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Full text of "Die philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen entwicklung dargestellt"

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DIE 


PHILOSOPHIE DER GRIECHEN 


IN IHRER 


GESCHICHTLICHEN ENTWICKLUNG. 


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DIE 


PHILOSOPHIE DER GRIECHEN 


IN IHRER 


GESCHICHTLICHEN ENTWICKLUNG 


DARGESTELLT 


VON 


Dr. EDUARD ZELLER, 


in 


ERSTER THEIL: 
ALLGEMEINE EINLEITUNG. VORSOKRATISCHE PHILOSOPHIE. 
ZWEITE HÄLFTE. 


FÜNFTE AUFLAGE. 


LEIPZIG, 
0. R REISLAND. 
1892. 


΄- 


Alle Rechte vorbehalten. 


88923 


S3FP 22 1905 


BB 
273 
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A 
Ο. 


Inhaltsverzeichniss. 


Zweiter Abschnitt. 


Seite 


Heraklit, Empedokles, die Atomistik, Anaxagoras . 6231098 


I. Heraklit . 
1. Der allgemeine Standpunkt und die Grundbestimmungen 
der heraklitischen Lehre . . . 

Heraklit’s Leben — 623. Seine Schrift -- 626. "Seine 
Lehre: Unwissenheit der Menschen — 626. Fluss aller 
Dinge — 633. Das Urfeuer — 643. Die Umwandlung 
des Feuers — 651. Der Streit — 654; der Satz des 
Widerspruchs — 661. Die Weltordnung und die Gott- 
heit; die Harmonie — 663. 

2. Die Kosmologie . 

Die Weltentstehung — 618. Die Wandlungsformen des 
Feuers, der Weg nach oben und unten — 674. Das 
scheinbare Beharren der Dinge — 681. Die specielle 
Physik — 682. Sonne und Gestirne — 683. Weltgebäude 
— 686. Weltbildung und Weltzerstörung --- 687. (Zeug- 
nisse dafür — 688; angeblich entgegenstehende Aus- 
sagen: die Schrift π. διαίτης u. a. — 692; Plato — 698, 
Entscheidung — 700.) Das Weltjahr — 702. 

8. Der Mensch, sein Erkennen und sein Thun . 

Die Seele und der Leib — 704. Präexistenz und Unsterb- 
lichkeit — 709. Das Erkennen — 714; kein grundsätz- 
licher Sensualismus — 720; die Sprache 723. Das sitt- 
liche Handeln, der Staat — 724. Heraklit's Verhältniss 
zur Volksreligion — 727. 

4. Heraklit's geschichtliche Stellung und Bedeutung. Die 
Herakliteer . 
Heraklit's geschichtliche Stellung: Verhältnis zu griechi- 


623— 750 


623 


673 


704 


7132 


vI Inhaltsverzeichniss. 


Seite 
schen Philosophen — 732; zu den Mysterien 741; zum 
Orient — 744. Die Herakliteer, Kratylus — 747. 
II. Empedokles und die Atomistik . . » = 2 2 2.2.2... 750-967 
A. Empedokles . . . 2200. .» 750-837 


1. Die allgemeinen Grundlagen der "empedokleischen Physik: 
das Entstehen und Vergehen, die Grundstoffe und die 
bewegenden Kräfte . . 750 
Leben und Schriften des Empedokles; allgemeine Richtung 
seiner Lehre — 750. Entstehen und Vergehen, Ver- 
bindung und Trennung der Stoffe — 755. Die Elemente 
— 758 Mischung der Stoffe, Poren und Ausflüsse 
— 763. Die bewegenden Kräfte, Liebe und Hass -- 769. 
Naturgesetz und Zufall — 710. 
2. Die Welt und ihre Theile . . . 778 
Die wechselnden Weltzustände — 718. Der Sphairos - -- 780. 
Die Weltbildung — 783. Das Weltgebäude — 786. Die 
organischen Wesen: die Pflanzen — 791. Menschen und 
Thiere: ihre Entstehung und körperliche Beschaffenheit 
— 793. Das Athmen, die Wahrnehmung — 799. Das 
Denken — 802. Sinnliche und Vernunfterkenntniss — 804. 
Gefühl und Begierde — 805. 
3. Die religiösen Lehren des Empedokles . . . 806 
Die Seelenwanderung, das Leben nach dem Tode, die Scho- 
nung des Thierlebens — 806. Das goldene Zeitalter 
— 811. Theologische Ansichten — 812. 
4. Der wissenschaftliche Charakter und die geschichtliche 
Stellung der empedokleischen Lehre . . . 817 
Bisherige Ansichten — 817. Die angeblichen Lehrer des 
Empedokles — 820. Sein Verhältniss zum Pythagoreis- 
mus — 824; zur eleatischen Schule 827; zu Heraklit 
— 833. Gesammtergebniss — 835. 
B. Die Atomistik . . - . 837—967 
1. Die physikalischen Grundlehren: die Atome und das Leere 837 
Leucipp und Demokrit — 837. Das atomistische Prineip 
und seine Begründung — 843. Die Atome — 851; die 
Unterschiede unter denselben — 855; ihre Schwere — 859. 
Das Leere — 861. Die Veränderung, die Wechselwirkung 
und die Eigenschaften der Dinge — 862; primäre und 
secundäre Eigenschaften — 863. Die Elemente — 866. 
‚2. Die Bewegung der Atome; die Weltbildung und das Welt- 
gebäude; die unorganische Natur. . . 868 
Ursprüngliche Atomenbewegung: Abweisung ihrer Zuällig- 
keit — 868 und anderer unrichtiger Annahmen — 872; 
Urbewegung der Atome der Fall als Folge der Schwere 
— 876. Zusammenstoss der Atome, Wirbelbewegung 


Inhaltsverzeichniss. vo 


Seite 
— 886. Die Welten — 888. Weltbildung — 892. Welt- 


gebäude — 894. Die unorganische Natur — 898. 
9. Die organische Natur, der Mensch, sein Erkennen und sein 
Handeln . .. . 899 
Pflanzen und Thiere — 899. Der menschliche. Leib - 90]. 
Die Seele — 902. Verhältniss der Seele zum Leibe 
— 906. Beseeltheit aller Dinge — 907. Das Erkennen: 
die Wahrnehmung — 910; Gesicht und Gehör — 913. 
Das Denken — 915. Sinnliche und Vernunfterkenntniss 
— 916. Angebliche Skepsis — 920. Demokrit's Ethik 
— 925. Seine Religionsansicht — 936. Vorbedeutung, 
Magie, Begeisterung — 940. 
4. Die atomistische Lehre als Ganzes, ihre geschichtliche 
Stellung und Bedeutung, die späteren Anlänger dieser 
Schle . . . . 941 
Charakter der Atomistik: Stand der Frage -- 941. Die 
Atomistik keine Sophistik — 944. Ihr Verhältniss zu 
früheren und gleichzeitigen Lehren — 952. (Die Eleaten 
— 952; Heraklit — 954; Empedokles — 957; die älteren 
Jonier — 959; Protagoras — 959). Demokrit’s Schule: 
Metrodorus — 960 ; Anaxarchus und seine Schüler — 963. 
III. Anaxagoras . . . οὐ κὸν 968-1088 
1. Die Principien des Systems, der Stoff und der Geist . .. 968 
Zeitalter, Leben und Schrift des Anaxagoras — 968. Cha- 
rakter seines Systems — 977. Entstehen und Vergehen, 
Verbindung und Trennung der Stoffe — 978. Die Ur- 
stoffe (Homöomerieen) — 979. Ursprüngliche Mischung 
der Stoffe — 986. Der Geist: sein Wesen — 990; seine 
Wirksamkeit — 997. 
2. Die Weltentstehung und das Weltgebäude . . . 1001 
Die Weltbildung — 1001. Kein Weltende und keine Mehr- 
heit von Welten — 1005. Das wvoltgebände — 1007. 
3. Die organischen Wesen, der Mensch . . . . 1010 
Die Seele — 1010. Pflanzen und Thiere — 1012. Der 
Mensch — 1018; die sinnliche Wahrnehmung — 1014; 
sinnliche und Vernunfterkenntniss — 1015. Ethische 
Ansichten — 1017. Verhältniss zur Religion — 1018. 
4. Anaxagoras im Verhältniss zu seinen Vorgängern. Cha- 
rakter und Entstehung seiner Lehre. Die anuzagorische 
Schule; Archelaos . . . 1020 
Verhältniss des Anaxagoras zu den älteren. Joniern -- 1020; 
den Eleaten — ebd.; Empedokles und den Atomikern 
— 1021. Eigenthümlichkeit und Zusammenhang seines 
Systems -— 1027. Angeblicher Zusammenhang des Anax. 
mit orientalischen Lehren und Hermotimus — 1029. 
Anaxagoreer, Archelaos — 1031. 


7 


Inhaltsverzeichniss. 


Dritter Abschnitt. 


Seite 


Die Sophisten . . . . . . 1088-1164 


. Entstehungsgründe der Sophistik 

Das bisherige Verhältniss der Philosophie zum "praktischen 
Leben — 1038. Bedürfniss einer wissenschaftlichen Vor- 
bildung für's Leben — 1039. Auflösung der älteren Philo- 
sophie — 1042. Der Umschwung in der Denkweise der 
Griechen, die Aufklärungsperiode — 1043. Anknüpfungs- 
punkte in den bisherigen Systemen — 1047. 

. Die uns bekannten Sophisten . . 

Protagoras — 1049. Gorgias — 1056. Prodikus — - 1060. 
Hippias — 1064. Thrasymachus, Euthydemus u. 8. 
— 1067. 

. Die Sophistik ihrem allgemeinen Charakter nach betrachtet 

Ansichten der Alten über das Wesen des Sophisten — 1074. 
Die Sophisten als Lehrstand — 1078. Der Gelderwerb 
der Sophisten — 1080. Wissenschaftlicher Charakter der 
Sophistik — 1084. 

. Die sophistische Erkenntnisstheorie und die Eristik . 


1. Die Erkenntnisstheorie — 1088: Protagoras — 1088. 


Gorgias — 1101. Xeniades, Euthydemus u.a. — 1104. 2. Die 
Eristik. Verdrängung der Naturforschung durch eristische 
Dialektik — 1107. Schilderung der sophistischen Eristik 
— 1112. 

. Die Ansichten der Sophisten über Tugend und echt, Staat 
und Religion. Die sophistische Rhetorik . 

1. Die Ethik. Die älteren Sophisten — 1119. Die mora- 
lischen Consequenzen der Sophistik — 1125. Allmäh- 
liches Hervortreten derselben, die Ansichten der jüngeren 
Sophisten über das Recht — 1126. Das Verhältniss der 
Sophisten zur Religion — 1132. — Die sophistische Rhe- 
torik — 1185. 

. Der Werth und die geschichtliche Bedeutung der Sophistik. 

Die verschiedenen Richtungen innerhalb derselben 

Ueber die geschichtliche Bedeutung und den Charakter der 
Sophistik — 1147. Die Unterscheidung bestimmter sophi- 
stischer Schulen — 1156. 


1038 


1049 


1074 


1088 


1118 


1147 


Zweiter Abschnitt. 
Heraklit, Empedokles, die Atomistik, Anaxagoras. 


1. Heraklit!). 


1. Der allgemeine Standpunkt und die Grundbestimmungen 
der heraklitischen Lehre. 


Während in der eleatischen Schule aus der Einheit alles 
Seins die gänzliche Unmöglichkeit der Vielheit und des Wer- 
dens gefolgert wurde, entstand gleichzeitig?) an dem andern 


1) ScareıermMacuer Herakleitos der Dunkle u. 8. w. Mus. d. Alter- 
thumsw. I, 1807, 8. 313 δ΄, jetzt Werke 3. Abth. I, 1 fi. Beruars Ge- 
sammelte Abhandl. I, 1—108. Ders. Die heraklitischen Briefe 1869. Las- 
saLLe Die Philosophie Herakleitos des Dunkeln. 1858. 2 Bde. GraviscH 
Herakleitos und Zoroaster. 1859. Scauster Heraklit v. Ephesus. 1873. 
TeicumüLLer Neue Stud. z. Gesch. ἃ. Begriffe I. 1876. II. 1878. SouLıer 
Eraclito. Rom 1885. E. Prieiverkr Die Philosophie des Heraklit 1886. 
(Anderes von Dems. u. A. ist Archiv ἢ. Gesch. ἃ. Phil. I, 102 fi. genannt.) 
Go=rerz Zu Heraklit’s Lehre. 1887. Parrıck Heraklitus. Baltimore 1889. 
Ich citire diese Werke in der Regel nur mit den Namen der Verfasser. 

2) Dıoe. IX, 1 setzt Heraklit's Blüthe, ohne Zweifel nach Apollodor, 
welcher seinerseits in seinen Zeitbestimmungen fast durchaus Eratosthenes 
gefolgt zu sein scheint, Ol. 69 (804—500 v. Chr.); Euszs. Chron. Ol. 70; 
Srnceızus 8. 283 C Ol. 70, 1. Als Zeitgenossen Darius’ I. bezeichnen 
ihn auch die unterschobenen Briefe (Dıoa. IX, 13 vgl. Crexexs Strom. I, 
302 B. Erıkter Enchirid. 21), worin dieser Fürst ihn an seinen Hof ein- 
lädt und Heraklit die Einladung ablehnt. Nun verlegt aber Euszsıus zu 
OL 80, 2. 81, 2 und SysucerLLus 254 C Heraklit’s Blüthe auch wieder in 
die 80ste oder 8lste Olympiade, und diese Angabe scheint dadurch eine 
Bestätigung zu erhalten, dass nach Straso XIV, 1, 25. 8. 642 (neben ihm 
kommt der Ste pseudo-heraklitische Brief nicht in Betracht) jener Ephesier 

Philos. d. Gr. 1. Bd, 5. Aufl. 40 


624 Heraklit. [567] 


Ende des | griechischen Bildungsgebiets, in Kleinasien, ein Sy- 
stem, welches dieselbe Voraussetzung in entgegengesetzter 


Hermodorus, welcher auch nach Prix. H. nat. XXXIV, 5, 21. Pouroxıus 
Digest. 1. I, tit. 2, 1. 2, $ 4 den römischen Decemvirn bei ihrer Gesetz- 
gebung (Ol. 81, 4. 452 v. Chr. u. folg.) an die Hand gieng, kein anderer 
war, als der Freund Heraklit’s, dessen Verbannung dieser Philosoph seinen 
Mitbürgern so wenig verzeihen konnte (s. u. 662, 14). Hieraus schloss 
Hermann (De philos. Jonie. setatt. S. 10. 22), unter zeitweiliger Beistimmung 
SchwesLer’s (Röm. Gesch. III, 20, anders Gesch. ἃ. griech. Phil. S. 22 8), 
dass Heraklit, um Ol. 67 (510 v. Chr.) geboren, um Ol. 82 (450 v. Chr.) 
gestorben sei. Ich habe jedoch schon in meiner Abhandlung De Hermodoro 
Ephesio et Hermod. Plat. (Marb. 1859) S. 9 ff. gezeigt, dass wir zu dieser 
Annahme nicht berechtigt sind. Die Angabe Euseb’s, die Syncellus ab- 
schreibt, ist schon an sich selbst der des Diogenes, bezw. des Apollodor, 
an Werth nicht zu vergleichen, und wenn Hermann für dieselbe geltend 
macht, dass Euseb auch die Zeit des Anaxagoras und Demokrit richtiger 
bestimme, als Apollodor, so werden wir uns an seinem Orte von dem 
Gegentheil überzeugen; sie verliert vollends an Gewicht durch den grellen 
Widerspruch, in dem sie sich mit den früheren Aussagen der gleichen 
Schriftsteller befindet. Wo Eusebius jene Angabe fand und worauf sie sich 
gründete, wissen wir nicht; beachtet man aber den Umstand, dass Heraklit’s 
Blüthe (nicht sein Tod, wie H. will, es heisst elarus habebatur, oognoscedatur, 
ἤχμαζε) hier der Decemviralgesetzgebung fast genau gleichzeitig gesetzt wird, 
so erscheint es als wahrscheinlich, sie sei eben nur aus der Voraussetzung 
entstanden, dass Hermodorus, der Freund Heraklit’s, schon in der nächsten 
Zeit nach seiner Verbannung mit den Decemvirn in Verbindung getreten, 
und dass jene selbst der «xun des Philosophen gleichzeitig gewesen sei. 
Nun gründet sich allerdings auch die Angabe des Diogenes schwerlich auf 
eine genaue chronologische Ueberlieferung; es ist vielmehr (wie auch Diss 
anerkennt, Rh. Mus. XXXI, 33 f.) zum voraus wahrscheinlich, dass ihrem 
Urheber eben nur die allgemeine Notiz vorlag, Heraklit sei ein Zeitgenosse 
Darius’ I. gewesen, und dass er in Folge dessen seine Blüthe in die 69ste 
Olympiade, ἃ. ἢ. in die Mitte der Regierung des Darius (Ol. 64, 3—73, 4) 
verlegte. Dass aber diese Annahme wenigstens annähernd richtig ist, und 
der Tod Heraklit’s nicht über 470—478 v. Chr. herabzurücken ist, wird 
auch durch einige weitere Gründe zu einem hohen Grad von Wahrschein- 
lichkeit erhoben. Denn wollen wir auch darauf kein Gewicht legen, dass 
nach Sorıox Ὁ. Dıoc. IX, 5 Heraklit von manchen für einen Schüler des 
Xenophanes gehalten wurde, so nöthigt jedenfalls seine Berücksichtigung 
durch Epicharmus, welche sich uns S. 497 wahrscheinlich gezeigt hat, zu 
der Annahme, seine Lchre sei um 470 v. Chr. in Sicilien bereits bekannt 
gewesen; und wenn er selbst in den S. 476, 4 angeführten Worten als 
Männer, denen die Vielwisserei keine Einsicht gebracht habe, neben Hesiod 
nur Xenophanes, Pythagoras und Hekatäus nennt, so lässt diess vermuthen, 
dass die Jüngeren, und so namentlich sein Antipode Parmenides, ihm noch 
nicht bekannt waren. Auch die Angaben über Hermodor zwingen uns in 


[568] Seine Schrift. 625 


Richtung ausbildete, | indem es das Eine Seiende als ein 
schlechthin bewegtes, in unablässiger Veränderung und Be- 
sonderung begriffenes auffasste. Der Urheber dieses Systems 
ist Heraklit!). | 


keiner Weise, Heraklit für jünger zu halten. Denn theils beruht die An- 
nahme, dass der Hermodor, welcher bei der Decemviralgesetzgebung be- 
theiligt war, mit dem Freund Heraklit's Eine Person sei, auch bei Strabo 
(wie ich a. a. O. S. 15 gezeigt habe) ohne Zweifel nicht auf zuverlässiger 
Veberlieferung, sondern auf einer blossen, wenn auch an sich sehr wahr- 
scheinlichen Vermuthung, und vollends der Versuch (CHIaPPEtLi sopra alcuni 
Frammenti delle XII Tavole, Archivio Giuridico 1885), in den Zwölftafel- 
gesetzen Spuren der heraklitischen und der pythagoreischen Philosophie 
aufzuzeigen, konnte unmöglich gelingen; theils haben wir keinen Grund zu 
der Voraussetzung, Hermodor sei gleichen Alters mit Heraklit gewesen, 
sondern er kann ganz wohl 20—25 Jahre jünger gewesen sein; wenn aber 
dieses, so lässt sich seine Theilnahme an der Decemviralgesetzgebung fest- 
halten, olıne dass man desshalb Heraklit's Tod in die Mitte des öten Jahr- 
hunderts herabzurücken braucht. Früher, als 478, werden wir allerdings 
die Verbannung Hermodor’s und die Abfassung der heraklitischen Schrift 
nicht setzen dürfen; denn zur Zeit des jonischen Aufstands kann Hermodor 
noch keine politische Rolle gespielt haben, nach demselben aber wurde die 
Firhebung der Demokratie in Ephesus wohl erst durch die endgültige Be- 
freiung von der persischen Oberherrschaft ermöglicht. Dagegen mag eben 
dieses Ereigniss zu ihr den Anstoss gegeben haben. Damit verträgt sich 
aber beides: einerseits, dass Heraklit um 475/0 starb, andererseits, dass 
Hermodor um 452 die Decemvirn bei ihrer Arbeit unterstützte. Heraklit’s 
Lebensalter hätte Aristoteles auf 60 Jahre angegeben, wenn bei Dıog. VIII, 
52 die Lesart der Handschriften richtig ist: 4eroror£ins γὰρ αὐτὸν (dem 
Empedokles) ἔτε re Ἡράχλειτον ἑξήχοντα ἐτῶν φησι τετελευτηχέναι. In- 
dessen hat schon Sturz statt Ἡράχλειτον „Honxieidöns“ vermuthet, und 
Coser hat diese von vielen gebilligte Vermuthung (denn mehr ist es doch 
wohl auch bei ihm nicht) in den Text aufgenommen. Unerlässlich scheint 
sie mir nicht zu sein, denn es wäre immerhin denkbar, dass Aristoteles 
beide gerade in Beziehung auf ihr Alter zusammengestellt hatte. Aber sie 
liegt um so näher, da Heraklides nach Dıos. VII, 67 ἢ das Ende des 
Empedokles ausführlich besprochen hatte. 

1) Heraklit’s Vaterstadt war nach der einstimmigen Angabe der Alten 
Ephesus; dass bei Justin Cohort. c. 3 statt dessen Metapont genannt wird, 
beruht wohl nur auf der flüchtigen Benützung einer Stelle, in der Heraklit 
mit dem Metapontiner Hippasus zusammengenannt war, wie diess seit Arısr. 
Metaph. I, 3. 984 a 7 gebräuchlich ist. Sein Vater hiess nach Dıoc. IX, 
1 u. a. Biyson, einige nannten ihn aber auch Heracion (worin ScHusTER 
362 f. den Namen seines Grossvaters vermuthet). Dass er einer angesehenen 
Familie angehörte, erhellt aus der Angabe des Antisthenes b. Dıoc. IX, 6, 
er habe seinem (jüngeren) Bruder die Würde eines βασιλεὺς abgetreten; 

40* 


696 .  Heraklit. [569] 


Heraklit’s Lehre, deren urkundlichste Quelle für uns die 
Ueberbleibsel seiner Schrift sind!), hat sich ebenso, wie die 


diese war nämlich ein Ehrenamt, welches sich im Geschlecht des Kodriden 
Androklus, des Stifters von Ephesus, forterbte, und unter anderem auch die 
Aufsicht über die eleusinischen Mysterien mit sich brachte. (Straso XIV, 
1, 3. 8. 632. Bernays I, 30, 2.) Her. selbst tritt der Demokratie seiner 
Vaterstadt auf’s entschiedenste entgegen (8. S. 661* f.), und so erklärt es 
sich leicht, wenn nicht nur sein Freund Hermodor verbannt wurde (Dioc. 
IX, 2), sondern auch er selbst sich geringer Gunst bei seinen Mitbürgern erfreute 
(DEMETR. ebd. 15); aber die Verfolgung wegen Atheismus, welche christliche 
Schriftsteller daraus machen (Justin Apol. I, 46. Apol. II, 8. Ατβεκνλα. 
Suppl. 31), stammt vielleicht blos aus dem vierten heraklitischen Brief (so 
Bersays Herakl. Br. 35), und ist bei dem Schweigen aller älteren Zeugen 
nicht wahrscheinlich. Ueber Heraklit’s letzte Krankheit und Tod finden 
sich bei Dıoc. IX, 3 fl. Tarran c. Grec. c. 3 u. a. (vgl. Bernars Herakl. 
Br. 55 ἢ) allerlei schlecht verbürgte und einander theilweise widersprechende 
Erzählungen; was ihnen geschichtliches zu Grunde liegt (Schuster 8. 247 
glaubt, es sei dessen ziemlich viel), lässt sich nicht ausmachen; LAssALLE's 
Meinung (I, 42), dass sie nur aus einer mythischen Symbolisirung der Lehre 
von dem Uebergang der Gegensätze in einander entstanden seien, ist mir 
zu gesucht. Heraklit's Gemüthsart bezeichnet schon TaurorarısT b. Dioc. 
IX, 6 (vgl. P.m. H. n. VOL, 19, 80) als trübsinnig, und dieses Urtheil wird 
sich uns durch die Bruchstücke seiner_Schrift bestätigen. Die Geschichtchen 
jedoch, welche Dıoe. IX, 3 f. über seine Misanthropie mittheilt, sind werth- 
los, von der ungesalzenen Behauptung zu schweigen, dass er über alles ge- 
weint und Demokrit über alles gelacht habe (Lucıan vit. auct. c. 13. Hır- 
poL. Refut. I, 4. Sen. De ira II, 10, 5. Tranqu. an. 15, 2 u.a... Von 
Lehrern, die Heraklit gehabt hätte, scheint die gewöhnliche Ueberlieferung 
nichts gewusst zu haben, wie diess schon daraus erhellt, dass ihn die Alten 
Creuens Strom. I, 300 C ff. Dioc. IX, 1. Prooem. 13 ff., gleichlautend 
(Gazen c. 3) in der Diadochenordnung nicht unterzubringen wissen, und so 
ist es auch offenbar schief, wenn ihn Sorıox Ὁ. Dıos. IX, 5 zum Schüler 
des Xenophanes, eine andere Angabe (bei Suın. ᾿ΗΗράχλ.), wahrscheinlich 
aus Missverständniss von Arıst. Metaph. I, 3, zum Schüler des Hippasus 
macht, Hippolytus a. a. O. zur pythagoreischen διαδοχὴ rechnet; dass er 
jedoch alles von sich selbst gelernt zu haben, in seiner Jugend nichts, 
später alles zu wissen behauptet habe (Dıo«e. IX, 5. Sıos. Floril 21, 7. 
Proxr. in Tim. 106 E), scheint nur aus missverstandenen Aeusserungen 
seiner Schrift (s. 5. 653% f.) gefolgert zu sein; PFLEIDERER (8. 54) wenigstens 
macht mir das Gegentheil nicht wahrscheinlich. 

1) Diese Schrift war in jonischer Prosa verfasst, und führte nach 
Dıoe. IX, 5. 12. Crew. Strom. V, 571 C den Titel περὶ φύσεως. Nach 
Dıoe. IX, 5 wäre sie in drei λόγος getheilt gewesen: εἴς re τὸν περὶ τοῦ 
παντὸς χαὶ τὸν πολιτιχὸν χαὶ ϑεολογιχόν. Und es ist allerdings (wie 
ScHUSTER 48 ff. gegen SCHLEIERMACHER II, 25 ff. ausführt) wohl möglich, 
dass das Werk mehrere Abschnitte hatte, von denen jeder eine eigene Rolle 


[570] Seine Schrift. 627 


eleatische, in ausgesprochenem Gegensatz gegen die gewöhn- 


gefüllt haben könnte; und damit kann man es in Verbindung bringen, dass 
es nach Dıoc. 12 auch den Titel Movo«ı geführt haben soll, wenn man 
nämlich hiebei mit Schuster 5. 57 an die drei Musen der älteren Mytho- 
logie denkt (wogegen zwei andere angebliche Titel bei Dıos. 12 gar keine 
wirklichen Titel sind; vgl. Bernays Abh. I, 8, 3) Allein die Μοῦσαι 
stammen ohne Zweifel aus PLaro Soph. 242 Ὁ, nicht (wie Scausrer S. 329, 
2 anzunehmen geneigt ist) von Heraklit her; ebenso die von Diog. ange- 
gebenen Benennungen der drei Abschnitte (wie auch Scauster 54 f. bemerkt) 
von den alexandrinischen Pinakographen; und dass diese den Hauptinhalt 
derselben richtig bezeichneten, dafür haben wir (wie unter anderem die 
zweiten Ueberschriften der platonischen Gespräche zeigen) nicht die ge- 
ringste Bürgschaft. Unsere Bruchstücke enthalten sehr wenig ethisches und 
politisches und noch weniger theologisches, das nicht zu den allgemeinen 
Grundzügen seiner Physik gehörte; und ebenso verhält es sich mit den 
sonstigen Ueberlieferungen über Heraklit's Lehre. (Vgl. auch SusswiuL 
Jahrb. ἢ Philol. 1873, 714 f.) Hätte Her. wirklich die politischen und theo- 
logischen Fragen annähernd ebenso eingehend behandelt, wie die Physik, 
so wäre diese Spärlichkeit der auf sie bezüglichen Mittheilungen um so 
auffallender, da für die Schriftsteller der späteren Zeit ihrer eigenen Denk- 
weise nach die theologischen und ethischen Lehren grössere Anziehungs- 
kraft hätten haben müssen als die physikalischen; man begriffe aber auch 
nicht, wie es käme, dass Heraklit von den Alten seit Aristoteles durchweg 
den Physikern zugezählt und seiner Schrift der Titel π. φύσεως gegeben 
wird. — Den Plan des Werkes aus den erhaltenen Bruchstücken mit einiger 
Sicherheit wiederherzustellen, halte ich für unmöglich; auch Scnuster’s 
Versuch einer solchen Reconstruction stützt sich grossentheils auf sehr un- 
sichere, in manchen Fällen auf mehr als unsichere Annahmen. — Dass diese 
Schrift Heraklit's einziges Werk war, steht auch abgesehen von dem in- 
direkten Zeugniss des ArıstotzLes Rhet. II, 5. 1407 b 16. Dıoa. IX, 7. 
Cieuzss Strom. I, 332 B, welche sämmtlich nur von einem σύγραμμα in 
der Einzahl, nicht von συγγράμματα reden, ausser Zweifel, da kein an- 
deres von den Alten angeführt oder conımentirt wird; Ὁ. Prur. adv. Col. 
14, 2 Ἡρακλείτου δὲ τὸν Ζωροάστρην, ist mit DÜBner ᾿Ηρακλείδου zu 
lesen (8. Bernays I, 40 ff); eine Verbesserung, durch die sich ScHLeıe- 
MACHER’B Zweifel an der Aechtheit dieser Schrift und an der Zuverlässig- 
keit der plutarchischen Berichte über Heraklit (a. a. O.) von selbst erledigt. 
Dass Davıp Schol. in Arist. 19 Ὁ 7. Hesvcn. vir ill. ἱράχλ. Schol. Bekker 
in Plat. S. 364 συγγράμματα Heraklit's nennen, ist nur ein Beweis ihrer 
Nachlässigkeit. An die Aechtheit der heraklitischen Briefe ist ohnediess 
nicht zu denken. Ueber eine metrische Darstellung der heraklitischen 
Lehre vgl. m. 8. 648, 1. Ob H. seine Schrift wirklich, wie Dıoc. ΙΧ, 6 
u. a. angeben, im Tempel der Artemis niederlegte, lässt sich nicht ausmachen; 
wenn er es aber gethan hat, so geschah es gewiss nicht, um sie nur den 
Eingeweihten zugänglich zu machen, wie mit Tarıan c. Grec. c. 3 TEICHMÜLLER 
11, 124 und Andere meinen, sondern eher, um ihre Erhaltung und Benützung 


628 Heraklit. [571] 
liche Denkweise | entwickelt. Wo unser Philosoph hinblickt, 


zu sichern. Ebensowenig werden wir die bekannte Dunkelheit Heraklit’s 
(vgl. Luceer. I, 639) mit Tuzorurıst b. Dıoa. 6 und Lucıan vit. auct. 14 
aus Missmuth und Menschenverachtung, oder mit Dıoc. 6. Cıc. N. D.I, 26, 
74. III, 14, 35. Divin. II, 64, 138. Fin. II, 5, 15. Prorım. IV, 8, 1. 8. 468. 
Cuarcıp. in Tim. c. 320 aus der Absicht, seine Meinung zu verbergen, (hie- 
gegen SCHLEIERMACHER 8. 8 ff. Krıscaz Forsch, 59) herleiten dürfen; und 
wenn Schuster S. 54. 72 f. 75 fl. für die letztere Annahme geltend macht, 
Heraklit habe doch allen Grund gehabt, sich vor einer Anklage wegen 
Gottlosigkeit sicherzustellen, so steht dem der Umstand entgegen, dass in 
seinen Bruchstücken gerade die anstössigsten Urtheile über religiöse Ge- 
bräuche und politische Zustände so herb und unverhüllt wie möglich aus- 
gesprochen werden, während andererseits diejenigen Sätze, deren Verständ- 
niss uns durch die Dunkelheit des Ausdrucks erschwert ist, dem Philo- 
sophen auch bei der deutlichsten Darstellung keinerlei Gefahr bringen 
konnten. Auch von den Alten sagt übrigens keiner, dass H. desshalb 
unverständlich geschrieben habe, um sich vor Verfolgung zu decken. Seine 
Dunkelheit scheint vielmehr theils von der allgemeinen Schwierigkeit philo- 
sophischer Darstellungen für jene Zeit, theils von der individuellen Eigen- 
thümlichkeit des Philosophen herzurühren, .der seine tiefsinnigen Anschau- 
ungen in möglichst prägnante und feierliche, grossentheils bildliche (vgl. 
σιν. Strom V, 571 B ἢ) Ausdrücke fasste, weil ihm diese am meisten zu- 
sagten, der Schwere seiner Gedanken am besten zu entsprechen schienen, 
und der dabei zu wortkarg und zu ungeübt im Satzbau war, um jene von 
Arıstotees (Rhet. III, 5. 1407 b 14 vgl. Deuere. De elocut. c. 192) be- 
merkte Unklarheit der symtaktischen Beziehung zu vermeiden. Heraklit 
selbst bezeichnet seine Sprache als diejenige, welche dem Gegenstand an- 
gemessen sei, wenn er Fr. 11. 12 Byw.(s. u. 662, 5*) nach der wahrschein- 
lichsten Auffassung dieser Bruchstücke (die Lucıan a. a. O. bestätigt) seine 
Reden den ernsten und ungeschminkten Worten einer begeisterten Sibylle, 
den deutungsvollen Sprüchen des delphischen Gottes vergleicht. Mit diesem 
orakelhaften Ton der heraklitischen Aussprüche hängt auch der Tadel bei 
Arıst. Eth. N. VII, 4. 1146 ὃ 29. M. Mor. II, 6. 1201 b 5 zusammen, der 
ihm vorwirft, er habe auf seine Meinungen ebenso grosses Vertrauen, als 
andere auf ihr Wissen: wo nur die Resultate, ohne ordentliche Beweis- 
führung, im Lapidarstil hingestellt werden, kommt es weder zur Darstellung 
noch zum Bewusstsein des Unterschieds zwischen den verschiedenen Graden 
der Gewissheit. Mit welcher Zuversicht Her. seine Ueberzeugungen ausrprach, 
sieht man unter anderem an dem Wort (Fr. 137 Schust. OryPıo». in Gorg. 87 
Jahrb. f. Philol- Suppl. XIV, 267 vgl. θιοα. IX, 16): λέγω τοῦτο χαὶ παρὰ 
Περσεφόνῃ ὦν. S.auch 8. 630, 1. 688, 1, wo der Eine, auf den er mehr gibt, 
als auf Tausende, zunächst auch er selbst ist. Von der Dunkelheit seiner Dar- 
stellung hat H. den Beinamen ὁ σχοτειενὸς erhalten, der uns zuerst bei Cic. 
Fin. I, 5, 15. Strazo XIV, 1, 25. S. 642. Ps.-Axıstr. De mundo 5. 396 ὃ 20, 
dann bei CLeuens Strom. V, 571 C u. A. begegnet; dass er aber weit älter 
war, zeigt die Erwähnung eines Heraolitus σμὲ Scotino cognomen erat bei Liv. 


[572] Unwissenheit der Menschen. 629 


nirgends findet er | wahre Erkenntniss!). Die Masse der 


XXIU, 39; denn dieser 215 v. Chr. von Philipp an Hannibal geschickte 
Unterhändler hatte seinen Beinamen doch wohl dem des Philosophen zu 
verdanken. Tımox Ὁ. Dıoc. IX, 6 nennt diesen alvıxıns. Eine angebliche 
Aeusserung des Sokrates über die Schwierigkeit der heraklitischen Dar- 
stellung gibt Dıoa. UI, 22. IX, 11f. Alte Commentatoren des heraklitischen 
Werks nennt Derselbe IX, 15 f.; dass der hier aufgeführte Antisthenes der 
Sokratiker sei (SCHLEIERMACHER 5. 5), wird von Branvis gr.-röm. Phil. I, 
154 wegen Dıoc. VL 19. IX, 6 mit Grund bezweifelt; ebenso ist es ein un- 
glücklicher Gedanke von LassaLLe I, 3, dass Eus. pr. ev. XV, 13, 6 An- 
tisthenes der Sokratiker (nicht ‘Hoaxiswrıxös, sondern) ᾿ραχλείτειός τες 
ἀγὴρ τὸ φρόνημι. genannt werde Vgl. Th. II a, 8074. — Ich führe im 
folgenden die Fragmente nach der Zählung Bywater’s an, der auch ihre Fundorte 
erschöpfend verzeichnet. 

1) Fr. 18 Ὁ. βτοβ. Floril. 3, 81: ὀχόσων λόγους ἤχουσα οὐδεὶς 
ἀφιχνέεται ἐς τοῦτο ὥστε γενώσνεεν ὅτι σοφόν ἐστε πάντων χεχωρισμένον. 
Hinter γενώσχειν haben die älteren Ausgaben den Zusatz: 7 γὰρ ϑεὸς ἢ 
ϑηρίον, der aber schon von Gaisford auf Grund der Handschriften entfernt 
wurde, und offenbar von einem Glossator, welcher das oog. π. xexwp. auf 
die Zurückgezogenheit des Weisen deutete, in übelangebrachter Erinnerung 
an Asısr. Polit. I, 2. 1253 a 29 beigefügt ist; vgl. LassaLıe I, 344 ἢ: 
Scaustze’s Vertheidigung seiner Aechtheit (5. 44) überzeugt mich nicht. In 
den Worten ὅτε σοφὸν u. 5. w. bezieht Lassalle (wie vielleicht schon 
AroLtox. Tyan. b. Eus. pr. ev. IV, 13, 1) das σοφὸν auf die göttliche 
Weisheit und erklärt sie demgemäss: „dass das Absolute allem sinnlichen 
Dasein enthoben, dass es das Negative ist.“ Diess ist nun unmöglich; wahr- 
scheinlich ist zu übersetzen: „keiner kommt dahin, einzusehen, dass die 
Weisheit von allen (bzw. allem) geschieden ist“, d. h. ihren eigenen, von 
allen Meinungen der Menschen abweichenden Weg zu gehen hat; was dem 
ἕπεσϑαε τῷ ξυνῷ (8. u. 667, 2) nicht, wie Scouuster 5. 42 glaubt, wider- 
spricht, denn das ξυνὸν ist etwas anderes, als die Meinung der Leute. 
Schuster erklärt mit Hemze (Lehre vom Logos S. 32), seiner Auffassung 
des ξυνὸν nicht besser entsprechend: „dass Weisheit niemand beschieden 
ist.“ Gowrerz 39 ff. will die Worte ὅτε σοφὸν u. 8. w. als Interpolation 
streichen. Und dass sie diess möglicherweise sein können, will ich nicht 
bestreiten, während die Vermuthung (Bernars I, 69 f.), dass unsere Stelle 
einer unächten Schrift entnommen sei, mir aus den gleichen Gründen un- 
annehmbar ist, wie Gomperz. Indessen hat mich dieser nicht davon über- 
zeugt, dass meine Erklärung desshalb unzulässig ist, weil Her., wenn er 
die Weisheit allen absprach, sie für etwas den Menschen überhaupt uner- 
reichbares gehalten haben müsste. Er sagt ja doch auch Fr. 2 (folg. Anm.) 
ganz allgemein von den Menschen, dass sie die Wahrheit nicht vernehmen, 
und beschränkt diess erst im folgenden auf alle, ausser sich selbst; und 
ebenso allgemein bei Hırror. IX, 9: ἐξηπάτηνταε ol ἄνϑρωποι u. 5. w. 
Warum hätte er nicht auch hier von den πάντες sich selbst stillschweigend 


630 Heraklit. [572. 573] 


Menschen hat kein Verständniss für die ewige Wahrheit, so 
offen sie auch zu Tage liegt; was ihnen täglich begegnet, 
bleibt ihnen fremd, wo ihr eigener Weg hinführt, ist ihnen 
verborgen, was sie wachend thun, vergessen sie, als ob es im 


Schlaf gethan wäre!); die | Ordnung der Welt, so herrlich sie 


ausnehmen können? Man könnte aber auch übersetzen: „Unter allen, 
deren Reden ich vernommen habe, bringt es keiner zur Erkenntniss, denn 
die Weisheit ist ihnen allen fremd“; doch ziehe ich meine erste Erklä- 
rung vor. Um freilich über den Sinn der Worte mit Sicherheit zu ent- 
scheiden, müssten wir den Zusammenhang kennen, in dem sie standen. 

1) Fr. 2: τοῦ δὲ λόγου τοῦδ᾽ ἐόντος ale) ἀξύνετοι γένονται ἄνϑρω- 
70 χαὶ πρόσϑεν ἢ ἀχοῦσαε καὶ ἀχούσαντες τὸ πρῶτον. γινομένων γὰρ 
πάντων κατὰ τὸν λόγον τόνδε ἀπείροισε ἐοίχασε πειρώμενοε χαὶ ἐπέων 
καὶ ἔργων τοιούτων ὁχοίων ἐγὼ διηγεῦμαε χατὰ φύσιν διαιρέων ἕχαστον 
καὶ φράζων ὅχως ἔχει" τοὺς δὲ ἄλλους ἀνθρώπους λανϑάνει ὁχόσα ἐγερ- 
ϑέντες ποιέουσι, ὄχωσπερ ὁχόσα εὕδοντες ἐπιλανϑάνονται. Diess halte ich 
mit BywAtER für die urkundlichste Fassung des berühmten Ausspruchs, mit 
dem Her. naclı Arısr. Rhet. III, 5. 1407 b 14. Sexr. Math. VII, 132 seine 
Schrift eröffnet hatte. Für das von Hırror. IX, 9 dargebotene δὲ am An- 
fang (τοῦ δὲ λόγου) spricht die Erwägung, dass seine Weglassung in allen 
andern Anführungen sich sehr leicht begreifen lässt (denn für den Zweck 
derselben war es entbehrlich und stilistisch störend); wogegen man nicht 
sieht, wie jemand dazu gekommen sein sollte, es beizu.ügen, wenn er es in 
seiner Vorlage nicht fand. Man braucht aber desshalb nicht zu bezweifeln, 
dass Her.s Schrift wirklich mit unserem Bruchstück begann, sondern es ge- 
nügt zur Erklärung des δὲ die Annahme, sie sei in ihrem Titel als λόγος 
περὶ φύσεως bezeichnet gewesen; wozu die Ueberschrift von Herodot’s Ge- 
schichtswerk zu vergleichen wäre. Zum folgenden bemerkt Anrısr. a. a. O.: 
τὰ γὰρ Ἡρακλείτου διαστίξαι ἔργον διὰ τὸ ἄδηλον εἶναι ποτέρῳ πρόςχει- 
ται, τῷ ὕστερον ἢ τῷ πρότερον, οἷον ἐν τῇ ἀρχῇ αὐτοῦ τοῦ συγγράμμα- 
τος φησὶ yap’ ,τοῦ λόγου τουδεοντος ἀεὶ ἀξύνετοι ἄνϑρωποι γίγνονται" 
ἄδηλον γὰρ τὸ ἀεὶ πρὸς ὁποτέρῳ διαστίξαι. Liest man nämlich (mit der 
Mehrzahl unserer Aristotelesbandschriften) τοῦ λόγου τοῦ δέοντος, so wäre 
das ἀεὶ zum folgenden zu ziehen; wogegen es bei der Lesung τοῦδ᾽ ἐόντος 
unzweifelhaft mit dem vorbergehenden zu verbinden ist. Nur wenn dafür 
τοῦ λόγου τοῦ ὄντος gesetzt würde, könnte das ἀεὶ gleich gut mit dem vor- 
hergehenden und dem folgenden verbunden werden. Bei dem λόγος ist, 
meiner Ansicht nach, zunächst zwar an die Rede, zugleich aber auch an den 
Inhalt der Rede, die in ihr ausgesprochene Wahrheit zu denken — ein Ver- 
mengen und Gleichsetzen der verschiedenen durch Ein Wort verknüpften 
und scheinbar identificirten Vorstellungen, das gerade bei einem Philosophen 
wie Heraklit am wenigsten auffallen kann. Her. sagt daher hier: „diese 
Rede (die in der gegenwärtigen Schrift niedergelegte Weltansicht) wird von 
den Menschen nicht vernommen, wiewohl sie immer ist (d. h. das, was 
immer ist, die ewige Ordnung der Dinge, die ewige Wahrheit, enthält); denn 


[514] Unwissenheit der Menschen. 631 
ist, ist für sie nicht vorhanden!). Die Wahrheit erscheint 


obgleich alles ihr gemäss geschieht (und somit ihre Wahrheit durch alle 
Thatsachen bestätigt wird), verhalten sich doch die Menschen, als ob sie nie 
etwas davon erfahren hätten, wenn ihnen Worte oder Dinge vorkommen, 
wie ich sie hier darstelle“, wenn ihnen die hier vorgetragenen Ansichten 
durch fremde Belehrung oder eigene Wahrnehmung nahe gelegt werden. 
(Das heisst aber nicht, was SouLier 8. 57 ἢ. daraus macht, und mit Recht 
unwahrscheinlich findet, dass Her. seinen Lesern sage, sie werden ihn nicht 
verstehen; er sagt ja nur, diess werde der erste Eindruck sein: ἀχούσαντες 
To πρῶτον.) Scuuster 18 f. bezieht den λόγος auf „die Offenbarung, welche 
die Natur uns bietet in vernehmlicher Rede“. Allein wenn auch in dem 
γινομένων πάντων u. 8. f. und dem ἔργων τοιούτων u. 8. w. ausgesprochen 
ist, dass alles dem λόγος, ‚von dem Her. redet, entspreche, so wird doch 
dieser selbst nicht als Rede der Natur bezeichnet, die Natur nicht blos nicht 
als das redende Subjekt, sondern überhaupt nicht genannt. Um daher dem 
λόγος diese Bedeutung geben zu können, müsste man annehmen, das τοῦϑε 
weise auf eine im vorhergehenden gegebene Erörterung über den λόγος τῆς φύ- 
σεως zurück. Dass jedoch eine solche vorhergieng, ist nicht anzunehmen, 
da unsere Stelle am Anfang der heraklitischen Schrift stand; vollends nicht, 
dass es eine so lange und mit dem hier angebrachten Ton so wenig über- 
einstimmende Einleitung gewesen sein sollte, wie sie Schuster 8. 13 ff. ver- 
muthet. Weiter vgl. m. Fr. 5 Crzw. Strom. II, 362 A: οὐ γὰρ φρονέουσι 
τοιαῦτα πολλοὶ ὁχόσοι (ὁχόσοις vgl. das οἷς ἐγχυροῦσε bei M. Aur. IV, 46) 
ἐγχυρσεύουσιν, οὐδὲ μαϑόντες γεινώσχουσε ἑαυτοῖσε δὲ δοχέουσι. Fr. 1 Sch. 
Hırror. a. ἃ. Ο.: ἐξηπάτηνται ol ἄγϑρωποι πρὸς τὴν γνῶσιν τῶν φανερῶν 
u. 8. w. M. Ausser. IV, 46: ae τοῦ Ἡραχλειτείον μεμνῆσθαι ὅτι γῆς 
ϑάνατος ὕδωρ yer&odaı u. 8. w. μεμνῆσϑαι δὲ χαὶ τοῦ ,ἐπελανϑανομένου 
ἢ ἡ ὁδὸς ἄγει"" καὶ ὅτι ,ᾧ μάλιστα διηνεκῶς ὁμιλοῦσι λόγῳ“, τῷ τὰ ὅλα 
διοιχοῖντι, ητούτῳ διαφέρονται, χαὶ οἷς χαϑ' ἡμέραν ἐγχυροῦσι, ταῦτα 
αὐτοῖς ξένα φαίνεται" χαὶ ὅτε „ob δεῖ ὥσπερ καϑεύδοντας ποιεῖν χαὶ 
λέγειν“ ... καὶ ὅτι οὐ δεῖ παῖδας τοχέων“ [sc. λόγους λέγειν oder etwas 
der Art], τοῦτ᾽ ἔστε χατὰ ψιλὸν χαϑότε παρειλήφαμεν. In den mit An- 
führungszeichen versehenen Worteu erkenne ich mit Bernars I, 54, 1 
Citate aus Heraklit (Fr. 93. 94. 97), die aber offenbar blos gedächtniss- 
mässig und daher nicht ganz wörtlich sind. Ebendahin gehören, falls sie 
heraklitisch sind, die Worte b. Hırroka, r. dıasr. I, 5: χαὶ τὰ μὲν πρήσ- 
σουσε οὐχ οἴδασιν, ἃ []. οἴδασι, τὰ] δὲ οὐ πρήσσουσι δοκέουσιν εἰδέναι, 
χαὶ τὰ μὲν ὁρῶσιν οὐ γινώσχουσιν, ἀλλ᾽ ὅμως αὐτοῖσι πάντα γίνεται δὲ 
avayıny ϑείην xal ἃ βούλονται xal ἃ μὴ βούλονται. 

1) In diesem Sinn, als Tadel der gewöhnlichen Vorstellungsweise, fasse 
ich, wenigstens vermuthungsweise, die abgerissenen Worte Tueorar. Metaph. 
15: ὥσπερ σάρον (oder auch σάρος, Kehricht, wie Bernays Ὁ. Schuster 390 
statt des σὰρξ der Handschriften vermuthet, vgl. Brwarzr zu Fr. 46. Usexer 
‚Ind. Schol. Bonn. 1890/91 VIIa) εἰχῆ χεχυμένων ὁ xallıoros, φησὶν Ἡρά- 
χλειτος, χύσμος. SCHUSTER sucht darin Heraklit’s eigene Ansicht, aber von 
den zwei Erklärungen, die er vorschlägt, befriedigt mich keine. 


682 Heraklit. [574. 575) 


ihnen unglaublich!), sie sind taub dafür, auch wenn sie ihnen 
zu Ohren kommt?): dem Esel ist ja Spreu lieber als Gold, 
und der Hund bellt jeden an, den er nicht kennt?). Gleich 
unfähig zu hören und zu reden), thäten sie am besten, ihre 
Unwissenheit zu verbergen®). Unverständig, | wie sie sind, 
halten sie sich an das Gerede der Sänger und an die Mei- 
nungen des Pöbels, ohne zu bedenken, dass es der Guten 
immer nur wenige sind, dass die meisten dahinleben, wie das 
Vieh, und nur die besten der Sterblichen Eines, den unver- 
gänglichen Ruhm, allem anderen vorziehen), dass Ein Treff- 


1) Diess kann wenigstens der Sinn von Fr. 116 Crew. Strom. V, 
591 A sein: amıorin διαφυγγάνεε un γινώσχεσϑαι. Was bei Clemens 
vorangeht, halte ich schon wegen der βάϑη τῆς γνώσεως, in denen sich die 
christliche (auf 1 Kor. 2, 10 vgl. Apoc. 2, 24. 1 Kor. 8, 1.7. 2Kor. 
10, 5 u. a. St. gegründete) Ausdrucksweise kaum verkennen lässt, nicht für 
heraklitisch, und theils desshalb, theils aus den S. 628 berührten Gründen, 
kann ich Scuhuster 8. 72 nicht beistimmen, der hier die Aufforderung findet, 
sich durch misstrauische Behutsamkeit vor Verfolgung sicherzustellen. 
Auch die Verwendung des Wortes bei Prur. Coriol. 38 (τῶν μὲν ϑείων τὰ 
πολλὰ, χαϑ᾽ Ipaxitırov, ἀπιστίῃ διαφ. u. 8. w.) steht dieser Deutung im 
Wege. 

2) Fr. 3: afuveros ἀχούσαντες κωφοῖς ἐοίχασε᾽ φάτις αὐτοῖσε μαρ- 
τυρέεε (das Sprüchwort bezeugt von ihnen) παρεόντας ἀπεῖναι. 

8) Fr. 51 Arısr. Eth. N. X, 5. 1176 a 6: “Hocxisırog φησιν, ὄνον 
σύρματ᾽ ἄν ἑλέσϑαι μᾶλλον ἢ χρυσόν. Fr. 115 Pıur.an 8. s. ger. resp. 7, 
5. 787: χύνες γὰρ καὶ βαὔζουσιν ὃν ἄν μὴ γινώσχωσε xa9° ἩΗράχλειτον. 
Ich gebe diesen und ähnlichen bruchstückweise erhaltenen Aussprüchen die 
Beziehung, welche mir die wahrscheinlichste ist, ohne sie unbedingt ver- 
treten zu wollen. . 

4) Fr. 6 Creu. Str. II, 369 Ὁ: axovoas οὐχ ἐπιστάμενοι οὐδ᾽ εἰπεῖν. 

5) Fr. 108: ἀμαϑίην ἄμεινον xounteıw‘ ἔργον δὲ ἐν ἀνέσεε zal παρ᾽ 
οἶνον. Ueber die verschiedenen Ueberlieferungen dieser Worte vgl. m. 
Brwater z. d. St. ScahLeıeru. 8. 11. Mur. 815. Scausr. 71. 

6) Fr. 111 wie dieses Bernars I, 31 ff. vgl. Scnust. 68 £. (besser als 
LassaLre II, 303) aus Proxt. in Alcib. 255 Cr. 525 Cous. Creu. Strom. V, 
576 A herstellt: τίς γὰρ αὐτῶν [sc. τῶν πολλῶν) νόος ἢ φρήν; δήμων 
(von Brw. m. E. ohne Noth verdächtigt) ἀοιδοῖσι ἕπονται χαὶ διϑασχάλῳ 
χρέονταε ὁμέλῳ, οὐκ εἰδότες ὅτε πολλοὶ χαχοὶ ὀλίγοε δὲ ἀγαϑοί. αἱρεῦν- 
ται γὰρ ἕν ἀντία πάντων οὗ ἄριστοι χλέος ἀέναον ϑνητῶν, ol δὲ πολλοὶ 
κεχόρηνταε ὅχωσπερ χτήνεα (das weitere ist erläuternder Zusatz des Clemens), 
In der Erklärung des letzten Satzes weiche ich von BERNAYs, LAsSALLE 
(U, 436 f.) und Scuuster ab, welche ϑνητῶν von χλέος abhängig machen. 


[515. 576] Fluss aller Dinge. 633 


licher mehr werth ist, als tausend Schlechte!),. Um weniges 
besser kommen aber auch die meisten von denen weg, welche 
sich den Ruhm einer höheren Weisheit erworben haben. 
Heraklit sieht bei ihnen ungleich mehr Vielwisserei, als wirk- 
liche Einsicht. Ueber Hesiod und Archilochus, über Pytha- 
goras, Xenophanes und Hekatäus, namentlich aber über Homer, 
finden sich bei ihm die absprechendsten Urtheile®); nur einige 
von den 80g. sieben Weisen behandelt er mit grösserer Anerken- 
nung®). Wie weit sich daher seine Denkweise im übrigen 
von der eleatischen | entfernen mag: mit der gewöhnlichen 
Weltansicht wird sie, wie sich schon jetzt sagen lässt, ebenso- 
wenig übereinstimmen wie jene. 

Diese herben Urtheile über die Menschen sind nun ohne 
Zweifel, wie wir diess von einem Theil derselben noch nach- 
weisen können, bei sehr verschiedenen Veranlassungen ausge- 
sprochen worden, und sie gelten allem dem, was der Philosoph 
an ihren Meinungen und ihrem Verhalten zu tadeln hat. Aber 
der Grundfehler der herrschenden Vorstellungsweise besteht 
nach Heraklit darin, dass sie den Dingen eine Beharrlichkeit 
des Seins, und ebendamit eine Bedeutung beilegt, die ihnen 
nicht zukommt, statt in ihnen nur die flüchtigen Erscheinun- 
gen eines Wesens zu sehen, welches sie alle erzeugt und in 
sich zurücknimmt, und als das einzige Bleibende in dem rast- 


1) Fr. 118 (Beenays I, 33) bei Tueonvor. Prodr. (Laz. Miscell. S. 20) 
vgl. m. Sruwacnus epist. IX, 115. Dıios. IX, 16: ὁ εἰς μύρεοε παρ᾽ “Hoa- 
χκλείτῳ ἐὰν ἄρεσεος ἧ. Ourmrion. in Gorg. 5. 87 (Jaun’s Jahrbb. Supple- 
mentb. XIV, 267): eis ἐμοὶ ἀντὶ πολλῶν. Ganz ähnlich lässt Sexeca ep. 
7, 10 Demokrit sagen: unus mihi pro populo est et populus pro uno, und 68 
ist möglich, dass Demokrit, bei dem wir auch andere Anklänge an Heraklit 
finden werden, dieses dem Ephesier entnommen hat. Weiter vgl. S. 662, 1. 

2) M. vgl. hierüber Fr. 17. 16 (s. ο. 309, 3. 476, 4). Fr. 35 (8. 638, 2). 
Fr. 119 Dioe. IX, 1: τὸν δ᾽ Ὅμηρον ἔφασχεν ἄξιον ἐχ τῶν ἀγώνων (die 
ἀγῶνες uovosxol) ἐχβάλλεσϑαε καὶ ῥαπίζεσϑαι χαὶ Aprlkoyor ὁμοίως. 
Fr. 48 (5. u. 655, 3): H. tadelte den Homer, weil er den Streit weg- 
wünschte. Vgl. auch Fr. 118 (8. u. 653, 44). 

8) So namentlich Bias Fr. 112 Dıoc. I, 88; sodann Thales Fr. 33 
ebd. 23. Seine nächsten Vorgänger, Anaximander und Anaximenes, scheint 
er nicht getadelt, aber auch überhaupt nicht genannt zu haben. Der Hera- 
klit, welcher Ὁ. Dıoa. I, 76 des Alcäus erwähnt, ist schwerlich unser 
Philosoph. 


634 Heraklit. [576] 


losen Wechsel sich erhält. In Wahrheit gibt es ausser ihm 
nichts Bleibendes in der Welt, sondern alles ist in unablässi- 
ger Veränderung begriffen!), wie ein Strom, in dem immer 
neue Wellen die früheren verdrängen 3): | und dass damit nicht 


1) Prato Theät. 160 Ὁ: κατὰ... Ἡράχλειτον . . . οἷον ῥεύματα 
χινεῖσϑαι τὰ πάντα. Ebd. 152 Ὁ (8. u. 641, 2). Krat. 401 Ὁ: χαϑ' Ἡρά- 
χλειτον ἄν ἡγοῖντο τὰ ὄντα ἱέναι τε πάντα καὶ μένειν οὐδέν. Ebd. 402Α: 
λέγεε που Ηράνλ. ὅτε πάντα χωρεὶ χαὶ οὐδὲν μένει, χαὶ ποταμοῦ ῥοῇ 
antızalay τὰ ὄντα λέγεε ὡς δὶς ἐς τὸν αὐτὸν ποταμὸν οὐχ ἄν ἐμβαίης. 
Ebd. 412 Ὁ: τὸ πᾶν εἶναι ἐν πορείᾳ, τὸ. . πολὺ αὐτοῦ ... τοιοῦτόν τε 
εἶνκε, οἷον οὐδὲν ἄλλο ἢ χωρεῖν. Soph. 242 C ff. =. u. 657,3. Arısr. Metaph. 
IV, 5 (s. folg. Anm.). Ebd. I, 6 Anf.: ταῖς ἩΗραχλειτείοις δόξαις, ὡς ἁπάν- 
των τῶν αἰσθητῶν ἀεὶ ῥεόντων καὶ ἐπιστήμης περὶ αὐτῶν οὐχ οὔσης. 
Ebd. XIII, 4. 1018 b 14: τοῖς ἩἩραχλειτείοες λόγοις ὡς πάντων τῶν die 
σϑητῶν ἀεὶ ῥεόντων. De an. I, 2. 405 a 28 (nach dem 8. 646, 3 ange- 
führten): ἐν χενήσεε δ᾽ εἶναι τὰ ὄντα xaxeivog ᾧετο χαὶ οἱ πολλοί. Top. 
I, 11. 104 b 21: ὅτε πάντα χινγεῖταε χαϑ' Ἥραχλειτον. Phys. VII, 3. 
258 b 9 (8. u. 5. 636 m... De calo III, 1; s. u. 648, 1. Ebenso spätere 
Zeugen, wie Arex. Top. 8. 48, Schol. in Arist. 259 b 9. Metaph. IV, 8. 
S. 298, 10 Bon. Ps.-Ar&x. Metaph. ΧΙ, 4. 9. 5. 717, 14. 765, 12 Bon. 
Aumon. De interpr. 9, Schol. in Ar. 98 a 37. Dioc. IX, 8. Lucıan V. 
auct. 14. Sexr. Pyrrh. II, 115. Pıur. Plac. I, 25, 7. Die gleiche An- 
sicht setzt aber schon ErIcHARNMUS voraus; 8. 0. S. 496 f. 

2) Praro Krat. 402 A, 8. vor. Anm. Pıur. De Ei c. 18: ποταμῷ γὰρ 
οὐχ ἔστιν ἐμβῆται δὶς τῷ αὐτῷ χαϑ᾽ ᾿Ηράχλειτον, οὐδὲ ϑνητῆς οὐσίας δὲς 
ἅψασϑαι χατὰ ἕξιν, ἀλλ᾽ ὀξύτητι καὶ τάχει μεταβολῆς ,σχίδνησε χαὶ πάλεν 
συνάγει“... πρόςεισε χαὶ ἄπεισι“, Die bezeichneten Worte halte ich mit 
SCHLEIERMACHER S. 30, Brwater Fr. 40 u. A. für heraklitisch; vgl. ep. 
Heracl. 6, 8. 52, 59 Bern. 74 Byw.: [ὁ ϑεὸς)] συνάγει τὰ σχιδνάμενα. 
Die Worte dagegen: οὐδὲ — x. ἕξιν scheinen mir ein erläuternder Zusatz 
Plutarch’s: von 9vntr οὐσία hat Her. schwerlich gesprochen, und in dem 
x. ἕξιν, was auch Scauster 8. 91 Schwierigkeit macht, lässt sich der 
aristotelisch-stoische Sprachgebrauch (über den Th. II b, 269, 2. III a, 96, 2) 
kaum verkennen. Denselben Ausspruch führt PLur. de 5. num. vind. c. 15 
Schl. S. 559. Qu. nat. 2, 3. 5. 912. Smer. Phys. 77, 31. 308 b o. Ald. an. 
Pur. Qu. nat. fügt bei: ἕτερα γὰρ ἐπιῤῥεῖ ὕδατα, vollständiger KLEANTHES 
Ὁ. Eus. pr. ev. XV, 20, 1: Ἡράχλ. . . λέγων οὕτως" ποταμοῖσε τοῖσεν 
αὐτοῖσιν ἐμβαίνουσιν ἕτερα χαὶ ἕτερα ὕδατα ἐπιῤῥεὶ (das weitere ist nicht 
mehr für heraklitisch zu halten. Bei Hzrıxrır Alleg. Hom. c. 24, 8. 5l 
Mehl. heisst es sogar: ποταμοῖς τοῖς αὐτοῖς ἐμβαίτομέν Te χαὶ οὐχ ἐμ- 
βαίγομεν, εἶμέν τε χαὶ οὐχ εἶμεν, was man füglich erklären könnte: wir 
steigen nur scheinbar in denselben, mit sich identischen, Fluss, in Wahrheit 
aber nicht in denselben, weil er sich während des Hineinsteigens verändert, 
und ebenso sind wir selbst und sind nicht, weil auch wir uns fortwährend 
verändern (wogegen mir Scuuster’s Erklärung 8. 83: „wir sind drinnen und 


[5117] ᾿ Fluss aller Dinge. 635 


blos die Vergänglichkeit aller Einzelwesen behauptet, sondern 
jeder dauernde Bestand eines Dings für eine Täuschung er- 
klärt werden soll, wird ausser allen unsern anderen Zeugen, 
seit Plato und Aristoteles, auch von Heraklit selbst auf’s un- 
zweideutigste ausgesprochen!). Nichts bleibt, was | es ist, 


auch schon nicht mehr drinnen“ weniger zusagt). Indessen lassen die Worte 
auch die Erklärung zu: „wir steigen in Wahrheit nicht in denselben Fluss, 
und sind nicht dieselben (zu dem εἶμεν kann man nämlich aus dem vorher- 
gehenden suppliren: οὗ αὐτοὶ) wie früher.“ Für diese Erklärung spricht 
Arıst. Metaph. IV, 5. 1010 a 12: (Κρατύλος) ἩΗραχλεέτῳ ἐπετίμα εἰπόντι, 
ὅτε dis τῷ αὐτῷ ποταμῷ οὐχ ἔστιν ἐμβῆναι" αἰτὸς γὰρ wero οὐδ᾽ ἅπαξ 
(denn wenn Heraklit das letztere ebenfalls’ schon gesagt hatte, war dieser 
Tadel nicht begründet) und ΒΕΝΕΟΑ ep. 58, 23: hoc est, quod α΄ Heracktus: 
„in idem flumen bis descendimus et non descondimus.“ Die letztere Stelle 
könnte man für ScHLEIERMACHER’'s Vermuthung a. a. O. 143 anführen, dass 
bei Heraklit Alleg. Hom. a. a. O. hinter ποῖ. τ. αὐτοῖς „dis“ einzuschieben 
sei; doch ist es mir wahrscheinlicher, dass das „dis“ Seneca’s ein er- 
klärender, aus dem bekannten Satze, „man könne nicht zweimal in den- 
selben Fluss steigen“, genommener Zusatz ist. Scuuster’s Wiederherstellung 
des heraklitischen Textes aus den obigen Citaten (8. 86 ff.) leuchtet mir 
durchaus nicht ein; es ist ja nicht nothwendig, dass die sämmtlichen hier 
angeführten Aeusserungen aus Einer und derselben Stelle entnommen sind. 
Brwarer vertheilt sie an Fr. 41 und 81. 

1) Scauster 8.201 ff. hat sich zwar viele Mühe gegeben, zu beweisen, 
dass Heraklit mit den oben angeführten Sätzen nicht mehr ausdrücken 
wolle, ala den Gedanken, „dass kein Ding in der Welt dem schliesslichen 
Untergang entgehe.* Dieser Beweis ist aber entschieden missglückt. Schon 
darüber kann man zweifelhaft sein, ob der ursprüngliche Ausdruck der hera- 
klitischen Lehre, so wie ScH. glaubt (S. 86), gerade in den Worten Krat. 
402 A (8. vorl. Anm.): πάντα χωρεὶ χαὶ οὐδὲν μένει zu suchen ist. Denn 
theils erhellt aus der platonischen Stelle nicht mit voller Bestimmtheit, ob 
diess Heraklit'’s eigene Worte sind; theils ist es auch sehr unwahrscheinlich, 
dass Her. auf seine Grundanschauung nicht öfters zurückgekommen sein 
sollte, und in diesem Fall ist, wie mir scheint, auch noch weiter zu ver- 
muthen, dass er für dieselbe sich nicht blos einer und derselben Formel 
bediente; dann lässt sich aber nicht absehen, warum der von Sch. vorge- 
zogene Ausdruck authentischer sein soll, als die andern uns überlieferten, 
warum das πάντα ῥεῖν, welches bei Aristoteles dreimal steht (De coelo III, 1. 
Metaph. I, 6 und De an. I, 2, s. u. 8. 646, 3), oder das gleichbedeutende 
οἷον ῥεύματα χινεῖσϑαι τὰ πάντα, welches Plato Theät. 160 Ὁ anführt, 
nicht ebensogut seine eigenen Worte wiedergeben soll, warum er gerade 
πάντα χωρεὶ gesagt haben soll und nicht (nach Krat. 401 Ὁ) ἱέναι re πάντα 
χαὶ μένειν οὐδέν. Mag indessen Her. diesen oder jenen Ausdruck gewählt 
haben: die Hauptfrage ist, was er damit gemeint hat. Und darüber lässt 
er selbst uns nicht im Zweifel. Für den Satz, dass alles einmal ein Ende 


636 Heraklit. [578] 


alles geht in sein Gegentheil über, alles wird aus allem, alles 
ist alles. Der Tag ist bald kürzer bald länger, ebenso auch | 


nimmt, wäre der Fluss, welcher Zaditur et ladstur in omne volubilis evum, 
ein höchst unpassendes Beispiel, ein vollkommen zutreffendes ist er dagegen 
für die unablässige Veränderung der Dinge. Eben diese wird ja aber von 
Her. selbst so bestimmt wie möglich als der Vergleichungspunkt bezeichnet, 
wenn er sagt, man könne nicht zweimal in denselben Fluss steigen. Ob 
dieser Fluss ewig fortströmen oder auch einmal versiegen wird, ist hiefür 
ganz gleichgültig. Wären aber Her.’s eigene Erklärungen auch weniger 
unzweideutig, als sie sind, so müsste schon die Auffassung der Schriftsteller 
entscheiden, denen diese Erklärungen nicht, wie uns, in kleinen Bruchstücken, 
sondern in ihrem vollen Zusammenhang bekannt waren. Diese sind aber 
ohne Ausnahme darüber : einig, dass der Ephesier allen und jeden festen 
Bestand der Dinge geleugnet habe; und wenn Scan. (S. 207 f.) glaubt, erst 
Plato habe dem πώντα χωρεῖ diese Bedeutung gegeben, Aristoteles sei ihm 
zwar darin gefolgt, verrathe aber selbst Phys. VIH, 3, dass er eine be- 
stimmte Erklärung hierüber in Heraklit's Schrift nicht gefunden habe, so 
kann ich meinerseits weder Plato noch Aristoteles, ja nicht einmal einem 
Plutarch oder Alexander, denen das vielgelesene Buch doch gleichfalls noch 
vorlag, eine so nachlässige und leichtfertige Berichterstattung zutrauen; 
und ich sehe nicht, was uns, auch abgesehen von Heraklit's eigenen 
Acusserungen, berechtigen könnte, ihren einstimmigen Aussagen eine Auf- 
fassung entgegenzustellen, die auch nicht Ein Zeugniss für sich anführen 
kann. Denn auch Phys. VIII, 3 beweist für sie nicht das geringste. 
Aristoteles sagt hier 253 b 9: φασί tıves χινεῖσϑαι τῶν ὄντων οὐ τὰ μὲν 
τὰ δ᾽ οὔ, ἀλλὰ πάντα καὶ ἀεὶ, ἀλλὰ λανϑάνειν τὴν ἡμετέραν αἴσϑησεν. 
πρὸς οὗς χαίπερ οὐ διορίζοντας ποίαν χίνησιν λέγουσιν, ἢ πάσας, οἱ 
χαλεπὸν ἁπαντῆσαι. Er legt also Heraklit (um den es sich hier aller- 
dings in erster Stelle handelt) die Behauptung ausdrücklich bei, dass alles 
in fortwährender Veränderung begriffen sei. Nur darüber vermisst er bei 
ihm eine bestimmte Erklärung, an welche Art von Veränderung man hiebei 
zu denken habe, und zeigt desshalb im folgenden von allen Arten derselben, 
der Zu- und Abnahme, der Umwandlung und der Ortsveränderung (m. s. 
hierüber Th. II b, 389), dass sie nicht ununterbrochen fortgehen können. 
Was folgt aber hieraus? Was steht denn der Annahme entgegen, es habe 
sich wirklich so verhalten, wie Arist. angibt, Her. habe eine unaufhörliche 
Veränderung aller Dinge mit aller Bestimmtheit behauptet, er habe dieselbe 
auch (wie wir finden werden) an vielerlei Beispielen nachgewiesen, aber er 
habe die verschiedenen Arten der Veränderung noch nicht so, wie Aristo- 
teles, logisch unterschieden, und sei desshalb, wo er seinen Satz allgemein 
aussprach, bei der unbestimmten Vorstellung von der Bewegung (oder dem 
Fluss) aller Dinge stehen geblieben, ohne sich darüber zu erklären, worin 
diese Bewegung bestehe, ob der Ort, oder die Grösse, oder die stoffliche 
Beschaffenheit der Dinge, oder alles dieses zusammen fortwährend wechsle? 
Auch bei Prato Theät. 181 B fi. wird der Satz, dass nach heraklitischer 


[579] Fluss aller Dinge. 637 
die Nacht, Hitze und Feuchtigkeit wechseln, die Sonne ist 


Lehre πάντα πᾶσαν xlynow ἀεὶ χινεῖται, dass alles fortwährend sowohl 
seinen Ort, als seine Beschaffenheit ändere (einer beständigen ἀλλοέωσες 80- 
wohl als περιφορὰ unterliege), zwar für den eigentlichen Sinn derselben 
erklärt, aber so, dass man deutlich sieht, wie erst Plato diese beiden Arten 
der Bewegung unterscheidet. ScHUSTER ist nun freilich (unter Zustimmung 
Prieipzrer’s 147 ff., der aber das, was er 8. 149 gesagt hat, S. 154 that- 
sächlich wieder zurücknimmt) der Meinung, die fortwährende Veränderung 
aller Einzelwesen würde zu den grössten Schwierigkeiten führen. Wollte 
man annehmen, dass die Gestalt derselben sich fortwährend ändere (was 
aber niemand Heraklit zuschreibt), so widerspreche dem die Fortdauer der 
Erde, des Meeres, des Himmels, der Seelen nach dem Tode u. 8. w. Sollen 
die Einzeldinge fortwährend ihren Stoff gegen anderen auswechseln, so 
würde diese Annahme nicht allein für die Zeit der Weltverbrennung und 
die folgende, wo alles ein Meer ist (s. u.) nicht zutreffen, sondern auch für 
die jetzige Weltperiode lasse sie sich nicht durchführen; denn wirklich ent- 
sprechen würde ihr nur die Vorstellung, dass jedes Ding jeden Augenblick 
alle seine Theile gegen neue austausche, die Welt jeden Augenblick wie 
durch Zauberei verschwinde und wieder da sei, was man doch nicht wohl 
für Heraklit’s Ansicht halten könne. Allein um die Berichte über Heraklit’s 
Lehre durch diese Consequenzen widerlegen zu können, müsste man erst 
zweierlei darthun: dass Heraklit, falls jene Berichte im Recht sind, diese 
Consequenzen gleichfalls gezogen, und dass er an denselben gleichfalls An- 
stoss genommen haben müsse; und von diesen zwei Voraussetzungen kann 
ich weder die eine noch die andere zugeben. Woher wissen wir denn, dass 
Her., wenn er eine fortwährende Umwandlung der Stoffe annahm, diese 
Umwandlung momentan, und nicht allmählich, bald rascher bald langsamer, 
erfolgen liess, oder dass er sich schon sagte, wenn alles sich fortwährend 
ändere, müsse diess auch von jedem kleinsten Stofftheil gelten? Der Fluss, 
mit dem er den Naturlauf vergleicht, zeigt doch ebenfalls nicht ein momen- 
tanes Verschwinden und Auftreten der ganzen Wassermasse, sondern ihren 
ununterbrochenen, einen zeitlichen Verlauf darstellenden Abfluss. Woher 
wissen wir aber auch, dass für ihn auf seinem Standpunkt eine solche ab- 
solute Umwandlung der Stoffe hätte undenkbar sein müssen? Auch unter 
dieser Voraussetzung blieb ja der scheinbare Bestand der Einzeldinge, und 
wenn sie bis zum Weltende fortdauern, vollkommen erklärbar, sobald nur 
weiter angenommen wurde, was sie nach einer Seite hin verlieren, werde 
ihnen von einer andern ersetzt; wie diess nach 8. 680 ἢ, wirklich Hera- 
klit's Meinung gewesen zu sein scheint. M. vgl. zu dem vorstehenden auch 
SuszuinL a. a. O. 725 f. Sıeseck Zitschr. f. Phil. LXVII. 245 f. Teıcu- 
MÜLLER Neue Stud. I, 118 f.; wenn der letztere jedoch (mit Schuster 8. 229) 
glaubt, Her. habe seine Lehre vom Fluss aller Dinge der Behauptung des 
Xenophanes, dass die Gottheit unbewegt sei, entgegengestellt, so kann ich 
dieser Vermuthung nicht beistimmen, denn Xenoph. spricht die Bewegung 
nur der Gottheit ab (vgl. S. 509. 540), der heraklitische Satz dagegen be- 
zieht sich auf die Dinge, nicht auf die Gottheit als solche. 


638 Heraklit. [580] 


näher und entfernter. Das sichtbare geht in’s unsichtbare, 
das | unsichtbare in die Sichtbarkeit über, das eine tritt an 
die Stelle des andern, das eine geht durch das andere zu 
Grunde; das grosse nährt sich von dem kleinen, das kleine 
von dem grossen. Auch von dem Menschen nimmt die Natur 
gleichzeitig Theile und andere gibt sie ihm, sie macht ihn 
grösser, indem sie ihm gibt, und kleiner, indem sie von ihm 
nimmt, und beides fällt zusammen!). Tag und Nacht sind 
dasselbe?), d. h. es | ist Ein Wesen, welches bald licht, bald 


1) Diess in der Stelle des falschen ΗἸΡΡΟΚΒΑΤΕΒ 7. διαίτης 1, 4 ft. 
(Brwarter Her. Rel. S. 62 ἢ), von der Berxays I, 9 ff. vermuthet, dass sie, 
abgesehen von manchen Zusätzen des Sammlers, Heraklit's Werk ent- 
nommen sei. (Weiteres über sie 8. 633* fi.) Ich setze daraus her, was 
mir wenigstens dem Sinne nach heraklitisch zu sein scheint. Zy& δὲ ade‘ 
γενέσϑαι χαὶ ἀπολέσϑαι τωὐτὸ, ξυμμιγῆναι καὶ διαχριϑῆναι τωὐτό. (Dieses 
letztere jedoch ist in dieser Fassung gewiss nicht heraklitisch; die Zurück- 
führung des Entstehens und Vergehens auf Verbindung und Trennung der 
Stoffe verräth vielmehr, wie a. a. O. gezeigt werden wird, den Einfluss 
des Anaxagoras.) . . . ἕχαστον πρὸς πάντα καὶ πάντα πρὸς ἕχαστον 
τωὐτό. . . χωρεὶ δὲ πάντα καὶ ϑεῖα χαὶ ἀνθρώπινα ἄνω χαὶ χάτω 
ἀμειβόμενα" ἡμέρη χαὶ εὐφρόνη ἐπὶ τὸ μήκιστον χαὶ ἐλάχιστον . . - 
πυρὸς ἔφοδος καὶ ὕδατος" ἥλιος ἐπὶ τὸ μαχρότατον χαὶ βραχύτατον 
2.0. φάος Ζηνὶ σχότος Aldn, φάος Aidn σχότος Ζηνί. (Hierüber 
8. 685, 2) φοιτᾷ [χαὶ μεταχινεῖται) κεῖνα ὧδε χαὶ τάδε χεῖσε πάσην 
ὥρην, διαπρησσόμενα κεῖνά TE τὰ τῶνδε, τὰ δέ T αὖ τὰ κείνων. 
(Hierauf die Worte: χαὶ τὰ μὲν πρήσσουσε u. 8. w., die oben 5. 630, 1 
Schl. abgedruckt sind, die aber in den Zusammenhang nicht passen.) yot- 
τὠντων δ᾽ ἐχείνων ὧδε τῶνδέ τε χεῖσε, συμμισγομένων πρὸς ἄλληλα, τὴν 
πεπρωμένην μοίρην ἕχαστον ἐχπληροὶ χαὶ ἐπὶ τὸ μέζον καὶ ἐπὶ τὸ μεῖον. 
φϑορὴ δὲ πᾶσιν ἀπ᾽ ἀλλήλων, τῷ μέζονε ἀπὸ τοῦ μείονος καὶ τῷ μείονε 
ἀπὸ τοῦ μέζονος᾽ αὔξεται τὸ μέζον ἀπὸ τοῦ ἐλάσσονος καὶ τὸ ἔλασσον 
ἀπὸ τοῦ μέζονος ... ἐξέρπεε δὲ ἐς ἄνϑρωπον μέρεα μερέων, ὅλα ὅλων, 

. τὰ μὲν ληψόμενα τὰ δὲ δώσοντα καὶ τὰ μὲν λαμβάνοντα πλεῖον 
ποιεῖ, τὰ δὲ διδόντα μεῖον. πρίουσιεν ἄνϑρωποι ξύλον, ὁ μὲν ἕλκει 6 δὲ ὠϑέεε" 
(ein Bild, dessen sich auch Αβιβτορη. Wespen 694 bedient) τὸ δ᾽ αὐτὸ 
τοῦτο ποιέουσι, (ähnlich c. 16) μεῖον δὲ ποιέοντες πλεῖον ποιέουσε (indem 
sie das Holz kleiner machen, machen sie es πλεῖον, ἃ. h. sie machen mehr 
Stücke daraus). τοεοῦτον φύσις ἀνθρώπων" τὸ μὲν (Nominativ) ὠϑέεε, τὸ 
δὲ ἕλχει, τὸ μὲν δίδωσι, τὸ δὲ λαμβάνει" χαὶ τῷ μὲν δίδωσε τοῦ δὲ λαμ- 
βάνει, χαὶ τῷ μὲν δίδωσι, τοσούτῳ πλέον (und welchem es gibt, das wird 
um so viel mehr), τοῦ δὲ λαμβάνει, τοσούτῳ μεῖον. 

2) Fr. 35 Hırror. Refut. IX, 10: ἡμέρα γὰρ, φησὶ (sc. Ηράχλ.), χαὶ νύξ 
ἔστεν ἕν, λέγων ὧδέ πως" διδάσχαλος δὲ πλείστων Ἡσίοδος" τοῦτον 


[581. 582] Fluss aller Dinge. 639 


dunkel ist!); heilsames und verderbliches?), oberes und un- 
teres®), Anfang und | Ende‘), sterbliches und unsterbliches 5) 
ist dasselbe. Krankheit und Gesundheit, Hunger und Sätti- 
gung, Anstrengung und Erholung gehören zusammen; die 


ἐπίστανται πλεῖστα εἰδέναι, ὅστες ἡμέρην χαὶ εὐφρόνην οὐκ ἐγίνωσχε 
ἔστι γὰρ ἕν. 

Ἢ So wird nämlich das ἔστε ὃν zu verstehen sein, wie diess, nur 
unter einigen eigenen Zuthaten, auch bei TeıchmüLLer I, 49 f. geschieht, 
Schuster 8. 67 erklärt: „dass Tag und Nacht dasselbe, nämlich ein Zeit- 
abschnitt sei* — ein Satz, dessen Tiefsinn für den platonischen Dionysodor 
besser passen würde, als für Heraklit. Wie der letztere die Einheit von 
Tag und Nacht gemeint hat, ergibt sich aus Fr. 36 (unt. 639, 1). Der 
Tadel gegen Hesiod bezieht sich darauf, dass Theog. 124 die “μέρα zur 
Tochter der Νὺξ gemacht wird. Wenn Heraklit demselben Dichter vorhielt, 
dass er Glücks- und Unglückstage unterscheide, während doch ein Tag sei 
wie der andere (Pur. Cam. 19. Sun. ep. 12, 7), so muss diess an einem 
anderen Orte geschehen sein, denn hier steht davon nichts. 

2) Fr. 52 Hırror. a. a. O.: ϑάλασσά, φησιν, ὕδωρ χαϑαρώτατον xal 
μεαρώτατον (was aber hier, nach TeichnürLer’s richtiger Bemerkung I, 29, 
von Scuuster S. 249 nicht mit „trübe“ oder „schmutzig“ zu übersetzen 
war; es bedeutet: „garstig“ und geht zunächst auf den übeln Geschmack 
und die Ungeniessbarkeit des Meerwassers für den Menschen), ἐχϑύσι μὲν 
πότιμον χαὶ σωτήριον, ἀγϑρώποις δὲ ἄποτον χαὶ ὀλέϑριον. Ebendahin 
gehört ebd. Fr. 58 das Beispiel von den Aerzten, die τέμγοντες χαίοντες 
πάντη βασανίζοντες χαχῶς τοὺς ἀῤῥωστοῦντας ἐπαιτεῶνται μηδέν ἄξιον 
μεσϑὸν λαμβάνειν παρὰ τῶν ἀῤδωστούντων ταῦτα ἐργαζόμενοι τὰ ayada. 
Ueber den weiteren Zusatz χαὶ τὰς νούσους vgl. Brwater, durch dessen 
Text auch die Worte ἑπαιτεῶνταει u. 8. w. den einfachen Sinn erhalten: sie 
beschweren sich, dass keiner von ihnen den verdienten Lohn erhalte, sie 
betrachten demnach die Uebel, welche sie den Menschen zufügen, als etwas 
sehr werthvolles, als ἀγαθά. Was Scuuster 8. 247 aus ep. Heracl. VI, 
54 dem Fragment beizufügen geneigt ist, scheint mir nicht heraklitisch. 

3) Fr. 50 Hırror. IV, 10: γναφέων, φησὶν, ὁδὸς εὐθεῖα καὶ axolın 
«ον ala ἐστὶ, φησὶ, καὶ ἡ αὐτή (sofern nämlich die Krämpelwalze gerade 
durch ihre Drehung, ihre ὁδὸς oxodın, in gerader Richtung auf- und ab- 
geführt wird). χαὶ τὸ ἄνω χαὶ τὸ χάτω ἕν ἔστι καὶ τὸ αὐτό (das obere 
wird, z. Β. bei der Drehung des Himmels und beim Uebergang der Ele- 
mente in einander, zum untern und umgekehrt, oberes und unteres sind 
mithin das gleiche Wesen; indessen fragt es sich, ob die Worte xal τὸ 
ἄγω — τὸ αὐτὸ Heraklit angehören, und nicht vielmehr nur eine Folgerung 
des Verfassers aus dem οὐδὸς ἄνω“ u. 85. w. enthalten). ὁδὸς ἄνω χάτω 
μέη χαὶ würn. Näheres über diesen Satz 85. 678, 1. 

4) Fr. 70 Porru. in dem Schol. Ven. in Il. XIV, 200: ξυνὸν ἀρχὴ καὶ 
πέρας ἐπὶ κύχλου περιφερείας κατὰ Ἡράχλειτον. 

ὅ) Vgl. Fr. 67; 5. u. 646, 89. j 

Philos. ἃ. Gr. I. Bd. 5. Aufl. 41 


640 Heraklit. [582] 


Gottheit ist Tag und Nacht, Sommer und Winter, Krieg und 
Frieden, Fülle und Mangel; alles ist Eines, alles wird zu 
allem!). Aus dem lebenden wird todtes und aus dem todten 
lebendiges, aus dem jungen altes, und aus dem alten junges, 
aus dem wachen schlafendes und aus dem schlafenden waches; 
der Strom der Erzeugung und des Untergangs steht nie stille, 
der Thon, aus dem die Dinge gemacht sind, wird in immer 
neue Gestalten umgeprägt?). | Auf dieser beständigen Bewegung 


1) Fr. 104 Stop. Floril. IH, 84: νοῦσος ὑγείην ἐποίησεν ἡδὺ καὶ 
ἀγαϑὸν, λιμὸς κόρον, κάματος ἀνάπαυσιν. Fr. 36 HıreoL. IX, 10: ὁ ϑεὸς 
ἡμέρη εὐφρόνη, χειμὼν ϑέρος, πόλεμος εἰρήνη, κόρος λιμός. PurLo Leg. 
alleg. II, 62 A: Ἡρακλειτείου δόξης ἑταῖρος, χόρον zei χρησμοσύνην (hier- 
über S. 641, 1*) xal ἕν τὸ πᾶν καὶ πάντα ἀμοιβῇ εἰςάγων. 

2) Fr. 78 Prur. cons. ad Apoll. 10, S. 106: χαὶ 7 φησιν Ἡράχλειτος, 
ταὐτό T ἔνε (SCHLEIERMACHER 5. 80 vermuthet ταὐτό τ᾽ ἔστε, ΒΕΒΝΑΥΒ 
Rh. Mus. I, 50. Scuuster 5. 174 u. a. ταὐτῷ τ᾽ ἔνε, mir scheint der Sinn 
durch die letztere Veränderung zu verlieren, und bei beiden stört mich das 
te, ich würde daher οταὐτὸ τὸ“ oder Brwater’s ταῦτ᾽ εἶναι vorziehen), 
ζῶν καὶ τεϑνηχὲς, χαὶ τὸ ἐγρηγορὸς καὶ τὸ χαϑεῦδον, καὶ νέον καὶ γηρκεόν" 
τάδε γὰρ ueransocvra ἐκεῖνά ἐστι κἀκεῖνα πάλεν μεταπεσόντα ταῦτα. ὡς 
γὰρ ἐχ τοῦ αὐτοῦ πηλοῦ δύναταί τις πλάττων ζῷα συγχεῖν χαὶ πάλιν 
πλάττειν χαὶ συγχεῖν χαὶ τοῦτο ἕν παρ᾽ ἕν ποιεῖν ἀδιαλείπτως" οὕτω xal 
ἡ φύσις ἐκ τῆς αὐτῆς ὕλης πάλαι μὲν τοὺς προγόνους ἡμῶν ἀνέσχεν, εἶτα 
συνεχεῖς αὐτοῖς ἐγέννησε τοὺς πατέρας, εἶτα ἡμᾶς, εἴτ᾽ ἄλλους ἐπὶ ἄλλοις 
ἀναχυχλήσει. zul ὁ τῆς γενέσεως ποταμὸς οὗτος ἐνδελεχῶς ῥέων οὔποτε 
στήσεται, καὶ πάλιν ἐξ ἐναντίας αὐτῷ ὁ τῆς φϑορῶς εἴτε ᾿Αχέρων εἴτε 
Κωκυτὸς χαλούμεγνος ὑπὸ τῶν ποιητῶν. ἡ πρώτη οὖν αἰτέα ἡ δείξασα 
ἡμῖν τὸ τοῦ ἡλίου φῶς, ἡ αὐτὴ χαὶ τὸν ζοφερὸν ἄγει ἄδην. Es ist mir 
mit BErnAays a. a. Ο. wahrscheinlich, dass Plutarch nicht blos die Worte 
ταὐτὸ — γηραιὸν von Heraklit hat, sondern dass auch der weitere Inhalt 
der Stelle im wesentlichen ebendaher stammt, dass namentlich das Bild 
vom Thon und seiner Umformung, auch wohl das, was vom Strom des 
Werdens und Vergehens, vom Licht und Hades gesagt ist, in der Hauptsache 
von Heraklit entlehnt ist. Was den Sinn jener Worte betrifft, so sagt 
Plutarch: Her. erkläre das lebende für identisch mit dem todten, das 
wachende mit dem schlafenden u. 5. f., weil beide in einander übergehen 
(wie das lebende ein todtes wird, wenn es stirbt, so das todte ein lebendes, 
wenn dieses sich von ihm nährt, wie das junge ein altes durch die Jahre, 
80 das alte ein junges durch die Fortpflanzung des Geschlechts); und dass 
diess für den tiefsinnigen Philosophen zu trivial wäre (LaAssarLe I, 160), 
kann man nicht sagen: denn theils liegt der Gedanke, dass in gewissem 
Sinne das todte auclı wieder ein lebendes und das alte ein junges werde, 
der gewöhnlichen Vorstellung ferne genug, theils wäre Heraklit jedenfalls 
die Folgerung eigenthümlich, dass darum lebendes und todtes u. s. w. Ein 


[583. 584] Leben und Zeitalter. 641 


beruht alles Leben und Lebensgefühl!), nur in ihr besteht 
überhaupt das Dasein der Dinge: kein Ding ist dieses oder 
jenes, sondern es wird es nur in der Bewegung des Natur- 
lebens, die Dinge sind nicht etwas beharrliches, was ein für 
allemal fertig wäre, sondern sie werden im Fluss der Er- 
scheinung durch die wirkenden Kräfte fortwährend neu er- 
zeugt?), sie bezeichnen nur die Punkte, in j denen die ent- 
gegengesetzten Strömungen desselben sich kreuzen. Heraklit 
vergleicht daher die Welt einem Mischtrank, der beständig 
umgerührt werden muss, um sich nicht zu zersetzen®), und 


und dasselbe seien. An sich könnten aber jene Worte allerdings auch be- 
sagen: das lebende u. s. f. sei zugleich ein todtes u. 8. f. und umgekehrt, 
eben weil jedes von beiden im Uebergang zu dem andern begriffen ist, und 
daher etwas von diesem an sich hat; und selbst die abstrakteren Aus- 
drücke, dass das Leben zugleich Sterben u. 8, f. sei, liessen sich recht- 
fertigen. Das wahrscheinlichste ist mir aber, dass wir den Ausspruch nach 
Analogie von Fr. 67 (s. u. 646, 3*) zu erklären haben: es sei dasselbe 
Wesen, das die entgegengesetztesten Zustände in unablässigem Uebergang 
aus dem einen in den andern durchlaufe. Weiter vgl. m. Pıur. De Ei ap. 
D. c. 18, 5. 392. Auf die Einheit von Leben und Tod geht auch Fr, 66: 
τῷ οὖν βιῷ ὄνομα μὲν βίος ἔργον δὲ ϑάνατος. 

1) Daber die Aussagen Plac. I, 28: “Πρ. ἠρεμίαν χαὶ στάσιν ἐχ τῶν 
ὅλων ἀνήρεε᾽ ἔστε γὰρ τοῦτο τῶν νεχρῶν, und die S. 647, 24 besprochenen 
Aeusserungen über das Wohlthätige des Wechsels. 

2) PLato Theät. 152 Ὁ: ἐρῶ ἐγὼ καὶ μάλ᾽ οὐ φαῦλον λόγον" ὡς ἄρα 
ἕν μὲν αὐτὸ χαϑ᾽ αὑτὸ οὐδέν ἐστιν, οὐδ᾽ ἂν τι προςείποις ὀρθῶς οὐδ᾽ 
ὁποιονοῦν τε, all ἐὰν ὡς μέγα προςαγορεύης, καὶ σμεχρὸν φανεῖται, χαὶ 
ἐὰν βαρὺ, χοῦφον, ξύμπαντά τε οὕτως, ὡς μηδενὸς ὄντος ἑνὸς μήτε τινὸς 
μήτε ὁποιουοῦν᾽" ἐκ δὲ δὴ φορᾶς τε καὶ χεινήσεως καὶ χράσεως πρὸς ἂλ- 
ληλα γίγνεται πάντα ἃ δή φαμὲν εἶναε οὐχ ὀρϑῶς προςαγορεύοντες" ἔστι 
μὲν γὰρ οὐδέποτ᾽ οὐδὲν, ἀεὶ δὲ γίγνεται. 156 E: αὐτὸ μὲν χαϑ᾽ αὑτὸ 
μηδὲν εἶναι, .. ἐν δὲ τῇ πρὸς ἄλληλα ὁμιλίᾳ πάντα γίγνεσθαε χαὶ παν- 
τοῖα ἀπὸ τῆς κινήσεως... .. οὐδὲν εἶναι ἕν αὐτὸ χαϑ᾽ αὐτὸ ἀλλὰ τενὶ 
ἀεὶ ylyveodar, τὸ δ᾽ εἶναι πανταχόϑεν ἐξαιρετέον. In der ersten von 
diesen Stellen wird diese Ansicht den älteren Philosophen ausser Parmenides, 
namentlich Heraklit, Empedokles und Protagoras, gemeinschaftlich beigelegt, 
und das rw) ist auch nur von Protagoras richtig, sonst aber wird schon 
das bisherige gezeigt haben, und ich werde $. 680 f. näher nachweisen, 
dass die angeführten Worte Heraklit's Lehre getreu wiedergeben, und dass 
auch die weiteren im Text gegebenen Bestimmungen ihr entsprechen. 

3) Fr. 84 Tuaxopur. De vertig. 9. S. 138 Wimm.: εἰ δὲ un, (wofür 
Brw. nach Bernays I, 6 εἰ δὴ setzt) xadanıo Ἡράχλειτός φησι, καὶ ὁ 
κυχεὼν δεΐσταται μὴ κινούμενος (so WIMMER nach USENER und BERN.; die 
älteren Ausgaben lassen das un weg, welches aber, trotz LassALLk I, 75, 

41* 


642 Heraklit. [584] 


die weltbildende Kraft einem Kinde, das im Spiele mit den 
Steinen hin- und herzieht!,. Während demnach Parmenides 


von dem Zusammenhang entschieden gefordert ist), Weitere Belege aus 
Lucran vit. auct. 14. Arzx. Aphr. Probl. 11 Us. M. Auer. IV, 27. Carr- 
sırpus Ὁ. PHıLon. nat. De. col. 7 (wo aber Saurpe eine andere Ergänzung 
vorschlägt) finden sich bei BywArter; wogegen die Anekdote bei Ῥεῦτ. gar- 
rulit. c. 17, 8. 511 mit dieser Lehre schwerlich etwas zu schaffen hat. 
Bei DıoG. X, 8 nennt Epikur Heraklit einen χυκητῆς. 

1) Proxr. in Tim. 101 F: ἄλλοι δὲ καὶ τὸν δημιουυγὸν ἐν τῷ χοσ- 
μουργεῖν παίζειν εἰρήχασι, χαϑάπερ Ἡράκλειτος. Crem. Paedag. I, 90 C: 
τοιαύτην τινὰ παίζειν παιδιὰν τὸν ἑαυτοῦ Ale “Hoaxleırog λέγει. Fr. 79 
Hırror. Refut. IX, 9: αἰὼν παῖς ἔστι παίζων, πεττεύων' παιδὸς ἡ βασι- 
ληΐη. Luc. ἃ. a. Ο.: τί γὰρ ὁ alwv ἐστι; παῖς παίζων, πεσσεύων, δια- 
φερόμενος. (Statt des letzteren macht Bernavs I, ὅθ ἢ. συνδιαφερόμενος = 
ἐν τῷ διαφέρεσθαι συμφερόμενος wahrscheinlich. Mag aber Lucian das 
eine oder das andere geschrieben haben, so hat er es doch, nach der An- 
führung bei Hippol. zu schliessen, nicht dem Ausspruch über den παῖς meo- 
σεύων entnommen, sondern eher dem oder den 8. 657, 1 besprochenen ; 
auch in jenem Fall wäre aber die Erklärung TeıcuuÖLter’s Π, 202 ἢ, nach 
welcher das brettspielende Gottkind mit sich selbst Krieg führt, seltsam: 
man spielt doch nicht allein Brett, sondern zu zweien.) BERNAYS vergleicht 
zu diesen Stellen Housr Il. XV, 360 fi. Paıto stern. m. 950 B (234, 4 
Bern.) Pıur. De Ei c. 21, 8. 393, wo aber allerdings nicht speciell vom 
Brettspiel gesprochen wird. Dagegen bezieht sich auf den παῖς πεσσεύων 
Psıro v. Mos. I, 607 C (85 M.) und wohl auch der πετεευτὴς Ὁ. Praro 
Gess. X, 903 Ὁ; dass auch Jausı. Ὁ. Srtos. Ekl. I, 12 (πόσῳ δὴ οὖν βέλ- 
τιον Ἡράκλειτος παίδων ἀϑύρματα vevouıxev εἶναε τὰ ἀνϑρώπινα δοξασ- 
para) unser Bruchstück berücksichtigt, glaube ich nicht, denu was in diesem 
einem Kinderspiel verglichen wird, sind nicht die Meinungen der Menschen; 
es mag vielmehr eher auf die von Dioe. IX, 8 berichtete Anekdote oder 
ein ihr entsprechendes Wort gehen. Bei der Vergleichung des αἰὼν mit 
einem spielenden Kinde wird der Vergleichungspunkt allerdings nicht in 
der Zwecklosigkeit seines Thuns liegen, ebensowenig aber auch (TEICHMÜLLER 
II, 194 ff. Prreinerer 110 fi.) in der zum Brettspiel erforderlichen Berech- 
nung und Voraussicht (die gerade bei spielenden Kindern immerhin mässig 
zu sein pflegt); sondern darin, dass nichts in der Welt eine bleibende 
Stätte hat, dass vielmehr alles von dem Aeon, dem Weltlauf, der unserem 
Philosophen mit der Gottheit zusammenfällt, mit unbeschränkter Macht 
(παιδὸς ἡ βασιληΐη vgl. Homer’s ῥεῖα μάλ᾽ a. a. O.) bald dahin, bald dort- 
hin gesetzt wird; also das gleiche, wie in dem Bilde vom Thon, oben 639, 2. 
Einen „für den Weltlauf degradirenden und pessimistischen Sinn“ darin 
zu suchen, wäre freilich verfehlt; ich glaube jedoch nicht, dass die neueren 
Darstellungen der heraklitischen Lehre PrLeınzrer Anlass gaben, sich gegen 
diese Meinung zu verwahren. TeıcunöLLer II, 188 fi. erklärt die home- 
rische Stelle zwar richtig (während er mir, nach seiner Art, unterschiebt, was 
ich nicht gesagt habe); die Vermuthung jedoch, dass das spielende Kind nichts 


[584. 585] Das Urfeuer. 643 


das Werden leugnet, um den Begriff des Seins in seiner Rein- 
heit festzuhalten, leugnet Heraklit umgekehrt das | Sein, um 
dem Gesetz des Werdens nichts zu vergeben; während jener 
die Vorstellung der Veränderung und der Bewegung für eine 
Täuschung der Sinne erklärt, erklärt dieser die Vorstellung 
des beharrlichen Seins ebendafür; während jener die gewöhn- 
liche Denkweise desshalb grundverkehrt findet, weil sie ein 
Entstehen und Vergehen annimmt, kommt dieser aus dem 
entgegengesetzten Grunde zu einem ebenso ungünstigen Er- 
gebniss. 

Der metaphysische Satz vom Fluss aller Dinge wird nun 
aber unserem Philosophen sofort zu einer physikalischen An- 
schauung. Das Lebendige und Bewegte in der Natur ist ihm 
das Feuer: wenn alles in unaufhörlicher Bewegung und Ver- 
änderung begriffen ist, so folgt, dass alles Feuer ist; und 
dieser Satz wird bei Heraklit, wie wir annehmen müssen, aus 
jenem ersten nicht erst durch bewusste Reflexion erschlossen, 
sondern das Gesetz der Veränderung, das er überall wahr- 
nimmt, stellt sich ihm durch eine unmittelbare Wirkung der 
Einbildungskraft unter jener symbolischen Anschauung dar, 
deren allgemeinere Bedeutung er aus diesem Grunde für sein 
eigenes Bewusstsein von der sinnlichen Form, in die sie ge- 
fasst ist, noch nicht zu trennen weiss. In diesem Sinn haben 
wir es aufzufassen, wenn von Heraklit gesagt wird!), er habe 


anderes sei, als der ägyptische Harpokrates, entbehrt jeder haltbaren Be- 
gründung, und auch ΤΆΝΝΕΕΥ (Sci. hell. 180 f.), der sich dieselbe aneignet, 
hat ihr eine solche nicht gegeben. Harpokrates ist die Sonne, welche beim 
Tagesanbruch als Kind ein neues Leben beginnt, nachdem sie am Abend 
vorher in die Unterwelt hinabgestiegen ist; der spielende Aeon Heraklit's 
ist der alles beherrschende Weltgrund; dieser hat mit jener nicht das ge- 
ringste za thun. Um aber überhaupt auf das Bild spielender Kinder zu 
kommen, brauchte Her. nicht erst ägyptische Mythologie zu studiren. 

1) Arıst. De ceelo IH, 1. 298 " 29: οὗ δὲ τὰ μὲν alla πάντα yl- 
γεσϑαί TE φασι χαὶ ῥεῖν, εἶναι δὲ παγίως οὐϑὲν, ἕν δέ τι μόνον ὑπομένειν, 
ἐξ οὐ ταῦτα πάντα μετασχηματίζεσϑαι πέφυκεν" ὅπερ ἐοίχασε βούλεσθαι 
λέγεεν ἄλλοι τε πολλοὶ χαὶ ἩΗράχλειτος ὁ ᾿Εφέσιος. Metaph. I, 8. 984 a 
1: Ἵππασος δὲ πῦρ ὁ εταποντῖνος καὶ Ἡράκλειτος ὁ ᾿Εφέσιος (ἀρχὴν 
τιϑέασι). Ebd. III, 4. 100] a 15: ἕτεροε δὲ πῦρ οἱ δ' ἀέρα φασὶν εἶναε 
τὸ ἕν τοῦτο χαὶ τὸ ὄν, ἐξ οὗ τὰ ὄντα εἶναί τε χαὶ γεγονέναι. ῬΒ.- ΑἸ ΕΣ. 
5, Metaph. XII, 1. S. 648, 18 Bon.: ὁ μὲν γὰρ ᾿Ἡράχλειτος οὐσίαν καὶ 


644 Heraklit. [585. 5867 


das Feuer | für das ursprünglichste, für das Prineip oder den 
Grundstoff der Dinge gehalten!), „Diese Welt, erklärt er 


ἀρχὴν ἐτίϑετο τὸ πῦρ. Dıoc. IX, 8: πῦρ εἶναι στοιχεῖον. CLEMENS Co- 
hort. 43 A: τὸ πῦρ ὡς ἀρχέγονον σέβοντες u. a. Dasselbe sagt der Vers 
b. Stop. Ekl. I, 282 (Plac. I, 3, 25): ἐκ πυρὸς γὰρ τὰ mavıa xal εἰς πῦρ 
πάντα τελευτᾷ (wo zu lesen sein wird: ἔχ Te πυρὸς γὰρ πάντα, dass die 
Worte in der Fassung der Placita von Stob. für einen Vers gehalten worden 
sein sollten, ist mir doch sehr unwahrscheinlich). Denn ist er auch selbst- 
verständlich in dieser Form unächt, und dem bekannten xenophanischen 
(oben S. 541, 1) nachgemacht, so enthält er doch die von Sımrpr. Phys. 480, 
33 als heraklitisch angeführten Worte: „eis πῦρ χαὶ ἐκ πυρὸς τὰ πάντα“. 
Wenn aus diesen Worten bei Stob. ein Hexameter gemacht ist, und wenn 
uns auch sonst (bei Proxr. in Tim. 36 C und andern, von BywaAteEr zu Fr. 
68 nachgewiesenen, Prur. Qu. plat. VI, 4, 9. S. 1007. Plac. II, 21, 4) 
angeblich heraklitische Versfragmente begegnen, so lässt diess vermuthen, 
dass es eine zur Nachhülfe für das Gedächtniss in Hexametern abgefasste 
Darstellung der heraklitischen Lehre gab, die wohl von einem Stoiker her- 
rührte. ScHhuster S. 354 f. vermuthet ihren Verfasser in dem Scythinus, 
der nach Hırroxruus b. Dıioc. IX, 16 H.’s Schrift in Versen wiedergab; 
allein das von ihm erhaltene Bruchstück bei Sroe. Ekl. I, 26 zeigt, dass 
diess keine Hexameter waren; vgl. Brwarer 8. 68. Dızıs Doxogr. 222. 

1) Dass der Satz vom Fluss aller Dinge damit nicht (wie TeicumüLLer 
I, 118 £. 135. 143 ἢ mir zuschiebt) für etwas ausgegeben werden soll, 
was Her. unabhängig von der Erfahrung gefunden, und erst nachträglich 
„in die Vorstellung vom Feuer hineingezwängt“ hatte, liegt am Tage. Ich 
zeige ja (S. 635 ff.) ausführlich, was für Wahrnehmungen es waren, aus 
denen jener Satz sich dem Philosophen ergab, und bemerke ausdrücklich, 
er sei für Heraklit’s eigenes Bewusstsein der Behauptung, alles sei Feuer, 
nicht vorangegangen, und ich halte damit den physikalischen Charakter 
seines Systems ohne Zweifel strenger fest, als wenn ich ihn mit Teıca- 
MÜLLER I, 136, als ob er schon Aristoteles’ Metaphysik vor sich gehabt 
hätte, das Feuer desshalb zum Princip machen liesse, weil „alle übrigen 
Verwandlungsformen der Natur nur die Potenz des Feuers sind,“ in diesem 
allein „der Actus sich offenbart.“ Das glaube ich aber allerdings nicht, 
dass Heraklit bei seinem weltschöpferischen Feuer nur an „das wirkliche 
Feuer, das man sieht und prasseln hört“ u. s. f. gedacht hat, oder dass 
überhaupt irgend ein Mensch jemals gemeint hat, die ganze Welt sei ein 
solches Feuer nicht etwa nür gewesen und werde es wieder werden, sondern 
sie sei immer und auch gegenwärtig ein sichtbares prasselndes Feuer; Her. 
sagt aber von ihr nicht blos ἥν xal ἔσται, sondern ἣν ἀεὶ χαὶ ἔστι χαὶ 
ἔσται πῦρ ἀείζωον. Ebendamit muss ich aber auch daran festhalten, dass 
diese Anschauung eine symbolische ist. Dass das Feuer für Her. „nur ein 
Symbol für das Gesetz der Veränderung“ sei, habe ich zwar nicht gesagt, 
sondern diess unterschiebt mir Teichm. wieder, während er zugleich die 
Worte, die ihn widerlegen (Her. wisse die allgemeinere Bedeutung jener 


[586] Das Urfeuer. 645 


selbst, die gleiche für alle, hat weder der Götter noch: der 
Menschen einer gemacht, sondern sie war immer und ist und 
wird sein, ein ewig lebendes Feuer, nach Maassen sich ent- 
zündend und nach Maassen verlöschend“ !); | das Feuer waltet 


Anschauung von ihrer sinnlichen Form nicht zu trennen), unbefangen als 
Beleg beifügt. Aber wenn Her. überhaupt mit der Behauptung, die Welt 
sei Feuer, nicht die Ungereimtheit sagen wollte, dass sie sichtbares Feuer 
sei, so hat die Anschauung des Feuers für ihn eine über ihren unmittel- 
baren sinnlichen Inhalt hinausreichende Bedeutung, d. h. sie ist eine sym- 
bolische Anschauung. 

1) Fr. 20 (Cremens Strom. V, 599 B. Pıur. an. pr. 5, 2. S. 1014. 
Smer. De calo 132 b 31. 19 und andere, vgl. Brw.) χόσμον τόνδε τὸν 
αὐτὸν ἁπάντων οὔτε τε; ϑεὼν οὔτε ἀνθρώπων ἐποίησε, ἀλλ᾽ ἣν alel καὶ 
ἔστε χαὶ ἔσται, πῦρ ἀείζωον, ἁπτόμενον μέτρα καὶ ἀποσβεννύμενον μέτρα. 
Auf letztere Bestimmung werde ich später zurückkommen; die Worte τὸν 
αὐτὸν ἁπάντων, womit SCHLEIERMACHER 8. 91 nicht recht in’s reine kommt, 
halte ich schon wegen ihrer Schwierigkeit für ächt, wenn sie gleich bei 
Plut. und Simpl. fehlen; das ἁπάντων beziehe ich als Masculinum auf die 
Götter und Menschen, so dass die Worte den Gruud andeuten, wesshalb 
keiner von diesen die Welt gemacht haben kann, weil sie nämlich alle zu- 
sammen als Theile der Welt in ihr enthalten (oder wie Pınpar Nem. VI, 
1 sagt, Einer Mutter entsprossen) sind. LAssAaLLE II, 56 f. erklärt: „die 
eine und selbige aus allen Dingen, die aus allen innerlich identische“, ähn- 
lich, nur philologisch genauer Bzrnays Herakl. Briefe 11 (dem GonureRz a. 
a. O. 42 beistimmt), indem er χόσμος = διαχόσμησις nimmt: „diese 
gleichmässig alle Dinge umfassende Ordnung“; allein auch bei dieser Er- 
klärung stände das unverkennbar betonte τὸν αὐτὸν an. ziemlich müssig. 
Die διαχύσμησις ist ja aber gerade bei Her. nicht ewig. Dass die Welt 
für alle die gleiche sei, bemerkt Heraklit auch Fr. 95; s. u. 645, 86, Wer 
die Welt von einem Menschen geschaffen werden liess, braucht man weder 
mit Schuster 8. 128 zu fragen, noch diese Frage mit der Erinnerung an 
orientalische Fürstenvergötterung (TeıcumüLLer I, 86) oder an Menschen, 
die zu Göttern erhoben wurden, wie Dionysos und Herakles (CuıarreELLı 
Su alcuni frammenti di Eraclito 35) zu beantworten: so thöricht war man 
auch in Aegypten und Persien nicht, um einen beliebigen Fürsten für den 
Weltschöpfer zu halten; ebensowenig ist jemals einer der jüngeren Götter, 
wie die zwei genannten, dafür gehalten worden. „Kein Gott und kein 
Mensch“ heisst eben (wie schon S. 530 f. gezeigt ist): absolut niemand. 
Priziperer 131 ff. findet diese Erklärung „zu matt“; ich finde die seinige, 
nach der Her. sagen soll: „kein Gott hat die Welt realiter geschaffen und 
noch kein Mensch hat sie idealiter nachgeschaffen“, sprachlich und logisch 
gleich bedenklich. Dass die Ewigkeit, welche Her. hier der Welt zuschreibt, 
mit Aristoteles’ Behauptung, alle seine Vorgänger betrachten die Welt als 
geworden, nicht streitet, ist schon S. 543, 1 bemerkt worden; weiter s. 
m. 8. 629, 14 g.E. 


646 Heraklit. [587. 588] 


niemals rastend in allem!); und er deutet schon hiedurch an, 
warum er die Welt ein Feuer nennt: um damit nämlich | 
die absolute Lebendigkeit der Natur auszudrücken, und den 
rastlosen Wechsel der Erscheinungen begreiflich zu machen. 
Dass diess der Grund jener Annahme war, sagen SIMPLIcIus ?) 
und ARrISTOTELES®) ausdrücklich; und diese Aussage von Schrift- 
stellern, denen Heraklit’s Werk seinem vollständigen Zusam- 
menhang nach vorlag, wird durch innere Gründe bestätigt. 
Denn wenn wir die beiden Grundbestimmungen der herakli- 
tischen Lehre in’s Auge fassen: der Fluss aller Dinge und 
das Feuer als Urstoff, und wir fragen uns, welche von beiden 
der Grund der anderen gewesen sein möge, so spricht alles 
für die Annahme, es sei nicht“) die erste aus der zweiten her- 
vorgegangen, sondern diese aus jener. Dass alles in der Welt 
entsteht, vergeht, einer unablässigen Veränderung unterliegt, 
ist eine Thatsache, welche dem Philosophen durch die Beob- 
achtung an die Hand gegeben war. Der Satz dagegen, dass 
das Feuer der Urstoff der Welt sei, ist eine Aussage über die 


1) Fr. 28 Hırror. IX, 10: τὰ δὲ πάντα οἱαχίζεε χεραυνός. Vgl. 
Hırrore. 7. dıaıt. I, 10 (unt. 649, 2). Das gleiche weltbeherrschende Feuer 
begegnet uns, gleichfalls unter der Bezeichnung xegauvös, im Hymnus des 
KreaAntuzs (Stop. ΕΚ]. I, 30) V. 7 ἢ, wo dieser Heraklit so nahe stehende 
Stoiker Zeus als den preist, welcher den ἀξὶ ζώοντα χεραυνὸν (das πῦρ 
ἀείξζωον) in Händen halte: ᾧ σὺ χατευϑύνεις χοενὸν λόγον, ὃς διὰ πάντων 
φοιτᾷ. Aehnlich im Ausdruck Praro Theät. 152 A: τὸ ϑερμόν τε καὶ 
πῦρ, ὃ δὴ καὶ τἄλλα γεννᾷ καὶ ἐπιτροπεύει. 

2) Phys. 36, 8: χαὶ ὅσοε δὲ ἕν ἔϑεντο τὸ στοιχεῖον. . χαὶ τούτων 
ἔχαστος εἰς τὸ δραστήριον ἀπεῖδε χαὶ τὸ πρὸς γένεσιν ἐπιτήδειον ἐχείνου, 
Θαλῆς μὲν u. 5. w. Ἡράχλειτος δὲ εἷς τὸ ζωογόνον χαὶ δημιουργιχκὸν τοῦ 
πυρός. Ebd. 24, 6 von Her.: τὸ ζωογόνον καὶ δημιουργικὸν καὶ πεπτι- 
κὸν χαὶ διὰ πάντων χωροῦν χαὶ πάντων ἀλλοιωτεχὸν τῆς ϑερμότητος 
ϑεασάμενοι ταύτην ἔσχον τὴν δόξαν. 

8) De an. I, 2. 405 a 25: χαὶ Ἡράκλειτος δὲ τὴν ἀρχὴν εἶναί φησι 
ψυχὴν, εἴπερ τὴν ἀναϑυμέασιν, ἐξ ἧς τἄλλα συνίστησιν" καὶ ἀσωματώ- 
τατον δὲ (so Cod. S X, Torstr. re Vulg. δὴ) χαὶ δέον ἀεί" τὸ δὲ κινού- 
μένον χιγνουμένῳ γινώσχεσθαι" Vgl. S. 649, 3. 58. 642, 44, In herakliti- 
schen Ausdrücken sagt Ar. selbst Meteor. Π, 3. 357 b 32: τὸ τῶν ῥεόντων 
ὑδάτων χαὶ τὸ τῆς φλογὸς ῥεῦμα. De vita et m. 5. 470 a 3: τὸ δὲ πῦρ 
ἀεὶ διατελεῖ yırousvov χαὶ δέον ὥσπερ ποταμός. Aehnlich Turorar. Fr. 3 
(De igne), 3. 

4) Wie Sovrıer S. 129 ff. darzuthun sucht. 


[588] Das Urfeuer. 647 


Ursache der Erscheinungen, etwas, das über die unmittelbare 
Erfahrung hinausgeht und nur durch Schlüsse aus gewissen 
(wirklichen oder vermeintlichen) Erfahrungen gewonnen wer- 
den kann. Der Denkakt, welcher diese zu einem allgemeinen 
Satze zusammenfasst, geht der Aufsuchung ihrer Ursachen 
naturgemäss voran. Kam aber Heraklit auf diesem Wege zu 
der Annahme, dass das Feuer der Grund aller Dinge sei, so 
ergibt sich hieraus auch der Sinn dieser Behauptung. Das 
Feuer ist unserem Philosophen nicht eine unveränderliche 
Substanz, aus der die abgeleiteten Dinge zusammengesetzt 
wären, die aber in dieser Verbindung qualitativ unverändert 
bliebe, wie die Elemente des Empedokles, oder die Urstoffe 
des Anaxagoras, sondern es ist das Wesen, welches unaufhör- 
lich in alle Stoffe übergeht, der allgemeine Nahrungsstoff, der 
in ewigem Kreislauf alle Theile des Weltganzen durchdringt, 
in jedem eine andere Beschaffenheit annimmt, die Einzeldinge 
erzeugt und wieder in sich auflöst, den ruhelosen Pulsschlag 
der Natur durch seine absolute Beweglichkeit hervorbringt. 
Er verstand nämlich unter dem Feuer, dem Feuerstrahl oder 
dem Blitze!), nicht blos das sichtbare Feuer, sondern über- 
haupt das Warme, den Wärmestoff, oder die trockenen Dünste, 
wie es Spätere bezeichnen ?); | wie er denn aus diesem Grunde 


l) Der χεραυγὸς ist uns schon 8. 646, 1 in einem Zusammenhang 
vorgekommen, in dem er nicht blos den Blitz im engeren Sinn, sondern 
nur das Feuer als das schöpferische Wesen der Welt bezeichnen kann. 
Die gleiche allgemeinere Bedeutung bat auch der πρηστὴρ Fr. 21 (Crem. 
Strom. V, 599 C): πυρὸς τροπαὶ πρῶτον ϑάλασσα. ϑαλάσσης δὲ τὸ μὲν 
ἥμισυ γῆ, τὸ δὲ ἥμισυ πρηστήρ, mag Her. nun den πρηστὴρ seinem 
nächsten Wortsinn nach (wie Stop. ΕΚ]. I, 594 angibt) vom χεραυνὸς unter- 
schieden, oder gleichfalls den Wetterstrahl darunter verstanden haben. Las- 
saLLe’s (II, 75 f.) Unterscheidung des πρηστὴρ vom πῦρ, wornach dieses 
das kosmisch-elementarische Feuer im ganzen, jener nur das erscheinende 
Feuer bezeichnen soll, hat in dem obigen Bruchstück, dem einzigen, welches 
den πρηστὴρ nennt, keinen Anhalt, und ebensowenig hat es auf sich, dass 
zonor., wie L. sagt, „schon den Orphikern Bezeichnung für das unreine, 
i. e. materielle, sinnliche Feuer war“, d. h. dass in einem orphischen 
Fragment Ὁ. Prorr. in Tim. 137 C, also in einem Gedicht, das Jahrhun- 
derte jünger als Heraklit war, die Worte vorkommen: πρηστὴρ ἀμυδροῖ 
πυρὸς ἄνϑος. 

2) Wenn Arıst. a. ἃ. O. (8. 646, 3) sagt, Her. habe die Seele in der 
ἀναϑυμίασις gesucht, ἐξ ἧς τἄλλα 'συνίστησιν, so liegt (trotz SCHUSTER’S 


648 Heraklit. [589] 


statt des Feuers auch geradezu den Hauch, die ψυχῇ 1), viel- 
leicht auch den Aether?) setzte; wogegen | es allerdings eine 


Zweifel 8. 162) am Tage, dass diese ἀναϑυμίασες von dem πῦρ, welches 
sonst für Heraklit's Urstoff erklärt wird, nicht verschieden sein kann; und 
Arist. sagt ja auch (vgl. 5. 649, 3) von der ἀγαϑυμέασις ganz das gleiche 
aus, wie Plato von dem allesdurchdringenden Wesen. PhıLıroxus z. 
ἃ. δι. C 7 u. erklärt daher Aristoteles richtig, wenn er sagt: πῦρ δὲ ['Ae. 
ἔλεγεν) οὐ τὴν φλόγα (ὡς γὰρ Agsororeins φησὶν — gen. et corr. Π, 8, 
330 b 25. Meteor. I, 3. 340 b 22, wo aber A. in eigenem Namen redet — 
ἡ φλὸξ ὑπερβολή ἔστε πυρός) ἀλλὰ πῦρ ἔλεγε τὴν ξηρὰν ἀναϑυμίασιν. 
ἐχ ταύτης οὖν εἶναι χαὶ τὴν ψυχήν. Gegen LassaLLe’s Umdeutung der 
ἀναϑυμίασις (I, 147 Β΄. II, 328 ff.) vgl. Th. III b, 80, 5. 

1) Von welcher diess Aristoteles in der so eben besprochenen Stelle aus- 
drücklich bezeugt; weiter vgl. Fr. 68: ψυχῇσι γὰρ ϑάνατος ὕδωρ γενέσϑαι, 
ὕδατι δὲ ϑάνατος γὴν γενέσϑαε᾽ ἐκ γῆς δὲ ὕδωρ γίνεται, ἐξ ὕδατος δὲ ψυχή. 
Die Lesart beireffend, ziehe ich hier mit Brwater das von ΟἾΕΜ. Strom. VI, 
624 D. Puıro »ztern. m. 21. 261, 10 3. M. Auer IV, 46. Hırror. V, 16 
bezeugte ὕ δωρ γενέσϑαι dem von Gourerz (zu Herakl. L. 52) vertheidigten 
ὑγρῆσε γενέσθαι vor, da dieses durch Jurian or. V, 165 ἢ. Proxt. in 
Tim. 36 C. in Remp. 73, 39 Sch. Oryurıon. in Gorg. 357 Jahn (Nume- 
nius gehört nicht hieher; 8. a. 647, 2*) weit schwächer bezeugt, und wahr- 
scheinlich erst aus der Umbildung des Ausspruchs in dem Vers Ὁ. Prokı. 
in Tim. 36 C. Oryurıov. 542 (über die S. 643,1) hereingekommen ist. Wenn 
der angebliche Philo die ψυχὴ durch ἀὴρ erklärt, und Prur. De Ei 18, 
S. 392 Heraklit sagen lässt, es sei πυρὸς ϑάνατος ἀέρε γένεσις καὶ ἀέρος 
ϑάνατος ὕϑατε γένεσις, so kann es nach dem eben angeführten und 5. 675 £. 
642* f. beizubringenden keinem Zweifel unterliegen, dass diess nicht genau ist. 

2) Der Aether wird zwar in keinem der heraklitischen Bruchstücke ge- 
nannt; dass aber dieser Begriff Heraklit nicht fremd war, wird weniger 
durch das Prädikat αἴϑριος, welches er Zeus gibt (Fr. 30 s. u. 671, 1), 
und durch die platonische Ableitung des Aethers von ἀεὶ ϑέω, Krat. 410 B, 
als dadurch wahrscheinlich, dass Ps.-Hıproke. De carn. I, 425 K. sagt, das 
ϑερμὸν scheine ihm das zu sein, was die Alten Aether nannten, und dass 
die Stoiker das obere Feuer dem Aether gleichsetzen (8. Th. ΠῚ a, 137, 1. 
142, 1 u. 5.). Schon diess steht aber keineswegs sicher, denn die Stoiker 
können zu ihrer Bestimmung auch durch die aristotelische Lehre veranlasst 
worden sein, und die Schrift z. σαρχῶν ist, nach der a. a. O. vorgetragenen 
Lehre von den Elementen und andern Anzeichen zu schliessen, gleichfalls 
jünger, als Aristoteles. Der weiteren Vermuthung (Lass. II, 89 f.) ohnediess, 
dass der Aether unserem Philosophen oberstes weltbildendes Princip gewesen 
sei, und dass er drei Stufen des Feuers gehabt habe, in denen sich dieses in 
abnehmender Reinheit darstelle, den Aether, das πῦρ und den πρηστὴρ, fehlt 
es an jeder sicheren Begründung. Lass. glaubt nur durch diese Annahme 
Aenesidem’s Behauptung erklären zu können, dass die Luft bei Heraklit 
Princip sei; ich habe jedoch Th. III b, 30 gezeigt, dass wir ihrer dazu nicht 


[5%. 591] Das Urfeuer. 649 


Verkennung seiner eigenthümlichen Vorstellungsweise war, 
wenn AENESIDEMUB!) behauptete, er lasse alles aus (warmer) 
Luft bestehen. Wegen dieser allgemeineren Bedeutung des 
Wortes sagt Heraklit von seinem Feuer, es gehe niemals 
unter ?), denn es ist nicht, wie das Sonnenlicht, an | eine be- 
sondere und darum wechselnde Erscheinung gebunden, son- 
dern es ist das allgemeine Wesen, das in allen Dingen als 
ihre Substanz enthalten ist®). Doch darf man es darum nicht 


bedürfen. Er führt ferner für «ich an, dass nicht allein bei AuBros. in 
Hexaäöm. I, 6, T. I, 8 Maur., sondern auch bei dem stoischen Ps.-CEnsoRINUs 
Fr. 1, 4 in der Aufzählung der Elemente statt des Feuers die Luft die oberste 
Stelle einnehme, welche nur durch Verwechslung mit dem Aether dahin ge- 
kommen sein könne; als ob jene Aufzählung der strengen Rangordnung nach 
gemacht sein müsste, und als ob nicht der vermeintliche Censorin sofort bei- 
fügte: über die Luft setzen die Stoiker den Aether, unter sie das Wasser. 
Er legt grosses Gewicht darauf, dass es a. a. O. heisst: [mundus constat] 
quattuor elementis, terra, aqua, igne, aöre. cuwjus prinoipalem solem quidam pu- 
tant, ut Cleanthes; aber das cujus geht ja nicht, wie L. meint, auf aör, son- 
dern auf mundus, denn für das ἡγεμονικὸν τοῦ xocuov hielt Kleanthes die 
Sonne (s. Th. ΠΙ Δ, 137, 2). Er stützt sich auf die stoische Unterscheidung 
des ätherischen und gemeinen Feuers (worüber Th. III a, 185), von welcher 
es sich aber eben fragt, ob sie von Heraklit entlehnt ist, und welche (auch 
bei Heraxıır Alleg. Hom. c. 26) mit der für unsern Philosophen behaupteten 
zwischen Aether und Feuer nicht schlechthin zusammenfällt.e. Er glaubt, 
die Apathie des Aethers (Ps.-Ceusorı= a. a. O.), welche der stoischen Lehre 
widerspreche, müsse von Heraklit herstammen; ihre Quelle liegt aber viel- 
mehr in der aristotelischen Physik (vgl. Th. DI b, 436); und aus derselben 
haben wir auch die Bestimmungen des Ocerus 2, 23 und des unächten (von 
Lass. für ächt gehaltenen) philolaischen Fragments herzuleiten, welches 
8. 371, 3 besprochen wurde; vgl. a. a. O. S. 466. 

1) B. Sexr. Math. X, 233, IX, 360 vgl. Th. ΠῚ b, 30. 

2) Fr. 27 Cızm. Paedag. II, 196 C: τὸ un δῦνόν ποτὲ πῶς ἂν τες 
Aa9oı; Dass das Subject zu ηδῦνον" πῦρ oder φῶς ist, sieht man aus dem 
Zusatz des Clemens: λήσεται μὲν γὰρ ἴσως τὸ αἰσϑητὸν φῶς τες, τὸ δὲ 
γοητὸν ἀϑύνατόν ἐστιν. SCHLEIERMACHER’S Textesänderungen (5. 93 2) 
scheinen mir entbehrlich, Heraklit kann ganz wohl sagen, vor dem gött- 
lichen Feuer könne sich keiner verbergen, selbst wenn der allsehende Helios 
untergegangen sei. Das τὸς nimmt auch LassazzLe Π, 28 (der treffend an 
Corxur. N. Deor. 11, 8.35 erinnert), Scuuster 5. 184, TeıcuntLrer I, 184 
in Schutz; nur dass Schuster bei demselben gewiss mit Unrecht an den 
Helios denkt. 

8) M. vgl. hierüber Pıato Krat. 412 C ff, der in seine scherzhafte, 
aber wahrscheinlich auch schon von Herakliteern entlehnte Etymologie des 
δίχαιον ächt heraklitisches einflicht, wenn er sagt: ὅσοι γὰρ ἡγοῦνται τὸ 


650 Heraklit. [591] 


mit LassaLLE in eine metaphysische Abstraktion auflösen. 
Wenn Heraklit vom Feuer redet, so denkt er nicht blos an 
„die Idee des Werdens als solche“, „die processirende Einheit 
des Sein und Nicht“ u. 8. w.!); er deutet auch nicht mit 
einem Wort an, dass er damit nur „die gedankenmässige 
logische Wesenheit des Feuers“, nicht diesen bestimmten, in 
der Wärmeempfindung wahrgenommenen Stoff bezeichnen 
wolle, dass das Feuer als Princip absolut immateriell und von 
jeder Art des körperlichen Feuers verschieden sei?); seine 


πᾶν εἶναι ἐν πορείᾳ, τὸ μὲν πολὺ αὐτοῦ ὑπολαμβάνουσι τοιοῦτὸν τε εἶναι, 
009 οὐδὲν ἄλλο ἢ χωρεῖν, διὰ δὲ τούτου παντὸς εἶταί τι διεξεὸν, di’ οὗ 
πάντα τὰ γιγνόμενα γίγνεσθαι" εἶναι δὲ τάχιστον τοῦτο καὶ λεπτότατον. 
Das feinste müsse es sein, um durch alles hindurchgehen zu können, ebenso 
das Teyıorov, ὥστε χρῆσϑαι ὥσπερ ἑστῶσι τοῖς ἄλλοις (wie man sieht, die 
gleichen Prädikate, welche Aristoteles der ἀναϑυμίασις beilegt)., Dieses nun, 
das ϑίχαιον, heisst es, erhalte verschiedene nähere Erklärungen: ὁ μὲν γάρ 
τίς φησι τοῦτο εἶναι δίκαιον, τὸν ἥλιον .. . ein anderer dagegen: ἐρωτᾷ, 
εἰ οὐδὲν δίχαιον οἶμαε εἶναι ἐν τοῖς ἀνθρώποις ἐπειδὰν ὁ ἥλιος δύη (viel- 
leicht Anspielung auf das un düvov). Dieser verstehe daher das Feuer 
darunter; ὁ δὲ οὐκ αὖ τὸ πῦρ φησὶν, alla τὸ ϑευμὸν τὸ ἐν τῷ πυρὶ 
ἐνόν. Schon darin scheint mir nun eines der von Scuuster 8. 159 ver- 
missten Zeugnisse für die im Text ausgesprochene Auffassung des herakli- 
tischen Feuers gegeben zu sein. Weitere liegen in der aristotelischen Zurück- 
führung des πῦρ auf die ἀναϑυμίασις (S. 646, 3) und in-Heraklit’s eigenen 
Aussprüchen (8. 648, 1. 645, 1. 646, 1); und wenn Schuster bemerkt: „Feuer 
sei alles in der Welt, aber es sei zum grössten Theil verlöscht“, so sagt er 
in der Sache ganz dasselbe, wie die von ihm getadelten Worte (das Feuer 
sei das allgemeine Wesen u. 8. w.), so wie diese schon 8. 647 erklärt 
sind. 

1) Wie Lasse will I, 361. II, 7. 10. 

2) Ebd. II, 18. 30. Was LassaLLe DO, 6 ff. wortreich und weitschwei- 
fig für diese Behauptungen geltend macht, hat, beim Lichte betrachtet, ge- 
ringe Beweiskraft. Er führt zunächst aus, dass das Feuer „gerade darin 
bestehe, reiner Process zu sein“; woraus aber, auch wenn dieser Satz weniger 
schief wäre, doch für Heraklit’s Vorstellung über das Feuer nicht das 
mindeste folgen würde. Er beruft sich auf die so eben besprochene Stelle 
des Kratylus; aber das ϑερμὸν ἐν τῷ πυρὶ ἐνὸν, der Wärmestoff, ist, selbst 
wenn diese Erklärung Heraklit’s Meinung entsprechen sollte, doch noch lange 
nichts immaterielles, und wenn andererseits dort beigefügt wird, einzelne er- 
klären das δίχαεον auch mit Anaxagoras vom Nus, so geht diess ja nicht 
auf das Feuer, sondern auf das δίχαιον, und es wird (was auch PrLueı- 
DERER 124, 1 sagen mag) nicht von Heraklit, sondern von Anaxagoras her- 
geleitet. Weiter stützt sich Lass. auf zwei pseudohippokratische Stellen: 
π. διαίτ. I, 10 und Decarm. 1, 425 K. Und es lautet allerdings wenigstens 


[592] Das Feuer und seine Umwandlung. 651 


eigenen Aussagen | lassen uns vielmehr so wenig, als die Be- 
richte der Alten, darüber im Zweifel, dass es das Feuer als 
dieser bestimmte Stoff ist, in welchem der Grund und das 
Wesen aller Dinge von ihm gesucht wird. 

Dieses Urfeuer verwandelt sich aber in die verschieden- 
sten Gestalten, und diese seine Umwandlung ist die Erzeugung 
der abgeleiteten Dinge. Alles, sagt Heraklit, wird umgesetzt 
gegen das Feuer, und Feuer gegen alles, wie Waaren gegen 
Gold und Gold gegen Waaren!); und er gibt damit zugleich 
zu verstehen, | dass das Abgeleitete aus dem Urstoff nicht 


dem Gedanken nach heraklitisch genug, wenn in der ersten, zunächst mit 
Beziehung auf den Menschen, von dem ϑερμότατον καὶ ἰσχυρίτατον πῦρ, 
ὅπερ πάντων ἐπιχρατέεται διέπον ἅπαντα χατὰ φύσιν gesagt wird: πᾶντα 
διὰ παντὸς χυβερνᾷ καὶ τάδε χαὶ ἐχεῖνα, οὐδέποτε ἀτρεμέζον, und in der 
zweiten: δοχέεε δέ μοι ὃ χαλέομεν ϑερμὺν ἀϑάνατόν τε εἶναι χαὶ νοεῖν 
πάντα χαὶ ὁρᾷν χαὶ axoveıy, χαὶ εἰδέναι πάντα χαὶ τὰ ὄντα χαὶ τὰ μέλ- 
λοντα ἔσεσϑαι. Was aber daraus gegen die Identität des heraklitischen 
Feuers mit der „physischen Lebenswärme“ (dem stoischen πῦρ τεχνικὸν) 
folgen soll, sehe ich nicht; sagt doch Diogenes (s. o. 261, 6) von der Luft 
ganz ähnliches, wie unsere Herakliteer vom πῦρ oder ϑερμόν. Glaubt vol- 
lends Lass. II, 22 bei Marc. Carprıra VII, 738, wiewohl dieser Heraklit’s 
gar nicht erwähnt, die reine heraklitische Lehre zu finden, so hätte ihn 
schon die materiz informis und die Vierzahl der Elemente in dieser Stelle 
belehren können, dass er es lediglich mit einer stoisch-platonischen Dar- 
stellung zu thun hat; und will er II, 27 die Immaterialität des heraklitischen 
Urfeuers aus CHarcıp. in Tim. ὁ. 323, S. 423 M. (fingamus enim esse hunc 
ignem sinoerum οἱ sine ullius materiae permirtione, ut putat Heraclitus) beweisen, 
so hat er die Worte dieses Neuplatonikers, welcher ohnedem kein sehr ur- 
kundlicher Zeuge wäre, missverstanden: ein ignis sine materiae permirztione ist 
nicht ein „immaterielles Feuer“ (von einem solchen erinnere ich mich nicht 
bei irgend einem der alten Philosophen, nicht einmal bei Neuplatonikern, 
eine Spur gefunden zu haben), sondern ein Feuer, welches durch keine Bei- 
mischung von Theilen des Brennmaterials verunreinigt ist. Ebenso verhält 
es sich (vgl. Th. ΠῚ, b, 31, 2 Schl.) mit Lassalle’s Angabe (I, 360. II, 121), 
dass Sext. Math. X, 232 der Behauptung erwähne, „nach Heraklit sei das 
Erste kein Körper.“ Einiges weitere übergehe ich. 

1) Fr. 22 Pıur. de Ei c. 8, Schi. 8. 388: πυρός τε ἀνταμείβεσϑαι 
πάντα, φησὶν ὁ Ἡράχλειτος, χαὶ πῦρ ἁπάντων, ὥσπερ χρυσοῦ χρήματα 
χαὶ χρημάτων χρυσός, wesshalb ΗΈΒΛΕκι,. Alleg. Hom. c. 48, 5. 92 sagt: 
πυρὸς γὰρ δὴ, κατὰ τὸν φυσικὸν Ἡράχλειτον, ἀμοιβῇ τὰ πάντα γίνεταε, 
ebenso Snurr. Phys. 24, 4: (nach Theophrast): πυρὸς ἀμοιβὴν γὰρ εἶναι 
πάντα. Dasselbe fast wortgleich aus Demselben Drioc. IX, 8. Eus. pr. ev. 
XIV, 8, 6. 


652 Heraklit. [598] 


durch blosse Zusammensetzung und Trennung, sondern durch 
Umwandlung, durch qualitative Veränderung, entstehe; denn 
beim Umtausch der Waaren gegen Gold bleibt ja auch nicht 
der Stoff, sondern nur der Werth derselbe!). Ueberhaupt 
aber wäre jede andere Vorstellung mit der Grundlehre des 
Philosophen über den Fluss aller Dinge unvereinbar. Wenn 
daher behauptet wird, die Dinge bilden sich ihm zufolge durch 
Verbindung und Trennung der Stoffe?), so wäre diess ent- 


1) Ganz genau (darin hat SouLier 85 Recht) trifft allerdings auch diese 
Vergleichung nicht zu, denn das Gold ist von den Waaren, die dafür ein- 
getauscht werden, substantiell verschieden, während bei der Umwandlung 
des Feuers in Wasser u. 8. f. der Stoff, der aus ihm geworden ist, zwar ein 
anderer, aber doch zugleich (Fr. 20 8. 0. S. 645, 1) seinem eigentlichen Wesen 
nach fortwährend Feuer sein soll. Wie sich aber dieses beides mit einander 
verträgt, hat Heraklit gewiss nicht gefragt, und noch weniger diese Frage 
mit der aristotelischen Unterscheidung beantwortet, das Wasser sei zwar 
nicht der Wirklichkeit, aber der Möglichkeit nach Feuer. 

2) Der Anlass zu dieser Angabe findet sich schon bei ARISTOTELES. 
Metaph. I, 8. 988 b 34 ff. sagt er allerdings nur, das Feuer könnte sich 
desshalb am besten zum Urstoff zu eignen scheinen, weil sich alles durch 
σύγχρεσις aus ihm bilden könnte; nicht: es sei von Heraklit aus diesem 
Grunde zum Urstoff gemacht worden. Dagegen scheint er Phys. I, 4 (s. o. 
S. 192, 2. 202, 3) Heraklit stillschweigend zu denen zu rechnen, welche die 
übrigen Stoffe aus dem Urstoff durch Verdünnung und Verdichtung hervor- 
gehen liessen; und ebenso I, 6. 189 b 8, wo er über die, welche eines der 
vier Elemente oder ein mittleres zwischen ihnen als Urstoff setzen, bemerkt: 
πάντες γε τὸ ἕν τοῦτο τοῖς ἐναντίοις σχηματίζουσιν, οἷον πυχνότητι καὶ uavo- 
τητι χαὶ τῷ μᾶλλον χαὶ ἧττον. Doch ist es immerhin möglich, dass sich Arist. 
in diesen Stellen nur ungenau ausgedrückt, und das, was von der Mehrzahl 
richtig war, auf alle ausgedehnt hat, wenn ihm auch von einzelnen keine 
Erklärungen darüber vorlagen, wie ihm ja von Thales, dessen Lehre er nur 
aus einer lückenhaften Ueberlieferung kennt, gewiss keine vorgelegen haben; 
vgl. S. 192. Bestimmter spricht TuEorurAsT diese Auffassung der herakli- 
tischen Lehre aus; denn auf ihn werden wir allerdings (mit Dıers Doxogr. 
164) die nachstehenden übereinstimmenden Angaben zurückführen müssen. 
Sıner. Phys. 23, 33: Hippasus und Heraklit πῦρ ἐποίησαν τὴν ἀρχὴν xal 
ἐχ πυρὸς ποιοῦσι τὰ ὄντα πυχνώσει καὶ μανώσει. Vgl. 8. 810 au. Akr. 
Plac. I, 3, 11 (gleichfalls von Her. und Hippasus): ἀρχὴν τῶν πάντων τὸ 
πῦρ... τούτου δὲ κατασβεννυμένου χοσμοποιεῖσϑαε τὰ πάντα πρῶτον 
μὲν γὰρ τὸ παχυμερέστατον αὐτοὺ εἰς αὑτὸ συστελλόμενον γῆ γίγνεται, 
ἔπειτα ἀναχαλωμέγνην (gelockert) τὴν γὴν ὑπὸ τοῦ πυρὸς φύσει ὕδωρ ἀπο- 
τελεῖσϑαι, ἀταϑυμιώμενον δὲ ἀέρα ylveodaı. Diess weicht nun freilich 
von dem ächten Heraklit (8. u. S. 672 fl.) so weit ab, und verräth die 
stoische Einschiebung der Luft in seine drei Elementarformen so deutlich, 


[598. 594] Das Feuer. Der Streit. 653 


schieden unrichtig, wenn es in dem Sinn gemeint wäre, den 
jene Ausdrücke bei Empedokles, Anaxagoras und Demokrit 
haben. Ungenau und irreführend ist es aber auch dann, wenn 
damit nur gesagt sein soll, dass die abgeleiteten | Dinge nach 
Heraklit durch Verdichtung und Verdünnung aus dem Feuer 
hervorgehen und in das Feuer sich wieder auflösen. Denn 
so unleugbar eine Verdichtung stattfindet, wenn das Feuer in 
Feuchtigkeit, die Feuchtigkeit in Erde übergeht, im umge- 
kehrten Fall eine Verdünnung, so ist doch die Verdichtung 
und Verdünnung, so wie er die Sache auffasst, nicht der 
Grund, sondern die Folge der Substanzveränderung; er stellt 
sich jenen Hergang nicht so vor, dass durch näheres Zu- 
sammenrücken der Feuertheilchen aus dem Feurigen Feuchtes, 
aus dem Feuchten Festes und Erdartiges werde, sondern um- 
gekehrt so, dass aus dem Dünneren ein Dichteres geworden 
861, weil sich das Feuer in Feuchtigkeit, die Feuchtigkeit in 
Erde verwandelt habe, und dass ebendesshalb, um das Feuer 
aus den anderen Stoffen wiederherzustellen, nicht blos ein Aus- 
einanderrücken ihrer Urbestandtheile, sondern eine neue Um- 
wandlung, eine qualitative Veränderung, der Theile so gut 
wie des Ganzen, nöthig sei. Darauf weisen auch die Aus- 
drücke, mit denen er den Uebergang des einen Elements in 
das andere bezeichnet, deutlich genug hin, denn statt der Ver- 
dünnung und Verdichtung, der Verbindung und Trennung 
des Stoffs, lesen wir bei ihm nur von Umwandlung, vom Ver- 
löschen und Entzünden des | Feuers, vom Leben und Tod der 


dass auch Theophrast’s Bericht darin nicht treu wiedergegeben sein kann. 
Eher geschieht diess wohl τοῦ. IX, 8 £.: πυρὸς ἀμοιβὴν τὰ πάντα, ἀραιώ- 
08 χαὶ πυχνώσει γενόμενα... πυχγούμενον γὰρ τὸ πῦρ ἐξυγραίνεσϑαι. 
συνιστάμενόν τε γίνεσϑαε ὕδωρ, πηγνύμενον δὲ τὸ ὕδωρ εἰς γῆν τρέπεσ- 
ϑαι. Dagegen bringt Heruıas c. 13 mit der Angabe, dass von den zwei 
Zuständen des Feuers, ἀραιότης und zuxvörns, jene als ποιοῖσα, diese als 
πάσχουσα betrachtet worden sei, ebenfalls Stoisches am verkehrten Ort 
herein; vgl. Th. ΠῚ a, 131, 4. 151, 3. Auch Luckzz I, 635 fl. geht bei 
seiner Bestreitung Heraklit's von der Voraussetzung aus, die Dinge könnten 
aus dem Feuer nur durch Verdichtung und Verdünnung entstehen. — Plac. I, 
13, 2 werden Heraklit gar — wahrscheinlich infolge einer Verwechslung mit 
Heraklides (Th. II a, 1035), mag diese nun Aötius selbst, oder seine Quelle, 
oder einer seiner Abschreiber begangen haben — ψηγμάτια τενα ἐλάχιστα 
καὶ ἀμερῆ zugemuthet. 


654 Heraklit. [595. 596] 


Elemente!), Bezeichnungen, wie sie sich bei keinem von den 
andern Physikern finden. Der entscheidende Grund ist aber 
immer, dass jede Ansicht, die einen qualitativ unveränder- 
lichen Urstoff annimmt, mit Heraklit’s Grundgedanken unver- 
einbar ist. Das Feuer hat daher bei ihm eine ganz andere 
Bedeutung, als die Elemente der jüngeren Physiker: diese 
sind das, was im Wechsel der Einzeldinge unveränderlich be- 
harrt, Heraklit's Feuer ist das, was durch unablässige Um- 
wandlung diesen Wechsel hervorbringt?). 

Aus dem Fluss aller Dinge folgt nun, dass alles ohne 
Ausnahme entgegengesetzte Bestimmungen in sich vereinigt. 
Jede Veränderung ist ein Uebergang von einem Zustand in 
einen entgegengesetzten®); wenn alles sich verändert, und nur 
in dieser Veränderung existirt, so ist alles ein Mittleres 
zwischen Entgegengesetzten, und welchen Punkt man im Fluss 
des Werdens ergreifen mag, immer hat man nur einen Ueber- 
gangs- und Grenzpunkt, in welchem entgegengesetzte Eigen- 
schaften und Zustände sich berühren. Wie daher alles, nach 
Heraklit, unaufhörlich in Umwandlung begriffen ist, so hat 
auch alles jederzeit | Entgegengesetztes an sich, es ist und ist 
zugleich auch nicht, und es kann von keinem Ding irgend 
etwas ausgesagt werden, dessen Gegentheil ihm nicht ebenfalls 


1) ἀμοιβὴ (8. 8. 651, 1) τροπὴ (Fr. 21 s. ο. 647, 1), σβέννυσϑαι und 
ἅπτεσϑαε (oben, S. 645, 1) ζωὴ und ϑάνατος (S. 648, 1). 

2) Wesshalb das Feuer in dieser fortwährenden Umwandlung begriffen 
sei, sagt Heraklit nicht; seiner Meinung entspricht aber nur die Annahme, 
es sei diess, weil es eben in seiner Natur liegt, sich immer zu verändern, 
weil es das ἀείζωον ist. Fragen wir weiter, woher Her. weiss, dass alles 
sich verändert, so lässt sich nur antworten, er wisse es aus der Erfahrung, 
so wie er diese aufgefasst hat. Vgl. 5. 646 f. 

3) „Nein“, sagt Scauster 241, 1, dem Prreiverer 102 f. zustimmt, 
„nur in einen von dem vorigen verschiedenen.“ Aber verschieden ist der 
spätere Zustand von dem früheren doch nur desshalb, weil ein Theil der 
früheren Bestimmungen mit solchen vertauscht worden ist, die mit jenen in 
dem gleichen Subjekt nicht gleichzeitig und in der gleichen Beziehung zu- 
sammensein können, und solche nennt man entgegengesetzte. Jede Ver- 
änderung bewegt sich zwischen zwei Zuständen, die, in ihrer vollen Be- 
stimmtheit gedacht, sich ausschliessen; aus einem Zustand, der neben einem 
andern hergehen kann (wie das Stehen und das Sprechen), kann man nicht 
in diesen übergehen. 


[596] Der Streit. 655 


und gleichzeitig zukäme!). Das ganze Naturleben ist ein un- 
ausgesetzter Wechsel entgegengesetzter Zustände und Er- 
scheinungen, und jedes einzelne Ding ist, oder wird viel- 
mehr, das, was es ist, nur durch das unaufhörliche Hervor- 
treten der Gegensätze, zwischen denen es selbst in der Mitte 
steht?). Oder wie diess Heraklit ausdrückt: alles entsteht aus 
Entzweiung, der Streit ist der Vater und Herr aller Dinge, 
das allgemeine Recht und die Ordnung der Welt?); das un- 


1) M. vgl. hierüber ausser 8. 632 f. auch die Behauptung des AEnEsıDE- 
cs Ὁ. Sexr. Pyrrh. I, 210: Die Skeptiker sagen, dass an allem entgegen- 
gesetztes erscheine, die Herakliteer, dass es ihm wirklich zukomme, und die 
entsprechende des Szxrus selbst, ebd. II, 59. 63: Gorgias lehre, μηδὲν εἶγαε, 
Heraklit, πάντα εἶναι (ἃ. h. jedes sei alles), Demokrit lehre, dass der Ho- 
nig weder süss noch bitter, Heraklit, dass er beides zugleich sei. 

2) Vgl. Dioc. IX, 7 f.: πάντα te γίγεσϑαι χαϑ᾽ εἱμαρμένην χαὶ διὰ 
τῆς ἐναντιοτροπῆς ἡρμόσϑαει τὰ ὄντα... ylvsodal τε πάντα χατ᾽ ἐναντιό- 
τητα. 8108. ΕΚ]. I, 58: Ἡράχλ. τὸ περιοδικὸν πῦρ aldıov, εἱμαρμένην δὲ 
λόγον ἐκ τῆς ἐναντιοδρομίας δημιουργὸν τῶν ὄντων. Pro Qu. r. div. 
b. 510 Β (508 M.), nachdem er den Satz: πάνϑ᾽ ὅσα ἐν χύσμῳ σχεδὸν 
ἐναντία εἶναι πέφυχεν an vielen Beispielen ausgeführt hat: οὐ τοῦτ᾽ ἔστιν, 
ὅ φασιν Ἕλληνες τὸν μέγαν χαὶ ἀοίϑεμον παρ᾽ αὐτοῖς ᾿Ηράχλειτον κεφά- 
λαιον τῆς αὐτοῦ προστησάμενον φιλοσοφίας αὐχεῖν ὡς εὑρέσεε καινῇ; 
Ders. Qu. in Gen. III, 5 Schl. 8. 178 Auch., nach einer ähnlichen Aus- 
führung: hine Heraolitus libros oonseripsit de natura, a thoologo nostro mutuatus 
sententias de contrarüs, additis immensis atque laboriosis argumentis. Nach den 
letzteren Worten ist zu vermuthen, dass schon Heraklit, ähnlich wie der 
angebliche Hippokrates (s. o. 637, 1), seine Lehre von den Gegensätzen mit 
zahlreichen Beispielen belegt hatte. 

3) Fr. 44 Hırror. IX, 9: πόλεμος πάντων μὲν πατήρ ἐστι πάντων 
δὲ βασιλεὺς, χαὶ τοὺς μὲν ϑεοὺς ἔδειξε τοὺς δὲ ἀνθρώπους, τοὺς μὲν dov- 
λους ἐποίησε τοὺς δὲ ἐλευϑέρους. PkiLopen. π. Εὐσεβείας Col. 7 (8. 81, 26 
G.): Chrysippus sagte, Zeus und der Πόλεμος seien dasselbe, wie diess 
auch Heraklit lehre; s. o. 639, 1. Pıur. De Is. 48, 5. 370: ‘Hoaxkeırog 
μὲν γὰρ ἀντιχρὺυς πόλεμον ὀνομάζει πατέρα χαὶ βασιλέα χαὶ χύριον πᾶν. 
των. Proxı. in Tim. 54 A: ‘Ho... ἔλεγε" πόλεμος πατὴρ πάντων. Fr. 62 
Orıe. c. Cels. VI, 42: εἰ δὲ χρὴ τὸν πόλεμον ἐόντα ξυνὸν χαὶ Δίκην ἐρεῖν, 
χαὶ γενόμενα πάντα xar' ἔριν καὶ χρεώμενα, Wo ÖCHLEIERMACHER’S Ver- 
besserungen, εἰδέναε für εἰ δὲ und ἔρεν für ἐρεῖν mir, wie BywAtERr und 
anderen, durchaus einleuchten; mit dem χρεώμενα weiss ich aber so wenig, 
als er, anzufangen, denn LassaLLe’s Erklärung (I, 115 f.) „sich bethätigen“, 
ist sprachlich nicht nachweisbar; Braupıs’ σωζόμενα scheint mir nicht hera- 
klitisch. Eher gienge Scuuster’s Vermuthung 8. 199: χαταχρεώμενα „sich 
aufbrauchen“ (oder auch passiv: „zerstört werden“) oder χρεὼν für χρεῶ- 
μενα (worüber Arch. f. Gesch. d. Ph. IV, 120, 8. Die Worte γενόμενα 

Philos. d. Gr. I. Bd. 5. Aufl. 42 


θ56 Heraklit. [597] 


u. 8. f. bestätigt Aristoteles, 8. folg. Anm. Daher der Tadel gegen Homer 
Fr. 48 (Eupen. Eth. VII, 1. 1285 a 25): ‘Hoaxlesros ἐπιτιμᾷ τῷ ποεήσαντε 
»ὥς ἔρις ἔχ τε ϑεῶν χαὶ ἀνϑρώπων ἀπόλοιτο.“ οὐ γὰρ ἄν εἶναι ἁρμονίαν 
μὴ ὄντος ὀξέος χαὶ βαρέος, οὐδὲ τὰ ζῷα ἄνευ ϑήλεος χαὶ ἄῤῥενος ἐναντίων 
ὄντων. Dasselbe erzählt Ρεῦτ. a. a. Ο. (wozu Scuuster 8. 197 4) Cuaccıv. 
in Tim. c. 295. Schol. Venet. 2. Il. XVII, 197. Smer. Categ. Schol. in 
Ar. 88 b 30, welcher letztere in der Begründung jenes Tadels: οἰχήσεσθαι 
γάρ φησι πάντα, vielleicht Worte der heraklitischen Schrift erhalten hat. 
Auf diese Lehre vom πόλεμος bezieht sich auch Prur. De sol. anim. 7, 4 
8. 964; nur ist es schief, wenn dieser hier unsern Philosophen die Natur 
darüber tadeln lässt, dass sie πόλεμος sei. Welche thatsächlichen Ver- 
hältnisse Her. bei seinen allgemein lautenden Aussprüchen vorzugsweise im 
Auge hat, darüber sind uns nur Vermuthungen möglich. Wenn er sagt, 
der Krieg habe die einen zu Göttern gemacht, die andern zu Menschen, so 
kann man diess mit Gomrzez (a. a. O. 15 [1009] ff.) darauf beziehen, dass 
nach Fr. 67 (s. u. 646, 84) die Menschen sterbliche Götter sind, und um- 
gekehrt, d. h. dass die sterblichen Wesen nur durch eine Umwandlung des 
göttlichen Feuers entstehen und durch die Rückbildung desselben in seine 
Urgestalt wieder vergöttlicht werden. Bei dem πόλεμος aber, der diess be- 
wirkt, wird man nicht an einen „Kampf und Wettstreit“ der Sterblichen 
mit den Göttern, sondern nur an den Zeus-Polemos, den personificirten 
Weltlauf denken dürfen, der so heisst, weil er sich durch Gegensätze aller 
Art vermittelt; nicht allein, weil Her. von jenem Wettstreit nichts andeutet, 
sondern auch, weil die Sterblichen durch den Krieg erst entstehen sollen, 
mithin nicht schon zu den Kriegführenden gehören können. Soll der πόλε- 
uos weiter die einen zu Sklaven, die andern zu Freien gemacht haben, so 
mag Heraklit bei diesem Beispiel immerhin auch daran gedacht haben, dass 
die Kriegsgefangenen der Sklaverei verfallen (Gomr. a. a. O.); da man aber 
doch auch als Sklave geboren sein kann, und andererseits die Freien diess 
nicht erst durch den Krieg werden, wird die Hauptbedeutung des πόλεμος 
auch in diesem Zusammenhang die oben angegebene kosmische sein. Den 
weiteren Gedanken, dass der Krieg der Hebel alles geschichtlichen Fort- 
schritts sei, möchte ich bei Her. nicht vermuthen: theils weil ich weder 
Fr. 44 noch 62 etwas davon zu entdecken vermag (denn Alxnv ἔρεν heisst nicht: 
„das Recht sei aus dem Streit erwachsen,“ sondern: der Streit sei die 
Dike, die Ordnung und das Gesetz der Welt); theils weil mir diese geschichts- 
philosophische Beobachtung über den Gesichtskreis des alten Pbysikers hinaus- 
zugehen scheint. Eher mag bei dem γενόμενα πάντα χατ᾽ ἔρεν mit Eude- 
mus daran gedacht werden, dass es ohne den Gegensatz des Männlichen und 
Weiblichen keine lebenden Wesen gäbe. Wenn CnaLrcıv. a. a. O. berichtet: 
Numenius laudat Heraclitum, reprehendentem Homerum, qui optaveri interitum 
ao vastitatem malis vie, quod non intelligeret mundum sibi deleri placere, so 
weiss ich diess nicht mit Gowrerz a. a. OÖ. (nach Tuıpenaa) auf Odyss. 
N, 45 zu beziehen, wo Odysseus den Phäaken wünscht, dass sie von Uebeln 
verschont bleiben mögen, von den mala vite im allgemeinen dagegen und 
von dem Wunsche ihrer Austilgung nichts steht. Ich halte vielmehr die An- 


[597] Der Streit. 657 


gleiche | fügt sich zusammen), hohes und tiefes muss sich ver- 
einigen, dass ein Einklang, männliches und weibliches, dass ein 
neues Leben entsteht?). Was auseinandergeht, geht mit sich 
zusammen®); | die Harmonie der Welt beruht auf entgegen- 


gabe des Chalc. lediglich für einen ungenauen gedächtnissmässigen Bericht 
über den Inhalt von Fr. 43, und ich vermag desshalb auch Gomperz’ 
weiteren Schlüssen aus dieser Angabe nicht zu folgen. 

1) Fr 46 Asısr. Eth. N. VII, 2. 1155 b 4: χαὶ ᾿Ηράκλειτος τὸ avıl- 
for» συμφέρον καὶ Ex τῶν διαφερόντων χαλλίστην ἁρμονίαν χαὶ πάντα 
χατ᾽ ἔριν ylveodaı. Das ἀντίξουν wird im Geist der heraklitischen Bilder- 
sprache möglichst wörtlich zu verstehen sein, von zwei Hölzern, die nach 
entgegengesetzter Richtung geschnitten sind, um gegeneinandergestemmt zu 
werden, auch das συμφέρον wird daher zunächst das bezeichnen, was sich 
gegenseitig, oder auch ein anderes gemeinschaftlich, trägt. Dabei liegt es 
aber ganz in Heraklit's Art, wenn er auch hier, wie sonst, die verschiedenen 
mit Einem Wort bezeichneten Begriffe unter demselben zusammenfasst, und 
somit bei dem συμφέρον zugleich an das Zuträgliche und bei dem ἀγντέξουν 
an das Feindselige gedacht wissen will; nur möchte ich ihre Bedeutung 
nicht (mit Scuuster 257) hierauf beschränken. M. vgl. z. d. St. Hırrokr. 
π. dia. 1, 643 K. olxodouos ἐχ διαφόρων σύμφορον ἐργάζονται u. 8. ν᾽.) 
ΑΥΚΧΆΚΡΕΒ Aphr. Ὁ. Davıp Schol. in Arist. 81b 33, welcher die Natur der 
ἀντικείμενα an den Aaßdosıdn ξύλα erläutert, ἅτενα μετὰ ἀντιϑέσεως τινος 
σώζει ἄλληλα, namentlich aber CHrysırpus b. Get. VII, 1, 2 (Th. 1Π| a, 
176, 3), dessen Worte: opposia inter se et quasi muluo adverso queque fulta 
nizu consistere eine vollkommen zutreffende Umschreibung der herakliti- 
schen sind. 

2) Arıst. in den zwei ebenangeführten Stellen. Ausführlicher zeigt 
Ps.-Hırporr. 7. διαιτ. I, 18, dass jede Harmonie aus hohen und tiefen 
Tönen bestehe: τὰ πλεῖστα διάφορα μάλιστα ξυμφέρει καὶ τὰ ἐλάχιστα δια- 
φορα ἥχιστα ξυμφέρει u. 8. w. (vgl. die χαλλίστη ἁρμονία vor. Anm.) 
Derselbe fährt fort: μάγεεροε ὄψα σχευάζουσιν ἀνϑρώποισε διαφόρων Ovu- 
φόρων, παντοδαπὰ ξυγχρίνοντες, ἐχ τῶν αὐτῶν οὐ τὰ αὐτὰ, βρῶσιν καὶ 
πόσιν ἀνθρώπων u. 8. w., was ziemlich heraklitisch lautet; ebenso mag 
die Vergleichung der Gegensätze in der Welt mit dem der Laute in der 
Sprache, welche Hırror. I, 23. Arıst. De mundo c. 5. 396 b 7 fi. Pıur. 
trang. an. 15. 8. 474, letzterer in unmittelbarer Verbindung mit dem Bei- 
spiel von den hohen und tiefen Tönen, bringt, schon bei Heraklit vor- 
gekommen sein; dass er seine Lehre von den Gegensätzen in der Welt mit 
zahlreichen Beispielen belegt habe, sagt PnıLo, s. o. 655, 2, und so mag 
denn immerhin von dem vielen derartigen, was mau bei ΗἸΡΡΟΚΕ. a. a. Ο. 
c. 15 ff. Ps.-Azısr. a. a. OÖ. Puıro qu. rer. ἃ. haer. 509 1) f H. u a. 
findet, das eine und andere von ihm herstammen. 

3) Fr. 45 Hırror. Ref. IX, 9: οὐ ξυνέασε ὅχως διαφερόμενον ἑωυτῷ 
ὁμολογέεε᾽ παλίντροπος ἁρμονίη ὅχωσπερ τόξου χαὶ λύρης. Praro Soph. 
242 C ἴ: Die einen machen das Seiende zu einer Vielheit, die andern in 
elesatischer Weise zu einer Einheit; '/ades δὲ χαὶ Σιχελιχαί τινες ὕστερον 

42 * 


658 Heraklit. [598] 
gesetzter Spannung, wie die des Bogens und der Leyer'); 


οῦσαι ξυννενοήχασιν, ὅτι συμπλέχειν ἀσφαλέστερον ἀμφότερα καὶ 
λέγειν, ὡς τὸ ὃν πολλά τε καὶ ἕν ἔστιν ἔχϑρᾳ δὲ χαὶ φιλίᾳ συνέχεταε. 
διαφερόμενον γὰρ ἀεὶ ξυμφέρεται, φασὶν αἱ συντονώτεραι τῶν Μουσῶν, 
αἱ δὲ μαλαχώτεραε τὸ μὲν ἀεὶ ταῦϑ᾽ οὕτως ἔχειν ἐχάλασαν, ἐν μέρει δὲ 
τοτὲ μὲν Ev εἶναί φασι τὸ πᾶν καὶ φίλον ὑπ᾽ "Ayoodiıns, τοτὲ δὲ πολλὰ 
καὶ πολέμιον αὐτὸ αὑτῷ διὰ νεῖχός τι. (Dass hier mit den Μοῦσαι ᾿Ιάδες 
und Σιχελικαὶ Heraklit und Empedokles gemeint sind, steht ausser Frage, 
und wenn TeıchwÜLLer I, 224 glaubt, jenes könnte auch auf jüngere Hera- 
kliteer gehen, kann er sich für diese an sich sehr unwahrscheinliche Mei- 
nung auf das ὕστερον um 80 weniger berufen, da man wohl erklären kann: 
„jonische und in der Folge auch sicilische Musen“.) Ders. Symp. 187 A: 
τὸ Ev γάρ φησι (Ἡράχλ) διαφερόμενον αὐτὸ αὑτῷ ξυμφέρεσϑαι ὥσπερ 
ἁρμονίαν τόξου τε καὶ λύρας. Den urkundlichsten Text dieses Bruchstücks 
gibt im übrigen, wie ich mit Schuster S. 230 und Brwarer annehme, 
Hippolytus: doch scheint mir vor ὁμολογέεε das von Plato bezeugte, aber 
durch ὁμολογεῖν erklärte ξυμφέρεται den Vorzug zu verdienen. Seine Er- 
klärung betreffend, weist schon die Abweichung in den platonischen An- 
führungen darauf hin, dass weder das ἔν noch das ὅν Subjekt für δεαφερό- 
μένον war; ebensowenig, selbstverständlich, der von Plutarch (folg. Anm.) 
erwähnte χόσμος; mir scheint es am besten, day. selbst als Subjekt zu 
fassen: „sie begreifen nicht, wie auseinandergehendes zusammengeht, es ist 
eine ἁρμονέα παλέντ. (oder auch: die Harmonie, ἃ. h. die der Welt, ist 
παλίντ.) 

1) S. vor. Anm. Pıur. De Is. 45, 8. 869: παλέντονος γὰρ ἁρμονέη 
x00uov ὅχωσπερ Avons καὶ τόξου χαϑ᾽ .Ἡράχλειτον. Ebenso, ohne Nen- 
nung Heraklit’s, aber sonst wörtlich gleich, tranqu. an. 15, 8. 473, wogegen 
De an. proer. 27, 2. 3. 1026 steht: Ἡράχλειτος δὲ παλίντροπον ἁρμονέην 
x00uov ὄχωσπερ λύρης χαὶ τόξου. Sımer. Phys. 50, 10: ws ἩΗράχλειτος 
τὸ ἀγαϑὸν χαὶ τὸ χαχὸν εἷς ταὐτὸν λέγων συνιέναι δϑίχην τόξου χαὶ λύρας. 
Auf das gleiche Wort spielt Porrayr an, antr. nymph. c. 29: χαὶ διὰ 
τοῦτο παλέντογνος ἡ ἁρμονία καὶ (al. ἢ) τοξεύεε δι’ ἐναντίων. Nur ist der 
Text hier ohne Zweifel verdorben; wenn wenigstens LassaLLe I, 96 f. 112 
das „Hindurchschiessen“ für gleichbedeutend mit „Durchdringen“ nehmen 
will, so glaube ich nicht, dass diess möglich ist, und kann überhaupt ein 
so ungeheuerliches Bild, wie eine bogenschiessende Harmonie, weder Por- 
phyr noch Heraklit zutrauen. SCHLEIERMACHER 8. 70 vermuthet für τοξεύεε: 
tofov, εἰ so dass der Sinn wäre: „und desshalb wird die Harmonie eine 
rückwärts gespannte und eine Harmonie des Bogens genannt, weil sie durch 
Gegensätze vermittelt ist“; aber diess lautete noch immer seltsam genug, 
auch müsste man in diesem Fall statt εἰ δι ἐν. erwarten: ὅτε d. 2. Viel- 
leicht sind einige Worte ausgefallen, und Porph. schrieb: x. d. τ. παλέντ. 
ἡ ἁρμονία χόσμου ὡς λύρας χαὶ τόξου, ὅτε di ἔναντ., oder wie ScHustER 
8. 231 einfacher vorschlägt: ἡ ἁρμονέα λύρας καὶ τόξου εἴπερ di ἐν. Die 
Erklärung des Ausspruchs erscheint von Alters her schwierig. Verstand 
man die ἁρμονίη λύρης, nach des platonischen Eryximachus und Plutarch’s 


[599] Der Streit. 659 


ganzes und | getheiltes, einträchtiges und zwieträchtiges, zu- 
sammenstimmendes und misstimmiges muss sich verbinden, 


Vorgang, von der Harmonie der Töne, so wollte sich für die ἀρ μονίη τόξου 
kein entsprechender Sinn ergeben; bezog man umgekehrt die letztere auf 
die Spannung des Bogens, so kam man mit der «deuov/n λύρης in Ver- 
legenheit. Beanays I, 41 will daher die ἁρμονία lieber, sinnreich und an- 
sprechend, auf die Zusammenfügung oder die Form der Leyer und des 
Bogens, d. h. des scythischen und altgriechischen Bogens beziehen, der an 
den Enden ausgeschweift einer Leier in der Gestalt so ähnlich ist, dass 
auch bei Arıst. Rhet. III, 11. 1412 b 35 das τόξον φόρμιγξ ἄχορδος 
heisst. (So auch Scauster 8. 232, nur dass er statt des scythischen 
an den gewöhnlichen Bogen gedacht wissen will, was aber weniger passte.) 
Eben diese Form bezeichnet dann das Prädikat παλίψεροπος (rückwärts ge- 
wendet) oder zalfvroros, welches letztere zu dieser Erklärung am besten 
passen würde; τόξον παλέντονον heisst nämlich eben ein Bogen von der 
angegebenen Form, wie Wex Zeitschr. f. Alterthumsw. 1839, 1161 ff. zeigt. 
Es wäre dann ein Ähnliches Bild, wie oben, 657, 1. An die Erklärung 
von Bernays schliesst sich auch Rerrıie Ind. lectt. Bern. 1865 an; nur will 
er bei der heraklitischen Vergleichung nicht an die Form, sondern an die 
Kraft des Bogens und der Leyer gedacht wissen, deren Spannung durch 
das Auseinanderstreben der Bogen- und Leyerarme bedingt sei. Auch diese 
Auffassung verträgt sich mit den Worten und ergibt einen passenden Ge- 
danken. Das gleiche gilt von SouLier's (S. 160) verwandter Erklärung, 
welche die Zusammenstellung von Bogen und Leyer darin begründet findet, 
dass dort beim Abschiessen des Pfeils die Arme des Bogens sich genähert, 
der Rücken desselben und die Sehne von einander entfernt werden, hier 
beim Spiel die Saiten durch den Griff des Künstlers sich näherkommen, 
um dann wieder, wenn er sie loslässt, auseinanderzustreben; doch passte 
das διαφερόμενον ξυμφέρεταιε bei dieser Erklärung auf den Bogen besser 
als auf die Lyra, bei welcher συμφερόμενον διαφέρεται dem von 8. be- 
schriebenen Vorgang eher entsprechen würde. Indessen ist mir jetzt das wahr- 
scheinlichste, dass Her., wie sich diess ihm gerade in besonderem Masse 
zutrauen lässt, den Ausdruck ἁρμονέη, vielleicht unbewusst, von dem 
Bogen in anderem Sinn gebraucht, als von der Leyer: dass er dort die 
Spannung damit bezeichnen will, die durch gleichzeitige Annäherung der 
Bogenenden an einander und Entfernung der Sehne vom Bogen entsteht; 
hier die Harmonie der Töne, welche auf ihrem Auseinanderstreben und 
Zusammengehen, ihrem sich bildenden und lösenden Gegensatze beruht. 
LassarLze I, 105 ff. will unsern Ausspruch von einer „Harmonie der Leyer 
mit dem Bogen“ (8. 111) verstanden wissen, wobei der Bogen die Unterschiede, 
die Leyer „die sich zur Einheit ordnende Bewegung derselben“ bedeuten 
soll; was natürlich keiner Widerlegung bedarf. PFLEIDERER 89 ff. eignet 
zwar diese Allegorik sich nicht an, verbindet aber im übrigen Teichmüller’s 
Erklärung mit denen von Bernays und Rettig, wenn er unser Fragment 
dahin deutet, dass Bogen und Leyer, wie sie schon äusserlich in ihrer Form 
und ihrem Gebrauch gleichermassen die Palintonie darstellen, „so auch meta- 


660 Heraklit. [600] 


dass aus allem Eines | werde, wie alles aus Einem!). Die 
ganze Welt ist mit Einem Wort durch das Gesetz des Gegen- 
satzes beherrscht. 


physisch als Bezeichnung für die in einander umschlagenden dialektischen 
Gegensätze zusammengehören“; „denn sie sind die stehenden Attribute 
Apollo’s des Tödtenden und Belebenden.“ Allein wir haben nicht allein 
kein Recht, den Apollo in unsern Ausspruch hineinzutragen, da Her. ihn 
nicht nennt, wie er diess doch thun müsste, wenn er an ihn gedaclıt wissen 
wollte; sondern wir können auch die Worte nicht so deuten, wie diess hier 
geschieht. Das „Zusammengehören“ von Bogen und Leyer könnte nicht 
eine Harmonie derselben genannt werden, wenn man nicht dem Wort einen 
Sinn geben will, den es sonst nie hat; und wenn ἄρμ. τόξου xal λύρης die 
„Harmonie“ des Bogens und die der Leyer bezeichnen soll, wenn es also 
so viel ist, wie ἁρμονία τόξου καὶ ἁρμονία λύρης, kann es nicht zugleich 
die zwischen ihnen stattfindende Harmonie bezeichnen. Wird vollends 
die letztere als Harmonie des Lebens und Todes gedeutet, so übersieht 
Prr. ebenso, wie Lassalle bei seiner Umdeutung dieser Worte, dass die 
Harmonie der Welt durch die Vergleichung mit der von Bogen und Leyer 
erläutert werden soll. Diess wird sie aber nur dann, wenn der Gegen- 
stand, womit sie verglichen wird, etwas jedem bekanntes, in der Anschau- 
ung gegebenes ist. Dass jedoch desshalb, weil Apollo Bogen und Leyer 
führt, jeder Grieche beide schlechtweg als zusammengehörig betrachtet habe, 
oder irgend einer von Heraklit’s Zeitgenossen darin ein Symbol für das 
Umschlagen des Lebens in Tod und des Todes in Leben gesehen haben 
würde, dafür fehlt es an jedem Beweis. Was wäre das aber überhaupt für 
eine Vergleichung: „die Harmonie der Welt ist παλέντροπος, wie die des 
Lebens mit dem Tode?“ In diesem Satze wäre dem griechischen Leser so 
gut wie dem deutschen das, wodurch die Harmonie der Welt erklärt werden 
soll, unverständlicher als diese selbst. — Die Aenderungen im Text unseres 
Bruchstücks, die Bast (Krit. Vers. üb. ἃ. plat. Gastmahl 1794. 8. 41 2) 
und nach ihm Granisch (Zeitschr. f. Alterthumsw. 1846, 961 fi.; 1848, 
217 fi.) vorschlugen (ὀξέος χαὶ βαρέος statt τόξου xal Avons), und auch 
Bergr’s leichtere Veränderung (τόξου χαὶ νεύρης ebd. 1847, 35 f.) sind ent- 
behrlich und der starken Bezeugung gegenüber unannehmbar. 

1) Fr. 59 Arıst. De mundo 5. 396 b 19: συνάψειας οὖλα χαὶ οὐχὶ 
οὗλα, συμφερόμενον χαὶ διαφερόμενον, Ovradov καὶ διᾷδον" καὶ ἐχ πάν- 
των ἕν χαὶ ἐξ ἑνὸς πάντα. Die Worte χαὶ ἐχ π. u. 8. w., welche 
SCHLEIERMACHER 3. 79 von dem ersten Citat trennt, scheinen mir noch dazu 
zu gehören. Das οὖλα οὐχὶ οὖλα (die καὶ fehlten wohl bei Heraklit, wenn 
sie auch in den Text der Schrift von der Welt gehören), woran Schleier- 
macher ohne Noth Anstoss nimmt, erläutert Hırrokr. 7. δίκαις. c. 17: olxo- 
δόμοι ἐκ διαφόρων σύμφορον ἐργάζονται, τὰ μὲν ξηρὰ ὑγραίνοντες τὰ δὲ 
ὑγρὰ ξηραίνοντες, τὰ μὲν ὅλα διαιρέοντες τὰ δὲ διηρημένα συντιϑέντες. 
Schuster 5. 285 gibt dem οὖλος die Bedeutung: „wollig“, „dicht“, „drall®, 
indem er annimmt, Her. gebe hier Beispiele, die von verschiedenen Künsten 


- [600. 601] Der Streit. 661 


Wegen dieser Behauptungen beschuldigen Aristoteles und 
seine Ausleger Heraklit, er leugne den Satz des Wider- 
spruches!); | Neuere umgekehrt rühmen es an ihm, dass er 
die Einheit der Gegensätze, die Identität von Sein und Nicht- 
sein zuerst erkannt und zur Grundlage seines Systems ge- 
macht habe?). Indessen ist weder das eine noch das andere 
— ob man nun einen Mangel oder einen Vorzug darin sehe — 
unbedingt richtig. Dem Satz des Widerspruchs würde Hera- 
klit nur dann entgegentreten, wenn er behauptete, entgegen- 
gesetzte Bestimmungen können demselben Subjekt nicht blos 


bergenommen seien, der Weberei, Baukunst und Musik. Allein aus dem 
Zusammenhang der Stelle =. χόσμου folgt diess nicht, das συμφερόμενον 
und dsay. enthält keine specielle Hindeutung auf die Baukunst, und das 
ἐχ πάντων ἕν u. s. w. widerstrebt dieser Deutung gleichfalls und weist 
darauf hin, die Ausdrücke in allgemeinerem Sinn zu fassen, da in jenen 
Künsten wohl 2x πολλῶν, aber nicht 2x πάντων, Eines wird und um- 
gekehrt. 

1) Arısr. Metaph. IV, 3. 1005 b 23: ἀϑύνατον γὰρ ὁντινοῦν ταὐτὸν 
ὑπολαμβάνειν εἶναι χαὶ μὴ εἶναι, χαϑιίπερ τενὲς οἴονται (hierüber 8. 518, 3) 
λέγειν Ἡράχλειτον. Ebd. c. 4 Anf., wo Heraklit zwar nicht genannt, 
aber offenbar gemeint ist. Ebd. c. 7 Schl.. Eoıxe δ' ὁ μὲν Ἡρακλείτου 
λόγος, λέγων πάντα εἶναι χαὶ un εἶναι, ἅπαντα ἀληϑῆ ποιεῖν. Aehnlich 
c. 8 Anf. Ebd. XI, 5. 1062 a 81: ταχέως δ' ἂν τις χαὶ αὐτὸν τὸν Ἡρά- 
χλειτον . . . ἠνάγχασεν ὁμολογεῖν μηδέποτε τὰς ἀντιχειμένας φάσεις δὺυ- 
γατὸν εἶναε χατὰ τῶν αὐτῶν ἀληϑεύεσθαι" νῦν δ᾽ οὐ συνιεὶς ἑαυτοῦ τί 
ποτε λέγει, ταύτην ἔλαβε τὴν δόξαν. Ebd. c. 6. 1063 b 24. Top. VII, 5. 
155 b 30: ἀγαϑὸν χαὶ χαχὸν εἶναι ταὐτὸν, χαϑάπερ ᾿ Ἡράκλειτός φησιν. 
Phys. I, 2. 185 b 19: ἀλλὰ μὴν εἰ τῷ λόγῳ ἕν τὰ ὄντα πάττα... τὸν 
ἩΗραχλείτου λόγον συμβαίνει λέγειν αὐτοῖς" ταὐτὸν γὰρ ἔσται ἀγαϑῷ xal 
καχῷ εἶναι καὶ un ἀγαϑῷ καὶ ἀγαθῷ, ὥστε τοὐτὸν ἔσταε ἀγαϑὸν χαὶ οὐχ 
ἀγαϑὸν χαὶ ἄνθρωπος χαὶ ἵππος. Aehnlich äussern sich die Commentatoren, 
Aızx. Ζ. Metaph. 1010 a 6. 1012 a 21. 29. 1062 a 25. 36.5 2 (265, 17. 294, 
30. 295 19. 296, 1. 624 ἢ. Bon... Tusuıst. Phys. 113 Sp. Sıser. Phys. 50, 
10. 82, 23 u. a. vgl. Lassarıe I, 80. AskLepius Schol. in Ar. 652 a 11] ἢ. 
legt Heraklit gar den Satz bei: ἕνα ὁρισμὸν εἶναι πάντων τῶν πραγμάτων, 
was er aber nur συμβολιχῶς oder γυμναστιχῶς gesagt habe. Doch kann 
Simplicius und Aristoteles selbst (s. o. 8. 518, 3) das Geständniss nicht 
ganz unterdrücken, dass hiemit unserem Philosophen eine Folgerung zuge- 
schrieben wird, die er selbst nicht gezogen hat, und in dieser Weise schwer- 
lich anerkannt hätte. Mehr Anlass dazu mag Kratylus gegeben haben. 
Prato Theät. 182 C ff. bezeichnet jene Behauptung nur als eine Conse- 
quenz der heraklitischen Ansicht. 

2) HzseL Gesch. ἃ. Phil. I, 305. Lassaure I], 81 ἢ 


662 Heraklit. [601. 602] 


gleichzeitig, sondern auch in der gleichen Beziehung zu- 
kommen. Diess thut er aber nicht: er bemerkt wohl, dass 
ein und dasselbe Wesen die entgegengesetztesten Formen an- 
nehme, und in jedem Ding die entgegengesetzten Zustände 
und Eigenschaften, zwischen denen es als ein werdendes 
schwebt, verknüpft seien; aber dass sie ihm in einer und der- 
selben Beziehung zukommen, sagt er nicht, und er sagt es 
ohne Zweifel desshalb nicht, weil er sich noch gar nicht ge- 
fragt hat, wie es sich in Betreff dieser, unseres Wissens erst 
von Plato und Aristoteles ausdrücklich in’s Auge gefassten !), 
Bestimmung verhalte. Ebensowenig hat er aber andererseits 
von der Einheit der Gegensätze, der Einheit von Sein und 
Nichtsein in dieser Allgemeinheit gesprochen, und sie folgt 
auch nicht so schlechthin aus seinen Aussprüchen; denn es 
ist zweierlei, ob man sagt: ein und dasselbe Wesen sei licht 
und dunkel, Tag und Nacht, | ein und derselbe Vorgang Ent- 
stehen und Vergehen u. s. w., oder: es sei zwischen Tag und 
Nacht, Sein und Nichtsein als solchen kein Unterschied; ob 
man, m. a. W., das Zusammensein der Gegensätze in dem- 
selben Subjekt, oder ihre Identität behauptet. Nur jene Be- 
hauptung ergibt sich aus den Beispielen, die Heraklit für sich 
anführt; und er hatte auch keine Veranlassung, weiter zu 
gehen, da er nicht spekulative Logik, sondern Physik trieb. 
Nur wird man desshalb seinen Satz nicht?) dahin abschwächen 
dürfen, dass damit blos gesagt sein sollte, „dasselbe Ding 
zeige entweder zugleich, wenn es mit mehreren andern Din- 
gen auf einmal in Beziehung gebracht werde, oder hinter ein- 
ander, wenn es immer nur Einem, aber einem veränderlichen 
Ding gegenübergestellt werde, sehr verschiedene Eigenschaften.“ 
Man wird ihn daher auch nicht zum Urheber der Lehre von 
der „Relativität der Eigenschaften“ machen dürfen®?). Hera- 
klit sagt wohl (s. u. 664, 4), für Gott sei alles gerecht, nur 
die Menschen halten das eine für gerecht, das andere für un- 
gerecht; aber er will damit nicht den Unterschied von Recht 


1) Vgl. IT a, 627, 2. II b, 239. 

2) Mit Schuster 8. 236 fi., dem Bäuuker Problem ἃ. Mat. 26 sich 
theilweise anschliesst. 

3) So Gourerz zu Her. Lehre S. 1007. 1023. 1038. 


[602] Die Harmonie. 663 


und Unrecht für einen blos relativ gültigen erklären, sondern 
die göttliche Weisheit der menschlichen Kurzsichtigkeit ent- 
gegenstellen, die nicht einsieht, dass alles in der Welt an 
seinem Ort gut ist!). Er bemerkt auch, was dem einen heil- 
sam ist, sei dem andern verderblich (8. ο. 639, 2); aber was 
er daraus schliesst, ist nicht der Satz, dass die heilsame oder 
verderbliche Wirkung eines Dinges ein blosses Verhältniss 
desselben zu anderen Dingen bezeichne, sondern der entgegen- 
gesetzte, dass das Ding an sich selbst beides, heilsam und 
verderblich, zugleich sei?). Gerade das ist vielmehr bezeich- 
nend für unsern Philosophen und für den Mangel an logischer 
Schulung, mit dem er in seiner Zeit nicht allein steht®), dass 
er bei dem allgemeinen Gedanken stehen bleibt, alles habe 
entgegengesetzte Eigenschaften an sich, die Frage dagegen, 
unter welchen Bedingungen und in welchem Sinn dieses Zu- 
sammensein des Entgegengesetzten möglich sei, noch nicht 
aufwirft, und daher auch nicht dazu kommt, sie mit der Unter- 
scheidung dessen zu beantworten, was einem Ding an sich 
selbst, und was ihm nur im Verhältniss zu einem andern, 
was ihm gleichzeitig und was ihm successiv, was ihm schlecht- 
hin und was ihm nur in einer bestimmten Beziehung zu- 
kommt. 

So nothwendig es aber ist, dass alles in Gegensätze aus- 
einandergeht, ebenso nothwendig ist es, dass die Gegensätze 
wieder zur Einheit zusammengehen, denn das entgegengesetz- 
teste stammt doch von Einem und demselben, es ist Ein Wesen, 
das die Gegensätze im Lauf seiner Wandlungen erzeugt und 
wieder aufhebt, das in allem sich selbst hervorbringt, und im 


1) Nur hierauf wird sich nämlich der Ausspruch beziehen: das Ver- 
kehrte in den Meinungen und dem Thun der Menschen hat ja Her. auf's 
herbste getadelt. Zur Erläuterung vgl. S. 664, 4. 

2) Und ebenso in anderen ähnlichen Fällen. 

3) Man nehme z. B. Parmenides.. Wenn dieser den Schluss macht, 
alles sei Eines, weil alles ein Seiendes ist, so fällt uns sofort auf, dass er 
zwischen Gleichheit des Prädikats und Identität des Subjekts nicht zu 
unterscheiden weiss. Aber selbst Plato und Aristoteles mussten ihre Zeit- 
genossen noch über viele uns ganz geläufige logische Unterscheidungen be- 
lehren. 


664 Heraklit. [603] 


Spiel der streitenden Wirkungen alles als Eines erhält!). In- 
dem es sich | von sich trennt, einigt es sich mit sich?), aus 
dem Streit geht das Dasein, aus dem Gegensatz der Zusammen- 
hang, aus der Ungleichheit die Uebereinstimmung hervor; es 
wird Eines aus allem®), alles fügt sich der Gottheit zum Ein- 
klang des Ganzen, auch das ungleiche eint sich ihr zur Gleich- 
heit, auch das, was den Menschen als ein Uebel erscheint, ist 
für sie ein Gutest), | und aus allem stellt sich jene verborgene 


1) Fr. 36 Hırror. Refut. IX, 10: ὁ ϑεὸς ἡμέρη εὐφρόνη, χειμὼν 
ϑέρος, πόλεμος εἰρήνη, χόρος λεμός" ἀλλοιοῦται δὲ ὄχωσπερ ὅταν συμ- 
μιγῇ ϑιώμασε" ὀνομάζεται xa# ἡδονὴν ἑχάστου. Um den sichtbar defekten 
zweiten Satz dieses Bruchstücks zu ergänzen, schiebt ΒΥΤΆΤΕΒ nach BERNAYS 
vor ϑυώμασι ηϑύωμα“, Schuster 8. 188 hinter ϑυώμασι „ulvos“ ein; 
noch einfacher scheint mir, statt ὄχωσπερ zu lesen: ὅὕχως ang (was in der 
älteren Schreibart dem πὲρ ungemein ähnlich ist); und ich ziehe diess dem 
ὅχωσπερ πῦρ (DiELB) oder öxws πῦρ (PFLEIDERER 353 u. a.) desshalb vor, weil 
man von der Luft eher sagen kann, dass sie mit Wohlgerüchen, als vom 
Feuer, dass es mit Räucherwerk vermischt werde; auch das ὀνομάζεται 
u. 8. f. passt besser für jene. In diesem Sätzchen selbst wird das χαϑ' 
ἡδονὴν nicht mit SCcHUSTER u. a. zu übersetzen sein: „nach Belieben“; 
denn so erhält man (auch abgesehen von Scauster’s Deutung, wonach „ein 
jeder eine Etiquette daran macht nach Belieben“) keinen passenden Sinn, 
da die Formen, welche das Urwesen in seiner Umwandlung annimmt, etwas 
objektiv gegebenes sind und nicht wohl mit beliebigen Bezeichnungen ver- 
glichen werden können; es wird vielmehr zu erklären sein: „sie (die mit 
Räucherwerk vermischte Luft) wird benannt nach dem Geruch (hierüber 
S. 264, 4) eines jeden von diesen“ (man sagt nicht, man rieche Luft, son- 
dern man rieche Myrrhen u. s. w.). Aehnlich sagen die Stoiker Ὁ. Sto». 
Ekl. I, 66 von dem πνεῦμα, das alles durchdringt: τὰς δὲ προσηγορέας 
μεταλαμβάνον διὰ τὰς τῆς ὕλης, δὲ ἧς χεχώρηχε, παραλλάξεες: an 
beliebige Benennungen haben wir bei diesem Verhältniss nicht zu denken. 
TeıcumÜLLer I, 66 ff. glaubt das streitige Sätzchen ohne Textesänderung 
erklären zu können, indem er dem συμμεγῇ und ὀνομάζεται den ϑεὸς zum 
Subjekt gibt, mit dem aber das Feuer gemeint sein soll. Ich meinerseits 
kann mir einen Gott, der mit Räucherwerk vermischt wird, auch in Hera- 
klit’s Mund nicht denken. Das x«9’ ndornv übersetzt T. gleichfalls: nach 
Belieben. 

2) Praro Soph. a. a. O. (s. o. 657, 3), vgl. 252 Β, wo der Unterschied 
zwischen Heraklit und Empedokles eben darin gefunden wird, dass dieser 
Zustände der Einigung und der Trennung abwechseln lasse, wogegen jener 
in der Trennung selbst eine gleichzeitige fortwährende Einigung anerkenne- 

3) Vgl. S. 660, 1. 651, 1. 645, 1. 

4) Schol. Ven. z. Il. IV, 4: πόλεμοι χαὶ μάχαι ἡμῖν δεινὰ doxei τῷ 
δὲ ϑεῷ οὐδὲ ταῦτα δεινά" συντελεῖ γὰρ ἅπαντα ὁ ϑεὸς πρὸς ἁρμονίαν 


[608. 604] Die Harmonie. 665 


Harmonie der Welt her, welcher die Schönheit des Sichtbaren 
nicht zu vergleichen ist!). Diess ist das göttliche Gesetz, dem 


τῶν [ἄλλων ἢ χαὶ — offenbar blos Angabe einer Variante] ὅλων οἰχονομῶν 
τὰ συμφέροντα, ineg καὶ Ἡράχλειτος λέγει, ὡς τῷ μὲν ϑεῷ χαλὰ πώντα 
χαὶ δέκαια, ἄνϑρωποι δὲ ἃ μὲν ἄδικα ὑπειλήφασι, ἃ δὲ δίχαια. Vgl. 
Hırrore. 7. διαίτ. c. 11 (Brw. 8. 64): πάντα γὰρ ὅμοια, ἀνόμοια ἐόντα" 
χαὶ σύμφορα πάντα, διάφορα ἐόντα" διαλεγόμενα οὐ διαλεγόμενα, γνώμην 
ἔχοντα ἀγνώμονα (Redendes und Nichtredendes, Vernünftiges und Vernunft- 
loses, als die zwei Hauptklassen der πάντα). ὑπεναντίος ὁ τρόπος ἑχάστων, 
ὁμολογούμενος .... ἃ μὲν οὖν ἄνϑρωποι ἔϑεσαν, οὐδέχοτε χατὰ τωυτὸ 
ἔχεε οὔτε ὀρϑὼς οὔτε μὴ ὀρθῶς" ὁχόσα δὲ ϑεοὶ ἔϑεσαν αἰεὶ ὀρϑῶς ἔχει, 
καὶ τὰ ὀρϑὰ χαὶ τὰ μὴ ὀρϑά. τοσοῦτον διαφέρει. Vgl. was 8. 657, 1. 
658, 1 aus Aristoteles und Simplieius und III a, 176, 4 aus Kleanthes an- 
geführt ist. 

1) Fr. 47 Prur. an. procr. 27, 5. S. 1026: apuovin γὰρ ἀφανὴς φα- 
yepjs χρείττων χαϑ' Ἡράκλειτον, ἐν ἡ τὰς διαφορὰς καὶ τὰς ἑτερότητας ὁ 
μιγνύων ϑεὸς ἔχρυψε χαὶ χατέδϑυσεν. Den ersten Theil dieses Bruchstäcks 
hat auch Hırror. IX, 9: ὅτε δὲ... ἀφανὴς ὁ ἀόρατος... ἐν τούτοις 
Lyss’ ἁρμονία ἀφανὴς φανερῆς χρεέττων. ἐπαινεὶ χαὶ προϑαυμάξεει πρὸ 
τοῦ γενωσχομένου τὸ ἄγνωστον αὐτοῦ χαὶ ἀόρατον τῆς δυνάμεως. ὅτι δέ 
ἐστεν ὁρατὸς ἀγϑρώποις . .. ἐν τούτοις λέγει" ὅσων ὄψις ἀχοὴ μάϑησις, 
ταῦτα ἐγὼ προτιμέω, φησὶ, τουτέστε τὰ ὁρατὰ τὼν ἀοράτων ..... (c. 10) 
οὕτως Ἡράκλειτος ἐν Ton μοίρᾳ τίϑεται χαὶ τιμᾷ τὰ ἐμφανῆ τοῖς ἀφα- 
γέσιν . .. ἔστε γὰρ, φησὶν, ἁρμονίη ἀφανὴς φανερῆ: χρείττων᾽ καί" 
ὅσων . .. προτιμέω, οὐ τὰ ἀφανῆ προτιμήσας. Auf Grund dieser letzteren 
Anführung vermuthet nun ScHuster (S. 24; gegen ihn TeıcuuÜrter I, 154 ff.), 
dass Heraklit's Worte gelautet haben: ἐς τί γὰρ ἁρμονίη ἀφανὴς φανερῆς 
χρείττων!; „wesshalb soll eine unsichtbare Harmonie besser sein, als die 
sichtbare?“ Allein so scharfsinnig diese Conjectur ist, so lässt sie sich 
doch schon an dem Text des Hippolytus, wenn wir diesen in seinem ganzen 
Zusammenhang betrachten, nicht durchführen. Da die Worte: apuovfn 
wu. 5. w. 6. 9 ohne ἔστε angeführt werden, und als der Sinn derselben an- 
gegeben wird, dass das Unsichtbare besser sei, als das Sichtbare, so kann 
Hippol. nicht das fragende ἐς τέ, sondern nur ἔσει, wahrscheinlich aber 
auch diess nicht, in seinem Heraklittext gehabt haben; und ein anderes an- 
zunehmen, nöthigt uns auch die Stelle aus c. 10 nicht; denn er schliesst 
hier nicht, wie man bei Schuster’s Lesart erwarten müsste, dass das Sicht- 
bare von Her. dem Unsichtbaren vorgezogen, sondern dass beide sich 
gleichgestellt werden, weil nämlich das einemal die apu. ἀφανὴς als besser 
bezeichnet, das anderemal demjenigen, ὅσων ὄψις u. 8. w. der Vorzug er- 
theilt wird. Dass dieser Schluss verfehlt ist, liegt am Tage; aber desshalb 
die Benützung der Stelle c. 9 wegen des sich darin zeigenden „Mangels an 
Verständniss“ nicht gelten zu lassen, sind wir nicht berechtigt. Mag Hip- 
polytus Heraklit's Worte noch so sehr missdeuten: der Gebrauch, den er von 
ihnen macht, zeigt doch immer, wie er die Stelle gelesen hat, und wider 


666 . Heraklit. [605] 


legt eine Annahme, nach der er die gleiche Stelle in der einen von den 
zwei unmittelbar aufeinanderfolgenden Anführungen das Gegentheil dessen 
aussagen liesse, was sie nach der andern aussagt. Diese Annahme erscheint 
aber um so unzulässiger, da auch Plutarch mit Hippolyt’s erstem Citat und 
mit der Lesart ἔστε in dem zweiten vollkommen übereinstimmt; und auch 
hier kaun ich Scauster's Urtheil, dass die „unklare Auseinandersetzung“ bei 
Plut. a. a. Ο. Hippolyt’s „klarem Zeugniss“ gegenüber keinen Werth habe, 
nicht beitreten. Klar scheint mir bei Hippolytus nur das zu sein, dass er 
e. 9 in seiner Anführung mit Piutarch zusammentrifft; was dagegen Sch. 
Hippolyt's klares Zeugniss nennt, das Plutarch widerlege, ist thatsächlich 
nur seine eigene, weder von der Hippolytushandschrift, noch durch den Zu- 
sammenhang der Stelle unterstützte Conjectur. Andererseits ist Plutarch’s 
Aussage über das, was er bei Heraklit gelesen hat (uud nur darum handelt 
es sich hier), nicht im mindesten unklar, es ist vielmehr ganz augenschein- 
lich, dass er bei ihm nur die Behauptung fand: die unsichtbare Har- 
monie sei besser, als die sichtbare, nicht die Frage: wesshalb jene besser 
sein sollte, als diese? Wenn Plutarch von der ἁρμονέα φανερὴ weiter 
noch sagt, Gott habe in ihr die διαφοραὶ und ἑτερότητες verborgen, so ge- 
hören diese Ausdrücke freilich gewiss nicht Heraklit an, und Plut. gibt 
sie auch nicht als heraklitisch; dass ihm aber auch bei diesem Zusatz 
noch ein heraklitisches Wort vorschwebt, das vielleicht nahe bei dem über 
die zwiefache Harmonie stand, sieht man aus Pnıtzo Qu. in Gen. IV, 1. 
S.237 Auch.: ardor est seoundum Heraclitum nalura nostra, qua se obducere at- 
que abscondere amat. Mag nun der Baum hier zu dem Citat aus Heraklit 
gehören (so Schuster S. 193. TeıcunüLLer I, 183) oder auf den von Philo 
vorher erwähnten Baum, die Eiche von Mamre, Gen. 18, 1, gehen, welche 
in dieser Art gedeutet wird (der armenische Text lautet wörtlich, wie mir 
noch mein College PETERMANN mittheilte: „Der Baum nach Heraklit unsere 
Natur liebt sich zu verbergen und zu verstecken“): dass Heraklit von der 
φύσις gesagt hat, χρύπτεσϑαι φιλεὶ (Fr. 10), bestätigt auch Tuenısr. or. V, 
69 b (φύσις δὲ χαϑ' "IIpuxi. χρύπτεσθαι φελεῖ, ebenso in der zweiten Re- 
cension von or. V, or. XII, 159 b). Puıto De prof 476 C. JuLian. or. 
VII, 216 ὁ (Sreapo X, 3, 9. S. 467 gehört nicht hieher); ob auch xare- 
δύεσθαι dabei stand, ist gleichgültig, doch weist Philo’s oddwoere darauf 
hin. Was aber Themist. (an beiden Stellen) weiter beifügt: καὶ πρὸ τῆς 
φύσεως ὁ τῆς φύσεως δημιουργός, das stammt augenscheinlich nicht (wie 
LassauLe I, 24 glaubt und auch Scauster 316, 1 anzunehmen geneigt ist, 
aber durch die stoischen und neuplatonischen Stellen, die er anführt, nicht 
erhärtet) aus Heraklit. — Hieraus erhellt nun auch, dass man bei der ἀρ- 
μονία φανερὰ weder mit SCHLEIERMACHER S. 71 an die Elemente (während 
mit der ἀφανὴς die organischen Wesen gemeint sein sollen), noch mit Las- 
SALLE (I, 97 ff.) an die „verhüllte und innerlich verborgene Weltharmonie“, 
die ja doch nichts wahrnehmbares ist, denken, am allerwenigsten aber für 
die letztere Erklärung sich auf Plutarch stützen kann, welcher die ἄρμ. 
φανερὰ nicht, wie L. sagt, als verborgen, sondern umgekehrt als das be- 
zeichnet, worin die «gu. ἀφανὴς sich verbirgt. Die ἄρμ. ἀ φανὴς muss 


[607] Zeus und die Weltorduung. 667 


alles unterthan | ist!), die Dike, deren Satzung nichts in der 
Welt überschreiten kann?), das Verhängniss, oder die Noth- 
wendigkeit, von der alles beherrscht ist®). Die gleiche Welt- 


vielmehr dasselbe sein, wie die Natur, die sich verbirgt: die innere Gesetz- 
mässigkeit des Seins und Geschebens; und mit der φανερὰ wird entweder 
die äussere Erscheinung dieser Gesetzmässigkeit überhaupt, oder specieller 
die musikalische Harmonie gemeint sein, so dass der Sinn wäre: „der 
innere Einklang der Welt ist herrlicher, als jeder Einklang von Tönen.“ 
Dass nämlich der letztere „nicht als sichtbar bezeichnet werden kann“ 
(PrLeiperer 237, 1), ist zwar richtig; aber φανερὸς heisst auch nicht „sichtbar“, 
sondern „erscheinend“, „wahrnehmbar“. — Wenn Schuster mit den Worten 
über die doppelte Harmonie die von Hippolytus weiter angeführten: 6x000» 
ὄψις u. 8. w. zu Einem Fragment zusammenfasst, so gibt die Art, wie 
Hippolytus der beiden Aussprüche erwähnt, dazu kein Recht, und der oben 
festgestellte Sinn des Wortes über die Harmonie macht diese Verbindung 
unmöglich. 

1) Fr. 91 Sro». Floril. II, 84: τρέφονται γὰρ πάντες ol ἀνϑρώπινοε 
γόμοι ὑπὸ ἑνὸς τοῦ ϑείου. χρατέεε γὰρ τοσοῦτον 620009 ἐϑέλει χαὶ ἐξαρ- 
κέεε πᾶσι χαὶ περιγένεται. 

2) Fr. 29 Pıur. De exil. 11, 8. 604: ἥλεος γὰρ οὐχ ὑπερβήσεται 
μέτρα, φησὶν ὁ Ἡράκλειτος" εἰ δὲ un, Ἐριννύες μὲν “ίχης ἐπίκουροε 
ἐξευρήσουσεν. Etwas abweichend Ders. De Is. 48, 5. 870: ἥλιον δὲ [sc. 
Ἡράχλειτος φησὶν] μὴ ὑπερβήσεσϑαι τοὺς προςήχοντας ὅρους" εἰ δὲ μὴ, 
γλώττας μὲν δίχης ἐπιχούρους ἐξευρήσειν. Dagegen setzt Hırror. VI, 
26 die Lesart ᾿Εριννύες voraus. 1ΆΒΒΑΣΨΕ I, 351 ff. nahm die γλῶτται in 
Schutz, indem er sich auf Paitostratus Apoll. I, 25, 2 stützte, der vier 
Bilder von Vögeln (fuyyss), welche an die göttliche Vergeltung erinnern 
sollten, von den Magiern ϑεῶν γλώτται genannt werden lässt; und er 
glaubte damit nicht blos erwiesen zu haben, dass die Dienerinnen der Dike 
bei den Persern „Zungen“ genannt wurden, sondern auch, dass Heraklit 
mit der Religionslehre und den Symbolen der Magier bekannt war. Diess 
war nun freilich ganz verfehlt, denn wenn auch wirklich Bilder des Wende- 
halses als Symbol des respice finem bei den Persern gebraucht und „Götter- 
zungen“ genannt worden sein sollten, so würde doch daraus nicht im ge- 
ringsten folgen, dass auch die Erinnyen Götterzungen oder gar schlechtweg 
γλῶτται genannt werden konnten. Indessen hat Scauster 8. 184 und vor- 
her schon Husuann (vgl. Schuster 8. 357) für γλώττας unter Verweisung 
auf Odyss. H, 197 „xiosas“ (die Spinnerinnen, die Moiren, welche als 
Todesgöttinnen auch die Sonne zu finden wissen würden, wenn sie das 
Mass ihres Lebens überschreiten wollte) vorgeschlagen; und es mag wohl 
dieser alterthümliche Ausdruck erst später durch die Erinnyen ersetzt 
worden sein. Weiter vgl. m. über die Dike: Orıc. c. Cels. VI, 42 (5. o. 
655, 3) und was 8.649, 3 aus dem Kratylus angeführt ist. CLEMENs Strom. 
IV, 478 B: Alxns ὄνομα οὐχ ἂν ἤδεσαν scheint nicht hieher zu gehören. 

3) Dioa. IX, 7. Stop. I, 58, s. o. 655, 2. Stoe. I, 178 (Plac. I, 27, 1. 


668 Heraklit. [607] 


ordnung, als wirksame Kraft | gedacht, heisst die weltregierende 
Weisheit!), der Logos 3), | Zeus, oder die Gottheit®), und wie- 


28, 1): ‘Hoaxl. οὐσίαν εἱμαρμένης ἀπεφαίνετο λόγον τὸν di‘ οὐσίας 
τοῦ παντὸς διήχοντα, αὕτη δ᾽ ἐστὶ τὸ αἰϑέριον σῶμα, σπέρμα τῆς τοῦ 
παντὸς γενέσεως καὶ περιίδου μέτρον τεταγμένης. πάντα δὲ καϑ' εἶμαρ- 
μένην, τὴν δ' αὐτὴν ὑπάρχειν ἀτάγχην᾽ γράφεε γοῦν" (Fr. 68) ἔστι γὰρ 
εἱμαρμένα πάντως. (Hier bricht der Text ab, was um so mehr zu be- 
dauern ist, da eben jetzt Heraklit's eigene Worte kommen sollten, während 
das vorhergehende so stoisch lautet, dass es für uns ziemlich gleichgültig 
ist, ob die Worte αὕτη — γενέσεως, nach SCHLEIERMACHER’s Vermuthung 
8. 74, ein auf ovo/« bezügliches Einschiebsel sind oder nicht. Ist der Text, 
wie ich glaube, in Ordnung, so wird der Sinn sein: er erklärte die eikap- 
μένη für den λόγος, welcher den Stoff der Welt, das αἰϑέρεον σῶμα, 
durchdringe, für das σπέρμα u. 8. w.) Sımpr. Phys. 24, 4: ποιεὶ δὲ χαὶ 
τάξιν τινὰ χαὶ χρίνον ὡρισμένον τῆς τοῦ χύώσμου μεταβολῆς κατά Tıra 
εἱμαρμένην ἀνάγχην. Vgl. auch bei Hırrorr. π. διαιτ. I, 4 f. (oben 
8. 680, 1 Schl. 638, 1) die Ausdrücke δι ἀνάγχην ϑείην, τὴν πεπρωμένην 
kolonv, und Prur. an. procr. 27, 2. 8.1026: ἣν εἱμαρμένην οἱ πολλοὶ xa- 
20001... Ἡράκλειτος δὲ παλίντροπον ἁρμονέην χόσμου u. 8. w. Bei 
Dems. De Ei c. 9, 8. 388 lässt sich nicht feststellen, was etwa Her. ent- 
nommen ist. 

1) Fr. 19 θιοα. IX, 1: εἶναε γὰρ ἕν τὸ σοφὸν, ἐπίστασϑαει γνώμην 
ἥτε οἱ ἐγχυβερνήσεε πάντα (Neutr. plur.) διὰ πάντων. Statt des sinnlosen 
ἥτε οἱ ἐγχυβ. (oder ὅτε ἢ χυβερνῆσαι) vermuthet SchHLEIERMACHER 8. 109 
vgl. Lassarte I, 334 ff. ἥτε οἴη χυβερνήσει, Bernays I, 84 f ἥτε οἱαχίζεε, 
Scauster 8. 66: 7 re οἵη τε χυβερνήσεε oder οἵη (οἵη re) χυβερνῆσαι, BY- 
WATER 8. 8: ἢ χυβερνᾶται, 8. 55: ἢ oleras χυβερνᾶσϑαι. GoMPERZ zu 
Herakl. L. 1004 f. glaubt, Fr. 19 und 65 (s. u. Anm. 3) haben zusammen- 
gehört und gelautet: ἕν τὸ σόφὸν μοῦνον, ἐπίστασϑαι γνώμην ἢ κυβερνᾶ- 
ται (?) πάντα διὰ πάντων" λέγεσϑαι οὐχ ἐθέλει χαὶ ἐϑέλεε Ζηνὸς οὔνομα. 
Das χυβεργνᾷν ist, wie Schuster und Lassalle zeigen, in ähnlicher Verbindung 
bei Heraklit und andern beliebt. Fr. 96 Orig. c. Cels. VI, 12: 7905 γὰρ 
ἀνϑρώπειον μὲν οὐχ Eyes γνώμας, ϑεῖον δὲ ἔχει. Pıur. De Is. 76: ἡ δὲ 
ζῶσα. . . φύσις ἄλλως τε ἔσπαχεν ἀποῤῥοὴν χαὶ μοῖραν ἐχ τοῦ φρονοῦν- 
τος, ὅπως χυβερνᾶται τὸ σύμπαν, χαϑ᾽ .Ηράχλειτον. Statt ἄλλως τὲ ver- 
muthet hier ScHLEIERMACHER 8. 118 ἄλλοθεν, Bernxars I, 86: ἀμυστί, By- 
WATER 5. 8: ἀμωςγέπως. Für heraklitisch ist aber nur der Ausdruck: τὸ 
φρονοῦν ὅπως (Byw. 0) χυβερνᾶται τὸ σύμπαν zu halten (dieser nämlich 
scheint mir doch zu bestimmt bezeugt zu sein, als dass ich Hexıxze’s S. 670, 3 
näher zu besprechenden Bedenken nachgeben könnte); die ἀποῤῥοὴ und 
μοῖρα dagegen lauten stoisch. 

2) Ueber H.s Logos vgl. m. Heıszs Die Lehre vom L. in d. gr. Phil. 9 fi. 
SCHUSTER 8. 18 ff. ΤΕΙΟΗΜύ ΕΒ I, 167 ff. — Dass nun Her. die in der Welt 
wirkende Vernunft neben anderem auch mit dem Namen des Logos bezeichnet 
hat, lässt sich zwar strenggenommen aus Fr. 2 (s. o. 630, 1) nicht beweisen, 


[608] Zeus und die Weltordnung. 669 


doch nähert sich die Wahrheit, von welcher die ganze Welt Zeugniss gibt, 
dem Begriff der ihr inwohnenden Vernunft. Unzweifelhafter ist dieser Fr. 92 
Szxr. Math. VII, 133: διὸ dei Ensodaı τῷ ξυνῷ. τοῦ λόγου δ' ἐόντος 
ξυνοῦ ζώουσε ol πολλοὶ ὡς ἰδίην ἔχοντες φρόνησιν (als ob sie in ihren 
Meinungen eine Privatvernunft für sich allein hätten. Mit dem λόγος 
xoıyös, welcher der ?d/« φρόνησις entgegengestellt wird, kann nur die Ver- 
nunft als das Gemeinsame gemeint sein; und das Gemeinsame ist sie eben, 
sofern sie die für die ganze Welt geltenden Gesetze enthält. ScHuster’s Er- 
klärung des λόγος von der „Rede der sichtbaren Welt“ geht von der doppel- 
ten Voraussetzung aus, dass Fr. 92 mit dem S. 630, 1 besprochenen Frag- 
ment in unmittelbarem Zusammenhang gestanden habe, und dass dort mit 
dem λόγος die „Rede der Natur“ gemeint sei; zwei Annahmen, von denen 
die erste unerweislich, die zweite, nach dem a. a. O. bemerkten, sehr un- 
wahrscheinlich ist. Der xosv05 λόγος muss vielmehr schon bei Her. im 
wesentlichen das gleiche bedeuten, wie bei seinen Nachfolgern, den Stoikern 
(vgl. Th. III a, 140. Wenn daher Sexr. a. a. O. und VIII, 8 den χοιρφνὸς 
λόγος durch τὰ χοινῇὴ φαινόμενα erläutert, so wird diess von LassALLe 
Il, 284 mit Recht abgelehnt, und von Schuster 8. 23 mit Unrecht in Schutz 
genommen. Sextus selbst hat vorher, VII, 133, den λόγος für den ϑεῖος 
λύγος erklärt. Ebenso erscheint die Vernunft als etwas objektives, von 
dem Denken des Einzelnen verschiedenes, wenn es Fr. 1 Hırror. IX, 9 
heisst: οὐχ ἐμεῦ ἀλλὰ τοῦ λόγου (so Bernazs I, 80 und seitdem allgemein 
für δόγματος) ἀχούσαντας ὁμολογέειν σοφόν ἐστιν, Ev πάντα εἰδέναι (hier- 
über S. 671 m.); doch ist hier auch die Erklärung: „nicht auf mich, 
sondern auf die Rede als solche, den Inhalt der Rede, die Gründe, hörend“ 
(vgl. Schuster 83. 228) zulässig. Dagegen gehört in den vor. Anm. und 
655, 2 aus Stobäus angeführten Definitionen der εἱμαρμένη der λόγος ohne 
Zweifel nur der stoischen Terminologie an; bei CLemexs Strom. V, 599 C 
ohnedem (s. u. S. 672, 1) findet sich der διοιχὼν λόγος χαὶ ϑεὸς nicht, wie 
LassaLLe II, 60 meint, in dem Citat aus Her., sondern in der stoisirenden 
Erläuterung der heraklitischen Worte, welche an sich selbst sehr ungenau 
ist, und von Clemens durch das duyausı γὰρ λέγεε („der Sinn seines Aus- 
spruchs ist“) ausdrücklich als eigene Zuthat bezeichnet wird. Auch bei 
M. Auszı. IV, 46 (s. 8.631 m.) ist es zunächst nur der Stoiker, welcher den 
Worten: ᾧ μάλιστα διηνεχῶς ὁμιλοῦσι λόγῳ beifügt: τῷ τὰ ὅλα διοιχοῦντι, 
ursprünglich bezeichnen dieselben schwerlich mehr, als das parallel stehende: 
οἷς xa9' ἡμέραν ἐγκυροῦσι, das, was den Menschen beständig vor Augen 
kommt. Die aus Hırror. IX, 9 Anf. von BywaAter zu Fr. 1 angeführten 
Worte gehören gleichfalls nicht, wie PrLeIperer S. 98 annimmt, Heraklit, 
sondern Hippolytus an. Wenn endlich Lassarıe II, 63 in dem Ά. 689, 1 
zu besprechenden Fr. 23 die Präexistenz des Logos zu entdecken glaubte, 
werden wir vielmehr finden, dass λόγος hier nichts weiter heisst, als „Ver- 
hältniss“. Alles zusammengenommen ergibt sich, dass Her. das Walten der 
Vernunft in der Welt zwar gelehrt, und diese Weltvernunft auch wohl als 
den Logos bezeichnet hat, dass aber der Begriff des Logos bei ihm noch lange 
nicht so bedeutend hervortritt, wie bei den Stoikern. LassaLLeE’s Dar- 


670 Heraklit. [609} 


fern sie die endlose Reihe der | Weltzeiten und der in ihnen 
sich ablösenden Zustände hervorbringt, der Aeon!); alle diese 
Begriffe bezeichnen nämlich bei Heraklit Ein und dasselbe 3), 
und die weltbildende Kraft als thätiges Subjekt wird hiebei 
von der Welt und der Weltordnung nicht unterschieden?), 


stellung (I, 322 ff. 363 ff. u. δ.) bedarf hier wesentlicher Einschränkung; 
seine Vermuthungen über den Zusammenhang dieser Lehre mit dem zoro- 
astrischen Dogma vom Schöpfungs- und Gesetzeswort finden in Her.'s Aus- 
sprüchen (wie auch Heınze 5. 56 anerkennt) keinen Anhalt, da diese zu 
ihrer Erklärung nichts voraussetzt, was über den griechischen Sprach- 
gebrauch und Vorstellungskreis hinauswiese. 

3) Ausser dem, was in dieser Beziehung 8. 642, 1. 655, 3. 664, 1 an- 
geführt ist, vgl. Fr. 65 Crxx. Strom. V, 604 A: ἕν τὸ σοφὸν μοῦνον λέγε- 
σϑαε οὐχ ἐϑέλει καὶ ἐθέλεε Ζηνὸς οὔνομα. Auf die Erklärung dieser 
Worte bei Bernays I, 88 f. Scuuster 945. Gomrerz 1005 (8. ο. 668, 1) 
u. a. kann ich hier nicht eintreten; mir scheint die beste Erklärung die zu 
sein: „Eines, das allein Weise, will nicht und will auch mit dem Namen 
des Zeus benannt werden.“ Es will damit benannt sein, weil es in Wahr- 
heit das ist, was man unter jenem Namen verehrt; es will aber auch nicht 
damit benannt sein, weil sich mit diesem Namen anthropomorphistische 
Vorstellungen verbinden, die auf jenes Urwesen nicht passen, weil er eine 
unzureichende Bezeichnung ist. Dass die Form Ζηνὸς statt “εὸς gewählt 
ist, um auf die Ableitung von ζῇ» hinzudeuten, ist mir mit andern wahr- 
scheinlich; doch lege ich kein grosses Gewicht darauf. Ueber LAssALLE’s 
(1, 26 4) und Prteiverer’s (95, 1) Deutungen urtheile ich wie Gomrerz 1083. 
Auch Cron’s Erklärung (Philol. N. F. I, 210—222), nach der Her. hier 
gegen Xenophanes bemerkte, das Weise wolle nicht blos das Eine, es wolle 
auch Zeus (Lebensquell) genannt werden, empfiehlt sich mir weder von Seiten 
der Sprache noch des Sinnes. 

1) M. vgl. über diesen die 8. 642, 1 angeführten Stellen. Was Her. 
hier über den Aeon sagt, gab vielleicht Aenesidemus (oder Sextus) Anlass, 
die Th. III b, 80 f. besprochene Behauptung, dass die Zeit mit dem πρῶτον 
σῶμα zusammenfalle, für heraklitisch zu halten. 

2) So heisst z. B. der πόλεμος bald Zeus, bald Dike, und der Aeon 
wird durch Ζεὺς und δημεουργὸς erklärt. 

3) Die neueren Bearbeiter der heraklitischen Philosophie sind nicht 
ganz einig darüber, wie sich Her. die in der Welt waltende Vernunft vor- 
stellte. Während er sie sich nach Berxays I, 82 fi. als bewusste Intelli- 
genz dachte, sieht Lassarre (I, 325. 885 ff. u. δ.) in ihr nur das objektive 
Vernunftgesetz; und zu einem Ähnlichen Ergebniss kommt Heınze (die 
Lehre vom Logos 28 fi.) unter Zustimmung von Peırzrs (Die Erkenntniss- 
theorie Plato’s I,8f.. TeıcnmÜrter endlich (I, 181 ff; umsichtiger II, 286 f.), 
von beiden Theilen abweichend, ist der Ansicht, das Selbstbewusstsein sei 
zwar von H.'s weltregierender Weisheit nicht zu trennen; aber der Philosoph 
habe nicht allein, wie ich annehme, zwischen der subjektiven und objek- 


[609. 610] 88 Urwesen. 671 


Dieselbe Kraft fällt aber auch mit | dem Urstoff der Welt zu- 


tiven Vernunft noch nicht unterschieden, sondern er lasse auch diese Ver- 
nunft einem Wechsel von Schlaf und Wachen, schwächerer und stärkerer 
Aktualität unterliegen; an eine Persönlichkeit derselben denke er überhaupt 
nicht. Dieser letztere Satz will sich nun freilich mit dem Selbstbewusst- 
sein, welches T. Heraklit’s weltregierender Weisheit zuerkennt, nicht ver- 
tragen; denn wo Selbstbewusstsein ist, da ist auch Persönlichkeit, mag nun 
dieses Wort gebraucht werden, oder nicht, und mag man sich die Be- 
stimmungen, welche zum Begriff der Persönlichkeit gehören, mehr oder 
weniger klar gemacht haben. Ebenso fehlt es für die Annahme, dass Her. 
das Selbstbewusstsein des göttlichen Logos bald erlöschen bald wieder auf- 
leben lasse, an jedem Beweis; denn aus der Analogie der wechselnden 
Weltzustände folgt diess für Heraklit so wenig, wie für die Stoiker; wenn 
er sich vielmehr die göttliche Weisheit überhaupt als ein selbstbewusstes 
Denken gedacht hat, so muss er auch angenommen haben; sie sei diess 
immer, da er sie ja als das ἀείζωον (s. o. 645, 1), das un δῦνον (649, 2), 
die alles beherrschende Macht beschreibt, die auch im jetzigen Weltzustand 
trotz der theilweisen Umwandlung des Urfeuers in andere Stoffe nicht er- 
loschen ist. Dass aber der Philosoph die weltregierende Weisheit als 
selbstbewusste bestimmte, könnte man nur dann einfach behaupten oder 
leugnen, wenn man sicher wüsste, ob er sich die Frage, wie es sich damit 
verhalte, überhaupt schon vorgelegt hat. Allein diess ist höchst unwahr- 
scheinlich. Er spricht wohl von der Einsicht, die alles regiere, von der 
göttlichen Weisheit (s. o. 667, 1), von dem μὴ düvov, dem nichts verborgen 
sei; er sagt in dem 8. 667, 3 besprochenen Fr. 1: ἕν πάντα εἰδέναε; und statt 
εἰδέναι hier (mit der Oxforder Hippolytusausgabe, LassırLe I, 393, Heinze 
S. 28 f. Bywater u. a.) εἶναι zu setzen, sind wir, so möglich die Sache 
auch wäre, doch um so weniger genöthigt, da mit dem εἰδέναι nicht mehr 
gesagt ist, als mit den übrigen, so eben besprochenen Aeusserungen und 
dem ἔν ooy0» Fr. 65 (S. 669, 3), Aher so gewiss diese aus dem mensch- 
lichen Selbstbewusstsein geschöpften Begriffe implicite das Merkmal des per- 
sönlichen, selbstbewussten Denkens enthalten, so lässt sich doch (was auch 
Taxnery einwenden mag, Sci. Hell. 187) nicht annehmen, dass Her. dieses 
sich deutlich gemacht, dass er sich ausdrücklich gesagt hat, die welt- 
regierende Vernunft müsse als Ich gedacht werden; denn wenn er sich diess 
gesagt hätte, hätte er sie unmöglich zugleich als den Stoff betrachten können, 
durch dessen Umwandlung alle Dinge entstehen. Auch in der Folge ist 
ja aber die Frage über die Persönlichkeit des Urwesens in der alten Philo- 
sophie, welche nicht einmal ein Wort für „Persönlichkeit“ hat, in dieser 
Fassung überhaupt nicht, in anderer erst durch Karneades und Plotin zur 
Sprache gebracht worden, und es wird desshalb (vgl. 5. 259 ἢ, 890, 3* Th. Π 
a, 716. 787) nicht selten solchen Wesen, die wir uns unmöglich als Per- 
sönlichkeit vorstellen könnten, Denken, Wissen, Vernunft u. s. f. beigelegt. 
Nicht anders macht es auch Her. Er erkennt in der Welt eine Vernunft, 
die alles leitet und durchdringt, und er gibt ihr Prädikate, die wir nur 
einem persönlichen Wesen geben würden; aber es fehlt ihm nicht allein der 
Philos. d. Gr. I. Bd. 5. Aufl. 43 


672 Heraklit. [610. 611] 


sammen, die Gottheit oder das Weltgesetz ist von dem Urfeuer 
nicht verschieden !), das Urwesen | bildet alles aus sich selbst, 
durch seine eigene Kraft, nach dem ihm innewohnenden Ge- 
setz. Die Weltansicht unseres Philosophen ist daher der aus- 
gesprochenste Pantheismus?): das göttliche Wesen geht durch 
die Nothwendigkeit seiner Natur unablässig in die wechseln- 
den Formen des Endlichen über, und das Endliche hat seinen 
Bestand nur an dem Göttlichen, das in ungetheilter Einheit 
Stoff, Ursache und Gesetz der Welt ist. 


bestimmtere Begriff der Persönlichkeit, sondern selbst die Unterscheidung 
der Vernunft vom Stoffe. Erst Anaxagoras hat diese beiden bestimmt und 
grundsätzlich getrennt, und auf diese Trennung bezieht sich die bekannte Aus- 
sage des ArıstoTELxs (Metaph. I, 3. 984 b 15), dans er zuerst in dem γοῦς 
den Grund der Naturordnung erkannt habe, welche daher (wie TeichMÜLLER 
I, 189 f. gegen Hemze a. a. O. 35 f. richtig bemerkt) nicht zum Beweis 
dafür dienen kann, dass Her. der Gottheit kein Wissen beigelegt hat. Wie 
bei dieser Aussage der Gott des Xenophanes desshalb nicht berücksichtigt 
ist, weil er nicht als Prineip der Naturerklärung (afrıog τοῦ χύσμου) auf- 
tritt, so bleibt die γνώμη Heraklit's unberücksichtigt, weil sie nicht als 
selbständiges Princip dem Stoff gegenübertritt. 

1) M. 5. ο. 8. 646, 1. 2. 656, 2. Creuens Coh. 42 C: τὸ πῦρ ϑεὸν 
ὑπειλήφατον Ἵππασος .. καὶ .. Ἡράχλ. Hırror. IX, 10: λέγει δὲ καὶ 
φρόνιμον τοῦτο εἶναι τὸ πῦρ καὶ τῆς διοικήσεως τῶν ὅλων αἴτιον" 
χαλεὶ δὲ αὐτὸ χρησμοσύνην καὶ χόρον᾽' χρησμοσύνη δέ ἐστεν ἡ διαχόσ- 
μηῆσις κατ᾽ αὐτὸν, ἡ δὲ ἐχπύρωσις xopos. ϑεχτ. Math. VII, 127 (8. 8. 
644, 5*): Her. halte das περιέχον für vernünftig, und lasse den ϑεῖος λόγος 
durch den Athem in den Menschen eintreten. Wegen dieser Identität des 
Feuers mit der Gottheit heisst der Süden, als der Ausgangspunkt des 
Lichts und der Wärme, das Gebiet des hellen Zeus, Fr. 30 Straso I, 3, 6. 
8. 3: ἠοῦς γὰρ καὶ ἑσπέρας τέρματα ἡ ἄρχτος, χαὶ ἀντίον τῆς ἄρχτου 
οὖρος αἰϑρέου “Ζεός. Eine genauere Erklärung dieser Worte weiss ich aber 
nicht zu geben: wenn Schuster 257 f. (und ebenso Mour Herakl. Stud. 22) 
bei dem οὖρος αἰϑρίου Διὸς an den Südpol denkt, so bestreitet Tzıca- 
MÜLLER I. 14 ff. mit Recht, dass wir diese Vorstellung bei Heraklit suchen 
dürfen; er selbst glaubt, mit dem οὖρος sei der Arktur gemeint, aber οὖρος 
αἴϑρ. A. kann nicht „den der Bärin von Zeus gesetzten Wächter“ be- 
zeichnen (von dem Wächter der Bärin steht ja darin nichts, und was 
sollte dabei das αἰϑρίέου ὃ), und inwiefern der Arktur als der Bärin gegenüber- 
stehend und als die eine von den Grenzmarken zwischen Morgen und Abend 
aufgeführt werden konnte, ist mir gleichfalls nicht klar geworden. Am 
Ende wollen die Worte, so bombastisch sie lauten, doch nur besagen, 
zwischen Ost und West liege Nord und Süd, und der οὐρ. αἴϑρ. A. be- 
deutet nichts weiter als: die Region des Lichtes. 

2) In diesem pantheistischen Sinn werden wir wohl auch das zu ver- 


[611. 612] Weltbildung. Elemente. 673 


2. Die Kosmologie. 

Fragen wir nun weiter, wie bei der Entstehung unserer 
Welt der Uebergang des Urwesens in die abgeleiteten Wesen 
sich vollzog, so soll Heraklit angenommen haben, dass das 
Feuer von der weltschöpferischen göttlichen Vernunft erst in 
Luft, dann in die Feuchtigkeit verwandelt werde, welche 
gleichsam der Samen der Welt sei; aus dieser entstehe dann 
die Erde und der Himmel und alles, was sie umschliessen!). 
Nun lässt | sich freilich in dieser Darstellung der Einfluss der 
stoischen Physik nicht verkennen, welche gerade desshalb, 
weil sie eine blosse Wiederholung und Erläuterung der hera- 
klitischen sein wollte, die Auffassung der letzteren bei den 
jüngeren Gelehrten so vielfach bestimmt und getrübt hat?). 
So viel wird aber doch immer als heraklitisch festzuhalten 
sein, dass bei der Weltbildung®) das Urfeuer sich zuerst in 


stehen haben, was Arıst. part. an. I, 5. 645 a 16 erzählt, dass Heraklit 
Fremden, die ihm in seiner Küche ihren Besuch zu machen Bedenken trugen, 
zugerufen habe, εἰςιέναε ϑαῤῥοῦντας, elvas γὰρ καὶ ἐνταῦϑα ϑεούς. Vgl. 
Dıoe. IX, 7: πάντα ψυχῶν εἶναι χαὶ δαιμόνων πλήρη. 

1) Creuens Strom. V, 599 D: Dass Her. die Welt für ungeworden 
hielt, zeige Fr.20 (5. 645, 1); dass aber auch für geworden, μηνύει τὰ ἐπε- 
φερόμενα (Fr. 21): πυρὸς τροπαὶ πρῶτον ϑάλασσα᾽ ϑαλάσσης δὲ τὸ μὲν 
ἥμισυ γῆ τὸ δὲ ἥμισυ πρηστήρ.“ δυνάμει γὰρ λέγεε (hierüber S. 668 m.), 
ὅτε πὺρ ὑπὸ τοῦ διοιχοῦντος λόγου χαὶ ϑεοῦ τὰ σύμπαντα δὲ ἀέρος 
τρέπεται εἰς ὑγρὸν τὸ ὡς σπέρμα τῆς διαχοσμήσεως, ὃ χαλεῖ ϑάλασσαν, 
ἐχ δὲ τούτου αὖϑις γίνεται γῆ χαὶ οὐρανὸς καὶ τὰ ἐμπεριεχόμενα. Ueber 
den πρηστὴρ 8. m. 8. 647, 1. 

2) Der stoischen Lehre und Ausdrucksweise gehört in Clemens’ Er- 
läuterung der heraklitischen Worte ausser dem λόγος xal ϑεὸς τὰ σύμ- 
nayra διοιχῶν (worüber 8. 668 m.) und dem σπέρμα τῆς διαχοσμήσεως 
auch der Zusatz: δε ἀέρος an, welcher in stoischen Darstellungen ganz 
stehend vorkommt, und durch die stoische Lehre von den Elementen ge- 
fordert war (vgl. Th. III a, 149, 2. 5. 183, 1), während er in Heraklit’s 
Ausspruch keinen Anhaltspunkt hat, und seinen Annahmen über den Ueber- 
gang der Stoffe in einander, wie sogleich gezeigt werden wird, widerstreitet. 
Auch bei den Stoikern weist in der Formel: τροπὴ πυρὸς di ἀέρος εἰς 
ὕϑωρ das δ ἀέρος, das ganz wie ein Einschiebsel aussieht, auf die Be- 
nützung einer älteren Darstellung hin, in welcher nur vom Uebergang des 
Feuers in Wasser gesprochen wurde, wie in dem 21. Fragment Heraklit's. 

3) Dass nämlich Fr. 21 von der Entstehung der Welt aus dem Urfeuer, 
nicht, wie man seit SCHLEIEBMACHER annahm, von dem Kreislauf der Ele- 

43* 


674 Heraklit. [612. 613] 


Wasser, oder „Meer“, verwandeln und aus diesem in Folge 
einer zweiten, nach entgegengesetzten Richtungen verlaufenden 
Umwandlung einerseits das Feste, die Erde, andererseits das 
Warme und Flüchtige, der Gluthwind, hervorgehen sollte'), 
eine Annahme, | mit der Heraklit zu der Lehre des Thales 
in ein ähnliches Verhältniss tritt, wie Anaximander?), der- 
jenige unter den älteren Joniern, an den er sich überhaupt am 
engsten anschliesst. Etwas genaueres wird uns aber über seine 
Vorstellung von der Weltbildung nicht mitgetheilt. 

Die gleichen drei Formen, welche das Urwesen bei der 
Weltbildung annimmt, betrachtete unser Philosoph auch wäh- 
rend des gegenwärtigen Weltzustandes als die Grenzpunkte, 
zwischen denen der Wechsel der Stoffe, der Kreislauf des 
Werdens und Vergehens sich bewege. Er bezeichnete die 
Veränderung, wie DioGEnES sagt°®), als den Weg nach oben 
und unten, und liess auf diesem Wege die Welt entstehen. 
Das Feuer sollte sich nämlich durch Verdichtung in Wasser 


mente in der Welt handle, muss ich Schuster (8. 148 f.) zugeben. Denn 
wir haben keinen Grund, der Aussage des Clemens zu misstrauen, nach 
dem es sich auf die Weltbildung bezog und im Zusammenhang mit Fr. 20 
(oben 647, 1) stand (doch liegt ein „unmittelbarer“ Anschluss an Fr. 20 
in dem ἐπεφερόμενα nicht). Auch die Placita wissen (8. S. 652 unt.) von einer 
heraklitischen Beschreibung der Weltbildung, so verkehrt sie auch darüber 
berichten, wenn sie durch Ausscheidung der gröbsten Theile aus dem Feuer 
zuerst die Erde, aus dieser das Wasser und aus ihm die Luft entstehen 
lassen. Für den zweiten Theil dieser Darstellung ist die stoische Elementen- 
lehre (Th. III a, 183, 1) massgebend; dass dagegen die Erde unmittelbar 
aus dem Feuer hervorgehen soll, widerspricht auch ihr. 

1) Das heisst aber nicht: die eine Hälfte des Meers solle Erde, die 
andere Feuer werden, so dass gar nichts von ihm übrig bliebe; sondern 
die Worte: ϑαλάσσης δὲ u. s. w. besagen nur: das Meer schliesse (poten- 
tiell) Erde und Feuer zu gleichen Theilen in sich, so dass beide gleichsehr 
aus ihm werden können. Vgl. TEıchmÜürLLer I, 54 ἢ 

2) Ueber ihn S. 220 f., über Xenophanes’ verwandte Ansicht 8. 542 f. 

8) IX, 8, nach dem 8. 641, 1* angeführten: χαὶ τὴν μεταβολὴν ὁδὸν 
ἄγω χάτω τόν TE χόσμον yYlyeodas χατὰ ταύτην. πυκχνούμεγον γὰρ τὸ 
πῦρ ἐξυγραίνεσϑαε συνιστάμενόν τε γίνεσθαι ὕδωρ, πηγνύμενον δὲ τὸ 
ὕδωρ εἰς γῆν τρέπεσϑαε᾽ καὶ ταύτην ὁδὸν ἐπὶ τὸ χάτω εἶναι λέγει. πάλιν 
τ' αὐτὴν [1. αὖ] τὴν γῆν χεῖσθαι ἐξ ἧς τὸ ὕδωρ γίνεσϑαι, ἐκ δὲ τούτου 
τὰ λοιπὰ, σχεδὸν πάντα ἐπὶ τὴν ἀναϑυμίασιν ἀνάγων τὴν ἀπὸ τῆς 8ϑα- 
λάττης. αὕτη δ᾽ ἐστὶν ἡ ἐπὶ τὸ ἄνω ὁδός. γίνεσθαι δ' ἀναϑυμεάσεις 
u. 5. w. (8. 676, 2). 


[618. 614] Die Elemente. 675 


und dieses in Erde verwandeln; die Erde ihrerseits wieder 
flüssig werden und sich in Wasser auflösen, von dessen Aus- 
dünstung so ziemlich alles weitere hergeleitet wurde. Jenes 
nannte er den Weg nach unten, dieses den Weg nach oben. 
Diese Darstellung lässt sich nicht!) wie das Bruchstück bei 
Clemens auf die Weltbildung, sondern nur auf die Umwand- 
lung der Stoffe in der jetzigen Welt beziehen?). Nur an diese 
denkt auch schon PLATo | bei dem Weg nach oben und unten?), 
und ebenso die Späteren, welche sich über den Sinn dieses 


1) Mit Scuuster 155 f. 148. 

2) Schuster glaubt zwar, aus dem Zusammenhang erhelle, dass auch 
hier von der Weltbildung die Rede sei. Allein seine Bemerkungen über 
H.’s Lehre von der Weltentstehung und Weltverbrennung hat Diog. mit den 
vorangehenden Worten (S. 640, 14. 641, 1*) vollständig abgeschlossen: mit χαὶ 
τ. ueraß. geht er zu einem neuen Punkt über. Ebensowenig folgt aus den 
Worten: τὸν χόσμον γίγνεσϑαι χατὰ ταύτην. 1) nämlich ist das x. ταύτην 
nicht blos auf die ὁδὸς χάτω, sondern auf die ἑδὸς ἄνω χάτω zu beziehen, 
denn nur von diesem Weg, als einem einzigen, nicht von zwei Wegen, 
einer ὁδὸς ἄνω und einer ὁδὸς xarw, war im vorhergehenden die Rede; 
nach Schuster dagegen soll nur das über die ὁδὸς χάτω gesagte (πυχνούμ. 
— λέγει) von der Weltbildung, das folgende von der Weltzerstörung 
handeln. 2) weist der ausnahmslose Gebrauch der Präsensformen y/veodaı, 
ἐξυγραίνεσϑαε u. 8. f. entschieden darauf hin, dass hier nicht von etwas ehe- 
dem geschebenem, sondern von einem noch fortdauernden Geschehen ge- 
sprochen wird. 3) wäre die Weltentstehung in den Worten, die Sch. darauf 
deutet, sehr ungenügend beschrieben, da ja die Bildung des Himmels (wor- 
über S. 672, 1) übergangen wäre. 4) kann in den Worten zalır τ᾽ αὖ τὴν 
γῆν u. s. w. unmöglich eine Beschreibung der ἐχπύρωσες gefunden werden, 
da es ja heisst: aus dem Wasser werde das übrige, was fast alles aus der 
Ausdünstung der Erde und des Wassers erklärt werde. Sch. will daher 
lesen: 2x δὲ τούτου τὸ πῦρ; ra λοιπὰ σχεδὸν u. 8. w. Allein diese 
Textesänderung wäre nur dann zulässig, wenn der überlieferte Text keinen 
annehmbaren Sinn gäbe. Er gibt aber einen ganz guten, nur nicht den, 
welchen Sch. darin sucht; während umgekehrt bei der von ihm vor- 
geschlagenen Aenderung für den einfachen Gedanken: aus dem Wasser ent- 
stehe das Feuer durch Verdunstung des Wassers, der verschrobene und 
unverständliche Ausdruck gebraucht wäre: τὰ λοιπὰ σχεδὸν navıa u. 8. w. 
Was sollte denn mit den Aoına πάντα gemeint sein? Das Feuer ist ja 
das einzige, was bei der Weltverbrennung noch aus dem Wasser entsteht. 

3) Phileb. 43 A: Die Weisen behaupten, unser Leib könne nie im 
Zustand der Ruhe sein, ἀεὶ γὰρ ἅπαντα ἄνω τε χαὶ xarw dei. Um die 
Weltentstehung und Weltzerstörung handelt es sich hier nicht, sondern 
lediglich um die Veränderung der Dinge in der Welt. 


676 Heraklit. [614. 615] 


Ausdrucks erklären, ohne Ausnahme!). Wir haben aber über- 
diess von Heraklit selbst eine Aeusserung über den Kreislauf 
des Stoffes und die Hauptformen, die er in demselben an- 
nimmt, welche mit der Angabe des Diogenes vollkommen über- 
einstimmt. „Für die Seelen, sagt er, ist es Tod, Wasser zu 
werden, für das Wasser, Erde zu werden; aus der Erde aber 
wird Wasser, aus dem Wasser wird Seele“ 3. Wenn ScHUsSTER 
diesen Satz nur auf die lebenden Wesen beziehen | will, deren 
Seele sich aus den wässrigen Bestandtheilen ihres Leibes ebenso 
fortwährend neu bilde und wieder in sie auflöse, wie diese 
aus den erdigen und in dieselben®), so widerstreitet diese Deu- 
tung der übereinstimmenden Aussage unserer Zeugen), der 
wir zu misstrauen um so weniger Anlass haben, da wir auch 
durch ARISTOTELEs erfahren, dass Heraklit das Feuer, welches 
den Stoff aller Dinge bildet, als Seele bezeichnet hatte®). Wir 
haben daher allen Grund, an der Ansicht festzuhalten, Hera- 
klit betrachte das Feuer, das Wasser und die Erde als die 
Grundformen, welche der Stoff in seiner Umwandlung durch- 
laufe; und wenn ein Theil der jüngeren Schriftsteller die vier 
Elemente hier einschwärzt, indem die „Seele“ Heraklit’s von 
der Luft gedeutet, oder diese zwischen Feuer und Wasser 
eingeschoben wird ®), so kann diess Heraklit’s bestimmter Er- 


1) So Ps.-PuıLo stern. m. 261, 2 fi. Bern. (958 A): ra orosyeia τοῦ 
κόσμου... δολιχεύοντα (einen δόλεχος, eine in sich zurückkehrende 
Bahn durchlaufend) ἀεὶ χαὶ τὴν αὐτὴν ὁδὸν ἄνω χαὶ χαάτω συνεχὼς ἀμεί- 
βοντα, wie diess Her. (s. folg. Anm.) ausspreche. Max. ΤΎΒ. 41, 4: μετα- 
βολὴν ὁρᾷς σωμάτων καὶ γενέσεως, ἀλλαγὴν ὁδῶν ἄνω χαὶ κάτω χατὰ 
τὸν ᾿Ηῃράκχλειτον. 

2) Fr. 68, oben 8. 648, 1. 

8) A. a. Ο. 268 ἢ, 157. 168. 

4) PuıLo a. a. O. 261, 10 führt unsere Stelle als Beweis für seine Be- 
merkung über den Kreislauf der Elemente (8. Anm. 1) an, und CLEMEns 
Strom. VI, 624 A glaubt, Her. ahme darin orphische Verse nach, die er 
anführt, die aber in Wahrheit (wie auch Dies Arch. f. Gesch. ἃ. Phil. II, 
91 ἢ. zeigt) vielmehr ihrerseits den heraklitischen Ausspruch nachahmen, 
wenn sie ausführen: aus der Ψυχὴ werde Wasser, aus diesem Erde und um- 
gekehrt. Ebendahin gehören die Anm. 6 angeführten Schriftsteller, sofern 
sie doch gleichfalls unsern Ausspruch allgemein auf die Elemente beziehen. 

5) Vgl. 8. 646, 3. 648, 1. 

6) So Pur. De Ei c. 18, 8. 392, wenn er den eben angeführten Aus- 
spruch Fr. 68 so wiedergibt: πυρὸς ϑάνατος ἀέρε γένεσις χαὶ ἀέρος ϑάνα- 


[615. 616] Die Elemente. 677 


klärung gegenüber um so weniger in Betracht kommen, da 
die allgemeine Neigung jener Zeit zur Umdeutung der alten 
Philosophen in diesem Fall, wie bemerkt, noch besonders 
durch die stoischen Ausleger begünstigt wurde, die ihre Vor- 
stellungsweise bei Heraklit wiederzufinden nicht umhin konn- 
ten!). Aus demselben | Grunde dürfen wir darauf kein Ge- 
wicht legen, dass einzelne von den späteren Darstellungen von 
einem unmittelbaren Uebergang des Feuers in die Erde?) oder 
der Erde in Feuer reden?®). | Auch den Begriff des Elements 


τος üdars γένεσις, PuıLo a. a. O., wenn er ihn erläutert: ψυχὴν γὰρ ol- 
ὁμένος εἶναι τὸ πνεῖμα τὴν μὲν ἀέρος τελευτὴν γένεσιν ὕδατος τὴν δ᾽ ὕδα- 
τος γῆς πάλεν γένεσιν αἰνίττεται. Max. Tre. 41, 4 Schl. 8.285 R.: ζῇ πῦρ 
τὸν γῆς ϑάνατον, χαὶ ἀὴρ ζὴ τὸν πυρὸς ϑώνατον᾽ ὕδωρ ζὴ τὸν ἀέρος 
ϑάνατον, γῆ τὸν ὕϑατος (was aber Heraklit nicht mehr ausdrücklich 
beigelegt ist). Plac. I, 3, s. 8. 652 u. 

1) Scuuster 157 f. glaubt zwar, unter theilweiser Zustimmung TeıcaH- 
sÜLLer’s (I, 62 ff), Heraklit habe in seiner Lehre von den Elementen 
auch die Luft nicht vergessen. Es scheint mir jedoch nicht, dass der Be- 
weis dafür erbracht sei. Her. wird ja wohl auch bei Gelegenheit von der 
Luft gesprochen haben (wie ich es 8. 668, 1 für Fr. 36 vermuthe); aber 
daraus folgt nicht, dass er sie unter den Grundformen des Stoffes, dem, was 
wir seine Elemente nennen können, aufführte. So gut Anaxagoras und noch 
Demokrit in der Luft, trotz Anaximenes, ein Gemenge verschiedenartiger 
Stoffe sahen (s. u. 897, 4*. 1864), kann auch Her. darin etwas zwischen 
Wasser und Feuer in der Mitte stehendes, eine Uebergangsform oder eine 
Reihe solcher Uebergangsformen gesehen haben. Dass Plutarch in der 
vor. Anm. besprochenen Stelle die Luft in Heraklit's Ausspruch ein- 
schiebt, kann gegen den klaren Wortlaut des letzteren unmöglich etwas 
beweisen, und wenn Aenesidemus statt des Feuers die Luft für Heraklit’s 
Urwesen hielt (s. Th. 1II b, 30), so kann man sich diess, wie a. a. O. ge- 
zeigt ist, auch ohne die Annahme, dass Her. der Luft eine ähnliche Rolle 
zugetheilt habe, wie der Erde, dem Wasser und dem Feuer, vollkommen er- 
klären ; zum Beweis für die Richtigkeit dieser Annahme kann Aenesidem’s 
Auffassung des heraklitischen Urstofis, die jedenfalls eine missverständliche 
ist, nicht gebraucht werden. 

2) Prur. Plac. a. a. O. 

8) Max. Tre. vgl. 8. 676, 6. In demselben Sinn könnte man auch 
Dıos. IX, 9 auffassen: ylvsodaı ἀναϑυμιάσεις ano τε γῆς καὶ ϑαλάττης, 
ἃς μὲν λαμπρὰς καὶ χαϑαρὰς, ἃς δὲ σχοτεινάς" αὔξεσθαι δὲ τὸ μὲν πῦρ 
ὑπὸ τῶν λαμπρῶν, τὸ δὲ ὑγρὸν ὑπὸ τῶν ἑτέρων. Doch ist diess nicht 
nothwendig. Denn wenn auch LassaLLx’s (II, 99) Annahme, dass aus dem 
Meer nur die reinen Dünste aufsteigen sollten, aus der Erde nur die dunkeln 
und nebligen, ebenso, wie der umgekehrten, dass die reinen und hellen aus 
der Erde kommen, die dunkeln aus dem Meer, nach TeicumürLLer's (I, 57) 


678 Heraklit. [617] 


im empedokleischen oder im aristotelischen Sinn darf man bei 
Heraklit nicht suchen’); das ist aber allerdings seine Meinung, 
dass die obengenannten drei Stoffe die ersten Erscheinungen 
des Urstoffs in seiner Umwandlung, diejenigen Körper seien, 
auf welche alle andern sich zurückführen lassen, und welche 
in der angegebenen Ordnung aus einander hervorgehen ?); und 
dass dieser Stufengang nach | beiden Seiten hin gleichmässig 


richtiger Bemerkung, der Umstand entgegensteht, dass die von der Erde 
und die vom Meer aufsteigendeu Nebel gleich trübe sind, und wenn es dess- 
halb richtiger scheint, von beiden, der Erde und dem Meer, sowohl helle 
als dunkle Dünste aufsteigen zu lassen, so redet doch Diog. 1) nicht davon, 
dass die Erde, als dieser elementarische Körper, sich in feurige Dünste ver- 
wandle, sondern yn bezeichnet hier das Land im Unterschied vom Meer, 
mit Einschluss des Wassers in den Seen, Flüssen, Sümpfen und dem vom 
Regen befeuchteten Boden; und 2) fragt es sich, ob die hellen und dunkeln 
Dünste gleichzeitig neben einander aufsteigen, und nicht vielmehr alle zu- 
erst dunkel und feucht sein sollten, um sich erst später in helle zu ver- 
wandeln. Die dunkeln würden dann den Wolken, die hellen den Sternen 
und dem lichten Himmel zur Nahrung dienen. Für einen unmittelbaren 
Uebergang der Erde in Feuer macht ScHLEIERMAcHER 8, 49 ff. zwar geltend, 
dass Aristoteles, dessen Meteorologie wesentlich abhängig von Heraklit zu 
sein scheine, neben der feuchten auch von einer trockenen Ausdünstung, 
also einem unmittelbaren Feuerwerden der Erde rede; aber jene Abhängig- 
keit des Aristoteles von Heraklit ist weder überhaupt, noch an diesem 
besonderen Punkte, irgend wahrscheinlich zu machen. Wenn vollends 
IvELeR z. Arist. Meteorol. I, 351 vermuthet, Heraklit möge die Lehre von 
der doppelten Ausdünstung aus den orphischen Gedichten entlehnt haben, 
so liegt dazu nicht der entfernteste Grund vor; was wenigstens PLato Krat. 
402 B. CLesens Strom. VL, 629 sagt, kann man nicht dafür anführen. 

1) Empedokles versteht unter seinen sog. Elementen (er selbst kennt 
diese Bezeichnung bekanntlich noch nicht) unveränderliche Grundstoffe, die 
als solche nicht in einander übergehen. Aristoteles lässt die seinigen zwar 
in einander übergehen, aber er leitet sie aus keinem ihnen dem Dasein 
nach vorangehenden Stoff her, denn die πρώτη ὕλη hat nie als solche 
existirt, sondern sie ist nur die begriffliche Voraussetzung der Elemente, ihr 
gemeinsames, blos unter diesen vier Formen existirendes Wesen. Heraklit 
dagegen lässt das Feuer zwischen dem Ende jeder Welt und dem Anfang 
der nächsten für sich existiren und erst im Verfolge sich in Wasser und 
Erde umwandeln. 

2) Die Frage aber, ob wohl Her., „wenn er an seinem Herde Holz an- 
zündete, sich immer die Betrachtung gemacht habe, dass sich diese Erde 
erst in Meer und dann wohl auch noch in Prester verwandeln müsse, ehe 
sie in Feuer aufgehen könne?“ (Scuuster 166) hat die Geschichte der 
Philosophie nicht zu beantworten. Er wird wohl auch nicht bei jedem 


[618] Kreislauf der Elemente. 679 


eingehalten werde, drückt er in dem Satz aus: der Weg nach 
oben und nach unten ist derselbe!), Eben dieser Ausspruch 


Blick auf den Kaystros daran gedacht haben, dass diess nicht mehr der 
gleiche Fluss sei, wie vorhin, und nicht bei jedem Trunk Wasser darüber 
gegrübelt haben, ob die Trockenheit seiner Seele nicht dadurch nothleide. 
Uns kann nur die Frage angehen, wie Her. unter seinen Voraussetzungen 
allbekannte Erscheinungen, wie das Verbrennen des Holzes, erklärte? Dass 
aber darüber nichts mitgetheilt wird, gibt uns natürlich kein Recht, jene 
Voraussetzungen selbst zu bezweifeln. Wir wissen allerdings nicht, wie 
Her. das Verbrennen des Holzes erklärt, ja nicht einmal, ob er es zu er- 
klären auch nur versucht hat. Wenn er es aber versuchte, lag ihm die 
Antwort nahe genug. Er brauchte ja das Holz nicht, wie Sch. will, schlecht- 
weg für Erde zu halten; er konnte auch annehmen, dass darin Erde und 
Wasser gemischt seien, dass beim Verbrennen die Erde, soweit sie nicht 
in Wasser übergeht, als Asche zurückbleibe, die übrige nebst dem im Holz 
enthaltenen Wasser sich erst in dunkle, dann in helle Ausdünstung, erst in 
Rauch, dann in Feuer umsetze (das auch nach Taxornrıst De igne Fr. III, 3 
brennender Rauch ist, und nach Arıst. Meteor. II, 2. 355 a 5 manchen 
Physikern — Diogenes; s. o. 8.268 — zufolge sich von Feuchtigkeit nährt), 
and er hatte eine Erklärung, die sich mit dem Augenschein nicht 
schlechter vertrug, als viele andere, und sich an seine sonstigen Annahmen 
bequem anschloss. Oder er konnte die Verbrennung als ein Hervortreten 
des im περιέχον enthaltenen Feuers (hierüber 8. 644* ἢ und eine Ver- 
flüchtigung der verbrennenden Holztheile in’s περιέχον auffassen. Be- 
stimmten Zeugnissen über die wissenschaftlichen Annahmen eines Philo- 
sophen kann man die Unvereinbarkeit gewisser Thatsachen mit diesen An- 
nahmen nie entgegenhalten, so lange man nicht weiss, ob und wie dieser 
Philosoph beide zu vereinigen versucht hat. Oder haben etwa Demokrit 
und Plato das Holz desshalb für unverbrennlich gehalten, weil die Erde 
nach ihrer Annahme nicht in Feuer übergehen kann (8. u. 786, 2! Th. a, 
802, 1)? 

1) Fr. 69 (oben 639, 3. 673, 3. 674, 3. 675, 1) b. Hırror. IX, 10 und vielen 
audern; vgl. Bywater z. d. St. Lassarze I, 128. 173 ff. will den Weg 
nach unten und oben nicht blos auf den Elementarprocess, sondern all- 
gemeiner darauf bezogen wissen, dass die Welt beständiges Ineinanderum- 
schlagen der beiden entgegengesetzten Momente des Sein und Nichts, des 
zur Genesis und Ekpyrosis oder Negation führenden sei. Diess heisst aber 
den dunkeln Philosophen ohne Noth und ohne Grund noch dunkler machen, 
als er schon ist. Es gibt keine einzige Stelle von oder über Heraklit, in 
der wir unter der ὁδὸς ἄνω und x«rw etwas anderes zu verstehen Anlass 
hätten, als den Weg von der Erde zum Feuer und umgekehrt, und auch bei 
Dıoc. IX, 8 ist es nur Lassalle’s unrichtige Uebersetzung, welche in den 
8. 678, 3. 641, 1* angeführten Worten die μεταβολὴ davon erklärt, dass der 
πύλεμος und die ὁμολογία in einander umschlagen (so auch II, 246 und 
mit anderer Wortverbindung II, 137), während Diog. selbst nicht den 


680 Heraklit. [618. 619) 


belehrt uns auch darüber, dass die Substanzveränderung un- 
serem Philosophen zugleich eine Ortsveränderung ist: je mehr 
sich ein Körper der feurigen Beschaffenheit annähert, um so 
höher steigt er, je weiter er sich von ihr | entfernt, um so 
tiefer sinkt er, wie diess ja schon durch die sinnliche Beob- 
achtung nahe gelegt war). 


mindesten Zweifel darüber lässt, was mit der ὁδὸς ἄνω und χάτω gemeint 
ist. Dass aber die Gleichheit der elementarischen Verwandlungsstufen nicht 
mit ὁδὸς uln bezeichnet sein könnte (a. a. O. 173 £.), ist ein seltsamer Ein- 
wurf: der Weg vom Feuer durch das Wasser zur Erde ist doch derselbe, 
wie der von der Erde durch’s Wasser zum Feuer, wenn auch die Rich- 
tung, in der er zurückgelegt wird, dort eine andere ist als hier. 

1) Dass nämlich der Weg nach oben und unten keine Ortsveränderung 
einschliesse, kann ich LassaLLe (II, 241—260) und Braxpıs (Gesch. d. Entw. 
I, 68) nicht zugeben. Was Lassalle für diese Behauptung geltend macht, 
hat wenig Beweiskraft: die Bewegung auf- und abwärts sei eine geradlinige, 
die heraklitische Bewegung die des Kreises (d. h. die Umwandlung der Stoffe 
lasse sich unter dem Bild eines Kreislaufs darstellen); das Meer liege tiefer 
als die Erde (ἃ. h. als das feste Land, aber nicht tiefer ale der Meeres- 
grund), während es bei der örtlichen Auffassung der ὁδὸς «ve höher liegen 
müsste (ein Grund, mit dem man auch beweisen könnte, dass Plsto und 
Aristoteles von den natürlichen Orten der Elemente nichts gewusst haben); 
örtlich genommen sei das Oben und das Unten, der Weg nach oben und 
nach unten nicht identisch (hierüber s. m. vor. Anm. und 8. 639, 3); Plato 
und Aristoteles hätten von der ὁδὸς ἄνω χάτω unmöglich schweigen könuen, 
wenn dieser Ausdruck eigentlich gemeint wäre (und warum nicht? aber 
PLato erwähnt ja Phil. 43 A der Lehre, dass alles beständig ἄνω re χαὶ 
χαάτω dei, und Theät. 181 B sagt er, diese Lehre lasse alles fortwährend 
sowohl seinen Ort als seine Beschaffenheit ändern); Dıoa. IX, 8 f. „spreche 
zunächst von keiner örtlich abgestuften Bewegung“ (hierüber vor. Anm.); 
ARISTOTELES widerspreche Phys. VII, 3 (s. o. 8. 686 m.) der örtlichen 
Auffassung des ἄνω und χάτω ausdrücklich (was er keineswegs thut, er 
müsste denn auch der Annahme, dass Her. eine unablässige Umwandlung 
des Stoffes lehre, „ausdrücklich widersprechen“); OceıLus setze 1, 12 (wo 
von Heraklit weit und breit nicht die Rede ist) die δεέξοδος χατὰ τόπον 
und xara μεταβολὴν sich entgegen. Wie man unter dem ἄγω etwas an- 
deres, als das räumliche Oben, und unter χάτω etwas anderes, als das räum- 
liche Unten verstehen kann, hat Lassalle entfernt nicht gezeigt; von den 
Alten ohnediess, welche Heraklit’s Satz erwähnen, liegt am Tage, dass sie 
ihn sammt und sonders in der bisher üblichen Weise verstanden haben; ja 
Lass. selbst sieht sich II, 251 zu dem Zugeständnies genöthigt, Her. möge 
allerdings die ὁδὸς arm auch für den Elementarprocess gebraucht haben, 
und in diesem finde allerdings eine Ortsveränderung statt. Weil das Feuer 
den oberen Theil der Welt einnimmt, rechnet Stos. ΕΚ]. I, 500 Heraklit zu 


[619. 620] Kreislauf der Elemente. 681 


Die Umwandlung des Stoffes bewegt sich demnach im 
Kreise: nachdem sich seine elementarische Beschaffenheit in 
der Erde am weitesten von seiner Urgestalt entfernt hat, 
kehrt er | durch die frühere Zwischenstufe zu seinem Anfang 
zurück. Die Gleichförmigkeit und die feste Ordnung dieser 
Bewegung ist das einzige, was im Fluss des Weltlebens be- 
harrt. Der Stoff ändert unaufhörlich seine Natur und seinen 
Ort, und in Folge davon bleibt kein Ding seiner stofflichen 
Zusammensetzung nach jemals dasselbe, was es vorher war, 
jedes ist einer fortwährenden Umwandlung, und ebendamit 
auch einem fortwährenden Abfluss seiner stofflichen Theile 
unterworfen, und dieser Abgang muss ebenso unablässig durch 
das Zuströmen anderer, auf dem Wege nach oben oder nach 
unten an seinen Ort und in seine Natur übergehender Theile 
ersetzt werden. Der Schein des beharrlichen Seins kann da- 
her nur daraus entstehen, dass die nach der einen Seite hin 
abgehenden Theile durch Zufluss von der andern in demselben 
Mass ersetzt werden: dem Wasser muss aus Feuer und Erde 
ebensoviel Feuchtigkeit zukommen, als es selbst an Feuer und 
Erde verliert, u. s. w.; das Bleibende im Fluss der Dinge ist 
nicht der Stoff, sondern nur das Verhältniss der Stoffe; die 
Welt als Ganzes wird dieselbe bleiben, so lange die Elemente 
nach demselben Verhältniss in einander übergehen, und jedes 
Einzelding wird es, so lange an diesem bestimmten Ort des 
Weltganzen dieselbe Gleichmässigkeit des Stoffwechsels statt- 
findet!). Jedes Ding ist mithin das, was es ist, nur dadurch, 
dass die entgegengesetzten Strömungen der zu- und abfliessen- 
den Stoffe in dieser bestimmten Richtung und in diesem 


denen, welche den Himmel für πύρενος halten; damit streitet nicht, dass er 
sich nach Dıoc. IX, 9 über die Beschaffenheit des περεέχον nicht ausdrück- 
lich erklärt hatte. 

1) Diese von mir nachdrücklich genug betonte Bedingung lässt Prrxı- 
DERER unbeachtet, wenn er mir 8. 153 f. entgegenhält, Her. nehme doch 
einen wirklichen Wechsel von Entstehen und Vergehen, Zu- und Abnahme 
u. 6. ὦ an. Natürlich nimmt er diesen an; aber die Frage ist ja nur die, 
wie sich mit diesem Wechsel das längere oder kürzere Beharren mancher 
Dinge vertrage. Darauf antworte ich: jenes Beharren sei nach Her. ein 
blos scheinbares, und Prı. widerspricht mir mit der Bemerkung, es sei ganz 
unrichtig, den Wechsel für blossen Schein zu halten! 


682 Heraklit. [620. 621] 


bestimmten Verhältniss in ihm zusammentreffen!). Die Gesetz- 
mässigkeit dieses Hergangs ist es, was Heraklit mit dem 
Namen der Harmonie, der Dike, des Schicksals, der welt- 
regierenden Weisheit u. s. w. bezeichnet, während anderer- 
seits | aus dem Stoffwechsel selbst der Fluss aller Dinge, aus 
dem Gegensatz der Wege nach unten und nach oben das Welt- 
gesetz des Streites hervorgeht. 

Denken wir uns nun diese Ansicht folgerichtig auf alle 
Theile der Welt angewandt, so würde sich ein naturwissen- 
schaftliches System ergeben haben, worin die verschiedenen 
Klassen des Wirklichen ebensoviele Stufen des allgemeinen 
Umwandlungsprocesses ausgefüllt hätten. Indessen war Hera- 
klit aller Wahrscheinlichkeit nach von dem Gedanken an eine 
umfassende Naturbeschreibung weit entfernt, und es ist gewiss 


1) Für diese Auffassung der heraklitischen Lehre kann man allerdings 
Fr. 23 (worüber 8. 689, 1) nicht als direktes Zeugniss benützen, wenn sich 
diese Worte nicht auf die Umwandlung der Elemente in einander, sondern 
auf den Weltuntergang beziehen. Aber nach dem, was sich uns als Hera- 
klit's Ansicht über den Fluss aller Dinge ergeben hat, lässt sich nicht ab- 
sehen, auf welchem anderen Weg er es sich erklärt haben könnte, dass ein- 
zelne Dinge und das Weltganze längere oder kürzere Zeit unverändert fort- 
zudauern scheinen; und dass er selbst diese Folgerung auch gezogen, und 
die vorliegende Frage nicht etwa ganz bei Seite gelassen hat, dafür spricht 
die Angabe des Aristoteles (S. 636 m.), dass sich ihm zufolge alles beständig 
verändere, und wir diess nur nicht wahrnehmen. Denn wenn er einmal auf 
den Widerspruch aufmerksam geworden war, in dem seine Lehre von der 
allgemeinen Veränderung mit den Thatsachen der Wahrnehmung zu stehen 
scheint, musste er sich auch aufgefordert finden, die scheinbar unveränderte 
Fortdauer vieler Dinge zu erklären. Ebendahin führt das Beispiel vom 
Flusse, mit dem er (5. S. 634) jene Lehre erläutert. Die Wassermasse des 
Flusses scheint an einem gegebenen Punkte dieselbe zu bleiben, so lange 
an demselben gleich viel Wasser von oben her zu- und nach unten abfliesst; 
und dass hier keine „Gegenströmung zweier in verschiedener Richtung 
erfolgenden Bewegungen“ stattfindet (BÄum&k£r Problem ἃ. Mat. 26), ist für 
die vorliegende Frage unerheblich: das Wesentliche ist nur, dass ein Ding 
das gleiche zu bleiben scheint, wenn die Wirkung der Veränderung, die es 
nach einer Seite erfährt, durch eine solche nach der andern aufgehoben wird. 
Bei der Verbrennung der Dünste, mit denen nach H. der Sonnennachen ge- 
füllt ist, findet auch keine Gegenströmung statt, sondern nur Uebergang des 
Flüssigen in das Feurige; wir glauben aber doch vom Morgen bis zum 
Abend dieselbe Sonne zu sehen. In diesem Sinn verwendet auch Arısto- 
TBLE8, unter unverkennbarer Berücksichtigung Heraklit's, das Bild vom 
Flusse Meteor. II, 3. 357 b 30 ft. 


[621] Sonne und Gestirne. 683 


nicht blos die Lückenhaftigkeit unserer Kenntniss, sondern 
auch die Unvollständigkeit seiner eigenen Ausführung daran 
schuld, dass uns von dem einzelnen seiner Naturlehre, ausser 
den später zu besprechenden anthropologischen Sätzen, nur 
einige astronomische und meteorologische Behauptungen be- 
kannt sind!). Was in dieser Beziehung am häufigsten und 
fast allein erwähnt wird, ist seine bekannte Meinung über die 
tägliche Neubildung der Sonne. Von dieser glaubte er näm- 
lich nicht blos mit anderen, dass ihr Feuer durch die auf- 
steigenden Dünste genährt werde?), | sondern er hielt sie über- 


1) Auch aus der 8. 656, 2 angeführten Aeusserung Philo’s qu. in Gen. 
IN, 5 kann man nicht mehr schliessen, als dass Her. seine Lehre von den 
Gegensätzen des Seins an einer Reihe von Beispielen nachgewiesen hatte. 
Um eine in’s einzelne systematisch ausgeführte Physik, wie sie LAssALLE 
HD, 98 hier angedeutet findet, handelt es sich nicht. 

2) Arıst. Meteor. II, 2. 354 a 33: διὸ χαὶ γελοῖοε πάντες ὅσοι τῶν 
πρότερον ὑπέλαβον τὸν ἥλιον τρέφεσϑαι τῷ ὑγρῷ. Dass Heraklit zu diesen 
gerechnet wird, sieht man aus dem folgenden. Eine ausführliche Darstellung 
der heraklitischen Ansicht über die Gestirne gibt Dioc. IX, 9: τὸ δὲ πε- 
ρεέχον ὁποῖόν ἐστιν οὐ δηλοῖ" εἶναι μέντοι ἐν αὐτῷ σχάφας ἐπεστραμμένας 
χατὰ χοῖλον πρὸς ἡμᾶς, ἐν αἷς ἀϑροιζομένας τὰς λαμπρὰς ἀναϑυμιάσεις 
ἀποτελεῖν φλόγας, ἃς εἶναι τὰ ἄστρα. Unter diesen verbreite die Sonne 
desshalb mehr Licht und Wärme als die andern, weil der Mond in einer 
unreineren, der Erde näher liegenden Atmosphäre sich bewege, die übrigen 
Gestime zu weit entfernt seien. ἐχλείπειν δ᾽ ἥλιον χαὶ σελήνην ἄνω στρε- 
φομένων τῶν σχαφῶν᾽ τούς TE κατὰ μῆνα τῆς σελήνης σχηματισμοὺς γί- 
veodaı στρεφομένης ἐν αὐτῇ χατὰ μειχρὸν τῆς σχάφψης. Das gleiche, wie 
Diogenes, sagen die Placita II, 22. 24, 8. 27. 28, 6. 29. Schol. in Plat. 
S. 409 Bekk. von Sonne und Mond; die nachenförmige Gestalt der Sonne 
kennt auch Αση. Tar. in Arat. 5. 139 B. Aehnlich lässt Anaximander, dem 
Her. in so vielem folgt, das Feuer der Gestirne, von Dünsten genährt, aus 
den Hülsen, die es umgeben, ausströmen; vgl. S. 221 f.; die letzteren denkt 
er sich allerdings anders, als unser Philosoph, der sich an die alte Vor- 
stellung vom Sonnen- und Mondschiff hält. Wenn Stop. I, 526 H.s Sonne 
ἄναμμα νοερὸν τὸ ἐκ Salarıns nennt, ist diess stoisch; ebd. 510 heissen 
die Gestime ungenau πελήματα πυρὸς. Plac. II, 25, 6: «πράχλειτος (τὴν 
σελήνην) γὴν ὁμέχλῃ περιειλημμένην hat schon SCHLEIERMACHER 8. 57 aus 
Stob. I, 552 Ἡραχλείδης gesetzt. Nach Dioe. IX, 7. Plac. II, 21, 4 schrieb 
Heraklit der Sonne einen Durchmesser von einem Fuss zu; und wenn auch 
der Gedanke naheliegt, es könnte diess Missverständniss einer Aeusserung 
sein, die sich zunächst auf ihren scheinbaren Durchmesser bezog, ohne dass 
die weitere Frage nach ihrer wirklichen Grösse erörtert worden wäre, 80 
lässt sich doch im Hinblick auf Epikur (Th. III a, 412) die Möglichkeit 
nicht bestreiten, dass er sie wirklich für so klein hielt. 


684 Heraklit. [622] 


haupt nur für eine brennende Dunstmasse, die in einer nachen- 
förmigen Schale am Himmel hinziehe!); und indem er nun 
annahm, dass sich diese Dünste den Tag über durch die Ver- 
brennung verzehren und morgens wieder erzeugen, kam er 
zu dem Satze, die Sonne sei jeden Tag neu?); | so dass ihr 


1) 8. vor. Anm. und Arısr. Probl. XXIII, 80 Schl.: διὸ χαὶ φασί τινες 
τῶν ἡραχλειτιζόντων, ἐκ μὲν τοὺ ποτίμου ξηραενομέγνου χαὶ πηγνυμένου 
λίϑους γένεσϑαι χαὶ γὴν, ἐκ δὲ τῆς ϑαλάττης τὸν ἥλεον ἀναϑυμιᾶσϑαι. 

2) PLato Rep. VI, 498 A: πρὸς δὲ τὸ γῆρας ἐχτὸς δή τένων ὀλίγων 
ἀποσβέννυνταε πολὺ μᾶλλον τοῦ Ἡρακχλειτείου ἡλίου, ὅσον αὖϑες οὐχ 
ἐξάπτονται. Απιδτ. Meteor. II, 2. 355 a 12: ἐπεὶ τρεφομένου γε [sc. τοῦ 
ἡλίου) τὸν αὐτὸν τρόπον, ὥσπερ ἐχεῖνοί φασι, δῆλον ὅτε χαὶ ὁ ἥλιος οἱ 
μόνον, χαϑάπερ ὁ Ἡραχλειτός φησι, νέος ἐφ᾽ ἡμέρῃ ἐστὶν, all ἀεὶ νέος 
συνεχῶς, was ALEX. z. ἃ. St. S. 98 a f. richtig so erläutert: οὐ μόνον, ὡς 
Ἡράκλειτός φησι, νέος dp ἡμέρη ἄν ἦν, κα Exaornv ἡμέραν ἄλλος 
ἐξαπτόμεγνος, τοῦ πρώτου ἐν τῇ δύσει σβεννυμένου. Weitere Anführungen 
des Wortes bei Βυύυνατεξε Fr. 32. Eines der platonischen Scholien a. ἃ. O. 
lässt Heraklit’s Sonne sich in’s Meer tauchen, in demselbeu erlöschen, dann 
unter der Erde durch sich nach Osten bewegen und hier wieder entzünden. 
Man kann diese Angabe mit dem, was vorl. Anm. aus Diogenes u. a. an- 
geführt wurde, in der Art verknüpfen, dass man annimmt, nachdem das 
Sonnenfeuer ausgebrannt sei, d. h. nachdem es sich in Wasser verwandelt 
habe (denn diess werden wir wohl jedenfalls dem Erlöschen im Meer sub- 
stituiren müssen), gehe die nachenförmige Hülse, in der es sich befunden 
hatte, in der angegebenen Weise nach Osten, um hier auf’s neue mit bren- 
nenden Dünsten gefüllt zu werden. Dass in diesem Fall nur das Sonnen- 
feuer täglich neu würde, sein Behälter dagegen sich erhielte, stände dieser 
Annahme nicht im Wege; denn da nur jenes von uns als Sonne gesehen 
wird, konnte immerhin gesagt werden, die Sonne entstehe täglich auf’s neue; 
und wenn Her. wirklich jene Behälter des Sonnen- und Sternfeuers annahm, 
was sich schon wegen der eigenthümlichen von ihm angeführten Erklärung 
der Finsternisse und Mondsphasen kaum bezweifeln lässt (und auch von 
PrLEeiverer 166 anerkannt wird, dann aber nicht blos für ein „geistreiches 
Spiel“ erklärt werden durfte), so war es natürlicher, dass er sich dieselben 
fest und daher auch dauerhaft dachte, als dass er sie gleichfalls aus Dünsten 
bestehen, und zugleich mit ihrem Inhalt sich verflüchtigen liess. LAssaLLe 
U, 117 glaubt, nach Her. setze sich das Sonnenfeuer den Tag über nicht 
vollständig in Feuchtigkeit um, sondern erst während des nächtlichen Laufs 
der Sonne um die jenseitige Halbkugel (von der man aber bei H. nicht 
reden sollte) vollende sich dieser Umwandlungsprocess, und eben dieses liege 
der Angabe des platonischen Scholiasten zu Grunde. Aber diess ist offen- 
bar weder seine Meinung, noch können diejenigen etwas davon gewusst 
haben, welche unserem Philosophen einfach die Behauptung beilegen, dass 
die Sonne beim Untergang erlösche. Schuster bemerkt (8. 209), wenn Her. 
den Helios für einen Gott hielt, werde er nicht angenommen haben, dass 


1628. 624] Weltgebäude. Weltperioden. 685 


demnach selbst der scheinbare Bestand, welchen der gleich- 
mässige Zu- und Abfluss der Stoffe den Dingen verleiht, immer 
nur auf diese kurze Zeit zukommt!). Dass er die gleiche 
Vorstellung auch auf die übrigen Gestirne ausgedehnt habe, 
leugnet ARWTOoTELES ausdrücklich?); wenn daher behauptet 
wird, er lasse auch den Mond und die Sterne von den Dün- 
sten ernährt werden, er halte den Mond, wie die Sonne, für 
eine mit Feuer gefüllte Schale, die Sterne für Anhäufungen 
von Feuer?), so scheint wenigstens die erste von diesen An- 
gaben eine willkürliche Erweiterung dessen zu sein, was er 
wirklich gesagt hatte‘). Ihm lag an den Sternen, wie es 
scheint, nicht viel, | weil ihr Einfluss auf unsere Welt gering 
ist5). Was über seine Erklärung der übrigen Himmels- 


er jeden Tag neu entstehe, sondern nur, dass er seinen Stoff wechsle. Diess 
widerstreitet aber gleichfalls den einstimmigen Zeugnissen und den eigenen 
Worten des Philosophen. Und woher wissen wir denn, dass er die Sonne 
für einen Gott hielt? 

1) Auf diese Dauer ihres Daseins scheint sich Fr. 29 (oben 666, 2) zu 
beziehen, es kann aber zugleich auch auf die Grenzen ihrer Bahn gehen, 
denn das Tagesleben der Sonne hätte eben dann eine längere Dauer, wenn 
sie ihren Lauf weiter fortsetzte: Raum- und Zeitmass fallen hier zusammen. 

2) Meteor. a. a. O. 355 a 18: ἄτοπον δὲ xal τὸ μόνον φροντίσαι τοῦ 
ἡλίου, τῶν δ᾽ ἄλλων ἄστρων παριδεῖν αὐτοὺς τὴν σωτηρίαν, τοσούτων καὶ 
τὸ πλῆϑος καὶ τὸ μέγεϑος ὄντων. Auch Probl. a. a. O. ist es nur die 
Sonne, die sich aus den Dünsten des Meeres bildet. 

3) S. S. 683, 2. Oryup. Meteor. 8. 149 Id.; dagegen BErxars I, 12. 

4) Noch mehr hat die Angabe gegen sich, nach Heraklit nähre sich 
die Sonne von den Ausdünstungen des Meeres, der Mond von denen der 
süssen Wasser, die Sterne von denen der Erde (Plac. II, 17, 4 und oben 
8. 682, 2); hier ist vielmehr ohne Zweifel die stoische Lehre unserem Philo- 
sophen unterschoben. Dieser hat, wie so eben gezeigt wurde, über die Er- 
nährung der Sterne sich nicht ausgesprochen, und ebensowenig konnte er 
einen unmittelbaren Uebergang der Erde in diejenigen Dünste annehmen, 
von denen das Feurige sich nährt (vgl. S. 676); auch die Herakliteer, deren 
die aristotelischen Probleme (nach S. 684, 1) erwähnen, machen von dem 
Unterschied der süssen und salzigen Wasser eine ganz andere Anwendung. 

5) Vgl. Fr. 31: εἰ μὴ ἥλιος ἦν, εὐφρόνη ἄν ἣν und dazu Brw. Unter 
den Stoikern verlegte derjenige, welcher sich am engsten an Her. anschloss, 
Kleanthes, sogar den Sitz der Gottheit in die Sonne (Th. III a, 137, 2), und 
aus der heraklitischen Schule wird die Behauptung berichtet (PLato Krat. 
418 B, s. o. 649, 3): τὸν ἥλιον διαϊόντα χαὶ χάοντα ἐπιτροπεύειν τὰ ὄντα. 
80 weit gieng jedoch Her. selbst nicht (vgl. auch S. 649, 2), da er ja in 
diesem [Fall die Sonne nicht könnte täglich verlöschen lassen. Auch bei 


686 Heraklit. [624. 625] 


erscheinungen mitgetheilt wird, ist zu lückenhaft, als dass sich 
für seine Lehre viel daraus abnelımen liesse!). | 

Wie sich Heraklit die Gestalt und den Bau der Welt 
dachte, wird uns nicht ausdrücklich berichtet. Da aber die 
Umwandlung der Stoffe nach oben am Feuer, nach unten an 
der Erde ihre Grenze hat, und diese qualitative Veränderung 
unserem Philosophen mit dem räumlichen Auf- und Absteigen 
zusammenfällt, so muss er sich die Welt nach oben und unten 
begrenzt vorgestellt haben; ob er ihr aber die Kugelgestalt 
beilegte, wissen wir nicht?), und die Erde betreffend, hat die 


Pur. Qu. Plat. VII, 4, 9 haben wir kein Recht (mit Scauster 161), noch 
anderes, als die Worte: ὥρας «ei πάντα φέρουσι von Her. herzuleiten. 

1) Dıoe. fährt nach dem, was S. 677, 3. 683, 2 angeführt ist, so fort: 
ἡμέραν τε χαὶ νύχτα γίνεσθαι χαὶ μῆνας χαὶ ὥρας Erelous χαὶ ἐνιαυτοὺς, 
ὑετούς τε χαὶ πνεύματα χαὶ τὰ τούτοις ὅμοια κατὰ τὰς διαφόρους ἀναϑυ- 
μιάσεις. τὴν μὲν γὰρ λαμπρὰν ἀναϑυμίασιν φλογωϑθεῖσαν ἐν τῷ κύχλῳ τοῦ 
ἡλίου ἡμέραν ποιεῖν, τὴν δὲ ἐναντίαν ἐπιχρατήσασαν νύχτα ἀποτελεῖν" καὶ &x 
μὲν τοῦ λαμπροῦ τὸ ϑερμὸν αὐξανόμενον ϑέρος ποιεῖν, ἐκ δὲ τοῦ σχοτει- 
γοῦ τὸ ὑγρὸν πλεονάζον χειμῶνα ἀπεργάζεσϑαι. ἀχολούϑως δὲ τούτοις 
χαὶ περὶ τῶν ἄλλων eltıoloyei. H. leitete demnach den Wechsel von Tag 
und Nacht, sowie den der Jahreszeiten, welches beides auch in dem 8. 664, 1 
mitgetheilten Fragment zusammengestellt wird, aus dem wechselnden Ueber- 
gewicht des Feurigen und Feuchten ab. Dass er der Jahreszeiten erwähnte, 
sieht man auch aus Plutarch vor. Anm. Schl. Wie er die übrigen hier berührten 
Erscheinungen erklärte, deutet Stop. Ekl. I, 594 an: ‘Hoaxl. βροντὴν μὲν 
χατὰ συστροφὰς ἀνέμων καὶ νεφῶν χαὶ ἐμπτώσεις πνευμάτων εἰς τὰ νέφη, 
ἀστραπὰς δὲ κατὰ τὰς τὼν ϑυμιωμένων ἐξάψεις, πρηστῆρας δὲ κατὰ νεφῶν 
ἐμπρήσεις καὶ σβέσεις. In der Angabe Orxmrıopor’s (Meteorol. 33 a. I, 
284 Id.), dass Heraklit das Meer für eine Ausschwitzung der Erde halte, 
vermuthet IpELER mit Recht eine Verwechslung mit Empedokles, zu welcher 
das S. 689, 1 angeführte Fr. 23 Anlass gegeben haben mag. 

2) Hırrora. π. diasr. (8. ο. 688, 1) sagt zwar: φάος Ζηνὶ, σχότος 
Aldn, φάος Aidn, σχότος Ζηνί. φοιτᾷ κεῖνα wie καὶ τάδε χεῖσε πᾶσαν 
ὥρην. Allein daraus würde für’s erste die Kugelgestalt der Welt noch 
nicht mit Sicherheit folgen, da sich eine Erleuchtung der Unterwelt auch 
bei einer seitlichen Drehung des Himmels um die walzenförmig gedachte 
Erde, wie wir sie bei früheren und späteren Joniern finden (8. o. 248 f.), 
ergeben würde, sobald die Sonne bei derselben unter der Ebene des Hori- 
zonts durchgeht; und sodann wissen wir durchaus nicht, ob der Verfasser 
hier Heraklit's Meinung ausspricht, seine Aussage ist vielmehr mit der Be- 
hauptung des letztern über das abendliche Erlöschen der Sonne unvereinbar. 
Auch LassaLıe’s Annahme, dass sie nicht vollständig erlösche, kann nach 
dem, was 8. 684, 2 bemerkt wurde, zur Beseitigung dieses Widerspruchs 
nicht benützt werden. Dasjenige Licht, welches der Oberwelt leuchtete, 
wäre ohnediess auch in diesem Fall nicht im Hades. 


[625. 626] Weltperioden, Weltverbrennung. 687 


entgegengesetzte Annahme mehr für sich!). Ebensowenig lässt 
sich die tägliche Drehung des Himmels bei ihm nachweisen 3). 
Jedenfalls aber musste er die Welt als Ein zusammengehöriges 
Ganzes betrachten, wie er diess ja selbst auch deutlich sagt®), 
denn nur in einem solchen ist diese kreisende Bewegung mög- 
lich, bei der alles aus Einem und Eines aus allem wird, und 
die Gegensätze des Daseins durch eine allumfassende Harmonie 
gebunden | sind. Wenn daher Heraklit von Späteren denen 
beigezählt wird, welche die Einheit und Begrenztheit der Welt 
gelehrt haben‘), so ist diess der Sache nach richtig, wie- 
wohl er selbst sich ohne Zweifel dieser Ausdrücke nicht be- 
dient hat. 

Wenn es nur Eine Welt gibt, so muss dieselbe ohne An- 
fang und Ende sein, denn das schöpferische göttliche Feuer 
kann nie rasten. In diesem Sinn sagt daher Heraklit aus- 
drücklich, die Welt sei immer gewesen und sie werde immer 
sein®). Diess schliesst jedoch die Möglichkeit eines Wechsels 
in dem Zustand und der Einrichtung des Weltganzen nicht 
aus; diese Annahme konnte vielmehr durch das Grundgesetz 
der Wandelbarkeit aller Dinge gefordert zu sein scheinen, so 
wenig sie diess in Wahrheit auch ist: denn jenem Gesetz wäre 


1) Da nicht allein Anaximander und Anaximenes, sondern selbst noch 
Anaxagoras, Demokrit, und ohne Zweifel auch Diogenes, der Erde die Ge- 
stalt einer Walze oder Platte gaben, so ist ee sehr unwahrscheinlich, dass 
Heraklit sich dieselbe anders vorstellte; die Annahme ihrer Kugelgestalt 
scheint bis gegen das Ende des 5. Jahrhunderts auf die Pythagoreer und 
die von ihrer Astronomie abhängigen Philosophen beschränkt gewesen zu 
sein. 

2) Seine Vorstellungen über den Sonnen- und Mondsnachen und das 
tägliche Erlöschen der Sonne weisen eher auf eine freie Bewegung der ein- 
zelnen Himmelskörper, wie sie auch Anaximenes (8. o. 246 f.) annahm. Die 
Erwägung, dass der tägliche Auf- und Untergang aller Gestirne eine gemein- 
schaftliche Ursache voraussetze, scheint der Philosoph, der sich um die 
Sterne und die Sternkunde wenig kümmerte, nicht angestellt zu haben. 

3) Fr. 20. 59, oben 8. 645, 1. 659, 1. 

4) Sıurer. Phys. 24, 1. Tueon. cur. gr. IV, 12 (beide nach Theophrast). 
Dıoe. IX, 8: πεπεράσϑαε TE τὸ πᾶν χαὶ ἕνα εἶναε χύσμον. Arıst. Phys. 
II, 5. 205 a 26: οὐθεὶς τὸ ἕν χαὶ ἄπειρον πῦρ ἐποίησεν streitet damit 
natürlich nicht, Heraklit's Urstoff ist ja nicht unbegrenzt; was LAssALLE II, 
154 übersieht. 

5) Vgl. 8. 645, 1. 

Philos. ἃ. Gr. 1. Bd. 5. Aufl. 44 


688 Heraklit. [626. 627) 


allerdings auch dann vollkommen genügt, wenn das Ganze im 
Wechsel seiner Theile sich erhält, aber nichts einzelnes festen 
Bestand hat. Heraklit mochte sie um so näher liegen, da sie 
vor ihm schon Anaximander und Anaximenes aufgestellt hatten, 
zwei Physiker, von welchen der erstere besonders ihm in 
mancher Beziehung verwandt ist. Und wirklich wird ihm 
auch von den alten Berichterstattern mit grosser Ueberein- 
stimmung die Behauptung beigelegt, die gegenwärtige Welt 
werde sich dereinst in Feuer auflösen, aus diesem Weltbrand 
aber eine neue Welt hervorgehen, und so fort in’s unendliche; 
die Geschichte der Welt bewege sich mithin in einem fort- 
währenden, nach festen Zeiträumen geordneten Wechsel von 
Weltbildung und Weltzerstörung!). In neuerer Zeit ist jedoch 
diese Annahme, erst von SCHLEIERMACHER°), dann von Las- 
SALLE®), lebhaft bestritten | worden. Dabei hat aber nament- 
lich der letztere viel zu wenig zwischen zwei Vorstellungen 
unterschieden, welche sich zwar beide mit dem Ausdruck 
„Weltverbrennung“, „Weltzerstörung“ bezeichnen lassen, welche 


1) Für die letztere haben die Stoiker bekanntlich den Ausdruck ἐχπύ- 
ρωσις. Für Heraklit lässt er sich noch nicht nachweisen, vielmehr sagt 
Crenens Strom. V, 549 Ὁ: ἣν ὕστερον ἐχπύρωσιν ἐχάλεσαν οἱ “Στωιχοί. 

2) A. ἃ. O. 94 ff. Ebenso Ηξαει, Gesch. d. Phil. I, 818, und Marsaca 
Gesch. d. Phil. I, 68, beide jedoch ohne nähere Begründung. 

3) II, 126—240. Durch Lassalle liess, wie es scheint, auch Branvis, 
welcher Gr.-röm. Phil. I, 177 ff. die heraklitische Weltverbrennung gegen 
Schleiermacher noch entschieden aufrecht gehalten hatte, sich bestimmen, 
Gesch. d. Entw. I, 69 f. diese Annahme aufzugeben. Um aber doch die 
Angaben der Alten zu erklären, stellt er die Vermuthung auf, Her. habe 
eine zwiefache Art der Bewegung unterschieden, eine rein gegensatzlose, die 
er als Ruhe und Frieden bezeichnete, und eine in die Gegensätze der welt- 
lichen Zustände verwickelte; er habe sich aber über diese beiden Bewegun- 
gen so geäussert, dass man ihre begriffliche Sonderung für eine zeitliche 
halten konnte; „auch möglich, dass er sie selber so gefasst haben möchte*. 
Mit der letzteren Annahme wäre nun der Widerspruch gegen die herakli- 
tische Weltverbrennung thatsächlich wieder zurückgenommen. Eine blos 
begriffliche Sonderung jener beiden Bewegungen liesse sich aber allerdings 
Heraklit gleichfalls kaum zutrauen; noch weit undenkbarer ist jedoch für 
mich eine gegensatzlose Bewegung (auch an sich selbst eine eontradictio in 
edjecto) in Heraklit's Munde. Da jedoch diese Ansicht ihre Widerlegung im 
folgenden ohnediess findet, werde ich nicht specieller auf sie einzutreten 
nöthig haben. Auch Lassalle's breitspurige Erörterung kann ich hier nur 
ihrem wesentlichen Inhalt nach berücksichtigen. 


[627. 628] Weltperioden, Weltverbrennung. 689 


aber der Sache nach weit von einander abliegen. Die Frage 
ist nicht die, ob irgend einmal eine Vernichtung der Welt 
im strengen Sinn, eine absolute Zerstörung ihrer Substanz, 
eintreten werde; eine solche konnte Heraklit natürlich nicht 
annehmen, da ihm die Welt nur diese bestimmte Daseinsform 
des göttlichen Feuers, dieses selbst mithin ihre Substanz ist; 
und er hat auch so nachdrücklich, wie möglich, erklärt, dass 
er sie nicht annehme. Sondern es handelt sich lediglich darum, 
ob unser Philosoph der Ansicht war, dass der gegenwärtige 
Weltzustand und die ihn bedingende Vertheilung der Elementar- 
stoffe, trotz der unablässigen Umwandlung alles einzelnen, doch 
im ganzen sich unverändert erhalte, oder ob von Zeit zu Zeit 
ein Zurückgehen aller unterschiedenen Stoffe in den Urstoff 
und ein neues Hervortreten derselben aus dem Urstoff ein- 
treten sollte. 

| Dass er nun der letzteren Meinung gewesen sei, scheint | 
sich zunächst schon aus den eigenen Aeusserungen des Philo- 
sophen zu ergeben. Denn wenn es auch mehrere derselben 
unentschieden lassen, ob Heraklit nur einen fortwährenden 
Hervorgang der Einzeldinge aus dem Feuer und einen ent- 
sprechenden Rückgang derselben in’s Feuer, oder daneben 
auch noch eine gleichzeitig eintretende Umwandlung des Welt- 
ganzen in Feuer und eine darauffolgende neue Weltbildung 
annahm), so lauten doch einige andere so, dass man dabei 
kaum an etwas anderes denken kann, als an einen derein- 
stigen Uebergang des Weltganzen in Feuer, den Weltunter- 
gang, auf den sie von den Schriftstellern, welche sie uns über- 
liefert haben, auch ausdrücklich bezogen werden. „Ueber 
alles, sagt er, wird das Feuer kommen, um es zu richten und 
zu ergreifen?); und in einem zweiten Bruchstück beschrieb 


1) So das ἁπτόμενον μέτρα καὶ ἀποσβεννύμενον μέτρα oben 645, 1; 
das eis πῦρ xal ἐκ πυρὸς τὰ πάντα 648, 1, und das 8. 651, 1 angeführte. 
2) Fr. 26 b. Hıreor. IX, 10: πάντα τὸ πῦρ ἐπελθὸν χρενεὶ χαὶ χατα- 
λήψεται. Hier macht es allerdings der Gebrauch des Futurums (der auch 
für das erste der beiden Zeitwörter durch das zweite sichergestellt ist) wahr- 
scheinlich, dass es sich nicht, wie in dem präsentischen πάντα οἱαχίζεε xe- 
ραυγὸς (oben 646, 1), um die fortwährende, sondern um eine einmalige künf- 
tige Umwandlung aller Dinge in Feuer handelt, dass daher Hipp. diese 
Worte als Beleg für die Ekpyrosis anzuführen berechtigt ist. 
44* 


690 Heraklit. [628. 629] 


er die der Weltverbrennung vorangehende Zurückbildung der 
Erde in das Meer!). Noch unzweideutiger erklärt sich Aı- 
STOTELES. | Heraklit und Empedokles, sagt er, sind der An- 
sicht, dass die Welt bald in dem gegenwärtigen Zustand sei, 
bald wieder zu Grunde gehe und in einen anderen eintrete, 
und dass diess unablässig so fortgehe?). Heraklit, bemerkt er 


1) Fr. 28 Cıeu. Strom. V, 599 Ὁ: ὅπως δὲ πάλιν ἀναλαμβάνεται (sc. 
ὁ κόσμος, wie die Welt wieder in das Urwesen zurückgenommen wird; der 
Ausdruck ist stoisch, 8. Th. III a, 154, 2 vgl. ebd. 148, 2) χαὶ ἐχπυροῖ- 
ται, σαφῶς διὰ τούτων δηλοῖ" ,Ηϑάλασσα διαχέεται χαὶ μετρέεται εἰς τὸν 
αὐτὸν λόγον ὁχοῖος πρῶτον (Eus. πρόσϑεν) ἣν ἢ γενέσϑαι γῆ.“ Dass sich 
diese Worte wirklich auf die Rückkehr der Erde in das Meer bezogen, aus 
dem sie bei der Weltbildung hervorgegangen ist (s. S. 673 f.), müssen wir 
Clemens’ bestimmter Aussage wohl glauben. Um so weniger Grund hat 
man, das γῆ mit Lassarre (II, 61) zu streichen, oder mit Scauster (129, 3) 
γῆν dafür zu setzen. Wie damals das Meer seinem grösseren Theile nach 
Erde wurde, so soll jetzt die Erde wieder Meer werden, wie diess dem all- 
gemeinen Gesetz der Stoffumwandlung (vgl. 8. 674 f.) entspricht. Auch Dio- 
genes (8. o. 674, 3) bezeichnet diesen Uebergang der Erde in Wasser mit 
χεῖσϑαι. Die Worte εἰς τὸν αὐτὸν λόγον erklärt LAssaLLe a. a. O. „nach 
demselben Gesetz.“ Dabei ist aber die Bedeutung des εἰς zu wenig be- 
achtet. Es heisst vielmehr: „zu derselben Grösse“, oder genauer (indem 
λόγος das Verhältniss, in diesem Fall ein Grössenverhältniss, bezeichnet): 
„so dass seine Grösse zu der, die es als Erde hatte, in demselben Verhält- 
niss steht, wie früher, ehe es Erde wurde.“ (So auch Pkırsrs Erk.theorie 
Plato's 8.) Dass in diesem Fall statt ὁχοῖος „öxomog“ stehen müsste (Hzınzk 
Lehre v. Log. 25), kann ich nicht zugeben: ὁ αὐτὸς οἱος᾽ bedeutet das 
gleiche, wie ὁ αὐτὸς ὡς (dieselbe Grösse, wie die, welche früher war). 
Heınze erklärt (indem er mit Lassalle γῆ streicht): „das Meer verwandelt 
sich in denselben Logos, also in dasselbe Feuer, von welcher Beschaffenheit 
es vorher war, ehe es selbst entstand.“ Aber wenn es auch dasselbe Wesen 
ist, welches bald als Urfeuer, bald als Logos dargestellt wird, so folgt dar- 
aus doch nicht, dass diese Begriffe selbst vertauscht werden konnten, und 
derjenige Ausdruck, welcher dieses Wesen nach der Seite seiner Intelligenz 
bezeichnet, zur Bezeichnung des materiellen Substrats als solchen gebraucht 
werden konnte. Ein Pantheist kann etwa auch sagen: „Gott ist Geist und 
Stoff“, aber er wird desshalb doch nicht sagen: die abgeleiteten Stoffe lösen 
sich in den Urgeist, sondern: sie lösen sich in den Urstoff auf. 

2) De celo I, 10. 279 Ὁ 12: γενόμενον μὲν οὖν ἅπαντες εἶναί yacıy 
[sc. τὸν οὐρανὸν], ἀλλὰ γενόμενον οἱ μὲν ἀΐδιον, οἱ δὲ φϑαρτὸν, . . . ol 
δ᾽ ἐναλλὰξ ὁτὲ μὲν οὕτως, ὁτὲ δὲ ἄλλως ἔχειν φϑειρόμενον καὶ τοῦτο ἀεὶ 
διατελεῖν οὕτως, ὥσπερ ᾿Ἐμπεδοχλῆς .ὁ Axpayavrivog καὶ Ἡράχλειτος ὁ 
᾿Εφέσιος. Die Worte ὁτὲ --- ἄλλως ἔχεεν könnten hier entweder übersetzt 
werden: „sie sei bald in diesem, bald in einem andern Zustand“ oder: „sie 


[680] Weltperioden, Weltverbrennung. 691 


anderswo!), sagt, | es werde alles dereinst zu Feuer werden; 
und dass sich dieses nicht blos auf die successive Um- 
wandlung aller einzelnen Körper in Feuer, sondern auf einen 
solchen Zustand bezieht, in welchem die Gesammtheit der 
Dinge zugleich die Form des Feuers angenommen hat, ist 
schon durch den Ausdruck ?) angedeutet; ganz bestimmt aber 
erhellt es aus dem Zusammenhang: denn Aristoteles sagt 
a. a. O., es sei unmöglich, dass das Weltganze aus einem ein- 
zigen Element bestehe oder in ein solches übergehe, wie diess 


sei bald in dem Zustand wie jetzt, bald in einem andern“. Auf die vor- 
liegende Frage hat diess keinen Einfluss; für die zweite Auffassung spricht 
aber das φϑειρόμενγον. Dieses lässt sich nämlich (wie auch PrAntL richtig 
erkannt hat) nur mit dem ἄλλως ἔχειν verbinden, so dass der Sinn der 
gleiche ist, wie wenn es hiesse: ὁτὲ δὲ, φϑειρόμενον, ἄλλως ἔχειν; be- 
zeichnet aber das ἄλλως ἔχεεν den Zustand nach dem Untergang der Welt, 
so wird das οὕτως ἔχειν den diesem entgegengesetzten, dem gegenwärtigen 
entsprechenden Weltzustand bezeichnen. In dem τοῦτο ἀεὶ διατελεῖν οὕτως 
geht 'das τοῦτο selbstverständlich auf das ganze ὁτὲ μὲν οὕτως ὁτὲ δὲ 
ἄλλως ἔχειν: „dieses, der Wechsel der Weltzustände, gehe immer fort“. 
LassaLz I, 173 will es ausschliesslich auf das φϑεερόμενον beziehen und 
erklärt: dass dieses Zugrundegehen „sich ewig vollbringe“, so dass demnach, 
wie er schliesst, eine zeitliche Abwechslung von Weltbestand und Welt- 
untergang bei Heraklit (dann aber auch bei Empedokles) durch unsere Stelle 
positiv ausgeschlossen würde. Es liegt jedoch auf der Hand, dass die Worte, 
schon rein sprachlich genommen, nicht diesen Sinn haben können. Auffallen 
könnte es, dass Arist. hier Heraklit die Ansicht beilegt, die Welt sei ge- 
worden, während dieser selbst (8. o. 645, 1) sie so bestimmt als ungeworden 
bezeichnet. Allein Arist. redet nur von dieser gegenwärtigen Welt, dem 
Himmelsgebäude (οὐρανὸς); im übrigen erkennt er 280 a 11 an: τὸ ἐναλλὰξ 
συνιστάναι χαὶ διαλύειν αὐτὸν (auch diess eine schlagende Widerlegung 
der Lassalle’schen Umdeutung) οὐδὲν ἀλλοιότερον ποιεῖν ἐστὶν, ἢ τὸ zara- 
σχευάζεεν αὐτὸν αἴδιον ἀλλὰ μεταβάλλοντα τὴν μορφήν. Ebenso bemerkt 
AL®xANDER (Ὁ. Sıurı. De calo 182 b 32 ff. Schol. 487 Ὁ 48) ganz in 
seinem Sinn: wenn Her. den χύσμος ewig nenne, so verstehe er unter dem- 
selben οὐ τή»δε τὴν διαχέσμησιν, ἀλλὰ χαϑόλου τὰ ὄντα καὶ τὴν τούτων 
διάταξιν, χαϑ' ἣν εἰς ἑκάτερον ἐν μέρει ἡ μεταβολὴ τοῦ παντὸς, ποτὲ μὲν 
εἷς πῦρ ποτὲ δὲ εἰς τὸν τοιόνδε χόσμον. Vgl. auch S. δ48, 1 g. E. 

1) Phys. IN, 5. 205 a 8: ὥσπερ ‘Hoaxlsırös φησιν ἅπαντα γίνεσθαί 
ποτὲ πῦρ. An Heraklit denken die Ausleger auch Meteor. I, 14. 842 a 
17 ἢ, wo der Meinung erwähnt wird, dass das Meer durch Austrocknung 
kleiner werde; diese Beziehung ist jedoch um so unsicherer, da jene An- 
nahme ihm nirgends, wohl aber Demokrit beigelegt wird, s. u. 8. 799, 4*. 

2) Aravra, nicht blos πάντα. 


602 Heraklit. [630. 631] 


der Fall wäre, wenn alles, nach Heraklit’s Annahme, Feuer 
würde!). Die stoische Schule ohnediess hat Heraklit von An- 
fang an nicht anders verstanden); und es ist äusserst un- 
wahrscheinlich, dass | sie dabei nur dem aristotelischen Vor- 
gang, nicht seinen eigenen Erklärungen gefolgt ist. Mit diesen 
Angaben stimmen aber noch viele weitere Zeugnisse überein); 
und so viele Mühe man sich auch gegeben hat, entgegen- 
stehende Aussagen nachzuweisen, so ist es doch nicht gelungen, 
aus der ganzen nacharistotelischen Literatur auch nur Ein 
achtungswerthes Zeugniss aufzuzeigen, in welchem Heraklit 
der Wechsel der Weltbildung und die Weltverbrennung wirk- 
lich abgesprochen würde®): nicht einmal von denjenigen unter 


1) Diesen Zusammenhang hat Lassarre (II, 163), der nun einmal ent- 
schlossen ist, die heraklitische Weltverbrennung auch aus Aristoteles weg- 
zuschaffen, einfach ignorirt; doch scheint er eine Ahnung davon gehabt zu 
haben, dass diess nicht angehe, und so greift er auch noch zu der ver- 
zweifelten Ausflucht: in die Stelle der Physik, welche später in die zweite 
Hälfte des lIlten Buchs der Metaphysik (bekanntlich eine Compilation aus 
der Physik) übergegangen ist, möge der Satz, dem unsere Worte entnommen 
sind (Phys. 205 a 1--4. Metaph. 1067 a 2—4), erst aus der Metaphysik 
herübergenommen sein. 

2) Ein direktes Zeugniss hiefür liegt allerdings nicht vor; da sich aber 
bereits die ersten stoischen Lehrer in der Physik an Heraklit anschlossen, 
den schon Kleanthes und Sphärus erklärt haben (Dıoc. IX, 15. VII, 174. 
178), und da andererseits die ἐχπύρωσις in der stoischen Schule gleichfalls 
von Anfang an, und namentlich von Kleanthes, gelehrt wurde, so lässt sich 
die Sache nicht bezweifeln. Auf den Stifter der Stoa selbst sind die Be- 
weise zurückzuführen, welche nach Turorurıstr Fr. 30 (PrıLo stern. m. 
c. 23. 959 C ff. 264 fl. Bern.) schon zu seiner Zeit der aristotelischen Ewig- 
keit der Welt von den Vertheidigern einer wechselnden Weltbildung und 
Weltzerstörung entgegengehalten wurden. Vgl. Th. IH a, 152. 

3) Vgl. Sımpı. Phys. 24, 4 (Theophrast). 480, 27. 257 Ὁ u. De calo 
132 " 17 (Schol. 487 b 33). Dioc. IX, 8 (S. 702, 1. 708, 1. M. AukeL 
II, 3 (Hoaxi. περὶ τῆς τοῦ χόσμου ἐχπυρώσεως τοσαῦτα φυσιολογήσαρ). 
Plac. I, 3, 26. Auzx. Meteorol. 90 a m. 8. 260 Id., wo LassiLre’s Ver- 
such II, 170, die Ekpyrosis wegzuschaffen, ebenso unmöglich ist, als in der 
8. 690, 2 g. E. angeführten Stelle (Lass. II, 177 ἢ: über ihn Bernays Heraklit. 
Briefe 121 ἢ). Taenıst. Phys. 231 Sp. Orymrıopor Meteorol. 32 a. S. 279 
Id. Euses. pr. ev. XIV, 3, 6. Creuens Strom. V, 599 B (dass auch hier 
Lass. II, 159 den klaren Augenschein wegzudeuten sucht, hat nichts auf 
sich); ebd. 549 C. Lucıan v. auct. 14. Noch einiges weitere 8. 702, 1. 

4) LassaLLe II, 127 beruft sich, nach Schleiermacher, zunächst auf 
Max. Tre. XLI, 4 Schl.: μεταβολὴν ὁρᾷς σωμάτων χαὶ γενέσεως, ἀλλαγὴν 


[082] Weltperioden, Weltverbrennung. 698 
den | Stoikern, welche die Weltverbrennung in ihrer eigenen 


ὁδῶν ἄνω καὶ χάτω χατὰ τὸν Ἡράχλειτον . . .. διαδοχὴν ὑρᾷς βίου χαὶ 
μεταβολὴν σωμάτων, χαινουργίαν τοῦ ὅλου. Dieser Schriftsteller, schliesst 
er mit jenem, „habe keine andere Erneuerung der Welt gekannt, als eben 
die theilweise erfolgende“. Allein von einer anderen zu reden, hatte er an 
diesem Ort gar keine Veranlassung; es handelt sich hier lediglich um die 
Erfahrungsthatsache, dass der Untergang des einen Entstehung eines 
andern sei, die ἐχπύρωσις aber ist kein Gegenstand der Erfahrung, des 
ὁρᾷν. Weiter verweist er auf M. Auer X, 7: ὥστε χαὶ ταῦτα ἀναλη- 
φϑῆναε εἰς τὸν τοῦ ὅλου λόγον, εἴτε χατὰ περίοδον ἐχπυρουμένου εἴτε 
ἀϊδίοις ἀμοιβαῖς ἀνανεουμένου, indem er mit Schleiermacher fragt, auf 
wen man denn diese letztere, der stoischen Ekpyrosis entgegengesetzte 
Ansicht zurückführen solle, als auf den Ephesier? Aber dass Mark Aurel 
diesem gerade die Ekpyrosis zuschreibt, ist vor. Anm. gezeigt; wenn er von 
solchen redet, welche der periodischen eine fortdauernde Welterneuerung 
substituiren, so wird sich diess auf die stoischen Gegner der Weltverbren- 
nung (neben denen man auch an Aristoteles und seine Schule denken kann) 
beziehen; und nicht anders verhält es sich mit Cıc. N. De II, 33, 85. Ps.- 
Cexsorix. Fr. 1, 3. Eine dritte Beweisstelle SchLEIERMACHER'S (8. 100) und 
Lassaır’s (I, 236. II, 128) ist Pıur. Def. orac. 12, S. 415: χαὶ ὁ Klsou- 
Booros" ἀκούω ταῦτ᾽, ἔφη, πολλῶν καὶ ὁρῶ τὴν Σεωϊκὴν ἐχπύρωσιν, ὥσπερ 
τὰ Ἡρακλείτου χαὶ Ὀρφέως ἐπενεμομένην ἔπη, οὕτω χαὶ τὰ ᾿Ησιόδου χαὶ 
συνεξαπατῶσαν. Scheint aber auch daraus hervorzugehen, dass einzelne 
Gegner der stoischen Ekpyrosis ihr mit andern Auktoritäten auch die Hera- 
klit’s zu entziehen suchten, so erfahren wir doch aus unserer Stelle nicht 
das geringste darüber, worauf dieser Versuch sich stützte, und ob der Vor- 
wurf, dass die Stoiker die heraklitischen Aussprüche missbrauchen, irgend 
einen sachlichen Grund hatte. Noch verfehlter ist es, wenn Lass. I, 232 
Psıro De vict. 839 Ὁ (243 M.) für sich anführt; wenn es hier heisst: ὅπερ 
οὗ μὲν x0009 za) χρησμοσύνην ἐχάλεσατ; οἱ δὲ ἐχπύρωσεν χαὶ διακόσμησιν, 
so werden ja ausdrücklich χόρος und ἐχπύρωσις, χρησμοσύνη und διαχόσ- 
unoıs für gleichbedeutend erklärt. Ebensowenig denkt die philonische 
Schrift über die Unvergänglichkeit der Welt, welche Lass. 11, 135 gleich- 
falls anruft, daran, dem Ephesier den von den Stoikern behaupteten rela- 
tiven Weltuntergang abzusprechen. Ausdrücklich legt ihm denselben Dıoc. IX, 
8 (s. u. 702, 1), wie die Vergleichung von Sımer. Phys. 24, 4 (s. o. 667, 3) 
zeigt, nach Theophrast bei, und Lass. II, 136 muss seine Worte in ihr 
Gegentheil verdrehen, um darin einen „Ausserst erheblichen Beweis“ gegen 
die Weltverbrennung zu finden. Ebensowenig folgt aus Pırorix V, 1, 9. 
8. 4900: xal ἩΗράχλεειτος δὲ τὸ ἕν oldev ἀΐδιον χαὶ νοητόν, denn dass die 
Gottheit oder das Urfeuer ewig sei, haben auch die Stoiker trotz ihrer 
Ekpyrosis so wenig geleugnet, wie Heraklit. Erst bei Sıuer. De ccelo 132 
Ὁ 28 (Schol. 487, b, 48) wird behauptet, dass Heraklit δ αἰνιγμάτων τὴν 
ἑαυτοῦ σοφίαν ἐχφέρων οὐ ταῦτα, ἅπερ δοχεὶ τοῖς πολλοῖς, σημαίνει, denn 
er schreibe ja auch χύσμον τύνδε u. 8. w. (6. ο. 645, 1); und überein- 
stimmend damit sagt ὅτοβ. ΕΚ]. I, 454: ἩΗράκλειτος οὐ κατὰ χρόνον εἶναι 


694 Heraklit. [688] 


γεννητὸν τὸν xonuov, ἀλλὰ zur ἐπίνοιαν. Aber was kann man daraus 
schliessen? Es ist den Neuplatonikern unbequem, statt ihrer eigenen Lehre 
von der Ewigkeit der Welt bei Heraklit einen Wechsel von Weltentstehung 
und Weltzerstörung zu finden, und so gebrauchen sie bei ihm, wie bei an- 
dern, die Auskunft, es sei diess nicht zeitlich, sondern begrifflich zu ver- 
stehen. Dass aber Heraklit von jenem Wechsel gesprochen hatte, bezeugt 
Simplicius selbst wiederholt und ausdrücklich (s. vor. Anm.), und aych 
Stobäus setzt es voraus. LassaLLe II, 142 glaubt nun freilich noch ein 
Zeugniss vom höchsten Werthe für seine Ansicht in der pseudo-hippokra- 
tischen Schrift =. διαίτης gefunden zu haben, welche B. I ausführt, dass 
alles aus Feuer und Wasser bestehe, diese beiden beständig mit einander 
kämpfen, aber keines von ihnen das andere gänzlich zu überwältigen ver- 
möge, und desshalb die Welt immer so sein werde, wie sie jetzt ist. Aber 
wenn auch die Schrift π. διαίτης in ihrem 1. Buche viel heraklitisches 
enthält, verbindet sie doch damit, wie jetzt allgemein anerkannt ist, so 
heterogene Elemente, dass man nicht das geringste Recht hat, sie für eine 
authentische Urkunde der heraklitischen Physik zu halten; und gerade bei 
der Lehre, welche den leitenden Gesichtspunkt ihrer ganzen Physiologie 
und Psychologie bildet, der Behauptung, dass alles aus Feuer und Wasser 
zusammengesetzt sei, ist diess ganz augenscheinlich. Für die Untersuchung 
über Heraklit ist desshalb die Frage nach der Entstehungszeit jener Schrift 
von untergeordneter Bedeutung; wogegen es allerdings für die Geschichte 
der Philosophie im fünften Jahrhundert Interesse hätte, wenn TeicnMÜLLER 
(I, 249 ff) der Nachweis gelungen wäre, dass dieselbe zwischen Heraklit 
und Anaxagoras falle. Indessen wird sie damit viel zu weit hinaufgerückt. 
Es finden sich in ihr allerdings noch keine Spuren von dem lasein der 
platonischen und aristotelischen Philosophie; auch aus ὁ. 4 Anf., wo das 
Feuer als warm und trocken, das Wasser als kalt und feucht bezeichnet 
wird, kann man, wie ich zugeben muss, auf eine Bekanntschaft mit der 
aristotelischen Lehre von den Elementen nicht schliessen; zumal da nach 
PLratro Symp. 186 Ὁ. 188 A. Soph. 242 Ὁ und dem S8. 491, 6 über Alk- 
mäon angeführten schon früher gerade von den Aerzten jene vier physi- 
kalischen Eigenschaften besonders betont wurden, und da das Wasser auch 
von Archelaos (8. u. 929, 24) sowohl τὸ ψυχρὸν als τὸ ὑγρὸν genannt 
worden zu sein scheint. Mag man aber auch desshalb Bedenken tragen, 
die Schrift mit Scauster (S. 99. 110) der alexandrinischen Periode zuzu- 
weisen, so spricht doch alles gegen die Annahme, dass sie bereits dem 
zweiten Drittheil des fünften Jahrhunderts angehöre. An sich schon liegt 
eine so ausführliche, über Einzelheiten aller Art mit dem unverkennbaren 
Streben nach empirischer Vollständigkeit sich verbreitende, und in manchen 
Partieen des 1. Buchs geradezu damit überladene Darstellung von dem Stil 
jener Zeit, wie er in allen philosophischen Fragmenten des 5. Jahrhunderts 
hervortritt, weit ab; selbst die Bruchstücke des Diogenes und Demokrit 
und die unter Hippokrates’ Werken befindliche Schrift des Polybus περὶ 
φύσιος ἀνθρώπου sind um ein merkliches einfacher und alterthümlicher 
gehalten. Der Verfasser sagt uns ja aber auch selbst, dass er einer litte- 


[634] Weltperioden, Weltverbrennung. 695 


rarisch vorgeschrittenen Zeit angehöre, wenn er c. 1 der Vielen erwähnt, 
welche schon über die für die Gesundheit zuträglichste Diät, ebenso II, 39 
aller derer, welche (6x000,) über die Wirkung des Süssen, Fetten u. s. w. 
geschrieben haben. Dass es über diese Gegenstände schon vor Hippokrates 
eine ganze Litteratur gegeben haben sollte, ist höchst unwahrscheinlich, 
und wenn TeicumÜüLLrR hiegegen an Heraklit erinnert, der sich Fr. 18 
(oben 629, 1) gleichfalls „auf sein Studium der früheren Litteratur berufe“, 
so trifft diess nicht zur Sache: denn 1) spricht H. dort nur von λόγοι, die 
er gehört, nicht von Schriften, die er studirt habe; und 2) handelt es sich nicht 
darum, ob es damals überhaupt Schriften (mit Einschluss der homerischen, 
hesiodischen, xenophanischen und anderer Gedichte), sondern ob es auch schon 
über die oben bezeichneten Fragen eine bändereiche Litteratur gab. Eben- 
desshalb würde man sich auch auf Heraklit’s 17. Fragment (s. o. 309, 3) 
selbst dann nicht stützen können, wenn der Text desselben in Ord- 
nung wäre. Wenn ferner geltend gemacht wird, dass der Verfasser die 
Lehren der Atomistik, des Empedokles und Anaxagoras noch nicht kenne, 
so wäre jedenfalls das genauere, dass er ihrer nicht erwähne; woraus aber 
bei einem Schriftsteller, der überhaupt fremder Ansichten als solcher keine 
Erwähnung thut, und nur das von ihnen vorträgt, was er selbst sich ange- 
eignet hat, im geringsten nicht folgen würde, dass sie ihm nicht bekannt, 
und noch weit weniger, dass sie nicht vorhanden waren. Auch jenes kann 
man aber nicht sagen. C. 4 setzt der Verf. auseinander: nichts vergehe 
oder entstehe schlechthin, sondern alles verändere sich nur durch Zusammen- 
setzung und Trennung; wenn er daher vom Entstehen rede, wolle er damit 
nur das ξυμμίσγεσθαι, und ebenso mit dem Vergehen nur das δεαχρίνεσϑαι 
bezeichnen. Dass diess nicht heraklitisch ist, scheint mir einleuchtend, und 
wenn es Schuster 8. 274 — freilich ohne jeden Quellenbeleg — dafür hält, 
so kann ich mir diess nur aus seiner S. 635, 1 besprochenen Verkennung 
der Lehre vom Fluss aller Dinge erklären. Wir begegnen vielmehr dieser 
Zurückführung des Entstebens auf die Verbindung, des Vergehens auf die 
Trennung unentstandener und unvergänglicher Stoffe nicht vor Leucippus, 
Empedokles und Anaxagoras; und wenn Tkıcuu. 8. 262 fragt, warum unser 
Verfasser sich dafür nicht an Xenophanes angeschlossen haben solle (statt 
dessen vielmehr Parmenides genannt sein müsste, denn Xenoph. hat das 
Entstehen und Vergehen noch nicht grundsätzlich geleugnet), und Anaxa- 
goras wieder an unsern Verfasser, so ist einfach zu antworten: weil ein 
Anaxagoras, Empedokles und Leucippus dem ganzen Alterthum als die Ur- 
heber von Systemen bekannt sind, deren gemeinsame Grundlage jene Auf- 
fassung des Entstehens und Vergehens bildet, vonder Schrift zz. δεαέτης dagegen, 
aus der T. diese grundlegende Bestimmung herleitet, niemand etwas bekannt 
ist; weil ferner ein Compilator, wie unser Verfasser, dem es an Schärfe 
und Folgerichtigkeit so ganz fehlt, dass er Heraklit'’s πάντα χωρεὶ mit der 
eben besprochenen, auf parmenideischen Voraussetzungen beruhenden Lehre 
in Einem Athem zusammenwirrt, nicht für den Entdecker der letzteren ge- 
halten werden kann; weil endlich auch die Ausdrücke unserer Schrift, wie 
aus der nachstehenden Zusammenstellung erhellen wird, die Erinnerung an 


696 


Heraklit. 


[635] 


anaxagorische und empedokleische Stellen gauz deutlich erkennen lassen. 


M. vgl. π. dieit. c. 4: 

οὕτω δὲ τούτων ἐχόντων ἐς 
πολλὰς χαὶ παντοδαπὰς ἰδέας 
ἀποχρένονται an’ ἀλλήλων χαὶ 
σπερμάτων καὶ ζῴων οὐδὲν 
ὁμοίων ἀλλήλοισιν. 


ἀπόλλυται μὲν οὐδὲν ἁπάν- 
των χρημάτων οὐδὲ γένεται ὃ 
τι μὴ καὶ πρόσϑεν 79° ξυμμισγό- 
μένα δὲ καὶ διακρινόμενα al- 
λοιοῦται" νομέζεται δὲ ὑπὸ τῶν 
ἀνϑρώπων U. 8. W. 


νομίζεται δὲ ὑ.τ. ἀνϑρ. τό μὲν ἐξ 
«“ιδου ἐς φάος αὐξηϑὲν γενέσθαι" 


οὔτε, εἰ ζῶον, ἀποθανεῖν οἱόντε... 
ποῦ γὰρ ἀποϑανεῖταε; οὔτε τὸ 
μὴ ὃν γενέσϑαι, πόϑεν γὰρ ἔσται; 

ὅ τι δ᾽ ἄν διαλέγωμαι γενέσϑαε ἢ 
ἀπολέσϑαι τὼν πολλῶν εἵνεχεν 
ἑρμηνεύω. 


ταῦτα δὲ (das ebenerwähnte γενέ- 
σϑαευμπᾶ ἀπολέσϑα) ξυμμέίσγεσϑαει 
χαὶ διαχρίνεσϑαι δηλῶ.... γε- 
γέσϑαι ξυμμιγῆναι τωὐτὸ, ἀπο- 
λέσθϑαι, μειωθϑῆναι, διαχρεϑῆν κε 
τωὐτό. 

ὁ νόμος γὰρ τῇ φύσεε περὶ 
τούτων ἐναντίος. c. 11: νόμος γὰρ 
καὶ φύσις . . . οὐχ ὁμολογέεται ὁμο- 
λογεόμενα᾽ νόμον γὰρ ἔϑεσαν ἄν- 
ϑοωποε αὐτοὶ ἐωυτοῖσιν, οὐ γινῶώ- 
σχοντες περὶ ὧν ἔϑεσαν᾽ φύσιν δὲ 
πάντων ϑεοὶ διεχόσμησαν. 


Anaxag. Fr. 3 (880, 24): τουτέων 
δὲ οὕτως ἐχόντων χρὴ δοχέεεν 
ἐνεῖναι πολλά τε χαὶ παντοῖα 
ἐν πᾶσι τοῖς συγχρινομένοις καὶ 
σπέρματα πάντων χρημάτων xal 
ἰδέας παντοίας ἔχοντα. 

Fr. 6 (880, 1): σπερμάτων. .. 
οὐδὲν ἐοιχότων ἀλλήλοες. 

Fr. 8 (ebd.) ἕτερον δὲ οὐ δέν ἔστιν 
ὅμοιον οὐϑενὶ ἄλλῳ. 

Fr. 22 (874, 1): τὸ δὲ γένεσϑαι 
καὶ ἀπόλλυσθαι οὐχ ὀρϑὼς νομί- 
ζουσεν Ἕλληνες οὐδὲν γὰρ χρῆμα 
ylrsras οὐδὲ ἀπόλλυται ἀλλ 
ἀπ᾽ ἐόντων χρημάτων Guvuuloyeral 
τε χαὶ διαχρένεται. 

Anax. b. Arist. (8. 875, 8): τὸ γέγ- 
γεσϑαὶ χαὶ ἀπόλλυσθαι ταὐτὸν κα- 
ϑέστηχε τῷ ἀλλοεοῦσϑαι. 

Emped. V. 40 (685, 14): οἱ δ᾽ ὅτε 
μὲν χατὰ φῶτα μιγὲν φάος αἰϑέ- 
ρος ἵχῃ ... τότε μὲν τόδε φασὶ 
γενέσϑαι. 

Emp. 92 (688, 2): τοῦτο δ᾽ ἐπαυξή- 
σεεε τὸ πᾶν τί χε καὶ πόϑεν ἐλ- 
307; πὴ δέχε χαὶ ἀπολοίατ: 

Emp. 44 (685, 1): νόμῳ δ᾽ ἐπέ- 
φῆμε χαὶ αὐτὸς (in Beziehung auf 
den Sprachgebrauch des γίγεεσϑαι 
u. 8. ὦ) 

Anax. Fr. 22 (874, 1): χαὶ οὕτως 
ὧν ὀρϑὼς χαλοῖεν τό τε γένεσϑαι 
ovunloyeodas καὶ τὸ ἀπόλ- 
λυσϑαι διαχρίένεσθϑαι. 


Empedokles V. 44 8. ο. Demokrit 
(s. u. 772, 14, 188, 2) νόμῳ γλυχὺ, 
γόμῳ πιχρὸν u. 8. f. ἐτεῇ δὲ ἄτομα 
καὶ χενόν. (Statt ἐτεὴ sagen die spä- 
teren Berichte: φύσει.) 


[686] Weltperioden, Weltverbrennung. 697 


ς. 28: ψυχὴ μὲν ovvalel ὁμοίη Anaxag. Fr. 8 (886, 1): νόος δὲ 
καὶ ἐν μέζονι χαὶ ἐν ἐλάσσονι. πᾶς ὅμοεός ἐστε zul ὁ μέζων 
καὶ ὁ ἐλάσσων. 

Was die Schrift π. d. hier sagt, passt auf ihre aus Feuer und Wasser 
zusammengesetzte Seele sehr schlecht, während die entsprechenden Worte 
des Anaxagoras einen Satz aussprechen, der durch seine Grundanschauung 
gefordert war. — Ist nun schon hiemit erwiesen, dass unser Verfasser die 
Physiker des fünften Jahrhunderts bis auf Demokrit herab vor sich hatte, 
so lässt sich eben dieses auch noch von einer anderen Seite her darthun. 
Sogar der Fund, mit dem er sich am meisten weiss, dass die lebenden 
Wesen, die menschliche Seele und alle Dinge überhaupt aus Feuer und 
Wasser zusammengesetzt seien (c. 4—6. 35 u. 5.), gehört nicht ihm selbst 
an, sondern er hat ihn von dem Physiker Archelaos entlehnt (8. u. 8. 929, 
3*); und wenn er (c. 3) dem Feuer das Vermögen zuschreibt, alles zu be- 
wegen, dem Wasser, alles zu ernähren, so folgt er jenem auch darin 
wenigstens zur Hälfte; denn A. hatte das Warme als bewegt, das Kalte als 
ruhend dargestellt. Nach allem diesem wird unsere Schrift für das Werk 
eines Arztes aus den ersten Jahrzehenden des vierten Jahrhunderts zu halten 
sein, welcher für dieselbe die eben damals in Athen verbreitetsten physi-' 
kalischen Theorieen, in erster Reihe die des Archelaos, nächst ihr die hier 
durch Kratylus bekannt gewordene heraklitische benützte; und eben dieser 
Umstand lässt auch vermuthen, dass sie in Athen (wenn auch von einem 
Jonier) verfasst wurde. Zu dieser Annahme über Zeit und Ort ihrer Ab- 
fassung passt auch, was unsere Schrift c. 23 sagt: γραμματικὴ τοιεύνδε" 
σχημάτων σύνϑεσις, σημεῖα φωνῆς ἀνθρωπίνης... di ἑπτὰ σχημάτων 
ἡ γνῶσις (das Verständniss der fremden Rede). ταῦτα πάντα ἄνθρωπος 
διαπρήσσεται (er spricht die durch die σχήματα bezeichneten Laute) χαὶ ὁ 
ἐπιστάμενος γράμματα καὶ ὁ μὴ ἐπιστάμενος. Mit den sieben σχήματα, 
welche in diesem Zusammenhang kaum etwas anderes als Schriftzeichen 
sein können, werden nämlich die Schriftzeichen für die sieben Vokale ge 
meint sein; denn nur diese sind noch nach Praro (Phileb. 18 B f. Theät. 
203 B. Soph. 258 A. Krat. 424 C) und ArıstoreLes (ἢ. an. IV, 9. 535 a 
27 61) mit einer φωνὴ verbunden, φωνήεντα, die andern Laute dagegen 
ἄφωνα, sie allein also σημεῖα φωνῆς. Sieben hatte man aber deren 
in Athen erst seit Euklides (403 v. Chr... Die Worte von ds ἑπτὰ oynu. 
an mit TeıchumÜLLzu II, 78 ff. auf das folgende zu beziehen, ist unmöglich. 
Ein viel zuverlässigeres Merkmal dieser späteren Zeit liegt aber in der 
Art, wie der Verfasser (c. 11 8. ο. 8.696 u.) dem νόμος die φύσις entgegen- 
stellt. Dieser Gegensatz findet sich erst seit den Sophisten, und was TzıcH- 
sULLER I, 262 hiegegen einwendet, beweist nichts: die Frage ist nicht, ob 
sich der sachliche Unterschied der philosophischen Ansicht von der her- 
kömmlichen, auch nicht, ob sich die Ausdrücke νόμος und Yuoss jeder für 
sich, sondern ob sich diese so formulirte grundsätzliche Entgegenstellung 
beider in dem Sprachgebrauch und der Denkweise der früheren Zeit nach- 
weisen lässt. Bei Heraklit nähren sich die menschlichen Gesetze von dem 
göttlichen (s. o. 667, 1); nach unserem Verfasser stehen sie in einem natür- 


698 Heraklit. [636. 637] 


Schule | bekämpften!), wird diess überliefert. Von Aristoteles 
an ist es daher die einstimmige oder so gut wie einstimmige 
Ueberlieferung der alten Schriftsteller, dass Heraklit eine der- 
einstige | Auflösung der Welt in Feuer und eine darauffolgende 
Neubildung derselben gelehrt habe. 

Man glaubt nun freilich diese Annahme durch ein noch 
älteres und urkundlicheres Zeugniss widerlegen zu können. 
PraTo unterscheidet Heraklit’s Ansicht von der des Empe- 
dokles mit der Bemerkung: jener lasse das Seiende fort- 
während, indem es auseinandergehe, mit sich zusammen- 
gehen; wogegen dieser statt des fortwährenden Zusammenseins 
von Einigung und Trennung einen periodischen Wechsel dieser 
beiden Zustände behaupte?). Wie wäre diess möglich, fragt 
man, wenn Heraklit ebenso, wie Empedokles, einen Wechsel 
zwischen dem Zustand des getheilten und gegensätzlichen 
Seins und zwischen einem solchen Weltzustand lehrte, in dem 
alles zu Feuer geworden, mithin jeder Unterschied unter den 
Dingen und Stoffen aufgehoben ist? Allein für’s erste musste 
Heraklit, wenn er auch eine Weltverbrennung behauptete, 
darum noch nicht nothwendig voraussetzen, dass mit derselben 
aller Gegensatz und alle Bewegung für eine Zeit lang er- 
löschen werde, wie in dem Sphairos des Empedokles; sondern 
er konnte auch annehmen, dass der lebendigen Natur des 
Feuers gemäss in demselben Augenblick, in dem es alles in 
sich aufgezehrt hat, ein neues Hervortreten der elementarischen 
Gegensätze, eine neue Weltbildung beginne. Wenn er ferner 
dem Zustand, in welchem sich alles in Feuer aufgelöst hat, auch 
eine längere Dauer zuschrieb, brauchte er ihn doch nicht als 


lichen Widerspruch. Hieran wird, wie sich leicht zeigen liesse, auch durch 
TEıcHhnüLLer’s Erwiederung II, 53 ff. nichts geändert. Ich werde aber von 
einer eingehenderen Prüfung dieser Erörterungen hier um so eher absehen 
dürfen, da inzwischen WevacoLor Jahrbb. f. class. Philol. 1882, 161 ff. durch 
eine gründliche Untersuchung unseres Buches, und namentlich auch seines 
Verhältnisses zu andern hippokratischen und pseudohippokratischen Schriften, 
überzeugend dargethan ‚hat, dass es nicht vor 420 und nicht nach 380 
v. Chr. verfasst sein kann, und da auch BrwArer S. VII und ILzere Studia 
Pseudohippokratea mir und Weygoldt beistimmen. 

1) Vgl. Th. III a, 156. 565 δ. 

2) S. o. 657, 3. 


[637. 688] Weltperioden, Weltverbrennung. 699 


einen Zustand absolut gegensatzloser Einheit zu betrachten, 
da das Feuer gerade nach seiner Auffassung das Lebendige, 
immer Bewegte, sein Dasein ein fortwährendes Hervortreten 
und Verschwinden von Gegensätzen ist. @Gesetzt aber auch, 
er habe sich weder in der einen noch in der anderen Art 
darüber erklärt, wie sich die zeitweise Alleinherrschaft des 
Feuers mit dem Fluss aller Dinge vertrage, so fragt es sich 
doch immer noch, ob Plato sich dadurch abhalten lassen musste, 
ihn Empedokles in der angeführten Weise entgegenzustellen. 
Denn grundsätzlich unterschieden sich die beiden Philosophen 
allerdings so, wie er angibt: -Empedokles setzt als das erste 
einen Zustand der vollkommenen Einigung aller Stoffe, erst 
nach der Aufhebung dieses Zustandes lässt er eine Trennung 
eintreten, und dann wieder durch Aufhebung dieser Trennung 
die Einheit sich herstellen; Heraklit dagegen hatte es aus- 
gesprochen, dass die Einigung schon in und mit der Trennung 
gegeben sei, dass jedes Auseinandergehen zugleich ein Zu- 
sammengehen sei und umgekehrt. Diesen Grundsatz durch 
seine Lehre von den wechselnden Weltzuständen zurück- 
zunehmen, lag nicht in seiner Absicht; verträgt sie sich nicht 
mit demselben, so ist diess ein Widerspruch, den er, und den 
wahrscheinlich auch Plato so wenig bemerkt hat, als ähnliche 
Widersprüche in zahllosen anderen Fällen bemerkt worden 
sind!). Sollte es nun undenkbar sein, dass Plato da, wo er 
das principielle Verhältniss des Heraklit und Empedokles kurz 
und scharf bezeichnen will, sich eben nur an ihre allgemeinen 
Voraussetzungen hielt, die Frage dagegen ununtersucht liess, 
ob denen des Heraklit eine Lehre durchaus entspreche, mit 
der dieser selbst ihnen keinenfalls hatte zu nahe treten wollen? 
Sollte sich diess wenigstens nicht ungleich leichter denken 
lassen, als dass Aristoteles und alle seine Nachfolger in der 
Auffassung des heraklitischen Systems ein so grobes Miss- 


1) Oder ist es etwa, um nur Ein Beispiel anzuführen, leichter begreif- 
lich su machen, dass eine ewige und unveränderliche Gottheit die Welt erst 
in einem bestimmten Zeitpunkt geschaffen haben soll, als dass Heraklit's 
ewiglebendiges Feuer sie zeitweise in sich zurücknehmen soll? Aber be- 
zweifelt irgend jemand aus diesem Grunde, dass der erste Artikel des aposto- 
lischen Glaubensbekenntnisses wirklich so gemeint ist, wie er lautet? 


700 Heraklit. [638. 639] 


verständniss begangen hätten, wie man diess annehmen muss, 
wenn man ihr Zeugniss für die heraklitische Weltverbrennung 
nicht gelten lässt!) Ὁ 

Nun war allerdings, wie bemerkt, der Wechsel der Welt- 
zustände durch Heraklit’s Lehre vom Fluss aller Dinge nicht 
gefordert; und wenn er wirklich annahm, dass nach der Welt- 
verbrennung eine Zeit eintrete, in welcher nichts ausser dem 
Urfeuer vorhanden sei, und dass in diesem alle Gegensätze 
schlechthin aufgehoben seien, so steht diess im Widerspruch 
mit der schöpferischen Lebendigkeit dieses Feuers und mit 
dem Satze, dass das Wirkliche sich unablässig von sich unter- 
scheide, um mit sich zusammenzugehen. Aber die Frage ist 
ja hier nicht, was sich aus der reinen Consequenz der hera- 
klitischen Grundsätze ergeben würde, sondern in welchem 
Umfang unser Philosoph diese Consequenz gezogen hat, und 
nichts berechtigt uns zu der Voraussetzung, er könne 
keine Annahme aufgestellt haben, die nicht aus seinen all- 
gemeinen Grundsätzen mit logischer | Nothwendigkeit hervor- 
gieng, oder wenigstens keine, die mit denselben, bei streng 
folgerichtiger Entwicklung, in Widerstreit kam. Das tägliche 
Erlöschen der Sonne folgt in Wahrheit auch nicht aus dem 
Satze vom Fluss aller Dinge; es widerspricht vielmehr, beim 
Lichte betrachtet, der Bestimmung, welche sich aus heraklı- 
tischen Voraussetzungen unschwer ableiten lässt?), dass die 
Masse der Elementarstoffe (Feuer, Wasser und Erde) sich 
immer gleich bleiben müsse, da die des Feuers durch dasselbe 
ohne sofortigen Ersatz erheblich vermindert würde. Aber wir 
dürfen jene Vorstellung unserem Philosophen desshalb nicht 
absprechen. Die Präexistenz der Seelen und ihre Fortdauer 


1) Sagt doch auch Arıstoteres Phys. VII, 3. 253 b 9 ganz überein- 
stimmend mit Plato, mit Beziehung auf Heraklit, so bestimmt er ihm die 
Weltverbrennung beilegt: φασί τινὲς χιγεῖσϑαι τῶν ὄντων οὐ τὰ μὲν τὰ 
δ᾽ οὔ, ἀλλὰ πάντα χαὶ ἀεὶ, während er im vorhergehenden (c. 1. 250 b 
26) Empedokles den Satz zugeschrieben hatte, ἐν μέρες χινεῖσϑαι καὶ πάλιν 
ἠρεμεῖν. ᾿ 

2) Wenn nämlich alle Elementarstoffe in beständiger Umwandlung 
nach einer festbestimmten Reihenfolge begriffen sind, und hiebei aus der 
gleichen Masse des einen immer eine gleich grosse Masse der andern ent- 
steht (hierüber 8. 681), so folgt mit Nothwendigkeit, dass die Gesammt- 
masse eines jeden immer dieselbe bleiben muss, 


1639. 640] Weltperioden, Weltverbrennung. 701 


nach dem Tode lässt sich mit der unablässigen Veränderung 
aller Dinge streng genommen nicht vereinigen; aber wir wer- 
den dennoch finden, dass der Philosoph sie angenommen hat. 
Aehnlich verhält es sich auch im vorliegenden Falle. Heraklit 
hätte die Weltverbrennung allerdings nicht blos entbehren 
können, sondern er würde seine leitenden Ideen sogar reiner 
durchgeführt haben, wenn er statt einer periodisch wechseln- 
den Weltentstehung und Weltzerstörung in der Weise des 
Aristoteles die Anfangs- und Endlosigkeit des Weltganzen bei 
unaufhörlicher Veränderung seiner Theile gelehrt hätte. Aber 
dieser Gedanke liegt der gewöhnlichen Vorstellungsweise so 
ferne, dass auch die Philosophie lange Zeit brauchte, bis sie 
sich zu demselben erhoben hatte!); weiss doch kein einziger 
von den älteren Philosophen die Erklärung der Welteinrich- 
tung anders, als in der Form einer Kosmogonie, zu geben, 
weiss doch selbst Plato diese Form für seine Darstellung nicht 
zu entbehren. Den herrschenden Vorstellungen gegenüber war 
es schon etwas grosses, | wenn ein Philosoph so, wie Heraklit, 
aussprach, dass die Welt ihrer Substanz nach anfangslos sei; 
ehe man aber dazu fortgieng, auch das Weltgebäude als solches 
für ungeworden zu erklären, und so eine Ewigkeit der Welt 
im aristotelischen Sinn zu behaupten, machte man erst den 
Versuch, die Voraussetzung einer Weltentstehung mit der neu 
gewonnenen Erkenntniss von der Unmöglichkeit eines absoluten 
Weltanfangs durch die Annahme zu vereinigen, die Welt sei 
zwar ihrem Wesen nach ewig, aber ihr Zustand unterliege von 
Zeit zu Zeit einer so vollständigen Veränderung, dass eine 
neue Weltbildung nöthig werde. War diese Annahme auch 
nicht die folgerichtigste und wissenschaftlich begründetste, so 
war sie doch diejenige, welche der damaligen Philosophie zu- 
nächst lag, und welche Heraklit bei seinen unmittelbaren Vor- 
gängern aus der altjonischen Schule, einem Anaximander und 
Anaximenes, vorfand; und diess genügt, um die Zweifel gegen 


1) Nur die Eleaten erklärten das Seiende für ungeworden; aber Pat- 
menides und seine Nachfolger verstehen unter diesem Seienden nicht unser 
Weltgebäude als solches, da sie ja die Vielheit und Veränderung leugnen; 
Xenophanes seinerseits nahm (8. o. 542 4) Veränderungen des Weltzustandes 
an, die mit der aristotelischen Lehre von der Ewigkeit der Welt unverein- 
bar wären. 


702 Heraklit. [640. 641} 


die einstimmige Ueberlieferung des Alterthums zu beschwich- 
tigen. 

Wie jeder Vorgang in der Welt sein festes Mass hat, so 
sollte auch die Dauer der wechselnden Weltzeiten genau be- 
stimmt sein!); und hierauf bezieht sich wohl die Angabe, deren 
Richtigkeit übrigens nicht durchaus feststeht, dass Heraklit 
ein grosses Jahr angenommen habe, welches er nach den einen 
auf 10800, nach andern auf 18000 Sonnenjahre berechnet 
hätte?). | Das Auseinandertreten der Gegensätze, oder die 


1) θιοο. IX, 8: γεννᾶσϑαί τ᾽ αὐτὸν [τὸν x00u0V] ἐκ πυρὸς χαὶ πάλεν 
ἐχπυροῦσϑαι χατά τινας περιόδους ἐναλλὰξ τὸν σύμπαντα αἰῶνκ᾽ τοῦτο 
δὲ γίνεσϑαι χαϑ' ἐἑμαρμένην. ϑβιιμρΡι.. Phys. 24, 4 (8. ο. 667, 3); ähnlich 
257 b u. De calo 182 b 17 (Schol. 487 Ὁ 39). Eus. pr. ev. XIV, 8, 6: 
χρόνον τε wolodaı τῆς τῶν πάντων εἰς τὸ πῦρ ἀναλύσεως χαὶ τῆς Ex 
τούτου γενέσεως. 

2) Unter dem grossen Jahr, sagt Cexsorım Di. nat. 18, 11, verstehe 
man (wie schon Cıc. Rep. VI, 22, 24 und vor ihm die Stoiker sagen; vgl. 
Th. ΠῚ a, 154, 2) die Zeit, nach deren Ablauf die sämmtlichen sieben 
Planeten in demselben Zeichen stehen, dem gleichen, in dem sie beim Be- 
ginn derselben gestanden haben; dieses Jahr bestimmen andere anders, 
Linus und Heraklit auf. 10800 Sonnenjahre. Dagegen Plac. II, 32: 'Hoa- 
χλειτος [τὸν μέγαν ἐνιαυτὸν τίϑεται) Ex μυρίων ὀχταχεςχιλίων ἐνιαυτῶν 
ἡλιαχῶν. ΒΕΆΝΑΥΒ I, ὅδ glaubt, diese Zahlen seien aus den hesiodischen 
Versen’b. Prut. Def. orac. 11, S. 415 herausgeklügelt, es lässt sich jedoch 
nicht absehen, wie diess möglich sein sollte. Schuster 375 f. vermuthet, 
von der Angabe der Placita ausgehend, H. möge der Welt (wie nach 8. 650, 24 
dem Menschen) einen Kreislauf von 30 Jahren, und jedem Weltjahr statt 
12 Monaten 12 Jahrhunderte zugewiesen haben; von den 36 000 Jahren, die 
man so erhält, fallen auf die ὁδὸς ἄνω und χάτω je 18000. Mir ist diess 
doch allzu unsicher, und die Placita sagen auch etwas anderes; sie müssten 
daher, wie Sch. will, die Dauer der διαχύσμησες mit der des ganzen Welt- 
jahrs verwechselt haben. Wahrscheinlicher ist Tansery’s Annahme (Sci. Hell. 
168), dass die 10800 Jahre gefunden wurden, indem jeder von den 360 
Tagen des Sonnenjahrs im Weltjahr zu einer γενεὰ von 30 Jahren (8. u. 
650, 24) ausgedehnt wurde. Lassarce II, 191 ff. stellt, seiner Hypothese 
über die Sonne (8. o. 684, 2) und seiner Leugnung der Ekpyrosis ent- 
sprechend, die Ansicht auf, Heraklit's grosses Jahr bezeichne die Zeit, welche 
ablaufe, bis alle Atome des gesammten Kosmos den Kreislauf des Daseins 
durchgemacht haben und durch die Form des Feuers hindurchgegangen 
seien. Allein diess ist nicht allein etwas ganz anderes, als was unsere 
Zeugen sagen, sondern es ist auch für Heraklit, selbst abgesehen von den 
Atomen, die sich mit seiner Physik schlechterdings nicht vertragen, viel zu 
gesucht und erkünstelt, ja es ist an sich selbst ganz unnatärlich. Jedes 
Jahr muss doch seinen bestimmten Anfangs- und Endpunkt haben, und so 


[641] Weltperioden; Weltjahr. a 703 


Weltbildung, bezeichnete Heraklit mit dem Namen des Streites, 
die Einigung des getrennten mit dem des Friedens und der 
Eintracht; den Zustand des getheilten Seins nannte er auch 
die Bedürftigkeit, den der Einheit, welcher durch die Ver- 
brennung eintritt, die Fülle!). In diesem Gegensatz bewegt 


hat auch das „grosse Jahr“, wenn man darunter versteht, was sonst immer 
darunter verstanden wird, einen solchen; Lassalle’s grosses Jahr dagegen 
könnte von jedem.beliebigen Moment gleich gut datirt werden und wäre 
in jedem gleichsehr abgelaufen. 

1) Dioe. nach dem eben angeführten: τῶν δ᾽ ἐναντίων τὸ μὲν ἐπὶ 
τὴν γένεσιν ἄγον χαλεῖσϑαι πόλεμον χαὶ ἔρεν, τὸ δ᾽ ἐπὶ τὴν ἐχπύρωσιν 
ὁμολογίαν χαὶ εἰρήτην. Fr. 86 s. ο. 640, 1. 672, 1. Puito Leg. alleg. II, 
62 A 8. ο. 640, 1. De vict. 8. 5. 693 m. Von dem χόρος und der χρησ- 
μοσύνη redet auch Pıuranch in der Bd. III a, 154, 2 besprochenen Stelle 
De Ei c. 9; aber Heraklit wird hier nicht genannt; seine ganze Mittheilung 
bezieht sich vielmehr zunächst jedenfalls auf eine stoische Mythendeutung. 
Auch die Stoiker hatten nun natürlich die Ausdrücke χόρος und χρησμ. 
von Heraklit entlehnt; dagegen haben wir kein Recht zu der Voraussetzung, 
das, was Plut. dort über die Dauer dieser beiden Zustände sagt, sei gleich- 
falls heraklitisch, und diess um so weniger, da auch die Stoiker darüber 
keineswegs einig gewesen zu sein scheinen. Ueber die Bedeutung von 
x0005 und zonou. lässt der Sprachgebrauch und die Parallele des χόρος und 
λιμὸς (8. o. 640, 1) keinen Zweifel übrig; χόρος heisst „Sättigung“, „Ge- 
nügen“, „Fülle“, xonou. „Bedürftigkeit“, „Mangel“; jenes bezeichnet also 
den Zustand, in welchem dem göttlichen Feuer an seiner Vollkommenheit 
nichts abgeht, dieses den, in welchem ihm ein- Theil derselben fehlt, weil 
es nämlich grösserentheils in andere, seine göttliche Natur nicht so rein 
darstellende Stoffe übergegangen ist. Diesen klar vorliegenden Wortsinn 
zu bestreiten, und „die Werthzeichen für die χρησμ. und den χόρος beinahe 
umzudrehen“ (Prı. 174 ff. 191), haben wir kein Recht. Die Angabe (s. o. 
672, 1), dass die ἐχπύρωσις nach Her. χόρος sei, die διαχόσμησις χρησ- 
μοσύνη, kann unmöglich dahin gedeutet werden, „dass das Urwesen die 
Monotonie der Gegensatzlosigkeit nach erreichter ἐχπύρωσις satt bekomme“, 
und dass ein „tiefinneres Bedürfniss zur διαχόσμησις führe“; aus jener 
Stelle selbst und aus andern Beispielen geht vielmehr hervor, dass ?x- 
πύρωσις und διαχόσμησις erst dem späteren (stoischen) Sprachgebrauch an- 
gehörten, Her. dagegen nur von xöpos und yonouoovyn gesprochen haben 
kann, die nicht er, sondern der Berichterstatter, durch ἐχπύρωσις und dıe- 
χόσμησις erläutert. Wir haben aber auch gar keinen Anlass zu einer 
solchen Umdeutung der Worte. Mochte Her. noch so sehr überzeugt sein, 
dass das göttliche Feuer sich vermöge seiner Natur in die Elementarstoffe 
umwandeln, die Gegensätze aus sich hervortreiben müsse, so gilt ihm doch 
seine ursprüngliche Gestalt als die reinere, seinem Wesen entsprechendere. 
Nennt er doch auch das Leben der Sterblichen den Tod der Götter 

Philos. d. Gr. I. Bd. 5. Aufl. 45 


704 Heraklit. [641. 642) 


sich das Leben der Welt, wie im kleinen so auch im grossen, 
aber immer ist es nur Ein Wesen, das sich in dem Wechsel 
der Formen zur Erscheinung bringt, das schöpferische Feuer 
ist alles, was wird und vergeht, die Gottheit ist Krieg und 
Frieden, Bedürftigkeit und Fülle?). | 


3. Der Mensch, sein Erkennen und sein Thun. 

Der Mensch stammt in letzter Beziehung, wie alles in der 
Welt, aus dem Feuer. Aber doch verhalten sich die zwei 
Haupttheile seines Wesens in dieser Hinsicht sehr verschieden. 
Der Leib für sich genommen ist das starre und leblose; wenn 
daher die Seele aus ihm gewichen ist, so ist er für Heraklit 
nur noch ein Gegenstand des Abscheus?). In der Seele da- 
gegen, diesem unendlichen Theil des menschlichen Wesens), 
hat sich das göttliche Feuer in seiner reineren Gestalt er- 
halten 4) ; sie besteht aus Feuer, aus den warmen und trockenen 


(s. S. 709, 1), warum hätte er nicht ebensogut die Umwandlung des Ur- 
wesens in die abgeleiteten als einen Mangel, seine Rückkehr zu seiner ur- 
sprünglichen Natur als eine Befriedigung bezeichnen können’? 

1) 5. ο. 8. 640, 1. 

2) Fr. 77 s. u. 708, 5. Fr. 85 (ὅτβαβο XVL, 4, 26. S. 784 u. a.): γέχυες 
χοπρέων ἐχβλητότεροι. TEICHMÜLLER II, 236 f., PFLEIDERER 227, CHiAFrPELLI 
Framm. di Eracl. 11 sehen in diesen Worten, von denen uns ganz unbe- 
kannt ist, in welchem Zusammenhang sie standen, einen, vielleicht durch 
parsischen Einfluss hervorgerufenen, Widerspruch gegen die ägyptische Sitte 
des Einbalsamirens. In ihnen selbst deutet nichts darauf hin. Der Leich- 
nam ist im Rohzustand noch viel ἐχβλητότερος als wenn er einbalsamirt 
wird, und um diess zu bemerken, braucht man kein Parse zu sein. SCHUSTER’S 
Fr. 51 Ὁ 5. 135 ist das orphische σῶμα = σῆμα (8. o. 450, 4), das aber 
niemand Heraklit beilegt; sein angeblicher griechischer Text bei CurArPELLI 
a. a. O. besteht aus Worten PrutAzcH's qu. conv. IV, 4, 3, 6. 

3) Fr. 71 (θιοα. IX, 7. Teer. De an. 2 vgl. Scaust. 270. 391 4): 
ψυχῆς πείρατα οὐχ ἄν ἐξεύροιο πᾶσαν ἐπιπορευόμενος ὁδόν᾽ οὕτω βαϑὺν 
λόγον ἔχει (wenn diese vier Worte noch Heraklit gehören). Die πείς- 
para erkläre ich, im wesentlichen mit Schuster einverstanden, von der 
Grenze, bis zu der die Seele geht, der Grenze ihres Wesens; dagegen 
scheint mir die Textesänderung, die er vorschlägt, entbehrlich; noch weniger 
kann ich Lassarte’s (II, 357) Vorschlägen beitreten; weiss aber die ὁδὸς, 
welche doch nicht die Seele, sondern ihr Erforscher zu durchwandern hat, 
auch nicht mit Prrxiperer 229 auf den Auf- und Abstieg der Seelen zu 
beziehen. 

4) Es ist insofern nicht ohne Grund, wenn Cuarcıp. in Tim. c. 249 


1643] Anthropologie. ἮΝ 705 


Dünsten!), | welche desshalb auch geradezu „Seele“ genannt 
werden ?); und je reiner dieses Feuer ist, um so vollkommener 
ist die Seele: „die trockenste Seele ist die weiseste und die 
beste“ 8), sie | schlägt, wie es heisst, durch die körperliche 


(von Lass. II, 341 nachgewiesen) Heraklit die stoische, dem Alterthum 
überhaupt so geläufige Lehre von dem fortwährenden Zusammenhang des 
menschlichen Geistes mit dem göttlichen zuschreibt. In welcher Form 
jedoch und mit welcher Bestimmtheit er diese Lehre vorgetragen hat, lässt 
sich aus diesem späten Zeugniss nicht abnehmen. 

1) Das entscheidendste Zeugniss hiefür liegt in der S. 646, 3. 647, 2 
besprochenen aristotelischen Stelle, wo die ἀναϑυμίέασες nur dasselbe be- 
deutet, was sonst πῦρ genannt wird. Wenn dieses Feuer das ἀσωματῶώ- 
τατον genannt wird, so darf man daraus nicht mit Taexıstıus (s. u.) ein 
ἀσώματον und mit LassırLe II, 331 etwas absolut stoffloses machen; son- 
dern es bezeichnet nur den feinsten, am wenigsten greifbaren, der wirklichen 
Unkörperlichkeit am nächsten kommenden Stofl. Wird sodann als Grund 
für diese Bestimmung angegeben, dass die Seele bewegt sein müsse, um 
das bewegte zu erkennen, so ist diess eine Vermuthung des Aristoteles, 
deren allgemeine Voraussetzung dieser im vorhergehenden 404 b 7 f. aus- 
gesprochen hat. Weiter vgl. m, Paızor. De an. C 7 (oben 647, 2). Tuexist. 
De an. II, 24 Sp.: χαὶ Ἡράκλειτος δὲ ἣν ἀρχὴν τίϑεται τῶν ὄντων, ταύ- 
την τέϑεται χαὶ ψυχήν᾽ πῦρ γὰρ καὶ οὗτος" τὴν γὰρ ἀναϑυμίασιν ἐξ ἧς 
τὰ ἄλλα συνίστησιν (nach Arist.) οὐχ ἄλλο τε ἢ πῦρ ὑποληπτέον, τοῦτο δὲ 
χαὶ ἀσώματον χαὶ δέον ἀεί. Arıus Div. b. Eus. pr. ev. XV, 20, 1: ἀγα- 
ϑυμίασιν μὲν οὖν ὁμοίως τῷ Ἡραχλείτῳ τὴν ψυχὴν ἀποφαίνει Ζήνων. 
Τεετ. De an. c. ὅ: Hippasus οἱ Heraclitus ex igni (animum effingunt). MaAcRoB. 
Somn. I, 14: Heraclitus physious (animam dizit) scintillam stellaris essentiae 
(d. h. des himmlischen Feuers), Neues. nat. hom. c. 2, 5. 28: Ἡράχλ. δὲ 
τὴν μὲν τοῦ παντὸς ψυχὴν (diess natürlich nicht Heraklit’s Ausdruck) 
ἀναϑυμίασιν ἐκ τῶν ὑγρῶν, τὴν δὲ ἐν τοῖς ζῴοις ἀπό τε τῆς ἐχτὸς καὶ 
τῆς ἐν αὐτοῖς ἀναϑυμιάσεως ὁμογενῆ (scil. τῇ τοῦ παντὸς) πεφυχέναι. 
Gleichlautend Plac. IV, 3, 6. Wie wir es zu erklären haben, dass nach 
Sexr. Math. IX, 360. Tert. De an. 9. 14 einige sagten, Heraklit halte die 
Seele für Luft, ist Bd. III b, 30 untersucht. 

2) 8. o. 648, 1. 676. 

3) Fr. 74. 75. Der Satz wird Heraklit schr häufig beigelegt, aber in 
80 verschiedenen Lesarten, dass es schwer ist, das ursprüngliche heraus- 
zufinden. Sros. Floril. 5, 120 hat: αὔη ψυχὴ σοφωτάτη χαὶ ἀρίστη. Eine 
Handschrift gibt jedoch «ün ξηρὴ, eine andere αὐγὴ ξηρὴ, ebenso wechseln 
in dem Bruchstück des Musonius ebd. 17, 43 die Lesarten zwischen αὔη 
ohne ξηρὴ, αὐγὴ ξηρὴ und αὖ γῆ ξηρή. Statt αὔη setzt PoRPH. antr. nymph. 
ec. 11 Schl.: ξηρὰ ψυχὴ σοφωτάτη, ähnlich GLykas Annal. 74. 116 ψυχὴ 
ξηροτέρη ooywrdon. Ebenso Pur. v. Rom. 28: αὕτη γὰρ ψυχὴ ξηρὴ (al. 
αὔη y. w. χαὶ ξ) ἀρίστη xa9° Ἡριίχλειτον, ὥσπερ ἀστραπὴ νέφους δια- 
πταμένη τοῦ σώματος (dass auch dieser Beisatz heraklitisches enthält, 

45* 


7106 ᾽ Heraklit. [643] 


wird theils durch den Zusammenhang der plutarchischen Stelle, theils durch 
das gleich anzuführende aus Clemens wahrscheinlich). Ders. Def. orac. 41, 
8. 432: αὕτη γὰρ ξηρὰ ψυχὴ xa9° Ἡράχλειτον. Dagegen sagt Ps.-PLur. 
De esu carn. 1, 6, 4. 8. 995: „adyn ξηρὴ ψυχὴ σοφωτάτη" κατὰ τὸν Ἡρα- 
χλειτον Eoıxev (sc. λέγειν), oder nach anderer Lesart: αὐγῇ ξηρῇ ψυχὴ σοφ. 
x. τ. Ho. ἔοικεν, ebenso GALEN qu. an. mores u. 8. w. c. 5. Bd. IV, 786 K. 
und gleichlautend Herruıas in Phadr. 8. 73 ο.: αὐγὴ ξηρὴ ψυχὴ 0oywrarn, 
und Crenens Pädag. Π, 156 C, ohne Heraklit zu nennen: αὐγὴ δὲ ψυχὴ 
ξηρὰ σοφωτάτη χαὶ ἀρίστη... οὐδέ ἐστε κάϑυγρος ταῖς ἐχ τοῦ οἴνου ἀνα- 
ϑυμιάσεσι νεφέλης δίχην σωματοποιουμένη. PHıto endlich bei Eve. pr. ev. 
VII, 14, 53 hat: οὗ γῆ ξηρὴ, ψυχὴ σοφωτάτη καὶ ἀρίστη, und dass hier 
wirklich nicht mit einigen Handschriften αὐγὴ oder αὐγῇ (eine hat auch 
ξηρῇ ψυχῇ), sondern οὐ γῆ zu lesen ist, erhellt aus dem Text PnıLo’s De 
provid. II, 109: „in terra siooa animus est sapiens ac virtutis amans.“ (Ausführ- 
licheres bei SCHLEIERMACHER S. 129 fi. und BrwATER) SCHLEIERMACHER 
nimmt nun drei verschiedene Aussprüche an: οὗ γῆ ξηρὴ, ψυχὴ u. 8. w., 
αὔη ψυχὴ u. 8. w., αὐγὴ ξηρὴ ψυχὴ u. 8. w. Diess ist aber doch sehr un- 
wahrscheinlich, und mag auch das erste der drei schleiermacherischen 
Bruchstücke von den beiden andern zu unterscheiden sein, so scheinen doch 
diese selbst ursprünglich identisch zu sein. Wie der Ausspruch eigentlich 
lautete, und wie seine verschiedenen Versionen zu erklären sind, lässt sich 
nicht mit Sicherheit bestimmen; ich glaube jedoch nicht, dass der Satz 
»κὐγὴ ξηρὴ ψυχὴ σοφωτάτη“ heraklitisch ist: der Subjektsbegriff ψυχῆ als 
Theil des Prädikats hat etwas sehr störendes, und αὐγὴ ξηρὴ wäre ein 
seltsamer Pleonasmus, da es keine αὐγὴ ὑγρὰ gibt, denn das Feuchtwerden 
ist ein Erlöschen des Strahles.. Wenn daher die Worte bei Heraklit wirk- 
lich so standen, wie diess die Häufigkeit dieser Anführung allerdings wahr- 
scheinlich macht, so möchte ich vermuthen, dass sie anders zu interpungiren 
sind. Gesetzt, Heraklit habe etwa geschrieben, die feuchte Seele werde vom 
Körper festgehalten, die trockene dagegen διἵπταται τοῦ σώματος ὅχως 
γνέφεος αὐγή" ξηρὴ ψυχὴ σοφωτάτη xal ἀρίστη (und etwas der Art scheint 
Pur. v. Rom. 28 vorauszusetzen), so würde sich alles vollständig erklären. 
ScHuster 8. 140 wendet hiegegen ein: statt αὐγὴ wäre Plutarch’s ἀστραπὴ 
weit passender, indessen zeigt TeicumÜLLer 1, 65, dass αὐγὴ auch vom 
Blitz steht; so Il. XIII, 244. Hes. Taeoc. 699. Soruor. Phil. 1199 
(Boovras αὐγαῖς μ᾽ εἶσι φλογίζων). Schuster's Erklärung: „ist trocken das 
Gas, so ist die Seele am weisesten“, steht, auch abgesehen von dem „Gas“, 
das obenbemerkte entgegen, dass man doch nur dann von einer αὐγὴ ξηρὰ reden 
und blos die trockene αὐγὴ für weise erklären könnte, wenn es auch eine 
αὐγὴ ὑγρὰ gäbe. Oder würde irgend jemand sagen: „wenn der Lichtstrahl 
(oder die Flamme) trocken ist?“ BywArter hält für das ursprünglichste: 
αὔη ψυχὴ σοφ. χ. ἀρ. Zu Curarpeitls Vermuthung (a. a. O. 25), dass das 
οὗ γῆ ξηρὴ u. 8. w. den abschätzigen Urtheilen der Aegypter über die 
Griechen entgegentreten wolle, sehe ich nicht die geringste sachliche Ver- 
anlassung. 


644] Anthropologie. 707 


Umhüllung, wie der Blitz durch die Wolken!). Wird anderer- 
seits das Seelenfeuer durch Feuchtigkeit verunreinigt, so geht 
die Vernunft verloren?), und daraus erklärte Heraklit die Er- 
scheinungen des Rausches: der Betrunkene ist seiner selbst 
nicht mächtig, weil seine Seele angefeuchtet ist®). Wie aber 
jedes Ding in unablässiger Umwandlung begriffen ist und sich 
fortwährend neu erzeugt, so wird diess auch von der Seele 
gelten: ihr Feuer ist nicht allein von aussen her in den Leib 
gekommen, sondern es muss sich auch von dem Feuer ausser 
ihr nähren, um sich zu erhalten; eine Annahme, die schon 
durch den Athmungsprocess nahe gelegt war, wenn man ein- 
mal die Seele der Lebensluft gleichsetzte*). Heraklit nahm 
daher δὴ), dass die Vernunft | oder der Wärmestoff aus der 


1) Was TerruLı. De an. 14 Heraklit gemeinschaftlich mit Aenesidem 
und Strato weiter beilegt, dass die Seele, ἐμ totum oorpus difusa οἱ ubiqus 
ipsa, velut flatus in calaıno per cavernas, tla per sensualia variis modis emicet, 
scheint er willkürlich von diesen auf ihn übertragen zu haben. Vgl. Anm. 5. 

2) M. vgl. hierüber auch den S. 648, 1 angeführten Satz, der zunächst 
freilich einen allgemeineren Sinn hat. 

8) Fr. 73 Sros. Floril. 5, 120: ἀνὴρ ὁχόταν μεϑυσϑὴ ἄγεται ὑπὸ 
παιδὸς ἀνήβου σφαλλόμενος, οὐκ ἐπαΐων ὅχη βαίνει, ὑγρὴν τὴν ψυχὴν 
ἔχων. αὶ. Pıor. qu. conv. II, prooem. 2. Stop. Floril. 18, 82. 

4) Vgl. 5. 453, 2. 

5) S. 0.668, 1. 705, 1. Sexr. Math. VII, 127 fi.: ἀρέσκει γὰρ τῷ φυσιχῷ 
τὸ περιέχον ἡμᾶς λογικόν TE ὃν καὶ φρενῆρες . . . . τοῦτον δὴ τὸν ϑεῖον 
λόγον xa9° Ἡράχλειτον di ἀναπνοῆς σπάσαντες νοεροὶ yırousda, καὶ ἐν 
ὕπνοις ληϑαῖοι χατὰ δὲ ἔγερσιν πάλιν ἔμφρονες" ἐν γὰρ τοῖς ὕπνοις μὲν 
μυσάντων τῶν αἰσϑητιχῶν πόρων χωρίζεται τῆς πρὸς τὸ περιέχον συμ- 
φυΐας ὁ ἐν ἡμῖν νοῦς, μόνης τῆς χατὰ ἀναπνοὴν προςφύσεως σωζομένης 
olovel rıvos ῥίζης... ἐν δὲ ἐγρηγορόσι πάλιν διὰ τῶν αἰσϑητιχῶν πόρων 
ὥσπερ διά τινων ϑυρίδϑων προχύψας χαὶ τῷ περιέχοντε συμβάλλων λογε- 
any ἐνδύεται δύναμιν. ὅνπερ οὖν τρόπον οὗ ἄνϑρακες πλησιάσαντες τῷ 
πυρὶ κατ᾽ ἀλλοίωσεν διάπυροι γίνονται, χωρισϑέντες δὲ σβέννυνται, οὕτω 
χαὶ ἡ ἐπιξενωθεῖσα τοῖς ἡμετέροις σώμασιν ἀπὸ τοῦ περιέχοντος μοῖρα 
χατὰ μὲν τὸν χωρισμὸν σχεδὸν ἄλογος γίνεται, κατὰ δὲ τὴν διὰ τῶν 
πλείστων πόρων σύμφυσιν ὁμοειδὴς τῷ ὅλῳ χαϑίσταται. Des Bildes von 
den Kohlen bedient sich, in anderer Beziehung, auch der falsche Hırro- 
KRATES 71. διαίτ. I, 29. Dass übrigens Sextus das heraklitische in seiner 
eigenen oder Aenesidem’s Sprache wiedergibt, versteht sich. Blosse Folge- 
rung ist es, wenn Sexr. VII, 349 (vgl. Teer. De an. 15) sagt: die Seele sei 
nach H. ausser dem Leibe, und VIII, 286 (vielleicht wegen Fr. 96. s. o. 
668, 1): nach Heraklit un εἶναι λογιχὸν τὸν aysowmor, μόνον δ' ὑπ- 
ἄρχειν φρενῆρες τὸ περιέχον (ähnlich Arorzox. Tyan. epist. 18: ἩΗράχλ. 


708 Heraklit. [645. 646} 


Atmosphäre!) theils durch den Athem, theils durch die Sinnes- 
werkzeuge in uns eintrete?). Schliessen sich diese im Schlaf, 
so verdunkelt sich das Licht der Vernunft, der Mensch wird 
in seinem Vorstellen auf seine eigene Welt, die subjektiven 
Einbildungen des Traumes beschränkt®), | so wenig er sich 
auch in der Wirklichkeit der Bewegung des Weltganzen ent- 
ziehen kannt); öffnen sie sich beim Erwachen, so entzündet 
sich jenes Licht wieder; hört die Verbindung mit der Aussen- 
welt durch den Athem auch auf, so erlischt es gänzlich). 


ἄλογον εἶναε κατὰ φύσιν ἔφησε τὸν ἄνϑρωπον). Denn wenn Sextus be- 
hauptet, Her. sage diess ῥητῶς, so ist darauf 80 wenig zu geben, als VII, 133, 
wo er mit demselben ῥητῶς eine falsche Deutung von Fr. 2 (8. ο. 630, 1} 
einleitet. 

1) Dass diese mit dem περεέχον gemeint ist, geht aus den Worten des 
Sextus mit Sicherheit hervor: nur mit der Luft ausser uns stehen wir ja 
durch den Athem, mit dem Licht ausser uns durch die Augen in Ver- 
bindung. Diese Vorstellungsweise hat auch bei Her. gar nichts auffallendes ; 
wenn die Vernunft mit dem Feuer zusammenfällt, so ist es ganz natürlich, 
dass sie mit dem belebenden und erwärmenden Athem in den Menschen 
eintritt, und von Luft und Licht genährt wird. Nur wenn man mit Lassalle 
Heraklit's Urfeuer zu einer metaphysischen Abstraktion verflüchtigt, muss 
man auch an dieser Art seiner Mittheilung Anstoss nehmen. Er will 
(1, 305 ff. II, 270) unter dem περιέχον den allgemeinen Werdensprocess 
oder das weltbildende Gesetz verstanden wissen, welches τὸ περιέχον ge- 
nannt werde, weil es alles überwinde. Allein περεέχειν heisst nicht „über- 
winden“ (vollends nicht, wie Lass. I, 308 will, mit dem Accusativ des Ob- 
jekts), und τὸ περεέχον bedeutet niemals etwas anderes, als „das Umgebende“. 
Bei Sextus kann ohnediess an nichts anderes gedacht werden. Dass übri- 
gens Heraklit selbst sich des Ausdrucks περιέχον bedient hat, ist auch mir 
(wie Lass. I, 307) unwahrscheinlich. 

2) Ob er die Seele ausserdem auch aus dem Blut sich entwickeln und 
nähren liess (8. 5. 705, 1), ist nicht ganz klar. 

3) Fr. 95 Prur. superst. c. 3 g. E. 8. 166: ὁ ᾿μράχλειτός φησι, τοῖς 
ἐγρηγορόσιν Eva καὶ χοινὸν χόσμον εἶναι, τῶν δὲ κοιμωμένων ἕχαστον εἰς 
ἴδιον ἀποστρέφεσϑαι. 

4) Μ. Αὐβει,. ΥἹ, 42: χαὶ τοὺς χαϑεύδοντας, οἶμαι, ὁ ᾿Ἡράκλειτος 
ἐργάτας εἶναι λέγει χαὶ συνεργοὺς τῶν ἐν τῷ χόσμῳ γενομένων. Dass die 
Ausdrücke hier nur theilweise Her. angehören mögen, räume ich LassALLk 
1, 290 und Prreivırer 203 bereitwillig ein. Um so weniger hat man 
dann aber ein Mittel, den Sinn des Ausspruchs zu bestimmen, wenn uns 
der von M. Aurel angenommene, mir ganz unbedenkliche, nicht genügt. 

5) Fr. 77: ἄνϑρωπος ἐν εὐφρόνῃ φάος ἅπτεται ἑαυτῷ' ἀποϑανὼν 
εἐποσβεσϑείς. ζῶν δὲ ἅπτεται τεϑιεῶτος εὗδων᾽ ἀποσβεσϑεὶς ὄψεις ἐγρη- 
γορὼς ἅπτεται εἴδοντος. So lautet der Text Ὁ. Crzm. Strom. IV, 530 D. 


[646] Anthropologie. 709 


Mit diesen physikalischen Ansichten brachte nun aber 
Heraklit, wie später in etwas anderer Art Empedokles, die 
mythischen Vorstellungen über das Leben nach dem Tod in 
eine Verbindung, die durch seine philosophischen Voraussetzun- 
gen allerdings nicht gefordert war. Aus den letzteren könnte 
man nur schliessen, dass die Seele, wie jedes andere Ding, 
im Fluss des Naturlebens immer neu sich erzeugend, ihre per- 
sönliche Identität bewahre, so lange diese Erzeugung auf die 
gleiche Weise und nach dem gleichen Verhältniss vor sich 
geht, dass sie dagegen als Einzelwesen untergehe, wenn die 
Bildung von Seelenstoff an diesem bestimmten Punkt aufhört; 
und da nun dieser Stoff nach Heraklit in den warmen Dün- 
sten besteht, welche theils aus dem Körper sich entwickeln, 
theils durch den Athem eingesaugt werden, so könnte die 
Seele den Leib nicht überleben. Heraklit selbst jedoch scheint 
sich mit der unbestimmteren Vorstellung begnügt zu haben, 
das Leben daure, so lange das göttliche Feuer den Menschen 
beseelt, und es höre wieder auf, wenn es ihn verlässt, und 
indem er nun dieses Göttliche zu Göttern personificirt, erklärt 
er: das Leben der Sterblichen sei der Tod der Unsterblichen, 
der Tod der Sterblichen das Leben der Unsterblichen?); denn 


Brwarer leitet daraus das Fragment ab: ayseunos ὅχως Ev εὐφρόνη 
φάος, ἅπτεται ἀποσβέννυται. Diess scheint mir aber doch zu wenig, 
während mich seine frühere, z. ἃ. St. angeführte Correctur auch nicht be- 
friedigt. Ich möchte, theils an ihn, theils an SCHLEIERMACHER DI, 137 an- 
knüpfend, vorschlagen: ἄνϑρ., ὡς ἐν εὐφρόνῃ φάος, ἅπτεται, ἀποθανὼν 
ἀποσβεσϑείς. ζῶν δὲ u. 5. w. „Der Mensch entzündet sich wie ein Licht 
in der Nacht und erlischt, wenn er stirbt. Während des Lebens aber 
grenzt er an einen Todten, wenn er schläft; während des Wachens an einen 
Schlafenden, wenn er erblindet ist.“ Dass hiebei ἅπτεσθαι bald nach ein- 
nander zweierlei Bedeutung hat, gereicht mir gerade bei Heraklit am wenig- 
sten zum Anstoss, PFLEIDERER’s (204) Deutung der Worte ist für mich, schon 
rein philologisch betrachtet, unannehmbar. 

1) Fr 67, dessen ursprüngliche Form ohne Zweifel Hırror. Refut. 
IX, 10 in den Worten gibt: adavaroı ϑνητοὶ, ϑνητοὶ ἀϑάνατοι, ζῶντες 
τὸν ἐχείνων ϑάνατον, τὸν δὲ ἐχείνων βίον τεϑνεῶτες. SCHLEIERMACHER 
setzt aus HerarL. Alleg. hom. c. 24, S. 51 Mehl. Max. Trr. Diss. X, 4 
Schl. (XLI, 4 g. E.). Crem. Pädag. III, 215 A. Hierro. in carm. aur. 
8. 186 (253). Porpn. antr. nymph. c. 10 Schl. PuıLo Leg. alleg. I Schl. 
8. 60 C (Qu. in Gen. IV, 152), vgl. Brwater z. ἃ. St., die Fassung zu- 
sammen: ἄνϑρωποι ϑεοὶ ϑνητοὶ, ϑεοί τ ἄγϑρωποι ἀϑάνατοι, ζῶντες τὸν 


710 Heraklit. [647] 


so lange der Mensch | lebt, ist der göttliche Theil seines Wesens 
mit den niederen Stoffen verbunden, von denen er im Tode 
wieder frei wird!). Die Seelen, sagt er, durchwandern den 
Weg nach oben und nach unten, sie treten in Leiber ein, 
weil sie der Veränderung bedürfen, und des Beharrens in dem- 
selben Zustand müde werden?). Er übertrug also auf die 


ἐχείνων ϑάνατον, ϑνήσχοντες τὴν ἐχείνων ζωήν. Gegen ihn und LassaLLe 
(I, 186 4): Bernays Herakl. Briefe 87 f. Zur Sache vgl. m. S. 640, 2 und 
Cren. Strom. III, 434 C: οὐχὶ xal Ἡράχλειτος ϑάνατυν τὴν γένεσιν xalei; 
Zu der Vermuthung (Tansery Sci. Hell. 184), dass Her. hier eine ägyp- 
tische Lehre wiedergebe, sehe ich keinen Anlass. 

1) Heraklit's Ansicht wird desshalb von Sexr. Pyrrh. III, 230. PaıLo 
L. alleg. 60 C. u. a. in ähnlichen Ausdrücken dargestellt, wie die pytha- 
goreische und platonische; dass jedoch das, was Sextus a. a. O. sagt: ‘He. 
φησὶν, ὅτε χαὶ τὸ ζὴν καὶ τὸ ἀποθανεῖν χαὶ ἐν τῷ ζὴν ἡμᾶς ἐστι χαὶ ἐν 
τῷ τεϑνάναι Heraklit's eigene Worte, und nicht vielmehr blos eine Folge- 
rung aus dem ebenangeführten Ausspruch enthält, glaube ich nicht; über 
das σῶμα als σῆμα vgl. S. 704, 2. . 

2) Jausı. Ὁ. Stop. ΕΚ]. I, 906: Ἡράχλειτος μὲν γὰρ ἀμοιβὰς avay- 
καίας τίϑεται ἐκ τῶν ἐναντίων ὁδόν τε ἄνω χαὶ κάτω διαπορεύεσθαι τὰς 
ψυχὰς ὑπείληφε, χαὶ τὸ μὲν τοῖς αὐτοῖς ἐπιμένειν χάματον εἶται, τὸ δὲ 
μεταβάλλειν φέρειν ἀνάπαυσιν. Ders. ebd. 896, wo von den verschiedenen 
Ansichten über die Gründe des Herabsteigens der Seelen gesprochen wird: 
xa9° Ἡράχλειτον δὲ τῆς ἐν τῷ ueraßalleodaı aranavins ... αἰτίας yı- 
γνομένης τῶν χαταγωγῶν ἐνεργημάτων. Zur Erläuterung und Bestätigung 
dient diesen Angaben Arn. Gaz. Theophr. 8. 5 Boiss.: ὁ μὲν γὰρ Ἡρα- 
xAsırog διαδοχὴν ἀναγχαίαν τιϑέμενος ἄνω xal κάτω τῆς ψυχῆς τὴν 
πορείαν ἔφη γίνεσϑαι. ἐπεὶ χάματος αὐτῇ τῷ δημιουργῷ συνέπεσϑαε 
χαὶ ἄνω μετὰ τοῦ ϑεοῦ τόδε τὸ πᾶν συμπεριπολεῖν καὶ ὑπ᾽ ἐχείγνῳ τετάχ- 
Jar xal ἄρχεσϑαι, διὰ τοῦτο τῇ τοῦ ἡρεμεῖν ἐπιϑυμίᾳ καὶ ἀρχῆς (die 
Herrschaft über den Körper) ἐλπίδε χάτω φησὶ τὴν ψυχὴν φέρεσϑαι. Nur 
ist hier die heraklitische Lehre in platonischem Sinn ausgedeutet: von dem 
Demiurg hat Heraklit gewiss nicht gesprochen, und ebenso wird die sonstige 
Aehnlichkeit zwischen unserer Stelle und dem platonischen Phädrus nicht 
davon herrühren, dass Plato (wie Lass. II, 235 f. zu zeigen sucht) die hera- 
klitische, sondern davon, dass Aeneas die platonische Darstellung vorschwebte. 
Auch 8. 7 sagt Aeneas von Her.: @ δοχεὶ τῶν πόνων τῆς ψυχῆς ἀνά- 
navlav εἶναι τὴν εἷς τόνδε τὸν βίον φυγήν, und übereinstimmend ΝΌΜΕΝ. 
b. Porrs. De antro nymph. c. 10 (Fr. 72): «Ηράχλειτον ψυχῇσι, φάναι, 
τέρψιν, μὴ ϑάνατον, ὑγρῆσι γενέσϑαι, tepyır δὲ εἶναι αὐταῖς τὴν εἰς τὴν 
γένεσιν πτῶσιν. Die Worte: τέρψεν δὲ. .. πτῶσιν sind hier natürlich 
eine Erläuterung des Numenius, die von Heraklit's Sprache und Denkweise 
gleich weit abliegt; und Demselben gehört auch (wie ich mit Zustimmung 
von Scuuster 191 u. a. annehme) der Zusatz un ϑάνατον an, welcher sich 


[648] Anthropologie: Leben nach dem Tode. 711 


Einzelseelen, was folgerichtig | allerdings nur von der allge- 
meinen Seele oder dem beseelenden göttlichen Feuer gesagt 
werden konnte. Dass er den körperfreien Seelen eine Fort- 
dauer zuschrieb, sieht man auch aus anderen Spuren. Denn 
in einem seiner Bruchstücke bemerkt er, der Menschen warte 
nach ihrem Tode, was sie nicht hoffen noch glauben!); in 


auf den (schon 8. 648, 1 berührten) pseudo-heraklitischen Vers (PgoKL. in 
Tim. 36 C) bezieht: ψυχαῖς ταὶς vospais ϑάνατος ὑγρῆσι γενέσθαι 
(Her. selbst sagt Fr. 68 nur: ψυχῆσι Yavaros ὅδωρ γενέσϑαι) und daher 
von PFLEıpErzr 222 und Gourerz zu Heraklit’s Lehre 1046 mit Unrecht in 
Schutz genommen wird. Dagegen hat mich Gomrerz (1015 f.) nicht über- 
zeugt, dass Her. auch das übrige, was ihm Numenius zuschreibt, nicht hätte 
sagen können, und daher Fr. 72 ihm ganz abzusprechen sei. Ob er das, 
was der Tod der Seelen ist, Udwp γενέσθαι, einen Genuss für sie genannt 
hätte, kann man bezweifeln; aber die Verbindung der Seele mit einem’ Leibe 
konnte er ebensogut, wie den Rausch, für eine Verunreinigung und 
Schwächung durch Feuchtwerden halten, die aber doch einen Genuss ge- 
währe. Seine eigenen Worte gibt am urkundlichsten wohl Prorın in der 
von Lass. I, 131 nachgewiesenen Stelle IV, 8, 1, der auch Jamblich’s oben- 
angeführte Aussage entnommen sein wird: ὁ μὲν γὰρ 'Hgaxisıros ... 
ἀμοιβάς τε ἀναγκαίας τιϑέμενος ἐχ τῶν ἐναντίων, ὁδὸν TE ἄνω χαὶ χάτω 
εἰπὼν, χαὶ „ueraßallov ἀναπαύεται" χαὶ (Fr. 82) „xauaros ἐστι τοῖς 
αὐτοὶς μοχϑεῖν χαὶ ἄρχεσθαι" (hiefür vermuthet Lass. nach CREUZER ἄγχε- 
σϑαι, aber die Stelle des Aeneas spricht, wie er selbst bemerkt, für dey.) 
εἰχάζειν ἔδωχεν (nämlich über die Gründe des Herabkommens der Seele) 
ἀμελήσας σαφῆ ἡμῖν ποιῆσαι τὸν λόγον. (Κάματος kommt bei Her. auch 
Fr. 104 vor; Gourerz Apol.d. Heilk. 11 hat diese zwei Stellen übersehen. 
Wenn Pıur. sol. anim. 7, 4 S. 964 von Empedokles und Heraklit gemein- 
schaftlich sagt, sie tadeln die Natur (hierüber ὃ. 655, 3 Schl.) ὡς ἀνάγχην 
καὶ πόλεμον οὖσαν. . . ὅπου χιὶ τὴν γένεσιν αὐτὴν ἐξ ἀδικέας συν- 
τυγχάνειν λέγουσε τῷ ϑνητῷ συγερχομένου τοῦ ἀϑανάτου, καὶ τέρπεσϑαε 
τὸ γενόμενον παρὰ φύσιν μέλεσε τοῦ γεννήσαντος ἀποσπωμένοις, 80 
glaube ich nicht, dass in den Worten von ὅπου an (wie diess ScHUSTER 
185, 1 annimmt) mehr als das τέρπεσϑαι heraklitisch ist, alles übrige 
erinnert nur an Empedokles; s. u. 8. 730% f. Auch für τέρπεσϑαε möchte 
ich aber τρέφεσθαι vermuthen: vgl. 732, 14. 

1) Fr. 122 b. Creu. Strom. 1V 532 B. Coh. 13 ἢ. Tusop. cur. gr. 
aff. VIII, 41. 8. 118. So». Floril. 120, 28 Schl.: ἀνθρώπους μένει ano- 
ϑανόντας ἅσσα οὐχ Einovras οὐδὲ δοχέουσε. Auf den gleichen Gegenstand 
bezieht sich vielleicht Fr. 7 b. σεν. Strom. II, 366 B. Tukon». I, 88. 5. 15: 
ἐὰν un ἔλπηται ἀνέλπιστον οὐκ ἐξευρήσει, ἀνεξερεύνητον ἐὸν χαὶ ἄπορον. 
Statt ἔλπηται und ἐξευρήσει hat Theod.: ἐλπέζητε und εὑρήσετε. SCHUSTER 
und BywArtEr vermuthen ἔλπηαι, ersterer auch ἐξευρήσεις oder --σεαι. 
Dass mit diesem Ausspruch das gleiche ausgesagt werden solle, wie mit dem 


719 Heraklit. [648] 


einem anderen verheissterden rühmlich Gefallenen ihren Lohn!), 
in einem dritten redet er vom Zustand der Seelen im Hades?), 
in zwei weiteren erwähnt er der Dämonen?) und | der 


(durch falsche Uebersetzung in Jesaj. 7, 9 hineingetragenen) mist credideritis 
non intelligetis, sagt zwar CLEMENS, und TEIcHMÜLLER II, 128 wiederholt es; 
einer Widerlegung bedarf diess aber nicht. Mit Sicherheit lässt sich aller- 
dings die Meinung des abgerissenen Wortes nicht bestimmen. 

1) Fr. 101 b. Cres. Strom. IV, 494 B. Taeo». cur. gr. αϑ IX, 39. 
8. 117: μόροι γὰρ μέζονες μέζονας μοίρας λαγχάνουσι, vgl. Fr. 102 Turon. 
ebdas.: ἀρηΐζφάτους οἱ ϑεοὶ τεμῶσε χαὶ οὗ ἄνϑρωποι, was ich beides nicht 
mit βοηῦβτεε S. 304 für Ironie halten kann. 

2) Fr. 88 Pur. ἴδε. Jun. 28, Schl. 5. 943: ‘Hoaxi. εἶπεν ὅτε al 
ψυχαὶ ὀσμῶνται χαϑ᾽ ἄδην. Der Sinn dieser Worte ist dunkel; auch 
Schuster’s Erklärung: „die Seelen wittern nach dem Hades“, streben ihm 
als einer Erholung (vgl. S. 710, 2) begierig zu, befriedigt mich um so 
weniger, da die Worte diess kaum bersagen können, und Plut. dieselben als 
Beleg dafür gibt, dass die Seelen im Jenseits sich von Dünsten nähren 
können. SotLıer 243 schlägt vor: „sie haben ein Vorgefühl des Hades;“ 
da müsste aber für xa9’ ἀδην „x. ἄδου" stehen. TeıcuwÜüLLkr II, 244 f. 
gibt dem ὀσμᾶσϑαι, um dadurch einen vermeintlichen Anklang an Aegyp- 
tisches zu erhalten, die ihm fremde Bedeutung des Einathmens. PFLEIDERER 
217 f£. vermuthet für ὀσμώνται, das Plutarch unbestreitbar gelesen hat, 
ὁσιοῦνται, sie werden entsühnt; was doch nur dann erlaubt wäre, wenn 
wir wüssten, in welchem Zusammenhang die Worte standen, und wenn eben 
durch diesen die überlieferte Lesart ausgeschlossen, die neue empfohlen 
würde. Bei derselben Veranlassung wie Fr. 38 könnte gesagt sein, was 
Arıst. De sensu 5. 443 a 23 anführt (Fr. 37): ὡς εἰ πάντα τὰ ὄντα xanvog 
γένοιτο, Bives ὧν dıayvoiev. BERNAYS I, 97 bezieht es, wie mir scheint ge- 
zwungen, auf den Weltbrand, den der Mensch wohl schwerlich riechen 
wird, denn dann wird mit allem andern auch er selbst Rauch. Mir scheint 
es, man habe in diesen Sätzen nichts besonderes zu suchen. 

3) Fr. 123 Hırror. Refut- IX, 10: ἔνϑα δεύόντε ἐπανίστασϑαι χαὶ φύ- 
laxas γένεσϑαι ἐγερτὶ ζώντων (so BERN. statt ἐγερτιζόντων) χαὶ νεχρῶν. 
Der Text dieses Bruchstückes ist verdorben (die Verbesserungsvorschläge 
bei Bywater); so viel scheint mir aber klar zu sein, dass es sich auf die 
zu Hütern der Menschen bestellten Dämonen bezieht; vgl. Hzs. ’E. x. nu. 
120 fi. 250 fi. Wenn Lass. 1, 185 in demselben eine „Auferstehung der 
Seelen“ gelehrt findet, so ist diess wenigstens im Ausdruck schief, denn 
ἐπανίστασϑαι bedeutet hier nicht „auferstehen“, sondern „sich erheben“, 
nämlich eben zu Aufsehern der Menschen ; noch verfehlter ist es aber, wenn 
Herakl. (I, 204) zwar nicht diejenige ἀνάστασις σαρχὸς, welche Hippolytus 
a. a. O. in unserem Bruchstücke deutlich (yavegäs, wie statt φανερᾶς zu 
lesen ist) ausgesprochen sieht, aber wenigstens die Annahme zugemuthet 
wird, dass alle die Stofftheile, welche früher einen menschlichen Körper ge- 
bildet hatten, sich in einer späteren Weltperiode wieder zu einem solchen 


[649. 65] Anthropologie: Leben nach dem Tode. 713 


Hero@n!), indem er der Obhut der ersteren nicht blos die 
Lebenden, sondern auch die Todten zuweist, wie er denn auch 
gelehrt haben soll, alles sei voll von Seelen und Dämonen?). 
Es ist daher ohne Zweifel wirklich seine Ansicht, dass die 
Seelen aus einem höheren Dasein in den Körper eintreten, 
und nach dem Tode, wenn sie sich dieses Vorzugs würdig 
gemacht haben, als Dämonen in ein reineres Leben®) zurück- 
kehren, wogegen er für | die übrigen die gewöhnlichen Vor- 
stellungen vom Hades beibehalten zu haben scheint‘). Die 
Frage, ob die Fortdauer nach dem Tode sich tiber das Ende 
der gegenwärtigen Welt hinaus erstreckt, scheint er gar nicht 
berührt zu haben); was gleichfalls beweisen würde, dass die 


zusammenfinden. Diese Vorstellung ist für Heraklit nicht blos viel zu ge- 
sucht, und es fehlt für dieselbe bei ihm nicht blos gänzlich an einem Be- 
weis, sondern sie verträgt sich auch nicht mit seiner Anschauungsweise: 
jene Stofftheile sind ja in der späteren’ Weltperiode nicht mehr vorhanden, 
es sind andere Stoffe aus ihnen geworden, und wenn diese vielleicht auch 
theilweise wieder in Bestandtheile menschlicher Leiber sich umsetzen mögen, 
80 liegt doch gar kein Grund zu der Annahme vor, gerade aus denjenigen 
Stoffen, welche aus einem bestimmten Leibe entstanden sind, und aus keinen 
andern, werde sich später irgend einmal wieder ein Leib bilden. — Dass 
PrutarcH das, was er v. Rom. 28. Def. or. 10, S.415 von dem Aufsteigen 
der Menschen zu Heroen, Dämonen und Göttern sagt, Heraklit (PFLEIDERER 
220. Caıappeitı Framm. di Eracl. 31), und nicht vielmehr neupythagoreischer 
oder anderer gleich später Ueberlieferung verdankt, ist durchaus unerweis- 
lich und unwahrscheinlich. 

1) Fr. 118 Orıc. c. Cels. VII, 62: οὔτε yıyyuozwy ϑεοὺς οὔτε ἥρωας 
οἵτινές εἰσι. 

2) Dıioc. IX, 7 vgl. S. 672, 2. 

3) Und zwar in ein individuelles Leben, nicht, wie THEoDorRkT V, 29. 
S. 73 sagt: in die Weltseele. 

4) M. vgl. hiemit die verwandte Eschatologie Pindar’s, oben 8. 59. 
TeicusüLter’s (I, 74) Versuch, Heraklit die Annahme einer Fortdauer nach 
dem Tod abzusprechen, widerlegt sich durch alles bisherige, und auch 
ScuLäskR (Empedocles quat. Heracl. secutus sit. Eisenach 1878. 8. 22), 
der ihm beipflichtet, sagt uns nicht, wie andere als Einzelseelen im Hades 
riechen, sich nach Veränderung sehnen, von Dämonen behütet werden können, 
wie den Menschen nach dem Tod unerwartetes widerfahren kann, wenn sie 
den Tod nicht überleben. 

δ) Es wird wenigstens gar nichts darüber berichtet; während doch 
die stoische Beantwortung der obigen Frage Anlass genug geboten hätte, 
Heraklit's zu erwähnen, wenn von ihm eine Aeusserung über sie vorlag. 


714 Heraklit. [650] 


Annahme derselben nicht aus seinem eigenen System heraus- 
gewachsen, sondern von aussen in dasselbe hineingetragen 
war. 

Inwieweit Heraklit auf das leibliche Leben des Menschen 
eingieng, lässt sich aus dem wenigen, was uns in dieser Be- 
ziehung mitgetheilt ist, nicht mit Sicherheit abnehmen!). Da- 
gegen sind uns manche Sätze von ihm überliefert, in denen 
er seinen Standpunkt auf die Erkenntnissthätigkeit und das 
sittliche Handeln des Menschen anwendet. 

Was nun zunächst das Erkennen betrifft, so konnte er 
die Aufgabe desselben nur in dem suchen, was ihm selbst der 
Mittelpunkt aller seiner Ueberzeugungen ist, das ewige Wesen 
der Dinge im Fluss der Erscheinung zu ergreifen, von dem 
Schein dagegen, der uns ein beharrliches Sein des veränder- 
lichen vorspiegelt, sich zu befreien. So erklärt er denn auch, 
die Weisheit bestehe nur in Einem, die Vernunft zu erkennen, 
welche alles durchwaltet?); dem (Gemeinsamen müsse man 


1) M. sieht aus Fr. 89 Ὁ Pur. Def. orac. c. 11. Plac. V, 24. Puıto 
qu. in Gen. II, 5 Schl. 5. 82 Auch. Cenxs. Di. nat. c. 16, vgl. Beruars 
I, 52 ἢ, dass er ein Menschenalter auf 30 Jahre berechnete, weil der Mensch 
im 30sten Jahr einen Sohn haben könne, der selbst wieder Vater sei, weil 
also die menschliche Natur in dieser Zeit ihren Kreis schliesse. Ich möchte 
indessen vermuthen, dass er diesen Gegenstand nur beiläufig, als Beispiel 
für den Kreislauf der Dinge, berührte. Auf diesen Kreislauf des mensch- 
lichen Lebens bezieht sich auch Fr. 86 b. Crex. Strom. III, 432 A: „yevo- 
usvor ζώειν ἐθέλουσι μόρους τ᾽ ἔχειν", μᾶλλον δὲ ἀναπαύεσϑαι (diess, 
wie ich trotz Schuster 198, 1. ΡΕΙΕΙΡΕΒΕΒ 240,1 annehme, ein Zusatz des 
Clemens, der sich entweder auf die 5. 710, 2 besprochene Auffassung der 
μεταβολὴ bezieht, oder eine Protestation des Christen gegen den Philosophen 
ist, welcher den Tod einfach als Ende des Lebens behandelt; zu dem 
xaxiteıv τὴν γένεσιν, das Clem. in unserem Ausspruch findet, passte er 
nicht) „xal παῖδας καταλείπουσι μόρους γενέσϑαι" (PFLEIDERER’s Textes- 
änderungen kann ich nicht beitreten). Derartigen Bemerkungen ist aber 
kein grosser Werth beizulegen. Was Hırrokr. 7. dıast. I, 23 Schl. über 
die 7 Sinne, ebd. c. 10 über den Unterleib und über die drei Umläufe des 
Feuers im menschlichen Körper sagt, stammt schwerlich aus Heraklit; die 
Angabe ohnediess (aus Jon. SıceL., Walz Rhett. VI, 95, angef. von Berxars 
I, 17, 1), dass H. anatomische Untersuchungen angestellt habe, ist mehr als 
unsicher. 

2) 8. o. 5. 668, 1. Diese Erkenntniss selbst wäre nach Lass. II, 344 
durch „ein Sichselbstoffenbaren des Objektiven und Absoluten selber“ be- 
dingt. Lass. beruft sich hiefür theils auf Sexr. M. VIII, 8: Aenesidemus 


[651] Das Erkennen. 715 


folgen, nicht | den besonderen Meinungen der Einzelnen'); 
wenn eine Rede verständig sein wolle, müsse sie sich auf das 
stützen, was allen gemeinsam ist, und ein solches sei allein 
das Denken?). Blos die vernünftige Erkenntniss des Allge- 
meinen kann daher für ihn cinen Werth haben, die sinnliche 
Empfindung weiss er nur mit Misstrauen zu betrachten. Was 
unsere Sinne wahrnehmen, ist nur die flüchtige Erscheinung, 
nicht das Wesen®); das ewiglebendige Feuer ist ihnen durch 
hundert Hüllen verborgen 4); sie lassen uns als ein todtes und 
starres erscheinen, was in Wahrheit das lebendigste und be- 
weglichste ist?). Eine spätere | an Heraklit anknüpfende 


habe das ἀληϑὲς als das un λῆϑον τὴν χοενὴν γνώμην definirt, theils auf 
das S. 649, 2 angeführte Bruchstück. Sextus sagt jedoch nicht, dass Aene- 
sidemus jene Definition von Heraklit habe, und wenn er es auch sagte, 
könnte man nicht zu viel daraus schliessen; das heraklitische Fragment aber 
nennt das Feuer zwar das un δῦνον, aber nicht das un λῆϑον. So möglich 
es daher auch ist, dass Her. gesagt hat, das Göttliche oder die Vernunft sei 
allen erkennbar, so ist es doch — auch abgesehen von Lassalle’s Fassung 
dieses Gedankens — nicht zu erweisen. 

1) Fr. 92 vgl. 5. 668, 2. 

2) Fr. 91 Sroe. Floril. 3, 84 (schon von KLeantues Hymn. 24 berück- 
sichtigt): ξυνέν ἐστι πᾶσι τὸ φρονέεεν (diess hält Gourerz Zu Herakl. 1045 
für ein eigenes mit dem folgenden nicht unmittelbar zusammenhängendes 
Bruchstück): ξὺν νόῳ λέγοντας ἰσχυρίζεσϑαι χρὴ τῷ ξυνῷ πάντων, ὅχωσπερ 
γύμῳ πόλις χαὶ πολὺ ἰσχυροτέρως" τρέφονται γὰρ u. 8. w. 8. ο. 667, 1. 
Ueber die Auffassung der Worte vgl. m. 8. 668, 2. 

3) Arısrt. Metaph. I, 6 Anf.: ταῖς Ἡραχλειτείοες δόξαις, ὡς τῶν 
αἰσϑητῶν ἀεὶ δεόντων καὶ ἐπιστήμης περὶ αὐτῶν οὐχ οὔσης. 

4) Dıioe. IX, 7: τὴν ὅρασεν ψεύδεσθαι (ἔλεγε. LUCRET. rer. nat. 
I, 696: oredit enim (Heraclitus) sensus ignem cognoscere vere, oetera non oredit, 
sofern das Feuer die einzige sinnliche Erscheinung ist, in der die Substanz 
der Dinge sich ihrer wahren Beschaffenheit nach darstellt. 

5) Fr. 95 Ὁ. Crem. Strom. III, 434 Ὁ (wo im vorhergehenden mit 
TeıcumüLıke 1, 97 f. und BrwAter IIvdayopg τε χαὶ zu lesen ist): ϑάνα- 
τὸς ἐστιν ὁχόσα ἐγερϑέντες ὁρέομεν, 6x000 δὲ südovres ὕπνος: „wie das, 
was wir im Schlaf sehen, ein Traumbild, etwas nichtiges ist, so ist das, 
was wir im Wachen sehen, etwas todtes.“ Die Anfangsworte dieses Bruch- 
stücks erklärt Lass. II, 320: „was wir wachend sehen und für Leben halten, 
ist in Wahrheit beständiges Vergehen seiner selbst.“ Allein dieses be- 
ständige Vergehen, in welchem ihm gerade das Leben der Natur besteht, 
würde Her. wohl kaum mit dem tadelnden ϑάγατος bezeichnet haben. 
ScHusTer 274 ἢ, um der Herabsetzung der sinnlichen Erkenntniss auch hier 
zu entgehen, gibt eine, wie mir scheint, sehr gesuchte und wenig hera- 


716 Heraklit. [652] 


Theorie!) führt diess so aus: alle Sinnesempfindung, sagt sie, 
entstehe aus dem Zusammentreffen von zwei Bewegungen, sie 
sei das gemeinsame Erzeugniss aus der Einwirkung des Gegen- 
standes auf das Sinnesorgan und der Thätigkeit des Organs, 
welches diese Einwirkung auf seine Art in sich aufnimnit; sie 
zeige uns daher nichts bleibendes und an sich seiendes, son- 
dern nur eine Einzelerscheinung, so wie diese in dem gegebenen 
Fall und für diese bestimmte Wahrnehmung sich darstellt. 
Heraklit selbst wird der Satz beigelegt, dass wir nur das 
empfinden, was unsere Sinne gegensätzlich berührt?); ob er 
aber die Unzuverlässigkeit der letzteren damit in Verbindung 
brachte, wird nicht berichtet. Um so bestimmter lauten seine 
Erklärungen über diese selbst. Mag auch aus der sinnlichen 
Beobachtung immerhin zu lernen sein, sofern auch sie uns 
manche Eigenschaften der Dinge aufschliesst?), mögen nament. 
lich die zwei edleren Sinne, und unter diesen das Auge, vor 
den andern den Vorzug verdienen*): im Vergleich mit dem 
vernünftigen Erkennen hat die sinnliche Wahrnehmung über- 
haupt wenig Werth: schlechte Zeugen sind den Menschen 
Augen und Ohren, wenn sie unverständige Seelen haben). 


klitische Deutung, die Teıcu=mÜüLLer a. a. O. mit Recht ablehnt. Ebenso- 
wenig kann ich die von PrtEiveker 79 gutheissen, aber mich hier nicht 
eingehender mit ihr auseinandersetzen. 

1) Bei Prato Thest. 156 A ff. Ich komme S. 9784 auf diese Dar- 
stellung zurück. 

2) Tueorae. De sensu 1, 1 f.: οὗ περὶ ᾿Αναξαγόραν καὶ δὲ ᾿Ηράκχλειτον 
τῷ ἐναντίῳ (ποιοῦσε τὴν αἴσϑησε»), was dann im folgenden so erläutert 
wird: οἱ δὲ τὴν αἴσϑησιν ὑπολαμβάνοντες ἐν ἀλλοιώσει γίνεσθαι καὶ τὸ 
μὲν ὅμοιον ἀπαϑὲς ὑπὸ τοῦ ὁμοίου, τὸ δ᾽ ἐναντίον παϑητιχὸν, τούτῳ 
προςέϑεσαν τὴν γνώμην, ἐπιμαρτυρεῖν δ᾽ οἴονται καὶ τὸ περὶ τὴν ἁφὴν 
συμβαῖνον" τὸ γὰρ ὁμοίως τῇ σαρκὶ ϑερμὸν ἢ ψυχρὸν οὐ ποιεῖν αἴσϑησιν. 

3) Μ. 5. o. 712, 2. 715, 4. 

4) Fr 13 Hıpror. IX, 9: ὅσων ὄψις axon μάϑησις τοῦτα ἐγὼ προ- 
τιμέω; über den Gesichtssinn im besondern Fr. 77 (oben 8.708, 5). Fr. 15 
Por». XII, 27: ὀφθαλμοὶ γὰρ τῶν ὥτων ἀχριβέστεροε μάρτυρες, worin 
mir aber (trotz der abweichenden Ansichten von BERNAYS I, 94. Lass. II, 328 f. 
ScHUSTER 25, 1) doch nichts weiter zu liegen scheint, als das, was z. B. 
Heron». I, 8 (vgl. Tauc. I, 73, 2) fast gleichlautend ausdrückt, und was auch 
Polybius allein darin sucht: dass man sich auf die eigene Anschauung 
besser verlassen kann, als auf fremde Aussagen. 

5) Fr. 4 Sext. Math. VII, 126: xaxol μάρτυρες ἀνϑρώποισε ὀφϑαλ- 


[659] Das Erkennen. 717 


Gerade dieses Zeugniss ist es aber, dem die meisten | allein 
folgen. Daher die tiefe Geringschätzung gegen die Masse der 
Menschen, die wir an unserem Philosophen bereits kennen; 
daher sein Hass gegen die willkürliche Meinung!), gegen den 
Unverstand, welcher die Stimme der Gottheit nicht ver- 
nimmt?), gegen die Urtheilslosigkeit, die sich von jeder Rede 


μοὶ xal ὦτα βαρβάρους ψυχὰς ἐχόντων (was wohl jedenfalls urkundlicher 
ist, als die Fassung bei Sros. Floril. 4, 56). Statt der letzten drei Worte 
vermuthet Bennays I, 94 ff. βορβόρου ψυχὰς ἔχοντος, weil bei der Lesart 
des Sextus der Genetiv ἐχόντων nach ἀνθρώποις höchst auffallend sei, und 
weil βάρβαρος zur Zeit Heraklit’s wohl noch nicht die Bedeutung „roh“ ge- 
habt habe. Das letztere ist mir nun zweifelhaft; bei ARISTOPHANES wenig- 
stens, nicht allzu lange nach Her., hat es diese Bedeutung Wolken 492. 
Vögel 1573. Indessen braucht man sie ihm hier auch bei der gewöhnlichen 
Lesart nicht zu geben, man wird vielmehr einen besseren Sinn erhalten, 
wenn man es von einem solchen versteht, der meine Sprache nicht versteht, 
und dessen Sprache ich nicht verstehe. Heraklit sagt dann in seiner bild- 
lichen Ausdrucksweise: es nützt nichts zu hören, wenn die Seele die Sprache, 
welche das Ohr vernimmt, nicht versteht. HırzeL Untersuchungen u. 8. w. 
II, 164, 2 widerspricht dieser Erklärung (während Scauster 26, 2 mir — 
nicht, wie H. sagt, ich ihm — beitrat), weil βάρβαρος nicht den bezeichne, 
der meine Sprache nicht versteht, sondern den, der eine mir unverständliche 
redet. Mir scheint diess unerheblich:' bezeichnet βάρβ. auch zunächst, wie 
das verwandte daldus, den, der unverständlich, und daher den, der in fremder 
Sprache redet, so ist doch damit unmittelbar gegeben, dass ein solcher mich 
gleichfalls nicht versteht; daher Paurus 1. Kor. 14, 11: ἐὰν un γνῶ τὴν 
δύναμιν τῆς φωνῆς ἔσομαι τῷ λαλοῦντε βάρβαρος. Ἐχόντων ist von ὀφϑ. 
x. ὦτα regiert. 

1) Dioe. IX, 7: τὴν οἴησιν ἱερὰν νόσον ἔλεγε. Dass er selbst nichts- 
destoweniger von ArıstoteLzs Eth. N. VII, 4. 1146 b 29 (M. Mor. II, 6. 
1201 b 5) eines übermässigen Vertrauens auf seine eigenen Meinungen be- 
schuldigt wird, ist schon früher bemerkt worden. SCHLEIERMACHER ὃ. 138 
vergleicht zu der Stelle des Diogenes aus Aroıı. Tyan. epist. 18: dyxa- 
λυπτέος ἕχαστος ὁ ματαίως ἐν δόξη γενόμενος, diess wird aber dort nicht 
als heraklitisch angeführt. 

2) Fr. 97 Oxıc. c. Cels. VI, 12: ἀνὴρ νήπιος ἤχουσε πρὸς δαίμονος 
öxworeo (in der gleichen Weise, mit gleich wenig Verständniss, wie) παῖς 
πρὸς ἀνδρός. Die Vermuthung danuoros für δαίμ. (Berxars I, 14) scheint 
mir entbehrlich. Ueber Scauster's Auffassung dieser Stelle 8. 656, 14. Er- 
klärt endlich Perersex (Hermes XIV, 304 ff.), von allen seinen Vorgängern 
abweichend: „der Maun heisst dem Gott einfältig, wie das Kind dem 
Mann“, so will ich die Möglichkeit dieser Erklärung !nicht unbedingt be- 
streiten, aber natürlicher scheint mir die, worin ich Schleiermacher folge. 
Um sicher zu entscheiden, müssten wir in diesem wie in anderen Fällen den 
Zusammenhang der Stelle kennen. 


718 Heraklik [654] 


verblüffen lässt!), gegen den Leichtsinn, der mit der Wahrheit 
sein frevelhaftes Spiel treibt?); daher auch sein Misstrauen 
gegen die Gelehrsamkeit, | die statt eigenen Forschens von an- 
deren lernen will®). Er seinerseits will sich begnügen, mit 
vieler Arbeit weniges zu finden, wie die Goldgräber*), er will 
nicht leichthin über das wichtigste urtheilen5), nicht andere 
befragen, sondern sich selbst®), oder vielmehr die Gottheit; 


1) Fr. 117 Pror. aud. po. 9, Schl. 8. 28. De aud. 7, 5. 41: βλὰξ ἄνϑρω- 

πος ἐπὶ παντὶ λόγῳ ἑπτοῆσϑαι φιλεῖ. 
) 2) Fr. 118 Cem. Strom. V, 549 C: δοχείντων γὰρ ὁ δοχιμώτατος 
γεινώσχεε φυλάσσειν" καὶ μέντοι χαὶ δίχη καταλήψεται ψευδῶν τέχτονας 
καὶ μάρτυρας. Die erste Hälfte dieses Bruchstücks finde ich weder durch 
SCHLEIERMACHER, welcher δοχέοντα und γεινώσχεεν φυλάσσεε lesen will, 
noch durch LaAssarLe II, 321 ἢ befriedigend erklärt, und auch Scuhuster's 
Vorschlag 340, 1: dox. y. ὃ ϑοχειμώτατον γίνεται YırWwarsı pvlacosıy („80 
ein Dichter entscheidet sich von dem, was als glaublich gilt, das glaub- 
lichste anzunehmen“) genügt mir nicht. Eher gienge Brwuter's γενώσχει 
πλάσσεειν. Am besten gefällt mir aber Prreiperer's (S. 25), nur theilweise 
von Bergk vorweggenommene Vermuthung: dox. y. ὁ dox. γεινώσχειν φλυ- 
«004: „auch der angesehenste von denen, welche für Erkennende gehalten 
werden, schwatzt nur“. In der zweiten Hälfte will Lass. unter den ψευδῶν 
texruves die Sinne verstehen; ich halte diess für unmöglich, und denke da- 
bei (unter Scauster's und PFL£Iıperer’s Zustimmung) an die Mythologen 
und Dichter; vgl. S. 633, 2. 

3) In diesem Sinn haben wir nämlich, wie auch schon früher bemerkt 
wurde, Heraklit's Aeusserungen gegen die Vielwisserei (oben 476, 4. 309, 3) 
zu verstehen. Das Bruchstück über die Polymathie b. Stos. Floril. 34, 19 
hat schon GaAisrorD mit Recht Anaxarch zurückgegeben. 

4) Fr. 8 Crew. Strom. IV, 476 A: xovoov οἱ διζήμενοι γὴν πολλὴν 
ὀρύσσουσι χαὶ εὑρίσκουσι ὀλέγον. Welche Anwendung H. von diesem Bei- 
spiel machte, wird nicht gesagt; die obenbezeichnete scheint mir die natür- 
lichste. M. vgl. auch Fr. 19. 65, oben 8. 668, 1.669, 8, und das von Lass. 
II, 312 nachgewiesene Fr. 49 Creu. Strom. V, 615 B: yon γὰρ εὖ μάλα 
mollor ἵστορας φιλοσόφους ἄνδρας εἶναι χαϑ' “Hoazxleırov, wo die ἴστο- 
θέα, das eigene Forschen, von der blossen Polymathie zu unterscheiden ist. 

5) Nach Dıoe. IX, 73 soll er gesagt haben, was aber doch nicht recht 
heraklitisch lautet: un εἰχῆ περὶ τῶν μεγίστων συμβαλλώμεϑα. 

6) Fr. 80 (Prur. adv. Col. 20, 2. 8. 1118 u. a. vgl. Brwarer): ἐδεζη- 
o@unv ἐμεωυτόν. Die richtige Erklärung dieses Worts, das Aeltere und 
Neuere häufig auf die Forderung der Selbsterkenntniss beziehen, gibt wohl 
Dıoe. IX, 5: ἑαυτὸν ἔφη διζήσασϑαε χαὶ μαϑεῖν πάντα παρ᾽ ἑαυτοῦ. 
(Vgl. Scuuster 59, 1. 62, 1) Ob Ῥιοτικ IV, 8, 1. 8. 468 den Ausdruck 
ebenso versteht, ist mir zweifelhaft; V, 9, 5. 8. 559 folgt er derjenigen 
Auffassung, nach welcher das ἐμαυτὸν den gesuchten oder erforschten 


[655] Das Erkennen. 719 


denn das menschliche Gemüth hat keine Einsicht, nur das 
göttliche hat sie!), und | keine menschliche Weisheit ist etwas 
anderes, als Nachahmung der Natur und der Gottheit?). Nur 
wer dem göttlichen Gesetz, der allgemeinen Vernunft lauscht, 
findet die Wahrheit, wer dagegen dem täuschenden Schein der 
Sinne und den unsicheren Meinungen der Menschen folgt, dem 
bleibt sie ewig verborgen®). Eine wissenschaftliche Erkenntniss- 
theorie ist diess allerdings noch nicht; ja wir können gar nicht 
annehmen, dass Heraklit das Bedürfniss einer solchen empfun- 
den, dass er sich die Nothwendigkeit klar gemacht habe, vor, 


Gegenstand bezeichnet, wenn er in einer Erörterung über die Einheit des 
Denkens und des Seins sagt: ὀρϑῶς ἄρα . . . ro ἐμαυτὸν ἐδιζησάμην ὡς 
ἕν τῶν ὄντων. Für den ursprünglichen Sinn der Worte ist diess aber 
natürlich nicht entscheidend; noch weniger aber kann ich LassaLLe’s An- 
nahme beitreten, dass der Zusatz ὡς ὃν τ. ö. gleichfalls Heraklit angehöre, 
und der ganze Spruch besagen wolle: „man müsse sich ebenso betrachten, 
wie eins der seienden Dinge, d. h. als ebensowenig seiend, wie die Ding- 
heit, als in demselben Flusse hegriffen.“ Wie man diess aus den Worten 
herausbringen soll, wüsste ich nicht zu sagen, und dass Her. von ὄντα ge- 
sprochen hat, ist mir nicht wahrscheinlich; das ὡς ὃν τ. ὃ. halte ich für 
einen Zusatz Plotin’s, welcher die Anwendung des heraklitischen Ausspruchs 
auf die vorliegende Frage rechtfertigen soll. — Den farblosen Satz b. StoB. 
Floril. 5, 119: ἀνθραποισι πᾶσε μέτεστι γενώσχειν ἑαυτοὺς καὶ σωφρονεῖν 
erkennt SCHLEIERMACHER richtig als unächt. 

1) Fr. 96 £. oben 8. 668, 1. 717, 2. 

2)M. s. Fr. 91 (S. 767, 1. Das gleiche scheint der ursprüngliche 
Sinn der Sätze (Fr. 98 ἢ), welche der platonische grössere Hippias 289 A ἢ 
offenbar nicht mit den Worten unsers Philosophen, als heraklitisch anführt: 
ὡς ἄρα πιϑήχων ὁ χάλλεστος αἰσχρὸς ἄλλῳ [ἀνϑρωπείῳ] γένεε avußalleır, 

ες ὅτι ἀνθρώπων ὁ σοφώτατος πρὸς ϑεὸν πέϑηχος φανεῖται χαὶ σοφίᾳ 
χαὶ χάλλεε χαὶ τοῖς ἄλλοις πᾶσιν. Bei ΗΊΡΡΟΚΕ. π. διαιτ. I, 12 ff. wird 
an vielen, nicht durchaus glücklich gewählten Beispielen ausgeführt, dass 
alle menschlichen Künste durch Nachahmung natürlicher Vorgänge entstan- 
den seien, wenn auch die Menschen sich dessen nicht bewusst seien. Auch 
dieser Gedanke scheint heraklitisch, die Ausführung dagegen, wie sie hier 
vorliegt, dürfte es nur kleineren Theils sein. Vgl. Bernays I, 22 ff. Scau- 
ster 286 fl. 

3) Es ist insofern der Sache nach richtig, wenn Sexr. Math. VII, 126. 
131 von H. sagt: τὴν αἴσϑησιν . . ἄπιστον εἶναι νενόμιχε, τὸν δὲ λόγον 
ὑποτίϑεται χριτήριον . ... τὸν χοινὸν λόγον καὶ ϑεῖον χαὶ οὗ χατὰ με- 
τοχὴν γινόμεθα λογιχοὶ χριτήρεον ἀληϑείας φησίν. Wenn ihn dagegen 
manche Skeptiker zu den Ihrigen zählten (Dıoc.IX, 73, vgl. Sexr. Pyrrh. I, 
209 4), so ist diess nur die bekannte Willkür dieser Schule. 

Philos. ἃ. Gr. I. Bä. 5. Aufl. 46 


790 Heraklit. [655. 656] 


jeder Untersuchung über die Dinge sich über die Bedingungen 
des Erkennens und die Methode der Forschung Rechenschaft 
zu geben; die obigen Sätze ergaben sich ihm vielmehr, wie 
gleichzeitig dem Parmenides!) seine verwandten Behauptun- 
gen, im wesentlichen als Folgesätze einer physikalischen 
Theorie, die ihn mit dem sinnlichen Schein in einen 80 
schroffen Gegensatz brachte, dass er ihr zu liebe den Sinnen 
misstrauen zu müssen glaubte. Daraus folgt nun freilich 
durchaus nicht, dass er sein System unabhängig von der Er- 
fahrung, durch ein rein apriorisches Verfahren, zu bilden be- 
absichtigte; da ja diese Absicht selbst schon jene erkenntniss- 
theoretischen und methodologischen Untersuchungen voraus- 
setzen würde, die wir ihm, wie der ganzen vorsokratischen | 
Philosophie, absprechen mussten. Noch viel weniger aber ge- 
statten Heraklit’s Aussprüche und die Aussagen unserer glaub- 
würdigsten Zeugen, den alten Ephesier zum ersten grundsätz- 
lichen Vertreter des Empirismus zu machen, ein Dringen auf 
Beobachtung und Induktion bei ihm zu finden®). Sondern 


1) Ueber den 8. 565 f. 

2) Scuuster 8. 19 ff. (gegen ihn: Peirers Erkenntnisstheorie Plato's 
671 £.) stützt sich für diese Behauptung zunächst auf die S. 630, 1 be- 
sprochenen Fragmente 2. 5; allein davon, dass der λόγος ἀεὶ ὧν nur durch 
die Sinne vernommen werde, dass man „die sichtbare Welt beobachten“ 
und „auf Grund des Augenscheins“ den Sachverhalt verfolgen solle, steht 
Fr. 2 kein Wort, noch weniger davon, dass dieses der einzige Weg zur 
Erkenntniss der Wahrheit sei; und ebenso wird in Fr. 5 fremdartiges hinein- 
getragen, wenn Sch. den Philosophen die Menschen darüber tadeln lässt, 
dass sie „nicht nach Erkenntniss suchen, durch Erforschung dessen, worauf 
sie tagtäglich stossen“ (dass sie, um zu erkennen, nicht den Weg der Be- 
obachtung einschlagen), während er sie vielmehr tadelt, dass sie das „nicht 
verstehen (oder: bedenken, φρονέουσι), worauf sie täglich stossen“, und sich 
nicht (auf welchem Wege, wird nicht gesagt) darüber unterrichten. Weiter 
verweist Sch. auf Fr. 47, wo aber ebenfalls von dem, was er hineinliest, 
nicht das geringste zu finden ist, (vgl. 8. 665, 1) und auf die 8. 716, 4 an- 
geführten Worte: ὅσων ὄψις &xon μάϑησις ταῦτα ἐγὼ προτιμέω. Allein 
auch in diesen liegt nicht, dass die μάϑησις nur durch Gesicht und Gehör 
erfolge, sondern nur, dass die Genüsse des Erkennens irgend welchen an- 
deren vorzuziehen seien; wie viel aber zum Erkennen die Beobachtung, wie 
viel das Denken beitrage, sagt das Bruchstück nicht. Darüber ferner, dass 
Fr. 92 unter dem ξυνὸ» oder dem λόγος ξυνὸς nicht „die Rede der sicht- 
baren Welt“ gemeint ist, und nicht diejenigen getadelt werden, welche 
„den eigenen Gedanken nachhängen“, „im Unsichtbaren statt im Sichtbaren 


1651] Das Erkennen. 70] 


sein | Nachdenken galt zunächst dem Gegenständlichen der 
Natur; wobei er freilich, wie schliesslich jeder Philosoph, 


jeder eine besondere Lösung des Welträthsels suchen“ (Sch. 23 f.) vgl. m. 
8. 668, 2; davon nicht zu reden, dass Heraklit mit seinem εἰς ἐμοὶ μύριοι 
(s. ο. 638, 1) doch sicher seinen eigenen Gedanken nachhieng, und die xus»n 
γνώμη, auf die Schuster mit Aenesidemus (b. Szxr. Math. VIII, 8) sein 
ξυνὸν deutet, für ihn am wenigsten eine Auktorität war. Beruft sich end- 
lich ὅση. 5. 27 f. auf Lucrzz I, 6% ff., welcher die Sinne das nennt, unde 
omnmia credita pendent, unde hio oognitus est ipsi quem nominal ignem, τὸ hat er 
übersehen, dass L. diess nicht aus den heraklitischen, sondern aus seinen 
eigenen Voraussetzungen heraus gegen Heraklit bemerkt; wo er da- 
gegen die Lehre des letzteren wiedergeben will, sagt er (wie 8. 715, 4 nach- 
gewiesen ist), Her. schreibe unter allen sinnlichen Wahrnehmungen nur der 
des Feuers (aber nicht, wie Sch. sagt: des Feuers „unter allen seinen Hüllen 
und Wandlungen“, sondern des einfachen, sichtbaren Feuers) Wahrheit zu; 
und um der missverstandenen ersten Aussage willen der zweiten den Glau- 
ben versagen, heisst den Sachverhalt umkehren. Schlägt aber dieses ver- 
meintliche Zeugniss für Schuster’s Ansicht vielmehr in ein sehr bestimmtes 
Zeugniss gegen sie um, so erhellt ihre Unrichtigkeit neben allem dem, 
was 8. 715, 4. 5. 716, 5 angeführt ist, auch aus der aristotelischen Aus- 
sage (715, 8): Plato sei in seiner Ueberzeugung, ὡς τῶν αἰσϑητῶν ἀεὶ 
δεόντων χαὶ ἐπιστήμης περὶ αὐτῶν οὐκ οὔσης, Heraklit gefolgt. Dieses 
Zeugniss desshalb nicht gelten zu lassen, weil Heraklit dann ein vollstän- 
diger Skeptiker hätte sein müssen, da nach ihm alles im Fluss sei (Prrei- 
DERER 68) ist verfehlt: Aristoteles sagt ja nur, die αἰ σϑητὰ seien aus diesem 
Grunde nicht Gegenstand des Wissens; und könnte sich auch Heraklit selbst 
nicht so ausgedrückt haben, da ihm die Unterscheidung der αἰσϑητὰ und 
yonra noch fremd ist, so gehört ihm doch der Gedanke, dass die wahre Be- 
schaffenheit der Dinge nur dann erkannt werde, wenn man sie nicht in dem 
sucht, was die Sinne uns zeigen; denn dass sie alle nur wechselnde Ge- 
stalten des πῦρ ἀείζωον sind, sagen uns nicht unsere Augen und Ohren. 
Ebenso unstatthaft ist aber auch Scuuster's Auskunft 8. 31, dass Arist. 
hier nur von Kratylus und den Herakliteern spreche, „die eben in diesem 
Punkt sehr verschieden von ihrem Meister dachten“. Arist. sagt ja nicht: 
ταῖς τῶν Ἡρεχλειτείων δόξαις, sondern: ταῖς “Πραχλειτείοις δόξαις, eine 
Ἡραχλείτειος δόξα ist aber ebenso gewiss eine Meinung Heraklit's, wie die 
ἩἩραχλείτειος ϑέσις Phys. I, 2. 185 a 7 ein Satz Heraklit's ist, die 72ῥρα- 
χκλείτειοε λόγοι in der Parallelstelle zu der unsrigen, Metaph. XIII, 4 (8. o. 
634, 1) Behauptungen Heraklit's sind. ‘Hocxlelteıog heisst eben: von Hera- 
klit herrührend, und liesse sich damit vielleicht auch in ungenauerem Aus- 
druck eine Ansicht bezeichnen, die erst von seinen Schülern aus seiner 
Lehre abgeleitet wurde, so konnte er doch unmöglich von einer solchen ge- 
braucht werden, die seiner eigenen widersprach. Sch. nimmt daher noch 
die weitere Annahme zu Hiülfe, dass Arist. die Schlüsse, welche erst 
46* 


790 Heraklit. 1657. 6587 


thatsächlich von der Wahrnehmung ausgieng und durch ihre 
Verarbeitung sich seine Ueberzeugungen bildete, sich selbst 
jedoch die Frage, aus welchen Quellen diese geflossen seien, 
noch nicht vorlegte. Nachdem er aber auf diesem Wege zu 
Annahmen gekommen war, die den Aussagen unserer Sinne 
widerstritten, so erklärte er nicht, wie es ein wirklicher Em- 
piriker hätte thun müssen, jene Annahmen für verfehlt, son- 
dern die Sinne für trügerisch, und die Vernunfterkenntniss 
allein für zuverlässig. Durch welches Verfahren wir aber zu 


Plato aus Heraklit’s Lehre zog, diesem selbst unterschiebe; ein Verdacht, 
zu dem man offenbar nur dann ein Recht hätte, wenn die Aussage des Arist. 
anderen, glaubwürdigeren Zeugnissen widerspräche, während sie thatsächlich 
vielmehr mit allen übereinstimmt. Daraus aber, dass Protagoras seinen 
Sensualismus mit dem Satz vom allgemeinen Werden zu vereinigen 
wusste, kann man nicht mit Scauster 31 f. schliessen, auch Heraklit habe 
alles Gewicht auf die sinnliche Wahrnehmung gelegt, und vollends nicht, 
wenn man, wie er, einen Kratylus durch seine Verwerfung des Sinnenzeug- 
nisses mit Her. in Widerspruch treten lässt; denn warum hätte nicht der 
Sophist, der gar nicht den Anspruch machte, Heraklit’s Lehre als solche 
wiederzugeben, noch viel leichter von ihr abweichen können, als (nach 
Schuster’s Annahme) ein Philosoph, der sich ganz entschieden zu dieser 
Lehre bekannte? Es ist aber auch nicht richtig, dass Prot. annahm, „dass 
es eine ἐπιστήμη gebe, und dass sie dasselbe sei, wie die αἴσϑησες und die 
auf dieser beruhende Meinung“; sondern er hat vielmehr (vgl. S. 978* ff.) 
wegen der Relativität der Wahrnehmungen die Möglichkeit des Wissens 
geleugnet. So weit daher überhaupt ein Schluss von Protagoras auf Hera- 
klit erlaubt ist, kann derselbe nur dahin gehen, dass dieser so wenig, wie 
jener, der sinnlichen Erkenntniss objektive Wahrheit zuerkannt habe. Hat 
doch auch z. B. der Akademiker Arcesilaos die Unmöglichkeit des Wissens 
lediglich aus der Unsicherheit der Wahrnehmungen erwiesen (vgl. Th. III a, 
491 £.); aber niemand wird daraus schliessen, dass Plato, dessen Spuren er 
in seiner Bestreitung der sinnlichen Erkenntniss folgte, von keiner anderen 
gewusst habe. Sucht schliesslich noch HırzeL Untersuch. II, 160 ff. Hera- 
klit’s Sensualismus mit der Annahme zu stützen, Kleanthes habe seine Ver- 
gleichung der Wahrnehmung mit dem Abdruck eines Siegels im Wachse 
(Th. ΠῚ a, 72) von Heraklit entlehnt, so ist dagegen zu bemerken, dass es 
sich 1) Theat. 191 C ff. nicht um die Wahrnehmung handelt, sondern um 
das Gedächtniss, und dass 2) diese Ausführung, wenn sie überhaupt einen 
Vorgänger berücksichtigt, sich weit eher auf Antisthenes beziehen wird, als 
auf Heraklit, zu dessen Lehre vom Seelenfeuer und seiner beständigen Ver- 
änderung sie schlecht genug passen würde. Vgl. Th. II a, 300. 


1658] Das Erkennen. 723 


dieser Vernunfterkenntniss gelangen, hat Heraklit so wenig, 
als sonst einer von den vorsokratischen Philosophen, ausdrück- 
lich gefragt. Auch der Grundsatz, den ihm neuere Gelehrte 
zuschreiben zu dürfen geglaubt haben!), dass uns die Namen 
der Dinge über das Wesen derselben Aufschluss geben, lässt 
sich weder durch direkte Zeugnisse 3), noch durch einen Rück- 
schluss aus dem platonischen Kratylus mit Sicherheit bei ihm 
nachweisen®); und so gut er sich auch | mit Heraklit’s An- 


1) Lassarıe II, 362 fi. Scauster 318 ff. Sıeseck Gesch. ἃ, Psychol. 
I, 271. Gegen Lass. vgl. auch SremtuaL Gesch. d. Sprachw. I, 1683 8, 

2) Lass. beruft sich auf Paokr. in Parm. I, 12 Cous.: (Sokrates be- 
wundere) τοῦ Ἡραχλειτείου (διϑασχαλείου) τὴν διὰ τῶν ὀνομάτων ἐπὶ τὴν 
τῶν ὄντων γνῶσιν ὁδόν. Allein diese Aeusserung, in der nicht einmal Her. 
selbst, sondern nur seine Schule genannt ist, gründet sich lediglich auf den 
platonischen Kratylus; und das gleiche gilt von den Stellen des ἄμμον, De 
interpr. 24 b. 30 b. In der zweiten heisst es ausdrücklich: Sokrates zeige 
im Kratylus, dass die Namen nicht οὕτω φύσεε seien, ὡς ᾿Ηράχλειτος ἔλε- 
γεν (den aber Sokrates dort nicht nennt); und ebenso verweist die erste mit 
der Bemerkung: manche halten die Namen für φύσεως δημιουργήματα, xa- 
ϑάώπερ ἠξίου Κρατύλος καὶ Ἡραχλειτος, unverkennbar auf das platonische 
Gespräch (428 E), wie diess auch Schuster 319 f. anerkennt. Noch weniger 
beweist für die obige Behauptung Fr. 2 (s. o. 630, 1), auf das sich Siebeck 
beruft. ᾿ 

3) Im Kratylus behauptet allerdings der Herakliteer dieses Namens: 
ὀνόματος ὀρϑότητα εἶναι ἑκάστῳ τῶν ὄντων φύσει πεφυκυῖαν (383 A vgl. 
428 D 8): und dass Kratylus diess wirklich behauptet hat, ist um so wahr- 
scheinlicber, da auch die wunderlichen Folgerungen, die er S. 384 B. 429 
B f. 436 B f. aus seinem Satz ableitet, zu seinen sonstigen Uebertreibungen 
der heraklitischen Lehre (s. u. S. 749) auf’s beste passen. Aber dass 
auch Her. selbst schon jenen Grundsatz aufstellte, folgt daraus noch nicht; 
und wenn Scuuster glaubt, eine Schule, welche die Lehre vom Fluss aller 
Dinge so übertrieb, wie Kratylus, hätte nicht zuerst auf denselben kommen 
können, so weiss ich nicht, warum sie diess nicht gekonnt haben sollte, so- 
bald sie nur nicht aus jener Lehre die skeptischen Consequenzen des Prota- 
goras zog. Wenn abe” auch Kratylus jenen Satz nicht zuerst aufgestellt 
hat, muss er desshalb doch nicht nothwendig von Heraklit herrühren: 
zwischen dem Tod dieses Philosophen und dem Zeitpunkt, in dem Krat. von 
Plato gehört wurde, liegen ja noch mehr als 60 Jahre. Schuster will nun 
freilich S. 323 f. den obenerwähnten Grundsatz auch bei Protagoras nach- 
weisen, der ihn nur von Heraklit überkommen haben könne. Aber in dem 
einzigen, was Sch. für sich anführt, dem Mythus des platonischen Prota- 
goras, liegt er nicht im geringsten: Prot. sagt 322 A, der Mensch habe 
wegen seiner Gottverwandtschaft schon frühe die Kunst des Sprechens er- 
lernt; aber daraus folgt doch nicht, dass alle sprachlichen Bezeichnungen 


724 Heraklit. [659. 660} 


schauungsweise vertragen würde!), so geben uns doch die in 
seinen Bruchstücken vorkommenden Wortspiele und Etymolo- 
gieen?) noch kein Recht zu der Annahme, er habe diese Be- 
nützung der sprachlichen Bezeichnung schon in der gleichen 
Weise, wie die Späteren, theoretisch zu rechtfertigen ver- 
sucht. 

Was vom Erkennen gilt, gilt auch vom Handeln. Unser 
Philosoph, der beide Gebiete überhaupt noch nicht strenger 
auseinanderhält, wird für beide nur das gleiche Gesetz auf- 
stellen, er wird aber auch über das Verhalten der meisten 
Menschen in | dem einen Fall nicht milder urtheilen können, 
als in dem andern. Die meisten leben dahin wie das Vieh?®), 
sie wälzen sich im Schmutz und nähren sich von Erde gleich 
dem Gewürm‘); sie werden geboren, zeugen Kinder und 


richtig seien. Glaubt Sch. schliesslich S. 324 ἢ, dass auch Parmenides in 
den S. 581, 3 angeführten Versen auf Heraklit’s Beschäftigung mit den „be- 
zeichnenden Namen“ Rücksicht nehme, so liegt zu dieser Vermuthung, wie 
mir scheint, keinerlei Grund vor. Den vorstehenden Bemerkungen schliesst 
sich mit andern Sourier 282 ἢ und der von ihm angeführte Boxenı in der 
Einleitung zu seiner Uebersetzung des Kratylus im wesentlichen an. 

1) Schaarscunipt Samml. ἃ. plat. Schr. 253 f. bestreitet diess, weil 
eine natürliche Richtigkeit der Worte, eine feststehende Bestimmtheit der- 
selben, mit dem Fluss aller Dinge sich nicht vereinigen lasse, und aus dem- 
selben Grund will es Scuuster 8. 321 nur für den Fall zugeben, dass man 
seine 8. 685, 1 besprochene Deutung des πάντα ῥεῖ annimmt. Aber der 
Fluss aller Dinge schliesst ja, auch nach unserer Auffassung, das Beharren 
des allgemeinen Gesetzes nicht aus, sondern ein; und da nun dieses von 
Heraklit als der Logos gefasst wird, so würde der Gedanke, dass auch der 
menschliche Logos (Vernunft und Sprache in diesem Begriff zusammen- 
gefasst) als Theil des göttlichen Wahrheit habe, seinem Standpunkt wohl 
entsprechen. 

2) Blog und βιὸς 8. o. 640, 2 Schl., wo aber der Name mit der Sache 
im Gegensatz steht; διαφέρεσθαι und ξυμφέρεσθαε 657, 3; μόροε und μοῖ- 
ραι 712, 1; ξὺν νέῳ und ξυνῷ 715, 2, vielleicht auch Ζηνὸς und ζὴν 670,3; 
αἰδοίοισιν und ἀναιδϑέστατα 731, 1; σῶμα und σῆμα dagegen ist nicht 
heraklitisch, vgl. 704, 2. Noch unerheblicher ist der Gebrauch von ὄνομα 
als Umschreibung. 

8) S. o. S. 632, 6. 

4) Dieses kann wenigstens der Sinn und Zusammenhang der Worte 
gewesen sein, die Aruen. V, 178 f. und Arıst. De mundo c. 6 Schl. an- 
führen, ersterer (aus Aristoteles): μήτε ηβορβόρῳ χαίρειν" xa9” Ἡράκλειτον 
(Fr. 54), letzterer: „ray ἑρπετὸν τὴν γῆν νέμεται" (Fr. 55). Indessen ist 


[660. 661] Ethik. 795 


sterben, ohne ein höheres Lebensziel zu verfolgen!). Der Ver- 
ständige wird das, wonach die Masse strebt, als ein werthloses 
und vergängliches geringachten?); er wird nicht seine eigenen 
Einfälle, sondern allein das gemeinsame Gesetz zur Richtschnur 
nehmen®); nichts wird er mehr fliehen, als den Uebermuth, 
die Ueberschreitung der Schranken, welche dem Einzelnen 
und der menschlichen Natur gesetzt sind *), und indem er sich 
so der Ordnung des Ganzen unterwirft, wird er jene Zu- 
friedenheit erlangen, welche Heraklit für das höchste Lebens- 
ziel erklärt haben soll). Es hängt nur | von dem Menschen 
selbst ab, glücklich zu sein; die Welt ist immer so, wie sie 
sein soll®), es kommt nur darauf an, sich in die Weltordnung 


der Text und der Sinn des letzteren sehr unsicher. Statt τὴν γῆν setzt 
Bywater nach Stop. ΕΚ]. I, 86 (vgl. PLraro Krit. 109 B), πληγῇ, in welchem 
Fall der Ausspruch vielleicht eher politisch zu deuten wäre. Im übrigen 
vgl. m. über das Bruchstück ΒΥ. Bernays I, 23. Schuster 263. 

1) Fr. 86, oben 714, 1. Wegen seiner wegwerfenden Aeusserungen 
über die Masse der Menschen nennt Tıuox b. Dioe. IX, 6 unsern Philo- 
sophen χοχχυστὴς ὀχλολοίϑορος. 

2) So viel mag nämlich dem zu Grunde liegen, was Lucıan V. auct. 14 
Heraklit in den Mund legt: ἡγέομαε τὰ ἀνϑρώπινα πρήγματα ὀϊζυρὰ χαὶ 
δαχρυώδεα χαὶ οὐδὲν αὐτέων ὃ τε ur ἐπιχήριον. Dass sich Aeusserungen 
dieser Art bei Her. fanden, lässt auch die Behauptung, er habe über alles 
geweint (s. S. 626 m.), vermuthen. 

8) Fr. 92. 91 5. o. 668, 2. 715, 2. Fr. 107 Sro». Floril. 3, 84: σωφρο- 
νεῖν ἀρετὴ μεγίστη, χαὶ σοφίη ἀλη)έα λέγειν χαὶ ποιεῖν χατὰ φύσιν 
ἐπαΐοντας wird von Bywater nicht ohne Grund beanstandet. 

4) Fr. 108 Dioc. IX, 2: ὕβριν χρὴ σβεννύεεν μᾶλλον ἢ πυρκαΐην. Auf 
eine bestimmte Art dieser üßgss bezieht sich Fr. 105 Arısr. Polit. V, 11. 
1315 a 30. Eth. N. II, 2. 1105 a 7. Eth. Eud. II, 7. 1223 b 22: γαλεπὸν 
ϑυμῷ μαχεσϑαι, ψυχῆς γὰρ wveetw. Die Erweiterungen dieses Satzes bei 
Pıur. De ira 9, 5. 457. Coriol. 22. Jauer. Cohort. S. 334 K. halte ich nicht 
(mit Byw.) für ursprünglich; seinen Sinn betreffend, scheint er mir trotz 
Eth. N. I, 2 (worüber Sitzungsber. ἃ. Berl. Akad. 1888, 1335) wegen des 
Beisatzes ψυχ. y. ὧν., nicht auf den Kampf mit der eigenen, sondern mit 
fremder Leidenschaft zu gehen. 

5) ΤΉΞΟΡ. cur. gr. δῇ. XI, 6, S. 152: Epikur hielt das Vergnügen für 
das höchste Gut, Demokrit setzte dafür die ἐπεθυμία (l. εὐθυμία), Heraklit 
endlich ὠντὶ τῆς ἡδονῆς εὐαρέστησιν τέϑειχεν. Fr. 104 Stop. Floril. 3, 88: 
ἀνϑρώποις ylyeodas ὁκόσα ϑέλοισιν οὐχ ἄμεινον (es wäre kein Glück für 
die Menschen, wenn alle ihre Wünsche erfüllt würden). 

6) M. vgl. was S. 664, 4 angeführt ist. 


7006 Heraklit. [661. 662] 


zu finden: das Gemüth des Menschen ist sein Dämon!). Und 
wie mit dem Einzelnen, verhält es sich auch mit dem Gemein- 
wesen. Auch für den Staat ist nichts nöthiger, als die Herr- 
schaft des Gesetzes; die menschlichen Gesetze sind ein Aus- 
fluss des göttlichen, auf ihnen beruht die Gesellschaft, und 
ohne sie wäre kein Recht?); ein Volk muss daher für sein 
Gesetz kämpfen, wie für seine Mauer®). Diese Herrschaft 
des Gesetzes leidet aber gleichsehr, ob nun die Willkür eines 
Einzelnen herrscht, oder die Willkür der Masse. Heraklit ist 
daher zwar ein Freund der Freiheit*), aber er hasst und ver- 
achtet die Demokratie, die auch dem Besten nicht zu ge- 
horchen | und keine hervorragende Grösse zu ertragen weiss), 


1) Fr. 121 (Aurx. De fato c. 6, 8. 16 Or. Prur. qu. plat. 1, 1, ὃ. 
S. 999. Sroe. Floril. 104, 23): 7906 ἀνθρώπῳ δαίμων. Damit soll aber, 
wie in dem entsprechenden Wort Epicharm's (8. o. 497, 4), nur gesagt sein, 
dass das Glück des Menschen von dem Zustand seines Innern abhänge; 
auf die Frage über Nothwendigkeit und Freiheit, die Scuuster 272, 2 hier 
aufwirft, weist in dem Ausspruch nichts hin. 

2) Fr. 91 5. o. 715, 2. 667, 1. Fr. 60 Cem. Strom. IV, 478 B: δίκης 
οὔνομα οὐχ ὧν ἥδεσαν, εἰ ταῦτα (die Gesetze) un ἦν. Doch lässt sich der 
Sinn des Ausspruchs aus Clemens nicht sicher beurtheilen, er könnte auch 
(wie Scuuster 304 annimmt) einen Tadel der Masse enthalten haben, die 
ohne positive Gesetze nichts vom Recht wüsste. TeıcHwÜüLLeRr'’s Erklärung 
(1, 131 £.), welcher das ταῦτα von den Ungerechtigkeiten der Menschen 
deutet, ohne die es kein Gesetz gäbe, hat an der Art, wie Clemens das 
heraklitische Wort benützt, bei der Willkür seiner Exegese, eine unsichere 
Stütze, und an sich ist sie mir nicht wahrscheinlich. Sollte sie aber richtig 
sein, so würde unter der Dike speciell die strafende Gerechtigkeit, die 
Alxn πολύποενος, zu verstehen sein. 

3) Fr. 100 Dıoc. IX, 2: μάχεσϑαι yon τὸν δῆμον ὑπὲρ νόμου ὅχως 
ὑπὲρ τείχεος. Vgl. auch die 5. 712, 1 angeführten Aussprüche, welche sich 
doch wohl zunächst auf den Tod für's Vaterland beziehen. 

4) Nach Crew. Strom. I, 302 B soll er einen Tyrannen Melankomas 
zur Niederlegung seiner Herrschaft bewogen und eine Einladung des Darius 
an seinen Hof abgelehnt haben. Wie viel freilich an diesen Angaben wahres 
ist, muss dahingestellt bleiben; die Briefe, mit denen Dıoc. IX, 12 ff. die 
zweite derselben belegt, beweisen, dass sie dem Verfasser dieser Briefe be- 
kannt war, aber nicht mehr. Auch die Erörterung von Bernays Herakl. 
Briefe 13 ff. führt über die Möglichkeit der Sache nicht hinaus. 

5) Fr. 114 b. Straso XIV, 1, 25 S. 642 u. a. (s. Brw.): ἄξιον Ἔφε- 
oloss ἡβηδὸν ἀπάγξασϑαι πᾶσι καὶ τοῖς ἀνήβοις τὴν πίλιν χαταλιπεῖν 
(sie sollten sich aufhängen und die Stadt den Unmündigen lassen; vgl. 
Bernars Herakl. Briefe 19. 129 4) οἵτενες Ἑρμόδωρον ἄνδρα ἑωυτὼν 


[662. 668] Ethische und politische Ansichten. 127 


und er ermahnt zu der Eintracht, durch welche der Staat 
allein bestehen könne!). Eine wissenschaftliche Bestimmung 
der ethischen und politischen Begriffe kann er aber allen 
Spuren nach nicht versucht haben. 

Zu dem verkehrten im Thun und Meinen der Menschen 
musste Heraklit auch manche von den Vorstellungen und Ge- 
bräuchen der Volksreligion rechnen. Eine grundsätzliche Be- 
streitung derselben, wie wir sie bei Xenophanes finden, lag 
allerdings nicht in seiner Absicht. Er gebraucht nicht blos 
für das schöpferische göttliche Wesen den Namen des Zeus?), 
sondern er liebt auch sonst mythologische Bezeichnungen ὃ): 
er redet von Apollo im Ton eines Gläubigen und erkennt in 
den Sprüchen der Sibylle eine höhere Eingebung*); er stützt 
die Weissagung | überhaupt auf den Zusammenhang des mensch- 
lichen Geistes mit dem göttlichen’); er knüpft in dem Satze 


ὀνήϊστον ἐξέβαλον, φάντες" ἡμέων μηδὲ εἰς ὀνήϊστος ἔστω, εἰ δὲ un ἄλλῃ 
τε χαὶ μετ᾽ ἄλλων. Nach Jamblich wäre diese Aeusserung die Antwort 
auf die Bitte der Ephesier, ihnen Gesetze zu geben, die er auch nach Dıoa«. 
IX, 2 abgeschlagen haben soll; indessen ist es bei seiner ausgesprochenen 
politischen Parteistellung nicht wahrscheinlich, dass ihm von der demo- 
kratischen Mehrheit ein solcher Antrag gestellt wurde, und jene Worte fanden 
sich in Heraklit’s Schrift. Ueber Hermodor vgl. m. meine Dissertation De 
Hermodoro (Marb. 1859. Auf Heraklit’s Urtheil über die Demokratie be- 
zieht sich auch die Anekdote Ὁ. Dioc. IX, 3, die freilich auch blos einem 
Ausspruch des Philosophen nachgebildet sein kann, dass er an Kinderspielen 
theilgenommen, und seinen Mitbürgern gesagt habe, diess sei klüger, als 
mit ihnen Politik zu treiben, und wahrscheinlich auch Fr. 110 Creu. Strom. 
V, 604 A: νόμος χαὶ βουλῇ πείϑεσθαι ἑνός. M. vgl. auch Tımox, oben 
5. 725, 1 und Tueovormwes Anthol. gr. VII, 479, der H. ϑεῖος ὑλαχτητὴς 
ϑήμου χύων nennt. 

1) Prur. garrul. c. 17, S. 511 (wozu SCHLEIERMACHER ΒΚ. 82) erzählt von 
ihm eine symbolische Handlung, die diesen Sinn gehabt habe. 

2) Vgl. S. 668, 3. 

3) Z. B. die Erinnyen und die Dike 8. 667, 2. 

4) In den Aussprüchen, welche schon 8. 628 m berührt wurden: Fr. 11 
(Pur. Pyth. orac. 21, 8. 404 u. a.): ὁ ἄναξ, οὗ τὸ μαντεῖόν ἔστε τὸ ἐν 
Δελφοῖς, οὔτε λέγεε οὔτε χρύπτει, ἀλλὰ σημαίνει, und Fr. 12 (ebd. c. 6, 
8. 397 u. a.): Σίβυλλα δὲ μαινομένῳ στόματι, xa9° Ἡράκλειτον, ἀγέλαστα 
[xal] ἀχαλλώπιστα [χαὶ] ἀμύριστα φϑεγγομένη χιλίων ἐτῶν ἐξικνεῖται τῇ 
φωνῇ διὰ τὸν ϑεόν. 

5) Οβαάσισιρ. in Tim. c. 249: Heraolitus vero consentientibus Stoicis ratio- 
nem nostram cum divina ralione coonnechit regente ac moderante mundana, propier 


708 Heraklit. [663] 
von der Identität des Hades mit Dionysos!), und noch mehr 


inseparabiliem comitatum (wegen ihres untrennbaren Zusammenhangs mit der- 
selben) oonsciam deoreti rationabilis factam gwiescontibus amimis ope seonsuum 
Futura denuntiare. ex quo fieri, ut appareant imagines ignotorum looorum simu- 
Iscraque hominum tam viventium quam mortuorum, idemque asserit divinationis 
usum et praemoneri meritos instruentibus divinis potestatibus. Zunächst ist diess 
nun stoisch, aber wenigstens den allgemeinen Gedanken, dass die Seele ver- 
möge ihrer Gottverwandtschaft die Zukunft ahnen könne, mag Heraklit in 
irgend einer Form ausgesprochen haben. Aus dem falschen Hırrose. π. 
διαίτ. I, 12 (Schuster 287 f.) lässt sich bei der Beschaffenheit dieser Schrift 
kein einigermassen sicherer Schluss ziehen. 

1) Fr. 127 (8. u. 731, 1): οὐὑτὸς δὲ "Aldng χαὶ Διόνυσος. Als unter- 
irdischer Gott wurde Dionysos in den Mysterien, vor allem den orphisch- 
dionysischen, verehrt; in der orphischen Sage heisst er bald ein Sohn des 
Zeus und der Persephone, bald des Pluto und der Persephone. Die Vor- 
stellung jedoch, dass er mit Pluto selbst Eine Person sei, lässt sich in der 
älteren orphischen Theologie nicht nachweisen, sie begegnet uns vielmehr 
erst in den Bruchstücken von Schriften, die wir schon 8. 88 ff. der alexan- 
drinischen Zeit zuweisen mussten, und es fragt sich, ob sie nicht Her. zu- 
erst aufgebracht hat. Für ihn fallen Entstehen und Vergehen zusammen, 
da jede Entstehung eines neuen Untergang des früheren ist; daher auch 
Dionysos, der Gott des üppig sprossenden, schöpferisch quellenden Natur- 
lebens, und Hades, der Gott des Todes. Wenn dagegen TEicHhsÜüLLer I, 25 ἢ 
vgl. 11, 135. 159 u. ὅ. den Dionysos von der Sonne deutet, die mit dem 
Hades identisch sei, weil sie aus der Erde entstehe, und die Erde wieder 
das Licht in sich empfange, so steht dem entgegen, dass 1) der Hades zwar 
die Region unter der Erde, aber nicht die Erde selbst ist; dass 2) Her. die 
Sonne nicht aus der Erde, sondern aus dem Feuchten, den Dünsten, und 
namentlich denen des Meeres, sich bilden liess vgl. S. 683, 2. 684, 1. 
685, 4); dass 3) Entstehung der Sonne aus der Erde und Uebergang der- 
selben in Erde etwas anderes wäre, als Identität beider; dass aber 4) auch 
die Deutung des Dionysos auf die Sonne sich weder bei Her. noch bei den 
Orphikeru seiner Zeit (hierüber S. 54 f. 91 ff.) nachweisen lässt. Macht T. 
weiter den Hades zum υἱὸς αἰδοῦς, um aus unserem Bruchstück schliess- 
lich den seltsamen Sinn herauszubringen: die Dionysosfeier wäre schamlos, 
wenn Dionysos nicht der Sohn der Scham, das Schamlose und das Ge- 
ziemende dasselbe wäre, so fehlt es dieser Deutung an jeder haltbaren 
Stütze. T. beruft sich auf Prur. De Is. 29, 8. 362: χαὶ γὰρ Πλάτων τὸν 
“Adnv ὡς αἰδοῦς υἱὸν Toig παρ᾽ αὐτῷ γενομένοις χαὶ προσηνῆ ϑεὸν ὥνο- 
μάσθϑαι φησί. Es ist jedoch nicht abzusehen, was für Heraklit daraus 
folgen würde, wenn Plato diess gesagt hätte. Aber Plato hat nichts der 
Art gesagt. Von dem αἰδοῦς υἱὸς steht weder Krat. 403 A ff. (die einzige 
Stelle, die Plut. hier im Auge haben kann), noch irgendwo sonst bei ihm 
ein Wort. Und auch bei Plutarch gibt es so gar keinen erträglichen Sinn, 
dass man der Annahme eines Schreibfehlers in seinem ohnedem so vielfach 
verderbten Texte nicht ausweichen kann. Für αἰδοῦς υἱὸν ist ohne Zweifel 


[664] Die Religion. 729 


in seinen | Aeusserungen über die Unsterblichkeit und die 
Dämonen!), an die Lehren der Orphiker an?®). Aber doch 


(nach einer mir s. Z. mitgetheilten schönen Emendation HERCHER's) πλούσιον 
zu lesen, das ihm graphisch sehr nahe kommt, in der Parallelstelle Pur. 
De superst. 13, S. 171 wirklich steht, und auf Krat. 403 A. E (χατὰ τὴν 
τοῦ πλούτου δόσιν. . ἐπωνομάσϑη . . . . εὐεργέτης τῶν παρ αὐτῷ 
zurückgeht. — Um nichts besser ist ΤΈΙΟΗΜ. 85. 32 fi. die Begründung der 
Vermuthung gelungen, dass Her. in unserem Fragment den schmutzigen 
dionysischen Mythus bei Cr&sens Cohort. 21 Ὁ ff. berücksichtige, den er 
überdiess in einem Punkt, auf den er dabei ein besonderes Gewicht legt 
(dem πεασχητιῷν 22 A), unrichtig auffasst. Die Mittheilung des Clemens 
enthält keinerlei Hinweisung auf Heraklit, das heraklitische Fragment 
keinerlei Beziehung auf jenen Mythus, und wenn Clemens am Schluss 
seines Berichts unser Bruchstück einfällt, so folgt daraus doch nicht im 
geringsten, dass auch Heraklit bei seinem Ausspruch an jenen Mythus 
gedacht, und von dem „Samenfluss“ des Dionysos im Hades geredet hat, 
von dem nicht einmal jener Mytlıus selbst redet. Es ist daher eine selt- 
same Zumuthung, wenn Tanxery (Sci. Hell. 176 f.) in seiner Vertheidigung 
der Teichmüller’schen Deutung von mir verlangt, ich hätte den Mythus bei 
Clemens erkläreu und den Beweis dafür erbringen sollen, dass ihn Heraklit 
nicht so verstehen konnte. Wer jenen Mythus zur Feststellung der hera- 
klitischen Lehre benützen will, müsste doch seinerseits nachweisen, dass 
und in welchem Sinn Her. von ihm Gebrauch gemacht hat. An diesem 
Nachweis haben es aber Teichmüller und Tannery gleichsehr fehlen lassen. 

1) 5. 0.8. 711 £ 

2) Dagegen ist LassaLre I, 204—268 der Beweis für eine engere 
Verwandtschaft Heraklit’s mit den Orphikern und einen tiefer gehenden 
Einfluss derselben auf ihn nicht gelungen. Seine Hauptbeweisstelle, PLur. 
De Ei ce. 9, S. 388, gibt nicht, wie er glaubt, eine Darstellung der Theo- 
logie Heraklit’s, sondern eine stoische Deutung orphischer Mythen; und 
wenn L. meint, Plutarch würde den Stoikern die ehrenden Bezeichnungen 
ϑεολόγοι und ooywrepos nicht ertheilt haben, so hat er übersehen, dass 
1) mit den σοφώτεροι (das übrigens hier mehr „schlau“ als „weise“ be- 
deutet) nicht die Erklärer, sondern die Erfinder des Mythus, also 
Orphiker gemeint sind; dass 2) ϑεολύγοι gar kein Ehrentitel ist, und Plut. 
auch sonst (De Is. 40, S. 367) von stoischer Theologie redet; dass endlich 
8) die c. 9 dargestellte Ansicht in der Folge, c. 21, als frevelhaft abgewiesen 
wird. Sagt ferner L., die Ausdrücke χόρος und yensuonuvn, deren sich 
Plut. a. a. O. bedient, seien den Stoikern fremd gewesen, so ist diess ganz uner- 
weislich; aus PsıLo De vict. 839 Ὁ (s. o. 693 m) folgt es nicht im geringsten. 
Wären es endlich der Berührungen zwischen Heraklit und unsern orphischen 
Fragmenten, welche Lass. 246 ff. nachzuweisen sucht, auch weit mehrere, 
als in Wirklichkeit zugegeben werden können, so liesse sich daraus, bei 
dem späten Ursprung der Gedichte, denen jene Fragmente entnommen sind 
(5. S. 95 fl.), immer nur schliessen, sie haben unter dem Einfluss stoisch- 


730 Heraklit. [665] 


musste ihm in der | bestehenden Religion und in den 
Schriften der Dichter, welche für ihre Haupturkunden galten, 
manches zum Anstoss gereichen. Die Meinung, welche der 
gewöhnlichen Vorstellungsweise so nahe liegt, dass die Gott- 
heit nach Belieben Glück oder Unglück über den Menschen 
verhänge, vertrug sich nicht mit der Einsicht des Philosophen 
in die Gesetzmässigkeit und die fehlerlose Vollkommenheit des 
Naturlaufes!), und ebenso widersprach ihr die in den alten 
Religionen so verbreitete Unterscheidung glücklicher und un- 
glückbringender Tage?). Heraklit eifert ferner gegen die 


nn | 0 — 


heraklitischer Anschauungen, nicht aber, Heraklit habe unter orphischem 
Einflusse gestanden. Ueber eine äbnliche Combination Teichmüller's 5. 728,1. 
Eingehender werde ich auf Heraklit’s Verhältniss zu den Orphikern S. 741 
zurückkommen. 

1) Vgl. 5. 664, 4. Hierauf bezieht Lassar.Le II, 455 f. die S. 633, 2 
mitgetheilte, von Schuster 338 ἢ. besprochene Aeusserung über Homer und 
Archilochus, indem er annimmt, sie sei gegen die ihrem Sinn nach über- 
einstimmenden Verse Odyss. XVII, 135 und Arcnı. Fr. 72 BERGK ge- 
richtet, und sie mit dem analogen Widerspruch gegen Hesiod (folg. Anm.) 
in Verbindung bringt. Weniger wahrscheinlich ist es mir, dass unser Philo- 
soph (nach SchLeıers. 22 f. Lass. II, 454) Homer der Sterndeuterei be- 
schuldigte, und somit auch diese verwarf. Die Scholien zu Il. XVII, 251 
(8. 495 b 5 Bekk.) sagen allerdings, wegen dieses Verses und Il. VI, 488 
habe Heraklit den Homer ἀστρολόγος genannt, was in diesem Zusammen- 
hang nur „Sterndeuter“ bezeichnen kann. Allein ἀστρολόγος wird im älteren 
Sprachgebrauch nie für einen Sterndeuter, sondern immer nur für einen 
Sternkundigen, einen Astronomen, gebraucht; wie auch Sıspr. Phys. 293, 10 
bezeugt. Als solchen aber den Homer, sei es auch nur ironisch, zu be- 
zeichnen, gaben jene beiden Verse keinen Anlass. Schuster (339, 1) glaubt 
nun freilich, da Heraklit nach Creuexs (8. S. 731, 1) die Magier gekannt 
habe, μάγοι aber = ἀστρολόγοι sei, könne er auch Homer einen Astrologen 
genannt haben. Aber der spätere Sprachgebrauch, für den Magier und 
Astrolog gleichbedeutend sind, kann nicht beweisen, dass auch H. schon 
von Astrologen in diesem Sinn sprechen konnte. Mir ist es daher wahr- 
scheinlicher, dass entweder unser Her. den Homer zwar ἀστρολόγος naunte, 
aber nicht aus Anlass der oben angeführten Verse und nur im Sinn eines 
Sternkundigen, oder dass ein gleichnamiger Späterer, etwa der Verfasser 
der homerischen Allegorieen, ihn als ἄστρολ. im Sinn eines Sterndeuters be- 
zeichnet hat. 

2) Nach Prur. Cam. 19 vgl. Sexeca ep. 12, 7 machte er Hesiod die 
Unterscheidung von ἡμέραι ἀγαϑαὶ und yadicı zum Vorwurf, ὡς ayrooürtı 
φύσιν» ἁπάσης ἡμέρας μίαν οὖσαν. 


[666] Die Religion. 731 


Schamlosigkeit der dionysischen Orgien!); er greift in der 
Bilderverehrung eine | von den Grundsäulen der griechischen 
Religion an®), er hat auch das bestehende Opferwesen in 
scharfen Worten verurtheilt?). Es sind diess Ausstellungen, 


1) Fr. 124 b. Crew. Cohort. 22 B. Pur. De Is. 28, 8. 362: εἰ un γὰρ 
Διονύσῳ πομπὴν ἐποιοῦντο καὶ ὕμνεον ἄσμα aldoloıaıy (wäre es nicht 
Dionysos, dem zu Ehren sie eine Procession halten und den Phallus be- 
singen), ἀναιδέστατα εἴργασται" würos (wur.) δὲ Aldıns καὶ Διόνυσος, δτεῳ 
μαίγονται χαὶ ληναΐζουσιν. Die letzteren Worte (über die S. 728, 1) sollen 
wohl die Menschen auf die Blindheit aufmerksam machen, mit der sie ihr 
ausgelassenes Fest dem Todesgott feiern; in den vorhergehenden findet 
PrLeiperer S. 28 den Sinn, dass die Phallusprocessionen zwar „vom pro- 
fanen Standpunkt aus“ den Vorwurf der Schamlosigkeit verdienen würden, 
aber wegen der „darin enthaltenen tiefen mystischen Wahrheit von der 
Identität des Dionysos und Hades“, des Lebens und des Todes, „das 
schmutzige Phalluslied gewissermassen ein Triumphgesang wider den Tod 
sei“. Ich vermag von alledem nichts darin zu entdecken, sehe vielmehr 
in unserem Bruchstücke lediglich einen Tadel der Verkehrtheit, die Götter 
mit Handlungen ehren zu wollen, die man in jedem anderen Fall auf’s ent- 
schiedenste verurtheilen würde, und lärmende Freudenfeste für den Hades 
zu begehen. Vgl. CLemens Coh. 13 Ὁ (Fr. 125): τίσι δὴ μαντεύεται Ἣρά- 
xlsıros ὁ 'Ey£oios; νυχτιπόλοις, μάγοις, βάχχοις, Anvaıs, μύσ- 
ταῖς. τούτοις ἀπειλεῖ τὰ μετὰ ϑάνατον, τούτοις ματτεύεται τὸ πῦρ' τὰ 
γὰρ νομιζόμενα κατ᾽ ἀνθρώπους μυστήρια (auch diess ein deut- 
licher Ausdruck der Geringschätzung) «rıepwor! μυεῦνται. Die ge- 
sperrten Worte scheinen, wie Scauster 387, 1 mit Brenays Herakl. 
Br. 134 annimmt, aus Heraklit zu stammen. Dagegen stand Fr. 122 (s. o. 
111, 1; vgl. Scauster 5. 190) mit dieser Stelle schwerlich in dem Zu- 
sammenhang, in den Clemens beide setzt. 

2) Fr. 126 Ὁ. Crem. Coh. 33 B. Orıc. c. Cels VII, 62. I, 5: χαὶ τοῖς 
ἀγάλμασε τουτέοισι εὔχονται ὁκοῖον εἴ τις τοῖς δόμοισι λεσχηνεύοιτο (wie 
wenn jemand mit den Häusern redete) οὔτε γιγνώσχων ϑεοὺς οὔτε ἥρωας 
oizsres εἶσι. Das gleiche theilt Neumann (Hermes XV, 605) aus einer 
Strassburger Handschrift mit. Was dagegen ebd. S. 606 Nr. 4 steht, ist 
offenbar eine jüdische oder christliche Ueberarbeitung des heraklitischen 
Wortes; ebd. Nr. 3 wird auf Heraklit übertragen, was in Wahrheit (s. o. 
924, 2) Xenophanes gesagt hatte, wie NEUMANN selbst inzwischen Herm. XVI, 
159 bemerkt hat. 

3) Fr. 130 Ὁ. Erıas Crerr. ad. Greg. Naz. or. XXIII S. 836 (griechisch 
b. BywAteR): χαϑαίρονται δὲ aluarı μεχαινόμενοι ὥσπερ av el τις ἐς πηλὸν 
ἐμβὰς πηλῷ ἀπονίζοιτο. Das gleiche kaum abweichend bei NEUNAnn a. a. O.; 
ähnlich bei Arorronx. Tras. ep. 27: un πηλῷ πηλὸν χαϑαίρειν. (Einiges wei- 
tere bei ΒΥ.) Dass dieser Tadel nicht blos dem Vertrauen auf das opus ope- 
ratum der Opfer gilt, liegt am Tage; die Opfer selbst werden ja πηλὸς genannt, 
wie diess mit Heraklit’s Aeusserung über die Leichname (s. o. 704, 2) voll- 


733 Heraklit. [666. 667] 


welche tief genug einschneiden; aber doch scheint es nicht, 
dass Heraklit die Volksreligion im ganzen in ihrem Bestand 
antasten wollte. 


4. Heraklit'’s geschichtliche Stellung und Bedeutung. 
Die Herakliteer. 


Heraklit gilt schon im Alterthum für einen der bedeutend- 
sten unter den Physikern!); Plato besonders, der aus seiner 
Schule so fruchtbare Anregungen erhalten hatte, zeichnet ihn 
dadurch aus, dass er eine von den möglichen Hauptansichten 
über die Welt und das Erkennen, die, welche der eleatischen | 
am schroffsten entgegensteht, von ihm herleitet?). Diess ist 
auch wirklich der Punkt, auf dem wir die Bedeutung unseres 
Philosophen vorzugsweise zu suchen haben. Für die Er- 
klärung der besonderen Erscheinungen hai er nichts gethan, 
was mit den mathematischen und astronomischen Entdeckun- 
gen der Pythagoreer oder mit den physikalischen Forschungen 
eines Demokrit und Diogenes zu vergleichen wäre; auch seine 
ethischen Lehren, so folgerichtig sie sich an seine ganze Welt- 
ansicht anschliessen, gehen doch an sich selbst nicht über die 
Unbestimmtheit von praktischen Grundsätzen hinaus, die man 
ähnlich auch ausser dem Zusammenhang eines philosophischen 
Systems findet. Sein eigenthümliches Verdienst liegt nicht in 
der Einzelforschung, sondern in der Aufstellung allgemeiner 
Gesichtspunkte für die gesammte Naturbetrachtung. Er ist 
der erste, welcher die absolute Lebendigkeit der Natur, den 
unablässigen Wechsel der Stoffe, die Veränderlichkeit und 
Vergänglichkeit alles einzelnen, und ihr gegenüber die unver- 


kommen übereinstimmt. Hat er sie daher nach Ps. JausL. De myster. I, 
11 Schl. ἄχεα genannt, so ist zu vermuthen, er habe sich dieses Ausdrucks 
nur ironisch, in der Bedeutung: „angebliche Heilmittel*, bedient, oder damit 
nur bezeichnen wollen, was sie sein sollten. Keinenfalls kann man etwas 
aus ihm schliessen, so lange wir nicht wissen, in welchem Zusammenhang 
er ihn gebrauchte. 

1) φυσιχὸς heisst er sehr oft; die ungereimte Behauptung des Gram- 
matikers Diodotus ἢ. Dıoc. IX, 15, dass seine Schrift eigentlich nicht über 
die Natur, sondern über den Staat handle, und das physikalische nur ein 
Beispiel für das politische sein solle, steht ganz vereinzelt. Vgl. auch 
S. 626. 

2) M. vgl. die S. 684, 1. 641, 2. 649, 3. 657, 3 angeführten Stellen. 


1667. 668] Geschichtliche Stellung. 733 


änderliche Gleichmässigkeit der allgemeinen Verhältnisse, den 
Gedanken eines unbedingten, den ganzen Naturlauf beherr- 
schenden, vernünftigen Gesetzes in grundsätzlicher Allgemein- 
heit geltend gemacht hat!). Heraklit kann aus diesem Grunde, 
wie schon früher bemerkt wurde, nicht einfach als Fortsetzer 
der altjonischen Physik, sondern nur als Urheber einer eigen- 
thümlichen Richtung betrachtet werden, die allerdings in ihrer 
Entstehung von den älteren jonischen Lehren nicht unabhän- 
gig gewesen sein wird. Er theilt zwar mit den älteren Joniern 
die hylozoistische Voraussetzung eines Urstoffs, der durch 
eigene Kraft sich umwandelnd die abgeleiteten Dinge erzeuge; 
er theilt die Annahme einer periodischen Weltbildung und 
Weltzerstörung mit Anaximander und Anaximenes, er hat auch 
für seine ganze Weltanschauung an Anaximander einen Vor- 
gänger, dessen Einfluss nicht zu verkennen ist; denn wie 
Heraklit alles einzelne als flüchtige Erscheinung im Strome 


1) Und es wäre desshalb freilich durchaus verfehlt, wenn jemand Hera- 
klit den Pessimismus eines Schopenhauer, d. h. die Behauptung zuschreiben 
wollte, die Welt als solche sei schlecht, das Leben als solches werthlos und 
elend; wie diess nach unsern früheren Erörterungen (S. 668 ff. 725) keines 
Beweises bedarf. Aber diese Behauptung hat meines Wissens noch niemand 
Heraklit zugeschrieben; selbst Lucian und Seinesgleichen (8. ο. 725, 2. 625 m.) 
lassen ihn ja nur über die Menschen und ihren Zustand so abschätzig ur- 
theilen. Wenn daher PrLeıperzr (S. 7 f. 178 fi. 237 ff.) die Sache so dar- 
stellt, als ob man bisher den Ephesier für einen Pessimisten gehalten, und 
er erst seinen „Vernunftoptimismus“ erkannt hätte, so ist diess nicht nur 
ungenau, sondern geradezu irreführend. Wollte man von Pessimismus oder 
Optimismus bei ihm reden (ich habe mich dieser modernen Kategorieen für 
ihn nicht bedient, und ebensowenig habe ich 8. 734 ihn das Einzeldasein 
ein Unrecht nennen lassen), so müsste man vor allem sagen, welchen Theil 
seiner Lehre man dabei im Auge hat. Von der Masse der Menschen hat Her. 
allerdings eine herzlich schlechte Meinung, aber von der Vortrefflichkeit des 
Weltganzen die allerbeste, und auch dem Menschen wollte der Philosoph, 
welcher das Gemüth desselben für seinen Dämon und die Zufriedenheit mit 
der Weltordnung für seine höchste Aufgabe erklärte, die Möglichkeit, glück- 
lich zu sein, selbstverständlich nicht abschneiden. Ob dieser Standpunkt, 
folgerichtig festgehalten, einen Heraklit nicht ebensogut, wie einen Leibniz, 
auch zu einer milderen Beurtheilung seiner Mitmenschen hätte veranlassen 
müssen, kann hier ununtersucht bleiben; dass thatsächlich der aus- 
gesprochenste metaphysische Optimismus mit einer höchst pessimistischen 
Beurtheilung der Menschen zusammen sein kann, zeigen schon die Stoiker, 
diese grossen Bewunderer Heraklit's. 


784 Heraklit. [667. 668] 


des Naturlebens auftauchen und wieder verschwinden lässt, 
so bezeichnet auch Anaximander die Einzelexistenz als ein 
Unrecht, für welches die Dinge durch ihren Untergang büssen 
müssen!). Aber gerade seine eigenthümlichsten | und ein- 
greifendsten Bestimmungen hat Heraklit von keinem der 
früheren jonischen Philosophen entlehnt. Keiner von diesen 
hat es ausgesprochen, dass nichts in der Welt einen festen 
Bestand habe, dass alle Stoffe und alle Einzelwesen in einer 
unaufhörlichen, ruhelosen Veränderung begriffen seien, und 
dass diese nicht blos in Verdünnung und Verdichtung, sondern 
in einer qualitativen Umwandlung bestehe; keiner von ihnen 
hat so nachdrücklich darauf hingewiesen, dass es die göttliche 
Weisheit und Vernunft sei, die alles lenke, keiner diese Ver- 
nunft und das mit ihr zusammenfallende Gesetz des Weltlaufs 
für das einzige erklärt, was im Wechsel der Dinge beharre, 
keiner jenes Gesetz auf das Auseinandergehen und Zusammen- 
gehen der Gegensätze begründet, die drei elementarischen 
Grundformen bestimmt, und die Gesammtheit der Erscheinun- 
gen aus dem Gegenlauf der zwei Wege, nach oben und nach 
unten, hergeleitet. Wie sich aber Heraklit hierin von seinen 
jonischen Vorgängern entfernt, so nähert er sich den Pytha- 
goreern und Xenophanes. Jene behaupten mit ihm, dass alles 
aus Entgegengesetztem bestehe, und dass desshalb alles Har- 
monie sei; und wenn Heraklit nichts an den Dingen für 
bleibend erkennt, als das Verhältniss ihrer Bestandtheile, so 
halten sie die mathematischen Formen und Verhältnisse für 
ihr eigentliches Wesen, so weit sie auch von der Leugnung 
eines Beharrlichen in den Stoffen entfernt sind. Xenophanes 
ist der erste philosophische Vertreter jenes Pantheismus, der 
auch dem heraklitischen System zu Grunde liegt; und im Zu- 
sammenhang damit hat er der heraklitischen Lehre von der 
Weltvernunft durch seine Sätze über die denkende Natur der 
Gottheit, welche zugleich die einheitliche Naturkraft ist, vor- 


1) Er sagt diess aber (s. o. 207, 2) ποιητεκωτέροις ὀνόμασι: dass es 
besser wäre, wenn es überhaupt keine Einzeldinge gäbe (CuıarreLLı Fram. 
di Eracl. 37), will er damit nicht behaupten, und kann diess nicht wollen, 
da er sie ebenso, wie Heraklit, aus dem Urstoff vermöge der Natur desselben 
hervorgehen lässt. 


[668. 669] Geschichtliche Stellung. n35 


gearbeitet. An die Pythagoreer erinnern ferner Heraklit’s 
Annahmen über das Leben der Seele ausser dem Leibe, seine 
ethischen und politischen Grundsätze; mit der Vorstellung des 
Xenophanes über die Gestirne hat Heraklit’s Ansicht von der 
Sonne auffallende Aehnlichkeit. Wollen wir endlich neben 
Xenophanes auch die jüngeren Eleaten zur Vergleichung her- 
beiziehen, so fällt in die Augen, dass Heraklit und Parmenides 
aus entgegengesetzten Voraussetzungen die gleiche Ansicht 
über den unbedingten Vorzug der Vernunfterkenntniss vor der 
sinnlichen Wahrnehmung ableiten; und wenn Zeno die Vor- 
stellungen der Menschen über die Dinge dialektisch zersetzt, 
um seine Einheitslehre zu begründen, so vollzieht sich dieselbe 
Dialektik bei Heraklit objektiv an den Dingen selbst, indem 
sich die ursprüngliche Einheit durch die rastlose | Umwand- 
lung der Stoffe aus der Vielheit ebenso unablässig wieder- 
herstellt, wie sie andererseits beständig in die Vielheit aus- 
einandergeht!). Da nun überdiess Pythagoras und Xenophanes 
unserem Philosophen nicht unbekannt waren?), da anderer- 
seits seine Lehre von Epicharmus berührt zu werden scheint?), 
und unter Voraussetzung der herkömmlichen Zeitbestimmun- 
gen schon Parmenides bekannt sein konnte, so liegt die Ver- 
muthung nahe, Heraklit habe von Pythagoras und Xeno- 
phanes philosophische Anregungen empfangen, und seinerseits 
wieder auf Parmenides und die jüngere eleatische Schule 
zurückgewirkt. Und wenigstens die erste von diesen An- 
nahmen ist trotz seiner herben Urtheile über seine Vorgänger 
nicht unwahrscheinlich, so wenig sich auch verkennen lässt, 
dass er die leitenden Gedanken seines Systems von keinem 
derselben entlehnt hat, und dass auch die Sätze, worin er mit 
ihnen zusammentrifft, bei ihm theils in einem anderen Zu- 
sammenhang stehen, als bei jenen, theils auch nicht eigenthüm- 
lich genug sind, um eine philosophische Abhängigkeit sicher 
zu beweisen. Denn die Einheit des Seins, welche bei den 


1) Μ. vgl. zu dem obigen die Bemerkungen von HeseL Gesch. d. 
Phil. I, 300 f. und Branıss Gesch. ἃ. Phil. 5. Kant. I, 184 über das Ver- 
hältniss Heraklit's zu den Eleaten. 

2) S. o. 309, 3. 476, 4. 

3) 8. ο. 8. 49. . 

Philos. ἃ. Gr. I. Bd. 5. Aufl. 47 


736 Heraklit. [669. 670] 


Eleaten alle Vielheit und Veränderung ausschliesst, bewährt 
sich hier eben in der unablässigen Veränderung und der Bil- 
dung des Vielen aus dem Einen!); die göttliche | Vernunft 
fällt mit der Ordnung der wechselnden Erscheinungen zu- 
sammen; die Gegensätze, welche den Pythagoreern etwas ur- 
sprüngliches waren, entstehen hier erst durch die Umwand- 
lung des Urstoffs; die Harmonie, welche die entgegengesetzten 
verknüpft, hat bei Heraklit nicht die eigenthümlich musika- 
lische Bedeutung, wie bei den Pythagoreern, und von ihrer 
Zahlenlehre findet sich bei ihm ohnediess keine Spur. Ob 
ferner Heraklit seine Annahmen über den Zustand nach dem 
Tode von den Pythagoreern entlehnt hat, lässt sich um so 
weniger entscheiden, da diese selbst sich hierin der orphischen 
Mysterienlehre anschlossen, und wenn er in seiner ethischen 
und politischen Richtung mit ihnen zusammentrifft, so be- 
schränkt sich doch dieses Zusammentreffen auf das allgemeine, 
was sich auch bei andern Freunden einer aristokratisch con- 
servativen Staatsordnung findet, ohne die unterscheidenden 
Züge des Pythagoreismus zu zeigen. Auch seine bekannte 
Behauptung über das Erlöschen der Sonne erklärt sich aus 
seinen sonstigen Voraussetzungen zu leicht, als dass wir ihrer, 
allerdings merkwürdigen, Verwandtschaft mit der Vorstellung 


1) Xenophanes hatte zwar die Vielheit und Veränderlichkeit der Dinge 
noch nicht bestritten, aber von dem Urwesen oder der Gottheit will er beide 
Bestimmungen auf’s entschiedenste ausschliessen, wogegen Heraklit die Gott- 
heit als das Feuer beschreibt, welches rastlos in die mannigfaltigsten Ge- 
stalten übergeht. Dass er diess in ausdrücklichem Gegensatz gegen Xeno- 
phanes thue, findet Schuster 8.229, 1 wahrscheinlich, TeıcaunürLter I, 127 f. 
unleugbar. Mir scheint es zwar möglich, aber keineswegs sicher, da der 
Satz: „Gott ist Tag und Nacht“ u. 5. w. (8. 664, 1) gegen das xenopha- 
nische: „eis ϑεὸς“, die Behauptung, dass sich Gott in alle Dinge verwandle, 
gegen die Bestreitung einer örtlichen Bewegung der Gottheit (S. 525) keinen 
so unmittelbaren und ausgesprochenen Gegensatz bildet, dass die einen nur 
aus den andern erklärt werden könnten. Noch viel weniger kann ich aber 
allerdings Schuster's (229, 1) Vermuthung beitreten, dass Xenophanes von 
der im Unsichtbaren zu suchenden Harmonie gesprochen, und Her. ihm den 
Satz von der sichtbaren Harmonie entgegengestellt habe: nicht blos, weil 
wir nicht wissen, ob Xenophanes das, was ScH. bei ihm vermuthet, gesagt 
hat, sondern auch, weil wir wissen, dass Heraklit das, was er ihm zuschreibt, 
nicht gesagt hat; vgl. S. 665, 1. 


1670] Geschichtliche Stellung. 737 


des Xenophanes ein entscheidendes Gewicht beilegen könnten. 
So wahrscheinlich daher ein geschichtlicher Zusammenhang 
Heraklit's mit Pythagoras und Xenophanes sein mag, so 
schwierig ist es, diese Wahrscheimlichkeit zur Gewissheit zu 
erheben. Noch unsicherer ist die Vermuthung!), dass Par- 
menides bei seiner Polemik gegen die Thoren, welche Sein 
und Nichtsein für dasselbe und doch zugleich nicht für das- 
selbe halten?), gerade unsern Philosophen im Auge habe. 
Denn theils macht die Chronologie hier erhebliche Schwierig- 
keiten), | theils wurde das Sein des Nichtseienden, so viel wir 
wissen, nicht von Heraklit, sondern erst von den Atomikern 
ausdrücklich ausgesprochen; Parmenides hat daher die Einer- 
leiheit von Sein und Nichtsein seinen Gegnern jedenfalls erst 
geliehen; diese Gegner selbst aber beschreibt er so, dass wir 
weit eher an die Masse der Menschen mit ihrem unkritischen 


1) BErxavs I, 62 f. und schon SteinuArt Hall. A. Literaturz. 1845, 
Novbr. S. 892 f. Platon’s Werke III, 394, 8 u. ö. Kern Xenoph. 14. 
ScHuster S. 34 ff. 236. ScHwEGLER Gesch. ἃ. gr. Phil. 93 und andere.” 

2) V. 46 ff. 8. o. 5. 558. 

8) 8. 628, 2 g. E. ist gezeigt worden, dass Heraklit’s Schrift aller 
Wahrscheinlichkeit nach nicht vor 478 v. Chr. verfasst ist. Später kann 
aber die des Parmenides kaum sein, ja sie ist eher wohl etwas älter. Selbst 
nach der platonischen Berechnung hätte Zeno, der um 454/2 40 Jahre alt 
gewesen sein soll, schon in jungen Jahren, also etwa 470468, in seiner 
Schrift seinen Lehrer πρὸς τοὺς ἐπεχεεροῦντας αὐτὸν χωμῳδεῖν vertheidigt; 
die Schrift des Parmenides müsste daher doch wohl einige Jahre früher ge- 
setzt werden; und da nun Plato den Parm. keinenfalls älter, wahrscheinlich 
aber um ein beträchtliches jünger macht, als er war (vgl. S. 555 ἢ), kommen 
wir schon hiemit der Abfassungszeit des heraklitischen Buches sehr nahe. 
Das gleiche ergibt sich aus Epicharm’s Versen Ὁ. Dıoc. III, 9 (s. ο. 496, 4), 
worin er dem Vertreter des eleatischen Standpunkts die Worte in den Mund 
legt: ἀμάχανόν γ᾽ am οὔτενος εἶμεν ὃ τε πρᾶτον μόλοι. Dieser Grund 
gegen das absolute Werden wird von Xenophanes noch nicht erwähnt; da- 
gegen findet er sich bei Parmenides V. 62 f. (5. ο. 559, 4) ausdrücklich an- 
gegeben. Hat ihn nun Epicharm von ihm entlehnt, hat also er schon das 
Gedicht des Parm. in Händen gehabt, so wäre es zwar nicht absolut un- 
möglich, aber doch ist es nicht eben wahrscheinlich, dass auch schon dieses 
Gedicht selbst die von Epicharm gleichzeitig benützte Schrift Heraklit's 
ebenfalls berücksichtigt hatte; noch unwahrscheinlicher, dass sich Parm. 
seine Ansicht, deren Prämissen ihm durch Xenophanes vollständig gegeben 
waren, erst als gereifter Mann unter dem Einfluss des heraklitischen Buches 
gebildet haben sollte. 

47* 


738 Heraklit, [671} 


Vertrauen auf den sinnlichen Schein, als an einen Philosophen 
erinnert werden, der im ausgeprägtesten Widerspruch gegen 
dieselbe die Wahrheit der sinnlichen . Wahrnehmungen be- 
stritten hat!). Wollte man andererseits | annehmen, Parmenides 


1) Scauster macht a. a. O. für seine und Bernays’ Ansicht geltend, 
dass Parm. diejenigen bestreitet, οἷς τὸ πέλειν TE χαὶ οὐχ εἶναε ταὐτὸν 
γενόμιεσται. Aber dass Sein und Nichtsein dasselbe seien, hatte Her., wie 
bemerkt, nicht gesagt; auch sein eluev re χαὶ οὐχ εἶμεν hat nicht diesen 
Sinn (vgl. S. 634 unt.), und ebensowenig liegt er in der aristotelischen Aus- 
sage, dass Her. Gutes und Böses für dasselbe erklärt habe, auch abgesehen 
von der Frage, ob diese Aussage ganz genau ist (worüber 8. 661 f.); denn 
es ist zweierlei, ob man sagt: das Gute und das Böse (welche beide zu dem 
Seienden gehören), seien dasselbe, oder: Sein und Nichtsein seien es. Diese 
Formel ist daher jedenfalls erst von Parm. gebildet worden, um den Wider- 
spruch auszudrücken, in welchen die von ihm bestrittene Vorstellungsweise 
gerathe. Fragen wir aber, welche diess sei, so verweist er selbst (V. 37. 
45 fi. 75 f. 8. o. 508, 1. 560, 1) auf jede, die 1) ein Nichtsein, und 2) ein 
Entstehen und Vergehen annimmt. Würde aber auch Parm. seinen Tadel 
ebenso gewiss auf Heraklit's Lehre mit ausgedehnt haben, wie er seinerseits 
von Her. zu denen gerechnet worden wäre, die nicht verstehen, was ihnen 
vor Augen liegt (S. 631m), denen das ewiglebendige Feuer zu etwas todtem 
und starrem geworden ist (S. 715, 5), so weist doch nichts darauf hin, dass 
Parm. bei seinen Aeusserungen speciell an Her. gedacht habe. Er beschreibt 
vielmehr die Gegner a. ἃ. a. O. als ἄχριτα φῦλα, als Leute, die wie Taube 
und Blinde dahinleben, und warnt ihnen gegenüber davor, den Augen und 
Ohren mehr zu trauen, als der Vernunft; eine Schilderung, die zwar viel- 
leicht auf den Sensualisten passen würde, zu dem Schuster Heraklit macht, 
aber nicht auf einen solchen, der mit Parm. in der Herabsetzung der Sinne 
gegen die Vernunft, und selbst in der Art, wie er diese Ueberzeugung aus- 
spricht, so vollständig übereinstimmt, wie diess nach S. 716 f. vgl. m. 
8. 558. 565 f. bei Heraklit wirklich der Fall war. „Gebrauche nicht ὄμμα und 
ἀχοὴ, sagt Parm., sondern urtheile mit dem λόγος... „Augen und Ohren, sagt 
Her., sind schlechte Zeugen,“ „der Aöyos ist das Gemeinsame, dem man 
folgen muss.“ Und eben jenes Wort sollte Parmenides gegen Heraklit 
gerichtet haben? — Dass Parm. ferner im zweiten Theil seines Gedichts 
„das Feuer und die Nacht oder die Erde als die äussersten Gegensätze ganz 
wie Heraklit hinstelle“, kann ich nicht finden. Parm. hat hier zwei Ele- 
mente, das Lichte und das Dunkle, die er auch Feuer und Erde nannte; 
bei Her. sind diese beiden nur die „äussersten Gegensätze“ unter seinen 
drei, oder nach Scan. vier, Elementarformen; nicht minder wesentlich ist aber, 
als das Band zwischen jenen, das Wasser. Wenn daher Parm. in seiner 
Darstellung der δόξαε βρότειοι (oben 582, 2. 567, 2 f.) nur von zwei μορ- 
φαὶ redet, aus denen alles erklärt werde, ohne je einer dritten zu erwähnen, 
und wenn er dieselben überdiess in erster Reihe nicht als Feuer und Erde, 


1672. 673] Geschichtliche Stellung. 739 


sei in dieser Bestreitung der Sinneserkenntniss Heraklit ge- 
folgt, so steht dem im Wege, dass dieselbe bei beiden eine 
ganz verschiedene Bedeutung hat, dass Parmenides desshalb 
misstrauisch gegen die Sinne ist, weil sie uns eine Vielheit 
und Veränderung, Heraklit umgekehrt, weil sie uns ein Be- 
harren der Einzeldinge vorspiegeln. Es ist daher nicht wahr- 
scheinlich, dass Parmenides die heraklitische Lehre überhaupt 
gekannt und bei der Aufstellung seines Systems darauf Rück- 
sicht genommen hat. 

Mag sich aber auch das unmittelbare Verhältniss Heraklit’s 
zur pythagoreischen und eleatischen Schule. nicht mit voller 


sondern als Licht und Dunkel bezeichnet, so gibt diess keinen Grund zu 
der Vermuthung, dass er dabei Heraklit’s drei Elementarformen speciell im 
Auge habe; hat er vielmehr überhaupt ein bestimmtes System berücksichtigt, 
80 wird man eher (vgl. S. 571, 4) an das pythagoreische zu denken haben, 
dessen Spuren in seiner Kosmologie so deutlich hervortreten, und dem auch 
schon vor der Tafel der 10 Gegensätze die naheliegende Gegenüberstellung 
von Licht und Finsterniss gewiss nicht fremd war. Nur aus ihm stammt 
auch die δαίμων ἣ πάντα χυβερνᾷ (vgl. S. 570, 2. 577 8); und wenn ὅση. 
statt dessen an Heraklit's γνώμη erinnert, ἥτε οἵη κυβερνῆσαι πάντα (8. 0. 
668, 1), so liegt die Aehnlichkeit hier nur in dem πάντα χυβερνᾷν, das um 
so weniger beweist, da es ganz ähnlich schon bei Anaximander (8. o. 217, 1) 
und später bei Diogenes (261, 6) vorkommt; wogegen der bezeichnendste 
Zug der parmenideischen Darstellung, dass die δαίμων, wie die pythago- 
reische Eorla (8. ο. 414, 3), im Mittelpunkt sämmtlicher Sphären thront, bei 
Heraklit keine Analogie hat. Ebenso führt sich die Aehnlichkeit zwischen 
dem παλέρτροπος χέλευϑος des Parm. (V. 51 S. 558) und der παλίντεροπος 
auuorin Her.'s (δ. 658, 1), selbst wenn bei diesem wirklich so, und nicht 
vielmehr zallyrovos zu lesen sein sollte, lediglich auf den beiderseitigen 
Gebrauch des Wortes nalfvrogonos, eines ziemlich häufig vorkommenden 
Ausdrucks, zurück; aber die Bedeutung dieses Ausdrucks ist bei beiden ver- 
schieden: bei Her. bezeichnet das „rückwärts gewendete“ oder „wieder um- 
wendende“ das, was aus dem Gegensatz zur Einheit zurückkehrt, bei Parm. 
das, was mit sich selbst in Widerspruch kommt, indem es aus seiner ur- 
sprünglichen Richtung in die entgegengesetzte übergeht. Noch weniger folgt 
daraus, dass Her. einmal (8. 655, 3) sagt: εἰδέναι yon τὸν πόλεμον u.8. Ν᾽.» 
Parm. seinerseits (V. 37, 558, 1) ὡς χρεών ἐστε un εἶναι und (V. 114, 
567, 2) τῶν ulav οὐ χρεῶν ἐστι; denn die Behauptung, es müsse ein Nicht- 
seiendes geben, fällt mit der, dass es Streit geben müsse, keineswegs zu- 
sammen; das, was Her. sagt, wird in der ihm eigenthümlichen Wendung 
von Parm. nicht berührt, und der Gebrauch eines so unvermeidlichen Wortes, 
wie χρὴ, wofür Parm. überdiess beidemale χρεών ἐστι setzt, hat vollends 
nichts auf sich. 


740 Heraklit. [673. 6747 


Sicherheit feststellen lassen, die geschichtliche Stellung und 
Bedeutung seiner Lehre bleibt im ganzen dieselbe, ob er nun 
durch seine Vorgänger zum Widerspruch gegen ihre Vor- 
stellungsweise angeregt wurde, oder ob er von selbst in der 
Betrachtung der Dinge gerade die Seite vorzugsweise in’s 
Auge fasste, welche sie am wenigsten beachtet hatten, und 
welche in der weiteren Entwicklung des eleatischen Systems 
auch ausdrücklich geleugnet wurde. Wenn in der eleatischen 
Einheitslehre die ältere, zunächst auf den substantiellen Grund 
der Dinge gerichtete Forschung ihren Höhepunkt erreichte, 
so tritt dieser Richtung in Heraklit die entschiedene Ueber- 
zeugung von der absoluten Lebendigkeit der Natur und der 
unaufhörlichen Veränderung der stofflichen Substanz entgegen, 
welche in der weltbildenden Kraft und dem ihr inwohnenden 
Bildungsgesetz das einzige zu sehen gestattet, was im Wechsel 
der Erscheinung sich gleich bleibt. | Ist aber alles nur im Wer- 
den, so kann sich auch die Philosophie der Anforderung nicht 
entziehen, das Werden und die Veränderung zu erklären. Es 
wird ihr mithin durch Heraklit eine neue Aufgabe gestellt: 
statt der Frage nach der Substanz, aus der die Dinge be- 
stehen, tritt die Untersuchung der Ursachen, von welchen das 
Entstehen, das Vergehen und die Veränderung herrührt, in 
den Vordergrund, und indem sie dieser Frage ihre ganze Auf- 
merksamkeit zuwendet, ändert die vorsokratische Naturphilo- 
sopbie ihren bisherigen Charakter!). | 


1) Das umgekehrte Verhältniss beider nimmt StrümrEeLL Gesch. d. 
theor. Phil. d. Gr. S. 40 an, wenn er Heraklit den Eleaten voranstellt, und 
den Uebergang von jenem zu diesen mit der Bemerkung macht: die Ver- 
änderlichkeit der Natur (die Heraklit gelehrt hatte) zwinge das Denken, 
von jedem einzelnen zu sagen, dass es nicht sei; diese veränderliche Natur 
werde nun von den Eleaten als Objekt des Wissens gänzlich aufgegeben, 
und das Wissen ausschliesslich auf das Seiende bezogen. Da aber der 
Stifter der eleatischen Schule doch älter ist, als Heraklit, und da die elea- 
tische Lehre ihrem ganzen Charakter nach als die Vollendung der früheren, 
die heraklitische als der Anfang der jüngeren, auf die Erklärung des Wer- 
dens vorzugsweise gerichteten Physik erscheint, halte ich diese Darstellung 
nicht für richtig; und ebensowenig kann ich mich WıxpDELBAXND (Gesch. d. 
att. Phil. 28 ff.) anschliessen, welcher Heraklit als das Gegenglied zu Par- 
menides zwischen Xenophanes und ihn stellt. Denn Her. liegt nicht in der- 
selben Reihe wie die beiden Eleaten, hat auf den Fortgang der cleatischen 


[614] Geschichtliche Stellung. 741 


Ob und wie weit ausser den bisherigen Versuchen einer 
wissenschaftlichen Welterklärung auch noch andere Elemente 
bei der Bildung des heraklitischen Systems mitwirkten, lässt 
sich desshalb nicht mit Sicherheit entscheiden, weil uns über 
den Weg, auf dem der Urheber desselben zu den ihm eigen- 
thümlichen Ansichten gekommen war, nicht das geringste be- 
kannt ist. Er selbst hält sich für einen Autodidakten 
(s. S. 718, 6); indessen folgt daraus nicht, dass er es auch in 
jeder Beziehung gewesen ist. Der Einfluss der früheren, be- 
sonders der jonischen Physik auf die seinige liegt ja am Tage; 
warum sollte es undenkbar sein, dass er neben seiner eigenen 
Beobachtung und seinem eigenen Nachdenken auch noch von 
anderen Seiten her Anregungen und Belehrungen empfangen 
hat? Und undenkbar ist diess gewiss nicht. Aber um zu be- 
haupten, oder um es wenigstens wahrscheinlich zu"finden, dass 
es sich auch wirklich so verhalten habe, müsste man in seinem 
System entweder solche Bestimmungen aufzeigen, welche über 
das ihm von philosophischen Vorgängern und Zeitgenossen 
gebotene oder durch eigenes Nachdenken erreichbare weit ge- 
nug hinausgiengen, um sie aus anderweitigen Quellen ableiten 
zu müssen; oder solche, die mit älteren Lebren in einer so 
charakteristischen Verwandtschaft ständen, wie sie sich zwi- 
schen zwei Lehrbegriffen nur dann zu finden pflegt, wenn der 
eine derselben von dem andern abhängig ist. Allein weder 
das eine noch das andere lässt sich bei Heraklit, abgesehen 
von wenigen und verhältnissmässig untergeordneten Zügen, 
nachweisen. Von den griechischen Mysterien, denen einzelne 
neuere Gelehrte einen durchgreifenden Einfluss auf seine Lehre 
zuschreiben, scheint er allerdings den Glauben an ein Fort- 
leben nach dem Tode unmittelbar oder durch Vermittlung der 
Pythagoreer entlehnt zu haben!). Diess ist aber auch der 
einzige Punkt, bei dem sich eine Einwirkung derselben auf 
Heraklit wahrscheinlich machen lässt, während in allen anderen 
Fällen die Verwandtschaft der beiderseitigen Lehren theils 


Philosophie keine bemerkbare Einwirkung ausgeübt, und hat seinerseits die 
Anregungen, die er von Xenophanes erhalten haben mag, in einer von der 
ihrigen weit abliegenden Richtung verfolgt. 

1) Vgl. 5. 709 &. 


742 Heraklit. [674] 


eine zu entfernte ist, als dass man daraus auf einen geschicht- 
lichen Zusammenhang derselben schliessen könnte, theils nur 
durch unerweisliche Voraussetzungen über den Inhalt der My- 
sterientheologie und über die Lehre Heraklit’sgewonnen wird). 
Verweist man uns aber statt des Einzelnen, was der Philosoph 
der Mysterienlehre entnommen haben könnte, da dessen doch 
allzuwenig ist, auf die „Mysterienidee“ 3), so würde unter 
dieser doch nur derjenige Gedanke verstanden werden können, 
welcher den Hauptinhalt dessen ausdrückt, was durch die 
Mythen, die Gebräuche und die Lehren einer bestimmten, 
durch mystische Kulte verknüpften Gemeinde ihren Mitgliedern 
in irgend einer Form zum Bewusstsein gebracht wurde®). 
Dann müsste aber vor allem angegeben werden, welche von 
den mystischen Kultusgemeinschaften seiner Zeit diesen Ein- 
fluss auf Heraklit gehabt haben soll, und es müssten die lei- 
tenden Gedanken ihrer Religionsübung in seinem System nach- 
gewiesen werden. Soll dann ferner jene „Mysterienidee“ in 
der „Lehre von der Unzerstörbarkeit des Lebens auch im 
scheinbaren Tode“ bestehen, so lässt sich diese Lehre in 
keiner von den uns bekannten Formen des griechischen My- 
sterienglaubens nachweisen. Die Vorgänge in der Natur, 
welche in den Mythen und Gebräuchen der eleusinischen und 
der orphischen Mysterien symbolisch dargestellt wurden, ihr 
Absterben im Winter und ihre Wiederbelebung im Frühling, 


1) Es ist diess hinsichtlich aller in dieser Beziehung bis jetzt geltend 
gemachten Parallelen, soweit sie von einiger Erheblichkeit sind, bereits 
nachgewiesen worden. Vgl. S. 704, 2 (angebliche Gleichstellung von σώμα 
und σῆμα bei Her.); 710, 2 (pseudoheraklitischer Vers); 728, 1 (angeblich 
vorheraklitische Identifikation des Hades und Dionysos; der priapische 
Mythus); 729, 2 (Mittheilungen Plutarch’s, die nicht auf Her. gehen). Wei- 
teres sogleich. 

2) PrLeiverer S. 27 fl., 45. 208 f. u. ὅ. 

3) Einer bestimmten Gemeinde, denn die mancherlei griechischen 
Mysterien — die eleusinischen, orphischen, pythagoreischen, die der Götter- 
mutter, der Kabiren u. s. w. — waren ihrem Ursprung, Charakter und Gehalte 
nach viel zu ungleichartig, als dass man sie alle in Einen Topf werfen, und 
von der Mysterienlehre, der Mysterienidee im allgemeinen reden dürfte, 
ohne uns zu sagen, welche Mysterien man dabei im Auge hat. „Mysterien“ 
sind alle nicht öffentlichen Kulte, und die „Mysterienlehre“ ist ein ebenso 
nebelhafter Begriff, als etwa „die Lehre der christlichen Sekten“. 


[614] Geschichtliche Stellung. 743 


brauchte Heraklit nicht erst durch die Mystagogen kennen zu 
lernen; dass andererseits aus jenen Vorgängen in der my- 
stischen Theologie der Satz von der Unzerstörbarkeit des 
Lebens abgeleitet wurde, ist ganz unerweislich. Aber auch 
in dem Seelenwanderungsglauben liegt dieser Satz nicht. 
Wurde die Rückkehr in’s Erdenleben nur besonderen Lieb- 
lingen der unterirdischen Götter versprochen, oder besonders 
schweren Sündern angedroht, so war sie ein Ausnahmefall, 
und an eine allgemeine Unzerstörbarkeit des Lebens dachte 
dabei niemand. Wurde von allen menschlichen Seelen be- 
hauptet, dass sie beim Austritt aus dem Leibe in den Hades 
hinabsteigen, um später wieder in neue Leiber einzutreten, so 
waren zwar diese menschlichen Seelen als solche, aber es war 
nicht alles Leben überhaupt für unzerstörbar erklärt. Wäre 
das letztere aber auch geschehen, so würde es uns doch für 
die Erklärung des heraklitischen Systems nichts nützen. Denn 
nur das göttliche Feuer, welches die Substanz der Welt bildet, 
hält der ephesische Philosoph für ewig und unvergänglich; 
alles übrige dagegen, nicht blos die Dinge in der Welt, son- 
dern auch das Weltgebäude als Ganzes, lässt er in dem rast- 
losen Kreislauf des Werdens entstehen und vergehen, aus dem 
Tod in’s Leben und aus dem Leben in den Tod übergehen; 
und wenn er davon, im Anschluss an die Orphiker, zu Gun- 
sten der Menschenseelen eine Ausnahme macht, so thut er 
diess theils nur im Widerspruch mit den allgemeinen Voraus- 
setzungen seiner Physik, theils wissen wir nicht, ob er nicht, 
wie seine stoischen Nachfolger, auch ihre Fortdauer mit dem 
Ablauf jeder Weltzeit ein Ende nehmen liess. Eine Unzer- 
störbarkeit des Lebens als solchen lehrt Heraklit nicht, son- 
dern nur die Unvergänglichkeit des göttlichen, des allgemeinen 
Weltlebens; die orphische Dogmatik ihrerseits fragt (wenig- 
stens in der Gestalt, die sie zu Heraklit’s Zeit und noch lange 
nachher hatte) nach dem letzteren überhaupt nicht, und be- 
gnügt sich damit, den Menschenseelen die Aussicht auf eine 
dereinstige Rückkehr in’s Leben zu eröffnen. Es ist daher 
nicht abzusehen, welchen Beitrag sie zu Heraklit’s wissen- 
schaftlichem System hätte geben können. Da sich nun über- 
diess auch weder in seinem persönlichen Verhalten noch in 


744 Heraklit. [674} 


seinen Urtheilen über das Mysterienwesen eine vortheilhafte 
Meinung von demselben ausspricht?!), so hat man um so we- 
niger ein Recht zu der Annahme, dass er von den Ueber 
lieferungen, die mit den mystischen Kulten verknüpft waren, 
mehr als den Glauben an ein Fortleben nach dem Tode sich 
angeeignet habe. 

Schon durch dieses Ergebniss wird nun auch die Ver- 
muthung, dass Heraklit ägyptische Einflüsse erfahren habe‘), 
für den Fall hinfällig, dass ihm diese Einflüsse durch Ver- 


1) Wenn Her. (8. S. 624 unt.) der βασιλεία und ebendamit der Auf- 
sicht über die eleusinischen Mysterien entsagte, so kann man daraus freilich 
nicht mit Sicherheit auf einen Widerwillen gegen diese Kultusform schliessen, 
da wir die Gründe jenes Schrittes nicht kennen; aber noch viel weniger doch 
aus einer Würde, die er lediglich ererbt hatte, auf „ein lebhafteres Interesse 
für das Mysterienwesen“ (PrLEiDErer 35, vgl. Teichm. II, 188). Soll er 
andererseits (Pfl. 36. 57) sein Werk desshalb im Tempel der Artemis nieder- 
gelegt haben (s. S. 626 unt.), damit es „in die Hände von Gesinnungsgenossen 
oder Eingeweihten komme“, so ist diess eine ganz willkürliche Hypothese, 
denn auch in diesem Fall wissen wir nicht, warum er es gethan hat, wenn 
er es überhaupt that; im übrigen hatte die Priesterschaft der Artemis als 
solche mit den eleusinischen und den dionysischen Mysterien so wenig zu 
thun als mit der Physik, die in Heraklit's Schrift niedergelegt war. Hat 
ferner Her. die Opfer ἄχεα genannt, so gienge diess die Mysterien (an die 
Tannxery 176 denkt) nichts an, und es folgt daraus (vgl. 5. 731, 2) überhaupt 
nichts. Wie wenig aus Fr. 7 auf Heraklit's Glaubensbedürfniss geschlossen 
werden kann, ist schon 8. 711, 1 bemerkt worden; 712, 2 ist gezeigt, dass 
PFLEIDERER kein Recht hat, unseren Philosophen von einer Entsühnung der 
Seelen im Hades reden zu lassen. Um vollends in Fr. 125 und 127 (mit Pfleiderer 
27 f.) die Spuren von Heraklit’s „tief innerer Sympathie für den Sinn und 
Herzpunkt der Mysterien“ zu finden, ist mehr Scharfsinn erforderlich, als 
ich besitze. Ich vermag (vgl. 8. 731, 1) in dem Ausdruck: τὰ γομιζόμενα 
παρ ἀνϑρῶώποις μυστήρια nur einen Beweis davon zu sehen, dass Her. 
selbst diesen Gebräuchen keinen Werth beilegte; in der Zusammenstellung: 
γυχτιπόλοι, u0yos, μύσται u. 8. f., auch abgesehen davon, dass der Philo- 
soph den so bezeichneten Leuten nach Clemens (vielleicht im Zusammen- 
hang mit Fr. 118 — s. o. 731, 1) ausdrücklich Strafe angedroht hatte, nur 
einen Ausdruck der Geringschätzung: und aus Fr. 127 scheint mir augen- 
scheinlich hervorzugehen, dass Her. zwar für die Theilnehmer an den phal- 
lischen Aufzügen die Absicht, dem Gott damit eine Ehre zu erweisen, einiger- 
massen als Entschuldigung gelten liess, diese Aufzüge selbst aber als ein 
ganz schamloses Treiben betrachtete. 

2) TeicusüLzLer II, 123—253, dem sich Tanserr Sci. hell. 175 fl. 
anschliesst. 


[614] Geschichtliche Stellung. 745 


mittlung der hellenischen Mysterien zugekommen sein sollten). 
Auch für diese selbst ist aber eine ägyptische Abkunft durch- 
aus unerweislich; und gerade die einzige Lehre, in der sich 
Heraklit der mystischen Theologie angeschlossen zu haben 
scheint, der Unsterblichkeitsglaube, war in der Gestalt,. die 
er dort hatte, der ägyptischen Religion fremd, wie diess schon 
S. 61 f. gezeigt ist. Wollte man andererseits Heraklıt einen 
Theil seiner Lehren aus der ägyptischen Theologie als solcher 
schöpfen lassen, so wäre nicht blos das fraglich, ob er von 
dieser eine etwas genauere Kenntniss haben konnte?), sondern 
man würde sich auch vergebens bemühen, irgend welche Be- 
stimmungen bei ihm nachzuweisen, für deren Erklärung es 
nöthig wäre, auf fremdländische Quellen zurückzugehen, oder 
deren Verwandtschaft mit ägyptischen Vorstellungen schlagend. 
genug wäre, um einen geschichtlichen Zusammenhang mit den- 
selben zu beweisen®). Und das gleiche gilt auch von den 


1) Wie es sich damit verhält, will TeıcuwÜöLLer S. 12] dahingestellt 
gein lassen. 

2) Dass Her. selbst nach Aegypten gekommen sei, wird von keiner 
Seite behauptet; und von Schriftstellern, die ihn über dieses Land unter- 
richtet haben könnten, ist uns keiner bekannt als Hekatäus. Ist es nun 
glaublich, dass er Grundbestimmungen seiner Lehre den Berichten eines 
Mannes entnommen haben sollte, über dessen „Vielwisserei“, also gerade 
über seine geschichtlichen Mittheilungen, er so geringschätzig urtheilte, wie 
nach 8. 446, 4 über die jenes Logographen ὃ 

3) TeicnmÜüLLer beruft sich II, 123 ff. auf den Offenbarungsglauben 
Her.'s, aus dem aber für ein Zurückgehen auf ägyptische Theologie selbst 
dann nichts folgen würde, wenn er Heraklit zugeschrieben werden könnte; 
auch dazu berechtigt aber nicht allein Fr. 7 (s. o. 711, 1) überhaupt nicht, 
sondern auch Fr. 11. 12 (S. 727, 4) nicht in dem Sinn, als ob er seine eigene 
Lehre auf religiöse Ueberlieferungen zurückführen wollte. Dass ferner der 
letzte Grund aller Dinge ewig und unvergänglich sei, hatten schon Anaxi- 
mander, Anaximenes, Xenophanes ausgesprochen; Her. brauchte daher nicht 
erst durch Umdeutung ägyptischer Aussagen über den oder jenen Gott 
(T. 11, 143 fi.) darauf zu kommen; um andererseits Heraklit's Lehre von der 
Einheit der Gegensätze und der Harmonie im „Todtenbuch“ zu finden, muss 
man in das, was Teichm. II, 155 ff. daraus anführt, hineinlesen, was nicht darin 
steht. Der Glaube an eine Seelenwanderung war lange vor Heraklit unter 
den Griechen verbreitet; aus Aegypten kann er weder ihm noch ihnen zu- 
gekommen sein, da er dort nicht zu Hause war; vgl. S.61f. Wie vollends 
Her. aus diesem Dogma seine Lehre vom Streit und vom Fluss aller Dinge 
hätte ableiten können (Teichm. 156 ff.), lässt sich nicht absehen, und eben- 


746 Heraklit. [614] 


Analogieen, welche man zwischen Heraklit’s Lehre und der- 
jenigen der zoroastrischen Religion glaubte aufzeigen zu 
können. Dass er mit der letzteren nicht unbekannt war, 
kann man bei der Verbindung, in der seine Vaterstadt mit 
dem Perserreich stand, vermuthen; wie weit aber seine Be- 
kanntschaft mit ihr gieng, darüber wissen wir nicht das ge- 
ringste; bestimmte Spuren ihres Einflusses lassen sich in seinem 
System nicht nachweisen, und der ganze Charakter des- 
selben steht in einem entschiedenen, wenn auch schwerlich 
beabsichtigten, Gegensatz zu dem persischen Dualismus?). 


sowenig lässt eich der Wechsel von Weltentstehung und Weltuntergang, den 
Her. von seinen jonischen Vorgängern entlehnt hat, mit dem Osirismythus 
oder den astronomischen Perioden der Aegypter (T. 177 ff.) in geschichtlichen 
Zusammenhang bringen. Dass Heraklit's παῖς παίζων mit dem ägyp- 
tischen Harpokrates nichts zu thun hat, ist schon S. 642, 1 g. E. nachge- 
wiesen. Gleich unstatthaft ist es, Her.'s Satz von der täglichen Neubildung 
der Sonne mit dem Mythus von Osiris, Harpokrates und Horus zusammen- 
zustellen (T.205 ff.); denn in diesem ist es ein und derselbe Gott, der jeden 
Morgen in erneuerter Gestalt erscheint, bei Her. dagegen eine neue Sonne 
(ein Gott überhaupt nicht); die Behauptung des letzteren verträgt sich daher 
mit der ägyptischen Vorstellung um nichts besser, als mit der gemein 
griechischen. Auch die Vergleichung der Sonne und der Gestirne mit Nachen 
findet sich, wie T. 233 selbst bemerkt, bei den verschiedensten Völkern, auch 
den Griechen, und lag ja nahe genug. Vgl. PReLLer, gr. Mythol. I, 2941. 
II, 146. 152. Die leere Vermuthung, dass Fr. 85 gegen ägyptischen Mumien- 
kultus gerichtet sei, wurde schon 8. 704, 2, Teichmüller's Deutung des 
ὀσμᾶσϑαι xa9° δου 8. 712, 2 zurückgewiesen. Wenn Her. sagt, Gott sei 
Tag und Nacht u. 8. f. (s. o. 689, 1), so kann man dadurch zwar (mit T. 
238) an ägyptische, ebenso gut aber an hundert andere pantheistisch lautende 
Aussprüche aus allen möglichen Litteraturen, auch der griechischen, erinnert 
werden; dass Heraklit dieselben gekannt hat, folgt für die einen von ihnen 
so wenig wie für die anderen. Dass schliesslich Her. an die Schilderungen 
des Todtenbuchs über das jenseitige Leben zwar nicht geglaubt, aber sie 
benutzt habe (T. 239 ff.), ergibt sich aus seinen wenigen und verschiedener 
Deutung fähigen Aussprüchen darüber (s. 5. 709 ff.), welche in keiner Hin- 
sicht über gleichzeitige griechische Vorstellungskreise hinausführen, nicht 
im geringsten. Die Phallusprocessionen und die Dionysosverehrung (worüber 
S. 731, 1) waren für Her. jedenfalls alteinheimische Ueberlieferung; es wäre 
daher für unsere Frage gleichgültig, wenn sie auch in letzter Beziehung 
aus Aegypten stammten. 

, 1) Eine Abhängigkeit Her.’s von der persischen Religionslehre hat 
nach CrEUZER (Symbolik und Mythol. II, 196. 198 f. 2. Ausg. S. 095 fl. 
601 fi. ἃ. Ausg. von 1840) besonders Guanisch (8. S. 27 ff.) behauptet. 


[674] Herakliteer. 747 


Heraklit’s Schule erhielt sich noch lange nach dem Tode 
ihres Stifter. Praro bezeugt uns, dass sie sich noch um den 


Ich muss mich aber bei der Prüfung dieser Behauptung auf die Hauptpunkte 
beschränken. Gr. glaubt nun (Her. u. Zor. Rel. u. Phil. 139 ff. vgl. 23 £.), 
das zoroastrische und das heraklitische System sei ein und dasselbe. Aber 
schon in ihren Grundbestimmungen gehen beide (wie Bernays Abhandl. 1, 
40 fi. trefiend bemerkt) weit auseinander. Das eine ist reiner Dualismus, das 
andere hylozoistischer Pantheismus: die persische Religionslehre hat zwei 
ursprüngliche Wesen, ein gutes und ein böses, und dass dieser Dualismus 
erst durch eine „Umwandlung des Urwesens aus seinem Ursein in Anders- 
sein“ entstanden sei, ist eine Annahme, welche nur spätere unzuverlässige 
Deutungen, und auch diese nur theilweise, für sich anführen kann, während 
sie den urkundlichsten Berichten widerstreitet; Heraklit dagegen hält die 
Einheit der Welt und der weltbewegenden Kraft so streng, als nur irgend 
ein anderer, fest, die Gegensätze sind ihm nichts ursprüngliches und dauern- 
des, sondern das ursprüngliche ist das einheitliche Wesen, das in seiner 
Entwicklung die entgegengesetzten Formen des Seins aus sich heraussetzt 
und wieder in sich zuräcknimmt. Das persische System bleibt daher auch 
bei dem Gegensatz des Guten und des Bösen, des Lichts und der Finsterniss, 
als einem letzten und absoluten stehen, Ahriman und sein Reich ist einfach 
das, was nicht. sein sollte, und was auch (vgl. Schuster 225, 3) erst im 
Laufe der Zeit sich in die Welt eingemischt hat; während nach Heraklit 
der Streit die nothwendige Bedingung des Daseins, Zeus selbst der πόλεμος, 
und daher auch das böse für die Gottheit ein gutes, und eine Welt des 
lauteren Lichts ohne Schatten, wie sie den Anfang und das Endziel der 
zoroastrischen Kosmologie bildet, ganz undenkbar ist, ebendesshalb aber auch 
der Gegensatz sich unaufhörlich, nicht erst am Ende aller Dinge, und nicht 
durch Vernichtung des einen von seinen Gliedern, in die Harmonie des 
Weltganzen auflöst. Dem persischen Dualismus steht der des Empedokles 
und der Pythagoreer viel näher, als das heraklitische System. Heraklit's 
Grundlehre ferner, vom Fluss aller Dinge, fehlt der zoroastrischen Theologie 
gänzlich ; ebendamit erhält aber auch die gemeinsame Verehrung des Feuers 
bei beiden eine verschiedene Bedeutung: die persische Religion fasst an Licht 
und Wärme zunächst die für den Menschen erfreuliche und wohlthätige 
Wirkung in’s Auge, für Heraklit ist das Feuer Ursache und Symbol des 
allgemeinen Naturlebens, der Veränderung, welcher alle Dinge unterworfen 
sind, die Naturkraft, welche das für den Menschen verderbliche ebensogut, 
wie das heilsame, hervorbringt. Hiemit steht im Zusammenhang, dass die 
persieche Lehre weder von dem elementarischen Umwandlungsprocess, noch 
von der wechselnden Weltbildung und Weltzerstörung Heraklit's etwas weiss, 
denn was Gladisch (Rel. u. Phil. 27. Her. u. Zor. 38 £.) aus Dio Chrysost. 
or. XXXVI, 5. 92 fi. R. anführt, ist offenbar eine späte Umdeutung, durch 
welche aus dem altpersischen Wagen des Ormuzd (über den auch Heron». 
VII, 40) und dem Sonnenpferd eine geschmacklose allegorische Darstellung 
der stoischen Kosmologie gemacht wird; ebensowenig kennt sie die Vor- 


748 Herakliteer. [675] 


Anfang des vierten Jahrhunderts in Jonien, und namentlich 
in Ephesus bedeutender Verbreitung erfreut habe!); er selbst 
hatte in Athen den Unterricht des Herakliteers Kratylus 
genossen?), und ein Menschenalter früher hatte Protagoras 


stellung von der Sonne, die für Heraklit so charakteristisch dort schlechter- 
dings keinen Raum fände, oder die heraklitische Anthropologie, denn der 
Glaube an die Feruers, auf den Gladisch hier verweist, bietet kaum eine 
entfernte Analogie dar. Dass Heraklit's Logos von LassaLLE ohne Grund 
mit dem Wort Honover und seine angeblichen γλώτται mit den ἔυγγες der 
Magier in Verbindung gebracht wird, ist schon S. 668, 2 Schl. 667, 2 bemerkt 
worden. Soll endlich H. nach GLapisch „seiner politischen Ueberzeugung 
nach ein zorvastrischer Monarchist gewesen se;n“, so ist diess eine mehr als 
gewagte Behauptung: seine eigenen Aussprüche lassen uns in ihm einen 
Mann von aristokratisch conservativer, aber durchaus griechischer Gesinnung 
erkennen, und die Einladung an den persischen Hof soll er ausdrücklich 
abgelehnt haben. Was kann es nun unter solchen Umständen beweisen, 
dass Heraklit den Streit den Vater aller Dinge nennt, wenn doch dieser bei 
ihm eine ganz andere Bedeutung hat, als der Kampf des Guten und Bösen 
in der zoroastrischen Religion? dass er das Feuer zum Urstoff macht, wenn 
er doch damit nicht dasselbe ausdrücken will, wie jene mit der Lichtnatur 
der reinen Geister? dass er vor den Leichnamen einen, dem Menschen so 
natürlichen, Abscheu hat? (Weiteres über diesen Punkt, dem neuerdings 
CHıAPPELLı Framm. di Eracl. 13 ff. eine ganz übertriebene Wichtigkeit beilegt, 
8. 704, 2); dass eine Sage über ihn berichtet, er sei von Hunden zerrissen 
worden, was doch, auch wenn es wahr sein sollte, jedenfalls etwas ganz 
anderes ist, als wenn ihm eine persische Bestattung beigelegt würde, die ja 
nicht an den Lebenden vollzogen wurde? dass er die Bilderverehrung tadelt, 
die auch Xenophanes und andere getadelt, auch die ältesten Römer und 
die Germanen nicht gekannt haben? dass er Erkenntniss der Wahrheit ver- 
langt und der Lüge feind war, was ein Philosoph doch gewiss nicht erst 
von fremden Priestern zu lernen brauchte? Wenn sich auch solcher Aehn- 
lichkeiten noch viel mehr auffinden liessen, könnte man doch daraus noch 
‘ lange auf keinen geschichtlichen Zusammenhang schliessen. 

1) Theät. 179 D, mit Beziehung auf die φερομένη οὐσία Heraklit's: μάχη 
δ᾽ οὖν περὶ αὐτῆς οὐ φαύλη οὐδ' ὀλίγοις γέγονεν. 8EOA. πολλοῦ καὶ 
δεῖ φαύλη εἶναι, ἀλλὰ περὶ μὲν τὴν ᾿Ιωνίαν καὶ ἐπιδίδωσι πάμπολυ. of 
γὰρ τοῦ ᾿Ηρακχλείτου ἑταῖροι χορηγοῦσι τούτου τοῦ λόγου μάλα ἐῤῥωμένως. 
Vgl. 149, 3. 

2) Arısr. Metaph.I, 6 vgl. Th. II a, 397, 1. Nach PLaTo Krat. 440 Ὁ. 429 
D war dieser Mann merklich jünger als Sokrates; ebd. 429 E vgl. 440 E 
wird er als Athener bezeichnet, sein Vater Smikrion genannt. Auch ein 
Herakliteer Antisthenes wird genannt (Dıoc. VI, 19), und dieser, nicht 
der Cyniker, scheint es zu sein, welcher (nach Dıoc. IX, 15) Heraklit’s 
Schrift commentirt hat; aber wir wissen über ihn nichts näheres. 


[615. 676) Heraklit und Zoroaster. 740 


seine Skepsis auf heraklitische Sätze gestützt!). Durch Kratylus 
sind vielleicht die heraklitischen Einflüsse vermittelt, deren 
Spuren in einigen von den Schriften, welche Hippokrates mit 
Unrecht beigelegt werden, unverkennbar hervortreten?). Aber 
das wenige, was wir von diesen späteren Herakliteern wissen, 
ist nicht geeignet, eine hohe Vorstellung von ihren wissen- 
schaftlichen Leistungen zu erwecken. PLATo wenigstens weiss 
ihr enthusiastisches, unmethodisches Treiben, die unruhige 
Hast, mit der sie von dem einen zum anderen schweiften, die 
Selbstgefälligkeit ihrer Orakelsprüche, die Autodidakteneitel- 
keit und die Verachtung aller andern, welche in dieser Schule 
zu Hause war, nicht stark genug zu zeichnen®). Derselbe 
macht sich im Kratylus über die | Bodenlosigkeit der Etymolo- 
gieen lustig, durch welche die Schüler Heraklit’s Wortspiele 
weit überboten, und ARISTOTELES erzählt, Kratylus habe He- 
raklit getadelt, dass er die Veränderlichkeit der Dinge nicht 
scharf genug ausdrücke, ja er habe am Ende gar kein Urtheil 
mehr auszusprechen gewagt, weil jeder Satz eine Aussage über 
ein Sein enthält‘). Wenn Heraklit’s Schule nichtsdestoweni- 


1) 8. u. S. 9184 δὶ 

2) Ausser der 8. 694 ff. besprochenen Schrift zz. δεαίτης gehört hieher 
namentlich περὶ τροφῆς vgl. Bernars Heraklit. Br. 146 ἢ 

3) Theät. 179 E: χαὶ γὰρ. . περὶ τούτων τῶν ᾿Ηρακλειτείων .... 
αὐτοῖς μὲν τοῖς περὶ τὴν "Ege0ov ὅσοι προςποεοῦνταε ἔμπειροι elvas οὐδὲν 
μᾶλλον οἷόν τε δειαλεχϑῆναι ἢ τοῖς οἱστρῶσιν. ἀτεχνὼς γὰρ κατὰ τὰ συγγράμ- 
ματα φέρονται, τὸ δ' ἐπεμεῖναι ἐπὶ λόγῳ καὶ ἐρωτήματε καὶ ἡσυχίως ἐν μέρει 
ἀποχρένασϑαι καὶ ἐρέσϑαι ἧττον αὐτοῖς ἕνε ἢ τὸ μηδέν" μᾶλλον δὲ ὑπερ- 
βάλλει τὸ οὐδ' οὐδὲν πρὸς τὸ μηδὲ σμιχρὸν ἐνεῖναι τοῖς ἀνδράσιν ἡσυχέας" 
eil’ ἄν τινά τι ἔρῃ, ὥςπερ ἐκ φαρέτρης δηματίσχια αἱνιγματώδη ἀνα- 
σποῦντες ἀποτοξεύουσι, κἂν τούτου ζητῆς λόγον λαβεῖν, τί εἴρηκεν, ἑτέρῳ 
πεπλήξει χιενῶς μετωγνομασμένῳ, περανεῖς δὲ οὐδέποτε οὐδὲν πρὸς οὐδένα 
αὐτῶν οὐδέ γε ἐχεῖνοε αὐτοὶ πρὸς ἀλλήλους, ἀλλ᾽ εὖ πάνυ φυλάττουσι τὸ 
μηδὲν βέβαιον ἐᾷν εἶναε μήτ᾽ ἕν λόγῳ μήτ᾽ ἐν ταῖς αὑτῶν ψυχαῖς. Und 
nachher: οὐδὲ γίγνεταε τῶν τοιούτων ἕτερος ἑτέρου μαϑητὴῆς, ἀλλ᾽ αὐτόματοι 
ἀναφύονται ὁπόϑεν ἄν τύχῃ ἕχαστος αὐτῶν ἐνθουσιάσας χαὶ τὸν ἕτερον ὁ 
ἕτερος οὐδὲν ἡγεῖται εἰδέναι. Vgl. Krat. 384 A: τὴν Κρατύλου μαντείαν. 

4) Αβιβτ. Metaph. IV, 5. 1010 a 10: ἐχ γὰρ ταύτης τῆς ὑπολήψεως 
ἐξήνϑησεν ἡ ἀχροτάτη δόξα τῶν εἰρημένων, ἡ τῶν φασχόντων ἡραχλειτίζειν, 
καὶ οἵαν Κρατύλος εἶγεν, ὃς τὸ τελευταῖον οὐθὲν ᾧετο δεῖν λέγειν, alla 
τὸν δάχτυλον ἐχίγνεε μόνον. χαὶ Ηραχλείτῳ ἐπετίμα εἰπόντε ὅτι δὶς τῷ 
αἰτῷ ποταμῷ οὐχ ἔστιν ἐμβῆναι αὐτὸς γὰρ ᾧετο οὐδ᾽ ἅπαξ. Dasselbe 


750 Empedokles. [676. 677. 678] 


ger noch bis um den Anfang des vierten Jahrhunderts nicht 
blos in ihrer Heimath, sondern auch auswärts Anhänger hatte, 
so ist diess immerhin ein Zeichen ihrer geschichtlichen Be- 
deutung, aber seine Lehre selbst ist innerhalb dieser Schule, 
wie es scheint, nicht weiter gefördert worden. Erst solche, 
die gleichzeitig auch von Parmenides gelernt hatten, versuch- 
ten eine genauere Erklärung des Werdens, das Heraklit zum 
Grundbegriff seines Systems gemacht hatte. Die nächsten, 
welche wir in dieser Beziehung zu nennen haben, sind, wie 
früher bemerkt wurde, Empedokles und die Atomiker. | 


U. Empedokles und die Atomistik. 


A. Empedokles!). 


1. Die allgemeinen Grundlagen der empedokleischen Physik: 
das Entstehen und Vergehen, die Grundstoffe und die be- 
wegenden Kräfte. 


Wenn Heraklit alle Beharrlichkeit der Substanz auf- 
gehoben, Parmenides umgekehrt das Entstehen und das Ver- 


wiederholen Arsx. z. d. St. Psıror. Schol. in Ar. 35 a 33. OLYsPiopor 
ebd. Anm. 

1) Ueber Leben, Schriften und Lehre des Empedokles vgl. m. ausser 
den umfassenderen Werken: Sturz Empedocles Agrig. Lpz. 1805, wo das 
Material zuerst mit grossem Fleiss gesammelt ist. Karsten Empedoclis Agr. 
carm. rel. Amst. 1838. Stzın Empedoclis Agr. fragmenta Bonn 1842. Srtem- 
HART in Ersch und Gruber’s Allg. Encykl. Sect. I, Bd. 34, S.83 ff. Rırrzk 
üb. die philos. Lehre des Emp. (Wolf’s Liter. Analekten II, 411 fi... Krıscas 
Forsch. I, 116 fi. PAnzErBIETeR Beitr. z. Kritik u. Erläut. ἃ. Emp. Mein. 
1844, fortgesetzt Zeitschr. f. Alterthumsw. 1845, 883 ff. Bereak De procm. 
Empedoclis, 1839 (Kl. Schr. II, 1 86). Murrach De Emp. proemio Berl. 
1850. Quaestt. Empedoclearum spec. secund. ebd. 1852. Philosoph. Gr. 
Fragm. I, XIV fi. 15ff. Lomuarzsch (die Weisheit ἃ. Emp. 1830) fehlt es ebenso 
wie BALtzer (Empedocles 1879) allzusehr an geschichtlicher Kritik. Ray- 
ναῦν De Empedocle Strassb. 1848 gibt nur das bekannte; auch die 8. 27 
genannte Schrift von Granısca hält sich, Empedokles betreffend, meist an 
Karsten. Um so werthvoller sind die beiden Abhandlungen von Dies: 
Gorgias und Empedokles (Sitzungsber. d. Berl. Akad. 1884, Nr. 19); Studia 
Empedoclea (Hermes XV, 161 fi). Einiges weitere bei U&BERwEe Grundr. 
I, 8 23. 

Die Vaterstadt des Emp. ist nach allgemeiner Angabe Agrigent. Die 
Zeit seiner Wirksamkeit fällt wohl ziemlich genau mit dem zweiten Dritt- 
theil des fünften Jahrhunderts zusammen, die bestimmteren Angaben sind 


[679] Sein Leben. 75] 


gehen, die | Bewegung und die Veränderung geleugnet hatte, 
so schlägt Empedokles einen Mittelweg ein. Er behauptet 


jedoch unsicher und ungleich. Dioc. VIII, 74 setzt seine Bläthe Ol. 84 
(444/40 v. Chr.), Eus. Chron. z. Ol. 81 und 86 in jede dieser beiden, also 
bald 456/2, bald 486/2 v. Chr.; SyuogıLus 254 C folgt der ersteren An- 
gabe, Gerzius XVII, 21, 13 £. nennt die Zeit der römischen Decemvirn 
(450 v. Chr), zugleich aber auch die der Schlacht an der Cremera 
(476 v. Chr). Die Berechnung bei Diogenes gründet sich, wie Diss 
Rh. Mus. XXXI, 37 f. nachweist, ohne Zweifel auf die von ihm VII, 52 
aus Apollodor angeführte Angabe des Glaukus aus Rhegium, Emp. habe Thurii 
gleich nach der Gründung dieser Stadt (Ol. 83, 4) besucht; eine Angabe, 
die wir nicht bezweifeln können, da Glaukus ein jüngerer Zeitgenosse des 
Empedokles war, und die für sich allein ausreicht, um diejenigen zu wider- 
legen, welche diesen schon vor der Gründung von Thurii sterben lassen, die 
aber freilich einen weiten Spielraum lässt, da ja nicht angegeben wird, wie alt 
Emp. damals war. Nach Arıst. Metaph. I, 3. 984 a 11 war er jünger als 
Anaxagoras, andererseits sagt aber Sıner. Phys. 25, 19 (nach Theophrast), 
er sei οὐ πολὺ xaronıy τοῦ ᾿Αναξαγόρου γεγονώς. Der Behauptung, dass 
er den Krieg der Syrakusaner gegen Athen (415 ff. Stemiuarr 5. 85 und 
Dimıs a. a. O. denken an den des Jahrs 425, für den aber, gerade bei 
Apollodor's Berechnung, der Einwand: er sei damals schon todt oder ὑπερ- 
γεγηραχὼς gewesen, weniger passt) mitgemacht habe, widerspricht Apollo- 
dor a. a. O. Seine Lebensdauer gibt ArıstoreLzs b. Dıoc. VIIL, 52. 74 
(und vielleicht auch Heraklides; vgl. 5. 624 m.) auf 60 Jahre an; Favorın 
b. Dıioe. VIII, 73, der 77 zählt, ist ein weit schlechterer Zeuge, die Be- 
hauptung (ebd. 74), dass er 109 Jahre alt geworden sei, verwechselt ihn 
mit Gorgias. Sein Leben würde hiernach, wenn wir mit Dırıs Apollodor 
folgen, zwischen 484 und 424 v. Chr. fallen; da jedoch die Grundlage dieser 
Berechnung eine sehr unsichere ist, da Emp. nach Aucıpamas Ὁ. Dioe. 
VIH, 56 gleichzeitig mit Zeno den Parmenides hörte, da auch für das οὐ 
πολὺ des Simplicius 16 Jahre schon fast zu lang sind, da endlich (vgl. 
8. 616 und 8. 9174 fi.) Empedokles schon von Melissus und Anaxagoras be- 
rücksichtigt worden zu sein scheint, so halte ich es für gerathener, den 
Anfangs- und Endpunkt desselben 8—10 Jahre weiter hinaufzurücken; auch 
Dıxıs (Gorg. u. Emp. 344, 2) tritt dieser Annahme jetzt bei,‘'indem er zu- 
gleich Unger’s unmögliche Datirung (520460) mit Recht zurückweist. Im 
übrigen ist uns sein Leben nur unvollständig bekannt. Seiner Abstammung 
nach gehörte er einem reichen und angesehenen Geschlecht an (vgl. Dıoe. 
VII, 51—53 und dazu Kansıen S. 5 4) Sein gleichnamiger Grossvater 
hatte Ol. 71 in Olympia mit einem Viergespann den Preis errungen (Dıoe. 
a. a. O. wie DıeLs zeigt, nach Apollodor), was Atuen. I, 3 e nach Favorın's 
Vorgang (Ὁ. Dıoc. a. a. O.), und nach Dıoc. auch schon Sarykus und sein 
Epitomator Hzrakımes auf den Philosophen übertragen; sein Vater Meton 
(so nennen ihn weit die meisten, über abweichende Angaben KaABSTENn 
8. 3 4) scheint bei der Vertreibung des Tyrannen Thrasidäus und der Ein- 
Philos. ἃ. Gr. I. Bd. 5. Aufl. 48 


759 Empedokles. [680] 


einerseits mit | Parmenides: ein Werden und Vergehen im 
strengen Sinn, und desshalb auch, eine qualitative Verände- 


führung einer demokratischen Verfassung 470 v. Chr. (Dion. XI, 53) mit- 
gewirkt zu haben, und nachher einer der einflussreichsten Männer im Staate 
gewesen zu sein (m. s. Dıoc. VIII, 72). Als nach Meton’s Tode die älteren 
aristokratischen Einrichtungen wiederhergestellt worden waren und tyran- 
nische Bestrebungen sich regten, war es Empedokles, welcher der Demo- 
kratie, nicht ohne Härte, zum Sieg verhalf, wie er sich denn überhaupt in 
Wort und That als warmen Volksfreund bewährte; den ihm selbst ange- 
botenen Thron verschmähte er, wie erzählt wird (Dioc. VIII, 68—67. 72 f£. 
Prur. adv. Col. 82, 4. S. 1126). Auch er musste jedoch die Wandelbarkeit 
der Volksgunst erfahren: er verliess, wahrscheinlich unfreiwillig (STEIXHART 
85 glaubt, wegen seiner Theilnahme an dem Kampf zwischen Syrakus und 
Athen, die aber, wie bemerkt, nicht für geschichtlich zu halten ist), Agrigent, 
und gieng in den Peloponnes, es gelang seinen Feinden seine Rückkehr zu 
verhindern, und so starb er dort (Tımäus Ὁ. Dıoc. 71 f. ebd. 67, wo aber 
in den Worten: τοῦ Axgayavrog οἰχίζομένου ein Fehler stecken muss; denn 
dieselben mit Unger Philol. Supplementb. IV, 513 f. auf die Rückkehr der 
Verbannten i. J. 461 zu deuten, ist sprachlich unmöglich; auf eine Lücke 
in der Erzählung weist auch im folgenden die Erwähnung der χάϑοϑδος, der 
keine solche einer Verbannung vorangeht), Weniger beglaubigt ist die An- 
gabe, dass er in Sicilien an den Folgen eines Sturzes aus dem Wagen ge- 
storben sei (FAvorRım b. Dıoc. 78); die Erzählung von seinem Verschwinden 
nach einem Opfermahl (Hsrakııpes b. Dioc. 67 f.) ist obne Zweifel so 
gut, wie die entsprechende Erzählung über Romulus, ein Mythus, zur Apo- 
theose des Philosophen ohne eine bestimmte geschichtliche Veranlassung 
gebildet; eine natürliche Deutung dieses Mythus mit der entgegengesetzten 
Absicht, ihn als prahlerischen Betrüger darzustellen, ist das bekannte Ge- 
schichtchen von seinem Sprung in den Aetna (Hırrozorus und Dionoe Ὁ. 
Dıoc. 69 ἃ Horaz ep. ad Pis. 464 f. und viele andere 8. Sturz 123 fi. 
Karsten 36), und die Behauptung des Dexnerrius ἢ. Dioc. 74, dass er sich 
erhängt habe; vielleicht um dieser übeln Nachrede zu widersprechen, lässt 
ihn der angebliche Telauges Ὁ. Dıoc. 74, vgl. 53, vor Altersschwäche in’s 
Meer fallen und ertrinken. — Die Persönlichkeit des Empedokles erscheint 
in allem, was von ihm überliefert ist, höchst bedeutend. Seine Gemüthsart 
war ernst (Arısr. Probl. XXX, 1. 953 a 26 wird er als Melancholiker be- 
zeichnet), seine Thätigkeit umfassend und grossartig. Seiner politischen 
Wirksamkeit ist schon erwähnt worden; die Macht der Beredsamkeit, 
welcher er diese Erfolge verdankte (Τὸν b. Dıoc. VII, 67 nennt ihn 
ἀγοραίων ληχητὴς ἐπέων, Baryrus ebd. 58 ῥήτωρ ἄριστος), und welche 
auch jetzt noch in dem Bilderreichthum und der schwungvollen Sprache 
seiner Gedichte zu erkennen ist, soll er durch kunstmässige Behandlung 
verstärkt haben: ArıstorzLes bezeichnete ihn als den, von welchem die 
Rhetorik ihre erste Anregung erhalten habe (8zxr. Math. VII, 6. Dıog. VIII, 
57 vgl. Quinrtitian II, 1, 2), und Gorgias soll sein Schüler in dieser Kunst 


[681] Leben und Schriften. 153 


rung des ursprünglichen | Stoffs sei undenkbar. Andererseits 
will er aber doch auf das Werden nicht schlechthin verzichten; 


gewesen sein (Quixt. a. a. OÖ. Sıryrus Ὁ. Dıoc. 58). Seinen eigentlichen 
Beruf scheint er aber, nach dem Vorgang eines Pythagoras, Epimenides 
u. a., in einer priesterlichen und prophetischen Wirksamkeit gesucht zu 
haben. Er selbst lässt sich V. 24 (424. 462 Mull.) ff. die Macht versprechen, 
Alter und Krankheit zu heilen, Winde zu beschwichtigen und zu erregen, 
Regen und Trockenheit herbeizuführen, Todte in’s Leben zurückzurufen, und 
im Eingang der Katharmen rühmt er, dass er von allen wie ein Gott ge- 
ehrt sei, und wenn er geschmückt mit Bändern und Blumen in eine Stadt 
einziehe, sofort von Hülfesuchenden umdrängt werde, die bald Weissagung, 
bald Heilung von Krankheiten begehren. Auch seine Lehre lässt in ihrem 
anthropologischen und ethischen Theil diese Seite stark hervortreten. So 
erzählen denn auch die Alten nicht allein von der feierlichen Pracht und 
Würde, mit der er sich umgab (Dıoc. VIII, 56. 70. 73. Aerıan V. H. XII, 
32. Terturr. De pall. 6. 4. Sup. 'Eunedoxl. Kirsten 5. 30 f.), und von 
der hohen Verehrung, die ihm gezollt wurde (Dıoc. VIII, 66. 70), sondern 
auch von mancherlei ausserordentlichen Thaten, die er, ein zweiter Pytha- 
goras, verrichtet haben soll. Er verwehrte, wie erzählt wird, zu Agrigent 
schädlichen Winden den Zutritt (Tımäus b. Dios. VIIL 60. Prur. curios. 1, 
8, 515. adv. Col. 32, 4. 8. 1126. Crxmens Strom. VI, 630 C. Su. 'Euned. 
δορά. HesrcH. χωλυσανέμας u. a. bei Karsten 8. 21, vgl. ParLosre. v. 
Apollon. VII, 7, 28); der Hergang wird von Timäus und Plutarch ver- 
schieden erzählt, das ursprünglichere ist aber ohne Zweifel der Wunder- 
bericht des Timäus, nach welchem die Winde durch Zauber in Schläuchen, 
wie die des homerischen Aeolus, gefangen werden; Plutarch gibt eine natür- 
liche Erklärung des Wunders, die aber doch noch weniger geschmacklos 
ist, als die Ergänzung von Lonuuarzsca 5. 25 und Karsten 8. 21, dass 
Emped. die Schlucht, durch welche die Winde strichen, mit ausgespannten 
Eselshäuten versperrt habe. Weiter hören wir, er habe die Selinuntier 
durch eine Flusskorrektion von Seuchen befreit (Dios. VIII, 70 und dazu 
Kansten 21 8), eine Scheintodte nach langer Erstarrung wieder zum Leben 
gebracht (Herazrıv. b. Dıioas. VII, 61. 67 u. a.; einfacher lautet die An- 
gabe des Hzruırpus ebd. 69. Weiteres bei Karsten 23 fl; über die Schrift 
des Heraklides s. m. Stein S. 10), einen Wüthenden ‘durch Musik vom 
Todtschlag abgehalten (Jausr. V. Pyth. 113 u. a. b. Karsten S. 26) Wie 
viel diesen Erzählungen geschichtliches zu Grunde liegt, lässt sich natürlich 
nicht mehr ausmachen: die erste und dritte sind verdächtig, nur aus den 
empedokleischen Versen entsprungen zu sein, und in der zweiten kann das, 
was von der Verbesserung des Flusswassers erzählt wird, möglicherweise 
blos eine Deutung der bei Karsten abgebildeten Münze sein, auf welcher 
der Flussgott in diesem Fall nur als Repräsentant der Stadt Selinus 
stände; dass aber Empedokles magischer Kräfte mächtig zu sein glaubte, 
zeigt das aus ihm selbst angeführte; nach Sarrrus b. Dios. VIII, 59 be- 
zeugte Gorgias, er sei dabei gewesen, als Empedokles Magie trieb; indessen 
485 


754 Empedokles. [682] 


er gibt zu, dass nicht blos die | Einzeldinge als solche ent- 
stehen, vergehen und sich verändern, sondern dass auch die 


fragt es sich doch (Dies Gorg. u. Emp. 344), ob Sat. diese Angabe Gorgias 
selbst oder einem Dialog des Alcidamas, der sie ihm in den Mund legte, 
entnommen hatte. Ebenso steht seine ärztliche Kunst, welche damals ohne- 
diess noch häußg mit Magie und Priesterthum verbunden war, nach dem 
angeführten Selbstzeugniss, Prin. H. n. XXXVI, 27, 202. Garen therap. 
meth. c. 1 B. X, 6 Kühn u. a. ausser Zweifel. — Was über die Lehrer des 
Empedokles mitgetheilt wird, soll später erwähnt werden. — Die Schriften, 
welche ihm beigelegt werden, sind von sehr mannigfaltigem Inhalt, 
bei vielen derselben fragt es sich aber, ob sie ihm wirklich angehörten. 
Die Angabe Ὁ. Dıoe. VIII, 57 f., dass er Tragödien, und zwar nicht weniger 
als 43, geschrieben habe, stützt sich ohne Zweifel nur auf das Zeugniss des 
Hieronymus und Neanthes, nicht auf das des Aristoteles; Heraklides hielt 
die Tragödien für das Werk eines andern, der nach Sum. 'Euzed. wohl 
sein gleichnamiger Enkel (nein, sagt BALTzER 51, sein Schwestersohn, ϑυγα- 
τριδϑοῦς) war, und diess hat die überwiegende Wahrscheinlichkeit für sich. 
M. 8. Stum 8.5 ff. gegen Kansten 63 fi. 519. Die zwei Epigramme Ὁ. 
Dıoe. VII, 61. 65 hält Steım S. ὃ £. für unächt, Diıeıs (Sitzungsber. ἃ. 
Berl. Akad. 1884, 362, 1) für ächt; die Verse oder das Gedicht, woraus 
Dıoe. VII, 43 eine Anrede an Pythagoras’ Sohn Telauges mittheilt, ver- 
wirft Stein 8. 18 wohl mit Recht. Die πολιτιχὰ, welche ihm Dıoe. 57 
zugleich mit den Tragödien beilegt, bezeichnen wahrscheinlich keine eigene 
Schrift, wiewohl Diog. diess vorauszusetzen scheint, sondern einzelne kleinere 
Abschnitte der übrigen Werke, sie müssten denn unächt gewesen sein, 80 
dass es sich damit ähnlich verhält, wie mit dem angeblich politischen Theil 
von Heraklit’s Schrift; ebenso mag die Angabe (Dıo«. 77. Sur. — Dıoc. 60 
gehört nicht hieher), dass Emp. targıxa, nach Suidas in Prosa, geschrieben 
habe, entweder auf eine unterschobene Schrift oder auf das Missverständniss 
einer Notiz zurückzuführen sein, welche sich ursprünglich auf das ärztliche 
in der Physik bezog; 8. Stein S. 7 ff. (Anders MuLLacu De Emped. prooemio 
S. 21 f. Fragm. I, XXV.) Von zwei Gedichten, auf Apollo und über den 
Zug des Xerxes, erzählt Dıoc. VIII, 57, nach Hieronymus oder Aristoteles, 
sie seien bald nach dem Tode ihres Verfassers zu Grunde gegangen. Dass 
Emp. Reden oder rhetorische Anweisungen niedergeschrieben habe, 
lässt sich aus den Berichten der Alten nicht abnehmen (8. Stumm 8. Karsten 
61 f.), so richtig es auch sein mag (Dızıs a. a. O. 361 ff.), dass sein Vor- 
bild und seine Anleitung auf die Rhetorik des Gorgias massgebend einge- 
wirkt hat. Als unzweifelhaft ächt lassen sich nur zwei Werke des Emp. 
betrachten, die auf die Nachwelt gekommen sind: die φυσιχὰ und die 
καϑαρμοί; dass nämlich diese beiden verschiedene Werke sind, wie auch 
Kunsren S. 70 u. a. annehmen, hat ὅτειν S. 12 fi. überzeugend nachge- 
wiesen. Die Physika waren später in drei Bücher getheilt (s. Karsten 8. 73), 
diese Eintheilung scheint aber nicht von dem Verfasser herzustammen. Von 
den Zeugnissen und Urtheilen der Alten über die empedokleischen Gedichte 


[682. 683] Leugnung des Werdens. 755 


Zustände des Weltganzen einem beständigen Wechsel unter- 
liegen. Es bleibt ihm mithin nur übrig, diese Erscheinungen 
auf die räumliche Bewegung, die Verbindung und die Trennung 
ungewordener, unvergänglicher und qualitativ unveränderlicher 
Substanzen zurückzuführen, deren es dann aber nothwendig 
mehrere von verschiedener Beschaffenheit sein müssen, wenn 
sich die Mannigfaltigkeit der Dinge daraus erklären soll. Diess 
sind die Grundgedanken der empedokleischen Lehre von den 
Urgründen, wie sie sich theils aus seinen eigenen Aeusserun- 
gen, theils aus den Berichten der Alten ergibt. 

Sieht man irgend ein Wesen in’s Leben treten, so meint 
man gewöhnlich, es sei etwas, was vorher nicht war, ent- 
standen; sieht man es untergehen, so meint man, ein seiendes 
habe aufgehört | zu sein‘). Diese Vorstellung findet Empe- 
dokles, welcher hierin ganz dem Parmenides folgt, durchaus 
widersprechend. Dass etwas aus dem nichts werde und dass 
es zu nichts werde, scheint ihm gleich unmöglich; denn woher, 
fragt er mit seinem Vorgänger, könnte zu der Gesammtheit 
des Wirklichen etwas hinzukommen, und wo sollte das, was 
ist, hinkommen? es ist ja nirgends ein Leeres, in das es sich 
auflösen könnte, und was es auch werde, immer wird wieder 
etwas daraus werden?), Was uns daher als Entstehen und 


handelt Kınsten 8. 74 ff. 57 £., die Bruchstücke haben Strunz, KaRsten, 
MurrıcH und Stein gesammelt, die drei ersteren auch erklärt (ich eitire 
nach Stein, füge aber Karsten’s und Mullach’s Verszahlen bei). 
1) 40 (342. 108. M.) ff. vgl. besonders V. 45 fl.: 
νήπιοι, οὐ γάρ σῴιν δολεχόφρονές εἶσε μέριμναι (sie denken nicht 
weit) — 
οἵ dr γέγνεσϑαι πάρος οὐκ ἐὸν ἐλπίζουσιν, 
N τι χαταϑνήσχειν τε καὶ ἐξόλλυσθαε ἁπάντη. 
2). 48 (81. 102 M.): ἔκ τε γὰρ οὐδάμ᾽ ἐόντος ἀμήχανόν ἐστι 
γενέσϑαι 
καί τ᾿ ἐὸν ἐξαπολέσϑαι ἀνήνυστον χαὶ ἄπυστον Isc. ἐστί. Der Text 
nach Dızıs Hermes XV, 161.) 
αἰεὶ γὰρ στήσονται (sc. ἐόντα) ὅπη κέ τες αἱὲν ἐρείδη. 
Υ. 90 (117. 98 M.): εἴτε γὰρ ἐφϑείροντο διαμπερὲς, οὐκέτ᾽ ἄν ἦσαν. 
v. 91 (119 Κ. 166. 94 M.): οὐδέ τε τοῦ παντὸς χενεὸν πέλει οὐδὲ 
περισσόν. 
τοῦτο δ᾽ ἐπαυξήσειε τὸ πᾶν τί χε καὶ πόϑεν 21909; 
πὴ δὲ χαὶ ἐξαπολοίατ᾽ ; ἐπεὶ τῶνδ᾽ οὐδὲν ἔρημον" 


756 Empedokles. [683] 


Vergehen erscheint, kann diess doch nicht wirklich sein, son- 
dern in Wahrheit ist es nur Mischung und Entmischung?): 
was wir Entstehung nennen, ist Verbindung, was wir Vergehen 
nennen, ist Trennung der Stoffe®), | wenn es auch, dem ge- 


all’ αὔτ᾽ ἔστεν ταῦτα (sie sind sie selbst, bleiben, was sie sind), δὲ 
ἀλλήλων δὲ ϑέοντα 

γίγνεται ἄλλοϑεν ἄλλα διηνεχὲς, αἱὲν ὁμοῖα. 

Υ. 51 (850, 116 M.): οὐκ ἄν ἀνὴρ τοιαῦτα σοφὸς φρεσὶ μαντεύσαιτο, 

ὡς ὕφρα μέν τε βιοῦσι, τὸ δὴ βίοτον καλέουσι, 

τόφρα μὲν οὖν εἰσὶν καί σφεν πάρα δειλὰ καὶ Logic, 

πρὶν δὲ πάγεν τε βροτοὶ καὶ ἐπεὶ λύϑεν, οὐδὲν ἄρ᾽ εἰσίν. Dass aber 
damit die Ewigkeit des seelischen Daseins behauptet werde (SıEBECK 
Gesch. ἃ. Psychol. I, 53. 267), muss ich bestreiten. Boorol bezeichnet bei 
Emp. nicht blos die Menschen, sondern alle vergänglichen Wesen, und ewig 
sind diese nur, wiefern es ihre Elemente sind. 

1) v. 36 (77. 98 M.): ἄλλο δέ τοε ἐρέω" φύσις οὐδενός ἔστιν ἁπάντων 

ϑνητῶν, οὐδέ τις οὐλομένου ϑανάτοιο τελευτὴ, 

ἀλλὰ μόγον μῖξίς τε διάλλαξίς τε μιγέντων 

ἐστὶ, φύσις δ᾽ ἐπὶ τοῖς ὀνομάζεται ἀνθρώποισιν. Vgl. Anıst. Metaph- 
I, 8. 984 a 8: ᾿Εμπεδοχλῆς δὲ τὰ τέτταρα . . . ταῦτα γὰρ ae 
διαμένειν xal οὐ γέγνεσθαι all ἢ πλήϑεε καὶ ὀλιγότητι συγχρενόμενα 
χαὶ διαχρινόμενα εἰς ἕν τε χαὶ ἐξ ἑνός. De gen. et corr. II, 6 Anf. Ebd. 
7. 334 a 26: die Mischung der Elemente bei E. sei eine σύνϑεσις χαϑάπερ 
ἐξ πλένϑων χαὶ λίϑων τοῖχος. 

2) Dass die Entstehung nichts anderes sei, als Verbindung, das Ver- 
gehen Trennung der Stoffe, aus denen jedes Ding besteht, wird von Empe- 
dokles selbst wie von unsern übrigen Zeugen vielfach versichert. M. vgl. 
ausser der vorhergehenden und der folgenden Anmerkung V. 69 (96. 70 M.): 

οὕτως ἢ μὲν ἕν ἐκ πλεόνων μεμάϑηχε φύεσϑαι, 

ἠδὲ πάλιν διαφύντος ἑνὸς πλέον ἐχτελέϑουσι, 

τῇ μὲν γίγνονταί τε χαὶ οὐ σφίσιν ἔμπεδος αἰών (= χαὶ ἀπόλλυνται)" 

7 δὲ τάδ᾽ ἀλλάσσοντα διαμπερὲς οὐδαμὰ λήγει, 

ταύτῃ αἱὲν ἔασιν ἀχινητὶ χατὰ χύχλον (ἀχενητὶ schreibe ich mit Panz,, 
andere setzen ἀχέίγητα, was von den Handschriften weiter abliegt, oder —oy, 
was aus sachlichen Gründen minder passend scheint, doch fragt es sich, ob 
nicht die Lesart ἀχένητοε, welche alle Handschriften des Aristoteles und 
Simplicius bieten, richtig, und als Subjekt des Satzes, dem βροτοὶ V. 54 
entsprechend, das männliche οὗ IynroL zu ergänzen ist). Dasselbe bestätigt 
die Lehre von der Liebe und dem Hass (8. u.), denn von der Liebe, deren 
wesentliche Wirkung in der Verbindung der Stofle besteht, leitete Εἰ. die 
Entstehung, vom Hass den Untergang der Dinge ab, wie diess auch Arısto- 
TELES sagt, Metaph. III, 4. 1000 a 24 fi. Es lässt sich mithin kaum be- 
zweifeln, dass E. die Entstehung einfach der μῖξις, das Vergehen der δεάλ- 
λαξις gleichsetzte. An einer Stelle jedoch scheint er beides, das Entstehen 


[684] Verbindung und Trennung der Stoffe. 757 


wöhnlichen Sprachgebrauch gemäss, jenen | Namen führen 


und das Vergehen, von jedem von beiden, sowohl von der Trennung als 
von der Verbindung der Stoffe, herzuleiten, V. 61 (87. 62 M.) ff. b.. Sınrı. 
phys. 157, 25 £.: 

δίπλ᾽ ἐρέω" τοτὲ μὲν γὰρ ἕν ηὐξήϑη μόνον εἶναι 

ἐχ πλεόνων, τοτὲ δ' αὖ διέφυ πλέον ἐξ ἑγὸς εἶναι. (V. 16 f. wiederholt.) 

don δὲ ϑνητῶν γένεσις, dos δ᾽ ἀπέλεεψις. 

τὴν μὲν γὰρ πάντων σύνοδος τίκτει τ᾽ ὀλέκχεε τε, 

65. κα δὲ πάλεν διαφυομένων ϑρυφϑεῖσα διέπτη. 

χαὶ ταῦτ᾽ ἀλλάσσοντα διαμπερὲς οὐδαμὰ λήγει, 

ἄλλοτε μὲν φελέτητε συνερχόμεν᾽ εἰς Ev ἅπαντα, 

ἄλλοτε δ᾽ αὖ δίχ᾽ ἕχαστα φορεύμενα νείχεος ἔχϑει. Hierauf V. 69 fi. 
8. 0. Wiewohl ich aber hier ΚΑΒΒΤΕΝ nicht beistimmen kann, der Υ͂. 68 fi. 
statt δοιὴ δὲ „zosmde“, statt ὀλέκει ,αὔξει" liest (denn der Text wird so zu 
viel geändert, und der prägnante Sinn der Verse abgeschwächt), so haben 
doch auch PanzersBierter Beitr. 7 f. Steinuart S. 94 und Steim z. d. St. 
schwerlich Recht, wenn sie den Worten den Sinn geben: die Dinge ent- 
stehen nicht blos durch die Verbindung der Stoffe, sondern auch durch ihre 
Trennung, sofern diese nämlich neue Verbindungen zur Folge hat, und sie 
vergehen ebenso nicht blos durch ihre Trennung, sondern auch durch ihre 
Verbindung, weil jede neue Stoffverbindung die Auflösung der früheren ist. 
Denn so annehmbar dieser Sinn auch an sich wäre, so würde er doch nach 
allem bisherigen der Meinung des Empedokles widersprechen, der das Ent- 
stehen nur aus der Mischung, den Untergang nur aus der Trennung der 
Urstofle erklärt: Emped. würde dann sagen, jede Verbindung sei zugleich 
eine Trennung und umgekehrt, das δεαφερόμενον αὑτῷ ξυμφέρεται, welches 
nach Prarto Soph. 242 Ὁ ἢ, (8. o. 657, 3) die Eigenthümlichkeit der hera- 
klitischen Lehre im Unterschied von der seinigen ausdrückt, würde eben- 
sogut von ihm gelten, und das, was ihm Aristoteles (s. u. 772, 1) als 
Widerspruch vorrückt, dass die Liebe, indem sie vereinigt, auch trenne, 
der Hass einige, wäre kein solcher, da ja beides der Natur beider ent- 
spräche. Auch der Zusammenhang scheint eine andere Auffassung zu ver- 
langen; denn da V. 60-62 und dann wieder 66—68 nicht unmittelbar auf 
die Einzelwesen, sondern zunächst auf das Weltganze und seine Zustände 
gehen, so werden sich auch die dazwischenliegenden Verse hierauf beziehen; 
und das gleiche macht schon der Ausdruck πάντων σύνοδος wahrschein- 
lich, welcher dem συνερχόμεν εἰς ἕν ἅπαντα, V. 67, πάντα συνέρχεται ἕν 
μόνον εἴναεῦ. 118 (169. 198 Μ.) (über V. 116: συνερχόμεν᾽ εἰς ἕνα κόσμον 8. m. 
8. 778, 2) zu genau entspricht, um anders gedeutet zu werden, als dieses. 
Der Sinn von V. 63 ff. ist demnach: Sterbliches erzeugt sich aus den un- 
sterblichen Elementen (s. u. V. 182) theils beim Hervorgang der Dinge aus 
dem Sphairos, theils bei der Rückkehr in denselben, in beiden Fällen geht 
es aber auch wieder, dort durch fortgesetzte Trennung, hier durch fortge- 
setzte Einigung zu Grunde. — Die Aussagen Späterer über die Lehre des 


758 Empedokles. [685. 686] 


mag!). Alles ist daher nur insofern dem Werden und Ver- 
gehen unterworfen, wiefern es Eines aus vielem oder vieles 
aus Einem wird, sofern es sich dagegen bei dieser Ortsver- 
änderung in seinem Dasein und seiner eigenthümlichen Be- 
schaffenheit erhält, insofern bleibt es im Kreislauf selbst un- 
verändert?). 

Näher sind es vier verschiedene Stoffe, aus denen alles 
zusammengesetzt ist: Erde, Wasser, Luft und Feuer®). Empe- 


Empedokles von der Mischung und Entmischung, die aber nichts neues 
bringen, bei Sturz S. 260 ff. Kınsten 408. ff. 

1) 8. 5. 756, 1 und V. 40 (342. 108 M.): of δ᾽ ὅτε μὲν χατὰ φῶτα 
μειγὲν φάος αἰϑέρος Txn (wenn ein in der Gestalt eines Menschen ge- 
mischtes zum Vorschein kommt — den Text Ὁ. Prur. adv. Col. 11, 7 ver- 
bessert PAnzeRBIETER Beitr. 16) 

ἠὲ χατ' ἀχροτέρων ϑηρῶν γένος ἢ κατὰ ϑάμνων 

ἠὲ κατ᾽ οἰωνῶν, τότε μὲν τόδε (Panz. τόγε) φασὶ γενέσϑαι" 

εὖτε δ᾽ ἀποχρενϑῶσι, τὸ δ αὖ δυσδαίμονα πότμον 

ῇ ϑέμες οὔ (so Wyttenb.; über andere Emendationen der verdorbenen 
Worte vgl. m. die Herausgeber) χαλέουσι, νόμῳ δ᾽ ἐπέφημε καὶ αὐτός. 

2) V. 69 fi. s. S. 756, 2. V. 72 liesse den Worten nach eine doppelte 
Erklärung zu: „wiefern dieser Wechsel nie aufhört“, oder: „wiefern dieses 
im Wechsel nie aufhört zu sein.“ Der Sinn und Zusammenhang spricht 
aber für die zweite Auffassung. Wegen dieser Unveränderlichkeit der 
Grundstoffe macht Arısr. De coelo III 7 Anf. unserem Philosophen gemein- 
schaftlich mit Demokrit den Vorwurf: οὗ μὲν οὖν περὶ "Eunrdoxl£a καὶ 
Anuoxgızov λανϑάνουσιν αὐτοὶ αὑτοὺς οὐ γένεσιν ἐξ ἀλλήλων ποιοῦντες 
(sc. τῶν στοιχείων), ἀλλὰ φαινομένην γένεσιν" ἐνυπάρχον γὰρ ἕἔχαστον ἐκ- 
κρίνεσϑαί φασιν, ὥςπερ ἐξ ἀγγείου τῆς γενέσεως οὔσης all’ οὐχ ἔχ τενος 
ὕλης, οὐδὲ γέγνεσϑαι μεταβάλλοντος. Vgl. auch De Mel. 2. 975 a 86 fi. 
und was S. 756, 1 angeführt wurde. Wenn dagegen SımpL. De calo 68 b 
m. Ald. Empedokles den heraklitischen Satz beilegt: τὸν χόσμον τοῦτον 
οὔτε τις ϑεῶν οὔτε τις ἀνθρώπων ἐποίησεν, ἀλλ᾽ ἣν ἀεὶ, 50 zeigt der 
ächte Text (zuerst b. Pzrkon, Emp. et Parm. fragm., jetzt 5. 132 "28 K. Schol. 
in Arist. 487 b 43), dass in der Rückübersetzung aus dem Lateinischen, 
welche hier den aldinischen Text bildet, die Namen verwechselt sind. 

3) V. 33 (55. 159 M.) τέσσαρα τῶν πάντων ῥιζώματα πρῶτον ἄχουε" 

Ζεὺς ἀργὴς Ἥρη τε φερέσβιος nd’ ᾿Αὐἰδωνεὺς 

Νῆστίς 8᾽ ἢ ϑαχυύοις τέγγεε χρούνωμα βρότειον. Mancherlei Ver- 
muthungen über Text und Sinn dieser Verse bei Karsten und MULLAcH 2. 
ἃ. St. Sonneıpewin Philolog. ΥἹ, 155 fl. van TEN Beınk ebd. 731 fi. Das 
Feuer heisst auch Ἥφαιστος; Nestis soll eine sicilische Wassergottheit ge- 
wesen Sein, VAN TEN Brink glaubt, nach Heyne, mit Proserpina identisch 
(vgl. jedoch Keisch« Forsch. I, 128); dass Aidoneus nicht die Luft und Here 
die Erde bezeichnet, wie Dıoa. VIII, 76. Herızıuır Alleg. hom. 24, 8. 52. 


[686. 687] Die vier Elemente. 759 


dokles wird ausdrücklich als der erste bezeichnet, der diese 
vier Elemente aufstellte!), und alles, was uns über seine Vor- 
gänger | bekannt ist, lässt diese Angabe als richtig erscheinen. 
Die Früheren haben wohl Urstoffe, aus denen alles geworden 
sein soll, aber diesen Urstoffen fehlt die Bestimmung, wodurch 
sie allein zu Elementen im empedokleischen Sinn würden, die 
qualitative Unveränderlichkeit, welche nur eine räumliche Thei- 
lung und Zusammensetzung übrig lässt. Ebenso kennen die 
Früheren zwar alle die Stoffe, welche Empedokles als Elemente 
betrachtet, aber sie stellen dieselben nicht mit Ausschluss aller 
andern als Grundstoffe zusammen, sondern der Urstoff ist bei 
den meisten blos Einer, nur Parmenides im zweiten Theil 
seines Gedichts hat zwei, keiner vier Urstoffe, und auch für 
die ersten abgeleiteten Stoffe findet sich, neben der unmetho- 


Stop. I, 288. Proeus z. Virg. Ekl. VI, 3. Ατηκνλα. Suppl. c. 22. Hırror. 
Refut. VO, 79. 8. 384 wollen (über die Gründe dieser Missdeutung DieLs 
Doxogr. 89), sondern Here die Luft, Aidoneus die Erde, versteht sich, und 
es ist nicht einmal nöthig, das φερέσβιος mit ScHnEIiDEwin zu Aidamweoc 
zu ziehen, es passt auch für die Luft. Neben den mythischen Bezeichnungen 
finden sich auch die eigentlichen: V. 78 (105. 60 M.). 333 (321. 378 M.) 
πῦρ, ὕϑωρ, γῆ, αἰϑήρ (statt dessen aber b. ΞΊΜΡΙ, phys. 26, 2. 158, 1 das 
auch V. 293. 299 [Arıst. de respir. 7. 473° b 15. 21] mit αἰϑὴρ abwech- 
selnde ang steht); V. 211 (151. 278 M.) ὕϑωρ, γῆ, αἰϑὴρ, ἥλεος; V. 215 
(209. 282 M.), 197 (270. 273 M.) χϑὼν, ὄμβρος, αἰϑὴρ, πῦρ; V. 96 (124. 
120 M.) ff. v. 377 (16. 32 M.) αἰϑὴρ, πόντος, χϑὼν, ἥλιος; V. 187 (327. 
263 M.) ἠλέχτωρ, χϑὼν, οὐρανὸς, ϑάλασσα, auch wohl beides verbunden, 
wie V. 198 (211. 211 M.) x9w», Νῆστις, "Hpeoros; V. 208 (215. 206 M.) 
χϑὼν, Ἥφαιστος, ὄμβρος. αἰϑήρ. V. 132 (184. 235 M.) geht nicht auf die 
vier Elemente als solche. Steısuart's Vermuthung (a. a. O. 98), dass E, 
durch die Verschiedenheit der Benennungen den Unterschied der ursprüng- 
lichen und der sinnlich wahrnehmbaren Elemente andeuten wolle, kann 
ich nicht theilen. Dass die vier Grundstoffe allen Stoff in sich fassen, und 
dieser sich weder vermindere noch vermehre, sagt V. 89 (116. 92 M.): χαὶ 
πρὸς τοῖς οὔτ᾽ ἄρτι ἐπιγίγνεταε οὐδ᾽ ἀπολήγει. (Bo die Mass. Sıupr. Phys. 
158, 29; vielleicht: ἄρ τι 'zeyfyr. οὔτ᾽. Andere anders.) 

1) Arıst. Metaph. I, 4. 985 a 31 vgl. c. 7. 988 a 20. Gen. et corr. 
Π, 1. 328 b 88 ff. Andere bei Kansten 334. Der Name στοιχεῖον ist 
übrigens, wie kaum bemerkt zu werden braucht, nicht empedokleisch. Als 
derjenige, welcher ihn in den wissenschaftlichen Sprachgebrauch einführte, 
wird Plato bezeichnet (Eupenus Ὁ. Smrr. Phys. 7, 13. Favorm b. Dıoa. 
II, 24); Aristoteles fand ihn bereits vor, wie man diess an dem Ausdruck: 
τὰ καλούμενα στοιχεῖα (vgl. Th. II Ὁ, 442, 3) sieht. 


760 Empedokles. [687. 688] 


dischen Aufzählung eines Pherecydes und Anaximenes, nur 
die dreigliedrige Eintheilung Heraklit’s, die fünfgliedrige, 
wahrscheinlich bereits von Empedokles abhängige, des Philo- 
laos, und die Entgegensetzung des Warmen und Kalten bei 
Anaximander. Worauf sich jedoch die Vierzahl der Elemente 
bei Empedokles gründet, erhellt weder aus seinen Bruch- 
stücken noch aus den Angaben der Alten. Zunächst, scheint 
es, kam er darauf ebenso, wie andere zu ihren Bestimmungen, 
auf dem Wege der Beobachtung, indem er durch diese An- 
nahme die Erscheinungen am leichtesten zu erklären glaubte. 
Sodann war aber auch in der bisherigen Philosophie seiner 
Lehre vorgearbeitet. Die pythagoreische Werthschätzung der 
Vierzahl ist bekannt; doch möchte ich den Einfluss dieser Be- 
stimmung auf Empedokles nicht zu hoch anschlagen, da er 
sonst in der Physik vom Pythagoreismus nur wenig auf- 
genommen hat, und da die pythagoreische Schule selbst in 
der Lehre von den elementarischen Körpern andern Gesichts- 
punkten folgte. Von den einzelnen Elementen unseres Philo- 
sophen finden wir drei in den Urstoffen des Thales, Anaxi- 
menes und Heraklit, das vierte in anderer Stellung bei Xeno- 
phanes und Parmenides.. Eine Zusammenstellung von drei 
elementarischen Körpern gibt Heraklit, dessen Bedeutung für 
Empedokles sich uns auch noch später ergeben wird; aus den 
drei Grundformen des Körperlichen, welche jener annahm, 
konnten sich die vier empedokleischen | Elemente sehr leicht 
entwickeln, indem das tropfbar Flüssige und das Dunstförmige, 
das Wasser und die Luft, in herkömmlicher Weise unter- 
schieden, und der letztern die trockenen Dünste, welche Hera- 
klit dem obersten Element zugezählt hatte, beigefügt wurden 1). 


1) Ausserdem erwähnt Arıst. gen. et corr. II, 1. 329 a 1 auch der 
Annahme von drei Elementen, Feuer, Luft, Erde. Puıtor. 2. ἃ. St. 8. 46 
Ὁ o bezieht diese Angabe auf den Dichter Ion; und wirklich sagt Iuoxe. 
π. ἀντιδός. 268 von diesem: ἴων δ᾽ οὐ πλείω τριῶν [ἔφησεν εἶναε τὰ ὄντα]. 
Ebenso Harrorkur. Ἴων. Diese Angabe ist nun, was Ion betrifft, ohne 
Zweifel richtig, wenn auch die aristotelische Stelle (wie Bonrrz Ind. arist. 
821 b 40 mit Prantı Arist. Werke II, 505 bemerkt) nach c. 3. 380 ὃ 16 δὲ 
nicht auf ihn, sondern auf die platonischen „Eintheilungen“ (Th. I a, 
437,3) geht, in denen wohl von Feuer und Erde zuerst ein mittleres unter- 
schieden, und dieses dann erst in Wasser und Luft zerlegt wurde. Von 


[688. 689] Die vier Elemente. 761 


Und da nun Heraklit’s drei Elemente selbst wieder aus dem 
von Anaximander aufgestellten und später von Parmenides 
festgehaltenen Grundgegensatz des Warmen und Kalten durch 
Einschiebung einer Zwischenstufe entstanden zu sein scheinen, 
da andererseits die fünf Grundkörper des Philolaos eine aus 
geometrischen und kosmologischen Gründen hervorgegangene 
Erweiterung der vier empedokleischen darstellen, so erscheint 
diese Lehre von Anaximander bis Philolaos in fortwährender 
Entwicklung und die Zahl der Grundstoffe in stetiger Zu- 
nahme begriffen. Wiewohl aber Empedokles die vier Ele- 
mente als gleich ursprünglich setzte, so führte er sie doch, 
wie ARISTOTELES sagt, thatsächlich wieder auf zwei zurück, 
indem er das Feuer auf die eine Seite stellte, die drei übrigen 
zusammen auf die andere, so dass demnach durch seine vier- 
gliedrige Theilung die zweigliedrige des Parmenides als ihre 
Grundlage noch durchblickt!). Wenn jedoch Spätere angeben, 
er sei von dem Gegensatz des Warmen und Kalten, oder auch| 
von dem des Dünnen und Dichten, oder gar des Trockenen 
und Feuchten ausgegangen ?), so ist diess ohne Zweifel eigene 
Folgerung aus dem, was Empedokles weder mit diesen Aus- 
drücken noch überhaupt mit dieser Bestimmtheit gesagt hatte; 
noch weiter entfernt sich von seiner Meinung die Angabe, 
die zwei unteren Elemente seien der Stoff, die oberen die 
Werkzeuge der Weltbildung?). 


wem Ion seine drei Elemente hat, wissen wir nicht; eine Vermuthung dar- 
über habe ich S. 91, 1 gewagt. Auf Empedokles hat er seinerseits schwer- 
lich eingewirkt, da er jünger gewesen zu sein scheint, als dieser. 

1) Metaph. I, 4. 985 a 31: ἔτε δὲ τὰ ὡς ἐν ὕλης εἴδεε λεγόμενα 
στοιχεῖα τέτταρα πρῶτος εἶπεν" οὐ μὴν χρῆταί γε τέτταρσιν, ἀλλ᾽ ὡς δυσὶν 
οὖσι μόνοις, πυρὶ μὲν χαϑ᾽ αὑτὸ τοῖς δ᾽ ἀντιχειμένοις ὡς μεᾷ φύσει, γῇ 
τε χαὶ ἀέρε καὶ ὕϑατι. λάβοι δ ἄν τις αὐτὸ ϑεωρῶν ἐχ τῶν ἐπῶν. Gen. 
et corr. Π, 3. 880 b 19: ἔνεοε δ᾽ εὐθὺς τέτταρα λέγουσιν, οἷον ᾿Ἐμπε- 
doxifs, συνάγεε δὲ χαὶ οὗτος εἰς τὰ δύο" τῷ γὰρ πυρὶ τάλλα πάντα 
ἀντιτίϑησεν. 

2) Μ. s. die Stellen aus ALEXANDER, ΤῊΚΜΙΒΤΙῦΒ, ῬΗΙΣΟΡΟΝΌΒ, SIMPLICIUS 
und Srosius Ὁ. Kansten 840 ff. 

3) Hırror. Refat. VII, 29. S. 384: Emp. nahm sechs Elemente an, 
ϑύο μὲν ὑλιχὰ, γῆν καὶ ὕδωρ, δύο δὲ ὄργανα οἷς τὰ ὑλικὰ κοσμεῖται xal 
μεταβάλλεται, πῦρ καὶ ἀέρα, δύο δὲ τὰ ἐργαζόμενα.... νεῖχος χαὶ φιλέαν, 
was dann im folgenden noch einmal wiederholt wird. Noch stärker wird 


762 Empedokles. [689. 690] 


Die vier Grundstoffe sind nun, wie diess im Begriff des 
Elements liegt, gleich ursprünglich, sie alle sind ungeworden 
und unvergänglich, jeder von ihnen besteht aus qualitativ 
gleichartigen Theilen, und ohne sich selbst in ihrer Beschaffen- 
heit zu verändern, durchlaufen sie die verschiedenen Ver- 
bindungen, in die sie durch den Wechsel der Dinge gebracht 
werden!). Sie sind ferner der Masse nach gleich?), wenn sie 
auch in den Einzeldingen nach | den verschiedensten Verhält- 
nissen gemischt, und nicht alle in jedem enthalten sind). Die 


die Lehre unseres Philosopben ebd. I, 4 (und daher Cepzex. Synope. 1, 
157 B) in der Angabe (seiner einen, von Dızıs Doxogr. 145 f. besprochenen 
Vorlage) entstellt, die auf eine stoisch-neupythagoreische Quelle hinweist: 
τὴν τοῦ παντὸς ἀρχὴν νεῖχος καὶ φιλίαν ἔφη᾽ xal τὸ τῆς μονάδος νοερὸν 
πῦρ τὸν ϑεὸν καὶ συνεστάναι ἐχ πυρὸς τὰ πάντα καὶ εἰς πῦρ ἀναλυϑή- 
σεσϑαι. Dass dagegen Empedokles ihm zufolge Feuer und Wasser als das 
thätige und leidende Princip sich entgegensetze, ist eine unrichtige Angabe 
von Kansten S. 849. 
1) V. 87 (114. 88 M.): ταῦτα γὰρ σά Te πάντα χαὶ ἡλίχα γένναν 
ἔασι, 
τιμῆς δ᾽ ἄλλης ἄλλο μέδει πάρα δ᾽ ἦϑος ἑχάστῳ. V.89 8. ο. 758, 8 Schl. 
Υ. 104 (132. 128): ἐχ τῶν πάνϑ᾽ ὅσα τ᾽ ἦν ὅσα τ᾽ ἔσϑ᾽, ὅσα τ᾽ ἔσται 
ὀπίσσω (Text unsicher), . 

devdosa τ᾽ ἐβλάστησε καὶ ἀνέρες ἠδὲ γυναῖχες, 

ϑῆρές τ᾽ οἱωνοί re χαὶ ὑδατοϑρέμμονες ἰχϑῦς, 

χαί τε ϑεοὶ δολεχαίωνες τεμῆῇσι φέριστοι. 

αὐτὰ γὰρ ἔστεν ταῦτα δὲ ἀλλήλων δὲ ϑέοντα 

γίγνεται ἀλλοιωπά" τόσον διὰ χρᾶσις (wie Dırıs a. ἃ. Ο. 163 den Text 
bei Sımeı. phys. 159, 26 herstellt) ἀμείβει. (Vgl. hiezu 8. 755, 2.) Weiter 
8. m. V. 90 fi. 69 fi. (oben 755, 2.756, 2). Arısr. Metaph. I, 3 (oben 756, 1). 
III, 4. 1000 b 17. gen. et corr. Π, 1 g.E.I, 6 Anf. ebd. I, 1. 314 a 24 (vgl. 
De c«lo III, 3. 302 a 28 und Sıser. De cwlo 269 b 38. Schol. 513 Ὁ o.). 
De coelo III, 7 (oben 758, 2. De Melisso 2. 975 a u. und andere, die sich 
bei Sturz 152 δὲ 176 ff. 186 fl Kunsren 336. 408. 406 f. finden. 

2) Diess scheint wenigstens in den eben angeführten Versen das ἶσα 
πάντα zu besagen, welches sich grammatisch allerdings auch zugleich mit 
ἡλίχα auf γένναν beziehen liesse (gleichen Ursprungs); ARIıST. gen. et corr. 
IL, 6 Anf. fragt, ob diese Gleichheit eine Gleichheit der Grösse oder der 
Kraft ausdrücken solle, Empedokles hat aber beides ohne Zweifel nicht 
unterschieden, und ebensowenig (wie sich von selbst versteht, und hier nur 
wegen Tannerr Sci. hell. 305, 1 bemerkt wird) die Masse als solche und 
ihr Volumen. Mit γένναν verbindet Ar. das Wort so wenig, wie SıMPL. 
159, 7. 

8) M. s. hierüber, ausser dem, was über die Mischungsverhbältnisse 
der Grundstoffe im einzelnen später noch vorkommen wird, V. 119 (154. 


[690. 691] Die vier Elemente. Mischung derselben. 763 


eigenthümlichen Merkmale jedoch, wodurch sie sich von ein- 
ander unterscheiden, scheint Empedokles ebensowenig, als ihre 
Stelle im Weltgebäude, schärfer bestimmt zu haben. Er be- 
schreibt das Feuer als warm und glänzend, die Luft als flüssig 
und durchsichtig, das Wasser als dunkel und kalt, die Erde 
als schwer und hart!); er legt bei Gelegenheit der Erde eine 
natürliche Bewegung nach unten, dem Feuer nach oben bei), 
ohne sich doch darin immer gleich zu bleiben®). Damit ist 
aber doch nichts gesagt, was über die nächste Anschauung 
hinausgienge. Erst Plato und Aristoteles haben die Eigen- 
schaften der Elemente auf feste Grundbestimmungen zurück- 
geführt, und jedem seinen natürlichen Ort angewiesen. | 
Dass die vier Elemente von Empedokles aus keinem an- 
deren, ursprünglicheren, abgeleitet wurden, wäre auch ohne 
das Zeugniss des Aristoteles*) nicht zu bezweifeln. Wenn 


134 M.) fi, wo die Mischung der Stoffe in den verschiedenen Dingen mit 
der Mischung der Farben verglichen wird, durch welche die Maler diese 
Dinge im Bild hervorbringen, ἁρμονέῃ μίξαντε τὰ μὲν πλέω ἄλλα δ᾽ ἐλάσσω. 
Branpıs 85. 227 hat sich durch eine unrichtige, von den neueren Heraus- 
gebern verbesserte, Interpunktion von V. 129 verleiten lassen, in diesen 
Versen einen Sinn zu suchen, welcher den Worten und dem Standpunkt des 
Empedokles gleich fremd ist, dass nämlich alles Vergängliche in der Gott- 
heit seinen Grund habe, wie das Kunstwerk im Geiste des Künstlers. 

1) V. 96 (124. 120 M.) δὲ, die aber in den überlieferten Texten mehrfach 
verdorben sind (vgl. Dızıs zu Smrr. phys. 33, 9. 159, 16. 26). V. 99 Anf. 
hatte ich αἰϑέρα 9° ὡς χεῖται vorgeschlagen; DreLs vermuthet jetzt (Sitzungs- 
bericht ἃ. Berl. Akad. 1884, 366): ἄμβροτα d’ ὡς ἴδεε Te u. s. w., indem 
er für ἴδος oder εἶδος die Bedeutung „Wärme“ nachweist. Aus dieser 
Stelle stammt die Angabe bei ARISTOTELES gen. et corr. I, 315 b 20. Prur. 
prim. frig. 9, 1. 8. 948, wogegen sich Arısrt. De respir. c. 14. 477 ὃ 4 
(ϑερμὸν γὰρ εἶναι τὸ ὑγρὸν ἧττον τοῦ ἀέρος) nach dem vorhergehenden 
auf eine spätere verlorengegangene Stelle unsers Gedichts zu beziehen scheint, 

2) Vgl. 5. 776, 2. 

3) Auch hievon werdey’ wir später Beispiele finden. Vgl. Plac. II, 7, 
6 und Aca. Tar. in Arat. c. 4 Schl. S. 128 B, die vielleicht Einer Quelle 
folgend sagen, Empedokles weise den Elementen keine bestimmten Orte an, 
sondern lasse jedes auch den der übrigen einnehmen, und Arısr. De colo 
Iv, 2. 309 a 19: Empedokles erkläre sich so wenig als Anaxagoras über 
die Schwere und Leichtigkeit der Körper. 

4) Gen. et corr. I, 8. 825 b 19: Ἐμπεδοκλεῖ δὲ τὰ μὲν ἄλλα φανερὸν 
ὅτε μέχρε τῶν στοιχείων ἔχει τὴν γένεσιν χαὶ τὴν φϑορὰν, αὐτῶν δὲ τού- 
τῶν πῶς γένεται καὶ φϑείρεται τὸ σωρευόμενον μέγεϑος οὔτε δῆλον οὔτε 


764 Empedokles. [692] 
daher | Spätere behaupten, er lasse denselben kleinste Körper- 


ἐνδέχεται λέγεεν αὐτῷ μὴ λέγοντι xal τοῦ πυρὸς εἶναι στοιχεῖον, ὁμοίως 
δὲ χαὶ τῶν ἄλλων ἁπάντων. (Die Annahme von Atomen wird Empedokles 
auch De coelo III, 6. 305 a o. und von Lucrzz I, 746 fi. abgesprochen.) 
Diese bestimmte Aussage würde allerdings Aristoteles selbst wieder um- 
stossen, wenn er wirklich sagte, was Rırter (Gesch. ἃ. Phil. I, 533 £.) bei 
ihm findet: alle vier Elemente seien eigentlich aus Einer allen Verschieden- 
heiten zu Grunde liegenden Natur geworden, welche näher die φιλέα sei. 
Diese Angabe ist jedoch unrichtig. Aristoteles sagt gen. et corr. I, 1. 315 
a 3, Empedokles setze sich mit sich selbst in Widerspruch: ἅμα μὲν γὰρ 
οὔ φησιν ἕτερον ἐξ ἑτέρου γίνεσϑαι τῶν στοιχείων οὐδὲν, ἀλλὰ τἄλλα 
πάντα ἐκ τούτων, ἅμα δ᾽ ὅταν εἰς ἕν συναγάγῃ τὴν ἅπασαν φύσιν πλὴν 
τοῦ velxoug, ἐχ τοῦ ἑνὸς γίγνεσθαι πάλιν ἔχαστον. Das heisst aber doch 
offenbar nur: Empedokles selbst leugne zwar jede Entstehung der vier Ele- 
mente aus einem andern, in seiner Lehre vom Sphairos behaupte er aber 
doch wieder mittelbar, ohne es selbst zu bemerken, eine solche Entstehung, 
denn wenn man es mit der Einheit aller Dinge im Sphairos streng nehmen 
wollte, müsste die qualitative Verschiedenheit der Elemente darin ver- 
schwinden, diese müssten sich mithin bei ihrem Hervortreten aus dem 
Sphairos aus einem unterschiedslosen Stoffe neu bilden. Es wird hier also 
Empedokles von Aristoteles nicht eine Behauptung beigelegt, die mit 
seiner sonstigen Darstellung im Widerspruch stände, sondern er wird durch 
eine von ihm selbst nicht gezogene Folgerung widerlegt. Ebensowenig 
lässt sich aus Metaph. III, 1. 4 beweisen, dass Aristoteles die einheitliche 
Natur, aus der die Elemente geworden sein sollen, als φελέα bezeichne. IH, 
1. 996 a 4 wirft er die Frage auf: πότερον τὸ ἕν χαὶ τὸ ὄν, χαϑάπερ οἱ 
Πυϑαγόρειοι καὶ Π]λάτων ἔλεγεν, οὐχ ἕτερόν τί ἔστεν ἀλλ᾽ οὐσία τῶν ὥν- 
των, ἢ ob, ἀλλ᾽ ἕτερόν τε τὸ ὑποχείμενον, ὥσπερ ᾿Ἐμπεδοχλῆς φησι φελίαν, 
ἄλλος δέ τις πῦρ, ὁ δὲ ὕδωρ, 6 δὲ ἀέρα. Von dem Urstoff der vier Ele- 
mente ist aber hier in Beziehung auf die φελέα gar nicht die Rede, sondern 
die φελέα (welche Aristoteles als das einigende Princip das Eine nennt, in 
derselben Weise, wie 2. B. das Princip der Begrenzung πέρας, das formende 
Princip εἶδος genannt wird) dient als Beispiel dafür, dass der Begriff des 
Einen nicht blos als Subjektsbegriff gebraucht werde, wie von Plato und 
den Pythagoreern, sondern auch als Prädikat; was die Stelle von der φελέα 
aussagt, ist nur: sie sei nicht die Einheit, als Subjekt gedacht, sondern ein 
Subjekt, dem die Einheit als Prädikat zukomme. Dasselbe gilt von c. 4, 
wo in dem gleichen Sinn und Zusammenhang gesagt wird: Plato und die 
Pythagoreer betrachten die Einheit als das Wesen des Einen und das Sein 
als das Wesen des Seienden, so dass das Seiende vom Sein, das Eine von 
der Einheit nicht verschieden ist; of δὲ περὶ φύσεως οἷον ᾿Ἐμπεϑοκχλῆς ὡς 
eis γνωρεμώτερον ἀνάγων λέγει ὅ τε τὸ ἕν ὧν ἐστίν" (so ist nämlich zu 
schreiben, indem man erklärt: „was dasjenige ist, welches Eins ist“, oder 
es ist mit Kanrsrzn Emp. 5. 318, Branvıs, Boniıtz, SchwegLer, BoxeHı und 
Christ z. d. St. aus Cod. Ab ὅ τί ποτε τὸ ἕν ἐστιν aufzunehmen) δόξεεε 
γὰρ ἄν λέγειν τοῦτο τὴν φελίαν εἶναι. Die Aussagen des Aristoteles über 


[692. 693] Mischung der Stoffe; Poren und Ausflüsse. 765 


chen als ihre Urbestandtheile vorangehen!), so ist diess ein 
offenbares Missverständniss?).. Doch hat seine Lehre eine 
Seite, welche zu dieser Meinung Anlass geben konnte. Da 
nämlich die Grundstoffe ihm zufolge keiner qualitativen Ver- 
änderung unterworfen sind, so können sie sich immer nur 
mechanisch verbinden, und auch die chemischen Verbindungen 
müssen auf mechanische zurückgeführt werden: die Mischung 
der Stoffe kommt nur dadurch zu Stande, dass die Theile 
des einen Körpers in die Zwischenräume zwischen den Theilen 
des andern eintreten; es bildet sich daher auch bei der voll- 
ständigsten Vereinigung mehrerer Stoffe nur ein Gemenge von 
Theilchen, deren elementarische Beschaffenheit sich bei diesem 
Vorgang nicht verändert, nicht eine wirkliche Verschmelzung 
derselben zu einem neuen Stoff®), und wenn ein Körper aus 
einem andern entsteht, so verwandelt sich nicht der eine in 
den andern, sondern die Stoffe, welche vorher schon als diese 
bestimmten Substanzen vorhanden waren, treten nur aus ihrer 
Vermischung mit anderen heraus*). Bestehen aber alle Ver- 
änderungen in der Mischung und Entmischung, so lässt sich 
auch da, wo zwei Körper ihrer Substanz nach scheinbar | ge- 
trennt bleiben, die Einwirkung des einen auf den andern nur 
durch die Annahme erklären, dass sich von dem ersten un- 
sichtbar kleine Theilchen ablösen und in die Oeffnungen des 
andern eindringen. Je vollständiger die Oeffnungen eines 
Körpers den Ausflüssen und Theilen eines andern entsprechen, 


diesen Punkt widersprechen sich daher durchaus nicht, wie denn überhaupt 
das meiste von dem vielen, was Rırrzr dort an seinen Zeugnissen über 
Eimpedokles tadelt, bei näherer Betrachtung ganz unverfänglich erscheint. 

1) Plac.I, 18: Ἐ. πρὸ τῶν τεσσάρων στοιχείων ϑραύσματα ἐλάχιστα, 
οἱονεὶ στοιχεῖα πρὸ στοιχείων, ὁμοιομερῆ [ὅπερ ἐστὶ στρογγ ὕλα Interpola- 
tion; vgl. Srunz 158 f. Disıs 2. ἃ. St.]. Aehnlich I, 17, 3. 

2) Und ebenso unrichtig ist nach allem bisherigen Pererszx’s Annahme 
philol.-hist. Stud. 26, der Sphairos als Einheit sei das Ursprüngliche und 
die vier Elemente seien erst aus ihm entstanden. 

8) Nach späterem Sprachgebrauch (8. Th. IH a,}127, 1): alle Mischung 
ist eine παράϑεσις, es gibt weder eine σύγχυσις noch eine χρᾶσες δὲ 
ὕλων. 

4) Απιδτ. De οαἷο III, 7 (8. ο. 758,2), wozu die Ausleger (Ὁ. KARsTEn 
404 £.) nichts erhebliches hinzufügen. 


766 Empedokles. [693] 


um so mehr wird er für die Einwirkung desselben empfäng- 
lich und der Mischung mit ihm fähig sein’); und da nun 
dieses nach der Annahme unseres Philosophen in höherem 
Grade der Fall ist, wenn sich zwei Körper ähnlich sind, so 
sagt er, das gleichartige und leicht zu vermischende sei sich 
befreundet, das gleiche begehre nach dem gleichen, was sich 


1) Arısr. gen. et corr. I, 8 Anf.: τοῖς μὲν οὖν doxei πάσχειν ἕχαστον 
ϑιά τένων πόρων εἰςιόντος τοῦ ποιοῦντος ἐσχάτου χαὶ χυρεωτάτου, καὶ 
τοῦτον τὸν τρόπον xal ὁρᾷν χαὶ ἀχούειν ἡμᾶς φασὶ καὶ τὰς ἄλλας αἰσϑήσεις 
αἰσϑάνεσϑαι πάσας, ἔτε δὲ ὁρᾶσϑαε διά τε ἀέρος χαὶ ὕδατος καὶ τῶν διαφα- 
νῶν δεὰ τὸ πόρους ἔχειν ἀοράτους μὲν διὰ μιχρότητα, πυχνοὺς δὲ χαὶ 
κατὰ στοῖχον, χαὶ μᾶλλον ἔχειν διαφανῆ μᾶλλον. οὗ μὲν οὖν ἐπὶ τινῶν 
οὕτω διώρεσαν, ὥσπερ Ἐμπεδοκλῆς οὐ μόνον ἐπὶ τῶν ποιούντων καὶ πασ- 
χόντων ἀλλὰ χαὶ μίγνυσθαί φησιν (so Cod. L. statt φασὶ») ὅσων οὗ πόροε 
σὐμμετροί εἰσιν ὁδῷ δὲ μάλιστα καὶ περὶ πάντων ἑνὶ λόγῳ διωρίχασι 
«Μεύχιππος καὶ Anuöxgstos (sofern nämlich diese, wie das folgende erläutert, 
nicht blos einzelne Erscheinungen, sondern die Bildung und Veränderung 
der Körper überhaupt mittelst der leeren Zwischenräume erklärten). PnrLor. 
z. d.8t.35 b o. und gen. anim. 59 a (beide Stellen auch bei Srunz 8. 344 £.) 
gibt nicht mehr; denn die Behauptung gen. anim., Emp. habe das Volle 
yaoıa genannt, ist durch sein Zeugniss zu wenig gesichert, um der An- 
nahme, dass er diese Bezeichnung von Leucippus (8. u. 5. 770, 24) über- 
nommen habe, vor der einer Verwechslung mit ihm oder mit Demokrit den 
Vorzug zu geben. Dagegen erhält die aristotelische Angabe eine bemerkens- 
werthe Bestätigung durch Praro Meno 76 C: Οὐχοῦν λέγετε ἁποῤῥοάς τενας 
τῶν ὄντων xar' Ἐμπεδοχλέα; — Σφόδρα γε. — Καὶ πόρους, εἰς οὃς καὶ 
δὲ ὧν αἱ ἀποῤῥοαὶ πορεύονται; --- Πάνυ γε. --- Καὶ τῶν ἀποῤῥοῶν τὰς 
μὲν ἁρμόττειν ἐνίοις τῶν πόρων, τὰς δὲ ἐλάττους ἢ μείζους εἶναε; — 
Ἔστι ταῦτα. Demgemäss wird dann die Farbe definirt: ἀποῤῥοὴ σχημάτων 
(DırLs Sitzungsber. ἃ. Berl. Akad. 1884, 349 f.: χρημάτων) ὄψεε σύμμετρος 
χαὶ αἰσθητός. Vgl. Tugorur. De sensu 12: ὅλως γὰρ ποιεὶ τὴν μίέξεν τῇ 
συμμετρίᾳ τῶν πόρων᾽ διόπερ ἔλαιον μὲν χαὶ ὕδωρ οὐ μέγνυσθϑαι, τὰ δ᾽ 
ἄλλα ὑγρὰ xal περὶ ὅσων δὴ καταρεϑμεῖται τὰς ἰδίας χράσεις. Von unsern 
Bruchstücken gehört hieher V. 189 (folg. Anm.) namentlich aber 

281 (267. 337 M.): yra 8° ὅτε πάντων εἰσὶν ἀποῤῥοαὶ, ὅσσ᾽ ἐγένοντο. 
267 (253. 323 M.): τοὺς μὲν πῦρ ἀνέπεμπ᾽ ἐϑέλον πρὸς ὁμοῖον ἰχέσϑαε. 
282 (268. 888): ὡς γλυχὺ μὲν γλυχὺ μάρπτε, πιχρὸν δ᾽ ἐπὶ πιχρὸν 
ὄρουσεν, ὀξὺ δ᾽ ἐπ᾽ ὀξὺ ἔβη, δαλερὸν δαλερᾷ δ᾽ ἐπέχευεν. 
284 (272. 340 M.): οἴνῳ ὕϑωρ μὲν μᾶλλον ἐνάρϑμιον αὐτὰρ ἐλαέῳ 
οὐχ ἐϑέλει. 
286 (274. 842 M.): βύσσῳ δὲ γλαυχῇ x0xx0ov xaraulayeras ἄνϑος. 
Weiteres 8. 800 ἢ 


[694] Mischung der Stoffe; Poren und Ausflüsse. 167 


dagegen nicht mischen lässt, sei | sich feind!). Diese ganze 
Vorstellungsweise ist nun allerdings der atomistischen nahe 
verwandt: die Stelle der Atome vertreten in ihr die unsicht- 
bar kleinen Theile, die Stelle des Leeren die Poren; wie die 
Atomiker in den Körpern eine Masse von Atomen sehen, die 
durch leere Zwischenräume getrennt sind, so sieht Empedokles 
in denselben eine Masse elementarischer Theilchen, die ge- 
wisse Oeffnungen zwischen sich haben?), und wie jene die 
chemische Veränderung der Körper auf den Wechsel der 
Atome zurückführen, so führt er sie auf den Wechsel von 
Stofftheilen zurück, welche in qualitativer Beziehung unter 
den wechselnden Verbindungen, die sie eingehen, ebenso un- 
verändert bleiben sollen, wie die Atome®). Empedokles selbst 


1) V. 186 (326. 262 M.): ἄρϑμια μὲν γὰρ ἔασιν ἑαυτῶν πάντα μέ- 
ρεέσσιν, 

ἠλέχτωρ τε χϑών τε χαὶ οὐρανὸς ἡδὲ ϑάλασσα, 

ὅσσα φίλ᾽ ἐν ϑνητοῖσιν ἀποπλαγχϑέντα πέφυχεν. 

ὡς δ᾽ αὕτως ἴσα χρᾶσιν ἐπαρτέα μᾶλλον ἔασιν, 

ἀλλήλοις ἔστερχται, ὁμοειωϑέντ᾽ Ayoodiry. 

ἐχϑρὰ δ᾽ an’ ἀλλήλων πλεῖστον διέχουσιν ἄμικτα u.8.w. (Ueber den 
Text V. 186. 188 Dıers Hermes XV, 164 4) Weiteres vor. Anm. ARrısr. 
ἘΠῚ, VII, 2. 1155 b 7: τὸ γὰρ ὅμοιον τοῦ ὁμοίου ἐφέεσϑαι (Eun. y00). 
Eupen. Eth. VII, 1. 1235 a 9 (Δ. Mor. II, 11. 1208 b 11): of δὲ φυσιο- 
λόγοι χαὶ τὴν ὅλην φύσεν διαχοσμοῦσιν ἀρχὴν λαβόντες τὸ τὸ ὅμοιον ἱέναε 
πρὸς τὸ ὕμοιον, διὸ Ἐμπεδοχλῆς καὶ τὴν χύν ἔφη χαϑῆσϑαε ἐπὶ τῆς κε- 
ραμῖδος διὰ τὸ ἔχειν πλεῖστον ὅμοιον. Pıaro Lys. 214 Β: in den Schrif- 
ten der Naturphilosophen finde man, ὅτε τὸ ὕμοιον τῷ ὁμοίῳ ἀνάγχη ἀεὶ 
φίλον εἶναι. Ein Beispiel dieser Wahlverwandtschaft fand Empedokles im 
Verhalten des Eisens zum Magnet. Er nahm nämlich an, nachdem die 
Ausflüsse des Magnets in die Poren des Eisens eingedrungen seien, und die 
sie verstopfende Luft entfernt haben, so gehen vom Eisen wieder starke 
Ausflüsse in die symmetrischen Poren des Magnets, die das Eisen selbst 
mit hineinziehen und festhalten. Auex. Arur. qu. nat. 11, 53. 

2) Darüber, ob diese Oefinungen selbst ganz leer oder mit gewissen Stoffen, 
namentlich mit Luft, angefüllt sind, scheint Emp. keine allgemeine Bestim- 
mung gegeben zu haben; wir müssen diess wenigstens daraus schliessen, dass 
Arıst. gen. et corr. I, 8. 326 b 6. 15 die Hypothese der Poren sowohl von 
der einen als von der andern jener Voraussetzungen aus widerlegt. Da er 
aber, wie auch Arist. anerkennt, den leeren Raum leugnete (s. 768, 1), muss 
er das gleiche, was er beim Magnet annahm, auch in allen anderen Fällen 
stillschweigend vorausgesetzt haben, und Paıtor. gen. et corr. 40 au. bu. 
ist insofern berechtigt, ihm diese Ansicht beizulegen. 

8) Arısr. gen. et corr. II, 7. 334 a 26: 2xelvoıs γὰρ τοῖς λέγουσεν 

Philos. d. Gr. I. Bd. 5. Aufl. 49 


768 Empedokles. [695] 


jedoch hat so wenig | einen leeren Raum angenommen!), als 
Atome?), wenn auch seine Lehre folgerichtig zur Annahme 
des leeren Raums und der Atome führen müsste®). Auch die 
Vorstellung können wir ihm nicht mit Sicherheit beilegen, 
dass die Grundstoffe aus kleinsten Theilen zusammengesetzt 
seien, die an sich zwar weiterer Theilung fähig wären, die 
aber nie wirklich getheilt werden *). Diese Bestimmung scheint 
allerdings durch dasjenige gefordert zu werden, was tiber die 
Symmetrie der Poren gesagt wird; denn wenn die Stoffe in’s 
unendliche theilbar sind, kann es keine Poren geben, die zu 
klein wären, um einen gegebenen Stoff eindringen zu lassen, 
alle Stoffe miissen sich daher mit allen mischen lassen. Allein 


ὥσπερ Eunedoxins τίς ἔσται τρόπος (τῆς γενέσεως τὼν σωματων); ἀνάγχη 
γὰρ σύνϑεσιν εἶναι χαϑάπερ ἐξ πλίγϑων καὶ λέϑων τοῖχος" χαὶ τὸ μῖγμα 
δὲ τοῦτο ἐχ σωζομένων μὲν ἔσται τῶν στοιχείων, κατὰ μιχρὰ δὲ παρ᾽ 
ἄλληλα συγκειμένων. De calo IH, 7 (oben 758, 2. Gars in Hippoer. 
De nat. hom. I, 2 Schl. XV, 32 K.: Ἐμπ. ἐξ ἀμεταβλήτων τῶν τεττάρων 
στοιχείων ἡγεῖτο γίγνεσθαι τὴν τῶν συνϑέτων σωμάτων φύσιν, οὕτως 
ἀναμεμιγμένων ἀλλήλοις τῶν πρώτων, ὡς εἴ τις λειώσας ἀχρεβῶς καὶ 
χνοώδη ποιήσας ἰὸν καὶ yalxlııv καὶ καδμείαν καὶ μεσὺ μίξεεεν ὡς μηδὲν 
ἐξ αὐτῶν δύνασϑαε μεταχειρίσασϑαι χωρὶς ἑτέρου. Ebd. c. 12 Απῇ. 8. 49: 
nach Emp. sei alles aus den vier Elementen gebildet, οὐ μὴν χεχραμένων 
γε δι’ ἀλλήλων, ἀλλὰ χατὰ μιχρὰ μόρια παραχειμένων TE za) ψαυόντων, 
die Mischung der Elemente habe zuerst Hippokrates gelehrt. ARISTOTELES 
gebraucht daher gen. et corr. I, 8. 325 b 19 für die einzelnen elementari- 
schen Körper den Ausdruck: αὐτῶν τούτων τὸ σωρευόμενον μέγεϑος, und 
Plac. I, 24 wird von Empedokles, Anaxagoras, Demokrit und Epikur ge 
meinschaftlich gesagt: συγχρίσεις μὲν καὶ διαχρίσεες εἰςάγουσι, γενέσεες δὲ 
χαὶ φϑορὰς οὐ χυρίως. οὐ γὰρ κατὰ τὸ ποεὸν ἐξ ἀλλοεώσεως, κατὰ 
δὲ τὸ ποσὸν dx συναϑροιεσμοῦ ταύτας γίγνεσϑαι. 

1) Μ. 5. V. 91, oben 755, 2. Απιβτ. De οοἷο IV, 2. 309 a 19: Zysos 
μὲν οὖν τῶν μὴ φασχόντων εἶναι χενὸν οὐδὲν δεώρεσαν περὶ χούφου καὶ 
βαρέος οἷον ᾿Δναξαγόρας καὶ ᾿Εμπεδοχλῆς. ΤΉΒΟΡΗΚ. De sensu 18. Lucazz 
I, 742 ff., Späterer, die jenen Vers wiederholen, wie Plac. I, 18, nicht zu 
erwähnen. 

2) M. vgl. hierüber die Stellen, welche S. 766, 1 angeführt wurden. 

3) Vgl. Απιδτ. gen. et corr. I, 8. 325 b 5: σχεδὸν δὲ χαὶ ᾿Εμπεδοχλεὶ 
ἀναγκαῖον λέγειν, ὥσπερ χαὶ “ἀεύχιππός φησιν" εἶναι γὰρ ἅττα στερεὰ 
ἀδιαίρετα δὲ, εἰ μὴ πάντη πόροι συνεχεῖς εἰσιν. Ebd. 826 b 6 fi. 

4) Arıst. De calo ΠῚ, 6. 305 a 1: εἰ δὲ στήσεταί που ἡ διάλυσις 
[τῶν σωμάτων], ἤτοι ἄτομον ἔσται τὸ σῶμα ἐν ᾧ ἵσταταε, ἢ διαιρετὸν μὲν 
οὐ μέντοι διαιρεϑησόμενον οὐδέποτε, χαϑάπερ ἔοικεν ᾿Εμπεδοκλῆς βού- 
λεσϑαε λέγειν. 


[6%. 696) Poren und Ausflüsse. Liebe und Hass. 769 


so gut Empedokles hinsichtlich des Leeren inconsequent war, 
ebensogut kann er es auch hinsichtlich der kleinsten Theile 
gewesen sein, und da nun Aristoteles selbst zu verstehen gibt, | 
dass ihm eine ausdrückliche Aussage des Philosophen über 
diesen Punkt nicht vorlag, so ist zu vermuthen, er habe dem- 
selben seine Aufmerksamkeit überhaupt nicht zugewendet, son- 
dern sei bei der unbestimmten Vorstellung von den Poren und 
dem Eindringen der Stoffe in dieselben stehen geblieben, ohne 
genauer auf die Ursachen einzugehen, von denen die ver- 
schiedene Wahlverwandtschaft der Körper herrührt. 

Aus den körperlichen Elementen lassen sich jedoch die 
Dinge immer nur nach Einer Seite erklären: diese bestimmten 
Erscheinungen werden sich ergeben, wenn sich die Stoffe in 
dieser bestimmten Weise und in diesem bestimmten Verhält- 
niss verbinden, aber woher kommt es, dass sie sich verbinden 
und trennen, was ist, mit andern Worten, die bewegende Ur- 
sache? Empedokles kann diese Frage nicht umgehen, denn 
gerade die Bewegung und Veränderung begreiflich zu machen, 
ist sein Hauptbestreben; er weiss aber andererseits den Grund 
der Bewegung auch nicht hylozoistisch im Stoff als solchem 
zu suchen. Denn da er den parmenideischen Begriff des Seien- 
den auf die Grundstoffe übertragen hat, so kann er in diesen 
nur unveränderliche Substanzen sehen, die nicht, wie Heraklit’s 
und Anaximenes’ Urstoff, von sich selbst aus ihre Gestalt 
wechseln; und wenn er ihnen auch die räumliche Bewegung 
lassen muss, um nicht alle Veränderung in den Dingen un- 
möglich zu machen, so kann doch in ihnen selbst nicht der 
Trieb liegen, sich zu bewegen und Verbindungen einzugehen, 
von denen sie in ihrem Sein und Wesen nicht berührt werden: 
die Beseeltheit der Elemente, welche ihm beigelegt wird, ist 
in Wahrheit nicht von ihm gelehrt worden!). Es bleibt mit- 


1) Arısr. sagt De an. I, 2. 404 b8: ὅσοε δ᾽ ἐπὶ τὸ γεινώσχειν χαὶ τὸ 
αἰσϑάνεσϑαι τῶν ὄντων [ἀπέβλεψαν), οὗτοι δὲ λέγουσε τὴν ψυχὴν τὰς ἀρ- 
χὰς, οὗ μὲν πλείους ποιοῦντες ol δὲ μίαν ταύτην, ὥσπερ ᾿Ἐμπεδοχλῆς 
μὲν ἐχ τῶν στοιχείων πάντων, εἶναε δὲ χαὶ ἕχαστον ψυχὴν τούτων. Was 
er jedoch hier über Emp. sagt, hat er nur aus den bekannten Versen er- 
schlossen, und. er selbst gibt diess deutlich zu verstehen, wenn er fortfährt: 
λέγων οὕτω" „yaly μὲν γὰρ γαῖαν ὀπώπαμεν" u. 5. w. In diesen Versen 

49" 


- 


770 Empedokles. [697] 


hin nur übrig, die bewegenden Kräfte | vom Stoff zu unter- 
scheiden, und so schlägt denn auch Empedokles zuerst unter 
den Philosophen!) diesen Weg ein. Eine einzige bewegende 
Kraft reicht ihm aber nicht aus, er glaubt vielmehr die zwei 
Momente des Werdens, die Verbindung und die Trennung, 
das Entstehen und das Vergehen, auf zwei verschiedene Kräfte 
zurückführen zu müssen ?), indem er auch hier, wie in der 
Lehre von den Grundstoffen, daran festhält, die verschiedenen 
Eigenschaften und Zustände der Dinge von ebensovielen ur- 
sprünglich verschiedenen Ursachen herzuleiten, von denen 
jede, dem parmenideischen Begriff des Seienden gemäss, eine 
und dieselbe unveränderliche Natur hat. Empedokles per- 
sonificirt in seiner Darstellung diese zwei Kräfte unter dem 
Namen der Liebe und des Hasses; andererseits behandelt er 
sie auch wieder wie körperliche Stoffe, die den Dingen bei- 
gemischt sind; und beides gehört bei ihm ohne Zweifel nicht 
blos zur Darstellungsform, sondern er hat sich den Begriff 
der Kraft noch so wenig klar gemacht, dass er sie weder von 
den persönlichen Wesen der Mythologie, noch von den körper- 


liegt aber offenbar nicht, dass die Stoffe an sich selbst beseelt sind, sondern 
nur, dass sie im Menschen Grund der Seelenthätigkeit werden, und sollte 
sich auch das erste aus dem zweiten bei näherer Untersuchung ergeben, so 
haben wir doch kein Recht, Empedokles selbst diese Schlussfolgerung und 
mit ihr eine Annahme beizulegen, die den ganzen Charakter seines Systems 
verändert und seine zwei wirkenden Ursachen entbehrlich gemacht hätte. 
Noch weniger folgt aus gen. et corr. II, 6 Schl., wo Aristoteles gegen Emp. 
nur bemerkt: ἄτοπον δὲ χαὶ εἰ ἡ wıyn ἐκ τῶν στοιχείων ἢ ἕν τε αὐτῶν 

. εἰ μὲν πῦρ ἡ ψιχὴ, τὰ πάϑη ὑπάρξεε αὐτῇ ὅσα πυρὶ ἢ πῦρ᾽ εἰ δὲ 
μικτὸν, τὰ σωματιχά. Auch was 5. 767, 1 angeführt wurde, kann für die 
Beseeltheit der Elemente nichts beweisen. Dass dieselben endlich auch 
Götter genannt werden (Arısr. gen. et cor. II, 6. 333 b 21. Srto». ΕΚ]. I, 
60 — ο. 8. 588,2 — Cıc. N. Ὁ. I, 12 Anf.), ist ganz unerheblich, da sich 
diese Angabe ohne Zweifel nur auf ihre mythischen Bezeichnungen (8. o. 
158, 3) gründet, und ebenso verhält es sich mit dem δαίμων V. 254 (239. 
310 M.). 

1) Sofern wir nämlich einerseits von den mythischen Figuren der 
alten Kosmogonieen und des parmenideischen Gedichts absehen, andererseits 
Anaxagoras mit seinem Nus erst nach ihm auftreten lassen. 

2) Dass er der erste war, der diese Zweiheit der wirkenden Ursachen 
aufbrachte, bemerkt Arıst. Metaph. I, 4. 985 a 29. 


[697. 698] Liebe und Hass. 771 


lichen Elementen bestimmt unterscheidet!). Ihre eigentliche 
Bedeutung liegt aber doch nur darin, die Ursache der Ver- 
änderungen darzustellen, die mit den Dingen vorgehen: die 
Liebe ist das, was die Mischung und Verbindung, der Hass 
das, was die Trennung der Stoffe | bewirkt?). In der Wirk- 


1) Liebe und Hass sind demnach allerdings, wie Tannery Sci. hell. 
306 richtig bemerkt, keine forces abstraites (wofür übrigens wenigstens ich 
sie niemals ausgegeben habe); aber ebensowenig folgt aus V. &0 (s. folg. 
Anm.), dass Emp. sie sich, wie T. glaubt, als körperliche (gasartige) Medien 
dachte, welche die Poren der Körper ausfüllen. Eine Vergleichung aller 
seiner Bezeichnungen und Schilderungen beweist vielmehr lediglich, dass er 
sich mit einer ganz unbestimmten, unter den verschiedensten Bildern ver- 
steckten Vorstellung über diese Wesen zufrieden gab. Tannery’s weitere Ver- 
muthung, dass φελέα und veixog dem Leeren der Pythagoreer (8. ο. 380. 384) 
entsprechen, schwebt vollends in der Luft. 

2) v. 78 (105. 79 M.): πῦρ xal ὕδωρ χαὶ γαῖα χαὶ ἠέρος ἄπλετον 
ὕψος" Neixos τ᾽ οὐλόμενον δίχα τῶν, ἀτάλαντον Exaorov χαὶ Φιλότης μετὰ 
τοῖσιν, ἴση μῆκός τε πλάτος τε. Die Benützung dieser Verse ist aber frei- 
lich nicht ohne Schwierigkeit. V. 79 ist der Text so unsicher (vgl. DıeLs 
zu SımeL. phys. 26, 3), dass sich auf die auseinandergehenden Lesarten und 
Conjectaren keine verlässliche Ansicht darüber gründen lässt, was Emp. hier 
vom veixog aussagt und was er mit dieser anscheinend nur bildlichen Be- 
zeichnung meint. V. 80 fragt es sich, ob das ἴση μῆχός re πλάτος τε be- 
deutet, dass die Liebe dem Hass an Grösse gleich sei, was seinerseits 
wieder nur ein anschaulicher Ausdruck für die Gleichheit ihrer Macht wäre, 
oder dass sie selbst ebenso lang als breit, also ein Quadrat sei: so würde 
sie dann in analoger Weise genannt werden, wie wenn die Pythagoreer die 
Gerechtigkeit als Quadratzahl bezeichneten (s. 8. 390, 2), denn φελότης 
ἰσότης. Von der φελότης heisst es dann, sie sei dasselbe, was auch die 
Menschen in Liebe zusammenführe, und sie heisse γηϑοσύνη und Aygodfrn, 
Emp. selbst nennt sie bald φιλύτης, bald στοργὴ bald ““φροδίτη, bald 
Κύπρις, bald ἁρμονίη. V. 66 ff., oben 8.757. V. 102 (130. 126 M.): ἐν δὲ 
χότῳ διάμορφα χαὶ ἄνδιχα πάντα πέλονται, σὺν δ' ἔβη ἐν φιλέτητε καὶ 
ἀλλήλοισε ποϑεῖται. Ferner V. 110 ff. (8. 778, 1) 169 (165. 189 M.) f. 
(5. 784) 333 (321. 878 M.) fi. (8. 723, 3°). Hiemit stimmen die Angaben 
der übrigen Zeugen überein, von denen aber hier nur die zwei ältesten 
und besten angeführt werden sollen; Praro Soph. 242 Ὁ, nach dem, was 
8. 657, 3 abgedruckt ist: αὖ δὲ μαλακώτεραι (Emp.) τὸ μὲν ἀεὶ ταῦϑ' 
οὕτως ἔχειν ἐχάλασαν, ἐν μέρεε δὲ τοτὲ μὲν ἕν εἶναί φασι τὸ πᾶν χαὶ φίλον 
ὑπ᾽ ᾿ἩἩφροδίτης, τοτὲ δὲ πολλὰ καὶ πολέμιον αὐτὸ αὑτῷ διὰ νεῖχός τι. 
Asıst. gen. et corr. II, 6. 383 b 11: τί οὖν τούτων (die Regelmässigkeit der 
Naturerscheinungen) αἴτεον; ob γὰρ δὴ πῦρ γε ἢ γῆ᾽ alla μὴν οὐδ' ἡ yılla καὶ 
τὸ γεῖχος συγχρίσεως γὰρ μένον, τὸ δὲ διαχρίσεως αἴτεον. Weiteres folg. 
Anm. Wegen ihrer einigenden Natur nennt Aristoteles die empedokleische 
φιλία auch geradezu das Eine, Metaph. III, 1. 4; 8. ο. 8. 764 m (Gen. et corr. 


773 Empedokles. [699] 


lichkeit freilich lässt sich beides, wie ARISTOTELES richtig ein- 
wendet?), nicht trennen, da jede neue | Verbindung der Stoffe 
Auflösung einer früheren, und jede Trennung derselben Ein- 
führung in eine neue Verbindung ist; dass aber Empedokles 
dieses noch nicht bemerkt, und die Liebe ausschliesslich als 
Ursache der Einigung, den Hass als Ursache der Trennung 
betrachtet hat, steht ausser Zweifel. Sofern nun die Einheit 
der Elemente dem Empedokles für den besseren und voll- 
kommeneren Zustand gilt?), kann ARISTOTELES sagen, er mache 


I, 1 Schl. gehört nicht hieher, da dort unter dem ἕν nicht die φελέα, sondern der 
-Sphairos gemeint ist. Kuarsten’8 Bedenken gegen die Identificirung des ἕν 
und der οὐσία ἑνοποιὸς, a. a. O. 8. 318, beruht auf Verkennung der aristo- 
telischen Begriffe.) Metaph. XII, 10. 1075 b 1: ἀτόπως δὲ καὶ ᾿Εμπεδοχλῆς" 
τὴν γὰρ φιλίαν ποιεῖ τὸ dyador" αὕτη δ᾽ ἀρχὴ καὶ ὡς κινοῦσα (συνάγεε 
γὰρ) καὶ ὡς ὕλη" μόρεον γὰρ τοῦ μίγματος ... ἄτοπον δὲ καὶ τὸ ἄφϑαρτον 
εἶναε τὸ veixog. Die Aussagen Späterer, die sich bei Kırsten 346 ff. und 
Strunz 139 ff. 214 ff. gesammelt finden, sind nur Wiederholungen und Er- 
läuterungen der aristotelischen. Dass aber Aristoteles (und ebenso Plato 
und 4110 Späteren) die eigentliche Meinung des Emp. missverstanden habe, 
dass dieser Philosoph Liebe und Streit nicht wirklich für die Ursachen der 
-Mischung und Entmischung gehalten habe, sondern in den angeführten 
Stellen nur eine dichterische Beschreibung der Zustände der Mischung und 
Entmischung geben wolle (Tuıto Gesch. ἃ. Phil. I, 45), lässt sich bei der 
Uebereinstimmung aller selbständigen Zeugnisse und der Bestimmtheit, mit 
der Emp. selbst sich ausspricht, nicht annehmen. 

1) Metaph. I, 4. 985 a 21: χαὶ Ἐμπεδοχλῆς ἐπὶ πλέον μὲν τούτου 
(Arafayöpov) χρῆται τοῖς αἴτέοις, οὐ μὴν οὔϑ᾽ ἱχανῶς οὔτ᾽ ἐν τούτοις 
εὑρίσχεε τὸ ὁμολογούμενον" πολλαχοῦ γοῦν αὑτῷ ἡ μὲν Yılla διαχρένει, 
τὸ δὲ veixog συγχρίνει. ὅταν μὲν γὰρ els τὰ στοιχεῖα ϑιΐστηται τὸ πᾶν 
ὑπὸ τοῦ velxous, τό τε πῦρ εἰς ἕν συγχρίνεται χαὶ τῶν ἄλλων στοιχεέων 
ἕχαστον. ὅταν δὲ πάλεν πάντα ὑπὸ τῆς φιλίας συνίωσιν εἰς τὸ ἕν, ἀναγκαῖον 
ἐξ ἐχάσιου τὰ μόρια διαχρίνεσϑαι πάλιν. (Aehnlich die Ausleger, 8. Sturz 
219 6) Ebd. III, 4. 1000 a 24: χαὶ γὰρ ὄνπερ οἱηϑείη λέγειν ἄν τις 
μάλιστα ὁμολογουμένως αὑτῷ, 'Eunedoxkäs, καὶ οὗτος ταὐτὸν πέπονθεν. 
τέϑησι μὲν γὰρ ἀρχὴν τινα αἰτίαν τῆς φϑορᾶς τὸ νεῖχος, δόξειε δ᾽ ἂν 
οὐϑὲν ἧττον χαὶ τοῦτο γεννᾷν ἔξω τοὺ ἑνός" ἅπαντα γὰρ ἐχ τούτου τἀλλά 
ἐστι πλὴν ὁ ϑεός. ebd. b 10: συμβαένει αὐτῷ τὸ νεῖχος μηϑὲν μᾶλλον 
φϑορᾶς ἢ τοῦ εἶναι αἴτιον. ὁμοίως δ᾽ οὐδ᾽ ἡ φιλότης τοῦ εἶναι" συνά- 
γουσα γὰρ εἰς τὸ ἕν φϑείρει τἄλλα. Weiteres zur Kritik der empedoklei- 
schen Lehre vom Werden gen. et corr. I, 1. IH, 6. 

2) Diess erhellt schon aus den Prädikaten der Liebe und des Hasses, 
ἡπιόφρων (V. 181) für jene, οὐλόμενον (V. 79), λυγρὸν (335), μαενόμενον 
(382) für diesen, bestimmter aus dem, was später über den Sphairos und die 
Weltentstehung mitgetheilt werden wird. 


[699. 700] Liebe und Hass. 773 


gewissermassen das Gute und Böse zu Principien!); indessen 
verhehlt er selbst nicht, dass diess nur eine Folgerung ist, 
die unser Philosoph nicht ausdrücklich gezogen hat, und dass 
seine ursprüngliche Absicht nur dahin geht, in der Liebe 
und dem Hass die bewegenden Ursachen darzustellen 3). 
Nur Spätere meinen, im Widerspruch mit den urkund- 
lichsten Zeugnissen und mit dem ganzen Zusammenhang 
der empedokleischen Lehre, der Gegensatz der Liebe und 
des Hasses falle mit dem | stofflichen Unterschied der Ele- 
mente zusammen?), unter dem Hass sei das feurige, unter der 
Liebe das feuchte Element zu verstehen *); scheinbarer wollten 
Neuere) das Feuer der Liebe, die andern Elemente dem 
Hass vorzugsweise zutheilen, ohne doch beide zu identificiren, 
doch ist auch diess schwerlich richtig®). Noch weiter liegt 


1) Metaph. 1, 4. 984 b 32: ἐπεὶ δὲ ravayıla τοῖς ἀγαϑοῖς ἐνόντα 
ἐνεφαίνετο ἐν τῇ φύσει, καὶ οὐ μόνον τάξις χαὶ τὸ χαλὸν ἀλλὰ χαὶ ἀτα- 
Ela καὶ τὸ αἰσχρὸν, .. . οὕτως ἄλλος τις φελέαν εἰςήνεγχε χαὶ νεῖχος ἐχά- 
τερον» ἑχατέρων αἴτιον τούτων. εἰ γάρ τις ἀχολοιϑοίη καὶ λαμβάνοι πρὸς 
τὴν διάνοιαν χαὶ μὴ πρὸς ἃ ψελλίζεται λέγων Eunedoxins, εὑρήσει τὴν 
μὲν φιλίαν αἰτέαν οὖσαν τῶν ἀγαϑῶν, τὸ δὲ νεῖχος τῶν χαχῶν' dor εἴ 
τις φαίη τρόπον τινὰ καὶ „eye χαὶ πρῶτον λέγειν τὸ χακὸν xal ἀγαϑὸν 
ἀρχὰς ᾿Ἐμπεδοχλέα, τάχ᾽ ἄν λέγοι χαλὼς u. 8. w. Ebd. ΧΙ, 10, 5. ο. 
771, 2 vgl. Prur. De Is. 48, 8. 370. 

2) 8. vor. Anm. und Metaph. I, 7. 988 b 6: τὸ δ᾽ οὗ ἕνεχα αἱ πρά- 
tes χαὶ αἱ μεταβολαὶ xal al χενήσεις τρόπον μέν τενα λέγουσιν αἴτιον, 
οὕτω (so ausdrücklich und bestimmt) δὲ οὐ λέγουσιν, οὐδ᾽ ὅνπερ πέφυκεν. 
of μὲν γὰρ νοῦν λέγοντες ἢ φιλέαν ὡς ἀγαϑὸν μέν Tı ταύτας τὰς αἰτίας 
τιϑέασεν οὐ μὴν ὡς ἕνεχά γε τούτων ἢ ὃν ἢ γιγνόμενόν τε τῶν ὄντων, 
all’ ὡς ἀπὸ τούτων τὰς χινήσεις οὔσας λέγουσιν .. . ὥστε λέγειν τε χαὶ 
μὴ λέγεεν πως συμβαίνει αὐτοῖς τἀγαϑὸν αἴτεον. οὐ γὰρ ἁπλῶς, ἀλλὰ 
κατὰ συμβεβηχὸς λέγουσιν. Aehnliche Aussagen der Späteren b. Sturz 
232 fi. 


3) Smuer. Phys. 197, 10: "Eur. γοῦν, χαίτοε δύο ἐν τοῖς στοιχείοις 
ἐναντιώσεις ὑποϑέμενος, ϑερμοῦ χαὶ ψυχροῦ xal ξηροῦ xal ὑγροῦ, εἰς μίαν 
“τὰς δύο συνεχορύφωσε τὴν τοῦ νείχους χαὶ τῆς φιλίας, ὥσπερ χαὶ ταύτην 
εἰς μονάδα τὴν τῆς ἀγάγχης. 

4) Pror. pr. frig. 16, 8. 8. 952, was Branpss (Rh. Mus. III 129. gr.- 

röm. Phil. I, 204) nicht hätte als geschichtliches Zeugniss behandeln sollen. 
5) Tennemann Gesch. d. Phil. I, 250. Rırrer in Wolf’s Analekten II, 

429 f. vgl. Gesch. ἃ. Phil. I, 550, dem auch unsere erste Ausgabe 8. 182 

beistimmte. Wenxpr zu Tennemann I, 286. 

6) Rırtzr’s Gründe für seine Ansicht sind: 1) dass Empedokles nach 
Aristoteles (s. ο. 761, 1) das Feuer den drei andern Elementen gemeinschaft- 


774 Empedokles. [700. 701] 


es von der eigentlichen Meinung des Empedokles ab, wenn 
KARSTEN seine sechs Grundwesen zu blossen Erscheinungs- 
formen einer einheitlichen pantheistisch gedachten Urkraft 
machen will 1), oder wenn andere die Liebe für den alleinigen] 
Grund aller Dinge und für das allein wirkliche, den Hass 
dagegen für etwas nur in der Vorstellung sterblicher Wesen 
liegendes halten ?); gerade das ist vielmehr für sein ganzes 


lich entgegensetzte, und dass er es hiebei als das vorzüglichere betrachtet 
zu haben scheint, denn er hält das männliche Geschlecht für das wärmere, 
leitet den Mangel an Einsicht aus der Kälte des Bluts ab, und lässt Tod 
und Schlaf durch die Entweichung des Feuers bewirkt werden (s.u.); 2) dass 
Emp. nach Hırror. Refut. I, 3 das Feuer für das göttliche Wesen der Dinge 
gehalten habe; 3) dass bei ihm selbst V. 215 (209. 282 M.) Kypris dem 
Feuer die Herrschaft gebe. Indessen beruht die letztere Angabe (welche 
auch Branpıs 205 hat), auf einem Versehen; es heisst: yJor« ϑοῷ πυρὶ 
doxe xearüvaı, „sie übergab die Erde dem Feuer zum Härten“. Die Be- 
hauptung des Hippolytus wird später noch widerlegt werden. Was endlich 
Ritter's ersten und hauptsächlichsten Grund betrifft, so kann Empedokles 
immerhin das Feuer für vorzüglicher gehalten haben, als die andern Ele- 
mente, und die Liebe für vorzüglicher als den Hass, ohne doch darum das 
erste zum vorzugsweisen Substrat der zweiten zu machen. Er selbst stellt 
Liebe und Hass als zwei für sich bestehende Principien neben die vier 
Elemente, und diess ist auch durch seinen ganzen Standpunkt gefordert 
(8. 0.); jede Stoffverbindung, auch wenn kein Feuer dabei mitwirkt, ist das 
Werk der Liebe, jede Trennung, auch wenn sie durch’s Feuer bewirkt wird, 
das Werk des Hasses. Vgl. was SchLÄser Emped. Agrig. u. 8. w. (Eisenach 
1878) 12 f. gegen Byk bemerkt, welcher Vorsokr. Phil. 150 ff. Ritter's An- 
nahme wiederholt. 

1) S. 388: δὲ vero δὼ involucris Empedoclis rationem exzuamus, sontentia 
huo fere redit: unam esse vim eamque divinam mundum oontinentem; hano per 
quatuor elementa quasi Dei memdra, ut ipse ea appellat, sparsam esse, eam- 
qus oerni polissimum in duplici aotione, distractione et contraclione, qua- 
rum hanc oonjunotionis, ordinis, omnis denique boni, illam pugnae, perturbationis 
omnisque mali principium esse: harum mutua vi ot ordinem mundi et mutationes 
effici, omnesque res tam divinas quam humanas perpeiuo generani, al, variari. 
Vgl. Simpl., S. 773, 3. 

2) RırTer Gesch. d. Phil. I, 544: 558, womit aber die andere eben’ 
angeführte Behauptung schwerlich übereinstimmt. Die Widerlegung dieser 
Ansicht, sowie der von Karsten, liegt in dem Ganzen dieser Darstellung. 
Was Rıtter a. d. a. O. im besondern für sich anführt, ist 1) die Aussage 
des ArıstoteL:s Metaph. III, 1, und 2) die Behauptung, dass sich die Macht 
des Hasses nur über den Theil des Seienden ausdehne, welcher sich selbst 
durch eigene Verschuldung vom Ganzen losreisse, und nur so lange daure, 
als diese Verschuldung. Der erste Grund ist jedoch schon S. 764 m wider- 
legt worden, und der zweite beruht auf einer unstatthaften Verbindung von 


(101. 102] Verbindung und Trennung der Stoffe. 775 


Verfahren bezeichnend, dass er die verschiedenen Grundkräfte 
und Grundstoffe nicht auf Ein Urwesen zurückzuführen weiss!). 
Die Gründe dieser Erscheinung wurden bereits angedeutet, 
und werden sich uns später noch deutlicher herausstellen. 
Diese Annahmen sind nun freilich sehr ungenügend. Aus | 
der Verbindung und Trennung der Stoffe werden die be- 
stimmten, mit fester Regelmässigkeit sich bildenden und ver- 
ändernden Dinge nur dann hervorgehen, wenn dieser Stoffwechsel 
nach bestimmten, eben hierauf gerichteten Gesetzen vor sich 
geht?). Zur Ergänzung dieses Mangels hat jedoch Empedokles 
so wenig geihan, dass wir annehmen müssen, er sei sich des- 
selben noch gar nicht bewusst geworden. Er nennt wohl die 
einigende Kraft Harmonie?), aber damit ist nicht gesagt*), dass 
die Mischung der Stoffe nach bestimmten Maassen erfolge, son- 
dern nur überhaupt, dass sie durch die Liebe verknüpft wer- 
den. Er gibt ferner bei einigen Gegenständen das Mischungs- 
verhältniss der Stoffe an, aus denen sie zusammengesetzt seien) ; 


zwei Lehren, die Empedokles selbst nicht verknüpft hat. Er selbst führt 
die Trennung des Sphairos durch den Hass auf eine allgemeine Nothwendig- 
keit, nicht auf die Schuld der Einzelnen zurück (s. u.), und er kann sie 
gar nicht auf diese zurückführen, denn ehe der Hass die Bestandtheile des 
Sphairos getrennt hat, gibt es gar keine Einzelwesen, die sich versündigen 
könnten. Ebenso unrichtig ist es, dass der Hass am Ende wirklich unter- 
gehe und zuletzt nichts mehr sei, als etwa die Grenze des Ganzen; denn 
wenn er auch vom Sphairos ausgeschlossen ist, so hat er darum nicht auf- 
gehört zu existiren, sondern er dauert fort, nur kann er für so lange, als 
die Zeit der Ruhe währt, nicht wirken, weil seine Verbindung mit den 
übrigen Elementen unterbrochen ist. Später soll er ja aber wieder zu Kraft 
kommen, und stark genug sein, die Einheit des Sphairos zu zerreissen, wie 
er sie beim Anfang der Weltentwicklung zerrissen hat, was er auch nicht 
hätte thun können, wenn er nach der Meinung des Empedokles nichts wirk- 
liches wäre. Vgl. auch Branvıs Rh. Mus. III, 125 ff. 

1) Gerade die Zweiheit der weltbewegenden Kräfte wird daher von 
ARISTOTELES als eigenthümliche Lehre des Empedokles bezeichnet Metaph. 
Ἷ, 4 s. o. 773, 1. 770, 2; ebd. 984 a 29. 

2) Wie diess ARISTOTELES zeigt gen. et corr. II, 6 (s. o. 771 unt.). 

3) Υ. 202. 137. 394 (214. 59. 25, bei Mull. 214. 175. 23). 

4) Was Porruyr ohne Zweifel aus V. 202 folgert, Ὁ. SımpL. Categ. 
Schol. in Arıst. 59 b 45: 'Eunedoxlei .... ἀπὸ τῆς fraguoviov τῶν στοι- 
χείων μίξεως τὰς ποιότητας ἀγαφαίνοντι. 

5) Υ͂. 198 (211) über die Bildung der Knochen: 

ἡ δὲ χϑὼν ἐπίηρος ἐν εὐστέρνοις χοάνοισε 


776 Empedokles. [702. 708) 


mag man aber auch hierin mit ARıstoteLes!) den Gedanken 
angedeutet finden, dass das Wesen der Dinge in ihrer Form 
liege, so wird doch dieser Gedanke von Empedokles, wie diess 
auch Aristoteles anerkennt, nicht ausdrücklich ausgesprochen, 
sondern er kommt | nur wie ein unwillkürliches Geständniss 
zum Vorschein; dass sich unser Philosoph seiner nicht in 
grundsätzlicher Allgemeinheit bewusst war, erhellt auch aus 
den Belegen, die Aristoteles anführt, denn an den verschiedenen 
Stellen, wo er sich über diesen Gegenstand äussert, weiss er 
sich immer nur auf die Verse über die Bildung der Knochen 
zu berufen, von einem allgemeinen Gesetz, wie es Heraklit 
in seinen Sätzen über die Weltvernunft und die Stufenfolge 
der elementarischen Wandlungen ausspricht, kann er bei 
Empedokles nichts gefunden haben. Wirklich leitet ja dieser 
auch wieder manches aus einer nicht weiter erklärten, und 


insofern zufälligen, Bewegung der Elemente her?). Die durch- 


τὼ δύο (so Dırrs Herm. XV, 166) τῶν ὀχτὼ μερέων λάχε Nnorıdog 
αἴγλης, 
τέσσαρα δ᾽ Ἡφαίστοιο" τὰ δ᾽ ὀστέα λευκὰ γένοντο 
ἁρμονέης χόλλησιν ἀρηρότα ϑεσπεσίηϑεν. 
Υ. 208 (215): ἡ δὲ χϑὼν τούτοισιν ἴση σινέχυρσε μιγεῖσα 
Ἡφαίστῳ τ᾽ ὄμβρῳ τε καὶ αἰϑέρε παμφανόωντι, 
Κύπρεδος ὁρμεσϑεῖσα τελείοις ἐν λιμένεσσιν, 
εἴτ᾽ ὀλίγον μείζων εἴτε πλέον ἐστὶν ἐλάσσων. 
ἐκ τῶν αἰμά τε γέντο χαὶ ἄλλης εἴδεα σαρχός. 

1) Part. anim. I, 1. 624 a 17: ἐνιαχοὺ δέ που αὐτῇ [τῇ φύσει) καὶ 
᾿Εμπεδοκλῆς περιπίπτει, ἀγόμενος ὑπ᾽ αὐτῆς τῆς ἀληϑείας, χαὶ τὴν οὐσίαν 
χαὶ τὴν φύσιν ἀναγχάζεται φάναι τὸν λόγον εἶναι, οἷον ὀσεοῦν ἀποδιδοὺς 
τέ ἐστιν" οὔτε γὰρ ἕν τι τῶν στοιχείων λέγει αὐτὸ οὔτε δύο ἢ τρία οὔτε 
πάντα, ἀλλὰ λόγον τῆς μίξεως αὐτῶν. De an. I, 4. 408 a 19: ἕχαστον 
γὰρ αὐτῶν [τῶν μελῶν) λόγῳ τινέ φησιν εἶναι [ὁ Ἔμπ.) Metaph. I, 10: 
die Früheren haben die viererlei Ursachen zwar alle aufgeführt, aber nur 
unvollkommen und undeutlich, ψελλεζομένη γὰρ ἔοικεν ἡ πρώτη φελοσοφία 
περὶ πάντων, ἅτε νέα τε χαὶ χατ᾿ ἀρχὰς οὖσα τὸ πρῶτον, ἐπεὶ καὶ ᾽Εμ- 
πεδοχλῆς ὀστοῦν τῷ λόγῳ φησὶν εἶναι, τοῦτο δ᾽ Lord τὸ τί ἣν εἶναι καὶ ἡ 
οὐσία τοῦ πρόγματος. 

2) Arıst. gen. et corr. II, 6 nach dem was 3. 771 unt. angeführt wurde: 
τοῦτο δ᾽ ἐστὶν ἡ οὐσία ἡ Exaorov, ἀλλ᾽ οὐ μόνον ,μέξις τε διάλλαξίς Te 
μιγέντων", ὥσπερ ἐχεῖνός φησιν. τύχη δ᾽ ἐπὶ τούτων ὀνομάζεταε (vgl. 
Emp. V. 39, oben 756, 1), ἀλλ᾽ οὐ λόγος" ἔστι γὰρ μιχϑῆναι ὡς ἔτυχεν. 
Ebd. 334 a 1 (wozu Pnıtor. z. ἃ. St. 59 b o nichts neues hinzufügt): dıd- 
xgıve μὲν γὰρ τὸ veixos, ἠνέχϑη δ᾽ ἄνω ὁ αἰϑὴρ οὐχ ὑπὸ τοῦ velxous, 


« 


[108. 104] Verbindung und Trennung der Stoffe. 777 


gängige Gesetzmässigkeit aller Naturerscheinungen hat er noch 
nicht gelehrt!). | 


ἀλλ᾽ ὁτὲ μέν φησιν ὥσπερ ἀπὸ τύχης, ηοὕτω γὰρ συνέχυρσε ϑέων τότε, 
ἄλλοϑε δ᾽ ἄλλως“, ὁτὲ δέ φησι πεφυκέναι τὸ πῦρ ἄνω φέρεσϑαε, (vgl. De 
an. II, 4. 415 b 28: Emp. sagt, die Pflanzen wachsen χάσω μὲν... διὰ 
τὸ τὴν γῆν οὕτω φέρεσϑαι κατὰ φύσιν, ἄνω δὲ διὰ τὸ πῦρ ὡσαύτως.) ὁ 
δ᾽ αἰϑήρ, φησι, ἡμαχρῆσε κατὰ χϑόνα δύετο ῥίζαις." (Die zwei Verse sind 
Υ. 166 ἢ St. 205 ἢ K. 259 f. Μ.) Phys. II, 4. 196 a 19: Empedokles sagt: 
οὐχ ἀεὶ τὸν ἀέρα ἀνωτάτω ἀποχρίνεσϑαι, all ὅπως ἄν τύχῃ — wofür 
dann gleichfalls das οὕτω συνέχυρσε u. 8. f. angeführt wird. Phys. VI, 
1. 252 a 5 (gegen Plato): xal γὰρ ἔοιχε τὸ οὕτω λέγειν πλάσματι μᾶλλον. 
ὁμοίως δὲ za) τὸ λέγειν ὅτι πέφυχεν οὕτως χαὶ ταύτην dei νομίζεεν εἶναι 
ἀρχὴν, ὅπερ ἔοιχεν Ἐμπεδοχλῆς ἄν εἰπεῖν, ὡς τὸ χρατεῖν καὶ xıveiv ἐν 
μέρεε τὴν φιλίαν xal τὸ νεῖχος ὑπάρχει τοῖς πράγμασιν ἐξ ἀνάγχης, ἦρε- 
μεῖν δὲ τὸν μεταξὺ χρόνον. Aehnlich Z. 19 ff. Vgl. auch Praro Gess. X, 
889. Was Rırrer in Wolf’s Analekten II, 4, 438 f. sagt, um Empedokles 
gegen den Tadel des Aristoteles zu rechtfertigen, reicht hiefür nicht aus. 
1) Dass Empedokles V. 369 (1) die Seelenwanderang als Satzung der 
Nothwendigkeit und als uralten Götterschluss bezeichnet (s. u.), und dass 
er V. 139 (66. 177 M.) ff. die wechselnden Perioden der Liebe und des 
Hasses durch einen unverbrüchlichen Eid oder Vertrag (πλατὺς öpxos) be- 
stimmt sein lässt, ist von geringer Bedeutung. Darin liegt wohl, dass jener 
Verlauf einer unabänderlichen Ordnung folge, aber diese Ordnung erscheint 
noch als eine unbegriffene positive Satzung, und auch als solche ist sie nur 
für diese einzelnen Fälle, nicht in der Form eines allgemeinen Weltgesetzes, 
wie bei Heraklit, behauptet. Wenn daher Cic. De fato c. 17, Anf. unsern 
Philosophen mit andern lehren lässt: omnia sta fato Neri, τὲ id fatum vim 
neosseitatis aferret; wenn SımeL. Phys. 465, 12 die ἀνάγχη neben Liebe und 
Hass unter seinen wirkenden Ursachen aufzählt; wenn Stor. ἘΠῚ. I, 60 
(s. ο. 8. 588, 2), nach der wahrscheinlichsten Lesart und Auffassung sagt, er 
habe die Ananke für den einheitlichen Urgrund gehalten, der sich stofflich 
n die vier Elemente, seiner Form nach in Liebe und Hass gliedere; wenn 
Plac. I, 26 die empedokleische avayxn, hiemit übereinstimmend, als das 
Wesen definirt wird, das sich der (stofflichen) Elemente und der (bewegen- 
den) Ursachen bediene ; wenn Pur. an. procr. 27, 2. S. 1026 in Liebe und 
Hass das gleiche sieht, was sonst Verhängniss genannt werde, und be- 
stimmter Sıupr. (oben 8. 773, 3) behauptet, Emp. habe die elementarischen 
Gegensätre auf den der Liebe und des Hasses, und diesen selbst wieder auf 
die Ananke zurückgeführt; wenn endlich Turnıst. Phys. 191 Sp. unsern 
Philosophen zu denen rechnet, welche von der Ananke im Sinn der Materie 
gesprochen haben, so sind diess spätere Umdeutungen, durch welche wir 
über das, was er wirklich gelehrt hat, nichts erfahren, denen desshalb Rırrer 
(Gesch. d. Phil. I, 544) nicht hätte Glauben schenken sollen. Alle diese 
Angaben sind ohne Zweifel nur aus V. 369 (1) δὲ, aus der Analogie stoischer, 
platonischer und pythagoreischer Lehren, namentlich aber aus dem Wunsche 


778 Empedokles. [704] 


2. Die Welt und ihre Theile. 

Die vier Grundstoffe sind ungeworden und unvergäng- 
lich. Ebenso ewig sind auch die bewegenden Kräfte. Ihr 
Verhältniss jedoch ändert sich beständig, das Weltganze ist 
daher dem Wechsel, und unsere gegenwärtige Welt ist der 
Entstehung und dem Untergang unterworfen. Liebe und 
Hass sind gleich ursprünglich und gleich mächtig, aber sie 
halten sich nicht stetig das Gleichgewicht, sondern jeder von 
beiden Theilen kommt abwechselnd zur Herrschaft!); die 
Elemente werden bald von der Liebe zusammengeführt, bald 
durch den Hass auseinandergerissen 5), die Welt ist bald zur 


hervorgegangen, bei Emp. ein einheitliches Princip zu finden; auch Akısto- 
TELES in der eben angeführten Stelle Phys. VII, 1 könnte Veranlassung 
dazu gegeben haben; diese Stelle bezieht sich aber offenbar gleichfalls nur 
auf Emp. V. 139 ff. (s. u.), eine bestimmtere Erklärung kann ihm, wie 
schon seine behutsamen Ausdrücke beweisen, nicht vorgelegen haben. 

1) v. 110 (138. 145 M.): χαὶ γὰρ χαὶ πάρος ἦν τε χαὶ ἔσσεται, οὐδέ 

nor, οἵω, . 
τούτων ἀμφοτέρων χεινώσεταε ἄσπετος αἰών. 
ἐν δὲ μέρει χρατέουσε περιπλομέγοιο χύχλοιο, 
χαὶ φϑίνει εἰς ἄλληλα χαὶ αὔξεται ἐν μέρεε αἴσης. Das Subjekt ist, 
wie man aus dem ἀμφοτέρων sieht, Liebe und Hass. Vgl. V. 89 ἢ. oben 
5. 758, 3 Schl. 

2) V. 61 fi. s. ο. 8. 757, wo auch angegeben ist, wesshalb ich diese 
Verse, von Kassten S. 196 f. und meiner eigenen früheren Auffassung (1. A. 
S. 176) abweichend, nicht mehr auf die Einzeldinge, sondern mit Praro 
Soph. 242 Ὁ f. Arısr. Phys. VIII, 1. 250 b 26 und seineu Auslegern (8. 
Kınsten 197. 366 £.) auf die wechselnden Zustände des Weltganzen beziehe. 
v. 69 α΄ (S. 756, 2. 758, 2). Anders verhält es sich mit 

Υ. 114 (140. 149 M.): αὐτὰ γὰρ ἔστιν ταῦτα (die Elemente), di ἀλλή- 

λων δὲ ϑέοντα 

γίγνοντ ἄνϑρωποί τε καὶ ἄλλων ἔϑνεα ϑηρῶν, 

ἄλλοτε μὲν φιλότητι συνερχόμεν᾽ εἰς ἕνα χόσμον, 

ἄλλοτε δ' αὖ δίχ᾽ ἕχαστα φορεύμενα νείχεος ἔχϑεε, 

εἰσόχ᾽ ἐς ἕν (so Dies Herm. XV, 163 vgl. zu Sımer. phys. 33, 25) 

συμφύντα τὸ πᾶν ὑπένερϑε γένηται. Hier müssen V. 116 f., wiewohl 
sie aus einer auf die Weltzustände bezüglichen Stelle (s. o. 756, 2) 
wiederholt sind, sich auf die Entstehung und Zerstörung der Einzelwesen 
durch Verbindung und Trennung der Elemente beziehen, εἰς ἕνα χόσμον 
also nur bedeuten: zu Einem geordneten Ganzen. Mit den Schlussworten 
weiss ich aber, auch nach allen bisherigen Erklärungsversuchen, nichts an- 
zufangen. Man sollte erwarten: „bis sie auf’s neue geeinigt diess alles 
wieder werden,“ und man erhielte diesen Sinn, wenn statt des unverständ- 


[705. 706] Wechselnde Weltzustände. 179 


Einheit verbunden, bald in eine | Vielheit und in Gegensätze 
zerspalten!). Beide Processe setzen sich, nach der Annahme 
des Empedokles, so lange fort, bis einerseits die vollkommene 
Vereinigung, andererseits die vollkommene Trennung der 
Grundstoffe herbeigeführt ist, und eben so lange dauert auch 
die Bewegung des Naturlebens, die Einzelwesen entstehen und 
vergehen; sobald dagegen das Ziel erreicht ist, erlischt jene 
Bewegung, die Elemente hören auf, sich zu verbinden und zu 
trennen, weil sie schlechthin gemischt oder getrennt sind, und 
sie werden in diesem Zustand so lange verharren, bis er durch 
einen neuen Anstoss in entgegengesetzter Richtung unter- 
brochen wird. Das Leben der Welt beschreibt somit einen 
Kreis: die vollständige Einheit der Stoffe, der Uebergang zu 
ihrer Trennung, die vollständige Trennung und die Rückkehr zu 
ihrer Einheit sind die vier Stufen, die es in endloser Wieder- 
holung durchläuft. Auf der zweiten und vierten von diesen 
Stufen kommt es zum gesonderten Dasein zusammengesetzter 
Wesen, hier allein ist eine Natur möglich, auf der ersten Stufe 
dagegen, die keine Scheidung, und auf der dritten, die keine 
Einigung der Elementarstoffe zulässt, ist die Einzelexistenz 
ausgeschlossen. | Die Zeiten der Bewegung und des Natur- 
lebens wechseln daher regelmässig mit solchen der Natur- 
losigkeit und der Ruhe®). Wie lange aber jede dieser Pe- 


lichen ὑπένερϑε „nallvoprn“ gesetzt würde. Ich will aber nicht behaupten, 
dass Emp. wirklich so geschrieben hatte. 

1) Prato a. a. O., oben S. 771, 2. Arısr. a. a. O.: 'Eunedoxins ἐν 
μέρει zıreiadar καὶ πάλεν ἠρεμεῖν (sc. τὰ ὄντα), xıveiodes μὲν, ὅταν ἡ 
yılla ἐχ πολλῶν ποιῇ τὸ ἕν ἢ τὸ νεῖχος πολλὰ ἐξ ἑνὸς, ἠρεμεῖν δ᾽ ἐν 
τοῖς μεταξὺ χρόνοις, λέγων οὕτως (V.69—73). Ebd. 252 a ὅ (oben 776, 2). 
Ebd. I, 4. 187 a 24: ὥσπερ ’Eunedoxing χαὶ Avatayöpas' &x τοῦ μίγματος 
γὰρ χαὶ οὗτοι ἐχχρίνουσε τἄλλα. διαφέρουσι δ᾽ ἀλλήλων τῷ τὸν μὲν ne 
ρίοδον ποιεῖν τούτων τὸν δ᾽ ἅπαξ. De calo I, 10, 8. ο. 5. 690, 2. Spätere 
Zeugen bei Sturz S. 256 fl. 

2) So ARISTOTELES in den angeführten Stellen aus Phys. VIII, 1 (252 
a 31) mit dem Beisatz, dass die Zeiten der Ruhe und der Bewegung gleich 
seien ; was durch V. 60 ff. des Empedokles, so wie der Sinn dieser Verse 
5. 757 bestimmt wurde, bestätigt wird; Späterer, die von Aristoteles ab- 
hängig sind, wie ΤΉΕΜΙΒΤ. phys. 124. 409 Sp. Sımrr. phys. 258 b o. 272 
b m, nicht zu erwähnen. Auch die Folgerichtigkeit scheint zu verlangen, 
dass Emp. ebenso auf der einen Seite eine gänzliche Trennung, wie auf der 


780 Empedokles. [706] 


rioden dauern sollte, und ob ihre Dauer überhaupt von Empe- 
dokles näher bestimmt wurde, darüber ist uns nichts sicheres 
überliefert?). 

In der Mischung aller Stoffe, mit deren Schilderung die 
Kosmogonie unseres Philosophen begann?), kam keines der 
vier Elemente gesondert zum Vorschein, weiter wird dieses 


Gemenge als kugelförmig und als unbewegt beschrieben?) ; 


andern eine gänzliche Mischung der Stoffe annahm. Wenn daher Eudemus 
in der Stelle Phys. VII, 1 die Zeit der Ruhe nur auf die Einigung der 
Elemente im Sphairos bezog, (Sıurı. 272 b m: Εὔδημος δὲ τὴν axıynalav 
ἐν τῇ τῆς φιλίας ἐπιχρατείᾳ κατὰ τὸν oyaipov ἐχδέχεται, ἐπειδὰν ἅπαντα 
συγχριϑὴ — die Vermuthung von Brannıs I, 207, dass statt Εὔδ. Eunedo- 
xins zu lesen sei, scheint mir verfehlt), so ist diess für einseitig zu halten; 
Empedokles selbst mag aber zu dieser Auffassung dadurch Anlass gegeben 
haben, dass er den Sphairos allein genauer schilderte, den entgegengesetzten 
Zustand der absoluten Trennung dagegen gar nicht oder nur flüchtig be- 
rührte. — Zu Rırtar’s (I, 551) Zweifel, ob es Empedokles mit der Lehre 
von den wechselnden Weltperioden Ernst gewesen sei, geben seine eigenen 
Aussagen so wenig, als die Zeugnisse Dritter, ein Recht. 
1) Das einzige, was in dieser Beziehung vorliegt, ist die später noch 

zu berührende Bestimmung V. 369 (1) ff., dass schuldhafte Dämonen 30,000 
Horen in der Welt umherirren sollen. Doch fragt es sich, ob wir daraus 
mit ῬΑΝΖΒΈΒΙΕΤΕΒ Beitr. 2 auf eine so lange Dauer der Weltperioden 
schliessen dürfen, da die Dämonen vor dem Beginn ihrer Wanderung schon 
gelebt haben müssen, und nachher fortleben werden, und da überhaupt der 
Zusammenhang dieser Lehre mit der empedokleischen Physik nur ein sehr 
loser ist. Ob man unter den τρὶς μυρίαε ὥραι mit Murrach (Emp. Prom. 
13 f. Fragm. I, XIX ff.) 30,000 Jahre, oder mit BAKHUIZEN VAN DEN BRINK 
Var. Lect. 31 ff. und Krıscug über Platon’s Phädrus S. 66 30,000 Jahres- 
zeiten, also 10,000 Jahre, verstehen will, ist von keiner grossen Erheblich- 
keit; für die letztere Erklärung spricht theils der Ausdruck, theils die Ana- 
logie der platonischen Lehre, worüber Th. 11 a, 811. 822. 

2) Vgl. S. 783 £. 

3) V. 134 fi. (64. 72 4 59 ἢ. K. 170 fi. M. Sıuer. pbys. 272 Ὁ τω): 

σφαῖρον ἔην .. 

Ev οὔτ᾽ ἠελίοιο δεδίσχεται (--- δείχνυται) ἀγλαὸν εἶδος, 

οὐδὲ μὲν οὐδ᾽ αἴης λάσιον μένος οὐδὲ ϑάλασσα. 

οὕτως ἁρμονίης πυχινῷ χρύφῳ ἐστήριχται, 

σφαῖρος κυχλοτερὴς μογίῃ περιηγέϊ (rund = περεφερὴς) γαίων. 
Ἀρύφῳ, bei Simpl. durch die Handschriften geschützt, scheint nach Pıup. 
Ol. II, 97 ein Verborgenes, einen Hort oder Schatz zu bedeuten. Als 
ruhend beseichnen den Sphairos auch Aristoteles und Eudemus a. ἃ. 
a. O.; Puıtor. gen. et corr. 5 a m. nennt ihn wegen unserer Verse ἄποιος. 
Emp. scheint auch der von Stoz. Ekl. I, 354 anonym mitgetheilte Vers: 


[707] Der Sphairos. 781 


und da | die vollkommene Einigung jeden Einfluss des trennen- 
den Princips ausschliesst, sagt Empedokles, der Hass sei darin 
nicht mitbegriffen gewesen!). Er selbst nennt die Welt in 
diesem Mischungszustand wegen ihrer runden Gestalt Sphairos, 
wie sie auch von den Späteren gewöhnlich genannt wird. 
ARISTOTELES bedient sich dafür der Ausdrücke μῖγμα 3) und 
£y®). Auch als Gottheit wird sie bezeichnet*), ohne dass wir 
doch dabei an ein persönliches Wesen zu denken berechtigt 
wären; Empedokles gibt ja auch den Elementen, und noch 
Plato der sichtbaren | Welt diesen Namen®). Die Ausdeutun- 


ἀλλ᾽ ὄγε πάντοϑεν loos (add. — ἐὼν) χαὶ πάμπαν ἀπείρων zu gehören und 
sich auf den Sphairos zu beziehen; das ἀπείρων kann dann aber nicht das 
unbegrenzte bezeichnen, sondern wie bei Azscayr. fr. 434 u. ö. das runde; 
eine Bedeutung, die ἄπεερος auch in den aneıpoı daxrulıoı (Arıst. Phys. 
DI, 6. 207 a 2) hat. 

1) v. 175 (171. 162 M.): τῶν δὲ συνερχομένων ἐξ ἔσχατον ἵστατο 
Neixog. Dieser Vers bezieht sich zwar zunächst nicht auf den Zustand der 
vollendeten, sondern nur auf den der beginnenden Einigung, aber er lässt 
sich mit vollem Recht auch auf jenen anwenden: wenn die Einigung mit 
der Verdrängung des Hasses beginnt, so muss dieser im vollkommenen 
Einheitszustand gänzlich verdrängt sein. AnıstoteLes kann daher unsern 
Vers Metaph. III, 4 (s. o. 772, 1) für die Behauptung anführen, dass der 
Hass an allem, ausser dem Sphairos, theilhabe: ἅπαντα γὰρ ἐχ τούτου 
rella ἐστι πλὴν ὁ ϑεός" λέγει γοῦν (v. 104 ff. 762, 1). . καὶ χωρὶς δὲ 
τούτων δῆλον" εἰ γὰρ μὴ ἦν τὸ νεῖχος ἐν τοῖς πράγμασιν, ὃν ἄν ἦν 
ἅπαντα, ὡς φησίν᾽ ὅταν γὰρ συνέλϑη, τότε δ ,ἔσχατον ἵστατο γεῖχος ““ 
δεὸ καὶ, fährt Aristoteles fort, συμβαίνει αὐτῷ τὸν εὐδαιμονέστατον ϑεὸν 
ἥττον φρόνεμον εἶναι τῶν ἄλλων᾽ οὐ γὰρ γνωρίζει τὰ στοιχεῖα πάντα" τὸ 
γὰρ νεῖχος οὐχ ἔχει, ἡ δὲ γνῶσις τοῦ ὁμοίου τῷ ὁμοίῳ. Vgl. XIV, 5. 
1092 b, 6. gen. et corr. I, 1 (8. 764), um späteres zu übergehen. Die An- 
nahme des Sınpr. De calo 286 b 22. Schol. in Arist. 507 a 2 vgl. phys. 
31, 18, dass der Hass auch am Sphairos theilhabe, beruht auf einer unrich- 
tigen Auslegung. Vgl. hierüber, und gegen Branpıs im rhein. Mus. IH, 
131, auch Rırrzr Gesch. d. Phil. I, 546. 

2) Metaph. XII, 2. 1069 b 21. c. 10. 1075 b 4. XIV, 5. 1092 b 6. 
Phys. I, 4. 187 a 22. 

3) Metaph. I, 4. 985 a 27. III, 4. 1000 a 28. b 11. gen. et corr. L1. 
315 a 6. 20. Phys. I, 4 Anf. 

4) 8. Anm. 1 und Emp. V. 142 (70. 180 M.): πάντα γὰρ ἑξεέης πελεριί- 
ζετο yvia ϑεοῖο. 

5) Es ist desshalb seltsam, wenn ΟἼΑΡΙΒΟΗ (Emped. u. d. Aeg. 33 vgl. 
Anaxag. u. d. Isr. XXII) meint, „ein blosses Gemisch der vier Elemente 
hätte Emp. nicht die Gottheit nennen können.“ Die ganze Welt ist ihm 


782 Empedokles. (708. 709] 


gen Späterer, welche im Sphairos bald die formlose Materie), 
bald die wirkende Ursache?), bald das stoische Urfeuer®), 
bald die intelligible Welt Plato’s*) sehen wollen, sind Miss- 
verständnisse, deren weitere Widerlegung wir uns ersparen 
dürfen. Ebensowenig empfiehlt sich aber auch die Meinung, 
dass der Sphairos nur ein ideales Sein habe und nur ein bild- 
licher Ausdruck für die Einheit und Harmonie sein solle, die 
der wechselnden Erscheinung innerlich zu Grunde liege5), da 
die bestimmten Aussagen des Plato und | Aristoteles und die 
eigenen Erklärungen unseres Philosophen dieser Annahme 
durchaus widerstreiten®), und da eine solche Unterscheidung 
zwischen dem ideellen Wesen der Dinge und ihrer Erscheinung 


ja auch nur ein Gemisch der Elemente, auch die menschlichen Seelen und 
die Götter sind nichts anderes. Als „die Gottheit“ hat übrigens Emp. 
den Sphairos nicht bezeichnet, sondern nur als Gottheit; die bekannten 
Verse über die Geistigkeit Gottes gehen, wie später gezeigt werden wird, 
nicht auf den Sphairos. Erst Aristoteles nennt diesen ὁ ϑεὸς, daraus folgt 
aber-nicht, dass ihn auch Emp. so genannt hat. 

1) PaıLorp. gen. et corr. 5 a m., doch eigentlich nur in weiterer Aus- 
führung der Consequenzen, durch die schon Arısr. gen. et corr. 1, 1. 315 
a Empedokles widerlegt hatte. Phys. 314, 7 erkennt er es an, dass die 
Stoffe im Sphairos wirklich gemischt seien. Eine ähnliche Folgerung ist 
es, wenn Arıst. Metaph. XII, 6. 1072 a 4 und nach ihm Aıkx. z. d. St. 
aus der Lehre von den wirkenden Kräften schliessen, Empedokles setze das 
Wirkliche früher, als das Mögliche. 

2) Turwist. Phys. 124 Sp., wohl nur aus Flüchtigkeit in der Be- 
nützung der Erklärung, welche Sımrr. Phys. 154, 9 ff. berührt. 

3) Hırror. Refut. VII, 29 (s. o. 761, 3). Ein geschichtliches Zeugniss 
ist diese Behauptung, der Branpıs I, 295 viel zu viel Werth beilegt, natür- 
lich nicht. Ihre einzige Veranlassung liegt wohl in der Verwandtschaft 
zwischen der empedokleischen Lehre von den wechselnden Weltzuständen 
und der heraklitischen, wegen der auch CLemexs Strom. V, 599 B unserem 
Philosophen die Weltverbrennung zuschreibt. 

4) Die Neuplatoniker, über die Karsten S. 369 ff. vgl. 326 ausführ- 
lich berichtet; vgl. 8. 783, 1. Dagegen scheint es nicht auf den Sphairos, 
sondern auf die im Mittelpunkt des kreisenden Weltstoffs befindliche Liebe 
(V. 172, s. u. 784, 2) zu gehen, wenn die Theol. Arithm. S. 8 f. sagen: 
Empedokles, Parmenides u. a. haben mit den Pythagoreern gelehrt: τὴν 
μοναδιχὴν φύσεν σιίας τρόπον ἐν μέσῳ ἱδρύσϑαε καὶ διὰ τὸ ἰσόῤῥοπον 
φυλάσσειν τὴν αὐτὴν ἕδραν. 

5) STEINHART a. ἃ. Ο. S. 91 ff., ähnlich Fries I, 188. 

6) Vgl. 5. 788 ἢ 


[109] Weltbildung. 783 


überhaupt über den Standpunkt der vorsokratischen Physik 
hinausgeht. ΄ 
Eine Welt!) konnte aber erst entstehen, wenn die Grund- 
stoffe auseinandertraten, oder in der Sprache unseres Philo- 
sophen zu reden, wenn der Sphairos durch den Hass getrennt 
wurde). | Empedokles erzählt daher, mit der Zeit sei der Hass 


1) Ein χόσμος, im Unterschied vom σφαῖρος — eine Unterscheidung, 
welche nach SınpLicıus auch Emp. selbst ausdrücklich hervorgehoben hatte; 
vgl. De calo 139 b 16 (Schol. in Ar. 489 " 22): Eur. διάφορα τὼν rag’ 
αὐτῷ χίσμων τὰ εἴδη (hierüber 8. 782, 4) ἔλεγεν, ὡς χαὶ ὀνόμασι χρῆσϑαι 
διαφόροις, τὸν μὲν σφαῖρον τὸν δὲ χόσμον χυρίως καλῶν. 

2) Prato (oben 8. 771 unt.) leitet desswegen die Vielheit der Dinge von 
dem Hasse her, und noch bestimmter bezeichnet ArıstoreLes die jetzige 
Welt als diejenige, in welcher der Hass, den Sphairos (denn dieser muss 
gemeint sein) als die, in welcher die Liebe herrsche, gen. et corr. II, 6. 
884 2 5: ἅμα δὲ καὶ τὸν κόσμον ὁμοίως ἔχεεν φησὶν ἐπί τε τοῦ νείχους 
γῦν xal πρότερον ἐπὶ τῆς φιλίας. Denn die Trennung der Einzelwesen 
und die Bewegung, die Grundbedingungen des jetzigen Weltzustandes, hat 
erst der Hass herbeigeführt, im Sphairos fehlen beide. Daher De calo III, 
2. 301 a 14: wenn man die Entstehung der Welt darstellen wolle, dürfe 
man nur mit dem Zustand anfangen, welcher der Scheidung und Trennung 
der Stoffe, dem jetzigen Weltzustand, vorangieng, 2x διεστώτων δὲ xal 
χιγουμένων οὐχ εὔλογον εἶναι τὴν γένεσιν (weil nämlich in diesem Fall, 
wie 8. 800 b 19 bemerkt wird, schon eine Welt vor der Welt angenommen 
werden müsste). διὸ xal ᾿Εμπεδοχλῆς παραλείπεε τὴν ἐπὶ τῆς φιλότητος 
(sc. γένεσιν»); womit gemeint sein wird, dass er diejenige Weltbildung, zu 
der die φιλία den ersten Anstoss gab, und die mit der vollkommenen Ver- 
einigung der Elemente im Sphairos endete, nicht dargestellt hatte; οὐ γὰρ 
ἄν ἠδύνατο συστῆσαι τὸν οὐρανὸν, ἐχ χεχωρισμένων μὲν χατασχευάζων 
σύγχρεσιν δὲ ποιῶν διὰ τὴν φιλότητα᾽ ἐχ διαχεχριμένων γὰρ συνέστηχεν 
ὁ χύσμος τῶν στοιχείων, ὥστ᾽ ἀναγχαῖον γίνεσθαι ἐξ ἑνὸς χαὶ συγχε- 
χριμένου. Diesem Vorgang folgend, betrachtet ΑἸΈΧΑΝΌΕΕ den Hass schlech- 
weg als Urheber der Welt (Smrr. De calo 236 b 9. 20. Schol. in Arist. 
507 a 1), oder wenigstens der gegenwärtigen Welt; bei PrıLor. gen. et corr. 
59 Ὁ m. bemerkt er nämlich zu Arısr. gen. et corr. II, 6 (s. o0.): wenn man 
unter dem xo0uos nur den Zustand verstehe, in welchem die Elemente 
durch den Hass getrennt, oder durch die Liebe wieder zusammengeführt 
werden, so wären Hass und Liebe die einzigen bewegenden Kräfte im 
x00uos; verstehe man dagegen unter χόσμος den Körper, welcher sowohl 
dem Sphairos als der gegenwärtigen Welt zu Grunde liege, so müsste man 
diesem eine ihm eigenthümliche Bewegung beilegen. 7 ὁμοίως, φησὶ, κόσμος 
zal ταὐτόν ἔστε xal χιγεῖταε ἐπί τε τοῦ velxovs νῦν χαὶ ἐπὶ τῆς φιλίας 
πρότερον ἐν δὲ τοῖς μεταξὺ διαλείμμασι τῶν ὑπ᾽ ἐχείνων γινομένων 
χινήσεων, πρίτερόν TE ὅτε ἐχ τοῦ νείχους ἐπεχράτησεν ἡ φιλία, καὶ γὺν 

Philos. d. Gr. I. Bd. 5. Aufl. 


784 Empedokles. [710] 


im Sphairos herangewachsen, und habe die Elemente zertheili!); 
nachdem sich die Trennung vollendet hatte, sei die Liebe 
zwischen die getrennten Massen eingetreten und habe zunächst 
an einem Punkt eine wirbelnde Bewegung hervorgebracht, 
durch welche ein Theil der Stoffe gemischt, und der Hass 
(was nur ein anderer Ausdruck hiefür ist) aus dem sich bil- 
denden Kreise verdrängt wurde. Indem diese Bewegung sich 
immer weiter ausdehnte, und der Hass immer weiter weg- 
gedrängt ward, wurden die noch ungemischten Stoffe in die 
Mischung hereingezogen, und aus ihrer Verbindung entstand 
die jetzige Welt mit den sterblichen Wesen?). Wie aber diese 


ὅτε ἐχ τῆς φιλίας τὸ νεῖχος, κόσμος ἐστὶν, ἄλλην τινὰ χινούμενος κίνησιν 
καὶ οὐχ ἃς ἡ φιλία καὶ τὸ νεῖχος χινοῦσιν. Ebenso lässt ἨΈΒΜΊΑΒ Irris. 
c. 8 Emped. sagen: τὸ veixog ποιεὶ πάντα. Bei den späteren Neuplato- 
nikern (denen Tuzopor. Prope. V. 52 folgt) war es nach Smrır. Phys. 31, 
31 die herrschende Annahme, dass der Sphairos (ἃ. h. der χόσμος νοητὸς) 
blos von der Liebe, diese Welt blos vom Hass hervorgebracht sei. Snerr. 
selbst widerspricht dieser Annahme a. a. O. Z. 18 fi. 31 ff.; ebenso De 
calo 236 b 22 (vgl. ebd. 268 ὃ 7, Schol 512 b 14): μήποτε δὲ, χἄν dmı- 
κρατῇ ἐν τούτῳ τὸ veixos ὥσπερ ἐν τῷ σφαίρῳ ἡ φιλία, ἀλλ ἄμφω ὑπ᾽ 
ἀμφοῖν λέγονται γένεσθαι, was aber in Betreff des Sphairos nicht zutrifft. 

1) V. 139 (66. 177 M.): αὐτὰρ ἐπεὶ μέγα Νεῖχος Evi μελέεσσεν 

ἐϑρέφϑη 

ἐς τιμάς τ᾽ ἀνόρουσε τελειομένοιο χρόνοιο, 

ὃς σφεν ἀμοιβαῖος πλατέος πάρ᾽ ἐλήλαται (al. — το) ὄὅρχον. 
(zag’ ἐλ. statt παρελήλαται scheint mir trotz ΜυτΑΟΗ 8 Widerspruch Emp. 
pr. 8. 7. Fragm. I, 48 mit Bonrtz und ScuwEgrer z. Metaph. III, 4 fort- 
während nothwendig.) V. 142 (oben 781, 4. Pıur. fac. lun. 12, 5 f. 8. 926% 
wo immerhin in den Worten: χωρὶς τὸ βαρὺ πᾶν χαὶ χωρὶς τὸ χοῦφον 
empedokleische Ausdrücke stecken mögen. 

2) So sind wohl die folgenden Verse zu verstehen: 

171 (167. 191 M.): ἐπεὶ Neixos μὲν ἐνέρτατον Ixero βένϑος 

δίνης, ἐν δὲ μέσῃ Φιλότης orgoyalıyyı γένηταε, 

ἔνϑ'᾽ ἤδη τάδε πάντα συνέρχεται ἕν μόνον εἶναι, 

οὐκ ἄφαρ, ἀλλ᾽ ἐϑελημὰ συνιστάμεν᾽ allodev ἄλλα. 

175. τῶν δὲ συνερχομένων ἐξ ἔσχατον ἵστατο Νεῖχος. 

πολλὰ δ᾽ ἀμιχϑ᾽ ἕστηχε χεραιομέγνοισιν ἐναλλάξ, 

ὅσσ᾽ ἔτι Νεῖχος ἔρυχε μετάρσιον᾽ οὐ γὰρ ἀμεμφέως 

πάντως ἐξέστηχεν ἐπ᾿ ἔσχατα τέρματα κχύχλου, 

ἀλλὰ τὰ μέν T ἐνέμιμνε μελέων, τὰ δέ τ᾽ ἐξεβεβήκει. 

180. ὅσσον δ᾽ αἱὲν ὑπεχπροϑέοι, τόσον αἱὲν ἐπήει 

ἠπιόφρων Φιλότης τε χαὶ ἔμπεσεν ἄμβροτος ὁρμή" 

αἶψα δὲ ϑνήτ᾽ ἐφύοντο τὰ πρὶν μάϑον ἀϑάνατ' εἶναι, 


[111] Weltbildung. 785 


Welt entstanden ist, so wird sie auch | dereinst wieder ver- 
gehen, wenn alles durch fortgesetzte Einigung in den Ur- 
zustand des Sphairos zurückkehrt!); die Behauptung jedoch, 
dass dieser Untergang durch Verbrennung erfolgen solle?), 
beruht ohne Zweifel auf einer Verwechslung der empedoklei- 
schen Lehre mit der heraklitischen ®). 

In dieser Kosmogonie ist nun allerdings eine auffallende 
Lücke*). Wenn alles Einzeldasein auf einer theilweisen Ver- 
bindung der Elemente beruht, durch ihre vollständige Mi- 
schung dagegen ebenso, wie durch ihre gänzliche Trennung 
erlischt, so müssten bei der Auflösung des Sphairos in die 
Elemente so gut, wie bei der Rückkehr der getrennten Ele- 
mente zur Einheit, Einzelwesen entstehen, es müsste sich in 
dem einen Fall durch die allmählich fortschreitende Scheidung 
des Gemischten, in dem andern durch die stufenweise zu- 
nehmende Verbindung des Geschiedenen eine Welt bilden®). 
Allein thatsächlich liess Empedokles allen Anzeichen nach 


ζωρά τε τὰ πρὶν ἄχρητα διαλλάξαντα χελεύϑους" 

τῶν δέ τε μισγομένων χεῖτ᾽ ἔϑνεα μυρία ϑνητῶν, 

185. παντοίῃς ἰδέησεν ἀρηρότα, ϑαῦμα ἰ᾿ἰδέσϑαι. 
Die ϑνητὰ sind übrigens nicht blos die lebendigen Wesen, sondern über- 
haupt alles, was dem Entstehen und Vergehen unterworfen ist. 

1) Die Belege wurden schon 8. 778 ff. gegeben. Weiter vgl. m. Arıst, 
Metaph. II, 4. 1000 b 17: ἀλλ᾽ ὅμως τοσοῦτόν γε λέγει ὁμολογουμένως 
(ὁ Ἐμπ.) οὐ γὰρ τὰ μὲν φϑαρτὰ ra δὲ ἄφϑαρτα ποιεῖ τῶν ὄντων, ἀλλὰ 
πάντα φϑαρτὰ πλὴν τῶν στοιχείων. Empedokles nennt desshalb auch, 
wie Karsten 8. 375 richtig bemerkt, die Götter nie mit Homer αἰὲν ἐόντες, 
sondern nur δολιχαίωνες, V. 107. 126. 373 (135. 161. 4K. 131. 141. 5 M.). 
Der Untergang aller Dinge macht auch ihrem Dasein ein Ende. 

2) S. o. 782, 3. 

3) Denn theils sind die Zeugen dafür, bei dem Stillschweigen aller 
zuverlässigeren Berichte, durchaus nicht genügend, theils erscheint es auch 
undenkbar, dass die Einheit aller Elemente durch ihre Verbrennung zu 
Stande kommen sollte, in der Empedokles nur eine nach seinen Grundsätzen 
unmögliche Verwandlung in Ein Element hätte sehen können; ein Bedenken, 
das Tanuzrr Sc. Hell. 313 unbeachtet lässt. 

4) Von deren Nichtvorhandensein mich auch Tauxerr 8. 308 nicht 
überzeugt hat; seine Meinung (309 £.), dass es nicht zur völligen Trennung 
der Stofie durch den Hass und ihrem zeitweisen Aussereinandersein im Zu- 
stande der Rube komme, ist mit den S. 776, 2. 778, 1. 779, 1 angeführten 
Zeugnissen, namentlich Arıst. 250 Ὁ 26. 252 a 5. 31 unvereinbar. 

5) Emp. selbst erkennt diess an, ebenso Alexander; vgl. 8. 757. 788, 2. 

50* 


786 Empedokles. [711. 712] 


diesen Umstand unbeachtet. Weder in seinen Bruchstücken 
noch in den Berichten über ihn findet sich eine Spur davon, 
dass er in seiner Schilderung der Vorgänge, durch welche 
das Weltgebäude und die Einzelwesen entstanden, die zwei 
Perioden der Weltbildung und die jeder von ihnen eigenthüm- 
liche Art derselben unterschieden hätte!), das Gegentheil wird 
vielmehr ausdrücklich bezeugt?), | und die obenangeführten 
Verse (171 ff.) scheinen auch für eine ausführlichere Dar- 
stellung dessen, was bei der Ausscheidung der Elemente aus 
‘dem Sphairos geschah und entstand, gar keinen Raum zu 
lassen 8). 

Den näheren Hergang bei der Weltbildung dachte er sich 
folgendermassen ). Aus dem Wirbel, in dem die getrennten 


1) Dass auch seine Aussagen über die Entstehung der Menschen keine 
enthalten, wird 8. 795, 1 gezeigt werden. 
2) Arıst. De calo II, 2; 5. S. 788, 2. 

8) Dass aber hiebei, wie Branpıs a. a. O. 201 glaubt, die Bildung der 
grösseren Massen, wie Himmel und Meer, zunächst aus der Wirksamkeit 
des Streits, die der organischen Wesen aus der der Liebe abgeleitet wurde, 
liegt weder in den eigenen Worten des Philosophen oder den Zeugnissen 
der alten Berichterstatter, noch in der Natur der Sache; wenn vielmehr die 
Liebe überhaupt die einigende Kraft ist, muss auch sie es sein, welche die 
gleichartigen elementarischen Stoffe mit einander vereinigt. Vgl. S. 767, 1. 

4) Ps.-Pıur. b. Evus. prep. I, 8, 10: ἐκ πρώτης φησὶ τῆς τῶν στοιχείων 
κράσεως ἀποχριϑέντα τὸν ἀέρα περιχυϑῆναι χύχλῳ᾽ μετὰ δὲ τὸν ἀέρα τὸ 
πῦρ ἐχδραμὸν καὶ οὐχ ἔχον ἑτέραν χώραν, ἄνω ἐχτρέχειν ὑπὸ τοῦ περὶ 
τὸν ἀέρα πάγου. Plac. II, 6, 4: Ἐ. τὸν μὲν αἰϑέρα πρῶτον διακχριϑῆγαε, 
δεύτερον δὲ τὸ πῦρ, ἐφ᾽ ᾧ τὴν γῆν, ἐξ ἧς ἄγαν περεσφιγγομένης τῇ 
ῥύμῃ τῆς περιφορᾶς ἀναβλύσαει τὸ ὕδωρ, ἐξ οὗ ϑυμιαϑῆναι τὸν ἀέρα᾽ καὶ 
γενέσϑαι τὸν μὲν οὐρανὸν ἐχ τοῦ αἰϑέρος, τὸν δὲ ἥλεον ἐχ τοῦ πυρὸς, 
πιληϑῆναι δ᾽ ἐχ τῶν ἄλλων τὰ περίγεια. (Diese beiden nach Theophrast.) 
Arısr. gen. οἱ corr. II, 6 (8. 8. 776, 2). 

Υ. 130 (182. 233 M.): εἰ δ ἄγε νῦν τοι ἐγὼ λέξω πρῶϑ' ἡλίου ἀρχὴν, 
ἐξ ὧν δὴ ἐγένοντο τὰ νῦν ἐςορώμενα πάντα, 
yala τε καὶ πόντος πολυχύμων nd‘ ὑγρὸς ἀὴρ 
Τιτὰν ἠδ᾽ αἰϑὴρ σφίγγων περὶ (l. πέρι) κύκλον ἅπαντα. 
(Τιτάν, der Ausgebreitete, ist hier wohl nicht Bezeichnung der Sonne, son- 
dern Beiname des Aethers, und αἰϑὴρ, sonst bei Empedokles gleichbedeu- 
tend mit ἀὴρ, bezeichnet die obere Luft, ohne dass doch an einen elemen- 
tarischen Unterschied derselben von der untern zu denken wäre) Das 
Feuer nannte Empedokles nach Eustara. in Od. I, 320, vielleicht in dem 
von Arıst. a. a. O. berücksichtigten Zusammenhang, χαρπαλίμως avonasor, 
rasch aufstrebend. In der ersten von den obigen Stellen könnte vielleicht 


(712. 713] Weltgebäude. 787 


Elemente durch die Liebe zusammengerüttelt wurden 1), schied 
sich zuerst die Luft ab, welche am äussersten Rande sich ver- 
dichtend das Ganze kugelförmig?) umschloss. Nach diesem | 
brach das Feuer hervor, und nahm den oberen Raum unter 
der äussersten Wölbung ein, während die Luft unter die Erde 
gedrängt wurde®), und es entstanden so zwei Hemisphären, 
welche zusammen die Hohlkugel des Himmels bilden, eine 
lichte, die ganz aus Feuer, und eine dunkle, die aus Luft, 
mit einzelnen eingesprengten Feuermassen, besteht; durch den 
Andrang des Feuers gerieth die Himmelskugel in eine drehende ᾿Ὁ 
Bewegung; wenn ihre feurige Hälfte oben ist, haben wir Tag, 
wenn die dunkle oben und die feurige durch den Erdkörper 


der Ausdruck: 2x πρώτης τ. τ. Orosy. χράσεως dazu verleiten, an die vom 
Streit bewirkte Ausscheidung der Elemente aus dem Sphairos zu denken. 
Allein wie sich bei dieser eine Welt bildete, hatte Emp. nach Aristoteles 
nicht auseinandergesetzt. Es wird sich daher vielmehr auf die erste von 
der Liebe herbeigeführte, noch unvollkommene Mischung der vom Hass 
gänzlich getrennten Elemente (s. o. 784, 2) beziehen, aus der als die ersten 
ϑνητὰ Himmel, Sonne u. 8. w. hervorgehen. 

1) Von diesem Wirbel spricht Emp. V, 171 £. (8. o. 784, 2). Wie er 
entstand, muss er im vorhergehenden gesagt haben, uns ist darüber nichts 
überliefert. Tannery 8511 ἢ will ihn nun von den ungeregelten Bewegungen 
herleiten, die der Hass dem Sphairos mitgetheilt habe. Allein dann würde 
er der (von T. mit Unrecht geleugneten) gänzlichen Trennung der Elemente 
durch den Hass vorangehen, er gienge mithin die Entstehung unserer Welt, 
in deren Beschreibung er doch vorkommt und dem eben bemerkten zufolge 
allein vorkommen konnte, nichts an. Als eine Bedingung für die Ent- 
stehung der gegenwärtigen Welt kann er nur von der (ελέα herrühren. 

2) Oder vielmehr nach Srto. I, 566 (Aötius), eiförmig. Auch diess ist 
aber villeicht nicht ganz genau. Stob. sagt nämlich: Eur. τοῦ ὕψους τοῦ ἀπὸ 
τῆς γῆς ἕως οὐρανοῦ... πλείονα εἶναι τὴν κατὰ τὸ πλάτος διάστασιν, 
χατὰ τοῦτο τοῦ οὐρανοῦ μᾶλλον ἀναπεπταμένου, διὰ τὸ am παραπλησίως 
τὸν κόσμον χεῖσϑαι. Diese Beschreibung passt weniger zu der Vostellung, 
dass die Welt die Gestalt eines Ei’s, ihr Durchschnitt in der Ebene des 
Horizonts die eines Ovals habe, als zu der, dass dieser Durchschnitt eine 
Kreisfläche bilde, deren Halbmesser aber grösser sei als ihre Entfernung 
vom Scheitel des Himmelsgewölbes, dass also die Welt ein an den Polen 
abgeplattetes Sphäroid sei. Auch dem sinnlichen Schein konnte sich diese 
Annahme empfehlen; und dass weder Arıst. de coelo II, 4 noch einer seiner 
Ausleger ihrer erwähnt, wäre kein entscheidender Gegenbeweis, denn Aristo- 
teles berührt dort die Ansichten seiner Vorgänger überhaupt nicht. 

8) Arıst. und Prur. a. ἃ. a. O. Emp. V. 167 s. o. 776, 2. 


788 Empedokles. [714. 715) 


verdeckt ist, Nacht!). Aus den übrigen Stoffen bildete sich 
die Erde?), | zunächst wohl feucht und schlammartig gedacht; 
der durch den Umschwung bewirkte Druck trieb das Wasser 
aus ihr hervor, dessen Ausdünstungen sofort den unteren Luft- 


1) Ps.-Pıur. b. Eus. a. a. O. fährt fort: εἶναι δὲ χύχλῳ περὶ τὴν γὴν 
φερόμενα δύο ἡμισφαίρια, τὸ μὲν καϑόλου πυρὸς, τὸ δὲ μικτὸν ἐξ ἀέρος. 
καὶ ὀλίγου πυρὸς, ὅπερ οἴεται τὴν νύχτα εἶναι. (Empedokles selbst V. 
160 [197. 251 M.] erklärt die Nacht aus dem Dazwischentreten der Erde, 
was sich mit Plutarch’s Angabe in der oben angedeuteten Weise vereinigen 
lässt.) τὴν δὲ ἀρχὴν τῆς χινήσεως συμβῆναι ἀπὸ τοῦ τετυχηχέναι χατὰ 
τὸν ἀϑροισμὸν ἐπιβρίσαντος τοῦ πυρὸς. (Den letzten Satz darf man nicht 
mit Kursten 8. 331 und Steinnart 85. 95 auf die erste Ausscheidung der 
Elemente aus dem Sphairos beziehen.) Plac. II, 11, 2: "Eur. στερέμνιον 
εἶναι τὸν οὐρανὸν ἐξ ἀέρος συμπαγέντος ὑπὸ πυρὸς χρυσταλλοειϑῶς τὸ 
πυρῶδες καὶ ἀερῶδες ἐν ἑχατέρῳ τῶν ἡμισφαιρίων περιέχοντα. Was 
hier über die Entstehung des Himmelsgewölbes gesagt ist, bestätigt auch 
Dıoe. VI, 77. Acn. Tar. in Arat. c. 5. 8. 128 Pet. Lacr. opif. Dei c. 17. 
Tınsery's Vermuthung Sci. Hell. 156, 1, statt ὑπὸ zug. sei ὑπὲρ m. zu 
lesen, beruht auf einem Missverständniss: unser Text besagt nicht, da<s die 
Luft durchs Feuer zu Eis, sondern dass sie zu einem glasartigen Körper 
gemacht worden sei. Nach Plac. III, 8 wurde ausser dem Wechsel des 
Tages und der Nacht auch der der Jahreszeiten aus dem Verhältniss der 
beiden Halbkugeln erklärt. 

2) S. o. 786, 4. Nach dem obigen ist es der Sache nach richtig, wenn 
Empedokles denen beigezählt wird, die nur Eine Welt von begrenztem Um- 
fang annahmen (SımeL. Phys. 178, 25. De calo 229 a 12 Schol. in Ar. 
505 a 15. Plac. I, 5, 2); dass er selbst jedoch diese Bestimmung ausdrück- 
lich aufstellte, ist nicht wahrscheinlich (V. 173 — 5. o. 784, 2 — gehört 
nicht hieher), die Behauptung vollends (Plac. a. a. O.), er habe die Welt 
wie die Stoiker; vgl. Th. IH a, 188, 3) nur für einen kleinen Theil des 
Ganzen (πᾶν), den Rest desselben dagegen für ungeformte Materie gehalten, 
ist ohne Zweifel nichts weiter als ein Missverständniss der auf ein früheres 
Stadium der Weltbildung bezüglichen Verse 176 f. (oben a. a. O.). Keinen- 
falls könnte daraus geschlossen werden (Rırter in Worr's Anal. II, 445 fl. 
Gesch. d. Phil. I, 556 ἢ, vgl. Branpıs Rh. Mus. III, 130. gr.-röm. Phil. 
I, 209), dass der Sphairos oder ein Theil desselben neben der jetzigen Welt 
fortdaure, denn der selige Sphairos konnte nicht wohl als ἀργὴ ὕλη be- 
zeichnet werden, und ebensowenig folgt diess, wie wir auch später noch 
sehen werden, aus Empedokles’ Lehre über das Leben nach dem Tode, da 
der Ort der Seligen unmöglich in dem Sphairos gesucht werden kann, in 
dem kein individuelles Leben möglich ist. Glaubt endlich Rırrzr, neben 
der Welt des Streites müsse es auch ein Gebiet geben, in dem die Liebe 
allein herrsche, so ist diess unrichtig: beide herrschen nach Empedokles 
nicht neben, sondern nach einander, auch in der jetzigen Welt wirkt 
übrigens mit dem Hass auch die Liebe. 


[714. 715] Weltgebäude. 189 


raum erfüllten!). Dass sich die Erde über der Luft schwe- 
bend erhält, leitete Empedokles von der schnellen Drehung 
des Himmels her, die ihren Fall verhindere?), und auf die 
gleiche Art erklärte er es, dass das ganze Weltgebäude an 
seiner Stelle bleibt?). Die Sonne hielt er mit den Pytha- 
goreern*) für einen glasartigen Körper, der so gross wie die 
Erde, die Strahlen des Feuers aus der ihn umgebenden lichten 
Hemisphäre wie ein Brennspiegel sammle und zurückstrahle); 
ähnlich sollte der Mond aus | krystallartig gehärteter Luft be- 
stehen ®); seiner Gestalt nach dachte ihn sich Empedokles als 
Scheibe’); dass er sein Licht von der Sonne erhält, war ihm 
bekannt?), von der Erde sollte er halb so weit entfernt sein 
als die Sonne®?). Den Raum unter dem Monde soll Empe- 


1) 5. 5. 786, 4. 

2) Azıst. De celo II, 13. 295 a 16. Sımrr. 2. ἃ. St. 235 b 40. 

3) Arıst. a. a. O. II, 1. 284 a 24. 

4) 8. ο. 8. 425, 1. 

5) Prur. Ὁ. Eus. a. a. O.: ὁ δὲ ἥλιος τὴν φύσιν οὐχ ἔστε πῦρ ἀλλὰ 
τοῦ πυρὸς ἀντανάχλασις, ὁμοία τῇ ἀφ᾽ ὕϑατος γενομένῃ. Pyth. orac. c. 12, 
8. 400: Ἐμπεδοκλέους . . φάσχοντος τὸν ἥλιον περιαυγῆ ἀναχλάσει φωτὸς 
οὐρανέου γενόμενον, αὖϑις ,ἀνταυγεῖν πρὸς Ὄλυμπον ἀταρβήτοισι 
προςώποις" (V. 151 St. 188 K. 242 M.). Damit lässt sich die Angabe des 
Dıoe. VIII, 77, die Sonne sei unserem Philosophen πυρὸς ἀϑροισμα ufya, 
vereinigen, wenn Diogenes, oder wenigstens seine Quelle, mit diesem Aus- 
druck nur die Ansammlung der Strahlen in Einem Focus bezeichnen wollte, 
dagegen ist es eine blosse Folgerung, wenn die Placita II, 20, 13 Empe- 
dokles zwei Sonnen beilegen, eine ursprüngliche in der jenseitigen und eine 
scheinbare in unserer Hemisphäre. 8. Karsten 428 f. und oben 8. 420, 1. 
289. Die Angabe über die Grösse der Sonne hat Sroe. I, 530. 

6) Ps.-PLur. Ὁ. Eus. a. a. O. Prur. fac. lun. 5, 6. 8. 922. Stoe. I, 552, 
wobei es uns freilich seltsam erscheint, dass diese durch Feuer verdichtete 
Luft zugleich dem Hagel oder einer gefrorenen Wolke verglichen wird. 

7) Plac. Π, 27, 3. Prur. qu. rom. 101 Schl. Dıoe. a. a. O. 

8) V. 152—156 (189 f. 243 ff. M.) Prur. fac. lun. 16, 18. 8. 929. Paıto 
De provid. Π, 70. (wozu Dızıs Herm. XV, 175 f.) Acn. Τάτ. in Arat. c. 16. 
21.8. 135 E. 141 A. Wenn letzterer sagt, Emp. nenne den Mond ein 
ἀπόσπασμα ἡλίου, 80 meint er damit, wie die Berufung auf Emp. V. 154 
seigt, nur, dass sein Licht ein Ausfluss des Sonnenlichtes sei. Emp. hat 
diese Annahmen von den Pythagoreern und Parmenides; vgl. 8. 425. 577, 2. 

9) Plac. II, 31 (nach Kansten’s S. 488 und Disıs’ Doxogr. 63 Her- 
stellung des Textes): 'Eun. διπλάσιον ἀπέχειν (τὸν ἥλιο») ἀπὸ τῆς γῆς 
ἥπερ τὴν σελήνην. Die Sonnenbahn erklärte E. nach Plac. II, 1, 4 für die 


700 Empedokles. [715. 716] 


dokles mit den Pythagoreern im Gegensatz zu der höheren 
Region für den Schauplatz aller Uebel gehalten haben '!). 
Von den Gestirnen nahm er an, dass die Fixsterne am 
Himmelsgewölbe befestigt seien, die Planeten dagegen sich 
frei bewegen; ihrer Substanz nach hielt er sie für Feuer, die 
sich aus der Luft ausgeschieden haben ?). Die Sonnenfinster- 
nisse werden aus dem Dazwischentreten des Mondes®), die 
Neigung der Erdachse gegen die Sonnenbahn aus dem Drucke 
der Luft erklärt, die von der Sonne verdrängt worden seit); 
die Sonnenbahn selbst | scheint sich Empedokles durch feste 
Schranken begrenzt gedacht zu haben). Der tägliche Un- 
lauf der Sonne sollte anfangs weit langsamer vor sich ge- 
gangen sein, als jetzt, so dass ein Tag zuerst zehn, später 
sieben Monate gedauert habe®). Das Licht der Himmels- 
körper erklärte der Philosoph durch seine Lehre von den Aus- 
flüssen 7), und er behauptete demgemäss, dass das Licht eine 


Grenze der Welt, was aber doch nur 80 zu verstehen sein wird, dass sie zunächst 
unter dem Himmelsgewölbe liege. Aus unsern Bruchstücken V. 150. 154 f. 
(187. 189 K. 241. 245 M.) folgt nicht einmal das sicher, was Prur. fac. 
lunae 9, 3 darin findet, dass die Sonne am Himmel hingehe, der Mond sich 
näher um die Erde drehe. 

1) Hıpror. Refut. I, 4, der aber wohl nur die 8.807, 5 zu erwähnenden 
Klagen des Empedokles über das irdische Leben im Auge hat, die nähere 
Bestimmung, dass die Erdregion bis zum Mond reiche, scheint er selbst 
nach Analogie verwandter Lehren beigefügt zu haben. 

2) Plac. U, 13, 2. 11. Acn. Tar. in Ar. c. 11; vgl. 8. 788, 1. 

3) V. 157 (194. 248 M.) ff. ὅτο8. I, 530. 

4) Plac. II, 8 und dazu Karsten 425, der hiemit auch die Notiz Plac. 
I, 10 in Verbindung setzt, dass Empedokles, wie diess im Alterthum ge- 
wöhnlich war, die Nordseite der Welt die rechte genannt habe. Es ist 
übrigens nicht ganz klar, welche Vorstellung sich Empedokles von jenem 
Hergang machte, ob er die von der Sonne verdrängte Luft unter der Erde 
nach Norden entweichen und die nördlichen Theile der Erde emporheben 
liess, oder wie er es sich dachte. 

5) Plac. II, 28, 3: Ἐμπ. ὑπὸ τῆς περιεχούσης αὐτὸν [τὸν ἥλιον] 
σφαίρας χωλυόμενον ἄχρι παντὸς εὐθδυπορεῖν καὶ ὑπὸ τῶν τροπιχὼν 
κύχλων. 

6) Plac. V, 18, 1, wo es davon hergeleitet wird, dass die Entwick- 
kung lebensfähiger Kinder jetzt 7—10 Monate brauche, während sie ur- 
sprünglich einen Tag gebraucht habe. 

7) PnıLor. De an. K 16 m: Ἔμπ. ὃς ἔλεγεν, ἀποῤῥέον τὸ φῶς σῶμα 
ὄν ἐκ τοῦ φωτίζοντος σώματος u. 8. w. Vgl. 8. 766, 1. 


[716. 717] Gestirne; unorganische Natur. 791 


gewisse Zeit brauche, um den Raum zwischen der Sonne und 
der Erde zu durchlaufen). Von seiner Erklärung der meteoro- 
logischen Erscheinungen ist uns nur weniges überliefert, in 
dem aber doch Spuren seiner eigenthümlichen Lehre zu er- 
kennen sind), und ähnlich verhält es sich mit seinen Vor- 
stellungen über die unorganischen Produkte der Erde?). | 
Unter den organischen Wesen, auf die er besonders genau 
eingegangen zu sein scheint‘), sollen zuerst die Pflanzen ®) 


1) Arıst. De an. II, 6. 418 b 20. De sensu 6. 446 a 26, der diese 
Meinung bestreitet, PsıLor. a. a. OÖ. und andere Commentatoren, 8. KAR- 
sten 431. 

2) Wie Emp. den Wechsel der Jahreszeiten erklärte, ist schon 8. 788, 1 
‚Schl., dass er den Hagel als gefrorene Luft (gefrorene Dünste) bezeichnet, 
8. 715, 6 aus Eus. prsp. I, 8, 10 angeführt worden; auch von der Ent- 
stehung der Winde hatte er gesprochen; ihre schiefe Richtung (von NO und 
SW) leitete er nach OrrMmriopor in Meteor. 22 b. I, 245 Id. vgl. 21 b. 1, 
239 Id. davon her, dass die aufsteigenden Dünste theils feuriger, theils 
erdiger Natur seien und ihre entgegengesetzte Bewegung in einer schiefen 
Richtung sich ausgleiche; Regen und Blitz erklärte er nach Paıtor. Phys. 
88, 14 ff. vgl. Arıst. De calo III, 7 (oben 8. 758, 2. 765, 4) durch die An- 
nahme, dass bei der Verdichtung der Luft das darin enthaltene Wasser 
herausgedrückt werde, bei ihrer Verdünnung das Feuer Raum erhalte, um 
hervorzutreten; das letztere sollte (nach Arısr. Meteor. Π, 9. 369 ὑ 11. 
Aızx. z. ἃ. St. 5. 111 b u. vgl. Sros. ΕΚ]. I, 592) durch die Sonnenstrahlen 
in die Wolken gekommen sein und nun mit Getöse herausschlagen. Hiebei 
stützte er sich wohl auf die Beobachtung, dass Gewitterwolken vorzugsweise 
bei grosser Sonnenhitze aufsteigen. 

3) Dahin gehört vor allem das Meer, das er für eine durch die 
Sonnenhitze hervorgerufene Ausschwitzung der Erde hielt (Arısr. Meteor. II, 
3. 357 a 24. Atzx. Meteor. 91 b. I, 268 Id. 96 a m. Plac. III, 16, 8, wo 
Eus. pr. XV, 59, 2 die richtige Lesart hat); aus dieser Entstehung des 
Meers erklärte er seinen salzigen Geschmack (Arısr. a. a. O. 1. 353 b 11. 
Aızz. a. a. O.) das Salz ist nämlich überhaupt, wie er annimmt, durch die 
Sonnenhitze gebildet worden (Emp. V. 164. 207 K. 255 M.); doch sollte 
dem Meer auch süsses Wasser beigemischt sein, von dem die Fische leben 
(Azrıan Hist. an. IX, 64), Das Feuer, dessen Vorkommen in der Erdtiefe 
seine Aufmerksamkeit besonders auf sich gezogen zu haben scheint, sollte 
nicht blos die warmen Quellen erwärmt, sondern auch die Steine gehärtet 
‘haben (V. 162. 207 K. 255 M. Asısr. Probl. XXIV, 11. Sex. qu. nat. III, 
94); dasselbe Feuer hält, im Innern der Erde wogend, die Felsen und Ge- 
birge aufrecht (Prur. pr. frig. 19, 4. 8. 953). — Ueber den Magnet vgl. 
8. 767, 1. 

4) Vgl. Hırroze. ἀρχ. ἴατρ. c. 20. 1, 620 Littre: χαϑάπερ ᾿Ἐμπεδοχλῆς 


792 Empedokles. [717. 718] 


aus der Erde hervorgekeimt sein, noch ehe sie von der Sonne 
beleuchtet war), in der Folge die Thiere. Beide stehen sich 
auch ihrer Natur nach sehr nahe, und wir werden später noch 
sehen, dass Empedokles die Pflanzen nicht blos für belebt 
hält, sondern dass er ihnen auch eine Seele von derselben Art 
beilegt, wie den Thieren und den Menschen 3). So bemerkte 
er auch, dass die Fruchtbildung der Pflanzen der Erzeugung 
der Thiere entspreche, wenn schon die Geschlechter in ihnen 
nicht getrennt seien®), und die Blätter der Bäume vergleicht 
er mit den Haaren, Federn und | Schuppen der Thiere*). Ihr 
Wachsthum leitete er von der Erdwärme her, welche die 
Aeste in die Höhe treibe, während andererseits ihre erdigen 
Bestandtheile die Wurzeln in die Tiefe ziehen®); ihre Er- 
nährung musste er sich, nach seiner allgemeinen Ansicht über 
die Stoffverbindung, durch die Anziehung der verwandten 
Stoffe bedingt und durch die Poren vermittelt denken®), wie 


n ἄλλοι οὗ περὶ φύσιος γεγράφασιν ἐξ ἀρχῆς © τε ἐστὶν ἄνϑρωπος καὶ 
ὅπως ἐγένετο πρῶτον καὶ ὅπως ξυνεπαγή. 

1) Die empedokleische Pflanzenlehre behandelt Merze Gesch. ἃ. Bo- 
tanik I, 46 ff, doch wie er selbst bemerkt, nur nach Sturz. 

2) Plac. V, 26, 4 vgl. Ps.-Anıst. De plant. I, 2. 817 b 35. Luckur. 
V, 780. Karsten 441 fi. Nach Plac. V, 19, 5 wären die Pflanzen ebenso, wie 
die Thiere (s. u.), zuerst stückweise aus der Erde hervorgekommen. ARISTo- 
TEL&ß jedoch kann nach Phys. II, 8. 199 Ὁ 9 ff. davon nichts gewusst haben; 
auch Plac. V, 26 und bei Lucrez findet sich nichts darüber. 

8) Die Placita V, 26, 4 Anf. bezeichnen sie daher richtig als ζῷα, Ps.- 
Arıst. De pl. I, 1. 815 a 15. b 16 sagt, Anaxagoras, Demokrit und Emp. 
schreiben ihnen Empfindung, Begierde, Wahrnehmung und Verstand zu, und 
Sr. De an. 72, 3 bemerkt, er belebe selbst die Pflanzen mit vernünftigen 
Seelen. 

4) Arıst. gen. anim. I, 23 Anf. mit Bezug auf Emp. V. 219 (245. 286 
M.): οὕτω δ᾽ ᾧοτοχεῖ μαχρὰ δένδρεα πρῶτον ἐλαίας. De plant. I, 2. 817 
ἃ 1. 86. c. 1. 815 a 20, wo aber die empedokleische Lehre nicht rein dar- 
gestellt ist. Plac. V, 26, 4. 

5) V. 236 (223. 216 M.) f. 

6) Arıst. De an. II, 4. 415 b 28 und seine Ausleger =. ἃ. St. Plac. 
V, 26, 4 Nach Tusorar. caus. plant. I, 12, 5 sollten die Wurzeln der 
Pflanzen (doch wohl nur überwiegend) aus Erde, die Blätter aus Aether 
(Luft) bestehen. Vgl. vor. Anm. 

T) V. 282 (268. 338) fi. und dazu Prur. qu. conv. IV, 1, 8, 12, wobei 
es unerheblich ist, ob die Verse zunächst auf die Ernährung der Thiere 


᾿ -ς 
[718. 719) Pflanzen und Thiere. 703 


er auch den Grund davon, dass gewisse Pflanzen immer grün 
bleiben, neben ihrer stofflichen Zusammensetzung in der 
Symmetrie ihrer Poren suchte!); die Stoffe, welche für die 
Ernährung der Pflanze entbehrlich sind, werden zur Bildung 
der Früchte verwendet, deren Geschmack sich desshalb nach 
der Nahrung jeder Pflanze richtet?). 

Die Entstehung der Thiere und Menschen dachte sich 
Empedokles durch mehrere aufeinanderfolgende Vorgänge ver- 
mittelt, die ebensoviele Versuche einer immer vollkommeneren 
Vereinigung ihrer Theile darstellen. Zuerst wuchsen diese, 
wie er sagt, einzeln aus dem Boden heraus?), hierauf wurden 
sie durch die Wirkung der Liebe zusammengefügt; da aber da- 
bei der blosse Zufall waltete, so ergaben sich hieraus zunächst 
allerlei abenteuerliche Gebilde, die bald wieder untergiengen *). | 


gehen, oder nicht, da von den Pflanzen dasselbe gilt; vgl. folg. Anm. und 
Ῥεῦτ. a. a. O. VI, 2, 2, 6. 

1) Prur. qu. conv. III, 2, 2, 8, wodurch die Angabe Plac. V, 26, 5 
ihre genauere Bestimmung erhält. 

2) Plac. V, 26, ὃ f. Garen c. 180. Emp. V. 221 (247. 288 M.). 

3) V. 244 (232. 307 M): 7 πολλαὶ μὲν κόρσαι ἀναυχένες ἐβλάστησαν, 

γυμνοὶ δ᾽ ἐπλάζοντο βραχίονες εὔνιδες ὥμων, 

ὄμματα δ᾽ ol’ ἐπλανᾶτο πενητεύοντα μετώπων. Arıst. De coelo II, 
2. 300 b 29, führt diese Stelle mit den Worten an: ὥσπερ Eur. φησὶ 
γένεσϑαι ἐπὶ τῆς φιλότητος. Diese Bemerkung, über deren Sinn schon 
SımpLicrus z. ἃ. St. S. 261 b 46 ff. mit ALEXANDER streitet, kann nicht auf 
die vollkommene Herrschaft der Liebe im Sphairos bezogen werden, denn 
in diesem kam es überhaupt noch nicht zur Bildung von Einzelwesen 
(ϑνητα); aber auch nicht mit Pauıwor. Phys. 314, 7 auf die Zeit ἐν τῇ 
πρώτῃ διαχρίσεε τοῦ σφαίρου ... πρὶν τελείως τὰ εἴδη διαχρεϑῆναε ἀπ᾽ 
ἀλλήλων (wovon aber sofort Z. 17 f., zum Beweis für Philoponus’ Unkennt- 
nisse, das Gegentheil steht); denn die Weltbildung in dieser Periode hatte 
Emp. nicht beschrieben (8. S. 785f.), und Plad. V, 19, 5 verbietet uns (vgl. 
8.795, 1), die gliedweise Entstehung der Organismen in eine ganz andere Weltzeit 
zu verlegen als die gegenwärtige. Man muss daher mit Sıspr. De c. 262 a 37 
annehmen, die Worte: ἐπὶ τ. φελότ. seien nicht so zu verstehen, ὡς ἐπεχρα- 
zovons ἤδη τῆς φιλότητος, ἀλλ᾿ ὡς μελλούσης ἤδη ἐπικρατεῖν, ἔτε δὲ τὰ 
ἀμικτα καὶ μονόγυια δηλούσης (?), also nur in der Bedeutung: „zur Zeit 
der Einwirkung der Liebe.“ Ebenso gen. an. I, 18. 722 b 19. 26, wogegen 
De calo 301 a 15 (s. o. 783, 2) die der gegenwärtigen gegenüberstehende 
Weltperiode mit diesem Ausdruck bezeichnet wird. 

4) Arıst. De an. III, 6. 430 a 28: χαϑάπερ Ἐμπ. ἔφη R πολλῶν“ 
u. 5. w. ἔπειτα συντίϑεσϑαι τῇ φιλίᾳ. Phys. II, 8. 198 b 31: χαϑάπερ 


794 Empedokles. [719] 


Im weiteren Verlaufe wurden zuerst unförmliche Klumpen, aus 
Erde und Wasser gebildet, von dem unterirdischen Feuer 
emporgeworfen!), | auch sie aber konnten sich nicht erhalten 3). 


Ἐμπ. λέγεε τὰ βουγενῆ ἀνδρόπρωρα (sc. ἀπολέσϑαι). Emp. V. 254 (235. 
810 M.): αὐτὰρ ἐπεὶ χατὰ μεῖζον ἐμίσγετο ϑαίμονε δαίμων (die Elemente), 
ταῦτά τε συμπίπτεσχον, ὅπη συνέκυρσεν ἕχαστα (vgl. hiezu Arısr. 

Phys. II, 4. 196 a 23) 

ἄλλα τε πρὸς τοῖς πολλὰ ϑιηνεχὴ (— ἐς) ἐξεγένοντο. 
Ein Beispiel für die Art, wie Eınpedokles aus diesen anfänglichen Erzeug- 
nissen die jetzigen organischen Wesen entstehen liess, gibt Arısr. part. 
anim. I, 1. 640 a 19: διόπερ ᾿Εμπεδοχλῆς οὐχ ὀρϑὼς εἴρηχε λέγων 
ὑπάρχειν πολλὰ τοῖς ζῴοις διὰ τὸ συμβῆναε οὕτως ἐν τῇ γενέσει, οἷον 
χαὶ τὴν ῥάχεν τοιαύτην ἔχειν, ὅτε στραφέντος χαταχϑῆναει συνέβη. (Die 
Verse, worauf sich diess bezieht, nebst einigen weiteren, auf die Bildung 
des Unterleibs und der Athmungswerkzeuge bezüglichen, hat Stein im 
Philologus XV, 143 f. bei Cramer Anecd. Oxon. III, 184 nachgewiesen.) 
v. 257 (238. 313 Μ): πολλὰ μὲν ἀμφιπρόςωπα χαὶ ἀμφίστερν᾽ 
ἐφύοντο, 
βουγενὴ ἀνδρύπρωρα, τὰ δ᾽ ἔμπαλεν ἐξανέτελλον 
ἀνδροφυὴ βούχρανα, μεμεγμένα τῇ μὲν an’ ἀνδρῶν, 
τῇ δὲ γυναιχοφυῆ, σχειεροῖς (DıeLs Herm. XV, 168: στεέροις) ἡσχη- 
μέγα γυίοες. 
In diesem Sinn deutete wohl Empedokles die Mythen von Centauren, 
Chimären, Lermaphroditen u. 5. w. 

1) V. 265 (251. 321 M.): οὐλοφυεῖς μὲν πρῶτα τύποι (m. vgl. über 
diesen Ausdruck Srurz 8. 370. Karstex und MuLLacH z. d. St.) χγϑογὸς 
ἐξανέτελλον, 

ἀμφοτέρων ὕϑατός τε χαὶ οὔϑεος αἶσαν ἔχοντες. 

τοὺς μὲν πῦρ ἀνέπεμπ' ἐθέλον πρὸς ὁμοῖον ἱἰχέσϑαι, 

οὔτε τί πω μελέων ἐρατὼν δέμας ἐμφαίνοντας 

οὔτ᾽ ἐνοπὴν οὔτ᾽ αὖ ἐπιχώριον ἀνδράσι yviov. Auch diese Verse 
werden sich auf die Entstehung der lebenden Wesen überhaupt, nicht blos 
der Menschen, beziehen, wie diess auch Adtius (s. u. 795, 1) voraussetzt. 
Bei dem Feuer, das diese Geschöpfe auswirft, haben wir an das unterir- 
dische Feuer und seine, dem Agrigentiner natürlich wohl bekannten, vul- 
kanischen Ausbrüche zu denken (vgl. V. 162: πολλὰ δ᾽ ἔνερϑ᾽ ὕδατος πυρὰ 
χαίεται)λ Die letzteren selbst leitet Emp. von dem Streben her, sich mit 
dem Verwandten zu vereinigen (worüber 8. 766 f.), welches das Feuer der 
Tiefe dem des Umkreises (s. 8. 787) entgegenführe. Dieses reisst jene 
Klumpen mit empor, wie das Feuer der Vulkane Schlamm und Steine; sie 
selbst aber sind nicht „feurig* (Dümwıer Akad. 319): Emp. sagt ja aus- 
drücklich, sie bestehen aus Erde und Wasser. Cine. di. nat. 4, 7 ἢ. ver- 
mischt diese τύποι mit den vor. Anm. besprochenen Gebilden. 

2) Wie sich diess aus ihrer ganzen Beschreibung und, die Gattungen 
betreffend, aus dem Fehlen der Geschlechtstheile ergibt. 


[719] : Die lebenden Wesen. 795 


Erst bei einem dritten Versuche gelang es der Natur, die 
gegenwärtigen Organismen hervorzubringen!). Neuere haben 
diese Dichtungen des agrigentinischen Philosophen mit der 
heutigen Descendenztheorie zusammengestellt?). Indessen be- 
schränkt sich ihre Verwandtschaft auf die äussere Aehnlich- 
keit, dass beide den gegenwärtigen organischen Wesen andere, 
unvollkommenere, vorangehen lassen; aber die Gründe und die 
Bedeutung dieser Annahme sind bei Empedokles ganz andere 
als in der Naturwissenschaft unseres Jahrhunderts. Die un- 
vollkommeneren organischen Gebilde dienen bei ihm nicht dazu, 
die Bedingungen für die Entstehung der späteren und voll- 
kommeneren herzustellen, sie werden nichtin diese umgebildet®); 
sondern sie verschwinden einfach vom Schauplatz, und für 


1) Zur Schilderung dieses Vorgangs scheinen einige später noch zu 
erwähnende Bruchstücke, V. 199 ff. 203 ff. 215 ff. 240. 242 gehört zu haben. 
Jedenfalls muss Emp. eine solche Schilderung gegeben, und sie kann bei 
ihm keinen zu kleinen Raum eingenommen haben, da es sich bei ihr ja 
eben um die Begründung des endgültigen Zustandes der lebenden Wesen 
handelte. Wir haben aber dafür auch ein Zeugniss, das auf Theophrast 
zurückführt, Plac. V, 19, 5: 'Eun. τὰς πρώτας γενέσεις τῶν ζῴων xal 
φυτῶν μηδαμὼς ὁλοχλήρους γενέσϑαι, ἀσυμφυέσε δὲ τοῖς μορίοις dıelevy- 
μένας, τὰς δὲ δευτέρας συμφυομένων τὼν μερῶν εἰδωλοφανεῖς (aben- 
teuerlich, wie beliebige Bilder, aussehend), τὰς δὲ τρέτας τῶν ὁλοφυῶν 
(wie offenbar statt ἀλληλοφ. zu lesen ist), τὰς δὲ τετάρτας οὐχέτι dx τῶν 
ὁμοέων οἷον ἐχ γῆς χαὶ ὕδατος (wie die οὐλοφυεῖς, 8. vorl. Anm.) ἀλλὰ δὲ 
ἀλλήλων ἤδη. Schon diese Stelle beweist nun, dass die vier Stadien der 
Entstehung lebender Wesen einer und derselben Weltperiode angehören 
(denn die verschiedenen Weltzeiten könnten nicht als Glieder Einer Reihe 
gezählt werden) und widerlegt den Versuch (Düuurer Akad. 218 f£.), die 
erste und zweite Entstehungsart der Periode der yılla, die dritte der des 
γεῖχος zuzuweisen, und auf die Menschen zur Zeit der φελία auch V. 405 ff. 
(8β. 5. 811, 5) zu beziehen. Dieser Versuch scheitert aber auch an der 
Erwägung, dass die vierte Art der Entstehung, die γένεσις δι᾽ ἀλλήλων, 
welche doch das specifische Werk der Aygodtrn oder φελότης ist, ihr zufolge 
durch das weitere Fortschreiten des veixos herbeigeführt sein müsste, und 
an der 8. 783 m angeführten Aussage des Aristoteles. 

2) Ueserwec Grundr. I, 74°. Lange Gesch. ἃ. Mater. I, 23 f. Wm- 
DELBAND Gesch. d. Phil. 40; vgl. dagegen meine Vortr. und Abhandl. I, 
42 fi. 

8) Nur die Entstehung der βουγενὴῆ ἀνδρόπρωρα ist durch die ihr 
vorangehende der einzelnen Gliedmassen, bedingt; dagegen tragen jene zur 
Entstehung der οὐλοφυΐ, und diese ihrerseits zu derjenigen der jetzigen 
Organismen nichts bei. 


706 Empedokles. [119] 


diejenigen, die an ihre Stelle treten, bedarf es einer neuen, 
von vorne anfangenden Schöpfung. Und ebensowenig lässt 
sich bei Empedokles der Gedanke nachweisen, den zweck- 
mässigen Bau der organischen Wesen daraus zu erklären, dass 
von den zwecklosen Erzeugnissen des Naturmechanismus nur 
die lebens- und fortpflanzungsfähigen sich erhielten !); die ge 
. schichtliche Wahrscheinlichkeit spricht vielmehr entschieden 
für die Annahme, derselbe sei erst lange nach ihm zum 
erstenmal hervorgetreten?). Der eigentliche Anlass der 
empedokleischen Darstellung scheint vielmehr darin zu lie- 
gen, dass der Dichter in der Bildung der lebenden Wesen die 
fortschreitende Einigung der Elemente durch die Liebe ver- 
mittelst der Aufzählung der einzelnen Stufen, die sie durchlief, 
zur Anschauung bringen wollte. Malt er aber auch | damit weiter 
aus, was Parmenides®), im Anschluss an die alten Autoch- 


1) Man glaubte diess bei Arıst. Phys. II, 8. 198 b 16 ff. zu finden. 
Liesse sich, fragt hier Arist., die Zweckmässigkeit der Natureinrichtung nicht 
vielleicht als eine nicht beabsichtigte Folge aus der Wirkung natürlicher 
Ursachen erklären? so dass z. B. bei der Entstehung von Organismen (Z. 
29) ὅπου μὲν ἅπαντα συνέβη ὥσπερ xav εἰ ἕνεχά του ἐγένετο, ταῦτα μὲν 
ἐσώϑη ἀπὸ τοῦ αὐτομάτου συστάντα ἐπιτηδείως" ὅσα δὲ μὴ οὕτως, ἀπώλετο 
καὶ ἀπόλλυται, καϑάπερ Ἐμπ. λέγει τὰ βουγενῆ ἀνδροπρωρα --- eine Annahme, 
der Arist. selbst sofort widerspricht. Allein als empedokleisch wird hier 
nichts weiter bezeichnet, als der Untergang der βουγενῆ ἀνδρόπρωρα; dass 
das übrige, welches auch nur aristotelische Terminologie und keine Spur 
empedokleischer Ausdrucksweise zeigt, gleichfalls von Emp. entlehnt sei, 
deutet Arist. nicht blos mit keinem Wort an, sondern es ist auch sehr un- 
wahrscheinlich, dass er diesen nur aus Anlass jenes Beispiels angeführt, 
bei der Hauptsache dagegen ihn zu nennen versäumt, und nicht einmal 
mit einem ὡς τινές φασεν oder ähnlichem darauf hingewiesen hätte, dass 
er eine fremde Ansicht vortrage. Auch von den Auslegern führt keiner 
eine Aeusserung von Emp. an, aus der hervorgienge, dass er etwas den 
aristotelischen Bemerkungen entsprechendes gesagt hatte. 

2) Ausser dem so eben bemerkten erhellt diess (vgl. Vortr. und Ab- 
handl. II, 43 ) aus der Erwägung, dass der Versuch, die Zweckmässigkeit 
in der Natur ohne Zuhülfenahme einer zweckthätigen Ursache zu erklären, 
nicht gemacht werden konnte, ehe die Naturerklärung, die er entbehrlich 
machen will, die teleologische, aufgetreten war. Diess wäre aber zur Zeit 
des Empedokles auch dann noch nicht der Fall gewesen, wenn Anaxagoras 
(was ich nicht glaube) früher geschrieben hätte als er. Denn auch Anaxa- 
goras hatte eine teleologische Erklärung der Welteinrichtung, und ins- 
besondere eine solche der Organismen, noch nicht versucht. 

3) S. o. 5. 578. 


[120] Die lebenden Wesen. 707 


thonen- und Gigantensagen!), von der Entstehung der Men- 
schen gelehrt hatte, und liegt in diesem Versuch, eine an- 
schaulichere Vorstellung von der Sache zu gewinnen, immer- 
hin ein Fortschritt, so ist doch ein grosser Unterschied zwischen 
einer solchen Schilderung erdichteter Vorgänge und einer natur- 
wissenschaftlichen Erklärung der Thatsachen. Zu dieser nimmt 
unser Philosoph noch keinen Anlauf. Parmenides folgt Empe- 
dokles auch in der Annahme, dass sich die Geschlechter durch 
ihre grössere oder geringere Wärme unterscheiden; während 
aber jener den Weibern die wärmere Natur beigelegt hatte, 
legt er sie den Männern bei°), und demgemäss ist er weiter 
im Gegensatz zu jenem der Meinung, bei der ersten Erzeugung 
von Menschen seien die Männer in den südlichen, die Weiber 
in den nördlichen Gegenden entstanden 8), und bei der jetzigen 
geschlechtlichen Fortpflanzung bilden sich jene, wenn der 
Uterus wärmer, diese, wenn er kälter ist*). Was seine son- 
stigen Vorstellungen über die Erzeugung betrifft, so nahm er 
an, von dem Körper des Kindes gehen gewisse Theile aus 
dem väterlichen, andere aus dem mütterlichen Samen hervor, 
und durch das Zusammenstreben dieser seiner getrennten 
Bestandtheile entstehe der Geschlechtstrieb®). Auch über 


1) An diese erinnert auch, was die Placita V, 27 anführen, die jetzigen 
Menschen seien im Vergleich mit den früheren wie die kleinen Kinder, doch 
kann es sich möglicherweise auch auf das goldene Zeitalter (s. u. 811, 5) 
beziehen. 

2) Arısr. part. anim. II, 2. 648 a 25 ff. vgl. m. 8. 578, 3. 

9) Plac. V, 7. 

4) V. 273—278 (259. 329 M.), wozu Dıeıs Herm. XV, 169 f. zu vgl. 
Arıst. gen. anim. IV, 1. 764 a 1 vgl. I, 18. 723 a 23. Garen in Hippocr. 
epidem. VI, 2. T. XVII a, 1002 Kühn. Die Angaben stimmen übrigens 
nicht ganz überein: Galen, der aber nur unsere Verse dafür anführt, sagt, 
er habe mit Parmenides die'Knaben der rechten Seite des Uterus zugewiesen, 
Emp. selbst dagegen scheint nur zu sagen, dass das Geschlecht von der 
grösseren oder geringeren Wärme desselben abhänge, und nach Aristoteles 
leitete er diese selbst von der der Katamenien her. Galen scheint daher, 
möglicherweise auf Grund seines Textes, Empedokles mit Parmenides zu 
verwechseln. Bei Cens. di. nat. 6, 6 macht es mir Dısrs Doxogr. 192 
wahrscheinlich, dass statt „Empedokles“ „Parmenides“ zu setzen ist. 

5) Anıstr. a. a. O. I, 18. 722 ὃ 8. IV, 1, 764 d 15. Garen De sem. 
IL, 3. 1. IV, 616, mit Beziehung auf Empedokles V. 270 (227. 326 M.). 
Wie er sich diess näher dachte, und ob er überhaupt eine bestimmtere Vor- 
stellung darüber hatte, lässt sich nicht ausmitteln; ParLoronus’ Aussagen 


708 Empedokles. [721] 


die | Entwicklung des Fötus hatte er allerlei Vermuthungen 
aufgestellt‘, Die stoffliche Zusammensetzung der körper- 
lichen Theile und Erzeugnisse versuchte er wenigstens in ein- 
zelnen Fällen, nach willkürlicher Schätzung, zu bestimmen 3), 
und ihre Entstehung zu erklären®); nach den Stoffen, aus 


darüber gen. an. 16 a m. 81 b m. (b. Sturz 392 ff. Karsten 466 f.) wider- 
sprechen sich, und sind offenbar blosse Vermuthung; vgl. S. 17 a u. Was 
b. Prur. qu. nat. 21, 3. S. 917 (Emp. V. 272/256. 328 M.). Plac. V, 19, 
5. 10, 1. 11, 1. 12, 2. Cene. 6, 10 weiter steht, kann hier übergangen 
werden. M. s. Karsten 464. 471 f. Strunz 401 f. Diers Doxogr. 192. Für 
die fruchtbare Verbindung des männlichen und weiblichen Samens musste 
Empedokles, nach seinen allgemeinen Grundsätzen über die Stoffverbindung, 
eine gewisse Symmetrie der Poren voraussetzen, wenn jedoch diese zu weit 
geht, kann sie, wie er glaubt, der Empfängniss auch hinderlich werden, denn 
die Unfruchtbarkeit der Maulthiere erklärte er nach Arısr. gen. an. II, ὃ 
Anf. vgl. PuıLor. z. d. St. 8.59 a o. (Ὁ. Karsten 8. 468, wo auch die 
Angabe der Placita V, 14, 2 über diesen Gegenstand berichtigt wird) daraus, 
dass der männliche und weibliche Samen bei ihnen zu genau in einander 
passe und sich dadurch verhärte. 

1) Die Bildung des Fötus erfolge in den ersten sieben Wochen, oder 
genauer in der sechsten und siebenten Woche (Plac. V, 21, 1. Tuxo Math. 
8. 162), die Geburt zwischen dem 7ten und 1l0ten Monat (Plac. V, 18, 1, 
8.0. 716, 2. CExsorın 7, 5); zuerst bilde sich das Herz (Cense. 6, 1), zuletzt 
die Nägel, die aus verhärteten Sehnen bestehen (Arısr. De spir. c. 6. 484 a 38. 
Plac. V, 22 und dazu Karsten 476). Auf die erste Entstehung des Embryo 
aus der Samenfeuchtigkeit könnte sich die Vergleichung mit dem Gerinnen 
der Milch bei der Käsebereitung V. 279 (265 K. 215 M.) beziehen, vgl. Anısr. 
gen. anim. IV, 4. 771 b 18 ff, vielleicht geht sie aber auch auf die Aus- 
scheidung der Thränen aus dem Blut, von der Emp. nach Pur. qu. nat. 
20, 2 sagte: ὥσπερ γάλαχτος ὀῤῥδὸν τοῦ αἵματος ταραχϑέντος (gähren) 
ἐχχρούεσϑαι τὸ διίίχρυον. Auch von den Missgeburten hatte Emp. gehandelt; 
s. Plac. V, 8 und dazu Sturz 378. 

2) In den Knochen sollen auf 2 Theile Erde 2 Theile Wasser und 4 
Theile Feuer kommen, im Fleisch und Blut die vier Elemente zu gleichen 
oder fast gleichen Theilen gemischt sein (V 198 ff., 5. o. 775,5), in den Sehnen 
entsprechen nach Plac. V, 22 einem Theil Feuer und Erde 2 Theile Wasser. 
Dass die Placita die Zusammensetzung der Knochen anders angeben, als 
Emp. selbst, und dass PuıLor. De an. E 16 unt. Sımer. De an. 68, 10 aus 
den 2 Theilen Wasser 1 Theil Wasser und 1 Theil Luft machen, kann 
natürlich nicht in Betracht kommen; Karsten’s Ausgleichungsversuch (8. 452) 
widerspricht dem Wortlaut der angeführten Verse. 

3) So nahm er an (Plac. V, 22 nach Ders’ Text. Prur. qu. ἢ. δ. 
Anm. 1), der Schweiss und die Thränen entstehen durch eine Zersetzung 
(τήχεσϑαι) des Bluts, und Ähnlich scheint er nach V. 280 (266. 336 M.) die 
Milch der Frauen angesehen zu haben, deren Entstehungszeit er in seiner 


[722. 723] Die lebenden Wesen. 799 


denen sie | bestehen, richtet sich der Wohnort und die Lebens- 
weise der verschiedenen Thiere, indem jedes, dem allgemeinen 
Naturgesetz gemäss, das Verwandte aufsucht?!); von der glei- 
chen Ursache soll Empedokles auch die Lage der Theile im 
Körper hergeleitet haben®?). Die Ernährung erfolgt bei den 
Thieren, wie bei den Pflanzen, durch Aneignung der gleich- 
artigen Stoffe®), das Wachsthum wird durch die Wärme, das 
Schwinden im Alter und der Schlaf durch die Abnahme 
derselben, der Tod durch ihr gänzliches Entweichen herbei- 
geführt *). | 

Von den sonstigen körperlichen Thätigkeiten ist es ins- 
besondere der Athmungsprocess und die sinnliche Weahr- 
nehmung, über welche uns die Ansichten des Empedokles 
näher bekannt sind. Das Aus- und Einströmen der Luft ge- 
schieht seiner Meinung nach nicht blos durch die Luftröhre, 
sondern durch den ganzen Körper in Folge der Blutbewegung; 
wenn nämlich das auf- und abwogende Blut von den äusseren 


Weise auf den Tag hin bestimmte. Etwas ausführlicher beschreibt V. 215 
(209. 282 M.) ff. die Bildung eines Körpertheils, wir wissen aber nicht, 
welcher gemeint ist, indem dieselbe, wie es scheint, mit der Bereitung von 
Töpfergeschirr verglichen wird. 

1) Plac. V, 19, 6 (wo über den sehr verdorbenen Text jetzt DırLs zu 
vergleichen ist), Doch blieb Empedokles jenem Grundsatz nicht immer treu, 
denn von den Wasserthieren sagte er, sie suchen wegen ihrer hitzigen Natur 
das Feuchte; Arıst. De respir. c. 14 Anf. TuEorur. caus. plant. I, 21, 5. 
Dass er von den verschiedenen Thiergattungen eingehend gehandelt hatte, 
ist ausser dem eben angeführten aus V. 233—239 (220 ff. 300 ff. M.) und 
163 (205. 256 M.) zu vermuthen. 

2) Puızor. gen. an. 49 a o. Karsten 448 f. vermuthet in dieser An- 
gabe eine willkürliche Erweiterung dessen, was S. 792, 5 über die Pflanzen 
mitgetheilt wurde. Die Verse jedoch, welche Pur. qu. conv. 1, 2, 5, 6 
anführt (233 f. 220 K. 300 M.), beweisen nichts gegen, und ARrıST. gen. 
an. II, 4. 740 b 12 spricht für sie. 

3) Ῥεῦτ. qu. conv. IV, 1, 3, 12 mit Berufung auf V. 282 (268. 338 
M.) ff. Plac. V, 27. 

4) Plac, V, 27. 23, 2. 25, 5. Karsten 500 f£ Im übrigen ist schon 
früher bemerkt worden, und Empedokles selbst wiederholt es V. 247 (335. 
182 M.) ff. hinsichtlich der lebenden Wesen, dass jeder Untergang in der 
Trennung der Stoffe besteht, aus denen ein Ding zusammengesetzt ist. Mit 
den Angaben der Placita lässt sich diess durch die Annahme vereinigen, 
Emp. halte das Zerfallen des Körpers für eine Folge von dem Entweichen 
der Lebenswärme. 

Philos. d. Gr. I. Bd. 5. Aufl. 5l 


800 Empedokles. [723. 724] 


Theilen sich zurückzieht, dringt durch die feinen Poren der 
Haut die Luft ein, wenn es sich wieder in dieselben ergiesst, 
wird sie wieder hinausgedrückt!). Die Sinnesempfindung er- 
klärte er gleichfalls durch die Poren und die Ausflüsse: damit 
sie entstehe, müssen die von den Gegenständen sich ablösen- 
den Theile mit den gleichartigen Bestandtheilen der Sinnes- 
organe sich berühren, sei es nun, dass jene durch die Poren 
zu diesen eindringen, oder dass umgekehrt (wie beim Sehen) 
diese auf demselben Wege heraustreten?); denn alles wird — 
wie diess Empedokles zuerst als Grundsatz ausgesprochen 
hat — durch das gleichartige in uns erkannt, die Erde durch 
die Erde, das Wasser durch das Wasser u. s. w.®). Unter 
den einzelnen Sinnen liess sich diese Erklärung am Geruch 
und Geschmack am leichtesten durchführen; beide beruhen 
nach Empedokles darauf, dass feine Stofftheilchen, dort aus 
der Luft, hier aus der Flüssigkeit, der sie beigemischt sind, 
in Nase | und Mund aufgenommen werden). Beim Gehör nahm 
er an, die Töne bilden sich durch die eindringende bewegte 
Luft im Gehörgang, wie in einer Trompete®). Umgekehrt 
sollte beim Sehen der sehende Körper aus dem Auge heraus- 
treten, um sich mit den Ausflüssen des Gegenstandes zu be- 


1) V. 287 (275. 343 M.) Εἰ, und dazu Karsten. Arısr. respir. ὁ. 7. 
Die Scholien z. ἃ. St. (an Simpl. De anima 8. 167, Ὁ f. Ald.) Plac. IV, 22. 
V, 15, 8. 
2) 8. oben S. 765 f. Tugorur. De sensu 7: "Eur. φησὶ, τῷ ἐναρμόττειν 
[ras ἀποῤῥοὰς] eis τοὺς πόρους τοὺς ἑχάστης [αἰσϑήσεως] αἰσϑάνεσϑαι. 
Jeder Sinn empfinde daher nur das, was seinen Poren so symmetrisch ist, 
dass es in dieselben eindringt und dabei das Organ berührt, während alles 
andere entweder nicht in ihn eindringe, oder durch ihn hindurchgehe, ohne 
eine Empfindung zu bewirken. Ebenso Plac. IV, 9, 3. Vgl. Hörer Z. Lehre 
v. d. Sinneswahrnehmung d. Lucrez. Stendal 1872. S. 5. 
3) V. 333 (321. 378 M.): γαέῃ μὲν γὰρ γαῖαν ὁπώπαμεν, ὕδατι δ᾽ ὕϑωρ, 
αἰϑέρει δ᾽ αἰϑέρα δῖον, ἀτὰρ πυρὶ πῦρ ἀΐϑηλον, 
στοργῇ δὲ οτοργὴν, νεῖχος δέ τε νείχεϊ λυγρᾷ" 
ex τούτων γὰρ πάντα πεπήγασιν ἁρμοσϑέντα 
καὶ τούτοις φρονέουσι καὶ ἥδοντ᾽ ἠδ᾽ ἀνεῶνται. 
4) Plac. IV, 17. Arıst. De sensu 6. 4. 441 a 4, Auzx. De sensu 105 
b o. vgl. Emp. V. 312 (300. 465) f. und dazu Dızıse Herm. XV, 176. 
5) THEOPHR. De sensu 9. Pur. Plac. IV, 16, wo aber der χωϑων, mit 
dem Empedokles auch nach Theophrast das Innere des Ohrs verglichen hatte, 
statt einer Trompete unpassend von einer Glocke verstanden wird. 


[724] Die Sinne und das Denken. 801 


rühren. Empedokles denkt sich nämlich!) das Auge als eine 
Art Laterne: im Augapfel ist Feuer und Wasser in Häuten 
eingeschlossen, deren Poren, für beide Stoffe abwechslungs- 
weise zusammengereiht, den Ausflüssen beider den Durchgang 
gestatten; das Feuer dient zur Wahrnehmung des hellen, das 
Wasser zur Wahrnehmung des dunkeln. Wenn nun die 
Ausflüsse der sichtbaren Dinge am Auge anlangen, treten 
durch die Poren Ausflüsse des inneren Feuers und Wassers 
hervor, und aus dem Zusammentreffen beider entsteht die 
Anschauung 3). | 


1) Wie DıeLs Gorg. und Emped. 353 f. zeigt, im Anschluss an Alk- 
mäon, vgl. S. 489, 2. 

2) V. 316 (302. 220 M.) ff. vgl. 240 (227. 218 M.) f. Tagorar. ἃ. ἃ. 0. 
8f. Arıst. De sensu c. 2. 437 Ὁ 10 fi. 23 fi. Arezx. z. d. St. S. 49. 
48 Thurot. PaıLor. gen. anim. 105 ἢ o. (bei Sturz 419. Karsten 485). 
Plac. IV, 13, 2. Jon. Dauasc. parall. s. I, 17, 11. (Stob. Floril. ed. Mein. 
1V, 173.) Nach Tueorur. u. Puıtor. a. ἃ. a. OÖ. Arıst. Probl. XIV, 14. 
gen. anim. V, 1. 779 Ὁ 15 hielt Empedokles die hellen Augen für feuriger, 
die dunkeln für feuchter, und weiter behauptete er, jene sehen bei Nacht, 
diese am Tage schärfer (was er bei Theophrast eigenthümlich begründet), 
die besten Augen seien aber die, in welchen Feuer und Wasser zu gleichen 
Theilen gemischt seien. Wenn Hörzr a. a. O. die Annahme bestreitet, 
dass Emp. das innere Feuer aus den Augen heraustreten lasse, so hat er 
weder die eigenen Erklärungen des Emp. über das φος ἔξω διαϑρώσχον, 
noch das hierauf bezügliche wiederholte ἐξεόντος τοῦ φωτὸς bei Aristoteles, 
und Alexanders hiemit vollkommen übereinstimmende Erläuterung der em- 
pedokleischen Verse beachtet; und auch die Annahme (Sırssck Gesch. ἃ. 
Psychol. I a, 108. 270), dass die Ausflüsse aus dem Auge mit den von den 
Dingen ausgehenden auf der Oberfläche des Auges selbst zusammentreffen 
scheint mir mit den Zeugnissen, und schon dem πῦρ ἔξω διαϑρῶσχον Emp. 
V. 320. 325 sich nicht zu vertragen. Die gleiche Erklärung des Sehens 
gibt ja noch Plato; vgl. Th. II 861, 8: was sie veranlasste, mag die Er- 
wägung gewesen sein, dass die Bilder der Dinge ausser unserem Auge ent, 
standen sein müssen, da sie sich in grösserer oder kleinerer Entfernung von 
ihm zeigen. Mit dem angeführten hängt auch die Definition der Farbe als 
ἀπόῤῥοεα (Arıst. De sensu c. 3. 440 a 15. Ston. ΕΚ]. I, 364, wo den vier 
Elementen entsprechend 4 Hauptfarben genannt werden, und oben 766, 1. 
190, 7), und die Ansicht des Emp. über die durchsichtigen Körper (Arısr. 
s. 0. 766, 1) und über die Spiegelbilder zusammen. Letztere erklärte er 
(Plac. IV, 14. 8ros. Floril. ed. Mein. IV, 174 vgl. Arısr. a. a. O.) durch 
die Annahme, dass die auf der Oberfläche des Spiegels haftenden Ausflüsse 
der Objekte von dem aus seinen Poren ausströmenden Feuer zurückgeführt 
werden. 

öl * 


802 Empedokles. [725] 


Den gleichen Ursprung hat auch das Denken. Verstand 
und Denkkraft sind nach der Meinung unseres Philosophen in 
allen Dingen!), ohne dass in dieser Beziehung zwischen dem 
Geistigen und dem Körperlichen zu unterscheiden wäre; das 
Denken wird daher ebenso, wie alle anderen Lebensthätig- 
keiten, von der Mischung der Stoffe im Körper herrühren und 
abhängen: wir denken jedes Element mit dem entsprechenden 
Element in unserem Körper?). Im besonderen ist es das Blut, 
in welchem die Elemente am vollständigsten gemischt sind, 
in welchem daher (nach einer im Alterthum verbreiteten An- 
nahme) das Denken und das Bewusstsein vorzugsweise seinen 
Sitz hat, namentlich das des Herzens®); doch wollte Empe- 


1) V. 231 (813. 298 M.): πάντα γὰρ ἴσϑε φρόνησιν ἔχειν χαὶ νώματος 
αἶσαν. Sext. Math. VII, 286. ὅτοβ. Ekl. I, 790. Smrr. De an. 72, 3. 

2) V. 333 fi. 5. o. S. 800, 3. Arısr. De an. I, 2. 404 b 8 ff. schliesst 
daraus in seiner Weise, dass nach der Ansicht unseres Philosophen die Seele 
aus den sämmtlichen Elementen bestehe, was dann seine Ausleger wieder- 
holen; 8. Sturz 443 ff. 205 ἢ Karsten 494. Indessen ist diess ungenau: 
Empedokles hat nicht die Seele aus den Elementen zusammengesetzt, son- 
dern er hat das, was wir Seelenthätigkeit nennen, aus der elementarischen 
Zusammensetzung des Körpers erklärt, eine vom Körper verschiedene Seele 
kennt seine Physik nicht. Noch unrichtiger ist die Behauptung TnEovorRET'S 
cur. gr. δῇ V, 18. S. 72, Emp. halte die Seele für ein μῖγμα ἐξ αἰϑερώδους 
καὶ depodors οὐσίας, und ebenso versteht es sich von selbst, dass die Fol- 
gerung des Sextus Math. VII, 115. 120, Emp. habe sechs Kriterien der 
Wahrheit, ganz ihm selbst und seinen Gewährsmännern angehört. 

3) Taxorur. De sensu 10, nach der Darstellung der empedokleischen 
Lehre über die Sinne: ὡςαύτως δὲ λέγει χαὶ περὶ φρονήσεως καὶ ἀγνοίας" 
τὸ μὲν γὰρ φρονεῖν εἶναε τοῖς ὁμοίοις, τὸ δ᾽ ἀγνοεῖν τοῖς ἀνομοίοις, ὡς 
ἢ ταὐτὸν ἢ παραπλήσιον ὃν τῇ αἰσϑήσει τὴν φρόνησιν. διαριϑμησάμενος 
γὰρ ὡς ἕκαστον ἑχάστῳ γνωοίζομεν, ἐπὶ τέλει προςέϑηχεν ὡς „ex τού- ' 
των" u. 8. w. (V. 336 f. s. ο. 800, 8). διὸ zei τῷ αἵματε μάλιστα φρονεῖν" 
ἐν τούτῳ γὰρ μάλιστα κεχρᾶσϑαε [ἐστὶ }] τὰ στοιχεῖα τῶν μερῶν. Emp. 
Υ. 827 (815. 872 M.): 

αἵματος ἐν πελάγεσσι τεϑραμμένη ἀντιϑορόντος, 

τὴ TE νόημα μάλιστα χυχλίσχεται ἀνθρώποισιν" 

αἶμα γὰρ ἀνθρώποις περικάρδιόν ἐστε νόημα. (Auch dieser Vers ist 
für empedokleisch zu halten; wenn er sich nach Terr. De an. 15 in einem 
orphischen Gedicht gefunden zu haben scheint, so kam er dahin ohne 
Zweifel erst aus Empedokles, PuıtLor. De an. C a u. legt ihn wohl nur aus 
Verwechslung Kritias bei.) Spätere, welche diese Bestimmung, theilweise 
im Sinn der jüngeren Untersuchungen über den Sitz des ἡγεμονικὸν, wieder- 
holen oder auch umdeuten, wie Cıc. Tusc. I, 9, 19. 17, 41. Pıvr. Ὁ. Eos. 


[126] Die Sinne und das Denken. 803 


dokles, hierin | folgerichtig, auch andere Theile des Körpers 
von der Theilnahme am Denken nicht ausschliessen!). Je 
gleichartiger die Mischung der Elemente ist, um so schärfer 
sind im allgemeinen die Sinne und der Verstand; wo die 
Elementartheilchen locker und lose aneinandergereiht sind ?), 
geht die Geistesthätigkeit langsamer, wo sie klein und dicht- 
gedrängt sind, geht sie schneller vor sich, andererseits ist dort 
grössere Beharrlichkeit, hier mehr Unbeständigkeit®). Wenn 
die richtige Mischung der Elemente auf einzelne Körpertheile 
beschränkt ist, erzeugt sich die entsprechende besondere Be- 
gabung*). Empedokles nimmt daher mit Parmenides®) an, 
die Beschaffenheit des Denkens richte sich nach der jeweili- 
gen Beschaffenheit des Körpers und wechsle mit derselben ®). 


prep. I, 8, 10. Garen De Hipp. et Plat. H, extr. T. V, 283 K., b. Strunz 
439 fi. Karsten 495. 498. Vgl. auch Praro Phädo 96 B. 

1) Man beachte das μάλιστα V. 328 und den gleich anzuführenden 
Schluss der theophrastischen Stelle. 

2) Oder wie der Interpr. Cruqu. z. Horaz ep. ad Pis. 465 (b. Sturz 
447. Kansten 496) sagt: wo das Blut kalt ist; dieses dachte sich aber wohl 
Empedokles als eine Folge von der losen Verknüpfung seiner Theile. 

3) Der erste Keim der Lehre von den Temperamenten. 

4) Turorne. a. a. O. $ 11 fährt fort: ὅσοες μὲν οὖν ἴσα χαὶ παρα- 
πλήσια μέμιχται, χαὶ μὴ διὰ πολλοῦ (weit von einander abstehend) μηδ᾽ 
αὖ μικρὰ μηδ᾽ ὑπερβάλλοντα τῷ μεγέϑει, τούτους φρονιμωτάτους εἶναι 
χαὶ χατὰ τὰς αἰσϑήσεις ἀχριβεστάτους" κατὰ λόγον δὲ καὶ τοὺς ἐγγυτάτω 
τούτων. ὅσοις δ᾽ ἐναντίως, ἀφρονεστάτους. χαὶ ὧν μὲν μανὰ χαὶ ἀραιὰ 
κεῖται τὰ στοιχεῖα, νωϑροὺς χαὶ ἐπιπόνους, ὧν δὲ πυχνὰ χαὶ χατὰ μιχρὰ 
τεϑραυσμένα, τοὺς δὲ τοιούτους ὀξέως (Βο WIMMER für ὀξεῖς χαὶ) φερομένους, 
χαὶ πολλὰ ἐπιβαλλομέγνους ὀλίγα ἐπιτελεῖν διὰ τὴν ὀξύτητα τῆς τοῦ αἵματος 
φορᾶς. οἷς δὲ xa9° ἕν τε μόριον ἡ μέση χρῶσίς ἐστε, ταύτῃ σοφοὺς 
ἐχάστους εἶναι. διὸ τοὺς μὲν ῥήτορα: ἀγαϑοὺς, τοὺς δὲ τεχνίτας" ὡς τοῖς 
μὲν ἐν ταῖς χερσὶ τοῖς δ᾽ ἐν τῇ γλώττῃ τὴν χρᾶσιν οὖσαν. ὁμοίως δ᾽ 
ἔχειν καὶ κατὰ τὰς ἄλλας δυνάμεις. Das letztere drückt Ps.-Prur. Ὁ. Eus. 
prep. I, 8, 10 so aus: τὸ δὲ ἡγεμονιχὸν οὔτε ἐν κεφαλῇ οὔτ᾽ ἐν ϑώραχε, 
ἀλλ᾽ ἐν αἵματι" ὅϑεν χαϑ᾽ ὅ τι ἄν μέρος τοῦ σώματος πλεῖον ἢ παρεσπαρ- 
μένον τὸ ἡγεμονικὸν, οἴεται κατ᾽ ἐχεῖνο προτερεῖν τοὺς ἀνθρώπους. 

5) Oben 8. 579, 2. 

6) V. 330 (318. 375 M.): πρὸς παρεὸν γὰρ μῆτις ἀέξεται ἀνθρώποισιν. 
Für denselben Satz führte Empedokles die Erscheinung des Träumens an; 
hierauf bezieht sich nämlich nach PnırLor. De an. P 3 u. Sıuer. De an. 
202, 25 ff. V. 331 (319. 376 M.): ὅσσον τ᾿ ἀλλοῖον μετέφυν, τόσον ἄρ σφισιν 
αἰεὶ χαὶ φρονέειν ἀλλοῖα παρίστατο. So bemerkte er auch, dass Wahnsinn 
aus körperlichen Ursachen entstehe, wiewolhl er im übrigen auch einen 


804 Empedokles. [121] 


Wenn jedoch ARISTOTELES hieraus schliesst, er | habe die Wahr- 
heit in der Sinneserscheinung suchen müssen !), so ist diess eine 
Folgerung, die unser Philosoph selbst ohne Zweifel abgelehnt 
hätte. Denn wenn er auch das Denken dem sinnlichen Erkennen 
nicht so schroff und grundsätzlich entgegenstellt, wie Parme- 
nides 3), verlangt er doch immerhin, dass man sich bei Fragen, 
welche über den Bereich des Wahrnehmbaren hinausgehen, 
nicht auf die Sinne verlasse, sondern auf den Verstand?). 
Mit Xenophanes erhebt er lebhafte Klagen über die Beschränkt- 
heit des menschlichen Wissens*); | aber zum Genossen der 


durch Verschuldung erzeugten, und neben diesem krankhaften den höheren 
Wahnsinn der religiösen Begeisterung annahm. Cör. Auer. morb. chron. 
I, 5, 145. 

1) Metaph. IV, 5. 1009 b 12, wo von Demokrit und Empedokles, von 
dem letzteren auf Grund der ebenaugeführten Verse, gesagt wird: ὅλως δὲ 
διὰ τὸ ὑπολαμβάνειν φρόνησιν μὲν τὴν αἴσϑησιν, ταύτην δ᾽ εἶναε ἀλλοίωσιν, 
τὸ φαινόμενον χατὰ τὴν αἴσϑησιν ἐξ ἀνάγχης ἀληϑὲς elval φασιν. Das 
ἐξ av. ist mit φασὶ zu verbinden: sie sind genöthigt zu behaupten. 

2) Man könnte diess aus V. 19 (49. 53 M.) ff. schliessen (und auch ich 
hatte es daraus geschlossen), welche bei Mullach so lauten: 

ἀλλ᾽ ἄγ᾽ ἄϑρει πάσῃ παλάμῃ, πὴ δῆλον ἕκαστον, 

μηϑέ (St. μήτε) τιν᾽ ὄψιν ἔχων nloreı πλέον, ἢ κατὰ χούρας (St. κατ᾽ 

ἀχουὴ») 

ἢ (St. und) ἀχοὴν ἐρέδουπον ὑπὲρ τρατώματα γλωσσης, 

μήτε τε τῶν ἄλλων, ὁπόσῃ (M. ὅππη St. ὁπόσων) πόρος ἐσιὶ νοῆσαι. 

γυίων πίστιν ἔρυχε, γνόεε δ᾽ ἢ δῆλον ἕχαστον. Allein βκχτυβ Math. 
VII, 124 führt diese Verse zum Beweis dafür an, ὅτε τὸ δι᾽ ἑχάστης al- 
σϑήσεως λαμβανόμενον πιστόν ἐστι τοῦ λόγου τούτων ἐπιστατοῦντος, und 
der Zusammenhang spricht, wie ich einräumen muss, für STkIN, wenn er am 
Schluss der Stelle so interpungirt: μήτε τε τῶν ἄλλων, . . . νοῆσαε, γυίων 
πέστεν ἔρυχε u. 8. W., so dass die Meinung ist, man solle keinen Sinn gegen 
den andern zurücksetzen, sondern jeden Gegenstand mittelst des für ihn 
geeigneten Organs zu erkennen suchen. 

3) V. 81 (108. 82 M.) von der φιλότης: τὴν σὺ νόῳ δέρχευ und 
ὄμμασιν ἦσο τεϑηπώς. 

4) V.2 (32.36 M.): στεινωποὶ μὲν γὰρ nalauas χατὰ γυῖα χέχυνταε 

(τέτανται vgl. Gomrerz Wien. Stud. I, 140. Dısıs Sitzungsber. d. 
Berl. Acad. 1884, 343) 

πολλὰ δὲ dell’ ἔμπαια, τά τ᾿ ἀμβλύνουσε μερίμνας. 

παῦρον δὲ ζωῆς ἀβίου μέρος ἀϑρήσαντες 

5. ὠχυμόροι χαπνοῖο δίκην ἀρϑέντες ἀπέπταν, 

αὐτὸ μόνον πεισϑέντες, ὅτῳ προςέχυρσεν ἕχαστος 


[728. 129] Die Sinne und das Denken. 805 


Skeptiker, die auch ihn für sich in Anspruch nehmen ἢ), darf 
man den Urheber einer Physik von so ausgesprochen dog- 
matischem Charakter nicht machen, und eine etwas entwickelte 
erkenntnisstheoretische Ansicht?) überhaupt nicht bei ihm 
suchen. 

Auch die Gefühle entstehen nach Empedokles auf die- 
selbe Weise und unter denselben Bedingungen, wie die Vor- 
stellungen: was den Bestandtheilen jedes Wesens verwandt 
ist, erzeugt in | ihm zugleich mit der Erkenntniss die Lust- 
empfindung, was ihnen entgegengesetzt ist, das Gefühl der 
Unlust®). In dem Streben nach dem verwandten, dessen ein 


παντόσ᾽ ἐλαυνόμενος, τὸ δ᾽ 0409 μὰψ εὔχεταε εὑρεῖν" 

οὕτως οὔτ᾽ ἐπιδερχτὰ τάδ᾽ ἀνδράσεν οὔτ᾽ ἑπαχουστὰ 

οὔτε νόῳ περιληπτά. σὺ δ᾽ οὖν, ἐπεὶ ᾧδ᾽ ἐλεάσϑης, 

πεύσεαι οὐ πλέον ἠὲ βροτείη μῆτις ὄρωρεν. Diese Stelle, die stärkste, 
welche sich bei Empedokles findet, besagt doch in Wahrheit nur: bei der 
Beschränktheit des menschlichen Wissens und der Kürze des menschlichen 
Lebens dürfe man nicht meinen, mit einer zufälligen und einseitigen Er 
fahrung das Ganze umfasst zu haben, auf diesem Wege sei es unmöglich, 
zu einer wirklichen Kenntniss der Wahrheit zu gelangen (V. 8 f.), man 
möge sich daher mit dem begnügen, was der Mensch zu erreichen im Stande 
sei. Aehnlich bittet Empedokles V. 11 (41. 45 M.) ff. die Götter, ihn vor 
der Vermessenheit zu bewahren, die mehr aussagen wolle, als Sterblichen 
erlaubt sei, und ihm zu offenbaren ὧν ϑέμις ἐστὶν ἐφημερίοισιν ἀκχούεεν. 
Eine dritte Stelle, V. 85 (112. 86 M.) f., gehört gar nicht hieher, denn wenn 
er dort von der Liebe sagt: τῇ» οὔτις μεϑ᾽ ὅλοισιν (wie Panzerbieter und 
Stein mit Recht lesen) ἑλεσσουμένην dedanxze ϑνητὸς ἀνὴρ, so heisst diess 
nach dem Zusammenhang nur: in ihrer Erscheinung als Geschlechtsliebe 
sei diese Kraft zwar jedermann bekannt, ihre allgemeine kosmische Bedeu- 
tung dagegeu sei bis jetzt unbekannt gewesen, und solle erst von ihm ent- 
hüllt werden (σὺ δ᾽ ἄχουε λέγων στόλον οὐκ ἀπατηλόν»). 

1) Die Skeptiker bei Dıoe. IX, 73. Cıc. Acad. I, 12, 44; Acad. pri. 
II, 5, 14 wird dieser Behauptung widersprochen. 

2) Wie sie ihm von einem Ungenannten bei Szxr. Math. VII, 122 bei- 
gelegt wird, der ihn offenbar nur auf Grund der eben angeführten Verse 
lehren lässt: nicht die Sinne, sondern der ög9ös λόγος sei Kriterium der 
Wahrheit, dieser sei theils göttlicher, theils menschlicher Art, nur der mensch- 
licbe aber, nicht der göttliche, lasse sich in der Rede mittheilen. 

3) Emp. V. 336 f. 186 ff. (5. ο. 8. 800, 3. 767, 1. Tuxorue. De sensu 
16, mit Beziehung auf diese Verse: ἀλλὰ μὴν οὐδὲ τὴν ἡδονὴν χαὶ λύπην 
ὁμολογουμένως ἀποδίδωσιν, ἥδεσθαι μὲν ποιῶν τοῖς ὁμοίοις λυπεῖσϑαι 
δὲ τοῖς ἐναντίοις. StoB. Floril. ed. Mein. IV, 235 f. vgl. Plac. V, 28. 
Kuanssun 461. 


806 Empedokles. [729] 


Wesen bedürftig ist, besteht die Begierde, die daher immer in 
letzter Beziehung auf eine seiner Natur angemessene Mischung 
der Stoffe gerichtet ist!). 


3. Die religiösen Lehren des Empedokles. 

Unsere bisherige Darstellung beschäftigte sich mit den 
physikalischen Annahmen des Empedokles. Alle diese Be- 
stimmungen gehen von denselben Voraussetzungen aus, und 
mag sich auch darin im einzelnen viel willkürliches finden, 
so lässt sich doch das Bestreben nicht verkennen, alles nach 
den gleichen Grundsätzen und aus den gleichen Ursachen zu 
erklären; sie erscheinen daher als Theile eines naturphilo- 
sophischen Systems, das zwar nicht nach allen Seiten hin 
vollendet, aber doch nach Einem Plan ausgeführt ist. An- 
ders verhält es sich mit gewissen religiösen Lehren und Vor- 
schriften, welche theils dem dritten Buche des physikalischen 
Lehrgedichts, theils und besonders den Katharmen entnommen, 
mit den wissenschaftlichen Grundsätzen unseres Physikers in 
keiner sichtbaren Verbindung stehen. In diesen Sätzen können 
wir nur Glaubensartikel sehen, die zu seinem philosophischen 
System von anderer Seite her hinzukamen, und demselben 
nur unvollkommen angegliedert wurden. Doch dürfen wir 
auch sie nicht übergehen. 

Ich beginne mit den Vorstellungen über die Seelenwande- 
rung und das jenseitige Leben. Es ist, wie uns Empedokles 
verkündigt, der unabänderliche Rathschluss des Schicksals, 
dass die Dämonen, welche sich durch Mord oder Meineid ver- 
gangen haben, für 30000 Horen von den Seligen verbannt 
werden, um die mühevollen Pfade des Lebens in den man- 
cherlei Gestalten der sterblichen Wesen zu durchwandern ?). 


1) Plac. a. 8. O. vgl. quast. conv. VI, 2, 6. 
2) V. 369 (1): ἔστεν ἀνάγκης χρῆμα ϑεὼῶν ψήφισμα παλαιὸν, 
ἀΐδιον, πλατέεσσι χατεσφρηγισμένον ὅρκοις" 
eure τις ἀμπλαχίῃσι φόνου φίλα yvia μεήνη 
αἵματος, ἢ ἐπίορχον ἁμαρτήσας ἐπομόσση 
δαίμων, olte μαχραίωνος λελάχασε βίοεο, 
τρίς μεν μυρίας ὦρας ἀπὸ μακάρων ἀλάλησϑαι, 
φυόμενον παντοῖα διὰ χρόνου εἴδεα ϑνητῶν, 
coyallas βιίτοιο μεταλλάσσοντα χελεύϑους. V. 369 setzt Benxars b. 


[730] Sinne und Denken; Gefühlund Begierde. 807 


Er setzt demnach | einen seligen Urzustand voraus, dessen 
Schauplatz der Himmel gewesen sein muss, denn von dem 
Sitze der Götter, klagt er, sei er auf die Erde, in diese Höhle 
herabgestürzt!), und die Rückkehr zu den Göttern wird den 
Frommen verheissen®). Der Dichter schildert in schwung- 
vollen Versen, angeblich aus eigener Erinnerung®), das Elend 
der schuldbelasteten Geister, die in rastloser Flucht durch alle 
Theile der Welt umhergeschleudert werden*), den Jammer 
und Schmerz der Seele, welche in den Ort der Gegensätze 
und des Streites, der Krankheit und der Vergänglichkeit ein- 
trat?), welche sich mit dem Gewande des | Fleisches um- 


Düunrer Akad. 86, 1 statt χρῆμα... „onua“. Ist aber auch χρῆμα = χρησ- 
μὸς sonst nicht üblich, so lässt es sich doch Empedokles wohl zutrauen, 
lautet feierlicher als ῥῆμα, und entspricht auch dem ϑεσμὸς besser, das 
Praro Phädr. 248 C in Erinnerung an unsere Stelle zu setzen scheint. Die 
Angaben späterer Zeugen übergehe ich hier und im folgenden, da sie nur 
wiederholen und umdeuten, was Empedokles selbst sagt. Man findet sie 
bei Sturz 448 fi. 

1) V.381 (7.9 M.): τῶν xal ἐγὼ νῦν εἰμὶ), φυγὰς ϑεόϑεν καὶ ἀλήτης, 

γνείχεξ μαινομένῳ πίσυνος. 

v. 390 (11. 15 Μ)): ἐξ οἵης τιμῆς τε χαὶ ὅσσου μήχεος ὄλβου 

ὦδε πεσὼν κατὰ γαῖαν ἀναστρέφομαι μετὰ ϑνητοῖς. (Text dieses V. 

sehr unsicher.) 

392 (31. 29 M.): ἠἡλύϑομεν τόδ᾽ ὑπ᾽ ἄντρον ὑπόστεγον. 

2) V. 449 £. 5. u. 808, 7. 

8) V. 383. (380. 11 M.): ἤδη γάρ ποτ᾽ ἐγὼ γενόμην χοῦρός TE κόρη TE 

ϑάμνος τ᾽ οἱωνός τε χαὶ εἰν all ἔλλοπος ἰχϑύς. 

4) V. 377 (16. 82 M.): αἰϑέριον μὲν γάρ σφε μένος πόντονδε δεώχεε, 

πόντος δ᾽ ἐς χϑονὸς οὖδας ἀπέπτυσε, γαῖα δ᾽ ἐς αὐγὰς ᾿ 

ἠελίου ἀχάμαντος, ὁ δ᾽ αἰϑέρος ἔμβαλε δίναις" 

ἄλλος δ᾽ ἐξ ἄλλου δέχεται στυγέουσι δὲ πάντες. Auf den gleichen 
Zustand scheint sich auch V. 400 (14. 80 M.) f. zu beziehen. 

5) V. 385 (13. 17M.): χλαῦσά τε καὶ χώχυσα, ἰδὼν ἀσυνήϑεα χῶρον, 

386 (21. 19 M.) ἔνϑα Φόγος τε Κύτος τε χαὶ ἄλλων ἔϑνεα χηρῶν, 

αὐχμηραί τε νύσοε χαὶ σήψιες ἔργα τε ῥευστά. Vgl. V. 393 (24. 22 M.) fi. 
die Schilderung der Gegensätze in der irdischen Welt, von Χϑονίη und 
᾿Ἡλεόπη (Erde und Feuer), Ζῆρες und ‘Apuovin (Hass und Liebe), Φισὼ 
und Φϑιμένη (Entstehen und Vergehen), Schönheit und Hässlichkeit, Grösse 
und Kleinheit, Schlafen und Wachen u. 8. w. (was man nur nicht mit Pıur. 
tranqu. an. 15, S. 474 dahin deuten darf, dass Empedokles jedem gute und 
böse Genien in’s Leben mitgebe). Vgl. auch 8. 7%, 1. 


808 Empedokles. ο [78] 


kleidet!), aus dem Leben in das Reich des Todes versetzt?) 
fand. Auf ihrer Wanderung sollen die verstossenen Dämonen 
nicht blos in menschliche und thierische, sondern auch in 
Pflanzenleiber eingehen®?), doch werden den Besseren in jeder 
von diesen Klassen die edelsten Wohnsitze vorbehalten ὅ). 
Den Zwisch enzustand nach dem Austritt der Seele aus dem 
Leibe scheint sich Empedokles nach Anleitung der herrschen- 
den Vorstellungen über den Hades gedacht zu haben). Ob 
er für alle Seelen eine gleiche Dauer ihrer Wanderung an- 
nahm, und wie er diese bestimmte, ist nicht ganz sicher®). 
Die Besten sollen zuletzt zu der Würde von Wahrsagern, 
Dichtern, Aerzten und Fürsten emporsteigen, um von da aus 
als Götter zu den Göttern zurückzukehren ?). 

Mit diesem Glauben steht nun bei Empedokles, neben 
sonstigen Reinigungen, von denen sich Spuren finden®), das 
Verbot des Fleischgenusses und des Tödtens von Thieren in 
Verbindung. Beides erscheint unserem Philosophen folge- 
richtig als der grösste Gräuel, als ebenso frevelhaft, wie die 


1) V. 402 (379. 414 M.): σαρχῶν ἀλλογνῶτε περιστέλλουσα χιτῶνι. 
Subjekt des Satzes ist nach Sto». ΕΚ]. I, 1048 ἡ δαίμων. 

2) V. 404 (378. 416 M.): dx μὲν γὰρ ζῴων ἐτίϑει νεχροειδέ᾽ ἀμείβων. 

3) 8. Anm, 4 S. 807, 3. 792, 3. 

4) Vgl. V. 488 (382. 448 M.): ἐν ϑήρεσσε λέοντες ὀρεελεχέες χαμαεεῦναι 

γέγνονταε δάφναι δ᾽ ἐνὶ δένδρεσεν ἠὐχόμοισιν. 

5) Darauf weist V. 889 (23. 21 M.), dessen nähere Beziehung freilich 
nicht bekannt ist: ἄτης ἄν λειμῶνα χατὰ σχότος ἠἡλάσχουσιν. 

6) Denn die τρεςμύριοι ὥραι V. 734 (oben 780, 1. 806, 2) sind mög- 
licherweise ebensowenig streng wörtlich zu nehmen, als das οὔποτε V. 445 ᾿ 
(420. 455 M.): τοιγάρτοι χαλεπῇσιν ἀλύοντες χακότησιν 

οὔποτε δειλαίων ἀχέων λωφήσετε ϑυμόν — wenn diess wirklich auf 
die Seelenwanderung geht. 

7) v. 447 (387. 457 M.): εἰς δὲ τέλος μάντεις τε χαὶ ὑμνοπόλοε χαὶ 

ἰητροὶ 

χαὶ πρόμοι ἀνθρώποισιν ἐπιχϑονίοισι πέλονται, 

ἔνϑεν ἀναβλαστοῦσε ϑεοὶ τιμῆσι φέριστοε, 

ἀϑανάτοις ἄλλοισιν ὁμέστιοι, αὐτοτράπεζοι, 

εὔνεες ἀνδρείων ἀχέων, ἀπόκχηροι, ἀτειρεὶς. 
Vgl. was 8.59, 3 aus Pindar angeführt wurde. Im Eingang der Katharmen 
Υ. 355. (392. 400 M.) sagt Empedokles schon von seinem jetzigen Leben: 

ἐγὼ δ᾽ ὕμμιν ϑεὸς ἄμβροτος, οὐχέτε ϑνητός. 

8) V. 442 (422. 452 M.) werden Lustrationen mit Quellwasser befohlen. 
Ueber den nicht sicher herzustellenden Text vgl. Dıers Herm. XV, 173 ἢ. 


[782] Seelenwanderung. 809 


Ermordung von Menschen | und der Genuss ihres Fleisches!). 
In den Thierleibern sind ja auch Menschenseelen, warum sollte 
"nicht das allgemeine Recht den Thieren gegenüber so gut 
gelten, als im Verhältniss zu unseren Mitmenschen??) Um 
ganz consequent zu sein, hätte Empedokles freilich diese 
Grundsätze auch auf die Pflanzenwelt ausdehnen müssen ?); ’ 
diess war aber natürlich nicht möglich, und so begnügt er 
sich, die Verletzung oder den Genuss weniger Gewächse *) 
wegen ihrer besonderen religiösen Bedeutung zu verbieten. 
So wichtig ihm aber dieser Glaube und diese Vorschriften 
für seine Person waren), mit seinem philosophischen System 
hängen sie innerlich nur theilweise zusammen, während sie 
ihm nach einer andern Seite unverkennbar widersprechen. 
Wenn sich Empedokles aus der Welt des Streits und der 
Gegensätze nach der Seligkeit eines Urzustandes zurücksehnt, 
in dem alles Friede und Harmonie war, so tritt uns darin 
allerdings die gleiche Stimmung und Ansicht in ihrer An- 
wendung auf das menschliche Leben enigegen, welche bei der 
Betrachtung des Weltganzen in der Lehre von den wechseln- 


1) V. 480 (410. 442 M.): μορφὴν δ᾽ ἀλλάξαντα πατὴρ φίλον υἱὸν ἀείρας 
σφάζει ἐπευχόμενος, μέγα νήπεος" οἱ δὲ πορεῦνται (φορ. DIELS a. ἃ. Ο. 


λεσσόμενοε ϑύοντος" ὁ δὲ νήχουστος ὁμοχλέων (so DiELs a. a. Ὁ. nach 
ΒΕΒακ) 

σφάξας δ᾽ ἐν μεγάροισε χακὴν ἀλεγύνατο ϑαῖτα. 

ὡς δ᾽ αὕτως πατέρ᾽ υἱὸς ἑλὼν χαὶ μητέρα παῖδες 

ϑυμὸν ἀποῤῥαίσαντε φίλας χατὰ σάρχας ἔδουσιν. In dem gleichen 
Zusammenhang wird das γαλχῷ ἅπο ψυχὴν ἀρύσας gestanden haben, das 
Arıst. Poöt. 21. 1457 b 13 anführt; vgl. Vanıen z. ἃ. St. Dırıs a. a. O. 

Υ. 436 (9. 13 M.): οἴμοι, ὅτ οὐ πρόσϑεν με dıwlsoe νηλεὲς ἦμαρ, 

πρὶν σχέτλε ἔργα βορᾶς περὶ χείλεσι μητίσασϑαι. V. 428 (416. 440 M.) f. 

2) Arıst. Rhet. I, 18. 1373 b 14: ὡς ᾿Εμπεδοχλῆς λέγεε περὶ τοῦ μὴ 

χτείνεειν τὸ ἔμψυχον᾽ τοῦτο μὲν γὰρ οὐ τισὶ μὲν δίκαιον τισὶ δ᾽ οὐ 

δίχαιον, ἀλλὰ τὸ μὲν πάντων νόμιμον διά τ᾽ εὐρυμέδοντος 

αἰϑέρος ἡνεχέως τέταται διά τ᾽ ἀπλέτου αὐγῆς (V. 425. 403 K. 451 M.). 

3) Wie Karsten 513 richtig beme kt. 

4) Des Lorbeers und der Bohnen V. 440 (418. 450 M.) f., falls nämlich 
der zweite von diesen Versen (δειλοὶ πάγνδεελοε χυάμων ἄπο χεῖρας ἔχεσϑε) 
empedokleisch ist, und wirklich diesen Sinn hat, denn er könnte sich mög- 
licherweise auch auf die Abstimmungen in der Volksversammlung beziehen. 

9) 8. Anm. 1. 2 und 8. 807. 


810 Empedokles. [732. 733] 


den Weltzuständen sich ausspricht; in beiden Fällen gilt der 
Zustand der Einheit für den besseren und ursprünglicheren, 
die Getheiltheit, der Gegensatz und der Streit der Einzel- 
wesen für ein Unglück, für etwas, das durch | eine Störung 
der ursprünglichen Ordnung, durch ein Verlassen des seligen 
Urzustandes entstanden sei. Liegen aber auch seine religiösen 
und seine physikalischen Lehren in Einer Richtung, so hat 
es doch unser Philosoph unterlassen, einen wissenschaftlichen 
Zusammenhang zwischen ihnen herzustellen, oder auch nur 
ihre Vereinbarkeit nachzuweisen. Denn wenn das geistige 
Leben nur eine Folge von der Verbindung der körperlichen 
Stoffe ist, so ist es als individuelles durch diese bestimmte 
Stoffverbindung bedingt, die Seele kann daher weder vor der 
Bildung ihres Leibes vorhanden gewesen sein, noch kann sie 
den Leib überdauern. Diese Schwierigkeit hat Empedokles 
so wenig bemerkt, dass er zu ihrer Beseitigung, so viel wir 
wissen, nicht das geringste gethan, und überhaupt keinen Ver- 
such gemacht hat, die Lehre von der Seelenwanderung mit 
seinen sonstigen Annahmen in Uebereinstimmung zu bringen; 
denn was er von der Bewegung der Grundstoffe sagt, die in 
wechselnden Verbindungen alle Gestalten durchwandern!), 
das hat mit der Wanderung der Dämonen durch die irdischen 
Leiber nur eine entfernte Aehnlichkeit, aber keinen sachlichen 
Zusammenhang?), und wenn die Elemente selbst mit Götter- 
namen bezeichnet?) und Dämonen genannt?) werden, so folgt 


1) S. 0.8. 762, 1. 755, 2. Ein Missverständniss ist es, wenn Karsten 
5. 5611 und Gravısch Emp. u. ἃ. Aeg. 61 in den ὃ. 755, 2 angeführten 
Versen ὅ] ff. die Präexistenz und Unsterblichkeit der Seele suchen, während 
sie vielmehr auf die Unvergänglichkeit der Grundstoffe gehen, aus denen die 
vergänglichen Wesen (βροτοὶ) bestehen. Ebensowenig durfte sich SchLiakr 
Emped. Agrig. 11 auf V. 381 (s. 807, 1) berufen, der nicht (wie er mit 
.Mullach glaubt) zu dem Werk π. φύσεως gehört, und gegen das obige so 
wenig beweist, wie das übrige, was er dort anführt. 

2) Alle Einzelwesen, auch die Götter und Dämonen, sind ihm zufolge 
erst aus der Verbindung der Elementarstoffe geworden, und vergehen wieder, 
wenn diese Verbindung sich auflöst, das Beharren der Grundstoffe ist daher 
etwas ganz anderes, als die Fortdauer der Individuen, die aus den Grund- 
stoffen zusammengesetzt sind. 

3) S. o. 758, 3. 769, 1 Schl. 

4) V. 254, 5. ο. 79, 4. 


[733. 734] Seelenwanderung. 811 


daraus durchaus nicht, dass Empedokles zwei so ganz ver- 
schiedene Dinge, wie die Seelenwanderung und den Kreislauf 
der Elemente, wirklich verwechselt, und mit dem, was er über 
die erste sagt, nur den zweiten gemeint hat!). Ebensowenig | 
werden wir die Seelenwanderung bei ihm als blosses Symbol 
für die Lebendigkeit der Natur und die stufenweise Entwick- 
lung des Naturlebens auffassen dürfen?). Er selbst hat nun 
einmal diese Lehre in ihrem buchstäblichen Sinn mit der 
grössten Feierlichkeit und Bestimmtheit vorgetragen, und sitt- 
liche Vorschriften darauf gegründet, die uns vielleicht sehr 
unwesentlich scheinen mögen, die aber für ihn unleugbar eine 
hohe Wichtigkeit haben. Es bleibt mithin nur die Annahme 
übrig, er habe die Lehre von der Seelenwanderung, und was 
damit zusammenhängt, aus der orphisch-pythagoreischen Ueber- 
lieferung aufgenommen), ohne diese Glaubensartikel mit 
seinen an einem andern Ort und in einem anderen Zusammen- 
hang vorgetragenen philosophischen Ueberzeugungen wissen- 
schaftlich zu verknüpfen‘). 

Aehnlich verhält es sich auch mit der Sage vom goldenen 
Zeitalter, die Empedokles in eigenthümlicher Weise aus- 
führt), | ohne dass wir doch in seinen sonstigen Lehren irgend 


1) Wie Sturz 471 ff. Rırter (Wolf’s Anal. II, 453 £. Gesch. ἃ. Phil. I, 
0863 f.). SCHLEIERMACHER Gesch. ἃ. Phil. 41 f. ΜΈΝΟΥ zu TenNnEManN I, 312 
u. a. nach Iruov De palingenesia veterum (Amsterd. 1733) 5. 233 ff. u. a. 
(s. Sturz a. a. O.) annehmen. 

2) Steınuart a. a. Ὁ. S. 103 f. Sexr. Math. IX, 127 fi. darf man für 
diese Auslegung nicht anführen, denn dieser, oder vielmehr der Stoiker, den 
er ausschreibt, legt Empedokles und den Pythagoreern die Seelenwanderung 
im buchstäblichen Sinn bei, nur dass er sie mit der stoischen Lehre vom 
Weltgeist begründet. 

3) Dass sich diess allerdings nicht aus der Uebereinstimmung seiner 
Aeusserungen mit orphischen Fragmenten beweisen lässt, wurde schon 8. 60, 2 
bemerkt. 

4) Dass ein derartiges gleichzeitiges Festhalten unvereinbarer Vor- 
stellungen möglich ist, zeigen zahllose Beispiele. Wie viele theologische 
Lehren sind nieht von christlichen Philosophen geglaubt worden, deren 
philosophische Consequenz diesen Lehren durchaus widersprechen würde! 

5) In den Versen, auf die schon Arısr. gen. et. corr. IH, 6. 334 a 5 
Rücksicht zu nehmen scheint, 405 (868 417 M.) ff. 

οὐδέ τις ἣν κείνοισιν Aons ϑεὸς οὐδὲ Κυδοιμὸς 


819 Empedokles. [735] 


einen Anhaltspunkt dafür fänden. Sie kann weder zur Schil- 
derung des Sphairos gehört haben !), denn in diesem waren 
noch keine Einzelwesen; noch zur Beschreibung des himm- 
lischen Urzustandes, denn diejenigen, welche im goldenen Zeit- 
alter lebten, werden ausdrücklich als Menschen bezeichnet, 
und ihre ganze Umgebung erscheint als eine irdische. Auch 
das hat wenig für sich, woran man nach der ebenange- 
führten aristotelischen Stelle denken könnte, dass das goldene 
Zeitalter in die Periode zu verlegen sei, in welcher die Aus- 
sonderung der Elemente aus dem Sphairos erst begonnen 
hatte, denn auf diese der jetzigen gegenüberstehende Form 
der Weltbildung ist Empedokles, wie früher gezeigt wurde, 
nicht eingegangen®). Es scheint demnach, er habe die My- 
then über das goldene Zeitalter eben benützt, um seine Grund- 
sätze über die Heiligkeit des Thierlebens einzuschärfen, ohne 
sich darum zu bekümmern, ob es in seinem eigenen System 
Raum fände. 

Neben diesen Lehren und Mythen ziehen hier noch die 
theologischen Vorstellungen unseres Philosophen unsere Auf- 
merksamkeit auf sich. Empedokles redet in viererlei Art von 
den Göttern. Für’s erste nennt er unter den Wesen, welche 
aus der Verbindung der Grundstoffe entstanden sind, auch 


οὐδὲ Ζεὺς βασιλεὺς οὐδὲ Κρόνος οὐδὲ Ποσειδὼν 

ἀλλὰ Κύπρις βασίλεια. Vgl. V. 421 (364. 483 M.) ff. Im folgenden 
heisst es dann, diese Götter seien mit unblutigen Opfern und Geschenken 
(vgl. über diese Bedeutung von ἄγαλμα Beenays Theophr. v. ἃ, Frömmig- 
keit 179; im vorhergehenden vermuthet Derselbe statt γραπτοῖς (W004 
ησταχτοῖς ζωροῖσι“, doch will mir das letztere nicht einleuchten, und Emp. 
kann immerhin behauptet haben, dass statt wirklicher ζῷα gemalte geopfert 
worden seien, ähnlich, wie ihm selbst von Favorın b. Dioc. VII, 53 und 
Pythagoras von Porra. V. P. 36 das Opfer eines aus Mehl gebackenen 
Stiers beigelegt wird) verehrt worden, alle Thiere haben mit den Menschen in 
Freundschaft gelebt, und die Gewächse Früchte im Ueberfluss gewährt. 
Vgl. auch oben 8.795, 1. Zu diesem Abschnitt scheinen (wie ich jetzt mit 
Sreıs und MuLLAcH annehme) auch V. 415 (440. 427 M.) ff. gehört zu haben, 
in denen von einem hochbegabten Propheten gesprochen wird; vgl. 8. 311, 
4 g. E. Sitzungsber. d. Berl. Akad. 1889, 989 f. 

1) Der sie Rırrer Gesch. ἃ. Phil. I, 543. 546. Krıscae Forschungen 
I, 123 zuweisen. 


2) 8. ο. 8. 785 f. 798, 3. 


[185. 736] Seelenwanderung. Goldenes Zeitalter. 813 


die Götter, die langlebenden, vor allen geehrten!). Diese 
Götter sind nun offenbar von den Gottheiten des polytheisti- 
schen Volksglaubens der Sache nach nicht verschieden, nur 
dass ihre Lebensdauer durch die empedokleische Kosmologie 
auf ein beschränktes Mass zurückgeführt wird?).. An nichts 
anderes werden wir auch bei den Dämonen zu denken haben, 
welche theils von Anfang an in dem Wohnsitz der Seligen 
sich erhalten, theils später aus der Irrfahrt der Seelenwande- 
rung dorthin zurückkehren®). An | den gleichen Volksglauben 
schliesst sich Empedokles 2) da an, wo er die Elemente und 
die bewegenden Kräfte Dämonen nennt und mit Götternamen 
bezeichnet*); indessen ist doch hier die mythische Hülle so 
durchsichtig, dass wir diesen Gebrauch der Götternamen ge- 
radezu als Allegorie betrachten können: seiner eigentlichen 
Meinung nach sind die sechs Urwesen zwar absolute und 
ewige Wesen, denen insofern das Prädikat „göttlich“ sogar 
ursprünglicher zukommt, als den gewordenen Göttern, aber 
eine Persönlichkeit ist diesen Wesen nur von dem Dichter 
vorübergehend geliehen. Nicht anders können wir 3) über 
die Gottheit des Sphairos urtheilen. Diese Mischung aller 
Stoffe ist ein Göttliches nur in dem Sinn, in welchem das 
Alterthum überhaupt in der Welt die Gesammtheit der gött- 
lichen Wesen und Kräfte sieht®). Endlich haben wir noch 


1) ν. 104 ff. (oben 762, 1) vgl. 119 (154. 134 M.) ff. 

2) 8. 5. 785, 1. 

3) S. o. 8. 806, 2. 807. 

4) Oben 769, 1 Schl. 758, 3. 771, 2. 

5) Das Gegentheil sucht WırtH d. Idee Gottes 172 ff. (vgl. Gladisch 
Emp. u. ἃ. Aeg. 31 f. 69 fi.) zu beweisen; er verbindet nämlich das, was 
über die Gottheit des Sphairos gesagt wird (s. o. 781, 1. 4) mit der Lehre 
von der Liebe, und beides mit den sogleich anzuführenden empedokleischen 
Versen, und gewinnt so die Vorstellung: Gott sei ein intelligentes Subjekt, 
sein Wesen sei die φελέα, seine primitive Existenz der Sphairos, der dess- 
halb auch selbst V. 138 (s. o. 780, 3) wie etwas persönliches beschrieben 
werde Wirth’s Hauptbeweisstelle für diese Annahme ist die Bemerkung 
des Aristoteles (s. o. 781, 1), dass der εὐδαιμονέστατος ϑεὸς des Empe- 
dokles (der Sphairos) unwissender sei, als alle andere Wesen, weil er den 
Hass nicht zu erkennen vermöge. Allein es müsste jemand mit der Art, 
wie Aristoteles seine Vorgänger beim Wort zu nehmen pflegt, wenig ver- 
traut sein, um daraus zu schliessen, dass Empedokles den Sphairos als ein 


814 Empedokles. [737] 


Verse von | Empedokles, worin er die Gottheit im Sinn und 
fast auch mit den Worten des Xenophanes als unsichtbar und 


intelligentes, dem Process des Endlichen entnommenes Subjekt betrachtet 
habe. Seine Aeusserung erklärt sich vollkommen, wenn ihm auch gar 
nichts weiter vorlag, als was auch uns noch V. 138. 142 (780, 3. 781, 4) 
vorliegt, wo der Sphairos als Gott und als ein seliges Wesen bezeichnet 
wird. Diese Bestimmungen greift Aristoteles auf, uud indem er damit die 
weitere Annahme verbindet, dass gleiches durch gleiches erkannt werde, so 
gelingt es ihm glücklich, dem Agrigentiner eine Ungereimtheit beizumessen. 
So wenig aber daraus folgt, dass Empedokles selbst gesagt hat, der Sphairos 
erkenne den Hass nicht, ebensowenig folgt auch, dass er überhaupt von 
einer Erkenntnissthätigkeit des Sphairos gesprochen hat, und auch der 
Superlativ εὐδαιμονέστατος ϑεὸς braucht sich nicht bei Empedokles gefunden 
zu haben (der ihn genau so schon aus metrischen Gründen nicht haben 
konnte), sondern Aristoteles kann ihn auch von sich aus gesetzt haben, 
entweder ironisch, oder weil er schloss, wenn die Einheit das wünschens- 
wertheste, der Streit das unheilvollste sei (Emp. V. 79 ff. 405 ff. St. 106 ff. 
368 ff. K. 80 ff. 416 ff. M. u. a.), so müsse das seligste Wesen das sein, in 
welchem gar kein Streit, sondern nur Einheit und Liebe ist. Als erweislich 
ist demnach nur das zu betrachten, dass der Sphairos von Empedokles als 
Gottheit und als seliges Wesen bezeichnet wurde. Aber Götter nennt er 
(wie Arıst. gen. et corr. II, 6. 333 b 20 selbst bemerkt) auch die Elemente 
und die aus den Elementen gewordenen Wesen, Menschen sowohl als Dä- 
monen, und als selig konnte er seinen Sphairos mit demselben Recht be- 
schreiben, wie PrATo diese unsere sichtbare Welt (vgl. Th. II a 816), auch 
wenn er ihn sich gar nicht als persönliches Wesen gedacht hat. Gesetzt 
aber auch, er habe ihn wirklich für ein solches gehalten, oder er habe ihm 
wenigstens, in der unklaren Weise der älteren Philosophen, trotz seiner an 
rich unpersönlichen Natur, einzelne persönliche Attribute, wie das Wissen 
beigelegt, so wäre damit doch noch lange nicht bewiesen, dass er Gott im 
monotheistischen Sinn, der höchste, dem Process des Endlichen entnommene 
Geist sei. Denn für’s erste wissen wir überhaupt nicht, ob Empedokles 
diese monotheistische Gottesidee gehabt hat, da sich die Verse, worin man 
sie sucht, nach Ammonius auf Apollo bezogen; und für’s zweite könnte 
er, wenn er sie gehabt hätte, den Sphairos unmöglich diesem höchsten Gott 
gleichgesetzt haben. Wenn der letztere nach Wirth dem Processe des End- 
lichen entnommen sein soll, so ist der Sphairos in diesen Process in dem 
Grade verwickelt, dass er selbst in seinem ganzen Bestand (s. S. 781, 4) 
durch den Hass zerrissen und in die getheilte Welt aufgelöst wird, und 
wenn die Gottheit in jenen Versen als reiner Geist geschildert wird, so ist 
der Sphairos die Mischung aller körperlichen Stoffe. Denn so oft auch 
(von Anaximenes und Diogenes, Heraklit und den Stoikern u. s. w.) einem 
stofflich gedachten Urwesen Vernunft und Denkkraft beigelegt worden ist, 
so wenig lässt sich doch annehmen, und so beispiellos ist es, dass Ein und 
derselbe Philosoph sich die Gottheit zugleich als den reinen Geist (φρὴν 


[7188] Theologie. 815 


unnahbar und | hoch erhaben über menschliche Gestalt und 
Beschränktheit, als reinen, die ganze Welt durchwaltenden 
Geist beschreibt!). Auch diese Aeusserung bezog sich zwar 
zunächst auf eine der Volksgottheiten 3), und auch abgesehen 
davon müssen wir annehmen, dass ein Mann, der allenthalben 
eine Vielheit von Göttern voraussetzt, und der in seinem 
ganzen Auftreten den Priester und Propheten zeigt, sich nicht 
in das feindselige Verhältniss zum Volksglauben gesetzt haben 
kann, wie sein eleatischer Vorgänger. Wenn man daher ge- 
wöhnlich in jenen Versen das Bekenntniss eines reinen Mo- 
notheismus sieht, so ist diess nicht richtig, und ebensowenig 
werden sie im Sinn eines philosophischen Pantheismus auf- 


ἱερὴ xal ἀϑέσφατος ἔπλετο μοῦνον) und als ein Gemenge aller körper- 
lichen Elemente vorgestellt haben sollte. Wirth’s Annahmen sind überhaupt 
mit den Grundlagen des empedokleischen Systems im Widerspruch. Nach 
seiner Darstellung (und ebenso nach GLaviscH a. a. O.) wäre das Erste die 
Einheit alles Seienden, die Gottheit, welche zugleich aller elementarische 
Stoff sein soll, und erst aus diesem einheitlichen Wesen könnten die be- 
sonderen Stoffe sich entwickelt haben; wir hätten also eine dem herakli- 
tischen Pantheismus verwandte Weltansicht. Empedokles selbst aber erklärt 
für das Erste und Ungewordene die vier Elemente und die zwei bewegenden 
Kräfte, die Mischung dieser Elemente dagegen, den Sphairos, bezeichnet er 
wiederholt und ausdrücklich als ein abgeleitetes, erst aus der Verbindung 
der ursprünglichen Principien entstandenes. Der Sphairos kann daher von 
ihm unmöglich für die Gottheit im absoluten Sinn, sondern immer nur für 
eine Gottheit gehalten worden sein. Vgl. 8. 781, 5. 
1) V. 344 (356. 389 M.): οὐχ ἔστεν πελάσασϑαι ἐν ὀφϑαλμοῖσιν ἐφιχτὸν 

ἡμετέροις ἢ χερσὶ λαβεῖν, ἥπερ τε μεγίστη 

πειϑοὺς ἀνθρώποισιν ἁμαξιτὸς εἰς φρένα πίπτει. 

οὐ μὲν γὰρ βροτέῃ (al.: οὔτε γὰρ ἀνδρομέῃ) χεφαλῇ κατὰ γυῖα χέχασται, 

οὐ μὲν anal νώτοιο δύο χλάδοι ἀΐσσονται, 

οὐ πόδες, οὐ ϑοὰ γοῦν᾽, οὐ μήδεα λαχνήεντα, 

ἀλλὰ φρὴν ἱερὴ καὶ ἀϑέσφατος ἔπλετο μοῦνον, 

φροντίσει x00uov ἅπαντα χαταΐσσουσα Jona. V. 344 gebe ich nach 

Dıeıs Herm. XV, 171. 

2) Auuox. De interpret. 199 Ὁ. Schol. in Arist. 135 a 21: διὰ ταῦτα 
δὲ ὁ Axgayavrivos σοφὸς ἐπιῤῥαπίζων τοὺς περὶ ϑεῶν ws ἀνϑρωποειδῶν 
ὄντων παρὰ τοῖς ποιηταῖς λεγομένους μύϑους ἐπήγαγε προηγουμένως μὲν 
περὶ ᾿Δπόλλωνος, περὶ οὗ ἣν αὐτῷ προσεχὴς ὁ λόγος, χατὰ δὲ τὸν αὐτὸν 
τρόπον καὶ περὶ τοῦ ϑείου παντὸς ἁπλῶς ἀποφαινόμενος, ηοὔτε γὰρ" U.8.W. 
Nach θιοα. VII, 57 (s. ο. 5. 754) hatte Empedokles ein προοίμεον εἰς 
Ἡπόλλωνα verfasst, das aber nach seinem Tode verbrannt sei. Sollte es 
sich am Ende doch erhalten haben? 

Philos. d. Gr. I. Bd. 5. Aufl. 52 


816 Empedokles. [739] 


zufassen sein, von dem sich bei Empedokles sonst nicht | blos 
keine Spur findet!), sondern der auch einer Grundbestimmung 
seines Systems, der ursprünglichen Mehrheit der Stoffe und 
wirkenden Kräfte, widerstreiten würde. Aber die Absicht 
einer Läuterung des Volksglaubens liegt immerhin darin, und 
er selbst spricht diese Absicht deutlich genug aus, wenn er 
im Eingang zum dritten Buch seines physikalischen Lehr- 
gedichte den Werth der wahren Gotteserkenntniss preist 
und die falschen Vorstellungen von den Göttern beklagt?), und 
die Muse anruft, ihm zu einer guten Rede über die seligen 
Götter zu verhelfen?). Auch diesem reineren Götterglauben 
fehlt es jedoch an einer wissenschaftlichen Verknüpfung mit 
seinen philosophischen Ansichten. Ein mittelbarer Zusammen- 
hang beider findet allerdings statt: einem Philosophen, bei 
welchem der Sinn für Erkenntniss der natürlichen Ursachen 
so entschieden entwickelt war, mussten wohl die Anthropo- 
morphismen des Volksglaubens weniger zusagen. Aber jene 
theologischen Bestimmungen selbst greifen weder in die Grund- 
lagen noch in die Ausführung des empedokleischen Systems 
ein. Der Gott, welcher mit seinem Denken das Weltall durch- 
eilt, ist weder Weltschöpfer noch Weltbildner, denn der Grund 
der Welt liegt allein in den vier Urstoffen und den zwei be- 
wegenden Kräften. Ebensowenig kann ihm, nach den Voraus- 
setzungen des Systems, die Weltregierung zustehen; denn der 
Weltlauf hängt, so weit die lückenhaften Erklärungsversuche 
unseres Philosophen überhaupt reichen, gleichfalls nur von der 
Mischung der Grundstoffe und von der wechselnden Wirkung 
des Hasses und der Liebe ab, die ihrerseits einem unabänder- 
lichen Naturgesetz folgen; für die persönliche Thätigkeit der 
Gottheit ist in seiner Lehre nirgends ein Raum offen gelassen, 
und auch die Nothwendigkeit, in welcher Rırter*) die Eine 


l) Ueber die Stelle des Sextus, welche ihm gemeinschaftlich mit den 
Pythagoreern die stoische Lehre vom Weltgeist beilegt, vgl. S. 416, 3. 

2) V. 342 (354. 387 M.): ὄλβιος ὃς ϑείων πραπέδων ἐχτήσατο πλοῦτον, 

δειλὸς δ᾽ ᾧ σχοτόεσσα ϑεὼν πέρι δόξα μέμηλεν. 

3) V. 338 (888 M.): εἰ γὰρ ἐφημερίων ἕνεκέν τί σοι, ἄμβροτε Μοῦσα, 

ἡμετέρης ἔμελεν μελέτας διὰ φροντίδος ἐλϑεῖν, 

εὐχομένῳ νῦν αὖτε παρίστασο, Καλλιόπεια, 

ἀμφὶ ϑεῶν μαχάρων ἀγαϑὸν λόγον ἐμφαίνοντι. 

4) Gesch. ἃ. Phil. I, 544. 


[140] Theologie. 817 


bewegende | Kraft, die Einheit der Liebe und des Hasses, 
sehen will, hatbei Empedokles nicht diese Bedeutung). Ebenso- 
wenig kann bei der Gottheit, auf welche sich die obige Be- 
schreibung bezieht, an die Liebe gedacht werden, denn die 
Liebe ist nur die eine von den zwei wirkenden Kräften, wel- 
cher die andere gleich stark gegenübersteht, und sie wird von 
Empedokles nicht als ein über der Welt freiwaltender Geist, 
sondern als eines der sechs in den Dingen verbundenen Ele- 
mente behandelt?). Die geistigere Gottesidee unseres Philo- 
sophen steht daher neben seinen wissenschaftlichen Ansichten 
ebenso unvermittelt, wie der Volksglaube, an den sie selbst 
nach dem obigen zunächst anknüpft, und wir werden sie dess- 
halb nicht unmittelbar aus jenen, sondern nur aus anderwei- 
tigen Gründen herleiten können: einerseits aus dem Vorgang 
des Xenophanes, dessen Einfluss sich auch im Ausdruck der 
empedokleischen Stelle so deutlich verräth®), andererseits aus 
dem gleichen sittlich-religiösen Interesse, das wir in seinem 
reformatorischen Auftreten gegen die blutigen Opfer der herr- 
schenden Religion wahrnehmen konnten. So wichtig aber 
diese Züge auch sind, wenn es sich darum handelt, ein voll- 
ständiges Bild von der Persönlichkeit und dem Wirken des 
Empedokles zu gewinnen, oder im besonderen seine religions- 
geschichtliche Stellung zu schildern, so ist doch ihr Zusammen- 
hang mit seinen philosophischen Ueberzeugungen zu lose, als 
dass wir ihnen für die Geschichte der Philosophie eine grössere 
Bedeutung beilegen könnten. 


4. Der wissenschaftliche Charakter und die geschichtliche 
Stellung der empedokleischen Lehre. 


Ueber den Werth der empedokleischen Philosophie und 
über ihr Verhältniss zu früheren und gleichzeitigen Systemen 
waren schon im Alterthum die Stimmen getheilt, und in der 
Folge hat sich diese Verschiedenheit der Ansichten eher ver- 
mehrt als vermindert. Während Empedokles bei seinen Zeit- 


1) 8. o. 8. 774, 2. 775, 1. 

2) S. 8. 771, 2. 

3) Wie sich aus der Vergleichung des S. 526 angeführten ergibt. 
52* 


818 Empedokles. | [141] 


genossen einer hohen Verehrung genoss, die aber freilich 
weniger | dem Philosophen gegolten zu haben scheint, als dem 
Propheten und dem Volksmann?!), und während auch Spätere 
von den entgegengesetztesten Standpunkten aus seiner mit der 
grössten Achtung erwähnen®), scheinen doch PrATo®) und 
ARISTOTELES?) sein philosophisches Verdienst weniger hoch 
anzuschlagen; und in der neueren Zeit tritt der begeisterten 
Lobpreisung, die ihm von einzelnen zu Theil geworden ist®), 


1) S. ο. 5. 752 £. 

2) Einerseits, wie bekannt, die Neuplatoniker, deren Umdeutung empe- 
dokleischer Lehren schon erwähnt wurde, andererseits wegen seiner dich- 
terischen Grösse und seiner physikalischen, der Atomistik verwandten Rich- 
tung, Lucker. N. R. 1, 716 fl.: quorum Acragantinus cum primis Empedocles est, 

insula quem triquetris terrarum gıssit in oris, ..... 
quae cum ımagna modis multis miranda videtur, .. . . » 
nil tamen hoc habuisse viro pracclarius in se 

nec sanclum magis et mirum carumque videlur. 

carmina quin eliam divini peoloris ejus 

vooiferantur et exzponunt praeelara reperta, 

μὲ vir humana videalur slirpe creatus. 

3) Soph. 242 E, wo Empedokles im Gegensatz gegen Heraklit als der 
μαλακώτερος bezeichnet wird. 

4) Aristoteles spricht zwar nirgends ein Gesammturtheil über Empe- 
dokles aus, was er aber bei Gelegenheit äussert, lässt vermuthen, dass er 
ihn als Naturforscher einem Demokrit, als Philosophen einem Parmenides 
und Anaxagoras nicht gleichstellte.e Die Art, wie manche empedokleische 
Lehren widerlegt werden (z. B. Metaph. I, 4. 985 a 21. III, 4. 1000 a 24 ff. 
XII, 10. 1075 b die Bestimmungen über Liebe und Hass, ebd. I, 8. 989 Ὁ 
19. gen. et corr. I, 1. 314 b 15 fl. II, 6 die Lehre von den Elementen, 
Pbys. VII, 1. 252 a die Annahme über die Weltperioden, Phys. I, 8. 
199 b 10 die βουγενῆ, Meteor. 11, 9. 369 b 11 ff. die Erklärung der Blitze), 
ist allerdings um nichts schärfer, als wir es auch sonst von ihm gewohnt 
sind; dass Meteor. II, 3. 357 a 24 die Vorstellung vom Meer, als einer 
Ausschwitzung der Erde, lächerlich gefunden wird, hat nicht viel auf sich, 
und die tadelnden Aeusserungen über die Ausdrucksweise und den dich- 
terischen Werth der empedokleischen Werke (Rhet. III, 5. 1407 a 34. Post. 
1. 1447 b 17), denen überdiess ein Lob (Ὁ. Dıoc. VIII, 57) gegenübersteht, 
würden die Philosophie des Empedokles als solche nicht treffen. Aber die 
Vergleichung mit Anaxagoras Metaph. I, 3. 984 a 11 lautet entschieden 
ungünstig für Empedokles, und das ψελλίζεσθαις ebd. 4. 985 a 4, wenn es 
auch I, 10 auf die ganze ältere Philosophie ausgedehnt wird, macht doch 
immer den Eindruck, es solle ihm ein besonderer Mangel an klaren Begriffen 
schuldgegeben werden. . 

5) Lomuarzsch in der S. 750, 1 erwähnten Schrift. 


[742] Stellung und Charakter seiner Lehre. 819 


andererseits mehr | als Ein geringschätziges Urtheil entgegen 1). 
Fast noch weiter gehen die Ansichten über das Verhältniss 
des Empedokles zu den älteren Schulen auseinander. PLATo 
(a. a. Ὁ.) stellt ihn mit Heraklit, ARISTOTELES gewöhnlich mit 
Anaxagoras, Leucipp und Demokrit, auch wohl mit den älteren 
Joniern zusammen?); seit den Alexandrinern jedoch ist es 
gewöhnlich, ihn unter die Pythagoreer zu rechnen. Die Neueren 
sind fast ohne Ausnahme von dieser Ueberlieferung abge- 
gangen?), ohne doch im übrigen zu einer übereinstimmenden 
Auffassung zu gelangen; denn während ihn die einen den 
Joniern beizählen und neben dem jonischen Kern seiner Lehre 
höchstens einen kleineren Zusatz von pythagoreischem und 
eleatischem zugeben‘), machen ihn andere umgekehrt zum 
Eleaten®), und ein Dritter®) stellt ihn als Dualisten Anaxa- 
goras zur Seite; doch scheinen sich nachgerade die meisten 
dahin zu verständigen, dass in der empedokleischen Lehre 
verschiedene Elemente, pythagoreische, eleatische und jonische, 
namentlich aber die beiden letzteren, gemischt seien’); in 
welchem Verhältniss jedoch und nach welchen Gesichtspunkten 
sie verknüpft, oder ob sie mehr nur | eklektisch aneinander- 
gereiht sind, darüber ist man immer noch nicht einig. 


1) Vgl. Heser Gesch. ἃ. Phil. I, 337. Μαάββαάση Gesch. d. Phil. I, 75. 
Fries Gesch. ἃ. Phil. I, 188. 

2) Z. B. Metaph. I, 8. 984 a 8. c. 4. c. 6 Schl. c. 7. 988 a 32. Phys. 
L, 4. VIIL 1. gen. et corr. I, 1.8. De calo II, 7 u. ὅ. 

3) Nur LoumaAtzscH folgt ihr noch unbedingt; ihm zunächst steht WırrH 
(Idee der Gottb. 175) mit der Behauptung, das ganze System des Empe- 
dokles sei vom Geist des Pythagoreismus durchweht. Ast Gesch. ἃ. Phil. 
1. A. S. 86 beschränkt das pythagoreische auf die spekulative Philosophie 
des Empedokles, wogegen seine Naturphilosophie auf den Jonismus zurück- 
geführt wird. 

4) Teuuzmann Gesch. d. Phil. I, 241 f. ScHLEIERMACHER Gesch. d. Phil. 
37 &. Branvıs gr.-röm. Phil. I, 188. Rh. Mus. IH, 123 ff. ΜΆΑΈΒΑΟΗ a. ἃ. O. 

5) Rırrter a. ἃ. ἃ. Ὁ. Branıss 8. ο. 8. 148. 168 f. ῬΕΤΈΞΒΒΕΝ 8. S. 169, 4. 
Grapısca in Noack’s Jahrb. f. spek. Phil. 1847, 697 ff. 

6) SrrümrerL Gesch. ἃ. theoret. Phil. ἃ. Griechen 55 ἢ. 

7) M. 8. Ἠξαει, a. a. O. 821. Wenot zu Tennenann I, 277 f. K. F. Her- 
mann Gesch. u. Syst. ἃ. Plat. I, 150. Karsten 5. 54. 517. Keıscuz For- 
schungen I, 116. Stzınuarr a. a. O.8. 105 vgl. 92. ScHuwesLer Gesch. d. 
gr. Phil. 36. Hays Allg. Enc. Ste Sect. XXIV, 36 f. Sıawarr Gesch. d. 
Phil. 1, 75. Ueserwea Grundr. I, $ 22 u. a. 


820 Empedokles. [743. 744] 


Um eine Entscheidung zu finden, könnte man zunächst 
die Angaben der Alten über die Lehrer des Empedokles zu 
befragen geneigt sein. Indessen lässt sich damit auf keinen 
sicheren Grund kommen. ALCmAMAs soll ihn als einen Schüler 
des Parmenides bezeichnet haben, der sich aber später von 
seinem Lehrer getrennt habe, um den Anaxagoras und Pytha- 
goras zu hören!). Das letztere lautet aber freilich so aben- 
teuerlich, dass wir vermuthen müssen, was der bekannte 
Schüler des Gorgias gesagt hatte, liege uns in dem späteren 
Berichte darüber in entstellter Gestalt vor?); sollte dem aber 
auch nicht so sein, so würde nur folgen, dass schon Alcidamas 
ohne wirkliche Kenntniss des Sachverhalts aus der Verwandt- 
schaft der Ansichten auf eine persönliche Verbindung der 
Philosophen geschlossen hätte. Als Schüler des Pythagoras 
wurde Empedokles auch von Tımäus bezeichnet®). Derselbe 
fügt bei, er sei wegen Entwendung von Reden (Aoyoxdorzeia) 
von der pythagoreischen Schule ausgeschlossen worden, und 
ähnliches erzählt auch NeAntaes*), durch dessen Zeugniss 
indessen die Sache an Glaubwürdigkeit nicht gewinnt; gegen 
ihre Angabe spricht schon der Umstand, dass sie auf unge- 
schichtlichen Voraussetzungen über das Schulgeheimniss | der 
Pythagoreer beruht. Andere wollten unsern Philosophen lieber 
blos zum mittelbaren Schüler des Pythagoras machen), ihre 


1) Dioe. VII, 56: Aluıdauas δ᾽ ἐν τῷ φυσικῷ φησι κατὰ τοὺς 
αὐτοὺς χρόνους Ζήνωνα καὶ Ἐμπεδοχλέα ἀχοῦσαι Παρμενίδου, εἶϑ᾽ ὕστερον 
ἀποχωρῆσαι καὶ τὸν μὲν Ζήνωνα zart ἰδίαν φιλοσοφῆσαι, τὸν δ᾽ Avafa- 
γόρου διακοῦσαε καὶ Πυϑαγόρου᾽ χαὶ τοῦ μὲν τὴν σεμνότητα ζηλῶσαε τοῦ 
τε βίου καὶ τοῦ σχήματος, τοῦ δὲ τὴν φυσιολογίαν. 

2) So Karsten S. 49 und auch mir ist diess das wahrscheinlichste, 
mag nun Alcidamas, wie K. vermuthet, nur von Pythagoreern, deren Schüler 
Empedokles wurde, oder mag er nur von einem Anschluss an die Lehre 
des Pythagoras und Anaxagoras, nicht von einer persönlichen Schülerschaft 
gesprochen haben; im ersten Fall konnte der Ausdruck of ἀμφὶ Πυϑαγόραν, 
im andern das ἀχολουϑεῖν oder ein ähnliches Wort zu dem Missverständniss 
Anlass geben. 

3) Dıog. VII, 54. Spätere, wie Tzetzes (8. Strunz S. 14. Karsten 
8. 50), kann ich übergehen. 

4) B. Dıoc. VII, 55 5. o. 287 m. 

5) In einem Briefe, den Pythagoras’ Sohn Telauges an Philolaos ge- 
richtet haben sollte, dessen Aechtheit aber schon Neanthes bezweifelte, und 


[144. 745] Lehrer und Reisen. 891 


Aussagen sind aber gleichfalls so widersprechend, einzelne der- 
selben so offenbar falsch, und alle so wenig verbürgt, dass 
wir nicht im geringsten darauf bauen können. Wenn endlich 
Empedokles von vielen nur im allgemeinen als Pythagoreer 
bezeichnet wird!), ohne dass über seine Lehrer und sein Ver- 
hältniss zur pythagoreischen Schule näheres mitgetheilt würde, 
so wissen wir durchaus nicht, ob diese Bezeichnung auf be- 
stimmter geschichtlicher Ueberlieferung oder nur auf Ver- 
muthung beruht. Glaubwürdiger erscheinen die Aussagen, 
welche ihn mit der eleatischen Schule in persönlichen Zu- 
sammenhang setzen; denn kann er auch den Xenophanes, für 
dessen Jünger ihn Herımippus erklärte?), nicht mehr gekannt 
haben, so steht doch der Annahme, dass er mit Parmenides 
in persönlichem Verkehr war ?), keine geschichtliche Unwahr- 
scheinlichkeit im Wege; ob ihn freilich Taeopur4stT als per- 
sönlichen Schüler des Parmenides bezeichnen, oder nur seine 
Bekanntschaft mit der Schrift | desselben behaupten wollte, 
lässt sich nicht mit Sicherheit erkennen®); wir müssen es 


der auch durch Dıoc. VII, 53. 74 verdächtig wird, war Empedokles als 
Schüler des Hippasus und Brontinus bezeichnet (Dıioe. VIII, 55); um nichts 
gesicherter ist die Aechtheit des Gedichts, dessen ersten Vers mit einer 
Anrede an Telauges Dıos. VIII, 43 nach Hippobotus anführt. Eben dieses 
Gedicht mag zu der Annahme (ziris b. Dıoa. a. a. Ο. Eus. pr&p. X, 14, 9 
und nach ihm ΤῊἨΒΟΡΟΒΕΤ cur. gr. afl. II, 28. S. 24. Su. ᾿Εμπεδοχλῆς) 
Anlass gegeben haben, dass Telauges selbst (oder wie Tzerz. Chil. III, 902 
will: Pythagoras und Telauges) sein Lehrer sei. Supas Agyures macht 
gar den Archytas zum Lehrer des Empedokles. 

1) Beispiele gibt Sturz 13 f. Kansten 8. 53. Vgl. auch folg. Anm. 
und Pnıror. De an. C 1 m. (wo statt Τίμαιος , Ἐμπεδοκλῆς“ zu setzen 
ist); ebd. Ὁ 16 o. 

2) Dıoe. VI, 56: Ἕρμιππος δ' οὐ Παρμενίδου, Ξενοφάνους δὲ 
γεγονέναε ζηλωτὴν, ᾧ καὶ συνδιατρῖψαι χαὶ μεμήσασϑαι τὴν ἑποποεΐαν᾽ 
ὕστερον δὲ τοῖς Πυϑαγορικοῖς ἐντυχεῖν. Vgl. Dıioc. IX, 20 die angebliche 
Antwort des Xenophanes an Empedokles. 

8) Smer. Phys. 25, 19: ’Eun. ὁ Axoayasrivos, οὐ πολὺ χατόπιν τοῦ 
Avafayopov γεγονὼς, Παρμενίδου δὲ ζηλωτὴς χαὶ πλησιαστὴς χαὶ ἔτι 
μᾶλλον τῶν Πυϑαγορείων. OLYMPIODoR in Gorg. procem. Schl. (Jaum’s 
Jahrbb. Supplementb. XIV, 112.) Suıpas ᾿Ἐμπεδοχλῆς, und PoRPuYR ebd., 
der ihn aber ohne Zweifel mit Zeno verwechselt, wenn er sagt, er sei der 
Geliebte des Parmenides gewesen. Aucıpauas, 8. ο. 820, 1. 

4) Dass er ihn ζηλωτὴς Παρμενίδου genannt hatte, liesse sich schon 
der Stelle des Simplicius mit hoher Wahrscheinlichkeit entnehmen, da der 


822 Empedokles. [745] 


daher immerhin dahingestellt sein lassen, ob er wirklich den 
Unterricht des Parmenides, oder blos sein Lehrgedicht benützt 
hat. Wird er vollends ein Schüler des Anaxagoras genannt!), 
so ist diess aus sachlichen und chronologischen Gründen so 
unwahrscheinlich?), dass es als ein ganz verfehlter Versuch 
betrachtet werden muss, wenn KARSTEN die äussere Möglich- 
keit ihrer Verbindung durch Vermuthungen zu retten sucht, 
welche zudem auch an sich selbst sehr gewagt wären®). Noch 
willkürlicher ist es, wenn ihm weite Reisen in den Orient bei- 
gelegt werden *), welche nicht einmal Diogenes bekannt sind; 
die einzige Veranlassung zu dieser Angabe lag ohne Zweifel 
in dem Ruf der Magie, in dem unser Philosoph stand, wie 
diess auch bei ihren Gewährsmännern selbst klar hervortritt®). 


ganze Bericht, in dem sie sich findet, im wesentlichen ein Auszug aus 
Theophrast's Geschichte der Physik ist; das gleiche bestätigt aber auch 
Dıos. VIL, 55: ὁ δὲ Θεόφραστος Παρμενίδου φησὶ ζηλωτὴν αὐτὸν γενέ- 
090 καὶ μιμητὴν ἐν τοῖς ποεήμασι. Dagegen wird es durch eben diese 
Stelle zweifelhaft gemacht, ob Simpl. auch den πλησιαστὴς Theophrast ent- 
nommen hat, und der Zusatz über die Pythagoreer scheint ihm selbst an- 
zugehören. Auch Dies Doxogr. 477, 17 f. hält dieses beides nicht für 
theophrastisch. 

1) 8. o. 820, 1. 

2) Der Beweis wird in dem Abschnitt über Anaxagoras geliefert werden. 

3) KARsten meint nämlich 5. 49, Empedokles möge etwa gleichzeitig 
mit Parmenides, um Ol. 81, nach Athen gekommen sein, und hier den 
Anaxagoras gehört haben. Allein alles, was uns von seiner ersten Reise 
nach Griechenland berichtet wird, weist auf einen Zeitpunkt, in dem Em- 
pedokles bereits auf der Höhe seines Ruhmes stand (vgl. Dıos. VII, 66. 
53. 63. Ατηξν. I, 3 e. XIV, 620 d. Sumas Axowv), und auch seinen philo- 
sophischen Standpunkt ohne Zweifel längst gewonnen hatte. 

4) Pin. H. nat. XXX, 1, 9 redet zwar nur von weiten Reisen, die 
Empedokles, gleichwie Pythagoras, Demokrit und Plato, gemacht habe, um 
die Magie zu erlernen; er kann aber dabei nur an Reisen in den Orient 
denken, wie sie ihm auch Pritostr. V. Apoll. I, 2, S. 3 zuzuschreiben 
scheint, wenn er ihn zu denen rechnet, die mit Magiern verkehrt haben. 

5) Schon dadurch wird es nun sehr unwahrscheinlich, dass das empe- 
dokleische System zu der ägyptischen Theologie in einem solchen Verhält- 
niss stehen sollte, wie GravischH (in den 8. 27, 4 genannten Schriften) an- 
nimmt. Denn eine so genaue Kenntniss und so vollständige Aneignung des 
ägyptischen Vorstellungskreises wäre ohne einen längeren Aufenthalt in 
Aegypten selbstverständlich ganz undenkbar; dass sich aber von einem 
solchen weder bei Diogenes, der über Emp. so vieles, gerade auch aus 
alexandrinischen Quellen, mitzutheilen weiss, und der namentlich die Be- 


[146] Lehrer und Reisen. 8233 


Während demnach ein Theil dessen, | was uns über die Lehrer 
des Empedokles erzählt wird, offenbar fabelhaft ist, haben wir 


richte über seine Lehrer sorgfältig gesammelt hat, noch bei sonst einem 
Schriftsteller eine bestimmte Ueberlieferung erhalten haben sollte, erscheint 
um so unglaublicher, wenn man bedenkt, wie eifrig sonst von den Griechen 
seit Herodot alle, selbst die fabelhaftesten Angaben aufgesucht und fort- 
gepflanzt wurden, die ihre Weisen mit dem Orient, und namentlich mit 
Aegypten, in Verbindung setzten. Die innere Verwandtschaft zwischen dem 
System des Empedokles und der ägyptischen Lehre müsste daher sehr be- 
stimmt ausgeprägt sein, wenn die Vermuthung eines geschichtlichen Zu- 
sammenhangs zwischen denselben berechtigt sein sollte. Davon hat mich 
jedoch Gladisch, so viel Mühe und Scharfsinn er auch hiefür aufgeboten 
hat, nicht überzeugt. Der Glaube an eine Seelenwanderung und die damit 
verbundene Ascese waren lange vor Empedokles in Griechenland eingebürgert, 
den Aegyptern dagegen (vgl. S. 61 f.) fremd. Anderes wird den Aegyp- 
tern nur auf Grund hermetischer Schriften und anderer ebenso unzuver- 
lässiger Quellen beigelegt, oder es bietet an sich selbst zu wenig charak- 
teristisches, um etwas daraus schliessen zu können. Sehen wir davon ab, 
so bleiben unter den von Gladisch gezogenen Parallelen nur drei Ver- 
gleichungspunkte übrig: die empedokleische Lehre vom Sphairos, von den 
Elementen, von Liebe und Hass. Allein vom Sphairos ist bereits gezeigt 
worden (S. 818 f.), dass er unserem Philosophen nicht das Urwesen ist, 
aus dem alles sich entwickelt, sondern etwas abgeleitetes, aus den allein 
ursprünglichen Wesen zusammengesetztes; sollte daher auch richtig sein 
(was hinsichtlich der altägyptischen, voralexandrinischen Theologie jedenfalls 
wesentlich zu modificiren sein wird), dass die Aegypter die höchste Gottheit 
als eins mit der Welt auffassten und die Welt für den Leib der Gottheit 
hielten, ja liesse sich selbst eine Entwicklung der Welt aus der Gottheit 
bei ihnen nachweisen, so würde diess immer noch keine nähere Verwandt- 
schaft ihrer Ansicht mit der empedokleischen begründen, weil der letzteren 
gerade diese Bestimmungen fehlen. Was andererseits die vier Elemente 
betrifft, so ist nicht allein der empedokleische Begriff des Elements sichtbar 
aus der Physik des Parmenides entsprungen, sondern auch die Annahme 
dieser vier bestimmten Grundstoffe (die für sich allein nicht einmal ent- 
scheidend wäre) hat Gladisch in keinem Bericht aus der voralexandrinischen 
Zeit aufzuzeigen vermocht; in ägyptischen Darstellungen finden sich, wie 
Lersıus (Ueber die Götter ἃ. vier Elemente bei d. Aegyptern. Abh. ἃ. Berl. 
Akademie 1856. Hist. phil. Kl. S. 181 ff. vgl. besonders S. 196 f.) nach- 
gewiesen hat, und BruaschH (bei Gladisch selbst, Emp. u. d. Aeg. 144) be- 
stätigt, die vier Paare von Elementargöttern nicht vor den Ptolemäern, 
zuerst unter Ptolemäus IV (222—204 v. Chr... Die vier Elemente sind also 
offenbar nicht von den Aegyptern zu den Griechen, sondern von den Griechen 
zu den Aegyptern gekommen, und auch Manetho hat sie unverkennbar nur 
von ihnen. Gerade in dem, was Eos. pr. ev. II, 2, 8 und Dıog. prooem. 10 aus 
ihm und seinem Zeitgenossen Hekatsus über die Elemente mittheilen, ist die 


804 Empedokles. [747] 


auch bei dem wahrscheinlicheren keine | Gewähr dafür, dass 
es wirklich aus geschichtlicher Ueberlieferung geflossen ist; 
wir erhalten daher von dieser Seite her tiber sein Verhältniss 
zu seinen Vorgängern keinen Aufschluss, den uns die Be- 
trachtung seiner Lehre nicht besser und mit grösserer Sicher- 
heit gewähren könnte. 

Wir können in derselben dreierlei Bestandtheile unterschei- 
den: solche, die der pythagoreischen, solche, die der eleatischen, 
und solche, die der heraklitischen Ansicht verwandt sind. Diese 
verschiedenen Elemente haben aber für das philosophische System 
des Empedokles nicht die gleiche Bedeutung. Der Einfluss des 
Pythagoreismus trittnur indem mystischen Theil seiner Lehre, in 
den Aussprüchen über die Seelenwanderung und die Dämonen, 
und in den hiemit zusammenhängenden Lebensvorschriften 
entschieden hervor, in der Physik dagegen macht er sich theils 
gar nicht, theils nur an einzelnen untergeordneten Punkten 
geltend. Von jenen Lehren können wir allerdings kaum be- 
zweifeln, dass sie unserem Philosophen zunächst von den 
Pythagoreern zukamen, mögen auch diese selbst sie aus den 
orphischen Mysterien aufgenommen haben, und mag auch 
Empedokles mit seinen Grundsätzen über die Tödtung der 
Thiere und das Fleischessen eine strengere Anwendung davon 
gemacht haben, als die ursprünglichen Pythagoreer. Ebenso 
ist zu vermuthen, dass ihm in seinem persönlichen Auftreten 
das Vorbild des Pythagoras vorgeschwebt hat. Auch sonst 
hat er vielleicht die eine und andere religiöse Bestimmung von 
den Pythagoreern angenommen, wiewohl weitere bestimmte 
Spuren davon nicht vorliegen, denn von dem Bohnenverbot 
ist es sehr unsicher, ob es altpythagoreisch war!). Mag er 


stoische Lehre mit Händen zu greifen. Sollen endlich Isis und Typhon 
das Vorbild der φεολέα und des veixos sein, 80 ist diese Parallele so weit 
hergeholt, und die Bedeutung jener ägyptischen Gottheiten von derjenigen 
der beiden empedokleischen Naturkräfte so verschieden, dass man die letz- 
teren von vielen andern mythologischen Gestalten mit dem gleichen, von 
einzelnen derselben (wie Ormuzd und Ahriman) mit viel grösserem Recht 
herleiten könnte. 

1) Vgl. S. 319 m. Dass es übrigens auch bei Empedokles nicht ganz 
sicher steht, ist schon 8. 809, 4 bemerkt worden. 


[148] Verhältniss zum Pythagoreismus. 8925 


aber auch nach dieser Seite | hin mehr oder weniger von den 
Pythagoreern entlehnt haben, so wäre es doch voreilig, dar- 
aus zu schliessen, dass er in jeder Beziehung Pythagoreer ge- 
wesen sei, oder zum pythagoreischen Bund gehört habe. Schon 
sein politischer Charakter müsste uns davon abhalten. Als 
Pythagoreer hätte er ein Anhänger der altdorischen Aristo- 
kratie sein müssen, während er statt dessen auf der entgegen- 
gesetzten Seite, an der Spitze der agrigentinischen Demokratie 
steht. Wie er sich in dieser Beziehung, trotz seiner pytha- 
goraisirenden Theologie, den Pythagoreern entgegenstellt, so 
kann es sich auch in Betreff seiner Philosophie verhalten. Die 
religiösen Lehren und Vorschriften, die er von den Pytha- 
goreern entlehnt hat, stehen mit seinen naturphilosophischen 
Ansichten, wie gezeigt wurde, nicht blos in keinem inneren 
Zusammenhang, sondern geradezu im Widerspruch. In seiner 
Physik ist des pythagoreischen nur sehr wenig. Von dem 
Grundgedanken des pythagoreischen Systems, dass die Zahlen 
das Wesen der Dinge seien, findet sich bei ihm keine Spur; 
die arithmetische Construction der Figuren und der Körper, 
die geometrische Ableitung der Elemente liegt von seinem 
Wege ganz und gar ab; die pythagoreische Zahlensymbolik 
ist ihm bei aller sonstigen Vorliebe für bildliche und symbo- 
lische Ausdrucksweise durchaus fremd!); die Mischungsver- 
hältnisse der Elemente versucht er zwar in einzelnen Fällen 
nach Zahlen zu bestimmen, aber diess ist doch etwas ganz 
anderes, als das Verfahren der Pythagoreer, welche die Dinge 
unmittelbar für Zahlen erklärten. Auch von seiner Lehre 
über die Elemente haben wir es unwahrscheinlich gefunden ?), 
dass der Pythagoreismus erheblich darauf eingewirkt hat. Der 
genauere Begriff des Elements ohnediess, wonach es ein be 


1) Selbst wenn neben anderem auch die pythagoreische Tetraktys 
dazu beigetragen haben sollte, dass er die Zahl der Elemente auf vier fest- 
stellte, wäre diess doch wahrscheinlich nur ein nebensächlicher Grund für 
ihn gewesen (vgl. 5. 760); noch weniger hätte es auf sich, wenn er die Be- 
zeichnung ῥιζώματα (V. 88 s. ο. 758, 3) dem pythagoreischen Schwur ent- 
nommen hätte (wie u. a. ScuLägeRr Emped. Agrig. u. s. w. Eisenach 1878. 
Progr. 8. 8 annimmt); indessen kann es sich auch umgekehrt verhalten, da 
uns das Alter jener Schwurformel unbekannt ist; vgl. S. 294, 4. 

2) S. o. 8. 760 vgl. 5. 408. 


820 ‚Empedokles. [748. 749] 


sonderer, in seiner qualitativen Bestimmtheit unveränderlicher 
Stoff ist, fehlt den Pythagoreern durchaus und ist erst von 
Empedokles aufgestellt worden; vor ihm konnte er schon dess- 
halb | nicht vorhanden sein, weil er ganz und gar auf den 
Untersuchungen des Parmenides über das Werden beruht. 
Der Einfluss der pythagoreischen Zahlenlehre auf das empe- 
dokleische System ist daher, wenn ein solcher überhaupt statt- 
gefunden hat, jedenfalls nur gering anzuschlagen. Ebenso 
werden wir an die Tonlehre, welche bei den Pythagoreern mit 
der Zahlenlehre so eng verknüpft war, von Empedokles nur 
ganz oberflächlich durch den Namen der Harmonie erinnert, 
den er der Liebe neben anderen beilegt; aber nirgends, wo 
von der Wirkung derselben die Rede ist, findet sich die Ver- 
gleichung mit dem Einklang der Töne, nirgends eine Spur 
von Kenntniss des harmonischen Systems oder eine Erwähnung 
der harmonischen Grundverhältnisse, die den Pythagoreern so 
geläufig sind; und da Empedokles ausdrücklich behauptet, dass 
keiner seiner Vorgänger die Liebe als allgemeine Naturkraft 
gekannt habe!), so erscheint es sehr zweifelhaft, ob er sie 
überhaupt in dem Sinn Harmonie nennt, in welchem die Pytha- 
goreer sagten, dass alles Harmonie sei, und ob er diesen Aus- 
druck ebenso, wie diese, in der musikalischen, und nicht viel- 
mehr in der ethischen Bedeutung gebraucht hat. Wenn ferner 
die Pythagoreer mit ihrer arithmetischen und musikalischen 
Theorie auch ihr astronomisches System in Verbindung brach- 
ten, so ist dieses Empedokles gleichfalls fremd: er weiss 
nichts vom Centralfeuer und der Bewegung der Erde, von der 
Harmonie der Sphären, vom Unterschied des Uranos, Kosmos 
und Olympos®), von dem Unbegrenzten ausser der Welt und 
dem leeren Raum in derselben; das einzige, was er hier von 


1) S. o. 8. 804, 4 Schl. 

2) Was allein hieran erinnern könnte, die Angabe, dass er das Gebiet 
unter dem Monde für den Schauplatz des Uebels gehalten habe, ist unsicher 
(s. o. 790, 1) und würde überdiess nur eine entfernte Aehnlichkeit begründen, 
denn der Gegensatz des Irdischen und des Himmlischen, deren Grenzscheide 
der Mond als der unterste Himmelskörper ist, drängt sich schon der sinn- 
lichen Anschauung auf; die bestimmtere Unterscheidung der drei Regionen 
aber fehlt Empedokles: V. 150 (187. 241 M.) f. gebraucht er οὐρανὸς und 
ὄὕλυμπος gleichbedeutend. 


[749. 750] Verhältniss zum Pythagoreismus. 827 


den Pythagoreern entlehnt hat, ist die Meinung, dass Sonne 
und Mond glasartige Körper seien, und dass auch die Sonne 
fremdes Feuer zurückstrahle; denn dass er die nördliche Seite 
der Welt als die rechte betrachtet haben soll, ist ganz un- 
erheblich, da ! diess nicht blos pythagoreisch ist. Mit diesem 
wenigen sind aber wohl alle Aehnlichkeiten zwischen der 
empedokleischen und pythagoreischen Physik erschöpft. Einen 
tiefergreifenden Einfluss der einen auf die andere wird man 
in dem angeführten nicht finden können. Mag daher auch 
Empedokles den Glauben an eine Seelenwanderung und die 
weiteren damit zusammenhängenden Sätze in der Hauptsache 
von den Pythagoreern entlehnt haben, seine wissenschaftliche 
Weltansicht hat sich in allen Hauptpunkten unabhängig von 
jenen gebildet, und nur wenige und minder wesentliche Be- 
stimmungen hat er aus dem Pythagoreismus aufgenommen. 
Ungleich mehr hat Empedokles für seine Philosophie den 
Eleaten, und insbesondere Parmenides zu danken. Von ihm 
stammt schon ihr erster, für die ganze weitere Entwicklung 
so entscheidender Grundsatz, die Leugnung des Werdens und 
Vergehens; und um uns über diesen Ursprung desselben 
keinen Zweifel übrig zu lassen, hat unser Philosoph seine 
Behauptung mit den gleichen Gründen bewiesen, und theil- 
weise auch mit den gleichen Worten ausgesprochen, wie sein 
Vorgänger!). Wenn ferner Parmenides die Wahrheit der 
sinnlichen Wahrnehmung desshalb bestreitet, weil sie uns im 
Entstehen und Vergehen ein Nichtsein zeigt, so folgt ihm Empe- 
dokles hierin, und auch die Ausdrücke entsprechen sich bei 
beiden in diesem, wie in dem vorigen Falle?). Weiter schliesst 
Parmenides, weil alles ein seiendes ist, sei alles Eines, und 
die Vielheit der Dinge sei blosser Schein der Sinne. Empe- 
dokles kann diess für den jetzigen Weltzustand nicht zugeben, 
aber doch weiss er sich der Folgerung des Parmenides auch 
nicht ganz zu entziehen; er ergreift daher den Ausweg, die 


1) M. vgl. mit V. 46 δ΄. 90. 92 f. des Empedokles (oben 8. 755, 1. 2) 
Parm. V. 47. 62—64. 67. 69 f. 76 (8. 558 ff.), und, mit dem νόμῳ des Em- 
pedokles V. 44 (8. 758, 1) das ἔϑος πολύπεερον Parm. V. 54 (S. 508). 

2) Vgl. Emp. V. 45 fi. 81 (8. 755, 1. 804, 3), Parm. V. 46 fi. 53 ff. 
(S. 558). 


828 Empedokles. (750. 751] 


zwei Welten des parmenideischen Gedichts, die Welt der 
. Wahrheit und die der Meinung, als verschiedene Weltzustände 
zu fassen, indem er beiden volle Wirklichkeit zuerkennt, aber 
dafür ihre Dauer auf bestimmte Perioden beschränkt. Auch 
für die nähere Beschreibung der beiden Welten ist der | Vor- 
gang des Parmenides massgebend. Der Sphairos ist kugel- 
gestaltig, einartig und unbewegt, wie das Seiende des Parme- 
nides!), die jetzige Welt ist, wie bei jenem die Welt der 
täuschenden Meinung, aus entgegengesetzten Elementen zu- 
sammengesetzt, deren Vierzahl Empedokles im weiteren Ver- 
lauf auch wieder auf die parmenideische Zweiheit zurück- 
führte?), und aus diesen Elementen entstehen die Dinge da- 
durch, dass die Liebe, dem Eros und der weltbeherrschenden 
Göttin®) des Parmenides entsprechend, das Verschiedenartige 
verknüpft. In seiner Kosmologie nähert sich Empedokles 
seinem Vorgänger, neben der Bestimmung über die Gestalt 
des Weltganzen, durch die Behauptung, dass es keinen leeren 
Raum gebe*); in seiner Astronomie durch seine Vorstellung 
vom Sternenhimmel). Im weiteren ist es namentlich die 
organische Physik, für welche er sich die Annahmen des 


1) Um sich von der Verwandtschaft beider Schilderungen, auch im 
Ausdruck, zu überzeugen, vgl. m. Emp. V. 134 fi., namentlich V. 138 (oben 
S. 780, 8) mit Parm. V. 102 ff. (8. 561, 4). Darauf, dass der Sphairos von 
ARISTOTELES auch geradezu das Eine genannt wird (s. o. 8. 781, 3), soll 
hier kein Gewicht gelegt werden, da diese Bezeichnung gewiss nicht von 
Empedokles herrührt, und ebensowenig auf die Göttlichkeit, die ihm (S. 781, 
1.4) beigelegt wird, da der Sphairos von Empedokles jedenfalls nicht in dem 
absoluten Sinn Gott genannt wird, in dem Xenophanes das Eine Weltganze 
so genannt hatte. 

2) 8. o. 5. 761, 1. 

3) Die ebenso, wie die φελέα bei der Weltbildung, in der Mitte des 
Ganzen ihren Sitz hat, und wenigstens von Plutarch auch Aphrodite ge- 
nannt wird; 8. ο. S. 570, 2. 577, 8. 

4) S. o. S. 768, 1. 560, 2. Mit Parm. V. 144, über den Mond, vgl. 
m. Emped. V. 154 (190 K. 245 M.). So gross jedoch, als Arkır Parm. et 
Emp. doctrina de mundi structura (Jena 1857) S. 10 ff. die Uebereinstim- 
mung der parmenideischen und empedokleischen Astronomie findet, scheint 
sie mir nicht zu sein. 

5) Sofern nämlich dieser (vgl. 5. 787), ähnlich wie die gemischten 
orepavaı des Parmenides (S. 573), als eine dunkle Masse mit eingesprengten 
lichten Punkten beschrieben wird. Vgl. Diers Gorg. u. Emped. 352. 


[751. 752] Verhältniss zur eleatischen Lehre. 829 


Parmenides aneignet. Was Empedokles über die Entstehung 
der Menschen aus dem Erdschlamm, über die Bildung der 
Geschlechter, über den Einfluss der Wärme und Kälte auf 
den Geschlechtsunterschied sagt, knüpft trotz mancher Ab- 
weichungen und Zusätze zunächst an ihn an!). Den schlagend- 
sten Vergleichungspunkt bietet jedoch hier die Ansicht der 
beiden Philosophen über die Erkenntnissthätigkeit, welche sie 
beide aus der Mischung der körperlichen Bestandtheile ab- 
leiten, | indem sie annehmen, jedes Element empfinde das ihm 
verwandte?). Empedokles unterscheidet sich in dieser Be- 
ziehung von dem eleatischen Philosophen, abgesehen von der 
verschiedenen Bestimmung der Elemente, nur durch eine ge- 
nauere Entwicklung der gemeinsamen Voraussetzungen. 

An Xenophanes erinnern neben den Klagen über die 
Beschränktheit des menschlichen Wissens®) vor allem die 
Verse, in denen Empedokles eine Reinigung der anthropomor- 
phistischen Göttervorstellung versucht*). Mit seinen philo- 
sophischen Ansichten steht aber diese reinere Gottesidee 
allerdings in keinem unmittelbaren wissenschaftlichen Zusammen- 
hang. 

So bedeutend und unleugbar aber auch hienach der Ein- 
fluss der eleatischen Lehre auf Empedokles gewesen ist, 80 
kann ich ihn doch nach seiner Gesammtrichtung den Eleaten 
nicht beizählen, und Rırrer, der ihm diese Stellung gibt, 
nicht beitreten. Rırrer ist der Meinung, Empedokles weise 
der Physik das gleiche Verhältniss zur wahren Erkenntniss 
an, wie Parmenides, auch er sei geneigt, vieles nur als Schein 
der Sinne zu betrachten, ja die ganze Naturlehre in diesem 
Lichte zu behandeln. Wenn er sich nichtsdestoweniger vor- 
zugsweise dieser Seite zuwandte, von dem Einen Seienden da- 
gegen nur mythisch, in der Schilderung des Sphairos redete, 
so möge diess theils von dem verneinenden Charakter der 
eleatischen Metaphysik, theils von der Ueberzeugung her- 
rühren, dass die göttliche Wahrheit unaussprechbar und dem 


1) 8. 8. 798 Β΄. vgl. m. 5. 578 ἢ. 
2) S. 8. 579. 800. 

3) S. 804, 4 vgl. m. 5. 548 ἢ, 

4) Oben 8, 815, 1. 


890 Empedokles. [752. 753] 


menschlichen Verstand unzugänglich sei!). Empedokles selbst 
jedoch deutet die Absicht, in der Physik nur unsichere Mei- 
nungen zu berichten, nicht blos mit keinem Wort an, sondern 
er widerspricht dieser Auffassung sogar ausdrücklich. Er 
unterscheidet allerdings die sinnliche und die Vernunfterkennt- 
niss, aber das gleiche thun Heraklit, Demokrit und Anaxa- 
goras noch viel bestimmter, so wenig sie auch die Vielheit 
und Veränderlichkeit der Dinge bezweifeln; er setzt dem un- 
vollkommenen menschlichen das vollkommene göttliche Wissen 
entgegen; aber auch hierin ist ihm Xenophanes und Heraklit 
vorangegangen, | ohne dass sie darum die Wahrheit des ge- 
theilten und veränderlichen Seins bestritten, oder andererseits 
sich in ihrer Forschung auf die täuschende Erscheinung be- 
schränkt hätten?). Nur dann könnte die Physik des Empe- 
dokles mit der des Parmenides unter den gleichen Gesichts- 
punkt gestellt werden, wenn er selbst erklärte, er wolle darin 
nur die unrichtigen Meinungen der Menschen darstellen. Da- 
von ist er aber so weit entfernt, dass er vielmehr umgekehrt 
versichert, seine Darstellung solle nicht täuschende Worte 
enthalten®). Wir haben daher durchaus kein Recht, zu be- 
zweifeln, dass seine physikalischen Lehren ernstlich gemeint 
sind, und wir dürfen in allem dem, was er über die ursprüng- 
liche Mehrheit der Stoffe und der bewegenden Kräfte, über 
den Wechsel der Weltperioden, über das Werden und Ver- 
gehen der Einzelwesen sagt, nur seine eigene Ueberzeugung 
erblicken *); wie es ja auch gegen alle innere Wahrscheinlich- 
keit und gegen jede geschichtliche Analogie wäre, dass ein 
Philosoph seine volle Thätigkeit daran gewandt hätte, Meinun- 


1) Worr's Analekten U, 423 ff. 458 fl. Gesch. ἃ. Phil. I, 514 fl. 
sol fl. 

2) S. 0. 5. 548 ἢ 
3) V. 86 (113. 87 M.): σὺ δ᾽ ἄκουε λόγων στόλον οὐχ ἀπατηλὸν — 
unverkennbar in beabsichtigtem Gegensatz zu Parm. V. 112 (8. ο. 582, 2): 
χόσμον ἐμῶν ἐπέων ἀπατηλὸν ἀχούων. Emp. gibt seine Versicherung zu- 
nächst mit Bezug auf die Lehre von der Liebe; da aber diese mit den 
_ übrigen physikalischen Annahmen, insbesondere denen über den Hass und 
die Elemente, auf's engste zusammenhängt, muss sie von seiner ganzen 
Physik gelten. 

4) Vgl. S. 779, 1. 


[753. 754] Verhältniss zur eleatischen Lehre. 831 


gen, die er selbst in ihrer ganzen Grundlage für verfehlt hielt, 
nicht etwa nur neben der richtigen Ansicht und im Gegensatz 
zu ihr, sondern in eigenem Namen und ohne eine Andeutung 
des richtigen Standpunkts in aller Ausführlichkeit zu ent- 
wickeln. Von der eleatischen Lehre über das Seiende liegen 
aber freilich die physikalischen Ansichten des Empedokles 
weit ab. Parmenides kennt nur Ein Seiendes ohne alle Be- 
wegung, Veränderung und Getheiltheit; Empedokles hat sechs 
ursprüngliche Wesen, die sich qualitativ freilich nicht ver- 
ändern, aber räumlich sich theilen und bewegen, die ver- 
schiedenartigsten Mischungsverhältnisse eingehen, in endlosem 
Wechsel sich verbinden und trennen, sich zu Einzelwesen be- 
sondern und wieder | aus ihnen zurücknehmen, eine bewegte 
und getheilte Welt bilden und wieder auflösen. Diese empe- 
dokleische Weltansicht auf die parmenideische dadurch zurück- 
zuführen, dass das Princip der Besonderung und Bewegung in 
der ersteren für etwas unwirkliches, nur in der Vorstellung 
existirendes erklärt wird, ist ein Versuch, von dessen Unhalt- 
barkeit wir uns auch schon früher überzeugt haben!). Das 
Richtige wird vielmehr sein, dass Empedokles von den Eleaten 
zwar sehr viel entlehnt hat, und dass namentlich der Vorgang 
des Parmenides für die Principien wie für die Ausführung 
seines Systems massgebend gewesen ist, dass aber die Haupt- 
richtung seines Denkens nichtsdestoweniger nach einer anderen 
Seite hingeht. Denn wie viel er jenem auch im übrigen zu- 
geben mag, gerade in der Hauptsache weicht er von ihm ab: 
die Wirklichkeit der Bewegung und des getheilten Seins wird 
von ihm ebenso entschieden vorausgesetzt, als von Parmenides 
geleugnet; während dieser die ganze Mannigfaltigkeit der Er- 
scheinungen in dem Gedanken der Einen Substanz auslöscht, 
sucht er seinerseits zu zeigen, wie sie sich aus der ursprüng- 
lichen Einheit entwickelt hat, und sein ganzes Bestreben geht 
dahin, dasjenige zu erklären, dessen Undenkbarkeit Parme- 
nides behauptet hatte, die Vielheit und die Veränderung; 
dieses beides hängt nämlich nach der Ansicht aller älteren 
Philosophen auf’s engste zusammen, und wie die Eleaten durch 


1) S. 774, 2. 
Philos. ἃ. Gr. 1. Bd. 5. Aufl. 9 


832 Empedokles. [754. 755] 


ihre Lehre von der Einheit alles Seins zur Bestreitung des 
Werdens und der Bewegung gedrängt wurden, so wird auf 
der entgegengesetzten Seite beides gleichzeitig behauptet, 
mochte man nun mit Heraklit die Vielheit der Dinge durch 
die ewige Bewegung des Urwesens sich entwickeln lassen, 
oder mochte man umgekehrt die Bewegung und Veränderung 
durch die Mehrheit der ursprünglichen Stoffe und Kräfte be- 
dingt setzen. Das System des Empedokles begreift sich nur 
aus der Absicht, die Wirklichkeit der Erscheinungen zu retten, 
welche Parmenides in Anspruch genommen hatte. Er weiss 
der Behauptung, dass kein absolutes Werden und Vergehen 
möglich sei, nicht zu widersprechen, ebensowenig kann er 
sich aber entschliesen, auf die Vielheit der Dinge, auf die 
Entstehung, die Veränderung und den Untergang | der Einzel- 
wesen zu verzichten; er ergreift daher den Ausweg, alle diese 
Erscheinungen auf die Verbindung und Trennung qualitativ 
unveränderlicher Stoffe zurückzuführen, deren es aber noth- 
wendig mehrere von entgegengesetzter Beschaffenheit sein 
müssen, wenn die Mannigfaltigkeit der Dinge daraus erklärt 
werden soll. Sind aber die Urstoffe an sich selbst unver- 
änderlich, so werden sie aus dem Zustand, in dem sie sich 
befinden, nicht hinausstreben, die Ursache ihrer Bewegung 
kann daher nicht in ihnen selbst liegen, sondern die bewegen- 
dei Kräfte werden als besondere Wesen von ihnen zu 
unterscheiden sein; und da nun alle Veränderung und Be- 
wegung in der Verbindung und Trennung der Stoffe bestehen 
soll, da es andererseits, nach den allgemeinen Grundsätzen 
über die Unmöglichkeit des Werdens, unzulässig scheinen 
mochte, die verbindende Kraft auch wieder als trennende 
zu setzen und umgekehrt, so sind, wie Empedokles 
glaubt, zwei bewegende Kräfte von entgegengesetzter Be- 
schaffenheit und Wirkung anzunehmen, eine verbindende und 
eine trennende, die Liebe und der Hass. Ebenso wird dann 
auch weiter in dem Erzeugniss der Urkräfte und Urstoffe die 
Einheit und die Vielheit, die Ruhe und die Bewegung, an 
verschiedene Weltzustände vertheilt: die vollkommene Einigung 
und die vollkommene Trennung der Stoffe sind die zwei Pole, 
zwischen denen das Leben der Welt kreist; an diesen beiden 


(755. 756] Verhältniss zu Parmenides. 833 


Endpunkten erlischt seine Bewegung unter der ausschliess- 
lichen Herrschaft der Liebe und des Hasses, zwischen ihnen 
liegen Zustände der theilweisen Vereinigung und Trennung, 
der Einzelexistenz und der Veränderung, des Entstehens und 
des Vergehens. Gilt aber auch hiebei die Einheit aller Dinge 
für den höheren und seligeren Zustand, so wird doch zugleich 
anerkannt, dass der Gegensatz und die Getheiltheit ebenso 
ursprünglich sei, und dass in der Welt, wie sie einmal ist, 
der Hass und die Liebe, die Vielheit und die Einheit, die Be- 
wegung und die Ruhe sich das Gleichgewicht halten; ja es 
wird die jetzige Welt im Vergleich mit dem Sphairos sogar 
vorzugsweise als die Welt der Gegensätze und der Verände- 
rung, die Erde als der Schauplatz des Kampfs und des Lei- 
dens, und das irdische Leben als die Zeit einer ruhelosen | 
Bewegung, einer unseligen Wanderung für die gefallenen 
Geister betrachtet. Die Einheit alles Seins, welche die Eleaten 
als wirklich und gegenwärtig behauptet hatten, liegt für Empe- 
dokles in der Vergangenheit, und so sehr er sich nach ihr 
zurücksehnen mag, unsere Welt unterliegt seiner Meinung 
nach im vollsten Masse der Veränderung und der Getheiltheit, 
die Parmenides für eine blosse Täuschung der Sinne erklärt 
hatte, 

In allen diesen Zügen spricht sich eine Denkweise aus, 
welche sich von der des Parmenides ebensoweit entfernt, als 
sie sich andererseits der heraklitischen annähert; und diese 
Verwandtschaft geht auch wirklich so weit, dass wir zu der 
Annahme genöthigt sind, Heraklit’s Lehre habe auf Empe- 
dokles und sein System entscheidend eingewirkt. Schon die 
ganze Richtung der empedokleischen Physik erinnert an den 
ephesischen Philosophen. Wie dieser überall in der Welt 
Gegensatz und Veränderung sieht, so findet auch Empedokles . 
in der gegenwärtigen Welt, wie sehr er diess immer beklagen 
mag, allenthalben Streit und Wechsel, und sein ganzes System 
ist darauf angelegt, diese Erscheinung begreiflich zu machen. 
Die unbewegte Einheit alles Seins ist wohl die Voraussetzung, 
von der er ausgeht, und das Ideal, das ihm in weiter Ent- 
fernung vorschwebt, aber das wesentliche Interesse seiner 


Forschung ist der bewegten und getheilten Welt zugewendet, 
53* 


834 Empedokles. (756. 757] 


und ihr leitender Gedanke liegt in dem Bestreben, über das 
Seiende eine Ansicht zu gewinnen, aus der sich die Mannig- 
faltigkeit und der Wechsel der Erscheinungen begreifen lässt. 
Wenn er nun hiefür auf seine vier Elemente und die zwei 
bewegenden Kräfte zurückgeht, so lässt er sich hiebei eines- 
theils allerdings durch die Untersuchungen des Parmenides 
leiten, zugleich ist aber auch in beiden Beziehungen Heraklit’s 
Einfluss nicht zu verkennen : die vier empedokleischen Elemente 
sind eine Erweiterung der drei heraklitischen!), und noch be- 
stimmter entsprechen die zwei bewegenden Kräfte den zwei 
Principien, in denen Heraklit die wesentlichen Momente des 
Werdens erkannt, und die er ebenso, wie später Empedokles, | 
mit dem Namen des Streites und der Harmonie bezeichnet 
hatte. In der Trennung des verbundenen und der Vereinigung 
des getrennten sehen beide Philosophen die Angelpunkte des 
Naturlebens, und dabei ist beiden der Gegensatz und die 
Trennung das erste; Empedokles verwünscht zwar den Streit, 
welchen Heraklit als den Vater aller Dinge gepriesen hatte, 
aber die Entstehung der Einzelwesen weiss auch er nur von 
seinem Eintreten in den Sphairos herzuleiten, und er hat hie- 
für im wesentlichen den gleichen Grund, wie jener; denn so 
wenig aus dem Einen Urstoff Heraklit’s bestimmte und ge- 
sonderte Erscheinungen hervorgehen könnten, wenn er sich 
nicht in die entgegengesetzten Elemente umwandelte, ebenso- 
wenig könnten dieselben aus den vier Grundstoffen unseres 
Philosophen hervorgehen, wenn diese im Zustand vollkommener 
Mischung verharrten. Empedokles unterscheidet sich von 
seinem Vorgänger, wie diess schon PrATo richtig erkannt 
hat?), nur dadurch, dass er die Momente, welche dieser als 
gleichzeitige zusammengefasst hatte, in getrennte Vorgänge 
auseinanderlegt, und im Zusammenhang damit von zwei be 
wegenden Kräften herleitet, was Heraklit nur als die zwei 
Seiten einer und derselben, dem lebendigen Urstoff inne- 
wohnenden Wirkung betrachtet hatte. Aehnlich werden auch 


1) Vgl. S. 759 f. Selbst in den Worten berührt sich Empedokles mit 
Heraklit, wenn er den Ζεὺς agyns nennt, was dieser den αἴϑριος Ζεὺς 
genannt hatte; 8. o. 758, 3. 672, 1. 

2) 8. ο. 8. 656, 8. 771, 2. 


[757. 758] Verhältniss zu Heraklit. 835 


Heraklit’s Annahmen über den Wechsel der Weltbildung und 
Weltzerstörung von Empedokles verändert, indem er den Fluss 
des Werdens, der bei Heraklit nie stille steht, durch Zeiten 
der Ruhe unterbricht!), aber jene Lehre selbst verdankt er 
gewiss keinem andern, als dem ephesischen Philosophen. Da 
nun überdiess auch das Altersverhältniss beider Männer die 
Annahme begünstigt, Empedokles sei mit Heraklit’s Schrift 
bekannt gewesen, und da schon vor ihm sein Landsmann 
Epicharmus auf die heraklitische Lehre anspielt?), so können 
wir um so weniger bezweifeln, dass zwischen den Ansichten 
der beiden Philosophen nicht blos eine innere Verwandtschaft, 
sondern auch ein äusserer Zusammenhang stattfindet, dass 
Empedokles nicht blos von Parmenides aus zu allen jenen tief- 
greifenden Lehren gekommen ist, | in denen er mit Heraklit 
übereinstimmt?), dass er vielmehr diese Seite seines Systems 
wirklich von seinem ephesischen Vorgänger entlehnt hat. Ob 
und wieweit er dagegen mit den älteren Joniern bekannt war, 
lässt sich nicht ausmachen. 

Aus den vorstehenden Erörterungen ergibt sich, dass das 
philosophische System des Empedokles seiner allgemeinen 
Richtung nach nichts anderes ist, als ein Versuch, die Viel- 
heit und den Wechsel der Dinge aus der ursprünglichen Be- 
schaffenheit des Seienden zu erklären, dass alle seine Grund- 
bestimmungen aus einer Verknüpfung parmenideischer und 
heraklitischer Anschauungen entstanden sind, dass aber das 
Eleatische in dieser Verbindung dem Heraklitischen unter- 
geordnet, und das wesentliche Interesse des Systems nicht der 
metaphysischen Untersuchung über den Begriff des Seienden, 
sondern der physikalischen über die Naturerscheinungen und 
ihre Gründe zugewandt ist. Sein leitender Gesichtspunkt liegt 
in dem Satze, dass die Grundbestandtheile der Dinge der 
qualitativen Veränderung so wenig, als der Entstehung und 
des Untergangs, fähig seien, dass sie dagegen in der mannig- 
faltigsten Weise verbunden und wieder getrennt werden 
können, und dass in Folge dessen das aus den Grundstoffen 


1) 8. o. S. 778 fi. 
2) S. ο. S. 496. 499, 1. 
3) Wie Grapisch meint, Emped. und die Aeg. 19 f. 


τ. 


836 Empedokles. [758. 759] 


zusammengesetzte entstehe, vergehe, seine Form und seine 
Bestandtheile ändere. Von diesem Standpunkt aus hat Empe- 
dokles die Naturerscheinungen im ganzen folgerichtig zu er- 
klären versucht: nachdem er die Grundstoffe bestimmt und 
denselben die bewegende Ursache in der doppelten Gestalt 
einer verbindenden und einer trennenden Kraft beigefügt hat, 
wird alles weitere von der Wirkung dieser Kräfte auf die 
Stoffe. von der Mischung und Trennung der Elemente her- 
geleitet, und Empedokles lässt es sich dabei angelegen sein, 
ähnlich wie später Diogenes und Demokrit, in das einzelne 
der Erscheinungen einzudringen, ohne doch darüber seine all- 
gemeinen Grundsätze aus dem Auge zu verlieren. Versteht 
man daher unter dem Eklekticismus ein Verfahren, bei wel- 
chem das ungleichartige ohne feste wissenschaftliche Gesichts- 
punkte nach subjektiver Stimmung und Neigung verknüpft 
wird, so kann Empedokles, was den wesentlichen Inhalt seiner 
Naturlehre betrifft, nicht als Eklektiker betrachtet | werden, 
und wir dürfen überhaupt sein wissenschaftliches Verdienst 
nicht zu gering anschlagen. Indem er die Bestimmungen des 
Parmenides über das Seiende für die Erklärung des Werdens 
benützte, schlug er, Hand in Hand mit Leucippus und Anaxa- 
goras, einen Weg ein, auf dem ihm die Physik seitdem gefolgt 
ist; er hat nicht blos die Vierzahl der Elemente, welche in 
der Folge so lange fast als Axiom galt, sondern den Begriff 
des Elements selbst in die Naturwissenschaft eingeführt, und 
er ist dadurch zugleich mit jenen der Begründer der mecha- 
nischen Naturerklärung geworden; er hat endlich von seinen 
Voraussetzungen aus einen nach dem damaligen Stand der 
Kenntnisse höchst achtungswerthen Versuch gemacht, das Ge- 
gebene im einzelnen zu erklären. Allerdings ist aber sein 
System, auch abgesehen von solchen Mängeln, die es mit 
seiner ganzen Zeit theilt, nicht ohne Lücken. Die Annahme 
unveränderlicher Grundstoffe wird von ihm zwar wissenschaft- 
lich begründet, aber ihre Vierzahl wird nicht weiter abgeleitet. 
Zu den Stoffen treten sodann die bewegenden Kräfte äusser- 
lich hinzu, ohne dass ein genügender Grund dafür angegeben 
wäre, wesshalb sie den Stoffen nicht inwohnen, und wesshalb 
nicht eine und dieselbe Kraft verbindend und trennend zu- 


[759. 760) Charakter seiner Lehre. 837 


gleich wirken könnte; denn die qualitative Unveränderlichkeit 
der Stoffe schloss ein natürliches Streben nach der Ortsver- 
änderung, der sie doch auch bei Empedokles unterworfen sind, 
nicht aus, und die Unterscheidung der einigenden und trennen- 
den Kraft kann unser Philosoph selbst nicht streng durch- 
führen 1). Demgemäss erscheint denn auch das Wirken dieser 
Kräfte, wie schon ARISTOTELES bemerkt hat?), mehr oder 
weniger zufällig, und ebenso wird es nicht näher begründet, 
wesshalb ihrem Zusammenwirken in der jetzigen Welt Zu- 
stände vorangehen und folgen sollen, in denen sie getrennt 
wirkend bald eine vollkommene Mischung, bald eine voll- 
kommene Trennung der Elemente | hervorbringen®). Mit 
seinem physikalischen System verknüpft endlich Empedokles 
in der Lehre von der Seelenwanderung und Präexistenz und 
in dem hierauf gebauten Verbot des Fleischgenusses Elemente, 
die mit demselben nicht blos in keiner wissenschaftlichen Ver- 
bindung stehen, sondern ihm geradezu widersprechen. So be- 
deutend er daher in die Geschichte der griechischen Physik 
eingreift, so hat doch sein System in wissenschaftlicher Be- 
ziehung unverkennbare Mängel, und schon in den Grundlagen 
desselben wird die mechanische Naturerklärung, auf die es 
angelegt ist, durch die mythischen Gestalten und die unbe- 
griffenen Wirkungen der Liebe und des Hasses durchkreuzt. 
Strenger und folgerichtiger ist der Standpunkt dieser mecha- 
nischen Naturerklärung, auf Grund derselben allgemeinen Vor- 
aussetzungen, in der Atomistik durchgeführt worden. 


B. Die Atomistik. 
1. Die physikalischen Grundlehren: die Atome und das Leere, 


Der Begründer der atomistischen Lehre ist Leucippus*).| 
Die Ansichten dieses Mannes sind uns jedoch im einzelnen 


1) 8. S. 772. 

2) S. 8. 776, 2. 

3) M. vgl. hierüber das S. 656, 3. 771, 2 angeführte Urtheil Plato’s. 

4) Die persönlichen Verhältnisse des Leueippus waren schon den 
Alten so unbekannt, dass Epikur sogar auf die Meinung kommen konnte, 
es habe gar keinen Philosophen dieses Namens gegeben (ἀλλ᾽ οὐδὲ Aev- 
κιππόν τινὰ yeyeriodal φησι φιλόσοφον οὔτ᾽ αὐτὸς οὔϑ᾽ Ἕρμαρχος 
θιοα. X, 13; daber auch bei Cic. N. D. I, 24, 66 einem Epikureer gegen- 


888 Atomistik. [161] 
so unvollständig überliefert, dass sie sich von denen seines 


über das zweifelnde Demooriti swe etiam ante Leucippi), und so auch Lucrez 
ihn nie nennt. Der Versuch freilich, diese Behauptung zu rechtfertigen 
(Roupe Verhandl. d. 34. Philologenvers. 1881. S. 64 ff. Jahrb. f. Philol. 1882, 
S. 741 81), ist von DıeLs (Verhandl. der 35. Philologenvers. 5. 96 ff. vergl. 
Rhein. Mus. XLH, 1 ff. Arch. f. Gesch. ἃ. Phil. I, 247 ff.) mit überlegenen 
Gründen erschöpfend widerlegt worden. Den Anlass zu Epikur’s Irrthum 
findet D. ohne Zweifel mit Recht darin, dass Leucipp’s Schrift in die Sammlung 
der demokritischen aufgenommen worden war. — Ueber Leucipp’s Lebenszeit 
lässt sich vorerst nur sagen, dass er älter gewesen sein muss, als sein 
Schüler Demokrit und jünger als Parmenides, dem er selbst folgt, also ein 
Zeitgenosse des Anaxagoras und Empedokles; bestimmtere Vermuthungen 
werden sich uns erst später ergeben. Als seine Heimath wurde nach Smer, 
Phys. 28, 4 (Theophrast) bald Milet, bald Elea, nach Erırn. Exp. fid. 1087 
D und Dioc. IX, 80 (wenn hier, wie ich vermuthe, das MnAıos aus Mulr- 
σιος verschrieben ist) Milet oder Abdera bezeichnet; Milet nennt auch Stop. 
L, 306 (Aötius) und Cremexs Protr. 43 ἢ, Abdera Garen h. phil. 3. Mög- 
lich, dass er, aus Milet gebürtig, in der Folge (etwa nach der Zerstörung 
Milet's) in Elea, und schliesslich in Abdera gelebt, in Elea Parmenides 
gehört, in Abdera Demokrit unterrichtet hatte. Als Lehrer des Leucippus 
nennt Sımpı. a. a. O., d. ἢ, Theophrast, Parmenides (denn dass mit dem 
κοινωνήσας Παρμενίδῃ τῆς φιλοσοφίας etwas anderes gemeint sei, macht 
schon dieser Ausdruck selbst sehr unwahrscheinlich, ganz ausgeschlossen 
wird es aber durch das unmittelbar folgende: οὐ τὴν αὐτὴν ἐβάδισε Παρ- 
μενίδη . .. ὁδόν), die meisten jedoch, um ihn in die herkömmliche Dia- 
dochenreihe einzuschieben, Zeno (Dıioe. prooem. 15. IX, 30. Garen und Suıp. 
a. ἃ. a. Ο. Cıem. Strom. I, 301 Ὁ. Hırror. Refut. I, 12) oder Melissus 
(Tzerz. Chil. II, 980; auch Erırn. a. a. O. stellt ihn hinter Zeno und Me- 
lissus, bezeichnet ihn aber nur im allgemeinen als Eristiker, d. h. als 
Eleaten), JausL. V. Pyth. 104 sogar Pythagoras. Dass Leucippus seine 
Lehre in Schriften niedergelegt hatte, geht aus den Aussagen des Aristoteles 
und anderer Zeugen mit Sicherheit hervor. Von ARISTOTELES kommt vor 
allem die S. 847, 1 angeführte Stelle gen. et corr. I, 8 in Betracht, welche 
auch durch das φησὶν anzeigt, dass sie nach einer Schrift des Leucippus 
berichtet; weiter vgl. S. 766, 1. 768, 3. 787, 24, 790, 1*. 794, 14. 800, 3%. 
801, 84 (Dive. IX, 33). 802, 5*. 808, 2*, wo sich Aristoteles und Theophrast, 
und dem letzteren folgend Aötius, Diogenes und Hippolytus in ihren Anfüh- 
rungen gleichfalls durchweg des Präsens bedienen, und was 8. 274, 1 über 
die Benützung des Leucippus durch Diogenes von Apollonia bemerkt ist. 
Eine solche Schrift war ΤΗΕΒΟΡΗΒΑΒῚ zufolge der später Demokrit zuge- 
schriebene μέγας δεάχοσμος; denn ihn hatte Theophr. nach Dıoc. IX, 46 
Leucippus beigelegt ; nur wird ihn dieser blos Aıaxoouos betitelt, und erst 
Spätere, als er sich unter Demokrit’s Werken befand, das μέγας beigefügt 
haben, um ihn von dem gleichnamigen Buche seines Schülers zu unter- 
scheiden, das jetzt μιχρὸς διάχοσμος genannt wurde, und zu ihm in einem 
ähnlichen Verhältniss gestanden haben mag, wie die Physik und Ethik des 


[161] Leucippus; Demokritus. 839 


Schülers Demokritus!) in unserer Darstellung nicht | trennen 


Eudemus zu den aristotelischen. Weiter nennt Sto». ΕΚ]. I, 160 (s. u. 789, 
3*) eine Schrift zn. Noö (worüber DıeLs a. a. O. 100, 15. 102. Was da- 
gegen der angebliche Arıst. De Melisso 6. 980 a 7 ἐν τοῖς Aevxinnov 
χαλουμένοις λόγοις gefunden haben will, wird von Dıeıs a. a. O. 105, 30 
wohl mit Recht auf Arıst. gen. et corr. I, 8. 325 a 11. b 31 zurückgeführt. 
Sollte sich aber das Citat auch auf Leucipp’s Schrift selbst beziehen, so 
wäre für uns doch die Meinung des Verfassers der Abhandlung über Melissus 
ohne Belang. Die Schrift und der Name des Leucippus scheint aber den 
umfassenderen Leistungen seines Schülers gegenüber bei den meisten ziemlich 
früh in Vergessenheit gerathen zu sein, wozu noch besonders die Art bei- 
getragen haben mag, in der ihn der Erneuerer der Atomistik, Epikur, und 
mit ihm die Mehrzahl seiner Schüler ignorirte. 

1) Ueber Leben, Schriften und Lehre Demokrit’s handelt am ausführ- 
lichsten MuLr.Acu Democriti Abderitse operum fragmenta u. s. w. Berl. 1843. 
(Fr. Philos. I, 330 ff) Weiter vgl. m. ausser den allgemeineren Werken: 
RBırrer in Ersch und Gruber’s Encykl. Art. Demokritus. GerrFeRs Qus- 
stiones Democritee Gött. 1829. PArencorpt De atomicorum doctrina Berl. 
1832. BurcHarp in den verdienstvollen Abhandlungen: Democriti philo- 
sophise de sensibus fragmenta. Mind. 1830. Fragmente ἃ. Moral ἃ. Demo- 
kritus ebd. 1834. Ηξιμβότη Democriti de anima doctrina. Bonn 1835. B. 
ten Brinck Anecdota Epicharmi, Democriti rel. Philologus VI, 577 fl. De- 
mocriti de se ipso testimonia ebd. 589 ff. VII, 354 fl. Democriti liber π. 
ἀνθρώπου φύσιος ebd. VIII, 414 ff. Kriscue Forsch. I, 142 fl. Jounson 
Der Sensualismus ἃ. Demokr. u. s. w. Plauen 1868. Lortzına über die 
ethischen Fragmente Demokrit's. Berl. 1873. Lange Gesch. des Materialis- 
mus I, 9 ff. F. Kern über Demokrit. Ztschr. f. Philos. 1881. Ergänzungsh. 
Hırzer Untersuch. I, 109 fl. Ders. Dem. π. εὐθυμίης. Herm. XIV, 354 ff. 
BrıeGER Urbewegung der Atome. Halle 1884. Lırrmann Mechanik der 
Leuc. Demokr. Atome. Berl. 1885. Hart Seelen- und Erkenntnisslehre ἃ. 
Dem. Lpz. 1886. Κλην, Demokritstudien I. Diedenhofen 1889. NATORBP 
Forschungen 164 fi. Archiv f. Gesch. d. Phil. I, 348 ft. 

Demokrit’s Vaterstadt war nach der fast einstimmigen Angabe der 
Alten (8. MurLaca 8. 1 f.) die damals durch Wohlstand und Bildung aus- 
gezeichnete tejische Pflanzstadt Abdera, welche erst später (8. MurLach 82 
[335] 8.) in den Ruf des Schildbürgerthums kam, der uns aber doch schon 
bei Cıc. N. D. I, 43, 120 begegnet; dass dafür von einzelnen nach Dıoc. 
IX, 34 auch Milet, nach dem Scholiasten Juvenal’s zu Sat. X, ὅ0 Megara 
gesetzt wurde, kann nicht in Betracht kommen. Sein Vater wird bald 
Hegesistratus, bald Damasippus, bald Athenokritus genannt. (Droc. a. a. Ο. 
Weiteres bei MurLAca a. a. OÖ.) Sein Geburtsjahr lässt sich nur annähernd 
bestimmen. Dıoc. IX, 41 sagt: γέγονε δὲ τοῖς χρίνοις, ὡς αὐτός φησιν 
ἐν τῷ μιχρᾷῷ “ιαχόσμῳ νέος κατὰ πρεσβύτην Avakayopav, ἔτεσιν αὐτοῦ 
νεώτερος τετταράχοντα, und so hatte denn, wie Diog. beifügt, Apollodor 
seine Geburt in Ol. 80 (460/56) gesetzt. Allein als Demokrit’s eigene Aus- 


840 Atomistik. 1762] 


lassen. Doch wird sich im Verlauf derselben ergeben, | dass 


sage wird hier nur angeführt, dass er noch jung gewesen sei, als Anaxa- 
goras bereits bejahrt war. Dass dagegen ihr Altersunterschied auch von 
ihm schon auf 40 Jahre berechnet worden war, folgt nicht aus den Worten, 
es ist vielmehr eben so möglich, dass diess nur eine Vermuthung des Chro- 
nographen ist, dem der Gewährsmann des Diog folgt; und wenn nun dieser, 
wie wahrscheinlich, Apollodor war, so liegt der Verdacht nahe, er sei, 
wie in so vielen ähnlichen Fällen, auf die 40 Jahre nur dadurch gekommen, 
dass er der γενεὰ diese Zahl zu geben gewohnt war. Mit dem, was allein 
als Demokrit’s eigenes Zeugniss feststeht, verträgt sich auch die Annahme, 
er sei nur 23—30 Jahre jünger gewesen als Anaxagoras, und Thrasyllus’ 
(Ὁ. θιοα. a. a. O.) Festsetzung seines Geburtsjahrs auf Ol. 77, 3 (468/9), 
wofür man auch noch etwas weiter hinaufgehen könnte. Beide Datirungen 
sind auch damit vereinbar, dass Dem. Ὁ. Dıoc. a. a. O. den μιχρὸς dia- 
xoouos 730 Jahre nach der Zerstörung Troja’s verfasst zu haben erklärt; 
wenn nämlich seine trojanische Aera (wie B. ren Brinck Phil. VI, 589 f. 
und Dıers Rh. Mus. XXXI, 30 annimmt) von 1150 (unbestimmter MÜLLER 
Fr. Hist. II, 24: 1154—1144) datirt, was aber freilich auch nicht unbedingt 
feststeht; Apollodor scheint sie in 1150, die Abfassung des dsaxoauog in die 
axun des Philosophen, sein 40. Jahr, verlegt zu haben; die letztere kann 
aber ebensogut in sein Ö0stes oder irgend ein anderes Lebensjahr fallen. 
Da nun Arıstoterss (part. an. I, 1. 642 a 26 über die Begriffsbestimmung:: 
ἥψατο μὲν Anu. πρῶτος . . . ἐπὶ Σωχράτους δὲ τοῦτο μὲν ηὔξατε 
u. 8. w. Metaph. XIII, 4. 1078 b 19), dem der Peripatetiker bei Cıc. Fin. 
v, 29, 88 folgt, unverkennbar voraussetzt, dass Dem. als Philosoph dem 
Sokrates vorangegangen sei, glaube ich, (wie seit 1883 in meinem „Grund- 
riss* S.66, in Uebereinstimmung mit Lange Gesch. ἃ. Mat. I, 128, 10 be- 
merkt, von Andern bald eingeräumt, bald bestritten worden ist), dass die 
Annahme des Thrasyllus (wie er auch zu ihr gekommen sein mag) annähernd 
richtig ist, und Demokrit ungefähr gleichen Alters wie Sokrates war. Der 
Versuch dagegen, Anaxagoras’ Geburt in 534, die seinige in 494 hinauf- 
zurücken, wird S. 865* ff. zurückgewiesen werden. Dass Euses in der 
Chronik Dem.’s Blüthe bald Ol. 86, bald Ol. 69, 3 setzt, und ihn dann 
wieder in seinem 100sten Lebensjahr Ol. 94, 4 (oder 94, 2) sterben lässt, 
dass Dıopor XIV, 11 sagt, er sei Ol. 94, 1(404/3 v. Chr.) Wjährig gestorben, 
dass Cyrizr. c. Julian I, 13 A die Geburt des Philosophen in Einem Athem 
in die 70ste und die 86ste, die Passahchronik (5. 274 Dind.) gar seine 
Blüthe in die 67ste Olympiade verlegt, während dieselbe anderwärts (8. 317), 
Apollodor folgend, seinen Tod, nach hundertjähriger Lebensdauer, Ol. 104, 
4 (bei Dindorf Ol. 105, 2) setzt, ist nur ein Beweis für die Unsicherheit 
der Rechnung und die Nachlässigkeit der späteren Sammler. Angaben, wie 
die (Gerz. N. A. XVII, 21, 18. Prim. H. N. XXX, 2, 10), dass Dem. in 
der ersten Zeit des peloponnesischen Kriegs geblüht habe, würden Thrasyli’s 
Berechnung am meisten entsprechen, geben aber doch keinen bestimmten 
Anhaltspunkt; ebensowenig der Umstand, dass er in seinen Schriften des 


[168] Demokrit’s Leben. 841 


alle Grundzüge des Systems schon dem Stifter der Schule an- 
gehören, und sein berühmter Schüler zwar als Naturforscher 


Anaxagoras und Archelaos, des Oenopides, Parmenides, Zeno und Prota- 
goras erwähnte (Dioe. IX, 41 u. a. 8. u.) Wenn Gellius glaubt, Sokrates 
sei um ein merkliches jünger gewesen, als Dem., so weist diess auf die 
gleiche, S. 868* ff. genauer zu prüfende Berechnung, der Diodor folgt. Auch 
über D.’s Lebensalter und das Jahr seines Todes gehen die Ueberlieferungen 
weit auseinander. Dass er ein hohes Alter erreichte (matura vetustas LUCRET. 
I, 1037), wird vielfach bezeugt, die näheren Angaben dagegen lauten sehr 
verschieden: Dıovor a. a. O. hat 90, EuszsB. und die Passachronik a. a. O. 
100, Axtıstuenes (den Murrzacuh 8. 20. 40. 47 mit Unrecht für älter, als 
Aristoteles, hält; vgl. Th. II b, 933. Sitzungsber. d. Berl. Akad. 1883 Nr. 39) 
Ὁ. Dıoe. IX, 39 „mehr als hundert“, Lucıax Macrob. 18 und PuLecon 
Longsvi c. 2: 104, Hırparch b. Dıioc. IX, 43 109 Jahre; Cexsorın Di. 
nat. 15, 10 sagt, er sei beinahe so alt geworden, als Gorgias, der sein Leben 
auf 108 Jahre brachte. (Ganz ähnlich lauten die Angaben des falschen 
Soranus im Leben des Hippokrates, Hippocr. Opp. ed. ‚Kühn III, 850: 
Hippokrates sei Ol. 80, 1 geboren und nach den einen 90, nach andern %, 
104, 109 Jahre alt geworden, und B. rex Beınck Philol. VI, 591 hat wohl 
Recht mit der Vermuthung, sie seien auf ihn von Demokrit übertragen.) 
Ueber Demokrit's Todesjahr 8. o. 

Dass unser Philosoph frühe eine seltene Wissbegierde an den Tag 
legte, wird man auch abgesehen von der Anekdote bei θιοα. IX, 36 gerne 
glauben. Was aber von dem Unterricht erzählt wird, den er schon als 
Knabe durch Magier empfangen habe, das ist (auch nach Abzug der 
fabelhaften Angabe des VALeEr. Max. VII, 7, ext. 4, wonach D.’s Vater das 
Heer des Xerxes bewirthet haben soll) durch Dioc. IX, 34 (unter Berufung 
auf Herodot, der aber weder VII, 109 noch VIIL, 120 noch sonst wo davon 
ein Wort sagt) viel zu schwach bezeugt, und chronologisch wie politisch 
viel zu unmöglich, als dass es sich verlohnte, zur Rettung der unglaublichen 
Ueberlieferung mit Lange Gesch. ἃ. Mater. I, 128 den regelmässigen Unter- 
richt, in dem Demokrit nach Diog. τά re περὶ ϑεολογίας χαὶ ἀστρολογίας 
gelernt hätte, zu einem „anregenden Einfluss auf den Geist eines wiss- 
begierigen Knaben“ zu verdünnen; von l,gwss (Hist. of phil. I, 95 f.) nicht 
zu reden, der in Einem Athem erzählt, D. sei 460 v. Chr. geboren, und 
Xerxes habe (20 Jahre früher) als seine Lehrer einige Magier in Abdera 
zurückgelassen. Diese ganze Combination stammt wohl erst aus der Zeit, 
in der Demokrit selbst für einen Zauberer und einen Stammvater der Magie 
bei den Griechen galt... PsiLoste. v. soph. 10, S. 494 erzählt das gleiche 
von Protagoras. Ungleich beglaubigter ist Demokrit’s Bekanntschaft mit 
griechischen Philosophen. Pıur. adv. Col. 29, 3. 5. 1124 sagt im allge- 
meinen, er habe seinen Vorgängern widersprochen; im besondern werden 
uns Parmenides und Zeno (Dıoc. IX, 42), deren Einfluss auf die Atomistik 
sich ohnediess nicht bezweifeln lässt, Pythagoras (ebd. 38. 46), Anaxagoras 
(ebd. 34 f. Sext. Math. VII, 140) und Protagoras (Dıoc. IX, 42. Sexr. 


842 Atomistik. [764] 


auf dieser Grundlage fortgebaut, sie selbst aber in keinem 
Punkte von einiger Erheblichkeit verändert hat. | 


Math. VII, 389. Ῥεῦτ. Col. 4, 2. S. 1109) als solche genannt, deren er theils 
mit Lob, theils mit Widerspruch erwähnt hatte. Zum Lehrer hatte er aber in der 
Philosophie aller Wahrscheinlichkeit nach nur den Leucippus. Seine Verbindung 
mit diesem bezeugen nicht allein Schriftsteller von zweifelhafter Glaubwürdig- 
keit, wie Dıoc. IX, 34. Crem. Strom. I, 301 Ὁ. Hırror. Refut. I, 12, sondern 
auch ΑΒΙΒΤΟΤΕΙΕΒ (Metaph. I, 4. 985 Ὁ 4) und Tueorurast (Simpl. Phys. 28, 15) 
nennen Demokrit den ἑταῖρος des Leucippus, was nach dem stehenden 
Sprachgebrauch beider nur eine persönliche Verbindung, in diesem Fall die 
des Schülers mit dem Lehrer, bezeichnen kann. Die Angabe dagegen 
(b. θιοα. a. a. O. und nach ihm Susp.), D. sei mit Anaxagoras in Verkehr 
gestanden, ist ganz unzuverlässig, wenn auch Favorın’s Behauptung, dass 
er denselben angefeindet habe, weil er ihn nicht unter seine Schüler auf- 
nahm (ebdas.), den Stempel der Erdichtung zu deutlich an der Stirne trägt, 
um dagegen angeführt zu werden (vgl. auch Sxxr. Math. VII, 140); sagt 
vollends Dıoa. II, 14 umgekehrt, Anaxagoras sei dem Demokrit feind ge- 
wesen, weil dieser ihn nicht angenommen habe, so haben wir diess nur 
seiner gedankenlosen Flüchtigkeit anzurechnen. Dass Dem. auch mit den 
Pythagoreern in Verbindung stand, wird mehrfach behauptet; und es ist 
nicht blos TusasyrLus, welcher ihn bei Dıioe. IX, 38 ζηλωτὴς τὼν Πυϑα- 
γοριχῶν nennt, sondern der gleichen Stelle zufolge hatte schon Demokrit's 
Zeitgenosse GLaukus behauptet: πάντως τῶν Πυϑαγοριχὼν τινος ἀχοῦσαι 
αὐτὸν, und nach Poren. V. Pyth. 3 hatte Durıs Arimnestus, den Sohn des 
Pythagoras, als Demokrit’s Lehrer bezeichnet. Er selbst hatte nach Thra- 
syllus Ὁ. Dıoc. a. a. O. eine seiner Schriften „Pythagoras“ betitelt und in 
derselben mit Bewunderung von dem samischen Weisen gesprochen; nach 
AroLLoDoR b. Dıoc a. a. Ὁ. war er auch mit Philolaos zusammengekommen. 
Aber die Aechtheit des demokritischen Πυϑαγόρης ist (wie Lortzıxe ὃ. 4 
mit Recht bemerkt) sehr fraglich, und wenn Thrasyll’s Behauptung, dass 
er seine ganze Lehre von Pythagoras entlehnt habe, sich auf ihn gründen 
sollte, wäre sie unbedingt aufzugeben; und so glaublich es ist, dass er seine 
hervorragenden mathematischen Kenutnisse pythagoreischer Unterweisung 
zu danken hatte, so gering ist doch die Verwandtschaft seiner Philosophie 
mit der pythagoreischen. — Um weitere Kenntnisse zu sammeln, besuchte 
Demokrit die südlichen und östlichen Länder. Er selbst rühmt sich in 
dieser Beziehung in dem Bruchstück Ὁ. Crewens Strom. I, 304 A (8. 0. 39, 1. 
Gerrers S. 23. Murraica 8. 3 ff. 18 ff. B. Ten Brink Philol. VII, 355 ff.) 
vgl. Tueopnrast Ὁ. Asııan V. H.IV, 20, ausgedehntere Reisen gemacht zu 
haben, als irgend einer seiner Zeitgenossen; im besonderen nennt er Aegypten 
als ein Land, wo er länger verweilte. Die Dauer dieser Reisen gibt der 
überlieferte Text bei Clemens im ganzen auf 80 Jahre an. Diess kann 
nun jedenfalls nur auf einem groben Missverständniss oder Schreibfehler 
beruhen. Das wahrscheinlichste ist (PAr£xcorpr Atom. doctr. 10. MurnacH 
Democr. 19. Fr. Phil. I, 330), dass π, welches πέντε bedeutet, mit π΄, dem 


[164] Ihr Princip und seine Begründung. 843 


Die Entstehung und den allgemeinen Standpunkt der 
Atomistik beschreibt ARıstToTELEs folgendermassen. Die Elea- 


Zeichen für 80, verwechselt wurde, und wirklich sagt Dıopor I, 98, Demo- 
krit habe sich 5 Jahre in Aegypten aufgehalten; so dass demnach Dem. im 
ganzen ὅ Jahre von Hause abwesend war und daraus in der Folge ein 
fünfjähriger Aufenthalt in Aegypten gemacht wurde. Spätere erzählen be- 
stimmter, er habe sein ganzes reiches Erbtheil auf die Reisen verwendet, 
die ägyptischen Priester, die Chaldäer und Perser, einige sagen, auch Indien 
und Aethiopien, besucht (Dıoc. IX, 35, aus ihm Surpas Anuoxg. Hesvcn. 
Miles. “7]ημόχρ.γ» nach derselben Quelle ArLıan a. a. O.; CLEnEns a. a. Ὁ. 
redet nur von Babylon, Persien und Aegypten, Dıovor a. a. O. von einem 
fünfjährigen Aufenthalt in Aegypten, Straso XV, 1, 38. 5. 708 von Reisen 
durch einen grossen Theil Asiens, Cıc. Fin. V, 19, 50 überhaupt von weiten, 
aus Wissbegierde unternommenen Reisen. Wie viel aber hieran richtig 
ist, lässt sich nur noch theilweise ausmitteln: nach Aegypten, Vorderasien 
und Persien kam Dem. ohne Zweifel, nach Indien, wie auch aus STRABO 
und CLeuens a. d. a. O. hervorgeht, gewiss nicht; vgl. Gerrers 22 ff. Den 
Zweck und die Frucht dieser Reisen werden wir indessen weniger in wissen- 
schaftlicher Belehrung durch die Orientalen, als in eigener Menschen- und 
Naturbeobachtung zu suchen haben; Demokrit's Aussage bei CLEnens, dass 
ihn niemand, auch nicht die ägyptischen Mathematiker, in der geometrischen 
Beweisführung übertroffen habe (über Demokrit's mathematische Kenntnisse 
vgl. m. auch Cıc. Fin. I, 6, 20. Pur. c. not. 39, 3 8. 1079), weist zwar 
auf wissenschaftlichen Verkehr, lässt aber zugleich vermuthen, dass Demokrit 
in dieser Beziehung von den Fremden nicht mehr viel lernen konnte; denn 
wenn er jene Kenntnisse erst ihrem Unterricht zu verdanken gehabt hätte, 
müsste er diess sagen. Was Puixius (H. n. XXV, 2, 13. XXX, 1, 9 ἡ X, 
49, 137. XXIX, 4, 72. XXVII, 8, 112 ff. vgl. Pnıroste. V. Apoll. I, 1) 
von den magischen Künsten weiss, die Dem. auf seinen Reisen erlernt habe, 
stützt sich auf unterschobene Schriften, die schon Ger. N. A. X, 12 als 
solche erkannt hat, (vgl. Burcuarp Fragm. d. Mor. ἃ. Dem. 17. Murraca 
72 8. 156 ff.) und mag seine erste Veranlassung (wie HırzEr Hermes XIV, 
391 f. vermuthet) in D.’s Versuch einer natürlichen Erklärung der Weis- 
sagung und Magie (s. ὃ. 8884 ἢ) haben. Ebenso fabelhaft ist, wiewohl es 
natürlicher lautet, was über Demokrit's chronologisch unmögliche Verbindung 
mit Darius erzählt wird (Jurian epist. 37. 8. 413 Spanh. vgl. Prix. H. n. 
ΨΙΙ, 55, 189; näheres S. 810, 3* und b. MurrAacu 45. 49). Nicht anders 
verhält es sich auch mit der Angabe (Posıpoxius Ὁ. Straso XVI, 2, 25 
S. 757 und Sext. Math. XI, 863), Demokrit habe seine Atomenlehre einem 
uralten phönicischen Philosophen Mochus zu verdanken. Dass eine Schrift 
unter dem Namen dieses Mochus existirt hat, lässt sich auch nach JoszPrn. 
Antiquit. I, 3, 9. Araen. III, 126 a. Dauasc. De prince. c. 125 I, 323 R. vgl. 
JıusL V. Pyth. 14. θιοα. procem. 1 nicht bezweifeln; wenn aber in dieser 
Schrift eine Atomenlehre, wie die demokritische, vorkam, so folgt daraus 
nur, dass ihr Verfasser den abderitischen, nicht, dass dieser den phönicischen 


844 Atomistik. [765] 


ten, | sagt er, leugneten die Vielheit der Dinge und die Be- 
wegung, weil sich beides nicht ohne das Leere denken lasse, 


Philosophen benützt hat, dem ohnediess nicht blos Demokrit, sondern auch 
schon Leucippus gefolgt sein müsste: die Wurzeln der Atomenlehre liegen 
in der früheren griechischen Wissenschaft so klar zu Tage, dass wir nicht 
daran denken können, sie aus der Fremde herzuleiten. Dass die Schrift 
des Mochus zur Zeit des Eudemus noch nicht vorhanden war, wird auch 
durch die Stelle des Damascius wahrscheinlich. 

Den Unterricht des Leucippus scheint D. schon vor seiner Reise, die 
er doch nicht wohl in früher Jugend angetreten haben kann, in seiner 
Vaterstadt (hierüber S. 838 m.) genossen zu haben. Dass er von der Reise 
wieder hieher zurückkehrte, versteht sich von selbst und wird auch allgemein 
vorausgesetzt; Athen besuchte er (Dıoc. IX, 86 f. Cıc. Tusc. V. 36, 104. 
VALER. Max. VIII, 7, ext 4) ohne Zweifel erst geraume Zeit nach seiner 
Zurückkunft; denn wenn er bei Diog. sagt: ἤλθον ἐς ᾿ϑηνας καὶ οὐδείς 
μὲ Eyvwxev, 80 setzt diess voraus, dass schon Leistungen von ihm vorlagen, 
welche die Erwartung rechtfertigten, dass er dort nicht unbekannt sei. Im 
übrigen ist uns von seinem späteren Leben kaum irgend etwas zuverlässiges 
überliefert. Durch seine Reisen verarmt, soll er die Strafe des Verschwen- 
ders durch Vorlesung einiger Werke von sich abgewendet haben (Puıto 
provid. II, 18. S. 52 Auch. Dıoe. IX, 39 f. Dıo Curve. Or. 54, 2. 5. 280 R. 
ATHEn. IV, 168 Ὁ. Interpr. Horat. zu epist. I, 12, 12); andere erzählen von 
ihm, was sonst theils von Anaxagoras, theils von Thales (s. o. 183, 1) be- 
richtet wird, er habe sein Vermögen vernachlässigt, aber durch die Speku- 
lation mit den Oelpressen seine Tadler beschämt (Cıc. Fin. V, 29, 87. Horat. 
ep. I, 12, 12 und die Scholien z. d. St. Prix. H. n. XVIIL, 28, 273. PuıLo 
vit. contempl. 891 C Hösch., und nach ihm Lacrtanr. Instit. IH, 23); Varer. 
a. a. O. lässt ihn den grössten Theil seiner unermesslichen Reichthümer 
dem Staat schenken, um ungestörter der Wissenschaft leben zu können. 
Es fragt sich jedoch, ob auch nur die erste von diesen Angaben irgend 
einen thatsächlichen Anlass hat. Um nichts besser steht es mit der Be- 
hauptung (AnrısraH. b. Dıoc. IX. 38, vgl. Murtaca 8, 64, dessen τάρφεσιε 
für τάφοις aber verfehlt ist, Lucıax Philops. 32), dass er sich in Grab- 
mälern und Einöden aufgehalten habe, des Märchens von seiner freiwilligen 
Blindheit (Ger. N. A. X, 17. Cıc. Fin. a. a. O. Tuse. V, 39, 114. Terturı. 
Apologet. c. 46; m. 5. dagegen Pur. curiosit. 6. 12, 5. 521 f.) nicht zu er- 
wähnen, das wohl durch seine Aeusserungen über die Unzuverlässigkeit der 
Sinne veranlasst wurde (vgl. Cıc. Acad. II, 23, 74, wo für diese Ansicht der 
Ausdruck ezeoecare, sensibus orbare, gebraucht ist); es ist mir diess wenigstens, 
auch nach Hırzer’s Bemerkungen a. a. 0. 392, noch immer die wahrschein- 
lichste Erklärung. Glaubwürdiger lautet es, wenn von Perronıus Sat. c. 88. 
S. 424 Burm. gesagt wird, er habe sein Leben mit naturwissenschaftlichen 
Untersuchungen zugebracht; ebendahin gehört das Geschichtchen b. Prur. Qu. 
conv. I, 10, 2, 2. Auch das mag wahr sein, dass er bei seinen Mitbürgern 
hoher Verehrung genoss und von ihnen den Beinamen σοφία erhielt 


[166] Das Princip und seine Begleitung. 845 


das | Leere aber nichts sei. Leucippus gab ihnen zu, dass 
ohne das Leere keine Bewegung möglich sei, und dass das 


(CLemens Strom. VI, 631 Ὁ. Asgrıax V. H. IV, 20); dass ihm dagegen die 
Herrschaft über seine Vaterstadt angetragen worden sei (Sup. Anuoxe.), 
ist höchst unwahrscheinlich. Ob er verheirathet war, wissen wir nicht; 
eine Anekdote, die es voraussetzt (bei Antoxıus Mel. 609. Murraca Fr. 
mor. 180), ist schlecht verbürgt, das Gegentheil aus seinen Aeusserungen 
über die Ehe (s. u.) nicht sicher zu erschliessen. Die später verbreitete, 
aber (wie Hızzeı a. a. Ὁ. 395 zeigt) nicht über die Zeit des Augustus hinauf 
nachzuweisende Angabe, dass er über alles gelacht habe (Sorıon b. SToB. 
Floril. 20, 53. Horaz epist. II, 1, 194 ff. Juvenar. Sat. X, 33 ff. Sen. De 
ira II, 10. tranquill. 15, 2. Lucıax v. auct. ce. 13. Hırror. Refut. L 12. 
AzLıan V. H. IV, 20. 29. Sup. Anuoxo.; m. 8. dagegen Democr. Fr. mor. 
167), erweist sich auf den ersten Blick als eine müssige Erfindung; und sie 
bleibt diess auch, wenn er wirklich (wie Hırzeı. vermuthet) in seiner Schrift 
nr. εὐθυμίης das eitle Treiben der Menschen für lächerlich erklärt haben 
sollte. Nicht minder ungereimt ist, was von der Magie und den Weis- 
sagungen des Philosophen erzählt wird (8. o. und Prın. H. n. XVII, 28, 
273. 35, 341. Creu. Strom. VI, 631 ἢ. Dioe. IX, 42. Puırosre. Apoll. 
VII, 7, 28). Zu vielen Erdichtungen hat auch seine angebliche Verbindung 
mit Hippokrates Anlass gegeben, der nach CeLs. De medic. pref. Ps.-SoRan. 
v. Hippocr. (Opp. ed. Kühn III, 850) von manchen zu seinem Schüler ge- 
macht wurde. Schon bei Dıoc. IX, 42. Azrın V. IH. IV, 20. ATBENAG. 
Suppl. c. 27 lassen sich die Grundlagen der Sage erkennen, welche in der 
Folge in den angeblichen Briefen der beiden Männer (Hippocr. Opp. ed. 
Kühn T. IH) auf's abenteuerlichste ausgeführt worden ist; m. s. MutLAca 
714 f. Um nichts glaubwürdiger sind endlich auch die mancherlei Angaben 
über das Ende des Philosophen Ὁ. Dıoc. IX, 43. Arsen. II, 46 6. Lucıan 
Macrob. c. 18. M. Aurer. III, 3 u.a. (s. MurLacnh 89 ff.), und auch die 
allgemeinere Aussage des Luckzz ΠῚ, 1037 ff., dass er im Gefühl der Alters- 
schwäche seinem Leben freiwillig ein Ende gemacht habe, steht keineswegs 
sicher; von der Angabe in den Fllorilegien des Antonius (I, 58) und Maxi- 
mus (c. 36) zeigt Freupentuar Rh. Mus. XXXV, 429, dass sie durch eine 
Verwirrung in den Handschriften auf Demokrit übertragen wurde. 

An Reichthum des Wissens allen, an Schärfe und Folgerichtigkeit des 
Denkens den meisten früheren und gleichzeitigen Philosophen überlegen, 
ist Demokrit durch die seltene Vereinigung beider Vorzüge der Vor- 
gänger des Aristoteles geworden, der ihn sehr häufig anführt, vielfach be- 
nützt, und mit unverkennbarer Achtung von ihm redet. (Belege werden sich 
später ergeben; dass sich auch Theophrast und Eudemus eingehend mit 
Demokrit beschäftigt haben, zeigt PArznxcorpr a. a. O. S. 21.) Seine viel- 
seitige schriftstellerische Thätigkeit hätte nach den uns überlieferten Titeln 
und Bruchstücken mathematische, naturwissenschaftliche, ethische, ästhetische, 
grammatische und technische Gegenstände umfasst; Dıoc. I, 16 nennt ihn 
als einen von den fruchtbarsten philosophischen Schriftstellern, und statt 


846 Atomistik. [767] 


Leere als ein | Nichtseiendes betrachtet werden müsse; aber 
er glaubte nichtsdestoweniger die Wirklichkeit der Erschei- 
nungen, des Entstehens und Vergehens, der Bewegung und 
der Vielheit, retten zu können, indem er annahm, neben dem 
Seienden oder dem Vollen gebe es auch das Nichtseiende oder 
das Leere. Das Seiende sei nämlich nicht blos Eines, sondern 


seines Namens hier mit NıETzscHE Rh. Mus. XXV, 220 f. den des Demetrius 
(Phalereus) zu setzeu, haben wir um so weniger Veranlassung, da derselbe 
Diogenes IX, 45 fl. nach TurasyLLus nicht weniger als 15 Tetralogieen 
demokritischer Schriften verzeichnet, unter denen die physikalischen den 
grössten Raum einnehmen. Ausserdem wird noch eine Anzahl unAchter 
Schriften genannt; wahrscheinlich befinden sich deren aber auch unter den 
angeblich ächten nicht wenige (Sum. Anuoxe. will nur zwei als ächt gelten 
lassen); der Name des Thrasyllus wenigstens gibt für das Gegentheil bei 
Demokrit so wenig, als bei Plato, eine Bürgschaft. Vgl. Burcuarp Fragm. 
ἃ. Mor. d. Dem. 16 f. Rose: De Arist. libr. ord. 6 f. vermuthet eine sehr 
frühe Unterschiebung demokritischer Schriften, und erklärt namentlich die 
ethischen sämimtlich für unächt; umsichtiger urtheilt Lortzına a. a. Ὁ.) 
welcher zwei ethische Schriften, π. εὐθυμίης und ὑποθῆχαι, für ächt und 
für die Quelle unserer meisten ınoralischen Bruchstücke hält, die übrigen 
verwirft oder bezweifelt, während R. Hıezeı Herm. XIV, 354 fl. durch seinen 
scharfsinnigen Versuch, die Schrift zz. εὐθυμίης mit Hülfe von Seneca De 
tranquillitate, den pseudohippokratischen Briefen u. s. w. zu reconstruiren, 
zu dem Ergebniss (8. 383 f.) geführt wird, die genannte Schrift sei die ein- 
zige, welche sich von Dem. über den Anfang der Kaiserzeit hinaus erhalten 
hatte, und auch die ὑποθῆχαι nur ein Theil derselben; wofür ein Auszug, 
nach Art des epiktetischen Enchiridion, vielleicht noch genauer wäre. Die 
Angaben der Alten über die einzelnen Schriften s. m. bei Heıusötn S. 41 f. 
MourracH 93 ff ; über das Verzeichniss des Diogenes ist auch SCHLKIERMACHER’8 
Abhandlung v. J. 1815. WW. 3te Abth. III, 198 ff. zu vergleichen. Die 
Bruchstücke derselben (von denen die meisten, darunter auch manche un- 
sichere oder unächte, den moralischen Werken angehören) findet man b. 
MurracH, vgl. Burcuarp und LorTzıng in den angeführten Schriften, B. 
TEN Brınk im Philol. VI, 577 ff. VIII, 414 fl. Wegen seiner gehobenen, 
an’s dichterische anstreifenden Sprache wird Demokrit von Cicero Orat. 
20, 67. De Orat. I, 11, 49 mit Plato zusammengestellt; Derselbe rühmt 
Divin. II, 64, 133 die Klarheit seiner Darstellung, während Prurt. qu. conv. 
vV, 7, 6, 2 ihren Schwung bewundert; selbst Tımox Ὁ. Dioc. IX, 40 erwähnt 
seiner mit Anerkennung, und Dioxys. De compos. verb. 6. 24 setzt ihn als 
philosophischen Musterschriftsteller Plato und Aristoteles an die Seite (vgl. 
auch PArencorpt 8. 19 f. BurcHarpr Fragm. d. Moral. d. Dem. 5 ff.). 
Seine Schriften, die Sextus noch vor sich gehabt hat, lagen Simplieius nicht 
mehr vor (s. Parsncorpr S. 22); die Auszüge des Stobäus stammen sicher 
aus älteren Sammlungen. 


[768. 769] Ihr Princip und seine Begründung. 847 


es bestehe aus unendlich vielen unsichtbar kleinen Körpern, 
die sich im Leeren bewegen. Auf der Verbindung und 
Trennung dieser Körper beruhe das Werden und das Ver- 
gehen, die Veränderung und Wechselwirkung der Dinge?). 
Leucipp und Demokrit sind mit | Parmenides und Empedokles 
darüber einverstanden, dass weder ein Werden noch ein Ver- 
gehen im strengen Sinn möglich sei?); sie geben nicht minder 


1) Gen. et corr. I, 8 (8. ο. 766, 1): ὁδῷ δὲ μάλιστα καὶ περὶ πάντων 
ἑνὶ λόγῳ διωρίχασι «Τεύχιππος καὶ Ζημόχριτος (das heisst aber nicht: 
Leuc. und Dem. seien in allen Stücken mit einander einig gewesen, 
sondern: sie haben alle Erscheinungen streng wissenschaftlich aus den 
gleichen Principien erklärt), ἀρχὴν ποιησάμενοι xara φύσιν ἥπερ ἐστίν. 
ἐνίοις γὰρ τῶν ἀρχαίων ἔδοξε τὸ ὃν ἐξ ἀνάγχης ἕν εἶναι za) ἀκένητον ἃ. 8. W. 
(e. ο. 612, 2)... «“εύχιππος δ᾽ ἔχειν φήϑη λόγους οὗ τινὲς πρὸς τὴν 
αἴσϑησιν ὁμολογούμενα λέγοντες οὐχ ἀναιρήσουσιν οὔτε γένεσιν οὔτε 
φϑορὰν οὔτε χίνησιν χαὶ τὸ πλῆϑος τῶν ὄντων. ὁμολογήσας δὲ ταῦτα μὲν 
τοῖς φαινομένοις, τοῖς δὲ τὸ Ἐν κατασχευάζουσιν, ὡς οὔτε ἄν χίνησεν 
οὖσαν ἄνευ χενοῦ τό TE χενὸν μὴ ὄν, καὶ τοῦ ὄντος οὐθΎδὲν μὴ ὃν 
φησιν εἶναι" τὸ γὰρ χυρίως ὃν παμπληϑὲς ὄν" ἀλλ᾽ εἶναι τὸ τοιοῦτον 
οὐχ ἕν, ἀλλ᾿ ἄπειρα τὸ πλῆϑος καὶ ἀόρατα διὰ σμιχρότητα τῶν ὄγκων. 
ταῦτα δ᾽ ἐν τῷ χενῷ φέρεσϑαι (χενὸν γὰρ εἶναι), καὶ συνιστάμενα μὲν 
γένεσεν ποιεῖν, διαλυόμενα δὲ (ϑοράν. ποιεῖν δὲ χαὶ πάσχειν ἡ τυγχάνουσιν 
ἁπτόμενα" ταύτῃ γὰρ οὐχ ἕν εἶναι. καὶ συντειϑέμενα δὲ καὶ περιπλεχόμενα 
γεννᾷγ᾽ ἐχ δὲ τοῦ xar ἀλήϑειαν ἑνὸς οὐκ av γενέσθαι πλῆϑος, οὐδ᾽ ἔχ 
τῶν ἀληϑῶς πολλὼν ἕν, ἀλλ᾽ εἶναι τοῦτ᾽ ἀϑύνατον, ἀλλ᾽ ὥσπερ Ἐμπεδοχλῆς 
χαὶ τῶν ἄλλων τινές φασι πάσχειν διὰ πόρων, οὕτω πᾶσαν ἀλλοίωσιν 
χαὶ πᾶν τὸ πάσχειν τοῦτον γίνεσϑαε τὸν τρόπον, διὰ τοῦ κενοῦ γενομένης 
τῆς διαλύσεως χαὶ τῆς φ"ορᾶς, ὁμοίως δὲ χαὶ τῆς αὐξήσεως ὑπειςδυομένων 
στερεῶν. Statt der oben gesperrt gedruckten Worte hatte ich früher vermuthet: 
καὶ τοῦ ὄντος οὐδὲν 70009 τὸ μὴ ὄν φησιν εἶναι. Wiewohl man sich aber 
hiefür ausser dem passenden des Sinns auch auf die S. 849, 2 anzuführenden 
Stellen aus Aristoteles und Simplicius stützen könnte, so scheint mir doch 
jetzt die überlieferte Lesart gleichfalls zulässig, wenn wir nämlich die Worte 
zul — εἶναι erklären: „so gibt er auch weiter zu, dass kein seiendes ein 
nichtseiendes sein könne“. Noch einfacher ist es, mit Cod. E im unmittel- 
bar vorhergehenden zu lesen: ὡς οὐχ ἄν χίν. οὖσ. u. s. w.; dann fängt 
der Nachsatz mit ro ze xevcv an, und die Erklärung bietet keine Schwierig- 
keit. PrantL schiebt hinter „ro re χερὸν un ὄν" ein: ποιεῖ κενὸν μὴ 09, 
was mir aber theils von dem handschriftlichen Texte zu weit abliegt, theils 
auch nicht recht aristotelisch lautet. Zur Sache vgl. m. Sınrr. a. a. O.; 
Puuror. z. u. St. 5. 35 b m gibt nichts neues. 

2) Arıst. Phys. II, 4. 203 a 33: Ζημόχριτος δ᾽ οὐδὲν ἕτερον ἐξ 
ἑτέρου γίγνεσθαι τῶν πρώτων φησίν. Auzx. z. Metaph. IV, 5. 1009 a 26 
5. 260, 24 Bon. von Demokrit: ὑγούμενος δὲ μηδὲν γίνεσθαι Ex τοῦ un 

Philos. d. Gr. I. Bd. 5. Aufl. 94 


848 Atomistik. [769] 


zu, was unmittelbar hieraus folgte!), dass sich das Seiende als 
solches nicht verändere, dass daher weder vieles aus Einem, 
noch Eines aus vielem werden könne?); sie müssen einräumen, 
dass es der Dinge nur dann mehrere sein werden, wenn das 
Seiende durch das Nichtseiende oder das Leere getrennt ist®); 
sie bemerken endlich auch, die Bewegung | wäre ohne die 


ὄντος. Dioc. IX, 44: μηδέν τ᾽ 2x τοῦ un ὄντος γένεσϑαι χαὶ εἰς τὸ μὴ 
cv φϑείρεσϑαι. Stop. Ekl. I, 414: Ζημόχρετος u. 8. w. συγχρίσεις μὲν καὶ 
διακρίσεις εἰςάγουσε, γενέσεες δὲ χαὶ φϑορὰς οὐ κυρίως. ol γὰρ χατὰ τὸ 
ποιὸν ἐξ ἀλλοιώσεως, χατὰ δὲ τὸ πυσὸν ἐκ συναϑροισμοῦ ταύτας γέγνεσϑαι. 

1) vgl. S. 561, 1. 4. 

2) S. 8.847, 1 und Asısr. De calo IH, 4. 303 a 5: φασὶ γὰρ (Aevx. 
καὶ Anuoxg.) εἶναι Ta πρῶτα μεγέϑη πλήϑει μὲν ἄπειρα μεγέϑει δὲ 
ἀδιαίρετα, καὶ οὔτ᾽ ἐξ ἑνὸς πολλὰ γίγνεσθαι οὔτε Ex πολλὼν ἕν, ἀλλὰ τῇ 
τούτων συμπλοχῇ χαὶ περιπλέξεε πάντα γεννᾶσϑαι. Metaph. VII, 13. 
1089 a 9: ἀδύνατον γὰρ εἶναί φησὲεν (Demokrit) &x δύο ἕν ἢ ἐξ ἑνὸς δύο 
γενέσϑαι᾽ τὰ γὰρ μεγέϑη τὰ ἄτομα τὰς οὐσίας ποιεῖ. ῬΒ.-ΑἸΕΧ. z. ἃ. St. 
495, 4 Bon.: ὁ Anuöxgıros ἔλεγεν ὅτε ἀδύνατον ἐκ δύο ἀτόμων μέαν 
γενέσϑαι (ἀπαϑεῖς γὰρ αὐτὰς ὑπετέϑετο) ἢ ἐχ μιᾶς δύο (ἀτμήτους γὰρ 
αὑτὰς ἔλεγεν). Aehnlich Βιμρι. De calo 271 a 48 f. 133 a 18 f. (Schol. 
514 a 4. 488 a 26). 

3) Arıst. gen. et corr. a. a. O. Phys. I, 3, 8. ο. 595, 1. Phys. IV, 6. 
213 a 31 (gegen die Versuche, mit denen Anaxagoras die Annahme des 
leeren Raums widerlegen wollte): oöxov» τοῦτο dei δειχνύναι, ὅτε ἔστε τε 
ὁ ἀὴρ, all’ ὅτι οὐχ ἔστε διάστημα ἕτερον τῶν σωμάτων, οὔτε χωριστὸν 
οὔτε ἐνεργείᾳ ὄν, ὃ διαλαμβάνει τὸ πᾶν σῶμα wor εἶναι μὴ συνεχὲς, 
χαϑάπερ λέγουσι “ημόχριτος χαὶ “Μεύχιππος χαὶ ἕτεροε πολλοὶ τῶν 
φυσιολόγων. Μ. vgl. hiemit, was S. 561. 1. 4 aus Parmenides angeführt 
wurde. Schon diese Stelle würde nun ausreichen, um die Vermuthung 
(Cuıarerrı Melisso 27) zu widerlegen, dass erst Demokrit den Begriff des 
Leeren rein gefasst, Leucippus dagegen mit den Pythagoreern (von denen 
wir aber nicht wissen, wie frühe sich das S. 436 besprochene bei ihnen 
fand) unter dem Leeren eine luftartige Substanz verstanden habe. Nimmt 
man vollends die 8. 847, 1. 849, 2 angeführten aristotelischen und theo- 
phrastischen Zeugnisse hinzu, so kann darüber kein Zweifel bestehen, dass 
Leucippus mit dem Leeren genau dasselbe bezeichnen wollte wie sein 
Schüler. Eine luftartige Flüssigkeit konnte doch nicht das Nichtseiende 
genannt werden. Auf Ps.-Arıst. De Mel. 6. 980 a 7 durfte sich Ca. nicht 
berufen: theils weil dieses Zeugniss Aristoteles und Theophrast gegenüber 
ohne alles Gewicht wäre, theils aber auch, weil es gar nicht besagt, dass 
in den λόγοι Asuxinnov (worüber S. 837, 4 g. E.) das xevor sich nicht 
finde, sondern nur, dass darin vom διηρῆσϑαι im Sinn des xevöy gesprochen 
werde, sofern nämlich Leucippus wie (nach S. 612) Melissus voraussetzte, die 
Dinge können nur durch das Leere getrennt sein. 


[710] Ihr Princip und seine Begründung. 849 


Annahme eines leeren Raumes undenkbar'). Statt aber dess- 
halb mit den Eleaten die Vielheit und die Veränderung für 
einen blossen Schein zu halten, schliessen sie umgekehrt: da 
es in der Wirklichkeit viele Dinge gebe, welche entstehen und 
vergehen, sich verändern und sich bewegen, und da alles diess 
ohne die Annahme des Nichtseienden unmöglich wäre, so müsse 
dem Nichtseienden gleichfalls ein Sein zukommen. Sie stellen 
demnach dem Grundsatz des Parmenides, dass das Nicht- 
seiende in keiner Beziehung sei, die kühne Behauptung ent- 
gegen, das Seiende sei um nichts mehr, als das Nichtseiende 3), 
das Ichts (wie Demokrit sagte) um nichts mehr, als das 
Nichts®). Das Seiende ist ihnen aber, wie es auch die Eleaten 
gefasst hatten*), das Volle, das Nichtseiende das Leere?°). 


1) Arısr. gen. et corr. a. a. O. Phys. a. a. 0.213 b 4: A&yovos δ᾽ ἕν 
μὲν (für's erste) ὅτε χένησες ἡ χατὰ τόπον οὐχ ἄν εἴη (αὕτη δ᾽ ἐστὶ φορὰ 
zu) αὔξησις)" οὐ γὰρ ἄν doxeiv eivas χίνησεν, εἰ μὴ εἴη χενόν („es scheine, 
dass keine Bewegung sein könnte“, nicht wie es Grorz Plato I, 70 ver- 
steht: „die Bewegung könnte nicht vorhanden zu sein scheinen“). Demokrit's 
Beweisführung für diesen Satz wird sogleich, das Verhältniss der atomistischen 
Bestimmungen über das Leere zu denen des Melissus später besprochen 
werden. 

2) Arıst. Metaph. I, 4. 985 b 4: “εύχιππος δὲ καὶ ὁ ἑταῖρος αὐτοῦ 
Δημόχριτος στοιχεῖα μὲν τὸ πλῆρες χαὶ τὸ κενὸν εἶναί φασι, λέγοντες τὸ μὲν 
ὃν, τὸ δὲ μὴ 09, τούτων δὲ τὸ μὲν πλῆρες χαὶ στερεὸν τὸ ὃν τὸ δὲ χενόν 
γε χαὶ μανὸν τὸ μὴ ὃν (diö χαὶ οὐδὲν μᾶλλον τὸ ὃν τοῦ μὴ ὄντος εἶναί 
φασιν ὅτε οὐδὲ τὸ χενὸν τοῦ σώματος), αἴτια δὲ τῶν ὄντων ταῦτα 
ὡς ὕλην. Statt οὐδὲ. .. σώματος ist hier zu setzen: οὐδὲ τὸ χενὸν 
ἔλαττον τοῦ σωμ.; vgl. ϑιμΡι.. Phys. 28, 13 (Theophrast): τὴν γὰρ τῶν 
ἀτόμων οὐσίαν ναστὴν χαὶ πλήρη ὑποτιϑέμενος ὃν ἔλεγεν εἶναι (Leuc.) 
χαὶ ἐν τῷ χενῷ φέρεσϑαι, ὅπερ μὴ ὃν ἐχάλει χαὶ οὐχ ἔλαττον τοῦ ὄντος 
εἶναί φησι. 

8) Prur. adv. Col. 4, 2. 8. 1109: (4ημόχριτος) διορίζεται μὴ μᾶλλον 
τὸ δὲν ἢ τὸ μηδὲν εἶναι" δὲν μὲν ὀνομάζων τὸ σῶμα μηδὲν δὲ τὸ χενὸν, 
ὡς χαὶ τούτου φύσιν τινὰ χαὶ ὑπόστασιν ἰδίαν ἔχοντος. Das Wort δὲν, 
in späterer Zeit ebenso veraltet, wie jetzt das altdeutsche Ichts, findet sich 
auch bei Arcius Fr. 76 Bergk. Auch in Garen’s Bericht De elem. sec. 
Hipp. I, 2. T. I, 418 Kühn, wird statt ἔν mit Grund δὲν vermuthet. 

4) 8. o. 563 ἢ. 

5)8. A. 1. 2. 8. 847, 1. Anıst. Phys. I, 5 Anf.: πάντες δὲ 
τἀναντία ἀρχὰς ποιοῦσιν... χαὶ “ημόχριτος τὸ στερεὸν χαὶ χενὸν, ὧν 
τὸ μὲν ὡς ὄν, τὸ δ᾽ ὡς οὐκ ὃν εἶναί φησιν. Metaph. IV, 5. 1009 a 26: 
καὶ ᾿ἀναξαγόρας μεμῖχϑαι πᾶν ἐν παντί φησι χαὶ “ημόχριτος" καὶ γὰρ 
οὗτος τὸ κενὸν χαὶ τὸ πλῆρες ὁμοίως zu ὁτιοῦν ὑπάρχειν μέρος, καίτοε 

MR 


850 Atomistik. [771] 


Jener Satz besagt mithin, alles bestehe aus dem raumerfüllen- 
den Stoff und dem leeren Raume!). Diese beiden dürfen aber 
nicht blos neben einander sein, wenn sich die Erscheinungen 
aus ihnen erklären lassen sollen, sondern sie sind nothwendig 
in einander, so dass das Volle durch das Leere, das Seiende 
durch das Nichtseiende getheili, und durch die wechselnden 
Verhältnisse seiner Theile die Mannigfaltigkeit und der Wechsel 
der Dinge möglich gemacht 1813). Dass diese Theilung nicht 
in’s unendliche gehen könne, dass mithin als die letzten Be- 
standtheile aller Dinge untheilbare Körperchen anzunehmen 
seien, bewies Demokrit mit der ihm von Zeno an die Hand 
gegebenen®) Bemerkung, eine absolute Theilung würde keine 
Grösse, also überhaupt nichts mehr übrig lassen*); jene An- 


τὸ μὲν 09 τούτων εἶναι τὸ δὲ μὴ ὄν, Späterer nicht zu erwähnen. Für 
das Volle scheint nach Theophrast (Anm. 2) schon Leucippus γναστὸν 
(= στερεὸ») gesagt zu haben; bestimmter bezeugt diess Arıst. Fr. 208 
(s. u. 851, 1) von Demokrit. Vgl. Sıupr. De coelo 271 a 43. Schol. 514 a 
4 und unten S. 852, 8. Arzx. zu Metaph. 985 b 4. 5. 27, 3 Bon.: πλῆρες 
δὲ ἔλεγον τὸ σῶμα τὸ τῶν ἀτόμων διὰ νασεόιητά τε χαὶ auıflav τοῦ 
xevoü. Nach Tueonr. cur. gr. afl. IV, 9. S. 57 hätte Demokrit für die Atome 
γαστὰ gesagt, Metrodor ἀδιαίρετα, Epikur ἄτομα, wir werden das letztere 
aber S. 851, 1. 852, 3 auch bei Demokrit finden. Auch Stop. Ekl. I, 306 
gibt an: Anuoxg. τὰ γαστὰ καὶ κενά, Ähnlich I, 348. Vgl. MurLaca 8. 142. 

1) Für die Annahme des leeren Raums bediente sich Demokrit nach 
Arıst. Phys. IV, 6. 213 b folgender Gründe: 1) die räumliche Bewegung 
könne nur im Leeren stattfinden, denn das Volle könne kein anderes in 
sich aufnehmen (was dann weiter durch die Bemerkung gestützt wird, wenn 
zwei Körper in demselben Raum sein könnten, so müssten ebensogut un- 
zählige Körper darin sein und der kleinste Körper den grössten in sich 
aufnehmen können); 2) die Verdünnung und Verdichtung sei nur durch den 
leeren Raum zu erklären (vgl. c. 9 Anf.); ebenso 3) das Wachsthum nur 
daraus, dass die Nahrung in die leeren Zwischenräume der Körper eindringe. 
4) Endlich glaubte Demokrit bemerkt zu haben, dass ein Gefäss mit Asche 
gefüllt noch ebenso viel Wasser fasse, wie wenn es leer sei, 80 dass also 
die Asche in die leeren Zwischenräume des Wassers verschwinde. 

2) Vgl. Arıst. Metaph. IV, 5. (8. 849, 5) Phys. IV, 6 (85. 848, 2) und 
dazu Tuenıst. Phys. S. 284 Sp. 

3) 8. o. 8. 591. 

4) Arıst. Phys. I, 3 (8. 8.595, 1). gen. et corr. I, 2. 316 a 13 ff, wo 
der in unserem Text angegebene Grundgedanke des Beweises wohl jeden- 
falls Demokrit angehört, wenn auch die dialektische Ausführung desselben 
theilweise von Aristoteles selbst herrühren sollte. Im vorhergehenden sagt 
Aristoteles, was als Beweis seiner Achtung vor Demokrit angeführt zu 


[772] Das Princip und seine Begründung. 851 


nahme war aber auch abgesehen | davon durch den Begriff 
des Seienden, welchen die Atomiker von den Eleaten entlehnt 
hatten, gefordert, denn das Seiende kann diesem Begriff ge- 
mäss ursprünglich nur als untheilbare Einheit bestimmt wer- 
den. Leucipp und Demokrit denken sich demnach das Körper- 
liche aus solchen Theilen zusammengesetzt, die selbst nicht 
weiter theilbar sind, alles besteht nach ihnen aus den Atomen 
und dem Leeren'). 

Auf die Atome werden nun alle die Merkmale übertragen, 
welche die Eleaten dem Seienden beigelegt hatten. Sie sind 


werden verdient, die Atomenlehre Demokrit’s und Leucipp’'s habe weit mehr 
für sich, als die des platonischen Timäus; αἴτεον δὲ τοῦ En’ ἔλαττον δύνα- 
09a τὰ ὁμολογούμενα συγορᾷν (sc. τὸν Πλάτωνα) ἡ ἀπειρία. δεὸ ὅσοε 
ἐνῳχήχασι μᾶλλον ἐν τοῖς φυσιχοῖς μᾶλλον ὃ ύὑνανται ὑποτίϑεσϑαι τοιαύτας 
ἀρχὰς αἱ ἐπὶ πολὺ δύνανται συνείρειν" οἱ δ᾽ ἐχ τῶν πολλῶν λόγων 
ἀϑεώρητοι τῶν ὑπαρχόντων ὄντες, πρὸς ὀλίγα βλέψαντες ἀποφαίνονται 
ῥᾷον. ἴδοι δ᾽ ἂν τις χαὶ ἐχ τούτων, ὅσον διαφέρουσιν" οἱ φυσικῶς καὶ 
λογικῶς σχυποῦντες" περὶ γὰρ τοῦ ἄτομα εἶναε μεγέϑη οὗ μέν φασιν 
ὅτε τὸ αὐτοτρίγωνον πολλὰ ἔσται, “1ημόχριτος δ᾽ ἄν φανείη οἰκείοις καὶ 
φυσικοῖς λόγοις πεπεῖσϑαι. PHıLor. gen. et corr. 7 au. ὃ bu. scheint 
nur Aristoteles zur Quelle zu haben. 

1) Desore. Fr. phys. 1 (Sext. Math. VII, 135. Pyrrh. I, 213 ἢ, Pıour. 
adv. Col. 8, 2. Gazen De elem. sec. Hipp. I, 2. I, 417 K.): νόμῳ γλυχὺ 
καὶ (dieses χαὶ ist wohl zu streichen) νόμῳ πεχρὸν, νόμῳ ϑερμὸν, νόμῳ 
ψυχρὸν, νόμῳ xooır" ἐτεῇ δὲ ἄτομα χαὶ χενόν. ἅπερ νομίζεται μὲν elvas 
χαὶ δοξάζεται τὰ «ἰσϑητὰ, οὐχ ἔστι δὲ χατὰ ἀλήϑειαν ταῦτα, ἀλλὰ τὸ 
ἄτομα μόνον χαὶ χενόν. Απιβτ. Fr. 208 (202) b. διμρι,. De δωῶϊο 133 a 
6 ff. (aus der Schrift z. Anuoxelıov): Anu. ἡγεῖται τὴν τῶν ἀϊδίων φύσεν 
εἶναι μεχρὰς οὐσίας τὸ πλῆϑος ἀπείρους" ταύταις δὲ τύπον ἄλλο ὑποτί- 
ϑησιν ἄπειρον τῷ μεγέϑει, προφαγορεύει: δὲ τὸν μὲν τόπον τοῖςδε τοὶς 
ὀνόμασι, τῷ τε χενῷ καὶ τῷ οὐδενὶ καὶ τῷ ἀπείρῳ, τῶν δὲ οὐσιῶν ἑχάστην 
τῷ τῷδε χαὶ τῷ ναστῷ χαὶ τῷ ὄντι. νομίζει δὲ εἶναι οὕτω μικρὰς τὰς 
οὐσίας ὥστε xy: ὑγεῖν τὰς ἡμετέρας αἰσϑήσεις, ὑπάρχειν δὲ αὐταῖς παν- 
τοίας μορφὰς καὶ σχήματα παντοῖα χαὶ χατὰ μέγεϑος διαφοράν (—as). ἐκ 
τούτων οὖν ἤδη καϑάπερ ἐχ στοιχείων γεννᾶσϑαι καὶ συγχρίνεσθαι τοὺς 
ὀφϑαλμοφανεῖς (vielleicht demokritisch) χαὶ τοὺς αἰϑητοὺς ὄγχους. Weitere 
Belege sind überflüssig. Dass der Name ἄτομα oder ἄτομοι schon Demo- 
krit und wahrscheinlich schon Leucipp angehört, erhellt auch aus Sımer. 
Phys. 28, 9. 36, 1. De ca@lo 109 b 43 (s. u. 852, 3). Cıc. Fin. I, 6, 17. 
Pıur. adv. Col. 8, 4 ἢ. (s. S. 853, 1). Sonst heissen sie auch ἰδέας oder 
σχήματα (s. u. 853, 1. 856, 1), im Gegensatz zum Leeren γναστὰ (8. S. 849, 5), 
und als die ursprünglichen Substanzen nach Sımer. Plıys. 310 a m angeb- 
lich auch φύσις, letzteres scheint jedoch ein Missverständniss zu sein. 


852 Atomistik. (772. 718] 


ungeworden und unvergänglich, denn die Urbestandtheile 
aller Dinge können nicht aus einem anderen entstanden sein, 
und nichts kann sich in das Nichts auflösen). Sie sind 
schlechthin | erfüllt, ohne dass ein leerer Raum in ihnen wäre ?), 
und desshalb untheilbar; denn eine Theilung und Vielheit ist 
nur möglich, wo das Seiende oder das Volle durch das Nicht- 
seiende oder das Leere getrennt ist, in einen Körper, der 
schlechterdings keinen leeren Zwischenraum hat, kann nichts 
eindringen, durch das seine Theile getrennt würden?®). Sie 
sind aus demselben Grund in ihrem inneren Zustand und ihrer 
Beschaffenheit keiner Veränderung unterworfen, denn das 
Seiende als solches ist unveränderlich, was daher keinerlei 
Nichtseiendes in sich hat, das muss sich selbst durchaus gleich 
bleiben; wo keine Theile und keine leeren Zwischenräume 
sind, da kann ja keine Verschiebung der Theile stattfinden, 
was kein anderes in sich eindringen lässt, kann keine äussere 


1) 8. S. 847, 2. Plac. I, 3, 28. Um zu zeigen, dass nicht alles ge- 
worden sei, berief sich Demokrit auch auf die Anfangslosigkeit der Zeit, 
Arıst. Phys. VII, 1. 251 Ὁ 15. 

2) ARıst. gen. et corr. I, 8 (8. o. 847, 1): τὸ γὰρ κυρίως ὃν παμπληϑὲς 
ὄν. Puıtor. z. ἃ. St. 36 am: die Untheilbarkeit der Atome bewies Leucipp 
80: ἕχαστον τῶν ὄντων ἔστι χυρίως ὄν" ἐν δὲ τῷ ὄντε οὐδέν ἐστεν οὐχ 
ὄν, ὥστε οὐδὲ χενόν. εἰ δὲ οὐδὲν χενὸν ἐν αὐτοῖς, τὴν δὲ διαίρεσιν ἄνευ 
κενοῦ ἀδύνατον γενέσθαι, ἀδύνατον ἄρα αὐτὰ διαιρεϑῆναι. 

3) Arıst. Metaph. VII, 13. De ccelo III, 4: 8. ο. 848, 2. gen. et corr. 
I, 8. 325 b 5: σχεδὸν δὲ xal ᾿Ἐμπεδοχλεῖ avayxalov λέγειν ὥσπερ καὶ 
«Τεύχιππός φησιν" εἶναι γὰρ ἄττα στερεὰ, ἀδιαίρετα δὲ, εἰ un πάντη 
πόροι συνεχεῖς εἶσιν. PHILor. 8. vor. Anm., dessen Aussage freilich nur 
als willkürliche Erläuterung der aristotelischen zu betrachten ist (s. S. 612, 2). 
Sıser. Phys. 82, 1: Dem.’s Atom ist untheilbar τῷ μόρια μὲν ἔχειν καὶ 
μέγεϑος, ἀπαϑὲς δὲ εἶναι διὰ στεῤῥότητα χαὶ ναστότηται. De celo 109 b 
48, Schol. 484 a 24: ἔλεγον γὰρ οὗτοι (Leucipp und Demokrit) ἀπείρους 
εἶναι τῷ πλήϑει τὰς ἀρχὰς, ἃς καὶ ἀτόμους χαὶ ἀδεαιρέτους ἐνόμεζον καὶ 
ἀπαϑεῖς διὰ τὸ ναστὰς εἶναι χαὶ ἀμοίρους τοῦ χενοῦ. (Dass SımrL. im 
Widerspruch damit De οὐἷο 272 b 12 ff. den Atomen Theile abspreche, ist 
eine unrichtige Angabe von BRıEGER Urbewegung d. Atome 7. 8. thut diess 
weder hier noch 271 b 15 7) Cıc. Fin. I, 17: corpora individua propter soli- 
ditatem. Vgl. S. 848, 3. 849, 2. Als untheilbare, durch keinen Zwischen- 
raum unterbrochene Grösse ist jedes Atom ἕν ξυνεχὲς, wie das Seiende der 
Eleaten, dessen Untheilbarkeit Parmenides gleichfalls aus seiner absoluten 
Gleichartigkeit bewiesen hatte; s. 8. 560, 2. 559, 2. 


[773. 774) Die Atome. 853 


Einwirkung und keinen Stoffwechsel erfahren!). Die Atome 
sind endlich ihrer Substanz nach schlechthin | einfach und alle 
einander gleichartig?); denn theils können sie, wie Demokrit 
glaubt, nur unter dieser Bedingung auf einander wirken?®), 


1) M. 8. 8. 847, 1. 848, 2. Anıst. De calo III, 7 (8. 758, 2); gen. et 
corr. I, 8. 325 a 36: ἀναγχαῖον ἀπαϑές Te ἕχαστον λέγειν τῶν ἀδιαιρέτων, 
οὐ γὰρ οἷόν τε πάσχειν all ἢ διὰ τοῦ xevod. Pur. adv. Col. 8, 4: τέ 
γὰρ λέγεε Anuoxgıros; οὐσίας ἀπείρους τὸ πλῆϑος ἀτόμους τε xal ἀδια- 
φόνους ἔτε δ᾽ ἀποίους χαὶ ἀπαϑεῖς ἐν τῷ χενῷ φέρεσϑαι διεσπαρμένας" 
ὅταν δὲ πελάσωσιν ἀλλήλαις, ἢ συμπέσωσιν, ἢ περιπλαχῶσι, φαένεσϑαι 
τῶν ἀϑροιζομένων τὸ μὲν ὕϑωρ, τὸ δὲ πῦρ, τὸ δὲ φυτὸν, τὸ δ' ἀνϑρωπον" 
εἶναι δὲ πάντα τὰς ἀτόμους ἰδέας (al. ἰδέως) ὑπ᾽ αὐτοῦ χκαλουμέγας, ἕτερον 
ϑὲ μηδέν" ἐκ μὲν γὰρ τοῦ μὴ ὄντος οὐχ εἶναι γένεσιν, ἐχ δὲ τῶν ὄντων 
μηδὲν ἄν γενέσθαι τῷ μήτε πάσχεεν μήτε μεταβάλλειν τὰς ἀτόμους ὑπὸ 
στεῤῥότητος, ὅϑεν οὔτε χρόαν ἐξ ἀχρώστων, οὔτε φύσιν ἢ ψυχὴν ἐξ ἀποίων 
καὶ [ἀψύχω») ὑπάρχειν (und desshalb könne aus ihnen, da sie farblos seien, 
keine Farbe, da sie eigenschafts- und leblos seien, keine φύσις oder Seele 
entstehen, sofern wir nämlich nicht blos die Erscheinung, sondern das 
Wesen der Dinge in’s Auge fassen. GaLEn De elem. sec. Hipp. I, 2. T.I, 
418 f. Κι: ἀπαϑὴ δ᾽ ὑποτέϑενταε τὰ σώματα εἶναι Ta πρῶτα... οὐδ᾽ 
ἀλλοιοῦσϑαι xıra τε δυνάμενα ταύτας δὴ τὰς ἀλλοιώσεις, ἃς ἅπαντες 
ἄνϑρωποι πεπεστεύχασιν elvaı ... οἷον οὔτε ϑερμαίγεσϑαί τί φασιν ἐχεί- 
γων οὔτε ψύχεσϑαε u. 8. w. (8. ο. 851, 1) μήτ᾽ ἄλλην τενὰ ὅλως ἐπιδέχεσθαι 
ποιότητα κατὰ μηδεμίαν μεταβολήν. ὍὌιοα. IX, 44: ἐξ ἀτόμων... ἅπερ 
εἶναι ἀπαϑὴ καὶ ἀναλλοίωτα διὰ τὴν στεῤῥότητα. SımPL. 8. vor. Anm. 

2) Arısr. Phys. IH, 4. ῬΗΠΟΡ. und ΒΙΜΡΙ,. 5. ἃ. St. s. u. 8. 857, 1. 
Asıst. De calo I, 7.275 b 29: εἰ δὲ un συνεχὲς τὸ πᾶν, all ὥσπερ λέγει 
Anuöxgıros χαὶ Atvsınnos διωρισμένα τῷ χενῷ, μίαν ἀναγκαῖον εἶναι 
πάντων τὴν χίνησιν. diwgsoras μὲν γὰρ τοῖς σχήμασιν" τὴν δὲ φύσιν 
εἶναί φασιν αὐτῶν μίαν, ὥσπερ ἄν εἰ χρυσὸς ἕχαστον εἴη χεχωρισμένγον. 
Desshalb nennt Arısr. Phys. I, 2. 184 b 21 die Atome τὸ γένος ἕν, σχήματε 
δὲ ἢ εἴδει διαφερούσας ἢ χαὶ ἐναντίας, Sımrı. 2. ἃ, St. 48, 26: ὁμογενεῖς 
καὶ ἐχ τῆς αὐτῆς οὐσίας, ebd. 166, 6: τὸ εἶδος αὐτῶν χαὶ τὴν οὐσίαν ἕν καὶ 
ὡρισμένον, De calo 111 a 5, Schol. 484 a 84: ἀτόμους ὁμοίας τὴν φύσιν 
(ὁμοειοφυεῖς K.). 

8) ΑΒΙΒΤ. gen. et corr. I, 7. 323 b 10: Ζημόχριτος δὲ παρὰ τοὺς 
ἄλλους ἰδίως ἔλεξε μόνος (über das ποιεῖν und πάσχειν). φησὶ γὰρ τὸ 
αὐτὸ χαὶ ὅμοιον εἶναι TO TE ποιοῦν xal πάσχον. οὐ γὰρ ἐγχωρεῖν τὰ 
ἕτερα καὶ διαφέροντα πάσχειν ὑπ᾽ ἀλλήλων, ἀλλὰ χἄν ἕτερα ὄντα nos τε 
εἰς ἄλληλα, οὐχ ἢ ἕτερα, ἀλλ᾽ ἢ ταὐτόν τε ὑπάρχει, ταύτῃ τοῦτο συμβαίνειν 
αὐτοῖς. THEOPER. De sensu 49: ἀϑύνατον δέ φησι [Anuoxg.] τὸ [l. τὰ] μὴ 
ταὐτὰ πάσχειν, ἀλλὰ καὶ ἕτερα ὄντα ποιεῖν οὐχ ἕτερα []. οὐχ ἢ Er.), ἀλλ᾽ 
ἢ []. ἢ] ταὐτόν τε πάσχει [l. ὑπάρχει), τοὶς ὁμοίοις. Dass Demokrit von 
diesem Grundsatz die oben angenommene Anwendung machte, wird nicht 
ausdrücklich gesagt, ist aber an und für sich wahrscheinlich. Aehnliches 


854 Atomistik. [774. 775] 


theils aber ist überhaupt jede Verschiedenheit des einen von 
dem andern, wie diess schon Parmenides gezeigt hatte!), eine 
Folge des Nichtseins, wo reines Sein ohne alles Nichtsein ist, 
da ist nur Eine und dieselbe Beschaffenheit dieses Seins mög- 
lich; nur unsere Sinne zeigen uns Dinge von qualitativ be- 
stimmter und verschiedener Beschaffenheit, den Urkörpern 
selbst, den Atomen, dürfen wir keine von diesen besonderen 
Eigenschaften, sondern nur dasjenige beilegen, ohne welches 
ein Seiendes, oder | ein Körper, sich überhaupt nicht denken 
lässt?2). Das Seiende ist, mit andern Worten, nur die raum- 
erfüllende Substanz, der Stoff als solcher, nicht ein irgendwie 
bestimmter Stofl, denn jede Bestimmung ist Ausschliessung, 
jeder bestimmte Stoff ist das nicht, was die anderen sind, er 
ist also nicht blos ein seiendes, sondern zugleich auch ein 
nichtseiendes®). Die atomistische Lehre über das Seiende 


fanden wir S. 260, 2 bei Diogenes, und da dieser (nach S. 274) Leucippus 
benützt hatte, ist es wohl möglich, dass diese wichtige Bemerkung ursprüng- 
lich Leucippus angehört. 

1) S. S. 560, 2 vgl. 848, ὃ. 

2) Vgl. S. 851, 1. Sext. Math. VIO, 6: Demokrit hält nur das Un- 
sinnliche für ein Wirkliches ds« τὸ μηδὲν ὑποχεῖσϑαι φύσει αἰσϑητὸν, τῶν 
τὰ πάντα συγχρινουσῶν ὑτόμων πάσης αἰσϑητῆς ποιότητος ἔρημον ἐχου- 
σῶν φύσιν. Minder genau nennen PrurTaAxcH und GALEN 83. d. ἃ. Ο. die 
Atome schlechtweg ἅποια und ἀπαϑῆ. Näheres über die Eigenschaften, 
welche ihnen zukommen oder abzusprechen sind, sogleich. 

3) Dass die alten Atomisten zu dieser Annahme nicht, wie die neueren, 
„durch eine Analyse der objektiven Naturprocesse gekommen sind“, glaube 
auch ich mit Bäusker Probl. ἃ. Mat. 87, und sehe in der 85. 853, 3 ange- 
führten Bemerkung mehr eine nachträgliche Bestätigung derselben als ihr 
entscheidendes Motiv. Um nichts wahrscheinlicher ist mir aber die Ver- 
muthung, sie habe sich ihnen, von ihrer Erkenntnisstheorie aus, durch die 
Erwägung ergeben, dass nur das zum objektiven Wesen der Dinge gehören 
könne, was nicht, wie ihre sinnlichen Qualitäten (warm, kalt u. s. f.), bald 
so, bald anders erscheine. Denn auch hier ist zwischen den Gründen, mit 
denen jene Bestimmung von Demokrit vertheidigt wurde, und denen zu 
unterscheiden, aus denen sie ursprünglich hervorgieng. Diese bestehen, schon 
bei Leucippus, nach Aristoteles’ unzweifelhaft zutreffender Darstellung (s. o. 
S. 843 ff.), in der Absicht, die Thatsachen der Erfahrung aus dem Vollen 
und dem Leeren als ihren einzigen Ursachen zu erklären. Darin lag un- 
mittelbar, dass dem Vollen, den Atomen, ausser der Raumerfüllung und 
ihren näheren Modifikationen keine weiteren Eigenschaften beigelegt werden 
durften, dass sie alle für qualitativ gleich und ihre qualitativen Unterschiede 


(775. 776] Die Atome: Gestalt und Grösse. 855 


unterscheidet sich in allen diesen Beziehungen nur dadurch 
von der eleatischen, dass sie das auf die vielen Einzelsubstan- 
zen überträgt, was Parmenides von der Einen allgemeinen Sub- : 
stanz oder dem Weltganzen ausgesagt hatte. 

Wie gross aber auch die Gleichartigkeit und Unveränder- 
lichkeit der Atome sein mag, so weit darf sie doch nicht 
gehen, dass die Mannigfaltigkeit und der Wechsel der abge- 
leiteten Dinge dadurch unmöglich gemacht würde. Können 
daher unsere Philosophen keine qualitativen Unterschiede unter 
den Atomen annehmen, so müssen sie nur um so mehr darauf 
dringen, dass dieselben in quantitativer Beziehung, hinsichtlich 
ihrer Forn, ihrer Grösse und ihres gegenseitigen Verhältnisses 
im Raume, sich möglichst ungleich gedacht werden. Demokrit 
sagte daher, die Atome unterscheiden sich durch ihre Gestalt, 
ihre Ordnung und ihre Lage!); ausserdem werden aber auch 
Unterschiede | der Grösse und der Schwere erwähnt. Als der 
Grundunterschied ist der der Gestalt zu betrachten, welcher 
desshalb nicht selten auch allein hervorgehoben wird®), und 


für einen blossen Sinnenschein erklärt werden mussten: diese Behauptung ist 
nicht der Grund, sondern die Folge von der Gleichartigkeit aller Stoffe, 
welche sich ihrerseits aus dem parmenideischen Begriff des Seienden mit 
Nothwendigkeit ergab, wenn der Versuch gemacht wurde, ohne eine weitere 
Voraussetzung als die des Seienden und des Nichtseienden eine rein me- 
chanische Naturerklärung zu gewinnen. 
1) Azıst. Metaph. I, 4, nach dem 85. 849, 2 angeführten: χαϑάπερ of 
ἔν ποιοῦντες τὴν ὑποχειμένην οὐσίαν τἄλλα τοῖς πάϑεσιν αὐτῆς γεννῶσι 
. τὸν αὐτὸν τρόπον χαὶ οὗτοι τὰς διαφορὰς αἰτίας τῶν ἄλλων εἶναί 
φασιν. ταύτας μέντοι τρεῖς εἶναι λέγουσι, σχῆμά τε χαὶ τάξιν χαὶ ϑέσιν. 
διαφέρειν γάρ φασε τὸ ὃν δυσμῷ χαὶ dıadıyn καὶ τροπῇ μόνον" τούτων δὲ ὁ 
μὲν ῥυσμὸς σχῆμα ἔστιν, ἡ δὲ διαϑιγὴ τάξις, ἡ δὲ τροπὴ ϑέσις " διαφέρει γὰρ 
τὸ μὲν A τοῦ N σχήματι, τὸ δὲ AN τοῦ NA τάξει, τὸ δὲ Ζ τοῦ N ϑέσει. 
Das gleiche kürzer ebd. VIII, 2 Anf. Dieselben Unterschiede unter den 
Atomen nennt Arist. Phys. I, 5 Anf. gen. et corr. I, 1. 314 a 21. c. 2.315 b 
33. c. 9. 327 a 18. Diese Angaben wiederholen dann seine Ausleger: ALEx. 
Metaph. 538 b 15 Bk. 27, 7 Bon. Sımer. Phys. 28, 17 (nach Theophrast). 
86, 1. De calo 133 a 13 (Schol. 488 a 22) Puıtor. Phys. 116, 24. De 
an. B 14 m. gen. et corr. 8 Ὁ m. 7 a o. Ῥυσμὸς, von Puıtor. und Suıp, 
u. d. W. als abderitischer Ausdruck bezeichnet, ist eine andere Aussprache 
von ῥυϑμός. Ὅιτοα. IX, 47 nennt Schriften π. τῶν dıiagegiyraov ῥυσμῶν 
und x. ἀμειψιῤδυσμιῶν. 
2) So von Arısr. Phys. I, 2. De calo I, 7 (8. S. 853, 2) gen. et corr. 


856 Atomistik. [776. 777] 


nach dem die Atome selbst Formen genannt werden!). In 
dieser Beziehung behauptet nun die Atomistik, dass es nicht 
nur der Atome, sondern auch der Gestaltsunterschiede unter 
den Atomen unendlich viele sein müssen: theils weil kein 
Grund vorliege, wesshalb ihnen eine Gestalt mehr zukommen 
sollte, als die andern, theils und besonders, weil es sich nur 
unter dieser Voraussetzung erklären lasse, dass die Dinge so 
unendlich verschieden sind, so vielen Veränderungen unter- 
liegen, und verschiedenen so verschieden erscheinen 5). Weiter 


I, 8. 325 b 17: τοῖς μὲν γάρ ἔστιν ἀδιαίρετα Ta πρῶτα τῶν σωμάτων, 
σχήματι διαφέροντα μόνον, und im folgenden, 326 a 14: ἀλλὰ μὴν ἄτοπον 
χαὶ εἰ μηϑὲν ὑπάρχει ἀλλ᾽ ἢ μόνον σχῆμα. 

1) Ῥεῦτ. adv. Col. ἃ. 8. Οὄ. Arısr. Phys. III, 4. 203 a 21: (.Inuoxgırog) 
ἐχ τὴς πανσπερμίας τῶν σχημάτων (ἄπειρα moi τὰ στοιχεῖα). gen. et 
corr. I, 2; 8. folg. Anm. und S. 8622, De an. I, 2; s.8. 858 unt. De respir. 
c. 4. 472 a 4. 15. Sıupr. Phys. 28, 21 s. Anm. 2. Demokrit hatte eine eigene 
Schrift u. ἃ. T. περὶ ἰδεῶν verfasst (Ssxr. Math. VII, 137), welche wohl 
von der Gestalt der Atome oder auch von den Atomen schlechtweg handelte ; 
Hksrvca. ἰδέα sagt, ohne Zweifel nach Demokrit, es bedeute auch τὸ ἐλάχεστον 
σῶμα. Vgl. MurLicH 135. 

2) Arısr. gen. et corr. I, 2. 315 b 9: ἐπεὶ δ᾽ ᾧοντο τἀληϑὲς ἐν τῷ 
yalveodaı, ἐναντία δὲ xal ἄπειρα τὰ φαινόμενα, τὰ σχήματα ἄπειρα 
ἐποίησαν, ὥστε ταῖς μεταβολαῖς τοῦ συγκειμένου τὸ αὐτὸ ἐναντίον doxeiv 
ἄλλῳ καὶ ἄλλῳ χαὶ μεταχινεῖσϑαι μεχροῦ ἐμμιγνυμένου καὶ ὅλως ἕτερον 
φαίνεσϑαι ἑνὸς μεταχινηϑέντος᾽ ἐχ τῶν αὐτῶν γὰρ τραγῳδία χαὶ χωμφῳ- 
δία γίνεται γραμμάτων. Ebd. 1. 314 a 21: “ημόχριτος δὲ χαὶ Aeu- 
xınnos ἐχ σωμάτων ἀδιαιρέτων τἄλλα συγχεῖσϑαί φασι, ταῦτα δ᾽ ἄπειρα 
χαὶ τὸ πλῆϑος elvas καὶ τὰς μορφὰς, αὐτὰ δὲ πρὸς αὑτὰ διαφέρειν [hier 
ist wieder rcAla Subjekt] τούτοις ἐξ ὧν &los (die Atome, aus denen sie 
bestehen) χαὶ ϑέσει χαὶ τάξει τούτων. Ebd. 8. 325 " 27: (.Ζεύχιππος) ἀπεί- 
ροις ὡρέσϑαι σχήμασι τῶν ἀδιαιβέτων στερεῶν ἕχαστον. De calo III, 4. 
808 a 5 (8. ο. 848, 2). Ebd. Ζ. 10: χαὶ πρὸς τούτοις ἐπεὶ διαφέρει τὰ 
σώματα σχήμασιν (diess auch Z. 30 wiederholt), ἄπειρα δὲ τὰ σχήματα 
ἄπειρα χαὶ τὰ ἁπλὰ σώματά φασιν εἶναι. De an. 1, 2. 404 4 1. Die 
unendliche Anzahl der Atome wird sehr oft erwähnt, z. B. Arısr. Phys, III, 
4. 203 a 19. gen. et corr. I, 8. 325 a 30. Fr. 208 (s. o. 851, 1). Sıser. Phys. 
28, 8. Pıur. adv. Col. 8, 4. θιοα. IX, 44 (der aber ungeschickter Weise 
beifügt, die Atome seien auch an Grösse unbegrenzt); über ihre unzähligen 
und äusserst mannigfaltigen Gestalten, oxalnva, ἀγκιστρώδη, χοῖλα, κυρτὰ 
u. 8. w. vgl. m. Taeorur. De sensu 65 f. Dens. Metaph. (Fr. 34) 12, wo 
er Dem. wegen der Unregelmässigkeit in den Formen seiner Atome tadelt. 
Cıc. N. D. 1, 24, 66 (789, 1%). Aukxanper b. PhiLor. gen. et corr. 3 bo. 
Plac. I, 3, 30 (die beiden letzteren bemerken auch Epikur’s Abweichung in 
diesem Punkt, vgl. Th. III a, 404), Tuxmısr. Phys. 222 Sp. PuıLor. De 


[777. 778] Die Atome: Gestalt und Grösse. 857 


sollen sich die Atome auch an Grösse | unterscheiden), ohne 
dass doch ganz klar wäre, wie sich dieser Unterschied zu dem 
Gestaltsunterschied verhält?).. Da nämlich die | Atome nur 
desshalb untheilbar sind, weil kein Leeres in ihnen ist, so sind 
sie keine mathematischen Punkte, sondern Körper von einer 
gewissen Grrösse®), und sie können in dieser Beziehung ebenso 


an. B 14 m. Sıuer. Phys. 28, 25, der als Grund für diese Bestimmung, 
unter Berufung auf die eigenen Aussagen der Atomiker, angibt: τῶν ἐν ταῖς 
ἀτόμοις σχημάτων ἄπειρον τὸ πλῆϑός φασι διὰ τὸ μηδὲν μᾶλλον τοιοῦτον 
ἢ τοιοῦτον εἶναι (vgl. Prur. Col. 4, 1: nach Kolotes behaupte Demokrit, 
τῶν πραγμάτων ἕχαστον οὐ μᾶλλον τοῖον ἢ τοῖον εἶναι), und vorher, Z. 21, 
mit Aristoteles: τῶν σχημάτων ἕχαστον εἰς ἑτέραν ἐγχοσμούμενον σύγχρισιν 
ἄλλην ποιεῖν διάϑεσιν᾽ ὥστε εὐλόγως ἀπείρων οὐσῶν τῶν ἀρχῶν πᾶντα 
τὰ πάϑη χαὶ τὰς οὐσίας ἀποδώσειν ἐπηγγέλλοντο ὑφ᾽ οὗ τε γίνεται καὶ 
πῶς. dio χαί φασι μόνοις τοῖς ἄπειρα ποιοῦσι τὰ στοιχεῖα πάντα συμ- 
βαίνειν κατὰ λόγον. Ders. De calo 133 a 24. 271 a 48 (Schol. 488 a 82. 
514 a 4. Vgl. 8. 1844 f. 796, 24. 

1) Arısr. Phys. III, 4. 203 a 33: Anuöxgırog δ᾽ οὐδὲν ἕτερον ἐξ ἑτέρου 
‚lyveodar τῶν πρώτων φησίν all ὅμως γε αὐτὸ τὸ χοινὸν σῶμα πάντων 
ἐστὶν ἀρχὴ, μεγέϑει χατὰ μόρια καὶ σχήματι διαφέρον. Ders. Fr. 208 
(8. ο. 851, 1). Gen. et corr. I, 8 (8. S. 860, 1). De calo III, 4 5. folg. Anm. 
TueouPR. De sensu 60: “]ημόχριτος . . . τὰ μὲν τοῖς μεγέϑεσι, τὰ δὲ τοῖς 
σχήμασιν, ἔνια δὲ τάξεε καὶ ϑέσει διορίζει, ebd. 6], 8. u. 859, 1 Plac. I, 
8, 29. 4, 1. Smerr. Phys. 462, 5. De calo 110 a 1. Pnıror, Phys. 398, 
llu. a. 

2) Denn einerseits wird gewöhnlich, wie so eben gezeigt wurde, nur 
die Gestalt als dasjenige genannt, wodurch sich die Atome als solche von 
einander unterscheiden, und 80 könnte man geneigt sein, sich mit jeder 
Gestalt eine gewisse Grösse verknüpft zu denken (so Paıtor. De an. C 6 u., 
wenn er vermuthet, Demokrit halte die kugelförmigen Atome desshalb für 
die kleinsten, weil unter Körpern von gleicher Masse die kugelförmigen den 
kleinsten Umfang haben); andererseits werden unter den gleichgestalteten 
Atomen grössere und kleinere unterschieden, wie wir diess später in Betreff 
der runden finden werden, und es werden umgekehrt verschiedengestaltete 
wegen der Gleichheit ihrer Grösse zu Einem Element zusammengefasst; 
Arıst. De calo III, 4. 808 a 12 (nach dem 856, 2 angeführten): ποῖον δὲ 
χαὶ τί ἑκάστου τὸ σχῆμα τῶν στοιχείων οὐθὲν ἐπιδιώρισαν, ἀλλὰ μόνον 
τῷ πυρὶ τὴν σφαῖραν ἀπέδωχαν' ἀέρα δὲ καὶ ὕδωρ καὶ ralla μεγέϑει 
χαὶ μεχρότητε διεῖλον, ὡς οὖσαν αὐτῶν τὴν φύσιν οἷον πανσπερμίαν πάντων 
τῶν στοιχείων (indem sie annahmen, dass in ihnen Atome der verschiedensten 
Form gemischt seien, unter denen aber, wie auch aus Z. 25 ff. hervorgeht, 
in der Erde sich solche befinden sollten, die für das Wasser, und im Wasser 
solche, die für die Luft zu gross sind). 

8) Wenn Garen De elem. sec. Hipp. I, 2. T. I, 418 K. sagt, Epikur 


858 Atomistik. [778] 


verschieden sein, wie sie es an Gestalt sind. Doch nalım De- 
mokrit an, dass alle Atome zu klein seien, um von unsern 
Sinnen wahrgenommen zu werden'!), und er musste diess 


halte die Atome für ἄϑραυστα ὑπὸ σχληρότητος, Leucipp für ἀδιαίρετα 
ὑπὸ σμικρότητος, ebenso Sımrr. Phys. 216 a unt., Leucipp und Demokrit 
haben die Ungetheiltheit der Urkörper nicht blos von ihrer ἀπάϑεια her- 
geleitet, sondern auch von dem σμεχρὸν χαὶ ἀμερὲς, Epikur dagegen halte 
sie nicht für ἀμερῆ, sondern für ἄτομα διὰ τὴν ἀπάϑειαν, und ähnlich De 
calo 271 b 1, Schol. 514 a 4, sie seien διὰ σμιχρότητα xal ναστότητα 
ἄτομοι, so ist diess ein (vielleicht von epikureischer Seite aufgebrachtes) 
Missverständniss; die aristotelische Polemik gegen die Atome richtet sich 
allerdings auch gegen das mathematische Atom (De c«lo III, 4. 303 a 20), 
aber Demokrit und Leucipp selbst hielten die Atome, wie auch Sıupr. 
Phys. 82, 1 anerkennt, nicht für mathematisch, sondern wie Epikur, nur 
für physikalisch untheilbar. 

1) Sexr. Math. VII, 139: λέγεε δὲ χατὰ λέξιν" „yroung δὲ δύο εἰσὶν 
ἰδέαι, ἡ μὲν γνησίη ἡ δὲ σχοτίη" καὶ σχοτίης μὲν τάδε ξύμπαντα, ὄψις, 
ἀχοὴ, ὀδμὴ, γεῦσις, ψαῦσις" ἡ δὲ γνησίη ἀποκχεχρυμμένη δὲ ταύτης“ (hie- 
für schlägt ΗΕξιμβότη, dem viele gefolgt sind, ἀπόχέχρ. διὰ ταύτης vor; mir 
würde ἀποχεχριμένη ταύτης, ohne δὲ, besser gefallen.) εἶτα προχρένων 
τῆς σχοτίης τὴν γνησέην ἐπιφέρεε λέγων" „orar ἡ σχοτίη μηχέτε δίνηταιε 
μήτε ὁρὴν ἐπ᾿ ἔλαττον (sehen was noch mehr in’s kleine geht), μήτε ἀχούειν, 
μήτε ὀδμᾶσϑαι, μήτε γεύεσθαι, μήτε ἐν τῇ Ψψαύσει αἰσϑάνεσθαι, ἀλλ᾽ ἐπὶ 
λεπτότερον" --- da (muss die Meinung sein) tritt die wahre Erkenntniss ein. 
Arıst. gen. et corr. I, 8 (8. 0.847, 1. SımrL. De calo 133 a 13 (Schol. 488 
a22)u.a. Die Atome heissen daher Plac. I, 3, 18 der Sache nach richtig, 
wenn auch der Ausdruck erst Epikur angehört, λόγῳ ϑεωρητὰ, und ARrıst. 
gen. et corr. I, 8. 326 a 24 hält der Atomenlehre den Einwurf entgegen: 
ἄτοπον xal τὸ μικρὰ μὲν ἀδιαίρετα εἶναι μεγάλα δὲ un. Wenn Dioxys 
b. Eus. pr. ev. XIV, 28, 3 sagt, Epikur habe alle Atome für absolut klein 
und sinnlich nicht wahrnehmbar gehalten, Demokrit einzelne ganz grosse 
angenommen, und Stop. ΕΚ]. I, 348 behauptet, Demokrit halte es für mög- 
lich, dass ein Atom so gross wie eine Welt sei, so ist diess gewiss höchstens 
in dem Sinn richtig, dass er gesagt hatte, diesen Annahmen stände an sich 
nichts im Wege, da auch der grösste Körper untheilbar wäre, wenn er gar 
kein Leeres in sich hätte. Eher könnte man aus Arısr. De an. I, 2. 404 
a 1 schliessen, dass Atome unter Umständen auch sichtbar werden können. 
A. sagt hier nämlich von Demokrit: ἀπείρων γὰρ ὄντων σχημάτων xa) 
ἀτόμων τὰ σφαιροειδῆ πῦρ καὶ ψυχὴν λέγει, οἷον ἐν τῷ ἀέρε τὰ xalovusre 
ξύσματα, ἃ φαίνεται ἐν ταῖς διὰ τῶν ϑυρίδων ἀχτῖσιν, und diese Worte 
lauten doch zu bestimmt, um mit PuıtLoroxus (De an. Β 14 m. gen. et corr. 
9 b u.) in den Sonnenstäubchen nur überhaupt ein Beispiel von Körpern 
zu sehen, die für gewöhnlich unsern Sinnen entgehen. Allein wenn Dem. 
auch im Anschluss an eine pythagoreische Meinung (oben 444, 4) annahm, 
dass dieselben aus ähnlichen Atomen bestehen, wie die Seele, so konnte er 


[779] Die Atome: Grösse und Schwere. 859 


schon desshalb annehmen, weil jeder sinnlich wahrnehmbare 
Stoff theilbar, veränderlich und von bestimmter Qualität ist. 
Mit der Grösse ist aber unmittelbar auch die Schwere gegeben, 
denn die Schwere kommt jedem Körper als solchem zu, und 
da aller Stoff gleichartig ist, muss sie allen Körpern gleich- 
mässig zukommen, so dass alle bei gleicher Masse gleich 
schwer sind; das Gewichtsverhältniss der einzelnen Körper 
ist daher ausschliesslich von dem Verhältniss ihrer Massen be- 
dingt und diesem vollkommen entsprechend, und wenn es 
scheint, ein grösserer Körper sei leichter als ein kleinerer, so 
rührt diess nur daher, dass er mehr leeren Zwischenraum ent- 
hält, dass mithin seine Masse in Wahrheit doch geringer ist, 
als die des andern!). Auch die Atome | müssen somit ein 


sie doch immer noch für Anhäufungen solcher Atome halten, deren einzelne 
Bestandtheile wir nicht unterscheiden können. 

1) Diese für die neuere Naturlehre so wichtigen Sätze sind eine un- 
mittelbare Folge von der qualitativen Gleichartigkeit aller Stoffe; dass sich 
aber die Atomiker dieser Consequenz auch bewusst waren, zeigt Arısr. De 
coalo IV, 2. 808 b 35: τὰ δὲ πρῶτα καὶ ἄτομα τοῖς μὲν ἐπίπεδα λέγουσιν 
ἐξ ὧν συνέστηχε τὰ βάρος ἔχοντα τῶν σωμάτων (Plato) ἄτοπον τὸ φάναι, 
τοῖς δὲ στερεὰ μᾶλλον ἐνϑέχεται λέγειν τὸ μεῖζον εἶναι βαρύτερον αὐτῶν" 
τῶν δὲ συνθέτων, ἐπειϑήπερ οὐ φαίνεται τοῦτον ἔχειν ἕκαστον τὸν τρόπον, 
ἀλλὰ πολλὰ βαρύτερα ὁρῶμεν ἐλάττω τὸν ὄγχον ὄντα χαϑάπερ ἐρίου 
χαλχὸν, ἕτερον τὸ αἴτιον οἵονταί τε χαὶ λέγουσιν ἔνιοι (Atomiker, ohne 
Zweifel Demokrit)., τὸ γὰρ χενὸν ἐμπεριλαμβανόμενον χουφίζειν τὰ σω- 
ματά φασι καὶ ποιεῖν ἔστιν ὅτε τὰ μείζω χουφότερα, πλεῖον γὰρ ἔχειν 
χενόν. διὰ τοῦτο γὰρ χαὶ τὸν ὄγκον εἶναι μείζω συγχείμενα πολλάκις ἐξ 
ἴσων στερεῶν ἢ καὶ ἐλαττόνων. ὅλως δὲ χαὶ παντὲς αἴτιον εἶναι τοῦ 
χκουφοτέρου τὸ πλεῖον ἐνυπάρχειν κενόν. ... διὰ γὰρ τοῦτο χαὶ τὸ πῦρ 
εἶναί φασι χουφότατον, ὅτι πλεῖστον ἔχει κενόν. ὙΉΕΟΡΗΒ. De sensu θ]: 
βαρὺ μὲν οὖν χαὶ χοῦφον τῷ μεγέϑει δικιρεὶ ΖΙ]ημόχριτος, (das gleiche 
11) εἰ γὰρ διαχριϑείη χαϑ' Ev ἕχαστον, (wenn jedes Ding in seine einzelnen 
Atome aufgelöst würde; x«9’ ἕν lese ich mit Disıs Doxogr. 516, 26) εἰ καὶ 
χατὰ σχῆμα διαφέροι (so dass sie also nicht unmittelbar an einander ge- 
messen werden könnten), σταϑμὸν av ἐπὶ μεγέϑει τὴν χρίσεν [so lese ich 
mit Prerter H. phil. gr.-rom. 152 statt φύσι»] ἔχειν (die Wage — oder 
auch: das Gewicht — müsste über ihre Grösse entscheiden). οὐ μὴν all 
ἔν γε τοῖς μιχτοῖς χουφότερον ἄν εἶναι τὸ πλέον ἔχον χενὸν, βαρύτερον 
δὲ τὸ ἔλαττον. ἐν ἐνίοις μὲν οὕτως εἴρηχεν. ἐν ἄλλοις δὲ κοῦφον εἶναί 
φησιν ἁπλῶς τὸ λεπτόν. Ueber die Fassung und Erklärung dieser Worte 
gehen die Ansichten weit auseinander; vgl. MurLaca 5. 214. 346 f. SCHNEIDER 
und Wısser in ihren Ausgaben. Burcuarp Democr. phil. de sens. 15. 
PaıLippson Ὕλη ἀνθρωπίνη 134. Parencorpr Atom. doctr. 53. PRELLER- 


860 Atomistik. [180] 


Gewicht, und zwar das gleiche specifische Gewicht haben, 
ebendesshalb aber an Schwere ebenso verschieden sein, wie 
an Grösse!). Es ist diess eine für das atomistische System 
sehr wichtige Annahme; Zeugnisse, die das Gegentheil be- 
haupten 3), sind als irrig abzuweisen, und nur so viel mag 
richtig sein, dass Demokrit in der allgemeinen Aufzählung der 
Punkte, hinsichtlich deren die Atome sich unterscheiden, der 
Schwere, die für ihn eine selbstverständliche Folge der Grösse 
war, nicht ausdrücklich erwähnt, Epikur dagegen diess gethan 
hatte. Ueber die Unterschiede in der Lage und Ordnung der 
Atome scheint Demokrit keine weiteren allgemeinen Bestimmun- 


ScuuLtess 163. Dies a. a. O. BRIEGER Unbewegung ἃ. Atome (1884) S. 5. 
Das aber lässt sich nicht bezweifeln, dass hier gesagt werden soll, die 
Schwere jedes Atoms entspreche seiner Grösse. Vgl. auch Sımrr. Phys. 
310 a m Ald. De calo 302 b 85 (Schol. 516 b 1). Auzxanper ebd. 306 ἢ 
28 f. (Sch. 517 a 8). 

1) S. vor. Anm. und Asısr. gen. et corr. I, 8. 526 a 9: xalros βαρύ- 
τερόν γε χατὰ τὴν ὑπεροχήν φησιν εἶναε “ημόχριτος ἕχαστον τῶν adıaı- 
ρέτων. (Dass diess nicht blos von Atomverbindungen, sondern von den 
einzelnen Atomen, und nur von ihnen gilt, ist in dem ἔχ. τῶν ἀδιαιρέτων 
so bestimmt wie möglich gesagt; aber auch in den vor. Anm. angeführten 
Stellen unterscheiden Aristoteles und Theophrast ja ausdrücklich zwischen 
den einzelnen Atomen und den Atomenverbindungen: in jenen, sagen sie, 
setze Demokrit die Schwere der Grösse proportional, in diesen der Dichtig- 
keit.) Smerr. De calo 254 Ὁ 27 (8. S. 791, 6*.) Weiteres S. 7984 f. 

2) So Plac. I, 3, 18: Epikur lege den Atomen Gestalt, Grösse und 
Schwere bei; “]ημόχριτος μὲν γὰρ ἔλεγε δύο, μέγεϑός TE χαὶ σχῆμα. ὁ 
δ᾽ ᾿ΕἘπίχοιρος τούτοις χαὶ τρίτον, τὸ Burgos, ἐπέϑηχεν. Stop. I, 348 (vgl. 
5. 858, 1): “ημόχρ. τὰ πρῶτά φησι σώματα, ταῦτα δ' ἣν τὰ ναστὰ, βάρος 
μὲν οὐκ ἔχειν, χινεῖσϑαι δὲ xar’ ἀλληλοτυπίαν ἐν τῷ ἀπείρῳ. Cıc. De 
fato 20, 46: Epikur lasse die Atome durch ihre Schwere, Demokrit durch 
Stoss bewegt werden. Auzx. z. Metaph. I, 4. 985 b. 4. 27, 24 Bon.: οὐδὲ 
γὰρ πόϑεν ἡ βαρύτης ἐν ταῖς ἀτόμοις λέγουσι" τὰ γὰρ ἀμερῆ τὰ ἐπινο- 
οὕμενα ταῖς ἀτόμοις καὶ μέρη ὄντα αὐτῶν ἀβαρῆ φασιν εἶναι. Die drei 
ersten von diesen Zeugnissen führen sich aber unverkennbar auf ein ein- 
ziges, die Ueberlieferung der epikureischen Schule, zurück (und es ist dess- 
halb verfehlt, wenn Lıermanx Mechanik d. Atome 49, ihre Dreizahl betont), 
und ebenso unverkennbar ist, dass Alexander die Atomenlehre Leucipp’s 
und Demokrit’s, die doch keine Theile der Atome annahmen, mit der plato- 
nischen verwechselt. Er selbst verräth diess, wenn er Z. 27 auf die Ausfüh- 
rungen des Aristoteles im 3. Buch π. οὐρανοῦ (c. 1. 299 a 25 fi. b 32 8. 
vgl. IV, 2) darüber verweist, dass aus einer Verbindung von ἀβαρὴ sich 
kein βάρος bilden könne. Einiges weitere 791% f. 


[780. 781] Das Leere. 861 


gen aufgestellt zu haben, wenigstens ist uns darüber ausser 
dem oben angeführten nichts überliefert!). 

Das Leere dachten sich die Atomiker unbegrenzt, wie 
diess nicht blos durch die unendliche Menge der Atome, son- 
dern auch schon durch den Begriff des leeren Raumes ge- 
fordert war?). | Vom Leeren sind die Atome umfasst?) und 
durch das Leere werden sie von einander geschieden); wo 
daher eine Verbindung von Atomen ist, da ist nothwendig 
auch das Leere, es ist ebenso, wie das Volle, in allen Dingen®). 
Doch wurde diese Bestimmung von den Urhebern der Atomen- 
lehre nicht so streng durchgeführt, dass sie gar keine unmittel- 
bare Berührung mehrerer Atome annahmen®); nur eine wirk- 
liche Einigung derselben konnten sie nicht zugeben”). 


1) Die Unterschiede der Lage und Gestalt, welche Arısr. Phys. I, 5 
Anf. aufzählt, gibt er nicht als demokritisch, sondern in eigenem Namen. 

2) Arıst. De calo III, 2. 300 b 8: “ευχίππῳ χαὶ Anuoxolig τοὶς 
λέγουσιν ἀεὶ κεινεῖσϑαι τὰ πρῶτα σώματα ἐν τῷ κενῷ xal τῷ ἀπείρῳ, 
λεχτέον τένα χίνησιν χαὶ τίς ἡ κατὰ φύσιν αὐτῶν χίνησις. Cıc. Fin. 1, 6 
(s. u). Smer. Phys. 618, 16 f. De οωϊἱο 91 b 86. 800 b 1 (Schol. 480 a 
38. 516 a 37). Stos. ΕΚ]. 1, 380. Von dem Leeren müsste Demokrit nach 
Smer. Phys. 571, 27 f. den Raum (τόπος) noch unterschieden haben, wenn 
er unter diesem, wie später Epikur (vgl. Th. IH a;402, 3), τὸ διάστημα τὸ 
μεταξὺ τῶν ἐσχάτων τοῦ περιέχοντος verstand, welches bald mit einem 
Körper erfüllt, bald leer sei. Wahrscheinlich hatte aber Demokrit, dessen 
Bestimmungen Simpl. mit denen Epikur's zusammenfasst, seine Ansicht 
noch nicht so genau formulirt: Phys. 394, 25 ἢ, 533, 17 sagt Sımrr. Dem. 
habe das xevö» für den τόπος erklärt, und Epikur’s Definition verräth 
auch den Einfluss der aristotelischen Untersuchungen über den Raum. 

3) S. vor. Anm. 5. 847, 1 u.a. 

4) Arıst. De calo I, 7. 275 b 29: εἰ δὲ un συνεχὲς τὸ πᾶν. all 
ὥσπερ λέγεε Anuöxgitos χαὶ .«Τεύχεσπιπος, διωρισμένα τῷ χενῷ. Phys. IV, 
6 (9. 5. 848, 8) wo auch an die verwandte Lehre der Pythagoreer er- 
innert wird. 

5) Arıst. Metaph. IV, 5: 8. o. 849, 5. 

6) Vgl. Arısr. Phys. II, 4. 203 a 19: ὅσοε δ᾽ ἄπειρα ποιοῦσι τὰ 
grazeia, χαϑάπερ ᾿Αναξαγόρας καὶ “ημόχριτος,. . . τῇ ἀφῇ συνεχὲς τὸ 
ἄπειρον εἶναί φασιν. gen. et corr. I, 8. (oben S. 847, 1): ποιεῖν δὲ χαὶ 
πάσχειν ἢ τυγχάνουσιν ἁπτόμενα. Ebd. 325 b 29: sowohl Plato als Leu- 
cippus nehmen Atome von bestimmter Gestalt an; ἐχ dr τούτων al γενέσεις 
καὶ αἱ διαχρίσεις. Αευχίππῳ μὲν δύο τρόποι ἄν εἶεν [sc. τῆς γενέσεως χαὶ δια- 
κρίσεως], διά τε τοῦ χενοῦ χαὶ διὰ τῆς ἁφῆς (ταύτῃ γὰρ διαιρετὸν ἕχαστο"), 
Πλάτωνι δὲ χατὰ τὴν ἁφὴν μόνον. ebd. 820 a 31 wird gegen die Atomistik 
eingewendet: εἰ μὲν γὰρ ula φύσις ἐστὴν ἁπάντων τί τό χωρίσαν; n διὰ 


862 Atomistik. [781. 782] 


Nach diesen Voraussetzungen müssen nun alle Eigen- 
schaften der Dinge auf die Menge, die Grösse, die Gestalt und 
das räumliche Verhältniss der Atome, aus denen sie bestehen, 
und jede Veränderung derselben muss auf eine veränderte 
Atomenverbindung zurückgeführt werden!). Ein Ding ent- 
steht, | wenn sich ein Atomencomplex bildet, es vergeht, wenn 
er sich auflöst, es verändert sich, wenn die Lage und Stellung 
der Atome wechselt, oder ein Theil derselben durch andere 
ersetzt wird, es wächst, wenn ncue Atome zu der Verbindung 
hinzutreten, es nimmt ab, wenn sich welche von ihr trennen 3). 
Ebenso wird jede Einwirkung eines Dings auf das andere 
mechanischer Art sein, sie wird in Druck und Stoss be- 
stehen; wo daher eine Wirkung in die Ferne stattzufinden 
scheint, da müssen wir annehmen, dass sie in Wahrheit doch 


τί οὐ γίγνεται ἁψάμενα ἕν, ὥσπερ ὕδωρ ὕδατος ὅταν ϑίγη: Sımer. De 
calo 133 a 18. Schol. 488 a 26. Damit steht es nicht im Widerspruch, 
dass die Welt nach dem Anm. 2 angeführten nicht συνεχὴς sein soll, denn 
was sich nur berührt, kann zwar eine räumlich zusammenhängende Masse 
bilden, und insofern συνεχὲς τῇ ἁφῇ heissen, aber es ist ohne inneren Zu- 
sammenhang, und daher nicht im strengen Sinn συνεχές. M. s. Phys. VIII, 
4. 255 a 13. Smer. Phys. 195 Ὁ u., der jenen Ausdruck erläutert: τῇ ag 
συνεχιζόμενα all οὐχὶ τῇ ἑνώσει. Vgl. S. 796, 24. Wir haben daher 
keinen Grund, die Berührung in den aristotelischen Stellen mit PsıLor. 
gen. et corr. 36 a u. uneigentlich, von grosser Nähe, zu deuten. 

7) Vgl. vor. Anm. und S. 848, 2. 

l) Vgl. Sımer. De celo 252 b 40 (Schol. 510 a 41): «1ημόχρετος δὲ, 
ws Θεόφραστος ἐν τοῖς Φυσιχοὶς ἱστορεῖ, ὡς ἰδιωτιχῶς ἀποδιδόντων τῶν 
χατὰ τὸ ϑερμὸν χαὶ τὸ ψυχρὸν χαὶ τὰ τοιαῦτα αἰτιολογούντων, ἐπὶ τὰς 
ἀτόμους ἀνέβη. 

2) Arıst. gen. et corr. I, 2. 315 b 6: Ζημόχριτος δὲ χαὶ “εύχιππος 
ποιήσαντες τὰ σχήματα τὴν ἀλλοίωσιν καὶ τὴν γένεσιν Ex τούτων ποιοῦσι, 
διαχρίσεε μὲν χαὶ συγχρίέσεε γένεσιν χαὶ φϑορὰν, τάξει δὲ καὶ ϑέσει al- 
λοέωσειν u. 8. w. Ebd. c. 8 (s. 5. 847, 1). Ebd. c. 9. 327 a 16: ὁρῶμεν 
di To αὐτὸ σῶμα συνεχὲς ὃν ὁτὲ μὲν ὑγρὸν ὁτὲ δὲ πεπηγὸς, οὐ διαιρέσει 
χαὶ συνϑέσει τοῦτο παϑὸν, οὐδὲ τροπῇ καὶ διαϑιγῇ, χαϑάπερ λέγει 
“ημόχριτος. Metaph. I, 4, 58. o 855, 1. Phys. VIII, 9. 205 b 24: die Ato- 
miker schreiben den ursprünglichen Körpern nur die räumliche Bewegung, 
alle andern Bewegungen erst den abgeleiteten zu; αὐξάνεσθαι γὰρ χαὶ al- 
λοιοῦσϑαιε συγχρινομένων χαὶ διαχρινομένων τῶν ἀτόμων σωμάτων φασὶν, 
was Sımpr. z. d. St. 310 a m wiederholt. De calo III, 4. 7 (oben 848, 3. 
758, 2). Sımpr. Categ. Schol. in Ar. 91 a 36. Garen De elem. sec. Hipp. 
I, 9. T. 1, 488 K. u. a. 


[782. 788] Die Eigenschaften der Dinge. 863 


eine mechanische, durch Berührung vermittelte sei; die Ato- 
mistik sucht daher alle derartigen Vorgänge mit Empedokles, 
und wahrscheinlich vor ihm, durch die Lehre von den Aus- 
flüssen zu erklären!). Wenn endlich | den Dingen viele und 
verschiedene physikalische Eigenschaften zuzukommen scheinen, 
so müssen auch diese mechanisch aus dem quantitativen Ver- 
hältniss der Atome erklärt werden. Ihrer Substanz nach sind 
ja alle Körper einander gleich, nur die Gestalt, Grösse und 
Zusammensetzung ihrer ursprünglichen Bestandtheile ist ver- 
schieden. Aber doch besteht unter jenen abgeleiteten Eigen- 
schaften selbst noch ein wesentlicher Unterschied. Einige der- 
selben folgen unmittelbar aus den Mischungsverhältnissen der 
Atome als solchen, ganz abgesehen von der Art und Weise, 
wie wir sie wahrnehmen, sie kommen daher den Dingen selbst 
zu; andere dagegen ergeben sich erst mittelbar aus unserer 
Wahrnehmung jener Verhältnisse, sie bezeichnen daher zu- 
nächst nicht die Beschaffenheit der Dinge, sondern die von 
den Dingen bewirkten Sinnesempfindungen?). Jene bestehen 


—— ne 


1) Arıst. gen. et corr. I, 8 (oben S. 847, 1): Leucipp und Demokrit 
leiten alles Wirken und Leiden von der Berührung her, ein Ding leide von 
dem andern, wenn Theile des letztern in die leeren Zwischenräume des 
ersteren eindringen. Bestimmter erwähut der Ausflüsse ALzx. APHr. qu. nat. 
Π, 23. S. 137 Sp., indem er uns mittheilt, dass Demokrit die Anziehungs- 
kraft des Magnets (über den er nach Dıoc. IX, 47 eine eigene Schrift ver- 
fasst hatte), ähnlich, wie Empedokles (s. o. 767, 1), durch diese Lehre be- 
greiflich zu machen suchte; er nahm nämlich an, der Magnet und das Eisen 
bestehen aus Atomen,von gleicher Beschaffenheit, die aber im Magnet weniger 
dicht aneinandergereiht seien; da nun einestheils das ähnliche zusammen- 
strebe, anderntheils alles sich in’s Leere bewege, so dringen die Ausflüsse 
des Magnets in das Eisen ein, und drücken dadurch einen Theil seiner 
Atome heraus, die nun ihrerseits dem Magnet zustreben, und in seine leeren 
Zwischenräume eindringen. Dieser Bewegung folge dann auch das Eisen 
selbst, wogegen der Magnet sich nicht gegen das Eisen bewege, weil dieses 
weniger Räume zur Aufnahme seiner Ausflüsse habe. — Eine andere und 
wichtigere Anwendung dieser Lehre, in welcher Demokrit gleichfalls mit 
Empedokles übereinstimmt, wird uns in dem Abschnitt über die Sinnes- 
empfindungen begegnen. 

2) Wir treffen also hier zuerst die später von Locke (bzw. Descartes) 
aufgestellte, für die Erkenntnisstheorie so wichtige Unterscheidung von 
primären und secundären Eigenschaften. Narorp’s Bemerkungen hierüber, 
Forsch. 183 ff., berichtigt Bäiumker Probl. ἃ. Mat. 92 ἢ, 

Pbilos. d. Gr. I. Bd. 5. Aufl. δῦ 


864 Atomistik. (783. 784] 


in der Schwere, der Dichtigkeit und der Härte; zu diesen 
rechnet Demokrit die Wärme und Kälte, den Geschmack und 
die Farbe!). Dass diese Eigenschaften die objektive Be- 
schaffenheit der Dinge nicht rein darstellen, bewies er aus der 
Verschiedenheit des Eindrucks, welchen die gleichen Gegen- 
stände in den genannten Beziehungen auf verschiedene Per- 
sonen und bei verschiedenen Zuständen hervorbringen ?). Etwas 
objektives liegt aber natürlich auch ihnen | zu Grnnde, und 
so ergab sich für den Philosophen die Aufgabe, dieses auf- 
zuzeigen, indem er die Gestalt und die Verhältnisse der Atome 
bestimmte, welche die Empfindungen der Wärme, der Farbe 
u. 8. f. erzeugen?). 


1) Demokrit, 8. o. 851, 1. Tueorar. De sensu 63 (vgl. 68 f.) über 
Demokrit: περὶ μὲν οὖν βαρέος καὶ χούφου χαὶ σχληροῦ καὶ μαλαχοῦ ἐν 
τούτοις ἀφορίζει" τῶν δ᾽ ἄλλων αἰσϑητῶν οὐδενὸς εἶναε φύσι», ἀλλὰ 
πάντα πάϑη τῆς αἰσϑήσεως ἀλλοιουμένης, ἐξ ἧς γένεσϑαε τὴν φαντασίαν. 
οὐδὲ γὰρ τοῦ ψυχροῦ χαὶ τοῦ ϑερμοῦ φύσιν ὑπάρχειν, ἀλλὰ τὸ σχῆμα 
[sc. τῶν ἀτόμω») μεταπίπτον ἐργάζεσϑαι καὶ τὴν ἡμετέραν ἀλλοίωσεν᾽" 6 
τι γὰρ av ἄϑρουν ἢ τοῦτ ἐνισχύειν ἑχάστῳ, τὸ δ᾽ εἰς μιχρὰ διανεμημένον 
ἀνκχίσϑητον εἶναι (hierüber sogleich), Vgl. Arısr. De an. III, 2. 426 a 20. 
SımpL. Phys. 512, 28. De an. 193, 27. Sexrt. Math. VIII, 6 u. a. Eben- 
dahin gehören wohl auch die Worte des Dıoc. IX, 45, die in unserem Text 
widersinnig so lauten: ποιητὰ δὲ νόμεμα eva, φύσει δ᾽ ἀτόμους xal 
xevov — es ist nämlich, nach Demokrit a. a. O., zu lesen: ποιότητας δὲ 
νόμῳ εἶναι u, s.w. Dass diese Ansicht schon von Leucippus herrühre, sagt, 
wohl nach Theophrast, Arrıus (plac. IV, 9 b. Stor. Ekl. 1104): of μὲν 
alloı φύσει τὰ αἰσϑητὰ, Asixınnos δὲ 4ημόχριτος χαὶ Ζιογένης νόμῳ, 
τοῦτο δ᾽ ἐστὶ δόξῃ καὶ πάϑεσι τοῖς ἡμετέροις. Diogenes kann auch darin 
nur Leucippus, nicht Demokrit, gefolgt sein. 

2) Tusorae. fährt fort: σημεῖον δὲ, ὡς οὐχ εἰσὶ φύσει, τὸ μὴ ταὐτὰ 
πῶσι φαίνεσϑαε τοῖς ζῴοις, ἀλλ ὃ ἡμῖν γλυχὺ τοῦτ᾽ ἄλλοις πικρὸν, καὶ 
ἑτέροις ὀξὺ χαὶ ἄλλοις δριμὺ, τοὶς δὲ στρυφνόν᾽ καὶ τὰ ἄλλα δὲ ὡςαύτως" 
ἔτε δ᾽ αὐτοὺς (die wahrnehmenden Subjekte) μεταβάλλειν τῇ χράσει (die 
Mischung ihrer körperlichen Bestandtheile ändere sich; andere lesen jedoch 
κρέσει) χατὰ τὰ πάϑη καὶ τὰς ἡλιχίας᾽ ἧ καὶ φανερὸν οἧς ἡ διάϑεσις αἰτία 
τῆς φαντασίας. Ebd. 67. Die gleichen Gründe für die Unsicherheit der 
Sinnesempfindungen erwähnt Arıst. Metaph. IV, 5. 1009 b 1 wie es scheint 
als demokritisch. Vgl. Demokrit b. Sexr. Math. VII, 136: ἡμέες δὲ τῷ 
μὲν ἐόντι οὐδὲν ἀτρεχὲς ξυνίεμεν, μεταπίπτον (Theophrast’s μεταβάλλει») 
δὲ χατά τε σώματος διαϑιγὴν (= τάξιν, 5. 8. 855, 1) χαὶ τῶν ἐπειςιόντων 
καὶ τῶν ἀντιστηριζόντων. 

3) Dass er sich damit allerdings in mancherlei Widersprüche ver- 
wickle, sucht Tugopurast De sensu 68 ff. nachzuweisen, und er macht dabei 


[184] Die Eigenschaften der Dinge. 865 


Von den primären Eigenschaften der Dinge wird die 
Schwere von Demokrit einfach auf ihre Masse zurückgeführt: 
jeder Körper ist um so schwerer, je grösser seine Masse, nach 
Abzug der leeren Zwischenräume, ist; bei gleichem Umfang 
muss mithin das Gewicht der Dichtigkeit entsprechen!). Aehn- 
lich soll auch der Härtegrad vom Verhältniss des Leeren und 
Vollen in den Körpern bedingt sein, doch soll es hiebei nicht 
blos auf die Menge und Grösse der leeren Zwischenräume 
ankommen, sondern auch auf die Art ihrer Vertheilung: ein 
Körper, der an vielen Punkten gleichmässig durch das Leere 
durchbrochen ist, kann möglicherweise weniger hart sein, als 
ein solcher, der grössere Zwischenräume, aber dafür auch 
grössere undurchbrochene Theile hat, wenn auch der erste im 
ganzen genommen bei gleichem Umfang weniger Leeres ent- 
hält: das Blei ist dichter und schwerer, aber weicher als das 
Eisen 3). 

Die secundären Eigenschaften hatte Demokrit im allge- 
meinen von der Gestalt, Grösse und Ordnung der Atome her- 
geleitet, indem er annahm, dass ein Körper sehr verschiedene 
Empfindungen hervorbringe, je nachdem er unsere Sinne mit 
Atomen von dieser oder jener Gestalt und Grösse, von dich- 
terer oder loserer, gleichmässiger oder ungleichmässiger Ord- 
nung berühre*), | und dass uns desshalb ein und derselbe 


gegen ihn unter anderem $ 71 darselbe geltend, wie später Berkeley und 
Hume gegen Locke: dass die sog. primären Qualitäten ebenso subjektiv seien 
wie die sekundären. Ebd. $ 69 möchte ich 8. 519, 15 D. schreiben: οὔτε 
γὰρ... τοῖς δ᾽ ἄλλως, (ἀνάγχη δ᾽ ἴσως εἴπερ τοῖς μὲν γλυκὺ τοῖς δὲ 
πεχρόν) οὐδὲ κατὰ τὰς ἡμετέρας ἕξεις μεταβάλλειν τὰς μορφάς. 

1) 8. ο. 8. 859, über die Dichtigkeit selbst, als eine Folge von dem 
nahen Beisammensein der Atome, Sımrı. Categ. (Basil. 1551) 68 y. PnıLor. 
gen. et corr. 39 b o. vgl. Arıst. gen. et corr. I, 8. 326 a 23. 

2) ΤΉΚΟΡΗΕ. a. a. Ὁ. 62. 

3) Diess ergibt sich ausser dem, was über die einzelnen Farben und 
Geschmäcke berichtet wird, aus ARrısr. gen. et corr. I, 2. 316 a 1: χροιὰν 
οὔ φησιν εἶναι [Anuöxe.] τροπῇ γὰρ χρωματίζεσϑαι. TREOPER. a. a. O. 
63 (oben 864, 1) und ebd. 64: οὗ μὴν ἀλλὰ ὥσπερ χαὶ τὰ ἄλλα καὶ ταῦτα 
(Wärme, Geschmack, Farbe) ἀγατέϑησε τοῖς σχήμασι. Ebd. 67. 72. Ders. 
Caus. plant. VI, 2, 3: ἄτοπον δὲ χἀχεῖνο τοῖς τὰ σχήματα λέγουσιν [sc. 
αἴτια τῶν χυμῶν) ἡ τῶν ὁμοίων διαφορὰ χατὰ μιχρότητα καὶ μέγεϑος 
eis τὸ μὴ τὴν αὐτὴν ἔχειν δύναμιν. 

55* 


866 Atomistik. [785. 786] 


Gegenstand verschieden (z. B. wärmer oder kälter) erscheine, 
je nachdem von den Atomen, aus denen er zusammengesetzt 
ist, die einen oder die andern unsere Sinneswerkzeuge massen- 
haft genug treffen, um einen empfindbaren Eindruck zu er- 
zeugen!). Nähere Bestimmungen hatte er, wie THEOPHRABT 
sagt?), hauptsächlich nur in Betreff der durch den Geschmack 
wahrnehmbaren Eigenschaften und der Farben gegeben. Was 
uns Theophrast in beiden Beziehungen mittheilt?), ist ein 
weiterer Beweis von der eingehenden Sorgfalt, mit der De- 
mokrit die Naturerscheinungen | aus seinen allgemeinen Vor- 
aussetzungen zu erklären suchte; hier kann ich es aber nicht 
weiter in’s einzelne verfolgen. 

Hieher gehören auch Demokrit’s Annahmen über die vier 
Elemente. Für Elemente im eigentlichen Sinn konnte er 
natürlich diese Stoffe nicht halten, denn das ursprünglichste 
sind ihm die Atome. Ebensowenig konnte er sie, wie diess 
später Plato that, trotz ihrer Zusammensetzung aus Atomen, 


1) M. s. die Schlussworte der 8. 864, 1 angeführten Stelle und Tauzorur. 
De sensu 67: ὡραύτως δὲ καὶ τὰς ἄλλας ἑχάστου δυνάμεις ἀποδίδωσιν, 
ἀνάγων εἰς τὰ σχήματα᾽ ἁπάντων δὲ τῶν σχημάτων οὐδὲν ἀχέραιον εἶναι 
χαὶ ἀμιγὲς τοῖς ἄλλοις, ἀλλ᾽ ἐν ἔχάστῳ (sc. χυλῷ) πολλὰ εἶναι χαὶ τὸν 
αὐτὸν ἔχεεν λεέου καὶ τραχέος χαὶ περιφεροῦς καὶ ὀξέος καὶ τῶν λοιπῶν᾽ 
ὃ δ᾽ ἄν ἐνῇ πλεῖστον, τοῦτο μάλιστα ἐνισχύεειν πρός τε τὴν αἴσϑησεν χαὶ 
τὴν δύναμιν. (Aehnlich Anaxagoras; s. u. 8824 5) Vgl. auch Αβιβτ. 
Metaph. IV, 5 (5. 849, 5). Gen. et cor. I, 2. 315 b 9. Pamvor. z. d. St. 6 
a m. Einiges weitere S. 8154 ἢ 

2) De sensu 64; Fr. 4 (De odor.), 64 vermisst Th. auch hinsichtlich 
der Farben nähere Bestimmungen über die einer jeden entsprechende Gestalt 
der Atome. 

3) Ueber die Geschmäcke, welche sich nach der Gestalt der die 
Zunge berührenden Atome richten sollten, a. a. O. 65—72. De caus. plant. 
VI, 1, 2. 6.c. 6, 1. 7, 2. Fr. 4 De odor. 64; vgl. ArLex. De sensu 105 b m. 
(welcher Asıst. De sensu c. 4. 441 a 6 auf Demokrit bezieht), 109 a ο.; 
über die Farben, unter denen Demokrit das Weiss, Schwarz, Roth und 
Grün für die vier Grundfarben hielt, De sensu 73—82. Vgl. Sro». Ekl. 
I, 364. Arısr. De sensu c. 4. 442 b 11: τὸ γὰρ λευχὸν χαὶ τὸ μέλαν τὸ 
μὲν τραχύ φησιν εἶναι (Δημόχρ.) τὸ δὲ λεῖον, εἰς δὲ τὰ σχήματα ἀνάγει 
τοὺς χυμούς. ebd. c. 8. 440 a 15 ff. Auzx. a. a. Ο. 108 au. 169 ao. 
Der Ausflüsse, auf welche Licht und Farben zurückgeführt wurden, ist im 
allgemeinen schon S. 863, 1 gedacht worden, näheres 8. 8184 f. Weiter 
vgl. m. Bußcuarp Democr. phil. de sensu 16. PrantL Arist. über die 
Farben 48 fl. 


[786] Eigenschaften der Dinge. Elemente. 867 


wenigstens als die Grundstoffe aller übrigen sichtbaren Körper 
betrachten, denn aus den unzähligen Gestalten der Atome 
hätten sich nicht blos vier sichtbare Elemente ergeben können !). 
Nachdem jedoch ein anderer die vier Grundstoffe, aufgestellt 
hatte, mochte er ihnen immerhin seine besondere Aufmerksam- 
keit zuwenden, und ihre Eigenschaften aus ihren atomistischen 
Bestandtheilen verständlich zu machen versuchen. Eine hervor- 
ragende Bedeutung hatte aber für ihn nur das Feuer, von dem 
wir auch später noch sehen werden, dass es ihm das bewegende 
und belebende Princip in der ganzen Natur, das eigentlich 
geistige Element war. Von ihm nahm er wegen seiner Be- 
weglichkeit an, es bestehe aus runden und kleinen Atomen, 
in den übrigen Elementen dagegen sollten verschiedenartige 
Atome gemischt sein, und sie sollten sich nur durch die Grösse 
ihrer Theile unterscheiden 3). 


1) Es ist desshalb ungenau, wenn Smrr. Phys. 35, 22 ff. Leucipp 
und Demokrit mit dem angeblichen Timäus in der Aussage zusammenfasst, 
diese alle haben die vier Elemente als Grundstoffe der zusammengesetzten 
Körper anerkannt, sie selbst jedoch auf ursprünglichere und einfachere 
Gründe zurückzuführen gesucht. Unverfänglicher ist die Angabe Dıoe. IX, 
44, dass Demokrit die vier Elemente für Atomenverbindungen gehalten 
habe; dagegen wird bei GALen ἢ. phil. 18 (Diers Doxogr. 610, 15) nicht 
von Demokrit, sondern von Onomakritus gesagt, dass er Erde, Feuer und 
Wasser als Stoff aller Dinge bezeichne. 

2) Arıst. De colo III, 4; 5. o. 857, 2. Desswegen sollen, wie ebd. 
303 a 28 bemerkt wird, Wasser, Luft und Erde durch Ausscheidung aus 
einander entstehen; über die letztere vgl. m. auch c. 7 (oben 758, 2). In 
Betreff des Warmen oder des Feuers ebd. und De an. I, 2.405 a8 ff. «. 3. 
406 b 20. De c«lo III, 8. 306 b 32. gen. et corr. I, 8. 326 a 3; vgl. 
Metaph. XIII, 4. 1078 b 19. Als Grund der obigen Annahme wird in meh- 
reren von diesen Stellen die Beweglichkeit, De coelo III, 8, vielleicht nur 
aus eigener Vermuthung, auch die brennende und eindringende Kraft des 
Feuers angegeben. ΤΉΒΟΡΗΒ. De sensu 75: das Rothe bestehe aus ähn- 
lichen Atomen wie das Warme, nur dass sie grösser seien; je mehr und je 
feineres Feuer etwas enthalte, um so heller sei sein Glanz (z. B. bei glühen- 
dem Eisen), ϑερμὸν γὰρ τὸ λεπτόν. Vgl. ὃ 68: χαὶ τοῦτο πολλάχις λέ- 
γοντα διότε τοῦ χυμοῦ (wofür ϑερμοῦ, nicht χυλοῦ, zu lesen sein wird) 
τὸ σχῆμα σφαιροειδές. βιμΡι. Phys. 36, 1: οὗ δὲ περὶ Asuxınnov καὶ 
Δημόχριτον . .. τὰ μὲν ϑερμὰ γίνεσθαι χαὶ πύρεια τῶν σωμάτων ὅσα 
ἐξ ὀξυτέρων καὶ λεπτομερεστέρων χαὶ χατὰ ὁμοίαν ϑέσιν χειμένων σύγ- 
zer τῶν πρώτων σωμάτων, τὰ δὲ ψυχρὰ χαὶ ὑδατώδη ὅσα ἐχ τῶν ἔναν- 
τίων, χαὶ τὰ μὲν λαμπρὰ χαὶ φωτεινὰ, τὰ δὲ ἀμυδρὰ καὶ σχοτεινά. Die 


868 Atomistik. [787. 788) 


Doch wie kommt es, dass die Atome überhaupt bestimmte 
Verbindungen eingehen, wie haben wir uns die Entstehung 
der zusammengesetzten Dinge, die Bildung einer Welt zu er- 
klären? Die Beantwortung dieser Frage ist es, die uns zu- 
nächst beschäftigt. 


2. Die Bewegung der Atome; die Weltbildung und das Welt- 
gebäude; die unorganische Natur. 


Indem die Atome im unendlichen Raum schweben 1), sind 
sie in unablässiger Bewegung 3). Diese Bewegung der Atome| 
schien unseren Philosophen durch die Natur der Sache so 


pyramidalische Gestalt der Flamme erklärte sich Dem. nach ΤΉΒΟΡΗΕΒ. Fr. 
3 De igne, 52 aus der zunehmenden Abkühlung ihrer äusseren Theile. 
Weiteres in dem Abschnitt über die Seele. 

1) ArıstoteLes vergleicht diesen Urzustand mit dem ὁμοῦ πάντα des 
Anaxagoras Metaph. XII, 2. 1069 b 22: χαὶ ὡς Δημόχριτός φησιν ἣν ὁμοῦ 
πάντα δυνάμει, ἐνεργείᾳ δ᾽ οὔ. Nur darf man die Worte ἦν---οὔ natürlich 
nicht mit Ps.-ArLzx. 5. d. St. 8. 646, 21 Bon. Paıtor. (Ὁ. Bonitz ας. d. St) 
TRENDELENBURG zu Arist. De an. 318. Hemsöru 5. 43. MurLıca (8. 209. 
337. Fragm. I, 358) und Lauaz Gesch. der Mater. I, 131, 25 für ein wört- 
liches Citat aus Demokrit halten und desshalb, wie wenn diess gar nichts auf 
sich hätte, die Unterscheidung des δυνάμει und ἐνεργείᾳ, und damit die 
Grundbegriffe des aristotelischen Systems, ihm beilegen; sondern es ist zu 
übersetzen: „auch nach Demokrit’s Darstellung war alles nur der Möglich- 
keit, nicht der Wirklichkeit nach beisammen“, weil nämlich in dem ursprüng- 
lichen Atomengemenge alles seinem Stoff nach, aber nicht als dieses be- 
stimmte und geformte, enthalten war. Vgl. Boxıtz und ScHwEaLER z. d. 
St. Die Atomiker selbst können übrigens jenen Urzustand nur in dem 
Sinne angenommen haben, dass damit der den einzelnen Weltbildungen voran- 
gehende Zustand der betreffenden Atomenmassen, nicht aber in dem, dass 
damit ein jeder Weltbildung vorangehender Zustand sämmtlicher Atome be- 
zeichnet werden sollte, da immer Welten existirt haben sollen. 

2) M. s. 8. 869, 4. 861, 2. 847, 1. Arıst. Metaph. XII, 6. 1071 b 31: 
διὸ Eyıoı ποιοῦσεν ἀεὶ ἐνέργειεν, οἷον ΑΙεύχιππος καὶ Πλάτων" αἰεὶ γὰρ 
εἶναί φασι χένησιν. ἀλλὰ διὰ τί καὶ τίνα οὐ λέγουσιν, οὐδὲ Bd, οὐδὲ 
τὴν αἰτίαν ((. οὐδ᾽, εἰ ὠδὶ, τὴν αἰτίαν) Ebd. 1072 a 6: of ἀξὶ λέγοντες 
κίνησιν εἶναι ὥσπερ “ἀεύχιππος. Garen De elem. sec. Hipp. I, 2. T. I, 
418 K: τὸ δὲ χενὸν χώρα τις ἐν ἢ φερόμενα ταυτὶ τὰ σώματα ἄνω τε 
καὶ χάτω σύμπαντα διὰ παντὸς τοῦ αἰῶνος ἢ περιπλέχεταί πως ἀλλήλοες, 
ἢ προρχρούει, καὶ ἀποπάλλεταει, καὶ διαχρένει [era] δὲ καὶ συγχρένεε 
[---ἐται}] πάλιν eis ἄλληλα χατὰ τὰς τοιαύτας ὁμιλίας, χἀχ τούτου τά τε 
ἄλλα συγχρίματα πάντα ποιεὶ καὶ τὰ ἡμέτερα σώματα χαὶ τὰ παϑήματα 
αὐτῶν χαὶ τὰς αἰσϑήσεις. 


[788] Bewegung der Atome. 869 


unmittelbar gefordert zu sein!), dass sie dieselbe ausdrücklich 
für anfangslos erklärten?), und aus diesem Grunde lehnte es 
Demokrit ab, ihre Ursache anzugeben, denn das anfangslose 
und unendliche lasse sich nicht aus einem anderen ableiten ὃ). 
Kann aber auch ArıstoteLes den Atomikern desshalb den 
Vorwurf machen, dass sie die Ursache der Bewegung nicht 
gehörig untersucht haben), so ist es doch schief, wenn man 


1) Αβιβτ. Phys. II, 4. 196 a 24: εἰσὶ δέ τενες οὗ χαὶ Toüpevoü τοῦδε 
za) τῶν χοσμιχῶν πάντων αἰτιῶνται τὸ αὐτόματον" ἀπὸ ταὐτομάτου γὰρ 
ylyveodaı τὴν δίνην zul τὴν χίνησιν τὴν διαχρίνασαν χαὶ χαταστήσασαν 
εἷς ταύτην τὴν τάξιν τὸ πᾶν. SımrLicıus bezieht diese Stelle mit Recht 
auf die Atomiker, da sie die einzigen sind, welche die Weltbildung durch 
eine Wirbelbewegung zu Stande kommen liessen, ohne diese Bewegung von 
einer besonderen bewegenden Kraft herzuleiten, Phys. 331, 16: of περὶ 
Δημόχριτον . . . τῶν χόσμων ἁπάντων .. . αἰτειώμενοε τὸ αὐτόματον 
(ἀπὸ ταὐτομάτου γάρ φασι τὴν δίνην χαὶ τὴν χίνησεν u. 8. w.) ὅμως οὐ 
λέγουσε τί ποτέ ἐσει τὸ αὐτόματον. 

2) Vgl. vorl. Anm. Cıc. Fin. I, 6, 17: sie (Demoeritus) atomos quas 
appellat, i. 6. corpora individua propter soliditaten,, censet in infinilo inanı, in 
quo nihil neo summum noc infimum noc medium nec ullimum nec exiremum sit, 
tta ferri, ut ooncursionsbus inter se oohaersscant; ex quo efficiantur oa quae εἰπέ 
quaeque cernanlur omnia; eumque motum atomorum nullo a prinoipio sed ex aslerno 
tempore intelligi oomwenire. Vgl. S. 861, 2. Hırror. Refut. I, 13: ἔλεγε δὲ 
[Inuöxe.] ws ἀεὶ χινουμένων τῶν ὄντων Ev τῶ χενῷ. Ä 

8) Arıst. Phys. VII, 1 Schl.: ὅλως δὲ τὸ νομίζεεν ἀρχὴν εἶναι ταύ- 
τὴν ἱχανὴν, ὅτε ἀεὶ ἢ ἔστεν οὕτως ἢ γίγνεται, οὐχ ὀρϑῶς ἔχει ὑπολαβεῖν, 
ἐφ᾽ ὃ “ημόχριτος ἀνάγει τὰς περὶ φύσεως αἰτίας, ὡς οὕτω καὶ τὸ πρότερον 
ἐγένετο" τοῦ δὲ ἀεὶ οὐχ ἀξιοῖ ἀρχὴν ζητεῖν. Gen. anim. II, 6. 742 b 17: 
οὐ χαλὼς δὲ λέγουσιν οὐδὲ τοῦ διὰ τί τὴν ἀνάγχην, 5006 λέγουσιν, ὅτι 
οὕτως ἀεὶ γίνεταε, καὶ ταύτην εἶναι νομέζουσεν ἀρχὴν ἐν αὐτοῖς, ὥσπερ 
Δημόχριτος ὁ ᾿Αβδηρίτης, ὅτε τοῦ μὲν ἀεὶ καὶ ἀπείρου οὐχ ἔστεν ἀρχὴ, τὸ 
δὲ διὰ τί ἀρχὴ, τὸ δ᾽ ἀεὶ ἄπειρον, ὥστε τὸ ἐρωτᾷν τὸ διὰ τέ περὶ τῶν 
τοιούτων τινὸς τὸ ζητεῖν εἶναί φησι τοῦ ἀπείρου ἀρχὴν. Bei welchem An- 
lass Dem. diess gesagt hatte, wird uns nicht mitgetheilt; aber am meisten 
Anlass hatte er dazu, wenn es sich um ein schlechthin anfangsloses, wie die 
Atomenbewegung, handelte, und auch Metaph. XII, 6 (8. o. 868, 2) spricht 
für diese Beziehung. 

“ 4) Arıst. De colo III, 2. 8. 8. 861, 2. Metaph. I, 4 Schl.: περὶ δὲ 
χινήσεως, ὅϑεν 7 πῶς Undoyrss τοῖς οὖσι, καὶ οὗτοε παραπλησίως τοῖς al- 
loss ῥᾳϑύμως ἀφεῖσαν. Ebenso Ὠιοα. IX, 88 von Leueippus: εἶναί 9° 
ὥσπερ γενέσεις χόσμου οὕτω χαὶ αὐξήσεις καὶ φϑίσεις καὶ φϑορὰς κατά τενα 
ἀνάγχην, ἣν ὑποία ἐσεὶν οὐ διασαφεῖ, und ähnlich Hırror. I, 12 von 
Demselben: die Welten wachsen und nehmen ab διά τεγα ἀνάγχην. τίς 


870 Atomistik. [789] 


sagt, sie haben | dieselbe vom Zufall hergeleitet!). Zufällig 
kann diese Bewegung nur dann genannt werden, wenn man 
unter dem Zufälligen alles das versteht, was nicht aus einer 
Zweckthätigkeit hervorgeht?); soll dagegen dieser Ausdruck 
ein Geschehen ohne natürliche Ursachen bezeichnen, so sind 
die Atomiker so weit entfernt von jener Behauptung, dass sie 
vielmehr umgekehrt ausdrücklich erklären, nichts in der Welt 
geschehe zufällig, sondern alles erfolge mit Nothwendigkeit 
aus bestimmten Gründen?); und ebenso geben ARISTOTELES 
und die Späteren zu, dass sie an der ausnahmslosen Noth- 
wendigkeit alles Geschehens | mit Entschiedenheit festhielten +), 


δ᾽ ἄν εἴη ἡ ἀνάγχη, οὐ διώρισεν. Beide nach Theophrast; vgl. Dieıs 
Doxogr. 165. 

1) Schon ArıstoteLzs hat zu diesem Missverständniss den Anstoss 
‘ gegeben, indem er Phys. II, 4 (8. 0.869, 1. 871, 1) das αὐτόματον, von welchem 
Dem. allerdings, A.'s eigener Angabe zufolge, gesprochen zu haben scheint, 
im Sinn seines Sprachgebrauchs (vgl. Th. II b, 335, 2), als wesentlich 
gleichbedeutend mit der τύχη fasst, während Dem. nach dem sogleich anzu- 
führenden darunter nicht das Zufällige, sondern nur das, was sich von selbst 
macht, das Naturnothwendige, verstanden haben kann. Besonders aber ist 
es Cıckro, der jene Meinung, wahrscheinlich nach stoischen Quellen, in 
Umlauf gesetzt hat; vgl. N. D. I, 24, 66: ista enim Aagıtia Democriti, sive 
etiam ante Leucippi, esse corpusoula quaedam laevia, alia aspera, rotunda alıa, 
partim autem angulata, curvala quaedam et quasi adunca; ez his effectum esse 
soelum alique terram, nulla oogente natura, sed concursu quodam fortuito. Der- 
selbe concursus fortuitus begegnet uns II, 37, 93. Tusc. I, 11, 22. 18, 42. 
Acad. I, 2, 6; richtiger redet Cıc. Fin. I, 6, 20 von einer conoursio turöulenta. 
Die gleiche Vorstellung findet sich Plac. I, 4, 1. Partor. gen. et corr. 29 b 
o. Phys. 262, 2 ff. Sımer. Phys. 327, 23. 330; 15 (8. u. 871, 1), Evs. pr. ev. 
XIV, 23, 2. Lacrane. Inst. I, 2 Anf. und vielleicht auch bei Eudemus 
8. S. 871, 1. 

2) Wie ArıstoreLes Phys. Il, 5. 196 b 17 fl. Dass er aber auch 
Phys. D, 4 (s. o. 869, 1) unter dem αὐτόματον nur das Zwecklose ver- 
stehe, habe ich nicht gesagt; Lıepmann (Mechanik d. Atome 34 f.) hätte es 
sich daher ersparen können, mich wegen dieser Behauptung zu bestreiten. 

3) 5τοβ. Ekl. I, 160 (Demoer. Fr. phys. 41): “εύχειππος πάντα xar' 
ἀνάγχην, τὴν δ᾽ αὐτὴν ὑπάρχειν εἱμαρμένην" λέγει γὰρ ἐν τῷ περὶ νοῦ" 
(über diese Schrift 8. 889) οὐδὲν γρῆμα μάτην γίγνεται, ἀλλὰ πάντα 
ἐχ λόγου τε καὶ ὑπ᾿ ἀνάγκης". 

4) Arısr. gen. anim. V, 8. 789 b 2: Δημόχριτος δὲ τὸ οὗ ἕνεκα 
ἀφεὶς λέγειν (diess wirft ihm Arist. auch De respir. c. 4 Anf. vor), πάντα 
ἀνάγεε εὶς ἀνάγχην οἷς χρῆται ἢ φύσις. Cıc. De fato 10, 23: Demoeritus 
. . aceipere maluit, nesessitate omnia fieri, quam a corporibus individuis naturales 


[190] Bewegung der Atome. 871 


auch das scheinbar zufällige auf seine natürlichen Ursachen 
zurückführten!), und folgerichtiger, als irgend einer ihrer 
Vorgänger, auf eine streng physikalische Naturerklärung aus- 
giengen?). Sie konnten | die Naturerscheinungen allerdings 


motus avellere. Aehnlich ebd. 17, 39. Ps.-Prur. b. Evus. pr. ev. 1, 8, 7: ἐξ 
ἀπείρου χρόνου προχατέχεσϑαι τῇ ἀνάγχῃ πάνϑ' ἁπλῶς τὰ γεγονότα xal 
ὄντα χαὶ ἐσόμενα. Sext. Math. IX, 118: χατ᾽ ἀνάγχην μὲν καὶ ὑπὸ ϑίνης, 
ὡς ἔλεγον οἱ περὶ τὸν Δημόχριτον, οὐκ ἄν xıyoito ὁ χόσμος. Dioc. IX, 
33 5. ο. 869, 4. Ebd. 45 von Demokrit: πάντα τε χατ᾽ ἀγάγχην γίνεσϑαε, 
τῆς δίνης αἰτίας οὔσης τῆς γενέσεως πάντων, ἣν ἀνάγχην λέγει. OENOMAUB 
b. Tuxov. cur. gr. aff. VI, 15 Nr. 8. 11 5. 86 und Theodoret selbst ebd.: 
Demokrit habe die Willensfreiheit geleugnet und den ganzen Weltlauf der 
Nothwendigkeit des Verhängnisses überliefert. Plac. I, 25. 26 Παρμενίδης 
καὶ “ημόύχριτος πάντα κατ᾽ ἀνάγχην᾽ τὴν αὐτὴν δ᾽ εἶναε χαὶ εἱμαρμένην 
καὶ δίκην καὶ πρόνοιαν χαὶ χοσμοποιεόν (diess freilich, so weit es Demokrit 
betrifft, nur theilweise richtig), das Wesen der ἀνάγχη setze Dem. in die 
ἀντιτυπία χαὶ φορὰ χαὶ πληγὴ τῆς ὕλης. (Ueber diese Angabe und über 
die Wirbelbewegung tiefer unten.) Vgl. auch S. 869, 4. 870, 3. 

1) Arıst. Phys. II, 4. 195 b 36: ἔνεοε γὰρ χαὶ εἰ ἔστεν [ἡ τύχη καὶ 
τὸ αὐτόματον] 7 μὴ ἀποροῦσιν" οὐδὲν γὰν γίνεσϑαε ἀπὸ τύχης φασὶν, 
ἀλλὰ πάντων εἶναί τε αἴτιον. ὡρισμένον, ὅσα λέγομεν ἀπ᾽ αὐτομάτου 
γίγνεσϑαε ἢ τύχης, οἷον τοῦ ἐλϑεῖν ἀπὸ τύχης εἰς τὴν ἀγορὰν χαὶ χατα- 
λαβεῖν ὃν ἐβούλετο μὲν οὐχ ᾧετο δὲ, αἴτιον τὸ βούλεσϑαε ἀγοράσαι ἐλϑόντα" 
ὁμοίως δὲ χαὶ ἐπὶ τῶν ἄλλων τῶν ἀπὸ τύχης λεγομένων ἀεί τι εἶναι λαβεῖν 
τὸ αἴτιον, ἀλλ' οὐ τύχην. Dass sich diess auf Demokrit bezieht, erhellt 
aus Sıspr. Phys. 330, 14 (zu den Worten, welche auf das ebenangeführte 
zurückweisen: χαϑάπερ ὁ παλαιὸς λόγος εἶπεν ὁ ἀναιρῶν τὴν τύχην): 
πρὸς Anuoxgsrov ἔοικεν εἰρῆσϑαι. ἐχεῖνος γὰρ, χἄν ἐν τῇ κοσμοποιΐᾳ 
ἐδόχεε τῇ τύχῃ χρῆσϑαι, ἀλλ᾽ ἐν τοῖς μερικωτέροις οὐδενός φησιν εἶναι 
τὴν τύχην αἰτίαν, ἀναφέρων εἰς ἄλλας αἰτίας. οἷον τοῦ ϑησαυρὸν εὑρεῖν 
τὸ σχάπτειν 7 τὴν φυτείαν τῆς ἐλαίας, τοῦ δὲ χατεαγῆναε τοῦ φαλακροῦ 
τὸ χρανίον τὸν ἀετὸν ῥίψαντα τὴν χελώνην ὅπως τὸ χελώνιον δαγῇ. 
οὕτω γὰρ ὁ Εὔδημος ἱστορεῖ. Ebd. 328, 4. 338, 4. Das gleiche besagt 
die Angabe Tnueoporer’s a. a. O. 8. 87, Demokrit habe die τύχη für eine 
ἄδηλος alla ἀνϑρωπίνῳ λέγῳ erklärt (vgl. Th. IH a, 164, 3), eine An- 
gabe, die durch Arısr. Phys. II, 4. 196 b 5 bestätigt wird, wenn es hier 
heisst: εἰσὶ δέ τενες οἷς δοχεῖ αἰτία μὲν ἡ τύχη, ἄδηλος δὲ ἀνϑρωπίνῃ διανοίᾳ. 
Hat aber Demokrit für das Einzelne keinen Zufall zugegeben, so hat ein so 
folgerichtiger Denker, wie er, das Ganze sicher nicht für das Werk des 
Zufalls gehalten. 

2) M. vgl. in dieser Beziehung von Aristoteles, ausser dem, was 
8. 850, 4. 847, 1 angeführt wurde, gen. et. corr. I, 2. 315 a 34 (es handelt 
sich um die Erklärung des Werdens, Vergehens u. s. w.): ὅλως δὲ παρὰ 
τὸ ἐπιπολῆς περὶ οὐδενὸς οὐδεὶς ἐπέστησεν ἔξω Anuoxolrov. οὗτος δ᾽ 
ἔοιχε μὲν περὶ ἁπάντων φροντίσαι, ἤδη δὲ ἐν τῷ πὼς διαφέρει. De an. 


872 Atomistik. [791] 


nicht aus Zweckbegriffen erklären !); die Naturnothwendigkeit 
war ihnen eine blindwirkende Kraft; von einem weltbildenden 
Geist und einer Vorsehung im späteren Sinn weiss ihr System 
nichts?); aber nicht desshalb, weil sie den Weltlauf für zu- 
fällig halten, sondern umgekehrt, weil sie auf seine Nothwen- 
digkeit in keiner Beziehung verzichten wollen. Auch die ur- 
sprüngliche Bewegung der Atome müssen sie daher für die 
nothwendige Wirkung natürlicher Ursachen gehalten haben. 

Worin nun aber diese Bewegung bestand, und wie Leu- 
cipp und Demokrit sie sich erklärten, darüber gehen sowohl 
die Angaben der Alten als die Ansichten der Neueren aus- 
einander. Einige von jenen lassen die Nothwendigkeit, die 
im atomistischen System alles bestimmen soll, mit der Wirbel- 
bewegung der Atome zusammenfallen®); und hierauf könnte 
man sich für die Annahme*) berufen, Demokrit (und sein 
Lehrer) habe sich den ersten Bewegungszustand als eine krei- 
sende Bewegung aller Atome gedacht. Allein jene Angabe 
des Sextus und Diogenes ist nur dann richtig, wenn man sie 
auf die Ursache derjenigen Bewegungen beschränkt, welche 
in unserer, und vielleicht auch in jeder anderen Welt statt- 
finden 5); denn in dieser ist allerdings alles eine nähere oder 
entferntere Folge der Wirbelbewegung, in welche die Atomen- 
masse, aus der sie besteht, bei der Weltbildung gerieth. 
Diese Wirbelbewegung hat sich aber selbst erst im Laufe 
der Zeit dadurch gebildet, dass viele Atome in dem gleichen 
Raume zusammentrafen, und sie erstreckt sich nur auf die- 
jenigen Atome, welche sich in diesem Raume zu einem eigenen 


L, 2. 405 a 8: Anuöxg. δὲ καὶ γλαφυρωτέρως εἴρηχεν, ἀποφηνάμενος διὰ 
τί τούτων ἑχάτερον. 

1) 5. S. 869, 1. 871, 1. 

2) Wie diess Demokrit häufig vorgeworfen, wird; m. s. Cıc. Acad. II, 
40, 125. Plac. II, 3, 2. Neuss. nat. hom. c. 44, 8.169. Lacrasza.a.0. 
Demokrit hatte nach Favorın b. Dıoc. IX, 34 f. die anaxagorische Lehre 
vom Nus ausdrücklich bestritten. Inwiefern er dennoch von einer allge- 
meinen Vernunft reden konnte, ist S. 8124 ff. gezeigt. 

3) Sextus und Diogenzs; 8. 0. 870, 4. 

4) Dırrury Einl. in die Geisteswissensch. I, 215. 

5) Nur in dieser Beziehung nennt auch Arısr. Phys. II, 4 (s. o. 869, 1) 
die δένη das, was das Weltall in seine gegenwärtige Ordnung gebracht habe. 


[791] Bewegung der Atome. 873 


System vereinigt haben!); wir können daher in ihr unmög- 
lich die Bewegung sehen, die allen Atomen von Ewigkeit 
her?), und auch dann zukommt, wenn wir sie uns noch ver- 
einzelt, und daher durch keine Verwicklung und keinen Zu- 
sammenstoss mit andern von ihrer natürlichen Bahn abgelenkt, 
im Leeren denken®). Sollte nun diese ursprüngliche Bewegung 
der Atome gleichfalls eine Wirbelbewegung sein, so könnte 
man sich diess auf zweierlei Art denken: entweder so, dass 
die sämmtlichen Atome von einem einzigen ungeheuren Wirbel 
herumgeführt worden wären, oder so, dass jedes Atom unab- 
hängig von dem andern seine eigene Drehungsbahn gehabt 
hätte*). Indessen ist die erste von diesen Annahmen für das 
atomistische System dadurch ausgeschlossen, dass jede Wirbel- 
bewegung auf den Raum beschränkt ist, der sich innerhalb 
des von ihr beschriebenen Kreises befindet, während die Masse 
der Atome und der Raum, durch den sie verbreitet ist, un- 
begrenzt sein soll; dass ferner ein einziger alle Atome um- 
fassender Wirbel statt der unzähligen Welten Demokrit’s nur 
Eine Welt hätte hervorbringen können. Wollte man anderer- 
seits jedem Atom als seine ursprüngliche Eigenbewegung eine 
Drehung in einer ihm allein zugehörigen Bahn zuschreiben, 
so fehlte es dieser Annahme nicht allein an jedem Anhalt in 
unsern Berichten (denn des Wirbels wird immer nur in dem 
Sinne gedacht, dass damit die weltbildende Drehung eines 
Atomencomplexes gemeint ist), sondern es wäre auch 
schwer zu sagen, wie Leucipp und Demokrit dazu gekommen 
sein sollten, die natürliche, im Leeren sich von selbst er- 


1) Vgl. 5. 887, 2. Von ihrer Entstehung spricht auch Arısr. a. ἃ. Ο. 

2) Hierüber 8. 869, 2. 3. 

8) Dabei wäre es an sich gleichgültig, ob irgend welche Atome diese 
ihre ursprüngliche Bewegung thatsächlich beibehalten haben, oder alle im 
Laufe der Zeit durch die Verbindung mit andern in ihr gestört worden sind. 
Indessen steht nichts der Annahme im Wege, dass ein Theil der Atome, 
noch in keinen Atomencomplex hereingezogen oder aus einem solchen wieder 
ausgeschieden, in einzelnen Gegenden des unemdlichen Leeren seiner natür- 
lichen Bewegung folge. 

4) Denn die dritte Möglichkeit, eine Drehung jedes Atoms um sich 
selbst, ohne Ortsveränderung, muss desshalb ausser Rechnung bleiben, weil 
sie zu keinem Zusammenstoss der Atome führen konnte. 


874 Atomistik. [191] 


zeugende Bewegung der Atome in einer Kreisbewegung zu 
suchen. Denn die Erfahrung bietet für die Annahme, dass 
ein Körper im leeren Raume von selbst!) und ohne äussere 
Einwirkung in eine Kreisbewegung gerathen könnte, keine 
Analogie dar; und wirklich liessen auch unsere Philosophen, 
wie wir finden werden, ihre weltschöpferischen Wirbel nur 
durch den Zusammenstoss der Atome entstehen. 

Aehnliche Bedenken stehen der Annahme?) entgegen, 
die ursprüngliche Bewegung der Atome sei ein ungeordnetes 
Durcheinanderfliegen im Leeren, ohne einen ihnen inwohnen- 
den Trieb nach einer bestimmten Richtung im Raume. Unter 
unsern Berichterstattern ist keiner, welcher den alten Ato- 
mikern diese Ansicht nachweislich beilegte; denn auch die 
Angabe des Diogenes, dass die Atome nach Demokrit im 
Wirbel umhergeführt werden?), scheint sich nicht auf ihre 
ursprüngliche Bewegung, sondern auf die aus ihrem Zusammen- 
stoss hervorgegangene Wirbelbewegung zu beziehen. Wir 
wissen überdiess nicht, von wem Diogenes diese Angabe ent- 
lehnt hat; sie bietet daher keine haltbare Grundlage für die 
obige Annahme*). Ein Umherwirbeln im Weltraum wäre 
aber auch kein wirres und richtungsloses Herumfliegen; wenn 


1) “πὸ ταὐτομάτου; 5. 8. 869, 1. 870, 1. 871, 1. 

2) BRıeger Die Urbewegung der Atome Ὁ. Leucipp und Dem. Halle 
1884. S. 4. Liıermann Die Mechanik der Leucipp-Demokrit’schen Atome. 
Berlin 1885. S. 53 u. ὅ. 

3) IX, 44: τὰς ἀτόμους δ᾽ ἀπείρους εἶναι χατὰ μέγεϑος καὶ πλῆϑος. 
φέρεσϑαι δ᾽ ἐν τῷ ὅλῳ (wofür mit Ββιξκακὰ 8. 4 χενῷ oder ἀπείρῳ zu 
setzen kein Grund vorliegt) δενουμένας χαὶ οὕτω πάντα τὰ συγχρίματα 
γεννᾷν, πῦρ, ὕδωρ u. 8. w. Diese letzteren Worte lassen vermuthen, dass 
das vorangehende sich nicht auf die Urbewegung der Atome, sondern auf 
die Wirbelbewegung bezieht, durch welche unsere Welt entstanden sein 
soll. Um es mit Bestimmtheit behaupten zu können, ist der Bericht des 
Diog. zu aphoristisch. 

4) Wie Dırıs Doxogr. 142 f. 165 zeigt, hat Diogenes für diesen wie 
für andere Abschnitte neben derselben Epitome des theophrastischen Werks, 
die Hippolytus und dem Verfasser der plutarchischen Irpwuareis vorlag, 
einen zweiten minderwerthigen Doxographen benützt. In dem letzteren die 
Quelle unserer Angabe zu suchen, könnte das ἀπείρους χατὰ μέγεϑος 
veranlassen; vielleicht ist es aber auch nur ein ungeschickter Ausdruck 
dafür, dass die Gesammtmasse der Atome unendlich gross ist. 


[791] Bewegung der Atome. 875 


vielmehr alle Atome in Wirbeln kreisten!), und diess ihre 
ursprüngliche Bewegung wäre, so möchten ihre Bahnen sich 
noch so sehr schneiden und stören: immer hätten doch sie 
alle eine Bewegung derselben Art, und dann müssten wir auch 
fragen, was die Urheber des atomistischen Systems veranlassen 
konnte, gerade diese für ihre natürliche Bewegung zu halten. 
Darauf liesse sich aber nach dem eben bemerkten keine be- 
friedigende Antwort geben. 

Noch unmittelbarer widerlegt sich die Behauptung einiger 
jüngeren Schriftsteller, dass Demokrit und Leucippus die 
Stösse, welche die Atome bei ihrem Zusammentreffen erhalten, 
für den ersten oder den einzigen Grund ihrer Bewegung ge- 
halten haben ?), durch die Erwägung, dass diese Stösse ebenso, 
wie schon das Zusammentreffen der Atome selbst, ihre Be- 
wegung bereits voraussetzen. Denn dass zwei so scharfe und 
so bewusst auf eine mechanische Naturerklärung .ausgehende 
Denker diesen offen vorliegenden Widerspruch nicht bemerkt 
haben sollten, ist doch kaum glaublich. Nur so viel mag 
richtig sein, und wird sich uns auch noch weiter bestätigen, 
dass weder Demokrit noch sein Lehrer sich über die dem 
Zusammentreffen der Atome vorausgehende und es bedingende 
Bewegung derselben eingehend genug ausgesprochen hatte, um 
Missverständnissen vorzubeugen. Diess schliesst aber nicht 
aus, dass sie eine solche als selbstverständlich voraussetzten; 
und eine Reihe von Thatsachen und Zeugnissen beweist, dass 
diess wirklich der Fall war, und gibt uns zugleich auch dar- 
über Aufschluss, was für eine Bewegung dieses war, und wie 
sie sich dieselbe erklärten. 


1) Und von einem δενουμένας φέρεσθαι redet doch Diogenes. 

2) Cıc. De fato 20, 46: aliam enim quandam vim motus habebant [atomi] 
a Democrito impulsionis, quam plagam (6 appellat, a te, Epieure, gravilatis et 
ponderis. Plac. I, 23, 3: Anuözxgıros Ev γένος χενήσεως, τὸ χατὰ παλμόν, 
wogegen Epikur zwei habe, τὸ χατὰ στάϑμην χαὶ τὸ xara παρέγχλισιν. 
Stop. I, 348 8. ο. 860, 2. Arzx. zu Metaph. I, 4. 985 b 19. 5. 27, 21 
Bon.: οὗτοε γὰρ (Leucipp und Demokrit) λέγουσιν ἀλληλοτυπούσας καὶ 
χρονομένας πρὸς ἀλλήλας χινεῖσϑαι τὰς ἀτόμους, πόϑεν μέντοι ἡ ἀρχὴ 
τῆς κινήσεως τοὶς (l. τῆς) χατὰ φύσιν, οὐ λέγουσιν. ϑιμρΡι. De calo 260 b 
17. Schol. 511 b 15: Leuc. und Demokr. ἔλεγον ἀεὶ χενεῖσϑαι. .. τὰς 
ἀτόμους ἐν τῷ ἀπείρῳ χενῷ Blg. Phys. 42, 10: Anuoxgıros φύσει ἀχίνητα 
λέγων τὰ ἄτομα πληγὴ χινεῖσϑαί φησιν. 


876 Atomistik. 


Zunächst nämlich steht es ausser Zweifel, dass nicht erst 
Epikur, sondern schon Demokrit und Leucippus den Atomen 
Schwere beilegten und ihr Gewicht ihrer Grösse proportional 
setzten, wie diess ja auch alle Voraussetzungen ihrer Theorie 
verlangten!). Unter der Schwere hat aber niemand im Alter- 
thum etwas anderes verstanden, als diejenige Eigenschaft der 
Körper, vermöge deren sie sich nach unten bewegen, wenn 
ihnen diess nicht durch ein äusseres Hinderniss verwehrt 
wird®2); nur dass in solchen Systemen, welche alle körper- 
lichen Stoffe in Einer Weltkugel befasst sein lassen, das Oben 
dem Umkreis, das Unten der Mitte der Welt gleichgesetzt, 
und daher die Bewegung nach unten durch eine dem Mittel- 
punkt der Welt zustrebende Bewegung ersetzt wird. Auf die 
Atome jedoch, die sich im unendlichen Leeren befinden, ist 
natürlich diese Umbildung des Begriffs der Schwere nicht 
anwendbar. Sind aber die Atome schwer, und besteht die 
Schwere in dem Streben, sich nach unten zu bewegen, so 
müssen die Atome im Leeren, in dem sie nichts an dieser Be- 
wegung hindert, sie nothwendig ausführen): die Urbewegung 
der Atome im Leeren ist der Fall, die Bewegung nach unten ®). 


1) Es ist diess S. 859 f. nachgewiesen und wird auch von BRIEGER 
8. 5, Lıermann 8. 81 f. ausdrücklich anerkannt. | 

2) Und eben desshalb wird von den Philosophen, welche der Luft und 
dem Feuer eine natürliche Bewegung nach oben zuschreiben, wie Plato 
(Th. II a, 805, 4), Aristoteles (II b, 435. 439 £.) und die Stoiker (III a, 184. 
188), diesen Elementen die Schwere abgesprochen und die Leichtigkeit als 
positive Eigenschaft beigelegt. 

3) Und von den Welten, die aus ihnen bestehen, nimmt BriEGER 
S. 28 (ob mit Recht, wird später untersucht werden) diess wirklich an; dann 
dürfte er es aber folgerichtiger Weise von den Atomen und ihrem Urzustand 
um so weniger leugnen, da in diesem noch kein anderer Einfluss dem der 
Schwere entgegenwirkt. 

4) Die Auskunft aber, mit der sich Lırruann 3. 32 f. 42 dieser auf 
der Hand liegenden Folgerung zu entziehen sucht, dass nämlich „die demo- 
kritische Schwere nicht die gemeine absolut nach unten ziehende“, „sondern 
die von dem ῥυσμὸς abhängige Reaktionsweise gegen den Wirbel“ sei, 
„welche ja ein ähnliches Verhalten der Atome bedinge, wie die Schwere“, 
dass sie also „in einem Sinn Schwere und im anderen Sinn doch nicht 
Schwere“ sei — diese Verlegenheitsauskunft bedarf wohl keiner Wider- 
legung. Was hier Schwere genannt wird, wäre diessin keinem Sinn, und 
dass weder Aristoteles noch Theophrast in den 85. 859, 1. 860, 1 angeführ- 


[791] Bewegung der Atome. 877 


Und dass dem so sei, wird nicht blos von SmpLicıus bestätigt!), 
sondern auch THEOPHRAST sagt, nach Demokrit müssten alle 
Elemente die gleiche Bewegungstendenz haben, weil alle gleich- 
sehr Schwere besitzen®); er sieht somit in der Schwere der 
Atome nichts anderes als das Streben derselben, sich an einen 
bestimmten Ort zu bewegen, welches dem eben bemerkten zu- 
folge nur das Unten sein kann. 

Schon diess würde nun, wie ich glaube, zur Entscheidung 
der Frage genügen; man müsste denn gerade den Männern, 
welche unter den alten Philosophen die folgerichtigsten Ver- 
treter einer rein mechanischen Physik waren, einem Leucipp 
und Demokrit zutrauen, dass sie die unmittelbaren und un- 
abweisbaren Folgesätze ihrer eigenen Annahmen, ja schon den 
nächsten Sinn derselben verkannt hätten. Wie weit sie aber 
davon entfernt waren, erhellt aus dem Umstande, dass sie von 
dem Fall der Atome alle die weiteren Vorgänge herleiteten, 
welche an zahllosen Stellen des unbegrenzten Raumes zur 
Bildung von Welten geführt haben. Wie SmLicıus berichtet®), 


ten Stellen an etwas der Art gedacht haben, ist augenscheinlich. Demokrit’s 
Wirbel wird in keiner von ihnen irgend berühı., und wenn das Gewicht 
über die Grösse der Atome entscheiden soll, hat diess mit dem Wirbel nicht 
das geringste zu thun. 

1) Phys. 310 a m: οὗ περὶ Anuöxgırov . .. ἔλεγον, χατὸ τὴν ἐν 
αὐτοῖς βαρύτητα χινούμενα ταῦτα [τὰ ἄτομα) δεὰ τοῦ χενοῦ εἴχοντος καὶ 
μὴ ἀντιτυποῦντος χατὰ τόπον χινεῖσϑαε .. . καὶ οὐ μένον πρώτην ἀλλὰ 
ze) μόνην ταύτην οὗτοι χίνησιν τοῖς στοιχείοες ἀποδιδόασε; nämlich ihre 
einzige natürliche und ursprüngliche Bewegung, denn der παλμὸς und die 
δίνη sind gewaltsame und abgeleitete. 

2) De sensu 71: χαίτοε τὸ βαρὺ καὶ χοῦφον ὅταν διορίζῃ τοῖς μεγέ- 
ϑεσιν, (Rückweisung auf das S. 859, 1 aus ὃ 61 angeführte) ἀνάγχη τὰ ἁπλᾶ 
πάντα τὴν αὐτὴν ἔχεεν ὁρμὴν (so die Handschriften) τῆς φορᾶς. Die ὁρμὴ 
τ. φορ. kann dem Sprachgebrauch wie dem Zusammenhang nach nicht das 
„Prineip der Bewegung“ (BrıEser 8.6), sondern nur die Bewegungstendenz 
bezeichnen, und die gleiche Bewegungstendenz haben die Elemente, wenn 
nicht, wie Aristoteles will, jedes von ihnen seinen besonderen Ort hat, dem 
es zustrebt, sondern alle sich ihrer Natur nach gegen den gleichen Ort hin, 
und somit auch in der gleichen Richtung bewegen. Von der Lücke, die 
Brieger in unserem Text vermuthet, zeigt derselbe keine Spur, sobald man 
darauf verzichtet, ihm anderes aufzudringen, als darin steht. 

3) De calo 109 b 41 fi. s. u. 8. 887, 2. Ebd. 254 b 27. Schol. in 
Ar. 510 b 30: οἱ γὰρ περὶ Anuoxoıtov καὶ ὕστερον Ἐπίχουρος τὰς ἀτόμους 


878 Atomistik. [191] 


sagte Demokrit, alle Atome sinken vermöge ihrer Schwere 
nach unten, aber das weniger schwere!) werde von dem 
schwereren in die Höhe gedrängt, und scheine infolge davon 
leicht zu sein?), d. h. ein natürliches Streben zur Bewegung 
nach oben zu haben. Er hält es demnach für Demokrit’s 
Lehre, dass alle Atome in Folge ihrer Schwere sich nach 
unten bewegen®), dass aber hiebei die kleineren und leich- 
teren von den grösseren und schwereren aufwärts getrieben 
werden. Diese Angabe zu verdächtigen*), haben wir kein 
Recht. Denn das Zeugniss des Simplicius®) wird in diesem 
Fall durch weit ältere und zuverlässigere bestätigt. Schon 
PraATo bestreitet®) die Meinung, dass es in der Welt ein Unten 
und Oben im strengen Sinn gebe, und dass alle Körper sich 
nach unten, und nur gezwungen nach oben bewegen. Er 


πάσας ὁμοφυεῖς οὔσας βάρος ἔχειν φασὶ, τῷ δὲ εἶναί τινα βαρύτερα ἐξω- 
ϑούμενα τὰ χουφότερα ὑπ᾽ αὐτῶν ὑφιζανόντων ἐπὶ τὸ ἄνω φέρεσθϑαε" χαὶ 
οὕτω λέγουσιν οὗτοι δοχεῖν τὰ μὲν χοῦφα εἶναι τὰ δὲ βαρέα. Ebd. 314 
b 37. Schol. 517 Ὁ 21: ὥσπερ οἱ περὶ Δημόχριτον οἴονται, πάντα μὲν 
ἔχειν βάρος, τῷ δὲ ἔλαττον ἔχειν βάρος τὸ πῦρ ἐχϑλιβόμενον ὑπὸ τῶν 
προλαμβανόντων (περελ. ?) ἄνω φέρεσϑαι καὶ διὰ τοῦτο χοῦφον δοχεῖν. 

1) Welches bei den Atomen (nach 8. 859 ) mit dem kleineren zu- 
sammenfällt. 

2) Die Behauptung aber (Brıeser S.7), dass diese Aussage sich nicht 
auf die Atome, sondern nur auf die aus ihnen zusammengesetzten Körper 
beziehe, widerstreitet dem exegetischen Augenschein. „Alle Atome sind 
schwer; weil aber einiges schwerer ist als anderes, drückt es beim Nieder- 
sinken dieses in die Höhe“ — diess lässt sich doch unmöglich so verstehen, 
dass es gerade von den Atomen, die ja ebenfalls verschiedenes Gewicht haben, 
nicht gelten solle; da müsste es mindestens heissen: τὰς μὲν ἀτόμους 
πάσας βάρος ἔχειν, τῷ δὲ τῶν συνϑέτων (oder συγχριμάτων) εἶναί τινα 
βαρύτερα u. 8. w. Simpl. sagt ja aber De calo 110 ἃ 1 ff. (8. u. 887, 2) 
ausdrücklich von den Atomen, sie stossen zusammen, weil die einen die 
andern einholen. 

3) Hierüber Phys. 310 a m, 8. o. 877, 1. 

4) Wie Brızger a. a. O., welcher der Stelle aus der Physik nach 
PAPENncoRDT’8 und MurLtAcH’s Vorgang eine Verwechslung der demokriti- 
schen Lehre mit der Epikur's vorwirft, und Lıermann 5. 39 ἢ 

5) Der allerdings in seinen Aussagen über die ältere Atomistik manche 
Verstösse begangen hat (vgl. S. 857,3. 875, 2), desshalb aber doch in diesem 
Fall, wie in der Regel, einer guten Quelle gefolgt sein kann. 

6) Tim. 62 C, woran schon Sımer. De ca@lo 121 b 32 aus Anlass der 
atomistisch-epikureischen Theorie erinnert. 


[791] Bewegung der Atome. 879 


kennt also bereits eine Theorie, welche, wie Demokrit bei 
Simplicius, den Fall für die einzige natürliche Bewegung der 
Körper, das Aufsteigen des Feuers oder der Luft für eine ge- 
waltsame hielt. Diese Ansicht liegt aber nicht allein der ge- 
wöhnlichen Anschauung ferne, sondern sie wird uns auch von 
keinem der vorplatonischen Physiker ausser Demokrit be- 
richtet. Es hat daher alle Wahrscheinlichkeit für sich, dass 
Plato hier ihn und keinen andern im Auge hat. Ebenso- 
wenig kann Plato’s Zeitgenosse, der Pythagoreer ΕἸΚΡΗΑΝΤΙΘΒ "), 
einem andern mit der Behauptung entgegentreten, dass die 
Atome weder von der Schwere noch von Stössen bewegt 
werden; er muss mithin die Schwere als bewegende Kraft bei 
ihm gekannt haben. Nur auf die Atomiker kann es sich 
ferner beziehen, wenn ARISTOTELES?) denen, „welche das Leere 
und das Volle annehmen“, entgegenhält: den Unterschied des 
Schweren und Leichten auf den der Grösse und Kleinheit 
zurückzuführen ®), sei unzulässig, und dadurch, dass sie das 
Grosse und das Kleine aus demselben Stoffe bestehen lassen, 
seien sie zu der Annahme gezwungen, dass nichts an sich 
selbst leicht sei, sondern alles, was in die Höhe steigt, diess 
nur in Folge eines Druckes thue*). Dass diess Leucipp und 
Demokrit gilt, lässt sich um so weniger bezweifeln, da Aristo- 
teles gegen diese Philosophen schon früher unter Nennung 
ihrer Namen ähnliches bemerkt hat). Nur gegen sie kann 
sich auch der Nachweis richten, dass im Leeren alle Körper, 


1) Beziehungsweise Theophrast, dem Hippolytus diese Angabe ent- 
nommen hat; vgl. 5. 495, 1. 

2) De calo IV, 2. 310 a3 f. vgl. Th. U b, 413. Wer hiemit gemeint 
ist, war schon 308 b 30 unzweideutig gesagt. 

3) Was ja eben ihre Theorie ist; vgl. S. 859, 1. 

4) Genauer (Z. 10): nichts steige in die Höhe ἀλλ᾽ ἢ ὑσεερίζον ἢ 
ἐχϑλιβόμενον, ἃ. h. ausser sofern es im Fall hinter anderem zurückbleibe, 
und infolge davon sich über dieses zu erheben scheine, oder sofern es empor- 
gedrückt werde (dasselbe ἐχϑλέβειν, wie bei Simpl. s. o. 877, 8). In dem 
ersten Fall ist aber das Aufsteigen nur ein scheinbares. 

5) De ocelo I, 7 8. o. 853, 2. Dass die Atomisten selbst diesen Folge- 
satz ihrer Grundlehren nicht anerkennen, deutet Arist. mit keinem Wort an, 
so nöthig diess auch in diesem Fall gewesen wäre. 

Philos. d. Gr. I. Bd. 5. Aufl. 56 


880 Atomistik. [791] 


schwere und leichte, gleich schnell fallen müssten!). Wenn sich 
nun Epikur eben diesen Satz aneignet?), und Luckkz, auch hier 
gewiss nur sein Dollmetscher?), vermittelst desselben die Mei- 
nung widerlegt, dass beim senkrechten Fall der Atome im Leeren 
die schwereren infolge ihrer grösseren Geschwindigkeit auf 
die leichteren herabstürzen und durch diesen Zusammenstoss 
die weiteren Bewegungen herbeiführen können, auf denen alle 
Atomenverbindungen beruhen *), so kann diese Berichtigung 
doch unmöglich anderen gelten als dem, welchem schon Aristo- 
teles mit demselben Einwurf entgegengetreten war, Demokrit°). 
Wer diess bestreitet, muss entweder behaupten, erst Epikur, 
welcher doch dazu gar nicht der Mann war, habe der atomi- 
stischen Physik ihre streng mechanische Grundlage gegeben, 
aber nur um dieselbe sofort wieder zu bestreiten und durch 
die Lehre von der willkürlichen Deklination der Atome in 
der unwissenschaftlichsten Weise zu durchlöchern; was doch 
an sich selbst wie den aristotelischen Stellen gegenüber so 
unwahrscheinlich ist wie möglich. Oder er muss annehmen, 
sowohl Aristoteles als Epikur lassen bei der Untersuchung 
von Fragen, welche gleich am Eingang der atomistischen 
Kosmologie stehen und für ihren ganzen weiteren Verlauf von 
entscheidender Wichtigkeit sind, den grossen und allgemein 
anerkannten Lehrmeister der Schule, dem Epikur in allen 
Stücken zu folgen gewohnt ist, und den Aristoteles unzählige- 


1) Arıst. Phys. IV, 8. 215 a, 24—29. 216 a 11—21 und dazu .das 
S. 859, 1. 860, 1 angeführte. 

2) Bei Dıoca. X, 61 vgl. Bd. Il a, 407, 6. Usener Epicurea 197, 277. 

3) Denn solche Fragen selbständig zu behandeln, gieng weit über das 
Vermögen des römischen Dichters. 

4) II, 215 ff.: Wenn die Atome im Leeren fallen, so würden sie, wenn 
sie nicht um ein kleinstes von der senkrechten Fallinie abwichen, niemals 
zusammentreffen; und dann V. 225: Quod si forte aliquis oredit graviora po- 
tesse — corpora, quo ollius rectum per inane feruntur (weil sie schneller senkrecht 
fallen) — incidere ἐξ supero levioridus atque ita plagas — gignere, quae possint geni- 
talis reddere motus. — avius a vera lounge ratione recedit; was sofort, wie bei 
Aristoteles und Epikur (Dıoc. X, 61), damit bewiesen wird, dass das Schwerere 
in der Luft und im Wasser nur desshalb schneller falle, weil es den Wider- 
stand dieser Medien leichter überwinde, der im Leeren wegfällt. 

5) Eigentlich Dem. und Leueippus; aber von diesem wollte ja Epikur 
nichts wissen. 


[191] Bewegung der Atome. 881 


male anführt, unberücksichtigt, um sich statt dessen an irgend 
einen Unbekannten zu halten, dessen Namen uns zu über- 
liefern niemand der Mühe werth gefunden hätte!). Wahr- 
scheinlich ist sicher auch diess nicht. Dass Demokrit alle 
Atome vermöge ihrer Schwere sich nach unten bewegen liess, 
nimmt auch CıicERO?) an, ΠΙΟΘΕΝῈΒ sagt®), die Atome fallen 


1) Und Brırczr 8. 8 ff. meint wirklich, was Aristoteles a. a. O. gegen 
den ungleichen Fall der Atome im Leeren bemerkt, könne auch auf irgend 
einen andern Naturphilosophcn als Demokrit, oder auch auf gar kein be- 
stimmtes System gehen. Die letztere Annahme wird nun schon durch Stellen 
wie Phys. 213 b 4. 14. 21. 214 b 10. 216 a 21 ausgeschlossen, da sie alle 
deutlich erkennen lassen, dass sich Arist. hier nicht allein mit bestimmten 
Personen, sondern sogar mit bestimmten Schriften auseinandersetzt; und 
dass diese irgend welchen andern angehörten als Demokrit und Leucippus, 
könnte man nur dann vermuthen, wenn sich nicht blos die Annahme des 
Leeren, die freilich (auch nach Phys. IV, 6. 213 a 34. c. 9 Anf. und oben 
S. 436 f.) noch andere mit ihnen theilten, sondern auch die Behauptung, 
dass wegen der qualitativen Gleichartigkeit aller Stoffe die Schwere der 
Grösse entspr‘:he, und dass das Schwerere im Leeren schneller falle als das 
Leichtere, ausser der atomistischen Schule nachweisen liesse, oder wenn 
Arist. aus dieser Schule jemals einen andern berücksichtigte, als Demokrit 
und Leucippus. Und gegen wen soll sich denn Epikur vnd ihm folgend 
Lucrez mit dem Nachweis wenden, dass die Atome im Leeren keine un- 
gleiche Geschwindigkeit haben können? Dass sie eine solche haben, kann 
doch nur ein Avhänger des atomistischen Systems behauptet haben (denn 
die „Laienansicht“, auf die BR. verweist, bekümmerte sich schwerlich um 
die Fallgeschw'ndigkeit der Atome), und dieses fiel für Epikur mit dem 
Demokrit’s zusammen. 

2) Cıc. N. D. I, 25, 69: Epieurus oum videret, si atomi ferrentur in lo- 
run ıinferiorem suopte pondere, nihil fore in nostra potestate, quod essel carum 
motus corius et neoessarıus, invon’; quomodo necessitaten effugeret, quod videlioet 
Democritum fugerat: ait atomum, cum pondere et gravitate direeta deorsum fera- 
tur, dechinare paululum. Man wird zugeben, dass hiebei vorausgesetzt wird, 
Demokrit sei eben dadurch zu seinem Determinismus gekommen, dass er 
die Atome ausschliesslich dem Gesetz der Schwere folgen liess; und da 
Cicero hier aus neuakademischer Quelle zu schöpfen scheint, wird man den 
Werth seines Zeugnisses nicht allzu gering anschlagen dürfen; vgl. UsEnER 
Epicurea LXVI f. Auch De fato 10, 23 setzt Cic. bei Demokrit den senk- 
rechten Fall der Atome im Leeren voraus, womit aber freilich 20, 46 
(s. 5. 875, 2) nicht stimmt. 

3) IX, 30 (allerdings nur nach dem geringeren von den zwei Doxo- 
graphen, die er benutzt hat): τούς re x0Guous γέίνεσϑαι σωμάτων εἰς τὸ 
xevov ἐμπιπτόντων u. 8. w. Auf dieselbe Vorstellung führt das συῤῥέειν 
b. Hıpror. I, 12 s. u. 887, 2. 

56* 


889 Atomistik. [191] 


in einen leeren Raum, ALEXANDER!) hält der älteren ebenso 
‘wie der epikurischen Atomistik das Dilemma entgegen, dass 
sich bei der Bewegung der Atome im Leeren für eine un- 
gleiche Geschwindigkeit derselben kein Grund aufzeigen liesse, 
während bei gleicher Geschwindigkeit kein Atom das andere 
einholen und mit ihm zusammenstossen könnte. Er befrachtet 
demnach gleichfalls den Fall der Atome im Leeren als die 
gemeinsame Voraussetzung aller atomistischen Theorieen 2). 
Das gleiche ergibt sich aber auch aus der Angabe, das Leere 
sei den Atomisten zufolge der Grund der Bewegung®). Kann 
mit diesem Satze auch nicht gesagt sein sollen, dass sie dem 
Leeren, d. h. dem Nichtseienden, eine bewegende Kraft bei- 
gelegt haben, so darf man ihn doch ebensowenig so deuten, 
als ob es nur für die Bedingung erklärt werden sollte, ohne 
die keine Bewegung möglich wäre®); sondern die Meinung 
kann nur die sein, dass nach ihrer Ansicht die Bewegung der 
Körper von selbst®) eintrete, wenn sie sich im Leeren be- 


1) Bei Smer. Phys. 679, 12: ἐκ dr τούτων ἔνεστι λέγεεν πρὸς Ἐπί- 
χουρον, οὐδὲν δὲ ἧττον ἴσως καὶ πρὸς Δημόκριτον καὶ Αεύχιππον, καὶ 
ἁπλῶς τοὺς ἀρχὰς τὰ ἄτομα λέγοντας καὶ τὸ κενόν, und dann das im Text 
angeführte. Alex. sagt diess aus Anlass der S. 879 besprochenen aristo- 
telischen Erörterungen, er wird daher bei der Bewegung der Atome im 
Leeren ebenso, wie Aristoteles, ihre Fallbewegung im Auge haben. 

2) Auch aus sachlichen Gründen kann man nur an diesen denken; 
wäre die Urbewegung der Atome ein unregelmässiges Durcheinanderwirbeln, 
so müssten sie bei gleicher wie bei ungleicher Geschwindigkeit sofort zu- 
sammenstossen. 

3) Arısr. Phys. IV, 8 Anf.: wenn jeder Körper seinem natürlichen Orte 
zustrebt, δῆλον ὅτε οὐχ ἄν εἴη τὸ χενὸν altıov τῆς φορᾶς » . . doxei γὰρ 
αἴτεον εἶναε χενήσεως τῆς χατὰ τόπον. VII, 9. 266 b 28: ὁμοέως δὲ χαὶ 
ὅσοε τοιαύτην μὲν οὐδεμίαν αἰτίαν (keine besondere bewegende Ursache) 
λέγουσι, διὰ δὲ τὸ χενὸν χενεῖσϑαί φασιν. .. ἢ γὰρ διὰ τὸ χενὸν xl- 
γνησις φορά ἐστε. Eupemus b. Sınpr. Phys. 533, 14: ἀλλ᾽ ἀρά γε (sc. αἴτιόν 
ἔστιν ὁ τόπος) ὡς τὸ χεινῆσαν; ἢ οὐδὲ οὕτως ἐνδέχεται, ὦ Anuöxgıre. 

4) Auch diess hatte Demokrit für die Annahme des Leeren geltend 
gemacht, aber Aristoteles unterscheidet dieses von jenem schon im Aus- 
druck: or γὰρ ἄν doxeiv elvas xlımow εἰ un εἴη κενόν (c. 6. 213 b 5), 
ἡ αὔξησις doxei γέγνεσθαι διὰ χενοῦ (ebd. Z. 18), αἴτεον χενήσεως οἴονται 
εἶναι τὸ χενὸν οὕτως ὡς ἐν ᾧ χενεῖται (c. 7. 214 a 24) — diess besagt 
etwas anderes, als die vor. Anm. angeführten Ausdrücke. 

5) Vermöge des αὐτόματον, worüber 8. 869, 1. 870, 1. 871, 1. 


[791] - Bewegung der Atome. 883 


finden‘). Die einzige Bewegung aber, von der sich diess, 
die Schwere der Atome vorausgesetzt, von selbst zu verstehen 
scheint, ist die Fallbewegung?); und wenn nun ferner auch 
den grösseren Atomen desshalb ein schnellerer Fall zuge- 
schrieben wurde als den kleineren, weil sie schwerer seien 
als diese, so war diess nur eine Folgerung, deren Unrichtig- 
keit wir freilich sofort einsehen und auch schon Aristoteles 
erkannte, der sich aber dieser nur durch ebenso unrichtige 
Annahmen entzieht, und die sich ohne dieselben schwer ver- 
meiden liess, so lange man von der allgemeinen Anziehung 
der Materie nichts wusste, den Begriff der Schwere nur von 
den Erscheinungen der irdischen Schwere abstrahirte, und 
tiber den Unterschied des absoluten und des specifischen Ge- 
wichts und die Gründe desselben sich so wenig klar war, wie 
diess selbst bei Aristoteles noch der Fall ist. Von welcher 
Seite wir daher diese F'rrage.betrachten mögen, so wird die 
Angabe, dass schon Demokrit und Leucippus ebenso, wie 
später Epikur, den Fall für die ursprüngliche Bewegung der 
Atome im Leeren hielten, dass sie aber im Unterschied von 
jenem diese Bewegung mit ungleicher Geschwindigkeit er- 
folgen und dadurch den Zusammenstoss der Atome bewirkt 
werden liessen — diese Angabe wird ebenso durch die glaub- 
würdigsten Zeugnisse, wie durch den inneren Zusammenhang 
der atomistischen Theorie bestätigt. 

Nun bemerken freilich ArswToTELes und THEFOPHRAST, 
Demokrit habe es unterlassen, die Ursache der Bewegung zu 
untersuchen, die Nothwendigkeit, von der alles beherrscht 
werde, genauer zu bezeichnen?), er habe es sogar ausdrück- 
lich abgelehnt, für das, was immer war, einen Entstehungs- 
&rund anzugeben*). Allein aus der letzteren Angabe folgt 


1) Dass sich diess aber nicht auf die Bewegung der Atome beziehe, 
(Brıeszr ἃ. 10) ist eine seltsame Einrede.. Wer ausser den Atomikern hat 
denn das Leere für die Ursache der Bewegung erklärt, und wie könnte es 
diess in ihrem System sein, wenn es nicht Ursache der Atomenbewegung 
wäre? Zum Ueberfluss sagt aber Arıst. De calo ΠῚ, 2. 300 b 8, offenbar 
von demselben Vorgang: zıyeiodas τὰ πρῶτα σώματα ἐν τῷ χενῷ. 

2) Vgl. 8. 876. 

3) Vgl. 8. 869, 4. Metaph. XII, 6 (S. 868, 2). 

4) S. 8. 869, 3. 


884 Atomistik. [791] 


doch, auch wenn sie sich auf die erste Bewegung der Atome 
bezieht, nicht mehr, als dass Demokrit der Ansicht war, die 
Erklärung der Erscheinungen aus ihren Ursachen finde an 
dieser ersten Bewegung ihre Grenze. Was für eine Art von 
Bewegung diese war, ist hiefür vollkommen gleichgültig, und 
es lässt sich schlechterdings nicht absehen, warum Demokrit 
nicht hätte sagen können: „dass alle Körper schwer sind, 
d. h. dass alle im Leeren fallen); ist- unbestreitbar; warum 
es 80 ist, weiss ich nicht: genug, dass es immer so war.“ 
Auch das übrige beweist nichts gegen die hier entwickelte 
Ansicht. Wenn Demokrit den Fall der Körper im Leeren 
zwar für selbstverständlich, aber für nicht weiter erklärbar 
hielt, so ist es ganz natürlich, dass er es unterliess, die Ursache 
desselben zu untersuchen oder auch nur anzugeben; und auch 
der Vorwurf, dass er nicht sage, was für eine Bewegung es 
sei, in der die Atome sich von Ewigkeit her befinden, und 
die ihnen von Natur zukomme?), lässt sich unter dieser Vor- 
aussetzung im Munde des Aristoteles wohl begreifen. Was er 
behauptet, ist ja nicht, dass sich Demokrit und Leucippus bei 
der Bewegung der Atome keine bestimmte Bewegung ge- 
dacht, sondern nur, dass sie sich nicht darüber erklärt 
haben, was für eine Bewegung sie den Atomen als ihre Ur- 
bewegung zuschreiben. Jenes wäre allerdings auffallend, einer- 
lei, wie man sich diese Urbewegung näher denken möchte?). 


1) Denn dieses beides ist gleichbedeutend; es wäre daher ein sdem per 
idem auf die Frage, warum die Atome im Leeren fallen, zu antworten: 
„weil sie schwer sind“; und wenn Brıecer 5. 11 ἢ glaubt, den Grund für 
das Fallen der Atome anzugeben, hätte Demokrit nicht ablehnen könner, 
da dieser „sich von selbst verstand“, so verwechselt er die Behauptung der 
Thatsache mit ihrer Erklärung. Er selbst findet ja aber den Fall der Atome 
im Leeren so wenig selbstverständlich, dass er ihn leugnet, wiewohl er ihre 
Schwere einräumt. | 

2) Metaph. XII, 6; 8. 8. 868, 2. De c«lo III. 2; 8. 8. 861, 2. 

3) Die natürliche und ursprüngliche Bewegung der Atome kann doch 
nur die sein, welche unter den ursprünglichen Bedingungen ihres Daseins, 
als eine nothwendige Folge ihres Seins im Leeren, eintritt, und ob diese 
Bewegung ein Fallen oder eine Wirbelbewegung oder was sie sonst ist, 
macht in dieser Beziehung schlechterdings keinen Unterschied. Wäre daher 
meine Ansicht über die ursprüngliche Bewegung der Atome mit den zwei 


[791] Bewegung der Atome. 885 


Dagegen konnte Aristoteles bei Leucipp und Demokrit ebenso- 
gut, wie bei Plato, den er beidemale mit ihnen zusammen- 
stellt!), immerhin eine ausdrückliche Erklärung über manche 
von ihm erst zur Sprache gebrachte Frage, und namentlich 
darüber vermissen, ob die anfangslose Bewegung der Atome 
eine natürliche sei oder eine gewaltsame?); gesetzt auch er 
hätte in dem Zusammenhang ihrer Lehre Anhaltspunkte finden 
können, um sich für das eine oder das andere zu entscheiden?). 
Nennt er selbst doch anderswo*) ausdrücklich die Ungleich- 
heit der Atome, d. h. die Ungleichheit ihrer Grösse und Ge- 
stalt, als den Grund ihrer Bewegung, und diese selbst be- 


zeichnet er als einen Fall, infolge dessen sie sich in einander 


aristotelischen Stellen unvereinbar, so müsste diess jede andere gleichsehr 
sein, 

1) Metaph. XII, 6 werden Leucippus und Plato unmittelbar zusammen- 
gestellt, De ccelo III, 2 zuerst 300 b 8 Leucipp und Demokrit genannt, und 
dann Z. 16 fortgefahren: ταὐτὸ δὲ τοῦτο συμβαίνειν avayxaiov xav εἰ, 
χαϑάπερ ἐν τῷ Τιμαίῳ γέγραπται... ἐχινεῖτο τὰ στοιχεῖα ἀτάχτως. 

2) Dass Arist. bei seinem Tadel zunächst (wenn auch vielleicht nicht 
ausschliesslich) diesen Punkt im Auge hat, sieht man daraus, dass er in 
beiden Stellen an denselben Bemerkungen hierüber unmittelbar anknüpft: 
Met. 1071 Ὁ 34: οὐδὲν γὰρ ὡς ἔτυχε χινεῖται, ἀλλὰ δεῖ τε ἀεὶ ὑπάρχειν 
ὥσπερ νῦν, φύσεε μὲν ὡδὶ, βίᾳ δὲ ἢ ὑπὸ νοῦ ἢ ἄλλου ὡδί. De calo 800 
b 8 ff.: Leucipp und Demokrit hätten zu sagen, welches die Bewegung der 
πρῶτα σώματα ἐν τῷ χενῷ ist, χαὶ τίς ἡ χατὰ φύσεν αὐτὼν κίνησις. εἰ 
γὰρ ἄλλο ὑπ᾽ ἄλλου χεινεῖταε βίᾳ τῶν στοιχείων, ἀλλὰ χαὶ χατὰ φύσιν 
ἀνάγχη τινὰ εἶναι χίνησιν &xaotov u. 8. w. Ebenso Z. 18 gegen Plato: 
avayın γὰρ ἢ βίαιον εἶναι τὴν χίνησιν ἢ χατὰ φύσιν u. 8, f. 

9) Wie wenig man Aristoteles mit dieser Vermuthung zu nahe treten 
würde, erhellt schon aus dem Umstand, dass er Metaph. XII, 6 auch Plato 
vorwirft, er sage nicht, welches die ewige Bewegung sei; während sie dieser 
doch im Timäus auf’s bestimmteste als eine ungeordnete räumliche Bewegung 
und qualitative Veränderung beschrieben hatte (vgl. Th. II a, 728 8). Wenn 
daher Arist. Demokrit und Leucippus den gleichen Vorwurf macht, so be- 
handelt er sie auch dann, wenn sie den Fall für die Urbewegung der Atome 
hielten, nicht anders als Plato. Ein ähnliches Beispiel bietet die 8. 636 m. 
besprochene Aeusserung über Heraklit. 

4) Fr. 208 Ὁ. Sımrr. De calo 133 a 18, wo er nach dem 8. 851, 1 
angeführten fortfährt: στασιάζειν δὲ χαὶ φέρεσθαι ἐν τῷ χενῷ διά τετὴν 
ἀνομοιότητα χαὶ τὰς ἄλλας τὰς εἰρημένας διαφορὰς (genannt waren 
aber nur die der Gestalt und Grösse), φερομένας δὲ ἐμπέπτειν καὶ περι- 
πλέχεσϑαι- 


886 Atomistik. [792. 793) 


verwickeln. Die so eben besprochenen Aussagen des Aristo- 
teles und Theophrast geben daher keinen Grund, daran zu 
zweifeln, dass schon die alten Atomisten ebenso, wie später 
Epikur, für die ursprüngliche Bewegung der Atome die Fall- 
bewegung hielten, von der sie annahmen, dass dieselbe mit 
Nothwendigkeit eintrete, wenn sich Körper im Leeren be- 
finden. Das Bedenken aber, dass im unendlichen Raume kein 
Oben und |; Unten, und somit auch keine Bewegung nach unten 
möglich ist!), scheint sich ihnen noch nicht aufgedrängt zu 


haben ?). | 
An und für sich würden nun die Atome in ihrer Be- 


wegung alle die gleiche Richtung verfolgen. Da sie aber un- 
gleich an Grösse und Gewicht sind, so fallen sie, wie die 


1) Hierüber vgl. m., was Th. I b, 287 aus Aristoteles angeführt ist. 

2) Erıkur b. Dıoc. X, 60 vertheidigt zwar die Annahme, dass es auch 
im unendlichen Raum eine nach oben oder nach unten gehende Bewegung 
geben könne, mit der Bemerkung: wenn in diesem auch allerdings kein 
absolutes Oben und Unten (kein ἀνωτάτω und χατωτάτω) möglich sei, 80 
sei doch immer eine Bewegung in der Richtung von unserem Kopf gegen 
unsere Füsse einer solchen entgegengesetzt, deren Richtung von unseren 
Füssen gegen unsern Kopf gehe, möge man auch die Linien beider in’s un- 
endliche verlängern. Lance Gesch. d. Mat. I, 130 zollt dieser Auskunft 
seinen Beifall und glaubt sie auf Demokrit zurückführen zu dürfen. Allein 
dieser Philosoph sagte ja nicht blos, die Atome bewegen sich thatsäch- 
lich in der Richtung, welche wir als die von oben nach unten bezeichnen, 
sondern er behauptete, sie müssen sich in dieser Richtung bewegen, er 
fand den Grund ihrer Bewegung in ihrer Schwere, und er konnte nur auf 
diesen Grund hin über die Richtung derselben überhaupt etwas bestimmen, 
da wir ja nicht das geriugste von ihr wahrnehmen. Werden aber die Atome 
durch ihre Schwere nach unten geführt, so ist dieses Unten nicht blos der- 
jenige Ort, welcher uns, vermöge unserer Stellung auf der Erde, als der 
untere erscheint, sondern derjenige, welcher für jedes Atom, an welcher 
Stelle des endlosen Raumes es sich befinden mag, der untere ist, das Ziel 
seiner natürlichen Bewegung. Ein Unten in diesem Sinn kann es aber im 
unendlichen Raume nicht geben. Wenn ein Epikur diess übersah, und die 
ihm überlieferte Lehre vom Fall der Atome durch eine mit ihren ursprüng- 
lichen Voraussetzungen so wenig übereinstimmende Auskunft gegen die ari- 
stotelischen Einwendungen zu schützen suchte, so kann uns diess bei ihm 
nicht überraschen. Dass aber auch ein Naturforscher wie Demokrit diesen 
Widerspruch nicht. bemerkt hätte, ist nicht glaublich, sondern es ist ungleich 
wahrscheinlicher, dass er und Leucippus den Fall der Körper im Leeren für 
selbstverständlich ansahen, ohne zu beachten, dass eine natürliche Bewegung 
nach unten im unbegrenzten Raum unmöglich ist. 


[198. 794] Zusammenstoss der Atome; Wirbelbewegung. 887 


Atomiker glauben, mit ungleicher Geschwindigkeit, sie treffen 
daher an einzelnen Stellen des unendlichen Raumes auf ein- 
ander, sie erhalten von einander Änstösse, die nach den ver- 
schiedensten Richtungen wirken), | verwickeln sich in ein- 
ander und prallen von einander ab, und aus allem diesem er- 
zeugt sich eine Kreis- oder Wirbelbewegung, von der sofort 
alle Theile der betreffenden Atomenmasse ergriffen werden 3). 


1) Diese Stösse nannte Demokrit πληγὴ (playa), vgl. 8. 875, 2. 880, 4; 
für die Bewegung der Atome, die nach oben gedrängt werden, sagte er σοῦς 
(Arıst. De ceelo IV, 6. 318 b 4). 

2) Dass die ungleiche Fallgeschwindigkeit der Atome ihren Zusammen- 
stoss herbeiführen sollte, wurde schon 8. 877 f. nachgewiesen; das weitere 
geben zwei aus Theophrast geflossene Schilderungen: Dıos. IX, 31 (über 
Leuecippus): ylveodas δὲ τυὺς κίσμους οὕτω" φέρεσθαι χατ΄ ἀποτομὴν 
ἐχ τῆς [τοῦ] ἀπείρου (derselbe Ausdruck bei Epikur Dioe. X, 88) πολλὰ 
σώματα παντοῖα τοὶς σχήμασιν εἰς μέγα χενὸν, ἅπερ ἀϑροισϑέντα δίνην 
ἀπεργάζεσϑαε μέαν, χαϑ᾽ ἣν προςχρούοντα χαὶ παντοδαπὼς κυχλούμενα 
ϑιακρένεσϑαι χωρὶς τὰ ὅμοια πρὸς τὰ ὅμοια. ἰσυῤῥόπων δὲ διὰ τὸ πλῆ- 
ϑος μηχέτε δυναμένων περιφέρεσϑαε, τὰ μὲν λεπτὰ χωρεῖν εἰς τὸ ἔξω κενὸν, 
ὥσπερ διαττόμενα, τὰ δὲ λοιπὰ συμμένειν καὶ περιπλεχόμενα συγχατα- 
τρέχειν ἀλλήλοις χαὶ ποιεῖν πρῶτον τε σύστημα σφαιροειδές. Hırror. I, 12 
(äber Denselben): χόσμους δὲ (add. οὕτω oder wdi) γένεσϑαι λέγεε" ὅταν 
εἰς μετάχοινον [μέγα κενὸν] ἐχ τοῦ περιέχοντος ἀϑροισϑῇ πολλὰ σώματα 
za) συῤῥδυῇ, προςχρούοντα ἀλλήλοις συμπλέχεσϑαε τὰ ὁμοιοσχήμονα καὶ 
παραπλήσια τὰς μορφὰς, καὶ περιπλεχϑέντων εἰς ἕτερα γίνεσθαι. (Statt 
εἰς ἔτ. schlägt DıeLs Doxogr. 565, 2 ἀστέρας vor; mir scheint ἕν σίστημα 
sowohl dem Zusammenhang als der Parallelstelle bei Diog. besser zu ent- 
sprechen.) Sısurr. De οϊο 109 ἢ 41 (Schol. 484 a 23) ff.: Demokrit, Leu- 
eipp und später Epikur nahmen an: τὰς ἀτόμους ἐν τῷ ἀπείρῳ χενῷ an’ 
ἀλλήλων χεχωρισμέγας καὶ διαφερούσας σχήματι καὶ μεγέϑεε καὶ ϑέσεε καὶ 
τάξει φέρεσθαι ἐν τῷ χενῷ χαὶ ἐπιλαμβανούσας ἀλλήλας (einander ein- 
holend, was eine Bewegung in der gleichen Richtung voraussetzt) συγχρούεσ- 
ϑαι, xal τὰς μὲν ἀποπάλλεσϑαε ὅποι ἄν τύχωσι, τὰς δὲ περιπλέχεσϑαι 
χατὰ τὴν τῶν μεγεϑῶν καὶ σχημάτων xal ϑέσεων χαὶ τάξεων συμμετρίαν, 
χαὶ ταύτῃ συμβαίνειν τὴν τῶν συνδϑέτων γένεσιν τελειοῦσϑαι. Die Treue 
dieser Darstellungen bestätigt Erıkur, der unverkennbar den gleichen Ab- 
schnitt des leucippischen (oder wie er meint demokritischen) Ζιάχοσμος, wie 
Theophrast, vor sich hat, wenn er b. Dıoa. X, 89 f. sagt: es könne eine 
Welt entstehen, ἐν πολυχένῳ τόπῳ χαὶ οὐχ ἐν μεγάλῳ ellixgiwei καὶ 
κενῷ (wofür ich μέγ. χαὶ εἰλ. κενῷ vorschlagen möchte) χαϑάπερ τενές 
φασιν, ἐπιτηδείων τινὼν σπερμάτων ῥυέντων . .. οὗ γὰρ ἀϑροισμὸν 
δεῖ μόνον γενέσϑαι οὐδὲ δῖνον ἐν ᾧ ἐνδέχεται χόσμον γίνεσθαι 
χενρῷ, χατὰ τὸ δοξαζόμενον ἐξ ἀνάγχης, αὔξεσϑαί Te ἕως ἑτέρῳ 
προςχρούση, χαϑάπερ τῶν φυσιχὼν χαλουμένων φησί τις. Auf den 
gleichen Vorgang bezieht sich (nach dem von ὈΙΕῚΒ festgestellten Texte) 


888 Atomistik. [194. 795. 796] 


Eine genauere Beschreibung dieser Vorgänge scheint sich aber 
weder bei Demokrit noch bei Leucippus gefunden zu haben; 
die uns erhaltenen Berichte darüber setzen uns wenigstens 
nicht in den Stand, uns ein vollkommen genügendes Bild von 
ihnen zu machen!), | 

Durch diese Bewegung der Atome wird nun einestheils 
das gleichartige zusammengeführt; denn was an Schwere und 
Gestalt gleich ist, wird ebendesshalb an die gleichen Orte 
sinken | oder getrieben werden 2). Anderntheils müssen sich 


ohne Zweifel auch SımrL. Phys. 327, 24: ΖΔημόχρ. ἐν ois φησι, „deivor 
(= divor) ἀπὸ τοῦ παντὸς ἀποχριϑῆναε παντοίων εἰδέων“. AUGUSTIN’S 
Behauptung epist. 118, 28: inesse concursioni alomorum vim quandam anımalem 
et spirabilem, führt Krıscae Forsch. I, 161 mit Recht auf ein Missverständ- 
niss von Cıc. Tuse. I, 18, 42 zurück. 

1) Dadurch, dass Atome von verschiedener Gestalt und Grösse in den 
gleichen Raum einströmen, wird zunächst, wie wir gesehen haben, ein Zu- 
sammenstoss derselben herbeigeführt. Die nächste Folge dieses Zusammen- 
stosses ist nun den Berichten zufolge eine doppelte: die Atome verwickeln 
sich theils mit einander, theils werden sie durch seitliche Anstösse (πληγαὶ 
s. 0. 887, 1) und durch Abprallen (παλμὸς oder besser: ἀποπαλμὸς plac. I, 
28, 3. 12, 5 vgl. Smer., vor. Anm. Usernxer Epic. I, 199, 280) von ihrer 
senkrechten Fallinie abgelenkt. Bei der ausserordentlichen Verschieden- 
heit der Atome muss die Richtung wie die Stärke und Tragweite dieser 
Bewegungen die grösste Mannigfaltigkeit zeigen, und durch ihre zahl- 
losen Kreuzungen müssen dann natürlich immer neue Zusammenstösse und 
Verwicklungen hervorgerufen werden. Durch die letzteren ist nun die Ent- 
stehung einer Bewegung bedingt, welche dem ganzen Atomenaggregat ge- 
meinsam zukommt; denn so lange die Atome nicht mechanisch mit einander 
verbunden sind, bewegt sich jedes für sich in seiner eigenen Bahn, wie sehr 
es auch dabei von den andern durch Stoss und Druck beeinflusst werden 
mag. Vgl. S. 889, 1. Wie es aber kommt, dass sich aus den unregel- 
mässigen und nach den verschiedensten Richtungen gehenden Bewegungen 
der einzelnen Atome eine Wirbelbewegung der ganzen Masse herstellt, sagt 
uns keiner von unsern Berichten. Die Drehungsachse dieses Wirbels wer- 
den wir uns mit der der Welt, die durch ihn gebildet und von ihm herum- 
geführt wird, identisch, also von oben nach unten gehend, die Drehung als 
eine seitliche zu denken haben. Die Atomenmasse, welche von diesem 
Wirbel ergriffen wird, bildet den Stoff der künftigen Welt; sie selbst aber 
kann nicht schon (mit Laxee Gesch. d. Mater. I, 130, 22) als Welt be- 
trachtet werden, und .desshalb spricht auch Epikur a. a. O. nur von dem 
δῖνος ἐν ᾧ ἐνδέχεται χόπσμον γένεσϑαι χενῷ. 

2) Man vgl. die Stellen, welche S. 887, 2 angeführt wurden. Pemokrit 
selbst in dem Bruchstück bei Sexr. Math. VII, 116 fi. bemerkt, es sei ein 
allgemeines Gesetz, dass sich gleiches zu gleichem geselle: zul γὰρ ζῷα, 


[196] Weltbildung. 889 


aber, wenn die verschiedengestalteten Körperchen durch ein- 
andergeschüttelt werden, viele von ihnen an einander an- 
hängen und in einander verwickeln, einander umschliessen 
und in ihrem Lauf aufhalten!), so dass auch wohl einzelne 
an einem Ort | festgehalten werden, der ihrer Natur an sich 


φησιν, ὁμογενέσε ζῴοισι ξυναγελάζεται, ὡς περεστεραὶ περιστερῆσι καὶ γέρανοι 
γεράνοισε χαὶ ἐπὶ τῶν ἄλλων ἀλόγων. Dass er aber den Grund davon nicht 
etwa in einem den Urstoffen inwohnenden Streben, sondern in der mecha- 
nischen Bewegung, der Grösse und der Gestalt der Atome sucht, zeigt das 
weitere: ὡρφραύτως δὲ χαὶ περὶ τῶν ἀψύχων, κατάώπερ ὁρὴν πάρεστι ἐπί τε 
τῶν χοσχινευομένων σπερμάτων χαὶ ἐπὶ τῶν παρὰ τῆσι χυματωγῆῇσι ψη- 
φέδϑων" ὄχου μὲν γὰρ χατὰ τὸν τοῦ χοσχένου δῖνον δεαχριτιχῶς φαχοὶ μετὰ 
φαχῶν τάσσονται καὶ χρεϑαὶ μετὰ χρεϑέων χαὶ πυροὶ μετὰ πυρῶν, ὅχου 
δὲ κατὰ τὴν τοῦ χύματος χίνησιν αἱ μὲν ἐπεμήχεες ψηφῖδες εἰς τὸν αὐτὸν 
᾿τόπον τῆσι ἐπιμήχεσι ὠϑέονται, αἱ δὲ περιφερέες τῇσι περιφερέσι. (Das 
weitere scheint eigener Zusatz des Sextus.) Plac. IV, 19, 8: “ημόχρ. καὶ 
τὸν ἀέρα φησὶν εἰς ὁμοεοσχήμονα ϑρύπτεσϑαι σώματα καὶ συγχαλινδεῖσϑαε 
τοὶς ἐχ τῆς φωνῆς ϑραύσμασι. Das weitere grossentheils wörtlich wie bei 
Sextus. Sımrr. Phys. 28, 19 (nach Theophrast): πεφυχέναε γὰρ τὸ ὅμοιον 
ὑπὸ τοῦ ὁμοίου χενεῖσϑαι χαὶ φέρεσϑαε τὰ συγγενῆ πρὸς ἄλληλα. Vgl. 
Arsx. qu. nat. II, 28. 8. 137 Sp.: ὁ Anuöxgstos τε χαὶ αὐτὸς ἀποῤῥοίας 
τε ylvsodaı τίϑεται χαὶ τὰ ὅμοια φέρεσϑαι πρὸς τὰ ὅμοια" ἀλλὰ xal eis 
τὸ χοινὸν [l. χενὸν)] πάντα φέρεσϑαι. 

1) Arıst. De calo IH, 4 (oben 848, 2). gen. et corr. I, 8 (847, 1): 
za) συντιϑέμενα δὲ χαὶ περιπλεχόμενα γεννᾷν (von PHiLor. z. ἃ. St. 36 a 
u. wiederholt). Hıpror. 8. 8. 887, 2. Garen 8. 8. 868, 2. Strato b. Cıc. 
Acad. Π, 38, 121. Arısr. ἢ. Smrr. De calo 188 a 19 (8. o. 885, 4): pego- 
μέγας δὲ [τὰς ἀτόμους ἐμπίπτειν καὶ περειπλέχεσϑαι περιπλοχὴν τοιαύτην 
ἢ συμψαύειν μὲν αὐτὰ xal πλησίον εἶναι ποιεῖ, φύσιν μέντοι μίαν ἐξ 
ἐχείνων οὐδ᾽ ἡντιναοῦν γεννᾷ ... τοῦ δὲ συμμένειν τὰς οὐσίας μετ᾽ 
ἀλλήλων μέχρε τινὸς αἰτιᾶται τὰς ἐπαλλαγὰς καὶ τὰς ἀντιλήψεις τῶν 
σωμάτων. τὰ μὲν γὰρ αὐτῶν εἶναι σχαληνά, τὰ δὲ ἀγχιστρώδη (vgl. 
Β. 856, 2. 892, 8) τὰ δὲ ἄλλας ἀναρίϑμους ἔχοντα διαφοράς. ἐπὶ τοσοῦ- 
τον οὖν χρόνον σφῶν» αὐτῶν ἀντέχεσθαι νομίζεε καὶ συμμένειν, ἕως ἰσχυ- 
ροτέρα τις ἐχ τοῦ περιέχοντος ἀνάγχη παραγενομένη χαὶ διασείσῃ χαὶ 
χωρὶς αὐτὰς διασπείρῃ. Sımer. ebd. 271 b 2 (Schol. 514 a 6): ταύτας δὲ 
[τὰς ἀτόμους) μόνας ἔλεγον (Leucipp und Demokrit) συνεχεῖς" τὰ γὰρ ἄλλα 
τὰ δοχοῦντα συνεχῆ ἁφῇ προςεγγίζειν ἀλλήλοις. διὸ χαὶ τὴν τομὴν ἀνῃ- 
ρουν, ἀπόλυσιν τῶν ἁπτομένων λέγοντες τὴν δοχοῦσαν τομήν" καὶ διὰ 
τοῦτο οὐδ᾽ ἐξ ἑνὸς πολλὰ γίνεσϑαι ἔλεγον... οὔτε ἐκ πολλῶν ἕν κατ᾽ 
ἀλήϑειαν συνεχὲς, ἀλλὰ τῇ συμπλοχῇ τῶν ἀτόμων ἕχαστον ἕν δοχεῖν yl- 
γεσϑαι. τὴν δὲ συμπλοχὴν ᾿Αβϑδηρῖταε ἐπάλλαξιν ἐχάλου» ὥσπερ “ημό- 
χριτος. (Auch von unseren Handschriften lesen einige bei Aristoteles De 
coelo III, 4 statt περιπλέξεε , ἐπαλλάξει".) 


890 Atomistik. [797] 


nicht gemäss ist!), und es bilden sich so aus der Verbindung 
von Atomen zusammengesetzte Körper. Die aus gleichartigen 
Atomen bestehenden Aggregate halten sich in dem Wirbel, 
der sie herumführt, erst im Gleichgewicht?); wie ihre Masse 
sich vergrössert, wird dieses gestört, es entsteht ein Gedränge, 
die feinsten Atome werden in’s Leere hinausgedrückt, die 
übrigen schliessen sich zu einem kugelförmigen Ganzen zu- 
sammen). 

Der Welten, welche so entstanden, sind es nach der Lehre 
unserer Philosophen unzählige, denn bei der unendlichen 
Menge der Atome und der Grenzenlosigkeit des Raumes werden 
sich an den verschiedensten Orten Atome zusammenfinden. Da 
diese ferner unendlich verschieden an Grösse und Gestalt sind, 
so werden die aus ihnen gebildeten Welten die grösste Mannig- 
faltigkeit zeigen, doch mag es auch vorkommen, dass einige 
derselben einander vollkommen gleichen. Wie endlich die 
einzelnen Welten entstanden sind, so sind sie auch der Zu- 
und Abnahme und schliesslich dem Untergang unterworfen: 
sie vergrössern sich, so lange sich weitere Stoffe von aussen- 
her mit ihnen vereinigen, sie nehmen ab, wenn das umge- 
kehrte der Fall ist, und sie gehen zu Grunde, wenn zwei 
von ihnen zusammenstossen, und hiebei die kleinere von 
der grösseren zerträmmert wird 4): | ebenso unterliegen sie 


1) So erklärte Demokrit nach Arıst. De cwlo IV, 6. 313 a 21 (vgl. 
Sımer. z. ἃ. St. 322 b 21. Schol. 518 a 1) die Erscheinung, dass flache 
Körper aus einem Stoff, der specifisch schwerer ist, als das Wasser, dennoch 
auf dem Wasser schwimmen, daraus, dass die aus dem Wasser aufsteigen- 
den warmen Stoffe sie nicht sinken lassen, und in ähnlicher Weise dachte 
er sich (ebd. II, 13. 294 b 13) die Erde als flache Platte von der Luft ge- 
tragen; er nahm also an, dass durch den Umschwung das leichtere auclı 
wohl an einen tieferen, das schwerere an einen höheren Ort geführt werde. 

2) Womit wohl gemeint ist, dass sie ihre eigenen Orte und Bahnen 
haben, ohne von einander gestört zu werden. 

3) Dıoc. IX, 31 5. o. 887, 2, wobei im einzelnen allerdings noclı 
manches unklar bleibt. 

4) Schon Prarto hat olıne Zweifel die Atomistik im Auge, wenn er 
Tim. 55 C sagt: τὸ anelpuus χόσμους λέγειν wäre ὄντως ἀπείρου τινὸς 
δόγμα. Ebenso Arıst. Phys. ΠῚ, 1. 250 b 18: 500: μὲν ἀπείρους τε 
χόσμους εἶναί φασι καὶ τοὺς μὲν γίγνεσθαι τοὺς δὲ φϑείρεσϑαε τῶν x00- 
μων, ἀεί φασιν εἶναι γένεσιν, denn die Worte τοὺς μὲν γέγν. u. 8. f. lassen 


[198] Weltbildung. 8091 


sich (wie unter anderen die Vergleichung von De calo I, 10. 280 a 19. 26 
zeigt) nur von neben einander bestehenden Welten, wie die der Atomiker, 
nicht von den auf einander folgenden des Anaximander und Heraklit ver- 
stehen. Auf sie werden wir daher auch die Widerlegung der Meinung, dass 
es mehrere Welten geben könne, De calo I, 8 zu beziehen haben; wie denn 
auch 276 a 30 (vgl. m. 275 b 31) 277 b 1 auf sie weist. Bestimmteres 
geben die Späteren: Sımpr. Phys. 257 Ὁ m: οὗ μὲν γὰρ ἀπείρους τῷ πλή- 
FE τοὺς χόσμους ὑποθέμενοι, ὡς ol περὶ ᾿ἀναξίμανδρον (dass diess ein 
Missverständniss ist, wurde schon 8. 229 ff. nachgewiesen) χαὶ “εύχιππον 
za) Anuözgırov, . .. γιτομέγους αὐτοὺς χαὶ φϑειρομένους ὑπέϑεντο ἐπ᾿ 
ἄπειρον, ἄλλων μὲν ἀεὶ γινομένων, ἄλλων δὲ φϑεειρομένων. Ders. De 
coelo 91 b 36. 189 b 5. Schol. in Ar. 480 a 38. 489 b 13. Cıc. Acad. IL 
17, 55: ais Demooritum dioere, innumerabiles esse mundos, et quidem sic quosdam 
inter se non solum similes, sed undique perfecte et absolute ıta pares, εἰ inter 008 
nihil prorsus intersit, [et eos quidem innumerabiles,] itemque homines. Dıioc. IX, 
31 von Leueippus: χαὶ orosyeia φησι, χόσμους τ᾽ ἐχ τούτων ἀπείρους εἶναι 
χαὶ δειαλύεσϑαε εἰς ταῦτα. Ebd. 88 5. ο. 869, 4 Ebd. 44 von Demokrit: 
ἀπείρους τ᾽ εἶναε χόσμους χαὶ γεννητοὺς καὶ φϑαρτούς. Hırror. I, 18: 
ἀπείρους δὲ εἶναι κόσμους (ἔλεγεν ὁ Anuöxg.) χαὶ μεγέϑεε διαφέροντας, 
ἔν τισε δὲ μὴ εἶναε ἥλιον μηδὲ σελήνην, ἔν τισε δὲ μείζω [---ουὐς] τῶν 
παρ᾽ ἡμῖν καὶ ἔν τισε πλείω [—ovs). εἶναι δὲ τῶν χόσμων ἄνισα τὰ δια- 
στήματα, καὶ τῇ μὲν πλείους τῇ δὲ ἐλάττους, χαὶ τοὺς μὲν αὔξεσϑαι τοὺς 
δὲ ἀχμάζειν τοὺς δὲ φϑίνειν, καὶ τῇ μὲν ylvsodaı τῇ δὲ λείπειν, φϑεέρεσ- 
ϑαει δὲ αὐτοὺς ὑπ᾽ ἀλλήλων προςπέπτοντας. εἶναε δὲ ἐνίους χόσμους 
ἐρήμους ζῴων χαὶ φυτῶν καὶ παντὸς ὑγροῦ... ἀχμάζεεν δὲ κόσμον ἕως 
ἄν μηχέτε δύνηται ἔξωϑέν τι προςλαμβάνεειν. Sros. Ekl. I, 418 (Aötius): 
“ημόχριτος φϑείρεσϑαν τὸν χόσμον τοῦ μείζονος τὸν μεχρότερον νιχῶντος. 
* Dass in Beziehung auf den Untergang der Welten Demokrit von Leucippus 
abweiche, indem jener denselben nur gewaltsam, durch Zusammenstoss, dieser 
ihn durch allmäbliche Abnahme erfolgen lasse (Brıxser 27), kann ich nicht 
finden. Die φϑέσεις der Welten werden ja Demokrit von Hippol. ebenso 
beigelegt, wie Leueippus von Diog., die φϑοραὶ diesem wie jenem, nur dass 
nicht angegeben wird, wie sie nach Leucippus erfolgen sollen; es steht aber 
durchaus nichts der Annahme im Wege, beide Philosophen denken sich die 
Sache so, dass die Welten zwar mit der Zeit einer allmählichen Abnahme 
unterliegen, ihr Untergang dagegen immer (nach Hippol. und Aöt.) die Folge 
eines Zusammenstosses ist, der ihnen natürlich um so verderblicher werden 
muss, je mehr sie schon durch φϑέσες geschwächt sind, und auch Epikur, 
welcher sich b. Dıoa. X, 90 gegen diese (von ihm nicht ganz genau wieder- 
gegebene) Vorstellung verwahrt, kenne sie sowohl aus dem (leucippischen) 
grossen, als aus dem (demokritischen) kleinen Diakosmos. Dass Hippolytus 
mit seiner Angabe über das φϑίνεεν der Welten Demokrit leucippisches 
oder epikurisches unterschiebe, ist mir bei der theophrastischen Abkunft 
seines Berichts sehr unwahrscheinlich. 


892 Atomistik. (798. 799] 


in ihrem inneren Zustand einer fortwährenden Verände- 
rung!). 

Der nähere Hergang bei der Entstehung unserer Welt 
wird folgendermassen beschrieben?). Nachdem sich in der 
oben angegebenen Weise eine Atomenmasse ausgeschieden 
hatte und in Drehung versetzt war, bildete sich um dieselbe 
eine Art Haut?). Diese Umhüllung verdünnte sich nach und 
nach, indem Theile derselben durch die Bewegung mehr und 
mehr in die Mitte geführt wurden, während andererseits | die 
Masse der sich bildenden Welt durch weitere zu ihr hin- 
zutretende Atome sich fortwährend vergrösserte.e Aus den 
Stoffen, welche sich in der Mitte niedergeschlagen hatten, 
bildete sich die Erde, aus denen, die aufwärts stiegen, der 
Himmel, das Feuer und die Luft‘). Von den Atomen, welche 
vom Umkreis der Welt bei seinem Umschwung ergriffen und 


1) Vgl. S. 893, 3. 

2) Dıoc. IX, 32, nach dem, was S. 887, 2 angeführt wurde: τοῦτο 
(das πρῶτον σύστημα σφαεροειδὲς) δ᾽ οἷον ὑμένα ὑφέστασϑαι, περεέχοντ᾽ 
ἐν ἑαυτῷ παντοῖα σώματα" ὧν κατὰ τὴν τοῦ μέσου ἀντέρεισιν περεδενου- 
μένων λεπτὸν ylveodaı τὸν πέριξ ὑμένα, συῤῥεόντων ἀεὶ τῶν συνεχῶν 
κατ᾽ ἐπίψαυσιν τῆς δίνης" (und indem diese im Wirbel kreisten, während 
das in der Mitte befindliche sich ihnen entgegenstemmte, haben die diesem 
zunächst liegenden, wenn sie sich bei der Drehung mit ihm berührten, sich 
ihm angeschlossen, und dadurch sei die Haut, welche das Ganze umgab, 
immer dünner geworden) χαὶ oürw μὲν γενέσθαι τὴν γῆν) συμμενόντων 
τῶν ἐνεχϑέντων ἐπὶ τὸ μέσον. αὐτὸν re πάλεν τὸν περιέχοντα οἷον ὑμένα 
αὔξεσϑαι χατὰ τὴν ἐπέχρυσεν (wofür mit BRiEGER 8. 22 ἐπέῤῥδυσεν oder auch 
ἐπείςρυσιν zu setzen sein mag) τῶν ἔξωϑεν σωμάτων᾽ ϑίγῃ TE φερόμενον 
αὐτὸν ὧν ἂν ἐπεψαύσῃ ταῦτα ἐπικτᾶσϑαι. τούτων δέ τινα συμπλεχόμενα 
ποιεῖν σύστημα τὸ μὲν πρῶτον χάϑυγρον καὶ πηλῶδες, ξηρανϑέντα [δὲ] 
καὶ περιφερόμενα σὺν τῇ τοῦ ὅλου δένῃ εἶτ᾽ ἐχπυρωϑέντα. τὴν τῶν ἀστέ- 
ρων ἀἁποτελέσαε φύσιν. 

3) Diesen Zug hat auch ὅτοβ. Ekl. I, 490, der noch beifügt, dieser 
χιτὼν χαὶ ὑμὴν sei aus hakenförmigen Atomen gebildet. Wie er zu Stande 
kam, wird nicht berichtet; aber nach dem S. 887, 2 aus Diogenes ange- 
führten wird die Meinung wohl die sein, dass durch den Druck der wirbeln- 
den Atomenmasse neben denjenigen kleinen Atomen, denen ihre Gestalt in's 
Leere zu entweichen erlaubte, auch solche nach dem Umkreis hingedrängt 
worden seien, die trotz ihrer Kleinheit und Leichtigkeit nicht entweichen 
konnten, weil sie sich in Folge ihrer Gestalt an einander hängten. 

4) Mit Beziehung hierauf wird bei Prur. fac. lun. 15, 3. S. 928 dem 
Demokriteer Metrodor vorgeworfen, er lasse die Erde durch ihre Schwere 
δι ihren Ort sinken, die Sonne dagegen wegen ihrer Leichtigkeit wie einen 


[199. 800] Weltbildung. 893 


in dieselbe hereingezogen wurden, ballte sich ein Theil zu 
dichteren Massen zusammen, die anfangs in feuchtem und 
schlammartigem Zustand waren; da jedoch die Luft, welche 
sie mit sich herumführte, durch die aufwärts steigenden Massen 
gedrängt und in stürmische Wirbelbewegung versetzt ward, 
so trockneten sie allmählich aus und entzündeten sich durch 
die schnelle Bewegung, und so entstanden die Gestirne?). In 
ähnlicher Weise wurden aus dem Erdkörper durch den An- 
drang der Winde und die Einwirkung der Gestirne die klei- 
neren Theile herausgedrückt, die nun als Wasser in den Ver- 
tiefungen zusammenrannen, und die Erde wurde so zu einer 
festen Masse verdichtet?), ein Vorgang, der sich nach Demo- 
krit's Arnahme immer noch fortsetzt®). In Folge ihrer zu- 
nehmenden Masse und Dichtigkeit | nahm sie ihre feste Stelle 
in der Mitte der Welt ein, während sie anfangs, als sie noch 
klein und leicht war, sich hin und her bewegt hatte). 


Schlauch in die Höhe gedrängt werden, und die Sterne wie eine Wagschale 


sich bewegen. 

1) M. 8. hierüber ausser dem eben angeführten und 8. 895, 2 Hırror. 
I, 13: τοῦ δὲ παρ᾽ ἡμῖν κόσμου πρότερον τὴν γῆν τῶν ἄστρων γενέσϑαι. 
Dioc. IX, 80: τούς re χόσμους γίνεσϑαι σωμάτων εἰς τὸ χενὸν ἐμπιπτόν- 
τῶν καὶ ἀλλήλοις περιπλεχομένων᾽ ἔχ Te τῆς χινήσεως χατὰ τὴν αὔξησιν 
αὐτῶν γίνεσϑαι τὴν τῶν ἀστέρων φύσιν. Ebd. 88: χαὶ πάντα μὲν τὰ 
ἄστρα διὰ τὸ τάχος τῆς φορᾶς, τὸν δ᾽ ἥλιον ὑπὸ τῶν ἀστέρων ἐχπυροῦσ- 
ϑαι, τὴν δὲ σελήνην τοῦ πυρὸς ὀλίγον μεταλαμβάνειν. ΤἸΉΚΟΡ. cur. gr. 
aff. IV, 17. 8. 59: Demokrit halte die Gestirne, wie Anaxagoras, für Stein- 
massen, die sich durch den Umschwung des Himmels entzündet haben. Bei 
den ἀστέρες Diog. 32 werden aber Sonne und Mond nicht mitgezählt, vgl. 
8. 895. 

2) Plac. I, 4: πολλῆς δὲ ὕλης Erı περεεελημμένης ὃν τῇ γῆ, πυχνου- 
μένης τὲ ταύτης χατὰ τὰς ἀπὸ τῶν πνευμάτων πληγὰς καὶ τὰς ἀπὸ τῶν 
ἀστέρων αὔρας (Sonnenwärme und ähnliches), προςεϑλίβετο πᾶς ὃ μιεχρο- 
μερὴς σχηματισμὸς ταύτης καὶ τὴν ὑγρὰν φύσιν ἐγέννα" δευστιχῶς δὲ 
αὕτη διαχειμένη χατεφέρετο πρὸς τοὺς χοίλους τόπους καὶ δυναμένους 
χωρῆσαί τε καὶ στέξαι ἢ χαϑ' αὑτὸ τὸ ὕδωρ ὑποστὰν ἐχοίλανε τοὺς ὑπο- 
χειμένους τόπους. Dass diese Darstellung, wenn auch zunächst epikureisch, 
doch in letzter Beziehung aus Demokrit stammt, ist theils an sich, theils 
wegen der sogleich anzuführenden Bestimmungen wahrscheinlich. 

3) Nach Arıst. Meteor. II, 3. 356 b 9. Aızx.z. ἃ. St. 95 am.bo. 
OırvurıoD. z. ἃ. St. 1, 278 ἢ. Id. nahm er an, das Meer werde mit der Zeit 
durch Verdünstung austrocknen. 

4) Plac. II, 13, 4: xar ἀρχὰς μὲν πλάζεσϑαε τὴν γὴν φησιν ὁ Ay- 


804 Atomistik. [800] 


Die Vorstellungen der Atomiker über unser Weltgebäude 
stehen demnach der gewöhnlichen Meinung ziemlich nahe. 
Von einer Schichte festverbundener Atome kugelförmig um- 
schlossen schwebt es in dem unendlichen Leeren'!); seine 
Mitte bildet die Erde, der Raum zwischen der Mitte und der 
festen Umhüllung ist von der Luft ausgefüllt, in welcher die 
Gestirne sich bewegen. Die Erde denken sie sich mit älteren 
Physikern als eine sehr flache Walze, die sich durch ihre 
Breite über der Luft schwebend erhalte?). Die Sterne sind 
nach dem obigen erdartige, durch den Umschwung des Him- 
mels glühend gewordene Körper, im besonderen sagte diess 
Demokrit mit Anaxagoras von der Sonne und vom Monde; 


μόχριτος διά TE μειχρότητα καὶ κουφότητα, πυχνωϑεῖσαν δὲ τῷ χρόνῳ xal 
βαρυνϑεῖσαν καταστῆναι. 

1) Wie man sich diess näher zu denken hat, ist nicht klar. Die Vor- 
aussetzungen der Atomenlehre scheinen zu verlangen, dass die Welten 
ebenso, wie die Atome im Urzustand, in beständigem Falle begriffen sind. 
(So BRiEGER S. 28.) Allein diess wird nicht blos’ von keiner Seite als De- 
mokrit’s oder Epikur’s Lehre berichtet, sondern es wäre auch kaum denkbar, 
dass diese ungeheuren, an Grösse und Gewicht, und somit auch an Fall- 
geschwindigkeit, so verschiedenen Massen nicht fortwährend zusammen- 
stossen sollten und eine Welt auch nur so lange bestehen könnte, als die 
unsrige selbst nach der Meinung des ö. Jahrhunderts schon bestanden hatte. 
Dass andererseits eine Welt sich im Leeren an ihrer Stelle erhalten könne, 
scheint zwar auch unmöglich; so gut indessen Empedokles glaubte, die 
Schnelle ihres Umschwungs hindere die Welt am Fallen (s. S. 789), kann 
auch Leucippus durch irgend eine schiefe Analogie (wie etwa die der ge- 
schwungenen Schleuder) zu dieser Meinung verleitet worden sein und Empe- 
dokles dieselbe erst von ihm entlehnt haben. Wenn aber freilich alle 
Welten immer an ihrer Stelle blieben, könnte es nicht zu dem (8.890, 4 be- 
sprochenen) Zusammenstoss derselben kommen. Wie sich die atomistische 
Theorie aus dieser Schwierigkeit zog, ist uns nicht bekannt. 

2) Plac. III, 10: Aevxınnos τυμπανοειδῆ [τὴν γῆν}, “ημόχριτος δὲ 
δισχοειδὴ μὲν τῷ πλάτει, χοίλην δὲ τὸ μέσον. (Das letztere wird nicht, 
wie ich früher annahm, davon zu verstehen sein, dass die Erde im Innern 
hohl, sondern dass sie in der Mitte vertieft und gegen den Rand hin erhöht 
sei. Vgl. ScHAgFER astron. Geogr. ἃ. Gr. Flensb. 1873. S. 14. Arıst. De 
calo II, 13. 294 db 13: “ναξιμένης δὲ zal Arakayopas χαὶ Annöxgsros τὸ 
πλάτος αἴτιον εἶναί φασε τοὺ μένειν αὐτήν. οὐ γὰρ τέμνειν all ἐπιπω- 
ματίέζεεν τὸν ἀέρα τὸν κάτωθεν ... τὸν δ᾽ οὐχ ἔχοντα μεταστῆναι τόπον 
ἱκανὸν ἀϑρόον τῷ χάτωθϑεν ἠρεμεῖν, ὥσπερ τὸ ἐν ταῖς χλεψύδραις ὕδωρ. 
Vgl. 8. 890, 1. 


[800. 801] Weltgebäude. 895 


beiden legte er mit seinem Vorgänger eine bedeutende Grösse 
bei, und den Mond hielt er mit ihm für eine Art Erde, indem 
er in seinem Gesicht den Schatten von Gebirgen erkannte). 
Die Angabe, | dass die genannten zwei Himmelskörper ur- 
sprünglich der Kern selbständiger Weltbildungen gewesen 
seien, wie die Erde, und dass die Sonne erst in der Folge, 
bei Vergrösserung ihres Kreises, mit Feuer erfüllt worden sei 3), 
lässt sich mit der sonstigen Lehre der Atomiker von der Welt- 
bildung durch die Annahme vereinigen, Sonne und Mond seien 
auf einer früheren Stufe ihrer Bildung von den um den Erd- 
kern schwingenden Massen ergriffen und so in unser Welt- 
system eingereiht worden®). Von Leucipp’s Annahmen über 
die Ordnung der Gestirne wich Demokrit nicht unwesentlich 
ab*). Ihre Bewegung wurde von der Drehung des ganzen 


1) Cıc. Fin. I, 6, 20: sol Demoerito magnus videtur. Plac. II, 20, 6: 
[τὸν ἥλιον͵] ᾿Ἡναξαγόρας “ημόχριτος Μητρόδωρος μύδρον ἢ πέτρον dia- 
πύυρον. Plac. I, 25, 9: [τὴν σελήνην} ᾿ναξαγόρας χαὶ Anuöxgiros στε- 
ρέωμα διάπυρον, ἔχον ἐν ἑαυτῷ πεδία χαὶ ὄρη χαὶ φάραγγας. Ebd. 80, 8 
(ὅτοβ. 564) über das Gesicht im Mond. Vgl. folg. Anm. und über das Licht 
des Mondes Anm. 4 und 8.893, 1. Wenn es bei Dıoc. IX, 44 von Sonne 
und Mond heisst, sie bestehen, ähnlich wie die Seele, aus glatten und run- 
den Atomen, d. h. aus Feuer, so kann sich diess nur auf das Feuer be- 
ziehen, welches später zu ihrem erdigen Kern hinzukam. Die Ergänzungen 
unseres Textes, durch welche Brıscer S. 23 denselben mit den aus besserer 
Quelle geflossenen Angaben über Leucippus (s. o. 892, 2) in Einklang zu . 
bringen sucht, empfehlen sich mir nicht. 

2) Ps.-Prur. b. Eus. pr. ev. I, 8, 7: ἡλίου δὲ χαὶ σελήνης γένεσίν 
φησι, χατ᾿ ἰδίαν φέρεσϑαι ταῦτα (zur Zeit ihrer Entstehung nämlich) un- 
δέπω τοπαράπαν ἔχοντα ϑερμὴν φύσιν, μηδὲ μὴν χαϑόλου λαμπροτάτην 
(-ὁτητα DieLs), τοὐναντίον δὲ ἐξωμοιωμένην τῇ περὶ τὴν γὴν φύσεε" γεγο- 
vevas γὰρ ἑχάτερον τούτων πρότερον ἔτε χατ᾽ ἰδίαν ὑποβολήν τινα χόσμου, 
ὕστερον δὲ ueyedonosouufrov τοῦ περὶ τὸν ἥλιον χύχλου ἐναποληφϑῆναει 
ἐν αὐτῷ τὸ πῖρ. 

3) Sonne und Mond auf andere Art entstehen zu lassen, als die übrigen 
Gestirne, mochte wegen ihrer Grösse nothwendig scheinen. Dass es mit 
ihnen eine eigenthümliche Bewandtniss habe, deutet auch die 8. 893, 1 an- 
geführte, mit dem so eben aus Plutarch beigebrachten wohl vereinbare An- 
gabe des Diogenes an, die Sonne sei nach Leucippus von den Sternen an- 
gezündet worden. 

4) Nach Dioc. IX, 88 setzte Leucippus den Mond der Erde am näch- 
sten, die Sonne am entferntesten, die übrigen Gestirne (mit denen allerdings 
vielleicht blos die Planeten gemeint sind) zwischen beide (was an die 

Philos. d. Gr. 1. Bd. 5. Aufl. 97 


806 Atomistik. [801] 


S. 574, 4 angeführten Angaben über Parmenides erinnert); während nach 
Demokrit (Plac. 11, 15, 3) von der Erde aus gerechnet zuerst der Mond 
kommt, dann die Venus, die Sonne, die übrigen Planeten, die Fixsterne; 
und dass im Text des ὅὅτοβλυβ ΕΚ]. I, 508 und des Ps. GALen c. 57 die 
Venus nicht genannt wird, ist unerheblich. Bei Hırror. I, 13, 4, der im 
übrigen der gleichen Anordnung folgt, sind sogar alle Planeten ausgefallen; 
dass dafür aber nur der Abschreiber verantwortlich ist, müssen wir um so 
‘ mehr annehmen, da beigefügt wird: τοὺς δὲ πλανήτας οὐδ᾽ αὐτοὺς ἔχειν 
ἴσον ἵψοςς Die Angabe der Doxographen zu bezweifeln und Dem. die 
gleiche Anordnung zuzuschreiben, wie Leucippus (Brieger 24), sehe ich 
keinen Grund. Nach Lucrez V, 619 ff. erklärte Demokrit die nach den 
Solstitien eintretende Umwendung der Sonnenbahn daraus, dass jedes Ge- 
stirn der Bewegung des Himmels mit um so geringerer Geschwindigkeit 
folge, je näher es der Erde sei, sideogue relingui paulatim solem cum (bei) po- 
sterioribus signis inferior multo quod sit, quam fervida signa (die Zeichen des 
Thierkreises, in denen die Sonne im Sommer steht; vgl. V. 640) εἰ magis 
hoc lunam. So werde die Sonne von den Fixsternen, der Mond von den 
sämmtlichen Gestirnen überholt, und später wieder eingeholt, und dadurch 
entstehe der Schein, als ob sie sich in entgegengesetzter Richtung von jenen 
entfernten. Dass aber Dem. die Bewegung der Weltkugel von der Peri- 
pherie, und nicht vielmehr von dem ursprünglichen δῖνος, ausgehen liess 
(Brieger 25), folgt nicht aus dieser Theorie: sie setzt nicht mehr voraus 
als das bekannte, dass bei jeder Drehung die Theile der kreisenden Masse 
sich um so schneller bewegen, je weiter sie von der Drehungsachse abliegen. 
Die Worte bei Pur. fac. lun. 16, 10. 5. 929: γχατὰ στάϑμην, φησὶ Ay 
μόχριτος, ἱσταμένη τοῦ φωτίζοντος [ἢ σελήνη] ὑπολαμβάνεε καὶ δέχεται 
τὸν ἥλιον" sind für die vorliegende Frage unerheblich, denn x. στάϑμ. 
heisst nicht: „hart bei“, sondern „gerade gegenüber“, eigentlich: „in ge- 
rader Linie liegend“, wie der Ausdruck Ὁ. Sımer. De calo 226 a 20 (Schol. 
502 b 29) steht. Wenn Sen. qu. nat. VII, 3 sagt: Demoeritus quoque ... . 
suspicari se au plures esse stellas, quae currant, sed nec numerum illarum poswit 
neo nomina, nondum comprehensis quinque siderum coursibus, so folgt hieraus 
nicht, dass Dem. von der Fünfzahl der Planeten noch nichts gewusst hat. 
Seneca’s Meinung scheint diess allerdings zu sein; allein die fünf Planeten 
waren damals schon längst nicht blos in den von unserem Philosophen be- 
suchten orientalischen Ländern allgemein bekannt, sondern auch in das 
astronomische System der Pythagoreer aufgenommen. Auch der Titel einer 
Schrift: περὶ τῶν πλανητῶν (Dıioc. IX, 46) spricht gegen jene Annahme. 
Was Demokrit wirklich gesagt hat, ist wohl nur, dass es ausser den fünf 
(bezw. sieben) bekannten noch weitere Planeten geben möge, wie sich ihm 
diess vielleicht auch wegen seiner Erklärung der Kometen (s. u. 897, 9) 
empfahl; Seneca wird diess aber aus dritter Hand gehabt und nicht richtig 
verstanden haben. Dunkle Körper, welche die Erde (bezw. das Centralfeuer) 
umkreisen, hatten auch schon andere, namentlich Anaxagoras, angenommen; 


vgl. 8. 248, 3. 424, 3. 8. 902, 3%. 


[801. 802. 803] Weltgebäude. 897 


Weltgebäudes hergeleitet!.,. Ihre Bahnen dachten sie sich 
ursprünglich | (vor der Neigung der Erdachse) der Erdfläche 
parallel, ihre Bewegung mithin als seitliche Drehung ?); die 
Richtung derselben soll bei allen in gleicher Weise von Ost 
nach West gehen?®), ihre Geschwindigkeit mit ihrer Entfernung 
vom Umkreis der Welt abnehmen, und desshalb der Fixstern- 
himmel die Sonne und die Planeten, diese den Mond im Lauf 
überholen *). Das Feuer der Gestirne soll, wie auch andere 
meinen, durch die Dünste der Erde genährt werden). Die 
Annahmen der Atomiker über die Neigung der Erdachse®), 
über | Sonnen- und Mondstinsternisse”), über das Licht der 
Sterne und die Milchstrasse®), über die Kometen?), über das 


1) Sroe. I, 532 (Aötius) von der Sonne: τροπὴν δὲ γίγνεσθαι Ex τῆς 
περεφερούσης αὐτὸν δινήσεως. 

2) Diess wird durch ihre sogleich zu erwähnende Annahme über die 
Neigung der Erde, und durch die entsprechenden Bestimmungen des Anaxi- 
menes, Anaxagoras und Diogenes wahrscheinlich, mit welchen die Atomiker 
in ihren Vorstellungen über die Gestalt und Lage der Erde übereinstimmen. 

3) Plac. II, 16, 1. 

4) Luor. a. a. Ο. s. S. 896. 

δ) Nach Eustate. in Od. M, S. 1713, 14 Rom. deutete Demokrit die 
Götterspeise Ambrosia auf die Ernährung der Sonne durch die Dünste. 

6) Nach Plac. III, 12 (vgl. Dıoc. folg. Anm.) nahmen sie an, dass 
sich die Erde nach Süden geneigt habe, was Leucippus von der geringeren 
Dichtigkeit der wärmeren Gegenden, Demokrit von der Schwäche des süd- 
lichen Theils des περεέχον hergeleitet habe; die Meinung ist aber wohl bei 
beiden die gleiche: der wärmere, mit mehr leichten und beweglichen Atomen 
angefüllte Theil des Weltraums leistet dem Druck der Erdscheibe geringeren 
Widerstand, und so neigt sie sich nach dieser Seite. Wie es dann freilich 
möglich ist, dass nicht alles Wasser nach Süden strömt und die südlichen 
Länder überfluthet, lässt sich schwer sagen. Indessen theilten auch Anaxa- 
goras und Diogenes diese Annahme; vgl. 5. 266, 6. 9024. 

7) Nach Dıoc. IX, 33 hätte Leneippus gelehrt: ἐχλείπειν ἥλιον χαὶ 
σελήνην τῷ χεχλίσϑαι τὴν γὴν πρὸς μεσημβρίαν, was aber keinen Sinn 
gibt. Die Worte τῷ χεχλίσθϑαι u. 8. f. müssen ursprünglich, wie auch das 
folgende zeigt, in demselben Zusammenhang gestanden haben, wie in der 
eben angeführten Stelle der Placita, und für die Sonnen- und Mondsfinster- 
nisse müssen andere Gründe angegeben worden sein. Möglich aber, dass 
schon Diogenes selbst oder sein Schreiber die Verwirrung angerichtet hat. 

8) Demokrit dachte sich die Milchstrasse aus vielen, dicht beisammen- 
stehenden, kleinen Sternen bestehend; um ihr eigenthümliches Licht zu er- 
klären, nahm er mit Anaxagorar an, die übrigen Sterne werden von der 
Sonne beleuchtet, wir seben daher nicht ihr eigenes, sondern nur das an 

δ Ὁ 


808 Atomistik. [803. 804) 


grosse Jahr), sollen hier nur kurz berührt werden. Demo- 
krit schliesst sich bei den meisten von diesen Punkten an 
Anaxagoras an. Einige weitere astronomische Beobachtungen, 
die auf Demokrit zurückgeführt werden 3), können wir über- 
gehen, und ebenso mag es hinsichtlich des wenigen, was uns 
sonst noch von seinen Annahmen | aus dem Gebiete der un- 
organischen Natur überliefert ist, an einer kurzen Aufzählung 
genügen?). 


ihnen reflektirte Sonnenlicht, die Sterne der Milchstrasse dagegen liegen im 
Erdschatten, und leuchten desshalb nur mit ihrem eigenen Lichte; Asısr. 
Meteor. I, 8. 345 a 25. Ausx. z. ἃ. St. 81 Ὁ m. OrLyuriopor z. d. St. 15 
a. I, 200 Id. Plac. III, 1, 8 Macao. Somn. Seip. I, 15; vgl. IneLur z. 
Meteorol. I, 410. 414. 

9) Diese hielt Demokrit, gleichfalls mit Anaxagoras, für eine Verbin- 
dung von mehreren Planeten, die sich so nahe gekommen seien, dass ihr 
Licht zusammenfliesse; Arıst. Meteor. I, 6. 342 b 27. 343 " 25. Ausx. z. 
ἃ. St. 78 a. 79 Ὁ m. OryvuPrıiopor 5. d. St. I, 177 Id. Plac. III, 2, 3, vgl. 
Sen. qu. nat. VII, 11. Schol. in Arat. Diosem. 1091 (359). 

1) Demokrit berechnete dieses auf 82 Jahre und 28 Schaltmonate (Cam. 
Di. nat. 18, 8), d. h. er nahm an, dass in dieser Zeit der Unterschied des 
Sonnen- und Mondjahrs sich ausgleiche, 82 Sonnenjahre 1012 (= 12>< 82 +28) 
Mondsmonaten gleich seien, was für den Mondsumlauf, das Sonnenjahr zu 
365 Tagen angenommen, nicht ganz 291/, Tage ergibt. 

2) Bei Murzacn 231—235. Ebd. 142 fi. über Demokrit’s astronomische, 
mathematische und geographische Schriften, von denen uns aber ausser den 
Titeln kaum etwas bekannt ist. 

3) Die Erdbeben hielt er für eine Wirkung unterirdischer Wasser und 
Luftströmungen (Arısr. Meteor. II, 7. 365 b 1, was Auzx. z. ἃ. St. wieder- 
holt, Sem. nat. qu. VI, 20); den Donner, Blitz und Gluthwind (πρηστὴρ) 
sucht er bei Srton. I, 594 sinnreich genug aus der Beschaffenheit der sie 
erzeugenden Wolken, die verschiedene Wirkung des Blitzes bei Pur. qu. 
conv. IV, 2, 4, 3 (Democr. fr. phys. 11) daraus zu erklären, dass die einen 
Körper ihm Widerstand leisten, während ihn andere durchlassen; der Wind 
entsteht (Sex. nat. qu. V, 2), wenn in der Luft viele Atome in engem 
Raume zurammengedrängt sind, wenn sie dagegen Raum haben, sich aus- 
zubreiten, ist Windstille; die Nilüberschwemmungen kommen daher, dass 
beim Schmelzen des Schnees in den nördlichen Gebirgen die Dünste von 
den Nordwinden des Spätsommers nach Süden geführt werden, und an den 
äthiopischen Gebirgen sich niederschlagen (Plac. IV, 1, 4. Dion. I, 99. 
ATHENn. II, 86 d. Schol. Apollon. Rhod. in Argon. IV, 269); das Meer soll, 
wie schon Empedokles angenommen hatte, neben dem salzigen süsses Wasser 
enthalten, von dem sich die Fische nähren (Arrıan H. anim. IX, 64). Vom 
Magnet war schon 8. 863, 1 die Rede. Hieher gehören auch, wenn und 
soweit sie ächt sind, die Wetterregeln bei Muuaca 2931 ff. 238 (Fragm. |, 


[804] Pflanzen und Thiere. 800 


38. Die organische Natur; der Mensch, sein Erkennen und 
sein Handeln. 


Unter den organischen Wesen hatte sich Demokrit nicht 
blos mit den Thieren, sondern auch mit den Pflanzen, am 
sorgfältigsten aber mit dem Menschen beschäftigt!). Nur seine 
Anthropologie ist auch in philosophischer Hinsicht beachtens- 
werth; was uns dagegen von seinen Bemerkungen über Pflan- 
zen?) und | Thiere®) mitgetheilt wird, beschränkt sich auf 


368 f.); was dagegen ebd. 238. 239 f. (Fr. I, 372 £.) von ihm über die Auf- 
findung von Quellen aus den Geoponica mitgetheilt wird, kann bei der Un- 
ächtheit der demokritischen Geoponica (worüber Meyzr Gesch. d. Botanik I, 
16 f.) unserem Philosophen nicht beigelegt we-den. 

1) Das Verzeichniss der Schriften bei Dıoc. IX, 46 f. nennt: αἰτίκε 
περὶ σπερμάτων χαὶ φιτῶν xal χαρπῶν, alılas περὶ ζῴων γ΄, περὶ ἀν- 
ὡρώπου φύσιος ἢ περὶ σαρκὸς β΄, περὶ νοῦ, m. αἰσθήσεων, auch die Bücher 
π. χυμὼν und π. yoowr' gehören wohl theilweise hieher. Die muthmass- 
lichen Ueberbleibsel der Schrift z. «vg. φύσιος hat B. τ΄ Brınk im Philo- 
logus VII, 414 ff. aus dem pseudodemokritischen Brief an Hippokrates 
7. φύσιος ἀνθρώπου und andern Quellen gesammelt. In dieser Schrift 
standen vielleicht auch die von Sexr. Math. VII, 265. Pyrrh. II, 23 ge- 
tadelten Worte, die aber natürlich nicht den Anspruch gemacht haben 
werden, eine wirkliche Definition zu sein: ἄνϑρωπός ἐστιν ὃ πάντες ἴδμεν. 

2) Die Pflanzen, deren leere Gänge gerade laufen, sollen schneller 
wachsen, aber kürzer dauern, weil die ernährenden Stoffe allen ihren Theilen 
rascher zugeführt, aber auch schneller wieder entfernt werden; ΤΉΕΒΟΡΗΒ. 
caus. plant. I, 8, 2. II, 11, 7. Was Murrscn 8. 248 ff. (Fragm. I, 375 f.) 
aus den Geoponica über verschiedene landwirthschaftliche Gewächse bei- 
bringt, ist nicht als demokritisch zu erweisen; vgl. vorl. Anm. Ueber die 
Seele der Pflanzen tiefer unten. 

3) Was Murracn 226 fi. (Fragm. I, 366 f.) hierüber aus ARrLIAN’s 
Thiergeschichte gesammelt hat, betrifft folgende Gegenstände: dass der Löwe 
nicht blind, wie andere Thiere, zur Welt komme; die Nahrung der See- 
fische (s. 8. 898, 3); die Fruchtbarkeit der Hunde und Schweine, die Un- 
fruchtbarkeit der Maulthiere (worüber weiteres bei Anıst. gen. anim. II, 8. 
747 a 25, den Pnıtor. z. ἃ. St. 58 b u. umschreibt), und die Entstehung 
dieser Mischlinge; die Bildung der Hörner bei den Hirschen; die Körper- 
verschiedenheit zwischen Ochsen und Stieren; das Fehlen der Hörner bei 
denselben. Dazu kommt noch die Bemerkung b. Arısrt. part. anim. III, 4. 
665 a 31 über die Eingeweide der blutlosen Thiere; gen. anim. V, 8. 788 
Ὁ 9 (Puıtor. z. ἃ. St. 119 a 0.) über die Bildung der Zähne; Hist. anim. 
IX, 39. 623 a 30 über die Gewebe der Spinnen. Die Angabe über die 
Hasen bei Murrach 254, 103 (Fr. I, 377, 13 aus Geopon. XIX, 4) ist gewiss 
nicht demokritisch. 


900 Atomistik. [805. 806] 


vereinzelte Beobachtungen und Vermuthungen; auch seine 
Annahmen über die Erzeugung und die Entwicklung des 
Fötus!), worüber schon die | ältesten Physiker so viel ge- 
rathen haben, sind nicht von der Art, dass wir nöthig hätten, 
ausführlicher darauf einzugehen; dass er die Menschen und 
Thiere mit mehreren seiner Vorgänger aus dem Erdschlamm 
entstehen liess?), mag hier gleichfalls nur kurz angeführt 
werden. 


1) Nach Pur. Plac. nahm er an, dass der Samen aus allen Theilen 
des Körpers ausgeschieden werde (V, 3, 6 vgl. Asısr. gen. anim. IV, 1. 764 
a 6. I, 17. 721 b 11. Puıtor. gen. an. 81 b u. Cassor. Di. nat. 5, 2), 
und dass auch die Weiber Samen und ein Organ zur Samenbildung haben 
(V, 5, 1); von den sichtbaren Bestandtheilen desselben scheint er die darin 
eingehüllten Feuer- oder Seelenatome unterschieden zu haben (Plac. V, 4, 
1. 3, das genauere ergibt sich aus seiner Lehre von der Seele. Das Ver- 
weilen des Fötus im Mutterleibe dient dazu, dass sein Körper dem der 
Mutter ähnlich wird (Arısrt. gen. anim. II, 4. 740 a 35, dessen Angabe 
Pnıtor. z. ἃ. St. 48 b o. offenbar nur aus eigenen Mitteln weiter ausführt). 
Die Bildung desselben beginnt mit der Entstehung des Nabels, der die 
Frucht im Uterus festhält (Fr. phys. 10, s. u. 902, 6), zugleich soll aber die 
Kälte der Luft zum festeren Verschluss des mütterlichen Leibes und zum 
ruhigen Verhalten des Kindes beitragen (AeLıan H. anim. XI, 17). Die 
äusseren Theile des Körpers, insbesondere (uach Cens. Di. nat. 6, 1) der 
Kopf und der Bauch, sollen sich früher bilden, als die inneren (Arısr. a. a. O. 
140 a 13; Puıtor. macht daraus, gewiss ganz willkürlich, und ohne eine 
weitere Quelle: nach Demokrit un ἐν τῇ χαρδίᾳ εἶναι τὴν ϑρεπτιχὴν 
χαὶ ποιητικὴν δύναμιν, all ἐχτός). Das Geschlecht des Kindes soll sich 
darnach richten, ob der von den Geschlechtstheilen herrührende Theil des 
väterlichen Samens über den entsprechenden Theil des mütterlichen im 
Uebergewicht ist, oder nicht (Arısr. a. a. O. 764 a 6, dessen Bemerkungen 
Pnıtor. 81 Ὁ u. weiter ausmalt, ohne Zweifel genauer, als Cexs. Di. nat. 
6, 5; Ähnlich Parmenides, s. S. 578, 4. Missgeburten entstehen durch 
Superfötation (Arısr. a. a. O. IV, 4. 769 b 30; nach ihm Paıtor. 90 Ὁ u.). 
Seine Nahrung soll dem Kinde schon im Mutterleibe durch den Mund zu- 
kommen, indem es an einem den Brustwarzen entsprechenden Theil des 
Uterus sauge (Plac. V, 16, 1 vgl. Arıst. gen. an. 11, 7. 746 a 19). Die 
letztere Annahme, welche Cens. a. a. O. 6, 3 auch Hippo und Diogenes 
beilegt, weist auf Untersuchungen an Thieren, denn sie bezieht sich auf 
die beim Menschen fehlenden Kotyledonen. 

2) Zunächst vom Menschen bezeugt diess Censor. Di. nat. 4, 9, dessen 
Angabe die Analogie der epikureischen Lehre bestätigt. Das gleiche scheint 
in der verstümmelten und verdorbenen Notiz bei GAtLeEn H. phil. c. 123 zu 
stecken, deren Heilung DıeLs Doxogr. 16. Gourerz Wien. Stud. 11, 12 ver- 
suchen. 


[806. 807] Der Mensch; der menschliche Leib. 901 


Der Mensch ist nun für unsern Philosophen zunächst 
schon wegen seines Körperbaus und seiner Gestalt ein Gegen- 
stand der höchsten Bewunderung!). In seiner Beschreibung 
des menschlichen Leibes?) bemüht er sich nicht blos, die 
Theile desselben nach ihrer Lage und Beschaffenheit so genau 
zu schildern, als es der damalige Stand dieser Untersuchungen 
zuliess, sondern er hebt auch ihren Gebrauch und ihre Be- 
deutung für das Leben des Menschen mit solcher Vorliebe 
hervor, dass er sich trotz seiner sonstigen Richtung auf eine 
rein mechanische Naturerklärung doch auch seinerseits der 
Teleologie nähert, die sich immer vorzugsweise an die Be- 
trachtung des organischen Lebens geknüpft hat, und die eben 
damals in Sokrates einen erfolgreichen Kampf mit dem Natura- 
lismus der älteren Physik begann. Dem Gehirn ist die Burg- 
feste des Leibes in seine Hut gegeben, es ist der Herr | des 
Ganzen, dem die Kraft des Denkens anvertraut ist; das Herz 
heisst die Königin, die Amme des Zornes, gegen die Angriffe 
mit einem Panzer bekleidet®); bei den Sinnes- und Sprach- 
werkzeugen wird angedeutet, wie passend sie für ihre Thätig- 
keit eingerichtet sind u. s. w.*). Demokrit sagt allerdings nie, 
dass sie zu bestimmten Zwecken, mit Absicht und nach 
Zweckbegriffen so gebaut seien®), er verfährt nicht wirklich 
teleologisch; aber indem er den Erfolg nicht auf ein zufälliges 
Zusammentreffen der Umstände, sondern auf die Natur als 
Einheit zurückführt®), die nichts ohne Grund und Nothwen- 


1) Nach Furtaent. Myth. III, 7 lobte er mit Beziehung auf Il. B, 478 
die Alten dafür, dass sie die Theile des menschlichen Leibes Göttern zu- 
gewiesen haben, das Haupt Zeus, die Augen Pallas u. s. ἡ. Nach Davıp 
Schol. in Ar. 14 b 12 nannte er den Menschen einen μιχρὸς χύσμος. 

2) Bei B. Ten Brink ἃ. ἃ. O. 

3) Vgl. 5. 908, 3. 

4) In Betreff der Sinnesorgane vgl. m. auch, was Heraklides Ὁ. Porra. 
in Ptol. Harm. (Wallis. Opp. math. II) S. 215 anführt: (ἡ axon) &xdoysiov 
μύϑων οὖσα μένει τὴν φωνὴν ayyelov δίχην᾽ nde γὰρ εἰςχρένεται καὶ 
ἐνρεῖ. | 
5) Vgl. S. 872, 2. Anıst. De respir. 4 (s. u. 904, 4. In den Worten 
7. φύσ. ἄνϑρ., & a. O. Nr. 28: ἡ δὲ ἀσώματος ἐν μυχοῖσι φύσις ἐξέτευξε 
παντόμορφα σπλάγχνων γένεα, mag wohl das ἀσώματος dem Ueberarbeiter 
angehören, wenn nicht dafür geradezu ἀόρατος zu lesen ist. 

6) S. vor. Anm. und Nr. 26: eürntov ἀπὸ φλεβέων TE χαὶ γεύρων 


002 Atomistik. (807. 808] 


digkeit wirkt!), kommt er der von ihm verschmähten Teleo- 
logie so nahe, als diess innerhalb seines Standpunkts mög- 
lich war?). 

Die Seele kann unter den Voraussetzungen der Atomen- 
lehre nicht anders als körperlich gedacht werden, nur wird 
ihr körperlicher Stoff von der Art sein müssen, dass sich ihr 
eigenthümliches Wesen daraus erklärt. Nun liegt dieses nach 
Demokrit in der belebenden und bewegenden Kraft: die Seele 
ist das, was die Bewegung der lebenden Wesen bewirkt. Diess 
wird sie aber nur dann vermögen, wenn sie selbst in be- 
ständiger Bewegung ist, denn die mechanische Bewegung, 
welche die Atomistik | allein kennt, kann nur von bewegtem 
hervorgebracht werden. Die Seele muss daher aus dem be- 
weglichsten Stoffe, aus feinen, glatten und runden Atomen, 
oder mit anderen Worten®), aus Feuer bestehen. Und eben- 
dahin weist auch die zweite Haupteigenschaft der Seele, welche 
neben ihrer belebenden Kraft hervortritt, die Denkkraft, denn 
auch das Denken ist eine Bewegung *). Jene Feuertheilchen 


πλέγμα . .. φύσιος ὕπο δεδημιούργηται. Auch bei PaıLo stern. m. c. 12, 
S. 242, 13 Bern., ist vielleicht Demokrit der τὶς, welcher die μήτρα ροφύ- 
σεως ἐργαστήρεον" genannt hatte. 

1) 8. ο. 8. 870 £. 

2) Doch geht diess nicht so weit, dass der demokritische Ursprung 
jener Beschreibungen dadurch unwahrscheinlich würde; dasselbe findet sich 
auch in dem, was Prur. De am. prol. c. 3, S. 495 vgl. fort. Rum. c. 2, 
S. 317 anführt: ὁ γὰρ ἐμφαλὸς πρῶτον ἐν μήτρησι (ὥς φησε 4ημόχρετος) 
ἀγκυρηβόλιον σάλου καὶ πλάνης ἐμφύεται, πεῖσμα καὶ κλῆμα τῷ γινομένῳ 
καρπῷ zul μέλλοντι. So werden wir auch sogleich finden, dass Demokrit 
mit seinem Materialismus die Anerkennung des Geistigen in der Natur und 
im Menschen wohl zu verknüpfen weiss. 

3) S. o. S. 867, 2. 

4) Arısr. De an. I, 2. 403 b 29: φασὶ γὰρ ἔνιοι χαὶ πρώτως ψυχὴν 
εἶναι τὸ xıroöv. οἱηϑέντες δὲ To μὴ κινούμενον αὐτὸ un ἐνδέχεσϑαε xı- 
γεῖν ἕτερον, τῶν χενουμένων τε τὴν ψυχὴν ὑπέλαβον εἶναι. ὅϑεν Anui- 
κριτος μὲν πῦρ τι καὶ ϑερμόν φησιν αὐτὴν εἶναι" ἀπείρων γὰρ ὄντων 
σχημίτων καὶ ἀτόμων τὰ σφαιροειδὴ πῦρ καὶ ψυχὴν λέγει, οἷον ἐν τῷ 
ἀέρε τὰ καλούμενα ξύσματα u. 8. w. (8. 8. 858 unt.) ὁμοίως δὲ χαὶ “εύχιππος. 
τούτων δὲ τὰ σφαιροειδὴ ψυχὴν, διὰ τὸ μάλιστα διὰ παντὸς ϑύνασϑαι 
διαδϑύνεεν τοὺς τοιούτους δυσμοὺς (dieser Ausdruck, über den 83. 855, 1, 
spricht dafür, dass Aristoteles hier aus Demokrit selbst berichtet), zu? xsveiv 
τὰ λοιπὰ χινούμενα χαὶ αὐτὰ, ὑπολαμβάνοντες τὴν ψυχὴν εἶναι τὸ παρέ- 


[808. 809] Die Seele. 003 


denkt sich nun Demokrit folgerichtig durch den ganzen Leib 
verbreitet, und diesen eben desshalb in allen seinen Theilen 
belebt, weil in allen Atome seien, die ihrer Natur nach in un- 
ablässiger Bewegung begriffen, auch ihre Umgebung bewegen !); 
ja er geht hierin so weit, dass er zwischen jede zwei Körper- 
atome ein Seelenatom einschiebt?). Damit ist aber natürlich 
nicht gesagt, dass die Bewegung der letzteren in allen Körper- 
theilen die gleiche sein müsse, die einzelnen Seelenthätigkeiten 
sollen vielmehr auch nach Demokrit an einzelnen Orten des 
Körpers ihren Sitz haben, das Denken im Gehirn, der Zorn 
im Herzen, die Begierde in der Leber®); wenn daher spätere 


χον τοῖς ζῴοις τὴν χίνησιν. Ebd. 405 a 8: “ημόχριτος δὲ χαὶ γλαφυρω- 
τέρηις εἴρηχεν ἀποφηνάμενος διὰ τί τούτων [sc. τοῦ χενητιχοῦ zul γνωρι- 
στιχοῦ} ἑχάτερον [sc. ἡ ψυχή] ψυχὴν μὲν γὰρ εἶναι ταὐτὸ χαὶ νοῦν, τοῦτο 
δ᾽ εἶναε τῶν πρώτων χαὶ ἀδιαιρέτων σωμάτων, κενητιχὸν δὲ διὰ μιχρο- 
μέρειαν καὶ τὸ σχῆμα τῶν δὲ σχημάτων εὐχινητότατον τὸ σφαιροειδὲς 
λέγεε " τοιοῦτον [scil. εὐχενητότατον»] δ᾽ εἶναι τὸν νοῦν καὶ τὸ πῦρ. Vgl. 
ebd. c. 4. 5. 409 a 10. Ὁ 7 und die folgenden Anm., namentlich 8. 904, 4. 
Dass die Seele nach Demokrit aus warmen und feurigen Stoffen, oder aus 
glatten und runden Atomen bestehe, sagen viele, z. B. Cıc. Tusc. I, 11, 22. 
18, 42. Diıoc. IX, 44. Plac. IV, 3,5. 7 (wo das gleiche auch von Leu- 
cippus). Wenn NENES. nat. hom. c. 2 S. 28 die runden Atome, welche die 
Seele bilden, durch „Feuer und Luft“, MacroB. Somn. I, 14 durch spirius 
erklärt, so ist diess eine Ungenauigkeit, welche durch die epikureische Lehre 
von der Seele (s. Th. III a 418), vielleicht auch durch Demokrit’s gleich 
zu erwähnende Vorstellung über das Athmen veranlasst ist. 

1) Asısr. De. an. I, ὃ. 406 b 15: Zyıos δὲ καὶ χυνεῖν φασὶ τὴν ψυχὴν 
τὸ σῶμα ἐν ᾧ Lorly ὡς αὐτὴ χινεῖται, οἷον “ημόχριτος . . . χενουμένας 
γάρ φησι τὰς ἀδιαιρέτους σφαίρας διὰ τὸ πεφυχένγαε μηδέποτε μένειν 
συνεφέλκειν χαὶ χινεῖν τὸ σῶμα πᾶν, was Aristoteles mit dem Einfall des 
Komikers Philippus vergleicht, dass Dädalus seinen Bildsäulen Bewegung 
verliehen habe, indem er Quecksilber hineingoss. Daher c. 5 Anf. in Be- 
ziehung auf Demokrit: εἴπερ γάρ ἐστιν ἡ ψυχὴ ἐν παντὶ τῷ αἰσϑανομένῳ 
σώματι. Dasselbe sagt Jausr. b. Stop. I, 924. Sext. Math. VII, 349 vgl. 
MAcROB. ἃ. ἃ. Ὁ. 

2) Lucksr. III, 370: illud ἐπ his rebus nequaquam sumere possis, 
Demooriti quod sancdla viri sentontia ponili, 
corporis alque anımı primordia, singula privis 
adposita, alternis variare ac neciere membra. Lucrez seinerseits glaubt, es 
seien der Körperatome weit mehr, als der Seelenatome; die letzteren seien 
daher auf grössere Entfernungen vertheilt, als Demokrit annahm. 

3) m. ἀνθρώπου φύσιος Fr. 6 nennt er das Gehirn φύλακα διανοΐης, 

Fr. 15 das Herz βασιλὶς ὀργῆς τεϑηνὸς, Fr. 17 die Leber ἐπεϑυμέης αἴτιον. 


904 Atomistik. [809. 810] 


Schriftsteller berichten, er gebe dem unvernünftigen Theil der 
Seele den ganzen Leib, dem vernünftigen das Gehirn oder 
das Herz zum Wohnsitz), so ist diess zwar nur theilweise 
richtig?), aber doch nicht durchaus zu verwerfen. Wegen der 
Feinheit und Beweglichkeit der Seelenatome entsteht nun aber 
die Gefahr, dass dieselben von der uns umgebenden Luft aus 
dem Körper gedrückt werden. Gegen diese Gefahr schützt 
uns, wie Demokrit annimmt, die Einathmung, deren Bedeu- 
tung eben darin besteht, mit der Luft immer neuen Feuer- 
und Seelenstoff in den Körper zu führen, welcher theils die 
abgängigen Seelenatome ersetzt?), theils und hauptsächlich die 
im | Körper befindlichen durch seine Gegenströmung am Aus- 
tritt verhindert, und ihnen dadurch den Widerstand gegen 
den Andrang der äusseren Luft möglich macht. Geräth der 
Athem in’s Stocken, und wird jener Widerstand in Folge dessen 
vom Druck der Luft überwältigt, so entweicht das innere 
Feuer, und es erfolgt der Tod*). Da diess aber nicht in 


1) Plac. IV, 4, 6: Anuoxgıros, ᾿Ἐπέχουρος διμερὴ τὴν ψυχὴν, τὸ μὲν 
λογιχὸν ἔχουσαν ἐν τῷ ϑώραχε χαϑιδρυμένον, τὸ δ' ἄλογον χαϑ' ὅλην τὴν 
σύγχρισιν τοῦ σώματος διεσπαρμένον. ΤΉΕοΟΡ. cur. gr. afl. V, 22. 5. 73: 
ἹΙπποχράτης μὲν γὰρ χαὶ “ημόχριτος καὶ Πλάτων ἐν ἐγχεφάλῳ τοῦτο [τὸ 
ἡγεμονικὸν] ἰδρύσϑαε εἰρήχασεν. 

2) Die Placita verwechseln offenbar Demokrit's Lehre mit der epikurei- 
schen (über die Th. III a, 418 ἢ), bei Theodoret ist wenigstens das ἡγεμο- 
rıx0v eingeschwärzt. 

3) Dass das Athmen auch hiezu dienen sollte, erhellt aus Arıst. De 
an. I, 2 (folg. Anm.); denn dem Eintritt neuer Feuertheile entspricht der 
Austritt älterer. Bestimmter sagen es, aber vielleicht nur auf Grund der 
aristotelischen Stelle, PrıLor. De an. B 15 o. Sımer.. De an. 26, 4 ff. und 
die Scholien zu z. arenvons, hinter Simpl. De an. 165 b m. Ald. Vgl. 
auch Plac. V, 25, 3: nach Leucippus entstehe (Schlaf oder Ohnmacht oder 
was? — das unerlässliche Wort fehlt) ἐχχρίσεε τοῦ λεπτοωμεροῦς, πλείονε 
τῆς εἰςχρίσεως τοῦ ψυχικοῦ ϑερμοῦ. 

4) Arıst. De an. I, 2 fährt fort: διὸ χαὶ τοῦ ζῆν ὥρον εἶναι τὴν 
ἀναπνμοήν" συνάγοντος γὰρ τοῦ περιέχοντος τὰ σώματα (als Grund hiefür 
gibt Purtor. z. ἃ. St. B 15 o., den atomistischen Voraussetzungen ent- 
sprechend, die Kälte des περεέχον an, vgl. auch Arıst. De respir. c. 4. 472 
a 30) χαὶ ἐχϑλέβοντος τῶν σχημάτων τὰ παρέχοντα τοὶς ζῴοις τὴν χίνησεν 
διὰ τὸ μηδ᾽ αὐτὰ ἠρεμεῖν μηδέποτε, βοήϑειαν γίγνεσϑαι ϑύραϑεν ἐπεες- 
ἐόντων ἄλλων τοιούτων ἐν τῷ ἀναπνεῖν" χωλύειν γὰρ αὐτὰ καὶ τὰ ἐνυπάρ- 
χοντα ἐν τοῖς ζῴοις ἐχχρένεσϑαε, συνανείργοντα τὸ συνάγον xal πηγγύον" 
καὶ ζὴν δὲ ἕως ἄν δύνωνται τοῦτο ποιεῖν. Aehnlich De respir. c. 4: “Τμὸ 


[810] Die Seele. 005 


einem Augenblick geschieht, so kann es auch vorkommen, 
dass die Lebensthätigkeit wiederhergestellt wird, nachdem 
schon ein Theil des Seelenstoffs verloren gegangen war. Hier- 
aus erklärt sich der Schlaf, nur dass bei ihm blos wenige 
Feuertheile den Körper verlassen!). Der gleiche Vorgang, 
weiter vorgeschritten, ergibt die Erscheinung des Scheintods 3). 


χρετὸος δ᾽ ὅτε μὲν ἐχ τῆς dvanvojs συμβαίνεε τι τοῖς avanvloraı λέγει, 
φάσχων χωλύειν ἐχϑλέβεσθαε τὴν ψυχήν" οὐ μέντοι Y ὡς τούτου γ᾽ Erexa 
ποιήσασαν τοῦτο τὴν φύσιν οὐδὲν εἴρηχεν᾽ ὅλως γὰρ ὥσπερ χαὶ οἱ ἄλλοι 
φυσιχοὶ zul οὗτος οὐδὲν ἅπτεται τῆς τοιαύτης αἰτίας, λέγεε δ᾽ ὡς ἡ 
vuyn χαὶ τὸ ϑερμὸν ταὐτὸν τὰ πρῶτα σχήματα τῶν σῳ ιροειϑῶν. συγ- 
χρενομένων οὖν αὐτῶν ὑπὸ τοῦ περιέχοντος ἐχϑλίβοντος βοήϑειαν γίνεσϑαι 
τὴν ἀναπνοήν φησιν. ἐν γὰρ τῷ ἀέρι πολὺν ἀριϑμὸν εἶναι τῶν τοιούτων, 
δὲ χαλεὶ ἐχεῖνος νοῦν χαὶ ψυχήν᾽ ἀναπνέοντος οὖν χαὶ εἰςεόντος τοῦ ἀέρος 
συνειςεόντα ταῦτα χαὶ aveloyoıra τὴν ϑλέίψεν χωλύεεν τὴν ἐνοῦσαν ἐν τοῖς 
ζῴοες δεϊέναε ψυχήν᾽ χαὶ διὰ τοῦτο ἐν τῷ ἀναπνεῖν χαὶ ἐχπνεῖν elva τὸ 
ζῆν χαὶ ἀποθδνήσχειν. ὅταν γὰρ χρατῇ τὸ περιέχον συνϑλῖβον καὶ μηχέτι 
ϑύραϑεν εἰςιὸν δύνηται ἀνείργειν, μὴ δυναμένου ἀναπνεῖν, τότε συμβαί- 
veıy τὸν ϑάνατον τοῖς ζῴοις" εἶναι γὰρ τὸν ϑάνατον τὴν τῶν τοιούτων 
σχημάτων ἐχ τοῦ σώματος ἔξοδον ἐχ τῆς τοῦ περιέχοντος ἐχϑλίψεως. 
Warum jedoch alle Wesen einmal sterben, und was die Ursache des Atlı- 
mens sei, sage Demokrit nicht. 

1) So viel scheint nämlich aus den Annahmen der Epikureer über den 
Schlaf (Luceer. IV, 913 ff.) hervorzugehen. Vgl. auch 904, 3. 

2) Nach Paoxrus (in Remp. ed. Schöll 61, 34) hatte ausser andern 
Demokrit in der Schrift π. τοῦ δου (oder vielmehr, nach TurasyLLus Ὁ. 
Dioe. IX, 46: π. τὼν ἐν ador) Beispiele τῶν ἀποθανεῖν δοξάντων ἔπειτα 
ἀναβιούντων gesammelt; und aus derselben Schrift hätte Kolotes erfahren 
können, πῶς τὸν ἀποθανόντα πέλεν ἀναβιῶναι δυνατόν: nämlich eben nur 
dann, wenn der betreffende noch nicht wirklich todt war. Auf diese Unter- 
suchungen über Wiederbelebung der Gestorbenen scheint auch die artige 
Fabel Rücksicht zu nehmen, welche Jurian epist. 37, 8. 65 Heyl., natürlich 
nach Aelteren, mittheilt (und Ps. Lucıan Demon. 25 auf diesen Cyniker 
überträgt), dass Demokrit dem König Darius, um ihn über den Tod seiner 
Frau zu trösten, versprochen habe, sie wieder in’s Leben zurückzurufen ; 
nur sei dazu nöthig, dass er auf ihr Grab die Namen von drei Menschen 
schreibe, die von Trauer frei blieben. Dieses Geschichtehen könnte seiner- 
seits wieder PLinıus im Auge haben, wenn er H. ἢ. VII, ὅδ, 189 sagt: 
reviviscondi promissa a Demoorito vanitas, qui non revizit ipse; doch ist es auch 
möglich, dass sich diese Worte auf eine Stelle in den magischen Schriften 
Demokrit’s beziehen, von denen Plinius, kritiklos, wie er ist, so viel zu er- 
zählen weiss, und dass die Anekdote bei Julian, welche der angeblichen 
Zauberei eine moralische Wendung gibt, gleichfalls auf die Behauptung 
Rücksicht nimmt, Demokrit habe Todte zu erwecken gewusst, oder eine An- 


906 Atomistik. [811. 812) 


Ist dagegen der Tod wirklich eingetreten, haben | sich die 
Atome, aus denen die Seele zusammengesetzt ist, vollständig 
vom Körper getrennt, so ist es nicht möglich, dass sie jemals 
wieder in ihn zurückkehren, oder dass sie sich ausserhalb des 
Körpers in ihrer Verbindung erhalten?). | 

Auf den Unterschied der Seele vom Körper und auf ihre 
Erhabenheit über den Körper will Demokrit darum nicht ver- 
zichten. Die Seele ist ihm das wesentliche am Menschen, der 
Leib ist nur das Gefäss der Seele®), und er ermahnt uns aus 
diesem Grunde, mehr für diese zu sorgen, als für jenen); er 
erklärt die körperliche Schönheit ohne Verstand für etwas 
thierisches*), er sagt, der Adel der Thiere bestehe in körper- 


weisung dazu hinterlassen. Jedenfalls handelt es sich aber in der Stelle 
des Plinius nur um magische Künste, wie sie der Aberwitz späterer Fälscher 
dem abderitischen Naturforscher beilegte, nicht um einen mit seinem Stand- 
punkt schlechthin unvereinbaren Unsterblichkeitsglauben, und schon die 
Worte: qui non revizit spse, welche auf ein jenseitiges Leben bezogen keinen 
Sinn hätten, würden diess darthun; es ist daher ein starker Verstoss, wenn 
Röru (Gesch. d. abendl. Phil. I, 362. 433) nach Brucker’s Vorgang (Hist. 
crit. phil. I, 1195) alles Ernstes daraus schliesst, Demokrit sei ein Anhänger 
des persischen Auferstehungsglaubens gewesen. 

1) Diess liegt so sehr in der Natur der Sache, dass wir das Zeugniss 
eines JaußLicnh Ὁ. Stop. ἘΝῚ. I, 924. Lacranz Inst. VII, 7. Tiugoporkt 
cur. gr. αὐ. V, 24. S. 73 und der Placita IV, 7, 4 kaum nöthig haben, um 
Demokrit den Unsterblichkeitsglauben abzusprechen, besonders da auch nir- 
gends angegeben wird, dass Epikur in dieser Beziehung von ihm abwich. 
da vielmehr bei der entscheidenden Wichtigkeit, welche dieser Philosoph 
der Leugnung der Unsterblichkeit beilegte, seine und seiner Schule Ver- 
ehrung gegen Demokrit einen Gegensatz beider in dieser Frage ausschliesst. 
Demokrit selbst Aussert sich Ὁ. Srtos. Floril. 120, 20: ἔνεοε ϑνητῆς φύσιος 
διάλυσιν οὐχ εἰδότες ἄγϑρωποι, ξυνειϑήσι δὲ τῆς ἐν τῷ βίῳ χακοπραγμο- 
σύνης, τὸν τῆς βιοτῆς χρόνον ἐν ταραχῆσε καὶ φόβοισι ταλαιπωρέουσι, 
ψεύϑεκ περὶ τοῦ μετὰ τὴν τελευτὴν μυϑοπλαστέοντες χρύνοι. Die selt- 
same und dem vorangehenden widersprechende Angabe Plac. V, 25, 3, dass 
nach Leucippus der Tod ein πάϑος σώματος, οὐ ψυχῆς sei, wird auf irgend 
einem Missverständniss des Doxographen oder einer Textverderbniss be- 
ruhen: vielleicht ist σώμ. οὐ zu streichen oder ψυχ., οὐ σώμ. zu setzen. 

2) Zxnvos ist bei Demokrit eine häufige Bezeichnung für den Leib; 
Fr. mor. 6. 22. 127. 128. 210. 

3) Fr. mor. 128: ἀνϑρώποισι ἁρμόϑιον ψυχῆς μᾶλλον ἢ σώματος 
ποιέεσϑαι λόγον" ψυχὴ μὲν γὰρ τελεωτάτη σχήγεος μοχϑηρίην ὑρϑοῖ, σχή- 
veos δὲ ἰσχὺς ἄνευ λογισμοῦ ψυχὴν οὐδέν τι ἀμείνω τίϑησι. 

4) Ebd. 129. 


[812. 818] Die Seele. 007 


lichen, der des Menschen in sittlichen Vorzügen!); er sucht 
den Wohnsitz des Glückes in der Seele, das höchste Gut in 
der rechten Gemüthsstimmung 3), er macht die Seele für den 
Schaden, welchen sie dem Leibe zufüge, verantwortlich®), er 
stellt die Güter der Seele als die göttlichen denen des Leibes, 
den blos menschlichen, entgegen *), er soll den Verstand des 
Menschen geradezu unter die göttlichen Wesen gerechnet 
haben). Diess steht aber mit dem | Materialismus des atomi- 
stischen Systems, sobald wir uns auf seinen eigenthümlichen 
Standpunkt versetzen, durchaus nicht im Widerspruch. Die 
Seele ist etwas körperliches, wie alle anderen Dinge, aber da 
die körperlichen Stoffe ebenso verschieden sind, als die Ge- 
stalt und Zusammensetzung der Atome, woraus sie bestehen, 
so ist es auch möglich, dass ein Stoff Eigenschaften habe, die 
keinem anderen zukommen, und so gut die Kugel für die 
vollkommenste Gestalt gehalten wird, ebensogut mag Demokrit 
annehmen, dass dasjenige, was aus den feinsten kugelförmigen 
Atomen zusammengesetzt ist, das Feuer oder die Seele, alles 
andere an Werth übertreffe. Der Geist gilt ihm, wie andern 
Materialisten®), für den vollkommensten Körper. 

Aus diesem Gedankenzusammenhang ergibt sich nun, in- 
wiefern Demokrit sagen konnte, dass allen Dingen Seele und 
Geist inwohne, und dass eben diese durch das Weltganze ver- 


1) Ebd. 127. 

2) Fr. 1 u. a. Näheres tiefer unten. 

3) PLur. utr. an. an corp. 8. lib. (fragm. I) c. 2, S. 695: Demokrit 
sagt, wenn der Leib die Seele wegen Missbrauchs und schlechter Behand- 
lung verklagte, würde er sie verurtheilen. 

4) Ebd. 6: ὁ τὰ ψυχῆς ἀγαϑὰ ἐρεόμενος τὰ ϑειότερα, ὁ δὲ τὰ σχή- 
τος, τἀνϑρωπήϊα. 

5) Cıo. N. D. I, 12, 29: Demooritus φωΐ tum imagines (8. Ὁ.) . . . in 
Deorum numero refert . . . ium soientiam intelligentiamque nostram. Auch diese 
Angabe ist als geschichtliches Zeugniss zu benützen, denn so willkürlich 
auch der Epikureer, dem Cicero hier folgt, die Ansichten der älteren Denker 
zu verdrehen pflegt, so liegt doch seinen Angaben in der Regel etwas that- 
sächliches zu Grunde: er rechnet alles das zu den Göttern eines Philosophen, 
was von diesem als göttlich, wenn auch in der weitesten Bedeutung, be- 
zeichnet worden ist; Demokrit konnte aber den τοῦς wohl Ysivs und in 
gewissem Sinn auch 9s06 nennen. 

6) Z. B. Heraklit, die Stoiker u. a. 


908 Atomistik. [813. 814] 


theilte Seele die Gottheit sei. Da er die Vernunft der Seele, 
und die Seele dem warmen und feurigen Stoff gleichsetzt, so 
muss er in allem genau so viel Seele und Vernunft finden, 
als er Leben und Wärme darin findet. Er nimmt daher an, 
dass in der Luft viel Seele und Vernunft vertheilt sei, denn 
wie könnten wir sonst Leben und Seele aus ihr einathmen!); 
er schreibt auch den Pflanzen ein Leben zu?), und selbst in 
den Leichnamen liess er einen Rest von Lebenswärme und 
Empfindung übrig®). | Dieses durch die ganze Welt verbreitete 
Warme und Seelische hatte er nun, wie es scheint, als das 
Göttliche in den Dingen bezeichnet*), und so kann auch wohl 
in späterer Ausdrucksweise gesagt werden, er halte die Gott- 
heit für die aus runden Feuerkörpern gebildete Weltseele und 
Vernunft®). Doch ist dieser letztere Ausdruck ungenau und 
irreführend, denn Demokrit denkt sich unter dem, was er das 


1) Anıst. De respir. 4: ἐν γὰρ τῷ ἀέρι πολὺν ἀριϑμὸν elvas τῶν 
τοιούτων, & χαλεὶ ἐχεῖνος νοῦν καὶ ψυχήν. ΤΉΚΟΡΗΒ. De sensu 53: ὅσῳ 
ἐμψυχότερος ὁ ἀήρ. 

2) Pıur. qu. nat. 1, 1. 5. 911: ζῷον γὰρ ἔγγειον τὸ {φυτὸν εἶναι οἱ 
περὶ Πλάτωνα χαὶ Arafayooav χαὶ “ημόχριτον οἴονται. Ps.-Arıst. De 
plant. c. 1. 815 b 16: ὁ δὲ “ναξαγόρας χαὶ ὁ “ημόχρειτος καὶ ὁ Ἐμπε- 
doxins χαὶ γοῦν χαὶ γνῶσιν εἶπον ἔχειν τὰ φυτά. 

3) Plac. IV, 4, 7: ὁ δὲ “Πημόχριτος πάντα μετέχειν φησὶ ψυχῆς ποιᾶς 
χαὶ τὰ γεχρὰ τῶν σωμάτων" διότε ἀεὶ δειαφανῶς τινος ϑερμοῦ xal αἰσϑθη- 
τιχοῦ μετέχει, τοῦ πλείονος διαπνεομένου. Jon. Dauasc. Parall. s. II, 25, 
40. Srto». Floril. ed. Mein. IV, 236: Anuoxe. τὰ rexpa τῶν σωμάτων 
κἰσϑάνεσϑαι. Ebenso Auzx. Top. 21, 21. (Aehnlich Parmenides 8. 8. 579. 
Ueber Tusorur. De sensu 71, wo PaıLıppsox im Sinn dieser Annahme für 
„4sxg00“, „vexgoü“ vorschlägt, s.m. Diers Doxogr. 520.) Uebrigens ist die 
Sache nicht ausser Streit; Cıc. sagt Tusc. I, 34, 82: num igitur aliquis dolor 
aut ommino post morlem sensus in oorpore est? nemo td quiden dieit, etsi Demo- 
eritum insimulat Epicurus: Demoeritioi πόσα. Nach dieser Stelle scheint es, 
dass sich Demokrit's Behauptung entweder auf die Zeit bis zum völligen 
Erkalten des Leichnams beschränkte, oder dass er den Todten zwar ein 
kleinstes von Seele, d. h. von Wärme, aber kein Bewusstsein und kein Ge- 
fühl zuschrieb. 

4) Cıc. N. D. I, 43, 120: tum prineipia mentis quae sunt in codem wni- 
verso Decos esse dieit. Diese principia mentis sind offenbar dasselbe, was 
Aristoteles in der ebenangeführten Stelle meint, die feinen und runden 
Atome. M. vgl. hiezu Anm. 1. 907, 5. 

5) Plac. I, 7, 16 (vgl. Krıscue Forsch. 1, 157. Dies Doxogr. 302): 
Anu. νοῦν τὸν ϑεὸν ἐν πυρὶ σφαιροειδεῖ. 


[814. 815] Seele und Leib. 909 


Göttliche nennt, nicht blos kein persönliches, sondern tüber- 
haupt kein einheitliches Wesen, nicht eine Seele, sondern 
nur Seelenstoff?), Feueratome, die Leben und Bewegung, 
und wo sie sich in grösseren Massen anhäufen, auch Vernunft 
hervorbringen, aber nicht Eine das Weltganze bewegende Kraft 
im Sinn der anaxagorischen Vernunft oder der platonischen Welt- 
seele. Es ist daher richtiger, wenn ihm andere die Annahme eines 
weltbildenden Geistes und einer weltregierenden Gottheit ab- 
sprechen ?). Das Geistige ist ihm nicht die Macht über den gesamm- 
ten Stoff, sondern nur ein Theil des Stoffes; die einzige bewegende 
Kraft ist die Schwerkraft, und auch die Seele ist nur dess- 
wegen das beweglichste und der Grund der Bewegung, weil 
die Stoffe, woraus sie besteht, vermöge ihrer Grösse und Ge- 
stalt am leichtesten durch Druck und Stoss bewegt werden. 
Die Lehre vom Geist ist hier nicht aus dem allgemeinen Be- 
dürfniss eines tieferen Princips für die Naturerklärung hervor- 
gegangen, sondern sie bezieht sich zunächst nur auf die mensch- 
liche Seelenthätigkeit; und wenn auch Analoga der letzteren 
in | der übrigen Natur aufgesucht werden, so unterscheidet 
sich doch das, was Demokrit über den Geist sagt, von den 
entsprechenden Bestimmungen eines Anaxagoras und Heraklit 
und selbst eines Diogenes dadurch, dass der Geist von ihm 
nicht als die weltbildende Kraft, sondern nur als ein Stoff 
neben andern betrachtet wird; und sogar hinter der empedo- 
kleischen Lehre, der es sonst nahe verwandt ist, bleibt es 
noch zurück, denn Empedokles behauptet die Vernünftigkeit, 
die er allen Dingen beilegt, als eine innere Eigenschaft der 
Elemente, Demokrit dagegen nur als eine aus der mathemati- 
schen Beschaffenheit gewisser Atome in ihrem Verhältniss zu 
den andern sich ergebende Erscheinung®): Empfindung und 


1) Prinoipia mentis, wie Cicero richtig sagt, ἀρχαὶ γνοεραί. 

2) 8. o. 872, 2. 

3) Ob diess aber ein Mangel, oder wie Lange Gesch. ἃ. Mat. I, 20 
glaubt, ein Vorzug der demokritischen Lehre, oder vielleicht beides zugleich, 
die folgerichtige Durchführung eines einseitigen Standpunkts ist, habe ich 
hier nicht zu untersuchen, um so weniger, da die thatsächliche Richtigkeit 
meiner Darstellung von L. anerkannt, andererseits aber auch von ihm be- 


908 Atomistik- 


theilte Seele die Gottheit sei. Da er die 
und die Seele dem warmen und feurigen 
muss er in allem genau so viel Seele un 
als er Leben und Wärme darin findet. 1 
dass in der Luft viel Seele und Vernunft 
wie könnten wir sonst Leben und Seele au 
er schreibt auch den Pflanzen ein Leben : 
den Leichnamen liess er einen Rest von 
Empfindung übrig®). | Dieses durch die 85) 
Warme und Seelische hatte er nun, WI° 
Göttliche in den Dingen bezeichnet‘), und 
in späterer Ausdrucksweise gesagt werden. 
heit für die aus runden Feuerkörpern gebil 
Vernunft®). Doch ist dieser letztere Aus 


irreführend, denn Demokrit denkt sich unt‘ 


1) Anısr. De respir. 4: ἐν γὰρ τῷ or 
τοιούτων, ἃ χαλεῖ ἐχεῖνος νοῦν zal ψυχῆ". 


ἐμψυχότερος ὁ ἀήρ. 911: ζῷον γὰρ ἔγγ" 
8. : 


2) Prvr. qu. nat. 1, 1. eo 
περὶ Πλάτωνα za) "Arafaydonr χαὶ a Anıı 
plant. ο. 1. 815 b 16: ὁ δὲ Ἀναξαγόρας wet τς 


ν τὰ φυτά. 
ς πάντα μετ) 
διαφανῶς τι" 
Jon. Ὁ. 


δοχλῆς καὶ νοῦν καὶ γνῶσιν εἶπον ἔχει 
8) Plac. IV, 4, 7: ὃ δὲ Δημόκριτοι 
χαὶ τὰ γεχρὰ τῶν σωμάτων" διότι ἀεὶ 
τικοῦ μετέχει, τοῦ πλείονος dien , 
40. Sron. Floril. ed. Mein. IV, 286: «Τημύπα, in 
αἰσθάνεσθαι. Ebenso Arız. Top. 21, 21- (AO 


prsor ἦ! 
»μεχροῦ", ηγεχροῦ“ vorschlägt, 5. 
Sache nicht ausser Streit; Cıc. sagt 
aut om: 
eritum 
dass si 
Erkaltı 
kleinst 
fühl zu 

4 

verso ı 
Aristot 
Atome. 

5 

Ang. ı 


[814. 815] 


Göttliche nennt 
haupt kein ein 
nur Seelenst 
und wo sie sicl 
hervorbringen, : 
im Sinn derana: 


aller Dinge. 91 


ondern sie ist mehr oder weniger 
‘t, ohne die ja überhaupt die 
«ht zu erklären wäre. Indem 
swerkzeuge in den Körper ein- 
‘heile desselben verbreiten, ent- 
ὦ), die sinnliche Empfindung!). 


mn 


910 Atomistik. [815. 816] 


Bewusstsein sind nur eine Folge von der Beweglickeit jener 
Atome!), 

Von den Seelenthätigkeiten scheint Demokrit die des Er- 
kennens vorzugsweise in’s Auge gefasst zu haben, wenigstens 
ist uns nur von diesen überliefert, wie er sie zu erklären ver- 
suchte. Hiebei konnte er nun im allgemeinen, nach allem 
bisherigen, nur von der Voraussetzung ausgehen, dass alle 
Vorstellungen in körperlichen Vorgängen bestehen?). Im be- 
sondern hatte er sich sowohl über die Sinnesempfindungen, 
als über das Denken, genauer erklärt. Die ersteren führte 
er folgerichtig auf die Veränderungen zurück, welche durch 
die äusseren Eindrücke in uns hervorgebracht werden®); und 
da nun jede Einwirkung eines Körpers auf | einen andern 
durch Berührung bedingt ist*), so kann gesagt werden, er 
mache alle Sinnesempfindung zu einer Berührung und alle 
Sinne zu Unterarten des Tastsinns5). Nur ist diese Berührung 


merkt wird: „der Mangel des Materialismus bestehe darin, dass er mit seiner 
Erklärung der Erscheinungen abschliesse, wo die höchsten Probleme der 
Philosophie erst beginnen“. 

1) In dem obigen liegt auch der Grund, wesshalb Demokrit’s An- 
nahmen über das Geistige in der Natur erst hier erwähnt werden: seine 
Naturerklärung bedarf dieser Annahmen nicht, sondern sie haben sich ihm 
erst aus der Betrachtung des menschlichen Geistes ergeben, und sind nur 
hieraus zu verstehen. 

2) Sros. Floril. ed. Mein. IV, 283: Aeuxınnos, “μοχράτης ( — ὀχρι- 
τος) τὰς αἰσϑήσεις χαὶ τὰς νοήσεις ἑτεροιώσεις εἶναε τοῦ σώματος. 

8) Arısr. Metaph. IV, 5. 1009 b 12 von Demokrit und andern: διὰ 
τὸ ὑπολαμβάνειν φρόνησιν μὲν τὴν αἴσϑησιν, ταύτην δ᾽ εἶναε ἀλλοέωσιν, 
τὸ φαινόμενον χατὰ τὴν αἴσϑησι" ἐξ ἀνάγχης ἀληϑὲς εἶναί φασιν. 
Tu£orar. De sensu 49: “Πημόχριτος δὲ... τῷ ἀλλοιοῦσϑαε ποιεὶ τὸ αἷσ- 
ϑάνεσϑαι. Theophrast hnüpft hieran die Bemerkung, die von Demokrit 
offen gelassene Frage, ob jeder Sinn das ihm gleichartige oder das ungleich- 
artige empfinde, wäre nach dieser Bestimmung in entgegengesetztem Sinn 
zu beantworten: sofern die Sinnesempfindung eine Veränderung sei, "müsste 
sie von ungleichartigem, sofern nur verwandtes auf einander wirke (s. o. 
853, 3), von gleichartigem herrühren. Vgl. S. 911, 4. 

4) S. o. 8. 862 ἢ. 

5) Arıst. De sensu c. 4. 442 a 29: Anuöxgıros δὲ xal οἱ πλεῖστοι 
τῶν φυσιολόγων, ὅσοι λέγουσι περὶ αἰσϑήσεως, ἀτοπώτατον τι ποιοῦσιν" 
πάντα γὰρ τὰ αἰσϑητὰ ἁπτὰ ποιοῦσιν᾽ καίτοι εἰ οὕτω τοῦτ᾽ ἔχει, δῆλον 
ὡς καὶ τῶν ἄλλων αἰσθήσεων ἑχάστη ἁφή τις ἐστί»:. 


[816. 817] Beseelung aller Dinge. 911 


nicht blos eine unmittelbare, sondern sie ist mehr oder weniger 
durch die Ausflüsse vermittelt, ohne die ja überhaupt die 
Wechselwirkung der Dinge nicht zu erklären wäre. Indem 
diese Ausflüsse durch die Sinneswerkzeuge in den Körper ein- 
dringen und sich durch alle Theile desselben verbreiten, ent- 
steht die Vorstellung der Dinge, die sinnliche Empfindung). 
Damit es aber wirklich dazu komme, ist theils eine gewisse 
Stärke des Eindrucks, | ein gewisses Mass der eindringenden 
Atome nothwendig?), theils muss auch ihre materielle Be- 
schaffenheit derjenigen der Sinneswerkzeuge entsprechen; denn 
da nur gleichartiges auf einander wirken kann®), so werden 
unsere Sinne nur von solchem, was ihnen gleichartig ist, afhı- 
cirt werden, wir werden überhaupt jedes Ding, wie schon 
Empedokles gelehrt hatte, mit dem ihm verwandten Theil 
unseres Wesens wahrnehmen*). Wenn daher Demokrit an- 


1) Taexorar. De sensu 54: ἄτοπον δὲ xal τὸ μὴ μόνον τοῖς ὄμμασιν 
ἀλλὰ καὶ τῷ ἄλλῳ Gouarı μεταδιδόναι τῆς αἰσϑήσεως. φησὶ γὰρ διὰ 
τοῦτο χενότητα χαὶ ὑγρότητα ἔχειν δεῖν τὸν ὀφθαλμὸν, ἵν᾽ ἐπιπλέον dE- 
χῆται καὶ τῷ ἄλλῳ σώματε παραδιϑῷ. 8 55: beim Hören dringe die be- 
wegte Luft durch den ganzen Leib, doch vorzugsweise durch die Ohren ein, 
ὅταν δὲ ἐντὸς γένηται, σχίδνασϑαι διὰ τὸ τάχος. Diess wird dann durch 
das folgende noch weiter erläutert. ὃ 57: ἄτοπον δὲ χαὶ di’ ὧν (l. καὶ 
ἴδιον) χατὰ πᾶν τὸ σῶμα τὸν ψόφον εἰςιέναι χαὶ ὅταν εἰςέλϑη διὰ τῆς 
ἀχοῆς διαχεῖσϑαι κατὰ πᾶν, ὥσπερ οὐ ταῖς ἀχοαῖς ἀλλ᾽ ὅλῳ τῷ σώματι 
τὴν αἴσϑησιν οὖσκν. οὐ γὰρ εἰ χαὶ συμπάσχεε τι τῇ ἀκοῇ, διὰ τοῦτο χαὶ 
αἰσθάνεται. πάσαις γὰρ [86. ταῖς αἰσϑήσεσι)] τοῦτό γε ὁμοίως ποιεῖ" καὶ 
οὐ μόνον ταῖς αἰσϑήσεσιν, ἀλλὰ χαὶ τῇ ψυχῇ ... τὰς δὲ ἄλλας αἰσϑή- 
σεις σχεδὸν ὁμοίως ποιεῖ τοῖς πλείστοις, 8180 wohl auch darin, dass er 
nicht blos beim Geruch und Geschmack, sondern auch bei den Wahr- 
nehmungen des Tastsinns ein Eindringen von Ausflüssen in den Körper an- 
nahm, da er sich nur durch eine Berührung der ganzen Seele mit denselben 
die Empfindung zu erklären wusste. Für die Empfindung der Wärme scheint 
es sich auch aus der Natur derselben zu ergeben. 

2) S. o. 864, 1. 866, 1. Tueorur. a. a. O. 55: die Töne dringen zwar 
durch den ganzen Körper ein, in der grössten Menge jedoch durch die 
Ohren, διὸ χαὶ χατὰ μὲν τὸ ἄλλο σῶμα οὐκ αἰσϑάνεσϑαι, ταύτῃ δὲ μόνον. 

8) 5. ο. 858, 3. 

4) Tusorur. De 8. 50: wir sehen um so besser, wenn die Augen feucht 
sind, die Hornhaut dünn und fest, die inneren Gewebe locker, die Gänge 
der Augen gerade und trocken, χαὶ ὁμοιοσχημονοῖεν [sc. of ὀφϑαλμοὶ] τοὶς 
ἀπυτυπουμένοις. Sext. Math. VII, 116: παλαιὰ γάρ τις, ὡς προεῖπον, 
ἄγωθεν παρὰ τοῖς φυσιχοὶς χυλίεταε δόξα περὶ τοῦ τὰ ὅμοια τῶν ὁμοίων 

Philos. ἃ. Gr. I. Bd. 5. Aufl. 


912 Atomistik. [817] 


nahm, dass manche Eindrücke keine Wahrnehmung hervor- 
rufen!), und wenn er die Möglichkeit zugab, dass andere 
Wesen Sinne haben können, die urs fehlen 3), so stimmt diess 
mit seinen sonstigen Voraussetzungen ganz gut zusammen. | 


elyaı γνωριστιχά. χαὶ ταύτης ἔδοξε μὲν χαὶ “ημόχριτος χεχομιχέναε τὰς 
παραμυϑίέας, nämlich in der Stelle, die S. 888, 2 abgedruckt ist. Dass 
diese Stelle wirklich in diesem Zusammenhang stand, wird durch Plac. IV, 
19, 3 bestätigt, wo ein Auszug daraus mit den Worten eingeleitet wird: 
“ημόχριτος καὶ τὸν ἀέρα φησὶν εἷς ὁμοιοσχήμονα ϑρύπτεσϑαι σώματα 
καὶ συγκαλενδεῖσθαι τοῖς ἐκ τῆς φωνῆς ϑραύσμασε" (hierüber S. 914) „xo- 
λοιὸς γὰρ παρὰ χολοιὸν Kaveı“ u. s. w. Ueber den Grundsatz selbst, dass 
gleiches durch gleiches erkannt werde, s. m. Arıst. De an. I, 2. 405 b 12: 
diejenigen, welche das Wesen der Seele durch ihre Erkenntnissthätigkeit 
bestimmen, machen sie zu einem der Elemente oder einem aus mehreren 
Elementen zusammengesetzten, λέγοντες παραπλησίως ἀλλήλοις πλὴν ἑνός 
(Anaxagoras)’ φασὶ γὰρ γενώσχεσϑαι τὸ ὅμοιον τῷ ὁμοίῳ. 

1) Sro». Floril. ed. Mein. IV, 233: Anuöxgsrog πλείους μὲν εἶναι τὰς 
αἰσθήσεις τῶν αἰσϑητῶν, τῷ δὲ μὴ ἀναλογίζειν τὰ αἰσϑητὰ τῷ πλήϑει 
(sc. τῶν αἰσϑησεω») λανϑάνειν. Dass diese, in ihrem Wortlaut vielleicht 
entstellte Angabe den oben angenommenen (auch von Dısrs Doxogr. 399 
wahrscheinlich gefundenen) Sinn habe, ist freilich blosse Vermuthung. Die 
αἰσϑήσεες müssten dann die Affectionen der Sinnesorgane bezeichnen, die 
αἰσϑητὰ das zur Wahrnehmung gekommene, das Wahrgenommene in der 
subjektiven Bedeutung, die das Wort auch bei Tarorur. De sensu 60. 63 
hat, die Erscheinung. 

2) Plax. IV, 10, 4: “ημόχριτος, πλείους εἶναε alodnosıs περὶ τὰ 
ἄλογα ζῷα καὶ (GaLEn h. ph. 5. 303 Kühn: ἢ) περὶ τοὺς σοφοὺς xal περὶ 
τοὺς ϑεούς. Dieser Angabe wird man das oben gesagte jedenfalls entnehmen 
können; sonst lautet sie aber seltsam genug. Lässt man das xa} hinter ἔῷα 
stehen, so könnten die Worte, die unter dem Titel πόσαε εἰσὶν al αἰσϑή- 
o&ıs stehen, nur besagen: die Thiere, die Weisen und die Götter haben 
mehr als unsere fünf Sinne. Könnte man sich diess aber auch hinsichtlich 
der Thiere, und vielleicht auch (mit Krıscue Forsch. 154) der Götter ge- 
fallen lassen, so ist doch nicht abzusehen, wie Dem. dazu gekommen sein 
sollte, den Weisen noch einen sechsten Sinn beizulegen; denn diesen mit 
Roupe (Verhandl. d. 34. Philologenvers. 8. 11) in der „besonders gearteten 
Intelligenz“ zu suchen, die sie befähige, durch γνησίη γνώμη zur Erkennt- 
niss der Atome und des Leeren zu gelangen, halte ich für ganz unmöglich: 
diese sind doch, wie Dem. von den Atomen ausdrücklich erklärt (s. ο. 858, 1) 
und Srxr. Math. VII, 139 bestätigt, nicht Gegenstand der afosnoss, und sie 
können es nicht sein. Die αἴσϑησις kommt ja nur dadurch zu Stande, dass 
ein Eindruck von angemessener Stärke unsere Organe in Bewegung setzt; 
wo wäre aber das Organ eines sechsten Sinns? und wie könnten die ein- 
zelnen Atome, wie vollends (fragt NarorP Arch. f. Gesch. d. Phil. I, 354 ἢ. 
mit Recht) das Leere und Nichtseiende diesen Eindruck hervorbringen? und 


[818] Die Sinne. 913 


Unter den einzelnen Sinnen werden uns nur über das 
Gesicht und Gehör eigenthümliche Ansichten Demokrit’s be- 
richtet; die übrigen hatte er zwar gleichfalls besprochen, aber 
abgesehen von den eben erörterten allgemeinen Annahmen 
nichts wesentlich neues darüber aufgestellt!. Die Wahrneh- 
mungen des Gesichtsinns erklärte Demokrit, wie Empedokles, 
durch die Voraussetzung, dass sich von den sichtbaren Dingen 
Ausflüsse ablösen, welche die Gestalt derselben beibehalten ; 
indem diese Bilder?) sich im Auge abspiegeln und von da 
weiter durch den ganzen Körper verbreiten, entsteht die An- 
schauung. Da aber der Raum zwischen den Gegenständen 
und unseren Augen durch Luft ausgefüllt ist, so können die 
von den Dingen sich ablösenden Bilder nicht unmittelbar in 
unsere Augen gelangen, sondern was diese selbst berührt, ist 
nur die Luft, die von jenen Bildern bei ihrem Ausströmen 
bewegt und zu einem Abdruck derselben gemacht wird, und 
ebendaher kommt es, dass die Deutlichkeit der Anschauung 
durch die Entfernung leidet; da aber zugleich auch von un- 
sern Augen Ausflüsse ausgehen, so wird das Bild des Gegen- 
standes auch durch diese modificirt®). Es ist daher sehr |er- 


müsste nicht in diesem Fall auch die Erkenntniss der Atome und des Leeren 
zu dem μεταπίπτον χατὰ σώματος διαϑιγήν (8. ο. 864, 2), zur γνώμη 
σχοτέη gehören? Es fragt sich daher, ob nicht in unserer Stelle hinter ζῷα 
doch 7 für χαὶ zu setzen ist. Dieselbe enthielte dann nicht Demokrit's 
eigene Aussage, sondern eine gegnerische Folgerung. Was er gesagt hatte, 
wäre nur diess, dass die Thiere Sinne haben mögen, welche anderen Wesen 
fehlen, und daraus hätte ein Gegner, wohl ein Stoiker, die ihm ungereimt 
scheinende Folgerung abgeleitet, er schreibe den vernunftlosen Wesen ein 
Erkennen zu, welches die höchsten Vernunftwesen, die Götter und die Weisen, 
nicht besitzen. Weiteres S. 916, 3. 

1) Turorur. De sensu 49: περὶ ἑχάστης δ᾽ ἤϑη τῶν ἐν μέρει [αἱσ- 
ϑήσεων) πεερᾶταε λέγεεν. ὃ 57: χαὶ περὶ μὲν ὄψεως καὶ ἀχοῆς οὕτως 
ἀποδίδωσι. τὰς δ᾽ ἄλλας αἰσθήσεις σχεδὲν ὁμοίας ποιεὶ τοῖς πλείστοις. 
So enthalten auch die kurzen Angaben über den Geruchssinn a. ἃ. Ο. ὃ 82 
und De odor. 64 nichts eigenthümliches. Vgl. auch S. 866, 1. 

2) Εἴδωλα, wie sie gewöhnlich genannt werden (Dıoc. IX, 47 nennt 
eine eigene Schrift Demokrit’s περὶ eidwAwy); nach dem Etymol. Magn. u. 
ἃ. W. δείχελα bediente sich Demokrit dafür auch dieses Ausdrucks. 

3) Das obige ergibt sich aus Arıst. De sensu c. 2. 438 a 5: Anuo- 
zgeros δ᾽ ὅτι μὲν ὕδωρ εἶναί φησι [τὴν ὄψιν) λέγεε χαλῶς ὅτε δ᾽ οἴεται 
τὸ ὁρᾷν εἶναι τὴν ἔμφασιν (die Abspieglung der Gegenstände im Auge), οὐ 

58* 


914 Atomistik. [819] 


! 


klärlich, dass unser Gesicht die Dinge nicht so darstellt, wie 
sie an sich sind). Aehnlich lautet die Erklärung des Ge- 
hörs und der Töne®). Der Ton ist ein von dem tönenden 
Körper ausgehender Strom von Atomen, welcher die vor ihm 
liegende Luft in Bewegung setzt. In dieser Atomenströmung 
und in der von ihr bewegten Luft finden sich, einem früher 
erörterten Gesetze gemäss, die gleichgestalteten Atome zu- 
sammen®). Indem diese an die Seelenatome gelangen, ent- 


χαλῶς" τοῦτο μὲν γὰρ συμβαίνει, ὅτε τὸ ὄμμα λεῖον u. 8. w. τὸ μὲν οὖν 
τὴν ὄψιν εἶναι ὕδατος ἀληϑὲς μὲν, οὐ μέντοι συμβαίνεε τὸ ὁρᾷν y ὕδωρ, 
ἀλλ᾽ 7 διαφανές. Aızx. z. ἃ. 81. 97 au. ΤΉΞΟΡΗΚ. De sensu 50: ὁρᾷν μὲν 
οὖν ποιεῖ τῇ ἐμφάσει" ταύτην δ᾽ ἰδίως λέγει" τὴν γὰρ ἔμφασιν οὐχ εὐθὺς 
ἐν τῇ χόρη γίνεσθαι, ἀλλὰ τὸν ἀέρα τὸν μεταξὺ τῆς ὕψεως χαὶ τοῦ ὁρω- 
μένου τυποῦσϑαι, συστελλόμενον ὑπὸ τοῦ ὁρωμένου καὶ τοῦ ὁρῶντος" 
(ἅπαντος γὰρ ἀεὶ γίνεσϑαί τενα ἀποῤῥοήν) ἔπειτα τοῦτον στερεὸν ὄντα 
χαὶ ἀλλόχρων ἐμφαίνεσθαι τοῖς ὄμμασιν ὑγροῖς" χαὶ τὸ μὲν πυχνὸν οὐ 
δέχεσϑαι τὸ δ᾽ ὑγρὸν διϊέναι. Die gleichen Angaben wiederholt Th. im 
folgenden (wo 8 Hl statt πυχνούμενον οτυπούμ." zu lesen ist) in der Be- 
urthbeilung dieser Ansicht, indem er sie zugleich durch das 5. 911, 1 mit- 
getheilte u. a. ergänzt. Für seine Annahme über die Bilder berief sich De- 
mokrit auf das im Auge sichtbare Bild des Objekts (Arzx. a. a. O.); dass 
wir im Dunkel nicht sehen, erklärte er nach ΤΉΒΟΡΗΒ. ὃ 55 durch die An- 
nahme, die Sonne müsse die Luft verdichten, um die Bilder festhalten zu 
können. Wesshalb er nicht diese selbst, sondern nur ihren Abdruck in der 
Luft in’s Auge fallen liess, deutet die Notiz bei Asıst. De an. I, 7. 419 
a 15 an: οὐ γὰρ καλῶς τοῦτο λέγει Δημόχριτος, olöusvog, εἰ γένοιτο χενὸν 
τὸ μεταξὺ, ὁρᾶσϑαι ἄν ἀχριβῶς καὶ εἰ μύρμηξ ἐν τῷ οὐρανῷ εἴη. Weniger 
genau ist die Angabe Plac. IV, 13, 1 (wozu Mourrach 8. 402 5. vgl.): das 
Sehen entstehe nach Leucipp, Demokrit und Epikur xar' εἰδώλων εἰςχρίσεις 
xal χατά τινων axılvav εἴςχρισιν μετὰ τὴν πρὸς τὸ ὑποχείμενον ἔνστασιν» 
πάλιν ὑποστρεφουσῶν πρὸς τὴν ὄψι». Wie das Auge nach Demokrit be- 
schaffen sein muss, um gut zu sehen, wurde S. 911, 4 angeführt. Auch die 
Spiegelbilder erklärte er durch die Lehre von den εἴϑωλα: Plac. IV, 14, 2 
vgl. Lucker. IV, 141 ff. 

1) S. S. 868 £. 

2) Tueorur. a. a. O. 55—97 vgl. ὃ 53. Plac. IV, 19. Geır. N. A. 
ν, 15, 8. Murrs4ch 342 ff. BurcHarp Democr. phil. de sens. 12. Vgl. 
Ss. 911, 1. 4. 

3) 5. 5. 888, 2. Durch diese Bestimmung wollte Demokrit, wie es 
scheint, die Massverhältnisse und die musikalische Beschaffenheit der Töne 
erklären, worüber er sich in der Schrift m. ῥυϑμῶν xal ἁρμογίης (Dıioo. 
ΙΧ, 48) geäussert haben wird. Ein Ton, konnte er sagen, sei um 80 reiner, 
je gleichartiger, um so höher, je kleiner die Atome seien, in deren Strömung 
er bestehe. 


[820] Die Sinne und das Denken. 915 


stehen die Empfindungen des Gehörs. Wiewohl aber die 
Töne durch den ganzen Körper eindringen, | so hören wir 
doch nur mit den Ohren; denn dieses Organ ist so gebaut, 
dass es die grösste Tonmasse in sich aufnimmt und ihr den 
raschesten Durchgang gestattet, während durch die übrigen 
Körpertheile deren zu wenige hindurchgehen können, um von 
uns wahrgenommen zu werden !?), 

Von der Wahrnehmung scheint Demokrit das Denken 
seinem psychologischen Ursprung und Charakter nach noch 
nicht bestimmt unterschieden, und unter den Ausdrücken, 
welche die Späteren auf das Denken im engeren Sinn ein- 
schränken, alle Arten von Vorstellungen zusammengefasst zu 
haben; und hieraus erklärt sich die Behauptung, die seelische 
und die Denkkraft seien nach ihm Ein und dasselbe?), Wahr- 
nehmung und Denken gleichsehr materielle Veränderungen 
des Seelenkörpers®), welche ebenso, wie jede andere Ver- 


1) Aus diesem Gesichtspunkt werden bei Turornr. $ 56 die physio- 
logischen Bedingungen eines scharfen Gehörs untersucht. 

2) Arısrt. De an. I, 2.404 a 27: ἐχεῖνος [“ημόχρειτος μὲν γὰρ ἁπλὼς 
ταὐτὸν ψυχὴν χαὶ νοῦν᾽ τὸ γὰρ ἀληϑὲς εἶναε τὸ φαινόμενον (hierüber 
8. 918) διὸ χαλῶς ποιῆσαι τὸν Ὅμηρον (bei dem sich diess aber über 
liektor nicht findet; m. 8. die Ausleger z. ἃ. St. und zu Metaph. IV, 5 und 
Musica 346) ὡς Ἕχτωρ xeir’ ἀλλοφρονέων. οὐ δὴ χρῆται τῷ νῷ ὡς du- 
vauss τενὶ περὶ τὴν ἀλήϑειαν, ἀλλὰ ταὐτὸ λέγεε ψυχὴν καὶ νοῦν. Ebd. 
405 a 8 8. ο. 902, 4. Metaph. IV, 5. 1009 b 28 (8. u. 916, 2), Paıtor. De 
an. A 16 0. B 16 m. Jauer. b. Stop. Ekl. I, 880: οὗ δὲ περὶ Anuoxgırov 
πώντα τὰ εἴδη τῶν δυνάμεων εἰς τὴν οὐσίαν αὐτῆς [τῆς ψυχῆς] συνάγου- 
σεν. Ebendahin gehörte, was in dem überlieferten Text des Stop. Floril. 
116, 45 Demokrit beigelegt wird; statt Demokrit’s ist aber hier ohne Zweifel 
Anuoxndovs zu lesen (8. Heınsörn. Democr. de an. doctr. 8. 3), denn die 
Worte stehen bei Ηκκον. III, 134, der sie Atossa und beziehungsweise De- 
mokedes in den Mund legt. 

3) 5τοβ. 8. o. 910, 2. Arıst. Metaph. IV, 5. (916, 2). Turornmr. De 
sensu 72: ἀλλὰ περὶ μὲν τούτων ἔοικε [“ημόχρ.)] συνηχολουϑηχέναι τοῖς 
ποιοῦσιν ὅλως τὸ φρονεῖν κατὰ τὴν ἀλλοίωσιν, ἥπερ ἐστὶν ἀρχαιοτάτη 
δόξα. πάντες γὰρ οἱ παλαιοὶ καὶ οὗ ποιηταὶ καὶ σοφοὶ κατὰ τὴν διάϑεσιν 
ἀποδιδόασε τὸ φρονεῖν. Vgl. Arıst. De an. II, 3.427 a 21: οἵ γε ἀρχαῖοι 
τὸ φρονεῖν χαὶ τὸ αἰσθάνεσθαι ταὐτὸν εἶναί φασιν, wofür neben den 
S. 808, 6 abgedruckten empedokleischen Versen, vielleicht nach Demokrit, 
Howuzr Od. XVII, 135 angeführt wird, mit der Bemerkung: zartes γὰρ 
οὗτοι τὸ νοεῖν σωματικὸν ὥσπερ τὸ αἰσϑάνεσϑαι ὑπολαμβάνουσιν. Vgl. 
die folgenden Anmerk. 


916 Atomistik. [820. 821] 


änderung, mechanisch, durch die äusseren Eindrücke, bewirkt 
werden ἢ). Ist diese Bewegung von der Art, dass die Seele 
dadurch in die richtige Temperatur versetzt wird, so wird sie 
die | Gegenstände richtig auffassen, und das Denken ist ge- 
sund; wird sie dagegen durch die ihr mitgetheilte Bewegung 
übermässig erhitzt oder erkältet, so wird sie sich unrichtiges 
vorstellen, und ihr Denken ist krankhaft?). So schwer sich 
aber bei dieser Ansicht angeben lässt, wodurch sich das wissen- 
schaftliche Erkennen überhaupt noch von der sinnlichen Wahr- 
nelımung unterscheiden soll®), so ist doch Demokrit weit ent- 


1) Cıc. Fin. 1, 6, 21: (Demoeriti sunt) atomi, inane, imagines, quae idola 
nominant, quorum inoursione non solum videamus, sed eliam cogitemus. Plac. IV, 
8, 10 von Leueipp, Demokrit und Epikur: τὴν αἴσϑησεν χαὶ τὴν νόησεν 
γίνεσϑαε εἰδώλων ἔξωϑεν προςειόντων, μηδενὶ γὰρ ἐπιβάλλειν μηδετέραν 
χωρὶς τοῦ προςπίπιοντος εἰδώλου. Vgl. Ῥεμοκε. b. βεχτ. Math. VII, 136 
(8. ο. 864, 2). 

2) Tagorur. a. a. Ο. 58: περὶ δὲ τοῦ φρονεῖν ἐπὶ τοσοῦτον elonxer, 
ὅτι γίνεται συμμέτρως ἐχούσης τῆς ψυχῆς μετὰ τὴν χίνησιν᾽ ἐὰν δὲ περί. 
ϑερμός τις ἢ περίψυχρος γένηται, μεταλλάττειν φησί. διότε χαὶ τοὺς 
παλαιοὺς χκαλῶς τοῦϑ᾽ ὑπολαβεῖν, ὅτε ἐστὴν ἀλλοφρονεῖγν. ὥστε φανερὸν 
ὅτι τῇ χράσει τοῦ σώματος ποιεῖ τὸ φρονεῖν. Statt der Worte: μετὰ τ. 
χένησιν vermuthet Scunxeiper, dem mit andern auch Πιξι8 Doxogr. 519 
beistimmt, ηχατὰ τὴν xo@aıw.“ Ich selbst hatte an die Aenderung: xar« 
τὴν χίνησεν gedacht. Es scheint mir nun aber doch, dass der überlieferte, 
auch von Wıuuer beibehaltene, Text in Ordnung ist, und Theophr. sagen 
will: das φρονεῖν (die richtige Beurtheilung der Dinge, im Unterschied vom 
alkoyppoveiv) trete dann ein, wenn der durch die Bewegung in den Sinnes- 
organen hervorgebrachte Zustand der Scele ein symmetrischer sei. Dafür 
spricht, dass dem ovuuerpws ἔχειν das περέϑερμον γένεσϑθαι (nicht: 
εἶναι) gegenübersteht, was darauf hinweist, dass es sich auch bei jenem 
nicht um den Seelenzustand handelt, den die äusseren Eindrücke vorfinden, 
sondern um den, den sie hervorbringen. Dass Dem. τῇ χρίσεε τοῦ σώματος 
ποιεὶ τὸ φρονεῖν wird erst als eine Folgerung aus dem angeführten mit einem 
ὥστε φανερὸν beigefügt. Zur Erläuterung der theophrastischen Angabe 
dient, ausser dem 8. 915, 2 angeführten, Arısr. Metaph. IV, 5. 1009 ὃ 28: 
φασὶ δὲ χαὶ τὸν Ὅμηρον ταύτην ἔχοντα galveadaı τὴν Jofav (dass alle 
Vorstellungen gleich wahr seien), ὅτε ἐποίησε τὸν "Exroga, ὡς ἐξέστη ὑπὸ 
τὴς πληγῆς, κεῖσϑαι ἀλλοφρονέοντα, ὡς φρονοῦντας μὲν χαὶ τοὺς παρα- 
φρονοῦντας, ἀλλ᾽ οὐ ταὐτά. 

3) Βμακριβ (Rhein. Mus. III, 139. Gr.-röm. Phil. I, 334 — anders 
Gesch. d. Entw. I, 145) denkt an ein „unmittelbares Innewerden der Atome 
und des Leeren“, aber man sieht nicht, wie das Leere überhaupt, und wie 
die Atome anders, ‘als in den zusammengesetzten Dingen, und diese anders, 


[821. 822] Die Sinne und das Denken. 917 


fernt, beiden den gleichen Werth beizulegen. Die sinnliche 
Wahrnehmung nennt er die dunkle, die Verstandeserkenntniss 
allein die ächte; die wahre Beschaffenheit der Dinge ist un- 
seren Sinnen verborgen, alles, was sie uns zeigen, gehört der 
unsicheren Erscheinung an; nur unser Verstand erforscht das, 
was für die Sinne zu fein ist, das reine Wesen der | Dinge, 
die Atome und das Leere!). Müssen wir auch von dem Offen- 


als durch die Sinne, auf unsere Seele wirken könnten. Auch was Jounson 
(8. 18 ἃ der S. 839, 1 genannten Abhandlung) zur Erklärung sagt, will mir 
nicht einleuchten. Scheinbarer lautet RırTer’s Vorschlag Gesch. ἃ. Phil. I, 
620, die helle oder Vernunfterkenntniss der symmetrischen Haltung der 
Seele (s. vor. Anm.) gleichzusetzen; allein dann müsste angenommen werden, 
dass jede sinnliche Wahrnehmung die Symmetrie der Seele störe, und dass 
Dem. dieser Meinung war, ist weder an sich selbst wahrscheinlich, noch 
wird es von einem unserer Berichte behauptet. Roupe’s Erklärungsversuch 
wurde schon 8. 912, 2 besprochen. An ihn knüpft Harr (Zur Seelen- und 
Erkenntnisslehre des Dem. 6 ff.) unter WınnEL»Ann’s (Gesch. ἃ. alt. Phil. 99) 
Zustimmung an, wenn er die Erkenntniss dessen, was unsere Sinne nicht 
aufzufassen vermögen, der Phantasie zuweist, deren Thätigkeit sich Dem. 
ebenso, wie Epikur seine yevraorıxzar ἐπιβολαὶ τῆς διανοίας, (Th. ΠῚ a, 
422 f.) durch die Erscheinung und Einwirkung von Idolen vermittelt gedacht 
habe. Dieser Ansicht stehen indessen die gleichen (von ΝΆΤΟΠΡ a. a. O. 
38 fi. und Diss ebd. 250 eingehender entwickelten) Bedenken entgegen, 
wie Rhode’s Vermuthung; es wird aber auch von keinem unserer Zeugen 
behauptet, dass Dem. alle unsere Phantasievorstellungen, und nicht blos ge- 
wisse, von ihm eben für keine blossen Einbildungen gehaltenen Vorstellun- 
gen (worüber 8. 836* £.), von Idolen hergeleitet habe, und wenn er es gethan 
hätte, würden doch seine wissenschaftlichen Sätze zwar vielleicht zu den 
ἐπιβολαὶ τῆς διανοίας (jactus oder injeotus animi Lucr. II, 740. 104), aber 
nicht zu den φανταστικχαὶ Enıßolal gehören. 

1) Die Belege wurden schon 8. 851, 1. 858, 1. 864, 1 gegeben. Vgl. 
Cıc. Acad. II, 28, 73: sensus . . . non obseuros dieit, sed tenebricosos (γνώμη 
σχοτίη); sie enim appellai. Mit Beziehung auf diese Lehre rückt es Turorur. 
De sens. 71 Demokrit als einen Widerspruch vor, dass er den αἰσϑητὰ (Warm, 
Kalt u. s. w.) eine g.voss, ein von unserer subjektiven Empfindung unabhängiges 
Dasein abspreche (vgl. $ 63), während er doch nicht leugnen könne, dass 
sie in der Empfindung thatsächlich vorhanden seien (so verstehe ich jetzt 
mit Dies Doxogr. 520, auf eine Textesänderung verzichtend, das yiveodaı 
μὲν ἕχαστον χαὶ εἶναι xar' ἀλήϑειαν), dass ihnen gewisse Figuren der 
Atome entsprechen (so z. B. der Säure, τοῦ ὀξέως, wie statt τῆς οὐσίας, 
mit Rücksicht auf $65, zu lesen sein wird; τῆς ϑερμασίας empfiehlt sich 
mir weniger: Theophr. bedient sich in dieser ganzen Erörterung immer der 
konkreten Ausdrücke τὸ ϑερμὸν u. 5. f., und nur dem Warmen, nicht der 
Wärme, kommt das σχῆμα zu), und dass uns die Empfindung über diese 


918 Atomistik. [822] 


baren ausgehen, um das Verborgene zu erkennen), so ist es 
doch nur das Denken, welches uns diese Erkenntniss wirk- 
lich aufschliesst?.. Wenn daher Aristoteles Demokrit die 
Meinung beilegt, dass die sinnliche Erscheinung als solche 
wahr sei®), so beruht diese Angabe nur auf seinen eigenen 
Folgerungen 4): weil er zwischen dem Wahrnehmungsvermögen 
und dem Denkvermögen nicht bestimmt unterschieden hatte, 
so schliesst Aristoteles, dass er beide auch hinsichtlich ihrer 


—— 


bis zu einem gewissen Grade belehre. Spätere drücken diess so aus, dass 
sie sagen, Demokrit halte nur das Intelligible für ein wirkliches (Ssxr. 
Math. VIII, 6), er leugne die sinnlichen Erscheinungen, er behaupte, dass sie 
nicht in der Wirklichkeit, sondern nur in unserer Meinung vorhanden seien 
(ebd. VII, 135). Ob mit der yraun oxorin (8. o. 858, 1) eine dunkle, oder 
(nach NartorP’s ansprechender Vermuthung Arch. I, 355) den ox“rsor παῖϑες 
und Plato’s Aoysouos νόϑος entsprechend, eine Bastarderkenntniss gemeint 
ist, macht in der Sache keinen Unterschied. 

1) 8. folg. Anm. In demselben Sinn werden wir es zu verstehen haben, 
wenn Dem. nach Suxr. Math. VII, 136 in den Koaruyrnoı« versprochen 
hatte, ταῖς αἰσϑήσεσι τὸ χρώτος τῆς πίστεως avadeivaı. Sagt doch 
ARISTOTELES (8. 0. 847, 1) schon von Leucippus, er habe λόγους (eine Theorie) 
gesucht, οἵτινες πρὸς τὴν αἴσϑησεν ὁμολογούμενα λέγοντες οὐχ 
ἀναιρήσουσιν οὔτε γένεσεν u. 8. w. Wenn daher in einem (von ΝΑΤΟΒΡ 
Forsch. 1% ff. besprochenen) Bruchstück GarLzn’s (II, 339 Chart.) berichtet 
wird, Demokrit lasse die Sinne dem Denken entgegenhalten: misere mens, 
quae cum a nobis fidem assumpseris nos dejieis, at cum nos dejicis, iu ipsa oadis, 
so wird man darin — falls die Worte einer ächten Schrift des Philosophen 
entnommen sind — mit Natorp einen Einwurf zu sehen haben, der im wei- 
teren Verlaufe durch die Bemerkung berichtigt wurde, die Erkenntniss der 
Dinge müsse zwar von der Wahrnehmung ausgehen, dürfe aber nicht bei 
ihr stehen bleiben. 

2) Sexr. Math. VII, 140: “ιότεμος (über den 8. 8644) δὲ τρία κατ᾽ 
αὐτὸν ἔλεγεν εἶναε χριτήρια᾽ τῆς μὲν τῶν ἀδήλων χαταλήψεως τὰ φαινό- 
μενα, ὥς φησιν Arafayopas, ὃν ἐπὶ τούτῳ “ημύχριτος ἐπαενεῖ᾽ ζητήσεως 
δὲ τὴν ἔννοιαν" αἱρέσεως δὲ καὶ φυγῆς τὰ πάϑη. Die „Kriterien“ kommen 
hier natürlich, wie die Darstellung überhaupt, auf Rechnung des Bericht- 
erstatters. 

3) Gen. etcorr.I, 2 (oben 856, 2). Dean.I,2 (oben 915, 2). Metaph. 
IV, 5 (s. 8. 916, 2). 

4) Wie er diess in der Stelle der Metaphysik selbst andeutet; das ἐξ 
ἀνάγχης ist nämlich nicht mit εἶναι, sondern mit φασὶ zu verbinden, so 
dass der Sinn ist: „weil sie das Denken für dasselbe halten, wie die Em- 
pfindung, so müssen sie die sinnliche Erscheinung nothwendig für wahr er- 
klären.“ 


[822. 828] Die Sinne und das Denken. 919 


Wahrheit sich gleichstellen müsse!). Demokrit selbst jedoch 
hätte diesen | Schluss nicht machen können, ohne mit den 
Grundbestimmungen seines Systems in Widerspruch zu ge- 
rathen; denn wenn die Dinge in der Wirklichkeit nur aus 
Atomen bestehen, die unsere $iane nicht wahrnehmen, so 
unterrichten uns die Sinne offenbar nicht über die wahre Be- 
schaffenheit der Dinge, und wenn Demokrit das Entstehen 
und Vergehen mit Parmenides und Anaxagoras für undenk- 


1) Dass ein solches Verfahren bei Aristoteles gar nicht ungewöhnlich 
ist, liesse sich durch zahlreiche Beispiele darthun; gerade Metaph. IV, 5 
sind es nur solche Schlüsse, auf die er die Beschuldigung gegen einige von 
den alten Naturphilosophen gründet, dass sie den Satz des Widerspruchs 
leugnen. Wir haben daher keinen Grund zu der Annahme (PArencorpr 60. 
Murracu 415), Demokrit habe über diesen Punkt seine Ansicht geändert, 
und das Zeugniss der Sinne, dem er früher vertraut hatte, später verworfen. 
Mag er auch einzelne seiner Annahmen in der Folge verbessert haben 
(Prur. virt. mor. c. 7, S. 448), so folgt daraus noch nicht, dass er auch 
über einen solchen Punkt zu verschiedenen Zeiten entgegengesetzte Ueber- 
zeugungen haben konnte, der mit den wesentlichsten Grundlagen des atomi- 
stischen Systems so eng, wie der vorliegende, zusammenhängt. Ebenso- 
wenig lässt sich der aristotelischen Aussage (mit Jonnson a. a. O. 24 4) 
der Sinn geben: „Demokrit nehme an, das Erscheinende sei auch wirk- 
lich objektiv vorhanden, wenn auch nicht congruent mit der Vorrtellung, 
die wir uns davon machen.“ Diese Deutung wird schon durch den Wort- 
laut (τὸ aAn92s De an. und gen. et corr.), noch bestimmter aber durch den 
Zusammenhang der angeführten Stellen widerlegt. In der Ansicht, welche 
Arist. nach Johnson Demokrit beilegt, hätte der Philosoph, der seiner- 
seits glaubt, dass die Dinge unseren Wahrnehmungen entsprechen, unmög- 
lich einen Irrthum sehen können, der aus der Verwechslung des Denkens 
mit der Empfindung, aus der Meinung entsprungen sei, dass das φαενόμενον 
wahr sei. Wird endlich Aristoteles von Hırzen (Untersuch. I, 110 ff.) gegen die 
„grobe Entstellung der demokritischen Lehre“, die ich ihm aufbürde, durch 
die Annahme „gerechtfertigt“, Demokrit’s Grundsatz, dass sich das verborgene 
nur aus dem sinnlich gegebenen erkennen lasse, werde von Arist. „unrichtig 
wiedergegeben“ und „in's übertriebene entstellt“, so scheint mir der Unter- 
schied dieser Ansicht von der meinigen so geringfügig, dass es sich nicht 
verlohnt, darüber zu streiten; und wenn H. weiter annimmt, Dem. möge 
wobl eine von den Sinnen unabhängige Quelle der Erkenntniss abgelehnt, 
und sich dafür des Ausdrucks bedient haben, dass αἰσϑάνεσϑαι und φρονεῖν 
eins sei, so glaube ich, Aristoteles’ und Theophrast’s Aussagen lassen sich 
auch dann erklären, wenn er jene Unterscheidung nicht ausdrücklich ab- 
gelehnt, sondern nur noch nicht ausdrücklich gemacht, und alles Vorstellen, 
bis auf das «Alogypoveiy hinaus, mit φρονεῖν bezeichnet hatte. Hiemit 
stimmt Narorr Forsch. 174 f. in allem wesentlichen überein. 


920 Atomistik. [823] 


bar erklärt, so konnte er sich der weiteren Folgerung dieser 
Männer, dass uns die Wahrnehmung mit dem Schein des Ent- 
stehens und Vergehens täusche, nicht entziehen, und die ent- 
gegenstehenden Behauptungen, die ihm Aristoteles leiht, un- 
möglich aufstellen. Er sagt ja aber auch ganz bestimmt, wie 
weit er davon entfernt ist. Ebensowenig hätte Demokrit die 
weiteren Folgerungen zugeben können: da die sinnliche Em- 
pfindung als solche wahr sei, so müssen auch alle Empfindun- 
gen wahr sein!); wenn daher die Sinne bei verschiedenen 
Personen oder zu verschiedenen Zeiten über denselben Gegen- 
stand entgegengesetztes aussagen, so müssen diese entgegen- 
gesetzten Aussagen gleich wahr, ebendamit aber auch gleich 
falsch sein, wir können mithin nie wissen, wie die Dinge in 
Wahrheit beschaffen sind ?). Er selbst sagt wohl, in jedem Ding 


1) Paıtor. legt diesen Satz ihm selbst bei De an. B. 16 m: arrızpus 
γὰρ εἶπεν [ὁ Anuoxgıros] ὅτε τὸ ἀληϑὲς χαὶ τὸ yaıvousvoy ταὐτόν ἔστε; 
καὶ οὐδὲν διαφέρειν τὴν ἀλήϑειαν χαὶ τὸ τῇ αἰσϑήσει φαινόμενον, alla 
τὸ φαινόμενον ἑχάστῳ χαὶ τὸ δοχοῦν τοῦτο χαὶ εἶναε ἀληϑὲς, ὥσπερ xal 
Πρωταγόρας ἔλεγεν. Allein Philoponus hat hiefür gewiss keine weitere 
Quelle, als die aristotelischen Stellen, aus denen sich diess nicht schliessen 
lässt; ebensowenig hat es auf sich, dass Erırman. Exp. fid. 1087 D den 
Leucippus lehren lässt: χατὰ φαντασίαν χαὶ ϑόχησιν τὰ πάντα γέψεσϑαι 
χαὶ μηδὲν χατὼ ἀλήϑειαν. 

2) Vgl. Arısr. Metaph. IV, 5. 1009 a 88: ὑμοέως δὲ χαὶ ἡ περὶ τὰ 
φαινόμενα ἀλήϑεια (die Annahme, dass alle Erscheinungen und Vorstellun- 
gen wahr seien, vgl. den Anfang des Kap.) ἐνίοις dx τῶν αἰσϑητῶν ἐληλυ- 
ϑεν. τὸ μὲν γὰρ ἀληϑὲς οὐ πλήϑει χρίνεσϑαι olovras nposnxeıy οὐδ᾽ 
ὀλιγότητι, τὸ δ᾽ αὐτὸ τοῖς μὲν γλυχὺ γευομένοις δοκεῖν εἶναι τοῖς δὲ πι- 
χρόν. ὥστ᾽ εἰ πάντες ἔχαμον ἢ πάντες παρεφρόνουν, δύο δ᾽ ἢ τρεὶς ὑγίαι- 
γον ἢ νοῦν εἶχον δοχεῖν ἄν τούτους χάμνειν χαὶ παραφρονεῖν, τοὺς δ᾽ 
ἄλλους οὔ" ἔτι ϑὲ πολλοὶς τῶν ἄλλων ζῴων τἀναντία περὶ τῶν αὐτῶν φαί- 
veoIar χαὶ ἡμῖν, καὶ αὑτῷ δὲ ἑχάστῳ πρὸς αὐτὸν οὐ ταὐτὰ κατὰ τὴν αἴσ- 
ϑησιν ἀεὶ δοχεῖν. ποῖα οὖν τούτων ἀληϑὴ ἢ ψευδὴ ἔδηλον" οὐϑὲν γὰρ 
μᾶλλον τάδε ἢ τάδε ἀληϑῆ, ἀλλ᾽ ὁμοίως. (Im wesentlichen die Gründe 
Demokrit’s gegen die Wahrheit der Sinnesempfindungen, 8. o. 864, 2) δεὺ 
Anuoxpıros γέ φησιν ἤτοι οὐδὲν εἶναι ἀληϑὲς ἢ ἡμῖν γ᾽ ἄδηλον. Per. 
adv. Col. 4, 1. 8. 1108: ἐγχαλεῖ δ᾽ αὐτῷ [sc. “Πημοχρίτῳ ὁ Κολωτης) πρὼ- 
τον, ὅτε τῶν πραγμάτων ἕχαστον εἰπὼν οὐ μᾶλλον τοῖον 7 τοῖον εἶναι, 
συγχέχυχε τὸν βίον. Sexr. Pyrrh. I, 213: auch die demokritische Lehre 
soll der Skepsis verwandt sein: ἀπὸ γὰρ τοῦ τοῖς μὲν γλιχὺ φαίνεσθαι 
τὸ μέλι, τοῖς δὲ πεχρὸν, τὸν „Inuoxgsrov ἐπιλογίζεσϑαί φασι τὸ μήτε γλυχὺ 
αὐτὸ εἶναι μὴτε πιχρὸν, χαὶ διὰ τοῦτο ἐπεφϑέγγεσϑαι τὴν ηοὐ μᾶλλον" 


[824. 825] Angebliche Skepsis. 991 


seien Atome | der verschiedensten Form enthalten, und dess- 
halb erscheinen die Dinge so verschieden !), daraus folgt aber 
nicht, dass auch das Wirkliche selbst, das Atom, entgegen- 
gesetzte Eigenschaften zugleich hat. Er klagt ferner über die 
Beschränktheit des menschlichen Wissens; er erklärt, die Wahr- 
heit liege in der Tiefe, wie die Dinge in Wahrheit beschaffen 
sind, wissen wir nicht, unsere Meinungen wechseln mit den 
äusseren Eindrücken und den körperlichen Zuständen?). Er 
gibt endlich auch zu, dass die Bezeichnung der Dinge will- 
kürlich gewählt sei®), was | sich gleichfalls in skeptischem 
Sinn hätte benützen lassen. Aber dass er damit alles Wissen 
überhaupt für unmöglich erklären wollte, ist nicht glaublich *). 


φωνὴν, σχεπτιχὴν οὖσαν. Wie es sich in Wahrheit verhielt, sagt Sextus 
selbst (s. u. 922, 1): Dem. hatte gesagt, was uns als warm u. s. w. erscheint, 
sei an sich weder warm noch kalt u. 5. w. (8. 8. 868 £.), das οὐ μᾶλλον be- 
zieht sich lediglich auf die sekundären sinnlichen Qualitäten. 

. Ὁ 8. vor. Anm. u. 8. 856, 2. 

2) Bei Sexr. Math. VII, 135 fi, ausser dem 8. 858, 1. angeführten: 
nerej μὲν νῦν ὅτε οἷον ἕχαστόν ἔστιν ἤ οὐχ ἔστιν οὐ ξυνέεμεν, πολλαχὴ 
δεδήλωται.“ ,γινώσχειν TE χρὴ ἄνϑρωπον ode τῷ χαγόνι, ὅτε ἑτεῆς 
ἀπήλλαχται“. οδηλοὶ μὲν δὴ καὶ οὗτος ὁ λόγος, ὅτι οὐδὲν ἴδμεν περὶ 
οὐδενὸς, ἀλλ᾽ ἐπιῤῥυσμίῃ ἑχάστοισειν ἡ δόξις." καίτοι δῆλον ἔσται, ὅτε, 
ἐτεὴ οἷον ἕχαστον, γενώσχειν, ἐν ἀπόρῳ ἐστέν.“ Bei Dioc. IX, 72: ,ἐτεὴ 
δὲ οὐδὲν ἴδμεν" ἐν βυϑῷ γὰρ ἡ ἀληϑείη“. (Letzteres auch bei Cıc. Acad. 
II, 10, 32.) 

3) Proxr. in Crat. 16 gibt an, die ὀνόματα seien nach Demokrit 
ϑέσεε. Für diese Ansicht machte derselbe das πολύσημον, ἰσύῤῥοπον und 
γώνυμον, oder mit andern Worten diess geltend, dass manche Wörter eine 
mehrfache Bedeutung, manche Dinge mehrere Namen, manche, für die man 
nach sonstiger Analogie eine eigene Bezeichnung erwarten könnte, keine 
haben; auch auf die Veränderung der Namen von Personen scheint er sich 
berufen zu haben. Die nähere Ausführung dieser Gründe, so wie sie Pro- 
klus gibt, lässt sich nicht auf Dem. zurückführen. Vgl. Srumruar Gesch. d. 
Sprachwissensch. I, 78. 176% ff, mit dessen Erklärung jener Ausdrücke ich 
aber schon desshalb nicht durchaus übereinstimme, weil es mir zweifelhaft 
ist, ob sich dem platonischen Kratylus ein Aufschluss darüber entnchmen 
lässt. Einige sprachwissenschaftliche Schriften Demokrit’s, über deren 
Aechtheit wir aber nicht urtheilen können, nennt Dıoa. IX, 48. 

4) Und auch das 5. 920, 2 aus Arısr. Metaph. angeführte Wort Demo- 
krit's reicht zum Beweise dafür nicht aus. Dieser mag ja etwas Ähnliches 
gesagt haben; aber um die Tragweite seiner Aeusserung beurtheilen zu 
können, und namentlich um zu wissen, ob sie sich nicht blos auf den 
Sinnenschein bezog, müssten wir nicht blos ihren Wortlaut, sondern auch 


922 Atomiatik. [825] 


Wenn er dieser Meinung war, so hätte er unmöglich ein 
wissenschaftliches System aufstellen, und das wahre Wissen 
von der dunkeln Meinung unterscheiden können. Wir er- 
fahren aber überdiess, dass er der Skepsis des Protagoras, 
die er nach den obigen Angaben getheilt haben müsste, aus- 
drücklich und ausführlich widersprach 1), und die Eristiker 
seiner Zeit scharf tadelte?); die späteren Skeptiker selbst 
machen uns auf den wesentlichen Unterschied seiner Ansicht 
von der ihrigen aufmerksam 3), und auch Aristoteles gibt ihm 
das Zeugniss, welches zu seiner angeblichen Leugnung alles 
Wissens schlecht passt, dass er sich unter den vorsokratischen 
Philosophen am meisten auf Begriffsbestimmungen eingelassen 
habe*). Wir müssen daher | annehmen, Demokrit’s Klagen 


den Zusammenhang kennen, in dem sie stand. Dass dieser freilich Hırzer's 
Vermuthung a. a. O. 115 bestätigen würde, was Arist. als Demokrit's 
Meinung gibt, solle nur die des Protagoras ad absurdum führen, kann ich 
kaum glauben. 

1) Pıur. a. a. O.: ἀλλὰ τοσοῦτόν γὲ “ημόχριτος ἀποδεῖ τοῦ voul- 
ζειν, μὴ μῶλλον εἶναι τοῖον ἢ τοῖον τῶν πραγμάτων ἕχαστον, ὥστε Πρωτα- 
γόρᾳ τῷ σοφιστῇ τοῦτο εἰπόντε μεμαχῆσϑαι καὶ γεγραφέναι πολλὰ καὶ πι- 
ϑανὰ πρὸς αὐτόν. βεχτ. Math. VII, 389: πᾶσαν μὲν οὖν φαντασίαν οὐκ 
εἴποι τις ἀληϑὴ διὰ τὴν περιτροπὴν, χαϑὼς ὅ τε Anuoxgırog καὶ 6 Πλάτων 
ἀντιλέγοντες τῷ Πρωταγόρᾳ ἐδίϑασχον. Vgl. ebd. VII, 58. 

2) Fr. 145 b. Ρεῦτ. qu. conv. I, 1, 5, 2. Crexs. Strom. I, 3. 279 Ὁ 
beschwert er sich über die λεξεεδέω» ϑηράτορες, ζηλωταὶ τεχνυδρίο»», ἐρι- 
dartess xal ἱμαγτελίχτεες. 

3) Sexr. Pyrrh. I, 213 £.: διαφόρως μέντοι χρῶνται τῇ „ob μᾶλλον" 
φωνῇ. ol τε Zxentixol χαὶ οἱ ano τοῦ “ημοχρίτου᾽ ἐχεῖτοι μὲν γὰρ ἐπὶ 
τοῦ μηδέτερον εἶναε τάττουσι τὴν φωνὴν, ἡμεῖς δὲ ἐπὶ τοῦ ἀγνοεῖν 
πότερον ἀμφότερα ἢ οὐδέτερον τί ἐστι τῶν φαινομένων. προδη- 
λοτάτη δὲ γένεται ἡ διάχρισις, ὅταν ὁ “ημόχριτος λέγῃ „erej δὲ ἄτομα 
καὶ κενόν.“ ἐτεῇ μὲν γὰρ λέγεε ἀντὶ τοῦ ἀληϑείᾳφ. xar ἀλήϑειαν ὁὲ 
ὑφεστάναι λέγων τάς τε ἀτόμους καὶ τὸ χενὸν, ὅτε διενήνοχεν ἡμὼν... 
περιττὸν οἶμαι λέγειν. 

4) Part. anim. I, 1, 8. ο. 168, 8. Metaph. XIU, 4. 1078 " 17: Σωχρα- 
τοὺς δὲ περὶ τὰς ἡϑιχὰς ἀρετὰς πραγματευομένου καὶ περὶ τούτων ὁρί- 
ζεσϑαι χαϑόύλου ζητοῦντος πρώτου" τῶν μὲν γὰρ φυσιχῶν ἐπὶ μιχρὸν 
“ημόκριτος ἥψατο μόνον χαὶ ὡρίσατό πὼς τὸ ϑερμὸν χαὶ τὸ ψυχρόν u. 8. ν΄. 
Phys. II, 2. 194 a 18: εἰς μὲν γὸρ τοὺς ἀρχαίους ἀποβλέψαντε δόξειεν 
av εἶναι [ἡ φύσις) τῆς ὕλης" ἐπὶ μιχρὸν γάρ τε μέρος 'Eunedoxins χαὶ 
“Ἰημόχκριτος τοῦ εἴδους χαὶ τοῦ τί ἦν εἶναι ἥψαντο. Dass Demokrit den 
späteren Anforderungen in dieser Richtung allerdings nicht genügt, würde 
der von Arıst. part. an. I, 1. 640 b 29. Sexr. Math. VII, 265 getadelte Satz: 


[826] Angebliche Skepsis. 993 


über die Unmöglichkeit des Wissens seien in beschränkterem 
Sinne gemeint gewesen; nur von der sinnlichen Empfindung 
behaupte er, dass sie auf die wechselnde Erscheinung beschränkt 
sei und keine wahre Erkenntniss gewähre, dass dagegen der 
Verstand in den Atomen und dem Leeren das wirkliche Wesen 
der Dinge zu erkennen vermöge, wolle er nicht leugnen, so 
lebhaft er auch die Beschränktheit des menschlichen Wissens 
und die Schwierigkeiten fühlte, welche sich einer tieferdringen- 
den Forschung in den Weg stellen‘). Ebenso liegt der An- 
gabe, dass Demokrit die Möglichkeit der Beweisführung be- 
stritten habe?), schwerlich mehr zu Grunde, als eine Abwei- 
sung des Versuchs oder der Forderung, solches zu beweisen, 
was sich seiner Ansicht nach nicht beweisen, sondern nur auf 
Grund der Erfahrung behaupten lässt®); denn er selbst hielt 


ἄνθρωπός ἔστε ὃ πάντες ἴδμεν, zeigen, wenn derselbe wirklich eine De- 
finition vertreten sollte; allein nach Arist. hatte er nur gesagt, παντὶ δῆλον 
εἶναι οἷόν τε τὴν μορφήν ἔστιν ὁ ἄνϑροωπος. 

1) Weniger wahrscheinlich ist mir, dass sich Demokrit's Aeusserungen 
(wie Hırzeı Untersuch. I, 114 annimmt) nur auf die grosse Masse beziehen: 
dafür lauten sie zu unbedingt. 

2) Sexrt. Math. VIII, 327: Die dogmatischen Philosophen und die Aoysxol 
τῶν ἰατρῶν behaupten die Möglichkeit der Beweisführung, οἱ δὲ ἐμπεερεχοὶ 
(sc. τῶν ἰατρῶν) ἀναιροῦσι, τάχα δὲ χαὶ Anuöxgıros‘ ἰσχυρῶς γὰρ αὐτῇ 
διὰ τῶν χανόνων ἀντείρηχεν. 

3) Dass es sich nicht anders verhalten haben kann, d. ἢ. dass Demo- 
krit die Möglichkeit der Beweisführung nicht unbedingt und allgemein, 
sondern nur für gewisse Fälle verworfen haben kann, ergibt sich ausser 
dem im Text bemerkten auch aus dem τάχα des Sextus. Hätte dieser oder 
der Schriftsteller, den er ausschreibt, bei Dem. eine grundsätzliche Ver- 
werfung aller Beweisführung gefunden, so hätte er darüber nicht im Zweifel 
sein können, ob er hierin mit den empirischen Aerzten übereinstimme. 
Sein Widerspruch gegen dieselbe muss sich daher entweder auf bestimmte 
Fälle beschränkt haben, wie etwa, wenn er sich weigerte, für das anfangs- 
lose einen Grund anzugeben (8. 0. S. 869), oder wenn er dem Versuch ent- 
gegentrat, aus irgend einer Theorie heraus zu beweisen, was sich nur durch 
Beobachtung feststellen lässt; oder erst Spätere haben aus Aeusserungen, 
wie die 8. 921, 2 angeführten (in deren einer es als xarw» aufgestellt wird, 
dass der Mensch der Wahrheit ferne sei) geschlossen, dass Dem. keine ἀπό- 
δειξις für möglich halte. Wie es sich hiemit verhielt, können wir nicht 
sicher ausmitteln, da uns die eigenen Worte des Philosophen und der Zu- 
sammenhang, in dem sie vorkamen, nicht bekannt sind. Die Schrift, der 
sie entnommen sind, wird (wie ich mit Nartorr Forsch. 180, von Hırzeu 


924 Atomistik. [826. 827] 


es keineswegs für überflüssig, seine Theorie durch Gründe 
und Beweise zu stützen. Damit stimmt es denn auch ganz 
zusammen, wenn sich der Philosoph durch den Reichthum 
seiner eigenen Kenntnisse und Beobachtungen nicht abhalten 
lässt, in Heraklit’s Geist vor der Vielwisserei zu warnen, und 
die Einsicht höher zu schätzen, als das viele Lernen!); wenn 
er es anerkennt, dass die Menschen nur allmählich zur Bil- 
dung gelangt seien, dass sie zuerst von den Thieren, wie er 
glaubt, gewisse Kunstfertigkeiten gelernt?), dass sie anfangs 
nur Befriedigung der nothwendigsten Bedürfnisse, erst in der 
Folge Verschönerung des Lebens angestrebt haben®), wenn er 
aber gerade desshalb nur um so mehr darauf dringt, dass der 
Unterricht der Natur zu Hülfe komme, und durch Umbildung 
des Menschen eine zweite Natur in ihm hervorbringe*). Wir 
sehen in allen diesen Aeusserungen den Mann, welcher die 
Arbeit des Lernens nicht unterschätzt, und sich mit der 
Kenntniss der äusseren Erscheinung nicht begnügt, aber 
nicht den Skeptiker, welcher auf das Wissen schlechtweg ver- 
zichtet. 


126 ff. abweichend annehme) die sein, welche von Thrasyllus (Dıoc. IX, 47) 
als χαγὼν a’ β΄ γ΄ aufgeführt wird und mit der unmittelbar vorher ge- 
nannten 7. Aosu@» nicht zusammengeworfen werden darf; von den willkür- 
lichen Textesänderungen nicht zu reden, welche CoB£tT und andere unter 
der Voraussetzung vornahmen, dass die beiden Titel ein und dasseibe Werk 
bezeichnen sollen. 

1) Fr. mor. 140—142: πολλοὶ πολυμαϑέες νόον οὐκ ἔχουσι. — πολυ- 
volny οὐ πολυμαϑίην ἀσχέειν χρή. --- μὴ πάντα ἐπίστασθαι προϑύμευ, 
μή πάντων ἀμαϑὴς γένη. Meine früheren Zweifel an dem demokritischen 
Urspruug dieser Bruchstücke muss ich aufgeben, da sie sich dem obigen 
zufolge in Demokrit’s Ansichten gut einfügen. Dass bei dem »voüs, welcher 
den πολυμαϑεῖς fehlen kann, mehr an die praktische Vernunft zu denken 
sei, als an die Erkenntniss, (Hızzer a. a. O. 159) ist meines Erachtens un- 
erweislich, und die Vergleichung des 8. 476, 4 angeführten heraklitischen 
Wortes spricht dagegen; das aber mag sein, dass Dem. da, wo unsere Bruch- 
stücke standen, überhaupt keinen Anlass hatte, zwischen beiden zu unter- 
scheiden. 

2) Prur. solert. anim. 20, 1. 5. 974. 

3) Puıtopem. De mus. IV (Vol. Hercul. I. 335 b. MuLLicu 8. 237). 
Zur Sache vgl. m. Arısr. Metaph. I, 2. 982 b 22. 

4) Fr. mor. 183: ἡ φύσες xal ἡ διδαχὴ παραπλήσιόν ἐστε" χαὶ γὰρ 
ἡ διϑαχὴ μεταῤῥυσμοὶ τὸν ἄνϑρωπον μεταῤῥυσμοῦσα δὲ φυσιοποιέει. 


[826. 827] Demokrit’s Ethik. 995 


Wer die sinnliche Erscheinung von dem wahren Wesen 
so bestimmt unterscheidet, wie Demokrit, der wird auch die 
Aufgabe | und das Glück des menschlichen Lebens nicht in 
der Hingebung an die Aussenwelt, sondern nur in der rich- 
tigen Beschaffenheit des Innern suchen können. Diesen Cha- 
rakter trägt denn auch alles, was uns von seinen sittlichen 
Ansichten und Grundsätzen mitgetheilt wird. So viel dessen 
aber auch ist, und so mancherlei ethische Schriften ihm, theil- 
weise freilich mit Unrecht, beigelegt werden!), so war doch 
auch er von einer wissenschaftlichen Bearbeitung der Ethik, 
wie sie durch Sokrates begründet worden ist, noch weit ent- 
fernt. Seine Sittenlehre steht hinsichtlich ihrer Form mit der 
unwissenschaftlichen moralischen Reflexion Heraklit’s und der 
Pythagoreer im wesentlichen auf Einer Linie?); wir können 
daher wohl eine bestimmte, durch das ganze sich hindurch- 
ziehende Lebensansicht darin bemerken, aber diese Ansicht 
wird noch nicht auf allgemeine Untersuchungen über die Natur 
des sittlichen Handelns begründet, und in einer systematischen 
Darstellung der sittlichen Thätigkeiten und Pflichten ausge- 
führt. Als das Ziel unseres Lebens betrachtet er nach der 
Weise der alten Ethik die Glückseligkeit: Lust und Unlust, 
sagt er, sei der Masstab des Nützlichen und Schädlichen, das 
beste sei für den Menschen, dass er sein Leben hinbringe mög- 
lichst viel sich freuend und möglichst wenig sich betrübend?). 


1) Vgl. Murracn 213 fi. Lorrzına in der S. 839, 1 genannten Ab- 
bandiung. Die moralischen Fragmente bei Murr., Democr. 160 ff. Fragm, 
Ph. 1, 340 Ν᾿, nach dessen Nummern ich sie im folgenden anführe. Ihre 
Aechtheit ist freilich im einzelnen um so schwerer zu erweisen, da die 
Sentenzensammlungen, denen unsere Zeugen viele von ihnen entnommen zu 
haben scheinen, dafür wenig Sicherheit bieten; im ganzen machen sie aber 
doch einen gleichartigen Eindruck. 

2) Cıc. Fin. V, 29, 87: Demokrit vernachlässigte sein Vermögen quid 
quaerens alıud, nisi bealam vilam? quam si ctiam in rerum cognilione ponebat, 
tamen ἐξ illa ınwestigatione nalurae consequi volchat, ut esset bono anımo. id 
enim ılle sunmum bonum, εὐθυμίαν εἰ sarpe adaußiav appellat, i. 6. animum 
terrore liberum. sed haeo elsi praeclare, nondum lamen et perpolita. pauoa enım, 
nequs ca ipsa emucleate ab hoo de viriute quidem dicta. 

3) Fr. mor. 8: οὖρος ξυμφορέων χαὶ ἀξυμφορέων τέρψες καὶ ἀτερψίη. 
Fast gleichlautend Fr. 9 (vgl. Lortzına 8. 21; statt des unverständlichen 
περεηχμαχότων könnte man in demselben πρηχτέων vermuthen). Fr. 2: 


0996 Atomistik. [827. 828] 


Aber daraus folgt für ihn durchaus nicht, dass der sinnliche 
Genuss der höchste sei. Die Glückseligkeit und die Unselig- 
keit wohnt nicht in Heerden oder in Gold, sondern die Seele 
ist der Wohnplatz | des Dämon!); nicht der Leib und der 
Besitz macht glücklich, sondern Rechtschaffenheit und Ver- 
stand (Fr. 5); die Güter der Seele sind die göttlichen, die des 
Leibes die menschlichen ?); Ehre und Reichthum ohne Einsicht 
sind ein unsicherer Besitz®), und wo der Verstand fehlt, weiss 
man das Leben nicht zu geniessen und die Furcht vor dem 
Tode nicht zu überwinden*). Nicht jeder Genuss daher, ohne 
Unterschied, sondern nur der Genuss des Schönen ist be- 
gehrenswerth®); dem Menschen ziemt es, für die Seele mehr 
Sorge zu tragen, als für den Leib®), auf dass er seine Lust 
aus sich selbst schöpfen lerne’). Die Glückseligkeit besteht 
mit Einem Wort ihrem eigentlichen Wesen nach in nichts 
anderem, als in der Heiterkeit und dem Wohlbefinden, der 
richtigen Stimmung und unwandelbaren Ruhe des Gemüths®). 


ἄριστον ἀνθρώπῳ τὸν βίον διάγειν ὡς πλεῖστα εὐθυμηϑέντι χαὶ ἐλάχιστα 
ἀνεηϑέντε. Diorimus (8. ο. 918, 2) sagt dafür, er mache die Empfindungen 
zum Kriterium des Begehrens und Verabscheuens, was aber natürlich, wie 
schon die χριτήρεα beweisen, nur seine Folgerung ist, nicht ein von Demo- 
krit in dieser Allgemeinheit ausgesprochener Grundsatz. 

1) Fr. 1: εὐδαιμονίη ψυχῆς xol καχοδαιμονίη οὐχ ἐν βοσχήμασι 
οἰκέει οὐδ ἐν χρυσῷ, ψυχὴ δ᾽ οἰκητήριον δαίμοτος. 

2) Fr. 6, s. ο. 907, 4. 

3) Fr. 58. 60. 

4) Fr. 51 —56. 

5) Fr. 3 vgl. 19. 

6) Fr. 128 8. o. 8. 906, 3. 

7) Fr. 7: αὐτὸν ἐξ ἑαυτοῦ τὰς τέρψιας ἐϑιζόμενον λαμβάνει. 

8) Cıc. 8. ο. 8. 925, 2. ΤΉΚοΡ. cur. gr. afl. XI, 6 s. 5. 725, 2. Εριρη. 
Exp. fid. 1088 A. Dıoc, IX, 45: τέλος δ᾽ εἶναι τὴν εὐθυμίαν, οὗ τὴν 
αὐτὴν οὖσαν τῇ ἡδονῇ, ὡς ἔνιοε παραχούσαντες ἐξηγήσαντο, ἀλλὰ xu9 ἣν 
γαληνῶς καὶ εὐσταϑῶς ἡ ψυχὴ διάγει, ὑπὸ μηδενὸς ταραττομένη φόβου 
ἤ δεισιδαιμονίας ἢ ἄλλου τινὸς πάϑοις. χαλεὶ δ' αὐτὴν χαὶ εὐεστὼ χαὶ 
πολλοῖς ἄλλοις ὀνόμασιν. Ston. Ekl. II, 76: τὴν δ᾽ εὐθυμίαν χαὶ εὐεστὼ 
χαὶ ἁρμονίαν συμμετρίαν τε χαὶ ἀταραξίαν χαλεῖ. συνίστασϑαι δ᾽ αὐτὴν 
ἐχ τοῦ διορισμοῦ χαὶ τῆς διαχρίσεως τῶν ἡδονῶν" χαὶ τοῦτ᾽ εἶναι τὸ 
κάλλιστόν TE χαὶ συωφορώτατον ἀνθρώποις. res. Strom. I, 417 A: 
Anuoxg. μὲν ἐν τῷ περὶ τέλους τὴν εὐθυμίαν [τέλος εἶναε dıdanzeı) ἣν 
zul εὐεστὼ προςηγόρευσεν. Vgl. folg. Anm. Was Stobäus hier Ataraxie 
nennt, heisst bei Straso I’ 3, 21. 8. 61 ἀϑαυμαστία, bei Cıc. a. a. O. 


[828. 829] Demokrit’s Ethik. 927 


Diese wird aber dem Menschen um so sicherer und voll- 
kommener zu Theil werden, je mehr er in seinen Begierden 
und Genüssen Mass zu halten, das zuträgliche von dem schäd- 
lichen zu unterscheiden, unrechtes und ungehöriges zu ver- 
meiden, sich in seiner Thätigkeit und seinen Wünschen auf 
das, was seiner | Natur und seinem Vermögen entspricht, zu 
beschränken weiss!). Genügsamkeit, Mässigung, Reinheit der 
That und der Gesinnung, Bildung des Geistes, diess ist es,. 
was Demokrit als den Weg zur wahren Glückseligkeit empfiehlt.. 
Er gibt zu, dass das Glück nur mit Mühe erreicht werde, 
das Unglück den Menschen auch ungesucht finde (Fr. 10); 
aber er behauptet nichtsdestoweniger, alle Mittel zum Glück 
seien ihm gewährt, nur seine Schuld sei es, wenn er sie ver- 
kehrt gebrauche: die Götter geben den Menschen nichts als 
Gutes, nur ihre eigene Thorheit wende das Gute zum Scha- 
den?), nur eine Ausflucht für ihren eigenen Unverstand sei 


ἀϑαμβία. Die Hauptquelle für die Kenntniss von Demokrit’s Ethik scheint 
für die Späteren die vou Dıoc. IX, 46 und Sxx. tranqu. an. 2, 3 genannte 
Schrift π. εὐθΘυμίης gewesen zu sein, für welche vielleicht Eveoro (nach 
Diog. d. h. Thrasyllius verloren) und π. τέλους (CLes. a. a. O.) nur andere 
Bezeichnungen sind; und die ethischen Bruchstücke des Philosophen mögen 
grösstentheils aus dieser Schrift stammen. Einen beachtenswerten Versuch, 
sie mit Hülfe von Seneca und Plutarch De tranquillitate, den angeblichen 
Briefen an Hippokrates u. a. bis zu einem gewissen Grade wiederherzustellen, 
macht Hırzer Hermes XIV, 354—407. Im einzelnen bleibt aber hiebei 
unvermeidlich vieles mehr oder weniger unsicher. 

1) 8. vor Anm. und Fr. 20: ἀνϑρώποισε γὰρ εὐθυμέη γένεται μετρι- 
örms τέρψειος χαὶ βίου ξυμμετρίῃ, τὰ δὲ λείποντα καὶ ὑπερβάλλοντα 
μεταπίπτειν TE φιλέει χαὶ μεγάλας χινήσιας ἐμποιέεεν τῇ ψυχῇ, αἱ δ᾽ ἐκ 
μεγάλων διαστημάτων χενεόμεναι (die zwischen Extremen sich hin und 
her bewegenden) τῶν ψυχέων οὔτε εὐσταϑέες εἰσὶ οὔτε εὔϑυμοι. Dem zu 
entgehen, räth Demokrit, man solle sich nicht mit denen vergleichen, 
welchen es glänzender, sondern mit denen, welchen es schlechter geht, und 
es sich so erleichtern, ἐπὶ τοῖσε δυνατοῖσε ἔχεεν τὴν γνώμην καὶ τοῖσι 
παρεοῦσι ἀρχέεσϑαι. Fr. 118: wer mit gutem Muth gerechte Thaten in An- 
griff nimmt, ist vergnügt und sorglos, wer das Recht verachtet, den quält 
die Furcht und die Erinnerung seines Thuns. Fr. 92: τὸν εὐθυμέεσϑαι 
μέλοντα χρὴ μὴ πολλὰ πρήσσειν μήτε ἰδίη μήτε ξυνῆ, μηδὲ ἅσσ' ἄν’ 
πρήσση ὑπέρ re δύναμεν αἱρέεσϑαι τὴν ἑωυτοῦ χαὶ φύσιν u. 5. w. ἡ γὰρ’ 
εὐογχέη ἀσφαλέστερον τῆς μεγαλογχίης. Vgl. Μ. Αὐπει, IV, 24: „Ollya 
πρῆσσε“, φησὶν (wer, ist nicht gesagt) „ei μέλλεις εὐθυμήσειν." 

2) Fr. 13: οὗ ϑεοὶ τοῖσι ἀνϑρώποισι διδοῦσι τἀγαϑὰ πάντα καὶ 

Philos. ἃ. Gr. I. Bd. 5. Aufl. 99 


\ 


928 Atomistik. [829. 830] 


die Macht des Zufalls, die in Wahrheit der Vernunft gegen- 
über gering sei!); wie das Verhalten des Menschen sei, so sei 
auch sein Leben?2).. Die Kunst, glücklich zu sein, besteht 
darin, dass man das, was man hat, benützt und sich damit 
begnügt. Das menschliche Leben ist kurz und dürftig und 
hundert Wechselfällen ausgesetzt; wer diess einsieht, der wird 
sich mit mässigem Besitz zufrieden geben, und nicht mehr, 
als das Nothwendige, zum Glück verlangen (Fr. 41). Was 
der Leib bedarf, lässt sich leicht erwerben, was Mühe und 
Beschwerde macht, ist ein eingebildetes Bedürfniss®). Je mehr 
man begehrt, desto mehr bedarf man; | die Unersättlichkeit 
ist schlimmer, als die äusserste Dürftigkeit (Fr. 66—68). Wer 
dagegen wenig begehrt, dem ist das wenige vieles: Beschrän- 
kung der Begierde macht die Armuth zum Reichthum *). Wer 
zu viel will, verliert auch das, was er hat, wie der Hund in 
der Fabel (Fr. 21); durch Uebermass wird jede Lust zur Un- 
lust (37), Mässigung dagegen erhöht den Genuss (35. 34), und 
gewährt eine Zufriedenheit, die unabhängig vom Glück ist (36). 
Ein Thor ist, wer begehrt, was ihm fehlt, und verschmäht, 
was ihm zu Gebote steht (31); der Verständige freut sich 
dessen, was er hat, und betrübt sich nicht über das, was er 
nicht hat®). Tapfer ist nicht blos, wer die Feinde, sondern 


πάλαι xal νῦν, πλὴν ὁπόσα βλαβερὰ καὶ ἀνωφελέα. τάδε δ᾽ οὐ πάλαι 
οὔτε νῦν ϑεοὶ ἀνϑρώποισε δωρέονται ἀλλ᾽ αὐτοὶ τοῖςρδεσε ἐμπελάζουσι διὰ 
voov τυφλότητα καὶ ἀγνωμοσύνην. Fr. 11. Fr. 12.: ἀπὶ ὧν ἡμῖν τἀγαϑὰ 
γένεται, ἀπὸ τῶν αὐτέων καὶ τὰ zaxa ἐπαυρισχοίμεϑ᾽ ἄν" τῶν δὲ χαχῶν 
ἐχτὸς εἴημεν (wir könnten davon frei bleiben). Vgl. Fr. 96: die meisten 
Uebel kommen dem Menschen von innen. 

1) Fr. 14: ἄνϑρωποε τύχης εἴδωλον ἐπλάσαντο πρόφασιν ἰδίης ἀνοίης 
(al. ἀβουλέης). βαιὰ γὰρ φρονήσιε τύχη μάχεται, τὰ δὲ πλεῖστα ἐν βίῳ 
ψυχὴ εὐξύνετος ὀξυδερχέεειν χατεϑύνει. 

2) Fr. 45: τοῖσι ὁ τρόπος ἐστὶ εὔταχτος, τουτέοισε καὶ βίος ξυντέ- 
τακχται. 

3) Fr. 22 vgl. 28 und 28: τὸ χρῇζον οἶδε, οχόσον [—wr] χρήζεε, ὁ 
δὲ χρήζων οὐ γινώσχει. Das Neutrum τὸ χρῆζον bezog ich früher auf den 
Leib, und halte diess auch jetzt noch für möglich; muss aber einräumen, 
dass auch Lortzına’s (8. 23) Auffassung, wonach ro χρ. das Thier, ὁ χρ. 
der Mensch ist, einen guten Sinn gibt. 

4) Fr. 24 vgl. 26. 27. 35 f. 37 £. vgl. Fr. 40 über den Vortheil der 
Armuth, dass sie vor Missgunst und Nachstellung sicher sei. 

5) Fr. 29 vgl. 42. 


[880. 8831] Demokrit’s Ethik. 0929 


auch wer die Lust überwindet (76); den Zorn zu bekämpfen 
ist zwar schwer, aber der Vernünftige wird seiner Meister (77); 
im Unglück rechten Sinnes zu sein ist etwas grosses (73), aber 
mit Verstand kann man den Kummer bezwingen (74)!). Der 
Sinnengenuss gewährt nur kurze Lust und viele Unlust und 
keine Beschwichtigung der Begierde?®), nur die Güter der 
Seele verschaffen wahres Glück und innere Befriedigung?). 
Reichthum, durch Ungerechtigkeit erworben, ist ein Uebel); 
Bildung ist besser als Besitz5); keine Macht und keine Schätze 
können eine Erweiterung unserer Kenntnisse aufwiegen®). | 
Demokrit verlangt daher, dass nicht blos die That und das 
Wort”), sondern auch der Wille®) von Ungerechtigkeit rein 
sei, dass man nicht aus Zwang, sondern aus Ueberzeugung 
(Fr. 135), nicht aus Hoffnung auf Vergeltung, sondern um 
Gutes zu thun, Wohlthaten erweise°), nicht aus Furcht, son- 
dern aus Pflichtgefühl des Schlechten sich enthalte (117), dass 
man vor sich selbst sich mehr schäme, als vor allen an- 
dern, und das Unrecht meide, gleich viel ob es keiner, oder 


1) Dagegen gehört Fr. 75 über die Selbstüberwindung nicht Demokrit, 
sondern Prarto Gess. I, 626 E; vgl. FesupentasaL Theol. ἃ. Xenoph. 38. 
Ebensowenig wird Fr. 25 (aus Demokrates, über den 8. 930, 3) voraristo- 
telisch sein. 

2) Fr. 47 vgl. 46. 48. 

3) 8. ο. 926, 8. 927, 1. 

4) Fr. 61. 62—64. Fr. 60, ein Trimeter, ist nicht demokritisch; 
FREUDENTHAL ἃ. a. Ο. 

5) Fr. 136. Ebendahin bezieht Lortzına 23 mit Wahrscheinlichkeit 
Fr. 18, 5108. Floril. 4, 71, falls nämlich hier mit den εἴδωλα ἐσϑῆτι (so 
Μκικκκκ statt αἰσϑητιχὰ) χαὶ χόσμῳ διαπρεπέα πρὸς ϑεωρίην, alla 
καρϑίης κενεὰ die Hohlheit eines äusserlich prunkenden Menschen gezeich- 
net werden soll. Fr. 132 wird von Diıoc. V, 19. ὅτοβ. Ekl. D, 207 W. 
Aristoteles (π. παιεδεέας) beigelegt. 

6) Dıonzs. b. Evs. pr. ev. XIV, 27, 3: δημόχριτος γοῦν αὐτὸς, ὥς 
φασιν, ἔλεγε βούλεσϑαι μᾶλλον ulav εὑρεῖν αἰτεολογίαν, ἢ τὴν Περσῶν οἱ 
βασιλείαν γενέσϑαι. 

7) Fr. 108. 106. 97. 99. 

8) Fr. 109: ἀγαϑὸν οὐ τὸ μὴ ἀδικέειν, ἀλλὰ τὸ μηδὲ ἐϑέλειν. 
Vgl. Fr. 110. 171. 

9) Fr. 160: χαριστεκὸς οὐχ ὁ βλέπων πρὸς τὴν ἀμοιβὲν, ἀλλ᾽ ὁ εὖ 
δρᾷν προῃρημένος. 

59* 


980 Atomistik. [831. 832] 


ob es alle erfahren werden!); er erklärt, nur der gefalle den 
Göttern, welcher das Unrecht hasst?), nur das Bewusstsein 
des Rechtthuns verleihe Gemüthsruhe (Fr. 111)°); er preist die 
Einsicht, welche uns die drei grössten Güter gewähre, richtig 
zu denken, wohl zu reden und recht zu handeln®); er hält 
die Unkenntniss für den Grund aller Fehler®), er empfiehlt 
Unterricht und Uebung als die unentbehrlichen Mittel der 
Vervollkommnung®), er warnt vor Neid und Missgunst 7), vor 
Geiz®) und | vor anderen Fehlern. Alles was aus Demokrit’s 
ethischen Schriften erhalten ist, zeigt uns so in ihm einen 
Mann von reicher Erfahrung, feiner Beobachtung, ernstem 
sittlichem Sinn und reinen Grundsätzen. Auch seine Aeusse- 


1) Fr. 98. 100. 101. 

2) Fr. 107 vgl. 242. 

3) Dagegen wird Fr. 224: ὁ ἀδικῶν τοῦ adızovufvov χαχοδαιμονέσ- 
τερος, nicht Demokrit, sondern Demokrates beigelegt; ἃ. h. es stand in der 
von WacHssurH Stud. zu ἃ. griech. Florilegien 160 fl. bearbeiteten, aus 
den verschiedensten Quellen zusammengestoppelten Spruchsammlung, deren 
Nr. 215 es bildet; sein ursprünglicher Fundort ist der platonische Gorgias, 
welcher diesen Satz 469 B ff. wie etwas ganz neues einführt und 479 E fast 
wortgleich ausspricht. Auf diese Parallele zwischen Sokrates und Demo- 
krit (ZıeeLer Gesch. d. Eth. I, 95. CuıarreLlı, Arch. f. Gesch. ἃ, Ph. IV, 412) 
werden wir daher verzichten müssen. 

4) Demokrit hatte nach Dioe. IX, 46. Sum. Toıroy. (vgl. Schol. 
Bekker. in Il. ®, 39. Eustaru. ad Il. 9. 8. 69, 37 Rom. Tzerz. ad Lycophr. 
ν. 529. MurLach 8. 119f.) eine Schrift Τριτογένεεα verfasst, in der er die 
homerische Pallas und ihren Beinamen auf die Einsicht deutete, ὅτε τρία 
γίγνεται ἐξ αὐτῆς, ἃ πάντα τὰ avdganıya συνέχει, nämlich das εὖ λογί- 
ζεσθαι, das λέγειν καλῶς, das ὀρϑῶς πράττειν. Lortzına 8. 5 hält die- 
selbe für unterschoben, und dass sie diess sein kann, will ich nicht be- 
streiten; indessen scheint mir diese Allegorik über das nicht hinauszugehen, 
was auch sonst von Demokrit und seinen Zeitgenossen angeführt wird; 
vgl. 5. 897, 5. 901, 1. 937, 1. 913, 5*. Th. UI a, 322 und MÜLLer’s Nach- 
weisungen über Stesimbrotus Hist. gr. I, 52. Von der bei den Stoikern 
herkömmlichen (Th. III a, 330, 5) ist sie verschieden. Uebrigens brauchte sie 
auch nicht den Hauptinhalt der Schrift zu bilden, sondern sie kann auch 
einer moralischen Betrachtung nur zur Einleitung gedient haben. 

5) Fr. 116: ἁμαρτίης αἰτέη ἡ ἀμαϑίη τοῦ χρέσσονος. 

6) Fr. 131. 132. 115 vgl. 85 ἢ. 295 £. Fr. 130 hat schon Rose Arist. 
libr. ord. 9 als ein Wort Plutarch’s (pu. educ. 4) nachgewiesen. 

4) Fr. 30. 230. 147. 167 £. 

8) Fr. 68—70 vgl. auch 33. 


[832. 833] Demokrit's Ethik. 931 


rungen tiber das menschliche Gemeinleben entsprechen diesem 
Charakter. .Den Werth der Freundschaft, von welchem die 
griechische Sittenlehre so lebhaft durchdrungen ist, weiss auch 
er vollkommen zu schätzen; wer keinen rechtschaffenen Men- 
schen zum Freund habe, sagt er, der verdiene nicht zu leben !), 
aber Eines Verständigen Freundschaft sei besser, als die aller 
Thoren (Fr. 163); um aber freilich geliebt zu werden, müsse 
man seinerseits andere lieben (171), und sittlich sei diese Liebe 
nur dann, wenn sie durch keine unerlaubte Leidenschaft ver- 
unreinigt werde?). Ebenso erkennt Demokrit die Nothwen- 
digkeit des Staatslebens. Er erklärt, an nichts liege so viel, 
als an einer guten Staatsverwaltung, sie umfasse alles, mit ihr 
werde alles erhalten, und mit ihr gehe alles zu Grunde?); er 
hält die Noth des Gemeinwesens für sehlimmer, als die des 
Einzelnen *); er will lieber arm und frei in einer Demokratie 
leben, als in Ueberfluss und Abhängigkeit bei den Mächtigen 
(Fr. 211); er erkennt es an, dass nur durch einträchtiges 
Zusammenwirken Grosses geschehen könne (Fr. 199), dass 
Bürgerzwist unter allen Umständen vom Uebel sei (200); er 
sieht im Gesetz einen Wohlthäter der Menschen (187), er 
verlangt | Herrschaft der Besten (191—194), Gehorsam gegen 
Obrigkeit und Gesetz (189 f. 197), uneigennützige Sorge für 
das Gemeinwohl (212), allgemeine Bereitwilligkeit zu gegen- 
seitiger Unterstützung (215), und er beklagt einen Zustand, 


1) Fr. 162 vgl. 166. 

2) Fr. 4: δίκαιος ἔρως ἀνυβρίστως ἐφέεσθαε τῶν χαλῶν, was mir 
MuLLacHu und ZieGLER (Gesch. ἃ. Eth. 266, 138) nicht richtig aufzufassen 
scheinen: wenn es sich um das Streben nach dem Schönen handelte, läge 
weder zu dem Beisatz ἀγυβρίστως, noch zu der Unterscheidung des δίχαεος 
ἔρως vom adıxog ein Grund vor. 

3) Fr. 212: τὰ κατὰ τὴν πόλιν χρεὼν τῶν λοιπῶν μέγιστα ἡγέεσϑαι 
ὅχως ἄξεται εὖ, μήτε φιλονεικέοντα παρὰ τὸ ἐπειχὲς μήτε ἰσχὺν ἑωυτῷ 
περιτεϑέμενον παρὰ τὸ χρηστὸν τοῦ ξυνοῦ. πόλες γὰρ εὖ ἀγομένη μεγίστη 
ὄρϑωσίς ἐστι" χαὶ ἐν τούτῳ πάντα ἔνι, καὶ τούτου σωζομένου πάντα 
σώζεται, za) τούτου φϑειρομένου τὰ πάντα διαφϑείρεται. Prur. adv. 
Col. 82, 2. 8. 1126: Anuöxg. μὲν παραινεῖ τήν Te πολιτικὴν τέχνην μεγέστην 
οὖσαν ἐχδιϑάσχεσϑαι χαὶ τοὺς πόνους διώκειν, ἀφ’ ὧν τὰ μεγάλα χαὶ 
λαμπρὰ γένονται τοῖς ἀνϑρώποις. Vgl. Lontzıne. 8. 16. 

4) Fr. 48: ἀπορίη ξυνὴ τῆς ἑκάστου χαλεπωτέρη᾽ οὐ γὰρ ὑπολείπεται 
ἐλπὶς ἐπικουρίας. 


032 Atomistik. [833] 


in dem gute Obrigkeiten nicht gehörig geschützt, schlechten 
der Missbrauch der Macht erleichtert!), die Thätigkeit für 
den Staat mit Gefahr und Schaden verknüpft sei®). Demo- 
krit ist also über diesen Gegenstand mit den Besten seiner 
Zeit einverstanden®). Eigenthümlicher sind seine Ansichten 
über die Ehe, aber doch liegt auch bei ihnen das Auffallende 
nicht auf der Seite, wo man es wegen seines Materialismus 
und seines anscheinenden Eudämonismus vielleicht vermuthen 
möchte: eine höhere sittliche Auffassung der Ehe fehlt ihm 
zwar, doch nicht mehr als sie seiner ganzen Zeit fehlte, was 
ihm aber daran vorzugsweise zum Anstoss gereicht, ist nicht 
das Sittliche, sondern das Sinnliche dieses Verhältnisses. Er 
hat eine Scheu vor dem Geschlechtsgenuss, weil darin das 
Bewusstsein von der Eust überwältigt werde, und der Mensch 
an einen gemeinen Sinnenreiz sich hingebe*); er hat ferner 
eine ziemlich geringe Meinung vom weiblichen Geschlecht®); 
er wünscht sich endlich keine Kinder, weil ihre Erziehung 
von werthvollerer Thätigkeit abziehe, und von unsicherem Er- 


1) Fr. 205, wo aber der Text nicht ganz in Ordnung ist, Fr. 214. 

2) So verstehe ich (trotz ZmeLer’s Einrede Gesch. ἃ. Eth. I, 266, 139) 
Fr. 218: τοῖσε χρηστοῖσε οὐ ξυμφέρον ἀμελέοντας τοῖσι (del.) ἑωυτῶν ἄλλα 
πρήσσειν ἃ. 8. w.; denn wenn es unbedingt gelten sollte, würde diese War- 
nung vor politischer Thätigkeit mit Demokrit's sonstigen Grundsätzen nicht 
übereinstimmen. Vgl. auch Fr. 19. . 

3) Was Erıru. Exp. fid. 1088 A unserem Philosophen nachsagt: er 
habe das geltende Recht verworfen und nur das natürliche anerkannt, die 
Gesetze für eine schlechte Erfindung erklärt und gesagt, der Weise solle 
nicht den Gesetzen gehorchen, sondern frei leben, das ist offenbare Ver- 
drehung. Den allgemeinen Gegensatz von vouos und φύσες konnte eine 
Auslegekunst, wie sie in der späteren Zeit geübt wurde, allerdings schon in 
dem 8. 851, 1 angeführten Ausspruch finden, so wenig er sich auch auf die 
bürgerlichen Gesetze bezieht. Ebenso scheint mir das kosmopolitische 
Fr. 225: ἀνδρὶ σοφῷ πᾶσα γῆ βατή᾽ ψυχῆς γὰρ ἀγαϑῆς πατρὶς ὁ ξύμπας 
κόσμος (Stop. Floril. 40, 7) von FreupentuaL Theol. d. Xenoph. 838. mit 
Grund angefochten zu werden, welcher überhaupt an schlagenden Beispielen 
nachweist, wie viel Späteres schon in den byzantinischen Spruchsammlungen, 
und nun vollends von Mullach, Demokrit beigelegt wird. 

4) Fr. 50: £uyovoin ἀποπληξίη σμεχρή᾽ ἐξέσσυταε γὰρ ἄνϑρωπος ἐξ 
ἀνϑρώπου (wozu wahrscheinlich noch beizufügen ist: χαὶ ἀποσπᾶταει πληγῇ 
τενε μεριζόμενος vgl. Lortzine 21 ἢ). Fr. 49: ξυόμενοε ἄνϑρωποι ἥδονται 
χαί σφι γένεται ἅπερ τοῖσε ἀφροδισιάζουσι. 

δ) Fr. 175. 177. 179. 


[834] Demokrit’s Ethik. 938 


folg sei; und wenn er die Liebe zu Kindern als etwas all- 
gemeines und natürliches anerkennt, so meint er doch, es sei 
klüger, fremde Kinder anzunehmen, die man sich auswählen 
könne, als eigene zu erzeugen, bei denen es dem Zufall über- 
lassen sei, wie sie ausfallen!).. Werden wir auch diese An- 
sichten einseitig und mangelhaft finden müssen, so haben wir 
doch kein Recht, desshalb gegen Demokrit’s sittliche Grund- 
sätze Vorwürfe zu erheben, die wir weder einem Plato, trotz 
seiner Weibergemeinschaft, noch den christlichen Vertheidigern 
des asketischen Lebens zu machen pflegen. 

Diese eingehende Beschäftigung mit den Aufgaben des 
menschlichen Lebens zeigi uns nun allerdings in Demokrit 
den Zeitgenossen des Sokrates und der Sophisten, den Sohn 
einer Zeit, in welcher sich das Nachdenken den praktischen 
Fragen mit Vorliebe zuzuwenden begonnen hatte; und die 
Vermuthung, dass der vielseitige Mann durch den Vorgang 
der sophistischen Lebensphilosophie und vielleicht auch der 
sokratischen Ethik zu verwandten Betrachtungen angeregt 
worden sei, liegt um so näher, da die Ueberbleibsel seiner 
ethischen Schriften mit der reichen Lebenserfahrung und 
Menschenbeobachtung, die sich in ihnen ausspricht, den Ein- 
druck machen, dass sie nicht?) seinen jüngeren, sondern erst 
seinen reiferen Jahren angehört haben®?). So werthvoll aber 


1) Fr. 184—188. Wenn TuEoDoRET cur. gr. aff. XII, 74 Demokrit vor- 
wirft, er wolle nichts von Ehe und Kinderbesitz, weil sie ihm bei seinem 
Eudämonismus zu lästig seien, so ist diess eine Verdrehung: die andlas, 
vor denen sich Demokrit fürchtet, beziehen sich auf den Kummer über das 
Missrathen der Kinder. Theodoret hat es aber auch nur aus ÜLEMENS 
Strom. II, 421 C, der sich seinerseits doch nicht so bestimmt ausdrückt. 

2) Wie Murriıcah meint, Democr. 101. Fragm. phil. 1, 338. 

3) Auch wenn Demokrit dem Sokrates gleichaltrig war (vgl. S. 839 ἢ) 
fallt der Beginn seines Mannesalters bereits später als das erfolgreiche Auf- 
treten des Protagoras, des ersten sophistischen „Tugendlehrers“. Nach Athen 
scheint er erst gekommen zu sein, als er sich in seiner Heimath bereits 
einen bedeutenden Namen gemacht hatte, denn er findet es auffällig, dass 
dort niemand etwas von ihm gewusst habe (so nämlich, nicht von persön- 
licher Verborgenbheit, werden die Worte bei Cıc. Tusc. V, 36, 104. Dioc. 
. IX, 36 zu verstehen sein: ἦλθον ἐς A9nvas χαὶ οὔτις μὲ ἔγνωχεν); dann 
hatte aber auch Sokrates dort schon seit Jahren gewirkt. Selbst der Ver- 
muthung, dass ihm noch Schriften Plato’s und anderer Sokratiker bekannt 


034 Atomistik. [834] 


diese Beobachtungen und Lebensregeln auch sind, so fehlt es 
ihnen doch noch zu sehr an der wissenschaftlichen Zusammen- 
fassung und Begründung, als dass wir in ihnen!) die erste 
systematische Darstellung der Ethik bei den Griechen sehen 
könnten. Es zieht sich wohl durch sie alle die gleiche Stim- 
mung und Lebensanschauung hindurch; wie wenig aber damit 
schon eine wissenschaftliche Verknüpfung des einzelnen ge- 
geben ist, zeigt das Beispiel Heraklit’s und der Pythagoreer, 
und schon das der Dichter, eines Homer und Hesiod, Solon 
und Theognis, deren Aussprüche uns auch eigenartig bestimmte 
Auffassungen des menschlichen Lebens zeigen; und mag De- 
mokrit immerhin in der bewussten Zurückführung des ein- 
zelnen auf gewisse Grundanschauungen über sie hinausgehen 
und einer systematischen Ethik näher kommen als sie, so 
macht er doch noch keinen Versuch, jene Anschauungen selbst 
durch wissenschaftliche Untersuchungen zu begründen und 
auf genau bestimmte Begriffe zurückzuführen. Er setzt vor- 
aus, was zu seiner Zeit jedermann voraussetzte, dass es für 
den Menschen das wünschenswertheste sei, möglichst viel Ge- 
nuss und möglichst wenig Leid zu erfahren?); aber selbst 
wenn er der erste gewesen sein sollte, welcher das, was alle 
stillschweigend oder ausdrücklich voraussetzten, in der 
Form eines allgemeinen Grundsatzes an die Spitze einer mora- 
lischen Erörterung stellte, so hat er doch nicht allein zur Be- 
gründung dieses Satzes, so viel wir wissen, nichts gethan, 
sondern er hat auch keine Untersuchung darüber angestellt, 
worin das Wesen der Lust und der Unlust bestehe®). Eben 


geworden seien, stände keine chronologische Schwierigkeit im Wege; auf 
das S. 930, 3 besprochene Wort möchte ich sie freilich nicht stützen, und 
ihre Wahrscheinlichkeit nicht vertreten. 

1) Mit ZıesLer Gesch. ἃ. Ethik I, 34 fl. Hırzer Unters. I, 134 tt. 
WINDELBANXD Gesch. ἃ. gr. Phil. 100 f. 

2) Vgl. S. 925, 8. 

3) Dass nämlich die Vermuthung (der auch WınDELsaxD a. a. O. 100, 4 
zustimmt), er sei der von Prato Phileb. 44 B f. 51 A besprochene Gegner 
der Lust, ebenso unhaltbar als unerweislich ist, habe ich Th. II a, 308 f. 
gezeigt, und ich habe auch in Nartorp's wiederholter Erörterung dieser Frage, 
Archiv f. Gesch. d. Ph. III, 521 ff. nichts gefunden, was meine Ansicht zu 
erschüttern geeignet wäre. 


[884. 885] Demokrit's Ethik. 035 


diess aber hätte er thun müssen, um eine wissenschaftliche 
Grundlage für die Entscheidung über das richtige Verhalten 
zu Lust und Unlust zu gewinnen. Ebensowenig ist uns von 
Demokrit eine Untersuchung über das Wesen der Tugend 
und die allgemeinen Bedingungen des sittlichen Handelns be- 
kannt; es wird vielmehr ausdrücklich bezeugt, es habe sich 
darüber bei ihm nichts genaueres gefunden!)., Auch die 
wissenschaftliche Verknüpfung seiner praktischen Grundsätze 
mit seiner Physik müssen wir vermissen. Ein gewisser Zu- 
sammenhang zwischen beiden findet, wie bemerkt, allerdings 
statt: die theoretische Erhebung über die sinnliche Erscheinung 
musste den Philosophen auch auf dem sittlichen Gebiete ge- 
neigt machen, dem Aeusseren geringeren Werth beizulegen, 
und die Einsicht in die unwandelbare Ordnung des Naturlaufs 
‚musste die Ueberzeugung in ihm hervorrufen, dass es das 
beste sei, sich genügsam und zufrieden in diese Ordnung zu 
finden. Allein Demokrit selbst hat nach allem, was wir wissen, 
nur wenig gethan, um diesen Zusammenhang an’s Licht zu 
stellen; er hat das Wesen der sittlichen Thätigkeit nicht in 
allgemeiner Weise untersucht, sondern eine Reihe vereinzelter 
Beobachtungen und Vorschriften aufgestellt, welche wohl durch 
die gleiche sittliche Stimmung und Denkweise, aber nicht 
durch bestimmte wissenschaftliche Begriffe verknüpft sind; 
mit seiner Physik stehen diese ethischen Sätze in einer so 
losen Verbindung, dass sie sämmtlich auch von einem solchen 
hätten herrühren können, dem die atomistische Lehre voll- 
kommen fremd war, wie etwa Heraklit, dem Demokrit in 
seiner Ethik so nahe steht. So merkwürdig und werthvoll 
daher diese Ethik an sich selbst sein mag, | so können wir 
doch in ihr nur ein Nebenwerk des philosophischen Systems 
sehen, das für die Würdigung des letzteren immer nur unter- 
geordnete Bedeutung hat; und wir werden eine Bestätigung 
dieser Ansicht in dem Umstand erblicken dürfen, dass ArısTo- 
TELES, dem Demokrit’s Schriften nicht, wie uns, in zer- 
splitterten Bruchstücken, sondern ihrem ganzen Umfang und 


1) Cıc. Fin. V, 29, 88 s. o. 925, 2. Cic. hat diess wahrscheinlich 
einem Peripatetiker entnommen. 


986 Atomistik. [835] 


Zusammenhang nach bekannt waren, ihn im Gegensatz zu 
Sokrates als Physiker, diesen erst als den Begründer der philo- 
sophischen Ethik bezeichnet!), und dass von den anderthalb- 
hundert Stellen, in denen Demokrit von ihm genannt oder be- 
rücksichtigt wird, keine einzige sich auf eine ethische Be- 
stimmung desselben bezieht. 

Etwas enger ist die Verbindung zwischen Demokrit’s An- 
sicht über die Religion und seiner Physik?). Dass er den 
Götterglauben seines Volkes nicht theilen konnte, liegt am 
Tage. Das Göttliche im eigentlichen Sinn, das ewige Wesen, 
von dem alles abhängt, ist ihm nur die Natur, oder genauer 
die Gesammtheit der durch ihre Schwere sich bewegenden und 
die Welt bildenden Atome. Nur Sache des Ausdrucks ist es, 
wenn hiefür in populärer Sprache die Götter gesetzt werden ὃ). 
Abgeleiteter Weise scheint er ferner das Seelische und Ver- 
nünftige in der Welt und. im Menschen als das Göttliche be- 
zeichnet zu haben, ohne doch damit etwas anderes sagen zu 
wollen, als dass dieses Element der vollkommenste Stoff und 
der Grund alles Lebens und Denkens seit). Auch die Ge- 
stirne hat er vielleicht Götter genannt, weil sie die Hauptsitze 
dieses göttlichen Feuers sind®); und wenn er ihnen aus dem- 
selben Grunde Vernunft beigelegt hätte, so würde auch dieses 
den Voraussetzungen seines Systems nicht widerstreiten. In 
den Göttern der Mythologie dagegen konnte er nur Gebilde 


1) Vgl. was 8. 168, 3 aus part. an. I, 1, S. 922, 3 aus Metaph. XIII, 4 
angeführt ist. 

2) M. vgl. zum folgenden Krıscuz Forschungen 146 ft. 

3) Fr. mor. 13, s. o. 927, 2. Aehnlich Fr. mor. 107: μοῦνος Feoys- 
λέες 000104 ἐχϑρὸν τὸ ἀδιχέεεν. In dem, was 8. 912, 2 angeführt wurde, 
gehören die Götter, wie dort gezeigt ist, nicht Demokrit selbst an, der 
übrigens hypothetisch immerhin von ihnen hätte sprechen können. Fr. 250 
wird von FREuDEnTHAL Theol. d. Xenoph. 37 Demokrit mit Recht abge- 
sprochen. 

4) Vgl. Β. 908. 

5) TertuLı. ad nat. II, 2: owm reliquo igni superno Deos ortos Deme- 
eritus suspiostur, was am besten auf die Entstehung der Gestirne (s. o. 
S. 893) bezogen werden wird; weniger passend würde man an die sogleich 
zu besprechenden Wesen, von welchen die εἴδωλα ausgehen, denken. Dass 
die Gestirne als Götter behandelt wurden, zeigt auch die S. 897, 5 berührte 
Deutung der Ambrosia. 


[885. 886] Die Religion und die Götter. 937 


der Phantasie sehen, von denen er annahm, ursprünglich seien 
gewisse physische oder moralische Begriffe darin dargestellt, 
Zeus bedeute die obere Luft, Pallas die Einsicht u. s. w., diese 
dichterischen | Gestalten seien aber in der Folge missverständ- 
lich für wirkliche persönlich existirende Wesen gehalten wor- 
den!). Dass die Menschen auf diese Meinung gekommen 
seien, diess erklärte er theils aus dem Eindruck, welchen 
ausserordentliche Naturerscheinungen, Gewitter, Kometen, 
Sonnen- und Mondsfinsternisse auf sie machten), theils glaubte 
er aber auch, es liegen ihr wirkliche Anschauungen zu Grunde, 
die nur nicht ganz richtig aufgefasst seien. So frei er sich 
nämlich dem Volksglauben gegenüberstellt, so kann er sich 
doch nicht entschliessen, alles das, was von Erscheinungen 
höherer Wesen und von ihrer Einwirkung auf die Menschen 
erzählt wurde, schlechtweg für Täuschung zu erklären; es 
mochte ihm vielmehr gerade bei seiner sensualistischen Er- 
kenntnisstheorie gerathener scheinen, auch diese Vorstellungen 
von wirklichen äusseren Eindrücken herzuleiten. Er nahm 
daher an®), dass sich in der Luft Wesen aufhalten, welche | 


1) Cremens Cohort. 45 B (vgl. Strom. V 598 B und über den Text 
Murrach 359. Burcuarp Democr. de sens. phil. 9. Purzncorpr 72): ὅϑεν 
οὐχ ἀπειχότως 6 Annöxgıros τῶν λογίων ἀνϑρώπων ὀλίγους φησὶν ἀνατεί- 
γναντας τὰς χεῖρας ἐνταῦϑα ὃν νῦν ἠέρα καλέομεν οὗ Ἕλληνες πάντα (diess 
scheint unrichtig, wiewohl es Clemens ohne Zweifel in seinem Exemplar ge- 
habt hat; vielleicht ist πατέρα zu lesen) Ila μυϑέεσθαι, χαὶ (hier scheint 
ein ὡς oder γομίζεεν ὡς ausgefallen) πάντα οὗτος oldev καὶ διδοῖ val 
ἀφαερέεται χαὶ βασιλεὺς οὗτος τῶν πάντων. Ueber Pallas s. 8. 980, 4. 

2) βεχτ. Math. IX, 24: Demokrit gehört zu denen, welche den Glau- 
ben an Götter von den ungewöhnlichen Naturerscheinungen herleiten: ὁρῶν»- 
τες γὰρ, φησὶ, τὰ ἐν τοῖς μετεώροις παϑήματα ol παλαιοὶ τῶν ἀνϑρώπων, 
καϑάπερ βροντὰς καὶ ἀστραπὰς χεραυνούς τε χαὶ ἄστρων συνόδους (Κο- 
meten 8. o. 897, 9. Κβιβοηξκ 147) ἡλίου τε χαὶ σελήνης ἐχλεέψεις ἐδειμα- 
τοῦντο, ϑεοὺς οἰόμενοι τούτων altlous εἶναι. 

8) Sexr. Math. IX, 19: Δημόχριτος δὲ εἴδωλά τενά φησιν ἐμπελάζειν 
τοῖς ἀνθρώποις χαὶ τούτων τὰ μὲν εἶναι ἀγαϑοποιὰᾶ, τὰ δὲ χαχοποιά. 
ἔνϑεν χαὶ εὔχεται εὐλόγχων (so schreibe ich mit ΚΕΙΒΟΗΕ 8. 154. Bur- 
CHAED 8. a. Ο. u. a. wegen der gleich anzuführenden Stellen für εὐλόγων») 
τυχεῖν εἰδώλων. εἶγαε δὲ ταῦτα μεγάλα re καὶ ὑπερμεγέϑη καὶ δύςφϑαρτα 
μὲν, οὐχ ἄφϑαρτα δὲ, προσημαίνειν τε τὰ μέλλοντα τοῖς ἀνθρώποις, ϑεω- 
ρούμενα χαὶ φωνὰς ἀφιέντα. (So weit auch, fast wortgleich, der anonyme 
Commentar zu Aristoteles De divin. p. s. hinter Simpl. De anima S. 148 m 


988 Atomistik. [837] 


den Menschen an Gestalt ähnlich, an Grösse, Kraft und 
Lebensdauer überlegen seien; diese Wesen offenbaren sich, 
indem die von ihnen ausströmenden Ausflüsse und Bilder, oft 
auf weite Entfernung sich fortpflanzend, Menschen und Thieren 
sichtbar und hörbar werden, und sie seien für Götter gehalten 
worden, wiewohl sie in Wahrheit nicht göttlich und unver- 


Ald., sehr äbnlich Tueuıst. zu derselben Schrift II, 295 Sp. Statt εὐλόγων 
haben beide εὐλόχων und vor ὑπερμεγέθη lassen sie die Worte μεγάλα τε 
χσὶ weg, die wohl auch Glosse sind.) ὅϑεν τούτων αὐτῶν φαντασίαν Ac- 
βόντες ol παλαιοὶ ὑπενόησαν εἶναε ϑεὸν undevös ἄλλου παρὰ ταῦτα ὄντος 
ϑεοῦ τοῦ ἄφϑαρτον φύσιν ἔχοντος. Vgl. ὃ 42: τὸ δὲ εἴδωλα εἶναι ἐν τῷ 
περιέχοντι ὑπερφυῆ καὶ ἀνϑρωποειδεῖς ἔχοντα μορφὰς, καὶ χκαϑόλου τοι- 
αὗτα ὁποῖα βούλεται αὑτῷ ἀναπλάττειν Anudxorros, παντελῶς ἔστι δυς- 
παράδεκτον. Prur. Aemil. P. 1: Anuoxgırog μὲν γὰρ εὔχεσϑαί φησι δεῖν 
ὅπως εὐλόγχων εἰδώλων τυγχάνωμεν, καὶ τὰ σύμφυλα χαὶ τὰ χρησεὰ 
μᾶλλον ἡμῖν Ex τοῦ περιέχοντος, ἢ τὰ φαῦλα χαὶ τὰ σχαιὰ, συμφέρηται. 
Def. orac. 7: ἔτε δὲ Ζημόχριτος, εὐχόμενος εὐλόγχων ἐϊδώλων τυγχάνειν, 
δῆλος ἦν ἕτερα δυςτράπελα καὶ μοχϑηρὰς γινώσχων ἔχοντα προαερέσεες 
τινὰς χαὶ ὁρμάς. Cıc. (der diese Annahme auch Divin. II, 58, 120 berührt) 
N. D.]I, 12, 29: Demoeritus, qui tum imagines earumque cireuitus in Deorem 
numero refert, tum ülam naturam, quae imagines fundat ac miltal, tum scientiam 
intelligentiamqgue nostram (hierüber S. 907 ἢ). Ebd. 43, 120: tum enim conset 
imagines divinitate praeditas inesse in universitats rerum, tum principia mentis, 
quae sunt in eodem universo, Deos esse dieit; tum amimanles imagınes, quae vol 
prodesse nobis soleant vel nocere, lum ingenies quasdam imagines lanltasgue, wi 
universum mundum oompleotantur eztrinsecus. (Dieses letztere freilich ist sicher 
eine Entstellung der demokritischen Lehre, wahrscheinlich durch das auch 
von Sextus und Plutarch erwähnte περεέχον veranlasst; überhaupt dürfen 
wir nicht vergessen, dass in den beiden ciceronischen Stellen ein Epikureer 
spricht, der in Demokrit's Ansichten möglichst viel Ungereimtheiten und 
Widersprüche hineinträgt, um sich desto leichter darüber lustig machen zu 
können.) Creuens Strom. V, 590 C: τὰ γὰρ αὐτὰ (Anuoxg.) πεποέηχεν 
εἴδωλα τοῖς ἀνθρώποις προςπίπτοντα χαὶ τοῖς ἀλόγοις ζῴοις ἀπὸ τῆς ϑεέας 
οὐσίας, wo die ϑεία οὐσία eben die natura φμαθ imagines fundat, die Wesen, 
von denen die Idole ausgehen, bezeichnet. Vgl. Dens. Cohort. 43 D (De- 
mokrit’s Principien seien die Atome, das Leere und die Idole), und dazu 
KriscHhe 150, 1. Max. Tyr. Diss. XVII, 5: die Gottheit sei nach Demokrit 
ὁμοπαϑὲς (sc. ἡμῖν, also menschenähnlich. Aus einem Missverständniss 
dessen, was Demokrit über die wohlthätige oder schädliche Natur jener 
Wesen sagte, stammt wohl, vielleicht durch Vermittlung einer unterschobenen 
Schrift, die Angabe des Prisıus H. ἢ. II, 7, 14, Demokrit nehme zwei Gott- 
heiten an, Poena und Benefieium. Iren. adv. haer. II, 14, 3 vermischt gar 
die atomistischen Idole mit den platonischen Ideen. Im übrigen ist zu dem 
obigen die epikureische Lehre (Th. 1Π a, 430 ff.) zu vergleichen. 


[837. 838] Die Religion und die Götter. 939 


gänglich, sondern nur minder vergänglich seien als der Mensch. 
Diese Wesen und ihre Bilder sollten ferner theils wohlthätige:‘, 
theils verderblicher Natur sein, wesshalb Demokrit, wie er- 
zählt wird, den Wunsch aussprach, glücklichen Bildern zu 
begegnen; aus derselben | Quelle leitete er endlich auch Vor- 
bedeutungen und Weissagungen her, indem er glaubte, dass 
uns die Idole theils über die eigenen Absichten derer, von 
denen sie herrühren, theils auch über das, was in andern 
Theilen der Welt vorgeht, Aufschluss geben!). Der Sache 
nach sind dieselben nichts anderes als die Dämonen des Volks- 
glaubens, und Demokrit kann insofern als der erste betrachtet 
werden, der zur Vermittlung zwischen Philosophie und Volks- 
religion den in der späteren Zeit so gewöhnlichen Weg ein- 
schlug, die Götter zu Dämonen herabzusetzen ?). Neben dieser 
physikalischen Auffassung des Götterglaubens werden aber 
auch Worte von ihm überliefert, die auf seine sittliche Be- 
deutung hinweisen®). Keinenfalls mochte er sich berechtigt 
glauben, sich mit der bestehenden Religion und der Ordnung 
᾿ des Gemeinwesens in Widerspruch zu setzen, und es mag in- 
sofern auch von ihm selbst gelten, was von seinen Anhängern, 


1) Vgl. 8. 90, 2. 

2) Dass aber das obige desshalb unzutreffend sei, weil „unsere Zeugen 
nur von εἴδωλα sprechen“, und „uns diess kein Recht gebe auf die Existenz 
von Wesen zu schliessen, deren Ausfluss jene εἴδωλα sind,“ (Hırzer Unter- 
such. I, 137, 1) kann ich nicht einräumen. Mögen in der Bezeichnung jener 
Erscheinungen die Bilder, die sich uns darstellen, mit dem ihnen zu Grunde 
liegenden Realen unter dem Begriff der εἴδωλα zusammengefasst, oder mag 
in genauerem Ausdruck die Isla οὐσία, die natura quae imagines fundat, von 
den Bildern als solchen unterschieden werden (und bei Demokrit selbst 
scheinen sich nach Cicero beide Ausdrucksweisen gefunden zu haben): wenn 
die den Menschen erscheinenden Gestalten, gerade wie die Dämonen (z. B. 
bei Prur. Def. orac. 11. 16 f.) und die Götter des Empedokles (8. ο. 8. 785, 1. 
813), zwar nicht unvergänglich aber δύςσφϑαρτα sind, wenn sie reden (φωνὰς 
ἀφιέντα) künftiges vorher verkünden und gute oder schlechte Absichten 
(προαιρέσεις Plut.) haben, so besteht das, was sich uns in ihnen darstellt, 
nicht aus solchen Atomengebilden, die ohne objektives Correlat ihre Er- 
scheinung gar nicht oder nur ganz kurz überdauern, sondern aus realen 
übermenschlichen Wesen. 

8) Fr. mor. 107, s. o. 936, 3. Fr. 242: yon τὴν μὲν εὐσέβειαν φανε- 
ρῶς ἐνδείχνυσϑαι, τῆς δὲ ἀληϑείας ϑαῤῥούντως προΐστασθαι lautet (wie 
auch Lorrzıne 8. 15 bemerkt) nicht eben demokritisch. 


940 Atomistik. [838. 839 


vielleicht nur um der Epikureer willen, behauptet wird!), 
dass sie an den herkömmlichen Gottesdiensten theilgenommen 
haben; auf dem Standpunkt eines Griechen ist dieses auch 
bei demokritischen Ansichten ganz in der Ordnung. 
Verwandter Art sind einige andere Annahmen, in denen 
Demokrit zunächst ebenfalls mehr dem Volksglauben als 
seinem naturwissenschaftlichen System folgt, wenn er sie gleich 
nachträglich auch mit diesem auszugleichen bemüht ist. So 
glaubt er, auch abgesehen von dem, was wir so eben über 
die Erscheinungen übermenschlicher Wesen und ihre Offen- 
barungen gehört haben, überhaupt an vorbedeutende Träume, 
und er sucht dieselben gleichfalls dureh die Lehre von den 
Bildern zu erklären. Wenn nämlich die Träume überhaupt 
(so werden wir ihn zu verstehen haben) dadurch | entstehen, 
dass von allen möglichen Dingen Bilder zu den Schlafenden 
gelangen, so kann es, wie er glaubt, unter Umständen auch 
geschehen, dass diese Bilder (ebenso, wie die Worte oder Ge- 
berden, die wir im Wachen wahrnehmen) die Seelenzustände, 
Vorstellungen und Absichten anderer Menschen in sich ab- 
spiegeln, und so entstehen Träume, die uns von verborgenem 
unterrichten; diese Träume sind aber nicht durchaus zuver- 
lässig, weil die Bilder theils an sich selbst nicht immer gleich 
kräftig und deutlich sind, theils auch auf dem Wege zu uns 
je nach der Beschaffenheit der Luft grösseren oder geringeren 
Veränderungen unterliegen?). Aehnlich wird die Theorie der 


1) Orıe. c. Cels. VII, 66. 

2) Prur. qu. conv. VIH, 10, 2: φησὶ “ημόχριτος ἐγχαταβυσσοῦσϑαε 
τὰ εἴδωλα διὰ τῶν πόρων εἰς τὰ σώματα χαὶ ποιεῖν τὰς χατὰ τὸν ὕπνον 
ὄψεις ἐπαναφερύμενα" φοιτᾷν δὲ ταῦτα πανταχόϑεν anı@yra χαὶ σχευῶν 
καὶ ἱματέων καὶ φυτῶν, μάλιστα δὲ ζῴων ὑπὸ σάλου πολλοῦ καὶ ϑερμό- 
τητος, οὗ μόνον ἔχοντα μορφοειδεῖς τοῦ σώματος ἐχμεμαγμένας ὁμοιό- 
τητας . .. ἀλλὰ χαὶ τῶν xara ψυχὴν χινημάτων χαὶ βουλευμάτων ἔχάστῳ 
χαὶ ἡϑῶν καὶ παϑὼν ἐμφάσεις ἀναλαμβάνοντα συνεφέλχεσθϑαι, χαὶ προς- 
πίπτοντα μέτα τούτων ὥσπερ ἔμψυχα φράζειν καὶ διαστέλλειν τοῖς ὑπο- 
δεχομένοις τὰς τῶν μεϑιέντων αὐτὰ δόξας zul διαλογισμοὺς καὶ ὁρμὰς, 
ὅταν ἐνάρϑρους καὶ ἀσυγχύτους φυλάττοντα προςμέξη τὰς εἰχόνας. τοῦτο 
δὲ μάλιστα moi δὲ ἀέρος λείου τῆς φορᾶς γινομένης ἀχωλύτου χαὶ 
ταχείας. ὁ δὲ φϑινοπωρινὸς, ἐν ᾧ φυλλοῤῥοεὶ τὰ δένδρα, πολλὴν ἀνω- 
μαλίαν ἔχων χαὶ τραχύτητα, διαστρέφει χαὶ παρατρέπεε πολλαχῆ τὰ 
εἴδωλα χαὶ τὸ ἐναργὲς αὐτῶν ἐξίτηλον καὶ ἀσϑενὲς ποιεῖ τῇ βραδυτῆτι τῆς 


[889. 840] Weissagung und Magie. 941 


Bilder und Ausflüsse benützt, um den in Griechenland bis 
auf den heutigen Tag so verbreiteten Aberglauben von der 
Wirkung des bösen Auges zu rechtfertigen: aus den Augen 
der Neidischen sollen Bilder ausgehen, die etwas von ihrer 
Gesinnung mit sich führend die Leute quälen, bei denen sie 
sich einnisten!). Einfacher war wohl die Begründung der 
Opferschau, die unser Philosoph ebenfalls guthiess?). Ob und 
wie er endlich den Glauben an eine göttliche | Begeisterung 
des Dichters®) mit seiner sonstigen Lehre in Verbindung 
setzte, wird uns nicht gesagt, er konnte aber recht wohl an- 
nehmen, dass gewisse günstiger organisirte Seelen einen 
grösseren Reichthum von Bildern in sich aufnehmen und durch 
dieselben in lebhaftere Bewegung versetzt werden, als andere, 
und dass darin die dichterische Begabung und Stimmung be- 
stehe. 


4. Die atomistische Lehre als Ganzes, ihre geschichtliche 
Stellung und Bedeutung, die späteren Anhänger der Schule. 


Der Charakter und die geschichtliche Stellung der Ato- 
mistik ist in älterer und neuerer Zeit sehr verschieden be- 
urtheilt worden. In der alten Diadochenfolge werden die 


πορείας ἀμαυρούμενον, ὥσπερ αὖ πάλεν πρὸς Öpyamıar χαὶ διαχαιομένων 
ἐχθρώσχοντα πολλὰ καὶ ταχὺ χομιζόμενα τὰς ἐμφάσεις νοερὰς καὶ σημαν- 
τιχὰς ἀποδίδωσιν. Auf diese Annahmen bezieht sich Arısr. divin. p. 8. 6. 
2. 464a 5. 11. A&r. Plac. V, 2. Cıc. Divin. I, 3, 5. 

1) Prot. qu. conv. V, 7, 6. 

2) Cıc. Divin. I, 57, 131: Demoeritus autem censet, sapienter instiluisse 
veteres, ut hostiarum immolatarum inspiceruntur esta, quorum ex habilu atque 
er colore tum salubritatis tum pestilontiae signa percipi, nonnunquam eliam, quae sit 
σεὶ sterilitas agrorum vel fertiktas futura. Schon die Beschränkung auf diese 
Fälle beweist, dass es sich hiebei um solche Veränderungen im Zustand der 
Eingeweide handelt, die durch natürliche Ursachen bewirkt werden, und 
Demokrit erscheint hierin noch nüchterner, als Pıaro Tim. 71. Von den 
Idolen, welche nach Clemens (s. 8. 988 u.) auch Thieren erscheinen sollten, 
kann Dem. die Wahrsagung durch Augurien hergeleitet haben. 

3) Demokrit b. Dıo Currs. or. 53 Anf.: Ὅμηρος φύσιος λαχὼν ϑεα- 
ζούσης ἐπέων x00uov ἐτεχτήνατο παντοίων. Ders. Ὁ. Cıeu. Strom. VI, 
698, B: ποιητὴς δὲ ἅσσα μὲν av γράφῃ μετ᾽ ἐνϑουσιασμοῦ xal ἑεροῦ 
πνεύματος (?) χαλὰ χάρτα ἐστί. Cıc. Divin. I, 37, 80: negat enim sine 
ferore Democritus quenquam podlam magnum esse Posse. 


942 Atomistik. [840. 841] 


Atomiker durchaus der eleatischen Schule zugezählt'), Aristo- 
teles stellt sie gewöhnlich mit Empedokles und Anaxagoras 
zusammen, im übrigen rechnet er sie bald gemeinschaftlich 
mit diesen zu den Physikern?), bald bemerkt er auch ihre 
Verwandtschaft mit den Eleaten®). Von den neueren Ge- 
lehrten sind nur wenige der alten Diadochenordnung gefolgt, 
indem sie die Atomiker als einen zweiten Zweig der eleati- 
schen Schule, als eleatische Physiker bezeichnen t). Das ge- 
wöhnlichere ist, sie entweder den jonischen | Naturphilosophen 
beizuzählen5), oder als eigene Form unter den jüngeren 
Schulen aufzuführen®). Auch in diesem Fall wird aber ihr 
Verhältniss zu Vorgängern und Zeitgenossen verschieden be- 
stimmt. Denn wenn auch allgemein zugegeben wird, dass 
die Atomenlehre die Schlüsse der Eleaten mit der Erfahrung 
vereinigen wollte, so ist man doch darüber nicht einig, inwie- 
weit andere Systeme auf sie eingewirkt haben, und wie es 
sich in dieser Beziehung namentlich mit Heraklit, Anaxagoras 
und Empedokles verhält. Während die einen in ihr die 


1) So von Diogenes, dem falschen Galen, Hippolytus, Simplicius, Suidas, 
Tzetzes, wie diess bei den drei ersten aus der Stellung der Atomiker, bei 
allen aus den Angaben über die Lehrer des Leucipp und Demokrit (8. o. 
S. 838. 841 ἢ) hervorgeht. Nach derselben Vorraussetzung stellt Prur. 
b. Eus. pr. ev. I, 8, 7 Demokrit unmittelbar hinter Parmenides und Zeno, 
der Epikureer Cıcgero’s N. D. I, 12 29 nebst Empedokles und Protagoras 
hinter Parmenides. 

2) Metaph. I, 4. 985 b 4. 

3) Z. B. gen. et corr. I, 8 8. ο. 847, 1. 

4) So Deaerınno Gesch. ἃ. Phil. I, 83 f. der Tennemann’schen Ueber- 
setzung; TIBERGHIEN Sur la gendration des oonnaissances humainss 3. 176. 
Aehnlich Murraca 373 ἢ. Auch Ast Gesch. d. Phil. 88 stellt die Atomistik 
in die Kategorie des italischen Idealismus, wiewohl er sie im übrigen ebenso 
charakterisirt, wie Tiedemann. 

5) REINHOLD Gesch. ἃ. Ph. I, 48. 58. Braxpis Rh. Mus. IH, 132. 144. 
Gr.-röm. Phil. I, 294. 3801. Marsaca Gesch. d. Ph. I, 87. 95. Heunmann 
Plat. I, 152 ff. 

6) Tıepemann Geist d. spek. Ph. I, 224f. Bunte Gesch. d. Phil. I, 324. 
TEennemasn Gesch. d. Phil. 1. A. I, 256 ff. Fries Gesch. ἃ. Phil. I, 210. 
Heer Gesch. d. Phil. I, 321. 324 f. Branıss s. ο. S. 148. SteÜnreELL 
Theoret. Phil. ἃ. Gr. 17. 69 ff. 65. 8. 179, 1. Hays Allg. Enc. Sect. II, 
Bd. XXIV, 38. ScHwesLeR Gesch. d. gr. Phil. 5l. Ueserwea I, 8 25. 
Ueber WınneLBann 8. 943. 


[84]. 842] Geschichtliche Stellung. 948 


Vollendung der mechanischen Physik sehen, welche Anaxi- 
mander begründet habe!), ist sie anderen eine Fortbildung 
des heraklitischen Standpunkts®), oder genauer eine Ver- 
knüpfung heraklitischer und eleatischer Bestimmungen, eine Er- 
klärung des heraklitischen Werdens aus dem eleatischen Sein ὃ): 
Wirta stellt sie neben Heraklit, sofern dieser das Werden, 
die Atomistik die Vielheit der.Dinge gegen die Eleaten be- 
haupte*); MAaRrBA0H verweist neben Heraklit auf Anaxagoras, 
RemmoLp und ΒΒΑΝΡΙΒ, | auch STRÜMPELL, wollen sie aus dem 
doppelten Gegensatz gegen die eleatische Einheitslehre und 
gegen den Dualismus des Anaxagoras 5) ableiten; WINDELBAND®) 
stellt Leucippus denen, welche zwischen Heraklit und den 
Eleaten zu vermitteln versuchen, Empedokles Anaxagoras und 
den Pythagoreern, Demokrit dagegen als Systematiker Plato 
zur Seite; Branıss endlich betrachtet sie als das Mittelglied 
zwischen Anaxagoras und der Sophistik. Noch entschiedener 
waren die Atomiker schon früher von SCHLEIERMACHER 7) und 
Rrrter®) den Sophisten beigezählt worden, indem ihre Lehre 
für eine unwissenschaftliche Entartung der anaxagoreischen 
und empedokleischen Philosophie erklärt wurde. Diese An- 
sicht muss hier zunächst geprüft werden, da sie die Stellung, 
welche wir der Atomistik angewiesen haben, am vollständig- 
sten umstossen, und die ganze Auffassung dieses Systems am 
tiefsten berühren würde. 


1) HzRuann ἃ. a. O. 

2) Hzazı I, 324 ff. mit der Bemerkung: in der eleatischen Philosophie 
erscheine Sein und Nichtsein als Gegensatz, bei Heraklit seien beide das- 
selbe und beide gleichsehr, das Sein aber und das Nichtsein als gegen- 
ständliches gesetzt ergeben den Gegensatz des Vollen und des Leeren. Par- 
menides setze als Princip das Sein oder das abstrakt Allgemeine, Heraklit 
den Process, die Bestimmung des Fürsichseins komme dem Leucipp zu. 
Vgl. Wsxpr zu Tennemann I, 322. . 

3) Hıru a. a. O. Schwester Gesch. ἃ. Phil. 16 vgl. unsere 1. Aufl. 
I, 212; dagegen behandelt Schwegler Gesch. ἃ. griech. Phil. 51 die Atomietik 
als eine Reaktion der mechanischen Naturansicht gegen Anaxagoras. 

4) Jahrb. d. Gegenw. 1844, 722. Idee d. Gottheit 8. 162. 

5) Oder wie Branvıs will: Anaxagoras und Empedokles. 

6) Gesch. d. alten Phil. 52. 91 s. o. S. 180 m. 

7) Gesch. d. Phil. 72. 74 f. 

8) Gesch. ἃ. Phil. I, 589 ff.; gegen ihn Branpıs Rhein. Mus. II, 132 8. 

Philos. d. Gr. I. Bd. 5. Aufl. 60 


944 Atomistik. [842. 843] 


Dieselbe wird theils mit dem schriftstellerischen Charakter 
Demokrit’s theils mit dem Inhalt seiner Lehre begründet, 
Schon an jenem findet Rırrer!) viel zu tadeln. Der bekannte 
Anfang einer Schrift?) laute anmassend, von seinen Reisen 
und seinen mathematischen Kenntnissen spreche er nicht ohne 
Ruhmredigkeit, seine Sprache zeige eine erheuchelte Begeiste- 
rung; selbst die unschuldige Bemerkung, dass er jünger sei, 
als Anaxagoras, soll eine eitle Vergleichung mit diesem Philo- 
sophen bezwecken. Für den Charakter des Systems wäre 
nun freilich alles diess ohne Bedeutung. Demokrit hätte immer- 
hin ein eitler Mensch sein mögen, ohne dass darum die Lehre, 
die er vortrug, zur inhaltsleeren Sophistik würde, selbst wenn 
diese Lehre von ihm allein herstammte. Diess ist ja aber 
nicht einmal der Fall; so auffallend vielmehr sein Name bei 
Gegnern wie bei Bewunderern der Atomistik den seines 
Lehrers in Vergessenheit gebracht hat?), | so ist es doch nach- 
weislich Leucippus, von dem wir seine Physik in allen 
ihren Grundzügen herzuleiten haben*). Allein jene Vorwürfe 


1) Gesch. ἃ, Phil. I, 594 — 597. 

2) Bei Sext. Math. VII, 265 (welcher darin auch schon eine Selbst- 
überhebung sieht). Cıc. Acad. II, 23, 73: τάδε λέγω περὶ τῶν ξυμπάντων. 

8) Vgl. 8. 837 f. Auch Lange Gesch. ἃ. Mat. I, 9 ff. spricht, abgesehen 
von einer einzigen zweifelnden Berührung Leucipp’s (5. 13) durchweg so, als 
ob Demokrit der erste Urheber des atomistischen Systems wäre. Aehnlich 
Conen Platon’s Ideenl. Marb. 1874. S. 1. 15 u. ὅ. 

4) Von Leucippus stammt nachweislich die Zurückführung des Entstehens 
und Vergehens auf Verbindung und Trennung ungewordener Stoffe, die Lehre 
von den Atomen und dem Leeren; 8. 5. 847, 1. 849, 2. 852, 3; die ewige 
Bewegung der Atome (868, 2), die auch er schon nur von ihrer Schwere her- 
geleitet haben kann; der Zusammenstoss der Atome, die Wirbelbewegung 
und die durch sie bewirkte Weltbildung (887, 2); die von Dem. theilweise 
veränderten Bestimmungen über die Gestalt der Erde, die Ordnung der Ge- 
stirne, die Neigung der Erdachse (394, 2. 895, 4. 897, 6); die feurige Natur 
der Seele (902, 4), die Subjektivität der Sinnesempfindung (864, 1). Gerade 
die Grundgedanken der atomistischen Physik, diejenigen, auf denen ihre 
wissenschaftliche Bedeutung vorzugsweise beruht, gehören demnach bereits 
Leucippus an. Muss uns nun schon dieser Umstand abhalten, seinen 
Schüler so wie WINDELBAND (8. S. 949, 6) von ihm zu trennen, so kommt 
dazu noch weiter, dass andererseits das, worin dieser am meisten über ihn 
hinausgegangen zu sein scheint, Demokrit's Ethik, am wenigsten Anlass 
gibt, ihn als Systematiker zu rühmen; vgl. S. 933 f. 


[848. 844] Die Atomistik keine Sophistik. 945 


sind auch an sich selbst höchst ungerecht!). Von der Zeit- 
bestimmung nach Anaxagoras wissen wir gar nicht, in welchem 
Zusammenhang sie vorkam; jedenfalls ist sie ganz unverfäng- 
lich, Die Anfangsworte des demokritischen Buchs sind eine 
einfache Inhaltsangabe und nichts weiter. Das Selbstgefühl 
ferner, mit welchem sich Heraklit, Parmenides, Empedokles 
äussern, ist nicht schwächer und theilweise sogar weit stärker 
als das unseres Philosophen?). Auch Demokrit’s Sprache 
ist zwar blühend und schwungvoll, aber | nicht gemacht und 
erheuchelt. Was er endlich von seinen Reisen und seinem geo- 
metrischen Wissen sagt®), kann in einem Zusammenhang ge- 
standen haben, in dem es vollkommen motivirt war; über- 
haupt aber: wird ein Mann dadurch zum Sophisten, dass er 
gehörigen Orts von sich rühmt, was er mit Wahrheit von sich 
rühmen kann? 

Doch auch die atomistische Philosophie selbst soll einen 
durchaus antiphilosophischen Charakter tragen. Für’s erste 
nämlich, wird behauptet‘), finden wir bei Demokrit ein un- 
verhältnissmässiges Vorherrschen der Empirie über die Speku- 
lation, eine unphilosophische Vielwisserei; eben diese Tendenz 
mache er aber auch — zweitens — zur Theorie, denn seine 
ganze Erkenntnisslehre scheine nur dazu gemacht, die Mög- 
lichkeit der wahren Wissenschaft aufzuheben und den eiteln 
Genuss der Gelehrsamkeit allein übrig zu lassen; weiter fehle 
es seinem physikalischen System an aller Einheit und Idealität, 
sein Naturgesetz sei der Zufall, er wisse weder von einem 
Gott, noch von der Unkörperlichkeit der Seele; dazu komme 


1) Vgl. Branvis Rh. Mus. III, 133 f. auch MarBacH Gesch. ἃ, Phil. I, 87. 

2) M. 8. von Parmenides V. 28 (χρεὼ δέ σε πάντα πυϑέσϑαι u. 5. ἢ) 
v.33 δ΄. 46 f. (S. 858, 1); von Heraklit was S. 629 ff. angeführt wurde; 
von Empedokles V. 24 (424 K. 462 M.) fi. 858 (389 K 378 M.) ff. (8. o. 8. 753). 
Wenn Demokrit durch eine Aeusserung zum Sophisten werden soll, die in 
Wahrheit um nichts anmassender ist, als der Anfang von Herodot's Geschichts- 
werk (die aber vielleicht auch am Anfang des leucippischen “Ζεάχοσμος 
stand), was würde Ritter erst gesagt haben, wenn er sich mit Empedokles 
als einen unter den Sterblichen wandelnden Gott dargestellt hätte? 

3) S. o. 8. 843 m. 844 m. 

4) ScHLEIERMACHER Gesch. ἃ. Phil. 75 ἢ, Rırıer 8. 597 f. 614 ff. 
622— 627. 

60* 


946 Atomistik. [844. 845] 


viertens, dass er vom Charakter der hellenischen Philosophie 
abweichend, das Mythische vom Dialektischen gänzlich trenne; 
endlich verrathe auch seine Sittenlehre eine niedrige Lebens- 
ansicht, eine selbstsüchtig klügelnde, nur auf Genuss gerichtete 
Gesinnung. 

Die meisten von diesen Vorwürfen werden aber schon 
durch unsere bisherige Darstellung widerlegt, oder doch auf 
ein weit geringeres Mass zurückgeführt. Es mag sein, dass 
Demokrit ungleich mehr empirisches Material gesammelt hatte, 
als er mit der wissenschaftlichen Theorie zu bewältigen ver- 
mochte ; wiewohl er in der Erklärung der Erscheinungen immer- 
hin tiefer und folgerichtiger, als alle seine Vorgänger, in’s 
einzelne eingedrungen ist. Allein das gleiche findet sich bei 
den meisten von den alten Naturphilosophen, und es muss 
sich bei jedem finden, der umfassende Beobachtung mit der 
philosophischen Spekulation verbindet. Sollen wir es aber 
desshalb tadeln, dass er die Erfahrungswissenschaft nicht ver- 
nachlässigt, dass er seine Ansichten auf wirkliche Kenntniss 
der Dinge zu gründen und das einzelne | daraus zu erklären 
versucht hat? Ist es ein Mangel, und nicht vielmehr ein Vor- 
zug, wenn er ein weiteres Gebiet, als irgend ein anderer vor 
ihm, mit seiner Forschung umfasste, wenn er mit unersätt- 
licher Wissbegierde weder kleines noch grosses geringachtete? 
Nur dann würde dieser Sammlerfleiss seinem philosophischen 
Charakter zum Nachtheil gereichen, wenn er die denkende 
Erkenntniss der Dinge darüber vernachlässigt oder wohl gar 
ausdrücklich verworfen hätte, um sich in eitler Selbstgenüg- 
samkeit an seinem gelehrten Wissen zu sonnen. Aber alles 
bisherige wird gezeigt haben, wie weit er davon entfernt ist, 
wie entschieden er das Denken vor der sinnlichen Wahr- 
nehmung bevorzugt, wie gründlich er die Erscheinungen aus 
ihren Ursachen zu erklären bemüht ist!). Stösst er hiebei 
auch auf solches, was sich seiner Meinung nach aus keinem 
ursprünglicheren ableiten lässt?), so kann man darin vielleicht 
einen Mangel seiner Theorie, aber nicht?) ein sophistisches 


1) Μ. 5. S. 916 ff. 
2) 8. ο. 8. 869, 3. 
3) Mit Rırter 5. 601. 


[845. 846] Die Atomistik keine Sophistik. 0947 


Abweisen der Frage nach den letzten Gründen erblicken; 
(auch jenes aber nicht unbedingt, denn eine Philosophie, die 
alles erklären kann, gibt es überhaupt nicht;) und mag ihn 
die Schwierigkeit der wissenschaftlichen Aufgabe zu Klagen 
über die Nichtigkeit des menschlichen Wissens veranlassen 1), 
so wird er verlangen können, dass man ihn nach keinem an- 
deren Masstab beurtheile, als die, welchen es vor und nach 
ihm ebenso gegangen ist, und dass man ihn nicht wegen der- 
selben Aeusserungen zum sophistischen Zweifler mache, die 
einem Xenophanes und Parmenides, einem Anaxagoras und 
Heraklit das Lob wissenschaftlicher Bescheidenheit eintragen. 
Wird ihm endlich noch vorgerückt, dass er auch im Streben 
nach Wissen Mass zu halten empfohlen habe, dass es ihm mit- 
hin bei der Forschung nur um seinen Genuss, nicht um die 
Wahrheit zu thun gewesen sei?), so stimmt diess für’s erste 
wenig mit dem Vorwurf der Vielwisserei, der ihm kaum erst 
gemacht war; sodann muss man sich wundern, wie doch eine 
so ganz harmlose und | wahre Aeusserung eine solche Deu- 
tung erfahren konnte; hätte er aber auch gesagt, was er in 
dieser Form nicht einmal sagt, man solle nach Wissenschaft 
streben, um glückselig zu werden, was wäre das anders, als 
was die gefeiertsten Denker aller Zeiten hundertmal gesagt 
haben, und wie könnte es uns ein Recht geben, den Mann 
zum niedrigdenkenden Sophisten zu machen, der sein ganzes 
Leben mit seltener Hingebung der Wissenschaft gewidmet hat, 
und der auch das Perserreich, wie erzählt wird, für eine ein- 
προ wissenschaftliche Entdeckung nicht nehmen wollte ?®) 
Nun ist allerdings die wissenschaftliche Ansicht, welche 
Leucipp und Demokrit aufgestellt haben, ungenügend und ein- 
seitig. Ihr System ist durchaus materialistisch, es ist recht 
eigentlich darauf angelegt, jedes andere Sein, als das körper- 
liche, und jede andere Kraft, als die mechanischen Kräfte, 
entbehrlich zu machen; Demokrit hatte sich sogar ausdrück- ᾿ 


1) 8. 8. 921. 

2) Rırrzz 626, wegen Fr. mor. 142: un πάντα ἐπέστασϑαε προϑύμεο, 
μὴ [ἀνιηϑῆς ἐπὶ τῇ πολυμαϑίη, sollte man nach Rırrer's Darstellung er- 
warten, es heisst aber:] πάντων ἀμαϑὴς γένη. 

8) 8. ο. 5. 929, 6. 


948 Atomistik. [846. 847] 


lich gegen den Nus des Anaxagoras erklärt!), Aber mate- 
rialistisch sind die meisten von den älteren Systemen: auch 
die altjonische Schule, auch Heraklit, auch Empedokles kennt 
keine unkörperlichen Wesen, auch das Seiende der Eleaten 
ist das Körperliche, und gerade der eleatische Begriff des 
Seienden ist es, welcher die Grundlage der atomistischen 
Metaphysik bilde. Was die Atomiker von ihren Vorgängern 
unterscheidet, ist nur die Strenge und Folgerichtigkeit, mit 
der sie den Gedanken einer rein mechanischen Naturerklärung 
durchgeführt haben; diese kann ihnen aber um so weniger zum 
Nachtheil gereichen, da sie damit nur die Schlüsse gezogen 
haben, welche durch die ganze bisherige Entwicklung ge- 
fordert, und wozu in den Annahnen ihrer Vorgänger die 
Vordersätze gegeben waren. Es heisst desshalb ihre geschicht- 
liche Bedeutung verkennen, wenn man ihr System, welches 
mit der ganzen älteren Naturphilosophie so eng zusammen- 
hängt, aus diesem Zusammenhang herausnimmt, um es als 
Sophistik aus den Grenzen der eigentlichen Wissenschaft weg- 
zuweisen. Ebenso ist es schief, wenn man wegen der Viel- 
heit der Atome behauptet, es fehle diesem System | gänzlich 
an Einheit. Fehlt seinem Princip auch die Einheit der Zahl, 
so fehlt doch nicht die Einheit des Begriffs; indem es viel- 
mehr den Versuch macht, alles ohne Einmischung weiterer 
Voraussetzungen aus dem Grundgegensatz des Vollen und 
des Leeren zu erklären, so erweist es sich ebendamit als das 
Erzeugniss eines consequenten, nach Einheit strebenden Den- 
kens, und ARISTOTELES ist in seinem Rechte, wenn er gerade 
seine Folgerichtigkeit und die Einheit seiner Principien rühmt, 
und ihm in dieser Beziehung vor der weniger strengen empe- 
dokleischen Lehre den Vorzug gibt?). Schon hieraus folgt 
nun die Unhaltbarkeit der weiteren Behauptung, dass es den 
Zufall auf den Thron erhoben habe; wir haben aber auch 
schon früher gesehen, wie weit die Atomiker davon entfernt 
waren®). Richtig ist nur, dass sie keine Endursachen und 


1) Ῥιοα. IX, 34 vgl. 46. 

2) M. 8. hierüber, was 8. 847, 1. 850, 4. 871, 2 aus gen. et corr. I, 8. 
I, 2. De an. I, 2 angeführt wurde. 

3) 5. 869 fi. 


[841]. 848) Die Atomistik keine Sophistik. 949 


keine nach Zweckbegriffen wirkende Intelligenz kennen. Auch 
diese Eigenthümlichkeit theilen sie aber mit den meisten älteren 
Systemen, und nicht blos die Principien der alten Jonier, 
sondern auch die weltbildende Nothwendigkeit des Parmenides 
und Empedokles ist um nichts intelligenter, als die demokri- 
tische, wie denn auch ArıstorTeLes in dieser Beziehung 
zwischen der Atomistik und den übrigen Systemen nicht unter- 
scheidet!. Kann es nun den Atomikern zum Vorwurf 
gereichen, dass sie sich auch hierin in der Richtung der gleich- 
zeitigen Philosophie bewegt, und diese Richtung durch Ent- 
fernung unberechtigter Annahmen und mythischer Gebilde zur 
wissenschaftlichen Vollendung gebracht haben, und ist es billig, 
die Alten zu loben, wenn sie die Nothwendigkeit des Demo- 
krit für blossen Zufall erklären, während die gleiche Behaup- 
tung in Beziehung auf Empedokles, der in Wahrheit mehr 
Veranlassung dazu darbot, getadelt wird? 3) 

Nur ein anderer Ausdruck für diesen Mangel des atomi- 
stischen Systems ist sein Atheismus. Auch dieser findet sich 
aber theils noch bei andern von den älteren Lehren, theils ist 
er wenigstens | kein Beweis einer sophistischen Denkart. Dass 
Demokrit die Volksgötter leugnete, kann ihm wohl am wenig- 
sten zum Vorwurf gemacht werden, und wenn er andererseits 
den Götterglauben doch für keinen blossen Wahn hielt, sondern 
etwas Wirkliches aufsuchte, das ihn veranlasst habe, so ver- 
dient diess immerhin Achtung, wie dürftig uns auch die Lö- 
sung der Aufgabe erscheinen mag; auch dieser Tadel wird 
aber beschränkt werden müssen, wenn wir bemerken®), dass 
Demokrit mit seiner Hypothese über die Idole in seiner Art 
das gleiche thut, was so viele andere nach ihm gethan haben, 
die Volksgötter für endliche aber doch übermenschliche Wesen 
zu erklären, und dass er sich auch hiebei möglichst consequent 
an die Voraussetzungen seines Systems hält. Wenn er ferner 
seine Darstellung von allen mythologischen Bestandtheilen ge- 
reinigt hat, so ist diess nicht, wie SCHLEIERMACHER will, ein 


1) M. s. Phys. II, 4. Metaph. I, 3. 984 b 11, über Empedokles im be- 
sondern Phys. VIH, 1. 252 a 5 ff. gen. et corr. II, 6. 333 b 9. 334 a. 

2) Rırrer 8. 605 vgl. m. 534. 

3) 8. 0. S. 939. 


950 Atomistik. [848. 849] 


Tadel, sondern ein Lob, das er mit einem Anaxagoras und 
Aristoteles theilt. Bedenklicher ist es, dass auch eine ge- 
läuterte Gottesidee dem atomistischen System fehlt. Aber 
auch dieser Vorwurf trifft nicht blos die Sophistik; auch die 
altjonische Physik konnte consequenter Weise von Göttern 
nur in dem gleichen Sinn reden, wie Demokrit; auch Parme- 
nides erwähnt der Gottheit nur mythisch; auch Empedokles 
spricht von ihr, abgesehen von den vielen dämonenartigen 
Göttern, welche mit den demokritischen auf Einer Linie 
stehen, nur aus Mangel an Folgerichtigkeit. Erst mit Anaxa- 
goras ist die Philosophie dazu fortgegangen, den Geist vom 
Stoffe zu unterscheiden; ehe aber dieser Schritt gethan war, 
konnte die Idee der Gottheit im philosophischen System als 
solchem keinen Raum finden. Versteht man daher unter der 
Gottheit den körperlosen Geist oder die vom Stoff getrennte 
weltbildende Kraft, so ist die gesammte ältere Philosophie 
ihrem Princip nach atheistisch, und wenn sie sich in der Wirk- 
lichkeit theilweise einen religiösen Anstrich bewahrt hat, so 
ist diess doch nur Inconsequenz, oder es betrifft nur die Form 
der Darstellung, oder es ist Sache des persönlichen Glaubens, 
nicht der philosophischen Ueberzeugung; in allen diesen Fällen 
sind aber, wissenschaftlich angesehen, diejenigen die besseren 
Philosophen, welche die religiöse Vorstellung | lieber ganz 
beseitigen, als ohne philosophische Berechtigung aufnehmen. 

Demokrit’s Sittenlehre steht mit dem atomistischen System 
zwar überhaupt in keinem so engen Zusammenhang, dass sie 
für seine Beurtheilung massgebend sein könnte. Auch ihr 
macht aber Rırter unbillige Vorwürfe. Ihre Haltung ist aller- 
dings der Form nach eudämonistisch, sofern die Lust und die 
Unlust zum Masstab der menschlichen Handlungen gemacht 
wird. Aber die Glückseligkeit steht in allen alten Systemen 
als höchster Lebenszweck an der Spitze der Ethik; und wenn 
dieselbe von Demokrit allerdings einseitig als Lust gefasst 
wird, so beweist diess zunächst nur eine mangelhafte wissen- 
schaftliche Begründung der Sittenlehre, nicht eine selbst- 
süchtige Gesinnung!). Demokrit’s Grundsätze selbst sind rein 


1) Auch Sokrates weiss ja die sittlichen Thätigkeiten in der Regel nur 
eudämonistisch zu begründen. 


[849. 850] Die Atomistik keine Sophistik. 951 


-und achtungswerth, und was RıTTer daran aussetzt, hat nicht 
viel auf sich. Es wird ihm schuldgegeben, dass er es mit der 
Wahrheit nicht genau nehme, aber die Gnome, worin dieses 
liegen soll, besagt etwas ganz anderes!). Es wird ihm ferner 
vorgerückt, dass er die Vaterlandsliebe ihres sittlichen Werths 
entkleide, und im ehelichen und elterlichen Verhältniss nichts 
sittliches zu finden wisse; unsere obige Erörterung wird jedoch 
gezeigt haben, dass dieser Tadel theils ganz unbegründet, 
theils wenigstens übertrieben ist, und dass er andere, die nie- 
mand zu den Sophisten zählt, ebensogut, wie Demokrit, treffen 
würde. Wenn endlich noch über Demokrit’s Wunsch, gün- 
stigen Idolen zu begegnen, gesagt wird: „eine völlige Hin- 
gebung des Lebens an die zufälligen Begegnisse sei das Ende 
seiner Lehre“ 3), so gehörte hiezu ohne Zweifel die ganze 
Stärke einer vorgefassten Meinung. Dieser Wunsch lautet für 
uns zwar | etwas fremdartig, an sich selbst aber und auf dem 
atomistischen Standpunkt ist er so unverfänglich, als etwa der, 
angenehme Träume oder gutes Wetter zu haben; wie wenig 
Demokrit das innere Glück vom Zufall abhängig macht, ist 
schon früher gezeigt worden 8). 

Im allgemeinen muss über die Zusammenstellung der 
Atomistik mit der Sophistik bemerkt werden, dass dieselbe auf 
einem allzu unbestimmten Begriff der Sophistik beruht. So- 
phistik wird hier jede Denkweise genannt, in der man die 
rechte wissenschaftliche Gesinnung vermisst. Diess ist aber 
nicht das geschichtliche Wesen der Sophistik, dieses besteht 
vielmehr in der Zurückziehung des Denkens aus der objek- 
tiven Forschung, in seiner Beschränkung auf eine einseitig 
subjektive, gegen die wissenschaftliche Wahrheit gleichgültige 
Reflexion, in der Behauptung, dass der Mensch das Mass aller 
Dinge, dass alle unsere Vorstellungen blos subjektive Er- 


1) Es ist diess Fr. mor. 125: ἀληϑομυϑέεειν χρεὼν ὅπου λώϊον, das 
heisst aber offenbar nur: es ist oft besser zu schweigen, als zu reden, das 
gleiche, was Fr. 124 so ausdrückt: olxniov ἐλευϑερίης παῤῥησίη᾽ χίνδυνος 
δὲ ἡ τοῦ χαιροῦ διάγνωσις. Uebrigens sagen bekanntlich auch Sokrates 
und Plato, dass unter Umständen eine Lüge erlaubt sei. 

2) Rrrver I, 627. 

3) 8. S. 870, 4. 926, 1. 927, 2. 


952 Atomistik. [850. 851) 


scheinungen, alle sittlichen Begriffe und Grundsätze willkür- 
liche Satzungen seien. Von- allen diesen Zügen findet sich 
nichts bei den Atomikern!), wie sie denn auch keiner von 
den Alten den Sophisten beigezählt hat. Sie sind Natur- 
philosophen, die als solche auch von ARISTOTELES (8. 0.) wegen 
ihrer Folgerichtigkeit gerühmt und mit Vorliebe berücksichtigt| 
werden ?), und gerade die Strenge und Ausschliesslichkeit 
einer rein physikalischen, mechanischen Naturerklärung ist es, 
worin ebenso der Vorzug, wie der Mangel ihres Systems liegt. 
Wir haben daher durchaus keinen Grund, die Atomistik von 
den übrigen naturphilosophischen Systemen zu trennen, ihre 
geschichtliche Stellung wird sich vielmehr nur dadurch richtig 
bestimmen lassen, dass wir ihr unter diesen den ihr gebühren- 
den Platz anweisen. 

Welches nun dieser Platz ist, wurde im allgemeinen schon 
früher angegeben. Die Atomistik ist ebenso, wie die empe- 
dokleische Physik, ein Versuch, die Vielheit und Veränderung 
der Dinge unter Voraussetzung der parmenideischen Sätze 
über die Unmöglichkeit des Werdens und Vergehens zu er- 
klären, den Ergebnissen des parmenideischen Systems zu ent- 
gehen, ohne dass jene obersten Grundsätze desselben in An- 
spruch genommen würden, die relative Wahrheit der Erfahrung 


1) Auch was Branıss . 135 hervorhebt, um die Verwandtschaft der 
Atomistik mit der Sophistik zu beweisen, dass sie „den Geist dem räumlich 
objektiven gegenüber als blos subjektives erfasse“, ist nicht richtig: sie hat 
unter ihren objektiven Principien keinen von der Materie verschiedenen 
Geist, wie ihn andere physikalische Systeme auch nicht haben; diesen nega- 
tiven Satz darf man aber nicht in den positiven verwandeln, dass sie den 
Geist ausschliesslich in’s Subjekt verlege, denn sie erkennt ein Unkörper- 
liches im Subjekt so wenig an, als ausser demselben, und wenn Branıss 
S. 148 seine Behauptung mit der Bemerkung rechtfertigt, in der Atomistik 
stehe der geistlosen Natur nur noch das Subjekt mit seiner Freude an der 
Naturerklärung als Geist gegenüber, an die Stelle der Wahrheit sei das 
subjektive Streben nach Wahrheit [also doch nach Wahrheit, nach wirk- 
licher Erkenntniss der Dinge] getreten u. s. w., so konnte er theils das 
gleiche von jedem materialistischen System sagen, theils gilt dagegen, so 
weit diess nicht der Fall ist, was so eben gegen Ritter bemerkt wurde. 

2) Kein anderer Philosoph wird in den naturwissenschaftlichen Schriften 
des Aristoteles öfter angeführt, 416 Demokrit, weil eben dieser mit seiner 
Forschung am genauesten in’s einzelne eingegangen war. 


[85]. 852] Verhältniss zu Parmenides. 953 


gegen Parmenides zu retten, indem auf ihre absolute Wahr- 
heit verzichtet wird, zwischen der eleatischen und der ge- 
wöhnlichen Ansicht zu vermitteln!). Sie schliesst sich demnach 
unter den früheren Lehren zunächst an die des Parmenides 
an. Dieses selbst aber in doppelter Weise: unmittelbar, indem 
sie einen Theil seiner Sätze in sich aufnimmt, mittelbar, indem 
sie einem andern Theil widerspricht und ihm eigenthümliche 
Bestimmungen entgegenstell. Von Parmenides entlehnt sie 
den Begriff des Seienden und des Nichtseienden, des Vollen 
und des Leeren, die Leugnung des Entstehens und Vergehens, 
die Untheilbarkeit, die qualitative Gleichartigkeit und Unver- 
änderlichkeit des Seienden; mit Parmenides lehrt sie, der 
Grund der Vielheit und der Bewegung könne nur im Nicht- 
seienden liegen, mit ihm verwirft sie die Wahrheit der sinn- 
lichen Erscheinung und schenkt nur der denkenden Betrach- 
tung der Dinge Vertrauen. Im Widerspruch mit Parmenides 
behauptet sie. die Vielheit des Seienden, die Wirklichkeit der 
Bewegung und der quantitativen Veränderung, und in Folge 
dessen, was den Gegensatz beider Standpunkte am schärfsten 
ausdrückt, die | Wirklichkeit des Nichtseienden oder des Leeren. 
Von den physikalischen Annahmen der Atomiker erinnert an 
Parmenides, neben einigem anderen 3), besonders die Ableitung 
der Seelenthätigkeit aus dem warmen Stoffe; im ganzen lag 
es aber in der Natur der Sache, dass der Einfluss der eleati- 
schen Lehre nach dieser Seite hin nicht so bedeutend sein 
konnte. 

Neben Parmenides scheint auch Melissus mit der Atomi- 
stik in einem unmittelbaren geschichtlichen Zusammenhang zu 
stehen. Wenn aber bei jenem kein Zweifel darüber stattfinden 
kann, dass schon Leucippus von ihm abhängig ist, so scheint 
umgekehrt Melissus bereits auf Leucipp’s Lehre Rücksicht zu 
nehmen. Vergleichen wir nämlich die Beweise des Melissus 
mit denen des Parmenides und Zeno, so kann es nicht anders 


1) S. ο. 5. 848 ff. vgl. m. S. 862 ἢ 

2) Dahin gehört die Vorstellung vom Weltgebäude, das auch nach 
Parmenides im zweiten Theil seines Gedichte von einer festen Hülle um- 
schlossen sein soll, die Entstehung der lebenden Wesen aus dem Erdschlamm, 
die Behauptung, dass der Leichnam noch eine gewisse Empfindung habe. 


984 Atomistik. [852. 853] 


als auffallen, dass in jenen der Begriff des Leeren eine Rolle 
spielt, die er in diesen noch nicht hat, dass hier nicht blos 
die Einheit des Seienden, sondern auch die Unmöglichkeit der 
Bewegung aus der Undenkbarkeit des Leeren bewiesen, und 
die Annahme getheilter Körper, welche blos durch Berührung 
in Zusammenhang kommen, ausdrücklich bestritten wird!). 
Diese Annahme findet sich unter den physikalischen Systemen 
nur in der Atomistik?), wie auch sie allein es ist, welche die 
Bewegung mittelst des leeren Raums zu erklären versucht 
hatte. Sollen wir nun annehmen, Melissus, dem sonst keine 
besondere Denkschärfe nachgerühmt wird, habe diesen für die 
nachfolgende Physik so wichtigen Begriff von sich aus in seine 
Stelle eingeführt, und erst von ihm haben ihn die Atomiker 
als einen der Grundsteine ihres Systems entlehnt, und ist nicht 
vielmehr die umgekehrte Annahme weit wahrscheinlicher, dass 
der samische Philosoph, der überhaupt auf die Lehren der 
gleichzeitigen Physiker näher eingieng, den Begriff des Leeren 
nur desshalb so sorgfältig berücksichtigte, weil sich seine Be- 
deutung inzwischen durch eine physikalische Theorie | heraus- 
gestellt hatte, welche die Bewegung und Vielheit der Dinge 
aus dem Leeren ableitete??) 

Ob bei dem Widerspruch der Atomiker gegen die Eleaten 
der Einfluss des heraklitischen Systems mitwirkte, lässt sich 
nicht sicher bestimmen. Von Demokrit freilich ist zum vor- 
aus wahrscheinlich, und es wird durch seine ethischen Bruch- 
stücke bestätigt, dass ihm Heraklit’s Schrift nicht unbekannt 
war, denn er stimmt nicht blos in einzelnen seiner Aussprüche 


1) 8. o. 8. 612, 2. 615 ἃ 

2) 5. 5. 861, 4. 6. 

3) Arıst. gen. et. corr. I, 8 (s. o. 847, 1. 612, 2) kann man hiegegen 
nicht anführen (wie diess jetzt von NatorPp Forsch. 169 f. geschieht). Aristo- 
teles stellt hier allerdings die eleatische Lehre zunächst nach Melissus dar 
und wendet sich dann von ihr zu Leucippus. Aber er deutet mit keinem 
Wort an, dass dieser gerade durch Melissus zu seiner Theorie gekommen 
sei, sondern wo er von ihm handelt, heisst es ganz allgemein: ὁμολογήσας 
δὲ ταῦτα μὲν τοῖς φαινομένοις, τοῖς δὲ τὸ Ey χατασχευάζουσιν u. 8. w. 
Bei den letzteren speciell an Melissus zu denken, haben wir um so weniger 
Anlass, da wir wissen, dass Leucippus ein Schüler des Parmenides war. 


[858. 854] Verhältniss zu den Eleaten und Heraklit. 055 


mit dem ephesischen Weisen zusammen !), sondern seine ganze 
Lebensansicht ist der heraklitischen nahe verwandt. Beide 
suchen das wahre Glück nicht im Aeusseren, sondern in den 
Gütern der Seele, beide erklären für das höchste Gut die zu- 
friedene Gemüthsstimmung, beide erkennen in der Beschrän- 
kung der Begierden, im Masshalten, in der Einsicht, in der 
Unterordnung unter den Weltlauf das einzige Mittel zu dieser 
Gemüthsruhe, beide stehen sich auch in ihren politischen An- 
sichten nahe?). Ob dagegen auch schon Leucippus die hera- 
klitische Lehre gekannt und benützt hat, die ihm doch wohl 
ebensogut bekannt sein konnte als (nach S. 497) Epicharmus, 
lässt sich nicht mit gleicher Bestimmtheit entscheiden. Aber 
alle die Bestimmungen der atomistischen Physik, wodurch sie 
mit Parmenides in Widerspruch tritt, liegen in der Richtung, 
welche Heraklit eröffnet hat. Wenn die Atomistik an der 
Wirklichkeit der Bewegung und des getheilten Seins festhält, 
so ist es Heraklit, der entschiedener, als irgend ein anderer, 
behauptet hat, dass das Wirkliche sich beständig verändere 
und in Gegensätze spalte; | wenn jene alle Dinge aus dem 
Seienden und dem Nichtseienden ableitet, und alle Bewegung 
durch diesen Gegensatz bedingt glaubt, so hat Heraklit vorher 
schon ausgesprochen, dass der Streit der Vater aller Dinge 
sei, dass jede Bewegung einen Gegensatz voraussetze, dass 
jedes Ding das, was es ist, ebensosehr auch nicht sei. Das 
Sein und das Nichtsein sind die zwei Momente des herakliti- 
schen Werdens, und der Grundsatz der Atomistik, dass das 
Nichtseiende ebenso wirklich sei, wie das Seiende, liess sich 
aus Heraklit’s Bestimmungen über den Fluss aller Dinge ohne 
Mühe ableiten, sobald an die Stelle des absoluten Werdens, 


— 


1) Dahin gehören die Aussprüche über die Polymathie, oben S. 924, 1, 
mit dem verglichen, was 8. 476, 4. 309, 3 aus Heraklit angeführt wurde; 
der Satz, dass die Seele der Wohnort des Dämon sei, S. 926, 1 vgl. 726, 1; 
die Annahme, dass alle menschliche Kunst durch Nachahmung der Natur 
entstanden sei, 8. 924, 2 vgl. 719, 2; Fr. 77 8. 929 o. vgl. 725, 4; der 
8. 633, 1 mitgetheilte Ausspruch, zu dem Lortzına 9. 19 Ps.-GaLen ög. 
iaro. 439. XIX, 449 K. anführt, wo Demokrit die Worte beigelegt werden: 
ἄνϑρωποι eis Eoras χαὶ ἄνϑρωπος πάντες. 


2) Μ. 5. 5. 725 £. 


9086 Atomistik. [854] 


um der Eleaten willen, das relative, das Werden aus einem 
unveränderlichen Urstoff gesetzt war. Mit Heraklit stimmt 
die Atomistik ferner in der Anerkennung eines unverbrüch- 
lichen Naturzusammenhangs überein, in dem auch sie, trotz 
ihres Materialismus, eine vernünftige Gesetzmässigkeit an- 
erkennt!). Mit ihm lehrt sie eine Entstehung und einen Unter- 
gang der einzelnen Welten, während das Ganze des ursprüng- 
lichen Stoffes ewig und unvergänglich ist. Wenn endlich die 
Ursache des Lebens und Bewusstseins von Demokrit in den 
warmen Atomen gesucht wird, die ebenso durch das Weltganze 
wie durch den Körper der lebenden Wesen verbreitet seien ?), 
so steht diese Ansicht bei aller Abweichung im besondern 
Heraklit’s Lehre von der Seele und der Weltvernunft sehr 
nahe, wie denn auch die Erscheinungen des Lebens, des 
Schlafes und des Todes von beiden auf ähnliche Art erklärt 
werden. Alle diese Züge machen es wahrscheinlich, dass 
nicht blos die eleatische, sondern auch die heraklitische Lehre 
auf die Entstehung der Atomistik eingewirkt hat; sollte sie 
sich aber auch unabhängig von ihr gebildet haben, so ist doch 
jedenfalls der Gedanke der Veränderung und der Bewegung, 
der Mannigfaltigkeit und des getheilten Seins in ihr so mächtig, 
dass wir sie der Sache nach als eine Verknüpfung des heras- 
klitischen Standpunkts mit dem eleatischen, oder genauer als 
einen Versuch betrachten dürfen, das Werden und die Viel- 
heit der abgeleiteten Dinge unter Voraussetzung der eleatischen 
Grundlehren aus der Beschaffenheit des ursprünglichen Seins 
zu erklären?). | 


1) 8. o. S. 870 ff. vgl. m. 5. 665 £. 

2) 8. 902 ἡ 907 £. vgl. 704 £. 

3) Weniger richtig scheint mir Wırrn’s Auffassung (s. ο. 943, 4), 
welcher die Atomiker und Heraklit durch die Bemerkung coordinirt: in der 
eleatischen Lehre liege eine gedoppelte Antithese, gegen das Werden und 
gegen die Vielheit; jener Begrifl, der des Werdens, werde von Heraklit, 
dieser, der der Vielheit, von den Atomistikern zum Princip erhoben. Denn 
einerseits ist es den Atomistikern, wie diess auch Aristoteles anerkennt 
(8. ο. 843 ff), ebensosehr um die Rettung der Veränderung und des Werdens, 
als der Vielheit zu thun, andererseits unterscheidet sich ihr Verfahren von 
dem heraklitischen wesentlich dadurch, dass sie hiebei auf den eleatischen 
Begriff des Seienden zurückgehen, und unter ausdrücklicher Anerkennung 


[855. 856] Verhältniss zu Heraklit und Empedokles. 057 


Die Atomistik stellt sich daher im wesentlichen die gleiche 
Aufgabe, wie das empedokleische System, sie schlägt aber für 
die Lösung dieser Aufgabe einen andern Weg ein. Beide 
gehen von dem naturwissenschaftlichen Interesse aus, das Ent- 
stehen und Vergehen, die Vielheit und die Veränderung der 
Dinge zu erklären. Beide geben aber dabei den Eleaten zu, 
dass das ursprünglich Wirkliche weder werden noch vergehen 
noch auch in seiner Beschaffenheit sich verändern könne. 
Beide ergreifen daher den Ausweg, das Werden und Ver- 
gehen auf die Verbindung und Trennung unveränderlicher 
Stoffe zurückzuführen, und da diess nur möglich und die 
Mannigfaltigkeit der Erscheinungen nur erklärbar ist, wenn 
es jener ursprünglichen Stoffe mehrere sind, so zerlegen beide 
den Einen Urstoff der Früheren in eine Mehrheit, Empedokles 
in die vier Elemente, die Atomiker in die unzähligen Atome. 
Beide Systeme tragen daher das Gepräge einer rein mecha- 
nischen Naturerklärung, beide kennen nur materielle Elemente 
und nur eine räumliche Zusammensetzung dieser Elemente, 
und auch in ihren näheren Annahmen über die Art, wie die 
Stoffe sich verbinden und aufeinander einwirken, kommen 
sie sich so nahe, dass man die Vorstellungen des Empedokles 
nur folgerichtiger zu entwickeln braucht, um atomistische Be- 
stimmungen zu erhalten!). Was | die beiden Theorieen unter- 
scheidet, ist nur die Strenge, mit welcher die Atomistik, auf 
alle fremdartigen Voraussetzungen verzichtend, den Gedanken 
der mechanischen Physik durchführt. Während Empedokles 
mit seiner physikalischen Theorie mystisch-religiöse Annahmen 
willkürlich verbindet, so treffen wir hier einen trockenen 
Naturalismus; während jener als bewegende Kräfte die mythi- 
schen Gestalten der Liebe und des Hasses aufstellt, wird hier 
die Bewegung rein physikalisch aus der Wirkung der Schwere 
im Leeren erklärt; während er den Grundstoffen eine ursprüng- 
liche qualitative Bestimmtheit beilegt, will die Atomistik, den 


dieses Begriffs die Erscheinungen zu erklären suchen, während Heraklit 
denselben nicht blos nicht kennt, sondern ihn der Sache nach auf's ent- 
schiedenste aufhebt. Zeitlich liegen beide ohnediess nicht unerheblich aus- 
einander. 


1) 8. ο. 8. 767. 


058 Atomistik. .  [856. 857) 


Begriff des Seienden strenger festhaltend, alle qualitativen 
Unterschiede auf die quantitativen der Gestalt und der Masse 
zurückführen; während er 416 Elemente der Zahl nach be- 
grenzt, aber in’s unendliche theilbar setzt, geht die Atomistik 
folgerichtiger auf untheilbare Urkörper zurück, welche dann 
aber, um die Vielheit der Dinge zu erklären, der Zahl nach 
unendlich und unendlich verschieden an Gestalt und Grösse 
gedacht werden; während er Einigung und Trennung der 
Stoffe periodisch wechseln lässt, findet sie in der ewigen Be- 
wegung der Atome ihre unablässige Verbindung und Trennung 
zugleich begründet. Beide Systeme folgen mithin der gleichen 
Richtung, aber diese Richtung ist in dem atomistischen reiner 
und folgerichtiger entwickelt, und es steht insofern wissen- 
schaftlich höher als das empedokleische.e Doch trägt keines 
von beiden in seinen Grundzügen bestimmte Spuren der Ab- 
hängigkeit von dem andern; und nur danach kann man fragen, 
ob Leucippus oder Empedokles zuerst auf den Gedanken ge- 
kommen sein möge, ohne die Annahme eines absoluten Ent- 
stehens und Vergehens die Entstehung, die Veränderung und 
den Untergang der Dinge dadurch zu erklären, dass sie auf 
die Verbindung und Trennung ewiger und unveränderlicher 
Grundstoffe zurückgeführt wurden. Und da spricht allerdings 
die Wahrscheinlichkeit für die Annahme, der Vater dieses 
Gedankens sei der, welcher ihn am strengsten und folgerich- 
tigsten durchgeführt hat, und welcher auch, wie es scheint 
(vgl. S. 847 f.), in seiner Schrift die Erwägungen, aus denen 
er sich ergab, eingehend dargelegt, und sich nicht, wie (nach 
S. 756) Empedokles, mit seiner blossen Verkündigung begnügt 
hatte, Leucippus!). Demokrit wird allerdings für seine Natur- 
erklärung auch Empedokles benützt haben, der noch von 
späteren Anhängern der Atomistik sehr hoch geschätzt wird 2); ı 
da wir aber bei den Einzelheiten derselben fast nie wissen, 


1) Dass Empedokles Leucippus kannte, erhellt auch aus der von Dizıs 
Verhandl. d. 35. Philologenvers. 104 f. Archiv f. Gesch. d. Ph. I, 249 be- 
sprochenen Benützung der Lehre von den Poren und der leucippischen Er- 
klärung des Gewitters (Plac. ΠῚ, 3, 7. 10) bei Empedokles. 

2) M. 5. was S. 818, 2 aus Lucrez angeführt wurde. 


[857] Verhältniss zu Empedokles und den Pythagoreern. 959 


ob sie schon seinem Lehrer oder erst ihm angehörten, ist es 
nicht möglich, diess näher nachzuweisen. 

Von einem Einfluss der älteren jonischen Schule zeigen 
sich in der atomistischen Physik höchstens vereinzelte Spuren, 
und wenn Demokrit Kenntniss der pythagoreischen Lehre bei- 
gelegt wird!), so wissen wir doch nicht, ob sich diese auch 
schon bei Leucippus fand. Sollte es wirklich der Fall ge- 
wesen sein, so könnte man den mathematisch-mechanischen 
Charakter der Atomistik mit der pythagoreischen Mathematik 
in Zusammenhang setzen, und man könnte zum Beweis für 
die Verwandtschaft beider Systeme auch die pythagoreische 
Atomistik des Ekphantus?), und den Ausspruch des ARısto- 
TELES®) anführen, worin er die Ableitung des Zusammengesetzten 
aus den Atomen mit der pythagoreischen Ableitung der Dinge 
aus den Zahlen zusammenstell. Was jedoch Ekphantus be- 
trifft, so ist eher ein Einfluss der Atomistik auf seine Theorie 
anzunehmen, die Vergleichung der beiden Lehren bei Aristo- 
teles kann für ihren geschichtlichen Zusammenhang nichts be- 
weisen, und so müssen wir es dahin gestellt sein lassen, ob 
schon der Urheber der Atomenlehre von den Pythagoreern 
wissenschaftliche Anregungen empfangen hat; während von 
seinem Schüler allerdings zu vermuthen ist, dass er sein mathe- 
matisches Wissen ihrem Unterricht mit verdankte. 

Die Vermuthung, dass das atomistische System, so wie 
es uns bei Demokrit vorliegt, auch von Protagoras einen tiefer 
gehenden Einfluss erfahren habe, und der Satz von der Sub- 
jektivität der Sinnesempfindungen auf diesen Einfluss zurück- 
zuführen seit), scheitert an der Erwägung, dass sich dieser 
Satz schon bei Leucippus nachweisen lässt°), und dass er ein 
viel zu unentbehrliches Ergänzungsstück der atomistischen 
Theorie war, um von ihr erst aus einer auf ganz andern Vor- 


1) 8. S. 842 m. 

2) 8. 8. 494. 

3) De coelo III, 4, nach dem, was 8. 848, 2 angeführt ist: τρόπον γάρ 
τινα χαὶ οὗτοι πάντα τὰ ὄντα ποιοῦσιν ἀριϑμοὺς καὶ ἐξ ἀριϑμῦν" καὶ. 
γὰρ εἰ μὴ σαφῶς δηλοῦσιν, ὅμως τοῦτο βούλονται λέγειν. 

4) WınDeLBann Gesch. d. alt. Phil. 95. 98. \ 

5) Vgl. 8. 864, 1. 

Philos. ἃ. Gr. I. Bd. 5. Aufl. 61 


960 Atomistik. [857. 858] 


aussetzungen beruhenden und anderen Zielen zustrebenden 
entlehnt zu werden). 

Schliesslich wäre hier noch das Verhältniss der Atomistik 
zu Anaxagoras zu untersuchen; da diess aber erst möglich 
sein wird, nachdem wir die Ansichten dieses Philosophen ge- 
nauer kennen gelernt haben, so mag es bis dahin aufgespart 
bleiben. 

Ueber die Schicksale und die Anhänger der atomistischen 
Lehre nach Demokrit wird uns nur wenig mitgetheilt. Von 
Demokrit’s Schüler Nessus oder Nessas?) kennen wir nicht 
mehr als den Namen. Ein Schüler dieses Nessus, oder auch 
Demokrit’s selbst, war Metrodorus aus Chios®), welcher 
der bedeutendste | von diesen jüngeren Atomikern gewesen zu 
sein scheint. 

In den Grundlehren über das Volle und Leere*), die 


1) Wenn man mit Leueippus die qualitative Gleichartigkeit aller 
Atome, und somit aller körperlichen Stoffe überhaupt annahm, so stellte 
sich dieser Annahme sofort das Bedenken entgegen, dass uns doch in der 
Erfahrung ihre Ungleichartigkeit thatsächlich gegeben sei; und das einzige 
Mittel zur Beseitigung dieses Einwurfs bestand darin, dass jene Erfahrung 
für eine Täuschung, die sinnliche Wahrnehmung für etwas erklärt wurde, 
was uns nur die Erscheinung der Dinge zeige, nicht ihr Wesen, wie diess 
schon vor Leucippus sein Lehrer Parmenides ausgesprochen hatte. 

2) Dıoc. IX, 58. Arıstokt. 8. folg. Anm. 

3) Dıoc. a. a. O. erwähnt beide Angaben, CLeu. Strom. I, 301 D und 
Arıstokr. Ὁ. Eus. pr. ev. XIV, 19, 5 nennen Protagoras und Metrodor, 
Sum. Anuöxe. vgl. IZvddw» den letzteren, Demokrit's Schüler ; dagegen sagt 
Arıstorzes Ὁ. Eus. pr. ev. XIV, 7, 8, Demokrit habe den Protagoras und 
Nessas, Nessas den Metrodor zum Schüler gehabt. Metrodor's Vater hiess 
nach Srtoz. ἘΚ]. I, 304 Theokritus. Ὁ Xios ist der gewöhnliche Beiname 
unseres Metrodor, durch den er von andern, gleichnamigen, namentlich den 
beiden Lampsacenern unterschieden wird, von welchen der ältere Anaxa- 
goras’, der jüngere Epikur’s Schüler war. Doch wird er auch bisweilen 
mit ihnen verwechselt; so bei Smrr. Phys. 257 b u, wo nur durch ein 
Versehen der Metrodor, welchem zugleich mit Anaxagoras und Archelaos 
der Satz von der Weltbildung durch den Nus beigelegt wird, als der Chier 
bezeichnet sein kann. Die Angaben der Placita bzw. der stobäischen 
Eklogen über Metrodor gehen auf den Chier (vgl. Dıerrs Doxogr. 22), die 
in Stobäus’ Florilegium auf den Epikureer. 

4) Sınpr. Phys. 28, 27 (Theophrast): καὶ Mnroodwgog δὲ ὁ Χῖος ἀρχὰς 
σχεδόν τι τὰς αὐτὰς τοῖς περὶ 4ημόχριτον ποιεῖ τὸ πλῆρες χαὶ τὸ χενὸν 
τὰς πρώτας αἰτίας ὑποϑέμενος, ὧν τὸ μὲν ὃν τὸ δὲ μὴ ὃν εἶναι" περὶ 


[858. 859] Demokriteer. Metrodorus. 961 


Atome?), die Unendlichkeit der Stoffe und des Raumes®), die 
Vielheit der Welten®), mit Demokrit einverstanden, auch in 
dem | einzelnen seiner Naturerklärung vielfach an ihm an- 
knüpfend*), entfernte er sich doch von ihm theils als Natur- 


δὲ τῶν ἄλλων ἰδίαν τινὰ ποιεῖταε τὴν μέϑοδον. Aehnlich Arıstorı. b. 
Evs. pr. ev. XIV, 19, 5: Metr. solle Demokrit gehört haben, ἀρχὰς δὲ 
ἀποφήνασθαι τὸ πλῆρες καὶ τὸ κενόν" ὧν τὸ μὲν ὃν τὸ δὲ μὴ ὃν εἶναι. 

1) Stop. Ekl. I, 804. Tueon. cur. gr. affect. IV, 9. 5. 57, nach denen 
er die Atome ἀδεαέρετα nannte. 

2) Plac. I, 18, 3 (wo Anunrtosos, das bei Stobäus fehlt, wie mir jetzt 
wahrscheinlich ist, als zusammengeflossen aus Anuoxg. und Mnzood. zu 
streichen sein wird). Smrr. 165, 8. 648, 15. Vgl. folg. Anm. 

8) Plac. I, 5, 4: Μητρόδωρος. - φησὶν ἄτοπον εἶναι ἐν μεγάλῳ 
πεδίῳ Eva στάχυν γεννηθῆναι καὶ ἕγα χόσμον ἐν τῷ ἀπείρῳ. ὅτι δὲ 
ἄπειρος (0) κατὰ To πλῆϑος, δῆλον ἐχ τοῦ ἄπειρα τὰ αἴτια εἶναι. εἰ 
γὰρ ὁ μὲν χύσμος πεπερασμένος, τὰ δὲ αἴτια πάντα ἄπειρα, ἐξ ὧν ὅδε 
ὁ χόσμος γέγονεν, ἀνάγκη ἀπείρους εἶναι. ὅπου γὰρ τὰ αἴτια πάντα ([. 
ἄπειρα), ἐχεῖ καὶ τὰ ἀποτελέσματα. αἴτια δὲ (fügt der Berichterstatter bei) 
ἤτοι al ἄτομοι ἢ τὰ στοιχεῖα. Daneben wird allerdings auch wieder von 
dem All in der Einzahl gesprochen, wenn Pur. b. Evs. pr. ev. Ι, 8, 11 
sagt: “Μητρόδ. ὁ ΧΙ vos ἀΐδιον εἶναί φησι τὸ πᾶν, ὅτι εἰ ἦν γεννητὸν ἐχ 
τοῦ μὴ ὕντος ἄν ἦν, ἄπειρον δὲ, ὅτε ἀΐδιον, οὐ γὰρ ἔχεεν ἀρχὴν, ὅϑεν 
ἤρξατο, οὐδὲ πέρας οὐδὲ τελευτήν᾽ ἀλλ᾽ οὐδὲ κινήσεως μετέχειν τὸ πᾶν᾽ 
κενεῖσϑαε γὰρ ἀδύνατον, μὴ μεϑιστάμενον, μεϑίστασϑαι δὲ ἀναγχαῖον ἤτοι 
eig πλῆρες ἢ εἰς χενόν (dieses aber, muss man hinzudenken, ist beides un- 
möglich, da in dem πᾶν, der Gesammtheit der Dinge, alles Leere und alles 
Volle enthalten ist). Auch diess widerstreitet aber dem atomistischen Stand- 
punkt nicht, denn die Atome und das Leere sind ewig; und wenn auch 
innerhalb der unendlichen Atomenmasse die Bewegung nie angefangen hat 
and nie aufhört, so kann doch diese Masse als Ganzes (und nur davon ist 
die Rede), eben wegen ihrer Unendlichkeit, sich nicht bewegen. Metrodor 
konnte daher in Beziehung auf sie die Ausführung des Melissus über die 
Ewigkeit, Unbegrenztheit und Unbewegtheit des Seienden sich aneignen 
(dass nämlich diess hier geschieht, zeigt die Vergleichung von S. 607 ff.; 
selbst der 8. 608 f. bemerkte Fehlschluss von der Ewigkeit der Welt auf 
ihre Unbegrenztheit kehrt ja hier wieder), und wir können die Vermuthung 
entbehren, dass in Euseb’s Excerpt zwei Berichte, ein auf Melissus und ein 
auf Metrodor bezüglicher, sich vermischt haben. Dagegen ist zwischen den 
oben angeführten Worten und dem nächstfolgenden eine Lücke, welche wohl 
erst dem Verfasser des eusebianischen Auszugs zur Last fällt. 

4) So nahm er mit Demokrit (s. o. 897, 8) an, dass nicht allein der Mond 
und die übrigen Planeten, sondern auch die Fixsterne ihr Licht von der 
Sonne haben (Plac. II, 17, 1); die Milchstrasse dagegen erklärte er, von 
Dem. abweichend, für den ἡλιαχὸς κύχλος, ἃ. h. wohl, für einen von der 
Sonne auf ihrem Wege über den Himmel zurückgelassenen Lichtkreis (Plac. 

61* 


960 Atomistik. Ä (859. 360] 


forscher durch manche eigenthümliche Annahmen), theils als 
Philosoph durch | die skeptischen Folgerungen, welche er aus 
Demokrit’s Lehre ableitete; er nahm nämlich nicht blos die 


IH, 1,3). Die Sonne nannte er mit Anaxagoras und Demokrit einen μύϑρος 
ἢ πέτρος διάπυρος (Plac. II, 20, 5, ungenauer Stop. 524: πύρενον ὑπάρχειν). 
Auch seine Erklärung der Erdbeben (Sex. nat. qu. VI, 19) aus dem Ein- 
dringen der äusseren Luft in die hohlen Räume innerhalb der Erde ist ihm 
durch Demokrit an die Hand gegeben, wenn auch dieser jene Erscheinung 
noch mehr auf die Wirkung der Gewässer, als der Luftströmungen zurück- 
führte (s. o. 898, 3). Manches weitere, worin er mit Demokrit einverstanden 
war, ist ohne Zweifel nicht überliefert, da die Sammler vom jedem Philo- 
sophen vorzugsweise das anführen, worin er sich von andern unterscheidet. 

1) Manches eigenthümliche scheinen zunächst Metrodor's Annahmen 
über die Weltbildung gehabt zu haben. Das zwar ist nur eine unerhebliche 
Abänderung der demokritischen Bestimmungen (oben S. 898), dass er die 
Erde für einen Niederschlag aus dem Wasser, die Sonne für einen solchen 
aus der Luft hielt (Plac. II, 9, 5), ebenso stimmt damit, was 8. 892, 4 an- 
geführt wurde; auffallender ist dagegen Pur. b. Eus. I, 8, 11: πυχνούμενον 
δὲ τὸν αἰϑέρα ποιεῖν νεφέλας, εἶτα ὕδωρ, ὃ καὶ χατεὸν ἰπὶ τὸν ἥλιον 
σβεῤνύναι αὐτὸν, χαὶ πάλεν ἀραιούμενον ἐξάπτεσθαι" χρόνῳ δὲ πήγνυσϑαι 
τῷ ξηρῷ τὸν ἥλιον καὶ ποιεῖν ἐχ τοῦ λαμπροῦ ὕϑατος ἀστέρας, νύχτα τε 
χαὶ ἡμέραν Ex τῆς σβέσεως καὶ ἐξάψεως zul χαϑόλου τὰς ἐκλείψεις ἀπο- 
τελεῖν. So wie die Worte lauten, sieht es aus, als hätte Metrodor die Sterne 
jeden Tag auf’s neue unter der Einwirkung der Sonne aus dem atmosphä- 
rischen Wasser entstehen lassen; sollte aber auch dieser Zug mit Unrecht 
aus seiner Kosmogonie herübergenommen sein, so dass Metr. nur die erste 
Entstehung der Gestirne in dieser Weise erklärte, so wäre auch dieses eine 
beachtenswerthe Abweichung von Demokrit. Was ferner von dem täglichen 
Erlöschen und der Wiederentzündung der Sonne gesagt wird, hat mehr 
Aehnlichkeit mit Heraklit’s, als Demokrit’s Ansicht. Die Gestirne soll 
Metrodor mit Anaximander für radförmig gehalten haben (Stos. 510), und 
mit demselben stimmte er auch darin überein, dass er der Sonne und nächst 
ihr dem Monde die oberste Stelle in der Welt anwies, und dann erst die 
Fixsterne und Planeten kommen liess (Plac. II, 15, 6. Dass die Erde an 
ihrer Stelle bleibt, erklärte er sich nach Plac. III, 15, 6 durch die Annahme: 
μηδὲν ἐν τῷ οἰχείῳ τόπῳ σῶμα κινεῖσϑαε, εἰ un τις προώσειε ἢ καϑελ- 
κύσειε χατ᾽ ἐνέργειαν" διὸ μηδὲ τὴν γῆν, TE κειμένην φυσιχῶς, χινεῖσϑαι, 
dieselbe Ansicht, welche Plato und Aristoteles den atomistischen Voraus- 
setzungen über die Schwere entgegenstellen. Weiter vgl. m. seine Annahmen 
über die Dioskuren (Pl. II, 18, 2), die Sternschnuppen (Pl. III, 2, 10), Donner, 
Blitz, Gluthwind (Pl. III, 3, 2), die Wolken (Pıur. Ὁ. Eus. a. a. O.; ganz 
unerheblich ist dagegen Plac. III, 4, 2), den Regenbogen (Pl. ID, ὅ, 12), 
die Winde (Pi. III, 7, 3), das Meer (Pl. ΠῚ, 16, 5); einiges weitere ist vor. 
Anm. angeführt. 


[860. 861] Metrodorus. Anaxarchus. 968 


Wahrheit der sinnlichen Wahrnehmung in Anspruch), sondern 
erklärte auch: wir können nichts wissen, nicht einmal, ob wir 
etwas oder nichts wissen?).. Doch kann auch er nicht die 
Absicht gehabt haben, mit diesen Sätzen jede Möglichkeit des 
Wissens grundsätzlich aufzuheben, da er sich in diesem Fall 
weder zu den Grundlehren des atomistischen Systems bekannt, 
noch sich so eingehend mit naturwissenschaftlichen Unter- 
suchungen beschäftigt haben würde; sondern sie sind nur als 
ein gesteigerter Ausdruck seines Misstrauens gegen die Sinne 
und seines Urtheils über den thatsächlichen Zustand des mensch- 
lichen Wissens zu betrachten. Die Wahrheit des Denkens 
scheint er nicht bestritten zu haben?). | 
Von Metrodorus, oder auch von seinem Schüler Dio- 
genes, soll Anaxarchus aus Abdera*) unterrichtet worden 
sein ®), jener Begleiter Alexanders, dessen Standhaftigkeit unter 
tödtlichen Martern berühmt ist®). Auch er wird zu den Vor- 


— 


1) Bei Stob. Floril. ed. Mein. IV, 234 wird Metr. neben Demokrit, 
Protagoras u. a. der Satz beigelegt: ψευδεῖς εἶναε τὰς αἰσϑήσεις. Ebenso 
Erıpn. a. a. Ο.: οὐδὲ ταῖς αἰσθήσεσι δεῖ προςέχεεν, doması γὰρ ἐστὶ τὰ 
πάντα. 

2) ArıstokL. b. Eus. pr. ev. XIV, 19, 5: Im Eingang einer Schrift περὶ 
φύσεως sagte Metrodor: ovdels ἡμῶν οὐδὲν οἶδεν, οὐδ᾽ αὐτὸ τοῦτο πότερον 
οἴδαμεν ἢ οὐχ οἴδαμεν. Das gleiche Wort wird von Sexr. Math. VII, 88 
vgl. 48. Dıoc. IX, 58. Erırn. Exp. fid. 1088 A. Cıc. Acad. II, 28, 73 
angeführt; der letztere bestätigt, dass es ımitio Μὸν qui est de natura stand. 

3) ArıstoxL&s a. a. O. berichtet von ihm die Aeusserung: ὅτε πάντα 
ἐστὶν, ὃ ar τις νοῆσαι. Diess könnte nun allerdings besagen: „alles sei 
für jeden das, was er sich darunter denke“ (vgl. Euthydem, 8. 988, 2*); 
die Meinung kann aber auch diese sein: „alles sei das, was man sich dar- 
unter denken könne“, so dass es den Werth des Denkens im Unterschied 
von der Wahrnehmung ausdrückt. Zur Sache vgl. 8. 858, 1. 

4) Als Abderiten bezeichnen ihn Dıoe. IX, 58. Garen H. phil. c. 8. 
7, 8. 601, 13. 604, 14 Diels. Ueber ihn: Luzac Lectt. Atticae 181 ff. 

5) So Dıoe. IX, 58; bestimmter nennen Ctexens Strom. I, 301 Ὁ und 
Eus. XIV, 17, 8 Diogenes als Anaxarch’s Lehrer. Die Vaterstadt dieses 
Diogenes war Smyrna, wofür nach Erıra. Exp. fid. 1088 A auch Cyrene 
genannt wurde; sein Standpunkt wäre nach Epiphanius, auf den wir uns 
aber nicht sicher verlassen können, von dem des Protagoras nicht verschieden 
gewesen. | 

6) Er war seinem Feinde, dem cyprischen Fürsten Nikokreon in die 
Hände gefallen, und wurde auf dessen Befehl in einem Mörser zerstampft; 
ungebeugt rief er dem Tyrannen zu: zriose τὸν "Avafapyov ϑύλαχον, 


964 Atomistik. [861. 862) 


läufern der Skepsis gerechnet!); allein das einzige, was hie- 
für angeführt wird, ist eine geringschätzige Aeusserung über 
das Treiben und Meinen der Menschen, welche in Wahrheit 
nicht mehr aussagt, als was sich vielfach ohne allen Zusammen- 
hang mit einer skeptischen Theorie findet. Andere Angaben 
lassen ihn als einen Anhänger der demokritischen Naturlehre 
erscheinen 2). An Demokrit |konnte er auch anknüpfen, wenn 
er die Glückseligkeit für das höchste Ziel unseres Strebens 
erklärte®). Dagegen entfernte er sich von ihm in seiner 
näheren Auffassung der praktischen Lebensaufgaben, an der 
ihm bei seinem Philosophiren wohl am meisten gelegen war, 
in doppelter Richtung. Einerseits nähert er sich dem Cynis- 


Avafapyov οὐ πτίσσεις. Der Vorfall wird mit verschiedenen näheren Um- 
ständen häufig erwähnt: Dıoc. a. a. O. Prur. virt. mor. 10, S. 449. CLeu. Strom. 
IV, 496 Ὁ. VıLer. Max. III, 3, ext. 4. Pım. H.nat. VII, 23, 87. Teeruuı. 
Apologet. 50. Ps.-Dıo Carrs. or. 37, S. 126 R. (TI, 306 Dind.) Noch einige 
weitere Zeugen weist WIEDEMANN im Philologus XXX, 3, 249, 33 nach. 

1) Ps.-Gaten H. phil. 7. 8.604, 13 D. rechnet ihn zu den Skeptikern, 
ebenso zählt Sext. M. VOL, 48 ihn, wie Metrodor, zu denen, welche das 
Kriterium aufgehoben haben; ebd. 87 f. sagt er: manche nehmen diess von 
Metrodor, Anaxarchus und Monimus an; von Metrodor wegen der oben- 
besprochenen Aeusserung, von Anaxarchus und Monimus, ὅτε σχηνογραφίᾳ 
ἀπείχασαν τὰ ὄντα, τοῖς δὲ χατὰ ὕπνους ἢ μανίαν προςπίπτουπε ταῦτα 
ὡμοιῶσϑαι ὑπέλαβον. 

2) Bei Prur. tranqu. an. 4, 8. 466. Varer. Max. VII, 14, ext. 2 
trägt er Alexander die Lehre von der Unendlichkeit der Welten vor; was 
für einen Skeptiker ebensowenig passen würde, als der mit demokritischen 
Aeusserungen (8. o. 924, 1) übereinstimmende Ausspruch bei CLEs. Strom. 
I, 287 A. Stos. Floril. 34, 19 über die πολυμαϑέη, welche dem Verständigen 
sehr nützlich, demjenigen dagegen, der alles überall ohne Unterschied 
herausschwatze, sehr schädlich sei; derselbe Ausspruch, den Berxars Kl. 
Schr. I, 123 bespricht und ebd. 128 f. auch bei dem Mechaniker ATHENÄUS 
(in Wescnher's Poliorcötique des Grecs S. 4. 202) nachgewiesen hat. 

3) Diese Behauptung nämlich, nicht seine ἀπάϑεια χαὶ εὐχολία To 
βίου (wie Dıoc. IX, 60 will), wird es sein, welcher er den Beinamen 
Εὐδαιμονεχὸς (Diog. und Creu. ἃ. ἃ. a. O. Sext. VII, 48. Arnen. VI, 250 ἢ. 
Azr. V. H. IX, 37) zu verdanken hat. Vgl. Garen H. phil. 4, 5. 602, 1: 
eine philosophische Sekte könne genannt werden ἐχ τέλους καὶ δόγματος, 
ὥσπερ ἡ εὐδαιμονιχή. ὁ γὰρ ᾿νάξαρχος τέλος τῆς xar' αὐτὸν εὐαγωγῆς 
(l. ἀγωγ.) τὴν εὐδαιμονίαν ἔλεγεν. Ὅτοο. procem. 17: Von den Philosophen 
sind manche ἀπὸ διαϑέσεων genannt worden, ὡς οὗ Evdasuovsxoi. KıE- 
ABCHUS Ὁ. ATHRN. ΧΗ, 548 b: τῶν Ἐὐυδαιμονικῶν χαλουμένων Avafapyp. 


Ü 
ὃ 


[862. 868] Anaxarchus. 0965 


mus!): er lobt Pyrrho’s Adiaphorie?); er stellt sich dem 
äusseren Schmerz mit jenem verachtenden Stolz entgegen, den 
sein vielbewundertes Wort unter den Keulenstössen Nikokreon’s 
ausspricht; er nimmt sich auch dem macedonischen Eroberer 
gegenüber manche Freiheit heraus®), während er ihn zugleich 
durch Schmeicheleien im Biedermannston verderbt). | Anderer- 
seits widersprach er in seinem persönlichen Verhalten seinen 
Grundsätzen durch eine Weichlichkeit und Genussucht, welche 
ihm von verschiedenen Seiten her vorgerückt wird). Anaxar- 


1) So redet auch Tımonx b. Pı.ur. virt. mor. 6, S. 446 von seinem 
ϑαρσαλέον τε καὶ ἐμμανὲς, seinem χύνεον μένος, und Prur. Auex. 52 nennt 
ihn ἰδίαν τινὰ πορευόμενος ἐξ ἀρχῆς ὁδὸν ἐν φιλοσοφίᾳ καὶ δόξαν εἰληφὼς 
ὑπεροψίας χ αἱ ὀλιγωρίας τῶν συνήϑων. 

2) Dıoc. IX, 68: als einmal Anaxarchus in einen Sumpf fiel, sei 
Pyrrho vorbeigegaugen, ohne sich um ihn zu bekümmern, von ihm aber 
wegen seines ἀδιάφορον χαὶ ἄστοργον belobt worden. 

8) M. vgl. die Anekdoten b. Dıoe. IX, 60 (der aber selbst auf die ab- 
weichende Angabe Pıurarca's aufmerksam macht). Prur. qu. conv. IX, 1, 
2,5. Aeı. V. H. IX, 37. Arnen. VI, 250 f. (nach Satyrus); auch in der 
letzteren scheint mir nämlich nicht, wie Satyrus will, eine Schmeichelei, 
sondern eine Ironie vorzuliegen, wie diess auch Alexander’s Antwort 
voraussetzt. 

4) Anders weiss ich wenigstens sein Benehmen nach der Ermordung 
des Klitus (Prur. Alex. 52. ad princ. iner. 4, 1. 8. 781. Anrkrıax Exp. Alex. 
IV, 9, 9) nicht aufzufassen, über das auch Plutarch bemerkt, dass er sich 
dadurch sehr beliebt gemacht, aber auf den König den übelsten Einfluss 
ausgeübt habe, und ebensowenig sehe ich einen Grund, Plutarch’'s Erzäh- 
lung zu misstrauen. Dagegen mag es richtig sein, dass nicht Anaxarchus 
(wie Arrıan a. a. O. 9, 14. 10, 7 mit einem λόγος χατέχεε sagt), sondern 
Kleo (so Curt. De reb. Alex. VIII, 17, 8 ff.) den Macedoniern die Adoration 
Alexander’s empfahl. Dass Alex. τὸν μὲν ἁρμονικὸν (wofür trotz BERNAYS 
a. a. O. 125, 1 τὸν εὐδαιμονικὸν zu lesen sein wird) Ayafapyov in hohem 
Grade geschätzt habe, bemerkt auch Pur. Alex. virt. 10, 5. 331. 

5) KıEarcHus b. Arnen. XII, 548 b sagt ihm eine lüsterne Ueppigkeit 
nach, und belegt diess mit sehr starken Beispielen; bei Prur. Alex. 52 be- 
merkt ihm Kallisthenes, als darüber gestritten wird, ob es in Griechenland 
oder in Persien wärmer sei: er müsse es doch wohl in Persien kälter 
finden, da er seinen Tribon hier mit drei Decken vertauscht habe; aber 
auch Tıuox Ὁ. Pıur. virt. mor. 6, 8. 446 sagt: seine φύσεις ndovonin: habe 
ihn gegen sein besseres Wissen fortgezogen. In allem diesem (mit Luzac) 
nur peripatetische Verleumdung zu sehen, deren letzter Anlass in der Feind- 
schaft zwischen Kallisthenes und Anaxarchus läge, scheint mir bedenklich, 
wenn ich auch Klearch's Aussage kein übermässiges Gewicht beilegen 
möchte. 


966 Atomistik. [868, 864] 


chus war der Lehrer des Skeptikers Pyrrho!). Mit Metrodor 
hängt mittelbar, wie es scheint, auch Nausiphanes zu- 
sammen; da er wenigstens einerseits als Anhänger der pyrr- 
honischen Skepsis, andererseits als Epikur’s Lehrer bezeichnet 
wird?), so lässt sich vermuthen, er habe in ähnlicher Weise, 
wie Metrodor, eine atomistische Physik mit einer skeptischen 
Ansicht über das menschliche Erkennen verbunden?). Die 
Atomistik scheint demnach überhaupt bei Demokrit’s Nach- 
folgern die skeptische Wendung genommen zu haben, welche 
sich aus ihren physikalischen Voraussetzungen so leicht er- 
geben konnte, ohne dass doch diese Voraussetzungen selbst 
verlassen wurden; wie ja eine | ähnliche Anwendung noch 
früher und gleichzeitig auch von der heraklitischen Physik 
durch Kratylus und Protagoras, von der eleatischen Lehre 
durch Gorgias und die Eristiker gemacht wurde. Von zwei 
weiteren Demokriteern der jüngeren Generation, Apollodo- 
tus*) und Diotimus?°), werden nur einige unerhebliche Be- 


1) Dioc. IX, 61. 68. 67. Arıstorxr. Ὁ. Eus. a. a. O. und 18, 20. 

2) θιοα. Proa@m. 15 (wo neben ihm ein sonst unbekannter Nausikydes 
als Demokriteer und Lehrer Epikur’s aufgeführt ist). X, 7 ἢ. 14. IX, 64, 69. 
Bum. 'Entx. Cıc. N. Ὁ. I, 26, 73. 33, 93. Sext. Math. I, 2 f. Creuens 
Strom. I, 301 Ὁ. Nach Creu. Strom. II, 417 A erklärte er für das höchste 
Gut die ἀχαταπληξία, welche von Demokrit «Saußi« genannt werde. Sex. 
ep. 88, 48 nennt ihn neben Pratagoras mit dem Worte (über das 8. 920, 2 
zu vergleichen ist): ex his quas videntur esse, nilil ımagis esse quam non esse. 
Ueber sein Verhältniss zu Epikur vgl. m. Th. III a, 364, 2. 

8) Von diesem durch Nausiphanes vermittelten Zusammenhang Epikur's 
mit Metrodor mag die Angabe (Stop. Ekl. I, 496 vgl. Dısıs Doxogr. 22) 
herrühren, Metrodor sei der χαϑηγητὴς ᾿Επιχούρου. 

4) Uns nur durch Cıxwens bekannt, der Strom. II, 417 A in einer 
Uebersicht über die Lehren der Philosophen vom höchsten Gut unter den 
„Abderiten“ neben Demokrit und Hekatäus (dem Bd. III a, 483, 1 genannten 
Pyrrhoneer) auch Apollodotus, Nausiphanes und Diotimus nennt. Er be- 
zeichnet Apoll. als Kyzikener, und führt von ihm an, dass er die ψυχαγωγία 
als das τέλος bezeichnet habe; was bei ihm wohl das Ziel des philosophi- 
schen Unterrichts bedeutete: zum höchsten Gut würde sich die εὐψυχέα 
besser eignen, deren Herbeiführung sich als die Aufgabe der Psychagogie 
betrachten liess. 

5) Von ihm sagt CLemens: τὴ» παντέλειαν τῶν ἀγαϑῶν, ἣν εὐεστω 
προςαγορεύεσϑαι, τέλος ἀπέφηνεν. Sonst erfahren wir über ihn aus Plac. 
I, 17, 3 (wenn hier, wie ich annehme, das διοχρέτιος aus 4ημοχρίτειος 


[864] Nausiphanes u. A, 067 


stimmungen erwähnt. Ob Diagoras, der bekannte, im Alter- 
thum sprüchwörtlich gewordene Atheist, mit Recht zu Demo- 
krit’s Schule gezählt wird, möchte ich um so mehr bezweifeln, 
da er älter, oder doch nicht jünger als dieser, gewesen zu 
sein scheint, und da uns kein einziger philosophischer Satz 
von ihm überliefert ist!.. Von dem Demokriteer Bio aus 
Abdera?) ist nichts näheres bekannt. 


verschrieben ist), dass er ein Tyrier war und mit Metrodor annahm, auch 
die Fixsterne werden von der Sonne beleuchtet. Ihn hält jetzt HırzEL 
(Hermes XVII, 327 f.) und ebenso Hoyer (De Antiocho. Bonn 1883. 82, 4) 
auch für den von Sext. M. VII, 140 (s o. 918, 2) angeführten; mir ist es 
mit Natorp Forsch. 190 wahrscheinlicher, dass damit der Th. IH a, 570 m 
besprochene Stoiker dieses Namens gemeint ist, da die Ausdrücke χρετήρια, 
αἵρεσις und φυγὴ dem stwischen Sprachgebrauch, nicht dem Demokrit’s 
"angehören. 

1) M. 5. über ihn Dıovor XIU, 6 Schl. Jos. c. Apion. c. 37. Skxr. 
Math. IX, 538. Suras u. ἃ. W. Hesvca. de vir. illustr. u. ἃ. W. Tarıas 
adv. Gr. c. 27. Aruenas. Supplic. 4. CLemens Cohort. 15 B. Creıı c. Jul. 
VI, 189 E. Arxo. adv. gent. IV, 29. Ατηεν. XII, 611 a. Dıioc. VI, 59. 
Was sich aus diesen Stellen ergibt, ist dieses: Diag., aus Melos gebürtig, 
sei ein Dithyrambendichter gewesen; ursprünglich gottesfürchtig, sei er zum 
Atheisten geworden, als ein ihm zugefügtes schreiendes Unrecht (worüber 
die näheren Angaben abweichen) von den Göttern unbestraft blieb; er sei 
nun wegen gotteslästerlicher Reden und Handlungen, namentlich wegen 
Veröffentlichung der Mysterien, in Athen zum Tode verurtheilt und auf 
seine Einlieferung ein Preis gesetzt worden; auf der Flucht sei er in einem 
Schiffbruch umgekommen. Auf seinen Atheismus spielt ArıstorHanzs schon 
in den Wolken (Ol. 89, 1) V. 830 an, auf seine Verurtheilung in den Vögeln 
(01. 91, 2) V. 1073 (wozu man B. v. o. Brink V. lectt. ex hist. phil. 41 ff. 
vergleiche). Ol. 91, 2 wird sie auch von Diopor gesetzt; die Angaben des 
8Suıpas, er habe um Ol. 78 geblüht (was auch Euses. Chron. z. Ol. 78 be- 
hauptet), und er sei von Demokrit aus der Gefangenschaft ausgelöst worden, 
widerlegen sich gegenseitig. In den Berichten über seinen Tod ist er viel- 
leicht mit Protagoras verwechselt. Eine Schrift, worin er die Mysterien 
öffentlich machte, wird u. ἃ. T. φρύγιοι Aoyos oder ἀποπιυρίζοντες an- 


2) Dıoe. IV, 58. Was der Komiker Dauoxznus b. Arsen ΠῚ, 102 a 
über die Popularität der demokritischen Physik sagt, bezieht sich zunächst 
auf die epikureische, und nur durch Vermittlung derselben auf die demo- 
kritische Philosophie. 


968 Anaxagoras. [864. 865] 


III. Anaxagoras'). 
1. Die Principien des Systems: der Stoff und der Geist. 
Anaxagoras, um 500 v. Chr. geboren?), war ein Zeit- 
genosse | des Empedokles und Leucippus. Aus seiner Heimath 


1) Ueber Leben, Schriften und Lehre des Anaxagoras 8. m. SCHAUBACH 
Anazagorae Clas. fragmenta u. 8. w. Lpz. 1827, wo die Angaben der Alten 
am sorgfältigsten gesammelt sind; Scuonn Anazagoıae Cias. et Diogenis 
4Apoll. fragmenta, Bonn 1829; Breıer die Philosophie ἃ. Anaxag. Berl. 1840. 
Krıscae Forsch. 60 ff. Z£voRT Dissert. sur la vie et la doetrins αἱ Anazayore. 
Par. 18438. MurLacH Fragm. Philos. I, 243 ff. Weiter gehört von neueren 
Schriften hierher die 8. 27, 4 angeführte von Grapvisch und CLEmens De 
philos. Anaz. Berlin 1839. Ueber die älteren Monographieen, namentlich 
die von Carus und Hausen, vgl. ϑδοηάύβαοη ὃ. 1. 35. Braxpıs I, 232. 
ὕκβκενεα 1, ὃ 24. 

2) Diese Zeitbestimmung, früher allgemein angenommen, ist in neuerer 
Zeit von MöLLer Frag. Hist. II, 24. III, 504. K. F. Heruaun De philos. 
Jon. setatibus 10 ff, ScuwesLer (Gesch. ἃ. griech. Phil. 8. 35! vgl. Röm. 
Gesch. III, 20, 2) und Unser Philol. Supplementb. IV, 534 ff. bestritten, 
und das Leben des Anaxagoras um 34 Jahre weiter hinaufgerückt worden, 
so dass seine Geburt Ol. 61, 3, 534 v. Chr. (Ung. 588), sein Tod Ol. 79, 3 
(462 v. Chr.), sein Aufenthalt in Athen etwa zwischen Ol. 70, 4 und 78, 2 
(497 — 466, Ung. 494 — 465) fallen würde; nachdem schon früher (1842) 
BAKHUIZEN VAN DEN BueınkK (Var. lectt. de hist. philos. ant. 69 ff.) die An- 
nahme zu begründen versucht hatte, dass Anax., Ol. 65, 4 geboren, Ol. 70, 4 
im Alter von 20 Jahren nach Athen gekommen sei, ınd diese Stadt Ol. 78, 2 
‚wieder verlassen habe. Ich bin dieser Ansicht schon in der zweiten Auf- 
lage der vorliegenden Schrift und S. 10 ff. meiner Abhandlung De Hermo- 
doro (Marb. 1859), unter Zustimmung der meisten entgegengetreten. Aus 
Dioe. II, 7 geht hervor, dass Apollodor, wahrscheinlich nach DeEMmETRIUS 
Phaler. (Diztg Rhein. Mus. XXXI, 28), die Geburt des Anaxagoras Ol. 70 
(500— 496 v. Chr.) setzte. Bestimmter führt die Angabe (ebd. mit einem 
λέγεται), er sei beim Uebergang des Xerxes nach Griechenland (aus dem 
man natürlich nicht mit Uneer 5. 549 den Zug des Darius gegen die 
Seythen machen darf) 20 Jahre alt gewesen, und habe ein Alter von 72 Jahren 
erreicht, auf Ol. 70, 1 (500 v. Chr.) als das Jahr seiner Geburt, Ol. 88, 1 
(428/7 v. Chr.) als das seines Todes; und wenn der überlieferte Text des 
Diosexes a. a. O. Apollodor statt dessen Ol. 78, 1 als sein Todesjahr be- 
zeichnen lässt, so ist statt ἑβδομηχοστῆς ohne Zweifel (wie weit die meisten 
wollen) ηὀγδοηχοστῆς“ zu lesen; die Vermuthung von BAKHUIzEn v. D. BRısK 
(S. 72), dass die Olympiadenzahl zu belassen, aber statt τεϑγνηχέναε nxun- 
χέναι zu setzen sei, hat wenig für sich; zur Bestätigung der gewöhnlichen 
Annahme dient auch Hırror. Refut. I, 8, 13, der (oder dessen Quelle) ur- 
sprünglich ohne Zweifel nicht wie unser jetziger Text die Blüthe, sondern 
den Tod des Philosophen Ol. 88, 1 setzte. Damit stimmt auch die Angabe 


[866] Zeitbestimmung. 969 


des Deuwgrrıus Phal. (Ὁ. Dıoc. a. a. 0.) in seinem Archontenverzeichniss: 
ἤρξατο φιλοσοφεῖν ᾿4ϑήνησιν ἐπὶ Καλλίου, ἐτῶν εἴχοσι ὦν, überein, und 
zwar (ΠΙΕΙΒ a. a. Ο.) auch ohne dass man (mit MEunsıus n. a., vgl. Menıce 
2. ἃ. St. Branpıs gr.-röm. Phil. I, 233. B. v. o. Brınk a. a. Ο. 797. Coser 
in 8. Ausgabe) Καλλέου in Καλλεάδου verwandelt, da dieses beides nur 
verschiedene Formen des gleichen Namens sind; ein Kalliades war nämlich 
480 v. Chr. Archon Eponymos, man erhält daher für die Geburt des Anarx. 
das Jahr 500. Nur muss dann angenommen werden, Diogenes oder seine 
Quelle habe die Angabe des Demetrius missverstanden, und dieser habe von 
‚Anax. entweder gesagt, ἤρξατο φιλοσοφεῖν ἐπὶ Καλλέου, oder wahrschein- 
licher: no£. 44100. 49yvnos ἄρχοντος Καλλίου; denn das ef. φελ. könnte 
in diesem Fall nicht auf das Auftreten als Lehrer, für welches das 20. Jahr 
viel zu fräh ist, sondern nur auf den Beginn der philosophischen Studien 
bezogen werden; was hätte aber den Anaxagoras veranlassen können, zu 
diesem Zwecke gerade in dem Augenblick, in welchem sich die Heer- 
schaaren des Xerxes gegen Athen heranwälzten, in diese Stadt zu gehen, welche 
damals und noch lange keinen Philosophen in ihren Mauern beherbergte? 
(Scaausach 14 f. Zevorr 10 f. τι. ἃ. schlagen, ohne den Archontennamen zu 
ändern, statt εἴχοσε "γτεσσαράχοντα", ἃ. h. statt Καὶ „M“ vor, so dass Anax. 
456 v. Chr., wo ein Kallias Archon war, 40jährig nach Athen gekommen 
wäre.) Nun geben allerdings Diodor, Euseb und Cyrill über Demokrit 
Zeitbestimmungen, welche sich damit nicht vertragen; denn wenn Demokrit, 
wie Dıopor XIV, 11 will, Ol. 94, 1 (403/4 v. Chr.) 90 Jahre alt starb, oder 
wenn er (nach Eusz und CyrızL 8. o. 8. 840 u.) Ol. 69, 3 beziehungs- 
weise Ol. 70 geboren war, so müsste Anaxagoras freilich um den Anfang 
des fünften Jahrhunderts schon ein Mann von 30—40 Jahren gewesen sein. 
Vgl. S. 839f. Allein dieser Annahme stehen die erheblichsten Gründe ent- 
gegen. Denn für’s erste ist nicht allein Eusebius und Cyrillus, welche 
sich in ihren Zeitbestimmungen so vielfach, und namentlich auch hinsicht- 
lich Demokrit’s, der unglaublichsten Widersprüche und Irrthümer schuldig 
macben, (Beispiele gibt, Eusebius betreffend, m. Abhandlung De Hermodoro 
8. 10, vgl. auch prep. ev. X, 14, 8 f. XIV, 15, 9, wo Xenophanes und 
Pythagoras dem Anaxagoras gerade gleichzeitig, nichtsdestoweniger aber 
Euripides und Archelaos seine Schüler genannt werden; was Cyrill anlangt, 
genügt es, daran zu erinnern, dass er c. Jul. 13 B Demokrit’s Blüthe zu- 
gleich Ol. 70 und 86, aber auch Parmenides Ol. 86 setzt, und Anaximenes 
den Philosophen, wohl durch Verwechslung mit dem lampsacenischen Rhetor, 
zum Zeitgenossen Epikur's macht, ähnlich, wie ihn ΟΕΌΒΕΝ. 158 C als 
Lehrer Alexanders d. Gr. bezeichnet) an chronologischer Zuverlässigkeit mit 
Apollodor nicht zu vergleichen, sondern auch Diodor ist diess nicht; und 
wenn ΗΚΉΜΑΝΝ glaubt, die drei Angaben über das Zeitalter Demokrit's, die 
des Apollodor, des Thrasylius und des Diodor, seien nur darauf zurück- 
zuführen, dass dieselben eine ihnen vorliegende Notiz, wonach Demokrit 
i. J. 723 nach der Zerstörung Troja’s geboren wäre, nach ihrer eigenen 
trojanischen Aera (von Apollodor 1183, von Thrasylius 1193, von Diodor 
mit Ephorus 1217 v. Chr. angesetzt) berechneten, nach Demokrit haben sie 


970 Anaxagoras. [867) 


“aber auch die Zeit des Anaxagoras bestimmt, so würde zwar daraus noch 
nicht folgen, dass Diodor gegen die beiden andern im Recht ist; diese Ver- 
muthung hat aber auch an sich selbst vieles gegen sich. Denn einmal ist 
es durchaus unerweislich, dass Ephorus die Zerstörung Troja’s 1217 ange- 
setzt hat (B. v. νυν. Brink Philol. VI, 589 f. nimmt mit Böcku und WELckEr 
1150 an, und MÜLLer Ctes. et Chronogr. Fragm. 126 scheint mir das Gegen- 
theil nicht bewiesen zu haben); nur so viel erhellt aus CLeusns Strom. 
I, 387 A. Diopor XVI, 76, dass er den Heraklidenzug entweder 1070 oder 
1090/1 v. Chr. setzte; Diodor aber (I, 5 u. δ.) schliesst sich an die Aera 
Apollodor’s an; und sodann ist es sehr unwahrscheinlich, dass Apollodor 
und sein Vorgänger Eratosthenes so, wie Hermann will, zu ihren Be- 
stimmungen über Demokrit und Anaxagoras gekommen sind. Denn Demo- 
krit's eigene Aussage, dass er den μιχρὸς διάχοσμος i. J. 730 nach der 
Zerstörung Troja’s verfasst habe, musste ihnen doch bekannt sein, ja nach 
Diıoc. IX, 41 scheint Apollodor gerade auf diese Aussage seine Berechnung 
von Demokrit’s Geburtsjahr gegründet zu haben; dann können sie aber un- 
möglich die Geburt dieses Philosophen in das Jahr 728 derselben Aera ver- 
legt haben, in deren 730stem Jahr er jene Schrift verfasst hatte, sie können 
mithin das Datum derselben nur dadurch gefunden haben, dass sie Demo- 
krit's Angaben über sein Zeitalter aus seiner Aera auf die ihrige reducirten. 
Mit ihnen sind ja aber, Anaxagoras betreffend, auch Demetrius Phalereus 
und andere bei Dıoe. II, 7 einverstanden, die doch wohl nicht alle ihre An- 
nahmen durch fehlerhafte Anwendung einer und derselben trojanischen Aera 
gewonnen haben werden. Mit den obigen Zeugnissen über Anaxagoras 
stimmt nun aber zweitens auch Diodor selbst, Hermann’s Hauptzeuge, 
überein, wenn er X11, 38 f. in einer Erörterung über die Ursachen des pelo- 
ponnesischen Krieges bemerkt: zu der Verlegenheit, in welche Perikles durch 
seine Verwaltung des Bundesschatzes versetzt war, seien auch noch einige 
zufällige Veranlassungen hinzugekommen, die Klage gegen Phidias und die 
gegen Anaxagoras erhobene Anschuldigung des Atheismus. Hiemit ist der 
Process des Anaxagoras so bestimmt, wie nur möglich, in die Zeit, welche 
dem Ausbruch des peloponnesischen Krieges unmittelbar vorangieng, und eben- 
damit seine Geburt in den Anfang des fünften oder das Ende des sechsten 
Jahrhunderts verlegt, und Hermann’s Ausdeutung (S. 19): bei Gelegenheit 
der Anklage gegen Phidias seien auch die alten Anschuldiguugen gegen 
Anaxagoras wieder zur Sprache gekommen, ist so unnatürlich, dass sie sich 
wohl kaum irgend jemand empfehlen wird. Die Feinde des Perikles, sagt 
Diodor, setzten es durch, dass Phidias verhaftet wurde, χαὶ αἰτοῦ τοῦ ITepı- 
χλέους κατηγόρουν ἱεροσυλίαν. πρὸς AL τούτοις Avafayopav τὸν σοφιστὴν. 
ϑιϑάσχαλον ὄντα Περικλέους, ὡς ἀσεβοῦντα εἷς τοὺς ϑεοὺς ἐσυχοφάντουν. 
Wer wird glauben, dass sich Diodor so ausgedrückt hätte, wenn er nicht 
von einer Verdächtigung des noch lebenden Anaxagoras, sondern von einer 
Erinnerung an die Anklagen hätte reden wollen, welche gegen den längst- 
verstorbenen vor mehr als 30 Jahren erhoben worden waren? Schon die 
Präsensformen dıdunzalov ὄντα und aaeßoürr« beweisen das Gegentheil. 
Auch Plutarch (Pericl. 32) setzt aber die Anklage gegen Anaxagoras in die 


[868] Zeitbestimmung. 971 


gleiche Zeit und in den gleichen geschichtlichen Zusammenhang; und der- 
selbe bemerkt Nic. 23 aus Anlass einer Mondfinsterniss während des sicili- 
schen Feldzugs: Anaxag., welcher zuerst deutlich und offen über die Monds- 
finsternisse geschrieben habe, οὔτ᾽ αὐτὸς ἣν παλαιὸς, οὔτε ὁ λόγος ἔνδοξος 
(anerkannt), man habe sich vielmehr seine Lehren damals erst in kleineren 
Kreisen, nicht ohne Vorsicht mitgetheilt. Plutarch ist daher mit Diodor 
darüber einverstanden, dass Anax. bis gegen den Anfang des peloponnesischen 
Krieges in Athen war. Dass aber Sıryaus (Ὁ. Dioc. II, 12) Thucydides 
(des Melesias Sohn) als Ankläger des Anax. nannte, kann man hiegegen um 
so weniger geltend machen, da Sorıox (ebd.) als solchen den Kleon be- 
zeichnet hatte, welcher doch sicher erst gegen das Ende von Perikles’ Leben 
su einiger Bedeutung gelangt ist (Pıur. Per. 33), und da nach Pur. Per. 32 
das Psephisma gegen die Gottesleugner und die Lehrer der Metarsiologie 
von Diopeithes verfasst wurde, dessen ARISTOPHANES noch in den Vögeln 
(414 v. Chr.) V. 988 als eines Lebenden erwähnt. Ebensowenig folgt aus 
dem Umstand, dem Bkanpıs Gesch. ἃ. Entw. I, 120 f. und Unger a. a. Ο. 
grosses Gewicht beilegt, dass Sokrates bei Praro Phädo 97 B seine Kennt- 
niss der anaxagorischen Lehre nicht aus persönlicher Bekanntschaft, sondern 
aus der Schrift des Anax. ableitet. Plato hätte ihn ohne Zweifel mit Anax. 
in persönliche Berührung bringen können; aber dass er diess thun musste, 
wenn Anax. bis 434 in Athen war, kann man nicht behaupten. Wissen wir 
doch nicht im geringsten ob Sokr., damals noch ein unbekannter junger 
Mann, den zurückgezogenen Gelehrten je gesprochen hatte; und ebensowenig, 
ob Plato, der diess gleichfalls nicht gewusst haben wird, die Sache nicht 
desshalb so darstellt, wie er sie darstellt, um auszudrücken, dass sich sein 
Urtheil über Anaxagoras auf die authentische Urkunde seiner Philosophie 
gründe, oder vielleicht auch, um der Behauptung, Sokr. sei ein Schüler des 
Anaxagoras gewesen, mittelbar entgegenzutreten. Gegen Hermann’s Ansicht 
spricht drittens, dass sowohl Xrxornon (Mem. IV, 7, 6 ἢ) als Pıaro 
(Apol. 26 D), Anaxagoras als denjenigen unter den Physikern behandeln, 
dessen Lehren und Schriften gegen das Ende des fünften Jahrhunderts in 
Athen allgemein bekannt waren, wie ja auch Aristophanes in den Wolken 
sie berührt: hätte er Athen schon mehr als sechzig Jahre verlassen gehabt, 
so würde sich niemand mehr seiner und seines Processes erinnert, und die 
'Gegner der Philosophie würden ihre Angriffe gegen jüngere Männer und 
Lehren gerichtet haben. Praro bezeichnet aber auch im Kratylus, dessen 
Zeit keinenfalls früher gedacht sein kann, als die zwei letzten Jahrzehende 
des fünften Jahrhunderts (Plato hörte den Kratylus um 409-407), 8. 409 A 
Anaxagoras’ Ansicht über den Mond als etwas ὃ ἐχεῖνος νεωστὶ ἔλεγεν. 
— Wenn ferner Euripides (geb. 480 v. Chr.) ein Schüler des Anaxagoras 
genannt wird (s. u. 975, 2), und wenn er selbst sich als solchen zu ver- 
rathen scheint (s. Bd. II a 13), so setzt diess voraus, dass der Philosoph 
nicht schon 462 v. Chr. gestorben war, nachdem er Athen einige Jahre vor- 
her verlassen hatte. Könnte man aber auch hiegegen das verhältnissmässig 
jüngere Alter der Schriftsteller einwenden, welche Euripides’ Verbindung 
mit Anax. bezeugen, so ist in einem zweiten Fall auch dieser Ausweg ab- 


972 Anaxagoras. [869] 


-..ὄ.- . . .. --:.-.Ἕ..ς.-.-. 


geschnitten. Nach Arnenius V, 220 b enthielt nämlich der „Kallias“ des 
‚Sokratikers Aeschines τὴν τοῦ Kalllov πρὸς τὸν πατέρα δεκφορὰν καὶ τὴν 
Προδέχου καὶ ᾿Αναξαγόρου τῶν σοφιστῶν διαμώχησιν (Verhöhuung); er 
hatte mithin Anax. und Prodikus mit Kallias in Verbindung gesetzt, welcher 
in dem Zeitpunkt, in dem Anax. nach Hermann Athen verlassen hätte, noch 
gar nicht geboren war. Hier weiss sich daher Hzumann (De Aesch. Socrat. 
Reliqu. 14 — Unger 8. 543 schweigt über diesen Punkt) nur durch die 
Vermuthung zu helfen, es sei bei Athenäus statt ‘4vafayopov zu lesen: 
Πρωταγόρου. Aber diess ist eine ganz willkürliche Aenderung, zu welcher 
— ausser der Unvereinbarkeit des überlieferten Textes mit Hermann’s Hypo- 
these — gar kein Grund vorliegt. Dass nämlich Anax. nach dem Sprach- 
gebrauch jener Zeit ein Sophist genannt werden konnte, erhellt schon aus 
8. 275, 2, und wird sich uns 83. 965, 1* noch weiter bestätigen, und auch von 
Heruann wird diess ausdrücklich eingeräumt; selbst Diodor (s. o.) nennt 
ihn ja noch so, und diese Bezeichnung führte nicht einmal eine üble Neben- 
bedeutung mit sich. Wesshalb aber dann ein Sokratiker, wie Aeschines, 
hätte Anstand nehmen sollen, ihn mit andern Sophisten zusammenzustellen, 
lässt sich um so weniger absehen, da Sokrates selbst bei ΧΈΝΟΡΗΟΝ Mem. 
1, 1, 21 über Prodikus viel günstiger urtheilt, als IV, 7, 6 über Anaxa- 
goras. Glaubt endlich Hermann, da Kallias noch bei Xen. Hellen. VI, 3, 2 ἢ. 
Ol. 102, 2 (371 v. Chr.) in Staatsgeschäften verwendet wird, habe er den 
Anaxagoras nicht mehr hören können, und da sein Vater Hipponikus erst 
424 v. Chr. bei Delium fiel, habe er nicht vor diesem Zeitpunkt als Gönner 
der Sophisten dargestellt werden können, so steht dem nicht allein Plato’s 
Darstellung entgegen, welcher den Kallias im Protagoras noch vor dem Be- 
ginn des peloponnesischen Krieges eine Anzahl der angesehensten Sophisten 
bewirthen lässt, sondern als noch entscheidenderer Beweis die Thatsache, 
dass Kallias’ jüngerer Halbbruder Xauthippus schon 430 verheirathet war 
(Pur. Per. 24. 36 vgl. Praro Prot. 314 E), — Nehmen wir noch hinzu, 
dass Anax., wie 8. 9144 ff. gezeigt werden wird, als Philosoph nicht blos 
von Parmenidee, dessen älterer Zeitgenosse er nach Hermann gewesen wäre, 
den eingreifendsten Einfluss erfahren, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach 
auch Empedokles und Leucippus berücksichtigt hat, so wird sich die Rich- 
tigkeit der gewöhnlichen Annahme über seine Lebenszeit nicht bezweifeln 
lassen. Und es begründet keinen Einwurf hiegegen, dass nach Pıur. 
Themist. 2 SrtesmsRortus in einer frühestens 429 v. Chr. verfassten Schrift 
behauptet hatte, Themistokles habe den Anaxagoras gehört und sich um Melis- 
sus bemüht. Denn sein Zeugniss kann in Betreff des Anaxagoras keinen- 
falls grössere Glaubwürdigkeit ansprechen, als in Betreff des Melissus, welcher 
nicht älter, sondern eher etwas jünger war, als Anaxagoras nach Apollodor's 
Berechnung; und wir haben die Wahl, ob wir annehmen wollen, Themistokles 
sei wirklich während seines Aufenthalts in Kleinasien (474/0 v. Chr.) mit 
dem damals noch in Lampsakus verweilenden Anaxagoras und mit Melissus 
in Berührung gekommen (um mehr würde es sich keinenfalls handeln), 
oder ob wir dem Schriftsteller, von dessen Unzuverlässigkeit Plutarch 
(Per. 13. 36. Themist. 24 Schl.) überzeugende Beweise liefert, auch in 


[870] Zeitbestimmung. 973 
Klazomenä!) |kam der kenntnissreiche Mann?), welcher 


diesem Fall zutrauen wollen, er gebe nur ein grundloses Gerede oder eine 
tendenziöse Erfindung. Mir ist das letztere durchaus wahrscheinlicher. Wie 
Perikles als Schüler des Atheisten Anaxagoras in’s Geschrei gebracht wurde, 
so wollte Stesimbr. auch Themistokles, dessen Politik er fortgesetzt hatte, 
dadurch einen Makel anhängen, dass er ihn zum Schüler desselben Philo- 
sophen, und überdiess des Melissus machte. Ob diess wahr, und ob es 
chronologisch möglich sei, machte dem Pamphletisten wohl keine Sorge; 
wissen wir doch auch durchaus nicht, ob ihm und ob seinen Lesern be- 
kannt war, wann Anaxagoras nach Athen gekommen war. Ebensowenig hat 
es auf sich, dass Archelaos, der Schüler des Anaxagoras, von Panätius für 
den Verfasser eines an Cimon nach dem Tod seiner Frau gerichteten Trost- 
gedichts gehalten wurde (Prur. Cimon 4 Schl.); denn theils ist diess allem 
nach eine blosse Vermuthung, deren Richtigkeit sich nicht prüfen lässt; 
theils ist uns auch, selbst diese vorausgesetzt, vollkommen unbekannt, wie 
lange vor Cimon’s Tod (450) jenes Gedicht verfasst wurde, wie alt Arche- 
laos damals war, und um wie viel er jünger war, als Anaxagoras: Plutarch, 
welcher die Flucht des letzteren aus Athen in die nächste Zeit vor dem 
Ausdruch des peloponnesischen Kriegs setzt, meint dennoch, die Chronologie 
spreche für die Annahme des Panätius. Ebensowenig könnte uns — aus 
ähnlichen Gründen — die Angabe, dass Sokrates ein Schüler des Archelaos 
gewesen sei, selbst wenn sie richtig wäre, berechtigen, Anaxagoras’ An- 
wesenheit in Athen in das erste Drittheil des 5. Jahrhunderts hinaufzurücken ; 
ich habe jedoch schon Th. II a 49, 3 gezeigt, wie wenig auf diese Angabe 
zu bauen ist. Wenn endlich Hermann für sich anführt, dass nur bei seiner 
Berechnung Protagoras der Schüler Demokrit’s, und Demokrit Schüler der 
Perser sein könne, welche Xerxes in sein väterliches Haus brachte, so 
dient ihr diess gleichfalls schwerlich zur Stütze; denn von der angeblichen 
Schülerschaft des Protagoras wird später noch dargethan werden, aus welcher 
trüben Quelle sie entsprungen ist, und was von Demokrit's persischen 
Lehrern erzählt wird, hat sich uns schon 8. 841 m. durchaus unglaubwürdig 
gezeigt. 

1) Ἀλαζομένεος ist sein gewöhnlicher Beiname. Sein Vater hiess nach‘ 
Dıoc. I, 6 u. a. (vgl. Scuaussca 8. 7) Hegesibulus, oder auch Eubulus; 
durch vornehme Herkunft und Reichthum nahm er eine hervorragende Stel- 
lung ein. 

2) Dass Anaxagoras diess war, steht ausser Zweifel; wie er jedoch zu 
seinen Kenntnissen gekommen ist, lässt sich nicht mehr nachweisen. In 
der Diadochenreihe pflegt er hinter Anaximenes gestellt, und demnach der 
Schüler und Nachfolger dieses Philosophen genannt zu werden (Cıc. N. D. 
I, 11, 26. Diıoe. procem. 14. II, 6. Sraaso XIV, 3, 36. S. 645. Creu. 
Strom. I, 3801 A. Garen H. phil c. 3 u. a. s. ScuausacH 8. 3. Krıschk 
Forsch 61); diess ist aber natürlich eine völlig ungeschichtliche Combination, 
deren Vertheidigung ZEvorr 8. 6 f. nicht hätte versuchen sollen; der gleichen 
Annahme scheinen Euseg (pr. ev. X, 14, 14) und ὙΒΕΟΡΟΒΕῚ (cur, gr. δῇ. 
D, 22. 8. 24 vgl. IV, 45 S. 77) zu folgen, wenu sie ihn zum Zeitgenossen 


074 Anaxagoras. [871] 


namentlich |auch unter den ältesten griechischen Mathematikern 
und Astronomen mit Auszeichnung genannt wird!), nach 
Athen ?), wo sich die Philosophie durch ihn zuerst einbürgerte?); 


des Pythagoras und Xenophanes machen, und der erstere, wenn er im 
Chronikum (8. 0.) seine Blüthe Ol. 70, 3, seinen Tod 79, 2 setzt. Zuverlässiger 
lautet Sımer. Phys. 27, 2 (Theophrast);: Avafayogas . .. κοινωνήσας τῆς 
Avafıuvous φιλοσοφίας, was schon im Ausdruck, mit dem χοενωνήσας 
Παρμενίδῃ τῆς φιλοσοφίας 8. 28, 5 (von Leucippus) verglichen, zu ver- 
stehen gibt, dass Anaxag. zwar aus der Schule des Anaximenes hervor- 
gegangen, aber nicht sein persönlicher Schüler gewesen sei. Was ΑΜ Μιὰν 
XXI], 16, 22. Tuson. cur. gr. aff. II, 23. S. 24. Ceopren. Hist. 94 B vgl. 
Varer. VIII, 7, 6 von einer Bildungsreise des Anax. nach Aegypten sagen, 
verdient nicht den mindesten Glauben; dass ihn Josern. c. Ap. c. 16 8. 482 
mit den Juden in Verbindung bringe, ist nicht richtig. Die glaubwürdigeren 
Nachrichten theilen über seine Lehrer und seinen Bildungsgang ausser dem, 
was so eben aus Theophrast angeführt wurde, nichts mit. Aus Liebe zur 
Wissenschaft vernachlässigte er, wie erzählt wird, sein Vermögen, liess seine 
Grundstücke den Schafen zur Weide, und trat seinen Besitz schliesslich 
seinen Angehörigen ab (Dıoc. U, 6 f. Prar. Hipp. maj. 288 A. Pıur. Pericl. 
c. 16. De v. zere al. 8, 8. S. 831. οἷο. Tusc. V, 39, 115. Varer. Max. 
VII, 7, ext., 6 u. a. s. ScHausaca 7 f. vgl. Arısr. Eth.N. VI, 7. 1141 ὃ 3); 
auch um die Staatsverwaltung soll er sich nicht bekümmert, vielmehr den 
Himmel als sein Vaterland und die Betrachtung der Gestirne als seine 
Bestimmung bezeichnet haben (Dıoc. II, 7. 10. Eupen. Eth. I, 5. 1216 a 10. 
PuıLo stern. m. 2, S. 220, 7 Bern, Jamsı. Protrept. c. 9 8. 146 Kiessl. 
Crew. Strom. II, 416 D. Lacraxr. Instit. III, 9. 23 vgl. Cıc. De orat. 
III, 15, 56. 

1) Ps.-Praro Anterast. Anf. Peoxr. in Euclid. S. 65 £. Friedl. (nach 
Eudemus): πολλῶν ἐφήψατο χατὰ γεωμετρίαν. Prur. De exil. 17 g. E. 
S. 607. In späterer Zeit wollte man noch den Berggipfel (Mimas, in der 
Nähe von Chios) wissen, auf dem Anax. seine astronomischen Beobachtungen 
angestellt habe (PHıLoste. Apoll. II, 5,3). Mit dem mathematischen Wissen 
des Anax. hängen auch die Weissagungen zusammen, welche ihm zuge- 
schrieben werden; die berühmteste derselben, die fabelhafte Vorhersagung 
des vielbesprochenen Meteorsteins von Aegospotamos, bezieht sich ja auch 
auf einen Vorgang am Himmel, und wird mit seiner Anssicht von den Ge- 
stirnen in Verbindung gesetzt. M. s. darüber Dioe. II, 10. Arı. H. anim. 
VII, 8 Prııx. H. nat. II, 58, 149. Pıur. Lysand, 12. PurLosre. Apollon. 
Ι, 2, 2. VIII, 7,29. Auman. XXII, 16, 22. Tzerz. Chil. II, 892. Su». Arafay. 
SCOHAUBACH ὃ. 40 ff. 

2) Nach του. II, 7 (mit einem φασὶ») hätte er hier 30 Jahre lang 
gelebt. In diesem Falle würde seine Ankunft in Athen etwa 463 oder 462 
v. Chr. zu setzen sein; vgl. S. 968 ff. 

3) Neben ihm soll sich Zeno von Elea eine Zeit lang hier aufgehalten 
haben; 8. 0. S. 586. 


[87]. 872] Leben und Schrift. 975 


und wenn er auch während seines vieljährigen Aufenthalts in 
dieser Stadt bei der Mehrzahl ihrer Bewohner mit Misstrauen 
und Vorurtheil zu kämpfen hatte!), so fehlte es doch anderer- 
seits auch nicht an geistvollen Männern, die seinen belehren- 
den Umgang suchten?), | und an dem grossen Perikles ins- 
besondere fand er einen Gönner, dessen Freundschaft ihn für 
die Ungunst der Masse entschädigen konnte®). Als jedoch 
in der letzten Zeit vor dem Ausbruch des peloponnesischen 
Krieges die Gegner dieses Staatsmanns ihn in seinen Freun- 
den anzugreifen begannen, wurde auch Anaxagoras in eine 
Anklage auf Leugnung der Staatsgötter verwickelt, vor der 
ihn selbst sein mächtiger Freund nicht unbedingt zu schützen 
vermochte; er musste Athen verlassen *), und begab sich nach 


1) Vgl. Prur. Nic. 23 (s. 5. 971). Praro Apol. 26 C. ἢ und Ari- 
stophanes’ Wolken. Auch der Beiname Νοῦς, den man ihm gegeben haben 
soll (Prur. Pericl. 4. ΤΊΜΟΝ Ὁ. Dıoc. II, 6, nach ihnen wohl die Späteren, 
welche ΒΟΒΑΌΒΑΟΗ 8. 36 anführt), wird wohl eher ein Spottname, als ein 
Zeichen von Anerkennung sein. 

2) Neben Archelaos und Metrodor, von denen tiefer unten zu sprechen 
sein wird, und neben Perikles wird namentlich Euripides als Schüler des 
Anax, bezeichnet (Dıoc. II, 10. 45. Sum. Εὐριπ. Diopor I, 7 g. E. Srraso 
XIV, 1, 36. S. 645. Cıc. Tusc. IH, 14, 80. Ger. N. A. XV, 20, 4. 8 und 
der von ihm angeführte ALExAnper ArToLuUs. Hezraruır Alleg. Hom. 22, 
8. 47 M. Dıonys. Halic. Ars rhet. 10. 11. 8. 300. 355 R. u. a. vgl. Scaau- 
BACH S. 27 f.), und er selbst scheint sowohl die Person als die Lehren dieses 
Philosophen zu berücksichtigen (vgl. Bd. II a 18). Nach Anrtrrrus b. Mar- 
CELLIN v. Thucyd. 22 hätte auch Thucydides den Anaxagoras gehört. Dass 
dagegen Empedokles mit Unrecht zu seinem Schüler gemacht wird, ist schon 
8. 820 vgl. 5. 761 m. bemerkt worden; dass es Demokrit und Sokrates 
nicht gewesen sein können, ὃ. 842 und Th. II a, 49 £. 

8) Ueber Perikles’ Verhältniss zu Anax. vgl. m. Prur. Per. 4. 5. 6. 16. 
Praro Phädr. 270 A. Aleib. I, 118 C. ep. II, 311 A. Isoxr. x. ἀντιδόσ. 235. 
Ps.-DeuostH. Amator. 1414. Cıc.Brut. 11,44. De orat. III, 34,138. Dıopor ΧΙ], 
39 (8. ο. 8. 970. Diıoc. O, 13 u. a. Ὁ. ScuausacH 3. 17 ἢ Auch dieses 
Verhältnisses hat sich aber (ohne Zweifel schon gleichzeitig) die Anekdoten- 
und Klatschsucht bemächtigt; unter die müssigen Erfindungen derselben 
rechne ich die Angabe Plutarch’s Per. 16, welche B. v. D. Bkınk Var. 
lectt. 79 nicht sehr glücklich umdeutet, dass Anax. einmal, als Perikles 
längere Zeit nicht nach ihm sehen konnte, in grosse Noth gerathen, und eben 
im Begriffe gewesen sei, sich auszuhungern, als sein Gönner noch recht- 
zeitig dazwischen trat. 

4) M. vgl. über diese Vorgänge: Dıoc. II, 12—15. Pur. Per. 32. 
Nic. 23. Diopor XII, 39. Jos. ὁ. Ap. II, 37. Orymrıop. in Meteorol. 5 a. I, 

Philos. d. Gr. I. Bd. 5. Aufl. 62 


Trennung. 979 


. auch behauptet, 
vermehren noch 
hgebrauch ist es 
jener Ausdrücke 
meintliche Wer- 
ıur die Verände- 
ar und nachher 
eine qualitative, 
was er war, nur 

die Entstehung 
ı der Trennung 


Stoffe von selbst 


x&ıv χρὴ, ὅτε πάντα 
ν πλέω εἶναι, ἀλλὰ 


lem ebenangeführten 
st, das νομίζειν zu- 
akles und Demokrit 
. 54, 8. 8. 558 unt.) 
übersetzt wird. 
"gas ἄπειρα οὕτως 
"ἣν δόξαν τῶν φυσι- 
Ἰ ὄντος" διὰ τοῦτο 
εσϑαι τοιόνδε καϑέ- 
τε δ᾽ ἐχ τοῦ γίνεσϑαι 
Worte: τὸ γίν. -- 
gehenden, ein in di- 
übersetzen ist: denn 
‘Werden heisst: sich 
und Trennung. Auf 
18: χαίτοι ᾿άναξα- 
ὃς τὸ γίγνεσϑαι χαὶ 
’nıtor. z. d. St. 8. 8 
ägt, das Anax. das 
'gl. auch 8. 696 m.); 
3telle der Physik die 
\naximenes beziehen 
Ὁ und διάκρισις sm. 
ıt. 8. 981, 2). Bpä- 
b. Βοπαύβλοη 77 f. 


976 Anaxagoras. [873] 


Lampsakus!), wo er um das Jahr 428 v. Chr. | starb?). 
Seine wissenschaftlichen Ansichten hatte er in einer Schrift 
niedergelegt, von der noch werthvolle Bruchstücke erhalten 
sind ?). 


136 Id., (welcher Anax. im Widerspruch mit allen besseren Zeugen wieder 
zurückkehren lässt. Craırı. c. Jul. VI, 189 Ἐπ auch Lucıan Timon 10. 
Praro Apol. 26 1). Gess. XII, 967 C. Arıstın. orat. 45, 5. 80 Dind. Scuar- 
Bach S. 47 8. Die näheren Umstände des Processes werden verschieden 
angegeben. Darüber sind zwar die meisten einig, dass Anax. in’s Gefäng- 
niss gesetzt wurde, aber die einen lassen ihn mit Perikles’ Hülfe ent- 
fliehen, andere freigesprochen, andere verbannt werden. Die Angabe des 
Sırrraus b. Dioe. II, 12 (über deren eigentlichen Sinn GLaApıiscHn Anax. 
u. ἃ. Isr. 97 eine sehr unwahrscheinliche Vermuthung aufstellt), dass er 
nicht allein der ἀσέβεια, sondern auch des undıoucs angeklagt worden sei, 
steht ganz vereinzelt. Ueber die Zeit des Processes und die Ankläger 
s. m. S. 970 ἢ 

1) Dass er hier eine philosophische Schule errichtete, ist durch die 
Behauptung des EuszBıus pr. ev. X, 14, 13, Archelaos habe seine Schule 
zu Lampsakus übernommen, schlecht genug verbürgt, und bei seinem 
hohen Alter ist es nicht wahrscheinlich, wie es sich denn überhaupt fragt, 
ob der Begriff der Schule mit Recht auf ihn und seine Freunde über- 
tragen wird. 

2) Diese Data gibt Dıoc. I, 7, theilweise nach Apollodor; vgl. S. 968 f.; 
dass er zur Zeit seines Processes schon altersschwach gewesen sei, sagt 
auch Hırroxyauus b. Dıioe. 14. Die Behauptung, er sei durch freiwillige 
Aushungerung gestorben (Ὀιοα. II, 15. Sum. Avyafay. und ἀποχαρτερήσας), 
ist sehr verdächtig; ihre Quelle scheint nämlich entweder in der S. 975, 3 
erwähnten Anekdote oder in der Angabe des Hezrnırpus Ὁ. Dıioe. II, 13 zu 
liegen, dass er aus Verdruss über den ihm durch seine Anklage zugefügten 
Schimpf sich selbst getödtet habe; jene Anekdote ist aber, wie bemerkt, 
unsicher, und besagt auch etwas anderes; die Aussage des Hermippus lässt 
sich weder mit der Thatsache seines lampsacenischen Aufenthalts noch mit 
demjenigen vereinigen, was uns sonst über den Gleichmuth mitgetheilt wird, 
mit dem Anaxagoras seine Verurtheilung und Verbannung, ebenso wie 
andere Unglücksfälle, ertragen habe (b. Dıioe. I, 10 fl. u. a. 8. u.). Die 
Lampsacener ehrten sein Andenken durch öffentliches Begräbniss, durch 
Altäre (nach Aelian dem ‚Voüs und der ᾿4λήϑεια gewidmet) und durch eine 
Jahrhunderte lang bestehende Feier (Arcıpamas Ὁ. Arıst. Rhet. II, 23. 1398 
Ὁ 15. θιοα. II, 14 f. vgl. Prur. praec. ger. reip. 27, 9. S. 820. Ασι, V.H. 
vi, 19). 

3) Dieselbe führt, wie die meisten dieser älteren philosophischen 
Schriften, den Titel zep! φύσεως. Ihre Ueberbleibsel bei ScaauBach, 
ScHorxn und MorLAcH. Ausser dieser Schrift hätte er nach Vırruv VI, 
praef. 11 über Scenographie geschrieben, und nach Prur. De exil. 17 g. E. 
8. 607 verfasste er im Gefängniss eine Schrift, oder wohl richtiger eine 


[873. 874] Charakter seiner Lehre. 977 


Die Lehre des Anaxagoras ist den gleichzeitigen Systemen 
des Empedokles und Leucippus nahe verwandt. Ihren ge- 
meinsamen Ausgangspunkt bilden die Sätze des Parmenides 
über die Unmöglichkeit des Entstehens und Vergehens!), ihr 
gemeinsames Ziel die Erklärung des Gegebenen, dessen Viel- 
heit und Veränderlichkeit sie anerkennen; und für diesen 
Zweck | setzen sie alle eine Mehrheit von Urstoffen voraus, 
die an sich selbst ewig, unvergänglich und qualitativ unver- 
änderlich, wie das Seiende des Parmenides, durch ihre wech- 


Figur, welche sich auf die Quadratur des Kreises bezog. Scuoru’s Meinung 
(S. 4), dass der Verfasser der Scenographie ein anderer, gleichnamiger sei, 
ist gewiss unrichtig; eher könnte man mit Z£vorr 36 f. annehmen, das 
scenographische sei in der Schrift von der Natur vorgekommen, und diese 
demnach, wie Dıoe. I, 16, gewiss nach Aelteren, angibt, sein einziges Werk 
gewesen. Von weiteren Schriften finden sich keine bestimmten Spuren (m. 
8. Scuaugach 57 fl. RırTer Gesch. ἃ. jon. Phil. 208). Urtheile der Alten 
über Anax. bei Schausach 35 f. vgl. Dıioa. II, 6. 

1) Dass es nämlich diese sind, von denen sie ausgehen, muss ich auch 
nach den Gegenbemerkungen von Gonurerz (Zu Heraklit's Lehre 1087) aufrecht- 
halten. Die Früheren hatten die Ewigkeit und Unzerstörbarkeit der Grund- 
stoffe zwar als selbstverständlich vorausgesetzt, aber sie hatten dieselbe 
weder in der Form eines allgemeinen Grundsatzes behauptet, noch einen 
Beweis dafür gegeben, noch auch zwischen der Entstehung im absoluten und 
im relativen Sinn unterschieden; erst Parmenides war es (wie schon S. 411], 
8 bemerkt ist), welcher die Unmöglichkeit des Entstehens und Vergehens 
grundsätzlich aussprach und eingehend bewies; und seine Sätze sind es, 
wie bereits ArıstToTzLes bemerkt (s. o. 847, 1), an welche Leucippus, und in 
wesentlich gleicher Richtung Empedokles und Anaxagoras, mit Theorieen 
anknüpfen, die übereinstimmend darauf ausgehen, durch die Unterscheidung 
zwischen den einfachen Grundstoffen und den zusammengesetzten Dingen, 
der Ewigkeit der einen und der Vergänglichkeit der andern, dem Grundsatz 
des Parmenides diejenige nähere Bestimmung und Einschränkung zu geben, 
welche ihn mit den Thatsachen der Erfahrung in Uebereinstimmung zu 
bringen geeignet ist. Fragt aber Gomperz, woher es denn komme, dass 
jene Männer von der eleatischen Leugnung des Werdens so stark beeinflusst 
wurden, von der der räumlichen Bewegung ganz und gar nicht, so könnte 
zwar vielleicht schon die Antwort genügen: es komme daher, dass sie die 
eine für wahr hielten, die andere für falsch. Indessen sagt uns ARISTOTELES 
a. a. O., Leucippus habe das Leere gerade desshalb in seine Theorie ein- 
geführt, weil er den Eleaten einräumte, dass ohne dasselbe keine Bewegung 
möglich sei. Er hat also der eleatischen Leugnung der Bewegung aus- 
reichend Rechnung getragen und einen recht eingreifenden Einfluss von 
ihr erfahren. 

62* 


978 Anaxagoras. [874] 


selnde räumliche Zusammensetzung und Trennung alles Ge- 
wordene, Vergängliche und Veränderliche hervorbringen. Da- 
gegen unterscheidet sich Anaxagoras von den beiden andern 
in den näheren Bestimmungen über die Urstoffe und über den 
Grund ihrer Bewegung. Jene denken sich die ursprünglichen 
Stoffe ohne die Eigenschaften der abgeleiteten, Empedokles 
als qualitativ unterschiedene, der Zahl nach begrenzte Ele- 
mente, Leucippus als Atome, die an Zahl und Form unbegrenzt, 
aber qualitativ durchaus gleichartig sind. Anaxagoras um- 
gekehrt verlegt alle Eigenschaften und Unterschiede der ab- 
geleiteten Dinge schon in den Urstoff, und setzt desshalb die 
ursprünglichsten Stoffe ebenso der Art wie der Zahl nach als 
unbegrenzt. Wenn ferner Empedokles die Bewegung nur 
durch die mythischen Gestalten der Liebe und des Hasses, in 
Wahrheit also gar nicht erklärte, die Atomiker ihrerseits sie 
rein mechanisch, als eine Folge der Schwere, erklären 
wollten, so kommt Anaxagoras zu der Ueberzeugung, dass 
sie nur aus der Wirkung einer unkörperlichen Kraft zu be- 
greifen sei, und er stellt demnach dem Stoffe den Geist als 
die Ursache aller Bewegung und Ordnung gegenüber. Um 
diese zwei Punkte dreht sich alles, was uns in philosophischer 
Beziehung eigenthümliches von ihm bekannt ist. 

Die erste Voraussetzung seines Systems liegt, wie be- 
merkt, in dem Satze von der Undenkbarkeit eines absoluten 
Werdens. „Von dem Entstehen und Vergehen reden die 
Hellenen nicht richtig. Denn kein Ding entsteht, noch ver- 
geht es, sondern aus vorhandenen Dingen wird es zusammen- 
gesetzt nnd wieder getrennt. Das Richtige wäre daher, das 
Entstehen als Zusammensetzung und das Vergehen als Trennung 
zu bezeichnen.“!) Anaxagoras weiss sich demnach ein Ent- 
stehen und Vergehen im eigentlichen Sinn so wenig zu denken, 


1) Fr. 22 Schaub. 17 Mull.: τὸ δὲ γένεσϑαε καὶ anollvodas οὐχ 
ὀρϑὼς νομίζουσιν οἱ Ἕλληνες. οὐδὲν γὰρ χρῆμα γένεταε οὐδὲ ἀπόλλυται, 
ἀλλ᾽ an’ ἐόντων χρημάτων ovuulayeral τε καὶ διαχρίνεται, καὶ οὕτως ὧν 
ὀρϑὼς καλοῖεν τό τε γίνεσϑαι συμμίσγεσϑαε καὶ τὸ ἀπόλλυσθαι διαχρέγεσ- 
ϑαι. Dass die Schrift des Anaxag. nicht mit diesen Sätzen begann, darf 
uns natürlich nicht abhalten, den Ausgangspunkt seines Systems in ihnen 
zu finden. 


[875] Entstehen u. Vergehen, Verbindung u. Trennung. 979 


als Parmenides, wie er denn aus diesem Grund auch behauptet, 
die Gesammtheit der | Dinge könne sich weder vermehren noch 
vermindern!), und nur ein unrichtiger Sprachgebrauch ist es 
auch seiner Meinung nach, dass man sich jener Ausdrücke 
überhaupt bedient?); in Wahrheit ist das vermeintliche Wer- 
den des neuen und das Aufhören des alten nur die Verände- 
rung eines solchen, das vorher vorhanden war und nachher 
fortdauert, und diese Veränderung ist nicht eine qualitative, 
sondern eine mechanische: der Stoff bleibt, was er war, nur 
die Art seiner Zusammensetzung ändert sich, die Entstehung 
besteht in der Verbindung, das Vergehen in der Trennung 
gewisser Stoffe?). 

Hiemit war eine Mehrheit ursprünglicher Stoffe von selbst 


1) Fr. 14: τουτέων δὲ οὕτω διαχεχρειμένων γινώσχεεν χρὴ, ὅτε πώντα 
οὐδὲν ἐλάσσω ἐστὶν πλέω" οὐ γὰρ ἀνυστὸν πάντων πλέω εἶναι, ἀλλὰ 
πάντα ἴσα ale. 

2) Auf den Sprachgebrauch scheint sich auch in dem ebenangeführten 
Fragment, wie diess schon das Ἕλληνες vermuthen lässt, das νομίζειν zu- 
nächst zu beziehen, welches dem τόμῳ des Empedokles und Demokrit 
(8. 758,1 Schl. 851, 1) und dem ἔϑος des Parmenides (V. 54, 8. S. 558 unt.) 
entspricht, und daher mit „glauben“ nicht ganz richtig übersetzt wird. 

3) Arısr. Phys. I, 4. 187 a 26: ἔοιχε δὲ Avafayogas ἄπειρα οὕτως 
οἰηϑῆναι [τὰ στοιχεῖα) διὰ τὸ ὑπολαμβάνειν τὴν χοινὶν δόξαν τῶν φυσι- 
κῶν εἶναε ἀληϑῆ, ὡς οὐ γενομένου οὐδενὸς ἐχ τοῦ μὴ ὄντος" διὰ τοῦτο 
γὰρ οὕτω λέγουσιν, ηἦν ὁμοῦ τὰ πάντα" χαὶ „ro γίνεσϑαι τοιόνδε χαϑέ- 
στηχεν ἀλλοιοῦσϑαι", οἱ δὲ σύγχρισιν καὶ δεάχρεσεν. ἔτε δ᾽ dx τοῦ γένεσϑαι 
ἐξ ἀλλήλων τἀνκαντία᾽ ἐνυπῆρχεν ἄρα u. 8. w. Die Worte: τὸ γίν. — 
ἀλλοιοῦσϑαι scheinen mir hier ebenso, wie die vorhergehenden, ein in di- 
rekter Rede gegebenes Citat zu enthalten, so dass zu übersetzen ist: denn 
desshalb sagen sie: „es war alles beisammen“, und: „Werden heisst: sich 
verändern“, oder sie reden auch von Zusammensetzung und Trennung. Auf 
diese Worte geht wohl auch gen. et corr. I, 1. 314 a 13: χαέτοι ᾿ναξα- 
γόρας γε τὴν olxelay φωνὴν ἠγνόησεν" λέγει γοῦν ὡς τὸ γίγνεσϑαι χαὶ 
ἀπόλλυσθαε ταὐτὸν καϑέστηχε τῷ αλλοιοῦσϑαι (was ῬΉΙΠΟΡ. z. ἃ. St. 8.8 
a Ὁ. wiederholt; jedenfalls wird aber dadurch bestätigt, das Anax. das 
Werden ausdrücklich auf die ἀλλοέωσις zurückführte (vgl. auch 8. 696 m.); 
wenn daher ῬΟΒΡΗΥΕ (Ὁ. Sıner. Phys. 163, 16) in der Stelle der Physik die 
Worte τὸ γίγεσϑαε u. s. f. statt des ‚nasgporss auf Anaximenes beziehen 
wollte, ist diess gewiss unrichtig. Ueber Me σύγχρισες und δεάχρισεις 8. m. 
auch Metaph. I. 3 (folg. Anm.) und gen. an. I, 18 (unt. 8. 981, 2). Spä- 
tere Zeugnisse, welche das des Aristoteles wiederholen, Ὁ. Schausacah 77 ἢ. 
136 £. 


980 Anaxagoras. [875. 876] 


gegeben!); während aber Empedokles und die Atomiker die 
einfachsten Körper für die ursprünglichsten halten, und dem- 
nach ihren Urstoffen neben den allgemeinen Eigenschaften 
aller Materie | theils nur die mathematische Bestimmtheit der 
Gestalt, theils die einfachen Qualitäten der vier Elemente bei- 
legen, so glaubt Anaxagoras umgekehrt, die individuell be- 
stimmten Körper, wie Fleisch, Knochen, Gold u. s. w., seien 
das ursprünglichste, die elementarischen dagegen seien ein 
Gemenge?), dessen | scheinbare Einfachheit er daraus erklärt, 


1) Und an die Stelle dieser Stoffe mit Tannery Science Hell. 286 ἢ 
„Qualitäten“ zu setzen, durch deren Verbindung die einzelnen Stoffe ent- 
stehen, widerstreitet nicht blos allen unseren Zeugen ohne Ausnahme, son- 
dern es findet auch in den eigenen Aeusserungen des Philosophen keine 
Stütze. T. verweist auf Fr. 6. 8 (8. u. 984, 2. 985, 2). Allein τὸ δεερὸν, 
τὸ ϑερμὸν u. 8. f. heisst nicht: die „Feuchtigkeit, die Wärme“ u. s. w., 
sondern: „das Feuchte“ u. s. ὦ, ἃ. ἢ. die mit diesen Eigenschaften versehenen 
Stoffe, und Anax. selbst nennt das dsepö» u. 5. f. Fr. 6 χρήματα. Davon 
nicht zu reden, dass die Annahme für sich bestehender Qualitäten in jener 
Zeit eines unbefangenen Materialismus ohne Analogie wäre. 

2) Arısr. gen. et corr. I, 1. 314 a 18: ὁ μὲν γὰρ (Anaxag.) τὰ ὁμοιο- 
μερῆ στοιχεῖα τέϑησιν οἷον ὀστοῦν καὶ σάρχα χαὶ μυελὸν χαὶ τῶν ἄλλων 
ὧν Exaorov συνώνυμον [sc. τῷ ὅλῳ, wie ῬΗπιΟΡ, 5. ἃ. St. 3 a u. richtig 
erklärt] τὸ μέρος ἐστίν... . ἐναντίως δὲ φαίνονται λέγοντες ol περὶ 
Ἀναξαγόραν τοῖς περὶ ᾿Εμπεδοχλέα" ὁ μὲν γάρ φησε πῦρ χαὶ ὕδωρ 
καὶ ἀέρα καὶ γῆν στοιχεῖα τέσσαρα καὶ ἁπλὰ εἶναε μᾶλλον N σάρχα καὶ 
ὀστοῦν zu) τὰ τοιαῦτα τῶν ὁμοιομερῶν, ol δὲ ταῦτα μὲν ἁπλᾶ καὶ στοι- 
χεῖα, γῆν δὲ χαὶ πῦρ καὶ ὕδωρ χαὶ ἀέρα σύνϑετα᾽ πανσπερμίαν γὰρ εἶναι 
τούτων (denn sie, die vier Elemente, seien ein Gemenge von ihnen, den 
bestimmten Körpern). Ganz ähnlich De calo III, 3. 302 a 28: Avafayopas 
δ᾽ ᾿Εμπεδοχλεῖ ἑναντέως λέγεε περὶ τῶν στοιχείων. ὁ μὲν γὰρ πῦρ καὶ 
γὴν καὶ τὰ σύστοιχα τούτοις στοιχεῖα φησεν εἶναι τῶν σωμάτων καὶ συγ- 
χεῖσϑαι πάντ᾽ ἐκ τούτων, Avafayöpas δὲ τοὐναντίον. τὰ γὰρ ὁμοιομερῆ 
στοιχεῖα (λέγω δ᾽ οἷον σάρχα χαὶ ὀστοῦν xal τῶν τοιούτων ἔχαστογ), ἀέρα 
δὲ χαὶ πῦρ μῖγμα τούτων xal τῶν ἄλλων σπερμάτων πάντων᾽ εἶναι γὰρ 
ἑκάτερον αὐτῶν ἐξ ἀοράτων ὁμοιομερῶν πάντων ἠἡϑροισμένων. Dasselbe 
Sımer. 2. d. St. Vgl. ΤΉΚΟΡΗΕ. H. plant. III, 1, 4. Ders. Ὁ. Sue. 8. o. 
201, 2, vgl. 206, 2. Locker. I, 834 ff. Arzx. Aphr. De mixt. 141 b m vgl. 
147 b o. Dioce. U, 8 u.a, 8. S. 981 f. Hiemit scheint es zwar im Wider- 
spruch zu stehen, wenn ArısrgMetaph. I, 3. 984 a 11 sagt: Avafayogas 
dt... ἀπείρους εἶναί φησι ἃ, ως σχεδὸν γὰρ ἅπαντα τὰ ὁμοιομερὴ, 
χαϑάπερ ὕδωρ ἢ πῦρ, οὕτω γέγνεσϑαι καὶ ἀπόλλυσϑαί φησι συγχρίσεε 
καὶ διαχρίσεε μόνον, ἄλλως (l. ἁπλὼς) δ᾽ οὔτε γίγνεσϑαε οὔτ᾽ ἀπόλλυσϑαι, 
ἀλλὰ διαμένειν ἀΐδια. Allein die Worte χαϑάπερ ὕδωρ ἢ πὺρ lassen sich 


[877] Die Urstoffe. 981 


dass wegen der Mischung aller möglichen bestimmten Stoffe 
keiner von diesen nach seiner unterscheidenden Eigenthüm- 
lichkeit, sondern von allen nur das wahrgenommen werde, 
worin sie übereinkommen !). Jene lassen das Organische sich 
aus dem Elementarischen bilden, dieser umgekehrt das Ele- 
mentarische aus den Bestandtheilen des Organischen. ARISTO- 
TELES drückt diess gewöhnlich so aus, dass er sagt, Anaxa- 
goras halte die gleichtheiligen Körper (τὰ ὁμοιομερῆ) für die 
Elemente der Dinge?), und Spätere bezeichnen seine Urstoffe 


auch so verstehen, dass der Begriff des ὁμοιομερὲς durch dieselben von 
Aristoteles nur in eigenem Namen erläutert werden solle, während zugleich 
das σχεδὸν andeute, dass Anaxagoras nicht alles, was bei Aristoteles unter 
diesen Begriff fällt, zu den ursprünglichen Stoffen rechnete (Breırr Philos. 
d. Anax. 40 f. nach ALEXANDER z. d. St.); oder noch besser so, dass die- 
selben als Rückweisung auf das vorher aus Empedokles angeführte gefasst 
werden: „denn er behauptet, dass alle gleichtheiligen Körper ebensogut, als 
(nach Empedokles) die Elemente, nur in der angegebenen Weise, durch Ver- 
bindung und Trennung, entstehen“ (so Boxıtz z. ἃ. St). Die Stelle will 
mith'n, wie auch ScHwEGLER zu ihr bemerkt, nur dasselbe besagen, wie 
das S. 978, 1 angeführte Fragment, und wir haben keinen Grund, mit 
ScnauBAcH 8. 81 den bestimmten Aussagen des Aristoteles an den zwei 
zuerst angeführten Orten zu misstrauen; denn dass PHıLoP. gen. et corr. 
3 b u. seiner Angabe mit der Behauptung widerspricht, auch die Elemente 
gehören zu dem Gleichtheiligen, hat nicht viel auf sich, da derselbe diese 
Ansicht, nach sonstigen Analogieen zu schliessen, gewiss nur aus dem 
aristotelischen Begriff des Gleichtheiligen geschöpft hat. In den Zusammen- 
hang seiner Lehre passt ohnediess die Vorstelluingsweise, welche Aristoteles 
Anaxagoras beilegt, auf’s beste: wie er in der ursprünglichen Mischung 
aller Stoffe noch gar keine sinnlich wahrnehmbare Eigenschaft hervortreten 
lässt, so mochte es ihm auch natürlich scheinen, dass nach ihrer ersten un- 
vollkommenen Scheidung nur die allgemeinsten Eigenschaften, die elemen- 
tarischen, bemerkbar wurden. Uebrigens setzte Anax. (s. u.) die vier Ele- 
mente nicht als gleich ursprünglich, sondern zuerst lässt er Feuer und Luft, 
und erst aus dieser Wasser und Erde sich abscheiden. Wenn HERAKLIT 
Alleg. hom. 22 S. 46 Anaxagoras die Annahme beilegt, welche sonst dem 
Xenophanes zugeschrieben wird, dass Wasser und Erde die Elemente aller 
Dinge (nicht blos „des Menschen“, wie Grapısch Anax. u. ἃ, Isr. 145 sagt) 
seien, so kam er auf diese unbegreifliche Behauptung wohl nur durch die 
ebd. angeführten Verse des angeblichen Anaxagoreers Euripides. Bei PLoTın 
II, 4, 7 verwandelt in den Worten: τὸ μῖγμα ὕδωρ ποιῶν KIRCHHOFF, nach 
STEINHART, das ὕδωρ mit Recht in ὕλην. 

1) Etwa wie aus der Mischung aller farbigen Lichter das scheinbar 
farblose Licht entsteht. 

2) M. s. ausser dem in der vorletzten Anm. angeführten: gen. anim. 


982 Anaxagoras. [877. 878) 


mit dem Namen der Homöomerieen?). | Er selbst jedoch kann 
diese Ausdrücke nicht gebraucht haben?), denn sie fehlen 


I, 18. 723 a 6 (über die Meinung, dass der Same Theile aller Glieder in 
sich enthalten müsse): ὁ αὐτὸς γὰρ λόγος ἔοιχεν εἶναι οὗτος τῷ Avakayöpov, 
τῷ μηϑὲν γίγνεσθαι τῶν ὁμοιμερῶν. Phys. I, 4. 187 a 25: ἄπειρα τά τε 
ὁμοιομερῆ καὶ ταναντία [ποιεὶ ᾿ἀναξαγ.. Ebd. IH, 4. 203 a 19: ὅσοι δ᾽ 
ἄπειρα ποιοῦσι τὰ στοιχεῖα, χκαϑάπερ Avafayopas καὶ Annözgıros, ö μὲν 
ἐχ τῶν ὁμοιομερῶν ὁ δ᾽ ἐχ τῆς πανσπερμίας τῶν σχημάτων», τῇ ἁφὴ 
συνεχὲς τὸ ἄπειρον εἶναί φασιν. Metaph. I, 7. 988 a 28: Avafayopas δὲ 
τὴν τῶν ὁμοιομερῶν ἀπειρίαν [ἀρχὴν λέγει]. De coelo III, 4 Anf.: πρῶτον 
μὲν οὖν ὅτε οὐχ ἔστιν ἄπειρα [τὰ στοιχεῖα] . . . ϑεωρητέον, χαὶ πρῶτον 
τοὺς πάντα τὰ ὁμοιομερῆ στοιχεῖα ποιοῦντας, χαϑάπερ ᾿Δναξαγόρας. Gen. 
anim. II, 4 f. 740 b 16. 741 b 13 kann man kaum hieher rechnen. 

1) Das Wort findet sich zuerst bei Luckez, der es aber nicht in der 
Mehrzahl, für die einzelnen Urstoffe, sondern in der Einzahl, für die Ge- 
sammtheit derselben setzt, so dass 7 ὁμοιομέρεεα gleichbedeutend mit 
τὰ ὁμοιομερῆ ist (so scheinen mir wenigstens seine Worte am besten ver- 
standen zu werden, etwas anders Breıizr S. 11, noch anders Worrser Lucr. 
phil. 30, 8); im übrigen beschreibt er die Sache wesentlich richtig: 

1, 830: nume et Anazagorae sorutemur homoeomeriam U. 8. W. 

834: principio rerum quom dieit homoemerian, (al. prinoipium rer. quam 

d. kom.) 

ossa videlicet 6 pyauzillis atque ıninulis 

ossidus hic, et de pauzillis atque minutis 

visoeribus visous gigni, sanguenque orsarı 

sanguinis inter ss mullis ooeuntibus guitis, 

ex aurique pulat micis consistere Dosse 

aurum, et de Lerris terram concrescere parvis, 

ignibus ex ignis, umorem wmoribus esse, 

cstera consimils fingit ratione pwlalque. 
Den Plural ὁμοιομέρειαι haben erst die Späteren: Prur. Pericl. c. 4: νοῦν 

. ἀποχρίνοντα τὰς ὁμοιομερείας. Sext. Pyrrh. ΠῚ, 88: τοῖς περὶ 

Avafayopav πᾶσαν αἰσϑητὴν ποιότητα περὶ ταῖς ὁμοιομερείαις: ἀπολεί- 
πουσεν. Math. X, 25, 2: οὗ γὰρ ἀτόμους εἰπόντες ἦ ὁμοιομερεέας ἢ ὄγκους. 
Ebenso $ 254. Dioe. II, 8: ἀρχὰς δὲ τὰς ὁμοιομερεέας" καϑάπερ γὰρ ἐκ 
τῶν ψηγμάτων λεγομένων τὸν χρυσὸν συνεστάναι, οὕτως ἐκ τῶν ὁμοιομερὼν 
μεχρὼν σωμάτων τὸ ray συγχεχρίσϑαι. ΤΉΚΜΙδτ, Phys. 104 Sp. Sımpr. Phys. 
44, 5. 154, 4. 460, 4. 258 a u. Ald. Puıror. Phys. 24, 24. Ders. gen. et 
corr. 8 b u. Plac. I, 3, 8: Avafay.. .. . ἀρχὰς τῶν ὄντων τὰς ὁμοιο- 
μερείας ἀπεφήνατο, und nachdem die Gründe dieser Annahme besprochen 
sind: ἀπὸ τοῦ οὖν ὅμοια τὰ μέρη elvas ἐν τῇ τροφὴ τοῖς γεννωμένοις 
ὁμοιομερείας αὐτὰς ἐχάλεσε. 

2) Es hat diess zuerst SCHLEIERMACHER (über Diogenes WW. III, 2, 
167. Gesch. ἃ. Phil. 43), nachher Rırrzr (Jon. Phil. 211. 269. Gesch. d. 
Phil. I, 303), PuıLiprson (Ὕλη ἄνϑρ. 188 ff), Heceı (Gesch. d. Phil. I, 359) 
ausgesprochen, und sodann hat es Bezıer (Phil. ἃ. Anax. 1—54), welchem 


[879] Die Urstoffe. 983 


nicht blos in den uns erhaltenen Bruchstücken | seiner Schrift 
gänzlich!), sondern sie finden überhaupt nur im aristotelischen 
Sprachgebrauch ihre Erklärung?). Auch von Elementen hat 


sich die Neueren fast ausnahmslos anschliessen, durch eine gründliche Unter- 
suchung dieser ganzen Lehre ausser Zweifel gestellt. Der entgegengesetzten 
Ansicht sind ausser allen Früheren noch ScuausAacah ὃ. 89. WENDT zu 
Tennemann 1, 384. Branvıs a. a. O. 245 (anders Gesch. ἃ. Entw. I, 123). 
MarpBaca Gesch. d. Phil. I, 79. ZEvorr 53 ff. 

1 Da, wo man den Namen der Homöomerieen erwarten sollte, wie 
Fr. 1. 3. 6. (4), setzt Anaxagoras σπέρματα oder auch unbestimmter χρή- 
ματα. Vgl. Super. De calo 268 b 37 (Schol. 513 a 39): Avafay. τὰ 
Öuosouspij οἷον σάρχα καὶ ὀστοῦν xal τὰ τοιαῦτα, ἅπερ σπέρματα ἐχάλει. 
Dass dieser sich dennoch des Ausdrucks ὁμοιομέρεεα bedient und diesen 
von Empedokles entlehnt habe (ὔμμι, ε Akad. 224), müsste durch triftigere 
Beweise als seinen „vollen hexametrischen Klang“ und das Vorkommen von 
πολυμέρεια und ὁμοιομέρεεα in einem Bericht des Ak rıus über Empedokles 
plac. V, 26, 4 dargethan werden, um trotz der vielen Gegengründe wahr- 
scheinlich zu sein. 

2) Aristoteles bezeichnet nämlich mit dem Namen des Gleichtheiligen 
solche Körper, die in allen ihren Theilen aus einem und demselben Stoff 
bestehen, bei denen daher alle Theile einander und dem Ganzen gleichartig 
sind (vgl. gen. et corr., I, 1 und Paıtor. z. ἃ. St. ebd. I, 10. 328 a 8. 
part. an. 11, 2. 647 b 17, wo ὁμοιομερὲς und τὸ μέρος ὁμωνυμον τῷ 
ὅλῳ denselben Begriff ausdrücken; Auzx. De mixt. 147 Ὁ o.: arouoo- 
uspn μὲν τὰ Ex διαφερόντων μερὼν συνεστῶτα ὡς πρόσωπον χαὶ χεὶρ, 
ὁμοιομερῆ δὲ σάρξ τες [τε] χαὶ ὀστᾶ, μὺς χαὶ wine χαὶ φλὲψ, ὅλως ὧν τὰ 
μόρια τοῖς ὅλοις ἐστὶ συνώνυμαλ, und er unterscheidet von dem Gleich- 
theiligen einerseits das Elementarische (doch wird dieses auch wieder zum 
ὁμοιομερὲς gerechnet, 8. ο. 980, 2 und De calo III, 4. 302 b 17), anderer- 
seits das im engern Sinne sogenannte Organische, indem er in der durch 
diese drei Arten gebildeten Stufenreihe immer das niedrigere als Be:tandtheil 
und Bedingung des höheren aufzeigt: das Gleichtheilige besteht aus den 
Elementen, das Organische aus den gleichtheiligen Stoffen; zu dem Gleich- 
theiligen gehören Fleisch, Knochen, Gold, Silber u. s. w., zu dem Ungleich- 
theiligen oder Organischen das Gesicht, die Hände u. s. f.; m. s. part. 
anim. II, 1. Gen. an. I, 1. 715 a 9. Meteor. IV, 8. 384 a 30. De calo 
III, 4. 802 b 15 ff. Hist. an. I, 1 Anf.: τῶν ἐν τοῖς ζῴοις μορίων τὰ μέν 
ἐστεν ἀσύνϑετα, Con διαιρεῖταε εἰς ὁμοιομερῆ, 0109 σάρχες εἷς σάρχας, τὰ 
δὲ σύνϑετα, ὅσα εἰς ἀνομοιομερῆ, οἷον ἡ χεὶρ οὐχ εἰς χεῖρας διαιρεῖται 
οὐδὲ τὸ πρόσωπον εἰς πρόσωπα. Weiteres bei BBEIER ἃ. ἃ. O. 16 fl. 
IpeLer zur Meteorologie a. a. O., wo auch Belege aus Theophrast, Galen 
und Plotin gegeben werden, und Th. II b, 476, 5. In der Unterscheidung 
des Gleichtheiligen und Ungleichtheiligen war schon Praro Prot. 329 Ὁ. 
349 C dem Aristoteles vorangegangen; der Ausdruck öuosoueens kommt hier, 
was ein weiterer Beweis seines aristotelischen Ursprungs ist, noch nicht 


984 Anaxagoras. [879. 880] 


er gewiss nicht gesprochen, denn diese Bezeichnung haben 
gleichfalls erst Plato und Aristoteles für die philosophische 
Sprache festgestellt!), und die Urstoffe des Anaxagoras | sind 
auch dem obigen zufolge etwas anderes, als die Elemente, 
Seine Meinung ist vielmehr die, welche ihm vielleicht dem 
Satze von der Unmöglichkeit des Entstehens und Vergehens 
am allerbesten zu entsprechen schien, dass die Bestandtheile 
der Dinge nicht blos ihrem Stoffe, sondern auch ihrer quali- 
tativen Bestimmtheit nach ungeworden und unvergänglich 
seien; und da es nun unendlich viele Dinge gibt, von denen 
keines dem anderen vollkommen gleich ist, so sagt er, es 
seien der Samen unzählige, und keiner sei dem andern ähn- 
lich 3), sondern sie seien verschieden an Gestalt, Farbe und 
Geschmack®). Ob sich diese Behauptung nur auf die ver- 


vor, aber die Sache schon sehr bestimmt, wenn es heisst: πάντα δὲ ταῦτα 
μόρια εἶναι ἀρετῆς, οὐχ ὡς τὰ τοῦ χρυσοῦ μόρια ὅμοιά ἔστεν ἀλλήλοις 
χαὶ τῷ ὅλῳ οὗ μόριά ἔστιν, ἀλλ᾽ ὡς τὰ τοῦ προσάπου μόρια καὶ τῷ ὅλῳ 
οὗ μόρια ἐστε χαὶ ἀλλήλοις ἀνόμοια. Aber an jene umfassende Anwendung 
dieser Unterscheidung, welche wir bei Aristoteles finden, denkt Plato noch 
nicht. Wenn Sext. Math. X, 318, den Hırror. Refut. X, 7 ausschreibt, die 
Homöomerieen ηὕμοια τοῖς γεννωμένοις" nennt, will er damit nicht 
eine Erklärung des Wortes geben, sondern es bezieht sich darauf, dass die 
Homöomerieen, im Unterschied von den Atomen, die gleichen sinnlichen 
Qualitäten (Farbe u. s. w.) haben, wie die Dinge. 

1) vgl. S. 759, 1. 

2) Fr. 6 (4): ἡ σύμμιξις πάντων χρημάτων, τοῦ TE διεροῦ χαὶ τοῦ 
ξηροῦ, χαὶ τοῦ ϑερμοῦ καὶ τοῦ ψυχροῦ, καὶ τοῦ λαμπροῦ καὶ τοῦ ζοφεροῦ, 
χαὶ γῆς πολλῆς ἐνούσης χαὶ σπερμάτων ἀπείρων πλήϑους οὐδὲν ἐοιχότων 
ἀλλήλοις. οὐδὲ γὰρ τῶν ἄλλων (ausser den eben aufgezählten Stoffen, dem 
ϑερμὸν u. 8. f) οὐδὲν ἔοιχε τῷ ἑτέρῳ τὸ ἕτερον. Fr. 13 (6): ἕτερον οὐδέν 
(ausser dem Nus) ἐστεν ὅμοιον οὐδενὶ ἑτέρῳ ἀπείρων ἐόντονν, und ebenso 
Fr. 8: ἕτερον δὲ οἶδέν ἔστιν ὅμοιον οὐϑενὶ ἄλλῳ. Die unendliche Menge 
der Urstoffe wird oft erwähnt, z. Β. Fr. 1 (8. u. 986, 1) Arıst. Metaph. I, 
8, 7. Phys. 1, 4. IH, 4. De calo III, 4 (8. o. 980, 2. 981, 2). De Melisso 
c. 2. 975 b 17 u. a. vgl. Scnuausacn 71f. Wenn Cıczro Acad. II, 37, 118 
den Anaxagoras lehren lässt: materiam infinitam, sed ex ea particulas similes 
inter se minulas, so ist diess nur eine verkehrte Uebersetzung des Ouoso- 
ueon, das ihm wohl in seiner griechischen Quelle vorlag; es müsste denn, 
dem οὐδὲν ἐοιχότων Fr. 6 entsprechend, dissimiles zu lesen sein. Für diese 
Vermuthung könnte man Auc. Civ. Ὁ. VIII, 2: de particulis inter se diss- 
milibus, sorpora dissimilia (s. u. 927, 1*) anführen. 

8) Fr. 3 δ. Sımer. Phys. 34, 29: τούτων δὲ οὕτως ἐχόντων χρη 


[880. 881] Die Urstoffe. 985 


schiedenen Klassen der ursprünglichen Stoffe und auf die 
aus ihnen zusammengesetzten Dinge bezieht, oder ob auch die 
einzelnen Stofftheilchen derselben Klasse einander noch un- 
ähnlich sein sollten, wird nicht angegeben, und diese Frage 
ist von Anaxagoras wohl überhaupt nicht aufgeworfen worden. 
Ebenso fehlt jede Spur davon, dass er die unendliche Ver- 
schiedenartigkeit der Urstoffe mit allgemeineren metaphysischen 
Betrachtungen!) | in Zusammenhang setzte; das wahrschein- 
lichste ist daher, dass er sie, ebenso wie die Atomiker, nur 
auf die erfahrungsmässige Mannigfaltigkeit der Erscheinungen 
gründete. Unter den entgegengesetzten Eigenschaften der 
Dinge und der Urstoffe werden namentlich die Bestimmungen 
des Dünnen und Dichten, des Warmen und Kalten, des Lichten 
und Dunkeln, des Feuchten und Trockenen hervorgehoben ?); 
da aber Anaxagoras die besonderen Stoffe für das ursprüng- 
lichste hielt, ohne sie aus Einem Urstoff abzuleiten, so kann 
die Wahrnehmung dieser allgemeinsten Gegensätze für ihn 
nicht dieselbe Bedeutung haben, wie für die Physiker der alt- 
jonischen Schule oder die Pythagoreer. 


doxeiv ἐνεῖναι [dieser Lesart, welche SınpL. De calo 271 a 31. Schol. 513 b 
45 an die Hand gibt, folgen ScuausacH, MurLracH und Diers mit Recht, 
das von Bkanpıs 8. 242. Scaoan 8. 21 vertheidigte ἕν eivas gibt keinen 
passenden Sinn] πολλά re χαὶ παντοῖα ἐν πᾶσι τοῖς συγχρινομέγοις (hierüber 
später) χαὶ σπέρματα πάντων χρημάτων χαὶ ἰδέας παντοίας ἔχοντα καὶ 
χροιὰς χαὶ ἡδονάς. Ueber die Bedeutung von ἡδονὴ 8. m. S. 264, 4. 664, 
1, Auch hier liesse sich ihm zwar die Bedeutung „Geruch“ geben, doch 
passt „Geschmack“ noch besser; das wahrscheinlichste ist aber, dass das 
Wort ähnlich, wie das deutsche „Schmecken“ in einzelnen Dialekten, beide 
Bedeutungen ohne schärfere Unterscheidung vereinigt. 

1) Wie etwa die leibnizische, welche ihm Rırter Jon. Phil. 218. Gesch. 
d. Phil. I, 307 zutraut, dass jedes Ding seine eigenthümliche Bestimmtheit 
durch sein Verhältniss zum Ganzen erhalte. 

2) Fr. 6, 8. 984, 2. Fr. 8 (6): bei der Scheidung der Stofle ἀποχρίνεται 
ἀπό TE τοῦ ἀραιοῦ τὸ πυχνὸν, χαὶ ἀπὸ τοῦ ψυχροῦ τὸ ϑερμὸν, χαὶ ἀπὸ 
τοῦ ζοφεροῦ τὸ λαμπρὸν, καὶ ἀπὸ τοῦ διεροῦ τὸ ξηρόν. Fr. 19 (8): τὸ 
μὲν nuxvöv χαὶ διερὸν χαὶ ψυχρὸν καὶ ζοφερὸν ἐνθάδε συνεχώρησεν, ἔνϑα 
νῦν ἡ γὴ, τὸ δὲ ἀρρεὸν χαὶ τὸ ϑερμὸν χαὶ τὸ ξηρὸν ἐξεχώρησεν εἷς τὸ 
πρόσω τοῦ αἰϑέρος. Weiteres 8. 986, 2. Auf diese oder ähnliche Stellen 
bezieht es sich wohl, wenn Arıst. Phys. I, 4 (s. o. 981, 2) die öuosoueon 
auch ἐναντία nennt (vgl. auch Smrr. Phys. 44, 3. 155, 4.). 


986 Anaxzagoras. [881. 882] 


Alle diese verschiedenen Körper denkt sich nun Anaxa- 
goras ursprünglich so vollständig und in so kleinen Theilen 
gemischt, dass keiner von ihnen in seiner Eigenthümlichkeit 
wahrnehmbar war, und dass mithin die Mischung als Ganzes 
keine von allen bestimmten Eigenschaften der Dinge zeigte!). 
Auch in den abgeleiteten | Dingen kann aber, wie er glaubt, 
ihre Trennung nie vollständig sein, sondern jedes muss Theile 
von allem enthalten 3), denn wie könnte eines aus dem anderen 


1) Fr. 1 (nach ϑιμρι,. Phys. 155, 26 am Anfang der Schrift): ὁμοῦ 
χρήματα πάντα ἦν, ἄπειρα καὶ πλῆϑος χαὶ σμιχρέτητα" χαὶ γὰρ τὸ σμι- 
χρὸν ἄπειρον ἦν. χαὶ πάντων ὁμοῦ ἐόντων οὐδὲν ἔνδηλον ἣν ὑπὸ σμε- 
xoorntos. Das erste Sätzchen wiederholt Simpl. 460, 25; was er aber hier 
weiter beifügt, ist seine eigene Erläuterung, und SchauzacH S. 126 durfte kein 
besonderes Bruchstück daraus machen. Ebenso enthält Fr. 17, Ὁ. Dioc. II, 
6, wie ScHhorx 8. 16. Krıscue Forsch. 64 f. Murracu 248 mit Recht an- 
nehmen, nicht Worte des Anax., sondern eine an den Anfang seiner Schrift 
sich anschliessende Zusammenfassung seiner Lehre, die sich ebenso bei 
Hırror. Refut. I, 8, 1 findet. Dagegen hat Sınpr. De calo 271 a 15 (Schol. 
513 b 32) die auch von MuLLach übergangenen Worte erhalten: „üore τῶν 
ἀποχρενομέγων un εἰδέναι τὸ πλῆϑος μήτε λόγῳ μήτε ἔργῳ.“ Fr. 6 (4) 
b. βῖμρι,. 156, 4: πρὶν δὲ ἀποχρινϑῆναι ταῦτα, πάντων ὁμοῦ ἐόντων, οὐδὲ 
χροιὴ ἔνδηλος ἦν οὐδεμία" ἀπεχώλυε γὰρ ἡ σύμμιξις πάντων χρημάτων 
u. 8. w. (S. 984, 2. Das ὁμοῦ πάντα, bei den Alten sprüchwörtlich ge- 
worden, wird unendlich oft berührt, z. B. von Praro Phädo 72 C. Gorg. 
465 Ὁ. Arısr. Phys. I, 4 (s. S. 979, 3). Metaph. IV, 4. 1007 b 25. X, 6. 
1056 b 28. XII, 2. 1069 b 20 (wozu übrigens SchwEsLEr z. vgl.); andere 
bei ScHausacH 65 ff. Schorn 14 ἢ 

2) Fr. 3, 8. 5. 984, 3 vgl. Scuausaca 8. 86. Fr. 5, s. u. 989, 2. Fr.7 
(5) b. Sınpr. 164, 22: ἐν παντὶ παντὸς μοῖρα ἔνεστε πλὴν νοῦ, ἔστι 0108 
δὲ χαὶ νοῦς ἔνι. Fr. 8, 5. u. 991, 1. Fr. 11 (18) b. διμρι,. 176, 29. 175, 12: 
οὐ χεχώρισται τὰ ἐν τῶ Er) χόσμῳ οὐδὲ ἀποχέχοπται πελέχει, οὔτε τὸ 
ϑερμὸν ἀπὸ τοῦ ψυχροῦ οὔτε τὸ ψυχρὸν ἀπὸ τοῦ ϑερμοῦ. Fr. 12 (θ), auf 
das sich auch Tuerorar. b. Sımer. Ph. 166, 17 bezieht: ἐν παντὶ πάντα 
οὐδὲ χωρὶς ἔστιν εἶναι. ἀλλὰ πάντα παντὸς μοῖραν μετέχει. ὅτε τοὐλά- 
χιστον μὴ ἔστιν εἶναι, οὐχ ἄν δύναιτο χωρισϑῆναε, οὐδ᾽ ἄν ἐφ᾽ ἑαυτοῦ 
γενέσϑαι, all ὅπωςπερ ἀρχὴν εἶναι καὶ νῦν πάντα ὁμοῦ. ἐν πᾶσι δὲ 
πολλὰ ἔνεστε χαὶ τῶν ἀποχρενομένων ἴσα πλῖϑος ἐν τοῖς μείζοσί τε καὶ 
ἐλάσσοσε („und in allem, auch von den aus der ursprünglichen Mischung 
ausgeschiedenen, d. ἢ. den Einzeldingen, sind verschiedenartige Stoffe, in 
den kleineren so viel, wie in den grösseren“. Das gleiche ist am Anfang 
des Fragments so ausgedrückt: Toas μοῖραί εἶσι τοῦ τε μεγάλου xal toi 
σμικροῦ). Dasselbe bezeugt ArıstoreELes öfters (8. die folgenden Anmerk.). 
Aurx. De sensu 105 Ὁ m. Lucker.I, 875 fl.u.a.s. Schauracn 114 f. 88.96. 


[882. 883] Mischung der Stoffe. 087 


werden, wenn es nicht darin wäre, und wie liesse sich der 
Uebergang aller, auch der entgegengesetztesten Dinge in ein- 
ander erklären, wenn nicht alles in allem wäre?!) Wenn uns 
daher ein Gegenstand | irgend eine Eigenschaft mit Ausschluss 
anderer zu besitzen scheint, so rührt diess nur daher, dass 
von dem entsprechenden Stoffe mehr in ihm ist, als von den 
andern, in Wahrheit aber hat jedes Ding Stoffe jeder Art in 
sich, wenn es gleich nur nach denen genannt wird, die in 
ihm vorherrschen ?). 


PuıtLor. Phys. 24, 25 drückt die:s nicht ganz richtig so aus, dass er 
sagt, in jeder Homöomerie seien alle andern. Genauer bezeichnet Sımpı. 
Ph. 460, 8 diesen Satz als eine Folgerung aus Anaxagoras’ Annahmen. 

1) Arıst. Phys. III, 4. 208 a 23: ὁ μὲν (Anaxag.) ὁτεοῦν τῶν μορίων 
εἶναι μίγμα ὁμοέως τῷ παντὶ διὰ τὸ ὁρᾷν ὁτιοὺν ἐξ ὁτουοῦν γιγνόμενον" 
ἐντεῦϑεν γὰρ ἔοικε xal ὁμοῦ ποτὲ πάντα χρήματα φάναι εἶναι, οἷον ἦἾδε 
ἡ σὰρξ καὶ τόδε τὸ ὀστοῦν χαὶ οὕτως ὁτιοῦῖν᾽ χαὶ πάντα ρα. χαὶ ἅμα 
τοένυν᾽ ἀρχὴ γὰρ οὐ μόνον ἐν ἑχάστῳ ἐστὶ τῆς διαχρίσεως, ἀλλὰ χαὶ 
πάντων U. 8. w., was SımpL. 460, 6 ff. gut erläutert. Ebd. I, 4 (nach dem 
8. 979, 3 angeführten): εἰ γὰρ πᾶν μὲν τὸ γιγνόμενον avayın γίγεσϑαε 7 
ἐξ ὄντων ἢ ἐκ μὴ ὄντων, τούτων δὲ τὸ μὲν ἐχ μὴ ὄντων γίνεσθαι ἀδύ- 
ναῖον . .. τὸ λοιπὸν ἤδη συμβαίνειν ἐξ ἀνάγχης ἐνόμισαν ἐξ ὄντων μὲν 
zul ἐνυπαρχόντων γένεσϑαι, διὰ μειχρότητα δὲ τῶν ὄγχων ἐξ ἀναισϑήτων 
ἡμῖν. διό φασε πᾶν ἐν παντὶ μεμῖχϑαι διότε πᾶν ἐχ παντὸς ἑωρων γενό- 
μενον" φαίνεσϑαε δὲ διαφέροντα χαὶ προςαγορεύεσϑαε ἕτερα ἀλλήλων ἐκχ 
τοῦ μάλισϑ᾽ ὑπερέχοντος διὰ πλῆϑος ἐν τῇ μίξεε τῶν ἀπείρων" εἰλικρινῶς 
μὲν γὰρ ὅλον λευχὸν ἢ μέλαν ἢ γλυχὺ ἢ σάρχα ἢ ὀστοῦν οὐχ εἶναι, ὅτου δὲ 
πλεῖστον ἕχαστον ἔχεε τοῦτο δοχεῖν εἶναι τὴν φύσιν τοῦ πράγματος. Be- 
stimmter leiten die Placita I, 3, 8 und Sımrr. a. a. Ο. die Homöomerieen- 
lehre aus der Beobachtung her, dass bei der Ernährung die verschiedenen 
im Körper enthaltenen Stoffe aus den gleichen Nahrungsmitteln sich bilden; 
dass aber Anaxagoras dabei auch auf die Umwandlung der unorganischen 
Stoffe Rücksicht nahm, zeigt die bekannte Behauptung, der Schnee sei 
schwarz (d. h. es sei in ihm neben dem hellen auch dunkles), denn das 
Wasser, aus dem er bestehe, sei es (Sexr. Pyrrh. I, 33. Cıc. Acad. II, 23, 
72. 31, 100, und nach ihm Lacranr. Inst. III, 23. Garen De simpl. medic. 
D, 1. B. XI, 461 Kühn. Schol. in Diad. II, 161). Die skeptischen Sätze, 
welche schon Aristoteles aus der vorliegenden Annahme des Anaxagoras 
ableitet, werden später besprochen werden. Wenn Rırrer I, 307 den Satz: 
alles sei in allem, darauf zurückführen möchte, dass die Wirksamkeit 
aller Urbestandtheile in einem jeden sei, so scheint mir diess weder mit 
den einstimmigen Zeugnissen der Alten, noch mit dem Geist der anaxago- 
rischen Lehre vereinbar. 

2) M. 8. hierüber ausser den zwei letzten Anm. auch Arıst. Metaph. 
I, 9. 991 a 14 und Aızx. z. ἃ. St. Eine Kritik der anaxagorischen Lehre 


988 Anaxagoras. [883. 884] 


Diese Vorstellung ist nun allerdings nicht ohne Schwierig- 
keit. Wollen wir es mit der ursprünglichen Mischung der 
"Stoffe streng nehmen, so könnten die gemischten ihre be- 
sonderen Eigenschaften nicht behalten, sondern sie müssten 
sich zu einer gleichartigen Masse verbinden; wir erhielten 
mithin statt eines aus zahllosen unterschiedenen Stoffen be- 
stehenden Gemenges einen einzigen Urstoff, welchem von allen 
Eigenschaften der besonderen Stoffe noch keine zukäme, wie 
das Unendliche Anaximander’s, auf das THEOPHRAST?!), oder 
die platonische Materie, auf welche ARISTOTELES?) die anaxa- 
gorische Mischung zurückführt. Soll | umgekehrt die Bestimmt- 
heit der Stoffe in der Mischung erhalten bleiben, so würde 
sich bei genauerer Entwicklung, ähnlich wie bei Empedokles, 
herausstellen, dass diess nur möglich ist, wenn die kleinsten 
Theile jedes Stoffes nicht weiter getheilt und mit anderen ver- 
mischt werden können, und so kämen wir zu den untheilbaren 
Körpern, die unserem Philosophen gleichfalls von einigen bei- 
gelegt werden®). Er.selbst jedoch ist nicht blos von der An- 


über das Sein aller Dinge in allen gibt Arısr. Phys. I, 4, Die Unter- 
scheidung von Stoff und Eigenschaft, deren ich mich im obigen um der 
Deutlichkeit willen bedient habe, ist dem Anaxagoras selbst natürlich in 
dieser Weise fremd; s. BrzıEr 8, 48. 

1) 8. ο. 5. 201, 2. 

2) Metaph. I, 8. 989 a 30 (vgl. Bonırz z. ἃ. St): Avafayopav δ᾽ εἴ 
τις ὑπολάβοε δύο λέγειν στοιχεῖα, μάλιστ᾽ ἄν ὑπολάβοι χατὰ λόγον, ὃν 
ἐχεῖνος αὐτὸς μὲν οὐ διήρϑρωσεν, ἠχολούϑησε μέν ἄν ἐξ ἀνάγκης τοὶς 
ἐπάγουσιν αὐτόν"... ὅτε γὰρ οὐδὲν ἣν ἀποχεχριμένον, δῆλον ὡς οὐϑὲν 
ἦν ἀληϑὲς εἰπεῖν χατὰ τῆς οὐσίας ἐχείνης . - . . οὔτε γὰρ ποιόν τε οἷόν 
τε αὐτὸ εἶναι οὔτε ποσὸν οὔτε τί. τῶν γὰρ ἐν μέρει τι λεγομένων εἰδῶν 
ὑπῆρχεν ἄν αὐτῷ, τοῦτο δὲ ἀδύνατον μεμιγμένων γε πάντων" ἤδη γὰρ 
av ἀπεχέχριτο. ... ἐκ δὴ τούτων συμβαίνει λέγειν αὐτῷ τὰς ἀρχὰς TO 
τε ἕν (τοῦτο γὰρ ἁπλοῦν καὶ ἀμεγὲς) καὶ ϑάτερον, οἷον τέϑεμεν τὸ ἀόριστον 
πρὶν ὁρισϑῆναι χαὶ μετασχεῖν εἴδους τενός. ὥστε λέγεται μὲν οὔτ᾽ ὀρϑῶς 
οὔτε σαφῶς, βούλεται μέντοι τε παραπλήσιον τοῖς τε ὕστερον λέγουσι καὶ 
τοῖς νῦν φαινομένοις μᾶλλον. 

8) Mit ausdrücklichen Worten geschieht diess zwar nirgends, denn 
Super. Phys. 166, 15 fi. sagt nur, dass die Urstoffe durch eine in’s unend- 
liche gehende räumliche Theilung ihre qualitative Beschaffenheit ändern 
müssten, und bei Sros. Ekl. I, 356 werden offenbar nur durch Schuld der 
Abschreiber Anaxagoras die Atome und Leucippus die Homöomerieen zu- 
geschrieben, mögen nun die Lemmata, oder was WACHsMuTH vorzieht, diese 


[884. 885] Mischung der Stoffe. 0989 


nahme eines einheitlichen Urstoffs weit entfernt!), sondern er 
behauptet auch ausdrücklich, dass die Theilung urd die Ver- 
grösserung der Körper in’s unendliche gehe?). Seine Urstoffe| 
unterscheiden sich daher von den Atomen nicht blos durch 
ihre qualitative Bestimmtheit, sondern auch durch ihre Theil- 
barkeit. Nicht minder widerspricht er der zweiten Grund- 
lage der Atomenlehre, wenn er die Voraussetzung des leeren 
Raumes, freilich mit unzureichenden Gründen, bekämpft?). 
Seine Meinung ist die, dass die verschiedenen Stoffe schlecht- 
hin gemischt seien, ohne doch darum Ein Stoff zu werden, 


Ausdrücke selbst verwechselt sein. Dagegen scheint Sesxtus bei den 
Homöomerieen an kleinste Körper zu denken, wenn er Anaxagoras wieder- 
holt mit den verschiedenen Atomikern, Demokrit, Epikur, Diodorus Kronus, 
Heraklides und Asklepiades, und seine Homöomerieen mit den ἄτομοι, dem 
ἐλάχιστα xal ἀμερὴ σώματα, den ἄναρμοε Oyxoı, zusammenstellt (Pyrrh. 
IN, 32. Math. IX, 363. X, 318, diese Stelle wiederholt von Hırror. Ref. 
X, 7); ähnlich Math. X, 252 in einem Auszug aus einer pythagoreischen, 
d. h. neupythagoreischen Schrift, und ebd. 254. Unter den Neueren ist 
Rırrer I, 305 geneigt, die Ursamen für untheilbar zu halten. 

1) Wie diess ausser allem andern auch aus der ebenangeführten aristo- 
telischen Stelle erhellt. Zum Ueberfluss möge noch an Phys. III, 4 (s. o. 
981, 2), wo die ἁφὴ eben die mechanische Verbindung im Unterschied von 
der chemischen (der μέξες) bezeichnen soll, und an die Erörterung gen. et 
corr. I, 20. 327 b 31 ff. erinnert werden, bei der Aristoteles die kurz zuvor 
erwähnte anaxagorische Lehre sichtbar fortwährend im Auge hat. Sros. 
Ekl. I, 368 sagt daher der Sache nach richtig: Avafay. τὰς χράσεες κατὰ 
πιαράϑεσιν γίνεσϑαε τῶν στοιχείων. 

2) Fr. 5 (15): οὔτε γὰρ τοῦ σμιχροῦ γέ ἔστε τό γε ἐλάχιστον, ἀλλ᾽ 
ἔλασσον ἀεί" τὸ γὰρ ἐὸν οὐκ ἔστε τὸ μὴ οὐχ εἶναι. (!. τομῇ οὐκ εἶναι, es 
ist unmöglich, dass das Seiende durch unendliche Theilung zunichte werde, 
wie diess andere behaupten; 8. o. 591, 2. 612, 2. 850) ἀλλὰ χαὶ τοῦ ueya- 
λου ἀεί ἐστι μεῖζον καὶ ἴσον ἐστὶ τῷ σμιχρῷ πλῆϑος (die Vergrösserung 
hat ebenso viele Grade, als die Verkleinerung, wörtlich : es gibt ebensoviel 
grosses als kleines), πρὸς ἑωυτὸ δὲ ἕχαστόν ἔστε χαὶ μέγα καὶ Ousxu0V. 
εἰ γὰρ πᾶν ἐν παντὶ, χαὶ πᾶν ἐκ παντὸς ἐχχρέγνεται, χαὶ ἀπὸ τοῦ ἐλαχίστου 
ϑοχέοντος ἐχχριϑήσεταί τι ἔλαττον ἐχείνου, χαὶ τὸ μέγιστον δοχέον ἀπό 
τενος ἐξεχρίϑη ἑωυτοῦ μείζονος. Fr. 12 (16): τοὐλάχεστον μὴ ἔστιν εἶναι. 

3) Arıst. Phys. IV, 6. 218 a 22: οἱ μὲν οὖν δεικνύναι πειρώμενοι 
ὅτι οὐχ ἔστιν [xevov], οὐχ ὃ βούλονται λέγειν οἱ ἄνϑρωποι κενὸν, τοῦτ᾽ 
ἐξελέγχουσιν, ἀλλ᾿ ἁμαρτώνοντες λέγουσιν, ὥσπερ ᾿Δναξαγόρας χαὶ ol 
τοῦτον τὸν τρίπον ἐλέγχοντες. ἐπιδεικνύουσι γὰρ ὅτι ἔστε τε 6 ἀὴρ, 
στρεβλοῦντες τοὺς ἀσχοὺς χαὶ δειχνύντες ὡς ἰσχυρὸς ὁ ἀὴρ, χαὶ ἔναπο- 
λαμβάνοντες ἐν ταῖς χλεψύδραις. Vgl. auch S. 768, 1. Τύύσμβετ. I, 848: 
nec tamen esse ulla idem [Anaxag.] ex parte in rebus inans oonosdit, neque cor- 
poribus finem esse secandis. 


988 Anaxagoran. 


Diese Vorstellung ist nun allerdi 
keit. Wollen wir es mit der urspr 
Stoffe streng nehmen, so könnten . 
sonderen Eigenschaften nicht behalt« 
sich zu einer gleichartigen Masse νυ: 
mithin statt eines aus zahllosen unt- 
stehenden Gemenges einen einzigen U: 
Eigenschaften der besonderen Stoffe ı 
das Unendliche Anaximander’s, auf : 
die platonische Materie, auf welche A 
gorische Mischung zurückführt. Soll | ı 
heit der Stoffe in der Mischung erhal 
sich bei genauerer Entwicklung, ähnli 
herausstellen, dass diess nur möglich : 
Theile jedes Stoffes nicht weiter gethe: 
mischt werden können, und so kämen 
Körpern, die unserem Philosophen glei 
gelegt werden®). Er.selbst jedoch ist 


über das Sein aller Dinge in allen gibt Anı- 
scheidung von Stoff und Eigenschaft, deren i- 
Deutlichkeit willen bedient habe, ist dem An 
dieser Weise fremd; s. Bazızr 5. 48. 

1) 8. 0.8. 201,2. 

2) Metaph. I, 8. 989 a 80 (vgl. Bonizz z. 
τις ὑπολάβοι δύο λέγειν στοιχεῖα, μάλεστ᾽ ἂν 
ἐχεῖνος αὐτὸς μὲν οὐ διήρϑρωσεν, ἠχολούϑησε 
ἐπάγουσιν αὐτόν"... ὅτε γὰρ οὐϑὲν ἣν ἀπον 


ihre τὰ. 
barkeit. 
lage de: 
Raumes. 
Seine M- 
hin gem:- 


Ausdrück« 
Homöomer. 
holt mit ὁ: 


998 


ınnehmen, 
Ὦ wo aus 
usste sich 
3. solchem 
geordnete 
ürgebniss, 
‚ne Noth- 
falls nicht 
38. Wesen 

Dass er 
ich nicht 

so stark 
n andern, 
te Gleich- 
d mag es 
ὁ zur Last 
einer Be- 
imehr den 
sise in die 


ἐφάνη zog” 
πρῶτος οὐ 
"08 χαϑαρὸν 
μοιομερείας. 


ng, dass die 
segt gewesen 
Körperlichen 


09. Anaxagoras. [885. 886] 


ähnlich wie diess Empedokles von der Mischung der Elemente 
im Sphairos behauptet hatte: dass diess aber ein Widerspruch 
ist, bemerkte er so wenig, als jener. 

Soll aber aus diesen Stoffen eine Welt werden, so muss 
eine ordnende und bewegende Kraft hinzukommen, welche wir 
uns schon desshalb nur als Eine zu denken haben werden, 
weil die Welt, die durch sie hervorgebracht worden ist, ein 
einheitliches System bildet!); und diese Kraft kann, wie unser 
Philosoph glaubt, nur in dem denkenden Wesen, im Geist?) 
liegen. Ueber die Gründe dieser Annahme sprechen sich die 
Bruchstücke der anaxagorischen Schrift nicht in allgemeiner 
Weise aus, sie ergeben sich aber aus den Bestimmungen, 
durch welche der Geist von den Stoffen unterschieden wird. 
Dieser Bestimmungen sind es drei: Einfachheit des Wesens, 
Macht und Wissen. Alles andere ist mit allem vermischt, der 
Geist muss | getrennt von allem für sich sein, denn nur wenn 
ihm selbst nichts fremdartiges beigemischt ist, kann er alles 
in seiner Gewalt haben. Er ist das feinste und reinste von 
allen Dingen, und er ist aus diesem Grund in allen Wesen 
durchaus gleichartig: von den übrigen Dingen kann keines 
dem andern gleich sein, weil jedes in eigenthümlicher Weise 
aus verschiedenen Stoffen zusammengesetzt ist, der Geist da- 
gegen hat keine verschiedenartigen Bestandtheile in sich; er 
wird daher überall sich selbst gleich sein, es wird in dem 
einen Wesen mehr, in dem anderen weniger von ıhm sein, 


1) Wie diess Dırrasyr Einl. in die Geisteswissensch. I, 205 f. treffend 
bemerkt; nur dass er dabei auf Anaxagoras’ astronomisches System als 
solches, wie mir scheint, zu viel Gewicht legt. Einerseits tritt nämlich der 
Gedanke einer einheitlichen weltbildenden Kraft schon vor Anaxagoras sehr 
nachdrücklich bei solchen auf, deren kosmologische Vorstellungen von den 
seinigen weit abliegen, wie Xenophanes und Heraklit; andererseits steht das 
astronomische System des Anaximenes dem des Anaxagoras sehr nahe, obne 
dass jener dadurch zu einer andern Einheit des weltbildenden Principe, als 
der stofflichen, gekommen wäre. 

2) So übersetze ich mit andern den anaxagorischen Noüs, wiewohl 
beide Ausdrücke in ihrer Bedeutung sich nicht vollständig decken, da 
unsere Sprache kein genauer entsprechendes Wort bietet. Der nähere Be- 
griff des Nus kann ja jedenfalls nur den eigenen Erklärungen des Anaxa- 
goras entnommen werden. Zum folgenden: Heımzz Ueber den Noüs des 
Anax. Ber. d. Sächs. Ges. d. Wissensch. 8 Febr. 18%. 


[886. 887] Der Geist. 991 


aber die geringere Masse des Geistes ist von einer und der- 
selben Beschaffenheit mit der grösseren; die Dinge unter- 
scheiden sich nur durch das Mass, nicht durch die Qualität 
des ihnen inwohnenden Geistes!), Dem Geist muss ferner 


1) Fr. 8 (6) b. Smerr. Ph. 164, 24. 156, 18: τὰ μὲν ἄλλα παντὸς 
μοῖραν μετέχει, νοῦς δέ ἐστιν & ἄπειρον καὶ αὐτοχρατὲς xal μέμεχταε οὐδενὶ 
χρήματι, ἀλλὰ μόνος αὐτὸς ἐφ ἑαυτοῦ ἔστων. εἰ μὴ γὰρ ἐφ᾽ ἑαυτοῦ ἦν, 
ἀλλά τεῳ ἐμέμεκτο ἄλλῳ, μετεῖχεν ἄν ἁπάντων χρημάτων, εἰ ἐμέμικτό 
τεῳ. ἐν παντὶ γὰρ παντὸς μοῖρα ἔνεστιν, ὥσπερ ἐν τοῖς πρόσϑεν μοι λέ- 
Ἄεχται, καὶ ἄν ἐχώλυεν αὐτὸν τὰ συμμεμεγμένα, ὥστε μηδενὸς χοήματος 
χρατεῖν ὁμοίως, ὡς καὶ μοῦνον ἔόντα ἐφ᾽ ἑαυτοῦ. ἔστε γὰρ λεπτότατόν 
τε πάντων χρημάτων χαὶ χαϑαρώτατον .. .. παντάπασι δὲ οὐδὲν ἀπο- 
χρίνεται ἕτερον ἀπὸ τοῦ ἑτέρου πλὴν νοῦ. νοῦς δὲ πᾶς ὅμοιός ἔστι χαὶ 
ὁ μείζων καὶ ὁ ἐλάττων. ἕτερον δὲ οὐδέν ἔστεν ὅμοιον οὐδενὶ ἄλλῳ, 
ἀλλ᾽ ὅτῳ (l. ὅτεων vgl. Dies zu 8. 157, 4) πλεῖστα Evi, ταῦτα ἐνδηλότατα 
&v ἔχασεόν ἔστε χαὶ ἦν. Dasselbe wiederholen dann Spätere in ihrer Aus- 
drucksweise; vgl. PLaro Krat. 413 C: εἶναι δὲ τὸ δίκαιον ὃ λέγει Avafa- 
yopas, νοῦν εἶναι τοῦτο" αὐτοχράτορα γὰρ αὐτὸν ὄντα καὶ οὐϑενὶ μεμὲγ- 
μένον πάντα φησὶν αὐτὸν κοσμεῖν τὰ πράγματα διὰ πάντων ἰόντα. 
Arıst. Metaph. I, 8 (s. ο. 988, 2). Phys. VIII, 5. 256 b 24: es muss ein un- 
bewegtes Bewegendes geben; διὸ xal “Ἀναξαγόρας ὀρϑῶς λέγει, τὸν νοῦν 
ἀπαϑὴ φάσχων χαὶ ἀμιγὴ εἶναι, ἐπειδήπερ χενήσεως ἀρχὴν αὐτὸν ποιεῖ 
εἶναι" οὕτω γὰρ ἄν μόνος χενοίη ἀχένητος ὧν χαὶ κρατοίη ἀμεγὴς ὧν. 
De an. I, 2, 405 a 18: Avafayöpas δ᾽ . . . ἀρχὴν γε τὸν νοῦν τίϑεται 
μάλιστα πάντων᾽ μόνον γοῦν φησὶν αὐτὸν τῶν ὄντων ἁπλοῦν elvar καὶ 
ἀμιγῆ τε χαὶ χαϑαρόν. 405 Ὁ 19: Avaf. δὲ μόνος ἀπαϑῆ φησὶν εἶναι τὸν 
γοῦν καὶ χοινὺν οὐδὲν οὐθενὶ τῶν ἄλλων ἔχειν. τοιοῦτος δ᾽ ὧν πῶς 
γνωριεῖ καὶ διὰ τίν᾽ αἰτίαν, οὔτ᾽ ἐχεῖνος εἴρηχεν, οὔτ ἐχ τῶν εἰρημένων 
συμφανές Zorıv. Ebd. III, 4. 429 a 18: ἀνάγχη ἄρα, ἐπεὶ πάντα νοεῖ, 
ἀμιγὴ εἶναι, ὥσπερ φησὶν ᾿Αναξαγόρας, ἵνα χρατῇ, τοῦτο δ' ἐστὶν, ἕνα 
γνωρέζη" (diess des Aristoteles eigene Auslegung.) παρεμφαινόμενον γὰρ 
κωλύει τὸ ἀλλότριον χαὶ ἀντιφράττει. Unter der Apathie, welche dem 
Geist in einigen dieser Stellen beigelegt wird, versteht Aristoteles seine Un- 
veränderlichkeit, denn mit πάϑος bezeichnet er nach Metaph. V, 21 eine 
ποιότης xa9° ἣν ἀλλοιοῦσθαι ἐνδέχεται (vgl. BrEıER 61 f.), Diese Eigen- 
schaft ist eine unmittelbare Folge von der Einfachheit des Geistes; denn da 
alle Veränderung nach Anaxagoras in einem Wechsel der Theile besteht, 
aus denen ein Ding zusammengesetzt ist, so ist das einfache nothwendig 
unveränderlich. Aristoteles kann daher jene Bestimmung aus den oben- 
angeführten Worten des Anaxagoras erschlossen haben. Doch hat dieser 
vielleicht auch ausdrücklich davon gesprochen. In dieser qualitativen 
Unveränderlichkeit liegt aber die räumliche Bewegungslosigkeit, das «x/vn- 
τον, welches Sınrt. Phys. 285 a m hier aus Aristoteles einschwärzt, noch 
nicht. Weitere Zeugnisse, die das aristotelische wiederholen, bei ScHAv- 
BıcH 104. 

Philos. d. Gr. 1. Ba. 5. Aufl. 63 


009 Anaxagoras. [887] 


die absolute | Macht über den Stoff zukommen, dessen Be- 
wegung nur von ihm ausgehen kann!). Er muss endlich ein 
unbeschränktes Wissen besitzen®), denn nur durch sein Wissen 
wird er in den Stand gesetzt, alles auf’s beste zu ordnen?). 
Der Nus muss mithin einfach sein, weil er sonst nicht all- 
mächtig und allwissend sein könnte, und er muss allmächtig 
und allwissend sein, damit er der Ordner der Welt sei: die 
Grundbestimmung der Lehre vom Nus, und diejenige, welche 
auch die Alten vorzugsweise hervorheben *), liegt in dem Be- 


1) Nach den Worten „xal χαϑαρώτατον" tährt Anaxagoras Fr. 8 fort: 
χαὶ γνώμην γε περὶ παντὸς πᾶσαν ἴσχεε χαὶ ἰσχύει μέγεστον, καὶ ὅσα γε 
ψυχὴν ἔχει χαὶ μείζω χαὶ ἐλάσσω πάντων γνοὺς χρατεῖ. χαὶ τῆς περι- 
χωρήσιος τῆς συμπάσης νοῦς ἔχρατησεν, ὥστε περιχωρῆσαι τὴν ἀρχήν. 
Vgl. Anm. 3. 991, 1. Auch die Unendlichkeit, welche ihm in der letztern 
Stelle beigelegt wird, wird man am ehesten auf die unbegrenzte Macht des 
Geistes beziehen können; denn eine räumliche Unendlichkeit liess sich dem 
Nus nicht beilegen; dass andererseits die Bedeutung des Wortes erlauben 
sollte, in dem ἄπειρον überhaupt die Negation der Ausdehnung zu finden 
(Hzınze a. a. Ο. 15 ἢ), kann ich nicht glauben. Das ἄπειρον bildet aber 
allerdings zu dem παντὸς μοῖραν ἔχεεν einen um so auffallenderen Gegen- 
satz, da die Stoffmasse doch auch als unendlich bezeichnet war. Es fragt 
sich daher, ob statt ἄπειρον, das Simplicius in ‚seiner Handschrift ‚sicher 
gehabt hat, Anaxagoras nicht ἄμοιρον, im Sinne von οὐδενὸς μοῖραν ἔχον, 
oder, was ich vorziehe (nach Arısr. De an. I, 2), ἁπλόον geschrieben hatte. 

2) 8. vor. Anm. und im folgenden: χαὶ τὰ συμμισγόμενα TE χαὶ ἀπο- 
κρινόμενα xal διαχρινόμενα πάντα ἔγνω νοὺς (Worte, welche Sımpr. auch 
De coalo 271 a 20. Schol. 513 b 36 anführt). 

8) Anaxagoras fährt fort: xal ὁποῖα ἔμελλεν ἔσεσθαι χαὶ ὁποῖα ἣν 
χαὶ ὅσα νῦν ἐστε χαὶ ὁποῖα ἔσται (diese 165, 33 mit unerheblicher Ab- 
weichung wiederholten Worte will Dies zu S. 156, 25 ändern; mir scheinen 
sie nicht verderbt zu sein, da ἔσται doch nicht das gleiche ausdrückt, wie 
ἔμελλεν ἔσεσθαι), πάντα διεχόσμησε νοῦς" χαὶ τὴν περεχώρησιν ταύτην, 
ἣν νῦν περιχωρέεε Ta TE ἄστρα χαὶ ὁ ἥλιος χαὶ ἡ σελήνη χαὶ ὁ ἀὴρ καὶ 
ὁ αἰϑὴρ οἱ ἀποχρενόμενοι. Μ. vgl. hiezu, was S. 260, 3 aus Diogenes 
angeführt wurde. 

4) Pıaro Phädo 97 B (s. u. 998, 1). Gess. ΧΙ, 967 B (ebd.) Krat. 400 A: 
τί δέ; καὶ τὴν τῶν ἄλλων ἁπάντων φύσιν οὐ πιστεύεις Avafayopg νοῦν 
χαὶ ψυχὴν εἶναι τὴν διαχοσμοῦσαν χαὶ ἔχουσαν; Arıst. Metaph. I, 4. 
984 " 15: die ältesten Philosophen kannten nur stoffliche Ursachen; im 
weitern Verlaufe stellte es sich heraus, dass zı diesen eine bewegende Ur 
sache hinzukommen müsse; bei fortgesetzter Untersuchung erkannte man 
endlich, dass beide nicht genügen, weil sich die Schönheit und Zweck- 
mässigkeit der Welteinrichtung und des Weltlaufs nicht daraus erklären 
lasse; voiy δή τις εἰπὼν ἐνεῖναε χαϑάπερ ἐν τοῖς ζῴοις χαὶ ἐν τῇ φύσεε 


[888] Der Geist. 998 


griff der weltbildenden Kraft. | Wir müssen daher annehmen, 
dass dieses im wesentlichen auch der Punkt sei, von wo aus 
Anaxagoras zu seiner Lehre gekommen ist. Er wusste sich 
schon die Bewegung überhaupt aus dem Stoff als solchem 
nicht zu erklären!), noch weit weniger aber die geordnete 
Bewegung, welche ein so schönes und zweckvolles Ergebniss, 
wie die Welt, hervorbrachte; auf eine unverstandene Noth- 
wendigkeit oder auf den Zufall wollte er sich gleichfalls nicht 
berufen?), und so nahm er denn ein unkörperliches Wesen 
an, welches die Stoffe bewegt und geordnet habe. Dass er 
nämlich wirklich ein solches im Auge hat?®), lässt sich nicht 
wohl bezweifeln; denn eben nur hierauf kann der so stark 
betonte eigenthümliche Vorzug des Geistes vor allem andern, 
sein Fürsichsein, seine Unvermischtheit, seine absolute Gleich- 
artigkeit, seine Macht und sein Wissen, beruhen; und mag es 
auch nicht blos der Unbeholfenheit seines Ausdrucks zur Last 
fallen, wenn der Begriff des Unkörperlichen in seiner Be- 
schreibung nicht rein heraustritt*), mag er sich vielmehr den 
Geist wirklich wie einen feineren, auf räumliche Weise in die 


τὸν αἴτιον τοῦ χύσμου καὶ τῆς τάξεως πάσης, οἷον νήφων ἐφάνη παρ᾽ 
εἰχῆ λέγοντας τοὺς πρότερον. Pur. Pericl. ce 4: τοῖς ὅλοις πρῶτος οὐ 
τύχην οὐδ᾽ ἀνάγχην, διαχοσμήσεως ἀρχὴν, ἀλλὰ νοῦν ἐπέστησε χαϑαρὸν 
καὶ ἄχρατον, ἐμμεμιγμένον τοῖς ἄλλοις, ἀποχρέίνοντα τὰς ὁμοιομερείας. 
Weiteres 5. 998 und bei βοηλύβαοη 152 fl. 

1) Dieses erhellt aus der später zu berührenden Bestimmung, dass die 
ursprüngliche Mischung vor der Einwirkung des Geistes unbewegt gewesen 
sei; denn in jenam Urzustand stellt sich eben das Wesen des Körperlichen 
rein für sich dar. Was Anıst. Phys. IH, 5. 205 b 1 über die Ruhe des 
Unendlichen anführt, gehört nicht hieher. 

2) Dass er beides ausdrücklich abgelehnt habe, wird allerdings nur 
von Späteren berichtet: ALex. Arun. De an. 179, 28 (De fato c. 2): λέγει 
γὰρ (ἄναξ) μηδὲν τῶν γινομένων ylveodaı xaF εἱμαρμένην, all εἶναι 
κενὸν τοῦτο τοὔνομα. Plac. I, 29, ὅ: Avafay. χαὶ οἱ Στωΐκοὶ ἄδηλον 
αἰτίαν ἀνθρωπίνῳ λογισμῷ (τὴν τύχην) Indessen hat diese Angabe der 
Sache nach nichts unwahrscheinliches, wenn auch die Worte, deren sich 
unsere Zeugen bedienen, nicht für anaxagorisch zu halten sind. Tzerz. in 
Il. 8. 67 kann dagegen nicht angeführt werden. 

3) Wie diess PuıtLor. De an. c. 7 ο. 9 u. Proxı. in Parm. vI, 217 
Cous. sagen, auch die andern aber, seit Plato, nach ihrem Begriff vom Nus 
sicher voraussetzen. So namentlich Aristoteles; vgl. S. 991, 1. 

4) S. u. und Z£vorr 8. 84 ff. 

63* 


094 Anaxagoras. [888. 889] 


Dinge eingehenden Stoff vorgestellt haben!), so thut diess 
doch jener Absicht keinen Eintrag?). Für die Unkörperlich- 
keit aber und | für die Zweckthätigkeit bietet unsere Er- 
fahrung keine andere Analogie dar, als die des menschlichen 
Geistes, und so ist es ganz natürlich, dass Anaxagoras seine 
bewegende Ursache nach eben dieser Analogie, als denkend, 
bestimmte. Weil er aber des Geistes zunächst nur für den 
Zweck der Naturerklärung bedarf, so wird dieses neue Princip 
weder rein gefasst, noch streng und folgerichtig durchgeführt. 
Einerseits wird der Geist als für sich seiendes®), erkennendes 
Wesen beschrieben, und so könnte man glauben, schon den 
vollen Begriff der geistigen Persönlichkeit, der freien, selbst- 
bewussten Subjektivität zu haben; andererseits wird aber auch 
so von ihm gesprochen, als ob er ein unpersönlicher Stoff 
oder eine unpersönliche Kraft wäre, er wird das feinste von 
allen Dingen genannt*), es wird von ihm gesagt, dass in den 
einzelnen Dingen Theile von ihm seien®), und es wird das 


1) Der Beweis hiefür liegt theils in den Worten λεπτότατον πάντων 
χοημάτων (ΕἸ. 8, 5. 5. 991, 1), theils und besonders in dem, was sogleich über 
das Sein des Geistes in den Dingen zu bemerken sein wird. 

2) Denn ähnliche halbmaterialistische Vorstellungen vom Geiste finden 
sich auch bei solchen, denen der Gegensatz von Geist und Stoff im Princip 
auf’s entschiedenste feststeht; so wird z. B. selbst Aristoteles, wenn er sich 
die Weltkugel von der Gottheit umschlossen denkt, schwer davon freizu- 
sprechen sein. Wenn daher Kern Ueb. Xenophanes 8. 24 den Beweis da- 
für vermisst, dass A. ein Immaterielles, räumlich nicht Ausgedehntes gelehrt 
habe, und WınpeLBanp Gesch. ἃ. alt. Phil. I, 49 den γοῦς schlechtweg als 
„Denkstoff“ behandelt, so trifft diess nicht ganz zur Sache: vollkommen scharf 
und deutlich hat A. die Immaterialität des Nus freilich nicht gelehrt, aber 
seine Absicht ist doch, ihn seinem Wesen nach von allem Zasammen- 
gesetzten zu unterscheiden. Vgl. hierüber auch FReunentuaL Theol. d. 
Xenoph. 46, 31. Heınze a. a. O. 16 fi. 

3) μόνος ἐφ᾽ ἑαυτοῦ ἐστι (Fr. 8). 

4) S. Anm. ]. 

5) Fr. 7 (oben 8. 986, 2), wo sich auch das zweite νοῦς nach dem 
vorhergehenden nur von einer μοῖρα νοῦ verstehen lässt. Arıst. De an. 
I, 2. 404 b 1: Avafayopus δ᾽ ἧττον διασαφεῖ περὶ αὐτῶν (über die Natur 
der Seele), πολλαχοῦ μὲν γὰρ τὸ αἴτιον τοῦ χαλῶς χαὶ ὀρϑῶς τὸν νοῦν 
λέγει, ἑτέρωϑε δὲ τοῦτον εἶναι τὴν ψυχήν ἐν ἅπασι γὰρ αὐτὸν ὑπάρχειν 
τοῖς ζῴοις, χαὶ μεγάλοις χαὶ μεχροῖς χαὶ τιμίοις καὶ ἀτιμωτέροις. Μ. vgl. 
dazu, was 8. 260, 3. 261, 6 aus Diogenes angeführt wurde. 


[889. 890] Der Geist; ob ein persönliches Wesen. 995 


Mass ihrer Begabung mit den Ausdrücken „grösserer und 
kleinerer Geist“ bezeichnet!), ohne dass ein specifischer Unter- 
schied zwischen den niedrigsten Stufen des Lebens und den 
höchsten der Vernünftigkeit bemerkt wäre?), Kann man nun 
auch daraus durchaus nicht schliessen, dass Anaxagoras den 
Geist seiner bewussten Absicht nach unpersönlich gedacht 
wissen wolle, so werden diese Züge doch beweisen, dass er 
noch nicht den reinen Begriff der Persönlichkeit hat und auf 
ihn anwendet; denn ein Wesen, dessen Theile anderen Wesen 
als ihre Seele inwohnen, | könnte nur sehr uneigentlich Per- 
sönlichkeit genannt werden; und wenn wir weiter erwägen, 
dass gerade die unterscheidenden Merkmale des persönlichen 
Lebens, das Selbstbewusstsein und die freie Selbstbestimmung, 
dem Nus nirgends beigelegt werden 8), dass sich sein „Für- 
sichsein® zunächst nur auf die Einfachheit des Wesens be- 
zieht*), dass endlich auch das Erkennen von den alten Philo- 
sophen nicht selten solchen Wesen zugeschrieben wird, die 
von ihnen zwar vielleicht vorübergehend personificirt, aber 
nicht ernstlich für Personen, für Individuen gehalten wurden 5), 


1) Fr. 8. s. 8. 991. 

2) S. vorl. Anm. 

3) Denn auch das αὐτοχρατὴς Fr. 8 und die sinngleichen Ausdräcke 
der Berichterstatter (s. o. 991, 1) bezeichnen ebenso, wie das S. 992, 1 an- 
geführte, zwar die absolute Macht über den Stoff, aber nicht die Willens- 
freiheit, und ebenso bezieht sich das Wissen des Nus zunächst auf seine 
Kenntniss der Urstoffe und des aus ihnen zu bildenden. Ob der Nus selbst- 
bewusstes Ich sei, und ob sein Wirken aus freiem Wollen hervorgehe, hat 
Anax. ohne Zweifel noch gar nicht gefragt, eben weil er des Nus nur als 
weltbildender Kraft bedarf. 

4) Wie aus dem Zusammenhang des ebenangeführten Fr. 8 deutlich 
erhellt. 

5) So betrachtet Heraklit, und ebenso später die Stoiker, das Feuer 
zugleich als die Weltvernunft, und der erstere lässt den Menschen aus der 
ihn umgebenden Luft die Vernunft einathmen; bei Parmenides ist das 
Denken ein wesentliches Prädikat des Seienden, der allgemeinen körper- 
lichen Substanz; Philolaos beschreibt die Zahl wie ein denkendes Wesen 
(s. o. 345, 1) und Diogenes (s. o. 261, 6) glaubt alles das, was Anaxagoras 
vom Geist ausgesagt hatte, ohne weiteres auf die Luft übertragen zu können. 
Auch Plato gehört hieher, dessen Weltseele zwar nach Analogie der mensch- 
lichen, aber doch mit sehr unsicherer Persönlichkeit gedacht ist, und der 
am Anfang des Kritias den gewordenen Gott, den Kosmos, anruft, dem 


996 Anaxagoras. [891. 892] 


so wird die Persönlichkeit | des anaxagorischen Geistes doch 
wieder sehr unsicher. Das Richtige wird daher am Ende nur 
das sein, dass Anaxagoras den Begriff des Nus zwar nach der 
Analogie des menschlichen Geistes bestimmt und ihm im 
Denken ein Prädikat beigelegt hat, welches streng genommen 
nur einem persönlichen Wesen zukommt, dass er aber die 
Frage über seine Persönlichkeit sich noch gar nicht mit Be- 
wusstsein vorlegte und in F'olge dessen mit jenen persönlichen 
Bestimmungen andere verband, die von der Analogie unper- 
sönlicher Kräfte und Stoffe hergenommen sind. Wäre es daher 
auch richtig, was spätere Zeugen!), wahrscheinlich mit Un- 
recht?), behaupten, dass er den Nus als Gottheit bezeichnet 
habe, so wäre seine Ansicht doch immer nur nach einer Seite 
theistisch, nach der andern dagegen ist sie naturalistisch, und 
gerade das ist für sie bezeichnend, dass der Geist hier, trotz 
seiner grundsätzlichen Unterscheidung vom Körperlichen, doch 
wieder | als Naturkraft und unter solchen Bestimmungen ge- 
dacht wird, wie sie weder einem persönlichen noch einem rein 
geistigen Wesen zukommen können?). | 


Sprecher die richtige Erkenntniss zu verleihen. Wenn Wırtu (d. Idee 
Gottes 170) gegen die zwei ersten von diesen Analogieen einwendet, Hera- 
klit und die Eleaten gehen in jenen Bestimmungen über ihr eigentliches 
Prineip hinaus, so wird unsere frühere Darstellung gezeigt haben, wie un- 
richtig diess ist. Einiges weitere, was ich in den früheren Auflagen gegen 
ihn bemerkt habe, will ich in der gegenwärtigen nicht wiederholen. 

1) Cıc. Acad. II, 37, 118: in ordinem adductas [particulas]) a mente di- 
vina. Szxt. Math. IX, 6: νοῦν, ὅς ἔστε χατ᾿ αὐτὸν ϑεός,. Stop. Ekl. I, 56. 
Taenxıst. Orat. XXVI. 317 c. Scuausach 152 ἢ, 

2) Denn nicht blos die Bruchstücke, sondern auch Aristoteles und 
Plato, überhaupt die Mehrzahl unserer Zeugen schweigen darüber, und die, 
welche diese Bestimmung haben, sind in solchen Dingen nicht sehr zuver- 
lässig. Die Frage ist übrigens ziemlich unerheblich, da der Nus der Sache 
nach jedenfalls der Gottheit entspricht. 

3) Mit dem obigen übereinstimmend äussert sich schon KeıscHe 
Forsch. 65 ἢ. Dagegen hat ausser GLavıscH (Anax. u. d. Isr. 56. XXI u. δ.) 
auch F. Horruann (Ueber die Gottesidee des Anax., Sokr. und Platon. 
Würzb. 1860. Ztschr. f. Philos. N. F. XL, 1862, 8. 2 ff.) nachzuweisen ge- 
sucht, dass die Gotteslehre unseres Philosophen reiner Theismus gewesen 
sei. Allein weder der eine noch der andere von diesen Gelehrten hat gezeigt, 
wie sich mit dem reinen und folgerichtig durchgeführten Begriff der Persön- 
lichkeit die Behauptung verträgt, dass der Nus an alle lebenden Wesen ver- 


[898] Wirksamkeit des Geistes. 997 


Es wird diess noch klarer werden, wenn wir sehen, dass 
auch die Aussagen über die Wirksamkeit des Geistes an dem- 
selben Widerspruch leiden. Sofern der Geist ein erkennendes 
Wesen sein soll, das aus seinem Wissen und nach seiner Vor- 
herbestimmung!) die Welt gebildet hat, musste sich für Anaxa- 
goras eine teleologische Naturansicht ergeben; denn wie der 
Geist selbst, so musste auch sein Wirken nach Analogie des 
menschlichen Geistes vorgestellt werden: seine Thätigkeit ist 
Verwirklichung seiner Gedanken mittelst des Stoffes, Zweck- 
thätigkeit. Aber das physikalische Interesse ist bei unserem 
Philosophen viel zu stark, als dass er sich wirklich bei dieser 
Betrachtung der Dinge befriedigen könnte; wie ihm vielmehr 
die Idee des Geistes zunächst nur durch das Ungenügende 


theilt sei, und die verschiedenen Klassen derselben zwar durch das Mass, 
aber nicht durch die Beschaffenheit dieses ihnen inwohnenden Nus sich 
unterscheiden; Horrmann gibt vielmehr 8. 25 ausdrücklich zu, dass beides 
sich nicht vertrage; wenn er aber daraus nur schliesst, wir dürfen Anaxa- 
goras „nicht im Ernste die Lehre zutrauen, dass der Nus ein Wesen sei, 
das Theile habe und getheilt werden könne, so dass dessen Theile anderen 
Wesen als ihre Seele inwohnen“, so heisst diess die Frage auf den Kopf 
stellen. Was sich Anaxagoras zutrauen lässt, können wir schliesslich doch 
nur nach seinen eigenen Erklärungen beurtheilen, welche in diesem Fall 
unzweideutig genug lauten, und wenn sich diese Erklärungen mit einander 
nicht durchaus vertragen, so können wir daraus nur schliessen, dass sich 
Anax. die Consequenzen seines Standpunktes nicht durchaus klar gemacht 
habe. Nur dieses aber ist es, was ich behaupte: ich leugne nicht, dass sich 
Anax. unter dem Nus ein erkennendes und nach Zweckbegriffen wirkendes 
Wesen gedacht hat; aber ich leugne, dass er mit dem Begriff eines solchen 
Wesens alle die Vorstellungen verbunden hat, welche wir mit dem Begriff 
eines persönlichen Wesens zu verbinden pflegen, und alle die davon aus- 
geschlossen, welche wir von diesem Begriff ausschliessen; und dass er es 
so gemacht haben könne (nicht, wie Hoffm. 8. 26 sagt, dass er es so ge- 
macht haben müsse), schliesse ich unter anderem auch aus dem Umstand, 
dass andere namhafte Philosophen es wirklich so gemacht haben. Dieser 
meiner Annahme „Halbheit“ vorzuwerfen (a. a. O. 21), ist seltsam: wenn 
ich sage, Anaxagoras sei auf halbem Wege stehen geblieben, so ist diess 
doch etwas anderes, als wenn ich auf halbem Wege stehen bliebe. 

1) Diese ist angedeutet in den Worten (8. 992, 3): ὁχοῖα ἔμελλεν 
ἔσεσϑαε διεχόσμησε νοῦς. Auch von einer welterhaltenden Thätigkeit des 
Geistes hat Anaxagoras vielleicht gesprochen, vgl. Sum. ‘Avaftay. (dasselbe 
bei HARPORRATION "Avafey. CEDREN. Chron. 158 C): νοῦν πάντων φρουρὰν 
εἶπεν. Doch folgt nicht, dass er selbst sich des Ausdrucks φρουρὸς be- 
dient hat. 


998 . Anaxagoras. [899] 


der gewöhnlichen Annahmen aufgedrungen ist, so macht er 
auch nur da Gebrauch von ihr, wo er die physikalischen Ur- 
sachen einer Erscheinung nicht zu finden weiss; sobald er 
dagegen Aussicht hat, mit einer materialistischen Erklärung 
auszukommen, gibt er ihr den Vorzug: der Geist scheidet die 
Stoffe, aber er scheidet sie auf mechanischem Wege, durch 
die Wirbelbewegung, die er hervorbringt; aus der ersten Be- 
wegung entwickelt sich dann alles weitere nach mechanischen 
Gesetzen, und nur da tritt der Geist als Maschinengott in die 
Lücke, wo diese mechanische Erklärung den Philosophen im 
Stich lässt!). Noch weniger wird ihm in der | Welt, nachdem 


1) Praro Phädo 97 B: ἀλλ᾽ ἀχούσας μέν ποτε Ex βιβλίου τενὸς, ὡς 
ἔφη ᾿Δναξαγόρου, ἀαγιγνώσχοντος χαὶ λέγοντος, ὡς ἄρα νοῦς ἐστὶν ὁ 
διαχοσμῶν TE καὶ πάντων αἴτιος, ταύτῃ δὴ τῇ αἰτίᾳ ἥσϑην τε καὶ ἔδοξέ 
μοι τρόπον τενὰ εὖ ἔχειν τὸ τὸν νοῦν εἶναι πάντων αἴτιον, χαὶ ἡγησάμην. 
εἰ τοῦϑ' οὕτως ἔχει, τόν γε νοῦν χοσμοῦντα πάντα καὶ ἕχαστον τεϑέναι 
ταύτῃ ὅπῃ ἄν βέλτιστα ἔχῃ" εἰ οὖν τες βούλοιτο τὴν αἰτίαν εὑρεῖν περὶ 
ἑχάστου, ὅπῃ γίγνεται n ἀπόλλυται ἢ ἔστι, τοῦτο δεῖν περὶ αὐτοῦ εὑρεῖν, 
ὅπῃ βέλτιστον αὐτῷ ἐστὶν ἢ εἶναε 7 ἄλλο ὁτιοῦν πάσχειν ἦ ποιεὶν u. 5. W.; 
allein als ich seine Schrift näher kennen lernte, (98 Β) ἀπὸ δὴ ϑαυμαστῆς 
ἐλπέδος, ὦ ἑταῖρε, ὠχόμην φερόμενος, ἐπειδὴ προϊὼν καὶ ἀναγιγνώσχων 
ὁρῶ ἄνδρα τῷ μὲν νῷ οὐδὲν χρώμενον οὐδέ τινας αἰτίας ἐπαιτεώμενον 
εἰς τὸ διαχοσμεῖν τὰ πράγματα, ἀέρας δὲ χαὶ αἰϑέρας καὶ ὕδατα αἰτιώ- 
μενον καὶ ἄλλα πολλὰ χαὶ ἄτοπα u. 8. w. Gess. XII, 967 Β: χαί rıyes 
ἐτόλμων τοῦτό γε αὐτὸ παραχινδυνεύειν χαὶ τότε, λέγοντες ὡς νοῦς εἴη 
ὁ διαχεχοσμηχὼς πάνϑ᾽ ὅσα κατ᾽ οὐρανόν. οἱ δὲ αὐτοὶ πάλεν ἁμαρτάνοντες 
᾿νυχῆς φύσεως... ἅπανϑ᾽ ὡς εἰπεῖν ἔπος ἀνέτρεψαν πάλεν, ἑαυτοὺς δὲ 
πολὺ μᾶλλον' τὰ γάρ δὴ πρὸ τῶν ὀμμάτων πάντα αὐτοὶς ἐφάνη τὰ κατ᾽ 
οὐρανὸν φερόμενα μεστὰ εἶναι λέϑων καὶ γῆς χαὶ πολλῶν ἄλλων ἁψύχων 
σωμάτων διανεμόντων τὰς αἰτίας παντὸς τοῦ κόσμου. Ganz übereinstim- 
mend äussert sich ArıstoteLes. Einerseits erkennt er es an, dass in dem 
Nus ein wesentlich höheres Princip entdeckt sei, dass damit alles auf das 
Gute oder die Endursache bezogen sei, andererseits klagt aber auch er zum 
Theil mit den Worten des Phädo, dass in der wirklichen Ausführung des 
Systems die mechanischen Ursachen sich vordrängen und der Geist nur als 
Lückenbüsser eintrete. M. 8. ausser dem, was 8. 992, 4. 99, 5 angeführt 
wurde, Metaph. I, 3. 984 b 20: οὗ μὲν οὖν οὕτως ὑπολαμβάγοντες (Anax.) 
ἅμα τοῦ χαλῶς τὴν αἰτίαν ἀρχὴν εἶναι τῶν ὄντων ἔϑεσαν καὶ τὴν τοιαύτην 
ὅϑεν ἡ χίνησις ὑπάρχει τοῖς οὖσιν (vgl. c. 6 Schl.). XIl, 10. 1075 ν 8: 
᾿Μναξαγόρας δὲ ὡς κινοῦν τὸ ἀγαϑὸν ἀρχήν" ὁ γὰρ νοῦς χινεῖ, ἀλλὰ κχενεὶ 
Evexa τενος. XIV, 4. 1091 b 10: τὸ γεννῆσαν πρῶτον ἄριστον τιϑέασι 
... Ἐμπεδοχλῆς τὲ καὶ ᾿Δναξαγόρας. Dagegen nun aber I, 4. 985 a 18: 
die alten Philosophen haben über die Bedeutung ihrer Principien kein klares 


[894. 895] Wirksamkeit des Geistes. 999 


sie einmal vorhanden ist, eine eigenthümliche Rolle zugetheilt. 
Anaxagoras weiss nicht allein von keinem persönlichen Ein- 
greifen der Gottheit in den Weltlauf, sondern auch von dem 
Gedanken einer göttlichen Weltregierung überhaupt; von jenem 
Vorsehungsglauben, welcher für Philosophen, wie Sokrates, 
Plato und die Stoiker, eine so grosse Bedeutung hatte, | findet 
sich bei ihm keine Spur!), und ebenso fremd ist ihm jene 


Bewusstsein; Avafayopas TE γὰρ μηχανῇ χρῆται τῷ νῷ πρὸς τὴν χοσμο- 
ποεΐαν, καὶ ὅταν ἀπορήσῃ, διὰ τίν᾽ αἰτίαν ἐξ ἀνάγχης ἐστὶ, τότε παρέλχει 
αὐτὸν, ἐν δὲ τοῖς ἄλλοις πάντα μᾶλλον αἰτιᾶται τῶν γιγνομένων ἢ νοῦν 
(was sich trotz der allgemeinen Fassung dieses Satzes doch vielleicht ledig- 
lich auf das Eingreifen des Geistes zur Erzeugung der ersten Wirbelbewegung 
bezieht). Ebd. c. 7. 988 b 6: τὸ δ᾽ οὗ ἕνεχα αἱ πράξεις καὶ αἱ μεταβολαὶ 
καὶ αἱ χινήσεις, τρόπον μέν τινα λέγουσιν αἴτεον, οὕτω (als Endursache) 
δ᾽ οὐ λέγουσιν, οὐδ᾽ ὅνπερ πέφυκεν. οἱ μὲν γὰρ νοῦν λέγοντες ἢ φιλίαν 
ὡς ἀγαθὸν μέν τε ταύτας τὰς αἰτίας τεϑέασιν, οὐ μὴν ὧε ἕνεχά γε τού- 
των ἢ ὧν ἢ γιγνόμενόν τε τῶν ὄντων, ἀλλ᾽ ὡς ἀπὸ τούτων τὰς χινήσεις οὔσας 
λέγουσιν. Jüngere Schriftsteller, welche das Urtheil des Plato und Aristo- 
teles wiederholen, führt Scaausaca 8. 105 f. an. Hier genüge Sımpc. Phys. 
327, 26: χαὶ Avaf. δὲ τὸν νοῦν ἐάσας, ὥς φησιν Εὔδημος, χαὶ αὐτομα- 
τίζων (von dem αὐτόματον, der Naturnothwendigkeit, herleitend) τὰ πολλὰ 
συνέστησι. 

1) Die Placita I, 7, ὅ sagen zwar: ὁ δὲ Avyafayopas φησὶὴν, ὡς εἱστήχει 
χατ᾽ ἀρχὰς τὰ σώματα νοῦς δὲ αὐτὰ διεκόσμησε ϑεοῦ καὶ τὰς γενέσεις 
τῶν ὅλων ἐποίησεν, und nachdem sie die entsprechende Darstellung Plato’s 
(im Timäus) berährt haben, fügen sie bei: χοενῶς οὖν ἁμαρτάνουσιν ἀμφύ- 
Tepos, ὅτε τὸν ϑεὸν ἐποίησαν ἐπισερεφόμενον τῶν ἀνϑρωπένων, ἢ καὶ 
τούτου χάρεν τὸν χύσμον χατασχευάζοντα᾽ τὸ γὰρ μαχάριον καὶ ἄφϑαρεον 
ζῷον... ὅλον ὃν περὶ τὴν συνοχὴν τῆς ἰδίας εὐδαιμονίας καὶ ἀφϑαρσίας 
ἀνεπιστρεφές ἐστε τῶν ἀνθρωπίνων πραγμάτων καχοδαίμων δ᾽ ἄν εἴη 
ἐργάτου δίχην χαὶ τέχτονος ἀχϑοφορῶν xal μεριμνὼν εἰς τὴν τοῦ χύσμου 
χατασχευήν. Um aber in dieser Stelle ein „ausdrückliches und klares 
Zeugniss Plutarch’s“ zu sehen, „welches jede weitere Untersuchung über- 
flüssig macht“ (GLapiscn Anax. u. d. Isr. 123 vgl. 165), müsste man gänz- 
lich vergessen, dass die Placita doch nicht das Werk Plutarch’s sind; dass 
ferner dieser die hier ausgesprochenen Einwäürfe gegen den Vorsehungs- 
glauben, und vollends gegen die platonische Fassung desselben, unmöglich 
erhoben haben könnte; dass man denselben vielmehr ihre epikureische Ab- 
kunft beim ersten Blicke mit vollkommeuer Sicherheit ansieht (m. vgl. in 
dieser Beziehung mit unserer Stelle Th. III a, 398 f. 428, und über die 
Herkunft derselben jetzt Dıeıs Doxogr. 58 ἢ). Der angebliche Plutarch 
bezeugt aber nicht einmal, was Gl. bei ihm findet; sondern als die eigene 
Aussage des Anaxagoras gibt er nur das gleiche, wie alle andern: dass der 
göttliche Nus die Welt gebildet habe; wenn er ihm dagegen deshalb den 


1000 Anaxagoras. [895. 896] 


teleologische Naturerklärung, welche das Einzelne als solches 
auf bestimmte Zwecke, und insbesondere auf das Wohl der 
Menschen als allgemeinsten Weltzweck zurückführt!). Was 
der Geist bei der Weltbildung bezweckt, ist nur die Hervor- 
bringung dieses wohlgeordneten Ganzen. Mag man nun dieses 
Verhalten | loben oder tadeln, jedenfalls beweist es, dass Anaxa- 
goras die Folgerungen, welche sich aus dem Begriff eines all- 
wissenden, alle Dinge nach Zweckbegriffen ordnenden Welt- 
bildners ergeben würden, nur sehr unvollständig gezogen hat, 


Glauben an eine göttliche Fürsorge für die Menschen beilegt, so ist diess 
lediglich eine Folgerung des Epikureers, welcher dadurch in den Stand ge- 
setzt wird, die herkömmlichen Einwendungen der Schule gegen den Vor- 
sehungsglauben auf ihn anzuwenden; als geschichtliches Zeugniss hat diese 
Folgerung keinen höheren Werth, als z. B. die gleichfalls epikureische 
Darstellung bei Cıc. N. D. I, 11, 26 (über die Krıscne Forsch. 66 z. vgl.), 
‚derzufolge der Nus ein mit Empfindung und Bewegung versehenes ζῷον 
wäre. Wenn GrapiscH (S. 100 f. 118) unserem Philosophen weiter die Sätze 
in den Mund legt: es sei nichts unordentliches und unvernänftiges in der 
Natur, der Nus sei als Anordner des Weltalls auch der Urheber alles dessen, 
was der gewöhnlichen Anschauung nach schlecht ist, so ist auch diess 
viel mehr, als sich erweisen lässt. Anıst. Metaph. ΧΙ, 10. 1075 b 10 tadelt 
zwar an Anax. τὸ ἐναντίον μὴ ποιῆσαι τῷ ἀγαϑῷ χαὶ τῷ νῷ, aber daraus 
kann man nicht schliessen, dass er auch das Schlechte auf die Ursächlich- 
keit des Nus zurückführte, sondern ebenso möglich ist es, dass er die Auf- 
gabe, sein Dasein zu erklären, noch gar nicht in Angriff genommen hat, 
und Metaph. I, 4. 984 "8 fi. 32 ἢ, spricht sogar unverkennbar für die 
letztere Ansicht. Dass aber Arzx. zu Metaph. 46, 4 Bon. 60, 25 Hayd. 
sagt: Ayafayopg δὲ ὁ νοῦς τοῦ εὖ TE χαὶ χαχῶς μόνον ἣν ποιητεχὸν αἴτεον, 
ὡς εἴρηχεν (sc. Agsoror.), würde keinenfalle viel beweisen, da wir hier nur 
eine Folgerung aus den Grundsätzen des Anax. vor uns hätten, welche zu- 
dem nicht sehr bündig wäre (denn Anax. hätte das Schlechte ebensogut, wie 
Plato, auf den Stoff zurückführen können); es ist jedoch offenbar (wie selbst 
Grapisch anzunehmen nicht abgeneigt ist) statt den χαχῶς „xalws“ zu 
setzen, denn als Ursache des εὖ χαὶ χαλῶς hatte Arısr. Metaph. I, 3. 984 
b 10 und Arzxanper selbst 8. 25, 22 B. 33, 13 H. den anaxagorischen 
Nus bezeichnet. Noch weniger bezeugt Turuıst. Phys. 413 Sp., „dass nach 
Anaxagoras nichts unvernünftiges und unordentliches in der Natur stattfinde“, 
er hält diess dort vielmehr von seinem eigenen Standpunkt aus Anaxagoras 
entgegen. 

1) Es ergibt sich diess schon aus den so eben besprochenen Klagen 
des Plato und Aristoteles. Dümurer's (Akad. 103 ff.) Versuch, die Geltung 
dieser Zeugnisse durch den Nachweis einiger teleologischen Erklärungen des 
Anax. abzuschwächen, wird von Heınze a. a. O. 37 f. mit triftigen Gründen 
abgelehnt. 


[896. 897) Wirksamkeit des Geistes. Weltbildung. 1001 


dass er mithin auch diesen Begriff selbst nicht rein gefasst, 
nicht alles, was darin liegt, sich deutlich gemacht haben kann. 
Die Lehre des Anaxagoras vom Geiste ist so einerseits zwar 
der Punkt, auf welchem der Realismus der älteren Natur- 
philosophie über sich selbst hinausführt, andererseits aber steht 
sie selbst noch mit einem Fusse auf dem Boden dieses Realis- 
mus. Der@Grund des natürlichen Werdens und der Bewegung 
wird gesucht, und was der Philosoph findet, ist der Geist; 
aber weil er dieses höhere Princip zunächst nur für den Zweck 
der Naturerklärung gesucht hat, weiss er sich seiner erst un- 
vollständig zu bedienen; die teleologische Naturbetrachtung 
verwandelt sich unmittelbar wieder in die mechanische; Anaxa- 
goras hat, wie ARISTOTELES sagt, die Endursache, und er ge- , 
braucht sie nur als bewegende Kraft. 


2. Die Weltentstehung und das Weltgebäude. 

Um aus dem ursprünglichen Chaos eine Welt zu bilden, | 
brachte der Geist zunächst an Einem Punkt dieser Masse eine 
Kreisbewegung hervor, welche sofort sich ausbreitend immer 
grössere Theile derselben in ihren Bereich zog, und noch 
ferner weitere ergreifen wird!). Diese Bewegung bewirkte 


-----..ο. -.ὄ-......Ἅ.ἭἭ --... 


1) Fr. 8 (8. ο. 991, 1): xal τῆς περιχωρήσιος τῆς συμπάσης γνοὺς 
ἐχράτησεν, ὥστε περιχωρῆσαι τὴν ἀρχήν. χαὶ πρῶτον ἀπὸ τοῦ σμιχροῖ 
ἤρξατο περεχωρεῖν, ἐπεὶ δὲ πλεῖον περιχωρεῖ (wofür wohl mit Rırrer zu lesen 
ist: ἔπειτε πλεῖον περιεχώρεελ Vgl. 8. 1002, 2. Zur Bezeichnung dieser 
weltbildenden Kreisbewegung bedient sich A. in den Fragmenten immer der 
Ausdrücke περιχωρεῖν, περεχώρησις ; dass er auch δῖνος dafür sagte, würde 
aus Arıstoru. Wolken 828 auch dann nicht folgen, wenn dieser bei seinem 
Jiros βασιλεύει τὸν Al ἐξεληλαχὼς Anaxagoras im Auge hätte, was sich 
doch nicht beweisen lässt; denn ihm musste der leucippische “νος schon 
als Masculinum und wegen des Wortspiels mit A/« besser passen. Die 
Welt durch eine Kreisbewegung entstehen zu lassen, veranlasste unsern 
Philosophen ohne Zweifel ebenso, wie Leucippus, die Voraussetzung (Fr. 8 
s. 0. 992, 1), dass die gegenwärtige Drehung des Himmelsgebäudes nur 
die Folge und Fortsetzung der weltbildenden Kreisbewegung sei. Daraus 
folgte dann, dass er mit Leucippus die letztere, wie (nach S. 1007) die 
des Himmels, sich als eine von Osten über Süden nach Westen gehende 
seitliche Drehung um die Weltachse vorstellte, welche letztere vor der 
Neigung der Erde durch die Erdscheibe in senkrechter Richtung hin- 
durchgieng. Von welchem Punkte der Stoffmasse, aus der unsere Welt be- 
steht, diese Bewegung ausgieng, wird uns nicht gesagt. Dırruzr (Einl. in 


1002 Anaxagoras. [897] 


durch ihre ausserordentliche Geschwindigkeit eine Scheidung 
der Stoffe, bei welcher dieselben zuerst nach den allgemeinsten 
Unterschieden des Dichten und Dünnen, des Kalten und 
Warmen, des Dunkeln und Hellen, des Feuchten und 
Trockenen!) in zwei grosse Massen auseinandertraten?), deren 
Wechselwirkung für die weitere Gestaltung der Dinge von 
entscheidendem Einfluss ist. Anaxagoras bezeichnete dieselben 
mit dem Namen des Aethers und der Luft, indem er unter 
jenem alles warme, lichte und dünne, unter diesem alles kalte, 


die Geistesw. I, 205 ἢ) glaubt, es sei diess der Scheitelpunkt des späteren 
Himmelsgebäudes, also.der Nordpol gewesen; so dass demnach die zzegı- 
χώρησις eine vom Nordpol aus nach unten gerichtete und sich stetig er- 
‚ weiternde Spirallinie beschreiben würde, und das Weltgebäude die Gestalt 
eines Kegels hätte, dessen Spitze der Nordpol wäre. Mir scheint gegen 
diese sinnreiche Vermuthung der Umstand zu sprechen, dass Anax. (s. ὃ. 
894, 2. 1007, 3) sagte, die Erde ruhe desshalb an ihrer Stelle, weil sie für 
die unter ihr befindliche Luft einen Verschluss bilde (ἐπεπτωματίζεεν) und 
sie verhindere, nach oben zu entweichen. Denn diess träfe nicht zu, wenn 
der Raum unter der Erde sich vom Rande der Erdscheibe aus verbreiterte. 
Es ist mir daher wahrscheinlicher, dass A. das Weltgebäude für eine Kugel 
hielt, in deren horizontaler Durchschnittsebene die Erdscheibe liege, und 
demgemäss seine Bildung durch eine vom Mittelpunkt des Ganzen ausgehende 
und sich gleichmässig nach allen Richtungen fortpflanzende Drehung um 
eine diesen Mittelpunkt durchschneidende Achse bewirkt werden liess. 

1) Denn das Warme und Trockene fällt ihm, wie den übrigen Physi- 
kern, mit dem Dünnen und Leichten zusammen; vgl. 8. 1008, 1. 4. 984, 2. 
985, 2. 

2) Fr. 2 b. Sımer. Phys. 55, 30: χαὶ γὰρ ἀήρ τε καὶ αἰϑὴρ ἀποχρίέ- 
voyras ἀπὸ τοῦ πολλοῦ τοῖ περιέχοντος. χαὶ τό γε πεῤρεέχον ἄπειρόν 
ἐστε τὸ πλῆϑος. Fr. 18 (7) b. βιμρι, 300, 31: χαὶ ἐπεὶ ἤρξατο ὁ vous 
κινεῖν, ἀπὸ τοῦ χινουμένου παντὸς ἀπεχρένειο, χαὶ ὅσον ἐχίνησεν ὁ νοῦς 
πᾶν τοῦτο διεχρέϑη" κινουμένων δὲ χαὶ διαχρινομένων ἡ περιχώρησιες 
πολλῷ μᾶλλον ἐποίει διαχρένεσϑαι. Fr. 21 (11) b. Sımer. 35, 14: τούτων 
περιχωρούντων TE χαὶ ἀποχρεινομέγων ὑπὸ βίης τε χαὶ ταχυτῆτος, βίην δὲ 
ἡ ταχυτὴς ποιεῖ. ἡ δὲ ταχυτὴς αὐτῶν οὐδενὶ Eosxe χρήματι τὴν ταχυτῆτα 
τῶν νῦν ἐόντων χρημάτων ἐν ἀνθρώποις, ἀλλὰ πάντως πολλαπλασίως ταχὺ 
ἐστι. Fr. 8. 19, 8. 5. 985, 2. Dass diese Scheidung des siyu« in Aether 
und Luft erst in Folge der περεχώρησις eintrat, und ihr nicht (wie Taxwerr 
glaubt, Sci. Hell. 289) schon ‚vorangieng, ergibt sich ausser Fr. 2 auch 
aus der Erwägung, dass jede Trennung einzelner Stoffe, und vollends so 
ungeheurer Massen, das ὁμοῦ πάντα aufgehoben hätte. Auch in den 8. 1008, 1 
aus Fr. 1 angeführten Worten liegt es nicht, diese werden vielmehr nach 
dem unmittelbar vorangehenden so zu verstehen sein, dass mit allem andern 
auch Aether und Luft ὁμοῦ waren. 


[898] Weltbildung. 1003 


dunkle und schwere zusammenfasste!). Das | dichte und 
feuchte wurde durch den Umschwung in die Mitte, das dünne 
und warme nach aussen getrieben, wie ja auch sonst in 
Wasser- oder Luftwirbeln das schwerere nach der Mitte ge- 
führt wird?). Aus der unteren Dunstmasse schied sich im 
weiteren Verlaufe das Wasser aus, aus dem Wasser die Erde, 
aus der Erde bildete sich durch die Wirkung der Kälte das 
Gestein®). Einzelne Steinmassen, durch die Gewalt des Um- 
schwungs von der Erde weggerissen und im Aether glühend 
geworden, beleuchten die Erde; diess sind die Gestirne, mit 
Einschluss der Sonne*t). Durch die Sonnenwärme wurde die 


1) Diese schon von Rırrer (Jon. Phil. 276. Gesch. ἃ. Phil. I, 321) 
und Zkvorr 105 f. ausgesprochene Annahme ergibt sich aus den folgenden 
Stellen. Anax. Fr. 1 (nach dem 986, 1 angeführten): πάντα γὰρ ἀήρ τε 
καὶ αἰϑὴρ κατεῖχεν, ἀμφότερα ἄπειρα ἐόντα" ταῦτα γὰρ μέγιστα ἔνεστιν 
ἐν τοῖσε σύμπασι καὶ πλήϑει καὶ μεγέϑει. Fr. 2 8. vor. Anm. Arıst. De 
coelo ΠῚ, 3 (8. ο. 980, 2): ἀέρα δὲ χαὶ πῦρ μῖγμα τούτων καὶ τῶν ἄλλων 
σπερμάτων πάντων... διὸ καὶ γίγνεσθαι πάντ' ἐχ τούτων (Luft und 
Feuer)‘ τὸ γὰρ πῦρ καὶ τὸν αἰϑέρι προςαγορεύεε ταὐτό. THEoPHR. De 
sensu 59: ὅτι τὸ μὲν μανὸν καὶ λεπτὸν ϑερμὸν τὸ δὲ πυκνὸν καὶ παχὺ 
ψυχρόν" ὥσπερ ᾿Αναξ. διαιρεῖ τὸν ἀέρα καὶ τὸν αἰϑέρα. Dass Anaxagoras 
unter dem Aether das Feurige verstand, bestätigt Arısr. auch De caelo I, 3. 
270 d 24. Meteor. I, 3. 389 b 21. II, 9. 369 Ὁ 14; ebenso Plac. II, 13, ὃ. 
Sner. De calo 55 a 8. 268 b 43 (Schol. 475 ὃ 32. 513 a 89) Auzx. 
Meteorol. 73 a o. 111 Ὁ u. Orymrıopor Meteor. 6 a (Arist. Met. ed. Id. I, 
140), welche beifügen, A. habe αἰϑὴρ von αἴϑω abgeleitet. 

2) Fr. 19, s. o. 985, 2 vgl. Arıst. De cwlo II, 13. 295 a 9. Meteor. 
II, 7 Anf. Sımer. De cwlo 235 " 31 fi. Der anaxagorischen Stelle folgt 
Hırror. Refut. I, 8, weniger genau Dıoc. II, 8. 

3) Fr. 20 (9) b. Smer. Ph. 179, 8: ἀπὸ τουτέων ἀποχρινομένων συμ- 
πήγνυταε γῆ" ἐχ μὲν γὰρ τῶν νεφελὼν ὕδωρ amoxolvera, ἐχ δὲ τοῦ 
ἔδατος γῆ᾽ ἐκ δὲ τῆς γῆς λίϑοι συμπήγνυνται ὑπὸ τοῦ ψυχροῦ. Die 
Lehre von den vier Elementen lässt sich weder aus dieser Aeusserung noch 
aus den aristotelischen Stellen, die 8. 980, 2. 981, 3 angeführt wurden, für 
Anaxagoras gewinnen, in dessen System sie auch einen ganz andern Sinn 
hätte, als bei Empedokles; vgl. vorl. Anm. und Sıwrrt. De coelo 269 b 14. 
41 (Schol. 518 b 1). 81 a 4. 

4) Prur. Lysand. c. 12: εἶναι δὲ χαὶ τῶν ἄστρων ἕχαστον οὐχ ἐν ἢ 
πέφυχε χγώρᾳ᾽ λεϑώδη γὰρ ὄντα Bupka λάμπειν μὲν ἂντερείσει καὶ περι- 
κλάσεε τοῦ αἰϑέρος, ἕλχεσϑαι δὲ ὑπὸ βίας σφιγγόμενον |--- αἹ δίνη καὶ 
τόνῳ τῆς περιφορᾶς, ὡς που καὶ τὸ πρῶτον ἐχρατήϑη μὴ πεσεῖν δεῦρο, 
τῶν νψυχρῶν χαὶ βαρέων ἀποχριγνομένων τοῦ παντός. Plac. II, 13, 3: 
Avafay. τὸν περιχείμενον αἰϑέρα πύρινον μὲν εἶναι κατὰ τὴν οὐσίαν. 


1004 Anaxagoras. [890] 


Erde, welche | anfangs in schlammartigem Zustand war!), 
ausgetrocknet, und das zurückgebliebene Wasser wurde in 
Folge der Verdunstung bitter und salzig?). 

Diese Kosmogonie leidet nun freilich an derselben 
Schwierigkeit, wie alle Versuche, die Entstehung des Welt- 
ganzen zu erklären. Wenn einerseits der Stoff der Welt, 
andererseits die weltbildende Kraft ewig ist, woher kommt es, 
dass die Welt selbst in einem bestimmten Zeitpunkt ange- 
fangen hat zu sein? Diess gibt uns jedoch kein Recht, die 
Aeusserungen unseres Philosophen, welche durchaus einen 
zeitlichen Anfang der Bewegung voraussetzen, umzudeuten, und 
der Meinung des SmipLicıus®) beizutreten, dass Anaxagoras nur 
um der Anschaulichkeit willen von einem Anfang der Bewegung 
rede, ohne doch wirklich daran zu glauben *). Er selbst trägt 
das, was er von dem Anfang der Bewegung und dem ursprüng- 


τῇ δ᾽ εὐτονίᾳ τῆς περιδινήσεως ἀναρπάζοντα πέτρους &x τῆς γῆς καὶ κατα- 
φλέξαντα τούτους ἠστερικέναι. Hırror. a. ἃ. Ο.: ἥλιον δὲ καὶ σελ΄γην καὶ 
πάντα τὰ ἄστρα λίϑους εἶναι ἐμπύρους συμπερεληφϑέντας ὑπὸ τῆς τοῦ 
αἰϑέρος περεφορᾶς. Dass Anaxag. die Gestirne für Steine und die Sonne 
insbesondere für eine glühende Masse (λέϑος διάπυρος, μύδρος διάπυρος) 
gehalten habe, wird häufig bezeugt. M. vgl. ausser vielen andern, die 
Scuausach 139 fi. 159 anführt, PLaro Apol. 26 D. Gess. XII, 967 C. Xxxoru. 
Mem. IV, 7, 6f. Nach Dıoc. ἢ, 11f. berief er sich für diese Ansicht auf 
das Vorkommen von Meteorsteinen. Was die Placita über den irdischen 
Ursprung jener Steinmassen sagen, wird nicht allein durch die plutarchische 
Stelle bestätigt, sondern man kann sich nach dem ganzen Zusammenhang 
seiner Ansichten überhaupt nicht denken, wo anders ihm Steine hätten ent- 
stehen können, als auf der Erde oder wenigstens in der Erdsphäre. M. 5. 
die zwei letzten Anm. Sonne und Mond sollten gleichzeitig entstanden sein 
(Εσνεμ. b. Proxı. in Tim. 258 C). 

1) Vgl. folg. Anm. und Tzerz. in I. S. 42. 

2) Dıoc. Π, 8. Plac. IH, 16, 2. Hırror. Refut. I, 8. Auex. Meteor. 
91 Ὁ o. bezieht auf unsern Philosophen die Angabe (Arıst. Meteor. II, 1. 
353 b 13), dass der Geschmack des Seewassers von einigen aus der Bei- 
mischung erdiger Bestandtheile hergeleitet werde; nur wird diese Beimischung 
nicht, wie diess Alexander erst aus der aristotelischen Stelle erschlossen zu 
haben scheint, vom Durchsickern durch die Erde, sondern von der ursprüng- 
lichen Beschaffenheit des Flüssigen herrühren, dessen erdige Theile bei der 
Verdunstung zurückblieben. 

3) Phys. 257 Ὁ m. unt. 

4) So Rırrer Jon. Phil. 250 ff. Gesch. ἃ, Phil. I, 318 f. Braxpıs I, 250. 
SCHLEIERMACHER Gesch. d. Phil. 44. 


[899. 900] Weltbildung. 1005 


lichen Mischzustande sagt, in keinem anderen Ton vor, als 
das übrige, und nirgends deutet er mit einem Wort an, dass 
es anders gemeint sei; ARISTOTELES!) und Eupeuus?) haben 
ihn gleichfalls nicht anders verstanden, und es lässt sich wirk- 
lich auch nicht absehen, wie er von einer beständigen Zu- 
nahme der Bewegung hätte reden können, ohne einen Anfang 
derselben vorauszusetzen. Simplicius dagegen ist in | diesem 
Fall ebensowenig ein urkundlicher Zeuge, als da, wo er die 
Mischung aller Stoffe auf die neuplatonische Einheit, und das 
erste Auseinandertreten der Gegensätze auf die Ideenwelt 
deutet?); was aber die sachlichen Schwierigkeiten seiner Vor- 
stellungsweise betrifft, so kann Anaxagoras diese so gut über- 
sehen haben, als andere vor und nach ihm. Mit mehr Grund 
kann man fragen, ob unser Philosoph ein dereinstiges Auf- 
hören der Bewegung, eine Rückkehr der Welt in den Ur- 
zustand annahm *). Nach den zuverlässigsten Zeugnissen hatte 
er sich darüber nicht ausdrücklich erklärt®); aber seine Aeusse- 
rungen über die fortschreitende Ausbreitung der Bewegung®) 
lauten doch nicht so, als ob er an ein dereinstiges Ende der- 
selben gedacht hätte, und in seinem System ist für diese Vor- 
stellung durchaus kein Anknüpfungspunkt zu finden: denn 


1) Phys. VII, 1. 250 b 24: φησὶ γὰρ ἐχεῖνος [Avak.], ὁμοῦ πάντων 
ὄντων καὶ ἠρεμούντων τὸν ἄπειρον χρόνον, κένησιν ἐμποιῆσαι τὸν τοῦν 
καὶ διαχρῖγαι. 

2) Sımer. Phys. 273 a 0.: ὁ δὲ Εὔδημος μέμφεται τῷ Avafayope 
οὐ μόνον ὅτι μὴ πρότερον οὖσαν ἄρξασϑαί more λέγεε τὴν κίνησιν, ἀλλ᾽ 
ὅτε καὶ περὶ τοῦ διαμένειν ἢ λήξειν ποτὲ παρέλιπεν εἰπεῖν, καίπερ οὐχ 
ὄντος φανεροῦ. 

8) Phys. 84, 18 ff. 157, 16. 461, 10. 257 b u. Ald. s. βσπαύβδση 91 ἢ 

4) Wie diess Stop. ΕΚ]. I, 416 behauptet. Da derselbe Anaxagoras 
in dieser Beziehung mit Anaximander und andern Joniern zusammenstellt, 
so werden wir seine Angabe von einem Wechsel der Weltbildung und Welt- 
zerstörung zu verstehen haben. 

5) 8. Anm. 2 vgl. Asıst. Phys. VIII, 1. 252 a 10. Smer. De ceelo 
167 ν 18 (Schol. 491 b 10 ff.) kann man für die entgegengesetzte Annahme 
nicht anführen: denn es heisst hier nur, Anaxagoras scheine die Be- 
wegung des Himmels und die Ruhe der Erde im Mittelpunkt für endlos 
zu halten; bestimmter sagt SmerL. Phys. 154, 29, er halte die Welt für 
unvergänglich, aber es fragt sich, ob ihm wirklich eine bestimmte Erklä- 

darüber vorlag. 

6) Oben 1001, 1. 


1006 | Anaxagoran. (00. Wi] 


warum sollte der Geist die Welt, wenn er sie einmal zur Ord- 
nung gebracht hat, wieder in’s Chaos zurückstürzen? Jene 
Angabe ist daher wohl nur aus einem Missverständniss dessen 
entstanden, was Anaxagoras über die Erde und ihre wechseln- 
den Zustände gesagt hatte!). Wenn endlich aus einem dunkeln 
Bruchstück der anaxagorischen Schrift?) geschlossen | worden 
ist, ihr Verfasser habe mehrere dem unsrigen ähnliche Welt- 
systeme angenommen?), so muss ich diese Vermuthung gleich- 
falls ablehnen. Denn wollten wir auch auf das Zeugniss des 
Stosäus*), dass er die Einheit der Welt gelehrt habe, kein 
Gewicht legen, so bezeichnet doch auch er selbst die Welt 
als eine einheitliche®), er muss sie mithin als Ein zusammen- 
hängendes Ganzes betrachtet haben, und dieses Ganze kann 
nur Ein Weltsystem bilden, da die Bewegung der ursprüng- 
lichen Masse von Einem Mittelpunkt ausgeht, und bei der 
Scheidung der Stoffe das gleichartige an Einen und denselben 
Ort geführt wird, das schwere nach unten, das leichte nach 
oben. Jenes Bruchstück wird daher nicht auf eine von der 
unsrigen verschiedene Welt, sondern auf einen Theil dieser 
unserer Welt, am wahrscheinlichsten auf den Mond, gehen δ). 


1) Nach Diıoe. II, 10 behauptete er, die Berge um Lampsakus werden 
einmal in ferner Zukunft von der See bedeckt sein. Vielleicht war er durch 
ähnliche Beobachtungen, wie Xenophanes (8. 8. 542), zu dieser Vermuthung 

worden. 

2) Fr. 4 (10) b. Smeer. Ph. 34, 29. 157, 9: ἀνϑρώπους τε συμπαγῆναε 
χαὶ τἄλλα ζῷα ὅσα ψυχὴν ἔχει. καὶ τοῖς γε ἀνθρώποισιν εἶναι καὶ πόλεες 
συνῳχημένας χαὶ ἔργα κατεσχευασμένα ὥσπερ παρ᾽ ἡμῖν, χαὶ ἡέλεόν τε 
αὐτοῖσιν εἶναι χαὶ σελήνην καὶ τἄλλα ὥσπερ παρ᾽ ἡμῖν, καὶ τὴν γῆν 
αὐτοῖσε φύει: πολλά τε χαὶ παντοῖα ὧν ἐχεῖνοε τὰ ὀνήϊστα συνενεγχάμενοει 
εὶς τὴν οἴχησιν χρῶνται. Dass Sımer. Phys. 27, 17 von ihm redend sich 
der Mehrzahl τοὺς χόσμους bedient, ist ganz unerheblich. Vgl. 8. 231, 1. 

8) Scaausach 119 £. 

4) ΕΚ]. I, 496 (Aötius). 

5) Fr. 11 oben 986, 2. 

6) Die Worte, deren weiterer Zusammenhang uns nicht bekannt ist, 
könnten entweder auf einen von dem unsrigen verschiedenen Erdtheil, oder 
auf die Erde in einem früheren Zustand, oder auf einen andern Weltkörper 
bezogen werden. Das erste ist aber nicht wahrscheinlich, da von einem 
anderen Erdtheil nicht ausdrücklich bemerkt sein würde, dass er auch eine 
Sonne und einen Mond habe; denn Antipoden, bei denen diese Bemerkung 
etwa am Platze gewesen wäre, kann Anaxagoras nach seinen Vorstellungen 


[901. 902] Weltbildung; Einheit der Welt. 1007 


Jenseits der Welt breitet sich der unendliche Stoff aus, 
von welchem durch den fortschreitenden Umschwung immer 
weitere Theile in die Weltordnung hineingezogen werden ἢ): 
von diesem Unendlichen sagte Anaxagoras, es ruhe in sich 
selbst, weil es keinen Raum ausser sich habe, in den es sich 
bewegen könnte?). | 

In seinen Annahmen tiber die Einrichtung des Welt- 
gebäudes schloss sich Annaxagoras grösstentheils an die ältere 
jonische Physik an. In der Mitte des Ganzen ruht die Erde 
als flache Walze, wegen ihrer Breite von der Luft getragen?). 
Um die Erde bewegten sich die Gestirne anfangs seitlich, so 
dass der uns sichtbare Pol beständig senkrecht über der Mitte 
der Erdfläche stand; erst in der Folge entstand die schiefe 
Stellung der Erde, wegen der die Gestirne mit einem Theil 
ihrer Bahn unter ihr weggehen*). Die Ordnung der Gestirne 
bestimmte Anaxagoras mit der gesammten älteren Astronomie 
so, dass Sonne und Mond der Erde zunächst stehen; zugleich 
glaubte er aber, es seien zwischen dem Mond und der Erde 
noch weitere, uns unsichtbare Körper, und er leitete die Monds- 


von der Gestalt der Erde und vom Oben und Unten nicht wohl ange- 
nommen haben. Die zweite Erklärung wird durch die Präsensformen 
εἶναι, φύειν, χρῶνται ausgeschlossen. Bleibt somit die dritte allein 
übrig, so werden wir nur an den Mond denken können, von dem wir auch 
sonst wissen, dass ihn Anaxagoras für bewohnt erklärt und eine Erde 
genannt hat. Dass ihm gleichfalls ein Mond zugeschrieben wird, würde 
dann bedeuten, es verhalte sich ein anderes Gestirn zu ihm wie der Mond 
zur Erde. 

1) 8. o. 1001, 1. 

2) Arıst. Phys. II, 5. 205 b 1: Avafayopas δ᾽ ἀτόπως λέγει περὶ 
τῆς τοῦ ἀπείρου μονῆς στηρίζεεν γὰρ αὐτὸ αὑτό φησι τὸ ἄπειρον. τοῦτο 
δὲ ὅτε ἐν αὑτῷ᾽ ἄλλο γὰρ οὐδὲν περιέχει. M. vgl. hiemit, was 8. 615 
aus Melissus ‘angeführt wurde. 

3) Arıst. De calo Π, 13, 8. o. 894, 2. Meteor. II, 7. 365 a 26 ff. 
Dioa. I, 8. Hırpor. Refut. I, 8. Ausx. Meteor. 66 ὃ u. a. bei ScHAuBAcH 
174 f. Nach Sıuer. De colo 167 b 13 (Schol. 491 b 10) hätte er als wei- 
teren Grund für das Bleiben der Erde auch die Gewalt des Umschwungs 
genannt, Simpl. scheint aber hier unbefugter Weise auf ihn zu übertragen, 
was Arıst. von Empedokles sagt; vgl. S. 789, 2. 3. 

4) Dioe. Π, 9. Plac. II, 8. Hırror. I, 8 vgl. 8. 266, 6. 897, 2. 

Philos. d. Gr. I. Bd. 5. Aufl. 64 


1008 ᾿ Anaxagoras. (902. 903] 


finsternisse neben dem Erdschatten auch von ihnen her!), wo- 
gegen die Sonnenfinsternisse allein vom Durchgang des Mondes 
zwischen Erde und Sonne herrühren sollen?). Die Sonne hielt 
er für weit grösser, als sie uns erscheint, wenn er auch von 
der wirklichen Grösse dieses Himmelskörpers noch keine 
Ahnung hatte®?). Dass er sie im übrigen als eine glühende 
Steinmasse bezeichnete, ist schon bemerkt worden. Von dem 
Mond nahm er an, er habe ähnlich, wie die Erde, Berge und 
Thäler, und sei von lebenden Wesen bewohnt*), und aus 
dieser | seiner erdartigen Natur erklärte er es, dass sein eigenes 
Licht (wie es sich bei den Mondsfinsternissen zeigt) nur trübe 
seid); in seinem gewöhnlichen helleren Schein erkannte er den 
Abglanz der Sonne, und wenn auch nicht anzunehmen ist, 
dass er selbst diese Entdeckung gemacht hat®), so war er 
doch jedenfalls einer von den ersten, die ihr in Griechenland 
Eingang verschafften?). Wie er sich den jährlichen Umlauf 
der Sonne und den monatlichen des Mondes erklärte, lässt 


1) Hıpeor. a. a. O. S. 22. Stoe. Ekl. I, 560 (nach Theophrast) auch 
Dioc. D, 11. Vgl. 5. 424, 3. 

2) Hırror. a. a. O.; ebd. die Bemerkung: οὗτος ἀφώρισε πρῶτος τὰ 
περὶ τὰς ἐχλεέψεις χαὶ φωτισμούς, vgl. PıuT. Nie. c. 23: ὁ γὰρ πρῶτος 
σαφέστατον τε πάντων χαὶ ϑαῤῥαλεώτατον περὶ σελήνης χαταυγασμὼν 
καὶ σχιᾶς λόγον εἷς γραφὴν καταϑέμενος Avasayopas. 

3) Nach Dioac. II, 8. Hırror. ἃ. a. Ο. sagte er, sie sei grösser, nach 
Plac. 11, 21, sie sei vielmal grösser als der Peloponnes, wogegen der Mond 
(nach Pıur. fac. I. 19, 9. S. 932) die Grösse dieser Halbinsel haben sollte. 

4) Prato Apol. 26 Ὁ: τὸν μὲν ἥλεον λίϑον φησὶν εἶναε τὴν δὲ 
σελήνην γῆν. Dioe. I, 8. Hırror. a. ἃ. O. Plac. II, 25, 9 (8. ο. 895, 1) 
Anaxag. Fr. 4 (s. o. 1006, 2). Aus Srto». I, 564 scheint hervorzugehen, was 
schon an sich wahrscheinlich ist, dass A. das Gesicht im Monde hierauf be- 
zog; nach Scaor. ArorL. Rhod. I, 498 (s. Scuausach 161) vgl. Put. fac. 
1. 24, 6 erklärte er die Fabel, dass der nemeische Löwe vom Himmel 
herabgefallen sei, durch die Vermuthung, er möge wohl aus dem Monde 
stammen. 

5) Stos. I, 564. OuLynrion. in Meteor. 15 b. I, 200 Id. 

6) Parmenides hat sie vor ihm, Einpedokles mit ihm vorgetragen; 
8. 0. 577, 1. 789, 8; Thales dagegen wird sie wohl mit Unrecht beigelegt; 
8. 8. 198, 8. 

7) Prato Krat. 409 A: ὃ ἐχεῖνος [Avaf.] νεωστὶ ἔλεγεν, ὅτε ἡ σελήνη 
ἀπὸ τοῦ ἡλίου ἔχει τὸ φὼς. Pıur. fac. lun. 16, 7. S. 929. Hırror. ἃ. ἃ. O. 
Stop. I, 558. Nach Plac. II, 28, 2 legte noch der Sophist Antiphon dem 
Mond eigenes Licht bei. 


[908. 904] ᾿ Weltgebäude. 1009 


sich nicht sicher ausmachen !). Die Sterne, glühende Massen, 
wie die Sonne, deren Wärme wir aber wegen ihrer Entfernung 
und wegen ihrer kälteren Umgebung nicht empfinden 3), sollen 
ähnlich, wie der Mond, neben dem eigenen auch ein von der 
Sonne entlehntes Licht haben, ohne dass in dieser Beziehung 
zwischen Planeten und Fixsternen unterschieden würde; die- 
jenigen von ihnen, zu welchen dem Sonnenlicht der Zutritt 
Nachts durch den Erdschatten verwehrt ist, bilden die Milch- 
strasse®). Ihre Umwälzung hat durchaus die Richtung von | 
Ost nach West*). Durch das nahe Zusammentreten mehrerer 
Planeten entsteht die Erscheinung des Kometen). 

Wie Anaxagoras die verschiedenen meteorologischen und 
elementarischen Erscheinungen erklärte, will ich hier nur kurz 
andeuten®), um mich sofort seinen Ansichten über die leben- 
den Wesen und insbesondere über den Menschen zuzuwenden. 


1) Nur so viel erhellt aus Sros. Ekl. I, 526. Hırror. a. a. O., dass 
die Umkekr beider von dem Widerstand der vor ihnen hergetriebenen ver- 
dichteten Luft abgeleitet wurde, und dass der Mond desshalb öfter, als die 
Sonne, im Lauf umkehren sollte, weil die letztere durch ihre Hitze die Luft 
erwärme und verdünne, und so jenen Widerstand schwäche. Vgl. 5. 250, 1. 

2) Hırror. a. a. O. und ohen 3. 1008, 4. 

3) Arıst. Meteor. I, 8. 345 a 25 und seine Ausleger. Dıoc. II, 9. 
Hırror. a. a. O. Plac. III, 1, 7 vgl. S. 897, 8. 

4) Plac. II, 16; derselben Meinung war noch Demokrit. 

5) Arıst. Meteor. I, 6 Anf. Aex. u. Oryımrion. z. d. St. s. ο. 897, 9. 
Dive. IL, 9. Piac. III, 2, 3. Schol. in Arat. Diosem. 1091 (359). 

6) Donner und Blitz soll vom Durchbruch des ätherischen Feuers durch 
die Wolken herrühren (Arıst. Meteor. II, 9. 369 " 12. Arzx. z. d. St. 111 Ὁ 
u. Plac. III, 3, 3. Hırror. a. a. O. Sen. nat. qu. II, 19 vgl. II, 12, un- 
genauer Dıoc. I, 9), ähnlich die Sturm- und Gluthwinde (τυφὼν und πρηστὴρ, 
Plac. a. a. OÖ.) der übrige Wind von der Strömung der durch die Sonne er- 
wärmten Luft (Hırroır. a. a. O.), der Hagel von den Dünsten, welche durch 
die Sonne erwärmt bis zu einer Höhe aufsteigen, in der sie gefrieren (Arısr. 
Meteor. I, 12. 348 ὃ 12. Arxx. Meteor. 85 Ὁ o. 86 a m. Oryur. Meteor. 20 Ὁ. 
PuıLor. Meteor. 106 a I, 229. 233 Id... Die Sternschnuppen sind Funken, 
welche dem Feuer in der Höhe durch die Schwingung entsprühen (Stos, 
Ekl. I, 580. Dıoe. II, 9. Hırror. a. a. O.). Der Regenbogen und die Neben- 
sonnen entstehen durch die Brechung der Sonnenstrahlen im Gewölke (Plac. 
IH, 5, 11. Schol. Venet. zu Il. P, 547), die Erdbeben durch das Eindringen 
des Aethers in die Höhlungen, von welchen die Erde durchzogen sein soll 
(Arıst. Meteor. II, 7 Anf. ALzx. z. d. St. 106 b m. Dıoae.II,9. Hırror. a. a. 0. 
Plac. III, 15, 4. Sex. nat. qu. VI,9. Aumıas. Maxc. XVII, 7, 11 vgl. IpgLeR 

645 


1010 Anaxagoras. [904. 905] 


3. Die organischen Wesen, der Mensch. 

Wenn unser Philosoph die Gestirne, im Widerspruch mit 
der herrschenden Denkweise, zu leblosen Massen herabgesetzt 
hatte, welche nur mechanisch, durch den Umschwung des 
Ganzen, vom Geist bewegt werden, so erkennt er dagegen in 
dem Lebendigen die unmittelbare Gegenwart des Geistes. „In 
allem sind Theile von allem, ausser dem Geist; in einigem 
aber ist auch der Geist“ !). „Was eine Seele hat, das grössere 
und das kleinere, darin waltet der Geist“ ?). In welcher Weise 
der Geist in den | Einzelwesen sein könne, hat er ohne Zweifel 
nicht gefragt; aus seiner ganzen Darstellung und Ausdrucks- 
weise geht aber hervor, dass ihm dabei die Analogie eines 
Stoffes vorschwebt, der auf räumliche Weise in ihnen ist?®). 
Diese Substanz denkt er sich nun, wie früher gezeigt wurde, 
in allen ihren Theilen durchaus gleichartig, und er behauptet 
demgemäss, dass sich der Geist des einen Wesens von dem 
des andern nicht der Art, sondern nur dem Mass nach unter- 
scheide: aller Geist ist sich ähnlich, aber der eine ist grösser, 
der andere kleiner*.. Doch folgt daraus nicht, dass er die 
Unterschiede der geistigen Begabung auf die Verschiedenheit 
des Körperbaus zurückführen mussted). Er selbst redet ja 
ausdrücklich von einem verschiedenen Mass des Geistes®), 


Arist. Meteorol. I, 587 ἃ.) Die Flüsse nähren sich neben dem Regen auch 
von unterirdischen Wassern (Hırror. a. a. 0.8.20). Die Nilüberschwemmungen 
rühren vom Schmelzen des Schnees auf den äthiopischen Gebirgen her 
(Dıonor I, 38 u. 4... M. 8. über diese Punkte Schausaca 170 ff. 176 ff. 

1) Fr. 7 8. 8. 986, 2. 

2) Fr. 8 8. 991, 1. Das χρατεῖν bezeichnet, wie aus dem unmittelbar 
folgenden erhellt, die bewegende Kraft. Vgl. Arısr., oben 994, 5. 

3) S. o. 993 £. 

4) Vgl. 8. 990 ἢ 

59) Wie Tennemann 1. A. I, 326 f. Wenpr z. ἃ. St. 5. 417 £. Rırter 
jon. Phil. 2%. Gesch. d. Phil. I, 328. Scuaupacn 188. Zevort 135 f. u. a. 
glauben. 

6) Was ihm freilich die Placita V, 20, 3 in den Mund legen, dass alle 
lebenden Wesen den thätigen, aber nicht alle den leidenden Verstand haben, 
kann er unmöglich gesagt haben, und um den eigenthümlichen Vorzug des 
Menschen vor den Thieren auszudrücken, müsste es gerade umgekehrt lauten. 
Unser Text scheint verderbt zu sein, und die Angabe statt des voüs παϑη- 
τιχὸς Sich ursprünglich, freilich in stoischer Terminologie, auf die Sprache, 


[905. 906] Die lebenden Wesen. 1011 


und diess ist auch nach seinen Voraussetzungen ganz folge- 
richtig. Auch wenn er sagte, der Mensch sei desshalb das 
verständigste von allen lebenden Wesen, weil er Hände habe), 
wollte er den Vorzug einer höheren geistigen Anlage wohl 
nicht ausschliessen, sondern es ist nur ein gesteigerter Aus- 
druck für den Werth und die. Unentbehrlichkeit dieses Or- 
gans?). Ebensowenig lässt sich annehmen, dass Anaxagoras 
die Seele selbst für etwas körperliches, für Luft gehalten 
habe®). Dagegen hat ArıwToTeLes | Recht, wenn er bemerkt, 
er habe zwischen der Seele und dem Geist nicht unterschieden *), 
und wenn er in dieser Voraussetzung auf die Seele überträgt, 
was jener zunächst vom Geist sagt, dass er die bewegende 
Kraft sei®). Der Geist ist immer und überall das, was die 
Materie bewegt; auch wenn ein Wesen sich selbst bewegt, 
muss er es sein, der die Bewegung hervorbringt, nur nicht 
mechanisch von aussen, sondern von innen; einem solchen 
Wesen muss daher der Geist selbst inwohnen, er wird in ihm 
zur Seele®). 


den λόγος προφοριχὸς bezogen zu haben; vgl. Disıs z. d. St. Auch der 
λόγος ἐνεργητικὸς ist darin wohl aus einem &vdınderog verschrieben. 

1) Arısr. part. anim. IV, 10. 687 a 7: Avafayogas μὲν οὖν φησὶ, 
διὰ τὸ χεῖρας ἔχειν φρονεμώτατον εἶναε τὼν ζῴων ἀἄνϑρωπον. M. vgl. den 
Vers bei Κβυκνσει,υῦΒ Chron. 149 C, auf den sich dort Anaxagoreer berufen: 
χειρῶν ὀλλυμένων ἔῤῥεε πολύμητις ᾿4ϑηνη. 

2) Darauf weist auch, was Put. De fortuna c. 3 g. E. 8. 98 sagt: 
in körperlicher Beziehung seien uns die Thiere vielfach überlegen, ἐμ- 
πειρίᾳ δὲ καὶ μνήμῃ καὶ σοφίᾳ καὶ τέχνῃ κατὰ ᾿Δἀναξαγόραν σφῶν TE 
αὐτῶν χρώμεϑα καὶ βλίττομεν καὶ ἀμέλγομεν χαὶ φέρομεν χαὶ ἄγομεν 
συλλαμβάνοντες. 

8) Plac. IV, 8, 2: of δ᾽ an ᾿ἀναξαγόρου ἀεροειδῆ ἔλεγόν τε καὶ σῶμα 
[τὴν ψυχήν]. Bestimmter wird diese Annahme bei Stop. Ekl. I, 796. 
Tueop. cur. gr. aff. V, 18. S. 72 Anaxagoras und Archelaos beigelegt. Vgl. 
Tert. De an. c. 42. βιμρι, De an. 39, 26. Bei Pnıror. De an. B 16 m 
(Anax. habe die Seele für eine sich selbst bewegende Zahl erklärt) ist mit 
Branpis Gr.-röm. Phil. I, 264 Sevoxgarns zu lesen. Vgl. ebd. C 5 o. 

4) De an. I, 2, 8. o. 994, 5. ebd. 405 a 13: Ayafayopas δ᾽ ἔοιχε μὲν 
ἕτερον λέγεεν ψυχήν τε καὶ νοῦν, ὥσπερ εἴπομεν καὶ πρότερον, χρῆται δ᾽ 
ἀμφοῖν ὡς μιᾷ φύσει, πλὴν ἀρχήν γε u. 8. W.8. 0. 991 m. BıupL. De an. 31, 16. 

5) A. a. Ο. 404 a 25: ὁμοίως δὲ καὶ ᾿ναξαγόρας ψυχὴν εἶναι λέγει 
τὴν κινοῦσαν, καὶ εἴ τις ἄλλος εἴρηχεν ὡς τὸ πᾶν ἐχίνησε νοῦς. 


6) Vgl. 8. 1010. 


͵ 


1012 Anaxagoras. [906. 907] 


Diese belebende Wirkung des Geistes erkennt nun Anaxa- 
goras zunächst schon in den Pflanzen, denen er desshalb mit 
Empedokles und Demokrit Leben und Empfindung beilegt'). 
Die erste Entstehung der Pflanzen erklärte er sich aus den 
Voraussetzungen seines Systems, indem er annahm, ihre Keime 
seien aus der Luft gekommen 3), die ja überhaupt ebenso, wie 
die übrigen Elemente, ein Gemenge aller möglichen Samen 
sein soll®). Auf dieselbe Art sind ursprünglich auch die Thiere 
entstanden *), | indem die schlammige Erde von den im Aether 
enthaltenen Keimen befruchtet wurde®), wie diess gleichzeitig 
Empedokles, früher Anaximander und Parmenides, in der 
Folge Demokrit und Diogenes annahm®). Mit Empedokles 
und Parmenides trifft Anaxagoras auch in seinen Annahmen 
über die Erzeugung und die Entstehung der Geschlechter zu- 


1) So Prur. qu. n. c. 1. S. 911. Ps.-Asısr. De plant. c. 1. 815 a 15. 
Ὁ 16 (8. o. 8. 792, 2. 908, 2), wo u. a.: ὁ μὲν Avafayoons καὶ ζῷα εἶναι 
[τὰ φυτὰ] χαὶ ἤδεσϑαι καὶ λυπεῖσϑαι εἶπε, τῇ τε ἀποῤῥδοὴ τῶν φύλλων χαὶ 
τῇ αὐξήσει τοῦτο ἐχλαμβάνων. Nach derselben Schrift c. 2 Anf. schrieb er 
den Pflanzen auch einen Athem zu; dagegen bezieht sich Arıst. De re- 
spir. 2. 440 b 30 das πάντα nur auf die (We. 

2) Tuxorer. H. plant. III, 1, 4: ᾿ἀναξαγόρας μὲν τὸν ἀέρα πάντων 
φάσχων ἔχειν σπέρματα καὶ ταῦτα συγχαταφερόμενα τῷ ὕϑατι γεννᾷν 
τὰ φυτά. Ob auch jetzt noch Pflanzen auf diese Art entstehen sollen, ist 
nicht klar. Dass Anax. nach Arısr. De plant. c. 2. 817 a 25 die Sonne 
den Vater und die Erde die Mutter der Pflanzen nannte, ist ganz uner- 
heblich. 

3) M. s. hierüber 8. 980, 2. 

4) Doch scheint ihre höhere Natur darin angedeutet, dass ihre Samen 
nicht aus der Luft und dem Feuchten, sondern aus dem Feurigen, dem 
Aether, hergeleitet werden. 

5) IRen. adv. haer. II, 14, 2: Anazagoras . . dogmatizavit, facta anımalia 
deoidentibus e ovelo in terram seminibus. Aehnlich Euriripes Chrysip. Fr. 6 (ἢ): 
die Seele stamme aus ätherischem Samen und kehre nach dem Tod in den 
Aether zurück, wie der Leib in die Erde, aus der er stamme. Damit streitet 
nicht, sondern es dient ihm zur Ergänzung, was Hırror. Refut. 1, 8. S. 22 
und Dıoe. II, 9 sagen, jener: (ga δὲ τὴν ἀρχὴν ἐν ὑγρῷ γενέσϑαι, μετὰ 
ταῦτα δὲ ἐξ ἀλλήλων, dieser: ζῷα γενέσϑαι ἐξ ὑγροῦ χαὶ ϑερμοῦ xal γεω- 
δους" ὕστερον δὲ ἐξ ἀλλήλων. Dass diess (nach Plac. II, 8) vor der Neigung 
der Erdfläche (s. S. 1007) geschehen sei, nahm Anax. vielleicht desshalb an 
weil die Sonne damals noch ununterbrochen auf die Erde wirken konnte. 

6) 8. o. 791, 2. 228, 1. 578, 1. 900, 2. 269. Ebenso Archelaos (s. u.) und 
Euripides Ὁ. Dıovor I, 7. 


[907. 908] Pflanzen und Thiere. 1013 


sammen ἢ). Im übrigen ist uns von seinen Meinungen über 
die Thiere ausser der Behauptung, dass alle Thiere athmen?), 
nichts, was irgend erheblich wäre, überliefert®), und ebenso 
verhält es sich mit dem wenigen, was | uns über das leibliche 
Leben des Menschen, ausser dem oben angeführten, mitgetheilt 
wird*). Die Angabe, dass er die Seele bei ihrer Trennung 
vom Leib untergehen lasse, ist sehr unsicher), und es fragt 


nm --ὄ. nn 


1) Nach Arısr. gen. anim. IV, 1. 763 b 30. PuıLor. gen. an. 81 b o. 
8$ Ὁ m. Dıoe. II, 9. Hırpor. a. a. O., wogegen einige Abweichungen bei 
Cessorin Di. nat. ö, 4. 6, 6. 8. Plac, V, 7, 4 nicht in Betracht kommen, 
nahm er an, nur der Mann gebe den Samen, die Frau blos den Ort für 
denselben her, und die Kuaben stammen aus dem rechten Hoden und dem 
rechten Theile des Uterus, die Mädchen aus dem linken. Man vgl. hiezu 
S. 578, 4. 797, 4. Weiter theilt Cexsorın c. 6 mit, er lasse vom Fötus 
zuerst das Gehirn entstehen, weil von diesem alle Sinne ausgehen, er lasse 
den Leib durch die im Samen enthaltene ätherische Wärme gebildet werden 
(was zu dem 8.1012, 5 angeführten gut passt), er lasse dem Kinde die Nah- 
rung durch den Nabel zugehen. Nach Cens. 5, 2 bestritt er die Meinung 
seines Zeitgenossen Hippo (s. ο. 256, 1), dass der Samen aus dem Mark 
komme. 

2) Arıst. De respir. 2. 470 b 30. Die Scholien z. d. St. (hinter Simpl. 
De an. Venet. 1527) S. 164 b o. 167 a m. Diese Annahme steht bei Dio- 
genes, der sie mit Anax. theilte, mit seiner Ansicht über die Natur der 
Seele in Verbindung, bei Anaxagoras ist diess nicht der Fall (s. 8. 1011), 
dagegen musste ihm der Gedanke nahe liegen, dass alles, um zu leben, die 
Lebenswärme einathmen müsse. Vgl. 8. 1012, 5. 

3) Es gehören hieher nur die Notizen bei Arısr. gen. anim. III, 6 Anf., 
dass er der Meinung war, gewisse Thiere begatten sich durch den Mund, 
und bei Aruzn. II, 57 ἃ, dass er das Weisse im Ei die Milch des Vogels 
genannt habe. 

4) Nach Plac. V, 25, 2 sagte er, der Schlaf gehe blos den Körper an, 
nicht die Seele, wofür er sich wobl auf die Thätigkeit der letzteren im 
Traume berief; nach Arısr. part. an. IV, 2. 677 a 5 leitete er (oder auch 
nur seine Schüler) die hitzigen Krankheiten von der Galle her. 

5) Plac. a. a. O. unter der Ueberschrift: ποτέρου ἐστὶν ὕπνος καὶ Sara- 
τος, ψυχῆς ἢ σώματος ; fahren fort: εἶναι δὲ χαὶ ψυχῆς ϑάνατον τὸν διαχω- 
ρεσμόν. Diese Angabe ist jedoch um so unzuverlässiger, da ebendaselbst Leu- 
cippus der Satz beigelegt wird, der Tod gehe nicht die Seele, sondern nur 
den Leib an, und Empedokles umgekehrt, trotz seinem Unsterblichkeits- 
glauben, die Behauptung, dass er beide angehe. Dass man freilich anderer- 
seits aus dem Ausspruch b. Dıoc. 11, 11. Cıc. Tuse. I, 48, 104 (s. u 1018, 3) 
nichts schliessen kann, liegt am Tage; eher möchten die Aeusserungen bei 
Dioe. II, 13. Agr. V. H. III, 2 u. a. (8. ebd.), wenn sie geschichtlich sind, 
beweisen, dass er den Tod als einfache Naturnothwendigkeit auffasste, ohne 


1014 Anaxagoras. [908. 909) 


sich, ob er sich über diesen Punkt überhaupt erklärt hat. 
Nach seinen allgemeinen Voraussetzungen müsste man aber 
allerdings schliessen, der Geist als solcher sei zwar ewig, wie 
der Stoff, die geistige Individualität dagegen ebenso vergäng- 
lich, wie die leibliche. | 

Unter den Geistesthätigkeiten hatte Anaxagoras, wie es 
scheint, die des Erkennens vorzugsweise in’s Auge gefasst, 
wie ja auch ihm selbst (s. u.) die Erkenntniss das höchste 
Lebensziel war. Wiewohl er aber dem Denken vor der sinn- 
lichen Wahrnehmung entschieden den Vorzug gab, scheint er 
doch von dieser eingehender gehandelt zu haben, als von 
jenem. Im Widerspruch mit der gewöhnlichen Annahme 
stimmteer Heraklit’s Behauptung bei, dass die Sinnesempfindung 
‘ nicht durch das verwandte, sondern durch das entgegengesetzte 
hervorgerufen werde. Das gleichartige, bemerkte er, mache 
auf gleichartiges keinen Eindruck, weil es keine Veränderung 
in ihm hervorbringe, nur ungleiches wirke auf einander, und 
aus diesem Grunde sei jede Sinnesempfindung mit einer ge- 
wissen Unlust verbunden). Die | hauptsächlichste Bestätigung 
seiner Annahme glaubte er jedoch in der Betrachtung der 
einzelnen Sinne zu finden. Wir sehen durch die Abspiegelung 
der Gegenstände im Augapfel; diese bildet sich aber, wie 
Anaxagoras annimmt, nicht in dem gleichartigen, sondern in 
dem andersgefärbten; und da nun die Augen dunkel sind, so 


an ein Fortleben nach demselben zu denken, doch wäre auch dieser Schluss 
unsicher. 

1) Teueorar. De sensu 1: περὶ δ᾽ αἰσϑήσεως αἱ μὲν πολλαὶ xal xa- 
ϑόλου δόξαι δύο εἰσίν. οἱ μὲν γὰρ τῷ ὁμοίῳ ποιοῦσιν, οἱ δὲ τῷ ἐταντέῳ. 
Zu jenen gehören Parmenides, Empedokles und Plato, zu diesen Anaxagoras 
und Heraklit; vgl. 5. 716, 2. 8 27: ᾿δναξαγόρας δὲ ylveodaı μὲν τοῖς 
ἐναντίοις" τὸ γὰρ ὅμοιον ἀπαϑὲς ἀπὸ τοῦ ὁμοίου" χαϑ' ἑκάστην δὲ πεερᾶται 
διαριϑμεῖν. Nachdem diess im einzelnen nachgewiesen ist, fährt $ 29 fort: 
«naoe» δ' αἴσϑησιν μετὰ λύπης" (dasselbe schon $ 17) ὅπερ ἄν δόξειεν 
ἀχόλουϑον εἶναι τῇ ὑποϑέσει. πᾶν γὰρ τὸ ἀνόμοιον ἁπτόμενον πόνον παρ- 
ἔχει, wie man diess an besonders starken oder anhaltenden Sinneseindrücken 
deutlich sehe. Asras. in Eth. (Comment. in Ar. XIX, a) 156, 14, der Anısr. 
Eth. VII, 15. 1154 b 7 (ἀεὶ γὰρ πονεῖ τὸ ζῶον ὥσπερ καὶ οἱ φυσικοὶ 
λόγοι μαρτυροῦσι, τὸ ὁρᾶν χαὶ τὸ ἀκούειν φάσχοντες εἶναε λυπηρών) mit 
Recht auf Anaxgoras bezieht, und von diesem aus ΤΗΞΟΡΗΒΑΒΤ᾿ 5 Ethik auch 
den Satz auführt, ὅτε ἐξελαύνεε ἡδονὴ λύπην ἢ γε ἐναντία. 


[909. 910] Der Mensch; die Sinne. 1015 


sehen wir am Tage, wenn die Gegenstände erhellt sind; doch 
ist bei Einzelnen auch das umgekehrte der Fall’). Aehnlich 
verhält es sich mit dem Gefühl und Geschmack : wir erhalten 
den Eindruck der Wärme und Kälte nur von solchem, das 
wärmer oder kälter als unser Leib ist; wir empfinden das 
süsse mit dem sauern, das ungesalzene mit dem salzigen in 
uns®). Ebenso riechen und hören wir das entgegengesetzte 
mit dem entgegengesetzten; näher entsteht die Geruchs- 
empfindung durch die Einathmung, das Gehör dadurch, dass 
sich die Töne durch die Höhlung des Schädels zum Gehirn 
fortpflanzen®). In Betreff aller Sinne nahm Anaxagoras an, 
grössere Sinneswerkzeuge seien geeigneter, das grosse und 
entfernte, kleinere das kleine und nahe wahrzunehmen 4). Ueber 
den Antheil des Geistes an der | Sinnesempfindung scheint er 
sich nicht näher erklärt, aber doch vorausgesetzt zu haben, 
dass der Geist das wahrnehmende, die Sinne blosse Werkzeuge 
der Wahrnehmung seien). 

Ist aberdie sinnliche Wahrnehmung durch die Beschaffen- 
heit der körperlichen Organe bedingt, so lässt sich nicht er- 
warten, dass sie uns die wahre Natur der Dinge offenbaren 
werde. Alle Körper sind ja eine Mischung aus den ver- 


1) Taeorur. a. a. O. ὃ 27. 

2) A. a. O. 28 (vgl. 36 8), wo diess auch so ausgedrückt wird: die 
Empfinduug erfolge xara τὴν ἔλλειψεν τὴν ἑκάστου" πάντα γὰρ ἐνυπάρχειν 
ἐν ἡμῖν. Zu dem letztern Satze vgl. m. was 8. 986 f. aus Anaxagoras, 
S. 579. 800, 3 aus Parmenides und Empedokles angeführt wurde. 

3) A. a. Ο. Ueber das Gehör und die Töne theilen andere Schrift- 
steller noch einiges weitere mit. Nach Plac. IV, 19, 6 glaubte Anax., die 
Stimme entstehe dadurch, dass sich der vom Redenden ausgehende Luft- 
strom an verdichteter Luft stosse und zu den Ohren zurückkehre, ebenso 
erklärte er das Echo; nach Prut. qu. conv. VIII, 3, 3, 7 f. Arıst. Probl. 
ΧΙ, 33 nahm er an, die Luft werde durch die Sonnenwärme in eine zitternde 
Bewegung versetzt, wie man diess an den Sonnenstäubchen sehe; von dem 
dadurch entstehenden Geräusch komme es her, dass man bei Tag weniger 
scharf höre, als bei Nacht. 

4) Tueorur. a. a. Ο. 29 ἢὶ 

5) Diess scheint aus den Worten TurorurasT’s De sensu 38 hervor- 
zugehen, der über Klidemus (s. u.) bemerkt, er habe nur von den Ohren an- 
genommen, dass sie die Gegenstände nicht selbst wahrnehmen, sondern die 
Empfindung an den Nus übermitteln, οὐχ ὥσπερ ᾿Δναξαγόρας ἀρχὴν ποιεῖ 
πάντων τὸν νοῦν. 


1016 Anaxagoras. [910. 911] 


schiedenartigsten Bestandtheilen ; wie könnte sich da in einem 
Sinnesorgan irgend ein Gegenstand rein abspiegeln? Nur der 
Geist ist lauter und unvermischt, er allein kann die Dinge 
scheiden und unterscheiden, er allein kann uns ein wahres 
Wissen verschaffen. Die Sinne sind zu schwach, um die Wahr- 
heit zu erkennen, wie diess Anaxagoras namentlich daraus 
bewies, dass wir die kleinen, tinem Körper beigemischten 
Stofftheilchen und die allmählichen Uebergänge von einem Zu- 
stand in den entgegengesetzten nicht wahrnehmen!). Dass 
er darum alle Möglichkeit des Wissens bestritten ?), oder alle 
Vorstellungen für gleich wahr erklärt habe?®), lässt sich nicht 
annehmen, . denn er selbst trägt seine Ansichten mit voller 
dogmatischer Ueberzeugung vor ; ebensowenig kann man aus der 
Lehre von der Mischung aller Dinge mit ARISTOTELES schliessen, 
er habe den Satz des Widerspruchs geleugnet*), denn seine 
Meinung ist nicht die, dass Einem und demselben Ding als 
solchem entgegengesetzte Eigenschaften zukommen, sondern 
vielmehr die, dass verschiedene Dinge ununterscheidbar ver- 


1) Sext. Math. VII, 90: ‘4. ὡς ἀσϑενεὶς διαβάλλων τὰς αἰσϑήσεες, 
„UNO ἀφαυρίτητος αὐτῶν“, φησιν, ,οὐ δυνατοί ἐσμὲν χρίνειν τἀληϑέ;" 
(Fr. 25). τέϑησε δὲ πίστιν αὐτὼν τῆς ἀπιστίας τὴν παρὰ μιχρὸν τῶν χρω- 
μάτων ἐξαλλαγήν. εἰ γὰρ δύο λάβοιμεν χρώματα, μέλαν καὶ λευχὸν, εἶτα 
ἐχ ϑατέρου εἰς ϑάτερον χατὰ σταγόνα παρεγχέοιμεν, οὐ δυνήσεται ἡ 
ὄψις διαχρίνειν τὰς παρὰ μιχρὸν μεταβολὰς, χαίπερ πρὸς τὴν φύσιν ὑπο- 
κειμένας. Der weitere Grund, dass die Sinne die Bestandtheile der Dinge 
nicht unterscheiden können, ist in den 8. 987, 1 angeführten Stellen und 
in der Angabe (Plac. I, 3, 9. ϑιμρι,. De οἷο 268 b 40. Schol. 513 a 42) 
angedeutet , die sogenannten Homöomerieen lassen sich nur mit der Vernunft, 
nicht mit den Sinnen wahrnehmen. 

2) Cıc. Acad. I, 12, 44. 

8) Arıst. Metaph. IV, 5. 1009 b 25: Avafayopov δὲ χαὶ ἀπόφϑεγμα 
μνημονεύεται πρὸς τῶν ἑταίρων τινὰς, ὅτε τοιαῦτ᾽ αὐτοῖς ἔσται τὰ ὄγτα 
οἷα ἄν ὑπολάβωσιν, was aber, wenn die Ueberlieferung richtig ist, doch 
wohl nur besagen würde: die Dinge erhalten für uns eine andere Bedeutung, 
wenn wir sie aus einem andern Standpunkt betrachten; der Weltlauf werde 
unsern Wünschen entsprechen oder widersprechen, je nachdem wir eine rich- 
tige oder verkehrte Weltansicht haben. Vgl. auch Rırrer Jon. Phil. 295 ἢ 
Die Aenderung, welche Gravisca Anax. u. ἃ. Isr. 46 mit den Worten des 
Anaxagoras vornimmt, und die Erklärung, welche er von ihnen gibt, bedarf 
kaum einer Widerlegung. 

4) Metaph. IV, 4. 5. 17. 1007 db 25. 1009 a 22 fi. 1012 a 24. XI, 6. 
1063 Ὁ 24. Arex. in Metaph. 5. 295, 1 Bon. 


[911. 912] Die Sinne und das Denken. 1017 


mengt seien; die Folgerungen aber, welche ein Späterer, mit 
Recht oder mit Unrecht, aus seinen Sätzen ableitet, darf man 
ihm selbst nicht unterschieben. Er hält die Sinne zwar für 
unzureichend, er gibt zu, dass sie uns über das Wesen der 
-Dinge nur unvollkommen unterrichten, aber doch will er von 
den Erscheinungen auf ihre verborgenen Gründe schliessen !), 
wie er ja auch wirklich auf keinem anderen Wege zu seiner 
Theorie gelangt ist; und wie der weltschöpferische Geist alle 
Dinge erkennt, so muss er auch dem Theil desselben, welcher 
im Menschen ist, seinen Antheil an dieser Erkenntniss zu- 
gestehen. Wenn daher gesagt wird, er erkläre die Vernunft 
für das Kriterium 3), so ist diess der Sache, wenn auch nicht 
den Worten nach, richtig. Nähere Bestimmungen über die 
Natur und die unterscheidende Eigenthümlichkeit des Denkens 
hat er aber ohne Zweifel gar nicht versucht ?),. 

Das sittliche Leben der Menschen zog Anaxagoras aller 
Wahrscheinlichkeit nach nicht in den Kreis seiner wissenschaft- 
lichen Forschung. Es werden wohl einzelne Aussprüche von 
ihm überliefert, worin er die Betrachtung des Weltgebäudes 
als die höchste Aufgabe des Menschen bezeichnet®), und die 
Aeusserlichkeit |der gewöhnlichen Lebensansicht zurück weist); 


1) 5. o. 918, 2. 

2) Szxr. Math. VII, 91: "Ayaf. χοινῶς τὸν λόγον ἔφη χριτήριον εἶναι. 

3) Diess müssen wir ans dem Schweigen der Bruchstücke und aller 
Zeugen schliessen; auch PnHıLor. De an. C, 10. 7 0. legt die aristotelischen 
Bestimmungen οὐ χυρέως λεγόμενος νοῦς ὁ χατὰ τὴν φρόνησιν“, ,ὁ νοῦς 
ἁπλαῖς ἀντιβολαῖς τοῖς πράγμασιν ἀντεβάλλων 7 ἔγνω ἢ οὐχ ἔγνω“ unserem 
Philosophen selbst nicht bei, sondern er bedient sich ihrer nur bei der Er- 
örterung seiner Lehren. 

4) Eupen. Eth. I, 5. 1216 a 10 (andere oben 8. 973, 2 Schl.) mit 
einem φασίν: Anaxagoras habe auf die Frage, wesshalb das Leben einen 
Werth habe, geantwortet: τοῦ ϑεωρῆσαι (sc. Evexa) τὸν οὐρανὸν χαὶ τὴ 
περὶ τὸν ὅλον χύσμον τάξιν. Dioc. II, 7: πρὸς τὸν εἱπόντα᾽ ,οὐδέν σοι 
μέλει τῆς πατρέδος“; ,εὐφήμεε ἔφη, ἐμοὶ γὰρ χαὶ σφόδρα μέλει τῆς πατρι- 
δος", δείξας τὸν οὐρανόν. Sein Vaterland nennt er den Himmel entweder, 
weil er mit seinem Interesse und seinen Gedanken hier zu Hause ist, oder 
wegen der 8. 1012, 5 berührten Annahme über die Entstehung der Seele, 
oder auch um beides zugleich anzudeuten: dass der Himmel, aus dem unsere 
Seele stammt, auch der würdigste Gegenstand ihrer Thätigkeit sei. 

5) Euvem. a. a. ©. c. 4. 1215 " 6: Aral. .. . ἐρωτηϑεὶς, τίς ὁ @- 


1018 Anaxagoras. [912. 919] 


es werden Züge von ihm erzählt, welche einen ernsten und 
doch milden Charakter!), eine grossartige Gleichgültigkeit 
gegen äusseren Besitz?) und eine ruhige Fassung im Unglück 8) 
beweisen; aber von wissenschaftlichen Bestimmungen aus 
diesem Gebiet ist nichts bekannt*), und auch die oben er 
wähnten Aeusserungen sind nicht der Schrift unseres Philo- 
sophen entnommen. | 

Auch auf die Religion ist er schwerlich näher eingegangen. 
Die Klage gegen ihn lautete zwar auf Atheismus, d. h. auf 
Leugnung der Staatsgötter?), aber dieser Vorwurf wurde nur 


δαιμονέστατος, ηοὐϑεὶς, εἶπεν, ὧν σὺ γομέζεις, ἀλλ ἄτοπος ἄν τίς σοι 
φανείη." 

1) Cıc. Acad. I, 23, 72 rühmt seine ernste Würde, Ρεῦτ. Per. c 5 
leitet den bekannten Ernst des Perikles von seinem Umgang mit Anaxagoras 
her, und Aegrısn V. H. VI, 13 erzählt von ihm, man habe ihn nie lachen 
gesehen; andererseits weist auf ein menschenfreundliches Gemüth, was Prur. 
praec. ger. reip. 27, 9. 8. 820. Dıios. II, 14 berichten, er habe sich auf 
seinem Sterbebette statt jeder andern Ehre ausgebeten, dass man den Kindern 
an seinem Todestag Schulferien gebe. 

2) Vgl. was S. 974m. über die Vernachlässigung seines Vermögens an- 
geführt wurde. Um so unglaubwürdiger ist die Verleumdung Ὁ. Terr. 
Apologet. 46. Turuıst. orat. II, 30 C gebraucht διχαεότερος Arafayopov 
sprüchwörtlich. 

3) Nach Dıoc. II, 10 ff. hätte er auf die Nachricht von seiner Ver- 
urtheilung geantwortet (was aber Dıoc. II, 35 auch von Sokrates erzählt): 
„die Athener seien so gut, wie er, von der Natur längst zum Tode ver- 
urtheilt“; auf die Bemerkung: „2oreondns Adnvalov“, „ob μὲν οὖν, ἀλλ᾽ 
ἐχεῖνοε ἐμοῦ“; auf eine Beileidsbezeugung darüber, dass er in der Ver- 
bannung sterben müsse: „es sei überall gleich weit in den Hades“ (diess 
auch bei Cıc. Tusc. I, 43, 104); auf die Nachricht vom Tode seiner Söhne: 
ἤδειν αὐτοὺς ϑνητοὺς γεννήσας. Das letztere wird auch von Ῥεῦτ. cons. 
ad Apoll. 38, 8. 118, Panaetius b. Dems. coh. ira 16, S. 463 E und sonst 
vielfach, aber ausser Anaxagoras auch von Solon und Xenophon erzählt; 
8. SCHAUBACH 8. 58. 

4) Die Angabe des Creuens Strom. II, 416 Ὁ (Tueon. cur. gr. δϑ XI, 
8. 8. 152): Avafayopar . .. τὴν ϑεωρίαν φάναι τοῖ βίου τέλος εἶναι καὶ 
τὴν ἀπὸ ταύτης ἐλευϑερίαν, ist gewiss nur aus der eudemischen Ethik 
(oben S. 1017, 4) oder einem Rückschluss aus dem thatsächlichen Verhalten 
des Philosophen geflossen; der Satz über Lust und Unlust (s. o. 1014, 1 Schl.) 
wird eher einer anthropologischen als einer ethischen Erörterung an- 
gehören. 

5) M. 8. die 5. 975, 4 angeführten Schriftsteller. Irex. II, 14, 2 nennt 
ihn desshalb, vielleicht aber auch aus Verwechslung mit Diagoras, Anaza- 
goras, qui et atheus cognominalus est. 


[918. 914] Sittliche und religiöse Ansichten. - 1019 


aus seinen Annahmen über Sonne und Mond abgeleitet, über 
deren Verhältniss zum Volksglauben er selbst sich wohl kaum 
ausdrücklich geäussert hatte. Aehnlich verhält es sich ohne 
Zweifel mit seiner natürlichen Erklärung von Erscheinungen, 
in denen seine Zeitgenossen Wunder und Vorbedeutungen zu 
sehen pflegten!). Wird er endlich als der erste bezeichnet, 
welcher die homerischen Mythen moralisch ausdeutete?), so 
scheint mit Unrecht auf ihn übertragen zu werden, was nur 
von seinen Schülern®), namentlich von Metrodor gilt‘); denn 
wenn diese allegorische Auslegung der Dichter schon über- 
haupt mehr im Geschmack der sophistischen Zeit liegt, so 
passt die moralische Deutung insbesondere gerade für Anaxa- 
goras, welcher der Ethik so geringe Aufmerksamkeit geschenkt 
hat, am wenigsten. Von diesem werden wir | annehmen dürfen, 
dass er sich in seinen Untersuchungen ganz auf die Physik 
beschränkte. 


1) Wie der vielbesprochene Stein von Aegospotamos, Ὁ. Dıoe. II, 11, 
und der Widder mit Einem Horn, b. Pur. Per. 6. 

2) Dioe. II, 11: δοχεὶ δὲ πρῶτος, καϑα φησι «Ῥαβωρῖνος ἐν navro- 
δαπῇ ἱστορίᾳ, τὴν Ὁμήρου ποίησεν ἀποφήνασϑαι εἶναι περὶ ἀρετῆς χαὶ 
διχκαιοσύνης᾽ ἐπὶ πλέον δὲ προστῆναι τοῦ λόγου Μίητρέδωρον τὸν Aau- 
ψαχηνὸν γνώριμον ὄντα αὐτοῦ, ὃν zul πρῶτον σπουδάσαι τοῦ ποιητοῦ 
περὶ τὴν φυσικὴν πραγματείαν. ἨεπΑκιτ Alleg. homer. c. 22. 8, 46 ge- 
hört nicht hieher. 

8) Srncerr. Chron. 8. 149 C: ἑρμηνεύουσε δὲ οἱ Avakayopıoı τοὺς 
μυϑώδεις ϑεοὺς, νοῦν μὲν τὸν Ale, τὴν δὲ Adnvay τέχνην, ὅϑεν καὶ τό" 
χειρῶν 8. w. 8. S. 1011, 1. 

4) M. 5. über diesen Mann, welchen auch Arzx. Meteorol. 91 b o. und 
Smrr. Phys. 257 b u. als Schüler des Anaxagoras, und der platonische Io 
530 C als gefeierten Ausleger der homerischen Gedichte bezeichnet, ausser 
dem ebenangefürten, Tarıan ὁ. Graec. c. 21. 8.262 Ὁ: χαὶ Mnroodwpos δὲ 
ὁ Aauwaxnvos ἐν τῷ περὶ Ὁμήρου λίαν εὐήϑως διείλεχται πάντα εἰς 
ἀλληγορίαν μετάγων. οὔτε γὰρ "Hoav οὔτε ᾿4ϑηνᾶν οὔτε “ία τοῦτ᾽ εἰνκί 
φησιν, ὅπερ οἱ τοὺς περιβόλους αὐτοῖς καὶ τὰ τεμένη χαϑιδρύσαντες voul- 
ζουσι, φύσεως δὲ ὑποστάσεες χαὶ στοιχείων διαχοσμήσεις. ἘΦοπβοραῖ, 
fügt Tatian bei, könnte man auch die kämpfenden Helden für blos symbo- 
lische Personen erklären; und wirklich deutete Metr. nach Hssvca. ἀγαμέμν. 
Agamemnon auf den Aether; in der Regel muss er aber, wie man eben aus 
dieser Einwendung Tatian’'s sieht, bei den menschlichen Figuren in den 
homerischen Gedichten von der Allegorie keinen Gebrauch gemacht haben. 


1020 Anaxagoras. [914. 915] 


4. Anaxagoras im Verhältniss zu seinen Vorgängern. 
Charakter und Entstehung seiner Lehre. Die anaxagorische 
Schule; Archelaos. 


Schon an Eimpedokles und Demokrit, an Melissus und 
Diogenes konnten wir bemerken, dass sich im Laufe des fünften 
Jahrhunderts allmählich eine lebendigere Wechselwirkung und 
ein vielseitigerer Zusammenhang der philosophischen Schulen 
und ihrer Lehren bildet. Auch das Beispiel des Anaxagoras 
bestätigt diese Bemerkung. Dieser Philosoph scheint die 
meisten von den älteren Lehren gekannt und benützt zu 
haben; nur dem Pythagoreismus steht er so ferne, dass sich 
weder eine unmittelbare Einwirkung desselben auf seine An- 
sichten, noch ein unwillkürliches Zusammentreffen der beiden 
Systeme behaupten lässt. Dagegen ist der Einfluss der älteren 
jonischen Physik auf die seinige in seiner Lehre von den 
ursprünglichen Gegensätzen!), in seinen astronomischen An- 
nahmen 3), in seinen Vorstellungen über die Erdbildung®) und 
die Entstehung der lebenden Wesen*) nicht zu verkennen; 
auch was er über die Mischung aller Dinge und über die Un- 
begrenztheit des Stoffes sagt, erinnert an Anaximander und 
Anaximenes, und wenn es ihm an ebenso schlagenden Be- 
rührungspunkten mit Heraklit im einzelnen fehlt®), so geht 
dafür seine ganze Richtung auf die Erklärung der Erschei- 
nungen, deren Wirklichkeit Heraklit lebhafter, als irgend ein 
anderer anerkannt hatte, der Veränderung, welcher alle Dinge 
unterworfen sind, und der hieraus sich ergebenden Mannig- 
faltigkeit. Noch stärker tritt der Einfluss der eleatischen 
Philosophie bei ihm hervor. Die Sätze des Parmenides über 
die Unmöglichkeit des Werdens und Vergehens bilden den 
Punkt, von dem sein ganzes System ausgeht; mit dem gleichen 
Philosophen trifft er | in dem Misstrauen gegen die sinnliche 


1) S. 1002 vgl. 220. 245, 2. 

2) ἃ. 1007 £. vgl. 246 ( 

3) S. 1003 vgl. 226. 223, 1. 

4) S. 1012. 

5) Doch scheinen seine Annahmen über die sinnliche Wahrnehmung 
(oben S. 1014) heraklitischen Einfluss zu verrathen. 


[915. 916) Verhältniss zu Vorgängern und Zeitgenossen, 1021 


Wahrnehmung, in der Bestreitung des leeren Raumes?), und 
in einzelnen seiner physikalischen Annahmen ?) zusammen, und 
höchstens darüber kann man im Zweifel sein, ob ihm diese 
Lehren unmittelbar von ihrem ersten Urheber, oder erst durch 
Vermittlung des Empedokles und der Atomiker zukamen. 
Diese seine Zeitgenossen sind es nämlich, wie schon 
früher bemerkt wurde, an welche sich Anaxagoras zunächst 
anschliesst. Die drei Systeme stellen sich gleichmässig die 
Aufgabe, die Bildung des Weltganzen, das Werden und Ent- 
stehen der Einzelwesen, die Veränderungen und die Mannig- 
faltigkeit der Erscheinungen zu erklären, ohne dass doch ein 
absolutes Werden und Vergehen und eine qualitative Ver- 
änderung des ursprünglichen Stoffes behauptet, und den par- 
menideischen Sätzen über die Unmöglichkeit dieser Vorgänge 
etwas vergeben würde. Zu dem Ende ergreifen sie alle drei 
den Ausweg, das Entstehen auf die Verbindung, das Vergehen 
auf die Trennung von Stoffen zurückzuführen, welche unge- 
worden und unvergänglich in diesem Process nicht ihre Qua- 
lität, sondern nur ihren Ort und ihr räumliches Verhältniss 
ändern. Dabei unterscheiden sie sich aber in ihren näheren 
Bestimmungen über jene Urstoffe in der schon früher (S. 977 [Ὁ 
besprochenen Art; und um die zahllosen Unterschiede in der 
Natur und Zusammensetzung der abgeleiteten Dinge möglich 
zu machen, nimmt Empedokles an, dass die vier Elemente 
in unendlich verschiedenen Verhältnissen gemischt seien, die 
Atomiker, dass der gleichartige Stoff in unendlich viele und 
verschieden gestaltete Urkörper vertheilt sei, Anaxagoras, dass 
die unzähligen | Stoffe der verschiedensten Mischung fähig 
seien: der erste setzt mithin die Urstoffe an Zahl und Art- 
unterschieden begrenzt, aber unendlich theilbar, die Atomiker 
an Zahl und Gestaltsunterschieden unbegrenzt, aber untheilbar, 
Anaxagoras an Zahl und Artunterschieden unbegrenzt und in’s 


1) 8. S. 989, 3. Wenn Rırrer I, 306 glaubt, dieser Zug könnte auch 
ohne eleatische Einflüsse blos aus dem Streit gegen Atomiker oder Pytha- 
goreer entstanden sein, so ist mir diess bei dem unverkennbaren sonstigen 
Zusammenhang der anaxagorischen und parmenideischen Lehre unwahr- 
scheinlich. 

2) Vgl. S. 1012, 5. 1013, 1. 1015, 2. 


1022 Anaxagoras. [916. 917] 


unendliche theilbar. Um endlich die Bewegung zu erklären, 
auf der alle Entstehung des Abgeleiteten beruht, fügt Empe- 
dokles den vier Elementen seine zwei bewegenden Kräfte bei; 
da aber diese ganz mythische Gestalten sind, so bleibt die 
Frage nach der natürlichen Ursache der Bewegung unbeant- 
wortet; die Atomiker wollen eine rein natürliche Ursache der- 
selben in Schwere, Druck und Stoss aufzeigen, und damit 
diese wirken und die unendliche Mannigfaltigkeit der Be- 
wegungen hervorbringen können, schieben sie zwischen die 
Atome den leeren Raum ein; Anaxagoras glaubt zwar dem 
Stoff eine bewegende Kraft beifügen zu müssen, aber er sucht 
diese nicht ausser der Natur und der Wirklichkeit in einem 
ınythischen Gebilde, sondern er erkennt im Geiste den natür- 
lichen Beherrscher und Beweger des Stoffes. 

Auch in der weiteren Anwendung seiner Grundsätze auf 
die Naturerklärung trifft Anaxagoras mit Empedokles und 
.Demokrit vielfach zusammen. Alle drei beginnen mit einer 
chaotischen Mischung der Urstoffe, aus welcher sie die Welt 
durch eine in dieser Masse sich erzeugende Wirbelbewegung 
entstehen lassen. In den Vorstellungen vom Weltgebäude 
findet sich zwischen Anaxagoras und Demokrit kaum ein er- 
heblicher Unterschied, und wie dieser die drei unteren Ele- 
mente für ein Gemenge der verschiedenartigsten Atome hielt, 
so sah jener in den Elementen überhaupt nur ein Gemenge 
aller Samen!). Wenn endlich alle drei Philosophen in Einzel- 
heiten, wie ihre Annahmen über die Schiefe der Ekliptik 3), 
die Beseeltheit der Pflanzen?), die Entstehung der lebenden 
‚Wesen aus dem Erdschlamm +), Empedokles und Anaxagoras 
in ihren Vorstellungen über die Erzeugung | und die Ent- 
wicklung des F'ötus5) übereinstimmen, so ist wenigstens der 
erste und der letzte von diesen Zügen so eigenthümlich, 


1) M. vgl. S. 866 f. mit 980 f. Aristoteles gebraucht in beiden Fällen 
den gleichen Ausdruck: πανσπερμία. 

2) S. S. 790, 4. 897, 6. 1007, 4. 

3) S. 792, 2. 808, 3. 908, 2. 1012, 1. 

4) S. S. 1012, 5. 6. 

5) 8. S. 797. 


[917. 918] Verhältniss zu Empedokles und den Atomikern. 1028 


dass wir das Zusammentreffen nicht wohl für zufällig halten 
können. 

Steht es aber auch nach diesem wohl ausser Zweifel, 
dass die genannten Philosophen nicht blos in ihren Ansichten 
sich verwandt sind, sondern auch geschichtlich auf einander 
eingewirkt haben, so ist es doch nicht ebenso leicht zu be- 
stimmen, wer die gemeinsamen Sätze zuerst aufgestellt hat. 
Anaxagoras, Empedokles und Leucippus sind Zeitgenossen, 
und wer von ihnen mit seinem philosophischen System dem 
anderen vorangieng, wird uns nicht überliefert, ARISTOTELES 
sagt zwar in einer bekannten Stelle von Anaxagoras, er sei 
dem Alter nach früher, den Werken nach später als Empe- 
dokles!). Allein ob damit seina Lehre für jünger, oder ob 
sie nur ihrem Gehalte nach für gereifter, oder ob sie um- 
gekehrt für unvollkommener erklärt werden soll, als die empe- 
dokleische, lässt sich nicht sicher ausmachen?). Wollen wir 


1) Metaph. I, 4. 984 a 11: "Avatayopas δὲ . .. τῇ μὲν ἡλικίᾳ 700- 
τερος ὧν τούτου, τοῖς δ᾽ ἔργοις ὕστερος. 

2) Die Worte gestatten an sich alle drei Erklärungen. Denn wenn 
auch, die erste betreffend, Beezızr Phil. ἃ. Anax. 85 darin freilich Recht hat, 
dass die ἔργα nicht von den Schriften, den Opera omnia, verstanden werden 
können, so hindert doch nichts, zu übersetzen: „seine Leistungen fallen 
später.“ Da ferner das spätere in der Regel auch ein gereifteres und fort- 
geschritteneres ist, so kann.das ὕστερος auch dafür gebraucht sein; und 
wirklich sagt Arıst. c. 8. 989 b 5. 19 gerade von Anaxagoras: wenn man die 
Consequenz seiner Annahmen ziehe, ἴσως ἄν φανείη καινοπρεπεστέρως λέγων 
«νὸν βούλεταε μέντοι τε παραπλήσιον τοῖς ὕστερον λέγουσι, und unserer 
Stelle noch genauer entsprechend De coelo -IV, 2. 808 b 80: χαΐπερ ὄντες 
ἀρχαεότεροι τῆς νῦν ἡλιχέας καινοτέρως ἐνόησαν περὶ τῶν νῦν λεχϑέντων. 
Andererseits bezeichnet aber das ὕστερον auch dasjenige, was einem andern 
an Werth nachsteht, vgl. Arısr. Metaph. V, 11. 1018 b 22: ro γὰρ ὑπερ- 
έχον τῇ δυνάμει πρότερον, und Turornrast b. Sımer. Phys. 26, 7, welcher 
dem Ausdruck unserer Stelle umgekehrt entsprechend von Plato sagt: rouross 
ἐπιγενόμενος Πλάτων, τῇ μὲν δόξῃ χαὶ τῇ duvausı πρότερος, τοῖς δὲ 
χρόνοις ὕστερος. Diese Bedeutung gibt ALzxanner S. 22, 18 Bon. 534 b 17 Br. 
unseren Worten. Nun enthalten dieselben, so gefasst, allerdings nur einen 
rhetorischen, nicht einen logischen Gegensatz, denn sachlich kann es nicht im 
geringsten auffallen, wenn die ältere Ansicht die minder vollkommene ist; aber 
so gut Theophrast a. a. O. sich so ausdrücken konnte, wie er sich ausdrückt, 
kann am Ende auch Aristoteles in demselben Sinne das gleiche gesagt 
haben. Versteht man umgekehrt das ὕστερος von dem gereifteren, so er- 
hebt sich das Bedenken, welches auch Alexander geltend macht: dass Ari- 

Philos. ἃ. Gr. I. Bd. 5. Aufl. 65 


1024 Anaxagoras, [918] 


aber die Frage aus dem inneren Verhältniss | der Lehren ent- 
scheiden, so werden wir anscheinend nach entgegengesetzten 
Seiten hingezogen. Einestheils scheint es, die anaxagorische 
Ableitung der Bewegung aus dem Geiste müsse jünger sein, 
als ihre mythische Begründung bei Empedokles und ihre rein 
materialistische Erklärung bei den Atomikern, denn in der 
Idee des Geistes tritt nicht blos überhaupt ein neues und 
höheres Princip in die Philosophie ein, sondern dieses Princip 
ist auch dasjenige, an welches die weitere Entwicklung zu- 
nächst anknüpft, wogegen sich Empedokles mit seiner Fassung 
der bewegenden Kräfte der mythischen Kosmogonie noch an- 
nähert, und die Atomiker über den vorsokratischen Materialis- 
mus nicht hinausstreben. Auf der andern Seite erscheinen 
die Annahmen des Empedokles und der Atomiker über die 
Urstoffe wissenschaftlicher, als diejenigen des Anaxagoras; 
denn während dieser die Eigenschaften der abgeleiteten Dinge 
ohne weiteres in die Urstoffe verlegt, suchen jene dieselben 
aus ihrer elementarischen und atomistischen Zusammensetzung 
zu erklären; dabei gehen aber die Atomiker desshalb gründ- 
licher zu Werke, weil sie überhaupt nicht bei sinnlich wahr- 
nehmbaren Stoffen stehen bleiben, sondern diese sammt und 
sonders von einem noch ursprünglicheren herleiten. Dieser 
Umstand könnte zu der Annahme geneigt machen, dass die 
Atomistik später, und Empedokles wenigstens nicht früher 
aufgetreten sei, als Anaxagoras, und dass gerade das Unge- 
nügende seiner Naturerklärung die Atomiker veranlasst habe, 
den Geist als besonderes Prineip neben dem Stoff wieder auf- 
zugeben, und eine einheitliche, streng materialistische Theorie 
aufzustellen. | 

Aber doch hat die entgegengesetzte Ansicht überwiegende 


stoteles bei der Frage über die Grundstoffe, um die es sich in unserer 
Stelle handelt, die Lehre des Anaxagoras unmöglich höher stellen konnte, 
als die des Empedokles, welcher er selbst folgt. Indessen ist es auch möglich, 
dass er bei dem Prädikat τοῖς ἔργοις ὕστερος das Ganze der anaxagorischen 
Lehre im Auge hat, in der er allerdings einen wesentlichen Fortschritt 
gegen die Früheren erkennt, und mit seiner Bemerkung nur erklären will, 


wesshalb er Anaxagoras trotz seines höheren Alters erst nach Empedokles 
nennt, 


[9190] Verhältniss zu Empedokles und den Atomikern. 1025 


Gründe für sich. Von Empedokles für’s erste ist schon früher!) 
nachgewiesen worden, dass er das Gedicht des Parmenides 
vor sich gehabt, und dass er aus diesem namentlich dasjenige 
entnommen hat, was er über die Unmöglichkeit des Entstehens 
und Vergehens sagt. Vergleichen wir nun hiemit die Aeusse- 
rungen des Anaxagoras über den gleichen Gegenstand ?), so 
zeigt sich, dass diese in Gedanken und Ausdruck mit den 
empedokleischen genau übereinstimmen, wogegen zwischen 
ihnen und den entsprechenden parmenideischen Versen ein 
ähnliches Verhältniss nicht stattfindet. Während daher die 
empedokleischen Stellen eine Benützung des Parmenides vor- 
aussetzen, aus dieser aber ohne Beihülfe des Anaxagoras sich 
erklären lassen, sind umgekehrt die anaxagorischen aus der 
Kenntniss des empedokleischen Gedichts vollständig zu be- 
greifen, ohne dass etwas darin wäre, was auf eine unmittel- 
bare Anlehnung an Parmenides hinwiese. Dieses Verhältniss 
der drei Darstellungen macht es in hohem Grade wahrschein- 
lich, dass Empedokles die Behauptung, alles Entstehen sei 
Verbindung, alles Vergehen Trennung der Stoffe, schon vor 
Anaxagoras ausgesprochen hat; und diese Vermuthung be- 
stätigt sich uns, wenn wir bemerken, dass dieselbe auch wirk- 
lich mit den sonstigen Voraussetzungen des Empedokles besser 
übereinstimmt als mit denen des Anaxagoras, Denn die Ent- 
stehung der Mischung, den Untergang der Entmischung gleich- 
zusetzen, musste zwar einem solchen nahe liegen, welcher als . 
das ursprüngliche die elementarischen Stoffe betrachtete, aus 
denen sich das besondere nur durch Zusammensetzung bilden 
lässt, und welcher im Zusammenhang damit die einigende 
Kraft für die wahrhaft göttliche und wohlthätige, die Mischung 
aller Stoffe für den seligsten und vollkommensten Zustand 
hielt; weniger natürlich ist es dagegen, wenn man mit Anaxa- 
goras die besonderen Stoffe für das ursprünglichste, ihre an- 
fängliche Mischung für ein ungeordnetes Chaos und die Schei- 
dung des gemischten für die eigenthümliche | Wirkung des 


ἢ 8. 827 £. 797. 


2) Oben 978, 1. 979, 1. 2, wozu Empedokles V. 36 ff. 40 fi. 69 fi. 89. 
82 (8. 755 f. 758, 1) zu vergleichen sind. 


65* 


1096 Anaxagoras. [920] 


geistigen und göttlichen Wesens erklärt; in diesem Fall müsste 
vielmehr die Entstehung der Einzelwesen zunächst von der 
Trennung und erst in zweiter Reihe von der Verbindung der 
Grundstoffe, ihr Untergang umgekehrt von der Rückkehr der- 
selben in den elementarischen Mischungszustand hergeleitet 
werden!). Unter den übrigen Annahmen des Klazomeniers 
scheint sich namentlich in dem, was er über die Sinnes- 
empfindung sagte, theils ein Widerspruch gegen Empedokles, 
theils eine Benützung desselben bemerklich zu machen®?). Von 
Empedokles ist daher zu vermuthen, dass er früher, als Anaxa- 
goras, mit seinen philosophischen Ansichten hervortrat, und 
von diesem bereits benüfzt wurde. 

Ebenso verhält es sich aber wohl auch mit dem Stifter 
der atomistischen Schule. Demokrit freilich scheint seiner- 
seits manches von Anaxagoras entlehnt zu haben, wie 
namentlich jene astronomischen Annahmen, in welchen dieser 
selbst sich an die ältere Theorie des Anaximander und Anaxi- 
menes anschliesst?). Leucippus dagegen wird wahrscheinlich 
schon von Anaxagoras berücksichtigt. Wenn dieser die An- 
nahme des leeren Raums ausführlich durch physikalische Ver- 
suche widerlegt, wenn er die Einheit der Welt ausdrücklich 
hervorhebt, und gegen eine Trennung der Urstoffe Einsprache 
thut*), so kann er hiebei kaum einen andern Gegner im Auge 
haben, als ihn; denn für die Pythagoreer, an die man sonst 
allein denken könnte, hat die Voraussetzung des Leeren lange 
nicht diese Bedeutung; auch | Parmenides und Empedokles 


1) Steısuart (Allg. L.Z. 1845, Novbr. 8. 898 f.) glaubt umgekehrt, 
die Lehre von der Entstehung der Einzelwesen durch Mischung und Ent- 
mischung passe eigentlich gar nicht zu den vier einfachen Urstoffen des 
Empedokles, sie habe nur das organische Glied einer Lehre sein können, 
der die physischen Elemente nicht mehr das einfachste waren. Aber was 
ist denn die Mischung, ala Entstehung eines zusammengesetzten aus dem 
einfacheren? Wenn daher alles durch Mischung entstanden ist, so müssen 
das ursprünglichste die einfachsten Stoffe sein, wie diess aus diesem Grunde 
alle mechanischen Physiker ausser Anaxagoras bis auf den heutigen Tag 
annehmen. 

2) M. vgl. S. 1014, 1. 1015, 2 mit 800, 3. 

3) 8. o. S.. 1007, 3. 1020, 2. 894 ἢ 

4) S. ο. 989, 3. Fr. 11. s. o. 986, 2. 


[921]. 922] Verhältniss σὺ Empedokles und den Atomikern. 1097 


würdigen sie keiner genaueren Widerlegung;; erst die Atomistik 
scheint eingehendere Erörterungen über die Möglichkeit des 
leeren Raumes veranlasst zu haben!). Nur diese ist es wohl 
auch, auf welche sich die Bemerkung) bezieht, es könne kein 
kleinstes geben, da das Seiende durch die Theilung nicht zu 
nichte gemacht werde; denn sie gerade stützt die Annahme 
untheilbarer Körper mit der Behauptung, durch unendliche 
Theilung würden die Dinge vernichtet, wogegen Zeno das 
letztere zwar gleichfalls angedeutet, aber von dieser Bemerkung 
eine andere Anwendung gemacht hatte. Wenn endlich Leu- 
cippus mit dem Versuche, das Entstehen und Vergehen auf 
Verbindung und Trennung einfachster Körper zurückzuführen 
Empedokles wahrscheinlich vorangieng?), so wird er damit 
Anaxagoras noch sicherer vorangegangen sein. Weniger bestimmt 
lässt sich der Widerspruch des Anaxagoras gegen ein blindes 
Verhängniss*) auf die Atomistik beziehen; doch würde sie 
auf kein anderes System besser passen. Ich glaube daher, 
dass auch Leucippus mit seiner Lehre vor Anaxagoras auftrat 
und von ihm berücksichtigt wurde. Dass dieses der Zeit nach 
möglich war, wird schon aus unserer früheren Erörterung) 
hervorgehen). | 

Die eigenthümliche philosophische Bedeutung des Anaxa- 
goras beruht auf der Lehre vom Geiste. Mit ihr hängt auch 
das, was er über den Stoff sagt, so eng zusammen, dass das 
eine durch das andere bedingt ist. Der Stoff als solcher, wie 
er sich vor der Einwirkung des Geistes im Urzustande dar- 
stellt, kann nur eine chaotische bewegungslose Masse sein, 
denn alle Bewegung und Sonderung geht vom Geist aus; er 
muss aber doch schon alle Bestandtheile der abgeleiteten Dinge 
als solche enthalten; denn der Geist schafft nicht ein neues, 


1) Vgl. 8. 953 ἢ 

2) 8. ο. 989, 2. vgl. S. 850. 591. 

3) Vgl. S..958. 

4) S. 8. 993, 2, wozu S. 871 f. zu vergleichen ist. 

5) 8. 958 £. = 

6) Eine weitere Bestätigung könnte man in der Schrift De Melisso c. 2. 
976 a 13 finden. Indessen beruht die Annahme, dass es sich hier um eine 
Aeusserung des Anaxagoras über Melissus handle, wie APELT z. d. St. zeigt, 
auf einer sehr unsicheren Conjectur. 


1028 Anaxagoras. [922. 923) 


sondern er scheidet nur das vorhandene. Ebenso aber auch 
umgekehrt: der Geist ist nothwendig, weil der Stoff als solcher 
ungeordnet und unbewegt ist, und die Thätigkeit des Geistes 
beschränkt sich auf die Sonderung der Stoffe, weil alle Be 
stimmtheit derselben in ihnen selbst schon gesetzt ist. Das 
eine ist mit dem anderen so unmittelbar gegeben, dass wir 
nicht einmal fragen können, welche von beiden Bestimmungen 
die frühere, welche die spätere sei; sondern diese bestimmte 
Vorstellung vom Stoff ergab sich nur, wenn eine unkörperliche 
bewegende Ursache mit dieser bestimmten Wirkungsweise von 
ihm unterschieden; und die letztere liess sich nur festhalten, 
wenn das Wesen des Stoffes so und nicht anders aufgefasst 
wurde. Beide Bestimmungen sind insofern gleich ursprünglich, 
sie bezeichnen nur die zwei Seiten des Gegensatzes von Geist 
und Stoff, so wie dieser von Anaxagoras gefasst wird. Fragen 
wir aber weiter, wie dieser Gegensatz selbst unserem Philo- 
sophen entstanden sei, so hat schon unsere frühere Auseinander- 
setzung!) hierauf geantwortet. Die ältere Physik kannte nur 
körperliche Wesen. Bei diesem Körperlichen weiss sich unser 
Philosoph nicht zu befriedigen, weil er sich die Bewegung der 
Natur, die Schönheit und Zweckmässigkeit der Weltordnung 
‚nicht daraus zu erklären weiss, zumal da er von Parmenides, 
Empedokles und Leucippus gelernt hat, dass die körperliche 
Substanz ein ungewordenes und unveränderliches ist, welches 
nicht dynamisch von innen, sondern nur mechanisch von aussen 
bewegt wird. Er unterscheidet demnach den Geist als | be- 
wegende und ordnende Kraft vom Stoffe; und da er nun alle 
Ordnung durch eine Scheidung des Ungeordneten, alles Wissen 
durch ein Unterscheiden bedingt findet, so bestimmt er den 
Gegensatz von Geist und Stoff dahin, dass jener die trennende 
und unterscheidende Kraft, und desshalb selbst einfach und 
unvermischt, dieser das schlechthin gemischte und zusammen- 
gesetzte sei; eine Bestimmung, welche auch durch die her- 
kömmlichen Vorstellungen vom Chaos und neuestens durch 
die empedokleische und atomistische Lehre vom Urzustand 
nahe gelegt war. Besteht aber der Stoff ursprünglich in einer 


1) 8. 992 £. 


[923. 924] Charakter und Entstehung seines Systems. 1029 


Mischung aller Dinge, die Wirksamkeit der bewegenden Kraft 
in der Sonderung, so müssen die Dinge als diese bestimmten 
Substanzen im ursprünglichen Stoff schon enthalten gewesen 
sein; an die Stelle der Elemente und der Atome treten die 
308. "Homöomerieen. 

Die Grundbestimmungen des anaxagorischen Systems er- 
klären sich so auf eine ungezwungene Art theils aus den 
Annahmen früherer und gleichzeitiger Philosophen, theils aus 
solchen Erwägungen, welche sich seinem Urheber selbst leicht 
und naturgemäss ergeben konnten. Um so entbehrlicher sind 
uns die anderweitigen Quellen dieser Lehre, die schon einzelne 
von den Alten theils bei dem mythischen Wundermann Her- 
motimus!), theils in orientalischer Weisheit?) gesucht haben; 
diese Annahmen haben aber auch an sich selbst so wenig für 
sich, dass über ihre Grundlosigkeit kaum ein Zweifel obwalten 
kann. Für eine Abhängigkeit des Anaxagoras von orien- 
talischen Lehren spricht weder eine Ueberlieferung, der wir 
auch nur das geringste Vertrauen | schenken könnten, noch 
macht sie der Inhalt seines Systems irgendwie wahrscheinlich 8). 


1) Arıst. Metaph. I, 3. 984 " 18, nachdem des Nus erwähnt ist: 
φανερῶς μὲν οὖν ᾿Δναξαγόραν ἴσμεν ἁψάμενον τούτων τῶν λόγων, αἰτίαν 
δ᾽ ἔχει πρότερον Ἑρμότιμος ὁ Κλαζομένιος εἰπεῖν. Dasselbe wiederholen 
ALEXANDER u. 8. 2. ἃ. St. (Schol. in Ar. ὅ86 Ὁ), Puızor. z. ἃ. St. ἢ 2 Ὁ. 
ΒΙΜΡΙ.. Phys. 321 a m. Sext. Math. IX, 7. Erıas Cret. in Greg. Naz. orat. 
37, 8. 881 (bei Carus Nachg. W. IV, 341), ohne doch für ihre Angabe eine 
andere Quelle zu haben, als die aristotelische Stelle. 

2) Dahin gehört die Angabe, welche schon 8. 973, 2 erwähnt wurde, 
Anaxagoras sei im Orient, namentlich in Aegypten gewesen, und die Hypo- 
thesen von Gravisch (Die Rel. und die Philosophie. Anaxag. und die 
Israeliten) und einigen Aelteren (worüber Anax. u. ἃ. Isr. 8. 4 z. vgl.), 
welche ihn mit dem Judenthum in Zusammenhang bringen wollten. 

3) Wie ungenügend die Zeugnisse für Anaxagoras’ Anwesenheit in 
Aegypten sind, geht schon aus ihrer S. 973, 2 gegebenen Zusammenstellung 
hervor. Keines derselben reicht über das letzte Jahrzehend des 4ten christ- 
lichen Jahrhunderts hinauf; nicht einmal Valerius Maximus redet von einer 
Reise nach Aegypten, sondern nur von einer diutina perogrinatso, während 
der Anaxagoras’ Güter verödet seien, und es ist sehr möglich, dass er oder 
seine Quelle dabei nur an Anaxagoras’ Aufenthalt in Athen und Lampsakus 
gedacht hat; hätte er aber auch Aegypten als das Ziel dieser Reise be- 
zeichnet, so würde sein Zeugniss immer noch leicht genug wiegen, und 
der Ausspruch über das Grabmal des Mausolus, welchen Dio«. II, 10 un- 


1080 Anaxagoras. [924] 


Hermotimus aber ist unverkennbar nicht eine geschichtliche, 
dem Anaxagoras gleichzeitige Person, sondern eine durchaus 
fabelhafte Gestalt der Vorzeit, welche nur der müssige Scharf- 
sinn späterer Gelehrten mit unserem Philosophen zusammen- 
gestellt hat!). Wir werden daher | von diesen Vermuthungen 


serem (19 Olympiaden vor dessen Erbauung gestorbenen) Philosophen in den 
Mund legt, würde ihm gleichfalls keine Verstärkung bringen. Erwägt man 
nun vollends, wie geneigt die Griechen seit dem Zeitalter des Anaxagoras 
waren, ihre wissenschaftlichen Grössen mit Aegypten in Verbinduug zu 
setzen, wie unwahrscheinlich es daher ist, dass eine ägyptische Reise dieses 
Philosophen, wenn man von ihr wusste, unerwähnt geblieben wäre, so wird 
man aus dem vollständigen Stillschweigen aller älteren Berichterstatter 
darüber nur den Schluss ziehen können, es sei von ihr nicht das geringste 
bekannt gewesen. — Was die Hypothese von GLapisch betrifft, so habe ich 
mich über die allgemeinen Voraussetzungen und das Gesammtergebniss der- 
selben schon 8. 28 ff. ausgesprochen. An der Umdeutung des Thatbestandes 
im Interesse willkürlicher Combinationen, welche ihm dort vorgeworfen 
wurde, hat er es auch im vorliegenden Fall nicht fehlen lassen. So wird 
z. B. der alttestamentlichen Dogmatik nicht blos (S. 19 ff.) eine präexistirende 
Materie (für welche Gl. u. a. das alexandrinische Buch der Weisheit als 
vollgültigen Zeugen anruft), sondern es werden ihr auch die anaxagorischen 
Homöomerieen aufgedrängt (S. 48); umgekehrt Anaxagoras (wie schon 
8.999, 1 gezeigt wurde), auf die unzureichendsten Beweise hin, die jüdischen 
Vorstellungen von der Weltregierung; und die alttestamentliche Lehre von 
der Schöpfung der Welt durch unmittelbare göttliche Befehle soll in allem 
wesentlichen „völlig dieselbe“ (ΒΚ. 43) sein, wie die Lehre des Anaxagoras 
von der ersten Bewegung des Stoffes durch den Nus, aus welcher alle Dinge 
auf rein mechanischem Wege entspringen. Mit einem Parallelismus, der auf 
diesem Wege hergestellt wird, lässt sich begreiflicherweise geschichtlich 
nichts anfangen. 

1) Die Angaben der Alten über Hermotimus (welche Carus „über die 
Sagen von Hermotimus“ Nachg. Werke IV, 330 ff., früher in Fülleborn’s 
Beiträgen 9 St., am vollständigsten zusammengestellt hat) enthalten dreierlei 
Aussagen. Die eine von diesen ist so eben aus Aristoteles u. a. angeführt 
worden. Weiter wird 2) erzählt, Hermotimus habe die wunderbare Eigen- 
schaft gehabt, dass seine Seele oft lange Zeit ihren Körper verliess, und 
nach der Rückkehr in denselben von entfernten Dingen Kunde gab; einst- 
mals haben aber seine’ Feinde diesen Zustand benützt, um den Körper, als 
ob er todt wäre, zu verbrennen. So Prix. H. n. VII, 53. Put. gen. Socr. 
Ως. 22, S. 592. ArotLon. Dysc. hist. commentit. c. 3, welche aber alle drei 
sichtbar von derselben Quelle (wahrscheinlich Theopomp; vgl. Roupe Rhein. 
Mus. XXVI, 558) abhängen, Lucıan musc. enc. c. 7. Orıe. c. Cels. III, 3. 
Tert. De an. c. 2.44, der beifügt, die Klazomenier hätten dem Hermotimus 
nach seinem Tod ein Heiligthum errichtet. 3) endlich nennt HerRaxLınzs 
b. Dıoa. VID, 4 f. Hermotimus unter denen, in welchen die Seele des 


[925. 926] Orientalische Lehrer; Hermotimus. 1031 


ganz absehen, und die Lehre des Anaxagoras als das natür- 
liche Ergebniss der vorangehenden philosophischen Entwick- 
lung betrachten dürfen. Und ebenso ist sie auch ihr natür- 
licher Schlusspunkt. Ist einmal im Geist ein höheres Princip 
gefunden, durch welches die Natur selbst bedingt, ohne das 
ihre Bewegung und ihre zweckmässige Einrichtung nicht zu 
erklären ist, so entsteht sofort die Forderung, dass dieser 
höhere Grund der Natur auch wirklich erkannt werde; die 
einseitige Naturphilosophie geht zu Ende, und die Forschung 
wendet sich neben und vor der Natur dem Geiste zu. 

Die Schule des Anaxagoras selbst schlug diesen Weg 
noch nicht ein. Erinnert auch Metrodor’s Mythendeutung) 
bereits an die Sophistik, so bleibt dagegen Archelaos?), 


Pythagoras während ihrer früheren Wanderungen gewohnt haben soll (was 
nach Theol Arithmet. S. 41 frühestens 216 Jahre vor Pyth. Geburt statt- 
gefunden baben könute), und dasselbe wiederholen Porrn. V. Pyth. 45. 
Hırror. Refut. I, 2. 8. 12. Tert. De an. 28. 81. Dass auch diese Angabe 
auf unsern Hermotimus geht, kann wohl kaum einem Zweifel unterliegen, 
wenn ihn auch Hippolytus irriger Weise einen Samier neunt. Erscheint nun 
aber Hermotimus nach diesen Erzählungen als eine fabelhafte Person der fernen 
Vorzeit, so liegt am Tage, dass die Behauptung, deren Aristoteles erwähnt, 
alles geschichtlichen Grundes entbehren muss; von Neueren, welche den Her- 
motimus gar zum Lehrer des Anaxagoras machen wollten (8. CARur 334. 362 f.; 
es kommt aber auch später noch vor), nicht zu reden. Jene Behauptung 
ist ohne Zweifel nur aus der Wundersage selbst herausgeklügelt, indem in 
der Trennung der Seele vom Leibe, welche von dem alten Wahrsager er- 
zählt wurde, ein Analogon zu der anaxagorischen Unterscheidung des Geistes 
vom Stoff gesucht wurde. Urheber dieser Deutung könnte möglicherweise 
Demokrit sein, vgl. Dıoc. IX, 34. Aehnliche Sagen finden sich, wie Roups 
a. a. Ο. zeigt, in Indien; und es mag wohl sein, dass das Märchen, wie 
andere Mythen und ein Theil unserer Thierfabel, dorther stammt; mag es 
nun in der Urzeit von den Vorfahren der Hellenen aus ihrer asiatischen 
Heimath mitgebracht, oder über Vorderasien zu den Joniern an der Küste 
eingewandert sein. 

1) S. 8. 1019, 4. 

2) Archelaos, der Sohn des Apollodor, oder nach anderen des Myson, 
wird von den meisten, unstreitig richtig, als Athener, von einigen auch als 
Milesier bezeichnet (Sımer. Phys. 27, 23 nach Theophrast. Dıoe. U, 16. 
Saxr. Math. VII, 14. IX, 360. Hırror. Refut. I, 9. Cremexs Cohort. 48 Ὁ. 
Plac. I, 3, 12. Justin Cobort. c. 8 Schl... Dass er ein Schüler des Anaxa- 
goras war, wird vielfach bezeugt (m. vgl. ausser den eben genannten Cıc. 
Tusc. V, 4, 10. Straso XIV, 3, 36. 8. 645. Eus. pr. ev. X, 14, 8f. Aucusr. 
Civ. Ὁ. VIII,2). Nach Ers. a. a. O. hätte er zuerst in Lampsakus die Schule 
des Anaxagoras übernommen, dessen Nachfolger er auch bei Creu. Strom. 


1082 Anaxagoras. [926] 


der einzige weitere Schüler des Anaxagoras, über den uns 
näheres bekannt ist!), der physikalischen Richtung seines 


I, 301 A. Dıoe. prooem. 14. Eus, XIV, 15, 9. Auc.a.a.O. heisst, und wäre 
von da nach Athen übergesiedelt; was aber vielleicht nur aus seinem 
Diadochenverhältniss zu Anaxagoras gefolgert ist. Aus derselben Voraus- 
setzung, oder aus einer nachlässigen Benützung der von Clemens a. a. O. 
gebrauchten Quelle, scheint die auffallende (aber wie der Zusammenhang 
zeigt, wirklich auf ihn bezügliche, nicht aus einer Anaxagoras geltenden 
Randbemerkung hereingekommene) Behauptung (Dıoc. II, 16, wozu Scuav- 
ΒΔΟΗ Anax. 22 f.) geflossen zu sein, dass er zuerst die Physik von Jonien 
nach Athen verpflanzt habe. Ueber seine angebliche Verbindung mit So- 
krates vgl. Th. II a, 49, 3. Die Berichte über Archelaos’ Lehre zeigen, 
dass dieselbe schriftlich dargestellt war; ein theophrastisches Buch über 
ihn, dessen Dıoc. V, 42 erwähnt, war vielleicht nur ein Abschnitt eines 
grösseren Werks; Sımpr. a. a. O. scheint sich nicht auf diese Darstellung, 
sondern auf Theophrast's Geschichte der Physik zu beziehen. 

1) Der anaxagorischen Schule ("Avafeyopsıos Praro Krat. 409 B. Syx- 
cerr. Chron. 149 C; of an’ Avafayopov Plac. IV, 8, 2 — οὗ περὶ Ar. 
in den Stellen, welche ScuausacH 8. 32 anführt, ist blosse Umschreibung) 
geschieht einigemale Erwähnung, ohne dass doch weiteres über sie berichtet 
würde. Eine Spur ihres Einflusses ist uns 8. 697 in der Schrift des falschen 
Hippokrates π. διαίτης vorgekommen. Wenn ein Scholiast zu Plato’s 
Gorgias (S. 345 Bekk.) den Sophisten Polus einen Anaxagoreer nennt, so 
hat er diess offenbar nur aus der platonischen Stelle 8. 465 D geschlossen, 
die hiezu kein Recht gibt. Auch von Klidemus ist es mir zweifelhaft, 
ob er mit PnıLırpson (Ὕλη ἄνϑρ. 197) zur Schule des Anaxagoras zu rech- 
nen ist, ohne dass ich doch darum IpeLer (Arist. Meteorol. I, 617 f.) bei- 
treten könnte, welcher ihn für einen Anhänger des Empedokles hält. Es 
scheint vielmehr, dieser Naturforscher, dessen Taxzorarıst H. plant. III, 1,4 
nach Anaxagoras und Diogenes, De sensu 38 zwischen beiden erwähnt, 
den wir also wohl für einen Zeitgenossen des Diogenes und Demokrit halten 
dürfen, habe sich ohne eine feste philosophische Ansicht mehr nur mit dem 
einzelnen beschäftigt. Arıst. Meteor. II, 9. 370 a 10 sagt, er habe die 
Blitze für eine blosse Lichterscheinung gehalten, wie das Glänzen des be- 
wegten Wassers; Tueornr. H. pl. a. a. O. gibt an: die Pflanzen bestehen 
nach ihm aus denselben Stoffen, wie die Thiere, nur dass sie weniger rein 
und warm seien, und Caus. plant. I, 10, 3: die kälteren Pflanzen blühen 
im Winter, die wärmeren im Sommer; Ders. berührt ebd. IH, 28, 1f. seine 
Meinung über die zur Fruchtaussaat geeignetste Zeit, V, 9, 10 seine Ansicht 
über eine Krankheit des Weinstocks; endlich erfahren wir von ihm noch 
De sens. 38, dass sich Klidemus über die Sinnesempfindungen geäussert 
hatte: αἰσϑάνεσϑαι γάρ φησι τοῖς ὀφθαλμοὶς μόνον (wofür Wimmer wohl 
mit Recht μὲν setzt) ὅτε διαφανεῖς " ταῖς d’ ἀχοαῖς ὅτε ἐμπίπτων ὁ ἀὴρ 
zwei‘ ταῖς δὲ δισὴν ἐφελχομέγνους τὸν ἀέρα, τοῦτον γὰρ ἀναμέγνυσϑαι" 
τῇ δὲ γλώσσῃ τοὺς χυμοὺς χαὶ τὸ ϑερμὸν καὶ τὸ ψυχρὸν, διὰ τὸ σομφὴν 


[927. 928] Anaxagoreer: Archelaos. 1033 


Lehrers getreu, | und indem er seinen Dualismus zu mildern 
sucht, nähert er sich sogar der älteren materialistischen Physik 
wieder. Auch über ihn sind wir aber nur unvollständig unter- 
richtet. Es wird uns gesagt, dass er in Betreff der letzten Gründe 
mit Anaxagoras übereinstimmte, dass er mit diesem eine un- 
endliche Menge gleichtheiliger Körperchen annahm, aus welchen 
die Dinge durch mechanische Zusammensetzung und Trennung 
entstehen, dass er sich diese Stoffe ursprünglich gemischt 
dachte, dass er aber von dem Körperlichen den Geist als die 
über ihm waltende Macht unterschied!)., Die anfängliche 
Mischung aller Stoffe setzte er | nun aber, zu Anaximenes und 
der älteren jonischen Schule zurücklenkend, der Luft gleich ?), 


εἶναι" τῷ δ᾽ ἄλλῳ σώματι παρὰ μὲν ταῦτ᾽ οὐθὲν, αὐτῶν δὲ τούτων χαὶ 
τὸ ϑερμὸν καὶ τὰ ὑγρὰ χαὶ τὰ ἐναντία" μόνον δὲ τὰς ἀχοὰς μὲν οὐδὲν 
χρένειν, εἰς δὲ τὸν νοῦν διαπέμπειν' οὐχ ὥσπερ ᾿Αναξαγόρας ἀρχὴν ποιεῖ 
πάντων (aller Sinnesempfindungen) τὸν νοῦν. Schon das letztere beweist, 
dass Klidemus die philosophischen Ansichten des Anaxagoras nicht getheilt hat, 
wie denn überhaupt nirgends etwas philosophisches von ihm erwähnt wird. 
Dass unser Klidemus von dem Historiker Klidemus oder Klitodemus (MÜLLER 
Hist. gr. I, 359 8), mit dem ihn Meyer Gesch. ἃ. Botanik I, 28 ff. und 
andere identificiren, verschieden ist, zeigt Kırcaner Jahrb. f. Philol. Suppl. 
N. F. VII, 501 ἢ 

1) Smrr. Phys. 27, 23 (nach Theophrast): ἐν μὲν τῇ γενέσει τοῦ 
χόσμου xal τοὶς ἄλλοις πειρᾶταί τι φέρειν ἴδιον. τὰς ἀρχὰς δὲ τὰς αὐτὰς 
ἀποδίδωσιν ἅσπερ ᾿Αναξαγόρας. οὗτοι μὲν οὖν ἀπείρους τῷ πλήϑει καὶ 
ἀνομογενεῖς τὰς ἀρχὰς λέγουσι τὰς ὁμοιομερείας τιϑέντες ἀρχάς. (Letzteres 
auch De calo 969 b 1. Schol. in Ar. 513 a u.) Crew. Cohort. 48 D: of 
μὲν αὐτῶν τὸ ἄπειρον χαϑύμνησαν, ὧν. . . Avafayöpas . . καὶ... ᾿ἐρχέ- 
Aaos‘ τούτω μέν γε ἄμφω τὸν νοῦν ἐπεστησάτην τῇ ἀπειρίᾳ. Hırror. 
Refut. I, 9: οὗτος ἔφη τὴν μῖξιν τῆς ὕλης ὁμοίως ᾿Αναξαγόρᾳ τάς τε 
ἀρχὰς ὡςαύτως. Ασα. Civ. D. VIII, 2: etiam ipse de partioulis inter se dissi- 
milibus, quibus singula quasque flerent, ita omnia constare pıutavit, μὲ messe eliam 
mentem dicerei, quae corpora dissimilia, i. 6. illas particulas, oonjungendo οἱ dis- 
sipando ageret omnia. ΑἸΈΧ. De mixt. 141 Ὁ m: _Anaxagoras und Arch. 
waren der Meinung, ὁμοιομερῦ.. τινα ἄπειρα εἶναι σώματα, ἐξ ὧν ἡ τῶν 
αἰσϑητῶν γένεσις σωμάτων, γινομένη κατὰ σύγχρισεν καὶ σύνϑεσεν, Wess- 
halb beide zu denen gezählt werden, die alle Mischung für ein Gemenge 
substantiell getrennter Stoffe halten. Purtor. De an. B 16 m: Arch. gehört 
zu denen, ὅσοι εἴρήχασε τὸ πᾶν ὑπὸ τοῦ νοῦ κεκινῆσϑαι. 

2) Durch diese Annahme, welche auch in dem gleich folgenden eine 
Bestätigung findet, lässt sich die Angabe, Archelaos habe die Luft für den 
Urstoff gehalten, mit den sonstigen Berichten, wie mir scheint, ungezwungen 
vereinigen. Vgl. Sexr. Math. IX, 860: 4oy. ... ἀέρα [ἔλεξε πάντων εἶναι 


1034 Anaxagoras. [928. 929) 


die auch schon Anaxagoras für ein Gemenge der verschieden- 
artigsten Urstoffe, aber doch nur für einen Theil der ursprüng- 
lichen Masse gehalten hatte!.. Während ferner Anaxagoras 
streng an der Unvermischtheit des Geistes festhielt, dachte 
sich Archelaos den Stoff von Anfang an mit dem Geiste ver- 
bunden?), so dass er demnach an dem Ganzen, der vom Geiste 
beseelten Luft, ein Princip hatte, welches dem des Anaximenes 
und Diogenes verwandt, nur durch seine dualistische Zu- 
sammensetzung sich von ihm unterschied®). An diese Philo- 
sophen schloss er sich auch im weiteren an, wenn er das erste 
Auseinandertreten der ursprünglichen Mischung als Verdünnung 
und Verdichtung bezeichnete*). Durch diese erste Scheidung 
trennte sich das Warme und das Kalte, wie diess schon Anaxi- 
mander, | ebenso aber auch Anaxagoras gelehrt hatte°); da 
aber die erste Mischung schon für Luft erklärt war, so nannte 
Archelaos diese zwei Hauptmassen der abgeleiteten Dinge, 
von Anaxagoras abweichend, Feuer und Woasser®). Dabei 
betrachtete er, nach dem Vorgang seines Lehrers, das Feuer 
als das thätige, das Wasser als das leidende Element, und 


ἀρχὴν καὶ στοιχεῖον]. Plac. I, 3, 12 (wörtlich gleich Justin cohort. c. 8 
Schl.): 4ex: . - ἀέρα ἄπειρον [ἀρχὴν ἀπεφήνατο] χαὶ τὴν περὶ αὐτὸν 
πυχφότητα καὶ μανωσιν᾽ τούτων δὲ τὸ μὲν εἶναι πῦρ τὸ δὲ ὕδωρ. 

1) 8. 8. 1002. 

2) Hıreor. a. a. O.: οὗτος δὲ τῷ νῷ ἐνυπάρχειν τε εὐθέως μῖγμα, 
was doch wohl in diesem Sinn zu verstehen sein wird; denn wie in dem 
Geiste selbst, dem ἀμεγὲς, ein μῖγμα sein könnte, ist schwer zu sagen. 
Bequemer wäre συνυπάρχειν. 

3) Insofern kann richtig sein, was Sror. ΕΚ]. I, 56 hat: Aoy- ἀέρα 
xal νοῦν τὸν ϑεόν, ἃ. h. er kann die Luft und den Geist als das Ewige 
und Göttliche bezeichnet haben. 

4) Plac. s. 1038, 2. 

5) 8. S. 220. 1002. 

6) Plac. a. a. O. Dıoc. II, 16: ἔλεγε δὲ δύο αἱτίας εἶναι γενέσεως, 
ϑερμὸν xal ὑγρόν. Heuum. Irris. c. 11: 4py. ἀποφαινόμενος τῶν ὅλων 
ἀρχὰς ϑερμὸν χαὶ ψυχρόν. MHırror. a. a. O.: εἶναε δ᾽ ἀρχὰς τῆς χινή- 
σεως (offenbar verderbt; die einfachste Heilung wäre: ἐν δ᾽ ἀρχαῖς διὰ τ. 
χεν. [oder auch ἐν δ᾽ ἀρχ. τ. xıv.], andere Vorschläge bei Diss Doxogr. 
563, 16 n.) ἀποχρένεσϑαι an’ ἀλλήλων τὸ ϑερμὸν καὶ τὸ ψυχρὸν, καὶ τὸ 
μὲν ϑερμὸν χενεῖσϑαι, τὸ δὲ ψυχρὸν ἠρεμεῖν. Vgl. Praro Soph. 242 Ὁ: 
δύο δὲ ἕτερος εἰπὼν, ὑγρὸν καὶ ξηρὸν ἢ ϑερμὸν καὶ ψυχρὸν, συνοικίζεε τε 
«ὑτὰ καὶ ἐχδίδωσι. Doch ist die Beziehung auf Archelaos nicht sicher. 


[929] Anaxagoreer: Archelaos. 1035 


indem er nun aus ihrem Zusammenwirken die Weltbildung 
rein physikalisch zu erklären suchte, so konnte es den An- 
schein gewinnen, als seien jene körperlichen Gründe das letzte 
und der Geist nicht dabei betheiligt!., Die Meinung des 
Archelaos kann diess aber nicht gewesen sein, sondern er 
wird wohl mit Anaxagoras angenommen haben, zuerst habe 
der Geist in der anfänglichen unendlichen Masse einen Wirbel 
hervorgebracht, hieraus sei dann aber die erste Scheidung des 
Warmen und Kalten, und aus dieser alles weitere von selbst 
hervorgegangen. 

Bei der Scheidung der Stoffe lief das Wasser in der Mitte 
zusammen; durch die Einwirkung der Wärme verdunstete ein 
Theil desselben und stieg als Luft auf, ein anderer verdichtete 
sich zur Erde; von der letzteren stammen als losgerissene 
Stücke derselben die Gestirne. Die Erde, ein sehr kleiner 
Theil des Weltganzen, wird von der Luft, die Luft vom Feuer 
im Umschwung an ihrer Stelle festgehalten. Die Oberfläche 
der Erde muss nach Archelaos gegen die Mitte hin vertieft 
sein; denn wenn sie wagrecht wäre, so müsste die Sonne überall 
zu derselben Zeit auf- und untergehen. Die Gestirne drehten 
sich anfangs seitlich um die Erde, welche desshalb hinter 
ihrem erhöhten Rande in beständigem Schatten lag; erst als 
die Neigung des Himmels eintrat, konnte das Licht und die 
Wärme der Sonne auf sie einwirken und sie austrocknen?). 
In allen diesen Bestimmungen | ist nur wenig, worin Archelaos 


1) 8. vor. Anm. und Sror. a. a. Ο.: οὐ μέντοι χοσμοποιὸτ τὸν γοῦν. 

2) Das obige ergibt sich aus Hırror. a. a. O., wo aber der Text 
lückenhaft ist, und Dıoc. II, 17, wo die überlieferte Lesart gleichfalls keinen 
leidlichen Sinn gibt. Die Worte lauten nach derselben: τηχόμενον φησι 
τὸ ὕδωρ ὑπὸ τοῦ ϑερμοῦ, καϑὸ μὲν eis τὸ πυρῶδες συνίσταται, ποιεῖν 
γῆν" χαϑὸ δὲ περιῤῥεῖ, ἀέρα γεννᾷν. Statt πυρῶδες vermuthet Rırrzz I, 
342: τυρῶϑες; vielleicht ist dafür πηλῶδϑες, und statt des unverständlichen 
περεῤῥεῖ πυρὶ repigöeitas“ zu setzen; denn-Diog. fährt fort: ὅϑεν ἡ μὲν 
ὑπὸ τοῦ ἀέρος, ὁ δὲ ὑπὸ τῆς τοῦ πυρὸς περιφορᾶς χρατεῖται. Brk die 
vorsokrat. Phil. I, 247 f. will durch Umstellung helfen: χαϑὸ μὲν περιῤῥεῖ 
ποιεῖν γῆν, χαϑὸ δὲ εἷς τὸ πυρῶδες συνίσταται ἀέρα γεννᾷν. Aber was 
sollte hiebei das περιῤῥεῖ bedeuten? und wie kann der Uebergang in’s 
Feurige die Luft erzeugen? Ebd. auch die Angabe: τὴν δὲ ϑάλατταν ἐν 
τοῖς xolloıs διὰ τῆς γῆς ἠϑουμένην συνεστάναι. Hieraus wurde wohl der 
Geschmack des Meerwassers erklärt. 


1086 Anaxagoras. 930. 931] 


von Anaxagoras abwiche!),. Auch in seinen Vorstellungen 
über die lebenden Wesen, so weit wir sie kennen, folgt er 
jenem. Das belebende in allen ist der Geist?), den sich aber 
Archelaos, wie es scheint, an die eingeathmete Luft gebunden 
dachte®). Ihre erste Entstehung wurde durch die Sonnen- 
wärme bewirkt; diese erzeugte aus dem Erdschlamm ver- 
schiedenartige Thiere, welche sich sammt und sonders vom 
Schlamm nährten und nur kurz lebten; erst in der Folge trat 
die geschlechtliche Fortpflanzung ein, und die Menschen er- 
hoben sich durch Kunstfertigkeit und Sitte über die andern 
Geschöpfe*). Von seinen weiteren Annahmen über den Men- 
schen und die | Thiere wird so gut wie nichts überliefert; es 
ist jedoch zu vermuthen, dass er auch hierin Anaxagoras 
folgte, und dass er mit diesem und anderen Vorgängern der 
Sinnesthätigkeit seine besondere Aufmerksamkeit zuwandte?). 


1) Vgl. S. 1002 ff. 1007. Anaxagoras (s. 8. 1009 u.) folgt Arch. auch 
in seiner Erklärung der Erdbeben b. Sen. qu. ἢ. VI, 12. 

2) Hırror. a. a. O.: γοῦν δὲ λέγεε πᾶσιν ἐμφύεσθϑαε ζῴοις ὁμοέως. 
χοήσασϑαε [l. χρῆσϑαι] γρ ἕχαστον χαὶ τῶν ζῴων τῷ νῷ (so UsEnER und 
Dies statt des unverständlichen: τῶν σωμάτων ὅσῳ) τὸ μὲν βραϑυτέρως 
τὸ δὲ ταχυτέρως. 

9) Diess vermuthe ich theils wegen seiner oben erörterten allgemeinen 
Annahmen über den Geist, theils wegen der 3. 1011, 3 angeführten Zeug- 
nisse; auch die Uebertragung jener Meinung auf Anaxagoras erklärt sich 
durch diese Annahme am leichtesten. 

4) Hırror. a. a. Ο.: περὶ δὲ ζῴων φησὶν, ὅτε ϑερμαινομένης τῆς γῦς 
τὸ πρῶτον ἐν τῷ χάτω μέρει (hierüber Dixs 564, 3 n.), ὅπου τὸ ϑερμὸν 
καὶ τὸ ψυχρὸν ἐμίσγετο, ἀνεφαίνετο τά τε ἄλλα ζῷα πολλὰ καὶ οἱ ἄνϑρωποι 
ἅπαντα τὴν αὐτὴν δίαιταν ἔχοντα Ex τῆς ἰλύος τρεφόμενα (ἣν δὲ ὀλε- 
γοχρόνια) ὕστερον δὲ αὐτοῖς καὶ ἡ ἐξ ἀλλήλων γένεσις συνέστη. καὶ διεχρί- 
ϑησαν ἄνθρωποι ἀπὸ τῶν ἄλλων, καὶ ἡγεμόνας καὶ νόμους χαὶ τέχνας 
καὶ πόλεις χαὶ τὰ ἄλλα συνέστησαν. Das gleiche zum Theil auch bei 
Dıoc. I, 16. Μ. vgl. hiezu S. 1012, 5 und was 8. 227 £ von Anaximander 
angeführt ist. Aus einem Missverständniss dieser Ueberlieferung scheint die 
Angabe des Erırnanıus Exp. δᾶ. 1087 a zu stammen: Arch. lasse alles aus 
der Erde entstehen, und halte sie für die ἀρχὴ τῶν ὅλων. Dass dieser 
Philosoph von demjenigen benützt wurde, dem Dıro Chrys. or. XII S. 384 f. 
R. folgt (Dimmer Akad. 232 f.), ist möglich; aber zur Wahrscheinlichkeit 
lässt es sich m. E. nicht erheben. 

5) Darauf weist die kurze Notiz bei Dıoc. H, 17: πρῶτος δὲ εἶπε 
φωνῆς γένεσιν τὴν τοῦ ἀέρος πλῆξιν, wo aber das πρῶτος unrichtig ist, 
8. 5, 800, 5. 1015, 8. 


[931] Anaxagoreer: Archelaos. 1037 


Die Behauptung, dass er eine unendliche Anzahl von Welten 
angenommen habe!), beruht ohne Zweifel auf dem Missver- 
ständniss einer‘ Aeusserung, deren Meinung eine andere war?). 

Einige Schriftsteller behaupten, neben der Physik habe 
sich Archelaos auch mit ethischen Untersuchungen beschäftigt, 
und er sei hierin ein Vorgänger des Sokrates gewesen®). Im 
besonderen soll er den Ursprung von Recht und Unrecht 
nicht in der Natur, sondern in der Gewohnheit gesucht haben 2). 
Diese Angaben scheinen jedoch nur daraus entstanden zu sein, 
dass man sich den vermeintlichen Lehrer des Sokrates nicht 
ohne ethische Philosophie zu denken wusste, und nun die Be- 
stätigung dieser Voraussetzung in Stellen suchte, welche ur- 
sprünglich einen anderen Sinn hatten°); dass Archelaos etwas 


1) Stop. Ekl. I, 496 5. o. 234, 5. 

2) Wir haben wenigstens kein Recht zu der Annahme, wenn Arch. in 
dieser Beziehung mit den Atomikern zusammengestellt wird, so habe diess 
mehr Grund, als wenn dasselbe Xenophanes widerfährt. Welcher Satz des- 
selben diese Zusammenstellung veranlasste, lässt sich bei der Dürftigkeit 
der Nachrichten über seine Lehre nicht angeben. 

3) Szxr. Math. VII, 14: Apy.... τὸ φυσιχὸν καὶ ἠϑικὸν [μετήρχετο]. 
Dıoe. II, 16: ἔοικε δὲ καὶ οὗτος ἅψασϑαι τῆς ἠϑιχῆς. χαὶ γὰρ περὶ νόμων 
πεφιλοσόφηχε καὶ χαλὼν καὶ διχαίων᾽" παρ᾽ οὗ Σωχράτης τῷ αὐξῆσαι 
αὐτὸς εὑρεῖν ὑπελήφϑη. 

4) Ὁτοα. a. a. Ο.: ἔλεγε δὲ. .. τὰ ζῷα ἀπὸ τῆς ἰλύος γεννηϑῆνγαι" 
καὶ τὸ δίχαεον εἶναε καὶ τὸ αἰσχρὸν οὐ φύσει ἀλλὰ νόμῳ. 

5) So denkbar es an sich wäre, dass ein Zeitgenosse der älteren 
Sophisten, der als Physiker von verschiedenen Seiten her Einwirkungen 
erfuhr, auch von den ethischen Schlagwörtern der sophistischen Aufklärung 
das eine und andere sich angeeignet hätte, so zweifelhaft ist diess doch im 
vorliegenden Fall. Eine so umfassende Beschäftigung mit ethischen Fragen, 
wie sie Archelaos von Sextus und Diogenes beigelegt wird, verträgt sich 
schlecht damit, dass nicht allein Plato und Aristoteles so ganz von ihm 
schweigen, sondern auch Hippolytus keinen ethischen Satz von Arch. be- 
richtet, und ihn sogar (I, 10) ausdrücklich als den letzten der Physiker be- 
zeichnet. In der vor. Anm. angeführten Angabe des Diogenes erweckt es 
Bedenken, dass bereits Archelaos, mit Protagoras ungefähr gleichaltrig, aus- 
gesprochen haben soll, was wir (vgl. S. 1000* ff.) nicht allein bei diesem, 
bei Gorgias und bei Prodikus, sondern in solcher Allgemeinheit selbst bei 
Hippias noch nicht finden; es lässt aber auch die auffallende Verbindung 
der zwei Sätze über die Entstehung der Thbiere und den Ursprung des 
Rechts und Unrechts vermuthen, dass sie sich in letzter Beziehung nur auf 
die gleichen Sätze des Archelaos gründet, wie die S. 1086, 4 angeführte, die- 
selbe Quelle anscheinend urkundlicher und vollständiger wiedergebende, des 


1088 | Die Sophisten. “ [931. 982] 


erhebliches für die Ethik gethan hat, wird schon durch das 
Schweigen des Aristoteles unwahrscheinlich, welcher seiner 
nicht Einmal erwähnt, und die Hinwendung zur Ethik nur 
von Sokrates herleitet!); und auch von Plato, welcher den 
Archelaos ebenfalls nie nennt, sollte man erwarten, dass er 
seinen Sokrates sich mit ihm auseinandersetzen liesse, wenn 
er gerade in der Ethik sein Vorgänger oder gar sein Lehrer 
gewesen wäre. | 

Blieb aber auch die Schule des Anaxagoras ebenso, wie 
er selbst, bei physikalischen Untersuchungen stehen, so war 
doch durch das neue Princip, welches er in die Physik ein- 
geführt hatte, eine veränderte Richtung der Forschung ge- 
fordert, und so schliesst sich an ihn zunächst die Erscheinung 
an, welche das Ende der bisherigen Philosophie und den Ueber- 
gang zu einer neuen Gestalt des wissenschaftlichen Denkens 
bezeichnet, die Sophistik. 


Dritter Abschnitt. 
Die Sophisten‘). 


1. Entstehungsgründe der Sophistik. 
Die Philosophie war bis um die Mitte des fünften Jahr- 
hunderts auf die kleineren Kreise beschränkt geblieben, welche 


Hippolytus. Arch. hatte in diesem Falle nur gesagt, die Menschen seien 
anfangs ohne Sitte und Gesetz gewesen und erst im Laufe der Zeit dazu 
gelangt, und daraus wurde von Späteren die sophistische Behauptung abge- 
leitet, dass Recht und Unrecht nicht auf der Natur beruhen. Rırter’s Er- 
klärung dieses Satzes (Gesch. d. Phil. I, 344): „das Gute und Böse in der 
Welt stamme von der Vertheilung (νόμος) der Ursamen in der Welt“, kann 
ich mir so wenig aneignen, als FoviLL£e’s (Phil. de Socr. I, 57) Deutung 
des νόμος auf l'ordre et la loi de la pensee. Diese Bedeutungen des Wortes 
lassen sich nicht erweisen. Diogenes ohnediess nahm den Satz, den er an- 
führt, gewiss nur in der herkömmlichen Bedeutung. 

1) Part. an. I, 1; 5. o. 163, 3. 

2) Jac. GEEL Historia oritica Sophistarum, qui Socratis aetste Atkenis 
Roruerunt (Nova acota literaria societ. Rheno-Traject. P. II.) Utr. 1823. Hes- 
“ann Plat. Phil. S. 179—223. 296—321. BAUMHAUER Disputatio literaria, 


[932. 983] Entstehung der Sophistik. 1099 


‘ die Liebe zur Wissenschaft in einzelnen Städten um die Ur- 
heber und Vertreter physikalischer Theorieen versammelte. 
Das praktische Leben war von der wissenschaftlichen For- 
schung noch wenig berührt, das Bedürfniss eines theoretischen 
Unterrichts wurde nur von den wenigsten empfunden, und es 
war noch von keiner Seite her im grossen versucht worden, 
die Wissenschaft zum Gemeingut zu machen, und auch die 
sittliche und politische Thätigkeit auf wissenschaftliche Bildung 
zu gründen. Selbst der Pythagoreismus kann kaum für einen 
solchen Versuch gelten; denn theils waren es nur die Mit- 
glieder des pythagoreischen Bundes, denen er seine erziehende 
Einwirkung zuwandte, theils hatte | auch seine Wissenschaft 
keine unmittelbare Beziehung auf’s praktische Leben: die 
pythagoreische Sittenlehre ist populär religiöser Art, die py- 
thagoreische Wissenschaft umgekehrt ist Physik. Der Grund- 
satz, dass die praktische Tüchtigkeit durch wissenschaftliche 
Bildung bedingt sei, war der älteren Zeit im ganzen noch 
fremd. 

Indessen vereinigten sich im Laufe des fünften Jahr- 
hunderts verschiedene Ursachen, um diesen Stand der Dinge 
zu verändern. Der gewaltige Aufschwung, welchen Griechen- 
land seit den Perserkriegen und Gelo’s Sieg über die Kar- 
thager genommen hatte, musste in seiner Wirkung auch die 
Wissenschaft der Nation und ihr Verhältniss zu derselben auf’s 
tiefste berühren. Durch eine grossartige Begeisterung, eine 
seltene Hingebung aller Einzelnen, waren jene ausserordent- 
lichen Erfolge errungen worden; ein stolzes Selbstgefühl, eine 
jugendliche Thatenlust, ein leidenschaftliches Streben nach 
Freiheit, Ruhm und Macht war ihre natürliche Folge. Die 
überlieferten Einrichtungen und Lebensgewohnheiten wurden 
dem Volke, das sich nach allen Seiten hin ausdehnte, zu enge; 


quam vim Sophistae habuerint Athenis ad aetatis suae disciplinam mores ac studia 
immutanda (Utr. 1844), eine fleissige Arbeit, aber ohne bedeutende Ergebnisse. 
Grote Hist. of Greece VII, 474—544, Erörterungen, auf die ich bei ihrer 
hervorragenden Bedeutung noch öfters zurückkommen werde, Scuaxz Beitr. 
z. vorsokrat. Phil. aus Plato 1. H. Die Sophisten. Gött. 1867. SıEBEoK 
Ueb. Sokrates Verh. z. Sophistik; Untersuch. z. Phil. ἃ. Gr. 1873. S. 1 ff. 
‚Weiteres Ὁ. UseBErRwea Grundr. I, 8 27. 
Phil. d. Gr. I. Bd. 5. Aufl. 66 


1040 Die Sophisten. [933. 934] 


die alten Verfassungsformen konnten dem Zeitgeist fast nir- 
gends, ausser in Sparta, die alten Sitten konnten ihm auch 
hier nicht Stand halten. Die Männer, welche ihr Leben für 
die Unabhängigkeit ihres Landes eingesetzt hatten, wollten 
sich ihren Antheil an der Leitung seiner Angelegenheiten nicht 
schmälern lassen, und in den meisten und geistig regsamsten 
Städten!) kam eine Demokratie zur Herrschaft, welche die 
wenigen gesetzlichen Schranken, die noch übrig waren, im 
Laufe der Zeit ohne Mühe zu beseitigen vermochte. Athen 
vor allem schlug diesen Weg ein; die Stadt, welche durch 
ihre Grossthaten in den beherrschenden Mittelpunkt des grie- 
chischen Volkslebens gerückt war, und welche seit Perikles 
auch die wissenschaftlichen Kräfte und Bestrebungen mehr 
und mehr in sich vereinigte. Die Frucht davon war ein un- 
glaublich rascher Fortschritt auf allen Gebieten, ein reger 
Wetteifer, eine freudige Anspannung aller der Kräfte, welche 
durch die Freiheit entbunden, durch den grossen Sinn eines 
Perikles auf die höchsten Ziele gelenkt wurden; und so ge- 
lang es jener Stadt, binnen eines Menschenalters | eine Stufe 
des Wohlstandes und der Macht, des Ruhmes und der Bildung 
zu erreichen, mit der sie einzig in der Geschichte dasteht. 
Mit der Bildung mussten auch die Ansprüche an die Einzelnen 
wachsen, und die hergebrachten Bildungsmittel konnten den 
veränderten Verhältnissen nicht mehr genügen. Der Unter- 
richt hatte sich bis dahin, neben einigen elementaren Fertig- 
keiten, auf Musik und Gymnastik beschränkt; alles weitere 
blieb der unmethodischen Uebung des Lebens und dem per- 
sönlichen Einfluss von Angehörigen und Mitbürgern über- 
lassen?2). Auch die Staatskunst und die für den Staatsmann 
unentbehrliche Redefertigkeit wurde nur auf diesem Weg er- 
lernt. Dieses Verfahren hatte nun zwar die glänzendsten Er- 
gebnisse geliefert. Aus der Schule der praktischen Erfahrung 
waren die grössten Helden und Staatsmänner hervorgegangen, 
und in den Werken der Dichter, eines Epicharm und Pindar, 
eines Simonides und Backchylides, eines Aeschylus und So- 


1) Namentlich in Athen und bei seinen Bundesgenossen, in Syrakus 
und den übrigen sicilischen Kolonieen. 


2) S. ο. S. 68. 


[9384. 935] Entstehung der Sophistik. 1041 


phokles, war in der vollendetsten Form eine Fülle von Lebens- 
weisheit und Menschenbeobachtung, von reinen sittlichen 
Grundsätzen und tiefsinnigen religiösen Ideen niedergelegt, 
welche allen zu gute kam. Aber gerade weil man so weit 
gekommen war, fand man noch weiteres nöthig. War eine 
höhere Verstandes- und Geschmacksbildung, so weit sie auf 
dem herkömmlichen Weg erreicht werden konnte, allgemein 
verbreitet, so musste der, welcher sich auszeichnen wollte, sich 
nach etwas neuem umsehen ; waren alle durch politische Thätig- 
keit und vielfachen Verkehr an scharfe Auffassung der Ver- 
hältnisse, an rasches Urtheil und entschlossenes Handeln ge- 
wöhnt, so konnte nur eine besondere Vorbildung Einzelnen 
ein entschiedenes Uebergewicht geben; war allen das Gehör 
für die Schönheit der Sprache und die Feinheiten des Aus- 
drucks geschärft, so musste die Rede kunstmässiger als bisher 
behandelt werden, und der Werth dieser künstlichen Bered- 
samkeit musste um so höher steigen, je mehr in den all- 
mächtigen Volksversammlungen und Volksgerichten von dem 
augenblicklichen Reiz und Eindruck der Vorträge abhieng. 
Aus diesem Grunde entstand noch unabhängig von der So- 
phistik und ungefähr gleichzeitig mit ihr in Sicilien die Redner- 
schule des Korax. Aber das Bedürfniss der Zeit verlangte | 
nicht blos eine methodische Anleitung zur Redekunst, sondern 
überhaupt einen wissenschaftlichen Unterricht über alle die 
Dinge, deren Kenntniss für das praktische, und insbesondere 
für das bürgerliche Leben von Werth war; und wenn es selbst 
ein Perikles nicht verschmähte, seinen hochgebildeten Herrscher- 
geist im Verkehr mit einem Anaxagoras und Protagoras zu 
nähren, so mochten sich Jüngere von dieser wissenschaftlichen 
Bildung um so mehr Nutzen versprechen, je leichter es bei 
mässiger dialektischer Uebung einem offenen Kopf wurde, an 
den gewöhnlichen Vorstellungen über sittliche Dinge Schwächen 
und Widersprüche zu entdecken, und sich dadurch selbst den 
gewiegtesten Praktikern gegenüber das Bewusstsein der Ueber- 
legenheit zu verschaffen''). 


1) M. vgl. die merkwürdige Unterredung zwischen Perikles und Aleci- 
biades, Xen. Mem. I, 2, 40 ff., die ja freilich nicht wörtlich überliefert sein 
66* 


1049 Die Sophisten. [935. 936] 


Die Philosophie konnte dieses Bedürfniss in ihrer bis- 
herigen einseitig physikalischen Richtung nicht befriedigen; 
aber sie selbst war gleichfalls auf einem Punkt angekommen, 
wo ihre Gestalt sich verändern musste. Von der Betrachtung 
der Aussenwelt war sie ausgegangen; aber schon Heraklit und 
Parmenides hatten gefunden, dass uns die Sinne das wahre 
Wesen der Dinge nicht kennen lehren, und alle Späteren 
waren ihnen beigetreten. Diese Philosophen liessen sich da- 
durch nun freilich nicht abhalten, ihre eigentliche Aufgabe in 
der Naturforschung zu suchen, indem sie das, was den Sinnen 
verborgen ist, mit dem Verstande zu ergründen hofften. Aber 
welches Recht hatten sie zu dieser Annahme, so lange die 
Eigenthümlichkeit des verständigen Denkens und seines Gegen- 
standes im Unterschied von der sinnlichen Empfindung und 
Erscheinung nicht genauer erforscht war? Richtet sich das 
Denken ebenso, wie die Wahrnehmung, nach der Beschaffen- 
heit des Körpers und der äusseren Eindrücke!), so lässt sich 
nicht begreifen, warum jenes zuverlässiger sein soll, als diese, 
und alles, was die Früheren von verschiedenen Standpunkten 
aus gegen die Sinne gesagt hatten, lässt sich gegen das mensch- 
liche Erkenntnissvermögen überhaupt sagen. Gibt es kein 
anderes als körperliches Sein, so müssen die Zweifel der 
Eleaten und die heraklitischen Grundsätze auf alles Wirkliche 
ihre Anwendung finden. So gut jene die Wirklichkeit des 
Vielen mit den Widersprüchen bekämpft hatten, die sich aus 
seiner Theilbarkeit und seiner räumlichen Ausdehnung ergeben 
würden, ebensogut liess sich auch die Wirklichkeit des Einen 
mit denselben Gründen bestreiten; und wenn Heraklit gesagt 
hatte, es gebe nichts festes, als die Vernunft und das Gesetz 
des Weltganzen, so konnte mit gleichem Recht gesagt werden, 
das Weltgesetz müsse so veränderlich sein, als das Feuer, in 


wird (auch Xen, führt sie mit einem λέγεται ein), desshalb aber noch keine 
Erfindung späterer Interpolatoren (Kroun Sokr. und Xen. 94) zu sein braucht; 
der vielmehr auch danu, wenn sie in dieser Gestalt Xenophon’s Werk ist, 
die Nachricht zu Grunde liegen kann, dass Alcibiades als junger Mensch 
seinen Vormund durch Fragen über den Begriff des νόμος in Verlegenheit 
gebracht babe. 

1) 5. S. 579, 2. 704 ἡ 802, 3. 915 f£. 


[986. 957] Entstehung der Sophistik. 1043 


dem es besteht, und unser Wissen so veränderlich, als die 
Dinge, auf die es sich bezieht, und die Seele, der es inwohnt?). 
Die ältere Physik trug mit Einem Wort an ihrem Materialis- 
mus den Keim des Verderbens in sich. Gibt es nur Körper- 
liches, so sind alle Dinge etwas räumlich ausgedehntes und 
theilbares, und alle Vorstellungen entstehen aus der Wirkung 
der äusseren Eindrücke auf den Seelenkörper, aus der sinn- 
lichen Empfindung; wenn daher auf die Wahrheit der sinn- 
lichen Erscheinung verzichtet wird, so ist für diesen Stand- 
punkt die Wahrheit und Wirklichkeit überhaupt aufgehoben, 
alles löst sich in einen subjektiven Schein auf, und mit dem 
Glauben an die Erkennbarkeit der Dinge nimmt auch das 
Streben nach ihrer Erkenntniss ein Ende. 

Wie so die Physik selbst eine veränderte Richtung des 
Denkens mittelbar anbahnte, so kam sie ihr auch auf geradem 
Wege entgegen. Wollen wir auch darauf kein Gewicht legen, 
dass die jüngeren Physiker im Vergleich mit den früheren 
der Betrachtung des Mensehen besondere Aufmerksamkeit zu- 
wenden, und dass Demokrit, bereits ein Zeitgenosse der So- 
phisten, auch mit ethischen Fragen sich viel beschäftigt hat, 
so ist doch jedenfalls die anaxagorische Lehre vom Geist als 
die nächste Vorbereitung der Sophistik, oder genauer, als das 
deutlichste Anzeichen der Veränderung zu betrachten, die eben 
damals in der Weltanschauung der Griechen vor sich gieng. 
Der Nus des Anaxagoras ist allerdings nicht der menschliche 
Geist als solcher, und | wenn er sagte, der Nus beherrsche 
alle Dinge, so wollte er damit nicht ausdrücken, dass der 
Mensch mit seinem Denken alles in seiner Gewalt habe. Aber 
den Begriff des Geistes hatte er doch nur aus dem eigenen 
Selbstbewusstsein geschöpft, und mochte er ihn auch zunächst 
als Naturkraft behandeln, so war er doch seinem Wesen nach 
von dem Geist des Menschen nicht verschieden. Wenn daher 
andere das, was Anaxagoras vom Geist überhaupt gesagt hatte, 
auf den menschlichen Geist, den einzigen in unserer Erfahrung 


1) Dass solche Folgerungen wirklich aus der eleatischen, heraklitischen 
und atomistischen Lehre gezogen wurden, wird im 4. Kapitel dieses Ab- 
schnittes gezeigt werden; über die Atomistik vgl. auch 8. 962 £. 


1044 Die Sophisten. [937. 988] 


gegebenen, übertrugen, so giengen sie nur einen Schritt weiter 
auf dem Wege, den er eröffnet hatte, sie führten den anaxa- 
gorischen Nus nur auf seinen thatsächlichen Grund zurück, 
und beseitigten eine Voraussetzung, die ihnen unhaltbar er- 
scheinen musste: sie gaben zu, dass die Welt das Werk des 
denkenden Wesens sei; aber wie ihnen jene zu einer subjek- 
tiven Erscheinung wurde, so wurde auch das weltschöpferische 
Bewusstsein zum menschlichen, der Mensch zum Mass aller 
Dinge. Die Sophistik ist nicht unmittelbar durch diese Re- 
flexion selbst entstanden: das erste Auftreten des Protagoras 
fällt wohl kaum später als die Ausbildung der anaxagorischen 
Lehre, und von keinem Sophisten ist uns bekannt, dass er 
ausdrücklich an die letztere anknüpfte. Aber diese Lehre 
zeigt uns überhaupt eine veränderte Stellung des Denkens 
zur Aussenwelt; statt dass vorher die Grösse der Natur den 
Menschen zu selbstvergessender Bewunderung fortriss, entdeckt 
er jetzt in sich selbst eine Kraft, die von allem Körperlichen 
verschieden die Körperwelt ordnet und beherrscht; der Geist 
erscheint ihm als das höhere gegen die Natur, er wendet sich 
von der Naturforschung ab, um sich mit sich selbst zu be- 
schäftigen?). 

Dass diess freilich sofort auf die rechte Art geschehen 
werde, war kaum zu erwarten. Mit der Bildung und dem 
Glanz des perikleischen Zeitalters gieng eine zunehmende Auf- 
lockerung der alten Zucht und Sitte Hand in Hand. Die 
unverhüllte Selbstsucht der grösseren Staaten, ihre Gewaltthätig- 
keiten gegen die kleineren, selbst ihre Erfolge untergruben 
die öffentliche Moral; | die unaufbörlichen inneren Fehden 
gaben dem Hass und der Rachsucht, der Habsucht und dem 
Ehrgeiz und allen Leidenschaften einen weiten Spielraum; 
man gewöhnte sich an die Verletzung, erst des öffentlichen, 
dann auch des Privatrechts, und was der Fluch aller ver- 
grösserungssüchtigen Politik ist, das bewährte sich auch hier 
gerade in den mächtigsten Städten, wie Athen, Sparta und 


1) Ein ähnliches Verhältniss, wie zwischen Anaxagoras und der 
Sophistik, findet sich später zwischen Aristoteles und der nacharistotelischen 
Philosophie mit ihrer praktischen Einseitigkeit. Vgl. Th. II a, 18 £. 


[938. 939] Entstehung der Sophistik. 1045 


Syrakus: die Rücksichtslosigkeit, mit welcher der Staat fremde 
Rechte verletzte, zerstörte bei seinen eigenen Bürgern die 
Achtung vor Recht und Gesetz!), und nachdem die Einzelnen 
eine Zeit lang in der Hingebung an die Zwecke der gemein- 
samen Selbstsucht ihren Ruhm gesucht hatten, fiengen sie an, 
das gleiche Princip des Egoismus in entgegengesetzter Rich- 
tung anzuwenden und das Staatswohl dem eigenen Vortheil 
zu opfern?). Indem ferner die Demokratie in den meisten 
Staaten alle gesetzlichen Schranken immer vollständiger ab- 
warf, bildeten sich die ausschweifendsten Vorstellungen über 
Volksherrschaft und bürgerliche Gleichheit; es erzeugte sich 
eine Ungebundenheit, die keine Sitte mehr achtete®), und der 
häufige Wechsel der Gesetze schien die Meinung zu recht- 
fertigen, dass dieselben ohne innere Nothwendigkeit nur aus 
der Laune oder dem Vortheil der jeweiligen Machthaber ent- 
springen *). Die fortschreitende Bildung selbst endlich musste 
die Grenze, welche der Selbstsucht früher durch die Sitte und 
den religiösen Glauben gezogen war, mehr und mehr beseitigen. 
Die unbedingte Werthschätzung der heimischen Einrichtungen, 
die unbefangene, einer beschränkteren Bildungsstufe so natür- 
liche Voraussetzung, dass alles so sein müsse, wie man es im 
eigenen Hause zu sehen | gewohnt war, musste vor einer er- 
weiterten Welt- und Geschichtskenntniss, einer schärferen 
Menschenbeobachtung verschwinden); wer sich einmal ge- 
wöhnt hatte, bei allem nach Gründen zu fragen, für den 
musste das Herkommen seine Heiligkeit verlieren; wer sich 


1) M. vgl. in dieser Beziehung Th. II a 24, f. 

2) Es konnte daher für die sophistische Theorie des Egoismus keinen 
schlagenderen Grund geben, als den, welchen der platonische Kallikles 
(Gorg. 483 D) geltend macht, und welchen nachher Karneades in Rom 
wiederholt hat (8. Th. IIIa, 512f.), dass man in der grossen Politik durchaus 
nur nach jenen Grundsätzen verfahre. 

3) Auch hier ist Athen massgebend; die Sache selbst bedarf keiner be- 
sonderen Belege; statt aller anderen möge daher hier nur auf die meister- 
hafte Schilderung der platonischen Republik VIH, 557 B ff. 562 C fl. ver- 
wiesen werden. 

4) M. vgl. hierüber, was später aus Anlass der sophistischen Ansichten 
über Recht und Gesetz beigebracht werden wird. 

5) M. vgl. beispielsweise Heron. ΠῚ, 38. 


1046 Die Sophisten. (939. 940] 


der Masse des Volks an Einsicht überlegen fühlte, der mochte 
nicht geneigt sein, in den Beschlüssen der unwissenden Menge 
ein unantastbares Gesetz zu verehren. Auch der alte Götter- 
glaube konnte vor der hereinbrechenden Aufklärung nicht 
Stand halten: gehörten doch die Gottesdienste und die Götter 
gleichfalls zu dem, womit es das eine Volk so hält, das andere 
anders; enthielten doch die alten Mythen so vieles, was mit 
den geläuterten sittlichen Begriffen und der neugewonnenen 
Einsicht sich nicht vertragen wollte. Selbst die Kunst konnte 
dazu beitragen, den Glauben zu erschüttern. Die bildende 
Kunst liess gerade durch ihre hohe Vollendung in den Göttern 
das Werk des menschlichen Geistes erkennen, der in ihr that- 
sächlich bewies, dass er die Götterideale schöpferisch aus sich 
zu erzeugen und frei zu beherrschen im Stande sei. Noch 
gefährlicher musste aber die Entwicklung der Dichtkunst, 
und vor allem des Drama, dieser wirksamsten und volksthüm- 
lichsten Gattung, für die überlieferte Sitte und Religion 
werden!). Die ganze Wirkung des Drama, die komische wie 
die tragische, beruht auf der Collision der Pflichten und Rechte, 
der Ansichten und der Interessen, auf dem Widerspruch 
zwischen dem Herkommen und dem natürlichen Gesetz, 
zwischen dem Glauben und dem grübelnden Verstande, 
zwischen dem Geist der Neuerung und der Vorliebe für’s 
Alte, zwischen gewandter Klugheit und schlichter Rechtlichkeit, 
mit Einem Wort auf der Dialektik der sittlichen Verhältnisse 
und Pflichten. Je vollständiger diese Dialektik sich entfaltete, 
je tiefer die Dichtkunst von der grossartigen Betrachtung des 
sittlichen Ganzen in die Verhältnisse des Privatlebens herab- 
stieg, je mehr sie auf euripideische Art in feiner Beobachtung | 
und genauer Zergliederung der Gemüthszustände und Beweg- 
gründe ihren Ruhm suchte, je mehr auch die Götter dem 
menschlichen Masstab unterworfen und die Schwächen ihrer 
Menschenähnlichkeit blosgelegt wurden, um so unvermeidlicher 
musste das Schauspiel dazu dienen, den moralischen Zweifel 
zu nähren, den alten Glauben zu untergraben, mit den reinen 
und erhabenen auch sittengefährliche und frivole Aussprüche 


1) Vgl. zum folgenden Th. II a, 4 ff. 


[940. 941] Entstehung der Sophistik. 1047 


in Umlauf zu bringen. Was half es dann aber, die altväter- 
liche Tugend zu empfehlen, und die Neuerer anzuklagen, wie 
Aristophanes, wenn man doch selbst in seinem Theile den 
Standpunkt der Vorzeit gleichfalls verlassen hatte, und mit 
dem, was ihr heilig war, in ausgelassener Laune sein Spiel 
trieb? Jene ganze Zeit war von einem Geist der Umwälzung 
und des Fortschritts durchdrungen, und keine von den be- 
stehenden Mächten war im Stande, ihn zu bannen. 

Es konnte nicht fehlen, dass auch die Philosophie von 
diesem Geist ergriffen wurde. Wesentliche Anknüpfungs- 
punkte für denselben lagen schon in den Systemen der Phy- 
siker. Wenn Parmenides und Heraklit, Empedokles, Anaxa- 
goras und Demokrit übereinstimmend zwischen der Natur und 
dem Herkommen, der Wahrheit und der menschlichen Vor- 
stellung unterschieden, so durfte diese Unterscheidung nur auf 
das praktische Gebiet angewandt werden, um die sophistische 
Ansicht über das Positive in Sitte und Gesetz zu erhalten; 
wenn sich mehrere von den Genannten mit herber Gering- 
schätzung über den Unverstand und die Thorheit der Men- 
schen geäussert hatten, so lag der Schluss nahe, dass die Mei- 
nungen und Gesetze dieses unverständigen Haufens den Ein- 
sichtigen nicht binden können. Und in Betreff der Religion, 
war diese Erklärung auch wirklich von der Philosophie längst 
abgegeben. Die kühnen und treffenden Angriffe des Xeno- 
phanes hatten dem griechischen Götterglauben einen Stoss 
versetzt, von dem er sich nicht wieder erholt hat. Mit ihm 
stimmte Heraklit in leidenschaftlicher Bestreitung der theolo- 
gischen Dichter und ihrer Mythen überein. Selbst die mystische 
Schule der Pythagoreer, selbst ein Prophet, wie Empedokles, | 
eignete sich jene reinere Gottesidee an, die auch ausserhalb 
der Philosophie in den Versen eines Pindar, eines Aeschylus, 
eines Sophokles, eines Epicharmus nicht selten zwischen der 
üppigen Fülle mythischer Gebilde hervorblickt. Die stren- 
geren Physiker vollends, ein Anaxagoras und Demokrit, stehen 
dem Glauben ihres Volkes ganz unabhängig gegenüber: die 
sichtbaren Götter, die Sonne und der Mond, gelten ihnen für 
leblose Massen, und ob die Leitung des Weltganzen einer 
blinden Naturnothwendigkeit oder einem denkenden (Geist 


1048 Die Sophistik. [941. 942] 


anvertraut wird, ob die Götter des Volksglaubens ganz be- 
geitigt, oder in demokritische Idole verwandelt werden, für 
das Verhältniss zur bestehenden Religion macht diess keinen 
grossen Unterschied. 

Wichtiger, als diess alles, ist aber der ganze Charakter 
der älteren Philosophie. Alle die Momente, welche die Ent- 
wicklung einer skeptischen Denkweise beförderten, mussten 
auch der moralischen Skepsis zugute kommen; wenn die Wahr- 
heit überhaupt über den Täuschungen der Sinne und dem 
Fluss der Erscheinungen dem Bewusstsein verschwindet, so 
muss ihm auch die sittliche Wahrheit verschwinden; wenn der 
Mensch das Mass aller Dinge ist, so ist er auch das Mass des 
Gebotenen und Erlaubten; und so wenig man erwarten kann, 
dass sich alle die Dinge in derselben Art vorstellen, ebenso- 
wenig kann man verlangen, dass alle in ihrem Thun Einem 
und demselben Gesetz folgen. Diesem skeptischen Ergebniss 
liess sich nur durch ein wissenschaftliches Verfahren entgehen, 
welches die Widersprüche durch Verknüpfung des scheinbar 
entgegengesetzten zu lösen, das wesentliche vom unwesent- 
lichen zu unterscheiden, in den wechselnden Erscheinungen 
und dem willkürlichen Thun der Menschen die bleibenden 
Gesetze aufzuzeigen im Stande war, und auf diesem Wege 
hat Sokrates sich selbst und die Philosophie aus den Irrgängen 
der Sophistik gerettet. Gerade hieran fehlte es aber allen 
Früheren. Von beschränkter Beobachtung ausgehend hatten 
sie bald diese bald jene Eigenschaft der Dinge mit Ausschluss 
aller andern zur Grundbestimmung erhoben; auch diejenigen 
von ihnen, welche die entgegengesetzten Principien der Ein- 
heit und der Vielheit, des Seins und des Werdens zu ver- 
knüpfen suchten, Empedokles und die Atomistiker, waren 
nicht | über eine einseitig physikalische und materialistische 
Weltansicht hinausgekommen, und wenn Anaxagoras die stofi- 
lichen Gründe durch den Geist ergänzte, so hatte er diesen 
doch wieder nur als Naturkraft zu fassen gewusst. Diese Ein- 
seitigkeit ihres Verfahrens machte die ältere Philosophie nicht 
blos unfähig zum Widerstand gegen eine Dialektik, welche 
die einseitigen Vorstellungen gegen einander führte und durch 
einander auflöste, sondern sie musste bei fortschreitender Aus- 


[942.. 943] Protagoras. | 1049 


bildung der Reflexion geradenweges zu ihr hindrängen. Wurde 
die Vielheit des Seienden behauptet, so zeigten die Eleaten, 
dass alles auch wieder Eines sei; wollte man seine Einheit 
festhalten, so erhob sich das Bedenken, welches die jüngeren 
Pkysiker über die eleatische Lehre hinausgeführt hatte, dass 
mit der Vielheit auch alle konkreten Eigenschaften der Dinge 
aufgegeben werden müssten; suchte man ein Unveränderliches 
als Gegenstand des Wissens, so hielt Heraklit die allgemeine 
Erfahrung vom Wechsel der Erscheinungen entgegen; wollte 
man sich an die Thatsache ihrer Veränderung halten, so waren 
die Einwendungen der Eleaten gegen das Werden und die 
Bewegung zu widerlegen; versuchte man es mit der natur- 
wissenschaftlichen Forschung, so musste das neuerwachte Be- 
wusstsein von der höheren Bedeutung des Geistes davon ab- 
lenken; sollten die sittlichen Pflichten festgestellt werden, so 
war in dem Gewirre der Meinungen und Gewohnheiten kein 
sicherer Haltpunkt zu finden, und das natürliche Gesetz 
schien nur in der Berechtigung dieser Willkür, in der Herr- 
schaft des subjektiven Beliebens und Vortheils zu liegen. 
Diesem Schwanken aller wissenschaftlichen und sittlichen Ueber- 
zeugungen machte erst Sokrates ein Ende, indem er zeigte, 
wie die verschiedenen Erfahrungen dialektisch gegen einander 
abzuwägen und in den allgemeinen Begriffen zu verknüpfen 
seien, die uns in dem Wechsel der zufälligen Bestimmungen 
das unveränderliche Wesen der Dinge kennen lehren. Die 
frühere Philosophie, der dieses Verfahren noch fremd war, 
konnte ihm nicht steuern, ihre einseitigen Theorieen richteten 
sich gegenseitig zu Grunde; die Umwälzung, welche sich eben 
damals auf allen Gebieten des griechischen Volkslebens voll- 
zog, ergriff auch die Wissenschaft; die Philosophie wurde zur 
Sophistik. | 


2. Die uns bekannten Sophisten. 
Als der erste, welcher mit dem Namen und den An- 
sprüchen eines Sophisten auftrat, wird Protagoras') aus 


1) Das vollständigste über Prot. gibt Freı in seinen Quaestiones Pro- 
tagorese (Bonn 1845), welche durch O. WeBer's Quaestiones Protagoreae 
(Marb. 1850) nur in Nebenpunkten berichtigt und ergänzt sind, und Vırrınaa 


1050 Die Sophisten. [948] 


Abdera!) bezeichnet?). Die vieljährige Wirksamkeit dieses 
Mannes erstreckt sich fast über die ganze zweite Hälfte des 
fünften Jahrhunderts. Um 480 v. Chr, oder vielleicht auch 
etwas früher geboren®), durchzog er seit seinem dreissigsten 


De Prot. vita et philos. (Gron. 1853). Von den Früheren ist Gear hist. crit. 
Soph. 3. 68— 120 unbedeutend; noch unbedeutender Grist De Prot. vita 
(Giessen 1827); die Monographie von Hezsst in Petersen’s philol.-histor. 
Studien (1832) S. 88—164 gibt viel Material, verfährt aber in seiner Ver- 
werthung ziemlich ungründlich. 

1) Als Abderiten bezeichnen ihn alle Schriftsteller, von Praro (Prot. 
309 C. Rep. X, 600 C) an (auch Ps.-Garex h. phil. c. 3, Doxogr. 601, 11; 
Ders. c.35. Dox. 618, 2 würde nur bei der falschen Ergänzung Πρωταγόρας 
statt say. widersprechen); dass ihn Eupolis nach Dıoc. IX, 50 u. a. statt 
dessen einen Tejer nannte, ist nur Sache des Ausdrucks: die Abderiten 
heissen so, weil ihre Stadt tejische Kolonie war. Der Vater des Protagoras 
wird bald Artemon, bald Mäandrius, auch Mäandrus oder Menander genannt; 
8. ἔδει 5 ff. Vıre. 19 ἢ. 

2) Bei Prarto Prot. 316 Ὁ ff. sagt er selbst, die sophistische Kunst sei 
zwar eigentlich alt, aber ihre Vertreter haben sie früher unter anderen 
Namen versteckt ἐγὼ οὖν τούτων τὴν ἐναντίαν ἅπασαν ὁδὸν ἐλήλυϑα, 
χαὶ ὁμολογῶ τε σοφιστὴς εἶναι χαὶ παιδεύειν ἀνθρώπους u. 8. w. Mit 
Beziehung darauf heisst es dann 349 A: σύ γ᾽ ἀναφανδὸν σεαυτὸν ὑπο- 
χηρυξάμενος εἰς πάντας τοὺς “Ἕλληνας σοφιστὴν ἐπονομάσας σεαυτὸν ἀπέ- 
φηνας παιδεύσεως καὶ ἀρετῆς διδάσχαλον πρῶτος τούτου μισϑὸν ἀξεώσιις 
ἄρνυσϑαι. (Letzteres wiederholt Dıoc. IX, 52. Psıtostr. v. Soph. I, 10, 2. 
Pıarto Hipp. maj. 282 D u. a.) Wenn im Meno 91 E von Vorgängern des 
Protagoras gesprochen wird, so geht diess nicht auf eigentliche Sophisten, 
sondern auf die gleichen, wie Prot. 316 ἢ. 

3) Die Zeitbestimmungen im Leben des Protagoras sind unsicher, wie 
bei den meisten älteren Philosophen. ArorLopor b. Dıoc. IX, 56 verlegt 
seine Blüthe in Ol. 84 (444/0 v. Chr... Dass er Sokrates im Alter um ein 
merkliches vorangieng, ergibt sich aus der Versicherung bei PıArto Prot. 
317 C, es sei keiner unter den Anwesenden, dessen Vater er nicht dem 
Alter nach sein könnte, wenn diese Behauptung auch nicht buchstäblich zu 
nehmen sein mag, aus Prot. 318 B. 361 E. Theät. 171 C, und aus dem Um- 
stand, dass ihn der platonische Sokrates öfters (Theät. 164 E f. 168 C. Ὁ. 
171 D. Meno 91 E vgl. Apol. 19 E) als einen Verstorbenen behandelt, 
während er doch (Meno a. a. O.) fast 70 Jahre alt wurde. Was namentlich 
die Zeit seines Todes betrifft, so verlegt ihn die Stelle des Meno durch 
die Worte ἔτε εἰς τὴν ἡμέραν ταυτηνὶ εὐδοχιμὼν οὐδὲν πέπαυται in die 
entferntere Vergangenheit, und wenn die Angabe des PuiıLocHorus Ὁ. Dioc. 
IX, 55 richtig ist, dass Euripides, der 406 oder 407 starb, im Ixion darauf 
angespielt habe, so kann er nicht wohl später, als 408 v. Chr., gesetzt 
werden. Dass dieser Annahme die Verse Tımon’s Ὁ. Szxr. Math. IX, 57 
nicht im Wege stehen, ist schon von HERMANN Ztschr. ἢ Alterthumsw. 1834, 


[944] Protagoras. 1051 


Jahr!) die griechischen | Städte, indem er seinen Unterricht 
gegen Bezahlung allen denen anbot, welche praktische Tüch- 
tigkeit und höhere Geistesbildung zu gewinnen wünschten 3): 


S. 364. Frxı 8.62 u.a. gezeigt worden; und durch die Angabe (Dıoc. IX 54), 
sein Ankläger Pythodor sei einer der Vierhundert gewesen, wird es wahr- 
scheinlich, dass sein Process in die Zeit der Vierhundert fiel, wenn auch 
defi Ebengenannten zugegeben werden muss, dass diess aus jener Angabe 
nicht unbedingt folgt, während eine andere Quelle (S. 1051, 2) Euathlus als 
seinen Ankläger bezeichnet. Was sich sonst für seine Verfolgung durch die 
Vierhundert anführen lässt (Frzı 76. Weber 19 f.), ist unsicher. Die Be- 
hauptung, er sei 90 Jahre alt geworden (ἔνεοἊε Ὁ. Dioc. IX, 55. Schol. zu 
Plat. Rep. X, 600 C), verdient dem platonischen Zeugniss gegenüber, dem 
auch Apollodor (b. Dıoc. IX, 56) folgt, keine Beachtung. Nach dem Vor- 
stehenden macht ihn die Vermuthung (Geist 8 f. Frei 64. Vırrınsa 27 ἢ.) 
dass seine Geburt 480, sein Tod 411 v. Chr. falle, keinenfalls zu alt; noch 
richtiger mag die erstere (mit Dıeıs Rh. Mus. XXXI, 41) 481/2 angesetzt 
werden; wogegen ScHanz a. a. O. 23 mit 480 — 487 für seine Geburt, 
420—417 für seinen Tod wahrscheinlich zu weit hinaufgeht. M. vgl. die 
ausführliche Erörterung von Freı S. 13 ff., auch Weser 8. 12. 

1) Nach Prarto Meno 91 E. Arorron. b. Dıoc. IX, 56 betrieb er seine 
Lehrthätigkeit 40 Jahre lang, also etwa seit seinem 80. Jahre; und da nun 
doch zu vermuthen ist, er habe seinen Standpunkt im wesentlichen schon 
gefunden gehabt, als er in dem Beruf eines Öffentlichen Lehrers auftrat, 
wird schon dadurch die Vermuthung (CrrareLLı Archiv f. Gesch. ἃ. Ph. I, 17) 
unwahrscheinlich, er habe seine Lehre erst in vorgerückterem Lebensalter 
zum Abschluss gebracht; an einer positiven Begründung fehlt es ihr ohne- 
diess so gut wie ganz. 

2) 8. 5. 1050, 2. 1058, 2. Pr.aro Theät. 161 Ὁ. 179 A. — Dıoc. IX, 50. 
52. Quintır. III, 1, 10 u. a. (Frei 165) geben das Honorar, das er (für einen 
ganzen Kursus) verlangt habe, auf 100 Minen an, und Ger. V, 3, 7 redet 
von einer poounia ingens annua. Jene Summe ist aber ohne Zweifel sehr 
übertrieben, wiewohl auch aus Prot. 310 D hervorgeht, dass er bedeutende 
Ansprüche machte. Nach Prarto Prot. 328 B. Arısr. Eth. IX, 1. 1164 a 24 
verlangte Protagoras zwar eine bestimmte Summe, stellte es aber dem 
Schüler frei, den Betrag nach beendigtem Unterricht selbst zu bestimmen, 
wenn ihm das bedungene zu viel schien. Um so unwahrscheinlicher ist die 
bekannte Erzählung über seinen Process mit Euathlus bei Ger. V, 10. 
Arur. Floril. IV, 18. 5. 86 Hild. Dıoc. IX, 56. MarceıLin Rhet. gr. ed. 
Walz IV, 179 ἢ, zumal da Sext. Math. II, 96 ff., die Prolegg. in Hermogen. 
Rhet. gr. ed. Walz IV, 13 f., Sorater in Hermog. ebd. V, 6. 65. IV, 154 f. 
Max. Pıan. Prolegg. ebd. V, 215. DoxoratEer Prolegg. ebd. VI, I3 f. das 
gleiche von Korax und Tisias berichten. Der hier angenommene Fall einer 
unlösbaren Streitfrage scheint ein beliebtes Thema für sophistische Rede- 
übungen gewesen zu sein; falls Protagoras’ δίχη ὑπὲρ μεσϑοῦ (Dioc. IX, 55) 
ächt war, könnte man annelımen, dieses Thema sei darin behandelt worden 


1059 Die Sophisten. [945] 


und er hatte einen so | glänzenden Erfolg, dass ihm die Jugend 
der gebildeten Stände allenthalben zuströmte, um ihn mit Be- 
wunderung und mit Gaben zu überhäufen !). Ausser der Vater- 
stadt des Protagoras?) werden insbesondere Sicilien und Gross- 
griechenland®), namentlich aber Athen) als Schauplatz seines 


und die Anekdote daraus entstanden; wenn sie es nicht war, hat die um- 
gekehrte Annahme, dass die Anekdote zu ihrer Unterschiebung Anlass gab, 
mehr für sich. Nach Dıoc. IX, 54 vgl. Cramer Anecd. Paris. I, 172 
(Feeı 76) wäre Euathlus von Aristoteles als der bezeichnet worden, welcher 
Protagoras wegen Atheismus anklagte; diess ist aber vielleicht nur die miss- 
verständliche Wiedergabe einer Aeusserung, welche sich auf den Process 
über das Lehrgeld bezog. Nach Dıoc. IX, 50 hätte Protagoras auch für 
einzelne Vorträge von den Anwesenden einen Beitrag eingesammelt. 

1) Die anschaulichste Schilderung der enthusiastischen Verehrung, 
welche Protagoras fand, gibt Praro Prot. 310 Ὁ fi. 314 E f u. ὅ. vgl. Rep. 
X, 600 C. (8. u. 953, 82) Theät. 161 C; über seinen Erwerb sagt der Meno 
91 D (vgl. Theät. 161 D), seine Kunst habe ihm mehr eingetragen, als 
Phidias und zehn andern Bildhauern die ihrige, und Artazx. III, 113 ὁ ge- 
braucht den Gewinn des Gorgias und Protagoras sprüchwörtlich. Dass Dıo 
Curyrs. Or. LIV, 280 R. hiegegen nicht angeführt werden kann, zeigt 
Ἐπεὶ 167 £. 

2) Nach Arrıan V. H. IV, 20 vgl. Sum. ὥρωταγ. Schol. z. Plato Rep. 
X, 600 C sollen ihn seine Mitbürger λόγος genannt haben; Favorın b. Dıoc. 
IX, 50 sagt: ooyfe, mag nun er selbst ihn mit Demokrit (8. 8. 844 u.) ver- 
wechselt, oder erst der Abschreiber des Diog. eine Bemerkung über diesen 
auf Prot. bezogen haben. 

3) Seines sicilischen Aufenthaltes erwähnt der platonische grössere 
Hippias 282 D, der freilich an sich nicht sehr zuverlässig ist; auf Unter- 
italien weist die Angabe, er habe (wohl im Auftrag des Perikles) die Gesetze 
für die athenische Kolonie in Thurii ausgearbeitet (HerakLın. Ὁ. Dioe. IX, 50 
und dazu Feeı 65 ff. Weser 14 f. Vırrınaa 43 ἢ), da er dazu doch wohl 
die Kolonie begleiten musste. Von Sicilien aus mag er auch nach Cyrene 
gegangen sein, und dort den Mathematiker Theodorus zum Schüler gehabt 
haben, dessen Verbindung mit ihm Prato Theät. 161 B. 162 A. 164 E. 
168 C. E. 171 C erwähnt. Auch Aristippus wird später in Cyrene selbst 
mit seiner Lehre bekannt geworden sein. Vgl. Th. II a, 337, 4. 

4) Protagoras war wiederholt in Athen, denn PrATo lässt Prot. 310 E 
einer ersten Anwesenheit desselben erwähnen, welche geraume Zeit vor der 
zweiten, in die jenes Gespräch verlegt ist, stattgefunden hatte. Diese selbst 
setzt Plato kurz vor dem Ausbruch des peloponnesischen Krieges; denn diess 
ist, abgesehen von kleineren Anachronismen, der angebliche Zeitpunkt des 
Gesprächs, das am zweiten Tag nach der Ankunft des Sophisten gehalten 
sein soll. (S. Steinuart Platon’s WW. I, 425 fi. und meine Abhandlung 
über die platon. Anachronisınen, Abh. d. Berl. Akad. 1873. phil.-hist. Kl. 


[946] Protagoras. 1053 


Wirkens bezeichnet, wo | nicht blos ein Kallias, sondern auch 
ein Perikles und Euripides seinen Umgang suchte!); wann 
und wie lange er sich aber in diesen verschiedenen Gegenden 
aufhielt, können wir nicht genauer bestimmen. Wegen seiner 
Schrift über die Götter als Atheist verfolgt, musste er Athen 
verlassen; auf der Ueberfahrt nach Sicilien starb er; seine 
Schrift wurde von Staatswegen verbrannt?). Im übrigen ist 
uns von seinem Leben nichts bekannt; denn die Behauptung, 
dass er ein Schüler Demokrit’s gewesen sei?), zeigt sich trotz 


8. 83 f.) Dass Protagoras um jene Zeit in Athen war, ergibt sich auch aus 
dem Fragment Ὁ. Prur. Cons. ad Apoll. 33, 8. 118 und Dems. Pericl. c. 36. 
Ob er bis zu seiner Vertreibung dort blieb, oder in der Zwischenzeit seine 
Wanderungen fortsetzte, wird nicht überliefert; das letztere ist aber ungleich 
wahrscheinlicher. 

1) Von Kallias, dem bekannten Gönner der Sophisten, der nach PraTo 
Apol. 20 A mehr Geld, als alle andern zusammen, auf sie verwandt hatte, 
ist diess aus PLato (Protag. 314 Ὁ. 315 Ὁ. Krat. 391 B), Xemoruon (Symp. 
1, 5) u. a. bekannt. Von Euripides erhellt es ausser dem S. 1050 unt. an- 
geführten aus der Angabe (Dıoc. IX, 54), Protagoras habe seine Schrift über 
die Götter in dessen Hause vorgelesen, von Perikles aus den vor. Anm. an- 
geführten plutarchischen Stellen; denn wenn auch die in der zweiten der- 
selben berichtete Anekdote zunächst nur ein nichtswürdiger Klatsch ist, so 
war doch dieser selbst nicht möglich, wenn nicht der Verkehr des Perikles 
mit Protagoras bekannt war. Ueber sonstige Schüler des Protagoras s. m. 
Frei 171 δ᾽ 

2) Das obige ist durch Praro Theät. 171 Ὁ. Cıc. N. D. I, 28, 63. 
Dioe. IX, 51 ἢ. 54 ff. Eus. pr. ev. XIV, 19, 10. Puıtoste. v. Soph. I, 10. 
Josgru. c. Ap. II, 37. Sext. Math. IX, 56 u. a. sichergestellt, die Zeugen 
sind aber über die näheren Umstände und namentlich darüber nicht einig, 
ob Protagoras durch Schiffbruch verunglückte, oder während der Reise eines 
natürlichen Todes starb, und ob er Athen als Verbannter oder als Flücht- 
ling verlassen hatte. (8. Freı 75 f. Krıscus Forsch. 139 f. Vırrınaca 52 ff.) 
Für das letztere spricht Tımon fr. 48 vgl. Wacusmuru Sillogr. 165. Dass 
Vırzr. Max. I, 1, ext. 7 statt Protagoras „Diagoras“ setzt, ist natürlich 
ganz unerheblich. 

3) Das älteste Zeugniss dafür ist das eines epikurischen Briefs, Dıoa. 
IX, 58: πρῶτος τὴν χαλουμένην τύλην, ἐφ᾽ ἧς τὰ φορτία βαστάζουσιν, εὗρεν 
ὡς φησιν ᾿Αριστοτέλης ἐν τῷ περὶ παιδείας᾽ φορμοφόρος γὰρ ἦν, ὡς χαὶ 
᾿Ἐπίχουρός πού φησι, καὶ τοῦτο» τὸν τρόπον ἤρϑη πρὸς Ζ“ημόχρετον, ξύλα 
δεδεχὼς ὀφϑείς. Ebd. X, 8: Timokrates, ein Schüler Epikur's, der aber 
in der Folge mit ihm zerfallen war, warf ihm vor, dass er alle andern Philo- 
sophen geschmäht, Plato einen Speichellecker des Dionys, Aristoteles einen 
Asoten genannt habe, φορμοφόρον τε Πρωταγόραν καὶ γραφέα Anuoxglrou 
χαὶ ἐν χώμαις γράμματα dıdaozsır. Das gleiche berichtet ϑυιν. τ. ἃ WW. 


1051 Die Sophisten. [947] 


Hermann’s Widerspruch!) | kaum weniger fabelhaft?), als die 
Angabe des PurLostratus, welcher ihm Magier zu Lehrern 
gibt?), die | gleichen, von denen nach anderen Demokrit ge- 


Πρωταγόρας, χοτύλη, φορμοφόρος, der Scholiast zu Plato’s Rep. X, 600 C, 
und etwas ausführlicher, aus dem gleichen Brief Epikur’s, Aragn. VII, 354 C. 
Geruıus V, 3 endlich malt die Geschichte noch weiter aus, ohne doch ab- 
weichende Züge beizufügen. Auch Puuzostr. v. Soph. I, 10, 1. Crex. Strom. 
I, 301 D und Garen H. phil. ce. 3 g. E. nennen Protagoras Demokrit's 
Schüler, und dieselbe Annahme liegt der Anordnung des Diogenes zu Grunde. 

1) De philos. Jonic. aetatt. 17 vgl. Ztschr. f. Alterthumsw. 1834, 369 f. 
Gesch. ἃ. Plat. 1%. Ihm folgt Vıraınaa 8. 30 δ; auch Branuvıs gr.-röm. 
Phil. I, 524 schenkt Epikur's Aussage Glauben, wogegen Murzach Democr. 
Fragm. 28 f. Frei 9 ἢ u. a. sie bestreiten. 

2) Für's erste nämlich fehlt es an glaubwürdigen Zeugen für diese An- 
gabe durchaus. Von unsern Berichterstattern nennen Diogenes und Athenäus 
nur den epikurischen Brief als ihre Quelle, Suidas und der Scholiast Plato’s 
schreiben nur Diogenes aus, die Darstellung des Gellius erklärt sich voll- 
ständig aus einer freien Erweiterung dessen, was nach Athenäus Epikur ge- 
sagt hatte. Alle diese Zeugnisse führen daher ausschliesslich auf die Aus- 
sage Epikur’s zurück. Was für einen Werth können wir aber dieser bei- 
legen, wenn wir hören, welche Verleumdungen derselbe Brief sich gegen 
Plato, Aristoteles und andere erlaubte? (Von der Vermuthung seiner Un- 
ächtheit, bei WEBER 8. 6, welche durch Dıoe. X, 3. 8 nicht gerechtfertigt 
wird, sehe ich ab; auch den ’Worten des Protagoras bei dem Scholiasten 
in CRamer’s Anecd. Paris. I, 171 kann ich für die Entscheidung der Frage 
kein Gewicht beilegen.) Epikur'’s Angabe erklärt sich aus der Schmähsucht 
dieses Philosophen, der in selbstgetälliger Eitelkeit alle seine Vorgänger 
schlecht machte, vollkommen, wenn ihm auch keine weitere Veranlassung 
dazu vorlag, als die eben angeführte Notiz aus Aristoteles. Aus der gleichen 
Quelle kann aber auch die Angabe des Philostratus, des Clemens und des 
falschen Galen in letzter Beziehung herstammen; jedenfalls wird dieselbe 
nicht mehr Zutrauen ansprechen können, als andere Behauptungen derselben 
Schriftsteller über die Diadochenverhältnisse. Die demokritische Schüler- 
schaft des Protagoras ist aber nicht blos durchaus unsicher, sondern sie 
widerspricht auch den sichersten Annahmen über das Altersverhältniss beider 
Männer (vgl. S. 839 f. 968 f£. 1050, 3); und mag auch Prot. die atomlistische 
Physik gekannt haben (hierüber später), so haben wir doch keinen Grund, 
Demokrit, und nicht vielmehr Leucippus, für den zu halten, dem er diese 
Kenntniss verdankte.e Wir werden daher diese ganze Angabe mit der 
grössten Wahrscheinlichkeit für eine ungeschichtliche Erfindung halten dürfen. 

3) V. Soph. I, 10, 1: sein Vater Mäander habe durch zuvorkommende 
Aufnahme des Xerxes den Unterricht der Magier für seinen Sohn gewonnen. 
Dass schon Dmo diess erzählte, wie Weser 8. 6 anuimmt, folgt aus der 
Erwähnung des Protagoras und seines Vaters in Dıino’s persischen Ge- 
schichten noch nicht, so möglich es auch ist. Mit der Angabe Epikur's 


[948] Protagoras. 1055 


lernt hätte!). Von seinen ziemlich zahlreichen Schriften 3) 
sind uns nur wenige Bruchstücke erhalten?). 


ist die vorliegende unvereinbar, da er nach jener ein armer Tage- 
löhner, nach diser der Sohu eines reichen Mannes gewesen sein soll, 
welcher sich durch fürstliche Bewirthung und Geschenke bei Xerxes in 
Gunst setzte. 

1) Vgl. S. 841 m. 

2) Die dürftigen Angaben der Alten über dieselben bei Frzı 176 ff. 
Vırriınsa 118 ἢ 150 f. vgl. Bernays: die Καταβάλλοντες des Prot. (1850) 
Abhandl. I, 117 f. Was davon für uns in Betracht kommt, wird später be- 
rührt werden. 

3) Gowrerz Apol. d. Heilkunst 30 ff. 181 f. versucht zwar mit einem 
grossen Aufgebot von Scharfsinn und Gelehrsamkeit zu beweisen, dass die 
pseudohippokratische Schrift περὶ τέχνης das Werk des Protagoras sei. Ich 
meinerseits kann mich jedoch davon so wenig überzeugen, wie NAToRP (Philol. 
N. F. IV, 278 fi), Scawartz (Ind. lect. Rost. 1891, S. 13 fi.), ILzere (Berl. 
philol. Wochenschr. 1890, 1165 2) und WeLımann (Arch. f. Gesch. d. Phil. 
V, 100 ἢ). IT. τέχνης ist eine Vertheidigung der Heilkunst gegen ihre 
Tadler, deren Verfasser zwar ohne Zweifel kein grosser Arzt ist, aber doch 
durchweg (z. B. c. 8 f. 8. 54, 2. 10. c. 10 ἢ c. 12 Anf. c. 18. 14) vom 
Standpunkt des Fachmanns ausgeht, und sich selbst auch, wie mir scheint, 
c. 1 Schl. c. 14 deutlich als solchen bezeichnet; von Prot. hören wir (PLarto 
Soph. 232 Ὁ. 283 A.), er habe in seinen Schriften über die τέχναι im ganzen 
und im einzelnen ausgeführt, ἃ dei πρὸς ἕχαστον αὐτὸν τὸν δημιουργὸν 
ἀντειπεῖν, was der Abzweckung unserer Schrift — der Vertheidigung einer 
Kunst durch einen der δημεουργοί — so schnurstracks widerspricht, dass 
man in dieser weit eher eine Widerlegung, als ein Werk des Protagoras 
sehen könnte. Jene Worte nämlich mit G. so zu erklären, dass sie be- 
sagten: „was der Meister selbst jedem zu entgegnen hat,“ verbieten schon 
sie selbst uns; denn das αὐτὸν stände da müssig, das &xaorov, so absolut 
hingestellt, wäre sehr unklar, und statt der von Plato gewählten Wort- 
stellung sollte man erwarten: ἃ dei αὐτὸν τὸν δημιουργὸν πρὸς ἕἔχαστον 
ἀντειτιεῖν. Noch entschiedener wird aber diese Deutung durch das folgende 
widerlegt, denn in diesem entspricht unsern Worten: πρὸς τὸν ἐπιστάμενον 
αὐτὸς ἀνεπιστήμων ὧν ἀντειπεῖν," es wird mithin der ἐπισεάμενος, also 
der δημιουργὸς, auf's unzweideutigste als der bezeichnet, gegen den der 
Widerspruch sich richtet, nicht als der, von dem er ausgeht. — Bedient sich 
ferner unser Verfasser für seinen Zweck mancher sophistischen Sätze, und er- 
weist er sich dadurch als einen Schüler der Sophisten, so steht er doch Pro- 
tagoras nicht so nahe, dass wir Grund hätten, ihn auch nur der Schule des- 
selben speciell zuzuweisen. Denn dass der parmenideische Satz, man 
könne nur das Seiende erkennen (c. 2 Anf.; näheres unten 5. 1088, 1), bei ihm 
das gleiche bedeute, wie der des Protagoras über den Menschen als Mass 
aller Dinge, kann ich nicht einräumen: gerade an das, was bei diesem die 
Hauptsache ist, die Subjektivität unserer Vorstellungen über die Dinge, hat 

Philos. ἃ. Gr. I. Bd. 5. Aufl. 67 


1056 Die Sophisten. [948] 


Ein Zeitgenosse des Protagoras, vielleicht etwas älter als 
dieser, war der Leontiner Gorgias!). | Mit Empedokles, 


nicht allein Parmenides bei jenem nicht gedacht, sondern auch in der An- 
wendung, die unser Verfasser von ihm macht, ist davon nicht die Rede. 
Auch die Darstellung unserer Schrift steht mit ihrer Trockenheit und stellen- 
weisen Unklarheit in einem auffallenden Gegensatz zu der behaglichen 
Würde, der Wortfülle, Klarheit und Anmuth, durch welche der platonische 
Protagoras in seinen Nachbildungen den Stil des Sophisten charakterisirt; 
wenn wir diesem ein Geisteserzeugniss wie die Schrift π. τέχνης beilegten, 
thäten wir, fürchte ich, seiner Redegabe und seiner schriftstellerischen Kunst 
Unrecht. 

1) M. s. über ihn Foss De Gorgia Leontino (Halle 1828), der ihn weit 
gründlicher und erschöpfender behandelt, als Geer. (S. 13—67); Fazı Bei- 
träge z. Gesch. ἃ. griech. Sophistik Rhein. Mus. VII, (1850) 527 ff. VIII, 
268 ff. — Als die Vaterstadt des Gorg. wird Leontini einstimmig bezeichnet; 
seinen Vater nennt Pausan. VI, 17 Karmantidas, Sum. Charmant.; sein 
Bruder war nach Prato Gorg. 448 Ὁ. 456 B der Arzt Herodikus. Ueber 
seine Lebenszeit finden sich sehr abweichende Angaben. Nach Prix. H.n. 
XXXII, 4, 83 hätte er schon Ol. 70 sich eine Bildsäule in Delphi errichtet 
(vgl. 8. 1058, 7): hier steckt aber sicher ein Fehler in der Olympiadenzahl, 
mag er nun von dem Schriftsteller oder den Abschreibern herrühren. PoRr- 
pPHYR b. Suiıd. u. ἃ. W. setzt ihn in Ol. 80, Suidas selbst erklärt ihn für 
älter. Euses in der Chronik setzt seine Blüthe Ol. 86. Nach PaıLosme. v. 
Soph. I, 9, 2 (dem aber wenig Gewicht beizulegen ist) kam er nach Athen 
ἤδη γηράσχων. Ornxymrıopor in Gorg. 8. 7 (Jahn’s Jahrbb. Supplementb. 
XIV, 112) macht ihn 28 Jahre jünger, als Sokrates, wovon aber aus der 
Angabe, auf die es gestützt wird, dass er Ol. 84 (444/0 v. Chr.) περὶ φύσεως 
geschrieben habe, das Gegentheil folgt. Den sichersten, aber keinen ganz 
genauen Anhaltspunkt geben die zwei Thatsachen, dass er Ol. 88, 2 (427 
v. Chr.) als Gesandter seiner Vaterstadt in Athen erschien (die Zeitbestim- 
mung gibt Dıopor XII, 53 vgl. Taucro. III, 86), und dass sein langes Leben 
(vgl. PLato Phädr. 261 B. Pıvr. Def. orac. c. 20, S. 420), — dessen Dauer 
bald auf 108 (Prix. H. n. VII, 48, 156. Lucıan. Macrob. c. 22. Cexs. Di. 
nat. 15, 3. PuiLostr. V. soph. 494. Schol. z. Plato a. a. O. vgl. VaLer, 
Max. VIII, 13, ext. 2), bald auf 109 (Arotopor b. Dioc. VIII, 58. Qumrir. 
III, 1, 9. OrLysrion. a. a. O. Suip.), bald auf 107 (Cıc. Cato, 5, 13), bald auf 
105 (Pausan. VI, 17. S. 495), bald unbestimmter (Desere. Byz. b. Arten. 
XH, 548 ἃ) auf mehr als 100 Jahre angegeben wird, — erst nach dem Tode 
des Sokrates geendet hat, wie diess ausser QUINXTILIAN's Zeugniss a. a. O. 
nach Foss’ treffiender Bemerkung (S. 8 ἢ), auch aus XEnoPHon’s Aussagen 
über Proxenus, den Schüler des Gorgias (Anabas. DI, 6, 16 f.)., ferner aus 
Prato Apol. 19 E und aus der Angabe (Pıusax. VI, 17. S. 495) hervor- 
geht, dass ihn Jason von Pherä hochgeschätzt habe (8. FrEı Rh. M. VII, 535); 
und damit stimmt es gut, wenn Antiphon, um die Zeit der Perserkriege 
(ohne Zweifel erst des zweiten) geboren, etwas jünger als Gorg. genannt 


[949] Gorgias. 1057 


dessen Schüler er genannt wird!), scheint er wirklich in 
jüngeren Jahren in Verbindung gestanden, und sich nicht 
blos als Rhetor an ihn angeschlossen, sondern auch seine 
physikalischen Annahmen eine Zeit lang getheilt zu haben®), 
von denen er auch noch später, als er seinen Unterricht be- 
reits auf die Rhetorik beschränkte, die eine und andere für 
sich verwendet®). Zweifelhafter ist es, ob Tisias sein Lehrer 
in der Redekunst wart). Dagegen zeigt ihn seine Schrift über 
die Natur (s. S. 1101) so vertraut mit Zeno’s Dialektik, dass 
die Vermuthung’°) viel für sich hat, er sei auch mit ihm in per- 
sönliche Verbindung getreten, und durch seinen Einfluss der 
Physik abwendig gemacht worden; da ersich aber der Metaphysik 
des Parmenides auch nicht anzuschliessen wusste, habe er sich 
zur Skepsis hingewendet. Im Jahre 427 v. Chr. kam er an der 
Spitze einer Gesandtschaft nach Athen, um Hülfe gegen die 


wird (Ps.-Prour. vit. X orat. 1, 9. 8. 832, wozu Fazı a. a. O. 580 ἢ). Nach 
allem diesem kann G. kaum älter sein, als Foss 8. 11 und Drranper De 
Antiphonte (Halle 1838) 3 ff. annehmen, welche sein Leben zwischen Ol. 71, 1 
und 98, 1 setzen; vielleicht war er aber auch (wie Krüger z. Clinton Fasti 
Hell. 8..388 will) jünger, und Feeı hat das richtigere, wenn er seine Geburt 
annäherungsweise auf Ol. 74, 2 (483 v. Chr.), seinen Tod auf Ol. 101, 2 (376) 
berechnet. 

1) Von Sırrrus, bzw. Alcidamas, b. Dıoe. VIII, 58 f. (s. 8. 753 u.) 
Quisrir. UI, 1, 9. Sur. Toey. Schol. in Plat. Gorg. 465 D, S. 345 vgl. 
Ἐπεὶ Rh. Mus. VIII, 268 ff. Bei Satyrus und Quintilian bezieht sich diese 
Schülerschaft nur auf die Rhetorik; unbestimmter drückt sich Suidas und 
der Scholiast aus. 

2) Vgl. Ders Gorg. und Emped. Sitzungsber. der Berl. Akad. 1891, 
344 fi. 

3) Praro Meno 76 C (s. o. 766, 1) schreibt ihm die empedokleischen 
Annahmen über die Poren und Ausflüsse zu, und scheint auch eine auf ihnen 
beruhende Definition der Farbe ihm entnommen zu haben; Turorurıst De 
igne 73 führt eine Erklärung der Entzündung durch Brennspiegel von ihm 
an, die von der gleichen Theorie ausgeht; vgl. Dies a. a. O. 355 ἢ, der 
vermuthet, die Schrift des Gorg., aus welcher diess angeführt wird (auf eine 
solche weist das Präsens φησὶ), sei physikalischen Inhalts gewesen, und ge- 
höre der Zeit an, in welcher Gorg. noch unter dem Einfluss des Esmpedokles 
stand. 

4) Die Prolegg. in Hermog. Rhet. gr. ed. Walz IV, 14 behaupten es; 
QumrıLıan a. a. O. jedoch nennt Tisias nur (neben Korax) als Vorgänger, 
Pausan. VI, 17, 5 als anscheinend älteren Zeitgenossen des Gorgias. 

5) DıeLs a. a. O. 359 fi. 

67* 


1058 Die Sophisten. [949. 950) 


Syrakusaner zu begehren!). Schon in seinem Vaterland als 
Redner und als Lehrer der Beredsamkeit hochgehalten 3), be- 
zauberte er die Athener durch seine zierliche, blumenreiche 
Redekunst?), und wenn die Angabe im wesentlichen | richtig 
ist, dass Thucydides und andere bedeutende Schriftsteller aus 
dieser und der folgenden Zeit seine Weise nachahmten *), 
so hat er auf die attische Prosa und selbst auf die Poesie 
einen höchst bedeutenden Einfluss ausgeübt. Längere oder 
kürzere Zeit nach seinem ersten Besuch) scheint sich Gor- 
gias bleibend in das eigentliche Griechenland begeben zu 
haben, indem er die griechischen Städte als Sophist durch- 
wanderte®), und sich dadurch viel Geld erwarb”). In der 


1) M. s. über diese Gesandtschaft S. 1056, 1 und Praro Hipp. maj. 
282 B. Paus. a. a. O. Dıonys. jud. Lys. c. 3, 8. 458. Orrarıon. in Gorg. 
5. 3 (auch Prour. gen. Socr. c. 13, 8. 583, an sich selbst freilich kein ge- 
schichtliches Zeugniss) und dazu Foss 8. 18 ff. 

2) Diess wird theils durch die Aeusserungen des Aristoteles b. Cıc. 
Brut. 13, 46, theils und besonders durch die Sendung nach Athen wahr- 
scheinlich. 

3) Dıiovor a. a. Ὁ. Praro Hipp. a. a. O. Dionys. Lysias 3. OryaPıoo. 
a. a. Ο. Prolegg. in Hermog. Rhet. gr. ed. Walz IV, 15. DoxorıAter ebd. 
VI, 15 u. a. s. Wecker. Klein. Schr. II, 413. 

4) Von Thucydides sagt diess Dıonys. ep. II, c. 2. S. 792. Jud. de 
Thuc. c. 24. S. 869. Antyrrus b. MarcezL. V. Thuc. 36; wozu Brass 
Att. Bereds. I, 203 ff. zu vgl.; von Kritias Pnıtoste. v. Soph. I, 9, 2. ep. 
XII, 919 (Brass 264); von Isokrates, welcher Gorg. in Thessalien hörte, 
ARISTOTELES b. Quintit. Inst. III, 1, 13. Dionvs. Jud. de Isoer. c. 1, 535. 
De vi dic. Demosth. ce 4, 968. Cıc. Orator 52, 176. Cato 5, 18, vgl. PLor. 
V. dec. orat. Isoer. 2. 15. 8. 836 f. PatLoste. v. Soph. I, 17, 4 u. a. (Fexı 
a. a. O. 541); von Agathon Prıro Symp. 198 C und der Scholiast zum 
Anfang dieser Schrift, vgl. SrenseL Zuvay. Teyy. I1f.; von Aeschines 
Dioe. U, 63. PurtLoste. ep. XIII, 919; s. Foss 60 f. Dass ihn dagegen 
Perikles nicht gehört haben kann, versteht sich und wird von ϑρενθει. 
S. 64 ff. des näheren nachgewiesen. 

ὅ) Denn die Angabe (Prolegg. in Hermog. Rhet. gr. IV, 15), er sei 
schon bei seiner ersten Anwesenheit zurückgeblieben, wird durch Dıopor 
a. a. Ο. und durch die Natur des ihm gewordenen Auftrags widerlegt. 

6) Bei PLato sagt er Gorg. 449 B, er lehre οὐ μόνον ἐνθάδε ἀλλὰ 
καὶ ἄλλοϑι, dasselbe bestätigt Sokrates Apol.19 E und daher Theag. 128 A. 
Im Meno 71 C ist Gorg. abwesend, es wird aber einer früheren Anwesenheit 
in Athen gedacht. Vgl. Hzruıprus b. Arsen. XI, 505, wo sich auch einige 
unbedeutende und sehr unsichere Anekdoten über Gorg. und Plato finden 
(ebenso bei PuıLostr. V. Soph. Procem. 6 über Gorg. und Chärephon). 


[951] Gorgias. 1059 


letzten Zeit seines Lebens | finden wir ihn in dem thessalischen 
Larissa!), wo er auch, nach einem ungewöhnlich hohen und 
kräftigen Alter?), gestorben zu sein scheint. Unter den 


Einer Reise nach Argos, wo der Besuch seiner Vorträge verboten worden 
sein soll, erwähnt OLyaPriopD. in Gorg. 8. 40; Proxenus scheint ihn nach 
Xexoru. Anab. I, 6, 16 (nach 410 v. Chr.) in Böotien zum Lehrer gehabt 
zu haben. Unter den Schriften des Gorg. wird eine olympische Rede ge- 
nannt, die er nach PruT. conj. preec. c. 43, 8. 144. Pıus. VI, 17 g. E. 
PuıLoste. V. Soph. I, 9, 2. ep. XII, 919 in Olympia selbst gehalten haben 
soll, ebenso nach PaıLogte. V. 8. I, 9, 2. 3 die Rede auf die Gefallenen in 
Athen, und die pythische in Delphi; indessen wäre auf diese Angaben als 
solche nicht viel zu bauen, wenn nicht die Sache auch an sich alle Wahr- 
scheinlichkeit für sich hätte Ueber Süvsrn’d verfehlte Vermuthung, 
dass Gorg. in den Vögeln des Aristophanes mit Peisthetärus gemeint sei, 
8. Foss 30 ff. 

7) τιον. XII, 53 und Suıp. lassen ihn, wie andere den Protagoras 
und den Eleaten Zeno (s. S. 1051, 2. 585, 1), ein Honorar von 100 Minen 
verlangen; im platonischen grösseren Hippias 282 B heisst es, er habe in 
Athen viel Geld erworben, ähnlich Arsen. III, 118 e; vgl. auch ΧΈΝΟΡΗ. 
Symp. 1, 5. Anab. II, 6, 16. Dagegen sagt Isokr. π. avyrıdoo. 155, er sei 
zwar von den ihm bekannten Sophisten der wohlhabendste gewesen, habe 
aber doch nicht mehr als 1000 Stateren hinterlassen; was, auch wenn Gold- 
stateren gemeint sind, doch nur etwa 15000 Mark wären. Seinem angeb- 
lichen Reichthum soll der Prunk seines Auftretens entsprochen haben, so- 
fern er nach Azı. V. H. XII, 32 in purpurnem Gewand zu erscheinen 
pflegte ; besonders bekannt ist aber die goldene Bildsäule in Delphi, welche 
er nach Paus. a. a. Ὁ. und X, 18. 8. 842. Heruipr. b. Atuen. XI, 505 d. 
Prix. bh. ἢ. XXXIV, 4, 83 sich selbst setzte, während sie Cıc. De orat. III, 
32, 129. Varer. Max. VIII, 15, ext 2, und wie es scheint, auch PhıLosTe. 
I, 9, 2 von den Griechen setzen lassen; Plinius und Valerius bezeichnen 
sie als massiv, Cicero, Philostratus und der angebliche Dıo Carrs. or. 87, 
S. 115 R. als golden, Pausanias, der jedenfalls am genauesten unterrichtet 
war, als vergoldet. Dass Gorg. dieselbe sich selbst errichtet hatte, ergibt 
sich aus der Inschrift einer zweiten, von seinem Grossneffen und Schüler 
Eumolpus in Olympia gestifteten, welche von Pausan. VI, 17, 5 berührt 
wird. Der Sockel derselben wurde 1876 aufgefunden; seine Inschrift be- 
spricht FrarnkeL Archäol. Zeit. XXXV (1877), 48 ἢ, 

1) PLato Meno Anf. Arısr. Polit. II, 2. 1275 b 26. Paus. VI, 17, 
495. Isokr. π. ἀντιδόσ. 155. 

2) Ueber seine Lebensdauer 8. o., über sein frisches und gesundes Alter 
und über das mässige Leben, dessen Frucht es war, Quintır. XII, 11,21. Cıc. 
Cato 5, 13 (von Vater. VIII, 13 ext. 2 wiederholt. Aruex. XII, 548 ἃ 
(wo Geer 8. 30 statt ἑτέρου richtig γαστέρος vermuthet), Lucıax Macrob. 
c. 23. Stos. Floril. 101, 21 5. Foss 37 f. MurzacH Fr. Phil. II, 144 f. Nach 
Lucian hätte er sich ausgehungert. Eines seiner letzten Worte berichtet 


1060 Die Sophisten. [951. 952] 


Schriften, welche von ihm erwähnt werden!), ist nur Eine 
philosophischen Inhalts; über die Aechtheit der zwei noch 
vorhandenen Deklamationen, die seinen Namen tragen 2), sind 
die Ansichten getheilt®). | 

Wenn unter den Schülern des Protagoras und Gorgias 
Prodikus*) genannt wird), so ist daran wahrscheinlich nur 
so viel richtig, dass er es seinem Lebensalter nach hätte sein 
können®). Ein Bürger der Stadt Julis”) auf der kleinen, 


Aztıan V. H. II, 35. Eine Anekdote aus seinem ehlichen Leben bei PLur- 
conj. praec. c. 43 verdient keinen Glauben; nach Isoke. a. a. O. war er nie 
verheirathet. 

1) Sechs Reden, angeblich auch eine Rhetorik, und die Schrift z. φύ- 
σεως N τοῦ un ὄντος, auf die ich 8. 1101 zurückkomme. M. 5. die aus- 
führliche Untersuchung von Spenge Zuvay. Teyv. 81 ff. Foss 8. 62 -- 109. 
Bei Denselben und Scuönsorn De authentia Declamationum Gorgiee (1826) 
S. 8 ist das Bruchstück der Rede auf die Gefallenen abgedruckt, welches 
Pranupes in Hermog. Rhet, gr. ed. Walz. V, 548 aus Dionys von Halikar- 
nass mittheilt; sämmtliche Bruchstücke bei Murraca Fragm. philos. II, 143 ἢ. 

2) Die Vertheidigungsrede des Palamedes und die der Helena; neuste 
Ausgabe in Brass Antiphont. orat. 150 fi. 

8) Geer σ. Β. 31 ἢ, 48 fi. hält den Palamedes für ächt, die Helena 
für unächt; ScHÖöNnBoRN a. a. O. nimmt beide in Schutz; Foss 78 ff. und 
Spenger a. a. OÖ. 71 ff. verwerfen beide, mit ihnen stimmt StemmART 
(Plato’s W. II, 509, 18), Jaun Palamedes (Hamb. 1836) 15 fl. GomreRz 
Apol. d. Heilkunst 165 im Ergebniss überein. Dagegen erklären sich 
Brass (Att. Beredsamk. 71 ff. Antiphontis orat. XXVII), Maass (Hermes 
XXU, 566 8), Dıeıs (Sitzungsberichte der Berliner Akademie 1884, 
356, 3) für die Aechtheit der beiden Reden. Auch mir scheint jetzt 
die überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Aechtheit beider Stücke zu 
sprechen; zumal wenn man (mit Maass 575 fl.) annehmen darf, sie wollen 
nicht eigentliche, für's grössere Publikum bestimmte ἐπεϑδεέίξεες sein, sondern 
schematische Muster, an denen die Schüler des Rhetors die Disposition und 
die Art der Beweisführung bei Vertheidigungsreden für Schuldige (Helena) 
und Unschuldige (Palamedes) lernen sollten. Indessen hat diese Frage für 
die Beurtheilung von Gorgias’ philosophischem Charakter keine Bedeutung. 

4) WELCKER, Prodikos von Keos, Vorgänger des Sokrates. Klein. Schr. 
II, 398-541, früher Rhein. Mus. 1888. Hzınze Ber. d. phil.-hist. Kl.d. K. 
Sächs. Gesellsch. ἃ, Wissensch. 1884, 315 ft. 

5) Die Scholiasten zu Plato Rep. X, 600 C (8. 421 Bekk.), von 
welchen ihn der eine Schüler des Gorgias, der andere Schüler des Protag. 
und Gorg. und Zeitgenossen Demokrit’s nennt, Su. ὥρωταγ. und Πρόδ. 
M. s. dagegen Frrı Quest. Prot. 174. 

6) Diess ergibt sich aus PLaro; da Prodikus einerseits schon im Pro- 
tagoras (vielleicht allerdings etwas zu früh) als angesehener Sophist auftritt, 


[952. 953] Gorgias. 1061 


durch die Sittenreinheit ihrer Bewohner berühmten!) Insel 
Keos, ein Mitbürger der Dichter Simonides und Bakchylides, 
scheint er schon in seiner Heimath als Tugendlehrer auf- 
getreten zu sein; auch er konnte aber eine bedeutendere Wirk- 
samkeit nur in dem nahen Athen, unter dessen Herrschaft 
Keos stand), finden, wie es sich im übrigen mit der Angabe 
verhalten mag, er sei auch in öffentlichen Geschäften häufig 
dorthin gereist?). Dass er | noch andere Städte besucht hat, 
ist nicht ganz sicher*), doch immerhin glaublich. Für seinen 
Unterricht verlangte er, wie alle Sophisten, Bezahlung); von 
dem Ansehen, das er sich erwarb, zeugen ausser den sonstigen 


andererseits aber (auch abgesehen von 317 C) unverkennbar an Jahren wie 
an Ruhn? hinter Protagoras zurücksteht, und Apol. 19 E unter den damals 
noch lebenden und in Thätigkeit begriffenen Sophisten aufgeführt wird, so 
kann er nicht wohl älter, aber auch nicht um vieles jünger gewesen sein, 
als Sokrates, und seine Geburt wird annäherungsweise um 460—465 v. Chr. 
gesetzt werden können. Damit stimmt im allgemeinen überein, was sich 
aus seiner Erwähnung bei Eupolis und Aristophanes und in den platonischen 
Gesprächen, und aus der Nachricht, Isokrates sei sein Schüler gewesen, ab- 
nehmen lässt (8. WELCKER 397 f.), uhne dass wir doch dadurch zu einer 
genaueren Bestimmung kämen: Auch die Schilderung seiner Persönlichkeit 
im Protagoras 315 C f. lässt vermuthen, dass die dort hervorgehobenen 
Züge, die sorgsame Leibespflege des kränklichen Mannes und seine tiefe 
Stimme, Plato aus eigener Anschauung bekannt und den Lesern noch in 
frischer Erinnerung waren. 

7) So Suıpas und mittelbar Praro Prot. 339 E, indem er den Simo- 
nides seinen Mitbürger nennt. Κεῖος oder Χίος (m. 8. über die Schreibart 
Wrıcker 393) heisst Prod. ausnahmslos. 

1) M. s. hierüber, was WELcker 441 f. aus PLato Prot. 341 E. Gess. I, 
6338 A. Arsen. XII, 610 d. Prur. mul. virt. Kias S. 249 beibringt. 

2) WELCKER 394. 

3) Der angebliche Praro Hipp. maj. 282 C. PuıLostr. V. Soph. I, 12. 

4) Denn Praro Apol. 19 E scheint nicht entscheidend, und was 
Pnitoste. V. 8. I, 12. Prem. 5. Lisan. pro Socr. 328 Mor. Lucıas Herod. 
c. 8 erzählen, könnte leicht nur auf ungeschichtlicher Vermuthung beruhen. 

5) Prato Apol. 19E. Hipp. maj. 282C. Xen. Symp. 1, 5. 4, 62. Dioc. 
IX, 50. Nach Pıarto Krat. 384 B. Arıst. Rhet. III, 14. 1415 Ὁ 15 kostete 
seine Vorlesung über den richtigen Gebrauch der Wörter fünfzig, eine 
andere, ohne Zweifel eine populärere, für ein grösseres Publikum berechnete 
(wie etwa die über Herakles), nur eine einzige Drachme; der pseudoplato- 
nische Axiochus 8. 366 C redet auch von Vorlesungen zu einer halben, zu 
zwei, zu vier Drachmen, darauf ist aber nicht zu bauen. 


1069. Die Sophisten. [958] 


Aussagen der Alten!) die bedeutenden Namen, die unter 
seinen Schülern und Bekannten vorkommen?). Selbst Sokrates 
hat bekanntlich seinen Unterricht benützt?) und empfohlen *), 


1) Von Praro gehört hieher ausser Apol. 19 E. Prot. 315 Ὁ nament- 
lich Rep. X, 600 C, wo von Prodikus und Protagoras gemeinschaftlich ge- 
sagt wird, sie. wissen ihre Freunde zu überreden, ὡς οὔτε οἰχέαν οὔτε πόλιν 
τὴν αὑτῶν διοιχεὶν οἷοί τ᾽ Eoortas ἐὰν μὴ σφεὶς αὐτῶν ἐπιστατήσωσι τῆς 
παιδείας, χαὶ ἐπὶ ταύτῃ τῇ σοφίᾳ οὕτω σφόδρα φελοῦνται, WOTE μόνον οὐχ 
ἐπὶ ταῖς χεφαλαῖς περεφέρουσιν αὐτοὺς οἵ ἑταῖροι. Auch aus ARISTOPHANES 
(vgl. Wecker 8. 403 f. 508. 516) erhellt, dass Prod. in Athen und selbst 
bei diesem Dichter, dem unerbittlichen Feind aller andern Sophisten, in 
Ansehen stand. Rechnet er ihn auch bei Gelegenheit (Tagenisten Fr. 6) 
unter die „Schwätzer“, so rühmt er dagegen in den Wolken V.360 f. seine 
Weisheit und Einsicht im Gegensatz zu Sokrates ohne Ironie, in den Tage- 
nisten scheint er ihm eine würdige Rolle geliehen zu haben, und in den 
Vögeln V. 692 führt er ihn wenigstens als bekannten Weisheitslehrer auf. 
Das Sprüchwort (bei Arostor. XIV, 76) dagegen: Προδίχου σοφώτερος (nicht: 
Προδίχου τοῦ Kfor, wie WELCKER 395 angibt) kann auch bedeuten: „weiser 
als ein Schiedsrichter“, Apostol., der den πρόδεκος als Eigennamen nimnit, 
ohne doch dabei an den Keer zu denken, hat es, wie auch WeLckEr bemerkt, 
nicht verstanden. Das gleiche Sprüchwort sucht Wercker 8. 405 am 
Anfang des läten sokratischen Briefs, wo allerdings Προδίχω τῶ Kilo no- 
4wtegov steht; aber dieser Ausdruck hat hier keine aprüchwörtliche Färbung, 
sondern er bezieht sich auf angebliche Aeusserungen des Simon über den 
Herakles des Prodikus. Auch das Prädikat σοφὸς (Xrx. Mem. II, 1. Symp. 
4, 62. Axioch. 866 C. Eryx. 397 D) beweist nichts, da dieses mit Sophist 
identisch ist (PL.aro Prot. 312 C. 337 C u. o.), am wenigsten aber Praro's 
ironisches πάσσοφος χαὶ ϑεῖος Prot. 315 E (vgl. Euthyd. 271 C. Lys. 216 A). 

2) So der Musiker Damon (Prato Lach. 197 Ὁ), Theramenes, seiner 
Geburt nach selbst ein Keer (Aruex. V, 220 b. Schol. z. Aristoph. Wolken 
360. Suın. Θηραμ.), Euripides (Ger XV, 20, 4. Vita Eurip. ed. Elmsl. vgl. 
Arısroru. Frösche 1188), Isokrates (Dionvs. jud. Is. ο. 1. 5. 535. Pur. X 
orat. 4, 2. S. 8386, was Pnor. Cod. 260, S. 486 b 15 wiederholt wird); 
8. WELCKER 458 fl. Dass auch Kritias ihn gehört hatte, ist an sich wahr- 
scheinlich, aber durch PLraro Charm. 163 Ὁ nicht bewiesen, ebensowenig 
ein Einfluss auf den Sophisten Hippiss durch Prot. 338 A vgl. m. Phädr. 
267 B; von Thucydides sagt AntyrLus b. MarceLLin V. Thuc. 36 und das 
Scholion b. WELCKER 460 (SpEnckL S. 53) nur, er habe sich in seiner Aus- 
drucksweise die Genauigkeit des Prod. zum Muster genommen, eine Be- 
merkung, deren Richtigkeit Srexası Ivy. Teyy. 53 fl. durch Beispiele aus 
Thuc. belegt. Mit Kallias, in dessen Hause wir ihn im Protagoras finden, 
war Prod. nach Xexopu. Symp. 4, 62 vgl. 1, 5 durch Antisthenes bekannt 
geworden, welcher demnach gleichfalls zu seinen Verehrern gehörte. 

3) Sokrates nennt sich bei PrArto öfters den Schüler des Prodikus; 
Meno 96 D: [χιψδυνεύει) σέ τε Γοργίας οὐχ ἱκανῶς πεπαιδευχέναι xal 


[954] Prodikus. 1063 


ohne dass jedoch er selbst oder Plato sich zu ihm in ein 
wesentlich anderes Verhältniss setzte, als zu einem Protagoras 
und Gorgias!). Sonst ist uns vom Leben | des Prodikus 


ἐμὲ Πρόδικος. Prot. 841 A: Du, Protagoras, scheinst der Wortunterschei- 
dungen unkundig zu sein, οὐχ ὥσπερ ἐγὼ ἔμπειρος διὰ τὸ μαϑητὴς εἶναι 
Π]ροδίχου τουτουΐ: Prod. meistere ihn nämlich immer, wenn er ein Wort 
falsch anwende. Charm. 163 Ὁ: Προδίχου μυρία τινὰ εἐχήχοα περὶ Ovo- 
μάτων διαιροῦντος. Dagegen Krat. 384 B: er wisse nicht, wie es sich mit 
den Benennungen verhalte, da er die Fünfzigdrachmenvorlesung des Prod. 
noch nicht gehört habe, sondern erst die Eindrachmenvorlesung. Im Hipp. 
maj. 282 C nennt Sokr. den Prodikus seinen ἑταῖρος. Gespräche, wie der 
Axiochus (366 C ff.) und Eryxias (397 C ff.), können für die vorliegende 
Frage nicht in Betracht kommen. 

4) Bei Xenoruon Mem. II, 1, 21 eignet er sich die Erzählung von 
Herakles am Scheideweg an, indem er sie nach Prod. ausführlich wiedergibt, 
und bei Praro Theät. 151 B sagt er, solche, die mit keiner Geistesgeburt 
schwanger gehen, weise er an andere Lehrer: ὧν πολλοὺς μὲν δὴ ἐξέδωχα 
ITgoöixp, πολλοὺς δὲ ἄλλοις σαφοὶς τε χαὶ ϑεσπεσίοις ἀνδράσι. 

1) Alle Aeusserungen des platonischen Sokrates über den Unterricht, 
welchen er bei Prodikus erhielt, auch die des Meno, haben einen unver- 
kennbar ironischen Ton, und an geschichtlichem Gehalt lässt sich nicht 
weiter daraus abnehmen, als dass Sokrates mit Prodikus bekannt war, und 
von ihm, wie von anderen Sophisten, Vorträge gehört hatte. Auch dass er 
ihm einzelne seiner Bekannten zuwies, begründet keinen Vorzug vor andern, 
denn nach der Stelle des Theätet wies er andere zu andern, und aus diesen 
mit WELCcKER 8. 401 Einen andern, und zwar den Euenus, zu machen, 
haben wir kein Recht; bei Xen. Mem. III, 1 empfiehlt Sokrates einem 
Freunde selbst den Taktiker Dionysodor. Zurechtweisungen nimmt er nicht 
blos im grösseren Hippias, dem ich kein Gewicht beilegen kann, 301 C 
304 C von diesem Sophisten, sondern auch im Gorgias 461 C von Polus 
an, ohne sich dazu ironischer zu' verhalten, als Prot. 341 A zu Prodikus; 
als Weise bezeichnet er gleichfalls einen Hippias (Prot. 337 C), einen Prota- 
goras (Prot. 338 C. 341 A), einen Gorgias und Polus (Gorg. 487 A); die 
beiden letzteren nennt er ebd. auch seine Freunde, und über Protagoras 
äussert er sich Theät. 161 D mit derselben leichten Ironie ganz ebenso 
anerkennend, wie sonst über Prodikus. So richtig endlich bemerkt wird, 
(Wecker 407), dass Plato seinen Sokrates nirgends in einer Streitunter- 
redung mit Prodikus darstelle, und auch keinen Schüler desselben aufführe, 
der einen Schatten auf ihn werfen könnte, wie Kallikles auf Gorgias, so 
kann doch das letztere nicht viel beweisen, denn auch von Protagoras und 
Hippias werden keine solche Schüler angeführt, und selbst Kallikles wird 
nicht speciell als der des Gorgias bezeichnet, und ob das andere Hoch- 
schätzung oder Geringschätzung ausdrückt, wäre erst zu untersuchen; er- 
wägen wir aber, wie satirisch Plato Prot. 315 C unsern Sophisten als lei- 
denden Tantalus einführt, welche unbedeutende und lächerliche Rolle er 


1064 Die Sophisten. [955. 956] 


nichts bekannt!). Sein Charakter wird blos von späten und 
unzuverlässigen Zeugen ?) als ausschweifend und gewinnsüchtig 
bezeichnet. Von seinen Schriften sind nur | unvollständige 
Nachrichten und einige Nachbildungen erhalten 8). 

Ziemlich gleichen Alters mit Prodikus scheint Hippias 
von Elis*) gewesen zu sein®). Nach der Sitte der Sophisten 


ihm ebd. 337 A ff. 339 E ff. zuweist, wie so gar nichts eigenthümliches er 
von ihm erwähnt, als seine mit stehender Ironie behandelten Wortunter- 
scheidungen (s. u.) und eine rednerische Regel wohlfeilster Art im Phädrus 
267 B, wie er ihn übrigens mit einem Protagoras und andern Sophisten in 
Eine Reihe zu stellen pflegt (Apol. 19 E. Rep. X, 600 C. Euthyd. 277 E und 
im ganzen Protagoras), so werden wir den Eindruck erhalten, er habe ihn 
zwar für einen der unschädlichsten unter den Sophisten, zugleich aber für 
weit unbedeutender gehalten, als Protagoras und Gorgias, einen wesent- 
lichen Unterschied seiner Bestrebungen von den ihrigen nicht anerkannt, 
und von einer grundsätzlichen Auseinandersetzung mit ihm wohl nur dess- 
halb abgesehen, weil in seiner populären Schriftstellerei keine Aufforderung 
dazu lag. Vgl. auch Hermann De Socr. magistr. 49 ff. 

1) Nach Suıpas und dem Scholiasten zu Plato Rep. X, 600 C wäre er 
in Athen als Verderber der Jugend mit dem Schierlingsbecher hingerichtet 
worden, die Unrichtigkeit dieser Angabe ist aber nicht zu bezweifeln, 
8. WELCKER 503 ἢ 524, und auch zu der Annahme, dass er selbst diesen 
Tod freiwillig gewählt habe, liegt kein Grund vor. 

2) Das Scholion za den Wolken, V. 360, das aber vielleicht nur aus 
Versehen von V. 354 her wiederholt ist, PsıLoste. V. 8. I, 12, der ihn 
sogar eigene Werber für seinen Unterricht (vielleicht blog wegen Xex. 
Symp. 4, 62) aufstellen lässt. M. s. darüber WELckErR 513 fi. Dagegen 
schildert ihn PLaro Prot. 315 C allerdings nicht blos als kränklich, sondern 
auch als weichlich. 

3) Wir kennen von ihm die Rede über Herakles, oder wie ihr eigent- 
licher Titel war, 'ῶραε (Schol. z. ἃ. Wolken 360. Sup. ὥραι. Πρύδ.), deren 
Inhalt Xen. Mem. II, 1, 21 ff. wiedergibt (näheres darüber b. WELCKER 
406 4}, und den Vortrag περὶ ὀνομάτων ὀρϑότητος (Praro Euthyd. 277E. 
Krat. 384 B u. ὅ. Wecker 452), der sich gewiss auch, schon nach Plato’s 
übertreibenden Nachbildungen zu schliessen, über den Tod des Verfassers 
hinaus erhalten hatte; ferner lässt eine Angabe bei Tuxuiıst. or. XXX, 349 b 
eine Lobrede auf den Landbau, die Nachbildung im pseudoplatonischen 
Axiochus 366 B ff. (Wecker 497 8.) eine Rede zur Beschwichtigung der 
Todesfurcht, und der Bericht des Eryxias 397 C fi. eine Erörterung über 
den Werth und Gebrauch des Reichthums mit Sicherheit vermuthen. 

4) Miury Hippias v. Elis. Rh. Mus. XV, 514—535. XVI, 38 A. 
Düsuter Akademika 247 ff. Arsgır Hippias, Beiträge u. s. w. (1891) 367 fi. 

5) Denn er wird im Protagoras in dieser Beziehung ebenso behandelt, 
wie Prodikus (s. o. 1060, 6); ebenso zeigt er sich Hipp. maj. 282 E zwar 


[956. 951] Hippias. 1065 


durchzog auch er die griechischen Städte, um durch Prunk- 
reden | und Lehrvorträge Ruhm und Geld zu gewinnen, und 
er kam namentlich öfters nach Athen, wo er sich gleichfalls 
einen Kreis von Verehrern erwarb!). Durch Eitelkeit selbst 


erheblich jünger, als Protagoras, aber doch zugleich alt genug, um diesem 
Sophisten Concurrenz zu machen, XEnoruon Mem. IV, 4, 5 ἢ. schildert ihn 
als einen alten Bekannten des Sokrates, welcher zur Zeit dieser Unter- 
redung nach längerer Abwesenheit wieder nach Athen kommt, und die pla- 
tonische Apologie 19 E setzt voraus, dass er i. J. 399 v. Chr. einer der 
angesehensten Sophisten der damaligen Zeit gewesen sei. Diesem überein- 
stimmenden Zeugniss Plato’s und Xenophon’s gegenüber könnte die Angabe, 
Isokrates habe in seinem Alter Plathane, die Wittwe des Hippias, gehei- 
rathet, zu der Annahme (MürrLer Fr. Hist. II, 59. Mäury a. a. O. XV, 
520), dass dieser nur wenig älter gewesen sei, als Isokrates, selbst dann 
nicht berechtigen, wenn sie sich wirklich bei Ps.-Prur. v. X orat. IV, 16. 
41 fände, und mit Hippias unzweifelhaft der Eleer gemeint wäre, da wir 
nicht wissen, ob Plathane nicht viel jünger war als Hippias und Isokrates 
im Alter nahe stand. Indessen bemerkt Arzır a. a. O. 375, 1 richtig, dass 
der angebliche Plutarch sie nicht als die Frau, sondern als die Tochter des 
Hippias zu bezeichnen scheine. Erst Sun. φαρεὺς macht sie zur Frau 
des Hippias, den auch er erst den Sophisten (Ps.-Plut. ῥήτωρ) nennt; dazu 
kann er aber leicht dadurch gekommen sein, dass er Pıur. IV, 41 (Πλα- 
ϑάνην τὴν Ἱππίου τοῦ ῥήτορος γυναῖχα ἠγάγετο) das γυναῖκα mit ῥήτορος 
statt mit ἠγάγετο verband. — Ueber Hippias’ Vaterstadt sind alle Zeugen 
einig. — Sein angeblicher Lehrer Hegesidemus (Svın. ‘Iaz.) ist ganz un- 
bekannt, und vielleicht durch Versehen hereingekommen; aber ihn mit 
Arzır 382 f. inHippodamus (8. S. 1072,1)zu verwandeln, wage ich doch nicht; 
wenn GzzL 181 aus Aruzs. XI, 506 ἢ, schliesst, H. sei ein Schüler des 
Musikers Lamprus und des Redners Antiphon gewesen, so liegt dazu kein 
Recht vor: die Stelle des Menexenus, welche Athenäus auf Hippias zu deuten 
scheint (236 A), bezieht sich wahrscheinlich auf Thucydides, von dem wir 
zwar nicht wissen, ob er Lamprus, aber wenigstens (aus MARCELLIN c. 22), 
dass er Antiphon zum Lehrer hatte. 

1) Was uns in dieser Beziehung mitgetheilt wird, ist dieses. H. bot, 
wie andere, seinen Unterricht an verschiedenen Orten gegen Bezahlung an 
(Prato Apol. 19 E. u. a. St.); Hipp. maj. 282 Ὁ f. rühmt er sich, mehr 
Geld gemacht zu haben, als jede zwei beliebige andere Sophisten zusammen. 
Als Schauplatz seines Wirkens nennt dasselbe Gespräch a. a. O. und 281 A 
Sicilien, namentlich aber Sparta, wogegen er wegen der vielen politischen 
Sendungen, zu denen er verwandt werde, seltener nach Athen komme; Xen. 
Mem. IV, 4, 5 dagegen bemerkt nur in einem einzelnen Fall, er sei nach 
längerer Abwesenheit nach Athen gekommen und mit Sokrates zusammen- 
getroffen. Der kleinere Hippias 363 C gibt an, er habe gewöhnlich bei 
den olympischen Spielen im Tempelraum Vorträge gehalten und Antworten 
auf beliebige Fragen ertheilt. Beide Gespräche (286 B. 363 A) berühren 


1066 Die Sophisten. [957] 


unter den Sophisten hervorstechend !), trachtete er vor allem 
nach dem Ruhm eines ausgebreiteten Wissens, indem er aus 
dem Vorrath seiner mannigfaltigen Kenntnisse je nach dem 
Geschmack seiner Zuhörer immer neues zur Belehrung and 
Unterhaltung vorbrachte?), | und dieselbe oberflächliche Viel- 


epideiktische Reden in Athen. (Diese Angaben wiederholt dann PkıLoeTR. 
V. Soph. I, 11.) Im Protagoras endlich, 315 B. 317 D, sehen wir Hippias 
mit andern Sophisten im Hause des Kallias (mit dem er auch nach ΧΈΝΟΡΗ. 
Symp. 4, 62 in Verbindung stand), wo er von seinen Verehrern umlagert 
den Fragenden über naturwissenschaftliche und astronomische Dinge Aus- 
kunft ertheilt, und sich nachher 337 D mit einer kleinen Rede an der Ver- 
handlung betheiligt. Indessen lässt sich aus diesen Angaben nicht mehr, 
als unser Text gibt, mit Sicherheit abnehmen, da von den platonischen 
Darstellungen die des grösseren Hippias durch den zweifelhaften Ursprung 
dieses Gesprächs verdächtig wird, und auch die übrigen im einzelnen von 
satirischer Uebertreibung schwerlich frei sind, Philostratus aber unverkennbar 
nicht eigene Geschichtsquellen, sondern eben nur die platonischen Gespräche 
vor sich gehabt hat. — Die Angabe TertuLLıan’s Apologet. 46, Hippias 
sei in einer hochverrätherischen Unternehung umgekommen, verdient nicht 
mehr Glauben, als die übrigen Schlechtigkeiten, welche derselbe ebd. vielen 
von den alten Philosophen nachsagt. 

1) Dahin gehört auch das Purpurkleid, welches ihm Arrıax V. H. XII, 
32 beilegt. 

2) Im grösseren Hippias 285 B ff. nennt Sokrates in ironischer Be- 
wunderung seiner Gelehrsamkeit als Gegenstand seines Wissens die Astro- 
nomie, Geometrie, Arithmetik, die Kenntniss der Buchstaben, Silben, Rhythmen 
und Harmonieen, er selbst fügt die Geschichte der Heroen, der Städte- 
gründungen und der gesammten Archäologie bei, indem er dich zugleich 
seines ungewöhnlich starken Gedächtnisses rühmt; der kleinere Hippias er- 
wähnt im Eingang eines Vortrags über Homer, und 8. 368 B ff. lässt er 
den Sophisten nicht blos mit vielen und mannigfaltigen Vorträgen in Prosa, 
sondern auch mit Epen, Tragödien und Dithyramben, mit der Kenntniss der 
Rhythmen und Harmonieen und der ὀρϑότης γραμμάτων, mit der Gedächtniss- 
kunst, und mit allen möglichen technischen Geschicklichkeiten, der Verfer- 
tigung von Kleidern, Schuhen und Schmucksachen, prahlen; diese Angaben 
wiederholt dann PuıLoste. a. a. Ο. Cıc. De orat. III, 32, 127. Arvı. Floril. 
Nr. 32, theilweise auch Tuenuıst. or. XXIX, 345 C fi.; auf dieselben gründet 
sich die pseudolucianische Schrift Ἱππίας ἢ βαλανεῖον, die sich selbst aber 
(c. 3 Anf.) für ein Erzeugniss aus der Zeit des Hippias ausgibt. Indessen 
fragt es sich, was und wie viel dieser Erzählung thatsächliches zu Grunde 
liegt; denn ist einestheils freilich der Punkt, bis zu welchem die Eitelkeit 
eines Hippias sich verlaufen konnte, nicht zu berechnen, so ist es anderer- 
seits ebenso möglich, und die Art der Einkleidung scheint eher dafür zu 
sprechen , dass mit dem platonischen Bericht eine ruhmredige Aeusserung, 


[958. 959] Thrasymachus u. a. 1067 


seitigkeit war wohl auch seiner schriftstellerischen Thätigkeit 
eigen). | 

Von sonstigen bekannten Sophisten sind zu erwähnen: 
Thrasymachus?) von Chalcedon®), ein Zeitgenosse des So- 


die nicht ganz so kindisch war, oder überhaupt die selbstgefällige Viel- 
wisserei des Sophisten übertreibend komödirt werden sollte. Zuverlässiger 
ist jedenfalls die Angabe Protag. 315 B. (s. vorl. Anm.) 318 E, dass H. seine 
Schüler in den Künsten (r&yy«as) unterrichtet habe, wobei immerhin ausser 
den dort genannten (Rechenkunst, Astronomie, Geometrie und Musik) auch 
an encyclopädische Vorträge über Handwerk und bildende Kunst gedacht 
werden mag, und das Zeugniss der Memorabijien IV, 4, 6, dass er vermöge 
seiner Vielwisserei immer etwas neues zu sagen trachte. Des urnuorsxor, 
welches Hippias lehrte, erwähnt auch Xes. Symp. 4, 62. 

1) Das wenige, was uns über diese Schriften und aus denselben über- 
liefert ist, findet sich bei Geer 190 ff. Osans, der Sophist Hipp. als Archäo- 
log, Rhein. Mus. II (1843) 495 ff. Mürzer Hist. gr. U, 59 ff. Miury 
a. a. O. XV, 529 fi. XVI, 42 fl. Bekannt sind uns von Hippias zwei 
Schriften geschichtlichen Inhalts (ihre Ueberbleibsel bei MörLLer): die Ὀλυμ- 
πιονῖχαι und die Συναγωγὴ (deren Titel vielleicht noch einen erläuternden 
Zusatz hatte), Die letztere scheint nach Fr. 6, das ich ihr zuweise, und 
Fr. 1 eine Sammlung von Merkwürdigkeiten aus Dichtern und Prosaikern 
gewesen zu sein, welche ungefähr das gleiche enthalten haben mag, wie die 
angeblichen Vorträge in Sparta Hipp. maj. 285 D: über Genealogieen von 
Hero&n und Menschen, Städtegründungen und die gesammte „Archäologie“. 
Von einem λόγος, welcher Rathschläge der Lebensweisheit für einen Jüng- 
ling enthalte, wird anscheinend geschichtlich im grösseren Hippias 286 A 
berichtet; dass derselbe ein Gespräch, und Hippias ein Vorgänger der So- 
kratiker in der dialogischen Darstellung war (Düwwrer Akad. 259), vermag 
ich in der Stelle so wenig zu finden, dass mir vielmehr das Gegentheil deut- 
lich darin zu liegen scheint: es ist ein λόγος (kein διάλογος), in dessen 
Eingang erzählt war, das folgende seien die Rathschläge, welche Nestor dem 
Neoptolemus auf dessen Bitte ertheilt habe. Verschieden davon scheint der 
Vortrag über Homer (Hipp. min. Anf. vgl. Osann 509 u... Aus einer nicht 
näher bezeichneten Schrift des H. führt Proxr. in Eucl. 65 Fr. eine Notiz 
über den Mathematiker Ameristus, den Bruder des Stesichorus, an. Auf 
eine von ihm verfasste Elegie bezieht sich Pausan. V, 25, 1. Was PkıLostk. 
v. 8.1. 11 über seinen Stil sagt, ist vielleicht nur aus Plato entnommen. 

2) Gezı 201 fi. C. F. Hermann De Trasymacho Chalcedonio. Ind. lect. 
Götting. 1848/49. ϑρεκαξι, Teyv. Zur. 93 Εἰ, bei denen auch die Angaben 
über die Schriften des Thras. zu finden sind; und jetzt Brass Att. Bereds. I, 
244 ἔξ, welcher sein Leben, seine Schriften und den Charakter seiner Rhe- 
torik eingehend bespricht. 

3) „Der Chalcedonier“ ist sein stehender Beiname, er scheint aber 
einen bedeutenden Theil seines Lebens in Athen zugebracht zu haben. Dass 


1068 Die Sophisten. [959] 


krates!), welcher als Lehrer der Redekunst keine unbedeutende 
Stellung einnimmt?), sonst aber von PLATo wegen seiner 
Grossprecherei, seiner Leidenschaftlichkeit, seiner Geldgier, 
und der unverhüllten Selbstsucht seiner Grundsätze ungünstig 
geschildert wird®); ferner Euthydem und Dionysodor, 
jene beiden von Plato mit überfliessendem Humor gezeichneten 
eristischen Klopffechter, die erst in vorgerücktem Lebensalter 
als Streitkünstler und zugleich als Tugendlehrer aufgetreten 
waren, während sie früher blos über die Kriegswissenschaften 
und die gerichtliche Beredsamkeit Vorträge gehalten hatten *); 


er in seiner Vaterstadt starb, wird durch die Grabschrift bei Aruen. X, 454 f. 
wahrscheinlich. 

1) Genauer lässt sich ihr Altersverhältniss nicht feststellen; doch macht 
die Schilderung Plato’s (s. Anm. 8) auf mich den Eindruck, dass wir uns 
Sokrates als den älteren von beiden zu denken haben, und die Bitterkeit, 
mit der ihn Plato behandelt, lässt fast vermuthen, er habe mit diesem selbst 
noch feindselige Berührungen gehabt. Auch das wenige, was wir von seinen 
Reden wissen (Brass 245), weist in das letzte oder vorletzte Jahrzehend des 
5. Jahrh.; und bei Arısr. Rhet. II, 23. 1400 b 19 erscheint er als Zeit- 
genosse des Polus. Andererseits geht aus Tneorur. Ὁ. Dioxnvys. De vi dic. 
Demosth. c. 3, S. 958. Cıc. Orat. 12, 39 f. Brut. 8, 32 hervor, dass er dem 
436 v. Chr. geborenen Isokrates um ein erhebliches vorangieng, und älter 
war als Lysias (Dıoxvs. jud. de Lys. c. 6, 8. 464 hält ihn, im Widerspruch 
mit Theophrast, für jünger; für das Gegentheil spricht aber auch die plato- 
nische Darstellung). Da als Zeit des Gesprächs in der Republik etwa das 
Jahr 408 v. Chr. gedacht ist (vgl. S. 86 ff. meiner S. 1052 unt. genannten 
Abhandlung), so muss Thras. um diese Zeit in den Mannesjahren gestanden 
haben. 

2) S. unten. 

8) Rep. I, m. vgl. insbesondere S. 336 Β — 338 C. 341 Ὁ. 343 A ft. 
344 D. 350 C ff. Dass diese Schilderung nicht aus der Luft gegriffen ist, 
lässt sich zum voraus annehmen, und wird durch Arıst. Rhet. II, 23. 1400 
Ὁ 19 bestätigt; weniger beweist das ϑρασυμαχειοληψιχέρματος des Ephippus 
Ὁ. Aruex. XI, 509 c. Doch wird Thrasymachus schon in der Republik im 
weiteren Verlauf geschmeidiger; vgl. I, 354 A. II, 358 B. V, 450 A. 

4) Euthyd. 271 C ff. 273 C f., wo wir noch weiter erfahren, dass diese 
beiden Sophisten Brüder waren (was wir für Dichtung zu halten keinen 
Grund haben), dass sie aus ihrer Heimath Chios nach Thurii ausgewandert 
waren (wo sie mit Protagoras in Verbindung gekommen sein könnten), dass 
sie von dort flüchtig oder verbannt, meist in Athen, sich herumtrieben, und 
dass sie ungefähr so alt oder etwas älter waren, als Sokrates. Als Lehrer 
der Strategik tritt Dionysodor auch bei Xen. Mem. II, 1, 1 auf. Die pla- 
tonischen und sonstigen Angaben über beide stellt WIncKELMAnN in 8. Aus- 
gabe des Euthydem 5. XXIV ff. zusammen. Wenn Grotz Plato I, 536. 541 


[960] Thrasymachus u. a. 1069 


Polus aus Agrigent, ein | Schüler des Gorgias!), der sich 
aber wohl ebenso, wie sein Lehrer in späteren Jahren?), auf 
den Unterricht in der Rhetorik beschränkte; die gleichfalls 
der gorgianischen Schule angehörigen Redner Lykophron?), 
Protarchus*), und Alcidamas®);|Xeniades aus Korinth, 


bezweifelt, dass es in Athen zwei Sophisten gegeben habe, welche der pla- 
tonischen Schilderung im Euthydem entsprachen, so ist daran nur so viel 
richtig, dass diese Schilderung (wie sie selbst gar nicht verbirgt) eine sati- 
rische Uebertreibung is. In ihren Grundlagen wird sie aber auch von 
Aristoteles und andern bestätigt; vgl. S. 988 4. 998, 84. Glaubt Grortz weiter 
(ebd. 559), im Epilog des Euthydem (304 C fi.) werde der Sophist dieses 
Namens als der Repräsentant der wahren Dialektik und Philosophie be- 
handelt, so hat er die Abzweckung dieses Abschnitts vollständig verkannt. 
Vgl. Th. II a, 478, 1. Auch Euthyd. 305 A. D beweist nicht das geringste. 

1) Als Agrigentiner bezeichnet ihn der angebliche PraTo Theag. 128 A. 
Puıtoste. V. Soph. I, 13 und Suın. u. ἃ. W.; dass er merklich jünger war, 
als Sokrates, erhellt aus Praro Gorg. 463 E. PuıLoste. nennt ihn wohl- 
habend, ein Scholiast zu Arıst. Rhet. II, 23 (bei ἄξει, 173) παῖς τοῦ 
Toeylov, jenes ist aber wohl nur aus dem hohen Preis des gorgianischen 
Unterrichts, dieses, nach Geer's richtiger Bemerkung, aus der missverstan- 
denen Stelle Gorg. 461 C erschlossen. Auf eine rhetorische Schrift des 
Polus bezieht sich Prato Phädr. 267 Ὁ. Gorg. 448 C. 462 Β f. Asısr. 
Metaph. I, 1. 981 a 3 (wo man aber das weitere nicht mit Geser 167 für 
einen Auszug aus Polus halten darf. Ueber ihn: SpexgeL a. a. O. S. 87. 
Scaanz a. a. Ο. 5. 134 f. Brass Att. Bereds. I, 82 ἢ 

2) Prato Meno 95 C. 

3) Ein Sophist wird Lykophron von Arısr. Polit. III, 9. 1280 b 10 und 
Azx. soph. el. Schol. 310 a 12. Metaph. 5. 533, 18 Bon. genannt; als Schüler 
des Gorgias bezeichnet ihn, was Arıst. Rhet. III,3. Arzx. Top. 426, 8. 456, 6 
über seine Ausdrucksweise mittheilt; auch die 8. 987, 24. 1007, 1*. 1016, 3* 
zu besprechenden Angaben vertragen sich gut damit. Einige unbedeutende 
weitere Aeusserungen bei Arısr. Polit. a. a. O. Metaph. VIII, 6. 1045 b 9 
vgl. Ps.-ALex. z. ἃ. St. Ueber ihn Vauren Rhein. Mus. XVI, 143 fl. 

4) Pı.ato bezeichnet Protarchus, dem im Philebus die Hauptrolle nächst 
Sokrates zugetheilt ist, Phileb. 58 A unverkennbar als einen Schüler des 
Gorgias, und zwar zunächst in der Rhetorik, denn seine Empfehlung der 
Redekunst wird hier als etwas angeführt, das Prot. oft von ihm gehört habe. 
Da nun Plato erdichtete Personen sonst nie mit Namen einführt, müssen wir 
wohl annehmen, Gorgias habe wirklich einen Schüler dieses Namens gehabt, 
und dann hat auch die Vermuthung (Hırzer Herm. X, 254 f.) alles für sich, 
dass dieser Protarchus der gleiche sei, von dem Arıst. Phys. II, 6. 197 b 10 
ein wahrscheinlich einer Prunkrede entnommenes Wort anführt. 

5) Alcidamas aus Eläa in Aeolien war der Schüler des Gorgias, und 
übernahm nach ihm die Leitung seiner Rednerschule (Sun. Topylas. Alxıd. 
Tzerz. Chil. XI, 746. Aruen. XIII, 592 ὁ). Ein Nebenbuhler des Isokrates 


1070 Die Sophisten. [961] 


dessen Behauptungen am meisten an Protagoras erinnern’); 
Antimarus, der Schüler des Protagoras?); der Tugend- 
lehrer und Rhetor Euenus aus Paros®); Antiphon, ein 
Sophist der sokratischen Zeit*), mit dem berühmten Redner 


trat er diesem (wie VAHLEN zeigt: Ὁ. Rhetor Alkid. Sitzungsber. ἃ. Wiener 
Akad. Hist.-phil. Kl. 1863. 5. 491 ff. vgl. besonders 8. 504 ff.) nicht blos 
in seinem Mesoonvıexös, sondern auch in der noch erhaltenen, wahrschein- 
lich ächten Rede gegen die Redenschreiber oder die Sophisten mit Bitterkeit 
entgegen. Eine zweite unter seinem Namen erhaltene Prunkrede, die An- 
klage des Palamedes durch Odysseus, ist unächt. Das nähere über seine 
Schriften, so weit wir davon wissen, gibt VAHLEN; seine Bruchstücke finden 
sich Orat. attici II, 154 f. Dass er die Schlacht bei Mantinea (362 v. Chr.) 
überlebte, zeigt seine nach derselben verfasste (VauLen 505 £.) messenische 
Rede. 

1) Der einzige Schriftsteller, welcher ihn nennt, ist Sexrus Math. VII, 
‚48. 58. 388. 399. VIO, 5. Pyrrh. II, 18; nach M. VII, 53 hatte aber schon 
Demokrit seiner erwähnt, wohl in demselben Zusammenhang, in dem er 
Protagoras bestritten hatte (s. o. 922, 1). Ueber seine skeptischen Sätze 
wird S. 9884 zu sprechen sein. Grote Plato ΠῚ, 509 bezieht die Angaben 
des Sextus auf den aus Dıoe. VI, 30 fi. 82 bekannten Korinther Xeniades, 
den Herrn des Cynikers Diogenes, Rose Arist. libr. ord. 79 auf eine Schrift, 
die ihm unterschoben sein soll, wobei aber überseben ist, dass er schon von 
Demokrit berücksichtigt worden war. 

2) Wir wissen von diesem Manne nichts weiter, als was Prot. 315 A 
steht, dass er aus dem macedonischen Mende stammte, für den ausgezeich- 
netsten Schüler des Protagoras galt, und sich selbst zum Sophisten ausbilden 
wollte. Aus der letzteren Bemerkung ist zu schliessen, dass er später wirk- 
lich als Lehrer auftrat. Das gleiche gilt vielleicht von Archagoras 
(Dıos. IX, 54). Ueber Euathlus 8. m. S. 1051, 2. 

3) Prato Apol. 20 A ἢ Phädo 60 Ὁ. Phädr. 267 A (wozu SrEXGEL 
Zuvay. T. 92f. Scuanz a. a. O. 138). Nach diesen Stellen muss er jünger, 
als Sokrates, gewesen sein, war zugleich Dichter, Rhetor und Lehrer der 
ἀρετὴ ἀνθρωπίνη Te χαὶ πολιτιχὴ, und verlangte ein Honorar von fünf 
Minen. Näheres über ihn bei Βεβακ Lyrici gr. 476 und den von ihm an- 
geführten. Ebd. 474 f. die Bruchstücke seiner Gedichte. 

4) Ueber die Persönlichkeit dieses Mannes (über den im Alterthum, 
nach Arnen. XV, 673 6, Adrantus und Hephästio schrieben) vgl. m. SauprE 
Orat. att. II, 145 fl. SpenseL Zuvay. Τεχνὼν 114 ἢ Wercker Kl. Schr. 
II, 422. Wourr Porphyr. de philos. ex. orac. haur. rel. 59 f. Als σοφεσεὴς 
bezeichnet ihn Xen. Memor. I, 6, bei dem er die Schüler des Sokrates zu 
sich herüberzuziehen sucht, und zu diesem Behufe sich dreimal in eine 
Streitunterredung mit ihm einlässt; auf diese Stelle bezieht sich nicht allein 
Ps.-Prur. v. dec. orat. I, 2. 85. 832 (welcher dieselbe auf den Rhamnusier 
deutet), sondern wahrscheinlich auch, was Aristoteles b. Dıos. II, 46 von 
Antiphon’s Eifersucht gegen Sokrates sagt; wenn ihn derselbe Ayr. ὁ repa- 


[962] Aeussere Geschichte: Euthydemus u. a. 1071 


nicht zu verwechseln. Auch Kritias, der | bekannte Führer 
der athenischen Oligarchen, und Kallikles!) müssen zu den 
Vertretern der sophistischen Bildung gezählt werden, so weit 
auch beide davon entfernt waren, als Sophisten, d. h. als be- 
rufsmässige und bezahlte Lehrer, aufzutreten 3), und so gering- 
schätzig sich der platonische Kallikles, aus dem Standpunkt 
des praktischen Politikers, über die Unbrauchbarkeit der 
Theoretiker äussert®). Dagegen ist in den politischen Vor- 
schlägen*) des berühmten milesischen Architekten Hippo- 


T00x07rog nennt, so stimmt diess mit Hernoc. De id. II, 7 (Rhet. gr. II, 
385 W. II, 414 Sp.) überein, welcher unter Berufung auf. den Grammatiker 
Didymus ihn durch die Bezeichnung ὁ xal τερατοσχόπος xal ὀνεεροχρέτης 
λεγόμενος von dem Rhamnusier unterscheidet; wenn Suvıp. u. ἃ. W. neben 
dem Redner einen A. als reparooxonos xal ?monosos χαὶ σοφιστὴς und 
einen zweiten als ὀνειροχρέτης aufführt, so hat er ohne Zweifel zwei auf 
dieselbe Person bezügliche Angaben verschiedener Quellen irrthümlich auf 
verschiedene Personen bezogen. Dass ΤΖΕΤΖΕΒ (in einem von WoLrFF 8. 2.0. 
aus Ruhnken mitgetheilten Scholium) Ant. den τερατοσχόπος für einen Zeit- 
genossen Alexander’s hält, kommt den obigen, so viel besseren und ganz 
einstimmigen Zeugnissen gegenüber nicht in Betracht, und berechtigt uns 
nicht, den regarooxonos mit WoLrr von dem Sophisten der Memorabilien 
zu unterscheiden. Seine λόγοι ἀληϑείας bespricht Herwoe. a. a. O. S. 386. 
387 W.; ihre und einige andere Bruchstücke bei Brass Antiphontis orat. 
130 ff. Ueber einige ihm mit Unrecht zugeschriebene Reden SrEngEL 7. 
=. 115. In der ἀλήϑεια hatte er wohl auch die später zu berührenden 
mathematischen und physikalischen Annahmen vorgetragen; von einer eigenen 
Physik, wie sie WoLrr a. a. Ο. annimmt, ist nichts überliefert. Dagegen 
scheinen sich die Traumdeutungen, deren Cıc. Divin. I, 20, 39. II, 70, 144. 
Seweca Controv. 9, S. 148 Bip. Artemınor. Oneirocrit. II, 14. 8. 109 Herch. 
erwähnen, in einem besonderen Werke gefunden zu haben. 

1) Der Hauptmitunterredner im dritten Theil des Gorgias von 481 B 
an, von dem uns aber sonst so wenig bekannt ist, dass selbst seine ge- 
schichtliche Existenz bezweifelt wurde. Dem steht jedoch Plato’s sonstige 
Art und die bestimmte, ganz individuell aussebende Angabe 5. 487 C, mag 
dieselbe nun historisch sein, oder nicht, entgegen. Im übrigen vgl. m. über 
ihn Steinuart Pl. Werke II, 352 ἢ. 

2) Einzelne wollten desshalb den Sophisten Kritias von dem Staats- 
mann unterscheiden (ALzx. Ὁ. Paıtor. De an C 8 u. Sıupr. De an 82, 22). 
M. 8. dagegen Srexcer a. a. O. 120 f. — Dıoxxs. Jud. de Thuc. c. öl und 
Purynıcnus b. Puor. Cod. 158, S. 101 Ὁ rechnen Kritias zu den Muster- 
schriftstellern des attischen Stils. 

3) Gorg. 484 C fi. 487 C vgl. 515 A und 519 C, wo Kallikles als 
Politiker deutlich von den Sophisten unterschieden wird. 

4) Arısr. Polit. II, 8. 

Philos. d. Gr. I. Bd. 5. Aufl. 68 


1079 Die Sophisten. [963. 964] 


damus!) die Eigenthümlichkeit der sophistischen Ansicht 
von Recht und Staat nicht zu bemerken, wenn auch die 
schriftstellerische Vielgeschäftigkeit des Mannes?) an die Art 
der Sophisten erinnert®). Eher möchte man vielleicht die 
communistische Theorie des Chalcedoniers Phaleas*) mit 
der Sophistik in Verbindung bringen; sie liegt wenigstens 
ganz im Geist sophistischer Neuerung und liess sich aus dem 
Satz von der Naturwidrigkeit des bestehenden Rechts leicht 
ableiten; aber wir sind über ihn zu wenig unterrichtet, um 
sein persönliches Verhältniss zu den Sophisten beurtheilen zu 
können. Von Diagoras ist schon | früher) gezeigt worden, 
dass wir eine philosophische Begründung seines Atheismus 
anzunehmen kein Recht haben, und ähnlich verhält es sich 
mit den der Sophistik gleichzeitigen Rhetoren, sofern ihre 
Kunst nicht durch eine bestimmte ethische oder erkenntniss- 
theoretische Ansicht mit jener in Verbindung gebracht ist. 
Bald nach dem Anfang des vierten Jahrhunderts beginnt 
die Sophistik ihre Bedeutung mehr und mehr zu verlieren, 
wenn auch der Name der Sophisten für die Lehrer der Be- 
redsamkeit und überhaupt für alle diejenigen gebräuchlich 
blieb, die einen wissenschaftlichen Unterricht gegen Bezahlung 


1) Ueber die Lebenszeit und die Lebensverhältnisse dieses Mannes, 
den schon Arısr. a. a. O. und Polit. VII, 11. 1830 b 21 als den ersten Ur- 
heber kunstmässiger Städteanlagen bezeichnet, erhält Heruann De Hippo- 
damo Milesio (Marb. 1841) das Ergebniss: er möge etwa 25jährig um Ol. 82 
oder 83 den Plan zum Pirkeus gemacht, Ol. 84 die Anlage von Thurii ge- 
leitet haben, und Ol. 98, 1, als er Rhodus erbaute, stark in den sechzig 
gewesen sein. Ob mit dem angeblichen Pythagoreer Hippodamus, aus 
dessen Schriften π. πολιτείας und 7. εὐδαεμονέας Stos. Floril.43, 92—94. 
98, 71. 103, 26 Bruchstücke mittheilt, der unsrige gemeint ist (wie Hrr- 
mann 8. 33 ff. glaubt), und ob der letztere vielleicht sogar wirklich mit 
den Pythagoreern in Verbindung stand (ebd. 42 f.), lässt sich nicht aus- 
machen. 

2) Arısr. Polit. II, 8: γενόμενος χαὶ περὶ τὸν ἄλλον βίον περιττώ- 
τερος διὰ φιλοτιμίαν ... λόγιος δὲ καὶ περὶ τὴν ὅλην φύσιν (in der 
Physik, vgl. Metaph. I, 6. 987 b 1) εἶναε βουλόμενος, πρῶτος τὼν μὴ πο- 
λιτευομένων ἐνεχείρησέ τι περὶ πολιτείας εἰπεῖν τῆς ἀρίστης. 

3) Denen ihn Hermann 18 ff. beigezählt wissen will. 

4) Arıst. Polit. ID, 7, wo er als der erste bezeichnet wird, welcher 
Gleichheit des Besitzes verlangt habe. 

5) 8. 967. 


[964] Aeussere Geschichte: Kritias, Kallikles u. a. 1073 


ertheilten. PraTo liegt in seinen früheren Gesprächen mit den 
Sophisten fortwährend im Kampfe, in den späteren werden 
sie nur noch bei besonderen Veranlassungen erwähnt!); 
ARISTOTELES berührt einzelne sophistische Sätze in ähnlicher 
Weise, wie Annahmen der Physiker, als etwas der Vergangen- 
heit angehöriges, als fortdauernd behandelt er nur jene Eristik, 
welche von den Sophisten zwar. zuerst aufgebracht, aber nicht 
auf sie beschränkt war. Sie konnte sich um so leichter er- 
halten, da auch eine von den sokratischen Schulen, die der 
Megariker, frühe genug so entschieden in ihren Weg ein- 
lenkte?), dass man bei einzelnen zweifelhaft sein konnte, ob 
man sie den Sophisten oder den Magarikern beizählen solle?). 
Von namhaften Vertretern der älteren Sophisten ist uns nichts 
überliefert, was über die Zeit eines Polus und Thrasymachus 
herabreichte 4). 


1) So in der Einleitung zur Republik, wo die Anknüpfung an die 
grundlegenden ethischen Untersuchungen Anlass gibt, auch den Streit mit 
den Sophisten wieder aufzunehmen. 

2) Vgl. Th. II a, 262 ff. 

$) Ein solcher Sophist aus der megarischen Schule ist der Rhetor 
Polyxenus, den Bir=mker Rhein. Mus. XXXIV, 64 ff. besprochen hat. 
Dieser Zeitgenosse Plato’s, der aber wohl ziemlich jünger als er war, wird 
einerseits als ein Schüler des Megarikers (hierüber Bäumger 70 f.) Bryso 
(ep. Plat. XIII, 360 B) und als Dialektiker (Prur. reg. apophth. Dion. min. 
2. S. 176) d. h. Megariker (s. Th. II a, 246, 1) bezeichnet, und er scheint 
aus der megarischen Ueberlieferung den τρίτος ἄνϑρωπος zu haben, mit 
dem er Plato entgegentrat (ALex. zu Metaph. I, 9. 990 b 15. 8. 84, 16 
Heylb. vgl. Th. 11 a, 259, 1); andererseits nennt ihn Pnantas Ὁ. Arex. a. a. O. 
Dıoc. Π, 76 einen Sophisten. 

4) In diese Zeit scheinen auch jene “ικλέξεις nIıxal zu gehören, 
welcbe früher wegen ibres dorischen Dialekts zu den Pythagoreerschriften 
gerechnet, und als solche unter anderem von MurLAcH Fragm. phil. I, 
544—552 herausgegeben wurden; bis in einer Untersuchung aus BERGK’s 
Nachlass (Fünf Abhandl. 117 ff.) der überzeugende Beweis ihres sophisti- 
schen Ursprungs geführt wurde. Sie sind von einem ganz untergeordneten 
Kopfe, wie es scheint aus verschiedenen sophistischen Schriften, compilirt, 
aber trotz ihrer Armseligkeit dessbalb nicht ohne Werth, weil auch sie 
zeigen, was jene Zeit sich bieten liess, und wie wenig die platonischen und 
aristotelischen Schilderungen der sophistischen Streitkunst aus der Luft ge- 
griffen sind. Der Ort ihrer Abfassung muss nach c. 4, S. 549 b Mull. 
Cypern gewesen sein. Dass sie nach dem Ende des peloponnesischen Krieges 
verfasst wurden, erhellt aus c. 1. 544 b; dass vor der Schlacht bei Leuktra, 
68 * 


40),)γ4. τ᾿ Die Sophisten. | [964] 


3. Die Sophistik ihrem allgemeinen Charakter nach 
betrachtet. 


Schon Plato klagt, dass es schwer sei, das Wesen des 
Sophisten richtig zu bestimmen'). Diese Schwierigkeit liegt 
für uns zunächst darin, dass die Sophistik nicht in festen Lehr- 
sätzen besteht, zu denen sich alle ihre Anhänger gleichmässig 
bekennen, sondern in einer wissenschaftlichen Denkweise und 
Methode, welche trotz der unverkennbaren Familienähnlichkeit 
zwischen ihren verschiedenen Zweigen eine Mannigfaltigkeit der 
Ausgangspunkte und Ergebnisse nicht ausschliesst. Ihre Zeit- 
genossen selbst bezeichnen mit dem Namen eines Sophisten 
im allgemeinen | einen Weisen?), näher jedoch einen solchen, 


ist desshalb wahrscheinlich, weil dieser andernfalls dort wohl erwähnt wäre; 
dagegen scheint mir die Stelle über die Tempelschätze von Delphi und 
Olympia, die zur Vertheidigung gegen die Perser verwendet werden dürften, 
c. 3. 548 a, zu dem von Berex 126 ff. versuchten Erweis ihrer Abfassung 
vor dem antalcidischen Frieden nicht auszureichen. TEICHMÜLLER' 8 Einfälle 
über die διαλέξεις sind Th. II a, 248, 1 erledigt. 

1) Soph. 218 C ἢ 226 A. 231 B. 286 C f. 

2) Prato Prot. 312 C: τί ἡγεὶ εἶναι τὸν σοφιστήν; Ἐγὼ μὲν, ἡ δ᾽ 
ὃς, ὥσπερ τοὔνομα λέγει, τοῦτον εἶναι τὸν τῶν σοφῶν ἐπιστήμονα, wobei 
es der Gültigkeit des Zeugnisses über den Sprachgebrauch keinen Eintrag 
thut, dass die Endsilben, im Stil platonischer Etymologieen, aus dem ἐπε- 
στήμων hergeleitet werden. Doc. I, 12: οὗ δὲ σοφοὶ xal σοφισταὶ ἐχα- 
λοῦντο. In diesem Sinne nennt Heron. I, 29. IV, 95 Solon und Pytha- 
goras, II, 49 die Stifter dionysischer Kulte Sophisten, Krarınus Ὁ. Dıoc. I, 
12 Homer und Hesiod, SopuokLes bei dem Schol. Pind. Isthm. V, 36 u. a. 
(Wacner Trag. Gr. Fragm. I, 499 Nr. 992) einen Kitharöden, Eurorıs (nach 
dem Schol. Ven. zu Il., O, 410. Eustaru. z. ἃ. St. 5. 1023, 13) einen 
Rhapsoden, wie denn nach Hesvca. oogıor. dieser Name für alle musikali- 
schen Künstler gebraucht wurde; Anprorion Ὁ. Arıstın. Quatuorv. T. II, 
407 Dind., Arıstancaus Ὁ. Pur. frat. am. 1, S. 478, Isokr. or. 15, 235, 
ARISTOTELES Fr. 5 (7) geben ihn den sieben Weisen, AnDROTION a. a. O. So- 
krates (wogegen Asscaın. adv. Tim. ὃ 173 diesen als Sophisten im späteren 
Sinn bezeichnet‘, Isokr. a. a. O. 313 rechnet neben Solon (ebenso wie $ 168. 
or. 6, 3 u. ὅ.) auch sich selbst zu den „sogenannten“ Sophisten, Dıoc. Apoll. 
(s. ο. 275, 2). XexopH. Mem. I, 1, 11. Ps.-Hırrose. 7. apy. ἴατρ. c. 20. 
Isorr. or. 15, 268 nennt die älteren Physiker so, Arscuınzs der Sokratiker 
und noch Diopor Anaxagoras (8. o. S. 970. 972), Prato Meno 85 B 
die Lehrer der Mathematik. Umgekehrt heissen die Sophisten 0ogol 8. 0. 
1062, 1 Schl. ebd. Α. 4 vgl. Praro Apol. 20 Ὁ. Die Erklärung des Wortes 


[965. 966] Ansichten der Alten über die Sophisten. 1075 


der die Weisheit als Beruf und Gewerbe treibt!), der, mit der 
freien Mittheilung an Bekannte und Mitbürger nicht zufrieden, 
den Unterricht anderer zu seinem förmlichen Geschäft macht, 
und ihn jedem Bildungsbedürftigen, von Stadt zu Stadt wan- 
dernd, gegen Bezahlung anbietet?).. Seinem Umfang | nach 
konnte sich dieser Unterricht auf alles erstrecken, was der 
vieldeutige Begriff der Weisheit?) bei den Griechen in sich 
schloss, und seine Aufgabe konnte insofern sehr verschieden 
gefasst werden: während Sophisten wie Protagoras und Pro- 
dikus, Euthydem und Euenus, sich rühmten, ihren Schülern 
Verstandes- und Charakterbildung, bäusliche und bürgerliche 
Tugend mitzutheilen 4), lacht ein Gorgias dieses Versprechens, 
um sich seinerseits auf den Unterricht in der Rhetorik zu be- 
schränken); während Hippias selbstgefällig mit Kenntnissen 
aller Art, mit archäologischem und physikalischem Wissen 
prunkt®), fühlt sich Protagoras als Lehrer der politischen 


durch „Weisheitslehrer“ bestreitet Henwann Plat. Phil. I, 308 ἢ. mit 
Recht, während Steınuarrt Plat. Leben 288, 92 sie in Schutz nimmt. 

1) Praro Prot. 315 A (durch 312 B erläutert): ἐπὶ τέχνῃ uavdaneı, 
ὡς σοφιστὴς ἐσόμενος. Ebd. 316 Ὁ: ἐγὼ δὲ τὴν σοφιστιχὴν τέχνην φημὶ 
μὲν εἶναι παλαιάν u. 8. w. Grabschrift des Thrasymachus Ὁ. Arnen. X, 
454 f.: ἡ δὲ τέχνη [sc. αὐτοῦ] σοφίη. 

2) ΧΕΝΟΡΗ. Mem. I, 6, 18: χαὶ τὴν σοφίαν ὡσαύτως τοὺς μὲν ἀργυρίου 
τῷ βουλομένῳ πωλοῦντας σοφιστὰς ἀποχαλοῦσιν" ὅστις δὲ ὃν ἄν γνῷ εδφυᾶ 
ὄντα διδάσχων ὅ τι av ἔχῃ ἀγαθὸν φίλον ποιεῖται, τοῦτον νομίζομεν ἃ τῷ χαλῷ 
χαγαϑῷ πολίτῃ προςήχει ταῦτα ποιεῖν. Weiter vgl. m. 8. 1051, 2. 1061, 5. 
Protagoras bei Prato Prot. 816 C: ξένον γὰρ ἄνδρα χαὶ ἰόντα εἰς πόλεις 
μεγάλας xal ἐν ταύταις πείϑοντα τῶν νέων τοὺς βελτίστους, ἀπολείποντας 
τὰς τῶν ἄλλων συνουσίας . .. ἑαυτῷ συνεῖναι οἧς βελτίους ἐσομένους διὰ 
τὴν ἑαυτοῦ συνουσίαν τι. 8. w. (Aehnlich 818 A.) Apol. 19 E: παιδεύειν 
ἀνϑρώπους ὥσπερ Γοργίας u. 8. w. τούτων γὰρ ἕχαστος . . . ἰὼν εἰς ἔχά- 
στην τῶν πόλεων τοὺς νέους, ois ἔξεστε τῶν ἑαυτῶν πολιτῶν προῖχα ξυν- 
εἶναι ᾧ ἂν βούλωνται, τούτους πείϑουσι τὰς ἐχείνων ξυνουσίας ἀπολι- 
πόντας σφίσι Euveivar χρήματα διϑόντας χαὶ χάριν προςειδέυαι. Achnlich 
Meno 91 B. 

8) Vgl. Arısr. Eth. N. VI, 7. Creuens Strom. I, 281 A u. a. 

4) 5. 1016, 1. 1050, 2. 1062, 1. 1068, 4. 1070, 3. Ob jedoch das Wort des 
Prodikus bei Praro Euthyd. 305 C (οὗς ἔφη ITood. μεϑόρεια φελοσόφου re 
ἀνϑρὸς καὶ πολετιχοῦ) die Stellung bezeichnen soll, welche der Sophist sich 
selbst anwies, ist mir zweifelhaft. 

5) Prato Meno 95 C vgl. Phileb. 58 A. Ebenso ohne Zweifel Polus, 
Lykophron, Thrasymachus u. a. 

6) 8. ο. 1066, 2. 


1076 Die Sophisten. [966. 967] 


Kunst über diese Stubengelehrsamkeit hoch erhaben!); auch 
zu jener liess sich aber vielerlei rechnen: die Gebrüder Eu- 
thydem und Dionysodor z. B. verbanden mit der Tugendlehre 
Vorträge über Feldherrnkunst und Hoplomachie?), und auch 
von Protagoras wird berichtet®), er sei auf die Ringkunst und 
die übrigen Künste im einzelnen | eingegangen, indem er die 
Wendungen angab, mittelst deren sich bei denselben ein Wider- 
spruch gegen die Männer vom Fach durchführen lasse. Wenn 
daher IsoKRATES in seiner Rede gegen die Sophisten die 
eristischen Tugendlehrer und die Lehrer der Beredsamkeit 
unter diesem Namen zusammenfasst, während ein Gegner) 
denselben ihm selbst wegen seiner studirten geschriebenen 
Reden ertheilt, so entspricht diess dem Sprachgebrauch jener 
Zeit. Ein Sophist heisst jeder bezahlte Lehrer in den Fächern, 
die zur höheren Bildung gerechnet wurden. Dieser Name 
bezieht sich daher zunächst nur auf den Gegenstand und die 
äusseren Bedingungen des Unterrichts, er enthält dagegen an 
sich noch kein Urtheil über seinen Werth und seinen wissen- 
schaftlichen Charakter; er lässt vielmehr die Möglichkeit, dass 
der sophistische Lehrer die ächte Wissenschaft und Sittlichkeit 
mittheile, ebensogut, wie die des Gegentheils, offen. Erst 
Plato und Aristoteles haben den Begriff der Sophistik dadurch 
in engere Grenzen eingeschlossen, dass sie dieselbe als dialek- 


1) Prot. 318 D sagt der Sophist: seinen Schülern solle es nicht gehen, 
wie denen anderer Sophisten (Hippias), welche τὰς τέχνας αὐτοὺς ey ευ- 
γότας ἄχοντας πάλιν αὖ ἄγοντες ἐμβάλλουσιν εἰς τέχνας, λογισμούς τε xal 
ἀστρονομίαν χσὶ γεωμετρίαν χαὶ μουσικὴν διδάσχοντες, bei ihm werden 
sie nur in dem unterrichtet werden, was ihrer Absicht entspreche; τὸ δὲ 
μάϑημά ἐστιν εὐβουλία περί τε τῶν οἰχείων, ὅπως ἂν ἄριστα τὴν αὑτοῦ 
olxiav διοικοὶ, χαὶ περὶ τῶν τῆς πόλεως, ὅπως τὰ τῆς πόλεως δυνατώτατος 
ἄν εἴη καὶ πράττειν χαὶ λέγεεν, mit Einem Wort also, die πολιτεκὴ τέχνη, 
die Anleitung zur bürgerlichen Tugend. 

2) S. o. 1068, 4. 

8) PLAato Soph. 2832 D, 8. o. 1055, 3. Dioe. IX, 55, vgl. Fezı 191. 
Nach Diıoe. hätte Protagoras eine eigene Schrift περὶ πάλης geschrieben; 
Freı vermuthet, dieselbe sei ein Abschnitt eines umfassenderen Werks über 
die Künste gewesen, vielleicht hat aber auch nur ein Späterer aus den von 
Plato berührten Erörterungen eine besondere Schrift gemacht, und dieselben 
fanden sich in Wahrheit in der Eristik oder den Antilogieen. 

4) Arcıpauas s. S. 1069, 5. 


[967. 9628)] Ansichten der Alten über die Sophistik. 1077 


tische Eristik von der Rhetorik, und als falsches, aus ver- 
kehrter Gesinnung entsprungenes Scheinwissen von der Philo- 
sophie unterschieden. Der Sophist ist nach PLaTo ein Jäger, 
der als angeblicher Tugendlehrer reiche Jünglinge zu fangen 
sucht, er ist ein Kaufmann, oder ein Wirth, oder ein Krämer, 
der mit Kenntnissen handelt, ein Gewerbsmann, der mit der 
Eristik Geld macht!), ein Mann, den man wohl auch mit dem 
Philosophen verwechseln könnte, dem man aber doch zu viel 
Ehre anthäte, wenn man ihm den höheren Beruf zuschriebe, 
die Menschen durch die elenktische Kunst zu reinigen und 
vom Weisheitsdünkel zu befreien?); die Sophistik ist eine 
Kunst der Täuschung, sie besteht darin, dass man ohne wirk- 
liche Kenntniss des Guten und Gerechten und im Bewusstsein 
dieses Mangels sich den Schein jenes Wissens zu geben und 
andere im Gespräch in Widersprüche zu verwickeln versteht?); 
sie ist daher in Wahrheit gar keine Kunst, sondern eine 
schmeichlerische Afterkunst, | ein Zerrbild der wahren Politik, 
welches sich zu dieser nicht anders verhält, als etwa die Putz- 
kunst zur Gymnastik, und von der falschen Rhetorik sich nur 
unterscheidet, wie die Aufstellung der Grundsätze von ihrer 
Anwendung*),. Aehnlich bezeichnet auch ARITOTELES die 
Sophistik als eine auf das Unwesentliche sich beschränkende 
Wissenschaft), als Scheinweisheit, oder genauer als die Kunst, 
mit blosser Scheinweisheit Geld zu erwerben®). Diese Be- 


1) Soph. 221 C — 226 A vgl. Rep. VI, 493 A: ἕχαστος τῶν μεσϑαρ- 
γούντων ἰδιωτῶν, oüs δὴ οὗτοι σοφιστὰς καλοῦσε u. 8. w. Theät. 165 D. 

2) Soph. 226 Β -- 28] Ὁ. 

3) Ebd. 232 A — 286 E. 264 C ff. vgl. Meno 96 A. 

4) Gorg. 463 A — 465 C. Rep. a. a. O. Vgl. Th. II a, 606 ff. 

5) Metaph. VI, 2. 1026 ὃ 14. XI, 3. 8. 1061 b 7. 1064 b 26. 

6) Metaph. IV, 2. 1004 b 17. Soph. el. 1. 165 a 21: ἔστε γὰρ ἡ 00- 
φιστιχὴ φαιγυμένη σοφία οὖσα δ᾽ οὗ, καὶ ὁ σοφιστὴς χρημιιτιστὴς ἀπὸ 
φαινομένης συφίας ἀλλ᾽ οὐχ οὔσης. Dasselbe c. 11. 171 b 27, vgl. ο. 88. 
188 b 86: οὗ περὶ τοὺς ἐριστεχοὺς λόγοις μισϑαρνυῦντες (vgl. Anm. 1} 
Noch stärker drückt sich der angebliche ΧΈΝΟΡΗΟΝ De venat. c. 13 aus: of 
σοφισταὶ δ᾽ ἐπὶ τῷ ἐξαπατᾷν λέγουσε καὶ γράφουσιν ἐπὶ τῷ ἑαυτῶν χέρ- 
des, καὶ οὐδένα οὐδὲν ὠφελοῦσιν" οὐδὲ γὰρ σοφὸς αὐτῶν ἐγένετο οὐδεὶς 
οὐδ᾽ ἔστεν ... οὗ μὲν γὰρ σοφισταὶ πλουσίους καὶ νέους ϑηρώνται, οἱ 
δὲ φιλόσοφοι πᾶσε χοενοὶ χαὶ φίλοι" τύχας (die Glücksumstände) δὲ ar- 
δρῶν οὔτε τιμῶσιν οὔτε ἀτεμαάζουσι. 


1078 Die Sophisten. (968. 969] 


schreibungen sind aber offenbar theils zu eng, theils zu weit, 
um uns über die Eigenthümlichkeit der Erscheinung, mit der 
wir uns beschäftigen, zuverlässig zu unterrichten. Jenes, weil 
sie in den Begriff der Sophistik von vorne herein die Be- 
stimmung des Verkehrten und Unwahren als wesentliches 
Merkmal mit aufnehmen; dieses, weil sie die Sophistik nicht 
in ihrer geschichtlichen Bestimmtheit, wie sie in einer gewissen 
Zeit war, sondern als eine allgemeine Kategorie betrachten. 
In noch höherem Grade gilt das letztere von dem älteren 
Sprachgebrauch. Der Begriff eines öffentlichen Unterrichts in 
der Weisheit sagt über den Inhalt und Geist dieses Unter- 
richts noch nichts aus, und ob er gegen Bezahlung ertheilt 
wird, oder nicht, ist an sich gleichfalls unerheblich. Beachten 
wir jedoch die Verhältnisse, unter welchen die Sophisten auf- 
traten, und die frühere Sitte und Bildungsweise ihres Volkes, 
so sind auch schon diese Züge geeignet, uns über ihre Eigen- 
thümlichkeit und Bedeutung Aufschluss zu geben. 

Die bisherige Erziehungs- und Unterrichtsweise der Grie- 
chen brachte es mit sich, dass zwar für besondere Künste und 
Fertigkeiten, wie Schreiben, Rechnen, Musik, Gymnastik, 
eigene Lehrer aufgestellt wurden, dass dagegen jeder | seine 
allgemeine Bildung und Erziehung lediglich durch den Umgang 
mit Angehörigen und Bekannten und durch die Uebung des 
öffentlichen Lebens erhielt. Es kam wohl vor, dass einzelne 
Jünglinge sich einem besonders geachteten Manne anschlossen, 
um sich durch ihn in die Geschäfte einführen zu lassen), 
oder dass Lehrer der Musik oder sonst einer Kunst unter 
Umständen einen weiter greifenden persönlichen und politischen 
Einfluss gewannen?); aber weder in dem einen noch in dem 


1) So suchte Themistokles nach Pur. Themist. 2 noch im Beginn 
seiner Öffentlichen Laufbahn den Umgang des Mnesiphilus, welcher weder 
zu den Rednern noch zu den φυσεχοὶ φελόσοφοι gehörte, sondern sich durch 
das, was man damals σοφία nannte, die dewwerns nolıtızr χαὶ δραστήρεος 
σύνεσις, auf Grund alter Familientradition von Solon her, auszuzeichnen 
suchte; ἣν of μετὰ ταῦτα, fügt Plut. bei, δικατικαῖς μίξαντες τέχναις καὶ 
μεταγαγόντες ἀπὸ τῶν πράξεων τὴν ἄσχησιν ἐπὶ τοὺς λόγους σοφισταὶ 


προςηγορεύϑησαν. 
2) So Damon, über welchen Pıur. Per. 4. Prato Lach. 180 Ὁ. Aleib. 


[969. 910] Die Sophisten als berufsmässige Lehrer. 1079 


andern Fall handelt es sich um einen förmlichen Unterricht, 
eine von gewissen Kunstregeln ausgehende Anleitung zur prak- 
tischen Thätigkeit, sondern immer nur um eine solche Ein- 
wirkung, wie sie sich für den Bildungsbedürftigen aus dem 
freien persönlichen Verkehr von selbst ergeben musste!). Nicht | 
wesentlich anders war bis dahin auch die Wissenschaft be- 
handelt worden. Wenn sich auch?) annehmen lässt, dass die 
Pythagoreer nicht die einzigen unter den vorsokratischen 
Physikern waren, bei denen die Mittheilung und Fortbildung 
der Wissenschaft Sache einer Genossenschaft, eines den späteren 
Philosophenschulen ähnlichen, in freierer oder geschlossenerer 
Form auftretenden Vereins war, so blieb diese Mittheilung 
doch immer auf den engeren Kreis der Vereinsmitglieder be- 
schränkt, durch das Verhältniss persönlicher Freundschaft mit 
dem Stifter oder Leiter des Vereins bedingt. Wenn ein Prota- 
goras und seine Nachfolger von diesem Herkommen abwichen, 
und den Zutritt zu ihren Lehrvorträgen jedem eröffneten, der 


I, 118 C, und Pythoklides, über welchen Prur. a. a. O. Prarto Prot. 516 E. 
Alcib. I, 118 C zu vergleichen sind. 

1) Prutarcna hat diesen Unterschied Themist. 2 ganz richtig bezeichnet, 
wenn er sagt, diejenigen seien Sophisten genannt worden, welche die poli- 
tische Uebung von der praktischen Thätigkeit zu den Reden übergeführt 
haben: von Sophisten in dem S. 1075, 2 bezeichneten Sinn kann erst da 
geredet werden, wo die Fertigkeiten, welche bis dahin durch praktische 
Uebnng an der Behandlung der gegebenen Fälle erworben worden waren, 
auf einen theoretischen Unterricht (λόγοι) und die in demselben mitgetheilten 
allgemeinen Kunstregeln gegründet werden. Weniger genau ist es, wenn 
Plut. Per. 4 meint, Damon habe, als ein ἄχρος σοφιστὴς (was in diesem 
Fall, wie bei Praro Symp. 203 D, zugleich den Sophisten und den Schlau- 
kopf bezeichnen wird), seine Thätigkeit als Lehrer des Perikles in der Politik 
nur unter der Maske des Musikers versteckt; ähnlich wie schon Protagoras 
bei PLaro (Prot. 316 Οὐ behauptet, die sophistische Kunst sei uralt, nur 
haben sie alle vor ihm, aus Furcht vor der ihr anhaftenden Missgunst, ver- 
borgen, indem die einen als Dichter aufgetreten seien, wie Homer, Orpheus, 
Simonides u. s. w., andere als Gymnastiker, noch andere als Musiker, wie 
Agathokles und Pythoklides. Damit ist ja der Sache nach zugegeben, was 
317 B auch ausdrücklich gesagt ist, und sich für die meisten von den oben- 
genannten von selbst versteht, dass gerade das unterscheidende Merkmal 
des eigentlichen Sophisten, das ὁμολογεῖν οοφιστὴς εἶναι χαὶ παιδεύειν 
ἀνϑρώπους, jenen Vorgängern des Protagoras noch fehlt; sie sind σοφοὶ, 
wie die sieben Weisen, aber nicht σοφέσταῪλ im Sinn der sokratischen Zeit. 

2) Mit Dıeıs Philosoph. Aufsätze E. Zeller gewidmet 5. 239 ff. 


1080 Die Sophisten. [970. 971] 


ihn wünschte und dafür bezahlte, so spricht sich darin nach 
zwei Seiten hin eine veränderte Schätzung der Wissenschaft 
und des wissenschaftlichen Unterrichts aus. Einerseits wird 
erklärt, ein solcher Unterricht sei für jeden, der sich im 
thätigen Leben hervorthun wolle, unentbehrlich, die frühere, 
blos durch praktische Uebung erworbene Befähigung zum 
Reden und Handeln wird für ungenügend, die Theorie, die 
Kenntniss allgemeiner Regeln, für nothwendig erklärt!). An- 
dererseits wird aber die Wissenschaft, so weit sich die So- 
phisten mit ihr befassten, wesentlich auf diese praktische Auf- 
gabe beschränkt: es ist nicht die Erkenntniss als. solche, son- 
dern lediglich ihr Nutzen als Hülfsmittel für’s Handeln, worin 
ihr Werth und ihre Bedeutung gesucht wird?). Die Sophistik 
steht so auf der „Grenzscheide zwischen Philosophie und 
Politik“ 8): die Praxis soll auf Theorie gestützt, über ihre Ziele 
und ihre Mittel aufgeklärt werden, aber die Theorie will auch 
nicht mehr sein, als ein solches Hülfsmittel für die Praxis, 
diese Wissenschaft ist schon ihrer allgemeinen Abzweckung 
nach utilitarische Aufklärungsphilosophie und sonst nichte. | 
Nur von hier aus lässt sich auch die vielverhandelte 
Frage über den Gelderwerb der Sophisten richtig beurtheilen. 
So lange die Mittheilung wissenschaftlicher Ansichten und 
Kenntnisse mit dem sonstigen bildenden Verkehr zwischen 
Freunden auf Eine Linie gestellt wurde, konnte von Bezahlung 
des philosophischen Unterrichts nicht wohl die Rede sein: die 
Beschäftigung mit der Philosophie war ebenso, wie der Unter- 
richt in derselben, auch bei denen, welche sich ihr ganz wid- 
meten, eine Sache der freien Neigung. Unter diesen Gesichts- 
punkt wurden beide noch von Sokrates, von Plato und von 
Aristoteles gestellt, und es wurde desshalb die Annahme einer 


1) Diesen grundsätzlichen Unterschied zwischen dem sophistischen und 
dem früheren, rein praktischen Unterricht übersieht ὅποτε VIII, 485 f., 
wenn er behauptet, das Auftreten der Sophisten sei gar keine Neuerung, 
sie haben sich von einem Damon und andern uur dadurch unterschieden, 
dass sie zu dem Unterricht, den sie ertheilten, ein grösseres Mass von Kennt- 
nissen und Geschicklichkeit mitbrachten. 

2) Vgl. auch 8. 1075, 2. 

3) 8. o. 1075, 4. 


[97]. 972] Gelderwerb der Sophisten. 1081 


Belohnung für den philosophischen Unterricht von diesen 
Männern als eine grobe Unwürdigkeit nachdrücklich bekämpft. 
Die Weisheit darf, nach der Ansicht des xenophontischen 
Sokrates, wie die Liebe, nur als freie Gabe gewährt, nicht 
verkauft werden!). Wereine andere Kunst lehrt, sagt PLATo 3), 
der mag einen Lohn dafür nehmen, denn er behauptet nicht, 
seinen Schüler gerecht und tugendhaft zu machen; wer aber 
andere besser zu machen verheisst, der muss ihrer Dankbar- 
keit vertrauen können, und darf desshalb kein Geld fordern. 
Nicht anders erklärt sich auch ARrısToTELEsS®), Das Ver- 
hältniss des Lehrers zum Schüler ist ihm nicht eine Geschäfts- 
verbindung, sondern ein sittliches, auf Achtung gegründetes 
Freundschaftsverhältniss, das Verdienst des Lehrers lässt sich 
mit Geld gar nicht aufwiegen, sondern nur mit einer Dank- 
barkeit ähnlicher Art erwiedern, wie wir sie gegen Eltern und 
Götter empfinden. Von diesem Standpunkt aus begreift es 
sich vollkommen, wenn über den Gelderwerb der Sophisten 
jene herben Urtheile gefällt werden, welche uns (S. 1077) 
in dem Mund eines Plato und Aristoteles vorgekommen sind. 
Wenn aber die gleichen Urtheile auch heute noch wiederholt, 
wenn in einer Zeit, in der aller Unterricht durch besoldete 
und bezahlte Lehrer ertheilt zu werden pflegt, und von solchen, 
die man in Griechenland gerade aus diesem Grunde zu den 
Sophisten gerechnet haben würde, die Lehrer des fünften vor- 
christlichen Jahrhunderts blos desshalb, weil | sie für ihren 
Unterricht Bezahlung verlangten, als niedrigdenkende, selbst- 
süichtige, geldgierige Menschen behandelt werden, so hat 
GRoTE *) diess mit Recht auffallend und unbillig gefunden. 
Wo das Bedürfniss eines wissenschaftlichen Unterrichts in 
weiterem Umfang empfunden wird, und in Folge dessen sich 
ein eigener Stand berufsmässiger Lehrer bildet, da stellt sich 
immer auch die Nothwendigkeit heraus, dass sich diese Lehrer 
durch die Arbeit, der sie ihre Zeit und Kraft widmen, ihren 


1) Mem. I, 6, 13 5. o. 1075, 2. 

2) Gorg. 420 C fi. vgl. Soph. 223 Ὁ ff. Dasselbe Ὁ. Isokr. adv. 
Soph. 5 ἢ. 

3) Eth. N. IX, 1. 1164 a 32 ff. 

4) A. a. Ο. 498 £. 


1082 , Die Sophisten. [972. 973] 


Lebensunterhalt müssen erwerben können. : Auch in Griechen- 
land konnte man sich dieser naturgemässen Anforderung nicht 
entziehen. Ein Sokrates in seiner grossartigen Bedürfniss- 
losigkeit, ein Plato und Aristoteles mit der idealen Auffassung 
dieser Dinge, welche bei ihnen durch persönliche Wohlhaben- 
heit begünstigt, durch das hellenische Vorurtheil gegen alle 
Erwerbsthätigkeit genährt war, — solche Männer mochten jede 
Belohnung für ihre Lehrthätigkeit verschmähen; die grosse 
Masse mochte den Sophisten ihren Gewinn, den sie sich ohne 
Zweifel viel grösser vorstellte, als er war, um so eher ver- 
übeln, da sich mit der allgemeinen Missgunst der Ungebildeten 
gegen die geistige Arbeit, deren Mühe und Werth sie nicht 
kennen, in diesem Fall die Abneigung der Einheimischen 
gegen die Fremden, der Demokraten gegen die Lehrer der 
Vornehmen, der Freunde des Alten gegen die Neuerer ver- 
band. In der Sache selbst jedoch, wie mit Recht bemerkt 
worden ist!), lag durchaus kein Grund, wesshalb die Sophisten 
ihren Unterricht, vollends in fremden Städten, hätten umsonst 
ertheilen und die Kosten ihres Unterhalts und ihrer Reisen 
selbst bestreiten sollen; und auch von der griechischen Sitte 
war die Bezahlung für geistige Güter keineswegs durchaus 
verpönt: Maler, Musiker und Dichter, Aerzte und Rhetoren, 
Gymnasiarchen und Lehrer aller Art wurden bezahlt; auch 
die olympischen Sieger erhielten von ihren Staaten sowohl 
Geldbelohnungen als Ehrenpreise, oder sammelten wohl gar 
eigenhändig im Siegerkranz Beiträge für sich ein. Selbst aus 
dem idealen Standpunkt, auf welchen sich Plato und Sokrates 
stellen, lässt sich die Belohnung des philosophischen Unter- 
richts nicht ohne weiteres verurtheilen; | denn es ist nicht 
nothwendig, dass die wissenschaftliche Thätigkeit des Lehrers 
oder sein sittliches Verhältniss zu dem Schüler durch dieselbe 
verunreinigt wird; wie ja in analogen Fällen z. B. die Liebe 
der Frau zu ihrem Manne durch die gesetzliche Verpflichtung 
desselben zu ihrer Ernährung, die Dankbarkeit des Geheilten 
gegen seinen Arzt durch die Honorirung desselben, die der 
Kinder gegen die Eltern durch den Umstand nicht nothleidet, 


1) Wecker Kl. Schr. II, 420 ff. 


[978. 974] Gelderwerb der Sophisten. 1083 


dass diese zu ihrem Unterhalt und ihrer Erziehung rechtlich 
verbunden sind. Dass die Sophisten von ihren Schülern und 
Zuhörern Bezahlung verlangten, könnte ihnen nur dann zum 
Nachtheil gereichen, wenn sie unverhältnissmässige Ansprüche 
gemacht, und überhaupt in dem Betrieb ihres Berufes sich 
habsüchtig und schmutzig gezeigt hätten. Diess kann man 
aber doch nur von einem Theil jener Männer behaupten. 
Schon im Alterthum waren über die Belohnung, welche sie 
- forderten, und die Reichthümer, welche sie sich erwarben, 
allem nach sehr übertriebene Vorstellungen verbreitet!); da- 
gegen versichert IsOKRATES, keiner von ihnen habe es zu einem 
bedeutenden Vermögen gebracht, und ihr Einkommen habe 
ein bescheidenes Mass nicht überschritten); und wenn auch 
immerhin manche, namentlich von den jüngeren Sophisten, 
den Vorwurf des Eigennutzes und der Habsucht verdienen 
'mögen?®), so fragt es sich doch, ob wir das Bild der Sophistik, 
welches Männer, denen jede Bezahlung für philosophischen 
Unterricht zum voraus als etwas schmähliches und gemeines 
erschien, von den Sophisten ihrer Zeit abstrahirt|haben, auch 
auf einen Protagoras und Gorgias übertragen dürfen. Der 
erstere wenigstens zeigt sich seinen Schülern gegenüber durch- 
aus anständig 4), wenn er die Bestimmung seiner Belohnung 
im Zweifelsfall ihnen selbst überlässt); und dass in dieser 


1) M. 8. die Angaben darüber 5. 1051, 2. 1052, 1. 1058, 7. 1061, 5. 1065, 1. 

2) II. ἀντιϑόσ. 155: ὅλως μὲν οὖν οὐδεὶς εὑρεϑήσεταε τῶν xalov- 
μένων σοφιστῶν πολλὰ χρήματα συλλεξάμενος, ἀλλ᾽ οὗ μὲν ἐν ὀλίγοις, οὗ 
δ᾽ ἐν πάνυ μετρίοις τὸν βίων διαγαγόντες. Hierauf die 5, 1058, 7 mit- 
getheilte Angabe über Gorgias, welcher doch von allen am meisten erworben 
und weder für den Staat noch für eine Familie Ausgaben gehabt habe. Man 
dürfe nicht meinen, dass die Sophisten so viel verdienen, wie die Schau- 
spieler. In der späteren Zeit scheint die Bezahlung für einen Lehrgang 
3—5 Minen betragen zu haben. Euenus b. Praro Apol. 20 B verlangt fünf, 
Isokrates, der, wie andere Rhetoren, 10 Minen nahm (Wecker 428), macht 
sich adv. Soph. 3 über die Eristiker (mit denen freilich an erster Stelle 
Antisthenes gemeint sein wird) lustig, dass die ganze Tugend für den Spott- 
preis von 3—4 Minen bei ihnen zu haben sei, wiewohl er dieselben Hel. 6 
beschuldigt, es sei ihnen nur um das Geld zu thun. 

3) Vgl. S. 1068, 3. 1077. 

4) Wie diess Grote Hist. of Gr. VIJI, 494 mit Recht hervorhebt. 

9) Vgl. S. 1051, 2. 


1084 Die Sophisten. [974. 975] 


Beziehung zwischen den Stiftern des sophistischen Unterrichts 
und ihren späteren Nachfolgern ein Unterschied stattfinde, 
wird auch von ARIWTOTELES angedeutet!). Die Sophisten im 
ganzen, und namentlich die der älteren Generation, einer 
niedrigen Gewinnsucht zu beschuldigen, sind wir bei unbe- 
fangener Würdigung der Umstände, unter denen sie auf- 
traten, und der Nachrichten, die uns über sie vorliegen, nicht 
berechtigt. 

Haben wir aber auch demnach diesen Männern, oder doch 
manchen, und gerade den bedeutendsten von ihnen ein Vor- 
urtheil abzubitten, welches seit mehr als zweitausend Jahren 
ihrem guten Namen mehr als alles andere geschadet hat, so 
lässt sich doch zweierlei nicht verkennen, Für’s erste nämlich 
ist die Einführung einer Bezahlung für den wissenschaftlichen 
Unterricht in jener Zeit, wie man auch über ihre moralische 
Berechtigung urtheilen mag, jedenfalls ein Beweis für die 
schon besprochene veränderte Ansicht über den Werth und 
die Bedeutung des wissenschaftlichen Erkennens, ein Anzeichen 
davon, dass statt der reinen, in der Erkenntniss des Wirk- 
lichen befriedigten Forschung nur noch ein solches Wissen 
gesucht, für werthvoll und für erreichbar gehalten wird, 
welches als Hülfsmittel für anderweitige Zwecke zu gebrauchen 
ist, und weniger in allgemeiner Geistesbildung, als in be- 
sonderen praktischen Fertigkeiten besteht. | Die Sophisten 
wollen die eigenthümlichen Kunstgriffe der Beredsamkeit, der 
Lebensklugheit, der Menschenbehandlung mittheilen, und die 
Aussicht auf den hieraus hervorgehenden Gewinn, auf den 
Besitz der politischen und rednerischen Handwerksgeheim- 


1) In der von WELCcKER angeführten Stelle Eth. N. IX, 1. 1164 a 22 4, 
wo zuerst das oben erwähnte über Protagoras berichtet und dann bemerkt 
wird: anders verhalte es sich mit den Sophisten (d. h. denen der aristote- 
lischen Zeit); diese müssen wohl Vorausbezahlung verlangen, denn nachdem 
man ihre Wissenschaft kennen gelernt habe, würde ihnen niemand mehr 
etwas dafür geben. Weniger beweisend ist ΧΈΝΟΡΗΟΝ De venat. 13: wir 
kennen niemand, ὄντεν οἱ νῦν σοφισταὶ ἀγαϑὸν ἐποίησαν, denn es 
fragt sich, ob der Verfasser bei den Aelteren, denen er die Sophisten seiner 
Zeit gegenüberstellt, an einen Protagoras u. 8. w., und nicht vielmehr an 
sonstige Tugendlehrer und Philosophen denkt, so dass die νῦν σοφεσταὶ mit 
den vorher genannten σοφισταὶ xalovusvos zusammenfallen. 


[975. 976] Gelderwerb der Sophisten. 1085 


nisse, ist es vor allem, was sie der Jugend ihrer Zeit als un- 
entbehrliche Führer erscheinen lässt!). Weiter aber zeigt die 
Erfahrung, dass es unter den damaligen Verhältnissen eine 
sehr gefährliche Sache war, wenn der höhere Unterricht und 
die Vorbildung für das öffentliche Leben ausschliesslich in die 
Hände solcher Lehrer gelegt wurde, welche für ihren Lebens- 
unterhalt auf die Bezahlung durch ihre Schüler angewiesen 
waren. So wie die Menschen nun einmal sind, geräth die 
wissenschaftliche Thätigkeit durch eine derartige Einrichtung 
unvermeidlich in eine Abhängigkeit von den Wünschen und 
den Bedürfnissen derjenigen, welche den Unterricht darin 
suchen und ihn zu bezahlen im Stande sind. Diese werden 
aber ihren Werth zunächst nach dem Vortheil schätzen, den 
sie sich für ihre persönlichen Zwecke von ihr versprechen; 
und nur die allerwenigsten werden hiebei über das nächst- 
liegende hinausblicken, und den Nutzen von Studien einsehen, 
deren praktische Verwendbarkeit nicht unmittelbar auf der 
Hand liegt. Ein Volk müsste daher in ganz ungewöhnlichem | 
Grade, und weit mehr, als diess in dem damaligen Griechen- 
land der Fall war, von dem Werthe der reinen und selb- 
ständigen wissenschaftlichen Forschung durchdrungen sein, 


1) Der Beweis hiefür wird unten, in der Schilderung des sophistischen 
Unterrichts, gegeben werden. Weiter vgl. m. 8. 1075, 2 und Praro Symp. 
217 A Ε΄, wo Alcibiades den Sokrates als Sophisten behandelt, indem er 
alles daran gibt, um von ihm zavr’ axovoas ὅσαπερ οὗτος ἤδει, während 
Sokrates durch die rein sittliche Auffassung ihres Verhältnisses den Unter- 
schied seines Unterrichts von dem sophistischen fühlbar macht. Die Sophisten 
werden hier allerdings nicht genannt, aber die Art, wie Alcibiades anfangs 
sein Verhältniss zu Sokrates behandelt, kann doch als ein Zeugniss dafür 
gelten, was Seinesgleichen damals von einem Lehrer zu erwarten und bei 
ihm zu suchen pflegten. Das gleiche gilt von der Bemerkung ΧΈΝΟΡΗΟΝ᾽ Β 
Mem. I, 2, 14 ἢ, Kritias und Aleibiades haben den Umgang des Sokrates 
nicht desshalb gesucht, um ihm an Charakter ähnlich zu werden, sondern 
vowioayre, εἰ ὁμιλησαίτην ἐχείνῳ, γενέσϑοε ὧν ἱχανωτάτω λέγειν TE χαὶ 
πράττειν. Dass sich die Sophisten als Tugendlehrer und Menschenbildner 
ankündigen, steht dem nicht im Wege, denn es fragt sich eben, worin die 
Tugend (oder richtiger: Tüchtigkeit, ἀρετὴ) gesucht wird: die «gern, welche 
z. B. Euthydem und Dionysodor ihren Schülern so rasch, wie kein anderer, 
beizubringen verheissen (Prato Euthyd. 273 D), ist von dem, was wir Tugend 
nennen, himmelweit verschieden. 


1086 Die Sophisten. [976. 977] 


wenn die Wissenschaft im grossen und ganzen unter diesen 
Umständen nicht zur blossen Technik herabsinken, und sich 
bei längerer Dauer dieses Zustandes immer mehr darauf be- 
schränken sollte, der Masse der Menschen diejenigen Kennt- 
nisse und Fertigkeiten, wovon sie Nutzen für sich erwarten, 
möglichst rasch, mühelos und gefällig beizubringen. Für die 
Gründlichkeit der Forschung und den Ernst der wissenschaft- 
lichen Gesinnung lag in den Verhältnissen, unter denen der 
sophistische Unterricht ertheilt wurde, eine grosse Gefahr; 
und diese Gefahr wurde dadurch noch vergrössert, dass die 
Mehrzahl der Sophisten, ohne festen Wohnsitz und ohne An- 
theil an der Staatsverwaltung, des Rückhalts entbehrte, 
welchen seine bürgerliche Stellung dem Menschen für sein 
sittliches Leben und die sittliche Seite seiner Berufsthätigkeit 
gewährt!). Dass aber die Verhältnisse von selbst zu diesem 
Erfolg hinführten, kann in der Sache nichts ändern. Es ist 
ganz richtig: für talentvolle und gebildete Bürger kleiner 
Staaten waren die Reisen und die öffentlichen Vorträge in 
jener Zeit das einzige Mittel, um ihren Leistungen Anerkennung 
zu verschaffen und in’s grosse zu wirken, und die olympischen 
Vorlesungen eines Gorgias und Hippias sind an sich nicht 
tadelnswerther, als die eines Herodot; es ist auch richtig, dass 
es nur durch die Bezahlung des Unterrichts möglich wurde, 
die Lehrthätigkeit allen Befähigten zu eröffnen, und die 
mannigfaltigsten Kräfte in Einen Ort zu versammeln; aber die 
Wirkungen, die eine solche Einrichtung haben musste, werden 
dadurch nicht aufgehoben. Lag in der Sophistik schon von 
Hause aus eine Beschränkung des wissenschaftlichen Interesse’s 
auf das nützliche und praktisch verwerthbare, so musste diese 
Einseitigkeit durch die Abhängigkeit der sophistischen Lehrer 
von dem Geschmack und den Wünschen ihrer Zuhörer noch 
bedeutend verstärkt werden; und je geringer der wissen- 
schaftliche und bald auch | der ethische Gehalt des sophi- 


1) Vgl. Praro Tim. 19 E: τὸ δὲ τῶν σοφιστῶν γένος αὖ πολλῶν μὲν 
λόγων χαὶ χαλῶν ἄλλων μάλ᾽ ἔμπειρον ἥγημαι, φοβοῦμαι δὲ, μήπως, & 
τε πλανητὸν ὃν κατὰ πόλεις οἰχήσεις τε ἰδίας οὐδαμὴ διῳχηχός, ἄστοχον 
ἅμα φιλοσόφων ἀνδρῶν ἢ χαὶ πολιτικῶν (es sei unfähig, die alten Athener 
recht zu begreifen). 


(977. 978] Wissenschaftlicher Charakter der Sophistik. 1087 


stischen Unterrichts war, um so weniger war es zu vermeiden, 
dass er schnell genug wirklich zum blossen Mittel für den 
Erwerb von Geld und Ehre herabsank. 

Setzt nun dieses Zurücktreten der rein wissenschaftlichen 
Forschung an und für sich schon eine skeptische Stimmung 
voraus, so haben sich die bedeutendsten Sophisten auch aus- 
drücklich darüber erklärt, und die übrigen haben es wenig- 
stens durch ihr ganzes Verfahren an den Tag gelegt, dass sie 
sich gerade desshalb von der älteren Philosophie lossagen, 
weil sie eine wissenschaftliche Erkenntniss der Dinge über- 
haupt nicht für möglich halten. Hat aber der Mensch auf die 
Erkenntniss verzichtet, so bleibt ihm nur seine Selbstbefriedi- 
gung in Thätigkeit oder Genuss übrig; dem Denken, das 
seinen Gegenstand verloren hat, entsteht ebendamit die Auf- 
gabe, ihn aus sich zu erzeugen, seine Selbstgewissheit wird 
jetzt zur Spannung in sich selbst, zum Sollen, sein Wissen 
zum Wollen. So ist auch die sophistische Lebensphilosophie 
durchaus auf den Zweifel an der Wahrheit des Wissens ge- 
gründet. Ebendamit ist aber ihr selbst eine feste wissenschaft- 
liche und sittliche Haltung unmöglich gemacht, sie muss ent- 
weder den herkömmlichen Meinungen folgen, oder wenn sie 
dieselben genauer prüft, muss sie zu dem Ergebniss kommen, 
ein allgemein gültiges Sittengesetz sei ebenso unmöglich als 
eine allgemein anerkannte Wahrheit. Sie wird daher auch 
nicht den Anspruch machen dürfen, die Menschen über Zweck 
und Ziel ihrer Thätigkeit zu belehren, und sittliche Vor- 
schriften zu ertheilen, sondern ihr Unterricht wird sich auf 
die Mittel beschränken, durch welche die Zwecke des Ein- 
zelnen, welcher Art sie nun seien, erreicht werden. Alle diese 
Mittel fassen sich aber für den Griechen in der Kunst der 
Rede zusammen. Das positive zu der negativen Erkenntniss- 
theorie und Moral der Sophisten bildet daher die Rhetorik, 
als die allgemeine praktische Technik. Ebendamit verlässt sie 
dann aber auch das | Gebiet, mit welchem es die Geschichte 
der Philosophie zu thun hat. 

Fassen wir nun diese verschiedenen Seiten der Erschei- 
nung, mit der wir uns beschäftigen, im einzelnen näher in’s 
Auge. 


Philos. d. Gr. I. Bd. 5. Aufl. 69 


1088 Die Sophisten. [978] 


4. Die sophistische Erkenntnisstheorie und die Eristik. 

Schon bei den älteren Philosophen finden sich vielfache 
Klagen über die Beschränktheit des menschlichen Wissens, 
und seit Heraklit und Parmenides wird die Unsicherheit der 
sinnlichen Wahrnehmung von den entgegengesetztesten Stand- 
punkten aus anerkannt. Aber erst die Sophistik hat diese 
Anfänge zu einer allgemeinen Skepsis entwickelt. Für die 
wissenschaftliche Begründung dieses Zweifels nahmen ihre Ur- 
heber theils die heraklitische, theils die eleatische Lehre zum 
Ausgangspunkt; dass sie von diesen entgegengesetzten Vor- 
aussetzungen aus zu dem gleichen Ergebniss gelangten, kann 
einerseits als eine richtige dialektische Folgerung betrachtet 
werden, durch welche jene einseitigen Voraussetzungen sich 
aufheben; zugleich ist es aber bezeichnend für die Sophistik, 
der es eben gar nicht um eine bestimmte Ansicht über die 
Natur der Dinge oder des Wissens, sondern nur um die Be- 
seitigung der objektiven, naturphilosophischen Untersuchungen 
zu thun ist. 

Auf die heraklitische Lehre stützt Protagoras seine 
Skepsis.. Ein wirklicher Anhänger jener Philosophie, in ihrem 
vollen Umfang und ihrer ursprünglichen Bedeutung, ist er 
zwar durchaus nicht: was Heraklit über das Urfeuer, über 
die Wandlungsstufen desselben, überhaupt über die objektive 
Beschaffenheit der Dinge gelehrt hatte, konnte ein Skeptiker, 
wie er, sich nicht aneignen. Aber der Lehre der Eleaten von 
der Einheit aller Dinge hat er eingehend widersprochen !), 


1) Porruyr b. Eus. pr. ev. X, 3, 17 lässt einen der Theilnehmer an 
einem Tischgespräch sagen: Ihm habe der Zufall von den selten gewordenen 
Schriften vorplatonischer Philosophen einzelne in die Hände geführt. Πρω- 
Taycpov γὰρ τὸν περὶ τοῦ ÖrTog ἀναγενώσχων λύγον, πρὸς τοὺς ἕν τὸ ὃν 
εἰςάγσντας τοιαύταις αὐτὸν εὑρίσχω χρώμενον ἀπαντήσεσιν᾽ ἐσπούδασα 
γὰρ αὐταῖς λέξεσι τὰ ῥηϑέντα μνημονεύειν. καὶ ταῦτ᾽ εἰπὼν διὰ πλειόνων 
τίϑησι τὰς ἀποδείξεις, über die Porphyr leider nichts mittheilt. Einem so 
bestimmten Zeugniss eines Porphyr, der darin unverkennbar seine eigene 
Bekanntschaft mit der protagorischen Schrift behaupten will, den Glauben 
zu versagen, halte ich mit Gomrerz (Apol. d. Heilkunst 179) für unzulässig: 
glaube vielmehr, dass Prot. wirklich in einer Schrift, vielleicht derselben, 
aus der Plato im Theätet berichtet, die eleatische Lehre vom Seienden aus- 


[978] Erkenntnisstheorie: Protagoras. 1089 


und sich aus Heraklit’s Physik wenigstens die allgemeinen 
Sätze von der Veränderung aller Dinge und dem Gegenlauf 
der Bewegungen gemerkt, um sie für seinen Zweck zu be- 
nützen. Bei Prarto wird zur Begründung seiner skeptischen 
Grundsätze auseinandergesetzt: alles sei in beständiger Be- 
wegung!), | diese Bewegung sei aber nicht blos von Einer Art, 


führlich bestritten hatte. Dagegen hat mich Gourerz (a. a. Ο. 8 fi. 24 fi. 
29 ἢ. 179, 3) nicht davon überzeugt, dass die Schrift π. τέχνης, welche er 
Protagoras zuschreibt (8. o. 1055, 3) c. 2 mit den Worten: τὰ μὲν ἐόντα 
ἀεὶ ὁρᾶταί τε καὶ γενώσχεται, τὰ δὲ un ἐόντα οὔτε ὁρᾶται οὔτε γενώσ- 
χεται die Eleaten, und insbesondere eine (S. 613 unt. angeführte) Behaup- 
tung des Melissus bestreite. Der Satz, dass nur das Seiende gedacht, das 
Nichtseiende weder gedacht noch ausgesprochen werden könne, ist bekannt- 
lich ein Grundsatz des Parmenides (8. o. 8. 558), den noch Plato wieder- 
holt hat (vgl. Th. II a, 592 ἢ. 643 ἢ). Mag nun auch schon Protagoras 
(s. u. 1106, 4), wie andere nach ihm, trotz seines Widerspruchs gegen die 
Einheitslehre der Eleaten, und trotz dem, dass er selbst die objektive Be- 
schaffenheit der Dinge für unerkennbar hielt, den negativen Theil dieses 
Satzes in eristischem Sinne verwerthet haben, wie diess der unsystematischen 
Weise dieser Eristik entspricht, so ist es doch sehr unwahrscheinlich, dass 
er jenen parmenideischen Grundsatz gerade den Eleaten und namentlich 
Melissus als seinen „erkenntnisstheoretischen Kernsatz“ und als das „direkte 
Widerspiel“ ihrer Lehre entgegengehalten haben sollte. Der Augenschein 
zeigt aber auch, dass er Melissus so wenig, wie Parmenides, entgegen- 
gehalten werden konnte. Denn weit entfernt, allgemein zu behaupten, dass 
man das Seiende nicht erkenne, (was bei einem eleatischen Metaphysiker 
unstreitig höchst befremdlich wäre) schliesst Melissus a. a. O. (Fr. 17) viel- 
mehr: da das, was man als ein Seiendes zu sehen und zu erkennen meine, 
sich uns als veränderlich und vergänglich darstelle, so könne die sinnliche 
Auffassung der Dinge, die es uns so darstellt, unmöglich die richtige sein. 
Es wird hier also gerade aus der parmenideischen Voraussetzung, derzufolge 
das Nichtseiende nicht erkannt werden kann, mit Parmenides (s. 8. 558, 1. 
565 4) die Unrichtigkeit einer Auffassung gefolgert, die uns das Seiende 
zugleich als Nichtseiendes zeigt. Wenn der Jatrosophist aus der gleichen 
Voraussetzung den umgekehrten Schluss zieht, dass alles wirklich sei, was 
wir sehen und erkennen (d. h. zu sehen und zu erkennen meinen), so ist 
das seine Sache; aber in dem allgemeinen Grundsatz, dass das Seiende er- 
kennbar, das Nichtseiende nicht erkennbar sei, ist er mit Melissus und der 
ganzen eleatischen Schule einig. 

1) Theät. 152 Ὁ. 157 A f. (8. o. 641, 2. Ebd. 156 A drückt Plato 
diess auch so aus: ὡς τὸ πᾶν χίνησις ἦν καὶ ἄλλο παρὰ τοῦτο οὐδὲν, 
dass er jedoch dabei nicht an eine Bewegung ohne ein Bewegtes, eine „reine 
Bewegung“ denkt, sondern nur an eine solche, deren Subjekte selbst sich 
beständig verändern, erhellt aus 5. 180 Ὁ. 181 C.D, wo dafür steht: πάντα 

69* 


1090 Die Sopbisten. [979] 


sondern es seien der Bewegungen unzählige, die sich jedoch 
alle auf zwei Klassen zurückführen lassen, indem sie theils in 
einem Wirken theils in einem Leiden bestehen'!). Erst durch 
ihr Thun oder ihr Leiden erhalten die Dinge gewisse Eigen- 
schaften; und da nun das Thun und das Leiden jedem nur 
im Verhältniss zu anderen zukomme, mit denen es durch die 
Bewegung zusammengeführt wird, so dürfe man keinem Ding 
als solchem irgend welche Eigenschaft und Bestimmtheit bei- 
legen, sondern erst dadurch, dass sich die Dinge gegen ein- 
ander bewegen, sich vermischen und auf einander einwirken, 
werden sie zu etwas bestimmtem; man könne daher gar nicht 
sagen, dass sie etwas seien, oder dass sie überhaupt seien, 


χινεῖται, τὰ πάντα χινεῖσϑαι, πᾶν ἀμφοτέρως χινεῖσϑαι, φερόμενόν TE xal 
ἀλλοιούμενον, und schon aus 156 C Εἰ : ταῦτα πάντα μὲν χινεῖταε. .- 
φέρεταε γὰρ καὶ ἐν φορᾷ αὐτῶν ἡ κίνησις πέφυχεν u, 8. w. (und die glei- 
chen Stellen zeigen auch, dass das ἢ» nicht — wie VırrıneA Κ. 88 will -- 
aussagen soll, es sei ursprünglich nur Bewegung gewesen, sondern: alles 
sei seinem Wesen nach Bewegung; vgl. Scuanz 8. 70. Das Präteritum 
steht hier ähnlich, wie in dem aristotelischen τί nv εἶναι, und es trifft nicht 
zu, wenn BÄumker Probl. ἃ, Mat. 102, 5 für die Erklärung: „alles war 
Bewegung“, das πάντα χρήματα ἦν ὁμοῦ des Anaxagoras geltend macht; 
denn bei diesem handelt es sich um einen Zustand, der wirklich nur der 
Vergangenheit angehört: im jetzigen Weltzustand soll die Trennung der 
Stoffe, wie S. 1001 f. gezeigt ist, zwar noch nicht vollendet, aber doch 
längst nicht mehr alles schlechthin gemischt sein, wogegen nach der Dar- 
stellung des Theätet alles jetzt wie immer unablässig in Bewegung ist), Man 
darf daher weder Protagoras selbst jene reine Bewegung beilegen (Frkı 79), 
noch Plato wegen derselben einer Erdichtung beschuldigen (Weser 23 δ.) 
und ihn aus Srxrus berichtigen, der Pyrrh. I, 217, in stoischer Ausdrucks- 
weise, von Prot. berichtet: φησὶν οὖν ὁ ἀνὴρ τὴν ὕλην devarıv eivas, ῥεού- 
σης δὲ αὐτῆς συνεχὼς προςϑέσεις ἀντὶ τῶν ἀποφορήσεων γίγνεσθαι. Wenn 
im Theätet 181 B ff. weiter gezeigt wird, dass die von Prot. angenommene 
Bewegung aller Dinge nicht blos als φορὰ, sondern auch als allolwoıs be- 
stimmt werden müsse, so erhellt doch aus eben dieser Stelle, dass diese 
Unterscheidung erst Plato angehört. 

1) Theät. 156 A fährt fort: τῆς δὲ χενήσεως δύο εἴδη, πλήϑει μὲν 
ἔπεερον ἑκάτερον, δύναμιν δὲ τὸ μὲν ποιεῖν ἔχον τὸ δὲ πάσχειν. Diess 
wird dann 157 A weiter dahin erläutert: weder das Wirken noch das Leiden 
komme einem Ding an und für sich zu, sondern die Dinge werden zu wir- 
kenden oder leidenden erst dadurch, dass sie mit andern zusammentreffen, 
zu denen sie sich wirkend oder leidend verhalten, dasselbe könne daher im 
Verhältniss zu dem einen ein wirkendes, im Verhältniss zu einem andern 
ein leidendes sein. 


[980] Erkenntnisstheorie: Protagoras. 1091 


sondern immer nur, dass sie werden und dass sie etwas be- 
stimmtes werden!). Durch das Zusammentreffen | der zweierlei 
Bewegungen entstehen unsere Vorstellungen von den Dingen 5). 
Wenn sich ein Gegenstand mit unserem Sinnesorgan so be- 
rührt, dass er sich in dieser Berührung wirkend, jenes dagegen 
sich leidend verhält, so entstehe in dem Organ eine bestimmte 
sinnliche Empfindung und der Gegenstand erscheine mit be- 
stimmten Eigenschaften versehen®?). Beides aber nur in und | 


1) Theät. 152 Ὁ. 156, E (s. o. 641, 2) 157 B: τὸ δ᾽ οὐ dei, ὡς ὁ τῶν 
σοφῶν λόγος, οὔτε τὶ ξυγχωρεῖν οὔτε τοῦ οὔτ᾽ ἐμοῦ οὔτε τόδε οὔτ᾽ ἐχεῖνο 
οὔτε ἄλλο οὐδὲν ὄνομα ὅ τι av ἱστῆ, ἀλλὰ χατὰ φύσιν φϑέγγεσϑαι γιγ- 
vousva χαὶ ποιούμενα χαὶ ἀπολλύμετα χαὶ ἀλλοιούμενα. Das gleiche be- 
sagt es, und es stammt wohl auch nur aus diesen Stellen, wenn ῬΗΊΓΟΡ. gen. 
et corr. 4 Ὁ o., und ähnlich Auson. Categ. 81 b, Schol. in Arist. 60 a 15, 
Prot. den Satz beilegt: οὐχ εἶναι φύσιν ὡρισμένην οὐδενός (Frei S. 92 ver- 
muthet darin gewiss mit Unrecht seine eigenen Worte), Dasselbe drückt 
ΒΈΧΤΟΒ a. a. OÖ. mit späterer Terminologie in den Worten aus, die mir weder 
PErs&sex (phil.-hist. Stud. 117), noch Brannıs (I, 528), noch Hermann (Plat. 
Phil. 297, 142), noch Fazı (8. 92 £.), noch Weser (8. 36 ff.) richtig erklärt 
zu haben scheint: τοὺς Aoyuus πάντων τῶν φωινομένων Umoxeiodas ἐν τῇ 
ὕλη. Diese Worte wollen nämlich nicht das sagen, dass die Ursachen aller 
Erscheinungen nur im Stofflichen liegen, sondern vielmehr umgekehrt, 
dass im Stoff, in den Dingen als solchen, abgesehen von der Art, wie wir 
sie auffassen, der Keim zu allem, die gleichmässige Möglichkeit der ver- 
schiedenartigsten Erscheinungen gegeben sei, dass jedes Ding, wie Prour. 
adv. Col. 4, 2 diese Ansicht des Prot. ausdrückt, un μᾶλλον τοῖον ἢ τοῖον 
sei, wie denn Sextus selbst sogleich erläutert: ὡς δύνασϑαε τὴν ὕλην, ὅσον 
ἐφ᾽ ἑαυτῇ, πάντα εἶναι ὅσα πᾶσι φαίνεται. 

2) Nicht ganz klar ist dabei, ob die aktive Bewegung der des αἰσϑητὸν, 
die passive derjenigen der αἴσϑησις (wie Scuanz 8. 72 glaubt) einfach gleich- 
gesetzt, oder ob die Bewegung des αἰσϑητὸν und der αἴσϑησις nur als be- 
stimmte Arten der aktiven und passiven Bewegung betrachtet werden. Mir 
ist das letztere theils an sich wahrscheinlicher, denn wenn man den Dingen 
ein objektives, von unserer Vorstellung unabhängiges Dasein zuschreibt, so 
muss man auch eine gegenseitige Einwirkung der Dinge auf einander, nicht 
blos eine Einwirkung derselben auf uns annehmen; theils spricht dafür die 
Bemerkung (157 A. s. o. S. 1090, 1), dass das gleiche, was im Verhältniss 
zu dem einen ein wirkendes ist, zu anderem sich leidend verhalte: unserer 
αἴσϑησις gegenüber ist das αἰσθητὸν immer ein wirkendes, ein leidendes 
kann es nur anderen Dingen gegenüber sein. 

8) Theät. 156 A, nach dem S. 1090, 1 angeführten: 2x δὲ τῆς τούτων 
ὁμελίας τε καὶ τρέψεως πρὸς ἄλληλα γέγνεταε Exyova πλήϑει μὲν ἄπειρα, 
δίδυμα δὲ, τὸ μὲν αἰσθητὸν, τὸ δὲ αἴσϑησις, ἀεὶ συνεχπίπτουσα χαὶ 
γεννωμένη μετὰ τοῦ αἰσϑητοῦ. Die αἰσϑήσεις heissen ὄψεες, ἐκοαὶ, ὀσφρή- 


1092 Die Sophisten. [981] 


während dieser Berührung: so wenig das Auge sehend ist, 
wenn es von keiner Farbe berührt wird, ebensowenig sei der 
Gegenstand farbig, wenn er von keinem Auge gesehen wird. 
Nichts sei oder werde daher das, was es ist und wird, an und 
für sich, sondern immer nur für das wahrnehmende Subjekt!); 
diesem aber werde sich der Gegenstand natürlich verschieden 
darstellen, je nachdem es selbst so oder so beschaffen ist?); 
die Dinge seien | für jeden nur das, als was sie ihm erscheinen, 


σεις, ψύξεες, καύσεις, ἡδοναὶ, λῦπαι, ἐπιϑυμίαε, φόβοι u. 8. w., zu dem 
αἰσθητὸν gehören Farben, Töne u. 8. f. Diess wird dann im folgenden 
weiter dahin erläutert: ἐπειδὰν οὖν ὄμμα καὶ ἄλλο τε τῶν τούτῳ ξυμμέ- 
τρων (ein Gegenstand, der auf das Auge zu wirken geeignet ist) πλησιάσαν 
γεννήσῃ τὴν λευχότητά Te καὶ αἴσϑησιν αὐτῇ ξύμφυτον, ἃ οὐχ ἄν ποτε 
ἐγένετο ἑχατέρου ἐχείνων πρὸς ἄλλο ἐλθόντος, τότε δὴ, μεταξὺ φερομένων 
τῆς μὲν ὄψεως πρὸς τῶν ὀφϑαλμῶν, τῆς δὲ λευχότητος πρὸς τοῦ συναπο- 
τίχτοντος τὸ χρῶμα, ὁ μὲν ὀφθαλμὸς ἄρα ὄψεως ἔμπλεως ἐγένετο xal 
ὁρᾷ δὴ τότε χαὶ ἐγένετο οὔτε ὄψις ἀλλὰ ὀφϑαλμὸς ὁρῶν, τὸ δὲ ξυγγενῆσαν 
τὸ χρῶμα λευχότητος περιεπλήσϑη χαὶ ἐγένετο οὐ λευκότης αὖ ἀλλὰ λευ- 
x09 . .. καὶ τἄλλα δὴ οὕτω, σχληρὸν καὶ ϑερμὸν καὶ πάντα, τὸν αὐτὸν 
τρόπον ὑποληπτέον αὐτὸ μὲν χαϑ᾽ αὑτὸ μηδὲν εἶναε ἃ. 8. w. Das ver 
schiedene Verhalten der Dinge zu den Sinnen scheint hiebei von der 
grösseren oder geringeren Geschwindigkeit ihrer Bewegung hergeleitet zu 
werden, denn S. 156 C wird bemerkt, einiges bewege sich langsamer, und 
gelange desshalb nur zu dem nahen, anderes bewege sich schnell und ge- 
lange zu dem entfernten. Jenes würde z. B. auf die Wahrnehmungen des 
Tastsinns, das 0xAnoo», ϑερμὸν u. 8. w., dieses auf die des Gesichts passen. 

1) S. vor. Anm. und a. a. O. 157 A: ὥστε ἐξ ἁπάντων τούτων ὅπερ 
ἐξ ἀρχῆς ἐλέγομεν, οὐδὲν εἶναι ἕν αὐτὸ χαϑ' αὑτὸ, alla τινὶ ἀεὶ γέγνεσϑαε 
u. 8. w. (8. S. 641, 2. 1091, 1). 160 Β: λεέπεταε δὴ, οἶμαι, ἡμῖν ἀλλήλοις, 
εἴτ᾽ ἐσμὲν, elvas, εἴτε γιγνόμεϑα, γίγνεσθαι, ἐπείπερ ἡμῶν ἡ ἀνάγχη τὴν 
οὐσίαν συνδεὶ μὲν, συνδεὶ δὲ οὐδενὶ τῶν ἄλλων, οὐδ᾽ αὖ ἡμῖν αὐτοὶς. 
ἀλλήλοις δὴ λείπεται auvdedeodu, ὥστε εἴτε τις εἶναί τε ὀνομάζει, τινὶ 
εἶναι ἢ τινὸς ἢ πρὸς τι ῥητέον αὐτῷ, εἴτε γέγνεσθϑαι u.8.w. Vgl. Phädo 
90 C. Aehnlich Arısr. Metaph. IX, 8. 1047 a 5: αἰσϑητὸν οὐδὲν ἔσται 
un αἰσϑανομένων᾽ ὦστε τὸν Πρωταγόρου λόγον συμβήσεταε λέγεεν αὐτοῖς. 
ALzx. 2. d. St. und zu S. 1010 b 80. 5. 278, 28 Bon. Heruwuas Irris. c. 9. 
Sexr. Pyrrh. I, 219: τὰ δὲ μηδενὶ τῶν ἀνθρώπων φαινόμενα οὐδὲ Eorer. 
Dagegen ist bei Arısr. De an. II, 2. 426 a 20 mit den φυσιολόγοε nicht 
(wie PuıLor. z. ἃ. St. O 15 o. und Vırrınaa 8. 106 glauben) Protagoras, 
sondern Demokrit gemeint. 

2) Prato führt diess 157 E ff. am Beispiel der Träumenden, Kranken 
und Verrückten aus, indem er bemerkt, da diese von anderer Beschaffenheit 
seien, als die Wachen und Gesunden, so müssen sich aus der Berührung 
der Dinge mit ihnen nothwendig andere Wahrnehmungen erzeugen. 


[982] Erkenntnisstheorie: Protagoras. 1093 


und sie erscheinen ihm so, wie sie ihm seinem eigenen Zu- 
stand nach erscheinen müssen; und eben diess sei der Sinn 
des Satzes!): „der Mensch ist das Mass aller Dinge, des Seien- 


1) Theät. 152 A: φησὶ γάρ που [Ππρωτ.] πάντων χρημάτων μέτρον 
ἄνϑρωπον εἶναι, τῶν μὲν ὄντων ὡς ἔστι, τῶν δὲ μὴ ὄντων, ὡς οὐχ ἔστιν. 
Derselbe Ausspruch wird theils mit diesem Zusatz, theils ohne denselben, 
oft angeführt (so Praro Theät. 160 C. Krat. 385 E. Arısrt. Metaph. X, 1. 
1053 a 35. XI, 6 Anf. Sexr. Math. VII, 60. Pyrrh. I, 216. Dıoc. IX, 5l u. a. 
vgl. Frei 94); seine Weglassung in manchen Citaten beweist aber selbst- 
verständlich nicht (wie HaLprass Jahrb. f. class. Philol. 1881, 161 meint) 
gegen seine, ausser späteren Zeugnissen schon durch Theät. 152 A. 160 C. 
166 D sichergestellte Aechtheit. Nach Theät. 161 C sprach Prot. jenes aus 
ἀρχόμενος τῆς alndelas. Da nun auch 8. 162 A. 170 E vgl. 155 E. 166 Ὁ. 
Krat. 386 C. 391 Ο von der ἀλήϑεια des Protagoras gesprochen wird, so 
ist die Aunahme nahe gelegt, die Schrift, worin jener Ausspruch stand, habe 
(wie schon der Scholiast zu Theät. 161 C behauptet) den Titel 44n9eıa 
gehabt. Doch erscheint es nicht unmöglich, dass erst Plato sie so bezeich- 
nete, wenn Prot. darin öfters und mit Nachdruck hervorgehoben hatte, dass 
er im Gegensatz gegen die gewöhnliche Meinung den wahren Sachverhalt 
kundthun wolle. Nach Sexr. Math. VII, 60 standen die Worte am Anfang 
der Karaßellovres, und Porrayr (8. o. 1088, 1) sagt, Prot. habe in dem 
λόγος περὶ τοῦ ὄντος die Eleaten bekämpft. Vielleicht bezeichnet aber 
Porphyr dieses Werk nur nach seinem Inhalt, und seine eigentliche Ueber- 
schrift war Λαταβάλλοντες (sc. λόγοι) oder auch: Air9sıa ἢ Karap.; für 
Καταβάλλοντες sind die 2 Bücher der Antilogieen b. Dıoc. IX, 55 mög- 
licherweise blos ein anderer Ausdruck. M. vgl. über den Gegenstand Fekı 
176 fi. Werer 48 f. bernays Abhandl. I, 117 fi. Vırrınca 115. ScHanxz 
Beitr. z. vorsokr. Phil. 1. H. 29 ff. Berue Vers. einer Würd. d. sophist, 
Redekunst 29 ff. Narorr Forsch. 58 ff. Der Sinn des protagorischen Satzes 
wird häufig auch so ausgedrückt: oi« ἄν doxj ἑχάστῳ τοιαῦτα χαὶ εἶναε 
(PLaro Krat. 385 E. 386 C f. ähnlich Theät. 152 A. Arzx. Metaph. 228, 11 
Bon. 272, 1 H. u. ö. vgl. Cıc. Acad. II, 46, 142), τὸ δοχοῦν ἑχάστῳ τοῦτο 
χαὶ εἶναι παγίως (Asıst. Metaph. XI, 6 Anf. vgl. IV, 4. 1007 b 22. IV, 5 
Anf. Arkx. zu diesen Stellen u. ö. Davın Schol. in Arist. 23 a 4, wo aber 
auf Protagoras übertragen wird, was im platonischen Euthydem 287 E steht), 
πάσας τὰς φαντασίας zei τὰς δόξας ἀληϑεῖς ὑπάρχειν καὶ τῶν πρός τε 
εἶναι τὴν ἀλήϑειαν (Sext. Math. VII, 60 vgl. Schol. in Arist. 60 b 16). 
Auch hiebei kann aber, wenn die Angabe richtig sein soll, die Meinung 
nur die sein, dass das, was jedem zu sein scheint, für ihn so sei, wie 
es ihm erscheint; und Plato sagt diess auch Theät. 152 A ausdrücklich, 
und wird von Grote (Plato II, 347. 353. 369) mit Unrecht darüber getadelt, 
dass er eben diess ausser Acht lasse. Die Ausdrücke, deren sich die ge- 
nannten Schriftsteller bedienen, sind, wie sie zum Theil selbst andeuten, 
nicht protagorisch. Ebenso verhält es sich mit der Bemerkung PrAro’s, 
dass das Wissen nach Prot. in nichts anderem bestehe, als der Sinnes- 


1094 Die Sophisten. [982. 988] 


den für sein Sein, des Nichtseienden für sein Nichtsein“;!) es 
solle damit gesagt werden, dass es | keine objektive Wahrheit 
gebe, sondern nur subjektiven Schein der Wahrheit, kein all- 
gemein gültiges Wissen, sondern nur ein Meinen?). 


empfindung (vgl. S. 1094, 2), und mit der Folgerung des ARISTOTELES (a. d. 
a. O. Metaph. IV) und seines Auslegers (ALzx. S. 194, 16. 247, 10, 258, 13 
Bon. 239, 2. 290, 33. 301, 29 H.), dass nach Prot. widersprechendes zugleich 
wahr sein könne. Die Angaben des Dıoa. IX, 5l: ἔλεγέ re μηδὲν εἶναε 
ψυχὴν παρὰ τὰς αἰσϑήσεις, wofür er sich ausdrücklich auf den Theätet be- 
ruft, wird aus dem Satze, dass die ἐπεστήμη nichts anderes sei, als die 
αἴσϑησις, gefolgert sein, wenn nicht ψυχὴν geradezu aus ἐπιστήμην ver- 
schrieben ist. Was Tuenuıst. Analyt. port. S. 25 Sp. über die Ansicht des 
Prot. vom Wissen sagt, scheint aus der aristotelischen Stelle selbst, die gar 
nicht auf Protagoras geht, herausgesponnen zu sein. 

1) Ich wähle diesen Ausdruck für das ὡς ἔστε τι. 8. w., um den Doppel- 
sinn des ὡς wiederzugeben, das sowohl mit „dass“ als mit „wie“ übersetzt 
werden kann; indem ich annehme, dass Protagoras bei seiner Aussage diese 
beiden Bedeutungen nicht ausdrücklich unterschieden und keine derselben 
von ihr ausgeschlossen habe. Die Sprache nöthigte ihn nicht dazu (denn 
dass οἐς hier desshalb nicht „wie“ heissen könne, weil es in dem Bruchstück 
über die Götter „dass“ heisst, kann ich Gomrerz Apol. ἃ. Heilk. 27 nicht 
einräumen; — auch Theät. 152 A wird es aber durch o:« erklärt, und 
Euthyd. 285 E bedeutet in der Frage, ob die λόγος die Dinge bezeichnen 
ὡς ἔστιν ἢ ὡς οὐχ ἔστιν, das ὡς nicht „dass“, sondern „wie“) und in der 
Sache ist es sogar richtiger, beide zu verknüpfen: wenn es vom Menschen 
abhängt, ob ihm etwas erscheint, hängt es auch von ihm ab, wie es ihm 
erscheint und umgekehrt. Dass aber vom Nichtseienden nicht hätte gesagt 
werden können, der Mensch sei das Mass dafür, wie es nicht ist (GosmPerz 
a. a. O.), glaube ich nicht; wenn einem Subjekt ein Prädikat abgesprochen 
wird, so wird nicht von ihm ausgesagt, dass es nicht sei, sondern wie be- 
schaffen es nicht ist, was für ein Sein ihm nicht zukommt, inwiefern es nicht 
ist. Gegen HeussLer’s Erklärung (Ztschr. f. Philos. C 11, 1. H.): „der 
Mensch ist Masstab des Seienden wie er ist“ u. 8. w., die übrigens in der 
Sache wenig ändern würde, vgl. SeLiser Jahrb. f. class. Philol. 1889, 401. 
Weder Plato noch irgend ein anderer hat die Worte jemals so verstanden, 


und mit Recht: Prot. konnte doch nicht behaupten, dass dem Menschen alles ° 


als nichtseiend erscheine, was nicht wie er selbst ist. Ob man in dem Satz: 
π. χρημ. μέτρον ἄνϑρωπος den ἄνϑοωπος, wie seit Plato jedermann gethan 
hat, als Subjekt, oder wie Hansrass a. a. O. 161 will, als ‚Prädikat fasst, 
wäre an sich unerheblich; ich sehe aber allerdings nicht ein, wie der sub- 
stantivische Begriff „Mensch“ zum Prädikat des Eigenschaftsbegriffse „Mass 
aller Dinge“ gemacht werden könnte. Dass es hier nicht geschieht, zeigt 
schon der Beisatz τῶν μὲν ὄντων u. 8. w. 

2) Dass diess die Ansicht ist, welche Plato Protagoras zuschreibt, liegt 
am Tage; und wenn Schtster Herakl. 29 ff. behauptet, Prot. habe ange- 


[988] Erkenntnisstheorie: Protagoras. 1095 


Sind nun auch gegen die Zuverlässigkeit dieser Dar- 
stellung Zweifel erhoben worden, so bewährt sie sich doch, 
wie ich glaube, bei unbefangener Untersuchung in allen den 
Bestandtheilen, welche den Anspruch machen, die eigene Lehre 
des Sophisten wiederzugeben. Von dem Satze, dass das Mass 
aller Dinge der Mensch sei, haben zwar neuere Gelehrte be- 
hauptet, unter dem Menschen sei in demselben nicht der ein- 
zelne Mensch, sondern „der Mensch als solcher“ zu verstehen; 
es solle damit nur gesagt werden, dass die Dinge sich uns so 
darstellen, wie sie sich uns unter den Bedingungen und nach 
der Einrichtung der menschlichen Natur darstellen müssen!); 
so dass der Phänomenalismus des Protagoras in seinem all- 
gemeinen Ergebniss mit dem Kant’s zusammenträfe. Allein 
die alten Berichterstatter haben alle, so weit sie überhaupt 
auf unsere Frage eingehen, den Satz des Protagoras in dem- 


nommen, dass es ein Wissen gebe und dass dieses mit der αἴσϑησις und 
der auf ihr beruhenden Meinung zusammenfalle, 80 hätte er sich dafür we- 
nigstens nicht auf Plato berufen sollen. Dieser legt den Satz (Theät. 151 Εἰ. 
160 D): οὐχ ἄλλο τί ἐστιν ἐπιστήμη ἢ αἴσθησις, Protagoras, wie auch 
Schuster einräumt, nicht direkt bei, er sagt vielmehr 152 A vgl. 159 Ὁ 
ausdrücklich, er habe denselben in anderer Form (τρύπον τινὰ ἄλλον) 
ausgesprochen, sofern sich nämlich aus dem πάντων χρημάτων μέτρον 
ἄγϑρωπος ergeben würde, dass es kein über die Erscheinung, und mithin 
(da φαίνεσϑαι —= αἰσϑάνεσϑαι 152 B) über die αἴσϑησες hinausgehendes 
Wissen geben könne, andererseits aber für jeden wahr sein soll, was ihm 
so erscheint. Jener Satz selbst aber hat in dem Zusammenhang, in dem er 
bei Plato steht, nicht die Bedeutung: es gebe ein Wissen und dieses be- 
stehe in der αἴσϑησις, sondern vielmehr die entgegengesetzte: es gebe kein 
objektives Wissen, weil es keines gebe, das etwas anderes, als αἴσϑησις 
wäre, diese aber blosse Erscheinung und sonst nichts sei; wie diess aus 
Theät. 152 A ἢ 161 Ὁ ἢ 166 A fl. u. a. St. klar hervorgeht. Das gleiche 
sagen aber alle unsere Zeugen ohne Ausnahme: sie alle erklären, nach Prot. 
sei für jeden wahr, was ihm wahr scheine, was das gerade Gegentheil des 
Satzes ist, „dass es eine ἐπιστήμη gebe“; man müsste denn unter der 
ἐπιστήμη eben nur eine blos subjektiv wahre Vorstellung, eine blosse 
Einbildung (φαντασία Theät. 152 C) verstehen. 

1) So zuerst Grote Plato II, 322 f£.; ihm folgen, mit manchen Ab- 
weichungen im einzelnen: Haprass a. a. O. (8. o. 1078, 1). Laas Ideal. u. 
Positiv. 1, 13 £. 19 ff. Ders. (gegen Natorp) Vierteljahrsschr. f. wissensch. 
Philos. VIII, 479 fi. Harrrr Ethik ἃ. Prot. 27 f. Gomrerz Apol.d. Heilk. 
26 fi. 174 fe Gegen Halbfass: Narorp Forsch. I ἢ; gegen Gomperz: 
Ders. Philol. N. F. IV, 262 ff. 


1096 Die Sophisten. [983] 


selben Sinn verstanden, wie Plato!). Nun ist es schon immer 
ein gewagtes Unternehmen, bei der Frage nach dem Sinn 
eines Satzes, dessen Worte eine verschiedene Deutung ver- 
statten, während der Zusammenhang, in dem sie standen, uns 
unbekannt ist, denen zu widersprechen, welche nicht blos 
diesen Satz selbst, sondern auch alle die Erörterungen vor 
Augen gehabt haben, die zu seiner Begründung und Er- 
läuterung dienten. Dieses Unternehmen wird aber vollends 
aussichtslos, wenn wir eine ganze Reihe übereinstimmender 
und von einander unabhängiger Aussagen dieser Art vor uns 
haben, und wenn diese Aussagen von so klassischen Zeugen 
herrühren, wie es Plato, Aristoteles, Demokrit und die Quelle 
des Sextus Empirikus in diesem Fall sind. Hätten wir es 
auch nur mit Plato zu thun, so wäre es schwer zu glauben, 
dass er den allbekannten, in der Schrift des Protagoras doch 
sicher näher begründeten, und eben damit auch erklärten 
Grundsatz desselben so gröblich missverstanden, und unter 
ausdrücklicher und wiederholter Berufung auf seine eigenen 
Aussagen?), seinen Worten einen Sinn unterschoben haben 
sollte, der ihnen fremd war®). Plato theilt uns aber überdiess 
auch von den Gründen, mit denen Protagoras seinen Satz 
stützte, genug mit, um uns seine Erklärung desselben als 
richtig anerkennen zu lassen*). Von Plato lässt sich daher 


1) Gourerz verweist für das Gegentheil 8. 174, 3 auf Heruıas Irris. 9 
(ohnediess einen von den geringwerthigsten Zeugen, der auch hier offenbar 
aus dritter Hand und in späterer Ausdrucksweise berichtet); ich meinerseits 
kann in seinen Worten kein Anzeichen dafür finden, dass er bei dem 
ἄγϑρωπος an den „Menschen als solchen“ denke. 

2) Theät. 152 A fragt Sokrates nach Anführung des protagorischen 
Satzes Theätet, ob er ihn gelesen habe, was dieser mit einem ἀνέγνωχα 
xad zollaxıg bejaht, und fährt dann fort: οὐχοῦν οὕτω πὼς λέγει, ὡς 
ὁποῖα μὲν Exaora ἐμοὶ φαίνεται, τοιαῖτα μὲν ἔστεν ἐμοὶ, οἷα δὲ σοὶ, 
τοιαῦτα δὲ αὖ σοί; und Theät. erwiedert: λέγες γὰρ οὖν οὕτως. Ebenso 
166 C. D, wo Prot. für den Satz: μέτρον ἔχαστον ἡμῶν εἶναι τῶν τε 
ὄντων χαὶ un auf seine Schrift verweist und den Gegner auffordert: ἐπ᾽ 
αὐτὸ ἐλθὼν ὃ λέγω zu beweisen, ὡς οὐχὶ ἴδιαε αἰσϑήσεις ἑχάστῳ ἡμῶν 
γέγνονται u. 8. w. 170 A. E; Krat. 385 E. 386 D f. vgl. ΝΆΑΤΟΒΡ 
Forsch. 15 ἢ 

3) Wie diess NAToRP a. a. O. 38 ff. gut zeigt. 

4) Will man nämlich auch von der ganzen ὃ. 1098 ff. zu erörternden 


[988] ᾿ Erkenntnisstheorie: Protagoras. 1097 


nicht annehmen, dass er dem Satz des Protagoras einen fal- 
schen Sinn unterschiebe. Mit ihm stimmt aber auch ΑΒΙΒΤΟ- 
TELES überein!); und wenn die Vermuthung geäussert worden 


nn 


Theorie absehen, so genügt hiefür schon Theät. 152 Bf. Nachdem der Satz 
des Prot. angeführt und in der obenbesprochenen Weise erläutert ist, fährt 
hier Sokrates fort: εἰχὸς μέντοε σοφὸν ἄνδρα un ληρεῖν" ἐπαχολουϑή- 
σωμεν οὖν αὐτῷ, bemerkt dann, dass der gleiche Wiud dem einen kalt 
dem andern warm vorkomme, knüpft daran die Frage: ob er nun an sich 
selbst kalt oder warm zu nennen sei, ἢ πεισόμεθα Πρωταγόρᾳ, ὅτε 
τῷ μὲν ῥιγοῦττι ψυχρὸν, τῷ δὲ un οὔ; und macht nach einigen weiteren 
Erörterungen den Uebergang zum folgenden, der angeblichen Geheimlehre 
des Protagoras, mit der Frage: ap’ οὖν... πάσσοφός τις ἦν ὁ Ilpwr., 
καὶ τοῦτο ἡμὶν μὲν nrifaro τῷ πολλῷ συρφετῷ, τοῖς δὲ μαϑηταὶῖς ἐν 
ἀποῤῥήτῳ τὴν ἀλήϑειαν ἔλεγεν; Darin ist doch, wie mir scheint, deutlich 
gesagt, dass Prot. wirklich in seiner Schrift behauptet hatte, das gleiche 
erscheine verschiedenen verechieden, die Dinge an sich selbst aber haben 
die Eigenschaften nicht, die wir an ihnen wahrzunehmen glauben, und dass 
er diese Behauptung mit dem Beispiel vom Wind erläutert hatte. Diese ganze 
Beweisführung war aber nur dann möglich, wenn der Satz vom Menschen 
als Mass aller Dinge den Sinn hatte, den Plato darin findet. Mit jener 
Ausführung über die Relativität unserer Empfindungen stimmt auch auf's 
beste, was Prarto Prot. 334 A ἢ. dem Sophisten, doch wohl nach seinem 
eigenen Vorgang, in den Mund legt, dass der Begriff des Guten ein relativer, 
und für verschiedene Wesen das verschiedenste gut sei. 

1) Am bestimmtesten ist diess Metaph. XI, 6 Anf. ausgesprochen: 
Prot. sagte, πάντων χρημάτων εἶναι μέτρον ἄνϑρωπον οὐδὲν ἕτερον λέγων 
ἢ τὸ δοχοῦν ἑχάστῳ τοῦτο χαὶ εἶναι παγίως — μέτρον εἶναε τὸ φαινό- 
μένον Exaoıw. Will man aber auch dieses Zeugniss nicht für aristotelisch 
gelten lassen, so steht doch in der Sache das gleiche in der Parallelstelle 
IV, 4. 1007 Ὁ 19 ff., wenn es hier heisst: aus dem Satz des Protagoras 
würde folgen, dass dasselbe entgegengesetztes sein könne; εἰ γὰρ doxei 
τενὶ un εἶναι τριήρης ὁ ἄνϑρωπος, δῆλον ὡς οὐχ ἔστι τριήρης u. 8. W. 
Denn dieses folgt aus jenem Satz eben nur dann, wenn er seinem Sinne 
nach besagte, τὸ ϑοχοῦν ἑχάστῳ χαὶ εἶναι, und ebenso müssen dann (was 
Hauerass S. 197 übersehen hat) auch c. 5 Anf.’die Worte, welche den Satz 
des Prot. wiedergeben wollen: τὰ δοχοῦντα πάντα ἐστὶν aAndn xal τὰ 
φαινόμενα verstanden werden; auch abgesehen davon kann aber τὰ dux. 
πάντα nur bedeuten: alles was irgend jemand wahr zu sein scheint, andern- 
falls müsste durch Beifügung einer Subjektsbezeichnung (τὰ πᾶσι δοχοῦντα 
oder ähnliches; vgl. Eth. X, 2. 1173 a 1) die Bedingung angegeben sein, 
unter der Prot. die δοχοῦντα für wahr gehalten habe. Aus Metaph. X, 1. 
1053 a 35 (welche Stelle HaLsrass 198 gut erläutert) lässt sich nichts 
darüber abnehmen, ob der Mensch als Einzelner oder der Mensch überhaupt, 
μέτρον sein soll. 


1098 Die Sophisten. [983] 


ist), er folge darin, ohne eigene Kenntniss der protagorischen 
Schrift, nur dem Vorgang seines Lehrers, so fehlt es doch an 
jedem Belege, der ein so leichtfertiges Verfahren bei dem 
Philosophen wahrscheinlich machen könnte, welcher alle seine 
Vorgänger an historischem Forschungstrieb und Wissen über- 
troffen, und die Geschichte der Philosophie begründet hat. 
Auch Deuokeıt kann aher Protagoras nicht anders verstanden 
haben, als Plato, wenn er ihm bereits?) mit dem gleichen Ein- 
wurf entgegentrat, wie dieser Theät. 171 A: dass unmöglich 
alle Vorstellungen wahr sein können, weil dann auch die Vor- 
stellungen aller derer wahr sein müssten, welche den Satz des 
Protagoras bestreiten; denn diese Folgerung ergibt sich eben 
nur dann, wenn Protagoras behauptet hatte, dass für jeden 
Einzelnen das wahr sei, was hm als wahr erscheint. Wenn 
endlich auch Sexrtus in einem Abschnitt?), welcher unver- 
kennbar aus einer sachkundigen, dem Sophisten nicht un- 
günstigen, und für die Kenntniss seiner Lehre nicht auf Plato 
beschränkten Quelle geflossen ist*), den Standpunkt des Pro- 
tagoras ebenso darstellt, wie Plato, so haben wir um so mehr 
Grund, diesen übereinstimmenden Zeugnissen Glauben zu 
schenken, da denselben weder eine innere Unwahrscheinlich- 
keit noch irgend eine Aussage eines alten Schriftstellers ent- 
gegensteht. 

Mit viel mehr Recht hat man bezweifelt, dass Protagoras 
seine Skepsis bereits in der gleichen Weise begründet, und 
mit Heraklit’s Physik in den gleichen Zusammenhang gesetzt 
hatte, wie diess von PLAaTo im Theätet geschieht. Dieser selbst 
gibt nämlich deutlich zu verstehen, dass die Theorie, durch 
welche er hier den bekannten Satz des Sophisten erläutern 
und begründen lässt, in der Schrift des Protagoras sich noch 
nicht gefunden habe, sondern erst späteren Anhängern des- 
selben angehöre®); und die Vermuthung, dass wir bei diesen 


1) Die selbst NartorPp 8. 52 nicht ablehnt. 

2) Nach Sextus 8. ο. 922, 1. 

3) Math. VII, 60—64. 388-390. 

4) M. vgl. hierüber NartorPp Forsch. 53 ff. und Bd. III b, 41. 866. 

5) Nachdem Sokrates Theät. 152 Ο (8. o. 1096, 4) die vorher dargestellte 
Lehre als ein von Prot. dem grossen Haufen aufgegebenes Räthsel bezeichnet 


[988] Erkenntnisstheorie: Protagoras. 1099 


zunächst an Aristippus zu denken haben!), hat, wie ich ein- 
räumen muss, vieles für sich?,. Wenn diese erkenntniss- 
theoretischen Auseinandersetzungen an den Satz des Protagoras 
mit der Wendung angeknüpft werden, dass sie den eigentlichen 
Sinn desselben blos genauer darlegen, so wird man hierin zu- 
nächst allerdings nur ein Kunstmittel zu sehen haben, dessen 
sich Plato bedient, um seinem Lehrer die Kritik einer Theorie 
in den Mund legen zu können, die erst nach seinem Tod auf- 
getreten war. Allein gerade wenn es ein Zeitgenosse ist, 
dessen Lehre Plato hier darstellt, so darf man annehmen, er 
werde sich nicht ohne Noth dem Vorwurf ausgesetzt haben, 
dass er ihn fälschlich zum Schüler des Protagoras mache®), 
Aristippus sei diess vielmehr wirklich ebenso, wie sein Lands- 
mann Theodorus, gewesen; wenn daher Aristipp’s Erkenntniss- 
theorie Heraklit’s Lehre vom Fluss aller Dinge zum Aus- 
gangspunkt nahm, so sei dieser Zusammenhang eben durch 
Protagoras vermittelt. Und die Spuren des heraklitischen Ein- 


hat, wird das, was nun folgt, für eine Lehre ausgegeben, die er nur seinen 
Schülern im geheimen mittheilte; es kann sich mithin in seiner Schrift 
nicht gefunden haben. Dieselbe Lehre nennt Sokrates dann 155 Ὁ ἀνδρὸς 
μᾶλλον δὲ ἀνδρῶν ὀνομαστῶν τῆς διανοίας τὴν ἀλήϑειαν ἀποχεχρυμμένην, 
was gleichfalls auf eine von Prot. in einer Schrift niedergelegte Theorie 
nicht passen würde; und jene ἄνδρες, über deren μυστήρεα er berichten 
will, stellt er einem ungenannten plumpen Materialisten, bei dem wir an 
Antisthenes zu denken haben werden (8. Th. II a, 297 fi.), als die χομψό- 
tepoı gegenüber. Auch 165 E ff. wird das, was zu Gunsten des Sophisten 
geltend gemacht wird, nicht ala etwas eingeführt, das er gesagt habe, sondern 
nur als etwas, das auf seinem Standpunkt gesagt werden könnte. Vgl. 
DtuuLer Anthisthenica ὅθ. Akademika 173 fl. Nartorr Forsch. 21 £. 

1) SchteiermacHher Pl. W. W. II a, 183 ἢ, dessen Bemerkungen frei- 
lich nicht alle gleich zutreffend sind. DüsnLer a. a. OÖ. NAToRP 25. 

2) Und auch der Umstand, welcher mich noch Bd. II a, 350 gegen 
diese Annahme bedenklichemachte, dass Aristippus, welcher nur unsere 
eigenen Zustände für erkennbar hielt, eigentlich nicht von den Dingen und 
ihrer Bewegung hätte reden dürfen, scheint mir nicht mehr entscheidend zu 
sein, denn jene Annahme findet sich auch bei dem Vertreter des Protagoras 
im Theätet 167 A: οὔτε γὰρ ra un ὄντα δυνατὸν δοξάσαι, οὔτε ἄλλα 
παρ᾽ ἃ ὧν πάσχηῃ᾽ ταῦτα δὲ ἀεὶ ἀληϑῆ. 
᾿ 3) Einen dringenden Anlass zu dieser Erdichtung hätte er aber nicht 
gehabt, da ihn nichts gehindert hätte, die Theorie, mit der er sich Theät. 
152 D ff. beschäftigt, direkt von den später (179 ff.) besprochenen Herakliteern 
herzuleiten. 


1100 Die Sophisten. [988] 


flusses lassen sich auch in dem wenigen noch erkennen, was 
uns nach Ausscheidung der entwickelteren, voraussetzlich 
aristippischen Theorie von der Lehre des Protagoras über das 
menschliche Erkennen berichtet wird. Denn wenn der leitende 
Gedanke dieser Lehre in dem Satz liegt, dass die Dinge für 
jeden das seien, als was sie ihm erscheinen, an sich selbst 
dagegen keine von den Eigenschaften besitzen, die wir an 
ihnen wahrzunehmen glauben?!), so lässt sich kaum annehmen, 
dass es nur die Verschiedenheit und nicht ebensosehr der 
Wechsel der Erscheinungen war, welcher den Sophisten zu 
dieser Ansicht hinführte; dass er nur bemerkt hatte, die Dinge 
erscheinen verschiedenen Personen verschieden, das dagegen 
übersehen hatte, was der Beobachtung doch noch viel näher 
liegt?), dass sie zu verschiedenen Zeiten verschieden er- 
scheinen. Auf diesen Wechsel hatte aber niemand nachdrück- 
licher hingewiesen, als Heraklit; und derselbe hatte auch aus- 
gesprochen, was Protagoras im Zusammenhang mit seiner 
Lehre von der Relativität alles Wissens so nachdrücklich be- 
tont®), dass dasselbe für ein Wesen gut, für ein anderes schlecht 
sein könne‘). Lässt sich daher auch Protagoras’ Zusammen- 
hang mit Heraklit, abgesehen von der platonischen Darstellung, 
durch keine ausreichenden Zeugnisse beweisen, so spricht doch 
die Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein solcher Zusammenhang 
wirklich stattfand, und dass Protagoras von dieser Seite her 
zur Ausbildung seiner Lehre über die Subjektivität und Re- 
lativität unserer Vorstellungen von den Dingen einen mass- 
gebenden Anstoss erhielt. Mit Heraklit’s Einfluss wird aber 
hiebei der des atomistischen Systems zusammengewirkt haben, 


1) Dass auch diese Bestimmung Protagoras angehört, erhellt ausser der 
S. 922, 1 angeführten Aussage Plutarch's auch aus Arıst. Metaph. IX, 3. 
1047 a4: aus der megarischen Behauptung, nur das Wirkliche sei möglich, 
würde folgen, dass οὔτε ψυχρὸν οὔτε ϑερμὸν οὔτε γλυκὺ οὔτε ὅλως 
αἰσϑητὸν οὐδὲν ἔσται μὴ αἰσϑανομένων. ὥστε τὸν Πρωταγόρου λόγον 
συιιβήσεται λέγειν αὐτοῖς. 

2) Und worauf sich Plato’'s Protagoreer Theät. 154 A ff. beruft. 

3) Vgl. S. 1005. 

4) Vgl. S. 639, 2. Wie Heraklit Fr. 52 ausführt, das Seewasser sei 
den Fischen heilsam, den Menschen schädlich, so Protagoras bei PLATo 
Prot. 334 A, dass zahllose Dinge dem einen schädlich, dem andern gut seien. 


[988. 984] Erkenntnisstheorie: Protagoras. 1101 


dessen Stifter es ja bereits, wahrscheinlich in der Vaterstadt 
unseres Sophisten, ausgesprochen hatte, dass die Dinge an 
sich selbst nicht so beschaffen seien, wie sie sich unserer An- 
schauung darstellen !). 

Eine noch weiter gehende Skepsis begründet Gorgias 
mit Hülfe der zenonischen Dialektik. In seiner Schrift von 
der Natur oder dem Nichtseienden?) suchte er drei Sätze zu 
beweisen: 1) es ist nichts; 2) wenn etwas ist, so ist es doch 
unerkennbar; 3) wenn es auch erkennbar ist, lässt es sich 
doch durch die Rede nicht mittheilen. Der Beweis des ersten 
Satzes stützt sich ganz auf die Annahmen der Eleaten. Wenn 
etwas wäre, sagte Gorgias, so müsste es entweder ein seiendes 
sein oder ein nichtseiendes, oder beides zugleich. Aber A) 
ein nichtseiendes kann es nicht sein, denn nichts kann 
zugleich sein und nichtsein, das Nichtseiende aber müsste 
einerseits als nichtseiendes nicht sein, andererseits, sofern es 
ein nichtseiendes ist, zugleich sein; da ferner das Seiende 
und das Nichtseiende sich entgegengesetzt sind, kann man das 
Sein diesem nicht beilegen, ohne es jenem abzusprechen, dem 
Seienden aber kann man das Sein nicht absprechen®). Ebenso- 
wenig kann aber das, was ist, B) ein seiendes sein, denn 
das seiende müsste entweder entstanden oder unentstanden, 
entweder Eines oder vieles sein. a) Unentstanden kann 


— 


1) Vgl. S. 864, 1.959 £. Dagegen ist ein Einfluss der anaxagorischen Lehre 
auf die Skepsis des Protagoras nicht blos unerweislich, sondern auch ganz 
unwahrscheinlich, wie diess Biumkr& Probl. d. Mat. 99, 2 gegen Breier, 
Laas und Halbfass überzeugend nachweist. Als Protagoras seine Laufbahn 
begann, war Anaxagoras’ Schrift allem nach noch nicht vorhanden. Vgl. 
δ. 1023 fi. 

2) Einen ausführlichen Auszug aus dieser Schrift, aber in seiner eigenen 
Sprache, gibt Sext. Math. VII, 65—87, einen minder vollständigen der an- 
gebliche Arıst. De Melisso ce. 5. 6. Ihren Titel: περὶ τσῦ un ὄντος ἢ π. 
φύσεως verdanken wir Sextus. Rosz’s Zweifel an ihrer Aechtheit (Arist. 
libr. ord. 77 £.) scheint mir weder durch das Stillschweigen des Aristoteles 
über die gorgianische Skepsis, noch durch die spätere Beschränkung des 
Gorgias auf die Rhetorik ausreichend begründet zu sein. Wie Behauptung, 
dass nichts existire, legt schon Iso. Hel. 3. π. ἀντιδόσ. 268 seinem Lehrer 
Gurgias bei, Hel. 3 mit ausdrücklicher Berufung auf die Schriften der alten 
Sophisten. 

8) Sext. 66 f.; etwas abweichend Ps. Arıst. De Mel. 5. 979 a 21 ff. 


1102 Die Sophisten. [985] 


es aber nicht sein, denn was nicht entstanden ist, sagt Gorgias 
mit Melissus, das hat keinen Anfang, und was keinen | An- 
fang hat, ist unendlich. Das Unendliche aber ist nirgends, 
denn es kann weder in einem andern sein, da es in diesem 
Fall nicht unendlich wäre, noch in sich selbst, da das um- 
fassende ein anderes ist, als das umfasste. Was aber nirgends 
ist, das ist gar nicht!). Soll mithin das Seiende unentstanden 
sein, so ist es überhaupt nicht. Setzt man andererseits, es sei 
entstanden, so müsste es entweder aus dem Seienden oder 
aus dem Nichtseienden entstanden sein. Aber aus dem Seien- 
den kann nichts werden, denn wenn das Seiende ein anderes 
würde, wäre es nicht mehr das Seiende; ebensowenig aber 
aus dem Nichtseienden, denn soll das Nichtseiende nicht sein, 
so gilt der Satz, dass aus nichts nichts wird, soll es sein, so 
finden auf dasselbe alle die Gründe Anwendung, welche eine 
Entstehung aus dem Seienden unmöglich machen?). Ebenso- 
wenig kann das Seiende b) Eines oder vieles sein. Nicht 
Eines; denn was wirklich Eins ist, kann keine körperliche 
Grösse haben, was aber keine Grösse hat, das ist nichts®). 
Aber auch nicht vieles, denn jede Vielheit ist eine Anzahl 
von Einheiten, wenn es keine Einheit gibt, gibt es auch 
keine Vielheit*. Nehmen wir c) hinzu, dass sich das Seiende 


1) M. vgl. hiezu S. 608, 2. 596, 1. 

2) Sext. 68—71. De Mel. 979 Ὁ 20 fl. Die letztere Schrift verweist 
dabei ausdrücklich auf Melissus und Zeno; s. o. 607 f. 596, 1. Den Schluss 
des Beweises gibt Sextus einfacher, indem er nur sagt, aus dem Nichtseienden 
könne nichts werden, da das, was ein anderes hervorbringe, doch selbst erst 
sein müsse, dagegen fügt er noch besonders bei, das Seiende könne auch 
nicht entstanden und unentstanden zugleich sein, da dieses sich ausschliesse. 
Es könnte diess sein eigener Zusatz sein, denn Sextus liebt es, bei einem 
Dilemma, dessen beide Glieder er widerlegt hat, noch besonders zu zeigen, 
dass auch nicht beide zusammen wahr sein können; Gorgias kann es aber 
allerdings auch schon so gemacht haben. 

3) De Mel. 978 Ὁ 36 (nach Areır's Ergänzung): χαὶ ὃν μὲν οὐχ ar 
εἶναι, ὅτε ἀσώματον av εἴη τὸ ὡς ἀληϑὼς Ev, χαϑὸ οὐδὲν ἔχον μέγεϑος 
ὃ ἀναιρεῖσθαι τῷ τοῦ Ζήνωνος λόγῳ. (8. ο. 591, 2.) Ausführlicher zeigt 
Gorg. bei Sexrus 73, dass das Eine weder ein ποσὸν, noch ein συνεχὲς, 
noch ein μέγεθος, noch ein σώμα sein könne. 

4) Sex. 74. De Mel. 979 Ὁ 37. Vgl. Zeno a. a. O. und Melissus, 
oben 612, 2. . 


[985. 986] Erkenntnisstheorie: Gorgias. 11083 


auch nicht bewegen könnte, weil nämlich jede Bewegung 
eine Veränderung, und als solche das Werden eines Nicht- 
seienden wäre, weil ferner jede Bewegung eine Theilung vor- 
aussetzt, und jede Theilung eine | Aufhebung des Seins ist!), 
so liegt am Tage, dass das Seiende ebenso undenkbar ist, als 
das Nichtseiende. C) Kann aber das, was sein soll, weder 
ein Seiendes noch ein Nichtseiendes sein, so kann es natürlich 
auch nicht beides zugleich sein?), und so ist der erste Satz 
des Sophisten, dass nichts sei, wie er glaubt, erwiesen. 
Einfather lauten die Beweise für die zwei anderen 
Sätze. Wenn auch etwas wäre, so wäre es doch unerkennbar, 
denn das Seiende ist kein gedachtes und das Gedachte kein 
Seiendes, da ja andernfalls alles, was sich jemand denkt, auch 
wirklich existiren müsste, und keine falsche Vorstellung mög- 
lich wäre. Ist aber das Seiende kein gedachtes, so wird es 
mcht gedacht und erkannt, es ist unerkennbar®). Wäre es 
aber auch erkennbar, so liesse es sich doch durch Worte nicht 
mittheilen. Denn wie liessen sich durch blosse Töne die An- 
schauungen der Dinge hervorbringen, da vielmehr umgekehrt 
die Worte erst aus den Anschauungen entstehen ? Wie ist es 
ferner möglich, dass der Hörende bei den Worten das gleiche 
denke, wie der Sprechende, da Ein und dasselbe doch nicht 
in verschiedenen sein kann’? Oder wenn auch dasselbe in meh- 
reren wäre, müsste es ihnen nicht verschieden erscheinen, da 
sie doch an verschiedenen Orten und verschiedene Personen 
sind?*) Es sind diess zum Theil ächt sophistische Gründe, 


1) So die Schrift über Melissus 980 a 1. Bei Sextus fehlt dieser Be- 
weis, es ist aber nicht wahrscheinlich, dass Gorg. die Einwendungen des 
Zeno und Melissus gegen die Bewegung gar nicht benützt haben sollte. Nur 
ist nach seinem sonstigen Verfahren zu vermuthen, dass er auch hier ein 
Dilemma aufstellte und zeigte, das Seiende könne weder bewegt noch un- 
bewegt sein. Unsere Quelle scheint daher hier eine Lücke zu haben. 

2) Sext. 75 ἢ. 

3) De Mel. 980 a 8, wo aber der Anfang verderbt, und auch durch 
Mullach nicht genügend ergänzt ist, während Sextus 77—82 hier gerade 
viel eigenes einmengt. 

4) Sext. 83-86, der auch hier ohne Zweifel eigene Erläuterungen 
einmischt; vollständiger, aber mit theilweise unsicherem Text, De Melisso 
980 a 19 ff. 

Philos. d. Gr. I. Bd. 5. Aufl. 79 


1104 Die Sophisten. [986. 987] 


aber doch werden zugleich, besonders aus Anlass des dritten 
Satzes, wirkliche Schwierigkeiten berührt, und das ganze 
mochte in jener Zeit immerhin für eine nicht zu verachtende 
Begründung | des Zweifels an der Möglichkeit des Wissens 
gelten können). 

Von den andern Sophisten scheint sich keiner um eine 
so eingehende Rechtfertigung der Skepsis bemüht zu haben, 
wenigstens ist diess von keinem überliefert. Um so allge- 
meiner war die Zustimmung zu dem Ergebniss, in welchem 
sich die Skepsis des Protagoras mit der des Gorgias vereinigte, 
der Leugnung einer objektiven Wahrheit; und wenn sich diese 
Ansicht nur bei den wenigsten auf eine entwickelte Erkenntniss- 
theorie stützte, so wurden die Zweifelsgründe, die man einem 
Protagoras und Gorgias, einem Heraklit und Zeno verdankte, 
nichtsdestoweniger eifrig ausgebeutet. Besonderen Beifall 
scheint die Bemerkung gefunden zu haben, welche vielleicht 
Gorgias, nach Zeno’s Vorgang, zuerst gemacht hatte, dass das 
Eine nicht zugleich Vieles sein könne, dass mithin jede Ver- 
bindung eines Prädikats mit einem Subjekt unzulässig sei?). 


1) Dagegen lässt sich ποτε (Hist. of Gr. VII, 503 4) durch seine 
Vorliebe für die Sophisten zu weit führen, wenn er meint, die Beweisführung 
des Gorgias beziehe sich nur auf das Ding-an-sich der Eleaten. Diese haben 
nur das jenseits der Erscheinung liegende Wesen als wirklich anerkennen 
wollen; im Gegensatz gegen sie zeige Gorg. mit gutem Grunde, dass ein 
solches Ding-an-sich („witra-phenomenal Something or Noumenon“ ) nicht exi- 
stire und auch nicht erkannt oder beschrieben werden könnte. Von dieser 
Beschränkung enthalten unsere Berichte auch nicht die leiseste Andeutung, 
Gorg. beweist vielmehr ganz allgemein und unbedingt, dass nichts existire, 
erkannt oder ausgesprochen werden könne. Auch die Eleaten haben aber 
nicht das hinter der Erscheinung liegende von der Erscheinung, sondern 
nur die wahre Ansicht der Dinge von der falschen unterschieden. Ein 
doppeltes Sein, die Erscheinung und das Ansich, hat erst Plato und in ge- 
wissem Sinn Demokrit. 

2) M. vgl. Prato Soph. 251 B: ὅϑεν γε, οἶμαι, τοῖς Te νέοις καὶ 
γερόντων τοῖς ὀψιμαϑέσι ϑοίνην παρεσχευάχαμεν᾽" εὐθὺς γὰρ ἀντιλαβέσϑαι 
παντὶ πρόχειρον, ὡς ἀδύνατον τά τε πολλὰ ἕν χαὶ τὸ ἕν πολλὰ εἶναε, καὶ 
δή που χαίρουσιν οὐχ ἐῶντες ἀγαϑὸν λέγειν ἄνθρωπον, ἀλλὰ τὸ μὲν 
ἀγαϑὸν ἀγαϑὸν, τὸν δὲ ἄνδρωπον ἄνϑρωπον. Plato hat hiebei allerdings 
zunächst Antisthenes und seine Schule im Auge, aber dass sich seine Aus- 
sage nicht auf diese beschränkt, zeigt auch der Philebus 14 C. 15 D, wo 
er es als eine ganz allgemeine Erscheinung bezeichnet, dass die jungen 


[988] Skepsis. 1105 


An die Sätze des Protagoras über die | Relativität unserer 
Vorstellungen schliesst sich die Behauptung des Xeniades!) 
an, dass alle Meinungen der Menschen falsch seien; und wenn 
Derselbe im Widerspruch mit einer von Anfang an still- 
schweigend, seit Parmenides ausdrücklich anerkannten Voraus- 
setzung der Physiker in dem Entstehen ein Werden aus nichts, 
in dem Vergehen eine reine Vernichtung sehen wollte, so kann 
er auch dazu durch Heraklit’s Lehre vom Fluss aller Dinge 
veranlasst worden sein. Vielleicht setzte er diess aber auch 
nur hypothetisch, um zu zeigen, dass ein Entstehen und Ver- 
gehen ebenso undenkbar sei, als das Werden aus nichts und 
zu nichts. Andere mischten auch wohl eleatisches und hera- 
klitisches, wie Euthydemus; dieser Sophist behauptete näm- 
lich einerseits im Sinn des Protagoras, alles komme allem 


Leute bald die Vielheit in die Einheit, bald diese in jene dialektisch auf- 
lösen und die Möglichkeit der Vielheit in der Einheit bestreiten. Noch 
bestimmter ergibt es sich aus Arısr. Phys. I, 2. 185 b 25: 24opußouvro 
δὲ χαὶ οἱ ὕστεροε τῶν ὠρχαέων (vorher waren die Eleaten und Heraklit 
genannt), ὅπως μὴ ἅμα γένηται αὐτοῖς τὸ αὐτὸ ἕν xal πολλά. διὸ οἱ μὲν 
τὸ ἔστιν ἀφεῖλον, ὥσπερ Auxöypgwv, οἱ δὲ τὴν λέξιν μετεῤῥύϑμιζον, ὅτι 
ὁ ἄνϑρωπος οὐ λευχός ἔστιν, ἀλλὰ λελείχωται u. 8. w. Wenn schon 
Lykophron diese Behauptung berücksichtigte, wird sie wohl nicht erst durch 
Antisthenes in Umlauf gekommen sein, sondern dieser wird sie von Gorgias 
entlehnt haben, dessen Schüler er und wahrscheinlich auch Lykophron war; 
vgl. S. 1069, 3. Was Damasc. De princ. c. 126, II, 2 Ru. sagt: jene Be- 
hauptung sei mittelbar schon von Protagoras, ausdrücklich von Lykophron 
aufgestellt worden, beruht gewiss nur auf einer ungenauen Erinnerung an 
die aristotelische Stelle. 

1) vgl. S. 1070, 1. Das obige findet sich bei Szxr. M. VII, 58: 
Ξενιάδης δὲ ὁ Κορίνϑιος, οὗ xal Anmoxgiros μέμνηται, πάντ' εἰπὼν 
ψευδὴ καὶ πᾶσαν φαντασίαν καὶ δόξαν ψεύδεσθαι, χαὶ ἐκ τοῦ μὴ ὄντος πᾶν 
τὸ γινόμενον ylveodaı, χαὶ εὶς τὸ μὴ ὧν πᾶν τὸ φϑειρόμενον φϑείρεσϑαι, 
dvvausı τῆς αὐτῆς ἔχεταε τῷ ξενοφανει στάσεως. Das letztere bezieht 
sich aber nur auf die angebliche Skepsis des Xenophanes: dass Xeniades 
von der eleatischen Lehre ausgieng, kann man nicht daraus schliessen. 
Die Behauptung über das Entstehen und Vergehen verträgt sich mit dieser 
nur dann, wenn Xeniades dieselbe benützte, um zu beweisen, dass überhaupt 
kein Entstehen und Vergehen möglich sei. Des Satzes, dass alle Vor- 
stellungen falsch seien, erwähnt Sextus auch VII, 388. 399. VIII, 5; zu 
denen, welche kein Kriterium zugaben, rechnet er Xeniades M. VII, 48. 
P. II, 18. 

70* 


1106 Die Sophisten. [989] 


jederzeit gleichsehr und zugleich zu!), andererseits leitete er 
aus parmenideischen | Sätzen?) die Folgerung ab, man könne 
nicht irren und nichts falsches aussagen, und es sei aus diesem 
Grund auch nicht möglich, sich zu widersprechen, denn das 
Nichtseiende lasse sich weder vorstellen, noch aussprechen ὅ). 
Dieselbe Behauptung finden wir aber auch sonst, zum Theil 
in Verbindung mit der heraklitisch-protagorischen Skepsis t), 


1) PLaro Krat. 386 D, nachdem der Satz des Protagoras, dass der 
Mensch das Mass aller Dinge sei, angeführt ist: ἀλλὰ μὴν οὐδὲ κατ' 
Εὐθυδημόν γε, οἶμαι, σοὶ δοχεὶ πᾶσε πάντα ὁμοίως εἶναι χαὶ ἀεί. οὐδὲ 
γὰρ ἄν οὕτως εἶεν οἱ μὲν χρηστοὶ, οἱ δὲ πονηροὶ, εἰ ὁμοίως ἅπασι καὶ 
ἀεὶ ἀρετὴ χαὶ καχία εἴη. Mit Protagoras stellt auch Sexrus Math. VII, 64 
den Euthydem und Dionysodor zusammen: τῶν γὰρ πρός τε καὶ οὗτοε τό 
τε ὃν χαὶ τὸ ἀληϑὲς ἀπολελοίπασι, wogegen ῬΒΟΚΙ,. in Crat. $ 41, die 
platonischen Angaben wiederholend, bemerkt, Prot. und Euth. stimmen zwar 
im Resultat, aber nicht in den Ausgangspunkten überein. Letzteres ist 
übrigens schwerlich richtig; m. vgl. mit Euthydem’s Satz, was 8. 1091, 1 
über Prot. angeführt wurde. 

2) Parm. V. 39 f. 64 f. 5. S. 558, 1. 559, 4. 

3) Bei Praro Euthyd. 289 Eff. führt Euthydem aus, es sei nicht mög- 
lich, die Unwahrheit zu sagen, denn wer etwas sage, der. sage immer ein 
Seiendes, wer aber das Seiende sage, der sage die Wahrheit, das Nicht- 
seiende könne man nicht sagen, denn dem Nichtseienden lasse sich nichts 
anthun. Dasselbe wird 286 C kurz so gefasst: ψευδῆ λέγεεν οὐχ ἔστε... 
οὐδὲ δοξάζειν, nachdem vorher Dionysodor ausgeführt hat, da man das 
Nichtseiende nicht sagen könne, so sei es auch nicht möglich, dass ver- 
schiedene über denselben Gegenstand verschiedenes sagen, sondern wenn der 
eine etwas anderes sage, als der andere, so könne er gar nicht von dem- 
selben Gegenstand reden. Die gleiche Behauptung führt Isoxe. Hel. 1 an, 
diess scheint sich jedoch zunächst auf Antisthenes (vgl.Th. II a, 301, 8) zu 
beziehen. 

4) So sagt Kratylus bei PLaro Krat.429 D, man könne nichts falsches 
sagen, πῶς γὰρ ἄν... λέγων γέ τις τοῦτο, 6 λέγει, un τὸ ὃν Afyos; 
ἢ οὐ τοῦτό ἐστε τὸ ψευδὴ λέγειν, τὸ μὴ τὰ ὄντα λέγειν; und Euthyd. 286 C 
heisst es von der eben angeführten Behauptung Dionysodor's: χαὶ γὰρ ol 
ἀμφὶ Πρωταγόραν σφόδρα ἐχρῶντο αὐτῷ χαὶ οἱ ἔτε παλαιότεροι. (Hier- 
auf bezieht sich Dıoc. IX, 53.) Ebenso sagt der Theätet 171 A von Prota- 
goras: ὁμολογῶν τὰ ὄντα δοξάζειν ἅπαντας, nachdem er seinem Schüler 
schon 167 A die S. 1099, 2 angeführten Worte und 167 D das oödels werd, 
δοξάζει in den Mund gelegt hat; und in der Schrift π. τέχνης (8. o. 1088, 1) 
wird aus der gleichen Voraussetzung geschlossen, dass alles wirklich sei, 
was man dafür hält. Vgl. Ammon. in Categ. Schol. in Ar. 60 a 17. Soph. 
241 A. 260 Ὁ legt Praro den Sophisten im allgemeinen die Behauptung bei, 
dass es keine Unwahrheit gebe, τὸ γὰρ un ὃν οὔτε διανοεῖσϑαί τενα οὔτε 
λέγειν" οὐσίας γὰρ οὐδὲν οὐδαμῆ τὸ μὴ ὃν μετέχειν. 


[989. 990] Skepsis. Eristik. 1107 


und so dürfen wir wohl überhaupt annehmen, dass verschieden- 
artige und von verschiedenen Standpunkten ausgegangene 
Bemerkungen ohne strengere Folgerichtigkeit benützt wurden, 
um den Ueberdruss an den naturwissenschaftlichen Unter- 
‘suchungen und die skeptische Stimmung der Zeit zu recht- 
fertigen. | 

Die praktische Anwendung dieser Skepsis ist die Eristik. 
Wenn keine Annahme an sich und für alle wahr ist, sondern 
jede nur für diejenigen, denen sie wahr scheint, so kann jeder] 
Behauptung eine beliebige andere mit gleichem Recht gegen- 
übergestellt werden, es gibt keinen Satz, dessen Gegentheil 
‘nicht eben so wahr wäre. Diesen Grundsatz hat schon Prota- 
goras aus seiner Erkenntnisstheorie abgeleitet!), und wenn 
uns auch nicht gesagt wird, dass ihn andere gleichfalls in 
dieser Allgemeinheit aufstellten, so war doch ihr Verfahren 
durchgängig von der Art, dass es denselben voraussetzt. Ernst- 
liche wissenschaftliche Untersuchungen sind uns ausser den 
oben besprochenen skeptischen Erörterungen von keinem unter 
den Sophisten bekannt. Einzelne von ihnen trachteten aller- 
dings auch nach dem Ruhm der Gelehrsamkeit. Hippias be- 
handelte in seinen Vorträgen neben anderem auch die Vorzeit 
seines Volkes, die Heroönsage, die Städtegründungen u. s. w., 
und durch sein Verzeichniss der olympischen Sieger scheint 
er sich ein wirkliches Verdienst erworben zu haben; er liebte 
es ferner, auch mit physikalischen, mathematischen und astro- 
nomischen Kenntnissen sich zu zeigen ?) ; aber eine eindringende, 
um die Sache sich bemühende Forschung ist gerade von ihm 
nicht zu erwarten; und wenn Antiphon in seinen zwei Büchern 
von der Wahrheit®) auch physikalische Gegenstände berührte, 


1) Dioc. IX, 51: πρῶτος ἔφη δύο λόγους εἶναι περὶ παντὸς πράγ- 
ματος ἀντιχειμένους ἀλλήλοις" «οἷς καὶ συνηρώτα (er bediente sich ihrer zu 
dialektischen Fragen) πρῶτος τοῦτο πράξας. Cres. Strom. VI, 647 A: 
Ἕλληνές φασι Πρωταγόρου προχατάρξαντος, παντὶ λόγῳ λόγον ἀντιχεί- 
μενον παρεσχευάσϑαι. SEN. ep. 88, 48: Protagoras ait, de omnire in utram- 
que partem disputlari posse ex asquo et de hao ipea, an ommis Tes in uiramgue 
partem disputabilis sit. 

2) 8. o. 1066 £. 

3) Worüber 8. 1070, 4. 


1108 Die Sophisten. (990. 991) 


so lässt doch schon sein Versuch über die Quadratur des 
Zirkels!) vermuthen, dass dieses mit geringer Sachkenntniss 
geschah. Was in dieser Beziehung von ihm berichtet wird, 
ist theils von andern entlehnt, theils bleibt es selbst hinter 
dem damaligen Stande der Naturwissenschaft zurück ?). Bei 
dem einen wie bei dem anderen handelt es sich um oberfläch- 
liche Polyhistorie, die für epidiktische Zwecke ausgebeutet 
wird, nicht um gründliche Forschung®). Protagoras enthielt 
sich nicht blos | für seine Person des naturwissenschaftlichen 
Unterrichts, sondern er macht sich bei Plato auch über den 
des Hippias lustig*), und aus ARISTOTELES erfahren wir, dass 


1) Dieser Versuch, den AnıstoreLes Phys. I, 1. 185 a 17. Soph. el. 
c. 11. 172 a 2 ff. berührt, aber auch ausdrücklich als den eines Dilettanten 
bezeichnet, bestand nach Smrr. Phys. 54, 20, welcher hiebei dem Eudemus 
zu folgen scheint, (ALEXANDER z. d. St. der Soph. el. verwechselt die anti- 
phontische Lösung mit einer andern; zu der Stelle der Physik scheint er 
sie nach Simpl- richtig aufgefasst zu haben) und Tuzwıst. Phys. I, 109, 
21 Sp. einfach darin, dass er ein Polygon in den Kreis zeichnen, und dessen 
Flächeninhalt messen wollte, indem er meinte, wenn man dem Polygon nur 
Seiten genug gebe, falle es mit dem Kreis zusammen. 
| 2) Die Placita II, 28, 2. Jos. Lyd. De mens, IH, 8. S. 39 legen ihm 
-die (anaxagorische; s. S. 1008) Behauptung bei, der Mond habe eigenes 
Licht, wenn man dieses gar nicht oder nur unvollständig sehe, so rühre 
diess von dem Sonnenlicht her, welches das des Mondes verschlinge; nach 
Stop. ΕΚ]. I, 524 hielt er die Sonne für ein Feuer, von dem er mit Anaxi- 
mander und Diogenes (8. o. 223 m. 269, 1) annahm, es nähre sich von den 
Dünsten in der Atmosphäre und sein täglicher Umlauf rühre daher, dass 
es statt der verzehrten immer neue Nahrung suche; nach Dems. I, 558 er- 
klärte er die Mondsfinsternisse (mit Heraklit; 8. 5. 683, 2) aus einer Um- 
wendung des Nachens, in welchem das Feuer des Monds sich befinde; nach 
Plac. III, 16, 4 sollte das Meer eine durch die Hitze bewirkte Ausschwitzung 
des Erdkörpers sein (nach Anaxagoras; 8. o. 1004, 2); GaıLen in Hippoecr. 
epidem. T. XVII a, 681 führt eine Stelle aus der Aln9eıa an, worin eine 
meteorologische Erstheinung, es ist nicht ganz deutlich, welche, erklärt 
wird; Orıc. adv. Cels. IV, 25 wirft ihm vor, dass er die Vorsehung leugne; 
nach Sros. ἘΚ]. I, 252 erklärte er die Zeit für ein νόημα ἢ μέτρον. 

8) Noch weniger wird man diese von einem solchen Stümper, wie der 
Verfasser der “εαλέξεες (s. o. 1073, 4), erwarten; und doch versichert auch 
er (c. 5. 8. 551 Ὁ Mull.), trotz seiner ethischen Skepsis, der Redner müsse 
die ἀλάϑεια τῶν πραγμάτων, die φύσις τῶν ἁπάντων, auch das δέκαιον 
und die Gesetze kennen, mit einem Wort, πάντα ἐπίστασϑαι. 

4) S. o. 1076, 1. Wenn daher Terr. De an. 15 g. E. Protagoras die 
Ansicht zuschreibt, dass der Sitz der Seele in der Brust sei, wird sich diess 


[991] Eristik. 1109 


er, seinem skeptischen Standpunkt getreu, die Geometrie mit 
der Bemerkung angriff, die wirkliche Gestalt der Dinge: falle 
mit ihren Figuren nie genau zusammen!); wenn er daher über 
die Mathematik schrieb?), so muss diess in der Richtung ge- 
schehen sein, dass er ihre wissenschaftliche Sicherheit bestritt®), 
und nur etwa ihre praktische Anwendung in engen Grenzen 
übrig liess*). Gorgias hatte einzelne physikalische Annahmen 
bei Gelegenheit für sich verwendet), aber von eigener For- 
schung auf diesem Gebiete musste ihn seine Skepsis gleich- 
falls abhalten, und dieselbe wird ihm auch von keiner Seite 
zugeschrieben. Von einem Prodikus, Thrasymachus und andern 
namhaften Sophisten | ist uns nichts naturwissenschaftliches 
bekannt®). Wird andererseits das dialektische Verfahren der 


auf irgend eine beiläufige Bemerkung, nicht auf eine anthropologische Theorie 
beziehen. 

.1) Metaph. III, 2. 998 a 2, was Arzx. z. ἃ. St. 8.200, 18 wiederholt 
und Askırrius (Schol. in Ar. 619 Ὁ 3) gewiss nur aus eigenen Mitteln 
weiter ausmalt. Auf dieselbe Angabe bezieht sich Syrıan Metaph. 851 b 3. 

2) Περὶ μαϑημάτων Dioe. IX, 55, vgl. Farı 189 ἢ. 

3) Gosrenz Apol. d. Heilk. 186 findet diese Behauptung zwar „nicht 
wenig gewagt“, ich kann mir indessen nicht denken, welchen anderen Sinn 
die oben angeführte Bemerkung des Protag. gehabt haben könnte; und auch 
Aristoteles sagt, sie habe ihm dazu gedient, die Geometer zu widerlegen, 
den Unwerth ihrer Wissenschaft darzuthun (ἐλέγχων τοὺς γεωμέτρας), ebenso 
ALEXANDER: ᾧετο τοὺς γεωμέτρας ἐλέγχειν ὡς ψευδομένους. 

4) Eine solche hätte er immerhin zugestehen, und in dieser Hinsicht 
auch positive Anweisungen geben können. Schrieb er doch nach Dıoe. a. a. O. 
und PL4to Soph. 232 Ὁ (8. o. 1076, 3) auch über die Ringkunst, und nach 
ARISTOTELES (s. 0. 1053, 3) erfand er einen Wulst für die Lastträger. Was 
jedoch Plato über die Ππρωταγόρεια περὶ πάλης u. 8. f. sagt, weist nicht 
auf technische, sondern auf eristische Erörterungen hin; vgl. S. 1055, 3. 

5) Vgl. 5. 1057, 3. Dagegen scheint ihn SoraATEr Ζεαίρ. Int. Rhet. 
gr. VII, 23: Γοργ. μύδρον εἶναι λέγων τὸν ἥλιον, mit Anaxagoras zu ver- 
wechseln. 

6) GaLen nennt zwar De elem. I, 9. T. 1,487 K. De virt. phys. II, 9. 
T. U, 130 eine Schrift des Prodikus u. d. T.: περὶ φύσεως oder π. φύσεως 
ἀνϑρώπου und Cicero sagt De orat. III, 32, 128: quid de Prodico Chio? quid 
de Thrasymacho Chalcedonio, de Protagora Abderita loquar? quorum unusquisque 
plurımum temporibus illis etiam de natura rerum et disseruit et scripsit. Allein 
dass jene Schrift des Prodikus wirklich naturwissenschaftliche Untersuchungen 
enthielt, ist durch ihren Titel noch nicht bewiesen. Cicero aber will a. a. O. 
nur überhaupt darthun, veteres doctores auctoresque dioendi nullum genus diepu- 
tationis a se alienum pulasse semperque esse in omni oralionis ralione versalos, 


1110 Die Sophisten. [992] 


Sophisten, und werden einzelne von ihren Sätzen in einer 
medicinischen oder naturwissenschaftlichen Schrift!) benützt, 
so beweist diess zwar für den Einfluss derselben auf ihre Zeit- 
genossen, aber dass auch umgekehrt die philosophischen Ver- 
treter der Sophistik sich in selbständiger Weise mit der Heil- 
kunde oder der Physik beschäftigten, folgt nicht daraus. Statt 
des objektiven Interesses an der Erkenntniss der Dinge bleibt 
ihnen nur das subjektive an der Bethätigung einer formellen 
Denk- und Redefertigkeit übrig, und diese kann ihre Aufgabe 
‘nur in der Widerlegung anderer finden, nachdem einmal auf 
eine eigene positive Ueberzeugung verzichtet ist. Die Eristik 
war daher mit der Sophistik selbst gegeben: nachdem ihr 
schon Zeno den Weg gebahnt hatte, treffen wir bei Gorgias 
eine Beweisführung, die ganz eristischer Natur ist; gleichzeitig 
bringt Protagoras die eristische Kunst als solche auf, für die 
er eine eigene Anleitung schrieb?), und in der Folge ist sie 


und dafür beruft er sich neben den eben genannten nicht blos auf den 
Tausendkünstler Hippias (s. o. 1066, 2), sondern auch auf das Anerbieten 
des Gorgias, über jedes gegebene Thema Vorträge zu halten. Es handelt 
sich hier also nicht um Naturphilosophie, sondern um Prunkreden, wobei es 
sich überdiess fragt, wie weit Cicero's selbständige Kenntniss von der Sache 
gieng, und ob er nicht aus Titeln, wie περὶ φύσεως͵ π. τοῦ ὄντος, oder 
noch wahrscheinlicher aus der unbestimmt lautenden Bemerkung eines Vor- 
gängers über den Unterschied der gerichtlichen und epidiktischen Beredsam- 
keit zu viel geschlossen hat. (Vgl. Wecker 522 f) Auch daraus, dass 
Kritias (nach Arıst. De an. I, 2. 405 Ὁ 5, dessen Angabe die Ausleger nur 
wiederholen) die Seele für Blut hielt, sofern die Empfindung in diesem ihren 
Sitz habe, kann man auf eine eingehendere Beschäftigung mit naturwissen- 
schaftlichen Fragen um so weniger schliessen, da uns sonst kein physika- 
lischer Satz von ihm überliefert ist. 

1) Wie die 8. 1055, 3. 1088, 1 besprochene περὶ τέχνης. Der Ver- 
fasser dieser Schrift tritt den böswilligen Gegnern der Heilkunde, die sie 
für keine Kunst gelten lassen wollen und ihr allen Werth absprechen, offen- 
bar sophistischen Rhetoren, zunächst mit allgemeineren Gründen entgegen, 
welche bald gleichfalls der Sophistik, bald der gleichzeitgen Physik (c. 6 
z. B. Demokrit) entnommen, ziemlich schülerhaft gehandhabt werden. Besser 
zeigt er sich in den medicinischen Dingen als solchen bewandert; für die 
philosophische Charakteristik der Sophistik liefert seine Arbeit kaum einen 
Beitrag. 

2) Dıioe. IX, 52: καὶ τὴν διάνοιαν ἀφεὶς πρὸς τοὔνομα διελέχϑη καὶ 
τὸ νῦν ἐπιπολάζον γένος τῶν ἐριστιχὼν ἐγέννησεν (diese Worte scheinen 
einem ziemlich alten Zeugen entnommen zu sein), wesshalb Timon von ihm 


[993] Eristik. 1111 


von dem Auftreten der Sophisten so unzertrennlich, | dass diese 
von ihren Zeitgenossen kurzweg als Eristiker bezeichnet wer- 
den, und die Sophistik als die Kunst definirt wird, alles in 
Zweifel zu stellen und jeder Behauptung zu widersprechen), 
Dabei verfuhren aber die sophistischen Lehrer sehr unmetho- 
disch. Die verschiedenen Wendungen, deren sie sich bedienten, 
wurden zusammengesucht, wie sie sich eben darboten, ohne 
dass einer von ihnen den Versuch gemacht hätte, diese ver- 
einzelten Kunstgriffe zur Theorie zu erheben und nach festen 
Gesichtspunkten zu regeln. Es war ihnen nicht um ein wissen- 
schaftliches Bewusstsein über ihr Verfahren zu thun, sondern 
nur um die unmittelbare Anwendung auf die einzelnen Fülle, 
und so liessen sie denn auch ihre Schüler ganz handwerks- 
mässig die Fragen und Fangschlüsse auswendig lernen, die 
ihnen am häufigsten vorkamen 2), | 


7117 \ 

sage, ἐριζέμεναι εὖ εἰδώς. ὃ 55 δρηηὶ Diogenes von ihm eing τέχνη ἐρεστι- 
χῶν, auf deren Beschaffenheit wir der gleich anzuführenden aristotelischen 
Stelle (S. 1111, 2) schliessen könne ἃ Prarto sagt Soph. 232 ἢ, aus den 
Schriften der Sophisten, und insbesondere denen des Protagoras könne man 
lernen, wie sich in jeder Kunst der, welcher sie ausübt, bestreiten laase ; 
vgl. S. 1055, 3). 

1) Prato Soph. 225 C: τὸ δέ γε ἔντεχνον (sc. τοῦ ἀττιλογιχοῦ μέρος) 
καὶ περὶ δικαίων αὐτῶν χαὶ ἀδίχων καὶ περὶ τῶν ἄλλων ὅλως ἀμφισβη- 
τοῦν ap’ οὐχ ἐριστεχὸν αὖ λέγειν εἰϑίσμεϑα; die Sophistik bestehe nun 
in derjenigen Anwendung dieser Streitkunst, bei der es auf Gelderwerb ab- 
gesehen sei. Ebenso wird 232 B ff. als das allgemeinste Merkmal des So- 
phisten festgehalten, dass er ἀντελογιχὺς περὶ πάντων πρὸς ἀμφισβήτησιν 
sei, und es wird desshalb 290 D ff. gesagt, die Sophistik gleiche der (sokra- 
tischen) Elenktik, wenn auch nur so, wie der Wolf dem Hunde. Vgl. 8.216 B, 
wo mit dem ϑεὸς ἐλεγχτιχὸς und dem Ausdruck τῶν περὶ τὰς ἔριδας ἐσ- 
πουϑαχότων die Sophisten, vielleicht in Verbindung mit megarischen und 
cynischen Eristikern, gemeint sind, Theät. 165 D. Ebenso bedient sich 
Isoxrares für die Sophisten der Bezeichnung τῶν περὶ τὰς ἔριδας διατρι- 
βόντων, τῶν π. τ. ἔρ. χαλινδουμένων (c. Soph. 1. 20 vgl. Hel. 1), und 
ARISTOTELES (5. folg. Anm.) nennt sie οὗ περὶ τοὺς Zguntixod; λόγους μισ- 
ϑαρνοῦντες (vgl. hiezu Plato, oben 1077, 1. Schon Demokrit beschwert 
sich über die Streitkünstler und ihre Fangschlüsse; 8. ο. 922, 2. 

2) Arıst. Soph. el. 33. 183 b 15: bei anderen Untersuchungen habe 
er nur zu vollenden gehabt, was andere begonnen hatten, die Rhetorik z. B. 
habe sich von kleinen Anfängen aus allmählich durch einen Tisias, Thrasy- 
machus, Theodorus zu grösserer Reichhaltigkeit entwickelt; ταύτης δὲ τῆς 
πραγματείας οὐ τὸ μὲν ἣν τὸ δ' οὐχ ἣν προεξειργασμένον, ἀλλ᾽ οὐδὲν 


1119 Die Sophisten. [994] 


Ein anschauliches Bild der sophistischen Streitkunst, so 
wie diese in der späteren Zeit beschaffen war, erhalten wir 
durch den platonischen Euthydem und die aristotelische Schrift 
über die Trugschlüsse 1): und dürfen wir auch bei jenem nicht 
vergessen, dass er eine mit dichterischer Freiheit ausgeführte 
Satire, bei dieser, dass sie eine allgemeine Theorie ist, welche 
sich auf die Sophisten im engeren Sinn und überhaupt auf 
das geschichtlich gegebene zu beschränken keine Verpflichtung 
hat, so zeigt doch die Uebereinstimmung jener Schilderungen 
mit einander und mit den sonstigen Nachrichten, dass wir sie 
in allen wesentlichen Zügen auf die Sophistik anwenden 
dürfen. Was sie uns berichten, lautet nun allerdings nicht 
sehr vortheilhaf. Um ein wirkliches wissenschaftliches Er- 
gebniss ist es den Eristikern gar nicht zu thun, sondern nur 
darum, dass der Gegner oder Mitunterredner in Verlegenheit 
gebracht und in Schwierigkeiten verstrickt werde, aus denen 
er sich nicht herauszuwickeln weiss, dass jede Antwort, die 
er geben mag, sich als unrichtig darstelle?); und ob dieses 
Ergebniss durch richtige Folgerungen gewonnen, oder durch 
Fehlschlüsse erschlichen wird, ob der Mitunterredner wirklich 
oder nur scheinbar widerlegt ist, ob er selbst sich besiegt 
fühlt, oder ob er nur vor den Zuhörern als besiegt erscheint, 
zum Schweigen gebracht oder lächerlich gemacht ist, darauf 
kommt es nicht an?). Ist eine Erörterung dem Sophisten un- 


παντελὼς ὑπῆρχεν. καὶ γὰρ τῶν περὶ τοὺς ἐριστιχοὺς λόγους μεσϑαρνούν- 
των ὁμοία τις ἣν ἡ παίδευσις τῇ Γοργίου πραγματείᾳ. λόγους γὰρ οἱ μὲν 

. ῥητοριχοὺς οὗ δὲ ἐρωτητιχοὺς ἐδίδοσαν ἐχμανϑάνειν, εἰς οὗς πλειστάχις 
ἐμπίπτειν φήϑησαν Exarepoı τοὺς ἀλλήλων λόγους" διόπερ ταχεῖα μὲν 
ἄτεχνος δ᾽ ἣν ἡ διδασχαλία τοῖς μανϑάνουσι παρ᾽ αὐτῶν, οὗ γὰρ τέχνην 
ἀλλὰ τὰ ἀπὸ τῆς τέχνης διϑόντες παιδεύειν ὑπελάμβανον, wie wenn ein 
"Schuster (fügt Arist. bei) seinem Lehrling, statt des Unterrichts in seinem 
Handwerk, eine Partie fertiger Schuhe übergeben wollte. 

1) Eigentlich das neunte Buch der Topik. Ueber die einzelnen von 
Aristoteles angeführten Trugschlüsse vgl. ALExAnDER in den Scholien, Waırz 
in seinem Commentar, Prıntı Gesch. ἃ. Log. I, 20 ff. 

2) Die ἄφυχτα ἐρωτήματα, deren sich der Sophist im Euthydem 
275 E. 276 E rühmt. 

8) M. vgl. den ganzen Euthydem, und Arısr. Soph. el. c. 1 (vgl. ς. 8. 
169 Ὁ 20), wo der sophistische Beweis kurzweg als συλλογισμὸς χαὶ ἔλεγχος 
φαινόμενος μὲν οὐχ ὧν δέ definirt wird. 


[995] Eristik. 1113 


bequem, so springt er zur Seite!); begehrt man von ihm eine 
Antwort, so | besteht er darauf, nur zu fragen?); will man 
zweideutigen Fragen durch nähere Bestimmung entgehen, so 
verlangt er ein Ja oder Nein®); denkt er, man wisse zu ant- 
worten, so verbittet er sich alles, was der andere möglicher- 
weise sagen kann, zum voraus*); weist man ihm Widersprüche 
nach, so verwahrt er sich gegen das Herbeiziehen von Dingen, 
die längst abgethan seien); weiss er sich gar nicht mehr 
anders zu helfen, so betäubt er den Gegner mit Reden, deren 
Albernheit jede Erwiederung abschneidet®). Den Schüchternen 


1) Soph. el. c. 15. 174 b 28 gibt Aristoteles vom sophistischen Stand- 
punkt aus die Regel: dei δὲ xal ἀφεσταμένους τοῦ λόγου τὰ λοιπὰ τῶν 
ἐπιχειρημάτων ἐπιτέμνειν . .. ἐπιχειρητέον δ᾽ ἐνίοτε χαὶ πρὸς ἄλλο τοῦ 
εἰρημένου, ἐχεῖνο ἐχλαβόντας, ἐὰν μὴ πρὸς τὸ χείμενον ἔχῃ τις, ἐπιχειρεῖν 
ὕπερ ὃ «“υχύφρων ἐποίησε, προβληϑέντος λύραν ἐγχωμιάζεεν. Beispiele 
gibt der Euthydem 287 Β ff. 297 B. 299 A. u. ὅ. 

2) Euthyd. 287 B fi. 295 B £. 

3) Soph. el. c. 17. 175 b 8: ὅ τ᾿ ἐπιζητοῦσι νῦν μὲν ἧττον πρότερον 
δὲ μᾶλλον οἱ ἐρειστιχοὶ, τὸ ἢ ταὶ ἢ οὔ ἀποχρίνεσϑαι. Vgl. Euthyd. 295 
E fi. 297 Ὁ ἢ. 

4) So Thrasymachus bei Prato Rep. I, 336 C, wo er Sokrates auf- 
fordert, zu sagen, was das Gerechte sei; xzal ὅπως uus μὴ ἐρεῖς, ὅτε τὸ 
δέον ἐστὶ und’ ὅτε τὸ ὠφέλιμον und’ ὅτι τὸ λυσιτελοῦν μηδ᾽ ὅτι τὸ xep- 
δαλέον μηδ᾽ ὅτε τὸ ξυμφέρον, ἀλλὰ σαφῶς μοι καὶ ἀχριβῶς λέγε ὃ τι ἄν 
λέγης" ὡς ἐγὼ οὐχ ἀποδέξομαε, ἐὰν ὕϑλους τοιούτους λέγης, wozu die Ant- 
wort des Sokrates, 337 A, zu vergleichen ist. 

5) Mit ergötzlicher Unbefangenheit geschieht diess im Euthydem 287 B: 
εἶτ᾽, ἔφη, ὦ Σώχρατες, ΖΔιονυσίδωρος ὑπολαβὼν, οὕτως εἶ Κρόνος, ὥστε 
ἃ τὸ πρῶτον εἴπομεν νῦν ἀναμιμνήσχει, χαὶ εἴ τι πέρυσιν εἶπον, νῦν 
ἀναμνησλήσει, τοῖς δ᾽ ἐν τῷ παρόττι λεγομένοις οὐχ ἕξεις ὅ τε χρῆ; Aechn- 
lich sagt Hippias bei Xen. Mem. IV, 4, 6 spöttisch zu Sokrates: ἔτε γὰρ 
σὺ ἐχεῖνα τὰ αὐτὰ λέγεις, ὦ ἐγὼ πάλαι ποτέ σου ἤχοισα; worauf ihm 
Sokrates erwiedert: ὅ δέ γε τούτου δεινότερον, ὦ Ἱππία, οὐ μόνον ἀεὶ τὰ 
αὐτὰ λέγω, ἀλλὰ χαὶ περὶ τῶν αὐτῶν. σὺ δ᾽ ἴσως διὰ τὸ πολυμαϑὴς εἶναι 
περὶ τῶν αὐτῶν οὐδέποτε τὰ αὐτὰ λέγεις. Das gleiche legt PLarto Gorg. 
490 E Sokrates und Kallikles in den Mund, und so mag es wirklich dem 
historischen Sokrates angehören. 

6) So im Euthydem, wo die Sophisten am Ende zugeben, dass sie alles 
wissen und verstehen, und schon als kleine Kinder verstanden haben, die 
Sterne zu zählen und Schuhe zu flicken u. s. w. (298 Εἰ ff.), dass die jungen 
Hunde und die Spanferkel ihre Geschwister seien (298 D) und dgl.; und 
zum Schlusse der Trumpf, auf welchen der Gegner die Waffen streckt, und 
alles in tollen Jubel ausbricht, dass Ktesippus ausruft: πυππὰξ, ὦ Ἡράκλεις! 


1114 Die Sophisten. [996] 


sucht er durch anmassendes Auftreten zu verblüffen!), den 
Bedächtigen durch rasche Folgerungen zu | überrumpeln 2), 
den Ungewandten zu auffallenden Behauptungen®) und un- 
geschickten Ausdrücken *) zu verleiten. Aussagen, die nur in 
einer bestimmten Beziehung und einem beschränkten Umfang 
gemeint waren, werden absolut genommen; was vom Subjekt 
gilt, wird auf’s Prädikat übertragen; aus oberflächlichen Ana- 
logieen werden die gewagtesten Schlüsse gezogen. Es wird 
etwa gefolgert, dass es unmöglich sei, etwas zu lernen, denn 
was man schon weiss, das könne man nicht mehr lernen, und 
wovon man nichts weiss, das könne man nicht suchen; der 
Verständige lerne nichts, weil er die Sache schon wisse, und 
der Unverständige nicht, weil er sie nicht begreife®); es wird 
behauptet, wer etwas weiss, der wisse alles, denn der wissende 


und Dionysodor erwiedert: πότερον οὖν ὁ Ἡραχλῆς πυππάξ ἔστεν ἢ ὁ 
πυππὰξ Ἡρακλῆς; 

1) So führt sich Thrasymachus Rep. 886 C in das Gespräch mit den 
Worten ein: τίς ὑμᾶς πάλαι φλυαρία ἔχει, ὦ Σώχρατες, καὶ τί εὐηϑίζεσϑε 
πρὸς ἀλλήλους ὑποχαταχλενόμεγνοε ὑμῖν αὐτοῖς ; im Euthydem 283 B be- 
ginnt Dionysodor: οὐ Σωχρατές Te καὶ ὑμεῖς οἱ ἄλλοι, . .. πότερον παίζετε 
ταῦτα λέγοντες, 7... . σπουδάζετε; (ähnlich Kallikles Gorg. 481 B); und 
nachdem Sokrates versichert hat, es sei ihm ernst, warnt er ihn noch: σχόπεε 
μὴν, ὦ Σώχρατες, ὅπως μὴ ἔξαρνος ἔσεε ἃ νῦν λέγεις. 

2) Soph. el. 15. 174 b 8: σφόδρα δὲ καὶ πολλάχις ποιεῖ δοκεῖν ἐλη- 
λέγχϑαι τὸ μάλιστα σοφιστιχὸν συχοφαντημα τῶν ἐρωτώντων, τὸ μηδὲν 
συλλογισαμένους μὴ ἐρώτημα ποιεῖν τὸ τελευταῖον, ἀλλὰ συμπεραντεχῶς 
εἰπεῖν, ὡς συλλελογισμένους, ηοὐχ ἄρα τὸ χαὶ τό“. 

8) M. s. hierüber soph. el. c. 12, wo verschiedene Kunstgriffe ange- 
geben werden, durch welche der Mitunterredner zu falschen oder paradoxen 
Aussagen verlockt werden könne. 

4) Dahin gehört von den sophistischen Wendungen, welche ARISTOTELES 
aufführt, der Solöcismus (dass der Gegner zu Sprachfehlern, oder auch um- 
gekehrt, wenn er richtig redet, zu der Meinung, als ob er Fehler mache, 
verleitet wird), soph. el. c. 14. 32, und das ποεῆσαι ἀδολεσχεῖν, ebd. 
c. 13. 81; das letztere besteht darin, dass der Gegner genöthigt wird, den 
Subjektsbegriff im Prädikat zu wiederholen, 5. B.: τὸ σεμὸν χοιλότης δενός 
ἔστιν, ἔστε δὲ ῥὶς σιμὴ, ἔστεν ἄρα δὲς Öls xolln. 

5) Dieser bei den Sophisten, wie es scheint, sehr beliebte Fangschluss 
wird öfters, in verschiedenen Wendungen, angeführt: von PLaro Meno 80 
E. Euthyd. 275 D ἢ 276 D ἢ, von Arıstotezs Soph. el. c. 4. 165 b 80 
vgl. Metaph. IX, 8. 1049 b 33 und was Prantı Gesch. ἃ. Log. I, 23 weiter 
beibringt. 


[996. 997] Eristik, 1115 


sei kein nichtwissender!), wer sein Wissen einem andern mit- 
theilt, müsste es dadurch seinerseits verlieren?); wahr und 
falsch sei dasselbe, denn der gleiche Satz sei wahr, wenn die 
Sache sich so verhält, wenn nicht, falsch®); wer Eines Men- 
schen Vater oder Bruder ist, der sei jedermanns Vater oder 
Bruder, denn der Vater könne nicht Nicht-Vater, der Bruder 
nicht Nicht-Bruder sein®); wenn A nicht B ist, und B ein 
Mensch ist, so sei A kein Mensch); | was an dem einen Ort 
ist, an dem anderen nicht ist, das sei und sei zugleich nicht, 
was schwerer ist als das eine und leichter als das andere, das 
sei zugleich entgegengesetztes®); wenn der Mohr schwarz ist, 
könne er nicht weiss sein, also auch nicht an den Zähnen’); 
wenn ich gestern' dasass und heute nicht mehr, so sei es zu- 
gleich wahr, und nicht wahr, dass ich dasitze®); wenn eine 
Flasche Arznei dem Kranken gut bekommt, so werde ihm ein 
Fuder davon noch besser bekommen); es werden Fragen 
gestellt, wie der sog. Verhüllte!®), und schwierige Fälle er- 
sonnen, wie der Schwur, falsch zu schwören!!), u. dgl. Die 
ausgiebigste Fundgrube für sophistische Künste bieten aber 
die Zweideutigkeiten des sprachlichen Ausdrucks !?), und je 


1) Euthyd. 293 B ff., wo die unsinnigsten Folgerungen daraus gezogen 
werden. 

2) In den “ιαλέξεις (s. ο. 1073, 4) c. 5 Anf. angeführt, von dem Ver- 
fasser allerdings nicht gebilligt. 

3) Ebd. c. 49. 549 a Mull. mit Zustimmung angeführt. 

4) Euthyd. 297 D ff. mit widerlegender Uebertreibung. 

5) Soph. el. 5. 166 b 32. 

6) Beides Ζιαλ. 4, 549 b. 

7) Soph. el. 5. 167 a 7 vgl. PLato Phileb. 14 Ὁ. 

8) Soph. el. 22. 178 b 24. Aechnlich c. 4. 165 Ὁ 80 ff. 

9) Euthyd. 259 A ff., wo noch mehr dergleichen, 

10) Man zeigt einen Verhüllten, und fragt einen seiner Bekannten, ob 
er ihn kenne; bejaht er es, so sagt er eine Unwahrheit, denn er kann nicht 
wissen, wer unter der Hülle versteckt ist; verneint er es, so sagt er gleich- 
falls eine, denn er kennt ja den Versteckten. Diese und einige ähnliche 
Wendungen bespricht Arıst. soph. el. c. 24. 

11) Es hat sich jemand zu einem Meineid eidlich verpflichtet; wenn er 
nun diesen Meineid wirklich schwört, ist diess ein &UVonxeiv oder ein ἐπέορ- 
κεῖν ὃ soph. el. c. 25. 180 a 34 ff. Vgl. ἤκοει, Gesch. ἃ. Phil. II, 116 £. 

12) Arısr. soph. el. c. 1. 165 a 4: &is τόπος εὐφυέστατίς ἐστι xal 
δημοσιώτατος ὁ διὰ τῶν ὀνομάτων, weil die Worte als allgemeine Be- 


1116 Die Sophisten. [997. 998] 


weniger es den Sophisten um wirkliche Erkenntniss zu thun 
war, je weniger zugleich in der damaligen Zeit noch für die 
grammatische Bestimmung der Wort- und Satzformen- und für - 
die logische Unterscheidung der verschiedenen Kategorieen 
geschehen war, um so ungebundener musste sich der Witz 
auf diesem weiten Felde herumtummeln, zumal in einem Volke, 
das in der Rede so gewandt, und an Wortspiele und Wort- 
räthsel so gewöhnt war, wie die Griechen!), Mehrdeutige 
Ausdrücke werden im ersten Satz in Einer Bedeutung ge- 
nommen, und im zweiten in einer | andern?); was nur ver- 
bunden einen richtigen Sinn gibt, wird getrennt?), was ge- 


zeichnungen nothwendig vieldeutig seien. Vgl. Prato Rep. V, 454 A, wo 
die Dialektik durch das diesgeiv xar' εἴδη charakterisirt wird, die Eristik 
durch die Gewohnheit, xar’ αὐτὸ τὸ ὄνομα διώχειν τοῦ λεχϑέντος τὴν 
ἐναντίωσιν. 

1) Beispiele liessen sich, auch abgesehen von den Komikern, aus der 
Masse der sprüchwörtlichen Redensarten in Menge beibringen. Auch Arısto- 
TELES soph. el. 182 b 15 erinnert bei den sophistischen Wortspielen an jene 
λόγοι γελοῖοι, die ganz im Geschmack unserer Volkswitze sind, z. B. o- 
τέρα τῶν βοὼν ἔμπροσϑεν τέξεται; οὐδετέρα, ἀλλ᾽ ὄπισϑεν ἄμφω. Aehn- 
licher Art ist, was Arıst. Rhet. II, 24. 1401 a 12 anführt: σπουδαῖον εἶναε 
μῦν, denn von ihr kommen die μυστήρια. 

2) Zum Beispiel: τὰ χαχὰ ἀγαϑά" τὰ γὰρ δέοντα ἀγαϑὰ, τὰ δὲ zaxa 
δέοντα (8. el. 4. 165 b 84). --- ἄρα ὃ ὁρᾷτις, τοῦτο ὁρᾷ; ὁρᾷ δὲ τὸν χίονα, 
ὥστε ὁρᾷ ὁ κίων. --- ἄρα ὃ σὺ φὴς εἶναι, τοῦτο σὺ φὴς εἶναι; φὴς δὲ 
λέϑον εἶναι, σὺ ἄρα φὴς λίϑος εἶναι. — ag’ ἔστι σιγῶντα λέγειν; u. 8. ν΄. 
(ebd. 166 b 9, ähnlich c. 22. 178 ἢ 29 fi. Gleichen Kalibers und theilweise 
identisch mit diesen sind die Fangschlüsse im Euthydem 287 A. D. 300 
A—D. 301 C ὦ) — don ταῦτα ἡγεῖ σὰ εἶναι, ὧν av ἄρξης καὶ ἐξῇ σοι 
αὐτοῖς χρῆσϑαι ὃ τι ἄν βούλῃ; mithin ἐπειϑὴ σὸν ὁμολογεῖς εἶναι τὸν Ale 
καὶ τοὺς ἄλλους ϑεοὺς, ἄρα ἔξεστί 00, αὐτοὺς ἀποδύσϑαι u. 5. w. (Euth. 
801 E Β.: ebenso soph. el. 17. 176 b 1: ὁ ἄνϑρωπός ἐστε τῶν ζῴων; ναί. 
χτῆμα ἄρα ὁ ἄνϑρωπος τῶν ζῴωνλ ---- „Was jemand gehabt hat und nicht 
mehr hat, hat er verloren; wenn also jemand von zehen Steinchen Eines 
verliert, so hat er zehen verloren, denn er hat nicht mehr zehen.“ „Wenn 
mir jemand, der mehrere Würfel hat, blos Einen gibt, so hat er mir ge- 
geben, was er nicht hatte, denn er hat nicht blos Einen“ (s. el. 22. 178 b 
29 6). — Τοῦ χαχοῦ σπουδαῖον τὸ μάϑημα᾽ σπουδαῖον ἄρα μάϑημα τὸ 
χαχόν. (Euthydem bei Arısr. 8. el. 20. 177 Ὁ 16; die Zweideutigkeit liegt 
hier darin, dass τὸ xaxö» nicht substantivisch = das Schlechte genommen, 
sondern μάϑημα dazu ergänzt wird: „also ist das schlechte μάϑημα ein 
gutes.“) 

3) So Euthyd. 295 A fl.: Du erkennst alles immer mit demselben (der 


[999] Eristik. 1117 


trennt werden sollte, wird verbunden !); die | Ungleichheit der 
Sprache im Gebrauch der Wortformen wird zu kleinen Necke- 
reien benützt?) u. dgl. In allen diesen Dingen kennen die 


Seele), also erkennst du alles immer. Soph. el. c. 4. 5. 166 a u. 168 a o: 
„zwei und drei ist fünf, also ist zwei fünf und drei fünf“; „A und Bist ein 
Mensch, wer also A und B schlägt, hat Einen Menschen geschlagen und 
nicht mehrere“ u. dgl. Ehd. 24. 180 a 8: τὸ εἶναι τῶν χαχὼῶν τι ἀγαϑόν" 
7 γὰρ φρόνησίς ἐστιν ἐπιστήμη τῶν χαχῶν, ist sie aber (muss der voll- 
ständige Schluss gelautet haben) ἐπιστήμη τῶν χαχῶν, so ist sie auch τὶ 
τῶν χαχὼν». 

1) Z. B. Euthyd. 298 Ὁ f. (vgl. 8. el. 24. 179 a 34): Du hast einen 
Hund und der Hund hat Junge; οὐχοῦν πατὴρ ὧν σός ἐστιν, ὥστε σὸς 
πατὴρ γίγνεται. SBoph. el. 4. 166 a 28 8.: durarov χαϑήμενον βαδίζειν 
za) μὴ γράφοντα γράφειν und ähnliches. Ebd. c. 20. 177 Ὁ 12 δ΄, wo als 
Paralogismen Euthydem’s angeführt werden: ap’ oldas σὺ νῦν οὔσας ἐν 
Πειραιεὶ τριήρεις ἐν Σιχελίᾳ ὧν; („weisst Du in Sicilien, dass Schiffe im 
Piräeus sind?“ oder: „kennst Du in Sicilien die Schiffe, die im Piräeus 
sind?® Diese Auffassung ergibt sich aus Arıst. Rhet. II, 24. 1401 a 26. 
Alexanders Erklärung der Stelle scheint mir nicht richtig.) ag ἔστιν, ἀγαϑὸν 
ὄντα σχυτέκ μοχϑηρὸν εἶναι; — ap’ ἀληϑὲς εἰπεῖν νῦν ὅτι σὺ γέγονας; --- 
οὐ χιϑαρίζων ἔχεις δύναμεν τοῦ χιϑαρίζειν" χιϑαρίσαες ἂν ἄρα οὐ χιϑα- 
οἴζων. Aristoteles leitet in allen diesen Fällen den Fehler von der σύνϑεσις, 
der falschen Wortverbindung her, und diess ist auch ganz richtig; die Zwei- 
deutigkeit beruht darauf, dass die Worte: πατὴρ ὧν σός ἔστεν heissen können: 
„er ist, Vater seiend, Dein“, und: „er ist der, welcher Dein Vater ist“, das 
χαϑήμενον βαϑίζειν δύνασθαι: „als ein sitzender im Stande sein, zu gehen“, 
und „im Stande sein, sitzend zu gehen“, das ἀγαθὸν ὄντα σχυτέα voyr- 
ρὺν εἶναι: „als ein guter Schuster schlecht (ein schlechter Mensch) sein“, 
und: „als guter Schuster ein schlechter Schuster sein“, das εἰπεῖν νῦν ὅτε 
σὺ γέγονας: „jetzt sagen, dass du zur Welt kamst“, und: „sagen, dass du 
jetzt zur Welt kamst“ u. 8. ἢ. 

2) Soph. el. 4. 166 Ὁ 10. c. 22 Anf. Aristoteles nennt diess παρὰ τὸ 
σχῆμα τὴς λέξεως, und als Beispiel davon führt er an: ἀρ ἐνδέχεται τὸ 
αὐτὸ ἅμα ποιεῖν TE καὶ πεποιηχέναι; od. ἀλλὰ μὴν ὁρᾷν γέ τε ἅμα καὶ 
ἑωραχέναι τὸ αὐτὸ χαὶ χατὰ ταὐτὸ ἐνδέχεται, denn der Fehlschluss beruht 
hier darauf, dass die Analogie von ποιεῖν τι wegen der Gleichheit der 
grammatischen Form auf ὁρᾷν τὸ angewandt wird. Ebendahin gehören die 
von ArIıSTOPHANES (Wolken 651 ff.) persifflirten Behauptungen des Protagoras 
über das Geschlecht der Wörter, dass man nämlich der Analogie gemäss ö 
μῆνες und ὁ πήληξ sagen münste (soph. el. 14. 173 b 19). — Von einem andern 
grammatischen Paralogismus, dem Spiel mit Wörtern, die sich nur durch die 
Aussprache und Betonung unterscheiden, wie οὐ und οὗ, δίδομεν und dıdouer 
(8. el. c. 4. 166 b o. c. 21), bemerkt Aristoteles selbst, dass ihm weder in 
den Schriften der Sophisten noch in der mündlichen Ueberlieferung über 
sie Beispiele desselben vorgekommen seien, weil sich diese Wortspiele beim 


1118 , Die Sophisten. [999. 1000] 


Sophisten kein Mass und kein Ziel. Im Gegentheil, je greller 
die Ungereimtheit, je lächerlicher die Behauptung; je blühen- 
der der Unsinn ist, in welchen der Mitunterredner verwickelt 
wird, um so grösser ist der Spass, um so höher steigt der 
Ruhm des dialektischen Klopffechters, um so lauter erschallt 
der Beifallsjubel der Zuhörer. Von den grossen. Sophisten 
der ersten Generation können wir zwar, schon nach den pla- 
tonischen Schilderungen, mit Sicherheit annehmen, dass sie 
noch nicht bis auf diese Stufe von marktschreierischer Possen- 
reisserei und kindischer Freude an albernen Witzen herab- 
stiegen; aber schon von ihren nächsten Schülern ist diess 
nach allem, was wir wissen, geschehen, und von ihnen selbst 
ist zu dieser Entartung wenigstens der Grund gelegt worden. 
Denn die ersten Urheber dieser Eristik waren sie unstreitig'). 
Ist aber einmal die abschüssige Bahn einer Dialektik betreten, 
der es nicht mehr um die sachliche Wahrheit, sondern nur 
um die Bethätigung einer persönlichen Ueberlegenheit zu thun 
ist, so kann man nicht mehr willkürlich darauf anhalten, son- 
dern die Streitlust und die Eitelkeit wird alle | ihre Vorteile 
benützen, und alles, was dieser Standpunkt gestattet, sich er- 
lauben, und sie wird hiebei das Recht ihres Princips so lange 
für sich haben, bis dieses selbst durch ein höheres widerlegt 
ist. Die eristischen Auswüchse der Sophistik sind daher so 
wenig zufällig, als in der späteren Zeit der geschmacklose 
Formalismus der Scholastik, und so gewiss wir auch zwischen 
den Possen eines Dionysodor und der Eristik eines Protagoras 
unterscheiden müssen, so dürfen wir doch nie übersehen, dass 
jene von dieser in gerader Linie abstammen. 


5. Die Ansichten der Sophisten über Tugend und Recht, 
Staat und Religion. Die sophistische Rhetorik. 


Was so eben bemerkt wurde, findet auch auf die sophi- 
stische Ethik seine Anwendung. Die Begründer der Sophistik 


Sprechen selbst, auf das die sophistischen Künste immer berechnet waren, 
aufdecken. Selbst die “ιαλέξεες (4. 550 a) erkennen an, dass γλαῦχος und 
ylavxos und ähnliches verschieden seien. 

1) vgl. 5. 1107. 1110. 


[1001. 1002] Eristik. Ethik. 1119 


haben die Lebensansicht, welche ihrem wissenschaftlichen 
Standpunkt entsprach, theils noch gar nicht, theils wenigstens 
nicht mit der Rücksichtslosigkeit ausgesprochen, wie ihre 
Nachfolger; aber sie haben die Keime ausgestreut, aus denen 
sich dieselbe mit geschichtlicher Nothwendigkeit entwickeln 
musste. Ist daher auch immer zwischen den Anfängen der 
sophistischen Ethik und ihrer späteren Ausbildung zu unter- 
scheiden, so dürfen wir doch darum ihren Zusammenhang und 
ihre gemeinschaftlichen Voraussetzungen nicht übersehen, 
Die Sophisten wollten Tugendlehrer sein, und sie be- 
trachteten diess gerade desshalb als ihre eigentliche Aufgabe, 
weil sie an die wissenschaftliche Erkenntniss der Dinge nicht 
glaubten und keinen Sinn dafür hatten. Den Begriff der 
Tugend scheinen nun die älteren Sophisten zunächst in dem- 
selben Sinn und in derselben Unbestimmtheit genommen zu 
haben, wie diess bei ihren Volksgenossen in jener Zeit ge- 
wöhnlich war. Sie fassten unter diesem Namen alles das zu- 
sammen, was nach griechischen Begriffen den tüchtigen Mann 
machte: einerseits also alle praktisch nützlichen Fertigkeiten, 
mit Einschluss der körperlichen Gewandtheit, namentlich aber 
alles das, was für das häusliche und bürgerliche Leben von 
Werth ist 1), andererseits auch die | Tüchtigkeit und Recht- 
schaffenheit des Charakters. Denn dass die letztere nicht aus- 
geschlossen war, und dass die sophistischen Lehrer der ersten 
Generation weit entfernt waren, den herrschenden sittlichen 
Ansichten grundsätzlich entgegenzutreten, ergibt sich aus allem, 


1) Vgl. S. 1075. Jetzt treten daher auch Versuche politischer Theorieen 
auf, wie in Protagoras’ Schrift π. πολιτείας (Dioc. IX, 55) und den 8. 1072 
berührten Werken des Hippodamus und Phaleas, von denen jener nach 
Aristoteles die Reihe der theoretischen Politiker bei den Griechen eröffnete. 
Ebendahin gehört Herodot's bekannte Darstellung IH, 80—82, die, etwas 
weiter ausgeführt, sich ganz gut zu einer selbständigen theoretischen Er- 
örterung über den Werth der drei Staatsformen in historischer Einkleidung, 
wie die Sophisten sie liebten (vgl. 1123, 3. 5), eignen würde, und mög- 
licherweise einer solchen entnommen ist; — eine Vermuthung, auf die 
jetzt auch Maass im Hermes XXII (1887), 586 ff. selbständig gekommen ist, 
und die von ihm näher begründet wird. Letzterer ist geneigt, Herodot's 
Quelle in den xaraßallovres des Protagoras zu suchen; was aber mehr ist, 
als ich zu vertreten wagen würde. 

Philos. ἃ. Gr. 1. Bd. 5. Aufl. 11 


1190 Die Sophisten. {1001] 


was uns über ihre Sittenlehre bekannt ist, Protagoras ver- 
heisst bei PLaro seinem Schüler, er solle jeden Tag, den er 
in seiner Gesellschaft zubringe, besser werden; er will ihn zu 
einem guten Hausvater und einem wackern Bürger machen !); 
er nennt die Tugend das schönste; er will nicht jede Lust 
für ein Gut halten, sondern nur die Lust am Schönen, und 
nicht jeden Schmerz für ein Uebel?); und in dem Mythus®), 
welchen Plato im wesentlichen doch wohl einer protagorischen 
Schrift entnommen hat), führt er aus: die Thiere haben ihre 
natürlichen Vertheidigungsmittel, den Menschen sei zu ihrem 
Schutze der Sinn für Gerechtigkeit und die Scheu vor dem 
Unrecht (dixn und αἰδὼς) von den Göttern verliehen; diese 
Eigenschaften seien jedem von Natur eingepflanzt, und wem 
sie fehlten, der könnte in keinem Gemeinwesen geduldet wer- 
den; und ebendesshalb haben in politischen Fragen alle eine 


1) Prot. 818 A. E ἢ 8. o. 1075, 2. 1076, 1. 

2) Prot. 349 E. 351 B ff. In dem, was ebd. 349 Bf. über die Theile 
der Tugend gesagt wird, ist wohl kaum etwas ächt protagorisches enthalten. 

9) A. ἃ. Ο. 820 ὁ ἃ 

4) Sreınuart Pl. Werke I, 422 (dem Gowrerz Apol. ἃ. Heilk. 112 
zustimmt) bezweifelt diess, weil der Mythus Plato’s ganz würdig sei; aber 
warum soll er für Protagoras zu gut sein? Die Sprache hat eine eigen- 
thümliche Färbung und die Gedanken und ihre Einkleidung passen ganz 
für den Sophisten, während Plato seinerseits keinen Anlass hatte, Prota- 
goras in der Anerkennung eines natürlichen Sinnes für das Recht ohne 
Grund ein Zugeständniss an die herrschenden sittlichen Anschauungen zu 
leihen, welches dem widerspricht, worin er selbst anderwärts (Theät. 167 C. 
168 B. 172 A) die Consequenz der protagorischen Erkenntnisstheorie auf- 
zeigt. Auch bei ARISTOTELES geschieht es wahrscheinlich in Erinnerung an 
die eigenen Worte des Abderiten, wenn er part. an. IV, 10. 687 a 25 statt 
Plato’s kürzerem und für ihn vollkommen ausreichendem «0740» (Prot. 321 ΟἹ 
sagt: οὐχ ἔχοντα ὅπλον πρὸς ἀλχήν; und wenn in den Ζιαλέξεες ἡϑεχαὶ 
c. 5. 591 a Mull. das Erlernen der Tugend in demselben Sinn, wie Prot. 
327 E, durch das der Muttersprache erläutert wird, so hat der armselige 
Sophist, der jenes Schriftchen in Cypern verfasst hat, diesen Gedanken doch 
gewiss eher seinem Meister Protagoras, als Plato, entnommen. (Vgl. Arch. 
f. Gesch. d. Phil. V, 1752) Aus welchem Werk des Prot. der Mythus 
stammt, lässt sich nicht ausmachen; Freı 182 ff. nimmt mit andern an, es 
sei die Schrift περὶ τῆς ἐν ἀρχῇ καταστάσεως (die auch Gourerz a. a. O. 
187 auf den Urzustand der Menschen bezieht), Berxays dagegen Abhandl. 1, 
119 glaubt, diess sei der Titel eines rhetorischen Werks. Ich möchte eher 
an die Politie denken. 


[1001. 1002] Tugendlehre. 1121 


Stimme, und alle betheiligen sich durch Unterweisung und Er- 
mahnung an der sittlichen Erziehung der Jugend. Das Recht 
erscheint hier als ein natürliches Gesetz, die spätere Unter- 
scheidung des natürlichen | und des positiven Rechts ist dem 
Redner noch fremd!). Zu ihrer Ausbildung bedarf die natür- 
liche Anlage, wie Protagoras sagt, des Unterrichts; anderer- 
seits kann aber auch dieser sein Ziel nur da erreichen, wo 


1) Ebenso fremd ist ihm aber auch die ethische Theorie, die ihm 
Harprr zuschreibt. Ihm zufolge (Ethik ἃ. Prot. 24 fi. 28. 30 f. 35. 37) 
wäre Prot. der Ansicht gewesen, dass zwar der moralische Instinkt oder das 
moralische Gefühl den Willen zum Guten in uns hervorbringe, dass dagegen 
nur der Staat festsetzen könne, was gut und recht sei, und dieses von Sitte 
und Gesetz festgestellte „für den Einzelnen positive ethische Verpflichtung 
habe“; dass also die Moral ihrer Form nach auf der sittlichen Natur des 
Menschen, ihrem Inhalt nach auf dem Willen der Gesellschaft beruhe. 
Allein die platonischen Berichte, auf die sich H. stützt, wissen von dieser 
Unterscheidung zwischen der Form und dem Inhalt des sittlichen Bewusst- 
seins und von der Herleitung beider aus verschiedenen Quellen nicht das 
geringste; sie deuten nicht blos nirgends darauf hin, sondern Prot. 322 Ὁ ff. 
324 D ff. wird es ausdrücklich von der Begabung aller mit d/xn und αἰδὼς 
bergeleitet, dass auch alle berechtigt und befähigt seien, sich an der Er- 
ziehung der Jugend 'und an der Berathung über die Fragen zu betheiligen, 
welche die πολετεκὴ ἀρετὴ, die διχαεοσύγνη und σωφροσύνη betreffen. Dazu 
kann sie aber ihr „moralischer Instinkt“ doch offenbar nur dann befähigen, 
wenn er sie darüber belehrt, was recht und gut ist, wenn er sich 'also 
nicht blos auf die Form, sondern auch auf den Inhalt des sittlichen Handelns 
bezieht. Erklärt andererseits der Theätet 167 C. 172 A für die Consequenz 
der protagorischen Erkenntnisstheorie, dass für jede Stadt recht und gut sei, 
was sie dafür halte, und so lange sie es dafür halte, so sagt er doch nicht 
allein. davon kein Wort, dass dar, was dem Staat gut dünkt, den Einzelnen 
ethisch verpflichte, und die Ethik ihrem Inhalt nach aus dem Willen des 
Staats stamme, sondern er erklärt ausdrücklich: τὸ δοχοῦν ἑχάστῳ τοῦτο 
χαὶ εἶναι ἰδεώτη τε καὶ πίλει (168 B); und die Ausflucht (H. 66, 119), 
dass das ἰδιώτῃ auf Wahrnehmung und Erkenntniss, das πόλες auf ethische 
Dinge Bezug habe, erscheint um so unhaltbarer, da schon 166 D ff. das 
gleiche , was 167 C mit Beziehung auf die Staaten gesagt ist, in der An- 
wendung auf die Einzelnen auseinandergesetzt war, und 172 B gerade mit 
Bezug auf die χαλὰ καὶ αἰσχρὰ καὶ δίκαια καὶ ἄδικα καὶ ὅσια χαὶ un er- 
klärt wird: ἐν τούτοις μὲν οὐδὲν σοφώτερον οὔτε ἰδιώτην ἰδεώτου 
οὔτε πόλιν πόλεως εἶναι. Diese Ausführung des Theätet wird aber über- 
diess, wie schon 5. 1098 gezeigt ist, von Plato selbst gar nicht als etwas 
gegeben, was Prot. gesagt habe, sondern nur als etwas, was er sagen 
könnte. 

71* 


1122 Die Sophisten. [1002] 


ihm die Natur und die Uebung zu Hülfe kommt!). — Gorgias 
lehnte zwar den Namen und die Verantwortlichkeit eines 
Tugendlehrers ab, wenigstens that er diess in seinen späteren 
Jahren); diess hinderte ihn aber nicht, über die Tugend zu 
sprechen. Dabei hatte er es jedoch nicht auf eine allgemeine 
Bestimmung ihres Wesens abgesehen, sondern er schilderte im 
einzelnen, worin die Tugend des Mannes und der Frau, des 
Greises und des Knaben, des Freien und des Sklaven bestehe, 
ohne sich dabei von der herrschenden Meinung zu entfernen 3). 


1) Vgl. die Worte aus dem μέγας λόγος des Prot. bei Cramer Anecd. 
Paris. I, 171 (Murcaca Fr. Phil. II, 134, 9): φύσεως καὶ ἀσχήσεως διδασ- 
χαλία δεῖται, zal ἀπὸ νεότητος δὲ ἀρξαμένους dei μανϑάνεειν. Hierin 
ist bereits die Frage angedeutet, welche Plato am Anfang des Meno auf- 
wirft, und welche die alte Philosophie seit Sokrates so lebhaft beschäftigt 
hat, wie sich die Belehrung einerseits zur Naturanlage, andererseits zur 
sittlichen Uebung verhalte. Bestimmter erklärt Prot. bei PLaro Prot. 323 C ft., 
die Tugend entstehe nicht von Natur und von selbst (οὐ φύσεκ οὐδ᾽ ἀπὸ 
τοῦ αὐτομάτου, was hier offenbar gleichbedeutend ist), sondern durch Be- 
lehrung und ἐπεμέλεια, und er weist diess des näheren nach, indem er 
auseinandersetzt, wie unter dieser Voraussetzung Eltern und Angehörige 
und das Gemeinwesen sich wetteifernd bemühen, durch Unterricht, Erziehung 
und Strafen zum Guten anzuleiten; bemerkt aber zugleich, dass diese An- 
leitung nicht bei allen den gleichen Erfolg habe, weil die zur Natur des " 
Menschen gehörige sittliche Anlage zwar keinem ganz fehle, aber doch an 
die Einzelnen in verschiedenem Masse vertheilt sei, und weil ebenso zwar 
alle sich an der Unterweisung der Jugend betheiligen, aber einzelne (wie 
eben Protagoras) diess mit grösserem Geschick thun als die andern. Auch 
diese Ausführung knüpft ohne Zweifel an Sätze des Protagoras an; in wie 
weit diess aber der Fall ist, lässt sich im einzelnen um so weniger fest- 
stellen, da schon die durchgehende Berücksichtigung der vorher von Sokrates 
erhobenen Bedenken beweist, dass sie so, wie sie vorliegt, Plato's Werk ist. 

2) PLaro Meno 95 B: τί δαὶ δή; οἱ σοφισταί 004 οὗτοι, οἵπερ μόνοι 
ἐπαγγέλλονται, δοχοῦσι διϑάσχαλοε εἶναι ἀρετῆς; --- χαὶ Γοργίου us Lara, 
ὦ Σώχρατες, ταῦτα ἄγαμαι, ὅτε οὐχ ἄν ποτε αὐτοῦ τοῦτο ἀχούσαες 
ὑπισχνουμένου, ἀλλὰ χαὶ τῶν ἄλλων χαταγελᾷ, ὅταν ἀχούσῃ ὑπεσχνου- 
μένων. ἀλλὰ λέγειν οἴεται δεῖν ποιεῖν δεινούς. Vgl. Gorg. 449 A. 
Phileb. 58 A. 

3) Asısr. Polit. I, 13. 1260 a 27: Die sittliche Aufgabe sei für ver- 
schiedene nicht die gleiche, man dürfe daher die Tugend nicht allgemein 
definiren, wie Sokrates; πολὺ γὰρ ἄμεινον λέγουσιν οἱ ἐξαρεϑμοῦντες Tas 
ἀρετὰς, ὥσπερ Γοργίας. Nach diesem Zeugniss dürfen wir um so unbe- 
denklicher auf Gorgias zurückführen, was PLaro Meno 71 D ἢ. seinem Schüler, 
unter ausdrücklicher Hinweisung auf den Lehrer, in den Mund legt: τί φὴς 


[1008] Tugendlehre. 1123 


Unsittliche Grundsätze werden ihm von PLaTo nicht | schuld- 
gegeben), vielmehr trägt er Bedenken, zu den Folgerungen 
eines Kallikles fortzugehen ?). Auch Hippias hat sich in jenem 
Vortrag, worin er dem Neoptolemus durch 'Nestor Lebens- 
regeln ertheilen liess®), mit der Sitte und Ansicht seines 
Volks gewiss nicht in Widerspruch gesetzt*). Von Prodikus 
ist es bekannt, welche Anerkennung seine Tugendlehre auch 
bei solchen fand, die sonst der Sophistik keineswegs hold sind. 
Sein Herakles®), der ihm so viel Lob eingetragen hat, schil- 
derte den Werth und das Glück der Tugend, die Erbärmlich- 
keit eines weichlichen, dem Sinnengenuss verkauften Lebens. 
In einem Vortrag über den Reichthum scheint er ausgeführt 


εἰρετὴν εἶναι; . . . AAN οὐ χαλεπὸν, ὦ Σώχρατες, εἰπεῖν. πρῶτον μὲν. εἰ 
βούλει, ἀνδρὸς ἀρετὴν ῥάδιον, ὅτι αὕτη ἐστὴν ἀνδρὸς ἀρετὴ, ἱχανὸν εἶναι 
τὰ τῆς πόλεως πράττεεν χαὶ πράττοντα τοὺς μὲν φίλους εὖ ποιεῖν τοὺς 
δ᾽ ἐχϑροὺς χαχῶς, χαὶ αὐτὸν εὐλαβεῖσϑαι μηδὲν τοιοῦτον παϑεῖν. (M. 
vgl. über diesen Grundsatz κισκεε ΚΙ. Schriften II, 522 f.) εἰ δὲ βούλει 
γυναικὸς ἀρετὴν, οὐ χαλεπὸν διελθεῖν, ὅτε dei αὐτὴν τὴν olxlav εὖ olxeiy 
σώζουσάν τε τὰ ἔνδον xal χατήχοον οὖσαν τοῦ ἀνδρός. καὶ ἄλλη ἐσεὶ 
παιδὸς ἀρετὴ καὶ ϑηλείας καὶ ἄῤῥενος καὶ πρεσβυτέρου ἀνδρὸς, εἰ μὲν 
βούλει ἐλευϑέρου, εἰ δὲ βούλει δούλου. καὶ ἄλλαι πάμπολλαε ἀρεταί εἷσεν, 
ὥστε οὐχ ἀπορία εἰπεῖν ἀρετῆς πέρε δ τε ἔστε᾽ χαϑ' ἐχάστην γὰρ τῶν 
ποάξεων χαὶ τῶν ἡλιχιὼν πρὸς ἕχαστον ἔργον ἔχάστῳ ἡμῶν ἡ ἀρετή ἔστεν, 
ὡσαύτως δὲ, οἶμαι, ὦ Σώχρατες, za ἡ χαχία. Die allgemeineren Bestim- 
mungen, welche 8. 73 C. 77 B dem Meno abgedrungen werden, lassen sich 
Gorgias nicht mit Sicherheit beilegen, wenn auch vielleicht einzelne bei- 
läufige Aeusserungen desselben dafür benützt sind. Ein Wort über weib- 
liche Tugend führt Pıur. mul. virt. Anf. 8. 242 an; auf die Tugend bezieht 
Foss 8. 47 mit Recht auch das Apophthegma Nr. 16 Mull. über Sein und 
Scheinen. 

1) Auch der Grundsatz (Prur. adul. et am. 23, S. 64), von seinen 
Freunden nichts unrechtes zu verlangen, ihnen aber wohl auch Dienste dieser 
Art zu leisten, stand mit den herrschenden Moralbegriffen nicht im Wider- 
spruch. Vgl. L. Sonmimpr Ethik d. Gr. II, 349 ff. 

2) Gorg. 459 E. f. vgl. 482 C. 456 C fl. 

3) Der Inhalt dieses, schon 1067, 1 berührten, Vortrags wird im 
grösseren Hippias 286 A, wahrscheinlich richtig, dahin angegeben: Neop- 
tolemus fragt Nestor, ποῖά ἐστε χαλὰ ἐπιτηδεύματα, ἃ av τις ἐπιτηδεύσας 
γέος ὧν εὐδοχεμώτατος γένοιτο" μετὰ ταῦτα δὴ λέγων ἐστὶν ö Νέστωρ καὶ 
ὑποτιϑέμενος αὐτῷ πάμπολλα νόμιμα χαὶ πάγκαλα. 

4) Er rühmt sich dort, mit seinem Vortrag in Sparta Glück gemacht 
zu haben. 

5) Bei Xzx. Mem. II, 1, 21 ft. 


1124 Die Sophisten. [1008. 1004] 


zu haben, der Besitz sei für sich genommen noch kein Gut, 
es komme vielmehr alles auf den Gebrauch an; für den aus- 
schweifenden und unmässigen sei es ein Unglück, die Mittel 
zur Befriedigung seiner Leidenschaften zu besitzen!). Endlich 
geschieht einer Rede über den Tod Erwähnung, worin er die 
Uebel des Lebens schilderte, den Tod als Erlöser von diesen 
Uebeln pries, und die Todesfurcht mit der Bemerkung be- 
schwichtigte, dass der Tod weder die Lebenden noch die Ge- 
storbenen berühre, jene nicht, weil sie noch leben, diese nicht, 
weil sie nicht mehr sind?). In allem | diesem ist zwar von 
neuen Gedanken und wissenschaftlichen Bestimmungen nicht 
viel zu finden®), ebensowenig aber auch von sophistischer Be- 
zweiflung der sittlichen Grundsätze*); Prodikus erscheint hier 
vielmehr als ein Lobredner der alten Sitte und Lebensansicht°), 
als ein Mann aus der Schule der praktischen Weisen und 
Lehrdichter, eines Hesiod und Solon, eines Simonides und 
Theognis®). Wollte man daher die sophistische Moral nach 


1) Eryxias 395 E. 396 E — 397 D. 

2) Axiochus 366 C — 369 C. Dass das weitere, und namentlich die 
Begründung des Unsterblichkeitsglaubens 370 C ff., gleichfalls von Prodikus 
entlehnt sei, ist mir nicht wahrscheinlich, und auch der Verfasser deutet es 
mit keinem Wort an. Eben dieser Umstand spricht aber für die Glaub- 
würdigkeit der vorhergehenden Hinweisungen auf unsern Sopbisten. 

8) Der Herakles am Scheidewege ist nur eine neue Einkleidung der 
Gedanken, welche schon Hksıop in der bekannten Stelle über den Pfad der 
"Tugend und des Lasters ’E. x. ‘Hu. 285 ff. niedergelegt hat; zu der Stelle 
des Eryxias vergleicht Wecker S. 493 mit Recht’ Aussprüche des Solon 
(9. o. 107, 1) und Theognis (8. V. 145 fi. 230 fi. 315 fi. 719 ff. 1150); 
Derselbe zeigt 8. 502 ff., dass die Euthanasie des Axiochus in der keischen 
Sitte und Lebensansicht ihre specielle Begründung findet, und im allgemeinen 
bemerkt er S. 434: „noch älter, als Simonides, konnte die Weisheit des 
Prodikos (bei Plato) genannt werden, wenn sie nicht über die einfältigen 
Vorstellungen der Dichter hinausgieng, und der philosophischen Ergrün- 
dung und Bestimmtheit entbehrte.“ 

4) Denn dass sich die halb eudämonistische Begründung der sittlichen 
Ermahnungen in dem Vortrag über Herakles von dem Standpunkt der ge- 
wöhnlichen griechischen Sittlichkeit (welche Prato z. B. im Phädo 68 Ὁ ft. 
und öfters desshalb tadelt) nicht entfernt, muss ich WeLckeEr (8. 592) 
zugeben. 

5) Auch sein Lob des Landbaus bringt Wercker 496 f. richtig damit 
in Verbindung. 

6) Ebenso würde es sich mit der Rede des Amphion in Euripides’ 


[1004. 1005] Moralische Skepsis. 1125 


dem Verhältniss beurtheilen, in welches die ersten Sophisten 
selbst sich zu der Denkweise ihres Volkes gesetzt haben, so 
würde man kaum einen Grund haben, zwischen ihnen und 
den älteren Weisen zu unterscheiden '). 

In Wahrheit verhält es sich aber doch anders. Mochten 
sich auch die Urheber der Sophistik keines . Widerspruchs 
gegen die herrschenden Grundsätze bewusst sein, 80 musste 
doch ihr ganzer Standpunkt dazu hindrängen. Die Sophistik 
ist an sich selbst ein Hinausgehen über die ‚bisherige sittliche 
Ueberlieferung, sie erklärt diese schon durch ihr blosses Da- 
sein für ungenügend. Hätte man einfach der gemeinen Sitte 
zu folgen, so wären besondere Tugendlehrer entbehrlich, jeder 
würde von | selbst aus dem Verkehr mit seinen Angehörigen 
und Bekannten lernen, was er zu thun hat. Wird umgekehrt 
die Tugend einmal zum Gegenstand eines besonderen Unter- 
richts gemacht, so lässt es sich weder verlangen noch erwarten, 
dass sich dieser Unterricht auf die blosse Ueberlieferung des 
Hergebrachten, oder auf die Mittheilung solcher Lebensregeln 
beschränke, von denen das sittliche Verhalten selbst nicht be- 
rührt wird; sondern die Tugendlehrer werden thun, was die 
Sophisten auch von Anfang an gethan haben, sie werden 
untersuchen, was Recht und Unrecht sei, worin die Tugend 
bestehe, wesshalb sie vor dem Laster den Vorzug verdiene 
u. 8. w. Auf diese Frage war aber unter Voraussetzung des 
sophistischen Standpunkts nur Eine folgerichtige Antwort mög- 
lich. Wenn es keine allgemein gültige Wahrheit gibt, so kann 
es auch kein allgemein gültiges Gesetz geben; wenn der Mensch 
inseinem Vorstellen das Mass aller Dinge ist, so wird er es auch 
in seinem Thun sein; wenn für jeden wahr ist, was’ihm wahr 
scheint, so muss auch für jeden recht und gut sein, was ihm 
recht und gut dünkt. Jeder hat, mit anderen Worten, das 
natürliche Recht, seiner Willkür und seinen Neigungen zu 


Antiope, so weit wir sie kennen, verhalten, wenn wir ein Recht hätten, 
darin mit Dünsmrer Akad. 161 prodiceische Ethik zu vermuthen; was mir 
aber bis jetzt nicht erwiesen zu sein scheint. 

1) Auch Antiphon’s moralische Fragmente (Fr. 109. 125—136. 139 ed. 
Blass) zeigen keine bemerkenswerthe Eigenthümlichkeit. DünmLer Akad. 
79 f. scheint mir in ihnen mehr System zu suchen, als darin liegt. 


1196 Die Sophisten. [1005] 


folgen, und wenn er durch Gesetz und Sitte daran verhindert 
wird, so ist diess eine Verletzung jenes Naturrechts, ein Zwang, 
dem niemand verbunden ist sich zu fügen, wenn er ihn zu 
durchbrechen oder zu umgehen die Macht hat. 

Diese Schlüsse wurden auch wirklich bald genug ge- 
zogen. Wollen wir auch auf das, was Praro in dieser Be- 
ziehung dem Protagoras im Theätet in den Mund legt!), 
keinen Beweis bauen, da es über die eigenen Erklärungen 
dieses Sophisten wahrscheinlich hinausgeht?), so lässt er ihn 
doch auch da, wo er sich an seine eigenen Aeusserungen zu 
halten scheint®), auseinandersetzen, dass das gleiche, was dem 
einen gut und nützlich ist, dem andern schädlich sei*); dass 
also das Gute etwas ebenso relatives sei, wie (nach ὃ. 1093 ff.) 
das Wahre. Eine Folge dieser Relativität ist es, dass man 
über Fragen des Rechts beliebig für und wider disputiren 
kann; und wenn nach Praro alle Sophisten hiezu Anleitung 
zu geben versprachen 5), so folgten sie nur dem Vorgang des 
Protagoras. Denn er zuerst hatte seinen Schülern verheissen, 
dass sie bei ihm die Kunst lernen können, die schwächere 
Sache zur stärkeren zu machen®), dem, welcher dem Rechte 
nach unterliegen müsste, zum Siege zu verhelfen. Ein solches 
Versprechen setzt voraus, dass dem Rechtsgesetz keine un- 
bedingte Gültigkeit zukomme; wenn Protagoras kein Bedenken 
trug, öffentlich damit aufzutreten, so beweist diess, wie wenig 
seine Anerkennung einer sittlichen Naturanlage (s. S. 1120 £.) 
ihn abhielt, aus seiner Erkenntnisstheorie die Folgerung zu 
ziehen, dass man über Rechtsfragen, wie tiber alles, beliebig 


pP 


1) Theät. 167 C: oa γ᾽ ἄν &xaorn πόλεε δίκαια καὶ καλὰ doxj; ταῦτα 
καὶ εἶναι αὐτῇ ἕως ἄν αὐτὰ voulin. Vgl. 1121, 1. 

2) 8. S. 1098, 5. 1121, 1. 

8) Prot. 333 D ff., wo ich wenigstens den Eindruck erhalte, dass die in 
ihrem rednerischen Stil ganz an 820 B ff. erinnernde Auseinandersetzung 
des Sophisten sich an eine wirkliche Aeusserung desselben halte. 

4) Vgl. hiezu Aal. 79. c. 1, s. u. 1132, 1. 

5) Soph. 232 Ὁ wird gefragt: τί. δ' αὖ περὶ νόμων καὶ ξυμπάντων 
τῶν πολιτιχῶν dp’ οὐχ ὑπισχνοῦνται (die Bophisten) ποιεῖν ἀντελογιχούς 
nnd geantwortet: οὐδεὶς γὰρ ἄν αἰτοῖς ... διελέγετο μὴ τοῦτο ὑπισχνου- 
μένοις. 

6) Ueber den Sinn dieses Versprechens 8. m. S. 1140, 1. 


[1005. 1006] Moralische Skepsis. 1127 


hin- und herreden könne, dass es daher weniger darauf an- 
komme, was Recht ist, als darauf, was sich als Recht zur 
Geltung bringen lässt, was als solches erscheint. Die Rück- 
wirkung der theoretischen Skepsis auf die sittlichen Ueber- 
zeugungen kommt so schon bei ihm deutlich zum Vorschein. 
Noch gefährlicher wurde denselben die Unterscheidung und 
Entgegensetzung | der Natur und des Herkommens, dieser Lieb- 
lingssatz der sophistischen Ethik, welcher allerdings (vgl. 
S. 1047) schon von den Physikern vorbereitet war, aber erst 
von den Sophisten auf das Gebiet des Rechts und der Moral 
übertragen wurde, und unter denselben uns zuerst und in 
voller Bestimmtheit im Munde des Hippias begegnet. Bei 
XENOPHORN bestreitet dieser Sophist, dem seine geschichtlichen 
Studien!) die Verschiedenheit der menschlichen Einrichtungen 
und Gewohnheiten besonders nahe gelegt haben mochten, die 
Verbindlichkeit der Gesetze, weil sie so oft wechseln 3), indem 
er als göttliches oder Naturgesetz nur solches gelten lassen 
will, womit es überall gleich gehalten werde®). Aehnlich sagt er 
bei Prato*), das Gesetz zwinge die Menschen als ein Gewalt- 
herrscher, vieles zu thun, was wider die Natur sei. Diese 
Grundsätze erscheinen dann bald als das allgemeine Glaubens- 
bekenntniss der Sophisten. NXENOPHON’) lässt den jungen 
Aleibiades, diesen Freund der Sophistik, sich schon frühe in 
‚demselben Sinn &ussern wie Hippias, und ARISTOTELES®) be- 


1) Worüber 8. 1067, 1. 1107. 

2) Mem. IV, 4, 14, nachdem Sokrates den Begriff der Gerechtigkeit 
‚auf den der Gesetzlichkeit zurückgeführt hat: νόμους δ᾽, ἔφη, ὦ Σώχρατες, 
πῶς ἄν τις ἡγήσαιτο σπουδαῖον πρᾶγμα εἶναι ἢ τὸ πείϑεσϑκι αὐτοῖς, οὕς 


‚ ye πολλάχις αὐτοὶ οἱ ϑέμενοι ἀποδοχιμάσαντες μετατίϑενται; 


8) A. a. Ο. 19 ff. gibt Hippias zwar zu, dass es auch ungeschriebene 
Gesetze gebe, die von den Göttern herstammen, zu diesen will er aber nur 


.die rechnen, welche überall gelten, wie die Verehrung der Götter und der 


Eltern, wogegen z. B. das Verbot der Blutschande, wegen der entgegen- 
stehenden Uebung mancher Völker, nicht dazu gezählt wird. 

4) Prot. 337 C vgl. S. 1128, 2. 

5) Mem. I, 2, 40 ff. 

6) Soph. el. c. 12.173 a 7: πλεῖστος δὲ τόπος ἐστὶ τοῦ ποιεῖν παρά- 
δοξα λέγειν ὥςπερ καὶ ὁ Καλλικλῆς ἐν τῷ Γοργίᾳ γέγραπται λέγων, καὶ 
οἱ ἀρχαῖοι δὲ πάντες ῴοντο συμβαίγειν, παρὰ τὸ κατὰ φύσιν χαὶ χατὰ 
τὸν νόμον, ἐναντία γὰρ εἶναι φύσιν χαὶ νόμον, χαὶ τὴν δικαιοσύνην κατὰ 


1128 - Die Sophisten. [1006. 1007] 


zeichnet als einen der beliebtesten sophistischen Gemeinplätze 
das, was bei PraTo Kallikles behauptet!): dass die Natur und | 
das Herkommen in der Regel einander widerstreiten. Nun 
würde daraus allerdings noch nicht unbedingt folgen, dass 
sich die allgemeinen sittlichen Grundsätze nur auf das Her- 
kommen, nicht auf die Natur gründen; denn jener Widerspruch 
könnte an sich auch davon herrühren, dass das positive Gesetz 
hinter den strengeren Anforderungen des Naturgesetzes zurück- 
bliebe. Und es fehlt wirklich nicht ganz an Beispielen dafür, 
dass die Unabhängigkeit vom Herkommen, welche die So- 
phisten für sich in Anspruch nahmen, sie veranlasste, gegen 
die Beschränkung der natürlichen Menschenrechte in der be- 
stehenden Gesellschaft das Wort zu nehmen. Hippias erklärt 
bei Prarto®), alle stehen von Natur im Verhältniss von Ver- 


γόμον μὲν εἶναι χαλὸν κατὰ φύσιν d’ οὗ xalov... ἣν δὲ τὸ μὲν xara 
φύφιν αὐτοῖς τὸ ἀληϑὲς, τὸ δὲ χατὰ νόμον τὸ τοῖς πολλοὶς δοχοῦν. Aehn- 
lich Praro Theät. 172 B: ἐν τοῖς δικαίοις χαὶ ἀδίχοις χαὶ ὁσίοις χαὶ avo- 
oloıs ἐθέλουσιν ἰσχυρίζεσϑαι, ὡς οὐκ ἔστι φίσεε αὐτῶν οὐδὲν οὐσίαν 
ἑαυτοῦ ἔχον, ἀλλὰ τὸ χοινῇ δόξαν τοῦτο γίγνεται ἀληϑὲς ὅταν δόξῃ καὶ 
ὕσον ἄν δοχῇ χρόνον" καὶ ἔσοι γε δὴ μὴ παντάπασι τὸν Πρωταγόρου 
λόγου λέγουσιν ὧδέ πω: τὴν σοφίαν ἄγουσι. 

1) Gorg. 482 E ff. Dass Kallikles kein Sophist im engeren Sinn, son- 
dern ein Politiker ist, welcher sich über die unfruchtbare Elenktik sogar 
geringschätzig genug äussert (8. ο. S. 1071), ist unerheblich, denn unverkenn- 
bar will ihn doch Plato als Vertreter der sophistischen Bildung betrachtet 
wissen, der ihre äussersten Consequenzen zu ziehen kein Bedenken trägt, 
und Aristoteles bezeugt ausdrücklich, dass die Grundsätze, die er vorträgt, 
bei den ἀρχαῖοε ganz allgemein gewesen seien; mit diesen können aber, 
vollends da er von den τόποι goysorıxol handelt, nur die Sophisten gemeint 
sein. So sind es ja auch offenbar in erster Linie die Sophisten und Sophisten- 
schüler, an welche Plato denkt, wenn er Gess. X, 889 Ὁ von Leuten er- 
zählt, die behaupten: τὴν vouoseoley πᾶσαν οὐ φύσει, τέχνη δέ" ἧς οὐχ 
ἀληϑεὶς εἶναι τὰς ϑέσεις . . .. τὰ καλὰ φύσει μὲν ἄλλα εἶναι, νόμῳ δὲ 
ἕτερα, τὰ δὲ δίκαια οὐδ' εἶναι τοπαράπαν φύσει, ἀλλ᾽ ἀμφισβητοῦντας 
διατελεῖν ἀλλήλοις χαὶ μετατεϑεμένους ἀεὶ ταῦτα" ἃ δ' ἄν μετάϑωνται 
xal ὅταν, τότε χύρια ἕχαστα εἶναι, γιγνόμενα τέχνη καὶ τοῖς νύμοιες, ἀλλ' 
οὐ δή τινε φύσει (genau der gleiche Grund, dessen sich schon Hippias 
bedient). 

2) Prot. 337 C: ἡγοῦμαι ἐγὼ ὑμὰς συγγενεῖς τε χαὶ οἰχείους zul 
πολίτας εἶναι φύσει, οὐ νόμῳ' τὸ γὰρ ὅμοιον τῷ ὁμοίῳ φύσεε συγγενές 
ἔστεν, ὁ δὲ νόμος τύραννος ὧν τῶν ἀνθρώπων (Pınpar Fr. 169 nennt ihn 
ὁ πάντων βασιλεὺς) πολλὰ παρὰ τὴν φύσιν βιάζεται. Ich nehme mit 


[1001] Das natürliche und das positive Recht. 1129 


wandten, Angehörigen und Mitbürgern, ihre Trennung sei 
gewaltsam durch das Gesetz herbeigeführt; doch erfahren wir 
nicht, ob dieser Kosmopolitismus von ihm, wie es an sich wahr- 
scheinlich ist, auch auf das Verhältniss zu den Barbaren aus- 
gedehnt wurde. Lykophron nennt den Adel einen eingebildeten 
Vorzug!); Alcidamas weist darauf hin, dass der Gegensatz der 
Sklaven und Freien der Natur unbekannt sei, und andere 
giengen so weit, die Sklaverei grundsätzlich als eine natur- 
widrige Einrichtung zu bekämpfen?). Aber | es begreift sich, 


Dtuurer Akad. 252 ff. an, dass diess wirklich Hippias entnommen ist; da- 
gegen hat er mich nicht davon überzeugt, dass Dio Chrysostomus für seine 
75. Rede Hippias direkt benützt hat. 

1) Arıstor. Fr. 91 (Sros. Floril. 86, 24): nach Lykophron sei die 
εὐγένεια χενὸν τε πάμπαν. ἐκεῖνος γὰρ ἀντειπαραβάλλων ἑτέροις ἀγαϑοὶς 
αὐτὴν, ηεὐγενείας μὲν οὖν, φησὶν, ἀφανὲς τὸ xallos, ἐν λόγῳ δὲ τὸ 
σεμνόν." - 

2) Arıst. sagt Pol. 1, 8, 1250 b 20: τοῖς δὲ παρὰ φύσιν [doxei εἶναι) 
τὸ δεσπόζειν. νόμῳ γὰρ τὸν μὲν ϑοῦλον εἶναι τὸν δ᾽ ἐλεύϑερον, φύσει δ᾽ 
οὐθὲν διαφέρειν. διόπερ οὐδὲ δίχαιον᾽ βίχιον γάρ. Dass sich nun Alci- 
damas in ähnlichem Sinn ausgesprochen hatte, zeigt Vauzen 5. 504 f. der 
oben (1069, 5) angeführten Abhandlung aus Arısr. Rhet. I, 18. 1373 b 18, 
wo sich Arist. für die Annahme eines allgemeinen natürlichen Rechts auf 
seinen Meoonvırxög beruft, und der Scholiast (Orat. att. II, 154) aus dem- 
selben die Worte anführt, die ursprünglich auch in dem aristotelischen Text 
gestanden zu haben scheinen: ἐλευϑέρους ἀφῆχε πάντας ϑεὸς, οὐδένα 
δοῦλον ἡ φύσις πεποίηχεν. Doch scheint ihn Arist. in der Stelle der 
Politik nicht speciell im Auge zu haben. Denn der Meranvıaxös hatte 
(wie VauLen 504 ff. überzeugend nachgewiesen hat) den bestimmten prak- 
tischen Zweck, nach der Schlacht bei Mantinea für die Anerkennung des 
wiederhergestellten Messeniens zu wirken; und da er hiebei auch der Ab- 
neigung der Spartaner, ihre mit den Messeniern vermischten Heloten zu 
unabhängigen Nachbarn zu haben (wie sie IsokrATEs Archid. 28 vgl. 8. 87. 
96 ausspricht), entgegenzutreten hatte, so war es ganz angemessen, daran 
zu erinnern, dass der Gegensatz der Sklaven und Freien kein absoluter, 
dass alle Menschen von Natur Freigeborene seien. Dagegen hätte ein so 
grundsätzlicher Angriff auf das ganze Institut der Sklaverei, wie ihn die 
aristotelische Politik voraussetzt, die Erklärung, dass diese in ganz Hellas 
zu Recht bestehende Einrichtung ein Unrecht sei, der Wirkung der Rede 
nur schaden können. Arıst. spricht aber auch Polit. I, 6. 1255 a 7 von 
πολλοὶ τῶν ἐν τοῖς vyouoss, welche die Sklaverei der Ungerechtigkeit an- 
klagen; und c. 3 fasst er oder der Gegner, den er zunächst im Auge hat, 
diese Anklage (wie der Trimeter: νόμῳ γὰρ ὃς μὲν δοῦλος ὃς d’ ἐλεύϑερος 
zeigt, der auch c. 6. 1255 Ὁ 5 noch durchklingt) in die Worte eines Tra- 
gikers, möglicherweise des Euripides (von dem Oncken Staatsl..d. Arist. II, 


1130 Die Sophisten. [1008. 1009] 


dass die Angriffe gegen das Positive sich nicht auf solche 
Fälle beschränkten. Gesetz und Herkommen waren bis dahin 
die einzige sittliche Auktorität gewesen; liess man diese Auk- 
torität nicht mehr gelten, so war das Ganze der sittlichen Ver- 
pflichtungen in Frage gestellt, der Glaube an ihre Unverbrüch- 
lichkeit für ein Vorurtheil erklärt, und so lange keine neue 
Begründung des sittlichen Lebens aufgezeigt war, blieb man 
bei dem negativen Ergebniss stehen, jedes Sitten- und Rechts- 
gesetz sei eine ungerechte und naturwidrige Beschränkung der 
menschlichen Freiheit. Schon Hippias kommt durch die An- 
wendung, die er von seinem Satz macht, diesem Grundsatz 
nahe genug; andere trugen kein Bedenken, sich offen zu dem- 
selben zu bekennen!). Das natürliche Recht ist, wie Kallikles 
bei PıaTo | (Gorg. 482 E ff.) sagt, einzig und allein das Recht 
des Stärkeren, und wenn die herrschenden Meinungen und 
Gesetze diess nicht anerkennen, so liegt der Grund davon nur 
in der Schwäche der meisten Menschen: die Masse der 
Schwachen fand es für sich vortheilhafter, sich durch Rechts- 
gleichheit vor den Starken zu schützen, kräftigere Naturen 
werden sich aber dadurch nicht hindern lassen, dem wahren 
Naturgesetz, dem des eigenen Vortheils, zu folgen. Alle posi- 
tiven Gesetze erscheinen demnach auf diesem Standpunkt nur 
als willkürliche Satzungen, die von denen, welche die Macht 
dazu haben, in ihrem eigenen Nutzen aufgestellt werden: die 
Regierenden machen, wie Thrasymachus sagt?), zum Gesetz, 


33 f. ähnliche Aeusserungen zusammenstellt) oder des Gorgiasschülers 
Agathon. Bezieht sich aber auch die Stelle der Politik nicht speciell auf 
Alcidamas, so hat sie es doch wahrscheinlich mit einer Ansicht zu thun, 
welche gerade durch die Anwendung der sophistischen Unterscheidung von 
γόμος und φύσις die verwundbarste Stelle der antiken Gesellschaft bloslegte. 

1) M. vgl., was 8. 1127,2.6.1128,1 von Hippias, Plato und Aristoteles 
angeführt ist, und beachte von dem letzteren namentlich das of ἀρχαῖοι 
πάντες, das freilich nicht buchstäblich zu nehmen ist, aber doch für die 
weite Verbreitung dieser Denkweise zeugt, während wir andererseits an- 
nehmen dürfen, dass es sich auf die eigene Sachkenntniss des mit den 
sophistischen Rhetoren so genau bekannten Aristoteles, nicht blos auf die 
platonischen Aussagen gründe. 

2) Nach PrAato Rep. I, 338 C ff., der diese Grundsätze dem chalce- 
donensischen Redner gewiss nicht ohne Veranlassung in den Mund legt; 
auch was 8. 1133, 2 angeführt ist, stimmt damit überein: Thrasymachus 


[1009] Das natürliehe und das positive Recht. 1131 


was ihnen nützt, das Recht ist nichts anderes, als der Vortheil 
des Machthabers. Nur Thoren und Schwächlinge werden sich 
desshalb durch jene Gesetze gebunden glauben, der Auf- 
geklärte weiss, wie wenig es damit auf sich hat: das sophi- 
stische Ideal ist die unbeschränkte Herrschermacht, wäre sie 
auch mit den ruchlosesten Mitteln erworben, und ein Polus 
weiss bei Plato!) keinen anderen glücklicher zu preisen, als 
den Perserkönig oder den macedonischen Archelaos, der durch 
zahllose Treulosigkeiten und Blutthaten zum Thron empor- 
gestiegen ist. Das letzte Ergebniss ist mithin hier das gleiche, 
wie in der theoretischen Weltbetraehtung, die unbeschränkte 
Subjektivität: in der sittlichen, wie in der natürlichen Welt, 
wird ein Werk des Menschen erkannt, der durch sein Vor- 
stellen die Erscheinungen, durch seinen Willen die Sitten und 
Gesetze erzeugt, der aber weder hier noch dort durch die 
Natur und die Nothwendigkeit der Sache gebunden ist?); und 


gibt zu, dass die Gerechtigkeit ein grosses Gut wäre, aber er leugnet, dass 
sie sich unter den Menschen finde, weil eben alle Gesetze von den Macht- 
habern für ihren Vortheil gemacht sind. 

1) Gorg. 470 C ff. Aehnlich Thrasymachus Rep. I, 344 A vgl. Gess. 
11, 661 B. Isoxr. Panath. 248 ἢ, 

2) Und dieses Ergebniss scheint mir auch durch Gorz's lebhafte Ver- 
theidigung der sophistischen Ethik (Hist. of. Gr. VII, 504 ff. VII, 51 f., 
ebenso Lewes Hist. of Phil. I, 108 ff.) nicht umgestossen zu werden, so 
vieles treffende sie auch zur Berichtigung der Irrthüämer und Uebertreibungen 
an die Hand gibt, welche es früher zu keiner unbefangenen geschichtlichen 
Darstellung der Sophistik kommen liessen. Es wäre allerdings sehr über- 
eilt, den Sophisten im allgemeinen, und ohne dass zwischen den einzelnen 
unterschieden wird, sittengefährliche Grundsätze, oder gar ein unsittliches 
Leben, schuldzugeben, Aber nicht minder übereilt ist es, wenn Grote (VIIL, 
827 f. 582 ἢ) und Lewes a. a. O. behaupten, solche Grundsätze, wie sie 
Plato seinem Kallikles und Thrasymachus in den Mund legt, haben von 
keinem Sophisten in Athen vorgetragen werden können, weil die Zuhörer, 
um deren Beifall es doch den Sophisten zu thun war, dadurch auf’s äusserste 
gegen sie empört worden wären. Mit diesem Grund könnte man auch 
beweisen, dass Protagoras jene Zweifel am Dasein der Götter, die seine 
Verurtheilung herbeiführten, nicht geäussert, und noch mancher andere 
manches, was man ihm übel nahm, nicht gesagt haben könne. Aber woher 
wissen wir denn, dass ein Thrasymachus und Seinesgleichen bei denen, 
welche den sophistischen Unterricht vorzugsweise zu suchen pflegten, bei 
den ehrgeizigen jungen Politikern, bei der aristokratischen Jugend, deren 


1132 Die Sophisten. [1009. 1010] 


wenn rücksichtslosere Vertreter dieser Ansicht aus derselben 
die Befugniss ableiteten, ihre Zwecke nöthigenfalls auch im 
Widerspruch gegen Recht und Gesetz mit allen Mitteln zu 
verfolgen, musste sie bei minder entschlossenen wenigstens die 
Erschütterung aller sittlichen Ueberzeugungen, die vollkommene 
moralische Skepsis herbeiführen). | 

Unter die Vorurtheile und die wilkürlichen Satzungen 
mussten nun die Sophisten ganz besonders auch den religiösen 
Glauben ihres Volks rechnen. Wenn überhaupt kein Wissen 


Vorbilder Alcibiades und Kritias waren, mit den Ansichten, die Plato ihnen 
zuschreibt, den gleichen Anstoss erregen mussten, welchen sie bei der demo- 
kratischen, in Religion, Politik und Moral am Alten hängenden Bürgerschaft 
allerdings erregt haben? — Wenn ferner Georz (VIII, 495 fi.) Protagoras 
wegen seines Versprechens, die schwächere Sache zur stärkeren zu machen, 
(worüber 8. 1140, 1) mit der Bemerkung vertheidigt, der gleiche Grundsatz 
sei auch Sokrates, Isokrates und andern zum Vorwurf gemacht worden, so 
heisst diess den Fragepunkt verrücken: Protagoras war er eben nicht blos 
fälschlich vorgeworfen, sondern er selbst hatte ihn aufgestellt; und macht 
er weiter geltend, dass doch niemand einen Rechtsanwalt darum tadle, wenn 
er seine Beredsamkeit dem Unrecht so gut, wie dem Recht, leihe, so ist 
auch diess nur halb wahr: der Advokat soll freilich auch für den Verbrecher 
geltend machen, was sich mit gutem Gewissen für ihn sagen lässt; aber 
wenn er aus der Kunst, dem Unrecht zum Siege zu verhelfen, ein Gewerbe 
macht, wird ihn jedermann einen Rechtsverdreher nennen. Eben diess aber 
ist das Anstössige an dem Versprechen des Protagoras: nicht das wird ihm 
verübelt, und wurde es schon von seinen Zeitgenossen, dass er eine Kunst 
lehrte, mit der Missbrauch getrieben werden konnte, sondern dass er diese 
Kunst gerade von Seiten des Missbrauchs empfahl. — Die Ausführungen 
des Hippias über νόμος und φύσις haben Grote und Lewes ganz unberück- 
sichtigt gelassen. 

1) Als ein Ausdruck dieser moralischen Skepsis können auch die 
Ζεαλέξεες ἡϑιχαὶ (8. ο. 1073, 4) genannt werden. Der Verfasser dieses 
Schriftchens will durch eine Gegenüberstellung der Antworten, die auf ver- 
schiedene, hauptsächlich ethische Fragen gegeben werden, darthun, dass man 
überhaupt nichts darüber wissen könne. Die einen sagen, das Gute und 
das Schlechte seien verschieden, die andern, sie seien dasselbe, denn was 
dem einem gut ist, sei dem andern schädlich (vgl. Prot., 5. 1126, 3); ebenso 
hinsichtlich des χαλὸν und αἰσχρὸν, des dixasor und ἄδεχον, des ἀληϑὴς 
und ψευδὴς λόγος, der Frage nach der Lehrbarkeit der Tugend; wie diess 
alles hier platt und trocken ausgeführt wird. Angehängt sind dann noch 
Erörterungen gegen die Besetzung der Aemter durch's Loos; über Redekunst 
und Wissenschaft; über Mnemonik. Alles diess ist allerdings ein dürftiger 
Niederschlag der sophistischen Aufklärungsphilosophie; aber die Durch- 
schnittsweisheit ihrer Jünger mag nicht viel weiter gegangen sein. 


[1010. 1011] Die Religion und die Götter. 1138 


möglich ist, so muss ein Wissen um die verborgenen Ursachen 
der Dinge doppelt unmöglich sein, und wenn alle positiven 
Einrichtungen und Gesetze Erzeugnisse menschlicher Willkür 
und | Berechnung sind, so wird es sich mit der Götterverehrung, 
die bei den Griechen gerade ganz und gar zum Öffentlichen 
Recht gehörte, nicht anders verhalten. Diess haben denn auch 
bedeutende Wortführer der sophistischen Denkweise unum- 
wunden ausgesprochen. „Von den Göttern, erklärt Protagoras, 
kann ich nichts wissen, weder dass sie sind, noch dass sie 
nicht sind“ !); von Thrasymachus werden Zweifel an der gött- 
lichen Vorsehung erwähnt?); Kritias endlich behauptet®), an- 


1) Der berühmte Anfang jener Schrift, wegen der er Athen verlassen 
musste, lautete nach Dioe. IX, 5l u. a. (auch Prıro Theät. 162 D): περὶ 
μὲν ϑεῶν οὐχ ἔχω εἰδέναι 009° ὡς εἰσὶν 009° ὡς οὐχ εἰσίν. πολλὰ γὰρ τὰ 
κωλύοντα εἰδέναι. ἣ τε ἀδηλότης καὶ βραχὺς ὧν ὁ βίος τοῦ ἀνϑρώπου. 
Andere geben minder richtig den ersten Satz so an: περὶ ϑεῶν οὔτε εἰ 
εἰσὶν οὔϑ᾽ ὁποῖοί τινές εἷσε δύναμαι λέγειν. M. 8. darüber Freı 96 f., und 
besonders Krıscuz Forsch. 182 ff. Dass der Mythus des platonischen Pro- 
tagoras, eben als Mythus, auch in Stellen, wie 322 A. D, diesem offenen 
Bekenntniss keinen Abbruch thut, versteht sich. 

2) Heeuıas in Phädr. 8. 192 o. Ast: (Θρασύμ.) ἔγραψεν ἐν λόγῳ 
ἑαυτοῦ τοιοῦτόν τι, ὅτε ol ϑεοὶ οὐχ ὁρῶσι τὰ ἀνθρώπενα" οὐ γὰρ τὸ 
μέγιστον τῶν ἐν ἀνθρώποις ἀγαϑὼν παρεῖδον, τὴν δικαιοσύνην" ὁρῶμεν 
γὰρ τοὺς ἀνθρώπους ταύτῃ μὴ χρωμένους. Vgl. auch S. 1108, 2 g. E. über 
Antiphon. . 

3) In den Versen, welche Sexr. Math. IX, 54 mittheilt, und wegen 
deren Ders. Pyrrh. III, 218 und Pıurt. De superstit. 13, 5. 171 den Kritias 
als Atheisten mit Diagoras zusammenstellt.e. Die gleichen Verse werden 
zwar Plac. I, 7, 2 vgl. 6, 7, Euripides zugeschrieben, welcher sie dem 
Sisyphus in dem gleichnamigen Drama in den Mund gelegt habe. Dass 
ein solches von Euripides existirte, lässt sich nach den positiven Angaben 
Azıım’s V. H. II, 8 kaum bezweifeln; vielleicht hatte aber Kritias gleich- 
falls einen Sisyphus geschrieben, und man wusste später nicht mehr sicher, 
ob die bekannten Verse ihm oder Euripides angehörten; auch Aruen. XI, 
496 b erwähnt eines Schauspiels, dessen Urheberschaft zwischen Kritias und 
Euripides streitig war. (M. vgl. Ελββιοιῦβ 2. Sext. Math. a. a. O. BayLeE 
Dict. Critias, Rem. H.) Von den Zeugen sind diejenigen die gewichtigeren, 
welche unsere Verse Kritias zuschreiben; und dass ein Aristokrat, wie Kritias, 
die Partei atheistischer Freigeisterei nicht ergriffen haben würde (KöstLın 
Gesch. d. Ethik I, 242), möchte ich nicht sagen (war es doch auch in Frank- 
reich vor der Revolution gerade die vornehme Gesellschaft, in welcher der 
Atheismus den meisten Anklang fand); der Inhalt der Verse scheint mir viel- 
mehr gerade für ihn besonders gut zu passen. Von wem sie aber geschrieben 


1184 Die Sophisten. [1011. 1012) 


fangs haben die Menschen ohne Gesetz und Ordnung gelebt, 
wie die Thiere, zum Schutz gegen Gewaltthaten seien Straf- 
gesetze gegeben worden; da aber diese nur die offenbaren 
Verbrechen verhindern konnten, sei ein kluger und erfinde- 
. rischer Mann darauf gekommen, zur Verhütung des geheimen 
Unrechts von den Göttern zu erzählen, die mächtig und un- 
sterblich das verborgene sehen; und um die Furcht vor ihnen 
zu vermehren, habe er ihnen den Himmel zum Wohnsitz an- 
gewiesen. Zum Beweis | dieser Ansicht berief man sich auch 
wohl auf die Verschiedenheit der Religionen; wäre der Glaube 
an Götter in der Natur gegründet, sagte man, so müssten alle 
dieselben Götter verehren, die Verschiedenheit der Götter be- 
weise am besten, dass ihre Verehrung nur aus menschlicher 
Erfindung und Uebereinkunft herstamme!). Was von den 
positiven Einrichtungen überhaupt gilt, soll auch von der 
positiven Religion gelten; weil sie bei verschiedenen ver- 
schieden ist, weiss man sie nur für etwas willkürlich gemachtes 
zu halten. Naturgemässer erklärte Prodikus die Entstehung 
des Götterglaubens. Die Menschen der Vorzeit, sagte er?), 
haben Sonne und Mond, Flüsse und Quellen, und überhaupt 
alles, was uns Nutzen bringt, für Götter gehalten, ähnlich wie 
die Aegypter den Nil, und desshalb werde das Brod als De- 
meter verehrt, der Wein als Dionysos, das Wasser als Po- 
seidon, das Feuer als Hephäst®). Die Volksgötter als solche 


und wem sie in den Mund gelegt waren, jedenfalls sind sie ein Denkmal 
der sophistischen Ansicht von der Religion. Auf sie bezieht sich wohl auch 
Cıc. N. D. I, 42, 118. 

1) Prato Gess. X, 889 E: ϑεοὺς, ὦ μαχάριε, εἶναι πρῶτόν φασιν 
οὗτοι [die σοφοὶ] τέχνη, οὐ φύσεε, ἀλλά τισι νόμοις, καὶ τούτους ἄλλους 
ἄλλῃ, ὅπη ἕχαστοι ἑαυτοῖσι συνωμολόγησαν νομοϑετούμενοι. Vgl. hiezu 
8. 1127, 2. ὅ. 6. 

2) Bei Sext. Math. IX, 18, 51 f. PuıLopsm. π. εὐσεβείας S. 76 Gomp. 
(vgl. DıeLs Hermes XII, 1 £.) Cıc. N. D. I, 42, 118 vgl. Erırn. Exp. δὰ. 
1088 C. 

3) Damit steht wohl auch die Bedeutung in Verbindung, welche Prod. 
nach ΤΉΕΜΙΒΤ. or. XXX, 349 b dem Landbau für die Entstehung der Religion 
beilegte, wenn er ἑερουργίαν πᾶσαν ἀνθρώπων καὶ μυστήρια xal πανηγύ- 
ρεις χαὶ τελετὰς τῶν γεωργίας καλῶν ἐξάπτει, νομίζων καὶ ϑεῶν εὔνοιαν 
[ἔνν.] ἐντεῦϑεν ἐς ἀνθρώπους ἐλθεῖν χαὶ πᾶσαν εὐσέβειαν ἐγγυώμενος (?). 
Namentlich die Erndte- und Herbstfeste mögen ihm als Geburtsstätten der 


[1012. 1018] Die Religion und die Götter. 1135 


wurden aber bei dieser Ansicht gleichfalls geleugnet!); denn 
dass Prodikus ihrer in der Rede über Herakles in der her- 
gebrachten Weise erwähnt?), kann nicht mehr beweisen, als 
die entsprechende Verwendung derselben im protagorischen 
Mythus; dass er andererseits von den vielen Volksgöttern 
den Einen natürlichen oder wahren Gott unterschied®), ist 
durch | kein Zeugniss zu erhärten. Auch die Aeusserungen 
des Hippias, welcher die ungeschriebenen Gesetze bei XEno- 
PHON*), der herrschenden Meinung gemäss, auf die Götter 
zurückführt, sind unerheblich, und könnten im besten Fall 
nur darthun, dass dieser Sophist für seine Person zu in- 
consequent war, um von seiner Ansicht über die Gesetze die 
naheliegende Anwendung auf die Götterverehrung zu machen. 
Die Sophistik im ganzen konnte zur Volksreligion folgerich- 
tiger Weise nur die Stellung eines Protagoras und Kritias 
einnehmen. Wenn selbst die Dinge, die wir sehen, für uns 
nur das sind, wozu wir sie machen, so muss diess von denen 
um so mehr gelten, die wir nicht sehen: das Objekt ist auch 
hier nur das Gegenbild des Subjekts, der Mensch nicht das 
Geschöpf, sondern der Schöpfer seiner Götter. 

Mit der ethischen Lebensansicht der Sophisten steht ihre 
Rhetorik in einem ähnlichen Zusammenhang, wie ihre Eristik 
mit der Erkenntnisstheorie. Wie dem, welcher ein objektives 
Wissen leugnet, nur der Schein des Wissens vor anderen übrig 
bleibt, so bleibt dem, welcher ein objektives Recht leugnet, 
nur der Schein des Rechts. vor anderen und die Kunst, diesen 
Schein zu erzeugen. Diese Kunst aber ist die Redekunst®). 


Götterverehrung erschienen sein, welche ja ganz besonders den Erzeugnissen 
des Feldes gelten sollte; eine Ansicht, die allerdings im Demeter- und 
Dionysoskult ihre Anhaltspunkte hatte. 

1) Wesshalb Cicero und Sextus a. d. a. O. Prodikus zu den Atheisten, 
in der antiken Bedeutung dieses Wortes, rechnen. 

2) Xen. Mem. II, 1, 28. 

3) Wie Wecker a. a. O. 521 anzunehmen geneigt ist. 

4) Mem. IV, 4, 19 fi. 5. o. 1127, 3. 

5) So wird die Aufgabe der Rhetorik von dem platonischen Gorgias 
bestimmt, Gorg. 454 B (vgl. 452 E): die Rhetorik sei die Kunst ταύτης τῆς 
πειϑοῦς, τῆς ἐν τοὶς dixagıneloss καὶ τοῖς alloıs ὄχλοις καὶ περὶ τούτων 
& ἔστι δίχαιά τε χαὶ ἄδικα, wesshalb sie Sokrates dann 455 A unter Zu- 

Philos. d. Gr. I. Bd. 5. Aufl. 12 


1186 Die Sophisten. [1013. 1014] 


Denn die Rede war nicht allein unter den damaligen Verhält- 
nissen das wesentlichste Mittel, um im Staate zu Macht und 
Einfluss zu gelangen, sondern sie ist es tiberhaupt, durch 
welche die Ueberlegenheit des Gebildeten über den Ungebildeten 
sich bewährt. Wo daher der Geistesbildung jener Werth bei- 
gelegt wird, welchen | die Sophisten und ihr Zeitalter ihr bei- 
legten, da wird immer auch die Kunst der Rede gepflegt 
werden, und wo dieser Bildung eine tiefere wissenschaftliche 
und sittliche Begründung fehlt, da wird nicht blos die Be- 
deutung der Beredsamkeit überschätzt werden!), sondern sie 
selbst wird sich auch einseitig, mit Vernachlässigung des inneren 
Gehaltes, auf den augenblicklichen Erfolg und die äussere 
Form richten. Auch hier: wird aber unvermeidlich dasselbe 
‘geschehen, wie bei der einseitigen Verwendung der dialekti- 
schen Formen zur Eristik. Die Form, der kein entsprechen- 
der Inhalt zur Seite steht, wird ein äusserlicher, leerer und 
unwahrer Formalismus, und je grösser die Fertigkeit ist, mit 
der dieser Formalismus gehandhabt wird, um so rascher muss 
sich der Verfall einer Bildung, die auf ihn beschränkt ist, 
entscheiden. 

Durch diese Bemerkungen erklärt sich die Bedeutung und 
Eigenthümlichkeit der sophistischen Rhetorik. Von den meisten 
Sophisten ist uns bekannt, und auch von den übrigen lässt 
sich kaum bezweifeln, dass sie diese Kunst geübt und gelehrt 
haben, indem sie theils allgemeine Regeln und Theorieen auf- 


stimmung des Sophisten definirt als πειϑοῦς δημιουργὸς πεστευτιχῆς, ἀλλ᾽ 
οὐ διδασχαλικῆς, περὶ τὸ δίχαιόν τε χαὶ ἄδικον: Dass das Wesen der 
sophistischen Rhetorik damit richtig bezeichnet ist, wird alles folgende dar- 
thun; wenn jedoch Doxoratzr in Aphthon., Rhet. gr. ed. Walz II, 104, 
diese Definition dem Gorgias selbst beilegt, so hat er diess sicher nur aus 
unserer Stelle, und ebendaher stammt auch diejenige, welche die anonyme 
Einleitung zu den στάσεις des Hermogenes Ὁ. Waız Rhbet. gr. VII, 3. 
SPENGEL Zuv. T. 35 aus Plutarch’s (des Neuplatonikers) Commentar zum 
Gorgias als ὅρος ῥητοριχῆς χατὰ Γοργίαν anführt. 

1) Vgl. Praro Phileb. 58 A, wo Protarchus sagt, er habe oft von 
Gorgias gehört (eine Wendung, mit der eingeführt zu werden scheint, was 
sich in einer seiner Schriften fand), ὡς ἡ τοῦ melde» πολὺ δεαφέροι 
πασῶν TEIVOV. πάντα γὰρ ὑφ᾽ αὑτῇ δοῦλα δι᾽ ἑχόντων χαὶ οὐ διὰ βίας 
ποιοῖτο ἃ. 8. w.; Ähnlich Gorg. 452 E. 456 A fl. Aal. n9. c. 5. δ5δ] Ὁ 
Mull. 


[1014] Sophistische Rhetorik. 1137 


stellten, theils Vorbilder zur Nachahmung, oder auch fertige 
Redestücke zur unmittelbaren Benützung lieferten!); nicht 


1) Wir kennen theoretische Werke über rhetorische Gegenstände von 
Protagoras (s. u. und Ἐπεὶ 187 f.), Predikus (s. o. 1064, 3), Hippias (e. u. 
Βρεκοει, 8. 60), Thrasymachns (m. s. über seine Ἔλεοι Arısı. e. οἷ, Ἂς. 33. 
183 d 22. Rhet. DL, L 1404 a 13. Prarto Paioe. 267 C; nach Sup. u. 
d. W. und dem Scholiasten z. Aristoph. Vögeln V. 881 hatte er auch eine 
τέχνη geschrieben, von welcher die Ἔλεος vielleicht ein Theil sind; s. 
Sprenger 96 fl. Hermann De Thras. 12. Scuunz 8. 131 £.), Polus (s. o. 
1069, 1), Euenus (Praro Phädr. 267 A s. o. 1070, 8. Dass Gorgias eine 
τέχνη hinterlassen habe, behauptet Dioe. VIII, 58 und der von AraueaL 
Ζυναγ. Teyv. 82 angeführte Verfasser von Prolegomenen zu Hermogeneos ; 
zu den artium scriptores rechnet ihn auch Quisrtır. II, 1, 8. Dıonyrs be- 
merkt in dem Bruchstück, welches ein Scholiast zu Hermogenes (bei Brancer 
Z. T. 78) mittheilt: δημηγοριχοῖς δὲ ὀλίγοις (Γοργίου περεέτυχον λόγοις) 
χαί eos χαὶ τέγναις. Ders. erwähnt compos. Verb. c. 12, 8. 68 R. einer 
Erörterung des Gorg. περὶ χαιροῦ mit dem Beisatz, er sei der erste, welcher 
darüber geschrieben habe. SrenaeL a. ἃ. Ὁ. 81 f. glaubt demnoch wegen 
der 8. 1111, 2 angeführten aristotelischen Stelle und Cıc. Brut. 12, 46, Gor- 
gias die Abfassung einer rednerischen Lehrschrift absprechen zu müssen. 
Indessen ist (wie Scaanz 8. 131 richtig erinnert) keine von beiden Stellen 
entscheidend: Cicero nennt nach Aristoteles Korax und Tisias als die ersten 
Verfasser redneriseher Kunstlehren, Protagoras und Gorgias als die ersten, 
welche Reden über Gemeinplätze verfassten, diess schliesst aber nicht aus, 
dass auch sie Kunstlehren schrieben; aus der Aeusserung in der Schrift 
gegen die Sophisten scheint allerdings hervorzugehen, dass Aristoteles den 
Gorgias als Bearbeiter der Rhetorik einem Tisias und Thrasymachus nicht 
gleichstellte, aber nicht, dass ihm von demselben keine rhetorisehe Schrift 
bekannt war. Dagegen weist auch Praro Phädr. 261 B. 267 A mit Be- 
stimmtheit auf technische Ausfübrungen des Gorg. Dieselben bestanden aber 
wahrscheinlieb nicht in Einer vollständigen Theorie der Redekunst, sondern 
in Abhandlungen über einzelne Fragen; darauf deutet wenigstens in dem 
angeführten Bruchstück des Dionys der Ausdruck τέχναι τινές. (8o auch 
Weıcker Kl. Schr. II, 456, 176.) — Noch wichtiger, als ihre Lehrschriften, 
war aber ohne Zweifel das Beispiel und die praktische Anleitung der sophi- 
stischen Redner (Protagoras bei Sros. Floril. 29, 80 verwirft gleichsehr die _ 
μελέτη ἄνευ τέχνης und die τέχνη ἄνευ μελέτης), und namentlich jene Reden 
über allgemeine Themata (ϑέἔσεες oder loci communes, im Unterschied von 
den besonderen Fällen, um welche sich die gerichtlichen und Staatsreden 
drehten, den ὑποϑέσεις oder oausas; vgl. (το. Top. 21, 79. Quintır. IH, 5, 
5 £.w a. bei Frer Quaest. Prot. 150 δ΄, dem ich nur in der Unterscheidung 
der theses von den loos communes nicht folgen kann), welche von Protagoras, 
Gorgias, Thrasymachus, Prodikus erwähnt werden; m. s. ARISTOTELES b. 
Cıc. Brut. 12, 46. Dive. IX, 53 (Prot. πρῶτος χατέδειξε τὰς πρὸς τὰς 
ϑέσεις ἐπιχειρήσεις). Quicrtır. III, 1, 12, und über Thrasymachus im be- 

Ὁ" 


"1138 Die Sophisten. [1015. 1016] 


wenige | von ihnen machten die Rhetorik sogar zum Haupt- 
gegenstand ihres Unterrichts ἢ. Ihre eigenen Vorträge waren 
rednerische Schaustücke?); neben den Reden, welche sie fertig 
mitbrachten®), suchten sie eine Ehre darin, auch unvorbereitet, 
auf alle möglichen Anfragen, um stattliche Antworten nicht 
verlegen zu sein*); neben der rednerischen Fülle, die ihnen 
jede beliebige Ausdehnung ihrer Darstellungen erlaubte, 
rühmten sie sich auch der Kunst, ihre Meinung in den kür- 
zesten Ausdruck zusammenzudrängen); neben der selbstän- 


sondern Sup. u. d. W., welcher dem Chalcedonier ἀφορμαὶ ῥητοριχαὶ, nach 
Weucker’s Vermuthung (Kl. Schr. II, 457) mit den von PLutanch Sympos. 
I, 2, 3, 8 eitirten ὑπερβάλλοντες identisch, beilegt, und Arnen. X, 416 a, 
der etwas aus seinen Proömien mittheilt. Dass nur Quintilian dem Prodikus 
die Bearbeitung von Gemeinplätzen zuschreibt, lässt vermuthen, er habe 
nicht in derselben Weise, wie die drei andern, Gemeinplätze zum Zweck 
des Unterrichts ausgeführt; im weitern Sinn konnten aber Reden, wie die 
oben (S. 1123 f.) von ihm erwähnten, und ebenso der Vortrag des Hippias 
(8. ἃ. a. O.), auch zu den Gemeinplätzen gerechnet werden. Die Benützung 
solcher Gemeinplätze war schon bei Gorgias eine sehr mechanische, s. 0. 
1111, 2. 

1) M. vgl. hierüber ausser dem folgenden 8. 1069. 1122, 2. 

2) Ἐπίδειξις, ἐπιδείχνυσθϑαι sind bekanntlich die stehenden Ausdrücke 
dafür; m. vgl. beispielshalber Praro Gorg. Anf. Protag. 320 C. 347 A. 

8) Wie der Herakles des Prodikus, die Prunkreden des Hippias, Prot. 
347 A und oben 1067, 1, die Reden des Gorgias (s. o. 1058, 6. 1060, 1), 
namentlich die berühmte olympische, u. a. 

4) Als der erste, welcher in solchen Stegreifreden seine Kunst zeigte, 
wird Gorgias bezeichnet; Praro Gorg. 447 C: χαὶ γὰρ αὐτῷ ἕν τοῦτ᾽ ἣν 
τῆς ἐπιδείξεως" ἐχέλευε γοῦν νῦν δὴ ἐρωτᾷν ὃ τε τις βούλοιτο τῶν ἔνδον 
ὄντων καὶ πρὸς ἅπαντα ἔφη ἀποχρινεῖσϑαι. Das gleiche Meno 70 B. Cıc. 
De orat. I, 22, 108: φωοά primum ferunt Leontinum fecisse Gorgiam: qui per- 
magnum quiddam susoipere ac profiteri videbatur, cum se ad omnia, de φωῖόμε 
quisque audire vellet, esse paratum denuntiaret. Ebd. III, 32, 129 (woher VALEr. 
VIII, 15, ext. 2. Fin. U, 1,1. Qoısrir. Inst. II, 21, 21. Pnıtosre. v. 
Soph. 482 lässt ihn, gewiss nur aus Missverständniss, im Theater in Athen 
so auftreten. Vgl. Foss 45. Aehnliches über Hippias oben 8. 1065 unt. 

5) So Protagoras bei Praro Prot. 329 B. 334 E ἢ, wo es von ihm 
heisst: ὅτε σὺ οἷός τ᾽ εἶ xal αὐτὸς χαὶ ἄλλον διδάξαι περὶ τῶν αὐτῶν xal 
μαχρὰ λέγειν ἐὰν βούλῃ, οὕτως, ὥστε τὸν λόγον μηδέποτε ἐπελεπεῖν, καὶ 
αὖ βραχέα οὕτως, ὥστε μηδένα σου ὃν βραχυτέροις εἰπεῖν. Das gleiche 
sagt der Phädrus 267 B von Gorgias und Tisias (συντομίαν Te λόγων καὶ 
ἄπειρα unen περὶ πάντων ἀνεῦρο»), und er selbst Gorg. 449 C: χαὶ γὰρ 
αὖ χαὶ τοῦτο ἕν ἐστιν ὧν φημί, μηδέν᾽ av ἐν βραχιτέροις ἐμοῦ τὰ αὐτὰ 
εἰπεῖν, worauf ihn Sokrates, ebenso, wie Prot. 335 A u. ö. den Protagoras, 


[1016. 1017] Sophistische Rhetorik. 1139 


digen Erörterung betrachteten sie auch die Erklärung der 
Dichter als einen Theil ihrer Aufgabe'!); neben der direkten 
Auseinandersetzung ihrer Gedanken verwandten sie auch die 
geschichtliche Einkleidung derselben, den Mythus, zum Schmuck 
ihrer Darstellung®); neben dem grossen und werthvollen fan- 
den sie es geistreich, | zur Abwechslung auch wohl das ge- 
ringe, alltägliche und unerfreuliche zu lobpreisen, das grosse 
herabzusetzen®). Den höchsten Triumph dieser Kunst hatte 


ersucht, sich ihm gegenüber der Brachylogie zu bedienen. Dabei machte er es 
sich aber, was die Makrologie betrifft, nach Arısr. Rhet. III, 17. 1418 a 34 
ziemlich leicht, indem er alles mit seinem Thema verwandte ausführlich 
hereinzog; ähnlich sein Schüler Lykophron Ὁ. Arısr. soph. el. 15. 174 b 32 
und Arzx. z. ἃ, St. Schol. in Arist. 310 a 12. (Dass der Redner sowohl 
kurz als ausführlich müsse sprechen können, verlangen auch die “εαλέξεες 
c. 5. 551 b m. Mull.) Hippias seinerseits macht im Protagoras 37 Ef. 
Sokrates und Protagoras den vermittelnden Vorschlag, jener solle nicht streng 
äuf der dialogischen Kürze bestehen, und dieser seine Beredsamkeit so weit 
im Zaum halten, dass seine Reden das Mittelmass nicht übersteigen, und 
Prodikus wird im Phädrus 267 B darüber verspottet, dass er, mit Hippias 
einverstanden, sich viel damit gewusst habe, μόνος αὐτὸς εὑρηκέναι ὧν dei 
λόγων τέχνην᾽ δεῖν δὲ οὔτε μαχρῶν οὔτε βραχέων, ἀλλὰ μετρίων. 

1) Prato Prot. 8338 E: ἡγοῦμαι, ἔφη [Πρωτ.], ὦ Σώχρατες, ἐγὼ ἀνδρὶ 
παιδείας μέγιστον μέρος εἶναε περὶ ἐπῶν δεινὸν εἶναι" ἔστι δὲ τοῦτο τὰ 
ὑπὸ τῶν ποιητῶν λεγόμενα οἷόν τ᾽ εἶναι συνιέναι ἅ τε ὀρθῶς xal ἃ μὴ, 
καὶ ἐπίστασθαι διελεῖν τε χαὶ ἐρωτώμενον λόγων δοῦναι, worauf die be- 
kannte Verhandlung über das simonideische Gedicht folgt. Aehnlich hat 
Hippias am Anfang des kleineren Hippias über Homer und andere Dichter 
gehandelt. Isokkates freilich (Panath. 18. 33) meint mit den Sophisten, die 
von eigenen Gedanken entblösst im Lyceum über Homer und Hesiod 
schwatzen, wahrscheinlich einen Gegner aus der platonischen Schule, Aristo- 
teles. 

2) So Protagoras in dem bekannten Mythus, Prodikus in seinem 
Herakles, Hippias in dem 5. 1123, 3 erwähnten Vortrag, Gorgias in der 
Helena und dem Palamedes. 

8) So erwähnen Praro Symp. 177 B und Isore. Hel. 12 Lobreden auf 
das Salz und die βομβυλεοί (Hummeln, auch ein Trinkgefäss heisst so); 
Alcidamas schrieb nach MENANDER 7. ἐπιδειχε. Rhet. gr. IX, 163. Tzerz. 
Chil. XI, 746 f. ein Lob des Todes und ein Lob der Armuth, und von Poly- 
krates, dessen Redekunst der sophistischen jedenfalls nahe verwandt ist, 
kennen wir Lobreden auf Busiris und Klytämnestra und eine Anklage gegen 
Sokrates (Isoxr. Bus. 4. Quintil. II, 17, 4 Th. II a, 192, 7), ein Lob der 
Mäuse (Arıst. Rhet. II, 24. 1401 Ὁ 15), der Töpfe und der Steinchen (Arzx. 
70. ἄφορμ. ῥητ. Rhet. gr. IX, 334 W. III, 3 Sp.). Ebendahin gehört Iso- 
krates’ Busiris. 


1140 Die Sophisten. [1017] 


schon Protagoras darin gefunden, dass sie im Stande sei, die 
schwächere Sache zur stärkeren zu machen, das unwahrschein- 
liche als wahrscheinlich darzustellen!); und in ähnlichem ' 


1) Dass Prot. seinen Schülern versprochen habe, sie zu lehren, wie 
man den ἥττων λόγος zum χρείττοων machen könne, bezeugt Arısr. Rhet. II, 
24 Schl. Nachdem er nämlich hier von den Kunstgriffen gesprochen hat, 
durch welche das unwahrscheinliche wahrscheinlich gemacht werden kann, 
fügt er bei: χαὶ τὸ τὸν ἥττω δὲ λόγον χρείττω ποιεῖν τοῦτ᾽ ἐστίν. χαὶ 
ἐντεῦϑεν δικαίως ἐδυσχέραινον οὗ ἄνϑρωποι τὸ Πρωταγόρου ἐπάγγελμα. 
ψεῦδός τε γάρ ἔστι, καὶ οὐχ ἀληϑὲς ἀλλὰ φαινόμενον εἰχὺς, zul ἐν οὐδε- 
μιᾷ τέχνη ἀλλ᾽ ἐν ῥητοριχῇ καὶ ἐριστιχῆ. Es liegt am Tage, dass Arist. 
hiemit jenes Versprechen als ein von Protagöras selbst thatsächlich gegebenes 
bezeichnet, und nicht blos (wie Grors H. of Gr. VIII, 495 die Sache dar- 
stellt) sein eigenes Urtheil über die Rhetorik ausspricht, dass daher GeLLıus 
N. A. V, 8, 7 vollkommen mit ihm übereinstimmt, wenn er sagt: pollicebatur 
se id docere, quanam verborum industria causa infirmior fieret fortior, quam rem 
graeoe its dieebat: τὸν ἥττω λόγον χρείττω ποιεῖν. (Ebenso Stern. Byz. 
4ßdno« unter Berufung auf Eudoxus, und der Scholiast zu den Wolken 
vV. 113 vgl. Feeı Qu. Prot. 142 4) Zugleich ergibt sich auch aus diesen 
Stellen der Sinn jenes Versprechens: der ἥττων λόγος ist die den Gründen, 
und somit dem Rechte nach schwächere Sache, welche durch die Kunst des 
Reduners zur stärkeren gemacht werden soll; und es ist insofern nicht aus 
der Luft gegriffen, wenn Xenoru. Oec. 11, 25 den protagorischen Ausdruck 
erläutert: τὸ ψεῦδος ἀληϑὲς ποιεῖν, ebenso Isokr. π. @rrıdoo. 15. 30: ψευ- 
δόμενον τἀληϑὴ λέγοντος ἐπειχρατεῖν und: παρὰ τὸ δίκαιον ἐν τοὶς ἀγῶσι 
πλεονεχτεῖν, ja nicht einmal, wenn ΑΒΙΒΤΟΡΗΑΝΕΒ in den Wolken 98 £. 
112 #. 882 £. 889 ff. mit boshafter Deutlichkeit aus dem ἥττων λόγος einen 
ἄδικος A. macht: Prot. kündigte freilich nicht mit ausdrücklichen Worten 
an, dass er die Kunst lehren wolle, der ungerechten Sache zum Sieg zu 
verhelfen, aber er versprach doch, dass man bei ihm lernen könne, jeder 
beliebigen Sache zum Sieg zu verhelfen, auch wenn er ihr an sich nicht ge- 
bührte. In der Folge wird das gleiche noch vielen anderen nachgesagt: 
Aristophanes beschuldigt den Sokrates, wie der Meteorosophie, so auch der 
Kunst, den ἥττων λόγος zum χρείττων zu machen; bei Praro bezeichnet 
Sokrates diese Anschuldigung, indem er sich gegen sie vertheidigt (Apol. 18 
B. 19 B), zugleich als einen landläufigen Anklagepunkt gegen alle Philo- 
sophen (a. a. 0.23 Ὁ: τὰ χατὰ πάντων τῶν φιλοσοφούντων πρόχειρα ταῦτα 
λέγουσιν, ὅτε .. .. τὸν ἥττω λόγον χρείττω ποιεῖν), und noch ΙΒΟΚΒΑΤΕΒ 
hat a. a. Ο. den gleichen Vorwurf abzuwehren. Nur kann man daraus, dass 
er andern mit Unrecht gemacht wurde, nicht schliessen, er sei auch Prota- 
goras mit Unrecht gemacht worden. Grote folgert doch auch nicht aus 
Apol. 26 D, dass Anaxagoras nicht gelehrt habe, was dort Sokrates zuge- 
schoben wird. 


[1018. 1019) Sophistische Rhetorik; Sprachkunde. 1141 


Sinn sagt Pı.Aro!) von Gorgias, er habe die Entdeckung ge- 
macht, dass am Schein mehr liege, als an der Wahrheit, und 
er habe es verstanden, durch seine Reden das grosse klein, 
und das kleine gross erscheinen zu lassen. Je gleichgültiger 
sich aber so der Redner gegen den Inhalt verhielt, um so 
höher mussten die technischen Hülfsmittel der Sprache und 
der Darstellung im Werth steigen. Diese sind es daher, um 
welche sich die rhetorischen Anweisungen der Sophisten fast 
ausschliesslich drehten, wie diess gleichzeitig auch ausser Zu- 
sammenhang mit philosophischen Ansichten in der sicilischen 
Rednerschule des Korax und Tisias geschah?). Mit dem 
Grammatischen und Lexikalischen der Sprache beschäftigten 
sich Protagoras und Prodikus, welche dadurch die ersten Be- 
gründer einer wissenschaftlichen Sprachforschung bei den 
Griechen geworden sind®). Protagoras*) unterschied, ohne 
Zweifel zuerst, die drei Geschlechter der Hauptwörter°), die 
Zeiten der Zeitwörter®), und | die Arten der Sätze’); er gab 
überhaupt Anleitung zum richtigen Gebrauch der Sprache®). 


1) Phädr. 267 A vgl. Gorg. 456 A fl. 455 A (s. 8. 1135, 5. 1144, 1). 
Einer ähnlichen Aussage eines Ungenannten über Prodikus und Hippias bei 
SPenGeL Zuvay. τέχν. 213 (Rhet. gr. v. Walz VII, 9) legt WELcKER a. a. O. 
450 mit Recht kein Gewicht bei. 

2) 8. Sprenger a. a. Ο. 22-839. 

8) M. vgl. zum folgenden auch Lexsch Die Sprachphilosophie der 
Alten I, 15 ff. Arsertı Philologus XI, (1856) 699 ἢ. 

4) Ueber ihn ἔπει 130 ff. Sreneeı 40 fl. Scuanz 14] ἢ 

5) Arısr. Rhet. 1II, 5. 1407 Ὁ 6. Dabei bemerkte er, dass die Sprache - 


‘manches als männlich behandle, was eigentlich weiblich sein sollte (Ders. 


soph. el. c. 14 Anf., von ALEx. z. ἃ, St. Schol. 308 a 32, nur wiederholt; 
8. o. 1117, 2); Arıstoruanss, der in den Wolken dieses, wie anderes, von 
Protagoras auf Sokrates überträgt, nimmt davon V. 651 ff. Veranlassung zu 
vielen Scherzen. 

6) μέρη χρύνου Dioc. IX, 52. 

7) εὐχωλὴ, ἐρώτησις, ἀπόχρεσις, ἐντολή Dioa. IX, 53. Da Qummrır. 
Inst. III, 4, 10 dieser Eintheilung in dem Abschnitt über die Gattungen der 
Reden (Staatsreden, Gerichtsreden u. s. f.) erwähnt, vermuthet Spenge 8. 44, 
dass sie sich nicht auf die grammatische Form der Sätze, sondern auf den 
rednerischen Charakter der Vorträge und ihrer Theile beziehe; dass sie 
jedoch zunächst grammatischer Art ist, erhellt aus der Angabe (Arısr. Poet. 
c. 19. 1456 b 15), Prot. habe Homer getadelt, dass er die Ilias statt einer 
Bitte in dem μῆνεν ἄειδε mit einem Befehl an die Muse beginne. 

8) PLaro Phädr. 267 C: Upwrayigeıa δὲ, ὦ Zwxperss, οὐχ ἣν μέντοι 


1142 Die Sophisten. [1019. 1020] 


Prodikus ist durch die Unterscheidung sinnverwandter Wörter 
bekannt, die er in einem eigenen Vortrag!) gegen hohes Ho- 
norar lehrte; der reichliche Scherz, welchen PraTo über diese 
Entdeckung ausgiesst®), lässt | vermuthen, dass er seine, ihrer. 
Abzweckung nach recht verdienstlichen, Unterscheidungen und 
Definitionen nicht ohne Selbstgefälligkeit und vielfach wohl 
auch am unrechten Ort anbrachte. Auch Hippias gab Regeln 
über die Behandlung der Sprache®), die sich aber auf das 
Silbenmass und den Wohlklang beschränkt haben mögen. Die 


τοιαῦτ᾽ ἄττα; — Ὀρϑοέπειά γέ τις, ὦ παῖ, xal ἄλλα πολλὰ xal καλά. 
Vgl. Krat. 891 C: διδάξαι ae τὴν ὀρθότητα περὶ τῶν τοιούτων (die ὀνό- 
ματα, überhaupt die Sprache), 77 ἔμαϑε παρὰ Πρωταγόρου. Aus diesen 
Stellen, denen wir Prot. 339 A. Prur. Per. c. 36 beifügen können, und aus 
ARISTOPH. a. a. O. wird mit Recht geschlossen, dass sich Prot. bei diesen 
Erörterungen der Ausdrücke ὀρϑὸς, ὀρϑότης zu bedienen pflegte. Dagegen 
wird bei Tuewıst. or. XXIII, 289 Ὁ die ὀρϑοέπεια und ὀρϑοῤῥημοσύνη 
nicht (wie Lersca S. 18 angibt) Protagoras, sondern Prodikus zugeschrieben. 

1) Die Fünfzigdrachmenrede περὶ ὀρομάτων ὀρθότητος, deren schon 
S. 1061, 5 erwähnt wurde. Dass nicht die Frage, ob die Sprache φύσει 
oder νόμῳ sei, sondern die über den richtigen Gebrauch der Wörter und 
den Unterschied zwischen anscheinend gleichbedeutenden Ausdrücken den 
Gegenstand dieser Rede bildete, glaube ich trotz der entgegengesetzten An- 
sicht von LErscH (a. a. O. 16) mit Werckeg (S. 453) und den meisten schon 
wegen PrAato Euthyd. 277 E annehmen zu müssen. Das δεκερεῖν περὶ 
ὀνομάτων Charmid. 163 D vollends lässt sich nur auf jene Wortunter- 
scheidungen beziehen; und sollte auch Prodikus die Aufstellung seiner 
Regeln mit der gleichen Behauptung begründet haben, welche σατο Krat. 
383 A Kratylus beilegt: ἐνόματος ἐρϑύότητα εἶναι ἑχάστῳ τῶν ὄντων φύσει 
πεφυχυῖαν, so würden wir doch den Hauptinhalt jenes Vortrags, der offen- 
bar die Quintessenz der ganzen prodiceischen Sprachwissenschaft enthielt, 
nur in dem suchen können, was von den Leistungen unseres Sophisten auf 
diesem Gebiete allein erwähnt wird, der διαέρεσις ὀνομάτων. 

2) M. vgl. über diese Wortkunde, ohne die er (Wecker 454) „bei 
Plato niemals spricht, und kaum erwähnt wird“, Prot. 337 A fi 339 E ff. 
340 E. Meno 75 E. Krat. 384 B. Euthyd. 277 E ff. Charm. 168 A.D. Lach. 
197 Ὁ. Besonders die erste von diesen Stellen persiffllirt die Weise des 
Sophisten mit der heitersten Uebertreibung. Weiter vgl. Arıst. Top. II, 6. 
112 b 22. Paantı Gesch. ἃ. Log. I, 16. 

8) περὶ δυϑμῶν za) ἁρμονιῶν καὶ γραμμάτων ὀρϑότητος, PLaro Hipp. 
min. 368 D; π. γραμμάτων δυνάμεως καὶ συλλαβὼν καὶ ῥυϑμὼν καὶ apuo- 
γιῶν, Hipp. maj. 285 C. Aus Xrx. Mem. IV, 4, 7 dagegen kann man nichts 
schliessen; was MäuLy a. a. O. XVI, 39. Auserrı a. a. O. 70] und andere 
darin finden, ist viel zu gesucht: die Frage ist die ganz einfache, aus wie 
vielen und was für Buchstaben das Wort Zwxgarns bestehe. 


[1020. 1021] Sophistische Rhetorik und Sprachkunde. 1148 


Reden des Protagoras scheinen sich nach der Art, wie ihn 
Plato sprechen lässt, neben vorherrschender Klarheit und Un- 
gezwungenheit des Ausdrucks durch eine gefällige Würde, 
eine bequeme Fülle und eine leichte dichterische Färbung 
empfohlen zu haben, wenn sie aueh wohl nicht selten zu ge- 
dehnt waren!). Prodikus bediente sich, wenn wir aus der 
Erzählung bei Xenophon schliessen dürfen?), einer gewählten 
Sprache, bei der die feineren Unterschiede der Wörter aorg- 
fältig beachtet wurden, die aber allem nach nicht sehr kräftig 
und von den Verirrungen, welche Plato an ihr tadelt, nicht 
frei war. Hippiag scheint den Prunk auch in seiner Dar- 
stellung nicht verschmäht zu haben, PLaTo wenigstens charak- 
terisirt ihn in der kurzen Probe, die er gibt®), durch über- 
mässigen Wortschwall und häufige Metaphern. Dass er seinen 
Reden durch die stoffliche Mannigfaltigkeit ihres Inhalts einen 
besonderen Reiz zu geben suchte, lässt sich von dem kenntniss- 
reichen und auf die Vielseitigkeit seines Wissens eiteln Mann 
erwarten; | um so erwünschter mochte ihm seine Gedächtniss- 
kunst, zunächst als Hülfsmittel für den rednerischen Vortrag 
sein*). Den grössten Ruhm und den bedeutendsten Einfluss 
auf den griechischen Stil gewann Gorgias®). Witzig und geist- 
reich, wie dieser Mann war, wusste er den reichen Bilder- 
schmuck, die Wort- und Gedankenspiele der sicilischen Rede- 
kunst mit dem glänzendsten Erfolg in das eigentliche Griechen- 
land zu verpflanzen. Gerade an ihm und seiner Schule lässt 


1) Die σεμνότης seiner Darstellung bemerkt auch PkiLosTe. v. Soph. 
I, 10 Schl. freilich wohl nur nach Plato, die χυρεολεξία Heruıas in Phädr. 
192 ob. Nach dem Bruchstück bei Pıur. consol. ad. Apoll. 33 bediente er 
sich seines heimischen Dialekts, wie Demokrit, Herodot und Hippokrates. 

2) Dass wir dazu ein Recht haben, wiewohl die xenophontische Dar- 
stellung nicht wörtlich getreu ist (Mem. I, 1, 34), zeigt SrenasıL 97 f. 

8) Prot. 337 C ff. vgl. Hipp. maj. 286 A, im übrigen fehlt den beiden 
Hippias diese Mimik. 

4) Ueber diese Kunst, sowie über die Vielwisserei des Hippias vgl. 
8. 1066, 2; über die Mnemonik im besondern Mäny XVI, 40 f. Proben 
derselben in den “εαλέξεες c. 5 Schl. 

5) 8. S. 1058. Ueber den Charakter der gorgianischen Beredsamkeit 
handelt Gexr 62 ff., und gründlicher Schöxsorx De auth. declamat. Gorg. 
15 δ. Srexcer 63 fi. Foss 50 ff. Susesuur Jahrb. ἢ. Philol. 1877, 798 fi. 
Br.ass Att. Bereds. I, 62 ff. 


1144 Die Sophisten. [1021] 


sich aber auch die schwache Seite dieser Rhetorik am ἀσαΐ- 
lichsten nachweisen. Die Gewandtheit, mit der Gorgias seine 
Vorträge dem Gegenstand und den Umständen anzupassen, 
mit Scherz und Ernst je nach Bedürfniss zu wechseln, dem 
bekannten einen neuen Reiz zu geben, das auffallende unge- 
wohnter Behauptungen zu mildern wusste!), der Schmuck und 
Glanz, den er der Rede durch überraschende und emphatische 
Wendungen, durch gehobenen, an’s Dichterische anstreifenden 
Ausdruck, durch zierliche Redefiguren, rhythmische Wort- 
fügung und symmetrisch gegliederte Satzbildung verschaffte?), 


1) PLato sagt im Phädrus (8. o. 1141, 1) von ihm und Tisias: τά re 
au σμιχρὰ μεγάλα καὶ τὰ μεγάλα σμιχρὰ yalveodaı nova διὰ ῥώμην 
λόγου, καινά τε ἀρχαίως τά τ᾽ ἐναντία καινῶς, Arıst. Rhet. II, 18. 1419 
Ὁ 3 führt von ihm die Regel an: δεῖν τὴν μὲν σπουδὴν διαφϑείρεεν τῶν 
ἐγαντίων γέλωτι, τὸν δὲ γέλωτι. σπουδῇ, und nach Dionrs. (8. ο. 1137 m.) 
war er der erste, welcher über die Beachtung der Verhältnisse durch den 
Redner (περὶ χαιροῦ) schrieb, wenn auch nach der Ansicht des Kritikers 
nicht befriedigend. 

2) Arıst. Rhet. III, 1. 1404 a 25: ποιητιχὴ πρώτη ἐγένετο n λέξις, 
οἷον ἡ Togylov. Dionze. ep. ad Pomp. 764: τὸν ὄγχον τῆς ποιητικῆς πα- 
ρασχευῆς. De vi die. Dem. 968: Θουχυδίδου zul Γοργίου τὴν μεγαλοπρέ- 
πείαν καὶ σεμνότητα καὶ καλλελογίαν. Vgl. ebd. 968. ep. ad Pomp. 762. 
Dıovor ΧΙ, 58: als G. nach Athen kam, τῷ ξενίζοντε τῆς λέξεως ἐξέπληξε 
τοὺς ᾿4ϑηναίους (ähnlich Dıiox. jud. de Lys. 458)... πρῶτος γὰρ ἐχρήσατο 
τῆς λέξεως σχηματισμοῖς περιττοτέροις χαὶ τῇ yeılorıyvig διαφέρουσιν, 
ἀντιϑέτοες χαὶ ἰσοχώλοις za) παρίσοες χαὶ ὁμοιοτελεύτοις καί τισεν ἑτέροις 
τοιούτοις, ἃ τότε μὲν διὰ τὸ ξένον τῆς χατασχευῆς ἀποδοχῆς ἠξεοῦτο, τῦν 
δὲ περιεργίαν ἔχειν δοχεῖ χαὶ φαίνεται καταγέλαστον πλεονάχες χαὶ χατα- 
χόρως τιϑέμενον. PeiLosre. v. Soph. I, 9, 1 (vgl. ep. 73 [13], 3) ὁρμῆς τε 
γὰρ τοῖς σοφισταῖς ἦρξε χαὶ παραδοξολογίας za) πνεύματος χαὶ τοῦ τὰ 
μεγάλα μεγάλως ἑρμηνεύειν, ἀποστάσεων τε (die emphatische Unterbrechung 
der Rede durch einen neuen Satzanfang; 8. Frzı Rh. Mus. VII, 543 fl) χαὶ 
προςβολῶν (wohl ähnlicher Art, 8. Foss 52) ὑφ᾿ ὧν ὁ λόγος ἡδίων ἑαυτοῦ 
ylveraı χαὶ σοβαρώτερος, wesshalb ihn Phil. übertreibend mit Aeschylus 
vergleicht. Als Redefiguren, die Gorgias erfunden, d. h. die er zuerst mit 
Bewusstsein und Absicht angewandt habe, werden namentlich genannt: die 
πάρισα oder παρισώσεες (paria paribus adjwmota, die Wiederholung derselben 
Ausdrücke, die Gleichheit des syntaktischen Baus und der Glieder in zwei 
Sätzen), die παρόμοια oder παρομοιώσεις (das Spiel mit ähnlich lautenden 
Wörtern, die ὁμοιοτέλευτα und ὁμοιοχάταρχτα) und die Antithesen; vgl. 
Cıc. Orat. 12, 38 8. 52, 175. 49, 165. Dıonzs. ep. II. ad Anm. S. 792. 808. 
jud. de Thuc. 869. De vi dic. Dem. 963. 1014. 1083. Arısr. Rhet. III, 9. 
1410 a 22 fl.‘ Die Figuren, welche Dıopor a. a. O. aufzählt, sind hierin 


[1022] Sophistische Rhetorik. 1145 


wird auch von solchen anerkannt, die im übrigen | nicht allzu 
gtinstig über ihn urtheilen. Zugleich sind aber auch die 
späteren Kunstrichter darüber einig, dass er und seine Schüler 
in der Anwendung dieser Hülfsmittel die Grenze des guten 
Geschmacks weit tiberschritten. Ihre Darstellungen waren mit 
ungewöhnlichen Ausdrücken, mit Tropen und Metaphern, mit 
prunkenden Beiwörtern und Synonymen, mit künstlich ge- 
drechselten Antithesen, mit Wortspielen und Gleichklängen 
überladen'), ihr Stil bewegte sich mit ermüdender Symmetrie 
in kleinen, zweigliedrig geordneten Sätzen, die Gedanken 
standen zu dem Aufwand an rhetorischen Mitteln in keinem 
Verhältniss, und die ganze Manier konnte auf den reineren 
Geschmack der Folgezeit nur den Eindruck des Gezierten 
und Frostigen machen?). Einen richtigeren Weg schlug 


enthalten, die ἀποστάσεις und προςβολαὶ, welche Philostratus nennt, hat 
Gorgias vielleicht angewendet, ohne ausdrückliche Regeln darüber zu geben; 
keinenfalls kann man aus Arıst. a. a. O. schliessen, dass er sie nicht ge- 
kannt habe, denn dort handelt es sich nur um die Figuren, welche aus dem 
Verhältniss der Satztheile entstehen. Mit den scharf zugespitzten Antithesen 
und den gleichgliedrigen Sätzen war dann unmittelbar auch der Rbythmus 
gegeben, wie Cicero a. ἃ. a. O. bemerkt. — Aehnliche Künste legt Praro 
dem Polus bei, Phädr. 267 C: τὰ δὲ Πώλου πῶς φράσομεν αὖ μουσεῖα 
λόγων, ὡς διπλασιολογίων χαὶ γνωμολογίέαν χαὶ eixovoloylar, ὀνομάτων 
τὰ Διχυμνείων ἃ ἐχείνῳ ἐδωρήσατο πρὸς ποίησεν εὐεπείας; (über die Stelle 
selbst, deren Text etwas verdorben scheint, und über den darin erwähnten 
Rbetor Licymnius s. m. SpeugeL 84 fi. Scnanz 8. 134 f. Brass Att. Bereds. 
I, 85 ἢ) Ebendahin gehört, was der Phädrus 267 A über Euenus bemerkt. 

1) Wesshalb Anısr. Rhet. IH, 3. 1406 a 18 von Alcidamas sagt, die 
Epitheten seien bei ihm nicht eine Würze (ἥδυσμα) der Rede, sondern die 
Hauptkost (ἔδεσμα). 

2) Reichliche Belege zu dem obigen finden sich ausser den erhaltenen 
Schriften des Rhetors, namentlich dem Bruchstück des Epitaphios, (s. o. 
1060, 1) in der unäbertrefflichen platonischen Nachbildung gorgianischer 
Redekunst, Symp. 194 E ff. vgl. 198 Β δ, und in den häufigen, durch Bei- 
spiele unterstützten Urtheilen der Alten; m. 8. was S. 1144, 2 angeführt 
wurde, ferner Prato Phädr. 267 A. C. Gorg. 467 B. 448 C (wozu die Scho- 
lien bei SreneeL S. 87 zu vgl... XenorH. conv. 2, 26. Anıst. Ἐμοί. III, 3 
(das ganze Kap... Denselben Rbet. II, 19. 24. 1392 b 8. 1402 a 10. Eth. 
VL, 4. 1140 a 19 über Agathon (von dem auch die Fragmente bei ATnHen. 
Ψ, 185 a. 211] e. XIII, 584 a zu vergleichen sind). Diıonrs. Jud. ἃ. Lys. 
458. Jud. d. Isaeo 625. De vi dic. in Dem. 968. 1033. Lousın z. Up. 
c. 3, 2. Ηκβμοο. π. ἰδ. II, 9. Rhet. gr. III, 362. (11, 398 Speng.) Praxup, 


1146 Die Sophisten. [1023. 1024] 


Thrasymachus ein. | Turoprkast rühmt von ihm!), er habe 
zuerst die mittlere Redegattung aufgebracht, indem er die 
Nüchternheit der gewöhnlichen Sprache durch reicheren Schmuck 
belebte, ohne doch darum in die Uebertreibungen der gor- 
gianischen Schule zu verfallen; auch Dıonys?) gesteht seiner 
Darstellung diesen Vorzug zu, und aus anderweitigen Nach- 
richten sehen wir, dass er die Rhetorik mit wohlberechneten 
Vorschriften über die Art, wie auf das Gemüth und die Affekte 
der Zuhörer zu wirken 8618), und mit Erörterungen über den 
Satzbau®), das Silbenmass®) und den äusseren Vortrag®) be- 
reicherte?). Nichtsdestoweniger | können wir PıLATo°) und 
ARISTOTELES?) nicht Unrecht geben, wenn sie auch hier die 
rechte Gründlichkeit vermissen. Es handelt sich bei ihm, wie 


in Hermog. ebd. V, 444. 446. 499. 514 6 Denuere. De interpret. c. 12. 
15. 29, ebd. IX, 8. 10. 18. (IH, 263. 264. 268 Sp.) Doxorırter in Aphth. 
ebd. II, 32. 240. JoserH. Rhacendyt. Synops. c. 15 Schl. ebd. IH, 562. 521. 
Jo. SıceL. in Hermog. ebd. VI, 197. Sur. Topy. Srnes. ep. 82. 188 (τὶ 
ψυχρὸν xal Topyıaiov). QuistiL. IX, 3, 74. Hieher gehören auch die 
Apophthegmen bei Prur. aud. po. c. 1, 5. 15 (glor. Atb. c. 5). Cimon 
ce. 10. Mul. virt. 1, S. 242 E. Qu. conv. VII, 7, 2, 4 und was Arex. Top. 
426, 7 (Schol. 287 Ὁ 16) von Lykophron, PmrwLoste. ep. 73, 3 von Aeschines 
anführt. 

1) Bei Dıoxys. jud. Lys. 464. De vi dic. Dem. 958. Dion. selbst hält 
Lysias für den ersten, der die mittlere Redegattung aufbrachte; mit Recht 
folgt aber Srenger 94 f. und Henumann De Thrasym. 10 Theophrast. 

2) A.d. a. O., und jud. de Isaeo 627. Doch bemerkt Dion., die Dar 
stellung des Thras. habe seiner Absicht nur theilweise entsprochen, und Cic. 
Orat. 12, 39 tadelt seine kleinen versartigen Sätze. Ein grösseres Bruch- 
stück des Thras. theilt Dion. De Demosth. a. a. O. mit, ein kleineres Cıe- 
ΜΕΝΒ Strom. VI, 624 C. 

8) Prato Phädr. 267 C; über seine Ἔλεοι oben 8. 1137, 1. 

4) Sup. u. d. W.: πρῶτος περίοδον χαὶ χῶλον κατέδειξε. 

5) Arıst. Rhet. III, 8. 1409 a 1. Cıc. Orator. 52, 175. Quinstır. IX, 4, 87. 

6) Arıst. Rhet. III, 1. 1404 a 18. 

7) Eingehender bespricht jetzt Brass Att. Bereds. I, 250 fl. seine 
Rhetorik. 

8) Phädr. 267 C. 269 A. D. 271 A. 

9) Arıst. Rhet. III, 1. 1354 a 11 ff, wo Thras. zwar nicht genannt, 
aber in die allgemeinen Aeusserungen des Philosophen über seine Vorgänger 
um 80 gewisser miteingeschlossen ist, da er ausdrücklich von den Künsten 
redet, in denen jener seine besondere Stärke hatte, der διαβολὴ, ὀργὴ, ἔλεος 
u. 8. w., wie SPENGEL 8. 96 richtig bemerkt. 


[1024. 1025] „Die Sophistik.“ 1147 


bei den andern, doch immer nur um die technische Ausbildung 
des Redners, an eine tiefere Begründung seiner Kunst durch 
die Psychologie und die Logik, wie sie jene mit Recht fordern, 
wird nicht gedacht. Die Sophistik bleibt auch hierin ihrem 
Charakter getreu; nachdem sie den Glauben an eine objektive 
‘Wahrheit zerstört, und der Wissenschaft, welcher es um die 
Sache zu thun ist, entsagt hat, bleibt ihr als einziges Ziel 
ihres Unterrichts eine formale Gewandtheit, der sie weder 
eine wissenschaftliche Grundlage noch eine höhere sittliche 
Bedeutung zu geben weiss. 


6. Der Werth und die geschichtliche Bedeutung der Sophistik. 
Die verschiedenen Richtungen innerhalb derselben. 


Wenn wir es versuchen, uns über den Charakter und die 
geschichtliche Stellung der Sophisten ein allgemeines Urtheil 
zu bilden, so tritt dem zunächst das Bedenken entgegen, dass 
ursprünglich nicht blos Lehrer in verschiedenen Fächern, 
sondern auch Männer von verschiedener Denkweise Sophisten 
genannt wurden. Was berechtigt uns, aus dieser Zahl ein- 
zelne herauszugreifen und sie im Unterschied von allen andern 
ausschliesslich als Sophisten zu bezeichnen, von „der Sophistik“ 
als einer bestimmten Lehre oder Geistesrichtung zu reden, 
während es doch gar keine bestimmten Lehrsätze oder Me- 
thoden gab, zu denen alle, die man Sophisten nennt, sich be- 
kannt hätten? Diesem Einwurf hat in neuerer Zeit bekannt- 
lich GRoTE!) ein grosses Gewicht beigelegt. Die Sophisten, 
bemerkt er, seien nicht eine Schule gewesen, sondern ein 
Stand, in dessen Mitgliedern die verschiedensten Ansichten 
‚und Charaktere vertreten waren, und wenn man einen Athener 
zur Zeit des peloponnesischen Kriegs nach den berühmtesten 
Sophisten seiner Heimath gefragt hätte, |so würde er unfehlbar 
Sokrates in erster Reihe genannt haben. Indessen folgt dar- 
aus zunächst doch nur, dass der Name der Sophisten in 
unserem Sprachgebrauch eine engere Bedeutung erhalten hat, 
als ihm ursprünglich zukam; für unerlaubt dürfte man diess 
aber nur dann halten, wenn sich keine gemeinsame Eigen- 


1) H. of Gr. VID, 505 fi. 483. 


1148 Die Sophisten. [1025] 


thümlichkeit aufzeigen liesse, welche diesem Namen in seiner 
jetzigen Bedeutung entspräche. Diess ist jedoch nicht der 
Fall. Sind auch die Männer, welche wir zu den Sophisten 
zu rechnen pflegen, durch keine gemeinschaftlichen, von ihnen 
allen anerkannten Lehrsätze mit einander verbunden, so lässt 
sich doch eine Gleichartigkeit ihres Charakters nicht ver- 
kennen; und diese Gleichartigkeit zeigt sich nicht blos in 
ihrem Auftreten als Lehrer, sondern auch in der ganzen 
Stellung, welche sie sich zu der Wissenschaft ihrer Zeit gaben, 
in ihrer Abkehr von der physikalischen und überhaupt von 
aller blos theoretischen Forschung, in der Beschränkung auf 
die praktisch nützlichen Fertigkeiten, in der Skepsis, zu welcher 
die meisten und bedeutendsten von ihnen sich ausdrücklich 
bekennen, in der Disputirkunst, deren Uebung und Einübung 
gleichfalls von den meisten bezeugt wird, in der formal tech- 
nischen Behandlung der Rhetorik, in der freien Kritik und 
der naturalistischen Erklärung des Götterglaubens, in den An- 
sichten über Recht und Sitte, deren Keime schon die prot#- 
gorische und gorgianische Skepsis ausstreut, wenn sie selbst 
auch erst in der Folge bestimmter zum Vorschein kommen. 
Finden sich auch nicht alle diese Züge bei allen einzelnen 
Sophisten, 80 findet sich doch ein Theil derselben bei jedem, 
und sie alle liegen so sehr in der gleichen Richtung, dass 
wir die individuelle Verschiedenheit unter jenen Männern 
zwar nicht übersehen dürfen, darum aber doch sie alle als 
die Vertreter derselben Bildungsform zu betrachten berech- 
tigt sind. 

Wie ist nun aber über den Werth, den Charakter und 
die geschichtliche Bedeutung dieser Erscheinung zu urtheilen? 

Erwägt man alles befremdende und verkehrte, was der 
Sophistik anhaftet, so könnte man der Ansicht beizutreten ge- 
neigt sein, welche früher ganz allgemein war, und der es auch 
in neuerer Zeit an Vertheidigern nicht gefehlt hat!), dass die- 


1) 2. B. SchLeienmacner Gesch. ἃ. Phil. 70 ff. Baranvıs I, 516, be- 
sonders aber Rırter I, 575 fi. 628. Vorr. z. 2. Aufl. XIV fi. und Baun- 
HAUER in der 8. 1038, 2 genannten Schrift. Aehnlich noch WunpıxgTon 
Seances et Travaux de 1’ Acad. d. sci. morales CV (1876), 105. Milder be- 
urtheilt Branpıs Gesch. d. Entw. I, 217 £ die Sophistik. 


[1026] „Die Sophistik.“ 1149 


selbe | schlechthin nichts anderes sei, als eine Entartung und 
Verirrung, eine von allem wissenschaftlichen Ernst und allem 
Sinn für Wahrheit entblösste, aus den niedrigsten Triebfedern 
entsprungene Verkehrung der Philosophie in leere Schein- 
weisheit und feile Disputirkunst, die systematisirte Unsittlich- 
keit und Frivolität. Nichtsdestoweniger ist es ein unverkenn- 
barer Fortschritt des geschichtlichen Verständnisses, dass man 
in neuerer Zeit angefangen hat, diese Vorstellung zu ver- 
lassen, und die Sophisten nicht blos von ungerechten An- 
schuldigungen zu befreien, sondern auch in dem, was wirklich 
einseiüg und verkehrt an ihnen ist, eine ursprünglich berech- 
tigte Grundlage und ein natürliches Erzeugniss der geschicht- 
lichen Entwieklung zu erkennen!). Schon der unermessliche 
Einfluss dieser Männer, und die hohe Berühmtheit, welche 
manchen derselben auch von ihren Gegnern bezeugt wird, 
müsste uns abhalten, sie für die leeren Schwätzer und die 
eiteln Scheinphilosophen zu erklären, für die man sie sonst 
ansah. Denn was man auch von der Schlechtigkeit einer 
entarteten Zeit sagen mag, die eben wegen ihrer eigenen Ge- 
halt- und Gesinnungslosigkeit in den Sophisten- ihren ent 
spreehendsten Ausdruck erkannt habe: wer in irgend einer 
Periode der Geschichte, und wäre es die verdorbenste, das 
Losungswort der Zeit | ausspricht und an die Spitze der gei- 


1) Nachdem schon Meıners Gesch. ἃ. Wissensch. I, 175 fl. die Ver- 
dienste der Sophisten um die Verbreitung von Bildung und Kenntnissen 
anerkannt hatte, war es zuerst Ηξακι, (Gesch. d. Phil. II, 3 8), der ein 
tieferes Verständniss der Sophistik und ihrer geschichtlichen Stellung an- 
bahnte; diese Erörterungen ergänzte Hermann (8. ο. 1038, 2) mit gelehrten 
Nachweisungen, durch welche namentlich die kulturgeschichtliche Bedeutung 
der Sophistik und ihr Zusammenhang mit ihrer Zeit in's Licht gestellt wird; 
weiter vgl. m. Wenpr zu Tennemann I, 459 ff. Marsıca Gesch. ἃ. Phil. 1, 
152. 157. Branıss Gesch. d. Phil. s. Kant, I, 144 ff. Scuweser Gesch. d. 
Phil 21 ff. (etwas ungünstiger Griech. Phil. 106 8.) Hıay= Allg. Encykl. 
Sect. IH, B. XXIV, 39 f. Usserwec Grundr. I, ὃ 27. Am entschiedensten, 
aber nicht ohne apologetische Einseitigkeit, haben Grote und Lewezs in 
ihren mehrerwähnten Werken die Partei der Sophisten genommen. An Grote 
schliesst sich BztuE Versuch einer sittlichen Würdigung ἃ. sophist. Bede- 
kunst (Stade 1873) an, ohne doch in der Sache neues zu bringen. Der Ver- 
such, Protagoras der heutigen Erkenntnisstheorie näher zu rücken als ich 
es für zulässig halte, wurde S. 1095 ff. besprochen. 


1150 _ Die Sophisten. [1027] 


stigen Bewegung tritt, den werden wir vielleicht für schlecht, 
aber in keinem Fall für unbedeutend halten dürfen. Aber 
die Zeit, welche die Sophisten bewundert hat, war gar nicht 
blos diese Periode des Verfalls und der Entartung, sondern 
zugleich die einer hohen und in ihrer Art einzigen Bildung, 
das Zeitalter des Perikles und Thucydides, des Sophokles und 
Phidias, des Euripides und Aristophanes; und es waren nicht 
etwa nur die schlechtesten und unbedeutendsten jenes Ge- 
schlechts, sondern Grössen ersten Ranges, welche die Wort- 
führer der Sophistik aufgesucht und für sich selbst benützt 
haben. Hätten diese Männer nicht mehr mitzutheilen gehabt, 
als eine täuschende Scheinweisheit und eine leere Rhetorik, 
so würden sie nicht so mächtig auf ihre Zeit gewirkt, nicht 
diesem gewaltigen Umschwung in der Gesinnung und Denk- 
weise der Griechen zu Trägern gedient haben; der ernste und 
hochgebildete Sinn eines Perikles würde sich schwerlich an 
ihrer Gesellschaft erfreut, ein Euripides würde sie nicht ge- 
schätzt, ein Thucydides nicht von ihnen gelernt, ein Sokrates 
ihnen keine Schüler zugewiesen haben; selbst auf die ent- 
arteten aber geistvollen Zeitgenossen der genannten, auf einen 
Kritias und Alcibiades, hätten sie wohl kaum für die Dauer 
ihre Anziehungskraft ausgeübt. Was es daher auch gewesen 
sein mag, auf dem der Reiz des sophistischen Unterrichts und 
der sophistischen Vorträge beruhte, so viel müssen wir schon 
hieraus schliessen, dass es etwas neues und bedeutendes, neu 
und bedeutend wenigstens für jene Zeit war. 

Worin dieses näher bestand, wird sich aus den voran- 
stehenden Erörterungen ergeben. Die Sophisten sind die Auf- 
klärer ihrer Zeit, die Encyklopädisten Griechenlands, und sie 
theilen ebenso die Vorzüge, wie die Mängel dieser Stellung. 
Es ist wahr, die grossartige Spekulation, der sittliche Ernst, 
die gediegene, in den Gegenstand versenkte wissenschaftliche 
Gesinnung, welche wir an den früheren und späteren Philo- 
sophen zu bewundern so vielfachen Anlass haben, fehlt den 
Sophisten. Ihr ganzes Auftreten erscheint anspruchsvoll und 
prahlerisch, ihr unstetes Wanderleben, ihr Gelderwerb, ihr 
Haschen nach Schülern und Beifall, ihre gegenseitigen Eifer- 
süchteleien, ihre oft lächerliche Ruhmredigkeit bilden einen 


[1028] Werth und Bedeutung der Sophistik. 1151 


merkwürdigen Gegensatz zu | der wissenschaftlichen Hingebung 
eines Anaxagoras und Demokrit, zu der anspruchslosen Grösse 
eines Sokrates, dem edlen Stolz eines Plato; ihr Zweifel zer- 
stört alles wissenschaftliche Streben in der Wurzel, ihre Eristik 
hat nur die Verwirrung des Mitunterredners zum letzten Er- 
gebniss, ihre Redekunst ist auf den Schein berechnet und 
dient dem Unrecht so gut, wie der Wahrheit, ihre Ansichten 
von der Wissenschaft sind niedrig, ihre sittlichen Grundsätze 
gefährlich. Selbst die besten und bedeutendsten Vertreter 
der sophistischen Denkweise können wir von diesen Fehlern 
nicht durchaus freisprechen: wollten sich auch Protagoras und 
Gorgias mit der herrschenden Sitte nicht in Widerspruch 
setzen, so haben doch beide zu der wissenschaftlichen Skepsis, 
zu der sophistischen Eristik und Rhetorik, ebendamit aber 
mittelbar auch zu der Leugnung allgemeingültiger sittlicher 
Gesetze den Grund gelegt; hat auch ein Prodikus die Tugend 
in beredten Worten gepriesen, so ist doch seine ganze Er- 
scheinung derjenigen eines Protagoras, Gorgias und Hippias 
zu nahe verwandt, als dass wir ihn aus der Reihe der Sophisten 
herausnehmen, oder in wesentlich anderem Sinn, als jene es 
auch sind, einen Vorgänger des Sokrates nennen dürften!). 


1) Von diesem schon in der ersten Auflage dieser Schrift S. 263 f. aus- 
gesprochenen Urtheil über Prodikus kann ich auch nach WELckeEr’s Gegen- 
bemerkungen Klein. Schr. U, 528 ff. nicht abgehen. Nicht als ob ich alles 
das, was eine unkritische Vorstellung den Sophisten unterschiedslos schuld- 
gibt, und was an manchen von ihnen wirklich zu tadeln ist, auf Prodikus 
übertragen, oder jede verwandtschaftliche Beziehung desselben zu Sokrates 
leugnen wollte. Aber alle Fehler und Einseitigkeiten der Sophistik finden 
sich auch bei einem Protagoras, Gorgias, Hippias nicht; auch sie haben die 
Tugend, deren Lehrer sie sein wollten, zunächst im Sinn der gewöhnlichen 
Ansicht aufgefasst, und die spätere Theorie der Selbstsucht wird keinem von 
ihnen beigelegt, wenn auch die zwei ersten durch ihre Skepsis, Protagoras 
durch seine Behandlung der: Rhetorik, Hippias durch die Unterscheidung des 
positiven und des natürlichen Gesetzes sie vorbereiten. Auch als Vorläufer des 
Sokrates sind jene Männer in gewissem Sinn zu betrachten, und die Be- 
deutung eines Protagoras und Gorgias ist in dieser Beziehung grösser, als 
die des Prodikus. Denn einen Stand der Lehrer zu begründen, durch Unter- 
richt auf die sittliche Verbesserung der Menschen zu wirken (WELckkr 535), 
haben sie vor jenem unternommen; der Inhalt ihrer Moral stimmte mit der 
prodiceischen und mit der herrschenden sittlichen Ansicht im wesentlichen, 


wie bemerkt, gleichfalls zusammen, und stand dem eigenthümlichen und 
Philos. d. Gr. I. Bd. 5. Aufl. 13 


1159 Die Sophisten. [1029] 


Bei anderen | vollends, wie Thrasymachus, Euthydem, Diony- 
sodor, bei dem ganzen Haufen der unselbständigen Schüler 


neuen in der sokratischen Ethik nicht ferner, als die populären Sittensprüche 
des Prodikus; in der Behandlung dieses Stoffs aber kommt Gorgias durch 
seine Erörterungen über die Tugenden der einzelnen Menschenklassen einer 
wissenschaftlichen Bestimmung jedenfalls näher, als Prodikus mit seiner 
allgemeinen und populären Lobpreisung der Tugend, und der Mythus, welchen 
Plato dem Protagoras in den Mund legt, nebst den daran geknüpften Be- 
merkungen über die Lehrbarkeit der Tugend, steht an wirklichem Gedanken- 
gehalt hoch über dem prodiceischen Apolog. Was sonstige Leistungen be- 
trifft, so mögen die Wortunterscheidungen des keischen Weisen immerhin 
zu den Untersuchungen über die verschiedenen Bedeutungen der Wörter, 
welche in der ‘Folge namentlich für die aristotelische Metaphysik so wichtig 
wurden, einen nicht werthlosen Beitrag geliefert, vielleicht auch schon 
auf Sokrates einigen Einfluss gehabt haben: aber theils war auch hierin 
Protagoras dem Prodikus vorangegangen, theils können diese Wortunter- 
scheidungen, welche Plato geringschätzig genug behandelt, an eingreifender 
Bedeutung für die spätere und zunächst schon für die sokratische Wissen- 
schaft den dialektischen und erkenntnisstheoretischen Erörterungen eines 
Protagoras und Gorgias lange nicht gleichgestellt werden, die gerade durch 
ihr skeptisches Ergebniss zur Unterscheidung des Wesens von der sinnlichen 
Erscheinung, zur Erzeugung einer Begriffsphilosophie hindrängten. Zugleich 
zeigt aber eben die Beschränkung der prodiceischen Erörterungen auf den 
sprachlichen Ausdruck, und die übertriebene Wichtigkeit, welche diesem 
Gegenstand beigelegt wurde, dass es sich hier durchaus nur um solches 
handelt, was in der formellen und einseitig rhetorischen Richtung der sophi- 
stischen Wissenschaft lag. Wenn ferner hinsichtlich der Moral des Prodikus 
WELCKER zugegeben werden muss, dass ihre eudämonistische Begründung 
noch kein Beweis eines sophistischen Charakters ist, so darf man doch 
andererseits nicht übersehen, dass sich von dem Eigenthümlichen der sokra- 
tischen Sittenlehre, von dem grossen Grundsatz der Selbsterkenntniss, von 
der Zurückführung der Tugend auf’s Wissen, von der Ableitung der sitt- 
lichen Vorschriften aus allgemeinen Begriffen bei Prodikus noch keine Spur 
findet. Was wir endlich von seinen Ansichten über die Götter wissen, ist 
ganz im Geist der sophistischen Bildung. Mag daher auch Prodikus „der 
unschuldigste unter den Sophisten“ (SrengEL 59) genannt werden, sofern 
von ihm keine für die Sittlichkeit oder die Wissenschaft verderblichen 
Grundsätze bekannt sind, so ist es darum doch nicht blos eine äusserliche 
Aehnlichkeit, sondern auch die innere Verwandtschaft seines wissenschaft- 
lichen Charakters und Verhaltens mit demjenigen der Sophisten, die mich 
verhindert, von dem Vorgang der alten Schriftsteller abzuweichen, welche 
ihn diesen einstimmig beizählen. (M. vgl. hierüber auch S. 1068, 1.) Die 
Bestreitung der sittlichen Grundsätze gehört nicht nothwendig zum Begriff 
des Sophisten, und auch die theoretische Skepsis ist davon nicht untrennbar, 
wenn schon beides allerdings in der Consequenz des sophistischen Stand- 


[1080] Werth und Bedeutung der Sophistik. 1153 


und Nachahmer, | sehen wir die Einseitigkeiten und Ueber- 
treibungen des sophistischen Standpunkts in abschreckender 
Nacktheit hervortreten. Nur vergesse man nicht, dass diese 
Mängel in der Hauptsache nichts anderes sind, als die Rück- 
seite oder die Entartung eines bedeutenden und berechtigten 
Strebens, dass man daher die Eigenthümlichkeit der Sophisten 
gleichsehr verkennt, und ihren wirklichen Leistungen gleich 
wenig gerecht wird, wenn man sie blos als Zerstörer der alt- 
griechischen Lebensansicht, und wenn man sie, wie Girote, 
einfach als ihre Vertreter behandelt. Die frühere Zeit hatte 
sich in ihrem praktischen Verhalten auf die sittliche und 
religiöse Ueberlieferung, in ihrer Wissenschaft auf die Be- 
trachtung der Natur beschränkt; es war diess wenigstens ihr 
vorherrschender Charakter gewesen, wenn auch in einzelnen 
Erscheinungen, wie immer, die späteren Bestrebungen sich 
ankündigten und vorbereiteten. Jetzt kommt es zum Bewusst- 
sein, dass diess nicht genüge, dass nichts für den Menschen 
Werth und Geltung haben könne, was sich nicht seiner per- 
sönlichen Ueberzeugung bewährt, ein persönliches Interesse 
für ihn gewonnen hat. Es macht sich mit Einem Wort das 
Princip der Subjektivität geltend. Der Mensch verliert die 
Ehrfurcht vor dem Gegebenen als solchem, er will nichts mehr 
für wahr annehmen, was er nicht geprüft hat, er will sich mit 
nichts mehr beschäftigen, wovon er keinen Nutzen für sich 
selbst sieht, er will aus eigener Einsicht heraus handeln, alles, 
was ihm vorkommt, für sich verwenden, überall zu Hause 
sein, über alles sprechen und absprechen. Es erwacht das 
Verlangen nach allgemeiner Bildung, und die Philosophie 
macht sich diesem Verlangen dienstbar. Weil aber dieser 
Weg zum erstenmal eingeschlagen wird, weiss man sich auf 
demselben nicht sogleich zurechtzufinden: der Mensch hat den 


punkts lag; ein Sophist ist jeder, der mit dem Anspruch eines Weisheits- 
lehrers auftritt, während es ihm doch nicht um die wissenschaftliche Er- 
forschung des Gegenstandes, sondern nur um die formelle und praktische 
Bildung des Subjekts zu thun ist, und diese Merkmale treffen auch bei 
Prodikus zu. M. vgl. zu dem vorstehenden jetzt auch Scuaxz a. a. O. 
8. 41 ff. 

45" 


1184 Die Sophistik. [1081] 


Punkt in sich selbst noch nicht entdeckt, in den er sich zu 
stellen hat, um die Welt ın der richtigen | Beleuchtung zu er- 
blieken, und in seinem Handeln das Gleichgewicht nicht zu 
verlieren. Die bisherige Wissenschaft genügt dem geistigen 
Bedürfniss nicht mehr, man findet ihren Umfang zu beschränkt, 
ihre Grundbegriffe unsicher und widersprechend; und den 
Betrachtungen, durch welche die Sophisten diess zum Bewusst- 
sein brachten, darf man ihren Werth nicht absprechen, und 
namentlich die Bedeutung der protagorischen Skepsis für die 
erkenntnisstheoretischen Fragen nicht unterschätzen ; aber statt 
die Physik durch eine Ethik zu ergänzen, schiebt man sie 
gänzlich bei Seite, statt eine neue wissenschaftliche Methode 
za suchen, wird die Möglichkeit des Wissens geleugnet. Ebenso 
geht es auf dem sittlichen Gebiete. Es ist richtig erkannt, 
dass die Wahrheit eines Grundsatzes, die Verbindlichkeit eines 
Gesetzes durch seine thatsächliche Geltung noch nicht dar- 
gethan ist, dass das Herkommen als solches kein Beweis für 
die Nothwendigkeit der Sache ist; aber statt nun die inneren 
Verpflichtungsgründe im Wesen der sittlichen Thätigkeiten 
und Verhältnisse aufzusuchen, begnügt man sich mit dem 
negativen Ergebniss, mit der Ungültigkeit der bestehenden 
Gesetze, mit der Verwerfung der überlieferten Sitten und 
Meinungen, und als das positive zu dieser Verneinung bleibt 
nur das zufällige, durch kein Gesetz und keine allgemeinen 
Grundsätze geregelte Thun des Einzelnen, die Willkür und 
der persönliche Vortheil. Nicht anders verhält es sich auch 
mit der Stellung, welche die Sophisten zur Religion einnabmen. 
Dass sie die Götter ihres Volkes bezweifelten und in denselben 
Gebilde des menschlichen Geistes erkannten, wird man ihnen 
nicht zum Vorwurf machen, und die geschichtliche Bedeutung 
dieser Zweifel nicht gering anschlagen dürfen. Der Fehler 
liegt nur darin, dass sie auch hier die Verneinung durch keine 
Bejahung zu ergänzen wissen, dass ihnen mit dem Glauben 
an diese Götter die Religion überhaupt verloren geht. Die 
sophistische Aufklärung ist so allerdings ihrem Wesen nach 
oberflächlich und einseitig, in ihren Ergebnissen unwissen- 
schaftlich und gefährlich. Aber nicht alles was für uns irivial 


[1081. 1032] Werth und Bedeutung der Sophistik. 1155 


ist, war es auch für die Zeitgenossen der ersten Sophisten, 
und nicht alles, dessen Verderblichkeit die Erfahrung in der 
Folge herausgestellt hat, liess sich darum auch von Anfang 
an vermeiden. Die Sophistik ist die Frucht und | das Organ 
der eingreifendsten Umwälzung, welche in der Denkweise und 
im Geistesleben des griechischen Volkes vor sich gieng. 
Dieses Volk stand an der Schwelle einer neuen Zeit, es er- 
öffnete sich ihm die Aussicht in eine bis dahin unbekannte 
Welt der Freiheit und der Bildung: können wir uns 
wundern, wenn ihm auf der rasch erklommenen Höhe schwin- 
delte, wenn sein Selbstgefühl die Grenzen überschritt, wenn 
der Mensch sich durch die Gesetze nicht mehr gebunden 
glaubte, nachdem er ihren Ursprung aus dem menschlichen 
Willen erkannt hatte, wenn er alles für subjektive Erscheinung 
hielt, weil wir alles im Spiegel unseres Bewusstseins sehen? 
An der bisherigen Wissenschaft war man irre geworden, eine 
neue war noch nicht gefunden; die bestehenden sittlichen 
Mächte konnten ihre Berechtigung nicht beweisen, das höhere 
Gesetz im Innern des Menschen war noch nicht entdeckt; 
über die Naturphilosophie, die Naturreligion und die natur- 
wüchsige Sittlichkeit strebte man hinaus, aber was man an 
ihre Stelle zu setzen hatte, war nur die empirische, von den 
äusseren Eindrücken und den sinnlichen Trieben abhängige 
Subjektivität. So sank man, indem man sich vom Gegebenen 
unabhängig machen wollte, unmittelbar wieder in die Ab- 
hängigkeit von demselben zurück, und ein Streben, das seiner 
allgemeinen Tendenz nach berechtigt war, trug um seiner Ein- 
seitigkeit willen für die Wissenschaft und für das Leben ver- 
derbliche Früchte!). Aber diese Einseitigkeit war nicht zu 


1) Dass die Sophisten freilich weder die alleinige noch die hauptsäch- 
lichste Ursache der sittlichen Zerrüttung waren, welche während des pelo- 
ponnesischen Krieges überhand nahm, dass die Verirrungen ihrer Ethik mehr 
ein Anzeichen als ein Grund dieser Zerrüttung sind, liegt am Tage, und ist 
auch schon S. 1044 f. hervorgehoben worden. Grote (VII, 51 f. VIII, 544 f.) 
beruft sich dafür mit Recht auch auf Praro’s Erklärung Rep. VI, 492 A ἢ: 
man solle nur nicht meinen, dass die Sophisten es seien, welche die Jugend 
verderben, der Hauptsophist sei vielmehr das Volk selbst, welches keine von 
seinen Meinungen und Neigungen abweichehde Ansicht dulde; die Sophisten 
seien nichts weiter, als Leute, welche das Volk geschickt zu behandeln, 


1156 Die Sophisten. .. [1088] 


vermeiden, | und in der Geschichte der Philosophie ist sie auch 
nicht zu beklagen. Die Gährung der Zeit, der die Sophisten 
angehören, hat viele trübe und unreine Stoffe an die Ober- 
fläche getrieben, aber diese Gährung musste der Geist durch- 
machen, ehe er sich zur sokratischen Weisheit abklärte, und 
wie wir Deutsche ohne die Aufklärungsperiode wohl schwer- 
lich einen Kant hätten, so hätten die Griechen schwerlich 
einen Sokrates und eine sokratische Philosophie gehabt ohne 
die Sophistik. 

Zu der früheren Philosophie verhielten sich die Sophisten, 
wie wir bereits wissen, einestheils polemisch, indem sie nicht 
blos ihre Ergebnisse, sondern ihre ganze Richtung, und über- 
haupt die Möglichkeit einer wissenschaftlichen Erkenntniss 
bekämpften; zugleich benützten sie aber die Anknüpfungs- 
punkte, welche sich ihnen in der älteren Philosophie darboten 1), 
und ihrer Skepsis insbesondere legten sie theils die hera- 
klitische Physik, theils die dialektischen Beweise der Eleaten 
zu Grunde. Desshalb jedoch überhaupt eine eleatische und 
eine protagorische Sophistik zu unterscheiden?), sind wir 
schwerlich berechtigt; denn das Ergebniss ist bei Protagoras 
und Gorgias im wesentlichen das gleiche, die Unmöglichkeit 
des Wissens, und für die praktische Seite der Sophistik, für 
die Eristik, die Moral und die Rhetorik, macht es keinen 
grossen Unterschied, ob dieses Ergebniss aus 'heraklitischen 


-.---.-.--΄ὃ-... 


seinen Vorurtheilen und Wünschen zu schmeicheln wissen, und die gleiche 
Kunst auch andere lehren. Nur braucht man darum nicht mit ὅποτε (VIII, 
508 ff.) im Widerspruch gegen die bestimmtesten Aussagen des Thucydides 
(III, 82 ff. III, 52) und das unzweideutige Zeugniss der Geschichte, zu leugnen, 
dass in jener Zeit überhaupt eine Verwirrung der sittlichen Begriffe, eine 
Abnahme der politischen Tugend und des Sinns für Gesetzlichkeit statt- 
gefunden habe. 

1) Vgl. S. 1042 £. 1047 £. 

2) SCHLEIERMACHER Gesch. d. Phil. 71 f, der diesen Unterschied mit 
der spitzfindigen und selbst fast sophistisch zu nennenden Formel bezeichnet, 
in Grossgriechenland sei Sophistik δοξοσοφία, in Jonien Vielwisserei, Wissen 
um den Schein, σοφοδοξία (beide Worte bedeuten aber gans dasselbe). 
Rırrer I, 589 f. Beanpıs und Heruann, 8. u. Jonische und italische So- 
phisten hatte schon Ast Gesch. ἃ. Phil. 96 f. unterschieden. 


[1088. 1084] Die sophistischen Schulen. 1157 


oder eleatischen Voraussetzungen abgeleitet wird. Die Mehr- 
zahl der Sophisten nimmt daher auf diese Verschiedenheit der 
wissenschaftlichen Ausgangspunkte nicht weiter Rücksicht, 
und kiimmert sich wenig um den Ursprung der skeptischen 
Argumente, die sie nach ihrer jeweiligen Brauchbarkeit ver- 
wendet!). Vonmehreren bedeutenden Sophisten, wie Prodikus, 
Hippias, Thrasymachus, würde auch schwer | zu sagen sein, 
in welche der beiden Klassen sie gehören. Wird weiter diesen 
beiden noch die Atomistik, als Ausartung der empedokleischen 
und anaxagorischen Physik, beigefügt?), so ist schon früher 
-(ὅ. 944 ff.) gezeigt worden, dass die Atomistik überhaupt nicht 
zu den sophistischen Schulen gehört; auch die Sophistik wird 
aber unrichtig beurtheilt, und das eigenthümliche und neue 
an ihr wird übersehen, wenn man sie nur als Äusartung der 
früheren Philosophie, oder gar nur als Ausartung einzelner 
von ihren Zweigen behandelt. Das gleiche gilt gegen RırtEr’s 
Bemerkung, der spätere Pythagoreismus sei gleichfalls eine 
Art Sophistik. Wenn endlich Hermann?) eine eleatische, 
heraklitische und abderitische Sophistik unterscheidet, und der 
ersten Gorgias, der zweiten Euthydem, der dritten Protagoras 
zum Vertreter gibt, so erhebt sich hiegegen das doppelte Be- 
denken, dass nicht blos die Vertheilung der bekannten So- 
phisten in diese drei Klassen kein reines Ergebniss liefert, 
sondern dass auch die Eintheilung selbst dem geschichtlichen 
Sachverhalt nicht entspricht. Dass die Skepsis des Protagoras 
aus den Erwägungen hervorgegangen sein sollte, mit denen 
Demokrit den Satz vertheidigt, unsere Wahrnehmungen geben 
kein Bild von der objektiven Beschaffenheit der Dinge*), lässt 
sich aus chronologischen Gründen nicht annehmen’); von Leu- 


1) Auch Protagoras benützte ja für seine Eristik einen Satz des Par- 
menides; vgl. S. 1106, 4. 

2) SCHLEIERMACUER und RITTER a. ἃ. a. O. 

3) Zeitschr. f. Alterthumsw. 1834, 369 f. vgl. 295 ἢ, Plat. Phil. 1%. 
299, 151. De philos. Jon. aetatt. 17. Vgl. Prrersen philol.-hist. Stud. 36, 
der Protagoras auf Heraklit und Demokrit gemeinschaftlich zurückführt. 

4) Vgl. 5. 864, 1. 

5) Lange Gesch. des Mater. I, 131 ἢ, welcher diess annimmt, thut es 


1158 Die Sophisten. [1034] 


cippus seinerseits!) wissen wir nicht, ob er diese Gründe auch 
schon geltend gemacht, und sich nicht blos auf jenen Satz 
selbst beschränkt hatte, welcher an sich der Behauptung des 
Protagoras über die Subjektivität und die subjektive Wahr- 
heit aller unserer Vorstellungen nicht näher steht, als Parme- 
nides’ und Heraklit’s Angriffe auf das Zeugniss der Sinne, 
und derselben sogar weniger Anhaltspunkte darbot, als Hera- 
klit’s Lehre vom Fluss aller Dinge?); denn sobald die letztere 


nur unter der Voraussetzung, dass Prot. entweder jünger sei als Demokrit, 
oder dass er erst im Lauf seiner Lehrthätigkeit unter Demokrit’s Einfluss 
auf seine skeptische Theorie gekommen sei. Dass nun Demokrit jedenfalls 
um 10 Jihre jünger war, als Prot., und dieser mithin nicht sein Schüler 
sein konnte, ist schon früher gezeigt worden. Andererseits ist es aber sehr 
unwahrscheinlich, dass der Sophist erst viele Jahre nach dem Beginn seiner 
Lehrthätigkeit auf die Ansichten gekommen sein sollte, welche den inneren 
Mittelpunkt seines Wirkens und die wissenschaftliche Begründung seiner 
Eristik, seiner Abkehr von der Physik und seiner Beschränkung auf die 
praktischen 'Aufgaben bilden. Warum könnte aber nicht auch umgekehrt 
Demokrit Protagoras’ Bemerkungen über die Subjektivität unserer Vor- 
stellungen für die genauere Begründung der Sätze benützt haben, die er von 
Leucippus übernommen hatte, während er (nach 8. 922, 1) seinen weiteren 
Folgerungen widersprach ? 

1) Ueber den S. 864, 1 zu vergleichen ist. 

2) Hermann führt für die nähere Verwandtschaft des Protagoras mit 
Demokrit an, dass dieser ebenso, wie jener, das erscheinende für das wahre 
erkläre; es ist indessen schon 8. 918 ἢ. gezeigt worden, dass diess nur eine 
Folgerung ist, welche Aristoteles aus seinem Sensualismus zieht, von welcher 
er selbst aber weit entfernt war. Ferner: wie Demokrit nur gleiches von 
gleichem erkannt werden lasse, so behaupte auch Protagoras, dass das er- 
kennende ebenso bewegt sein müsse, wie das erkannte, wogegen nach Hera- 
klit ungleiches von ungleichem erkannt werde. Hier ist es jedoch HErRMAmK 
begegnet, zwei sehr verschiedene Dinge zu verwechseln. Von Heraklit sagt 
Theophrast (s. o. 716, 2), er lasse ähnlich, wie später Anaxagoras, bei der 
Sinnesempfindung (denn nur von dieser gilt der Satz, und nur auf sie wird 
er von Theophrast bezogen; die Vernunft ausser uns, das Urfeuer, erkennen 
wir auch nach Heraklit mit dem vernünftigen und feurigen in uns) ent- 
gegengesetztes durch entgegengesetztes erkannt werden, das warme durch 
das kalte u. 8. w. Dieser Behauptung widerspricht aber Protagoras so 
wenig, dass er vielmehr, einer gewöhnlich auf ihn bezogenen Darstellung zu- 
folge, mit Heraklit die Sinnesempfindung aus dem Zusammentreffen ent- 
gegengeretzter Bewegungen, einer aktiven und passiven hergeleitet hätte 
(8. o. 1088 fi. vgl. m. 715 ἢ). Dass dagegen erkennendes und erkanntes 


[1094. 1085. 1086. 1037] Die Sophisten. 1159 


auf die erkenntnisstheoretische Frage folgerichtiger angewandt 
wurde, als diess von ihrem Urheber geschehen war, liess sich 
die Folgerung nicht vermeiden, dass sich uns die Dinge in 
dem unablässigen Wechsel, dem sie und wir selbst unterliegen, 
immer nur so darstellen können, wie diess unser augenblick- 
licher Zustand mit sich bringt. Diese Folgerung hat aber 
Euthydem nicht reiner durchgeführt, und vor Herbeiziehung 
parmenideischer Sätze sich so wenig gehütet, als Protagoras. | 
Keine von jenen Eintheilungen erscheint daher richtig und 
ausreichend. | 

Auch die inneren Unterschiede zwischen den einzelnen 
Sophisten zeigen sich nicht so bedeutend, dass sich eine durch- 
greifende | Unterscheidung verschiedener Schulen darauf grün- 
den liesse. Wenn z. B. Wexpr!) die Sophisten in solche 


gleichsehr bewegt sein müssen, hat Heraklit nicht blos nicht geleugnet, son- 
dern er gerade hat es zuerst unter den alten Physikern ausgesprochen. Wird 
endlich noch gesagt, der Herakliteer Kratylus behaupte bei Plato das gerade 
Gegentheil des protagorischen Satzes, so kann ich diess nicht finden; es 
scheint mir vielmehr, die Behauptungen, dass die Sprache das Werk der 
Namenmacher sei, dass alle Namen gleich richtig seien, dass man nichts 
falsches sagen könne (Krat. 429 B. D), stimmen vollkommen mit dem prota- 
gorischen Standpunkt überein, und wenn ProKrus (in Crat. 41) Euthydem’s 
Satz, dass allen alles zugleich wahr sei, dem bekannten protagorischen ent- 
gegenstellt, so sehe ich zwischen beiden schlechthin keinen erheblichen Unter- 
schied. M. vgl. die Nachweisungen, welche 5. 1105 f. gegeben wurden. Da 
nun überdiess von einer Atomenlehre sich bei Protagoras keine Spur findet, 
und sogar jede Möglichkeit derselben in seiner Theorie fehlt, so wird man 
den entscheidenden Anstoss zur Entstehung derselben nicht in ihr suchen 
dürfen. — Dem vorstehenden Urtheil tritt auch Frzı Quaest. Prot. 105 ff. 
Rhein. Mus. VIII, 273 u. a. bei. Wenn Vırrınaa De Prot. 188 ff. für einen 
Zusammenhang des Protagoras mit Demokrit geltend macht, dass doch auch 
dieser (wie Prot. nach Plato 8. ο. 8. 1088 ἢ) eine anfangslose Bewegung, 
ein Thun und Leiden habe, so hält er sich an viel zu unbestimmte Ver- 
gleichungspunkte. 

1) Zu Tennemann I, 467. Aehnlich unterscheidet Tennemann selbst 
a. a. Ο. solche Sophisten, welche zugleich Redner waren, und solche, welche 
die Sophistik von der Rhetorik trennten. Er selbst weiss aber in die zweite 
Klasse nur Euthydem und Dionysodor zu stellen, und auch diese gehören 
streng genommen nicht in dieselbe, denn auch sie lehrten die gerichtliche 
Beredsamkeit, die sie auch später nicht ganz aufgaben; Praro Euthyd. 271 
D£E273C£ 


1160 Die Sophisten. [1037. 1038] 


theilt, die sich mehr als Redner zeigten, und solche, die mehr 
als Lehrer der Weisheit und Tugend auftraten, so kann man 
schon an diesen „mehr“ sehen, wie unsicher ein solcher Ein- 
theilungsgrund ist, und versucht man die geschichtlich be- 
kannten Namen an die zwei Klassen zu vertheilen, so kommt 
man sofort in Verlegenheit!). Der rhetorische Unterricht war 
bei den Sophisten in der Regel von der Anleitung zur Tugend 
nicht getrennt, die Redekunst galt ihnen eben für das be- 
deutendste Werkzeug der politischen Tüchtigkeit, und die 
theoretische Seite der Sophistik, die in philosophischer Be- 
ziehung gerade das wichtigste ist, wird bei jener Eintheilung 
nicht berücksichtigt. Um nichts besser ist die Unterscheidung 
von PETERSEN?): subjektiver Skepticismus des Protagoras, 
objektiver Skepticismus des Gorgias, moralischer Skepticismus 
des Thrasymachus, religiöser Skepticismus des Kritias. Was 
hier als Eigenthümlichkeit des Thrasymachus | und Kritias 
bezeichnet wird, ist ihnen mit der Mehrzahl der Sophisten, 
wenigstens der jüngeren, gemein; auch Protagoras und Gor- 
gias sind sich aber in ihren Resultaten und ihrer allgemeinen 
Richtung nahe verwandt; Hippias und Prodikus endlich finden 
in jener Eintheilung keine geeignete Stelle. Auch gegen die 
Darstellung von Branpıs®) lässt sich manches einwenden. 
Branvis bemerkt, die heraklitische Sophistik des Protagoras 
und die eleatische des Gorgias habe sich sehr bald in einer 
zahlreichen Schule vereinigt, die sich in verschiedene Rich- 
tungen verzweigte. Unter diesen werden nun zunächst zwei 
Klassen unterschieden, die dialektischen Skeptiker und die- 
jenigen, welche ihre Angriffe auf die Sittlichkeit und die 
Religion richteten. Zu jenen rechnet Branpıs Euthydem, 


1) Wenpr rechnet zur ersten Klasse ausser Tisias, der nur Rhetor, 
nicht Sophist war, Gorgias, Meno, Polus, Thrasymachus, zur zweiten Prota- 
goras, Kratylus, Prodikus, Hippias, Euthydem. Aber Gorgias hat auch als 
Tugendlehrer, namentlich aber durch seine skeptischen Untersuchungen, seine 
Bedeutung, Protagoras, Prodikus und Euthydem haben sich in ihrem Unter- 
richt und ihren Schriften viel mit Rhetorik beschäftigt. 

2) Philos.-histor. Studien 35 fi. 

3) Gr.-röm. Phil. I, 523. 541. 543. 


[1038. 1089] Die sophistischen Schulen. 1161 


Dionysodor und Lykophron, zu diesen Kritias, Polus, Kallikles, 
Thrasymachus, Diagoras. Ausserdem wird dann noch Hippias 
und Prodikus genannt, von denen jener für seine Redekunst 
eine Mannigfaltigkeit realer Kenntnisse angestrebt, dieser durch 
seine sprachlichen Erörterungen und seine paränetischen Vor- 
träge Samen zu ernsteren Betrachtungen ausgestreut habe. 
So richtig hier aber erkannt ist, dass sich protagorische und 
gorgianische Sophistik bald verschmolzen, so gewährt doch 
die Unterscheidung der dialektischen und der ethischen Skepsis 
desshalb keinen guten Eintheilungsgrund, weil beide ihrer 
Natur nach auf’s engste zusammenhängen, und die eine nur 
die unmittelbare Anwendung der anderen ist; finden sie sich 
daher im einzelnen auch nicht immer beisammen, so begründet 
diess doch keine wesentliche Verschiedenheit der wıssenschaft- 
lichen Richtung. Von den meisten Sophisten sind wir aber 
zu wenig unterrichtet, um sicher beurtheilen zu können, wie 
68. sich in dieser Beziehung mit ihnen verhielt, und einen 
Prodikus und Hippias stellt auch Branpıs in keine von jenen 
zwei Kategorieen. VITRINGA!) führt diese beiden neben Prota- 
goras und Gorgias als die Häupter der vier sophistischen 
Schulen auf, welche er annimmt, wenn aber von diesen vier 
Schulen die des Protagoras als sensualistische, | die des Pro- 
dikus als moralische, die des Hippias als physische, die des 
Gorgias als politisch-rhetorische bezeichnet wird, so erhalten 
wir dadurch kein ganz richtiges Bild von der Eigenthümlich- 
keit und dem gegenseitigen Verhältniss jener Männer?), und 


1) De Sophistarum scholis, 486 Socratis state Athenis floruerunt. 
Mnemosyne II (1853), 223—237. 

2) Vitr. nennt die Lehre des Prot. „absoluten Sensualismus“ ; aber seine 
Erkenntnisstheorie ist vielmehr eine Skepsis, welche allerdings von sensua- 
listischen Voraussetzungen ausgeht, seine ethisch-politischen Ansichten an- 
dererseits werden von Vitringa (a. a. O. 226) mit jenem Sensualismus nur 
in eine sehr gezwungene Verbindung gebracht; seine Rhetorik ohnediess, 
ein Haupttheil seiner Thätigkeit, hängt wohl mit seiner Skepsis, aber nicht 
mit dem Sensualismus zusammen. Prodikus ferner ist nicht blos Moralist, 
sondern auch Rhetor: bei Plato treten seine Erörterungen über die Sprache 
entschieden in den Vordergrund. Noch weniger lässt sich Hippias blos als 
Physiker, sondern höchstens als Polyhistor bezeichnen; es scheint sogar, 


1162 Die Sophisten. (1039. 1040] 


wenn alle uns bekannten Sophisten in die genannten vier 
‘Schulen vertheilt werden, so gibt uns die Geschichte dazu kein 
Recht). 

Wäre von den Schriften der Sophisten mehr erhalten und 
‘wären ihre Ansichten vollständiger überliefert, so wäre es uns 
vielleicht dennoch möglich, den Charakter der verschiedenen 
Schulen etwas weiter zu verfolgen. Aber unsere Nachrichten 
sind hiefür zu dürftig, und eine feste Begrenzung der Schulen 
scheint die Sophistik auch wirklich ihrer ganzen Natur nach 
auszuschliessen, eben weil sie nicht ein objektives Wissen, 
‘sondern nur subjektive Denkfertigkeit und Lebensgewandtheit 
gewähren will. Diese Bildungsform ist an kein wissenschaft- 
liches System und Princip gebunden, ihre Eigenthümlichkeit 
zeigt sich vielmehr gerade in der Leichtigkeit, mit | welcher 
sie sich aus den verschiedensten Theorieen herausnimmt, was 
sich für den jeweiligen Zweck verwenden lässt; und sie pflanzt 
sich aus diesem Grunde nicht in geschlossenen Schulen, son- 
dern in freierer Weise, durch verschiedenartige geistige An- 
steckung fort?). Mag es daher auch sein, dass der eine von 
eleatischen, der andere von heraklitischen Voraussetzungen zu 
seinen Ergebnissen gelangte, dass dieser die Eristik, jener die 
Rhetorik mit Vorliebe pflegte, dieser sich auf die sophistische 
Praxis beschränkte, jener auch ihre Theorie vortrug, dass 
jener den ethischen, dieser den dialektischen Untersuchungen 


der grössere Theil seiner Reden und Schriften sei historischen und moralischen 
Inhalts gewesen. Wenn endlich Gorgias in der späteren Zeit nur Rhetorik 
lehren wollte, so können doch weder seine skeptischen Ausführungen noch 
seine Tugendlehre bei der Bestimmung seines wissenschaftlichen Charakters 
übergangen werden. | 

1) Zur Schule des Protagoras rechnet Vitr. Euthydem und Dionysodor, 
zu der des Gorgias Thrasymachus; aber dass eich die ersteren nicht blos 
an Protagoras halten, ist schon S. 1105 £. gezeigt worden, dass andererseits 
Thrasymachus zur gorgianischen Schule gehörte, wird nirgends bezeugt, und 
der Charakter seiner Rhetorik (s. o. 8. 1146) spricht nicht dafür. Dagegen 
hätte Agatho, der aber kein Sophist war, als Schüler des Gorgias, nicht 
des Prodikus, bezeichnet werden müssen (vgl. 8. 1145, 2); dass er bei PLaro 
Prot. 315 D dem letzteren zuhört, beweist nichts. 

2) Wie Branpıs 8. 542 treffend bemerkt. 


[1040. 1041] Die sophistischen Schulen. 1163 


grössere Aufmerksamkeit zuwandte, dieser ein Rhetor, jener 
ein Tugendlehrer oder Sophist genannt sein wollte, und 
mag in diesen Beziehungen die Eigenthümlichkeit der ersten 
sophistischen Lehrer sich auf ihre Schüler vererbt haben, so 
sind doch alle diese Unterschiede durchaus fliessend, und sie 
können nicht für eine wesentlich verschiedene Auffassung des 
sophistischen Princips, sondern nur für eine verschiedene Be- 
thätigung desselben nach Massgabe der individuellen Anlage 
und Neigung beweisen. 

Mit mehr Recht kann man die frühere und die spätere 
Sophistik auseinanderhalten. Erscheinungen, wie die, welche 
Plato im Euthydem so meisterhaft gezeichnet hat, unterscheiden 
sich von den bedeutenden Gestalten eines Protagoras und Gor- 
gias nicht viel weniger, als die Tugend eines Diogenes von 
der des Sokrates, und die jüngeren Sophisten überhaupt 
tragen die unverkennbaren Spuren der Ausartung an sich. 
Die sittlichen Grundsätze insbesondere, welche später mit 
Recht so grossen Anstoss gegeben haben, sind den sophistischen 
Lehrern der ersten Zeit noch fremd. Nur darf man nie über- 
sehen, dass die spätere Gestalt der Sophistik selbst nichts zu- 
fälliges, sondern eine unvermeidliche Folge dieses Standpunkts 
war, und dass desshalb ihre Vorzeichen schon bei seinen be- 
rühmtesten Vertretern beginnen. Wo der Glaube an eine all- 
gemeingültige Wahrheit so, wie hier, verlassen, alle Wissen- 
schaft in Eristik und Rhetorik verflüchtigt ist, da wird am 
Ende alles von der Willkür und dem Vortheil des Einzelnen 
abhängig, und auch die wissenschaftliche Thätigkeit wird aus 
einem Weahrheitsstreben, dem es um | die Sache zu thun ist, 
zu einem Mittel für die Befriedigung der Selbstsucht und Eitel- 
keit herabgesetzt. Die ersten Urheber einer solchen Denk- 
weise tragen in der Regel noch Bedenken, diese Folgerungen 
rein zu ziehen, weil ihre eigene Bildung noch theilweise der 
, früheren Zeit angehört; bei denen dagegen, welche von Anfang 
an in der neuen Bildungsform aufgewachsen, durch keine ent- 
gegenstehenden Erinnerungen gebunden sind, können sie nicht 
ausbleiben, und mit jedem weiteren Schritt auf dem einmal 
betretenen Wege miissen sie sich greller herausstellen. Aber 
die einfache Rückkehr zu dem alten Glauben und der alten 


1164 Die Sophisten. [1041] 


Sitte, wie sie ein Aristophanes verlangt, konnte weder ge- 
lingen, noch auch Männern, die ihre Zeit tiefer verstanden, 
genügen. Den richtigen Weg, um über die Sophistik hinaus- 
zukommen, zeigte nur Sokrates, indem er in dem Denken 
selbst, dessen Macht sich in jener durch die Zerstörung der 
bisherigen Ueberzeugungen bewährt hatte, eine tiefere Grund- 
lage für die Wissenschaft und die Sittlichkeit zu gewinnen 
suchte. 


Pierer'sche Hofbuchdruckerei. Stephan Geibel ἃ Co. in Altenburg. 


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Berichtigungen und Zusätze. 


1. Abtheilung. 


. VII Ζ. 2 v. u. statt „Doxographie“ setze: Doxographi. 
. 62 2.6 v. u. statt „Eruann“ setze: Erman. 


79 Z. 1 statt „(Nacht und“ setze: Nacht (und. 
110 Z. 16 ist hinter „Prot. 348 A“ beizufügen: „und Isoxe. π. ἃ vrıdöa. 
235°. - 


. 217 Z. 12 v. u. statt „ausnahmsweise“ setze: ausnahmslose. 


368 2. 8 statt „eigentlich“ setze: eigenthümlich. 


. 374 Z. 19 v. u. statt „unterschobenen oder gefälschten“ setze: unter- 


schobener oder gefälschter. 


. 405 Ζ. 17 v. u. statt οψύχωοεν"“ setze: ψύχωσεν. 


437 2.3 v. u. statt „436, 8“ setze: 486, 1. 
493 Ζ. 8 statt „Alkmäons“ setze: des Hippasus, 
496 Z, 13 v. u. statt „STEINHARDT® setze: STEINHART. 


. 512 Z. 4 ist vor „Physik“ einzufügen: Geschichte der. 


565 Ζ. 11 v. u. ist hinter „V. 102“ beizufügen: vgl. 109. 
615 2. 12 v. u. statt: ἀραόν" setze: ἀραεόν. 


2. Abtheilung. 


639 Ζ. 12 statt „639, 1* 1. 640, 1. 

716 Z. 16 v. u. setze: οὗ δὲ περὶ ‘Avakayopav xal ἩΗράχλεετον. 
748 Z. 10 statt „wird“ setze: werden. 

913 Z. 9 v. u. statt „ouolas“ setze: ὁμοίως. 

929 Z. 13 ist hinter „Ueberzeugung“ beizufügen: recht handle. 
961 Z. 3 statt „ihm“ setze: ihn. 

979 2. 15 setze: dorlv οὐδὲ πλείω. οὐ γὰρ av. π. πλεέω εἶναι. 
9900 Ζ. 15 v. u. statt „Dirtrtnuer“ setze: DiL TaxrY. 

999 Z. 4 statt des Semikolon: ein Komma. 


Ο. R. Reisland in Leipzig. 
Die 


Philosophie der Griechen 


in ihrer geschichtlichen Entwickelung 


dargestellt von 


Dr. Eduard Zeller. 


3 Theile in 6 Bänden und Register. Μ, 100,—. 
Gebunden in 6 Halbfranzbänden (Register unge- 
bunden) M. 115, — 


Erster Theil, erste Hälfte: Allgemeine Einlatung,; Vorsokratische 
Philosophie. Erste Hälfte. 5. Auflage. 1892. 40 Bogen. M. 13,— 

Erster Theil, zweite Hälfte: Allgemeine Einleitung, Vorsokratische 
Philosophie. Zweite Hälfte. 5. Auflage. 1892. 3231, Bogen. M. 12,— 

Zweiter Thell, erste Abtheilung: Sotrates und die Sokratiker. Plato 
und die alte Akademie. 4. Aufl. 1888. 66 Bogen. M. 20,—. 

Zweiter Theil, zweite Abthellung: Aristoteles und die alten Peripa- 
teliker. 3. Auflage. 1879. 60 Bogen. M. 18,—. 

Dritter Theil, erste Abtheilung: Die Nacharistotelische Philosophie. 
Erste Hälfte. 3. Auflage. 1880. 53 Bogen. M. 16,— 

Dritter Theil, zweite Abtheilung: Die Nacharistotelische Philosophie. 
Zweite Hälfte. 3. Auflage. 1881. 56 Bogen. Preis erhöht M. 19,— 

Register zum ganzen Werke. 1882. 6 Bogen. M. 2,—. 


MB Es wird gebeten, die zur Vervollständigung des 
Werkes nothwendigen Bestellungen jetzt zu bewirken. 
Späterhin können einige Bände nicht mehr apart gegeben 
werden. 


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