns, wenn Freia wie in einem süßen Klingen der Luft zurück-
kehrt, wenn Siegfried im Sonnenflimmer strahlend beglänzter Höhe Brünn-
hilde findet, bei allem Hellerwerden zieht sie in uns ein, auch zum Morgen
der Götterdämmerung herrlich über Brünnhildes Motiv aufblühend, zum
Morgen der Gibichungen in Hornromantik. Reizende Phantasien entlockt
sie dem werdenden Siegfried, die Frische des Jungenlieds „Aus dem Wald
fort", die Zärtlichkeit seines erotischen Erwachens in der trillerflimmernden
Waldeinsamkeit, fragend aufsteigende und gierig niedersinkende Motive
von innerlichster Wallung, die entzückende Malerei seines wachsenden Helden-
tums im Schwertschmieden durch die Themen des Feilens, Feuers, Blase-
balgs, Schmelzens, Kühlens, Schneidens. Aber ebenso dankbar ist sie den
Sterbenden, die des Lebens Abgesang geben und webende Erinnerungs-
bilder sammeln aller guten und schlechten Dinge, die die Weihe der Töne
erfahren. Mit zauberhafter Sagenpracht umkleidet sie die schwierige Szene
der Nornen wie eine Mahnung eigener Vergangenheit und gibt dem Sieg-
fried, der zSm letztenmal erzählt und zum letztenmal Brünnhilde seinen
Gruß sendet, wie dieser, da sie zum letzten Mal der Welt ihre symphonische
Erkenntnis kündet, die ganze Schönheit beruhigter Sphären, die um Er-
lebnisse schwingen, welche vom Drama in den Ton eingetreten sind.
Die Charakterologie der Musik bei Wagner ist lange nicht so sehr in der
Physiügn(;mik des Gesanges zu suchen, der immer auf gewisse allgemeine
Grenzen angewiesen bleibt, als in solchen symphonischen Gebilden, die den
468
Personen ihre Landschaft geben. Was sich bei Mozart als Regung und Ziel
gezeigt hatte, was unterdessen in späteren Opern Farbe und in der absoluten
Musik Seele geworden war, das wird hier bewußt wieder in die neue Oper
projiziert und die Gleichung zwischen Figur und Musik auf ein Fazit gebracht,
das heißt : die Musik gibt den Personen ihre Peripherie, sind sie die Menschen
mit der nötigen Radienweite, um so besser.
Die Radienweite beweist der erste Akt Walküre. Die Musik übernimmt
ganz allein die Interpretation der Liebe, die zwischen Siegmund und Sieg-
Hnde keimt. Nichts kann ihnen erwünschter sein, als von dieser Musik
erobert zu werden, und nichts der Musik lieber, als so die Bühne zu sympho-
nisieren, woraus dieses herrliche Stück entsteht, das an Fluß und Kraft
der musikalischen Sprache aus allen Werken Wagners hervorsticht. Ein
einziger Fluß, der alle Nebenflüsse durch seine Kraft in sich aufnimmt. Das
geworfene Vorspiel des Sturms, die stummen, rührenden Regungen Sieg-
lindes in den Pausen des Dramas, den Hauptpartien der Musik, das Wachsen
des mozartsch reinen Liebesmotivs, die legendenschönen Traurigkeiten
der Wälsungen, zwei rhythmengebende Jagereien, Hundings übermütige
und Siegmunds verzweifelte, das Glänzen des Schwertes wie eine Vision
des edelsten Weber im Lohengrinkreis, der Überschwang des wogenden,
liedschlagenden, seelenöffnenden Lenzes, da sie die Musik auf der Bühne
dem Orchester abnehmen und alles Feuer in Schwert und Liebe zum wonne-
schreienden Schluß ^- eine einheitliche Szene von solcher Zündkraft neuer
und doch begründeter Musik war noch nicht geschrieben worden.
Entgegengesetzt ist der Erfolg der Musik im dritten Akt Siegfried. Der
Wanderer mit Erda, der Wanderer mit Siegfried, und dann Siegfried mit
Brünnhilde, da sie sich plötzlich lieben sollen, das sind zwangvoll drama-
tische Situationen, die der Musik nicht sonderlich entgegenkommen, einen
schlechten Komponisten zu schlechten Tönen gelockt hätten. Die un-
gestüme Frische Wagners, als er die Feder zu dieser Komposition ansetzte,
gibt ihm die Fähigkeiten, alles Widerstrebende einfach niederzumusizieren,
indem er sich mit solcher Inbrunst der Umgestaltung selbst vererbter Motive
und der Erfindung neuer widmet, daß er seine Figuren in einen Zauber
symphonischer Phantasie hüllt, den sie bewundernd mitmachen. Alte Themen
werden ungeahnt mächtig, sprechen aus sich selbst wie in einer neuen Ge-
walt, das symphonische Gewebe wird enger, zwingender, harmonisch kühner,
rhythmisch herrschsüchtiger und melodisch mehr und mehr rücksichtslos
gegen die eigene Vergangenheit. Ein sieghaft schönes, weitgreifend neues
Thema umschwärmt Siegfried, berückende Weisen umschmeicheln Brünn-
hildes Mund, das Licht sendet ihr ungeahnte Akkordherrlichkeiten zu,
469
es schwelgt das Heilfreudige um sie in melodischem Liederton, ihr Jauchzen
gestaltet eine instrumentale Phrase in der Härte spätbeethovenscher Freude,
ihre Unruhe führt ihnen eine resolut bewegte Triole vor, würdig eines letzten
Symphoniesatzes, ihre Angst besänftigt ein märchenhaft schönes, wiegendes,
feinfühlig moduliertes Adagio, und da sie ihre ewige Liebe endlich in meister-
singerliche Quarten niederlegen, wissen wir, daß diese Phantasien im Sieg-
friedidyll einen widerstandsloseren Boden fanden : den der reinen Symphonie,
die aus Freude an einem Kinde der Liebe schafft, nicht Kinder des Geistes
zur Freude überreden will.
Der Ring war ein symphonisches Weltbild durch alle Reiche des Ge-
wesenen. Tristan und Meistersinger, so aufgefaßt, geben sich uns als sympho-
nische Dichtungen engerer, aber intensiverer Bezirke, die als Gegensätze
die Energien aller bildenden Musik erschöpfen: Chromatik und Diatonik.
Die Chromatik ist die Welt der Farbe. Alles Gebrochene ist ihr eigen,
der schimmernde Schein des zerlegten Lichts, das verhüllte Sinnenreizende
und verführerisch Assoziative, alles Schillernde und Reflexive, die bunten
Beziehungen der Dinge, ihr sich in die Seele Horchen und Verstehen und
Lächeln und Vergehen, alle Intransigenz bis zur Luftleere, alles Durchgehende,
das das Gerüst des Bestehenden verstrebt, das Tonale ausbiegt, das Starre
fließen läßt, das Materielle entfHegen und das Gerade aufwirbeln. Die Chro-
matik ist die nervöse Durchfühlung aller Funktionen, ihrer geheimen dunklen
Gänge, ihrer gleichschwebenden Temperatur. Es ist die Anschauung der
Analyse durch die höchst gesteigerte Sensitivität. Eine Lebenseinstellung
in Halbtönen.
Vier chromatische Töne aufwärts, in alle Harmonien zu ordnen, sind diese
Liebe von Tristan und Isolde. Abwärts sind sie die Vergangenheit, der wunde
Tristan als Tantris. Chromatisch färbt sich die Zukunft, der Tod, und aller
Fluch des Verlassenen nimmt diese Zeichen an. Dazwischen schwingt c^
und singt es in einer Musik, wie sie niemals so durchleuchtend, so durch-
blickend erlebt wurde, eine Schöpfung von Musik, die — ob Oper, ob nicht
Oper — als Erfindung, als Neubildung, als Phantasie einer ganzen geschlos-
senen Tonwelt, als Äußerung eines gestaltenden Geistes und uneingeschränk-
ten Gefühls zu den Göttlichkeiten dieser Erde zählt. Jeder Takt ist ein
Leben, wie er vorher so nicht da war und so nicht wieder kommen kann. Jede
Wendung ist der letzte Ausdruck einer unvergleichlichen inneren Zeugungs-
kraft, in der unbändige Gewalten trächtig sind und der Trieb von Erlebnissen,
die nicht mehr vertieft werden können. Alles Substanzielle ist überwunden,
die äußerste Entstofflichung tritt ein. Es gibt einen Stil Tristan, wie es eine
Erde gibt.
470
Tristan, von Wagner für Mathilde Wcsendonck geschrieben
')
Wunder der Septime, der ewig unerfüllten, zweiseitigen, erdenlosen,
wie sie diesen Stil durchzieht und die Akkorde des Sehnens bildet, die
ihre Not schwer gegeneinander legen. Wunder des Vorhalts, des Erfüllungs- .
süchtigen in der Melodie, der seine Auslösung von unten flehend andrängt
oder sie von oben hingebend umklammert, wie er in dem schwärmenden
Liebesmotiv des zweiten Aktes bis hin zum Liebestod in seligen Wellenlinien
seine Zauber wirkt. Alle Wunder alles Unerlösten, der Septimen, der Vor-
halte in die letzten Verwicklungen hinein, in den Harmonien der Brangäne-
wacht, in denen der Rausch der Vereinigung musiziert, in den schneidenden
Schmerzdissonanzen, in denen scharfe Sekunden schrill auf schwarzen Ak-
korden sich in übermäßiges Dur auflösen, bei Isolde auf dem Schiff, bei
Tristan auf dem Lager. Wunder der unerlösten Rhythmen, der unruhig,
ungleichmäßig neben- oder übereinander laufenden, aller zitternden Syn-
kopen, pausierenden, unbestimmten Atemzüge, des Pulses von Tristans
Wahnsinn in fünf Viertel oder drei Viertel nach vier Viertel, und Isoldens
letztem Schlag in gleichzeitigen drei Halben und vier Viertel oder zwei
Halben und sechs Vierteln. Wunder der freigewordenen, schwebenden,
augenblickserregten Melodie, die sich in den Urzauber ungerichteter Volks-
weisen zurückzieht, die luftige Weise des Seemanns, die in Klagen ringende,
sich selbst betrauernde traurige Weise des Hirten, deren Schmerzensblick
die ganze Szene des kranken Tristan nicht verläßt.
Bis zu Grenzen, die niemand auch nur geahnt hätte, werden Vorhänge
■ aufgerissen, weite Horizonte genommen, ganz tief wird Luft geschöpft und
in wilden Blitzläufen der Arm gestreckt. Weltenweite Symphonien gestalten
sich. Über das nicht viel mehr als symbolische, konkave Motiv des großen
Zwiegesangs entfaltet sich eine musikalische Dichtung von dauernder Psycho-
logie in der Wandlung des Süßen, Herben, Festen, Weichen, Scharfen, Ge-
dehnten, Erinnernden und Gespannten durch die Charaktere dieser einzigen
Phrase. Ein Riesengemälde aller Schmerzlichkeiten bildet die erste Hälfte
des dritten Akts, alles Ziehende, Sinkende, Brechende und Süchtige in immer
gedrängterer Beziehung der Motive, bis zur Gleichzeitigkeit von vier Themen.
Darunter wogen die Tonalitäten in ewiger Unruhe, Unbestimmtheit, Tal
und Berg ineinanderrauschend, und doch nicht einmal vom Gesetz ihrer
Kraft und Einheit verlassen. Schwimmend, erdlos wird alles Formale, Er-
erbte, Geprägte, alle S-Linien der delikat gesponnenen Minnepoesie zwischen
Isolde und Brangäne, alle Dominantenringe des Liebessangs, alle Held-
rhythmen in den legendären Tristanhymnen, alle Gegensätzlichkeiten der
Schiffstaktweisen, der Heimatsdiatonik, der Kurwenalgradheiten, alles
Hörn- und Jagdwesen, das immateriell in der Luftperspektive der Bühne
zergeht, wie. jeder Akt mit einer solchen Luftdistanz des Tons beginnt:
der erste mit dem Seemannslied über weitem Wasser, der zweite mit den
Hornklängen im Wald, der dritte mit der Hirtenschalmei am öden Ufer,
an dem leere Intervalle in die Luft steigen. Luft legt sich zwischen die
Charaktere der Musik, als Ausdruck der Gefühle, daß sie in Spiegelungen
zu oszillieren beginnen. In verstellter Süße liebkost Isolde im ersten Akt
die Melodie zu schmeichlerischer Ironie, und in illusionärer Süße bildet
sie der wahnsinnige Tristan zu Gesängen wundervoller Visionskraft. Chroma-
tisch schillernd steht Wahrheit und Schein gegeneinander, daß es in der Farbe
berückender Schönheit erglänzt. In einem genialen chromatischen Abstieg
senkt sich Brangäne im ersten Akt von Isoldens Ausbrüchen nieder zu einer
Musik, in zwei Partien, die eine farbflüssiger, die andere in drei Viertel
farbgewirktcr, um alles, was ihr an Unmittelbarkeit der Gesinnung zukommt,
durch eine Koloristik und Phantastik der Erfindung in das Zauberische zu
wenden, die vielleicht die bewundernswerteste Chromatisicrung des ganzen
• Werks darstellt. Die Materie ist entbunden. Wir gelangen zur Tiefe, die
die Höhe ist. Das Urvergessen webt seine einfachsten Harmonien. Die
Nacht der Liebe senkt sich in das weiche As-Dur. Wir sind in einer Musik,
472
die gelbst noch vor der
Musik ist, auf jenem Ur-
grund, den wir seit den
Zeiten des Holländers er-
strebten und hier erreichen.
Aus ihm wachsen die letz-
ten Wunder. Selige, schwe-
bende, erdenlose Harmo-
nien, deren Geheimnisse
die Musik hier entdeckte.
Die Liebessterbemelodie,
die nicht mehr weiß, ob
sie ein Lied sei oder nicht,
und alle akkordmelodischen
Zärtlichkeiten aller Liebes-
singepaare in die Heiligkeit
ihres milden Ernstes auf-
löst. Das Emporsteigen der
transzendenten, verzück-
ten, tönebrünstigen Weise,
des Todes der Liebe und
der Liebe des Todes, in
jener ungetrennten Schön-
heit, die noch vor der
Skala der W^elt liegt. Da muß freilich Marke daneben stehenbleiben, mit
der braven Herzlichkeit seines ehrlichen Basses. Und mit ihm alle anderen
Markes.
Die andere Welt sind die Meistersinger, die Welt der Diatonik, des aus-
gesprochenen C-Dur, wo alles fest und gerade und eindeutig und leiter-
tonig wird, sicher auf dem Boden steht und froh ins Helle blickt. Die Sym-
phonie des Tages. Jenes sonnigen Tages, der in Sachsens Zimmer leuchtet,
wo unter dem freundlichen Glanz des wohlwollend umfangenden Leitmotivs
dieser Szene an der Zukunft gearbeitet wird, Lieder entstehen. Regeln ge-
prüft und Glück geschaffen wird.
Sachsens sorgliches Motiv, das ihn unter dem Besuch der Eva am Johannis-
vorabend beschleicht, scheint noch einmal die Rätsel der Chromatik aufzu-
werfen, aber wie er sich selbst das Tristanzitat vom Leibe schüttelt, so
entkeimt ihm eine herzlich schöne und gute Melodie, die den Dingen mit
Freude und Verständnis ins Auge sieht. Nicht noch einmal das Schicksal
473
Jr.ui VVcscndonck. Nach Dorn
Markes! Laßt die Melodie solche männlichen Linien haben, die Harmo-
nien festen Griff, den Rhythmus Stand und Schlag, und die unbeschreib-
liche Frische dieses Werkes lacht uns an.
Wieder sind es vier Töne. Aber vier aus der Tonleiter, diatonische,
begründete und meinungsstarke. Sie machen den Schritt der Meistersinger
in ihrem kräftigen Mannesmotiv, sie beherrschen als musikalisches Ornament
ganze Strecken der Handlung, bald in einer Reihe, bald als Quart gefaßt,
sie formen das Motiv der Liebe, geben Nürnberg sein stolzes Zeichen, er-
freuen den Tanz auf der Wiese mit einer volkstümlichen Wendung, gießen
das Licht über das selige Motiv, das Evas glänzende Erscheinung begleitet,
kriechen in Beckmessers Albernheiten hinein, geben den Schustern die
Leisten, signalisieren die Prügel und stützen die Lehren an den Freund
von holder Jugendzeit, denen Nicolai aus dem Grabe zunickt. Sie sind die
Fahne der Diatonik, immer verschieden gerollt und geschwungen.
Selbstbewußt steht Walthers ritterliches Motiv auf diatonischem Boden.
Auch Evas fragende Vorhaltseptime verläßt nicht die keusche Moral dieser
tonalen Bindung. Das Johannistagmotiv legt sich froh über Tonika und Domi-
nante, oder zwei Quarten der Tonika und ihrer nächsten Stufe. Die Loyali-
tät der diatonischen Harmonien entwickelt das Zunftmotiv. Davids Sprünge
gehen die Skala in Sexten hinab und Beckmessers Bockigkeiten sie gern
hinauf bis zu seinen steifleinenen Tanzereien — alles Tanzende der Lehr-
buben, bei der Freiung, in der Straße, auf der Wiese ist diatonisch reiner
Schnitt. So wollen es auch die aufziehenden Gewerke, die quartigen Schuster,
die Tonikastadtwächter, die altmodisch floskelnden Schneider und die Bäcker,
denen erst gar nichts besonderes einfällt.
Die Formel des Archaischen legt sich stilbildend liinein. Der Unter-
richt Davids in den Meisterweisen mit Koloraturen und Kadenzen, die
Tabulatur mit der Behäbigkeit steifer Melodie und der Bestätigung des
Refrains, die Taufe der neuen Waltherweise in hieratischer Feierlichkeit
und alles große und kleine Choralhafte geben Diatonik als Farbe. Auf gutem,
altem Orgelpunkt, den ein Fis des Nachtwächters darstellt, spielt sich die
traumhaft schöne Wendung ab, die den Zauber der Liebe begleitet. Und
auf ebenso festem Grunde entwickelt sich das As-Dur-Motiv in zärtlichem
Spiel zum Besuch der Eva in Sachsens Zimmer. Die Gewohnheit der Sequenz
wird zur formalen Liebhaberei. Die Sequenz, das Wiederholen einer Phrase
durch Stufen der Skala, durchdringt das ganze Werk, in der Musik der Meister-
singer, des Walther, des Sachs. Musiker nennen es Schusterflicken. Hier
wird es der Ruhm des Schusters. Denn es ist so gestaltenvoll und gefühls-
biegsam neu geboren, wie alle diese Erbtümer eine Erneuerung erfahren,
474
die eine Entdeckung ist: Stil, gesehen durch das Temperament der Er-
findung.
So werden auch Lieder neugeborener Stil. Sachsens Schusterlied ist
die sehr lebendige Erneuerung des realistischen Volkstons, der Chor „Wach
auf" über Sachsens historischen Text die wundervolle Modernisierung des
idealistischen Volkstons. Walthers Lieder stufen sich ab. „Fanget an"
ist wie aus den elementaren Gründen des Dur-Akkords unter Zerlegung
der auswachsenden Harmonien improvisatorisch entwickelt bis in jenes er-
atmend schöne Septimen- und Vorhaltthema, das zum Motiv wird, ohne
je seinen tonalen Charakter zu verlieren. „Am stillen Herd" ist eine Mitte
zwischen Finden und Bauen, wie das Schaffen einer konturierten Melodie.
Das Preislied ist Bau, mosaikartig aus Motiven in eine Form zusammengelegt,
die noch genug innerliche Impression hat, um sich im Verlaufe des Dramas
zu wandeln. Als Erfindung aber war das alles so neu, daß es für sich eine
Epoche des deutschen Liedes darstellen könnte.
Neugeborener Stil sind die Ensembles und großen symphonischen Bilder.
Fest stehen sie auf der Tradition und sind doch in die Sphäre einer schaffen-
den Phantasie gerückt, daß Stil Erlebnis und Gesetz Charakter wird. Am
ersten Aktschluß die Türmung der gehässigen Meister, des fortsingenden
Walther, der spöttischen Lehrbuben ist ein Kunstwerk, das man sich scheut,
Finale zu nennen. Die kühne Prügelszene, die sich bis zu achtzehn Stimmen
verwickelt, scheint nur ihren Lärm zu machen, um in der einzigen Poesie des
lyrischen Mondlichts, das die Gespenster belächelt, sich abregen zu dürfen.
Das Quintett, an absoluter Schönheit unerreicht in Fluß, Hebung und
Begeisterung der Stimmen ist so weit über alle Überlieferung hinaus, daß
es uns selbst eine wurde. Man spricht von dieser Meistersingermusik, indem
man sie voraussetzt. Zieht uns Tristan immer wieder unerklärlich heran,
so ist sie der Grund unseres Empfindens geworden, nicht wechselnd und viel-
farbig wie alles Abnorme, sondern gesund und bodenstark wie der Acker im
Frühjahr. Fast vergessen wir, daß diese Heiterkeit eine große Äußerung
des angeblichen Pessimisten war. Fast vergessen wir, daß alle alten Künste
der Musik, gegen die wir von ihm aus einst eiferten, hier eine glänzende
Rechtfertigung fanden. Es ist ein Triumph und eine Schönheit der Phantasie,
die uns zu selbstverständlich geworden sind.
Wie das Alte in ihr neu wurde, Lied und Ensemble aus einer Form ein
Vorgang und Ereignis, so soll es uns selbst nie alt werden. Der Eintritt der
Meister baut als Bild der Gesetzmäßigkeit auf dem Schritt von Tonika
und Dominante ein organisches Spiel von Quarten, Sequenzen, Skalen.
Die Szene unter dem Flieder bildet frühlingslicht eine zartbewegte Dich-
475
tung aus dem Liede Walthers und dem Traum Evas. Der Wahnmonolog
reiht ein tief nachgefühltes Epos aller thematischen Sorgen und Hoffnungen
Sachsens aneinander. Sachsens Dank und Schlußgesang verdichten und
verinnerlichen alles Geschaffene zu einem Ensemble musikalischer Erlebnisse,
dessen Erinnerungskraft wächst, je öfter wir sie genießen. Das sind nicht
bloß Musikstücke, das sind immer wieder Bildnisse, die sich von Lebensmüh
bedrängte Geister in ihrer Nöte Wildnis schufen. Sie machten das Leben
zum Bilde, nun wird das Bild wieder zum Leben erlöst. Denn dies wollen
die Meistersinger: die Erde singen lassen, den Volksboden immer neu besäen,
das Ererbte und Bestehende in der schlichten Dankbarkeit immer neuer
Einfühlung in die Sonne der Gegenwart führen und in jener Erinnerung
der Erinnerung pflegen, die Musik heißt.
Verdi schloß mit einem Werk, das in die Höhen des befreienden Humors
führt, Wagner mit einem, das in die Tiefen religiöser Erlösung sich ver-
senkte. Jener war ein Fruchtbaum auf südlicher Erde, und seine Früchte
lösten sich ab, wenn sie reif und kostbar waren. Dieser war ein Problem
des Nordens, und seine Arbeit war ein Kreis, der Vollendung in sich suchte,
indem er in sich zurückkehrte. Der Parsifal hat die Müdigkeit dieser Rück-
kehr. Seine Erfindung sprudelt nicht mehr aus neuen Quellen, sie sättigt
sich an ihrer eigenen Vergangenheit. In der Wendung des Gralsmotivs,
das zur Quinte diatonisch aufsteigt, lehnt sie sich an eine Phrase des katho-
lischen Gottesdienstes an; im letzten Gesang des ewig leidenden Amfortas
blickt sie gerührt zur alten italienisierenden Melodie zurück. Der Schwan
des Parsifal zitiert den Schwan Lohengrins, ein Dur mit einem zugehörigen
Moll. Aus diesen Akkorden, in den typischen Rhythmus des Erhabenen ge-
setzt, bildet sich das feierliche Motiv des Gralsgebetes, dessen Kontur sich
unter einer Ausbiegung im Stil schmerzlicher Tristantage zur Linie des
Abendmahlsgesanges fortwirkt. Die Romakkorde Tannhäusers mit den
Quartensequenzen der Meistersinger durchsetzt ergeben das Thema des
Glaubens und die Tonketten der schwebenden Taube. Isoldens Ver-
zweiflungswürfe in dissonierenden reißenden Skalen, alle Chromatik sich
reibender und schneidender Stimmreihen wandelt sich in die Schmerzens-
und Mitleidsmotive und in Kundrys unruhige Doppelseele. Aus den Akkord-
rhythmen des Siegfried in seiner Szene mit Wotan (alles nicht zu wörtlich
zu nehmen) bildet sich das redselige, schwache Parsifalmotiv. Die Grals-
glocken ergchen sich jn bewährten Quarten, über denen sich ein Zauber
weitgezogener klingender Fäden und hieratisch korrespondierender Sequenzen
entwickelt, in dem dumpfe Erinnerungen an ein Nürnberg fortsingen. Die-
selbe Luft, die Siegfried vor dem Tode im Walde anhaucht, thematisiert
476 .
sich in derWaldf rische auch
dieses Klimas, leicht ange- (yhr^ -ii<A\^t^ .t-/*.^
fächelt durch Lenzesdüfte o*' J&>^ ^^^X' t^ <a^
aus Siegmunds Liebeszeit. cl'^^^T^^ J^^^Ji^
Die Haßrhythmen der Ni- /-.^T ^L>^ .t^ ^ '^^J<^ ^^ vf^o^—L^^
belungen gehen m die
Qualen des Amfortas über.
Die Rheintöchter der Göt-
terdämmerung leihen ihre Der Grundsteinspruch für Bayreuth
sinnlichen Figurationen
/manchen Bewegungen der Blumenmädchen, und der Karfreitag genießt
noch einmal diese S-Linie der Melodie, die von den Lohengrinchören bis in
Walthers Sehnsucht so manches Schicksal erlebt und gestaltet hat.
Eine Wandelmusik ist das, in der die Zeit zum Raum wird, alles Gewesene
zu einer stillen und weiten Kathedrale, in der Harmonien klingen wie in
alten Jahren, zum Entzücken des Ohres in süßgleitende Kontrapunktik
gebracht, sich selbst niemals genug im Genuß des Aufbaues, in der Wieder-
holung ihrer parallelen oder konvergierenden oder divergierenden Verschrän-
kungen— -Harmonien bald von der letzten Kühnheit aller L^naufgclösthciten,
aller Verwicklungen gedrängter Durchgänge und ineinander geschobener
Akkordgebilde wie bei Titurels Begräbnis, bald von einer naiven Lehr-
losigkeit und Ungebrochenheit, wie die Folgen der Septimen und Dur-
dreiklänge im Motiv des reinen Toren, bald von einer kirchlichen Weitlage,
in Rhythmen und in Intervallen, bis zur gläsernen Transparenz mystischer
Orgelregister. Eine Sphäre von Harmonien ist es, die dem Parsifal seinen
eigenen ruhigen Stil gibt, die Farbe satter Erinnerung, die Modulation
der Gliederung, wie sie sich noch zuletzt unter den schönen Kurven
des hin und lier gesungenen Erlösungsmotivs darstellt: von D-Dur über
H-Moll, A-Dur, Fis-Moll, E-Dur, Cis-Moll, Ces-Dur, As-Moll, Ges-
Dur, Es-Moll nach Des-Dur in einem Kreise der bunten Tonalitäten
schwingend.
In dem Meere wogender Harmonien bilden sich einige Inseln, auf denen
die musikalische Phantasie in reiner Blüte steht, wenn schwächer in Natur,
so doch immer noch stärker in ihrer Treibhauspracht als mancher eingebil-_
dete Sommer. Die Weise vom Wein und Brot hebt sich durch ihre melan-
cholisch zarte Volkstümlichkeit (Chopins würdig) erfrischend ab von dem
unersättlichen Schmerzbohren und frommen Gezitter dieser leid- und mit-
leidgeschwängerten Musik, um gar zu schnell in der Phrase „froh im Verein,
.brudergetreu" diese volkstümliche Grenze schon zu überschreiten. In der
477
Blumengartenszene leuchtet um die Partie von Kundrys Kuß die letzte
wahre Sünde der Sinnlichkeit, während sonst, trotz der Zwölfteilung der
Frauenstimmen und der Anstrengung verschiedenster sich überlockender
Themen diese Sinnlichkeit so zu alt erscheint, wie sie einst im Venusberg
des originalen Tannhäuser zu jung war. Dafür stellen die paar Seiten in
G-Dur, auf denen Kundry Herzeleides Tod erzählt, eine aus dem Stil Tri-
stans und der Meistersinger bewußt gewonnene Reinkultur dar, daß sie
Fortsetzungen hätten versprechen können. Die intensivste Stimmung,
nicht so sehr erfinderischer als geklärter musikalischer Phantasie bildet
sich im dritten Akt, von dem herausdrängenden Erwachen der Kundry
über das synkopische Nahen Parsifals, über die schöne Lyrik des Badens und
Salbens bis zum Blühen des Karfreitags und dem gesenkten Motiv Titurels
„zum letzten ]\Iale". Hier ist eine klare Anschauung der Themen, frei von
angsterflehten Nebenwirkungen, und alles feine und verstehende Auslassen
und Resignieren einer alten weisen Künstlerhand: Schweigen und stilles
Weinen.
Das Erbe
DIE Schlußfrage ist die nach der Wagnerschen Kultur. Einst das Kredo
einer kleinen tapferen Schar, die unvergeßliche Opfer diesem Idealis-
mus brachte, ist sie der Zweifel einer jungen Generation geworden, die durch
Wagner selbst irregeführt wurde. Sie bellen gegen ihn und wissen nicht,
daß es nur der Mond ist, den sie anheulen, der Reflex der Sonne. Sie wollen
seine Größe nicht sehen, seinen Willen, der in jeder Zeile seines Werks
spricht, nicht anerkennen. Sie ahnen nicht, daß, wenn dieser Riese liegt,
er immer noch höher ist als ihre Zwergenhaftigkeit. Sie sind bemitleidens-
wert, indem sie der Tragik dieses Helden noch die Tragik des jVIißverständ-
nisses hinzufügen, das er sie lehrte. Er lehrte sie Theorie, Philosophie,
Mission, Regeneration und alles Pathos des Überkünstlerischen, aber nie
sprach er zu ihnen von der Macht der Musik, die doch seine einzig starke
Quelle war, von der musikalischen Erfindung, der Nur-Musik, die wieder
aufgerichtet werden soll. Wohl empfinde ich diese Gegenempfindungen.
Wenn ich die edle Phantasie des Goetheschen Märchens bewundere, wenn
ich auf den kühlen und feinen Wegen Kellers gehe, selbst wenn ich den
köstlichen animalischen Geruch des Sozialismus wittere, der in Kiplings
Dschungelbuch so etwas wie das Rheingoldthema in eine moralische Fabel
wendet, von all diesen keuschen und sicheren Gegenden kann ich wohl,
in der Welle eines Augenblicks, begreifen, wie das Gesicht seiner Kunst
478
zu einer Grimasse von MundfüUe, Gefühlsbetulichkeit, Ausschwärmen von
Wirkungen, Aufdringlichkeit des Innenlebens werden kann. Aber ich strafe
mich selbst dafür. Unter dem sonnigen Jubel der letzten Meistersinger-
chöre in Bayreuth fliegt das alles von mir, wie Papier, und es bleibt der Glaube
an die unersetzliche Kraft der Musik, die ein Licht ist, das Schatten wirft.
Ich kann nicht von den Schatten gegen das Licht kommen. Ich kann mich
nicht versündigen an einem Mann, dessen musikalischer Gedanke Welten
schuf, in jedem Werk eine neue. Gebt mir einen zweiten solchen in unseren
Jahren und mit ihm allein will ich ihn messen. Es ist Zeit, daß die dialek-
tische Sophistik der Antimusikalischen ihr Ende findet. Von der Musik
aus ist diese Erscheinung wieder zu begreifen, zu beurteilen, wiederher-
zustellen. Der Beyhsmus sagte, Körper, die einander sich nähern, erzeugen
wohl Wärme und Gärung, aber es geht vorüber. Das war gut für Rossini,
schon nicht mehr für Mozart, und gar nicht für uns. Es geht nicht vorüber!
Es gibt Schlachten und Siege. Und es gibt die Probe auf Gefühl für Leiden-
schaft und Größe.
Die Kultur Wagners ist das gewaltige Ende der stilbewußten Oper.
Das ist keine Kultur von Begriffen, sondern die einer Persönlichkeit. Seine
Kraft ist die schöpferisch musikalische, nur diese, nicht eine Theorie. Die
Theorie ist in ihm die Auflehnung der Vernunft gegen dieses Unding, ge-
nannt Oper. Oder die Auflehnung seiner sozialen Natur gegen seine indi-
viduelle „Genialität".
Die Vernunft fragt ihn zuerst: wie kommst du zu dieser Kunstgattung?
Woher wird sie ? Und so konstruiert er sich aus den künstlerischen Ele-
menten, die die Natur in ihn legte, das Gesamtkunstwerk, das oft er-
sehnte, oft prophezeite, das er über Gluck hinaus als persönliche Einheit
des Dichterischen und Musikalischen fordert. Es ist ein philosophierter
Notschrei.
Die Vernunft fragt zweitens: wozu machst du das alles? So konstruiert
er sich die Regenerationsidee. Die Menschen sind in Verfall. Nur das Kunst-
werk kann sie erlösen. Und vor allem das Drama, und zwar dieses musika-
lische Drama, als letzter Ausdruck aller ästhetischen Ideale.
Wie wunderbar war dies in System gebracht. Welche Ehre war der Oper
angetan. Ihre Paradoxie sollte Wahrheit sein. Er hat es an sich selbst er-
lebt, daß sie Paradoxie blieb, und darin viel fruchtbarer als eine Wahrheit,,
die niemals Wirklichkeit werden kann. Nicht die soziale Auffassung, weder
der Künste noch der Menschen gibt hier den Ausschlag. Nur die künst-
lerische Kraft des Schöpfers. Wirkt nur ein Schimmer von ihr im Werk,.
so ist es mehr als alle Verbindungen von Quantitäten. Und wirkt sie über-
479
haupt, so wirkt sie nur durch sich. Die Kunst als Schöpfung ist lebensstär-
kend in dem einzelnen, aber der moralische Wille kann sie dazu nicht machen.
Ist die Phantasie klein, zerstört er sie sogar — ist sie groß, ist er überflüssig.
Es gibt kein ästhetisches Erziehen als Bessernwollen, aber es gibt ein ästhe-
tisches Erzogenwerden als Steigerung des Lebensgefühls. Dies sitzt nicht
im Faktor, sondern im Produkt. Es ist nicht die Aufgabe des Künstlers,
sondern des Kunstwerks, das sich von ihm löste.
Der wahre Künstler schafft aus zentralem Leben, daher hat seine Kunst
lebensstärkende, also auch bessernde Kräfte. Indem sich sein Werk von ihm
ablöst, beginnt diese soziale Bedeutung, die freilich nur peripherisch (Luxus)
ist. Zwischen dem Schaffen und dem Wirken ist ein wesentlicher Unter-
schied. Die Kunst hat zwei Leben, als Geburt und als Existenz. Ihre Ver-
mengung ist übel, ihre Vermittlung nötig.
Oder: das Kunstwerk erhöht Lebenskräfte. Das ist sein sozialer Sinn.
Aber es darf ihn nicht als moralischen Willen äußern. Dagegen muß das
Publikum von dem moralischen Willen besessen sein, durch die Kunst in
dieser Weise erhöht (erzogen) zu werden. Dies ist eine im Wesen der Kunst
begründete Antinomie, die zu vermitteln Aufgabe des Kunstschriftstcllcrs
ist, dessen Empfindungsdynamik zwischen Schaffen und Genießen die
Wage hält.
Ich setze diese Bekenntnisse hierher, weil sie die Antwort sind, die ich
auf Regenerationsabsichten des Künstlers habe, sobald er sich zu viel darauf
einbildet. Diderot schrieb einmal an Voltaire: „Den Menschen nützlich
sein ? Ist es so gewiß, daß man etwas anderes tut, als sie ergötzen, und daß
zwischen einem Flötenspieler und einem Philosophen ein großer Unter-
schied ist ?" Das ist schrecklich wenig. Rousseau war Moralist und Künst-
ler, aber er vermengte es nicht. Das ist gewiß das sicherste. Schiller ent-
wächst dem 18. Jahrhundert. Er fühlt als erster die Kunst sozial. Er träumt
von der allgemeinen ästhetischen Erziehung. Das war nur ein Irrtum der
Utopie, der Erweiterung. Zu seinem sozialen Traum kommt bei Wagner
der egoistische Realismus. Das war ein Irrtum seiner selbst, ein Irrtum
der Verengerung. Sein musikalisches Drama, das Kunstprodukt seiner
persönlichen Anlagen, hält er für das Regenerationsmittel. Dies Theater,
das in der leichtsinnigen Wirtschaft seiner Künste, wie es im Wilhelm Meister
heißt, als „zweideutigen Ursprungs" erkannt ist. Diese Oper, die alle ihre
Schönheiten aus ihrer Irrationalität, aus ihrer Willenlosigkeit hat. L-nd Wag-
ner moralisiert sie in seiner Theorie so, daß er den furchtbaren Fluch über
die absolute, nicht darstellende Musik ausspricht: sie habe keinen moralischen
Willen.
480
Daß die Oper in seiner Verzweiflung noch diesen moralischen Willen
zugesprochen erhielt, war ihre letzte große Illusion. In einer Verzweiflung
zwischen Kunst und Moral, die der ernsteste Fall aller Opernreformen blieb.
In einer Verzweiflung der Paradoxie, die Leben und Werk gewesen war
und These werden wollte.
Aber was ist mit seiner Theorie ? Die Kraft, die sie zeugte, hat sie ver-
schlungen. Sie ist für uns ein Punkt geworden, hinter diese bunte Opern-
geschichte zu setzen. Beugt euch vor dieser tiefen Tragik. Befreit alle
Probleme in der Herrlichkeit seiner Musik. Baut von ihr zurück — und ihr
werdet verstehen, was seine Kultur ist, keine Kunstkultur, eine Künstler-
kultur: das Erleben der Oper.
481
31
i
DIE ANARCHIE DER OPER
3''
Die Stile
DER Stil der Oper hat aufgehört, es herrschen die Stile. Es herrscht die
Anarchie. Die theoretische Paradoxie wurde in Wagner Erlebnis, seit-
dem ist sie Tatsache. Die moderne Oper ist die Praxis der Paradoxie. Nichts
bindet, alles ist erlaubt. Alles widerspricht sich, es wird ruhelos nebeneinan-
der komponiert. Der Glaube ist verloren. Vielleicht ist es das Ende.
Die einen ahmen Wagner nach, die anderen das i8. Jahrhundert. Diese
sind Gegner jedes Baulichen, jene halten es für die einzige Rettung. Dieser
ist Impressionist, jener Volkssänger. Die historische Oper ward neu auf-
gelegt, daneben entstehen feinste Lyrismen. Hier wird der Gesang zur Richt-
schnur genommen, dort das Orchester, andere suchen eine Mitte. Während
man neuen Möglichkeiten von Visionen nachgeht, verehrt man das Buffo-
tum und die Comique. Der eine holt es vom Märchen, der zweite von der
dramatischen Sensation, der dritte vom Verismus, der vierte vom Symbolis-
mus, der fünfte von allen zusammen. Hier erhitzt sich die Phantasie an der
Melodie, dort verleugnet sie sie; bald umarmt sie die Literatur, bald die In-
strumente. Von Debussys Illustrationen bis zu Massenets Dickleibigkeit ist
dieselbe Entfernung wie von Strauß zu — Kaiser. Zwischen Wolf-Ferrari
und Busoni liegen Epochen. Puccini und Humperdinck drehen sich den
Rücken. Die Feste von Bayreuth bewährt ihren erziehlichen Ernst, während
man mit der altitalienischen Oper neue Liebschaften anknüpft. Dabei geht
es sehr international hin und her. Die Meistersinger werden der Erfolg von
Paris, und Leoncavallo bekommt einen preußischen Hofauftrag. Mitten in
diesem Chaos leben wir.
Wie können wir anders darüber schreiben als in fliegenden Blättern ?
Wer weiß, was morgen ist ? Wer kennt den Weg und die Kräfte ? Es bleibt
nur übrig, die Anarchie in hundert Farben blitzen zu lassen. Macht euch
das Bild daraus, das keines ist. Ich übersehe selbst das alles nicht mehr. Ich
lege mir Artikel zurecht, die ich im Eindruck des Augenblicks schrieb. Ich
hole anderes aus der Erinnerung. Manches kann ich schon kontrollieren. Aber
ich stelle nichts fest, einmal weil ich mich nicht binden kann, und dann weil
es eben von Natur lose ist. Ich streue es hin. In fünf Jahren streut man
wieder anderes hin. Ein Buch, das aus dunklen Fernen aufklang, läuft in
das LIngewisse wieder ab. \\'as ist Gegenwart, als daß sie Vergangenheit
485
wird, aber die Zulcunft ist schreckhaft. Und immer wieder wird es auf die-
sen Blättern Vergangenheit, so viel arbeitsamer Fleiß, geniale Eroberung, ge-
liebte Schönheit, — ohne Ziel, ohne Kulturwillen hier und da aufleuchtend,
anarchisch . . .
Die Verwaisten
DIES ist eine Gruppe von Toten, die niemals ganz lebendig waren. Wag-
ner drückte sie. Die ,, Bezähmung der Widerspenstigen" von Hermann
Goetz ist ein verlorener Rest romantischen Humors, den man liebgewonnen
hat, weil er so unzeitgemäß war. Aber es sind doch immer nur krampfhafte
Anstrengungen, das Werk am Leben zu erhalten. Es ist zu bescheiden und
mittelständig, meist eine kindlich-deutsche Komponiererei mit aller Ehr-
furcht vor alten Formen, bindenden Motiven, schlechter Deklamation und
dauerhaftem Gemüt. Von Drama keine Spur. Petrucchio gab Gelegenheit,
den Humor sich wild stellen zu lassen, das strengte Goetz zwar an, aber es
lag dem Deutschen mehr als ein feinnerviger Humor. Ohne Dämonie geht
es sowieso nicht ab. Das Erscheinen Petrucchios in uneleganter Haltung zur
eigenen Hochzeit gelang in guter Groteske, rhythmisch und melodisch. Der
letzte Zank des Paares hat Wurf. Aber das Wertvolle liegt doch mehr in
der versteckten Lyrik und absoluten Musikmacherei, auf Kosten der Situa-
tionen, die oft so falsch erfaßt werden, daß mehr Kunstgewerbe als Kunst
an ihnen arbeitet. Das ist dann wie Schumannsche Stubenluft. Die innere
Anmut, das Gefühl für schmiegsam gleitende und begleitende Musik macht
die Liebenswürdigkeiten. Petrucchios Werbung bei Battista, das Ensemble
der Hochzeitswartenden sind reizende absolute Musikstücke. In der Ductt-
melodie des Paares, in Kätchens erster Nachgiebigkeit ist feine lyrische Zeich-
nung. Die Unterrichtsszene, mit dem Virgilzitat und der Tonleiter, die zu
Liebesscharaden werden, ist die berühmteste geworden. Hier ist eine Un-
befangenheit melodischer Buffonerie, in der die Grazie dieses verlorenen
Autors sich am unmittelbarsten ausspricht. Findet der Deutsche eine glück-
liche Gelegenheit, in der Szene zu musizieren, ist er schon ganz zufrieden,
legt die Stelzen beiseite, zieht sein Gefühl auf, bekennt seine Schulbildung
und läßt im übrigen von seinen Figuren sich dramatisch bedienen.
Stellt sich Goetz eigentlich ganz außerhalb seiner Zeit, so gleitet der lie-
benswerte Peter Cornelius in sie hinein. Leider. Denn hier war eine eigen-
tümlich tiefe Begabung, gewiß nicht dramatisch, aber mit einem sicheren
Blick für ihr Klima. Der Barbier von Bagdad war so naiv geschrieben
486
worden, daß schon Liszt, der seine Aufführung in Weimar 1858 durchsetzte,
allerlei Retouchen vornahm, ahnungslos in seiner Tapferkeit, daß er Schick-
sale entschied. Für ihn selbst war der Durchfall das Signal zu seinem Abgang,
für Cornelius war es das Ende seiner Selbständigkeit. Viel später schrieb er
dann eine neue Ouvertüre, die Liszt instrumentierte, und Mottl bearbeitete
die Oper, indem er inhaltlich durchgreifende Änderungen machte und das
Orchester mit Lohengrinflageoletten, Harfensüßigkeiten und allem Schmelz
des Wagnerschen Klanges so überzuckerte, daß etwas ganz anderes daraus
wurde. Erst in dieser Form ist das Stück populärer geworden, aber so, wie
es die Freunde seiner zarten Seele wollen, hat es sich doch nie durchgesetzt.
1904 gab man in Weimar die Originalfassung. Man war erstaunt, plötzlich
eine Musik zu hören, die nichts von orientalischer Süßigkeit zeigte, deutsch,
holzgeschnitten, eigen und herb klang, mit all den naiven Reizen einer gc -
nialen Ungeschicklichkeit. Die Philologie dieser Bearbeitungen findet man
in Sonderschriften und Ausgaben, die Max Hasse, der Wiederhersteller des
Originals, erscheinen ließ. Es ist ein interessantes Kapitel zur Eehre vom
Wohlwollen, das einen Künstler tötet. Die Mottische Form ist selbst durch
diese Erkenntnis nicht verdrängt worden. Später, mit dem Cid, glitt Cor-
nelius vollkommen in den Lohengrin hinein. Hermann Lcvi bearbeitete ihn
noch weiter in diesem Sinne.
Cornelius hatte sich im Text eine mehr als geschickte Grundlage ge-
schaffen, — diese Liebesgeschichte, die durch die übergroße Sorge eines ge-
schwätzigen alten Barbiers erst gestört, dann zum guten Ende geführt
wird — er hatte das orientalisch Blumige und Breite mit einer Art deutscher
Bufforeimerei und konzentrierter Lyrik zu einer dankbaren Sprache verbun-
den. Im Lyrischen ist er Herr. Das Margianalied des Barbiers, das Liebes-
duett, die vielen liedhaften Gesänge Nurredins sind echt und klar. Die En-
sembles sind von feinem Geist, das Duett „Wenn zum Gebet", das träume-
risch-exotische Gebet der Muezzin selbst, das Terzett ,,Er kommt" (in der
Widerspenstigen gibt es dieselbe Nummer), in alledem ist Kontrapunktik
und Stimmenfaktur, aber doch in einer sehr lebendigen Motivarbeit. An an-
deren Stellen drängt sich die doktrinäre deutsche Arbeit zu sehr hervor: im
Durchkomponieren des Rausschmeißchors, in der Verstaffelung des Liebes-
duetts mit dem Fensterlied des Barbiers, in der Schreibseligkeit des Finales,
vielleicht selbst in der verschiedenen Harmonisierung des schönen Salem-
aleikum-Schlusses. So verwandt wir uns der geistigen Verfassung von Cor-
nelius fühlen, so liebenswürdig und feinsinnig uns seine musikalische Seele be-
rührt, so schwer empfinden wir doch den Gang seines Humors. Die Sieben-
brüdergeschichte des Barbiers, in verschiedenen Litaneien ausgeführt, seine
487
Koloraturfreudigkeit, seine
\'erbeugungsphrasen, sein
Echo im Orchester, die
breite Bedeutsamkeit seines
erarbeiteten Leitmotivs,
alle diese an sich so guten,
zeitverlorenen und behag-
lichen Dinge gewinnen
hier ein Pathos, das aus
deutscher Lyrik kommt,
die lustig sein will, nicht
aus letzter Persiflage eige-
ner Person. Es ist eine
Angst um den Ernst auch
im Spaß, die den Lieder-
dichter beschleicht, wenn
er vor der Bühne steht.
Wie humorlos ist der Chor
der Sklaven um den Bar-
bier, dem man Krankheiten
einredet, am Schlüsse des ersten Aktes. Wie schwerfällig gegen die ähnliche
Szene des Sevillaner Barbiers. Mottl strich ihn, Levi stellte ihn wieder her.
Es gehört die ganze deutsche Gläubigkeit dazu, in dieser Oper die Vorzüge
einer edlen, herzlichen und auch guten Musik zu finden, die sie wirklich
besitzt.
Cornelius' Handschrift: Barbier von Bagdad
Ist Cornelius, ein ganz anderer, in die Wagnersphäre eingefangen worden, so
ist Alexander Ritter der bedeutendste Führer der wirklich eingesessenen
Epigonen. Wer zählt sie alle auf, die in Nonen schwelgten, in Vorhalten
schwammen, in Tuben sich blähten ? An Ritter denken wir gern zurück
wegen seiner mannhaften Haltung in diesem Getriebe und seiner folgerich-
tigen Beschränkung auf Einakter: „Der faule Hans" — „Wem die Krone?"
Der faule Hans ist auch, wie der Barbier von Bagdad, der jüngste von sieben
Brüdern. Aber hier geht es um geistreiche Schlachttrompeten und höchst
gefühlvolle Sentiments in Träumen, Lieben und Herrschen. Die Zeichnung
ist nie original, doch voll echten Sinnes für Musik, für diese neudeutsche,
romantisierende, schwärmende und kraftprotzende Musik, die Schule ward,
immer mehr Begeisterung für Fortschritt, als Kraft der Gestaltung. Eine
Apostelmusik. Ritter hielt die eine Hand Wagners und gab die andere Strauß.
488
Hugo Wolfs Corregidor ? Er hat nun schon etliche Male auf den verschie-
denen Bühnen die Kleider des Müllers Lucas angezogen und der Müller
die seinen, um ihre Liebeskomödie durchzuführen. Aber diese Verkleidungs-
geschichte ist offenbar ebenso verwickelt als uninteressant. Der Corregidor
als Müller und der Müller als Corregidor sind Kostüme in einem Museum,
aus alten Zeiten, aus dem Rokokoschlößchen, wo solche Mummenschänze
noch wirklich passiert sein sollen. Hugo Wolf aber, der Liedersänger, hatte
eine derartige Phantasie, daß er vor diesem Glasschrank mit alten Kostümen
in ein Freudegeheul ausbrach und nichts Geringeres als die komische Oper
zu finden glaubte. Ein peinlicher Anblick für einen so großen Mann, welche
Einfälle, welche Arbeit, welche Illusionen verschwendete er an diese Kostüm-
komödie; wie verriet er sich selbst, als er sich einredete, daß sie ihn interes-
sieren. Wie jeder deutsche Komponist, der sich mehr nach Humor sehnt,
als daß er ihn besitzt, nahm er die Geschichte schwer genug, um sich Pro-
bleme vorzuschmeicheln. Er zog die Rokokokostüme über motivisch ver-
anlagte Menschen. Wirft man die Kostüme weg und behält den Inhalt der
Musik, so hat man ein reizendes Spiel in Händen. Man kommt bei diesem
Stück auf so wilde Ideen : einen ganz, ganz anderen Text unterzuschieben,
vielleicht von den Abenteuern eines deutschen Lyrikers, der nach Spanien.
reist und geheilt zurückkehrt ?
Modernes Italien
AUS der Verdizeit reicht Boito herüber, dessen Mefistofele, l868 erschie-
■^ *- nen, im Süden beliebt blieb. Aber ein sonderliches Kunstwerk ist er nicht.
Vom Drama hat er so wenig, daß man ihn als Oratorium geben könnte, wie
man Berlioz' Faust aus einem Oratorium zu einer Oper gemacht hat. Boito
nahm aus beiden Teilen der Goetheschen Dichtung beliebige Szenen, das
Himmelsvorspiel, die Osterwiese, das Studierzimmer, den Garten, das Ge-
fängnis, beide Walpurgisnächte und Fausts Tod; er ließ fort, was ihm nicht
behagte, z. B. Helenas Verschwinden, dafür setzte er die Goetheschen Worte
ein, so weit er konnte. Zwischen Gounod und Berlioz blieb es in der Mitte,
vom reflektierenden Verstand eines feinsinnigen, poetisch-musikalisch begab-
ten Menschen gedrückt, der mit den Künsten nicht rang, wie Wagner, son-
dern sie sensitiv scheute. Zwischen nordischem und italienischem Empfinden
pendelt er ziellos hin und her. Bisweilen hat er reizvolle Orchesterideen, wie
in der Solobegleitung von Gretchens Wahnsinn; dann wieder schreibt er
Chöre im besten Schulstil, wie den Höllenchor und den Erlösungschor; plötz-
lich ein naturalistischer Einfall, die Knaben im Himmel; dann wieder eine
*?
489
heitere italienische Phrase, bei Faustens Monolog oder in der Liebesszene —
alles bedächtig gewählt und geprüft und nicht ohne Selbstquälerei hin-
gesetzt. Der Eklektiker aus Wissen. Ein Wagnerschwärmer, aber kein Wag-
nermensch.
Das junge Italien bildet sich in den achtziger Jahren in Mailand, in der
Gegend Ponchiellis, der Mascagnis und Puccinis Lehrer war (nur seine
Gioconda drang über Italiens Grenzen). Ein Nebenstrom der Neapler Schule
mündet hinein, aus der Spinelli, Leoncavallo, Giordano kommen. Die Willis,
eine schon recht charakteristische Jugendoper Puccinis von 1884, sind die
erste Stilprobe. 1886 jubelt man der Flora mirabilis des englisch-französischen
Griechen Samara zu. Man betrachtete Alfredo Catalani, den heut vergesse-
nen, als starke Anregung. Der Durchbruch geschieht durch den Wettbewerb
für Einakter, den Sonzogno 1890 ausschreibt. Den ersten Preis erhielt die Ca-
valleria rusticana Mascagnis, den zweiten die Labilia Spinellis, die er später
durch sein A basso porto übertraf. Die Cavalleria verbreitete den Stil in
einem beispiellosen Erfolg über die Welt. Es wurde eine brutale Erholung
von Wagner. Der letzte große Schlag Italiens in einer Manier, die sich
aus französischen und italienischen Elementen äußerst wirksam zusammen-
fand und die krasse Anwendung musikalischer Ekstase sowohl, wie Illustra-
tion auf Stoffe des modernen Lebens durchsetzte: man nannte es Verismus.
Traviata stieg aus dem Kleide alter Formen und warf sich die Fetzen eines
Stils um, den sie für Wahrheit hielt.
Von der explosiven dramatischen Kraft des \'ergaschen Stückes sind ge-
nug Reste im Libretto der Cavalleria geblieben, um jenes Vorzittern
und Nachzittern von Erregungen zu schaffen, das musikalisch so dankbar ist.
Der Einakter drängt das Operntypische auf eine kurze Spanne zusammen.
Gebet, Lolawalzer und Mord. Der französische Einschlag bringt den Sata-
nismus einer Operette hinein, das Alfiolied, das Trinklied, den ironischen
Schmelz des Intermezzos. Die rohe Instrumentation peitscht die Nerven.
Eine scharfe, knappe Innenzeichnung preßt die Gefühle. In schlagkräftigen
Phrasen findet die Melodie ihr Pathos. Jene jungitalienischen Wendungen,
grausam geschnittene Silhouetten des Melos, werden in die Ohren gedrückt,
ins Gehirn, das sie schwer losläßt. Psalmodierende Eintonwiederholungen,
diatonische Verschiebungen, homophone Ekstasen, eine Leidenschaft des
liedhaften Singens, auf ihrer Höhe im Duett Turiddu-Santuzza, schlägt
alle gute Erziehung hypnotisch nieder. Ja, es war eine Kraft, die darin
sprach. Ein Umschlagen des deutschen Problems in die sinnliche Macht des
490
gesungenen Tons, in den Rausch der rasenden Melodie, in den glühenden
Hauch sensationeller Bühne, Liebe, Eifersucht, Tod, die einfachsten täg-
lichen Dinge zum Himmel schreiend — aber es war ein animalischer Sieg,
gegen den sich schließlich jede Geistigkeit, in der Welt und in Mascagni
selbst, auflehnte. Er hatte sich ausgegeben. Er hat viel noch gemacht, bis-
weilen mit einem feinen Blick, bisweilen in schlenkernder Trunkenheit —
aber, wo die wichtigen oder nur interessanten Werke der modernen Oper
zu nennen sind, hat man nichts mehr von ihm zu sagen.
Das merkwürdige Schicksal Mascagnis, der Welt einen neuen Stil zu zei-
gen und kaum wieder von ihr empfangen zu werden, ist zu vergleichen
mit dem Los Leoncavallos, von einem Cafespieler sich zu dem Hoflieferanten
für den deutschen Kaiser aufzuschwingen, ohne jemals etwas Eigenes zu lei-
sten. Sein Roland von Berlin, nach dem Roman des Alexis in Musik ge-
schwemmt, bleibt das künstlichste Repertoircgebilde, das es je gegeben hat.
Man hielt ihn für einen Vertreter des historischen Genres, nachdem er einmal
in den Medici eine italienische Trilogie begonnen hatte, so schwach, daß
er sie nicht fortsetzte. In Zaza machte er Musik, in Boheme machte er
Musik. Er hatte das Pech, daß Puccini ihm zuvorgekommen war. Er machte
Musik ohne jede Gestalt und Phantasie, abhängig von Fremden, kritiklos
gegen sich selbst. Sein Welterfolg waren die Bajazzi, zwei Jahre nach der
Cavalleria, wie ein Spiegelbild seiner eigenen Schmerzen. Welche glückliche
'Stoffwahl! Das Spiel der Komödianten ins Leben hineingezogen, Bühne
und Leben, Leben und Bühne, gespielte und wirkliche Ehetragödie — welch
alter, lieber Reiz, nie auszukosten. Er rettete mit diesem Griff eine Musik,
die in Prozessionen, Bühnentänzen, Bajazzoliedern und Vögleintrivialitäten
nicht mehr Note hat, als etwa das Geschick eines Tonschriftstellers, zumal
■er sich dem Französischen gern überläßt, ihr bei einiger Anstrengung geben
kann. Daß er sich so anstrengte, hat man ihm mehr gedankt, als Routine
verdient.
Giordano hat sich von Mala vita an verfeinert. Andre Chenier und Fedora
haben eine resolute Musik, die vor keiner Komponierbarkeit scheut.
Kühle, geistreiche Stimmungen und dann wieder dankbare Gesangsaus-
brüche, interessante Kombinationen von Klavierkonzerten mit Liebesduetten
-und wieder pikante Details im Orchester. (Siberia sank schwach darnieder.)
Es ist wenig Faßbares, für Italien zu intellektuell, fiir den Intellekt zu musi-
kalisch. Ein Zweig des Naturalistischen, der in Bezirke reicht, die noch nicht
oft Musik genossen haben, politisch unterminiert, Schicksale von literarischem
491
Ehrgeiz, die sich leicht illustrieren, um dann Augenblicke lyrischer Erregung
zu wählen, in denen sie die Kehle hart an der Grenze der Wahrheit, im Genuß
der Stimme ausströmen lassen. Niemals gewöhnlich, immer distanziert und
selten bezwingend.
Puccini ist das Haupt der Schule. Was in Mascagni zu roh, in Leon-
cavallo zu gewöhnlich, in Giordano zu kühl ist, bringt er auf eine mittlere
Linie, die ihre Popularität verdient. Viel zu geben hat er nicht, aber er gibt
es meist in einer angenehmen Liebenswürdigkeit, die etwas vom Salonton
hat, oft zu viel Drama. Ein Dramatiker ist er nicht, ein Lyriker auch nicht,,
ein Techniker auch nicht, aber es klingt hübsch. Zwischen Gesang, den er
vorzüglich behandelt, und Orchester, das er sehr geschickt schattiert, findet
er eine Mitte, die vorbildlich wäre, wenn sie nicht, von einer zu schwachen
Phantasie getragen, mehr Klugheit als Wille schiene. Nimmt man ihn zu
ernst, tut man ihm unrecht. Hört man ihn zu viel, durchschaut man ihn
schnell. Und doch ist er ein guter Plauderer und man plaudert mit ihm, über
ihn — in anderer Art, doch ein wenig beinahe wie über die alten Italiener,
au fond des loges . . ,
Die Kameliendame, als sie Traviata wurde, ist sehr von ihrer wohl nicht
recht opernfähigen Karriere entlastet worden. Zwischen dem Roman von
Dumas und der Traviata ist ein größerer Unterschied, als zwischen Prevost
oder Murger und ihren Vertonern. Der rührendste Moment des Romans,
daß der Liebhaber nicht weiß, warum ihn seine Kameliendame verläßt, ist
im Drama vernachlässigt. Die Kameliendame im Roman sagt von ]\Ianon,
so liebe man nicht. Manon würde von dieser dramatisierten Alarguerite Gau-
tier dasselbe sagen. Aber Manon hat es leichter. Bei ihr bildet die Liebe nicht
eine Episode im Kokottenleben, sondern die Kokotte eine im Liebesleben.
Mimi und Manon kommen, die eine als Grisette, die andere als Kokotte in
ihren Beruf durch ihr leichtes Naturell, wahre Liebe leitet sie hinein und folgt
ihnen hinaus. ISIimi und die Kameliendame haben eine süß zehrende Krank-
heit gemeinsam, Manon und Mimi die premiers amours, und die Kamelien-
dame und Manon die Berufsdisposition. In diesem Schillern der Schicksale
und Temperamente ist es gut zu musizieren.
Puccini nimmt, wie in der Boheme, auch in der „Manon" einzelne
Szenen aus dem Original, die wirksam sind: die Entführung in der verwech-
selten Kutsche, das luxuriöse Leben beim Steuerpächter, die Wiederbegeg-
nung mit des Grieux im Gefängnis, und der einsame Tod auf der Landstraße.
Massenets Textformation in seiner „Manon" ist breiter und gibt der Psycho-
492
logie mehr Spielraum: in
den wechselnden Szenen
erfahren wir mehr vom
Wechsel ihrer Liebschaf-
ten, von den Gründen des
Wechsels, vom Kampf der
Liebe und des Lebens.
Massenets Text ist mehr
Roman, Puccinis mehr
Szene, obwohl wiederum
Puccini sich mehr an das
Gegebene des alten Ro-
mans hält als Massenet.
Eine schöne Doktordisser-
tation für kommende Mu-
sikstudenten. Dem heuti-
gen Opernbesucher genügt
zu wissen, daß Manon eine
reizende Person war, die
aus Gefühl einen Cheva-
lier liebte, aus Genuß von
einem Steuerpächter sich
aushalten ließ, um schließlich in diesem Zwiespalt ihrer Natur unterzugehen,
wobei das gerächte Gefühl sie über den verlorenen Genuß tröstet.
Puccinis Musik, mit Massenet verglichen, ist besser, aber sie ist nicht gut :
Massenet leidet ständig unter der Pose einer beredten Empfindsamkeit und
routinierten Affektiertheit, Puccini ist Causeur, eleganter Erzähler und lie-
benswürdiger Illustrator, und darum als Typus schon viel angenehmer. Aber
die mondäne Linie, die er in der Boheme ausbildete, ist in der Manon noch
nicht genug entwickelt, sie steckt in einer süßen Schöngeisterei, die sich bei
Steigerungen in Wagnersche Floskeln verliert. Der erste Akt ist unsicher, der
zweite — ein Rokokointerieur mit Tanz und Gesang — ist leicht und graziös,
aber etwas leer, der dritte Akt — am Gefängnis — ist ernster gedacht, doch un-
selbständig, und der vierte — der dankbare Schluß auf der einsamen Straße —
ist von einem Pathos, das der Komponist bei späteren Gelegenheiten vermie-
den hat. Es sind die Anfänge eines musikalischen Gesellschaftsmenschen, der
aus der ,, Literatur" noch nicht herausgewachsen ist. Aber die Fadesse der
Musik ist oft so bezaubernd, daß man die Neigung versteht, daraus eine
Cafemusik abzuzapfen, die von schmelzenden Zigeunern vorgetragen wird.
493
Puccini
T)oheme bleibt seine Krone. \'ier Szenen sind herausgenommen, die
-L' erste Begegnung, Cafe Momus, das winterliche Tor, das Sterben — und
in eine liebenswürdige Tragik gesetzt, die uns nachhängt, so wenig tief sie
sein mag, von leise wehmütigen Melodien durchzogen, von einer guten trau-
rigen Lustigkeit, von südlicher Betriebsamkeit, ein Melodisieren des Lebens-
von moderner Hand, die das französische Sentiment in scharfe italienische
Phrasen bringt, das musikalische Milieu in freiem Wurf zeichnet, Lieder halb
werden, halb vergehen läßt, Rezitative zur Wahrheit hochführt, entzückende
Einfälle dazwischen streut, geistreich im Auslassen, gefühlvoll im Motivi-
schen, das sich in leichten Charakteren und schönen Wendungen an-
einander erinnert. Zum Manuskriptheizen, zur Wirtsorgie, zu Mimis Ein-
tritt, Mansarde, Liebe, Tod, zu allem gesellen sich so hübsche Melodicn-
reihen, daß sie Stimmung weben, nicht immer ganz passend, aber an sich so
nett, daß man sie nicht wegblasen mag. Das rührende, klagende, kindlich
verliebte Mimimotiv schwingt um dieses Figürchen auch alles Leben der
Musik. Die Musik hebt sich zu großen Schönheiten in der Lyrik der ersten
Liebesszene, in den Konsequenzen der Terzenmelodie Mimis im dritten Akt,
in dem gezogenen, schwebenden, weitatmigen Motiv des folgenden Duetts.
Sie charakterisiert sich gut in dem Abschiedslied Collins an seinen Rock,
eine arme Traurigkeit, in Musettes Lied von Paris, eine parfümierte Lustigkeit.
Sie sinkt auch zu Schwachheiten, in der Anlage des zweiten Akts mit seinen
abgescheuerten Quinten, im Quartett des dritten in seiner dramatischen Un-
geschicklichkeit. Aber durch alles zieht ein Ton, der unaufdringlich nachklingt ;
rhythmische Gelöstheit der Bohemiens, die in den großen Augenblicken ihres
Lebens ihre Melodie finden, rauscht auf, schlägt ihre Pulse — stirbt.
Tosca wird unausstehlich. Die Sensation schlägt durch. Ein ekelhafter
Text, blutig nicht bloß im Stoff, auch in der Behandlung. Eine Musik,
Glocken, Chöre, Konzerte, heimliche Tänze, ekstatische Phrasen, Schlächter-
arbeit im Kleide des Liebenswürdigen, lächelnder Mord. Zehn verstreute
Schönheiten, im Liebesduett, in den beiden großen Arien, geopfert dem Mo-
loch der Kinodramatik. Aber man merkt es nicht gleich. Die Musik bewäl-
tigt, sie ist raffiniert. Nachdem der Butterfly der Staub von den Flügeln
gewischt war, kam die schreckliche Erkenntnis und diese Attraktion von Eu-
ropa W stand in ihrer Nacktheit da.
Bericlit von der ersten Aufführung der Madame Butterfly in Berlin.
Die Destinn hatte gerade mit Caruso in London die Butterfly gesungen.
Ich besuchte sie damals und hörte mit Wonne, wie sie schwärmte. Sie be-
494
^/-•z7i:
-~^o
IVP'Al/'
Puccinis Handschrift: Boheme
trachtete diese Partie als ilire eigentliche Domäne. Ich lieh mir den Klavier-
auszug von ihr, in dem ihre Handschrift, ihre Striche waren, und las die Oper.
Ich war nicht enttäuscht. Ich sah einen japanischen Blütenwald von sang-
baren und klingfrohen Motiven, geistvoll aus der exotischen Kunst ins Euro-
495
päische verpflanzt, nicht bloß spielerisch und operettenhaft, sondern diese
selben eigentümlichen ostasiatischen Intervalle auch ins Hohe und Tragische
gewendet und von der ganzen furiosen Leidenschaft des Italieners belebt.
Wohl fühlte ich hier und da, beim Auftritt der Butterfly und den verwandten
Stellen, eine gewisse fade Süßlichkeit und Wonnetuerei, aber ich wußte, daß
alles das von italienischen Stimmen gesungen, oder wenigstens von emotionel-
len Stimmen, seinen einfach sinnfälligen Zauber erhalten sollte. Ich ver-
glich es mit der ballettmäßigen feilen Musik von ,,Lakme", die ja einen ähn-
lichen Stoff hat, und mußte Puccini .den Preis geben. Groß dachte ich mir
die Wirkung der Soloszene, da Butterfly mit dem Kinde auf den Gatten
wartet, der sie verlassen hat, wartet und wartet, ohne zu ahnen, daß er Sie
längst verraten. Die Destinn schwärmte, und während ich las, hörte ich ihre
Stimme zwischen den Zeilen, ich hörte die ganze Größe und Farbigkeit ihres
Organs. Sie hoffte, daß wir das Stück hier einmal haben würden. Sie freute
sich darauf und seitdem klang mir die Erinnerung an diese INIusik mit ihrer
Stimme in den Ohren.
Aber es kam anders. Nicht die Destinn, sondern die Farrar sang die
erste deutsche Butterfly. Wenn ich etwas von Redaktion verstehe, so war
dies ein doppelter Redaktionsfehler. Einmal mußte die Destinn verstimmt
sein, die sich so persönlich für diese Oper engagiert fühlte, und eine gott-
begnadete Künstlerin in dem Augenblicke, da wir sie vielleicht ganz verlieren,
ins Herz zu treffen, konnte üble Folgen haben. Und dann : die Farrar reichte
nicht aus, um dem Stück den Erfolg zu geben, den ihm die Destinn gewünscht
und gebracht hätte. Selbst äußerlich enttäuschte sie uns. Wir hatten uns
bei ihrem schauspielerischen Talent eine graziöse Japanerin vorgestellt, die
in entzückenden, fein geschnittenen Stellungen wechselt, die zarte Poesie
einer betrogenen Eingeborenen in holdester Naivität gestaltet und Bildchen
uns vorzaubert, die aus den Drucken des Utamaro und Sunscho entstiegen zu
sein schienen. Statt dessen hatte sie sich Gesicht und Haltung entsetzlich ver-
künstelt und vor lauter Angst um die Naturwahrheit die Natur fürchterlich
betrogen. Mag sein, daß sie in dem Augenblick, da sie selbst betrogen wird,
diese Absicht milderte und einige reizende Momente der Unschuld hatte..
Aber, was hier noch wichtiger war, ihre Stimme hatte die Größe nicht, die
der Italicner verlangt. Butterfly ist eine Riesenpartie. Sie beherrscht fast
allein die Bühne, sie macht das Stück. Streckenlang ist sie die Solistin. Ita-
lienische Musik, ob alte oder neue, ist ganz an den Gesang gebunden. Orche-
ster und Szene sind nur Triebkräfte für die Stimme, die aus ihnen heraus-
wächst, alles sagend, alles umfassend, alles gestaltend. Das kann die Farrar
nicht. Ihre Mitte ist zu schwach, ihre Höhe zu scharf, um den großen reißen-
496
den Fluß zu finden, der Bühne und Zuschauer fortnimmt. Und so konnte
sie das Schicksal nicht wenden.
Ich mußte es mir gestehen: ich kam ab von Puccini. Vielleicht kam ich
unter diesem Druck ab, vielleicht wäre es auch sonst geschehen, ich verlor
das kordiale Verhältnis. Er war ein Causeur für mich gewesen, kein Genie,
aber ein angenehmer Gesellschaftsmensch, der seine Akkorde pflegt und seinen
Melodien nicht die Herzlichkeit nimmt, Italiener alles in allem, den wir um
seine leichte Hand und seine frische Laune lieben, auch wenn er mal ins Tri-
viale kommt. Jetzt stand ich dem Causeur ernstlich gegenüber und ich mußte
ihm das Leid antun, Kritik zu üben. Was wir in der Gesellschaft reden, das
gut klingende Orchester unserer Vereinigung, die hübschen Pointen, die
Schnippchen gegen die Schule, als da sind Quintenreihen und Querstände,
auch das bißchen Sentimentalität, mit dem wir uns beliebt machen, all das
verfliegt, wenn wir es uns beim Heimweg überlegen. Es ist die Unterhaltung
des Augenblicks, vielleicht nicht mal ordentlich gehört und verstanden, aber
es hält die Sonde nicht aus. Ich amüsierte mich zuerst köstlich. Wenij Lieban
als japanischer Diener Figuren stellt, kommt eine graziöse, fesch geworfene
Musik heraus, die meinen Geist reizt. Es treten dann sangbare Kantilcnen
hinzu, kleine kurze Stücke von so viel Anmut, daß man gerührt ist. Die De-
korationen sind hübsch, ohne aufregend zu sein, das Orchester unter Blech
klingt voll und saftig, ein extra gefertigter gestickter japanischer Seidenvor-
hang schließt sich nach den einzelnen Bildern, Hoffmann und Maclcnnan
singen den amerikanischen Konsul und den Marineoffizier ganz angenehm,
man denkt nach, wie sich Amerikanisches hier musikalisch macht, wie ein
Italiener Japanisches macht, und so ertappt man sich plötzlich bei einer Ge-
dankenlosigkeit, an der die Musik schuld sein muß. Es dauert zu lange. Der
Causeur wird ein Vielsprecher, ohne daß er viel zu sagen hat. Es dauert zu
lange — wieder die Quinten und die asiatischen Intervalle und die italieni-
schen Mclismen, schon wird es ein bißchen Weltausstellung, schon hören
wir eine süßliche Hotelhof musik, Verwandtschaften nicht ganz einwand-
freier Kunstgattungen. Noch einmal fesselt die große Warteszene der ent-
täuschten Gattin unsere Sinne, noch hier und da ein interessanter Melodie-
schritt, ein Lichtblitz der Erfindung, aber wir sind schon abgestumpft
und der Schluß, da sich Butterfly ersticht und der Konsul ihr Kind ret-
tet, läßt uns eiskalt. Man sagt sich : wie unkünstlerisch, den Marineoffizier
mit seiner gesetzlichen Gattin zu diesem armen Weibe kommen zu lassen.
Wenn man sich so etwas sagen kann, ist es aus mit dem Zauber italienischer
Musik, die durch Klang und Sang über alle Bedenken hinüber zu trium-
phieren hat.
497 3«
Ich denke an eine Sterbeszene der Sada Yacco. Es war kein gestickter
Vorhang, nur wenig Möbel und Werkzeug, ein paar zerrissene Saiten in der
Ferne, eine verlorene Melodie, ein paar Gongschläge, sie sprachen alle leise,
ganz leise, und taten alles ganz leise, und sie starb ganz leise, so wie ein Trop-
fen stirbt im Ozean, daß vom weiten Himmel her eine unendliche Wehmut
darüber lastet. Damals fühlte ich japanische Tragik.
Übrigens: die Destinn ging. Dafür kam aus dem goldenen Westen ein
Mädchen, das über ein Kolportagelibretto eine geistreichelnde, neufranzö-
selnde Musik zu streuen suchte — vergeblich! Möchte Puccini zu seiner
leichten Jugend zurückkehren. Er ist geboren, unsere Sensationen nicht auf-
zukräuseln, sondern zu entlasten.
F/ansosen
MASSENET ist tot, er lebte in den Herzen aller Weichtonigen. Es war
ein etwas schleimiger Ausfluß der alten tragedie lyrique. Sehr verbrei-
tet und vielen allzu willkommen. Sein Werther ging am erfolgreichsten
über die Grenzen von Paris, er kam in Wien heraus. Dort hatte er seinen
verführerischen Klang, in Paris (das Orchester der opera comique spielt ihn
unendlich zärtlich) verlor er nur wenig, hier im Norden alles. Das Frosch-
gefühl, das ich in der Erinnerung hatte, wurde ich nicht los. Ich meine:
diese Musik streckt, wie ein Frosch den Menschen nachzumachen scheint,
Arme und Füße von sich, verwandelt sich je nach den Umständen in Italieni-
sches, Wagnersches, Pariserisches (es gibt Laub- und Wasserfrösche), klet-
tert, wenn sie gefangen ist, immer am Glase hoch, und ist eiskalt, wenn man
sie anfaßt. Massenet ist ein Routinier und hat keine Physiognomie. Er er-
setzt durch äußeren Rausch und buntgestimmte Akkorde, was ihm an Phan-
tasie fehlt. Wenn er sich in ein Motiv verliebt, so ist es nicht auszuhalten,
er klimpert es sich unaufhörlich vor und hat dabei so einen Schmelz in den
Noten, der unangenehm ist. Den Weltschmerzlichen wird die triste Schluß-
weise gefallen, den Sentimentalen das große Liebesduett, den Tänzerischen
die Liedchen von Lottes Schwester. Uns aber wird schwammig und schwind-
lig bei dieser Musik. Sie rutscht eben egal hin und her, mal rauf, mal runter,
mal traurig, mal lustig, mal geheimnisvoll mit Cello, mal prustig mit Posaune,
könnte ewig so weiter gehen, aber hört schon nach 272 Stunden auf.
Der Werther ist so gefühlvoll, daß man sich denken kann, wie herz-
liche Szenen aus ihm zu gewinnen wären. Schon das Brotschneiden der
Lotte! Ach, wenn Goethe geahnt hätte, welche Folgen dieser Moment noch
in späten Jahrzehnten haben würde, da er seine Lotte einmal das Brot schnei-
498
den sah. Das Brotschneiden ist der Kernpunlct des ersten Aktes. Jetzt ist
es um Werther geschehen und, kaum daß der Mond sein bewährtes Antlitz
leuchten läßt, so singen sie das große Duett. Der Fall ist so einfach wie riiög-
lich. Es lieben sich zwei, sie ist vergeben, er ist verzweifelt. Diese traurige
Wahrheit stellt der zweite Akt auf dem Kirchplatz dar. Hier im Freien lassen
sich Episoden machen, was weidlich ausgenutzt wird. Jetzt aber muß mal
Lotte einen ordentlichen Akt bekommen : die Szene ist in ihrem Zimmer,
sie singt lyrisch und dramatisch, bis Werther erscheint und eine schreckliche
Leidenschaft entwickelt, die in seinem Originalbrief endigt : „Ich reise. Sen-
det mir eure Pistolen." Ich hatte das Schlußbild vergessen. Ich dachte,
Werther wird nun noch etwas längeres in seinem Zimmer singen, die Pistole
ergreifen, der Vorhang fällt, die Musik spielt weiter und endigt in dem Knall
auf der Bühne, als letzte Note. Aber es war ganz anders. Werther schießt
schon im Zwischenspiel und, wenn der Vorhang aufgegangen ist, kommt
Lotte noch zu ihm und sie singen beide. Wie peinlich ! Jetzt muß er sagen
„Verzeih mir!" und sie muß sagen ,,Zu spät!" und sie machen Vater Goethen
Schande. An diesem Punkt erkennt man schaudernd, wozu die Textdichter
ihre Vorlage benutzt haben.
Über Manon sprach ich bei Puccini. Den Jongleur de Notre Dame habe
ich vergessen — die Gestaltlosigkeit Massenets haftet nicht, es läuft, ein Brei,
geschickt gerührt. Ich mochte ihn nicht.
Saint Saens ist dagegen der Meister seines Fachs, durchaus vieux jeu, aber
gediegen und phantasievoll genug in seiner Arbeit. Samson und Dalila
hat Haltung. Die Chöre sind ausgezeichnete Schule, im Gegensatz des He-
bräischen und Phönizischen; eine oratorische Wirkung im Stil der großen
historischen Oper, aber mit den Farben der neuen exotischen Richtung,
die in der Psalmodie der Juden, im Bacchanal der Heiden aufglühen.
Der Satz ist streng, ohne jede verräterische Liebenswürdigkeit, die nur dann
wahr wird, wenn sie wirklich verräterisch zu spielen hat: in den berühm-
ten Liedern der Dalila, die von einer großen melodischen Anmut sind. In
Heinrich VIII. sind es ähnliche Wirkungen, vielleicht noch traditioneller:
Themen aus englischem Nationalbesitz, tadellose Faktur der Ensembles, be-
währte Milieu-Intermezzi, Ehrfurcht vor der alten Form auch gegfn die
Psychologie, viel Gefühlsmelodik, und der schwungvolle Hymnus der angli-
kanischen Kirche. Alles schön gerahmte Proben der wohlerzogenen fran-
zösischen Schule mit lyrischen Melismen, Chordisposition, Tanzgelegenheit,
Nationalistik und anständigem dramatischen Schema, wie es zur Sache gehört.
Eine wesentliche Beziehung zur Gegenwart ist nicht vorhanden. Laie muß
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in demselben Zusammenhang genannt werden, auch Bruneau, der Zola-
verehrer. Chabrier aber verdient die Extranote durch den sublimen Geist,
mit dem er nicht nur wie jeder Franzose seine Erziehung zu beleben ver-
stand, sondern sie bis zu einer gewissen Grenze überwand. Gwendoline
war ein merkwürdiges Kompliment gegen Wagner. Das Fragment Briseis
gehörte zu den zartesten, musikalisch erfindungsreichsten Gebilden der fran-
zösischen Oper auf den Wegen von der alten Schule zu neuen Versuchen.
In der Mitte der Zeiten steht am bedeutungsvollsten Charpentiers Luise,
das große Lied auf Paris, das im Rausche die Welt durchklang — dieses
Paris, das den Genuß und die Liebe mit der Freiheit versöhnen will, das Bett-
ler und Künstler mit dem Sacre coeur krönt, das im Schellengewande durch
die Nächte flirrt, nach Rosen duftet und einen wundervollen Mai hat, das
klingende, singende Paris der Boheme liegt nicht in Frankreich, liegt in keinem
geographischen Lande, es ist der Traum, die Erinnerung der Menschen, die
schöne reisende Legende, die Künstler aus alten Zeiten in die Welt trugen.
Paris ist ein Name, Lutetia ist ein Feenland, ein Stückchen Heimat aller,
die freies Blut und feine Nerven haben. Wir hängen an Paris, der Stadt, in
der jeder seine eigene Stadt findet und die wir, stürbe sie auch, in einer seli-
gen Dankbarkeit nicht aus unseren besten Tagen streichen könnten. Um
Montmartregefühle zu haben, am den Hauch von Paris zu lieben, um Paris
sinnend-träumerisch oder bacchantisch zu besingen, braucht man kein Fran-
zose zu sein, ja man ist sogar besser kein Franzose, ein Allerweltsbürger wie
der Sozialist Charpentier, und aus den Erlebnissen der Jugend, aus der Sehn-
sucht der Fremde wird Paris das Symbol, der Montmartre eine Allegorie,
dessen Völkersprache von Schönheit und Elend und Traum und Tod in
Musik geschrieben werden will. Und es tönen alte Lieder von verlassenen
Idealen, von freier Liebe, vom Glück der Selbstbestimmung, von der Niedrig-
keit der Tradition, Lieder, die nicht mehr das Blut von Revolutionen haben,
legendarische Gesänge wie von Robespierre oder von Siegmunds Liebe, die
Geschichte und Heldensang wurden, die Theater und Oper wurden und
sich mit dem Spott der Straßenjungen und den starren Rufen der Waren-
verkäufer zusammenfinden. Arme Luise, du bist diesem Zauber verfallen.
Du bist der Oper verfallen, die dir diese fadenscheinige Boheme aufführt,
du sprichst die Phrasen nach, die dir dein Liebhaber ins Gehirn jagte, du
bist berauscht von dem Feuerwerk und Lichterglanz dieser grausamen Stadt
und du leidest unendlich mehr, als die wirklich Leidenden, deine Eltern. DeinC
Mutter ist gehässig, dein Vater ein Philister, es sind einfache Naturen, einfache
Tragik. Du aber gehst am Gift des Glücks zugrunde. Ist dies noch Paris ?
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Charpentier hatte die Wahl, diesen Stoff als eine bittere Komödie oder
als eine opernhafte Apotheose zu dichten. Vielmehr, ich fürchte, er hatte
die Wahl nicht. Er hing an seinen Jugenderlebnissen, er verachtete die wider-
spenstigen Eltern der Luise, er fraternisierte mit ihrem phrasenhaften Ga-
lan, er wollte die Boheme krönen und so komponierte er die Oper. Die
Boheme, die einst Murger mit einer süßen und geistvollen Ironie so tief
in das Leben eingestellt hatte, gebar hier die Phrase, die sie einst selbst be-
kämpfte, die Zweiflerin stickte sich selbst eine Aureole, sie setzte sich in Fest-
stimmung, Glorie und bengalisches Licht. Sie wurde hoffähig. Paris wurde
ihr Festlokal, Philosophen, Künstler, Milchfrauen, Schutzleute und Nacht-
schwärmer die Masken des Abends, der trällernde Rhythmus des Genusses
ihr Siegeslied. So waren die Requisiten für die Oper beisammen.
Ungern, aber notgedrungen stelle ich mich mit Charpentier auf diesen
Standpunkt der Oper und bekenne, daß er einen der besten — Stoffe be-
handelt, einen der besten — Texte verfaßt hat. Dabei ist zu bemerken, daß
die Veroperung des Stoffes nicht sofort, sondern erst im Verlaufe sich verrät.
Die abendliche Aprilstimmung im bescheidenen Hause der Eltern, mit der
das Stück beginnt, ist getroffen. Einzig die Mutter trägt sich schon mit
den Allüren der Opernintrigantin. Der Vater ist gut, ein behaglicher Phi-
lister, froh der dummen Ordnung dieser Welt. Mit feiner Empfindung
wird der Vorhang genau über der Stelle gesenkt, da Luise ihm ein albernes
Frühlingsfeuilleton aus der Zeitung vorzulesen beginnt: ein literarischer Akt-
schluß. Jetzt naht der graue Montmartremorgen, wo sich die verspätete Lust
der Nacht mit den verfrühten Arbeitern und Straßcnhändlern mischt: ein
origineller und weitgespannter Hintergrund für die wenig originelle und fade
Boheme. Das Schneiderinnenatelier ist ein glückliches Intermezzo, in dem
sich aber Fräulein Luise schon allzu operettenhaft benimmt. Die Operette
führt sogleich zur Oper. Die Liebenden feiern sich in der großen Pariser
Phrase, das Bohemefest bringt den nötigen Bühnenzauber und die Rache
folgt auf dem Fuße, in Gestalt der Mutter. Sehr peinlich. Die verlorene
Tochter kehrt noch einmal zurück, dann sagt sie für immer Lebewohl und
der Vater ballt seine Faust gegen Paris. Luise ist der Veroperung verfallen.
Als Erlebnis — eine heilige Erinnerung, als Pariser Schauspiel ein gutes Stück von
uns selbst, als literarische Intention unter den Musikern unleugbar sympathisch,
als „Musik-Roman" zu sehr Musik, um Roman zu sein, — und als Musik ?
Als Musik ohnmächtig, wo sich die Kraft zeigen sollte, ein wenig witzig,
wo die Routine half, phantasielos, wo sich aus dem Alltagsleben der Arbeiter-
familie, aus den grauen Morgenstimmungen, aus den ethischen Anwandlun-
gen neue Gebilde hätten ergeben können. Charpentier ist veralteter als Puc-
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cini in seiner Boheme, als Giordano im Andre Chenier. Jener hat größere
Gestaltungsfähiglceit, dieser mindestens mehr Geist. Charpentier verläßt sich
auf die bewährte Automobilkraft der Motive. Er vergaß dabei, auch ein
einziges originelles zu erfinden. Er glaubt an sie, aber sie geben ihm keine
Antwort, er beschwört sie mit großen Septimen, rüttelt sie mit pikanten
Rhvthmen, dreht und wendet sie durch zahllose Sequenzen, aber sie fallen
immer wieder um und bleiben stumm. Er war so unglücklich, statt der bit-
teren Komödie sich für die Oper zu entscheiden, und ist jetzt noch viel un-
glücklicher, die Oper nicht schreiben zu können. Er kann nicht, er kann nicht.
Bisweilen, wie im Vorspiel zum dritten Akt, ist er ganz verlassen, bisweilen
reißt ihn, wie im Atelier der Schneiderinnen, im großen Bohemefest, die
Erinnerung an bewährte Effekte etwas hoch, meist laviert er, äußerlich und
auch innerlich ohne Tonalität, Note neben Note ordnend mit gelegentlicher
geistreich-französischer Nonchalance, und er verliert völlig die Proportion
zum Drama. Läuft das Drama von selbst, wie beim ersten Aktschluß mit
der Zeitungslektüre oder beim Ausbruch des Vaters gegen Ende, so gelingt
wohl die dynamische Linie des Dekreszendo oder Forzato. Wo es aber nicht
episch läuft, sondern Zusammenhalten, Höhepunkte, Kontraste, Ordnung,
seelische Kontrapunktik verlangt, da liegt er hoffnungslos brach. Die gute
Idee mit den Straßenrufen ist musikalisch völlig unfruchtbar ausgefallen.
Die Lobgesänge auf Paris bleiben leer und kraftlos. Und jeder Übermut
fehlt, jedes Aufrasen der Lust von Paris, jede tolle, flammende, verschlingende
Passion, in der die Natur zu ihrem Recht kommt. Charpentier geht nicht
durch. Er gestaltet nicht einmal das Durchgehen. Er ist kein Bohemien,
sondern ein Bürgersmann, der eine Geschichte erzählt, die einige schrift-
stellerische Pointen, wenig Temperament und viel Langeweile hat . . .
In Paris lernte ich es kennen, wo ich auf jeden stofflichen Reiz des Mont-
martre mein Leben lang reagieren werde. Es war das Ausstellungsjahr, ich
sah das illuminierte Paris und wollte erst nicht viel unterscheiden zwischen
meinen Illusionen und denen, die da von Julien und Luise gesungen wurden.
Es war doch das illuminierte Paris. Nun bin ich wieder hier und sehe auf
sorgenvolle Parkettbesucher und schlecht bewegte Sängerinnen. Ich sehe
auf die falschen gemalten roten Dächer von Paris. Ach, wenn ich heut abend
noch hinreiste zu den wirklichen grauen Dächern, und den wirklichen schwin-
delnd hohen Balkoncn und den koketten Schornsteinen „o Paris!" —
Der Bruch mit der Überlieferung tritt in jener Sezession von Paris auf,
die sich um die Schule von Vincent d'Indy gruppiert. Seine eigenen
Opern, wie die von Cesar Franck, haben nicht die Lebenskraft. Aber an dieser
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Stätte, in der Schola can-
torum, die den Orplieus des
Monteverdi aufgeführt hat,
die die Psalmodie des Mit-
telalters wie eine Reliquie
pflegt, die die Geister
einer scharfen räsonieren-
den Richtung vereinigt,
fiel das Samenkorn zur
Revolution, die nichts als
Reaktion wird. i
Debussy komponiert
Pelleas und Melisande. Er
läßt den Text Maeterlincks
seiner wundervollen
m
Debussy. Porträt von Blanche
Reinheit und Transparenz
bestehen. Er veropert ihn
nirgends durch Chöre, En-
sembles, Lieder und jede
Art formeller Begrenzung,
wie sie Strauß noch kennt.
Strauß ist phantasievoller,
landschaftlich reicher, De-
bussy ist logischer und kon-
sequenter. Es sind viele
bessere Opern geschrieben
worden, aber keine, die so auf das letzte Maß der Räson gebracht ist. Man
kann ihm nicht eine der reizenden Dummheiten vorwerfen, die die Musik am
Leben erhalten. Er hat alle Selbstherrlichkeiten der Musik der moder-
nen Intelligenz zum Opfer gebracht. Kaum eine motivische Erinnerung
ist ausgearbeitet, kaum eine eigene Wirkung durchgesetzt. In der Turm-
szene, da Melisande ihr Haar öffnet, in der Liebesszene des finsteren
Gartens, beim Aufsteigen aus den Grotten sind die Akzente von selbst
da; sonst geht es gleichmäßig fort in wiegenden Triolen, schleichenden
Nonen und verketteten alterierten Harmonien der geistreichsten Pariser
Schule, hier und da ein naturalistischer Anklang, eine weiche, von kleinem,
vielfach solistischem Orchester gespielte, vom Gesang rein psalmodisch aus-
geführte Musik, die zwischen zärtlichstem Gefühl und soigniertestem Esprit
dahingleitet.
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Es wurde ein Werk von prinzipieller Bedeutung. Die kühle Seele einer
Musik, die von schamhaften Impressionen duftete.
Hier ist der Kampf gegen die ererbte Oper, der bewußte Kampf gegen
Wagner. Wagner ist noch Architektur, noch Materie, noch viel zu wenig
Psychologie. Dem französischen Empfinden, das stets von der Sprache aus
die Oper regeneriert hat, schmeichelt es, wieder einmal das Drama von der
Symphonie durchaus zu trennen, das Drama ohne jeden Operneingriff psalmo-
dieren, das Orchester ohne jede dramatische Beteiligung illustrieren zu las-
sen. Es ist die äußerste Konsequenz psychologischer Logik, noch ein Schritt
weiter und die Musik hört überhaupt auf. Selbst die Aktschlüsse laufen nach
ihrem seelischen Prozeß aus, ohne jede Rücksicht auf gewohnte Stilisierungen.
Die spiritualistische Form dieser Phantasie hat einen großen Reiz für alle
fein empfindenden Geister, sie ist eine gefühlte Notwendigkeit, ein zartes
Schicksal der Oper, die einmal diese Entzauberung des Liedes, Ensembles.
Motivisch-Symphonischen bis hart an das reine Drama durchmachen mußte,
an ein Drama, das selbst schon untermusikalisch klingt, und keiner konnte
diesen Weg artifizieller führen als Debussy, ein Poet des Tones, delikat wie
ein Kunstgewerbler, "erlesen in jeder Sekunde des Geschmacks, ohne Pathos,
ohne alle Demokratie — aber süß wird die Rache der Musik sein.
Zwischen den Völkern
ZWISCHEN der Verve der Italiener, der geistigen Sensibilität der Fran-
zosen, der staatserhaltenden Arbeit der Deutschen gibt es eine Gruppe
von Komponisten, die dem Klima ihres Landes entwachsen und Weltbürger sein
wollen; oder sein müssen. Ich möchte sie herausnehmen und in Abrissen ihrer
Hauptwerke hinstellen. Vielleicht bietet keine Gruppe stilistisch mehr Anregung.
Wolf- Ferrari, ein Venezianer, strebt zwischen Archaismus, Italien und deut-
schem Musikertum. Busoni, der Italiener, und Delius, der Engländer, neigen der
französischen Sezession zu. D'Albert, der geborene Schotte, ist nicht so weit
von Mailand als von Deutschland. Alle vier hatten in ihren Eltern deutsches
Blut, ihre Werke wanderten entgegengesetzt aus. Diejenigen, die den italie-
nischen Einschlag haben, zeigten sich sehr lebenskräftig; die gallisierenden
weniger, aber sie trieben revolutionäre Geister mächtig an. Noch wandelt sich
alles. Indessen hängen hier einige Bilder dieser internationalen Mischfarben.
Die neugierigen Frauen.
Wie erholen wir uns von Wagner ? Die schweren Akkorde und ekstati-
schen Melodien haben lange auf uns gelastet, sie haben uns in geheim-
nisvolle Tiefen geführt und uns mit einer kosmischen Glückseligkeit erfüllt,
sie haben die Leier der musikalischen Welt schwellen gemacht und über die
Erdteile rauschende Hymnen von Gott und Liebe klingen lassen, in allen
Idiomen und Phantasien, bis wir in diesem wundervollen Meere zu ertrinken
drohten. Nun steigen wir wieder ans Land, schütteln das schwere Wasser
von unseren Gliedern, ziehen leichte Sommerkleider an, setzen uns auf Korb-
stühle und verlangen lächelnd den Trost einer Reaktion. Wir wollen heiter
werden, spielen und singen und einige dekorative Tugenden üben, die allzu
sehr unterdrückt schienen.
Wir wissen, daß das nicht tief und nicht groß und nicht kraftvoll ist,
aber gerade deswegen erziehen wir uns dazu. Denn es ist uns nicht gegeben,
in einem fortlaufenden Zuge groß und schicksalsvoll zu sein. Wir brauchen
die Erholung, auch wenn sie nichts wäre als die Ruhe vor der neuen Tat.
Aber sie ist mehr, sie hat ihren eigenen Stil und erfüllt einen Teil unserer
Seele, den wir nicht vermissen möchten, den wir mit einer köstlichen, duf-
tenden Sorgfalt pflegen.
Mozart ist in diesen Stunden unsere Seligkeit. Dieser geliebte Opern-
mensch, der so voll von reizenden Einfällen war, so anmutige kleine Schlösser
aus den zierHch gewechselten Harmonien des achtzehnten Jahrhunderts
baute und nichts verachtete, was die Musik ihm schenkte. Er war dem hoch-
zuverehrenden, aber recht maliziösen Moloch der Ausdruckswahrheit nicht
unbedingt verfallen. Er machte Ensembles, weil sie musikalisch sind, mögen
sie auch unwahrscheinlich sein. Die Musik ist schon an sich so unwahr-
scheinHch schön, daß es auf ein paar reizende Sünden mehr nicht ankommt.
Laßt alle Poesie und Lebenswahrheit in diese bezaubernde Form eingehen,
in dieses leichtgebaute Freundschaftstempelchen, wo jede Leidenschaft zum
erhabenen Gesang wird, jede Stimmung zur wohlgerundeten Arie, jede Hoff-
nung zur süßen Sentimentalität, jede Eifersucht zu einem kanonischen Duo
und jedes Übermaß an Handlung zu einem stillgebändigten Ensemble taktvoll
abgestimmter Soli. Über allem leuchtet die Phantasie der Erfindung, und tief
unten schimmert etwas von Lebensglück und resignierter Philosophie hindurch.
Die heiteren Liebhaber der Oper sitzen durch die Zeiten ohne viel Schul-
halterei verstreut, auf weichen Kissen, auf grünen Bauernstühlen, auf ele-
ganten Salonchaisen, je nack, dem kleinen Kreise von Freunden, der ihrer
Unterhaltung lauscht. Smetana hatte diese Natur aus dem Volksboden, und
in einigen seiner Ensembles oder sehnsüchtig einfachen Liebesmotive ist
mehr innerer Klang und musikalische Musik als in mancher großen Schick-
salsszene. Verdis Falstaff ist die Krone der ganzen Reihe. Die jungen
Italiener haben uns mit roher Hand von den dämonischen Opern erlöst,.
dieser alte feine Herr aber tat es mit Silberfäden und auf Tanzrhythmen.
Da hüpft der Ton kichernd, neckend, sommernachtstraumhaft durch In-
strumente und Kehlen, und selbst das Pathos hat seinen deliziösen matt-
goldenen Rahmen. Der Falstaff wurde zum Propheten aller derer, die ohne
Prophetentum waren, die sich die Arme erleichtern wollten und von einem
Morgen der Musik träumten, an dem freie Stimmen wie die Vögel in den
Himmel jauchzten. Cornelius hatte diese Zukunft verdient, aber nicht ge-
wollt. Das Stilgefühl, die zweifelhafteste Tugend unserer Zeitgenossen, wird
uns die Reihe genialer Musikoptimisten mindestens um einige achtbare Mei-
ster vermehren helfen. Das Stilgefühl, nicht das Sachgefühl. Aber wenn
es nicht anders geht, muß diese Gefahr mitgenommen werden, um des holden
Zieles willen. Man hat gesehen, wie entzückend die Feder d'Alberts floß,
als er seine „Abreise" schrieb : eine bürgerliche Empireoper mit Biedermeier-
schnitt in den Melodien, schamhaften Gefühlsfeinheiten, naiven rhythmischen
Schönheiten und in leichten, tönenden, ausklingenden Farben, wie ein kolo-
riertes Kupfer. Es tat doch sehr wohl.
Der letzte und nicht der schlechteste ist Ermanno Wolf-Ferrari in Vene-
dig, der Komponist der Donne curiose. Auch dieser Komponist kommt
aus dem Reiche der Kammermusik. Er hat neben verschiedenen Sonaten,
Trios, Quintetten eine sehr merkwürdige Sinfonia da camera geschrieben,
in der das Klavier, zwei Violinen, Bratsche, Cello, Kontrabaß, vier Holz-
bläser und Hörn beschäftigt sind. Das ist gute Schule der Solistenoper. Was
ist in ihr das Orchester anderes als eine ausführlichere und buntere Kammer-
symphonie, in der der stille Glanz oder das stolze Hochgefühl eines Instru-
ments möglichst In Solopartien zur Geltung kommen will, ein behäbiges
Bläserquartett, eine sentimentalische Streicherserenade, der kapriziöse Lauf
einer Harfe, das nachdenkliche Solo einer Flöte, Signale von Trompeten,
Antworten der Hörner, eine Partitur, die stark mit der weißen Fläche ar-
beitet, um die Kostbarkeit solistischer Ideen ganz ä jour wirken zu lassen.
Unser neues leichtes Orchester ist nicht ein Dünnerwerden, sondern ein
Feinerwerden des alten. Die Berliozschen Farbenkontraste der Instrumenten-
gruppen werden auf die Tonnuancen der Soloinstrumentc reduziert. Eine
gut gesetzte knappe Fanfare oder verlorene Flöte oder wehleidige Bratsche
kann Visionen von Stimmungen hervorrufen. Dieselbe leichte Hand arbeitet
auf der Bühne. In den Donne curiose kommt nur ein kleiner Chor von
gondelnden Venezianern vor, die ein Volkslied singen, das genau so anfängt
wie unser ,,Der Mai ist gekommen". Sonst ist alles Solo. So Solo, daß auf
die Darstellungsfeinheit des einzelnen alles gesetzt ist. Aber gern und oft
und stets unter einem gewissen dynamischen Zwange einigen sich die Soli
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I
zu zierlichen, wohlgearbeiteten Ensembles, selbst wenn es sich um die beste
Methode handelt, einen Fleck aus dem Rock zu tilgen oder um den Verlust
des Schlüssels zum Kasino, in dem die Weiber — fönte del mal — verfemt
sind : die Quelle des Übels und aller artigen Opern.
Es ist ja kein Goldring mehr, der in dieser heiteren Welt über Götter,
IMenschen und Dämonen den Fluch fürchterlicher Tragik zu bringen hat,
sondern es sind diese einfachen kleinen Schlüsselchen, die das Corpus delicti
einiger neugieriger Frauen und weiser Männer darstellen, von denen diese
einen Klub gegründet haben, in den jene gern ihre liebenswürdige Nase
stecken möchten. Eine alte Dame, eine mittlere und eine jüngere mit ent-
sprechend steigender Veranlagung für den Sopran, und ihren Gemahlen und
Verlobten mit derselben Stimmskala bis zum lyrischen Tenor. Das Stück
beschäftigt sich mit den verschiedenen Methoden der Neugierde dieser Frauen,
die einige Szenen amüsant füllen können: Liebesverstellung, Rockdurch-
suchung, Klatsch und Bestechung. Auch sie glauben, daß wir Männer in
unserm Klub Amicizia nur den gefährlichen Problemen nachgehen, satanische
Orgien treiben oder gar den höchst bedenklichen lapis philosophorum zu
finden hoffen. Aber ach, wie täuschen sie sich. Wir spielen, essen, trinken,
amüsieren uns, lieben die Ruhe und die Heiterkeit, ein bißchen Musik und
wohlgestimmte Ensembles, nichts von Satan, nichts von Lapis, und schließen
die Bude hübsch zu. Wer siegt ? Zuerst die Männer, indem sie die
neugierigen Weiber fern halten. Dann die Weiber, indem sie durch List
und Tücke doch in den Klub eindringen. Schließlich aber doch die
Männer, denn sie sind klug genug, das Vorkommnis durch ein Tänzchen
zu beschließen.
Der Stoff ist Goldoni entnommen, in dem man leicht und lächelnd schöpft.
Ein paar veneziancr Jargonlaute sind im Italienischen stehen geblieben. Das
gibt eine Farbe, die keine Übersetzung übersetzen kann. Das ist ein Stück
Volkstum, in das die Überlieferung, der Stil, das Lokalgefühl glatt aufgehen.
Die Teiblersche Verdeutschung ist gut gemeint, aber ein Bukett von Stil-
blüten ließe sich dennoch daraus pflücken:
Ach, die Röte deiner Wangen,
Die so unschuldsvoll dich zieret,
Mich zu höchster Wonne führet,
Füllt mein Herz mit Liebeslust.
O höchste Wonne, du Gummistempel aller Opernlyriker, die du so viele
Glieder schon erbeben machtest, so viele Schmerzen auf Herzen reimtest,
so viele Triebe auf Liebe, mögest du in der unschuldsvoll roten Brunst von
Florindo und Rosaura dein wohlverdientes Ende finden.
Goldonis stilvolles Muster empfahl die Beibehaltung der altitalienischen,
vielbelachten Komödienfiguren. Herr Pantalon wurde der reiche Venezianer,
in dessen Hause die Amicizia-Männer ihrer heiteren, weiberlosen Ruhe pfle-
gen, Arlequin und Colombine wurden Domestiken, die die ganze Geschichte
verwirren und entwirren, um mit einem Stück Kuchen oder einer Ohrfeige
belohnt zu werden. Alte volkstümliche Motive befestigen die gute Laune.
Noch gackern die Holzbläser wie Hennen, wenn der Weiberklatsch losgeht;
noch stehen die Leute da und scheinen in steinerner Ruhe ein Gewitter er-
warten zu wollen, wenn sie das Niesen in der Nase kitzelt; noch poltern sie
rasende Sechzehntelworte in wahnsinnigem Tempo herunter, wenn es sich
um die Tücke von Schneiderinnen handelt; noch äfft Arlequin, dessen letzte
Fetzen den vielgeliebten Figaro bekleiden, den Ton der Großen durch un-
verständliches Kauderwelsch nach. Auch ein Spinett befindet sich im Klub.
Aber nach seinen Klängen geht keine hochdramatische Szene mehr vor sich,
wie in Giordanos berühmter Klavierszene aus der Fedora, sondern ein
anderer Kneipbruder nimmt die Violine und sie spielen zusammen ein zier-
liches Menuett, in dem sich alle Laster und Heimlichkeiten dieser bösen
Welt austanzen.
Zart geschliffen sitzt die Musik auf diesem altvenezianischen Grunde.
Ausgezogene Akkorde, knapp gesetzte Harmonien, gewisse altertümliche
Konsequenzen und doch ein kultivierter moderner Schnitt geben ihr das
Gepräge. Bisweilen ein Abschnurren des Motivs, wie bei Rossini, bisweilen
eine liebenswürdige Dominantenwendung in Mozartscher Linie, und viel
anmutiges Sehnen nach der Septime, auf der man mit erröteten Wangen
unschuldvoll rastet, um sich in neue Spiele hineinzuschaukeln. Hier ein
Tänzchen auf irgend einen drastischen Vorgang, dort ein Liedchen auf
irgend ein heimliches Empfinden, in leicht gebogenen oder ehrlich naiven
geraden Melodien, alles sachte und leise, mit kleinen Füßen und sicherer
Hand. Stil und Geschmack ist die Faktur, Stil und Geschmack verlangt
die Aufführung. Es muß knacken vor Sauberkeit und Delikatesse, und
ein Lächeln muß über aller Darstellung liegen, die Sänger ein wenig
Puppen, das Orchester ein wenig Improvisation. Die Führung der Liebes-
szene im zweiten Akt, von Rosauras Sehnsuchtslied mit dem altmodischen
Ritornell über die Des-Dur-Sentiments von Florindo zum Duett, das
sich so gut italienisch in die wiegenden Rivedcre- Terzen verliert und
verlöscht, das wird dann ein kleines Muster moderner Opernheiterkeit
sein, das wir allen Amicizia- Brüdern ernstlich zur Erholung eines schwe-
ren Gemüts empfehlen.
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Der Schmuck der Madonna.
Lieber Herr Wolf -Ferrari. Erinnern Sie sich noch der Szene, da
Sie mir vor Jahren die ersten Töne dieser Oper vorspielten ? Es war in
Venedig, dessen Goldonische Lüfte Sie so gern umschweben. Wir kamen
vom Lido herüber, abends durch das Lichtermeer mit dem Schiff, Sie war-
teten an der Accademia, es war so etwas Gespenstisches in dieser verlassenen
Gegend, Menschen strichen an Mauern, fragten, verschwanden, wir gingen
über Brücken, durch finstere Gassen, wir hielten am Palazzo dei Pisani —
das ist das Konservatorium, sagten Sie, dessen Direktor ich leider drei Jahre
war. Es war alles so merkwürdig. Jetzt saßen wir im alten Renaissancesaale.
Sie hielten eine lange Vorrede, in der Sie versuchten, uns den Inhalt Ihrer
Oper zu erzählen. Es gelang Ihnen nicht. Dann setzten Sie sich ans Klavier
und spielten ein paar Tanzszenen aus dem ersten oder dritten Akt und das
gelang Ihnen vortrefflich! Ich war gleich eingenommen. Ich dachte (man
denkt ja immer an etwas anderes) an Bizet und Carmen. Also an nichts
Schlechtes. Ich hatte den Eindruck eines echten Musikers, wie es heut
nur wenige noch gibt, der aus Liebe an Tönen musiziert und nimmt, was ihm
einfällt. Ich sagte: mir scheint sich dieser Stil von dem archaistischen Ihrer-
früheren Werke (die ich entzückend fand), den Neugierigen Frauen, den Vier
Grobianen, zu unterscheiden. Ja, antworteten Sie, eines paßt nicht für alle,
ich bin zierlich, wenn es sich um Puppen des l8. Jahrhunderts handelt, und
leidenschaftlich, wenn es um die Sinnlichkeit und Religion des heutigen
Neapels geht. Ich dachte: dieser Mann hat Ideen, er hat Stilgefühl, er ist
beladen mit Menschlichkeiten, er grübelt über Probleme — und dabei schreibt
er die einfachste Musik. Wir wollen sehen, wie weit der Stil, wie weit die
Naivität reicht. Das ist es ja, worauf alles hinauskommt.
Seitdem ist viel Musik ins Meer geflossen und man hat so allerlei erlebt.
Heut fällt die Frucht. Heut haben Sie den großen und rauschenden Erfolg
Ihres Werkes, das nun in die Welt geht. Ich habe mir immer gedacht : wie
wird mir an diesem Abend sein ? Ich dachte an die ersten Eindrücke zurück,
wie an etwas so Ursprüngliches, Einfaches, Musikalisches, das mir in unserer
Zeit voller Schwierigkeiten gar sehr wichtig schien. Und nun kommt der
Abend und ich habe Ihnen zu sagen: alles hat sich bestätigt, ich habe eine
reine Empfindung gehabt. Ich will Sie unterstützen und ich will Ihre Art
hochheben — weil in ihr eine Hoffnung auf die Zukunft liegt, eine Rückkehr
zur Melodie, zum schlichten Orchester, zum Gesang, der aus den Stimmen
kommt. Ich weiß nicht, ob diese Ihre Oper die letzte Lösung ist — das
zeigt sich immer erst an den Kindern. Aber ich weiß, daß sie gesund und
fruchtbar ist. Sie ist Musik, ohne kindlich zu sein; sie ist naiv ohne Dumm-
heit und freudig ohne Närrischkeit. Wenden Sie mir nicht ein, was ich sonst
über andere Opern anderer Männer zu Ihnen sagte. Heute spreche ich von
Ihnen. Vielleicht mußten Sie von der Grenze Italiens und Deutschlands
kommen, um diesen Weg zu finden. Brauche ich Ihnen die Schwierigkeiten
zu erklären ? Sie sind zu fein, um den Rummel des jungitalienischen Verismo
einfach mitzumachen. Sie bewegen diese Linie etwas zurück, wirklich nach
Bizet zu, und unternehmen eine Verschmelzung, die genug südliche Leiden-
schaft hat und genug französischen Tanz und genug moderne Melodie, jene
Melodie, deren ewiges Muster die Carmengesänge noch lange bleiben wer-
den. Hierbei handelt es sich zunächst nicht um verblüffende Originalität
oder musikalische Revolution — es handelt sich darum, diese fruchtbare
Landschaft der Musik zu schaffen, in der Carmen so gut lebt wie Wagner-
scher Blechbläserstolz, wie die mystischen Akkorde der Salome, wie der reli-
giöse Schnitt ernster deutscher Harmonien, wie der leichte flatternde Flug
neapolitanischer Floskeln. Dies ist gelungen und ist nun da, um Blüten zu
treiben und neue Synthesen zu bilden und die moderne Oper zu retten,
die schon so gebildet ist, daß sie gar nicht mehr weiß, wohin sie gehört.
Dafür reiche ich Ihnen die Hand. Ich will es so zusammenfassen: aus Stil-
gefühl (das ist modern) bauen Sie der Naivität ein gutes Stück Weg vor
(das ist das Zukünftige). Sie werden mich verstehen und mir die gänzlich
unpassende Parallele mit dem Rosenkavalier erlassen, der auch aus Stilgefühl
dem neuen Mozart vorbaut : aus einem ganz anderen Stilgefühl von genialer
Kraft. Jedenfalls sind das so unsere Zeiten und wir vergessen vor Problematik
leicht den Genuß. So will ich nur noch mein Vergnügen schildern und die
Fragen beiseite schieben.
Ich liebe diese neapolitanische Floskel über alles — sie gibt mir Freude
fließender Musik und den Rausch des ungelehrten Volksgesanges. Sonne
lacht mir daraus entgegen. Ich finde in ihr das durchgängigste Motiv ihrer
Oper, die sonst mit Recht nur einen leichten schematischen Bau hat. Sie
ist in den Chören und Liedern und Tänzen, im Gewimmel des Volks und
in den Passionen der Liebe. Es ist die Farbe, auf die Sie das Werk gelegt
haben, und diese Farbe ist mir lieber als alle deutsche Leitmotivkonstruktion.
Ich liebe die schönen Harmonien, die dem Gcnnaro als Muttersegen erklin-
gen, noch zuletzt, da er sich den Tod gibt, gefolgt von diesem rührenden,
zweistimmig verwebten, melodisch atmenden Nachspiel. Ich liebe die Lustig-
keit der Kamorristen, die allen Ernst in einem apachischen Rhythmus auf-
lösen, musikalisch bis in ihr verruchtes Herz. Ich liebe das wunderzarte
Ständchen, das aus Seiden gesponnen ist und in der Mandoline süßem Beben
seinen schnellen Puls zittert. Ich liebe die eine dreitonige Figur, die wie ein
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schwingendes Schicksal über diese Menschen dahinzieht, diese Menschen, die
mich, ich weiß nicht wie, doch angehen, so schnell und kurz ihr Leben ist.
Soll ich Ihnen nun den Inhalt erzählen — in drei Sätzen, sagte ich Ihnen
damals, als dieses dreitonige Schicksalsmotiv noch schmächtig auf den Tasten
des venezianischen Klaviers erklang. Hier sind sie. Die wilde Maliella wird
von Gennaro geliebt, einem frommen Schmied, und von Rafaele, einem
gottlosen Kamorristen. Sie bringt den Gennaro dazu, ihr den Schmuck der
Madonna zu stehlen, und gibt sich dem Rafaele hin, der sie als Teufelin von
sich stößt. Sie geht ins Meer, Gennaro ersticht sich vor seiner Madonna,
Rafaele wird sich eine andere nehmen. Diese Szenen haben Sie mit wenigen
starken Strichen gezeichnet und in das Milieu des Volkstrubels, Kirchenfestes,
Luderlebens der Kamorristen eingestellt. Das Milieu ist so viel wie die Szene.
Es geht wirksam übereinander her und wächst in die Masse. Aber ich denke
manchmal an den träumerischen Gennaro, den Künstler, der glaubt, Ma-
liella zu besitzen, während sie in ihm nur den Herrscher Rafaele liebt. Ich
meine: das ist Dichtung. Alles Gute!
Ferruccio Busonis Oper Die Brautwahl, deren Uraufführung ich im
Stadttheater von Hamburg beiwohnte, ist keine Oper zum Tele-
graphieren. Als ich auf dem Telegraphenamte Ihnen schnell mein Urteil
in wenige Worte zusammenfassen sollte, war ich in Verlegenheit. Es ist kein
gewöhnliches Stück, von dem ich sagen könnte, es ist gut, es ist schlecht.
Die erste Oper, die keine Vorzeichen hat. Es ist eine ganz besondere Art
von Kunst, die ich nicht mit dem gewohnten Maßstab messen möchte. Was
Busoni wollte, ist viel einfacher, als was dabei herauskam, und was wir hören,
ist viel oberflächlicher, als was er schrieb. Es ist keine Oper, wie man sie so
kennt, es ist eine Folge von Szenen, die einen literarischen Zusammenhang
haben, und ist für den Musiker von höchstem Interesse, wie für den Drama-
tiker — ein kaum annehmbares Problem.
Busoni druckt ein Motto von Tieck voraus, in dem man aufgefordert
wird, alle etwaige Bildung beiseite zu setzen und recht eigentlich zum Kind
zu werden. Das also wollte er. Er wollte eine harmlose, naive, lustige Oper
schreiben, mit ein wenig Phantastik im Sinne E. T. A. Hoffmanns, und wir
sollten uns daran freuen. Er wählte sich die Hoffmannsche Erzählung „Die
Brautwahl" aus den Serapionsbrüdern und dachte den rechten Stoff zu haben.
Da ist ein Mädchen, das von drei Freiern umworben wird, einem reichen
jüdischen Elegant, einem trockenen Bücherwurm und einem gefühlvollen
Maler. Da sind zwei höhere Mächte in Gestalt des Juden Manasse, der das
böse Prinzip vertritt, und des Goldschmieds Leonhard mit dem guten Prin-
zip, beide hoffmannesk ins Dämonische gehoben. Die Brautwahl selbst findet
nach dem Muster des Kaufmanns von Venedig statt: in einer Kästchen-
wahl, und der Maler kriegt schließlich die Albertine, von Leonhard geleitet.
Welche reizenden Motive scheint das zu ergeben! Busoni ändert Kleinig-
keiten in der Erzählung, benutzt zum Teil die Originalworte und stellt einen
Text mit vielen Verwandlungen her, die nichts literarisch Wesentliches aus-
lassen. Hier stocke ich schon. Ich hätte weggelassen! Hundert Realitäten,
die sich bei Hoffmann gut lesen, beschweren die Musik. Historische Exkurse
über die mystische Vergangenheit Manasses und Leonhards setzen sich nicht
in Töne um. Es ist die Ehrfurcht vor der Literatur, die unsere moderne
Oper auszeichnet, aber auch gefährdet. Die Oper ist keine Novelle. Die
Mischung des Realen und Phantastischen, die den Wortkünstler Hoffmann
reizt, darf nicht den Musiker reizen — als Nebeneinander, sie muß Inein-
ander werden. Lebten Leonhard und Manasse schon vor vielen hundert
Jahren und sind sie Geister, die immer wiederkehren, so kann das die Musik
viel schöner malen als alle historischen Betrachtungen. Zigarren, Eisenhand-
lungen, Titel, Kredit, Dalles — das sind alles sehr klare Begriffe, aber sie
belästigen eine Musik, die sie doch nur verschlingt, ohne ihnen die geringste
Achtung entgegenzubringen. Das sind die Mängel des Textes. Er verliert
sich in einer Treue gegen das Original, statt in großen Zügen und markanten
dramatischen Akzenten von den Bedürfnissen der Musik aus den Stoff zu
disponieren. Kaum kann man folgen, ohne das Original zu kennen. Und je
weiter wir in dieser Gattung von Opern fortschreiten, desto deutlicher muß
gesagt werden: daß schließlich doch nur das Werk besteht, das durch sich
selbst klar und stark existiert.
Ein älterer Landsmann Busonis, ein rechter Italiener, wäre von den dra-
matischen Möglichkeiten dieses Stoffes ausgegangen: drei liebende Tenöre,
die phantastische Macht der beiden dämonischen Figuren und alle Ensemble-
möglichkeiten, die daraus resultieren, und alle schönen Solomöglichkeiten,
die das einsame Mädchen hat. Busoni tut das nicht. Er hat sein Italien längst
vergessen, seine Erziehung ist eine französische geworden, und mit dem Geist
der neuesten Sezession steht er den literarischen Problemen gegenüber, die
sein jetziges deutsches Domizil bewegen. Einer der idealsten, reinsten und
ehrlichsten Künstler, die es heut gibt, ein Anreger in jedem Ton, den er
spielt und schreibt, ein kühner und geistvoller Theoretiker in allem, was er
über die Zukunft der Musik denkt, wird er doch in seinen Werken zu sehr
von diesem wandernden und ausschauenden Intellekt geleitet, um seinem
guten Motto folgen zu können : die Bildung zu verdammen und wieder Kind
zu werden. Im Gegenteil, er ist über die Maßen gebildet. Ich möchte gerade
Roller. Rosenkavalicr erster Akt
Mit Genehmigung der Firma Adolph Fürstner, Berlin W.-Paris. Cop>Tight 1910 Adolph Fiirstnir
ihm gegenüber nicht als der Zensor dastehen, der Prädikate verleiht, sondern
ich möchte mit ihm sein Werk verstehen und würdigen können, der ich den
Nachteil habe, nicht zu schaffen, aber den Vorteil, den freien Horizont zu
sehen. Er wird immer unter die wenigen gehören, die, was sie auch unter-
nehmen, uns interessieren, aber er wird uns auch nie so fortreißen, daß wir
uns im Taumel des Genusses zu fragen vergessen, welchen Teil er an der
Zukunft hat. Und dies eben ist in seinem Sinne.
Die Oper beginnt mit einer Szene in unseren ,, Zelten", wo eine kleine
Kapelle den Gästen den alten Marsch Rossinis aus dem Moses vorspielt.
Es ist nun sehr absonderlich, wie aus dem Rossini sich der Busoni entwickelt
und ganz genau eine Musik schreibt, die das Gegenteil der alten sinnfälligen
Kunst ist. Einige motivische Anklänge, darunter auch dieser Rossinimarsch,
ziehen sich hindurch, besonders sind die Figuren der Juden mit einer klagen-
den, psalmodierenden und auch talmudierenden Melodik belegt. Aber das
Motivische wird nicht die Hauptsache. Es ist nichts von der neuen deut-
schen Opernmache darin, und die kleinen Huldigungen an Wagnersche Wen-
dungen verschwinden. Wenn man durchaus will, könnte man den Stil neu-
französisch nennen. Er entfernt sich von jeder Architektur, und es ist inter-
essant, zu beobachten, daß Busoni eine buffoneske Wiederholung des leicht
angedeuteten Freierterzetts, die ursprünglich die letzte Szene disponierte,
auf den Proben wieder strich. Das Orchester verhält sich malend und die
Stimmen sprechsingend. Manchmal bildet sich eine Phrase, manchmal eine
Kantilene, aber das sind nur wie kleine Anhöhen in einem gleichmäßig ma-
lerischen welligen Terrain. Fast schämt sich die Musik ihrer. So wie sie gegen
den Text die höchste literarische Achtung hat, verliert sie nie ihr Standes-
bewußtsein in dem eigenen Ausdruck. Der Geist leitet sie, jener aristokra-
tische, selbstbewußte und wohlerzogene Geist, der aus jeder Situation die
feinste Anschauung, aus jeder Stimmung die zartesten Reflexe zu entwickeln
strebt. Der große Fluch des Juden, die nächtliche Spuktanzerei des Kanzlei-
rats, das Spiel mit den Rettichen, die zu sprühenden Dukaten werden, die
dunkle Szene des grünen Kanzleirats, der sich im grünen Tiergarten bei den
grünen Fröschen das grüne Leben nehmen will, mit einem grünen Posthorn,
das die Charlottenburger Chaussee entlang klingt — dies sind die Momente.
Hier funktioniert der Geist des Autors, hier hören wir apart gefaßte, kolo-
ristisch kühne, harmonisch ganz resolute, melodisch ganz assoziative Dinge,
wie sie ein letztes Gehirn aus den letzten Vorstellungen der Materie sich
reflektiert. Substanz ist es nicht, und dagegen scheint Richard Strauß fast
reaktionär — substanzlos, in malerischen Gängen, flächenhaften Visionen,
so ist Busonis Musik immer am eigensten und glücklichsten und läßt sofort
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nach, wenn sie Greifbares zu schildern unternimmt. Man wird sie nicht
beurteilen dürfen, wenn man sie als „Komposition" Hoffmanns nimmt, oder
als freien Ausfluß einer Empfindung, oder als naiven Humor, oder als Ton-
seligkeit — ganz kühl ist sie dann, ganz fern allem Heimischen und Vertrau-
ten, und ohne Reiz der Erfindung im Gegenständlichen. Sie ist schwebend
im Geist, satt nur an Bildung und stark nur im Nervösen. Die Koloraturen,
die sie versucht, sind Ornamente eines Geschmackskünstlers, die Zitate alter
Formen und Rhythmen Etiketten eines Stilisten, und die Folge ihrer Ideen
weniger Musik als Malerei, auf Dichtung angewendet. Ich verstehe das sehr
gut, und es gab Augenblicke, wo es einen artistischen Winkel in meinem
Innern sehr erhellte. Aber ich glaube, daß es mehr eine letzte Anwendung
sezessionistischen Geistes auf die Oper ist, als der Anfang eines neuen Weges.
Ich denke mir immer, daß der neue Weg von der Bühne, vom Gesang, vom
Drama herkommen wird und daß wir die längste Zeit symphonisch, litera-
risch und malerisch gewesen sind. Aber man soll das Verständnis eines Vor-
handenen nicht in vagen Wünschen für die Zukunft ersticken.
Man kann sich demnach denken, daß die Hauptarbeit der Busonischen
Oper im Orchester liegt. Diese Partitur ist vielleicht die kühnste und ge-
wagteste, die jemals eine Oper gehabt hat, nicht nur in den ungewohnten
und immer auf den letzten Geistreichtum gebrachten Noten, sondern auch
in den Klängen, die die seltensten Kombinationen von Instrumenten und
die äußerste Ausnutzung ihrer Farben darstellen. Verlegener wird er auf
der Bühne. Die bloße Musikdeklamation des Textes genügt ihm doch nicht
immer, und er versucht öfters sozusagen rationalistische Ensembles, die ihren
Bau nur verschämt zeigen, um nicht unwahr zu werden. Er versucht auch
Chöre; aber da sie nur künstlich auf der Bühne zu gewinnen wären, so wer-
den sie hinter die Bühne verlegt, als mystische Stimmen, die den Fluch des
Juden fortsetzen, die Kirchenvision beleben und die Aufschriften der drei
Wahlkästchen weiter ausführen. Ich weiß nicht, ob die Wirkung ganz so
herauskommt, wie sie gedacht ist. Diese neue Bühne zu finden war selbst
für den geistvollen Autor zu schwer. Es gibt ganze Szenen, wie eben diese
Visionsszene Leonhards mit Albertine oder die Szene im Wirtshaus mit den
gespenstisch sprühenden Rettichscheiben, die ihm lahm liegen. Andere wieder
zeigen Ahnungen neuer Formationen, die lebhaft anregen : die kleine schwin-
gende Liebesszene zu Beginn, oder die Kästchenszene mit einer eigentüm-
lich exotischen IVIelodik; und bisweilen, in der ersten Hälfte des zweiten
Aktes, durch eine günstige Konstellation der Bühne wird eine große Schärfe
des neuen Stils, eine klare Durchsichtigkeit und Freiheit erreicht. Aber im
allgemeinen sind die Personen Diener des Orchesters, das es ihnen um so
5H
schwerer macht, als es sich der Bühne nicht illustrativ unterwirft, wie bei
Debussy, sondern eine malerische Intensität anstrebt, die alles Leben auf-
saugt. Das sind alles sehr interessante und diskutable Probleme, freilich nicht
mehr, und darum muß der Bühnenkritiker nun mit ihnen schließen, wenn
er nicht ein blasser Ästhetiker werden will.
Romea und Julia auf dem Dorfe.
Eines ist nötig: man muß Keller vergessen. Man muß die Seldwyler
Novelle, die zu den Quellen unserer Literatur gehört, als einen festen
Besitz zu Hause lassen, muß vergessen die Kinder, die die Puppenkleie aus-
fließen lassen, um eine Fliege in den Kopf zu stecken, die sich im Spiel die
Zähne zählen, die schöne Galerie der Angler, den Knecht, der das letzte
Bett aus dem Hause trägt, indem er den Kopf durch die Bretter steckt —
muß all das liebe behagliche Kleinzeug vergessen, in dessen Ausmalung Kel-
lers Kunst ihre Größe findet, den herbsüßen Reiz seiner Urwüchsigkeit, den
bescheidenen Glanz seiner Lyrik, muß Keller vergessen und die Schweiz
und die Literatur und alles Frohe, was uns bei diesem Namen klingt. Das
Buch von Delius beschränkt sich auf die Phasen der Liebe dieser zwei Men-
schen — daß ihre Väter feindlich waren, wird im Vorspiel kurz gezeigt und
dann geht es lyrisch-episodisch vom Hause aufs Mohnfeld, zum Abschied
von der Heimat, auf die Kirmes und an das Heuschiff. Kirmes und die
Vagabunden unter des alten Geigers Führung geben ein wenig Milieu, fast
schon zu stark für das zarte Leben dieses Liebespaares. Liebesszenen nach
der Kellerschen Novelle — das ist das Libretto. Als ich es las, war ich lite-
rarisch gestimmt und ärgerte mich über die Plünderung des Dichters. Als
ich es hörte, wurde ich zum Musiker — das heißt, ich ließ Poesie Poesie sein,
machte mich ein wenig dumm und ergötzte mich an den Tönen, die von
irgend woher wie eine milde Flut über diesen Boden rollten und mich sanft
schaukelten, daß ich auf dem Kahn lag und, die Augen im Himmel, mir
Lieder sang.
Der Text fügt in der Szene, da Vrenchen mit Sali die letzte Nacht im
Vaterhause zubringt, einen Traum ein von einer Hochzeit in der Kirche mit
Chorgesang und Priesterwort : ein Vorgehen, das „literarisch höchst ver-
dammenswert" ist und zu einem banalen Effekt ausarten könnte, wenn nicht
gerade an dieser Stelle der Komponist Delius den Librettisten Delius in
musikalischeParadiese verführt hätte. Das ganze Bild gehört zu den geistvoll-
sten, originellsten, mehr noch: bedeutendsten Opernszenen der letzten Jahre.
Es hat mich hingerissen und mir die Meinung eines festen und persönlichen
Stils gegeben, in dem solche Dinge heut, unabhängig von Wagner, musika-
515 33*
lisch angeschaut werden können. Der vornehme, zurückhaltende, vielleicht
kühle Ausdruck der neufranzösischen Musik steigert sich hier zu einer Schön-
heit der Empfindung, Reinheit der Wirkung, zu einem wachsenden Leben
der musikalischen Mittel und Vorstellungen, daß das Wunder vollbracht
wird, uns einen neuen Stil in letzter Vollendung zur Überzeugung werden
zu lassen.
Dclius lebt in der Welt der modernen Kunst. In seinem Landhaus bei
Fontainebleau besitzt er Bilder jenes tahitanischen Malers Gauguin, der mit
seiner pariserisch kultivierten Farbenkraft, der Sehnsucht nach unmotivierter
Reinheit körperlicher Erscheinung auf die heutige Kunst starke Einflüsse
ausübte. Zwischen dem neuen Pariser Stil der Musik und dem der Malerei
spielen die Beziehungen. Akte in farbigen Flüssen, genrelose Sujets in geist-
voller Dekoration zu schildern ist beiden gemeinsam. Es ist eine zerebrale
Subjektivität. Das Wagnerische Leitmotiv löst sich auf in schwimmende,
leichte Erinnerungsbilder, das Orchester wird zu einer farbigen Ausfüllung
eines seelischen Vorgangs, der jede dramatische Sinnfälligkeit vermeidet.
Debussy kleidet das lyrische Drama in musikalische fließende Gewänder.
Die Szenen sind kurz, geistreiche dissolving views der Musik lassen sie in-
einander übergehen. Delius steht nicht ganz auf diesem Punkt, aber es ist
doch seine Linie. Die Verbindung der Szenen ist dieselbe, die Haltung des
Orchesters ebenso distanziert und vollkommen artistisch, die Gesangbehand-
lung ohne jede Stilisierung von einer sprachlich gehobenen Deklamation be-
herrscht, die musikalische Faktur unter Vermeidung des reinen Akkords durch-
weg alteriert und gebrochen, die Instrumentation gedeckt und bei vollende-
ter Beherrschung der Technik farblich sehr diskret, so daß das laute Blech
nur akzentweise auftritt — aber wie er in den ersten Szenen nach diesem
Stil noch ein wenig sucht, um ihn erst in jenem blühenden Liebessang
ganz zu finden, so verfällt er zum Schluß wieder leicht in eine Wagnersche
Ausdrucksweise, eine „Steigerung", die für ihn einen Atavismus bedeutet.
Was an dieser Musik besonders zu schätzen ist, von allen persönlichen
Reaktionen abgesehen, ist ihre künstlerische Noblesse. Während Schillings'
Vornehmheit mehr ein Sichfernhalten ist, eine Subtraktivität, wird hier auf
einem zurückgezogenen Punkte des Empfindens positiv gearbeitet, und die
Diatanz wird zur Anschauung. Während Puccini in seinen besten Stunden
ein geistreicher Causeur und amüsanter Illustrator ist, wird hier versucht,
die Illustration zu einer eigenen, absoluten Lyrik zu erheben, deren Geist
von jedem Zweck genesen ist. Noch ein Vergleich: Straußens Salome
arbeitet mit Relief, mit Schatten, die gegen diese Art fast wie eine Konzession
an Operngefühle anmuten, während hier die Fläche der subjektiven Emp-
findung nicht an einer einzigen Stelle verlassen wird. Es ist das Verhältnis
Gauguins zu den klassischen Impressionisten. Durch solche Reinheit der
Anschauung findet schließlich auch eine literarische Sünde vor dem letzten
Gerichte ihren Ablaß.
Tiefland.
Ein melancholischer Zauber liegt darüber, leicht spanisch gefärbt.
Melancholie eines heiteren Künstlers wird nicht Erschütterung, sondern
Stimmung. Eine Hirtenklarinette spielt auf der Bühne ein sehnsuchtsvolles
Motiv und wiederholt, was sie in starkem A-MoU rief, wundersüß im leise-
sten B-Moll. Reizende träumerische Weisen spinnt das Orchester darüber,
von einem hohen E überglitzert, die Menschenstimme klingt dankbar in dieses
Weben des Morgens herauf, ein rührendes Vaterunsermotiv, Cello und Stimme
in Eintracht. Zitternde Sechzehntel: das Langen nach dem Glück. Po-
saunen: der Herr und Gebieter. Die Charakteristik ist einfach, ein paar
Striche. Nichts ist mit Leitmotiven behängt. Nur natürliche Erinnerungen
flechten sich hindurch. Die Dialoge sind auf laufend wiederholte Figuren
gesetzt, kurze Phrasen von wohllautendem Ausdruck, die zu Herzen gehen,
wenn sie wie ein Nachklang des Durchlebten im Streicherpianissimo verwehen.
Man spiele sie auf dem Klavier : es ist weich und perlenrein. Es ist italienische
Nacht darin. Dazwischen Lichterblitzen, burleske und tänzerische Motive zu
den lustigen Partien, die man mit Vorbedacht in die düstere Umgebung
bringt, Lampione in der Nacht. Pedros Liebe klagt in rührenden Wendungen,
wie ein fragender Augenaufschlag, romantische Wildnis blüht in der Wolfs-
erzählung. Martas Schicksal zeichnet sich in der leidenschaftlichsten Steige-
rung, die Erzählung ihres Lebens ist von einer dauernd wiederholten, un-
endlich eindrucksvollen Klage begleitet: die Schwermut der Legende. Da
sie sich finden, klingt eine selige Weise auf, wie sie Opern zu schließen pflegt.
In aller Leidenschaft ist ein wenig Lied, ein wenig Tanz — das Gesetz
Italiens.
Die große Wirkung dieser Oper hing nicht ganz von den musikalischen
Feinheiten oder melodischen Einfällen ab, mehr von der dramatischen Si-
tuation, dem bewährten Eifersuchtsdreieck. Vieles zart Empfundene, selbst
die schöne Melodie während der Hochzeit, gleitet vorüber, der dramatisch
geworfene Tod Sebastianos war der Sieg des Komponisten. Es ist eine
populäre Musik, nicht auf die goldene Wage der Phantasie zu legen, nicht
einmal der Originalität, mit deutlichen Puccinismen, eine komponierte
Musik, aber in dem glücklichen Verhältnis zum Drama, das uns Italien
lehrte.
D'Albert ist ein Vielgewanderter, dessen musikalische Gegenden wech-
selten wie das Leben. Nach einigen Jugendstreichen brachte er den sympho-
nisch deutschen „Kain", dann die biedermeierlich reizende „Abreise", dann
„Flauto solo", ein etwas dünnes Spiel zwischen deutscher und italienischer
Kunstwirtschaft (auf einem reizenden, gänzlich unbayreuthischen Text Hans
V. Wolzogens), den sprühend sein wollenden ,,Tragaldabas" — in der Zeit
des Tiefland war er zweifellos heimatsicherer als je. Damals wohnte er glück-
lich am Lago Maggiore, fühlte den Schöpfer in sich, begann das Klavierspiel
abzustreifen und stellte uns Fragen. Ein Wunder schien uns, daß Eugen
d'Albert, der als Reproduktiver mit Beethoven gigantisch, mit Chopin sen-
sitiv, mit Brahms knorrig werden konnte wie kein Zweiter, in seinem eigenen
Schaffen so wolkenlos heiter und so herzlich schlicht wurde. Mit dem Be-
griff des Eklektizismus war das nicht ganz zu erklären. Denn, so wenig von
Beethoven oder Chopin oder Brahms in seinen Werken ist, so sehr neigte er
einem Kompositionsklima zu, das er am Klavier nur ganz ausnahmsweise
vertritt und vertreten kann : dem italienischen. Hier ist seine Quelle. Er
war im Winter reproduktiv, im Sommer produktiv. Im Winter spielte er
den einen d'Albert, im Sommer den anderen. Seine reproduktive Kunst
lag in ihm stets wie eingekapselt, wie vom Berufe oder von der Vergangen-
heit lebend, er erweckte sie im Herbst aus ihrem Sommerschlafe und sie
sprang fertig und gerüstet aus ihrem Versteck hervor. Die produktive Kunst
aber strahlte aus seinem Menschentum hervor und schien nur ein natürlicher
Ausdruck seines heiteren und zufriedenen Daseins. Sie vollzog sich in einem
ganz anderen Milieu seines Wesens, sie wohnte in hellen lichten Zimmern
seines inneren Etablissements. Eine Villa an einem italienischen See, Birnen
und Äpfel von kanaanitischen Dimensionen, süßer Wein und das Boot an
der Laube, etwas Großstadtklang von Mailand herüber, ein paar alte schöne
Alöbel und alte schöne Novellenbücher, eine Existenz voll Sonne und Plau-
derei und Nonchalance, das war die Welt seiner irdischen Phantasie . . .
Es ist anders geworden. Die italienische Villa ist verlassen. Die Kom-
positionen schlagen nieder. Und die Reproduktion beginnt wieder der Spie-
gel seiner wechselnden, animalischen, rücksichtslosen Kraft zu werden, einer
mehr als deutschen Kraft, deren Rätselwege im Dickicht dieser Erde nie-
mand erkennen kann zwischen der Leidenschaft jenes Südens, die ihm die
Ruhe gab, und dem Ernst dieses Nordens, der ihm die Leidenschaft gibt,
zwischen allen Metamorphosen der Liebe, der Stile, dem Schaffen in der
Nachahmung, dem Nachahmen im Schaffen — bunte Opernwelten unter
Tränen des Lebens.
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DeiitscJie Gruppen
DAS Familienleben der Motive, das Wagner organisierte, hat in Humper-
dincks Hansel und Gretel sein trauliches Heim gefunden. Ein ent-
zückendes Werk, aus goldig deutschem Herzen, treu gegen den Meister, aber
bescheidener und volkstümlicher, ein liebevoll gepflegtes Reis vom großen
Baume der Meistersinger. Schwester und Bruder haben es gemacht, und
Schwesterchen und Brüderchen singen es. Indem an dem Text nichts weiter
gedichtet ist, wurde er ausgezeichnet. Die Suse mit dem raschelnden Stroh,
Griesgram hinaus, Brüderchen, komm tanz mit mir, ach, wir armen, armen
Leute, das Hagebuttenmännchen, das Sandmännchen, das Taumännchen,
Kuckuck, Knusperhexe und Engelein — aus diesen Sagenmotiven ist es ge-
webt. Und die Musik macht es ebenso. Sie nimmt die Liedchen und Tänz-
chen und weckt Motive daraus, bildet daraus Duette, gar Ensembles, wie
die großen Leute, symphonische Dichtungen mit Hexen statt der Walküren
und bringt alles in eine gute Schule der Kontrapunktik, so kunstvoll über-
einander gesetzt und ineinander gefügt, daß die Kinder dies Knusperhäus-
chen der Polyphonie nur so anstaunen. Aber die Engel retten sie. Sie geben
ihnen den wundervollen Abendsegen, der wie ein uralt schlichtes Herzenslied
durch alle Symphonien hindurchstrahlt, und neigen sich zu ihnen in ihrer
schönen, gleitenden, schwebenden Melodie, die ein Besitz der deutschen
Musik geworden ist. Im Märchenwald finden sich Motive zu Motiven. Am
gelungensten, wenn die Kuckuckrufe mit dem Echo in ein eigentümliches
Ziehen von Tönen sich fortsetzen, das Schauer und Furcht um die Menschen
verbreitet. Weniger gelungen, wo in die Prozeduren der Hexe ein gewisses
dramatisch belebtes Spiel gebracht werden soll. Nein, ein Drama ist es ja
nicht. Es ist der leichte, süße, volle, aber doch immer durchsichtige Fluß
reiner deutscher Musikempfindung, von Wagner wieder zurückentwickelt
in die Familie, die sich ihrer Güter freut, sie froh verwaltet und lächelnd
den lieben Freunden schenkt. Dies war die Sendung und das Volk hat sie
beglückt aufgenommen.
Ein Brief nach Wien über die Premiere der ,, Heirat wider Willen".
Liebe Freundin! Wir haben nun die Spannung hinter uns, ich kann
Ihnen heute von der Premiere der neuesten Humperdinckschen Oper be-
richten und glücklicherweise einen recht guten Erfolg melden. Nein, es
war nicht fruchtlos, nicht einmal angenehm langweilig, sondern voll herz-
licher Stimmung und Dankbarkeit, vielleicht wie ein Familienfest besserer
Geister, die die Schwächen ihrer Zeit zu gut kennen, um sich nicht an ihren
Vorzügen mit doppelter Bereit-
willigkeit aufzurichten. Frau
Cosima Wagner mit ihrer Familie
saß in der Proszeniumsloge,
schon äußerlich eine merkwür-
dige Frau, die aus einer ver-
gangenen romantischen Epoche
in unsere Tage mahnungsvoll
hineinragt. Sie kennen ihr geist-
volles, weißumrahmtes Gesicht,
ihre königliche Haltung. Sie
verstehen, daß auf sensitive
Menschen ihre Anwesenheit an
einem solchen Abend einen eige-
nen Zauber ausübt. Wir fühl-
ten uns zurückversetzt in alte
brüderliche Zeiten, wo man
sich noch über die Kunst
schwärmerische kollegiale Briefe
schrieb. George Sand saß neben
ihr, sie wird morgen an Flaubert
einen langen Brief schreiben über dieses Stück, über Kunst und Leben, über
den temperamentvollen Richard Strauß und Humpcrdincks solidite alle-
mande, über die schweizerischen Koloraturen von Frau Herzog und die
tschechischen sentiments colores der Destinn, über die seltsamen Wege, die
Wagners Schatten geht, denen, die ihn rufen . . .
Ja, es ist ein seltsames Geschick, das den Geist Wagners verfolgt. Er
selbst hatte bei Lebzeiten das Glück, eine Erfindungskraft und Wandelbar-
keit zu besitzen, die ihh aus jedem neuen Stoff einen neuen Stil und, man
kann sagen, eine neue Persönlichkeit finden ließ, weil er eben von dieser aus
seine Stoffe suchte. Uns ist die Gabe verloren gegangen, wir sind viel mehr
,, Musiker" als er, wir suchen krampfhaft nach Texten und „komponieren"
sie. Bei dieser Methode werden stets die Italiener am besten fahren, sie taten
es vor Wagner und tun es nach ihm. Unsere engeren Landsleute dagegen
sind viel zu sehr unter Wagners Augen aufgewachsen, als daß sie sich von den
Idiomen Tristans und der Meistersinger freimachen könnten, die sie auf
widerstrebende Stoffe anwenden. Humperdinck war frei genug, zu wissen,
daß man heut keinen Baidur mehr oder Gudrun öder Buddha komponiert. Er
entschied sich für einen Dumasschen galanten Stoff, „Demoiselles de St. Cyr",
Thoma: Zeichnung zum Titel von Hansel und Gretel
520
mit den zwei Paaren, die
heiraten müssen, weil sie
bei einem Rendezvous er-
tappt werden, und sich
schließlich auf Umwegen
über das Gefängnis in Paris
und die Langeweile in
Spanien in ihr Schicksal
fügen — ■ ein Stoff, der zu
einer Operette hätte wer-
den können, wenn er nicht
in die Hände eines „Deut-
schen" geraten wäre. In
der Tat hat bereits Del-
linger eine Operette daraus
gemacht. Humperdinck
nimmt sie gründlich ernst
und arbeitet mit großem
Zeit- und Notenaufwand
eine Partitur, die neben
manchem Liedchen von
sozusagen Brucknerscher
Grazie viel Pathos, Über-
Humperdinck
treibung und eme gewisse
musikalisch feierliche Moral enthalt, zu der der Stoff kaum eine Veran-
lassung gibt. ^
Sie werden, ich weiß es, wieder über meine „Stilgefühle" lächeln. Mag
sein, die Anwesenheit von Frau Wagner stärkte diese Empfindungen. Wenn
sie von ihrer Loge aus gewisse Wendungen Tristans und Hans Sachsens auf
ihrer Weltwanderung durch die galanten Gefilde Dumasscher Operetten hör-
te, wie mußte ihr zu Mute sein ? Vielleicht sah sie, vielleicht sah der Autor
darin eine Art Moralisierung des nicht unfrivolen Stoffes; mir aber erschien
es merkwürdig, daß die Wagnerschen Gebärden gerade dann sichtbar wur-
den, wenn es sich um Schuld und Sühne handelte und sich in anmutiges
Rokoko verwandelten, wenn sich die komischen Situationen vorschoben. Der
Deutsche nimmt pflichtgemäß das Komische komisch, das Tragische tra-
gisch. Ich will Ihnen die Oper in zwei deutlich getrennte Lager zerteilen.
In dem einen sehen Sie hochdramatische Figuren, gefesselte Liebhaber,
widerwillige Gatten, gelangweilte Könige und großmütige Damen, die ihnen
521
\
das Gottesgnadentum erklären; in dem andern die lustigen Soubretten, die
das Leben nehmen, wie es kommt, und die leichtsinnigen Abenteurer, die
sich aus einem guten Menü mehr machen als aus einer schlechten Ehe. Dort
herrscht die hergebrachte Pathetik, hier der freie, rhythmisch leichte und
graziös ungebundene Ton. Es ist der Versuch, Mozart aus den Meister-
singern zurückzuentwickeln. Aber nur der Versuch. Noch liegen die Stile
nebeneinander, die einst bei Mozart selbst, in der Zauberflöte, die auch
ein ernstes und ein lustiges Paar vereinigt, durch die Macht seiner Persön-
lichkeit schon konvergiert hatten. Auf unserem heutigen Wege, Mozart
wieder aus Wagner zu gewinnen (wobei natürlich die Meistersinger eine
fanatische Mission haben), ist diese Oper eine ganz besonders interessante
Kreuzwegsstation, sie ist selbst eine Art Heirat wider Willen.
Ich muß Ihnen gestehen, meine liebe Enthusiastin, daß ich zu diesen
ästhetischen Fragestellungen, die aber nicht unwichtig sind, erst in dem
Augenblick mich angeregt fühle, da ich Ihnen eine Lendemain-Rechenschaft
über den vergangenen Abend ablegen soll. Während der Aufführung selbst
bin ich noch viel zu — sagen wir jung, wie Sie, um mich durch solche
kritische Erwägungen in elementaren Genüssen stören zu lassen. Ich
vergesse schnell die Bühne und ihre Ansprüche, ich höre die Musik, nichts
als Musik, absolute Musik, wie wir sie uns damals verschafften, als wir im
Wiener Opernhaus bei der Aida in die zurückliegende Sofaecke der Loge
uns lehnten, nicht sahen, nicht sprachen, nur diesen unvergleichlich süßen
Klang Ihres Orchesters an das Ohr schlagen ließen. Bei keiner Novität dieses
Winters habe ich den sinnlichen Klang so genossen. Was hatten wir ? Den
rasenden „Roland" LeoncavaUos und den zahmen „Rübezahl" Sommers.
Jetzt kam zum Schluß diese unsagbar wohllautende Humperdincksche Oper,
und ich badete mich. Die Partitur ist so nobel, so reich, so klingend, daß
man sich einen entzückenderen Schmeichelton nicht vorstellen kann. Der
Geschmack äußerst gebildeter Technik führt die Stimmen, mischt die In-
strumentenfarben und hält die Polyphonie, die auf dem Papier verwirrend
erscheint, zu einer fließenden Schönheit zusammen. Ich kann Ihnen nicht
sagen, mit welcher Wonne nach den mehrfachen gesprochenen Dialogen,
die der Autor nach altem Muster, aber in guter Absicht beibehielt, das Ohr
wieder in diese breiten Ströme von Wohllaut taucht, die sich bisweilen zu
einer stolzen Blechbläserwelle erheben, um dann durch geteilte Streicher über
Harfenstege in scherzende Korrespondenzen kleiner gestochener Motive zu
zerfließen. Sind wir arm an Erfindung, sind wir keine Seelenerlöser und
Schmerzensbrecher, so ist uns wenigstens dieses Labsal der Technik gegeben,
-aus Stil und Geschmack kleine Zauberpavillone der Phantasie zu bauen, in
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denen wir uns einige Stunden vergnügen. Gehen Sie spazieren durch dieses
Stück ohne viel Kopfzerbrechen und Magenschmerzen — und Sie werden
sich belohnt sehen. Nehmen Sie den Klavierauszug, studieren Sie die Faktur
des ersten heiteren Chors der Pensionärinnen oder des großen Maskenchors
oder nehmen Sie das Walzerlied der Luise auf die Pariser Vergnügungen
oder das spanische Lied, mit dem sich die gefangenen Liebhaber aufregen,
oder jene altväterliche anakreontische Romanze, die wir hier von der schwer-
süßen Destinnstimme unter obligater Begleitung der Bratsche und Oboe
hören, nehmen Sie das schlagend bewegte erste Duett zwischen dem lustigen
Liebespaar oder das Quartett zwischen beiden Paaren am zweiten Aktschluß —
Sie werden keine amüsanteren Lauscheplätze auf Ihrem musikalischen Spazier-
gang finden. Das Quartett ist köstlich, es ist die Perle. Wenn Sie den Klavier-
auszug haben, schlagen Sie auf, spielen Sie Seite 233, die Ges-Dur-Stelle,
beobachten Sie den reizenden Gang der Singstimme, die unter dem weichen
Wehen der Harmonien mit Schubertschem Lächeln zu weinen scheint, wie
sich dieser Gesang erweitert bis zum ausströmenden Ensemble, so heiter-
verzagt, so unschuldsvoll-traurig, ein wehmütiger Walzer auf versteckten
Rhythmen — das ist musikalisch, das ist die Musik an sich, Genuß im Hören,
das ist der reinste und zukunftsreichste Keim in dieser ganzen Oper. Hier
sind wir nahe an der Erfüllung.
Quälen Sie mich nicht, den Inhalt der Oper genauer Ihnen zu erzählen.
Ich müßte wieder kritischer werden und ich kann es nicht vor Ihnen, meine
Jugend! Vielleicht könnte ich ihn in eine anmutige kühle Novelle von der
Art der Goethischen Intermezzi zurückverwandcln, aber ein Drama soll ge-
sehen, nicht erzählt werden, wie eine Musik gehört werden will und nicht
beschrieben werden kann. Was würde es nützen, wenn ich Ihnen die Motive
dieses Spieles auseinanderlegte: den Gegensatz der beiden Liebespaare, po-
litische Nebenintrigen, Schäferliedchen, Rendezvous, Maskenüberraschun-
gen, heimliche Briefe, idyllische Pastorales, Gebete und Kerker und Mahl-
zeiten, versteckte Horcher und kupplerische Nachtigallen ? Sie könnten sich
aus ihnen das Drama ebensowenig herstellen, wie die Musik aus ihren Leit-
motiven, als da sind die scharfen Quinten der Heirat wider Willen und der
Dreiklang als Eheentschluß, das Terzenmotiv des Liebesbriefes und die Chro-
matik des Stelldicheins, der Kanon des Fluchtplanes und die feierlichen Ak-
korde der Trennung, Hedwigs wiegende Sehnsuchtsphrase und Luisens Ma-
surken und Sechzehntelskalen, das Rondothema der Ehe und die Sequenzen
des Königtums. Die Verarbeitung ist alles. Weder die Text- noch die Leit-
motive sind sonderlich neu, nichts ist sonderlich neu, und doch kann ich
das ganze als feinsinnige Arbeit nicht unterschätzen. Es gibt Opern, die
523
negativ oder positiv ein klares Resultat sind. Diese ist es. nicht. Die Sünden
bringen sie nicht zu Falle und die Tugenden machen sie nicht ganz sieges-
gewiß. Frau Humperdinck, die ich Ihnen als Textautorin verraten darf,
hat aus der Dumasschen Vorlage ein sehr nettes Stück gezimmert und es
dennoch im einzelnen mit etwas billiger Draperie verziert. Er, der Gatte
und Komponist, hat die Details zu reizender Kunst ausgefeilt, aber das ganze
auf zu viele Beine gestellt. Noch einmal: nehmen Sie diesen Versuch als
ein interessantes Stück Zeitgeschichte, aber lassen Sie sich um himmelswillen
durch keine grämliche Kritik davon abhalten, den Augenblick zu genießen:
en amour comme en musique, sagt Hans v. Bülow.
Die Königskinder.
Ein Spielmann steht da und singt von alten Zeiten, singt Märchen, deren
Wunder größer sind als alle Maschinen unserer Zukunft, die Kinder sitzen
um ihn herum und lauschen, sie verstehen ihn, er versteht sie, und wir
verstehen sie alle. Diese glauben noch an die Gänsemagd, die Königin wird,
und an den Königssohn, der sie findet und heiratet, weil sie beide so innerlich
freie Menschen sind. Die Geschichte scheint lustig weiter zu gehen und be-
lebt sich mit Hexen, Besenbindern, Ratsherren, Wirtstöchterlein, Stallmäg-
den und allem bunten Zeug, das einst aufmarschieren soll, wenn die beiden
ihren Thron besteigen. Es gibt immer schlechte Menschen, auch solche,,
die dies Königspaar nicht anerkennen wollen, und der Spielmann erzählt,,
wie sie sie verhöhnten, die Widersacher, und aus dem Tore der Stadt hinaus-
warfen. Die Kinder klatschen vor Vergnügen, denn sie sind immer für Hand-
greiflichkeiten und wissen ja doch: im letzten Kapitel werden sie gekrönt
mit Kuchen und Schokolade. Humperdinck spitzt seinen Bleistift und ent-
rollt das rastrierte Papier. Da aber passiert etwas Unvorhergesehenes. Die
Dichterin, die wundervolle Frau Rosmer, tritt mit ernster Miene zu dem
Spielmann und ruft ihm zu: „die Wahrheit!" Der Spielmann wird verwirrt,
die Kinder stutzen, der Komponist lächelt. „Die Wahrheit!" Es entsteht
eine Pause, in der Jahrhunderte zur Erde zu sinken scheinen, und der Spiel-
mann weigert sich, weiter zu erzählen. So nimmt die Dichterin selbst das
Wort. Sie klagt dem Leben und kennt die Menschen und rettet sich in die
Märchen, ohne das Bewußtsein der Tragik verlieren zu wollen. Wie fein
und edel ist diese Frau, die mit einer Träne im Auge Kindern Wahrheiten
sagt, die mit einer bewußten Kunst die letzten Naivitäten zu einem Geständ-
nis des Schicksals umformt. Ja, das Gänsemädchen hat ein Brot gebacken,
und sie spricht den Zauber über das Brot aus : der davon ißt, mag das Schönste
sehn, so er wünscht, sich zu geschehn. Aber schon greift die Hexe das Brot
524
und spricht den zweiten Zauber: wer es Hälften ißt, stirbt ganzen Tod.
Und die Hexe soll ihr Recht haben. Die Dichterin erzählt, wie die beiden
Königskinder nach unendlichen Irrfahrten um die goldene Krone schließ-
lich dieses Brot kaufen, an dem sie in einer letzten Entzückung freien Menschen-
tums sterben. Der Spielmann schweigt, die Kinder weinen, aber die Dich-
terin ist erbarmungslos, wie der Schnee. In Hansel und Gretel habt ihr
die Hexe verbrannt. Jetzt rächt sie sich, jetzt will sie ihren Schein haben.
Die Kinder weinen, aber sie sind gebildet genug, der Dichterin zu glauben,
und trösten sich, mit dem Spielmann allein unter allen Menschen das König-
liche dieser beiden erkannt zu haben. Jetzt werden sie nicht mehr klatschen,
wenn man sie aus dem Tore wirft, sie werden in kultivierter Märchenge-
bärde ihnen folgen, sie tot finden, sie beklagen — der lahme Spielmann im-
mer hinterher.
Und, was auch vor sich gegangen sein mag, der gütige Komponist lächelt
und schreibt. Er schreibt zuerst nur ein paar Zwischenspiele und melo-
dramatische Begleitungen, wie in einer literarischen Ehrfurcht vor diesem
beziehungsvoll ersonnenen Märchen, aber allmählich spinnt sich seine un-
aufhaltsame Musik über das ganze Stück, und siehe, ohne sich zu überlegen,
wie weit er hier ein naives oder naivisierendes Märchen vor sich habe, ge-
winnt er kraft des Zaubers seiner ehrlichen und rührenden Kunst dem Stoffe
so viel Ursprünglichkeit und Innerlichkeit zurück, daß nach dem letzten
Takte der Spielmann und die Kinder zu ihm stürmen und ihm, von einem
seltsamen Druck erlöst die Hand küssen. Ja, die musikalischen Königskinder
haben sich ihr Land gewonnen, das ihnen die Wahrheit des Lebens entreißen
wollte. Nein, ein Drama aufzuführen, das liegt nicht in ihrer Absicht. Ein
Drama heißt hinausschrcien über die Szene aus ihren Schmerzen und die
Nerven rütteln und die Musik zerstören mit furchtbaren Schlägen und zer-
rissenen Fabeln und zerstampften Liedern. Sie kommen einfach auf der
Bühne zusammen, und wo es irgend geht, singen sie Lieder und spielen
Tänze und träumen Motive und verweben ihre Melodien, als ob sie aus die-
sem Märchen längst hinausgekrochen wären, um ein ewiges Leben der Töne
zu führen. Und die Liebesanträge des Königssohns, seine Verlassenheit, die
Träume des Mädchens, das Ensemble der Gänse und Ratsherrn, die Ver-
gnügsamkeit der Kinder, die Seligkeit des Spielmanns, selbst alles Hunger-
leid der beiden löst sich in versteckte oder offene Lieder auf, aus denen der
Sänger spricht, der Sänger, der diese Bühnenballade schrieb und spielte.
Das Drama stört ihn nicht mehr, mit einer gefühlvollen Kleinmeisterlich-
keit, mit einer empfundenen Polyphonie, mit einer herzlichen Freude an
webender, schwebender, lebender Musik gibt er dem Königssohn und seiner
Gänsemagd alle tröstliche Schönheit, die sie im Leben nicht finden sollten.
Nur einmal greift er voll in die Saiten, um von sich aas, ganz neben der
Bühne, die tragische Empfindung, die ihm die Dichterin empfahl, zum Aus-
druck zu bringen. Es ist das Orchestervohpiel zum dritten Akt, das in brei-
ter Ausladung der Themen und tiefer Versenkung der Harmonien die große
Klage um den Tod der Freiheit hinausruft, einmal ganz, einmal stark, um
sonst dem lyrischen Rhythmus sein fließendes Gleichmaß zu lassen. Wohnt
Anmut hinter dieser deutschen Stirn, wohnt Schmerz, wohnt tragische Dis-
sonanz, oder Rettungssehnsucht aus diesem Wahrheitszwang, oder ist das
alles zu viel, zu dick, zu formlos — er schweigt und komponiert zeitferne
Märchenliederstücke.
Die stärkste deutsche Oper nachwagnerscher Zeit, aber wagnerschen
Blutes, ist Pfitzners Armer Heinrich. Ein Tristanzweig, wie Hansel
und Gretel ein Meistersingerzweig ist. Ein Werk, aus der Tiefe empfunden,
mit dem Glauben an Musik. Ich sage: die stärkste Oper, nicht die beste,
und ich sage : wagnersch. Das Wagnersche ist im Allgemeinen, es ist das Klima,
in dem diese Musik aufwuchs, ist die Satzart, das Orchester, die Gesangs-
behandlung und die Religion der Motive. Aber das einzelne wächst oft
darüber hinaus. Dietrichs Erzählung von seiner Salernofahrt, ein mächtig
angelegtes Stück, scheint zuerst ein Tannhäuser, in Tristan getaucht. Aber
es entwickelt sich härter, zu einer eigenen Art in Rhythmus und Linie,
ein neuer Atem, ein schärferer Schnitt. Und so liegt über manchem eine
schöne harte Kruste, vom vielen Durchheizen, vom männlichen Ernst in
Willen und Gestaltung. Das Leidensmotiv geht zu Brahms hinüber. Ab-
soluter musikalischer Sinn drängt sich in die Opernallüren hinein. Ein Er-
innerungsgesang Heinrichs, märchenhaft isoliert, läuft nur zu einer einzigen
ausgedehnten Violinstimme. Das Schneidemotiv, das Opfer des reinen
Mädchens für den kranken Ritter, hat eine stolze Plastik. Der Waffen-
abschied Heinrichs ist von greller Sinnlichkeit, mit dem naturalistisch er-
mattenden, vergeblichen Schluß. In der Szene des Mädchens mit ihrer Mut-
ter ist eine musikalische Psychologie von ganz seltener Feinheit: ein Aus-
laufenlassen, ein Stehen der Vision, eine Macht der Pausen, eine späte Roman-
tik bis in die Instrumente und in das kleine, kaum glaubliche Terzett. Der
Text von Grün ist szenisch gar nicht so ungeschickt, wie er in den Worten
wagnerhaft ist. Nur das Ende gelingt nicht. Die Kämpfe des Ritters mit
sich, mit dem Mädchen, das Verhältnis des Arztes, der das Opfer vollziehen
will, der Eltern des Mädchens, alles das gibt keine Situation, vor allem keine
musikalische. Pfitzncr hilft sich mit Mönchsgesängen. Am Dramatischen.
526
leidet er so wie so. Aber das Niveau der Musik ist Edelboden. Hier ist kein
Feuilleton, keine Liebäugelei mit der Konzession im Weib, im Kind, kein
Mannengetue und Haargeschüttel, hier ist das wahre, eigensinnige und
tief phantasievolle deutsche Musikerblut.
Nicht so in der „Rose vom Liebesgarten". Grüns Dichtung versinkt
in Wagner und Pfitzner gleitet ihm nach. Es ist zu zeitgemäß. Bisweilen,
in Nymphen-, in Zwergenszenen lacht der Geist seltsamer deutscher Mär-
chen, aber der Rhythmus des Ganzen ist zu gleichmäßig, das Gebaren zu
schöngeistig, das Ideale zu dünn und das Wirkliche zu symbolisch. Was vom
„Werdandi" in Wagner steckte, kommt in diesen Kindern heraus. Pracht-
volle Farben, Orchesterideen, symphonische Feste — aber die Überzeugt-
heit leerer Gesten, die nicht in den letzten Gründen des Dichterischen
und MusikaHschen ihren Antrieb haben. Nicht Hodler, sondern ein Illustrator
Bayreuths.
Ich bewege mich auf schwankendem Boden. Während ich schreibe,
entsteht vielleicht meine Widerlegung. Ich schreibe aus der Erinnerung»
zur Zeit des ersten Hörens, unbefangen und mit dem besten Willen für alle
Zeitgenossen, die historisch zu behandeln unlogisch und unfruchtbar ist.
Meine Charakteristik bezieht sich nur auf die Anarchie unserer Zustände,
auf die Unsicherheit und Wandelbarkeit alles Bestehenden. Was habe ich
von Goldmark für eine Erinnerung? Er gab etwas Französisch-Exotisches-
in der Königin von Saba, niemals dachte man ernstlich ihn gegen Wag-
ner auszuspielen — oder doch l So richten sich die Zeiten selbst. Seine
liebenswürdige Begabung, besonders im Idyllischen, schuf manchen noch
angenehme Stunden. Es ist vorbei. Anders sind jetzt die Gründe, aus
denen Pfitzner seine Mühe hat, oder Schillings. Pfitzner, der tiefere, Schil-
lings, der kühlere, sind nicht dramatisch erobernd, und Liebenswürdig-
keiten liegen ihnen nicht. Die Ingwelde war wagnerhaft. Im Pfeifertag
traten eigene Qualitäten hervor. Im Moloch untergrub der unmögliche
Hebbelsche Stoff die noble Musik. Eine Fülle kerniger und eigenwilliger
Phantasie ist auf kalte Tafeln geschrieben worden. Andere arbeiten auf
ebenerem Volksboden. Karl Weis' Polnischer Jude hat eine sehr gesunde
Popularität. Thuille, besonders in seinem kindlichen „Lobetanz", den Bier-
baum dichtete, hatte das strömende Herz des Musikers. Hans Sommer in einer
ganzen Reihe von Opern verwaltet mit Liebe und Kenntnis, ohne durch-
schlagende Kraft, diese Bezirke. Siegfried Wagner möchte hier landen.
Er war, zu Beginn, vielleicht der unwagnerscheste von allen. Ein frischer,
derber und natürlicher Ton bewegte seine Kunst. Seine Texte, nach der
Lehre des Vaters selbst verfaßt, litten unter einer germanistischen Neigung
zu Sagenverknüpfungen. Seine Musik, begabter als man, durch ein wohl
begreifliches Vorurteil irre geführt, meinen könnte, hat Gefüge, Verstand
und ein Gefühl, das nicht in die Bahnen der väterlichen Schule zu gleiten
brauchte, um glaubhaft zu sein. Das Volk! Wer trifft es? Pfitzner ist ein
Musiker, Schillings ein Künstler, diese alle treue Schüler, seit Hansel und
Grctel traf es doch keiner so sicher. Die eklige moderne Operette, ein
Schmieren der gemeinsten Instinkte, nimmt den Boden weg. Es gibt da
Ansätze, aus dem Volkstümlichen das Volkskünstlerische zu entwickeln
(manchmal bei Fall und Straus), aber sie verschwinden vor der Süßholz-
raspelei mit gesummten Walzern, ohne Fleisch und Knochen, fade Mode-
gehänge. Reznicek in der Donna Diana hat Qualitäten für die feinere
Galanterie. Wer weiß, was da werden kann in der Mitte zwischen den
Ästheten von Geschmack, zwischen den erhöhten Dilettanten — ein lieb-
licher Kanal wäre zu bauen, der die Kultur einer wohlgebildeten Volks-
kunst zu tragen hätte, so wenig entfernt von einer natürlichen Grazie als
von der Erfahrung guter Schulen. Als gute Schule scheint mir die opera
comique vergessen zu sein. Zwischen ihrer bühnensicheren und gesan'gs-
bewußten Stilfestigkeit und den träumerischen, musikversunkenen Welten
Humperdincks könnte ein möglicher Weg führen. Zwei weitverbreitete Opern
sollen in dieser Hinsicht genannt werden (auf sehr verschiedenem Niveau),
deren erste Eindrücke ich reproduziere.
Zuerst Kienzls Kuhreigen. Einen glücklichen Fund tat Batka, da er
diese reizende Bartsch'sche Rokokonovelle mit Musikfutter unternähte.
Ein schweizerisches Lied, ein Kuhreigenlied, das man nicht singen darf —
wie musikalisch! Und daß es Primus Thaller doch singt und ins Gefängnis'
wandert — wie viel musikalischer! Und daß ihm die kleine Marquise das
Leben schenkt und ihn dafür als Spielzeug ihrer Sinne mitnehmen will —
wie tönereich, das klingt schon von selber. Und dann die Revolution mit
ihrem rhythmischen Feuerwerk, und daß er sie nun retten will, und sie
nun nicht will, wie er einst nicht wollte — das ergibt so glückliche
Situationen, wie nur je eines dieser dramatisch zuckenden Sujets, die
zwischen Revolution und Grazie, Liebe und Edelmut pendeln. Batka hat
es famos dialogisiert. In der Szene, da Blanchefleur den Thaller mit sich
nehmen will, sind der Pointen gar viele und liebliche. Und in der Szene,
da er sie mitnehmen will, ergibt sich ein Milieu von einem grausigen
Charme, der einer alten opera comique würdig gewesen wäre — die Adligen
tanzen das mozartelnde Menuett im Tcmplekerkcr, während ihre Mit-
glieder gruppenweise zur Guillotine gerufen werden, und immer tanzen sie
weiter . . .
528
Hogarth: das Lcver aus der Marriage a la Mode, als Anregung für die Szene Rosenkavalier erster Akt
Kienzls Ruhm fußt auf /^ ^
dem Evangelimann, der (3^<^^?'^^^5^7Z^C7^>->
einen wirksamen zweiten,
aber einen schlechten, ita- ^ ^^?-t3^,M/y^, ^^
lianisierenden ersten Akt t^K» 55.^^^«.--«.v?s^ ^o^-a^ «fc
hat, reizend in der Wiener ^fl^P ^^t^&äe-, ^^Kk
Hofszene mit dem Milieu '*' "* •^'^^ C^r^i^^. ^.^«.v^ ^^^
des Lannerwalzers. An Fa- '^ ^^«^P^^'^^?^' ^ ^^-Ä»
dessen fehlte es nicht. Mit ^^fc iJBfc
anderen Opern hatte er ^^^ O^xml^m^m^y^'y ]t^
es schwerer, durchzudrin- ä^ ^^^^
gen. Im Don Quixote ver- 4^^ !^.a-i^^r,irct:<U:^. i^>s<55- ^L».
lorersichanSprödigkeiten. f\ ,^« '^■S^
Er wußte nicht recht — «- V j^'SS^^.^^ i^^^ J^^>
und man sagte ihm, er solle WL y^^^^^^a^j^^tc^ ^^^
der Lortzing unserer Zeit ^^^^ SBixao ^MJl
werden. Man erwartete ^^ 3e^iMäikm^^6^i'zip^ iK
Volkstümelei und Tränen- :furx^fv{Z^ r^
Seligkeit von ihm. Und (j^^-a4jä"5'S2J«'z<iKst;'«^ 'Ä;i'z<?c7&5v^'t62^Ä^j^Z?
nun kommt er mit diesem oC^e^r. 7(fd(y
Stück, das bühnenfest, an- '?"Jt7T^ 1rr.!:°T°'f^, ••;T^.,'t^^~
mutig und frei von jeder .niemann, Personenverzeichnis zu Blechs Versiegelt
Theorie und von jeder
Tümelei ist. Wie merkwürdig! Und wie löblich! Ich hätte es nicht ge-
dacht. Ich gratuliere ihm zu dieser Wendung und finde sie sehr klug.
Aber mit Klugheit ist es allein nicht gemacht. Er konnte es, er erfüllte,
was er wollte. Nicht alles ist auf gleicher Höhe, bisweilen blitzen fremde
Lichter auf, bisweilen schlägt eine leichte Trivialität an, oder eine bequeme
Lässigkeit — aber im ganzen ist es wohl und fein gesetzt, gut ineinander
gearbeitet und so anständig geführt, daß man seine Freude hat. Die Kom-
position des Kuhreigenliedes stammt von ihm, sie ist ganz ausgezeichnet,
im kräftigen, männlichen, musikalisch scharf geschnittenen Volkston. Revo-
lutionslieder überlieferter Fassung sind eingeflochten, aber immer so ge-
schickt und verständnisvoll, daß sie niemals wie fremde Federn am Hut
wirken. Töne der Leidenschaft sind getroffen, wie die Grazie und Frivoli-
tät getroffen ist, und meist hat das musikalische Ohr ein sauberes und stil-
reines Vergnügen an der Führung seiner Melodie, an der Farbe seiner
Modulation, an den Kontrasten der Rhythmen, an der Faktur der En-
sembles und an dem Wohllaut der Tänze. Alte Formen, als Prägung der
529 34
Aristokratie, sind mit modernen Ausdrucksvvahrheiten, als Prägung der Re-
volution, in ein einheitliches Ganze gebracht, und das Stilgefühl in diesen
gemischten Gegenden ist vielleicht sicherer als in manchem bedeutenderen
und genialeren Werke unserer Tage. Besonders angenehm ist mir der
zweite Akt, der zu dem breit ausgeführten Lever des Königs und zu der
großen Szene zwischen der Marquise und dem Schweizer eine Musik bringt,
die sich dauernd glücklicher Einfälle erfreut und in eine charakteristische
Partitur gesetzt ist.
Das ist nicht geschwätzig, nicht überheblich, das ist aus einem natürlichen
Maß, und gegen alle heutigen Musiküberschwemmungen gehalten — jeden-
falls eine Selbsteinschätzung, die nicht mehr zahlen will, als sie einnimmt.
Gute bürgerliche Ökonomie.
Auch zu Leo Blechs Versiegelt schrieb Batka den Text, nach anderen
mit anderen. Ein Biedermeierstück, mehr im Stil, als in der Möglichkeit.
Denn daß eine, die einen liebt, ihn in einen Schrank steckt, weil sie ihn ver-
steckt, kann wohl passieren. Aber daß sie ihn zum Gegenstand einer komi-
schen Ovation machen will, wäre doch sehr unpsychologisch. Sie will es
übrigens gar nicht, nur das Possenschicksal spielt ihr einen Streich. Man kann
das nicht so erzählen. Aus dem Schrank, in dem der Bürgermeister versteckt
ist, kommt ein Liebespaar heraus, und ihr müßt zusehen, wie sich das so fügt.
Der Bürgermeister unterschreibt aus dem Schrankloch den Ehekontrakt
dieses Liebespaares. Der Schrank hat nämlich ein Loch. Außerdem gehört
er gar nicht der Frau, bei der er steht. Er ist hingeschafft von einer anderen
Frau, um nicht gepfändet zu werden. Aber er wird doch gepfändet. Es
gibt Schranksiegel und Kußsiegel. Kurz, die Geschichte ist nicht zu er-
zählen, aber man kann sich schon denken.
Die Musik ist unbeschreiblich gut. Sie führt auch über die Befangenheiten
des Textes weg, sie tanzt darüber weg, und die Posse wird möglich, weil
man sie hört. Alles, was wir ersehnten an Leichtigkeit des Rhythmus, liebens-
würdiger Melodie, Geistreichtum des Orchesters, lebendiger Charakteristik,
war hier gefunden. Kein falscher Ton, keine Verschiebung der Empfindungen,
kein Schielen und Renommieren, es ist Champagnerblut darin, sprühender
Witz und schwebende Laune. Die Partitur ist eine Folge von Leckerbissen,
nicht zu gewürzter, sondern ein französisches Diner mit vieler und leichter
Kost. Und gar nicht französisch. Ein Meistersingerkind, von Gemüt durch-
leuchtet, von Heimlichkeiten erfüllt. Die Instrumente sprechen, sie kugeln
sich, spitzen sich, stellen sich auf den Kopf und stehen wieder auf den Beinen,
ein jedes nach seiner Farbe und seinem Gewissen. Die Harmonien kuschen
sich und dehnen sich und machen Horizont und alterieren sich, in uner-
müdlichem Wechselspiel. Die Melodien lächeln und begucken sich und
stürzen sich in die Arme und machen das Gras weich und stecken ein Fähn-
chen auf. Die Rhythmen fliegen und zögern, von einer tänzerischen Be-
weglichkeit bis zum saftigen Walzer, der alle ihre Schritte vereinigt.
Glücklicher Stunde entsprossen, streuen sich diese Blumen vor uns hin, ein
Meisterstück geschickter und graziler Hände, Geist und Kunst und Wahr-
heit in einem.
Richard Strauß
ER ist eine Epoche, auch gegen die Gleichzeitigen. Er ist es in Deutsch-
land, das er mit starker Hand vom Wagner-Epigonentum befreite, ohne
in billige Volkstümelei und Stilmeierei zu lenken; er ist es in der Welt, der er
eine Persönlichkeit von eigenem Schnitt vorstellte. Er ist ein Werk und ein
Wirker unserer Zeit, kein wesentlicher Erfinder eines offenbarenden Melos,
nicht ein Gestalter aus tiefen inneren Notwendigkeiten, aber ein Meister
des Technischen, aus dem die Poesie der Materie wächst, ein Könner aus
letzten Möglichkeiten, mit den Wendungen der Zeit nach allem Zeitlichen
gewendet, ein Bauender aus scharfen Instinkten, ein Harmoniker aus un-
beschränkten Mitteln, ein Rhythmiker von einem Schwung, wie ihn kein
zweiter wagt, ein Genie der modernen Orchesterfarben, eine Phantasie, ewig
vom Neuen erregt. Weltmensch im weiten Blick für das Nurkünstlerische,
Deutscher im Ernst der Arbeit und der Liebe zur Substanz.
In Humperdinck und Strauß schwingen heut zwei Pole. Humperdinck
ist ein guter alter deutscher Musiker, der seinen Stoff mit einer inneren
Tonwelt überschüttet, die warm durch seine Seele läuft; Strauß ist der Ni-
veaukünstler, der mehr original als originell sich aus dem objektiven Stil
des Stoffes den Ton formt, die Töne, eine ganze Musik, die er selbst dann
mit kühlem Herzen gestaltet, wenn sie von Wärme flutet. Jener ist das
Zentrum der Musik, das nur nicht das Zentrum unserer Zeit ist, und dieser
ist das Zentrum unserer Zeit, das nur nicht das Zentrum der Musik ist.
Das gehört zusammen, so verschieden es ist, es sucht sich, es umwirbt sich,
und in dem Kreise, in dem es läuft, laufen wir selber und fühlen für beide
Richtungen etwas, wenn wir überhaupt die Musik und auch wieder unsere
Zeit lieben oder suchen. Die feurigen, romantischen, demokratischen Jahre,
die um Wagner sich ausbreiteten, waren für die Musik zentraler, von Beet-
hovens dramatischen Symphonien bis zu seinen symphonischen Dramen ist
es unmittelbare Seele der Zeit, die sich in der Musik aussprechen kann und
531 34-
aussprach, \^'as ist das Zentrum unserer Jalire ? Ich glaube, in jedem Sinne
und in jedem Felde ist es das organisierte Unternehmertum, etwas Unmusi-
kalisches, Antimusikalisches. Entweder man isoliert sich und versinkt in die
Musik, die süß schleichende, spinnende, sich verwebende Musik, deren
gleitende Melodien uns auf jedem Wege zwischen diesen furchtbaren
organisierenden Unternehmen sanft umklingen, oder man begibt sich in die
Gefahr, mit den Waffen der Musik an dem hastenden, formsuchenden,
selbst in der Romantik bewußten, in der Sensitivität kanalisierten Werk
der technischen Epoche mitzuarbeiten, in der Peripherie der feinen Geister,
in die die kohledampfenden Kräfte der Zeit ihre letzten Wirbel hinaussenden.
Jenes ist Humperdinck, dieses Strauß, wenn man mir einen Augenblick ge-
stattet, die Kulturwerte der Musik abzuwägen. Ich tue dies nur auf das
Kommando der Überlegung; in der naiven Stimmung der musikalischen
Reizbarkeit liebe ich sie beide in ihrer Art und möchte keinen um den anderen
verlieren, wenn ich auch in die Verlegenheit komme, über die Kraft von
Strauß die Güte von Humperdinck zu vergessen.
Der Guntram, mit dem Strauß in die Opernwelt trat, läuft noch stark
in den pathetischen Spuren Wagners. Er dichtete sich selbst den Text,
der zwischen Wagner und Nietzsche nicht den Ausweg findet, den Helden
eines sozialen Verbandes zur individuellen Selbstbestimmung durchführt,
aber schließlich musikalisch seiner Liebe entsagen läßt. Der \'crband kam
vom Gral her, die Selbstbestimmung vom Antigral, die Musik verwischte
die Entscheidung. Gerade diese Ges-Dur-Entsagung wurde ein sehr schönes
Stück. Im übrigen herrscht Wagner in der Gebärde und im Gebilde. Nur
in der motivischen Gegend des Bundes treten eigene, mehr diatonische,
herbere und härtere Wendungen auf, deren Folgen für Strauß mitten in
unserer chromatischen Welt fruchtbar wurden. Ihm stand fortan die Diatonik
gut und fest in der Hand.
Die Feuersnot war ein großer Schritt, gegen das Epigonentum und
doch vorbei an den Volksbanalitäten in einen Bezirk bodenständiger,
kerniger, durchwachsener Musik, der ihm heut noch Luft und Licht geben
könnte. Ernst von Wolzogen schrieb einen Text, von Kunrad, der den
Münchnern das Feuer nimmt, weil sie ihm die Liebe nicht gönnen. Im Klein-
stadtstil mit Wagnerismen, im Spott mit Pathos. Strauß komponierte ihn
herunter, den Spott und das Pathos nebeneinander, ohne sich zu stellen.
Nur zu einem stellte er sich: wie Kunrad das alte Zauberwesen abstreift,
um zum tätigen Leben zu erwachen, so streift er, mit Zitaten des Riesen-
motivs, des Walhallmotivs, des Holländermotivs, den Wagner aller pessi-
mistischen Ringflüche ab, um sich ganz im Wagner der Meistersinger
zu befreien. Die Entsagung hat ausgespielt. Der Held übernimmt die Rolle
des Rächers, das Feuer glitzert hundert lustige, sprühende, leuchtende
Funken, das Volk besingt die Finsternis in einem Meisterchor von frischestem
Naturalismus, die Liebe findet reine, herzliche und einfache Zwiegesänge —
Sonnenwende ist gekommen von allem Lastenden, Philosophischen, Über-
weltschmerzlichen zum Frohen, Liedhaften, Menschlichen mit aller Lyrik
und allem Lachen. Es ist ein Einakter, der seine tanzgesangliche, rhythmisch
beschwingte, aus allen großen Gesten und beladenen Missionen zumentzücken-
den Spiel der Musik erwachende Kunst bewußt zusammendrängt. Als sei sie
aus einer symphonischen Dichtung erwachsen, der sich die Bühne annimmt.
Die Salome wurde der Genieblitz dieser Entwicklung. Guntram war
aus Wagner abgezogen, Feuersnot ein Rückversetzen der Symphonie
in die Bühne der Johannisnächte, Salome eine Erlösung — aber nicht von
tragischen Dramenschmerzen, sondern des modernen Orchesters, das er-
wachsen war und einen Namen suchte. Salome schlummerte in ihm, Strauß
erweckte sie. Die Wildesche Dichtung half ihm nur dabei. Es war ein Stück
von gedrängter Farbenpoesie, Farbe in den Personen, in ihren Beziehungen,
im Klima, stark atmosphärisch und nach dem Ton sehnsüchtig, der seine
blasse Lyrik aufblühen ließ. Der alte Opernkomponist hätte Herodes ein-
fach wüten, Salome einfach lieben, Jochanaan einfach predigen lassen.
Er hätte das Stück zurückverwandelt in das Schema seiner durchsichtigen
Komposition. Strauß entwickelte es weiter in die Antitonalitäten und Dis-
harmonien, die L-onien seiner Gesinnungen, die Abgründe seiner Psycho-
logie, die uneingestandenen Falschheiten und Hingebungen seines grau-
samen Lebens. Er goß das Orchester, auch das der Stimmen, darüber, um
seine Klüfte zu füllen, seine Tiefen zu färben, seine Höhen zu illuminieren.
Das Orchester überschwemmte dieses Drama, das sich ihm völlig hingab,
weil es die Seele dieses Orchesters erlöste. Irgendeine Stelle der Bibel,
drei Worte, hatten gezündet. Sie rief Kunstgeschichten der Malerei hervor,
Literaturen und Opern. Flaubert enthüllte seelische Wesenheiten, Massenet
behängte es mit orientalischem Geschmeide, Wilde opferte Perversionen
des Gefühls, Strauß schrieb diese Musik, die auf den Namen Salome alle
Wunder und Geheimnisse, die man nicht auszusprechen gewagt hatte, in
phantastischer Pracht häufte. Die Flaubertsche Vision des Salometahzes,
ein bunt zerwühlter Satanismus für das Auge, wurde hier Wirklichkeit im
Ton. Wilde ließ Salome den Jochanaan lieben : so war die Musik vollendet.
533
Seine Akteure sind i6 erste Violinen mit entsprechenden, vielfach geteil-
ten Streichern, 19 Holzbläser, wobei er durch das Heckelphon die Oboen-
gruppe nach unten vervollständigt, 15 Blechbläser, 4 Pauken, alles Schlag-
zeug, Harfen, Celesta, Glockenspiel, Xylophon, Orgel, Harmonium, — nie-
mals bis dahin wurde ein ähnlicher Klang gehört. Wenn Jochanaan stirbt,
begleiten ihn geteilte Kontrabässe, teils heruntergeschraubt, teils auf-
gepeitscht durch einen Rutschton in hohem Griff, dessen Gespenstigkeit
Berlioz erfunden hatte. Da Salome das Haupt des Jochanaan küßt, spielt
die Orgel einen tiefen Cis-Moll-Akkord, von Sekunden durchschnitten,
blutig betropft von ihrem roten Motiv, das an dem silbernen Faden der
Violinen hängt. In einem Wurf sondergleichen, nur wenige Takte, führt
das Orchester in die glitzernde Sphäre dieser seltsamen Welten. Dann baut
es sein Triptychon. Das symphonische Zwischenspiel, zuckend ausklingend,
beim Abgang des Jochanaan, der Tanz der Salome in seiner bacchantischen
Steigerung stellen die Rahmen. Die Judenszene gibt ein Scherzo dazwischen.
Die Akzente szenischer Wiederholungen, die Forderungen der Salome
an Jochanaan und die an Herodes geben den dramatischen Rhythmus und
das Kreszendo innerhalb dieser verwirrenden Fülle: von blinkenden Juwelen,
da Herodes der Salome seine Schätze bietet, von künstlichen Blumen, da
Salome den Narraboth verführen kann, von asiatischer Verzückung, da ihr
Leib in exotischen Lüsten musiziert, von der Halluzination aller Begriffe,
da über das romantische Hornmotiv des Jochanaan die Pizzikati in entgegen-
gesetztem Takt schwirren, oder teuflisch einsame Triller die Grenzen der
Tonarten und ihrer Empfindungen verwischen, von der schneidenden Falsch-
heit des Tonalen, mit dem Herodes Holzbläser und Stimme zu einem
Sprechton zwingt, der der Musik unwürdig sein will, von der breiten, groß-
artigen, tief vergrabenen Lyrik der Salome, da alles am Schluß um sie
herum Gefühl, Gesang, Klang, Liebe zur Musik wird, das Grausen sich
im Ton befreit, das Brünstige des Fleisches in der Inbrunst der musizieren-
den Empfindung, die ihr die Krone des Christentums geben würde, lebte
sie noch länger, oder hätte sie ein Menschenalter vorher gelebt.
Die Faktur der Salome ist motivisch ; nicht ohne gewisse plötzliche Liebens-
würdigkeiten bürgerlichen Geruchs oder konzertmäßigen Wohlwollens,
die Strauß immer unterlaufen läßt. Die Motive selbst, wie der Gang der
Harmonien und der Elan des Rhythmus (dieses ewig Drängende, Feuernde
mit allem Splitterwerfen) legen seine Sprache endgültig fest. Farbe ist
die Harmonie, das Tempo und auch das Motiv, das nur symbolische An-
sprüche macht, schon mehr aus dem Stil geworben, als aus Phantasie gewor-
den, ein Motiv, an dem Geschichte, Kultur, Erinnerung hängt. Farbe ist
534
die Einheit. Es ist die
Symphonie des neuen deut-
schen farbigen Orchesters.
Man darf es noch weniger
vom Drama nehmen als
bei Wagner. Wie es nicht
mehr den moralischen
Willen Wagners hat, nicht
mehr sein Explikationsbe-
dürfnis durch eine Bühne,
so hängt es noch gerade
so viel an ihr, wie Debus-
sys Oper noch gerade so
viel am Gegenteil hängt,
am Orchester. Hier sind
die Grenzpunkte rechts
und links von Wagner : das
Orchester als Illustration
und die Bühne als Illu-
stration. Prinzipiell be-
trachtet sind beide Ver-
suche ein Ende. Aber sie
sind beide zu künstlerisch, um nur als Ende zu interessieren. Salome ist
als Gattung einzig und in sich selbst Beweis genug. Von den feingestimmten
■ Nazarenergesängen bis zur Animalität der Salome ist die Geschlossenheit
einer Musikanschauung, ihr Kristall. Es war ein Griff in ruhende Schätze.
Eine Notwendigkeit im höchsten Sinne der Technik. Ein Werk, gemacht,
weil es reizt, aber so vollkommen, daß es nicht wieder zurückgedacht werden
kann. Bei ganz geringen Atavismen in der Gegend des Jochanaan oder in
der opernlyrischen Steigerung der Salome hat es den Zwang letzten Aus-
drucks, der das Siegel der Kunst ist.
Richard Strauß. Radierung von Farago
Strauß liebt, wie in den Symphonien die Einsätzer, so in den Opern die
Einakter. Sein Blut geht in schnellem Rhythmus, er neigt zur Konzen-
tration leidenschaftlicher Ergüsse in knapper Form und er mußte, fast von
selbst, auf die Hofmannsthalsche Elektra aufmerksam werden, die in einem
rasenden Tempo, dessen Kraft erprobt war, die Nerven der Zuschauer
erschütterte, ihren Geist bannte. Es reizte ihn, als er es kennen lernte.
Es reizte ihn, an einer neuen Welt, nicht mehr einer bunt koloristischen,
535
sondern eliernen und massiveren seine Hand zu probieren. Er hatte sich
seine Opernpalette mit der Salome geschaffen, jetzt fing er dort an, wo
er aufgehört hatte. Die Farben gehörten ihm, sie waren überwunden. Der
Stil sprang heraus, und er hat ihn in der Elektra in einer für ihn selbst
nicht mehr revolutionären, aber sehr reifen und sicheren und könnerhaften
Sprache angewendet. Die Salome war sein Wurf, Wagnis, Durchbruch; die
Elektra wurde die erste Station des neuen Weges. Die Salome ist ihm innerlich
verwandter, und es wird sicherlich viele geben, denen sie darum noch lange
sein eigenstes bleiben wird; die Elektra ist die Probe aufs Exempel, und sie
bedeutete daher erst die wirkliche Eroberung eines Publikums, das auf dieser
Brücke zu ihm gelangte, nachdem es zur Salome nicht direkt gefunden hatte.
Die Salome hat eine verführerische materielle Dramatik, die Elektra hat eine
echtere, szenische Dramatik. Die Salome war die Farbe und die Landschaft,
die Elektra ist die Sprache und der Stil.
Der musikalische Stil der Elektra ist nicht mehr aus technischer Freude
zu erklären. Er ist selbstbewußt. Das symphonische Gemälde ist um seiner
selbst willen vorhanden. Rücksichtslos schildert es die seelischen Vorgänge
von erhabener Lyrik bis in die grausen Abgründe primitiver Leidenschaften.
Diese Musik scheint sich mit der zyklopischen Welt von Hofmannsthals
Dichtung auf Urgründen zu vereinigen, wo letzte Dinge noch unverdorben
lagern. In der eigentümlichen Sprache von Strauß treffen sich Zerrissen-
heiten flatternder Meinungen mit den großen Bogen innerer Erhebungen,
schreiende Dramatik mit weich fließender Lyrik. Er wühlt im Orchester.
Er ruft die Geister aller Listrumcnte, um tiefste Schachte durch sie zu
enthüllen, er zerstiebt sie, um sie Verwirrung stiften zu lassen, er bindet
sie, um ihre dämonische Suggestion zu erproben, er schneidet sie, um die
Wonne des blutigsten Schmerzes zu genießen, er dehnt sie zu Horizonten
und schärft sie zu Stichen, kocht und rast und schreit und klagt mit ihnen
in jener beschleunigten Passion, die sein Tempo, in jener wohlabgewogenen
Kontrastik, die seine Klugheit ist. Ungewöhnlich spricht seine Sprache,
keine überkommenen, verschlissenen Worte, sondern Neubildungen der
schaffenden Phantasie, keine Routine der verbrauchten Effekte, sondern
tief ausgeholte, vom erregten Geist zitternde Formen einer resoluten
Wahrheit. Die Bühnenstimmen stellen darüber in demselben neuen, er-
regten Pathos, zu furchtbar miterlebend, um Lieder zu singen, das letzte
Resultat der technischen Möglichkeit eines singenden Menschen, dessen
Ausdruck seine Kehle als Instrument benutzt. Motive weben sich, aber
bauen sich nicht unnatürlich, Erinnerungen flechten sich, aber stehen
nicht still. Im Leben der Kontraste taucht hier und da eine Phrase von
>• .■ -«uT^
l^'y- - - 1^'ctt.h. \^n
Handschrift von Strauß: Erste Seite der Salomepartitur
vollendeter Lieblichkeit auf, ein Stück Duett, ein sacht verklingendes Lied,
bisweilen fast ein Klang erholungsbedürftiger Untermenschlichkeit —
aber diese Gebilde existieren nicht für sich und um sich, sie sind Sprache
mit Assoziationen, wie Fluchen und Lachen, Schreien und Augenzwinkern
es sind, sie stehen als Motive seelischer Beziehungen in diesem Konzert, dessen
direkte und indirekte Ausdrucksformen kein Mensch wird trennen können.
537
Die Eigenheit des Elektra-Orchesters besteht in der \"erdreifachung
der Violinen, die man bisher meist nur in zwei Gruppen benutzte. Ihnen
entsprechen drei Bratschengruppen, zwei Cellogruppen. Die zweite Eigen-
heit ist die starke Heranziehung des tiefen Blechs, vier Tuben, Baßtrompete
(zu sechs hohen Trompeten), Kontrabaßposaune, Kontrabaßtuba: es ist
Nibelungenstimmung. Der tiefe, eherne Ernst dieses Milieus und seine
merkwürdige Zuspitzung in weiblichen Rollen spiegelt sich hier wieder.
In diesen Angelegenheiten ist Strauß Meister wie kein zweiter, und der Klang
seines Orchesters ist von einer so gewaltigen und doch wieder so süßen Fülle,
so einheitlich stark und doch wieder so gedämpft in allem Reichtum, daß
er durchaus im Verhältnis steht zu der musikalischen Sprache selbst. Noch
einmal: niemand wird in Elektra auch nur eine Stelle entdecken, die aus
dem Klange geboren ist. Der Stil hat den Klang unter sich bekommen,
die Sprache hat die Instrumente dienstbar gemacht. Dies ist die Ehrlich-
keit. Dies ist, wenn man will, der Fortschritt.
Im schlagenden Wetter scharf aneinander gesetzter Szenen rollt sich
das Stück ab, bei dem der Dichter des Textes weniges hinzugefügt, weniges
hinweggenommen hat. Die Unruhe der Mägde als Einleitung, noch etwas
unsicher. Der große Monolog der Elektra mit der Anrufung Agamemnons
als erste stehende Gewißheit : in weitem Bogen, in hohem Atem, in furcht-
barer Majestät. Erste Chrysothemisszene : gegen das harte, starke Wesen
der Elektra tritt die weichere Schwester, eine liebliche Dreivierteltakt-
schwester in welligem Es-Dur, das Leben rufend, im Leben klingend bis
zur seelischen Tanzekstase, die diesen einfachen, heiter aufklingenden Takten
schnell den Namen eines Chrysothemiswalzers gebracht hat. Folgt die
Klytämnestraszene: hohle, schaurige, gespenstische Schrecken, gelähmte
Harmonien, heisere Schönheit, dumpfes Brüten, geduckte Lust tierischer
Gier, das Irren eines Dämons, die Angst und die Feigheit, und die grausame,
ironische Rache, die ihr Elektra in einem Bacchanal des Blutes vor die Sinne
stellt. Zweite Chrysothemisszene: der Umschlag ins lebendige Leben,
Elektra saugt sich aus der unverbrauchten Schwester die Kraft zur Tat,
eine Erotik des Mutes, eine Liebesszene der Vergeltungswut, ein Aufrauschen
von Säften, die an den Tagen des Wartens schlummerten — wirklich etwas
von erotischer Farbe in diesem Stück voller Taten, ohne Liebesfreuden.
Jetzt die Erscheinung des Orest. Schweres Warten, Bangen, Ahnen, die
Erkennung, der Ausbruch, der stärkste Ausbruch des ganzen Stücks, ein
Händestrecken und Himmclschreien des Orchesters, das sich sanft legt,
sich in zartem As-Dur beruhigt, herunter und herunter, sich streichelnd,
sich wiegend, in einem wundervollen, zartmilden, herzholden Liede der dank-
baren Anrufung des Bruders. Türen geschlossen, ein Nichts, Schrei, Schrei —
es ist geschehen, und das jauchzende Triumphlied, der Opfertanz, der
Sühnetanz der Elektra, die ihr eigenes Opfer wird, wirbelt alles Elektrastarke,
Chrysothemissaftige, Orestbeseligende in eine sieghafte Schlußsymphonie
zusammen: eine glitzernde Krone, die sich das Schicksal aufsetzt.
Es bleibt ein bewundernswertes Werk, von der großen deutschen Kraft
absoluter Tonsprache. Die Gefahren der drei herrschenden Frauenrollen
sind durch die Disposition überwunden. Je weiter dem Ende zu, desto brei-
ter gibt sich die Musik, desto williger dringt sie auch ins Herz. Der Dampf
des Neuen, wie in der Salome um den Herodes, liegt hier um Klytämnestra.
Bei der Komposition stockte Strauß an dieser Stelle. Er wartete auf das
Fremde. Jetzt ist es in ungeahnten Impressionen da. Man sieht in braune
Abgründe, man riecht die tierischen Herrschermenschen, die einst da unten
wandelten. Zwischenwelten entstehen hier, bei Hofmannsthal zwischen
Gott und Tier, bei Strauß zwischen der alten seligen Wagneroper und
letzten Aufschlüssen über die medusenhafte Antike unserer Jahre. Die
Welten stoßen und durchdringen sich. Wohl fliegen Splitter und Meteore.
Aber es geschieht etwas : in äußersten Spannungen schafft der Geist. Wohin
führt es ? Ich lege das Band der Straußschen Werke hin. Während ich zu-
rückschreibe, arbeitet er weiter.
Die alte Humperdinckoper und die neue Straußoper traten einmal nahe
aneinander in den scharf folgenden Berliner Erstaufführungen der Königs-
kinder und des Rosenkavalier. Es war wehmütig, Humperdinck Lebewohl
zu sagen. Aber es trieb mich zu dem anderen, der den Stil, das Tempo,
die Unruhe, die Sehnsucht, die Geschäftigkeit, die Energie unserer Zeit
hat und seine Musik nicht mit freundlichem Lächeln laufen lassen kann,
sondern sie faßt und schlingt und schmiedet und feilt und nietet und baut,
sich am Orchester nicht bloß entzückt, sondern es zu letzten Erregungen
antreibt, die Stimme als bestes Instrument und den Gesang als Stil, Technik,
Form nimmt, als Form wie eine Farbe alter Formen, die er mit Bewußtsein
als Ornamente seinem Bau aufsetzt. Die Sehnsucht nach der Form streicht
durch die Luft, die Empfindung der Wahrheit können wir nicht lassen —
was ist das Ideal der geeinten Form und Empfindung in der Musik, durch
die Musik? Mozart. Mozart tragen wir auf unsern Lippen jetzt, wie wir
ihn längst im Herzen trugen. Mozart ist aus Schönheit Richtung geworden.
In einer anderen Weise, als sie der Liedersänger meint, soll der Ausdruck
in der reizvollen Form aufgehn, er die Wahrheit, sie der Stil, nachdem uns
Stil in allen Künsten, und auch in dieser, eine geschlossene Konvention
539
der Vergangenheit geworden ist, deren Gebundenheit ein Milieu schafft.
Hier liegt die Schwierigkeit : wir dürfen Mozart nicht nachmachen und wollen
mozartisch auf unsere Art sein. Wie verschmelzen wir das Bestehende und
das Werdende ? Strauß nimmt das Bestehende als Ornament, das Werdende
als Stil. Er macht nicht nach, er schreit nicht heraus, er baut, er montiert —
nur so kommt man ihm nahe.
Er will eine musikalische Komödie schreiben, die die Mozartsehnsucht
auf einen praktikablen Weg bringt, wobei die Komödie Nebensache, Haupt-
sache die Realität der Wirkung ist, deren entzückende, altwienerische Orna-
mentik seine Klugheit unterstreicht. Er bewillkommnet Hofmannsthals
Dichtung, die unter Humor und Lyrik ein Stückchen Liebesleben der Maria-
Theresiazeit in eine reizende, pointierte Fassung bringt. Schon ist das Milieu
der Zeit da und singt von selbst. Das Motiv der Überreichung einer silbernen
Rose vom Brautwerber für den Bräutigam an die Braut ist Musik. Daß der
Bräutigam, der Ochs, eitel wie ein Baß, zurückgestoßen ward und der Rosen-
kavalier, süß wie ein Sopran, zuletzt an seiner Stelle steht, ist Musik. Die
Gestalten sind Musik. Der Ochs von Lerchenau, ein dummdreister Geld-
jäger und Bauer, ein Don Quixote des Adels, ein Don Juan der Stallmägde,
ein Falstaff unter Seelen, ist so unmusikalisch, daß er ein Fressen für Musik
ist. Die Marschallin, Weltdame, ein wenig Kirche, ein wenig Prater, ein
wenig Amouren, mit dem entsagungsvollen Lächeln des großen Verständ-
nisses aller menschlichen Dinge, ist geborene Musik. Musik ist der junge
Page und Offizier, der Rosenkavalier, Cherubins Sohn, aber viel besser
erzogen und wählerischer in seinen Tugenden und Sünden. Musik ist die
junge Sophie, rührend, demütig, naiv und von allerfeinstem Stilgefühl.
Musik sind alle herumwimmelnden Figuren aus der großen Schublade der
Casanovazeit, Intriganten von Beruf, Friseure von Gewissen, Tenöre vom
hohen Ces, inkorporierte Kellner, dumme Notare, adlige Waisen, frühstück-
tragende Neger, betreßte Diener, genannt die Livree, und ,, verschiedene ver-
dächtige Gestalten". Musik ist der Rhythmus und die ganze Anlage des Stücks :
der erste Akt Lever der Marschallin, der zweite die große Auseinandersetzung
der beiden Bräutigams, der dritte die Chambre separec mit der Abführung
des Ochs und der Verlobung, genau im Quiproquo, in Verkleidungen, in Situa-
tionen, im Zu- und Ablauf der Personen aufeinander eingerichtet, daß es ein
kunstgemäßes Jonglieren wird mit wahren und falschen Erlebnissen, in
einer Sprache, die die dialektischen und kulturellen Lagerungen der Zeit
gar anmutig auf die Spitze der Zunge bringt und die Lippen feuchtet
vom Geschmack einer Genußfreudigkeit, für die es keine Unmoral gibt als
die Lächerlichkeit. Um die Marschallin davor zu schützen, wird Oktavian
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Qnie gegen 10 Ul)r.
Zettel der Uraufführung des Roscnkavalier
nach der Nacht mit ihr ein
Mädchen, in das sich der
hereinplatzende Lerchenau
verliebt — um den Lerche-
nau lächerlich zu machen,
gibt er ihm das Rendezvous,
der in dieser Nacht in ihm
den Mann und den Sieger
«rkennt. Symmetrie mit
Verkleidungen — sie war
altes Buffoprivileg und mag
bestehen, da uns die Ver-
tauschung der Kleider immer
noch weniger peinlich ist
als die des singenden Ge-
schlechts.
Unausgeglichene Reste
finden sich beim Übergang
der Dichtung in die Musik.
Hofmannsthal schreibt aus
Liebe zu einer Musik, die
leise in ihm klingt, aber
tiicht immer mit praktischen
Kenntnissen der Wirkungs-
möglichkeiten dieser Kunst,
die klar und eindeutig blei-
ben. Bei dem literarischen
Ehrgeiz unserer modernen
Oper, die Texte von Maeter-
linck, Schnitzler, Wilde,
Hofmannsthal ungeändert,
nur gekürzt komponiert, muß dies einmal zur Sprache gebracht werden. Die
Musik arbeitet gewisse Stimmungshintergründe aus, die in fast jeder Situation
liegen : selbst in sehr realen, wie der erste Akt von Charpentiers Luise zeigt.
Sie kommt mit den Worten am besten aus, wenn diese die Akzente der
Handlung scharf zusammenfassen, im übrigen sich in leichter Lyrik ergehen.
Nur-Musiker, wie Mozart und Verdi, wußten es sehr genau. Zudem hatte
die alte Buffooper den Vorteil, alles Gedankliche und Handelnde in die
Sekkorezitative oder Sprechdialoge zu stecken und sich musikalisch auf lyrisch
»utthmttn.
Cpirtltt In bifi Htlrn Stum dos
llnfang ';,M D1)r.
Csanabrab. brn 28 3aDuar Xn 0)«|f>*
f«t>allcr. (tDinDbK in brd lufiOgro WuM
DOB tllid)aib 6tiaub flif»! 0 O^t.
541
freiem Felde zu sammeln. Gerade weil wir das nicht mehr wollen oder
können, muß der Text heut auf alle Sachlichkeiten verzichten, die über den
Dialog gestreut sind. Vielleicht wird der Inhalt dadurch in der Lektüre
nicht so eingänglich, in der Aufführung ist es zehnmal besser, einen skiz-
zierten Inhalt als unverstehbare sachliche Texte zu hören. Es liegt so viel
daran! Verhandlungen mit Notaren, polizeiliche Feststellungen, Entwick-
lungen von Mißverständnissen, Witze mit Personen, sentenziöse Gedanken-
spaziergänge — das ist gut für den gewissenhaften Dichter Hofmanns-
thal, für Strauß ist es eine Hemmung. Mit unerhörter Meisterschaft hat
Wagner ähnliche Schwierigkeiten, die er sich selbst in den Meistersingern
bereitete, überwunden. Er hat das Orchester so schön und amüsant spielen
lassen, daß man die Sachlichkeit der gesungenen Dialoge überhört. Wahn — ist
Musik. Die Schuhprobe — ist Musik. Das Herbringen von Walthers Kleidern
ist keine Musik. Wir wollen dies jetzt ganz scharf nehmen, es wird Zeit.
Ich habe gesagt, was bei Hofmannsthal Musik, was bei ihm nicht Musik
ist — dieses wird darum poetisch nicht kleiner, jenes aber auch nicht. Ver-
ständigungen beginnen zwischen Text und Musik. Die Buchausgabe des
Textes, die Textausgabe und der Klavierauszug haben heut noch oft ver-
schiedene Fassungen. Ochs singt von den Typen seiner Mägde. Es heißt
im Buch so stark: „und die herentgegen, der sitzt im Aug' ein kalter, harter
Satan, aber trifft sich schon ein Stündl, wo so ein Aug' ins Schwimmen
kommt, und wenn derselbe innerliche Satan läßt erkennen, daß jetzt bei
ihm Matthäi am letzten ist, gleich einem abgeschlagenen Karpfen, das ist
schon, mit Verlaub, ein feines Stück, kann nicht genug dran kriegen." Der
Klavierauszug vereinfacht diese teuflisch schöne Stelle, bringt andere Mädel,,
andere Akzente, schiebt vor, läßt aus, es gibt genug Stellen, die das Blut
dieser Kämpfe noch zeigen. Die Literatur und die Musik schlagen sich bis-
weilen freundlich ihre Köpfe ein. Dies ist das einzige Bedauerliche. Es
hätte der Oper manche gefährliche Stelle erspart, manches Experiment
mit gleichzeitig zusammengehaltenen Parlandi, manchen unwirksamen Kniff,
Musik über Nichtmusik zu gießen, manche Mattheit in der Erfindung,
und auch manches Mißverständnis der Beurteiler. Ich sage das geradheraus,.
weil ich vom Rosenkavalier entzückt bin und mir denke: ein paar freund-
schaftliche Gespräche, und es wäre schlackenlos geworden. Diese beiden
großen Geister (sonst war immer nur der eine groß) brauchen einen dritten,
der sie aufeinander einrichtet, weil sie aufeinander passen. Mozart ist tot.
Sie haben ihn nicht sprechen hören.
Strauß hat sich noch nie einem Drama so hingebend in die Arme gewor-
fen. Salomc war ein Klang, Elektra eine Symphonie, hier ist er auf seine
besten Bezirke in der Feuersnot zurückgegangen, die so aus Pathos und
Ironie gemischt war, daß er sich damals nicht ganz zurechtgefunden hat.
Hier war es einfacher. Er stand vor einem einheitlichen Werk, er lenkte
sein Stilgefühl auf eine neumozartsche Schlichtheit und Delikatesse, er
streute Musik auch über das Widerstrebende, aber er streute sie ohne große
symphonische Gebärde und mit einer erlaubten Bewußtheit des lieblich
Formalen, das in der gelungenen Humoreske des Till Eulenspiegel, in der
zweifelhaften Parodie des Don Quixote schon schüchtern, als legendarischer
Refrain, aufgeblinzelt hatte. Er hält das Orchester, bei aller Klangfeinheit
und Instrumentenwitzigkeit, zurück. Er gibt der Stimme eine viel selbstän-
digere, gesanglich frohe Haltung, bis zur stilvollen Koloratur, bis zum Opfer
der Deklamation an den schönen Verlauf der Melodie. Er karessiert die En-
sembles und die Tanzlieder. Gewiß, er kann nicht archaistisch schreiben,
er hat kein Amt, das achtzehnte Jahrhundert zu schildern, wie es war, nur
wie wir es empfinden, er schreibt seine Straußsche aus gut geprägten Motiven
leicht und geistvoll gezimmerte, an Einfällen besonders reiche, immer fließende,
von letzter künstlerischer Feinheit gelockerte, sprühende, blitzende, bald
in einer eigentümlich milden Strenge, bald in einer verschämten Rührung
scharf geformte Musik, aber er setzt in ihr Gewebe Ritornelle, Romanzen,
Frühstücks- und Soupertänzchen und unerschrockene Wiener Walzer ein,
die mit einer unwiderstehlichen Ornamentik uns bewußte Erinnerungen
an alte Formen vermitteln: Farben von Formen, wer ihn kennt. Ihre geist-
volle Behandlung, ihre Nuancierung durch bestimmte Instrumentenkolo-
ristik, ihre Überleitungen in das eigentliche Drama hinein, der Ausklang
des schmerzlich-komischen zweiten Aktes in Dreivierteltakt, die Blamage
von Ochs in der grotesken Brutalität desselben Walzers — Straußens Klug-
heit versteht die Ursache zu finden, ohne die Wirkung zu verlieren. Dies ist
im Wesen seiner Kunst niemals stillos.
Aber das wichtigste Geständnis: ich bin noch nie so einfach musikalisch
warm bei ihm geworden. Ich sage nicht : er ist warm, aber er trifft die Wärme,
weil er sich dem Stoff, wo er schlicht und herzlich wird, ohne jeden Rück-
stand anschmiegt. Gewiß, die parodistische Überschwenglichkeit der
Marschallin-Oktavianszene am Anfang ist ergötzlich, das große Lied des
Ochs von seinen Mädels (bis auf das langgezogene F über das Wort „Heu")
ist in seinem rasenden Sechsachteltakt sehr humorvoll, die silbern zarte,
punktiert verschlungene Überreichung der Rose ist reizend, die Duette der
jungen Leute sind ein Genuß, die Vermummungsmusik des letzten Aktes,
wenn sie weiterhin auch etwas verblaßt, ist sehr launig — aber so nahe ge-
kommen wie in den Schlußszenen des ersten und dritten Aktes ist er uns
543
allen noch nie. Was Stil und NichtStil, Lied und Nichtlied, Humor und
Nichthumor — hier ist Musik von wärmster, tiefster Innigkeit und Schön-
heit, die wie ein Kristall aus dieser ganzen- Farce herauswächst. Hier ist
Zukunftslinie unserer Oper: nichts Entbehrtes aller unserer Verwandlungen
und doch ein Einfach-Wahres, Orchester, Stimme, Szene, das plötzlich die
unvermutete Lösung großer Verwirrungen zeigt. Die Marschallin in der
leichten Wehmut ihrer letzten Liebe — die Marschallin als Stifterin des
neuen Glücks : das sind die Musikzentren dieses Werks. Wiener Volksklänge
streichen durch die Luft, der Duft des Praters steigt in heimlichen Walzer-
terzen auf, die Gebärden des großen Pathos verklingen in der Erinnerung,
man hofft und singt und lacht ein wenig — merkt ihr was ? Der gefoppte
Ochs ist hinaus. Die drei bleiben zurück: die Marschallin, Oktavian und
Sophie. Sie wissen nicht recht, wie sie das sagen sollen, was sie da zu sagen
haben. Ich weiß gar nicht, sagt er — ich weiß auch nix, gar nix, sagt sie.
Und nun lebt in jedem von ihnen eine Musik auf, die sie aus sich heraussingen,
breit und schön und voller Melodie und getragen von quellenden harmo-
nischen Steigerungen, und diese Musik führt sie, die nichts mehr zu sagen
wußten, während des Terzetts zueinander, und sie singen sich die Wahrheit
ineinander, der Ton rauscht auf, sie nehmen sich die Motive ab, sie ver-
flechten sie und tragen sie in eine himmlische Höhe, die wir seit dem Quintett
der Meistersinger nicht erstiegen. Aus dem jubelnden Orchesterklang
bleibt eine alte rhythmisch einfache G-Dur-Begleitung übrig, zu der das
junge Paar, zurücktretend, im Halbdunkel einiger Kerzen ein altvaterisch
schönes Liedchen singt, wie den lächelnden Refrain dieser ganzen Geschichte.
Ein weiß Taschentuch bleibt auf dem Boden liegen, ein schwarz Mohrlein
holt es. Husch, husch, hinauf, plink, plink — Schluß.
Das letzte Werk von Hofmannsthal und Strauß einfach als eine Abend-
unterhaltung zu nehmen, ist zu wenig — es ist ein künstlerischer Prozeß,
der sein Interesse hat in der Entstehung, der Aufführung und dem Resultate
dieser Arbeit.
Hofmannsthal übersetzt den Bourgeois gentilhomme, er streicht die ganze
Geschichte mit dem Liebespaar und den türkischen Verkleidungen, moderni-
siert einige Stellen, fügt anderes hinzu und statt des Ballet des nations, das
im Original den Schluß bildet, wie irgendein Ballett jeden Aktschluß macht,
entschließt er sich, eine neue Oper zu schreiben, die Ariadne auf Naxos,
zusammengebracht mit einer Buffoneric, die das Ernste zugleich verspotten
will. Nun bereitet er diese merkwürdige Ariadne-Aufführung, die dem
Jourdain vorgemacht wird, durch das Stück selbst schon vor und erklärt die
544
Stern: die Dryade aus Ariadne auf Naxos
Mit Genehmigung der Firma Adolph Fürstner, Berhn W.-Paris. Copy-right 1912 Adolph Fürstner
Mischung von Seria und Buffa, die ihn reizt, als einen bequemen Wunsch
des biederen Parvenüs, der der Meinung ist, alle dienen ihm, während er
in Wahrheit den anderen dient. Wie einst Lully zu Moliere, soll jetzt Strauß
zu diesem Moliere-Hofmannsthal die Musik schreiben, alles Einleitende, Be-
gleitende und die Oper selbst. In der Arbeit wächst Strauß weit über seine
Vorlage hinaus. Er macht reizende Ouvertüren, ausführliche sehr graziöse
Musiken zu der Menuettszene, zum Fechtmeister, zu den Schneidern, zum
Essen, komponiert die Proben, die die Sänger in Arien und Duetten von ihrer
Kunst geben, und endlich die Ariadne selbst, Seria und Buffa durcheinander,
in der Ausdehnung von etwa anderthalb Stunden. Er erfindet sich ein neues
Orchester, klein und fein, kammermusikalisch, etwa das Mozartorchester mit zu-
gefügtem Klavier, Harmonium, Celesta und Harfe. Und schwelgt nun noch
sonderlich in diesem zauberhaften Klange, unbekümmert um die Proportionen,
die seinem Anteil einen gewiß berechtigten, aber übermäßigen Vorzug geben.
Jetzt kommt die erste Stuttgarter Aufführung. Es stellt sich heraus,
daß das Ganze vier bis fünf Stunden dauern würde, eine Zeitspanne, die
nicht zu lang wäre für die von Moliere bis Strauß überbrückten Jahrhunderte,
aber wohl zu lang für die Verhältnisse eines leicht und heiter geschriebenen
Stoffes. Man beginnt den Prozeß der Entstehung zurückzuzerlegen. Es
wird ein Schlachtplan von Strichen, wie er noch niemals dagewesen ist. Das
Übergewicht hat Strauß. Seine Einleitung zum zweiten Akt, die Schneider-
musik, die Tafelmusik erscheinen als die anmutigsten und tänzerischesten
Eingebungen, die er je gehabt, so gewinnend melodisch und rhythmisch
beschwingt, daß sie nicht fallen dürfen. Der Fechtmeister, der Tanzmeister
darf es ebensowenig, das gibt Verve. Von den Gesängen versucht man in
der letzten Probe das Duett zu streichen, das zwei Primadonnen dem Jourdain
vorführen, in der Premiere setzt man es wieder ein. Die Oper selbst scheint
ein Wunder von Klang und Schönheit. Der Rotstift wird zaghaft. Ihr Vor-
spiel ist von einer altertümHch strengen Trauer, das erste Terzett der Nym-
phen vielleicht etwas künstlich, aber es ist so verzahnt, es kann nicht fallen,
und Ariadnes Klage muß bestehen, und der Schluß, da Bacchus zu ihr kommt,
ist von so eigenartigem harmonischen Reiz und so gesteigert und aufrauschend
und tönetrunken, wie er kaum in natürlichem Empfinden bisher etwas
schrieb, geklärte Salome, vertiefte Elektra, man fühlt: dies ist der Abend,
dies ist alles und das Ganze. Wenn wegzunehmen ist, geht es nur in den
eingeschobenen Buffoszenen. Die große Arie der Zerbinetta, eine richtige
Koloraturarie, in der die Koloratur die Laune der Verliebten zeichnet, stil-
volles Ornament wie der Walzer im Rosenkavalier — sie ist so namenlos
schwer, unnötig schwer, sie läßt sich beschneiden. Und von den Buffo-
545 35
ensembles ? Das erste, ein entzückendes Tanz- und Singestück, das muß
bleiben. Das zweite, eine rhythmische Komödie der Liebe Zerbinettas
zu Harlekin und der Eifersucht der anderen, ein großes, schönes Stück —
man entschließt sich und schneidet es heraus. Es bleibt nur ein Walzerfetzen
übrig, den niemand mehr verstehen kann. In späteren Aufführungen setzt
man es teilweise wieder ein und kürzt dafür Moliere so, daß die eingelegte
Oper ihn jetzt an Zeitdauer übertrifft. Die Geschichte dieser Oper ist eine
Geschichte der Striche.
Hofmannsthal wollte einen Operntext schaffen, der aus der tiefen Sym-
bolik Ariadnes, die den Todesgott erwartet und ihren Liebesgott findet,
aus dem Widerspiel der kolorierten Buffowelt ein seltsam tragisch-komisch-
lyrisches Poem gewinnt und doch der Musik knappe Unterlage bietet. Das
brachte ihn oft in Bedrängnis, es drückt zu sehr auf Worte und preßt zu sehr
Szenen. So geht seine Idee, daß Bacchus vor Ariadne Circe besuchte, die ihn
nicht vertieren konnte, als Vorgang gänzlich in Ensembles und Fernsingen
unter, sie wird musikalisch nur als symphonisches Motiv fruchtbar. Aber
hier sind Wege zu einer Ehe der Opernsprache mit der vertieften kosmischen
Lyrik unserer Zeit, die ebenso zukunftsvoll sind, wie sie den Banausen ver-
schlossen bleiben. Gelungen ist es noch nicht, es fehlte wieder der Rat des
Dritten, der weiß, was Hofmannsthal will und was Strauß kann. Jener sieht
das Ziel nur in verschleierter Ferne, dieser im Eifer der Leidenschaft um-
armt ihn zu früh. Um so zweifelloser ist die Arbeit Hofmannsthals in aller
dramatischen Verknüpfung, im Eingang und Ausgang seiner Ariadne inner-
halb Molieres. Aber das Unproblematische muß am ehesten dem Zwang der
Proportionen weichen. Unter dem Druck der Straußschen Musik haben sich
die Verhältnisse des Stückes in der Aufführung mit allen möglichen Ver-
schneidungen und Verschiebungen des Hofmannsthalschen Einsatzes so ge-
wandelt, daß vom Ausgangspunkt der Arbeit das Gewicht ganz nach dem
Endpunkt gerückt ist. Jetzt muß die Frage aufkommen: wozu überhaupt
noch Moliere ? Er hängt nur noch an den Fäden der illustrativen Musik.
Jourdain hatte sich die Musik als sein Werkzeug bestellt, jetzt nimmt ihn
diese Musik zu dem ihrigen. Das ist etwas wie ein ungewolltes Bild aller
Operngeschichte.
Aber es ist noch mehr als das Bild der Geschichte, es ist das Bild des Wesens
der Oper selbst, aller ihrer Widersprüche, die heut mit einer anarchischen
Libertinität, jeder in der Kraft seiner Refle.xion, nebeneinander treten.
Ein leichter Stoff in der schwersten Ausführbarkeit, die Ehrfurcht der alten
Literatur und die moderne Bearbeitung, der Dichter zum Teil in der Nach-
ahmung des Klassischen, zum Teil in den letzten symbolischen Gängen
der Gegenwart, der Komponist mit einer Neigung zum Archaisieren und
doch in der Icühnsten Handschrift seiner jüngsten Entwicklung, die antikische
Seria gemischt mit der ewig jungen Buffonerie des italienischen Theaters,
Drama und Oper, Dialog und Musik, Einlagen gesungener Proben, alles Melo-
drarhatische und höchst Opernhafte, die Nachbildung des alten Rezitativs,
der Arie, der Koloratur, des Ensembles und wieder das peinliche Gewissen,
der Psychologie, ein kleines Orchester und ein ganz großes symphonisches
Empfinden — einst war eins in allem, hier ist alles in einem. Es ist wie ge-
schaffen, um das Schlußstück des Bogens zu bilden, den die moderne Oper
beschreibt: der Zwang jenes ewigen Kreises aller Oper, als Bewußtsein,
das den Stil aufhebt, die Gattung zersetzt und die Irrationalität aus ihrem
Traume weckt.
Schhiß
NUN bin ich fertig — soweit man fertig ist mit einem Stoff, der fließt.
Während ich über die moderne Oper schreibe, treten andere hin : Dulcas
mit Ariane et Barbe-Bleue (etwas substanzieller als Debussy) wird allgemeiner
beachtet, Waltershausen mit dem Oberst Chabert stellt sich als Begabung
scharfer Modernität vor, Mrazek taucht Grillparzers „Traum ein Leben"
in üppigste Musik, Bittner probiert die Volkstümlichkeit, andere da und
dort zwischen italienischer Gesangsfreude, französischer Delikatesse, deutscher
Schulgläubigkeit arbeiten — nach allen Himmelsrichtungen der Oper. Ein
Buch kann ihnen nicht so schnell folgen, das ist sein Vorteil, es wartet auf
das Eingesessene. Es kann auch der Wissenschaft nicht so schnell folgen,
die den Bestand der Kenntnisse alter Opern verändert und erweitert —
das ist sein gutes Recht in diesem Falle. Denn es ist hier noch viel Gestrüpp,
das für Bekenntnisse nicht frei ist. Lange glaubt man, Hasse sei für Gluck
der wichtige Mann gewesen, dann erscheint eine italienische Biographie
von Pergolese, und auf einmal ist dies der' wichtige Mann. Und so fort in
jedem neuen Monat. Wozu darüber diskutieren ? Die Spezialgelehrten muß
es geben, und sie erfreuen sich höherer Achtung als wir Kinder des Lebens.
l^ur als ein Bekenntnis — so nehme man das Buch. Wem das genug
ist, der ist mein Freund und wird gern übersehen, wo irgendein Fleck stehen
geblieben sein mag. Wem es zu wenig ist, der wird die Wege wissen, auf denen
er in die Gelehrsamkeit steigt. Es gibt Schriftsteller, die mit ihren Quellen-
angaben und Kritiken unter dem ersten Buch ein zweites schreiben. Ich
hasse diese Doppelläufigkeit. Was man zu sagen hat, kann man in einem
sagen. Was man lesen will, muß man in einem lesen. Das Material in unserem
547
35"
Oskar Bie. Zeichnung von Caruso
Gebiete ist schnell gefunden, wenn man
Lust dazu hat, es weiter zu verfolgen. Im
neuesten Band des Riemannschen Handbuchs
der Musikgeschichte oder in der Leichten-
trittschen Neuauflage des vierten Ambros-
bandes findet man den sogenannten Stand
der Forschung über die älteste Oper. Im
Riemannschen Opernlexikon steht die Sta-
tistik aller Komponisten, Stoffe, Werke, in
Neitzels Opernführer die Analyse einiger
wichtiger Stücke, in Riemanns Musiklexikon
alle Daten und die ganze Literatur über alle
Autoren und alle Geschichte. Die Schriften
von Pougin, Malherbe, Jullien geben genug
Spezialia für Frankreich. Die Werke selbst
sind in oft sehr philologisch durchgearbeite-
ten Ausgaben der populären Verleger vor-
handen, Partitur und Klavierauszug. Be-
sonders sei nur auf Sammelbände hingewiesen, in denen interessantes Material
versteckt ist: die alten Ausgaben von Gramer, der Gesellschaft für Musik-
forschung (Eitner), die Chefs d'öeuvres für Paris, Pedrells Teatro lirico für
ältere spanische Opern, die verschiedenen Denkmäler deutscher, österreichi-
scher, bayrischer, englischer Tonkunst und der vereinzelten italienischen:
Torchi, arte musicale. Von Neuausgaben einer großen Anzahl seltener und
wenig bekannter älterer deutscher, italienischer, französischer Spielopern ist
die Senffsche Sammlung unter Auszeichnung zu nennen, die jetzt in den
Besitz der Wiener Universal-Edition übergegangen ist. Interessant sind die
alten Simrockausgaben, wenn man sie noch mal zusammen findet, für den
Geschmack der Zeit charakteristisch. Nicht zu übersehen sind die teilweisen
oder ganzen Neudrucke ältester Opern, die den historischen Studien von
Hugo Goldschmidt (z. B. die Monteverdische Incoronazione di Poppea) und
anderen beigegeben sind. Das ist ja alles so leicht zu finden, wenn man
nur nachsteigt. Aber wenige tun es. Die Musik ist noch so lebendig.
Lebendig — ich hoffe, daß in diesem Buch, auch wo es historisch werden
muß, genug von diesem Leben übrig blieb. Ich hoffe, daß ich selbst lebendig
genug war und die Oper nicht als mehr oder als weniger nahm, als sie ist.
Sie war mir ein Gleichnis. Im Trubel der Großstadt habe ich es geschrieben.
Hätte ich mit der Natur gelebt — ich hätte es nicht zu schreiben brauchen.
548
Nachtrag zur zweiten Auflage
DIES alles soll Im wesentlichen stehenbleiben. Es war der ganze Aus-
druck jener Zeit, an die ich nach den feindlichen Zwischenjahren mit
Entzücken zurückdenke. Manches Persönliche, ja manches Kritikererlebnis
stand darin, dessen ich mich so wenig schäme, wie sich Stendhal, mein
Vorbild, solcher Aktualitäten geschämt hätte. Manches Sachliche hat sich
unterdessen erfüllt, wie zum Beispiel Mozarts „Gärtnerin" wieder bekannt-
geworden ist, von der ich selbst eine einaktige Bearbeitung wagte. Nur
das Kapitel Caruso habe ich weggelassen. Es hat sich irgendwie ausgelebt.
Es ist Erinnerung und Besitz geworden, wie es ein Kapitel Niemann oder
Lilli Lehmann geben müßte und viele solcher neuen Kapitel heute entstehen.
Ich reiße dem Sänger die sechs Seiten, die er hier beanspruchte, vom Leibe.
Die Zeit ist rationiert. Ich brauche sie für das Schöpferische, für die letzten
Regungen der Oper, die kurz verzeichnet sein sollen, soweit es bei dem
gestörten Weltbetrieb möglich ist. Sie ändern das Bild meines Buches nicht,
sie verlängern es nur.
Kienzl trat auf mit dem „Testament", das mit vielen Geschicklichkeiten
und ebenso vielen Stilen nur zeigte, wie das Volksmäßige Kostüm in einer
Oper werden kann. Die „Schneider von Schönau" des holländischen Kom-
ponisten Brandt-Buys wurden beachtet, weil sie in einer gewissen kammer-
musikalisch verfeinerten Arbeit sich um billige Wirkungen des Humors .
brachten. Humperdinck griff noch einmal zur Feder, um in seinem „Gaude-
amus" auf einen erschreckend volkstümlichen Text von Misch Erinnerungen
an studentische Weisen zu verewigen. Oberleithner schuf im „Eisernen
Heiland" eine so rutiniert gemischte Kunst, daß man in Verlegenheit war,
ihm Prädikate zu geben, dafür aber den sicheren Wechsel auf ungemein
verdiente Popularität zuerkannte. Leo Blech stellte aus seiner alten Oper
„Alpenkönig und Menschenfeind" die neue „Rappelkopf" her. Raimund
war schon vom damaligen Textdichter Batka verwagnert worden. Statt
der menschlichen, allzumenschlichen Posse mit Gesang und Tanz : Erlösung.
Hülsen half in diesem Sinne weiter. Und Blech komponierte sich in die
Höhe solcher musikalischen Gefühle. Aus dem Maler war ein Musiker ge-
worden, aus dem Köhler ein klarinettierender Tischler, das Dienerpaar
treibt Operette. Blech erfand köstlichen Humor um diese Niederungen,
der unverändert stehenblieb. Die Änderungen beziehen sich auf die ernste-
ren Partien. Im ersten Akt singt der junge Liebhaber die schöne Stelle
von der Befreiung Rappelkopfs in die Höhe. Hier auf der Höhe ist die
große Szene zwischen Rappelkopf und Alpenkönig neu gemacht, ganz in
549
Gefühl getaucht, etwas entwagnert, mehr verchristlicht, ohne jede Spur
der Schärfe Raimunds — die neue Musik hat nicht mehr das übereifrige
Gewissen der Motive, sie hebt sich frei und beschwingt im Gesänge und
führt zu Höhequellen der Wirkung. Die große Szene des zweiten Aktes
wird dadurch tief und edel. Dieses ist der Status der Oper, der für musi-
kalische Entwicklungsgeschichte bezeichnend wird. Die singspielhaften Ele-
mente, die wagnerschen Einflüsse, die neuen Hochführungen liegen neben-
einander märchenhaft gebettet. Letzte Technik zeigt sich in allem Akusti-
schen, unsichtbare Chöre mit Soloinstrumenten, Schichtwechsel und
Farbenisolierungen des Orchesters, geschickte Überwindung der musi-
kalisch gefährlichen Vcrstellungsszene in Motivspiegelung, Melancholie,
Rappligkeit, Polka und Philosophie in scharfen und knappen Wechselungen.
D'Albcrt steht jetzt bei der brutalen, effektuösen Pracht des „Stiers
von Olivera". Von seinen vielgespielten „Toten Augen" ist etwas zu sagen,
weil das Stück in den Opernbetrieb hineinleuchtet, textlich und musikalisch.
Der Ewerssche Text hat eine gute Grundidee (obwohl sie nicht neu ist
und in mehr als einem Drama Verw^endung fand). Die Blinde wünscht sich
sehend, um ihren Geliebten auch durch das Auge zu genießen. Nachdem
sie das Augenlicht wieder erlangt hat, verflucht sie es, weil der Geliebte
häßlich ist. Moral: die blinden Illusionen sind besser als die sehenden
Wahrheiten. Gewiß auch musikalisch, auch dramatisch. Aber aus der
guten Idee wurde ein Rattenkönig von Unwahrscheinlichkeiten und Schief-
heiten, musikalischen und dramatischen. Vorspiel und Nachspiel bringt
den Hirten, der das verlorene Schaf wiederfindet. Wo ist im Stück das
verlorene, gerettete Schaf? Das Gegenteil ist: die Blinde wird rückfällig
von Christus, der sie heilte, um statt der Demut der Wirklichkeit dem Reiz
der Illusion zu dienen. Und weiter: hätte sie je Christus geheilt? Christus
heilte nur solche, die geheilt blieben, weil sie es verdienten. Und weiter:
ist es gut, daß eine so zartbesaitete Blinde (eine so musikalisch empfindende)
den Mann und den Liebhaber nicht unterscheidet, gleichviel, ob sie sieht
oder nicht? Und gar: warum sagt ihr die Dienerin, daß der Häßliche, der
den Schönen totschlagen will, ihr Mann war? Keine Halluzination kann
ihre dramatischen und musikalischen Irrtümer erklären. Ich spreche nur
von dieser inneren Wahrscheinlichkeit. Äußere brauche ich nicht. Aber
die innere fällt, Gott weiß, vor mir zusammen wie ein Kartenhaus. Und
Wahrheit, Wahrheit braucht die Musik. Gleichwohl bleiben wirksame
unzusammenhängende Bilder: die schöne, blinde Frau, die Ahnung des
vorbeiziehenden Heilands, die Katastrophe der beiden Männer, das sünd-
hafte Wiedersehen, das ekstatische Wiedcrblindwcrdcn und der patriarcha-
lische Hirtenrahmen. Geschickt verteilt! Die Musik ist verschiedenartig.
Es gibt Stellen im Orchester, beim Sehendwerden, beim Blindwerden, die
eine starke, neue Polyphonie offenbaren. Es gibt Motive, bei der Blinden
gegen ihren Mann, zuerst und zuletzt, die von süßer Melodik sind. Es gibt
ganze Strecken von sehr ernster und zielvoller Arbeit, und reizende Kleinig-
keiten, wie das Bilitislied. Anderes ist abgeflacht : das Motiv von Christus
ist alte Geberde. Die Scherzoepisode eines Salbenschwindlers ist künstlich.
Das Amor- und Psychelied ist — Leoncavallo. Es mischen sich Tiefland-
stil, allgemeiner Puccini und schöne Neuheiten, nicht ohne Straußsches
Vorbild. Was man eklektisch nennt. Nirgends aber ist ein gewollter bib-
lischer Stil getroffen. Das Lämmerlied des Hirten ist von unpassender
Weichlichkeit. Das Weichliche, Klingsame, Duftvolle, Blütenfarbige herrscht
vor, ist aber nicht stark genug für zwei Stunden, so daß Ermüdungen ein-
treten. Doch hält der Rausch des Klanges vor. Es wird Musik gemacht.
Es ist eine Oper. Etwas mir fremd Gewordenes.
Zu lange blieb ich bei diesem typischen Fall. Opern stehen und fallen
mit den Jahren. Manche stellte ich mir für diesen Zweck auf, sie sind ge-
sunken. Ich denke an manches Spiel der Anmut und Heiterkeit zurück,
an Graeners reizend leichtes ,, Letztes Abenteuer Don Juans". Ich hörte
die ,,Dame Kobold" Weingartners und fand das Problerfi interessant, die
Polyphonic zweier Zimmer zu schaffen, wobei er zwischen galanten Maßen
und naturalistischen Forderungen so hin und her schwankt, wie es zwischen
Calderon und Mozart sich ergeben muß, bis er in den Ensembles und der
Liebesszene Höhepunkte seines graziösen Stils erreicht. Das entzückendste
dieses Genres aber blieb Wolf- Ferraris ,, Liebhaber als Arzt", nach Moliere —
er übertrifft in seiner Musik seine ganze Vergangenheit. Geistig elastischer
und reicher als die „Donne curiose", in der Gesinnung reiner und einfacher
als „Der Schmuck der Madonna", ist dieses Werk ein Kabinettstück der
ganzen Literatur, ein würdiges Falstaffkind, musikalisch von unendlich
üppiger Phantasie und doch die leichte Frucht des Südens. Nirgends ist
geschwätzige Breite. Alles hüpft und tut sich schnell ab, genießt sich einen
Augenblick, verachtet Geschrei und Pathos, fliegt in die Haine sonniger
Rasen und bunter Falter, vergnügt sich mit guten, freudigen Menschen,
lacht über die Laster und hat alle Moral gesunder Zufriedenheit. Die Liebe
zieht in sanft welligen Harmonien dahin, ein Ständchenmotiv versteckt sich
unter Weingerank, der Klage der Lucinde antworten Echolüfte, die Ärzte
stolpern eine gelehrte Thematik, der Spaß mit ihrer Wissenschaft kichert
in einem reizenden, schlagenden Vogelmotiv, das chromatische Jammern
des Anfangschors erleichtert sich in einen Schlußtanz, Akkorde purzeln
und drängen sich unter Zurufen der Bläser, Melodien verflüchtigen sich
spieluhrenhaft in Himmelspassagen, Sechszehntel verschlingen sich zu
archaistisch imitierten Sequenzen, hier hüpft eine Triole, hier pickt ein
Vorschlag, dort kichert ein Triller, und wundervolle Pausen lassen des Herzens
Atem hören. Dabei ist alles neu und glitzert von frischer Farbe, letzte Ein-
fälle jüngster Zeit, der Stil des Modernen und das Gewissen der Originalität.
Schwer ist es an Arbeit — leicht an Genuß.
Als Probe der Roman-Veroperung und moderner Symphonistik folgt
Franz Schmidts „Notre Dame". Der Victor Hugosche Roman, dem er
seine Oper entnommen hat, ist ein großes gotisches Kulturbild, in dem
die Menschen nur Staffage bilden, alle wohl außer Gringoire, dem schick-
salsreichen Studenten. Eine Oper ist in Verlegenheit, dies Menschliche
herauszuholen. Gringoire selbst wird zu einer Nebenperson, seine schöne
Geschichte schrumpft zur beliebten Erzählung zusammen. Esmeralda wird
Hauptfigur. Aber was ist an ihr Menschliches ? Das verfluchte Amulett
verhindert sie, sich Männern hinzugeben, Leben zu genießen. So bleibt
sie Instrument, ohne psychischen Reiz. Von vielen Männern ist sie um-
worben, vom Erzbischof, vom buckligen Glöckner, vom eigenen Strohmann,
vom Offizier Phöbus. Jeder erhitzt sich an einer Dämonie, die nicht vo:-
handen ist. Bilder von Farbe bleiben übrig: der Bucklige, der sie in weißem
Mondlicht auf der Galerie des Notre-Dame-Turms umschützt. Phöbus,
in dessen strahlendes Gold ihr Märchensinn untertaucht. Bilder, Szenen,
Intermezzi, nicht genügend, einen Lauf von Leidenschaft rollen zu lassen,
ein Drama aus einem Roman zu entwickeln. Das Menschliche ist es, was
hier fehlt, das Herzzerreißende, das Erschütternde, das uns selbst irgend-
wie Verwandte. Und Kulturgeschichte genügt nicht für eine moderne
Oper. Schmidt umfängt die Szenen mit üppiger Musik und entzündet
Zwischenspiele in den vielen Verwandlungen. Er ist kein Dramatiker, taub
gegen die großen Akzente, die das Drama verlangt, gegen die einfachen
Linien, denen die heutige Oper unbedingt zuströmen muß. Er ist ein Sym-
phoniker. Ein gewaltiges Tönespiel entfaltet sich in allen Künsten moderner
Technik. Es klingt herrlich. Es weist Farben von eigenem, mystischem,
sattem Klang. Aber es bewegt sich im wesentlichen harmonisch; das melo-
dische Empfinden ist schwach. Nur in einigen regelrechten Themen kon-
zentriert es sich. Das Sehnsuchtsthema nach Esmeralda ist schön mit dem
steil aufsteigenden und chromatisch abfallenden Blick. Fabelhaft farbig ist
ihr ungarisches Motiv, das im ersten Zwischenspiel in ungeheurer Pracht
zigeunerisch sich emporwindet. Hübsch ist das Liebesszenenthema, ganz
einfach und volkstümlich im Zusammenhang mit Akkorden der Ritterlich-
keit von Phöbus. Und so dieses und jenes. Wogegen die Feierlichkeit des
Erzbischofs wie die Klettermotive des Quasimodo theoretisch bleiben. Alle
Erzbischofszenen sind langweilig. Alles Lyrische und Symphonische inter-
essiert. Doch da das Menschliche und sogar das Herzliche fehlt, wie man
besonders beim Solo der Esmeralda merkt, so liegt ein bleicher Schatten
über aller strahlenden Technik, und selten steigt eine Linie oder Gebärde
der Musik auf, die unsern Sinn festhält. Vor allem nicht im Gesanglichen.
Denn dies ist nicht die Domäne des Autors. Er nutzt die Stimme nicht
sehr aus, er erfindet nicht aus ihr, sie bleibt ihm künstlich und unergiebig.
Er ist eben ein Instrumentalist. Wir sehnen uns nach Opern, die endlich
einmal von der Bühne aus empfunden und akzentuiert sind, stark, einfach,
groß — mit allen modernen Mitteln. Schmidts Werk ist nicht mehr gar
so jung, und man muß das berücksichtigen. Es trägt Anfängerzeichen. Aber
es ist doch typisch für eine Opernmacherei hoffentlich bald vergangener
Zeiten, in denen irgendein Text nach literarischem Vorbild in Opernform
gebracht und dann mit der gewaltigen, symphonischen Musik zugedeckt
wurde. Das soll nicht die Zukunft sein.
Schillings riß sich mit seiner „Mona Lisa" heraus. Der Text, von
Beatrice Dovsky, baut eine starke Eifersuchtstragödie um das berühmte
Porträt Lionardos, und um diese wieder einen gefühlvollen modernen
Rahmen. Die geheimnisvoll lächelnde Frau war ein dankbar neuer Typus
für die Oper. Schillings schreibt eine Musik dazu voll süßer Melancholie,
tränenreicher Harmonien, ein fernes Leid, das gleichsam durch mystische
alte Glasfenster schimmert. Die Leidenschaft des dramatischen Librettos
macht ihn nicht irre. Er ist der intellektuelle, feine, der Kulturmusiker,
dessen Phantasie vielleicht mehr Blässe zeigt, als diesem Stoff zukommt, der
aber ein heiliges Besitztum edler Qualitäten unterhält, um niemals der Ver-
führung der Bühne zu unterliegen. Da, wo das dramatische Feuer glüht,
gibt sich selten eine große Steigerung und innerlicher Ausbruch, sondern
viel Klugheit führt das Temperament und weist ihm die Bahnen. In kurzem
Rahmen gelingen und treiben dann Ausdruckskräfte : bei der Szene zwischen
Mona Lisa und Giovanni noch mehr als mit Francesco, bei der letzten
Verzweiflung der Mona Lisa. Fruchtbarer sind einzelne, auf Feinheit be-
ruhende Charakterisierungen: stets der fragende, schlangenhafte Ton der
Mona Lisa, wie sie in Musik lächelt, in Musik hofft und zittert. Am frucht-
barsten sind stehende, reliefartige Ensembles, vor allem die Perlenszene, in
der in einer eigentümlichen, geheimnisvollen modernen Form Menschen
nebeneinander ihr Schicksal singen, süß und schmerzlich, rätselhaft und
doch harmonisch.
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Als bedeutendste Nachblüte der Romantik erschien Pfitzners „Palestrina",
ein Werk, mit feierlicher Hand aus wehem Herzen geschaffen. Mit bemer-
kenswerter Kraft dichtete er sich den Text selbst. Bisweilen gibt es Phan-
tasien des Stils : in dem gemütlichen Ton der alten Meister, die sich von
ihrer Geisterhaftigkeit nicht beirren lassen. Der zweite Akt, das Tridentiner
Konzil, stützt sich auf Forschungen. Im Drama selbst ist er der bewußte
Kontrast zu den Künstlerwehen Palestrinas, die den ersten und dritten Akt
beherrschen. Fällt er wirklich auf der Bühne heraus ? Der Musiker emp-
findet ihn als Kontrapunkt. Wirksamkeiten liegen allein in den tief seelisch
erfaßten Zuständen Palestrinas. Wenn er im Rausche der einsamen Nacht,
von den Engeln im Chor gehoben, seine Messe schreibt, ist Hochstimmung.
Der glockenläutende römische Morgen, der zitternde Gegensatz des schlich-
ten Künstlers und des starren Kardinals, allerlei Festliches des Konzils, die
edle Resignation des Schlusses sind Dokumente. Pfitzners Musik ist nie-
mals zu scharf, am schönsten in gewissen Motiven seelischen Augenaufschlags,
wie sie Thomas Mann in seinem erschütternden Palestrinaaufsatz liebend
beschreibt. Ein ursprünglicher Gestalter musikalischer Situationen ist er
nicht. Er greift sie nicht, er lebt sich in sie hinein. Die Musik ist distanziert,
hoch, rein und ganz persönlich, leicht gefärbt von Archaismen steiler Akkorde
im Stil des Cinquecento. Parsifalisches, in moderne Freiheiten entwickelt,
aber von durchlebtem Gesetz^ logischer Faktur ernst und streng gehalten.
Motive heben sich an gipfligen Stellen heraus, im allgemeinen herrscht
Gleichheit des Niveaus und Rhythmus. Humoristisch Beeiltes wirkt künst-
lich. Eine Frau tritt nur als Erscheinung auf, junge Männer werden von
Frauenstimmen gesungen. Vaterliebe ist die einzige Liebesszene des männ-
lich dunklen Werkes. Als Theaterstück bedeutet es wenig, es ist ein Fest-
spiel, eine Ehrerbietung, ein Märchen, wie alle seine Opern — sein eigenes
Märchen. Es gibt Theateropern, Bildungsopern, Bekenntnisopern. Pfitzner
steht auf der dritten Warte, der höchsten. Sein Blick allein reicht zu Wagner
zurück.
Der junge Korngold tritt mit seinen ersten Opern auf den Plan. Die
tragische Oper, „Violanta", ist textlich von Hans Müller sehr geschickt
gebaut. Eine italienische Blutsache, die Rache einer Frau am Geliebten
ihrer Schwester, die selbst zur Liebe wird und zu ihrem eigenen Tode. Also
eine handfeste und klare, dabei in Farbe und Gefühl und Steigerung dank-
bare Angelegenheit. Gut, daß sich Korngold nicht in literarische Spitz-
findigkeiten verlor, sondern seine Hand auf diese solide Basis legte. Er war
hiermit des Dramas sicher. Was er aber aus dem Drama holte, war ganz
sein eigen, ganz etwas anderes, ganz etwas rein Musikalisches. Er kam
554
nicht vom Verismus her, berührte sich kaum noch mit Puccini in einigen
Gebärden, er kam vom Tempo und der Farbe Richard Straußens. Er
tauchte das Drama in ein ganz modern zusammengesetztes Bad mystischer,
suggestiver Klangwirkung und zog es an seinen hervorstechenden Punkten
kühn und überlegen aus dieser Farbe heraus. Er gewann damit zweierlei.
Das eine Mal eine faszinierende Stimmung, das andere Mal eine wunder-
volle Dynamik. Neurenaissance klingt uns entgegen. Üppige Luft, ver-
schwiegene Leidenschaft, Bacchantenrausch, heiße Tränen, glühende Sehn-
sucht, kalter Stolz schwingen in einem Tonzauber von wildem Kolorismus
zusammen, daß das Ohr niegeahnte Visionen, zitterndes Leuchten ferner
Bilder und gedämpfte Glut venezianischer Träume zu hören meint. Nichts
wird geschont. Kühnste Modulationen, entlegene Instrumentalverbindungen,
«xzessive Rhythmen häufen sich. Das Orchester, fabelhaft behandelt, scheint
mit einer revolutionären Malerei wetteifern zu wollen, und die Bühne liegt
wie in schwärmerischen Halluzinationen furchtbarer Dämonie. Der Puls
stockt und die Sinne stieren, wie hypnotisiert, auf die Vorgänge. Aber den-
noch spannt sich das Ganze in einen wohlgeordneten Rahmen und disponiert
sich klar und übersichtlich zu Akzenten und Zäsuren, nicht so sehr dra-
matischer, als sinfonischer Art. Aus dem Wirbel des Festes löst sich der
zweite Teil melodisch. Mit den einzelnen Menschen gewinnt der Gesang
die Oberhand. Er spannt sich zu einem herrlich geschwungenen, breit
angelegten Duett zusammen, in das der tragische Schluß scharf einreißt.
Alles ist klug kontrastiert, bis in die einzelste Szene. Bis in die einzelste
Wendung ist alles voller Phantasie und Erlebnis nachgezeichnet. Gefüllt
ist alles von Musikalität, dem Erschwingen der Seele in Tönen. Motivisches,
wie das signalisierende Lied, hält zusammen, mehr aber noch glüht Male-
risches durch die Zeilen, immer von neuem eingeatmet und durchgefärbt,
in ekstatischer Entwicklung. Der große Zug, die fiebernde Leidenschaft ist
staunenswert, zudem bei einem so jungen Menschen. Es ist ein Wurf.
Dann ging der Vorhang vor einer entgegengesetzten Welt auf. Im
reizenden altmodischen Zimmer spielen fünf Leutchen ein entzückendes
Stück nach dem Lustspiel des Teweles. Ein glückliches Paar soll nach dem
Rat des Freundes ein Opfer an das Schicksal bringen, wie Schillers Ballade
empfiehlt. Ernst und Scherz dieses Opfers wird heiter geschaukelt. Ein
Dienerpaar kopier das Spiel in seiner Art. Das letzte Opfer ist der Freund
selbst, der Störenfried. Das gibt ein heiteres und bewegtes Hin und Her,
sehr gut für Musik, die dieselbe Szene bald ernst, bald spaßig behandeln
kann und wiederum parodiert und durch die Parodie löst, Korngold hat
ein Meisterwerk daraus gemacht. Er behandelt das Ganze wie ein Scherzo,
555
das dahinhuscht und von einigen zarten lyrischen Stellen durchbrochen
wird. Die Einfälle strömen ihm nur so zu. Die Zeichnung im Detail ist von
unsagbarem Humor. Das kleine Orchester kichert und spritzt mit unend-
lichem Vergnügen. Der Dialog ist voller Witz und Pointe. Das Motivische
ist mit leichtem Griff gefädelt. Die Lyrik ist von innigster Melodie und
süßestem Reiz. Die Färbung ist unglaublich stilvoll, bis in die Art der
Akkorde, der Phrasen, der Rhythmen, der Instrumente, der Ensembles von
vollendetem Charakter. Bald parallel, bald kontrastierend, bald nach-
ahmend, bald herauswachsend webt sich der Ton zu einem vielgestaltigen,
zarten, duftigen, federleichten Stück. Die Tagebuchstelle ist von keusche-
stem Liebreiz, melodisch blumenhaft, das Duett ist von rührendster Schlicht-
heit, volksliedwahr, das Quartett, ganz richtig als Musikstück entwickelt,
verdient allein eine stärkere absolute Hochführung in der letzten Kontur.
Das musikalische Ohr schwelgt in allen diesen graziösen und anmutsvollen
Feinheiten, die ebensoviel Geist als Gefühl verraten, ebensoviel Phantasie
als Formsinn. Andere musikalische Lustspiele sind derber oder drama-
tischer oder philiströser oder ängstlicher oder breiter. Dieser Stil ist neu
und einzig, er ist gar nicht wie von einem jungen Menschen, er ist wie
von einem alten, einem Falstaffmeister, der Leben und Musik hinter sich
hat, Geist spielen läßt, Lyrik knapp und still hineinsetzt.
Unerschöpflich noch und vielfältig scheinen die Reize der Oper, der
verhüllten Göttin, die ewig neue Adepten findet. Zemlinskys schwärmende
„Florentinische Tragödie", Janaceks tschechisch durchfühlte „Jenufa ,
Busonis „Turandot" in exotischem Geistreichtum, sein persiflierender
„Arlechino", Stravinskys „Nachtigall" mit der Koloraturstimme im Orchester,
letzte russische Sezession — wir wissen kaum, was sich indessen alles in
unserer Peripherie vorbereitet hat. Hierzulande wird die Rede sein müssen
von Schreker. Dort kennen sie ihn wieder nicht. Die internationale Oper
lebt, aber sie ist in Gefahr. Sie hat niemals Weltkrieg gehabt. Sie
braucht dringend ihre Familientage.
Franz Schreker tritt in besonderer Weise aus dem Kreise moderner
Musikdramatiker hervor. Vor langer Zeit schrieb er den „Fernen Klang",
womit man das Romantische begründen und das Moderne noch merkwür-
diger hinstellen kann. Es liegt Dichtung in seiner Musik. Fritz ist Künst-
ler, seine Geliebte wird vom trunkenen Vater verkauft. Sie sinkt in die
Prostitution des Körpers, er in die des Geistes. Er komponiert. Seine Oper
leidet am unmöglichen Schluß. Jetzt erlebt er mit ilir den Schluß, und
sein Leben korrigiert sein Werk. Beide haben ihre Prostitution gebüßt.
Was ihn lockt, was er nicht zu greifen vermag, ist ein ferner, visionärer
Klang, ein unfaßliches Glück, eine erlösende, befreiende, reine Musik. Sie
klingt ihm wie eine tönende Kugel, doch die Stimme, die in ihr spricht,
vermag das Leben erst im Tode zu erreichen. Dieses ist eines Künstlers
Werk, halb Spiegel, halb Sehnsucht, aus den Gegensätzen brutaler Wirk-
lichkeit und mystischer Musik gemischt, die unaufgelöst in seiner eignen
Arbeit liegen blieben. Mit welchen Mitteln geht der Autor heran ? Er
glaubt eine Oper zu schreiben. Er wirft die Gewohnheiten musikalischer
Faktur zusammen und läßt die letzten Harmonien, das rücksichtslose Sich-
treffen der Töne, die Schamhaftigkeit der Melodiebildung, die Orgie der
Rhythmen bis an möglichste Grenzen schießen, von Motiven nicht zu sehr
beängstigt. Er organisiert nicht, er haut wohl und gestaltet, aber die
Willenskraft seiner Musik ist ungebändigt, er entmusiziert sie. Das Geist-
reiche daran ist nicht hoch anzuschlagen, es ist heut allgemeine Marke und
gibt der Handschrift des Musikers das Zukünftige, das ihn im Augenblick
über die Schule tröstet. Es kommt immer durch Intensität, die sich unge-
wohnt fühlt und ungewohnt gestalten will. Analysiert man genauer, so
schwankt die Methode. Der Alte verspielt seine Tochter im Kegelspiel;
das Orchester malt das Kegelspiel fabelhaft. Einmal malt es Vorgänge,
einmal begleitet es Stimmen. Im zweiten Akt will es Variete plakatieren.
Im Stil neuer Kunst Grellheiten aufklatschen, Pointen stechen, Kontraste
schreien lassen, die Wut verrückt gewordener Dinge zu einer grotesken Lyrik
formen. Zigeunerkitschorchester, italienisches Orchester, Volkschöre,
Operngetue sollen Bordellbilder in Töne bringen. Mittendrin singt der
Bariton eine Arie. Als Karikatur wirkt sie nicht, und so stößt sie den Stil
übereinander. Aus dem Wirrwarr realistischer, malender, dramatischer,
plakathafter Musik wird man in der letzten Szene des Tenors und Soprans
auf eine lyrische Insel gerettet, wo sie, bestrahlt vom fernen Klang, eine
seltsame, schöne, feine und tief schwingende Musik erleben, die das Subli-
mat bewährter Oper ist. Für den Feinhörigen ist hier eine reiche Künstler-
seele, mit Sinnen des modernen Menschen und einer ganz zarten Hand,
die mitunter in diesem wehmütig flüsternden Orchester uns Träume beich-
tet, so wahrhaftig, daß sie uns den Blick mitten im Theater ins Innerste
kehren — mitten in einer Oper, die zu ehrlich ist, um eine sein zu können.
Es war eine Berührung.
Schreker horcht weiter auf fernen Klang, das Lockende, Beseligende,
Engelhafte, das uns aus den Sphären entgegenmusiziert. Es bildet den
Kern seiner Opernvorstellungen. „Das Spielwerk und die Prinzessin" in
Märchenform, die ,, Gezeichneten" in bunter Renaissancepracht sind die
nächsten Stufen. Hier kämpfen innere und äußere Schönheit, in Ge-
557
schlechtem verkörpert. Aus dem Wesen der Musik vollzieht sich die
Tragödie. Das musikalische Problem der Oper wird in neues Licht gestellt.
Wort und Ton gebaren sich wieder zusammen. Ein seelisches, ethisches
Bedürfnis leitet ihn, ein farbiges Artistentum schmückt sein Orchester, eine
unvermeidliche Intellektualität überbrückt die Kluft der Bekenntnisoper
zur Theateroper. Bekker hat hierüber eine ehrliche Studie geschrieben.
Es ist kein Zweifel, daß in Schreker für die Biologie der Oper eine zentrale
Persönlichkeit erwächst, daß von der Musik aus die Ausdruckseigenheit der
Oper bei ihm neu eingestellt wird, daß er um sein besseres Ich im Kampfe
mit diesem Monstrum wahrhaft ringt. Doch ist letzten Endes alle Ent-
scheidung bei der Kraft der erfinderischen Phantasie.
Was aber war inzwischen aus Ariadne geworden, die wir einst glücklich
mit Bakchus, unglücklich über Jourdain auf Naxos verließen ? Sie zersetzte
sich. Sie zerschlug die Probleme der Oper. Sie bestätigte die moderne
Anarchie. Der Musiker und der Dichter trennten sich jeder auf einen
eigenen Stuhl, da das Publikum zu ihnen zusammen nicht kommen wollte.
Oper und Schauspiel schieden sich. Strauß entschloß sich zum letzten
Schritt, ließ den Moliere ganz fallen, machte die Oper zur Hauptsache
und gab ihr ein kleines, durchkomponiertes Vorspiel, das aus dem Theater-
vorspiel des Hofmannsthalschen Textes durch Verbreiterung gewonnen
wurde. Der Komponist erlebt jetzt das Schicksal seiner Oper in stärkeren
Akzenten. Um ihn spielen nicht nur die Launen des Bestellers (er ist nach
Wien verzogen), die Eifersüchteleien des Personals, die Parteigruppierungen
in breiteren Maßen, auch seine eigene Erfahrung tritt in ein wunderbar
tragisches Licht. Er ist voller Melodie in diesem Leben, und gerade beim
Gezänk der Lakaien fällt ihm eine schöne Weise ein — ein Zug, dem Leben
abgelauscht, wie einst Wagner seine Johannistagweise beim Geschrei eines
Pariser Dienstmädchens fand. Es ist dieselbe Melodie, die die Sängerin in
der ersten Ariadnebearbeitung als Arie vortrug. Was nützt ihm sein musik-
träumendes Wesen ? Die Welt stellt ihm den Buffospaß vor die Nase. Sein
praktischer Lehrer bringt die Geschichte äußerlich noch schnell ins Reine.
Aber er selbst gewinnt auch daraus ein neues Erlebnis. Er verliebt sich in
Zerbinetta, die Fliegende, Liebeswechselnde, Varietehafte aller Bühnen.
In einem kurzen, bedeutsamen Duett sehen sich diese beiden ins Auge:
sie ahnt die Tiefe, er ahnt die Welt. Er ist kein Lehrbube mehr, er
ist zum Gesellen geschlagen. Das Theater draußen kann seinen tragi-
komischen Lauf nehmen, da er innerlich reif geworden ist. Sein Fluch hat
Lebensfarbc gewonnen. Und nun kommt die Oper selbst, die ein Spiegel
seiner eigenen Weh wird, seiner eigenen Ariadne und Zerbinetta, seines
eigenen Dionysos. So ist heut die Einheit des ganzen Stücks von der Oper
aus rückwärts gefunden, nicht nur, daß sie ganz in Tönen spricht (nur der
nüchterne Haushofmeister redet), sondern weil sie in inneren Tonreflexen
spricht. Es war zugleich der Wegweiser für Strauß' Komposition. Er ver-
wendete im Vorspiel Motive der Oper in einer leichten Vorklangsweise,
die er aus dem fertigen Werk zurückentwickelte, ohne ihre volle Wirkung
vorwegnehmen zu dürfen. Er verwendete zugleich Motive aus der früheren
Begleitmusik, und er erfand auch einige neue hinzu. Das Ganze hielt er in
einem feinen und zarten Konversationston, der nirgends das letzte Wort
sagt. Diese Notwendigkeit, durch die die Oper selbst in keiner Weise an-
getastet oder gar schon geschlagen wird, hat er in meisterlicher Weise er-
füllt. Das kleine Orchester wird noch schüchterner, die Motive noch schwe-
bender, das Tempo noch fliegender. Nur an einer Stelle, beim Duett
Komponist-Zerbinetta, senkt sich das Gefühl. Hier werden süße und ver-
führerische Netze gesponnen, in einer kühnen, zukunftsreich verästelten
Musik. Und dennoch ist auch hier keine Dynamik übertrieben, um ihr
die ganze Kraft für die Oper selbst zu lassen. Diese Oper selbst ist nur
in Kleinigkeiten geändert, in Kürzungen, Strichaufmachungen, Trans-
positionen, natürlich im Schluß, der jetzt als reine Apotheose ausklingt,
das göttliche Ende eines so menschlichen Anfangs. Sie strahlt in einem
immer hcihcren Glänze.
Hofmannsthal aber rächte sich. Er führte nun seinerseits den ,, Bürger
als Edelmann", in dem er vielfach zu Moliere zurückkehrte, als breites
Lustspiel durch, und Strauß war gern gefällig, seine sonst erledigte Begleit-
musik ihm wieder zurückzugeben, noch einige reizende Stückchen hinzu-
zufügen, wobei er alte Lullische Motive benutzte, und die türkische Ko-
mödie, die jetzt aus INIoliere wieder rehabilitiert war, zu einem grotesken
Ballett auszugestalten. Also — lächelnd reichen sie sich auf anderen Wegen
wieder die Hände. La Commedia e finita. Das Problem der Oper bleibt
offen. Nachträge werden auf Nachträge folgen. Strauß wird die „Frau
ohne Schatten" bringen, in der er zwischen Feenreich und Erde auf und
nieder musiziert. Er wird dann ganz auf die Erde niederschauen, neue
Pläne aus den irdischsten Erlebnissen entwerfen, neue Töne versuchen,
Oper auf Oper wird erklingen in unendlichen Beziehungen des Lebens
zur Musik — und diese unsozialistischste aller Kunstgattungen wird noch
in fernen Zeiten an das Märchen erinnern, das wir erleben durften.
559
Verzeichnis der Bilder
Altfranzösisches Opernkostüm. Paris, Opernarchiv: S. 8. — S. Th. Staden, Komponist der
ältesten erhaltenen deutschen Oper. Stich von Sandrart nach Herr 1669: S. 21. — Abzug der
italienischen Truppe 1697. Stich von Jacob nach Watteau: S. 29. — Hasses Dresdner Orchester
nach Rousseau (Dictionnaire) : S. 44. — Grundriß des Bayreuther Orchesters beim Parsifal:
S. 45. — Kastrat Farinelli in Gala. Alte Federzeichnung: S. 52. — • Kastrat Farinelli im Reise-
kleid. Alte Federzeichnung: S. 53. — Apotheose Farinellis. Stich von Wagner nach Amiconi:
S. 55. — Burnacini, Dekoration zu Cestis Pomo d'oro. Wien 1667: S. 59. — Berain, Dekoration zu
CoUasses Thetis und Peleus. Paris 1669: S. 61. — Altfranzösisches Opernballettkostüm : ein
Grieche. Paris, Opernarchiv: S. 64. — Moreau, La petite lege: S. 69. — Logenentree in der
Restaurationszeit: S. 75. — Repertoire des Theaters von Fontainebleau 8. Oktober — 12. Novem-
ber 1765: S. 79. — ■ Moreau, Sortie de l'opera: S. 85. — Abreise des Direktors in der Provinz.
Alte französische Lithographie: S. 89. — Leopold L Stich vonKilian: S. 93. — Handschrift der
Schröder -Devrient: S. 93. — Titel von Caccinis Euridice: S. 99. — Handschrift Monteverdis
(Poppea): S. loi. — LuUy. Stich von RouUet nach Mignard: S. 105. — Rameau. Alter Stich:
S. 107. — Aufführung in Versailles 1745. Alter Stich: S. 109. — Faustina Hasse: S. Iil. — Neapel
1745. Aufführung des „Sogno di Olympia", Text von Calsabigi, Musik von Giuseppe di Majo.
Fünftes Blatt der „Narrazione delle solenne feste reale": S. 112. — Jommelli. Zeichnung von
Ghczzi 1731: S. 115. — Englische Karikatur Händeis: S. 121. — Metastasio. Stich von Succhi
nach de Maitens: S. 125. — Sophie Arnould, in „Pyramus undThisbe". Nach Carmontelle gez.
von Lante, gest. von Gatine: S. 128. — • Piccini. Stich von Cathelin nach Robincau: S. 129. —
Gluck. Lithographie nach Maurin: S. 135. — Glucks Handschrift: Erste Seite der Armide:
S. 139. — Hogarth: Dritter Akt der Bettleroper, Miss Fenton als Polly. D^r Herzog von Bolton
und Gay unter den Zuschauern: S. 144. — Hogarth. Ticket zur Bettleroper: S. 147. — Eine
Seite aus der Bettleroper. Druck von 1777: S. 148. — Hiller. Alter Stich: S. 151. — Mozart.
Alte Lithographie nach dem verlorenen Bilde des Schwagers Lange: S. 154. — Konstanze Mo-
zart. Alte Lithographie nach dem verlorenen Bilde des Schvvfagers Lange : S. 155. — Handschrift
Mozarts: Figaros Hochzeit: S. 165. — Bassi, der erste Don Juan. Stich vonThoenert: S. 173. —
Titelblatt der Don-Juan-Partitur. Zeichnung von Kinninger: S. 175. — Garcia als Don Juan.
Pariser Lithographie: S. 176. — Roller. Dekoration zu Don Juan: S. 177. — Ein Briefanfang
von Mozart: S. 181. — Herr und Frau Lange. Stich von Berger: S. 183. — Catarina Cavalieri:
S. 185. — Handschrift Mozarts: Zauberflöte: S. 189. — Schinkel, Dekoration zur Zauberflöte:
S. 191. — Unzelmann und Ambrosch als Lux und Adam, in Schenks Dorfbarbier: S. 192. —
Zettel der Uraufführung der Zauberflöte: S. 193. — Die Persiani als Rosine. Lithographie
von Lacauchie: S. 200. — Einladung der Milder: S. 207. — Cherubinis Handschrift:
Wasserträger: S. 210. • — Cherubini. Lithographie nach Vigneron 1832: S. 211. — Die Schröder-
Devrient. Lithographie von Cramolini 1835: S. 213. — Anna Mildcr-Hauptraann. Litho-
graphie von Leybold: S. 217. — Beethovens Handschrift: Leonore: S. 219. — Beethovens
Maske 1812: S. 223. — Theaterplakat 1768: S. 233. — Rousseau. Stich von Jugouf: S. 237. —
Gretry. Lithographie nach Lefevre-Maurin: S. 239. — Elleviou als Jean de Paris. Lithographie
Delpech: S. 240. — Pariser Sänger. Lithographie von Planta 1832: Lafont, Lablache, Donzelli,
Nourrit, Chollet, Levasseur, Ponchard, Bordogne: S. 243. — Boieldieu. Lithographie von Gre-
vedon nach Riesener 1826: S. 247. — Herold. Lithographie von Dupre: S. 249. — Fra Diavolo,
zweiter Akt. Alte Lithographie: S. 250. — Auber. Lithographie von Planta 1832: S. 251. — Adam.
Lithographie von Bry: S. 253. — Flotow. Lithographie von Kriehuber 1847: S. 255. — Karl
Walser: Figurinen zum zweiten Akt „Hoffmanns Erzählungen": S. 256. — Die beiden Schwestern
Grisi. Lithographie von Deveria 1833: S. 259. — Offenbach: S. 263. — Offenbachs Handschrift:
Fortunios Lied: S. 265. — Karikatur: Offenbach und die Direktoren: S. 267. — Travies: Pantheon
Musical 1843. Meyerbeer (im Käfig Prophet und Afrikanerin). Halevy (schnupft bei ihm).
561
36
Niedermeyer, Labarre, Carafa, Boieldieu. Berlioz (Reiseeindrücke). Grisar. Adam (als Postillon).
Donizetti (Dampffabrik). Auber (im schwarzen Domino auf ehernem Pferd). Clapisson, Mont-
fort, Thomas, Spontini (unzufrieden), Rossini (in seliger Ruhe): S. 271. — Spontini, nach der
Natur gezeichnet von W. Ternik 1830. Lithographie Lemercier: S. 275. — Rossini. Lithographie
Lemercier: S. 279. — Die Pasta. Lithographie von Kriehuber 1829: S. 283. — Die Malibran
als Desdemona. Stich von Turnez nach Decaisne: S. 285. — Meyerbeer. Lithographie von
Fr. Hecht: S. 289. — Pauline Garcia. Lithographie von Claus: S. 291. — Zettel der Uraufführung
der Hugenotten: S. 294. — Dekoration des fünften Aktes Hugenotten, erste Szene. Paris, Opern-
bibliothek: S. 295. — Jenny Lind. Lithographie: S. 301. — Die Stoltz als Desdemona. Litho-
graphie von Lacauchie: S. 304. — Berlioz' Handschrift: Cellini: S. 307. — Berlioz: Dedikation
der Trojaner an seinen Sohn: S. 308. — Karikatur auf die Trojaner: S. 309. — Das Haus Webers.
Nach der Natur gezeichnet von Brandt: S. 313. — Die Sontag. Lithographie nach Winterhakcr :
S. 3 14. — Weber. Zeichnung von Hensel 1822: S.317. — Webers Handschrift: Freischütz: S.319.—
Marschner. Nach dem Leben gezeichnet und lithographiert von Fricke : S. 329. — Lortzing. Litho-
graphie von Prinzhofer 1846: S. 333. — Lortzings Handschrift: Zar und Zimmermann: S. 335.—
Zettel der Uraufführung von Zar und Zimmermann: S. 337. — Nicolai. Lithographie von Krie-
huber 1842: S. 342. — Nicolais Handschrift: Lustige Weiber: S. 343. — Gounod: S. 347. — Bizet.
Radierung von Burney: S. 353. — Smetana. Zeichnung von Max Svabinsky: S. 358. — Smetanas
Handschrift: Verkaufte Braut: S. 359. — Glinka. Nach Repin: S. 365. — Glinka. Leben für
den Zaren. Titelblatt: S. 366. — Glinka. Ruslan und Ludmilla. Titelblatt : S. 367. — Mussorgski.
Nach Repin: S. 372. — Fedorowsky : Bojar und Schreiber, Figurinen zu Mussorgskis Khovanchtchina:
S. 373. — Rimsky-Korssakow. Nach Serow: S. 377. — Tschaikowski : S. 379. — Bellini. Alte
Lithographie: S. 384. — Donizetti. Lithographie von Kriehuber: S. 386. — Verdis Geburts-
haus: S. 388. — \'erdi: S. 389. — Handschrift Verdis: Rigoletto: S. 394. — Das Rigolettoquartett.
Alte Zeichnung: S. 395. — Handschrift Verdis: Traviata: S. 399. — Verdi. Porträt von Boldini:
S. 405. — Verdi an der Gartentür: S. 409. — Der Steckbrief: S. 424. — Wagner. Lithographie
von Brandt 1 843 : S. 427. — Zettel der Uraufführung des Tannhäuser : S. 43 1 . — Roller : Lohengrin :
S. 433. — Wagners Handschrift von Siegfrieds Tod mit dem ersten Notenentwurf: S. 435. — Len-
bach: Wagner: S. 439. — Erklärung des Tristan. Von Wagner für Mathilde Wesendonck ge-
schrieben: S. 443. — Zettel der Uraufführung der Meistersinger: S. 445. — Menzel: Wagner
auf der Probe in Bayreuth: S. 451. — Zettel der Uraufführung des Tristan: S. 457. — Wagners
Handschrift: Meistersinger: S. 459. — Die letzte Bitte in Bayreuth: S. 467. — Tristan, von Wagner
für Mathilde Wesendonck geschrieben: S. 471.— Frau Wesendonck. Nach Dorn: S. 473. — Der
Grundsteinspruch für Bayreuth: S. 477. — Cornelius' Handschrift: Barbier von Bagdad: S. 488.—
Puccini: S. 493. — Puccinis Handschrift: Boheme: S. 495. — Debussy. Porträt von Blanche:
S. 503. — Roller. Rosenkavalier erster Akt: S. 512. — Thoma: Zeichnung zum Titel von
Hansel und Gretel: S. 520. — Humperdinck: S. 521. — Hogarth: das Lever aus der Marriage
a la Mode, als Anregung für die Szene Rosenkavalier erster Akt: S. 528. — Tilemann, Personen-
verzeichnis zu Blechs Versiegelt : S. 529. — Richard Strauß. Radierung von Farago: S. 535. — Hand-
schrift von Strauß: Erste Seite der Salomepartitur: S. 537. — Zettel der Uraufführung des Rosen-
kavalier: S. 541.— Stern: die Dry.idc aus Ariadne auf Naxos: S. 544. — Caruso: Oskar Bie: S. 548.
Für das Material der Bilder bin ich zu besonderem Danke verpflichtet der Berliner
Musikbibliothek, der Lipperheide - Sammlung im Kunstgewerbemuseum, dem
Märkischen Museum, dem Verlag Friedrich Bruckmann-München, A.-G. (für die
Wagner -Bilder), dem Museum Carolino Augusteum in Salzburg, dem Verlag
Adolph Fürstner (für die Strauß-Bilder), dem Verlag Fritz Gurlitt (für die Faragosche
Radierung von Rich.ard Strauß), dem Verlag Bruno Cassirer (für die Reproduktion der Walser-
schen Figuren zu „Hoffmanns Erzählungen" aus „Das Theater" von Karl Walser), dem Verlag
Schuster ScLoeffler für einige Reproduktionen aus dem Musikatlas von Canth.
562
Sachregister'
(von E. Glawe)
A basso porto (Spinelli) 490. — Abbatini 90, 144. — Abencerragen (Cherubini) 211. — Abert
II, 114. — Abreise (d' Albert) 506, 518. — Abu Hassan (Weber) 314. — „Acis und Galathee" 145.
— Adam 37, 232, 237, 238, 239, 240, 242, 243 f., 246, 251 ff., 254, 258, 260, 266, 271. — Adam
de la Haie 232. — „Adam und Eva" 27. — Addison 84, 85. — Adolf von Nassau (Marschner) 328.
— Afflisio 153. —Afrikanerin (Meyerbeer) 297, 302f., 304. — Agazzari 90. — Agnes von Hohen-
staufen (Spontini) 276. — Agricola 24. — Aida (Verdi) lio, 390, 392, 403, 408ff., 413, 419, 500,
522. — Akkompagnato 22, 92, 107, liof., 114, 413. — Akkordausdruck 21. — D'Albert 504, 506,
5i7f., 55of. — Alceste (Gluck) 117, 118, 120, I24f., 129, I33ff., 157; (GugHelmi) 136, (Lully) 106;
(Schweitzer) 130. — Alcidor (Spontini) 276. — Alcina (Händel) 113. — Alcyone (Marais) 76, 205.
— D'Alembert 18, 123, 126. — Alexis 491. — Alfieri 116. — Algarotti, Graf 86. — Alibaba (Che-
rubini) 211. — Ali Pascha (Lortzing) 340. — Allard 75. — Alpenkönig und Menschenfeind (Blech)
549. — Alzira (Verdi) 389. — Ambassadrice (Auber) 242. — Ambros 11, 50, 59, 84, 547. —
L'Amfiparnasso (Vecchi) 15 f. — Amphitheater 67. — Anacreon (Cherubini) 21 1. — Andreas
Hofer (Lortzing) 340. — Andre Chenier (Giordano) 491, 502. — Anfossi 154, 186, 200. —
Anna Amalia, Großherzogin von Weimar 152. — Anna Bolena (Donizetti) 385. — Annette et
Lubin (Voisenan) 151. — Antigone (Mendelssohn) 340; (Traetta) 113. — Antiope (Pallavacino)
23. _ Apel 315. — Appia 61. — Appiani 63. — Applaus s. Erfolg. — Arco, Graf 164. — Arcos,
Graf 80. — Ariadne (Monteverdi) 20, 21. — Ariadne auf Naxos (Strauß) 544!!.; 558. — Ariane et
Barbe-Bleue (Dukas) 547. — Arianna (Monteverdi) 91. — Arie 22ff., 102; (Beethoven) 221 ff.;
(Cherubini) 213; (Cimar6sa) 202f.; (DittersdorO 196; (Gluck) 134, 141, 142; (Lortzing) 341;
(Metastasio) 186; (Mozart) 153, 155, 158, 161 f., l67f., 171, 173, 176, I77f., 184, 190; (Opera co-
mique) 235; (Schubert) 198; (Schweitzer) 149; (Verdi) 398, 413; (Weber) 317. — D'Arienzo 144.
— Ariodant(Mehul) 241. — Aristophanes 100. — .^rlechino (Busoni) 556. — Arlesienne (Bizet) 351,
352. — Armagnac, Graf 79. — Armer Heinrich (Pfitzner) 526 f. — Armida (Gluck) 31, 113, 117, 118,
125, I38ff.; (Lully) io6f.; (Poussin) 142; (Rossini) 282. — Arnaud 126. — Arnould, Sophie 81,
122ff. — Aroldo (Verdi) 390. — L'Arronge, Adolf 334. — .4rtaserse (Jommelli) lll. — Artot
298. — Arzt wider Willen (Gounod) 346 f. — Ascanio (Mozart) 158. — Aschenbrödel (Isouard)
244, 247, 260, 261 ; (Rossini) 282. — Äschylos 100. — Askolds Grab (Werstowski) 363. — Astyanax
(Bononcini) 81; (Kreutzer) 47. — Attila (Verdi) 389, 391, 392. — Atys (LuUy) 106. — Auber
31, SS, 236, 237, 238, 240, 241, 242, 243, 244, 247, 248 ff., 2S3, 254, 257, 258, 259, 260, 261, 264,
266, 268, 277 f., 29s, 314. 342. 35i> 354. Z9°> 406, 407. 423- — D'Aubigny 79. — Aufführung 9f.,.
soff., 72ff., 297; (Beethoven) 2l6, 217, 218; (BerUoz) 309; (Cavalli) 30; (Lully) 75; (Mozart)
74, 174; (Opera comique) 234; (Paer)68; (Strauß) 545: (Weber) 31 8. — August 77. — August HI.
63. — Ausdruck I9ff., 39; (Berlioz) 311; (CavalH) 91, 104; (Gluck) 21; (Händel) 113;
(Monteverdi) 20; (Verdi) 21; (Wagner) 21 f. — Ausstattung 58f., 63, 90, 199, 274, 276. —
Austin (Marschner) 328. — Autoren 40, 41 ff. — D'Auvergne 231. — Axur (Salieri) 173.
Bäbu (Marschner) 328. — Bach, Johann Christian 74. — Bach, Johann Sebastian 41, 56, 113,
141, 209. — Bacon 163. — Bajazzi (Leoncavallo) 37, 491. — Ballade-opera s. Bettleroper. —
Ballette 20, 61, 88, 106, 114; (DeUbes) 243 ; (Erkel) 356; (Herold) 247 ; (Monteverdi) 20; (Mozart) 170;
(Strauß) 559; (Verdi) 402. — Banditen (Offenbach) 26s.— Bank Ban (Erkel) 3s6f. — Barbaja s6,
64, 78, 281,297, 321. — Barberinioper 90 f. — Barbier 182, 307. — Barbier von Bagdad (Cor-
nelius) 486ff. — Barbier von Sevilla (PaesieUo) 203; (Rossini) 53, 201, 203, 280, 282, 387, 488. —
Barden (Lesueur) 272. — Bardi 20, 89. — Barezzi 388. — Baroni, Leonora 78. — „Barras" 240. —
Bartsch SzS- — Baßklarinette (bei Mozart) 161 ; (Verdi) 409; (Wagner) 4S5. — Baßposaune 299.
— Bastardella 153. — Bastien und Bastienne (Mozart) 152, 153, 207. — Batka 528, 530, S49- —
— Baum der Diana (Martin) 201. — „Bayard ä Mezieres" 240. — Bayreuth S7> 65, 67, 424, 426,
563 36*
431, 456: 485. 527- — Bearbeitungen 35, 54, y^i.; (bei Aubcr) 251 ; (Beethoven) 54, 2l6ff.,
226ff.; (Berlioz) 308; (Cavalli) 35; (Cornelius) 487, 488; (Donizetti) 387; (Gluck) 35, 74, 132, 133,
134, 136, 141; (Herold) 242; (Hiller) 152; (Hoffmann) 336; (Lully) 7sf.; (Marais) 76; (Mehul)
74, 214; (Meyerbeer) 74; (Mozart) 54, 74, 181 f., 299; (Verdi) 74, 403; (Wagner) 35, 431, 452;
(Weber) 55, 74, 3l4f., 325. — Beatrice und Benedikt (Berlioz) 308, 310. — Beauchamps 75. —
Beaujoyeux 106, 108. — Beaumarchais 54, 123, 151, 163, 166, 167, 169, 170, 171, 203, 204. —
Beethoven 30, 113, 134, 206ff., 215ff., 286, 306, 308, 320, 321, 351, 470, 518, 531. — „Befreites
Jerusalem" 23. — Beggar opera s. Bettleroper. — Beiden Foscari (Verdi) 389, 392. — Beiden
Geizigen s. Deux avares. — Beifall s. Claque. — Bekkcr 558. — Belagerung von Korinth (Rossini)
299. — Belanger 123. — Bei canto 91. — Belle ciarli e fatti tristi (Mayr) 47. — Bellini 248, 328,
383 ff., 385, 391, 393. — Belmont und Konstanzes. Entführung aus dem Serail. — Benda37,i94. —
Benucci 163. — Benvenuto Cellini (Berlioz) 307,309, 311. — Berggeist (Spohr)327. — Bergknappen
(UmlaufQ 159. — BerHn 34, 65, 72, 81, 181, 188, 210, 218, 274, 297, 299, 321, 342. — Berlioz
48, 77, 84, 132, I34f., 237, 272, 299, 304, 306ff., 320, 346, 363, 489, 506, 534. — Bertoldo in corte
(Ciampi) 151. — Berton 241, 243. — Bertoni 122, 136. — Betrogene Kadi (Gluck) 116. — Bettler-
oper 66, 147 f., 150, 187. — Bezähmung der Widerspenstigen (Goetz) 486. — Bianchi, Francesco
50. — Bierbaum 387, 527. — Billet de loterie (Isouard) 247. — Biographisches 4of., 53 f., 78 ff.,
92, I22ff., 148, l86f., 202, 243f., 298; (.A.dam) 239, 240, 242, 243^, 251; (d'Albert) 504, 518;
(.^uber) 238, 240; (Beethoven) 206; (Bellini) 384; (Bizet) 351; (Cherubini) 209^; (Cimarosa)
202; (Donizetti) 385; (Flotow) 242; (Gluck) 122, I24f., 186; (Gounod) 346; (Gretry) 236,
24of., 242f.; (Händel) 66, 80, 81; (Herold) 242; (Isouard) 236, 241; (Keiser) 81; (Lortzlng)
82, 332ff.; (Lully) 92, 118; (Mehul) 73; (Meyerbeer) 288ff., 304; (Monsigny) 241; (Mozart) I52ff.,
157, l64ff., 172, 181, 188; (Offenbach) 262f.; (Rameaa) 236; (Rossini) 279 ff.; 281; (Rousseau) 236,
238; (Spontini) 34, 27lff., 275 f.; (Verdi) 387ff., 392; (Wagner) 42iff.; (Weber) 3i2f. — Bitt-
ner 547. — Bizet 268, 346, 351ff., 369, 408, 423, 509, 510. — Blaubart (Offenbach) 235, 265.
— Blech, Leo 456, 497, 53of.,549. — Blitz (Halevy) 242, 260, 305. — Blondy 75. — Blum 337. —
Boheme (Leoncavallo) 42, 491; (Puccini) 42, 57, 491, 492, 493, 494, 495, 502. — Boieldieu
55, 73. 77, 236, 237> 238f., 240, 241, 242, 244, 245, 247, 254, 258, 261, 266, 314, 362. — Boileau
127. — Boito 403, 413, 416, 489f. — Bolton, Herzog von 148. — Boniovvski (Boieldieu) 241. —
Bononcini 35, 55, 81, 112. — Bon soir, Monsieur Pantalon (Grisar) 258. — Bontempi 18, 41. —
Bordoni, Faustina 63, 80. — Boris Godunow (Mussorgski) 371, 372, 403. — Borodin 374f., 376. —
Boschetto-Boschetti 59. — Bouilly 2 14, 2 1 5, 241 . — Bourgeois gentilhomme (Mohere) 544 ; (Strauß) 551;.
— Brahms 31, 209, 51X, 526. — Branchu 136, 272, 277. — Brandt- Buys 549. — Brasilianer (Offenbach)
234. — Braun 217. — Brautwahl (Busoni) 511 ff. — Bretzner 160. — Breuning2l6, 218. — Briseis
(Chabricr) 500. — Brock 150. — Bronsart 252. — De Brosses 307. — Brückner 521. — Brühl 274f.,
315. — Bruneau 500. — Bruni 241. — Brutus (Herder) 127. — Buffooper 19, 27 ff., 71, 90, 91, 92,
110, 116, 143 ff., 194. — Bühnenmusik 44. — Bülow 363, 424, 524. — Bulthaupt 174. — Bulwer 429.
— Buona figliuola (Piccini) 19, 92, 146, 155. — Buonani 113. — Burbero di buon core (Martin)
172. — Burncy34, 47, 51, 53,77,80. — Burnaciniöo. — Busoni 485, 504, 511 ff., 556. — Byron 175,360.
Caccini 38, 55, 88, 89, 102, 119, 142. — Caccini, Francesca 90. — „Cadmus" 79. — Cafaro 1 14.
— CaffareUi 80. — Caldara35. — Calderon 144, 551. — Calmus 150. — Calsabigi42, ii6f., 130, 133,
136, 288. — Camargo 75. — Cambert 42, 92. — Camerata 89. — Camilla (Paer) 68, 202. — Cam-
marano 393, 397. — Campra 42, 75, 318. — Capua, Rinaldo da 92. — Carafa 241, 271. — Caramo
(Lortzing) 334. — Carissimi 106. — Carmen (Bizet) 35, 56, 57, 351, 3ö2ff., 375, 509, 510. —
Carre 181. — Caruso 64, 383, 386, 403, 494, 549. — Casanova 151, 153, 203; (Lortzing)
334, 338, 339, 341. — Casper 234. — Castelli 197. — Castor und Pollux (Rameau) 44, 55, 107, 116.
— Catalani, Alfrede 490. — Catalani, Angelica 297, 298. — Catel 236, 241. — Catena d'Adonc
(Mazzocchi) 90. — Cavaliere errante (Tractta) 200, 201. — Cavalicri, Emilio del 88, 89, 90. —
Cavalicri (Sängerin) 164, 173. — Cavalleria rusticana (Mascagni) 34, 35, 37, 248, 490f. — Cavalli 20,
28, 3°> 35> 39) 44) 5^> ^4) 9') I04) I44- — Cavos 362. — Cecchisten 81. — Celince (d'Herbain) 47.
— Cellarius 232. — Cesti 30, 35, 59, 60, 64, 91, 144, 145. — Chabrier 500. — Chalet (Adam) 251 f.,
255. — Chamberlain 435. — Champeron 92. — Charpentier 500 ff., 541. — Chateaubrun 127. —
Chefs d'oeuvre classiques de l'opera fran^ais 108, 548. — Chenard 244. — Cherubini 37, 55, 206,
209ff., 214, 216, 237, 238, 241, 251, 305, 309, 324. — Che soffre, speri (Mazzocchi u. Marazzoli)
90, 143. — Chimay, Fürst 238. — • Chczy, Helmine von 321. — Chollet 243, 244. — Chopin
232,355,362,364, 518. — Chor 16, 18, 88, 102, 103, 114; (Berlioz) 308; (Bontempi) 18; (Caccini)
102; (Gagliano) 102; (Glinka) 364; (Gluck) 133, I38f., 142; (Lortzing) 34of.; (LuUy) 106;
-{Mozart) 158, 161, 193; (Wagner) 17; (Weber) 324f. — Ciampi 151. — Cid (Cornelius) 487. —
Cimarosa9i, 164, 170, 186, 202 f., 271, 280, 362. — CiriUo I44f. — Clairon40. — Clapisson 271,351. —
Claque Jji. — Clavecin 45. — Clemens IX. s. Rospigliosi. — Clemens XII. 51. — Clemenza di Tito
(Mozart) 185 f. — Cleopatra (Mattheson) 81. — Clotilde 77. — Coffey 150. — Colbrand 281. —
Combattimento di Tancredi e Chlorinda (Monteverdi) 20. — Comte d' Ory (Rossini) 281, 282. —
Conradi 54. — Conti 35. — Corneille 233. — Cornelius 486ff., 506. — Corregidor (Hugo Wolf)
489. — Corsar (Verdi) 389. — Corsi 89. — Cosa rata (Martin) 172, 179, 187, 201. — Cosi fan tutte
(Mozart) 42, 181 ff. — Costa 64, 299. — Costisten 81. — Costanza e fortezza (Fux) 149. —
Gramer 548. — Crescentini 280. — Crociato in Egitto (Meyerbeer) 290. — Cruvelli, Sophie 297.
— Cui 370, 371. — Cuzzoni 8of. — Czerny 2i6f.
Dafne (Gagliano) 58, 90, 102 ; (Peri) 89; (Schütz) 42, 149. — Dakapoarie 23, 24, 103. — Dalayrac
31, 241, 261, 280. — Dalibor (Smetana) 357. — Dal mal il bene (Marazzoli und Abbatini) 90,
144. — Dame Kobold (W'eingartncr) 551. — Dame voilee (Mengozzi) 241. — Damnation de Faust
(Berlioz) 309. — Damoreau-Cinti 277. — Dardanus (Rameau) 107. — Dargomyschski 370 f.,
372, 373. — Das Spielwerk und die Prinzessin (Schreker) 557. — Dauchet 42. — Daudet
352. — Dauvergne 121. — David, Felicien 346. — David (Sänger) 280. — Debussy 17, 36, 49,
370, 485, 503f., 5i5f., 535, 547. — Dehn 363. — Deiters 156. — Deklamation 20, 36ff., 108,
HO, III, 200; (Beethoven) 221; (Caccini) 38, 119; (Gluck) 39, 40, 119, 142; (Gretry)4l; (Lully)
106; (Mussorgski) 373; (Rameau) 108, lio; (Strauß) 41 ; (Wagner) 41, 449ff. — Dekoration 58ff.,
63f., 106; (Caccini) 90; (Cesti) 59f.; (Lully) 106; (Mozart) 61 f., 177, 188, 191; (Petrin) 39, 92;
(Puccini) 497; (Spontini) 274; (Winter) 199. — Delibes 243. — Delire (Berton) 241. — Delius
504, 515 ff. — Dellinger 521. — Del Prato 157. — Demogorgone (Righini) 163. — Demoiselles^
de St. Cyr (Dumas) 520!. — Demophon (Cherubini) 210. — Denkmäler dcrTonkunst 149, 548. —
Dent II, 19. — „Denys le tyran" 240. — Deserteur (Monsigny) 231 f. — Le Desert (David) 346.
— Destinn 494ff., 520. — Deutsche Oper 34ff., 38, 39, 42, 43, 44, 49, 51 ff., 54, 61, 70, 93,
III, 147, 149ff., 159, 163, I94f. — Deux avares (Gretry) 245, 254, 257, 261. — Deux aveugles
de Tolede (Mehul) 214. — Deux Journees s. Wasserträger. — Deux nuits (Boieldieu) 242, 246,
255, 266. — Devil to pay (Gay und Coffey) 150. — Devin de Village (Diderot) 86; (Rousseau) 76, 86,
152, 231, 233, 245. — Devrient, Eduard 330. — Diable ä quatre (Hiller) 150. — Dialogoper 37f.,
210, 231, 256. — Djamileh (Bizet) 351!. — Diderot 26, 86, 123, 480. — Dido (Cavalli) 20; (Fux)
113; (Jommelli) 113; (Piccini) 113, 115; (Traetta) 113. — Diebische Elster (Rossini) 280, 282. —
Dinorah (Meyerbeer) 303 f. — Dirigieren 56f. ; (Spontini) 276. — Disgrazie d'amore (Cesti) 144. —
Dissoluto punito o il Don Giovanni (Da Ponte) 174. — Dittersdorf 42, 172, I94ff., 338. — Dok-
tor und Apotheker (Dittersdorf) I94f. — Don Carlos (Verdi) 390, 403 f. — Doni 50. — Donizetti
56, 205, 271, 356, 383, 385 ff., 391, 402, 406. — Don Juan (Fabrizi, Gardi, Gazzaniga) 174; (Gluck)
30; (Grabbe) 334; (Mozart) 42, 44, 74, ijzil., 201, 206, 266, 273, 276, 299; (Righini) 174. —
Donna del Lago (Rossini) 282. — Donna Diana (Reznicek) 528. — Donne cambiate (Paer) 202. —
Donne curiose s. Neugierige Frauen. — Don Pasquale (Donizetti) 383, 385, 386, 387. — Don
Quixote (Kicnzl)529; (Strauß) 543. — Donzelli 243. — Dorat 123. — Dorfbarbier (HiUer) 152;
(Schenk) 196. — Dorfsängerinnen (Fioravanti) 201. — Doriclea (Cavalli) 144. — Dorn, Heinrich
334. — Dostojewski 362. — Dovsky 553. — Drei Pintos (Weber) 313, 314. — Dresden 181. —
Duc d'Olonne (Auber) 257. — Duclos 123. — Duc Foscari s. Beiden Foscari. — Duette 17, 18,
256f.; (Beethoven) 221, 223, 226f.; (Dittersdorf) 195; (Cherubini) 211 f.; (Mozart) 155, 162, 167,
173, 177, 186, igof.; (Pergolese) 17; (Piccini) 146; (Rousseau) 17; (Schubert) 197; (Stradella) 200;
(Wagner) 17. — Dugazon 71. — Dukas 547. — Dumas 389, 399, 492, 52of., 524. — Dumenil 79.
— Dumoulin 76. — Duni 35, 92-, 231. — Duprez 297. — Durazzo 114, 116. — Dvorak 360.
Eberscht, Juda 262. —Ehernes Pferd (Auber) 234, 251, 255. — Eiserner Heiland (Oberleithncr)
549. — Eitner 15, 54S. — Elektra (Gretry) 31; (Spontini) 273; (Strauß) 25, 31, 48, 64, 542ff.,
549, 552. — Elisa (Cherubini) 210, 211, 212, 214; (Fux) 72. — Elisabeth (Rossini) 281, 282. —
Elleviou 244, 271. —Engels 174. — Englische Oper 147 f. — Ensemble 15, l-jL, 144; (Beethoven)
222, 226; (Cherubini) 21 2f.; (Dittersdorf) 195; (Flotovv) 258; (Glinka) 364^; (Gluck) l42;(Lortzing)
339, 340; (Marschner) 330; (Mchul) 214; (Mozart) 155, 158, 161, 168 f., 170, 176, I78f., 184, 186,
190, 193; (Opera comique) 257; (Schubert) I97f.; (Verdi) 396, 402, 407, 4lof., 414, 416; (Wag-
ner) 17, 475. — Ensemblerezitative 18. — Entführung aus dem Serail (Mozart) iS9ff., 163. —
Enzyklopädisten 17, 18, 33, 126, 231. — Erfolg73ff., 77ff.; (Adam) 252; (d'Albert) 5i7;(Auber) 249;
(Beethoven) 207, 216, 217, 218; (Berlioz) 308; (Bizet) 351 ; (Boieldieu) 77, 246, 248; (Cherubini) 210;
(Cimarosa) 202 ; (Donizetti) 387 ; (Fioravanti) 201 ; (Gounod) 346 ; (Hasse) 113; (Herold) 248 ; (Leon-
cavallo)49l; (Meyerbeer) 293; (Mozart) 154, I72ff., 188; (Paesiello) 203; (Piccini) 146; (Rossini)
203, 282; (Rousseau) 76; (Sacchini) 76; (Sarti) 163; (Spontini) 272; (Verdi) 389. — Erinnerungen
anAuber (Wagner) 31. — Erkel 356. — Erminia (Rossi) 90. — Ernani (Verdi) 389, 391, 392, 393.—
Ernelinde (Philidor) 108 f. — Eroika (Beethoven) 207 f. — Esterhazy, Fürst 194. — Eugen Onegin
(Tschaikowski) 378, 379, 380, 381. — Eumelio (Agazzari) 90. — Eumene (Jommelli) 63. — Eunike
319. — Euridice (Caccini) 38, 89, 102, 142; (Peri) 47, 51, 89, 102, 142. — Euripides 100, 133, 137,
140. — Euryanthe (Weber) 30, 211, 313, 315, 320, 321ff., 330. — Evangelimann (Kienzl) 529. —
Evenements imprevus (Gretry) 71. — Ewers 550. — Ewiger Jude (Halevy) 306.
Fabrizi 174. — Fagott 47, 168. — Falkners Braut (Marschner) 328. — Fall, Leo 528.— Fall
Arkonas (Smetana) 361. — Falstaff (Verdi) 42, 342f., 388, 390, 413, 415ff., 420, 505f., 551, 556.
— Faniska (Cherubini) 210, 212. — Farinelli 66, 80. — Farrar 496. — Faule Hans (Ritter) 488. —
Faust (Beethoven) 207; (Berlioz) 489; (Gounod) 347, 348f.; (Grabbe) 334; (Spohr) 326.— Favart
116, 150, 151, 232, 238. — Favart, Frau 151, 152, 232. — Favola pastorale 88f. — Favoritin
(Donizetti) 385. — Fedora (Giordano) 28, 491, 508. — Feen (Wagner) 429. — Feensee (Auber)
248!., 260. — Fee Urgele (Favart) 150. — Feldlager in Schlesien (Meyerbeer) 297. — Fenton 148.
— Feo 56, HC — Ferdinand Cortez (Spontini) 273, 274, 276. — Ferner Klang (Schreker) 556f.—
Ferrarese 171, l82f. — Ferrari 70. — Ferri 80. — Feste d' Apollo (Gluck) 138. — Fetes de Pete
(Montedair) 47. — Fetes venitiennes (Campra) 75. — Fetonte (Jommelli) 1 14. — Feuersnot (Strauß)
532, 543. — Fiancee (Auber) 250. — Fibich 360. — Fidclc berger (Adam) 253. — Fidelio (Beet-
hoven) 30, 54, 93, 206 ff., 209, 212, 214, 215 ff.; (Gaveaux, Paer) 30. — Figaro (Beaumarchais)
151. — Figaros Hochzeit (Mozart) 18, 42, 54, 62, 71, 144, 156, l63ff., 172, 173, 176, 179, 200,
204, 205, 206, 266, 299. — Finale l8f.; (Abbatini) 144; (Auber) 250, 278 f.; (Beethoven) 224, 227;
(Dittersdorf) 195; (Logroscino) 19, 145; (Lortzing) 339; (Mozart) 155, 169, 171, I78f., 180,
l84f., 193; (Müller) 196; (Piccini) 146; (Rossini) 284f.; (Schubert) 198; (Verdi) 403, 412;
(Wagner) 463. — Finanzielles 63ff., 66ff., 78; (Gluck) 118; (Hasse) 63; (Rossini) 281 ; (Wagner)
424. — Fink 334. — Finta giardinicra (Anfossi) 154; (Mozart) 153, 164f., 160. — Finta pazza
(Sacrati) 145. — Finta semplice (Mozart) 153. — Fioravanti 170, 201. — Flaminio (Pergolese)
145. — Flaubert 520, 533. — Flauto solo (d'Albert) 518. — Fledermaus (Strauß) 268. — FUegender
Holländer (Wagner) 30, 260, 306, 328, 423, 425, 427, 428, 429^, 432, 447, 448, 452, 454f., 462,
465,468,473.— Flora (Gagliano) 90. — Flora mirabilis (Samara) 490. — Florentiner Oper 11, 42,
48, 55, 90, 92, 102, 104, 143 ff. - Florcntinischc Tragödie (Zcmlinsky) 556. — Florimo 114. —
Flöte 47; (bei Wagner) 460. — Flotow 81, 234, 242, 253f., 258. — Folie (Bouilly) 214. — Forkel
566
84. — Fortunios Lied (Offenbach) 262 f. — Forza del destino (Verdi) 390, 403. — Fouque 336. —
FraDiavolo (Auber) 249, 250, 257, 259, 260, 261. — Fra due litiganti (Sarti) 163, 179, 200. — Franck,
Cesar iio, 502. — Francoeur 55. — Frangipano 88. — Französische Oper 23, 32ff., 44,70, 71 f., 85 f.,
91, 92, 145, 147, 150, zzgii., 345, 498 ff. — Frate innamorato (Pergolese) 145. — Frau ohne Schatten
(Strauß) 559. — Freischütz (Weber) 56, 276, 313, 314, 315 ff-, 321, 323. — Friedrich der Große 56,
68, 72, 86. — Friedrich Rotbart (Wagner) 428. — Friedrich Wilhelm III. 210, 274. — Fritzchen und
Lieschen (Oflenbach) 263. — Fürstenau 63. — Fürst Igor (Borodin) 374. — Fux 72, 113, 149.
Gabrieli 113. — Gagliano 55, 58, 90, 102, in. — Galatea (Vittori) 91. — Gahani 122. — Galilei,
Galileo 24. — Galilei, Vincenzo 20, 89, 93. — Galli 280. — Galuppi 35, 114. — Garat 55, 239. —
Garcia 297^ — Garcia, Manuel 298. — Gardi 174. — Garrick 123. — Gärtnerin (Mozart) 549. —
Gaudeamus (Humperdinck) 54g. —Gauguin 516, 517. — Gautier 77, 230, 307. — Gautier, Mar-
guerite 492. — Gaveaux 30, 215. — Gay 66, 147, 150. — Gazzaniga 174. — „Geburt Christi"
27. — Geheimnis (Smetana) 358. — „Geloso in cimento" 200. — Genee, R. 164. — Generalbaß
16, 90, 102, 256. — Genoveva (Offenbach) 265; (Schumann) 344. — Gervinus, Victorie 113. —
Gesangliches 16, 23, 36, 49, 5of., 132; (Auber) 249; (Beethoven) 221, 223; (Busoni) 514;
(Cesti) 60; (Cherubini) 2i2f., (Cimarosa) 202f.; (Dittersdorf) igsf.; (Gay) 148; (Gluck) 51,
141; (Jommelli) 113; (Lully) 107; (Mehul) 215; (Mozart) l67ff., 171, l89f.; (Opera comique)
232, 234; (Paer) 202; (Rossini) 204f., 283; (Scarlatti) 51 ; (Schubert) 198; (Verdi) 393f.; (Wagner)
449 ff. — Gesellschaftliches 62 ff., 66 ff., 232. — Gewandhauskonzerte 150. — Gezeichnete (Schrcker)
557. — Giasone (Cavalli) 20, 1 04. — Gioconda (Ponchielli) 490. — Giordano 490, 491 f., 502, 506. —
Giorno di Regno (Verdi) 389. — Giralda (Adam) 252, 258, 260. — Giselle (Adam) 37, 251, 252. —
Ghnka 363 ff. — Glöckchen des Eremiten (MaiUart) 235, 243, 255, 261. — Glocken 255 ; (bei Verdi) 418.
— Gluck II, 21, 30, 31, 32, 35, 39, 40, 42, 44, 45, 47, 49, 51, 55, 56, 60, 64, 68, 71, 74, 76, 81, 84,
86, 87, 92, 93, 97 ff., 115ff., 151, 156, 157, 158, 160, 172, 186, 194, 19g, 210, 272, 276, 286, 287,
299. 306, 307, 310, 322, 336, 423, 479, 547. — Gogol 371, 375, 378. — Goldener Topf (Hoffmann)
336. — Goldmark 527. — Goldoni 181, 231, 507, 508 f. — Goldschmidt, Hugo 11,47, 143, S48. —
Goncourt 81, 122, 123. — Gosscc 133. — Goethe 37, 40, 41, 47, 86, 100, 127, 128, 130, 140, 160,
164, 194, 199, 250, 252, 293, 348, 350, 478, 489, 498 f., 523. — Götterdämmerung (Wagner) 426,
433 f., 441, 453, 477. — Gottsched 83. — Gott und die Bajadere (Auber) 25of. — Goetz 486.
— Gounod 346ff., 350, 354, 381, 489. — Governatore (Logroscino) 19. — Gozzi 429. — Grabbe ■
175, 334. — Graener 551. — Grassi 164. — Graumann 298. — Graun 68, 72. — Gregor 57,61. —
Gretry 31, 40, 41, 47, 4g, 53, 55, 56, 67, 71, 86, 92, 151, 232, 236, 240, 241, 242, 245, 252, 254,
261, 381. — Grillparzer 207, 547. — Grimm 17, 27, 85, 126, 156, 232. — Grisar 242, 258. —
Griselda (Paer) 92. — Grisi 64, 259, 297, 384. — Großadmiral (Lortzing) 334. — Großherzogin von
Gerolstein (Offenbach) 240, 265. — Grotta di Trofonio (Salicri) 163. — Grün 526f. — Guadagni
51. — GugUelnji 74, 136, 200. — Guillard 141. — Guingene 126. — Günther von Schwarzburg
(Holzbauer) 149. — Guntram (Strauß) 532f. — Gustav III. (Auber) 248. — Guttierez, Antonio
Garcia 389. — Gwendoline (Chabrier) 500. — Gyc 65.
Haideschacht (Holstein) 344. — Halevy 242, 260, 305 ff., 330, 351, 352. — Halka (Moniuszko)
361. — Hamlet (Thomas) 350, 351. — Händel 35, 55, 56, 66, 80, 81, 92, lio, lll ff., 113, I16,
138, 426 f. — Hanni weint und Hansi lacht (Offenbach) 263. — Hansel und Gretel (Humperdinck)
45) 5 '9) 525, 526, 528. — Hans Helling (Marschner) 30, 327, 33off. — Hans Sachs (Lortzing) 334,
336, 338, 339. — Harfe 255; (bei Wagner) 457. — Harmonisches I4ff., IIO; (Auber) 249; (Bizet)
351, 353f.; (Caccini) 102; (Gagliano) 102; (Gluck) I3lf., 142; (Monteverdi) 21, 22, 103; (Mozart)
155, l6lf., 168, 180, 183; (Rameau) 108; (Rossini) 283; (Schubert) 197; (Spontini) 273f.; (Verdi)
409f., 413, 418; (Wagner) 465, 470, 477. — Harsdörfer 23. — Hasse, Johann .'\dolf 41, 42, 44, 56,
63, 66, 84, 91, 112, 113, 14g, 150, 156, 158, 200, 547. — Hasse, Max 487. — Häuslicher Krieg
(Schubert) I97f. — Haute-contre 132. — Haydn 40, 186, ig4, 238. — Hebbel 438, 527. — Hedy
(Fibich) 360. — Heidegger 66. — Heimliche Ehe (Cimarosa) 202 f. — Heine, Heinrich 78, 293,
297. — Heinrich IV. von Frankreich 89. — Heinrich IV. (Shakespeare) 416.' — Heinrich MII.
(Saint-Saens) 499. — Heinrich von Preußen 40. — Heinse, Wilhelm 21, 22, 34, 39, 51, 70, 113.
— Heirat (Gogol) 371. — Heirat wider Willen (Humperdinck) Sigff. — Helvetius 123. — Hempel
295, 383. — Henin, Prince de 124 f. — „Henri IV." 240. — D'Herbain 47. — Herder 86, 127. —
Herlossohn 334. — Herold 55, 237, 238, 242, 245, 247f., 249, 251, 254, 256, 258, 268. — Herve 268.
— Herzog 520. — Hieronymus, Erzbischof von Salzburg 154, 157, 159. — Hieronymus Knicker
(Dittersdorf) 19,5. — Hildegard von Hohenthal (Heinse) 21, 51, 113 f. — Hiller 34, 150 {f., 160.
— Himmel 194. — Hippolyte (Rameau) 107. — Historische Oper 199, 270ff., 346. — Hochrezitativ 22.
— Hodler 527. — Hoffmann, E. T. A. 74, 118, I74f., 274, 320, 336, 51 1 ff., 514. — Hoffmanns
Erzählungen (Offenbach) 268. — Hofkomponisten 64. — Hofmannsthal 25, 43, 535, 536, 539, 540,
54if., 544, 545 ff., SjSf. — Hofmeister 334. — Hofopern 68ff. — Hofpoeten 42, 64. — Hogarth 148.
— Holstein 344. — Holzbauer 34, 149. —Holzbläser 47; (bei Beethoven) 222; (Mozart) 168, 172;
(Wagner) 455. — Homer 100. — Honorare 42, 63f., 67, 297; (Beethoven) 217; (Cavos) 362;
(Gluck) 64; (Hasse) 63; (Jommelli) 63 ; (Metastasio) 64; (Meyerbeer) 64; (Mozart) 164; (Rameau) 64;
(Rossini) 64, 281; (Strauß) 64; (Verdi) 64. — Houdon 118. — Hugenotten (Meyerbeer) 51, 277,
293ff., 299, 300, 305. — Hugo, Victor 393, 552. — Hülsen 549. — Humperdinck 37, 251, 485,
5l9fT., 524, 53lf., 539, 549. — Frau Humperdinck 524. — Hunyady Laszlo (Erkel) 356.
Jacquin 164. — Jadlovvker 383. — Jagd (Hiller) 152. — Jahn 156, 166, 174, 182, 217. — Jahr-
marktsbühnen 231. — Janacek 556. — Jason (Cavalli) 28. — Jerusalem (Verdi) 389. — Jesus von
Nazareth (Wagner) 428. — Idomeneo (Mozart) I57f., 186. — Jenufa (Janacek) 556. — Jcry und
Bätely (Bronsart, Goethe, Kaiser usw.) 252. — Jessonda (Spohr) 326f. — Jeu de Robin et Marion
(Adam de la Haie) 232. — Jeune Henri (Mehul) 72. — L'incoronazione di Poppea (Monteverdi) 91, 548.
— Indes galantes (Rameau) 107. — Indra (Flotow) 254. — d'Indy, Vincent 362, 502. — Ingwelde
(Schillings) 5 27. — Innocenzagiustificata (Gluck) 42, 116. — Inszenierung s. Aufführung. — Intermedii
et Concerti (Malvezzi) 88. — Intermezzo 61, 143. — Joconde (Isouard) 247. — Johanna d'Arc
(Verdi) 389, 403. — Johann von Paris (Boieldieu) 244, 245 f., 260. — Jolanthe (Tschaikowski) 379. —
Joliefille de Perth (Bizet) 351. — Jommelli 11, 22, 35, 63, 82, 91, 92, iii, 113, Il4f., 156, 286. —
Jongleur de Notre Dame (Massenet) 499. — Joseph II. 153, 159. — Joseph in Ägypten (Mehul)
27, 30, 74, 2l4f. — Josephine, Kaiserin 272. — de Jouy 272. — Iphigenie (Gluck) 74, 76, 117,
118, 121, 122, 126, 129, 136; (Goethe) 100; (Majo) Il3f.; (Piccini) 115. — Irato (Mehul) 73. —
Isis (Lully) 107. — Isouard 236, 241 f., 244, 247, 254, 260. — Italienische Oper 18, 22, 32ff., 38, 39,
49, 51 ff., 54, 61, 70, 88, 92, 93, 98, 102ff., HO, 119, 143 ff., 147, 149, 2ooff., 231, 345, 490. —
ItaUenerin in Algier (Rossini) 282. — Jüdin (Halevy) 305, 330. — Judith (Serow) 369. — Juif
errant s. Ewiger Jude. — Jullien 548. — Junge Siegfried (Wagner) 425. — Jungfrau von Orleans
(Tschaikowski) 378.
Kain (d'-iMbert) 518. — Kaiser 485. — Kaisermarsch (Wagner) 424. — Kalbeck 174. —
Kalif von Bagdad (Boieldieu) 241. — Kamehendame (Dumas) 389, 399, 492. — Kapell-
meister (Paer) 201. — Karl VI. 72. — Karl August, Herzog 128, 129. — Kaspar der Fagottist
(Müller) 187. — Kastraten 51 ff., 80. — Katharina von Medici 88. — Kavatine 23. — Kayscr 40,
160, 252. — Kciser 53, 56, 8l, 92, 112, 113, 149. — Keller 478, 515. — Kelly 163. — Khovancht-
china (Mussorgski) 371 ff. — Kienzl S28ff., 549. — Kind 315. — Kipling 478. — Kirnbergcr 193. —
Klarinette 47. — Klassizistische Oper 97ff., 21 1, 270. — Kleefeld 387. — Kleist 100. — Klopstock
127, 128. — Koch 150, 152. — Koloratur 23, 38; (Caccini, Gagliano) 102; (Opera comiquc) 235;
(Stravinsky) 556. — Komische Oper 37, 149. — Komponisten 41 ff. — Kompositionstechnik
(Wagner) 429ff., 453. — Königin von Saba (Goldmark) 527. — Königskinder (Humperdinck) 37,
524 ff., 539. — König Thamos (Mozart) 21, 154. — Konservatorien (Palazzo dei Pisani) 509; (Pariser
Konservatorium) 210. — Kontraalt 132. — Kontrabaß 47. — Kontrafagott 47. — Kontrapunktik
568
15, 143- — Konturmelodie i6. — Körner, Theodor 327. — Korngold 554 ff. — Kostüme 61. —
Kotzebue 335. — Kretzschmar 11, 19, 64, 149, 156, 211. — Kreutzer, Conradin 341. —
Kreutzer, Rodolphe 37, 47, 241. — Kritiken (bei Beethoven) 216. — Kritischer Musikus (Scheibe)
40. 51. — kuhreigen (Kienzl) 528. — Kuß (Smetana) 357.
Labilia (Spinelli) 490. — Lablache 243, 297. — Laborde 79, 126. — Labyrinth (Winter) 199.
— Ladislaus Sigismund, Fürst 90. — La Dori (Cesti) 30. — Lafont 243. — Laharpe 126, 127. —
Lajarte 46. — Lairesse 127. — Lakme (Delibes) 244, 496. — Lalo 498. — Lamentoszenen in. —
Lampugnani 156. — Landi 90, 141, 144. — Landleben van Dycks (Kind) 315. — Lange 157,
164, 183. — Langer, Ferdinand 314. — Langhans 11. — Larrivee 122. — Lasso, Orlando
106. — Latilla 156. — Lauraguais 123. — Lavigne 297. — Leben für den Zaren (Glinka) 363.
— Leblond 125. — Lecocq 268. — Leczinska 122. — Legende von der unsichtbaren Stadt Kitesch
und von der Jungfrau Fewronia (Rimsky-Korssakow) 377. — Legros 122. — Lehmann, Lilli 549.
— Leichtentritt 11, 547. — Leitmotive 48f.; (Adam) 260; (d' Albert) 517; (Auber) 278; (Beet-
hoven) 208, 219^,225, 226; (Blech) 550; (Cherubim) 212; (DeUus) 516; (Dittersdorf) 195; (Glinka) 364;
(Humperdinck) 519; (Isouard) 260; (Lortzing) 48, 338 f.; (Massenet) 498; (Meyerbeer) 291; (Monte-
verdi) 48; (Mozart) 168, 178, 193; (Opera comique) 259f.; (Pfitzner) 526; (Rossini) 287; (Scar-
latti) 48; (Schmidt) S52f.; (Strauß) 536, 559; (Tschaikowski) 380; (Verdi) 406, 409f.; (Wagner)
48f.,453,454,46sff.,476, 516, 519; (Winter) 199; (Wolf-Ferrari) 551. — Lenau 175. — Leo II, 19,
91, 1 10. — Leoncavallo 42, 68, 73, 276, 298, 485, 490, 491,492, 522, 55 1. — Leonore (BouiUy) 214, 215.
— Leopold L 72, 91, 93. — Leopold 0.185.— Lesueur 37, 73, 272. — Letztes Abenteuer Don Juans
(Graener) 55 1. — Lettre sur la musique fran?aise (Rousseau) 33. — Lettre surOmphale (Grimm) 17, 27.
— Leute von Seldviyla (Keller) 515. — Levasseur 243. — Levasscur, Rosalie 125, 136. — Levi,
Hermann 36, 487, 488. — Leyden, Johann von 297. — Libussa (Smetana) 357. — Lichnowski, Fürstin
216. — Liebe auf dem Lande (Hiller) 151. — Liebespfeile (Boschetto-Boschetti) 59. — Liebestrank
(Donizetti) 386. — Liebesverbot (Wagner) 429. — Liebhaber als Arzt (Woiff-Ferrari) 551. — Ligne,
Prince de 1 23. — Lind 297, 298, 301 . — Linda vonChamonix (Donizetti) 385, 386. — Lionardo 553. —
Lira grande 47. — Lisuart und Dariolette (Hiller) 150. — Liszt 291, 307, 358, 363, 424, 487. —
Literatur (Abert) 11,114; (Adam) 239; (Addison) 84, 85 ; (Agricola) 24 ; (.-Ugarotti) 86 ; (Ambros) 11,59,
84; (Appia) 61 ; (d'Arienzo) 144; (Arnaud) 126; (Beethoven) 206; (Bcrlioz) 84, I34f., 237, 272, 299,
307; (Boieldieu) 243; (Bouilly) 241 ; (de Brosses) 307; (Bulthaupt) 174; (Burney) 77; (Calmus) 150;
(Calsabigi) 130; (Casanova) 151, 153; (Chamberlain) 435; (Chefs d'oeu vre) 108, 548;(Cramer) 548;
(Czerny) 217; (Denkmäler der Tonkunst) 149, 548; (Dent) 11, 19; (Diderot) 86, 480; (Dittersdorf)
42, 194; (Doni) 50; (Eitner) 15, 548; (Engels) 174; (Florimo) 114; (Forkel) 86; (Franck) Iio; (Für-
stenau) 63; (Galilei) 20; (Gervinus) 113; (Goldschmidt) II, 47, 143, 548; (Gautier) 77; (Goncourt)
81, 122, 123; (Goethe) 40, 86, 160, 164, 194; (Gottsched) 84; (Gretry) 40, 53, 56, 71, 236; (Grimm)
17, 27, 86; (Hasse) 487; (Heine) 78, 297; (Heinse) 21, 34, 51, 70, 113; (Herder) 86; (Hoffmann,
E. T.A.) 182; Gähn) 156, 166, 174, 182, 217; (JuUien) 548; (Kalbeck) 174; (Kretzschmar) 11,
19, 64, 149, 156, 211; (Kritiken) 217; (Laborde) 79; (Lajarte) 46; (Langhans) 11 ; (Leblond)
125; (Leichtentritt) 11, 548; (Leo) 11; (Malherbc) 548; (Manis) 279; (Marcello) 84; (Marot)
106; (Marx) 115, 134, 138; (Mattheson) 81, 104; (Maugars) 78; (Mayr) 84; (Mazzatinti) 279;
(Mendelssohn) 280; (Menetrier) 39, 59; („Mercure") 145; (Milton) 143; (Mörike) 173; (Neitzel)
548 ; (Nietzsche) 84, 98 ; (Nottebohm) 207 ; (Österreichische Denkmäler) 60 ; (Pedrell) 5 48 ; (da Ponte)
163; (Pougin) 214, 238, 548; (Preibisch) 30; (Priegcr) 216, 217; (Quantz) 149; (Raguenet) 33;
(Rellstab) 276; (Ricci) 63; (Riemann) 30, 548; (Rodenberg) 328; (Rousseau) 33, 47, 56, 76, 86,
126, 233, 236; (Sarrazin) 148; (Scheibe) 40, 41, 51; (Schindler) 218; (Schlegel) 83, 84, 118; (Senff)
548; (Siegmeyer) 126; (Stendhal) 186, 280, 307; (Sulzer) 84; (Theaulon) 276; (Torchi) 548; (Vogel)
II; (Volbach) 47; (Voltaire) 84, 86; (Wagner) 23, 31, 42, 54, 271, 276, 306, 422, 449; (Weber)
322; (Weckerhn) 108; (Welti) 116; (VVieland) 127 f. — Lobetanz (Thuille) 527. — Lobkowitz 68,.
115. — Lodoiska (Cherubini) 210, 2l2f. — Logen 67. — Logroscino 19, 91, 145. — Lohengrir
<Wagner) 30, 44, 211, 291, 306, 323, 330, 408, 425, 427, 428, 429, 431 {f., 441, 446, 447, 449
452, 453, 454, 455f.,464f., 476, 477, 487. — Lombarden (Verdi) 389, 391, 392. — London 64,
66. — Lortzing 41, 48, 82, 152, 196, 332ff., 337 ff., 421, 529. — Lotti 35, 63. — Louis XIV. 80
91, 92, 106. — Louis XV. 80. — Lucca 297. — Lucia von Lammermoor (Donizetti) 385^, 387
— Lucio Silla (Mozart) 154. — Lucrezia Borgia (Donizetti) 385, 386; (Hugo) 393. — Ludwig II
70, 424. — Ludwig XV. 80, 126. — Luise (Charpentier) 500 ff., 541. — Luisa Miller (Verdi) 389,
392f. — Lukian 100. — LuUy 32, 33, 35, 40, 42, 44, 46, 56, 57, 75f., 87, 92, 93, 104ff., 118, 119
121, 125, 126, 140, 347, 545, 559. — Lustige Schuster (Standfuß) 150, 202. — Lustige Weiber
(Nicolai) 342.
Macbeth (Beethoven) 207; (\'erdi) 389, 390. — Madame Buttcrfly (Puccini) 494ff. — Mädchen
aus dem goldenen Westen (Puccini) 498. — Mädchen von Elizondo (Offenbach) 264. — Madrigal-
oper 15 f., 88, 427. — Magnaminitä d'Alessandro (Cesti) 144. — Magny 75. — Mahler 54, 218,
222, 315, 325. — Mahomet II. (Rossini) 280, 281, 282. — Maienkönigin (Gluck) 116. — Mailand
•66, 490. — Maillart 71, 243, 261, 263. — Maillart (Sängerin) 71 f., 136. — Mainacht (Rimsky-Korssa-
kow) 375. — Maison ä vendre (Dalayrac) 241. — Majo9l, 113, 114, 156. — „Makkabäische Mutter"
27. — Mala vita (Giordano) 491. — Malfleurai, Clotildc 238. — Malherbe 548. — MaUbran
285, 298. — Malvezzi 88. — Mamsell Angot (Lccocq) 268. — Manis 279. — Mann, Thomas 554. ^
Mannheim 1 14, 149, 1 57. — Manon (Massenet, Puccini) 492 ff., 499. — Mansio 42. — Mapelson 65. —
Mara 297. — Marais 76, 205. — Marcello 41, 84. — Markesi 280, 298. — MarazzoH 90, 143, 144. —
Marchetti 387. — Marcolini 280. — Margarethe (Gounod) 348f., 350. — Maria Antonia, Prinzessin
von Sachsen 41. — Marie (Herold) 248. — Marino Falieri (Donizetti) 385. — Mario 64. —
Marmontel 123, 126. — Marot 106. — Marquise de Brinvilliers (Herold) 55. — Märsche (Beet-
hoven) 223. —Marschner 326, 327 ff., 334, 337, 370, 462. — Martha (Flotow) 234, 253 f., 258, 260,
261. — Martin 172, 179, 201. — Martin (Sänger) 244. — Martinez 64. — Martini 126. — Marx
1 15, 134, 1 38. — Mascagni 490 f., 492. — Maskenball (Verdi) 248, 390, 404ff., 408, 419. — Masse 243.
— Massenet 346, 485, 492f., 598 f., 533. — Maß für Maß (Shakespeare) 42g. — Ma tante Aurore
(Boieldieu) 77, 244. — Maeterlinck 43, 509, 541. — Mattci 55. — Mattheson 54, 81, 92, 104.
— Maugars 78. — Maupin 79f. — Maurer und Schlosser (Auber) 249, 257, 259, 260, 261. —
Maximilian III. 153. — Mayer 215, 216. — Mayr 30, 31, 47, 84, 92, 205, 215, 280, 298. — Mazarin 32.
— Mäzenaten 62f., 68ff., 72f., 81, 89f., 153. — Mazeppa (Tschaikowski) 378, 38of. — Mazzatinti 279.
— Mazzocchi 90, 143. — Medea (Cavalli) 20; (Chcrubini) 210, 211. — Medici (Leoncavallo) 491.
— Mefistofele (Boito) 489. — Mehul 27, 30, 47, 50, 72, 73, 74, 206, 214ff., 236, 241, 244. —
Meilhac 352. — Meistersinger (Wagner) 37, 38, 54, 149, 196, 364, 424, 425, 427, 428, 441, 442 ff.,
445, 446, 448, 450, 45! f., 453, 454, 459, 460, 470, 473ff., 476, 478, 479, 485, 519, 520, 521, 522.
526, 531, 532, 542. — Mclani 45, 144. — Melodisches I4ff., 38, 102; (Auber) 249; (Bizet) 354;
(Dargomyschski) 371; (Dittersdorf) I95f.; (Gluck) 132, 137; (Lortzing) 340; (Monsigny) 259;
(Mozart) 153, 15s, i66ff., 176, 180, 183; (Verdi) 392, 398, 412, 413; (Wagner) 467f. —
Melodrama 37, 194; (Beethoven) 226; (Benda) 37; (Fibich) 360; (Goethe, Humperdinck) 37;
(Mozart) 160. — Melusine (Grillparzer) 207. — Mendelssohn 218, 280, 288, 325, 330, 340, 347.
— Menctrier 39, 59. — Mengozzi 241. — Mercadante 387. — „Mcrcure" 145. — Merimee 352.
— Merry cobler (Coffey, Gay) 150. — Merulo 88. — Meßmcr 152. — Metastasio 40, 42, 64, 72,
84, 114, 116, 117, 119, 149, 185, 186, 187, 200,207, 288. — Moyerbecr35, 64, 68,74,77,247,248,
277, 287 ff., 305, 306, 309, 324, 376, 391, 401,406,408,419,423,429. — Mignon (Thomas) 349 f.
— Milchmädchen (Duni) 231. — Milder 215, 274. — Milton 143. — Misch 549. — Mitridatc (Mozart)
154. — Moliere 106, 181, 233, 346, 545, 546f.. 551, 558f. — Moloch (Schillings) 527. —
Mona Lisa (Schillings) 553f. — Mondonvillc 76, 151. — Moniglia 144. — Moniuszko 361. —
Monodie 15 f., 20, 88, 90, lll; (Meyerbeer) 302. — Monsieur Choufleury (Offenbach) 265. —
Monsieur et Madame Denis (Offenbach) 263. — Monsigny 42, 82, 92, 231, 236, 240, 241, 252, 259.
— Monteclair 47. — Monteverdi 11, 20, 21, 22, 46, 48, 91, 93, I02f., 119, 142, 503, 548. —
V
Moreau 80. — Mörike 173. — Morlacchi 34. — Moses in Ägypten (Rossini) 281, 284, 286, 299,
513. — Motteville, Madame de 36. — Mottl 308, 487, 488. — Mozart, Konstanze 155, 159. —
Mozart, Wolfgang Amadee 1 1, 21, 22, 30, 34, 35, 38, 40, 42, 44, 47, 48, 49, 54, 61, 74, 84, 86, 93, 114,
i43ff., 146, 149, 150, 152ff., 194, 195, 199, 2oof., 202, 207, 215, 225, 228, 238, 266, 280, 286.
312, 314, 321, 324, 326, 334, 336, 338, 340, 371, 388, 407, 419, 423, 465, 469, 479, 505, 508, 510,
522, 539,540, 541, 542, 545,549, 551. — Mozart und Salieri (Rimsky-Korssakow) 375. — Mrazek 547.
— Müller 149. — Müller, Hans 554. — Müller, Wenzel 187, 196. — Murat 281. — Murger 492, 501.
— Musäus 248. — Musica, della antica e della moderna (Galilei) 20. — Musikalisches I4ff., 144;
(Adam) 252, 258; (Auber) 251; (Bizet) 351, 352; (Busoni) 5i2f.; (Cherubini) 212; (Cimarosa) 202;
(Debussy) 503; (Gay) 148; (Giordano) 49lf.; (Händel) 13, 113; (Martin) 201; (Meyerbeer) 292,
294f.; (Mozart) 162, ißjif.; (Opera comique) 235; (Pergolese) 145; (Rossini) 203f.; (Rousseau) 233;
(Spontini) 272; (Verdi) 417; (Wagner) ^6iii.; (Weber) 323; (Weigl) 198; (Winter) 199. — Musik
(antike) 97 f.; (asiatische) 346; (horizontale) 16; (magyarische) 346; (polyphone) iilf., 116;
(russische) 346; (slawische) 346; (spanische) 346; (tschechische) 357 ff., 369; (vertikale) 16. —
Musikzeitung 150. — Musset 262, 351. — Mussorgski 371 ff., 403. — Muzio Scaevola (Bononcini,
Händel, Mattel) 55. — Mysteres d'Isis 74 s. Zauberflöte.
Nabucco (Verdi) 389, 391. — Nachtigall (Stravinsky) 557. — Nachtlager von Granada (Kreutzer)
341. — Nachtwandlerin (BcUini) 384. — Napoleon I. 73, 171, 203, 210, 272, 273. — Napoleon HI.
424. — Nationale Opern 345ff. — Neapeler Oper il, 19, 91, liof., 114, 155, 490. — Neefe 194.
— Neffen (Rameau) 86. — Neige (Auber) 244. — Neitzel 548. — Neßler 344. — Neuer Gutsherr
(Boieldieu) 246. — Neufchateau 124. — Neugierigen Frauen (Wolf- Ferrari) 504 ff., 509 ff. 551. —
Nibelungen (Hebbel) 438. — Niccolo s. Isouard. — Nicolai 35, 42, 342, 389, 416. — Niemann 549. —
Nietzsche 84, 98, 424, 446, 448, 532. — Nina (Dalayrac) 31. — Ninette ä la cour (Favart) 151. —
Niobe (Müller) 149. — Noblet 75, 278. — Nordstern (Meyerbeer) 303. — Norma (Bcllini) 54,
384f., 389. — Notre Dame (Schmidt) 552. — Nottebohm 207. — Nourrit 243, 277, 297, 298. —
Noverre 37, 114, 157. — Nozze di Figaro s. Figaros Hochzeit. — Nuittcr 92. — Numa Pompilio
(Hasse) 200. — ■ Nr. 66 (Offenbach) 263. — Nuove musiche (Caccini) 89. — Nurmahal (Spontini) 275.
Oberlcithncr 549. — Oberon (Weber) 55, 74, 313, 315, 324ff., 343. — Oberst Chabert
(Waltershausen) 547. — Oberto (Verdi) 388, 391. — Oboe 47. — Oca del Cairo (Mozart) 163 f.
— Oedipe de Colone (Sacchini) 76, Il4f. — ödipus (\'oltaire) 86. — Offenbach 231, 234, 235,
242, 244, 26l,262ff., 347, 406. — Oie de Caire (Mozart) 164. — Olimpiade (Jommclli) 113, 114;
■(Pergolese) 145. — Olympia (Spontini) 273, 276, 277. — Ombraszenen in. — Oper (Geschichte)
iif., i4ff., i8f., 20, 22, 23, 32, 51, 88ff., 143, 147, 194, 2i5f., 23iff., 27of., 362, 425f., 490;
'(Theorie) 82ff.; s. auchLiteratur; (Wesen) 9ff., I3ff., 62f. — Opera comique 35, 48, 92, 145,
229ff., 270, 312, 346, 363, 429. — Operette 232, 244, 253, 528. — Opernlexikon (Riemann) 30.
— Opernprobe (Lortzing) 334. — Oper und Drama (Wagner) 23, 449. — Ophikleide 299. —
Opitz 42. — Oratoriumoper 89, 104, 112, 142. — Orchester 16, 20 f., 43 ff., U2,298ff. ; (d' Albert)
551 ; (Bayreuth) 456; (Beethoven) 208, 2l9ff., 225; (Berlioz) 299, 308, 309 f., 506, 534; (Blech) 550;
(Busoni) 5l2f.; (Carlo) 48; (Cherubini) 2llf., 214; (Cimarosa) 202; (Dittersdorf) I95f.; (Gluck) 45,
47, 1-32, 134, I35f., 137, 139, 142, 222, 299; (Gretry) 47; (d'Herhain) 47; (Herold) 256; (Holz-
bauer) 149; (Humperdinck) 45, 529; (Jommelli) 114; (Komische Oper) 255 f.; (Kreutzer) 47;
(Leoncavallo) 298; (Lortzing) 340; (LuUy) 46; (Marschner) 33I; (Mayr) 47, 298; (Mehul) 47, 215;
(Melani) 45; (Meyerbeer) 299f., 309; (Monteclair) 47; (Monteverdi) 20, 46, loif., I03f. ; (Mozart)
155, 158, 161 f., i68ff., 176, 180, 183, 189, 193, 299; (Paris) 46ff.; (Peri) 47; (Rameau) 108;
(Rossini) 202f., 299; (Rousseau) 256; (Scarlatti) 46; (Schreker) 557; (Schweitzer) 149; (Spontini)
249, 276, 299; (Stravinsky) 556; (Strauß) 48, 298f., 534fT., 538flF.; (Verdi) 392, 406, 409,
411, 417; (Wagner) 44, 452ff.; (Weber) 3l6f., 323f.; (Wolf-Ferrari) 506. — Orest (Gluck)
45. — Orontea (Cesti, Cirillo) 145. — Orpheus 59; (Bertoni) 136; (Caccini) 142; (Gluck) 21, 35,
51, s6, 74, 86, 100, io8, ii6f., ii8, 120, 122, 129, i3off., 133, 138, 141 f., 262, 266; (Landi) 90,
I4lf.; (Monteverdi) 46, 91, 102ff., 142, 262, 503; (Offenbach) 262, 264!.; (Peri) 142, 262; (Rossi)
91, 144. — österreichische Denkmäler 60, 149. — Othello (Rossini) 282, 283f., 413; (Verdi) 390,
41 3 ff. — Othelloballett (\'igano) 284. — Ottavia (Keiser) 112. — Otto (Händel) 112. — Ouvertüre
44; (Beethoven) 215, 217, 218, 2l9ff., 225; (Cherubini) 2iiff.; (Gluck) 44, 130, 133, 136, 137,
138, 141 ; (Gretry) 254; (Herold) 237; (Isouard) 254; (Komische Oper) 2545.; (LuUy) 44; (Mehul)
214; (Mendelssohn) 325; (Mozart) 161, 164, 167, 173, l8of., 183, 189, 193 f.; (Rameau) 44; (Rossini)
286; (Scarlatti) 44; (Tschaikowski) 380; (Verdi) 400, 403; (U'agner) 452f.; (VVeber) 315, 321, 326.
Pacchiarotti 280. — Paccini 280. — Pacini 387. — PadiUa 298. — • Paer 30, 55, 68, 92, 201 f.,
216, 280. — Paesiello 73, 84, 91, 114, 186, 202, 203, 206, 280, 362. — Palazzo Barberini 90 —
Palestrina (Pfitzner) 554. — PaUavacino 23. — Pantomime 36f. ; (Adam) 37, 252 ; (Berlioz) 310; (Gluck)
134; (Noverre) 37; (Rousseau) 233; (Wagner) 37. — Parallele des Italiens et desFran^ais(Raguenet)
33.— Paride (Bontempi) 18, 41. — Paris 37, 46, 61, 64, 73, 76, 116, 117, 121, 132, 133, 145, 174,
231, 500. — Pariser Oper 39, 106, 121 ff.; s. auch französische Oper. — Paris und Helena (Gluck)
117, 118, 120, 134, 136. — Pariser Leben (Offenbach) 265, 267. — Parlando 145, 200. — Parodie
195; (Favart) 232; (Fioravanti) 201; (Lortzing) 339; (Mehul) 214; (Paer) 201. — Parsifal
(Wagner) 45, 58, 424, 427, 428, 444, 448, 450, 452, 453, 454, 46of., 463, 465, 476f. — Pasta 280,
283, 297, 298, 384. — Pauke 47. — Pecour 75. — Pedrell 548. — Pelissier 75, 281. — Pelleas und
Melisande (Debussy) 25, 503. — Pelops-Trilogie (Fibich) 360. — Pepusch 148. — Pergin 117.
— Pergolese 17, 91, 92, 145f., 156, 547. — Peri 42, 47, 51, 55, 88, 89, 90, 91, 102, 142. — Perlen-
fischer (Bizet) 351. — Petrin 39, 42, 92, 106. — Persiani 297. — Persuis 73. — Pest in Florenz
(Halevy) 306. — Petersburg 203, 362. — Petersjahrbuch 19, 64, 156, 211. — Petite Maison (Spon-
tini) 272. — Petit prophete de Boemischbroda (Grimm) 85. — Petits riens (Noverre) 157. — Petrella
387. — Pfeifertag (Schillings) 527. — Pfitzner 336, 526 ff., 554. — Philemon und Baucis (Gounod)
347. — Philidor 56, 92, 108, in, 232. — Philipp V. 80. — Phrosine und Melidor (Mehul) 72. —
Piave 397, 399. — Piccini 19, 32, 71, 86, 91, 92, 113, 114, 115, I26f., 129, 146, 155, 156, 271. —
Piquedame (Tschaikowski) 378, 379, 380, 381. — Pietra del paragone (Rossini) 280. — Pir.ita
(Bellini) 384. — Piva s. Steffani. — Planer 424. — Planquette 268. — Piatee (Rameau) 44. —
„Polly" 148. — Polnische Oper 361, 364. — Polnischer Jude (Karl Weis) 527. — Pomo d'oro
(Cesti) 59, 60. — Pomone (Cambert) 92. — Pompadour 122. — Ponchard 243, 244. — Ponchielli
387, 490. — Da Ponte 42, 163, 169, 172, 173, 174, 176, 181, 182, 183. — Poppea (Monteverdi)
104. — Porpora 35, 41, 66, 91. — Portugal, M. A. 201. — Portugiesischer Gasthof (Cheru-
bini) 210, 212. — Posaune (Gluck) 47; (Mozart) 172; (Wagner) 457. — Postillon von Lonjumeau
(.Adam) 234, 242, 244, 252, 255, 259, 260, 261. — Pougin 214, 238, 548. — Poussin 142. — Prag
I72f. — Präger 322. ■ — Pre aux clercs (Herold) 255; s. auch Schreiberwiese. — Preciosa (Weber)
314. — Preibisch 30. — Prevost 492. — Prieger 216, 217, 218. — Procope (Bizet) 351. —
Produktivität 56, 2391.; (Adam) 251; (Cavalli) 91 ; (Dalayrac) 241 ; (Donizetti) 56, 385; (Gluck)
56; (Gretry) 241; (Hasse) 56; (Offenbach) 262; (Paesiello) 203; (Portugal) 201; (Rossini) 56, 282;
(Sacchini) 56; (Scarlatti) 56. — Prophet (Meyerbeer) 299, 300ff., 305. — Proserpina (Goethe)
37; (Paesiello) 73. — Provenzale 145. — Pubhkum 66ff.; s. auch Gesellschaftliches. — Puccini
42, 49, 485, 490, 491, 492ff., 499, 502, 516, 517, 551, 555. — PurccU 53, 92, 147. — Puritaner
(Bellini) 384. — Puschkin 368, 370, 372, 378, 379. — Pygmalion (Rousseau) 37.
Quantz 149. — Quinault 40, 42, 133, 138.
Raaff 157. — Racine 76, 100, 117, 121, 137, 186, 233. — Raguenct 33, 51, 71. — Raimund 549 f. —
Rameau 26, 44,47, 55, 57, 64, 86, 92, 107f., HO, 116, 118, 119, 125, 138,236. — Ramm 157. —
Rappclkopf (Blech) 549. — Räuber (Verdi) 389. — Raupach 335. — Rauchfangkehrer (Salieri) 35. —
Rebel 55. — Regie 57ff. — Regimentstochter (Donizetti) 386f. — Regimentszauberer (Offen-
bach) 263. — Regina (Lortzing) 334, 337, 338, 339. — Regnault 244. — Rcicha 242. — Rcichardt
42, ijS, 194. — Reim 39f.; (Mozart) 40; (Wagner) 447ff. — Reise um die Welt (Cimarosa) 202. —
Reißiger 344. — Rellstab 276. — Repertoire 66. — Representations en musique (Menetrier) 39. —
Reyer 346, 352. — Rezitativ 18, 22, 23, 102; (Beethoven) 224, 226; (Cherubini) 37; (Dittersdorf)
195; (Gluck) 141, 142; (JommelIi)22; (Kreutzer) 37; (Lesueur)37; (Mehul) 2 1 5 ; (Mozart) 155, 189;
(Rousseau) 233; (Schweitzer) 149. — Rezitative parlando iio, 143. — Rezitativische Oper 59. — Rez-
nicek 347, 528. — Rheingold (Wagner) 74, 425, 438ff., 452, 456, 467, 478. — Rhythmisches igf., 39,
102, 106; (Adam) 252; (Berlioz) 311 ; (Bizet) 354; (Dittersdorf) 195; (Erkel) 356; (Gluck) 39; (Lully)
140; (Meyerbeer) 296, 302; (Mozart) 195; (Mussorgski) 374; (Offenbach) 266f.; (Opera comique)
235; (Rossini) 205, 283; (Smetana) 360; (Verdi) 413; (Wagner) 461, 465. — Ricci 63, 387. —
Richard Löwenherz (Gretry) 245, 257, 258, 260, 381. — Ricordi 388. — Rienzi (Wagner) 53,
276, 423, 425, 428, 429, 447, 452, 461. — Riemann 30, 548. — Rietz 344. — Righini 113, 163,
174. — Rigoletto (Verdi) 18, 389, 392, 393 ff., 397, 417, 419. — Rimsky-Korssakow 370, 372, 374,
375 ff., 378. — Ring des Nibelungen (Wagner) 57,424, 425^, 428, 433ff.,446, 447f., 449,45of.,
452f., 454, 456, 465 ff., 477, 538. — Rinuccini 42, 88, 89, 90, 91, 142. — Ritorno d'Ulisse
(Monteverdi) 91. — Ritter, Alexander 488. — Ritter 157. — Robert der Teufel (Meyerbeer) 277,
agoff., 293, 300, 305. — Robin des Bois 320; s. auch Freischütz. — Rochlitz 218. — Rochois 79.
— Röckel 216. — • Rodenberg 328. — Roger 297. — Rogneda (Serow) 369 f. — Roland (Gluck)
126; (Piccini) 115, 156. — ■ Rolandsknappen (Lortzing) 334, 339. — Roland von BerUn (Leon-
cavallo) 73, 491, 522. — Rolland 41. — Roller 61, 188. — Rom 90. — Romantische Oper 90,
211, 3l2ff. — Romantische, Die (Rostand) 25. — Romanze 235; (Opera comique) 260; (Schubert)
197. — Romberg 217. — Romeo und Julia (Bellini) 384; (Gounod) 347. — Romeo und Julia
auf dem Dorfe (Delius) Sisff. — Römische Oper 11, 48, 90, 104. — Rondo 23; (Opera comique)
235; (Paer) 202; (Piccini) 19, 146. — Rosenkavalier (Strauß) 25, 51, 204, 510, S39ff., 545. —
Rosen, Baron von 363. — Rose vom Liebesgarten (Pfitzner) 527. — Rosmer 5 24 f. — Rospigliosi
90, 143, 144. — Rossi (Luigi) 91, 144. — Rossi (Michelangelo) 90. — Rossini 23, 35, 55, 56, 64,
82, 84, 186, 201, 203ff., 237f., 248, 249, 266, 271, 277, 278ff., 283, 284,287,288,293,299,302,
3°5. 307. 321, 325, 333. 351. 383, 385, 390. 391.402. 407. 413.419.423.479.508. 513- — Rossini,
Girolamo 51. — • Rostand 25. — Rotes Käppchen (Dittersdorf) 196. — Rotkäppchen (Boieldieu)
246, 261, 314. — Roullet 42, 117, 121, 125, 137. — Rousseau 16, 17, 33, 37, 41,44,47, 56,58,76,
84, 85 f., 92, 123, 126, 152, 231, 233, 236f., 256, 307, 480. — Rübezahl (Sommer) 522. — Rubini
64, 297, 298. — • Rubinstein 382. — Ruggiero 90. — Rustan und Ludmilla (Glinka) 363, 368ff.
— Russalka (Dargomyschski) 370. — Russische Oper 36, 361 ff.
Sacchini 49, 53, 56, 76, 91, 108, 113, 114, 186, 202, 307. — Sacrati 145. — Sadko (Rimsky-
Korssakow) 376. — Saggio sopra l'opera in musica (Algarotti) 86. — St. Aubin 244. — St. Huberti
136. — Saint-Saens 346, 369, 499f. — Salieri 35, 113, 156, 163, 164, 173, 288. — Salle 75. —
Salome (Strauß) 16, 25, 27, 41, 45, 48, 510, 516, 533ff., 539, 542, 545. — Samara 490. —
Sammelband der J. M. G. 30, 84. — Samson (Rameau) 55. — Samson und Dalila (Saint-Saens)
499. — San Alessio (Landi) 90, 144. — Sand, George 520. — Sänger 5off., 53ff., 64, 113 f., 243f.,
2S0, 297 ff. — Sappho (Gounod) 346. — Sarazenin (Wagner) 426. — Sardanapal 65, 72. — Sarra-
zin 148. — Sarti 156, 163, 179, 186, 200. — Sbarra 60. — Scarlatti 19, 23, 44, 46, 48, 51, 56, 91,
IIO, 145. — Schachtner 152, 160. — Schaljapine 404. — Schatz 70. — Schauspieldirektor
(Mozart) 164. — Scheibe 40, 41, 51, 149. — Scheidemantel 181. — Schenk 196. — Schiavo della
sua moglie (Provenzale) 145. — Schiebeier 150. — Schiedermair 84. — Schikaneder 42, 164, l87ff.,
194. — Schiller 287, 393, 403, 480, 555. — Schillings 516, 529f., 553. — Schindler 218. — Schinkel
188, 274, 315, 320. — Schirmer, David 42. — Schlacht von Legnano (Verdi) 389, 391. — Schlag-
instrumente 47, 299; (bei Berlioz) 309. — Schlegel 83, 84, Ii8f. — Schmidt 552. — Schmuck
der Madonna (Wolf- Ferrari) 509ff., 551. — Schnee (Auber) 249; s. auch Neige. — Schnee-
flöckchen (Rimsky-Korssakow) 375. — Schneider 164. — Schneider von Schönau (Brandt-Buys)
549. — Schnitzler 541. — • Schola cantorum 503. — Schöne Helena (Offenbach) 232, 264. —
573
Schönemann 150. — Schopenhauer 434, 441. — Schreiberwiese (Herold) 242, 248, 252, 256,
257, 294. — Schreker 5s6ff. — Schröder -Devrient 53, 93, 276, 426. — Schubert 36, I97f.,
204, 224, 321, 338, 398, 523. — Schumann 198, 214, 344, 362, 404. — Schürmann 149. —
Schütz 42, 149. — Schwarzer Domino (Auber) 251, 261. — Schweitzer 130, 149. — Schweizer-
famihe (Weigl) 34, 198. — Schwerterweihe (Meyerbeer) 309. — Schwestern von Prag (Müller)
196. — Scott 246, 329, 386. — Scotti 403. — Scriabine 371. — Scribe 42, 246, 252, 277, 288,
293, 300, 305, 306, 336, 402. — Scrittura 64. — Scuola dei gelosi (Salieri) 163. — Sedaine
42, 123, 150, 231. — Seelewig (Harsdörfer und Staden) 23. — Seklcorezitativ 22, 541; (Maz-
zocchi u. Marazzoli) 143; (Rossini) 413. — Sembrich 383. — Semiramis (Gluck) 116; (Rossini)
282. — Senesino 66, 80. — Senff 548. — Serapionsbrüder (Hoff mann) 511. — Serow 369 f. —
Serpent 47. — Serse (Cavalli) 35, 91. — Serva padronc (Pcrgolese) 17, 92, 145, 151, 231. —
Sevignel86. — Seyfried2l6. — Shakespeare 76, 181,283,307, 308, 325, 348, 350, 416, 423,429. —
Shaw 175, 422. — Siege de Corinthe s. Mahomet H. — Sieger (Wagner) 428. — Siegfried (Wag-
ner) 30, 295, 425, 44of., 453, 454, 467, 469f., 476. — Siegfrieds Tod (Wagner) 425, 433ff. —
Siegmeyer 126. — Si j'etais roi (Adam) 251. — Silicri 35. — Silvana (Weber) 313. — Simone Bocca-
negra (Verdi) 390, 403. — Simrock 548. — Sinfonia da camera (Wolf-Ferrari) 506. — Singspiel
23, 38, 147 ff., 152, 159, 194, 231 ff. — Sirene (Auber) 259, 260. — Sizilianische Vesper (Verdi)
390, 402f. — Smetana 357, 505. — Solo 18, 20. — Soloinstrumente 46. — Sommer, Hans 522,
527. — Sommernachtstraum (Mendelssohn) 325. — Sonnleithner 216. — Sontag 314, 321. —
Sonzogno 490. — Sophie Charlotte 81. — Sophokles 100. — Sorcier (Philidor) 56. — Sordinen-
trompeten 47. — Sourdeac 92. — Spectacles coupes 31. — Spinelli 490. — Spohr 152, 320, 326 f.,
334. — Spontini 31, 34, 244, 270ff., 279, 287, 288, 293, 303, 306, 307, 320, 429. — Sposo deluso
(Mozart) 164. — Sprache 25, 32ff.; (Duni, Gluck, Händel, Lully, Meyerbeer) 35; (Mozart) 34, 35;
(Nicolai) 35; (Piccini) 146; (Rossini, Salieri) 35; (Vinci) 145. — Stabat mater (Rossini) 282. —
Stabreim (bei Wagner) 447f. — Staden 21, 23. — Stampiglia 42. — Standfuß 150. — Steffani 35,
81. — Steinerne Gast I74f.; (Dargomyschski) 370; siehe auch Don Juan. — Stendhal 170, 186, 202,
28off., 284, 307. — Stephanie 160, 164, 195. — Stier von Olivera (d'Albert) 550. — Stiffelio (Verdi)
389, 390. — Stil 19 ff., 485 ff. — Stilo concitato 20. — Stilo rappresentativo 22, 89. — Stimm-
liches 49, 5of. — Stoffe 25ff., 42f., 60, 98ff., ii3f., 119, 129, i43ff., 146, 151, i74f., 196, 199,
20off.; (Adam) 252f.; (d'Albert) 550; (Auber) 248ff., 259, 277^; (Beethoven) 30; (Bizet) 3Slf.,
353; (Blech) 530, 549; (Boieldieu) 245 f.; (Boito) 489; (Borodin) 374; (Boschetto-Boschetti) 59;
(Busoni) 517; (Cesti) 30; (Charpentier) 50of.; (Cherubini) 211 f.; (Cimarosa) 202f.; (Cornehus)
487; (Dargomyschski) 370; (Debussy) 503; (Dclius) 515; (Dittersdorf) I94f.; (Donizetti) 386f.;
(Favart) 150; (Flotow) 81, 253f.; (Gay) 147; (Glinka) 363f., 368; (Gounod) 347,348; (Gluck) 129;
(Gretry) 245; (Ilalevy) 305; (Händel) 427; (Herold) 248; (Humperdinck) 52lf. , 524f.; (Isouard)
247; (Kienzl) 529; (Kreutzer) 342; (Landi)90; (Lortzing) 335, 337; (Lully) 106; (Marschner) 328,
329, 33of.; (Massenet) 498f.; (Mehul) 214; (Meyerbeer) 290, 293f., 30of., 303f.; (Mozart) 152,
154, 157, 160, I76ff., 181 f., l87f.; (Müller) 196; (Mussorgski) 372; (Offenbach) 263; (Opera
comique) 232ff., 240; (Paer) 20if.; (Pergolese) i4Sf.; (Pfitzner) 554; (Piccini) 146; (Puccini) 492,
497; (Rimsky-Korssakow) 376; (Rossini) 204; (Rousseau) 233; (Schillings) 553; (Schmidt) 552;
(Schreker) 556; (Schubert) 197; (Schumann) 344; (Smetana) 357; (Spohr) 326; (Spontini) 272,
273; (Strauß) 533, S40f., 545, 553f.; (Tschaikowski) 378, 379; (Vecchi) I5f.; (Verdi) 389, 390,
393f-, 397, 404 f., 408, 416; (Vinci) 145; (\Vagner) 426f., 429ff.; (Weber) 314^, 32if.; (Weigl)
198; (Wolf-Ferrari), 509. — Stoltz 297. — Storace 171. — Stradella 38, 81, 200. — Stradella
(Flotow) 81, 254, 255, 258, 259, 261. — Straniera (Bellini) 384. — Straus 528. — Strauß, Richard
27, 31, 41, 43, 46, 48, 49, 57, 64, 141, 298, 485, 488, 503, 513, 516, 520, 533flF., 551. 555- 558f-
— Stravinsky 556. — Streichmusik 46, 47. — Strepponi 389. — Striche 54, 74; (Strauß) 545»
559; s. auch Bearbeitungen. — Stumme von Portici (Auber) 31, 72, 248, 249, 250, 277, 290, 300,
314. — Stuttgart 114. — Suard 126. — Subskribenten 66. — Sulzer 84. — Suppe 268. — Swift 147.
574
Taglioni 252. — Tamburini 297. — Tancia (Melaiii, Moniglia) 45, 144. — Tankred (Bertoni)
122; (Campra) 318; (Monteverdi) 91 ; (Rossini) 282, 283. — Tannhäuser (Wagner) 19, 35, 77,
224, 284, 423, 424, 425, 427, 428, 43of., 432, 444, 447, 452, 453, 4SS, 462f., 465, 476, 478, 526. —
Tantiemen 64, 67. — Tänze (Auber) 250, 251; (Gay) 148; (Gluck) 142; (Mozart) 167, 168, I78f.;
(Opera comique) 230, 232, 235, 26of.; (Polnische Oper) 364; (Rameau) 108; (Schubert) 197;
(Tschaikowski) 380. — Teibler 507. — Telemaco (Gluck) 117, 138, 139; (Mayr) 31. — Tele-
mann 63, 92. — Teil (Rossini) 277, 278 f., 280, 282, 284, 285 ff., 290. ■ — Templer und Jüdin
(Marschner) 30, 329 f. — Tenaglia 23. — Teofili 39. ■ — Teufel ist los (Coffey und Gay) 150,
187. — Terenz loo. — Tesi 80. — Testament (Kienzl) 549. — Tetis (Cavalli) 20, 28, 30, 44. —
Teufels Anteil (Auber) 251, 258. — Teweles 555. — Texte 24, 30, 31, 4off., 114; (Holzbauer)
149; (Mozart) 181 ff.; s. auch Stoffe. — Textbücher 70. — Theater (Berliner Opernhaus) 34, 65,
72, 188, 274; (Bouffes Parisiennes) 262; (Comedie italienne) 71, 145, 231; (Covent Garden) 64,
65, 66; (Dresdener Theater) 34, 44, 63, 70, 313; (Drury Lane) 64, 324; (Fenicetheater) 282;
(Hamburger bürgerliche Oper) 63, 92; (Hamburger Oper) 27, 31, 66, 85; (Itahenisches Theater,
Paris) 297, 298. — (Komische Oper, Berhn) 57, 61; Königstädtisches Theater, Berlin) 321 ;
(Leopoldstädter Theater) 196; (Metropolitan) 65; (Palazzo Barberini, Rom) 90; (Pariser Große
Oper) 65, 72, 78, 117, 297; (Pariser Komische Oper) 244; (San Carlo) 71, 78, 280, 307; (San Cas-
siano, Venedig) 64, 70. — (San Giovanni e Paolo, Venedig) 70; (San Mose, Venedig) 70, 281 ; (Scala)
71, 297, 307, 389; (Teatro delFondo, Neapel) 92; (Theater an derWieden) 187; (Theätre des Arts)
I23f.; (Theätre Feydeau) 38, 210, 231; (Theätre Fran^ais) 262; (Theätre National) 240. — Thea-
tralische Abenteuer (Cimarosa) 164. — Theaulon 276. — Theseus (Lully) 75 f., 107. — Thevenard
75. — Thoineau 92. — Thomas 271, 346, 349, 351. — Thuille 527. — Thusnelda (Scheibe) 149.
— Tieck 511. — Tiefland (d' Albert) 517. — Till Eulenspiegel (Strauß) 543. — Titiens 64. —
Titon et Aurore (Mondonville) 151. — Titus (Mozart) 42, 74, 186; s. Clemenza di Tito. — Todi
297. — Tolstoi 362. — Torchi S48. — Toreador(Adam) 251,258. — Tosca (Puccini) 494. — Tosi 24.
— Tote Augen (d' Albert) 550. — Traetta 91, 92, 113, 114, 117, 156, 20O, 201. — Tragäldabas
(d' Albert) 518. — Traum des Scipio (Mozart) 154. — Traum ein Leben (Mrazek) 547. — Tra-
viata (Verdi) 389, 392, 393, 397, 398 ff., 403, 404, 419, 492. — Treitschke 218. — Tremolo 20. —
Tremolo appogiato (Gluck) 135. — Tresor suppose (Mehul) 215. — Tribut von Zamora (Gou-
nod) 347. — Triomphe de Trajane (Lesueur u. Persuis) 73. — Trionfo dell' onore (Scarlatti) 51,
145. — Tristan und Isolde (Wagner) 53, 98, 226, 360, 424, 425, 427, 428, 431, 441 f., 443, 444,
445. 446, 448, 450, 451. 453, 454, 457, 458f-, 4^3, 465, 47off-, 473, 475, 476, 478, 493, 520, 521,.
526. — Trojaner (Berlioz) 307, 310, 311. — Trommel (bei Rossini) 299. — Trompeten 47. —
Troqueurs (d'Auvergne) 231. — • Troubadour (Verdi) 35, 389, 397f. — Tschaikowski 375, 377ff.
— Tschaikowski, Modeste 379. — Tube (bei Wagner) 456f. — Turandot (Busoni) 556. — Turcaret
124. — Turgenjew 362. — Türke in Italien (Rossini) 282.
Übersetzungen 35!., 150; (Mozart) 156, 174, 176; (Spontini) 274; (Strauß) 41; (Wolf-
Ferrari) 513. — Umlauff 34, 159. — Undine (E. T. A. Hoffmann) 336; (Lortzing) 334, 336, 338,.
340, 341, 429. — Ungarische Oper 3 56 f. — Unhold Ohneseele (Rimsky-Korssakow) 376. — Unter-
brochenes Opferfest (Winter) 199. — Urlaub nach dem Zapfenstreich (Offenbach) 264. —
Uthal (Mehul) 47.
Vailly, de 307. — Vampyr (Marschner) 30, 328f. — Varesco 157, 163. — Vecchi I5f., 143. —
Veglie di Siena (Vecchi) 143. — Velluti 280. — Venedig 23, 64, 70, 88. — Venezianische Oper
II, 38, 91, 106. — ■ Ventignano, Herzog von 281. — Ventilbläser (bei Wagner) 458. — Verdi 21,
42, 44, 64,74, 93, 193, 205, 248, 252, 283, 302, 342, 356, 383ff., 386, 387 ff., 421, 423, 476, 489,
505, 541. — Verga 490. — Vergil 142, 307. — Verkaufte Braut (Smetana) 18, 195, 198, 357, 358ff.
— Verlobung bei der Laterne (Offenbach) 263. — Verlorene Liebesmühe (Shakespeare) 181. —
Veron 78. — Vers 39 f.; (Cavalli) 39; (Gluck) 39, 40, 119; (Goethe) 40; (Mozart) 40; (Perrin).
575
39; <Wagner) ^ijii. — Versiegelt (Leo Blech) 530. — Versi sciolti 39. — Vestalin (Spontini) 31,
244, 272, 273, 276. — Vestris 122. — Viardot 132, 136, 174, 298. —Viel Lärm um Nichts (Shake-
speai^) 308. — Vier Grobiane (Wolf-Ferrari) 509. — Vigano 284. — Villcneuve 183. — Vinci
19, 91, HO, 145. — Violanta (Korngold) 554!. — Vionville 71.— Vittori 90. — Vogel, Emil 11.
— Vogel, Johann Chr. 194. — Vogler 288. — Voisenan 151. — Volbach 47. — Voltaire 40, 84,
86, 87, 123, 127, 480.
Wachtel 252. — Waffenschmied (Lortzing) 334, 336, 338, 339, 341. — Wagner, Adolf 34. —
Wagner, Cosima 52off. — Wagner, Richard 11, 17, 23, 30, 31, 34, 41, 42, 43, 46, 48, 49, 53, S4f.,
56, 58, 61, 74, 82, 84, 86, 87, 93, 98, 108, I36ff., 206, 211, 212, 238, 241, 249, 252, 260, 271, 273,
276, 277, 288, 306, 311, 313, 322, 323, 326, 328, 330, 331, 337, 347, 351, 352, 362, 369, 370, 376,
380, 398, 408, 419, 421ff.,485,486,487,488,489,490, 500, 504, 510, 513, 515, 519, 520, 521, 522,
527, 531, 532> 533' 535' 5+2, 554, 558. — Wagner, Siegfried 527. — Walküre (Wagner) 360, 425, 440,
450,453, 454, 469. — Walser 61. — Waltershausen 547.— Wasserträger (Cherubini) 210, 211, 212,
213f., 214, 241. — Weber, Aloysia 157, 159, 164. — Weber, Carl Maria v. 34, 42, 48, 55, 82,
150, 211, 238, 275, 312ff., 326, 331, 332, 338, 343, 347, 423, 464, 469. — Weber, Josepha 54,
15g. — Weber, Konstanze s. Mozart, Konstanze. — Weber, Sophie 159. — Weckerlin 108. —
Weigl 34, 35, 198. — Weingartner 551. — Weis 527. — Weiskern 152. — Weiße 150, 151. —
Weiße Dame (Boieldieu) 235, 237, 246, 252, 257, 260, 261. — Welti 116. — Wem die Krone?
(Ritter) 488. — Wendhng, Dorothea 157. — Werff 127. — Werstowski 363. — Werther (Mas-
senet) 498f. — Wesendonck, Mathilde 424. — Wieland 100, 127ff., 187, 325. — Wieland der
Schmied (Wagner) 428.— Wien 64, 65, 72, 74, 116, 149, 152, 154, 159, 160, 163, 172, 173, 181,
1S7, 18S, 206, 210, 268, 319, 522, 558. — Wilde 27, 533, 540. —Wilder 164. — Wildschütz
(Lortzing) 334, 336, 3 39 ff. — Die Willis (Puccini) 490. — Winter 199, 324. — Wohlbrück 329,
330, 334- — Wolf, Hugo 36, 489. — Wolff 314. —Wolf-Ferrari 485, 504ff.. 509, 551. — Wolzogen,
Ernstvon539. — Wolzogen.Hansv. 524. — Wortton 38ff. — WüUner 325.
Xerxes (Händel) 113; s. auch Serse.
Zaide (Mozart) 160. — Zampa (Herold) 237, 242, 248, 260, 261. — Zapfenstreich (Offenbach)
263. — Zarenbraut (Rimsky-Korssakow) 376. — Zar und Zimmermann (Lortzing) 334, 336, 337,
338, 340, 341. — ZauberOöte (Mozart) 34, 42, 54, 74, 149, 154, 164, 187 ff., 196, 206, 379, 522. —
Zaubergeige (Offenbach) 263. — Zaza (Leoncavallo) 491. — Zelmira (Rossini) 282. — Zelter
320, 321. — Zemlinsky 556. — Zenger 215. — Zeno 42. — Zingara (da Capua) 92. — Zingarclli
186. — Zite'n galera (Vinci) 145. — Zoroaster (Rameau) 44, 55, 107 f. — Zumsteeg 194. — Zu-
sammenarbeiten 41 ff., 55 f., 116. 236 ff., 242, 558.
Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig
Date Due
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Library Buroau Cat. No. 1137
mm.i
Bie, Oskar
Die oper.
3 5002 00126 9583
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Bie.
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