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DIE
PREUSSISCHE EXPEDITION
NACH
OST-ASIEN.
ERSTER BAND.
DIE
PREUSSISCHE EXPEDITION
OST-ASIEN.
NACH AMTLICHEN QUELLEN.
ERSTER BAND.
MIT XII ILI.USTBATIONEN UND II KARTEN,
BERLIN MDCCCLXIV.
h G'G 70 I
HARVARD
UNWERSITY
LIBRARY
Das Uebersetzungs - Recht ist^orbehalteu.
Withdrawn from
raiy
i
EINLEITUNG.
Uas Bedürfniss einer eigenen diplomatischen Vertretung
in den ost - asiatischen Reichen besteht fiir Preussen
luid die Zollvereins - Staaten seit langer Zeit. Schon im
Jahi'e 1843 wurde die Aufmerksamkeit der königUchen
Regiei"ung auf die für den deutschen Handel in Ost -Asien
zu erwartenden Vortli^ile geleitet mid der Vorschlag zur
Gründung einer gi'ossen Handelssocietät gemacht, die ilire
Niederlage in Singapore hätte , mit der Aussicht die directen
Operationen auch auf China auszudehnen, sobald auf diplo-
matischem Wege der preussischen Flagge in den geöffneten
Häfen dieses Reiches dieselben Rechte zugesichert wären
wie der britischen. Der Antrag, eine imposante Ambassade
nach Ost -Asien zu senden, war damals nicht zeitgemäss.
Im Jahre 1844 liefen nach den englischen Scliiffahrts-
Registern niu* ein preussisches , ein hamburger und ein
bremer Schiff in Wampoa, dem Hafen von Canton, ein,
und selbst 1846 kamen nur ein bremer und ein hambm'ger
Schiff mit Ladungen aus Liverpool und Hongkong nach
dem damals aufblülienden Hafen Schanghai. Die deutsche
Schiffahrt begann erst ehiigen Aufschwung in den indischen
und chinesischen Meeren zu nehmen, als im Jahi'e 1848
diu'ch einen Act der königlich grossbritaimischen Regierung
alle fremden Schiffe den enghschen für die Ebi- und Ausfuhr
VXll Einleitung.
von und nach den ostindischen Häfen — ausser bei Be-
firachtung mit Salz und Opium — gleichgestellt wurden.
Das Bedürfniss nach eigenen diplomatischen Vertretern
mit richterlicher Befugniss machte sich seit der Zeit bei den
in China verkehrenden Deutschen mehr und mehr fühlbar.
Die Geschäftsverbindungen nahmen nach den Berichten
ausgesendeter Handels - Agenten in grossem Maassstabe zu,
aber der Mangel eigener Jurisdiction versetzte die Unter-
thanen tractatloser Mächte in China in eine sehr unvortheil-
hafte Lage; ihre Stellung drohte bei dem schnell wachsenden
Verkehr unhaltbar zu werden.
Das Jahr der grossen Weltausstellung in London
1851 und die folgenden bezeichnen einen Umschwung in
den Verhältnissen des Welthandels. Ueberall tauchten
Hberalere Grundsätze auf, die internationalen Beziehungen
wurden lebhafter und der Unternehmungsgeist brach sich
Bahn nach allen Seiten. Der zunelunende Verbrauch
chinesischer Erzeugnisse, die rasche Entwickelung der
Niederlassungen in Australien und an der Westküste
Nordamerika's , die Unternehmungen der Wallfischfänger
und Pelzjäger, die von der niederländischen Regierung
angenommene liberale Colonialpolitik, die Eröflfnimg einer
anscheinend unerschöpflichen Quelle von Reiszufuhren aus
Hinter - Indien , der durch Uebervölkenuig imd pohtische Um-
wälzungen gesteigerte Auswanderungsdrang der Cliinesen
gaben damals den Küstenländern des Stillen Oceans
eine commercielle Bedeutung, an die noch wenige Jahr-
zehnte vorher nicht gedacht werden durfte. In der west-
lichen Welt erweckten die Fortschritte der Humanität und
Bildung, die starke Zunahme der Bevölkerung und der auf-
blühende Wohlstand immer lebhafter das Bedürfniss nach
Ki'aftäussei'ung und Ausbreitung im Raiune ; der allgemeine
Einleitung. IX
Verkehr der Nationen und der freie Austausch ihrer Er-
zeugnisse wurden zur Nothwendigkeit. — Im Süden von
China hatten die Engländer festen Fuss gefasst ; sie zwangen
die Mandschu- Herrscher, ihrer alten Politik zu entsagen,
und errangen sich, trotz dem heftigsten Widerstreben der
Mandarinen -Regierung, theils auf fiiedlichem, theils auf
kriegerischem Wege allmälich die Stellung, zu der die
civilisirten Völker des Westens durch ihre Macht und
überlegene Bildung berechtigt sind. Von Norden her
schob Russland seine Colonieen \md Miütärposten ünmer
weiter vor und erlangte die Abtretmig ausgedehnter und
fiir die Beherrschung des nördlichen Stillen Meeres sehr
günstig gelegener Landstriche. In Japan, das sich seit
zweihundert Jalu'en allem Verkelnr mit fremden Nationen
verschlossen hatte, brachen 1854 Amerika und Russland
die Bahn; gleich darauf schlössen auch England, Frankreich
und Holland dort Freundschafts- vmd Schiffahrtsverti-äge.
In kurzen Jahren fiel eine Schranke nach der anderen,
und schon 1858 erlangten alle in Ost- Asien vertretenen
Mächte unter dem Einfluss der englisch - französischen
Siege in China Ilandelstractate , die melu'ere Häfen des ent-
legenen Inselreiches dem freien Geschäftsverkehr dieser
Nationen öffneten, ihnen das Recht der diplomatischen
Vertretung und des ausgedehntesten Schutzes ihrer Unter-
thanen in allen rechtmässigen Ansprüchen gesitteter Völker
verhehen.
Der Handel mid die Rhederei der norddeutschen
Staaten machten in diesen Jahren ohne den Rückhalt
eigener internationaler Verträge mid ohne die Vorfiihrung
einer eigenen schutzbereiten Marine bedeutende Fortschritte.
Es lag damals noch nicht in der Handelspolitik der ost-
asiatischen Staaten, nachdem sie ihre Häfen fremden Schiffen
X Einleitiuig.
und Waareu einmal geöffnet hatten, zwischen derNationaütat
der Schiffe und der Herkunft der Waaren zu unterscheiden,
und solchen europäischen Staaten gegenüber, mit welchen
sie keine Verträge abgeschlossen, andere Giiindsätze geltend
zu machen, als wozu sie dem einen oder dem anderen
gegenüber sich hatten bereit finden lassen. Aber selbst
in Fällen, wo es auf Anrufiing gesandtschaftlichen oder
consularischen Schutzes ankam, der nicht fuglich anders
als auf Gnmd völkerrechtlicher Verträge in Anspruch
genommen werden kann, brachte es in den ersten Jahren
des Verkehrs die Solidarität der europäischen Interessen
mit sich , dass die Repräsentanten der Vertragsmächte sich
gern und aus eigenem Antriebe der Unterthanen anderer
Staaten annahmen. Bei dem gesteigerten Verkehr hingegen
stellten sich Uebelstände heraus , die fiir beide Theile immer
fühlbarer wurden. Die Fortschritte des deutschen Handels
und namentlich der deutschen Rhederei mussten mit der
Zeit die Eifersucht der anderen Nationen erwecken, die
Solidarität der Interessen mit der gesteigerten Concurrenz
aufhören. Die Deutschen nahmen nur eine geduldete
Stellung ein mid waren niemals sicher , ihre Rechte geltend
machen zu können. Auf der anderen Seite klagten die
Vertreter der Vertragsmächte laut und wiederholt darüber,
dass die in den geöffneten Häfen verkehrenden Deutschen
keinerlei Jurisdiction unterworfen und für ihi-e Handlungen
keiner vorgesetzton Behörde verantwortlich wären.
Es lag vor Allem in der Natur der Sache, dass die-
jenigen Vortheile, welche miser Handel, unsere Schiffalirt
und Industrie sich mittelbar aus den Berechtigungen
anderer Nationen herleitete, zu unsicher erschienen, um
der Gegenstand einer ausgedehnten soüden Speculation
werden zu können, und dass die neuerschlossenen Märkte
Einleitung. XI
erst dann als uns zustandig gelten köimten, wenn ihre
Benutzung unter dem anerkannten Schutze der eigenen
Regierung stände. Unsere Rhederei bewegte sich schon
seit längerer Zeit nicht mehr ausschliesslich in dem früher
herkömmlichen engen Kreise von Unternehmungen , machte
vielmehr seit Jahren erfolgreiche Anstrengungen, auch jene
entlegenen Welttheile in den Bereich ihrer Operationen
zu ziehen. Sie konnte das allerdings nur in der Voraus-
setzimg thim , dass die Regierung nicht säumen würde , ihr
schützend zur Seite zu treten, da ja auch die Handels-
schiffe anderer maritimen Nationen des Beistandes ihrer
Regierungen nicht entbehren können. Das Bewusstsein,
dass es der Stellung Preussens nicht angemessen sei, seine
Unternehmungen imter dem Schutze fremder Nationalitäten,
ihrer Gesandten und Kriegsflotten auszuführen, war auch
bei unseren in Ost- Asien ansässigen Landsleuten wach
geworden, und die vielfachen Anregungen von da zum
Abschluss von Handels- und Scliiffahrtsverträgen Hessen
deutUch erkennen, dass der Handelsstand in jenen Gegen-
den nationales Selbstgefiihl genug besass, um das Auftreten
der vaterländischen Regierung neben den Unternehmungen
anderer Staaten als ein Bedürfniss zu empfinden.
Auf diese Wahrnehmungen und Thatsachen fiissend
glaubte die preussische Regierung mit der Anbahnung ver-
tragsmässiger Beziehungen zu den ost- asiatischen Reichen
nicht länger zögern zu dürfen, und beschloss eine handels-
politische Mission dahin zu entsenden, deren Zweck wäre,
von den Regierimgen jener Länder ähnliche Zugeständnisse
zu erlangen, wie solche den übrigen westüchen Nationen
gemacht worden waren. Geleitet von königlichen Kriegs-
schiffen, welche dabei erwünschte Gelegenheit fänden,
die preussische Kriegsflagge in fernen Gegenden zu zeigen
XII Einleitiuig.
und ihre Führer und Mannschaften mit Erfahrungen zu
bereichern, sollte die Mission sich nach Japan, China und
Slam begeben, das Terrain in wissenschaftlicher imd
commercieller Beziehung erforschen, und den Abschluss
von Freundschafts - , Handels - und Scliiflfalu'tsverträgen
herbeizuführen suchen.
Am 9. August 1859 wurde der Plan über die abzu-
schliessenden Verträge , das Personal der Gesandtschaft und
ilu* beizugebender Fachmänner, über die Stärke und Aus-
rüstung des Geschwaders , die mitzugebenden Waarenproben
und Geschenke , die Kosten , und die von den Hansestädten
beantragte Betheiligung an den Verträgen entworfen. Dieser
Plan wurde Allerhöchsten Orts zur Bestätigung vor-
gelegt und mittelst Cabinetsordre vom 15. August 1859
genehmigt. Der Legationsrath Graf Friedrich zu Eulenburg
wurde imter Erneimung zum Ausserordentlichen Gesandten
und Bevollmächtigten Minister bei den Höfen von China,
Japan imd Siam an die Spitze der Expedition gestellt. Seine
Volhnachten wurden zugleich fiir die inzwischen davon in
Kenntniss gesetzten und zur Einsendimg von Waarenmustern
aufgeforderten Zollvereins -Staaten, für die Grossherzog-
thümer Mecklenburg -Schwerin und Mecklenbxu^g-StreUtz
und fiir die drei Hansestädte Bremen, Hamburg und Lübeck
ausgefertigt, welche in die mit den ost- asiatischen Rei-
chen abzuschliessenden Verträge aufgenommen zu werden
wünschten. Der Graf zu Eulenburg wurde zugleich mit
Ausarbeitimg der fiii' diese Mission nothwendigen Instruc-
tionen , der Beschaflftmg von Geschenken und den übrigen
fiir die schleunige Entsendung des Geschwaders zu tref-
fenden Vorbereitungen und Maassnahmen beauftragt, welche
die Allerhöchste Genehmigung erhielten. Dem preussi-
schen Landtage wurde der Plan und Kostenanschlag des
Einleitung. XIII
Unternelunens im März 1860 vorgelegt; beide Häuser be-
willigten die für die Expedition erforderlichen ausserordent-
lichen Mittel.
Das Expeditionsgeschwader sollte ursprünglich aus
drei Schüfen, der Dampfcorvettc Arkona, der Segelfregatte
Thetis und dem Kriegsschooner Frauenlob bestehen ; diesen
wurde noch das ausdrücklich fär diesen Zweck in Ham-
burg angekaufte Chpper - Fregattschiflf Elbe hinzugefügt,
welches einen grossen Theil der Geschenke und Waaren-
proben, femer Proviant und Kohlenvorräthe an Bord nahm.
Auf der Elbe wurde auch die in Hamburg erstandene
Dampfbarcasse Vesta eingeschiflfit, welche zum Schleppen
der Boote in heissen Gegenden und zur Vermittelung des
Verkehrs der Kriegsschiffe untereinander und mit der
Gesandtschaft dienen sollte.
Das Personal der Expedition bestand, soweit das-
selbe nicht der könighchen Marine angehörte, aus
dem Gesandten Grafen Friedrich zu Eulenburg;
dem Legations - Secretär Pieschel;
den Gesandtschafts- Attache's
von Brandt,
von Bunsen,
Grafen August zu Eulenburg, Lieutenant im 1. Garde-
Regiment zu Fuss;
den Naturforschem
Regierungsrath Wichm-a für Botanik,
Dr. von Martens fiir Zoologie,
Dr. Freiherr von Richthofen für Geologie;
dem landwirthschaftlichen Sachverstand igen Dr. Maron ;
dem Maler A. Berg;
dem Zeichner W. Heine;
dem Photographen Bismark;
XIV Einleitung.
dem botanischen Gärtner Schottmüller;
den preussischen Kaufleuten Ginibe, Jakob und Com-
merzienrath Wolff;
♦
dem Bevollmächtigten der sächsischen Handelskammer,
Kaufmami Spiess.
Von dem genannten Civilpersonal schifften sich der
Legations - Secretär Pieschel, der Regierungsrath Wichura,
Dr. von Martens, die Kaufleute Jakob und Grube und der
Gärtner Schottmüller auf der Thetis, Dr. Maron und der
Photogi'aph Bismark auf der Elbe ein, während der Ge-
sandte mid die übrigen Expeditioiismitglieder sich auf dem
Ueberlandwege über Suez imd Ceylon nach Singapore
begaben.
Die Dampfcorvette Arkona — von 2320 Tonnen —
ist auf der könighchen AVerft zu Danzig in den Jahren
1856 bis 1858 gebaut. Ihre Armirung bestand während
der ost- asiatischen Expedition aus 1 Sechsunddreissig-
pfunder L Classe , 6 Achtundsechszigpföndern und 20 Sechs-
unddreissigpfiindern 11. Classe, die Bemannung mit Ein-
schluss des Stabes aus 319 Köpfen.
Die Segelfregatte Thetis — von 1533 Tonnen —
ist 1846 in Plymouth gebaut und durch Kauf in den Besitz
der preussischen Regierung übergegangen. Ihre Armirung
bestand aus 32 Dreissigpfündern und 6 Achtundsechszig-
pfiindern, Stab und Bemannung aus 333 Köpfen.
Der Schooner Frauenlob — von 95 Tonnen — war
in den Jahren 1853 und 1854 aus den Mitteln der Stiftung
»Frauengabe« gebaut, seine Annirung 1 Dreissigpföiider,
die Equii)age mit dem Stabe 41 Mami stark.
Das in Hamburg gebaute Transportschiff* Elbe wurde
mit 6 Sechspfiindem armirt; vStab und Mannschaft betrugen
47 Köpfe.
Einleitung. XV
Der zum Chef des ost- asiatischen Geschwaders
ernannte Capitan zur See Sundewall, welchem für die
Dauer der Expedition der Rang eines Commodor verlie-
hen wurde , liisste seinen Stander auf der Arkona. Das Com-
mando der Thetis erhielt der Capitän zur See Jachmann,
das des Frauenlob der Lieutenant zur See L Classe
Rehtzke, das der Elbe der Lieutenant zur See L Classe
Werner.
Thetis und Frauenlob verliessen schon am 25. Oc-
tober 1859 die Rhede von Danzig. Die Ausrüstung der
Arkona, welche gleich nach den Probefahrten auf Erlass
des königlichen Obercommando's vom 17. October am
dreiundzwanzigsten desselben Monats zu Danzig in Dienst
gestellt wurde, machte grosse Schwierigkeiten und konnte
nur langsam von Statten gehen , da die zu dieser Jahreszeit
auf der Danziger Rhede wehenden Winde die Communication
mit dem Lande sehr erschwerten. Häufig konnten die Boote
nicht an Bord zurückkehren; die Bordinge lagen oft Tage
lang unweit des Schiffes vor Anker, ehe das Wetter erlaubte
sie längsseit zu holen. Eben so hindernd waren die ein-
tretenden Fröste, in Folge deren die Communication auf
der Weichsel aufhörte, die Ausrüstungsgegenstande per
Achse von Danzig nach Neufahrwasser gebracht und hier
in Boote umgeladen werden mussten. Die Zimmermanns-
arbeiten erlitten gleichfalls viele Unterbrechungen, da die
an Bord geschickten Arbeiter einmal seekrank waren und
ein anderes Mal vor Kälte nicht arbeiten konnten. Die
Ausriistung wurde unter Leitmig des Capitän Sundewall,
welcher das Commando gleich nach der Indienststellung
übernommen hatte, nach Mögüehkeit gefördert; Anfangs
December war die Arkona seeklar und trat am elften
desselben Monats die Reise nach England an.
XVI Einleitung.
Thetis und Frauenlob trafen am 12. November 1859
auf der Rhede von Spithead ein. Sie lagen dort, auf
Befehle wartend, bis zum 15. März 1860. Arkona hatte
in der Nordsee einen Stunn von der äussersten Heftigkeit
zu bestehen und erlitt bedeutende Havarien. Sie kam den
.26. December 1859 auf der Rhede von Margate und am
10. Januar 1860 vor Southampton an, wo erhebhche Re-
paraturen vorgenommen und die Einrichtungen des Schiffes
vervollständigt wurden. — Thetis und Frauenlob verUessen
die englischen Küsten am 15. März imd ankerten am
dreissigsten auf der Rhede von Funchal (Madera), gingen
von da am 12. April wieder in See und trafen am 18. Mai
in Rio de Janeiro ein. — Arkona verliess am 8. April
Southampton und am zwölften Spithead, Uef am neun-
zehnten Madera und am 23. April Santa- Cruz auf Teneriffa
an, und erreichte Rio de Janeiro am 24. Mai. Von da
stachen die drei Schiffe am 5. Juni in See. Im süd-
atlantischen Ocean erhielt Frauenlob vom Flaggschiffe
den Befehl, die Reise nach Singapore allein fortzusetzen,
während Arkona und Thetis bis zur Simda- Strasse zu-
sammen segelten. Dort setzte Arkona bei eintretender
Windstille unter Dampf die Reise fort, berührte am
23. Juli Anyer auf Java und gbig am sechsundzwanzig-
sten desselben Monats vor Singapore zu Anker. Thetis
erreichte Anyer am Abend des 24. Juli und ankerte am
dreissigsten vor Singapore , wo am 5. August auch Frauenlob
eintraf
Singapore war der letzte von Frauenlob berührte
Hafen; er ging am 13. August von da mit Arkona zugleich
in See und sollte mit derselben bis Yeddo segeln. In der
Nacht zum 2. September riss beim plötzlichen Ausbruche
eines Sturmes che Trosse, an welcher das Flaggscliiff,
Einleitung. XVII
unter Dampf, den Schooner in der Windstille schleppte;
bei Tagesanbruch war er schon ausser Sicht. Arkona
selbst gerieth bei dem fürchtbaren Orkan in grosse Ge-
fahr; von Frauenlob und seiner braven Bemannung ist
trotz allen Nachforschungen nie wieder eine Spur entdeckt
worden. —
Die Elbe wurde am 8. Januar 1860 zu Hamburg in
Dienst gestellt und ging am 7. März in See. Sie traf am
zehnten desselben Monats vor Spithead und am neunzehnten
in Southampton ein, lichtete am 5. April wieder die Anker
und segelte, Madera und Lancerote berührend, nach Santa-
Cruz auf Teneriffa, verUess diesen Hafen am 8. Mai und
erreichte am 1. August Anyer, am 7. August die Rhede
von Singapore.
Sämmtliche Schiffe hatten in verschiedenen Breiten
der Meere südüch vom Cap der Guten Hoffnung schwere
imd anhaltende Stürme zu bestehen, in welchen sich die
junge Mannschaft vortrefilich bewährte und einen erheb-
lichen Grad von Uebung und Gewandtheit erlangte.
Seine volle Gestaltung gewann das Unternehmen
erst in Singapore, wo der Gesandte und die anderen über
Land gereisten Mitglieder am 2. August 1860 eintrafen.
Nach Beendigung der Expedition beschloss die
königliche Regierung, deren Erlebnisse, Bestrebimgen
und Leistungen, sowie die gewonnenen Erfolge und Er-
fahrungen durch Herausgabe eines umfassenden Werkes
zur öffentlichen Kenntniss und Anschauung zu bringen.
Dieses Werk zerfallt in drei Abtheilungen, welche, ein-
ander ergänzend, jede für sich ein abgeschlossenes Ganze
bilden, nämlich:
XVIII Einleitung.
Einen allgemeinen beschreibenden Theil unter dem
Titel: »Die preussische Expedition nach
Ost-Asien. Aus amtlichen Quellen«.
Einen rein wissenschaftlichen Theil, die Berichte
der der Gesandtschaft beigegebenen Fachgelehrten
enthaltend.
Eine Reihe landschaftlicher Darstellungen aus den ost-
asiatischen Reichen , unter dem Titel : »Ansichten
aus Japan, China und Siam«.
Diese drei Werke sollen gleichmässig gefordert werden
und in einzelnen Bänden und Heften so schnell erscheinen,
als die Ausdehnung des Unternehmens imd die vorhandenen
Kräfte gestatten.
Berlin, im Juni 1864.
INHALT,
EINLEITENBES ZUM VERSTÄNDNISS DER JAPANISCHEN ZUSTÄNDE.
Seit«
I. Geographische Lage und Beschaffenheit, Mytliologie und Geschichte 3
II. Politische Einrichtungen und Zustände während der Absperrung. . 106
in. Der Fremdenverkehr während der Absperrung und die Aufschliessung
des Reiches 134
REISEBERICHT.
I. Singapore. Vom 2. bis 13. August 1860 191
II. Reise der Thetis von Singapore nach Yeddo. Vom ^. August bis
14. September 218
III. Reise der Arkona von Singapore nach Yeddo. Vom 13. August bis
4. September 241
IV. Yeddo. Vom 5. bis 19. September 257
V. YuDDo. Vom 19. September bis 2. October 295
VERZEICHNISS
UND
ERKLÄRUNG DER ILLUSTRATIONEN.
Bei Singapore.
Malaiische Hütten ain Sumpf. S. S. 200. Die Palmen sind Cocos
nueifcra und Areca Catechu.
Tempel bei Kanagava.
Erwähnt 8. 276. Der hier dargestellte ist ein Sinto- Tempel mit Stroh-
dach, während die von den Consuln bewohnten meist buddistischc Tempel
waren. Der grosse Baum auf der Höhe ist ein jNIatsu , Piuus Massoniana.
Thor der Ringmauer des TaYkün - Palastes.
Beschrieben 8. 289. Im Hintergründe die Fa^ade und der Feuer-
wachtthm'm ehies YamaskIs.
In Yeddo.
Illustration zur Beschreibung der Vorstädte 8. 297 und specieller
88. 331 382. Links im Vordergrunde die Ecke eines Yamaske, rechts
ein feuerfestes (jebäude und eine Polizeiwache. Eine zweite liegt gegen-
über jcnseit der Brücke; sie sind kenntlich an den grossen hölzernen
Laternen. Das hohe Dach rechts in der Ferne ist der von dem
amerikanischen Minister - Residenten bewohnte Tempel.
Tempel O - Yaw uts.
Zur Beschreibung der Vorstädte 8. 297. Dieser Tempel mit feuerfestem
Hintergebäude liegt in der Nähe von Akabane. Unter und vor der
Eingangshalle hangen Papierlaternen, zwischen den Pfeilern des Vor-
daches ein Gong mit herabhangendem Seile zum Anschlagen. Unter
dem Dach sind Tafeln mit Weisheitssprüchen angebracht. Vor dem
Tempeleingang stehen Wasserzuber und Steinlaternen von herkömmlicher
Fonn , weiter rechts ein von vier geneigten Pfeilern getragenes Schutzdach,
danmter ein bronzener Wasserkübel zur Reinigung vor dem Eintritt in
das Ileiligthum. Der Zugang dieses Tempels ist auf dem ersten Blatt
der -Ansichten aus Japan, China und Siam« dargestellt.
XXII Verzeichniss und Erklärung der Ulusti'ationen.
Daimio - Hof. Yeddo.
Das Yamaskb des Fürsten von Yamatto in der Nähe von Sinaoava.
Man sieht nur die kasenienartigen Wohngebäude der Trabanten, von
Charmillen umgeben , einige Vorrathshäuser und einen Feuerwachtthurm.
Das Wohnhaus des Herrn liegt versteckt. In der Feme die Rhede mit
einem der Forts. S. SS. 297 und ^25.
Theebude. Yeddo.
Die hier dargestellte Palme ist Chamaerops excelsa, erwähnt S. 331.
Theebuden dieser Art giebt es in allen Vorstädten und an den Landstrassen.
Buddabild und Bambuspflanzung.
Vom Wege nach Ikeoami und Senzoko. S. S. 332.
Glockenhaus Ikeoami.
Beschrieben S. 336. Die Nadelbäume neben und hinter dem Gebäude
sind links ein Sun vi, Cryptomeria japonica, und flaneben ein Matsu,
Pinus Massoniana.
Theehaus. Semzoko.
Beschrieben S. 337.
Japanische Dschunken.
S. S. 345. Das Segel der vorderen Dschunke ist in Strohmatten gehüllt.
Tempelvorhof. Yeddo.
Der S. 346 beschriebene Tenipelhof im Hondzo.
RECHTSCHREIBUNG
UND
AUSSPRACHE DER AUSSEREUROPÄISCHEN WORTE UND NAMEN.
Alle in dieser Arbeit vorkommenden aussereuropäischen Worte und Namen
sind , sofern dieselben nicht schon in europäische Sprachen übergegangen sind und durch
den Gebrauch eine bestimmte Orthographie angenommen haben, ihrem Klange nach
vermittelst der von Professor Lepsius in seinem -Standard Alphabet« (2. Ausgabe,
Berlin London 1863) aufgestellten Buchstaben und diakritischen Zeichen ausgedrückt.
Um diese von den gewohnlichen Lettern des Textes zu unterscheiden und als Schrift-
zeichen des Standard Alphabet kenntlich zu machen, werden sie als Capitalchen
gedruckt. Das folgende Verzeichniss nemit die Aussprache und Bedeutung der in
dem ersten Bande vorkommenden Buchstaben und Zeichen.
Die Yocale haben, sofern sie nicht mit diakritischen Zeichen versehen sind,
den im Deutschen gewöhnlichen Klang. Länge und Kürze werden durch
die gebräuchlichen Zeichen - und ^ ausgedrückt, die getrennte Aussprache
zweier Yocale eines Diphthongen durch das Trema - . Unter den Consonanten
haben die Buchstoben B, D, F, G, H, K, L, M, N, P, T dieselbe Aus-
sprache wie im Deutscheu.
R lautet wie das Zungen-R des Englischen und Itolienischen (veiy, rabbia);
S wie das scharfe franzosische S (savoir, sür);
V wie das V des Englischen und der romanischen Sprachen (Vision , Verdad , Voce) :
W wie das englische W (water, William);
Z wie das englische und franzosische Z (zeal, zele);
N lautet wie ng in Enge, Strang;
♦
R wie das Gaumen -R deutscher und fi'anzosischer Dialecte;
V
S wie das deutsche Seh (Schuld);
V
Z wie das franzosische J (j ardin).
EINLEITENDES
ZUM
VERSTÄNDNISS DER JAPANISCHEN ZUSTÄNDE.
1.
ilis ist unmöp^licli das Wesen einer Nation zu erfassen, ohne ihre
Rehgion, Gescliichte und Sprache, und die leitenden Ideen ihrer
Existenz zu kennen: daher erscheinen Völker, deren Cultur auf ver-
schiedenen Grundlagen beruht, einander bei der ersten Berührung
meist sonderbar und unbegreiflich. Die Gegensätze der äusseren
Lebensgewohnheiten treten scharf hervor; was dem einen ganz natür-
lich, weil seit Jahrhunderten eingelebt und anerzogen ist, erscheint
dem andern widerstrebend imd abgeschmackt. So geht es uns mit
den meisten ostasiatischen Völkern und vor allen mit den Japanern.
Ihre ganze Gesittung ist von der unseren so grundverschie-
den, dass der Europäer sich dort auf ein anderes Gestirn versetzt
glaubt. Japan hinterlässt dem flüchtig Reisenden den Eindnick eines
bunten Bilderbuches voll wunderücher Scenen ohne Text: daher denn
alle die abentheuerlichen Berichte, die nur deshalb so mährchen-
haft und unbegreiflich kUngen, weil uns der Zusammenhang der
Erscheinungen und der Schlüssel zu ihrem Verständniss fehlt. Aber
selbst begabte Männer, die jahrelang in Japan gelebt und in genauen
Beziehungen zu den Eingeborenen gestanden haben, bekennen in
der Beurtheilung der Zustände wenig vorgeschritten zu sein. Bei
tieferem Eindringen knüpfen sich Räthsel auf Räthsel, und wenige
lösen sich; überall stösst man auf unerklärUche Widersprüche. Der
Grund dieser Unklarheit liegt in unserer unvollkommenen Kenntniss
der japanischen Sprache und Schriften und der sittlichen und reli-
giösen Fundamente ihrer Cultur, die Scliwierigkeit sie zu bemeistern
in der Verschlossenheit der Japaner.
Das japanische Volk hatte sich von Anfang an, wenn auch mit
Zuziehung fremder Elemente, selbstständig entwickelt und zu einer
bedeutenden Stufe der Gesittung aufgeschwungen: da erschienen
im sechszehnten Jahrhundert die Europäer und brachten Ideen und
i*
4 Einleitendes.
Anschauungen in das Land, die mit den einlieiinischen Zuständen un-
vereinbarwaren. Gewann damals das christliche Element die Oberhand,
so war es um die Eigenthümlichkeit und politisclie Selbstständigkeit
Japans geschehen. Eines musste weichen. Aber grade zu dieser Zeit
kam nach langen Umwälzungen und inneren Kriegen das Regiment
des Landes wieder in eine kräftige Hand. Der Machthaber hemmte
den Fortscliritt der Fremden, und seine Nachfolger verbannten sie
gänzUch aus dem Reiche. Nur durch ein System der vollständigen
AbschUessung nach aussen und der durchgreifenden Beaufsichtigung
aller Verhältnisse und Personen im Inneren konnte sich die Dynastie
des Jyeyas halten; sie gab aber dem Reiche Einheit und Frieden
und sicherte sein Fortbestehen in der angestammten EigenthümUch-
keit. Ein wesentücher Bestandtheil dieses merkwürdigen auf der
ungemessenen Scheu und Ehrfurcht des Volkes vor den herrschenden
Ständen gegründeten Systemes besteht in der principiellen Verhüllung
aller Angelegenheiten , Zustände und Ereignisse , w'elche den Herrscher
und seine Regierung betreffen. Diese Gewohnheit der Verheimlichung
ist den Japanern völlig zur Natur geworden und erstreckt sich nicht
bloss auf wichtige Staatsangelegenheiten, sondern auch auf die unver-
fängUchsten geringfügigsten Dinge. Auch jetzt, da Japan sich der
Fremden nicht mehr erwehren kann, lassen sie nicht davon, so
dass es noch heute fast unmögUch ist, sei es von bestehenden Ein-
richtungen und den Ereignissen des Tages , sei es von der Vergangen-
heit des Reiches, zuverlässige Kunde zu erlangen. Das Volk wird
in Unwissenheit erhalten und furchtet sich auch das mitzutheilen
was ihm bekannt ist, und selbst die niederen Beamten scheinen mit
dem Organismus der Staatsverwaltung nicht vertraut zu sein.
Aus dem Gesagten geht hervor, dass die folgenden Blätter
nicht den Anspruch machen, ein Bild der japanischen Zustände zu
zeichnen. Es soll nur versucht werden eine Ucbersicht der geschicht-
hclien Entwickelung des Volkes nach den vorhandenen Quellen zu
geben, den Leser mit dem Terrain bekannt zu machen, auf dem
sich die nachfolgenden Berichte bewegen. Die liitteratur ist aus-
gedehnt, zum Theil schwer zugängUch, und für denjenigen, der
nicht durch eigene Anschauung des Landes befähigt ist, eine gewisse
Kritik zu üben, kaum nutzbar.
I.
GEOGRAPHISCHE LAGE UND BESCHAFFENHEIT; MYTHOLOGIE,
GESCHICHTE.
Auf der Karte erscheint Japan wie der stehen gebliebene Ostrand
eines mächtigen in das Meer gesunkenen Kraters; Korea und die
mandschurische Küste bilden die gegenüberliegende Seite; nördUch
schUessen Ykso und Krafto den Umkreis. Von der vulcanischen
Beschaffenheit des Landes zeugen thätige und . erloschene Krater,
Solfateren, heisse Quellen und häufige Erdbeben.
Die drei grossen Inseln Nippon, Kiusiu und Sikok bilden das
eigentUche Japan. Nippon ist die grösste: die Eingeborenen bezeich-
nen mit diesem Namen auch das ganze Reich *). Der Ausdruck Japan
ist im Lande selbst unbekannt, die Portugiesen haben ihn aus der
chinesischen Benennung Tsipang') corrumpirt.
Die drei grossen Inseln umschliessen, durch schmale Meeres-
anne getrennt, eine Binnensee; darin und rings um die buchtenreichen
Küsten hegen viele kleinere Eilande. Die meisten sind bewohnt und
angebaut, sie stehen in regem Verkehr untereinander imd mit dem
Hauptlande , denn ein häufiger Austausch der Erzeugnisse ist Lebens-
bedingung für ein volkreiches Land , das alle seine Bcdürfiiisse selbst
^) Nippon bedeutet Aufgang der Sonne. Diese Benennung ist nicht rein japanisch,
sondern die in ältester Zeit mit den chinesischen Schriftzeichen eingeführte Aus-
sprache der beiden Schriftbilder, durch welche Japan bezeichnet wird. — In der rein
japanischen und in der Dichtersprache heisst das Land Hino-hoto, wovon das
Wort NiFPON die chinesische Ueberaetzung in japanischer Aussprache ist. 8. v. Siebold
Nippon. I.
^ Marco Polo, der auf seinen Reisen in China von Japan hoile, brachte die erste
Kunde von diesem Lande nach Eiu-opa. Er nennt es Zipangu, Simpagu und erzahlt
von den unglücklichen Expeditionen des Kublai - Khan , an dessen Hofe er sich auf-
hielt, nach Japan. Auf die Berichte des Venetlbners fussend hielt Columbus »Zipangu«
für das östlichste Land der Erde und glaubte es gcfiuiden zu haben, als er zuerst
die Küste von Cuba erblickte.
^ Das eigentliche Japan.
hervorbringt. Die Küsten sind bergig und steil: unzählige Klippen.
Felsen und Riffe, reissende Strömungen imd Fluthen, ungestüme
wechselnde Winde machen die Schiffalurt gefahrlich. Das Binnen-
meer"), welches die beiden grossen Heerstrassen von Kiusiu und Sikok
nach der Hauptstadt queer durchschneiden, befahren tausende von
Dschunken; bei Tage wimmeln diese Gewässer von Segehi, bei Nacht
suchen alle Schutz in den gastlichen Häfen und Buchten, denn von
den hohen Küsten und aus engen Thalschlünden stürzen oft heftige
Böen verderbenbringend herab. Die Reisenden schildern die Schön-
heit dieser Meere in glülienden Farben: hier ein stiller Landsee, dort
schmale Sunde, durch welche sich die Gewässer in tosender Brandung
drängen; die Ufer bald schroffe Felsen, von denen rauschende
Giessbäche herabstürzen, bald angebaute sanfte Bergeshänge. Aus
immergrünen Hainen ragen fürstüche Schlösser, und hohe Tempel
krönen die Vorgebirge; landeinwärts aber gewahrt man mächtige
Gebirgsmassen mit zackig zerrissenen Gipfeln und schneegefuUten
Schluchten.
Die grösste Insel des Binnenmeeres heisst Awadsi. Nord-
westlich von NippoN liegen Sando und Oki, westlich und süd-
üch von Kiusiu die Gruppe der Gotto- Inseln, Firando, Amaksa,
Taneoasima*): viele kleinere sind rings um die Küsten zerstreut.
^) Das Binnenmeer wird eingetheilt in die Suwo-, Misima- und Fariha-naua,
Seen von Suwu n. s. w. Es enthält über tausend Inseln.
^) Der Klang der japanischen Sprache kann durch die Schrift nur annähernd aus-
gedrückt werden , weil sie manche Laute hat , welche das europäische Ohr nicht kennt.
Die japanischen Silbenschriften selbst geben die Aussprache nur sehr unvollkommen :
man muss bald Vocale verschlucken, bald Consonanten einschieben, um das Ge-
schriebene richtig zu lesen. So schreibt der Japaner Saso, Firado, Naoasaki,
Amakusa, und spricht Sanoo, Firando, Nanoasaki, Amaksa. Der Grund liegt
theils in der Unzulän'glichkeit der Silbenalphabetc , theils im Sprachgebrauch: oft
wird eine ganze Silbe geschrieben, um nur einen Buchstaben auszudrücken, wie in
dem Worte Ataksi (ich) das Wa-ta-ku-si buchstabirt wird. — Dem Vorschlage
des Heim Professor Hoffuiann in Leyden nachzukommen, die Worte so zu schreiben
wie die japanische Silbenschrift sie ausdrückt, kann sich der Vei*fasser nicht ent-
schliessen, so richtig dieser Grundsatz für wissenschaftliche philologische Werke
auch ist. Der Leser würde sich aus dieser Schreibeweise keinen Begriff von dem
Klang der japanischen Worte und Namen machen können. Diese sind daher möglichst
genau so wiedergegeben, wie sie un Munde der Japaner lauten. — Bei Ausdrücken,
die er nicht selbst gehört hat, folgt der Verfasser der Autorität der Herren Professor
Hoffniann in Leyden und Leon de Ilosny in Paris, und den von Erstercm in seiner
japanischen Grammatik gegebenen Kegehi und Vorschriften. Die Japaner haben
Abhängige Länder. Flächenmhalt. Bevölkerung. •
Dem asiatischen Festlande am näclisten bildet die Insel Tsus-sima
gleichsam eine Brücke zur Halbinsel Korea.
Ueber die genannten I^andestheile ist durchweg die japanische
Cultur verbreitet. Die nördlich von Nippon gelegene Insel Yeso und
die südUchen Kurilen gehören auch zum japanischen Reiche, sind
aber zum grössten Theil von einem halbwilden Volksstamm, den
AiNo's (behaarten Kurilen) bewohnt. Das Klima ist rauh xmd der
Entwickelung japanischer Cultur ungünstig. Die Japaner bewohnen
nur die Städte und Ilafenplätze und treiben Handel mit den Erzeug-
nissen nach dem Mutterlande. Das ganze Innere von Yeso soll ein
unbewohntes Waldgebirge sein. Die nördüchen Kurilen gehören
zum russischen Reiche, nur Kunasir und Yeturup sind japanisch:
die Grenzlinie geht nach den neuesten Verträgen zwischen der letzt-
genannten Insel und Urup hindurch.
Die LiuKiu - Inseln erkennen, im Anfange des siebzehnten
Jahrhunderts durch den Fürsten* von Satsuma unterworfen, die
japanische Oberhoheit an und zahlen Tribut, scheinen aber zugleich
an China zinspflichtig zu sein. Aehiüicli ist es mit Korea, wo seit
uralten Zeiten bald der japanische bald der chinesische Einiluss
vorgewaltet hat.
Der Flächeninhalt des eigentlichen Japan wird auf 5300 Qua-
dratmeilen, die Bevölkerung auf mehr als 25 JVLUionen geschätzt*).
einige Coiisoiianten , die fiir unser Organ fast unaussprechlich sind, so den Zungen-
laut, der zwischen L und R schwebt, uud einen eigenthümlichen Zischlaut,- der
weder H noch Ch noch F ist. Professor Hoflinaun sehreibt für den letzteren
gewöhnlich F, für den Zungenlaut meist R. —
Der Klang aller aussereuropäischen Worte uud Namen soll in der vorliegenden
Arbeit vermittelst der von Professor Lepsius (in seinem Standard Alphabet. 2. edit^.
Berlin London 1863) eingeführten Buchstaben und diakritischen Zeichen ausgedruckt
werden , fiber deren Werth das am Anfange dieses Bandes abgedruckte Verzeichniss
Aufschluss giebt. —
^) Diese Schätzung bezieht sich auf die Inseln Nippon, Kiusiu und Sikok und
die um sie her liegenden kleineren Eilande. Sie macht keinen Anspruch auf grosse
Genauigkeit: die Küsten sind von EuroiSaern nur zum kleinsten Theile vermessen,
und die bis jetzt verö£fentlichten japanischen Karten sind meist unzuverlässig. Ilen*
von Siebold, in dessen grossem Werke Nippon sich die besten und ausführlichsten
Nachrichten über die statistischen Verhältnisse des Reiches finden, sagt über die
kartographischen Arbeiten der Japaner:
"In Folge eines Gesetzes sind geodätische und astronomische Arbeiten nur hö-
heren Orts dazu bestimmten Personen gestattet. Bücher, Karten und Instrumente
erhalten sie von den Niederländern. Vortrefiliche Instrumente, wie Sextanten,
8
Beschaffenheit. Klima. Vegetation.
Die japanischen Inseln sind durchaus gebii^g, an weiten
Ebenen fehlt es ganz. Von welcher Seite man sich dem Lande
nahem mag, gewahrt man hohe Küsten. Bewaldete Höhen wechseln
mit fruchtbaren Thälem, angebautes Hügelland mit unwirthbarem
Felsgebirge. Fast überall ist das Land wasserreich, leidet aber
Mangel an schiffbaren Flüssen.
Das Klima ist eines der glückhchsten der Erde und weit
gemässigter als unter gleichen Breiten in andern Welttheilen, die
Sommerhitze niemals unerträgUch, der Winter kurz und milde. Im
Frühjahr und Herbst regnet es viel, besonders im Mai und Juni, und
im November. Im December tritt klares Wetter ein, im Januar und
Februar wechseln schöne Tage mit Regen und Schnee. Am kältesten
ist es im Januar, dann sinkt die Temperatur im mittelen Theile des
Reiches zuweilen unter den Gefrierpunct. Niemals aber dauert die
Kälte lange, und auch anhaltende Dürre ist unbekannt. Die Luft
ist weich und milde und in Folge beständiger Strömungen immer rein
und frisch, die Witterungswechsel treten zum grossen Vortheil des
Ackerbaues in allen Jahreszeiten sehr regelmässig ein. Besonders
günstig sind die Luft- und Bodenverhältnisse der Entwickelung des
Pflanzenreiches. Wenige Länder können sich mit Japan im Reich-
thum der Formen messen, wenn auch an Reichthum der Arten tro-
pische Gegenden voranstehen. Während die Vegetation der meisten
Inselländer mit der der benachbarten Continente übereinzustimmen,
aber ärmer an Gattungen zu sein pflegt, daher gewöhnlich als von
der continentalen abstammend betrachtet wird, scheint die japanische
Flora eine ursprünghche und reicher als die des benachbarten
Quadranten u. s.w. werden auch in Japan gemacht. Mit solchen Hülfsmitteln ausgestattet,
sind unter Leitung der Hof- Astronomen auf Befehl des Siooun vom Anfange dieses
Jahrhunderts an alle Landschaften und Inseln vom eigentlichen Japan — das zu den
drei grossen Inseln Nippon , Kiusiu und Sikok gehörige Gebiet — in dem Maasstabe
von -jj^- aufgenommen , und die Hauptpunctc der 68 Provinzen und andere wichtige
Puncte astronomisch bestimmt worden , wobei die Länge vom Meridian der Sternwarte
von MiAKa berechnet ist. Die Küsten, welche mit Ketten vermessen wurden, sind
nicht nur ganz genau nach ihrer natürlichen Bewegung auf den Karten eingetragen,
es ist auch ihre Formation berücksichtigt und die felsigen und sandigen Meeresufer
sind deutlich dai'auf angegeben.«
Copieen dieser Karten über einen grossen Theil des Reiches sind im Besitze des
Herrn von Siebold, welcher bis jetzt, aus persönlichen Rücksichten angestanden hat
sie zu veröffentlichen. Die Originale werden im japanischen Staatsarchiv aufbewahrt
und auf das strengste verheimlicht.
pflanzen. Thiere. ^
Festlandes zu sein. Camelien, Cryptomerien und viele andere Ge-
schlechter werden als Japan eigenthümlich und eingeboren angesehen.
Neben den einheimischen Gewächsen haben sich auch viele fremd-
ländische eingebürgert, so unter anderen der Theestrauch, die
Orange*), der Tabak'), der Maulbeerbaum. Die Japaner sind Meister
in der Baumzucht und vielen anderen Zweigen des Feld- und Garten-
baues, und haben sich zu. allen Zeiten bemüht, fremde Nutzpflanzen
in ihrem Lande zu acclimatisiren. Der Charakter der Flora ist
schwer zu beschreiben, sie enthält Elemente aus allen Zonen: aus
der kalten die Nadelhölzer — Japan ist reicher an Coniferen- Arten
als irgend ein Land der Welt — aus der gemässigten viele unseren
Laubbäumen verwandte Gattungen, aus der subtropischen die immer-
grünen Laubhölzer, aus der tropischen vor allen Bambus, Palmen,
Cicadeen. Analog ist die Vegetation der Sträucher \md Stauden-
gewächse und die überaus reiche Cryptogamen- Flora. •
Weniger mannichfaltig ist die japanische Thierwelt; der
überall verbreitete Anbau mag ihrer Verbreitung hinderhch sein.
Eigenthümlichen Zügen begegnen wir auch hier: der Riesenmolch,
der Kupferfaisan und einige andere Arten kommen nur in Japan vor.
Im allgemeinen ist die Fauna die der gemässigten Zone; Affen giebt
es nur im Süden des Reiches, die Raub thiere aus dem Katzen-
geschlechte fehlen wie bei uns fast ganz. An Fischen und See-
thieren haben die japanischen Gewässer einen Reichthum und eine
Mannichfaltigkeit wie wenige andere : kalte und warme Meeresströme
^ Ueber die Einfühlung der Orange wird eine Anecdote erzählt, welche dem
japanischen Charakter ganz gemäss ist. Der Mikado, der von den goldenen Früchten
gehört hat, sendet einen Vertrauten aus seiner Umgebung nach China, um den Baum
zu holen. Dieser bleibt zehn Jahre aus, kehrt endlich mit dem Orangenbaum glücklich
nach Japan zui'ück, findet aber seinen Herrn nicht mehr und entleibt sich aus Gram
auf dessen Grabe. — Der Held dieser Sage ist Tatsima Mori, ein Sprossling des
koreanischen Prinzen Amano Fiboko von Sinra, der um 27 n. Chr. an der Spitze
einer Einwanderung nach Japan kam. Er überreichte dem Mikado geheimnissvolle
Geschenke — einen kleinen Säbel, eine steinerne Pike, Opfergeräthe , Spiegel und
Edelsteine, welche bei dem Mikado -Hause blieben, für Geisterschätze und sehr heilig
gehalten wurden. Vielleicht sind dies die späteren Reichsinsignien, deren Ursprung
man auf die oberste japanische Gottheit zurückfuhrt. — Tatsima Mori's Tod setzen
die Annalen in das Jahr 71 n. Chr.
^) Der Tabak ist von den Portugiesen ehigefuhrt und seit lange im allgemeinsten
Gebrauch. Die Japaner haben zugleich mit der Pflanze auch ihren Namen von den
Europäern angenommen.
lU Miuerale. — Isolinuig.
fuhren den Küsten die Bewohner fast aller Zonen zu, an einif^eu
Stellen wird auch die Perlenmuschel <2;eüscht. — Als Ilausthiere
findet man Hunde, Katzen, Pferde, Rindvieh, viele Enten- und
Hühuerarten. Esel giebt es nicht, und die Schaafzucht einzufuhren
hat man vergebens versucht.
Ueberaus reich ist Japan an werthvollen Mineralen, seine
Bergwerke liefern Gold, Silber, Zinn, Blei- und Eisenerze, vor allen
aber goldreiches Kuj)fer in grosser Menge — es soll das feinste und
geschmeidigste der Welt sein. Edelsteine scheinen nicht gewoimen
zu werden — der Japaner achtet sie nicht — wohl aber herrliche
Bergkrystalle. Steinkohlen finden sich an vielen Orten, und Schwefel
Hefern die zahlreichen Vulcane und Solfataren.
So reich und glücklich von der Natur ausgestattet hegen
die japanischen Inseln fern und einsam in einem der imwirthbarsten
Meere der Welt. Wirbelorkane, die gewaltigsten die man kennt,
durchwülilen die japanischen Meere fast zu allen Jahreszeiten, Nebel
und Regengüsse verhüllen die klippenreichen Küsten, wechselnde
Winde und heftige Strömungen machen alle Berechnungen des vor-
sichtigen Schiffers zu nichte. Die Natur selbst scheint das schöne
Land zur Isolirung bestimmt zu haben. Die Japaner haben sich
durch eigne Kraft zu einer bedeutenden Stufe der Gesittung empor-
geschwungen und sind niemals einem anderen Volke unterthan
srewesen. Sie haben sich die koreanischen Reiche unterworfen und
von da die Elemente der chinesischen Bildung in ihr eigenes Land
verpflanzt, aber in freier und eigenthümlicher Weise verarbeitet.
Nur in diesen Feldzügen und ausser Landes haben Massenberühnmgen
der Japaner mit anderen Völkern stattgefunden, im übrigen wurde
der Verkehr immer nur durch Einzelne vermittelt, durch Gesandt-
schaften von und nach China, durch buddistische Reformatoren,
durch japanische Priester undEdelleute, die sich des Studiums wegen
nach dem Festlande begaben. Niemals erlitt die Entwickelung der
Cultur und des staatlichen Lebens eine gewaltsame Unterbrechung
von aussen. Kublai-Khan war der einzige, der jemals ernstliche
Anstrengungen zur Eroberung des Reiches gemacht hat: seine Flotten
versanken im Meere und die ausgeschifften Truppen fielen unter dem
Schwerte der Japaner. Die Europät*.r wurden im sechszehnten Jahr-
hundert mit offenen Armen aufgenommen , die lernbegierigen Japaner
griffen mit Lust nach den neuen Ideen und Elementen der Bildung,
das Chnsteuthum fand iMngang l)ei allen Ständen. Sobald aber
Abstainiiiuiig.
11
die staatüclie Selbstständigkeit des Reiches dadurch gefalirdet schien,
verbannten die Herrscher die schädUchen Gäste , rotteten die keimende
Saat ihrer Lelire mit eiserner Strenge bis auf den letzten Hahn aus
und umgaben sich mit einer Mauer, die ein erneutes Eindringen
unmöghch machte. Während das chinesische Reich durch die tar-
tarische Invasion in den tiefsten Verfall gerieth, haben sich die
Japaner nicht nur volle politische Selbstständigkeit, sondern auch
ihre innere Lebenskraft bewahrt. Ihre Nationalität erlangte Festig-
keit und Kraft in raehrtausendjähriger ungestörter Fortbildung, wie
sie kaum ein anderes Volk gehabt hat: das japanische ist zur Race
geworden. Dass sie starr am Alten festhalten und sich in den
Verkehr mit den Westvölkern nicht schicken können, ist natürUcli.
Der Japaner ist conservativ und patriotisch , nicht nur die herrschen-
den Stände, die Nachkommen derer, welche die japanische Geschichte
gemacht haben, sondern auch das Volk, das in der eisernen Zeit
der Bürgerkriege in das tiefste Elend versunken war und auch jetzt
noch , bei äusserem Wohlstande und sonst glückUchen Verhältnissen,
in engen Schranken gehalten wird. Japan ist ein durchgebildeter,
wenn auch ein sehr künsthcher Organismus.
Wie sich die erneute Berührung des wenig veränderten
Reiches mit dem im Laufe zweier Jahrhunderte durchaus umgewan-
delten Europa gestalten wird, ist das merkwürdige Problem der
nächsten Jahrzehnte.
Das japanische Volk ist wahrscheinlich ein ureingeborenes,
oder in vorliistorischen Zeiten, vor Bildung der Sprachen ein-
gewandertes. Der Punct ist controvers gewesen: sowohl unter
den europäischen Gelehrten als in Japan hat die Ansicht Anhänger
gefunden, dass die Bevölkerung in historischen Zeiten von Cliina
eingewandert sei ; aber die geschichtliche UeberUeferung , die Sprache
und die Götterlehre liefern den stärksten Beweis für das Ge-
gentheil.
Der Ausgangspunct der japanischen Geschichte ist die Ver-
einigung des Reiches unter Dsm-Mu im Jahre 660 v. Chr. Dieses
Datum halten die Japaner für historisch sicher. Von Dsin - JIu leitet
sich die lange Reihe der Erbkaiser her, deren Geschlecht in ununter-
brochener Folge bis auf den heutigen Tag den Thron der MikadoV
inne gehabt hat. Nun ist selbst aus chinesischen Quellen bewiesen
12
Ueberlieferung. Sprache.
worden, dass alle Einwanderer, die als Stammväter des japanischen
Kaiserhauses genannt werden, nach der Zeit des Dsin-Mü in das
Land gekommen sind '). Mehrerer dieser Einwanderungen erwähnen
die japanischen Kaiserannalen, die älteste fallt in das Jahr 219 v. Chr. °).
Aufgeklärte japanische Schriftsteller nehmen an, dass ihr Vaterland
ursprunglich von denselben Aino's (japanisch Yebi's) bewohnt gewesen
sei, w^elche jetzt noch im halbwilden Zustande die Bevölkerung von
Yeso und den Kurilen bilden, dass die heutigen Japaner ein durch
lange Cultur veredelter Zweig dieses Stammes sind, dass Dsin-Mu,
ein begabter Häuptling im Süden des Reiches , zuerst eine politische
Ordnung bei seinem Stamme eingeführt und sich die wild und
gesetzlos lebenden Nachbarstämme unterworfen habe. Er wählte die
Landschaft Yamatto im mittelen Theile von Nippon zum Sitze seiner
Herrschaft; von da verbreiteten sich staatUche Einheit, Bildung und
milde Sitten allmälich über das ganze Land. Wie langsam die
neue Ordnung Platz griff, beweisen die fortwährenden Kriege gegen
wilde und aufrührerische Stämme im Norden und Westen des
Reiches, von denen die japanischen Annalen noch bis in das achte
Jahrhundert n. Chr. berichten.
Das wichtigste Zeugniss für die Ursprünglichkeit der Bevöl-
kerung ist ihre Sprache, welche sowohl von dem chinesischen als
allen anderen bekannten Idiomen grundverschieden ist und bis jetzt
^) S. Klaproth. Einleitung zu dem Werke Nippon -o-dai- itsi -ran. Annales des
Empereurs du Japon. trad. p. M. d. Titsingh. Paris 1834. Veröffentlicht auf Kosten
der Oriental fund society.
') S. NiFPON - o - DAi - iTsi - SAN Unter der Regierung des siebenten Mikado Rorei.
Die chinesischen Annalen erwähnen dieser Einwanderung: Fem im ostlichen Meere
liegen von Stürmen umbraust drei mmalibare Geisterberge, wo die Genien in goldenen
imd silbernen Palästen hausen. Dahin sandte der Tyrann Tsi-huano seinen Arzt
SiN-Fü (jap. Sio-fük), um den Trank der Unsterblichkeit zu holen. Mit Sin-fu
werden einige tausend Jünglinge und Jungfrauen eingeschifft, aber das Meer ver-
schlingt die Flotte mit der ganzen Bemannung. — Die japanische Version iässt den
SiN-pu die Rüste von Nippon erreichen, er stirbt am Fusi-yama, wo ihm ein
Tempel erbaut wird. — Nach Professor Hoffmanns Ansicht ist die japanische Dar-
stellung eine Erfindung späterer buddistischer Zeiten. Dass aber die Sage einen
historischen Kern hat, wird dadurch wahrscheinlich, dass in Rumano in der Landschaft
Rh auf Nippon noch jetzt chinesische Münzen aus der Zeit des Raisers T§i-huano
ausgegraben werden.
Die preussische Expedition hat ein altes japanisches Manuscript mitgebracht,
welches die Sage von der Meerfahrt des Sin-fü in poetisch - mythologischer Form
zu behandeln scheint und mit zahlreichen Bildern gesclmiückt ist.
Mythologie.
13
ganz isolirt dasteht'"). Der Scliädelbildung nach stehen die Japaner
der mongolischen Race am nächsten.
Die alteinheimische Götterlehre der Japaner ist durchaus
eigenthümlich und hat, ausser dem Gedanken von der Entstehung
der Welt aus dem Chaos und wenigen anderen sich natürUch erge-
benden Zügen nichts mit den Mythologieen anderer Völker gemein.
Fast alle ihre Sagen knüpfen sich an japanische Oertlichkeiten und
an die besondere Natur des Landes. — Aus einem wellenschlagenden
Chaos entwickehi sich Himmel und Erde, indem die leichten Theile
in die Höhe steigen, die schweren sich senken; in der Mitte bildet
sich ein göttUches Wesen, ein Kami. Er lebt hundert Millionen
Jahre, und zeugt aus sich selbst einen Nachfolger, der eben so
lange lebt, und welchem, gleichfalls geschlechtlos, ein dritter ent-
quillt. Dann folgen nach einander vier Götterpaare, Mann und
Weib, deren jedes zweihundert Millionen Jahre regiert. Diese sieben
sind die Geschlechter der himmlischen Götter. Von den vier Götter-
paaren zeugen die drei ersten ihre Nachfolger, indem sie einander
in geistiger Anschauung durchdringen, das letzte Paar, der Gott
IzANAOi und die Göttin Izanami, gelangt nach leidenschaftUchen
Bewegungen der Trennung und Wiedervereinigung zur Begattung.
Sie erzeugen zunächt die japanischen Inseln, die Flüsse, die Berge,
den Vater der Bäume und die Mutter der Pflanzen — endlich ein
glänzendes Wesen Ten-zio-dai-sin. Er wird wegen seiner Schön-
heit an den Himmel versetzt, ein Sonnengott, die höchste aller
in Japan verehrten Gottheiten, denn die älteren himmlischen Ge-
schlechter stehen den Menschen zu fern. Ten-zio-dai-sin wird
^^) Das Japanische gilt den grössten Autoritäten auch heut noch für eine isolirte
Sprache. Wenn es sich bestätigt, dass die Sprachen der ATno's auf Yeso und den
Kurilen und das Koreanische dem Japanischen verwandt sind, so wurde dies eine
Stammverwandtschaft oder sehr frühe Berührung dieser Bevdlkenmgen beweisen.
Was die Indianersprachen der Westküste von Amerika betriffl, von welchen Einige das
Japanische abgeleitet haben, so sollen diese Sprachen in ihrem Bau grundverschieden
davon sein, aber allerdings Spuren, sowohl des Chinesischen und Japanischen, als
anderer asiatischen Sprachen enthalten , welche beweisen , dass Volkerzüge aus Asien
durch das Eismeer und die Behringstrasse nach dem amerikanischen Contineut und
bis Grönland und Chili gelangt sind, stark und zahlreich genug, um die Spuren ihrer
Existenx in der Sprache zu hinterlassen, aber zu schwach, um deren ursprünglichen
Charakter umzuwandeln. Wenn das Jap^pische einzelne Worte aus anderen Sprachen,
z. B. dem Malayischen enthält, so erklärt sich dies leicht aus dem regen Verkehr der
Bewohner ausser Landes in früheren Zeiten und bis zum siebzehnten Jahrhundert.
14
Mythologie.
der Stammvater der fuiif irdischen (xöttergeschlechter. Seine nach-
geborenen Bruder sind der Mond, dann ein Genius des Meeres,
und SosAN, ein Geist der Unnihe und Bewegung, des üngewitters,
der Stürme. Dieser giebt zuerst Anlass zu Unfrieden und Streit,
muss sich aber schliesslich vor der Sonnengottheit beugen und
steigt zur Erde, d. h. nacli Japan hinab. Er tritt dort in Verkehr
mit den Menschen — sie scheinen mit den Pflanzen und Thieren
für selbstverstandUche Erzeugnisse des Bodens zu gelten — befreit
eine Jungfrau von einem Drachen und zeugt mit ihr einen Sohn.
Seine Nachkommen, die irdischen Kami's, Halbgötter und Heroen
wollen den von Ten-zio-dai-sin entsprossenen Gottheiten wieder-
holt die Herrschaft über die Erde streitig machen, werden aber
besiegt. Jene treten in den folgenden Generationen noch wieder-
holt mit den Heroengeschlechtem in Verbindung und freien deren
Töchter. Die sehr phantastische Sagengeschichte dieser Phase spielt
im Himmel, im Meere, auf den japanischen Inseln: zum Theil sind
Naturphänomene darin symbolisirt'*), zum Theil die Entstehung
bestimmter Oertlichkeiten mit Ereignissen der Götterwelt in Ver-
bindung gebracht, die allmäUche Urbarmachung des Landes unter
dem Bilde der Ausrottung von Ungeheuern und bösen Dämonen
versinnlicht. Alle diese Mythen stehen in der speciellsten Beziehung
zu den physischen Eigenthümlichkeiten der japanischen Inseln und
Meere: sie gründen sich gewiss zum Theil auf wirkliche Ereig-
nisse und verherrlichen im Gewände der Sage die grossen Thaten
und Eigenschaften der frühesten Gründer japanischer Cultur. Die
Gewohnheit jeden bedeutenden IMann, der sich um das Land Ver-
dienste erwarb, unter die Götter zu versetzen, ist dem Volke eigen-
thümlich und hat sich bis in späte Zeiten erhalten. Die Mikado's
treten von selbst durch Geburtsrecht in die Reihe der Kami's , aber
auch andere Sterbliche, die sich durch Grossthaten irgend einer
Art berühmt gemacht, werden nach ihrem Tode feierlich kanoni-
sirt und erhalten besondere Ehrentitel und Tempel, wo man sie
verehrt.
Unmittelbar an das Heroenalter schliesst sich nach der Auf-
fassung der Japaner ihre (Teschichte. Dsin-Mit, der Stammvater
des Mikado -Geschlechtes, wird ein Sohn des vierten Nachkommen
von Tkn-zio-dai-sin genannt, stammt also in grader Linie von
») Z. B. Kbhp und Flutli.
Geschichtsquellen.
15
dem Sonnengenius und dessen Ahnen, den himmlischen ( lottern her.
Deshalb ist sein Geschlecht unverletzlich und über alle Mensclien
erhaben '').
Die folgenden Nachrichten gründen sich zumeist auf die
von Professor Hofimann in Levden übersetzten Geschichtstabellen
Wa Nen Ke'i, theils auch auf die von Klaproth durcligesehene und
herausgegebene Uebertragung der im Jahre 1652 erscliienenen Kaiser-
annalen Nippon O Da'i Itsi Ran *'). Letzteres Werk ist ein Auszug
aus den grösseren Geschichtswerken in Form einer Chronik. Unter
einem Wust bedeutungsloser Ilofnachrichten werden auch die politisch
wichtigen Begebenheiten ohne Verknüpfung und Zusammenhang in
trockenen Worten kurz berichtet. Nur selten findet sich ein allge-
meiner Satz. Wer es aber unternimmt die Fäden zu verfolgen, die
Thatsachen aneinander zu reihen, den geschichtlichen Stoff zu
sichten und zu ordnen, der erhält nicht nur einen Ueberblick über
den Gang der äusseren Ereignisse, sondern auch ein Bild von
den inneren Eigenthümlichkeiten der verschiedenen Entwickelungs-
perioden. Diese Eigenschaft der Kaiserannalen , dass sich aus der
einfachen Aufzählung der Thatsachen allgemeine Begriffe von selbst
ergeben, ist das beste Zeichen für ihre Glaubwürdigkeit. Selbst
die Berichte aus den frühesten Zeiten tragen ein bestimmtes Gepräge
>*) Ausfuhrliches über die japanische Götterlehre ist in v. Siebold's Nippon (Bd. V.)
zu finden. Bei Kämpfer und in anderen Werken ist vieles zerstreut. Die meisten
Namen und die langen unverständlichen Ehrentitel der Gottheiten sind für den
Laien leere, schwer auf das Qehor fallende Klänge und deshalb in diesem Umrisse
weggelassen. — Siebold hat der japanischen Mytliologie eine besondere Abtheilung
seines grossen Werkes gewidmet, in welchem freilich das von Professor Hoffmann
übersetzte und mit vielen vortrefflichen Abbildungen begleitete Buddapantheon den
grössten Raum einnimmt. — Gedrängte Darstellungen geben Klaproth in der Ein-
leitung zu den Kaiserannalen und Leon de Rosny in seinem Memoire siu* la
Chronologie japonaise. (Paris 1858.)
'') Dieses Werk ist ausfiihrlicher als die von Professor Hoffmann übersetzten
imd im grossen v. Sieboldschen Werke abgedruckten Tabellen. Wenn auch nach dem
Urtheil dieses ausgezeichneten Kenners der japanischen Litteratur der Klaprothschen
Uebertragmig im Einzelnen nicht vollkommen zu trauen ist, so glaubt sich der
Verfasser durch Vergleichung mit den Geschichtstabellen und mit der Abhandlung
desselben Gelehrten über Japans Bezüge zu Korea vor wesentlichen Fehlem bewahrt
zu haben. Es handelt sich bei der vorliegenden Darstellung nur um das Charak-
teristische der geschichtlichen Entwickelung im Ganzen, nicht um Einzelnheiten.
16
Geschichtsquellen.
und enthalten nicht so viel des Wunderbaren und Sagenhaften als
die Geschichte gleichnamiger Zeitalter bei den westlichen Völkern.
Die Schrift, und zwar zunächst die chinesische ideographische,
wurde zu Ende des dritten Jahrhunderts n. Chr. in Japan einge-
führt. Vor dieser Zeit sollen alle Gesetze und Verordnungen durch
öffentliches Ausrufen pubUcirt und durch mündliche Ueberlieferung
fortgepflanzt worden sein, ebenso das Andenken an wichtige Staats-
begebenheiten. Die Zeitbestimmungen aber wurden durch Ein-
kerbungen in Balken und durch Knoten, die man in Seile machte,
der Nachwelt übergeben. Die Thatsache, dass von Japan aus eine
Gesandtschaft nach Korea ging, um die chinesische Schrift und
Gelehrte von dort zu holen, lässt auf den Bildungsgrad schliessen,
den das Volk im dritten Jahrhundert n. Chr. erreicht hatte.
Von dem ersten Geschichtswerke — Reichsarchive werden
schon viel früher erwähnt — berichten die Annalen unter dem vier-
unddreissigsten Mikado um 600 n. Chr. Diese Arbeit geht in die
frühesten Zeiten zurück und wird als Berichtigung und neue
Redaction älterer Werke bezeichnet. Von der Zeit scheinen die
Aufzeichnungen regelmässig fortgeführt worden zu sein'*). Die
japanische Litteratur ist reich an historischen Monographieen über
einzelne Landestheile, Familien und merkwürdige Entvvickelungs-
phasen , aber den Europäern ist noch wenig davon bekannt geworden.
— Mit den chinesischen Geschichtswerken stimmen die japanischen,
wo es sich um Berührung der beiden Völker handelt, in Bezug auf
Data und Thatsachen meist im wesentlichen überein, aber ihre
Auffassung der Begebenheiten ist häufig sehr verschieden.
Die Nachrichten der Kaiserannalen über das Ende des sechs-
zehnten und den Anfang des siebzehnten Jahrhimderts sind sehr
lückenhaft und unvollständig, sie hätten sonst manchen zarten und
für die neue Siogun - Dynastie empfindlichen Punct berüliren müssen.
Ueber diesen Zeitraum, einen der wichtigsten und merkwürdigsten
^^) Im Jahre 713 wurde das Buch Fo-to-ki vollendet, eine ausfuhrliche Be-
schreibung von Japan mit geschichtlichen Nachrichten. Um 720 erschien eine Geschichte
des Reiches in 30 Bänden, darauf in den Jahren 791, 840, 850, 858 und 887 aus-
fuhrliche Werke über die eben vergangenen Perioden , welche an einander anknüpfet^,
in je 30 bis 50 Banden. Die sechs Werke bilden zusammen die grosse japanische
Chronik. An diesen Aufzeichnungen, welche soi'gfaltig fortgeführt wurden , arbeiteten
hohe Staatsbeamte im Verein mit Gelehiten. S. Hoffmann Japanische Grammatik
(Leyden 1857) — und Klaproth zu den Kaiserannalen.
Berichte der Missionare und der Holländer. 1 •
der japanischen Geschichte, da sich in ihm das neue politische System
aus anarchischen Zuständen und fast gänzlicher Auflösung der alten
Staatsordnung entwickelte, besitzen wir eine ausgedehnte Litteratur
in den Briefen und Berichten, welche die katholischen Missionare
von Jahr zu Jahr an ihre Ordenshäuser in Europa sandten ' '). Diese
Nachrichten sind um so wichtiger, weil zu jener Zeit die Fremden
ohne Einschränkung mit allen Classen der Bevölkerung verkehrten;
die Missionare besonders kamen vielfach in intime Berührung mit den
Grossen des Reiches und konnten eine Anschauung von den Zuständen
gewinnen, die unter den jetzigen Verhältnissen unmöghch zu erlangen
ist; ihre Angaben stimmen meistens mit den Nachrichten der Kaiser-
annalen überein'®). Nach dem Jahre 1652 durfte kein Geschichtswerk
mehr veröflentlicht werden, so dass wir für die letzverflossenen
zweihundert Jahre auf die Nachrichten beschränkt sind, welche die
Holländer bei ihren Hofreisen und auf Desima sammelten. Im Ge-
heimen cursiren bei den Japanern Manuscripte , welche die Geschichte
der Neuzeit behandeln; davon sind einige den holländischen Factorei-
beamten in Nangasaki zugänglich geworden. Aber sie erzählen fast
nur Ho%eschichten und Anekdoten, und geben wenig Aufschluss
über die innere Entwickelung des Staates, das einzige Wissenswerthe
aus einer Zeit, in der sich das Reich nach aussen hermetisch
**) Man hat vielfach den Fehler begangen , über diese Periode nicht die Original-
berichte, die eine bändereiche Sammlung bilden, zum Theil selten und schwer zugänglich
sind, sondern die Compilationen späterer Jesuiten zu befragen. "Während nun die
Originalberichte grössten Theils Wahrheit athmen, und die Beobachtungen und Er-
lebnisse der Missionare, in fromme Betrachtungen gehüllt, einfach mittheilen, waren die
späteren Jesuiten, welche japanische Kirchengeschichte verfassten, meist tendenziöse
Schriftsteller, denen es viel weniger auf Walirheit als auf die Verherrlichung der
Kirche und ihres Ordens, theils auch nur auf Glanz und Effect der Darstellung ankam.
Sie haben nicht nur Thatsachen entstellt, sondern auch Wundergeschichten und
dergleichen erfunden, von denen wenigstens in den gedruckten Originalen nichts
steht. — Die Berichte der Missionare selbst sind von verschiedenem Werth, doch
ist die Kritik hier leichter , als bei den Compilationen. — Grosse Schätze handschrift-
licher Berichte mögen noch in den Klöstern und Collegien der Jesuiten und anderer
Orden in Italien, Spanien und Portugal vergi'aben liegen.
^^ Dass die Kaiserannalen nicht etwa von den Missionaren benutzt worden sind,
geht aus dem Umstände hervor, dass jenes Werk erst um 1652 ei;schien, als kein
Geistlicher mehr in Japan lebte, während die meisten Briefe der Missionare gegen
Ende des sechszehnten und in der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts gedruckt
worden sind. In Europa wurden die Kaiscraimalen erst zu Ende des achtzehnten
Jalirhunderts diu'ch Titsingh bekannt.
1. 2
A" Aehcate Gescliichte.
verschlossen hatte. Es ist zwar anzunehmen, dass sich, seitdem in
der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts das System der Abschliessung
nach aussen und der allgemeinen Beaufsichtigung seine volle Aus-
bildung erreichte, bis zum Eindringen der Amerikaner im Jahre 1854
in den poUtischen Zustanden wenig geändert hat; aber leider besitzen
wir auch aus der Zeit der Entwickelung des neuen System es über
die inneren Einrichtungen keine ausfuhrlichen Angaben, denn die
Missionare, welche die äusseren Begebnisse und die Umwälzungen,
von denen sie Zeugen waren, sehr eingehend beschreiben, geben über
diesen Punct fast gar keine Rechenschaft.
DsiN-Mü der Göttersohn eroberte, von Süden kommend, das
ganze Reich, und schlug in der Landschaft Yamatto") den Sitz
seiner Herrschaft auf. Seine Proclamirung als Kaiser des ganzen
«eo v.Chr. Landes (660 v. Chr.) ist der Ausgangspunct der japanischen Zeit-
rechnung. Er wird als der erste genannt, der ein Haus baute**),
während bis dahin die Eingeborenen in Erdhöhlen gewohnt hätten.
Von seiner Leibwache rühmt sich der japanische Adel abzustammen.
Die Nachrichten über die folgenden Mikado's sind dürftig und
beschränken sich auf die Erzählungen von Kriegen gegen die Yebi's,
von wunderbaren Naturphänomenen und Erbstreitigkeiten tun die
Thronfolge. Von dem zehnten Mikado \vird berichtet, dass er vier
Siogun's, Feldherren zur Bekriegung der wilden Eingeborenen in
den abgelegenen Provinzen ernannt habe. Unter seiner Regierung
33 v.Chr. (33 V. Chr.) kamen zum ersten Male Koreaner nach Japan: die
Annalen erwähnen ihrer als einer tributbringenden Gesandtschaft,
doch scheinen es nur Einwanderer gewesen zu sein, welche, den
1^ Yamatto heisst wortlich Bergland. In alter Zeit soll diese Benennung fiii*
ganz Japan gebraucht worden sein. Im engeren Sinne bezeichnet es den Kern der
Halbinsel, welche in der Mitte der Längenrichtung von Nippon nach Süden heraus-
springt. Die MiKADo's residirten durch viele Generationen in verschiedenen Theilen
dieser Landschaft.
**) Das Andenken seiner Wohnung wird in dem berühmten Tempel des Tkn-
zio-daT-sin bewahrt, der in den ersten Jahren der christlichen Zeitrechnung in der
Landschaft Isye erbaut wurde. Er ist der berühmteste Wallfahrtsort des ganzen
Landes und soll eine getreue Copie der alt -japanischen Holz- und Strohbauten sein.
Eine Tochter des Gründers, des elften Mikado, wiu-de dort Oberpriesterin , auch
ihre Nachfolgerinnen waren aus dem Geschlechte der Erbkaiser. Die Landschaft
Isye grenzt östlich an Yaaiatto.
EinwanderuDgeii. Gesandtschaft uach China. Feldziig nach Korea. i«^
politischen Stürmen in ihrem Vaterlande weichend, eine neue Hei-
math suchten. In Korea waren seit dem Jahre 57 v. Chr. grosse
Umwälzungen vorgegangen: das alte Reich Tsaosien, welches die
ganze Halbinsel umfasste, theilte sich damals in die drei Königreiche
Kaoli, Petsi und Sinra. — Im Jahre 27 n. Chr. kam abermals eine 27 n.Chr.
Einwanderung nach Japan, an deren Spitze ein Fürst aus dem
Königshause von Sinra stand. Von Japan soll um 57 n. Chr. zum 67n. chr.
ersten Male eine Gesandtschaft nach dem Auslande, und zwar an
den chinesischen Kaiser Ko-bu-ko-tei (chinesisch Küano-wu-
KüANG-Ti) aus der Dynastie Go-kan gegangen sein. — Unter dem
zwölften Mikado, wurde der Krieg gegen die Yebi's nach Yeso
ausgedehnt, die beiden folgenden hatten viel mit Bekämpfung der
wilden Stamme in den östlichen Landschaften von Kiusiu und Nippon
zu thun.
Das sind die wenigen Nachrichten aus diesem Zeitalter, denen
man einigen historischen Werth beimessen kaim. Alles übrige gehört,
wenn auch gewiss mit Thatsachen vermischt, doch vorwiegend in
das Gebiet der Sage. Schon die geringe Zahl von vierzehn Mieado's,
welche den Zeitraum von 660 v. Chr. bis 200 n. Chr. ausfüllen, also
durchschnittlich je über sechszig Jahre regiert haben müssten, ist
sehr verdachtig. Um 201 n. Chr. bestieg zum ersten Male eine Frau 201 n. chr.
den Thron, Sin-ko-wo-gü, die Wittwe des vierzehnten Mikado,
eine gewaltige Kaiserin, welche noch heute als Schutzgöttin des
Landes verehrt wird. Der Vorschub, den die Bewohner von Sinra
den aufrührerischen Stammen von Kiusiu leisteten, veranlasste sie
an der Spitze eines Heeres nach Korea überzusetzen: Sinra wurde
in kurzer Zeit erobert, die beiden anderen koreanischen Reiche
huldigten aus freien Stücken und verpflichteten sich zu regelmässigen
Tributzahlungen. In Mimana, einem Districte von Petsi, wurden
damals japanische Statthalter eingesetzt, welche neben den ein-
heimischen Königen die Verwaltung führten. Eine Gesandtschaft,
welche 239 von Japan nach dem chinesischen Reiche Wei ' ') ging,
scheint durch die koreanischen Angelegenheiten veranlasst worden
zu sein — doch dauerte es noch mehrere Jahrzehnte bis die dortigen
Verhältnisse eine feste Gestaltung gewannen. Im Jahre 249 führten
^") Damals gab es drei selbststäudige Reiche in China, nämlich WeT, Tsu und U. —
Merkwürdig ist, dass die vom Reiche Wei nach Japan geschickte Gegcngesandtschafl
dem Mikado ein Königsdiplom und andere Embleme japanischer Vasallenschaft
überbrachte.
2-
^U Einführung der chinesischen Schrift. Verkehr mit Korea.
die Japaner abermals einen siegreichen Krieg gegen das feindliche
SiNRA, und 264 musste das Königreich Petsi, wo ein Usurpator sich
des Thrones bemächtigt hatte, zugleich mit seinem rechtmässigen
Herrn eine Verfassung aus den Händen des Mikado annehmen. —
Wo-ziN, der Sohn der obengenannten Kaiserin, liess koreanische
Arbeiter zur Erbauung von Landstrassen, Teichen und Kanälen
2H0 n. Chr. kommen, und schickte 280 eine Gesandtschaft nach Petsi'"), um
den gelehrten Chinesen Wo-nin (chinesisch Wang-tsin), der sich
seit kurzem dort niedergelassen hatte, nach Japan zu fuhren. Er
wurde Erzieher des Thronfolgers, lehrte am japanischen Hofe die
Schreibekunst, und scheint die Werke des Confucius und IMencius
dort eingeführt zu haben*').
Der Verkehr mit den koreanischen Reichen war auch während
der beiden folgenden Jahrhunderte sehr lebhaft; zuweilen mussten
sie durch kriegerische Expeditionen zur pflichtmässigen Tributzahlung
angehalten werden. Die fortwährenden Grenzstreitigkeiten und die
Kämpfe der drei Reiche um das Supremat gaben der japanischen
Herrschaft in Korea ein bleibendes Uebergewicht durch das dritte,
vierte, fünfte und die erste Hälfte des sechsten Jahrhunderts. Um
562 n.Chr. dicsc Zeit (562) aber gewann das den Japanern von jeher feindliche
SiNRA die Oberhand und vertrieb ihre Besatzung aus Mimana. Die
vom Mikado hinübergesandten Heere wurden geschlagen und mussten
das Land räumen. Die Fehden in Korea und die Unterhandlungen
und Kämpfe um Herausgabe von Mimana währten von da an noch
fast ein volles Jahrhundert.
Während des beschriebenen Zeitraumes wurden vielfach Hand-
werkercolonieen aus Korea und China nach Japan herübergeführt
*°) Ein Prinz dieses Reiches, der von Wo-nin schi'eiben gelernt hatte, scheint
kurz vorher an den Hof des Muüaoo gekommen zu sein und dessen Lembegier
erweckt zu haben.
'*) Einige japanische Gelehrte behaupten , dass durch die chinesische Schrift eine
frühere japanische verdi'ängt worden sei. In der chinesischen Schrift drückt jedes
Zeichen einen Begriff aus, wie unsere Zahlzeichen. Die meisten Worte haben nebenbei
ein phonetisches Element, das aber nur für einen bestimmten chinesischen Dialekt
Hcdeutung hat — Diese Schrift wird, da sie an den Laut keiner Sprache gebunden
ist, in fast allen Ländern von Ost- Asien gelesen. — Merkwürdiger Weise kam die
Schreibekunst, welche der aus Sinra eingewanderte Wo-nin zuerst am Hofe von
Petsi lehrte, hier erst viel später in allgemeinen Gebrauch als in Japan. Um 374
fing man in Pktsi an chinesische Bücher zu verbreiten, und noch später erhielten
erst die beiden andern koreanischen Reiche von hier aus die chinesische Schrift.
Uandwerkercolonieen u. s. w. aus Korea. — Streitigkeiten um die Tlironfolge. ^1
und erhielten dort zunftmässige Rechte. Man warb Baumeister,
Maler, Töpfer, Metallgiesser, Ziegelbrenner, Sattler, und erlernte
die Kunstfertigkeiten des Nähens, Stickens, Spinnens und Webens.
Auch Aerzte und Meister der classischen Litteratur kamen aus China
herbei, und die Werke chinesischer Poesie erweckten gleiche Be-
strebungen in Japan — schon werden einheimische Dichter und
Dichterinnen genannt. -- Den Maulbeerbaum und die Seidenzucht
führte schon der zweiundzwanzigste Mikado — um 470 — ein.
Den meisten Raum erfüllen in den Annalen des vierten und
fünften Jahrhunderts die Familienzwiste der Grossen und die Erb-
streitigkeiten im Hause des Mikado; um die Thronfolge wurden oft
blutige Kriege gefuhrt.
Es ist ein merkwürdiger und für die Entwickelung aller
dortigen Verhältnisse höchst wichtiger Zug, dass in Japan, wo fast
alles Recht sich auf Erblichkeit gründet, die Erstgeburt fast gar
keine Bedeutung hat: der Erbe wird durch das Famihenhaupt aus
der Zahl seiner legitimen Kinder und Agnaten erwählt. So ist es
auch im Kaiserhause. Da nun die Mikado's zu allen Zeiten mehrere
rechtmässige Frauen hatten, so war hier der Intrigue Thüre und
Thor geöffiiet Jeder Günstling suchte dem Herrscher Gemalinnen
aus seiner FamiUe zu geben und dann deren Söhne auf den Thron
zu bringen. Oft kam es durch die Eifersucht der Grossen gar nicht
zur Ernennung eines Thronfolgers , dann entspannen sich nach dem
Tode des Kaisers heftige Fehden. In dieser Einrichtung der Viel-
weiberei bei den Mikado's und der Thronfolge durch Erwählung
ohne Berechtigung der Primogenitur liegt der natürhche Keim des
Verfalles ihrer Macht. Verweichüchung, Entkräftung, Beeinflussung
von vielen Seiten mussten die Folgen dieser Verhältnisse sein. Die
Partheiungen und eifersüchtigen Kämpfe der dem Kaiserhause ver-
schwägerten Geschlechter haben in hohem Maasse den Gang der
japanischen Geschichte bestiimnt.
Schon gegen Ende des fünften Jahrhunderts entzogen sich
mehrere Mikado's ganz den Regierungsgeschäften , und bestellten Re-
genten, die an ihrer statt die Verwaltung leiten mussten.
Die Ereignisse, welche die Einfülirung des Buddismus in
Japan begleiteten, verdienen erzählt zu werden, da sie einiges Licht
auf die Zustände jenes Zeitalters werfen.
22
Einführung des Buddismus.
:cii n. dir. Im Jahre 552 sandte der König von Petsi dem Mikado eine
Bildsaule des Büdda Siaka und die kanonischen Bücher seines Cultus
zum Geschenk. An der Spitze der japanischen Regierung standen
damals zwei machtige Minister, welche über die Zulassung des
fremden Cultus in Streit geriethen. Der Mikado schenkte das Budda-
bild dem Ikame, welcher für Einfuhrung der neuen Lehre stimmte
und nun dem Götzen einen Tempel baute. Schon damals gab es
unter den koreanischen Einwanderern viele Buddisten, welche ihrer
Religion auch bei den Japanern Eingang zu verschaffen suchten. —
Bald nach Aufstellung jenes Buddabildes brach die Pest aus; der
Gegner des Iname überredete den Mikado, dies sei eine Strafe der
alten Landesgötter, und bewirkte, dass die Bildsaule gestürzt, der
Tempel zerstört wurde. Unter dem folgenden ]\Iikado erneut sich
der Streit zwischen den Söhnen jener Günstlinge. Aus Petsi kom-
men viele buddistische Priester und Gelehrte herüber, ein Theil
des Mikado -Hauses ist dem Cultus günstig, aber noch einmal kommt
die Pest dem buddafeindUchen Regenten Morita zu Hülfe, er setzt
abermals die Ausrottung der Lelire durch. Die Priester werden ihres
Ornates beraubt, die Tempel zerstört Unter dem folgenden, dem
zweiunddreissigsten Mikado, gewinnt Mumako, der Sohn des IVünisters
Iname, wieder Macht; er lasst nochmals Priester aus Petsi kommen,
stellt den Cultus wieder her, und stürzt mit Hülfe des Prinzen
Siotok-Daisi den MoRiYA. Der Mikado stirbt: sein jüngerer Bruder
wird von dem allmächtigen Mumako auf den Thron gesetzt, aber
bald nacliher, da er dem fremden Cultus abhold ist, auf sein Geheiss
ermordet. Seine Schwester muss ihm succediren*'), Mumako wird
Regent Unter seinem Schutze verbreitete sich die Buddalehre
schnell im ganzen Lande; sie fand besonders an den vielen neuen
Einwanderern aus Korea und auch an den älteren Colonisten eifrige
fi-io n. Chr. Jünger. Man gründet Tempel und Klöster: gegen das Jahr 620 gab
^) Die Regierung dieser Kaiserin ist merkwürdig durch eine Gesaiidtschafl an
den chinesischen Kaiser Yang - ti. Der Brief des Prinzen Siotok - DaTsi , des Ver-
trauten MuMAKo's, welcher vor diesem kurze Zeit Rqgent war, begann mit den
Woiten: Der Sohn des Himmels der aufgehenden Sonne an den Sohn des Himmels
der untergehenden Sonne. Die chinesischen Annalen berichten, Yano-ti habe die
Aufschrift so unpassend gefunden, dass er die Lesung des Briefes untersagte. —
Ein chinesischer Gesandter, der beim Regierungsantritt des folgenden Mikado zur
(»ratulation nach Japan kam, reiste wegen eines Etiquettenstreites wieder ab ohne
den Kaiser gesehen zu haben.
Bedrohung des Mikado - Hauses. Stw'z des Regenten. ^o
es nach den Annalen schon 816 Priester, 569 Priesterinnen und
46 Tempel des Budda Siaea in Japan.
Der Einfluss des mächtigen Mumako erstreckt sich über ein
halbes Jahrhundert. Sein Sohn Soga-no-Yemisi folgt ihm in der
Regentenwürde unter dem funfunddreissigsten Mikado Dsio - mei
(629 — 641). Mit der Thronbesteigung von dessen Wittwe wachst e4i n. ohr.
die Macht und der Uebermuth des Yemisi, er baut seinem Vater
ein Grabmal gleich dem der Mikado's , und überträgt erkrankend aus
eigener Machtvollkommenheit die Regentenwürde seinem Sohne Iruka,
dessen maasslose Willkühr die Grossen zur Verschwörung treibt.
Iruka wird in feierlicher Hofvrersammlung in Gegenwart der Kaiserin,
deren Sohn Naka-no-Osi unter den Verschworenen ist, nieder-
gestossen. Darauf entspinnt sich ein heftiger Kampf, die Hälfte des
Hofes schlägt sich zu Yemisi, seme Parthei ist so mächtig, dass sie
die kaiserliche überwunden haben würde, wenn nicht die seinen
Anhängern gemachten Vorstellungen, es sei unerhört, dass das
Göttergeschiecht des Mikado einem Rebellen weichen solle, gewirkt,
die Parthei zerstreut hätten. Yemisi wurde in seinem Hause mit
seinen Schätzen verbrannt.
So die Annalen. — Diese Ereignisse geben ein Bild der spä-
teren Umwälzungen, die Elemente sind immer dieselben. Das Ge-
schlecht des Mikado degenerirt, der fähigste Minister bemächtigt
sich der Leitimg des Staates; seine Würden vererben nach alt-
japanischer Sitte auf seine Nachkommen, nicht aber seine Kraft und
Fähigkeiten. Nach einigen Generationen ist sein Geschlecht unter
der Wirkung der Schmeichelei und des üppigen Hoflebens eben so
entartet, wie das des Mikado und erfährt ein gleiches Schicksal;
eine andere Familie tritt an dessen Stelle. Zuweilen auch erhebt
sich, während das herrschende Regentengeschlecht in Entkräftung
versinkt, das Kaiserhaus wieder aus dem Elende; niemals aber ist
seine Herrschaft von langer Dauer. Der Luxus und die Ueppigkeit
des Hoflebens, die göttüche Verehrung der Person des Mikado,
die Schmeichelei, die sich nur in der Zeit der Erniedrigung von ilim
abwendet, machen ein Andauern der Kraft durch mehrere Genera-
tionen unmögUch. — Die Sooa wollten den Mikado stürzen und
dessen Würde an sich reissen. Wie fest und untrennbar diese nach
dreizehnhundertjähriger Herrschaft (wenn man es glauben darf) mit
dem Geschlechte des Dsin-Mu verwachsen, wie stark der Glauben
an dessen Beruf und Recht auf den Thron war, beweisen die
24 Ursachen des Verfalles der Mikado -Herrschaft.
erzählten Begebenheiten. Spätere Usurpatoren versuchten niemals,
sich die Würde, den Rang des Mikado anzumaassen , sie begnügten
sich, ihm die Macht zu nehmen und übten auch diese nur in seinem
Namen. DieWürde ist nach japanischen Begriffen etwas erbliches,
von der Abstammung untrennbares — dieses Erbrecht war zu allen
Zeiten heilig und unantastbar — keine äusseren Umstände können
ein Geschlecht jemals seines angestammten Ranges berauben, selbst
das grösste Elend nicht, wie die japanische Geschichte vielfach
beweist; — nur ehrlose Handlungen des Familienhauptes, wenn sie
nicht durch Selbstopferung gesühnt werden , rauben dem Geschlechte
seinen Rang. So oft in der späteren Geschichte die Herrschaft auf
ein anderes Haus übergegangen ist, hat dieses niemals den Titel
seiner gestürzten Vorgänger angenommen, sondern einen anderen
neuen. Aber die Erfahrung hat die Japaner gelehrt, dass die Kraft
nicht immer mit der Würde vereint ist, deshalb gewöhnten sie sich,
die Macht als etwas rein thatsächUches anzusehen. Dem grossen
Usurpator Taiko - sama gelang es im sechszehnten Jahrhundert das von
Bürgerkriegen zerrissene Reich unter seinem Scepter zu vereinigen,
und trotz seiner niedrigen Abstammung seine Herrschermacht
zur vollsten Anerkennung nicht nur beim Volke, sondern auch bei
den Grossen zu bringen ; er konnte aber trotz allen Bemühungen den
SioouN -Titel, welcher von uralters her der Familie Minamoto eigen
war, nicht erlangen, und musste sich, um durch eine andere alte
Würde seinem Throne Glanz zu verleihen, von einem Mitgliede der
Familie Fudsiwara, welche den Kuanbak- Titel seit Jahrhunderten
erbUch besass, förmhch adoptiren lassen. Der Mikado gab auch
dann nur widerstrebend seine Zustimmung; es war eine Anomalie
wegen Taiko - s ama's niedriger Geburt und wurde als etwas unerhörtes
angesehen, weil nach japanischen Begriffen nur die Adoption Eben-
bürtiger statthaft ist; seine Macht aber wurde als rechtmässig an-
erkannt, sobald sie thatsächlich begründet war.
r45 n.Chr. Nach der Ermordung des Iruka (645) dankte die Kaiserin
Küoook'") zu Gunsten ihres Bruders Kotok ab, bestieg aber nach
dessen Tode nochmals den Thron. Erst im Jahre 662 erliielt Prinz
®) KuoGOK war, wie wahrscheinlich alle anderen weiblichen Mikado's, eine
Fürstin aus dem kaiserlichen Geschlecht. Die Ahstamnuing jedes einzelnen Mikado
wird in den Annalcn weitläufig erörtert. Sie heiratheton viclfnrh die Töchter ihrer
Bruder und Vettern.
TsNTsi. Abstammung der Fudsiwara. Liiiere Einrichtungen.
25
Naka-no*-Osi unter dem Namen Tentsi die Krone. Sein Freund
und Mitverschworener Kamatari stand seit Iruka's Tode an der
Spitze der Staatsverwaltung. In der Familie des Kamatari, welche
vom Kaiser den Namen Fudsiwara erhielt, wurde später die Kuan-
BAK -Würde**) erblich; ihr Einfluss war schon im achten Jahrhundert
am Hofe vorwiegend. — Dieses Geschlecht hat sich auch später,
nachdem es die Macht verloren, durch alle Zeiten im Besitz der
höchsten Hofämter erhalten.
Kamatari scheint sich um die inneren Einrichtungen des
Staates verdient gemacht zu haben: er theilte das Reich in acht
Provinzen, regelte die Verwaltung und gab den Beamten feste
Besoldung: durch das ganze Land wurden Postrelais eingerichtet,
Kataster aufgenommen, das Steuerwesen geordnet. Das Heerwesen
erhielt eine festere Gestaltung; eine stehende Kriegsmacht hatte man
seit lange im Westen des Reiches — gegen Korea -— unterhalten,
einzelne Abtheilungen davon bildeten, sich ablösend, die Garnison
der Residenz. Kamatari baute Arsenale und Magazine , brachte auch
die Hofhaltung in eine feste Ordnung, regelte die Etiquette und
führte die öiTentUchen Audienztage ein. Der grösste Theil des noch
jetzt am Hofe des Mikado übhchen Ceremoniels, sagen die Annalen,
datirt aus jener Zeit*').
^) Die Fudsiwara fuhren ihren Stammbaum noch hoher hinauf und auf das
Geschlecht des Mikado zui'ück. — Die eigentliche Bedeutung des Titels Kuanbak
ist schwer zu ergründen: in den meisten Fällen scheint die Uebersetzung Regent
zu passen, zuweilen kommt aber in der Klaprothschen Uebertragung der Annalen ein
Regent neben dem Kuanbak vor. Kämpfer sagt: Quanbuku ist die andere Person
dieses geistlichen Hofes und des Dairi (Mikado) Vicekonig und Premier - Minister
in Regieningssachen. — Auch der Kuanbak -Titel wird, gleichwie alle anderen
erblichen Würden, vom Mikado jedes Mal ausdrücklich verliehen, aber immer nur
an den Berechtigten. Daneben giebt es andere nicht erbliche Ehrentitel und Aemter,
die ebenfalls der Mikado verleiht — und die Rangstufen und Classen, durch welche
die Hof- und Staatsbeamten allmälich emporsteigen, sind wieder von jenen Titeln
unabhängig — so scheint es wenigstens nach den Annalen. Der ganze Organismus
ist höchst künstlich und bis jetzt noch sehr räthselhaft. — Der höchste Ehrentitel,
den der Mikado häufig nur sich selbst ertheilt, ist DaT-sio-dai-sin. Zu derselben
Rangclasse soll die Kuanbak - Würde gehören. Die Titel der zweiten Classe sind
0-daT-sin, U-daT-sin und Na-daT-sin, die der dritten DaT-nagon und Tsu-
NAGON. Alle diese werden nur an eine Person verliehen , die der folgenden Classen
an mehrere
^) Klaproth bezeichnet in einer Note zu den Kaiseramialen die Einthcilung der
japanischen Verwaltung auf folgende Weise. Es giebt acht Administrationen:
26
Beaehungen zum Auslände.
Auch nach aussen machte sich die steigende Blfithe des
Reiches geltend. Die Jahrbücher berichten von einem Kriegs- und
Jagdzuge nach der Tartarei, und von einer Expedition gegen die
wilden Stamme auf Yeso. Gefangene Aino^s von abentheuerlichem
Aussehn mussten den Glanz der Gesandtschaften an den chinesischen
Hof erhöhen. — In Korea gewannen die Japaner im Jahre 600 einen
Theil ihres alten Besitzes zurück; um 623 wiurden sie wieder ver-
trieben, waren aber bald darauf nochmals siegreich'*). Von dieser
Zeit bis 650 scheinen alle drei Reiche regelmassig Tribut entrichtet
zu haben: aber das Uebei^ewicht des mit den Chinesen verbündeten
SuiRA machte sich mehr und mehr geltend. Als im Jahre G51 seine
Gesandten in chinesischer Tracht erschienen, wiesen die Japaner
sie an der Grenze zurück. Zehn Jahre darauf eroberte Sinra mit
chinesischer Hülfe Petsi und bedrängte auch Kaoli. Die in den
Jahren 662 und 663 von Japan gesandten Hülfsvölker mussten der
Uebermacht der Chinesen weichen und das Land räumen ; mit ihnen
kamen einige tausend koreanische Einwanderer nach Japan, darunter
1) Eine allgemeine Centralabtheilung ,
2) eine Abtheilung für Gesetze und öffentlichen Unterricht,
8) eine Abtheilung für das Innere,
4) eine Abtheiluiig für Polizei und Volksangel egenheiten ,
5) ein Kriegsministerium ,
6) eine Abtheilung für Criminalsacheu ,
7) eine Abtheilung für die Finanzen,
8) ein kaiserliches Hausministerium.
Die Einfutirung der japanischen Zeitrechnung nach «Nengo- datirt auch aus dieser
Zeit. Die Nenuo umfasst eine luibestimnite Reihe von Jahren ; der Mikado bestimmt
ihren Anfang und ilu- Ende und giebt ihr den Namen. AUgemeui gebräucfilich wui*de
diese Zeitrechnmig gegeu Ende -des siebenten Jahrhunderts ; seitdem heisst es in den
Annalen immer: im — ten Jalire der — genannten Nengo u. s. w.
Die Zeitrechnmig nach «Nengo« haben die Japaner den Chinesen entlehnt,
ebenso die Zeitrechnung nach sechszigj ährigen Cyclen. Der erste Cyclus beginnt
mit dem einundsechszigsten Jahre der Regieiiing des chiuesischen Kaisers Hoano - ti,
2637 V. Chr. Die Regierung des Dsin-Mu beginnt also in dem siebenundfunfzigsten
Jahre des dreiunddreissigsten Cyclus. Die einzige acht japanische Art der Zeitrech-
nung ist die nach Vereinigimg des Reiches unter Dsin-Mu.
^) "Aus dem Umstände, dass Petsi in der Folge auch für Mimana Tribut ent-
richtete, scheint hervorzugehen, dass letzteres, wo nicht ganz zu Petsi geschlagen,
doch unter dessen Schutz gestellt wui'de.« S. Hoffniann, Japans Bezüge mit der
koreanischen Halbinsel (v. Siebold Nippou Bd. VII.), eine sehr eingehende Abhandlung,
welcher fast alle diesen Punct betreffende Angaben entlehnt sind.
Bergwerke. Erfindung der Silbenschriften.
27
Mitglieder der Königsfamilie von Petsi, welche in der Landschaft
Muts Lehnsgüter erhielten. Später folgten noch wiederholt grosse
Züge von Einwanderern. — Seitdem übte Japan keinen Einfluss mehr
auf die koreanischen Angelegenheiten. Man errichtete Grenzwachen
auf den Inseln Iki und Tsüs-sima und an der Nordostküste von
Kiusiu und legte starke Besatzungen dahin. Die guten Beziehungen
zum chinesischen Hofe wurden bald wieder hergestellt, und auch
mit Korea, das jetzt unter dem Supremate Sinra's stand, trat man
wieder in freundliche Verkehrsverhaltnisse, welche bis 922 dauerten.
Tentsi, sagen die Ännalen, war ein Freimd der Wissen-
schaften ; unter ihm wurde die Landesverwaltimg und die Gerechtig-
keitspflege zuerst auf festen und haltbaren Grundlagen geordnet.
Noch heute ehrt man ihn als einen der grössten Fürsten von Japan.
Mehr und mehr blühte das Reich unter den folgenden
Kaisem auf. Gegen Ende des siebenten Jahrhunderts scheint die
japanische Cultur über die drei grossen Inseln verbreitet gewesen
zu sein, mit Ausnahme der nördUchsten Theile von Nippon, wo
noch immer wilde Stämme hausten. In diese Zeit fällt die erste
Entdeckung der einheimischen Gold-, Silber- und Kupferminen.
Mit dem Reichthum wuchs auch das Bedürfhiss verfeinerter
Bildung. Die Mikado's schickten glänzende Gesandtschaften nach
China; mit ihnen gingen Priester und gelehrte Edelleute hinüber,
die zur Erweiterung ihrer Kenntnisse oft viele Jahre dort zubrachten.
Dass aber schon damals die einheimische Bildung, wenn auch auf
die chinesische gepfropft, einen hohen Grad der eigenthümlichen
Entwickelung erreicht hatte, beweist der Umstand, dass die chine-
sische Schrift dem japanischen Bedürfnisse nicht mehr genügte.
Man stellte Silbenalphabete auf, um den Klang der japanischen
Sprache ausdrücken zu können und zwar zunächst, wahrscheinlich
noch im achten Jahrhundert, die Firakana-, etwas später die
Katakaiya - Schrift ' ' ).
^ Beide Schriftarten erfiillen den genannten Zweck nur unvollständig; die Gel-
tung der Silben modificirt sich nach ilu*er Verbindung imd man muss den Klang eines
japanischen Wortes kennen, um ihn aus dem schriftlichen Ausdruck herauszulesen.
Eine fremde Sprache in Katakana oder Firakana zu schreiben , wäre geradezu
unmöglich. — Nach Professor HofTnianu (japanische Grammatik), wiu'de es zur Zeit
der Ausbreitung des Buddismus in Japan Sitte, chiuesiscli sprechen zu lernen.
Die Aussprache entartete aber bei der Stanimverschiedeuheit der beiden Idiome im
Munde der Japaner dermaassen , dass ein ganz neuer Dialekt dai'aus wiu'de. Wie die
28
Gründung von Miako.
794 n. Chr. Üntcr dem Jahre 794 unserer Zeitrechnung erwähnen die
Äunalen der Gründung des Palastes von Miako: bis datün hatten
die Erbkaiser in verschiedenen Gegenden von Yamatto und den
angrenzenden Landschaften Hof gehalten. Der fünfzigste Mikado
KüAN-Mu baute in der Landschaft Yamasiro, nördlich von Yamatto,
ein prachtiges Schloss, zu dessen Ausschmückung alle Theile des
Landes beisteuern mussten: dort haben seitdem die Erbkaiser
residirt. Miako") liegt in der Ebene, umgeben von waldigen
Höhen, nicht weit von dem See Oomi, der im Jahre 286 v. Chr.
durch plötzliches Versinken einer grossen Strecke Landes entstanden
sein soll. — Die Stadt wuchs rasch zu ansehnlicher Grösse heran,
der Hof und die Grossen verbreiteten dort Reichthum und Bildung.
Auf den benachbarten Bergrücken Uessen sich die Priester und
Mönche verschiedener Secten nieder, prächtige Tempelanlagen
heutigen Cantonesen das Englische, so passten die alten Japaner das Chinesisclie
iiireni Sprachorgane an, wodurch sich der Klang der Worte bis zur Unkenntliclikeit
veränderte. Für den mündlichen Verkehr mit den Chinesen musste deshalb schon
7'25 eine Dolmetscherschule errichtet werden. — Die frühesten Werke japanischer
Oeschichtsschreibung und Poesie wurden in chinesischer Schrift aufgezeichnet, und
zwar zum Theil in der stehenden — der KiaT — zum Theil in der Cursiv- oder
Gra.sschri(l. Aus der letzteren bildete man das Firak an a - Alphabet , aus der erstercn
später das Katakana. Das Fibakana, in welchem die Silben in einander gezogen
und verbunden werden können, ist das gebräuchlichste , aber nicht, wie oft behauptet
wird, ausschliessliches Eigenthum der Frauen. — Wissenschaftliche Werke werden
noch heute mit chinesischen Zeichen geschrieben und gedruckt; häufig aber steht
neben diesen, wo der chinesische Ausdruck dessen bedarf, eine Erklärung in
Katakana oder Firakaxa, und zwar läuft neben der chinesischen Cursiv-, der
TsAU- Schrift, das Firakana, neben der stehenden, der KiaT -Schrift, das Katakana
her. Auch in solche Bücher , deren Text in den japanischen Silbenschriften gedruckt
ist, findet man viele chinesische Zeichen eingestreut, ohne deren Kenntuiss jedes
Vcrstäfidniss unmöglich ist. S. das Nähere bei HofTmann a. a. O.
Der Volksglauben bezeichnet den gelehrten Kibi, einen vornehmen Japaner , der
sich zu wissenschaftlichen Zwecken eine Reihe von Jahi'en in China aufliielt und
nachher in seinem Vaterlande zu den höchsten Ehrenstellen emporstieg, als Erfinder
des Katakana, und den Priester Koro, einen der berühmtesten Heiligen von
Japan — der in China Sanscrit lernte und in dieser Schrift japanisch zu Schreiben
versuchte — als Erfinder des Firakana. Die grosse japanische Encyclopädie will
diesen Beiden den Ruhm der ihnen zugeschriebenen Erfindungen nicht lassen. —
Kibi starb 757, Kobo 835. —
^) Miako soll Palast bedeuten und nur von den Fremden als Benennung der
erbkaiscrlielicn Residenzstadt gebraucht werden: der einheimische Ortsname wäre
KlOTO.
Fortschritte des Buddisniiis. Politik der Fudsiwara. ^«/
bedeckten die waldigen Hänge. Die buddistischen Secten hatten sich
im achten Jahrhundert immer mehr in Japan ausgebreitet; dem
gebildeteren Volke musste ihre zum Denken imd zur Betrachtung
anregende Lehre mehr zusagen als die alte Naturreligion. Durch die
häufigen Berührungen mit China kamen vielerlei Observanzen herüber
und auch in Japan entstanden neue Secten. Die einheimischen
Theologen scheinen das Material in eigenthündicher Weise ver-
arbeitet und mit der alten volksthümlichen Lehre verschmolzen zu
haben: bald liessen sie die alten Kami's unter der Hülle indischer
Gottheiten erscheinen, bald diese in den Personen japanischer
Herrscher und Helden wiedergeboren werden. So wurde die alte
Landesreligion nicht verdrängt, aber vielfach modificirt, und übte
auch ihrerseits starken Einfluss auf den buddistischen Cultus. Wenige
Secten scheinen die eine oder die andere Lehre in ihrer vollen
Reinheit bewahrt zu haben, aber der Buddismus gewann ein grosses
Uebergewicht Selbst die Erbkaiser, wiewohl doch eigentlich eine
Incamation der alten Nationalgottheit, bekannten sich zu dem
indischen Cultus; von Küan-mu, dem fünfzigsten Mikado, wird
ausdrückhch erzählt, dass er sich buddistisch taufen liess^^).
Das Ansehn der Erbkaiser scheint in dieser Periode und noch
bis in den Anfang des neunten Jahrhunderts im Steigen gewesen
zu sein. Zwar bekleideten schon damals die Fudsiwara fortwäh-
rend die höchsten Hof- und Staatsämter, doch war ihr Einfluss
nicht unbedSigt; sie hatten lange Zeit die Eifersucht anderer Günst-
linge zu bekämpfen, mussten oft weichen, und überwanden ihre
Nebenbuhler erst zu Ende des achten Jahrhunderts, das besonders
reich war an weiblichen Mikado's. Die Politik dieser Familie bestand
darin, ihre Töchter den Kaisem zu vermalen und ilmen oder
ihren unfähigsten Söhnen die Succession zu verschaffen. Im Anfange
des neunten Jahrhunderts befestigte sich die Macht der Fudsiwara
immer mehr: unter ihrer Einwirkung abdiciren der einundfunfzigste,
^) Klaproth beschreibt in einer Anmerkung zu den Kaiserannalen die »buddi-
stische Taufe « folgendermaassen : La ceremonie du bapteme bouddique (Kuan - tsioo)
se fait dans un endroit obscur oü ne peuvent penetrer les regards de personne.
Le grand-pretre qui tient en main un vase de cuivre repand un peu d'eau sur la
tete du neoph3rte en pronon^nt quelques paroles. On appelle l'eau du bapteme
Kan-ro, la rosee douce. En le versant sur la tßte du neophjrte le pretre prie
les dieux de lui remettre les Sango, c'est-ä-dire ses peches avant, pendant et apres
cette vie, et de Paider ä purifier son cctwr et a parvenir k la perfection.
oU Steigende Macht der Ruanbak's. Beziehungen zum Auslande.
zweiandfunfzigste, dreiundfunfzigste Mikado in der Kraft ihrer Jahre
und ziehen sich in das Privatleben zurück. Füdsiwara- wo - Yosi - füsa
wird Regent bei der Thronbesteigung des sechsundfunfzigsten Mikado,
der sein Tochtersohn und nur neunjährig war. Auch dieser dankt
in seinem sechsundzwanzigsten Jahre zu Gunsten seines achtjährigen
Sohnes ab, welcher heranwachsend Begabung und Thatkrafb zeigt,
aber von Moto-tsune, dem Sohne und Nachfolger des Yosi-füsa,
entthront wird. Moto-tsune nahm zuerst den Titel Kuasbak an
und setzte einen Grreis auf den Thron; in ähnlicher Weise schalten
seine Nachfolger durch melirere Generationen. Die Kuanbak -Würde
vererbt vom Vater auf den Sohn, das Haupt der Fudsiwara steht in
Wirküchkeit an der Spitze des Staates. Nur Greise und Unmündige
werden auf dem Throne geduldet; die höchste Würde bleibt den
MiKADo's, aber alle unter ihnen, die Fähigkeit und Thatkraft zeigen,
müssen abdanken und sich in das Privatleben zurückziehen. Die
£x-MiKADo's bewohnen prächtige Paläste in und um Miako, wett-
eifern mit den Grossen in glänzenden Festlichkeiten und vergeuden
ihre Kraft in Mummereien und anderen rauschenden Vergnügungen.
Miako wird ein Sitz des Reichthums und verfeinerter Sitten: die
vornehme Jugend übt die Jagd und ritterliche Spiele, Musik und
Poesie, sie wirbt um zarte Frauenminne und Waffenruhm, und
sucht Abentheuer gleich den Kämpen des Westens. So erscheint
in Japan das neimte und zehnte Jahrhimdert als ein Zeitalter ritter-
licher Romantik***).
Die Berührungen mit dem Auslande wurden seit dem Anfange
des neunten Jahrhunderts seltener: nur in langen Zwischenräumen
gingen einzelne Priester und Gelehrte nach China, von Gesandt-
schaften dahin berichten die Annalen in diesem Zeiträume gar nicht.
Die japanische Gesittung stand jetzt auf eigenen Füssen und
entwickelte sich selbstständig zu immer höherer Blüthe. Die Be-
<J85 n. Chr. ziehungcu zu Korea bUeben die alten bis um das Jahr 935, in
^) Selbst die Annalen , welche doch nur Auszüge der grosseren Geschichtswerke
sind, enthalten eine Menge Erzäiilungen von den galanten Abentheiiem der Ex-Mikado's,
der Kuanbak's und anderer Vornehmen , welche schönen Prinzessinnen Serenaden brin-
gen, und vor den Fenstern der Geliebten mit ihren Nebenbuhlern die Klingen
kreuzen, — und romantische Geschichten von Eifersucht und Gi'ossmuth, von treuer
Freundschafl und Selbstverleugnung. Sie erzählen viel von den Wettkämpfen der
Poesie und Musik in schönen Gärten, unter blühenden Bäiunen, am Ufer rieselnder
Bäche oder stiller Seen.
Rebellische Priester. Entstehung des Lehnsadels. ol
welchem ein Fürst von Kaoli das alternde ^Königshaus von Sinra
stürzte. Von da bis zum Jahre 1392 hatte Japan gar keinen Verkehr
mit Korea. Gegen das Ende des neunten und zu Anfang des
zehnten Jahrhunderts verwüsteten Corsaren von Sinra vielfach die
japanischen Küsten und bemächtigten sich auf kurze Zeit der silber-
reichen Insel Tsus-siMA.
Die Ruhe im Inneren des Reiches wurde in dieser Blüthe-
periode nur durch die hochmüthigen rankesüchtigen Priester und
Mönche der Umgegend von Miako zuweilen gestört. In hunderten
reichdotirter Klöster angesiedelt befehdeten sie einander mit Feuer
und Schwert, und zogen oft, mit den zur Schlichtung ihrer Kämpfe
getroffenen Entscheidungen unzufrieden, in hellen Haufen nach der
Hauptstadt, legten Feuer an die Paläste der Kuanbak*s und selbst
an die Wohnung der geheiligten Erbkaiser, und mussten mit Waffen-
gewalt vertrieben werden. Die Annalen erzählen viel von der
Unbeugsamkeit und Zügellosigkeit dieser Priester; ihr Reichthiun imd
Einfluss wuchs noch bedeutend in den folgenden Jahrhunderten.
Sie wohnten in zahlreichen Corporationen zusammen, die sich
später, zur Zeit der inneren Kriege, vielfach an den Kämpfen be-
theiligten und eine poUtische Macht wurden, welche die Partheien
nicht verachten durften.
Um die Mitte des zehnten Jahrhunderts begegnen wir einer
Rebellion, angestiftet von einem Abkömmling des Kaisers Kuan-hu,
der sich im Osten von Nippon zum Mikado ausrufen liess und eine
zahlreiche Parthei zu gewinnen wusste. Erst nach mehreren Feld-
zügen bewältigten ihn die Heere der Kuanbak's. Dies war die
Blüthezeit ihrer Herrschaft, welche in den Annalen bis zu Ende
des zehnten Jahrhunderts als gerecht und weise gepriesen wird.
Den Erbkaisem gegenüber behaupteten sie ihr Ansehen auch
noch durch die beiden ersten Drittheile des elften Jahrhunderts:
von dem neunundsechszigsten Mikado wird ausdrücklich gesagt,
dass er, obgleich sehr fähig und unterrichtet, sich doch in allen
Regierungsangelegenheiten in den Willen der Kuanbak's habe fügen
müssen; aber ihre Autorität im Lande sank immer mehr. Das
Geschlecht war entkräftet und den inneren Zuständen, die sich im
Laufe der Zeit herangebildet hatten, nicht mehr gewachsen. Die
einzelnen Landschaften wurden ursprünglich von Statthaltern des
Mikado regiert, welche allmälich das Amt in ihren Familien erblich
gemacht zu haben scheinen. Die Souverainetätsrechte, die sie
ö2 Verfall der KuANBAK-HerrschaA. Regierung der Ex-Mikauo's.
ursprünglich im Namen der Erbkaiser übten, gingen durch den
Brauch und die Gewohnheit langer Zeiträume allmälich auf sie
selbst über. So entstanden die Erblehen. Einige dieser Fürsten
wuchsen den schwachen Kuanbak's über den Kopf und schüttelten
deren Herrschaft ab: schon im Anfange des elften Jahrhimderts
bekriegten mehrere selbststandig gewordene Daimio's einander unge-
straft, und um 1050 brach in den nördüchen Landschaften von
NippoN eine RebelUon gegen die Centralregierung aus, welche erst
nach langen heftigen Kämpfen unterdrückt wurde. Der siegende
Held dieses Krieges war Minamoto-no-Yori-yosi'*), der nach
seinem Tode als Kriegsgott Fatsman-yu verehrt wurde, der Stamm-
vater der späteren Siogün - Dynastieen.
Dem einundsiebzigsten Mikado Go - Sansio ") gelang es um das
1070. Jahr 1070, dem schwachen Kuanbak das Ruder der Herrschaft zu ent-
winden ; er wurde auch für kurze Zeit Herr der rebellischen Grossen.
Seine Nachfolger fuhren zwar fort den Häuptern der Fudsiwara
den hergebrachten Kuanbak -Titel zu verleihen, doch scheint dieses
Amt seitdem eine Art Hausministerium geworden zu sein; die frühere
IM acht erlangten sie trotz mancherlei Versuchen niemals wieder.
Die nächsten achtzig Jahre bieten nun die merkwürdige
(Erscheinung, dass die Erbkaiser, sobald sie einen lebensfähigen
Erben haben, dem Throne freiwillig entsagen, aber die Leitimg
des Staates in der Hand behalten. Das Ceremoniel, mit welchem
die Kuanbak's die geheiligte Person des Mikado umgeben hatten,
und dessen man sich jetzt nicht mehr entledigen konnte, scheint
jede freie Bewegung gehemmt imd ein kräftiges Eingreifen in die
Geschäfte unmögUch gemacht zu haben. Go-Sansio abdicirt schon
nach dreijähriger Regierung zu Gunsten seines Sohnes Dsibo-kawa,
der, von seinem Vater in die Geschäfte eingeweiht, im Jahre 1086
ebenfalls abdankt, um die Leitung des Staates nach dessen Tode
zu übernehmen. Er regiert das Land unter den beiden folgenden
Kaisern, seinem Sohne und Enkel. Der Letztere, Toba, resignirt
'*) Auch diese Familie leitet sich von dem Geschlechte der Erbkaiser her: der
zweiiindfunfzigste Mikado Saoa-no-ten-o (810 — 823) verlieh seinen vier Töchtern
den Namen Mikamoto ; von einer derselben soll das Geschlecht des Yori-yosi
abstammen.
*'^) Sansio der Zweite.
Herrschaft der Ex-Mikado's. o6
schon im zweiundzwanzigsten Jahre zu Gunsten seines Sohnes
SiuTOK und ergreift bei Dsiro-kawa's Tode die Zügel der Herrschaft.
Auf sein Geheiss muss später Siutok die Krone einem jüngeren
Halbbruder abtreten, nach dessen Tode Toba abermals einen seiner
unmündigen Söhne auf den Thron setzt. Dsiro-kawa stirbt, und
Siutok sucht sich (1156), zu schwach für die Herrschaft, wenigstens iise.
des Thrones wieder zu bemächtigen, um seinen eigenen Söhnen
die Nachfolge zu sichern. Der Hof ist in zwei Partheien gespalten:
Siutok unterhegt nach blutigem Kampfe, wird zum Priester ge-
schoren und in die Verbannung geschickt.
AUe diese Herrscher waren ihrer Stellung nicht gewachsen.
Unter der kraftlosen Verwaltung der letzten Kuanbak's hatten die
Lehnsfursten ihre Häupter erhoben und boten der kaiserhchen Re-
gierung Trotz, und wenn auch Go-Sajntsio auf kurze Zeit der auf-
rührerischen Grossen wieder Meister wurde, so konnten doch weder
er noch seine Nachfolger ihr Ansehn auf die Länge behaupten.
Der Zwist in der Familie der Mikabo's gab ihrer Macht den Todes-
sioss. Seitdem Siutok seinen Bruder zu entthronen suchte , war das
Kaiserhaus immer in verschiedene Factionen zerspalten und wandte
vergebens alle Mittel der Gewalt und Intrigue auf, um die Herrschaft
wieder an sich zu reissen; sie wurden seitdem ein Spielball der
Grossen, welche sich ihres Ansehns nur zu Erreichung der eigenen
selbstsüchtigen Zwecke bedienten.
Schon unter der Herrschaft des Dsiro - kawa waren wieder Un-
ruhen in den nördUchen Landschaften von Nifpon ausgebrochen, zu
deren Unterdrückung zwei blutige Kriege gefahrt werden mussten. Der
kaiserUche Feldherr Minamoto - no - Yosi - ye , ein Sohn des Yori - yosi,
benutzte sein in diesem Kriege gewonnenes Ansehn, um sich von den
Bewohnern des Kuanto ' ') huldigen zu lassen. Dsiro - kawa sandte den
^ Unter dem Namen Kuanto verstand man den ganzen östlichen Theil von
NiPPON , jenseit der Grenzwachen von Suzunoa in der Landschaft Isye ; das westlich
von diesem Passe gelegene Land hiess KuanseT; im engeren Sinne scheint der Land-
strich zwischen jenen Grenzgebirgen von Isye und dem Golfe von Ykddo — also die
Provinzen Yktsinoo, Fida, Kootske, Sinano, Sangami, Idsü, Tootomi, Subunoa
und MiKAWA — den Namen Kuanto geführt zu haben; — so ist dieser Complex von
Landschaften wenigstens auf einer alten franzosischen Karte von Japan bezeichnet,
welche sich wahrscheinlich auf einheimische Karten des siebzehnten Jahrhunderts
und die Angaben der Jesuiten gründet. — Jetzt heisst Kuanto nach einer Notiz
des Herrn von Siebold nm* das östlich von den Grenzwachen von Fakone (Provinz
Sanoahi) gelegene Land , also die um den Golf von Yeooo liegenden Provinzen.
I. . 3
«>4 Die MiNAHOTo und die TaTra.
Fürsten Taira-no-Masa-mori gegen die Minamoto: dies war die erste
feindliche Begegnung der Familien Minamoto und Taira (Gensi und
Feike) deren erbitterte Kriege bald darauf eine Umgestaltung aller
Verhältnisse herbeifuhren sollten. Zwei Heerführer aus diesen Ge-
schlechtern, Minamoto -NO -Yosi-TOMO Fürst von Simotske und
Taira - no - Kito - mori gewannen dem Mikado Go - Dsmo - kawa den
Sieg über seinen Halbbruder Siutok und wurden die einflussreichsten
Männer im Staat. Hire imd ihrer Nachkommen Kämpfe um die Herr-
schaft bilden die Geschichte der nächsten fonfundzwanzig Jahre.
Auf das Zeitalter der Romantik , in welchem sich die japanische
Gesittung, die Begriffe von Liebe, Ehre, Freundschaft und Loyalität
in sehr eigenthümlicher Weise entwickelten, folgen zunächst blutige
Fehden, welche das ganze Land erschüttern und die Nation zum
vollen Bewusstsein ihrer Kraft bringen. Dann kommen die Jahre
der männlichen Reife, in welchen unter einem gemässigten und kräf-
tigen Regiment — denn so kann man die Herrschaft der Siogun's
und der Sitsken von Kamakura und die der Siogun's von Miako
während des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts wohl nennen
— der Wohlstand und die Cultur des Landes wuchsen, Handel und
Gewerbe blühten , und das bürgerliche Leben einen hohen Grad der
Ausbildung erreichte. Unter den herrschenden Classen zeigen sich
namentlich im Anfang dieser Periode die Extreme von Tugend und
Laster, zu denen gesteigerte Hingebung und Selbstsucht, Loyalität
und Ehrgeiz zu fuhren pflegen. Das Ansehn der Mikado's sinkt
immer tiefer; um die verlorene Macht wieder zu erlangen verbünden
sie sich bald dieser, bald jener Parthei unter den Grossen und müssen
deren ehrgeizigen Zwecken dienen, denn ihre Autorität ist Jedem
nothwendig, der sich die Herrschaft über das Reich gewinnen will.
Go-DsiRO-KAWA , der gegen Siutok siegreiche Mikado , abdicirte
nach dem Beispiel seiner Vorgänger schon nach zw^eijähriger Re-
1158. gierung (1158) um die Leitung des Staates zu übernehmen; bald
darauf kam die Feindschaft z^^äschen den Minamoto und Taira zum
Ausbruch. Jene unterliegen: von den Söhnen des Yosi-tomo ent-
geht nur der jüngste Yori - tomo dem Tode. Ta'ira - no - Kiyo - mori
wird allmächtig: der ränkesüchtige Go-Dsiro-kawa bedient sich seiner
zunächst, um den eigenen Enkel zu entthronen und seinen Solm
Taka-kura zum Mikado zu erheben, conspirirt dann aber mit einigen
Krieg der Gensi und FeTke. ö5
Grossen zum Sturze des übermächtigen Ministers. Kiyo - mori entdeckt
die Verschwörung, lässt die Rädelsführer hinrichten und sperrt den
Go-DsiBO-KAWA ein. Auch der regierende Kaiser muss nun zu
Gunsten seines dreijährigen Sohnes Antok, welchen ihm eine Tochter
des KiTo-MORi geboren hatte, abdanken. Eine neue Erhebung von
Seiten der Minamoto und eines kaiserlichen Prinzen scheitert, mehrere
angesehene Fürsten müssen in die Verbannung. Dem gefangenen
Go-DsiRO-KAWA aber gelingt es, durch einen Priester den geschrie-
benen Befehl, ihn zu befreien, an den unterdess herangewachsenen
Minamoto - NO - YoRi - TOMO gelangen zu lassen, der im Osten von
NippON verborgen lebte. Dieser bedient sich des kaiserUchen Schrei-
bens um Truppen zu sammeln, bemächtigt sich zunächst des Kuanto
und bedroht MiAKO. Taira-no-Mune-mori, der Sohn und Erbe des
Kiyo -MORI, entfuhrt fliehend den gefangenen Go-Dsiro-kawa und
den regierenden Kaiser Antok, Yori-tomo aber lässt den Go-Toba,
einen Sohn des Taka-kura , als Mikado proclamiren. Go-Dsiro-kawa
entkommt nach Miako und spricht öffentlich allen Besitz der Taira
den Minamoto zu. Das ganze Land nimmt Parthei für die Gensi
oder die Feike, und es entspinnt sich ein blutiger Vertilgungskrieg
zwischen den beiden Geschlechtern, der nach vielen Wechselfallen
mit der gänzlichen Ausrottung der Feike (Taira) endigt: die letzten
ertränken sich fliehend mit dem achtjährigen Mikado Antok bei
SiMONOSEKI (1185)"). 1185.
Damit war die Herrschaft der Minamoto gesichert. Yori - tomo
hatte zunächst noch die Prätensionen einiger Stammgenossen'*) zu
bekämpfen, die, von dem unruhigen Go-Dsiro-kawa au%e wiegelt,
**) Der berühmte Krieg der Gensi und Feike ist in ausfuhrlichen Werken be-
schrieben, die voll von blutigen Schrecknissen und romantischen Abentheuem sein
sollen. Er bildet einen Hauptabschnitt der japanischen Geschichte und steht gewisser-
maassen auf der Grenze der alten und der mittelen Periode.
^) Der bedeutendste war Yosi-tsune, ein Bruder des Yori-tomo, der, nach
dem Wa-kak-nen-k£i, sich nach dem Verluste der entscheidenden Schlacht entleibte.
Herr von Siebold sagt, dass nach der Ansicht japanischer Historiker diese Angabe
verbreitet worden sei, um Yori-tomo zu beruhigen, dass Yosi-tsüne nach Yeso
entflohen, von da nach Tattau übergesetzt und dort Stammvater der Yuen - Dynastie
geworden sei. Siebold stellt die Vermuthung auf, dass Yosi-tsune und Dsengis-
Khan eine Person seien. Dsengis - Khan erhob die weisse Fahne — das Feldzeichen
der Minamoto war weiss; der Titel Khan wäre vielleicht identisch mit dem japa-
nischen Kami. Die tartarischen Hofsitten sollen den japanischen ähnlich sein. S. Siebold
NiPPON Bd. I. Anm. 148.
3*
OO YoBI - TOMO.
an der Spitze siegreicher Heere die oberste Gewalt für sich selbst
in Anspruch nahmen. Er bezwang sie in wenigen Jahren, erhielt
1192 den Titel Dsei-i-dai-Siogun") und herrschte von da an mit
fast unumschränkter Macht Die Mikado's hatten allen poUtischen
Einfluss verloren und regierten jetzt, wie die Annalen ausdrucklich
sagen, nur noch ihren Hof. Yori-tomo wählte Kahakxtra, den Sitz
seines berühmten Ahnherrn Yori-tosi, zur bleibenden Residenz und
kam nur selten nach Miako, wo in der Zwingburg Rokfara seine
Statthalter herrschten. Ihr Amt bestand in Beaufsichtigung des
Mikado -Hofes und wurde eines der wichtigsten im Lande. Die Erb-
kaiser bUeben nach wie vor der Ausfluss aller Ehren: alle TiteU
Würden und Rangerhöhungen gingen von ihnen aus, aber sie standen
unter der Bevormundung der Siooun's, die schon damals alle Staats-
einkünfte an sich gerissen und die Kosten der kaiserlichen Hofhaltung
bestritten zu haben scheinen.
Nur durch drei Generationen blieb die Macht in den Händen
derMiNAMOTO. Schon die beiden ersten Nachfolger des Yori-tomo
waren ränkesüchtige Tyrannen, welche nur durch die Klugheit imd
Herrscherbegabung von dessen Wittwe"') gehalten wurden. Nach
ihrem Tode riss Yori-tomo's erster Minister Fosio-no-Yosi-toki die
Gewalt an sich und machte sie erblich in seinem Hause, das von
da an einhundertfimfzehn Jahre lang d. h. bis 1334 das japanische
Reich beherrschte. Die Siooun's behielten ihre Würden und Titel:
sie wurden von den Fosio , welche nur als ihre ersten Minister und
Stellvertreter, als Sitsken regierten, aus der Nachkommenschaft des
Yori-tomo, später sogar aus Nebenlinien der Minahoto und dem
erbkaiserlichen Hause nach Belieben erwählt und verabschiedet. Die
Sitsken umgaben sie mit einem glänzenden Hofstaate und hielten
sie in einer ähnlichen Gefangenschaft wie die Erbkaiser. So haben
wir die merkwürdige Erscheinung, dass die höchste Würde bei dem
"^ Dieser Titel soll bedeuten : Grosser Feldherr gegen die Barbaren. Er ist viel
älteren Datums i^nd wurde auch schon früher einigen Fürsten aus dem Geschlechte
der MiNAHOTO ertheilt. Dass von nun an mit diesem Titel die höchste Macht
verbunden war, ist etwas rein Zufälliges, denn an sich verleiht er keinen Anspnich
darauf.
^) Das Volk nannte sie die Aüa Siogun, d. h. die Nonne Siooun, da sie nach
dem Tode ihres Gemals das geistliche Kleid angelegt hatte. Sie war aus dem Ge-
schlechte der TaTra. — Die Herrschaft des Yori - tomo und seiner beiden Nachfolger
heisst bei den Japanern die Dynastie der drei Siooun's.
Die F0810. ^7
Mikado -Geschlecht, die Herrschaft nominell bei den Siogun's, den
MiNAsiOTO, die thatsächliche Macht aber bei deren Mimstem, den
Regenten aus dem Hause Fosio war.
Anfangs wollten sich die Erbkaiser nicht fugen, aber die
Regenten wurden ihrer bald Meister. Alle Mordanschläge und Ver-
schwörungen des Go-ToBA scheitern, der folgende Mikado abdicirt
zu Gunsten seines Sohnes, welchen die Statthalter von Miako ent-
thronen. Die Fosio setzen einen Enkel des Taka-kura ein und regeln
von da an die kaiserliche Erbfolge nach Willkühr. Sie beobachteten
die PoHtik, den Sohn niemals unmittelbar auf den Vater folgen zu
lassen, und wählten den Mikado abwechselnd aus verschiedenen
Linien des Kaiserhauses. Mehrere, die sich ungefügig zeigten, wurden
ohne weiteres beseitigt Die Herrschaft der Fosio war eine mihtä-
rische: sie unterhielten überall starke Garnisonen, die meist von
Männern aus ihrem Stamme'^) befehligt wurden, und behaupteten
die unumschränkteste Gewalt über das ganze Land auch dem Lehns-
adel gegenüber. Die Jahrbücher wissen nicht genug das streng
gesetzliche Regiment dieses Geschlechtes zu rühmen; gegen die
Grossen mussten sie oft die starke Hand brauchen und es fehlte
nicht an Complotten und Kabalen an ihrem eigenen Hofe"), aber sie
schützten das Volk und verbannten alle Willkülir. Das ganze Land
genoss des tiefsten Friedens und einer geregelten Verwaltung. — Das
Regentenamt vererbte sich im Mannesstamme in ununterbrochener
Linie vom Vater auf den Sohn oder Enkel. Ihre Verwaltung hatte
das eigenthümUche, dass der regierende Sitsken einen Mitregenten
aus der Verwandtschaft berief, dessen Würde der seinen gleich
gestellt war: dadurch konnten sie der gefahrlichen Minister aus
anderen Familien entbehren und verbanden sich ihre Stammgenossen
um so fester.
Li das Ende des dreizehnten Jahrhunderts fallen die Expedi-
tionen, welche der Mongolenfiirst Kublai-Khan gegen Japan sandte.
Er schickte nach der Unterwerfung von Korea zuerst 1267 und
^ Man begegnet in der Geschichte dieser Zeit so vielen Fosio, dass der Ge-
danke nahe liegt, die Regenten hätten viele ihrer Anhänger durch Adoption in ihre
Familie aufgenommen.
^*) Die Annalen erzählen unter andern von einem gefallenen Günstling, der
sich 1247 mit 270 seiner Anhänger das Leben nahm. Das Harakiru, die Selbst-
entleibung diu'ch Aufschlitzen des Bauches, scheint in dieser Zeit besonders beliebt
gewesen zu sein.
"O Angi'iffe der Mongolen.
nachher wiederholt Botschafter nach Kamaküra , welche Unterwerfung
und Tribut forderten*"*). Die Regenten würdigten ihn keiner Ant-
wort. Kublai-Khan rüstete eine Flotte von neunhundert Schiffen,
die 1274 gegen Japan segelte, aber bei der Insel Iki geschlagen und
durch Stürme zerstreut wurde. Abermals erschienen in den Jahren
1276 und 1279 mongolische Gesandte in Kamaküra: die Regenten
Hessen sie hinrichten. Kublai-Khan machte nun gewaltige An-
1281. stalten: im Sommer 1281 liefen die mongolisch -chinesischen und die
koreanischen Flotten von vielen verschiedenen Häfen aus, das
Heer soll über 200,000 Mann gezählt haben. Sie wurden an der
japanischen Küste zu Wasser und zu Lande angegriffen und über-
wunden, heftige Stürme kamen nochmals den Japanern zu Hülfe.
Den grössten Theil der Seemacht verschlang das Meer; 30,000 Sol-
daten, die bei Fakata**) die Küste gewannen, wurden von den
Japanern niedergemetzelt bis auf drei, welche die Schreckenspost
^) Das Schreiben des Mongolenfursten, welches auch die chinesischen Annalen
berichten, lautet in Professor Hoffmann's Uebersetzung so:
Ich bin der Fürst eines vordem kleinen Staates, an den die angrenzenden
Länder sich anschlössen; aber ich bestrebe mich, dass unverbrüchliche Treue und
Freundschaft unter uns herrscht. Was noch mehr ist, meine Ahnen haben krafl
des vom Himmel empfangenen glänzenden Befehls vom Gebiete Hia auf einmal Besitz
genommen. Die Zahl der entlegenen Länder und fernen Städte, welche unsere
Macht furchten , unsere Tugend lieben , ist nicht zu berechnen. — Als ich den Thron
bestieg, litt das harmlose Volk von Raoli unter den Drangsalen des Krieges. So-
gleich Hess ich die Feindseligkeiten einstellen und die Truppen über die Grenzen
zu den Lagerplätzen ihrer Fahnen zurückkehren. Um mir Dank zu sagen, erschienen
Fürst und Unterthanen von Kaoli an meinem Hofe, und freundlich, wie ein Vater
seine Rinder, habe ich sie behandelt. Auch euere Diener sollen, wie ich beschlos-
sen, solches erfahren. Kaoli ist meine Grenze im Osten; Nippon liegt nahe und
hat von Anbeginn mit dem Reiche der Mitte verkehrt. Nur seit meiner Regienmg
ist kein Abgeordneter von da erschienen, um mit mir in freundschaftlichem Einver-
ständniss zu verkehren. Doch man wird in euerem Lande, wie ich besorge, den
Zustand der Dinge nicht genugsam erkennen. Ich sende also Abgeordnete mit
einem Schreiben, das meine Absicht kund thue, und hoffe, dass wir uns verstän-
digen und ein Bündniss knüpfen, das auf gegenseitige Fremidschafl gegründet
ist. Schon der Weise will, dass die Welt nur Eine Familie ausmache. Wie kann
aber das Princip Einer Familie verwirklicht werden, wenn man nicht auf freund-
schaftlichem Fusse mit einander verkehrt. Ich bin entschlossen diesen Grundsatz
in's Leben zu nifen, imd sollte ich im äussersten Falle zu den Waffen greifen
müssen. Jetzt ist es die Sache des Königs von Nippon, zu entscheiden, was ihm
genehm ist.
**) In der Landschaft Tsikudsen.
Sturz des Hauses Fosio. 00
nach der Heimath bringen mussten. Der Sieg der Japaner war
vollständig*"). —
Die Herrschaft der Fosio blühte bis in den Anfang des vier-
zehnten Jahrhunderts. Zuletzt machten übermüthige Beamte durch
willkührhche Verwaltung ihr Regiment beim Volke verhasst und dem
Regenten selbst fehlte es an Thatkraft. Der Mikado Go-Daioo
verbündet sich mit einigen Lehnsfürsten und sendet ein Heer gegen
Eamakura, welches der Feldherr des Regenten schlägt*'). Go -Daigo
wird entthront und nach der Insel Oki verbannt, entkommt aber von
dort, sammelt von neuem Truppen und zieht zunächst nach Miako.
Der neue Mikado flieht in das Schloss Rokfara zu den Statthaltern,
die sich gegen die feindliche Uebermacht nicht halten können imd
sammt allen iliren Anhängern entleiben. Kahakura fällt durch Ver-
rath, der Regent giebt sich mit den meisten seiner Stammgenossen
und Freunde den Tod. Alle Tempel und Paläste der eroberten Stadt
waren mit blutigen Leichen gefüllt, nur wenige der Besiegten baten
um Gnade. Die im Lande zerstreuten Mitglieder des gestürzten
Gesclilechtes wurden überall vom Volke niedergehauen, dem sie
durch die in den letzten Jahren geübte Willkühr verhasst geworden
waren; nur wenigen gelang es, sich zu verbergen. — So endete im
Jahre 1334 die Herrschaft des Hauses Fosio. 1334.
Go-Daioo bestieg nun von neuem den Thron und ernannte,
da er durchaus selbst regieren wollte, nicht einmal einen Kuanbak.
In der That aber lag die Macht in den Händen seiner siegreichen
Heerfahrer, unter denen Minamoto-no-Taka-udsi der bedeutendste
war. Als Oberfeldherr der Fosio trat er im entscheidenden Augen-
bhcke zur Parthei des Mikado über und gewann diesem den
Sieg. Go- Daigo sandte ihn jetzt nach dem Küanto, wo ein Sohn
des gestürzten Regenten mit starkem Anhange aufgestanden war.
^) Die japanischen Nachrichten über die mongolische Invasion sind etwas ver-
wirrt. Nach einigen Angaben waren es 100,000 Mann, die an der Küste niedergemacht
wurden. Dem uralten Gott der Winde erwies man für die geleisteten Dienste be-
sondere Ehren; sein Tempel zu Isye erhielt den Namen «Schloss der Winde«.
MaiTO Polo erzälilt von den Unternehmungen des Kublai-Khan gegen Japan,
schildert sie aber, auf mongolische Berichte fussend, etwas abweichend.
^) »Seit hundert Jahren«, sagen die Annalen, «war es unerhÖit, dass das
Ansehii der Fosio im Lande missachtet worden wäre.«
40 Taka-udsi. Theilung des Reiches.
Taka-udsi vergrösserte in dem langjährigen Eüege seine Macht
und sein Ansehn immer mehr und Uess sich endlich als Siooun
proclamiren. Der Mikado war ihm nicht gewachsen: Taka-udsi
schlug dessen Heere, setzte sich nach manchen Wechselfällen in
MiAKo fest imd erhob den Kuan-mio, einen Nachkommen des
zweiundneunzigsten Erbkaisers, auf den Thron. Der vertriebene
Kaiser Go-Daioo zieht sich mit starkem Anhange nach der Land-
schaft Yamatto zurück — das Reich ist getheilt in ein nördhches und
ein südliches. Die Grossen nehmen, häufig die Parthei wechselnd,
thätigen Äntheil an dem Kampfe der beiden Mikado -Häuser, der sich
durch mehrere Generationen fortsetzt. Miako sinkt, oft genommen
und wiedergenommen, schnell von seiner alten HerrUchkeit herab;
der sonst so üppige Hof der Mikado's wird zur Einöde, sie fuhren
ein unstätes Leben, alle Ceremonieen und Feierlichkeiten unterbleiben.
Taka-udsi imd seine Nachfolger befestigen, für den Mikado des
Nordens kämpfend, ihre Macht immer mehr und gründen eine neue
SioouN- Dynastie — werden aber erst nach vielen Wechselfallen
Meister der übermüthigen Grossen, die sich um den Mikado des
Südens**) schaaren. Dem Enkel des Taka-udsi gelingt es endhch,
einen ehrenvollen Frieden mit dem Mikado des südUchen Reiches
1892. zu schliessen: dieser zieht im Jahre 1392 mit grossem Pomp in
Miako ein und übei^ebt abdankend die von seinem Ahnherrn ent-
führten Reichsinsignien*^). So ging die Famihe MiNAMOTo nochmals
siegreich aus einer tiefgreifenden Umwälzung hervor. Der Krieg
berührte fast alle Theile des Landes und förderte die Selbstständig-
keit der Lehnsfürsten.
MiNAMOTo- NO -Taka-udsi*') und seine nächsten Nachfolger
waren tüchtige Regenten: so lange der Kxieg mit dem südlichen
^) Die sudliche Linie gilt in der japanischen Geschichte als die legitime.
*^) Die Attribute der Mikado -Würde sind die Geistertafel, der Spiegel, das
Schwert Die Kaiserannalen thiin ihrer um 507 n. Chr. die erste Erwähnung —
ihren Ursprung führte die Sage auf die Sonnengottheit Ten-zio-daT-sin zurück.
Sie sind vielleicht identisch mit den oben erwähnten Geschenken des koreanischen
Prinzen Amano Fiboko, der 27 n. Chr. in Japan einwanderte.
*•) In der Klaprothschen Ausgabe des Nippon - o - dai - itsi - ran heissen Taka - udsi
und alle seine Nachfolger Minahoto. In den von Professor Hoffinann übersetzten
Geschichtstabellen wird der Gründer dieser Dynastie zuerst Asi-kaoa Taka-udsi,
später dagegen auch Minamoto - no - Taka - udsi genannt In der von Herrn Leon de
Rosny aufgestellten Liste der Siogun's heissen Taka-udsi und seine nächsten sechs
Die Siooun's von Miako. Beziehungen zu China. 41
Reich sie in Athem erhielt, entwickelten sie Enei^e und Herrscher-
begabung. Nachdem der Frieden 1392 hergestellt, die beiden Reiche
wieder vereinigt waren, erhob sich Miako bald zu seiner früheren
Grösse. Die Höfe des Mikado und des Siogun wetteiferten an
Pracht und Herrlichkeit, der Gewerbfleiss erwachte von neuem,
Kunst und Poesie blühten wieder auf. Man feierte glanzende Feste
und genoss nach dem langen Elende in vollen Zügen der Wohl-
thaten des Friedens.
Yosi-MiTsi, der Enkel des Taka-udsi, übertrug bald nach
dem Friedensschluss die Siooun -Würde seinem Sohne und trat unter
dem Namen Mitsi-tosi in den geisthchen Stand, behielt aber die
oberste Leitung des Staates bis an sein Lebensende. Er stellte die
Beziehungen zu den chinesischen Herrschern wieder her, die um
1373 gegen Japan kreuzen liessen, — aus Besorgniss, die dortigen
Kriege möchten einen schädhchen Einfluss auf das Reich der Mitte
üben, — und um 1380 ihre Häfen den japanischen Schiffen schlössen.
Schon im Anfange seiner Regierung (1368) hatte Yosi-mitsi den
chinesischen Kaiser Tai - tsi , den ersten Herrscher der Mino - Dynastie^
durch eine Gesandtschaft beglückwünschen lassen; im Jahre 1397 1397.
wurden nun die Beziehungen erneuert. Die Jahrbücher schildern
mit Vorliebe den glanzenden Empfang der chinesischen Gesandt-
schaften im Palaste des Yosi-mitsi, der sich nach seinem Rücktritt
von der Siooun -Würde mit allem Prunk einer üppigen Hofhaltung
und mit prächtigen Kunst- und Büchersammlungen umgeben hatte.
Er und seine Nachfolger scheinen in den Beziehungen zu dem
mächtigen Nachbarhofe eine Be&iedigung ihrer Eitelkeit gefunden
zu haben; sie schickten an die chinesischen Kaiser eigenhändige
Schreiben mit Geschenken, die sehr nach Tribut aussehen^'), und
Nachfolger Minauoto — darauf aber folgen drei Regenten mit dem Familiennamen
Asi-KAOA, dann wieder drei Minamoto, von denen der letzte der Siooun Yosi - aki
ist. Nun ist in den Kaiserannalen nicht nur die Erbfolge in dieser Dynastie vom
Vater auf den Sohn von Taka-udsi bis Yosi-au herabgefilhrt, sondern es wird
ausdrücklich erwähnt, dass Yosi-aki der letzte Sprossling aus dem Mannesstamme
des Taka-udsi gewesen sei. Wie dieses Rathsel zu losen: ob Taka-udsi wirklich
ein Minamoto war, oder ob er sich dieses Namens auf irgend eine Weise bemäch-
tigte — ob die fiinf Siooun's von Yosi-masa bis Yosi-faru, die in den Kaiser-
annalen Minamoto heissen, aus einem anderen Hause waren — müssen die mit den
japanischen Ori^nalen vertrauten Gelehrten entscheiden.
*'^ Sie bestanden bei der einen Gesandtschaft in 1000 Unzen Gold und kost-
barem Hausgeräthe.
4J Verhältniss zu Korea. Waclisende Macht des Lehnsadels.
Hessen es sich gefallen, von ihnen als Könige von Japan angeredet
zu werden. Sie nahmen unter den Gegengeschenken auch chinesische
Kalender an und bekannten sich dadurch zu Vasallen des Reiches
der Mitte. Ein wirkliches Abhängigkeitsverhältniss scheint nicht
bestanden zu haben, die Anerkennung der chinesischen Oberherr-
schaft von Seiten der Siogün's — denn mit den Erbkaisem kamen
die Gesandtschaften niemals in Berührung*®) — war vielleicht nur
Courtoisie, vielleicht auch Staatsklugheit, den mächtigen Nach-
barn gegenüber. — Gegen 1403 beginnen die Klagen der Chinesen
über japanische Corsaren, und später nahm die Seeräuberei eine
grosse Ausdehnung an. Zu Anfang des sechszehnten Jahrhun-
derts, wo alle poUtischen und bürgerUchen Verhältnisse des Landes
in voller Auflösung waren, verwüsteten japanische Piraten fast
jährlich die Küsten des mittelen China, namentlich die Umgegend
von NiNGPO.
Mit Korea, wo im Jahre 1389 ein Usurpator die herrschende
Dynastie gestürzt und imter Anerkennung der chinesischen Mino
das neue Reich Tsaosien gegründet hatte, schloss Japan gleich
nach Herstellung des Friedens 1392 einen Vertrag, demzufolge bei
dem jedesmaligen Thronwechsel im Hause des Siogun eine Gesandt-
schaft nach MiAKO geschickt werden sollte. Dieser gesandtschaft-
liche Verkehr dauerte bis 1573.
Einige unbedeutende Rebellionen abgerechnet, herrschte unter
Yosi-MiTSi und seinem Sohne Yosi-motsi im Inneren von Jap^n
noch Ruhe: aber mit der Einigkeit des Regimentes und der festen
politischen Ordnung, die unter den Regenten von Kamakura das
Reich zusammengehalten, Sicherheit, Wohlstand und Gesittung ver-
breitet hatte, war es vorbei. Während des langen Krieges musste
die Centralregierung, für ihre Existenz kämpfend, unablässig xmi die
Gunst der Lehnsfürsten buhlen, w^elche das Waflfenhandwerk zu
ihrem Beruf gemacht und sich mit geübten Kriegerschaaren umgeben
hatten, die sie auch nach Herstellung des Friedens nicht entliessen.
Die Unterhaltung einer starken Heeresmacht bUeb seitdem Brauch
und Sitte bei den Grossen und ein Attribut ihrer Würde; ihre
Selbstständigkeit ruhte jetzt auf einer festen materiellen Grund-
lage. — Ln KuANTo, jenem östlichen Theile von Nippon, der,
^) Seit des Yori-toho Zeit wurde keine fremde Gesandtschaft melir von den
MiKADo*s empfangen. — Die Fosio übten während ihrer Herrschaft auch dieses Recht
mit Uebergehung der Siogün's.
Verfall der Siooun > Herrschaft in Miako. 4d
südlich und östlich vom Meere umflossen, gegen Westen und Miako
von hohen Gebirgen begrenzt, seit lange der Sitz der kriegerischen
MiNAMOTo war, finden wir schon seit 1350 wieder einen SiootJN
von Kamakura, dessen Haus durch vier Generationen herrschte und
zu den Sioouw's von Miako, den Nachkommen des Taka-udsi, nur
in einem losen Vasallenverhältniss gestanden zu haben scheint.
MiNAMOTO-No-MoTsi-usi, der vierte Siogxjn dieses Hauses, wollte
die OberherrUchkeit des Hofes von Miako ganz abschütteln , wurde
aber bezwungen und musste sich 1439 mit seinen Anhängern entleiben. 1439.
Aber so gross war die Anhänghchkeit an dieses Fürstenhaus, dass
vierzehn Jahre später, als ein überlebender Sohn des Motsi-usi in das
Mündigkeitsalter trat, die Bewohner des Küanto seine Ernennung
zum SiOGUN von Kamakura verlangten und man ilmen willfahren
musste, um die Ruhe im östlichen Nippon zu erhalten. — In einem
ähnUchen Vasallenverhältniss wie die Siogün s von Kamakura mögen
die übrigen Lehnsfürsten zur Regierung von Miako gestanden haben.
Die volle Herrschermacht übten die Siogun's um diese Zeit schon
wahrscheinlich nur über die Miako zunächst gelegenen Landschaften,
aus deren Ertrage seit uralter Zeit die Kosten der kaiserUchen
Hofhaltung bestritten wurden.
Das Ansehn der Erbkaiser sank immer mehr, aber auch die
Selbstständigkeit der Siogün's gerieth seit 1440 in schnellen Verfall.
Um nicht wie die Nachkommen des Yori-tomo die Opfer eines
mächtigen Ministergeschlechtes zu werden , hatten die Herrscher aus
dem Hause des Taka-udsi die Würde des Sitsken oder Kuanre'i
an drei Familien erbhch übertragen, aus denen sie abwechselnd
gewählt wurden. Diese, die vornehmsten Geschlechter des Landes,
stiegen rasch zu bedeutender Macht und suchten einander zu über-
flügeln. Im Jahre 1439 ermordete der Minister Akamats-Mitsu-suke
den SioGüN Yosi-nori, der sich durch Willkühr und Grausamkeit
verhasst gemacht hatte. Er wurde von seinen Nebenbuhlern besiegt
und entleibte sich mit seinem ganzen Anhange. Darauf begannen
zunächst die Fehden zwischen den beiden andern Ministerhäusem
Foso-KAWA und Fatake-yama, aus denen sich ein allgemeiner Krieg
der Grossen untereinander entwickelte. Die blutigen Fehden setzten
sich durch mehrere Generationen fort und dauerten mit kurzen
Unterbrechungen bis über die Mitte des sechszehnten Jalirhunderts
hinaus. Das Ansehn der Centralgewalt war gänzlich geschwunden, die
Grossen herrschten in ihren Districten mit schrankenloser Willkühr,
44 Kampf der Ministerhäuser. Verarmung des Mikado - Hauses.
das Land lag verwüstet und das Volk versank in das tiefste Elend;
die Sitten verwilderten, alle Sicherheit des Lebens und des Eigen-
thums hatte aufgehört.
Li dem Elampfe der beiden Ministerhauser sind zunächst die
Foso-KAWA siegreich, werden aber bald gestürzt und proclamiren
den Bruder des von ihren Gegnern ernannten Siooun als Gegen-
Regenten. Die beiden Partheien entreissen einander wechselweise
den Mikado und die Hauptstadt, deren Bewohner die Waffen ergreifen,
um an dem Kampfe Theil zu nehmen. Schreckliche Feuersbrünste
verwüsten Miako, durch die Rohheit der verwilderten Heerhaufen
gehen die wichtigsten Denkmäler, Kunstwerke und Schriften zu
Grunde; die Stadt liegt in Trümmern, am Hofe des Mikado unter-
bleiben viele Jahre lang die übhchen Feierlichkeiten. Der Krieg
verbreitet sich durch das ganze Land, alle Bande des Blutes imd
der Gesellschaft sind gelöst — Brüder kämpfen gegen Brüder und
Diener gegen ihre Herren.
1473. Um 1473 waren die Kräfte erschöpft, die Anfiihrer der Par-
theien gestorben, die Grossen zogen heim nach ihren Besitzungen
und es trat eine kurze Ruhe ein. Dem Namen nach wird die
Centralgewalt wieder hergestellt, alle Partheien huldigen dem neuen
SioGUN MiNAMOTo-NO-Yosi-NAO. Man baut in Miako Paläste, legt
Sammlungen der aus der Zerstörung geretteten * Alterthümer und
Kunstwerke an und schickt eine Gesandtschaft nach China, um
vom dortigen Hofe eine Siegelhälfiie zur Ausstellung der Pässe für
die nach den chinesischen Häfen fahrenden Schiffe zu erwirken.
Die Grossen fingen unterdess nach kurzer Rast wieder an einander
zu befehden und handelten ungestraft wie ihnen beliebte. Als
gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts der Siogun Yosi-tada
sich beikommen lässt, gegen einen der übermüthigen Lehns-
fürsten zu Felde zu ziehen, wird er von diesem gefangen und
muss seine Würde einem andern Minamoto abtreten. Der Krieg
entbrennt von neuem: auch die Miako zunächst liegenden Land-
schafben, aus denen früher die Siogun's ihre Einkünfte bezogen
hatten, werden jetzt eine Beute mächtiger Partheihäupter. Li
Miako wurde das Elend so gross, dass, wie die Annalen unter
dem Jahre 1500 berichten, beim Tode des Mikado nicht das
zu seiner Beerdigung nothwendige Geld herbeigeschafft werden
konnte, so dass die Leiche 40 Tage lang am Thore des Palastes
liegen blieb.
Verfall von Miako. Allgemeiner Krieg der Grossen.
45
um 1508 finden wir den Siooun Yosi-tada in Miako wieder
anerkannt. Einer der reichsten Fürsten, OHO-uTSi-NO-Yosi-OKi*')
wird, obgleich zu keiner der berechtigten Familien gehörend, zum
KüA»REi ernannt — so heissen jetzt die ersten Minister der
Siooun's — und unterhält aus eigenen Mitteln eine Zeit lang die
Höfe des Mikado und des Siogun, bittet aber endlich, um nicht
ganz zu verarmen, auch um seine Entlassimg und zieht sich in
sein Fürstenthum Suwo zurück. Von der Zeit an, heisst es in den
Annalen, verarmte Miako immer mehr, da die Freunde und Anhänger
des Yosi-OKi ihm folgten, andere sich nach anderen Landestheilen
zu den Lehnsfursten zurückzogen. Alle Feierhchkeiten und die
üblichen Ceremonieen unterblieben wieder aus Mangel an Geld,
mehrere Mikado's mussten ihren Regierungsantritt so lange hinaus-
schieben, bis ein mitleidiger Fürst die Installationsfeierlichkeiten
bezahlte. Die meisten Beamten, heisst es unter dem Jahre 1545,
zogen sich, des Aufenthaltes in Miako unter den fortwährenden
Kriegsunruhen überdrüssig, in die Provinzen zurück; und weiter,
dass selbst die höchsten Hof beamten eine Zuflucht bei den Grossen
suchten, und dass die Zurückbleibenden die Bürger unablässig um
Speise und Trank angingen, um nur ihr Leben zu firisten. Die
Priester aer Umgegend von Miako wurden in dieser wüsten Zeit
immer zügelloser: im Jahre 1536 steckten die Mönche des Berges
YeT-san die Hauptstadt an allen Ecken in Brand.
Die Siooxm's führen ein abentheuerhches Leben: bald finden
wir sie in Miako, bald müssen sie fliehen, werden verabschiedet
und wieder eingesetzt, einige auch ermordet. Sie sind, wie die
Erbkaiser, ein Spielball der mächtigen Grossen, welche um die
Herrschaft streiten. Die Geschichte dieser Zeit ist gestaltlos: es
sind nicht mehr bestimmte Partheien, die miteinander kämpfen,
sondern Jeder sucht nur für sich selbst jeden möglichen Vorthe^l
^') Dieser Fürst scheint seinen Reichthum vorzüglich dem Handel mit China ver-
dankt zu haben. Seit 1397 war mit dem Posten Oho-utsi-no-süks die Leitung
des auswILrtigen Handels verbunden; die Fürsten von Suwo, in deren Familie diese
Würde erblich war, hatten jene Hälfte des chinesischen Siegels in Verwahrung, das
zur Ausstellung der Pässe für die Chinafahrer diente. Nach ihrer Anordnung wurden
die Fahrzeuge in Suwo gebaut und unter die Oberleitung buddistischer Priester
gestellt, welche vorzüglich für das Rechnungswesen zu sorgen hatten. Als 1551
jene Siegelhälfie verloren ging, erlitt der Handel mit China eine Unterbrechung. —
Die Nachkommen des Yosi-oki bezahlten noch wiederholt die Installationsfeierlich-
keiten der MiiLADo's.
46 TaTba - NO - NoBU - NANo A. — Die Portugiesen.
ZU erringen. Bald hat die eine Familie die Oberhand, bald die
andere; das Land wird von allen Seiten gebrandschatzt, Morde
und massenhafte Selbstentleibungen sind an der Tagesordnung.
Im Jahre 1568 warf sich Yosi-aki, der vierzehnte Siogun
aus dem Hause des Taka-udsi, dem Oda-no-Nobu-nanga, einem
Sprössling der alten berühmten FamiUe Taiba, dem mächtigsten unter
den kämpfenden Häuptlingen, in die Arme. Dieser bezwang, unter-
stützt von MiNAMOTO-NO- Jyeyas, Fürsten von Mikawa, dem Stamm-
vater der jetzt regierenden Siogun -Dynastie, den grössten Theil des
Reiches. Er brach die Macht der übermüthigen Priester, die er,
ihre Tempel verwüstend, zu Tausenden abschlachten Hess, und trat
1574. überall mit durchschlagender Gewalt auf. Im Jahre 1574 entsetzt
er den gegen ihn conspirirenden Yosi-aki seiner Würde, lässt ihn
zum Priester scheeren und usurpirt die oberste Macht. — Dass
NoBU-NANGA sclbst zum Siogun ernannt sei ist nirgend gesagt, doch
wird er in den Annalen zuweilen so bezeichnet. Seine Herrschaft
sollte von kurzer Dauer sein*").
Im Jahre 1543 ''), also zur Zeit da das Ansehn der Central-
Regierung am tiefsten gesunken war und der Krieg unter den Lehns-
fiirsten am ärgsten wüthete, kamen die ersten Europäer nach Japan —
portugiesische Abentheurer, welche der Sturm nach Kiusiu verschlug,
lieber ihre Namen") und die Art der ersten Berührung sind die
^) Seine Hauptstadt warAsuTSiA; dort häufle Nobu-nanga grosse Reichthümer
an, baute, nach der Aussage der Jesuiten, sich selbst einen prächtigen Tempel und
forderte gottliche Verehrung.
^^) Man hat keinen Grund, dieses in den japanischen Quellen genannte Datiun
anzuzweifeln; es ist die einzige urkundliche Zeitbestimmung, die wir von diesem
Ereigniss haben. Auch Siebold nimmt sie als richtig an, — sagt aber freilich an
einer anderen Stelle seines Werkes, offenbar auch auf japanische Quellen fussend,
das erste »schwarze«, d. h. europäische Schiff sei 9 geschichtlich erwiesen, im Jahre
1530 an die Küste von Bungo gekommen. Wahrscheinlich hatte dieser Besuch keine
weiteren Folgen.
^^) Die Namen der Abentliewer werden verschieden angegeben. Maffeus, dem
die meisten späteren Schriftsteller gefolgt sind, nennt sie Antonio Mota und Francisco
Zeimoto , und lässt sie in einem portugiesischen Schiffe an die Küste der Landschaft
BuNGo (auf Kiusiu) verschlagen werden. In neuerer Zeit hat der Bericht des Fernan
Mendez Pinto vielfach Glauben gefunden, der mit zwei Gefährten auf einer chinesi-
schen Seeräuberdschunke nach der Insel Tameoasima getrieben zu sein vorgiebt; von
da gelangt er nach Bungo. Man könnte glauben, dass beide Landungen unabhängig
Frühester Verkehr der Portugieseu.
47
Angaben verschieden, so viel aber ist gewiss, dass die Eingeborenen
sie mit offenen Armen aufnahmen und dass sich schnell ein lebhafter
Handelsverkehr der in China und Malacca ansässigen Portugiesen nach
den Häfen von Kiusiu entwickelte. Vor allen waren die japanischen
von einander stattgefunden hätten, wenn nicht auch Pinto den Zeimoto als einen
seiner Gefährten und Bunqo als den Schauplatz seiner Abentheuer bezeichnete. Es
ist also wahrscheinlich dasselbe Ereiguiss, das verschieden berichtet wird. — Pinto
hat sich den Namen eines »Fürsten der Lügner« erworben und durch die Erzählung
seiner Abentheuer auch verdient; aber seine Schilderungen von Japan, seine Beob-
achtungen sind zum grossen Theile so richtig und treffend, dass man an der
Wirklichkeit seines dortigen Aufenthaltes kaum zweifeln kann. Das Bild, das er von
den Bewohnern entwirft, ist, wenn man der seiner Muttersprache eigenen blumen-
reichen Ausschmückung Rechnung trägt, noch heute ähnlich. — Nach seinem Berichte
fanden die Abentheurer , welche aus der chinesischen Gefangenschafl kamen , besonders
deshalb ehrenvolle Aufnahme , weil sie bewaffnet gingen und keinen Kaufhandel trieben,
man sah sie für Leute von Stande an. Tausend Fragen müssen sie beantworten,
denn in Japan hat sich durch den Verkehr mit China schon längst der Ruf des fernen
westlichen Wunderlandes verbreitet. Die unglaublichsten Mährchen sind darüber in
Umlauf: Portugal ist viel grosser als China, sein König hat sich den grössten Theil
der Welt unterworfen und besitzt unermessliche Schätze. Die Abentheurer — sie
bedienen sich eines Bewohners der Liukiu - Inseln zum Dolmetscher — bekräftigen
Alles und binden ihren leichtgläubigen Zuhörern neue Mährchen auf. Sie werden
endlich reich beschenkt entlassen und erreichen mit den Chinesen den Hafen Liampoo
(wahrscheinlich Ninopo). Dort, erzählt Pinto weiter, hätten seine Berichte die
Habgier der Portugiesen erweckt. Jeder will der erste sein, die neue Goldgrube
auszubeuten, denn jener Seeräuber hatte an seiner Ladung gegen 1200 Procent
gewonnen; in Eile werden neun Dschunken ausgerüstet und befrachtet. Sie gehen
sämmtlich im Sturme unter; Pinto, der die Expedition begleitet, rettet sich schei-
ternd auf Gross -LiuKiu. Nicht lange nachher finden wir ihn auf einem portugiesischen
Schiffe abermals auf der Fahrt nach Japan — dies ist die letzte Reise dahin, von
der Pinto selbst erzählt; — er schrieb seine Lebensereignisse erst nieder, nachdem
er für immer nach Portugal heimgekehrt war, und zwar fast ohne alle Zeitbestim-
mungen. Einige Schriftsteller lassen ihn nun im Jahre 1554 nochmals mit dem
Jesuiten Melchior Nunez, dem Vorsteher der indischen Ordensprovinz, und zwar
als Gesandten des Vicekonigs von Indien an den Fürsten von Bunoo nach Japan
gehen. In den sehr ausfuhrlichen Berichten des Pater Melchior findet sich kein Wort
davon — es wäre auch sonderbar, wenn Pinto, dessen Werk mit seiner Rückkehr
nach Portugal schliesst, diese Reise, auf der ihm die glänzendste Rolle zugetheilt
ist, gar nicht beschreiben sollte. Er sagt an einer Stelle niu* ganz beiläufig, »er
sei auch einmal als Gesandter in Japan gewesen«, — .anderes hat wenigstens der
Verfiisser in den ihm zugänglich gewordenen spanischen Ausgaben nicht gefunden. —
Dass Pinto ohne Scheu sich selbst die Erlebnisse Anderer aneignete und einen
grossen Theil seiner Abentheuer aus fremden Berichten geschöpft hat, lässt sich
beweisen.
48 Franz Xaver.
Grossen auf die europäischen Erzeugnisse^') und den Umgang der
Portugiesen lüstern, und untereinander auf den Besuch der fremden
Schiffe sehr eifersüchtig; der Handel brachte ihnen grossen Gewinn.
Die Portugiesen verkehrten, soweit es die fortwährenden Kriegs-
wirren zuliessen, frei und ungehindert wo sie wollten; viele liessen
sich schon damals ganz in Japan nieder und heiratheten die Töchter
des Landes.
Mit einem der ersten portugiesischen Schiffe, die Japan be-
suchten, kam ein angesehener Mann aus der Landschaft Satsuma,
wahrscheinlich wegen Todtschlages landflüchtig , nach Malacca und von
da nach vielen merkwürdigen Schicksalen nach Goa**). Hansiro —
so hiess der FlüchtUng — liess sich mit seinem Diener in dem dor-
tigen JesuitencoUegiiun taufen imd erhielt den Namen Pablo de
Santa Fe. Seine Erzählungen weckten in Franz Xaver, dem da-
maligen Oberhaupte der ostindischen Ordensprovinz, das Verlangen,
in Japan das Evangelium zu predigen, und in der That kann es
kaum jemals einen günstigeren Boden far die Aussaat des Christen-
thumes gegeben haben.
Der alteinheimische Kami - oder Smxo - Cultus war theils
Natur-, theils Heroendienst und entbehrte wie es scheint jeder
^ Pinto und Andere sagen, dass die Portugiesen das erste Feuei^ewehr nach
Japan gebracht und dort die Bereitung des Schiesspulvers' gelehrt hätten. — Schon
beinahe 400 Jahre früher, bei den Kriegen des Yori-tomo, kommt eine Stelle in
den Raiserannalen vor, die nach Rlaproth auf den Gebrauch von Feuerwaffen
schliessen lässt Siebold, welcher glaubt, dass auch die Chinesen das Schiesspulver
von den Europäern erhalten haben, sagt, dass sich die ersten Spuren von Feuer-
waffen unter dem Mikado Go-kasi-bara (1501 — 1527) bei den Japanern finden, und
dass sie dieselben wahrscheinlich von dem benachbarten Festlande erhielten. Von der
Mitte des sechszehnten Jahrhunderts an verbreitete sich der Gebrauch des Feuer-
gewehrs rasch über ganz Japan, gegen Ende des Jahrhunderts muss schon ein
grosser Theil des Fussvolkes mit Luntenilinten bewaffnet gewesen sein. — Von den
Kanonen sollen die Japaner schon 1528 durch den Verkehr mit China Kenntniss
erhalten haben; 1551 brachte ein portugiesisches Schiff dem Fürsten von Bdnoo
eine Kanone als Geschenk.
^) Pinto eignet sich unter andern auch das Verdienst an, den Hansiro aus
Japan nach Ost- Indien gefilhrt zu haben; damit streiten aber die ausdrücklichen
Angaben des Japaners selbst , die uns in Briefen an seine Freunde unter den Jesuiten
in Goa erhalten sind, und die Berichte des Franz Xaver. Letzterer nahm selbst
den Hansiro von Malacca mit nach Goa. S. Cartas que los padres y hermanos de
la compania de Jesus que andau en los Reynos de Japon escribieron a los de la
misma compaßia etc. Alcala 1575.
Religiöse Zustände im sechszchnten Jahrhundert. ^«7
theosophischen Grundlage. Die Lehren des Confucius sind ethischer
Art und haben in dieser Richtung^den grössten Einfluss auf die
japanische Gesittung gehabt. Der Buddismus stützt sich auf eine
Art geoifenbarter Gottesweisheit, lehrt aber eine Theorie von Welt
und Ewigkeit, die in ihren wesentlichen Sätzen fast durchaus ver-
neinend ist Er fand wohl deshalb so viele Anhänger unter dem in
der Gesittung voi^eschrittenen Volke, weil er bestimmte Glaubens-
sätze lehrt und zum Denken, zur Betrachtung anregt. Was die
japanischen Theologen durch eigenthümüche Ausbildung und Um-
gestaltung allmäUch aus diesen Elementen gemacht haben, wissen
wr nicht genau: das Resultat muss aber, nach seinen in der Ge-
sittung des Volkes zu Tage liegenden Wirkungen zu urtheilen, etwas
von dem indischen und chinesischen Buddismus sehr abweichendes
sein. Es gab viele Secten'*), unter denen einige erwähnt werden,
die keine Tempel besuchten, keine Bilder verehrten und ein reines
Leben, innere Zufriedenheit und Heiterkeit als höchstes Ziel und
Beruf des Menschen darstellten. Alle Bekenntnisse wurden vom
Staate als gleichberechtigt angesehen, ja sie hatten nach den Be-
richten einiger Missionare ein gemeinsames Oberhaupf ), das in
MiAKO residirte. So heftig die Bonzen unter einander über die
Vorzüge ihrer Lehren stritten, so weit war das Volk von allem
Religionsfanatismus entfernt. Jeder wählte sich die lichre, die ihm
am meisten zusagte; die christlichen Bekehrer staunten, die Mit-
güeder einer und derselben FamiUe den verschiedensten Secten
angehören zu sehen, ohne dass Frieden und Eintracht darunter
gelitten hätten.
Zur Zeit der Ankunft der Europäer war der religiöse Bildungs-
process bereits vollendet, die Formen erstarrt. Es gab zwar noch
redliche Denker unter den Priestern — die ersten Missionare er-
wähnen deren mehrere, die sich zum Christenthum bekehrten und
ihre eiitigsten Helfer wurden — auch waren theologische Disputa-
tionen, an welchen sich gebildete Laien q,us den höheren Ständen
oft betheiligten, an der Tagesordnung, aber es handelte sich dabei
nicht um Erforschung der Wahrheit, sondern um theologische
Spitzfindigkeiten, Paradoxen, um die Siege der Beredsamkeit und
^) Ihre Zahl wird auf mehr als dreissig angegeben.
^) Nicht den Mikado. Dieser ist in gewissem Sinne eine Incaniation der
Gottheit, aber nicht Priester. Der Mikado muss sogar abdanken, sobald er in den
geistlichen Stand tritt.
I. 4
ö" Wirksamkeit und Lehren der Bonzen.
Dialektik. Andererseits finden sich die tollsten Auswüchse fanatischer
Ascetik und Bussübung"), ^er grösste Theil der Bonzen war in
frivolen Unglauben, in rohe Unwissenheit und SinnUchkeit versunken,
die Missionare schildern sie als verderbtes Gesindel, maasslos hab-
gierig und allen Jjastem ergeben. Ueber ihre Ueppigkeit, ihren
unbeugsamen hochfahrenden Sinn klagen auch die japanischen
Schriften; die Eifersucht der Secten artete oft in blutige Fehden
aus, deren Ursachen in dieser Zeit nur Habgier und Ehrgeiz waren.
Das Volk erhielten die Bonzen in Aberglauben und Unwissenheit;
sie lehrten einfach, es sei vergebenes Bemühen und ganz unmöglich
im bürgerlichen und im Familien - Leben die strengen Tugend-
vorschriften der Religion zu befolgen"); nur sie selbst könnten das,
da sie der Welt entsagt und sich dem geistlichen Leben ganz ge-
widmet hätten; durch das Uebermaass ihrer Vollkommenheit nähmen
sie aber aucb die Sünden der Weltkinder auf sich, so fem diese
nur durch reichliche Gaben für sie sorgten und sie von der irdischen
Noth befreiten. Auch für die Seelen der Abgeschiedenen, die im
Fegefeuer schmachten, musste gesteuert werden. Nur durch Geld-
spenden ist das Heil zu erlangen; den Armen, die nichts geben
können, ist das Himmelreich unbedingt verschlossen, den Frauen^')
ungleich schwerer zugängUch als den Männern, »da sie von Natur
mit allen Sünden behaftet sind«; ihre Gaben mfissen daher, so
sie Erlösung hoffen wollen, ungleich reicher sein. Man erkennt die
schlaue Berechnung auf das weibliche Gemüth.
Diese sehr bequeme Lehre fand natürUch grossen Anhang
unter den vermögenden Ständen. Die unzähligen milden Stiftungen,
^^ Es gab Bonzen, die Jahrzehnte lang in einer Stellung verharrend fiber irgend
ein Dogma nachzudenken vorgaben , um dann feierlich kanonisirt und bei lebendigem
Leibe in Kapellen verehrt zu werden. Die von ihnen aufgestellten religiösen und
Weisheits - Sätze sind meist entweder gesuchte Paradoxen oder gradezu unlösbare
Widersinnigkeiten , deren Tiefe nicht zu ergiünden , weil bodenlos Ist. So erscheinen
sie wenigstens der europäischen Fassungskraft.
^ Die allen japanischen Secten gemeinsamen fünf Haupt -Gebote sind nach der
Darstellung der Missionare: 1. Nicht tödten, 2. Nicht stehlen, 3. Nicht ehebrechen,
4. Nicht lügen, 5. Nichts Berauschendes geniessen.
^^ »Quin et mulieres quinque mandata transgressas sen'ari posse negant, cum
quaevis mulier plus criminum habeat, eorum arbitratu, quam omnes in universo mundi
ambitu viri; Dehinc rursus dicere incipiunt, aliqualem damnatienis evadendae
spem mulieribus reliquam fore, si ampliores quam viri eleemosynas erogarint« Brief
des Franz Xaver in Hamnardus de Gammcre Epistolae Japonicae. Lovanii 1569.
Innere Zerrilttung. dl
die Menge und der Reichthum der Bonzen zeugen für ihre Ver-
breitung. Befriedigung konnte der greifbar sinnliche Betrug nicht
gewähren, und doch hatte man nichts anderes. Sich durch eigene
Thätigkeit, durch selbststandige Betrachtung zum reHgiosen Bewusst-
sein zu erheben ist nicht Sache der Menge; sie bedarf der Autorität
und bestimmter Glaubenssatze. Die Bonzen aller Secten scheinen
aber nur den Glauben an ihr Mittleramt befördert zu haben. Die
ärmeren Classen waren von allen geistUchen Wohlthaten ausge-
schlossen, luid das in einer Zeit wo die geistUche Bedürftigkeit auf
das höchste gestiegen sein musste: denn das Volk schmachtete im
tiefsten Elende, und die Fürsten selbst, obgleich unumschränkt
herrschend, schwebten in beständiger Gefahr die Opfer mächtiger
Nachbarn oder treuloser Vasallen zu werden*®). Plötzliche Ueber-
falle, Morde, Brandschatzungen und verheerende Feuersbrünste
waren die täglichen Ereignisse. Die Unzulänglichkeit und Hinfällig-
keit des irdischen Daseins musste unter den beständigen Drangsalen
des Krieges den Gemüthem besonders fühlbar werden und sie für
die Tröstungen des Christenthumes empfanglich machen"*). Der
^ Franz Xaver und seine Nachfolger berichten als Augenzeugen von mehreren
derartigen Umwälzungen , welche meistens local waren : theils innere Unruhen,
Kämpfe verschiedener Familien oder Linien um die Herrschaft, theils Kriege mit
den Nachbarn um Suprematie und Länderbesitz.
"^) In den Lehren der japanischen Secten fanden sich manche Anknüpfiings-
puncte fiSr die christlichen Bekehfer. »Alle," sagt Franz Xaver, »glauben an eine
Holle und an ein Paradies , aber keiner weiss recht zu sagen , warum beide da sind . . .
Sie erwähnen in ihren Schriften gottlicher Wesen, welche beide gemacht und selbst
Jahrtausende in der Hölle zugebracht hätten, um durch ihre Busse die Mängel der
Menschen auszugleichen, die ihi'e Sünden selten oder niemals bereuen. Sie ver-
sichern, dass, wer die Flecken seiner Seele durch Busse nicht getilgt, doch durch
unbedingt gläubiges Anrufen der Stifter ihrer Secten von allen Martern und Qualen,
ja aus dem tiefsten Grunde der Holle befreit werden könne!« — »Die Japaner,«
sagt Franz Xaver an einer anderen Stelle, »sind mit wunderbarem Scharfsinn und
Geistesklarheit begabt und weichen mit ihrem Urtheil gern einleuchtenden Gründen. —
Sie forschen viel nach dem Urquell der Dinge, ob er gut, ob böse sei, und wenn
es nur einen Urquell des Guten gebe, ob sich auch das Böse aus ihm herleite. Ich
antwortete, dass es nur einen allgütigen Urgrund der Dinge gebe, an dem das BÖse
gar keinen Antheil habe. Das hielten sie ftir unmöglich. Denn, sagten sie, wenn
Gott allgütig wäre, wie hätte er böse Geister, die bittersten Feinde der Menschen
erschaffen können? Wir erwiedem, dass auch diese ursprünglich gut gewesen und
durch innere Bosheit verderbt, den Strafen verfallen seien, die sie leiden und in
alle Ewigkeit leiden werden. Aber, sagen sie, mit der höchsten Güte kann solche
Grausamkeit nicht bestehen , dass ohne alle Barmherzigkeit für einen einzigen Fehltritt
4'
<)^ Auftreten der Missionare.
reine Wandel, die Uneigennützigkeit, Demuth und hingebende Auf-
opferung der ersten Bekehrer standen im grellsten Contrast zu der
ewige Strafen verhängt werden. Ferner, wenn Gott, wie ihr sagt, auch den Menschen
erschaffen liat, wie kann er ihn von vernichten Geistern versuchen lassen, besonders
wenn er ihn mit dem Gedanken schuf, von ihm gelobt und verehrt zu werden?
Ferner, wie der gut sein könne, der die Menschen so schwach und zu allem Bösen
geneigt erschaffen habe, während sie vollkommen hätten sein sollen. Und nicht nur
das habe Gott verkehi-t und schlecht eingerichtet, sondeiTi auch dass er die Hölle
geschaffen habe , das grösste und schrecklichste aller Uebel , da er durch keine Barm>
herzigkeit gegen die Verdammten bewegt werde , sie den ewigen Qualen zu entreissen.
Ferner, wie das ein gütiger Gott sein könne, der das Gesetz der zehn Gebote ge-
geben habe, das so schwer zu befolgen sei! Sie fanden doch, dass ihre Lehre,
welche sie so lange bekannt, viel barmherziger und milder sei, da sie durch Ver-
mittelung ihrer Propheten auch selbst dem Schlmide der Hölle entrissen wei*dcn
könnten, wir aber an gar keine Erlösung aus der Hölle glaubten. — Auf alle diese
Fragen haben wir ihnen mit Gottes Hülfe genügende Antwort gegeben, so dass sie
uns befriedigt verliessen. Und das scheint mir besonders erstaunlich zu sein, dass
diese Heiden, durch vernünftige Gründe überzeugt, sich mit willigem Gemüthe er-
geben. Sie haben einen solchen Durst nach Wahrheit und ehie solche Lcmbegier,
dass sie nicht eher ablassen zu fragen , als bis sie die Sache redlich begriffen haben ;
dann hören sie nicht auf unsere Antworten an Andere weiter zu erzählen. Sie
wussten bisher nicht, dass die Erde rmid sei, sie kannten nicht den Lauf der Sonne,
der Planeten und Kometen, die Entstehung des Hagels und ähnlicher Dinge, welches
Alles wir ihnen mit dem grössten Fleisse erklärt, sie aber mit der lebhaftesten
Aufmerksamkeit ergriffen und in sich aufgenommen haben. So geschalt es, dass sie
von unserer Gelehrsamkeit eine hohe Meinung fässten und unser Ansehn bei den
Disputationen immer grösser wurde . . . Wunderbar war es zu sehen, wie die Neu-
bekehrtcu von Haus zu Haus wanderten, und von dem empfangenen Glauben und
seinen Lehren eifrigst erzählten .... Sie sind uns mit rührender Liebe zugethan,
und daraus lässt sich die Aufrichtigkeit ihres Glaubens erkennen. Uebrigens war es
nicht so leicht, ihnen, ehe sie sich taufen liessen, gewisse Zweifel zu lösen, die sie
aus unseren Aussagen über die Allgfltc Gottes geschöpft hatten. Sie meinten, Gott
könne nicht barmherzig sein, da er sich vor unserer Ankunft- ihrem Volke nicht
offenbart habe, denn wenn, was wir sagten, wahr wäre, so könne niemand, der den
wahren Gott nicht verehrt habe, auf die ewige Seligkeit hoffen. Das sei grausam
und nicht barmherzig, dass ihre Vorfahren nach seinem Willen aus blosser Un-
kenntniss des wahren Gottes in die Hölle Verstössen sein sollten. Dieser Zweifel
schien sie am meisten zu beunruhigen und von der Anbetung des wahren Gottes ab-
zuhalten .... Gebe Gott, dass wir recht viele Früchte aus dieser Ernte sammeln,
und ich glaube, das wird geschehen, denn dieses Volk ist von starker Urtheilskraft
und gesundem Geiste, voll Lcmbegier, vernünftig und mit anderen wahrhaft göttlichen
Gaben ausgestattet .... Das Eine ängstct sie fortwährend heftig , dass es aus der
Hölle gar keine Erlösung geben soll; besonders sclwncrzt sie ihrer Eltern, Kinder,
Verwandten Verdammung, und dass für diese gar keine Hoffnung auf Rettung sei:
Gaug der Bekehining. Franz Xaver. <^«^
Hoffahrt und frechen Zügellosigkeit der Bonzen. Nicht wenig wirkte
auch ihre Fähigkeit, den bestandig mit Fragen auf sie eindringenden
Japanern über Naturerscheinungen, Probleme der Physik und Astro-
nomie neue und befriedigende Aufschlüsse geben zu können.
Der Gang der Bekehrung war an verschiedenen Orten ver-
schieden: bald schlug die neue Lehre bei dem Volke, bald bei den
höheren, den gebildeten Ständen zuerst Wurzel. Oft mussten die
JVIissionare durch Edicte der Landesherren und durch mihtärische
Wachen vor dem durch die Bonzen gegen sie aufgehetzten Pöbel
geschützt werden. Viele der Grossen begünstigten die Verbreitung
des Christenthumes unter dem Volke, ohne sich selbst zur Annahme
seiner strengen Tugendvorschriften entschhessen zu können. Die
Wohlhabenden entschlugen sich nur ungern der bequemen Lehre
der Bonzen. Die wenigsten Anhänger scheinen besonders die späteren
Missionare, die mit viel kirchlichem Gepränge auftraten, unter den
Jüngern der reinen Confuciuslehre, den götzen- und tempellosen
Secten gefunden zu haben, welche in ihren Schriften als Gottes-
leugner oft heftig verwünscht werden. —
Franz Xaver erreichte , begleitet von dem spanischen Jesuiten
Torres und den beiden bekehrten Japanern im Herbst des Jahres 1549 im9.
die Küste von Kiüsiu und landete in Kangosima, der Vaterstadt des
Hansiro , dessen Famiüe ihn gasthch und hebevoll empfing. Er bUeb
dort einige Zeit, um sich in der Landessprache zu vervollkommnen
und ein Compendium zu entwerfen, welches die Schöpfungsgescliichte,
die Lehre von der Einheit Gottes und das Mysterium Christi ent-
hielt. Dieses wurde mit Hülfe seines japanischen Freundes, der
portugiesisch gelernt hatte, japanisch mit lateinischen Lettern zum
Behufe des Vorlesens niedergeschrieben. So wurden die ersten
Bekehrungen bewerkstelligt. Franz Xaver gründete in Kangosima
eine kleine Gemeinde, ging aber, da der Landesherr, der Fürst von
Satsuma, theils auf die Verleumdungen der Bonzen, theils aus
Aerger darüber, dass die portugiesischen Schiffe in diesem Jalire
sie fragen beständig, ob es denn kein Mittel gebe, ihnen zu helfen, etwa durch
Almosen, Gebet oder andere Werke der Barmherzigkeit. Das maclit ihnen den
grossten Schmerz .... Sie fragen, ob Gott selbst nicht aus der Hölle erlosen
könne und weshalb er die ewigen Strafen verhänge. Ich gebe ihnen geziemende
Antwoil: sie weinen dann heftig, so dass auch ich oft nahe daran war, bei ihrem
Schluchzen iu Thi'änen auszubrechen , da ich die Betinibniss meiner lieben und ti'auteu
Freimde sah mid nicht lindem konnte.«
^4 Franz Xaver iu Miako.
nicht iu seine Häfen einliefen, ihm seine Gunst entzog und die Ver-
breitung des Christenthumes hemmte, bald nach Amangutsi, der
Hauptstadt der Landschaft Nanoato. Das Ziel seiner Reise ist
Miako , wo er sich vom Oberhaupte des Reiches die Erlaubniss aus-
wirken will, überall in Japan predigen zu dürfen. Er erreicht die
Hauptstadt nach mühseliger gefahrvoller Reise, da Kriegerhorden und
Raubgesindel die Landstrassen unsicher machen, findet aber auch in
Miako nur Aufrulir, Anarchie und Zerstörung: die Centralregierung
ist in voller Auflösung. Vergebens versucht er auch in den Strassen
von Miako zu predigen, die Kriegsunruhen lassen kein anderes
Interesse aufkommen"). Er kehrt daher nach Amanoutsi zurück,
predigt dort, vom Landesherm gütig aufgenommen, unter grossem
Zulauf, und tauft binnen zwei Monaten gegen fünfhundert Japaner,
darunter viele angesehene Männer, welche das Bekehrungswerk eifrig
fordern. In Amangutsi erhält Xaver eine Einladung des Fürsten
von BuNGO, in dessen Häfen portugiesische Schiffe eingelaufen
waren; er wird auch hier ehrenvoll empfangen und fuhrt, mit seinen
I^andsleuten heimkehrend, einen Gesandten des Fürsten an den
Vicekönig von Indien mit sich nach Goa. Sein Aufenthalt in Japan
dauerte zwei und ein halbes Jahr: er ging nach Indien zurück, um
fiir die japanische IVIission neue Kräfte zu werben.
Die Berichte des Franz Xaver athmen durchaus Wahrheit
und enthalten keine Spur von den Uebertreibungen und Wunder-
geschichten, welche spätere Autoren ihm angedichtet haben"); sie
geben merkwürdige Aufschlüsse über die politischen und sittlichen
Zustände des damaligen Japan. Die Lehnsfursten heissen bei ihm
Könige, der Siogun wird als König von Miako bezeichnet**), die
Hauptstadt liegt in Schutt und Asche und die angrenzenden
^) . . . . »Scd frustra: mininie regia maiidatum expectare profiiit cum subditi a
rege defecissent.« Brief des Franz Xaver: er schildert die Verwüstung in Miako:
man gebe seine frühere Grösse auf 180,000 Häuser an, was ihm ganz glaublich
scheine, da auch jetzt noch gegen 100,000 ständen.
^) Auch von den schrecklichen Drangsalen der Arnmth, die der grosse Be-
kehrer erlitten haben soll, weiss er selbst gar nichts, rühmt im Gegentheile die
Munificenz des portugiesischen Königs, der die kostbaren Reisen bezahlte, imd nennt
die darauf verwendeten , für jene Zeit nicht unbeträchtlichen Summen.
^) »Sie haben einen einzigen König, dem sie aber schon seit 150 Jahren nicht
mehr gehorchen , desshalb bekriegen sie einander auch fortwährend.« Brief des Franz
Xaver. — Am Volke rühmt er die Achtung vor den höheren Ständen , und dass den
Edeleh dieselbe Ehre erwiesen werde, ob sie arm, ob reich seien.
Die Nachfolger des Franz Xaver. Verbreitung des Christenthumes. ^5
Landschaften sind der Schauplatz blutiger Kriege. Das Bild, das er
von dem Nationalcharakter entwirft, ist anziehend und treu. — Er
schildert die Thätigkeit seines Verkehrs mit den Japanern als die
erfreuUchste und herzerhebendste und spricht den Wunsch aus, dass
doch recht viele tüchtige Männer sich der Bekehrung dieses Volkes
als dem beglückendsten Lebensberufe widmen möchten •»).
Franz Xaver kehrte nicht nach Japan zurück, sondern unter-
nahm eine Missionsreise nach China und starb daselbst Mehrere
von ihm ausgesandte Jesuitenväter trafen zu Ende des Jahres 1552
in Japan ein, wo unterdess Pater Torres das Bekehrungswerk mit
Eifer und Erfolg gefordert hatte. Die Missionare brachten ein
Schreiben und Geschenke des Vicekönigs Von Indien an den Fürsten
vonBuNOO mit, der sie veranlasste, ihre Thätigkeit zunächst seinem
Lande zu widmen, und später selbst das Christenthum annahm.
Er wechselte noch mehrere Briefe mit dem Vicekönig von Lidien,
so dass die Vermuthung nahe hegt, er habe durch die Verbindung
mit Portugal, von dessen Macht man damals in Japan überschwäng-
Uche Begriffe hatte, seine Herrschaft sichern und ausbreiten wollen.
Mehrere andere Fürsten von Kiusiu baten, des Verkehrs mit den
Portugiesen wegen, ebenfalls um Missionare, und seitdem kam den
Bekehrem fast jahrUch n^uer Zuwachs aus dem Jesuitencollegium
in Goa.
Das Christenthum verbreitete sich von Bunoo aus schnell
über die angrenzenden Landschaften. Viele Japaner schlössen sich
den Bekehrem auf das innigste an, traten in den Jesuitenorden,
lernten portugiesisch und lateinisch; manche widmeten sich ganz
und mit grossem Erfolge dem Predigeramt. Die Berichte der Mis-
"'sionare aus dieser Zeit sind voll von Klagen über das Elend der
niedern Volksclassen, die kaum etwas anderes als den Rock auf
dem Leibe besitzen und ganz von dem Lehnsadel abhängen, für
den sie die Felder bauen. Der Kindermord war an der Tages-
ordnung. Die Jesuiten gründeten ein Findelhaus in Fuhai, der
Hauptstadt von Bungo, und erwirkten vom Landesherm ein öffent-
liches Verbot jener Gräuelsitte. Diese Stiftung, die Gründung eines
^) »Mochten doch die Doctoren der Theologie ihrem kanonischen Rechte, die
Prälaten iliren Würden und Pfründen entsagen und nach Japan kommen , da würden
sie ein glückseligeres, angenehmeres und iiihigeres Leben führen, als zu Hause.«
56 Die ersten Getueiuden. Brbittening der Buiizen.
Hospitals, die ernste Feierlichkeit, mit der sie ilire Todten bestat-
teten, und besonders der mystische Glanz des katholischen Gottes-
dienstes gewannen dem Christenthum viele Anhänger. Das Volk
drängte sich jetzt in Masse zur Taufe — die innere Bekehrung
folgte dann später. Die Jesuiten erzählen selbst, wie sie vor allem
für prächtige Messgewänder und kostbares Kirchengeräth sorgten,
wie sie zu Weihnachten und Ostern durch die Neophyten geistUche
Schauspiele in japanischer Sprache mit grossem Pompe aufführen
liessen. Der ganze Apparat eindringlicher Mittel, durch welche die
kathoUsche Kirche, zunächst auf die Sinne wirkend, die fromme
Phantasie der Gläubigen erregt — die Vorbereitung durch strenge
Fasten, der jubelnde Glanz der Auferstehungsfeier und die damit
verbundenen symboüschen Handlungen und Darstellungen, mit Weih-
rauch, Kerzen, Glockenklang, Musik, prächtigen Gewändern und
Fahnen — wurde mit vielem Erfolge aufgewendet, um die Menge
anzulocken und zu begeistern. Die japanischen Christen scheinen
diesem Gepränge sehr hold gewesen zu sein. Uebrigens waren die
Jesuitenväter unermüdlich im Lehren und Predigen und in den
Werken praktischer Barmherzigkeit; sie lebten mit ihren Täuflingen
in innigster Gemeinschaft und wissen deren frommen, einfachen,
mildthätigen Sinn, ihren Glaubenseifer und die rührende Liebe,
mit der sie an ihnen hingen, nicht genug zu preisen. Die Armen-
und Krankenpflege und der Schulunterricht der Jugend wurden
durch japanische Christen unter Aufsicht der Missionare besorgt;
dies waren reine Liebesdienste, denn die Jesuiten verfiigten nur
über geringe Mittel. Die christlichen Schulen hatten starken Zulauf,
zur grossen Erbitterung der Bonzen, in deren Händen bisher der
Unterricht der Jugend gewesen war. Die japanischen Priester ver-
suchten Anfangs die Neuerer mit geistigen Waffen zu bekämpfen
und forderten auch die portugiesischen Jesuiten vielfach zu öfl^ent-
hchen Disputationen heraus, scheinen aber wenig dadurch gewonnen
zu haben und griffen darauf zur Gewalt. Sie sahen sich in ihrem Ein-
fluss, ja in ihrer Existenz beeinträchtigt und verfolgten ihre Feinde
mit tödtlichem Hass. Nur der Schutz der Grossen und die Anhäng-
lichkeit ihrer Gemeinden machten es den Bekehrern möglich, Stand
zu halten. Schon damals wurde das Christenthum von den Lehns-
fürsten vielfach politisch benutzt: unablässig von äusseren Kriegen
und inneren Umwälzungen bedroht, gebrauchten sie das Ansehn
der Väter, um sich eine starke Parthei im Volke zu bilden, und
Gemeinden in Miako und Sakai. Die christlicheu Füraten. Nobu - nanoa. ^ •
so brachten die politischen Wirren diesen oft die bittersten Leiden.
Ihre Häuser und Kirchen wurden zerstört oder gingen in Flammen
auf, und wo der Feind den Sieg behielt, mussten sie den Bonzen
das Feld räumen und retteten oft mit Noth das nackte Leben- —
Nach Miako, wo Franz Xaver vergebens das Christenthum
zu predigen versucht hatte, sandten die Jesuiten auf wiederholtes
Ersuchen eines berühmten alten Buddatheologen im Jahre 1560 den
Pater Gaspar Villela. Seine Reise wurde durch vielfaches Miss-
geschick verzögert und jener gelehrte Priester war unterdess ge-
storben, doch gelang es dem SendUng trotz der Ungunst der übrigen
Bonzen, in Miako und Sakai'" ) Gemeinden zu stiften, die schnell
zu grosser Blüthe heranwuchsen. Schon 1564 gab es sieben Kirchen iüg4.
und Kapellen in den Vorstädten von Miako. — Das Christenthum
hatte sich um diese Zeit in fast allen Landschaften von Kiusiu
verbreitet; ausser dem Fürsten fon Bungo nahmen auch die Herren
von ÄRiMA und Omüra den Glauben an und wurden eifrige Werk-
zeuge der Bekehrung. Sie verfolgten die Bonzen mit Feuer und
Schwert und befahlen den Bewohnerschaften ganzer Landstriche , bei
Strafe der Verbannung, sich taufen zu lassen; so wurden wiederholt
Massen von Zwanzig- und Dreissigtausenden der Kirche zugeführt.
Auch die nichtchristlichen Landesherren von Kiusiu buhlten förmlich
um die Gunst der Missionare . und suchten durch sie den portugie-
sischen Handel in ihre Häfen zu ziehen. Damals gewann Naj^tgasaki,
das, im Gebiete des Fürsten von Omüra gelegen, bisher ein elendes
Fischerdorf gewesen war, zuerst Bedeutung, da die Portugiesen es
wegen seines sicheren Hafens zum Hauptstapelplatz ilires Handels
machten. Unter Begünstigung des Landesherrn wuchs diese Stadt
zu blühendem Wohlstande heran und wurde bald auch der Hauptsitz
und Mittelpunct der Jesuitenmission.
Als NoBUNANGA im Reiche die Oberhand gewann, unterwarfen
sich ihm auch die drei christlichen Fürsten. Ein grausamer Feind
der einheimischen Bonzen, war er den Jesuiten sehr günstig und
beförderte die Verbreitung ihrer Lehre unter dem Volke, ohne sie
selbst annehmen zu wollen, weil, sagen die Missionare, das Christen-
thum der Vergötterung der Herrscher entgegen war, die er für sich
selbst anstrebte. Mehrere von den Grossen seines Hofes liessen
sich taufen; die Missionare konnten jetzt ihre Thätigkeit auch auf
^) Von dieser Stadt, damals einer der grossteu und reichsten von Japan, sagt
Villela, sie sei c*ine Republik und ihre Verfassung ganz der von Venedig 3iinlieh.
^^ Gesandtflchafl uach Rom.
NippoN weiter ausdehnen und fanden dort grossen Anhang; um
1581 reclmete man 150,000 Christen in Japan. Der Gottesdienst
wurde in zahlreichen Kirchen celebrirt, fast in allen grösseren
Städten der südlichen und westUchen Landschaften hatten die
Jesuiten CoUegienhäuser, Seminare, Universitäten. Man athmete
jetzt freier, denn die Herrschaft des Nobu-nanga hatte die Macht
des Lehnsadels gebrochen und dem Lande den Frieden wieder
gegeben. Das Abhangigkeitsverhältniss der Lehnsfursten scheint
kein drückendes gewesen zu sein: die drei christUchen Landesherren
1581. durften es wagen, im Jahre 1581 auf eigene Hand eine Gesandt-
schaft an den Papst nach Rom zu schicken, an deren Spitze sie
ihre nächsten Verwandten stellten. Diese schifften sich, unter
Führung des Generalvisitators der Jesuiten, Pater Valignan, in
Nanoasaki ein und erreichten, nach längerem Verweilen in Macao
mid Goa, im August 1584 LissabcA. Ihre Reise durch Portugal,
Spanien und Italien glich einem Triumphzuge; PhiUpp II, an welchen
Portugal beim Tode König Heinrich's gefallen war, empfing sie mit
königlichen Ehren und ungeheurem Pomp , ebenso Papst Gregor XIII,
der Freund und Wohlthäter des Jesuitenordens, welchem dieser
Triumph besondere Freude gemacht zu haben scheint. Die Gesandten
überreichten in feierlichem Consistorium eigenhändige Schreiben
ihrer Fürsten, welche den Papst als ihren höchsten Oberherm an-
reden; aller Prunk und Glanz des Vaticans wurden zu Ehren der
jungen Japaner aufgewendet. Sie hatten auf der Reise Zeit und
Gelegenheit gehabt, europäische Sprachen und Sitten zu lernen; ihr
feines, edeles und tactvolles Auftreten und ihre Intelligenz erregten
die allgemeine Bewunderung. Während ihrer Anwesenheit in Rom
starb Gregor und Sixtus V bestieg den heiligen StuhL Auch dieser
überhäufte sie mit Auszeichnungen, wies den japanischen Fürsten
Rang und Stellung unter den christlichen Königen an, und entliess
die Gesandten reich beschenkt. Auf der Rückreise nach Lissabon
gaben ihnen Venedig, Mailand, Mantua, Genua und andere grosse
Städte glänzende Feste. Im April 1586 schifften sie sich in Lissabon,
im April 1588 von Goa aus in Begleitung des Pater Valignan wieder
nach Macao ein , erreichten aber ihre Heimath erst zwei Jahre später.
Hier hatten sich unterdessen die Verhältnisse sehr geändert*').
^) Diese Gesaiidtscliaft machte in Eui'opa grosses Aufselin und wurde iu vielen
Scliriften — deutsch , lateinisch , italienisch und spanisch — sehr ausfulirlich beschrieben.
Stui'z des NoBU-NANOA. TaIko-sama. ^y
Im Jahre 1582 stand Nobu-nanga auf der Höhe seiner Macht; i5»2.
der grösste Theil der japanischen Fürsten hatte ihm gehuldigt, einige
Widerspänstige wurden von seinen Feldherren bekriegt. Er befand
sich mit wenig Truppen inMiAKO, als sein Kriegsoberst Fide-Yosi,
der einen abtrünnigen ÜAimo in der Nachbarschaft belagerte, von
ihm Succurs verlangt. Nobu-nanoa befiehlt seinem Vertrauten Aketsi-
MiTSA-FiDE, mit den Truppen zum Heere des Fide-Yosi zu stossen,
aber Jener wendet sich statt dessen gegen seinen Herrn und lässt
Um in seiner Tempelwohnung umzingeln. Von allen Truppen ent-
blösst sieht der Usurpator keine Rettung, steckt den Tempel in
Brand und entleibt sich mit seinem ältesten Sohne Nobu-tada.
Aketsi zieht nach Asutsia, der Residenz des Nobu-nanga, und ver-
tlieilt dessen unermessliche Schätze unter seine Leute, wird aber
wenige Tage darauf von den Truppen des Fide-Yosi und seiner
Mitfeldherren geschlagen und kommt elend ums Leben. Seine
Herrschaft dauerte nur zwölf Tage. Die Sieger proclamiren den
unmündigen Enkel des Nobu-nanga, den Sohn des Nobu-tada, als
ihren Herrn, aber die Macht bleibt in den Händen des Fide-Yosi,
welchem das Heer ergeben ist. Er tritt bald als unumschränkter
Herrscher auf und erstickt jede Bewegung zu Gxmsten des procla-
mirten Thronerben, der schnell in Vergessenheit gerätli.
Fide-Yosi, der als Herrscher den Titel Taiko-sama'*) annahm,
ist einer der merkwürdigsten Männer der japanischen Geschichte.
UrsprüngUch ganz geringen Herkommens*"), stieg er wegen seines
Scharfsinnes und Unternehmungsgeistes rasch in der Gunst des
Nobü-nanga, der ihn zum Fürsten von Tsikudsen und zum höchsten
miUtärischen Range erhob und mit allen wichtigen Unternehmungen
betraute. Nach dessen Ermordung fiel ihm, als dem Tüchtigsten,
die Herrschaft wie von selbst zu. Er bezwang, die Uneinigkeit der
Daimio's geschickt benutzend, in kurzer Zeit das ganze Reich, ver-
theilte die Ländereien der widerspänstigen Grossen unter seine
Getreuen, Uess allzu beliebte und angesehene Landesherren ihre
^) In den Schriften der Missionare wird er häufig Faxiba genannt. Die Be-
zeichnung Kubo , RuBO - SAJCA wird von ihm, von Nobu-nanoa, vouFide-nobu und
Anderen gebraucht und scheint ein allgemeiner Ausdruck iui* Herrscher zu sein.
") Urspiünglich Holzhauer, soll er als Pantoflfelträger in den Dienst eines
Beamten des Nobu - nanoa getreten sein. Er war klein von Gestalt und hatte runde
Augen — etwas sehr Ungewöhnliches in Japan, — deshalb nannte ihn das Volk
Sarv-tsuoa, Affengesicht. — S. Klaproth zu den Kaiseranualen.
v)U Die HeiTschafl des TaTko-saha.
Besitzungen mit anderen in entfernten Gegenden vertauschen, zer-
stückte und verband nach Willkühr die alten Provinzen des Reiches
und fulirte eine ganz neue Ordnung ein. Er Uess den Lehnsfiirsten
ilu'e Hoheitsrechte und die Verwaltung ihrer Territorien, erschöpfte
aber ihre Kassen durch Auferlegung kostbarer Hofreisen und Tribut-
geschenke, durch Lieferungen und Leistungen zum Bau der Festung
von Osaka, und setzte ihnen seine Beamten zur Seite, welche sie
streng beaufsichtigen und jeden ihrer Schritte nach Hofe berichten
mussten. Die nach Selbstständigkeit zu streben scheinen oder
willkührUch und grausam gegen das Volk auftreten, verlieren Land
und Würde. Durch das ganze Reich wird strenge Gerechtigkeit
ohne Ansehn der Person geübt, jede Friedensstörung mit dem Tode
bestraft: entrinnt ein Missethäter, so müssen seine Verwandten und
Diener büssen. Das Volk soll em sittUches Leben führen: die
Vielweiberei gestattet Taiko-sama nur sich selbst, und unterwirft
die zügellosen Bonzen einer strengen Zucht. Er unterhält eine starke
Kriegsmacht, die im Frieden bei den grossen Bauten beschäftigt
wird, reichen Sold erhält und ihm unbedingt ergeben ist Die
Finanzen sind im besten Zustande, die Verwaltung geregelt, keine
Bedrückung erlaubt.
So legte Taiko-sama den ersten Grund zu dem in Japan
seitdem herrschenden poütischen System. Das Land, das über ein
Jahrhundert lang von Kriegen beständig zerrissen war, wo man
geordnete Zustände nur noch als Fabel längst vergangener Zeiten
kannte, erfreute sich jetzt der vollkommensten Ruhe; überall
herrschte Wohlstand und Zufriedenheit. Das Volk, an die despo-
tische Willkühr der kleinen Machthaber gewöhnt, empfand nur die
Segnungen des einigen Regiments. Selbst die Jesuiten, Taiko-
SAMA*s bittere Feinde, rühmen ihn als weisen Regenten, der auch
gegen seine Widersacher milde gewesen sei und die überwundenen
Fürsten nicht, wie Nobu-nanoa, grausam getödtet, sondern mit Jahr-
gehalt in abgelegene Landestheile verwiesen habe. Das ganze Volk
hiddigte seiner Hen'schaft, die für legal erkannt wurde, sobald sie
fest begründet war. Trotzdem koimte Taiko-sama den Siogun -Titel
von dem Mikado nicht erlangen: diese Würde gehörte einmal der
Familie Minamoto, und der abgesetzte Siogun Yosi-aki, der letzte
aus dem Hause des Taka-udsi, weigerte sich hartnäckig, den
Herrscher zu adoptiren. Auch dem aus der altberülimten Familie
der Taira entsprossenen Nobu-nanga scheint (Ue Siogun -Würde
Begünstigung und Fortschritte des Christenthumes.
61
niemals förmlich verliehen worden zu sein, Ta'iko-sama aber war von
niederer Geburt und deshalb, nach japanischen Begriffen, keiner
Titel föhig, denn die Adoption ist nur unter Ebenbürtigen statthaft.
Ein Mitglied der Familie Füdsiwara verstand sich dennoch dazu,
ihm seinen Namen zu geben, und nun musste der JMikado den
KuANBAK absetzen und Taiko-Sama diesen Titel verleihen'"). Die
Annalen berichten dieses als etwas Unerhörtes, Schmachvolles,
allem Brauch und Herkommen Widerstrebendes: »man hatte nie
etwas Aehnüches erlebt, denn alle Kuakbak's vor ihm waren Füdsi-
WARA«. Der Mikado verUeh TAifKO - sam a später den Familiennamen
Toto - tomi und alle hohen Titel und Auszeichnungen seines Hofes,
wahrscheinlich auf Befehl, denn er hielt die Erbkaiser in gleicher
Abhängigkeit wie früher die Siooün's und die Regenten von Kama-
KURA pflegten.
Die Christen bildeten um 1582 schon eine starke Parthei im
Lande und Taiko-sama bewarb sich im Beginne seiner Herrschaft
eifrig um ihre Gunst. Sein früherer Mitfeldherr Taka-yama-ükon
und andere angesehene Kriegshauptleute waren Christen: sie hul-
digten ihm jetzt mit den Fürsten von Büngo, Arima und Omura,
deren Beistand Tattko - sama zur schnellen Unterwerfung der übrigen
liandschaften von Kiusiu verhalf. Später nahm er dem Fürsten von
Omura das aufblühende Nangasaki fort und setzte seine Statthalter
dahin, um den einträglichen Einfuhrhandel der Portugiesen in seine
Hand zu bekommen. Er begünstigte den Fremdenverkehr auf jede
Weise und verüeh den Jesuiten Freibriefe im ganzen Lande zu
predigen, Freiheit für ihre Häuser von Einquartierung, der die
Klöster der Bonzen unterworfen waren, und Steuerfreiheit den
Lehnsfursten gegenüber.
Unter so günstigen Verhältnissen hatte die Bekehrung einige
Zeit lang guten Fortgang, doch scheint der wachsende Einfluss der
Missionare den Herrscher beunruhigt zu haben. Er bedurfte, sobald
seihe Macht befestigt war, der Christen nicht mehr, welche ihm jetzt
politisch geföhrhch zu werden drohten. Im Jahre 1587 — man zählte i587.
damals 200,000 Christen in Japan — erschien plötzlich und den
Vätern sehr unerwartet ein Edict, das nach ihren eigenen Berichten
so lautete:
'^ Seit TaTko-sama deu Kuanbak - Titel tnig, scheint er nicht wieder an die
FüDSi-WAEA gekommen zu sein; Kämpfer wenigstens sagt: Dieser Titel wird von dem
weltlichen Monarchen angenommen und dessen mnthma asslichem Reichserben crtheilt.
62
Das ReligioDsedict. Veranlassungen dazu.
»Unsere getreuen Rathe und Diener haben uns vorgestellt, dass
die fremden Geistlichen, die in unsere Staaten gekommen sind,
eine den japanischen Satzungen widersprechende Lehre predigen,
und dass sie selbst die Dreistigkeit gehabt haben Tempel unserer
Kahi's und Götter zu zerstören. Obgleich diese üebertretung
die schwerste Züchtigung verdient, wollen wir ihnen doch Gnade
angedeihen lassen, befehlen ihnen aber bei Todesstrafe binnen
zwanzig Tagen Japan zu verlassen. Während dieses Zeitraumes
soll ihnen, kein Leid geschehen; findet sich aber nach dieser
•» Frist noch einer im Lande, so soll er wie ein Verbrecher bestraft
werden. Den portugiesischen Kaufleuten erlauben wir in unsere
Häfen einzulaufen, ihren gewohnten Handel zu treiben und so
lange in unseren Staaten zu verweilen als ihre Geschäfte er-
fordern, verbieten ihnen aber fremde Geistliche mitzubringen
bei Strafe der Confiscation ihrer Waaren und Fahrzeuge.«
Dieses Edict erliess Taiko-sama von Fakata") aus. Die
dort befindlichen Missionare wurden auch mündlich darüber zur
Rede gestellt, «dass sie seine Unterthanen zum Schlachten der für
die Landwirthschaft so nothwendigen Ochsen und Kühe verleiteten,
dass sie ihren Landsleuten erlaubten Japaner und Japanerinnen weg-
zuschleppen und in fremde Länder zu verkaufen.« In der That
klagen die Jesuiten selbst über die zügellosen Ausschweifungen der
portugiesischen Kaufleute und Schifier: fast tägUch wurden Frauen
und Mädchen aufgefangen und nach den Schifi'en entfuhrt; auch
scheint ein ausgedehnter Menschenhandel nach Ostindien, ähnlich
dem heutigen Kuli -Handel in China, getrieben worden zu sein. Aber
weder diese Ungesetzlichkeiten, noch die von den Jesuiten an-
gegebenen Umstände — derUnmuth des Taiko-sabia darüber, dass
eine in Firando eingelaufene Carake des seichten Wassers wegen
nicht auf seinen Befehl nach Fakata kam, dass die von ihm bei
den Portugiesen bestellten und zum projectirten Feldzuge nach Korea
bestimmten Schiffe noch immer nicht eintrafen, dass es seinen
Kupplern nicht gelang sein Harem aus den christlichen Districten
zu recrutiren — können die wahren Ursachen der Ausweisung der
Jesuiten gewesen sein: der tiefere Grund war ihr wachsender Ein-
fluss und die beimruhigende Ausbreitung des Christenthumes, dafür
zeugen die zu gleicher Zeit erfolgte Verbannung des christlichen
Feldherrn Taka-yama-Ukon, welcher das Bekehrungswerk besonders
^*) An der Küste von Tsikudsen auf Kiusiu.
Wirkungen des Christenthtimes auf das japanische Volk. Oti
eifrig gefordert und die Bonzen grausam verfolgt hatte, und die
Nichtausdehnung des Spruches auf die portugiesischen Kaufleute,
gegen welche doch ein wesentlicher Theil der Beschwerden gerichtet
war. Die gesteigerte Schnelligkeit, mit der sich das Christenthum
in den letzten Jahren verbreitet hatte, liess den Zeitpunct nicht mehr
fem erscheinen, wo sich die Mehrzahl der Landesbewohner dazu
bekennen würde, und die Bekehrten hingen mit unbedingter Er-
gebenheit, mit begeisterter Ehrfurcht an ihren Lehrern. Bisher
gewohnt sich selbst gering zu achten, von seinen Oberen nur mit
erhabener Strenge behandelt und in scheuer Entfernung gehalten
zu werden, lernte das Volk jetzt plötzlich seinen eigenen Werth
kennen. Denn das Christenthum lehrt, dass Hoch und Niedrig
gleichen Anspruch auf das Himmelreich haben, dass alle weltlichen
Güter nichtig, ja dem Menschen auf dem Wege zur Seligkeit nur
hinderUch sind. Die Missionare bethätigten diese Lehre durch den
eigenen Wandel und hoben die niederen Classen, in welchen die
lange unterdrückten Gefühle der verehrenden Liebe mit wunderbarer
Frische aufblühten » rasch zum Bewusstsein ihrer Menschenwürde.
Die japanischen Machthaber hatten seit Jahrhunderten nur ein
Regiment der Furcht und des Schreckens geübt. Ein Fürst, ein
Edeler wurde als etwas unnahbares, als ein höheres Wesen an-
gesehen, unübersteigliche Schranken schieden das Volk von seinem
Herrn, dem es unbedingten Gehorsam und die tiefste Ehrfurcht
schuldete. Das waren die seit undenklichen Zeiten feststehenden
Grundlagen der politischen Verfassung von Japan; sie wurden
durch die Einfuhrung des Christenthumes auf das tiefste erschüt-
tert. Zunächst schon musste die auffallende Anhänglichkeit der
Bekehrten an ihre Lehrer die Machthaber mit Unbehagen er-
füllen, dann aber bei näherer Kenntniss die Lehre selbst, bei deren
weiterem Umsichgreifen die alten Verhältnisse nicht fortbestehen
koimten. Nach ihren Begriffen wurde das Volk entsittlicht, denn
der Glauben an die göttUche Abstaimnung der Herrscher und Edelen
und an ihre Berechtigung auf den unbedingten Gehorsam des Volkes
war die Grundlage des japanischen Staatslebens und gewissermaassen
der japanischen Gesittung. Der Unterschied der Stände gilt dort als
etwas Innerliches, der Seele anhaftendes und die Anerkennung des
einfachen Satzes, dass vor Gott alle Menschen gleich sind, musste
zerstörend auf den politischen Organismus wirken. Franz Xaver
selbst ist die Ehrfurcht des japanischen Volkes vor seinen Edelen
^4 Einfluss der Jesuiten. Furcht vor der Macht Spaniens.
als etwas Bewundemswerthes, Sittliches erscliienen; es war das Band,
das den Staat zusammenhielt, konnte aber mit dem Christenthum
nicht bestehen, denn es war die Ehrfurcht der Scheu und des
Schreckens, nicht Vertrauen und Liebe. Die Machthaber mussten
bald inne werden, dass in den christUchen Districten der Einfluss
der Jesuiten den ihren weit überwog und dass die Europäer bei
weiterem Umsichgreifen der Bekehrung sich leicht wurden zu Herren
des Landes machen können. Besonders bedenklich erschien der
Uebertritt so vieler Familien aus den herrschenden Classen, denen
man natürUch ehrgeizige Absichten unterlegte; denn das niedere
Volk wurde als kraffclos und zu Thaten unfähig verachtet, nur unter
Führung seiner Edelen konnte es gefährlich werden.
Hierzu kam ein anderer Umstand. Wenn die früher in Japan
verbreiteten Begriffe von der Grösse und Macht Portugals bei län-
gerem Verkehr der beiden Völker in und ausser Japan — denn auch
die Japaner dehnten ihre Schiffahrt in der zweiten Hälfte des sechs-
zehnten Jahrhunderts weiter aus und besuchten das südliche China,
Formosa, Manila und Siam — besserem Einsehn gewichen waren,
und man sich gewöhnt hatte die Portugiesen als ein Handelsvolk
zu betrachten, so musste dagegen Taiko-sama bei der Lebhaftigkeit
der Beziehungen auch erfahren haben, dass dieses Land seit dem
Tode König Heinrichs (1581) mit Spanien vereinigt, dass die krie-
gerischen Spanier sich einen grossen Theil der bekannten Welt
unterworfen, in Amerika und den Philippinen festen Fuss gefasst
hatten, dass der Papst als Statthalter Christi den Königen von
Spanien und Portugal alle neu zu entdeckenden Länder der Welt
als rechtmässiges Eigenthum zugesprochen hatte. Der Gedanke,
dass auch an Japan die Reihe der Unterwerfung kommen möchte,
sobald die christhche Parthei dort stark genug wäre, lag sehr nahe.
Taiko - SAMA scheint aber zunächst einen Umsturz seiner Herrschaft
durch die christUchen Grossen gefürchtet zu haben, das zeigt sein
beständiges Eifern gegen den Uebertritt von Leuten aus den herr-
schenden Ständen. Zu der Befürchtung einer spanischen Invasion
gab ihm später das unkluge Benehmen des Befehlshabers einer
grossen Galeone, welche im Jahre 1596 an der japanischen Küste
strandete, besondere Veranlassung. Als Taiko-sama dieses Schiff
und seine kostbare Ladung mit Beschlag belegen Uess, zeigte der
erbitterte Capitän den kaiserUchen Bevollmächtigten auf einem Welt-
globus die Ausdehnung der spanischen Herrschaft, und liess in seiner
Stelliuig der Jesuiten unter TaTko-sama. 65
Gereiztheit die Drohung eines bmrorstehenden Angriffes fallen: es
sei die Gewohnheit seines Königs, zuerst Priester in die neu ent-
deckten Länder zu senden, und diesen, sobald ihr Anhang stark
genug, seine Ejriegsheere folgen zu lassen; die Portugiesen seien
eine Kramemation, die Spanier aber stolz und kampflustig. — Ob
nicht in der That, wenn das Christenthum weitere Fortschritte
machte, die Spanier sich Japans bemächtigt hätten, ist mindestens
zweifelhaft. —
Die Jesuiten wichen nicht sofort dem Verbannungsedicte.
Sie schlössen zwar ihre Kirchen, legten die geistliche Tracht ab
und hörten auf öffentlich zu predigen und zu taufen, Hessen aber
Taiko-sama zunächst vorstellen, dass erst in sechs Monaten ein
portugiesisches Schiff absegeln werde. Da es nun japanische Sitte
ist, dass sich die Obrigkeit um einen Verbannten weiter nicht kümmert,
so er nur geringe Kleidung anlegt, sich das Haupt scheert und
durch Unterwürfigkeit die Strafe verdient zu haben bekennt, so
beachtete der Kaiser^') die Jesuiten zunächst nicht weiter. Sie
Messen sich von ihren Freunden am Hofe in Allem' leiten und
betrugen sich durchaus als rechtlose Verbannte. Der Capitän des
nach Macao abgehenden Schiffes wurde zu der Aussage veranlasst,
er könne nur drei von den Vätern mitnehmen, worauf Taiko-sama
ihnen im Zorn einige Häuser und Kirchen einreissen Uess, die aber
bald wieder aufgebaut wurden, als seine Hofleute ihm die Befürchtung
einzuflössen wussten, dass mit den Geistlichen auch die portugie-
sischen Kaufleute das Land verlassen möchten. Von da an blieben
sie unbelästigt. Den portugiesischen Handel wollte Taiko-sama
durchaus nicht entbehren, auch mag die Nothwendigkeit sich den
guten Willen der christhchen Grossen, der einzigen im Reiche,
die durch ihre Eintracht ihm noch gefährUch werden konnten, zu
erhalten, viel zu der Unschlüssigkeit seines Benehmens gegen die
Missionare im ferneren Verlaufe seiner Regierung beigetragen haben.
Die Edicte wurden noch wiederholt verschärft, aber gegen die
portugiesischen Jesuiten von Taiko-sama niemals zur Ausführung
gebracht. Er blieb ihnen persönlich günstig, widersetzte sich jedoch
hartnäckig der öffentlichen Ausübung des Gottesdienstes und vor
Allem der Bekehrung der japanischen Fürsten imd Edelen. Dass
sie im Stillen und verkleidet in den Häusern der Bekehrten Messe
'*) Es sei erlaubt, Taiko-sama und seine Nachfolger in der Herrschaft der Kürze
halber Kaiser, die Mikado's aber von hier an Erbkaiser zu nennen.
I. 5
t>v) Zahl der Bekehrten. Valignaii und die Gesandten in Miako.
lasen, lehrten und predigten, kifnnte ihm nicht entgehen, wurde
aber ignorirt. Die Jesuiten tauften in den drei Jahren von Erlassung
1500. des Edictes bis 1590 im Geheimen über 30,000 Japaner. Eine Ver-
folgung fand nur in der Landschaft Bungo statt, wo der Sohn und
Nachfolger des verstorbenen Fürsten einer heidnischen Gemahn
zu Liebe das Christenthum eine Zeit lang verleugnete und unter-
drückte. In der öffentUchen Meinung auch der nichtchristlichen
Japaner soll das Rehgionsedict grosse Entrüstung hervorgerufen
haben, da bis dahin jegUches Bekenntniss in Japan vollkommen
freie ReUgionsübung genossen hatte.
Als die Gesandten der christUchen Fürsten aus Europa zurück-
kehrten, fragte der Ordens -Visitator Vahgnan, der jetzt als Bot-
schafter des Vicekönigs von Indien erschien, von Macao aus an,
ob bei den gänzhch umgew^andelten Verhältnissen Taiko-sama ihn
empfangen würde. Die Antwort lautete günstig. Die japanischen
Gesandten landeten mit ihm in Nanoasaki und begaben sich zunächst
nach Miako; ihre und VaUgnan's Auffahrt zur Audienz wird sehr
prächtig beschrieben, der Empfang war über alle Erwartung glänzend
und ehrenvoll "). Ein japanisch redender Missionar Rodriguez musste
bei des Gesandten Abreise auf Taiko-sama's Verlangen in Miako
zurückbleiben, um den künftigen Verkehr zu vermitteln. Der Kaiser
scheint aber doch einiges Misstrauen in die Aechtheit der Botschaft
gesetzt zu haben: ein dem Pater Valignan nach Nangasaki gesandtes
Antwortschreiben an den Vicekönig von Indien war in so weg-
werfendem Tone abgefasst, dass Jener es zurückweisen musste.
Taiko-sama entschloss sich später wirkUch zur Abfassung eines
anderen, das, von kostbaren Geschenken begleitet, nach Goa abging.
In diesem Schreiben wurden die Portugiesen noch ausdrückhch auf-
gefordert, recht zahlreich nach Japan zu kommen und sich nieder-
zulassen wo es ihnen gefiele. — Eine Milderung des Religionsedictes
konnte Valignan nicht erlangen; er begab sich nach dem Besuche
in Miako mit den Gesandten zu den christhchen Fürsten, welchen
die päpsthchen Breves und ReUquarien, die geweihten Hüte und
Degen imter grossen Feierhchkeiten überreicht wurden.
Vahgnan's feierUcher Empfang fallt in das Jahr 1590. Unter
demselben Jahre berichten die Jesuiten auch, dass Taiko-sama ein
Schreiben nach Manila gesandt und den spanischen Gouverneur der
'•) Die Geschenke des Vice - Königs von Indien bestanden in arabischen Pferden
und kostbaren Waffen.
^icg gegeu Korea. v)7
Philippinen zur Unterwerfung au%efor<iert habe'*). Diese Nachricht
scheint mit Vahgnan's günstigem Empfange und der ihm schhessUch
ertheilten Antwort nicht in Einklang zu stehen, w^enn man nicht
annehmen soll, dass seine Gesandtschaft als eine portugiesische
angesehen, und die Vereinigung Portugals mit Spanien den Japanern
damals noch verheimhcht worden wäre. Der Kaiser that zu der-
selben Zeit die ersten Schritte zur Verwirklichimg seines grossen
Planes, der Unterwerfung des chinesischen Reiches: er schickte eine
Gesandtschaft an den König von Tsaosien (Korea) und forderte ihn
zum Biindniss gegen das Reich der Mitte auf. Dieser schlug es aus
und nun wurde zunächst der Krieg gegen Korea beschlossen.
Taieo-saua zog im Jahre 1592 ein Heer von 156,900 Mann is92.
bei Nangoya, einem Küstenorte der Landschaft Fidsen zusammen,
von wo er die Expedition leitete. Das Heer setzte n^ch Tsus-sima
über, von da landeten zwei, vornehmlich aus Christen bestehende
Armeecorps auf Korea und eroberten in kurzer Zeit den grossten
Theil der Halbinsel. Chinesische Truppen, die den Koreanern zu Hülfe
zogen, erlitten im ersten Feldzuge eine Niederlage; sie drängten zwar
in einem zweiten die Japaner in ihre Verschanzungen zurück, konnten
aber weiter nichts ausrichten und suchten deshalb zu unterhandeln:
man schloss zunächst einen Waffenstillstand und bald darauf 1593
zu Nangoya den Frieden. Die japanischen Truppen räumten Korea
und die königliche Familie wurde in Freiheit gesetzt. Eine Gesandt-
schaft von Tsaosien, welche bald darauf nach Japan kam, wies
der Kaiser ab, weil er es unpassend fand, dass der Gesandte kein
Prinz aus dem Königshause war. Aus China erschienen erst 1596
Gesandte in Fusimi, die sehr glänzend empfangen, aber nach Ver-
lesung des kaiserUchen Schreibens, in welchem Taiko-sama chine-
sischer Lehnsmann und König von Japan hiess^^), mit Schimpf tmd
'*) Die Kaiscrannalen sagen nichts davon; ihre Berichte über TaTko-sama und
seine Zeit sind überhaupt äusserst mager. Er erscheint zwar auch hier als mächtiger
Usurpator, der dem Reiche Frieden und Ruhe und nach aussen grosses Ansehn
giebt, doch mochte der Verfasser wohl Grund haben, gegenüber der Dynastie des
Minamoto-mo-Jyeyas, welcher den Sohn des TaTko-sama stürzte, von dessen
Grossthaten zu schweigen.
'*) TaTro-saha soll in die Worte ausgebrochen sein, er sei König von Japan
durch sich selbst, und werde, wenn es dai'auf ankomme, die Ta-Mino zu seineu
Vasallen machen. — Hier, wie in der ganzen Darstellung des koreanischen Krieges,
ist der Verfasser der aus japanischen und chinesischen Quellen geschöpften Dar-
stellung des Professor Hofimann (Japans Bezüge zu KoraT, Siebold Nifpon Bd. VII.)
5*
uo Zweiter koreanischer Krieg. TaTko-sama's Neffe.
Hohn vertrieben wurden. Der Herrscher gab sogleich den Befehl
zu Erneuerung der Feindseligkeiten in Korea, wo die Japaner nach
kurzem Kampfe ihre frühere Verschanzungslinie wieder einnalunen.
Der Krieg dauerte bis 1598, ohne dass sie aus ihrer Stellung hätten
verdrängt werden können, bUeb aber ohne alle weiteren Folgen:
Taiko-sama gab noch kurz vor seinem Tode den Befehl zur Ab-
berufung der siegreichen Truppen, welchen die Koreaner goldene
Brücken bauten. — Ein förmUcher Frieden wurde erst 1615 mit
TsAOsiEN geschlossen; seitdem geben sich die beiden Höfe wieder
durch Gesandtschaften Nachricht von dem jedesmaligen Thron-
wechsel.
Taiko - SAMA soll bei dem koreanischen Kriege den doppelten
Zweck gehabt haben, seine Grossen, die mit starken Contingenten
zu Felde ziel\pn mussten, zu schwächen und sich der Christen auf
gute Art zu entledigen. Die Berichte der Jesuiten geben einem
christlichen Feldherm, dem »Grossadmiral Dom Augustin«, welchen
der Kaiser wegen seiner Verdienste um die Unterwerfung von
Kiüsiu zum Fürsten von Fiuoo erhoben hatte, alle Lorbeern der
koreanischen Siege. Er soll bestimmt gewesen sein, Vicekönig von
TsAosiEiT zu werden, wohin dann alle japanischen Christen hätten
auswandern müssen.
Noch während des Krieges, im Jahre 1592, wurde dem bis
dahin kinderlosen TAJtKO-SAMA ein Sohn geboren. Im Frühling
1594. 1594 nach Miako zimickkehrend, fand er dort sein Ansehn in
hohem Maasse beeinträchtigt: sein Neffe Fide-tsuou, der, bis dahin
sein erklärter Naclifolger, für die Dauer des Kxieges zum Haupt der
Centralregierung ernannt, in Miako seine Stelle vertrat, hatte sich
mit allem Glänze der Herrschaft imigeben imd schien, an der Spitze
einer starken Parthei, imwülig, das Ruder wieder aus der Hand zu
lassen. Er war schroffen, herrschsüchtigen Charakters, imd offenbar
gefolgt, von welcher die Berichte der damals in Japan befindlichen Jesuiten abweichen.
Nach ihnen wui'de 1593 kein Frieden, sondern nur ein Waffenstillstand geschlossen,
während dessen die japanischen Truppen in Korea blieben. Die Friedensbedingungen
des Taiko-sama hätten gelautet: Abtretung von fünf der acht koreanischen Pro-
vinzen, eine Tochter des chinesischen Kaisers als Gemalin, regelmässige Tribut-
zahlwigeu und Vasallenschafl von China und Korea. — Als endlich 1596 die
chinesische Gesandtschaft in Fusimi mit der Forderung auf Herausgabe der koreani-
schen Festlagen als erster Bedingung des abzuschliessenden Friedens erschienen
sei, habe der Kaiser sie mit Spott und Hohn entlassen und den Befehl zu Er-
neuerung der Feindseligkeiten gegeben.
Sturz des Fede-tsuqu. Die spanischen Gesandtschaften. ^<^
nicht gesonnen, den gehoffben Thron dem spät geborenen Solme
des Taiko-sama herauszugeben; es musste also zum Bruche kommen.
Die beiden Fürsten standen einander mit ihren Höfen eine Zeit lang
unter glänzenden Festlichkeiten misstrauisch gegenüber, da Uess
der Kaiser plötzUch den Palast seines Neffen umzingeln und ihn
selbst mit seiner Umgebung nach einem festen Bergkloster schleppen.
FiDE-TSuoü erhielt den Befehl sich mit seinem Gefolge zu entleiben,
seine Familie und sein ganzer Hof wurden hingerichtet, seine Bauten
verbrannt und der Erde gleich gemacht. Die Jesuiten, welche Zeugen
dieses Blutbades waren, geben die grässlichsten Schilderungen von
den verübten Grausamkeiten und rühmen die heroische AnhängUch-
keit der Hofleute an ihren gefallenen Herrn. —
Die Lage der Jesuiten büeb bia zum Tode des Kaisers im
Wesenthchen dieselbe: er duldete sie, damit die portugiesischen
Kaufleute das Land nicht verlassen möchten. Aber sein Argwohn
gegen das Christenthum nahm zu, noch von Nangota aus befahl
er die Entwaffiiung aller japanischen Christen auf Kiusiu. Dort
empfing Taiko-sama auch die beiden ersten Gesandtschaften des
Gouverneurs der Philippinen, über deren Auftreten und Empfang
wenig Licht verbreitet ist. Die einzigen Berichte sind, so viel
bekannt, die der Jesuiten, welche kaum genau unterrichtet gewesen
sein mögen. Sie erzählen, dass zwar die spanischen Gesandten sich
mit Würde benommen und jenes Unterwerfung fordernde Schreiben
des Taiko-saua als unmöglich von ihm ausgehend, als eine Fäl-
schung zurückgewiesen hätten, dass aber mehrere die Gesandtschaft
begleitende Franciscanermönche ihm den Eid der Treue leisteten,
um die Erlaubniss der Niederlassung in Japan zu erhalten. Der
Kaiser behandelte nach diesen Berichten die Spanier mit grosser
Wegwerfung, nud verlangte nochmals die Huldigung des Gouver-
neurs der Philippinen. Er wiederholte diese Forderung auch einer
zweiten Gesandtschaft gegenüber, welche 1593 nach Nanooya kam
— die erste war auf der Rückreise in einem Orkan untergegan-
gen. Zum offenen Bruche kam es nicht: die Spanier bedienten
sich, den Jesuiten misstrauend, zum Dolmetschen eines Japaners,
der in Manila ihre Sprache gelernt hatte; dieser übersetzte ungetreu
nach beiden Seiten und brachte die grösste Verwirrung in die Be-
ziehungen.
Die Franciscaner erhielten 1594 noch eine Verstärkung von
mehreren Ordensbrüdern und bauten Kirchen und Klöster in Miako,
70 AuilretCD der Franciscaner. Erste HuirichtuDg von Missioiuren.
Osaka und Nangasaki. Ihr Auftreten ^ebt der Vermuthung Raum,
dass sie in gewissem Maasse politische Emissäre waren: Philipp 11
soll sich der Franciscaner Barfilsser vielfach bedient haben, um seine
Herrschaft in den überseeischen portugiesischen Besitzungen zur
Geltung zu bringen, und durch sie auch seine Anerkennung in Macao
durchgesetzt haben. War es nun ein Trotzen auf die spanische
Macht, war es wirkhcher Glaubenseifer, war es Widerspruch gegen
die Jesuiten, genug sie öffneten trotz deren Warnungen ihre Kirchen,
tauften, predigten und lasen offentUch Messe für die japanischen
Christen. Dies war herausfordernder Hohn gegen die Religionsedicte:
Taiko-sabia Uess alsbald ihre Kirchen und Klöster einreissen und
auch den Jesuiten einige Häuser zerstören. Die Letzteren wussten
1596. sich bald wieder in Gunst zu setzen: noch 1596 empfing der Kaiser
den aus ihrem Orden hervorgegangenen Bischof Martinez sehr ehren-
voll, erliess aber bald darauf, da die Franciscaner von neuem be-
gannen öffentlich Gottesdienst zu halten, ein verschärftes Edict
gegen das Christenthum. Es sollten jetzt Listen der ganzen christ-
lichen Bevölkerung au%estellt und strenge Aufsicht geübt, alle
Missionshäuser besetzt und die Geistlichen aus dem Lande entfernt
werden. Sechs Franciscaner wurden zum Tode verurtheilt, mit
drei japanischen Jesuiten und siebzehn anderen japanischen Christen
gefesselt nach Nanoasaki gefuhrt und dort gekreuzigt. Nachdem
dies Exempel statuirt war, brachte der Kaiser die übrigen Artikel
des Edictes nicht zur Ausfuhrung. Er hatte es, nach der Darstellung
der Jesuiten, überhaupt nur auf die Franciscaner abgesehen, und
wären jene japanischen Jesuiten nur durch den übertriebenen Dienst-
eifer der Vollstrecker mit in das ürtheil hineingezogen worden.
Im Jahre 1597 kam wieder eine Gesandtschaft aus Manila,
um Rechenschaft wegen der gekreuzigten Mönche, und Ersatz für
das 1596 an der japanischen Küste gestrandete und von Taiko-
SAMA weggenommene spanische Galeon, und für die Zukunft eine
rechtschaffene Behandlung der Schiffbrüchigen zu fordern. Des
Kaisers kurze Antwort lautete, die Mönche seien hingerichtet worden,
weil sie gegen seine Befehle gehandelt hätten, imd die Wegnahme
gestrandeter Schiffe sei ein Recht seiner Krone, zumal wenn sie,
wie jenes Galeon, Geistliche an Bord hätten. — Die Spanier konnten
nichts ausrichten und mussten sogar ruhig zusehen, wie zwei Fran-
ciscaner, die 'damals auf einer japanischen Dschunke eintrafen, in
den Kerker geworfen wurden.
Tod des Taiko-sama. Minamoto - no - Jteyas. 71
Den Jesuiten, welche ihrer alten Politik treu blieben, trat
Taiko-sama nicht weiter feindlich entgegen, bewies im Gegen-
theil den in Miako, Osaka und Fusimi lebenden Vätern bis zu
seinem Tode häufig seine Gunst durch Geschenke und andere
Auszeiclmungen.
Vortheilhaft war das Auftreten der Barfusser für das Christen-
thum gewiss nicht, ihr ohnmächtiger Trotz konnte bei dem Gegner
nur Hohn und Erbitterung wecken, und die japanischen Christen
mussten an der Uneinigkeit ihrer Seelsorger aus den verschiedenen
Orden irre werden. Die Jesuiten lassen in ihren Schriften dem
Glaubenseifer der Franciscaner Gerechtigkeit widerfahren, und be-
klagen sich nur in milden Ausdrücken über deren Eifersucht, Mangel
an Verständniss und Eingreifen in ihre Rechte, denn die Breves
Gregor s XTTI und Clemens' VIII hatten ilmen Japan als llissions-
provinz mit ausdrückhcher AusschUessung aller anderen Orden zu-
gesprochen.
Unter den Vasallen Taiko-sama's war Minamoto-no-Jyeyas
(geb. 1542) ohne Vergleich der bedeutendste und angesehenste. Er
hatte, von Okasaki in der Landschaft Mikawa ausgehend, in den
unruhigen Zeiten seine Macht allmälich über das Kuanto, seines
Stammes altes Erbtheil, ausgedehnt, und, ohne selbst jemals nach
der Oberherrschaft zu streben, den Nobü-nanoa in allen seinen
Unternehmungen luiterstützt.' Nach dessen Tode Hess Taiko-sama
ihn wiederholt zu sich entbieten; Jteyas traute aber nicht und
erschien erst, als der Herrscher ihm seine eigene Mutter als Geissei
sandte. Er huldigte nun und bUeb im ruhigen Genüsse seiner
Länder, scheint sich auch durch staatskluges Verhalten eine Art
von Unabhängigkeit bewahrt zu haben. Taiko suchte seine Freund-
schaft, vermalte, dem Tode nah, seinen eigenen sechsjährigen
Sohn FiDE-YORi mit der Enkelin des Jyeyas, und lud diesem vor-
züghch die Sorge für seinen unmündigen Erben auf. Jyeyas und
neun andere, die angesehensten Fürsten des Reiches, wurden zu
Regenten bestellt und mussten mit ihrem Blute einen feierhchen
Eid unterschreiben, dass sie den Fide-yori, sobald er grossjährig,
in die Herrschaft einsetzen wollten.
Taiko-sama starb 1598. Der Erbe des Reiches wurde, von isos.
glänzendem Hofstaate umgeben, unter der Leitung seiner Mutter
• ^ FiDE-YORi in Osaka. Kämpfe des Jybyas mit den Regenten.
•
YoDODONO, einer Frau von seltenen Geistesgaben und grosser
Schönheit, welche trotz vielen Ausschweifungen den Kaiser bis zu
seinem Ende zu fesseln gewusst hatte, in dem festen Schlosse von
Osaka erzogen. Bings um diese Bui^ hatte Taiko-sama die alte
Stadt abreissen und einen weiten Platz ebenen lassen, wo sich alle
Grossen des Reiches Paläste bauen mussten. Dort waren die meisten
Daimio's zur Zeit seines Todes vereinigt.
Es konnte nicht ausbleiben, dass die Fürsten nach dem Hin-
scheiden des grossen Usurpators, dessen gewaltige Hand sie nieder-
gehalten hatte, ihrer alten unabhängigen Stellung wieder gedachten.
Dass die bestehenden Verhältnisse unhaltbar waren, lag auf der
Hand. Die Grossen zogen deshalb in Erwartung eines allgemeinen
Krieges alle ihre Truppen an sich, auch der Fürst von Fiuoo
erschien mit seinen kamp%eübten Schaaren aus Korea. Ueber
200,000 Mann sollen damals in und um Osaka versammelt gewesen
sein; alle Gemüther waren in so heftiger Gährung, dass nur die
strengsten Maassregeln den Frieden unter den Soldaten erhalten
• konnten. Die meisten Daimio's wünschten sich wohl nur die alte
Selbstständigkeit wieder, deren sie vor Nobu-nanga's Siegen genossen
hatten; einige aber verfolgten höhere Ziele. Die Gescliichte der
verflossenen dreissig Jahre lehrte, dass Japan dem Stärksten gehörte.
Das alte Erbrecht des Mikado kam nicht in Betracht, eben so wenig
die KüANBAK- und Siooun- Geschlechter: der Mächtigste war zur
Herrschaft berufen. Unter den Thronprätendenten wird auch jener
Enkel des Nobu-nanga genannt, welchen Taiko-sama einst selbst
als Erben der Herrschaft proclamirt und dann unterdrückt hatte; — die
Missionare erzählen, er sei Christ gewesen. Jyeyas aber ragte an
Klugheit, Erfahrung und Geistesgrösse weit über alle seine Neben-
buhler hinaus. Die Regentschaft der zehn bestand nur dem Namen
nach: er leitete, begünstigt von der Schwäche und dem Sonder-
ehrgeiz seiner Genossen imd gestützt auf eine ansehnliche »Haus-
1599. macht, den Staat ganz nach seinem Willen. Schon 1599 kam die
Eifersucht zimi Ausbruch; einer seiner Mitregenten griff in Gemein-
schaft mit dem Fürsten von Fiuoo den Jyeyas an, der sie schnell
besiegte und filr diesmal begnadigte. Im folgenden Jahre verbanden
sich alle neun Mitregenten gegen ihn, unter dem Verwände, ihrem
Eide gemäss den Fide-yori gegen des Jyeyas thronräuberische
Absichten schützen zu wollen. Der Krieg brach los: alle Fürsten
des Landes nahmen Parthei, die der Regenten war bei weitem
Die Herrschaft des Jyetas. • «>
die stärkere, aber ihre Uneinigkeit gab dem Gegner leichtes Spiel.
Jeder arbeitete nur für sich selbst, und so wurden sie alle geschla-
gen; zuletzt fiel Osaka durch Verrath. Der Sieger wiithete diesmal leoo.
mit rücksichtsloser Grausamkeit unter seinen Feinden, die meisten
gaben sich selbst den Tod, der Fürst von Fiugo und andere wurden
hingerichtet '•). Ihre Besitzungen gab Jyeyas seinen Getreuen, wies
aber auch die ihm ei^ebenen Fürsten wieder in ihr früheres
Abhängigkeitsverhältniss zurück und verband die angesehensten
Geschlechter seinem Hause durch Wechselheirathen. Ihre Kassen
waren erschöpft und sie mussten sich in AUes fügen. Dem Jyeyas
dagegen waren alle Umstände günstig: die eben entdeckten Gold-
minen der Insel Sando heferten ihm unermessliche Schätze; seine
Macht, sein Ansehn im Lande scheinen unbegrenzt gewesen zu
sein. Bei alledem fuhr er fort, die Herrschaft im Namen und als
Vormund des Fide-yori zu üben, welchen das Land noch inuner
als rechtmässigen Erben der Macht ansah — so hatten sich die
Verhältnisse unter Taiko - sama consolidirt. Er liess ihm vom Mikado
von Zeit zu Zeit die seinem Alter gebührenden Titel und Würden
verleihen, und begnügte sich im übrigen seine vom Vater ererbten
Schätze durch grosse Bauten zu erschöpfen. Fide-yori musste
das Mausoleum des Taiko - sama und den von letzterem angefangenen,
aber durch ein Erdbeben zerstörten Tempel des Dai-Buds bauen;
beide werden von Augenzeugen , unter anderen von dem Gouverneur
der Philippinen Don Rodrigo de Vivero y Velasquo, der 1609 in
Miako war, als Werke von maassloser Pracht und Grösse beschrie-
ben. — Wenn Jyeyas im Jahre 1603 sich selbst und zwei Jahre
später seinen Sohn Fide-tada zum Siogün ernennen liess, so war
dies kein Eingriff in die Rechte des Fide - yori , denn auch dessen
Vater hatte diesen Titel nicht geführt, der ein Erbtheil der Minamoto
war und an sich durchaus keinen Anspruch auf die Herrschaft verlieh.
Jyeyas wollte offenbar dem Schicksal nicht vorgreifen: starb Fide-
yori vor seiner Grossjährigkeit, so fielen ihm dessen Rechte von
selbst zu, ohne dass er als Usurpator erschienen wäre. Jener aber
entwickelte unter der Leitung seiner Mutter ausgezeichnete Gaben
und besass die allgemeine Gunst. Yododono war an Klugheit und
'•) Die Missionare rühmen die Standhaftigkeit des Fürsten von Fiuoo und anderer
christlicher Krieger, welche lieber den entehrenden Tod einer qualvollen Hinrichtung
duldeten, als dass sie Hand an sich gelegt hätten, wie es ihnen nach japanischen
Begriffen die Ehre vorschrieb.
•4 Ykddo Residenz des Sioodn. Sturz des Fide-tobi.
Herrscliersiim dem Jyeyas yollkominen gewachsen; sie schuf dem
FiDE-YORi im Stillen eine Parthei unter den Grossen, welche seinem
Gegner gefahrlich werden konnte.
Jteyas hielt in der Stadt Surünoa, im sudwestlichen Winkel
des KuANTO, Hof. Für seinen Sohn, den Siooün Fide-tada, hatte er,
statt Kamakura, der alten Hauptstadt der Minamoto , das nördlicher
gelegene Yeddo zur Residenz erwählt. Hier wurden im Jahre 1606
die Ringmauern aus grossen polygonischen Blöcken aufgeführt, die,
von breiten Wassergraben begleitet, das Schloss in ungeheurer
Ausdehnung mit dreifacher Umwallung einschliessen, ein Werk, das
heute noch das Staunen des Reisenden erregt. 300,000 Menschen
sollen nach den Berichten der Missionare daran gearbeitet haben. —
Yeddo sollte der Mittelpunkt der Streitmacht und der künftige Sitz
der Herrscher werden: Fide-tada umgab sich hier mit einem
glänzenden kriegerischen Hof und auserwähten Truppen, der mate-
riellen Basis der künftigen Macht seines Hauses, während Jyeyas von
SuKUNGA aus den Mikado und sein Mündel Fide-yori beobachtete.
Eine starke Garnison, die oft gewechselt wurde, stand in Fusimi,
zwischen Miako und Osaka, um beide in Schach zu halten.
Was die Veranlassung zum Ausbruch der Feindseligkeiten
gegeben habe, ob Fide-yori wirklich Miene gemacht, seinen Vor-
mund anzugreifen, ist ungewiss; dass aber seine Parthei nicht
unthätig, sondern auf Alles vorbereitet war, beweist der kräftige
Widerstand, den Jyeyas und Fide-tada fanden, als sie 1614 Osaka
überfielen. Sie mussten sich genügen lassen, Frieden zu schliessen
und nach Yeddo heimzuziehen, brachen aber von da alsbald wieder
auf, rückten in Eilmärschen gegen Osaka und griiTen die Festung
von neuem an. Die Belagerten thun einen Ausfall, schon will sich
nach blutigem Kampfe der Sieg ihnen zuwejiden, da stecken Ver-
räther in ihrem Rücken das Schloss in Brand. Fide-y-ori verschwand
in dem Gemetzel: wahrscheinlich ist er gefallen, doch fand man
seinen Leichnam nicht, und lange war die Meinung verbreitet, er lebe
in Kiüsiü in der Verborgenheit. Seine Parthei war vernichtet ; seine
Mutter soll gefangen nach Yeddo gefuhrt und dort lüngerichtet
worden sein.
Osaka fiel 1615. Schon im folgenden Jahre starb Jyeyas,
wahrscheinlich an einer im Entscheidungskampf erhaltenen Wunde.
Die Stellung des Jyeyas in der japanischen Geschichte ist
sehr merkwürdig. Der altberühmten Familie Minamoto entsprossen.
Die Stellung des Jyxyas. 75
die sich ursprünglich aus dem Mikado - Geschlecht herleitet und dem
Reiche schon zwei Herrscherdynastieen gegeben hatte, steht er
mit seiner Jugend") in der Zeit der blutigsten Fehden und sieht
alle Phasen und Uebergänge der poUtischen Entwicklung von der
tiefsten Zerrüttung und Anarchie bis zum wohlgeordneten Staate
an sich vorübergehen. Er verbündet sich dem Nobü-nanga, der
für den Siootjit Yosi-aki eintritt, unterwirft sich ihm, da er die
Herrschaft an sich reisst, und benutzt dessen Gunst, um seine
eigene Macht, die sich ursprünglich nur auf das kleine Fürstenthum
Mika WA erstreckte, über einen grossen Theil des Kuanto auszu-
dehnen. Ohne sich durch hervorragende Thaten ausgezeichnet zu
haben, steht er unter Taiko-sama als der bedeutendste und ein-
flussreichste Mann des Reiches da. Beim Tode des Letzteren fallt
ihm in seinem sechsundfunfzigsten Jahre die oberste Gewalt zu,
nach der er früher nicht gestrebt zn haben scheint. Taiko-Sama
wusste, dass er allein fähig war, das Reich zusammen zu halten:
wich aber Jyeyas seinen Mitregenten, so verfiel das Land wieder
der tiefsten Zerrüttung.
Die dynastischen Verhältnisse dieser Periode sind wieder
sehr merkwürdig. In Miako hält ein machtloser Erbkaiser Hof, in
Osaka der als rechtmässiger Erbe der Herrschaft anerkannte Sohn
des Taiko-sama, in Süäunoa der wirkliche Machthaber Minamoto-
NO- Jyeyas, in Yeddo dessen Sohn und erklärter Erbe, der Siogun
FiDE-TADA. Um ihn sammelte sein Vater alle Stützen und Boll-
werke der Herrschermacht: sein Hof wird von den Europäern, die
ihn besuchten, als überaus glänzend und viel prächtiger als der
des Jyeyas geschildert. — So allgemein die auf seiner göttlichen
Abstammung beruhende Würde des Mikado, eben so allgemein war
das Erbrecht des Fide-yori auf den Herrschertitel, aber auch die
thatsächUche Macht des Jyeyas als legal anerkannt. Er regierte
das Land als Minister des Fide-yori, wie die Fosio über ein Jahr-
hundert lang Japan als Minister der Nachkommen des Yori-tomo
unumschränkt beherrschten. Eine ähnliche Stellung hätten vielleicht
Jyeyas und sein Geschlecht den Nachkommen des Taiko-sama
gegenüber eingenommen, wenn sich Fide-yori mit dem Herrscher-
titel und dem Glänze des Hofes begnügt hätte. Dahin deuten alle
Anzeichen. Man begreift sonst nicht, warum der tief blickende
"") Sein Geburtsjahr 1542 ftllt ungefthr mit der ersten Ankunft der Portugiesen
zusammen.
• ^> Stellung des Jystas. — Die Lage der Christen.
Jyeyas Jenen nicht zugleich mit den besiegten Regenten beseitigte.
Der gehässige Meineid musste wo möglich vermieden werden; aber
der hohe Sinn des Fide-tori und seiner Mutter liess ihm keine
Wahl, er musste sie vernichten oder selbst das Feld räumen. Dass
im letzten Falle Japan wieder eine Beute blutiger Fehden geworden
wäre, ist wahrscheinlich, denn Fide-yori war zu jung und uner-
fahren, um die Fürsten unter so schwierigen Verhältnissen in Zaum
zu halten. . Er wurde von seinem Vormunde in dem Äugenblick
überfallen, da ihn dieser seinem Eide gemäss in die Herrschaft
hätte einsetzen sollen.
FiDE - TADA und seine nächsten Nachfolger waren bedeutende
Regenten; sie wussten das politische System, durch welches Taiko-
SAMA und Jyeyas dem Lande Einheit und Frieden gaben, weiter
auszubilden, ihre Macht zu consolidiren und die Dynastie fest zu
begründen. Jyeyas steht den Japanern noch heute als ein mit
tiefster Weisheit begabter Heros da. Er heisst der Friedensfurst,
und in der That haben seine Einrichtungen dem Lande nun über
zwei Jahrhunderte den Frieden bewahrt. Seine Gesetze galten bis
in die neueste Zeit als unverletzlich und unwiderruflich.
Die Aussichten der Christen schienen 'sich nach Taiko-sama's
Tode Anfangs günstig gestalten zu wollen. Ihr Einfluss war bei der
Unsicherheit der Verhältnisse nicht zu verachten : die kampfgeübten
Truppen des Fürsten von Fiügo imd ein grosser Theil der Bewohner
von Kiusiu waren Christen, einzelne Gemeinden gab es in allen
Theilen des Reiches und die Bekehrung hatte noch immer glänzenden
Fortgang. Jyeyas gab weitreichende Versprechimgen und erklärte,
die Religionsedicte des Ta'iko-sama nur deshalb jetzt noch nicht
widerrufen zu können, weil es sonst scheinen möchte, als verachte
er dessen Ansehn. Die Geistlichen legten ihre Amtstracht wieder
an, öffneten die Kirchen und tauften und predigten ohne belästigt
zu werden. Der in den politischen Angelegenheiten des Landes
gewiegte Ordens -Visitator Valignan hielt sich damals viel in der
Nähe des Hofes auf, um die Conjuncturen zu erspähen und die
Christen ihrem Interesse gemäss zu leiten. Recht entschieden nahmen
sie niemals Farthei: im Regentenkriege schlugen sich die christlichen
Fürsten von Kiusiu nach langem Schwanken auf die Seite des
Jyeyas, während der Fürst von Fiügo mit seinen Truppen gegen
Christenverfolgimgen auf Kiusiu.
77
diesen Parthei ergriff. An ihm verloren die Christen ihren mäch-
tigsten Beschützer^*).
Als Jyeyas 1600 in den Vollbesitz der Macht gelangt war, leoo.
erwartete man vergebens die Abschaffung des Religionsedictes. Er
erklärte jetzt im Gegentheil, dass weitere Bekehrungen, besonders
unter den höheren Ständen, unzulässig seien, und dass. er die Geist-
lichen nur den portugiesischen Kaufleuten zu Gefallen dulde. Die
Jesuiten, die fast ganz von den europäischen Almosen lebten und
durch den Verlust mehrerer, von den Holländern gekaperter Schiffe
in die grösste Noth geriethen, unterstützte Jyeyas wiederholt durch
reiche Spenden. Mit weniger Gunst wurden die spanischen Mönche
behandelt, die nach der Aussage der Jesuiten, um den Portugiesen
zu schaden, die Ankimft reich beladener spanischer Schiffe im Hafen
von Yeddo, dessen Hebung dem Kaiser besonders am Herzen lag,
verheissen aber nicht bewirkt hatten.
Während nun Jyeyas selbst in den ersten Jahren seiner
Regierung die Christen nicht thätlich belästigte, begannen einige
Fürsten auf Kiusiu sie in ihren Districten zu verfolgen. Der mit
der Landschaft Fiuoo belehnte Fürst gebot, selbst ein Heide, über
fast lauter christliche Unterthanen; in Aribka schwor der Sohn des
regierenden Herrn den Glauben ab und veranlasste durch die
unwürdigsten Ränke seines Vaters Entsetzung und Tod, um dessen
Stelle einzunehmen. Diese Beiden befahlen zuerst — und nach ihrem
Beispiele einige Nachbarfursten — ihren Unterthanen, dem Christen-
glauben zu entsagen, und versuchten, als ihre Befehle erfolglos
bUeben, die Christen durch die Tortur zum Abfalle zu vermögen.
Der Widerstand war fast allgemein, obgleich man die Martern .bis
zum qualvollsten Tode steigerte. Mit Freuden gingen Leute aus
allen Ständen in den Märtyrertod; Mütter hielten ihre Kinder selbst
in die Flammen des Scheiterhaufens, kleine Knaben und Mädchen
boten sich den Henkern als Christen dar — so erzählen die Missio-
nare. Die Fürsten geriethen durch den einmüthigen Widerstand in
grosse Verlegenheit und mussten, um ihre Länder nicht zu entvöl-
kern, bald von der Verfolgung abstehen. Aber der früher nie
^^) Holländische Schriftsteller haben behauptet, dass die Jesuiten und alle ja-
panischen Christen entschieden gegen den Jyeyas Parthei genommen hätten, imd
stellen dies als Grund der Verfolgung dar. Aus den umständlichen Berichten der
Jesuiten aber geht deutlich hervor, dass sie unschlüssig waren und den Mantel auf
beiden Schultern trugen.
78
Neues Religionsedict. Verfolgungen.
gekannte Widerstand ihrer Untertbanen scheint bei den japanischen
Mächtigen grosses Missbehagen erregt zu haben: jetzt erst zeigte sich
recht lebhaft, in welchem Maasse das Christenthum das Bewusstsein
des Volkes geweckt, und wie grosse Macht die Missionare auf die
Gemüther der Bekehrten hatten. Jyeyas erliess, ohne die Lehns-
KiOß. fürsten zur Verfolgung ausdrücklich aufzufordern, im Jahre 1606
ein Edict, welches die christhche Religion abermals verbot: die
Geisthchen mussten ihre Amtstracht wieder ablegen, die Kirchen
schUessen. Im Uebrigen trat er nicht feindlich gegen sie auf, empfing
im Gegentheil in demselben Jahre den neuen Bischof Cerqueira und
im folgenden den Ordens -Visitator Valignan mit dem Pater Rodriguez
sehr ehrenvoll, und veranlasste die Letzteren sogar, seinen Sohn
FiDE-TADA in Yeddo zu besuchen; — sie wurden auch an diesem
Hofe glänzend aufgenommen. — In Yeddo bestand damals eine von
Franciscanern gegründete christhche Gemeinde. —
Das Edict von 1606 veranlasste in den folgenden Jaliren neue
Verfolgungen gegen die japanischen Christen von Seiten der Lehns-
fursten, namentUch auf Ejiusiu; man erfand die ausgesuchtesten
Grausamkeiten, gegen deren Schilderung das Gefülil sich sträubt.
Aber die Meisten bheben standhaft: in Nangasaki, das ganz von
Christen bewohnt war, konnte der kaiserhche Statthalter, ein er-
bitterter Christenhasser, mit aller Strenge nichts ausrichten, überall
standen die Missionare den Gläubigen tröstend und ermuthigend zur
Seite, ja sie begeisterten sie durch Verheissimg himmhscher Freuden
zum Verlangen des Märtyrertodes. Dennoch findet sich nirgend er-
wähnt, dass ausser dem nur nominell bestehenden Verbannungsedict
und dem Verbote des öffenthchen Gottesdienstes vor dem Jahre 1610
irgend welche Maassregeln gegen die europäischen Geisthchen er-
griffen worden wären. Im Gegen theü erhielt der General -Gouverneur
der PhiUppinen, Don Rodrigo de Vivero y Velasquo, welcher 1608^')
'^ Adams giebt 1609 an. Seit dem Anfange des Jahrhunderts ging jährlich ein
gi'osses Schiff von Manila nach Acapulco; ein solches benutzte Don Rodrigo zur
Heimreise. — Er spricht sich mit der grossten Befriedigung über seinen Empfang,
mit Bewundei-ung über die geordneten Zustände des Reiches aus , und erklärt , wenn
er keine andere Pflichten hätte, gern sein Leben in Japan beschliessen zu wollen.
Die ganze Ladung des Schiffes wurde freigegeben, obwohl sie nach den Landes-
gesetzen der Regierung verfiel. Jyeyas Hess dem Gouverneur durch Adams ein
neues Schiff bauen, auf welchem die Spanier glücklich Acapidco erreichten. Von da
kam 1611 eine Gesandtschaft nach Japan, um für die genossenen Wohlthaten zu
danken und jenes Schiff zu bezahlen; sie scheint aber imter den veränderten
Don Rodrigo de Vivero. Die »Madre de Dios«.
79
auf der Heimreise nach Spanien (über Acapulco und Mexico) an der
japanischen Küste Schiflfbruch ütt und während seines fast zwei-
jährigen Aufenthaltes im Lande von Jyeyas imd Fide-tada mit der
grössten Auszeichnung behandelt wurde, das Versprechen, dass die
christUchen Priester der verschiedenen Orden künftig des kaiser-
Uchen Schutzes gemessen und in der freien Verfügung über ihre
Häuser und Kirchen auf keine Weise beeinträchtigt werden sollten.
Sein Ansinnen dagegen, Jyeyas möge die Holländer, welche im
Jahre 1608 zuerst mit zwei Schiffen nach Japan gekommen waren,
auf immer aus seinem Reiche verbannen, wurde höflich abgewiesen.
Bald nach der Abreise des Don Rodrigo und noch im Jahre leio.
1610 ereignete sich ein Vorfall, der bei den Japanern grosse Er-
bitterung gegen die Spanier und Portugiesen hervorrief. Einige von
diesen geriethen nämlich in Miako mit Eingeborenen in Streit, es
kam znm Handgemenge und beide Partheien Hessen Todte auf dem
Platze. Die japanischen Behörden verlangten von den Fremden
die Auslieferung der Rädelsführer, diese verweigerten sie und ent-
wichen nach Nanoasaki. Die Sache kam vor Jyeyas, welcher im
Zorn über solch unloyales Benehmen, dem Fürsten von Arima be-
fahl, die Uebelthäter in Nanoasaki zur Strafe zu bringen. Diese
flüchten auf ein grosses spanisches Schiff »La madre de Dios«,
dessen Befehlshaber auch die übrigen portugiesischen Kaufleute der
Stadt an Bord nimmt und unter Segel geht. Die » madre de Dios «
muss wegen Windstille in einer benachbarten Bucht ankern und
wird dort von einer sehr überlegenen Bootsflotte des Fürsten von
Arima angegriffen. Während des Gefechtes geräth das Schiff in
Brand, der Capitän sprengt es in die Luft, alle Spanier und
Portugiesen und viele Japaner kommen um. — So berichten die
Missionare diese Begebenheit, deren nähere Umstände in Dun-
kel gehüllt sind. Jyeyas befahl, nach ihrer Aussage, im ersten
Zorn alle Fremden in Japan zu tödten und die Geistlichen zu
verjagen, liess aber diesen Befehl nicht zur Ausfahrung bringen.
Schon 1611 erhielten die portugiesischen Kaufleute von neuem die
Verhältnissen ungnädig aufgenommen worden zu sein. S. Rimdall Memorials of the
Empire of Japon. London 1850. (Hakluyt society.) Appendix. — Der Auszug aus
den Aufzeichnungen des Don Rodrigo wurde zuerst im Asiatic jom'nal, July 1830
gedruckt Rundall erklärt, dass alle seine Bemühungen, das Original einzusehen,
fruchtlos gewesen seien. Dennoch ist auch ihm die Aechtheit des Documentes aus
inneren Gründen unzweifelhaft.
oi) Edict von 1613. Ausweisung der europäischeii Geistlichen.
Erlaubniss im Lande Handel zu treiben*'). Unglücldicherweise wurde
noch in demselben Jahre neuer Argwohn geweckt durch das Er-
scheinen eines spanischen Kriegsschiffes, welches Vermessungen
an der japanischen Küste vomalun. Die Holländer mögen es damals
an Verdächtigungen ihrer Erbfeinde nicht haben fehlen lassen, wozu
ilmen Jene alle Veranlassungen gaben; denn sie stellten die Holländer
als aufrührerische Unterthanen ihres Königs und als Seeräuber dar,
und Hessen kein Mittel unversucht um ihre Ausweisung zu bewirken.
Man kann kaum zweifeln, dass die protestantischen Niederländer
auch die katholische Missionsthätigkeit als unheilvoll für das Land
und eine Invasion vorbereitend verdächtigten; das lag in der Natur
der Umstände.
Die Maassregeln gegen die Christen wurden nun verschärft-,
die Verfolgung, die eine Weile geruht hatte, begann mit neuer
Heftigkeit; Jyeyas selbst verbannte vierzehn seiner vornehmsten
Hofbeamten, welche den Glauben nicht abschwören wollten. Be-
sonderen Anstoss erregte bald nachher das Betragen der Christen
von MiAKO, welche einen Überfahrten Verbrecher, der nach den
Landesgesetzen den Tod verdient hatte, in feierlichem Zuge klagend
und tröstend zur Richtstätte geleiteten und so gleichsam zum Mär-
tyrer stempelten; ebenso die Widersetzlichkeit der Bewohner von
Namgasaki, die in öffentUcher Versammlung den Beschluss fassten,
sich dem Befehle zur Abschwörung des Glaubens nicht zu fugen
und die Vertreibung der europäischen Geisthchen niemals zu dulden **).
Ein solches Auftreten gegen die Obrigkeit war in Japan unerhört
1613. Jyeyas erliess im Jahre 1613 ein neues Edict, in welchem die clmst-
Uche Religion für verderbUch erklärt und auf das Strengste verboten
wurde; die Kirchen sollten niedergerissen und alle Geisthchen ver-
trieben werden. — Dieser Befehl ward nun allen Ernstes ausgeführt.
Die Regierung richtete eine systematische Verfolgung aller ein-
geborenen Christen ein; sämmthche europäische Missionare mussten
sich in Nanoasaki versammeln imd am 25. October 1614 auf drei
Dschunken einschiffen. Es waren 22 GeistUche aus den Orden der
^) Nach Aussage der Jesuiten Hess Jykyas durch ihre Vermittelung die Por-
tugiesen in Macao ausdrücklich zur Rückkehr auffordern. Sie sclüeben die Schuld
der gegen sie ergriffenen Maassregeln auf die Verleumdungen der Holländer, und
erklären die schnelle Wiederanknüpfiing des Verkehrs aus dem Umstände» dass
Jyeyas mit den von Jenen eingeführten Waaren nicht zufrieden gewesen wäre.
^^) Dies sind Thatsachen, welche die Jesuiten selbst berichten.
BehaiTÜchkeit der Missionare. ol
Dominicaner, Franciscaner und Augustiner, 117 Jesuiten, 100 Semi-
naristen, 100 Katecheten. Mit ihnen schifften sich mehrere japanische
Geistliche, Candidaten und Laienbriider und der aus der Geschichte
des Taiko-sama bekannte Taka-yama-Ukon mit seiner Familie ein.
Die Abfahrenden hatten viele kleine Boote mitgenommen, in welchen
sie die Ufer heimlich wieder zu erreichen hofften, aber die japanischen
Wachtschiffe geleiteten sie weit auf die hohe See hinaus und ver-
eitelten jeden Landungsversuch. 18 Jesuitenvätem, einigen Laien-
brüdem und Seminaristen und mehreren Mönchen aus den anderen
Orden gelang es, sich zur Zeit der Abfahrt in Naägasaki zu ver-
bergen und von da heimUch unter allerlei Verkleidungen wieder in
das Innere des Landes zu dringen. Man rechnete um diese Zeit
gegen 600,000 Christen in Japan.
Wälirend der Kämpfe zwischen Jyeyas und Fide-yori®*)
und noch einige Monate nachher hatten die Christen Ruhe; bald
aber fand Fide-tada Veranlassung, mit verschärfter Strenge gegen
sie aufzutreten. £s wurde bekannt, dass viele GeistUche sich dem
Verbannungsedict entzogen hatten, dass sie taufend, predigend
und die Gemeinden zum Widerstände anfeuernd durch das Land
schweiften. Zwei spanische Scliiffe setzten auf Kiüsitj 26 Francis-
caner an das Land, und auch auf anderen Schiffen, welche der
Sturm an die Küsten w^arf , fand man GeistUche. Dieser hartnäckige
Ungehorsam der Fremden musste den Siogün erbittern, es handelte
sich um die Behauptung seines Ansehns*'). Während man bisher
^) Adams und die Holländer behaupten , dass die Jesuiten und die japanischen
Christen in diesem Kampfe auf der Seite des Fioe-yobi gestanden hätten. Die
Jesuiten stellen in ihren Schriften vielfach Reflexionen darüber an, wie sich die
Lage für die Christen gestaltet hätte, wenn Fid£-yori siegte. Sie haben offenbar
versucht, sich an seinem Hofe Eingang zu verschaffen, bekennen aber selbst, andern
Widerstände seiner abergläubischen Mutter gescheitert zu sein. Adams schreibt,
FiDE - T ADA habe deshalb die Maassregeln gegen die Christen verschärft , weil er bei Ein-
nahme der Festung dort Jesuiten und Mouche gefunden hätte. Die Jesuiten dagegen,
welche keinen Grund hätten es zu verhehlen , — denn die Sache des Fids - yori erscheint
.auch in ihren Berichten als eine rechtmässige, — behaupten, dass nur ein Priester ihrer
Gesellschaft sich in der Stadt — nicht in der Festung — verkleidet aufgehalten und
mit genauer Noth aus dem allgemeinen Gemetzel das Leben gerettet habe.
•*) Die vielfach wiederholte Erzählung, dass um diese Zeit die Vorsteher des portu-
giesischen Handels sich mit einigen japanischen Grossen verschworen und den König von
Spanien durch ein Schreiben zur Eroberung Japans aufgefordert hätten , — dass dieser
Brief, durch Wegnahme des portugiesischen Schiffes, in die Hände der Holländer und
durch sie an den Sioqun gelaugt sei, bemht auf keinem irgend sicheren Zeugniss.
I. 6
Oa Schliessung der Uäfeu. Verbot ohne Pass ausser Landes zu reisen.
die Tortur und die Hinrichtung nur gegen Japaner in Anwendung
gebracht und sich begnügt hatte, die europäischen GeistUchen aus-
zuweisen, wurde nun auch über diese die Todesstrafe verhängt, wo
sie sich im Lande finden Hessen®*); auch jeder Japaner, der einen
Priester beherbergte, hatte das Leben verwirkt. Um strengere Auf-
1617. sieht zu üben, liess Fide-tada schon 1617 alle Häfen, ausser
FiRANDo und Nanoasaki, dem fremden Handel schUessen. Aber
selbst diese Maassregeln blieben fruchtlos und konnten nicht ver-
hindern, dass sich nicht jährhch einige GeistUche ins Land sclüichen.
Sie wussten sich unter allerlei Verkleidungen auf japanischen
Dschunken Aufnahme zu verschaffen und brachten, wo ihr Stand
entdeckt wurde, oft Tod und Verderben über deren unschuldige
1621. Bemannmig. Deshalb verbot die japanische Regierung 1621 **) iliren
Unterthanen, die bisher ganz frei ausser Landes verkeluii und nach
Korea, Cliina, Formosa, Siam und Manila Handel getrieben hatten,
sich von nun an ohne kaiserlichen Pass aus dem Lande zu entfernen.
Zugleich wurden die Strafen gegen die Hehler der Geistlichen
verschärft: nicht nur die Bewohner des Hauses, wo ein solcher
sich finden liess, sondern auch die Einsassen der Nachbarhäuser
zu beiden Seiten sollten sterben. Gegen die Europäer schritt
die Obrigkeit jetzt mit der äussersten Strenge ein: im Jahre
1622 wurden imter anderen die ganze Bemannung und alle Passa-
giere eines von den Holländern an der japanischen Küste aufge-
brachten spanischen Schiffes hingerichtet, weil verkappte Priester
1624. an Bord waren. — 1624 endUch erschien ein Edict, das alle
Fremden, ausser den Holländern und Engländern, aus Japan ver-
bannte. Li Nanoasaki hielt die Obrigkeit strenge Haussuchung,
alle, auch die Koreaner und Chinesen, wurden eingeschifft; die mit
Japanerinnen verheirathet waren, mussten ihre Familien zurücklassen,
auf den Kirchhöfen stürzte man alle Kreuze um. Nur einige
^) Sie wurde zunächst an einem Jesuiten, einem Franciscaner, einem Dominicaner
und einem Augustiner vollstreckt Bisher, sagen die Jesuiten, hatten die Japaner es filr
barbarisch erachtet, Fremde, die sie einmal bei sich aufgenommen hätten, umzubringen,
zumal wenn sie auf den Befehl ihrer Vorgesetzten in das Land kämen. Die beharrliche
Pflichttreue der Geistlichen liess dem Siogun kaum einen anderen Weg offen.
^).Bis zu diesem Jalire bestand noch eine japanische Niederlassung bei Manila
auf Luzon. Japanische Matrosen kamen 1614 mit Capitän Saris nach England,
japanische 'Kaufleute trieben Handel nach Mexico. — Im Jahre 1603 zaiilten die
Japaner sechszehn Völker, mit denen sie in Freundschafls - und Handelsbeziehungen
standen. S. Siebold Nippon Bd. I.
Verbannung der Portugiesen, Koreaner und Chinesen. Desima. öd
seit lange in Nanoasaki angesessene portugiesische Kaufleute, die
besonderes Vertrauen genossen, durften zurückbleiben und unter
Aufsicht der Obrigkeit ihren Handel fortsetzen. Für sie wurde auf
kaiserlichen Befehl im Jahre 1635 im seichten Wasser vor Nanoasaki
dicht am Ufer die kleine Insel Desima aufgeschüttet und mit Pfahl-
werk und Palisaden umgeben; dort lebten sie seitdem unter steter
Bewachung wie im Gefangnisse. Alle diese Maassregeln waren
gegen die Geistlichen gerichtet, gegen deren Eindringen, da sie
jede Verkleidimg, jede List zur Erreichung ihrer Zwecke benutzten,
die Regierung sich vergebens zu schützen suchte. Dass aber das
Christenthum fiir Japan und ganz besonders für das neue Regie-
rungssystem verderblich und mit allen Wurzeln auszurotten sei,
wurde von jetzt an unumstössliches Axiom für die Herrscher aus
dem Hause des Jyeyas**).
Die Verfolgung der Christen dauerte vom Jahre 1616 an in
allen Theilen des Landes fast ununterbrochen fort Durch das
^*) Sehr merkwürdig, und ein Beweis, dass das Misstrauen des Siooun gegen
die Geistlichen gegründet war, ist die Botschaft, mit welcher der Fürst von Osio
den spanischen Franciscaner Luis Sotelo im Geheimen an den Papst und den
Konig von Spanien sandte; ein japanischer Edelmann begleitete den Mönch. Sie
wurden von Paul V am 23. November 1615 in feierlicher Audienz empfangen. Das
Schreiben des Fürsten enthält, soweit es gedruckt ist, nur dessen Wunsch, mit
seinen Uuterthanen zum Christenthum überzutreten: er bittet deshalb, ihm einige
Franciscaner und einen hohen Prälaten zu senden, — bittet den Papst fenier, ihn
der Freundschaft des Königs von Spanien zu empfehlen; sein Fürstenthum (im
Nordosten von Nippon) liege nicht weit von Neu -Spanien, mit dem er in Verkehr
zu treten wünsche. Ueber die mündlichen Anträge an den König und den Papst
verlautet nichts; dass aber die ganze Sendung politischer Natur war, ist kaiun zu
bezweifeln. Hochverrätherisch war damals schon die Absicht, Geistliche in das Land
zu ziehen. — Als Sotelo über Neu- Spanien nach Japan zurückkam, wüthete dort die
Christenverfolgung am heftigsten; er wurde gefangen imd, nach langer Hafl in den
berüchtigten Kerkern von Omüra, bei langsamem Feuer verbrannt. Das Antwort-
schreiben des Papstes, die Reliquien und Geschenke für den Fürsten von Osio
müssen bei ihm vorgefunden worden sein; — dass er sie im Kerker noch bei sich
verbarg, geht aus einem Briefe hervor, den Sotelo an einen andern in Nanoasaki
versteckten Ordensbruder richtete. S. Diego de San Francisco Relacion verdadera
. y breve de la persecucion que padecieron por la Fe de Christo S. N. quince Re-
ligiosos Descalgos etc. Manila 1625. und Acta audentiae publicae a S. D. N. Paulo V
Pont. max. opt. regis Voxu Japoni legatis.... exlübitae. 1615. Rom 1615; Mexico
1626. — In den Berichten der Jesuiten hcisst es, der Fürst von Osio habe plötzlich
angefangen, die Christen grausam zu verfolgen, um sich beim Siogun von dem Ver-
dacht, er habe eine Gesandtschaft nach Europa geschickt, zu reinigen.
6*
o4 Grausame Christenveifolgung.
ganze Reich war eine Art von Inquisition organisirt, welche die
Christen aufspüren und zur Abschwörung des Glaubens vermögen
sollte. Anfangs brauchte man gelinde Maassregeln: die Christen
blühender Districte wurden in entlegene Landschaften versetzt, die
Beamten suchten durch Drohungen und Einschüchterimgen zu wirken.
Gewalt wandte die Obrigkeit auch später nur an , wo sie dem Wider-
stände begegnete , und doch hat vielleicht die Weltgeschichte nichts
Aehnhches an ausgesuchter, überlegter Grausamkeit aufzuweisen;
denn der Widerstand war fast allgemein, und da die Verfolger
nicht den Zweck hatten, die Christen umzubringen, sondern sie
zur Abschwörung des Glaubens zu treiben, so marterten sie ihre
Opfer langsam zu Tode. Die Freudigkeit, mit der die Bekenner in
den Tod gingen, ihre Standhaftigkeit unter den unsäghchsten Qualen
gewann ihnen selbst und dem Chris tenthum bei der Menge grosses
Ansehn und erbitterte 'die Obrigkeit immer mehr, der Trotz musste
gebrochen werden*^). Es soll damals eine Verordnung erschienen
sein, welche den Märtyrertod der Christen verbot: der Sinn ist,
dass die Widerspänstigen so lange, bis die Gefahr des Todes ein-
träte, gefoltert und dann wieder gepflegt werden sollten, bis der
Körper fähig wäre, neue Martern zu ertragen. Zuletzt erreichte
die Regierung ihren Zweck, denn die Meisten konnten die entsetz-
lichen Qualen auf die Länge nicht aushalten.
Von den spanischen und portugiesischen Geistüchen starben
jährhch mehrere den Märtyrertod; auch bei ihnen wandte man
^ Man darf weder die todesmuthige Festigkeit der japanischen Christen noch
die Grausamkeit ihrer Verfolger ganz nach dem Maasse europäischen Gefühls
beurtheilen. Ohne der Glaubenstreue der Bekenner zu nahe treten oder die Rohheit
ihrer Henker beschönigen zu wollen, muss hier doch gesagt werden, dass bei allen
ostasiatischen Völkern, zum Theil gewiss in Folge der buddistischen Lehren, der
Tod und alle körperlichen Leiden als geringe Uebel angesehen werden, — femer,
dass das Nervensystem dieser Völker ein ganz anderes ist , als das unsere , und das0
sie Verletzungen mit Gleiclunuth ertragen, bei welchen den meisten Europäern die
Sinne schwinden wüi'den. Dies ist rein körperlich. Die Freude an Grausamkeiten
gegen Menschen und Thiere ist eine angeborene Eigenschaft der roheren Classen in
Japan und China. Die Classe der Gerber, aus welcher die Scharfrichter genommen
werden, ist, wie alle, deren Gewerbe es mit sich bringt, verwesende Stoffe zu be-
rühren, in Japan von der bürgerlichen Gesellschaft ausgeschlossen. Sie bilden eine
besondere Kaste, wohnen abgesondert, dui'fen nicht in andere Classen heiratheu,
und werden gradezu als nicht zum japanischen Volke gehörig angesehen. Ihre Be-
rührung macht unrein.
Die letzten Missionare. Gänzliche Ausrottung des Christeuthumes.
85
die grausamsten Torturen an, um sie zur Verleugnung ihres Be-
kenntnisses zu bringen. Trotz den streng bewachten Küsten und
dem sicheren matervollen Tode schlichen sich ihrer jährlich noch
mehrere in das Land; sie wanderten tröstend und ermahnend von
Gemeinde zu Gemeinde und vollzogen selbst in dieser Zeit noch
viele Taufen. Nur wenige kehrten zurück , ihre Zahl nahm ungeachtet
des beständigen Zuwachses jährUch ab. Bis zum Jahre 1633 kamen i633.
noch zuweilen ausfiihrUche Berichte nach Europa, voll rührender
Erzählungen von der Treue und Glaubensfreudigkeit der Japaner;
von da an hat man nur spärliche Nachrichten. Bei dem Aufstände
von Arima im Jahre 1637, von welchem später die Rede sein wird,
sind wahrscheinUch keine europäischen Geistlichen gegenwärtig
gewesen, wenigstens giebt es von solchen keine Berichte darüber.
Man weiss, dass 1642 ein Jesuit hingerichtet wurde; 1643 waren
noch drei gefangene Jesuitenväter in Yeddo, die später auch den
Märtyrertod starben. Ein portugiesischer Renegat, der im Jahre 1633
abgefallene Provincial- Vorsteher der Jesuiten in Japan, Ferreira,
war das Hauptwerkzeug zur Verfolgung seiner Glaubensbrüder
geworden; er fungirte als Dolmetscher am Hofe von Yeddo und
leitete mit höhnender Grausamkeit die Verhöre gegen seine ehe-
maligen Amtsgenossen. In der Mitte des Jahrhunderts, während
der Minderjährigkeit des Siooun Jye-tsuna, Hess die Strenge gegen
die Christen etwas nach, aber nur auf kurze Zeit Noch 1658
und 1660 kamen Hinrichtungen in Nanoasaki vor. Zur Zeit Kämpfers,
um das Ende des Jahrhunderts, begnügte man sich, die Christen
bei schlechter Kost gefangen zu halten und von Zeit zu Zeit
zur Abschwörung des Glaubens aufzufordern. Es waren ihrer im
Jahre 1692 noch fünfzig im Kerker von Nanoasaki..
Um 1614 gab es nach den Berichten der Missionare 600,000
Christen in Japan; es ist schwer zu glauben, dass ihre Zahl sich
unter den späteren Verfolgungen noch vergrössert habe**). Von der
Gesammtzahl der Opfer hat man keine Nachricht, sie muss aber,
wenn auch bei weitem die Meisten den Glauben wieder abschworen,
immer noch sehr beträchtlich gewesen sein.
^) Herr von Siebold giebt die Zahl der Christen, wahrscheinlicli nach japani-
schen Nachrichten, auf 1,750,000 an. Sollten die Japaner hier nicht alle meinen,
die sich überhaupt seit 1549 taufen Hessen?
86
Holländische Unternehmungen nach Ostindien.
Die Vereinigung Portugals mit Spanien nach dem Tode
König Heinrich'a (1581) brachte eine grosse Veränderung in die Ver-
hältnisse des Welthandels. Bisher hatte Portugal fast ganz Europa
mit den überseeischen Erzeugnissen versorgt: jetzt konnten die
Engländer und Holländer, Spaniens Feinde, ihre Bedürfhisse in
Lissabon nicht melir holen und öffneten sich deshalb selbst die
Wege nach Ostindien. Die erste holländische Flotte segelte 1595
dahin; bald nachher wurde die holländisch -ostindische Handels-
compagnie gegründet.
Im Jahre 1598 verliess ein holländisches Geschwader von
fünf Schiffen unter dem Befehle des Jaques Mahu den Texel,
um, durch die Magelansstrasse in den Stillen Ocean dringend, die
Westküste von Süd -Amerika und von da Ostindien zu erreichen.
Ein gewisser Dirk Gerritsz, der früher als Büchsenschütze auf
einem portugiesischen Schiffe nach Nanoasaki gekommen war, leitete
damals die Blicke der Niederländer auf Japan und begleitete selbst
die Expedition des Mahu. Ihr Zweck war, wie gewöhnUch bei
holländischen Unternehmungen jener Zeit, zugleich Handel, etwas
Seeraub'") und die Entdeckung neuer Länder. — Nachdem bei
der Einfahrt in die Südsee ein Sturm das Geschwader zerstreut
hatte, fanden sich zwei von den Schiffen bei einer Insel an der
peruanischen Küste wieder zusammen. Ein unglückUcher Zusam-
menstoss mit den kriegerischen Eingeborenen kostete den Holländern
so viele Leute, dass sie die beiden Schiffe kaum noch regieren
konnten; der Beschluss aber, das eine zu verbrennen, kam durch
die Eifersucht der Befehlshaber nicht zur Ausfuhrung, und man
beschloss auf die Kunde, dass spanische Kriegsschiffe in der Nähe
seien, jetzt direct nach Japan zu segeln. Heftige Winde trennten
unterwegs die beiden Fahrzeuge; das eine ist verschollen, das andere,
»De Liefde« genannt, trieb nach langer mühsehger Fahrt an die
iGOO. Insel Kiüsiü und kam im April 1600 an der Küste von Bungo zu
Anker. Hunger und Krankheit hatten unter der Bemannung stark
aufgeräumt; von den fünfundzwanzig üeberlebenden konnten sich
nur sechs auf den Füssen erhalten. Der Fürst von Bungo liess
die ganze Mannschaft an das Land bringen und mit allem Nöthigen
versehen. Die meisten erholten sich: zwei starben noch am Tage
der Ankunft, vier andere etwas später.
^ Man kann es nach heutigen Begriffen nicht anders nennen, wenn die See-
falircr u. A. die wehrlosen Bewohner abgelegener Inseln überfielen und plünderten.
Dio ersten Holländer in Japan. W. Adanis. 87
Da man sich durchaus nicht verständigen konnte, so liess
der Fürst Portugiesen aus Nangasaki herbeirufen, welche die
Holländer sogleich für Seeräuber erklärten •*). Ihre Lage wurde
noch verschlimmert durch zwei Verräther aus ihrer Mitte, die sich
auf Kosten der Uebrigen zu bereichern dachten; der Fürst von
BiTNOo setzte die ganze Mannschaft gefangen. Nur Einer, der
Steuermann WiUiam Adams, ein Engländer von Geburt, wurde auf
Befehl des Jyeyas nach Surunga geschickt und dort zahlreichen
Verhören unterworfen. Jyeyas selbst fragte ihn aus, überzeugte
sich aber, trotz allen Machinationen der Spanier und Portugiesen,
welche, nach des Adams Aussage, die Hinrichtung der ganzen
Schiffsmannschaft verlangten und die Holländer als Piraten und
rebelüsche Unterthanen ihres Königs versclirieen, doch schliesslich
von deren UnschädUchkeit. Adams wurde in Freiheit gesetzt, ebenso
alle seine Gefälirten, welche unterdessen mit ihrem Schiffe nach
Osaka gebracht worden waren. Das Fahrzeug mussten sie ausliefern,
die Ladung aber befahl Jyeyas herauszugeben und liess, da bei der
ersten Ankunft Vieles gestohlen worden war, ihrem Bevollmächtigten
eine bedeutende Entschädigungssumme auszahlen'*). Ausserdem
gab er Jedem ein kleines Jahrgehalt und befahl ihnen im Lande
zu bleiben, erst einige Jahre später erhielten sie die Erlaubniss za^
Heimkehr. — Adams wusste sich durch seine mathematischen
Kenntnisse und praktische Geschicldichkeit in grosse Gunst bei
dem Herrscher zu setzen, baute später für ihn zwei Schiffe nach
europäischem Muster und trat in eine ehrenvolle und einilussreiche
Stellung. Durch ihn hauptsächUch wurde die Anknüpfung der
niederländischen und engUschen Handelsbeziehungen vermittelt").
^) -After wee had been tliere five or six dayes came a Portugall Jesuite and^
othcr Portugals who reported of us that wee were pirates and were not in the way
of inai'chandizing.« Brief des William Adams an seine Frau bei Purchas Pilgrimages
und bei Rundall Memoi-ials of the Empire of Japou. London 1850.
°^) »Saving 50,000 Rials in ready moncy was commanded to be given us, and
in his presence brought and delivered in the hands of one tlmt was made our go-
veiTior« etc. Brief des Adams »an seine unbekannten Freunde« , bei Purchas und Rundall.
^ Adams trat später mit Erlaubniss des Jyeyas in den Dienst der englisch-
ostindischen Compagnie, machte iur dieselbe mehrere Reisen nach Siam und starb
in Japan 1620. Sein Testament ist uns erhalten: er vermacht darin die eine Hälfte
seines Vermögens seiner Ehefrau und Tochter in England, die andere den Kindern
seiner japanischen Gattm. — Capitän Cox, der Voi-stehcr der englischen Handels-
factorei ui Firando, besuchte auf der Reise nach Yeddo 1616 das Landgut des
^^ Der holländische HaDdelspass.
Unter den übrigen Reisenden der »Liefde« scheinen nur der Befehls-
haber Jakob Quakemaak und der Supercargo Van Sanvoort Ge-
brauch von der Erlaubniss zur Heimkehr gemacht zu haben. Sie
erreichten auf einem, vom Fürsten von Firando dazu ausgerüsteten
Fahrzeuge nach einigen Irrfahrten im Jahre 1606 die holländischen
Niederlassungen auf Java und gaben durch ihre Berichte der ost-
indischen Compagnie Veranlassung zu der Absendung zweier Schiffe.
ieo9. welche im Februar 1609 in Firando eintrafen. Der Fürst empfing
sie auf das beste und bahnte den mit Briefen des Prinzen Moritz
von Nassau - Oranien versehenen Bevollmächtigten den Weg nach
SuRUNOA und Yeddo. Sanvoort, der unterdessen nach Nangasaki
zurückgekehrt war und dort für eigene Rechnung Geschäfte machte,
und WiUiam Adams unterstützten sie mit ihren Kenntnissen des Landes
und der Sprache; sie wurden von Jyeyas und Fide-tada ehrenvoll
empfangen und erhielten für die Compagnie die Erlaubniss, nach
Japan Handel treiben zu dürfen. Der ursprüngUche Handelspass
lautete:
■Wenn holländische Schiffe nach Japan kommen, so' soll man
sie, wo sie auch landen mögen, nicht daran verhindern. Man
soll fortan diesen Befehl, sie frei gehen und kommen zu lassen,
befolgen und nicht davon abweichen: das ist in Kürze unser
bestimmter Willen.« Folgt das Datum übereinstimmend mit
dem 25. August 1609 und das Siegel des Jyeyas"').
Mit ihren Waaren machten die Holländer damals schlechte
Geschäfte; nur die Gefälligkeit des Fürsten von Firando, der, um
sie zum Wiederkommen zu ermuthigen, einen grossen Theil ihrer
unverkäuflichen Ladung übernahm, bewahrte sie vor schwerem
Adams, und schreibt darüber: »We arrived at'Phebe some 2 hours before uight,
where we staid all that night: for that Captain Adames wife and his two children
inet US theare. This Phebe is a Lordship geven to Capt. Adames pr. the ould
Emperour, to hym and his for eaver, and confeimed to his sonne, called Joseph.
There is above 100 farms, or howsholds, uppon it, besides others under them, all
which are his vassalsf and hc has power of lyfe and death'over them: they beiug
his slaues, and he having as absolute authoretie over them as any tono (or king) in
Japon hath ovcr his vassales.« S. Rundall Memorials etc.
^) S. Lauts: Japan in zijne staatkimdige en burgerlijke Inrigtingen. Amster-
dam 1847. Das Original - Document wurde Herrn Lauts durch den Minister der
Colonieen aus den Archiven der ostindischen Compagnie mitgetheilt. — Als Fioe-tada
den Fremden alle Häfen ausser Firando und Nangasaki schloss, erhielten die Hol-
länder einen neuen Handelspass, in welchem diese Beschi*änkung ausgedruckt war.
Die Engländer in Japan. ^^
Verlust. Erst 1611 schickte die Corapagnie wieder ein Schiff hinaus:
der Bevollmächtigte Jakob Specx überbrachte kostbare Geschenke
für den Fürsten von Firando, Jyeyas und Fide-tada, und befestigte
mit Hülfe des William Adams die Freundschafksbeziehungen zum
japanischen Hofe. Er wird als der Begründer des niederländischen
Handels nach Japan angesehen. In Firando legte Specx eine
bleibende Factorei an, wo man die eingeführten Waaren lagern
und günstige Conjuncturen abwarten konnte. Von dieser Zeit an
kamen jährhch niederländische Scliiffe nach Japan.
Inzwischen hatte man auch in England auf Veranlassung des
John Saris, der seit 1605 den britischen Handel in Bantam leitete,
Verbindungen mit Japan anzuknüpfen beschlossen; Saris selbst
wurde damit beauftragt. Er ging mit seinem Schiffe »the Clove«
im Juni 1613 vor Firando zu Anker, wurde von dem Fürsten, dem I6i3.
er ein Schreiben seines Souveräns überbrachte, mit grosser Aus-
zeichnung empfangen, und trat unter Leitung des aus Yeddo herbei-
gerufenen Adams '^) bald die Reise nach Hofe an. Jyeyas nahm
aus seinen Händen das Schreiben Jakob*s I entgegen und gewährte
auch den Engländern ausgedehnte Handelsfreiheiten"). — Saris
gründete ebenfalls in Firando eine Factorei, bei welcher Adams
angestellt ^vurde; die Engländer machten aber schlechte Geschäfte
und konnten mit den Holländern, welche den Markt schon besser
kannten, nicht Schritt halten. Es kam zu Reibungen, die Handels-
vorsteher verklagten einander sogar gegenseitig bei Jyeyas. Da
gelangte 1620 die Nachricht von der Vereinigung der englischen
und holländischen Compagnie und der Befehl nach Firando, auch
dort die Geschäfte hinfort gemeinschaftlich zu betreiben, und zwar
zu einem Drittheile für englische, zu zwei Drittheilen für hollän-
dische Rechnung. Aber die Engländer gaben schon 1623 ihre
Factorei und den japanischen Handel ganz auf. Die Compagnie
^1) Adams war Capitän Saris schon durch den Brief -an seine unbekannten Freunde
und Landsleute in Bantam« bekannt, den Jener durch die Holländer dorthin gelangen
Hess. Er fordert darin die Engländer dringend auf, Handelsverbindungen mit Japan
anzuknüpfen. Saris fand den Brief vor, als er, auf der Reise nach Japan, in
Bantam anlegte.
^) Auch die Engländer erhielten von Fide - taoa einen modificirten Handelspass,
nach welchem sie in Zukunft nur in Firando Handel ti'eiben, bei schlechtem Wetter
aber auch in allen anderen Hafen Schutz finden sollten. — Die ofBciellen Versionen
des ursprünglichen und des veränderten Handelspasses sind bei Rundall Memorials
of the Empire of Japon abgedruckt.
«^v Die Holländer in Firanoo.
1623. richtete damals Briefe an den Fürsten von Firai«do und an Jtkyas,
in welchen sie für die erwiesene Freundschaft dankt und die Wieder-
anknüpfung der Beziehungen unter günstigeren Umstanden in Aus-
sicht stellt.
Der holländische Handel brachte anfängUch wenig Gewinn.
Im Jahre 1617, als Fide-tada den Fremden alle Häfen ausser
Nanoasaki und Firando schloss, kam der Befehl von der Ober-
behörde in Amsterdam, die Factorei in Firando aufzugeben. Der
in Batavia residirende Kath von Indien war anderer Ansicht und
machte besonders geltend, dass Japan der Compagnie die besten
Soldaten und Seeleute liefere'"). Die Holländer hissten damals,
nach ihrer eigenen Aussage, die Blutflagge gegen alle portugiesischen
und chinesischen Schiffe und brachten ihren Raub in Japan zu
Markt; selbst engUsche Schiffe wurden geplündert. Der Siogüm
erliess zwar auf ihre Klagen den strengen Befehl, dass die mit
Japan verkehrenden Fremden einander in seinen Gewässern keinen
Schaden zufügen sollten, aber der Frieden dauerte nicht lange. Die
Holländer waren seit lange zur See die Mächtigsten und begannen,
als die Portugiesen mehr und mehr in Ungunst geriethen , aufs neue
das einträgliche Piratenhandwerk zu treiben. Unter diesen Um-
ständen that ihnen das um 1621 an die Japaner erlassene Verbot,
sich ohne kaiserlichen Pass ausser Landes zu begeben, grossen
Schaden, denn sie bildeten den besten Theil ihrer Mannschaften.
Aber man Uess sich diese und alle anderen den Fremden auf-
erlegten Beschränkungen ohne Widerrede gefallen, denn mit dem
Sinken des portugiesischen Verkehrs blühte ihr Handel mächtig
auf und brachte enormen Gewinn. Mit der Vertreibung der übrigen
Fremden im Jahre 1624 begann die Glanzperiode des niederländischen
Handels; seine Vertreter standen damals in hohem Ansehn und
wurden am Hofe zu Yeddo, wo sie jährUch kostbare Geschenke
überreichten, sehr elirenvoU aufgenommen"*'). Schon von 1627 an
verschlechterte sich ihre Lage wieder.
^ Die Holländer scheinen ihre ostindischen Eroberungen grossen Theils mit
japanischen Soldaten gemacht zu haben, deren Tapferkeit diu'ch den ganzen Orient
berühmt war. — Die Könige von Siam hatten damals eine japanische Leibwache.
^) Ln Jahre 1626 wai'en die Abgeordneten der Compagnie mit ilu'cm Beschützer,
dem Fürsten von Firando, bei den glänzenden Festlichkeiten in Miako gegenwärtig,
welche die Zusaumieukunft des Fide - tada und seines schon zum Siogun er-
nannten Sohnes Jye-mitsi mit dem Mikado verherrlichten. S. Coenract Krammcr
Der Conflict in Taiwano. vi
Die ostindische Compagnie hatte sich 1624 des Hafens Taiwano
auf Formosa bemächtigt und dort eine Festung gebaut. Diese Nie-
derlassung, ein Stapelplatz der chinesischen, japanischen und
siamesischen Erzeugnisse , und zugleich zur Störung des spanischen
Handels sehr günstig gelegen, war von der äussersten Wichtigkeit.
Die Holländer erhoben hier Zölle von den ein- und ausgehenden
Waaren, eine Einrichtung, welcher sich die unter kaiserUchem Pass
dort verkehrenden Japaner nidit fugen wollten, da sie lange vor
den Holländem mit voller Freiheit Handel nach Taiwano getrieben
hatten. Ihre Beschwerden fanden bei dem Rath von Indien kein
Gehör. Als nun im Jalire 1627 Pieter Nuyts, ein Mitglied des 1627.
indischen Rathes, als Landvogt nach Taiwano kam, erhielt er
von FiRANDo aus eine geheime Mittheilung, welche ihn vor den in
diesem Jahre nach Formosa reisenden Japanern warnte. In der That
crscliienen sie in aussergewöhnhcher Anzahl und stark bewaffiiet.
Nuyts brauchte die Vorsichtsmaassregel, ihre Fahrzeuge zwischen
den holländischen SchiiFem ankern und ihre Waffen an das Land
bringen zu lassen, wo man sie bis zu ihrer Abreise aufbewahrte.
Die Japaner beklagten sich beim Siogun über diese beschimpfende
Behandlung: in Folge dessen wurde Nuyts, der 1628 in besonderer
Mission nach Yeddo ging, bei Hofe nicht vorgelassen und kehrte
unverrichteter Sache auf seinen Posten zurück. In diesem Jahre
nun erschienen die Japaner so schwach bewaffnet, dass der Land-
vogt keine besonderen Vorsichtsmaassregeln nöthig achtete. Da
aber jetzt auch die Eingeborenen und die Chinesen die Zolle ver-
weigerten, und die Holländer argwöhnten, es geschehe auf Anstiften
der Japaner, so erhielten diese nicht die • Erlaubniss zur Abreise
und wurden durch Zwangsmaassregeln lange gegen ihren Willen
zurückgehalten. Eines Tages, als der Land^ogt mit seinem kleinen
Sohne allein zu Hause war, erscliienen einige Japaner bei ilun und
verlangten die schleunige Freigebung ilirer Scliiffe. Nuyts wies sie
ab ; einen Augenblick darauf war das Haus von allen Seiten umzingelt.
Der Commandant der Festung liess Truppen ausrücken; da aber
die Japaner drohten, bei der geringsten Feindsehgkeit den Landvogt
und seinen Sohn zu ermorden, und man ihre Entschlossenheit
» Erzählung des prächtigen Festes , so der japanische Kaiser sammt dem Dayro in
der Stadt Meaco sehr herrlich begangen«, abgedruckt in Merklcin's deutscher Aus-
gabe von Caron's » Wahrhaftiger Beschreibung dreier mächtigen Königreiche . . . . «
Nürnberg 1672.
92
Beschrankung der Holländer.
kannte, so blieb den Holländern nur übrig zu capituiiren. Nach
siebentägigem Unterhandeln wurden den Japanern alle ihre For-
derungen bewilligt; sie bestanden in Gewährung unverzüglicher
Abreise, Loslassung der gefangenen Chinesen und Formosaner, und
Rückgabe von 150 Ballen Seide, die ihnen widerrechtlich abge-
nommen sein sollten. Der kleine Sohn des Landvogts musste
ihnen als Sicherheitspfand nach Japan folgen und wurde später in
FiRANDo gegen die von ihrer Seite gestellten Geissein wieder aus-
gewechselt.
Diese Angelegenheit that den Holländern in Japan grossen
Schaden. Der Siogun trat ganz auf die Seite seiner Landsleute,
forderte die Auslieferung des Landvogts und liess einen Theil der
niederländischen Waaren mit Beschlag belegen. Der Handel stockte.
Im Jahre 1632 entschloss sich die Regierung von Batavia den un-
glücklichen Nuyts nach Firando zu senden, wo ihn kaiserhche
Commissare in Empfang nahmen und gefangen setzten ^^). Erst
nach unsäglichen Bemühimgen gelang es, von dem Nachfolger des
FiDK-TADA seine Loslassung zu erwirken, die im Jahre 1636 in Form
einer Begnadigung erfolgte.
Seit diesem Ereigniss sind die Holländer immer mit rücksichts-
loser Strenge und Willkühr behandelt worden, sie Hessen sich aber
Alles gefallen, um den einträglichen Handel nicht aufgeben zu
müssen und bestärkten dadurch die Japaner in ihrem despotischen
1637. Auftreten. Um 1637 setzte der Siogun die Abfahrt der hollän-
dischen Schiffe auf bestimmte Zeiten fest: die eingeführte Rohseide
— damals der vornehmste Handelsartikel — musste an fünf bevor-
zugte Städte und unter Aufsicht der Beamten verkauft werden; erst
nachher durften die Holländer ihre übrigen Waaren verhandeln. —
Dasselbe Jahr brachte auch das unbedingte Verbot bei Todesstrafe
an alle Japaner, sich, unter welchen Umständen es sei, aus dem
Lande zu entfernen. Ein gleichzeitiges Verbannungsedict gegen die
noch in Nangasaki zurückgebUebenen Portugiesen kam für jetzt
nicht zur Ausführung.
Die beiden zuletzt erwähnten Maassregeln wurden wahr-
scheinlich durch die Gälirungen in der Landschaft Arima veranlasst,
welche von Anfang an ein Hauptsitz der christlichen Missions-
thätigkeit gewesen war. Dort bereitete sich jetzt ein Aufstand
*) Die Haft war gelinde; Nuyts durfte in Begleitung seiner Wachen in Firando
umhergehen.
Der Aufstand in Arima.
93
vor, welcher mit dem unter dem Namen der Christenverfolgung
von SiMABARA bekannten Blutbade endete. Wir haben über diese
Begebenheiten nur dürftige Nachrichten; aus den Aufzeichnungen
der Holländer scheint ungefähr Folgendes hervorzugehn"*).
Jener Fürst von Arima, der seinen Vater verrathen, den
Glauben abgeschworen und die Christen so grausam verfolgt hatte,
war wegen anderer Missethaten vom Siogün degradirt imd mit seiner
Famiüe verbannt worden. Der neu eingesetzte Landesherr brachte
nach japanischer Sitte alle seine Beamten mit; die des vertriebenen
Fürsten, zugleich auch alle seine Soldaten, sahen sich dem Elende
Preis gegeben. Diese Unzufriedenen, wahrscheinUch lauter ehe-
malige Christen, vereinigten sich mit den Landbewohnern, welche
der neue Herr hart bedrückte, im December 1637 zum offenen Auf-
stande. Sie griffen, verstärkt durch Zuzüge von Gleichgesinnten
aus der Insel Amaksa, wo ähnUche Verhältnisse obwalteten, das
Castell von Arima an, wohin sich der Fürst geflüchtet hatte, wurden
aber zurückgeworfen und zogen nun, in drei Horden vertheilt, unter
dem Panier des Kreuzes und mit dem Feldgeschrei San Jago
sengend und plündernd durch das Land. So standen die Sachen, als
kaiserUche Conunissare an der Spitze eines Heeres von 40,000 Mann
auf Kiusiu erschienen. Ihre Instruction soll dahin gelautet haben,
den Fürsten von Arima und Amaksa den Befehl zur Unterdrückung
des Aufstandes zu erth eilen, eine beobachtende Stellung einzunehmen
und nur dann einzuschreiten, wenn die Landesherren die Rebellen
nicht bezwingen könnten oder wenn das Lager des kaiserlichen
Heeres angegriffen würde.
Die Aufständischen sahen dieser Streitmacht gegenüber die
Nothw^endigkeit ein, ihre Kräfte zu concentriren, imd warfen sich
in das am Meere gelegene verlassene Castell von Simabara , von wo
sie den kaiserlichen Bevollmächtigten ihre Bereitwilligkeit anzeigten,
sich dem Siogun auf Gnade und Ungnade zu ergeben imd jede
Strafe zu dulden, ausser der Unterwerfung an ihre Fürsten, gegen
"welche sie sich bis auf den letzten Mann vertheidigen würden. Da
der Siogun aber den nach japanischen Begriffen unwiderruflichen
Befehl zur Vertilgung der Rebellen gegeben hatte, so konnte ihr
Erbieten nicht angenommen werden. Sie hatten sich unterdessen
im Schlosse von Simabara regelrecht verschanzt und erhielten
^ Der »Krieg von Simabara« bildet den Gegenstand eines japanischen Special-
werkes, welches noch nicht übersetzt worden zu sein scheint
«^4 Nicolas Koekebakker. Der Fall von Simabara.
Zufuhren von der See. Die Fürsten vermochten nichts auszurichten
und so rückten die kaiserUchen Truppen heran.
War es wirklicher Mangel an Kriegsbedarf, war es der
Wunsch die Holländer auf die Probe zu stellen — genug die kaiser-
lichen Bevollmächtigten Uessen an den Vorsteher der Factorei von
FiRANDO, Nicolas Koekebakker, die Aufforderung ergehen, ihnen
eine Quantität Pulver zu leihen. Seine Ausflüchte, dass die beiden
auf der Rhede hegenden Schiffe keines entbehren könnten, halfen
nichts; man versprach, das gehehene vor ihrer Abfahrt wieder zu
geben. Bald darauf kam ein Gesuch um Geschütz; Koekebakker
gab nach einigem Sträuben fünf Stücke von dem einen Schiffe
»De Rijp« heraus, Uess aber das andere, voraussehend dass die
Japaner noch ferneres wünschen würden, sofort in See stechen.
Schon Tages darauf traf die Aufforderung der Commissare ein, ihnen
die anwesenden Schiffe zu senden. Koekebakker begab sich nun
selbst mit dem »Rijp« auf den Kriegsschauplatz, ging vor dem
Castelle zu Anker und liess es vom 24. Februar 1638 an aus allen
seinen Stücken beschiessen. Am 12. März bedeuteten ihn die Com-
missare, dass sie seiner Hülfe nicht mehr bedürften; sein schweres
Geschütz aber musste zur ferneren Beschiessung aus den Batterieen
zurückbleiben. Die Aufständischen liielten sich noch einen vollen
Monat: am 12. April wurde die Feste mit Sturm genommen, ihre
Besatzung bis auf den letzten Mann* niedergemacht. Damit en-
dete dieser Krieg, der über 36,000 Menschen das Leben gekostet
haben soll
Diese Ereignisse flössten, obgleich nicht unmittelbar durch
den Christenglauben veranlasst, der Regierung neues Misstrauen
gegen denselben ein. Es ist nicht zu verkennen, dass das Christen-
thum, welches, vor über 80 Jahren eingefulurt, hier vielleicht die
tiefsten Wurzeln geschlagen hatte, in den Bewohnern den selbst-
ständigen unabhängigen Sinn entwickelte, dass der Vorwand der
Religion dem Aufstande Einigkeit und Stärke gab. Die Maassregeln
gegen dasselbe wurden deshalb noch mehr verschärft: far jeden Japaner
mussten hinfort zwei Bürgen gestellt werden, welche mit ihrem Leben
dafür einstanden, dass er kein Christ sei; Jeder sollte sich zu einer
bestimmten Secte bekennen und in bestimmten Zeitabschnitten Zeug-
nisse der Bonzen über den regelmässigen Tempelbesuch beibringen:
auch die Jünger der Confuciuslehre waren davon nicht ausgenommen
und mussten sogar Götzen in ihren Häusern aufstellen.
Bedrückung der Niederländer. ^5
•
Im Jalire 1639 brachte die Obrigkeit das schon früher er-
lassene Verbannungsedict gegen die noch in Isy^NOASAKi lebenden
Portugiesen zur Ausfülining: bei Todesstrafe sollte sich kein Portu-
giese oder Spanier mehr in Japan blicken lassen. Die Holländer in
FiRANDO mussten sich einer strengen Haussuchung nach Crucifixen
unterwerfen; alle die nicht unmittelbar zur Factorei gehörten, femer
alle von Holländern und Engländern mit Japanerinnen gezeugten
Kinder imd deren Mütter wurden des Landes verwiesen und nach
Batavia eingeschifft. Die in der Factorei zurückbleibenden Holländer
kamen unter strenge Aufsicht; -— Koekebakker, der bald nach dem
Blutbade von Simabara zu Hofe reiste, erntete in Yeddo für die
geleisteten Dienste einen sehr kühlen Dank. Sein Benehmen zeugte
von Schwäche und Rathlosigkeit, imd that dem Charakter der
Holländer in den Augen der Japaner, deren hervorstechende Eigen-
schaften Entschlossenheit und Thatkraft sind, grossen Schaden.
Sein Nachfolger FranQois Caron, der schon früher diese Stellung
bekleidet und beim Siogün persönhch in Gunst gestanden hatte,
wurde bei der Hofreise 1639 gar nicht zur Audienz gelassen; auch
die hohen Staatsbeamten wiesen die üblichen Geschenke zurück. —
Ein grosses dreistöckiges steinernes Gebäude, das die Holländer
in FiRANDO errichteten, und das allerdings nach japanischen Be-
griffen mehr einer Festung als einem Kauf hause glich, erregte den
Argwohn der Regierung. Gleich nach VoDendung des Baues, im
Jahre 1640, erschienen kaiserliche Bevollmächtigte in der Factorei, i&io.
welche nach strenger Haussuchung ein Decret verlasen : Alle Woh-
nungen der Holländer mit Jahreszahlen der christlichen Zeitrechnung
sollten niedergerissen, der Sonntag nicht mehr gefeiert werden; die
Vorsteher der Factorei dürften künftig nur ein Jahr im Amte bleiben.
— Caron, der durch den Beschützer der Fremden, den Fürsten von
FiRANDO , im voraus von Allem unterrichtet gewesen zu sein scheint,
erwiederte demüthig: »Seiner kaiserlichen Majestät Befehle sollten
getreulich befolgt werden «. Die Commissare zeigten sich zufrieden,
dass ihnen das Blutvergiessen erspart wurde, .denn sie hatten Befehl,
die Holländer bei dem geringsten Widerstände von heimlich dazu
angestellten Truppen niedermachen zu lassen und sich ilirer Schiffe
zu bemächtigen. Als Jene beim Abtragen ihrer Gebäude lässig zu
Werke gingen, drohten die Bevollmächtigten einige der Factorei-
beamten hinrichten zu lassen, wenn man nicht eile. Caron stellte
nun die holländischen Schiffsmannschaften und viele gemiethete
^0 Hinrichtung der spanischen Gesandtschaft.
Japaner bei der Arbeit an und so wurde das grosse Factoreigebäude,
auf das es besonders gemünzt war, über Nacbt der Erde gleich
gemacht '*").
Wie bitterer Ernst es dem Siogun mit der Verbannung der
1640. Portugiesen und Spanier war, zeigte sich noch in demselben Jahre.
Sie schickten nämlich von Macao au& eine Gesandtschaft nach
Nangasaki, um die Handelsverbindungen wieder anzuknüpfen. Der
Statthalter liess sogleich die Bevollmächtigten mit ihrem Gefolge
und der ganzen Schiffsmannschaft gefangen setzen und erbat sich,
da Jene behaupteten, dem kaiserlichen Befehle gemäss zu handeln,
weil sie keine Geistlichen bei sich hätten, auch nicht um Eaufhandel
zu treiben, sondern als Gesandte nach Japan kämen, Verhaltungs-
befehle aus Yeddo. Der Spruch des Siogun lautete auf Hinrichtung
der ganzen Gesandtschaft. Es waren 74 Personen, darunter ein
Kind, welche auf der Richtstätte des Papenberges — einer kleinen
Insel am Eingange der Bucht von Nangasaki, wo das Blut vieler
Christen geflossen ist — auf einmal enthauptet wurden. Nur drei-
zehn Asiaten, die sich unter der Schiffsmannschaft befanden, schenk-
ten die Japaner das Leben und gaben ihnen ein Fahrzeug, um die
Schreckenspost nach Macao zu bringen. Sie scheinen niemals dort
angelangt zu sein. Das portugiesische Schiff wurde mit den Kleidern
und Kostbarkeiten der Enthaupteten und seiner ganzen übrigen
Ladung im Hafen verbrannt; es sollen werthvolle Geschenke für
den Siogun und 400,000 Tael in Silber an Bord gewesen sein, w^elche
Portugiesen noch japanischen Kaufleuten schuldeten. Auf der Eicht-
stätte liess die Obrigkeit gegen die See zu eine Warnungstafel
aufstellen:
^^) Soll man einer in Merkleiu's deutscher Ausgabe von Caron's »Beschreibung
dreier mächtigen Königreiche« angefahrten Reisebeschreibimg (Anderson's Orientalische
Reise) Glauben beimessen, so hätten die Niederländer den Japanern ernstlichen
Anlass zu Miss trauen gegeben: »Als Herr Caron vom Japanischen Kaiser erhielte,
dass die Logie (das Factoreigebäude) ein wenig möchte erweitert werden , hat er das
Gebäu auf einen Fels, recht am Ufer setzen und durch holländische Mauer- und
Zimmerieute auffuhren lassen. Indem man das Gebäu von aussen verfertigt, kamen
etliche Holländische Schiffe, welche eine grosse Parthei gehauener, weisser Corollen«
steine in Kisten, als wenn es Kaufmaunswahreu wären, gepacket herbei brachten,
und durch Hülf des Schiffsvolks alsbald ins Haus setzten: Wovon Herr Caron
geschwind eine gute Batterie verfertigen und selbige mit zwölf guten metallnen
Stucken (so sie des Nachts aus den Schiffen brachten) besetzen liess.« — Die
holländischen Schriftsteller erwähnen nichts deraitiges.
Die HolläDder nach Desima. — Portugiesische Gesandtschaften. J7
»Es solle bei Todesstrafe, so lange die Sonne leuchte, kein
Fremder wagen nach Japan zu kommen. Dieses Verbot werde
für alle Zeiten unwiderruflich sein.«
Die Holländer erhielten 1641 zunächst den Befehl, alle ihre
Waaren im Jahre der Anfuhr zu verkaufen. Zugleich wurde ihnen
eingeschärft, sich demüthiger zu betragen und in ihrem Auftreten
weniger Pracht zu entwickeln; das Schlachten von Rindvieh sollte
in Zu^nft bei Todesstrafe unterbleiben. — Im Februar langte der
neue Vorsteher Maximilian Le Maire an. Er wurde bei seiner Hof-
reise anscheinend gnädig empfangen, erhielt aber, kaum nach der
Factorei zurückgekehrt, im Mai den Befehl, sich mit allen seinen
Landsleuten aus Firando zu entfernen, weil der Siooun nicht
gesonnen sei, künftig dort Fremde zu dulden. Aus kaiserhcher
Gnade solle ihnen erlaubt werden, sich, wenn sie wollten, auf
Desima bei Nangasaki niederzulassen und dort unter obrigkeitlicher
Aufsicht Handel zu treiben. — Le Maire, dem die Japaner keine
Zeit liessen zu überlegen, geschweige denn Verhaltungsbefehle ein-
zuholen, siedelte schon am 21. Mai nach Desima über.
Im Jahre 1644 schickte der Gouverneur von Macao nochmals 1644.
eine Gesandtschaft nach Japan. Vier Jahre zuvor hatte Portugal
sich vom spanischen Joche befreit und die Colonieen folgten dem
alten Mutterlande; man glaubte, da Spaniens Uebermacht der poli-
tische Grund der Verbannung gewesejn war, jetzt Aussicht auf
Wiederanknüpfung des Verkehrs zu haben. — Als die Bevoll-
mächtigten im Hafen von Nangasaki anlangten, machte der dortige
Statthalter Anstalten, ihnen das Loos der Gesandtschaft von 1640
zu bereiten: da kam der Bescheid aus Yeddo, der Siogun begna-
dige sie in der Voraussetzung, dass ihrem neuen Könige das
Verbannungsedict unbekannt sei, bei Wiederholung eines solchen
Versuches aber sollten seine Gesandten unfehlbar hingerichtet
werden.
Noch einmal wurde 1685 ein Schiff von Macao nach Nan- less.
GASAKi abgefertigt, das imter dem Vorwande, zwölf schiffbrüchige
Japaner in ihr Vaterland zurückzuführen, die Handelsbeziehungen
wieder anknüpfen sollte. Man wies aber alle Eröffnungen unter
Erinnerung an die alten Gesetze zurück, und erlaubte den Portu-
giesen nicht einmal jene SchilFbrüchigen zu landen.
I.
y" Neuer Versuch der Engländer. — Resume.
Auch die Engländer, welche 1623 ihren Handel aus freien
Stücken aufgegeben hatten , machten noch im Laufe desselben Jalir-
hunderts einen Versuch, sich wieder •Eingang in das japanische
Reich zu verschaffen. Das englische Schiff »tlie Return«, dessen
Befehlshaber dem Siogun einen Brief König KarUs II überbringen
iß73. sollte, lief am 20. Juni 1673 in den Hafen von Nanoasaki ein.
Die Behörden emptingen ihn freundlich, Uessen sich aber alle
Munition und die Geschütze aushefern und verhinderten jedf Com-
munication mit dem Lande. Die Engländer beriefen sich auf die
alten von Jyeyas verUehenen Handelsprivilegien, aber das Kreuz
in ihrer Flagge und der Umstand, dass König Karl mit einer portu-
giesischen Prinzessin vermalt war, erregten Argwohn. Unglück-
licherweise brachten damals die von Batavia eben einlaufenden hollän-
dischen Schiffe die Nachricht von dem Ausbruch des Krieges zwischen
Niederland und England und von dem Bündnisse des letzteren mit
dem kathoUschen Frankreich: so erhielten denn die Engländer
eine ablehnende Antwort auch auf die Frage, ob sie nacli dem
Tode ihrer Königin wiederkommen dürften. Man gestattete ilinen
aber, bis zum Einsetzen des günstigen Monsuns im Hafen zu bleiben
und nahm, als sie vorgaben, kein Geld mehr zu haben, chinesische
Rohseide in Zahlung für ihre Bedürfnisse*"'). Die Geschütze und
Mimition erhielten sie erst ausserhalb des Hafens wieder; viele
japanische Kriegsfahrzeuge, welche den »Retum« während seines
Aufenthaltes im Hafen bewacht hatten, geleiteten ihn weit auf das
hohe Meer hinaus. Uebrigens Hess der Siogun den Engländern
und Holländern das Versprechen abnehmen, einander in den japa-
nischen Gewässern nicht anzugreifen.
In dem Vorstehenden ist schon gesagt worden, dass der
innerste Grund der Verbannung der Fremden die Unvereinbarkeit
des Christenthumes mit den japanischen Zuständen war. Die
durch zweitausendjährige Entwickelung zur festen Regel gewor-
dene Einschränkung des Volkes in bestimmte Grenzen, seine ein-
gelebte Unterwürfigkeit gegen die herrschenden Classen waren
Grundbedingung des japanischen Staatslebens. Die Ausübung der
starren Gewalt widerspricht noch mehr und unmittelbarer den
Grundideen des Christenthumes als die Unterwerfung an solche
^^^) Alle europäischen Artikel wurden zurückgewiesen.
Ui*sachen der Absperrung. • 99
Gewalt; mittelbar aber streiten sie auch gegen diese, denn es
liegt in seinem Wesen, die eigen thümliche Entwickelung des Ein-
zelnen zu fordern und sein Bewusstsein zu heben. Ganz verschieden
gestalten sich die Verhältnisse, wenn ein Stamm auf niederer
Bildungsstufe das Christenthum empfangt und bei politisch vorge-
schrittenen Culturvölkern. Bei jenem wird es der wesentlichste
Factor des Bildungsganges werden und die Entwickelung des staat-
lichen Lebens von Grund aus bedingen, bei diesen müssen innere
Kämpfe entstehen. Das antike Leben musste erst in Verfall gerathen,
ehe das Christenthum bei den Culturvölkern Europas Wurzel schlagen
konnte, und wurde dann durch dasselbe von Grund aus umgestaltet
und überwunden. Der Kampf währte durch Jahrhunderte. Wo das
Christenthum mit dem Islam in Berührung kommt, ist die Begegnung
gewaltsam: man kann sich keine allmähche Bekehrung eines muhame-
danischen Staates zum Christenthum, keine allmäUche Umbildung
durch dasselbe denken; er wird es entweder abstossen oder selbst
zusammenstürzen. Aehnlich ist das Verhältniss mit Japan , nur dass
die Japaner sich ihrer politischen Eigenthümlichkeit nicht bewusst
waren. So lange ein Volk isolirt bleibt, hält es alle seine Gewohn-
heiten und Listitutionen für natürUch und nothwendig; erst die
Bekanntschaft mit dem Fremden erweckt Nachdenken und Selbst-
erkenntniss. Die seltenen Berührungen mit den Koreanern und
Chinesen, deren Bildung überdies auf ähnlichen Grundlagen ruhte,
konnten für die Japaner diese Wirkung nicht haben. Die Basis der
japanischen Staatsverfassung war recht eigentlich die alte Kami-
religion; die Lehren des Confucius enthielten nichts der japanischen
Theokratie gefahrliches, ebensowenig der indische Buddismus, der
sich nach kurzem Kampfe der alten Landesrehgion anpasste und
verschmolz. So viele Secten es auch gab, in den Grundanschauungen
war man sich selbst unbewusst einig, und ahnte wohl kaum, dass
es noch andere ganz verschiedene Lehren geben könne: daher die
arglose Toleranz, welche dem Christenthume erlaubte so tiefe
Wurzeln zu schlagen.
Neben jenen innersten Ursachen mögen auch andere Umstände
nachtheilig für die Fremden gewirkt haben, ihr Betragen musste
den gesitteten Japanern in vielen Beziehungen anstössig sein. Zu-
nächst die Excesse und Ungehörigkeiten, welche europäische Aben-
theurer überall zu begehen pflegen, wo sie, von keiner Obrigkeit
beschränkt, ihren Gelüsten freien Lauf lassen können; diese mit
lUU Da9 Auftreten der fremden Kaufleute.
den Vorschriften der Geistlichen im schärfsten Widerspruch stehende
Zügellosigkeit trug viel dazu bei, die Religion der Fremden bei den
Besseren der Nation in Missachtung zu bringen. Dann die Ueber-
hebung der Europäer, die, je geringeren Standes und Bildungs-
grades, desto erhabener über jeden nicht ganz Weisshäutigen sich
dünken. Das hoffährtige Auftreten der portugiesischen nnd spa-
nischen Kaufleute machte den allerschhmmsten Eindruck; ihre
Gespreiztheit, ihre Waffen und prächtige Kleidung waren den Edelen
verhasst imd gaben in deren Augen dem Volke ein schlechtes Bei-
spiel. Der Handelstand gilt einmal in Japan für einen der niedrigsten:
Kaufleute dürfen keine Waffen tragen, müssen sich einfach und
nach vorgeschriebenem Schnitt kleiden, und bescheiden, ja demüthig
gegen den Geringsten aus der Adelsclasse betragen. Die Etiquette
ist für alle Stände streng geregelt. Die Formen der Ehrerbietung
gegen Höherstehende, wie sie sich von uralter Zeit her in Japan
eingelebt haben, sind nach europäischen Begriffen erniedrigend,
wegwerfend, aber dort entzieht sich ihnen Niemand; die vornehmsten
Lehnsfürsten erweisen sie ohne Bedenken dem Mikado, dem Sioguk,
es sind eben alte Formen, die in der That die Bedeutung nicht
haben , welche wir ihnen beilegen. Die gänzliche Mssachtung dieser
Gebräuche von Seiten der Europäer und vorzüglich der Kaufleute
hat die Japaner zu allen Zeiten gereizt und erbittert. Dass sie
selbst Fremden von Rang und Stellung gern die gebührenden Ehren
erweisen, dass sie sich sogar, wenn auch nach einigem Kampfe,
meistens bequemen, von den landesüblichen Formen abzuweichen
und Manches nach ihren Begriffen Unanständige dulden, um den
Gewohnheiten der Fremden Rechnung zu tragen und sie zufrieden zu
stellen, hat sich bei vielen Gelegenheiten gezeigt. Ein Brüsquiren
ihrer eigenen Sitten kann die stolze Nation aber auch heute noch
nicht ertragen.
Die gänzliche Ausrottung des Christen thumes und die gänz-
liche Ausschliessung der Fremden wurden theils durch die Er-
fahrung veranlasst, dass man sich ihres Einflusses nur durch
dieses Mittel ganz erwehren konnte, theils durch die japanische
Anschauung überhaupt, die keine Ausnahme duldet und jedes
einmal anerkannte Princip mit der grössten Strenge bis zum Extrem
durchführt. Dass trotzdem eine Ausnahme zu Gunsten der Hol-
länder gemacht wurde, hatte seinen Grund lediglich darin, dass
diese sich fast unbedingt in Alles fügten und die gewissermaassen
Verunglimpfung der Holländer. -l"l
rechtlose Stellung gefallen Hessen, in welche die Japaner sie schliess-
üch verwiesen.
Seit lange ist es Gewohnheit geworden, die Niederländer
wegen ihrer Stellung in Japan zu schmähen , zu beschimpfen. Dass
das Auftreten der holländischen Kaufleute ein würdiges , ihre Stellung
ehrenvoll gewesen sei, wird Niemand behaupten; sie haben sich,
um Geld zu gewinnen, die grössten Demüthigungen gefallen lassen
und sind dadurch immer tiefer in der Achtung der Japaner gesunken.
Aber die Nation für das verantwortUch zu machen, was eine Gesell-
schaft von Kaufleuten gethan hat, ist gewiss unbilUg; man kann
ohne Anstand behaupten, dass die Kaufleute anderer Länder unter
gleichen Umständen ähnlich gehandelt hätten, dass andere Völker
Schlimmeres gethan und geduldet haben. Wer die überseeischen
Niederlassungen der Europäer und ihre Geschichte kennt, der weiss,
dass in den vergangenen Jahrhunderten — denn in dem gegen-
wärtigen hat sich Vieles geändert — die überwiegende Mehrheit der
Ansiedler in dem Auswurf der europäischen Gesellschaft bestand,
in Glücksrittern, die in kürzester Zeit und auf jede Weise Schätze zu
erwerben trachteten, und dass ihr Auftreten gegen aussereuropäische
Völker mit den heutigen Begriffen von Recht, Ehre und Sittlichkeit
nicht bestehen kann. Wie sollte man diesen Maassstab an das
Betragen der Holländer in Japan legen ! Um die Verhältnisse richtig
ztf würdigen, ist zunächst in Betrachtung zu ziehen, dass die Nie-
derländer in Japan Emissäre einer Handelsgesellschaft waren , deren
materieller Nutzen ihr nächstes Augenmerk sein musste. Die höchsten
Beamten der Compagnie hatten von Anfang an den Grundsatz auf-
gestellt, »dass man sich mit grosser Bescheidenheit und Unterthänig-
keit der Japaner Freundschaft auf jede Weise zu erhalten habe« *°').
Diese Worte bUeben die Richtschnur der Handelsvorsteher für alle
Zeiten. Ihre Stellung war schwierig, ihre VerantwortUchkeit gross;
Rath und Verhaltungsbefehle konnten sie, der Entfernung wegen,
niemals, auch in den allerwichtigsten Fällen nicht einholen, und
selbst zur Ueberlegung Hessen ihnen die immer peremtorischer auf-
tretenden Japaner selten Zeit. Sie mussten in Eile entscheiden,
was lange Ueberlegung forderte , und machten deshalb viele Fehler.
Dass ihre Nachgiebigkeit, selbst in Betrachtung der zu erreichenden
Zwecke, zu weit ging und viel verdarb, gestehen auch die hol-
ländischen Schriftsteller; mit gleicher Sicherheit aber lässt sich
losj Worte des General - Gouverneurs Van Diemen.
lOJ Specielle Beschuldigungen.
annehmen, dass die Niederländer das Loos der Portugiesen getheilt
hätten, wenn sie sich in den Jahren 1638, 1639 und 1640 nicht in
Alles fügten. Die Uebersiedelung nach Desima, die als Alternative
der gänzlichen Verbannung gestellt wurde, versetzte sie schon an
sich auf immer in die Lage von Leuten, welche man nur aus Gnade
im Lande duldete.
Vpn den schlimmsten gegen die Holländer laut gewordenen
Von^'ürfen lässt sich beweisen, dass sie auf böswilliger Erfindimg
und gefälschter Darstellung der Thatsachen beruhen. Dies gilt
besonders von den Beschuldigungen, dass sie die Vertreibung der
Portugiesen und Spanier und den Untergang des Christenthumes
in Japan veranlasst, und dass sie selbst das Christenthum ver-
leugnet hätten.
Was den ersten Punct betrifft, so weiss man zunächst, dass
das Religionsedict des Taiko-sama vom* Jahre 1587 datirt und
nachher niemals widerrufen worden ist. Alle späteren Maassregeln
waren nur Ausführung imd Verschärfung dieses Erlasses. Femer
ist notorisch, dass die Spanier und Portugiesen bei der ersten
Ankunft der Holländer und nachher, so lange sie in Ansehn standen,
allen ihren Einfluss aufgeboten haben, um Jene zu verdrängen: das
beweisen, wenn man das Zeugniss des Adams nicht gelten lassen
will, die ausdrücklichen Bekenntnisse des spanischen Gouverneurs
der Philippinen, — welcher 1609, also mit den Holländern ungefähr
zugleich n^ch Japan kam, — er habe ihre Verbannung wiederholt
auf das nachdrücklichste gefordert. Dies ist bei dem Nationalhass
zwischen den Spaniern und Holländern und bei der verfolgenden
Stellung, welche die katholische Kirche gegen die protestantische
damals überall einnahm, nicht zu verwundem; ebenso natürlich aber
scheint es, dass die Holländer Jenen mit Gleichem vergalten.
Wenn nun den Holländern vorgeworfen wird, dass sie durch
die zur Unterdrückung des Aufstandes in Arima geleistete Hülfe das
Christenthum in Japan ausgerottet hätten, so geschieht das ebenfalls
mit Unrecht. Man kann mit Sicherheit behaupten , dass die Japaner
auch ohne Koekebakker's Kanonen nicht nur mit den Christen in
Arima, sondern mit allen Christen des Reiches fertig geworden wären,
wenn sie sich einmüthig und zu gleicher Zeit erhoben hätten. Der
Dynastie des Jyeyas konnten sie nicht mehr furchtbar sein. Die
Aufständischen in Arima aber waren in eine verfallene Festung
zurückgedrängt, von der Landseite vollständig cernirt, und konnten
Koekebakker's Wirksamkeit.
103
sich auf keine Weise halten. Dass die 425 Schüsse, welche
Koekebakker von seinem Schiife aus gegen die Festung feuerte,
den Ausschlag gegeben haben sollten, wird Niemand glauben, der
die Wirkung einer Kanonade -- und noch dazu aus Geschützen
des siebzehnten Jahrhunderts — zu beurtheilen vermag. — Man
kann fast mit Sicherheit annehmen, dass die Regierung durch ihre
Forderungen an Koekebakker die Holländer auf die Probe stellen
wollte; die Japaner kannten sie als Christen und trauten ilmen
deshalb nicht. Wenn nun auch der Aufstand in Arima von Ur-
sprung kein Religionskrieg war — das beweisen seine Anfange und
der Umstand, dass die Aufrührer sich dem Siogun, der notorisch
das Christenthum mit der grausamsten Härte verfolgte, auf Gnade
und Ungnade ergeben wollten — so nahm er doch in der Folge den
Charakter eines solchen an. Man hatte das Banner des Kreuzes auf-
gepflanzt und es ist wohl zu vermuthen, dass der wiedererwachende
Gliauben den Bedrängten Trost und Stärke verUehen habe, und als
edleres Motiv bei Vielen zur Hauptsache geworden sei. — Wie
wenig Koekebakker s zögernd geleistete Hülfe den Japanern genügte,
wie wenig sie ihr Misstrauen beschwichtigte, beweist seine schlechte
Aufnahme in Yeddo und die Ereignisse der folgenden Jahre. Traurig
ist es, wenn einzelne holländische Schriftsteller behaupten, sein
Benehmen erfülle nicht nur die Forderungen der Elire und Pflicht,
sondern auch die der Staatsklugheit, wenn sie sogar als Protestanten
die Verfolgung wehrloser katholischer Christen für gerechtfertigt
erklären; — man kann aber vermuthen , dass Männer seines Schlages
aus anderen Nationen unter gleichen Umständen ähnUch gehandelt
hätten.
Es scheint, dass man zur Zeit der Ereignisse selbst den
Holländern keinen Vorwurf aus ihrem Benehmen gemacht hat.
Mandelslo, ein deutscher Edelmann, der im Jahre 1639 Goa be-
suchte und in freundschaftlichem Verkehr mit den dortigen Jesuiten
stand, berichtet viel von den Schrecknissen der japanischen Cluristen-
verfolgung, deren Schilderung er aus ihrem Munde vernahm, sagt
aber nicht, dass sie die Holländer irgendwie beschuldigt hätten.
Die ersten Schmähungen finden sich in den Büchern des Tavemier,
eines französischen Abentheurers , der lange in Ostindien war und
im Auftrage der französischen Regierung geschrieben zu haben
scheint. Colbert nämlich hatte den Gedanken gefasst, eine fran-
zösich- ostindische Handelsgesellschaft zu gründen, die auch mit
104
Französische Projecte.
Japan Verbindungen anknüpfen sollte, und wünschte zu diesem
Zwecke Holländer in den französischen Dienst* zu ziehen, welche
mit den dortigen Verhältnissen bekannt wären. Niemand konnte zu
diesem Unternehmen so geeignet sein als FrauQois Caron, der sich
im Dienste der holländischen Compagnie in Japan vom Küchen-
jungen zum Handels Vorsteher emporgeschwungen, diesen Posten
wiederholt bekleidet hatte, und mit allen Verhältnissen und mit der
Landessprache vertraut war. Dieser verliess, unzufirieden die ge-
hoffte Beförderung zu den höheren Aenltem nicht zu finden, den
Dienst der holländischen Compagnie und wurde von Colbert an die
Spitze einer französischen Expedition nach Japan gestellt, starb aber
auf der Ueberfahrt — wodurch das ganze Unternehmen scheiterte.
Caron und Tavemier haben nun, selbst nach den Aussagen fran-
zösischer Katholiken, die Holländer auf das schwärzeste verleumdet:
die Werke des Letzteren strotzen von Ungereimtheiten und Wider-
sprüchen. Auf sie und auf einige Worte' Kämpf er's , dessen Autorität
in Dingen, die er nicht selbst beobachtet hat, zu hoch angeschlagen
wird, gründen sich alle späteren Verunglimpfungen der Holländer
und insbesondere die Schmähungen gegen Koekebakker.
Was nun den anderen Punct, die Verleugnung des Christen-
thumes betrifft, so wird dieser widerlegt durch das argw^öhnische
Betragen der Japaner und besonders durch den im Jahre 1640 vor
den Holländern in Firando verlesenen Erlass , worin ihnen die Ein-
reissung aller Häuser mit der christlichen Jahreszahl befohlen und
die Sonntagsfeier untersagt wird. Zu Eingang dieses Documentes
heisst es ausdrücklich, es sei dem Siogun bekannt, dass die Hol-
länder, ebenso wie die Portugiesen, Christen seien, dass sie den
Sonntag feierten, die christliche Zeitrechnung, die zehn Gebote,
das Vaterunser, die Taufe, das Glaubensbekenntniss, das Abend-
mal, die Bibel, die Propheten und Apostel hätten, ganz wie die
Portugiesen; den Unterscliied der Bekenntnisse achte man gering'"').
Die äussere Ausübung ihrer Religion wurde damals untersagt, die
Ableugnung aber ist niemals von ihnen verlangt worden'"*).
^^) Diesen Erlass hat Lauts (Japan in zijne staatkundige en burgeriijke inrig-
tingen etc.) aus den Archiven der ostindischeu Compagnie mitgctheiit.
^°*) Die von englischen und amerikanischen Schriftstellern so häufig wiederholte
Erzählung, dass die Holländer auf die Frage, ob sie Christen seien, geants^^ortet
Jiättcn »nein, wir sind Holländer-, beruht auf folgender Thatsache. Im Jahre 1629
kam ein neuer Statthalter nach Nangasaki, der durch unbeugsame Strenge alle
Die Kreuztretinig.
105
Die japanische Regierung hatte, um sich gegen ein neues
Eindringen des Christenthumes zu sichern, die Ceremonie der
Kreuztretung eingeführt, welche in den frülier christUchen Be-
zirken in bestimmten Zeitabsclmitten wiederholt wurde. Die damit
beauftragten Beamten zogen dann von Haus zu Haus, liessen die
sämmtUchen Bewohner eine Erklärung unterzeichnen, dass sie keine
Christen seien, und dann der Reihe nach auf eine Kupferplatte
mit dem Kreuzesbilde treten. Dasselbe wurde von den nach
Japan kommenden Chinesen verlangt. Nun hat ein NeapoUtaner,
GemelU Carreri, der von 1693 bis 1698 in China war, und dessen
Reisewerk auch in das Französische übersetzt worden ist, unter
Änderen erzählt, dass die Holländer den Japanern die Maass-
regel der Kreuztretung als Mittel der Entdeckung von Christen
empfohlen, dass sie selbst sich freiwillig dieser Ceremonie unter-
zogen und dadurch die Erlaubniss zum Handel nach Japan erwirkt
hätten. Sein Gewährsmann ist ein aus Japan heimkehrender Chinese.
Obwohl nun die Lügenhaftigkeit des Carreri hinreichend erwiesen
ist, so hat man doch diese Fabel vielfach geglaubt und wiederholt;
es ist aber gewiss, dass die Japaner nicht nur die Kreuztretung
von den Holländern nicht verlangt, sondern ihnen sogar niemals
erlaubt haben bei dieser Handlung gegenwärtig zu sein. Die Hol-
länder haben mehrfach Gelegenheit gehabt in Japan ihren Glauben
unter schwierigen Verhältnissen zu bekennen, und bekannten sie
ihn nicht jährüch durch die mitgebrachten Erbauungsbücher, welche
nur für die Zeit ihres vorübergehenden Aufenthaltes in Nanoasaki
versiegelt abgeüefert wurden?
dortigen Christen in Kurzem zur Abschworung des Glaubens vermochte. Alle Ein-
wohner mussten ein schriftliches Bekenntniss unterzeichnen, dass sie keine Christen
seien. Die beiden einzigen in Nangasaki anwesenden Holländer schrieben damals,
von den Behörden gedrängt , die Worte » wir sind Holländer « und ihre Namen
unter die Urkunde.
n.
POLITISCHE EINRICHTUNGEN UND ZUSTÄNDE WÄHREND DER
ABSPERRUNG.
Der Zeitraum von der Verbannung der Fremden bis zum Eindringen
der Amerikaner 1854 ist in der japanischen Geschichte fast ein leeres
Blatt zu nennen. Die Nachfolger des Jyeyas brachten dessen System
gegen Mitte des siebzehnten Jahrhunderts zur vollen Ausbildung,
seitdem hat die Entwickelung nahezu still gestanden. Auch äusser-
lich ereignete sich wenig: zwei Verschwörungen gegen das Siooün-
Haus wurden 1651 und 1766 entdeckt, ehe sie zum Ausbruch kamen;
mit der Hinrichtung der Betheiligten war aber Alles abgethan und
die Ruhe des Landes blieb ungestört. In Folge des über zweihundert-
jährigen unimterbrochenen Friedens hat sich nun die Bevölkerung
beträchtlich vermehrt, die Productionskraft des Landes zu einer
Höhe gesteigert, wie sie nur die gesegnetsten Erdstriche kennen,
und ein solches Gleichgewicht zwischen Ertrag und Verbrauch,
Capital und Arbeit, zwischen dem Werthe der Erzeugnisse und der
Tauschmittel herausgebildet, dass alle Bedürfnisse der Bevölkerung
befriedigt werden und Niemand Mangel leidet. Dabei stehen die
Japaner, einige sonderbare Auswüchse abgerechnet, an denen es ja
auch in der euBopäischen Civilisation nicht fehlt, auf einer höheren
Stufe der Gesittung als irgend ein anderes nichtchristliches Volk, —
und diese Zustände haben sich unter einem Regierungssysteme ent-
wickelt, das an und fiir sich im höchsten Grade künstUch und'
unnatürlich, in seinen Grundsätzen gradezu verwerflich ist. Es soll
versucht werden eine Darstellung dieser Verfassung zu geben, wie
sie während der Jahrhunderte der Absperrung bestanden hat: denn
in den letzten Decennien und besonders seit 1854 scheint sich Vieles
geändert zu haben, weil die schwachen Siogun*s das alte System
nicht mehr zu handhaben wussten und durch die Zulaiäsung der
Fremden einen wesentlichen Theil desselben aufgaben. Leider ist
Die japanische Staatsverfassung.
107
unsere Kenntniss dieses Systems auch heute sehr unvollständig: die
Jesuiten, unter deren Augen sich seine Anfange entwickelten und
die umständliche Berichte von allen äusseren Ereignissen geben,
sagen nur wenig über die innere Einrichtung des Reiches. Seit der
Ausweisung der Fremden hüllte sich die Regierung grundsätzlich in
tiefes Geheimniss, und auch jetzt ist es schwer etwas Zuverlässiges
zu erfahren. Die besten Nachrichten verdankt man noch immer den
auf Desima eingeschlossenen Beamten der holländischen Factorei.
Der Abgott der Japaner ist die Thatkraft. Kämpfer hat
durchaus Recht, wenn er die Regierungsform einen ganz unein-
geschränkten, ungebundenen Despotismus nennt. Die Kuanbak's
in ihrer Blüthezeit, Yori-tomo, die Regenten von Kamakura, die
Siooün's von MiAKO, Nobunanga, Taiko-sama, Jyeyas und seine
Nachfolger sind vom Volke wie von den Grossen als unbedingte
Gebieter anerkannt worden, so lange ihre Kraft den Verhältnissen
gewachsen war, und haben sogar die Mikado's nach Willkühr ein-
und abgesetzt. Es gab ausser dem höchsten Range des Mikado
und dem daraus hergeleiteten Privilegium der Titelverleihung that-
sächlich kein den Siogün bescliränkendes Recht; sein Willen war
das höchste Gesetz, denn die Hoheitsrechte der Grossen sind nur
nominell, so lange der Siogun die Kraft hat, den von Jyeyas
eingerichteten Organismus in Gang zu erhalten und zu handhaben:
standen sie doch unter beständiger ControUe, und mussten jeden
AugenbUck gewärtig sein von der mächtigen Hand ihres Oberherm
erdrückt zu werden ****). Darüber kann nach den vorhandenen Zeug-
nissen kein Zweifel sein. Die Daimio's regieren ihre Territorien
als absolute Souveräne, sind aber dem Siogun, der im Namen des
Mikado herrscht, für Alles was dort vorgeht verantwortlich; er
lässt sie durch seine Aufpasser bewachen und hat die Macht sie zu
bestrafen, zu vernichten. Ihr Recht der unumschränkten Gewalt
*^) Caroii, welcher unter den Niederländern des siebzehnten Jahrhunderts viel-
leicht die genaueste Kenntniss der japanischen Zustände hatte, sagt vom Siogun:
•Dero Majestät von Japan wird getituliret Kaiser, weil Könige und Fürsten unter
seinem Gehossam sind; und er ein solcher Herr, der ganz freie Gewalt hat; als
eigen thümlichcr Herr über das ganze Land und hat die Macht (gleichwie zu meiner.
Zeit etlich mal beschehen ist) die grosten Könige und Herren , bisweilen um geringer
Ursachen und Missethaten halben, aus ihren Ländern his Elend zu vertreiben, auf
Inseln zu bannen, und mit dem Tode zu straffen, ihre Länder, Schätze, Reichthümer
imd Einkommen anderen, die es nach sehiem Urtheil besser verdienen zu schenken."
Fr. Caron*s Wahrhaftige Beschreibung u. s. w. deutsch von Merklein. Nflniberg 1672.
Ivö Der Mikado, der Siogun, die DaTmio's.
über ihre Untertbanen ist anerkannt, aber über ihnen steht der
Siogun, der sie — immer im Namen des Mikado — züchtigt und
absetzt, wenn sie willkührUch oder nicht nach seinem Willen
handehi. Es ist im Grunde die uralte Verfassung: der Mikado
ist seinem göttlichen Rechte nach unumschränkter Herr aller
Japaner, die Daimio's regieren als erbUche Statthalter in seinem
Namen mit absoluter Gewalt, so lange es ihm gefallt; das Recht
des Mikado wird in seinem Namen von den Siooun's ausgeübt,
welche ihn unterdrücken. Diese Stellung des Mikado ist uralt; die
Beschränkung der Grossen hat Jyeyas in ein System gebracht, das
seinen Nachfolgern die absolute Gewalt sicherte. Die japanische
Regierungsform ist also von Grund aus und durch und durch des-
potisch. Nur wenn schwache Herrscher auf dem Throne sassen,
haben in früheren Jahrhimderten die Grossen das Joch abgeschüt-
telt und die despotische Oberherrschaft der Siogün's oder Regenten
bekämpft, aber jedesmal machte sich die alte Regierungsform einer
absolut herrschenden Centralgewalt nach kurzer Unterbrechung wieder
geltend. Das älteste und anerkannteste Recht ist das des Mikado,
und an dieses haben sich zu allen Zeiten die rebelUrenden Grossen
gelehnt, um den Schein der Legalität fiir sich zu haben. Etwas
AehnUches scheint heute wieder in Japan vorzugehen.
Der SiOGüN regiert also für den Mikado ; ihr Verhältniss muss
man sich vorstellen wie das eines ewig kranken und unmündigen
Herrschers zu dem Regenten. Dass dieser Zustand der Unmündig-
keit nie aufhöre, ist Sorge des Siogun, dessen Stellvertreter, die
Grossrichter von Miako , den dortigen Hof beaufsichtigen und bevor-
munden. Das Haus des Jyeyas scheint mit den Erbkaisern recht
gUmpflich umgegangen zu sein; von Entthronungen, wie sie unter den
früheren Dynastieen so häufig vorkamen, hört man seit dem siebzehn-
ten Jahrhimdert nichts mehr, im Gegentheil verbanden sich die
Siogün's von Yeddo dem Mikado -Hause mehrfach durch Heirathen.
Ueber das Leben und die Hofhaltung des Mikado werden
tausend Ungereimtheiten erzählt; es ist schwer, hier das Wahre
vom Falschen zu scheiden. Gewiss ist, dass von Alters^her Kunst
und Wissenschaft am Hofe der Erbkaiser eifrig cultivirt und die
äusserste Verfeinerung der Sitten angestrebt wurde *"''). Noch heute
^^) Caron sagt, dass zu seiner Zeit alle Bücher am Hofe des Mikado gemacht
worden seien: »und thut dasselbe ganze Geschlecht nichts als dass sie die Wollust
der Welt geniessen und sich in Weisheit luid Studiren üben.«
Berichte über den Mikado.
109
sollen die meisten Bücher in Miako gedruckt werden, dort befindet
sich auch die mit guten Instrumenten ausgestattete Sternwarte,
deren Astronomen den Meridian der Hauptstadt mit grosser Genauig-
keit berechnet haben '*'). — Man sagt, dass'am Hofe von Miako
allein sich die alten japanischen Sitten in ihrer Reinheit und Ein-
fachheit erhalten; dort werden viele Ceremonieen, Gewohnheiten
und Formen aus früher Zeit bewahrt, welche heute dem gesunden
Menschenverstände lächerUch erscheinen, aber für die Japaner,
welche grosse Ehrfurcht und AnhängUchkeit an die Traditionen
ihrer Vergangenheit haben, gewiss von Werth und Bedeutung sind.
So soll der Mikado ausserhalb seines Palastes den Erdboden nie-
mals mit den Füssen berühren, soll niemals dasselbe Kleidungsstück
zweimal anlegen, noch bei seinen Malzeiten sich zweimal desselben
Geschirres bedienen dürfen; deshalb nimmt man für seine Küche
und seinen Tisch jetzt nur grobe Töpferwaare, denn alles von ihm
benutzte Geschirr muss gleich nach dem Gebrauche zerbrochen
werden; — seine Person ist so heiUg, dass die Berührung von ihm
benutzter Sachen jedem anderen SterbHchen Krankheit und Tod
bringen würde; deshalb verbrennt man auch seine Kleider. — Der
Mikado soll eigentUch neun mal neun, also 81 rechtmässige Frauen
haben — dies hält man für die vollkommenste Zahl, — er heirathet
gewöhnUch aber nur neun; ausserdem haben drei Frauen be-
stimmte Functionen bei seiner persönUchen Aufwartung, und auch
diese werden zu seinen Gemalinnen gerechnet. Von diesen zwölf
erhebt er eine zur Kaiserin *^®). Die Frauen dürfen sich den
Gemächern ihres Herrn nur mit gelöstem Haupthaar und baarfuss
nahen; sie haben die ObUegenheit, ihn zu bedienen und zu kleiden.
Da es gegen die Heiligkeit seiner Person ist, sich Haare, Bart und
Nägel schneiden zu lassen, so werden diese Operationen gleichsam
verstohlener Weise an ihm vorgenommen, während er schläft oder
»^ N&mlich 135° 40' 00" ostlich von Greenwich. S. von Siebold Nippon Bd.I.
***) Gewöhnlich wurde die Mutter des Thronfolgers zur Kaiserin erhoben. Die
Frauen scheinen durch die ganze japanische Geschichte grossen Einfluss am Hofe
des Mikado, und in alten Zeiten auch auf die politischen Angelegenheiten gehabt
zu haben. Unter di'eizehn Mikado's, die von 642 bis 769 auf dem Throne sassen,
waren sieben weibliche. Dies war ungefähr die Periode, in welcher die Erbkaiser
zuerst ihre Macht an die Kuanbak's verloren. — Von 769 bis 1630 scheint kein
weiblicher Mikado regiert zu haben, aber noch im vorigen Jahrhundert (1763 — 1770)
bekleidete eine Frau diese Würde.
llv Der Mikado.
ZU schlafen vorgiebt. Die Frauen wohnen jede in einem besonderen
Hause, die Abendmalzeit wird bei allen aufgetragen; bei welclier
dann der Mikado erscheint, vereinigen sich auch die übrigen zum
Schmause, zu Gesang, Tanz und Saitenspiel. Nach dem Volks-
glauben stirbt kein Mikado kinderlos; hat er selbst keinen Solm,
so schenkt ihm der Himmel einen, d. h. er findet unter einem
Baume am Eingang des Palastes ein mit seiner Bewilligung aus
den Agnaten gewähltes Kind. Dies scheint die übUche Form der
Adoption im Hause des Mikado zu sein. — Im Palaste sollen viele
Götzenbilder stehen; die Missionare erzählen, dass, wenn ein
Unglück das Land betrifft, die Erbkaiser einen dieser Götzen
beschuldigen und auspeitschen lassen, ihn nachher aber, um von
seinem Zorne nicht Schaden zu leiden , wieder zu Gnaden aufnehmen
und besänftigen. Nach uralter ostasiatischer Anschauung ist der
Herrscher selbst für jedes das Land betreffende Unglück verant-
wortlich, wie auch der Urheber allen Segens. Sturm und Sonnen-
schein, Fruchtbarkeit und Misswachs, Erdbeben und Feuersbrünste
kommen eben so gut auf seine Rechnung, als Kriegsruhm und Nie-
derlagen, schlechte und gute Verwaltung. Kämpfer erzählt, dass
in früherer Zeit der Mikado mit der Krone auf dem Haupte zum
Wohle des Reiches tägUch einige Stunden regungslos auf. dem
Throne habe sitzen müssen; rülirte er sich nach der einen oder
anderen Seite, so war in dieser Richtung das grösste Unglück zu
befurchten. Später fand man, dass der Zweck \del leichter erreicht
würde, wenn man die Krone allein auf den Thron setzte, bei der
eine unwiUkührhche Bewegung nicht leicht zu besorgen war. — Der
Namen des regierenden Mikado wird geheim gehalten so lange er
lebt, und es ist bei Todesstrafe verboten ihn auszusprechen; man
bezeichnet seine Person gewöhnlich mit dem Ausdruck Dairi,
d. h. Palast"^).
109^ Nach seinem Tode erhält jeder Mikado einen Ehrennamen, mit welchem
er in der Geschichte bezeichnet wird. Nach Klaproth (Note zu den Kaiserannaleu)
hatten diese Namen in der frühesten Zeit Beziehung auf die Eigenschaften der ver-
storbenen Erbkaiser; seit dem sechsundfunfzigsten Mikado aber gab man ihnen die
Namen der Paläste, welche sie bewohnt hatten. Beim Tode des Mikado wurde
dessen Wohnpalast zerstört und für seinen Nachfolger ein neuer gebaut. Alle
Erbkaiser bis zum einundsechszigsten fuhren den Titel «• Tkn - o « , d. h. der Er-
habene vom Hinmiel. Der einundsechszigste nahm den Titel » In « an , d. h.
Palast; sein Name ist Dsu-dsiak-no-in, d. h. der Palast des rothen Vogels. Der
Der Hof von Miako. Der Siogun.
111
\'erlässt der Mikado sein Schloss, was nur unter dem Vor-
wande eines Tempelbesuches geschehen darf, so wird er in reich ver-
zierter Sänfte auf den Schultern getragen, oder in einem mit Ochsen
bespannten Staafcswagen gefahren; der Auszug geschieht dann mit
vielem Gepränge. Sein gesammter Hofstaat soll sich von Spröss-
lingen seines eigenen Geschlechtes herleiten und mit ihm gleichsam
eine Familie bilden, deren Gheder sich über alle anderen Erden-
bewohner erhaben dünken'*"). Die geringsten Beamten dieses
Hofes fordern selbst von den Lehnsfürsten ehrerbietige Begegnung
und haben den Vortritt vor ihnen. Der Siogün empfangt die Ge-
sandtschaften des Mikado unter Prost-ationen und lässt sich erst
nachher von ihnen die gleiche Ehre erweisen. Er selbst kommt
nur selten und bei ausserge wohnlichen Gelegenheiten nach Miako,
lässt den Mikado aber häufig durch Gesandtschaften begrüssen. Er
bezahlt die Kosten der erbkaiserhchen Hofhaltung, aber die Be-
soldimg der niederen Beamten soll so gering sein, dass viele sich
durch Korbflechten und andere Handarbeiten ernäliren müssen. —
Der Mikado ist der Ausfluss aller Ehren und Würden; die Geschenke,
welche besonders bei aussergewöhnlichen Rangverleihungen gegeben
werden müssen, sind so bedeutend, dass die Siogun's sich oft dieses
Mittels bedienen, um allzureiche Fürsten einzuschränken.
Während der Blüthezeit üirer Macht haben also die Siogun's
ganz unumschränkt geherrscht und wahrscheinUch auch die wichtig-
sten Staatsangelegenheiten ohne Zuziehung des Mikado entschieden.
So ist das Verhältniss in allen älteren Werken über Japan dai^e-
stellt. Höchstens eine formelle Mittheilung der Beschlüsse mag
übUch gewesen sein. Neuere Schriftsteller behaupten, wahrscheinüch
mit Unrecht, die Sanction des Mikado sei zu jedem Gesetze, zu
jeder folgereichen Entscheidung erforderlich. Dass er de jure,
zweiimdsechszigste Mikado wurde wieder Ten-o genannt, weil er der alten Sinto-
Religion anhing; auch der einundaehtzigste fulirte diesen Titel, weil er als Kind vor
der Einweihimg in die buddistischen Lehren starb.
*^®) Caron sagt von ihnen : ■ — und finden sich mehr als hundert Personen unter
ihnen, die für edler als der Kiuser selbst gehalten werden, und deshalb mit viel
höheren und herrlicheni Tituln begabt sind.« — Nach den Angaben der neuesten
Schriftsteller soll der Siogun die vierte Rangstufe im japanischen Staatskalender ein-
nehmen. — Nach Kämpfer und anderen Autoren vermieden die DaImio's bei ihren
Hofreisen geflissentlich Miako, weil sie bei der Begegnung mit den Kuoe — den
Hofleuten des Mikado — aus .der Sänfte steigen und sich bei der geringsten Ver-
letzung der hergebrachten Formen oft arge Demüthigiuigen gefallen lassen müssten.
aIä Verhältniss des Siooun zum Mikado.
der oberste Souverän von Japan und die erste Person im Staate
ist, kann Niemand bezweifeln, dass aber thatsächlich seit einem
Jahrtausend die Macht immer in den Händen seiner Stellvertreter
gelegen hat, beweist die japanische Geschichte ganz deutlich. Die
japanische Theokratie besteht noch heufce zu Recht, aber der Ge-
brauch ist stärker als dieses Recht; so lange der Siooun die Daimio's
aus eigener Macht beherrscht, bedarf er der Autorität des Mikado
nicht. Erst seit Anfang dieses Jahrhunderts scheint man von Yeddo
aus die Erbkaiser in belangreichen Fällen um ilure Ansicht befragt
zu haben: der holländische Handelsvorsteher DoeflF, welcher von
1798 bis 1817, also neunzehn Jahre in Japan war und das unbedingte
Vertrauen der Behörden genoss, berichtet zw^ei derartige Fälle, die
sich während seiner Anwesenheit zutrugen. Zuerst handelte es sich
um eine Verbesserung des Kalenders, um Einfuhrung des Sonnen-
statt des Mondjahres***); hier war der Schritt sehr natürlich, da
alle japanischen Kalender in Miako unter Aufsicht der Hofastronomen
gemacht werden. Das andere Mal galt es die Beantwortung der
russischen Eröffnungen im Jahre 1804: diesmal gebot Staatsklugheit
die äusserste Vorsicht und volle Uebereinstinmiung mit dem Mikado,
an dessen Rechte sich im Falle eines auswärtigen Krieges die
Daimio's leimen konnten, um die Siogün- Dynastie zustürzen; denn
die AusschUessung der Fremden war ein wesentücher Bestandtheil
des höchst künstlichen Systemes, das nur so lange ausreichte, als
die Centralregierung alle ihre Kräfte den inneren Angelegenheiten
zuwenden konnte. Die Gewaltherrschaft des Siogun musste zunichte
werden, sobald die Grossen Luft gewannen. Die einzelnen Fürsten
waren ihm niemals gefahrlich und auch eine Verbindung von
mehreren wegen ihrer Uneinigkeit und gegenseitigen Eifersucht nur
dann zu fürchten, wenn sie einen gemeinsamen Mittelpunkt hatten.
Diesen bot aber nur der Thron des Mikado, um welchen sich die
Grossen sicherlich im Falle eines auswärtigen Krieges geschaart
hätten, wenn er dem Siogun entgegentrat. Die Autorität des MiKAoo
wird aber nur dann gefährlich, wenn ihn die Daimio's zu stützen
vermögen, und dieser Fall muss immer eintreten, wemi der Siogun
nach aussen hin beschäftigt ist. — Doeff betont ausdrücklich,
1") Das NiPPON-Ki erwähnt unter dem Jahre 675 n. Chr. der Erbauung der
ersten Sternwarte ; 690 wurde der erste Kalender , eine Nachbildung des chinesischen,
förmlich eingefuhi't. Verbessert wurde der Kalender in den Jahren 700, 857, 861;
1684 und endlich 1798.
Die Erbfolge im Siooun - Hause. 11«>
dass diese beiden die einzigen Fälle während seiner Anwesenheit in
Japan waren, in welchen der Mikado befragt wurde. Der Punet
ist von Wichtigkeit fiir die Beurtheilung der neuesten japanischen
Geschichte.
Die Erbfolge im Hause der Siogun's ist in folgender Weise
geregelt. Jyeyas hatte vier Söhne: der älteste war der Fürst von
OwARi, der zweite der Siooun Fide-tada, der dritte der Fürst von
Kii, der vierte der Fürst von Mito"'). Der Siogün wählt den
Thronfolger unter seinen Söhnen, und wenn er deren nicht hat,
aus der Zahl der nächsten Agnaten. Fehlt es auch an solchen,
so muss er aus einer der Familien Owari, Kii und Mito den Thron-
folger adoptiren, welcher dann als Repräsentant der Siogun- Linie
gilt und die Würde auf seine Nachkommen vererbt, bis etwa eine
neue Adoption aus den drei Nebenlinien nothwendig wird. Die
Häupter derselben heissen die Titularbrüder des Siogun und sind
die ersten Männer des Reiches; ihre Stellung scheint in neuester
Zeit besonders einflussreich geworden zu sein. Alle nichterbenden
Söhne des Siogun werden gewöhnlich von kinderlosen Daimio's
adoptirt und verlieren dadurch mit ilirer ganzen Nachkommenschaft
auf immer alles Recht auf die Thronfolge. — Der Siogun Tsuna-
Yosi, der 1680 zur Regierung kam, wollte nach dem Tode seines
einzigen Sohnes von dem alten Hausgesetze der Thronfolge ab-
weichen und den Sohn eines Günstlings als Erben adoptiren; um
ihn daran zu verhindern und dem Reiche den Frieden zu erhalten,
entschloss sich die Kaiserin ihren Gemal zu ermorden und gab gleich
darauf auch sich selbst den Tod. Der nächste Agnat Jye-nobu,
des Ermordeten Neffe, wurde auf den Thron erhoben; mit seinem
Sohne Jye-tsugu, der minderjährig starb und, selbst imter Vor-
mundschaft, keinen Erben adoptiren konnte, erlosch der Marmes-
stamm des Fide-tada. Die Wahl der Titularbrüder fiel damals auf
den Fürsten von Kii, Yosi-mune, der sich den Namen eines grossen
Regenten erworben hat.
Heutigen Tages leben die Siogun*s fast ganz eingezogen in
ihrem von dreifacher Ringmauer umgebenen Schlosse zu Yeddo und
sind nur fiir den Hof sichtbar. Nur die Da'imio's und hohe Staats-
beamte werden zur Audienz gelassen, welche gewöhnüch kaum eine
*^*) Einige Autoren berichten noch von einem fünften, der, älter als die ge-
nannten vier, Ansprüche auf den Thron gemacht hätte und vouFidk-tada beseitigt
worden wäre.
I. 8
114 Das Leben der Siogun*8. Die Kuob und Geqb. Adel und Volk.
Minute dauert und als die höchste Gnade angesehen wird, deren
ein Unterthan theilhaft werden kann. Alle, die sie genossen haben,
sind berechtigt das Wappen des Kaiserhauses auf ihren Kleidern
zu tragen. — In früheren Zeiten scheinen die Siogun's nicht so einsam
gelebt und namentUch die Jagd, welche noch heute ihr Regal
im weiten Umkreise von Yeddo ist, eifrig geübt zu haben. Jetzt
verlassen sie selten und nur mit grossem Gefolge den Palast:
Herolde verkünden dann in den Strassen die Näherung des kaiser-
lichen Zuges, alle Häuser werden geschlossen, Niemand darf sich
sehen lassen; lautlose Stille herrscht auch im Gefolge des Siogun.
Schweigen gilt überhaupt in Japan als Zeichen der Ehrerbietung,
jeder Zuruf, jedes laute Wort vor einem Höheren ist Beleidigung — die
japanischen Grossen verlangen eben nur Ehrfurcht, keine Zustimmung.
Die Sitte, vor dem Siogxjn die Häuser zu schliessen, ist schon alt:
Caron erzählt, dass, wer den kaiserUchen Zug sehen wollte, in
seiner Hausthüre auf einer Matte niederknieen musste. — Im Laufe
des siebzehnten Jahrhunderts und besonders unter Tsuna-yosi ver-
sank der Hof von Yeddo in Verweichlichung und tiefe Sittenlosigkeit.
Yosi-MUNE stellte die gute Zucht her und brachte die längst ver-
gessenen ritterUchen Uebungen wieder zu Anselm, man übte sich
in der Jagd, im Bogenschiessen, Carousselreiten, Fechten und
Schwimmen; der Siogun selbst gab das Beispiel und theilte die
Prämien aus. Seine Zeit wird als die glänzendste und glücklichste
des modernen Japan gerühmt.
Der Mikado steht als GöttersprössUng mit seinem gesammten
Hofstaat über allen Sterblichen; die gemeinsame Benennung dieser
Bevorzugten ist Kuge, alle anderen Japaner heissen Gege. Die
Geoe zerfallen in den Adel und das Volk, welche wieder durch
unübersteigliche Schranken von einander geschieden sind. Die
Adligen heissen Samra'i, Krieger; sie führen ihren Ursprung etwas
mythologisch auf die Leibwache des Dsin-Mu zurück und vindi-
ciren damit ihren Antheil an der göttUchen Abstammimg, aufweiche
sie die Rechte ihrer Stellung gründen. Die Spitze dieses Adels
sind der Siogun und die Daimio's als Grundherren des ganzen
Landes; der Siogun ist nur der reichste und mächtigste Daihio,
welcher im Namen des Mikado alle übrigen beherrscht. Von den
f)8 Landschaften, in welche das eigentliche Japan (mit Einschluss
von Iki und Tsüs-sima) zerfallt, gehören ihm fünf, alle übrigen
dem Lehnsadel. Es soll über 600 grössere und kleinere Herrschaften
Verhältnisse des Grundbesitzes. Die Kriegsmacht. H^
geben, von denen einige mehrere Provinzen umfassen. Ob unter
diesen 600 die kaiserlichen Lehen mitbegriflFen sind — denn auch
die Provinzen des Siogtjn scheinen an Adelsfamilien ausgethan zu
sein — ob die kleineren Besitzer Vasallen der reicheren Daimio's
oder ob sie reichsunmittelbar sind, ist ungewiss. Die Verhältnisse
scheinen sich in den verschiedenen liandestheilen sehr vielgestaltig
entwickelt zu haben'*'); im Allgemeinen lässt sich aber annehmen,
dass nur die grösseren Besitzer reichsunraittelbare Fürsten sind und
keine Steuern zahlen, die kleineren aber theils ihre, theils kaiserliche
Vasallen, welche einen Zehnten vom Ertrage der Ländereien an
ihre Herren, den Siogun und die Lehnsfiirsten abliefern müssen.
Auch die Reichsunmittelbaren scheinen nicht durchgängig dieselbe
Stellung zu haben, das Verhaltniss einiger Familien ztun Siooun
soll sogar auf besonderen Verträgen beruhen. Specielles weiss man
darüber fast gar nicht.
AUe Daimio's sind verpflichtet, nach dem Maasse ihrer Ein-
künfte Soldaten zu unterhalten. Caron giebt die Heeresmacht,
welche der Adel zu seiner Zeit stellen musste, auf 368,000 Mann
Fussvolk und 36,800 Reiter an. Ausserdem giebt es ein zahlreiches
kaiserliches Heer. In der That ist jedes Mitglied der Adelsclasse,
jeder Zweischwertige, Soldat, wird mit einem bestimmten Range
in der Armee geboren, muss das WafFenhandwerk lernen und seinem
Lehnsherrn im Jünglingsalter den Eid der Treue leisten, und erhält
von dem Augenblick an seinen bestimmten Sold aus dessen Kasse.
«
**^ Um ein Beispiel von den Besitzverhältnissen zu geben, mögen hier die An-
gaben des Herrn von Siebold über einige von ihm bereiste Landschaften stehen.
Die Provinz Fidsen ist unter mehrere Fürsten und »Reichsvasallcn« vertheilt.
Der reichste imter den vier Fürsten, — welche sämmtlich der Familie Nabe-sima
angdioren, ist der Fürst von Fidsen, welcher 357,000 Kok Einkünfte hat und in
Sanqa residirt. Die sechs Reichsvasallen sind aus verschiedenen Familien und haben
10,000 bis 70,000 Kok Einkünfte , alle fuhren den ELami- Titel. — In Tsiküdsen giebt
es einen regierenden und einen apanagiilen Fürsten. — In Budsen hat der in
Kokura residirende Fürst 150,000 Kok Einkünfte; ein anderer Prinz aus demselben
Hause ist mit dem Ertrage einer neu angebauten Landstrecke, etwa 10,000 Kok
belehnt Mehrere Ortschaften an der Grenze von Bungo sind Domänen des Siooun.
— In Nakatsu, im ostlichen Budsen, hielt damals ein Fürst aus der Familie
Satsuma mit 100,000 Kok Einkünften Hof. — Aehnlich mögen die Verhältnisse in
anderen Landestheilen sein.
Alle Einkünfte werden nach Kok d. i. Säcken Reis berechnet. Ein Kok hält
etwa 100 Pfund Gewicht, und kann nach den jetzigen Preisen zu 4 bis 5 Thaler
Geldwerth gerechnet werden.
8-
-^1^ Besoldung. Die DaTmio's und Siomio's.
Der Sold wnurd meist in Reis bezahlt; da sich nun seit dem sieb-
zehnten Jahrhundert sowohl die Bevölkerung als die Fruchtbarkeit
des Landes bedeutend gehoben hat und da jeder Sohn eines Samrai
wieder Soldat werden muss, — da femer das Einkommen des
SioouN und der Daimio's sich nach dem Bodenertrage richtet, so
kann man annehmen, dass mit der Productionskraft des Landes
und der Bevölkerung im Allgemeinen auch die Zahl der Soldaten
wächst, welche von den Fürsten unterhalten werden, und dass das
japanische Kriegesheer heute noch viel zahlreicher ist als zu
Caron's Zeiten.
Den Namen Daimio fuhren die vornehmeren unter den Lehns-
fursten; Siomio heisst der minderbegüterte oder, wie andere wollen,
der neuere Adel. Jyeyas räumte nach dem Regentenkriege und
wahrscheinlich noch mehr nach der Besiegung desFiDE-YORi unter
den ihm feindlichen Familien stark auf, zerstuckte ihren Besitz in
viele kleine Theile, mit denen er seine Getreuen belehnte, und
schuf sich dadurch eine mächtige, ihm selbst aber wegen der Klein-
heit des Einzelnbesitzes ungefährliche Parthei : dieser Adel des Jyeyas
soll vorzugsweise mit dem Namen Siomio bezeichnet werden.
Titel und Besitz vererben in den FamiUen des Lehnsadels
auf einen imter den Söhnen oder Agnaten ausgewählten Nachfolger;
in Ermangelung eines solchen wird der Erbe aus einer ebenbürtigen
Familie unter der Sanction des Siogun adoptirt, welcher auch die
Heirathen des höheren Adels schliesst. Die Daimio's sollen es sich
besonders angelegen sein lassen, immer den fähigsten unter ihren
Söhnen zum Nachfolger zu ernennen und häufig sogar, wenn es
den natürlichen Erben an Begabung fehlt, mit Uebergehung der-
selben einem Fremden durch Adoptirung die Succession zuwenden.
So finden hervorragende Eigenschaften meistens ihre Stellung, der
japanische Lehnsadel soll fast durchweg aus tüchtigen Männern
bestehen. Was aus den nichterbenden Söhnen der Grossen wird, ist
unbekannt; Töchter scheinen in Japan überhaupt nicht mitzuerben.
Der Einfluss auf die Heirathen und die Succession des Lehns-
adels, die Zerspaltung des Reiches in viele Gebiete von ungleicher
Grösse und die Eifersucht der Familien untereinander geben an sich
dem SioGüN schon grosse Macht über dieselben, aber ihre Be-
schränkung geht noch viel weiter. Schon 1625 erschien die wichtige
Verordnung, dass alle Daimio's sich in Yeddo Paläste bauen und
ein um das andere Jahr dort zubringen sollten. Während sie selbst
Verhältniss des Siogun zu den DaTmio's. 11 •
auf dem Lande sind, müssen ihre Familien als Geissei in der Haupt-
stadt bleiben ; auf allen dabin filbrenden Landstrassen sind Schlag-
bäume aufgestellt, wo die Da'imio's bei ihrem Auszuge von Yeddo
anhalten und ihr Gepäck untersuchen lassen müssen, ob etwa
Frauen darin versteckt sind. Während des Landaufenthaltes
darf kein weibliches Wesen über ihre Schwelle kommen. In der
Hauptstadt selbst war es nur mit einander verwandten Daimio's
erlaubt sich gegenseitig zu besuchen; man sorgte dafür, dass Nachbar-
besitzer sich niemals zu gleicher Zeit in Yeddo oder auf dem Lande
aufhielten. Sie haben zwar auf ihren Besitzungen und in ihren
Palästen zu Yeddo die absolute Gewalt über ihre Unterthanen —
und es wird als etwas ganz Gewöhnliches erzählt, dass Daimio's ihre
Untergebenen für geringe Vergehen ohne Weiteres auf dem Hofe
ihrer Wohnung köpfen lassen — aber sie sind für die gute Ver-
waltung imd überhaupt für Alles, was auf ihren Besitzungen vorgeht,
mit dem Leben verantwortlich und werden sogar für die Fehler und
Nachlässigkeiten ihrer Unterthanen bestraft. Der Siogun kann die
Daimio's zu Gefangniss, Verbannung und zum Tode verurtheilen,
kann sie zur Abtretung der Herrschaft an ihre Erben zwingen und
sogar ganze Familien auf immer aus ihrem Besitze Verstössen. Nur
zu der Entsetzung seiner Titularbrüder und einiger der vornehmsten
Lehnsfursten"*) soll in neuerer Zeit die Einwilligung des Mikado
erforderlich gewesen sein.
Das Leben der Daimio's auf dem Lande ist streng geregelt,
zu jedem aussergewöhnlichen Schritte bedürfen sie der Erlaubniss
des Siogun ' ' *). Jedem der vornelimeren Lehnsadligen sind zu seiner
Ueberwachung von Seiten der Regierung zwei officielle Secretäre
beigegeben, die sich von sechs zu sechs Monaten im Amte ablösen,
ihre FamiUen aber bleibend in Yeddo lassen müssen. Sie haben
^") Als solche werden die Füi'Sten von Kanoa, Satsuma, Muts, Ystsisen,
OoMi und Osio genannt. — Im Jahre 1773 befahl der Siooun einem der kaiserlichen
Prinzen, dem Fürsten von Rii, welcher jähzornigen Charaktei*s imd grausam gegen
seine Untergebenen war, sich zu entleiben. Tsuna-yosi ertheilte denselben Befehl
seinem eigenen Bruder, der sich dem Trünke ergeben hatte und ein unwürdiges
Leben führte.
^^^) Sie durften z. B. noch bis ganz vor kurzem keinen Ausländer bei sich
empfangen — auch in Yeddo in ihren Häusern nicht, — ohne specielle Erlaubniss
der Regierung, deren Aufpasser dann bei allen Unterredungen gegenwärtig sein
mussten. So bedui'ften sie auch zum Ankauf von Dampfschiffen , Kriegsbedarf u. s. w.
der besonderen Genehmigung des Siooun.
llo Beaufsichtigung der DaTmio's.
den ihrer Aufsicht befohlenen Daibuo auf Schritt und Tritt zu be-
gleiten und jede seiner Handlungen nach Hofe zu berichteil. Ausser
diesen ofGiciellen Aufpassem unterhält die Regierung im ganzen Lande
viele geheime Spione, die Niemand als solche kennt; sie werden aus
den angesehensten Fanulien des Hofes genommen, und müssen sich
oft dazu hergeben, in geringer Verkleidung — als Handwerker,
Tagelöhner u. s. w. — viele Jahre unter den schwierigsten und im-
bequemsten Verhältnissen zuzubringen"'). Diese Stellungen sind
sehr gefahrUch, aber in Japan darf sich Niemand unterstehen, ein
übertragenes Amt auszuschlagen, seine Ehre wäre verloren und
damit sein Leben. Grade das Amt des geheimen Spions fordert die
grösste Zuverlässigkeit und Geschickliclikeit und wird meist nur vor-
züghchen Männern vertraut. Damit nun aber auch die geheimen
Aufpasser controUirt werden können, sind überall im Lande öflFent-
liehe Briefkasten für die Beschwerden des Volkes aufgestellt; die
Klagschriften werden in Yeddo geöflSoiet imd müssen, um berück-
sichtigt zu werden, mit dem Namen des Klägers unterzeichnet sein,
der in schwere Strafen fallt, wenn seine Angaben sich als unrichtig
erweisen.
Die ganze Existenz der Daimio's ist so zugeschnitten, dass
selbst die reichsten niemals über grosse Geldmittel verfugen können.
Ihre Hofhaltung und Kriegsmacht verschlingen den grössten Theil
ihrer Einkünfte — zudem ist es hergebracht, dass vornehme Leute
ihrem Stande gemäss AUes weit über dem Werth bezahlen, und bei
iliren Hofreisen müssen sie dem Siogun jedesmal werthvoUe Geschenke
überreichen. Sammelt trotzdem ein Daihio viel baares Geld, so ladet
sich der Siooun bei ihm zum Frühstück ein, oder lässt ihm von dem
Mikado einen ausserordentlichen Titel verleihen; beides sind so
kostbare Ehren, dass die Kassen der davon betroffenen auf lange
Zeit hinaus erschöpft werden.
Dies war ungefähr die Stellung des Lehnsad^Is in den
Jahrhunderten der Abschliessung. Natürlich gab es darin viel-
fache Modificationeu, wie sie locale Umstände, die Stellimg der
einzelnen Fürsten zu iliren Unterthanen, die Lage und eigenthüm-
liche Verfassung und die Entfernung ihrer Herrschaften von der
^^^) Ein Gouvenieui' vou Hakodade wurde plotzlicli seines Postens enthoben.
Als Nachfolger tra( in sein Amt ein Mann, welchen man mehrere Jahre lang als
Arbeiter eines Tabakshändlcrs dort gekannt hatte. Er gehorte einer voniehmen Hof-
Familie an, und war als geheimer Spion nach Hakodade gesandt worden.
Die mächtigsten Lehnsfursteu. Die Saubai eine Kricgcrkaste. ^^^
Hauptstadt, vielleicht auch besondere Verträge bedingten, die ein-
zelne Familien mit dem Siogun- Hause in alter Zeit geschlossen
hatten. Einer der reichsten und der mächtigste Daimio war immer
der Fürst von Satsüma, aus dessen Gebiet seit zwei Jahrhunderten
nur ein geheimer Spion lebendig zurückgekehrt sein soll. Diese und
andere angesehene Famihen, wie Kanga, Muts, Yetsisen, Osio,
Naägato haben die Siogun's von je her mit grosser Rücksicht
behandelt und durch Verschwägerung an ihr Haus zu fesseln gesucht.
Das System bedurfte, so ausgebildet, so vollkommen es war, doch
immer der geschicktesten Handhabung. — In neuester Zeit, seit
Zulassung der Fremden, scheint die Centralregierung den grössten
Theil ihrer Macht über die Daimio's eingebüsst zu haben.
Die übrigen Samrai sind die Vasallen und Trabanten des
Siogun und der Daimio's. Der Adel ist wie gesagt eine Art Krieger-
kaste, zu der alle Beamten — die kaiserlichen wie die fürstüchen, —
die Gelehrten , ein Theil der Aerzte und die Priester mehrerer Secten
gehören. Es giebt in dieser Classe unendUch viele Abstufungen,
Famihen, die Ländereien zu Lehen haben, und andere, die ihre
Einkünfte direct aus der herrschafthchen Kasse beziehen; aus letz-
teren scheinen die meisten Aemter und Stellen besetzt zu werden. Alle
diese Famihen haben einen angestammten militärischen Rang, der
sich durch das dem Einzelnen übertragene Amt nicht ändert. Nur
dieser mihtärische Geburtsrang hat Geltung, das Amt ist etwas
Zufalliges und scheint weder zu erhöhen noch zu erniedrigen * ' ').
Natürlich werden die höheren und wichtigeren Stellungen gewöhn-
lich aus den vornehmeren Famihen besetzt, doch kommt es häufig
vor, dass begabte Männer von niederem Adel die einflussreichsten
Aemter bekleiden. Ein gemeinsames Band umschhngt alle Samrai
und sondert sie vom Volke ab, aus welchem nur selten und tiir
ganz ungewöhnhches Verdienst Einzelne, sei es vom Siogun oder
von den Fürsten, in den Adelstand erhoben werden. Die Scheidung
vom Volke ist uralt und die Kluft so gross, dass der wohlhabendste
Kaufmann nur auf den Knieen hegend mit dem geringsten Samrai
redet. Die Samrai können niemals unter das Volk hinabsteigen und
sich durch Handwerk oder gar durch den Handel ihren Unterhalt
erwerben; ihre Geburt legt ihnen die bestimmtesten Verpflichtungen
^^^) So hatte der Adoptivsohn des kaiserlichen Leibarztes, welcher sich im
Herbst 1861 in Nanoasaki befand, als Mitglied der kaiserlichen Leibwache höhei'en
Rang, als der 7Ai derselben Zeit dort fungirendc kaiserliche Statthalter.
120
LoNiNe. Kleidung des Adels. Die kaiserliche Leibwache.
auf. Der Sold, den sie beziehen, richtet sich nach dem Range,
und reichte, so lange die Abschhessung Japans währte, auch bei
den gemeinen Soldaten zur Bestreitung der nothwendigsten Lebens-
bedürfnisse aus. Wird aber ein Samrai wegen schlechter Führung
aus dem Dienste gestossen, so ist er damit dem Hungertode preis-
gegeben, denn es bleibt ihm kein ehrlicher P>werb. Diese Ver-
stossenen bilden die Classe der Loninc, der Geächteten, Rechtlosen,
unter denen es viele gefahrliche Bravos giebt. Die Benennung
LoNiN — Mann ohne Amt — hat an sich nichts Beschimpfendes,
man bezeichnet damit auch Diejenigen, welche, um den höheren
Pflichten der Ehre, LoyaUtät oder der Freundschaft zu genügen,
dem Schutze der Gesetze freiwillig entsagend blutige Racheacte
begehen.
Der Adel unterscheidet sich äusserlich vom Volke durch eine
gewisse faltenreiche Beinbekleidung und durch zwei Schwerter, die
im Gürtel getragen werden*'®). Die tägliche Tracht der Daimio's
und selbst des Siogun zeichnet sich vor der des gemeinen Soldaten
allein durch grössere Feinheit der Stoffe aus; nur bei Ceremonieen
und Feierüchkeiten scheint der Rang durch gewisse Abzeichen kennt-
lich gemacht zu werden. Das einzige Vorrecht der Lehnsforsten
und hohen Staatsbeamten — Aller die den Kami -Titel führen —
in der täglichen Kleidung ist ein feines weissleinenes Untergewand,
das, dem Körper zimächst getragen, nur in einem schmalen St/eifen
am Halse sichtbar ^ird.
Um der überwiegenden Zahl der adligen Trabanten das
Gleichgewicht zu halten, welche die Heeresmacht der Lehnsfürsten
bildeten, soll Jyeyas, wie schon oben angedeutet wurde, eine
Adelserhebung im Grossen vorgenommen haben. In dieser ist
wahrscheinlich auch der Ursprung der kaiserlichen Leibwache zu
suchen, deren Stärke Titsingh auf 80,000 angiebt, und zu welcher
die Familien der höchsten Hof- und Staatsbeamten gehören'"*).
"8j ^ach einer Notiz im Siebold'schen Werke hätte der Adel erst durch eine
Verordnung des Jahres 1682 das Recht erhalten zwei Schwerter zu tragen.
^'') Die Nachrichten über die Zusammensetzung der Leibwache sind etwas dunkel.
Nach Cai'on wäre sie aus den unehelichen Söhnen der DaTmio's , deren Brüdern und
Vettern gebildet worden ; er erwähnt daneben noch einer anderen Garde von einigen
tausend Mann. Nach Titsingh wäre unter Jye>mitsu , dem dritten Nachfolger des Jteyas,
eine neue Garde aus den Brüdern der Beischläferinnen des Siogun gebildet worden,
da die ältere mit dieseu nicht hi demselben Corps dienen wollte. Wahrscheinlich ist
jene neue die zuerst von Caron erwähnte.
Das Volk. — . Organismus der Staatsverwaltung. 1^1
Die Stellung eines Leibgardisten ist erblich und verleiht an und für
sich einen hohen Rang.
Das Volk bilden die Handel und Gewerbe treibenden Classen;
auch unter ihnen giebt es viele Abstufungen. So dürfen die acker-
bauenden Japaner ein Schwert tragen, die Kaufleute hingegen
nicht*'*); die letzteren lassen sich, da alle Diener der Samka'i das
Recht auf ein Schwert haben, häufig als Trabanten eines solchen
einschreiben, und zahlen bedeutende Summen, um jenes Vorrecht
zu gewinnen, dessen sie sich dann auch nur bei feierlichen Gelegen-
heiten bedienen. Im gewöhnüchen Leben tragen weder sie noch
die Landleute ein Schwert, während der Samrai die seinen auf der
Strasse niemals, im Hause nur das grössere, zw^eihändige ablegt'**).
Viele und besonders die reicheren Kaufleute erkaufen sich das Recht
ein Schwert zu tragen vom Siogün, beziehen dann als seine Diener
ein geringes Jahrgehalt, und übernehmen damit die Verpflichtung,
im Falle es gefordert wird, Geld vorzuschiessen; sie sind die Hof-
banquiers***).
Der Organismus der japanischen Staatsverwaltung ist nur sehr
unvollständig bekannt. Der erste Staatsbeamte ist der Regent,
dessen Amt aber nur in Kraft tritt, wenn ein unmündiger Siogun
auf dem Throne sitzt. Diese Würde war in der, von dem
Geheimschreiber und vertrautesten GünstUng des Jyeyas herstam-
menden Familie der Fürsten von Ikamo erblich. — Dem Throne
zunächst steht ein Collegium von fünf Reichsräthen oder Ministern ;
diese bilden, wie es scheint mit acht anderen Räthen geringeren
Ranges, das sogenannte Gorodzio, einen obersten Reichsrath,
welchem alle Angelegenheiten untergebreitet werden. Die Nach-
richten über seine Functionen und Befugnisse sind verwirrt und
widersprechend; wahrscheinlich hat das Gorodzio die Entscheidung
i^ Caron sagt, der Kaufmann stehe in Missachtung »dieweil er mit Lügen
umgeht, und, sich derselben nicht schämend, die Leute, sie mögen edel oder unedel
sein , um seines schändlichen Gewinnes halben , und seine Wahl* theuer zu verkauffen,
zu betriegen trachtet.- Merklein's Uebersetzung.
**^) Die FoiTii der Klinge ist fui* jeden Stand genau vorgeschrieben. Das
Schwerterpaar des SambaT heist Daijso. Die Bürger, Bauern, Wächter u. s. w.
tragen ein kurzes Schwert, das dem kleineren der Adelsclasse ähnlich ist. S. v. Sie-
bold NiPPON.
^^) Herr von Siebold sah eine lange Liste derselben, auf welcher die Namen
der reichsten obenan in zolllaugen fetten Buchstaben figurirten, während die der
mindeiTcrmögenden in immer kleinerer Schrift folgten.
1^^ Das GoBODiio. Die Bunyo's.
über alle gewöhnlichen Sachen, die laufenden Geschäfte, während
alle aussergewölinlichen dem Siogün vorgelegt werden müssen. Bei
diesem sollen die fünf Minister Vortrag haben, aber keine Angelegen-
heit zwei Mal vorbringen dürfen. In neuester Zeit ist offenbar die
Macht des Siogun durch diesen Reichsrath sehr beeinträchtigt worden;
schon dem russischen Capitän Golownin, der in seiner langen Ge-
fangenschaft (1810 — 1812) viel zuverlässige Nachrichten gesammelt
hat, wurde von japanischen Beamten erzählt, dass der Sioqun keine
Entscheidung ohne Zustimmung des Gorodzio treffen könne, eben-
sowenig aber auch dieses ohne den Siogün. Neuere Schriftsteller
wollen, dass im Falle einer Meinungsverschiedenheit der Siogun der
Beistimmung seiner drei Titularbrüder bedürfe, um seme Ansicht
gegen den Reichsrath durchzusetzen, und dass er sogar abdanken
müsse, wenn ihn diese nicht einstimmig unterstützten, — dass aber
im entgegengesetzten Falle der Urheber des fraglichen Vorschlages
im Gorodzio, ja zuweilen die ganze Versammlung sich entleiben
müsse. Letzteres ist gewiss falsch. Nach Golownin's Nachrichten
durfte der Siogun die lEtglieder des Gorodzio nach Gutdünken
berufen und entfernen und übte dadurch grosse Macht über dessen
Beschlüsse. Dieser oberste Reichsrath scheint zum Theil aus Lehns-
fursten, zum Theil aus MitgUedern des kaiserlichen Hofadels zu
bestehen; ob in ihrer Anzahl ein bestimmtes Verhältniss obwaltet,
ist ungewiss. Das Gorodzio ist wahrscheinlich identisch mit dem
sogenannten Rathe der »Fürsthchen alten Männer«. Es giebt ausser-
dem noch eine zweite Versammlung der »Jungen alten Männer«,
die aus fünfzehn Mitghedem zu bestehen und über wichtige Criminal-
sachen zu entscheiden scheint**').
An der Spitze der verschiedenen Zweige der Verwaltung
stehen die Bunyo's *'*), welche meist den höchsten Famihen des Hof-
adels angehören; viele fuhren den Kami -Titel — auch apanagirte
^^) Vielleicht ist dieses das sogenannte Kokusi, von welchem ein cnglischer
Schnftsteller der neuesten Zeit redet, nach dessen Angabc diese Versammlung aus
achtzehn oder vierundzwanzig Mitgliedern, zum Theil aus dem höchsten Lehnsadel
bestehen, den Mikado in Yeddo vertreten und die Regierung des Siogun beauf-
sichtigen soll. Diese Nachricht stimmt so wenig zu allem Anderen, das bis jetzt
über die japanische Staatsvei*fassung bekannt geworden ist, dass man ihr unmöglich
Glauben beimessen kann.
1*4) BuNYo oder 0-Bunyo. Das O vor einem Worte erhöht den Hang, Kinder
setzen es vor das Wort Vater, Mutter; — wenn man mit einem Einwohner von
Yeddo spricht, pflegt man aus IlöÜiehkeit O-Ykddo zu sagen \\. s. w.
Kaiserliche Statthalter.
123
Mitglieder des Lehnsadels scheinen darunter zu sein. Alle hohen
Staatsbeamten heissen Bunyo, so die Gesandten, Generale, Unter-
Staatssecretare, Regierungspräsidenten, Steuerdirektoren iL s. w.
Bestinunte Caifrieren scheint es nicht zu geben, ein Staatsrath kann
plötzlich zum Admiral ernannt werden; doch scheinen einige Aemter,
auch abgesehen vom miUtärischen Bange, in bestimmten Familien
erblich zu sein'**).
Diejenigen Bunyo's, welche Statthalter der kaiserlichen Ge-
biete sind, haben dort eine ganz ähnliche Stellung wie die Dajmio's
auf ihren Territorien; sie haben dieselben Rechte und dieselbe Ver-
antwortung, müssen auch wie Jene ein um das andere Jahr in Yeddo
zubringen und während ihrer Abwesenheit die Familie dort lassen.
Die Statthalterstellen sind deshalb immer doppelt besetzt: der fun-
girende Beamte berichtet alle Angelegenheiten an seinen in Yeddo
wohnenden Doppelgänger, welcher die Verbindung mit der Central-
behörde vermittelt. Sie werden wie die Lehnsfiirsten von ofEiciellen
Aufpassem und geheimen Spionen überwacht. — Die Buinro's regieren
die grosse Schaar der Ober- und unter -BANYosen und der niederen
Beamten oder Yaküninc'**), deren FamiUen denen der Biinyo's
durch eine Art Vasallenverhältniss erblich verbunden zu sein scheinen.
Sie sind ihre persönlichen Beamten, für welche sie verantwortlich
sind wie der Lehnsadel für die seinigen; sie bilden iliren Hofstaat,
begleiten sie in ihre Stellungen und stehen wahrscheinlich auch
unmittelbar in dem Solde der Bunyo's, so dass die Regierung
sowohl in Rücksicht auf die Verantwortung als auf die Besoldung
nur nut den höheren Beamten zu thun hat. Jeder kaiserliche Statt-
halter nimmt seine Unterbeamten mit sich in die Provinz und zurück
mit in die Hauptstadt; nur einige Stellungen, wie die der niederen
PoUzei und andere, welche den Verkehr mit dem Volke vermitteln
oder grosse Ortskenntniss erfordern, sind nicht an die Person der
Bunyo's gebunden. Es giebt in den kaiserlichen Gebieten auch
MiUtärgouvemeure und Domänenrentmeister, welche immer an Ort
und Stelle bleiben und nicht zum Aufenthalte in Yeddo ver-
pflichtet sind.
^^) So z. B. die des kaiserlichen Leibarztes. Es ist Ehrensache ein solches
Amt nur an einen dazu Fähigen zu vererben; findet sich ein solcher nicht in der
Familie, so adoptiit das Familienhaupt den Geschicktesten der zu finden ist mit
Uebergehung der eigenen Sohne.
^■^ Yakü-nin heisst Beamter, wörtlich Amtmann.
124
Coinniuualverfassung.
Die BüNYo's haben, wie die Daimio's, Gewalt über Leben
und Tod ihrer Untergebenen, üben als Statthalter in ihren Districten
die höchste Gerichtsbarkeit aus und sind nur der Centralbehörde
verantwortlich, welche sie auf das strengste beaufsichtigt und für
alle Ungehörigkeiten bestraft. Die japanischen Beamten müssen,
gleichviel ob befähigt und vorbereitet oder nicht, jede ilmen vom
SioGUN übertragene Stellung annehmen. Blinder Gehorsam gegen
den Vorgesetzten ist die unverbrüchliche Regel, jede Abweichung
davon gilt für ehrlos.
Wie der Lehnsadel und die kaiserhchen Statthalter der Central-
regierung, so sind Jenefn die Communalbehörden für das Volk ver-
antwortlich. Die Städte und Flecken sind in Strassen abgetheilt,
deren jede etwa hundert Häuser umfasst: sie können durch Thore
von den Nachbarstrassen abgeschlossen werden. Jeder Hausvater
muss nicht nur für seine eigene, sondern auch für die fünf ihm
zunächst wohnenden Familien einstehen; der Gassenmeister, Ottona,
dem zwei Gehülfen, die Kasira, beigegeben sind, ist für seine
Strasse dem Viertelsmeister, dieser wieder dem Bürgermeister ver-
antwortlich. Letztere Würde soll häufig in den ersten Bürger-
famihen erbUch sein, während die niederen Aemter durch die Wahl
der Bürger unter Bestätigung der Oberbehörde besetzt werden.
Die Bürgermeister sind den kaiserhchen oder furstUchen Beamten
verantwortüch; — ein Generalaufpasser hat die Obliegenheit, von
Allem, was vorgeht, zuerst unterrichtet zu sein und den Behörden
Anzeige zu machen. — Aehnlich ist die Einrichtung auf dem Lande,
doch giebt es wahrscheinUch viele Abweichungen in den verschie-
denen Theilen des Reiches, denn die Regierung der Siogun's scheint
den Grundsatz befolgt zu haben, den einzelnen Landschaften ihre
von Alters her eingelebten Institutionen zu lassen. Die Lehnsfarsten
haben sogar die Befugniss, auf ihren Territorien selbstständig Gesetze
und Verordnungen zu erlassen, sofern dieselben nur nicht mit den
Interessen des Gesammtstaates oder anderer Landestheile — oder
mit den Befehlen des Siogun colüdiren. Die Communalbehörden
haben für die öffentliche Sicherheit zu sorgen; am Ende jeder
Strasse steht ein Wachthaus, wo die Kasira und der Reihe nach
einige von den Hausvätern die Wache beziehen. Diese halten Nachts
ihre Umgänge, zeigen durch lautes Zusammensclüagen zweier Hölzer
die Stunden an und spähen von hohen Warten aus nach den
Feuersbrünsten, welche dann durch Glockenklang der Bevölkerung
Der Grundzins. — Die Justiz. 1^5
verkündigt werden. Bei Unruhen, Bränden und sonstigem Strassen-
tumult muss jede Familie einen Mann zur Wache stellen, welche
dann der Ottona befehligt. Dieser muss genau in seiner Strasse
Bescheid wissen, er fuhrt die Listen über die Geburten, Heirathen
und Todesfalle, und verwaltet das Gassenvermögen, an welchem
alle Hausväter Antheil haben. Fallen Ungehörigkeiten vor , so wdrd
nicht nur der Deünquent, sondern auch jede der ihm vorgesetzten
Behörden zur Verantwortung gezogen, und bei schweren Ver-
gehungen die Strafe sogar auf alle männlichen MitgUeder seiner
FamiUe ausgedehnt"'). Niemand kann ein Haus erwerben ohne
Zustimmung des Ottona und der Nachbarn, welche für ihn mit-
verantworthch werden. Der Grund und Boden scheint überall dem
SiOGüN oder den Lehnsfiirsten zu gehören; — - der Grundzins, welcher
in manchen Gegenden sehr hoch ist und sich jährUch nach dem
jedesmaligen Ertrage verändert, ist die hauptsächlichste, in den
meisten Landestheilen wahrscheinlich die einzige Steuer. Der Grund-
herr hat zwar das Recht, jeden Augenblick frei über sein Eigen-
thum zu verfugen, doch bleibt der Landmann gewöhnUch im ruhigen
Besitze seines Ackers, so lange er ihn gehörig bestellt; aber
der Eigenthümer hat sogar die Verpflichtung ihn auszuweisen,
wenn er ein Jahr lang seine Felder nicht anbaut. — In den Städten
gehören die Häuser den Bürgern, den Grund und Boden können
sie aber, wie es scheint, nicht erwerben, sondern bezahlen dem
Besitzer Abgaben davon.
Die Justiz ist mit der Verwaltung verbunden: kleine Händel
schlichten die Communalbeamten, alle Sachen von Belang aber
kommen vor die Regierungsbehörden. Processe giebt es nicht und
das Amt der Advocaten ist unbekannt. In civilrechthchen Fällen
wird der Beklagte, sobald sich die Richtigkeit der gegen ihn erho-
benen Forderung herausgestellt hat, bei magerer Kost so lange in
einen mehr oder weniger unbequemen Käfig gesperrt — in manchen
Fällen auch nebenbei ausgepeitscht — bis er seine Verpflichtungen
erfüllt oder sich mit dem Kläger verglichen hat. In criminellen
Sachen sind die alten Strafgesetze, welche zu verändern die Japaner
sich scheuen , sehr streng und grausam. Abweichungen vom
^^ So war es wenigstens in früherer Zeit. Jetzt scheint diese Unsitte beseitigt
zu sein. Vormals pflegte man die Todesstrafe au allen Mitverurtheilteu aus der
Familie des Verbrechers, in welchem Theile des Reiches sie sich aufhalten mochten,
mit seiner Hinrichtung am gleichen Tage imd zu derselben Stunde zu vollziehen.
1^0 Crimiiialjustiz. Sti*afen.
Buchstaben des Gesetzes und eigentliche Rechtsinterpretationen kennt
und begreift man nicht; trotzdem soll die Praxis der Rechtspflege
in Folge der durch den langen Frieden geläuterten Sitten und An-
schauungen sehr milde geworden sein. Die Folter, deren Anwen-
dung die alte Gesetzgebung in Criminalföllen bei jedem Leugnen
gebietet, wird jetzt nur gegen überführte Verbrecher gebraucht,
welche nicht gestehen wollen. Geringe Vergehen, die den alten
Gesetzen nach sehr hart bestraft werden müssten, lässt man schon
der allgemeinen Mitverantwortlichkeit wegen gern unbeachtet oder
bemüht sich, sie unter andere minder straffällige Benennungen zu
bringen. Wenn es unmöglich ist, einen Angeklagten zu überfuhren,
so soll der Richter nach Beweisen für seine Unschuld forschen,
um ihn vollständig zu rechtfertigen. — Sehr streng und gradezu
barbarisch scheint noch heute die Praxis gegen die Lehnsfürsten
und gegen hochgestellte Beamte zu sein: sie werden nicht nur für
das verantwortlich gemacht, was ihre Schuld oder Nachlässigkeit
verfelilt, sondern müssen oft für ganz unverschuldetes und unver-
meidliches Unglück, das ihre Verwaltung betroffen hat, die härtesten
Strafen dulden. Dies hängt wieder mit der ostasiatischen Anschauung
von der Verantwortlichkeit der Herrschenden zusammen.
Die gewöhnlichen Strafen sind Hinrichtung, Verbannung,
Gefangniss. Die Todesstrafe steht schon auf Diebstähle von ge-
ringem Belang und wird meist durch das Schwert vollzogen'*'),
schwere Verbrechen ahndet man mit Kreuzigung und anderen
martervollen Todesarten. Die Hinrichtung durch Henkershand ist
immer entelu^end, nicht nur für den, an welchem sie vollzogen wird,
sondern für dessen ganze FamiUe; seine Nachkommen sind unfähig,
in seine durch Geburt ererbten Rechte einzutreten. Es ist daher
eine Gnade des Siooün, wenn er Leuten von Stande, die das
Leben verwirkt haben, das Harakiru befiehlt: dann bleiben ihre
Verwandten und Nachkommen in Ehren. Meistens kommen in
solchen Fällen die Schuldigen der Strafe durch freiwillige Selbst-
entleibung zuvor, wodurch ihr Vergehen ebenfalls gesühnt wird.
Das Volk scheint keinen Antheil an dieser Wohlthat zu haben ; die
Leichname von Verbrechern der niederen Stände, die sich den Tod
gegeben, werden häufig in die Hände des Henkers geliefert, und
eingesalzen noch an das Kreuz geschlagen.
*^) Früher wurde jede Lüge vor der Obrigkeit mit dem Tode bestraft.
S. Caron.
Verbannung. Hausgeföngniss.
127
Die zur Verbannung verurtheilten schickt man entweder auf
entlegene Bergfesten, in die Kupferbergwerke oder nach einsamen
Felseninsebi'*'). Diese Strafe scheint nicht entehrend zu sein,
ebensowenig die des Hausgefängnisses, welche auch gegen Leute
der höchsten Stände und gewöhnhch auf 50 bis 100 Tage verhängt
wird. Das Haus des Inculpaten wird, nachdem er sich und die
Seinen hinreichend mit Lebensmitteln versehen hat, auf allen Seiten
mit Brettern vernagelt; der Schuldige darf sich während der Straf-
zeit weder Bart noch Haare scheeren und tritt in den von den
Japanern so ' verabscheuten Zustand der Unreinheit. — Die öffent-
lichen Gefangnisse sollen meist reinlich und luftig sein; es giebt
aber eine Art unterirdischer Kerker für gemeine Verbrecher, welche
Höllen genannt werden und ein wahrer Aufenthalt des Grauens
sein müssen. Dort werden die Missethäter bei vollständiger Aus-
schliessung von Licht und frischer Luft in grosser Anzahl zusammen
in ein enges Behältniss gesperrt, in das man nur einmal täglich
die schlechte Nahrung durch eine kleine Oeffnung hineinreicht.
Es ist den Verwandten des Verbrechers erlaubt, ihm bessere Lebens-
mittel zu bringen, aber nur unter der Bedingung, dass alle seine
Mitgefangenen daran Theil nehmen.
In allen diesen Strafen giebt es vielfache Modificationen und
Abstufungen , — namentlich in Bezug auf die Mitleidenschaft der Ver-
wandten, — und eine ganz bestimmte Gradation. Das Strafmaass
wird um eine Stufe gemildert, wenn Jemand sich freiwillig angiebt.
Leichtere Vergehungen der Beamten ahndet die Regierung mit Ver-
setzung, Degradirung, mit ganzem oder theilweisem Vermögens-
verlust ' *"). Im Uebrigen halten die Japaner Geldstrafen für ungerecht
und unzulässig, weil sie auf dem Armen so ungleich schwerer lasten
als auf dem Reichen.
Ueber die Organisation des Priesterthumes, seine Rechte
und seine Stellung weiss man wenig Genaues. Nominell stehen die
*^) Caron, Kämpfer und Andere berichten, dass höhere Staatsverbrecher nach
der südlich von Nippon im Stillen Ocean gelegenen Insel Fatsisio verbannt werden,
wo sie sich mit dem Weben ausnehmend kunstreicher und kostbarer Seidenstoffe
beschäftigen. Die Küsten dieser Insel sollen ganz hafenlos und so unzugänglich
sein^ dass die dort ankommenden Dschunken vermittelst starker Taue auf das hohe
Felsenufer gewunden werden müssen , da man auf andere Weise nicht landen kann.
^"0) Vormals wurde das Vermögen aller Verbrecher eingezogen, und floss in
eine Kasse, die zum Tempel-, Brücken- und Strassenbaii diente. 8. Caron.
128 Der PriesterstaDd ; Sclaven. — Wirkungen des Abspemmgs - Systemes.
Geistlichen dem Range nach über dem Kriegerstande, in der Praxis
aber gemessen nur die Priester einiger SiNxo-Secten gleichen An-
sehns mit den Samrai, zu welchen sie gehören. Die Bonzen der
meisten buddistischen Secten — und diese bilden die Mehrheit des
Priesterstandes — stehen in sehr geringer Achtung. — Jyetas soll
seiner Zeit den Mikado, um ihn in seine Gewalt zu bekommen, dazu
vermocht haben, seine beiden Söhne zu Oberpriestem der Haupt-
tempel von Yeddo zu ernennen, während früher Miako der Sitz
der geistlichen Oberhäupter von Japan war. Noch jetzt sind unter
den höchsten Staatsbeamten in Yeddo einige, deren Functionen
sich auf den religiösen Cultus beziehen — die Niederländer nannten
sie Tempelherren. — Ausser den Priestern giebt es viele Arten von
Mönchs- und Nonnenorden, welche durch das ganze Land verbreitet
sind, eine feste und anerkannte Organisation und jeder ein beson-
deres Oberhaupt haben; diese Ordensvorsteher lebten früher eben-
falls in MiAKo.
Es soll Sclaven in Japan geben, Abkömmlinge von Kriegs-
gefangenen aus alter Zeit und solche, die von unbemittelten Eltern in
die Knechtschaft verkauft worden sind. Die Nachrichten darüber
sind dunkel und voll Widersprüche. Allem Anscheine nach ist nur
der Verkauf auf eine bestimmte Reihe von Jahren gestattet, nach
deren Ablauf der Geknechtete wieder frei wird. Aelteren Nachrichten
zufolge dürfen die Herren ihre Sclaven aus eigener Machtvoll-
kommenheit nach den Landesgesetzen und sogar mit dem Tode
bestrafen , verfallen aber selbst dem Gesetze , wenn sie dabei grausam
oder ungerecht verfahren.
Dass der Wohlstand und die Gesittung der Japaner sich
unter dem beschriebenen Regimente bedeutend gehoben hat, ist
schon gesagt worden. Der Charakter des Volkes ist heute ziemlich
derselbe, wie vor zweihundert Jahren, im Wesentlichen passen die
Schilderungen des Franz Xaver und anderer Reisenden aus dem
sechszehnten und siebzehnten Jahrhundert auch auf die heutigen
Japaner; aber ihre Sitten sind durch den langen Frieden milder,
ihre Anschauungen freier und menschlicher geworden. Der Druck,
unter welchem das japanische Volk lebte, scheint seiner Entwickelung
heilsam gewesen zu sein. Das System des Jyeyas war gegen die
Zustände des fünfzehnten und sechszehnten Jahrhunderts eine grosse
Wirkungen der Sioguk - HeiTschaft auf das Volk. l^y
Verbesserung: die zügellose Willkülir der Lehnsfursten machte einem
strengen, despotischen, aber geordneten und einigen Regimente
Platz, die Allmacht des Siogun selbst wurde durch die Verhältnisse
beschränkt, denn sie war nicht vollkommen legal und der uralte
Mikado -Thron auf keine Weise zu beseitigen. Dieser muss den
Siogun's immer wie ein drohendes Schreckbild erschienen sein —
nicht durch sich selbst, sondern weil er aufrührerischen Daihio's
immer einmal als Mittelpunct dienen konnte und weil sein Ansehn
beim Volke noch immer galt. Denn auch heute wird kein Japaner
zugeben, dass der Siogun, obgleich absoluter Herr, der erste Mann
des Reiches ist. Die Siogun's bedurften also, um die Grossen zu
zügeln, der Gunst und Zustimmung des Volkes, der öffentlichen
Meinung, welche sie nur durch ein weises und gerechtes, den Be-
dürfnissen des Landes angemessenes Regiment für sich gewinnen
konnten. Das Regierungssystem ist durch und durch despotisch,
aber die verschiedenen Factoren hielten einander dermaassen das
Gleichgewicht, dass Gerechtigkeit geübt werden musste imd das
Volk sich wohl befand. Diese äussere Nothwendigkeit hat aber
auch ein inneres Bedüriniss des Guten hervorgerufen, und man
kann wohl behaupten, dass unter den gebildeten Classen gute und
ehrenhafte Gesinnungen allgemein, wenigstens vorwiegend sind.
Die Ehre ist das leitende Princip der höheren Stände; sie gilt als
ein Attribut der edelen Geburt, legt die höchsten Verpflichtungen
auf, und ist die Quelle aller hohen Tugenden. Der Begriff der Ehre
ist in Japan bis zum Extrem ausgebildet und dadurch auch der
Ursprung vieles Bösen geworden, denn jeder Flecken daran muss
mit Blut getilgt werden, daher die vielen Morde und Selbstent-
leibungen unter den höheren Classen.
Die japanischen Zustände und Sitten eingehender zu beschrei-
ben, wird sich im Laufe des Reiseberichtes vielfach Veranlassung
bieten, doch mögen hier noch einige allgemeine Andeutungen über
den Charakter des Volkes stehen, wie er sich unter dem Absper-
rungssysteme ausgebildet hat.
Der Leitstern und gleichsam die Religion des Volkes ist die
ungemessene Ehrfurcht vor seinen Gebietern; dies ist die Quelle
seiner guten Gefühle und die Grundlage seines Wohlbefindens.
Das Verhältniss ist ein patriarchalisches; wie ein Kind zu seinen
Eltern, so bUckt das japanische Volk zu seinen Herrschern auf, die
es für sein Wohl und Wehe verantworthch hält. Es ist von jeher
I. 9
liü Der Volkscharakter.
gewohnt gewesen sich regieren zU lassen, und hat wohl niemals
den Gedanken gefasst, an der Herrschaft Antheil zu nehmen; dass
solches Verlangen nicht Wurzel schlagt, hegt wohl theils in seiner
uralten Scheidung vom Adel, theils auch in dem behaglichen Zu-
stande , in dem es bei massiger Beschränkung lebt. Das Bedürfniss
nach Freiheit würde sowohl bei stärkerem Drucke als bei imge-
hemmter Entwickelung rasch aufkeimen — aber die Siogtos haben
es verstanden dem Volke ein ruhiges , friedliches Leben zu bereiten,
und zugleich seiner inneren Entwickelung bestimmte Grenzen zu
setzen. Die Knechtschaft ist so uralt und so bequem, dass der
Wunsch nach Unabhängigkeit und Selbstständigkeit nicht geboren
wird. Nach Heldentugenden würde man unter dem Volke vergebens
suchen, aber an Bürgertugenden ist es reich. Die Regierung übt
die strengste Aufsicht, und leidet keinen Uebergriff. Während man
, nun glauben sollte, dass in Folge der unausgesetzten Beaufsichtigung
das Volk gedrückt und argwöhnisch wäre, findet man es im Gegen-
theil heiter, aufgeweckt und offen. Kein Vergehen bleibt verborgen,
aber der Redliche hat nichts zu befürchten. Die Strenge der Strafen,
und die allgemeine Mitverantwortlichkeit machen die Tugend zu-
nächst zur nothwendigen Gewohnheit — das gute Gewissen erzeugt
einen heiteren Sinn, und auch das von der Obrigkeit anbefohlene
Beharren des Volkes bei seinen alten , einfachen , massigen Gewohn-
heiten trägt wesentüch dazu bei, die Japaner zufrieden, lebensfroh
und frisch zu erhalten. Ihr Verkehr untereinander und vor Allem
das Familienleben ist so erfreuUch, wie man es nur bei den ge-
bildeten europäischen Völkern findet. Sie zeichnen sich aus durch
Höflichkeit und Freundlichkeit gegen die Ihrigen sowohl als gegen
Fremde, durch ein anständiges gleichmässiges Benehmen, durch
Frohsinn, Herzlichkeit und gute Laune; schlechte Manieren, Roh-
heit und Zänkereien bemerkt man selten. Die Frauen und Mädchen
aus dem Bürgerstande sind züchtig imd unbefangen*'*), die Männer
begegnen ihnen zart und ehrerbietig; vor Allem aber ist die Behand-
lung der Kinder auf das äusserste sorgsam und liebevoll. Der
Unterricht der Jugend im Lesen und Schreiben, in der vaterländi-
schen Geschichte und Moralphilosophie wird selir eifrig betrieben,
^'^) Schon im siebzehnten Jalirhundert sagt Caron: »Der Kaiifleute und Burger
Weiber sitzen im Haus dagegen, ihr Haus mit den Dienstmägden verpflegende; sie
werden aber änderst nicht als züchtig und mit Ehrerbietung von den Leuten ange-
sprochen.-
Japanische Bildung. Spuren des Christenthume^. iol
es giebt Bildungsanstalten der verschiedensten Grade. So schwer
und mühselig die mannigfachen Arien der japanischen Schrift zu
erlernen sind, so ist doch die Schreibekunst auch unter den niederen
Ständen ganz allgemein verbreitet. Das Lesen bildet eine Haupt-
beschäftigung der Japaner aller Classen in ihren Mussestunden;
Buchläden , wo nicht nur japanische und chinesische Schriften,
sondern auch Uebersetzungen europäischer Werke über Länder- und
Völkerkunde, Astronomie und fast alle Zweige der Naturwissen-
schaft, über Medicin, Taktik, Waffenkunde u. s. w. zu haben sind,
finden sich in allen Strassen, und die Bücher sind so unglaublich
wohlfeil, dass man einen grossen Verbrauch voraussetzen muss.
Nur solchen Schriften, welche von der Geschichte und Verfassung
europäischer Länder handeln, femer allen, welche das specifisch
japanische Wesen umbilden und im Volke äussere oder innere Be-
dür&isse hätten erwecken können, die dem Lande und seiner natio-
nalen Gesittung fremd waren, besonders allen Werken religiösen
und philosophischen Inhalts versagte die Regierung während der
Zeit der AbschUessung den Eingang***).
Dass das Christenthum, nachdem es achtzig Jahre lang in
Japan geblüht, wenn auch nachher äusserlich mit Stumpf und Stiel
ausgerottet, bei den Japanern einen tiefen Eindruck hinterlassen,
dass die Aussaat ihnen selbst unbewusst in den Jahrhunderten der
AbschUessung fortgekeimt und im Verborgenen ihre Früchte ge-
tragen, dass die Thätigkeit der Bekehrer einen bleibenden Einiluss
auf die japanische Gesittung geübt habe, ist kaiun zu bezweifeln,
denn die innere Wirkung grosser Wahrheiten bleibt, wo. sie einmal
Wurzel geschlagen haben, unvertilgbare Thatsache. Vielleicht
werden sich bei näherer Bekanntschaft die Spuren des Christen-
glaubens in der japanischen Gesittung an deutUchen Merkmalen
erkennen lassen; im Allgemeinen glaubt man sie schon jetzt aus dem
Volkscharakter herausfühlen zu können, denn die Japaner haben
Tugenden und Anschauungen , die man sonst gewohnt ist als Folgen
christlicher Gesittung zu betrachten. Wer die Schriften der
Holländer und Anderer durchblättert, die mit den Japanern in nahe
Berührung gekommen sind, kann dort unzählige Beispiele treuer
1«) Noch in neuester Zeit ist die Re^ening in dieser Beziehung sehr streng
gewesen. So wurde gegen einen der japanischen Schüler des Herrn von Siebold
eine Untersuchung eingeleitet, weil er eine chinesische Uebersetzung des Alten
Testamentes besass.
9*
HZ Gute Eigenschaften der Japaner. Ihr Verhältniss zu den Ausländem.
aufopfernder Freundschaft"*) und Nächstenliebe , des feinsten Ehr-
und Pflichtgefühls, der rülirendsten Selbstverleugnung finden. Wenn
sie den Fremden gegenüber misstrauisch geworden sind, und sie oft
mit Argwohn und Trug behandeln, so tragen diese selbst den grössten
Theil der Schuld, wie die Holländer vielfach eingestanden haben.
Diese haben sich freilich während ihrer zweihundertjährigen Ge-
fangenschaft auf Desima viele Unbilden und Kränkungeii von der
japanischen Regierung und besonders von den Beamten gefallen
lassen müssen, durchweiche sie beaufsichtigt wurden; — sie klagen
bitter über deren Willkühr, Härte und Unredlichkeit, und über die
starre Tyrannei der kaiserlichen Regienmg, welche sich in den letz-
ten Jahren auch gegen die Vertreter der übrigen westhchen Nationen
vielfach unzuverlässig und zweideutig gezeigt hat; — wenn man
aber auf der anderen Seite das Benehmen der holländischen Factorei-
beamten betrachtet, die sich vom höchsten bis zum niedrigsten
an dem verbotenen Schleichhandel und anderen Ungesetzlichkeiten
betheiligten, und durch die schärfsten Verw^eise und die schmach-
vollste Behandlung nicht davon abbringen Hessen, wenn man femer
bedenkt, welche Verlegenheiten der Fremdenverkehr der japanischen
Regierung besonders seit 1858 bereitet hat, — so ist kaum zu ver-
wundem, dass sie die Holländer zu Zeiten als Nichtswürdige be-
handelte, und dass sie die Fremden heutigen Tages als ihre Feinde
ansieht. Gegen den Feind aber, und zur Erreichung ehrenhafter
und patriotischer Zwecke ist nach japanischen Begriffen jede List,
Verstellung und Lüge erlaubt. — Gegründet sind die vielen Klagen
der europäischen Kaufleute über die Unzuverlässigkeit der japani-
schen im Handelsverkehr, aber es wäre Unrecht ein Volk nach
derjenigen Classe zu beurtheilen, die von ihm selbst am geringsten
geachtet wird. Eine gewisse Verschlagenheit und Vorsicht hat sich
in Folge der allgemeinen Verantwortlichkeit bei allen Japanern aus-
gebildet; dass aber -- und nicht allein unter den höheren Ständen —
Redlichkeit, Treue, Ehrenhaftigkeit, Selbstverleugnung, Herzens-
güte und Grossmuth sehr verbreitete Tugenden sind, hat sich in
hundert Fällen gezeigt, wo Europäer mit Japanern in näheren und
dauernden Verkehr getreten sind. Der Grad der Gesittung eines
Volkes sollte niemals nach vereinzelten Thatsachen beurtheilt wer-
den, sondern nach seinem Ideal, nach dem Maassstabe von Tugend
und Laster, von Ehre und Schande, der bei seinen Besseren gültig
188) Treue unter Freunden bis in den Tod i*uhmt schon Caron an den Japanern.
Blühender Zustand des Reiches. 166
und anerkannt ist Bei solcher Rechnung würde man die Japaner
trotz manchen uns unbegreiflichen Yerirrungen der Anschauung auf
eine hohe Stufe stellen müssen.
Dass sie in hohem Grade intelligent, thätig, energisch und
arbeitsam sind, haben auch ihre Widersacher zu allen Zeiten an-
erkannt. Ueberall im Lande sieht man Leben und Bewegung; auf
den Strassen, den Feldern, in den Werkstatten herrscht unermüd-
liche Rührigkeit. Das Land ist wie ein Garten, jedes Fleckchen
urbar gemacht, der Anbau zieht sich bis hoch auf die Gebirge.
An Körper und Anzug sind alle Japaner auf das äusserste reinlich,
und in Folge des täglichen Badens, der unablässigen Bewegung in
frischer Luft und vielfacher körperlicher Uebungen in hohem Grade
abgehärtet, kräftig und gewandt. Sie sind allem Anscheine nach
ein gesundes und glückliches Volk, das der Fremden sehr wohl
hätte entbehren können.
Ob die japanische Nation den Beruf hat, durch Berührung
mit der europäischen CiviUsation sich auf eine neue und höhere
Stufe der Gesittung zu schwingen und eine Stellung in der Welt-
geschichte einzunehmen, muss die Zukunft lehren; die alten Zu-
stände sind mit der Zulassung der Europäer unverträglich, und
werden durch ihren Einfluss eine gründUche Umbildung erfahren,
ob auf friedhchem oder gewaltsamem Wege lässt sich nicht voraus-
sehen. — Der beste Beweis für das Steigen der Landescultur unter
dem Abschliessungssystem ist, dass, während Japan im Anfange
des siebzehnten Jahrhunderts der Einfuhr vom Auslande bedurfte,
während Jyeyas den Fremdenverkehr durchaus nicht missen wollte,
jetzt das Land alle seine Bedürfnisse selbst erzeugt, und noch grosse
Quantitäten auszufuhren fähig ist; dass es den Holländern von Jahr zu
Jalir schwerer wurde, den Handel mit Vortheil zu betreiben; dass,
während früher Waaren importirt, und fast nur Metalle ausgeführt
wurden, jetzt schon seit lange das Verhältniss sich umgekehrt hat,
indem fast nur Landesproducte exportirt und von den Europäern
mit baarem Silber bezahlt werden.
m.
DER FREMDENVERKEHR WÄHREND DER ABSPERRUNG UND
DIE AUFSCHLIESSUNG DES REICHES.
Während des Zeitraumes der Absperrung verkehrten die Japaner
mit den Bewohnern der Liu-Kiu- Inseln, den Koreanern, den Hol-
ländern, und in den letzten fünfzig Jahren auch mit den Amo's der
Kurilen. — Die Bewohner der Lni-Kiu- Inseln waren Japan schon
seit Mitte des sechszehnten Jahrhunderts tributpflichtig, wurden
aber im Anfange des siebzehnten von den Chinesen zur Empörung
au%ereizt. Damals segelte der Fürst von Satsuma auf Befehl des
SioGUN mit Heeresmacht gegen diese Inseln, nahm die Hauptstadt
Nafa mit Sturm und führte den König gefangen nach Japan; seit-
dem soll Liu-Kiu einen jährlichen Tribut von 200,000 Kok Reis
zahlen "*). Die dortige Regierung scheint von Beamten des Fürsten
von Satsuma beaufsichtigt zu werden, in dessen Händen sich auch
der ganze japanische Handel dahin befindet; er hat ein Comtoir in
Nanoasaki, wo holländische und chinesische Waaren für den Bedarf
von Liu-Kiu eingekauft und verschiflft werden'"). Auf den nörd-
lichen Inseln soll es zahlreiche japanische Niederlassungen geben.
1**) Die Liu-Kiu- Inseln werden gewöhnlich unter den doppelt zinspflichtigen
Ländern genannt , aber China hat sicher dort seit lange gar keinen Einfluss mehr.
Die Sprache soll ein Dialect des Japanischen sein. In der kleinen Hauptstadt Nafa
giebt es zwei gelehrte Bildungsanstalten, eine japanische und eine chinesische. Die
Zöglinge der japanischen lesen Katakana und Firakana, und die chinesischen
Schriftzeichen mit der japano- chinesischen Aussprache, die der chinesischen nur die
stehende chinesische, die KiaI - Schrift. Die Letzteren studiren zum Theil einige
Jahre auf der chinesischen Universität Futsau, die Ersteren gehen zu demselben
Zwecke nach Japan. Die Beamten von Liu-kiu haben ihre Bildung meist auf der
japanischen Schule empfangen, seltener werden Schüler der chinesischen angestellt.
^•*) Nach Kämpfer war den Bewohnern der Liu - kiu - Inseln erlaubt, mit ihren
Dschunken nach den Häfen von Satsuma zu kommen und dort Waaren zum Belang
von 125,000 japanischen Taels zu verkaufen.
Der Verkehr mit Korea und Ysso. 1«>5
Der Handel mit Korea ist Monopol des Fürsten von Tsus-
siMA, der eine Factorei in Pusankai an der koreanischen Küste bat,
wo die Japaner unter ähnlichen Beschränkungen leben, \vie die
Holländer ehemals auf Desima. Zum Verkehr in Japan sind die
Koreaner nicht zugelassen; schiffbrüchige werden nach Nanoasaki
gebracht und dort in Gewahrsam gehalten, bis sich Gelegenheit
bietet sie heimzusenden. Seit 1790 findet der im Friedensvertrage
von 1615 festgesetzte Austausch der Gesandtschaften auf der Insel
Tsus-siMA statt'").
Der Verkehr mit den Kurilen datirt aus neuer Zeit. — Auf
Yeso fassten die Japaner wahrscheinlich erst zu Ende des achten
Jahrhunderts festen Fuss, und zwar nur in dem südlichsten Theile,
den sie Matsmai nennen; sie lebten dort in beständigen Fehden
mit den Eingeborenen. Seit der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts
erwähnen die japanischen Quellen nichts von den Beziehungen zu
Yeso, doch scheint die Niederlassung in Matsmai fortbestanden
zu haben: Pater Hieronymus de Angelis und andere Jesuiten, die
ersten Europäer, die — im Jahre 1617 — nach Yeso kamen, erzählen
wenigstens davon. Noch 1643 war die Ostküste dieser Insel
den Japanern wenig bekannt, die Kurilen herrenlos, so dass
die Holländer imter Vries die Inseln Künasir und Yeturüp in
Besitz nehmen konnten'*'). Um 1670 brachen auf Yeso Unruhen
aus, die Eingeborenen wurden bekriegt und überwunden. Seit-
dem schickte die japanische Regierung Statthalter dahin, welche
den Titel Fürsten von Matsmai fiihrten. Erst gegen Ende des
achtzehnten Jahrhunderts breitete sich die japanische Herrschaft
über die ganze Insel, d. h. über die bewohnten Küstenstriche
aus, denn das Innere soll ein mit undurchdringlichen Wäldern
bedecktes Gebirgsland sein. Die Regierung liess damals auch
Krafto "•) und die südlichen Kurilen bereisen und schloss Verträge
^ Nach einer Notiz im Siebold'schen Werke wäre Korea, obwohl unter chine-
sischer Oberholieit, noch heute auch an Japan zinspflichtig. Die Reisenden der
preussischen Expedition horten in Nanoasaki von koreanischen Geissein, welche
sich dort von Korbilechten ernähren sollten, konnten aber bei ihrem kurzen Auf-
enthalte nichts Näheres darüber erfahren.
^^ Sie nannten diese Inseln Staatenland und Compagnieland.
'^) Die Kenntniss, dass Krafto eine Insel ist, verdankt man dem japanischen
Hof - Astronomen Mam i a - Rinso , der 1808 im Auftrage des Siooun diese Insel und
die Amur -Mündungen bereiste und aufnahm. Ausfuhrliches über die Entdeckungs-
geschichte dieser Küsten enthält Siebold's Nippon. — Von den Verhältnissen auf
loD Besetzung der Kurilen. Handel mit China.
mit den Eingeborenen behufs Anlage von Fischereien an ihren Küsten.
Später, als sich die Herrschaft der Russen auf den nördlichen Kurilen
geltend machte, nahmen die Japaner die südlichen förmlich in Besitz
und bauten zahlreiche Festungen daselbst. Die Bevölkerung, ein
den Amo's von Yeso nahe verwandter Stamm, fügte sich nach
schwachem Widerstände. Das Regiment der Japaner über Yeso
und die Kurilen schildert Golownin als ein sehr gelindes; ein aus-
drückliches Gesetz verbietet, von den Eingeborenen Arbeit ohne
Bezahlung zu verlangen. Die Japaner versehen sie mit baumwollenen
Kleidungsstücken und Reis und exportiren vorzüglich Fische. Die
Steuern werden von den Eingeborenen in Adlerfedem, — welche
die Japaner zu ihren Pfeilen brauchen, — in Pelzwerk und anderen
Naturerzeugnissen entrichtet. Durch die neuesten Verträge sind die
Inseln Uruf, das früher die Japaner für sich in Anspruch nahmen,
und Krafto, wo sie zahlreiche Niederlassungen hatten, an Russ-
land abgetreten worden.
Japans Handel mit China ist sehr alt, schon unter dem Jahre
885 begegnet man einem Verbote chinesischer Waaren durch den
Statthalter von Tsukusi. Die Mongolenherrschaft unterbrach gänz-
hch den Verkehr, welcher erst gegen Ende des vierzehnten Jahr-
hunderts wieder angeknüpft wurde. Unter der Ming- Dynastie waren
den Chinesen alle Reisen nach dem Auslande streng verboten;
chinesische Dschunken fuhren trotzdem heimlich in grosser Anzahl
nach Japan, japanische wurden in den chinesischen Häfen nur mit
Pässen zugelassen. Nach dem koreanischen Kriege kam 1607 eine
Gesandtschaft von China, welche das freundschaftliche Verhältniss
zwischen den beiden Ländern wieder herstellte; der Handel scheint
seitdem von den beiderseitigen Regierungen stillschweigend geduldet
worden zu sein, denn formell waren die Chinesen in dem gegen die
Fremden verhängten Verbannungsedict mitbegriflEen. Um 1640 fielen
sie in den Verdacht, christliche Priester und religiöse Bücher in
Japan eingeschmuggelt zu haben, und es war die Rede davon, sie
allen Ernstes aus dem Reiche zu verbannen. Ihr Verkehr blieb
seitdem, gleich dem der Holländer, auf Nanoasaki beschränkt, wurde
aber sehr lebhaft, seitdem 1643 die Mandschu- Herrscher das Verbot
des Handels nach dem Auslande aufgehoben hatten. Sie kamen
Yeso und den Kurilen giebt Golownin in seinem Buche »Begebenheiten in der
Gefangenschaft bei den Japanern- (deutsch von E. Schultz, Leipzig 1817) anschauliche
Schiiderungen.
Stellung der Chinesen in Japan. !«>•
1683 mit 200 Dchunken und 10,000 Mann stark nach Nanoasaki,
ebenso in dem folgenden Jahre*"*); 1685 aber beschrankte die japa-
* nische Regierung den Verkehr auf 70 Dschunken jährUch, wie es
heisst wegen der christenfreundlichen Gesinnung des chinesischen
Kaisers Kanohi. Wenige Jalire darauf schloss man die Chinesen,
die bisher in voller Freiheit mit den Bewohnern von Naütoasakj
verkehrt hatten****), in einen mit Palisaden und Bambuszäunen um-
gebenen Raum ein und unterwarf sie ähnhchen, wenn auch nicht
so scharfen Beschränkungen wie die Holländer auf Desima. Auch
ihre Tempel — sie hatten deren drei in Nanoasaki — beaufsichtigte
die Regierung seitdem mit Strenge; ihre Dschunken wurden genau
untersucht, imd die eingeführten Bücher — weil in China christ-
liche Missionare ansässig waren — von den Beamten sorgfaltig
durchgesehen. Der Handel stand seit der Zeit unter der ControUe
der Regierung, welche von den Käufern der chinesischen Waaren
eine Steuer von 60 Procent erhob, aus der die Einwohner
und Beamten von Nanoasaki für den durch die Aufhebung des
freien Handels erlittenen Verlust entschädigt wurden. Später floss
diese Steuer in die Kasse der sogenannten »Geldkammer«, einer
Handelsgesellschaft, an welche die japanische Regierung den chine-
sischen und den holländischen Handel verpachtete; sie musste
dafiir eine jährliche Entschädigung an die Einwohner von Nanoasaki
zahlen***). Von chinesischer Seite scheint der Handel durch eine
Gesellschaft von Kaufleuten getrieben worden zu sein, welche ihren
Sitz in der Provinz Tse-kiang hatte. Die Geschäfte der Geldkammer
mit dieser chinesischen Compagnie beschränkten sich auf gewisse
Hauptartikel, welche ihr Monopol waren; alle übrigen Waaren
durfken die mit den Dschunken herüberkommenden Kaufleute auf
eigene Hand an die Japaner verhandeln. Man erlaubte ilmen bei
Tage ohne Begleiter und Aufseher in den Strassen von Nanoasaki
umherzugehen, zu kaufen und zu verkaufen, während die Holländer
^^) -In dem berührten letzteren Jahre (1684)«, sagt Kämpfer, »fand sich sogar
ein tartarischer Mandarin in vollem Staate, ein Haupt über sechs Jonken, ein; er
musste sich aber mit denselben bald wegbegeben, weil man ihm wissen Hess, dass
in Japan keine anderen Häupter und Mandarinen als eiugeborne geduldet wären. -
1*0) Nach Kämpfer wurden die Chinesen zur Zeit seines Aufenthaltes in Nan-
oasaki sehr schlecht behandelt und gelegentlich von ihren japanischen Aufsehern
mit Stockpi*ügel tractirt.
'^^) Nach Siebold betrug diese Entschädigung jährlich 84,400 holländische Gulden.
iio Vortheile der Chinesen. — Die Holländer in Desiha.
immer auf Desima eingeschlossen waren und nicht das kleinste
Geschäft ohne Zuziehung der Geldkammerbeamten abschliessen
durften. Fragte man nach dem Grunde dieser Bevorzugung der
Chinesen, so hiess es sie seien nur geringe, unbedeutende Leute,
die Hollander dagegen vornehme • und wichtige. Das japanisch-
chinesische Dolmetscher -CoUegium, welches den Handel vermittelte,
stand auch in viel geringerem Ansehn als das japanisch -holländische,
war aber viel wohlhabender; wie denn die Chinesen auch weit
bessere Geschäfte machten als die Niederländer, welche in chine-
sischen und indischen und in neuerer Zeit sogar in europäischen
Artikeln oft kaum mit ihnen concurriren konnten. Die chinesischen
Dschunken üefen fortwährend, vorgeblich wegen schlechten Wetters,
die Küsten der Gotto- Inseln und der Landschaft Satsuma an, wo
die Regierung am wenigsten Controlle üben konnte, und verkauften
dort einen grossen Theil ihrer Ladung steuerfrei, während sie in
Nangasaki hohe Abgaben zahlen mussten. Dieser Handel war natürlich
unerlaubt. Der Schleichhandel wurde übrigens auch in Nangasaki
von den Chinesen, des sehr erheblichen Gewinnes halber, lebhaft
betrieben und kostete fortwährend vielen Japanern das Leben***). —
Mit dem Steigen der Productionskraft des Landes sank der chine-
sische Handel wie der holländische immer mehr; in neuerer Zeit
kamen nur noch 10 bis 12 Dschunken jährlich nach Nangasaki.
Die Niederländer wurden, wie schon erzälilt, im Jalire 1641
auf ÜEsiMA eingeschlossen. Dieses Inselchen war einige Jahre vor-
her auf Befehl des Siogun im seichten Wasser vor Nangasaki dicht
am Ufer au%eschüttet worden**'), um als Gefängniss der bei Ver-
treibung der übrigen Fremden zurückgehaltenen portugiesischen
Kaufleute zu dienen. Seine Länge beträgt 516, seine Breite durch-
schnittlich 220 Fuss. Ein seichter schlammiger, etwa 25 Schritt
breiter Graben, über welchen ein steinerner Brückenbogen führt,
trennt es von der Stadt. Zur Zeit der Absperrung war die Insel
mit Palisaden, Bollwerken imd Mauern umgeben; ein Land- und ein
Wasserthor, welche immer geschlossen oder bewacht waren, dienten
zum Verkehr mit der Stadt und den Schiffen. Die Niederländer
"*) So wurden in den Jahren 1690 und 1691 gegen viei-zig Japaner in Nangasaki
hingerichtet , die Waaren von den chinesischen Dschunken einzuschmuggehi versuchten.
***) De-sima heisst Vorliegende Insel.
Behandlung der Holländer. loa
dHrften ilir Gefangniss nur mit besonderer Erlaubniss des kaiser-
lichen Statthalters und unter starker Bedeckung verlassen: man hielt
sie bei diesen Spaziei^angen von jedem Verkehr mit den Einge-
borenen fem, und suchte sie ihnen noch durch grosse Ausgaben
zu verleiden, denn sie mussten jedes Mal ihre zahlreichen Begleiter
festlich bewirthen. Sie durften, auch wenn sie in die Stadt kamen,
nicht die geringste Kleinigkeit von den japanischen Händlern kaufen,
sondern mussten ihre Wünsche eigens dazu angestellten Beamten,
den Comprador's zu erkennen geben, welche für alle ilire Bedürf-
nisse zu sorgen hatten und grossen Gewinn davon zogen. Ein bis
zwei Mal jährlich Hessen gewöhnlich die Statthalter aus freien
Stücken die Bewohner von Desima auf die benachbarten Höhen,
nach den Tempeln und Friedhöfen fuhren, wo dann der Tag unter
Gastereien und Lustbarkeiten verbracht wurde. — Von Japanern
durften nur die ausdrücklich für den holländischen Handel ange-
stellten Beamten nach Desima kommen, alle anderen nur mit Pässen
des Statthalters; die Thorwache Hess Niemand durch. In einem vor
dem Landthore angehefteten Placat, das sich bis zur Freigebimg
des Verkehrs erhalten hat, war unter Andern gesagt, dass nur pro-
stituirte Frauen nach Desima kommen dürften. Solche bildeten fast
ausschHessHch die Hausbedienung der Holländer. — Kein Schiff,
kein Boot sollte sich an die PaUsaden und Bollwerke legen, welche
die Insel umgaben, oder unter der dahin führenden Brücke durch-
fahren.
Die japanischen Beamten, welche für den Verkehr mit den
HoUändem angestellt waren, bis herab zu den geringsten Chargen,
mussten sich eidHch verpflichten den Niederländern nur bei Tage
zu Dienst zu sein, sich in kein Gespräch über das Christenthum
einzulassen, nichts gegen die auf Desima Bezug habenden Verord-
nungen zu thun. »Sie sollten keinen vertrauten Umgang mit den
Niederländern pflegen, sollten weder Geld noch Waaren von oder
nach der Insel bringen, keine verbotenen Waaren verkaufen oder
verschenken, sollten keine Einkäufe für sie in der Stadt machen,
auch verhindern, dass Solches durch Andere geschehe und dass
ihnen Sachen über die Mauern und PaHsaden der Insel zugeworfen
würden. Auch sollten sie dafür sorgen, dass von der Stadt aus
nichts im Geheimen nach den niederländischen Schiffen oder von
da in die Stadt geschafft würde, und jeden Ungehorsam oder Um-
gehung dieser Befehle anzeigen.« ' — Anfangs wollte die Obrigkeit
i4U Formalitäteu beini Einlaufen der holländischen Schiffe.
den Niederländern auch das Begräbniss am Lande verwehren, UHd
liess ihre Todten ausserhalb der Bai in die See werfen; später
wurden sie auf einem am Eingange der Bucht gelegenen Grund-
stück eingescharrt. Japanische Boote holten die Särge von Desima
ab, kein Holländer durfte sie geleiten. Die Zahl der in der
Factorei zugelassenen Niederländer war von der japanischen Regie-
rung festgesetzt und auf die zur Betreibung des Handels unbedingt
nothwendigen Personen beschränkt; Frauen durften sie gar nicht
mitbringen. Auf den holländischen Schiffen sollten sich keine
^Passagiere belSnden; die Musterrolle wurde genau geprüft und dem
Berufe eines Jeden nachgespürt***).
Auf den Höhen am Eingange der Bai wurde ein beständiger
Auslug auf die See gehalten; sobald von da aus die Wachen ein
fremdes Schiff meldeten, ging ein Boot mit einigen Holländern von
der Factorei hinaus , welche dem Capitän eine versiegelte Instruction
brachten, wie er sich beim Einlaufen zu verhalten habe; die sie be-
gleitenden japanischen Beamten und Dolmetscher nahmen ihm das
Verzeichniss seiner Ladung, die Liste der Mannschaft und alle
Briefe der Compagnie ab. Das Scliiff salutirte beim Einlaufen die
den Eingang der Bucht beherrschenden »Kaiserwachen«'**), und
ging dann vor Desima, einen Flintenschuss von der Wasserpforte,
zu Anker; zwei Wachtbarken mit Soldaten legten sich daneben, imd
bewachten es während der ganzen Zeit seiner Anwesenheit. Zu-
nächst nahmen dann die japanischen Beamten die Geschütze, Waffen
imd Munition in Empfang, welche mit dem sogenannten Bibel-
tönnchen, in das alle Andachtsbücher, Crucifixe und Heiligenbilder,
selbst alle europäischen Münzen mit dem Zeichen des Kreuzes
verpackt werden mussten , am Lande bis zur Abfalirt aufbe-
wahrt wurden. Dann stellten sie in Gegenwart des holländischen
1**) Das Misstrauen der Japaner ging so weit, dass die Holländer der Factorei
keine Briefe mit den chinesischen Dschunken absenden durften, ohne den Japanern
Copie davon zu lassen. Alle solche Briefpackcte wiu*den in doppelten Exemplaren
den japanischen Behörden übergeben, welche dann — nach ilu-er Auswahl — das
eine abschickten und das andere behielten. Die mit den holländischen Schiffen ab-
gehenden Privatbriefe wurden mit der Connivenz der Behörden heimlich fortgebracht,
alle officiellen Schreiben aber, ankommende wie abgehende, mussten dem Statthalter
vorgelegt werden. S. Kämpfer.
^^) So heisscn bei den Holländern zwei militärische Posten am Eingange der
Bucht, deren Batteriecn das enge Fahi'wasser bestrichen. Sie standen unter Befehl
inid ^'e^antwortlichkeit des Fürsten von Fidsen.
Der beschränkte Verkehr mit den Schiffen. Durchsuchung der Landenden.
141
Handelsvorstehers eine Musterung der gesammten Schiffsmannschaft
an, und Hessen eine Verordnung über das während der Anwesenheit
im Hafen zu beobachtende .Verhalten vorlesen. Die Ladung wurde
unter ihrer Aufsicht gelöscht und auf Desima unter Verschluss und
Siegel der Behörden bis zum Verkaufe aufbewahrt. Auch das
Gepäck der mit den Schiffen anlangenden Factoreibeamten wurde
streng visitirt, und alle verbotenen Gegenstände bis zur Abreise des
Besitzers in Beschlag genommen. Nachdem die Ladung gelöscht
war hörte der Verkehr wieder auf, nur mit Pässen versehene Per-
sonen durften sich in Begleitung japanischer Aufseher nach und von
den Schiffen begeben; die ganze Mannschaft wurde tägUch gemustert.
Alle, welche die Wasserpforte passirten, mussten sich am ganzen
Körper nach verbotenen Waaren durchsuchen lassen, mit Ausnalune
des Handelsvorstehers und des Schiffscommandanten; und als man
dahinter kam, dass die Capitäne dieses Vorrecht missbrauchten'*®),
wurde die Untersuchung auch auf sie, zu Zeiten selbst auf die
Handelsvorsteher ausgedehnt. — Die officielle Abreise war durch
kaiserliches Decret auf einen bestimmten Tag des October anbe-
raumt; dann mussten die Schiffe auch wirklich ihren Ankerplatz vor
Desima verlassen, durften aber am Ausgange der Bucht wieder
ankern, und dort so lange bleiben, bis sie ihre Ladung vollständig
eingenommen hatten. So genügt der Japaner häufig zugleich dem
Wortlaut des Gesetzes und den Forderungen der Billigkeit. Bei
der Abfahrt erhielten die Holländer ihre Munition, Waffen und aUe
sonstigen in Beschlag genommenen Gegenstände zurück, und wurden
von Wachtschiffen, welche den Schleichhandel verhüten sollten,
weit auf die hohe See hinaus geleitet.
Bei allen diesen Beschränkungen genossen die Holländer des
kostbaren Vorrechtes der Hofreise, deren Zweck war, dem Siogun,
dem Thronfolger und den höchsten Staatsbeamten Geschenke zu
überreichen. Der Handelsvorsteher und einige seiner Untergebenen —
**•) Die Japaner machten diese Entdeckung 1772, als ein von den Holländern
verlassenes Schiff nach den Gotto- Inseln trieb. Sie fanden auf demselben unter
Andern den künstlichen Anzug des Capitans, der so eingerichtet war, dass man eine
Menge von Sachen, namentlich vor Brust und Bauch, heimlich darin transportiren
konnte. Thunberg schildert sehr ergötzlich die yei*virunderung der Japaner, dass
von diesem Jahre an die Capitäne eben so mager waren, als andere Menschen,
während früher starke Wohlbeleibtheit ftir eine nothwendige Eigenschaft der Schiffs-
commandanten gegolten hatte.
142 Die Hofreise. Audienzen.
ihre Zahl wurde von den Japanern immer mehr und zuletzt auf drei
bescliränkt — b*egaben sich zu Lande nach Kokura, von da zu
Schiffe nach Simonoseki und Osaka, und weiter zu Lande nach
Yeddo, und kelurten nach kurzem Aufenthalt in der Hauptstadt
wieder zurück. Die Handelsvorsteher genossen auf diesen Reisen
gleicher Ehren wie die Landesfursten: sie bedienten sich derselben
Art Sänften, übernachteten in denselben Herbergen, und Hessen
sich statt der bei Jenen üblichen Hellebarden und Piken einen Degen
und einen Rohrstock als Insignien der Würde vorauftragen; ihre
Quartiere wurden nach Landesgewohnheit mit Schanztüchern be-
hängt, auf denen das Wappen der ostindischen Compagnie prangte,
auch musste ihnen die Bevölkerung dieselbe Ehrfurcht erweisen wie
den Daimio's — aber sie wurden von den sie begleitenden japani-
schen Beamten wie Gefangene bewacht, und an jedem Verkehr mit
den Eingeborenen verhindert. Li Osaka, Miako und Yeddo durften
sie ihre Herberge nur zu der Audienz und den vorgeschriebenen
Besuchen verlassen, und mit den sie besuchenden einheimischen
Beamten, Gelehrten und Kaufleuten nur unter Aufsicht und in Gegen-
wart der ihnen beigegebenen Regierungsspione verkehren. Die
Audienz im kaiserlichen Palast war sehr kurz und bestand nur in
einer Verbeugung nach Landesart, welche dem Handelsvorsteher,
der allein zur Gegenwart des Siogun Zutritt erhielt, von den Hof-
beamten vorher sorgfaltig eingeübt wurde * * '). Seine Begleiter blieben
gewöhnUch in einem Vorsaal; Alle mussten am Portal des Palastes
ihre Degen abgeben imd aus den Sänften steigen. Vor der Audienz
durften die Holländer weder ihre Herberge verlassen noch Besuche
empfangen, um desto mehr wurden sie nachher von Neugierigen
bedrängt; namentlich die Aerzte, welche regelmässig die Hofreise
mitmachten und den japanischen Gelehrten tausend Fragen natur-
wissenschaftlichen und medicinischen Lihalts beantworten mussten.
Viele dieser Gelehrten sprachen holländisch. Bald nach der Audienz
^^^ Zur Zeit des Tsuna - yosi wurden nach der feierlichen Audienz des Handels-
vorstehers auch seine Begleiter tiefer in den Palast in ein Gemach geföhrt , wo hinter
einem Gitterschirm der Sioouv mit semer Gemalin sass. Kämpfer beschreibt, wie
sie bei dieser Gelegenheit auf kaiserlichen Befehl »ordentliche Affenpossen ausüben
mussten; man hiess sie u. a. aufstehen und hin- und herspazieren, bald einander
komplimentiren , dann tanzen, springen, einen betrunkenen Mann vorstellen, japanisch
stammeln , malen , holländisch und deutsch lesen , singen , die Mäntel ab - und wieder
wegthun u. dgl.« Der Handelsvorsteher allein »blieb von diesen Sprüngen verschont«.
Geschenke des Siooun. Beschränkung der Hofreisen.
143
statteten die Reisenden auch den höchsten Hof- und Staatsbeamten,
welche ebenfalls Geschenke erhielten, die herkömmlichen Besuche
ab , und wurden von diesen Herren oder ihren Secretären bewirthet.
Sie bequemten sich hier vielfach, zur Belustigung der hinter Wand-
schirmen versteckten Frauen zu singen, zu tanzen, auf europäische
Weise zu grüssen u. s. w. — Der Siogun sowohl als seine Grossen
erwiederten die Geschenke der Holländer nach landesübhcher Art
durch Uebersendung einer grossen Anzahl seidener Röcke. Gleich
nach der Abschieds- Audienz **'), welche sich von der ersten
wenig unterschied, mussten die Reisenden Yeddo verlassen und
wurden auf dem oben bezeichneten Wege wieder nach Nangasaki
zurückgeführt.
Im Jahre 1790 bestimmte die japanische Regierung aus
ökonomischen Rücksichten, dass die Holländer nur alle vier Jahre
nach Hofe kommen, und in den dazwischen liegenden Jahren die
Geschenke von ihren eigenen Beamten nach Yeddo gebracht werden
sollten. Die Ausgaben der Reise wurden nämUch von der Geld-
kammer für ein jährhch von den Niederländern an sie gezahltes
Pauschquantum bestritten, das in alter Zeit festgesetzt und für die
späteren Verhältnisse ganz xinzureichend war, aber nach japanischen
Begriffen nicht geändert werden konnte. Wenn auch aus dieser Be-
schränkung den HoUändem wesentUche Gelderspamisse erwuchsen,
so verloren sie doch ein Bedeutendes an dem Vortheil des häufigeren
unmittelbaren Verkehrs mit den höchsten Staatsbeamten, denn in
Nanoasaki hingen sie ganz von der Willkühr der Statthalter ab,
welche sich wohl hüteten, ihre Beschwerden nach Yeddo gelangen
zu lassen.
Natürlich hatte die PersönUchkeit, sowohl der japanischen als
der holländischen Beamten, immer viel Einfluss auf die Lage der
Gefangenen in Desima; zuweilen war sie unerträglich, zuweilen
IM) Nach der Abschieds -Audienz wurden dem Handelsvorsteher im Palaste noch
die auf den holländischen Handel bezüglichen kaiserlichen Befehle vorgelesen. Es
hiess darin, man habe den Holländern seit alter Zeit erlaubt, nach Japan zu kommen;
wenn sie sich diese Erlaubniss erhalten wollten , mochten sie sich hQten , den christlichen
Gottesdienst in Japan zu verbreiten. Wenn sie von Anschlägen oder Unternehmungen
fremder Regierungen auf Japan hörten , sollten sie es dem Statthalter von Nanoasaki
melden. Sie sollten die nach Japan fahrenden chinesischen Dschunken nicht angreifen.
Sie sollten auch die Bewohner von Liu-kiu als Unterthanen von Japan auf der See
unbehelligt lassen.
144 Die Stellung der Holländer in neuerer Zeit. — Der Handel auf Desima.
herrschte das beste Einvernehmen. In den letzten Jahrzehnten
soll die Handhabung der alten Gesetze eine sehr milde gewesen
sein, und wenn auch der Siogun Jye-yosi bei seinem Regierungs-
antritt im Jahre 1842 ernste Verordnungen sowohl zur Herstellung
der alten Zucht im Volke und zur Bewachung der allzu selbst-
ständig gewordenen Grossen, als zur strengeren Behandlung der
Niederländer erhess, so machte sich doch die frühere Praxis in
Kurzem wieder geltend. Man erlaubte den Bewohnern von Desima
häufiger und unter geringer Begleitung die Stadt zu besuchen und
behandelte die Abheferung der Andachtsbücher, der WaflFen und
Munition als blosse Formalitäten. Nicht wenig ist diese vortheil-
hafte Veränderung dem besseren Geiste imter den holländisch-
ostindischen Beamten seit Anfang dieses Jahrhunderts und der
zweckmässigeren Einrichtung des Handels von beiden Seiten zuzu-
schreiben, denn früher \Varen alle bei der Factorei angestellten
Niederländer mit dem wesentlichsten Theile ihres Erwerbes auf
den Schleichhandel und noch Schlimmeres angewiesen, wodurch
sie den ehrenhaften Japanern verächtUch und die Genossen der
gewissenlosen ünterbeamten der Geldkammer wurden.
Schon gleich nach ihrer EinschUessung auf Desima 1641
beklagten sich die Niederländer über die schmähliche und emie-
drigende Behandlung, doch scheinen ihre Beschwerden nicht nach
Yeddo gedrungen zu sein. Es war damals in Batavia stark die
Rede davon, den japanischen Handel ganz aufzugeben, da der Ge-
schäftsverkehr von 1640 und 1641, trotz einer Silberausfuhr von
14,000 Kisten im letztgenannten Jahre, nach dem Vorgeben der
Holländer Verlust gebracht hatte. Der auf Le Maire 1642 folgende
Handelsvorsteher Van Elserack erwirkte zwar bei seiner Hofreise
eine Linderung der Maassregeln und wusste sich, die Umstände
geschickt benutzend, das Vertrauen der Regierung zu erwerben**'):
^*°) Elserack erwirkte den Holländern wieder die Erlaubniss, bei schlechtem
Wetter in allen japanischen Häfen Schutz suchen zu dürfen.
Im Jahre 1643 sandte die Regierung von Batavia die Schiffe Castricum luid
Breskens unter Maarten Gerritsz Yries nach dem nordlichen Stillen Ocean, um die
vermeintlich im Nordosten von Nippon liegenden Gold- mid Silbereilande zu suchen und
wo möglich Handelsverbindungen mit den tartarischen Küstenländern anzuknüpfen.
Von einem dieser Schiffe, das in der Bucht von Nambu, in der Landschaft Muts,
an der Nordostküste von Nippon vor Anker ging, begaben sich einige Ofliciere an
das Land, wurden dort gefangen und nach Yeddo gebracht. Man hielt sie för ver-
kappte Priester und confrontirte sie mit den in der Hauptstadt damals noch gefangenen
Verlust von Taiwano. Harte Bedrückung. 145
als aber die Japaner durch die portugiesische Gesandtscliaft des
Jahres 1644 den Abschluss des Friedens zwischen den Niederlanden
und Portugal erfuhren, wurden die Beschränkungen ärger denn
jemals. Eine Gesandtschaft, welche die Regierung von Batavia 1649
nach Japan schickte, wurde nicht einmal zur Audienz gelassen und
überhaupt mit gesuchter Unhöflichkeit behandelt. Die japanische
Regierung sah die fortwährenden Seeräubereien der Holländer gegen
die Chinesen mit sehr ungunstigem Auge an, und zwang sie oft,
diesen auf ihre Klagen in Japan schweren Ersatz zu leisten. — Als
die Niederländer 1661 ihre Festung Taiwano auf Formosa an den
chinesischen Seeräuber Coxinga*") verloren, nahmen die Japaner
die holländischen Flüchtlinge mit ihren Frauen und Kindern in
Nangasaki liebreich auf imd beherbergten sie bis zu ihrer Ein-
scliiffung nach Batavia, die Beschränkungen der Bewohner von
Desima aber blieben dieselben. Die Statthalter traten immer will-
kührhcher auf und drückten den Handel der Niederländer, welche
sich zudem in den Händen spitzbübischer Dolmetscher befanden,
mit immer schwereren Lasten.
Bisher war der Geschäftsverkehr in so fem frei gewesen,
als die Holländer ihre Waaren an die nach Desima kommenden
japanischen Kaufleute unter Aufsicht der Regierungsbeamten direct
verhandeln durften; 1672 aber wurde der sogenannte Taxations-
handel eingeführt: der Statthalter hess sich Muster von allen ange-
brachten Waaren einreichen und taxirte sie nach Gutdünken mit
japanischen Kaufleuten ohne Zuziehung der Holländer, denen man
dann die Wahl Hess, entweder die weit unter den früheren Preisen
bleibenden Gebote anzimehmen oder ihre Waaren wieder einzu-
schiffen. Sie wählten durchgängig das Erstere , denn die Bezahlung
in Stabkupfer imd gemünztem Golde — die Silberausfuhr war
portugiesischen Missionaren, überzeugte sich aber nach vielen scharfen Verhören,
dass sie Holländer, und aus Unkenntniss auf Nippon, welches sie fiii* die tartarische
Küste ansahen, gelandet seien. Van Elserack, der nach Yeddo gekommen war,
wui'de sehr scharf über die Gefangenen examinirt, war aber glücklicher Weise
von der Expedition untennchtet. Die Uebereinstimmung seiner Aussagen mit denen
der Gefangenen wirkte vortheilhafl , so dass man die Holländer in Freiheit setzte
und als -einer aufrichtigen und wahrheitsliebenden Nation angehörend« belobte.
Einige von diesen Seeleuten sind mehrere Jahre in Yeddo geblieben, um den Japa-
nern eine Geschützgiesserei einzurichten, imd dann reich beschenkt heim gesandt
worden.
^^) Coxinga soll japanischer Abkunft gewesen sein.
I. 10
146 Der Taxations- Handel. Der Gepermitteerde Handel.
seit 1642 verboten**') — brachte so grossen Gewinn, dass der
Handel noch immer sehr vortheilhaft blieb. Gegen das Jahr 1668
hatte der Werth der ausgeführten Gold-Kobangs jährUch zelm
Tonnen Goldes betragen; die ostindische Compagnie gewann am
Golde allein über eine halbe Million Gulden jährlich. Das Kupfer,
welches den Hauptbestandtheil der Rückladung ausmachte, trug
beim Verkauf in Java 70 bis 95 Procent Gewinn. Nach Einfuhrung
des Taxations- Handels waren die Vortheile etwas geringer; die
Holländer gewannen auch damals noch an der Einfuhr allein gegen
55 Procent, mussten aber die Zahl ihrer Schiffe immer mehr be-
schränken, da sie nicht mehr hinreichende Rückfracht an Stabkupfer
von der Regierung erhalten konnten. Statt der früheren neun
kamen seit 1680 nur noch vier Schiffe jährlich. Ein in chinesischen
Schriftzeichen abgefasster Brief vom General -Director des indischen
Handels zu Batavia, welchen der Handelsvorsteher von 1682 in
Yeddo überreichte, wirkte dort vortheilhaft, aber die Zucht unter
den japanischen Beamten war grade um diese Zeit — unter dem
Regimente des ausschweifenden und leichtfertigen Tsüna-yosi —
sehr gelockert, und die Statthalter von Nangasaki wussten den
Befehl des Siogun, die Holländer in ihren alten Freiheiten wieder
herzustellen, zu umgehen. Der Vortheil, den die Beamten aller
Classen aus dem Taxations -Handel zogen, muss ganz enorm ge-
wesen sein*").
Neben dem Handel der Compagnie, der sich auf gewisse
Artikel der Einfuhr und für die Ausfuhr auf Stabkupfer und Kampher
bescliränkte , durften die Factoreibeamten noch einen Handel mit
anderen Waaren im Werthe von 140,000 Gulden jährlich treiben,
an dessen Ertrage sie alle nach dem Maasse ihrer Stellung Antheil
hatten. Der Taxation war dieser »Gepermitteerde Handel« nicht
unterworfen, dagegen erhob die japanische Regierung eine Steuer
von 35 Procent des Kaufpreises der eingeführten Waaren, welche
in die Tasche ihrer Beamten floss. In Folge dieser hohen Abgabe
aber entwickelte sich ein lebhafter Schleichhandel, welcher den
Holländern ungeheueren Gewinn, vielen Japanern aber den Tod
brachte. Im Jahre 1685 wurden des holländischen Handels wegen
^^^) Nacl) Lauts »Japan etc.« seit 1642; nach Meylan (Geschiedkundig Overzigt
van den Handel der Europezen op Japan) wiu>de die Silberausfuhr erst 1671 verboten.
***) Der jährliche Gewinn des Ottona (Gassenmeisters) von Desiha soll sich auf
12,(XX) Gulden holländisch belaufen haben.
Limitirung des Handels. 147
neuniinddreissig japanische Schleichhändler hingerichtet, der Vor-
steher der Factorei und zwei Unterkaufleute bei Lebensstrafe des
Landes verwiesen. Da Dieses nicht fruchtete, Hess der Statthalter
im folgenden Jahre zwei japanische Schmuggler auf Desima ent-
haupten; alle Niederländer mussten der Execution beiwohnen, und
erhielten einen scharfen Verweis mit der Drohung, die japanische
Regierung werde auch über sie die Justiz üben, wenn fernere Ueber-
tretungen vorkämen'"). Trotzdem blühte der Schleichhandel fort,
so, lange er einträgUch blieb.
Um 1686 beschränkte die japanische Regierung plötzUch die
Einfulir der Holländer auf den Werth von 300,000 japanischen
Taels. Alle Waaren, die nach Erreichung dieser Summe unverkauft
bÜeben, sollten bis zum nächsten Jahre in den Packhäusem ver-
schlossen werden. Danut hörte die Taxation auf; die Holländer
traten wieder, natürUch unter Aufsicht der Regierungsbeamten, in
unmittelbaren Verkehr mit den japanischen Kaufleuten, die Statt-
halter von Nangasaki aber entschädigten sich durch eine den
verkauften Waaren willkührUch aufgelegte Steuer, welche 1689
durchschnittlich 38 Procent betragen haben solL Mit der neuen Ein-
richtung fiel auch der »Gepermitteerde Handel« weg, .doch wussten
die Beamten durch ein sehr spitzfindiges Rechnungsmanöver*'*), bei
i^) Das Benehmen des holländischen Handelsvorstehers , der nach der Execution
die japanischen Beamten zum Frühstück einlud, erscheint in Kämpfer's Darstellung
nicht sehr erbaulich. Die Japaner wiesen diese Zuniuthung mit Unwillen zurück. —
Ein einziges Mal vollstreckten die Japaner die Todesstrafe an einem Holländer, einem
Matrosen, welcher das Siegel der Behörde von einer Schiffsluke abgerissen hatte.
^^) Die Details dieser Berechnung sind sehr complicirt ; sie beruhte hauptsächlich
auf einer Ucberaetzung des japanischen Tael, welcher eine imaginäre Münze ist, in
Gold zu höherem und niederem Course. Da nun die Grundlage des japanischen Münz-
fusses eigentlich der Goldkobang , und der silberne Tael ein veränderlicher Werth ist,
so waren vielfache Complicationen der Rechnung möglich, aus deren Labyrinth sich
nur der Raufmann von Fach herausfindet. Die japanischen Beamten, welche aus
dem "besonderen Handel« grossen Vortheil zogen, liehen die Hand zu dieser
hässlichen Transaction. Es wäre unbegreiflich, wie die Compagnie von ihren eigenen
Beamten sich so hätte hinter das Licht fuhren lassen sollen , wenn man nicht wüsste,
wie unredlich ganz Holländisch Ost -Indien zu jener Zeit verwaltet wurde. Den
Posten eines Handelsvorstehers von Desima, den man als eine reiche Goldgrube
ansah, hatten fast alle hohen Beamten der ostindischen Regierung einmal bekleidet,
und sie hüteten sich wohl , ihre Nachfolger der Missbräuche zu beschuldigen , welche sie
selbst geübt hatten. Man scheint damals allgemein die Ansicht gehabt zu haben, dass die
Beamten nicht fui' die ostindische Compagnie , sondern diese der Beamten wegen da sei.
10-
14o Der Kambang -Handel. Die Geldkanmier.
welchem die ostindische Compagnie stark beuachtheUigt wurde, einen
Theil der Umitirten Summe für sich in Anspruch zu nelunen. So
entstand der sogenannte Kambang -Handel, eine Fortsetzung des
»Gepermitteerden« mit beschränkter Ausdelmung. Die Compagnie Uess
denselben auch dann fortbestehen, als die Benachtheüigung bekannt
wurde, und nalun nur einen bestimmten Theil des Gewinnes für sich in
Anspruch. — Seit dem Ende des siebzehnten Jahrhunderts wurden
dem holländischen Handel theils von Seiten der Statthalter, theils
von der Centralregierung fast jährUch neue Lasten aufgelegt, was n\an
wesenthch der bei den Japanern wach gewordenen Besorgniss um
die ungeheuere Metallausfulu* zuschreiben muss. Arai, Fürst von
TsiKUNGO , der Lehrer und Rathgeber der Siogün's Tsuna - yosi und
Jye-nobu, schilderte damals in einer der Regierung eingereichten
Denkschrift die Quellen des japanischen Reichthums; er verghch
darin die Metalle mid Minerale, welche sich nicht wieder ersetzen,
dem Mark und den Knochen des Menschen, die, einmal abgetrennt,
nicht wieder wachsen, alle übrigen Producte aber, welche von Jahr
zu Jahr sich neu erzeugen, dem Fleisch, dem Blute, den Haaren.
Seinen Berechnungen nach hatten die Holländer in achtzig Jahren
dem Lande in Metallen eine Summe entführt, welche 1,032,592,000 hol-
ländischen Gulden gleichkommt"*). — Die Kupferausfuhr wurde
nun mehr und mehr beschränkt, und die Kobangs, die Goldmünze, in
welchen die Holländer einen grossen Theil ihrer Zalüungen empfingen,
bei gleichem Nennwerthe von Jahr zu Jahr kleiner geprägt. Die Han-
delsvorsteher remonstrirten vergebens, und machten viele fruchtlose
Versuche, die alten Verhältnisse wieder herzustellen.
Das Jahr 1736 brachte eine neue Einrichtung, welche dem
Handel wenigstens einige Sicherheit gab. Die von den Holländern
mit dem Namen »Geldkammer« bezeichnete Kauünannsgesellschaft,
an welche jetzt auch der niederländische Handel verpachtet war,
bestellte Waaren nach Mustern zu verabredeten Preisen, welche im
Zeitraum von einem bis zwei Jahren geliefert werden mussten, je-
nachdem es indische oder europäische Artikel waren ; zugleich wurde
jedesmal die als Rückfracht zu gewälu'ende Quantität Kupfer fest-
gestellt. Den Betrag der Einfuhr schrieb die Geldkammer den Hol-
ländern gut, bis sie ihnen bei der Abfahrt der Schiffe die Ausfuhr-
artikel heferte. Den Kambang-Handel Uess man nebenbei fortbestehen,
^^) Bei Lauts sind die Summen so bezeichnet: 112 Millionen Tacl Silber,
1,229 Millionen Pfund Stabkupfer und 6,192,900 Stuck Kobangs.
Härtere BedrAckung. Der Schleiclihandel. 149
alle Kaufpreise für die Einfuhrartikel aber an die Geldkaramer ent-
richten, und den Verkäufern nach Abzug der üblichen 35 Procent
gutschreiben. Die Niederländer sollten während ihres Aufenthaltes
in Japan gar kein baares Geld mehr in die Hände bekommen, son-
dern auch alle ihre Bedürfnisse in Anweisungen auf die Geldkammer
zahlen, sehr zu ihrem Nachtheil, da die Anweisungen erst nach
^ Jaliresfrist, und dann nur mit gewissen Abzügen eingelöst wurden. —
Auf diese Weise wnirde der Handel bis in die neueste Zeit getrie-
ben, hat sich aber nie wieder zu seiner alten Höhe empor-
gesclnvungen; die Beschränkungen wurden im Gegentheil immer
schlimmer, um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts durfte nur
noch ein Schiff jährlich nach Nangasaki kommen. Da nun die
Kosten der Factorei und der Hofreisen, die Geschenke und Lasten
dieselben blieben wie früher, so verminderte sich der Gewinn un-
verhältnissmässig. Als die japanische Regierung die Kupferaufefuhr,
die noch zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts 30,000 Pikul be-
tragen hatte, 1743 auf 6000 Pikul beschränken wollte, befahl der
Gouverneur von Niederländisch Indien dem Handelsvorsteher, die
eingeführten Waaren wieder einzuschiffen und die Factorei aufzu-
geben, wenn nicht eine vermehrte Kupferausfuhr und bessere Preise
für die Einfuhrartikel bewilligt würden — denn die Japaner wollten
oft unter dem Vorgeben, die geüeferten Waaren entsprächen nicht
den Mustern, die bedungenen Preise nicht zahlen. Auf diese Dro-
hung hin wurden die Behörden willfähriger; man Uess wieder zwei,
seit 1758 sogar drei Schiffe zu, weil einige mitergegangen waren.
Diren Gewinn berechneten die Holländer selbst 1752, in der schlimm-
sten Zeit, noch immer auf fünf Tonnen Goldes jährlich. 1763 for-
derte der Statthalter von Nangasaki ausser den üblichen auch noch
Geschenke für den Thronfolger, und kündigte, als der Vorsteher
von Desima sich dessen weigerte, den Niederländern gradezu den
Handel auf, mit der peremtorischen Weisung das Land zu ver-
lassen. Der Handelsvorsteher fugte sich nun in die neue Belastung,
und die Sache ging ihren alten Gang, bald mehr, bald minder
günstig. — Von zwei Schiffen, welche 1772 von Batavia nach
Nangasaki segelten, wurde das eine im Sturm von den Holländern
als unrettbar verlassen, ging aber nicht unter, sondern trieb nach
den GoTTO- Inseln und fiel in die Hände der Japaner; beim Unter-
suchen der Ladung entdeckten diese nun die vielfachen künstlichen
Vorrichtungen und Verpackungen, deren sich die Holländer zum
150 Ausbleibeu der Schiffe. Bessere Aussiehten. Titsingh.
Schmuggeln bedienten. Nach dieser Erfahrung beschränkte die
Regierung den Handel aufs neue: seit 1775 sollte wieder jälirlich
nur ein Schiff zugelassen, und die Preise der auf Bestellung ge-
lieferten Waaren erst nach ihrer Ankunft festgestellt werden. Da
nun die Statthalter noch dazu immer grössere Geschenke forderten,
und mehrere Schiffe untergingen , so scheint die Compagnie in
diesen Jahren wirklich sehr schlechte Geschäfte gemacht zu haben.
Die Beeinträchtigungen gingen damals wesentlich von einem hab-
süchtigen Statthalter aus. Als im Jahre 1782 in Folge des Krieges
zwischen Niederland und England zum ersten Male gar kein Schiff
ankam, geriethen die Japaner in die grösste Verlegenheit. Der
Statthalter Uess Gebete in allen Tempeln anordnen und den Bonzen
grosse Belohnungen versprechen , wenn sie das fallige Schiff herbei-
schafften, der Handelsvorsteher Titsingh aber benutzte dessen Angst
imd Erklärte, dass bei den Bedrückungen der letzten Jahre den
Holländern nichts an der Fortsetzung des Verkehrs liegen könne,
und man deshalb wahrscheinUch keine Schiffe von Batavia abge-
sandt habe. Nun verklagten auch die unzufriedenen Beamten imd
Dolmetscher, welche mit ihrem Lebensunterhalt auf den holländi-
schen Handel angewiesen waren, den Statthalter bei Hofe, am
Ausbleiben der Schiffe schuldig zu sein, und brachten es dahin,
dass er mit Verlust von zw^ei Drittheilen seines Vermögens degra-
dirt wurde. Sein Nachfolger war den Fremden günstig; Titsingh
erwirkte von ihm die Abstellung vieler JVIissbräuche, imd erlangte
später durch sein energisches Auftreten bedeutende Preiserhöhungen
für den Import auf eine lange Reihe von Jahren, imd die Erlaubnisse
wieder mit zwei Schiffen den Handel zu treiben.
Die Verhandlungen Titsingh's und seiner Nachfolger mit der
japanischen Regierung beweisen deutUch, dass dieser sehr wenig
an der Einfuhr der Niederländer gelegen war, und dass das Land
sehr wohl ohne sie bestehen konnte. Eine Schiffsladung jährlich
ist in der That fiir eine Bevölkerung von 25 Millionen ein Tropfen
Wasser im Meere. Dass die Geldkammer, welche unter Anderen
den Holländern das Stabkupfer zu den alten Preisen weit unter
dem Werthe liefern musste, gradezu einen jährlichen Verlust an
dem niederländischen Handel hatte, den sie nur aus dem grossen
Gewinn an dem chinesischen decken konnte, haben die Holländer
selbst vielfach ausgesprochen. Nur die ostindische Compagnie, und
vor Allen die holländischen und japanischen Beamten hatten Vortheil
Titsiugh's Nachfolger. Neue Beschränkung. 151
davon. Das aus 50 Personen bestehende Dolmetscher -Collegium
und viele andere Aemter waren ganz auf die Niederlander ange-
wiesen — ganz Nanoasaki soll fast ausschliessUch vom Handel mit
den Ausländem gelebt haben. Nur um Jenen ihre Erwerbsquelle
zu erhalten und die Verbindung mit Europa nicht ganz abzubrechen,
scheint die japanische Regierung den Verkehr mit den Holländern
fortgesetzt und Opfer dafür gebracht zu haben. Selbst wenn ihnen
europäische Artikel ein Bedürfiiiss gewesen wären, so konnten sie
solche seit Ende des vorigen Jahrhunderts von den Chinesen wohl-
feiler beziehen als von den Holländern.
TitsingKs Naclifolger verdarben durch unvorsichtiges Beneh-
men wieder, was er gebessert hatte. Der Siogun wünschte zwei
persische Pferde zu besitzen, welche die Compagnie ihm auch
schickte, und best>ellte bald darauf noch ein gleiches Paar. Unglück-
licher Weise aber fand sein einziger Sohn, der Thronfolger, mit
einem dieser Pferde stürzend, seinen Tod; das Gegengeschenk,
welches für das erste Paar in 500 Pikid Kupfer bestanden hatte,
blieb für das zweite Paar aus, und der Handelsvorsteher war im-
vorsichtig genug, wiederholt daran tu erinnern. Dazu kam, dass
sich die Holländer seit 1789 der ferneren Lieferung der sogenannten
» Nangasakischen Geschenke« weigerten, eines an die dortigen
Beamten zu entrichtenden Tributes , welcher die Kosten der Factorei
mit 12,000 Gulden jährlich beschwerte. Diese unklugen Maassregeln
hatten die Beschränkung des Privilegiums der Hofreise auf die
vierjährige Frist und die Verminderung der Kupferausfuhr auf ein
JVIinimum zur Folge: »die Bergwerke seien erschöpft, nur um die
alte Freundschaft mit den Niederländern zu erhalten, bringe der
Siogun dieses Opfer.« Den Schlusssatz der kaiserUchen Verord-
nung, welche den Holländern drohte ihre Waaren zu verbreimen
und ilirem Aufenthalte in Japan ein Ende zu machen, wenn sie sich
noch einmal unterständen auf Erhöhmig der KupfcrUeferung anzu-
tragen, Hessen die japanischen Dolmetscher in der Uebersetzung
fort; diese Veruntreuung wurde aber entdeckt imd hatte die Hin-
richtung von mehreren dabei betheiligten Beamten zur Folge. Die
Regierung zu Batavia wollte um diese Zeit den japanischen Handel
ganz aufgeben, die Oberbehörde im Vaterlande liess es aber nicht
zu und begnügte sich in Erwartung besserer Zeiten, die Ausgaben
mögUchst zu beschränken. — Der Krieg in Euro[)a machte es den
Holländern unmöglich, die von den Japanern bestellten Waaren
lö^ Die Kriegsjahre.
nach deren Wunsch zu liefern , und so sank der Handel immer melir.
1796 kamen gar keine, von da an nur sehr unregelmässig holländisclie
Schiffe nach Nangasaki; die batavische Regierung miethete meist
amerikanische, zuweilen auch dänische Fahrzeuge, um durch die
neutrale Flagge ihr Eigenthiun zusichern, und setzte auch nach einigen
Schwierigkeiten die Zulassung der fremden ScliiflFe in Nangasaki
durch. Der Frieden von Aniiens gab dem ostindischen Handel eine
kurze Rast — die niederländische Flagge zeigte sich vorübergehend
wieder in den japanischen Gewässern; von 1806 bis 1809 aber kamen
meist gemiethete amerikanische, von diesem Jahre bis 1813 gar
keine Schiffe nach Japan, weil Holland von Frankreich incorporirt
und Batavia von den Engländern besetzt war. Diese machten
durch mehrere, in den Jahren 1813 und 1815 nach Nangasaki
gesandte Fahrzeuge den Versuch, auch Desima und damit den
japanischen Handel in ihre Hände zu bekommen, scheiterten aber
an der Klugheit und Festigkeit des Handelsvorstehers Doeff, der
so viele Jahre lang mit seinen Unterbeamten ohne Zufuhr, ja ohne
alle Nachrichten aus Europa blieb. Erst 1817 erschien, nach Her-
stellung des Friedens , das erste hollänchsche SchiflF; seitdem wurden
die Zufuhren wieder regelmässig, die Waaren konnten nach dem
Geschmack der Japaner geliefert werden und die Vortheile des
Handels waren bedeutend. Die Regierung brachte die Kosten der
Factorei in Einklang mit der Ausdehnung des Verkehrs, sandte
minder werthvolle Geschenke — was nach der langen Unterbrechung
leichter wurde als früher, — unterdrückte den Schleichhandel ganz
und gar und duldete überhaupt keine Ungesetzlichkeit von Seiten
ihrer Beamten. Bis zu Ende des vorigen Jahrhunderts war ganz
Niederländisch Indien mit der schmählichsten Unredhchkeit ver-
waltet worden: schaamlose Gewinnsucht herrschte in allen Classen,
und selbst die höheren Beamten trachteten nur, gleichviel durch
welche Mittel, in kürzester Zeit Schätze zu erwerben. So hatten
auch die Handelsvorsteher auf Desima geflissentlich die Rechnungs-
bücher in Unordnung gerathen lassen; sie pflegten die Gelder der
Corapagnie zu ihren Privatspeculationen zu benutzen und sich wissent-
lich vielfacher Täuschungen schuldig zu machen; der gesetzwidrige
Schleichhandel, welcher fortwälirend vielen Japanern das Leben
kostete, war eine Hauptquelle ihres Reichthumes. Sie scheinen zu
Ende des achtzehnten Jahrhunderts auch mit einigen der Lehns-
fürsten in geheimer Handelsverbindung gestanden zu haben: der
Neue Organisation des Handels. Kosten der Faetorei. l^^
Factoreivorsteher Gisbert Hemmij fand 1798 auf der Rückreise von
Yeddo einen geheimnissvollen Tod — er soll sich vergiftet haben, weil
sein Einverständniss mit dem Fürsten von Satsuma entdeckt worden
wäre'**). — Meistens traten die Handels Vorsteher bei ihrer Rück-
kehr nach Batavia in den Rath von Inchen, und übersahen dann
gern die Vergehungen ihrer Nachfolger, welche die Beweise ihrer
eigenen Ruchlosigkeit in Händen hatten. Willem Wardenaar, der
1798 nach Desima kam, hatte zuerst den Muth, die Unredlichkeit
seiner Vorgänger aufzudecken, und die Beweise davon, die gefälschten
Handelsbücher, nach Batavia zu bringen. Erst seit dieser Zeit kam
Ordnung in die Verw^altung der Faetorei.
Von 1817 bis 1831 wurde der Handel wieder regelmässig mit
zwei, von 1831 an mit einem Schiffe jährlich betrieben. Der Kambang-
Handel wurde 1826 einer für die Beamten gegründeten »Particulieren
Handelssocietät« übergeben, 1831 aber von der Compagnie an eine
Gesellschaft von Kaufleuten in Batavia verpachtet; von dieser Zeit
an erhielten die Beamten auf Desima erhöhte feste Besoldungen.
Das Verhältniss zur japanischen Regierung blieb bis in die neueste
Zeit ein ununterbrochen freundschaftliches.
Die jährlichen Kosten der Faetorei, nämlich die Miethe von
Desima, die Ausgaben der Hofreise, die Geschenke und alle Besol-
dungen an Japaner — mit Ausschluss der Besoldung der hollän-
dischen Beamten — sollen in den letzten Jahren der Einschliessung
noch 40,000 Gulden betragen haben. — Die Kosten der Faetorei in
FiRANDO beliefen sich in den . Jahren der Blüthe durchschnittlich
auf 265,000 Gulden, die von Desima um 1672 auf 162,000 Gulden
und in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts, wo der Handel ganz
danieder lag, noch auf 141,000 Gulden. Das Personal der Faetorei
bestand gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts noch aus mehr als
zwanzig Personen, in neuerer Zeit dagegen nur aus dem Handels-
vorsteher, einem Packhausmeister, der zugleich Buchführer war,
156) DJe Sache ist niemals ganz aufgeklärt worden. — Von Hcmmij's beiden ja-
panischen Dienern, wurde der eine festgehalten und hingerichtet, der andere entkam
und soll beim Fürsten von Satsuma eine Zuflucht gefunden haben. Die japanische
Regierung hat Hemmij niemals angeklagt, im Gcgentheile den Holländern ihr Beileid
über dessen Tod bezeigen lassen und seinem Andenken 30 Pikul Kupfer verehrt.
Dies ist kein Beweis für seine Unschuld, da nach japanischen Begriffen der Selbst-
mord jeden Flecken der Ehre tilgt. — Hemmij hinterliess ansehnliche Schulden in
Japan. —
i^4: Eimichtung des Handels.
einem Arzt, vier Assistenzbeamten, und zwei Matrosen oder Hand-
langern. Das japanisch -holländische Dolmetscher- CoUegium zählte
noch in den letzten Jahren fünfzig Personen, von denen nur die
höheren Beamten der Classe der Zweischwertigen angehörten. Die
niederen Dolmetscher waren zugleich Makler, Kaufleute, Sprach-
lehrer; die Holländer schildern sie als eine gewinnsüchtige charakter-
lose Rotte. Sie wurden von der japanischen Regierung streng
bewacht, und durften einzeln — ohne Aufpasser — bei schwerer
Strafe keinen Holländer besuchen. Das Amt der Dolmetscher war
in bestimmten Famiüen erblich ; sie lernten die Sprache von Jugend
auf und wurden als Knaben vielfach den Holländern zur Bedienung
in ihre Häuser gegeben. Mit Ausnahme der obersten scheinen
' die Dolmetscher unter der ControUe der Geldkammer gestanden
und zugleich vielfach als Rechnungs- und Steuerbeamte fungirt
zu haben.
Die Geldkanuner verkaufte die von den Holländern erstan-
denen Waaren mit grossem Vortheil an eine Handelsgesellschaft aus
den fünf Reichsstädten, deren Agenten jährlich nach Nanoasaki
kamen, und fertigte unter Aufsicht der sogenannten Bürgermeister
die Erlaubnisscheine und Pässe aus, ohne welche die Importartikel
weder aus Desima ausgeführt noch irgendwo im Reiche verkauft
werden durften. Die Statthalter, unter deren Aufsicht der fremde
Handel stand, ferner die Bürgermeister und alle Beamten der Geld-
kammer hatten das Recht, sich nach dem Maasse ihrer Stellung eine
bestimmte Quantität Waaren zu den niedrigsten Preisen auszusuchen.
Die Einfuhr des Gouvernements - Handels bestand in europäischen und
indischen Manufacturen und in Colonialproducten, die des Kambang-
Handels in Gegenständen der Wissenschaft, Kunst und des Luxus,
in Arzneien, Quincaillerien u. s. w. Die Ausfuhr der Regierung
beschränkte sich auf Stabkupfer und Kampher, der Kambang -Handel
umfasste alle übrigen erlaubten Artikel. Die Ein- und Ausfuhr der
Regierung war in den späteren Zeiten frei von allen Steuern; von
den durch den Kambang -Handel eingeführten Waaren, welche
öffentlich verkauft wurden, erhob die Geldkammer eine Steuer von
35 Procent des Ertrages. Trotzdem sollen die holländischen Beamten
durchschnittlich 100 Procent daran gewonnen haben, und als der
Handel verpachtet wurde, stellte sich der Vortheil noch höher. —
Die Geldkammer zahlte der Regierung eine jährüche Pacht im
Werthe von 180,000 Gulden für den ausländischen Handel (den
Ertrag des Handels. — Versuche in Japan einzudringen. 1^«)
holländischen und den chinesischen) und musste alle durch denselben
verursachten Kosten tragen.
Von dem wirklichen Ertrage des holländischen Handels ist
es bei der venvickelten Calculation der Ein- imd Ausfuhr, dem
wechselnden Werthe der Metalle, und der Verwirrung, welche die
Beamten auf Desima absichtlich in die Rechnungen gebracht haben,
schwierig sich einen Begriff zu machen. Die glänzendste Periode
war die Zeit in Firando: 1638 betrug der Werth der Einfuhr
3,760,000 Gulden; damals, soll kein Artikel weniger als fünfzig, viele
aber bis dreihundert Procent gebracht haben. Noch 1668 rechnete
man den jährhchen Ertrag des Handels auf zwanzig Tonnen Goldes,
Gold und Kupfer waren damals die einträglichsten Ausfuhrartikel.
Hundert Jahre später importirten die Holländer mit Vortheil ge-
münztes Silber. Die im siebzehnten Jahrhundert so gewinnreiche
Ausfuhr des Goldes war schon 1727 mit erheblichem Verluste ver-
bunden. Um 1775 imd in den folgenden Jahren scheinen die Hol-
länder in Folge der Bedrückungen und bedeutender Seeschäden
erhebhche Summen am japanischen Handel eingebüsst zu haben;
seit der Zeit fristete er sich bis zum Eintreten der neuen Ordnung
im Jahre 1817 nur kümmerlich das Leben.
Nachdem im Jahre 1673 die Engländer sich umsonst bemüht
hatten, den Verkehr wieder anzuknüpfen, blieben die Japaner über
hundert Jahre lang mit ähnlichen Versuchen verschont. Aber gegen
Ende des achtzehnten Jahrhunderts, als die Herrschaft Gross-
britanniens sich in Ostindien ausdehnte, imd die Russen des Fanges
der Pelzthiere, die Amerikaner des Wallfischfanges wegen den nörd-
Uchen Stillen Ocean häufiger zu befahren anfingen, richtete sich die
Aufmerksamkeit dieser Nationen wieder auf das entlegene Inselreich.
Um 1791 besuchte ein engUsches Schiff, »der Argonaut«, auf
dem Wege von Amerika nach China die japanischen Gewässer. Der
Capitän bemühte sich vergebens mit den Küstenbewohnern Tausch-
handel anzuknüpfen, wurde aber von den Behörden mit Wasser
und Holz versehen. Ein Schiff unter amerikanischer und ein anderes
unter englischer Flagge, die beide, wie es scliien, in Bengalen
für Japan befrachtet, im Jahre 1803 kurz nacheinander vor der
Bucht von Nangasaki erschienen, und freien Verkehr fiir sich und
ihre Landsleute nachsuchten, erhielten ebenfalls vom Statthalter
l^b Die Bemühungen Russlands.
unentgeltlich Wässer und Proviant, durften aber nicht einmal in den
Hafen einlaufen. Dieses ITntemelunen scheint von der englisch-
ostindischen Compagnie in Calcutta ausgegangen, und von einem
amerikanischen SchifTscapitan veranlasst worden zu sein, der wäh-
rend der Kriegsjahre mit seinem Fahrzeug im Dienste der Holländer
mehrere Reisen von Batavia nach Japan gemacht und die dortigen
Verhältnisse kennen gelernt hatte **^).
Die erste europäische Regierung, w^elche einen Versuch zur
Eröffnung Japans machte, war die russische. Zur Zeit der Kaiserin
Katharina kamen japanische Schiff bru eilige nach Ochotsk imd von
da in das Innere von Sibirien , wo sie Russisch lernten. Einen von
ihnen, Koda'i, liess die Kaiserin nach der Hauptstadt kommen, da-
mit er ihre Herrhchkeit sähe , und gab ihm reiche Geschenke. Dieser
musste als Dolmetscher des Lieutenant Laxmann dienen, welcher
unter dem Vorwande, die Schiffbruchigen — nach zehnjährigem
Aufenthalt in Sibirien — ihrer Heimath zurückzugeben , den Verkehr
mit Japan anknüpfen sollte. Laxmann war mit Geschenken und
einem Briefe des General - Gouverneurs von Sibirien versehen; er
verliess Ochotsk im Herbst 1792, landete zu Aktis an der Nord-
küste von Yeso, und wurde dort freundlich angenommen. Die
Antwort auf das überbrachte Sclireiben, welche erst nach einigen
Monaten aus Yeddo eintraf, scheint von dem Dolmetscher nicht
getreu und in zu milden Ausdrücken überaetzt worden zu sein: es
hiess darin, Laxmann habe gewagt mit einem bewaffneten Fahrzeuge
an die japanische Küste zu kommen, und dadurch eigentlich die
Rückkehr nach der Heimath auf immer ver\virkt, doch wolle der
SioGUN ihn wegen seiner Unkenntniss der Landesgesetze begnadigen.
Zu Aktis könne man nicht unterhai^deln, und nach Yeddo dürfe er
nicht kommen — er möge aber unter Vorzeigung eines beigefügten
^*^ Nachdem Capitän Robert Stewart mehrere Reisen glücklich ziinickgelegt
lind sich das Vertrauen der holländischen Behörden erworben hatte , geschah es , dass
er, von Nangasaki mit einer werthvollcn Ladung ausgelaufen, in Batavia nicht ankam.
Einige Zeit darauf erschien er wieder in Nanoasaki mit einem von ihm selbst be-
frachteten Scliiffe, vorgebend, das andere sei untergegangen. Der Handelsvorsteher
nahm das Schiff in Beschlag laid schickte Stewart gefangen nach Batavia, — es stellte
sich heraus, dass sein Fahrzeug nicht untergegangen, sondern auf den Philippinen
mit der Ladung von ihm verkauft worden sei. Er entsprang während der Unter-
suchung in Batavia aus dem Gcfängniss und kam nach Bengalen. Der Ilandels-
vorsteher Wardcnaai* erkannte ihn in dem Befehlshaber des unter amerikanischer
Flagge vor Nanoasaki erscheinenden Schiffes.
Laxmaiin. ResanolT. ^oi
Fasses in den Hafen von Nanqasaki einlaufen. Was die Schifl-
brüchigen betreffe, so möchten die Russen dieselben zurück lassen
oder wieder mitnehmen, wie es ilmen gut dünke, denn den japani-
schen Gesetzen gemäss gehörten sie dem Reiche an, wohin das
Schicksal sie verschlagen habe, und wo ihr Leben vom Untergange
gerettet worden sei. Der in dem russischen Schreiben enthaltenen
Anerbietungen gegenseitigen Freundschafts- und Handelsverkehrs
war in der Antwort gar nicht gedacht. — Laxmaun ging nicht nach
Namgasaki, dagegen sandte Kaiser Alexander I, gestützt auf jenes
japanische Schreiben und den beigefügten Pass, im Jahre 1803 den
mit den Verhältnissen Sibiriens und der Kurilen vertrauten Kammer-
herm von Resanoff mit ausgedehnten Vollmachten dahin ab. Die
Gesandtschaft war glänzend ausgestattet; Resanoff hatte ein zahl-
reiches Gefolge und überbrachte ein kaiserliches Schreiben nebst
werthvoUen Geschenken. Der bekaimte Weltumsegeler Capitän
Krusenstern führte ihn nach Nangasaki, wo die Fregatte Nadejda
(Hoffiiung) zu Anfang October 1804 vor dem Eingang des Hafens
Anker warf. Das Auftreten des Gesandten war kein glückliches:
seine Weigenmg, sich in gewisse unverianghche Ilöllichkeitsfonnen
zu fugen, welche die japanische Sitte forderte, und den bestehenden
Gesetzen gemäss die Waffen des Schilles auszuliefern, gab den
ersten Anlass zur- Verstimmung. Der Statthalter wies sein Ver-
langen, nach Yeddo zu gehen, mit Bestimmtheit zurück, — Resanoff
musste sich bequemen, das kaiserliche Schreiben den Behörden von
Nangasaki zu überüefem uind die Antwort abzuwarten. Man hess
das Schiff in den Hafen bringen, nachdem Pulver und Munition ab-
gegeben waren, stellte es aber unter strenge Bewachuing imd er-
laubte Niemand an's Land zu kommen. Erst auf die wiederholten
Vorstellungen des Gesandten, dass ein längerer Aufenthalt an Bord
seiner Gesundlieit nachtheiUg sein würde, hess der Statthalter ein
Desima gegenüber am Meere gelegenes Vorrathshaus für getrock-
nete Fische zu seuiem Aufenthalt einrichten , und mit emem stai-keu
Bambuszaun nach allen Seiten absperren. Resanoff wurde 'in der
Prachtbarke des Fürsten von Fidsen imter russischer Flagge an das
Land gesetzt, und bestand darauf, seine Grenadierwache mitzuneh-
men"^). Er brachte mehrere Monate in diesem Gefängnisse zu, und
^^) Kniseusteni selbst macht auf das Unkluge dieser Maassregel aufmerksam.
Der Gesandte reizte diurch sein Benehmen die Japaner auf vielfache Weise, und sie
Hessen es ilm entgelten. Auch die Walil seiner Wohnung am Lande spricht für die
158
Erwiedenmg der japanischen Regierung.
wurde zwar mit allen Lebensbedürfnissen versehen, aber auf das
strengste beaufsichtigt. Der holländische Ilandelsvorsteher Doeff,
welcher die japanischen Beamten bei ihren ersten Besuchen an Bord
begleitet hatte, durfte seitdem nur schrifkUch mit ihm verkeliren;
alle seine Briefe und Sendungen gingen durch die Hände der japani-
schen Dolmetscher und wurden genau controllirt. — EndUch kam die
Antwort aus Yeddo ; . ResanoiT wurde in der Sänfte des holländischen
HandelsYorstehers zur Audienz bei dem Statthalter gefuhrt. In den
Strassen, welche der Zug passirte, waren alle Häuser geschlossen
und verhängt, die Seitenstrassen abgesperrt, keine Menschenseele
zu sehen. In dieser ersten Zusammenkunft hatte der Gesandte nur
einige Fragen in Betreff des überbrachten Schreibens zu beant-
worten; in der zweiten, Tages darauf, erhielt er eine schriftliche
Entgegnung in holländischer Sprache, die mit weitläufiger Ausein-
andersetzung der Gründe jeden Verkehr ablehnte**'). Die kaiser-
lichen Geschenke mussten wieder eingeschifft werden *•") , auch wiesen
gesteigerte Verstimmung des Statthalters, denn Anfangs war die Rede davon, einen
Tempel fiü* ihn einzurichten oder ihn nach dem Wimsche des Factoreivorstehers auf
Dksima unterzubringen. S. Doeff Herinnenngen uit Japan. Amsterdam 1833.
^^) In dieser Entgegnung ist gesagt, dass in früheren Jahren Japan viel mit
anderen Nationen verkehrt, die Regierung aber nach den gemachten Erfahrungen
den Verkehr streng verboten habe. Nur die Bewohner von Liu-kiu, Korea und
China, und von Europäern die Holländer würden noch zugelassen, und auch diese
jetzt nicht mehr des Gewinnes halber, sondern weil man es ihnen in alter Zeit aus
besonderen Gründen zugestanden habe. Dies sei mit den Russen nicht der Fall.
Ihre wiederholten Versuche, den Verkehr anzuknüpfen, zeigten wohl, wie sehr ihnen
darum zu thun sei. So gern nun auch Japan mit seinen Nachbarn Freundschaft
halten wolle, so sei doch der gewünschte Handelsverkehr nicht zulässig, weil die
Sitten und Gewohnheiten beider Völker zu verschieden seien, weil die Japaner die
Erzeugnisse fremder Länder nicht brauchten, weil durch die Ausfuhr der japanischen
Producte Mangel im Lande entstehen würde, weil der Handel eine Menge Fremde
geringen Standes nach Japan bringen würde, welche nur aus Gewinnsucht kämen.
Diese würden die japanischen Gesetze übertreten, Unordnung und Unfrieden in das
Land bringen und die Verwaltung erschweren. Der Verkehr sei mit den alten Landes-
gesetzen unvereinbar, mid diese konnten nicht geändert werden. — Das Document
wurde den Russen in wörtlicher holländischer Uebers^tzung mitgetheilt. Doeff, dessen
Hülfe der Statthalter in Anspruch nalun , durfte kein sinnerklärendes Wort, keine Inter-
punctation hinzufugen , um die Satzverbindung deutlich zu machen. Die U'ebersetzung
ging in Abschrift nach Yeddo und musste wörtlich sein , wenn es die Dolmetscher nicht
den Kopf kosten sollte — da es ein kaiserliches Decret war. S. Doeff Herinneringen.
'^) Nur der Ober -Aufpasser nahm einige Kleinigkeiten für sich au, um Resauoff
zur Entgegennahme der Geschenke zu bewegen, welche die Commissare aus Vkddo
Der Ueberfall Chwostow's. A&y
die Behörden jede Bezahlung für die während des langen Aufent-
haltes gelieferten Lebensbedürfnisse zurück, und versahen die Fre-
gatte bei der Abfahrt noch reichlich mit allen Vorräthen, welche
ihr Land zu bieten vermochte«
Der Aufenthalt der Nadejda in Japan hatte über sechs Monate
gedauert, sie segelte zimächst nach Kamtschatka. Von da reiste Re-
sanofT auf einem von dem Flottenheutenant Chwostow befehligten
Schiffe der russischen Pelzcompagnie nach Amerika und wieder
zurück nach Ochotsk, dann nach dem Inneren von Sibirien, wo er
auf der Heimreise starb. Chwostow aber überfiel mit zwei Scliiffen
der Pelzcompagnie die japanischen Dörfer auf den südlichen Kurilen,
üess sie plündern und niederbrennen und schleppte einige Einwohner
mit fort. Er hinterliess mehrere Schreiben in französischer und
russischer Sprache*'*), welche, in sehr hoclifahrendem Ton ver-
fasst, den japanischen Handel im Norden so lange zu stören drohten,
bis die Regierung des Siooün sich zum Handelsverkehr mit Russ-
land bereit zeigen würde. Diese gelinde Maassregel solle ihnen
zeigen, dass die nördlichen Theile des japanischen Reiches ganz
der WiUkühr ihres mächtigen Nachbarn Preis gegeben seien, und
dass diese Länder ihnen leicht einmal verloren gehen könnten,
wenn die Regierung auf ihrer eigensinnigen Weigerung beharre. —
Es imterhegt selbst nach den russischen Berichten keinem Zweifel,
dass dieser Raubzug von Resanoff veranlasst worden ist, die kaiserlich
russische Regierung aber missbilligte das Verfahren Chwostow's,
welchen ein frülier Tod der Verantwortimg entzog.
Der russische Ueberfall geschah 1807. Im Frühjahr 1808
sandte die Regierung von Yeddo den Fürsten von Yetsisen mit
etwa tausend Mami nach Cap Soga, der Nordspitze von Yeso, und
liess den Befehl an die Küstenbehörden ergehen, alle russischen
Schiffe feindselig zu behandeln. Als daher die von der Regierung
des Czaren zur näheren Erforschung jener Meere abgeschickte
Corvette Diana im Sommer 1811 bei den Kurilen erschien und, um
Lebensmittel zu erlangen, in Verkehr mit den dortigen Japanern
zu treten suchte, lockte der Commandant einer Festimg auf Kunasir
den Befehlshaber Capitän Golownin an das Land und nahm ilm nebst
von Seiten des Siogun zu überreichen hatten. Die Zurückweisung dieser Geschenke
durch die Russen hätte die japanischen Beamten nach DoeflTs Darstellung das Leben
gekostet.
^*^) Man brachte sie den Holländern auf Desima zum Uebersetzen.
J-tiv) Golownin's GefaiigenschaA.
zwei Officieren, vier Matrosen und einem kurilischeu Dolmetscher
gefangen; sie wurden gebunden nach Hakodade, dann nach Matsmai
geschickt und dort zwei Jahre zurückgehalten. Die Gefangenen
liatten viele endlose Verhöre zu bestehen , wurden aber mit Freund-
Uclikeit und Hiunanitat behandelt und in gelinder Haft gehalten, wo
man ihnen alle vom Gesetze für Gefangene erlaubten Bec^uemUch-
keiten und Annehmhchkeiten zu verschaffen suchte. Golownin entfloh
mit seinen Begleitern aus dem Hause, wo sie bewacht wurden, in
der Hofl&iung, sich eines Bootes bemächtigen und die tartarische
Küste erreichen zu können, wurde aber nach einigen Tagen wieder
eingefangen. Weder der Statthalter, dem dieser Fluchtversuch,
wenn er glückte, den Kopf kosten konnte, noch seine Untergebenen
und selbst die Wachen, welche deshalb degradirt wurden, änderten
ihr freundhches Benehmen gegen die Gefangenen. Im Gegentheil
suchten die japanischen Beamten, um den Befeld ihrer Befreiung
in Yeddo zu erwirken, eifrig nach Beweisen dafür, dass die Diana
nicht in feindUchen Absichten gekommen sei. Lieutenant Kikord,
der das Schiff jetzt befehhgte, war gleich nach Golownin's Ge-
fangennehmung nach Ochotsk gegangen, um Verhaltungsbefehle zu
holen, imd erschien im Sommer 1812 wieder vor Kunasir. Es
gelang ihm, dort eine japanische Dschunke wegzunehmen, auf
welcher sich ein angesehener Kaufinann, Takatai-Kafi, befand,
den er mit Höflichkeit behandelte und für den Winter mit nach
Kamtschatka nahm. Den Bemühungen dieses Braven gelang es,
als die Diana im Frühjahr 1813 wieder nach der Küste von Yeso
kam, die Zusage der Freiheit für die Gefangenen zu erlangen,
weim eine Erklärung des Gouverneurs von Ostsibirien beigebracht
würde , dass die kaiserUch russische Regierung an den von Chwostow
verübten FeindseUgkeiten keinen Antheil habe. Rikord eilte nach
Ochotsk und kehrte noch im September desselben Jahres mit dem
verlangten Document nach Hakodade zurück, worauf die Auslie-
ferung erfolgte.
Golownin's Gefangenschaft und Rikord's Bemühungen um
seine Befreiung bilden eine der merkwürdigsten und lehrreichsten
Episoden in der Geschichte des Verkehrs mit den Japanern; möchten
Alle, die mit ihnen in Verbindung treten, die Berichte der beiden
russischen Officiere gelesen haben. Golownin lebte zwei Jahre lang
unter den widerwärtigsten Verhältnissen bei den Japanern, von
welchen die Russen nur als Feinde angesehen werden konnten,
Golownin und Rikord. Das Auftreten der Engländer. Ibl
dennoch weiss er ihre liebevolle Sorgfalt, ihre Grossmuth und Ge-
duld, ihr sich immer gleich bleibendes Benehmen nicht genug zu
preisen; er bricht in seiner kunstvollen Schilderung ein über das
andere Mal in Ausrufe der Verwunderung aus , welche die fast aus-
nahmslose Humanität des Charakters durch alle Stände, die auf-
opfernde Freimdschaft des Statthalters von Matsmai und einiger
anderen Beamten in vollem Maasse verdienen. Er lässt den japa-
nischen Institutionen und ihrer Handhabung alle Gerechtigkeit wider-
fahren imd giebt im Ganzen ein so treues Bild der dortigen Zustande
mit allen ihren Sonderbarkeiten und Widersprüchen, wie kaum ein
anderer Schriftsteller. Rikord's Bericht ist besonders anziehend
durch die Schilderung seines Umganges mit dem ehrlichen Takatai-
Kafi , der ihn bereitwiUig nach Kamtschatka begleitet und sich ihm
auf das innigste anschliesst. Da Rikord bei der Rückkehr nach Yeso
1813 Miene macht, seinen japanischen Freund mit Gewalt an Bord
zurückzuhalten, fasst dieser den Entschluss ihn und sich selbst um-
zubringen — denn das japanische Ehrgefühl duldet keinen Zwang '•'):
er gesteht aber sofort sein Vorhaben aus freien Stücken, als Rikord
zu seinem freundschaftlichen Benehmen zurückkelurt imd ihm die
Freiheit giebt zu landen, — und bietet nun Alles auf, um einen
glückhchen Ausgang herbeizuführen. — Die Russen uind die Japaner
schieden damals mit den wohlwollendsten Gesinnungen von einander.
Gegen den englischen Namen herrschte um diese Zeit in
Japan die grösste Erbitterung.
Im October 1808 war ein SchiflF unter niederländischer Flagge
in die Bucht von Nanoasaki eingelaufen. Da es die gewöhnUche
Jahreszeit der Ankunft der holländischen Schiffe war, so sandte der
Statthalter nach gewohnter Weise seine Beamten in Begleitung zweier
Holländer von der Factorei zur Empfangnahme der Papiere hinaus.
Als sie sich dem einlaufenden Schiffe näherten, kam ihnen ein Boot
desselben entgegen, aus welchem sie holländisch angeredet wurden:
gleich darauf aber sprangen dessen Matrosen in ihr Fahrzeug, packten
die beiden Holländer und schleppten sie an Bord; die erschrockenen
Japaner gewahrten nun, dass sie es mit einem fremden Kriegsschiff
zu thun hatten, und kehrten eilig nach Nangasaki zurück. Der
Statthalter war selir aufgebracht, und forderte von seinen Beamten,
1**) TakataT war bei seiner Gefangennehmung von Rikord sehr hoflich behandelt
worden, imd hatte sich sogleich bereit erklärt, ihn nach Kamtschatka zu begleiten,
so dass hier wenigstens anscheinend kein Zwang geübt wurde.
1, 11
162 Der Phaeton.
natürlich vergebens, dass sie die Holländer wiederschaffen sollten;
er machte zugleich Anstalten, um Gewalt zu brauchen, erfulir aber
zu seinem Schrecken, dass auf den Kaiserwachen am Eingange des
Hafens, die jederzeit von tausend Soldaten des Fürsten von Fidsen
besetzt sein sollten, kaum sechszig Mann zu finden, und dass auch
die Anführer abwesend seien. — Gegen Abend desselben Tages
wurde ein Zettel gebracht, welchen die fremden Matrosen auf einer
Klippe niedergelegt hatten; er kam von einem der Geraubten: das
Schiff sei ein englisches aus Bengalen und verlange Wasser und
LebensmitteL Die Verzweiflung der gekränkten japanischen Beamten
stieg auf das Höchste; der Secretär des Statthalters wollte durch-
aus an Bord gehen, um den Capitän — uind dann natürlich auch
sich selbst zu erdolchen, und der Handelsvorsteher Doeff musste
alle seine Ueberredungskimst aufbieten, um ihn von diesem Vor-
haben abzubringen. Am folgenden Tage hissten die Engländer ihre
Flagge. — Der Statthalter hatte Aufgebote nach allen Richtungen
in die benachbarten Gebiete ergehen lassen, und dachte den Feind
so lange hinzuhalten, bis er die zum Angriff i\pthwendigen Truppen
und Boote beisammen hätte. — Nachmittags erschien einer der
Geraubten, den die Engländer auf einer Klippe im Hafen aus-
gesetzt hatten, mit einem von Capitän Fleetwood Pellew, Fregatte
Phaeton, unterzeichneten kurzen Schreiben, »er werde die im
Hafen hegenden japanischen und chinesischen Dschunken in Brand
stecken, wenn der Entlassene nicht vor Abend mit den verlangten
Vorräthen zurück sei. Die beiden Gefangenen waren, nach der
Aussage des Zurückkehrenden, von dem englischen Befehlshaber,
einem unreif aussehenden jungen Mann, mit Rohheit behandelt, und
unter Androhung des Auf knüpf ens befragt worden, wo die holländi-
schen Schiffe lägen; der Capitän hatte Abends auch selbst eine ver-
gebliche Rundfahrt im Hafen gemacht, um solche zu suchen. Der
Befreite brachte noch die mündliche Drohung, dass sein Genosse
ohne Gnade gehenkt werden solle, wenn er selbst nicht mit den
Lebensmitteln zurückkehrte. Obgleich von seiner Regierung ermäch-
tigt, alle nothleidenden Schiffe unentgeltUch mit Wasser und Vor-
räthen zu versehen, entschloss sich der beleidigte Statthalter nur
schwer, den dringenden Bitten des Handelsvorstehers nachzugeben,
und sandte gegen Abend eine geringe Quantität Lebensmittel an
Bord; bald darauf wurde auch der andere Geraubte entlassen. Die
Nacht verging unter kriegerischen Anstalten. Zunächst sollte der
Verlassenheit der Holländer auf Desima. 16o
schmale und seichte Eingang des Hafens durch einige Kahnladungen
Steine verschüttet, dann die Fregatte von 300 kleinen Fahrzeugen
angegriffen und in Brand gesteckt werden. Aber in der Frühe, ehe
die Japaner mit ihren Vorbereitungen fertig waren, setzte der Phaeton
Segel, und lief mit frischem Winde zum Hafen hinaus. Eine halbe
Stunde darauf hatten sich der Statthalter von Nakgasaki und die
vier Befehlshaber der Kaiserwachen den Leib aufgeschlitzt**').
Der Fürst von Fidsen, der grade in Yeddo, aber für die militärische
Besatzung verantwortHch war, wurde mit hundert Tagen Haus-
gefangniss bestraft;.
Da im folgenden Jahre von den beiden holländischen nach
Nangasaki bestimmten Schiffen das eine, welches den ablösenden
Handelsvorsteher an Bord hatte, auf der Reise imterging, so musste
Doeff, dessen Zeit eigentUch um war, im Amte bleiben *"*). Er verab-
redete mit dem neuen Statthalter wegen der unangenehmen Vorfalle
mit dem Phaeton eine geheime Signalflagge, an welcher die zunächst
eintreffenden holländischen Schiffe kenntUch sein sollten. Das
Schreiben, in welchem dieses Signal der Regierung von Batavia
mitgetheilt wurde, sollte der Capitän des zurückkehrenden Schiffes,
falls die Engländer ihn angriffen, sogleich vernichten. — Für Doeff
und seine Gefährten brach jetzt eine schwere Zeit an; sie bheben,
da Java in die Hände der Engländer übergegangen war, in den
Jahren 1810, 1811 und 1812 ohne alle Nachricht aus Europa. Seit
ihrer Ankimft im sechszehnten Jahrhundert waren die Bewohner von
Desima niemals zwei Jahre hinter einander ohne Sendungen gebUeben.
Man denke sich eine Gesellschaft von sieben Europäern auf einem
^**) Dieses ist ein Beispiel von den japanischen Begriffen von Verantwortlichkeit.
Der Statthalter sowohl als die Befehlshaber hatten wegen der der japanischen Re-
gierung angethanen ungerächten Schmach das Leben verwirkt, nnd zogen den
Selbstmord der Schande der Hinrichtung vor , welche ihre Familie mitbetroffen hätte.
Der kleine Sohn des Statthalters blieb in Yeddo in hohen Ehren, denn jetzt war
alle Schuld gesühnt. Der Fürst von Fidsen, dessen Untergebene durch ihre Nach-
lässigkeit den Tod des Statthalters mit veranlasst hatten, bat um die Erlaubniss,
dem Sohne 2000 Robang verehren zu dürfen. Der Siogxjn gestattete ihm nicht nur
diese einmalige, sondern die jährliche Wiederholung der Gabe, eine Erlaubniss, die
einem Befehle gleichkam.
^^) Bis gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts durfte kein Handelsvorsteher
länger als ein Jahr hintereinander auf Desima bleiben. Von der Zeit an wurde ihre
Amtsdauer mit Genehmigung der japanischen Regierung auf f&nf Jahre festgesetzt.
Die späteren Handelsvorsteher blieben gewöhnlich zwei bis drei Jahre in Nangasaki.
11-
ib4 Gastfreundschaft der Japaner.
Räume von 600 Fuss Länge und 200 Fuss Breite eingeschlossen,
ohne Nachrichten aus der Heimath, mit dem Bewusst>sein, dass
ganz Europa in poUtischer Gährung begriffen, dass aUe Verhältnisse
im Vaterlande um imd um gekehrt wurden*®*). Ihre Vorräthe an
europäischen Bedürfhissen waren schon von Anfang an, durch den
Untergang des grösseren der beiden 1809 nach Nanoasaki bestimmten
Schiffe, sehr gering gewesen und gingen in Kurzem ganz zu Ende:
sie litten Mangel am Nöthigsten. Hier trat mm wieder der menschen-
freundhche Charakter der Japaner auf das glänzendste zu Tage:
nicht nur hatte die Regierung von Yeddo Befehl gegeben, die
Niederländer, welche bei der Abfahrt des letzten Schiffes mit einer
bedeutenden Sumihe gegen die Geldkammer im Rückstande bheben,
mit Allem zu versehen, was sie irgend brauchen imd wünschen
könnten , sondern auch die einzelnen Beamten gaben sich die erdenk-
lichste Mühe, ihre Lage zu erleichtern*'*), imd zeigten bei dem
furchtbaren Brande, welcher 1812 Nangasaki verwüstete, die liebe-
vollste Fürsorge für ihre Sicherheit. Desima, das 1798 ganz nieder-
gebrannt war, blieb diesmal verschont. Die Himianität und die
^^) Schon 1811 wurde die Lage der Verlassenen unerträglich; von Ende Juni
an hofften sie täglich auf das Eintreffen der Schiffe. »Von Anbruch des Tages bis
Sonnenuntergang«, sagt Doeff, »war unser Auge auf die Signalstangen gerichtet, an
welchen sofort die Annäherung eines fremden Fahrzeuges verkündigt wird. Solch
ein Signal erfreute uns zuweilen auf eine halbe Stunde, aber dann wurden wir durch
die Nachricht, dass es eine chinesische Dschunke sei, grausam enttäuscht. Niemand,
der es nicht erlebt hat, kann sich von unserem Gemüthszustaiide eine Vorstellung
machen. Abgeschieden von aller Gemeinschafl, festgekettet an einen Ort, welchen
so zu sagen niemals ein Schiff passirt, geschweige denn besucht — ohne zu wissen,
ohne zu hören , was in der ganzen übrigen Welt ausser auf unserem Inselchen vor-
ging, und ungewiss, ob wir im nächsten Jahre, ja, ob wir über zehn, zwanzig Jahre,
ob jemals wieder ein holländisches Schiff zu sehen bekommen würden, ob wir viel-
leicht unseren traurigen Lebenslauf hier fern vom Vaterlande bescliliessen mussten;
unter einem misstrauischen Volke lebend, das uiis zwar auf die bestmögliche Weise
behandelte, und es uns an nichts, das es bieten konnte, fehlen liess, aber das uns
doch nunmer wie seine Landsleute ansah oder ansehen konnte — das war eine trübe
Aussicht in die Zukunft. In dieser traurigen Unsicherheit wäre es ein Trost gewesen,
zu wissen, dass es noch fünf Jahre bis zu unserer Erlösung dauern würde.« — Die
Holländer litten äusserlich besonders an Winterkleidern und Schuhen Mangel und
mussten sich der japanischen Fussbekleidung, der Strohsandalen bedienen.
^^) So destillirte ihnen der O - metske , der Ober - Aufpasser , Genever aus japa-
nischen Wacliholderbeeren , und vortrefflichen Ronibranntwein ; ein Anderer versuchte
Rothwein für sie zu keltern.
Versuch der Engländer, die Niederländer aus Japan zu verdi'ängen. 165
Sorgsamkeit der Japaner fiir ihre verlassenen Gäste erscheint in
DoeflTs Schilderungen im schönsten Lichte.
Im Jiili 1813 endUch wurde gemeldet, dass zwei europäische
Schiffe mit der von Doeff vorgeschriebenen Signalflagge in Sicht
seien. Der Statthalter schickte ein Boot auf die Rhede hinaus, lun
die Schiffspapiere in Empfang zu nehmen**'), aus welchen hervor-
ging, dass Wardenaar, Doeff's Vorgänger im Amt, als Regienmgs-
Cojnmissar, und ein Herr Cassa, der ihn ablösen sollte, mit mehreren
Beamten für die Factorei sich an Bord befänden. Man glaubte,
der Frieden sei geschlossen, und Hess die Schiffe in den Hafen
kommen. Es fiel sogleich auf, dass alle Officiere englisch sprachen,
doch wähnten die Japaner, es seien wieder amerikanische, von den
Holländern befrachtete Fahrzeuge, wie sie während der Kriegsjahre
schon häufig nach Nangasaki gekommen waren. Doeff holte seinen
ehemaligen Vorgesetzten Wardenaar nach Desima, wo ihm dieser
unter Einhändigung eines von Sir Stamford Raffles, Gouverneur
von Java, unterzeichneten Schreibens eröffiiete, dass die Nieder-
lande dem französischen Kaiserreiche einverleibt, Batavia aber in die
Hände der Engländer übergegangen und alle anderen ostindischen
Colonieen und Dependenzien in der Capitulation von Batavia mit-
begriffen seien; demzufolge sei er beauftragt, sich Desima für die
englische Regierung ausliefern zu lassen und die neuen Beamten
der nunmehr englischen Factorei dort zu installiren. — Doeff war
in einer sonderbaren Lage: er hörte jetzt zum ersten Male, dass er
kein Vaterland mehr habe; sein ehemaliger Vorgesetzter, den er
auf das höchste achtete, trat ihm gewissermaassen als Verräther
entgegen und verlangte die Auslieferung des letzten Fleckchens
Erde, wo noch die holländische Flagge wehte, an den Feind; zu-
gleich musste er sich sagen, dass die AnkömmUnge ganz in seiner
Gewalt seien, denn die Erbitterung der Japaner über die von Pellew
erlittene Schmach war keineswegs beschwichtigt. So weigerte sich
denn Doeff nach kurzem Bedenken mit grosser Geistesgegenwart,
die Factorei auszuliefern, und eröffnete Wardenaar, dass die Japaner
^^) Seit der Anwesenheit des Phaeton mussten alle Schiflfe bei den "Noorder
Cavallos« (Iwosima) genannten Inseln ausserhalb der Bucht von Nanoasaki zu Anker
gehen; von dort wurden die Schiffspapiere und Einige von der Mannschaft als Geissein
abgeholt. Die japanischen Beamten stiegen an Bord, wenn Alles in Ordnung be-
funden wurde, und ei-theilten die Erlaubniss zum Lichten der Anker. Am Eingange
der Bucht, unter dem Papenberge, musste noch einmal geankert werden.
2gg Uebereinkommen zwischen Doeff und Wardenaar.
ohne Zweifel die Schiffe zerstören und für das Auftreten des Phaeton
blutige Rache an den Engländern nehmen würden, wenn er sie als
solche verriethe. Alle Bitten und die bestechendsten Versprechungen
blieben ohne Erfolg ; der zähe Holländer war unbeugsam und zwang
die engUschen Commissare, um zugleich den Vortheil seiner in jenem
AugenbUck freihch in Wirklichkeit nicht bestehenden Regierung
wahrzunehmen und alles Blutvergiessen zu vermeiden, zu einer
schriftlichen Uebereinkunft, der zufolge ihm die Ladung der beiden
Schiffe ausgeliefert und von ihm an die Japaner verkauft, von der
gelösten Summe aber zunächst die Schulden der Factorei an die
Geldkammer und die Kosten derselben fiir die verflossenen Jahre
gedeckt werden sollten. Für den Ueberschuss versprach Doeff, den
Commissaren eine Quantität Stabkupfer zu verschaffen, und stipulirte,
dass der Ertrag des ihm daran zukommenden Antheils an seine Be-
vollmächtigten in Batavia ausgezahlt werden sollte *"•). Er ver-
wahrte sich in diesem Schriftstück ausdrückUch gegen Anerkennung
der englischen Obrigkeit in Batavia, bUeb als Handelsvorsteher
auf Desima, und fuhr fort, dort die holländische Flagge zu hissen.
Dieses Uebereinkommen wurde bis auf die Zahlimg der von Doeff
stipulirten Summen in allen Stücken ausgeführt; es gelang mit Hülfe
einiger in das Geheinmiss gezogenen Dolmetscher, die japanischen
Behörden zu täuschen. Um sich aber für die Zukunft vorzusehen,
da ja die fernere Gestaltung der poUtischen Verhältnisse namentUch
für Doeff in tiefes Dunkel gehüllt war, so sandte er seinen Assistenten
Blomhoff auf das Ehrenwort der Engländer als Bevollmächtigten
mit nach Batavia, um sich dort über die Lage der Dinge genau zu
imterrichten und mit Sir Stamford Raffles die Art zu verabreden,
wie mit beiderseitigem Nutzen, aber ohne die holländische Flagge
zu streichen, der Han^lel zwischen Batavia und Japan weiter betrie-
ben werden könnte, bis die poUtischen Verhältnisse sich geklärt
hätten. - Wardenaar und alle engUschen Beamten mussten sich
also unverrichteter Sache einschiffen, während auf Desima die frühere
GeseUschaft, mit Ausnahme Blomhoff's, zurückbUeb. Die von den
Engländern mitgebrachten sehr werthvollen Geschenke überreichte
Doeff dem Siogün im Namen der holländischen Regierung.
Im August 1814 meldeten die Wachen abermals ein euro-
päisches Schiff, das bei dem stürmischen Wetter wohl mit Absicht
^^) Ein jährliches Emolument, das an die Stelle des Antheils getreten war,
welchen die Factoreivorsteher früher am Kambang - Handel gehabt hatten.
Zweiter Versuch der Engländer. BlomhoflTs Rückkehr nach Desima. -1^7
des Befehlshabers zur Nachtzeit in die Bucht einlief, so dass die
nur Blomhoff bekannten geheimen Signale nicht beobachtet werden
konnten. Dieser war nicht an Bord, und es erwies sich, dass Sir
Stamford Raffles abermals den zum Nachfolger DoeflTs ernannten
Cassa mit denselben Forderungen wie im vorbeigehenden Sommer
nach Nanoasaki sandte *•'). Doeff aber, der über seinen Bevoll-
mächtigten BlomhoiF keine genügende Auskunft erhielt, weigerte
sich abermals die Factorei auszuUefem; Cassa musste sich zu einem
ähnUchen Abkommen wie das erste Mal bequemen, und segelte
wieder unverrichteter Sache heim. Vor der japanischen Obrigkeit
blieb die Lage der Dinge auch dieses Mal geheim, doch hielt es
schwer, triftige Gründe namentUch dafür anzugeben, dass Doeff
noch immer nicht abgelöst wurde. Nur seine grosse Kenntniss der
Verhältnisse und das in nunmehr sechszehnjährigem Verkehr er-
worbene Vertrauen der japanischen Regierung machten es ihm
mögUch, den Betrug durchzuführen.
Die Holländer blieben nun wieder drei Jahre olme Nachricht
aus der Heimath. Endlich im Sommer 1817 kam Blomhoff, welchen
Sir Stamford RafQes vergebens durch glänzende Anerbietungen auf
seine Seite zu bringen gesucht und dann trotz dem Ehrenworte der
Commissare als Kriegsgefangenen nach England geschickt hatte, mit
dem ersten holländischen Schiffe wieder nach Nangasaki, um den
nun seit neunzehn Jahren auf Desima eingeschlossenen Doeff als
Handelsvorsteher abzulösen. Desima ist der einzige Fleck der Erde,
wo die holländische Flagge während der Einverleibung der Nieder-
lande in das französische Reich ununterbrochen geweht hat.
So scheiterten die Bemühungen der Engländer, die Nieder-
länder aus ihrer Stellung in Japan zu verdrängen '^^). Sie machten
im Jahre 1818 noch einen Versuch, den Verkehr anzuknüpfen, wahr-
scheinlich wieder auf Veranlassung von Sir Stamford RaiSles, der
seinen Landsleuten den japanischen Handel, wie er sich ausdrückt,
»um jeden Preis« zu verschaffen wünschte. Lm genannten Jahre
erschien im Golfe von Yeddo ein kleines enghsches Schiff, das
^^ Sir Stamford RaiSes redete Doeff diesmal in seinem Schi'eiben als »Mit-
vorsteher« an und meldete die Zahlimg des contractlich ihm zugesicherten Antheiles
an dessen Bevollmächtigte in Batavia. Doeff behauptet, weder diese, noch die 1814
stipulirte Antheilsumme empfangen zu haben.
170^ Die Darstellung dieser Begebenheiten ist aus den Berichten der Holländer
geschöpft, welche gegen England zu jener Zeit äusserst erbittert waren.
168 Stelluiig der Holländer.
sofort von einer zahlreichen Bootsflotte umringt, und von seinem
Geschütz und Steuerruder befreit wurde. Man behandelte die Eng-
länder freundlich, und fragte, ob sie jetzt Freunde der Hollander
seien imd ob das Scliiff der East-India- Company gehöre, schlug
aber ihre Gesuche um Anknüpfung des Verkehrs rund ab.
Es ist den Holländern ein Vorwurf daraus gemacht worden,
dass sie ihren Einfluss auf die Landesregierung benutzt haben, um
alle anderen Nationen vom Verkehr mit Japan fem zu halten. Wenn
dies in früheren Zeiten geschah, so ist es kaum verwunderlich,
denn ihre Stellung war eine rein conmiercielle, keine politische.
Von Jahr zu Jahr wurde es schwerer, den Handel mit Vortheil zu
betreiben; wie sollten sie unter diesen Verhältnissen die Concurrenz
nicht abzuwehren suchen ! Man hat aber auch ihren Einfluss auf
die japanische Regierung überschätzt: noch zur Zeit des Titsingh
und Doeflf stand das politische System des Jyeyas in voller Kraft
und sie sprechen es deutUch aus , dass die Japaner sich nicht leicht
von einer Regierungsform trennen würden, welche das Reich 200
Jahre in Frieden erhalten imd zu nie gekannter Blüthe erhoben
hatte, und welche die Aussclüiessung der Fremden forderte, dass
Japan keiner Einfiilir von aussen bedürfe, und den Verkehr mit
den Holländern nicht des Gewinnes halber dulde, der für ein so
grosses Land ganz ohne Belang, wenn überhaupt vorhanden sei.
Ihre eifrige Verwendung für andere Nationen hätte ihnen bei dem
argwöhnischen Charakter der Japaner leicht den eigenen Handel
kosten können, welcher schon auf den allergeringsten Umfang redu-
cirt war, denn sie erhielten kaum für ein Schiff genügende Rück-
fracht. Dass sie unter diesen Umständen auf alle fremden Eindring-
linge eifersüchtig, und dass ihnen die Engländer besonders verhasst
waren, welche sie überall verdrängt und ihren Handel in Ostindien
zu Grunde gerichtet hatten, ist nicht befremdend. Als später unter
den veränderten Verhältnissen des Welthandels die niederländische
Regierung die japanische zur Erö&ung des Landes zu bewegen
suchte, bheben ihre Bemühungen ohne allen Erfolg. Japan wäre
vielleicht noch heute den Fremden verschlossen, wenn man den
Verkehr nicht ertrotzt hätte.
Der Handelsvorsteher Blomhoff sowohl als seine Nachfolger
in späteren Jahren wurden bei ihren Hofreisen in Yeddo jedes-
mal bis in das Kleinste über die Gestaltung der Verhältnisse in
der westlichen Welt ausgefragt. Das immer häufigere Erscheinen
Behandlung schiffbrüchiger Ausländer. J^v)J
europäischer und amerikanischer Fahrzeuge in den früher so einsamen
japanischen Grewässem musste die Aufmerksamkeit der Regierung
erwecken. Hunderte amerikanischer Walltischfänger trieben sich in
jenen Meeren heinim, und immer öfter wurden SchiflFbrüchige an
die Küste geworfen. Um die Absperrung aufrecht zu erhalten hatte
die Regierung angeordnet, dass alle Schiffbrüchigen von den Be-
hörden festgenommen und unter Bedeckung nach Nanoasaki ge-
schickt werden soUten, wo man ihnen bis zur AusUeferung ge-
wöhnlich eingezäunte Tempelgründe zum Wohnorte anwies. Sie
wurden mit Kleidung, Nahrung, Arzneien und allen anderen Bedürf-
nissen reichlich versehen, aber freihch am freien Verkehr mit der
Bevölkerung verhindert. Wo Schiffbrüchige schlecht behandelt
worden sind scheinen sie es selbst verschuldet zu haben; die Ja-
paner sind eine gesittete Nation, in deren Wesen es nicht hegt,
ohne Veranlassung Unglückliche zu kränken. Wenn rohe Matrosen
aus Erbitterung über die von dem Gesetze vorgeschriebene Be-
schränkung brutal und gewaltsam gegen die japanischen Beamten auf-
traten, so bUeb diesen wohl nichts übrig, als Zwang zu gebrauchen
imd sie gefangen zu setzen'^'). Die Gefängnisse in Japan bestehen
aber in mehr oder minder geräumigen vergitterten Zellen, unter
denen man die kleineren wohl Käfige nennen kann, und es mag
vorgekommen sein , dass unbändige Matrosen , deren man nicht
Meister werden konnte, in solchen eingesperrt und auch wohl
transportirt worden sind. Dass sie zuweilen die ärgsten Excesse
begangen haben ist unzweifelhaft; entweihten doch z. B. die in
den Tempeln eingeschlossenen amerikanischen Matrosen dort die
^^^) Der Handelsvorsteher Le^^yssohn, der von 1845 bis 1850 in Desima und bei
allen Verhören der schiffbrüchigen Amerikaner und Engländer während dieser Zeit
gegenwärtig war, sagt darüber Folgendes: »Während meines Aufenthaltes in Japan,
wurden mir 550 Schiffbrüchige von der japanischen Regierung übergeben , und durch
mich ausgeliefert. Sie waren alle von der japanischen Regierung mit Lebensmitteln,
Kleidung und selbst mit ärztlicher Hülfe versehen, und nur solche, die sich wider-
spänstig zeigten, mit Gefängniss bestraft worden. Die übrigen wurden in Tempeln,
gleich den Niederländern auf Desiva eingeschlossen, die Tempelhöfe umpf^hlt, um
den Zulauf von Neugierigen abzuhalten und Ruhestörungen zu vermeiden. Ich kann
nicht glauben, und mir ist so etwas nicht bekannt geworden, dass japanische
Matrosen noch in Japan gefangen gehalten, noch weniger, dass solche in Käfigen
im Lande hemmgefilhrt werden.- S. Levyssohn: Bladen over Japan. Haag 1852. —
V. Siebold : Urkundliche Darstellimg der Bestrebungen von Niederlaud und Russland
zm* Eröffnung Japans. Bonn 1854.
170 Behandlung schiff biüchiger Japaner.
Altäre und Götzen auf die schmutzigste und ekelhafteste Weise, so
dass die Sicherheitsbehörde sie kaiun vor der Volkswuth schützen
konnte. — Wer die Virtuosität des Schiffsvolkes im Erfinden auf-
regender Mährchen kennt, wird wissen, was er von den Erzäh-
lungen der über ihre EinschUessxmg erbitterten Seeleute zu hal-
ten haf ').
Es war vorgeschrieben, dass alle Schiffbrüchigen an die
Niederländer auf Desima behufs der Einschiffung nach Java ausge-
liefert werden sollten"'); die japanische Regierung bezahlte ihre
Ueberfahrt und die Verpflegung an Bord. Der Zweck dieser Ver-
ordnung w^ar die Femhaltung fremder SchiflFe, wie denn auch das
alte Gesetz, dass japanische Schiffbrüchige nur durch die Holländer
in ihre Heimath zurückgeführt werden sollten, noch immer streng
beobachtet wurde. Eigentlich durften überhaupt nur solche nach
Japan zurückkehren, die nicht über ein Jahr im Auslande gelebt
hatten, und auch diese wurden eine Zeit lang in einem von ihrem
Wohnort entfernten Landestheile mtemirt und von den Behörden
beobachtet, ehe man sie den Ihrigen wiedergab. Von einer Voll-
ziehung der Todesstrafe an zurückgekehrten Schiffbrüchigen ist
unseres Wissens niemals etwas bekannt geworden, wohl aber sollen
manche, die lange im Auslande gewesen und mit den Sitten und
Gebräuchen fremder Völker vertraut geworden waren , ihr Leben in
der Einsamkeit, in gelindem Gefängnisse haben beschliessen müssen.
Auch nicht den Keim einer fremden Anschauung wollte man dulden.
Die japanische Regierung hatte bei Laxmann's Anwesenheit den
Grundsatz aufgestellt, dass ihre schiffbrüchigen Unterthanen dem
Reiche angehörten , an dessen Küsten sie ihr Leben gerettet hätten,
und sah lieber, wenn sie fem blieben; trotzdem wurden solche ün-
glüctdiche in der Folge noch wiederholt auf fremden Schiffen mit
Gewalt nach Japan geschleppt, um zum Vorwande der Verkehrs-
^^^ Ein Hauptgegenstand der Unzufriedenheit mag die Verpflegung gewesen sein.
Die Japaner sind in ihren Gewohnheiten sehr massig, essen selten Fleisch und auch
dann nur Geflügel. Die üppigste japanische Mahlzeit würde den an ki'äflige Kost
gewöhnten europäischen Matrosen nicht sättigen. Zudem ist es verboten den Ge-
fangenen — und als solche wurden die Schifi'brüchigen angesehen — berauschende
Getränke zu reichen. Ein Matrose, der Wochen lang kein Fleisch und kdnen
Branntwein erhalten hat, wird die Dinge eben nicht im rosigen Lichte sehen.
^^') So gewissenhaft waren die Behörden in Auslieferung aller Schiffbrücliigen,
dass sie einst die Leiche eines auf dem Transport nach Nanoasaki verunglückten
Matrosen eingesalzen in einer Tonne nach Desima ablieferten.
Der Morrison. Der Manhattan. 1 • 1
Anknüpfung zu dienen. So kam 1837 der Morrison, ein von einem
amerikanischen Handelshause in China ausgerüstetes Kauffahrthei-
schiff, mit einigen schiffbrüchigen Japanern an Bord nach der Bai
von Yeddo und ankerte vor Uraga*'*). Der Befehlshaber hatte
seine Kanonen in Macao gelassen, um sie nicht ausliefern zu müssen,
die Japaner aber machten, da sie es mit einem Kauffahrer zu thun
hatten, wenig Umstände: sie weigerten sich die Schiffbrüchigen
aufzunehmen, welche nur durch die Holländer zurückgeführt werden
dürften, und vertrieben das Schiff mit Kanonenkugeln. Aehnhch
war die Begrüssimg, als der Morrison an der Küste von Knisiu vor
Anker gehen wollte. — Höflicher wurde im Jahre 1845 der ameri-
kanische WaUfischfänger Manhattan behandelt, der zweiundzwanzig
Japaner theils von einer wüsten Insel, theils aus einer beschädigten
Dschunke gerettet hatte. Der Befehlshaber liess zwei von ihnen
an der nächsten Küste von Nippon landen, imi die Nachricht von
ihrer Rettung und ein Gesuch um Wasser und frische Lebensmittel
nach der Hauptstadt zu bringen, und segelte dann nach Uraoa.
Die Japaner liessen das Schiff ohne Umstände ankern imd behan-
delten nach AbUeferung der Geschütze die Mannschaft mit grosser
Freundlichkeit; die Aufnahme der Schiffhrüchigen erfolgte ohne
Weigerung, da sie nicht in fremdem Lande gewesen waren, und
die Behörden dankten für deren Rettung und gute Verpflegung.
Der Capitän, dem es \mi keinen ferneren Verkehr zu thun war,
erhielt unentgeltlich Wasser, Holz und Lebensmittel in Menge. Bei
der Abfahrt übergab man ihm eine holländisch abgefasste Empfangs-
bescheinigung über die Geretteten, mit dem Zusatz, dass er
künftig die japanischen Küsten nicht mehr anlaufen, sondern alle
diesem Lande angehörigen Schiffbrüchigen nach einem holländischen
Hafen bringen möge. Viele Japaner besuchten das Schiff, doch
durfte von den Amerikanern Niemand das Land betreten.
Es wurde indessen dem Bewusstsein der handeltreibenden
Völker immer klarer, dass die. Stellung Japans nicht länger so
bleiben könne. Die zunehmende Bevölkerung und der wachsende
Wohlstand, die Fortschritte der Humanität und Bildung in der
civilisirten Welt entwickelten das Bedürfniss nach Kraftäusserung
und Ausbreitung im Räume immer lebhafter, der allgemeine Verkehr
und der freie Austausch der Erzeugnisse wurden zur Nothwendigkeit.
^"^^ An Bord des Morrison befanden sich die protestantischen Missionare Gutzlaff
und Parker.
172 Das Schreibeu König Willeiii*s II.
Der Handel verband alle Länder der Welt, die Abschliessung Japans
und die Stellung der Holländer daselbst war eine Anomalie, ein
Anachronismus geworden. In diesem Gefühl richtete König Willem H
von Holland ein Schreiben an den Siogun, welches bezweckte, nicht
zunächst eine vortheilhaftere Stellung für die Niederländer zu er-
ringen, sondern die japanische Regierung mit den in der Welt vor-
gehenden Veränderungen vertraut und auf das Gefahrliche und
Unhaltbare ihrer Stellung auünerksam zu machen. £s heisst darin
unter Anderen: »Wir haben dem Laufe der Zeiten eiae ernste Auf-
merksamkeit gewidmet: der Verkehr der Völker auf Erden nimmt
mit raschen Schritten zu, eine unwiderstehliche Kraft zieht dieselben
gegenseitig an. Durch die Erfindimg von Dampfschiffen werden die
Entfernungen inuner geringer; das Volk, das bei dieser allgemeinen
Annäherung sich ausschhessen will, wird mit vielen in Feindschaft
gerathen. Es ist uns bekannt, dass die Gesetze, welche die durch-
lauchtigen Vorfahren Ew. Majestät gegeben , den Verkehr mit fremden
Völkern eng beschränken. Doch der Weise sagt: »wenn die Weis-
heit auf dem Throne sitzt, dann thut sie sich hervor durch Erhal-
tung des Friedens.« Wenn alte Gesetze durch strenge Handliabung
Anlass zu Friedensstörung geben, dann gebietet es die Vernunft,
dieselben zu mildem. Dies, Grossmächtiger Kaiser, ist denn auch
unser freundschaftlicher Rath: mildert die Strenge des Gesetzes gegen
den Verkehr mit Fremden, damit das glückliche Japan nicht durch
Kriege verwüstet werde. Wir geben Ew. Majestät diesen Rath in
der besten Absicht, ganz frei von eigenem Staatsinteresse. Wir
hoffen, dass die Weisheit der japanischen Regierung zur Einsicht
gelangt, dass der Frieden nur durch freundschaftUche Beziehungen
erhalten werden kann, und diese nur allein durch den Handels-
verkehr entstehen können.« — Dann folgt eine treffende Schilderung
von der Entwickelung des Welthandels und von der Lage der Dinge
in China, »dessen mächtiger Kaiser nach langem fruchtlosen Wider-
stände endlich der Uebennacht der europäischen Kriegskunst nach-
geben und in dem darauf erfolgten Friedensvertrage Bedingungen
eingehen musste, durch welche die alte cliinesische PoUtik eine
bedeutende Abänderung erhtt, und vermöge deren fünf Seehäfen
von China für den Handel der Europäer eröflSiet wurden«*'*). —
Die ernste eindringliche Sprache dieses Sclireibens, welches die
^^^) Mitgetheilt von Sicbold: Urkundliche Darstellung u. s. w., wo noch andere
Stellen aus dem königlichen Schreiben abgedruckt sind.
Schwache Versuche der westlichen Völker. 1 • «>
holländische Fregatte Palembang im Sommer 1844 nach Nangasaki
brachte, scheint das Vertrauen der japanischen Regierung erweckt
zu haben: »Die Schriftzüge des Königs«, heisst es in der Antwort
des SiOGUN, »enthalten treue und aufrichtige IVIittheilungen, Worte
tiefen Ernstes und eines Wohlwollens ohne Gleichen. Der Oberherr
von NiPPON ist innig ergriffen durch die Beweggründe einer solchen
Sprache. Doch was tief in seinem Herzen geschrieben steht, das
wagt er selbst nicht an den Tag zu legen.«
Die niederländische Regierung üess es leider bei diesem einen
Versuch bewenden und that seit 1844 keine weiteren Schritte, um
den SioGUN für Freigebung des Verkehrs zu stimmen. Die Holländer
waren unter allen Nationen die einzigen, welche hinreichende Kennt-
niss imd Verständniss der japanischen Zustände hatten, um die
Eröffiiung des Landes auf haltbaren Grrundlagen anzubahnen, wenn
das überhaupt mögUch war; denn ob die Regierung des Siogun sich
jemals ohne Zwang zu Concessionen entschlossen hätte oder ent-
schUessen gekonnt hätte, ist sehr fraghch. Das gleichzeitige Auf-
treten der übrigen Nationen war nur geeignet, den Argwohn der
Japaner zu wecken. Im Jahre 1844 hatte die französische Fregatte
Alcmene den Missionar Pater Fourcade und bald nachher die
Engländer den Prediger Bettelheim auf Grross-LiüKiu ausgesetzt;
man drängte also einem Lande unter japanischer Botmässigkeit
christhche Priester auf, deren Zulassung die Gesetze bei Todesstrafe
untersagten. 1846 erschienen vor Uraga zwei amerikanische Kriegs-
schiffe unter Befehl des Commodor Biddle, welcher den Auftrag
hatte, Unterhandlungeb mit der japanischen Regierung anzuknüpfen,
und mit einem Briefe des Präsidenten an den Siogun versehen
war. Man hess Niemand von den Schiffen landen, nahm aber das
Schreiben in Empfang, das in Kurzem dahin beantwortet \vurde, es
könne kein Handel mit fremden Völkern ausser den Niederländern
gestattet werden. Die Schiffe segelten nach zehntägigem Aufenthalt
unverrichteter Sache ab. Auf ähnliche Weise wurde in demselben
Jahre die dänische Fregatte Gralathea abgefertigt. Auch ein franzö-
sisches Geschwader erschien 1846 vor der Bucht von Nangasaki : der
Befehlshaber übergab eine Klageschrift we^en vorgeblich schlechter
Behandlung eines französischen Scliiffes, stach aber schon nach
zwei Tagen ^vieder in See, nachdem er Wasser und Ijebensmittel
erhalten hatte. Die japanische Antwort ist nicht bekannt geworden. —
Drei Jahre darauf, 1849, lief das amerikanische Kriegsschiff Preble
174 Glynn vor Namoasaki. Commodor Pcny.
unter Commander Glynn in den Hafen von Nanoasaki ein, durch-
brach, mit frischem Winde segehid, die Reihen der Boote, die es
aufhalten sollten, und kam an einer günstigen Stelle zu Anker.
Glynn verlangte die Auslieferung fünfzehn schiffbruchiger Ameri-
kaner, die angebUch mit Gewalt zurückgehalten wurden. Wenn
diese Forderung nicht sogleich erfüllt wurde, so lag der Grund
wohl theils in dem trotzigen Auftreten des Amerikaners, theils in
der kaiserUchen Verordnung, dass alle schiffbrüchigen Fremden
den Holländern übergeben werden sollten. Die Auslieferung erfolgt«
nach acht Tagen gegen eine Bescheinigung des Commandanten,
dass ihm seine Landsleute von den Niederlandern zugeführt worden
seien. Die Amerikaner erzählen, dass viele Geschütze auf ihr Deck
gerichtet und grosse Truppenmassen am Lande versammelt gewesen
seien; sie rühmen sich nichtsdestoweniger, ihr Object durch Drohungen
ertrotzt zu haben, während nach den Berichten des Handelsvor-
stehers von Desima der japanische Statthalter seine Würde in allen
Stücken gewahrt, und nicht den Drohungen des Commandanten, son-
dern der vermittelnden Dazwischenkunft der holländischen Beamten
nachgegeben hätte.
Alle diese Begegnungen und das kriegerische Auftreten der
Engländer in China konnten bei den Japanern keine günstige Stim-
mung für die Fremden erwecken; es waren feindselige Demonstrationen
gegen das Gesetz und den Brauch des Landes, welche die Regierung
beleidigten und von künftigen Zugeständnissen wenig Gutes erwarten
Hessen. Zugleich hatten die bisherigen Versuche der westhchen
Völker die Meinung der Japaner von ihrer Mächt bedeutend herab-
gestimmt.. Die geringe Stärke mit der sie auftraten, ihre halb
drohenden, halb ohnmächtigen Maassregeln, ihr Mangel an Festig-
keit und Ausdauer den abschlägigen Antworten gegenüber erfüllten
die japanische Regierung mit Geringschätzung und Unwillen, Erst
beim Erscheinen des von den Niederländern seit lange angekün-
digten Geschwaders unter Commodor Perry änderten sich diese
Anschauungen.
Commodor Perry ging am 8. JuU 1853 mit einem Theile
seines Geschwaders vor Uraoa zu Anker. Er hatte einen Brief des
Präsidenten der Vereinigten Staaten an den Sioqun bei sich, welchen
kaiserUche Bevollmächtigte, nachdem der Commodor die Zumuthung,
ihn in Nangasaki abzugeben, als eine Beleidigung far seine Nation
zurückgewiesen hatte, am Lande feierlich in Empfang nahmen. Das
Admiral Putiatine in Nanoasaki.
175
imposante Geschwader, die nie gesehenen , Dampfschiffe und vor
Allem das entschlossene Auftreten Perry's, der seinen Zweck am
besten durch eine drohende Haltung zu erreichen glaubte, machten
grossen Eindruck auf die Japaner; sie liessen sich einschüchtern
und glaubten jetzt an die Möglichkeit des Krieges. Der Aufenthalt
der Amerikaner dauerte dieses Mal nur fünf Tage: der Commodor
kündigte den Japanern an, dass er im kommenden Frühjahr mit
seinem ganzen Geschwader wiederkommen würde, um sich die
Antwort des Siogun zu holen, und ging dann wieder in See.
Kurz nach dem Eintreffen Perry's bei Uraga erschien vor
Naitgäsaki ein russisches Geschwader unter Admiral Putiatine, der
einen Brief des kaiserlichen Staatskanzlers an den japanischen
Reichsrath überbrachte. Die Behörden nahmen das ^Schreiben in
Empfang, sobald sie Erlaubniss dazu aus Yeddo erhielten. D^
freundschaftliche Auftreten des russischen Bevollmächtigten, welcher
den Reichsgesetzen gemäss nach Nakgasaki kam, stach eben so
günstig gegen die drohende Haltung Perry's ab, als die würdige
Sprache des russischen Schreibens gegen die gesuchte Formlosig-
keit des amerikanischen. Die Regierung beeilte sich mit Putiatine
in Unterhandlung zu treten und erklärte, dass es ihre bestimmte
Absicht sei, den Fremden die japanischen Häfen zu öffnen, sobald
die dazu nothwendigen Vorkehrungen getroffen wären; übrigens
ständen auch jetzt schon alle Häfen des Reiches solchen Schiffen
offen, die Ausbesserungen vornehmen wollten oder Holz und Wasser
brauchten; um aber jede Verwickelung zu vermeiden, sei es der
Schiffsmannschaft nicht gestattet an das Land zu kommen. Diese
Zugeständnisse seien übrigens den Fremden schon seit lange gemacht,
aber nicht zur allgemeinen Kenntniss gelangt. Was den Handel
angehe, so müssten nach einer Jahrhunderte langen Absperrung
des Reiches nothwendig einige vorbereitende Maassregeln getroffen
werden, und es sei wohl ein Jahr erforderlich, bis man einen
Handelstraktat in Wirkung bringen könne. — Ob die Antwort so
günstig ausgefallen wäre, wenn nicht im kommenden Frühling Perry's
Besuch in Aussicht gestanden hätte, ist zweifelhaft. Die Klugheit
gebot dem friedlichen Auftreten der Russen das zu gewähren, was
man dem Drohen der Amerikaner zugestehen zu müssen erwartete,
um — so meinte man — einen Krieg zu vermeiden. Die Regierung
wahrte dadurch ihre Ehre und hatte wenigstens den Schein, aus
eigenem Antriebe zu handeln.
1 • t) Der Veitrag von Kanada va.
Im Februar 1854 erscliien Commodor Perry wieder an der
japanischen Küste, nachdem die Regierung sich vergebens bemülit
hatte, ihn durch die Benachrichtigung von dem inzwischen erfolg-
ten Tode des Siogun und der daraus hergeleiteten Unmöglichkeit,
jetzt zu verhandeln, zur Aufschiebung seines Besuches zu vermögen.
Sein Geschwader bestand aus drei Dampf fregatten, vier Corvetten
und zwei Transportschiffen. Der Commodor trat dieses Mal noch
drohender auf, als bei seiner ersten Anwesenheit: er Uef trotz allen
Gegenvorstellungen der Japaner in den inneren Golf von Yeddo
ein, und setzte es durch, dass die Unterhandlungen in grösster
Nähe , und so zu sagen Angesichts der Hauptstadt gepflogen wurden :
die Zusammenkünfte fanden in Kanagava, etwa vier Meilen von
Yeddo, statt Im Laufe der Verhandlungen gestaltete sich der per-
sönliche Verkehr inmier freimdUcher; aber in ihren Zugeständ-
nissen blieben die japanischen Bevollmächtigten bis zum letzten
Augenblick hartnäckig und zähe. Perry erlangte nur die Eröffnung
der Häfen Simoda (am äusseren Golf von Yeddo) und Hakodade
(auf Yeso) für amerikanische Schiffe, die dort Holz, Kohlen, Wasser
imd Lebensmittel einnehmen woUten; Hülfe und freundliche Be-
handlung für amerikanische Schiffbrüchige, und ihre AusUeferung
nach Simoda oder Hakodade; freien Verkehr in einem gewissen
Umkreise für die in diesen beiden Hafenplätzen sich vorübergehend
aufhaltenden Amerikaner; einen beschränkten Austausch von Handels-
artikeln unter Aufsicht der japanischen Behörden, und das Recht,
einen Consul für Simoda mit der Jurisdiction über die amerikani-
schen Unterthanen in Japan zu ernennen , — endlich das wichtige Ver-
sprechen der Gewährung aller Vortheile , welche jemals einer anderen
Nation zugestanden werden sollten. Dieser Freundschaftsvertrag,
welcher den Amerikanern nicht das Recht gab, bleibend in Japan
zu wohnen, und der fiir den Handel gar keine Bedeutung hatte,
wurde am 31. März 1854 zu Kanagava unterzeichnet und die Ra-
tificationen am 21. Februar 1855 zu Simoda ausgewecTiselt.
So unwichtig der Perry' sehe Vertrag durch seine Resultate,
so bedeutsam war die Thatsache, dass Japan überhaupt den Ver-
kehr einer fremden Nation zuUess. Die Schranken mussten nun
auch für die anderen Völker fallen. Noch im September 1854 kam
ein britisches Geschwader unter Admiral Sir James Stirling nach
der Bai von Nanoasaki. Die Engländer mussten mehrere Wochen
lang auf die Ankunft der Bevollmächtigten aus Yeddo warten.
Der englische, der russische und der holländische Vertrag. 177
brachten dann aber in wenig Tagen einen Freundschaftsvertrag zu
Stande, dessen Inhalt dem des amerikanischen ganz ähnUch war.
Einige Monate darauf schlössen auch die Russen in Simoda einen
Vertrag, der ausser den Artikehi der amerikanischen uni enghschen
Tractate noch wichtige Grenzbestimmungen enthielt: Urup und die
nördUchen Kurilen kamen dadurch definitiv unter russische Herrschaft.
Die Häfen Nangasaki, Hakodade und Simoda sollten den russischen
Schiffen offen stehen , im Falle der Noth auch alle übrigen. — Damals
während des Krimkrieges stellte sich die Wichtigkeit der japanischen
Häfen sowohl für die englischen als für die russischen Schiffe sehr
deutUch heraus. — In den genannten Hafenplätzen wurden nun auch
Friedhofe für die Fremden angewiesen. Den Artikel der meistbegün-
stigten Nation enthielt auch der russische Vertrag , ebenso der fran-
zösische, welchen bald nachher Baron Gros abscliloss.
Alle diese waren nur Freundschafts- und Schiffahrts-
verträge; die Holländer bUeben immer noch — mit den Chinesen •—
im alleinigen beschränkten Besitze des ausländischen Handels. In
dem A^itwortschreiben , welches Sir James Stirüng aus Yeddo er-
hielt, heisst es ausdrücklich, man werde ihm alle den anderen
Nationen gewährten Begünstigungen zugestehen, mit Ausnahme der
besonderen Handelsvortheile , welche die Holländer und die Chinesen
genössen. Die niederländische Regierung erlangte nun auch durch
ihren Bevollmächtigten Herrn Donker Curtius die Aufhebung der
lästigen Beschränkungen, welchen die Bewohner von Desima unter-
worfen waren: in dem Vertrage vom 5. November 1855 wurde aus-
drückhch bestimmt, dass sie von nun an volle persönliche Freiheit
und das Recht haben sollten, die Insel nach Beheben zu verlassen
und sich in Nangasaki und seinem Gebiete frei zu bewegen. Auch
in allen übrigen Puncten wurden sie den anderen Nationen gleich-
gestellt, und erliielten wie jene die Erlaubniss nach Simoda und
Hakodade zu kommen. — Herr Donker Curtius bUeb als nieder-
ländischer Commissar inNANOASAKi, um bei der ferneren Entwicke-
lung der Verkehrsverhältnisse das Interesse seiner Regierung wahr-
zunehmen. Er schloss am 30. Januar 1856 einen neuen Vertrag ab,
durch welchen weitere Vortheile erreicht wurden, unter anderen
die Zulassung der Frauen und Kinder der Niederländer in den
geöffneten Häfen, die freie Ausübung des Gottesdienstes, und die
PZrlaubniss, ihre Waaren ohne Dazwischenkunft der Behörden an
die japanischen Kauileute zu veräüssern, japanische Erzeugnisse
l. 12
178 Die 40 Additional- Artikel.
einzukaufen und zu verschiffen. Die Regierung des Siogun gab ihr
Handelsmonopol auf und erlaubte sogar wieder die Ausfuhr von
Gold- und Silbennünzen.
Unter dem 16. October 1857 brachte Herr Donker Curtius
noch 40 Additional- Artikel zu Stande, welche die Art des Handels-
verkehrs, die Hafengelder, die Schlichtung der Streitigkeiten u. s. w.
feststellten. Die Ausfulir der Gold- und Silbermünzen wurde wieder
verboten; zur Bezahlung der Waaren sollten sich die Niederländer
einer Art Papiergeldes bedienen, das die Regierung gegen Erlegung
europäischer und amerikanischer Münzen ausstellte und nachher an
die Japaner mit baarem Gelde saldirte. Diese Einrichtung fulirte
zu vielen Uebelständen , da die Behörden — oder vielleicht gewinn-
süchtige Unterbeamte — sich ein bedeutendes Agio beim Wechseln
des fremden Geldes rechneten'^®). — In diesen Additional- Artikeln
verbot die japanische Regierung die Opium-Einfulir*"), und vindi-
cirte sich das Recht, die Ausfuhr von Lebensmitteln, Papier und
Wachs unter Umständen zeitweise zu verbieten. Der Verkehr aller
Fremden sollte von nun an ganz frei sein, sowold auf den Schiffen
als am Lande innerhalb der festgestellten Grenzen. — In einem von
der niederländischen Regierung mit diesen Artikeln zugleich ver-
öffentUchten Actenstücke erklärt die japanische Regierimg, dass es
auch anderen Völkern , die künftig mit ihr Verträge schUessen
würden, frei stehen solle, in Nangasaki und Hakodade — denn
nur auf diese bezogen sich die Zugeständnisse — nach den festge-
stellten Regeln Handel zu treiben"*).
Gleich nach Unterzeichnung der erwähnten Additional- Artikel,
am 24. October 1857, brachte auch der russische Admiral Putiatine
einen neuen Vertrag zum Abschluss, dessen Bestimmungen sich zu-
nächst auf Nangasaki und Hakodade bezogen: der Handel sollte
weder in Bezug auf die Zalil der Schiffe noch auf die Menge und
den Werth der Waaren irgend einer Beschränkung unterhegen:
^^^) Die vom ausländischen Handel lebenden Dolmetscher und Unterbeamten und
die Einwohner von Nanoasaki überhaupt waren von jeher verrufen und galten iur
den Auswurf des japanischen Volkes.
"') Das Opium - Rauchen soll in Japan bei Todesstrafe verboten sein. Den Fremden
sind Beispiele dieses Lasters unseres Wissens dort nicht bekaimt geworden. Wahrschein-
lich hat die Einfuhr des Opiums für die Chniesen dieses Verbot hervorgerufen.
*'*) Diese Erkläning wurde für die japanische Regienmg sehr folgenreicli. S. den
Reisebericht.
Erweiterung des Verkehrs. Ihtö amerikanische Consulat in Simoda. 179
wenn Mangel an Rückfrachten wäre, sollten die Einfuhr -Artikel
mit Gold- und Silbennünzen zu bestimmten Wechselcoursen bezahlt
werden; der Zoll auf russische Einfuhr- Artikel sollte in keinem Falle
über 35 Procent betragen, bei allen an die Zollämter selbst ver-
äusserten Waaren aber jede Steuer wegfallen. Zum Einkaufe japa-
nischer Erzeugnisse mussten sich die Russen ähnlichen Papiergeldes
bedienen wie die Holländer; diese ganze Einrichtung erwies sich
aber bald als unzweckmässig und wurde wieder abgeschafft
So wurden in kurzer Zeit viele lästige Fesseln abgestreift.
Die Regierung zeigte den besten Willen, und das japanische Volk,
von Natur gutmüthig, gastfreundUch und auf alles Ausländische
in hohem Grade begierig, nahm die Fremden mit oflFenen Armen auf.
Zur Berührung mit den Samrai, den Daimio's und ihrer Trabanten,
welchen die Formlosigkeit und das übermüthige Auftreten der
amerikanischen und europäischen Kaufleute anstössig ist, gab es in
Nanoasaki und IIakodade wenig Gelegenheit. Man wusste in jener
Zeit nichts von den blutigen Reibungen , welche nach der Eröffnung
von Kanagava so häufig wurden. —
Bald nach Ratification des Perry'schen Vertrages waren mehr-
fach amerikanische Kaufleute nach den geöffneten Häfen gekommen,
um sich dort niederzulassen und Handel zu treiben, woran die
japanischen Behörden, gestützt auf die ausdrückliche Bestimmung,
dass nur ein vorübergehender (temporary) Aufenthalt gestattet
sein solle, sie durchweg mit Consequenz verhinderten. Man Hess
Niemand landen, der sich nicht zuvor über die Dauer des beab-
sichtigten Aufenthaltes genau erklärte. Zudem gab der Vertrag den
japanischen Beamten so viel Einfluss auf die Transactionen des
Waarenaustausches, dass von keinem eigentlichen Handel die Rede
sein konnte, und da die nachher den Holländern gemachten Zu-
geständnisse sich nur auf Nangasaki und Hakodade bezogen, so
blieb der Hafen von Simoda, der überdies bald nach Perry's Abreise
durch ein furchtbares Erdbeben viel von seiner Sicherheit verloren
hatte, fast ganz unbesucht. Dem amerikanischen Consul Mr. Townsend
Harris , der in Folge des Perry'schen Vertrages im Sommer 1856 dort
eintraf, kam dieser Umstand sehr zu Statten; er trat zu den japa-
nischen Behörden in ein Verhältniss, das bei Anwesenheit der Kauf-
leute und den in Handelsgeschäften unvermeidlichen Misshelligkeiten
und Reibungen kaum so freundschaftlich hätte werden können. Er
blieb oft Monate lang ohne Nachrichten aus der Heimath und war
12*
180 Verhandlungen zu Yeddo.
ganz auf den Umgang der Japaner angewiesen, von denen er un-
ausgesetzt die rülirendsten Beweise des Wohlwollens und freund-
schaftlicher Zuneigung erhielt. Mr. Harris blickte in späteren
bewegten Zeiten noch immer mit Befriedigung auf seinen einsamen,
durch keinerlei Misshelligkeiten getrübten Aufenthalt in Simoda
zurück; er hat seine gute Meinung von der Aufrichtigkeit und
LoyaUtät der japanischen Regierung auch später unter den aller-
traurigsten Verhältnissen lange bewahrt, und dem oft übertriebenen
Argwohn der Vertreter anderer Mächte in versöhnender Weise das
Gleichgewicht gehalten. Er selbst sow'Ohl als sein Secretär und
Dolmetscher Herr Heusken, ein Holländer von Geburt, haben es
verstanden, sich in die japanischen Zustände einzuleben wie Wenige,
und durch geschickte Combinationen und Benutzung der Umstände
p]rfolge erreicht, die man sich zuvor nicht geträumt hatte.
Im Sommer 1857 erhielt Herr Harris ein eigenhändiges Schreiben
des Präsidenten der Vereinigten Staaten an den Siogün. Er zeigte
dies den Behörden von Simoda mit dem Bemerken an, dass er den
Brief nur dem Siogün selbst oder dessen Ministern einhändigen könne,
und dass er diesen mündlich wichtige Mittheilungen zu machen habe.
Die Hindemisse, welche man ihm in den Weg legte, scliiencn un-
überwindlich , aber Mr. Harris verweigerte standhaft die Ablieferung
des Schreibens, auch wenn besondere Bevollmächtigte von der
Hauptstadt zur Empfangnahme desselben nach Simoda kämen. Die
japanische Regierung gab endlich nach; der amerikanische Consul
ging mit Herrn Heusken zu Ende des Jahres 1857 nach Yeddo, w^o
bald nachher auch Herr Donker Curtius aus Nangasaki eintraf.
Ihren Bemühungen gelang es die Minister des Siogün zu überzeugen,
dass die Zeit zu ferneren Zugeständnissen und zur Eröffnung des
Landes für den Verkehr der westlichen Völker gekommen sei, dass
die Ehre und der Vortheil Japans die Abschliessung neuer Verträge
auf friedlichem Wege und ohne die drohenden Demonstrationen
anderer Nationen abzuwarten, dringend erfordere. Das gleichzeitige
Auftreten der Engländer und Franzosen , welche damals in den nord-
chinesischen Meeren bedeutende Streitkräfte zusammenzogen, gab
diesen Vorstellungen Nachdruck, und die japanische Regierung willigte
ein. Die Verhandlungen dauerten mehrere Monate und wurden,
nachdem alle Paragraphen von beiden Seiten angenommen waren,
im April 1858 geschlossen: aber die Unterzeichnung der Verträge
konnten die Bevollmächtigten nicht erlangen: der Siogün, hiess es,
Der zweite amerikanische Veitrag. 181
und seine Minister hätten den besten Willen , aber es lägen Umstände
vor, welche die Unterzeichnung für jetzt unmöglich machten; die
Bevollmächtigten könnten nicht wünschen eine Staatsiunwälzung,
einen Bürgerkrieg hervorzurufen, dessen Ausgang nicht abzusehen
wäre; man möge sie nicht drängen, sie hofften die Schwierigkeiten
noch vor dem Herbst zu überwinden. — Die Hindernisse zeigten
sich für den Augenblick unbesiegbar; so reisten denn die Herren
Harris und Donker Curtius, nachdem die Verträge fertig aufgesetzt
waren, doch unverrichteter Sa^che von der Hauptstadt wieder ab.
Mr. Harris war noch nicht lange in Simoda zurück, als dort
eine ameiikanische Fregatte mit der Nachricht von der Einnahme
der Taku - Forts und der Unterzeichnung des Friedens von Tientsin
eintraf, durch welchen die Westmächte das Recht der diplomatischen
Vertretung in Peking erlüelten. Er begab sich nun sofort mit dieser
Nachricht nach Kanagava; die Regierung sträubte sich nicht länger,
sondern vollzog, in der Ueberzeugung, dass die siegreichen Flotten
sich jetzt gegen Japan wenden würden, die Unterzeichnung des
während des Winters verhandelten Tractates. Sie wich auch dieses
Mal nur dem Drange der Ereignisse und fugte sich den Amerikanern
freundschaftlich, um bei der Ankunft der Engländer und Franzosen
nicht den Schein einer Niederlage zu haben. Am 10. August traf
Lord Elgin mit einem englischen Geschwader im Hafen von Simoda
ein. Alle Bemühungen des dortigen Gouverneurs, ihn von der
Weiterreise nach der Hauptstadt abzuhalten, blieben fruchtlos: die
Schiffe stachen schon am zwölften wieder in See und gingen, nach-
dem die Japaner sie noch bei Uraga vergebens aufzulialten gesucht
hatten, «n demselben Nachmittage auf der Rhede von Yeddo zu Anker.
Die Aufiiahme von Seiten der Behörden war selir zuvorkommend
und die Verhandlungen gingen durch die Hülfe des Herrn Heusken
rasch und ohne Anstoss von Statten, schon am 26. August wurde
der mit dem amerikanischen fast gleichlautende Vertrag unterzeichnet.
Er gab den Engländern das Recht, einen diplomatischen Vertreter
in Yeddo und Consuln in den zu eröffnenden Häfen anzustellen; ihr
Vertreter sollte die Befugniss haben, überall im Lande frei umher-
zureisen. Ausser den Häfen von Nangasaki , Hakodade und Kana-
gava*'*), welche vom 1. JuU 1859 an dem Verkehr zu eröffnen
waren, sollten die Häfen von Neagata am 1. Januar 1862 und
FioGo am 1. Januar 1863 freigegeben werden. Auch in Yeddo
^^') Simoda war als für den Handel unzweckmässig ganz aufgegeben worden.
182 Die neuen Verträge der Engländer, Russen, Franzosen , Holländer, Portugiesen.
sollten britische Unterthanen vom 1. Januar 1862 und in Osaka
vom gleichen Datum 1863 an des Handels wegen sich aufhalten
dürfen. An allen diesen Plätzen dürfen sie Grundstücke pachten
und Häuser darauf bauen oder kaufen ; die Grenzen , innerhalb deren
sich die Fremden von den Hafenstädten entfernen dürfen, werden
bedeutend erweitert, die öffentliche Religionsübung freigegeben.
Der Handelsverkehr zwischen britischen Unterthanen und Japanern
soll ganz frei sein und ohne Dazwischenkunft japanischer Behörden
stattfinden; alle nicht verbotenen Waaren dürfen gegen Erlegung
der festgesetzten Zölle ein- und ausgeführt werden. Fremdes
Geld soll in Japan Cours haben und Gewicht um Gewicht gegen
japanisches umgetauscht werden; für das erste Jahr übernimmt
die Regierung die Umwechselung der fremden Münzen. AUe japa-
nischen Münzen, ausser den kupfernen, dürfen exportirt werden.
Die englische Regierung kann in NangasakI, Hakodade und Kana-
GAVA Magazine für ihre Schiffsbedürfnisse anlegen, welche sie zollfrei
einführt, ausser solchen, welche an Japaner verkauft werden. —
Die übrigen Artikel beziehen sich auf die früher gemachten Zuge-
ständnisse, die Erhebung von Zöllen und Hafengeldern, die An-
stellimg von Lootsen u. s. w. Ein angehängtes Handelsregulativ
stellt die Ein- und Ausfuhrzölle für die erlaubten Artikel und die
von den einlaufenden Schiffen zu beobachtenden Formalitäten fest.
Dieser Vertrag kam deshalb so schnell zu Stande, weil
Mr. Harris den Winter zuvor die ganze Arbeit gethan und nun
dem engUschen Bevollmächtigten seinen Secretär Herrn Heusken
zur Verfügung gestellt hatte, welcher mit den Verhältnissen und
Persönlichkeiten vertraut war und jede Schwierigkeit rasch aus dem
Wege zu räumen wusste. — An demselben Tage, da Lord Elgin
vor Yeddo erschien, hielt Admiral Putiatine, der vierzehn Tage
zuvor mit seinem Geschwader in Kanagava angekommen war, eben-
falls seinen Einzug in die Hauptstadt. Der von ihm unterzeichnete
Vertrag und diejenigen, welche kurz darauf Baron Gros für die
französische und Herr Donker Curtius für die holländische Regie-
rung abschlössen, hatten mit den amerikanischen und englischen
fast gleiche Bedeutung, ebenso der portugiesische, welcher im
Sommer 1860, kurz vor dem Eintreffen des preussischen Geschwa-
ders, unter Mitwirkung des holländischen Bevollmächtigten zu
Stande kam.
Die neuesten politischen Ereignisse in Japan. loo
Es wäre von grosser Bedeutung, wenn man sich genaue
Kenntniss von der inneren politischen Lage Japans zur Zeit des
Kindringens der westlichen Nationen und von der Entwickelung der
Verhältnisse seit diesem Ereigniss verschaffen könnte. Dass die
Macht des Siogün schon seit einem halben Jahrhundert, vielleicht
schon länger im Sinken war, ist unzweifelhaft. Unter der langen
Regierung de^ Jye-nari, der 1787 den Thron bestieg, scheinen die
Zügel erschlafft, und namentUch die Einrichtungen ausser Gebrauch
gekommen zu sein, durch welche der Lehnsadel in Zaum gehalten
wurde. Sein Nachfolger bemühte sich zwar bei Antritt der Re-
gierung (1842), das alte System mit voller Strenge zur Geltung
zu bringen, — er schickte wieder regelmässig Aufpasser an die Höfe
der Lehnsfiirsten, Hess die Schauspielhäuser schliessen, untersagte
alle öffentlichen Lustbarkeiten und beschränkte den Kleiderluxus —
denn auch beim Volke hatten sich Freiheiten eingeschUchen, welche
die Zucht und Sitte früherer Zeiten nicht kannte, — aber die alte
Ordnung scheint nie wieder rechten Bestand gewonnen zu haben
und bei dem Erscheinen Perry's gänzlich zusammengebrochen zu
sein. Wo seitdem der Schw^erpunct der Macht liegt, wde die kämpfen-
den Partheien zusammengesetzt und welche ihre Tendenzen sind,
kann man nicht mit Sicherheit erfaliren. Bei der Wendung, welche
die Dinge in neuester Zeit genommen haben, sollte man denken,
jeder Tag müsste neue Aufschlüsse über die politische Lage
des Landes bringen, und doch erklären die fremden Vertreter in
Japan auch heut noch, un Dunkeln über den Gang der Ereignisse
zu sein. Die Bewegung dauert fort und scheint an Intensität
gewonnen zu haben; aber die jetzige Stellung des Siogun zu den
Daimio's und ihre Absichten den Fremden gegenüber bleiben räthsel-
haft. Allem Anscheine nach gab es am Hofe schon zur Zeit von
Perry's erster Landung (1853) eine der herrschenden Linie feind-
liche Parthei, an deren Spitze einer der Titularbrüder des Siogun,
der Fürst von Mito , stand, und der sich alle DaiiMio's an-
schlössen, welche entweder wirkhch der Zulassung der Fremden
entgegen waren, oder unter diesem Vorwande den Umsturz des
bestehenden Regimentes herbeizuführen und die Selbstständigkeit
wieder zu gewinnen dachten, deren sich ihre Vorfahren im fünf-
zehnten und sechszehnten Jahrhundert erfreuten. Diese Parthei hat
wiederholt und zum Theil gewaltsame Versuche gemacht, um an
das Ruder zu gelangen; sie ist stark genug, um die Macht des
iö4 Thatsacheu und Gerüchte.
Kaisers zu lähmen, hat aber bis jetzt die herrscheude Linie der
MiNAMOTo nicht vom Throne verdrängen können.
Der Verlauf der Begebenheiten im Einzelnen ist, wie gesagt,
in Dunkel gehüllt. Constatirte Thatsachen sind nur: dass bald nach
dem ersten Erscheinen des amerikanischen Geschwaders (1853) der
regierende Siogun starb, und dass sein kinderloser Nachfolger die
Unterzeichnung des Ilarris'schen Vertrages nur um weiflge Tage über-
lebte; dass damals ein unmündiger Spross des Hauses Kii auf den
Thron erhoben, der Fürst von Mito seiner Würde beraubt und auf
seine Güter verbannt wurde, und dass die Leitung des Staates dem
erblichen Regenten Ikamo - no - kami anheimfiel, welcher im Frühjahr
1860 — einige Monate vor Ankunft des preussischen Geschwaders —
von den Bravo's des Fürsten von Mito auf oflFener Strasse ermordet
wurde. Alle übrigen Nachrichten sind melir oder minder unver-
bürgt. Die in Japan verbreiteten Gerüchte mögen viel Walires
enthalten*'*), widersprechen einander aber in den Einzelnheiten
^^) Um dein Leser einen Begriff sowohl von dem Charakter der Ereignisse, als
von der Unvereinbarkeit der in Japan selbst den Fremden bekannt gewordenen Ge-
rüchte zu geben , mögen hier kurze Auszüge von zwei Dai'stellüngen der Begebenheiten
seit Perry's Ankunft stehen , die beide auf an Oi-t und Stelle gesammelten Nachrichten
basiren. Die erste ist dem Buche des englischen Gesandten Sir Rutherford Alcock
"The Capital of the Tycoon- entnommen, welcher selbst sagt, dass er nur Gei-üchte
wieder erzählt; die zweite ist zuerst in der Revue des deux mondes abgedruckt
worden. Der Verfasser der letzteren hat seine Berichte später in einem besonderen
Bande zusammengcfasst, welchen Lebendigkeit der Auffassung des Gesehenen und
Erlebten, Treue der Schilderungen, Humanität der Anschauung, Wohlwollen und
(rewissenhaftigkeit zu einem der anziehendsten und nützhchsten Bücher über Japan
machen; in allem Historischen dagegen ist er ohne Kritik vei'fahren , und berichtet,
auf die Zuverla^igkeit seiner Gewährsmänner bauend, neben vielem Phantastischen auch
Dinge, die nachweisbar unrichtig, und andere, von denen Niemand etwas wissen kann.
Nach der Version des Herrn Alcock scheint man bei Perry's erster Ankunft die
Absicht gehabt zu haben, seine Anträge zurückzuweisen. Die für die Vertheidigung
des Golfes von Yeddo verantwortlichen DaTmio's brachten in zwei Tagen ein Heer
von 10,000 Mann und eine grosse Anzahl Geschütze bei Uraga zusanunen. Man
beschloss jedoch, den Brief des Präsidenten in Empfang zu nehmen. — Der erete
Minister des Siooun Iyk-yosi, Midsuno Yktsizen-no-kami, ein Anhänger des
alten Systems, soll sich damals mit mehreren DaTmio's in Yeddo verschworen haben,
durch Vergiftung des Iyk - yosi , eines anerkannt tüchtigen und erfahrenen Herrschei-s,
das Land vom Einfluss der Fremden zu retten, mit der Nebenabsicht, wie man sagt,
die Herrschaft an sich zu reissen , da der Thronfolger schwachsinnig war. Der Sio(;un
schöpft Verdacht und wirft den Giftbecher dem Diener, der ihn überreicht, in das
Gesicht; dieser durchbohrt ihn mit dem Schwerte und vollzieht dann sogleich das
Unzulänglichkeit der Nachrichten. 185
dermaassen, class es bis jetzt unmöglich ist . den wirklichen Verlauf
der Begebenheiten herauszufinden.
Harakiru. Yetsizen - NO - KAMI wlrd der Theilnahnie am Morde beschuldigt und
entleibt sich ebenfalls. — Iye - sado , der Sohn des ennordeten Siogun , wird auf den
Thron erhoben; der erbliche Regent Ikamo-no-kami tritt an die Spitze der Ver-
waltung. Er beruft nach einem schon bei Perry's Ankunft gefassten Beschlüsse eine
Versammlung aller DaTmio's; die über 50,000 Kor Einkünfte haben, um über die
Zulassung der Fremden Rath zu pflegen. Viele sind dagegen, vor allen der Fürst
von MiTo. Der Fürst von Kanoa, der reichste von allen, soll die Hand an das
Schwert gelegt haben mit dem Ausruf, man müsse lieber sterben als solche Schmach
dulden. Die Versammlung beschliesst jedoch mit schwacher Majorität, auf Ver-
handlungen einzugehen und einige möglichst geringe Zugeständnisse zu machen, um
den Krieg zu venneiden. Der Fürst von Mito, welcher als Titularbmder Aussicht
auf den Thron hatte, wenn der Siogun kinderlos starb, verschwört sich mit einer
Parthei mächtiger Lehnsförsten, ihn zu vergiften. Als die Herren Donker Curtius
und Harris im Winter 1857 — 58 in Yeddo die neuen Verträge feststellten, soll es
Mito gewesen sein, der die Unterzeichnung hintertrieb. Im Frühjahr 1858 aber
setzte Mr. Harris die Unterzeiclmung des amerikanischen Vertrages durch — und
kurz darauf starb der Siogun Iye -sado eines gewaltsamen Todes. Die Mörder
werden ergriffen, und gestehen von Mito angestiftet zu sein; der Regent verbannt
diesen auf seine Güter, mit dem Bedeuten, dass seine Eutfemmig vom Hofe nur
vorübergehend sein solle , wenn er sich ohne Weiteres fuge , entgegengesetzten Falles
werde er ihn vor dem Reichsrath der Vergiftung des Siogun anklagen, worauf die
Strafe der Kreuzigung steht. Mito sieht sich durch die Entschlossenheit des Re-
genten überwältigt und folgt dem Verbannungsbefehl, Ikamo aber lässt den jungen
Fürsten von Kii, dessen Vater noch lebte, -auf den Thron erheben, wodurch die
Linie Mito wieder ausgeschlossen war. Dieser Schritt, durch welchen Ikamo die
Leitung des Staates — während der Unmündigkeit des Siogun — in der Hand be-
hielt, wm'de ihm von der Gegenparthei als Treubruch und VeiTath ausgelegt, und
später durch seine Ermordung gerächt. — Die Politik des Regenten gegen die Frem-
den ist nie recht klar gewesen. Zu Anfang soll er sich neutral gehalten mid
niemals bestimmt weder für noch gegen ihre Zulassung ausgesprochen haben. Nach
Unterzeichnung des zweiten amerikanischen Vertrages (Harris, 1858) aber fanden
gi'osse Verändeiiiugen im GoRoniio statt: Alle, die mit der Unterzeichnung zu
thun gehabt hatten, wurden abgesetzt oder degradirt. An die Spitze des neuen
Ministeriums trat der durch seine Anhänglichkeit an die alten Institutionen bekannte
MiDSuo TsiKUNOo ; der Regent scheint sich nur durch eine Allianz mit der conserva-
tiven Parthei haben halten zu können. Der Drang der Umstände aber zwang dieses
fremdenfeindliche Ministerium gleich nach seinem Eintritt zur Abschliessung des
englischen, französischen, holländischen, russischen Vertrages.
So weit die von Herrn Alcock erzählten Gerüchte, die ohne allen Zweifel viel
Wahres enthalten. Midsuo Tsikungo war bei der Ankunft des preussischen Ge-
schwaders nicht mehr Minister; die damals am Ruder befindlichen Staatsmänner
gehörten zur gemässigten Parthei.
186
Resumc.
Was sich nach der Anwesenheit des preussischen Geschwaders
zugetragen hat, liegt ausser dem Bereiche dieser Arbeit. Eine rich-
tige Beurtheilung der gegenwärtigen Entwickelung wird erst nach
einer Reihe von Jahren möglich sein; die Zeitungsnachrichten über
Japan enthalten mindestens eben so viel Falsches und Unverständi-
ges als Richtiges und Bedeutsames — und eine Kritik ist bei der
grossen Entfernung sehr schwierig.
Sicher ist, dass das ernste Auftreten Perry's, welcher dem
SioGUN sechs Monate Bedenkzeit gab und dadurch jede Möglichkeit
einer ausweichenden Antwort abschnitt, eine grosse Gährung in Japan
hervorgerufen hat, und dass die Regierung sowohl den Vertrag
von Kanagava (1854) als den mit Harris nur unter dem Druck der
Verhältnisse und in dem Wahne abgeschlossen hat, dass ihre Weige-
rung das Reich in einen Krieg mit den westüchen Mächten stürzen
würde. Später erfuhren die Japaner, dass Perry die bestimmte
Der Berichterstatter der Revue des deux Mondes (1. Mai 1863) beginnt seine
Daratellung mit einer Uebersicht der Verhältnisse unter Taiko-sama und Jyeyas,
welche schwerlich mit den bisher aus japanischen, holländischen und den Berichten
der Missionare bekannt gewordenen Ttiatsachen in £inklang zu bringen sind,
und ^ebt dann ein Bild der japanischen Staatsveifassung: eine Versammlung der
mächtigsten Daimio*s votirt alle Gesetze und Verordnungen, welche der Siooum nur
zur Ausführung bringt, nachdem sie die Sanction des Mikado erhalten haben. —
Was die Zulassmig der Fremden betrifft, so hätte Midsuno Yetsizen-no-kami
(der Gegner der Ausländer bei Herrn Alcock) dieselbe schon 1842 beantragt. Ikamo-
NO -KAMI und der Fürst von Kanga (s. oben) waren den westlichen Nationen sehr
günstig; der letztere Hess sogar eine Schrift für die Eröffnung Japans herausgeben,
die viel Aufschii machte. Mito war gegen die Zulassung; seine Bemühungen,
Yetsizen-no-kami zu stürzen, scheitern am Einflüsse Kanoa's undlxAMo's; er vcr-
lässt Yeddo, kehrt aber beim Erscheinen der Amerikaner (1853) dahin zurücL Der
SioouN Iyeyosi wird von einem Veitrauten Mito's umgebracht — der Mörder ent-
leibt sich. MiTO entweicht vor den Drohungen Ikamo's. Der letztere ändert jetzt
seine Gesinnung gegen die Fremden , sucht aber vergebens dem PeiTy'scheu Vertrage
auszuweichen, der o h n e Zuziehung der Lehnsfui*8t«n abgeschlossen wird. Vor dem
Abschlüsse mit Harris dagegen (1858) berufen der Regcut und das Goroozio
enie Versammlung von DaTmio's. Der Fürst von Mito bleibt mit eutigen der mäch-
tigsten Lehnsfiirsten in der Minorität und verlässt die Versammlung — der Tractat
wird unterzeichnet. An die Spitze des Ministeriums wird aber Mito's Freund, der
fremdenfeindliche Vokisakü Nakatsu Kasa no Taira berufen. Der Siogun stirbt,
wahrscheinlich von Miro vergiflet. Ikamo bringt den Fürsten von Kii auf den Thron,
VoKiSAKU zieht sich zurück.
Ucber die Glaubwürdigkeit dieser Darstellung kann man sich durch Vei*glcicliung
mit den von Herrn Alcock wiedergegebenen Berichten ein Urthcil bilden. —
Ankunft der Gesandten in Yeddo. Schluss. Ao/
Weisung hatte, keine Gewalt zu brauchen, und dass auch die an-
deren Nationen aus ihrer blossen Weigerung, Vertrage abzuschUessen,
keinen Kriegsfall gemacht haben würden. Sie haben das Bewusst«ein,
überrumpelt worden zu sein und werden es den Fremden niemals
vergessen. Selbst die Parthei, welche ursprünglich, sei es aus
staatskluger Ueberzeugung, sei es aus Neigung, die Zulassung der
Fremden durchsetzte, kann jetzt kaum noch mit günstigen Augen
ihr Werk ansehen, welches die Landesregierung in so ernste Ver-
wickelungen gestürzt und wahrscheinüch das Fortbestehen der alten,
in den Augen der Japaner wohlbewährten Verfassung unmöglich
gemacht hat.
Obgleich die Bevollmächtigten des Siogun die vertragschlies-
senden Mächte gebeten hatten, vor dem Jahre 1863 keine diploma-
tischen Vertreter nach Yeddo zu schicken, da ihr friUieres Erscheinen
leicht zu unangenehmen Zusammenstössen mit der dortigen Bevöl-
kerung führen könnte, so trafen doch schon im Juni 1859 der
grossbritannische Gesandte Mr. Alcock und bald darauf der zum
Minister -Residenten der Vereinigten Staaten ernannte Herr Harris
in der Hauptstadt ein. Gegen Ende desselben Jahres Uess sich
auch der Vertreter des Kaisers von Frankreich, Herr Duchene de
Bellecourt, dort nieder.
REISEBERICHT.
I.
SINGAPORE.
VOM 2. BIS 13. AUGUST 18Ö0. '
JDie englische Colonie Singapore war zum Rendezvous der Expedition
bestimmt. Dort trafen am 26. Juli das Flaggenschiff, Seiner ^lajestät
Corvette Arkona, am 30. Juli die Fregatte Thetis, am 2. August,
mit dem englischen Postdampfschiffe von Suez kommend, der Ge-
sandte Graf zu Eulenburg, am 5. August der Kriegsschooner Frauenlob,
und am 7. August das armirte Transportschiff Elbe ein — gewass
ein seltenes Zusammentreffen bei so grosser Entfernung. Arkona
und Thetis segelten bis zur Sunda- Strasse zusammen; von dort war
bei eintretender Windstille die Arkona unter Dampf weiter gegangen,
während die Segelfregatte Thetis nur langsamer folgen konnte. Der
Frauenlob hatte am 8. Jtmi im süd- atlantischen Ocean vom Flaggen -
schiffe den Befehl erhalten, die Reise allein fortzusetzen, und die
Elbe kam direct von den Canarischen Inseln.
Graf Eulenburg und die anderen über Land reisenden Mit-
glieder der Expedition schifften sich in Point de Galle auf Ceylon
am 24. Juli auf dem englischen Postdampfer Ganges ein. Am
31. Morgens erreichte das Schiff die englische Colonie Penang,
eine kleine an der Küste von Hinter -Indien gelegene Insel, wo die
Reisenden Nachmittags noch ganz kurz vor der Abfahrt die an-
genehme Nachricht von dem Eintreffen der Arkona und Thetis in
Singapore erhielten. — In der Strasse von Malacca war die See
spiegelglatt. Man hatte den Reisenden Hoffnung gemacht, dass sie
Singapore am 2. August noch bei Tageslicht erreichen sollten, und
so ^vurde, um unseren Schiffen Gewissheit von der Anwesenheit
des Gesandten an Bord des Ganges zu geben, in aller Eile eine
preussische Flagge angefertigt und im Grosstop gehisst: doch henun-
ten starke Meeresströmungen den Lauf des mit Silber und Opium
schwerbeladenen Dampfers dermaassen, dass er die Rhede von
192 Ankunft in Singapore. I.
Singapore erst um acht Uhr Abends erreichte. Trotz dem hellen
Mondlicht konnte die Flagge nicht erkannt werden, und auch die
Reisenden bemühten sich vergebens unter den rings geankerten
Schiffen ihre Landsleute herauszufinden — da drangen plötzlich
heitere Klänge durch die stille Luft, zuerst versch%vimmend und
unkenntlich, dann stärker und immer deutlicher: es war der Refrain
des Preussenliedes , der in vollen Accorden zu uns heriiberschallte. —
Gleich darauf fiel der Anker.
Nun erschienen die Boote der Arkona und Thetis , zuerst der
Flaggen - Officier Lieutenant von Schleinitz, dann der Geschwader-
Chef, Capitän Sundewall, und Capitan Jachmann von der Thetis.
Auch der Capitän des auf der Rhede hegenden engUschen Kriegs-
schiifes Assaye, der Legations -Secretär Pieschel und einige andere
auf luiseren Schiffen angekommene ExpeditionsmitgUeder fanden
sich noch am Abend zur Begrüssung des Gesandten ein, die halbe
Nacht wurde auf Deck verschwatzt. Die zahllosen Lichter am Ufer,
die im weiten Bogen hingestreckte Stadt bezeichnend, die im un-
gewissen DämmerUchte des Mondes unabsehbar scheinende Menge
der Masten ringsumher, die klare schimmernde See, in ruhigem
Glänze tausend Sterne des Himmels und der Erde wiederspiegelnd,
nur hier und da gefurcht von plätschernden Booten, — die balsa-
mische Milde der Tropennacht übten einen mächtigen Zauber auf
die Sinne. Die über Land Gereisten hatten eine gute Strecke Weges
schnell und glückUch zurückgelegt und fanden nun hier an den
preussischen Kriegsschiffen ein Stückchen Heimath wieder; — die
Anderen mussten, das Cap der Guten Hofihung umsegelnd, in den
südlichen Breiten heftige Stürme und viel Drangsal und Noth
bestehen, — sie waren schon längere Zeit von der Heimath entfernt
und erhielten durch uns die neuesten Nachrichten. Es gab tausen-
derlei zu erzähle;! und Niemand fühlte das Bedürfniss nach Schlaf.
3. August Am folgenden Morgen erschien der Adjutant des Gouver-
• neurs an Bord, um den Gesandten zu bewillkommnen. Das Sclüff
war von Kähnen umlagert, die Bootsleute meist langgeschwänzte
Chinesen. Der Gesandte bestieg mit seinem Gefolge unter Führung
des engüschen Adjutanten und des preussischen Consuls die Boote
unserer Kriegsschiffe und fuhr nach dem Landungsplatze, wo eine
Abtheilung des 40. Native-Madras-Regiments aufgestellt war. Dort
empfing ihn der Oberrichter der Colonie, Sir Richard B. Mc' Caus-
land, mit einem zahlreichen Stabe, und führte ihn unter den
I. Empfang in Singapore. Geschichte. 103
Klängen der Nationalliymne und dem Donner der Kanonen durch die
Reihen der prasentirenden Elirenwache zu den bereit gehaltenen
Wagen. Auch vor dem für den Gesandten gemictheten Hause —
einem Nebengebäude des Hotel de FEsperance — war ein Doppöl-
posten aufgestellt. — Der Rest des Tages ging mit dem Empfange
der oflBciellen Besuche der englischen Beamten und der fremden
Consuln hin, der Abend vereinigte alle Civilmitgüeder der Expe-
dition und die Befehlshaber der preussischen und enghschen Kriegs-
schiffe an der Tafel des Gesandten. — Der Empfang der Engländer
war nicht bloss höflich und elirenvoU, sondern in hohem Grade
herzhch und zuvorkommend.
Die Colonie Singapore wurde 1819 von Sir Stamford Raffles
gegründet. Dieser machte, nachdem Batavia an das wiederherge-
stellte Königreich der Niederlande herausgegeben war, die ost-
indische Compagnie auf die günstige Lage der Insel an der äussersten
Spitze des hinterindischen Festlandes aufmerksam, und Uess sich
von dem liier residirenden Tumangung, dem Statthalter des Sultans
von DzoHOR, dem sie gehörte, einen Küstenstrich von zwei engli-
schen Meilen Länge und der Breite eines Kanonenschusses abtreten,
wo an der Stelle eines malaiischen Fischerdorfes die Stadt ge-
gründet wurde. Ihre Bevölkerung stieg im Laufe eines Jahres
auf 10,000 Seelen. Bald aber stellte sich die Unhaltbarkeit des
Verhältnisses zu den einheimischen Landesherren heraus, denn so-
wohl der Sultan von Dzohor als der Tumangung machten Hoheits-
rechte geltend. Zudem weigerte sich die englische Regierung, die
Niederlassung der Compagnie anzuerkennen. Die Siamesen sowolü,
welche die Oberhoheit über alle malaiischen Staaten des Festlandes
in Anspruch nehmen , als die Holländer behaupteten , dass der
Sultan von Dzohor ohne ihre Zustimmung keine Verträge mit frem-
den Staaten schliessen könne. Erst nach einigen Jahren, als die
Wichtigkeit der Colonie sich practisch bewährt hatte, trat die eng-
Usche Regierung mit der niederländischen in ernstliche Unterhand-
lung; letztere entsagte in dem Vertrage vom 17. März 1824 allen
Ansprüchen auf Singapore. Der Sultan von Dzohor und der
Tumangung wurden zu gleicher Zeit mit einer Pension abgefunden,
wofür sie die ganze Lisel an England abtraten.
Raffles' Erwartungen haben sich auf das glänzendste erfüllt.
Singapore ist der %vichtigste Stapelplatz des enghschen Handels in
Hinterindien, und für die Verbindung mit Cliina und Australien ganz
I. 13
194 Beschaffenheit der Insel. I.
unentbehrlich geworden. Einen eigentlichen Hafen hat es nicht;
grössere Schiffe müssen in beträchtlicher Entfernung vom Ufer he-
gen, doch ist der Ankergrund überall gut, und die Rhede durch
die vorUegenden Inseln geschützt so dass selbst bei stürmischem
Wetter der Seegang massig bleibt. Von grosser Bedeutung für die
Colonie ist eine kleine Bucht mit felsigen Ufern geworden, die in
geringer Entfernung westlich von der Stadt hegt; von der Bhede
aus führt ein schmales Fahrwasser dahin. Diese Bucht ist von
allen Seiten umschlossen, und so tief, dass die grössten Schiffe
sich an die Bollwerke legen können; sie erscheint mit ihren grünen
hügeligen Ufern wie ein stiller Landsee, nur die mächtigen Schiffe
lassen die Nähe des Meeres ahnen. Hier hat die »Peninsular and
Oriental Steam Navigation Company« — deren langen Namen die
Engländer »the P. and O.« aussprechen — welche die engUsche
Post durch ganz Ostindien, imd nach Mauritius, Cliina und Australien
besorgt, eine Niederlassung gegründet, wo Kohlendepots, Trocken-
docks , grosse Magazine fiir Schiffsbedarf, und alle zur Ausbesserung
von Schiffen und Maschinen erforderUchen Anstalten zu finden sind.
Die stattUchen Vorrathshäuser und Werkstätten contrastiren sonder-
bar mit den malerisch verfallenen Hütten malaiischer Fischer,
welche hier und da das Ufer säumen. — Der Ort heisst New-
harbour.
Die ganze Insel ist hügelig, von einigen Flüsschen durch-
schnitten und mit undurchdringUchem Walde bedeckt. Vom Fest-
lande trennt sie nur ein schmaler Meeresarm, welchen die Tiger
mit Leichtigkeit durchschwimmen; sie finden in dem Waldesdickicht
einen sicheren Zufluchtsort und sind durchaus nicht von der Insel
auszurotten. Hunderte von Menschen fallen ihnen jährlich zum
Opfer, vor Allen Chinesen, die jetzt den grössten Theil der Be-
völkerung ausmachen und sich auch auf dem Festlande — als
Pfeffer- und Gambiapflanzer — schon in grosser Anzahl nieder-
gelassen haben. Nach Berichten zuverlässiger Pflanzer waren in
jenen Ansiedelungen in dem kurzen Zeiträume vom Januar 1859 bis
zum April 1860 mehr als 1500 cliinesische Arbeiter von ihnen ver-
zehrt worden. Auf der Insel selbst rechnet man ihre jährliche
Beute auf etwa 400, auch hier meist Chinesen, und die Unsicherheit
soll in der letzten Zeit, obgleich die Regierung 100 Dollar für
jedes Tigerfell zahlt, eher zu- als abgenommen haben. Die Land-
leute sind bei ihren Feldarbeiten, wo sie oft Stunden lang nah
I. Die Tiger. Beschreibung der Stadt. 195
dem Waldesrande auf einem Fleck emsig beschäftigt bleiben , ihren
üebei-ßlUen am meisten ausgesetzt; der Tiger kann sie ungestört
belauschen, und langsam herankriechend den günstigsten Moment
zum Sprunge wählen. Aber auch bis dicht an die Stadt kommen diese
Rauber und die Europäer wagen selten sich aus den belebten Ge-
genden zu entfernen. Man zeigte uns auf der Landstrasse ganz in
der Nähe eine Stelle, wo sich vor Kurzem ein Tiger im Ange-
sichte der Wohngebäude auf einen Wagen mit vier Chinesen gestürzt
und einen davon fortgeschleppt hatte. Einzelne Individuen unter
den Tigern sind besonders gekannt und gefürchtet; sie hausen oft
lange in demselben Revier, merken sich die Gewohnheiten der
Bewohner — so zu sagen die Wechsel — und betreiben Monate
lang ihre Jagd mit ungestörtem Erfolg, ohne dass man ihnen bei-
kommen kann. — Das ganze hinterindische Festland, namentlich die
malaiische Halbinsel, scheint von diesen Bestien zu wimmeln. In
Penang hörten wir viel davon erzählen, und die Umgegend von
Malacca soll ein gefahrhcher Aufenthalt sein. Die Begegnung eines
ausgewachsenen Tigers ist für den Kaltblütigsten bedenklich: ein
Missionar in Penang sieht bei einem Spaziergang in der Umgegend
plötzlich einen solchen vor sich, in Ermangelimg anderer Waffen
spannt er rasch seinen Regenschirm auf, — der Tiger erschrickt,
entflieht; aber auch ihm selbst ist der Schreck in die Glieder gefahren,
er geht nach Hause, erkrankt und stirbt nach wenigen Tagen. —
Bei Malacca gingen drei Malaien durch den Wald. Ein Tiger über-
fallt sie tind schleppt den einen fort, die beiden anderen jagen
ihm seine Beute wieder ab und bringen ihren übel zugerichteten
Gefährten nach einer verlassenen Strohhütte in der Nähe. Während
nun einer von diesen nach der Stadt zurückgeht, um Hülfe zu holen,
bleibt der andere bei dem Verwundeten; Abends aber beschleicht
sie ihr Feind, durch die Blutspuren gefuhrt, von neuem, bricht in
die Plütte ein und erwürgt beide. — Aehnliche Geschichten hört
man viele.
Die Stadt Singapore hegt lang am Ufer hingestreckt. Unge-
fähr in der Mitte ihrer Länge ergiesst sich ein Flüsschen in die
See, das sie in zwei an Charakter und Physiognomie sehr ver-
schiedene Hälften theilt. In der östüchen liegen die Kirchen, die
Regierungs- und Gerichtshäuser und die Wohngebäude der Europäer,
jedes abgesondert, von freundlichen Gartenanlagen umgeben, von
Mauern oder Gittern eingeschlossen. Am Strande zieht sich 'eine
13-
196 I^»c europäischen Stadtviertel. I.
breite Esplanadc mit Rasenplätzen und doppeltem Fahrwege hin,
wo man Abends zu Wagen oder zu Pferde die külilende Seebrise
geniesst — denn zu Fusse gehen ist für den Europäer ungesund
und unanständig. Von da laufen rechtwinklig grade Strassen aus,
die wieder von wenigen anderen breiten Hauptstrassen geschnitten
werden, und hinter diesen liegt, dem Strande parallel, der lang-
gestreckte Festungshügel. Die Strassen dieses Stadtviertels bilden
nur an w^enigen Stellen zusammenhängende Häuserreihen; schlanke
Areca's und fedrige Cocospalmen, luftige Casuarinen, massige Brod-
bäume, Bananen und eine Fülle des üppigsten tropischen Laubes
ragen über die Gartenzäune. Auf den breiten Strassen ist w^cnig
Leben, faule Malaien lungern umher, der geschäftige Chinese zieht
rasch seines Weges — die reicheren sieht man in eigenen oder in
Miethwagen daherfahren; — bei den offen tliclien Gebäuden stehen
braune indische Polizeidiener in halb europäischer Uniform und mit
dem Truncheon bewaffnet, vor den Gast- und Privathäusem die zahl-
reiche Dienerschaft der Einwohner, meist Hindus in weissem Muslin,
mit steifgefalteltem breitem Turban. Auch Javaner und Bugi's sieht
man, ferner Bengalesen, Burmesen, Siamesen, Araber von der Küste
Koromandel, und Parsen, kenntlich an der hohen helmartigen, mit
dunkelfarbigem Kattun bezogenen Kopfbedeckung. Miethwagen
stehen an allen Ecken, und die Zudringlichkeit der Kutscher ist so
schUmm wie in Italien. — Auf architectonische Schönheit machen
weder öffentliche noch Privatgebäude Anspruch: die Kirchen meist
nach englischer Art gothisirend, manche andere Bauten italienisch, —
aber der leidige Mörtelbewurf hält natürUch in diesem allerfeuch-
testen KHma gar nicht, ganz neue Gebäude erscheinen fleckig,
und wie verfaulend, verfallend. Die Bauart der Privatgebäude ist
dem KUma sehr angemessen: dicke Mauern, grosse hohe Räume,
viele Thüren und Fenster, meist ohne Scheiben, nur mit Jalousieen
verschliessbar; Alles berechnet, die Sonne auszuschliessen und Zug-
luft hervorzubringen. Ueber dem Esstis'ch und in der Mitte jedes
grösseren Raumes hängt die sogenannte »Punka« von der Decke
herab, em langer, mit Baumwollenstoff bespannter Rahmen, ein
gigantischer Fächer, der von eigens dazu angestellten Knaben durch
Schnüre in eine regelmässige Pendelbewegung gesetzt wird, um
Wind und Kühlung zu erzeugen. Alle Lichter sind mit Glasglocken
geschützt, weil sie sonst verlöschen mirden. Man muss sich an
diese Einrichtung erst gewöhnen; die Bewegung und der ewige
I. Die europäischen Iläiiser. Die asiatischen Stadtviertel. 197
Luftzug habeu etwas Beunruliigendes, Aufregendes; dem Engländer
in Ostindien ist die »Punka« aber zum Lcbensbedürfniss geworden,
sie haben deren sogar vielfach über ihren Betten angebracht
und lassen sich die ganze Nacht durch befacheln. — Die Fuss-
böden der Wohnräume sind mit feinen chinesischen Binsenmatten
belegt, die Möbel englischen und amerikanischen Schnittes, —
die Sessel meist zum Liegen eingerichtet. Man befindet sich in
diesen Häusern sehr wohl, besonders in den Mittelräumen, welche
meist durch das ganze Gebäude gehen und nach beiden Seiten
Fenster haben.
Der westliche Theil der Stadt, eine compacte Häusermasse, ge-
hört der Handel und Gewerbe treibenden Bevölkerung der Cliinesen,
Malaien, Inder; dort haben auch die europäischen Rauileute ihre
Waarenlager und Contore. Die Hauptstrassen laufen auch hier dem
Meeresstrande parallel, andere schneiden sie im rechten Winkel. Sie
sind breit und zienüich reinlich gehalten, lange einförmige Reihen meist
zweistöckiger weisser Häuser mit Colonnaden; unten der Kaufladen
oder die Werkstatt, oben die Wohnräiune. Die Bauart ist plump und
massiv, nur einzelne cldnesische Häuser sind sorgfältig gemauert
und mit bunten phantastischen StuckreUefs geschmückt, aufs reichste
verziert dagegen die FaQaden der chinesischen Tempel und der indi-
schen Gotteshäuser, welche hier und da die einförmigen Häuser-
reihen unterbrechen. Erstere haben geschweifte Dächer von feinen
grauen Ziegeln, Dachfirst, Fries und Giebel strotzen von phantasti-
schem vielfarbigem Schnörkelwerk aus glasirten Kacheln, Stuck
und geschnitztem Holz; das Mauerwerk ist aus Backsteinen mit
wenig Mörtel so fein und sorgfältig gefügt, wie man es im ganzen
Occident nicht kennt. -— Die Hindu -Tempel haben reich verzierte
Portale und Thürmchen, und zeichnen sich durch eine unruliige
Fülle architec tonischen Details aus, welchem ungeheuerhche mytho-
logische Figuren und grimmige Fratzen verwebt sind. Nirgend
findet das Auge einen Ruhepunct. Das Ganze trägt aber ein sehr
bestimmtes Gepräge, und ist wohl eine Architectur zu nennen. Die
Dimensionen sind klein , wie bei den chinesischen Tempeln in
Singapore.
Auf den Strassen wogt eine bunte Menge, grösstentheils
langzopfige Chinesen, die sich emsig umhertummeln oder rastlos
arbeitend vor iliren Häusern und in den offenen Werkstätten
sitzen. Sie bilden die überfliegende Mclirzahl der Einwohner —
198 Bevölkerung. Die Chinesen. I,
man rechnet über 50,000 bei einer Gesammtbevölkerung von etwa
80,000 Seelen. Unermüdlich thätig und geduldig ergreifen und betrei-
ben sie Alles, wobei Geld zu gewinnen ist, und erwerben sich als
Kaufleute, Handwerker, Schreiber, Diener, Tagelöhner mit emsigem
Fleisse ihren Unterhalt; der Kleinhandel und die meisten Handwerke
gehören ihnen ganz allein. Den Fremden frappirt ihr gesetztes
selbstbefriedigtes Auftreten, das grell gegen das träge, träumerische
Wesen der Eingeborenen absticht; man sieht, dass man eine fertige
Nation vor sich hat. Der Chinese ist niemals in Verlegenheit, seine
Auffassung des Lebens durchaus materiell und practisch; seine
Tugend ist die Familienliebe , und in ihr vorzüglich mag der thätige
Erwerbsgeist seine Quelle haben. Geistige Genüsse und Bedürftiisse
kennt er nicht, und sein äusseres Wesen ist höchst prosaisch, ge-
wöhnlich. Aber die europäischen Kaufleute, welche die Chinesen
als Kassirer, Compradors, als Buchhalter, Waarenaussucher imd
Aufseher gebrauchen, wissen ihren Fleiss, ihre Ehrlichkeit, Treue,
Stätigkeit und Intelligenz nicht genug zu rühmen. Der europäische
Handel lässt sich in diesen Gegenden ohne Chinesen kaum denken,
denn Europäer wären zu ^delen von ihnen geleisteten Diensten in
diesem Klima ganz ungeschickt und würden zudem das Zehnfache
kosten, Malaien und Inder aber ganz untauglich. Die wichtigsten
Geschäfte, wie Buchführung und Kassenverwaltung werden ihnen
anvertraut — die besseren chinesischen Commis lesen und schreiben
das Englische ganz geläufig. Natürlich erstreckt sich das Lob der
Zuverlässigkeit nicht auf die ganze Masse der Bevölkerung, unter
der es viele abgefeimte Spitzbuben giebt, — aber ein Europäer
nimmt keinen Chinesen in Dienst, der nicht von ansässigen, Achtung
geniessenden Landsleuten empfohlen wäre, was nach chinesischen
Begriffen einer Bürgschaft gleichkommt und volle Sicherheit ge-
wälirt. Als Handwerker besitzen sie die grösste Geschicklichkeit
im Nachahmen europäischer Erzeugnisse , so namentlich die Schnei-
der, welche vortreffliche Arbeit zu geringen Preisen liefern, wenn
man ihnen gute Muster giebt. Ihre Lebensbedürfnisse sind so be-
scheiden, dass Europäer niemals mit ihnen concurriren können.
Unter den Kaufleuten sind einige sehr wohlhabend und stehen in
grossem Ansehn , so vor Allen der chinesische Grosshändler Wampoa,
welcher sich rühmt, dass seine Wechsel sogar in London Cours
haben. Die ansässigen Europäer verkehren gern mit ihm und be-
suchen seine Feste. Wampoa hat einen Sohn in England erziehen
I. Die Malaien, Malabaren, Hiiidu's. 199
lassen, der dort europäische Tracht und Sitten angenommen, und
den Chinesen ganz abgestreift hatte, aber bei seiner Rückkehr nach
Singapore vom Vater gezwungen wurde , sich einen Zopf wachsen zu
lassen und die Tracht seines Landes wieder anzulegen. Wampoa bleibt
ein ächter Chinese und ein vortrefflicher Repräsentant seiner Nation —
die Europäer rühmen seine strenge Rechtlichkeit, Grossherzigkeit
und seinen Gemeinsinn.
Das Betragen der besseren Art Chinesen ist ruhig, ernst,
gemessen, anspruchslos und aufmerksam. Als Diener suchen sie
ihres Gleichen; sie merken ihren Herren und sogar deren Bekannten
schnell die Gewohnheiten ab, und sorgen schweigend und unge-
heissen für alle ihre Bedürfnisse. Ein ausgezeichnetes Beispiel
dieser Art war Atsong, welchen der Attache von Brandt in Singa-
pore in Dienst nahm und während der ganzen Expedition bei sich
behielt; er wurde der Liebling der ganzen Reisegesellschaft und
vertrug sich besonders gut mit unseren Matrosen.
Die in Singapore lebenden Chinesen sind meist auf der Insel
Hainan gebürtig, und kehren daliin zurück, sobald sie ein kleines
Capital erworben haben. Die meisten lassen ihre FamiUen zu Hause,
daher denn in Singapore auf achtzehn männUche Chinesen nur eine
Frau kommt, während unter der malaiischen und indischen Bevölke-
rung auf je sechs Männer eine Frau gerechnet wird.
Die Malaien von Singapore und dem benachbarten Festlande
sind ein kleiner hässlicher Menschenschlag, träge und träumerisch:
sie leben meistens vom Fischfang. Die aus Vorder -Indien einge-
wanderten Malabaren und Hindu's dagegen sind meist schlanke
Gestalten von kräftigem Bau, edelen Gesichtszügen und schönem
Ebenmaass der Glieder — bis auf den gänzüchen Fleischmangel der
Unterschenkel. Die Frauen sind nicht schön zu nennen, aber in
Kleidung und Stellungen so malerisch und anmuthig, dass man
nicht müde wird sie zu betrachten. Sie haben wogendes raben-
schwarzes Haar; die schwarzbraune glänzende Hautfarbe wird noch
gehoben durch viele Spangen von Gold oder Silber um den Hals,
um Arme und Beine. In dem einen Nasenflügel tragen fast alle
Malabarinnen einen kleinen in das Fleisch eingelassenen Goldknopf
mit einem bunten Stein, ein wahres Schönheitspflästerchen für ihre
Hautfarbe. Die Malabaren sind nach den Chinesen die gewerb-
fleissigsten aus der Bevölkerung; auch sie kommen nur vorüber-
gehend nach Singapore, und kehren in die Ileimath zurück, sobald
200 I^ic Umgebungen. Das Klima. I.
sie ein kleines Capital erspart haben. Sie dienen theils in den
Häusern der Europäer, theils auf den Werften und in den Pflan-
zungen, sind tüchtige Arbeiter und von der äussersten Genügsam-
keit. Alle übrigen hier verkehrenden Nationen leben diesem oder
jenem Zweige des Handels, — unter den Parsen und den indischen
Arabern giebt es reiche und angesehene Kaufleute.
In der nächsten Umgebung der Stadt durchkreuzen sich nach
allen Richtungen gut gehaltene Wege und bequeme Fahrstrassen.
Sie schlängeln sich zwischen den Hügeln hinan, auf denen die
Wohnhäuser der wohlhabenden Europäer im üppigsten Grün wie
begraben hegen; man geniesst dort der herrhchsten Luft und der
amnuthigsten Aussichten auf das Meer und die umliegenden Inseln.
Die eingeborenen Malaien scheinen ihren Aufenthalt vorzugsweise
in der Niederung zu wählen; dicht am Wasser, ja in Sumpf und
Morast stehen ihre dunkelen Rohr- und Palmenhütten auf hohen
Pfählen wie auf Stelzen, höchst malerisch für das Auge, aber un-
heimUche Wohnstätten. Im Ganzen macht Singapore einen freund-
hchen Eindruck; die Europäer rühmen den Aufenthalt und das
heilsame, wenn auch erschlaflüende KUma. Die Luft ist immer warm,
doch selten übermässig heiss, dabei in Folge der fast täghchen
starken Regengüsse mit Feuchtigkeit geschwängert, aber Dank den
häufigen Gewittern und dem fortwährenden Luftzuge rein imd ge-
sund. Fast immer lagern schwere Wolkenmassen am Horizont; die
Schifi'e auf der Rhede und alle entfernten Gegenstände erscheinen
bei Sonnenschein wie verschleiert, in Nebelduft schwimmend. Den
Europäer macht die schwere nasse Luft unendlich träge; alle Poren
der Haut sind geöffnet, man befindet sich, da die atmosphärische
Feuchtigkeit keine Verdunstung zulässt, wie in einem fortwälirenden
Bade und meidet gern jede körperhche Anstrengung. Der Sonne
setzen sich die ansässigen Europäer gar nicht aus; man fahrt in
verschlossenen Wagen, oder mit weiss überzogenem Regenschirm
bewaffnet. Die Frauen scheinen sich gar keine Bewegung zu
machen, und haben eine auffallend weisse, durchsichtige Hautfarbe.
Kühl ist nur der Morgen , daher die Europäer meist früh vor sechs
aufstellen, um vor dem Frühstück einen Spazierritt zu machen und
ein Bad zu nehmen, — dazu sind mehrere Zimmer im Erdgeschosse
jedes Hauses bestimmt, wo grosse Kübel mit Wasser stehen. Der
Fussboden ist von Stein und zum Ablaufen eingerichtet, mau
schöpft aus den Kübeln und begiesst sich den Köri)er. Eine
I. Lebensweise der Europäer. 201
Erkältung ist nicht zu furchten; das Wasser hat fast die Temperatur
der Luft, und diese wird niemals so kühl, dass man bei Nacht
eine Decke ertrüge. — Ein solches Bad ist eine wahre Wollust,
wenn auch nicht so erfrischend und stärkend als kalte Bäder im
Norden.
Der Tag wird im Hause zugebracht. Gegen Sonnenunter-
gang fahrt man am Meere spazieren, nimmt dann ein zweites Bad
und bereitet sich zur Hauptmalzeit vor, die gegen sieben Uhr unter
dem Gefächel der Punka gehalten wird. Die Küche ist engUsch-
ostindisch, die Hauptschüssel bildet für den ansässigen Anglo- Inder
bei jeder Malzeit Reis mit Currie, ein mehr oder minder scharf
gewürztes Gericht, von dem es unzählige Variationen giebt. Wir
haben uns vergebliche Mülie gegeben, hinter die Geheimnisse der
Currie- Fabrication zu kommen — es scheint, dass es an jedem
Orte anders bereitet wird. Es giebt Hühner-, Krebs-, Fisch-,
Gemüse -Currie u. s. w.; das Wesentüchste ist die Sauce, zu der
oft wohl mehr als zwanzig verschiedene Ingredienzien genommen
werden. Ein eigentUches Currie -Gewürz giebt es in den Tropen
uicht, sondern der Geschmack wird durch verschiedene Zuthaten
hergestellt, unter denen der halbreife Kern einer gewissen Spielart
der Cocosnuss und die jungen Schoten des spanischen Pfeffers —
das Scharfe mit dem Zarten — die Hauptrolle spielen. Nur, wo
diese Tropcnproducte nicht frisch zu haben sind, wendet man ein
Surrogat, das sogenannte Currie -powder, an. Der Reis dazu
wird in Wasser abgekocht, — aber nicht breiartig wie bei uns,
sondern so, dass die locker gequollenen Körnchen trocken aufein-
ander liegen, — und auf einer besonderen Schüssel herumgereicht.
Auf Ceylon allein soll es gegen fünfzig Arten der Curriebereitung
geben. Viele langjährige Tropen -Bewohner leben ausschhesslich
von diesem Gericht imd behaupten nichts Anderes vertragen zu
können; für den deutschen Magen sind die meisten Arten zu scharf
und brennend, und man kann nicht umhin, das Currie für schädlich
und zerstörend zu halten. — Gutes Fleisch bekommt man selten,
denn eigentliche Viehzucht giebt es nicht, und da der grossen
Wärme wegen das Fleisch meist an demselben Tage genössen werden
muss, an dem es geschlachtet wird, so bekommt man es gewöhnlich
zäh. Gegen den Genuss von Früchten haben die Europäer ein
grosses Vorurtheil: nur Morgens soll man Obst geniessen, Mittags
wenig, Abends gar nicht. Die gesundeste Tropenfrucht ist die
202 Fi-üchte. I.
Banane, welche man obne Schaden in grosser Menge essen kann,
die wohlschmeckendste der im JuU und August reifende Mangostin,
welcher nur in Hinter -Indien gedeiht und selbst auf Ceylon nicht
fortkommt. Die preussische Expedition hat Grosses in Vernichtung
dieses köstUchen und erfrischenden Obstes geleistet und sich sehr
wohl dabei befunden. Die einzelne Frucht ist von der Grösse eines
massigen Apfels, die äussere Kruste dunkelbraunroth; innen sitzen
drei grosse weisse halbdurchsichtige Kerne in dunkelpurpurnem
Fleisch; diese Kerne werden gegessen, der Geschmack ist säuerUch-
süss und g^würzig. Rinde und Fleisch der Frucht sind stark ad-
stringirend. — Von vorzüglichem Aroma sind einige Sorten Mango ;
die meisten aber schmecken unleidlich nach Terpenthin. Auch
Rambottan und Laitsi — letztere eine chinesische Frucht, die
getrocknet verschickt wird — giebt es in Singapore. Eine andere
hinterindische Frucht ist der Dürian, der aber dermaassen nach
faulendem Limburger Käse riecht, dass die meisten Neuangekom-
menen sich nicht entschliessen ihn zu kosten. Aeltere Tropen-
bewohner schätzen ihn sehr und rühmen seine stärkenden Eigen-
schaften. Jackfruit, eine Brodfrucht (Artocarpus integrifolia), wird,
wie die wirkliche Brodfrucht (Artocarpus incisa), meist von den
unteren Volksclassen gegessen und zeichnet sich durch ihre Grösse
aus; man sieht Früchte von zwei Fuss Durchmesser und darüber.
Sie wachsen an einem dicken, kurzen Stengel direct aus dem kahlen
Baumstamm und sehen meist aus, als wenn sie nicht von der Natur,
sondern von Menschenhand dahin gesteckt wären. — Auch die
Früchte der durch alle Tropenländer verbreiteten Carica Papaya
kommen selten auf den Tisch der Europäer, beliebt dagegen, aber
nicht häufig, ist die Anona (die südamerikanische TSirimoya), eine
Frucht von weissem seifigem, aber sehr wohlschmeckendem Fleisch.
Die verschiedenen Arten der Pompelmuse sind meist nur durststillend
und von geringem Aroma, das Fleisch der Cocosnuss wird vielfach
in der Küche zur Bereitung des Currie verbraucht. Vor allen
Früchten aber gedeilit auf der Insel Singapore die aus Südamerika ein-
geführte Ananas; die hier gezogenen sollen alle anderen ostindischen
weit übertreffen, werden aber meist eingemacht nach Europa ver-
schickt, — denn für Europäer in den Tropen soll die Ananas be-
sonders ungesund sein. Die Hügel in der Nähe der Stadt sind ganz
mit Ananasfeldern bedeckt, welche von weitem gesehen auf das
Haar Kartoffelfeldern gleichen.
I. Getränke. — Die Expedition. 203
Kohlensaure Getränke sind für den Europäer ein Lebens-
bedür&iss, Sodawasser und moussirende Limonade werden in
Masse bereitet und verbraucht. Bei Tische trinken die Engländer
noch meist die schweren spanischen Weine, an die sie in der
Heimath gewöhnt sind, fangen aber hier und da auch schon an,
sich zu leichteren Bordeaux- und zu Moselgewächsen zu bekehren.
An Eis zur Kühlung fehlt es nicht; es kommt theils in grossen
Schiffsladungen aus Nordamerika, theils wird es — und in neuester
Zeit fast ausschUesslich — durch Verdunstungsmaschinen an Ort
und Stelle erzeugt.
Im Ganzen lebt man bei allem Luxus recht schlecht. Am
empfindlichsten ist der Mangel an guter Fleischkost und europäischen
Gemüsen, Kartoffeln kommen in allen heissen Gegenden gar nicht
fort. Zum Hunger bringt man es bei dem trägen Leben niemals
und auch der Appetit schwindet bei längerem Aufenthalte mehr und
mehr. So ist zu begreifen, dass der verstimmte Magen bald zu
scharfen Gewürzen und anderen Reizmitteln seine Zuflucht nimmt.
Unser Leben war sehr imruhig während des kurzen Aufent-
halts in Singapore: die Expedition erhielt äusserlich erst hier ihre
Gestaltung und es gab tausenderlei zu berathen, zu besprechen.
Die im Gefolge des Gesandten auf dem Ueberlandwege Gekom-
menen hatten ihre Kammern auf den Kriegsschiffen einzurichten, in
denen sie nichts als eine Schlafcoje und eine Kommode fanden,
imd noch mancherlei andere Vorkehrungen für die Weiterreise zu
treffen; denn Singapore war, wenn wir nach Japan gingen, auf
lange Zeit der letzte Hafen, wo man europäische Lebensbedürf-
nisse kaufen konnte. Die auf den Kriegsschiffen eingetroffenen
Herren, welche ihre Einrichtung in England gemacht und schon
Erfahrung gesammelt hatten, gaben die nöthige Anleitung; die
englischen Kaufleute lieferten — zu ansehnlichen Preisen — fast
Alles was der Seereisende braucht, und Hessen das Fehlende
durch chinesische Handwerker anfertigen. Die Marine - Officiere , die
Beamten und Mannschaften hatten nach der langen stürmischen
Fahrt alle Hände voll zu thun, um die Schiffe wieder seefertig zu
machen — kurz, Jeder war eifrig beschäftigt. Dazu gab es Be-
richte und Briefe zu schreiben. Besuche zu empfangen und zu
ervviedern — man kam nicht zur Besinnung; jeder freie Augen-
blick wurde zu Spaziergängen in die Stadt und die Umgegend
benutzt.
204 Moscheen, Tempel der Ilindu's und Chinesen. I.
Wir versuchten vergebens in die Moscheen') und in die
Hindu -Tempel einzudringen. Die Priester der letzteren fordern, sei
es um die Fremden abzuschrecken, sei es, dass ihr Gewissen be-
stimmte Grenzen hat, exorbitante Summen für den Eintritt Jeder
Einzelne sollte zehn Pfund Sterling zahlen, ein Preis, den Niemand
für die blosse Befriedigimg seiner Neugier geben wollte. Die
Chinesen dagegen sind in religiösen Dingen das toleranteste Volk
der Welt; ihre Tempel stehen Jedem oiTen, und selbst ihre Bonzen
freuen sich über den Besuch der Europäer. Der Haupttempel in
Singapore ist sehr sorgfaltig nach dem Muster der südchinesischen
gebaut und prächtig verziert. Nach der Strasse zu hegt in der
Häuserfront ein Hauptgebäude mit der Eingangsthür und zwei
Seitenpavillons; man tritt in eine offene Halle, — denn die Rück-
wand dieses Gebäudes fehlt, und das Dach wird hier von Pfeilern
getragen. Gegenüber, an der hinteren Seite des Hofes, hegt ein
ähnUches, vorn offenes Gebäude, das eigentUche Heiligthum, wo
der Altar mit dem Götzenbilde steht. Dies ist die gewöhnüche
Einrichtung der kleineren südchinesischen Tempel. Häufig ist der
Hof auch an den Seiten überdacht, so dass zwischen den über-
kragenden Gesimsen nur ein kleiner Raum offenbleibt: dann scheint
der ganze Tempelraum eine einzige Halle zu bilden, und die Wir-
kung ist sehr anmuthig, denn das Licht verbreitet sich überall ohne
dass ein Fenster sichtbar wäre, und die bunten Farben des phan-
tastischen Schnörkelwerkes erscheinen gedämpft und angenehm har-
monisch. Nur in die Mitte tretend erbückt man über sich zwischen
den geschweiften Dächern hindurch ein Stückchen Himmel, — es
ist durchaus der Gedanke des griechischen Hypaithron. — Theils
im engen Hofraiune, theils unter den vorspringenden Dächern stehen
grosse eherne Rauch- und Aschenbecken, Laternen, Pauken und
andere Utensihen des Götzendienstes, auf dem Altare Leuchter,
kleinere Räuchergefasse, künstüche Blumensträusse, bronzene Thier-
gestalten, Orakelbecher und Becken mit Sand, in welche die
Opfernden ihre Ghmmkerzen stecken. Dieses ist ein Hauptact des
chinesischen Cultus, selbst der Aermste unterlässt es nicht, seinem
Götzen eine Rauchkerze anzuzünden. In China beschäftigt sich eine
grosse Zahl von Menschen mit der Fabrication und dem Handel
^) Ein ansehnlicher Theil der Bevölkerung von Singapore bekennt sich zuin Islam,
80 vor Allen die cinlieimischen Malaien, und die eingewanderten Araber aus Vorder-
indien, deren es eine gute Zaiil luiter den handeltreibenden Classen giebt.
I. Cultu8 der Chinesen. 205
dieser aus Sägespähnen von Sandelbolz und anderen wohlriechenden
Hölzern gefertigten Kerzchen; sie sind gewöhnhch etwa zehn Zoll
lang, von der Dicke einer starken Stricknadel, und haben einen
dünneren roth gefärbten Stiel, den man in den Sand steckt. Ihr
Geruch ist nur bei hinreichendem Luftzug zu ertragen.
Der Cultus der Chinesen ist allem Anschein nach im Wesent-
lichen ein Todtendienst. Sie glauben an ein Fortleben nach dem
Tode, und dass die Seelen im Jenseit dieselben Bedürfnisse haben
wie auf der Erde, dass sie essen und trinken, Geld brauchen und
auch belustigt sein wollen. Für das Alles haben die überlebenden
Verwandten zu sorgen, und sind auch sehr gewissenhaft darin —
es gilt als das grösste Unglück keine Kinder zu haben, welche
diesen Dienst versehen können. Damit der Abgeschiedene nun
Geld habe, werden Silberpapiere verbrannt, welche die Bonzen ver-
kaufen, damit er nicht hungere bringen die HinterbUebenen Speise-
opfer, zuweilen ganze Gastmäler, die auf den Altar gesetzt werden,
und um ihn zu ergötzen, brennt man im Tempel Feuerwerkskörper,
vorzügUch Schwärmer ab, denn das ist die Hauptbelustigung der
lebenden Chinesen. Jeder opfert nach seinem Vermögen, der Reiche
ein ganz gebratenes Schwein, der Arme ein wenig Reis; die
Silberpapiere, von denen hundert einen Dollar kosten, aber dem
Todten hundert Dollar einbringen, zündet der Opfernde an, hält
sie in die Höhe , verbeugt und prostemirt sich mit dem flammenden
Bündel in der Hand unter Gebeten vor dem Altar, und wirft sie
zuletzt in das Aschengefäss. Die aufgetischte Malzeit aber packt
er, nachdem sich sein jenseitiger Freund hinreichend an dem Dufte
erlabt hat, ruhig wieder ein und schleppt sie nach Hause. — Häufig,
befragen die Andächtigen auch das Orakel: in einem Becher auf dem
Altar stehen eine Menge flacher dünner Stäbchen , an deren unterem
Ende Schriftzeichen vermerkt sind. Man schüttelt den Becher und
zieht mehrere Loose, aus deren Gesammtheit sich der Fragende die
Antwort liest. Die Bonzen lassen sich von allen diesen Ceremonien
ansehnliche Gebühren zahlen, und profitiren namentlich an dem
Verkauf der Silberpapiere, der Glimmkerzen, des Feuerwerks und
gedruckter Gebetformeln. Sie sitzen an Tischen und Pulten in den
Seitenhallen, meist behäbige feiste Gestalten mit kahlgeschorenem
Haupte, denen es bei ihrem Metier ganz wohl zu sein scheint. Die
Tempelbesucher lassen sich häufig nach dem Opfer gedruckte
Formulare von ihnen unterzeichnen, welche sie sorgfaltig gefaltet
206 Besuch der Tempel. Das chinesische Theater. I.
mitnehmen, wahrsclieinlicli nur Bescheinigungen über das geleistete
Opfer. Eine solche schriftliche Beruhigung des Gewissens hat etwas
überaus practisches; man kann doch niemals in Zweifel über seine
eigene Frömmigkeit gerathen und sich an der Quittung seiner guten
Werke immer wieder freuen.
An der i^^dacht der Tempelbesucher nehmen die Bonzen
gewöhnlich gar keinen Antheil. Ihre eigenen gottesdienstlichen Ver-
richtungen scheinen sich auf das Absingen von Litaneien u. dei^L
zu beschränken, — wir hatten später in China häujBg Gelegenheit
Zeugen solcher Verrichtungen zu sein, die nur in den grösseren
Tempeln und Klöstern zu Peking etwas Ehrwürdiges hatten. Meistens
sieht man den plappernden Bonzen die Gleichgültigkeit und Lange-
weile am Gesichte an. In einem der Tempel, die wir in Singapore
besuchten, las ein Priester grade seine Gebete; er kniete dabei vor
einem Pult, sang mit näselnder Stimme, und klopfte mit einem Stäb-
chen bald links an ein hohles Gefäss, bald, in grösseren Pausen, an
eine Glocke zu seiner Rechten. Eine alte Frau hatte grade ihr
Gebet und Opfer vollendet und befragte nun das Orakel. Sie warf
dabei, allem Anschein nach, die gezogenen Loose so oft auf die
I]rde, bis sie in einer gewünschten Lage niederfielen. — In einem
anderen Tempel sassen vier Chinesen schmausend und schwatzend
um einen Tisch; andere rauchten, wälirend mitten unter ihnen ein
ganzes Fass mit Schwärmern abgebrannt wurde. Sie bewillkonmiten
freundlich die Fremden und luden sie zu ihrem Feste ein. — Der
Eindruck dieser Tempel ist nichts weniger als ernst und heilig; der
Chinese scheint diese Begriffe in unserem Sinne nicht zu kennen,
er geniesst practisch das Leben und findet sich mit dem Himmel
und seinem Gewissen auf die bequemste Weise ab.
Eines Abends besuchten mehrere der Reisenden das chinesische
Theater. Die dahin fuhrenden Strassen waren gegen zehn Uhr noch
äusserst belebt; grosse farbige Papierlatemen brannten in den Kauf-
läden und Colonnaden, und aus vielen Häusern schallte lärmende
Musik. — Das Theater ist ein länglich -viereckiges Gebäude aus
Holz und Bambus; der Eingang hegt in einer der schmalen Seiten,
gegenüber die um einige Fuss erhöhte Bühne. Der Raum dazwischen
ist mit Bänken besetzt, auf denen ein zahlreiches chinesisches Publicum
Platz genommen hatte. Wir zogen es vor, auf die Bühne zu steigen,
um Alles in der Nähe zu sehen: sie nimmt die ganze Breite des
Theaters ein , hat aber wenig Tiefe. Auf den Seiten standen Wald-
I. Chinesisches Schauspiel. 207
oder Gartencoulissen ; die ÄEttel- Decoration, einen Festzug dar-
stellend, hing von der Decke nur bis zur Hälfte der Höhe herab
und liess den Blick in einen halbdunkelen Raum frei, eine Art
Garderobe, wo Toilette gemacht und Rollen überhört wurden. Vor
dieser Oeffnung sass im Grunde der Bühne das Orchester, bestehend
aus einer Clarinette, einer Violine, einem Gong und einer Art Trommel
von Holz. Die Beleuchtung der Bühne wurde durch zahlreiche, an
Gerüsten befestigte Lampen bewirkt, die ein Lampenputzer während
der Vorstellung mit Oel versah ; der Zuschauerraum lag im Halbdunkel.
Die in dem Raum hinter der Bühne aufgehängten Costüme
waren sehr prächtig, aus den schwersten Seidenstoffen gefertigt,
strotzend von Gold und Stickerei, besonders reich und kostbar einige
heim- und kronenartige Kopfbedeckungen aus stark vergoldetem
Metall, von schöner Zeichnung und Arbeit; sie schienen zu kostbar,
um für die Bühne gemacht zu sein , und hatten wahrscheinlich einst
der WirkUchkeit gedient. Die Schauspieler machten hier mit grossem
Ernst Toilette; mehrere standen vor kleinen Spiegeln und trans-
formirten sich in grimmige Krieger, d. h. sie malten sich das ganze
Gesicht weiss und zogen dann regelmässige braune und rotlie Striche
queerüber von Ohr zu Ohr, wobei ihnen die Reisenden zu ihrer
grossen Satisfaction mit einigen kühnen Pinselstrichen halfen. Ein
Mandarin mit langem Bart und würdiger Miene musste sich hergeben,
um die verschiedenen Kopfbedeckungen aufzuprobiren , und hess es
sich mit grosser Liebenswürdigkeit gefallen. Frauen betreten die
Bühne nicht; um ihre kleinen Füsse nachzuahmen, schnallen sich die
Schauspieler Stelzen an.
Die Darstellungsweise ist durchaus conventionell , affectirt,
künstlich und übertrieben, Vortrag und Gebehrden gradezu fratzen-
haft. Hergebrachte Bewegungen, hergebrachte Töne bezeichnen
bestimmte Affecte und Stinunungen: nur die Komiker nähern sich
zuweilen einer natürlichen Darstellungsweise. Der Text wird theils
gesungen — im Dialog mit strophenweiser Abwechselung, ~ theils
recitirt, aber auch dabei kommen alle Register der Stimme vom
höchsten Falset bis zum tiefsten Gurgelbass, alle Töne und Miss-
töne, deren das menschliche Organ fähig ist, in Anwendung. Die
Declamationen werden oft von den Instrumenten begleitet, Kraft-
stellen durch wüthendes Pauken auf dem Gong hervorgehoben.
Die Musik zeichnet sich durch den gänzlichsten Mangel an Tact,
Melodie und Harmonie aus und scheint nur den Worten angepasste
208 Darstellungsweisc der Chinesen. Ein Klingtheater. I.
Modulation von Tönen zu sein, doch müssen die Tonreihen der
Chinesen, ganz andere sein , als die dem europäischen Ohre geläufigen,
denn der Fremde kann nur schreiende Dissonanzen heraushören. —
Der erste Held oder Liebhaber spielte seine Rolle ziemUch nüchtern,
aber zwei Greise, denen Barte aus weissen Ziegenhaaren von der
Oberlippe bis auf die Brust herabhingen , plärrten und heulten ganz
unmässig. Die Frauen zeichneten sich durch gezierte Arm- und
Handbewegungen aus und sprachen consequent durch die Fistel.
Den Glanzpunct der Vorstellung bildete eine Schlacht oder tüchtige
Prügelei, wobei die grimmigen Krieger einander wüthend gegen
(he Brust sprangen, sich zur Erde warfen und die halsbrechendsten
Capriolen vollführten — Alles zur grossen Genugthuung des PubHcums,
das in lautloser Stille zuhörte und die Anwesenheit der Fremden auf
der Bühne auch dann nicht zu missbilligen schien , als sie den Gong-
Schläger in seinen Verrichtungen zu unterstützen begannen. Sehr
eigenthümlich war das Auf- und Abtreten der Schauspieler: auf-
tretend liefen sie, hintereinander trippelnd, erst einmal im Kreise
auf der Bühne umher, und stellten sich dann in einer Linie auf, bis
an Jeden die Reihe kam seinen Spruch zu sagen; abtretend wie-
derholten sie denselben Kreislauf und verschwanden dann hinter
dem Orchester, gewiss eine sehr bequeme Art über das stunune
Spiel und die Verlegenheit des Aus- und Eingehens hinwegzu-
kommen. — Im Ganzen machte das grelle Licht, die schrillenden
Stinunen, das Gequieke der Geige und Clarinette und das dröhnende
Schmettern des Gong einen betäubenden Eindruck, und man war
froh, wieder hinauszukommen.
In dem indischen Stadtviertel, wohin wir vom Theater aus
fuhren, herrschte Todtenstille; die Strassen wie ausgestorben, alle
Häuser dunkel. GlückUcherweise war noch ein »Klingtheatera ')
offen, so nennt man in Singapore die Häuser, in welchen indische
Tänzerinnen ihre Künste zeigen. Man trat durch eine Vorhalle,
wo Hindu's und Malabaren an den Wänden kauerten, in einen matt
erleuchteten Raum. Am Boden hocken einige Musikanten mit Saiten-
spielen, vor ihnen stehen zwei Tänzerinnen mit langen engen Klei-
dern und so kurzen Taillen, wie man zur Zeit Napoleon des Ersten
zu tragen pflegte; Hals und Brust bedeckt, die Aermel knapp an-
schliessend, die Haartracht ganz europäisch. Sie begannen auf
^ Die aus Vorder - Indien eingewanderten Hindus und Malabaren werden in
Singapore -Kling* genannt.
I. Der Opium verbrauch. 209
unsere Bitte ihre Production: Musik und Gesang waren sehr trüb-
selig, mager und eintönig, und der Tanz bestand in einem ab-
wechsehiden Vorschieben und Beugen des rechten und linken Knies,
wobei die Tänzerinnen langsam vorschritten und bald den rechten,
bald den Unken Arm emporhoben, wie ein Schulknabe der ein
Gedicht declamirt. Sie machten alle Bewegungen gleichzeitig und
tanzten dicht neben einander, das Gesicht nach dem Grunde des
Gemaches gewendet, wo einige Stufen zu einem kleineren Raum
hinanfiihrten: dort stand, matt beleuchtet, ein Tisch mit künstlichen
Blumen, Muscheln und allerlei Niedlichkeiten. Den Reisenden wurde
der Eintritt in dieses Gemach nicht gestattet, und zwar, wie ein
französisch radebrechender Inder erklärte, »parce^que c^est mon
dieu€. Offenbar war der Tanz eine gottesdienstliche Handlung, —
dass er aber erhebend gewesen wäre lässt sich nicht behaupten,
und reizend war er gewiss nicht. Welchem Stamme die Tänzerinnen
angehörten konnten die Reisenden nicht herausbringen, wohl aber,
dass sie sich mit dem Tanzen Geld verdienten. Den Malabarinnen,
welche sich durch weiche üppige Formen , durch geschmeidige
Glieder und feurige Äugen auszeichnen, glichen sie durchaus nicht;
sie hätten weit eher für Malaiinnen gelten können. Die ganze Scene
war über die Maassen trübselig und langweilig, und von der eben
verlassenen im chinesischen Theater grundverschieden. Für den
Europäer ist es gleich räthselhaft, wie man an den grellen fratzen-
haften Uebertreibungen der Chinesen oder an diesen abgemessenen
eckigen Tänzen, an der mystisch trüben, traumhaften Stimmung
solcher Auftritte Behagen und Erholung finden kann. Was würden
freilich Chinesen und Inder wohl zu unseren Ballfesten sagen?
Wir wollten an demselben Abend noch eine Opiumbude be-
suchen , fanden sie aber alle geschlossen. Der Verbrauch des
Opium ist grade in Singapore, wo es wenig Frauen giebt, ungemein
stark und bringt der Regierung grosse Summen ein. Das Verkaufs-
recht war früher an drei Chinesen verpachtet gewesen, welche
20,000 Dollar monatlich dafür zahlten , aber nach Ablauf ihrer
Pachtzeit an eine Gesellschaft von himdert Personen gekommen,
welche 30,000 Dollar gaben*). Die neuen Pächter machten an-
fangs schlechte Geschäfte, und merkten bald, dass die früheren
Händler, welche das Privilegium verloren hatten, im Stillen mit dem
Opiumverkaufe fortfuhren. Die PoUzei versuchte die heimlichen
^) Diese Angaben klingen unglaublich, riihren aber von competenter Seite her.
I. U
210 Englische Beamten. Das Fort. I.
Opiumladen aufzuheben, und es kam zu einem Zusammenstoss, bei
dem zwanzig Cliinesen das Leben verloren und viele verwundet
wurden. Eine Controlle der Opium - Einfuhr ist unmöglich, da
Singapore ein Freihafen ist.
Der Gouverneur der Colonie und sein Stab, der Oberrichter,
und die Ofiiciere der Garnison erwiesen der preussischen Gesandt-
schaft viel Höflichkeit und machten ihr den Aufenthalt sehr an-
genehm. Der Gouverneur Colonel Cavenagh steht im kräftigen
Mannesalter und hat manches Schlachtfeld gesehen. Bei Gwalior
wurde ihm ein Bein abgeschossen, und im letzten indischen Feld-
zuge der Arm verstümmelt, — das Bein ist von Holz, und der Arm
hängt in der Binde, aber die Willenskraft des Invaliden ist unge-
schwächt, und es gehört nicht wenig Geistesklarheit, Festigkeit und
Haltung dazu, eine so volkreiche Colonie mit so geringen Kräften
zu regieren und zu fördern. Man erstaunt über die kleine Zahl
europäischer Officiere und Beamten, die hier — wie in Ost -Indien
und überhaupt in allen englischen Colonieen — grosse Massen nicht-
christlicher, halbbarbarischer Völker beherrschen, zügeln und er-
ziehen. Der Gouverneur, sein Adjutant, der Oberrichter mit wenigen
Beamten und der Commandeur des 40. Native- Madras -Regiments
mit fünf Officieren üben die vollste Autorität nicht nur über die
Insel Singapore mit einer halbwilden Mischbevölkerung von fast
100,000 Köpfen, sondern auch über die Colonie Malacca auf dem
hinterindischen Festland. Die ansässigen europäischen Kaufleute
sind unter die Beschützten zu rechnen, so dass die Regierung im
Falle eines Aufstandes einzig auf die Energie und Umsicht von einem
Dutzend Beamten und auf die Treue eines indischen Sepoy- Regi-
ments angewiesen ist. Europäische Truppen sind nicht da, aber
die Angesessenen fühlen sich vollkommen sicher unter dem Schutze
der britischen Flagge. Es ist auch für alle EventuaUtäten gesorgt:
auf dem die Stadt beherrschenden Hügel erhebt sich ein stark ar-
mirtes Fort, wo im Falle eines Aufstandes, der nur von den Chinesen
zu befürchten ist, alle europäischen Ansiedler mit ihrer Habe Schutz
finden könnten. Dieses Fort nimmt den ganzen Hügel ein, dessen
Gestalt seinen Grundriss bestimmt hat; man baute zur Zeit unserer
ersten Anwesenheit seit fünfzehn Monaten daran und hoffte es in
kurzem zu vollenden. Das Material ist ein vorzüglicher Granit von
einer nahgelegenen Insel, die Armirung soll in 27 Geschützen von
schwerem Caliber (8 inch guns) bestehen, welche die ganze Stadt
I. Die Strafanstalt 211
in Grund schiessen können. Auch gegen einen Angriff fremder
Kriegsschiffe "würde das Fort die Stadt auf kurze Zeit vertheidigen
können, doch ist sein Hauptzweck der einer Zwingburg für die
asiatische Bevölkerung. Der Bau des Arsenals und der Officier-
Wohnungen war schon weit vorgeschritten und zu einer Caseme für
zweihundert Artilleristen der Grund gelegt. Die Kosten betrugen
bis dahin 14,000 Pfund Sterling. — Schön ist die Aussicht von
diesem Burghiigel auf die Stadt, die Rhede, die grünen Hügel mit
den schimmernden Wohnhäusern der Europäer, besonders Morgens,
wenn leichte Nebel auf der Insel lagern, und die Wipfel der Palmen
und Casuarinen sich wie aus flockigem Federflaum erheben. Im
Westen liegt Newharbour mit den Docks der P. and O. Company,
und am Jfusse des Festungshügels ein Morast, dessen schlammige
Ufer die Malaien bewohnen. Sie werden seltsamer Weise von den
schädlichen Ausdünstungen des Sumpfes nicht belästigt.
Sehr interessant und belehrend war ein Besuch in der zur
Au&iahme vorderindischer Verbrecher bestimmten Strafanstalt (Con-
vict lines). Am Eingang überrascht (he geringe Stärke der Sepoy-
Wache — zehn Mann — und die unbedeutende Höhe der Ring-
mauer. Die Sicherheit wird aber durch die eigenthümlichen Ver-
hältnisse der Insel und durch die innere Einrichtung der Anstalt
gewährleistet, so dass es keiner äusseren Schutzmittel bedarf. Die
Gefangenen, meist Hindu's, finden entweichend weder bei Malaien
noch bei Chinesen Aufnahme, und im Walde übt der Tiger die
Polizei. Wird einer zurückgebracht , so verUert er alle durch
früheres gutes Betragen errungenen Vortheile und muss wieder in
die unterste Classe eintreten. — Die HaupteigenthümUchkeit der
Anstalt ist die Beaufsichtigung der Sträflinge durch Sträflinge. Solche
unter ihnen, die sich längere Zeit — fünf bis acht Jahre — gut
betragen haben, werden als Aufseher, Schreiber und Kranken-
wärter gebraucht, und erhalten dafür ein Monatsgehalt von etwa
vier Tlialern. Ueber dreihundert Stellen sind auf diese Weise be-
setzt; der Vorsteher der Anstalt, ein Hauptmann, hat ausser zwei
englischen Wachtmeistern keinen Beamten der nicht Sträfling wäre.
Die Aufseher müssen für Jeden einstehen der ihnen anvertraut
wird, auch wenn sie, ^vie häufig vorkommt, zum Stein- oder Holz-
hauen, zu Strassenbauten oder anderen öffentlichen Arbeiten mit
Proviant versehen auf mehrere Wochen in entlegene Gegenden der
Insel geschickt werden. Die Kosten der Anstalt sind sehr gering:
212 Einrichtung der Sti'afanstalt. Die Caserne. I.
die Hindu's leben fast ganz von Reis und Gemüsen, und vieler
Kleidung bedarf es nicht. So erhält sich die Anstalt nicht nur
selbst, sondern wirft einen beträchtlichen Gewinn ab, der 1859
gegen 40,000 Rupees (26,667 Th.) betragen haben soll. Die Zahl
der Sträflinge beüef sich auf 2247, darunter einige Weiber; dazu
waren 292 Zuchthäusler aus Singapore in derselben Anstalt unter-
gebracht, also im Ganzen 2539. — Alle zur Deportation verurtheilten
vorderindischen Verbrecher werden in die Niederlassungen der
Strasse von Malacca, nach Penang, Malacca und Singapore ge-
schickt, wo man durch ihre Arbeit den grössten Theil der Strassen
und öflFentlichen Gebäude lierges teilt hat. Auch am Bau des Forts
von Singapore arbeiteten sie mit chinesischen Tagelöhnern vermisclit.
Schlechte Führung wird mit harter Arbeit, dem Ausklopfen der
Cocosnussfasem in Ketten bestraft.
Die Sträflmge der Anstalt von Singapore sahen munter und
gesund aus, vor allen die Aufseher. — In einem grossen, mit Mauern
umgebenen Hofe stehen mehrere gut gehaltene Gebäude , Schlaf- und
Arbeitsäle, ein Hospital, Zellen zur Einzelnhaft, Küchen, Werkstätten,
Schmieden, ein Arbeitslocal für Widerspänstige, eine Abtheilung für
die Frauen u. s. w. , alle luftig und rein im vollsten Sinne des Wortes.
Die Brunnen hefem nicht bloss Trinkwasser, sondern auch Wasch-
und Badewasser in reichlicher Menge. Die Küchen für jede ReUgion
und Kaste sind getrennt und dienen zugleich als Speisesäle, da jeder
Hindu seine Nahrung auf der Erde kauernd sogleich verzehrt, wo
er sie erhält. — Es giebt im Ganzen sechs Classen Gefangener,
davon ist die fünfte die Strafabtheilung, und zur sechsten gehören
die durch Alter zur Arbeit unfähig gewordenen. Die Sträflinge
gelangen nach sechs- bis sechszehnjähriger guter Führung in die
erste Classe und dürfen sich dann selbst auf der Insel ihr Unter-
kommen suchen.
Die Caserne des 40. Native-infantry Madras -Regimentes be-
sichtigte der Gesandte bei Gelegenheit eines Besuches, den er dem
Commandeur Major Hervey abstattete. Die Gemeinen sind alle
aus der Präsidentschaft Madras geworben; sie dürfen nur drei
Jahre hintereinander ausser Landes verwendet werden und erhalten
während dieser Zeit einen monatlichen Sold von 7 bis 9 Rupees
(1 Rupee = 20 Sgr.) neben reichUchen Rationen. Viele ernähren
davon ihre in Indien zurückgebliebenen Familien. Die Madras-
Regimenter sind während des ganzen indischen Feldzuges treu
I. Besuch bei Tuuanoung. 213
geblieben und gemessen des grössten Vertrauens; trotzdem hält
man es seit 1858 für gerathen, nur die dienstthuenden Mannschaften
bewaffnet gehen zu lassen; alle übrigen müssen ihre Waffen in einem
grossen Saale der Caseme niederlegen. Das Regiment besteht aus
zehn Compagnieen zu hundert Mann; zwei davon sind in Labuan
auf Bomeo stationirt. Die Verantwortlichkeit für die Truppen in
Singapore fallt auf sechs englische Officiere ; alle übrigen Subalternen
sind avancirte Sepoys.
Am 7. August machte der Gesandte in Begleitung der Capitäne 7. August.
Sundewall und Jachmann imd vieler anderen Expeditionsmitglieder
dem bei Newharbour, etwa drei englische Meilen von der Stadt
wohnenden Tumangüng von Dzohor einen Besuch. Er ist der Sohn
des Mannes, welcher den Engländern zuerst einen Küstenstrich zur
Niederlassung auf der Insel abtrat, ein alter, fast zahnloser Herr
in malaiischer Tracht, welche besonders durch das bunte, lose
um den Kopf geknüpfte Baumwollentuch und den Sarong auffallt.
Aehnhch, doch mit europäischen Zuthaten, kleiden sich seine
beiden englisch redenden Söhne, welche den Gesandten am Ein-
gange des Hauses empfingen, schöne junge Männer im Alter von
27 und 24 Jahren mit acht malaiischen träumerischen Zügen. Der
TuMANGUNG kam seinen Gästen oben an der Treppe entgegen , führte
sie in einen englisch eingerichteten Salon und zeigte mit grosser
Selbstgefälligkeit eine Sammlung kostbarer Krise , — so heissen die
malaiischen Dolche. Die Klinge ist geflammt und oben sehr breit,
das Heft kurz, von hartem Holze, und sitzt im stmnpfen Winkel
an der Klinge. Die meisten sind vergiftet, jede Wunde soll tödtUch
sein. Die Dolche des Tümangüäg hatten sehr schöne Klingen deren
Stahl eine Art Damast zeigte, und waren reich mit Edelsteinen
besetzt, ebenso einige kurze Lanzen die zur Tigerjagd gebraucht
werden, von schöner Zeichnung und auserlesener Arbeit. — Der
TuMANGUNG sprfcht uur malaiisch; der hanseatische Consul hatte die
Güte, bei der Conversation zu dolmetschen. — Unbeirrt durch die
Anwesenheit der Fremden flatterten durch die offenen Fenster viele
Schwalben aus und ein und verschwanden in einen an die Wohn-
räume stossenden Gang, dessen Decke ganz mit ihren Nestern bedeckt
war. Wir erfuhren, dass es die Art sei, welche die essbaren
Nester baut, imd dass der Hausherr sie seinem Gaumen zu Liebe
hierher gewöhnt habe. Ueber der Treppe hing ein Käfig mit
einer unscheinbaren Taube von seltener Art, die nach malaiischem
214 Newharboiir. lustallinmg auf den Kriegsschiffen. I.
Aberglauben ein sehr hohes Alter erreicht und in ihrem hundertsten
Lebensjahre diamantene Eier legt.
Wir verabschiedeten uns mit dem Wunsche, dass der alte
Herr noch recht viele Schwalbennester und demant«ne Eier gemessen
möge,' und wurden von seinem ältesten Sohne nach dessen nahge-
legenem Hause gefuhrt, wo ein opulentes europäisches Frühstück
aufgetragen war. Durch die Fenster und Thüren gaffte eine stumme
Menge herein. Die Wirthe nahmen als strenge Mohamedaner weder
Speise noch Wein zu sich, sondern begnügten sich mit külilendem
Scherbeth. Graf Eulenburg brachte in deutscher Rede ihre Gesund-
heit aus, — dann erhoben wir ims, um die nahgelegenen Etablisse-
ments der P. and O. Company zu besehen. Ihre Lage ist köstlich;
die Bucht bildet hier mehrere tiefe Einschnitte, die steilen Ufer
sind malerisch mit dem üppigsten Pflanzenwuchse bedeckt, unter
welchem sich die rechteckigen kahlen Nützlichkeitsbauten gar sonder-
bar ausnehmen; das hohe Meer ist nirgend zu sehen und das Wasser
spiegelglatt. Eine vorliegende längliche Insel bricht den Wogen-
schwall; die Schilfe können von Osten und von Westen einsegeln.
Rückwärts thront auf dem Hügel eine Batterie von fünf Geschützen,
welche das ganze Becken beherrscht.
Bei der Heimfahrt erbückten wir das Signal eines preussi-
schen Kriegsschiffes am Flaggenmast auf dem Fort, die Elbe war
in Sicht. — Abends gab der Gouverneur dem Gesandten ein solennes
Diner und empfing ihn dabei mit militärischen Ehren.
8. August. Den 8. August hatte der Gesandte zu seiner formellen In-
stallirung auf den Kriegsschiffen bestimmt. Er begab sich deshalb
mit sämmtlichen Expeditionsmitgliedem und dem preussischen Consul
Morgens um elf Uhr an Bord der Arkona, wo die Officiercorps
aller vier Schiffe versammelt waren. Nach Vorstellung derselben
durch den Geschwaderchef hielt der Gesandte eine kurze Anrede
an die Versammlung, in welcher er hervorhob, welche Wichtigkeit
Seine königUche Hoheit der Prinz -Regent der Expedition beilege,
und dass er AUerhöchstdemselben in Aller Namen das Versprechen
gegeben habe, in treuester Pflichterfüllung alle Kräfte an die Er-
reichung der vorgesteckten Ziele setzen zu wollen. Er schloss mit
einem dreimaligen Hoch auf Seine Majestät den König und Seine
königliche Hoheit den Regenten, in welches die Musik und die in
Parade aufgestellte Mannschaft mit lautem Hurrah einfielen. Gegen
ein Uhr kamen der Gouverneur mit Lady Cavenagh und seinem
I. Politische Coujunctureii. 215
Adjutanten, der Oberrichter der Colonie, und bald nachher der
TuMANGUNO mit seinem ältesten Sohne, Herr und Frau Moyer und
der mecklenburgische Consul Cramer an Bord. Nach dem Frühstück
wurde das SchifiF besichtigt, und einige Exercitien mit dem Zünd-
nadelgewehr gemacht, welche die Aufinerksamkeit der engUschen
Officiere und der malaiischen Fürsten erregten. Der Gouverneur
verUess um zwei Uhr das Schilf unter dem Salutfeuer der Thetis,
welches der englische Kriegsdampfer Assaye mit der preussischen
Flagge im Grosstop erwiederte Die Arkona salutirte unter den
Klängen des Preussenliedes in dem AugenbUck, da das Boot des
Gesandten, — als das letzte, — vom Fallrep abstiess.
Ursprünglich war es die Absicht des Gesandten gewesen,
von Singapore aus nach China zu gehen , um dort mit den Vertrags-
verhandlungen zu beginnen. Die Ausfuhrung dieses Planes setzte
aber voraus, dass dort die Engländer und Franzosen ihre Zwecke
erreicht, ihre Verträge ratificirt, ihre Gesandten in Peking einge-
führt hätten. Erschien das preussische Geschwader unter solchen
Verhältnissen in den chinesischen Meeren, so konnte man günstige
Resultate mit Sicherheit erwarten. So lange aber die Differenzen
mit England und Frankreich schwebten, Uess sich der Hof von
Peking auf Unterhandlungen mit anderen Mächten wahrscheinlich
gar nicht ein. Der mit Negocirung eines Handelsvertrages beauf-
tragte belgische General -Consul D'Egremont war in diesem Sinne
besclneden worden, und Preussen konnte nichts Besseres erwarten.
Am günstigsten wäre der Augenblick unmittelbar nach dem Siege
der Allürten oder nach der friedlichen Ausgleichung des Streites
gewesen, aber noch schien die Entscheidung weit hinausgerückt.
Der Untergang des Malabar im Hafen von Point de Galle hatte die
Ankunft der beiden Botschafter Lord Elgin und Baron Gros ver-
zögert, und die Franzosen verloren ein mit nothwendigen Aus-
rüstungsgegenständen beladenes Transportschiff. In Folge dessen
waren, -wie in Singapore verlautete, die Streitkräfte noch nicht ein-
mal von Hongkong und Schanghai nach dem Norden aufgebrochen ;
die Nachricht von den Fortschritten der chinesischen Rebellen,
welche Sütsaü genommen hatten und Schanghai bedrohten, er-
weckte wieder die Hoffnung, dass der Hof von Peking dem Druck
der Verhältnisse weichen und die Forderungen der Allürten erfüllen
würde, ohne es zum Aeussersten kommen zu lassen, — kurz, Alles lag
im Ungewissen. Der Gesandte hätte , wenn er in diesem Augenblicke
216 Beweggründe zui* Reise nach Japan. I.
uach China ging, eine zuwartende Stellung einnehmen müssen, und
zwar in Schanghai, wo diese Monate die heissesten und unge-
sundesten des ganzen Jahres sind, oder in dem stürmischen Golfe
von Petsili, wo unter den obwaltenden Umstanden an eine Lan-
dupg nicht zu denken war. An beiden Orten wäre die Expedition
zu einer mehrmonatlichen Unthätigkeit verurtheilt gewesen, von der
sich auch fiir die Zukunft kein Vortheil absehen hess. Zu einer
Theilnahme am Küege war erstens keine Veranlassung, — denn eine
blosse Weigerung der chinesischen Regierung, mit Preussen einen
Vertrag abzuschliessen , konnte niemals als eine solche angesehen
werden, — dann aber hatten die preussischen Kriegsschiffe viel zu
grossen Tiefgang, um die Barre vor den Takü- Forts passiren und
in den Peiho einlaufen zu können, der nur für Fahrzeuge geringer
Grösse schiffbar ist, waren also schon durch ihre Bauart von der
Möglichkeit der Theilnahme an den Feindseligkeiten ausgeschlossen ;
die Alhirten hätten auch eine solche schwerüch gewünscht. Eine
rein zuwartende Stellung aber war der Würde der Gesandtschaft
nicht angemessen.
In Singapore konnte Graf Eulenburg nicht bleiben, ohne sich
der Gefahr auszusetzen, im entscheidjenden Augenblicke nicht an
Ort und Stelle sein zu können. Der Südwest -Monsun weht nur in
den Sommermonaten und höchstens bis zum September. Der
Nordost -Monsun der Wintermonate aber ist an den chinesischen
Küsten 80 heftig und beständig, dass die Schiffe grosse Umwege
machen müssen um die nördlichen Häfen zu erreichen. Es han-
delte sich also darum, mit Hülfe des schon schwindenden Südwest-
windes noch einen Ort zu erreichen, wo die Expedition, ohne
unthätig zu sein, die Entwickelung der chinesischen Ereignisse
abwarten, und von wo sie schnell nach Nord -China hinübersegeln
könnte. Deshalb beschloss der Gesandte, jetzt gleich nach Yeddo
zu gehen, und trotz den ungünstigen Nachrichten über die Dispo-
sition der dortigen Regierung den Japanern zuerst seine Vorschläge
zu machen. Wurden sie zurückgewiesen , so hatte das weiter keine
Folgen fiir den chinesichen Vertrag; der Gesandte konnte im October
oder November nach dem Golf von Petsili gehen, wo dann wohl
eine Entscheidung eingetreten sein musste. Ein misslungener Ver-
such in China würde die unbedingte Zurückweisung in Japan
unfehlbar nach sich gezogen haben; dagegen hatte es nichts Be-
denkUches, nach glückUchem Abschluss mit China nach Japan
I. Vertheiluiig auf den Schiffen. 217
zurückzukehren, denn fast alle Verträge fremder Mächte mit Japan
waren bis dahin unter dem Druck ihrer Erfolge in China abge-
schlossen worden.
Arkona, Thetis und Frauenlob waren in wenig Tagen segel-
fertig; die Elbe aber hatte in den Stürmen am Cap der Guten
Hoffnung einen grossen Theil ihres Kupferbeschlages verloren, und
musste in das Dock gehen. Wann die Reparaturen beendet sein
würden , liess sich nicht absehen. Da nun die kaufmännischen Mit-
gheder der Expedition in Singapore ihre Waarenproben vorzulegen
wünschten, so wies der Gesandte ihnen ihre Plätze auf der Elbe
an. Demgemäss blieben die Herren Jacob, Grube und Commerzien-
rath Wolf in Singapore zurück. Von den übrigen Reisenden schifften
sich der Gesandte mit seinen drei Attache's — den Herren von Brandt,
von Bunsen und Graf A. zu Eulenburg, — dem Dr. med. Lucius, dem
Geologen Baron von Richthofen, dem Zeichner W. Heine aus New-
York, dem sächsischen Kaufmann G. Spiess und dem Photographen
Bismark auf der Arkona; der Legations -Secretär Pieschel, der Bo-
taniker Regierungsrath Wichura, der Zoologe Dr. von Martens, der
Bevollmächtigte des Landwirthschaftlichen Mnisteriums Dr. Maron,
der botanische Gärtner Schottmüller und der Maler Berg auf
der Thetis ein. Frauenlob erhielt keine Passagiere. Die Thetis
verliess die Rhede von Singapore am 12., Arkona und Frauenlob
am 13. August. Da der Gesandte nicht wünschte , dass sein Zweck
nach Yeddo zu gehen der japanischen Regierung vor seiner Ankunft;
bekannt würde, — was durch die Postdampfschiffe über Hongkong
und Schanghai leicht geschehen konnte, — so blieb die nächste Be-
stimmung der ganzen Expedition während ihres Aufenthaltes in
Singapore geheim; die Schiffe gingen mit versiegelten Ordres in See,
welche erst auf hohem Meere erbrochen wurden.
IL
REISK DER THETIS VON SINGAPORE NACH YEDDO.
VOM 12. AUGUST BIS 14. SEPTEMBER.
Die Passagiere der Thetis begaben sich schon am elften Mittags
an Bord und die Fregatte war segelfertig, aber ein auf dem Werft
von Singapore bestellter Cutter — die Thetis hatte den ihren in
den Stürmen am Cap der Guten Hoffnung verloren — wurde bis
zmn Abend nicht abgeUefert, und musste endlich von der Mann-
schaft unvollendet an Bord geholt werden. — Das Schiff war den
ganzen Nachmittag von Bumbooten umgeben , in denen Malaien und
Chinesen ihre Waaren zu Kauf boten; die Mannschaft trieb in den
Freistunden ihren Scherz mit ihnen und feilschte um allerlei Nötliiges
und Unnützes , Jeder sprach seine eigene Sprache und man verstand
sich oft erst nach den spasshaftesten Irrthümern. Der Matrose mag
kein Geld im Beutel dulden und wird, namentlich wenn er den Hafen
verlässt, gern um jeden Preis seinen letzten Heller los. Ananas,
Bananen und andere Fruchte, frisches Brod und Käse fanden starken
Absatz, — denn dass wir für geraume Zeit auf Schiffskost angewiesen
sein sollten war bekannt, — aber auch Affen, Cacadu's und anderes
schreiendes Gethier, die besondere Leidenschaft der Seeleute, wur-
den begierig gekauft Die Vorgesetzten gönnen sie ihnen gern so
weit es der Kaum und der Dienst gestatten, denn sie bilden fast
die einzige Unterhaltung der jüngeren Mannschaft auf langen Reisen,
und geben, bei manchem Schabemak, viel Stoff zu Scherz und
Lachen.
12. AuRust Am zwölften um acht Uhr Morgens ging die Fregatte in See, —
Wir Uefen unter leichter Westbrise durch den Singapore -Canal —
da ertönte plötzlich der Angstruf »Maim über Bord«. Ein Matrose
war beim Setzen der Leesegel von der Raae gerissen worden und
trieb in den Wellen. Das Schiff machte wenig Fahrt und ^vurde
sogleich beigedreht, der zweite Cutter zu Wasser gebracht, aber
II. Manu über Bord. Windstille. 219
80 schnell dieses Manöver auch ging, so schwamm der Matrose, der
eine der ausgeworfenen Rettungsbojen erfasst hatte, doch schon
mehrere Kabellängen hinter uns. Das Boot erreichte ihn glückUch
vor einem Angriff der Haifische, von denen diese Meere wimmeln,
und er kam mit einem angenehmen Bade, wir diesmal mit dem
Schreck davon. Gewöhnlich geht es nicht so glücklich, denn nur
wenige Matrosen können schwimmen, und die Haifische folgen gern
im Kielwasser der Schiffe. — Um vier Uhr passirten wir den
Leuchtthurm von Pedra blanca, den die Engländer am östUchen
Eingange der Strasse von Singapore erbaut haben , und liefen in die
chinesische See ein.
Am dreizehnten waren die Anamba- Inseln in Sicht. Der 13. August.
Südwestwind wurde immer schwächer und starb am folgenden Tage
ganz weg. Den vierzehnten war es todtenstill, und bUeb so mit
geringer Unterbrechung durch leichte Brisen bis zum 18. September.
Die Sonne schoss glühende Strahlen; man beobachtete auf Deck
im Schatten bis 40° C, und an den kühlsten Stellen in der
Batterie 30° C; der geschmolzene Theer thaute in dicken schwarzen
Tropfen von der Takelage, und die Existenz auf dem Schiffe war
keine paradiesische. Am besten ging es noch den Passagieren.
Legationssecretär Pieschel hatte einen Theil der Capitänscajüte inne,
und die anderen bewohnten zu zweien luftige Kammern in der
Batterie, welche für sie aufgeschlagen waren. Diese hatten als
Fenster jede eine breite Stückpforte, welche Tag und Nacht offen
blieb, und doch liess sich kein merklicher Luftzug herstellen. Die
Kammern der Officiere und Beamten aber liegen ein Stockwerk tiefer,
im Zwischendeck, und haben als Fenster nur ein sogenanntes Ochsen-
auge, ein rundes Loch von etwa fünf Zoll Durchmesser, das bei dem
geringsten Seegange hermetisch verschlossen werden muss. Hier
und in den ebenfalls im Zwischendeck hegenden Messräumen der
Officiere und Cadetten wurde der Aufenthalt zu Zeiten ganz un-
leidlich, besonders beim Mittagessen. Diese Unbequemlichkeit ist
eine nothwendige, denn der Kampfbereitschaft des Schiffes, welche
ein Freibleiben des Batteriedeckes für die Geschützmanöver for-
dert, muss jede andere Rücksicht weichen. Der Seemann ist von
Jugend auf an alle Entbehrungen des Kriegsschifislebens gewöhnt,
aber der Reisende empfindet sie schwer; so wurden besonders den
neu hinzugekommenen Passagieren die spärlichen Wasserrationen —
ein und ein halbes Quart täghch zum Waschen und Trinken — bei
220 Kriegschiffsleben. II.
dem brennenden Durst und dem Bedürfniss die Haut zu erfrischen
sehr unbequem.
Wo viele Menschen auf einem kleinen Raum zusammen-
gedrängt sind, da müssen die Rechte und Pflichten eines Jeden
streng abgegrenzt sein, wenn Ordnung und Disciplin erhalten werden
sollen. Die Autorität des Schiffscommandanten ist unbedingt wie
seine Verantwortlichkeit; seine Stellung ist fiir die Mannschaft ge-
wissermaassen unnahbar, denn alle Befehle an dieselbe werden
durch die Officiere vermittelt. Das ganze Detail des Dienstes ist
Sache des ersten Officiers, welcher dem Capitän seine Meldungen
darüber macht und dessen Befehle entgegennimmt. Letzterer be-
schäftigt sich auf See direct nur mit dem Laufe und der Sicherheit
des Schiffes und wird darin unterstützt von dem Observationsofficier,
einem dazu ernannten Lieutenant z. S. 11. Classe, der für die Chro-
nometer und Karten sorgt, für die astronomischen Beobachtungen
und Rechnungen und für die Peilung der Küsten verantwortlich ist,
und dem Commandanten alle zur Bestimmung des Courses erfor-
derlichen p]inzelnheiten vorlegt um von ihm die Befehle über
Steuerung und Segelführung zu empfangen. Der erste Officier be-
stimmt das Detail des Dienstes und der Arbeitsvertheilung , empfängt
alle Meldungen, und übernimmt das Commando sobald alle Mann
aufgepfiffen worden. Die übrigen Lieutenants und die älteren Fähn-
riche befehligen die Wache, commandiren alle Segelmanöver die
zur Einhaltung des befohlenen Courses noth wendig sind, und thun
nur dann dem Capitän Meldung, wenn die erlassenen Befehle durch
unvorgesehene Umstände nicht mehr passen. Der Officier der Wache
befiehlt auch jede halbe Stunde — und unter Umständen öfter —
das Logwerfen und alle übrigen, durch die Routine oder specielle
Anordnung vorgeschriebenen dienstlichen Verrichtungen. Jeder
Wache sind mehrere Cadetten zugetheilt, die an verschiedenen
Stellen des Decks und der Masten postirt sind, die Befehle des
wachthabenden Officiers an die Unterofficiere und die Mannschaft
vermitteln und deren Ausführung beaufsichtigen. Die Windseite
des ganzen Hinterdecks muss für den Capit>än und den Officier der
Wache frei bleiben, und darf von Anderen nur in dienstUcheu An-
gelegenheiten betreten werden.
Die vierundzwanzig Stunden des See -Tages sind in sechs
Wachen zu vier Stunden eingetheilt, von denen die eine wieder in zwei
halbe Wachen zerfällt. Die Mittagstunde wird durch Observation der
IL Eintheiluiig des Tages. Die Wachen. Cadetteii. Decksofficiere. 221
Polhöhe bestimmt und dem Capitän gemeldet, darf aber erst ange-
schlagen werden, sobald er den Befehl gegeben hat, dass es Mittag
sein solle. So geht auch für das SchiflF die Sonne nur imter,
wenn der Capitän es befiehlt — er kann den Tag abkürzen und
verlängern: wenn die Flagge niedergeholt wird, ist Sonnenunter-
gang. Die Stunden werden nach » Glasen a gerechnet. Der Posten vor
der Capitänscajüte hat eine halbstündige Sanduhr umzudrehen, und
meldet wann sie abgelaufen ist, worauf die Glasen an einer Glocke
in der Batterie angeschlagen werden. Jede Wache hat vier Stunden
oder acht Glasen; man sagt nicht elf Uhr, sondern sechs Glas.
Zwölf Uhr, vier Uhr und acht Uhr sind acht Glas, halb eins, halb
fünf, halb neun ein Glas u. s. w.
Die ganze Mannschaft ist in zwei Wachen, eine Backbord-
und eine Steuerbordwache eingetheilt, die sich von vier zu vier
Stunden ablösen. Die dienstthuende führt unter dem Befehl des
wachthabenden Officiers alle gewöhnlichen Segel- und sonstigen
Manöver aus, — so lange nicht alle Mann aufgepfiffen werden, —
während die wachtfreien Mannschaften arbeiten oder exerciren. Die
Matrosen, deren es ausser den Schiffsjungen vier Classen giebt, sind
in Divisionen eingetheilt, die unter dem Commando der einzelnen
Officiere stehen. Es giebt Geschützdivisionen, eine Handwerker-
division, eine Grossmastdivision u. s. w. Bei grossen Segehnanövem
müssen Alle Hand anlegen. Jedes Boot hat seine bestimmte Mann-
schaft, einen Steuerer, und einen Cadetten der es befehligt. Die
Matrosen heissen dienstlich »Gasten«. Man sagt Cuttergast, Signal-
gast, Vortopgast u. s. w. Die Cadetten haben, so weit sie nicht
den verschiedenen Wachen zugetheilt sind, jeder seinen bestimmten
Dienst: als Adjutant des ersten Officiers, als Observations-, Zwischen-
decks-, Signalcadetten. Die Fähnriche thun theils Officiers-, theils
Cadettendienst. Decksofficiere heissen der Oberfeuerwerker, der
Zimmermann, der Bootsmann; ersterer hat für die Geschütze, die
Pulverkammer und die Mimition, der Zimmermann für den Rumpf,
die Masten und Raaen, der Bootsmann für die Takelage zu sorgen.
Sie haben Jeder einen Gehülfen, — Maaten, — und ressortiren vom
ersten Officier, der die Schlüssel zu ihren VoiTathsräumen aufbe-
wahrt. Für die Segel, Hangematten, Matratzen, Kartuschen u. s. w.
sorgen der Segelmacher und seine Gehülfen, für die Flaggen die
Signalgäste unter Befehl eines Cadetten. Die Verwaltung des ge-
sammten Schiffsmaterials, aller Mundvorräthe und der Kassen liegt
222 Aerzte. Seesoldaten. Beschreibung der Thetis. Das Zwischendeck. II.
in den Händen von Intendanturbeamten , die unter dem Befehle des
Capitäns und Zuziehung des ersten Officiers alle Einkäufe, Contracte,
Zahlimgen u. s. w. besorgen.
Der ärztliche Stab bestand auf der Thetis aus einem Stabs-
und zwei Assistenzärzten. Diese, die Intendanturbeamten und die
Seesoldaten werden nicht eigentlich zu den Seeleuten gerechnet
und von diesen — sammt allen Passagieren — gelegentlich mit dem
Schmeichelnamen »Badegäste« bezeichnet. Der Matrose sieht mit
einigem Hochmuth besonders auf die Seesoldaten herab, welche
zwar mit in die Wachen vertheilt sind und bei allen Segelmanövern
Hand anlegen müssen, aber niemals oberhalb der Railing, also
nicht in den Masten und dem Takelwerk verwendet werden dürfen,
wo der Dienst gefährüch ist, Muth und Gewandtheit fordert. Sie
beziehen ausserdem die Posten vor der Capitänscajüte und Officiers-
messe, und im Hafen am Fallrep, auf der Commandobrücke und
an anderen Stellen. Die auf Arkona und Thetis commandirten
Detachements standen jedes unter dem Commando eines Seconde-
I^ieutenants.
Eine Fregatte hat drei Decke: das Verdeck, das Batteriedeck
und das Zwischendeck. Letzteres hegt mit seiner Sohle schon unter
der Wasserlinie und erhält nur wenig Licht von oben und durch
die Ochsenaugen in der Schiffswand. Im Zwischendeck liegen
das Lazareth, die Cadettenmesse, die Kammern der Decksofficiere,
Aerzte und Beamten, und im hintersten Theile, gewöhnlich von den
Kammern der Officiere umgeben, die Officiersmesse , über welcher
die beiden oberen Decke durchbrochen und mit Glasfenstem zuge-
setzt sind. Im freien Mittelraume des Zwischendecks nimmt die
Mannschaft ilu*e Malzeiten; dort werden Nachts ihre Hangematten
und hinter dem Grossmast die der Cadetten und Fähnriche geknüpft.
Jeder Cadett hat unter dem für seine Hangematte angewiesenen
Raum eine Kiste von vorschriftsmässiger Form und Grösse stehen,
die seine Habseligkeiten enthält. Bei Tage werden alle Hangematten
in den sogenannten Finkenetzen, einem um die ganze RaiUng
laufenden Behältniss verstaut Unter dem Zwischendeck liegt die
Pulverkammer, die Räume ftir die Ankerketten und sämmtUche
Vorräthe.
Im Batteriedeck stehen zu beiden Seiten, die ganze Länge
des Schiffes entlang, die Geschütze. Hier ist es hell und luftig,
die Pforten werden nur bei schlechtem Wetter geschlossen. Vorn
n. Die Batterie. Das Verdeck. 223
arbeiten gewöhnlich die Zimmerleute; hinter dem Fockmast steht
die »Kambüse«, wo der Koch und seine Gehülfen walten. Der
Grossmast und das von oben her durchgehende Gangspill sind
mit Trophäen umgeben, die übrigen kleinen Waffen — Büchsen,
Revolver, Entersäbel, Beile, Piken — und die Geräthschaften der
Geschütze an der Decke und den Seitenwänden angebracht. Dort
hangen auch in hölzernen Kasten gefüllte Granaten, und Voll-
kugeln liegen reihenweise in der Mitte. Hinter dem Gangspill folgt
die Treppe für die OfBciere, — - die Mannschaft benutzt andere
Luken, — dann hinter dem Oberlicht der Ofiiciersmesse, vor dem
Kreuzmast, die Hülfsräder des Steuerruders, die mit den auf dem
Verdeck befindlichen Hauptradem in Verbindung stehen. Den
hintersten Raum nehmen die Vorcajüte und die Capitänscajüte ein.
Erstere, in der die beiden »achtersten« Geschütze stehen, dient zu
den Arbeiten des Capitäns mit den Officieren, als sein Empfangs-
und Speisezimmer.
Auf dem Verdeck stehen vorn Geschütze; hier arbeiten der
Schlächter, der Schmied, der Büchsenmacher. Zwischen dem Fock-
und dem Grossmast sind die vier grossen Boote eingesetzt — die
beiden Barcassen und die beiden Pinassen, je zwei über einander, — ■
und längs ihnen liegen Raaen, Spieren und sonstige Vorrathshölzer
aufgestaut; dahinter stehen gewöhnlich die Bootsgeschütze. Zu beiden
Seiten der Boote bleibt bis zum Bord nur ein schmaler Raum
frei; hier liegen in der Railing zu beiden Seiten die Fallreps-
öfihungen, die auf See zugesetzt werden. Hinter dem Grossmast
folgt eine grosse Luke, die Hauptverbindung des Verdecks mit der
Batterie, dann kommt das Gangspill, an welchem die Anker auf-
gewunden werden, dahinter die Officiertreppe, dann das Steuer-
rad, vor welchem zwei Compasse stehen. Das Steuerrad ist auch
hier doppelt, so dass bei starkem Winde auf dem Verdeck und in der
Batterie je vier Mann anfassen können; unter gewöhnlichen Um-
ständen stehen auf einer Fregatte nur zwei Mann auf dem Verdeck
am Steuer. — Der Raiun zwischen dem Gross- und dem Kreuz-
mast heisst das Quarterdeck und ist der vornehmste Platz des
Schiffes, der Sitz des Commando's. Jeder Seemann, der es betritt,
fasst nach alter Sitte grüssend an den Hut. Hier ist zu beiden
Seiten eine tritt^rtige Erhöhung an der Raiüng angebraclit, von
wo der Commandirende das Schiff übersehen und die Steuerleut.e
anweisen kann: auf anderen Schiffen führt eine sclimale Brücke
224 Tagesordnung. U.
queerüber von Railing zu Railing, die Conunandobrücke , von wo bei
Dampfern ein Sprachrohr in die Maschine hinabführt. Hinter dem
Kreuzmast steht der Flaggenkasten; die Flagge sowohl als die
meisten Signale w^erden an der Besangaifel gehisst. Das ganze
Hinterdeck vom Grossmast an ist zu beiden Seiten mit Geschützen
besetzt. Aussenbords hangen an den sogenannten Davids die kleineren
Boote, und hinter dem Heck die Capitäns - Gig.
Eine Beschreibung des Takelwerks, der Segel und Masten
wäre eine ebenso schwierige als undankbare Aufgabe. Bleibt doch
dem Laien und Jedem, der nicht von Jugend auf darin gelebt hat,
die scheinbare Verwirrung der Taue und »Enden«, der »Ausholer«,
»Läufer« u. s. w. auch auf langen Seereisen ein Räthsel, und die
sie in Bewegung setzende Commandosprache ein unverständliches
Kauden^'älsch.
Die Tagesordnung an Bord der Kriegsschiffe ist auf See
ungefähr folgende: Morgens zehn Minuten vor vier wird die Wache
»gepurrt« welche um vier Uhr ablöst; die Hangemattenstauer
treten schon iunf Minuten vor vier bei den Finkenetzen an. Nach
Verstauung der Hangematten werden entweder die Decke mit Sand
und Steinen geschrubt, oder Kleider und Hangematten gewaschen;
in beiden Fällen herrscht auf dem Verdeck und in der Batterie eine
wahre Sündfluth. Um sechs Uhr werden die Decke gefegt, und
»Enden heruntergelegt«, d. h. alle auf das Verdeck herabhängenden
Taue in Schneckenform niedlich aufgerollt, nach Seemannsausdnick
»in Scheiben aufgeschossen«. Um halb sieben heisst es abermals
»Hangematten auf«; die um vier Uhr abgelöste Wache muss nun
auch aufstehen. Um sieben Uhr ist Frühstück, wozu den Matrosen
eine halbe Stunde gegeben wird: während der Zeit darf in der
Batterie geraucht werden. Gleich nachher kleidet sich die freie
Wache für den Tag und erscheint um dreiviertel auf acht auf
Deck: die abtretende reinigt das Zwischendeck und kleidet sich
ebenfalls um. Um halb acht finden sich die sämmtUchen Aerzte im
Lazareth ein, wo Alle, die sich beim Profoss krank gemeldet haben,
mit letzterem zur Stelle sind. Der Arzt du jour stattet dem ersten
Ofificier Rapport über den Gesundheitszustand ab. Kurz vor acht
muss der Observationsofficier die Chronometer aufziehen, und dem
Commandanten wie dem Officier der Wache Meldung davon thun.
Der letztere darf sich vor p]mpfang dieser Meldung nicht ablösen
lassen, ebensowenig der Posten vor der Capitänscajüte, ehe dieselbe
n. Musterung. Rapport. 225
Meldung an den Commandanten durch den Officier der Wache
erfolgt ist. Um acht Uhr werden in heissen Gegenden die Sonnen-
segel und Windsäcke aufgebracht. — Unterdessen haben die Decks-
officiere ihr Detail durch das ganze Schilf gründlich revidirt und
rapportiren darüber dem ersten Officier. Um halb neun werden die
Waffen und das Holzwerk geputzt, bei schönem Wetter auch die
Geschütze losgemacht, und um neun ist Inspicirung. Schiff und
Mannschaft müssen jetzt für den Tag ihre volle Toilette gemacht
haben , und schmuck und ordentlich aussehen. Die Schrubber,
Besen imd sonstiges Putzzeug sind weggestaut, die Geschütze wieder
fest gemacht, die Treppen aufgestellt — Alles ist blank und sauber.
Sonnabends ist die Musterung erst lun elf; die dadurch gewonnene
Zeit wird zu einer gründlicheren Reinigung des Schiffes benutzt.
Dann werden alle Räume, Rumpf und Takelage nachgesehen, und,
wo nöthig, gekalkt, gelabsalt, das Kupfergut geschmiert und die
Farbe mit Oel abgerieben. Die Mannschaften, nach der Jahreszeit
entweder weiss oder in blaue Wolle gekleidet, treten jetzt divisions-
weise oder bei den Geschützen mit ihren Waffen an, die Seesoldaten
mit ihren Gewehren. Sie werden zunächst von den Unterofficieren
und Cadetten, dann von den Divisions -Chefs in Bezug auf Sauber-
keit des Körpers, der Kleidung und Waffen gemustert. Der erste
Officier rapportirt darauf dem Commandanten über das Ergebniss
der Musterung, den Zustand des Schiffes, den Verbrauch an Wasser,
Proviant, Brennmaterial u. s. w. , über die Vergehen und Be-
strafungen der letzten vierundzwanzig Stunden, und empfangt dessen
Befehle über die, zum Rapport zu bestellenden Personen und die im
Laufe des Tages vorzunehmenden Arbeiten und Exercitien. Darauf
inspicirt entweder der Commandant selbst oder nach seinem Er-
messen der erste Officier. Die Musterung erstreckt sich an Wochen-
tagen gewöhnlich nur auf die Mannschaft und auf die verschiedenen
Decke; an Sonntagen, wo der Commandant regelmässig selbst in-
spicirt, auch auf die Vorrathsräume und das ganze Schiff. Zur
Zeit der Musterung macht auch der Stabsarzt dem Commandanten
seine Meldungen über den Gesundheitszustand. — Unmittelbar nach
dem Abtreten der Mannschaft ist Rapportzeit. Alle Personen vom
Unterofficier abwärts, welche Klagen haben, werden durch den
Profoss auf dem Halbdeck an Backbord aufgestellt; der erste Officier
nimmt ihre Klagen und Gesuche entgegen, entscheidet so weit seine
Befugnisse reichen, und trägt das Uebrige dem Commandanten vor.
I. 15
226 * Exerciticn und Arbeiten. Baeken und Banken. 11.
Die Decksofficjere wenden sich mit ihren Anliegen direct an den
ersten Officier; die Officiere und die Beamten von deren Range
werden zu gleichem Zwecke vom Capitan in seiner Cajüte empfangen,
wo sie mit Hut, Epauletten und Säbel erscheinen müssen.
Die Mannschaft geht gleich nach der Musterung an ihre Exer-
citicn und Arbeiten, sie exercirt am Geschütz oder mit den kleinen
Waffen. Einmal wöchentlich, gewöhnlich Freitags, wird »Klar
SchiflF« exercirt, so bezeichnet man die Kampfbereitschaft dem
Feinde gegenüber. Arbeiten giebt es hundertfaltige an Bord eines
Kriegsschiffes: da sind Segel und Kartuschen zu machen, Taue zu
drehen, Kleider zu flicken u. s. w. Fast alle Reparaturen, aller
Bedarf an Segeln und Takelwerk , alle Zimmermannsarbeiten werden
an Bord aus dem rohen Material gefertigt. Die Matrosen müssen
ihre Sachen selbst ausbessern; jeder hat für seine Habseligkeiten
einen Kleidersack, dessen Inhalt von Zeit zu Zeit nachgesehen wird.
Um halb zwölf werden die Exercitien und Arbeiten einge-
stellt, die Decke aufgeräumt und gefegt; eine Viertelstunde später
meldet sich der Schiffskoch mit einer Probe des Essens bei dem
Officier der Wache, der es kostet, und fünf Minuten vor zwölf
»Backen und Banken« commandirt. Im Zwischendeck werden die
Tische und Bänke gesetzt, das Essen aufgetragen. Um zwölf heisst
es »Schaffen«, d. h. Zugreifen. In einer halben Stunde muss »ge-
schafft« sein, dann werden die wachthabenden Mannschaften abge-
löst und halten ebenfalls ihre Malzeit. Nach dem Essen hat die
ganze Schiffsmannschaft eine halbe Stunde freie Zeit, während deren
wieder in der Batterie geraucht wird. Nur in sehr dringenden
Fällen und auf ausdrückliche Erlaubniss des Commandanten darf
die Zeit der Malzciten und die Freizeit abgekürzt werden; letztere
dauert Sonntags gewöhnlich bis vier Uhr. — An Wochentagen
werden um eins die »Backen« abgeräumt und die Geschirre gereinigt,
um halb zwei das Zwischendeck geräumt und gefegt. Von zwei bis
vier Avieder Arbeiten und Exerciren. Um vier erhalten die Mann-
schaften ihre Kleidersäcke und ziehen sich wachenweise für die
Nacht um. Um fünf ist die Abendmusterung, wobei vorzüglich die
Gefechtbereitschaft der Geschütze für die Nacht, die Bereitschaft
der Sturmpumpen und der Rettungsbojen in das Auge gefasst wird.
Im kalten Klima und bei drohendem Wetter werden um diese Zeit
die Geschützpforten geschlossen und erst am Morgen wieder geöffnet.
Nach der Musterung folgen Segelexercitien , und um halb sieben
IL . Nachtdienst. 227
erhält die Mannschaft ihr Abendbrod. Um sieben werden im
Zwischendeck die Tische und Bänke weggestaut, alle Vorbereitungen
zimi Aufknüpfen der Ilangematten getroffen, und die Mannschaft
gewöhnlich zur Erholung auf Deck geschickt, damit das Zwischen-
deck auslüfte. Zehn Minuten vor acht wird zu den Hangematten
gepfiffen: die Hangemattenstauer rufen auf das Commando »Hänge-
matten weg« die Nummer jeder einzelnen auf, und händigen sie dem
Eigenthümer ein. Die freie Wache zieht sich zurück. Nachdem
die wachthabenden Leute verlesen und die nöthigen Posten ausge-
stellt sind, werden die Hangemattenkleider übergezogen und die
dienstfreien Mannschaften der Wache in die Batterie beordert, um
zehn Minuten nach acht alle Lichter der Mannschaft unter Aufsicht
des Profosses gelöscht. Um zelm Minuten nach neun geht der
erste Officier mit dem UnteroCficier der Seesoldaten du jour, den
Cadetten der verschiedenen Decke, allen Decksofficieren und dem
Profoss die erste Nachtronde, rapportirt dem Commandanten, und
erhält dessen Befehle für die Nacht und den folgenden Morgen.
Hierauf ertheilt er selbst den auf dem Halbdeck versammelten
Cadetten die nöthigen Instructionen, und »wahrschaut« dem wacht-
habenden Officier, wann ihm der Commandant die schriftlichen
Befehle fiir die Nacht geben will. Von da an bis zum Aufstehen
■
des Commandanten fungirt der Officier • der Wache im weiteren
Sinn als dessen Stellvertreter, und hat ihm oder dem ersten Officier
nur das besonders Befoldene oder sehr wichtige Vorfälle zu melden.
Die ganze Nacht durch geht ein Cadett der Wache mit einem
Feuerwerksmaat und dem wachthabenden Unterofficier der See-
soldaten halbstündliche Nachtronden durch das ganze Schiff. Um
zehn Uhr müssen alle Lichte bei den Officieren mit Ausnahme der
ausdrücklich gestatteten gelöscht werden.
Das ist ungefähr der tägliche Dienst auf See, — im Hafen
gestaltet er sich anders. Auf See stehen natürlich die Segelmanöver
immer im Vordergrunde, und die beschriebene Tagesordnung hat
nur Geltung, sofern die Mannschaften nicht durch die nothwendigen
Manöver und Arbeiten in Anspruch genommen sind. Ein Theil der
Wache muss immer auf Deck und in den Toppen zur Stelle sein , —
die Posten melden sich zur Nachtzeit bei jedem Anschlagen der
Glasen durch lautes Rufen: Grosstopp Alles wohl, Rettungsbojen
Alles wohl u. s. w. Die nicht auf Deck nothwendigen Leute pflegen
bei Tage an den Uebungen und Arbeiten der freien Wache Theil
228 Segelmaiiover. Matrosenlcben. • II.
ZU nehmen. Ist dann ein Manöver auszufuliren, so commandirt der
wachthabende Officier »Wache an Deck« oder »Wache und Frei-
wächter an Deck«, oder »Alle Mann auf«, je nach den erforderten
Kräften. Die meisten Commando's, namentlich bei den Segel-
manövern , werden von der Pfeife des Bootsmannes und der Unter-
officiere begleitet, welche durch alle Theile des SchiiTes und in den
Masten hörbar, und in ihren Cadenzen der Mannschaft verständ-
lich ist.
Man sieht, der Seemann hat wenig Ruhe. Die Erfahrung
lehrt, dass unausgesetzte Thätigkeit das einzige Mittel ist, einen
guten Geist und heitere Stimmung unter den Matrosen zu erhalten.
Sie schlafen niemals volle vier Stunden hintereinander, und eine
uni die andere Nacht nur vier Stunden im Ganzen; sie haben keine
andere freie Zeit , als die halben Stunden zum Frühstuck und Abend-
brod und eine Stunde um Mittag, und sind den ganzen übrigen Tag
mit Dienst, Exercitien und Arbeiten unablässig beschäftigt. Die
Kost auf den königlichen Schiffen ist gut, reichhch und nahrhaft,
und die Leute sind meist gesund und kräftig. Gesalzenes Fleisch,
Hülsenfrüchte und SchifTsz wieback sind ihre Hauptnahrungsmittel
auf See , — in den Häfen erhalten sie mögUchst viel frisches Fleisch
und Gemüse. Lebende Ochsen , Schaafe und Schweine werden auch,
so weit es der Raum gestattet, mit auf die Reise genomimen, um
den Leuten einige Abwechselung in der Kost zu bereiten. Rum
bekommen die preussischen Matrosen nicht regelmässig, sondern
nur nach anstrengenden Arbeiten und bei schlechtem Wetter; den
Caffee dagegen können sie nicht entbehren. Tabak und andere Er-
frischungen darf ihnen der Böttcher — der mit der Aufsicht über
die Mundvorräthe betraute ünterofficier — gegen Baar verkaufen,
aber dem Rauchen setzt die wenige freie Zeit enge Grenzen. Auch
haben sie auf See meistens kein Geld: ein Drittheil der Löhnung
wird bei der Ankunft im Hafen ausgezahlt und ist bald verjubelt,
die beiden anderen Drittheile erst bei Ausserdienststellung des Schiffes
in der Heimath. Aber auch hier kann der ächte Seemann kein Geld
in der Tasche leiden und ruht nicht eher, bis er mit Allem fertig
ist. Matrosen, die von mehrjährigen Seereisen zurückkehren, erhalten
oft mehrere hundert Thaler auf einmal, und es kommt nicht selten
vor, dass »Jan Maat« ganze Hände voll blanker Thaler unter die
Strassenjugend auswirft. In den Häfen ist die Disciplin und gute
Stimmung weit schwerer zu erhalten als auf See , wo die Matrosen
II. Thiere aii Bord. Die Ziege der Thetis. Souutag. 229
meist munter und guter Dinge sind. Im Dienst und bei den Ex-
ercitien geht es streng her, aber bei den Arbeiten darf — mit
Maassen — geschwatzt werden, manch derber Spass erregt die
aligemeine Heiterkeit, und gutmüthiger Schabernak ist an der Tages-
ordnung. Etwas handfest und klobig sind ihre Scherze und Ver-
gnügungen: so pflegten auf der Thetis die Schiffsjungen Paar oder
Unpaar um Ohrfeigen zu spielen. Wer verlor, musste die Backe
hinhalten; jeder schlug immer derber zu als der andere und zuletzt
standen sie auf mit verschwollenen rothen Gesichtern und schwim-
menden Augen. — Mit den an Bord befindlichen Thieren balgen
und necken sich die Matrosen unermüdUch herum, und sorgen oft
mit Aufopferung für sie; fast alle Thiere werden zahm auf langen
Seereisen. Auf der Thetis war — neben vielen in Anyer und Singa-
pore gekauften Affen und Papageien — eine Ziege der allgemeine
Liebhng, welche ursprünglich ihrer Milch wegen einst in West -Indien
an Bord genommen war und nun schon seit lange das Gnadenbrod
erhielt, ein munteres neckisches Thier, das in der Batterie frei
umherhef und mit Jedem anband. Sie frass dem Zimmermann die
Hobelspähne fort und hatte sich ihrer natürlichen Nahrung ganz
entwöhnt. Als später die Thetis vor Yeddo lag, schickte Capitän
Jachmann sie zur Erholung an das Land; — sie verschmähte aber
alles Gras und grüne Futter, riss uns dagegen die papiernen
Scheiben in grossen Fetzen von den Fenstern, und wurde krank,
als man sie auf dem Rasen anband; an Bord erholte sie sich bald
wieder.
Sonntag Nachmittags von zw^ei bis vier pflegten die Matrosen
der Thetis auf Deck und im Zwischendeck zu tanzen, wozu einige
mit Fiedeln und Pfeifen aufspielten; der Tanz wird mit wahrer
Leidenschaft betrieben, manche sind sehr geschickt und der Jubel
so gross, wie auf der ausgelassensten Kirchweih. Musik ist das
beste Mittel, um auf langen Reisen die gute Stimmung zu erhalten;
die vaterländischen Klänge erregen und besänftigen zugleich das
Heimweh des Wanderers, indem sie seinem Bedürfniss Ausdruck
verleihen. Es giebt nichts was auf weiten Seefahrten die Lebens-
geister so erfrischte, nichts was den Geist so kräftig aus der
Lethargie aufrüttelte, in welche ilm das ewige Einerlei des Lebens
und der Gesellschaft versinken lässt. Abspannung und Langeweile
sind die grössten Feinde des Seemannes; die Commandeure sehen
es daher am liebsten, wenn die Matrosen sich selbst beschäftigen,
230 Dieust der Officiere und Cadctten. Lesewutlu II.
und befördern auf See das Singen und im Hafen die theatralischen
Vorstellungen. Wo ein Musikcorps an Bord ist singt die Mannschaft
weniger, da ihrem Bedürfniss von aussen abgeholfen wird; auf der
Thetis aber schallte alle Abend lauter Chorgesang aus der Batterie,
und vier Unterofficiere mit schönen Stimmen übten sich ileissig im
Gesänge vierstimmiger Lieder. Sie brachten es darin zu grosser
Vollkommenheit, und haben sich später häufig am Lande vor dem
Gesandten und seinen Gästen hören lassen müssen.
Der Dienst der Officiere und Cadetten ist sehr anstrengend,
auch sie haben wenig freie Zeit. Bei sclüechtem Wetter und
in der Nähe der Küsten haben der Capitän und der Observations-
officier weder bei Tage noch bei Nacht Rulie; der erste Officicr ist
unablässig mit dem Detail beschäftigt und eigentUch niemals dienst-
frei, und die übrigen Officiere müssen neben dem Wachtdienst
für ihre Divisionen sorgen, exerciren, observiren und rechnen —
zur ControUe des Observationsofficiers, — und ihr Journal schrei-
ben. Die Cadetten haben ebenfalls viel Dienst und bereiten sich
nebenbei unter Leitung der Officiere zum Fähnrich -Examen vor;
die Fähnriche sind am schlimmsten daran: sie geniessen den Rang
aber nicht die Vortheile der Officiere, essen in der Cadettenmesse
und haben keine Kammern für sich. Sie avanciren zu Lieutenants
zur See erst nach einer Anzahl von Jahren Fahrzeit und thun theils
Cadetten-, theils Officiersdienst.
So ist denn am Bord eines Kriegsschiffes Alles in fortwäh-
render Thätigkeit bis auf die unseligen »Badegäste a; die Beamten
und Aerzte haben wenig zu thun und die Passagiere noch weniger.
Zu geistigen Arbeiten ernster Art sind auf dem Meere nur Wenige
fähig, die Seeluft und die Bewegung des SchiflFes scheinen der
Gehirnthätigkeit nicht günstig zu sein; dazu kommt die Unruhe im
Schüfe, die keine Sammlung zulässt, und die UnmögUchkeit sich
zu isoliren. Leichte Leetüre ist ein Haupterfordemiss auf langen
Seereisen; man verschlingt mit Lust die tollsten Romane, die
unglaublichsten Reisebesclireibungen, und freut sich die Zeit zu
betrügen. Die Schiffsbibliotheken liefern — neben wissenschaftlichen
Werken — reichen Vorrath an derartigen Büchern, denn auch die
Seeleute, vom Admiral bis zum Schifisjungen, sind arge Bücher-
würmer, und ihre Einbildungskraft vielfach in den Thaten und Schick-
salen merkwürdiger Romanhelden und in wunderbaren Jagd- und
Reiseabentheuern absorbirt. Diese Erscheinung erklärt sich leicht aus
n. Die Badegäste. Stimmungen. 231
dem Einerlei des Seelebens; je ärmer die Gegenwart, desto gieriger
ist die Phantasie des Menschen; was ihm in der Wirklichkeit abgeht,
will seine Einbildungskraft erleben. Der Seemann liest fast unaus-
gesetzt in seinen wenigen Freistunden; — der Passagier üest, bis
ihm der Kopf schwirrt und jede bequeme Körperstellung erschöpft
ist, dann treibt er sich im Schiffe herum, guckt in die See, in die
Feme, nach den Masten und Segein, oder sieht den Arbeiten der
Mannschaft zu, und ist dabei überall im Wege; und indem er
sich träumend alle die wunderbaren Einrichtungen an Geschützen,
Masten und Takelwerk, alle die blank geputzten Messingknöpfe , die
niedlich »aufgeschossenen Enden« besieht und ihren Bestimmungen
nachgrübelt, — bedeutet ihn plötzlich ein höflicher Matrose, dass
hier das Log geworfen oder ein Segel zugeschnitten werden soll.
Oft geht es schlimmer, und wer bei den Segelmanövem nicht auf-
passt, \vird von täppischen SchilFsjuugen angerannt und in die Taue
verwickelt, oder sitzt plötzUch im Gedränge eines mächtig arbeitenden
Menscheuknäuels fest, aus dem er nicht wieder heraus kann. — Jedes
und das kleinste äussere Ereigniss weckt das lebhafteste Interesse,
ein Segel in der Feme, eine Schaar Fische im Wasser, ein Vogel,
der sich auf die Raae setzt. Am besten ist die Stimmung bei
günstigem Wiäde; man freut sich vorwärts zu kommen, die Bewe-
gung des Schiffes ist gleichmässig, der beständige Luftzug erfrischend.
Bei heftigen und widrigen Winden ist die Existenz etwas geräuschvoll
und unruhig, aber es giebt doch immer etwas zu thun und zu sehen:
bald werden Segel gesetzt, bald gekürzt und eingenonunen, bald
alle Mann au%epfiffen um das Schiff über den anderen Bug zu
legen. Diese Manöver sind auf grossen Schiffen sehr interessant,
und erregen jedes Mal die neue Bewunderung d^s Laien der den
Organismus nicht kennt. Aber selbst schlechtes Wetter und Sturiu, —
wenn alle Pforten der Batterie geschlossen werden, wenn das
Wasser sich stromweise über das Verdeck und in die unteren Räume
ergiesst, wenn man, ohne sich festzuhalten, keinen sicheren Schritt
gehen kann und das Schiff in allen Fugen kracht, — sind nicht so
schUmm als anhaltende Windstille zwischen den Wendekreisen.
Die Segel klappen ermüdend an die Masten, die Taue hangen schlaff*
herab, auf der weiten Fluth herrscht lautlose Stille un(> man hört
im Schiffe jedes kleinste Geräusch. Der wachthabende Officier ver-
wünscht sein langweiliges Schicksal und die Leute am Ruder starren
gähnend in die blaue Luft. Abspannung und Lethargie bemächtigen
232 Bootsfahrt. U.
sich der ganzen Mannschaft. Das Verdeck und die Scliiffswände
werden glühend heiss, die Zersetzung des Seewassers in den unteren
Räumen und die dichte Bevölkerung erzeugen bei dem Mangel an
Luftzug eine wahrhaft fürchterUche Atmosphäre. Der Körper findet
nirgend Erfrischung, denn Baden wäre der Haifische wegen gefahrUch.
Auch das Essen und Schlafen, sonst zwei Hauptbeschäftigungen
des Seefahrers, werden zur Qual, das Peinigendste aber ist der
unlöschbare Durst
Solche Zeit erlebten wir im südchinesischen Meere. Nur Mor-
gens und Abends konnte man auf Deck sein ; den Tag über brannte
die senkrechte Sonne unerträglich, und auch die Luft im Schiffs-
räume war erstickend.
17. Augiwt. Am 17. August liess Capitän Jachmann, da sich kein Wind
in der Luft zeigte, fiir Herrn von Martens ein Boot bemannen
um Seethiere zu fangen; mehrere andere Passagiere schlössen
sich an. Man entfernte sich mit langsamen Ruderschlägen vom
Schiffe; die Fluth war spiegelglatt, dunkelblau, krystallklar und
durchsichtig; noch aus grossen Tiefen strahlten die Seethiere
in köstlichem Farbenspiel glitzernd das SonnenUcht zurück. Hier
und da schwammen Cocosnüsse und verfaulende Baumstämme herum,
voll von Holothurien und anderem Seegewürm, darunter, anschei-
nend den Schatten, wahrscheinlich aber Nahrung suchend, tum-
melten sich Schwärme kleiner bunter Fische, in allen Farben des
Regenbogens glänzend. Herr von Martens fing Krabben, See-
wanzen, Fische, Muscheln, Würmer; vor allen aber galt die Jagd
den Seeschlangen, an welchen diese Meere reich sind. Sie schlän-
geln sich mit grosser Behendigkeit an der Oberfläche des Wassers
hin, und tauchen unter, sobald man sich nähert; doch gelang es
einige zu fangen, die grösste beinah drei Fuss lang. Diese Schlan-
gen sind giftig. Eine grössere Art, die gegen sechs Fuss lang
und gelb und braun geringelt ist, vereitelte alle Nachstellungen ; sie
tauchten schon in grosser Entfernung vor dem Boot unter, und
schwammen tief unter dem Wasserspiegel wenn man zur Stelle
gelangte. Die Jäger entfernten sich weiter und weiter von der
Fregatte, und es war ein sonderbares Gefühl, auf der unabsehbaren
Fläche in tiem kleinen Boote herumzutreiben, am ganzen Horizont
keine Spur von Leben ausser den weissen Segeln unserer Thetis.
Die unendliche Weite des Meeres erscheint bei Windstille beson-
ders grossartig. Diese p]xcursion dauerte mehrere Stunden und
II. Wind. Brandung. Die Fükian- Strasse. 233
war Gjx alle Theilnehmer das erfreulichste Intermezzo dieser pein-
vollen Tage.
Am achtzehnten endlich erhob sich ein leichter Südwest- is. August.
wind, wir segelten die folgenden Tage mit einer Durchschnitts-
geschwindigkeit von vier bis sechs Knoten. Ein amerikanischer
Cüpper begleitete die Fregatte mehrere Tage lang , und verUess sie,
nachdem er sich durch Signal eine Ortsbestimmung erbeten, am
dreiundzwanzigsten, tun nach Hongkong zu segeln. — Am vierund- 21. August,
zwanzigsten wurde, während wir schwache Fahrt machten, plötzUch
mitten im glatten Wasser in kurzer Entfernung vor dem Bug der
Fregatte eine starke Brandung sichtbar. Wir waren weit von allen
Küsten entfernt, und nach den Seekarten musste hier tiefes Wasser
sein; Capitan Jachmann liess aber beidrehen und ein Boot zu
Wasser bringen, das mit dem Loth in der ganzen Breite der Bran-
dung keinen Grund finden konnte. Unterdessen hatte die Strömung
das Schiff unversehens auch schon mitten hinein getrieben, und es
wurde abermals ohne Erfolg bis auf hundert Faden Tiefe gelothet.
Dieselbe Erscheinung wiederholte sich noch mehrere Male an den
folgenden Tagen, und ist nur durch heftige Strömungen zu erklären,
die in ungleichen Richtungen aufeinandertreffen. Der Zusammenstoss
erzeugt die krausen kurzen Wellen, die man sonst nur über unter-
seeischen Riffen zu sehen pflegt.
Am sechsundzwanzigsten erreichten wir die Fukian - Strasse, %. August,
und die Küste von China kam in Sicht; schwere Wolkenmassen
lagerten auf den fernen Gebilden. Nachmittags ging es bei einer
Felseninsel vorbei, deren Spitze eine hohe Pagode krönte; in den
Buchten Wälder von Dschunkenmasten. Der Abend war kühler
als gewöhnlich: herrlicher Mondschein, dabei starkes Wetterleuchten
im Osten und Westen — über Formosa und dem Festlande. Der
Wind ging allmäUch herum, so dass wir mehr nördlich hegen, und
den folgenden Tag sogar kreuzen mussten. In dieser Gegend wim-
melte das Meer von chinesischen Fischerdschunken, welche der
Fregatte oft sehr nahe kamen und sich fast überfahren Uessen. Ihr
Bau ist mehr malerisch als practisch; sie sind gute Segler, aber
heftigem Sturme nicht gewachsen. Alle Dschunken acht chinesi-
scher Bauart haben einen flachen Boden ohne Kiel, und ragen vorn
und hinten hoch aus dem Wasser. In der Mitte wird das Verdeck
bei schwerer Ladung fast von den Wellen bespült und ist dort
fest verschlossen. Sie haben mehrere, zuweilen vier bis fünf
234 Dschunken! Wasseimänner. II.
unregelmässig gestellte Masten, wovon die kleineren vom und hinten
an den Borden befestigt sind; nur der Hauptmast steht durchgangig
in der Mitte. — Die in der Fukian - Strasse gesehenen waren meist
zweimastig, ihre Segel aus Bastmatten und Rotang, gross, viereckig
und fächerförmig gespannt. Leichte Bambusrohre laufen, mit der
Kauptraae parallel, in kurzen Entfernungen queer über das Segel,
welches nur dadurch die gehörige Festigkeit erhält, denn ohne sie
würden die Bastmatten in grosser Flache dem Winde nicht Wider-
stand leisten. Nur die Leichtigkeit des Bambusrohres macht dies^
Bauart möglich; das Segel würde bei jedem anderen Material zu
schwer werden, um sich regieren zu lassen.
Wir sahen in der Fukian -Strasse, oft in grosser Entfernung
von den Dschunken, eine Menge dunkeler Puncte auf der Meeres-
iläche treiben, und waren sehr überrascht, durch das Femrohr
Menschen darin zu erkennen, die mit dem ganzen Oberleibe aus
dem Wasser ragten und von den Wellen hin und her geschaukelt
wurden, wie die leibhaftigen Tritonen. Das Räthsel löste sich erst,
als Capitän Jachmann am siebenundzwanzigsten, da wir kreuzen
mussten, ein Boot nach einer der Dschunken sandte um Fische
zu kaufen. Es war grade kein Vorrath da, und der Schiffer winkte
einen der nächsten Schwimmer heran, welcher kreuzbeinig auf
einem kleinen viereckigen Bambusfloss sass und mit der Angel
fischte. Sein Gewicht drückt das leichte Floss etwas unter den
Meeresspiegel und mit den Beinen sitzt er im Wasser. So treiben
sie, oft meilenweit entfernt, einsam auf der wogenden Fluth lunher,
eine Angelruthe in der Hand und neben sich einen Korb für die
gefangenen Fische, wahrhaftige Wassermänner, denn gewöhnliche
Adamssöhne könnten solche Existenz wohl kaum Tage lang ertragen.
Ihr Fang besteht in jungen Haifischen, silberröthlichen Brassen,
Saugfischen, Tintenfischen; ein kleines Boot unterhält die Verbindung
mit. dem Schiffe und bringt ihnen Nahrung.
Wir besahen die Dschunke gründlich und krochen in allen
Winkeln unter Deck herum, wurden aber durch den übelen Geruch
der im unteren Schiffsräume gepökelten Fische bald zum Rück-
zug gezwungen. Oben lenkten ein junger und ein alter Chinese
Steuer und Segel; unten fanden wir eine junge Frau mit ihren
Kindern, und einen blinden Alten der Netze strickte; — sie schienen
alle zu einer Famiüe zu gehören, welcher die Dschunke wahrschein-
lich Haus und Hof war, sahen struppig und verkommen aus, thaten
II. Gencralmarscli. 235
sehr ängstlich und schienen freudig überrascht, als wir die Fische
• •
reichUch bezahlten. Die Dschunke war alt und schmutzig, und das
Ganze machte den {Eindruck grossen Elendes; im besten Räume
unter Deck stand ein Götzenbild, das auf keinem chinesischen Fahr-
zeuge fehlen soll.
Am neunundzwanzigsten früh zeigte sich zu Backbord in einiger 29. August
Entfernung vor dem Buge der Fregatte eine Gruppe verdächtig aus-
sehender Dschunken. Dem Anschein nach wurde eine grössere von
acht kleineren angegriffen; einige lagen dicht an dem grösseren
Scliiffe, als hätten sie geentert, von Zeit zu Zeit stiegen dicke
Rauchwolken auf und man glaubte Schüsse zu hören. Capitän
Jachmann befahl auf die Dschunken loszuhalten, aber kaum hatten
wir den Cours geändert, als sich die grössere von den kleinen
trennte und uns entgegenkam. Der Commandant liess Generalmarsch
schlagen, und in wenig Minuten war das Schiff klar zum Gefecht. —
Dieses Manöver geht mit wunderbarer Schnelligkeit, jeder Seemann
fliegt wie electrisirt auf seinen Posten, Alles scheint wild durchein-
ander zu laufen und doch herrscht die grösste Ordnung. Die
Matrosen stürzen sich auf die Büchsen, Revolver und Entersäbel
in der Batterie; im Nu ist die ganze Mannschaft bewaffnet. Die
Treppen werden entfernt, alle Luken mit »Grätings« zugeworfen,
bis auf einige, durch welche die Munition heraufgereicht wird. Zu
dem Zweck bildet ein Theil der Mannschaft Ketten bis zur Pulver-
kammer hinab. Die Decke sind jetzt klar und eben, bei den Ge-
schützen stehen die Bedienungsmannschaften, die Seesoldaten treten
auf dem Halbdeck an und beziehen die Posten, — der erste Officier
commandirt auf Deck, der zweite in der Batterie, die übrigen bei
ihren Divisionen, unter ihnen die Cadetten, von denen einige in
den' Mastkörben postirt sind; im Lazareth ist Alles zur Aufnalmac
der Verwundeten bereit — genug, Jeder weiss wo er hingehört,
und das ganze Manöver geht viel schneller, als es sich beschreiben
lässt. Dem kurzen Lärm folgt eine lautlose Stille, so dass man
den leisesten Befehl hört. — Die Passagiere allein wissen wieder
nicht, wo sie hinsollen, und wer nicht im ersten Augenblicke auf
Deck springt und sich ein unbesetztes Plätzchen erobert, bleibt
abgeschnitten, wo er sich grade aufhält. Sie werden mit allen
Nicht -Combattanten als »Krankenträger« angesehen.
Die grosse Dschunke , welche am Hauptmast zwei Segel über
einander führte, schien anfangs an Backbord der Fregatte vorüber-
236 Räthselliafte Begegnung. II.
fahren zu wollen, legte aber kurz vor deren Buge plötzlich um und
segelte an der Steuerbordseite in etwa fünfzig Schritt Entfernung
vorbei. Schon von weitem sah man mehre];^ Chinesen auf dem
Vordercastell bunte Fahnen schwenken; das ganze Verdeck war
voll Menschen, die auf den Knieen hegend flehende Gebehrden
machten und wie es schien nach den kleineren Dschunken zeigten,
dabei ganz jämmerUch heulten und sclurieen. Wir konnten natürUch
nichts verstehen, und Niemand wusste was daraus zu machen
wäre. Die Dschunke legte, als sie vorüber war, hinter dem Heck
der Fregatte einen Augenblick bei, spannte dann aber plötzlich
alle Segel und hielt auf die Küste von Formosa zu. — Wir
setzten unseren Cours fort. Mit den kleineren Dschunken hatten
sich noch vier andere von ganz gleicher Bauart vereinigt, die wir
vorher zu Steuerbord gehabt hatten; diese zwölf stellten sich
ausser Schussweite in einer langen Linie auf und schienen uns zu
beobachten. Als wir vorüber waren, Uess Capitan Jachmann ab-
schlagen.
Der ganze Vorgang blieb rathselhaft. Entweder war die
grössere Dschunke wirkUch von den kleineren angegriffen worden
und suchte Schutz, oder es waren lauter Piraten, und jenes Schein-
gefecht in der Frühe sollte uns aus unserem Course locken. Letzteres
ist wahrscheinUcher, denn wir konnten auf der dicht vorbeisegelnden
Dschunke keine Spur von Zerstörung entdecken und sie selbst sah
höchst verdächtig aus, ein alter verwetterter Kasten mit geflickten
Segeln und zerfressenen Borden, auf allen Seiten mit Netzen dicht
behängt die man wohl für Enternetze ansehen konnte, — denn
eine Fischerdschunke war es nicht, dafür zeugte die starke Be-
mannung, wie sie nur Piraten zu führen pflegen. Geschütze koimteu
wir nicht bemerken; sie waren wohl maskirt, sind auch beim Entern,
der gewöhnüchen Kampfesart der chinesischen Seeräuber, von ge-
ringem Nutzen. Wahrsclieinhch wurde die Thetis von weitem für
ein Handelsschiff und somit für gute Beute gehalten, denn Kriegs-
schiffe ohne Dampf kraft sind längst ein ungewohnter AnbUck selbst
in jenen Meeren. Die grosse Dschunke wollte sich wohl langseit
legen und entern — darauf deutete ihr Segelmanöver; unserer
Geschütze aber wurden die Chinesen, die grade auf uns losfuhren,
erst in grösster Nähe ansichtig, daher ihre flehenden Gebehrden,
als sie sich vorübersegelnd im Bereiche einer so grimmigen Reihe
von FeuerschlÜLideii, und durch die offenen Luken die Mannschaft
n. Piratenjagd. 237
zum Feuern bereit sahen. — Die anderen Dschunken gingen aus dem
Wege, als sie ihre Täuschung bemerkten.
Die Aufregung im Schiffe hatte sich kaum gelegt und wir
segelten bei leichter Brise im Angesicht des chinesischen Festlandes
hin, als Nachmittags um zwei eine englische Brig bemerkt wurde,
welche ihren Cours ändernd auf die Thetis loshielt, und durch
Signale anfragte, ob man ihr etwas Pulver geben könne. Capitän
Jachmann antwortete bejahend und liess die Fregatte beidrehen:
binnen einer Stunde lag die Brig neben ihr, und der Steuermann
kam an Bord. Er war am Morgen desselben Tages von vier
Piratendschunken angegriffen worden, welche sich noch in Sicht
befanden; zwei segelten ganz in der Nähe. Sie hatten ein Boot
nach der Brig gesandt mit dem Vorgeben, Reis verkaufen zu wollen:
einige Säcke werden an Bord gebracht, aber beim Oeffnen findet
sich Sand darin. Unterdessen zünden die Chinesen Stinkkugeln an
und dringen auf die Mannschaft ein, werden aber geworfen und
verUeren mehrere Leute. Die Engländer hatten dabei ihr weniges
Pulver verschossen und waren in grosser Verlegenheit, da die
Strasse von Corsaren wimmelte. Capitän Jachmann gab ihnen ein
Fässchen und liess, indem sie von Bord gingen, Generalmarsch
sclilagen. Die Brig nahm südlichen Cours; die Thetis aber wandte
ihren Bug gegen die beiden nächsten Piraten und suchte ihnen auf-
zulaufen. Der Wind stand aus Osten. Die Dschunken lagen in
Lee südwestlich auf die Küste von China los; ihre Verdecke wim-
melten von Menschen, bis die erste Kugel über ihre Köpfe sauste.
Von dem Augenblick an war keine Seele mehr an Bord zu sehen,
selbst die Steuerleute müssen versteckt gesessen haben. Leider
war die Entfernung zu gross und der Zielpunct zu klein um sicher
schiessen zu können, — die Kugeln schlugen meistens dicht davor
oder dahinter in das Meer, nur eine, die Lieutenant Butterlin rich-
tete, fuhr durch das Hauptsegel der einen Dschunke, ohne sie sonst
zu beschädigen.
Die Fortsetzung dieser Jagd hätte die Thetis allzuweit aus
ihrem Course gebracht, imd da wir bei der schwachen Brise wenig
Raum gewannen, so beschloss der Commandant, diese Beute auf-
zugeben und den beiden grösseren Piratendschunken nachzusetzen,
die freilich entfernter , aber nördlich in der Richtung unseres Courses
segelten. Der Wind war in dem Augenblicke günstig und schien
frischer werden zu wollen, doch lief die Fregatte den Dschunken,
238 Dif Verfolgung aufgegeben. 11.
die mit aller Macht zu rudern anfingen, langsamer auf als man
erwartete. Die Sonne senkte sich schon als wir in Schussweite
kamen, und der Wind wurde immer schwächer. Der Capitan liess
aus dem grossen Pivotgeschütz am Buge Granaten werfen; einige
crepirten dicht über und hinter den Dschunken, welche unter
mächtigem Rudern in einen engen Canal zwischen zwei Felsinseln
liefen. In dieses unbekannte und gefahrliche Fahrwasser durfte
ihnen die Fregatte nicht folgen, zumal bei einbrechender Nacht, —
so wurde denn gegen Sonnenuntergang abgeschlagen und Cours
gesteuert. — Wir kamen erst spät Abends zum Mittagsessen, denn
sobald der Generalmarsch ertönt, müssen alle Feuer gelöscht
werden.
So war denn der Tag ohne blutige Erfolge vergangen — die
Aufregung wich einer nüchternen Abspannung. Wir schwatzten
bis tief in die Nacht, — Jeder hatte seine Ansichten, Wünsche,
Vermuthungen , namentUch über die räthselhafte Begegnung am
Morgen. Es wäre dem Commandanten ein leichtes gewesen die
grosse Dschunke zum Streichen der Segel zu zwingen, aber was
konnte bei einer Untersuchung ohne Dolmetscher herauskommen? Sie
anzugreifen, lag keine Veranlassung vor. Die Nachmittags gejagten
vier Dschunken aber waren gleichsam auf der That ertappt —
der »Oriental«, so hiess die englische Brig, verlor sie seit ihrem
Angriff nicht aus den Augen — und hätten bei gutem Gewissen
wohl nach dem ersten Schusse die Segel gestrichen. Wir übten
hier also nur pflichtmässige Seepolizei. Die Spannung war gross,
aber bei Manchem gewiss nicht ohne Beimischung von peinlichem
Gefülil, denn so nützlich und ^vünschenswerth es scheint, solch
ruchloses Gesindel aus der Welt zu schaffen, so ist es doch kein
angenehmes Amt, wehrlose Verbrecher zur Strafe zu ziehen.
Einen Kampf durfte man es nicht nennen, denn gegen unsere Acht-
undsechszigpfunder konnten sich die Räuber nicht wehren , und ein
Bootsangriff, der bei Verfolgung der grösseren Dschunken in Aus-
sicht genommen wurde , musste der einbrechenden Nacht wegen
unterbleiben. — Es war ein herrlicher Nachmittag, wie man ihn
nur an den Grenzen der Tropen erlebt, das Firmament glänzend in
mildem Blau, die See leicht gekräuselt. Das majestätische Schiff
legte sich unter einer Last von Segeln^ in die Brise und glitt ohne
Schwankung über die purpurblaue Fläche. Man hörte deutlich das
sausende Pfeifen und Brummen jeder Kugel, und w^o sie einschlug
II. Der Stille Oceaii. 239
spritzte weisser Gischt thurmhoch in die Luft. Der Pulverdampf
wälzte sich in schweren weissen Wolken über das Wasser der
chinesischen Küste zu, die westlich im rosigen Dufte lag, — unsere
Zerstörungsgelüste contrastirten sonderbar mit der milden warmen
Herrlichkeit der Natur.
Am dreissigsten Nachmittags hielten abermals einige grosse so. Angiut.
Dschunken auf die Fregatte zu. Capitän Jachmann liess diesmal die
Stückpforten schliessen, um die Piraten zum Angriff zu verlocken;
sie müssen aber ihren Irrthum frühzeitig gemerkt haben, denn die
Dschunken änderten schon in grosser Entfernung plötzlich ihren
Cours und suchten das Weite.
Am 31. August liefen wir unter leichter Nordbrise aus der 3i. August.
FuKiAN - Strasse heraus, kamen aber in den folgenden Tagen wenig
vorwärts. Das Wetter war schwül und drückend, der Wind ver-
änderlich und schwach. Am 2. September eine kleine Böe mit
Gewitter, in der Feme einige Wasserhosen ; die vulcanischen Inseln
TiAOGu-su und Hoapin-su in Sicht. Am fünften ging der Wind
durch Osten nach Süden herum, und am sechsten früh segelten 6. Septbr.
wir zwischen den hohen Inseln Yokosima und Kaminone südlich
und Takorasima nördlich durch unter 29° 12' n. Br. und 130° 32'
östl. L. in den Stillen Ocean. Hier zeigte sich bei frischem
nördlichen Winde eine starke Dünung aus Osten, das Schiff stampfte
und arbeitete unerträghch und machte wenig Fahrt. An demselben
Tage sank das Barometer plötzlich bedeutend, und man glaubte es
sei ein Orkan im Anzug; die Segel wurden gerefft und das Schiff
sturmfertig gemacht. Am siebenten und achten wehte es noch
heftiger, so dass die Pforten der Batteriekammern an Backbord
zugesclu*aubt werden mussten. Dadurch war uns Passagieren alles
Licht entzogen, und \vir lebten bei Kerzenschein in keiner ange-
nehmen Atmosphäre; denn durch die Ritzen der nicht ganz dicht
schUessenden Stückpforte rieselte das Seewasser herein, und die
kühlere Luft condensirte die Feuchtigkeit an den durchhitzten Schiffs-
wänden, die wie ein Ofen Wärme strahlten. Es war wie ein mit
tausend lieblichen Gerüchen gewürztes russisches Bad, und damit
es auch an der Douche nicht fehle, spritzte hin und wieder von
Steuerbord eine See in die Batterie. Das Zwischendeck aber glich
einem Backofen.
Vom neunten bis zum elften herrschte wieder Windstille bei 9. Scptbr.
starker Dünung und bewölktem Himmel, so dass keine genauen
240 Die Küste von Nippon. II.
Observationen möglich waren; die Meeresströmung versetzte uns
11. Septbr. stark uacli Osten. Den 11. September zeigten sich Haifische um
das SchiflF; einer derselben biss an die ausgeworfene Angel, zappelte
aber und schlug beim Heraufziehen dermaassen um sich, dass der
starke Angelhaken sich grade bog und ihn losliess. Er mochte
etwa acht Fuss lang sein.
12. Septbr. Am zwölftcu blics der Wind frisch aus Nordwesten und
peitschte heftigen Regen vor sich her. Schwere Wolkenmassen
bedeckten den Himmel, die Seeleute nannten es »dickes Wetter«,
kein Horizont sichtbar, sondern Himmel und Wasser in grauem
Regendunste verschwimmend. Morgens fuhr uns eine japanische
Dschunke mit breitem viereckigem Segel vorbei, das erste Zeichen
von der Nähe des Landes; bald darauf wurden die hohen Gebilde
von Nippon als bläulicher Streifen in der grauen Regenwand sichtbar,
ein ersehnter Anblick nach der langen mühseligen Fahrt. Der
Regen floss in Strömen, und man konnte auf Deck nur im Gummi-
rock und Wasserstiefeln existiren, genoss aber den AnbUck des
Landes und frische Luft, während es unten zum Ersticken war.
Wegen der starken Stromversetzung am Tage zuvor hatte der Com-
mandant nördlicher steuern lassen als der berechnete Coiu« lag:
den ganzen Vormittag des zwölften aber bUeb die Soime ver-
schleiert, so dass wir nicht wussten, welcher Theil der japanischen
Küste vor uns läge. Es war eine Bucht mit flachem sandigem Ufer;
wir kreuzten, und gingen mehrmals bis dicht unter Land, so dass
Häuser und Bäume dem blossen Auge sichtbar wurden, — dort sass
eine gestrandete Brig, die kurz zuvor aufgelaufen seinmusste, denn
Masten und Takelung schienen noch in gutem Zustande. Menschen
waren nicht zu sehen. — Endlich Nachmittags zerriss der Wolken-
schleier, die Sonne wurde einen Augenblick sichtbar, — wohl ein
Dutzend Sextanten waren fragend auf sie gerichtet, — und die
Beobachtung ergab, dass wir uns bei Cap Irako-saki, nicht wie wir
sollten, bei Cap Insu befanden. Man hatte die Stromversetzung, nach
dem Ergebniss des vorigen Tages, zu stark berechnet. Nun legten
wir um und liefen, um während der dunklen regnigen Nacht von
der klippenreichen Küste und den dort kreuzenden Dschunken frei
zu bleiben, vor dem Winde her nach Südosten, bis gegen vier Uhr
Morgens der Rechnung nach die Länge der Bai von Yeddo erreicht
war; dann wurde nordöstlich gesteuert. Der Wind ging zu unserem
13. Septbr. Vortlicil mehr nach Süden herum, und schon bei Tagesanbruch
IL Der Golf von Yeddo. Kanaoava. 241
waren Kozusima und Volcano sichtbar, hohe schroffe Felseninsehi,
die sich in breiten düsteren Massen von dem grellen Gewitter-
liimmel abhoben. Bald darauf wurden auch Cap Insu und die Berge
von SiMODA nach den Beobachtungen erkannt , denn es war Nie-
mand an Bord der die japanischen Küsten jemals gesehen hatte.
Die Fregatte üef jetzt unter vollen Segeln vor dem Winde mit einer
Fahrt von zw ölf Knoten zwischen Cap Insu und der Yulcaninsel
Ohosima durch, deren Gipfel in Rauch und Wolken lag, dann queer
über den äusseren Golf von Yeddo auf Cap Sangami los. Die See
wurde immer belebter; hunderte von Segeln furchten, oder glitten
vielmehr nach allen Richtungen über die bewegte Fluth, — denn
die leichteren japanischen Fahrzeuge sind sehr flach gebaut, und
scheinen bei raschem Segeln die Wellen kaum zu berühren. — Vor
Cap Sakoami brandet die See zwischen dunkelen Klippen; westlich
davon hegt das altberühmte Kamakura , die Residenz des Yoritomo
und seiner Dynastie. Hier — bei Sangami — verengt sich die Bai;
wir segelten längs der westUchen Küste an Uraga, wo manches
fremde Schiff zurückgewiesen wurde, dann am Vorgebirge Kamisaki
vorbei, das mit der gegenüberliegenden Spitze Sanuki den Eingang
in die innere Bai von Yeddo bildet. Die Ufer sind bewaldet und
hügelig; zwischen grünen Vorgebirgen schweift der Bück in tiefein-
geschnittene Buchten, und am Fusse der Hohen hegen Städte und
Dörfer mit schützenden Strandbatterie«n.
Gegen zw^ei Uhr Nachmittags ging die Thetis in der Bucht
von Kanagava vor Anker. Hier lagen mehrere europäische Fahr-
zeuge , darunter englische Transportschiffe , die Pferde für den
chinesischen Krieg an Bord nehmen sollten. Der Legations-Secretär
Pieschel bestieg ein Boot und erkundigte sich zunächst bei einem
der Scliiffe nach dem Landungsplatz; von dort aber ruderten schon
Boote auf die Fregatte zu, von denen eines angerufen wurde. An
Bord befand sich ein Ungar, welcher Proviantlieferungen übernom-
men hatte, und der Herrn Pieschel meldete, dass die Arkona schon
seit zehn Tagen vor Yeddo hege. Unser Boot kehrte nun nach
der Thetis zurück; dort hatten sich unterdessen drei japanische Beamte
mit einem holländisch redenden Dolmetscher eingefunden, welche
Capitän Jachmann im Namen des Gouverneurs von Kanagava be-
grüssten und nach dem Namen, Vaterland und Bestimmung des
Scliiffes fragten. Es waren fein gekleidete Leute in schweren
dunkelen Seidenstoffen, mit intelligenten Gesichtern , höflich und
]. 16
242 Von Kanaoava nach Yeddo. II.
freundlich; alle trugen zwei Schwerter im Gürtel. Auch sie be-
richteten die Ankunft der Arkona und dass der Gesandte in Yeddo
wohne. Sie Hessen es sich bei süssem Wein und Liqueuren in der
Cajüte des 'Capitäns eine Weile w^ohl sein, und kehrten dann unter
vielen höflichen Verbeugungen in ihr Boot zurück.
Bald darauf kam der Lieutenant z. S. Graf Monts, von der
Arkona, an Bord, der sich auf Urlaub in Kanaoava befand. Von
ihm erhielten wir Nachricht über die Fahrt des Flaggschiffes,
und zugleich die erste traurige Kunde von dem Ausbleiben des
Frauenlob, den die Arkona in dem Taifun am 2. September' aus
Sicht verloren hatte.
Gegen Abend liess der Wind nach und der Himmel wurde
heiter. Milder Sonnenschein übergoss die grünen üferhöhen, und
über YoKüHAMA kam hinter zerrissenen Wolkenschleiern der Gipfel
des hohen Fusiyama zum Vorschein. Ebenso schön war der fol-
M. Scptbr. gende Morgen; die Thetis ging mit günstigem Winde in See, und
warf nach anderthalbstündiger Fahrt um neun Uhr Anker auf der
Rhede von Yeddo, sechs Kabellängen liinter der Arkona, etwa
fünf Seemeilen vom Lande. Das seichte Wasser gestattet keine
grössere Näherung. — Es war der 14. September, der vierund-
dreissigste Tag nach der Abfahrt von Singapore.
IIL
REISE DER ARKONA VON SINGAPORE NACH YEDDO.
VOM 13. AUGUST BIS 4. SEPTEMBER.
iliiner der für die Arkona designirten Herren, der auf der Elbe nach
Singapore gekommen war, begab sich schon am Abend vor der
Abreise an Bord, und liess seine Hangematte der Kühlung halber
in der Batterie neben einer der offenen Stückpforten und dicht über
dem dort stehenden Geschütz aufknüpfen. Der Unglücküche hatte
sich, mit den kriegerischen Gebräuchen des Flaggscliiffes unbekannt,
grade diejenige Kanone ausgesucht, aus welcher der Morgenschuss
gefeuert wurde; — er lag noch in süssen Träumen als um fünf Uhr
früli der schwere Dreissigpfiinder losging. Schreck und Erschütte-
rung hoben ihn mit einem gewaltigen Ruck aus seinem luftigen Lager,
und selbst auf dem Geschützrohr hegend wusste sich der Schläfer
nicht zu finden, denn es war noch dunkel; worauf ihn der Feuer-
werker belehrte , dass dieses der Morgenschuss gewesen sei. Herr B.
*kam mit einigen Beulen davon, mied aber für alle Zukunft die
Nachbarschaft der Salutgeschütze.
Der Gesandte empfing am 13. August Morgens in Singapore i3. August
die Abschiedsbesuche der engUschen Officiere und der fremden Con-
suln, und begab sich dann mit den übrigen Passagieren der Arkona
nach dem Landimgsplatze, wo ihn der Oberrichter und der Brigadier
mit ihrem Stabe erwarteten. Eine Ehrenwache bildete Späher. Das
Boot stiess unter dem Donner der englischen Geschütze vom Ufer,
und die dort versammelten Herren riefen den Scheidenden ein drei-
maliges Hip hip hurrah nach. Alle nahmen die angenehmsten Er-
innerungen mit, denn die englischen Beamten hatten sich nicht darauf
beschränkt dem Gesandten des Königs von Preussen die schuldige
Courtoisie zu erweisen, sondern waren mit persönlicher Liebens-
würdigkeit darauf bedacht gewesen, ihm und jedem Einzelnen aus
dem Gefolge den Aufenthalt so angenehm als mögUch zu machen.
16*
244 Einrichtung der Arkona. III.
Als die Reisenden an Bord anlangten, hatte die Arkona den
Salut des Forts bereits erwiedert und machte sich zur Reise klar:
der, Schooner Frauenlob war schon etwas früher in See gegangen.
Um drei Uhr hchtete Arkona die Anker und verliess unter Dampf
die Rhede; eine Stunde später hatte sie den Schooner eingeholt und
14. August, nahm ihn in das Schlepptau. Am vierzehnten Morgens sprang ein
leichter Wind auf, die Feuer wurden gelöscht und der Schooner
losgeworfen: beide Schiff'e setzten Segel. Am folgenden Tage war
die Brise schwach und starb am sechszelmten ganz weg, die Arkona
machte wieder Dampf und schleppte den Schooner. Es war sehr
warm, doch erzeugt der Lauf des Schiffes immer einigen Luftzug,
und die Hitze ist trotz den Feuern der Maschine bei weitem nicht
so schwer zu ertragen als bei gänzlichem Stilleliegen unter der
glühenden Tropensonne.
Die Einrichtungen für die Passagiere waren an Bord der
Arkona sehr zweckmässig. Der Gesandte wohnte in der Steuerbords-
Ach tercajüte , neben ilim zu Backbord der Geschwaderchef, der
seinen Schwager, Baron Bennet, als persönUchen Begleiter bei sich
hatte. Die sogenannte Vorcajüte, einen die ganze Schiffsbreite von
Bord zu Bord einnehmenden Raum, benutzten Graf Eulenburg und
Capitän Sundewall gemeinschaftlich als Speisezimmer. Daran stiessen
vier Kammern für die übrigen acht Passagiere, zwei zu jeder Seite
der Batterie, die auf der Arkona höher und luftiger ist als auf der
Thetis. Jede dieser Kammern war acht Fuss breit und zwölf Fuss
lang; die eine schmale Seite nahmen zwei übereinandergebaute
Schlaf cojen ein, und an der Schiffswand lief ein langer Tisch vor
der Stückpforte hin , unter welchem das Rohr des hierhergehörigen
Geschützes festgelascht war. An der Wand gegenüber blieb noch
Raum für die Commoden und Koffer, und die ganze Einrichtung
war so zweckmässig imd bequem als sie sich an Bord eines Kriegs-
schiffes nur erzielen lässt. Wegen der Anwesenheit des Gesandten
wurden den Passagieren auch etwas grössere Freiheiten gestattet
als sonst auf Kriegsscliiffen Sitte ist, und da die Officiere ihnen mit
grosser Liebenswürdigkeit entgegenkamen, so gestaltete sich das
Leben an Bord sehr angenelnn.
Der tägUche Dienst und die inneren Einrichtungen waren auf
der Arkona im Wesentlichen dieselben, wie auf der Thetis, bis
auf die durch die Dampfkraft bedingten Modificationen. Die Maschine
liegt in der Mitte des Schiffes zwischen dem Fock- und Grossmast,
III. Bau der Arkona. Das Musikcorps. 245
und mit ihren wichtigsten Theilen unter der Wasserlinie; sie ragt
in das Zwischendeck hinein, und der Maschinenraum ist oben offen,
so dass man aus der Batterie hineinsehen kann. Das Verdeck da-
gegen ist geschlossen; der Schornstein wird telescopartig auf- und
niedergewunden, je nachdem man dampft oder segelt. Im Heck
Hegt der Schraubenbrunnen, ein dicht vor dem Steuerruder vom
Verdeck aus durch die Achtercajüte in das Wasser hinabführender
viereckiger Schacht, in welchen die Scliraube hinaufgewunden wird,
sobald man ohne ihre Hülfe segeln will. Dieses Manöver ist
immer sehr sclnvierig und anstrengend und nimmt grosse Kräfte in
Anspruch, denn die aus Bronze gegossene Schraube eines so grossen
Schiffes ist von bedeutendem Gewicht. Eine Reserveschraube hegt
auf dem Vorderverdeck. Die Arkona ist langer als die Thetis, und
führt auf dem Verdeck nur ein grosses Pivotgeschütz am Buge; ihre
Decke sind hoch und luftig. Sie hegt sehr schön auf dem Wasser
und soll in dieser Beziehung eines der ausgezeichnetsten Schiffe ihrer
Gattung sein. Das vollkommene Gleichgewicht ilirer Bauart bewahrt
sich besonders bei starkem Winde, da sie denn, obgleich sclmialer
als die Thetis, doch viel ruhiger liegt als diese, die noch immer
als eine der besten Segelfregatten nach altem Sclmitt angesehen
wird. Die Arkona ist das erste grössere Kriegsschiff das die
königüchen Werfte geUefert haben; ihr fehlerhafter Theil ist nach
dem Urtheil der Seeleute das Heck, welches durch den Schrauben-
brunnen zu sehr geschwächt ist, so dass das Schiff bei kräftigem
Arbeiten der Schraube und selbst bei schnellem Segeln in -starke
Vibration geräth.
Von dem grössten Werth war die Anwesenheit des Musik-
corps an Bord der Arkona, das Morgens bei der Musterung auf
Deck, und während des Mittagessens des Gesandten und Ge-
schwaderchefs in der Batterie spielte. An der Tafel in der Vorcajüte
nahmen auch Baron Bennet und der persönliche Attache des Ge-
sandten, Graf August Eulenburg, Theil, ausserdem häufig einige
eingeladene Gäste; die übrigen Passagiere assen sämmtUch in der
Officiersmesse , wo zwar grosse Hitze, aber bei vortrefflicher Ver-
pflegung die heiterste Stimmung herrschte. Abends versammelte
sich meist die ganze Schiffsgesellschaft auf dem Verdeck; man sang
und schwatzte bis in die späte Nacht und konnte sich aus den
weichen thauigen Lüften kaum lossreissen. Diese Tropennächte
auf der See sind von wunderbarer Herrlichkeit: die Gestirne strahlen
246 Tropische Nachte. Gottesdienst. lU.
in mildem Glänze vom Firmament, nicht wie bei uns in kalter
trockener Winternacht mit hellem Gefunkel, sondern in sanft
leuchtender Pracht. In der südlichen Hemisphäre waren unge-
wohnte Sternbilder sichtbar, die strahlenden Centauren, der Scorpion.
Das berühmteste Sternbild des Südpols, das südliche Kreuz, zeigt
sich in diesen Breiten sehr unscheinbar, sein matter Glanz zieht
kaum das Auge auf sich. — Der heimische Polarstem tauchte
erst unter 6° n. Br. wieder aus dem Nebel des Horizontes auf. —
Im Wasser furchte das Schiff eine breite Bahn, in welcher helle
Puncte electrischen Lichtes glänzten. Auch das Seeleuchten ist in
diesen Breiten nicht so intensiv als in finsteren nordischen Gewitter-
nächten: die leuchtenden Puncte sind minder zahlreich, aber viel
grösser und nicht so scharf begrenzt, von einem breiten Kranze
milchigen Lichtes umgeben.
Am 17. August stellte sich wieder Wind ein, und MTirden
18. August Segel gesetzt. Den achtzehnten passirten die Schiffe die Inseln
Catwick und Ceicer de Mer, in deren Nähe die See von zahlreichen
Delphinenschaaren belebt war. — Sonntag den neunzehnten nach der
Musterung hielt der Prediger Kreiher Gottesdienst in der Batterie;
Liturgie und Choralgesang wurde von dem Musik corps begleitet.
Der Gottesdienst an Bord bei ruhigem Wetter auf hoher See —
bei heftigem Winde ist das Geräusch und die Unruhe im Schiffe
zu gross — hat etwas besonders Erhebendes, denn die Natur des
Meeres ist ernst und feierlich; da ist nichts, was die Andacht stören
könnte*. Keine Gemeinde ist wohl so eng verbunden als die Mann-
schaft eines Schiffes, und doch ist es so schwer für den Geistlichen
sich einen erfreulichen Wirkungskreis zu schaffen. Das Seeleben
ist mühselig, voll Entbehrungen und Gefahren, und entwickelt den
menschlichen Charakter in sehr absonderhcher Weise. Selten wird
der ächte Seemann vom Landmenschen vollkommen verstanden
werden ; dieses Gefühl macht ihn verschlossen , und sogar empfindUch
wo er sich unterschätzt glaubt. Seine steten Entbehrungen und
Gefahren geben ihm, halb unbewusst, ein Gefühl seines Werthes
und einer gewissen Grösse den kleinen Interessen des täglichen
Lebens gegenüber: er setzt im Dienste stündlich sein Leben ein,
und fühlt sich zu den Extremen des Genusses berechtigt, wo ihm
eine kurze Ruhe wird. Wer diesem Bedürfniss nicht einige Rech-
nung tragen und etwas nachsichtig sein will, wird sich schwerlich
Eingang verschaffen; um aber recht auf ihn zu wirken, müsste der
in. Mann aber Bord. 247
Geistliche selbst Seemann sein, und diesem Berufe sein ganzes
Leben widmen.
An diesem Tage — den neunzehnten — stand die Sonne
unter 12° 25' n. Br. und IIP 2' ö. L. im Zenith der Arkona, so
dass deren Bewohner sich um Mittag als walure Schlemihle auf dem
Verdeck bewegten. Der Wind blieb gut, ebenso die folgenden
Tage. Am 21. August wurde unter 16° 13' n. Br. und 115° 1' ö. L.
die Macclesfield-Bank passirt.
Am zweiundzwanzigsten Vormittags liefen die Schiffe unter 22. August
leichter Brise über die ruhige See, — da ertönte gegen elf ülir auf
der Arkona plötzlich der Ruf » Mann über Bord « ; ein Matrose
trieb ruhig schwimmend im Kielwasser. Man hegte an Bord keine
Besoi^niss, denn der Mann war als einer der besten Schwimmer
bekannt; die ausgeworfenen Rettungsbojen fielen dicht bei ihm
nieder, die Corvette wurde sogleich beigedreht und der Cutter zu
Wasser gebracht; noch vor ihm erreichte ein Boot des Frauen-
lob , der seitwärts hinter dem Flaggschiffe segelte und durch Signal
avertirt war, den Ort wo die Bojen schwammen — aber der Mann
war verschwunden , nur sein Hut trieb auf dem Wasser. Die Boote
fuhren von dem Schooner gefolgt noch weit hinaus, aber alles
Suchen blieb fruchtlos. ' Da die See ganz ruhig war und kaum zehn
3Iinuten bis zur Ankunft des ersten Bootes bei den Bojen vergingen,
so ist anzunehmen, dass der Unglückliche von einem Haifische in
die Tiefe gerissen wurde. Einige Matrosen, die im Kreuztop standen,
sahen ihn dicht bei der einen Boje plötzUch verschwinden. — Der
Grund seines Sturzes war das Reissen eines alten Taues, das er um
die Kette des zweiten Cutters befestigen sollte. Ein mit ihm arbei-
tender Camerad, der ihn als vorzüglichen Schwimmer kannte, rief
noch scherzend, er möge doch nach seinem Hut greifen den er im
Fallen verlor.
Es war der zweite Mann der Arkona, der seit ihrem Aus-
laufen von Danzig auf diese Weise umkam. Das erste Mal geschah
es südlich vom Cap, bei so hoher See dass man für das ausge-
setzte Rettungsboot fürjchtete. Diesmal aber waren alle Umstände
so günstig dass Niemand an ein Unglück dachte, und der Verlust
wirkte um so niederschlagender. Wie tief ein solches Ereigniss in
das Leben der Mannschaft eingreift, weiss nur, wer es erlebt hat;
denn so zufallig auch eine Schiffsgesellschaft zusammen gewürfelt
sein mag, unter Menschen, die durch gemeinsame Interessen
248 Haifische. III.
verbunden und auf einem engen Räume zusammengedrängt sind,
bildet sicli immer ein Familienverbältniss , und jeder föhlt lebhafU
wenn einer weniger geworden ist
50. August. Am dreiundzwanzigsten Abends wurde es wieder windstill:
die Officiere warfen Angeln aus, da sich Haifische in der Nähe
gezeigt hatten. Einer davon biss an, riss sich aber beim Herauf-
ziehen paeder los, ehe ihm eine Schlinge übergeworfen werden konnte.
Gegen acht Uhr nahm die Arkona den Schooner wieder in das
24. August. Schlepptau. — Am vierundzwanzigsten, da die Maschine wegen
Reparatur eines Bolzens stiU stehen musste und das Schiff mehrere
Stunden lang unbewegUch auf der glatten Fläche lag, "wurden aber-
mals Haiangeln mit grossen Stücken Speck als Köder ausgeworfen.
Drei Haifische bissen an und wurden zum grossen Jubel der Mann-
schaft heraufgeholt. Sie waren gegen fünf Fuss lang, der Kopf fast
apderthalb Fuss breit, Rücken und Bauch mit starken Flossen bedeckt,
die Farbe grau. Im Rachen standen sechs Reihen scharfer Zähne,
deren geringe Grösse zeigte dass diese Fische keine ausgewachsenen
waren. An jedem Hai hingen mehrere Saugfische von zwei bis
acht Zoll Länge. Die Ungeheuer wurden mit starken Schlingen an
Bord gezogen, und schlugen und schnappten gewaltig um sich, ver-
loren aber bald die Kräfte als man ihnen dicke Handspaken in
den Rachen stiess, und wTirden von der Mannschaft im Triumph
über das Verdeck nach vorne geschleift. Alle Seeleute haben einen
natürlichen Ingrimm gegen die Haie, ihre geborenen Feinde, und
dieser war bei den Arkonaleuten noch durch den eben erzählten
Unglücksfall geschärft. Sie übten grausame Vergeltung an den
Gefangenen , und Einer schrie unter wüthendem Zuschlagen : » Wart.e
nur, Canaille, du hast minen Cameraden gefreten«. Der Commandant
des Seesoldatendetachements , Lieutenant von Imhoff, erhielt von
einem der verendenden Fische einen Schlag an das Bein, der ihn
auf einige Zeit lahm legte.
Essbar ist nur der Schwanz des Haifisches; der Thran heilt
nach Seemannsglauben den Rheumatismus. Aus den Flossen, welche
reich an gelatinösen Substanzen sind, machen die Chinesen einen
Leckerbissen.
Gegen halb sechs Uhr desselben Tages bemerkte man in der
Nähe des Schiffes eine Menge im Wasser schwimmender Gegen-
stände, und glaubte Schiffsplanken, Masten, angebrannte Balken,
ja versiegelte Flaschen, kurz Ueberreste eines untergegangenen
in. FoimosR. Botel Tabago. 249
Schiffes zu erkennen. Capitän Sundewall liess Boote zu Wasser
bringen, die aber nur einige Früchte, Bambusrohre und Holz-
stücke fanden, an welchen viele Seethiere sassen. Einer der auf-
gefischten Gegenstande mochte wohl ein Kinderspielzeug sein; ein
Holzklotz, auf dem ein Bambusrohr als Mast mit Binsen befestigt
war. Die herausgeholten Hölzer schienen eher verfault als ver-
brannt, und Alles deutete vielmehr auf die Nähe einer Insel als
auf ein Wrack. Wahrscheinlich hatte die Meeresströmung sie von
dem nahen Formosa herangetrieben.
Früh am funfundzwanzigsten wurde die Südspitze dieser Insel 25. August.
sichtbar, ein hohes Gebirge; von dem niedrigen Küstenlande, das
Ritter erwähnt, war auf achtzehn Seemeilen Entfernung nichts zu
sehen. — Gegen Mittag erreichten die Schiffe die Insel Botel Tabago,
auf der man durch die Femgläser Häuser, Palmen und selbst
Menschen gewahren, deren Farbe und Tracht aber nicht unter-
scheiden konnte. Der Cours führte zwischen dieser und der kleineren
Felseninsel Little Botel hindurch, doch wurde am Ausgange der
Durchfahrt eine weisse Brandung sichtbar, die sich, wahrscheinlich
von unterseeischen Riffen herrührend , queer über die Enge von Insel
zu Insel zog. Capitän Sundewall liess deshalb umlegen und um
Botel Tabago herumsteuern. — Die hohen Berge von Formosa
blieben den ganzen Tag in Sicht. Da diese Gebirge den grössten
Theil des Sommers hindurch mit Schnee bedeckt sind, so lässt
sich nach A. v. Humboldt's Berechnung auf eine Erhebung von
über. 11,000 Fuss schliessen.
Am sechsundzwanzigsten wurde die Insel Patsusan von der 26. August.
3Iadzikosima- Gruppe sichtbar, von welcher eine hohe Säule dichten
Rauches aufstieg. Nachmittags erhob sich Wind, um halb fünf
wurde der Schooner losgeworfen und Segel gesetzt: die Schiffe
stampften bei hoher Dünung aus Norden gewaltig. Gegen zehn fiel
starker Regen, den die Mannschaft freudig begrüsste und zum
Waschen und Baden benutzte. An diesem Tage passifte man den
Wendekreis; die Abende wurden schon kühler, bei Tage aber hielt
sich die Temperatur fast constant auf 30° C. — Am siebenund- 27. August,
zwanzigsten Morgens wieder starker Regen: die Dünung noch heftiger
als am Tage zuvor, der Wind günstig aus N.W.: die Pforten
der Batteriekammern mussten geschlossen werden, die durchheiz-
ten Wände strahlten glüliende Hitze, während die äussere Luft
kühler war.
250 Verdächtiges Fahrzeug. Sturm. III.
2«.Augu8t. Die grosse Liukiu- Insel, deren Höhe die Schiffe am achtund-
zwanzigsten Morgens erreichten, wurde wegen des dichten Nebels
nicht sichtbar. Der Wind nahm zu und erzeugte eine hohe See;
während der Nacht und am folgenden Tage zogen mehrere Regen-
böen herauf, so dass wiederholt alle Mann aufgepfiffen, und Segel
gekürzt und eingenommen werden mussten; die Atmosphäre war
hier offenbar aus dem Gleichgewicht, und ihre Aufregung theilte
sich den Schiffen mit wo es wenig Ruhe gab. Am neunund-
zwanzigsten Nachmittags wurde der Wind wieder schwächer, und
30. August, am dreissigsten trat völlige Stille ein, so dass Capitän Sundewall um
^ zehn Uhr Morgens die Maschine der Arkona heizen Hess. Schon
Tages zuvor war ein verdächtiges Fahrzeug in Sicht gewesen, eine
Brigg, die auch jetzt trotz der Aufforderung der Arkona die Flagge
nicht zeigte. Als diese aber jetzt unter Dampf auf sie lossteuerte,
hisste sie die englische und signaUsirte, sie heisse Windhover,
komme aus Futsau und gehe nach Sydney. Capitän Sundewall
liess sie ohne weitere Untersuchung gehen , doch bUeb es auffallend,
dass sie den entgegengesetzten Cours steuerte. Die Officiere be-
merkten, dass ihr Verdeck für ein Handelsschiff ungewöhnlich klar
sei und dass sie nicht alle Geschütze zeige. Vielleicht hatte sie eine
Ladung chinesischer Kuh's für Amerika an Bord, und mochte deshalb
die nähere Berührung mit dem Kriegsschiffe zu meiden suchen.
.31. August. Den 31. August gingen die Schiffe unter Dampf weiter. In
der Nacht zum 1. September wurde der Schooner losgeworfen,
aber, da die Brise bald nachliess, schon am Morgen wieder in das
Schlepptau genommen. Gegen Abend wurde der Wind wieder etwas
stärker und dabei auffallend heiss, die Luft war sehr 'drückend.
2. Septbr. Dcu 2, September Morgens gegen vier Ulir weckte der Ruf
»Alle Mann auf, klar zum Manöver« sämmtUche Bewohner der
Arkona aus dem Schlafe. Die See ging hoch, der Himmel war
bezogen , der Wind blies heftig aus O. N. O. und es l)egann zu
regnen. Schon war der Frauenlob ausser Sicht, naclidem um
drei Uhr bei dem heftigen Seegange die Trosse gerissen, an der
er geschleppt wurde. Das Gross - Marssegel der Arkona wurde
dicht gerefft, fast alle übrigen Segel eingenommen und die Feuer
gelöscht, da die Schraube gegen den heftigen Wind nicht ankämpfen,
die Maschine aber leicht beschädigt werden konnte. Sämmtliche
Pforten wurden geschlossen , was zu bergen war geborgen, und alle
Vorbereitungen getroffen um einem grossen Sturme zu begegnen.
IIL Der Taifun. 251
denn der Wind gewann zusehends an Stärke. Da die Küste von
NipPON leewärts in grosser Nähe lag, so suchte der Commodor mit
Hülfe der Segel zu halsen, d. h. das SchiflF gegen den Wind zu
drehen und über Süden nach Osten zu lenken — aber vergebens;
der auf das Heck und den Kreuzmast immer starker drückende
Luftstrom wirkte den Segeln entgegen, und die Arkona gehorchte
nicht mehr ihrem machtlosen Steuer. Um sieben begann das SchiflF
sich stark auf die Seite zu legen. Noch war die Luft hell genug
um zu sehen, wie die Wogen sich Hügeln gleich hintereinander in
Reihen thürmten, vom eigenen Gipfel in milchweissem Schaume
herabstürzend. Das Barometer fiel mit ungewohnter Schnelligkeit
und man wurde inne, dass der gefürchtete Taifun — so heissen
die mächtigen Wirbelorcane, denen um diese Jahreszeit hier selten
ein SchiflT entgeht — wirklich losgebrochen war. Um acht Uhr
wurde es so dunkel, dass man das Ende des Schiffes nicht mehr
sehen konnte: Meer und Wolken schienen sich zu verschlingen. Die
Wogen standen Mauern gleich und der Sturm peitschte den Wasser-
schaum wie dichten Nadelregen durch die Luft. See- und Regen-
wasser ergoss sich in Strömen über das Deck imd durch alle
Oeflhungen in die Batterie hinunter; Wind und Wellen rauschten
nicht mehr, Alles bebte und donnerte, so dass man sein eigenes
Wort kaum hörte und die Conmiandos von Mann zu Mann weiter
gegeben werden mussten. Nur mit der grössten Anstrengung und
die queer über Deck gespannt-en Seile fassend konnten sich die
Matrosen fortbewegen.
Der Wind ging nach Osten herum, und die Segel flogen mit
lautem Krachen berstend in Fetzen über Bord. Raaen und Spieren
sausten von den Masten nieder, und in der Takelage schlugen die
Tauenden den Leuten die Köpfe blutig. Mit zerrissenen Kleidern
und halb besinnungslos stiegen viele von oben herab, und so gross
war die Gewalt des Windes, dass einem Matrosen in den Wanten
das wollene Hemd buchstabUch in Fetzen vom Leibe geblasen wurde.
Eine See schlug in die zu Backbord hangenden Boote; der erste
Cutter und die Jolle füllten sich mit Wasser, die Davids brachen
unter der Last und beide Boote versanken.
Die Arkona schlängerte, vom Winde leewärts fest in die
Wogen gedrückt, nur wenig, und holte selten stark nach Back-
bord über, obgleich die Neigung nach Steuerbord über 30 Grad
betinig. Eine gewaltige Welle nach der anderen rollte donnernd
252 Gefahrliche Lage. 111.
unter ilir fort: das gute Schiff bäumte sich jedesmal mäclitig empor
und glitt dann, seinen äussersten Bord in das Wasser tauchend,
ruliig in das Wogenthal hinab. Nur zweimal wälzte sich eine un-
bändige See, den Galion umschlingend, vom Bugspriet her über das
ganze Verdeck, und stürzte brausend in die Batterie, in das Zwischen-
deck hinab. Dort waren die Geschütze und alles BewegUche durch
stärkere Taue gesichert worden; aber in den Kammern der Passa-
giere sah es entsetzlich aus, denn diese hatten, nur an schönes
Wetter gewöhnt und mit der Macht der Elemente nicht vertraut,
sich wenig vorgesehen, und nun flog Alles was nicht niet- und nagel-
fest war, in lustigem Tanze durcheinander. Weder Tisch noch Stuhl,
weder Coje noch Hangematte boten einen sicheren Ruheplatz; ein
Stück nach dem anderen machte sich von den Wänden und aus den
Winkeln los, wohin sie gestaut waren: Hutschachteln, Gläser, Dinten-
fässer, Spiegel und Kasten wurden lebendig, flogen in unberechen-
baren Richtungen umher und nahmen die halsbrechendsten Posituren
an; glückUch wem nicht eine schwere Schiffscommode auf den Leib
taumelte. Am Fussboden wogte das Wasser mehrere Zoll hoch,
darin schwammen Bücher, Bürsten, Stiefel und Cigarrenbüclisen.
und wer nicht Acht gab zerschnitt sich die Füsse an den herum-
liegenden Scherben. Dabei herrschte unten tiefe Dunkelheit: der
Boden war glatt wie Eis und man musste sich mit Händen und
Füssen festhalten, um nicht beim Ueberholen über die ganze Breite
des Schiffes geschleudert zu werden. Es war ein unbeschreib-
licher Zustand.
Um neun Uhr ging der Wind nach Süd -Osten herum und
wurde etwas schwächer; zwischen ein viertel und halb zehn stand das
Barometer am niedrigsten , das Quecksilber war in anderthalb Stunden
um einen Zoll gesunken. Bald darauf erhob sich der Wind, der
indess durch O.S.O. und S.O. nach Süden herumgegangen war,
wieder zu seiner früheren Heftigkeit: alle Seeleute versicherten etwas
Aehnliches nie erlebt zu haben.
Der Theorie der Cyclone gemäss hätte man den Cours nach
N.O. beibehalten müssen, um so in der Richtmig, in welcher er
kam, wieder hinauszusegeln; aber auch hier lag das Land in grosser
Nähe, und die Gefahr zu stranden wuchs mit jedem Augenblick.
Da alle am Fockmast aufgebrachten Segel wegflogen, so schickte
Capitän Sundewall die Mannschaft in die Wanten hinauf, um die Luft
zu fangen, aber vergebens, das Schiff konnte nicht zum Abfallen
m. Ruhige See 253
gebracht werden. Der Capitän Hess nun die Maschine heizen.
Schon waren die Backbordwanten arg gelockert und die Masten
drohten über Bord zu gehen, — die Maimschaft arbeitete mit un-
säglicher Anstrengung und Gefahr, uin sie durch Balken und Tauwerk
zu sichern, — schon standen die Zimmerleute mit den Beilen bereit,
um als letzte Auskunft den Kreuzmast zu kappen, — da machte
gegen halb zwölf die Schraube , unter allgemeiner ängstlicher Span-
nung, ihre ersten Umdrehungen: das Schiff gehorchte dem Steuer
und drehte sich in den Wind. — Schon gegen zwölf Hess die
Gewalt des Sturmes wieder nach; um drei Ulir brach die Sonne
durch die Wolken, und gegen vier war das Meer ziemlich ruhig.
Aller Augen spähten nach dem Schooner, aber vergebens
wurde der ganze Horizont mit den Fernrohren abgesucht. Seine
Besorgnisse mochte Niemand aussprechen, 'doch machten die er-
fahrensten Seeleute ernste Gesichter. Die Gewalt des Sturmes und
der Wellen war so gross, dass ihnen kein Schiff mit Sicherheit
hätte trotzen können. Die Arkona, welche sonst leicht an den
Wind geht, trieb lange steuerlos auf den Wellen, und wurde wahr-
scheinlich nur durch ihre Schraube gerettet: der Schooner aber
hatte dieses Hülfsmittel nicht, und mag auf hoher See von der
Gewalt der Wogen zerschlagen worden sein. Nur acht Tage später,
in dem Taifun des 9. September, sank vermuthlich auf dieselbe
W-eise die englische Zehnkanonenbrigg Camilla, welche auf der
kurzen Reise von Hakodaoe nach Yeddo spurlos verschwand. —
Die japanische Regierung Hess auf Ersuchen des Grafen Eulenburg,
nach dessen Ankunft in Yeddo, Nachforschungen an allen Küsten
des Landes anstellen, aber ohne Erfolg, es wurde niemals eine
Spur vom Wrack des Frauenlob entdeckt. Die Küsten sind dicht
bevölkert, Tausende von Dschunken befaliren die umgebenden
Meere, und es wäre bei der minutiösen Genauigkeit und Wach-
samkeit der japanischen Behörden undenkbar, dass man nicht
Nachricht von ausgespülten Trümmern oder sonstigen Ueberresten
erhalten hätte, — aber bis heute hat sich nichts gefunden. Die
preussische Marine verlor an dem Commandanten Lieutenant Rehtzke
einen ihrer ausgezeichnetsten Officiere , und mit ihm eine Mannschaft,
die sich in den furchtbaren Strapazen der Stürme am Cap der Guten
Hoffnung vorzügUch bewährt hatte.
Die Mannschaft der Arkona arbeitete am 2. September von
vier Uhr Morgens bis Mittag unausgesetzt und angestrengt, und
254 Die Mannschaft. Verwüstung auf der Arkona. III.
löste die gefährlichsten und schwierigsten Aufgaben olme einen
Augenblick ihre Kaltblütigkeit und gute Laune zu verlieren. Der
Kampf mit den Elementen schien im Gegentheil die Energie und
Fröhlichkeit der von Natur etwas träumerischen und schwerfal-
ligen Ostseeleute zu wecken, sie stiegen munterer in die Wanten
als beim herrhchsten Wetter, und hielten aus bis zum letzten Augen-
bUck ohne zu wanken und zu weichen. Ihre Unerschrockenheit
und Ausdauer, und die Ruhe und Geistesgegenwart des Comman-
danten und aller Officiere gab auch den Passagieren Vertrauen und
Sicherheit, und wer nicht an Seekrankheit Utt, fand in dem ge-
waltigen Aufrulir der Elemente den grossartigsten Genuss.
Der Orkan war sehr kurz und bew^egte sich von S.O. nach
N.W. Sein Durclmiesser muss sehr klein, seine Axe der Arkona
um ein viertel auf zehn am nächsten gewesen sein. Der Wind
bUes zwiscEen zehn und elf schon aus S.S.W., später aus S.W.,
und hatte so in wenig Stunden die halbe Windrose durchlaufen.
Der niedrigste Barometerstand (um 9 Uhr 15 Minuten) war 28,96:
von halb zehn fing das Quecksilber wieder an zu steigen, stand um
halb zwölf auf 29,75, und um acht Uhr Abends auf 30,14. Die
grösste Differenz betrug fast vierzehn Linien.
An Frühstück war an diesem Tage nicht zu denken gewiesen ;
man« suchte sich eines Schiffszwiebacks zu bemächtigen xind zer-
malmte ihn, so gut es gehen wollte. Nachmittags konnte aber
wieder Feuer gemacht werden, und um vier Uhr setzte man sich
in der Officiersmesse mit rühmlichem Appetit zu Tische. Seit dem
Morgen hatte sich auch dort Vieles verändert, denn für solch' tollen
Tanz war die Stauung der Schränke nicht eingerichtet; mancher
Teller, manche Flasche brach den Hals, und mancher gestern noch
rüstige Stuhl hinkte jetzt auf drei Beinen. — Die Passagiere arbei-
teten den ganzen Abend, um ihre Kammern wieder bewohnbar zu
machen. Der Verlust an Booten, Segeln und Takelage war kein
geringer, aber der Bau des Schiffes hatte sich glänzend bewährt.
Gegen Abend bezog sich der Ilinunel wieder und es begann
zu regnen, aber die Luft bUeb still und das Schaukeln des Schiffes
3. septbr. wicgtc die ermüdete Mannschaft in sanften Schlaf. Am folgenden
Morgen hatte sich die See wnieder ganz beruhigt; da ein günstiger
Südwind aufsprang, wurden die Feuer gelöscht und Segel gesetzt
Das Besteck war trotz den vielen Coursänderungen und der Un-
möglichkeit, bei der hohen See die Geschwindigkeit durch Loggen
in. Cap Idsu. Der Golf von Yeddo. Zu Anker auf der Rhede. 255
ZU bestimmen, sehr richtig berechnet worden. Die Mittagsobsexvation
gab eine genaue Ortsbestimmung, der Cours brauchte nur wenig •
geändert zu werden; die Arkona lag grade auf Cap Insu los, und
gegen Abend kam Land in Sicht. Um aber diese durch viele Insehi
und Riffe gefahrliche und durch die Seekarten nur ungenau bekannte
Strecke nicht bei Nacht zurückzulegen , liess Capitän Sundewall bei-
drehen und das Sclüff bis zum nächsten Morgen ziemhch auf der-
selben Stelle halten.
Am 4. September früh war fast die ganze Schiffsgesellschaft 4. Septbr.
auf Deck. Der Fusiyama erhob sich rosig beleuchtet aus einer
weissen Wolkensclücht, während das tiefere Land noch in schattigem
Dunkel lag. Unter leichten Schauem tauchte die Sonne glänzend
aus dem Meere, und auf den Bergen stand ein prächtiger Regen-
bogen. Cap Idsu würde in früher Morgenstunde umschifft, östlich
der breite Kraterberg Ohosima mit dampfendem Gipfel. Gegen
Mittag erreichte die Arkona Cap Sangami, am Eingang in den
engeren Golf von Yeddo , und lief um zwei Uhr an Uraga vorbei. —
Am Ufer liegen viele Batterieen, davon eine en etagere mit zwei
Stockwerken übereinander, und zwei andere in einer dreieckigen
Vertiefung im Felsen. Die Brustwehren sind theils zum Ueber-
bankfeuern eingerichtet, theils mit Scharten versehen. Bomben-
feste Räume und Reduits sah man nicht; die Wachthäuser schie-
nen aus leichtem Holze gezimmert. Nur ein Theil der Batterieen
war armirt.
Aus den vielen Buchten ergoss sich eine Flotte von Fischer-
booten in den Golf; einige liessen sich langseit treiben um die
Arkona zu besehen, doch wurde kein Versuch gemacht sie auf-
zuhalten. Gegen vier Uess der Wind nach und Capitän Sundewall
gab den Befehl zu heizen ; um fünf Uhr lief das Schiff an Kanagava
vorbei, wo europäische Kauffahrer und einige japanische Kriegs-
schiffe vor Anker lagen. Von hier an hat die Bai geringe Tiefe,
und da die vorhandenen Seekarten sehr unvollkommen sind , konnte
man nur langsam unter beständigem Lothen vorwärts schreiten. Um
drei viertel auf sieben warf die Arkona auf der Rhede von Yeddo
Anker. Es war schon dämmerig und von der noch fünf Seemeilen
entfernten Stadt wenig zu sehen, doch entzündete sich beim Eintritt
der Dunkelheit am Ufer ein förmliches Lichtmeer; eine Menge vor
der Stadt ankernder Fischerdschunken stellten bei Fackellicht ihre
Netze. Bald erschien ein japanisches Boot, um nach dem Vaterlande
256 Boote vom Lande. III.
des Schiffes zu fragen: der wachthabende Officier zeigte eine
preussische Flagge. Nachher kam auch ein Boot der französischen
Gesandtschaft mit derselben Frage; Graf Eulenburg liess antworten
und für den nächsten Morgen um Nachrichten über die Lage der
Dinge am Lande bitten.
Um neun Uhr wurde Zapfenstreich geschlagen, und die Musik
bhes den Choral »Nun danket Alle Gott«.
IV.
YEDDO.
VOM 5. BIS 16. SEPTEMBER.
Am 5. September früh kam Herr Heusken, der Secretair des
amerikanischen Minister -Residenten an Bord, um seine Dienste als
Dolmetscher anzubieten. Er überbrachte ein Schreiben seines Chefs,
welcher ihn dem preussischen Gesandten für die Zeit seiner Anwe-
senheit in Yeddo zur Disposition stellte, eine erwünschte Artigkeit
die dankbar angenommen wurde. Heusken, ein geborener Holländer,
hatte mit Herrn Harris mehrere Jahre in Simoda gelebt, beim Ab-
schluss des amerikanischen und des englischen Vertrages die wesent-
hchsten Dienste geleistet'), und war dem Gesandten schon aus
Oliphant's Buch über Lord Elgin's Reise bekannt. Seine persön-
liche Liebenswürdigkeit trat gleich bei der ersten Begegnung zu
Tage ; damals ahnte wohl Niemand unter den Reisenden , dass sie den
jugendkraftigen , mit den glückUchsten Naturanlagen ausgestatteten
Freund in wenig Monaten zu einem frühen, traurigen Grabe ge-
leiten sollten.
Bald nach Heusken kam auch der Abbe Girard, der Chef
der katholischen Mission in Japan, welcher als Dolmetscher der
französischen Gesandtschaft fungirte , und etwas später der Minister-
Resident, Herr Duchene de Bellecourt selbst an Bord.
Die Mittheilungen dieser Herren waren keineswegs ermuthi-
gend. Herr von Bellecourt erzählte, dass erst vor wenigen Tagen
die japanischen Minister der auswärtigen Angelegenheiten ihn be-
schworen hätten dahin zu wirken, dass Preussen keinen Bevoll-
mächtigten und keine KriegsscliifFe nach Yeddo sende; denn so
fest sie überzeugt seien, dass jeder neue Handelstractat mit einer
fremden Nation das schon durch die bestehenden Verträge über
Japan gekommene Unglück noch vermehren würde , so hielten sie es
^) S. den einleitenden Abschnitt S. 179, 182.
I. 17
258 Aussichten. Schreiben an die Regierung. IV.
doch für schwierig auszuweichen , wenn sich preussische Kriegsschiffe
vor Yeddo legten. In älmUcher Weise äusserte sich Plerr Heusken,
der im Namen seines Chefs die Abschrift einer erst vor wenigen
Tagen — am 2. September — an denselben gerichteten Note der
japanischen Minister des Auswärtigen übergab, aus welcher hervor^
ging, dass dieselben zur Zeit wenigstens ausser Stande zu sein
glaubten, sich auf einen Vertrag mit Preussen einzulassen. Mit den
Portugiesen hatten sie zwar erst vier Wochen vor Ankunft der
Arkona nach heftigem Widerstreben einen Handelstractat geschlossen,
doch kam dieser nur deshalb zu Stande, weil sie den Holländern
einige Jahre zuvor ausdrückUch versprochen hatten mit Portugal
wieder in Verkehr zu treten, und der holländische Resident jetzt
auf Erfüllung der eingegangenen Verpflichtungen bestand.
Ungeachtet dieser wenig versprechenden Eröffnungen richtete
(jrraf Eulenburg sogleich eine Note an die japanischen Minister,
worin er seine Ankunft und den Zweck seiner Sendung anzeigte,
und den Wunsch aussprach am Lande zu wohnen. Der französische
und der amerikanische Vertreter stellten ihm beide in der zirvor-
komimendsten Weise ihre Häuser zur Verfügung, doch war das
Personal der Expedition für solche Gastfreundschaft zu zahlreich, und
der Gesandte musste es vorziehen, die japanische Regierung
um Anweisung einer passenden Wohnung für sich und sein Gefolge
zu ersuchen. Herr Heusken übernahm die Besorgung des Schreibens,
welches deutsch abgefasst und von einer holländischen Uebersetzung
begleitet war. — Noch an demselben Abend erschien ein Beamter
— natürhch in doppelter Ausgabe — an Bord der Arkona, welcher
erklärte, mit der Antwort des Ministeriums beauftragt zu sein,
und vorgelassen zu werden verlangte; Graf Eulenburg liess die
Herren von dem wachthabenden Officier und dem Attache du jour
in der Vorcajüte empfangen. Ihr Auftrag war mündUch: ein Haus
zur Aufnahme des Gesandten werde eben eingerichtet und solle
am folgenden Mittag bereit sein; wolle derselbe um diese Zeit
landen, so werde er gebührend empfangen werden; man möge die
Zahl der erforderhchen Sänften und Pferde angeben. Sie erhielten
zur Anwort, man wisse die Höflichkeit zu schätzen, mit der sie sich
beeilt hätten noch an demselben Tage und so spät Abends die ge-
wünschte Zusage zu überbringen, die Etiquette erfordere aber eine
schriftliche Erwiederung, welche auch zur Vermeidung aller
Missverständnisse wünschenswerth sei. Die Japaner wandten ein.
IV Antwort der Minister. Landung. 259
dass dadurch bedeutende Verzögerungen entstehen würden, da am
folgenden Tage der französische Minister- Resident eine Audienz
beim Taikün*) habe; erst am Freitag könne das Antwortschreiben
abgefasst, und müsse dann noch in das Holländische übersetzt
werden. Sie erklärten sich aber bereit, der Regierung die Wünsche
des Gesandten zu melden. — Die Unterhaltung wnirde holländisch
gefuhrt, die Japaner hatten ihren Dolmetscher bei sich; ihr Benehmen
war durchaus anständig, fein und gesetzt, sie sprachen ruhig und
bestimmt, ohne zu stocken. »Wir sehen Sie zum ersten Male«,
lüess es, »und Sie empfangen uns wie alte Freunde«. Dabei schienen
die vorgesetzten Erfrischungen , namentlich Goldwasser und Cigarren,
ihren Beifall zu haben. Man trank sich gegenseitig zu, und sie
verliessen das Scliifi' in der besten Laune.
Schon am 6. September kam die schriftliche Ant^\^ort, sie 6. Septbr.
war japanisch verfasst und von einer holländischen üebersetzung
begleitet. Der Gesandte sass grade bei Tische und man führte die
Japaner in die Officiersmesse , wo sie es sich bei Champagner und
Liqueuren eine Zeit lang gefallen liessen , dann aber dringend baten,
wie die Abgeordneten am Tage zuvor in der Vorcajüte empfangen
zu werden; man that ihnen nach aufgehobener Tafel gern den Willen
und sie entfernten sich befriedigt. Das Schreiben der Regierung
enthielt nichts Neues; Graf Eulenburg liess sagen, dass er am
Sonnabend an das Land zu gehen denke und um einen Beamten
bitte, welcher den Booten den Weg zeigte.
Sonnabend den 8. September Morgens regnete es in Strömen, 8. Scptbr.
so dass die Abfahrt von der Arkona um zw^ei Stunden verschoben
werden musste. Erst um Mittag bestieg man die Boote , welche — in
Kreuzesform geordnet — auf das Land zuruderten , während die mit
Flaggen festhch geschmückte Arkona den schuldigen Salut gab. Vorauf
fuhr die erste Pinasse, dann der Cutter, dann die Gig des Geschwader-
chefs mit dem Gesandten, dann die zweite Pinasse, auf den Flanken
die beiden Barcassen. Alle Boote waren armirt. Die Fahrt — fünf
Seemeilen — nahm bei dem schlechten Wetter und der starken
^ Der Ausdruck <*TaTkün« für Siogün ist ganz neuen Datums, und kommt erst
seit dem Abschluss des englischen Vertrages 1858 vor. Er scheint ausdrücklich filr
die Fremden erfunden und in Japan nur den mit ihnen verkehrenden Beamten bekannt
zu sein. Da dieser Ausdi'uck schon gewissermaassen in die europäischen Sprachen
übergegangen ist, so muss er in den folgenden Blättern wolil beibehalten werden,
um so mehr als der richtige Titel Siooün nur wenig bekannt ist.
17*
260 lustalliiung in der Legation. IV.
Bemannung fast zwei Stunden in Anspruch. Am Landungsplatze
liefen sämmtliehe Boote der Gig vor, welche zuletzt anlegte: die
Seesoldaten und Matrosen wurden ausgeschiflFt und bildeten Spalier.
Graf Eulenburg bestieg, von mehreren japanischen Staatsbeamten
begriisst, mit seinen Begleitern die bereitgehaltenen Pferde , und der
Zug setzte sich in Bewegung: voran die Musik, das PreussenUed
spielend, dann ein Detachement von vierzig Seesoldaten, dann der
Gesandte mit dem Commodor, gefolgt von den übrigen Herren vom
Civil und einigen Marineofficieren, zuletzt ein Detachement von
vierzig Matrosen. Der Zulauf der Bevölkerung war. Dank dem
schlechten Wetter und dem aufgeweichten Boden, nicht so gross
als man erwartet hatte, und die Musik schien viel weniger Eindruck
zu machen, als die Bewaffnung und militärische Haltung der See-
soldaten. Den Japanern verbietet ein Gesetz jede Entblössung der
Klinge auf der Strasse, — so mussten die blanken Waffen unserer
Soldaten und der gezogene Degen des commandirenden Officiers
wohl einiges Aufsehn erregen. — Nach halbstündigem Marsch durch
eine lange grade Strasse erreicht der Zug sein Ziel, ein statthches
Portal öfl&iet seine Flügel, Die Seesoldaten und Matrosen marschiren
— oder steigen vielmehr über den zwei Fuss hohen Schwellbalken —
in den Hof, und hissen unter militärischem Salut die preussische
Flagge an dem dort aufgepflanzten Mast, die Gesandtschaft nimmt
Besitz von dem weitläufigen Gebäude. In den Empfangszimmern waren
Erfrischungen aufgetragen, Backwerk und Früchte, dazu wurde Thee
gereicht; man konnte sich endlich trocknen und reinigen. Nun er-
schienen mit ansehnlichem Gefolge zwei Bünyo's') des auswärtigen
Amtes , um den Grafen Namens der Regierung auch liier willkommen zu
heissen ; Heusken stellte sie vor als Sarai - Oki - no - Kami und Hori-
Oribe-no-Kami, den Dolmetscher Moriyama Takitsiro und einen
»0-METSKE« oder Oberaufpasser. Sie erklärten zum Unterhandeln
mit dem preussischen Gesandten bevollmächtigt zu sein, und machten
den Vorschlag, sofort zu beginnen: »Von den beiden Ministern des
Auswärtigen*) sei der eine sehr krank, der andere mit Geschäften
überhäuft, und es werde voraussichtlich geraume Zeit verstreichen,
bis der letztere ihn empfangen könne.« Diese EröflRiung musste
•) Die Fremden nennen sie gewöhnlich »Gouverneure- , ein Ausdruck der durch-
aus ihre Stelhing nicht bezeichnet Ueber die Bedeutung von »Bunyo- s. S. 122.
*) Diese »Minister- sind Mitglieder des Gorodzio, von dessen wahrscheinlicher
Zusammensetzung der einleitende Abschnitt S. 121 handelt.
IV. Ein Taifun. 261
als ein Versuch erscheinen, den preussischen Bevollmächtigten am
directen Verkehr mit den Ministern zu hindern, und wurde höflich
abgewiesen; Graf Euleriburg sprach seine Erwartung aus, recht
bald von dem Minister empfangen zu werden. Man erging sich
noch einige Minuten in Artigkeiten, — liinter den Papierwänden
des Empfangszimmers sassen Schreiber, welche die ganze Unter-
haltung emsig aufzeichneten, — dann empfahlen sich die Bunyo's.
Die im Hofe aufgestellte Mannschaft machte ihnen die militärischen
Honneurs; sie schienen überrascht und erfreut, äusserten auch gleich
den Wunsch ein Zündnadelgewehr zu sehen, und fassten sehr
schnell das Princip des ^Mechanismus.
Die Matrosen und Seesoldaten begaben sich unter Führung
ihrer Officiere noch desselben Abends wieder an Bord, während
der Gesandte und seine Begleiter sich in der geräumigen Wohnung
häuslich einrichteten. Die folgende Nacht war sehr unruhig: am
früliesten Morgen brach wieder ein Taifun los, so heftig wie der
acht Tage zuvor erlebte, aber man hatte ja festen Boden unter den
Füssen, und nicht, wie im Stillen Ocean, eine gefahrhche Küste in
Lee. Den elastischen hölzernen Gebäuden am Lande geschah ausser
einigen zerfetzten Papierscheiben kein Schaden, aber draussen auf
der Rhede raste der Sturm ganz gewaltig; die Arkona musste vor
doppelte Anker gelegt werden, und auch dann besorgte man noch
dass sie treiben möchte. Die erste Barcasse, ein Boot von bedeuten-
der Breite, hatte, da die Mannschaft erst in später Nacht ermüdet
und ganz durchnässt zurückkam , nicht mehr an Bord gebracht werden
können und schlug während des Sturmes um. Dir Geschütz versank
im Meere, das Boot selbst wurde am folgenden Tage geborgen.
Es war ein sonderbares Gefiihl sich in Yeddo zu befinden,
einer Stadt die noch vor w^enigen Jahren dem Bewusstsein der meisten
Europäer nicht viel näher lag als die Genienschlösser arabischer
Mälirchen, und deren Bevölkerung sonst zuverlässige Bücher der
Neuzeit auf acht MiUionen angegeben haben. Man brannte vor Be-
gierde sich umzusehen, und einige der Reisenden machten schon am
Sonntag, sobald das Wetter sich aufliellte, einen Spaziergang durch
die nächsten Strassen. Die begleitenden Yakuninc*) führten sie in
ein Theehaus; der Thee, welcher olme Zucker und Milch aus kleinen
') S. S. 123.
262 Japanisches Diner. IV.
Schälchen gesclilürft wird, erregte weniger Bewunderung als die
artigen Aufwärterinnen, die halb schüchtern halb schelmisch
blickend auf den reinlichen Matten ab- und zuwatschelten, und sich
viel mit den Fremden zu schafien machten •). — Gegen Abend wiu'de
in dem Empfangsraume der Gesandtschaft eine Maizeit aufgetragen,
welche die Regierung iliren preussischen Gästen zum Willkomm
sandte; die Aufstellung war sehr zierhch, wie Alles was die Japaner
ordnen: obenan ein Tischchen für den Gesandten allein, daneben
ein anderer für drei und weiter eine lange Tafel für sechszehn
Personen. Vor jedem Platze standen zwei schwarz lackirte Unter-
sätze, und auf jedem derselben fünf zugedeckte Schälchen, welche
die verschiedenen Suppen und Speisen enthielten; ausserdem lag
auf Porcellantellern für jede Person ein Fisch. Dieser und das
Zuckerwerk w^aren das Beste , die übrigen Speisen , wenn auch nicht
schlecht, doch für den europäischen Gaumen etwas fade. Vielleicht
ist die japanische Zunge durch Gewöhnung ganz anders gestimmt
als die der westhchen Völker, und schmeckt Feinheiten heraus die
der Europäer nicht zu schätzen weiss, — denn dass auch unser
Geschmacksorgan »conventionel gebildet« und vom Wege der Natur
weit entfernt ist darf nicht bezweifelt werden. Dass aber ein Volk
von so hocheigen thümlicher und durchgebildeter Gesittung auch
seine besondere und in ihrer Art sehr vollkommene Küche hat,
lässt sich nicht nur vermuthen , sondern aus manchen Einzelnheiten
beweisen, in welchen ihr Geschmack zufälhg mit dem unseren zu-
sammentrifft. Ganz vorzüglich war ein Gericht Lachs, der ganz
roh und frisch gesalzen mit Soya gegessen wdrd, eine Speise die
jedem Gourmand zu empfehlen ist; freiUch gehört die frisch
gegohrene Soya dazu, die wir nicht haben. Als Getränk wurden
kleine Schälchen Saki herumgereicht, ein starkes Reisbier von
fuseligem Geschmack, das man dem Geruch und* Ansehn nach
eher Branntwein nennen möchte; die Holländer aber, welche die
Fabrication genau kennen, versichern es sei eine Art Bier. Neben
jedem Couvert lagen zwei kleine Stäbchen, — die Fremden im Orient
*) Die Theehäuser, "Tsa-ya", sind Restaurationen, wo mau Thee, Saki und
andere Getränke und Speisen erhalt, und wohl zu unterscheiden von den •Dzoro- ya«,
deren Bestimmung minder unschuldig ist. In den meisten Büchei*n über Japan werden
sowohl die Tsa-ya als die Dzoro-ya »Theehäuser- genannt, wodiu-ch das "Wort
eine vei*fangliche Bedeutung erhalten hat , die fiir die Tsa - ya uiu'ichtig ist. Weib-
liche Bedienung findet man in beiden.
IV Akabane. 263
nennen sie »Chopsticks«, — ein sehr einfaches Instrument dessen
sich alle Japaner und Chinesen statt der Messer, Gabehi und Löffel
bedienen. Ihre Handhabung erfordert viel Gescliicklichkeit oder
lange Uebung, wenige Europäer haben sie gründlich erlernt. Man
zerschneidet alle consistenten Gerichte schon in der Küche zu
kleinen Bissen; die Suppen und Saucen werden aus Näpfen ge-
schlürft. — Die Chopsticks und das Zuckerwerk brachten die Haus-
diener nach dem Essen den Gästen in ihre Zimmer — so verlangt
es die japanische Sitte.
Das von der Gesandtschaft be\Vohnte Grundstück liegt im
südlichen Theile von Yeddo, im Stadtviertel Akabane. Vom Lan-
dungsplatze führt eine lange, grade, von Krämern bewohnte Strasse
dahin, die sich etwa eine Viertelmeile vom Seeufer auf einen freien
Platz öffnet. Der Anblick ist durchaus ländUch. Links hegt die
lange Fagade eines Yamaske — so heissen die Sitze der Daimio*s, —
vor sich hat man ein Flüsschen mit grünem Ufer, dessen Gärten
sich drüben an eine prächtig bewachsene Höhe lehnen. Aus dem
dunkelen Sammtgrün ehrwürdiger Cryptomerien ragt ein hohes
thurmartiges Mausoleum, roth lackirt, mit schweren, vorkragenden
Dächern über jedem Stockwerk — die ganze Anlage ist ein Be-
gräbnissplatz der Taikünc. — Man tritt, eine hölzerne Brücke
überschreitend, wieder in die sich verengende Strasse ein, in
welcher links das Portal des Gesandtschaftshauses hegt. Das
Thorgebäude ist aus mächtigen Balken gezimmert und hat ein
schweres Ziegeldach; rechts springt erkerartig eine Portierloge
vor, welche den Eingang nach der Strasse und dem Hofe be-
herrscht. In der Thorhalle hängen die drei übUchen Instrumente
zum Haschen der Diebe und Verbrecher: eine zweizackige breite
Gabel, mit der man den Schacher an die Waöd klemmt, ein harken-
artiges Geräth, das man ihm zwischen die Beine steckt, und eine
Stange mit mehreren Reihen fingerlanger gekrümmter Spitzen, welche
man drehend in seine Kleider nestelt. Diese Werkzeuge sind von
Eisen und haben lange hölzerne Griffe, man findet sie bei jedem
Thürhüter und auf den zahlreichen Polizeiwachen. — Zu den Seiten
des Portals hegen inwendig zwei offene Schuppen zum Unterteilen
der Pferde; der Hof ist dick mit losen faustgrossen Feldsteinen
bedeckt, sehr reinlich anzusehen aber sehr unbequem für die Füsse,
doch fuhrt eine breite Bahn aus Quadersteinen von dem Portal auf
den Einga^ng des Wohngebäudes zu, über welchen ein leichtes auf
264 Einrichtung des Hauses. IV.
Holzpfeilern ruhendes Dach vorspringt. Man tritt in den Hausflur;
links öffnet sich der Eingang in die Empfangsgemächer und im
rechten Winkel ein breiter Corridor, zu dessen beiden Seiten die
Wohnzimmer der Expeditionsmitglieder, weiterhin die Baderäume
und das Küchengebäude liegen; rechts führt ein kurzer Gang nach
den Gelassen wo die der Gesandtschaft beigegebenen japanischen
Beamten und Diener hausen. Diese Räumlichkeiten sind in mehrere
untereinander zusammenhängende Gebäude vertheilt, welche sich
auf verschiedene Höfe und Höfchen öffnen. In einem der letzteren,
rechts von dem Hauptportal, steht das Stallgebäude, weiterhin
führt ein nur von den Japanern benutztes Thor in die Nebenstrasse.
Links vom Vorhofe liegt, von schwarzen Bretterzäunen umgeben.,
ein geräumiger Rasenplatz, deren die Japaner sich überall zum
Bogenschiessen und Pferdetummeln anlegen.
Die ganze Einrichtung des Hauses hat etwas zeltartiges, ist
aber bei heiterem warmem Wetter überaus bequem und wohnUch.
Alle Gebäude sind einstöckig, im ganzen Hause keine Treppe. Der
Estrich liegt beinah drei Fuss über dem Erdboden und ruht auf
dicken Holzp feilem, die nicht etwa in die Erde eingelassen sind,
sondern auf steinernen Sockeln stehen. Fast das ganze Gebäude ist
aus Holz, lauter viereckige Pfosten mit wagerechter Balkenverbin-
dung, deren Zwischenräume mit beweglichen Papier- und Tapeten-
schinnen, nur an wenigen Stellen mit leichtem Mauerwerk von
Luftsteinen ausgefüllt sind. Solche feste Wände finden sich meist
nur im Rücken oder an den Seiten des Hauses, die Vorderfronten
und Scheidewände sind fast durchgängig von Papier. Will man sein
Zinuner vergrössem, so hebt man einige der leichten Rahmen aus,
will man es nach aussen öffnen, so kann man schnell (he ganze
Wand beseitigen. Die Holzrahmen, welche oben und unten in
Falzen laufen und beliebig als Thüren und Fenster benutzt werden
können, sind in den Aussen wänden mit durchscheinendem Papier,
in den Zwischenwänden gewöhnlich mit weissgemusterten Tapeten
beklebt. Den Fussboden decken feine elastische Binsenmatten von
einem Zoll Dicke und vorgeschriebener Länge und Breite, so dass
man schadhafte immer gleich aus dem nächsten Laden ersetzen
kann; den Plafond bildet einfaches Holzgetäfel. Die Dächer sind
aus Schindeln, Stroh, bei den besseren Gebäuden meist aus feinen
blaugrauen Thonziegeln, die mit Mörtel zu einer festen gleichartigen
Masse zusammengefugt werden, — immer aber von der sorgfaltigsten
IV. nie Empfaugsziinnier. 265
Arbeit. Die Japaner bauen alle ihre Bedachungen mögüchst
schwer, und glauben dadurch der Gewalt der Erdbeben trotzen
zu können.
Das Hauptgebäude des Gesandtschaftshauses war betrachtlich
höher als die anderen, und enthielt drei Räume, die sich nach einem
kleinen grünen Hofe ölineten. Vor denselben Uef, wie bei den
meisten Wolmräumen der Japaner, eine bedeckte Veranda von
vier Fuss Breite hin, gebildet durch das überkragende, auf Pfosten
ruhende Dach. Abends setzt man diese Gänge mit Bretterläden zu,
wodurch das Haus geschlossen wird. Der erste der drei Empfangs-
räume diente dem Gesandten als Esszimmer, der zweite communicirte
durch ein Vorzimmer mit der Eingangshalle, der dritte war eigentlich
das AUerheiligste. Hier lag in der Rückwand eine Nische nlit er-
höhtem Estrich, von wo nach japanischer Sitte der vornehme
Hausherr alle Besuche empfangen soll. Geringere werden nicht
einmal in dasselbe Zimmer zugelassen, sondern nehmen in dem an-
stossenden Gemache mit dem Gesicht gegen die Tapetenwand Platz,
deren mittelste Schirme zur Audienz zurückgeschobeji , auf den Wink
des Herrn aber wieder geschlossen werden. In einer kleineren Nische
neben der erwähnten steht unten ein Gestell für die Schwerter der
Besuchenden; im oberen Theile ist ein etagere- artiges lackirtes Möbel
eingefügt, dessen Fächer Schiebethüren haben; darin bewahrt der
Japaner seine Kostbarkeiten und Curiositäten. — Diese drei Zimmer
konnten in wenig Minuten zu einem grossen Räume vereinigt werden,
in welchem sich Abends die MitgUeder der Expedition bei dem
Gesandten zu versammeln pflegten. Die Holzpfeiler, welche die
Decke tragen, sind in sechs bis sieben Fuss Höhe durch wagerechte
Balken verbunden; zwischen diesen und den Falzen im Fussboden
laufen die unteren Schiebewände. Der Raum zwischen dem Queer-
balken und der Decke, drei bis vier Fuss, ist mit einem leichten
Lattengitter ausgefüllt und nebenbei ebenfalls mit Schirmen von
durchscheinendem Papier zugesetzt, die auf- und zugeschoben oder
auch ganz entfernt werden können. So hat man immer Luft und
Licht von oben, von unten, so wenig oder so viel man will. Um
die beiden letzten Empfangsräume hef auch an der inwendigen Seite
ein schmaler Corridor, wo bei den Besuchen der Bunyo's ihr niederes
Gefolge und die Schreiber Platz nahmen. Das Holzwerk in allen
diesen Räumen war fein geschliffen, nur die Einfassung der mit
weissen Glanztapeten beklebten Schiebewände schwarz lackirt. Die
266 Die Wohnräume. IV.
Japaner verachten allen Anstrich, die Gebäude der Vomehuieu
zeichnen sich nur durch kostbare Holzarten, zuweilen durch etwas
Schnitzwerk aus; aber die Arbeit ist selbst an den Pfeilern und
Balken so sauber und zierlich, wie bei uns an guten Möbeln, kein
Fleckchen, kein Riss, kein Sprung, kein schiefer Winkel sichtbar.
Die einzigen Zierrathen waren geprägte und gravirte Metallknöpfe
oder Buckel an den Verbindungspuncten der Balken, von eleganter
Form und Zeichnung. Der Eindruck des Ganzen ist selir angenelun,
helle, luftige, behagUche Räume, in denen man sich wohl fühlt,
üas durchscheinende Papier hat durchaus die Wirkung von matt-
geschliflfenem Glase und erzeugt ein mildes ruhiges Licht.
Unmittelbar an diese Gemächer lehnt sich ein langes Gebäude
mit den Wohnräumen des Gesandten und der übrigen Reisenden,
einer Reihe von Doppelzimmern, wovon das innere auf den Corridor,
das äussere wieder auf einen grünen Hof geht; eine bedeckte
Veranda läuft auch vor diesen entlang. Auf der anderen Seite des
Ganges hegen mehrere grössere Räume: das gemeinsame Esszimmer
des Gefolges und zwei Stuben zur Aufnahme der See-OfiGciere,
von denen immer einige als Gäste des Gesandten in Akabane weil-
ten. Vorn war eine Wachtstube für die Seesoldaten eingerichtet,
welche bei Tage einige Posten bezogen. Nach dem abgesonderten
Küchengebäude, wo Heerde nacli europäischem Muster gemauert
waren, führte seitlich von dem Corridor ein bedeckter Gang. —
Das ganze Haus liatte früher in Simoda gestanden, wo man die
fremden Gesandtschaften abzufertigen dachte, imd sollte nun in
Yeddo demselben Zwecke dienen.
An Möl)eln kein Ueberfluss. Der Japaner sitzt, liegt und
schläft auf den weichen Binsenmatten des Fussbodens , und bewahrt
seine HabseUgkeiten meist in einfachen Kasten. Einige Tische und
Stülile, keineswegs in hinreichender Anzahl, und roh gezimmerte
Bettgestelle hatte die japanische Regierung für ihre Gäste macheu
lassen; alles Uebrige mussten wir mitbringen. Die Expedition zog
mit Koch und Kegel ein und machte es sich so behaglich als möglich:
es bheb aber doch ein Lagerleben und war nur bei schönem Wetter
recht angenehm. Vor Allem fehlte die Hausfrau; einer der Attaches,
welcher holländisch sprach, übernalun deren Functionen, hatte aber
die grösste Mühe den Japanern unsere Bedürfnisse begreiflich zu
machen und lag beständig in heissem Kampfe mit dem » Iseya «
oder Comprador, und den » Kodzugai's « , den Hausdienern. Diu'ch
IV. Haushaltung. 267
Jenen mussten alle Einkäufe besorgt werden, und da der Koch des
Gesandten, ein unterwegs engagirter Engländer, sich durchaus nicht
zu helfen wusste, so fiel die ganze Last der Bestellungen auf die
Schultern des haushaltenden Diplomaten. Jeden Morgen fanden
sich der japanische Dolmetscher Fukxjdzi mit dem Iseya und einem
Hausbeamten bei ihm ein, Ersterer um die Aufträge an den Com-
prador zu übersetzen. Letzterer um aufzupassen* dass dabei der
japanische Staat nicht verrathen würde. Dieser Process war sehr
weitläufig, denn die im Privatverkehr so anstelligen Japaner be-
trugen sich hier äusserst schwerfällig; sie verstanden nicht oder
wollten nicht verstehen was gewünscht wurde, und es schien fast
als solle der Gesandtschaft auf Befehl der Regierung der Aufent-
halt nach Möglichkeit verleidet werden. Was man forderte war
meist nicht zu haben — von deni Vorhandensein hatten wir volle
Gewissheit, — und fiir die gelieferten Sachen wurden unmässige
Preise verlangt. Die Japaner sind von Natur wahrheitsliebend, aber
wo die Regierung befiehlt, lügen die Beamten mit unverwüstlicher
Ruhe und lassen sich nicht aus der Fassung bringen. Es war eine
harte Geduldsprobe. Der Iseya schleppte die verschiedenen Küchen-
bedürfnisse — Hühner, Enten, Fische, Ferkel, Gemüse — unserem
haushaltenden Freunde in sein Zinuner, und nun ging das Feilschen
los. Wollten Holländisch und Japanisch nicht melir fruchten, so
begann er deutsch zu wettern, — dann schallte manch wohlbekann-^
ter Kraftausdruck durch das Haus ; und da alle Wände von Papier
sind, so drangen diese Ausbrüche der Entrüstung, die von weitem
etwas sehr komisches hatten, zu den Nachbarn nah und fem;
sie brachen mitunter alle zugleich in helles Lachen aus und der
joviale Urheber pflegte aus voller Kehle mit einzustimmen. Zuweilen
gab es auch scherzhafte Missverständnisse, denn die japanische
Sprache ist reich an vieldeutigen Worten welche erklärender Zu-
sätze bedürfen , und der Iseya brachte oft die wunderbarsten Sachen,
die bestellt zu haben Herr v. B. nicht ahnte. Solche Arbeit war
die Haushaltung. AUmälich ging es besser; die Hausbeamten wurden
bei näherer Bekanntschaft viel gefälUger , und gaben später unzwei-
felliafte Beweise wohlwollender Gesinnung. Was den Iseya betriflt,
so gehört er dem Handelsstande an — die Yakuninc der Gesandt-
schaft waren Samrai, zum Theil vielleicht nur gemeine Soldaten,
aber lauter zweischwertige Männer aus der Adelsclasse — und ist
deshalb nach japanischen Begriffen berufen soviel Vortheil zu nehmen
268 ISEYA*S. YaKUNINC. IV.
als irgend möglich'): man brauchte sich gar nicht zu scheuen ihm
den vierten, ja den zehnten Theil seiner Forderung zu bieten, und
war schliesslich vielleicht doch noch geprellt. Unsere meisten Iseya's —
denn die Regierung stellte oft aus Gründen, die uns räthselhaft bUeben,
plötzlich einen neuen an — waren bei aller Gewinnsucht und Ver-
schmitztheit gutmüthige Menschen, die uns gern jeden Gefallen
thaten und trotz' allem Schelten immer au%eweckt und dienstfertig
blieben. Wir lebten bald ganz vortrefflich: an Fischen und anderen
Seethieren war in Yeddo kein Mangel, Gemüse und Früchte gab
es mancherlei, auch Federvieh, Enten, Hühner und Fasanen; alle
anderen aber, besonders die consistenteren Fleischarten an welche
der europäische Magen gewöhnt ist, mussten aus dem etwa vier
Meilen entfernten Yokühama herbeigeschaflft; werden, der seit dem
1. Juli 1859 den Fremden geöffneten Hafenstadt, wo schon viele
Kaufleute ansässig waren. Ein dortiger Lieferant übernahm es die
Schiff'e und die Gesandtschaft in Yeddo mit dem nöthigen Fleisch
zu versehen; — man war hier freilich von Wind und Wetter
abhängig, da der Proviant zu Wasser von Yokühama nach den
Kriegsschiffen und von da erst nach Akabane geUefert wurde. Wo es
fehlte nahmen wir unsere Zuflucht zu Herrn Heusken, welcher den
Gesandten täglich besuchte und mit grosser Liebenswürdigkeit und
Umsicht für Alles Rath schaflFte. Ohne seine Hülfe wäre die
.Haushaltung wohl schwerlich so rasch in Gang gekommen.
Die japanische Regierung hatte der preussischen Gesandtschaft,
wie allen übrigen, eine Abtheilung Yakuninc — zweischwertiger Beam-
ten niederen Ranges — unter dem Befehle eines Ober-Officiers bei-
gegeben, welche für ihre Sicherheit und vor Allem wohl fiir ihre
Auffuhrung verantwortUch waren. Sie hatten unseren ganzen Verkehr
mit den Japanern in und ausser dem Hause zu beaufsichtigen und
uns auf allen Spaziergängen zu Pferde oder zu Fuss auf Schritt
und Tritt zu begleiten. Alle Mittheilungen der Regierung gelangten
an die Gesandtschaft durch den obersten Beamten des Hauses, der
aber niemals mit dem Dolmetscher allein, sondern begleitet von
einem dritten Yakünin , dem Metske oder Aufpasser bei dem Attache
du jour erschien. Die beständige Begleitung der Yakuninc bei
allen Ausgängen war besonders in der ersten Zeit störend, da sie
uns mit Misstrauen behandelten und hindernd zwischen allen Verkehr
mit den Eingeborenen traten. Wollte man in den Läden etwas
') Ueber die Stellung der Kaufleute in Japan s. S. 121.
IV. Tagesordnung in Akabane. 269
kaufen, so blickte der Händler erst fragend nach dem begleitenden
Beamten und versteckte oft auf dessen Wink den gewünschten
Gegenstand, oder forderte unerschwingliche Preise. Nach kurzer
Bekanntschaft aber besserte sich das Verhältniss. Die preussischen
Gäste gewannen durch freundhche Behandlung das Vertrauen der
von Natur gutmüthigen Japaner , die — vielleicht auch auf besondere
Erlaubniss der Regierung — sich später sehr dienstfertig und auf-
merksam zeigten und ihnen, oft mit Geduld und Aufopfenuig, jeden
mögüchen Gefallen erwiesen. Es waren grossentheils joviale und
aufgeweckte Männer, unermüdUch in Wind und Wetter, immer
üebenswürdig, bescheiden und guter Laune , und freundlich dankbar
für jedes kleine Geschenk, jede Bewirthung. Geld nahmen sie nicht
an, aber eine Cigarre, ein Bleistift oder Taschenmesser erregten
kindliche Freude. Dass ihre Begleitung, wenn auch noch so zahl-
reich, im Falle eines Angriffes keinen Schutz gewährt, hat sicli
leider in allen Fällen gezeigt; xlass sie aber für die Sicherheit und
Bequemhchkeit der Fremden in Yeddo unter gewölmlichen Umständen
vortheilhaft und noth wendig ist, und nicht, wie vielfach behauptet
worden, allein deren Beaufsichtung und die Hemmung des Ver-
kehrs mit den Eingeborenen bezweckt, unterliegt keinem Zweifel.
Dem Volke gegenüber gemessen sie ohne Ausnahme unbeding-
ter Autorität; jeder leiseste Wink findet schnellen, ehrerbietigen
Gehorsam. Der Pöbel ist in jeder grossen Stadt dem fremdartig
erscheinenden Ausländer gefahrlich oder mindestens unbequem; in
Yeddo aber fallt im grössten Volksgedränge in Gegenwart der
Yakuninc selten eine üngehörigkeit vor.
Da nicht alle MitgUeder der Expedition in Akabane unter-
gebracht werden konnten, so zogen inuner einige nach Yokuhama
und Kanagava; die in Yeddo wohnenden waren sämmtUch Gäste
des Gesandten. Morgens in der Frühe wurde man häufig durch
den schweren Tritt der Matrosen auf dem Corridor geweckt, —
denn die Schiffe standen in beständigem Verkehr mit der Gesandt-
schaft und die Abfahrt der Boote musste sich nach der Fluthzeit
richten, — oder durch das Gequiek eines Schweines, das, unserem
betrunkenen Koch ent\vischend, von den ' Küchenjungen verfolgt
durch die Gänge rannte. Auch die Hühner hatten grosse Zuneigung
zu unseren Zimmern gefasst, und nalunen besonders gern auf den
Bettpfosten Platz. — Gegen acht pflegten sich eine Menge Krämer
einzufinden, die aus hunderten von Kisten imd Kästchfen allerlei
270 I^as Leben in Akabank. IV.
niedliche und nützliche Sachen auspackten. Der Hausflur und die
Gänge glichen dann während einiger Stunden einem bunten Bazar,
und die ausgebotenen Gegenstände waren so manniclifaltig, so
lockend und w-ohlfeil, dass jede Neigung Nahrung fand, und die
Kauflust x\ller beständig rege bheb. Der Verkehr mit diesen Krämern
war sehr ergötzlich. Viele wurden unsere besonderen Freunde und
schafi'ten, wo sie eine ausgesprochene Liebhaberei merkten, immer
neue und schönere Sachen herbei. Man verständigte sich leicht,
theils durch Zeichen, theils durch japanische Worte, die wir bald
lernten, denn die Sprache ist volltönend und wohlklingend, für
das europäische Ohr leicht fasshch, — und auch die Japaner
eigneten sich schnell manch deutsches Wort an. Um zehn Uhr
wurde gemeinschaftlich gefrühstückt und um sechs zu Mittag
gegessen, in der Z\vischenzeit ging man seinen Beschäftigungen
nach. Durch die Papierwände war jedes laut gesprochene Wort
hörbar, wir lebten wie in einer Familie ; dazu standen die nach der
Veranda führenden Schiebethüren bei schönem Wetter meist ofl*en.
Jeder woisste was bei dem Anderen vorging und die Unterhaltung
wurde leicht allgemein. Dann und wann kamen Gäste von den
anderen Legationen und brachten politische Neuigkeiten und Ge-
rüchte, oder Zeitungen aus Europa — man erlebte taglich Neues
und hatte sich viel zu erzählen. Nachmittags wurden gewölmhch
Excursionen gemacht, und war das Wetter zu weiteren Ritten zu
schlecht, so besuchte man die Buch- und Kramläden , die Waffen-,
Bronze- und Lack -Handlungen in der Nähe, um kleine Einkäufe
zu machen, die Landeserzeugnisse kennen zu lernen und Unter-
haltungen mit den Eingeborenen anzuknüpfen. Wenige Europäer
haben Yeddo so gründlich gesehen; denn da unser Aufenthalt von
vorn herein begrenzt und nur auf kurze Zeit berechnet war, so
suchte Jeder möglichst viel daraus zu machen und die Stadt wurde
nach allen Richtungen durchstöbert. Der persönUche Verkehr mit
den Japanern gestaltete sich, so unbefriedigend auch die geschäft-
Uchen Beziehungen anfangs zu werden drohten, von Tage zu Tage
erfreulicher und hat gewiss bei Allen die angenehmste Erinnerung
hinterlassen.
10. septbr. Moutag dcu 10. September hatte sich das Wetter ganz
aufgeklärt, und der Gesandte konnte den Herren Harris und
von Bellecourt seine Besuche machen. Ersterer wohnte in den
IV. Besuche. Die Bunyo's. 271
Nebengebäuden eines etwa zehn Minuten von Akabane gelegenen
Tempels: man tritt aus der Strasse durch ein stattliches Portal, von
wo eine breite Steinbahn wohl dreihundert Schritt weit nach
dem etwas höher gelegenen Heiligthum hinanführt. Links von
diesem Aufgange liegt ein kleines Gebäude mit niedlichem Gärt-
chen, die Wohnung Heuskens; rechts neben dem Tempeleingange
das geräumige Haus des Minister - Residenten. Der von Herrn
von Bellecourt bewohnte Tempel Sakaidzi beherrscht, auf der
Höhe gelegen, eine weite Aussicht über den Golf, ist aber kleiner
als der amerikanische. Die schönste Umgebung hat die englische
Gesandtschaft, deren Bewohner sich zur Zeit auf einem Ausfluge
nach dem Fusiyama befanden; sie liegt etwas weiter südöst-
lich unter derselben Anhöhe, nah dem Meeresstrande in einer
weiten parkartigen Anlage , welche die Erb - Begräbnisse mehre-
rer Daimio - Familien umschliesst. Der Name dieses Tempels ist
TODZENDZI.
Nachmittags an demselben Tage erschienen in Akabame
wieder die beiden Bunyo's Sarai und Hori-Oribe mit ihrem Auf-
passer und dem Dolmetscher Moriyama. Sie brachten die Nach-
richt, dass der Minister des Auswärtigen den Gesandten erst am
15. September empfangen könne, und baten diesen nochmals, doch
sogleich mit ihnen die Verhandlungen zu beginnen, was Graf
Eulenburg aus guten Gründen ablehnte. Er hatte erfahren, dass
die Stellung dieser Herren sie zu gar keiner selbstständigen Ent-
scheidung befähige, dass sie nur die Werkzeuge des Ministeriums
und ohne allen Einfluss, dass ihre Ansichten für die Regierung
ohne jede Bedeutung und Wichtigkeit seien. Man wusste genau,
was sie mitzutheilen hatten: eine positive Weigerung, jetzt mit
Preussen abzuschliessen. Unter diesen Umständen musste es wün-
schenswerth erscheinen, die ganze Sache bis zur Besprechung
mit dem Minister intact zu lassen, um dann ihm selbst mit Nach-
druck antworten zu können. Graf Eulenburg liess den Bunyo's
eine Collation vorsetzen und führte, alles Politische geflissentlich
vermeidend, die Unterhaltung auf unverfängliche Gegenstände; der
corpulente Sarai, ein munterer Lebemann, thaute bald auf und
that viele neugierige Fragen. Vor Allem interessirten ihn unsere
Aerzte: »die japanischen behandelten ihre Kranken jetzt auch auf
europäische Weise, und richteten sich dabei vorzüglich nach einem
deutschen Werke«. Nach einigen Fragen kam heraus, dass es
272 nie BuNY0*8 in Akabane zu Tische. IV.
Hufeland's Makrobiotik sei *). Vor zwei Jahren war die Cholera
zum ersten Mal in Yeddo gewesen und hatte in kurzer Zeit
200,000 Menschen liingerafft. Die Bünyo's erkundigten sich nach
Mittehi dagegen; als man ilmen aber sagte, dass eine angemessene
Lebensweise und massiger Weingenuss anzurathen, und deshalb
ihre hohe Weinsteuer recht unzweckmässig sei, brach Sakai in
helles Lachen aus: »der französische Bevollmächtigte habe sie ver-
sichert, der Wein wäre ein Luxusartikel«. Dabei trank er ein Glas
moussirendeu Rheinwein nach dem anderen.
13. septbr. Auf Douucrstag den dreizehnten hatte der Gesandte die
BuNYo's zum Diner eingeladen. Sie erschienen um fünf Ulir und
überreichten ein Geschenk an Thee und Eiern: »so sei es in Japan
bei Einladungen üblich«. Im Verlaufe des Gespräches ergab sich,
dass bei Condolenzbesuchen nur Thee geschenkt werde, die Hin-
zufiigung von Eiern aber freudebedeutend sei. Sie meldeten zugleich,
dass der Minister des Auswärtigen den Gesandten schon am folgen-
Tage zu empfangen wünsche. — Bei Tische zeigten sich die beiden
BuNYo's und MoRiYAMA, welche schon viel mit Fremden verkehrt
hatten, im Gebrauche von Messern und Gabeln ganz anstellig, der
0-METSKE aber war sehr verlegen und ungeschickt, wollte auch
durchaus nicht trinken. Dagegen sprach der joviale Sakai allen
Weinsorten recht herzhaft zu, notirte sich die Gegenstände des
Tafelgeräthes und die Reihenfolge der Gerichte, wickelte von jeder
Speise ein Stück in Papier und steckte es in die weiten Aermel;
das ist die landesübliche Art den Wirth zu ehren. Am besten
sclunecken den Japanern immer gekochter Schinken und eingemachte
Früchte, Champagner und andere süsse Weine und Liqueure. Die
Gäste wurden bei jedem Glase munterer, namentlich Sakai und
MoRiYAMA. Hori-Oribe's Benehmen war von Anfang an etwas
zurückhaltender, dabei aber wohlwollend und liebenswürdig; durch
sein ganzes Wesen ging ein schwermüthiger Zug, sein Auftreten
war einnehmend, milde und gleichmässig, sein Ausdruck fein und
geistreich; er gehörte zu den Naturen, die ihre Umgebung gewännen
und fesseln ohne sich darum zu bemühen.
^) Man milss den gegenwärtigen Stand der ärztlichen Wissenschaft in Japan nicht
nach dieser Aussage beurtheilen. Hufeland's Makrobiotik scheint in weiteren
Kreisen bekannt zu sein, doch fanden wir in den Buchhandlungen auch die lieber-
Setzungen rein wissenschaftlicher uiedicinischer Werke mit genauer Nachbildung der
dann enthaltenen anatomischen Zeichnungen in Kupferstich und Holzschnitt.
IV. Ankunft der Thetis. — Die Verhältnisse in Japan seit Juli 1859. 273
Am folgenden Morgen, den vierzehnten, ging die Thetis i4. Septbr.
auf der Rhede vor Anker. Einige ihrer Passagiere kamen in
dem Augenblick nach Akabane, als der Gesandte zum Besuche
bei dem Minister aufbrach. Sie brachten leider keine Nachricht
von dem Frauenlob, dessen Untergang nun immer wahrschein-
licher wurde.
Vor Beschreibung des Besuches bei dem Minister Ando
Tsus-sima-no-Kami muss hier in Kurzem Rechenschaft von der
Entwickelung der japanischen Verhältnisse und dem Verkehr der
Ausländer seit der Ankunft ilirer diplomatischen Vertreter gege-
ben werden.
Der' enghsche Gesandte Herr Alcock und der amerikanische
Minister -Resident Herr Towmsend Harris waren die ersten, welche
— im Jimi 1859 — in Yeddo eintrafen. Die japanischen Behörden
empfingen sie mit grosser Artigkeit und stellten die Nebengebäude
mehrerer Tempel zur Verfugung, unter denen sie selbst ihre Woh-
nungen wählen konnten. Die ratificirten Verträge woirden nach
Beseitigung einiger formellen Schwierigkeiten feierüch ausgewechselt,
imd die Sachen gingen so glatt als man kaum erwartet hatte. Bei
alle dem fanden die Fremden, dass sie von den Japanern hinter-
gangen imd gewissermaassen wie Feinde behandelt wurden. Man
begegnete ihnen höflich und zuvorkommend, aber nicht oflFen, und
suchte namenthch jede freie Bewegung und den Verkehr mit den
Eingeborenen zu hemmen. Alle Maassregeln der Regierung schienen
berechnet, die .Wirksamkeit der Verträge aufzuheben ohne ihre
äussere Form zu brechen. Der freie Verkehr mit den Landesbe-
wohnem ohne Dazwischenkunft der Beamten war die 'Wurzel, aus
welcher allein der Handel der westlichen Völker erwachsen konnte,
der Cardinalpunct aller Verträge von 1858, und grade dieses wich-
tigste Zugeständniss sollte ihnen verkümmert werden. Der Gedanke,
dass der unbeschränkte Fremdenverkehr jetzt wie vor zweihundert
Jahren leicht zu einer politischen Umwälzung führen könne, lag
für die Japaner sehr nah, und man suchte nach Mitteln dieses
Unglück abzuwenden. An offenen Bruch der Verträge war nicht
zu denken; man musste sie zu umgehen suchen, und das führte zu
der zweideutigen Poütik, aus welcher so viel Unheil entstanden ist.
Die Doppelzüngigkeit der Beamten, — die gewiss nur'zyweilen aus
I. 18
274 Doppelzüngigkeit der Beamten. Beaufsichtigung der Legationen. IV.
dem Leichtsinn und der Haltungslosigkeit Einzelner, meistens aber
wohl aus der Ansicht der Regierung entsprang, dass im diplomatischen
Verkehr alle Vortheile gelten, — war die Hauptquelle der ersten
Verstimmung imd der späteren traurigen Verwickelungen. Jlan
konnte den feierlichsten Versicherungen namentUch der niederen
Beamten nicht trauen: sie scheuten sich oft nicht, ihre positiven
Aussagen im nächsten Augenblick, wo es ihnen Vortheil brachte,
zu widerrufen. Die japanische Regierung hat in vielen Fällen auch
offen und redUch gegen die Fremden gehandelt, aber die Gesandten
wurden durch so vielfache Hintergehungen zu einem consequenten
Misstrauen gradezu gezwungen.
Gleich nach Installirung der Legationen erlüelt jede eine
Abtheilung zweischwertiger Trabanten, Yakuninc, welche alle Zu-
gänge bewachten, die Fremden bei ihren Spaziergängen auf Schritt
und Tritt begleiteten und ihren Verkehr mit den einheimischen Be-
wohnern beaufsichtigten. Die Gesandten sahen dies wohl nicht
ganz mit Recht nur als eine beleidigende Spionage und Einschrän-
kung an, obgleich es die 'Wirkung davon gehabt haben mag. Sie
wehrten sich umsonst dagegen; die japanischen Behörden urgirten
mit gutem Grund, dass eine solclie Wache fiir die Würde und
Sicherheit der Legationen und zur Beaufsichtigung ihrer eigenen
Unterthanen unumgänglich nothwendig sei. Ohne allen Zweifel
trafen sie diese Einrichtung in guter Absicht, und mit dem auf-
richtigen Wunsche, den Verkehr der Fremden in Yeddo sich so
friedlich als möglich gestalten zu sehen und jeder Gewaltthat vor-
zubeugen. Die Gesandten und ihr Gefolge hatten anfangs keinen
Begriff von dem Terrain auf dem sie sich bewegten und setzten
sich aus Unkenntniss der Verhältnisse vielfach den grössten Gefahren
aus; und wenn auch, wie schon gesagt, die Begleitung der Yaküninp
sich bei ernstlichen Angriffen unwirksam erwies, so wären doch
ohne sie die Zusammenstösse mit den furstUchen Trabanten und
anderen Fanatikern sicherhch viel häufiger und bedenklicher gewesen,
die Stellung der Gesandten in Yeddo aber nach kurzer Zeit ganz
unhaltbar geworden. Zu gegründeten Klagen gab zu Zeiten
das Benehmen dieser Beamten Anlass, welche — vielleicht auf
Befehl der Regierung, um den Fremden durch Tracasserieen, ohne
Gewaltsamkeit, den Aufenthalt in Japan zu* verleiden, — mit-
unter hindernd zwischen sie und die Landesbewohner traten, die
Preise vertheuerten , und auf den Strassen den Unarten lärmender
IVl Eröffnung von Yokühama statt Kanaoava. 275
Volkshaufen, denen sie mit einem Wink steuern konnten, zu-
weilen rulii«^ zusahen.
Bald fanden sich ernstere Ursachen der Unzufriedenheit.
Den Verträgen gemäss sollte vom 1. Juli 1859 an der Hafen von
Kanaoava geöffnet sein. Diese Stadt liegt an der Nordseite und
im innersten Winkel einer tiefen Ausbuchtung des Golfes von Yeddo,
am ToKAiDO , der grossen Heerstrasse welche vom Süden und Osten
des Reiches nach der Hauptstadt führt. Sei es nun aus Besorgniss
vor Conflicten der Fremden mit dem Gefolge der nach Ykddo rei-
senden Grossen, sei es um sie besser beaufsichtigen zu können —
genug, die Regierung hatte den zu ihrer Ansiedelung designirten
Bezirk nicht in Kanaoava , sondern bei dem Fischerdorfe Yokühama,
eine halbe Meile weiter östlich am Südufer der Bucht abstecken
und mit einem aus dem Meere gespeisten breiten Canal umgeben
lassen. Eine Hügelreihe und sumpfiges Terrain scheiden diesen
Ort von Kanaoava; um die Entfernung abzukürzen baute die Re-
gierung mit grossen Kosten einen langen Steindamm durch die
Sümpfe. In Yokühama waren am Meeresufer stattliche Bollwerke
und Landungstreppen aus Granit, ein Zollhaus und umfangreiche
Gebäude für die Beamten aufgeführt, weiterhin wuchsen schon
mehrere Strassen empor, wo japanische Kaufleute ihre Waarenlager
eröffneten. Offenbar hatten diese ausgedehnten und kostbaren
Bauten den Zweck, die Niederlassung in Yokühama zur vollendeten
Thatsache zu machen, und die Japaner hatten ganz richtig gerech-
net, — die fremden Kaufleute kamen ihnen zu Hülfe. Die Vertreter
von Grossbritannien xmd Amerika, welche hier die Absicht einer
ähnlichen Einsperrung zu sehen glaubten wie die frühere der Hol-
länder auf Desima, erhoben lebhaften Einspruch gegen diese Ver-
tragsverletzung: jede Person und jeder Waarenballen, der aus oder
nach Yokühama kommt, muss die Wachthäuser auf dem schmalen
Steindamm und die Brücke des einschliessenden Grabens passiren;
die Japaner konnten den Ab- und Zugang der Personen und die
Ein- und Ausfuhr der Waaren hier nach Belieben controlliren , be-
steuern oder gar abschneiden: die im Vertrage stipulirte Freiheit
des Verkehrs wurde illusorisch. Kanaoava dagegen ist von der
grössten Verkehrsader des Reiches, dem Tokaido durchschnitten,
und hier hätte die japanische Behörde die Berührung der Fremden
mit allen Classen der Bevölkerung aus den verschiedensten Theilen des
Reiches niemals hindern können; die westländischen Producte hätten
18'
276 Vergeblicher Einspiiich der Gesandten. W,
sich von hier aus selbst die Wege gebahnt und in Kurzem durch
das ganze Land verbreitet. — Vielleicht ^vu^de die japanische
Regierung auch in diesem Puncte von wohlwollender Vorsicht ge-
leitet und fiirchtete von so freiem Verkehr schlimme Folgen für
die Fremden, doch machte es diesen eben nicht den Eindruck. —
Die Frage war von weitreichender Bedeutung und die Gesandten
thaten ihr Möglichstes sie glücklich zu lösen; die westlichen Kauf-
leute aber hatten nur ihren nächsten Vortheil im Auge. Schon
lagen mehrere Schiffe aus Nangasaki und China in der Bucht,
welche der vertragsmässigen Eröfl&iimg harrten. Die mit ihnen ein-
getroffenen Handelsagenten sprachen sich unverhohlen für Yokuhama
aus, wo Alles zu ihrer Aufnahme bereit war, und zauderten keinen
Augenblick sich dort niederzulassen als der vertragsmässige Termin
eintrat. Yokuhama hat allerdings vor Kanagava einen für den
Handel sehr wichtigen Vorzug, einen besseren Ankergrund, und die
Möglichkeit für grosse Schiffe sich dem Lande auf kurze Entfer-
nung zu nähern , während bei Kanagava das Wasser überall seicht
ist Vor allen Dingen aber machten die ersten Ankömmlinge durch ihr
schnelles Zugreifen glänzende Geschäfte, deren Vortheil sie mit
anderen später Hinzukommenden theilen mussten, •wenn sie den
Erfolg der diplomatischen Verhandlungen abgewartet hätten.
So scheiterten die Gesandten an dem Auftreten ihrer eigenen
Schutzbefohlenen, und konnten nur eine weitere Ausdehnung des
zur Ansiedelung bestimmten Terrains und die künftige Anweisung
der Grundstücke an sie selbst zur gleichmässigen Vertheilung an
die Kaufleute erreichen: — denn die zuerst gekommenen hatten,
mit bedeutenden Geldmitteln versehen , alles von der Regierung zur
Verfugung gestellte Land an sich gebracht und verkauften es nun
an die später eintreffenden zu unmässigen Preisen. — Den fremden
Consuln wies die Regierung Tempel in Kanagava an, doch hatten
die Gesandten grosse Mühe, ihr die Erlaubniss des freien Verkehrs
zu Lande auf der grossen Heerstrasse zwischen den Legationen in
Yeddo und den Consulaten in Kanagava abzudringen.
Weiteren Anlass zu Misshelligkeiten gab das Umwechseln
der fremden Münzsorten gegen japanische, wozu die Regierung
sich unbegreiflicher Weise für das erste Jahr nach Eröffnung der
Häfen durch die Verträge verpflichtet hatte. Diese Angelegenheit
wird nur durch nähere Beleuchtung der Verhältnisse verständlich
werden.
IV. Muiizverhältnisse. 277
lu einem Lande, das sich nach aussen hermetisch verschhesst,
hat die Regierung die Macht, das gegenseitige Werthverhältniss
der edelen Metalle nach ihrem Behebea festzustellen, wenn sie den
Gebrauch derselben auf die Vermünzung beschränkt und jede
andere Anwendung verbietet. So war es in Japan. Nur zu den
unbedeutendsten Verzierungen an Waflfen und anderen kleinen Ge-
räthen durften die Handwerker Gold und Silber verarbeiten, und
auch da nur als Incrustation und Plattlrung in den geringfügigsten
Quantitäten. Ein Klumpen Gold oder Silber, der nicht verarbeitet
werden darf, ist wertlilos: die Regierung allein hat das Prägerecht,
sie bestimmt den Werth der Münzen durch den aufgedruckten
Stempel und normirt den relativen Werth der Metalle nach ihrer
Bequemlichkeit. Gold- und Silbeimünzen waren in Japan das, was
Banknoten und Scheidemünzen bei uns sind, denn diese erhalten
ja auch nur durch den Stempel ihren Werth, nicht durch Grösse
oder Gewicht — Die Falschmünzerei konnte der Regierung sehr
gefährlich werden, ist aber bei der allgemeinen Beaufsichtigung in
Japan fast unmöglich, und hatte auch wenig Chancen, so lange
ein bestimmtes Werthverhältniss der beiden Metalle untereinander
durch alle Münzsorten festgehalten wurde. — Ein deuthches Zeichen,
dass die Metalle nur Tauschmittel waren, ist der Umstand, dass
man in Japan alle Einkünfte nicht nach Geld, sondern durch-
gängig nach »Kok« Reis, einem bestimmten Gewicht des allge-
meinen und nothwendigsten Nahrungsmittels, als einer feststehen-
den Werth -Einheit rechnete. Auch dieser Werth konnte nach
dem Ausfall der Aemten fluctuiren wie bei uns der Werth von
Gold und Silber nach der Ergiebigkeit der Bergwerke, aber der
Werth der edelen Metalle hing von der ^\dllkühr der Re-
gierung ab.
Sobald die Ausfuhr der Metalle freigegeben wird, muss dieses
Verhältniss aufhören; ihr relativer Werth normirt sich dann bald nach
dem in den Nachbarländern üblichen Satz. Fast das ganze sieb-
zehnte Jahrhundert durch exportirten die Holländer Gold mit un-
geheurem Vortheil. Diese Ausfuhr war aber keine freie, konnte
also auf den Werth der Metalle in dem sonst gänzUch gesperrten
Lande keinen Einiluss haben; die Regierung gab ihnen Goldmünzen
in Zahlung, so weit es ihr bequem war, — die Holländer konnten
nicht Gold gegen Silber von den Landesbewohnern in beliebiger
Menge eintauschen. Die Wohlfeilheit des Goldes war ein zufalliger
278 I)&s japanische Müuzsystem. IV.
Umstand, der ihrem Haudel Vortheil brachte ohne dem Lande durect
zu schaden. Zu Ende des siebzelmten Jahrhimderts wurde die
japanische Obrigkeit auf den enormen Betrag der dem Lande im
Laufe der Jahre entfilhrten Summen aufmerksam'), beschrankte die
Kupferüeferung, und prägte die Goldmünze bei gleichem Nennwerthe
immer kleiner, so dass die Holländer sie bald nicht mehr mit Vortheil
in Zahlung nehmen konnten. Seitdem führten sie an Metallen nur
noch Kupfer aus und bezahlten es mit westländischen Producten,
später auch in beschränktem Maasse mit Silber. Sei es nun, dass
die japanische Regierung die Goldmünzen, seitdem sie den Holländern
keine mehr Ueferte , wieder grösser prägte, sei es dass sie den Preis
des Silbers erhöhte '•), genug, zur Zeit der Eröffnung Japans durch
die Amerikaner war das Werthverhältniss dieser beiden Metalle ein
ganz abnormes.
Li dem damals gültigen Münzsystem war die Einheit der
KoBANQ, eine dünne flache ovale Münze, die ein Ryo Goldes liielt
und 60 MoNME Silbers galt. Die Bruchtheile waren
der NiBü, gleich einem halben Kobano, eine länglich vier-
eckige Münze von vergoldetem Silber;
der Ixsmu, von Silber, gleich einem viertel Kobang, von ähn-
' hoher Form und Grösse;
der Nisu, ein achtel Kobang, von vergoldetem Silber;
der Isü , ein sechszehntel Kobang , von Silber ; die beiden letz-
teren ebenfalls länglich viereckig, nur kleiner.
Der Werth der Bronzemünzen und mit ihnen der Kupfer-
und Eisenmünzen fluctuirte. Man rechnete 60 bis 80 Maas oder
Tempo auf den Kobang, oder 15 bis 17 auf den Itsibu. Der Tempo
ist eine schwer«^ ovale gegossene Münze aus schöner Bronze mit
einem viereckigen Loch in der Mitte, und gilt 100 Seni. Der Seni
ist ein rundes Eisenstück, ebenfalls mit einem Loch, und wird wie
«) S. S. 148.
^^) Dem Veifasser fehlen die ausreichenden Data, um das Verhältniss der Metalle
in früherer Zeit ergiünden zu können. Die Holländer exportirten zuerst Silber, dann
Gold und Kupfer, dann nur Kupfer. Sie bezahlten das letztere theilweise mit Silber,
d. h. die japanische Regierung Hess bei der Anfuhr eine gewisse Quantität gemünzten
Silbers jährlich zu. Dieses giebt keine genaue Rechnung, da man nicht weiss wie
sich der Werth der anderen Einfuhr - Producte zu dem des Silbers verhielL Gold
(ur Silber haben die Holländer niemals kaufen können, und eine gültige Rechnung
Hesse sich auch in diesem Falle nur anstellen, wenn der Handel ganz frei ge-
wesen wäre.
IV. Ausfuhr der Scheidemünze. Umtauschuiig europ. und aiiierikan. Münzen. 279
die etwas grösseren kupfernen Vier -Seni- Stücke und die Tempo's
auf Strobschnuren gereiht.
In diesem System verhielt sich der Werth des Silbers zum
Golde wie 1 zu 5, während in der ganzen übrigen Welt diese
Metalle etwa wie 1 zu 15 stehen. Der Korano dieser Zeit wiegt
123 Gran und hat über 6 Thaler Metallwerth. Ein Itsibu, ein
viertel Kobang, enthält aber nur für 14 Sgr. 1,4 Pf. Silber. Die
Differenz mit dem Kupfer, Eisen und der Bronze war ebenfalls sehr
erheblich. So lange die Ausfuhr der Sclieidemünze erlaubt war,
wechselten die Fremden ihr Silber in Tempo's und Seni's um; letz-
tere sehen den chinesischen Kas (Sapeken) ganz gleich und werden
dafür angenommen. Man erhielt aber in Japan für einen Dollar
gegen 4800 Seni, und konnte in Clüna für 800 bis 1000 dieser
Stücke einen Dollar kaufen. Diesem Handel wurde durch das in
alle neueren Verträge aufgenommene Verbot der Ausfuhr von
Scheidemünze rechtlich ein Ende gemacht; heimlich soll er noch
heut im Schwange sein.
Aus diesen neuen Verträgen (seit 1858) erwuchsen aber
weit grössere Uebelstände. Die japanische Regierung hatte sich
darin unbegreiflicher Weise zu einem Artikel verstanden, nach
welchem fremde Gold- und Silber -Münzen in Japan Cours haben
und Gewicht um Gewicht gegen einheimische gewechselt werden
sollten; sie selbst verpflichtete sich, während des ersten Jahres
nach Eröffnung der Häfen die Umtauschung zu bewerkstelligen.
Man musste sich des Missverhältnisses in dem Werthe der Metalle
doch nach den in frülieren Jahrhunderten an den Holländern ge-
machten Erfahrungen bewusst sein, glaubte aber offenbar, den
anderen Fremden, wie früher den Holländern gegenüber, den Werth
der Münzen nach Beheben feststellen zu können. In diesem Wahne
liess die Regierung Silberstücke prägen, die einen halben mexika-
nischen Dollar (an Werth etwa 1 Th. 14 Sgr.) wogen, aber das
Gepräge eines Nisu oder halben Itsibu hatten, und wechselte den
Fremden ihre Dollars in »dieser Münze. Sie erhielten also für einen
Dollar einen eben so viel wiegenden Itsibu, während von den im
Lande coursirenden Itsibu's erst drei einen Dollar wiegen. Dadurch
wurden alle Producte für die Fremden um 200 Procent vertheuert,
denn der japanische Kaufmann nahm die neue Münze nur für den
ihr aufgeprägten Werth, einen Nisu. Hätte die Regierung damals
ihre ganze Silbermünze eingezogen und neue Itsibu's ziun Gewicht
280 I^ic Itsibu - Manie in Yokuhama. IY.
und Werthe von einem Dollar auch für den einheimischen Verkehr
ausgegeben, so konnte sich Niemand beklagen; gegen die Ent-
werthung des Silbers aber für die Fremden allein verwahrten
sich die Gesandten. Die Regierung des Taikün fügte sich ihren
Vorstellungen nach kurzem Widerstreben, zog die neue Silbermünze
ein, und wechselte nun den ausländischen Kaufleuten ihre Dollars
gegen gleiches Gewicht in landesüblichen Itsibu s. Von diesem
Augenblick an aber konnten die Fremden das gemünzte japanische
Gold um ein Drittheil seines Werthes kaufen und zogen natürlich
dieses Geschäft jedem anderen vor. Der Kobano, über 6 Thaler
werth, war für 4 Itsibu, weniger als 2 Thaler, zu haben. Die
Kaufleute in Yokuhama , meist Repräsentanten der grössten deutschen,
englischen und amerikanischen Handelsfirmen in China, schafften
mexikanische Dollars in grossen Massen herbei, um sie in Itsibu's
umzusetzen imd Kobang's zu kaufen; eine Ojieration, die sich bei
der Nähe von China mit derselben Summe sechs- bis siebenmal
jährlich wiederholen Hess. Der enorme Gewinn verdrehte ihnen die
Köpfe, eine Art wahnsinnigen Schwindels bemächtigte sich fast aller
Ausländer in Yokuhama; sie bestürmten das Zollhaus mit Ungestüm,
die Beamten wussten sich kaum zu retten. Da der Zudrang immer
grösser wurde, so befahl die Regierung, nur eine bestimmte Summe
täglich zu wechseln und nach der Kopfzahl xmd dem Maasse der
Forderungen zu repartiren. Nun liefen lange Listen von erdichteten
Namen, grossentheils mit höhnender Bedeutung ein; Jeder forderte,
um bei der Vertheilung recht gut bedacht zu werden, immer mehr
als der Andere, Summen, die in Wirklichkeit gar nicht existiren,
geschweige denn geliefert werden konnten. Ein Deutscher bat
höflich , ihm 250 Millionen Dollars umzutauschen , Andere , Engländer
und Amerikaner, nannten Zifi'erreihen von zwanzig Stellen, die
abzuzählen kein Menschenleben ausreicht. Viele dieser Forderungen
wurden von Drohungen begleitet, man klagte über Bevorzugung
von Einzelnen und es kam zu den ärgerlichsten Auftritten. Aber
nicht nur waren die Eingaben an das ZollUmt gefälscht, in so fem
sie Personen und Summen nannten die gar nicht existirten, sondern
die ganze Transaction war ungesetzlich; denn die Eingeborenen
durften nach den Landesgesetzen bei strenger Strafe kein Gold an
Fremde verkaufen, und die Verschiffung musste nach den Ver-
trägen den japanischen Zollbehörden angezeigt werden, was die
Ausländer in allen Fällen unterliesseii. Es war ein doppelter
IV. Allgemeine Verstimmung. 281
Sühleiclihandel. Viele Japaner wurden bestraft, aber es fanden sich
bei dem enormen Gewinn immer neue Mittel die Behörden zu hinter-
gehen. Die Regierung des Taikün sah dem Unwesen mit Besorgniss
und Unwillen zu und führte bittere Klagen; sie betrachtete mit Recht
die Handlungsweise der Fremden als Raub und als Missbrauch der
betreffenden Vertragsbestimmung, deren Sinn und Absicht nur war,
den ausländischen Kaufleuten die Mittel zum Ankauf einheimischer
Producte so lange zu hefem, bis das Volk mit ihren Münzen be-
kaimt geworden wäre. Die fremden Vertreter in Yeddo mussten
diesen Grundsatz anerkennen und missbiUigten laut das unwürdige
Betri^en ihrer Landsleute , konnten ihm aber um so weniger steuern,
als fast alle Consuln in Kanagava — ausser dem englischen lauter
unbesoldete Handelsagenten — sich an den Uebertretungen bethei-
ligten, welche sie hätten verhüten sollen. Dem Gesetze sind nur
wenige von den Handlungen erreichbar, welche Anstand und Sitt-
lichkeit verbieten; aber auch da, wo die Japaner straffällige Ver-
gehen zur Anzeige brachten, versäumten sie meist, mit dem richter-
Uchen Verfahren der Westvölker unbekannt, die zur Beweisfiihrung
nöthigen Maassregeln zu treffen, und mussten abgewiesen werden.
Die japanischen Beamten wussten sich überhaupt geschäftlich den
an Pünktlichkeit und fertiges Handeln gewöhnten »Westwilden«
gegenüber nicht zu helfen; sie benahmen sich sehr ungescliickt, und
wohl nicht immer mit der UnpartheiUchkeit und Klarheit, Velche
jene von Regierungsbehörden überall verlangen. Die Kaufleute in
YoKuuAMA fühlten sich durch die limitirte Ausgabe der Itsibu's in
ihren Rechten gekränkt und beschuldigten ihre Gesandtschaften laut
der Pflichtvergessenheit, weil sie nicht die wörtliche Erfüllung des
betreffenden Vertragsartikels durchsetzten, — so steigerte sich die
Verstimmung auf allen Seiten immer mehr. Die japanische Regie-
rung sah ihre wiederholt und namentlich in der Antwort an Resanoff
schon 1805 ausgesprochenen Befürchtungen") von den Folgen des
Fremdenverkehrs wohl in höherem Maasse erfüllt, als sie selbst
erwartet hatte, und entschloss sich, um dem Unwesen der Gold-
ausfuhr und allen daraus entspringenden Reibungen auf einmal ein
Ende zu machen , den unseligen Vertragsartikel über den Umtausch
der Münzen gradezu zu brechen. Eine grosse Feuersbrunst, die im
November 1859 den Palast des Taikün verzehrte, musste als Vor-
wand dienen. »Die durch den Brand veranlassten grossen Ausgaben
") Vgl. S. 158 Anin. 159.
282 Einstellung des Umtausches. Das persouliche Auftreten der Ausläuder. IV.
machten ein ferneres Umwechseln der fremden Münzen unmöglich.«
Zugleich wurde der Verkauf des Kupfers ganz verboten, der aller
übrigen Laudeserzeugnisse im directen Widerspruch mit den Ver-
trägen beschrankt, »weil man Alles für den grossen Palastbau
brauche«. Seitdem wechselte die Regierung nur noch den fremden
Gesandten und Consuln bestimmte Quantitäten Dollars monatlich
nach dem Werthe ihres Gewichtes, und fuhr damit auch fort, als
ein Jahr nach Eröffnung der Häfen die Umwechselung den Vertragen
gemäss hätte aufhören sollen. Dem preussischen Geschwader ge-
währte sie aus Courtoisie denselben Vortheil. In den Hafenstädten
bildete sich ein Wechselcours , der dem ausländischen Silber un-
günstig ist und den Exporthandel drückt; die japanischen Behörden
erklärten sich aber allen Klagen der Fremden gegenüber für unfähig
dem Dollar durch Zwangscours seinen vollen Metallwerth von drei
Itsibu's zu verschaffen. Eine Verpflichtung dazu hätte sich aus dem
ungeschickten Vertragsartikel leicht ableiten lassen, aber die Ge-
sandten fanden es vom handelspoütischen Standpunct richtiger, hier
nicht weiter einzuschreiten, und der Sache ihren natürhchen Lauf zu
lassen. Um der Goldausfuhr auf immer ein Ende zu machen, ergriff
man endlich auch das einzige wirksame, von den Gesandten schon
längst vorgeschlagene Mittel, den alten Kobano ganz einzuziehen
und neue dreimal kleinere von demselben Nennwerthe zu prägen.
Damit hörten die MisshelUgkeiten aber nicht auf, denn jene
Wechselgeschäfte waren nicht die einzige Veranlassung; das per-
sönliche -Auftreten der Fremden in Yokuhama verletzte fast alle
Classen der japanischen Bevölkerung. Von den Scliiffen landeten
täglich viele Matrosen, und trieben sich, einzeln und in Haufen,
betrunken in der Niederlassung und der Umgegend herum , beleidigten
und schlugen die Eingeborenen, drangen mit Gewalt in die Häuser
und Läden ein und verübten den sträflichsten Unfug. Selbst die in
Yokuhama angesessenen Kaufleute, welche doch bleibende Interessen
hatten, sollen vielfach unanständig und gewaltthätig gegen die
Beamten sowohl als gegen harmlose Einwohner aufgetreten sein.
Der bahnbrechende Kaufmann des Westens gehört nicht immer den
gebildeten Ständen an, glaubt sich aber unter allen Umständen über
Jeden erhaben, dem der Rock und die äussere Tünche der west-
lichen Civilisation fehlt. Statt aber, wie es dem Ueberlegenen
wohl ziemte, den vermeintlich Schwächeren mit Grossmuth und
Rücksicht zu behandeln und sich seinem niedrigen Standpuncte
IV Ermordung der russischen Seeleute. 283
anzupassen, zeigt er ihm oft nur Uebennutli, Geringschätzung und
Elohn, und fordert von allen Eingeborenen Unten\'ürfigkeit und
Ehrfurcht. Solches Betragen ist nicht allgemein, aber leider nur
zu häufig. Dass die Beamten, welche den Samrai, der Adelsclasse
angehören, ein derartiges Benehmen- von Kaufleuten, nach japa-
nischen Begriffen einem sehr niederen Stande, besonders übel
empfinden mussten, liegtauf der Hand; aber auch beim Volke erregte
es Widerwillen und Erbitterung. Man sah die Fremden trotz ihren
stattUchen Schiffen, ihren Maschinen und Waffen als Barbaren an;
das formlose selbstbewusste Auftreten der volkssouveränen Bewoh-
ner des Westens, ihre aufgeregte Geschäftigkeit und Beweg-
lichkeit sind eben so wenig, als die plumpe Rohheit der Matrosen
geeignet, dem Japaner Eindruck zu machen, welcher Ruhe und
Haltung, ein wohlwollendes gleichmässiges Betragen und höfliche
Formen als wesentliche Eigenschaften eines gesitteten Mensclien
fordert. Man bewunderte den Unternelimungsgeist, die Gewandtheit
und Tüchtigke'lt der Fremden, verabscheute aber ihre indiscrete
Neugierde und Zudringlichkeit. »The modern roughness« macht
niemals Eindruck bei dem gebildeten Orientalen. — Der persönlichen
Rachsucht und Erbitterung über den beleidigenden Hochmuth Ein-
zelner sind wahrscheinlich die ersten Morde zuzuschreiben, welche
in YoKuiiAMA an Europäern begangen wurden.
Im August 1859 kam der russische Bevollmächtigte Graf
Murawieff mit einem Geschwader nach Japan imd schlug seinen
Wohnsitz in Yeddo auf; die kaiserlichen Schiffe ankerten vor
YoKUHAMA. Die russischen Seeleute hielten sich häufig am Lande
auf und verkehrten viel mit den Bewohnern, scheinen sich aber
nicht so behebt gemacht zu haben als bei anderen Gelegenheiten
in Japan: einige Officiere wurden auf den Strassen belästigt und
insultirt, und bald darauf einer derselben, der sich Abends mit
einem Matrosen und dem Steward nach der Stadt begeben hatte,
in der Dunkelheit mörderisch angefallen. Der Officier und der Ma-
trose bUeben, fast in Stücke gehauen, auf der Stelle, der Steward
entkam übel zugerichtet. Die That war das Werk eines AugenbUcks
und die Mörder verschwanden spurlos, — die auf der Strasse be-
findlichen Japaner sollen ruhig zugesehen haben. Dass sie, wenige
unbewaffnete Bürger, die blutige Rotte nicht anhielten, ist von den
Fremden wohl mit Unrecht als ein Zeichen von Gleichgültigkeit
oder Conuivenz gedeutet worden: in vielen europäischen Städten
284 Fernere Morde. IV.
würde sich solcher Hergaug unter gleichen Umständen ganz ahnlich
gestalten: der japanische Bürger aber ist sein: friedliebend und
wird sich niemals in die Händel von Bewaffneten mischen. Ob
diese That ein Racheact für bestimmte persönliche Beleidigungen,
ob ein Ausbruch der Erbitterung gegen die Fremden überhaupt ge-
wesen sei, Hess sich nicht ermittehi * *). Die japanische Regierung
schickte auf Verlangen des Grafen Murawieff zwei hohe Beamte an
Bord des Flaggschiffes um sich wegen des Vorfalls zu entschuldigen,
degradirte den Gouverneur von Kanagava, und verpflichtete sich
den Ermordeten ein Grabdenkmal zu setzen. Eine Geldentschädigung
forderte der russische Bevollmächtigte nicht.
Im November desselben Jahres wurde ein chinesischer Diener
des französischen Viceconsuls in Kanagava ermordet, und im Januar
1860 ein japanischer Dolmetscher der englischen Gesandtschaft in
Yeddo, der, früher durch Schiffbruch nach Amerika verschlagen,
dort englisch gelernt hatte, und Herrn Alcock sehr nützlich und
ergeben war. Eines Abends im Februar überfiel feine bewa&ete
Rotte zwei holländische Schiffscapitäne in der Hauptstrasse von
YoKUHAMA, und hieb sie gradezu in Stücke. — So folgte Mord auf
Mord ohne dass man die Thäter ergriffen hätte; die japanische
Regierung betheuerte consequent alle Anstalten zu ihrer Verhaftung
getroffen zu haben, doch wurde keiner, soviel zur Kenntniss der
Fremden kam, jemals zur Strafe gezogen. Man konnte nicht an-
nehmen, dass diese Verbrechen Acte persönlicher Rache wären,
denn schon damals kamen mehrfach Drohungen zur Kenntniss der
Gesandten in Yeddo, dass alle Fremden in einer Nacht er-
mordet werden sollten. Ob aber die Feindsehgkeiten aus der
allgemeinen Verstimmung gegen die Ausländer entsprängen oder
von einer bestimmten politischen Parthei ausgingen, war damals
nicht zu ermitteln. Letztere Ansicht gewann erst Wahrschein-
lichkeit durch die Ermordung des Regenten Ikamo-no-kami am
24. März 1860.
In dem einleitenden Abschnitt") ist schon berichtet wor-
den, *das8 die Ausländer in Japan den Fürsten von Mito, einen
der Titularbrüder des Taikün, für das Haupt der fremdenfeind-
licheu Parthei ansahen, dass dieser Fürst in dem Rufe stand, in
^^) Jede Beleidigung eines Saurai muss nach japanischen Begrifieu mit Bhit
gesühnt werden. S. S. 129.
») S. 183 u. ff. Amn. 180.
IV. Ermordung des Regenten. 285
thronrauberischer Absicht den Tod des kinderlosen Taikün Jye-sado
(1858) veranlasst zu haben, dass der erbliche Regent Ikamo-no-Kami ihn
überflügelt und dem unmündigen Sohne eines anderen Titularbruders,
des Fürsten von Kii, die Succession verschafft, den Fürsten von Mito
aber zur Abdankung gezwungen und auf seine Güter verbannt habe.
Die Gegenparthei soll ihm diese Handlungsweise niemals verziehen,
ihn in den Augen des Volkes zum Verräther gestempelt haben,
weil er den mächtigen Fürsten von Mito nur durch die falsche
Vorspiegelung baldiger Restitution zum augenblicklichen Weichen
vermocht, dann aber auf Schleichwegen die Erwählung des un-
mündigen Kii bewirkt hätte, durch welche er selbst, als erblicher
Vormund, wenigstens für jetzt thatsächUch im Vollbesitz der Herr-
schaft blieb. So erzählt das Gerücht * *).
Am Vormittage des 24. März nun wollte sich der Regent
seiner Gewohnheit gemäss nach dem Schlosse des Taikün begeben.
Sein eigenes Haus liegt innerhalb der zweiten Enceinte nur wenige
hundert Schritte vom Eingangsthor der dritten, welche den kaiser-
lichen Palast umschliesst. Die Strasse führt etwas bergab auf die
Thorbrücke los, über welche sich grade das Cortege des Fürsten
von Kii, des Vaters des unmündigen Taikün, bewegte. Ikamo
sass in seiner Sänfte, umgeben von einem zahlreichen bewaffneten
Gefolge; — es regnete heftig, und die Strasse war öde bis auf
einige Gruppen tief verhüllter Gestalten in Regenmänteln, die sich
in schuldiger Ehrerbietung vor dem vornehmen Herrn an den
Häusern entlang zu drücken schienen. Plötzüch wirft sich einer
von diesen mitten in den geordneten Zug, unmittelbar vor der
Sänfte des Regenten, — nach japanischer Anschauung die tödtli'chste
Beleidigung; die folgenden Trabanten springen zu um' ihn nieder-
zustossen, dadurch entsteht um den Norimon eine Lücke in welche
sich die übrigen Verhüllten stürzen , — sie haben ihre Regenmäntel
abgeworfen und erscheinen in funkelnder Waffenrüstung. Es folgt
ein kurzes Gemetzel, — plötzlich flieht einer der Angreifenden, ein
blutiges Haupt in den Lüften schwingend; er passirt unangefochten
die Wache des nächsten Strassenthores, wird dann von den Verfol-
genden ereilt und zusammengehauen , — das abgeschlagene Haupt ist
aber ein fremdes. Um den Norimon des Regenten lag es voll zer-
fleischter Leichname, darunter mehrere der Angreifenden; zwei
*♦) Ueber die Erbfolge im Hause des TaTkOn s. S. 113, über das Amt des Re-
genten S. 121.
286 Die Lage nach Ikamo's Ermordung. IV.
verwundete schlitzten sich, unfähig zu fliehen, den Leib auf, die
übrigen acht entkamen. Man fand in der Sänfte den blutigen Rumpf,
aber nicht den Kopf des Ikamo, welchen die Mörder entführten.
Jener erste, der mit dem abgeschlagenen Haupte eines seiner
(refährten floli, hatte sich geopfert um den übrigen die Arbeit zu
erleichtem.
Der wahre Verlauf des Ereignisses wurde nicht sogleich
bekannt; die japanischen Minister erklärten den Gesandten, der
Regent sei verwundet, und nahmen ihre Glückwünsche zu dessen
Rettung entgegen. Demgemäss berichteten auch die engUschen
Zeitungen in China und Singapore, und die preussische Gesandtschaft
erfuhr den unglücklichen Ausgang erst bei ihrem Eintreffen in Ykddo.
Ikamo war nach einiger Zeit auch amtlich verschieden.
Nach den officiellen Angaben der japanischen Minister wurde
man keines der entflohenen Mörder habhaft; im Vertrauen aber
theilten die Bunyo's den Gesandtschaften mit, sie wären ergriffen
und hätten Alles gestanden; die That sei ein Racheact des Fürsten
von MiTO und von dessen Trabanten verübt. Nähere Aufschlüsse
konnte man nicht erlangen ; die Regierung hüllte sich in Gelieimniss
und traf nur fernere Maassregeln für die Sicherheit der Legationen.
Die Wachen wurden bedeutend verstärkt und alle Zugänge mit
Feldstücken besetzt: zugleich bat man die Fremden in Yeddo, sich
in diesen unruhigen Tagen nicht auf der Strasse zu zeigen, und
unterwarf ihren Verkehr mit den Eingeborenen noch grösserer
Beschränkung als vorher und der strengsten ControUe — »zu ihrer
Sicherheit« und nicht minderen Unbequemhchkeit. Schon damals
muss'ein allgemeiner Angriff auf die Fremden von Seiten der »Mito-
LoNiNC«, der fanatisirten Soldaten des verbannten Fürsten befürchtet
worden sein, darauf deutet das ganze Benehmen der Regierung.
MiTO stand offenbar an der Spitze einer mächtigen Parthei, welche
den unmündigen Taikün und dessen Anhang zu stürzen drohte;
es hiess allgemein dass er durch die Ermordung der Fremden die
Minister in einen Krieg mit den westhchen Mächten zu verwickeln
und dann über seine Gegner zu triumphiren hoffe. Fast alle seitdem
in Japan an Ausländern verübten Morde sind seinen Leuten zur
Last gelegt worden. — Die Hauptstadt war in den Tagen nach
Ikamo's Tode in der grössten Aufregung: die Wachen wurden
verdoppelt und alle Strassenthore geschlossen, angeblich um die
Mörder zu fangen, in der That aber wohl in der Erwartung eines
IVi Das Haupt des Ikamo. — Die öfTentliche Meinung. 287
bewaffneten Angriffs. £s hiess in Yeddo, Mito habe sich mit seinen
Anhängern in ein festes Bergschloss geworfen und trotze von da
aus offen der Regierung des Taikün. — Was das Haupt des Regenten
betrifft, so sollen die Mörder dasselbe zuerst ihrem Herrn gezeigt
und dann nach Miako gebracht haben, wo es zwei Stunden lang
auf dem Richtplatze für Staatsverbrecher mit einer Inschrift ausge-
stellt gewesen wäre: »Der Kopf des Verräthers, der den heiligsten
Gesetzen des Landes entgegen die Fremden in Japan zugelassen
hat«. Darauf sei es wieder verschwunden und einige Zeit nachher,
in ein schmutziges Tuch gewickelt, über die Hofmauer von Ikamo^s
Palast in Yeddo geworfen worden. So erzählt das Gerücht, —
und japanische Bravos wären solcher fanatischen Wagniss und
Brutalität wohl fähig. Die bei dem Attentat Gefallenen sollen in
der Hauptstadt ein ehrenvolles Begräbniss erhalten, und durch ihre
kühne That und todesmuthige Vasallentreue im ganzen T^ande grossen
Ruhm geämtet haben. —
Nach diesem Allem kann man sich nicht w^undern, wenn die
japanische Regierung die Verträge mit ungünstigen Augen ansah;
sie machten ihr nur Noth und Sorgen nach aussen und innen, und
Uessen, in ihrer Anschauung, auch für die Zukunft keinen möglichen
Vortheil absehen. Allem Anschein nach waren die beiden letzten
Taikünc und der Regent als Opfer dieser Verträge gefallen, und
dass die Besorgniss vor einem Bürgerkriege keine leere Ausrede
war, dass eine starke und der bestehenden Regierung sehr gefalir-
üche Parthei existirte, dass die Verträge wirklich zu einer tief-
greifenden Umwälzung geführt und das Fortbestehen der alten
SioouN- Herrschaft in Frage gestellt haben , ist durch die neuesten
Ereignisse zur Evidenz bewiesen worden. Zur Zeit unserer Ankunft
in Yeddo waren sich die Fremden noch nicht klar darüber. Die
japanische Regierung gestand damals nicht, dass der Mikado und
ein Theil des Lehnsadels ihr Schwierigkeiten bereite, — sie nannte
»die öffentliche Meinung« als den Feind der Verträge, und gewisser-
maassen auch mit Recht: die Menge des Volkes litt, wenigstens
für den Augenblick, unter ihren Folgen. Die unverhältnissmässige
Wohlfeilheit der Producte in Japan hatte eine massenhafte Ausfuhr
veranlasst, und die daraus folgende Preiserhöhung einzelner Artikel
zog eine Vertheuerung aller übrigen nach sich. Dieser Umstand
drückte sehr hart auf die ärmeren Classen und besonders auf die
niederen Beamten, welche bei geringer Besoldung, — die auch
288 BestürzuDg bei Ankunft der Arkona. IV.
unter den früheren Verhältnissen nur genau für ihren I^ebensunterhalt
ausreichte, — ein gewisses äusseres Decorum beobachten müssen,
und jetzt gradezu Mangel litten. Dass dieser Zustand nur ein vor-
übergebender sein, dass der fremde Handel mit der Zeit dem Lande
sogar Vortheil bringen würde , konnten die Japaner nicht begreifen ;
wie hätten ,sie auch nach der langen Absperrung wohl Einsicht in
die Verhältnisse des internationalen Verkehrs haben sollen! Die
öflFentliche Meinung war wirklich der Aufschliessung des Landes
entgegen. Die fremden Gesandten wollten es nicht glauben und
setzten den dahin gehenden Aeusserungen der Regierung immer die
Behauptung entgegen, dass sie selbst überall und von allen Volks-
classen höflich aufgenommen würden. Der persönliche Verkehr
beweist aber nichts; wird sich das Verhältniss unter gesitteten
Menschen nicht auch in Feindesland immer freundlich gestalten?
Dass es auch UebelwoUende gab, mussten sie vielfach auf ihren
Spazierritten in Yeddo und der Umgegend erfahren, wo Mitglieder
der Gesandtschaften nicht selten von Trabanten der Da'imio's insultirt
und von lärmenden Volkshaufen belästigt wurden.
Die Ankunft des preussischen Geschwaders konnte also der
japanischen Regierung nicht angenehm sein. Die Arkona hatte kaum
auf der Rhede von Yeddo geankert, als mehrere Bunyo's des Aus-
wärtigen Amtes in grosser Bestürzung bei dem amerikanischen
Minister -Residenten erschienen und ihm Vorwürfe machten, »dass
er die Ankunft des preussischen Geschwaders nicht verhindert habe«.
Herr Harris entgegnete, dass dies gar nicht in seiner Macht ge-
standen hätte , dass er ausserdem von seiner Regierung angewiesen
sei die Zwecke der preussischen Gesandtschaft mit allen ihm zu
Gebote stehenden Mitteln zu fördern, und ihnen nur rathen könne,
den von der Krone Preussen gewünschten Vertrag abzuschliessen.
Der amerikanische Resident glaubte schon damals, dass einem
Handelstractate mit Preussen allein keine unüberwindlichen Hinder-
nisse im Wege ständen; ein Vertrag mit den Zollvereins -Staaten
und den Hanse -Städten aber schien ihm von vom herein immöglich,
da die Japaner unfähig sein würden, die handelspolitische Einheit
von Nord -Deutschland zu begreifen. Graf Eulenburg äusserte in
seinem Schreiben an das japanische Ministerium ausdrücldich, dass
er gekommen sei, einen Vertrag für Nord - Deutschland abzu-
schliessen; in der darauf erfolgten Antwort war aber gleich nur
von Preussen die Rede.
IV. Besuch bei dem Minister Ando-Tsus-sima-no-Kami. 289
Am 14. September gegen Mittag setzte sich der Zug des Ge- u. septbr.
sandten nach dem Palaste des Auswärtigen Ministers Ando-Tsüs-
sima-no-Kami in Bewegung; die Anordnung war die bei den übrigen
fremden Gesandtschaften übliche. Voran ging die Sänfte eines japa-
nischen Staatsbeamten, dann folgte die preussische Flagge mit einer
Wache von Seesoldaten , dann Graf Eulenburg selbst in dem grossen
NoRiMON des amerikanischen Gesandten , von acht Japaneni getragen.
Neben der Sänfte gingen seine beiden Diener, dahinter wurde sein
Pferd geführt; dann folgten einige Herren in kleineren Sänften und die
übrigen zu Pferde. Zehn Yakuninc marschirten zu beiden Seiten des
Zuges und hielten die zahlreichen Zuschauer ab, welche die Fremden
heiter und neugierig begafften. — Zunächst ging es durch einige
von Krämern und Handwerkern bewohnte sehr belebte Gassen,
dann durch ein vornehmes Stadtviertel, dessen breite Strassen öde
und einförmig sind* 'Bei der ersten Enceinte des TaYkün - Palastes
angelangt überschreitet man auf einer Pfahlbiiicke den breiten
Festungsgraben; drüben flankirt ein massiges Thorhaus, wie die
Ringmauer aus grossen polygonischen Blöcken gebaut, das einfache
hölzerne Portal. Innerhalb setzt sich das aristokratische Stadtviertel
fort, man passirt lange einsame Strassen, dann ein zweites dem
ersten ganz ähnliches Festungsthor. Eine dritte Ringmauer um-
schliesst die kaiserliche Burg. Der Wohn -Palast des Ando-Tsus-
sima-no-Kami liegt innerhalb der zweiten Enceinte ; der Weg dahin
hatte bei schnellem Schritt fast eine Stunde in Anspruch genommen.
Das breite Thor, vor welchem der Zug hielt, öffnet sich auf
einen kleinen Hof: gegenüber liegt- der Eingang zum Wohngebäude
des Ministers, wo der Dolmetscher MomvAMA den Gesandten
erwartete. Im Vorzimmer fand er die beiden ihm bekannten Bünyo's
Sarai -Oki- NO -Kami und Hori-Oribe-no-Kami; alle trugen das
Kamisimo, ein flügelartig die Schultern bedeckendes Festkleid. Der
Minister und ein ihm assistirender Reichsrath aus der Versammlung
der »Jungen alten Männer« begrüssten den Grafen stehend und
liessen sich das Gefolge präsentiren, welches dann einer Verabre-
dung gemäss in die Nebenzimmer verschwand. Nur Herr Heusken
und der Attache du jour von Bunsen blieben zurück. Sie nalunen
mit Graf p]ulenburg auf der einen Seite des Gemaches Platz, ihnen
gegenüber Ando-Tsus-sima-no-Kami und der assistirende Rath,
ein Mann von etwa dreissig Jahren und feinem, eiunehmenden
I. 19
290 Empfang und Bewirthung. IV.
Aeusseren. Auf einen dritten . Stuhl neben diesem setzten sich
abwechsehid die beiden Bünyo's , und in der Mitte kniete Moritama
auf dem Boden. Hinter dem Minister kauerten zwei Beamte, die kein
Schreibzeug hatten, aber aufinerksam zu horchen schienen. Vor
jedem der Stühle stand ein kleiner Tisch, wo geschmackvoll geklei-
dete Knaben Thee, Backwerk und Birnen auftrugen; sie schritten
lautlos und feierhch in tactartig abgemessener Bewegung einer hinter
dem anderen her, die lackirte Tasse in der Höhe des Kinnes tragend,
und setzten sie mit ehrerbietiger Verbeugung nieder; — so verlangt
es die Sitte des vornehmen Hauses.
Das Empfangszimmer gUch in seiner Einrichtung denen in
Akabane: helle Tapeten, feine Matten, geschliffenes Holzwerk, —
Alles auf das äusserste sauber und gepflegt, dabei einfach geschmack-
voll und nicht ohne vornehmen Anstrich; die nur für den Empfang
der Europäer aufgestellten Stühle und Tische w^en schwarz lackirt.
Zum Thee und nach der Collation rauchen die Japaner ihre kleinen
Pfeifen, deren metallener Kopf dem kleinsten Eichelnäpfchen gleicht;
mehrere Diener sind beständig mit dem Stopfen derselben beschäftigt
und reichen sie ihren Herren. Auf den Tischen stehen kleine Metall-
becken, worin unter weisser Asche Holzkohlen glimmen, denn jede
Pfeife dauert nur wenige Züge. Die Europäer halten sich an Manila-
Cigarren, und viele Japaner gewöhnen sich auch schon daran. —
Der Anzug des Ministers war sehr kleidend, eine Art Mantille von
schwarzem Krepp über dem kurzen seidenen Rock, die Farben des
Untergewandes und der Beinkleider nüchtern und anspruchslos. Sein
Benehmen konnte man ernst und feierhch nennen, aber nicht steif:
er wusste zu lächeln, wenn das Gespräch eine scherzhafte Wendung
nahm. Die Unterhaltung drehte sich anfangs um gleichgültige Ge-
genstände, den letzten Sturm, die preussischen Schiffe, die Ereignisse
in China, das Klima und die Erzeugnisse von Japan. Der Gesandte
gab dem Gespräche zuerst eine ernste Wendung, und die Unterre-
dung wurde nun ganz geschäftlich.
Der Minister entwickelte mit grosser Klarheit eine Uebersicht
der Handelsverträge, welche Japan nach zweihundertjähriger vöUiger
Isolirung in den letzten sechs Jahren abgeschlossen hatte. Die
öffentliche Meinung spreche sich so bestimmt gegen diese Verträge
aus, welche nach seiner Ansicht zum Wohle des Landes gedeihen
sollten, dass die Regierung kaum die eingegangenen Verpflichtungen
IV. Die Unterredung. 291
erfüllen, neue aber unter keiner Bedingung eingehen könne. Er hob
besonders die in Folge der starken Ausfuhr entstandene Theuerung
hervor: alle Schichten der Bevölkerung sähen mit Unruhe und Be-
sorgniss in die Zukunft. Die Regierung glaube zwar, dass sich das
Land in einem Uebergangsstadium befinde, und dass die durch den
fremden Handel bisher verursachten Uebelstände mit der Zeit ver-
schwinden würden; für den Augenblick aber sei die Gewalt der
öffenthchen Meinung unüberwindlich. Der Abschluss des Vertrages
mit Portugal beruhe auf einem der holländischen Regierung vor
längerer Zeit gegebenen schrifthchen Versprechen; mit Preussen
aber, das in Japan gekannt und geachtet sei imd mit welchem es
gern in freimdschaftUche Beziehungen treten würde, könne erst
dann ein Vertrag gemacht werden, wenn die öffentliche Meinung
sich beruhigt und berichtigt habe. Er gebe diese Erklärung mit
Bedauern, aber der Taikün befehle es so; der Gesandte möge seine
Regierung davon in Kenntniss setzen.
In seiner Erwiederung hob Graf Eulenburg zunächst Preussens
Machtstellung an der Spitze von Norddeutschland hervor, welche
sein Vaterland zu denselben Vortheilen berechtige, die Japan den
anderen Grossmächten bewilligt habe. Mit England, Frankreich,
Russland und Nordamerika seien Handelsverträge geschlossen worden,
und Preussen allein solle zurückstehen. Hätte Japan bei seiner
Absperrung beharrt, so würde man sich nicht beklagen; da es aber
mit allen grösseren Mächten in Verkehr getreten sei, die den Wunsch
danach ausdrückten, so könne Preussen in dieser Weigerung nur
ein Zeichen unfreundlicher Gesinnung sehen. Die japanische Regie-
rung habe Unrecht sich von der öffentlichen Meinung leiten zu
lassen; es sei im Gegentheil ihr Beruf dieselbe zu verbessern, sie
möge deshalb auf dem einmal für richtig erkannten Wege fortschreiten.
Auch ein grosses europäisches Reich habe sich Jahrhunderte lang
durch hohe Zölle gegen fremde Producte abgesperrt imd die öffent-
Hche Meinung sei dort dem freien Handel noch heute abhold; aber
der jetzige Herrscher hege die Ueberzeugung dass derselbe zum
Wohle seines Volkes führen werde, und verlasse deshalb jetzt das
alte System. Mit je mehr Nationen Japan Verträge mache, desto
schneller würden die Uebelstände schwinden. Man möge nicht
furchten, dass ein Vertrag mit Preussen schon in nächster Zukunft
eine sehr vermehrte Ausfuhr herbeiführen werde : die Norddeutschen
19'
292 Abschied. IV.
seien im Wesentlichen ein ackerbauendes Volk, ihre Handels-
beziehungen zu den überseeischen Ländern zwar in rascher £nt-
Wickelung begriffen, aber für jetzt noch nicht so ausgedehnt als
die von England, Holland und Nordamerika. — An die Mögliclikeit
einer Weigerung von Seiten der Japaner habe übrigens nach den
der holländischen Regierung gegebenen Zusagen, welche Preussen
zur Ausrüstung dieser Expedition veranlasst hätten, gar nicht gedacht
werden können , und sei der Gesandte für diesen Fall ohne Instruc-
tionen. Er müsse darüber an seine Regierung berichten und die
Antwort in Yeddo abwarten, bitte deshalb den Minister, seine
Ausführungen in ernste Erwägung ziehen und eine so wichtige
Angelegenheit nochmals dem Taikün vortragen zu wollen. — Ando-
Tsüs-siMA replicirte weitläufig, und betonte besonders, dass seine
Regierung ihre Bereitwilligkeit zum Abschluss von Verträgen durchaus
nicht von der grösseren oder geringeren Macht der fremden Völker
abhängig mache , — worauf ihn der Gesandte durch die Versiche-
rung beruhigte, er habe nicht Preussens Stellung zu Japan, sondern
zu den übrigen Grossmächten hervorheben wollen. Der Minister
erbat sich darauf noch Aufschluss über die beiden Ausdrücke
»Regent« und »Norddeutschland«, welche im Lauf der Unterredung
häufig gebraucht worden waren; der Gesandte klärte ihn über die
im preussischen Königshause damals obwaltenden Verhältnisse auf,
und versprach beim Anfange der Verhandlungen mit Hülfe einer
Karte nachzuweisen, was »Norddfeutschland« bedeute.
Ando-Tsüs-sima bat nun, die Sachlage in den nächsten Tagen
nochmals ausführlich durch die Bunyo*s auseinandersetzen lassen
zu dürfen. Das wollte Graf Eulenburg ablehnen, da er Alles voll-
kommen verstanden habe; der Minister erklärte aber nach dieser
Weigerung annehmen zu müssen, dass man nicht einmal geneigt
sei die Vorschläge der japanischen Regierung zu erwägen, worauf
der Gesandte seine Bereitwilligkeit aussprach, die Mittheilungen
der BüNYo's zu jeder Zeit entgegenzuehmen. So endete die drei-
stündige Conferenz, während deren die übrigen Herren des Gefolges
sich in den Nebenzimmern nur mit Theetrinken und Rauchen unter-
halten konnten. Das doppelte. Uebersetzen aus dem Japanischen
in das Holländische und weiter in das Deutsche und die ängstliche
Umständlichkeit der japanischen Dolmetscher erschweren die Ver-
handlungen sehr, dieser Process ist eine wahre Geduldsprobe. —
IVl Die BuNYo's in Akabane. Deputation der deutschen Kaufleutc. 293
•
MoRiYAMA bückte das Gesicht tief zur Erde wenn er den Worten
des Ministers lauschte, und erhob das Haupt nur wenig wenn er
zu ihm sprach. *
Den Rückweg machte die ganze Gesellschaft zu Pferde. —
Am achtzehnten kamen Sakai und Hori - Oribe nach Akabane
und wiederholten dem Gesandten nochmals in weitschweifigster
Breite Alles was der Minister gesagt hatte. Sie lasen fast ihren
ganzen Vortrag ab, und übergaben zum Schluss ein dickes japanisches
Actenstück mit holländischer Uebersetzung, worin Alles schön sorg-
sam geschrieben stand. Die Bunyo's sprachen viel von der Ver-
wirrung im j^^panischen Münzwesen und der Erhöhung der Preise
in Folge des Handelsverkehrs; nur die Kaufleute in Yokuhama seien
mit der Anwesenheit der Fremden zufrieden, und diese verhielten
sich zur Gesammtbevölkerung des Reiches wie ein Sandkorn zum
Berge Fusiyama. Die von ihnen entwickelten national -öconoraischen
Grundsätze waren übrigens, so kindlich, dass dem Gesandten die
Hoffnung schwand seine Auseinandersetzungen verstanden zu sehen. —
Nach Beendigung der Geschäfte liessen es sich die Herren beim
Frühstück wohl sein, wurden sehr fröhlich und zutraulich und
betheuerten wiederholt, wie sehr es sie schmerze die Ueberbringer
solcher Eröffnungen zu sein. —
Dass es übrigens der japanischen Regierung mit der Be-
schränkung des Verkehrs und Femhaltung aller nicht den Ver-
tragsmächten angehörigen Fremden Ernst sei, hatte sie
schon vor Ankunft des preussischen Geschwaders bewiesen. Die in
Yokuhama ansässigen deutschen Kaufleute standen anfangs meist
unter englischem Schutze; nicht lange, so erfuhren die einhei-
mischen Behörden, dass sie keine Engländer seien, und erklärten
plötzlich ein solches Verhältniss für unzulässig. Alle Deutschen
sollten das Land räumen, und der Gesandte von Grossbritannien
konnte ihnen nur mit Mühe eine Frist zur Abwickelung ihrer Geschäfte
auswirken. Bei der Ankunft der Arkona hatten sie schon alle Anstalten
zur Abreise getroffen und wandten sich nun an den Grafen Eulen-
burg, welcher Sonntag den 16. September eine Deputation derselben i6. septbr.
an Bord der Arkona empfing. Nach Yeddo durften europäische
Kaufleute überhaupt nicht kommen, und die japanische Regierung
beklagte sich sogar über den Empfang der Deutschen auf der
Arkona, — sie waren am vierzehnten Morgens mit der Thetis
294 Beschwerde der japanischen Regierung. IV.
herübergekommen und kehrten am siebzehnten mit dem Proviantboot
nach YoKüHAMA zurück. Graf Eulenburg enviederte dass die Kriegs-
schiffe preussischer Grund und Boden seien, womit die Sache
abgethan war. Er veranlasste die Deputation zu Abfassung einer
Denkschrift über die Aussichten des deutschen Handels in Japan. —
unsere Landsleute blieben für jetzt ungestört in Yokuhama.
V.
YEDDO.
VOM 19. SEPTEMBER BIS 2. OCTOBER.
O-Yeddo, »das grosse Yeddo« — so nennt es der höfliche Japaner
aus der Provmz dem Bewohner der Hauptstadt gegenüber — bedeckt
mit seinen Vorstädten einen grösseren Flächenraum als London. Ein
breiter Fluss, der 0-gava — Grosse Fluss — strömt von Nordwesten
nach Südosten hindurch und theilt die Stadt in zwei ungleiche
Hälften. Die nördliche ist ganz flach und wird östlich von einem
kleineren, dem 0-oava fast gleichlaufenden Flüsschen begrenzt;
die weit grössere südliche Hälfte ist nur in ihrem nordöstlichen
Theile, am Ufer des 0-gava eben, sonst überall mit Hügelreihen
durchsetzt. Den Stadttheil nordöstlich vom 0-gava, das Hondzo,
bewässert ein Netz von zahlreichen Canälen, welche die beiden
Flüsse mit einander verbinden; auch das südöstliche Yeddo ist
reich an Wasserläufen, natürlichen und künstlichen, die theils den
Abfluss der verschiedenen Thalsenkungen bilden, theils aus dem
0-GAVA gespeist werden. Dieser Strom ist etwa so breit wie die
Elbe bei Dresden, aber wasserreicher, und in seinem Lauf durch
die Hauptstadt von vier mächtigen Pfahlbrücken überspannt.
Etwa eine Viertelmeile vom 0-gava zieht sich ungefähr ihm
parallel die erste Hügelkette hin, auf deren höchster Erhebung
in ausgedehnten Park- und Gartenanlagen die Paläste des Taikün
und des Thronfolgers hegen. Sie sind von einer Ringmauer mit
breitem tiefem Wassergraben umschlossen; acht Brücken und Dämme
mit befestigten Thoren bilden die Zugänge. Die Ringmauer aus
grossen polygonischen Blöcken setzt sich um das sogenannte Siro —
das Schloss, — und weiter um das Soto- Siro — die Umgebung des
Schlosses — in unregelmässiger Spirale fort und tritt endlich bei
der zweiten Pfahlbrücke, von oben gezählt, an den Grossen Fluss
heran; sie ist überall von breiten Wassergräben begleitet, die mit
29b Das SiRo und das Soto-Siro. Das Haudclsquarticr. V.
dem O - GAVA und dein Festungsgraben des höher gelegenen Taikün-
Palastes durch ein kiinstliclies Schleusensystein in Verbindung zu
stehen scheinen. In allen Canälen der niedrig gelegenen Stadttheile
und in den zahlreiclien in sie mündenden Abzugsgräben steigt und
fallt das Wasser mit der Ebbe und Fluth; die letzteren werden zur
Ebbezeit meist ganz trocken.
Das SiRO umschliesst die Paläste der kaiserüchen Titular-
brüder, des Gouverneurs von Yeddo und anderer Hoch Würden-
träger. Das SoTO-SiRO besteht in seinem nordwestlichen und süd-
lichen Theile fast ganz aus den Yamaske's von Da'imio's und hohen
Beamten, nur wenige Strassen werden von Krämern und Hand-
werkern bewohnt; nordöstüch verläuft es sich aber in das grosse
llandelsquartier, welches fast den ganzen ebenen Raum zwischen
dem Schloss und dem 0-üava ausfüllt. Von einer »dreifachen
Ringmauer« kaim streng genommen nicht die Rede sein; die in-
nerste Enceinte des Taikitn -Palastes ist nur südöstlich von dem
SiRO, an allen anderen Seiten aber von dem Soto-Siro begrenzt,
das gegen Nordosten offen ist. Das SiRo dagegen ist gegen das
Soto-Siro vollständig abgeschlossen, und man muss allerdings
eine dreifache Mauer passiren, um von Süden oder Norden kom-
mend durch das Soto-Siro und das Siro nach dem Taikün- Palaste
zu gelangen.
Das grosse Stadtviertel zwischen dem Schloss und dem Fluss
ist der Mittelpunct von Handel und Wandel xmd von mehreren
Canälen durchschnitten. - lieber einen derselben führt die »Brücke
vonNippoN« — Nippon-Basi, — von wo alle Entfernungen im ganzen
Lande gemessen werden. Sie ist der Endpunct des Tokaido, der
grossen Ileerstrasse vom Westen und Süden des Reiches; eine
andere führt von hier nacli dem Norden von Nippon. Der Tokaido
ist die einzige breite Strasse dieses sehr bevölkerten und von Kauf-
leuten aller Art bewohnten Stadttheiles , — alle übrigen sind
eng; jedes Ilaus ist ein Laden, die meisten zweistöckig, doch pflegt
das obere Stockwerk nur niedrig zu sein und zum Aufbewahren
der Kaufmannsgüter und Fabricate zu dienen. Am 0-gava und
den in ihn mündcuiden (Kanälen liegen ganze Reihen feuerfester
Pack- und Lagerhäuser, und auch in den Strassen sieht man viele
feuerfeste Gebäude. — Dieses Stadtviertel bildet mit dem Schloss
und seiner Umgebung den eigentlichen Kern der Hauptstadt, liier
ist jedes Fleckchen bewohnt. In den angrenzenden Stadttheilen
V. Die Vorstädte. Die Rhede von Yeddo. 297
ringsum wechseln die stark bevölkerten Quartiere der Krämer uud
Handwerker mit weitläufigen Tempelanlagen und den Grundstücken
einzelner Daimio's. Erstere liegen meist auf den Höhen, beschattet
von immergrünen Gehölzen, umgeben von ausgedehnten Friedhöfen,
und auch die Grundstücke der-Grossen umschliessen hier prächtige
Park- und Gartenanlagen. Ueberall sieht man Grünes, fliessendes
Wasser und die mannichfaltigsten Bauten. Die Vorstädte dehnen
sich nach allen Richtungen weit in das Land hinaus und haben
schon manches Dorf verschlungen; man kann den Hauptverkehrs-
adern folgend noch meilenweit zwischen zusammenhängenden Häu-
serreihen wandern, gelangt aber durch die Nebenstrassen bald in
die lachendste Landschaft; Acker- und Gartenbau ziehen sich hier
und da bis mitten in die volkreichsten Quartiere, so dass die Grenzen
der Stadt schwer zu bestimmen sind.
Die Uferünie von Yeddo gegen das Meer ist unregelmässig
halbkreisförmig, das Wasser so seicht, dass Schiffe von zwanzig
Fuss Tiefgang mindestens fünf Seemeilen von der Küste ankern
müssen. Bis zwei Meilen vom Ufer beträgt die Tiefe nur zwei bis
drei Fuss; zur Zeit der Ebbe liegen ganze Strecken trocken, und
selbst für Boote geringer Grösse ist das Fahrwasser scliwer zu
finden. Der Boden ist ein lehmiger unergründlicher Schlamm, durch
den Wechsel von Ebbe und Fluth beständig aufgerührt, daher das
Wasser trübe und schmutzig, mit Ablagerungen ,' welche die beiden
Flüsse zuführen, geschwängert und sehr fischreich. Hier und da
stehen verwitterte Pfähle, von denen gierige Cormoranten starren
Blickes ihrem Raube lauem. Wenige Fischerboote beleben diesen
Theil der Rhede, die ganze Scene hat etwas Oedes und Wüstes.
Etwa drei Seemeilen vom Ufer hegen einige alte Schiffe, nach
europäischem Muster in Japan ge])aut, in trübseUgem Zustande,
halb abgetakelt und ganz unbrauchbar, und selbst die von der
Königin von England 1858 geschenkte Dampfyacht erscheint äusserUch
alt und verbraucht, weil die Japaner als unverbesserhche Hasser
jeden Anstriches gleicli nach der Uebergabe alle Farbe abgekratzt
haben. Dagegen sehen alle japanischen Dschunken, die niemals
angestrichen werden, so sauber und neu aus wie blank gescheuerte
Böttichcrwaare. Die meisten ankern in der breiten Mündung des
O-OAVA, wohin längs der Nordseite der Bucht ein schmales Fahr-
. Avasser von germger Tiefe führt. Jenseit der ersten Pfahlbrücke
scheint der Fluss nur für Kähne schiflT)ar zu sein.
298 Die Forts. Der Lauduugsplatz der Fremden. V.
Das seichte Wasser gewährt an sich der Hauptstadt grosse
Sicherheit gegen einen Angriff zur See; zum Ueberfluss hat aber
die Regierung noch fiinf mächtige Forts hineingebaut, die, an der
Südspitze der Stadt etwa zwei Seemeilen vom Lande beginnend, in
ihrer Front eine gekrümmte Linie nach Osten bilden. Sie sind auf
eingerammtem Pfahlrost massiv aus Quadern erbaut, oben mit grünen
Wällen versehen von denen schweres Geschütz herabschaut, jedem
Bootsangriff Trotz bietend, aber gegen die gezogenen Schiffscanonen
unserer Zeit auf die Länge unhaltbar. Sie beherrschen nur etwa
den dritten Theil der Breite, die westliche Seite der Bucht, imd
könnten östlich leicht umgangen werden; aber hier säumt eine
lange Reihe von Strandbatterieen das Ufer, welche den Geschützen
auf der Rhede ankernder Kriegsschiffe unerreichbar sind und ge-
schickt bedient wohl den heftigsten Bootsangriff abweisen könnten.
Die Forts müssten genommen werden imi Yeddo von dieser Seite
anzugreifen, und würden, gut vertheidigt, dem Feinde blutige
Arbeit kosten.
Bei Annäherung von der Rhede ahnt man die grosse Stadt
nicht; die Häuserreihen am Ufer sind unbedeutend und von Gärten
und Rasenterrassen vielfach imterbrochen, die wenigen Höhen grün
bewachsen und mit zerstreuten Gebäuden besät, der Eindruck ist
vielmehr ländlich. Die Bewohner von Yeddo selbst haben wenig Ver-
kehr mit der Rhede , ihre Dschunken laufen in den O - ga va ein. Für die
Fremden — die Bewohner der Legationen und die Marine -Officiere —
hat man einen Landungsplatz besonders gebaut, mit massiven Boll-
werken und Treppen und einem geräumigen Hof, wo sie ihre Habselig-
keiten ausladen und in Ruhe die Pferde und Sänften besteigen können,
Alles sehr zweckmässig und bequem. Hier harren ihrer in einem
Wachthause beständig Dolmetscher und Yaküninc, welche sie an
die Gesandtschaften abzuliefern haben; auch Boote nach den Schiffen
liegen zu massigen Preisen bereit. — Von diesem Hofe öffnet sich
ein breiter schwarzer Thorweg auf die grosse Heerstrasse, den
ToKAiDO, der hier das Meeresufer berührt und nach links eine
Strecke hart am Strande, dann weiter durch die Vorstädte Sinagava
und Omagava läuft. Dem Thorweg grade gegenüber hegt die Strasse
welche nach Akabane fuhrt; nach rechts wendet sich der Tokaido
nördlich in das gewerbliche Viertel dem Mittelpuncte der Stadt zu,
eine grade, breite Strasse von unabsehbarer Länge. Alle acht-
hundert Schritt weit stehen Thorwege, welche bei Unruhen und
V. Die Strassen des Handelsquartiers. 299
Feuersbrünsten, und in aufgeregten Zeiten jede Nacht geschlossen
werden, eine Einrichtung die durch ganz Japan in allen Strassen
und Gassen bestehen soll. An jeden Thorweg lehnt sich ein
Wachthaus — das Bureau der Strassenpolizei , wo die Kasira*s
die Wache beziehen, — und aus seinem Dache ragt ein hohes Leiter-
gerüst, von wo besonders bei Nacht nach Feuersbrünsten gespäht
und das Lärmzeichen mit der Glocke gegeben wird. Die Anzahl
und Anordnung der Schläge zeigt den Bewohnern gleich die Ent-
fernung und Grösse des Brandes an.
Viele Häuser dieses Stadttheiles, wo die wohlhabendsten Kauf-
leute wohnen, sind feuerfest. Sie haben dicke um Bambuspfosten
gefugte Lehmwände und einen Ueberzug von feinem Stuck. Ihre
Farbe ist gewöhnlich schwarz , zuweilen auch weiss , der Stuck von
so glänzender Oberfläche, alle Ecken und Kanten so scharf und
winkelig dass man polirten Marmor zu sehen glaubt. Die dicken
Fensterläden haben einen Ueberzug von derselben feuerfesten Masse/
und schliessen hermetisch, das Dach besteht aus dichtgefugten
schweren Ziegeln. Diese Häuser sind theils das Privateigenthum
Einzelner, theils das gemeinsame einer ganzen Reihe von Haus-
wirthen , die bei den rasch um sich greifenden Feuersbrünsten meist
nur Zeit haben ihre besten Habseligkeiten dahin zu flüchten; die
Häuser werden dann verschlossen, von aussen noch mit nassen
Strohmatten gesichert und ihrem Schicksal überlassen, eine Art
riesiger Geldschränke, die vortreffliche Dienste leisten und trotz
der furchtbaren Gluth der japanischen Brände -r- wo Alles nur
Holz und Papier ist — ihren Inhalt unversehrt bewahren sollen. —
Die Häuser dieses Stadtviertels stehen zwar regelmässig in einer Reihe,
aber bald mit dem Giebel , bald mit der Seitenfront nach der Strasse
gewendet; sie sind bald höher, bald niedriger*, nach unseren Begrifien
aber durchgängig klein, und immer nur für eine Familie eingerichtet.
Die meisten haben Ziegeldächer, manche von den einstöckigen
Häusern auch Schindeldächer. Erstere sind von sehr künstlicher
Bauart, die Ziegel sorgfältig geformt und gebrannt, dunkelgrau,
und mit gleichfarbigem Mörtel zu einer festen Masse verkittet. Ein
hoher schwerer Balken bildet die Dachfirst und läuft in reich ver-
zierte breite Stirnziegel aus, von denen sich zwei dicke Wülste über
die Dachfläche hinablegen. Die Ziegel sind von mannichfacher
Form und Grösse, man könnte den ganzen Dachstuhl einen Bau aus
Formsteinen nennen; diejenigen, welche die eigentliche Dachfläche
300 Ladenzelchcii und Aushängeschilder. V.
bilden, von zweierlei Art, cylindrisch runde und concave, die in
Reihen mit einander abwechseln wie die sogenannten Mönche und
Nonnen mittelalterlicher Gebäude in Europa. Zuweilen sind die Dach-
steine des Firstbalkens und der von da herablaufenden Wülste mit
schneeweissem Mörtel sehr sauber zusammengefügt, — es sieht auf
dem schwärzlichen Grunde aus wie ein Spitzenmuster. Die Häuser
des ToKAiDO haben meist einfache Dächer von graden Linien; bei
grösseren Gebäuden — Tempeln, Thoren und dergleichen — ist
der Dachstuhl sehr complicirt, die Linien nach allen Seiten
geschweift. Bei den Schindeldächern liegen die einzelnen sehr
dünnen Holzplättchen in mehreren Lagen wie dichte Schuppen
aufeinander, §o dass man kein Ritzchen gewahrt; die Arbeit ist
zugleich zierlich, fest und elastisch, und widersteht, olme mit
Steinen beschwert zu sein, jedem Regen und Sturm.
Das Colorit der japanischen Strassen ist einförmig: schwarz-
graue Dächer, hier und da mit weisser Spitzenverzierung, feuer-
feste Häuser von schwarzem oder weissem Stuck; alles Ucbrige ist
Holzwerk, dessen natürUche Farbe vom hellen Gelb des frischen
Tannenholzes durch alle Nuancen' des Roth- und Schwarzbraunen
bis zum verwitterten Grau wechselt. Vor vielen Kaufläden hangen
braunrothe oder indigoblaue Gardinen herab; nur die vielgestal-
tigen Aushängeschilder, welche deren Bestimmung meist sjanbo-
lisch anzeigen und dem Fremden eben so unverständlich sind als
die sie begleitenden Schriftzeichen, glänzen in bunten Farben.
Hier winkt ein frei in der Strasse stehender Kobold in den Spiel-
zeugladen, dort baumelt ein gigantischer Fächer, bunte Fahnen
wehen von langen Bambusstiingen; vor den grösseren Kaufhäusern
aber steht meist ein hohes Balkengerüst, von dem unter zierhch
geschnitzter Bedachung ein langes Schild mit goldener oder rother
Inschrift auf buntem Grunde herabhängt; zuweilen thront auf dem
Firstbalken ein phantastisch geschnitzter Drache mit geringeltem
Schuppenschweif. Die wenigen grellen Farben beleben angenehm
den nüchternen Gnmdton, der Eindruck des Ganzen ist durchaus
harmonisch.
Viel umfangreicher als alle anderen Häuser des Tokaido sind
die Seidenhandlungcn. Die ganze Front des unteren Stockwerkes ist
nach der Strasse zu offen und nur gegen die Sonne durch blaue
Gardinen verhängt, auf denen die Firma in grossen weissen Schrift-
zügen prangt. Den Kstrich l)edecken, wie überall, feine Matten,
V. Seidenhandlaiigen. WafTenschmiedc. 301
auf denen viele jugendliche Commis kauern, einige mit den Büchern
beschäftigt, andere den vor ihnen sitzenden Kunden die Waare
vorlegend. Vornehme Käufer werden in das obere Stockwerk ge-
führt. Das untere bildet eine weite, tiefe Halle, deren Decke viele
Ilolzpfosten tragen: Waare ist nirgend zu sehen und wird erst auf
Verlangen aus den Kasten und Fächern hervorgeholt. Man findet
hier schöne Crepps und schwere geblümte Stoffe, femer feingestreifte
Zeuge in milden graublauen und bräunUchen Nuancen, welche dem
europäischen Geschmack zusagen würden. Aber die Stücke sind
von sehr geringer Breite und nur zwanzig bis dreissig Fuss lang,
wie sie wohl zu japanischen, aber nicht zu europäischen Frauen-
kleidern ausreichen, und man findet selten zwei von ganz gleichem
Muster. Das Gewebe ist fest und gleichmässig, aber meistens ohne
Glanz, und sieht daher sehr anspruchslos, oft bei den kostbarsten
Stoffen wie Baumwolle aus.
Alle übrigen Kaufläden sind kleiner als die Seidenhandlungen,
bieten aber fast durchweg Gegenstände von grossem Interesse. Bei
den Waffenschmieden findet man lange und kurze Schwerter aller
Art m grösster Mannichfaltigkeit der Klingen, Hefte und Scheiden,
kein einziges, bei feststehender Grundfonn, dem anderen ganz
gleich. Das japanische Schwert kann vielleicht für die schönste
Hiebwaffe gelten; die Klinge ist wuchtig und leicht gekrümmt,
das Heft mit Rochenhaut überzogen und darüber oft mit dicken
seidenen Schnüren beflochten, das ovale Stichblatt von Eisen, die
Scheide von Holz und mannichfach verziert und beschlagen. Am
reichsten sind der Knauf und das Stichblatt gearbeitet, theils er-
haben und kunstvoll ciselirt, theils gravirt und mit Gold , Silberund
bunten Legirungen eingelegt, bald in verschlungenen Linearmotiven,
bald in charaktervoller Darstellung von Blättern, Blumen, Masken,
Ilausrath, von Menschen- und Thiergestalten. Meistens wird die
eingelegte Arbeit mit der gravirten und erhabenen verbunden, und
man sieht vollständige Genrebilder, ja ganze Landschaften im klein-
sten Raum. Aehnliche Verzierungen sind auf beiden Seiten des
Heftes befestigt und unter den Seidenschnüren oft halb verborgen.
In den Scheiden der kleineren Schwerter steckt unterhalb des Stich-
blattes gewöhnlich ein kleines Messer mit verziertem Metallgriff:
darunter sitzt ein metallener Buckel durch welchen eine seidene
Litze gezogen ist, — eine Art Portepee wie es scheint, — die keinen
praktischen Nutzen hat. Der Lack der Scheide ist bald schwarz,
302 Japanische Schwerter. Rüstungen. V.
bald farbig oder gestreift, genarbt, bald matt, bald glänzend, immer
hart und dauerhaft. — Das grössere zweihändige Schwert der Samrai
heisst Katana, das kürzere Wakisasi. Häufig werden diese in
Paaren gefertigt, so dass die Knäufe, Stichblätter und alle übrigen
Garnituren dieselben sind; die Meisten tragen sie aber verschieden-
artig. Die kleineren Schwerter oder Dolche haben vielfach keine
Stichblätter; diejenigen der Ackerbauer und privilegirten Kaufleute
sind dem Wakisasi sehr ähnlich. Der Japaner trägt seine Schwerter
fast durchgängig im Gürtel; nur wenige der grösseren haben Gehenke,
und scheinen so nur zur vollen WaflFenrüstung geführt zu werden.
Den grössten Werth legt man auf die Klingeif : namentUch alte von
berühmten Meistern werden geschätzt und oft mit Tausenden be-
zahlt. Die Schneide ist von grosser Härte und nimmt einen vorzüg-
Uchen Schliff an, der Rücken besteht aber aus weichem Eisen: so
kommt es denn dass sie die Probe europäischer KUngen nicht aus-
halten, und einmal gebogen — was freihch bei der grossen Dicke
nicht leicht vorkommt — in krummer Linie stehen bleiben. Viele
haben eine flammige Oberfläche, man sieht wo der Stahl an das
Eisen ansetzt. Die Cementirung der Schneide scheint besonderer
Gegenstand der Sorgfalt zu sein; darüber giebt es ausführUche
Werke mit Abbildungen, deren Text uns leider noch nicht zugängUch
geworden ist. Manche der werthvollsten Klingen sind über und
über mit krisehgen Aetz- oder Rostflecken bedeckt').
In anderen Läden werden Helme, Kriegsmasken und ganze
Rüstungen feil geboten. Letztere sind gewöhnUch aus starkem
Leder und Bambus, mit lackirtem Metall überzogen, und bestehen
aus vielen einzelnen Stücken, die mit dicken seidenen Schnüren
beflochten und zusammengelascht werden. Jede vornehme Famihe
hat ihre Farbe welche auch die Vasallen und Trabanten tragen:
so füliren die Minamoto schwarzes Geflecht, die Taira purpurnes,
die FuDsiwARA blassgelbes. Die Kriegsmasken sind ebenfalls von
^) Herr von Siebold beschreibt die Cementinmg der japanischen Klingen folgender*
maassen: »Die aus gutem Stabeisen geschmiedeten Klingen werden mit einem Teig
aus Pottasche, Thon- oder Porcellanerde und Kohlenpulver überzogen und an der
Sonne getrocknet, hierauf dem Feuer ausgesetzt und so lange erhitzt bis die Cement-
masse eine weisse Farbe annimmt. Die glühende Klinge wird nun in lauwarmes
Wasser, das aus ^ siedendem und \ kaltem erhalten wird, getaucht und allmälich
abgekühlt. Ofl erhitzt man bloss die Schneide der Klinge und dann geschieht die
Abkühlung in kaltem Wasser.«
V. Bogen und Pfeile. 303
Leder und Eisen, sehr künstlich aus verschiedenen Stücken geglie-
dert, und geben der Muskelbewegung freies Spiel. Der Kriegsfacher
hat ein eisernes Gestell und scheint im Handgemenge als Streit-
kolben zu dienen. Der Helm ist sturmhaubenartig, mit einer Krempe
versehen, inwendig Leder, aussen Metall, bald silberglänzend, bald
stahlblau mit blanken Buckeln und Bügeln. Vorn sitzt zuweilen
eine Metallverzierung von phantastischer Zeichnung, und in den
obersten Knopf werden Federn oder sonstiger Zierrath gesteckt; eine
Helmdecke von schwerem kostbarem StoflF, häufig reich gestickt, fallt
den Nacken und die Schläfen verhüllend auf die Schultern herab. ~
In Friedenszeiten legen die Daimio's und hohen Staatsbeamten ihre
Rüstung nur bei Feuersbrünsten an, wo sie die Pflicht haben zu Pferde
zu erscheinen und die Löschanstalten zu leiten. Die eigentliche
Kriegsrüstung soll schwerer sein, sieht aber den Abbildungen nach
der gewöhnlichen ganz gleich. Zur vollen Rüstung gehört auch ein
Sturmfahnchen, ganz ähnUch denen auf alten heraldischen Darstel-
lungen des Westens; es wird durch zwei am Rückenhamisch an-
gebrachte Oesen gesteckt imd weht über dem Haupte des Kriegers,
dem namentUch die Maske ein sehr grimmiges Ansehn giebt.
Sehr zahlreich sind die Läden w^o Bogen und Pfeile verkauft
und verfertigt werden, denn das Lager ist vielfach zugleich Werk-
stätte. Die grössten Bogen haben sieben Fuss Länge und im un-
gespannten Zustande eine starke Krümmung nach aussen, — nur
der kräftigste Arm vermag die Sehne ganz auszuziehen, — ihre
Schnellkraft ist unglaubHch. Der japanische Bogen besteht der
Dicke nach aus drei Lagen: inwendig zähes Holz, auf jeder Seite
ein Streifen Bambus. Viele sind schwarz oder roth lackirt und in
Zwischenräumen mit Rotangbändem umwunden, von vollendeter
Arbeit und Güte, ebenso die Pfeile aus dünnem Bambusrohr, das
mit Oel getränkt und über dem Feuer gebräunt und gehärtet wird.
Solcher Pfeil springt bei der grössten Dünne niemals. Die Befie-
derung besteht aus Adlerfedern und ist dreireihig, die Spitze von
Eisen und je nach dem Zweck — zum Scheibenschiessen, zur
Jagd u. s. w. — verschiedenartig geformt. Das Bogenschiessen
wird in Japan von jedem Alter und Geschlecht mit Leidenschaft
und grosser Virtuosität geübt , es giebt Bogen und Pfeile von allen
Dimensionen, sogar kleine Miniaturbogen, die, in vier Stücke zer-
legt, mit BequemUchkeit in der Tasche getragen, und namentlich von
jungen Mädchen zum Scheibenschiessen im Zimmer benutzt werden.
304 Sattler. Y.
Viele besitzen darin eine Geschicklichkeit, mit der sich nur unsere
besten Pistolenschützen messen können. Diese kleinen Bogen und
namentlich die dazu gehörigen Pfeile sind wahre Meisterstucke von
Genauigkeit und Eleganz.
Bei den Sattlern findet man statt des Leders fast nur Holz und
Papier; die Japaner wissen dem letzteren solche Festigkeit zu geben,
dass es das Leder in den meisten Anwendungen ersetzt und dem
Wasser fast noch besser widersteht. Das Sattelzeug ist eben so
eigenthümhch als unbequem , ein schmaler Bock aus lackirtem Holz,
auf dem ein dünnes hartes Kissen liegt. Die Steigbügel hangen an
wnilstigen Riemen — diese allerdings, wo die Schnalle greift, von
Leder — imd sind von unglaublich plumper Form, schwere bronzene
Schuhe mit einer senkrechten Verlängerung nach oben, die bis zur
Mitte des Schienbeines reicht und dort einen unerträglichen Druck
übt. Die Japaner sitzen mit den Knieen weit nach vorn und halten
sich mit ausgebreiteten Armen an den Zügeln fest, dennoch ist es
unbegreiflich, wie sie in ihren dünnen Beinkleidern einen Druck aus-
halten, der uns in Stulpstiefeln auf weiten Ritten oft lahm machte.
Unter dem Sattel hängt auf jeder Seite ein breiter Deckel aus Leder-
papier herab, so dass man mit den Schenkeln das Pferd nicht berüh-
ren kann; die Japaner gebrauchen die ihren gar nicht, die ungefiigen
Steigbügel und Seitendeckel machen das ganz unmöglich ; sie hal)en
auch keine Sporen und reiten immer mit dem Stock. — Kopfzeug,
Zügel, Gurte und Schwanzriemen sind von Baumwolle, bei den
Vornehmen von Seide; der Schwanz steckt in einem Ueberzug
von demselben Stofl*. Das Gebiss bildet eine Art scharfer Trense
und geht auf den Seiten des Maules durch zwei Ringe oder durch-
bohrte Platten, mit denen der Unterkiefer scharf eingeklemmt werden
kann. Die Paradesättel glänzen von buntem und goldenem Lack,
sowohl das Holzwerk als die Kissen, Deckel und Riemen; die Steig-
bügel sind mit Silber eingelegt, der Zaum, das Vorder- und Hinter-
zeug von schwerem Seidengeflecht mit reichen Franzen. Vom Gebiss
geht zu jeder Seite eine dicke seidene Leine aus, die, wohl zwanzig
Fuss lang, von den das Pferd führenden Stallknechten in vielen
Windungen um Leib und Schultern geschlungen wird*). — Die
2) Ein ausnehmend schönes Pwadegeschirr ist von den japanischen Gesandten,
welche im Sonuner 1862 in Berlin waren, im Namen des TaIkün Seiner Majestät
dem Könige üben'eicht und von Allerhöchstdcmselben dem königlichen Museum über-
wiesen worden , wo 68 in den Räumen der Ethnographischen Sammlung aufgestellt ist.
V. Hut- und Schuhläden. 305
Packsättel sind sehr künstlich und zweckmässig eingerichtet; oben
auf der Ladung bleibt ein bequemer Sitz für den Führer oder Rei-
senden, — denn reiten dürfen nur die Samrai.
In den Hutläden sieht man die sonderbarsten Kopfbedeckungen.
Der Japaner geht meistens baarhaupt und trägt den Hut nur zum Schutz
gegen Sonne und Regen. Die gewöhnhchste Form ist tellerartig wie
die Strohhüte von Nizza, und eben so breit, aus dünnem Holze,
aussen schwarz, inwendig oft roth lackirt, mit phantastischem Muster
in Goldlack, Vögeln, Fischen, Drachen, Wolken und Meereswogen.
Andere Hüte sind aus gepresstem und lackirtem Lederpapier, eben-
falls rund, aber zusammenzuklappen wie ein Claque, wieder andere
von feinem Korbgeflecht. Die Landleute , Bergpriester und Nonnen,
und die Reisenden aus dem Volke tragen einen breiten, muldenför-
migen Hut mit niedergebeugter Krempe , der gegen Sonne und Regen
vollständigen Schutz bietet und fast das ganze Gesicht versteckt.
Die Vorrichtung zum Festbinden ist bei allen Hüten sehr umständlich,
denn der wohlgeglättete Haarschopf darf nicht aus der Fagon ge-
bracht werden; deshalb liegen unter dem Teller zwei dicke Wülste
zwischen welchen der flachgelegte Schopf unberührt bleibt, während
zu beiden Seiten breite Backenbänder herablaufen, die unter und
vor dem Kinn sehr künstlich und ungeschickt verknotet werden.
Die Fussbekleidung ist einfach: Sandalen aus Stroh oder
feinem Binsengeflecht — je nach dem Range, — vielfach mit Sohlen
von dickem Leder und einem flachen Stück Eisen unter der Ferse.
Von der Spitze aus laufen zwischen dem grossen imd dem zweiten
Zehen nach den Seiten zwei rundgenähte Lederbänder, welche die
Sandale am Fusse festhalten. Demgemäss haben auch die genähten
Strümpfe, welche bei kühlem Wetter getragen werden, eine beson-
dere Abtheilung für den grossen Zehen. Bei schmutzigen Wegen
trägt man Holzpantinen mit hohen Absätzen unter Ballen und Ferse.
Kleiderhandlungen, deren es in allen chinesischen Städten so
viele giebt, sahen wir in Yeddo nicht; man scheint sich nach alter
guter Sitte seinen Rock beim Schneider zu bestellen. Die Samrai
würden fertige in der That nicht brauchen können , da ihr Wappen
oder das ihres Lehnsherrn vor dem Nähen in den Stoff eingefärbt
werden muss'). Der Schnitt ist übrigens so einfach, dass die
*) Die Art , wie diese Wappeu und andere Muster eiugefarbt werden , scheint in
Europa wenig bekannt zu sein. Man zeichnet mit einer harzigen Flüssigkeit auf den
noch ungefärbten Stoff, der dann in die Fai-be geworfen wird. Die von jenem Firniss
I. 20
30G Fächer- und Pfeifenläden. y.
meisten Kleidungsstücke wahrscheinlich im Hause von dem weib-
hchen Theil der Familie verfertigt werden; man sieht die Frauen
und Mädchen vielfach mit Näharbeiten beschäftigt.
In den Fächerläden findet man dieses allerunentbehrlichste
Geräth des Ost- Asiaten in unendlicher Mannichfaltigkeit, gross und
klein, schwer und leicht, fein und grob. Das Gestell ist aus
Bambus, die Bekleidung Papier, weiss, schwarz und buntfarbig,
mit Goldsprenkeln, bedruckt imd bemalt, von der saubersten
Arbeit. — In anderen Läden werden Sonnen- und Regenschirme
verkauft; ihr Gestell ist ebenfalls ganz von Bambus, der Ueber-
zug von geöltem Papier, bald weiss, bald blau oder grau, auch
diese Arbeiten von erstaunücher Nettigkeit und unglaublich wohlfeil :
ebenso die Regenmäntel aus geöltem Papier, die,- vollkommen un-
durchdringlich und haltbar, nur einen Itsibu — einen halben Thaler
kosten. Eine besondere Art Regemnäntel tragen die Landleute: sie
sind aus feinem Stroh geflochten, das aussen lang herabhängt wie
dichtes Haar. Solch Bäuerlein mit dem pilzförmigen Regenhut mid
dem Strohmantel sieht aus wie ein wandernder Schober.
• Die Pfeifenläden bieten grosse Auswahl. Das Rohr der
japanischen Tabakspfeife ist gewöhnhch spannenlang, aus Bambus,
zuweilen läckirt; Spitze und Kopf aus Metall, oft reich verziert,
bald in ReUef, bald in tiefer Gravirung oder mit edelen Metallen
eingelegt. Die Masse ist silberweiss oder messinggelb, kupfer- und
eisenfarben, oder stahlblau, darunter Legirungen die uns ganz
fremd sind. Manche Luxuspfeifen sind ganz von Metall. Jeder
Japaner trägt sein Pfeifchen in einem Futteral aus Lederpapier oder
Korbgeflecht mit einem dazu gehörigen Tabakstäschchen bei sich:
sie hängen an einer seidenen Doppelschnur, welche durch den
Gürtel gezogen wird und in einen breiten Knopf endigt.
Die unterhaltendsten von allen Kaufläden sind die Trödel-
buden; es giebt deren in Yeddo unzählige von den verschiedensten
Classen wie bei uns, vom »Magasin d'objets d'art et d'antiquit^s«
bis zum Alt -Eisen -Kram herab. Man sieht dort die schönsten
Sachen und fühlt sich jeden Augenblick versucht still zu stehen,
alle die Raritäten zu begaffen, zu betasten, denn in Japan hindert
bedeckten Stellen nehmen keine Farbe an und treten beim Auswaschen weiss heraus,
in sauberster Schärfe der Linien und Umrisse. Die eigentliche Zeichnung des
Wappens wird in Japan gewöhnlich ausgespart, so dass sie sich hi der Farbe des
Gewandes auf weissem Grunde absetzt.
V. Trüdelbudcn. Kleine Metallarbeiteii. 307
daran keine neidische Glasscheibe. Der Laden nimmt meist die
ganze Front des schmalen Hauses ein, der Estrich, auf dem der
Besitzer kauert, ist zugleich Ladentisch. Die Waare wird, wie bei
uns in den Schaufenstern, zur Seite und im Grunde auf Crestellen
ausgelegt, oder hängt an Schnüi^en von der Decke herab. — Bei
grösseren Handlungen dehnt sich das Waarenlager durch weitläufige
Gelasse nach den Hintergebäuden aus. — In den Trödelbuden findet
man alte Lack- und Bronzesachen und allen mögliclien Hausrath,
ferner besonders schöne Metallverzierungen zu Brief- und Tabaks-
taschen und Knöpfe zum Festhalten der letzteren. Der japanische
Luxus beschränkt sich auf wenige Gegenstände, darunter stehen
die Zierrathen der Rauchgeräthe in erster Reihe; man sieht sie
bei den Trödlern in unglaublicher Menge und ^lannichfaltigkeit
und von der kunstreichsten Arbeit, vor allen die Taschenhalter.
Bald sind es breite Knöpfe von Hörn, Holz, Elfenbein oder Metall,
in ReHef geschnitzt, mit kunstvoller Lackarbeit, getrieben, cisehrt,
emaillirt, bald Thier- und Menschengestalten oder Gruppen da-
von en ronde bosse geschnitten, viele, namentlich unter den älte-
ren, von der allervortrefilichsten Zeichnung und Ausführung. Die
meisten Darstellungen sind humoristisch und von erstaunlicher
Lebendigkeit, dabei mit tiefem Verständniss der Natur bald breit
und skizzenhaft liingeworfen , bald mit vollendeter Meiste i'schaft
bis in das Kleinste fertig gemacht. Die Metallarbeiten sitzen oft
als runde Schilde in Knöpfen von Elfenbein oder hartem Holz,
andere bilden die Schlösser der Brief- und Tabakstaschen; sie
w- erden aus verschiedenen Legirungcn gefertigt, deren Haupt-
bestandtheil immer Kupfer zu sein scheint. Oft sind in einem
Schloss oder Knopf von kaum einem Quadratzoll Oberfläche drei
bis vier farbige Legirungen in getriebener, ciselirter, eingelegter
und tiefgeschnittener Arbeit mit ausgesuchtem Verständniss zu einem
Ganzen verschmolzen: die Farbencontraste bilden dabei einen wesent-
Uchen Reiz. Der Geschmack und die Kunstfertigkeit der Japaner
in diesen kleinen Arbeiten ist uniibertrofTen. Auch hier walten neben
rein ornamentalen Mustern die humoristischen Sujets vor; ausserdem
sieht man Thiere, fabelhaft phantastische Drachen, Ungeheuer und
Gespenster, Blumen und Blätter, Darstellungen aus dem täghchen
Leben und tausenderlei Anderes. Beispielsweise mögen hier einige
behebte Gegenstände genannt werden: der Hase als Apotheker, vor
einem Mörser den mächtigen Stössel rührend; ein Kater, der mit
20-
308 Broiizegiiss. V.
sentimentaler Gebehrde im Mondschein tanzt; ein Drachen zwischen
Wolken, eine schöne Zauberin tragend; Schatzgräber einen Kasten
öffnend, aus dem humoristische Gespenster aufsteigen; eine Reihe
tanzender Kinder; ein Blumenstrauss ; ein Ritter im Waffenschmuck ;
Schwalben über die bewegte See 'fliegend: ein Hahnenkampf, wobei
der eine als Dämon erscheint: eine Gruppe von Fischen: ein Angeler
am Wasser im Regen u. s. w^. Der- zuletzt genannte Gegenstand
scheint unglaublich für eine Metallarbeit, und doch ist die Dar-
stellung wahr, charakteristisch und anziehend. Die japanische
Kunst hat den grossen Vorzug, Charakteristik und Verständniss
niemals der minutiösen äusseren Wahrheit zu opfern, während
unsere modernen Darstellungen oft so richtig sind, dass man sie
kaum erkennt.
Von ausnehmender Vortrefflichkeit sind ferner die Arbeiten
der Japaner in ciseürtem Bronzeguss , und auch unter diesen beson-
ders die älteren. Vor Allem werden Thiere dargestellt, in den
kleineren Stücken vorzüghch Schildkröten, Fische, Eidechsen,
Schlangen, Grillen, Käfer und andere Insecten auf Blättern und
Schilf; an den grösseren Arbeiten kommen Reiher, Drachen, Tiger,
ein phantastisclier Fasan und mythische Löwen vor. Die Formen
der Gefässe sind sehr ansprechend imd mannichfach, und erinnern
oft an altgriechische Muster. Zuweilen ist die Verzierung gravirt
oder in silbernem Umriss eingelegt, gewöhnhch aber von erhabener
Arbeit; der Guss ist rein, die Cisehrung breit und frei, und wahr-
haft künstlerisch. Aus den meisten älteren Werken spricht grosse
Kraft und P^igenthümlichkeit der Conception, Bewusstsein des
Gewollten, Klarheit der Anordnung, Verständniss der Natur und
Sinn für Maass und schönes Verhältniss. Die Zeichnung ist oft
seltsam energisch und kühn. — Bei dem grossen Absatz, den die
unverhältnissmässig w^ohlfeilen Bronzen gleich bei Eröffnung der
Häfen fanden, haben die japanischen Händler eine Menge fabrik-
mässig gearbeiteter Sachen auf den Markt gebracht; die Magazine
von YoKUHAMA warcu voll solcher werthlosen Gegenstände , w^elche
begierig gekauft und in Masse nach Europa versclüfft w^urden.
Diese dürfen nicht als Maasstab japanischer Kunst gelten. Die
guten Sachen sind hier wie überall nicht in Menge vorhanden, wenn
auch in diesem Zweige unverhältnissmässig häufiger als in allen
anderen Ländern. Das Beste ist ohne Zweifel in Sammlungen und
auf den Sitzen des Lehnsadels versteckt, denn die Japaner legen
V. Tusclie. 309
grossen Werth auf ihre alten Bronzen, zahlen hohe Preise dafür
und lassen besonders kostbare Gefässe sogar in Prachtwerk en
abbilden. Das Metall ist von sehr verschiedener Mischung; die
Bronzebereitung war von jeher eine Stärke der Japaner und man
kennt viele uns ganze fremde Arten. In älterer Zeit scheint häufig
Gold und Silber hinein gemengt worden zu sein; man findet ganz
unscheinbare Gefässe, für die nur der Masse wegen unglaubliche
Preise gefordert werden. Farbe und Klang der älteren Bronze sind
durchweg schöner als bei der heutigen, das verwendete Kupfer war
an sich schon edeler, goldhaltiger. Jetzt soll man auch in Japan
verstehen die edelen Metalle aus den Kupfererzen auszuscheiden.
Man sieht in den Bronzeläden neben einfachem unverziertem
Hausrath grosse Vasen und Kannen, Feuerbecken und Aschenge-
fasse, ferner Leuchter , Lampen, Rauchgefässe, Glocken, Theekessel
in unendlichster Mannichfaltigkeit, und kleine Luxusgegenstände
\vie Papierbeschwerer u. dgl. Auch das im Gürtel getragene Schreib-
zeug ist von Bronze und oft zierlich mit Silber eingelegt. Es enthält
ausser dem Dintenfass eine Abtheilung für den Pinsel, denn nur
solcher bedienen sich die Japaner zum Schreiben.
Tuschläden finden sich in vielen Strassen; dort werden auch
Schreibepinsel jeder Grösse und Reibenäpfe aus Schiefer, Marmor
und anderen harten Steinen verkauft. Die letzteren sind so ein-
gerichtet dass die geriebene Tusche in eine Vertiefung abläuft,
manche reich verziert und sehr kostbar. Die Pinsel haben sehr
leichte glatte Rohrstiele; nur die Spitze w^rd gebraucht, der obere
Theil der Haare ist fest zusammengekleistert. Tusche giebt es
die verschiedensten Arten, solche die wenige Pfennige das Pfund,
und feine Sorten die mehrere Thaler das Loth kosten; die Grösse
und Form der Stücke und die in Gold und Farben aufgepressten
Muster und Verse von zahlloser Abwechselung. Die besten Arten
haben einen feinen Moschusgeruch. Der Stoff ist derselbe wie der
der chinesischen, wahrscheinlich Russ aus verschiedenen Holzarten,
aber die feinsten japanischen Sorten sind den besten chinesischen
noch vorzuziehen, lieber die Zubereitung ist man merkwürdiger
Weise noch heute im Unklaren ; die in neuster Zeit aufgestellte Behaup-
tung, die chinesische Tusche werde aus einem Tintenfisch, einer
Art Sepia gemacht, widerlegt sich schon durch das alte chinesische
Schriftzeichen, einen Rauchfang mit einem Rost und Feuerflammen
darunter, eines der wenigen Zeichen in welchen das ursprüngliche
310 Papier. V.
Bild noch kenntlich ist. Zudem greifen alle Sepia- Arten das Papier
an, die Tusche aber nicht. — Der bedeutendste Tuschladen in
Yeddo liegt bei Nippon-basi; man findet dort Stücke, die von
Einheimischen mit vier Kobang — etwa acht Thalern — bezahlt
werden. Die europäischen Nachahmungen haben keineswegs die
schätzbaren Eigenschaften der ächten Tusche und können dieselbe
ebensowenig ersetzen, als die französischen Surrogate das acht
chinesische Papier.
Der Hauptbestandtheil des japanischen Papiers ist wahr-
scheinlich nahezu derselbe -wie der des chinesischen, aber seine
Textur ist anders. Rembrandt und andere radirende Künstler unter
den alten Niederländern haben mehrfach japanische^ Papier zu Ab-
drücken verwendet, und diese werden wegen ihrer weichen Fülle
imd Tiefe noch heut besonders geschätzt. Damals kannte man in
Europa das chinesische Papier nicht. Jetzt üefert das letztere die
besten Abdrücke von Kupferstich, und Lithographie, das japanische
wird gar nicht mehr gebraucht, und alle in neuester Zeit damit
angestellten Versuche haben zu keinem günstigen Ergebniss gefuhrt:
die Zubereitung muss sich geändert haben. Dennoch steht die
Papierfabrication in Japan auch heut noch im grössten Flor, man
verfertigt vorzügliche Sorten, natürhch bis jetzt lauter Büttenpapiere.
Die Anwendung des Papiers ist wohl nirgend so allgemein als dort:
es dient ausser zum Schreiben und Drucken zu Fensterscheiben,
Taschentüchern, zu Kleidungsstücken, Lichtdochten, Bindfaden und
hunderterlei Anderem, vorzüglich auch, wie schon erwähnt, als
Leder. Die Masse nimmt jede Oberfläche und Farbe an deren das
natürliche Leder fähig ist, und man hat sogar in Japan alte fran-
zösische Ledertapeten täuschend davon nachgemacht. Den Haupt-
bestandtheil alles japanischen Papiers bilden die Bastfasern eines
Maulbeerbaumes , Morus ( Broussonetia ) papyrifera : doch sollen
noch mehrere andere Pflanzen, darunter auch der Bambus, die
Ingredienzien zu den verschiedenen Sorten liefern. Einige Arten
zeichnen sich durch grosse Festigkeit aus und sind kaum zerreiss-
bar, andere durch Feinheit und Glanz. Die Farbe ist sehr ver-
schieden, meist gelblich: das helle kalte Weiss unserer mit Chlor
gebleichten Fabricate kennt man in Japan nicht. Sehr hübsch sind
viele ihrer bunten und goldgesprenkelten Papiere, besonders aber
eine Art die bisweilen zu Fensterscheiben verwendet wird, mit
feinem als durchsichtiges Wasserzeichen eingepresstem Cluster. —
V. Porcellan. 311
Die Maiinichfaltigkeit ist weit grösser als in der europäischen
Fabrication *).
Die Porcellanliandlungen von Yeddo bieten wenig Auswahl
der Formen , aber eine desto grössere Eigenthümlichkeit der Muster,
Farben und Zeichnungen. Sie sind nicht, wie die Niederlagen von
Nangasaki seit langer Zeit, für den europäischen Markt assortirt,
sondern enthalten nur die einheimischen Geschirre: Schüsseln ver-
schiedener Grösse, Theekannen, kleine Tassen und Trinkschalen,
Sakiflaschen u. s. w. Die grössten Porcellanfabriken liegen in der
liandschaft Fidsen auf Kiusiu, nicht weit von N\noasaki. Das in
Yeddo feilgebotene ist nicht so dünn als das dort verkaufte »Eier-
schalen -Porcellan«, aber von scViöner reiner Masse und Glasur,
die Muster und Farben Verbindungen geschmackvoll, die Zeichnung
besonders von Vögeln, Fischen, Laubwerk, Schmetterlingen und
dergleichen leicht und anmuthig, bisweilen ganz unübertrefflich.
Die Farbe sitzt bei allem diesem Porcellan auf der Glasur, während
die älteren Sachen zum Theil unter der Glasur gemalt sind. Der
grosse Farbenreiz vieler alten japanischen und chinesischen Geschirre
beruht nur auf dieser Art der Malerei, da die Farbe unter der
Glasur viel tiefer und glänzender erscheint. Die europäische Fabri-
cation kennt nur wenige Pigmente, welche die grosse Hitze des
Glasurbrandes ertragen. — Unter den in Yeddo verkauften Sachen
erinnerten manche an altitalienische Majolica, andere an Fayence
de Palissy; ganz neu und besonders geschätzt schien eine Art
schwarzes Porcellan mit Goldmuster. Bei diesem sass die schwarze
Farbe unter der Glasur, wenn nicht etwa die ganze Masse so
gefärbt war.
Spielzeugläden giebt es in Yeddo unzählige, gewiss mehr als
in irgend einer europäischen Stadt: die Japaner sorgen auf das lieb-
reichste für ihre Kinder und sind sehr erfinderisch in Jugend-
belustigungen. Manche Läden enthalten nur Puppen in allen Grössen
und Anzügen: — die Mädchen spielen dort so gern damit als bei uns,
und die Knaben haben ihre Säbel, Peitschen, Steckenpferde u. s. w.;
man findet Spielsachen für jedes Alter und Bedürfniss. Kreisel
giebt es gegen dreissig Arten, viele sehr künstlich; sie laufen
*) Eiiie ausitihrliche Abhandhiiig über die Fabrication des japanischen Papiers
findet sich bei Kämpfer, Geschichte und Besclireibung von Japan, und in den
Anioenitates exoticac. Dem englisclien Gesandten übergab die japanische Regierung
1860 eine Sammlung von 67 Papiersorteu für die Industrie - Ausstelhnig in London.
312 Bucher und Bilder. V.
bergan, tanzen auf dem Seile, zerspringen in Stücke die sich weiter
drehen u. s. w. Ihre Drachen haben die abentheuerlichsten Gestalten
und machen sogar Musik. Mit Kreiseln und Drachen ergötzen sich
Anelfach auch Erwachsene, wie denn die Japaner überhaupt bei
allem Lebensernst grosse Freunde von Scherz und Spiel sind.
Vor den Buch- und Kunsthandlungen hängen bunte Zerr-
bilder von köstlichem Humor, zu denen jetzt die Fremden in Yoku-
HAMA vielfach den StoflF liefern müssen; daneben sieht man Landschaf-
ten, Thiere, Mordgeschichten und andere Genre-Sachen, auch schöne
Damen in prächtigem Schmuck. Die Freude an bildlichen Dar-
stellungen ist allgemein, fast jeder Japaner scheint zu zeichnen.
Schon ihre Schrift übt die Hand und das Auge, und da es Erfor-
demiss ist, nicht nur zu schreiben, sondern schön zu schreiben, so
wird von Jugend an viel Zeit und Sorgfalt auf diese Kunstfertig-
keit verwendet. Die Darstellung der chinesischen Schriftbilder in
schönem Schwung und Verhältniss ist eine Hauptbedingung der
japanischen und chinesischen Bildung, und in ihren Gedichten sollen
nicht bloss Sinn und Form, sondern auch der schöne Fluss der
Schriftzüge wirken: sie verlangen für das Auge was wir in Klang
und Silbenfall für das Ohr fordern, und begeistern sich für kaU-
graphische Virtuosität etwa wie der Europäer für Bravourgesang
und wohltönende Declamation. Die Bildung des Auges und der
Hand ist ein wesentlicher Theil der Erziehung und trägt gewiss
neben der natürlichen Lebhaftigkeit und AuflFassungsgabe der Japaner
nicht wenig zu ihrer Befähigung und Liebhaberei für bildliche
Darstellungen bei. Man findet in allen Buchläden illustrirte Werke
in unverhältnissmässiger Zahl und hunderte von blossen Bilder-
büchern. lUustrirt sind die meisten botanischen, zoologischen,
physikalischen, anatomischen, tactischen Bücher, — sowohl original
einheimische als aus dem Holländischen übersetzte. — ferner die
Werke über WaflFen, Pferde, Jagd und Fischerei, Garten- und
Landbau, Baumzucht, Architectur, über Erdbeben, Astronomie.
Meteorologie, ihre Staatskalender und Genealogieen , Romane.
Geschichtsbücher und historischen Monographieen, ihre mytholo-
gischen, ethnographischen, archäologischen Werke. Die Bilder-
bücher enthalten bald landschaftliche Darstellungen, bald Scenen
aus dem täglichen Leben und der Natur im Kleinen. Es giebt
Bilderfibeln, Feclit- und Reitschulen, und eine Zeichenschule, wo
neben den ausgeführten Vorbildern der GrundbegriflF der Fonn in
V. Ausführung der Drucksachen. Japanische Kunst. 313
mathematischen Linien ausgedrückt ist. Meisterhaft sind vor allen
ihre Zeichnungen von Vögeln, Fischen, Insecten, — davon giebt es
viele Sammlungen. Die Mehrzahl der Bilderbücher enthält ein buntes
Allerlei, man findet oft die widersprechendsten Dinge mit aus-
gelassener Laune auf einem Blatte durcheinandergeworfen: sie sind
unerschöpflich in drolligem Humor. Andere Bände haben offenbar
nur künstlerische Bedeutung als facsimilirte Skizzenbücher, viele
Blätter vortrefflich, einige freiUch, die an Kühnheit und Extravaganz
der Zeichnung Alles übertreffen, was europäische Schulen darin
jemals geleistet haben. Alle ihre Darstellungen sind bei vielen
Zeichenfehlem von unglaublicher Lebendigkeit, und zeugen von
Verständniss und Sinn für die Bedeutung und das Charakteristische
der Formen. Von Schönheitssinn und idealer Auffassung sprechen
nur einige ihrer Götzen- und mythologischen Bilder; die Natur
und das tägliche Leben stehen dem durchaus practischen Volke
viel näher.
Die erwähnten Drucksachen sind in breitem Holzsclmitt mit
grauen und röthlichen Tonplatten, vielfach auch in Farbendruck
ausgeführt; es sind Linearzeichnungen in ungezwungener Pinsel-
technik, markig und derb und durchaus malerisch, ohne Rücksicht
auf die Regeln der Beleuchtung. Die Japaner benutzen Schatten-
und Lichtflächen willkührlich für die Zwecke der Deutlichkeit und
malerischen Wirkung, und stellen die Localfarben ohne Rücksicht
auf ihren gegenseitigen Werth nebeneinander; — so erscheint die
Sonne oft als dunkelrother Ball auf dem hellblauen Himmel. Die
Richtigkeit ist durchaus Nebensache. Langweilige Stellen, wie
Dächer und dergleichen, werden gew^öhnlich durch Wolken ver-
deckt. Auch um Linearperspective, welche sie sehr genau kennen,
kümmern sie sich nur so weit es bequem und zweckmässig ist.
lassen sich aber niemals davon beschränken, und deuten immer
vielmehr den Gedanken an, als sie die Wirklichkeit ausdrücken: —
so schwinden ihre perspectivischen Linien zwar nach dem Hinter-
grunde, aber selten in regelrechtem Verhältniss: kurz, ihre Sachen
sind willkührlich, aber frisch, naiv und derb, niemals langu'eilig
und bisweilen von grosser Schönheit. Was man in den Läden sieht
ist allgemein zugänglich und spottbillig, aber diese gewöhnUche
Waare beweist ganz deutlich, dass die japanische Kunst auf hoher
Stufe steht oder gestanden hat, dass es vorzügliche Werke geben
inuss, von denen diese Drucksachen nur der Schatten und Abglanz
314 Farbendruck. Landkarten. V.
sind. Alle werthvollen Bilder mögen in Museen und in den Häusern
der Grossen verschlossen und deshalb den Fremden unzugänglich
sein. Einzelne Handzeichnungen sind uns zu Gesicht gekommen
die von der äussersten Meisterschaft sprachen, Portrats, Genre-
bilder und Thierstücke in Tusche mit leichter Aquarelltönung: hier
ist auch die Farbe fein und harmonisch, und der Ausdruck der
Köpfe, bei den skizzenhaften Drucksachen gewöhnhch das mangel-
hafteste , sehr ausgezeichnet *). Besonders schön sind manche ihrer
Malereien auf Seide. — Vögel und Insecten zwischen Blumen und
Laubzweigen , — und auf den Fächern finden sich oft die zierlichsten
Bildchen.
Die Japaner drucken auch kleine Gemälde mit vielen Platten
auf Seide, und leisten Erstaunliches darin: der Crep[) giebt den
Farben eine merkwürdige Leuchtkraft und Tiefe, und die Präcision
des Druckes ist bewundernswerth, man überzeugt sich nur schwer
dass es nicht Älalerei ist. — Sie haben ferner, wahrscheinlich von
den Holländern, die Kunst zu radiren und in Kupfer zu stechen
gelernt, aber nur selten angewendet. Es war in Yedüo nur eine
geringe Anzahl kleiner radirter Blätter in wenigen Exemplaren zu
finden, meist landschaftliche Sachen, einige sehr vorzügUch. Ueber
den japanischen Ursprung kann kein Zweifel sein, zumal die beglei-
tende Schrift nur von Japanern herrühren kann und die künstlerische
Auffassung durchaus Japanisch ist; merkwürdiger Weise scheint bei
einigen dieser Radirungen die Liniirmaschine angewandt zu sein, die
in Japan nicht zu Hause und wahrscheinlich mit anderen Instni-
menten von den Holländern eingeführt worden ist.
In allen Buchhandlungen findet inan Landkarten und Atlanten,
theils einheimische über alle Theile des Reiches, theils Nachbil-
dungen europäischer Werke in Holzschnitt und Tondruck mit japa-
nischer Schrift: ferner sehr ausführliche Städtepläne, unter denen
einer von Ykddo von vier Fuss im Quadrat so übersichtlich und genau
war, dass wir alle unsere Wege darauf wiederfinden konnten.
Von der Wohlfeilheit der Bücher und der Leselust der
Japaner aller Stände war schon im einleitenden Abschnitt*) die
Rede: sogar die Soldaten auf der Wache lesen, und man sieht
^) Die Sammlung der Kupferstiche und Handzeicluiungen im königlichen Miu»cuni
7.U BeiTiu besitzt einige derartige Zeichnungen, eine Reihe von Bildnissen in Tusche
und Wasserfarben und ein Aquarell, eine Ilühnerfamilie darstellend.
«) S. 131.
V. Conditoreien. Hausrath. 315
Kinder, Frauen und Mädchen emsig in die Bücher vertieft. Ihre
Roman- und Novellen -Litteratur muss sehr ausgedehnt sein und
enthält gewiss viel Anziehendes, das der Uebersetzung in europäische
Sprachen werth wäre. Sie sind reich an Geschichtsbüchern und
p]ncyclopädieen: ihre zahllosen beschreibenden und belehrenden
Werke aus den Reichen der Natur, der Wissenschaften, Künste
und Gewerbe zeugen von der regen Wissbegierde des Volkes.
Wenig versprechen die bis jetzt übersetzten Proben der Dichtkunst:
ihre poetischen Anschauungen sind unserem Verständniss meistens ganz
unzugänglich und erscheinen daher oft drolüg und abgeschmackt.
Die Japaner sind aber auch, nach ihrem Charakter zu urtheilen, kein
poetisch, wenigstens kein lyrisch begabtes Volk, und haben in dieser
Richtung wahrscheinlich nichts Nennenswerthes geleistet. —
Conditoreien giebt es in den Strassen »von Yeddo viele: die
Kuchen und Confecte sehen zierlich und appetitlich aus, manche
gleichen den unsrigen und sind wohlschmeckend, andere widerstehen
dem europäischen Gaumen. Die Japaner verwenden viel Sorgfalt
und besitzen grosse Kunstfertigkeit und Erfindungsgabe in der Zu-
bereitung und äusseren Ausschmückung des ZuckerAverks , das einen
Hauptbestandtheii ihrer Gastmäler bildet. Sie machen kleine Vögel,
Blumen, Schmetterlinge und dergleichen sehr niedlich in farbigem
Zuckerguss und Kraftmehl nach, und bei Vornehmen scheint sogar
das Wappen des Wirthes auf den Kuchen angebracht zu werden : —
so erzählt Kämpfer, dass alle den Holländern aus dem Palaste des
SiOGUN zugeschickten Süssigkeiten mit dem Kirimon — dem oföciellen
Wappen des Mikado , also dem eigentlichen japanischen Regierungs-
wappen — verziert gewesen seien.
Den kleinen Hausrath — grössere Möbel besitzen die Japaner
nicht — findet man in besonderen Läden, die viel Hübsches und
Anziehendes bieten: mannichfache Schränkchen , Kasten und Kästchen,
Schachteln, Büchsen, Präsentirbretter und Untersätze aus Bambus,
Kampher- und anderen Holzarten, mit Korbgeflecht aus gespaltenem
Rotang und Binsen, Alles so sauber und zierlich wie für den Nipp-
tisch gearbeitet, dabei von erstaunUcher Billigkeit. Hier findet man
auch die vierkantigen Kopfkissen aus Holz oder festem Rohrgeflecht,
auf denen alle Japaner schlafen. Es sind fusslange x-iereckige
Kästchen mit einer leicht ausgerundeten Höhlung in der Mitte,
wo der Nacken ruht: der Hinterkopf liegt ganz frei. Wie man
auf solchem Gestell schlafen, sich ausruhen kann, gehört zum
316 Lackarbeiten. V.
Unbegreiflichsten der japanischen Cultur; es enthält gewöhnlich eine
kleine Scliublade für den Kamm, die Zahnbürste, Zahnpulver,
Schminke, Pommade und dergleichen unentbehrhche Gegenstande der
Toilette, und bildet eigentlich das ganze Bett des Japaners, der in seinen
Kleidern auf dem Fussboden schläft, und sich gegen Kälte nur mit
dickeren Röcken, selten mit einer Steppdecke schützt. — In diesen
Läden sind auch die gröberen Lackfabricate zu haben, die feineren
findet man in besonderen Niederlagen.
Das grösste Lackgeschäft in Yeddo hat seinen Sitz bei der
Brücke Nippon-basi, dem Mittelpuncte des nandelsverkelu-s, wo
die namhaftesten Firmen aller Branchen ihre Niederlagen haben.
Die eigentliclie Heimath der Lackfabrication ist Miako , von wo die
grossen Werkstätten die Waare an ihre Commanditen im ganzen
Lande versenden. Die Erzeugnisse sind bewundernswerth : auch in
diesem Zweige der Industrie stehen die älteren Arbeiten den neuen
voran. Woran es liegt, dass die Fabrication nicht mehr auf der alten
Flöhe steht, weiss man nicht; das Material ist heute noch dasselbe,
und doch haben sich die Fabricate nicht nur in der Zeichnung,
sondern auch in der Güte und Feinheit der Oberfläche verschied i-
tert. Die gewöhnÜche Grundfarbe ist schwarz oder roth, seltener
dunkelgrün, der schwarze Lack ist häufig mit Gold gesprenkelt:
der eigentliche Goldlack, der theuerste von allen, hat viele ver-
schiedene Nuancen. Die Zeichnung ist auf dem dunkelen Grunde
in Metallfarben ausgeführt und meistens leicht erhaben: matte
Metalle wechseln mit glänzenden; die Japaner bringen durch kunst-
reiche Behandlung des Materials eine unglaubliche Mannichfaltigkeit
der Farbe und Textur hervor; bei kostbaren alten Sachen sind
vielfach Gold- und Silberplättchen in den Lack eingelassen. Die
Zeichnung auf den älteren Stücken ist oft von grosser Schönheit.
Formen und Arbeit von vornehmer, geschmackvoller Eleganz und
der Farbenreiz so ausserordentlich, dass man leicht eine Passion
dafür fasst, welche leider nur zu kostbar ist. Die besten alten
Sachen werden in Japan selbst sehr geschätzt; Sebi, — so hiess
unser Freund der Lackhändler, — brachte oft Stücke zur Ansicht,
deren einheimische Preise dem extravagantesten Liebhaber des
Westens zu hoch gewesen wären. F^s war ihm dabei nicht um den
Verkauf zu thun, sondern nur um den Stolz und die Befriedigung
sie uns zeigen zu können, bei. denen er Sinn und Liebhaberei fiir
diese wirklich sehr schönen x\rbeiten wahrgenommen hatte: seine
V. Sebi. Gegenstände der Lnckfabricatiun. 317
Augen pflegten bei unserer Bewunderung von patriotischer Freude
zu glänzen, und er versicherte dann ein über das andere Mal dass
so etwas nur in Nippon gemacht werde. Sebi fasste eine wirkliche
Zuneigung zu "uns, und bewies sich gefällig, hülfreich und dienst-
fertig in HerbeischaflFung von Allem was man nur wünschte, auch
wenn es nicht in seine Branche schlug. Er schleppte uns oft ganze
Ladungen seiner Waare nach Akabane, blieb immer zufrieden und
heiter, man mochte kaufen oder nicht, und wurde der allgemeine
Liebling. Seine Kunden bewirtheten ihn häufig mit Liqueuren und
süssem Wein, wo er dann leicht gesprächig wurde und uns wohl
Manches verrathen hätte; aber Niemand wusste japanisch genug
und so bheb die Unterhaltung unvollkommen und scherzhaft. Sebi
zeigte sich dankbar und geehrt durch die freundUche und humane
Behandlung welche allen Deutschen gegen Fremde natürlich ist,
und die den Preudsen in Japan unwillkührlich die Zuneigung aller
Classen gewann und eine Stellung bereitete, welche die meisten
Ausländer nicht haben. — Wir besuchten ihn auch oft in seiner
Niederlage und verbrachten dort manche angenehme Stunde. Man
kletterte eine halsbrechend steile Ilühnersteige mit unmässig hohen
Stufen in das obere Stockwerk hinauf, wo Alles voll Kisten und
Kasten stand, denn es ist japanische Gewohnheit, für jedes noch
so kleine Geräth ein eigenes Behältniss zu haben. Bei jedem Ein-
kauf erhält man selbstverständüch ein sorgfältig gearbeitetes pas-
sendes Holzkästchen zur Verpackung : kostbare Lacksachen werden
sogar immer in doppelte Kasten verschlossen, von denen der innere
meist fein lackirt und mit Seidensclmüren zugebunden ist.
Die allerfeinsten modernen Lackwaaren, unter denen es
sehr schöne giebt, sind auch theuer, wenngleich nicht in dem
Maasse wie die alten, unverhältnissmässig wohlfeil dagegen und
fast durchweg sehr hübsch, gefällig und haltbar die minder feinen
Sachen. Man kauft in den Lackhandlungen kleine Schränke,
niedrige Tische, Präsentirbretter, Esskasten — einen Satz aufeinander-
stehender viereckiger Holzschüsseln , worin man Speisen transportirt,
— Gestelle zu Kohlenbecken, Rauchapparate — mit Feuerbecken,
Aschbecher und Pfeifenhalter, — Sclu*eibzeuge , Medicinbüchs-
chen, Spiegelhalter, Kasten von allen Grössen und Formen, Trink-
schalen u. s. w. In reichen Haushaltungen ist alles Geräthe von
Lackarbeit, sogar die Waschbecken, und die Schöpfkellen wo-
mit man Pferde tränkt. Besonders kostbare Arbeit zeigen die
318 Austiihnnig und Verzieiiingen. V.
kleinen Trinksehalen » die Präsentirbretter und Rauchapparate, vor
Allem aber sclieint ein scliönes Schreibzeug die besondere Liebhaberei
des wohlhabenden Japaners zu sein; man sieht sie in der grossten
Mannichfaltigkeit , und durchgängig hübsch und gescImiackvoU. In
der Mitte des flachen Kastens steht der steinerne Keibenapf mit
vergoldetem Rande, daneben oberhalb ein zwerghaft kleines Kännchen
von Silber oder ciselirter Bronze, mit haarfeiner Tülle — um das
Wasser tropfenweise aufschütten zu können; zu beiden Seiten
längliche Abtheilungen für die Federpinsel. Der aufgestülpte Deckel
schliesst leicht und bequem, und zeigt gewöhnlich auf dunkelem
Grunde ein sorgfältig gearbeitetes Gemälde; das Innere ist Goldlack,
häufig mit Blumen, Blättern und Thieren gemustert. Solche werden
überhaupt vorzugsweise in Lackarbeit dargestellt, daneben sieht
man aber auch Figuristisches und Landschaften; — der Fusiyama
mit glänzend silbernem Gipfel spielt hier eine grosse Rolle. Die
Japaner lieben in ihren Verzierungen das Willkührhche , Zufällige.
Regehnässig und synnnetrisch sind nur ihre grösseren, ernsten, alle
Formen von Bedeutung, — so unter kleineren Gegenständen die
Wappen, in denen selbst Thiere und Pflanzen wo möglich in den
Kreis, das Viereck geschmiegt sind. Alle Verzierung dagegen
soll interessant, lustig sein, und hier lassen sie der Phantasie und
Laune freies Spiel. So wird oft eine rechteckige Oberfläche durch
willkührUch gezogene schräge oder Zackenlinien in ganz unregel-
mässige, schiefwinklige Abschnitte getheilt, von denen der eine
Goldlack und der nebenstehende schwarz oder farbig ist. In irgend
einer Ecke scheint der Mond oder fliegt ein Zug Vögel, der sich
dann oft über die Kante weg auf eine der anstossenden Seitenflächen
fortsetzt. So reichen auch Gräser, Schilf, Bambus- und Baumzweige
häufig vom Deckel oder Boden auf die aufrechtstehenden Seiten
herüber. Regelmässige Muster sieht man selten, und dann sind
sie ganz unscheinbar und dienen als Grund.
Eine in Europa besonders beliebte Art der japanischen Lack-
arbeit, die mit Perhnutter eingelegte, wird im Lande selbst wenig
geschätzt; kostbar dagegen ist eine bei uns minder bekannte Art,
die auch in China vorkommt und dort SuxsAU-Lack heisst. Dieser
wird, bald ganz roth, bald buntfarbig, in dicken Schichten auf
das Holz aufgetragen ufid dann mit der Hand gesclmitzt. Es giebt
verschiedene Arten davon, auch solche, die geprcsst statt geschnitzt,
und viel weniger kostbar sind.
V. Verkehr in den Kaufläden. 319
Ausser den beschriebenen giebt es im Tokaido und seinen
Nebenstrassen noch hunderterlei andere Kaufläden, die vielfach
besucht wurden und immer neuen Stoff der Unterhaltung und Be-
lehrung boten, so namentlich die Saamenhandlungen für die Botaniker
und der jenseit NippoN-BAsi gelegene Fischmarkt für den Zoologen.
Selbst unser Geologe, dem bei der Unmöglichkeit, Ausflüge in das
Innere des Landes zu machen, liier wenig Anlass zur Thätigkeit
gegeben war, fand in den Kaufläden manches Specimen der ein-
heimischen Gebirgsarten und Minerale. Das ganze Stadtviertel wurde
nach allen Richtungen durchwandert, und man lernte dabei viel
vom Charakter und den Sitten des Volkes kennen. Dolmetscher
hatten wir auf diesen Spaziergängen niemals bei uns, und die Unter-
haltung mit den Eingeborenen blieb immer mangelhaft; aber alle
Japaner haben eine seltene Leichtigkeit der Auflassung, sie verstehen
den geringsten Wink und wissen sich durch Gebehrden auszudrücken,
bemühten sich auch uns die japanischen Namen der Dinge beizubringen
und fragten dagegen nach den deutschen, oder vielmehr preussischen,
»pleussischen« Worten, denn eines deutlichen R ist ihr Organ nicht
fähig. Sie schrieben dann das Erlernte emsig auf, und selbst unter
den Kaufleuten fanden sich schon einige, die das lateinische
Alphabet dazu benutzten, welches den meisten höheren Beamten
ziemlich geläufig ist. Die japanischen Silbenalphabetc eignen sich
zum Schreiben fremder Worte durchaus nicht '). — Ueberall wurde
man freundhch empfangen und mit Thee und Pfeifen bewirthet;
man sass oft Stunden lang in den Läden, namentlich in den Buch-
handlungen; die Leute kramten bereitwillig Alles aus, bheben immer
gleich freundlich und höflich, und freuten sich wenn man sie öfter
besuchte. Auch die Frauen und Mädchen, die sich erst schüchtern
versteckten, kamen allmälich zum Vorschein; sie beguckten und
befüldten neugierig unsere Kleider und Wäsche, und betrugen sich
allgemein mit züchtigem , offenen Anstände , wie Frauen die eine
geachtete Stellung im Hause einnelunen. Ein blanker Metallknopf,
eine bunte Glasperle und dergleichen ausländischer Tand machten
die Wonne der Kinder und jungen Mädchen, und selbst Erwachsene
befestigten solchen Flitter mit Stolz an ihre Brief- und Tabakstaschen.
Europäische Erzeugnisse waren zur Zeit unseres Aufenthaltes noch
fast gar nicht nach Yeddo gekommen, nur Wiener Streichhölzer
in den bekannten bunten Büchsen mit dem Doppeladler gab es in
7) S. S. 6 Anm. 4. und S. 27 Anm. 27.
320 Wanderungen durch die Strassen. V.
einigen Läden, und leere Wein- und Bierflaschen, die von den
Gesandtschaften herrührten; die Flaschen waren sehr gesucht, und
man conservirte sorgfältig ihre bunten Etiquetten.
In den Häusern herrschte durchgängig die grösste ReinUch-
keit. Die Wände, Tapeten, Papierscheiben, das Geräth und die
Matten waren in fast allen Läden appetitlich sauber, und man
scheute sich mit schmutzigen Stiefeln einzutreten. Der Japaner lässt
seine Sandalen draussen. Scherz und Lachen würzten jede Unter-
haltung; die Eingeborenen sind von Natur dazu au%elegt und die
drolligen Missverständnisse der beiderseitigen Gebehrden und Mienen
gaben immer neue Veranlassung. Unsere begleitenden Yakuninc,
die anfangs zurückhaltend und ängstlich waren und uns mehrfach
am Ankaufe von Wafl'en, Büchern und dergleichen hinderten, über-
zeugten sich bald von der Harmlosigkeit dieses Verkehrs, und ver-
schafften uns später sogar Vieles, was w^ir ohne sie aus Unkenntniss
nicht erlangt hätten. Sie bewahrten zwar eine gewisse ernste Würde
und Zurückhaltung die dem japanischen Samra'i unter allen Um-
ständen eigen ist, nahmen aber doch Antheil an der Unterhaltung
und zeigten sich bei höflicher» und vertrauUcher Behandlung immer
hülfreich, gefälüg und aufmerksam. Auf weiteren Spaziergängen
kehrte man in die Theehäuser ein und hess die Yaküninc mit einer
CoUation und Saki bewirthen, was ihren guten Humor sehr zu
steigern pflegte. »Okino arigato«, Grossen Dank, hiess es dann
unter vielen Verbeugungen; die Köpfe waren zuweilen etwas ge-
röthet, aber alle Schw^ierigkeiten hörten auf. Diese Stimmung liebens-
würdiger Dienstfertigkeit und Zuneigung wurde bald die allgemeine
der uns zugetheilten Yaküninc; sie lebten gern mit uns. — Das
Handelsquartier zieht sich weit über Nippon-basi hinaus, und man
entfernte sich bei diesen Wanderungen oft wohl eine deutsche Meile
von Akabane. Häufig wurden wir von dichten Volkshaufen begleitet,
doch kamen selten Belästigungen vor; nur zuweilen riefen einige
helle Kinderstimmen ihr »Todzin bakka«, »Toller Fremder«. Ge-
wöhnUch fanden sich beim Eintritt durch das Strassenthor zwei
Polizeidiener ein, die den Fremden auf dem Wege durch ihren Be-
zirk voranschritten um die Menge auseinander zu scheuchen, und
ihre langen mit vielen Ringen behangenen eisernen Amtsstäbe tact-
mässig auf die Erde stiessen, was einen betäubenden Lärm machte, —
doch war diese Escorte kaum nöthig, denn mit Absicht trat uns
Niemand in den Weg, und nur wenn die Hintersten die Vorderen
V. Die Strassen der Handelsquartiere. 321
drängten entstand zuweilen eine Stockung. Aber eine drohende Ge-
behrde von unserer Seite oder ein Wink mit dem Fächer von den
YAKUNiNen jagte namentlich der Jugend immer den grössten Schreck
ein, so dass sie sich blind überstürzten, fielen und von den Nach-
folgenden häufig getreten wurden. Das Volk zeigte uns fast nur
freundliche neugierige Gesichter. Es war etwas ganz Ungewöhnliches
in Yeddo, Fremde zu Fuss auf der Strasse zu treffen; aber zu
Pferde sieht man wenig vom Inhalt der Kaufläden und kann sich
nicht so frei bewegen, deshalb derogirten wir oft lieber unserer
europäischen Würde. Nicht selten geschah es, dass sich fein ge-
kleidete Männer mit höflichem Grusse zu uns gesellten, und an
den Seiten gehend das drängende Volk abzuhalten suchten, auch
Solche die sich unnütz machten wohl tüchtig mit dem Fächer über
den Kopf schlugen — und das Alles unau%efordert und nur aus
nationaler Gastfreundschaft.
Die Strassen der Handelsquartiere sind zu allen Tageszeiten
sehr belebt, besonders Abends, wo viele Arbeiter von da in die
Vorstädte zurückkehren; um diese Zeit ist selbst der breite Tokaido
so voll Menschen wie ein Jahrmarkt. Auffallenden Anzügen begegnet
man an den gewöhnlichen Tagen wenig; nur Kinder und junge
Mädchen, die meist in Begleitung ihrer Mütter auf den Strassen
erscheinen, sind artig in bunten Farben geputzt, die Gesichter aber
vielfach durch Schminke entstellt. Namentlich heranwachsenden
Mädchen wird oft das ganze Gesicht nach dem japanischen Schön-
heitsideal angemalt, eine hässhche Maske, unter der die natürliclien
Züge ganz verschwinden, — die Augen allein behalten Leben. Der
Anzug und Haarputz der Kinder und jungen Mädchen ist zierlich
und geschniegelt und muss viel Zeit und Mühe kosten. — Züge
von Lastträgem bewegen sich, den tactmässigen Schritt mit einför-
migem Ruf begleitend, durch das Gedränge; die Lasten werden
entweder im Gleighgewicht an beiden Enden eines elastischen Trage-
holzes, oder wenn sie schwer sind, an langen Bambusrohren in
der Mitte aufgehängt, und dann von zwei oder mehreren Personen
auf den Schultern getragen. Jeder Träger ist mit einem vier Fuss
langen Stabe versehen, mit dem er beim Ausruhen das Trageholz
stützt um die Last nicht niedersetzen zu müssen, so auch die
Träger der Kango's und Norimon's **). Der Krämer, der die Künden
^ In dem gleichzeitig mit dem vorliegenden Bande von der Icöniglichen Regienmg
veröffentlichten ersten Hefte des Werkes »Ansichten aus Japan, China und Siam«
I. 21
322 Strassenverkehr. DAiMio-Züge. V.
besucht, tragt seine Kisten und Ballen auf dem Rücken; sie sind
gewöhnlich in ein weites Tuch gepackt, dessen Enden vor der
Stirn zusammengebunden werden. — üebrigens schafft man in Yeddo
Lasten auch vielfach auf Handwagen und sehr unförmlichen Büffel-
karren fort. Was aus der Stadt herausgeht wird auf Packpferde
verladen, deren langen Zügen man in allen Vorstädten begegnet. —
Reiten darf nur der Samrai; jedem Pferde läuft, es mag noch so
schnell gehen, wenigstens ein Stallknecht voraus, welcher mit
lautem Jauchzen die Menge zum Ausweichen auffordert. Höhere
Beamten lassen ihre Pferde am Zügel führen und haben gewöhnlich
noch mehrere Begleiter bei sich, die ihnen Piken und Hellebarden,
die Insignien ihrer Würde vorauftragen: die höchsten Staatsbeamten
und die Daimio's erscheinen nur bei Feuersbrünsten zu Pferde auf
der Strasse und werden sonst in Norimon's getragen. Die Form,
Farbe und Grösse dieser Sänfte, besonders auch die Wölbung des
Tragebalkens und die Zahl der Träger zeigt den Rang des Besitzers
an ; auch die Menge der Begleiter und die Anordnung der oft meh-
rere tausend Mann starken Escorte richtet sich nach seiner Stellung.
Bei vornehmen Männern schreiten Herolde voran, dann folgt eine
Abtheilung Soldaten, dann die Pikenträger mit langen Lanzen
und Hellebarden. Die Spitzen derselben stecken in Lederfutte-
ralen und sind sehr verschieden geformt, im japanischen Adels-
lexicon findet man bei jeder Familie die ihr zukommenden In-
signien und Feldzeichen abgebildet. In Futteralen ist alles Spitze
und Schneidende , so auch häufig selbst die Flinten verborgen,
welche gewöhnhch die Leibwache führt. — Der Sänfte zunächst
gehen auf beiden Seiten die Leibdiener, dahinter das Leibpferd,
prächtig gesattelt und aufgezäumt und von zwei Stallknechten ge-
führt, dann wieder Bewaffnete und eine Menge Diener mit lackirten
Körben, Kisten und Kasten, welche die Rüstung, das Sterbekleid
und andere Anzüge, ein Theeservice, Küchen- , und Reisegeräth,
kurz Alles enthalten sollen, dessen ein vornehmer Mann in jeder
Lage des Lebens bedürfen kann um standesgemäss aufzutreten.
Bei sehr hoch gestellten Personen folgen mehrere Leibpferde, und
ihre ersten Beamten in Sänften oder zu Ross, auch diese wieder
von ihren Pikenträgem und Dienern begleitet. Die Kleidung aller
Trabanten ist von einerlei Schnitt und Farbe, hat aber nichts das
bringt Blatt 3 , eine Strasse in Yeddo darstellend , die im Text beschriebene Staffage
theil weise zur Anschauung.
V] Begegnungen mit Daimio's. Die Strassen an Festtagen. 323
an Uniform erinnert; auf dem Rücken und den Aerraeln tragen sie
in einem kleinen Rund in den Stoff eingefarbt das Wappen ihres
Herrn, das sich auch auf den Kasten und Körben in Vergoldung
oder farbig wiederholt. Die Begleiter marschiren paarweise, der
ganze Zug bewegt sich in lautloser Stille; bei vornehmen Leuten
sollen die voraufgehenden Herolde »Sitaniro« d. h. »Auf die Knie«
rufen, worauf sich Alles niederwürfe, — eine Sitte, die wir trotz vielen
Begegnungen mit Daimio- Zügen niemals beobachtet haben. Das
Volk weicht ehrfurchtsvoll aus, pflegt sich aber sonst nicht viel
um die Grossen zu kümmern; nach unserer Beobachtung bUeben
die Meisten ruhig bei ihrer Beschäftigung. Jede Durchbrechung des
Zuges ist unerlaubt; es gilt auch für unanständig eilig vorbeizureiten,
man soll stillhalten und sogar vom Pferde steigen. Die Fremden
kehren sich an diese Regeln nicht und haben dadurch den Stolz
des einheimischen Adels vielfach verletzt, die Trabanten warfen uns
bei solchen Begegnungen oft wüthende Blicke zu und zeigten in
Mienen und Gebehrden den verbissenen Grimm; die Herren selbst
schlössen meist die Stores ihrer Sänften, guckten zuweilen aber
auch neugierig heraus und nickten, wenn man sie grüsste, freundlich
wieder. Man begegnete solchen Zügen in den Strassen von Yeddo
täglich, denn die Sitte fordert das grosse Cortege bei jeder Ent-
fernung aus dem Hause, selbst bei jedem Besuch in der Nachbar-
schaft; nur wenn sie »Naibün«, d. h. incognito ausgehen, haben die
Grossen ein minder zahlreiches Gefolge. Auf den Reisen von und
nach ihren Besitzungen werden die Lehnsfursten von vielen tausend
Menschen begleitet; ihre Züge bedecken nach Kämpf er's Erzählung
die Landstrasse ofk mehrere Tagereisen weit
Besonders belebt sind die Strassen von Yeddo an Festtagen,
deren die Japaner viele von mannichfacher Bedeutung haben. Jede
Oertlichkeit besitzt ihren Schutzpatron; die ihnen geltenden Feste
sind besonders geräuschvoll und geben Anlass zu theatralischen
Vorstellungen, zu Aufzügen und bunten Mummereien. Komische
Masken durchziehen dann die Strassen, und treiben bettelnd und
musicirend ihre Possen; auch Bänkelsänger kommen zahlreich herbei,
besonders die Yamambo's und Biküni'), wandernde Bergmönche
und Nonnen, welche überall gern gesehen sind und reichliche
Spenden erhalten. Die Yamambo's ziehen mit ihren Frauen und
Kindern quacksalbernd, musicirend und Beschwörungen übend durch
^) S. -Ansichten aus Japan, China und Slam«, I. Heft, Blatt 3.
21*
324 I^as SiRo und das Soto-Siro. V.
das Land; die Bikuni, die sich meist aus den Töchtern der Bei^-
mönche ergänzen, sind gewöhnlich sehr hübsch und leichtfertig.
Sie sollen nach Kämpfer auf allen Landstrassen zu finden sein und
die Reisenden oft meilenweit mit Sirenengesang begleiten. Beide
Orden sind privilegirt; die Mitglieder zahlen eine jährliche Abgabe
an das Oberhaupt in Yeddo, das ihre gemeinsamen Interessen
wahrnimmt. — Quacksalber, Jongleure und starke Männer schlagen
zur Zeit solcher Feste auf den freien Plätzen ihre Zelte auf, man
findet Thier- und Schaubuden aller Art; das Volk lärmt und be-
lustigt sich laut und ausgelassen , und bis tief in die Nacht schallen
jubelnde Stimmen und fröhhche Musik aus den Theehäusem.
Weniger anziehend und belebt als die Strassen des Handels-
quartiers sind die aristokratischen Stadtviertel im Siro und Soto-
SiRO. Nur die innerste, den kaiserlichen Palast imischliessende
Enceinte blieb den Fremden unzugänglich, die angrenzenden Stadt-
theile durchschnitten wir auf unseren Spazierritten fast taghch. An
ihrer östlichen Seite liegt die Ringmauer des Taikun- Palastes wenig
höher als die Ebene des 0-gava, nach Norden und Westen da-
gegen steigt der Boden beträchtüch an. Die nach aussen von
grossen polygonischen Blöcken gebaute, nach innen terrassirte Mauer
folgt den Hebungen und Senkungen des Hügels, welcher in hohen
abschüssigen Rasenböschungen nach den breiten Wassergräben ab-
fällt. Auf der Platform und innerhalb des Mauerwalles stehen
dichte Reihen von Tannen und anderen Nadelbäumen. Diesseits
des Grabens läuft ein breiter Weg bald am Rande des Wassers,
bald auf dem hohen Ufer hin, von wo sich die schönsten Aussichten
auf das Häusenneer der tiefer liegenden Handelsstadt öffnen; den
Vordergrund bilden nach der einen Seite die mauergekrönten grünen
Abhänge mit ihren befestigten Thorgebäuden, Dämmen und Brücken,
nach der anderen die langen Fagaden der Daimio- Paläste; die Linien
sind einfach und gross, und der ganze Eindruck sehr imposant.
An einigen Stellen durchschneiden Dämme die Gräben , deren Niveau
an der Westseite viel höher ist als nach Osten; der Wasserstand
scheint durch Schleusen geregelt zu werden. Der Abfluss ist nach
dem O - OAVA hauptsächlich durch den breiten Canal, über welchen die
NippON- Brücke führt — Die Ringmauern und Gräben des Soto-Siro
sind den inneren ganz ähnlich ; dieses Stadtviertel hat seine grösste
Erhebung an der südwestUchen Seite, und fällt ebenfalls in hohen
üppig bewachsenen Böschungen nach den Wassergräben ab, die hier
V. Die Strassen der aristokratischen Viertel. Yamasiue's. 325
stellenweise die Ausdelmung grosser Teiche annelunen. Herrliche
Baumgruppen neigen sich über die lotusbewachsenen Becken die
von Tausenden wilder Enten bevölkert sind, und in den Tannen
des Mauerwalles horsten ungeheure Schwärme von Raben und Raub-
vögeln; sie werden von Niemand gestört, denn die Jagd ist kaiser-
liches Regal.
Die Strassen dieser Stadtquartiere sind grade, rechtwinklig,
einförmig und wenig belebt. Während in den vom Volke bewohn-
ten Vierteln der Boden nur festgestampft ist und bei nassem Wetter
leicht aufweicht, sind die Wege hier meist macadamisirt;, strecken-
weise auch mit Eaes beschüttet Eigentliches Strassenpflaster kennt
man in Japan nicht, nur durch die Höfe und Parkanlagen der
Tempel und Paläste laufen breite Bahnen von flachen Quadersteinen. —
Die FaQaden der Paläste — wenn man einstöckige Gebäude von
grosser Ausdehnung so nennen darf — zeichnen sich nach der
Strasse nur durch ihre ungeheure Länge aus , die oft wohl 600 Schritt
und darüber betragen mag. Diese langen Gebäude bilden aber in
der That nur die Einfassung des Grundstückes , und mögen Pferde-
ställe, Arbeitsschuppen und die Wohnungen untergeordneter Diener
enthalten, sie haben nach der Strasse nur kleine Gitterfenster, welche
gewöhnhch durch Läden gesclüossen sind'®); die Wohngebäude der
Herrschaft und ihres Gefolges liegen im Inneren, von Höfen und
Gärten umgeben. Bekleidet ist die Strassen&ont bis zur Höhe von
etwa zwölf Fuss mit einfachem Bretterwerk oder netzförmigem
Bewurf von weissem und grauem Stuck; darüber läuft vier bis fünf
Fuss breit ein glatter weissgetünchter Streifen liin; das Dach ist von
grauen Ziegeln, deren vorderste Reihe häufig das Wappen des
Besitzers zeigt. Die Fundamente bestehen aus grossen Bruchsteinen,
treten aber nur bei unebenem Terrain recht zu Tage und zeigen
dann sehr schöne polygonische Mauerarbeit. Der einzige bemer-
kenswerthe Theil dieser Fagaden sind die Portale; sie nehmen bei
grosser Breite die ganze Mauerhöhe des Gebäudes ein und liegen
etwas vertieft; zu beiden Seiten springen erkerartige Logen mit
Gitterfenstern für die Thürhüter und Wachen hervor. Daneben sieht
man häufig noch eine vom Dach geschützte breite Mauernische, wo
dicke sauber geglättete Pfahle mit bronzenen Köpfen und Ringen
zum Anbinden der Pferde eingerammt sind. Das Portal selbst ist
aus mächtigen Balken von schönem Holze gezimmert, sorgfaltig
^®) Eine solche Fagade zeigt Blatt 2 der »Ansichten aus Japan, China und Slam«.
326 Portale. . Der Atango-yama. V.
geschliffen oder lackirt und mit Buckeln und anderen Zierrathen
von Bronze beschlagen. Der Eingang besteht aus einem breiten
Mittelthor, das nur für Standespersonen geöffnet wird, xmd zwei
bis drei kleineren Thüren zu jeder Seite; die ganze Construction
ist symmetrisch. Die Schwelle hat bei allen japanischen Thoren
fast zwei Fuss Höhe; der Stimbalken springt bis unter das Dach-
gesims hervor und trägt das Wappen des Besitzers, erhaben und
massig in Bronze oder schwarzem Stuck gearbeitet. — Diese Por-
tale sind die besten Erzeugnisse der japanischen Baukunst, eine
wirkliche, wenn auch sehr einfache Architectur, denn alle
Theile haben Zweck und Bedeutirag und verbinden sich zu einem
organischen Ganzen ; der Charakter ist ganz eigen thümhch und von
allem sonst Bekannten verschieden. Sie haben bei aller Schwere
der Structur ein schönes Ebenmaass der Verhältnisse und tragen
das Gepräge vornehmen Ernstes und herrschafthcher Würde. Die
bronzenen Balkenknäufe, Sockel und sonstigen Beschläge sind meist
von vortrefflicher Zeichnung; ihre dunkelgrüne goldige Farbe stimmt
schön zu dem natürlichen Dunkelbraun oder Grau, zu dem schwarzen
oder tiefrothen Lack des Holzwerkes, und erhöht den Eindruck
der ernsten Einfachheit und Strenge; — man glaubt trotz aller
Unähnlichkeit mit europäischen Bauwerken Arbeiten des frühen
Mittelalters zu sehen.
Einen guten üeberblick über den südwestUchen Theil von
Yeddo gewinnt man auf dem Atango-yama, dem nördUchen Aus-
läufer des Höhenzuges, welcher das Stadtviertel Akabane von dem
SoTO - SiRo und den centralen Handelsquartieren trennt. Schwindel-
erregende Treppen — eine ununterbrochene Flucht von über hundert
steilen Stufen — fuhren zur Höhe hinan, oben hegen Tempel und
Theehäuser, und am langgestreckten Rande des Hügels strohge-
deckte offene Hallen mit vielen Bänken und Tischen für die Gäste;
man fühlt sich an einen Vergnügungsort der deutschen Heimath
versetzt. Unten breitet sich die weite vom Meere begrenzte Ebene
aus: im Vordergrunde einige aristokratische Strassen , dahinter und
nördlich die vom Tokaido durchschnittenen gewerblichen Quartiere,
links die Mauern und vorspringenden Thorbauten des Soto-Siro
und des Siro, und entfernter in derselben Richtung die den kaiser-
Uchen Palast beschattenden Baumwipfel. Diese Aussicht ist ebenso
einförmig wie ausgedehnt, man sieht ein Meer von gleichartigen
grauen Dächern, aus dem nur hier und da einer der viereckigen,
V Verkehr mit den Krämern. 327
nach oben verjüngten Ilolzthürme hervorragt, wo die Feuerwachen
postirt sind; — in der Feme die Rhede mit den Forts.
Unsere Tagesordnung in Akabane bUeb während des ganzen
Aufenthaltes ziemlich dieselbe. Sehr unterhaltend war der Verkehr
mit den Krämern, die uns täglich besuchten und an den von den
Kriegsschiffen herüberkommenden Officiereu und Mannschaften immer
neue Kunden fanden. Diese Volksclasse ist gutherzig, fröhlich
und dienstfertig, aber verschlagen und geldgierig; der japanische
Kaufmann nimmt eben jeden Vortheil den er erreichen kann.
Man darf sich nicht scheuen ihm ein Viertel, ja ein Zehntel seiner
Forderung zu bieten, er thut dann sehr entrüstet, lässt sich nur
langsam und anscheinend mit grosser Selbstüberwindung herabdingen,
streicht aber schliessUch lachend und ohne alle Scham den zehnten
Theil des Verlangten ein. Man hat auch dann wahrscheinlich noch
zu viel bezahlt. Die Händler bestanden oft mit eiserner Zähigkeit
Wochen lang auf den imsinnigsten Forderungen und schleppten ihre
Sachen immer wieder mit fort; wer aber beharrlich bUeb, fand das
Gewünschte eines Tages plötzlich in seinem Zimmer zu dem gebo-
tenen Preise. Merkwürdig ist dabei ihre Unfähigkeit im Kopfe zu
rechnen; bietet man ihn herunter, so holt der Verkäufer seine Rechen-
maschine heraus, ein flaches offenes Kästchen, in welchem Holzringe,
die Einer, Zehner u. s. w. bedeutend, an parallelen Stäben hin und
her geschoben werden. Nach langem Handthieren und Kopfschütteln
blickt er dann wehmüthig gen Himmel, holt, che Luft durch die
Zähne schlürfend, aus tiefer Brust Athem, und nennt mit halb
feierlicher, halb spitzbübischer Miene das Ergebniss seiner An-
strengungen, das gewöhnhch selir unbefriedigend ist. Bei jedem
neuen Gebot wird diese Procedur wiederholt. Nicht selten kam es
vor, dass mehrere Gegenstände zusammen mehr kosten sollten als
die Summe der für jeden einzelnen geforderten Preise; man musste
es auf jede Weise versuchen. — Bei diesem Verkehr pflegten die
japanischen Händler auf dem Boden zu knieen und grüssend oder
dankend mit der Stirn häufig die Erde zu berühren; sie betrugen
sich überhaupt, namentlich anfangs, sehr demüthig und mit grinsen-
der Unterwürfigkeit, die bei näherer Bekanntschaft einer weniger
knechtischen Zutraulichkeit Platz machte. Sie müssen, so wohlfeil
uns auch Alles ei*schien, doch sehr gute Geschäfte gemacht haben,
328 Uebertlieueruiig. Die Bktto's. V.
denn sie suchten die Kauflust durch neue ungesehene Sachen immer
wieder aufzustachehi und brachten zuweilen sehr, artige Kleinig-
keiten als Geschenk. Sebi, der weit über der gewöhnlichen Rotte
der Krämer stand, verehrte seinen besten Kunden hin und wieder
eine Schachtel mit Kuchen oder bemalten Wachskerzen, zierlich
mit rothen und silbernen Papierschnüren zugebunden, wie das bei
Geschenken in Japan üblich ist, und mit einem Stückchen getrock-
neten Fisches begleitet, der bei keiner Gabe fehlen darf und an
die alte einfache Lebensweise der Eingeborenen erinnern soll. —
Was die Preise bctrifilt, so behandelten die Krämer uns offenbar
als vornehme Leute, die nach japanischer Sitte Alles doppelt bezahlen
müssen. Die Bunyo's erwiederten auf unsere Klagen wegen üeber-
theuerung sehr kaltblütig, dass Leute ihres Standes, wenn ihnen eine
Sache gefiele, immer den geforderten Preis zahlten; das Dingen
scheint gradezu unanständig zu sein, der vornehme Japaner bezahlt
und verachtet den Krämer. Die europäischen Kaufleute in Yokuhama
beklagten sich bitter über die Unzuverlässigkeit der japanischen,
welche bei ihren Lieferungen nach Muster in den Ballen und Kisten
gute, probehaltige Waare nur obenauf, inwendig aber lauter geringe
zu packen pflegten; werden sie auf einer Betrügerei ertappt, so
lachen sie, und begreifen nicht dass man zürnt. Das Ehrgefühl und
die Scham der Rechtschaffenheit scheint diese Classe gar nicht
zu kennen.
Ein merkwürdiger Schlag sind die Stallknechte, Betto's. —
Die in Akabane ab- und zugehenden Mitglieder der Expedition mie-
theten, die beständig dort bleibenden kauften sich meist Pferde; zu
jedem braucht man einen Betto, der für die Wartung sorgt und
bei Ausflügen seinem Herrn voranläuft. So war denn unser Stall-
personal sehr zahlreich. Die Betto's sind muntere durchtriebene
Burschen, sehr tüchtig in ihrem Dienst, aber schwer zu lenken,
rechte Naturmenschen wie sie der Umgang mit Thieren zu erziehen
pflegt, von prächtiger Gestalt, mit breitem Brustkasten und eisernen
Muskeln, immer lustig und guter Dinge, voll Feuer und Frische.
Bei unseren Ritten sprangen sie , es mochte noch so sclmell gehen,
immer in muth willigen Sätzen voran, oft triefend und aufgelöst,
doch immer lachend und jauchzend: es war ein prächtiger Anblick,
besonders wenn sie, bei schnellem Laufen den Rock um die Lenden
gürtend, mit nacktem Oberkörper und Schenkeln dahinrannten.
Man sah Stellungen und Bewegungen , eine Entwickelung mämüicher
V. Die Betto's. 329
Schwungkraft und Gewandtheit, zu denen unser tagliches Leben
niemals Gelegenheit bietet. Der Betto muss beim Anhalten immer
gleich bei der Hand sein, um den Pferden, die es in Japan so ver-
langen,, die Mäuler auszuwaschen. — Zu Hause waren sie nicht viel
werth; der Stall musste von unseren Leuten beaufsichtigt werden,
sonst verjubelten die Betto's das Futtergeld; es gab fortwährend
Zank und Aerger. Man war gezwungen die Zahltage für jeden
anders zu legen, denn häufig verschwanden sie nach empfangener
Löhnung auf einige Tage und Nächte ganz, trieben sich in den
Schenken herum, und kamen nicht eher wieder bis Alles durch-
gebracht war, — sie sahen dann sehr hohläugig und verschwärmt
aus, thaten reuig und demütliig, und schworen hoch und theuer
sich bessern zu wollen. Die Betto's spielen, trinken und lieben
das schöne Geschlecht, sind zu jedem Wagniss, zu jeder Schlägerei
aufgelegt, aber ihrem Herrn unbedingt ergeben. Beim Antritt des
Dienstes erhielt jeder einen Rock mit dem Namenszuge oder Wappen
seines Gebieters auf dem Rücken; — sie thaten es nicht anders,
identificirten sich dann aber auch ganz mit ihrem Ernährer. Sie
haben ein lebhaftes Ehr- und Standesgefuhl; glaubte einer sein
Recht verletzt, so musste sein Herr ihm Genugthuung verschaffen,
und wenn das nicht nach Wunsch geschah, gingen wohl alle seine
Freunde mit ihm davon. So bheb der Stall oft olme Bedienung. —
Wie in Japan jeder Stand, selbst jede Verbindung von mehreren
Menschen, so haben auch die Betto's ihr gemeinsames Oberhaupt, das
schwere Abgaben von ihnen erhebt, für ihre Interessen und ihr Unter-
kommen sorgen, und sie, wie es heisst, in Zeiten der Dienstlosigkeit
ernähren muss. Li unserem Stall nahm der Stallknecht des Gesandten
sogleich die Stellung eines »Ober -Betto« an und behauptete über
seine Kameraden eine gewisse Autorität. Es scheint auch sehr
feine Standesunterschiede unter ihnen zu geben. So geschah es
dass Einer von ims seinen Bettö wegen grosser Unlenksamkeit
fortjagte, und einen anderen in Dienst nehmen wollte, der häufig
mit den Miethpf erden gekonunen war und sich durch sein ruhiges
und gesetztes Wesen vortheilhaft vor den anderen auszeichnete:
da widersetzten sich aber aUe übrigen; das sei ein »Akindo- Betto« , ein
Kaufmannsstallknecht, mit dem sie nicht dienen könnten; auch er
selbst gestand demüthig seine Licompetenz. — Da nun Kaufleute
nicht reiten dürfen, so lieh man uns offenbar Packpferde; andere
waren wohl auch in Yeddo nicht zu vermiethen.
ä30 Pferde und Sattelzeug. Spazierritte in die Umgegend. V.
Die Pferde sind klein und schlecht gebaut; sie gehen meist
Pass und Galopp und nur ungern Trab, sind aber sehr geschickt
im Klettern, wozu die steilen und abschüssigen Wege und die
vielen Treppen überall Gelegenheit bieten. Man reitet nur Hengste
und muss stets auf der Ilut sein, denn fast alle sind bissig und
greifen einander gern mit den Zähnen und Hufen an. Grosse
Schwierigkeit machte in der ersten Zeit das Aufsteigen von der
linken Seite, denn der Japaner setzt sich von der rechten zu Pferde:
sie stellten sich oft ganz ungebehrdig beim Nahen der fremden
Gestalten, bockten, schlugen und bissen wüthend um sich, und
schüttelten Manchen «chon auf dem Hofe wieder ab; — der Fall
auf die harten Steine war nicht grade sanft, doch hatten diese
Kämpfe für die Zuschauer viel Ergötzliches. Glückhch wer einen
europäischen Sattel oder wenigstens Steigbügel besass, denn die
einheimischen sind auf langen Ritten eine wahre Tortur. Die Japaner
haben sich übrigens von den Vorzügen des englischen Sattels über-
zeugt, und schon zur Zeit unserer Anwesenheit begegnete man
solchen in Yeddo, wie sie denn alles wirklich Practische gern
annehmen. Bald nach dem Eintreffen des Herrn Harris in der
Hauptstadt baten die Bunyo's, ihnen sein auf europäische Weise
beschlagenes Pferd auf einige Stunden zu leihen, und es stellte
sich heraus, dass sie den Beschlag kennen lernen und in Japan
einführen wollten. Bisher band man den Pferden Strohschuhe um
die Hufe, die auf allen Landstrassen zu haben sind, sich aber sehr
schnell abnutzen; es ist eine volksthümliche Art die Entfernungen
zu messen — nach den verbrauchten Strohschuhen.
Sehr genussreich und erfrischend waren unsere nachmittäg-
lichen Spazierritte in die Umgegend. Man kann sich keine anmuthi-
gere Landschaft denken, das Bild wechselt bei jedem Schritt. Das
Terrrain ist hügehg und von -vielen Thälem und Senkungen durch-
schnitten, die Höhen mit frischem, üppigem Grün, mit dem prach-
tigen Baum wuchs der Friedhöfe und Tempelgründe bedeckt; die
Abhänge theils angebaut, theils mit Strauchwerk und Gehölzen
sehr malerisch und anscheinend wild bewachsen, doch soll dies die
japanische Art der Braache sein: wenn der Acker erschöpft ists,
bepflanzt man ihn mit Bäumen zu Erzielung von Brenn- und Nutz-
holz. — Die Cultur selbst — mit Ausnahme der Reisfelder — ist
malerisch wie bei uns in Gegenden des kleinen bäuerlichen Besitzes,
nur die Vegetation unendlich reicher und üppiger. An jeder
V. Landschaft und Vegetation. 331
besonders hübschen Stelle, bei jeder schönen Aussicht liegt ein
Theehäuschen, wo der Japaner es sich im kühlen Schatten bei Thee
und Tabak wohl sein lässt und mit Frau und Kind die Natur
geniesst. Jede Bauemhütte hat ihr Blumengärtchen. Ueberall findet
man Gehöfte, Dörfer und Tempel, überall Wasserreich thum und
Anbau. Den Boden der flachen Thäler bedecken die Keispflanzungen,
an abschüssigen Stellen werden andere Feldfrüchte und mancherlei
Gemüse gebaut; die Aecker sind gepflegt wie Gartenbeete, kein
Unkraut zu sehen. Der Dünger gährt in bedachten Gruben und
wird auf Lastpferden in verschlossenen Fässern nach allen Richtungen
geführt, in den flachen Gegenden auf schmalen Kanälen zu Boot
fortgeschafft.
Die Landschaft ist nicht grossartig, aber sehr UebUch und
heimlich, voll reizender Abwechselung: hier eine Bauemhütte im
Bambusgehölz mit dem dichten, hellgrünen Graslaub, dort ladet
ein schattiger Gang hochstrebender Cryptomerien nach der im
grünen Bosket versteckten Mia — so heissen die Sinto- Tempel.
Bald zieht sich der Weg durch Laubgehölze von heimischem Ansehn,
bald reitet man zwischen Camelien-, Taxus - und Podocarpus- Hecken,
zwischen Lorbeer, Myrthen und Azaleen hin; die zierUche Chamaerops
excelsa — Japans einzige Pahne — sieht verstohlen aus dichtem
Gebüsch hervor. Die Flora ist unendlich formenreich , die Belaubung
bald weich und durchsichtig, bald schwer und dicht, bald fahl und
stumpf, bald frisch, glänzend und gesättigt, bald flaumig und fein
gefiedert, bald breit und massig. Im September, wo sich der
hier heimische Zuckerahorn und das Azaleenlaub dunkelpurpurroth
färben, wird die Farbenpracht der Landschaft berauschend. Das
wellige Terrain und die Mannichfaltigkeit des Anbaues erzeugt die
schönsten Linien im Vorder- und Mittelgrunde, und in der Ferne
erhebt der Fusiyama sein beschneites Haupt hoch über die vor-
hegenden Fakone- Berge.
Das Wetter war in der zweiten Hälfte des September regne-
risch, die Luft aber weich und milde imd die Beleuchtungen, wenn
es schön wurde, ganz herrlich. Unsere Ritte gingen gewöhnlich
nach der uns zunächst hegenden südUchen und westUchen Umgebung
von Yeddo. Das bei Akabahe fliessende Gewässer aufwärts ver-
folgend wendet sich der Weg bald in scharfem Winkel nach Süden ;
eine Strecke weit, ziehen sich Häuserreihen an beiden Ufern hin,
dahinter liegen Höhen mit abschüssigen Strassen. Die Ufer werden
332 I^'e Umgebung von Yeddo. V.
immer grüner; aus den üppigen Laubmassen sehen Tempel und
ländliche Wohnungen hervor, man kommt an den Grundstücken
mehrerer Daimio's vorbei, wo hinter den schwarzen Bretterzäunen
die Soldaten auf schattigen Rasenplätzen exercieren und nach der
Scheibe schiessen. Pfahlbrücken von gewölbtem Bau fuhren über
das immer kleiner werdende Flüsschen; über eine derselben gewinnt
man das jenseitige Ufer und tritt in einen von Bambus und dichtem
Grün beschatteten Hohlweg. Es geht bergan, die enge Strasse
bietet kaum Platz zum Ausweichen. Auf der Höhe liegen rechts
und links im Grünen ländUche Theehäuser, deren halb verwilderte
Anlagen sich nach dem jenseitigen Thalgrunde senken. Ein hoher
rasenbedeckter Erdkegel — künstUch aufgeschüttet — den die
Japaner den kleinen Fusiyama nennen, gewährt eine weite Aussicht
nach Süden und Westen. Unten liegt ein ebenes, mit Reis bebautes
Thal, durch das sich breite Wege schlängeln; jenseit steigt der
Boden allmälich an. Heimische Strohdacher winken drüben aus
frühlingsgrünem Bambusgefieder, aber der rothglühende Ahorn mahnt
an den Herbst. Ein gUtzender Bach rieselt durch das dichte Ge-
büsch, aus welchem hohe Gruppen dunkeler Cryptomerien und
Tannen emporstreben. — Weiter erheben sich niedrige Hügelreihen
mit Busch und Feld und herrlichen Waldprofilen, dahinter die
Fakone- Berge und der grosse Fusiyaäia.
Der Weg führt abschüssig in das Tlial hinab; drüben gelangt
man wieder in enge Hohlwege, aus denen der Blick sich ab und
zu auf die Ueblichsten Gründe öffiiet: überall liegen Bauernhäuser
im Grünen zerstreut, und an hervorragenden Puncten ländhche
Tempel und Friedliöfe; bemooste Grabsteine schimmern durch den
tiefen duftigen Schatten des Gehölzes, wo Epheu und Immergrün
den Boden decken. Hier und da steht ein Heiligenbild am Wege,
der segnende Budda auf der Lotosblume, alterthünüiche Bildsäulen
aus Stein oder Bronze. Bei den grösseren Dprfern findet man
imposante Tempelanlagen und Friedhöfe mit ehrwürdigen Riesen-
bäumen. — Aehnlich ist der Charakter der Landschaft im Nordwesten
und Norden der Stadt, wellenförmiges wasserreiches Hügelland mit
Busch und Feld in unerschöpflicher Abwechselung, reich bevölkert
und angebaut.
Die Höhenzüge, welche im südüchen Theile von Yeddo
das Meer berühren und hier nur einen schmalen Streifen flachen
Uferlandes frei lassen, treten allmäUch von der Küste zurück:
V. ßcr GOTKNYAMA. SiNAOAVA. 333
von ihren Abhängen geniesst man der köstlichsten Aussicht auf die
reiche Ebene und den begrenzenden Golf. — Vom Landungsplatze
der Fremden aus führt der Tokaido südlich eine Strecke am Meere
entlang"); Unks Hegt eine Reihe von Theebuden, wo Reisende sich
vor dem Eintritt in die Hauptstadt zu erfrischen pflegen, rechts die
FaQaden einiger Yamaske's — darunter ein Palast des Fürsten
von Satsuma, — und das Portal zum Tempel von Todzendzi, dem
Sitze der englischen Gesandtschaft. Eine dicht bevölkerte Vorstadt
bedeckt den dahinter liegenden Höhenzug, dessen südlichen Aus-
läufer der GoTENYAMA bildet, wo die Regierung des Taikl^n im
Jahre 1861 ein Terrain zum gemeinschaftUchen Bau der fremden
Gesandtschaften angewiesen hatte. Die Nachbarschaft bewies sich
dieser Abtretung feindlich; die Regierung ersuchte später die Frem-
den, dort nicht zu bauen, und wusste nicht zu verhindern, dass das
schon halb fertige Gebäude der englischen Legation unterminirt und
in die Luft gesprengt wurde. — Der Gotenyama tritt dicht an den
Tokaido heran, so dass zu beiden Seiten der Strasse nur Raum für
eine Häuserreihe bleibt; dies ist die übelberufene Vorstadt Sinaoava,
der Tummelplatz der ausschweifenden Jugend aus den höheren
Ständen und das Rendezvous aller gefährlichen Subjecte der Haupt-
stadt. Alle Häuser sind hier zweistöckig, ihr Aeusseres wohlhabend
und reinlich; man sieht in tiefe helle Corridore hinein, auf die sich ganze
Reihen von Gemächern zu öfihen scheinen. Bei Tage ist Alles ruhig,
aber Abends tönt Gesang und Saitenspiel vermischt mit dem wüsten
Ijärm wilder Gelage und Orgien aus den Häusern. Auch die Grossen
von Yeddo sollen hier ihre Absteigequartiere haben, und begeben
sich Abends »Naibün« mit kleinem Gefolge dahin. Zwischen ihren
Trabanten veranlassen Eifersucht, Weinrausch und Spiel oft blutige.
Händel, und der friedhebende Bewohner thut wohl, diese Stadt-
viertel bei Abend zu meiden. Es kam besonders in dieser Gegend
oft vor, dass sich Samrai's, Trabanten der Daimio's, den Fremden
mit Schmähungen und drohenden Gebehrden, die Hand am Schwerte
in den Weg stellten; nicht nur Sinaoava selbst, sondern die ganze
Umgebung, die wir beim Spazierenreiten häufig zu passiren pflegten,
war unsicher. Capitän Jachmann wurde am hellen Tage insultirt.
Er ritt mit Lieutenant Berger und Assessor Sachse, beide von der
Thetis, vom Landungsplatze der Fremden den Tokaido entlang nach
^^) Blatt 2 der »Ansichten aus Japan, China und Siam« zeigt diesen Theil des
Tokaido.
334 Renconti'e mit Daimio - Trabanten. V.
der englischen Gesandtschaft zu — unbewaffiiet, wie wir Alle in
der ersten Zeit unserer Anwesenheit zu gehen pflegten, — als plötz-
lich ein Reiter, mit geröthetem Gesicht und offenbar betrunken, ihm
in den Weg sprengt. Die Herren Berger und Sachse waren etwa
siebzig Schritte zurückgeblieben, und kamen in diesem AugenbUck
grade bei einem der zahlreichen Strassenthore an, wo sie gebeten
wurden abzusteigen, und in das Bureau der Pohzeiwache zu treten, —
dort sassen schon drei der begleitenden Yakuninc und rauchten
Tabak. Vor dem PoUzeihause entsteht ein Volksauflauf; der betrun-
kene Samrai reitet wie besessen hin und her, und als Capitän
Jachmann seinen Weg fortsetzen will, greifen zwei Betto's in die
Zügel des Pferdes und fuhren es ebenfalls nach dem PoUzeihause,
wo der Capitän absteigt und sich in die Thür des Gebäudes stellt
Der Reiter setzt über die niedrige Umzäunung und spornt sein Pferd
grade in das Haus hinein, worauf der Polizeimeister, ein bedächtiger
Herr, die Papierthüren vorschiebt, was nach dortigem Gebrauche
respectirt zu werden scheint, denn der Feind entfernte sich. Einige
Minuten darauf kamen aus dem naheliegenden Palais des Fürsten
von Satsüma drei Reiter, welche die Strasse säuberten, die Herren
einluden ihren Weg fortzusetzen, und sich dann höflich verabschie-
deten. Die Mässigung der preussischen Officiere dem Betrunkenen
gegenüber verdient die grösste Anerkennung, denn ein blutiges Ren-
contre, bei dem überdies durchaus keine Ehre zu holen war, hätte
leicht zu Verwickelungen führen können die jede MögUchkeit des
Vertrages abschnitten. Die anderen Gesandten und ihr Gefolge
hatten ähnliche Auftritte mehrfach erlebt und klagten bitter über
die Indolenz der begleitenden Yakuninc, die, statt Gewalt mit
Gewalt zu vertreiben, die Fremden immer zur Ignorirung solcher
Belästigungen zu bewegen suchten. Das war, so lange es sich nur
um die Drohungen Trunkener handelte, gewiss das Klügste; leider
blieben sie aber auch bei ernstlichen Angriffen meist imthätig. —
Graf Eulenburg richtete wegen dieser Begegnung eine Note an den
japanischen Minister der Auswärtigen, worauf die Antw^ort erfolgte,
dass die beiden schuldigen Yakuninc »verurtheilt und arretirt«, die
künftigen Begleiter aber zu grösserer Au&nerksamkeit angewiesen
worden seien.
An SiNAGAVA schliesst sich die Vorstadt Omaoava ; die Häuser-
reihen sind nur durch den Richtplatz unterbrochen, w^o die Todes-
strafe an schweren Verbrechern öffentlich vollstreckt wird. Der
V. Om AGAVA. Omori. Reisfelder. 335
Platz liegt dicht am Meere, ist mit hohem Grase bewachsen und
mit struppigen Hecken umgeben; an den Grenzen stehen Gebet-
säulen, wo die Verurtheilten ihre letzte Andacht verrichten.
Omagava zeichnet sich durch eine unglaubliche Menge von
Spielzeugläden aus, hier müssen die Fabriken sein welche ganz
Yeddo versorgen. Am Ausgange dieser Vorstadt liegt rechts am
Wege der beUebte Theegarten von Meoaske oder Omori, das
Pflaumenhaus, dessen hübsche Aufwärterinnen grosse Freundschaft
für die Fremden zeigten und besonders von den Officieren und
Cadetten unserer Kriegsschiffe oft besucht wurden; sie waren sehr
heiter und neugierig und lernten manche deutsche Redensart. Die
fremden Gäste nahmen gewöhnlich in einem freundlichen Pavillon
Platz, dessen Zimmer sich nach dem Garten öffnen; die vordere
Wand war entfernt imd man sass wie im Freien. Der Garten ist
eine niedliche Anlage mit Goldfischteichen, kleinen Brücken , künst-
lichen Felsen und Zwergbäumen aller Art, Alles so sauber und
geschniegelt wie die Mädchen selbst, die geschäftig hin- und
hertrippelten, und Thee, Weintrauben und Eier herbeizubringen
pflegten. Einige betnigen sich etwas ausgelassen, andere mit
naiver Schüchternheit; im Ganzen war ihr Benehmen lebhaft und
zuthuUch, aber durchaus anständig und wohlerzogen. — In einem
stillen Winkel des Gärtchens hegt unter schattigem Gebüsch eine
kleine Mia, wo die artigen Bewohnerinnen ihre Andacht zu ver-
richten pflegen.
Omori ist etwa anderthalb deutsche Meilen von Akabane
entfernt Biegt man hier vom Toka'ido rechts in die Reisfelder ein,
so gelangt man bald in das Hügelland. Der Weg durch die Reis-
culturen ist beschwerUch zu reiten, er liegt auf den schmalen die
sumpfigen Aecker durchkreuzenden Dämmen, welche in kurzen Ent-
fermmgen von engen Canälen geschnitten werden; .die darüber fuh-
renden Brückenstege aus einer Steinplanke sind den Pferden beson-
ders gefährUch, für Cavallerie wäre das Terrain ganz unzugänglich.
Bei raschem Reiten in grosser Cavalcade plumpte fast jedes Mal
Dieser oder Jener in den Morast; — - man trabte Einer hinter dem
Anderen, und wenn auch der Erste, der allein vor sich sehen
konnte, noch so laut »Brücke« schrie und die Folgenden es wie-
derholten, so kam doch häufig die Warnung zu spät. Ernsten
Schaden hat Niemand dabei genommen, aber für den Spott brauchte
man nach dem Schmutzbade nicht zu sorgen.
336 Ikeoami. V.
Am Rande dieser Ebene liegt das Dorf Ikegami unter einer
dicht bewachsenen Anhöhe. Oben steht zwischen mächtigen Bäumen
ein grosser Tempel mit vielen Nebengebäuden und seitwärts davon
das 'mehrstöckige Mausoleum eines Taikün mit anderen Grab-
monumenten der Familie Minamoto; der Ort ist grün und schattig.
Unten im Dorfe führt eine breite Strasse auf das erste am Fusse
des Hügels gelegene Thor zu, daneben steht ein hoher inscribirter '
Denkstein und eine Gebetsäule. Man überschreitet eine Brücke und
steigt dann die hohe von dichten Baumwipfeln beschattete Treppen-
flucht — mehrere hundert Stufen — zu dem zweistöckigen Haupt-
portal hinan, das sich auf einen breiten Platz öfinet. - Die gegen-
überliegende Seite nimmt der Tempel selbst ein, rechts und Unks
liegen kleinere Gebäude von reicher Holzarchitectur, darunter das
Glockenhaus, eine oflFene von geneigten Holzsäulen getragene Halle,
in deren Mitte die reichverzierte Glocke hängt. Sie hat keinen
Klöpfel, sondern wird vermittelst eines in wagerechter Schwebe an
Ketten aufgehängten Holzbalkens angeschlagen, den man nach Art
der antiken Mauerbrecher zurückzieht und dann loslässt; dieses
Gerüst steht ausserhalb hinter dem Glockenhause. Auch kleinere
Glocken werden in Japan mit hölzernem Hammer geschlagen, nie-
mals mit metallenem Klöpfel; der so erzeugte Klang ist nicht so
hell, aber voller, weicher und nachhaltiger als bei unseren Glocken.
Als wir den Tempelgrund von Ikegami zum ersten Male
besuchten ,' eilten die Bonzen herbei und zogen Seile über die Wege
zu den geheiligten Grabstätten, zeigten sich aber sonst freundlich
und dienstfertig. Die ganze Dorfbevölkerung kam herauf, die Kinder
stürzten sich auf die Seile der muschelförmigen Gongs über den
Tempelthüren und begannen aus Leibeskräften zu läuten; der Jubel
wollte kein Ende nehmen als der Gesandte blanke MetaUknöpfe,
welche die Japaner sehr heben, unter die Menge auswarf. — Der
Tempel selbst war verschlossen; hinter demselben hegt ein weit-
läufiges Gebäude, die Wohnung der zahlreichen Priester, welche
bei späteren Besuchen viel zugänglicher wurden; doch bedurfte es
einer besonderen Erlaubniss der Regierung, um hier photographiren
und zeichnen zu dürfen. — Die dichten Gehölze der ausgedehnten
Anlage bestehen aus Tannen, Cryptomerien imd anderen Nadelhöl-
zern: die hochstrebenden Stämme bilden düstere Alleen, aus denen
man seitwärts im schattigen Gebüsch Grabmonumente von schönem
Bronzeguss gewahrt; die Stimmung ist ernst imd feierUch. Der
V. Sknzoko. Ausflug nach Odsi. 337
südliche Abhang der Höhe bietet reiche Aussichten auf das Dorf
und die fruchtbare Ebene.
Von Ikeoami gelangt man westlich über Hügelreihen nach
einem kleinen Landsee, der sich im Herbst mit Tausenden wilder
Enten bevölkert; auch hier und im weiten Umkreise von Yeddo darf
ihnen Niemand nachstellen. Die Landschaft ist reich an gefiederter
Staffage, namentlich Reihern und Kranichen, die bedächtig im
Sumpfe der Reisfelder watend den Fröschen und Fischen lauem;
im Winter treiben sich dort ganze Schaaren wilder Gänse herum,
die Bauern sollen sie zuweilen mit Angeln fangen. — Am Landsee
von Senzoko liegen wieder stattliche buddistische Tempel und gegen-
über unter himmelhohen Crypjiomerien versteckt eine bescheidene
MiA, deren Gegenwart nur das rothe hölzerne Toori*') am Ufer
verräth. Einige ländliche Theehäuser sind malerich an das Wasser
gebaut, in dem sich von allen Seiten grüne Wipfel spiegeln, — der
Ort hat etwas überaus liebliches und friedliches und wurde häufig
das Ziel unserer Ritte. Der directe Weg nach Yeddo fuhrt über
das früher beschriebene Hügelland, durch Dörfer, Hohlwege und
Bambusgehölze.
Am 28. September machten wir einen Ausflug nach dem 28. Septbr.
nordwesthch von Yeddo gelegenen Dorfe Odsi, einem beUebten
Vergnügungsort mit eleganten Theehäusem. Der Gesandte hatte
dazu mehrere Officiere von den Schiffen eingeladen, so dass unsere
Cavalcade mit zehn JAKui^isen aus dreissig Reitern bestand. Es
regnete am frühen Morgen, klärte sich aber auf, als wir gegen
neun Uhr abritten ; der Tag blieb nebeUg mit gelegentlichen Sonnen-
blicken, die Luft war milde und angenehm. Heusken führte uns
zunächst durch die südwestlichen Vorstädte und durch ländliche
Gegenden, dann nach der westlichen Ecke des Soto-Siro, — das
wir nach Norden durchschnitten, — und an den Palästen der
^ TooBi heisst ein Portal aus zwei gegeDeinander geneigten Säuleu, die oben
durch zwei Queerbalkeu verbunden sind. Man findet es bei den meisten japanischen
Tempeln, bald gross, bald klein, von Holz, lackirt oder kupferbeschlagen, häufig
auch von Stein. Zwischen den Queerbalken ist zuweilen eine Tafel mit dem Namen
des Tempels angebracht. Die Form des Toori ist unveränderlich und durch hohes
Alter sanctiouirt; die geneigten Säulen, die Schweifung des oberen und die auch bei
steinernen Portalen dieser Art vorkommenden Keile am unteren Queerbalken beweisen,
dass ihre Form ursprünglich auf der Holzconstruction beruht. S. »Ansichten ans
Japan, China und Slam« Blatt 1 und 5.
I. 22
338 Yamaske's von MiTO und Kanoa. Die Universität. Sume. V.
Fürsten von Mito und Kanga vorbei, die schon damals als die
heftigsten Gegner des Fremdenverkehrs galten. Der Fürst von Kamoa
ist der reichste aller japanischen Daimio's; er besitzt zwei von den
68 Provinzen des Reiches, und nach dem Staatskalender ein jährliches
Einkommen von 1,202,700 Kok Reis, etwa fünf MiUionen Thaler. —
Sein Grundstück in Yeddo ist sehr ausgedehnt und hegt nördlich
ausserhalb des Soto-Siro, nicht weit von dem grossen Confucius-
Tempel, dem Sitze der Universität, wo im Hofe die Bildsäule des
Weltweisen aufgestellt ist. Jeder Eintretende, selbst der Taikün,
der nach der Sitte seiner Vorfahren diesen Tempel jährhch besucht,
kniet davor nieder; ein gleiches Ansinnen wurde auch an den
amerikanischen IVIinister- Residenten, gestellt, der die Anstalt zu
sehen wünschte, auf diese Bedingung aber von seinem Vorhaben
abstand.
Unsere Cavalcade erregte in diesem von Fremden wenig
besuchten Stadttheil grosses Aufsehn; ein vornehmer Japaner zu
Pferde, der, als wir im raschen Tempo vorbeieilten, in Begleitung
mehrerer Diener unversehens um die Ecke bog, erschrak bei dem
unvermutheten Anblick dermaassen, dass er sein Pferd herumwarf
und im Trabe davonritt. - Es ging nun durch lange, von Krämern
und Ackerleuten bewohnte Vorstädte, dann durch Felder und Garten
nach dem Flecken Sume, wo wir nach zweistündigem Ritt von
Akabane bei dem Hause eines Kunstgärtners Halt machten. Der
Garten war sehr niedlich angelegt, mit Wasserrinnen und Goldfisch-
teichen wo Moose und Wasserpflanzen gezogen wurden, dazwischen
künstliche Felsen mit Zwergbäumen aller Art *'). Hunderte sorgfaltig
gepflegter Blumentopfe standen theils im Freien, theils unter Schuppen
und Strohbedachung, ganz wie bei uns. Die Aufnahme von Seiten
des mit Herrn Heusken seit lange bekannten Besitzers war sehr
zuvorkommend, die schönste Blume des Gartens aber seine Tochter,
ein Mädchen von seltener Anmuth und Grazie. Einfach und häushch
gekleidet schien sie bei unserer Ankunft mit Gartenarbeit beschäftigt.,
die sie verUess lun uns mit Thee zu bewirthen, und benahm sich
dabei mit so bescheidenem freundlichen Anstände dass sich die
ganze Gesellschaft gefesselt fühlte. — Von Sume aus brachte uns
ein kurzer Ritt nach Odsi, wohin der Gesandte das Frühstück
vorausgeschickt hatte.
^*) Blatt 4 der »Ansichten aus Japan, China und Siam« zeigt einen japanischen
Garten.
V. Odsi. Der Askatama. 339
Das Fächerhaus — so liiess das von uns besuchte Tsa-ta —
hegt an einem rauschenden Flüsschen, das hier in Cascaden aus
einer engen grünen Schlucht hervorströmt. Die Häuser und Pavil-
lons sind halb in das Wasser gebaut, gegenüber steigt die dicht-
bewachsene Thal wand steil empor; man sitzt über dem plätschern-
den Wässerchen kühl und schattig. Ein sorgfältig gehaltener Garten
hegt neben dem Theehause, gegen dessen gepflegte reinliche Eleganz
die meisten heimischen Yergnügungslocale nur gewöhnliche Kneipen
sind. Das Ganze ist wie aus dem Ei geschält, mit Einschluss der
hübschen Aufwärterinnen, welche die Fremden freundlich willkom-
men hiessenund in die besten Gemächer führten. Von Zierrathen
sieht man auch hier wenig bis auf einige gemalte Wandschirme,
aber Alles ist blank und geputzt, das Holzwerk sauber gefugt und
geschUffen, die Matten fein und glänzend, die hellen Tapeten und
Papierscheiben weiss und fleckenlos. Und doch hat diese Ele-
ganz nichts Kaltes; man fühlt sich nicht in neuen sondern in gut-
gehaltenen Räumen, unter gesitteten Menschen wo Ordnung und
Anstand walten. — Nach dem Frühstück machten wir einen Spa-
ziergang nach dem Asratama, einer nahegelegenen Höhe wo ehe-
mals ein Jagdschloss des Taiküü gestanden haben soll, weshalb
man sie noch heute nur zu Fuss betreten darf. Der flache Rücken
ist angebaut, auf den Abhängen ragen hochstämmige Nadelbäume
aus üppigem Gebüsch. Noch jetzt besucht der Taikün jährlich
diesen Ort bei den grossen Reiherjagden. — Die Aussicht beherrscht
die vom 0-gava durchströmte fruchtbare Ebene nördlich von Yeddo. —
Am westlichen Rande des Hügels liegt unter dichten Baumwipfeln
ein einfacher Tempel, dessen Anlagen sich in die dahinter liegende
grüne Schlucht hinabziehen; hier fallt ein frischer Quell von der
beschatteten Felswand herab, der einen steinernen Götzen bespült.
Wenn wir die Yakuninc recht verstanden, so pflegen Japaner, die
im Fächerhause des Guten zu viel gethan haben, hierher zu pilgern,
um unter dem kühlen Born wieder nüchtern zu werden und zugleich
ihre Andacht zu verrichten. Geebnete Gänge führen in die dicht-
bewachsene feuchte Schlucht, durch deren vielfache Krümmungen
sich das eingeengte Gewässer mit hellem Rauschen den Weg bahnt. —
Der Tempel soll von Jyeyas gestiftet, und nach dessen Tode seinem
Andenken geweiht worden sein.
Der Ortsvorsteher machte auf diesem Spaziergange den
Führer; wir kehrten durch Gemüsefelder und Gärten nach dem
22 •
340 AsAKSA. Der Kuannon- Tempel. V.
Dorfe zurück, — das Läden mit allerlei Tand und Spielereien ent-
hält, wie man sie bei heiterer Laune für Frauen und Kinder gern
zu kaufen pflegt, — stiegen bald darauf zu Pferde und wandten
uns östlich nach der Ebene des 0-oava. Die schmalen Wege
durch die Reisfelder waren durchweicht und schlüpferig; einige
ungeübte Reiter maassen, vom Frühstück begeistert, die Länge
ihrer Klepper im Schmutz, kamen aber ohne Schaden davon. —
Wir überschritten den O - gava auf einer Pfahlbrücke , und erreichten
dann, sein linkes Ufer auf breitem Feldwege stromabwärts verfolgend,
nach fast zweistündigem Ritt die nördlichen Vorstädte des Hondzo.
Man passirt hier abermals den Strom auf einer Brücke welche das
HoNDzo mit dem Stadtviertel Asaksa verbindet, wo wir gegen drei Uhr
vor dem grossen Kuannon -Tempel von den Pferden stiegen.
Diese ist eine der grössten Tempelanlagen von Yeddo und
zugleich ein berühmter Wallfahrtsort. Von der Strasse fuhrt die
breite Steinbahn durch ein mächtiges Toori grade auf das Haupt-
portal zu, ein grosses zweistöckiges Gebäude mit geschweiftem
weit auskragendem Dachstuhl. Zu beiden Seiten des Durchganges
sitzen in vergitterten Hallen die colossalen Geniengestalten des
Feuers und des Wassers — als Symbole der Reinigung, — fratzen-
haft verzerrte phantastische Schreckbilder, feuerroth gefärbt. Älit
feinem dunkelrothem I^ack ist auch alles Holzwerk dieses Gebäudes
und des Haupttempels überzogen, bis zu welchem die Steinbalm
sich in grader Richtung fortsetzt. An beiden Seiten derselben stehen
auf der ganzen Strecke vom Eingangs -Toori bis zum Tempel zu-
sammenhängende Reihen von Thee- und Jahrmarktsbuden, wo dem
Pilger tausenderlei Waaren zu Kauf geboten werden, theils Haus-
rath und Bedürfnisse des tägUchen Lebens, theils Spielzeug und
Luxusartikel, denn es ist in Japan Sitte, seinen Freunden von der
Reise etwas mitzubringen. Hier drängte sich eine dichte Volks-
menge, die grossen Theils dem Inneren des Landes anzugehören
schien und die nie gesehenen Fremden neugierig begaffte. Auch
der Tempel, seine Zugänge und Treppen waren dicht mit Menschen
besetzt, man schob sich mühsam durch das Gedränge.
Der Tempel selbst ist ein mächtiges Gebäude aus Holz mit
schwerem dunkelem Ziegeldach, die Bauart massig und gedrungen.
Der Estrich mag zwölf Fuss über dem Boden hegen; eine breite
Treppenflucht führt zu dem dreifachen Eingange hinan. Das Innere
bildet eine hohe, düstere, von roth lackirten Säulen getragene Halle,
V. Das Innere des Tempels. Die Bonzen. 341
welche ihr Licht nur durch die Haupt- und Nebenthüren erhält;
riesenhafte Papierlatemen , deren jede mehrere Menschen bergen
könnte, hangen von der Decke herab. Dem Haupteingang gegenüber
erhebt sich ein vergoldetes Gitter durch welches der Altar mit den
Götzenbildern sichtbar ist, — nur die Priester scheinen zu diesem
Allerheiligsten Zutritt zu haben; — davor steht ein mächtiger
Gotteskasten, wohl dreissig Fuss lang und halb so breit, und kaum
eine Elle aus dem Fussboden hervorragend; die ganze obere Fläche
ist offen, und weitläuftig mit hochkantigen Sparren vergittert, so
dass Jeder auch vom Eingange aus mit Sicherheit über die Köpfe
der Vornstehenden hineintreffen kann; denn das Gedränge ist im
Tempel oft so gross, dass nur Wenige bis an das Heiligthum ge-
langen. Wir sahen Kupfermünzen aus allen Theilen des Gebäudes
in den Gotteskasten fliegen, der die Mitte des Tempelraumes einnimmt
und für die Priester gewiss dessen wesentlichster Theil ist. — In
einigen Nebengemächern sind viele Gemälde und andere Votivsachen
aufgehängt, unter denen eine Reihe von Bildnissen der berühmtesten
Courtisanen von Yeddo besonders auffallen muss; sie gelten als
Schutzheilige gefallener Schönheit Ein anderes ziemlich hoch gehäng-
tes Gemälde war mit lauter kleinen weissen Puncten bedeckt, und es
stellte sich heraus dass dies Papierkugeln seien, gekaute Gebet-
formeln welche die Andächtigen da hinaufgeblasen hatten. — An
den Säulen und Wänden sitzen kahlgeschorene Bonzen mit feisten
ausdruckslosen Gesichtern, Heiligenbilder und Gebetbücher aller
Art verkaufend; sie treiben einen einträglichen Ablasshandel und
üben grossen Einfluss auf die niederen Classen, stehen aber bei
allen Gebildeten in tiefer Verachtung, denn der heutige japanische
Buddismus ist nur noch ein verworrenes Gewebe abergläubischer
Gebräuche und todter Formen, und die Bonzen thun ihr Mögüchstes
um das Volk in Dunkel und Unwissenheit zu erhalten ; die herrschen-
den Stände aber sehen , so sehr sie für sich selbst nach Aufklärung
streben, die Verdummung des Volkes für nothwendig zur Erhaltung
der alten Staatsverfassung an. Der Buddismus gilt überdies als
die beste Schutzwehr gegen das Christentlium und wurde deshalb
im siebzehnten Jahrhundert zur Staatsreligion erhoben.
So viel wir herausbringen konnten , ist der Tempel von Asaksa
der Mutter des Budda geweiht, sein voller Namen 0-Kuannon-
Sama, d. h. »der grosse Herr. Kuannon«. Dieser Ausdruck aber
bedeutet nach dem Zeugniss gelehrter Sprachforscher »die Menschen
342 Wachsfigurencabinet. V
erhörende Gottheit«, — es soll in Japan 33 Wallfalirtsorte dieses
Namens geben, Tempel erlösender Fürbitte, welche sämmtlich
besucht zu haben den japanischen Frommen als grosses Verdienst
gilt. — Bei dem Tempel von Asaksa soll ein milchweisses Pferd
unterhalten und täglich zu dem Bilde der Gottheit gefuhrt werden:
die Bonzen fragen dann ob sie ausreiten will und führen es wieder
in den Stall. — Seitwärts von dem Zugange erhebt sich eine hohe
thurmartige Pagode mit mehreren weit auskragenden Dachetagen.
Der Tempel selbst steht ganz frei auf einem grossen ebenen
Platz, wo unter Bäumen Schaubuden aller Art au%e8chlagen sind.
Da giebt es Jongleure, Menagerieen, Theater und Puppenspiele,
unter Anderen auch ein grosses Wachsfigurencabinet das selbst bei
uns Aufsehn machen würde. Die Anordnung war vortrefflich: ein
grosses viereckiges Gebäude, in welchem der äusseren Wand zu-
nächst ein nicht allzu breiter Gang für die Beschauer frei blieb:
man sah von dort in lauter einzelne, nach vom oflFene Gemächer
hinein, deren jedes eine Gruppe oder Scene aus dem häuslichen
Leben enthielt: — der Blick umfasste immer nur eine dieser Ab-
theilungen und wurde durch nichts gestört. Die Figuren waren von
solcher Lebendigkeit und Treue in Stellung und Ausdruck, dass
selbst das geübte Auge im ersten Augenblick die Wirklichkeit
lebende Bilder vor sich zu sehen glaubte. Da war ein altes Pärchen
das sich in Saki gütlich gethan hatte, mit seelenvergnügtem lallendem
Ausdruck, ein anderes Ehepaar das sich raufte, und viele ähnliche
Scenen mit frappantester Darstellung der Affecte. Zarte Schönheit
nachzubilden hatte man mit weisem Verständniss des Vermögens
dieser Technik nicht versucht, es war lauter »Genre«. Als Haupt-
stück der Schaustellung schien ein Bild der Geisteraustreibung in
der Neujahrsnacht zu gelten, einer altjapanischen Sitte, die heut
noch selbst in den vornehmsten Häusern streng gehalten werden
soll: der Hausherr geht in allen Gemächern herum und wirft Bohnen
aus, worauf die bösen Geister entweichen. Sie waren hier halb
thierisch gebildet, mit rothem behaartem Körper, Krallen und
Hörnern , und flohen entsetzt nach allen Richtungen. Man begegnet
dieser Darstellung in vielen japanischen Bilderbüchern. Im kaiser-
lichen Palast soll der erste Minister die Ceremonie vollziehen.
In einer anderen Bude sind lauter Greuel, Schrecknisse und
Gespensterspuk nachgebildet, und zwar manche Scenen mit so
grässlicher Naturwahrheit dass Jeder unwillkührhch zurückschaudert.
V. Greuelsceuen. Schiessbuden. 343
Rechts vom Eingang tritt man auf modernden Brettern über eine
sumpfige Stelle, in derein verwesender Leichnam steckt; das hohl-
äugige Gerippe — kein wirkliches — hegt unter Schlamm und
Pflanzenresten halb verborgen, so dass die Phantasie noch mehr
als das Auge sieht, und um den Blick recht hinzulenken scharrt und
pickt ein lebendiger Rabe daran herum. Es ist nur ein schmaler
Durchgang, nach dem Innern des Gebäudes dunkel, nach aussen
von einem Bretterzaun geschlossen, — so dass durch die von der
Seite hineinreichenden Baumzweige der Himmel glänzt, — und so
unheimUch und natürlich decorirt, dass man die Schaubude ganz
vergisst. — In dem nächsten Raum hing ein Gekreuzigter mit dem
Messer in der Brust, dann kam ein Galgen mit blutigem Haupt,
femer Spukscenen, wo durch Beleuchtung und grausenhafte Ge-
stalten das Mögliche in entsetzlichen Wirkungen geleistet war.
Hier bewegten sich einzelne Figuren: Gespenster stiegen aus alten
Tonnen und guckten über Zäune, auch Katzen und anderes nächt-
liche Gethier spielten mit. — Man musste das raffinirte Studium des
Grässlichen in der Natur und der menschUchen Einbildungskraft be-
wundem. Einen komischen Eindruck dagegen machte die auf einer
kleinen Bühne gespielte Schlussscene : zwei Schatzgräber oder Diebe
bringen eine Kiste, aus der ein humoristisches Gespenst hervorsteigt
um jene mit possenhaftem Spuk zu peinigen.
An der einen Seite des freien Platzes steht eine Reihe ele-
ganter Schiessbuden. Die Vorderseite ist offen ; dort sitzt der Eigen-
thümer auf der Matte mit einer Reihe zierlich gearbeiteter Miniatur-
bogen und Pfeile vor sich. Im Grunde des Gemaches sind vor
einer Drapirung Holzscheiben von der Grösse eines Thalers und
etwas grössere aufgehängt; die vom breiten Pfeile prallen mit hellem
Klang davon ab. Einige von uns bemühten sich vergebens die
Ziele zu treffen, aber der Eigen thümer schoss, dazu angefordert,
lächelnd und ohne sich von seinem Platze zu rühren ein Dutzend
Pfeile hintereinander auf die thaler2n*osse Scheibe. Es sah aus wie
ein magnetisches Kunststück, denn der Schütze schien nicht einmal
zu zielen, sondern legte nachlässig und fast olme hinzusehen einen
Pfeil nach dem anderen auf die Sehne.
Der bunte Jahrmarkt des Kuannon- Tempels ist sehr anzie-
hend und bot bei jedem späteren Besuche neue Unterhaltung; er
scheint das ganze Jahr durch zu währen und ein Hauptvergnügungs-
ort fiir die Bewohner der Hauptstadt zu sein. Bunte Gruppen
344 Kunstgärtnerei. Der 0-oava. V.
beleben die schattigen Plätze, geputzte Frauen und Kinder wan-
deln die bunten Buden entlang, oder futtern Hühner und Tauben,
die hier zur Belustigung des Volkes in grossen Schwärmen gehalten
werden; überall sitzen Verkäuferinnen mit wohlfeilem Futter.
Wir zogen uns endUch, des Getreibes müde, in einen am
Rande des Grundstückes gelegenen Theegarten zurück, dessen
hübsche Anlagen einen weiten Blick auf das freie Feld bieten, —
denn man befindet sich hier am nordlichen Rande der Stadt. Mit
diesem Theehause ist eine Kunstgärtnerei verbunden, in welcher
damals unter anderen schönen Topfgewächsen ein Baumfarren von
vier Fuss Höhe zum Verkauf stand. — Unsere Betto's gingen von
AsAKSA aus mit den Pferden zurück; wir selbst setzten uns bei der
Brücke in Boote und fuhren den O - oava hinunter. Die Boote sind
bedeckt und wie alles Japanische von der saubersten, ja von zier-
Ucher Arbeit; sie haben keinen Anstrich sondern die natürhche
helle Holzfarbe, und sind mit Streifen und Buckehi von Kupfer
sauber gefugt, die im Wasser gehenden Theile aber schwarz ge-
brannt. Die Ruder haben an der Stelle, wo sie auf dem Pflock
liegen, eine leichte Biegung, und werden von den stehenden Ruderern
hin- und herbewegt, aber niemals aus dem Wasser gezogen, was
einen schnellen und gleichmässigen Lauf erzeugt. Die Bauart dieser
Boote wird von den Seeleuten sehr gerühmt; sie haben einen flachen
Boden, sollen trotzdem aber schnell und sicher sein, was man den
japanischen Dschunken eben- nicht nachrühmen kann. Letztere
müssen seit dem Verbot nach dem Auslande zu fahren alle nach
Vorschrift mit off*enem Hintertheil gebaut werden; sie haben nur
einen unmerklichen Kiel, können die hohe See nicht halten und
sind nur zu Küstenfahrten tauglich, wo denn bei schlechtem Wetter
gleich ein schützender Hafen gesucht wird. Ihre Gestalt ist plump
und alterthümlich, mit hohem Hintertheil und abschüssigem Verdeck:
in der Mitte steht der Hauptmast mit einem einzigen grossen SegeL
das aus mehreren senkrecht laufenden Bahnen schweren ^aum-
wollenzeuges zusammengeschnürt ist; die Luft streicht frei durch
die Zwischenräume. Statt vne die westlichen Nationen ihre Sesrel
von oben zu reflen kürzen die Japaner sie von der Seite durch
Entfernung eines oder mehrerer Streifen. Gebläht sieht solch Segel
recht malerisch, etwas steppdeckenartig aus; im Hafen wird es mit
Strohmatten umwickelt. Das Steuerruder ist sehr plump, hängt in
Seilen und kann aus dem Wasser gehoben werden. Die Dschunken
V. Bootsfalirt. Gobiako- Lakan. 345
werden so wenig angestrichen als kleinere Schiffe, sehen aber trotz-
dem immer reinlich und neu aus: man findet kaum ein verwittertes
Fahrzeug.
Wir glitten sanft den Strom hinab, unter den vier grossen
immer sehr belebten Brücken hindurch; der Verkehr auf dem Fluss
scheint unbedeutend zu sein. Seine Ufer sind streckenweise mit
breiten Quais gesäumt; am westlichen hegen, recht in das Wasser
hineingebaut, viele Waarenspeicher und feuerfeste Packhäuser. —
Am Ausflusse des 0-gava ankerten bei dem Marine -Arsenal zahl-
reiche Dschunken. Die Fahrt wandte sich nun rechts dem Seeufer
entlang, an grünen Batterieen und dem Sommersitze des Taikün
vorbei, dessen Gärten hinter Rasenwällen versteckt hegen. Weiter-
hin bogen die Boote in einen Einschnitt ein , wo uns am Landungs-
platze die Pferde erwarteten und schnell zum späten Mittagsmal
nach Akabane trugen.
Ein anderes Mal ritten wnr nach Gobiako - Lakan , dem
Tempel der fünfhundert Bildsäulen, welcher jenseit des 0-oava in
einem abgelegenen Theile des Hondzo liegt. Der Weg führt zuerst
durch das Handelsquartier, dann über eine der grossen Pfahlbrücken.
Die Strassen des Hondzo sind weniger belebt als die der gegenüber-
liegenden Stadttheile; man kommt an grossen Holzplätzen vorbei,
dann auf ganz unbebaute Strecken, wo die Strassen nur abgesteckt
sind und der Blick in weite Feme schweift. Gobiako -Lakan liegt
so zu sagen auf freiem Felde. Der Haupttempel ist durch ein Erd-
beben arg zusammengerüttelt und alle Bretter so kreuz und queer
durcheinandergeschoben, dass man kaum begreift, wie sich der
Bau noch aufrecht hält; die Aufstellung der fünfhundert Buddabilder
in einem anderen Gebäude scheint nur provisorisch zu sein. Man
tritt in eine schmale Gallerie, die, nach dem Lineren des Gebäudes
offen, sanft ansteigend an den Wänden hinführt. Hier stehen die
Bildsäulen mit dem Rücken gegen die Mauer; sie sind meist ver-
goldet, von Holz oder Bronze, unter TiCbensgrösse , und stellen den
indischen Gott in allen möglichen Eigenschaften und Situationen
dar. Manche sind vielarmig, die Hände halten dann jede ein beson-
deres Symbol seiner Macht oder Thätigkeit. Von der ernsten
plastischen Schönheit der älteren japanischen Bronzestatuen des
Budda findet sich in diesen Bildwerken wenig; sie sind gechickt
gearbeitet, aber von geringem Kunstwerth. — In einer Ecke des
Tempelhofes steht das geräumige Wohnhaus der Bonzen, wo wir
346 Tempel im Uoiidzo. Verkehr mit den Gesandtschaften. VI
freundlich aufgenommen und mit Thee bewirthet wurden ; wir sassen
umgeben von einem dichten Menschenhaufen, der sich albnälich
aus der Nachbarschaft angesammelt und bis in die Zimmer gedrängt
hatte. Es erregte hier grosses Gelächter, als wir die Pferde von der
linken Seite bestiegen. Der Rückweg wurde in der Dämmerung
zurückgelegt, und der Tokaido war so voll dass man nur Schritt
reiten konnte.
Ein anderer Tempel im nördlichen Theile des Hondzo ist
durch seinen Eingang merkwürdig. Man tritt durch das Portal in
einen viereckigen Vorhof, dessen Areal ein Wasserbassin fast ganz
ausfüllt; darin liegen im Radius der ganzen Anlage zwei Inselchen,
durch Brücken mit einander und mit den Ufern verbunden. Der
grade Weg nach dem Tempel liegt über diese Brücken, von denen
die äusseren so hoch gewölbt sind, dass man nur darüber klettern
kann; der gezimmerte Brückenbogen bildet einen vollständigen
Halbkreis. Glücklicherweise für Solche, die Turnübungen nicht
lieben, führt ein schmaler Gang längs den Seiten des Hofes um
das Bassin herum. — Die Bonzen und die zugeströmte Bevölkerung
waren auch in diesem von Fremden noch nicht besuchten Tempel
sehr neugierig und höflich.
So verstrich die zweite Hälfte des September; der Gesandte
verkehrte viel mit den Herren Harris und de Bellecourt, welche
im Stande waren mancherlei Aufschlüsse über das Land und seine
Zustände zu geben. Heusken begleitete den Grafen Eulenbui^
täglich auf seinen Spazierritten und bUeb dann gewöhnlich zu Tisch
und den Abend über in Akabane. Auch der Umgang des Abbe
Girard, eines viel gereisten kenntnissreichen Mannes, der lange auf
den Liu - Kiu - Inseln gelebt und sich mit dem Studium des Japa-
nischen beschäftigt hatte, war sehr lehrreich und erfreulich. Wir
fanden bei den Vertretern von Frankreich und Amerika erwünschte
Gelegenheit, durch Anschauung der von ihnen gesammelten kunst-
reichen Arbeiten und Landesproducte unsere Kenntnisse zu erweitem ;
sie bewirtheten die preussische Gesandtschaft mehrfach in ihren
Tempeln. Der Koch des Herrn von Bellecourt, ein Chinese, hätte
sein Glück in Paris machen können, und die heitere Laune des
Wirthes, der seine Verbannung aus dem schönen Frankreich mit
jovialer Schwermuth trug, erhob das Gastmal zu einem wahren
Feste. — Bei einem von Herrn Harris gegebenen Frühstück pro-
ducirten sich Jongleure , welche das Unglaubliche und Unbegreifliche
V. Sdimetteriings - nnd Kreiselspiele. — Die Vertrags - Aussichten. 347
leisteten. Besonders anziehend sind ihre Kreisel- und Schmetterlings-
spiele; bei letzterem lässt der Jongleur zwei durch einen Seidenfaden
verbundene Stückchen Papier durch die Bewegungen seines Fächers
das Flattern und Spielen zweier Schmetterlinge so tauschend nach-
ahmen , dass^ man es wirklich zu sehen glaubt : ein sehr anmutliiges
Kunststück, das sich bei stiller Luft auch im Freien ausfuliren lässt
und dann gewöhnlich damit schliesst, dass einer der Schmetterlinge
hoch in die Luft gejagt wird und sich, langsam herabsinkend, auf
eine von dem Jongleur gehaltene Blume niederlässt Die Kreisel-
spiele erfordern einen grösseren Apparat, sind aber sehr künstlich
und sinnreich erfunden; der Jongleur lässt den Kreisel von der
Hand über den Arm, über Schultern und Rücken bis in die andere
Hand hinablaufen und mit xmglaublicher Geschicklichkeit die wunder-
samsten Sprünge vollfuhren.
unterdessen wurden die Aussichten auf den Vertrag wenig
besser ; die Regierung fuhr fort die fremden Vertreter zu versichern,
dass sie jetzt keine weiteren Handelstractate abschliessen könne.
Die am" 21. September eintreffende Nachricht von der Einnahme
der Takü- Forts und Tientsin's durch die englisch -französische
Armee machte gar keinen Eindruck ; offenbar wirkte das Schreckbild
eines auswärtigen Krieges nicht mehr wie früher, die Regierung des
Taikün fürchtete wahrscheinlich einen Aufstand der Daimio*s mehr
als alles Andere. Graf Eulenburg hatte die Bunyo's bei ihrem Besuche
am achtzehnten ernstlich aufgefordert, ihm den definitiven Bescheid
der Minister bald mitzutheilen; sie erschienen schon am einundzwan-
zigsten wieder in Akabane, sagten ^ eine schriftliche Instruction in
der Hand, nochmals alle schon zum Ueberdruss wiederholten Argu-
mente her, um den Gesandten von der Unmöglichkeit des Vertrags-
abschlusses im gegenwärtigen Moment zu überzeugen , und äusserten
schliesslich die Bitte irgend ein Auskunftsmittel zu finden, welches
die japanische Regierung der unangenehmen Nothwendigkeit enthöbe,
die Anträge des Gesandten zurückzuweisen. Graf Eulenburg hatte in
der Unterhaltung am achtzehnten , um sich der asiatischen Auffassung
anzupassen, ein Gleichniss gebraucht: Vier Personen hätten mit
einer fünften Freundschaft geschlossen, und diese erkläre ihnen, dass
sie gei*n auch noch mit anderen anständigen Leuten Bekanntschaft
machen würde. Die vier Freunde erzählten das einer anderen
Person, und versprächen entgegenkommende Aufnahme, wenn sie
'348 Unterredungen mit den Bunyo's. V.
ein Freundscliaftsverhältniss mit jener fünften suchen wolle. Der
Antrag werde demgemäss gemacht, aber zurückgewiesen, — ob das
nicht eine offenbare Kränkung, eine Beleidigung auch für die an-
deren Freunde sei? — Die vier Personen stellten Amerika, Eng-
land, Frankreich, Russland vor, die fünfte Japan, die sechste
Preussfen u. s. w. Dieses Gleichniss nahmen die Bunyo's jetzt wieder
auf und behandelten es mit ausschweifender Breite während einer
ganzen Stunde. Sie gaben dem Gesandten Recht, so wie er es
hingestellt habe; wenn aber die fünfte Person krank sei und die
sechste wissen lasse, sie könne sie vor der Hand nicht empfangen,
ihr Besuch und nähere Bekanntschaft werde aber erwünscht und
angenehm sein, sobald sie wieder genesen, — dann verlöre die
Zurückweisung alles Beleidigende, und die sechste Person würde
grausam sein, wenn sie die fünfte in ihrer Krankheit belästigte und
ihr Schaden brächte um sich Eingang zu verschaffen. Der Gesandte
erwdederte scherzhaft, die fünfte Pei*son scheine nach ilirer Auffassung
durch den Umgang der vier anderen krank geworden, und ob ihm
wohl gestattet sei den Gesandten der Vertragsmächte mitzutheilen,
dass Japan sich durch ihre Berührung angesteckt glaube; dagegen
remonstrirten sie lebhaft, »die Krankheit Japans habe sich nicht
durch Ansteckung, sondern aus seinem Inneren entwickelt, sei aber
deshalb nicht minder bedenkUch«.
Die ganze Unterredung blieb ohne Resultat, und da die
BüNYo's nur des Ministers Werkzeuge und ihre Ueberzeugungen in
der Sache von gar keinem Gewicht waren, so beschloss der Ge-
sandte sich weiter keine Mühe mit ihnen zu geben, und erklärte,
zwar ihren Besuch zu jeder Zeit gern empfangen, über geschäftliche
Dinge aber nicht mehr mit ihnen reden zu wollen, bis sie mit Voll-
machten zu den Vertragsverhandlungen versehen wären; es sei eine
neue Besprechung mit dem Minister nothwendig. Die Bünyo's ver-
sprachen nach den gewöhnlichen Redensarten, — dass ihr Chef
sehr beschäftigt und dass in den nächsten Tagen wieder ein Fest
sei , — dem Minister Vortrag halten und die Botschaft des Gesandten
überbringen zu wollen. — Sie griffen, sichtlich vergnügt dass die
geschäftliche Unterredung beendet war, zum Champagnei^lase und
Gebäck, von welchem wieder ein Theil in ihre Aermel wanderte.
Besonders der gute SakaY strich sich behaglich den Bauch und
that viele neugierige Fragen nach unseren Vornamen , unserem Alter.
Den Namen Bunsen aussprechend meinten sie lachend, so hiessen
V. Neue Eröffnung. 349
bei ihnen die Gelehrten (Bonzen). Das Alter riethen sie immer zu
jung, — die Japaner sehen im Verhältniss viel älter aus. Sakai war
43, Hori-Oribe 41, Moriyabia nur 38 Jahre alt. Letzterer behaup-
tete, die vielen »Sachen«, Geschäfte hätten ilm so alt gemacht.
Am vierundzwanzigsten erschienen die Bünyo's Avieder, um
anzusagen, dass der Minister den' Gesandten erst am 4. October
empfangen könne. Im Laufe des Gespräches ersuchte sie Graf Eulen-
burg, unseren Naturforschern den Umgang mit den japanischen
Gelehrten zu ermöglichen, da beide Theile durch den Austausch
ihrer Kenntnisse viel gewinnen könnten; sie lehnten das aber mit
der bescheidenen Entschuldigung ab, dass ihre Naturkundigen
durchaus nicht auf gleicher Stufe mit den europäischen ständen:
in Yeddo gäbe es überhaupt nur Dilettanten, die Männer von Fach
seien in den Provinzen bei den Bergwerken u. s. w. angestellt. Die
Frage des Gesandten, ob IIumboldt*s Namen in Japan bekannt sei,
verneinten die Bünyo's, schrieben ihn aber sogleich mit Hinzufügung
von Notizen auf und lernten ihn aussprechen. — Als das Gespräch
auf unsere häufigen Ritte kam, erzählte Sakai, dass sie selbst in
ihren Gärten spazieren ritten und sich auf der Strasse nur bei
Feuersgefahr zu Pferde setzten, zuweilen auch, wenn sie grosse
Eile hätten, bei weiten Excursionen; übrigens erlaubten ihnen die
Amtsgeschäfte nicht sich aus Yeddo zu entfernen, sie lebten jahr-
aus jahrein in der Stadt. Nach dem Durchschnittspreise eines guten
Reitpferdes gefragt wussten sie darüber nichts zu sagen: wenn ein
vornehmer Mann Gefallen an einem Pferde finde, so zalüe er was
man ihm abfordere. -—
Wenige Tage nach dem Besuche der Bunyo's hatte der
amerikanische Minister -Resident eine Unterredung mit Ando-Tsus-
sima-no-Kami, welcher sich bereit erklärte der preussischen Re-
gierung ein schriftUches Versprechen zu geben, dass der Vertrag
mit ihr geschlossen werden solle, sobald die öffentliche Meinung sich
beruhigt hätte. Von dieser Zusage bis zum wdrkUchen Eingehen auf
Unterhandlungen war nur ein kleiner Scliritt, zu dem sich die japa-
nische Regierung bald möchte entschlossen haben, wenn sie nicht
kurz zuvor dem englischen Gesandten versprochen hätte auch mit
der Schweiz und Belgien abzuschliessen, sobald irgend einem an-
deren Staate Zugeständnisse gemacht würden. Die englische Re-
gierung hatte die Anträge dieser Mächte durch ihren Gesandten
unterstützt, aber nicht durchgesetzt; es war das erste Mal, dass
350 Zusammenkunft mit Ando-Tsus-sima-no-Kami. V.
Japan derartige Zumudiungen westlicher Mächte mit Erfolg zurück-
wies; nun standen ihr aber diese beiden Tractate als unumgängliche
Folge des preussischen wie Schreckbilder vor Augen und diese
Aussicht bestärkte sie offenbar in ihrem zähen Widerstände.
Am 1. October liess der Minister des Auswärtigen den Ge-
sandten ersuchen, schon am folgenden Tage, statt am 4. October,
zu ihm zu kommen und nur ein kleines Gefolge mit.zubringen, das
bei der Conferenz gegenwärtig sein könne; er bat ferner dass
unsere Flagge vor dem Palais bleiben und nicht, wie das erste
Mal, in den Vorhof gebracht werden möge; das sei gegen den
japanischen Gebrauch, dem sich die anderen Gesandten bisher
gefugt hätten. Der grade in Akabane anwesende Herr von Belle-
court bestätigte diese Aussage, und so liess der Gesandte dem
Minister entbieten, dass er seine Wünsche erfüllen werde.
2. Octbr. Der Empfang war ähnhch wie das erste Mal. Draussen vor
dem Palais standen längs der ganzen Ausdelmung der Strassenfront
gleichgekleidete Hausofficianten mit weissen Stäben in abgemessenen
Entfernungen. Am Portal empfing Moritama, im Vorzimmer die
BüNYo's. Bei Ando-Tsüs-sima-no-Kami fand der Gesandte wieder
den ihm von der ersten Conferenz bekannten Staatsrath aus der
Versammlung der »Jungen alten Männer«. Der andere Minister
Wakisaka - Nakatsukasa - NO - Tayun , hiess es , sei noch immer
krank; nach der Ansicht der Europäer war derselbe in Ungnade
gefallen.
Die Conferenz dauerte drei Stunden; der Minister war in
seinem Wesen weniger förmlich und zurückhaltend als das erste
Mal und wiederholte mehrfach das Anerbieten eines schriftUchen
Versprechens, liess sich aber zu keinem weiteren Zugeständniss
bewegen. Die alten Argumente wurden abermals aufgetischt: die
Nachtheile, welche die Verträge bisher dem Lande gebracht hätten,
die dadurch herbeigeführte Aufregung im Volke, welche besonders
seit Abschluss des Vertrages mit Portugal hervorgetreten wäre, die
Unmöglichkeit so viele MilUonen in kurzer Zeit von den künftigen
Vortheilen des Fremdenverkehrs zu überzeugen. Als Graf Eulenbui^
dem Minister die in den Additional- Artikeln vom 30. Januar 1856
und in einem amthchen Schreiben des folgenden Jahres gegebenen
Versicherungen vorhielt, dass dem Eingehen von Verträgen mit
anderen Nationen und selbst mit Portugal kein Hindemiss im Wege
stehe, wurden diese Documente herbeigeholt. Ando - Tsus - sibia aber
V. Die Unterredung. 351
erklärte, dass alle Bestimmungen dieser Convention durch den
Abschluss der späteren Verträge ausser Kraft gesetzt wären. Auch
seine eigene mündliche Zusage an Herrn Harris, mit Preussen ab-
zuschliessen , sei nur eine ganz allgemeine gewesen; die Regierung
weigere sich auch durchaus nicht in Vertragsverhältnisse zu treten, sei
im Gegentheil bereit zu einem schriftlichen Versprechen, könne
aber unmöglich im gegenwärtigen Augenblick weiter gehen und
müsse auf dieser Antwort beharren. Im Eifer des Gespräches ergriflF
Ando - Tsus - siMA. den vor ihm stehenden Feuerbecher, — ein zum
Rauchapparat der Japaner gehöriges Geräth von Bronze, in welchem
unter feiner Asche eine Kohle zum Anzünden der Pfeifen stundenlang
fortglimmt, — und sagte, Japan sei wie dieser Becher; das Feuer
im Inneren glühe fort und fort und verzehre den Inhalt, äussere
Flammen aber könnten dem Gefässe und seinem Inhalt keinen Schaden
thun. Das innere Feuer drückte »die öflFentliche Meinung« aus, die
äusseren Flammen das Andringen der fremden Mächte, — Krieg.
Dies war in der That der richtige Ausdruck für die Anschauung
der Regierung; die Furcht vor Verwickelungen mit dem Auslande
hatte sich gelegt, man glaubte selbst ausgesprochenen Drohungen
nicht mehr, da sie niemals von thätigen Aeusserungen der Macht
begleitet wurden, da femer eine Depesche vom engUschen Minister
des Auswärtigen in die OeffentUchkeit gelangt war, in welcher der
brittische Gesandte wegen der Androhung kriegerischer Maassregeln
einen Verweis erhielt. Das Gefühl überrumpelt worden zu sein
machte die japanische Regierung jetzt doppelt zähe, und die frühere
Nachgiebigkeit schlug in starre Zurückhaltung um. Man suchte
sich auch den eingegangenen Verpflichtungen zu entziehen, und
fand in dem Benehmen der fremden Ansiedeier, in der Vertheuerung
der Lebensmittel und der politischen Aufregung alle Veranlassung
dazu. Der Minister sprach in seinem Gleichniss ganz deutUch aus,
dass er sich vor äusseren Zerwürfnissen nicht fürchte. Dass aber
seine Besorgniss vor geföhrlichen inneren Spaltungen nicht tmbe-
gründet war, haben die neuesten Ereignisse deutlich bewiesen.
Ando - Tsüs - siMA selbst wurde später — im Januar 1862 — wegen
seines gemässigten Auftretens gegen die Fremden von acht fanatischen
Bravo's auf der Strasse angefallen; es gelang ihm glückhcher Weise
aus dem Norimon zu springen und sein Schwert zu ziehen, er erhielt
aber im Handgemenge kämpfend einen Hieb in das Gesicht und
einen Lanzenstich in den Rücken, der nahezu tödtlich geworden
352 Schlu8s. V.
wäre , — und durfte bald daraufsein gefahrliches Amt niederlegen **). —
Zur Zeit unserer Anwesenheit ahnte wohl Niemand dass die Sachen
so ständen; die fremden Vertreter wollten noch immer nicht an die
Gefahr innerer Zerwürfnisse glauben und schoben in jenem Augen-
bUck den starren Widerstand des Ministers zum Theil auf die
neuesten Nachrichten aus China. Dort hatte man den Krieg durch
die Einnahme von Tientsin und den Taku- Forts beendet geglaubt,
als die Cliinesen Verrath übten und man den Feldzug von neuem
beginnen musste. MögUch dass die japanische Regierung von dieser
Lage der Dinge unterrichtet war und an dem Unterliegen der Ver-
bündeten noch nicht verzweifelte.
Der Gesandte wies jedes Anerbieten formeller schriftlicher
Versprechungen als poUtisch wertlilos zurück, und schützte endUch,
um nicht zu einem ungünstigen Abschluss zu gelangen, Ermüdung
vor, mit dem Erbieten, dem Minister seine Entgegnungen schriftlich
zugehen zu lassen, um dann auf Grund derselben weiter mündlich
zu verhandeln. Ando-Tsus-sima wollte wieder einwenden, dass
er zu häufigen Conferenzen zu beschäftigt sei imd sein letztes Wort
gesprochen habe; Graf Eulenburg bewies üim aber, dass mit dem
Amte eines Ministers des Auswärtigen die Verpflichtung verbunden
sei, den fremden Gesandten Rede zu stehen, worauf sich Jener
bequemte ihm eine ß^bermaUge Zusammenkunft zuzusagen.
^*) Alle früheren Mordanfalle in Japan wurden mit der blanken Waffe vollführt;
bei dem Angriff auf Ando-Tsus-sima wurden zuerst Schusswaffen gebraucht, ein
Umstand, der ihm vielleicht das Leben rettete. Die Bravo's streckten erst durch
einen Pistolenschuss einen seiner Trabanten nieder, ehe sie einhieben, dadurch ge-
wann der Minister Zeit aus der Sänfte zu springen; er schlug sich mit grosser
Bravour. Von den acht Bravo's blieben sieben auf dem Platze; der achte ist ent-
kommen.
Ende des ersten Bandes.
Berlin, gedruckt in der Königliclien Geheimen Ober- Hofbuchdruckerei
(R. ▼. Decker).
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