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Full text of "Die preussiche Expedition nach Ost-asien[1860-1862] nach amtlichen Quellen..."

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DIE 



PREUSSISCHE EXPEDITION 



NACH 



OST-ASIEN. 



ERSTER BAND. 



DIE 



PREUSSISCHE EXPEDITION 



OST-ASIEN. 



NACH AMTLICHEN QUELLEN. 



ERSTER BAND. 

MIT XII ILI.USTBATIONEN UND II KARTEN, 



BERLIN MDCCCLXIV. 



h G'G 70 I 



HARVARD 
UNWERSITY 

LIBRARY 



Das Uebersetzungs - Recht ist^orbehalteu. 

Withdrawn from 

raiy 




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EINLEITUNG. 






Uas Bedürfniss einer eigenen diplomatischen Vertretung 
in den ost - asiatischen Reichen besteht fiir Preussen 
luid die Zollvereins - Staaten seit langer Zeit. Schon im 
Jahi'e 1843 wurde die Aufmerksamkeit der königUchen 
Regiei"ung auf die für den deutschen Handel in Ost -Asien 
zu erwartenden Vortli^ile geleitet mid der Vorschlag zur 
Gründung einer gi'ossen Handelssocietät gemacht, die ilire 
Niederlage in Singapore hätte , mit der Aussicht die directen 
Operationen auch auf China auszudehnen, sobald auf diplo- 
matischem Wege der preussischen Flagge in den geöffneten 
Häfen dieses Reiches dieselben Rechte zugesichert wären 
wie der britischen. Der Antrag, eine imposante Ambassade 
nach Ost -Asien zu senden, war damals nicht zeitgemäss. 
Im Jahre 1844 liefen nach den englischen Scliiffahrts- 
Registern niu* ein preussisches , ein hamburger und ein 
bremer Schiff in Wampoa, dem Hafen von Canton, ein, 
und selbst 1846 kamen nur ein bremer und ein hambm'ger 
Schiff mit Ladungen aus Liverpool und Hongkong nach 
dem damals aufblülienden Hafen Schanghai. Die deutsche 
Schiffahrt begann erst ehiigen Aufschwung in den indischen 
und chinesischen Meeren zu nehmen, als im Jahi'e 1848 
diu'ch einen Act der königlich grossbritaimischen Regierung 
alle fremden Schiffe den enghschen für die Ebi- und Ausfuhr 



VXll Einleitung. 

von und nach den ostindischen Häfen — ausser bei Be- 
firachtung mit Salz und Opium — gleichgestellt wurden. 
Das Bedürfniss nach eigenen diplomatischen Vertretern 
mit richterlicher Befugniss machte sich seit der Zeit bei den 
in China verkehrenden Deutschen mehr und mehr fühlbar. 
Die Geschäftsverbindungen nahmen nach den Berichten 
ausgesendeter Handels - Agenten in grossem Maassstabe zu, 
aber der Mangel eigener Jurisdiction versetzte die Unter- 
thanen tractatloser Mächte in China in eine sehr unvortheil- 
hafte Lage; ihre Stellung drohte bei dem schnell wachsenden 
Verkehr unhaltbar zu werden. 

Das Jahr der grossen Weltausstellung in London 
1851 und die folgenden bezeichnen einen Umschwung in 
den Verhältnissen des Welthandels. Ueberall tauchten 
Hberalere Grundsätze auf, die internationalen Beziehungen 
wurden lebhafter und der Unternehmungsgeist brach sich 
Bahn nach allen Seiten. Der zunelunende Verbrauch 
chinesischer Erzeugnisse, die rasche Entwickelung der 
Niederlassungen in Australien und an der Westküste 
Nordamerika's , die Unternehmungen der Wallfischfänger 
und Pelzjäger, die von der niederländischen Regierung 
angenommene liberale Colonialpolitik, die Eröflfnimg einer 
anscheinend unerschöpflichen Quelle von Reiszufuhren aus 
Hinter - Indien , der durch Uebervölkenuig imd pohtische Um- 
wälzungen gesteigerte Auswanderungsdrang der Cliinesen 
gaben damals den Küstenländern des Stillen Oceans 
eine commercielle Bedeutung, an die noch wenige Jahr- 
zehnte vorher nicht gedacht werden durfte. In der west- 
lichen Welt erweckten die Fortschritte der Humanität und 
Bildung, die starke Zunahme der Bevölkerung und der auf- 
blühende Wohlstand immer lebhafter das Bedürfniss nach 
Ki'aftäussei'ung und Ausbreitung im Raiune ; der allgemeine 



Einleitung. IX 

Verkehr der Nationen und der freie Austausch ihrer Er- 
zeugnisse wurden zur Nothwendigkeit. — Im Süden von 
China hatten die Engländer festen Fuss gefasst ; sie zwangen 
die Mandschu- Herrscher, ihrer alten Politik zu entsagen, 
und errangen sich, trotz dem heftigsten Widerstreben der 
Mandarinen -Regierung, theils auf fiiedlichem, theils auf 
kriegerischem Wege allmälich die Stellung, zu der die 
civilisirten Völker des Westens durch ihre Macht und 
überlegene Bildung berechtigt sind. Von Norden her 
schob Russland seine Colonieen \md Miütärposten ünmer 
weiter vor und erlangte die Abtretmig ausgedehnter und 
fiir die Beherrschung des nördlichen Stillen Meeres sehr 
günstig gelegener Landstriche. In Japan, das sich seit 
zweihundert Jalu'en allem Verkelnr mit fremden Nationen 
verschlossen hatte, brachen 1854 Amerika und Russland 
die Bahn; gleich darauf schlössen auch England, Frankreich 
und Holland dort Freundschafts- vmd Schiffahrtsverti-äge. 
In kurzen Jahren fiel eine Schranke nach der anderen, 
und schon 1858 erlangten alle in Ost- Asien vertretenen 
Mächte unter dem Einfluss der englisch - französischen 
Siege in China Ilandelstractate , die melu'ere Häfen des ent- 
legenen Inselreiches dem freien Geschäftsverkehr dieser 
Nationen öffneten, ihnen das Recht der diplomatischen 
Vertretung und des ausgedehntesten Schutzes ihrer Unter- 
thanen in allen rechtmässigen Ansprüchen gesitteter Völker 
verhehen. 

Der Handel mid die Rhederei der norddeutschen 
Staaten machten in diesen Jahren ohne den Rückhalt 
eigener internationaler Verträge mid ohne die Vorfiihrung 
einer eigenen schutzbereiten Marine bedeutende Fortschritte. 
Es lag damals noch nicht in der Handelspolitik der ost- 
asiatischen Staaten, nachdem sie ihre Häfen fremden Schiffen 



X Einleitiuig. 

und Waareu einmal geöffnet hatten, zwischen derNationaütat 
der Schiffe und der Herkunft der Waaren zu unterscheiden, 
und solchen europäischen Staaten gegenüber, mit welchen 
sie keine Verträge abgeschlossen, andere Giiindsätze geltend 
zu machen, als wozu sie dem einen oder dem anderen 
gegenüber sich hatten bereit finden lassen. Aber selbst 
in Fällen, wo es auf Anrufiing gesandtschaftlichen oder 
consularischen Schutzes ankam, der nicht fuglich anders 
als auf Gnmd völkerrechtlicher Verträge in Anspruch 
genommen werden kann, brachte es in den ersten Jahren 
des Verkehrs die Solidarität der europäischen Interessen 
mit sich , dass die Repräsentanten der Vertragsmächte sich 
gern und aus eigenem Antriebe der Unterthanen anderer 
Staaten annahmen. Bei dem gesteigerten Verkehr hingegen 
stellten sich Uebelstände heraus , die fiir beide Theile immer 
fühlbarer wurden. Die Fortschritte des deutschen Handels 
und namentlich der deutschen Rhederei mussten mit der 
Zeit die Eifersucht der anderen Nationen erwecken, die 
Solidarität der Interessen mit der gesteigerten Concurrenz 
aufhören. Die Deutschen nahmen nur eine geduldete 
Stellung ein mid waren niemals sicher , ihre Rechte geltend 
machen zu können. Auf der anderen Seite klagten die 
Vertreter der Vertragsmächte laut und wiederholt darüber, 
dass die in den geöffneten Häfen verkehrenden Deutschen 
keinerlei Jurisdiction unterworfen und für ihi-e Handlungen 
keiner vorgesetzton Behörde verantwortlich wären. 

Es lag vor Allem in der Natur der Sache, dass die- 
jenigen Vortheile, welche miser Handel, unsere Schiffalirt 
und Industrie sich mittelbar aus den Berechtigungen 
anderer Nationen herleitete, zu unsicher erschienen, um 
der Gegenstand einer ausgedehnten soüden Speculation 
werden zu können, und dass die neuerschlossenen Märkte 



Einleitung. XI 

erst dann als uns zustandig gelten köimten, wenn ihre 
Benutzung unter dem anerkannten Schutze der eigenen 
Regierung stände. Unsere Rhederei bewegte sich schon 
seit längerer Zeit nicht mehr ausschliesslich in dem früher 
herkömmlichen engen Kreise von Unternehmungen , machte 
vielmehr seit Jahren erfolgreiche Anstrengungen, auch jene 
entlegenen Welttheile in den Bereich ihrer Operationen 
zu ziehen. Sie konnte das allerdings nur in der Voraus- 
setzimg thim , dass die Regierung nicht säumen würde , ihr 
schützend zur Seite zu treten, da ja auch die Handels- 
schiffe anderer maritimen Nationen des Beistandes ihrer 
Regierungen nicht entbehren können. Das Bewusstsein, 
dass es der Stellung Preussens nicht angemessen sei, seine 
Unternehmungen imter dem Schutze fremder Nationalitäten, 
ihrer Gesandten und Kriegsflotten auszuführen, war auch 
bei unseren in Ost- Asien ansässigen Landsleuten wach 
geworden, und die vielfachen Anregungen von da zum 
Abschluss von Handels- und Scliiffahrtsverträgen Hessen 
deutUch erkennen, dass der Handelsstand in jenen Gegen- 
den nationales Selbstgefiihl genug besass, um das Auftreten 
der vaterländischen Regierung neben den Unternehmungen 
anderer Staaten als ein Bedürfniss zu empfinden. 

Auf diese Wahrnehmungen und Thatsachen fiissend 
glaubte die preussische Regierung mit der Anbahnung ver- 
tragsmässiger Beziehungen zu den ost- asiatischen Reichen 
nicht länger zögern zu dürfen, und beschloss eine handels- 
politische Mission dahin zu entsenden, deren Zweck wäre, 
von den Regierimgen jener Länder ähnliche Zugeständnisse 
zu erlangen, wie solche den übrigen westüchen Nationen 
gemacht worden waren. Geleitet von königlichen Kriegs- 
schiffen, welche dabei erwünschte Gelegenheit fänden, 
die preussische Kriegsflagge in fernen Gegenden zu zeigen 



XII Einleitiuig. 

und ihre Führer und Mannschaften mit Erfahrungen zu 
bereichern, sollte die Mission sich nach Japan, China und 
Slam begeben, das Terrain in wissenschaftlicher imd 
commercieller Beziehung erforschen, und den Abschluss 
von Freundschafts - , Handels - und Scliiflfalu'tsverträgen 
herbeizuführen suchen. 

Am 9. August 1859 wurde der Plan über die abzu- 
schliessenden Verträge , das Personal der Gesandtschaft und 
ilu* beizugebender Fachmänner, über die Stärke und Aus- 
rüstung des Geschwaders , die mitzugebenden Waarenproben 
und Geschenke , die Kosten , und die von den Hansestädten 
beantragte Betheiligung an den Verträgen entworfen. Dieser 
Plan wurde Allerhöchsten Orts zur Bestätigung vor- 
gelegt und mittelst Cabinetsordre vom 15. August 1859 
genehmigt. Der Legationsrath Graf Friedrich zu Eulenburg 
wurde imter Erneimung zum Ausserordentlichen Gesandten 
und Bevollmächtigten Minister bei den Höfen von China, 
Japan imd Siam an die Spitze der Expedition gestellt. Seine 
Volhnachten wurden zugleich fiir die inzwischen davon in 
Kenntniss gesetzten und zur Einsendimg von Waarenmustern 
aufgeforderten Zollvereins -Staaten, für die Grossherzog- 
thümer Mecklenburg -Schwerin und Mecklenbxu^g-StreUtz 
und fiir die drei Hansestädte Bremen, Hamburg und Lübeck 
ausgefertigt, welche in die mit den ost- asiatischen Rei- 
chen abzuschliessenden Verträge aufgenommen zu werden 
wünschten. Der Graf zu Eulenburg wurde zugleich mit 
Ausarbeitimg der fiii' diese Mission nothwendigen Instruc- 
tionen , der Beschaflftmg von Geschenken und den übrigen 
fiir die schleunige Entsendung des Geschwaders zu tref- 
fenden Vorbereitungen und Maassnahmen beauftragt, welche 
die Allerhöchste Genehmigung erhielten. Dem preussi- 
schen Landtage wurde der Plan und Kostenanschlag des 



Einleitung. XIII 

Unternelunens im März 1860 vorgelegt; beide Häuser be- 
willigten die für die Expedition erforderlichen ausserordent- 
lichen Mittel. 

Das Expeditionsgeschwader sollte ursprünglich aus 
drei Schüfen, der Dampfcorvettc Arkona, der Segelfregatte 
Thetis und dem Kriegsschooner Frauenlob bestehen ; diesen 
wurde noch das ausdrücklich fär diesen Zweck in Ham- 
burg angekaufte Chpper - Fregattschiflf Elbe hinzugefügt, 
welches einen grossen Theil der Geschenke und Waaren- 
proben, femer Proviant und Kohlenvorräthe an Bord nahm. 
Auf der Elbe wurde auch die in Hamburg erstandene 
Dampfbarcasse Vesta eingeschiflfit, welche zum Schleppen 
der Boote in heissen Gegenden und zur Vermittelung des 
Verkehrs der Kriegsschiffe untereinander und mit der 
Gesandtschaft dienen sollte. 

Das Personal der Expedition bestand, soweit das- 
selbe nicht der könighchen Marine angehörte, aus 
dem Gesandten Grafen Friedrich zu Eulenburg; 
dem Legations - Secretär Pieschel; 
den Gesandtschafts- Attache's 
von Brandt, 
von Bunsen, 

Grafen August zu Eulenburg, Lieutenant im 1. Garde- 
Regiment zu Fuss; 
den Naturforschem 

Regierungsrath Wichm-a für Botanik, 
Dr. von Martens fiir Zoologie, 
Dr. Freiherr von Richthofen für Geologie; 
dem landwirthschaftlichen Sachverstand igen Dr. Maron ; 
dem Maler A. Berg; 
dem Zeichner W. Heine; 
dem Photographen Bismark; 



XIV Einleitung. 

dem botanischen Gärtner Schottmüller; 
den preussischen Kaufleuten Ginibe, Jakob und Com- 
merzienrath Wolff; 

♦ 

dem Bevollmächtigten der sächsischen Handelskammer, 
Kaufmami Spiess. 

Von dem genannten Civilpersonal schifften sich der 
Legations - Secretär Pieschel, der Regierungsrath Wichura, 
Dr. von Martens, die Kaufleute Jakob und Grube und der 
Gärtner Schottmüller auf der Thetis, Dr. Maron und der 
Photogi'aph Bismark auf der Elbe ein, während der Ge- 
sandte mid die übrigen Expeditioiismitglieder sich auf dem 
Ueberlandwege über Suez imd Ceylon nach Singapore 
begaben. 

Die Dampfcorvette Arkona — von 2320 Tonnen — 
ist auf der könighchen AVerft zu Danzig in den Jahren 
1856 bis 1858 gebaut. Ihre Armirung bestand während 
der ost- asiatischen Expedition aus 1 Sechsunddreissig- 
pfunder L Classe , 6 Achtundsechszigpföndern und 20 Sechs- 
unddreissigpfiindern 11. Classe, die Bemannung mit Ein- 
schluss des Stabes aus 319 Köpfen. 

Die Segelfregatte Thetis — von 1533 Tonnen — 
ist 1846 in Plymouth gebaut und durch Kauf in den Besitz 
der preussischen Regierung übergegangen. Ihre Armirung 
bestand aus 32 Dreissigpfündern und 6 Achtundsechszig- 
pfiindern, Stab und Bemannung aus 333 Köpfen. 

Der Schooner Frauenlob — von 95 Tonnen — war 
in den Jahren 1853 und 1854 aus den Mitteln der Stiftung 
»Frauengabe« gebaut, seine Annirung 1 Dreissigpföiider, 
die Equii)age mit dem Stabe 41 Mami stark. 

Das in Hamburg gebaute Transportschiff* Elbe wurde 
mit 6 Sechspfiindem armirt; vStab und Mannschaft betrugen 
47 Köpfe. 



Einleitung. XV 

Der zum Chef des ost- asiatischen Geschwaders 
ernannte Capitan zur See Sundewall, welchem für die 
Dauer der Expedition der Rang eines Commodor verlie- 
hen wurde , liisste seinen Stander auf der Arkona. Das Com- 
mando der Thetis erhielt der Capitän zur See Jachmann, 
das des Frauenlob der Lieutenant zur See L Classe 
Rehtzke, das der Elbe der Lieutenant zur See L Classe 
Werner. 

Thetis und Frauenlob verliessen schon am 25. Oc- 
tober 1859 die Rhede von Danzig. Die Ausrüstung der 
Arkona, welche gleich nach den Probefahrten auf Erlass 
des königlichen Obercommando's vom 17. October am 
dreiundzwanzigsten desselben Monats zu Danzig in Dienst 
gestellt wurde, machte grosse Schwierigkeiten und konnte 
nur langsam von Statten gehen , da die zu dieser Jahreszeit 
auf der Danziger Rhede wehenden Winde die Communication 
mit dem Lande sehr erschwerten. Häufig konnten die Boote 
nicht an Bord zurückkehren; die Bordinge lagen oft Tage 
lang unweit des Schiffes vor Anker, ehe das Wetter erlaubte 
sie längsseit zu holen. Eben so hindernd waren die ein- 
tretenden Fröste, in Folge deren die Communication auf 
der Weichsel aufhörte, die Ausrüstungsgegenstande per 
Achse von Danzig nach Neufahrwasser gebracht und hier 
in Boote umgeladen werden mussten. Die Zimmermanns- 
arbeiten erlitten gleichfalls viele Unterbrechungen, da die 
an Bord geschickten Arbeiter einmal seekrank waren und 
ein anderes Mal vor Kälte nicht arbeiten konnten. Die 
Ausriistung wurde unter Leitmig des Capitän Sundewall, 
welcher das Commando gleich nach der Indienststellung 
übernommen hatte, nach Mögüehkeit gefördert; Anfangs 
December war die Arkona seeklar und trat am elften 
desselben Monats die Reise nach England an. 



XVI Einleitung. 

Thetis und Frauenlob trafen am 12. November 1859 
auf der Rhede von Spithead ein. Sie lagen dort, auf 
Befehle wartend, bis zum 15. März 1860. Arkona hatte 
in der Nordsee einen Stunn von der äussersten Heftigkeit 
zu bestehen und erlitt bedeutende Havarien. Sie kam den 
.26. December 1859 auf der Rhede von Margate und am 
10. Januar 1860 vor Southampton an, wo erhebhche Re- 
paraturen vorgenommen und die Einrichtungen des Schiffes 
vervollständigt wurden. — Thetis und Frauenlob verUessen 
die englischen Küsten am 15. März imd ankerten am 
dreissigsten auf der Rhede von Funchal (Madera), gingen 
von da am 12. April wieder in See und trafen am 18. Mai 
in Rio de Janeiro ein. — Arkona verliess am 8. April 
Southampton und am zwölften Spithead, Uef am neun- 
zehnten Madera und am 23. April Santa- Cruz auf Teneriffa 
an, und erreichte Rio de Janeiro am 24. Mai. Von da 
stachen die drei Schiffe am 5. Juni in See. Im süd- 
atlantischen Ocean erhielt Frauenlob vom Flaggschiffe 
den Befehl, die Reise nach Singapore allein fortzusetzen, 
während Arkona und Thetis bis zur Simda- Strasse zu- 
sammen segelten. Dort setzte Arkona bei eintretender 
Windstille unter Dampf die Reise fort, berührte am 
23. Juli Anyer auf Java und gbig am sechsundzwanzig- 
sten desselben Monats vor Singapore zu Anker. Thetis 
erreichte Anyer am Abend des 24. Juli und ankerte am 
dreissigsten vor Singapore , wo am 5. August auch Frauenlob 
eintraf 

Singapore war der letzte von Frauenlob berührte 
Hafen; er ging am 13. August von da mit Arkona zugleich 
in See und sollte mit derselben bis Yeddo segeln. In der 
Nacht zum 2. September riss beim plötzlichen Ausbruche 
eines Sturmes che Trosse, an welcher das Flaggscliiff, 



Einleitung. XVII 

unter Dampf, den Schooner in der Windstille schleppte; 
bei Tagesanbruch war er schon ausser Sicht. Arkona 
selbst gerieth bei dem fürchtbaren Orkan in grosse Ge- 
fahr; von Frauenlob und seiner braven Bemannung ist 
trotz allen Nachforschungen nie wieder eine Spur entdeckt 
worden. — 

Die Elbe wurde am 8. Januar 1860 zu Hamburg in 
Dienst gestellt und ging am 7. März in See. Sie traf am 
zehnten desselben Monats vor Spithead und am neunzehnten 
in Southampton ein, lichtete am 5. April wieder die Anker 
und segelte, Madera und Lancerote berührend, nach Santa- 
Cruz auf Teneriffa, verUess diesen Hafen am 8. Mai und 
erreichte am 1. August Anyer, am 7. August die Rhede 
von Singapore. 

Sämmtliche Schiffe hatten in verschiedenen Breiten 
der Meere südüch vom Cap der Guten Hoffnung schwere 
imd anhaltende Stürme zu bestehen, in welchen sich die 
junge Mannschaft vortrefilich bewährte und einen erheb- 
lichen Grad von Uebung und Gewandtheit erlangte. 

Seine volle Gestaltung gewann das Unternehmen 
erst in Singapore, wo der Gesandte und die anderen über 
Land gereisten Mitglieder am 2. August 1860 eintrafen. 



Nach Beendigung der Expedition beschloss die 
königliche Regierung, deren Erlebnisse, Bestrebimgen 
und Leistungen, sowie die gewonnenen Erfolge und Er- 
fahrungen durch Herausgabe eines umfassenden Werkes 
zur öffentlichen Kenntniss und Anschauung zu bringen. 
Dieses Werk zerfallt in drei Abtheilungen, welche, ein- 
ander ergänzend, jede für sich ein abgeschlossenes Ganze 
bilden, nämlich: 



XVIII Einleitung. 

Einen allgemeinen beschreibenden Theil unter dem 
Titel: »Die preussische Expedition nach 
Ost-Asien. Aus amtlichen Quellen«. 
Einen rein wissenschaftlichen Theil, die Berichte 
der der Gesandtschaft beigegebenen Fachgelehrten 
enthaltend. 
Eine Reihe landschaftlicher Darstellungen aus den ost- 
asiatischen Reichen , unter dem Titel : »Ansichten 
aus Japan, China und Siam«. 
Diese drei Werke sollen gleichmässig gefordert werden 
und in einzelnen Bänden und Heften so schnell erscheinen, 
als die Ausdehnung des Unternehmens imd die vorhandenen 
Kräfte gestatten. 

Berlin, im Juni 1864. 



INHALT, 



EINLEITENBES ZUM VERSTÄNDNISS DER JAPANISCHEN ZUSTÄNDE. 

Seit« 

I. Geographische Lage und Beschaffenheit, Mytliologie und Geschichte 3 

II. Politische Einrichtungen und Zustände während der Absperrung. . 106 

in. Der Fremdenverkehr während der Absperrung und die Aufschliessung 

des Reiches 134 

REISEBERICHT. 

I. Singapore. Vom 2. bis 13. August 1860 191 

II. Reise der Thetis von Singapore nach Yeddo. Vom ^. August bis 

14. September 218 

III. Reise der Arkona von Singapore nach Yeddo. Vom 13. August bis 

4. September 241 

IV. Yeddo. Vom 5. bis 19. September 257 

V. YuDDo. Vom 19. September bis 2. October 295 



VERZEICHNISS 

UND 
ERKLÄRUNG DER ILLUSTRATIONEN. 



Bei Singapore. 

Malaiische Hütten ain Sumpf. S. S. 200. Die Palmen sind Cocos 
nueifcra und Areca Catechu. 

Tempel bei Kanagava. 

Erwähnt 8. 276. Der hier dargestellte ist ein Sinto- Tempel mit Stroh- 
dach, während die von den Consuln bewohnten meist buddistischc Tempel 
waren. Der grosse Baum auf der Höhe ist ein jNIatsu , Piuus Massoniana. 

Thor der Ringmauer des TaYkün - Palastes. 

Beschrieben 8. 289. Im Hintergründe die Fa^ade und der Feuer- 
wachtthm'm ehies YamaskIs. 

In Yeddo. 

Illustration zur Beschreibung der Vorstädte 8. 297 und specieller 
88. 331 382. Links im Vordergrunde die Ecke eines Yamaske, rechts 
ein feuerfestes (jebäude und eine Polizeiwache. Eine zweite liegt gegen- 
über jcnseit der Brücke; sie sind kenntlich an den grossen hölzernen 
Laternen. Das hohe Dach rechts in der Ferne ist der von dem 
amerikanischen Minister - Residenten bewohnte Tempel. 

Tempel O - Yaw uts. 

Zur Beschreibung der Vorstädte 8. 297. Dieser Tempel mit feuerfestem 
Hintergebäude liegt in der Nähe von Akabane. Unter und vor der 
Eingangshalle hangen Papierlaternen, zwischen den Pfeilern des Vor- 
daches ein Gong mit herabhangendem Seile zum Anschlagen. Unter 
dem Dach sind Tafeln mit Weisheitssprüchen angebracht. Vor dem 
Tempeleingang stehen Wasserzuber und Steinlaternen von herkömmlicher 
Fonn , weiter rechts ein von vier geneigten Pfeilern getragenes Schutzdach, 
danmter ein bronzener Wasserkübel zur Reinigung vor dem Eintritt in 
das Ileiligthum. Der Zugang dieses Tempels ist auf dem ersten Blatt 
der -Ansichten aus Japan, China und Siam« dargestellt. 



XXII Verzeichniss und Erklärung der Ulusti'ationen. 

Daimio - Hof. Yeddo. 

Das Yamaskb des Fürsten von Yamatto in der Nähe von Sinaoava. 
Man sieht nur die kasenienartigen Wohngebäude der Trabanten, von 
Charmillen umgeben , einige Vorrathshäuser und einen Feuerwachtthurm. 
Das Wohnhaus des Herrn liegt versteckt. In der Feme die Rhede mit 
einem der Forts. S. SS. 297 und ^25. 

Theebude. Yeddo. 

Die hier dargestellte Palme ist Chamaerops excelsa, erwähnt S. 331. 
Theebuden dieser Art giebt es in allen Vorstädten und an den Landstrassen. 

Buddabild und Bambuspflanzung. 

Vom Wege nach Ikeoami und Senzoko. S. S. 332. 

Glockenhaus Ikeoami. 

Beschrieben S. 336. Die Nadelbäume neben und hinter dem Gebäude 
sind links ein Sun vi, Cryptomeria japonica, und flaneben ein Matsu, 
Pinus Massoniana. 

Theehaus. Semzoko. 

Beschrieben S. 337. 

Japanische Dschunken. 

S. S. 345. Das Segel der vorderen Dschunke ist in Strohmatten gehüllt. 

Tempelvorhof. Yeddo. 

Der S. 346 beschriebene Tenipelhof im Hondzo. 



RECHTSCHREIBUNG 

UND 

AUSSPRACHE DER AUSSEREUROPÄISCHEN WORTE UND NAMEN. 



Alle in dieser Arbeit vorkommenden aussereuropäischen Worte und Namen 
sind , sofern dieselben nicht schon in europäische Sprachen übergegangen sind und durch 
den Gebrauch eine bestimmte Orthographie angenommen haben, ihrem Klange nach 
vermittelst der von Professor Lepsius in seinem -Standard Alphabet« (2. Ausgabe, 
Berlin London 1863) aufgestellten Buchstaben und diakritischen Zeichen ausgedrückt. 
Um diese von den gewohnlichen Lettern des Textes zu unterscheiden und als Schrift- 
zeichen des Standard Alphabet kenntlich zu machen, werden sie als Capitalchen 
gedruckt. Das folgende Verzeichniss nemit die Aussprache und Bedeutung der in 
dem ersten Bande vorkommenden Buchstaben und Zeichen. 

Die Yocale haben, sofern sie nicht mit diakritischen Zeichen versehen sind, 
den im Deutschen gewöhnlichen Klang. Länge und Kürze werden durch 
die gebräuchlichen Zeichen - und ^ ausgedrückt, die getrennte Aussprache 
zweier Yocale eines Diphthongen durch das Trema - . Unter den Consonanten 
haben die Buchstoben B, D, F, G, H, K, L, M, N, P, T dieselbe Aus- 
sprache wie im Deutscheu. 
R lautet wie das Zungen-R des Englischen und Itolienischen (veiy, rabbia); 
S wie das scharfe franzosische S (savoir, sür); 

V wie das V des Englischen und der romanischen Sprachen (Vision , Verdad , Voce) : 
W wie das englische W (water, William); 
Z wie das englische und franzosische Z (zeal, zele); 
N lautet wie ng in Enge, Strang; 

♦ 

R wie das Gaumen -R deutscher und fi'anzosischer Dialecte; 

V 

S wie das deutsche Seh (Schuld); 

V 

Z wie das franzosische J (j ardin). 



EINLEITENDES 



ZUM 



VERSTÄNDNISS DER JAPANISCHEN ZUSTÄNDE. 



1. 



ilis ist unmöp^licli das Wesen einer Nation zu erfassen, ohne ihre 
Rehgion, Gescliichte und Sprache, und die leitenden Ideen ihrer 
Existenz zu kennen: daher erscheinen Völker, deren Cultur auf ver- 
schiedenen Grundlagen beruht, einander bei der ersten Berührung 
meist sonderbar und unbegreiflich. Die Gegensätze der äusseren 
Lebensgewohnheiten treten scharf hervor; was dem einen ganz natür- 
lich, weil seit Jahrhunderten eingelebt und anerzogen ist, erscheint 
dem andern widerstrebend imd abgeschmackt. So geht es uns mit 
den meisten ostasiatischen Völkern und vor allen mit den Japanern. 

Ihre ganze Gesittung ist von der unseren so grundverschie- 
den, dass der Europäer sich dort auf ein anderes Gestirn versetzt 
glaubt. Japan hinterlässt dem flüchtig Reisenden den Eindnick eines 
bunten Bilderbuches voll wunderücher Scenen ohne Text: daher denn 
alle die abentheuerlichen Berichte, die nur deshalb so mährchen- 
haft und unbegreiflich kUngen, weil uns der Zusammenhang der 
Erscheinungen und der Schlüssel zu ihrem Verständniss fehlt. Aber 
selbst begabte Männer, die jahrelang in Japan gelebt und in genauen 
Beziehungen zu den Eingeborenen gestanden haben, bekennen in 
der Beurtheilung der Zustände wenig vorgeschritten zu sein. Bei 
tieferem Eindringen knüpfen sich Räthsel auf Räthsel, und wenige 
lösen sich; überall stösst man auf unerklärUche Widersprüche. Der 
Grund dieser Unklarheit liegt in unserer unvollkommenen Kenntniss 
der japanischen Sprache und Schriften und der sittlichen und reli- 
giösen Fundamente ihrer Cultur, die Scliwierigkeit sie zu bemeistern 
in der Verschlossenheit der Japaner. 

Das japanische Volk hatte sich von Anfang an, wenn auch mit 
Zuziehung fremder Elemente, selbstständig entwickelt und zu einer 
bedeutenden Stufe der Gesittung aufgeschwungen: da erschienen 
im sechszehnten Jahrhundert die Europäer und brachten Ideen und 



i* 



4 Einleitendes. 

Anschauungen in das Land, die mit den einlieiinischen Zuständen un- 
vereinbarwaren. Gewann damals das christliche Element die Oberhand, 
so war es um die Eigenthümlichkeit und politisclie Selbstständigkeit 
Japans geschehen. Eines musste weichen. Aber grade zu dieser Zeit 
kam nach langen Umwälzungen und inneren Kriegen das Regiment 
des Landes wieder in eine kräftige Hand. Der Machthaber hemmte 
den Fortscliritt der Fremden, und seine Nachfolger verbannten sie 
gänzUch aus dem Reiche. Nur durch ein System der vollständigen 
AbschUessung nach aussen und der durchgreifenden Beaufsichtigung 
aller Verhältnisse und Personen im Inneren konnte sich die Dynastie 
des Jyeyas halten; sie gab aber dem Reiche Einheit und Frieden 
und sicherte sein Fortbestehen in der angestammten EigenthümUch- 
keit. Ein wesentücher Bestandtheil dieses merkwürdigen auf der 
ungemessenen Scheu und Ehrfurcht des Volkes vor den herrschenden 
Ständen gegründeten Systemes besteht in der principiellen Verhüllung 
aller Angelegenheiten , Zustände und Ereignisse , w'elche den Herrscher 
und seine Regierung betreffen. Diese Gewohnheit der Verheimlichung 
ist den Japanern völlig zur Natur geworden und erstreckt sich nicht 
bloss auf wichtige Staatsangelegenheiten, sondern auch auf die unver- 
fängUchsten geringfügigsten Dinge. Auch jetzt, da Japan sich der 
Fremden nicht mehr erwehren kann, lassen sie nicht davon, so 
dass es noch heute fast unmögUch ist, sei es von bestehenden Ein- 
richtungen und den Ereignissen des Tages , sei es von der Vergangen- 
heit des Reiches, zuverlässige Kunde zu erlangen. Das Volk wird 
in Unwissenheit erhalten und furchtet sich auch das mitzutheilen 
was ihm bekannt ist, und selbst die niederen Beamten scheinen mit 
dem Organismus der Staatsverwaltung nicht vertraut zu sein. 

Aus dem Gesagten geht hervor, dass die folgenden Blätter 
nicht den Anspruch machen, ein Bild der japanischen Zustände zu 
zeichnen. Es soll nur versucht werden eine Ucbersicht der geschicht- 
hclien Entwickelung des Volkes nach den vorhandenen Quellen zu 
geben, den Leser mit dem Terrain bekannt zu machen, auf dem 
sich die nachfolgenden Berichte bewegen. Die liitteratur ist aus- 
gedehnt, zum Theil schwer zugängUch, und für denjenigen, der 
nicht durch eigene Anschauung des Landes befähigt ist, eine gewisse 
Kritik zu üben, kaum nutzbar. 



I. 

GEOGRAPHISCHE LAGE UND BESCHAFFENHEIT; MYTHOLOGIE, 

GESCHICHTE. 



Auf der Karte erscheint Japan wie der stehen gebliebene Ostrand 
eines mächtigen in das Meer gesunkenen Kraters; Korea und die 
mandschurische Küste bilden die gegenüberliegende Seite; nördUch 
schUessen Ykso und Krafto den Umkreis. Von der vulcanischen 
Beschaffenheit des Landes zeugen thätige und . erloschene Krater, 
Solfateren, heisse Quellen und häufige Erdbeben. 

Die drei grossen Inseln Nippon, Kiusiu und Sikok bilden das 
eigentUche Japan. Nippon ist die grösste: die Eingeborenen bezeich- 
nen mit diesem Namen auch das ganze Reich *). Der Ausdruck Japan 
ist im Lande selbst unbekannt, die Portugiesen haben ihn aus der 
chinesischen Benennung Tsipang') corrumpirt. 

Die drei grossen Inseln umschliessen, durch schmale Meeres- 
anne getrennt, eine Binnensee; darin und rings um die buchtenreichen 
Küsten hegen viele kleinere Eilande. Die meisten sind bewohnt und 
angebaut, sie stehen in regem Verkehr untereinander imd mit dem 
Hauptlande , denn ein häufiger Austausch der Erzeugnisse ist Lebens- 
bedingung für ein volkreiches Land , das alle seine Bcdürfiiisse selbst 

^) Nippon bedeutet Aufgang der Sonne. Diese Benennung ist nicht rein japanisch, 
sondern die in ältester Zeit mit den chinesischen Schriftzeichen eingeführte Aus- 
sprache der beiden Schriftbilder, durch welche Japan bezeichnet wird. — In der rein 
japanischen und in der Dichtersprache heisst das Land Hino-hoto, wovon das 
Wort NiFPON die chinesische Ueberaetzung in japanischer Aussprache ist. 8. v. Siebold 
Nippon. I. 

^ Marco Polo, der auf seinen Reisen in China von Japan hoile, brachte die erste 
Kunde von diesem Lande nach Eiu-opa. Er nennt es Zipangu, Simpagu und erzahlt 
von den unglücklichen Expeditionen des Kublai - Khan , an dessen Hofe er sich auf- 
hielt, nach Japan. Auf die Berichte des Venetlbners fussend hielt Columbus »Zipangu« 
für das östlichste Land der Erde und glaubte es gcfiuiden zu haben, als er zuerst 
die Küste von Cuba erblickte. 



^ Das eigentliche Japan. 

hervorbringt. Die Küsten sind bergig und steil: unzählige Klippen. 
Felsen und Riffe, reissende Strömungen imd Fluthen, ungestüme 
wechselnde Winde machen die Schiffalurt gefahrlich. Das Binnen- 
meer"), welches die beiden grossen Heerstrassen von Kiusiu und Sikok 
nach der Hauptstadt queer durchschneiden, befahren tausende von 
Dschunken; bei Tage wimmeln diese Gewässer von Segehi, bei Nacht 
suchen alle Schutz in den gastlichen Häfen und Buchten, denn von 
den hohen Küsten und aus engen Thalschlünden stürzen oft heftige 
Böen verderbenbringend herab. Die Reisenden schildern die Schön- 
heit dieser Meere in glülienden Farben: hier ein stiller Landsee, dort 
schmale Sunde, durch welche sich die Gewässer in tosender Brandung 
drängen; die Ufer bald schroffe Felsen, von denen rauschende 
Giessbäche herabstürzen, bald angebaute sanfte Bergeshänge. Aus 
immergrünen Hainen ragen fürstüche Schlösser, und hohe Tempel 
krönen die Vorgebirge; landeinwärts aber gewahrt man mächtige 
Gebirgsmassen mit zackig zerrissenen Gipfeln und schneegefuUten 
Schluchten. 

Die grösste Insel des Binnenmeeres heisst Awadsi. Nord- 
westlich von NippoN liegen Sando und Oki, westlich und süd- 
üch von Kiusiu die Gruppe der Gotto- Inseln, Firando, Amaksa, 
Taneoasima*): viele kleinere sind rings um die Küsten zerstreut. 

^) Das Binnenmeer wird eingetheilt in die Suwo-, Misima- und Fariha-naua, 
Seen von Suwu n. s. w. Es enthält über tausend Inseln. 

^) Der Klang der japanischen Sprache kann durch die Schrift nur annähernd aus- 
gedrückt werden , weil sie manche Laute hat , welche das europäische Ohr nicht kennt. 
Die japanischen Silbenschriften selbst geben die Aussprache nur sehr unvollkommen : 
man muss bald Vocale verschlucken, bald Consonanten einschieben, um das Ge- 
schriebene richtig zu lesen. So schreibt der Japaner Saso, Firado, Naoasaki, 
Amakusa, und spricht Sanoo, Firando, Nanoasaki, Amaksa. Der Grund liegt 
theils in der Unzulän'glichkeit der Silbenalphabetc , theils im Sprachgebrauch: oft 
wird eine ganze Silbe geschrieben, um nur einen Buchstaben auszudrücken, wie in 
dem Worte Ataksi (ich) das Wa-ta-ku-si buchstabirt wird. — Dem Vorschlage 
des Heim Professor Hoffuiann in Leyden nachzukommen, die Worte so zu schreiben 
wie die japanische Silbenschrift sie ausdrückt, kann sich der Vei*fasser nicht ent- 
schliessen, so richtig dieser Grundsatz für wissenschaftliche philologische Werke 
auch ist. Der Leser würde sich aus dieser Schreibeweise keinen Begriff von dem 
Klang der japanischen Worte und Namen machen können. Diese sind daher möglichst 
genau so wiedergegeben, wie sie un Munde der Japaner lauten. — Bei Ausdrücken, 
die er nicht selbst gehört hat, folgt der Verfasser der Autorität der Herren Professor 
Hoffniann in Leyden und Leon de Ilosny in Paris, und den von Erstercm in seiner 
japanischen Grammatik gegebenen Kegehi und Vorschriften. Die Japaner haben 



Abhängige Länder. Flächenmhalt. Bevölkerung. • 

Dem asiatischen Festlande am näclisten bildet die Insel Tsus-sima 
gleichsam eine Brücke zur Halbinsel Korea. 

Ueber die genannten I^andestheile ist durchweg die japanische 
Cultur verbreitet. Die nördlich von Nippon gelegene Insel Yeso und 
die südUchen Kurilen gehören auch zum japanischen Reiche, sind 
aber zum grössten Theil von einem halbwilden Volksstamm, den 
AiNo's (behaarten Kurilen) bewohnt. Das Klima ist rauh xmd der 
Entwickelung japanischer Cultur ungünstig. Die Japaner bewohnen 
nur die Städte und Ilafenplätze und treiben Handel mit den Erzeug- 
nissen nach dem Mutterlande. Das ganze Innere von Yeso soll ein 
unbewohntes Waldgebirge sein. Die nördüchen Kurilen gehören 
zum russischen Reiche, nur Kunasir und Yeturup sind japanisch: 
die Grenzlinie geht nach den neuesten Verträgen zwischen der letzt- 
genannten Insel und Urup hindurch. 

Die LiuKiu - Inseln erkennen, im Anfange des siebzehnten 
Jahrhunderts durch den Fürsten* von Satsuma unterworfen, die 
japanische Oberhoheit an und zahlen Tribut, scheinen aber zugleich 
an China zinspflichtig zu sein. Aehiüicli ist es mit Korea, wo seit 
uralten Zeiten bald der japanische bald der chinesische Einiluss 
vorgewaltet hat. 

Der Flächeninhalt des eigentlichen Japan wird auf 5300 Qua- 
dratmeilen, die Bevölkerung auf mehr als 25 JVLUionen geschätzt*). 

einige Coiisoiianten , die fiir unser Organ fast unaussprechlich sind, so den Zungen- 
laut, der zwischen L und R schwebt, uud einen eigenthümlichen Zischlaut,- der 
weder H noch Ch noch F ist. Professor Hoflinaun sehreibt für den letzteren 
gewöhnlich F, für den Zungenlaut meist R. — 

Der Klang aller aussereuropäischen Worte uud Namen soll in der vorliegenden 
Arbeit vermittelst der von Professor Lepsius (in seinem Standard Alphabet. 2. edit^. 
Berlin London 1863) eingeführten Buchstaben und diakritischen Zeichen ausgedruckt 
werden , fiber deren Werth das am Anfange dieses Bandes abgedruckte Verzeichniss 
Aufschluss giebt. — 

^) Diese Schätzung bezieht sich auf die Inseln Nippon, Kiusiu und Sikok und 
die um sie her liegenden kleineren Eilande. Sie macht keinen Anspruch auf grosse 
Genauigkeit: die Küsten sind von EuroiSaern nur zum kleinsten Theile vermessen, 
und die bis jetzt verö£fentlichten japanischen Karten sind meist unzuverlässig. Ilen* 
von Siebold, in dessen grossem Werke Nippon sich die besten und ausführlichsten 
Nachrichten über die statistischen Verhältnisse des Reiches finden, sagt über die 
kartographischen Arbeiten der Japaner: 

"In Folge eines Gesetzes sind geodätische und astronomische Arbeiten nur hö- 
heren Orts dazu bestimmten Personen gestattet. Bücher, Karten und Instrumente 
erhalten sie von den Niederländern. Vortrefiliche Instrumente, wie Sextanten, 



8 



Beschaffenheit. Klima. Vegetation. 



Die japanischen Inseln sind durchaus gebii^g, an weiten 
Ebenen fehlt es ganz. Von welcher Seite man sich dem Lande 
nahem mag, gewahrt man hohe Küsten. Bewaldete Höhen wechseln 
mit fruchtbaren Thälem, angebautes Hügelland mit unwirthbarem 
Felsgebirge. Fast überall ist das Land wasserreich, leidet aber 
Mangel an schiffbaren Flüssen. 

Das Klima ist eines der glückhchsten der Erde und weit 
gemässigter als unter gleichen Breiten in andern Welttheilen, die 
Sommerhitze niemals unerträgUch, der Winter kurz und milde. Im 
Frühjahr und Herbst regnet es viel, besonders im Mai und Juni, und 
im November. Im December tritt klares Wetter ein, im Januar und 
Februar wechseln schöne Tage mit Regen und Schnee. Am kältesten 
ist es im Januar, dann sinkt die Temperatur im mittelen Theile des 
Reiches zuweilen unter den Gefrierpunct. Niemals aber dauert die 
Kälte lange, und auch anhaltende Dürre ist unbekannt. Die Luft 
ist weich und milde und in Folge beständiger Strömungen immer rein 
und frisch, die Witterungswechsel treten zum grossen Vortheil des 
Ackerbaues in allen Jahreszeiten sehr regelmässig ein. Besonders 
günstig sind die Luft- und Bodenverhältnisse der Entwickelung des 
Pflanzenreiches. Wenige Länder können sich mit Japan im Reich- 
thum der Formen messen, wenn auch an Reichthum der Arten tro- 
pische Gegenden voranstehen. Während die Vegetation der meisten 
Inselländer mit der der benachbarten Continente übereinzustimmen, 
aber ärmer an Gattungen zu sein pflegt, daher gewöhnlich als von 
der continentalen abstammend betrachtet wird, scheint die japanische 
Flora eine ursprünghche und reicher als die des benachbarten 

Quadranten u. s.w. werden auch in Japan gemacht. Mit solchen Hülfsmitteln ausgestattet, 
sind unter Leitung der Hof- Astronomen auf Befehl des Siooun vom Anfange dieses 
Jahrhunderts an alle Landschaften und Inseln vom eigentlichen Japan — das zu den 
drei grossen Inseln Nippon , Kiusiu und Sikok gehörige Gebiet — in dem Maasstabe 
von -jj^- aufgenommen , und die Hauptpunctc der 68 Provinzen und andere wichtige 
Puncte astronomisch bestimmt worden , wobei die Länge vom Meridian der Sternwarte 
von MiAKa berechnet ist. Die Küsten, welche mit Ketten vermessen wurden, sind 
nicht nur ganz genau nach ihrer natürlichen Bewegung auf den Karten eingetragen, 
es ist auch ihre Formation berücksichtigt und die felsigen und sandigen Meeresufer 
sind deutlich dai'auf angegeben.« 

Copieen dieser Karten über einen grossen Theil des Reiches sind im Besitze des 
Herrn von Siebold, welcher bis jetzt, aus persönlichen Rücksichten angestanden hat 
sie zu veröffentlichen. Die Originale werden im japanischen Staatsarchiv aufbewahrt 
und auf das strengste verheimlicht. 



pflanzen. Thiere. ^ 

Festlandes zu sein. Camelien, Cryptomerien und viele andere Ge- 
schlechter werden als Japan eigenthümlich und eingeboren angesehen. 
Neben den einheimischen Gewächsen haben sich auch viele fremd- 
ländische eingebürgert, so unter anderen der Theestrauch, die 
Orange*), der Tabak'), der Maulbeerbaum. Die Japaner sind Meister 
in der Baumzucht und vielen anderen Zweigen des Feld- und Garten- 
baues, und haben sich zu. allen Zeiten bemüht, fremde Nutzpflanzen 
in ihrem Lande zu acclimatisiren. Der Charakter der Flora ist 
schwer zu beschreiben, sie enthält Elemente aus allen Zonen: aus 
der kalten die Nadelhölzer — Japan ist reicher an Coniferen- Arten 
als irgend ein Land der Welt — aus der gemässigten viele unseren 
Laubbäumen verwandte Gattungen, aus der subtropischen die immer- 
grünen Laubhölzer, aus der tropischen vor allen Bambus, Palmen, 
Cicadeen. Analog ist die Vegetation der Sträucher \md Stauden- 
gewächse und die überaus reiche Cryptogamen- Flora. • 
Weniger mannichfaltig ist die japanische Thierwelt; der 
überall verbreitete Anbau mag ihrer Verbreitung hinderhch sein. 
Eigenthümlichen Zügen begegnen wir auch hier: der Riesenmolch, 
der Kupferfaisan und einige andere Arten kommen nur in Japan vor. 
Im allgemeinen ist die Fauna die der gemässigten Zone; Affen giebt 
es nur im Süden des Reiches, die Raub thiere aus dem Katzen- 
geschlechte fehlen wie bei uns fast ganz. An Fischen und See- 
thieren haben die japanischen Gewässer einen Reichthum und eine 
Mannichfaltigkeit wie wenige andere : kalte und warme Meeresströme 

^ Ueber die Einfühlung der Orange wird eine Anecdote erzählt, welche dem 
japanischen Charakter ganz gemäss ist. Der Mikado, der von den goldenen Früchten 
gehört hat, sendet einen Vertrauten aus seiner Umgebung nach China, um den Baum 
zu holen. Dieser bleibt zehn Jahre aus, kehrt endlich mit dem Orangenbaum glücklich 
nach Japan zui'ück, findet aber seinen Herrn nicht mehr und entleibt sich aus Gram 
auf dessen Grabe. — Der Held dieser Sage ist Tatsima Mori, ein Sprossling des 
koreanischen Prinzen Amano Fiboko von Sinra, der um 27 n. Chr. an der Spitze 
einer Einwanderung nach Japan kam. Er überreichte dem Mikado geheimnissvolle 
Geschenke — einen kleinen Säbel, eine steinerne Pike, Opfergeräthe , Spiegel und 
Edelsteine, welche bei dem Mikado -Hause blieben, für Geisterschätze und sehr heilig 
gehalten wurden. Vielleicht sind dies die späteren Reichsinsignien, deren Ursprung 
man auf die oberste japanische Gottheit zurückfuhrt. — Tatsima Mori's Tod setzen 
die Annalen in das Jahr 71 n. Chr. 

^) Der Tabak ist von den Portugiesen ehigefuhrt und seit lange im allgemeinsten 
Gebrauch. Die Japaner haben zugleich mit der Pflanze auch ihren Namen von den 
Europäern angenommen. 



lU Miuerale. — Isolinuig. 

fuhren den Küsten die Bewohner fast aller Zonen zu, an einif^eu 
Stellen wird auch die Perlenmuschel <2;eüscht. — Als Ilausthiere 
findet man Hunde, Katzen, Pferde, Rindvieh, viele Enten- und 
Hühuerarten. Esel giebt es nicht, und die Schaafzucht einzufuhren 
hat man vergebens versucht. 

Ueberaus reich ist Japan an werthvollen Mineralen, seine 
Bergwerke liefern Gold, Silber, Zinn, Blei- und Eisenerze, vor allen 
aber goldreiches Kuj)fer in grosser Menge — es soll das feinste und 
geschmeidigste der Welt sein. Edelsteine scheinen nicht gewoimen 
zu werden — der Japaner achtet sie nicht — wohl aber herrliche 
Bergkrystalle. Steinkohlen finden sich an vielen Orten, und Schwefel 
Hefern die zahlreichen Vulcane und Solfataren. 

So reich und glücklich von der Natur ausgestattet hegen 
die japanischen Inseln fern und einsam in einem der imwirthbarsten 
Meere der Welt. Wirbelorkane, die gewaltigsten die man kennt, 
durchwülilen die japanischen Meere fast zu allen Jahreszeiten, Nebel 
und Regengüsse verhüllen die klippenreichen Küsten, wechselnde 
Winde und heftige Strömungen machen alle Berechnungen des vor- 
sichtigen Schiffers zu nichte. Die Natur selbst scheint das schöne 
Land zur Isolirung bestimmt zu haben. Die Japaner haben sich 
durch eigne Kraft zu einer bedeutenden Stufe der Gesittung empor- 
geschwungen und sind niemals einem anderen Volke unterthan 
srewesen. Sie haben sich die koreanischen Reiche unterworfen und 
von da die Elemente der chinesischen Bildung in ihr eigenes Land 
verpflanzt, aber in freier und eigenthümlicher Weise verarbeitet. 
Nur in diesen Feldzügen und ausser Landes haben Massenberühnmgen 
der Japaner mit anderen Völkern stattgefunden, im übrigen wurde 
der Verkehr immer nur durch Einzelne vermittelt, durch Gesandt- 
schaften von und nach China, durch buddistische Reformatoren, 
durch japanische Priester undEdelleute, die sich des Studiums wegen 
nach dem Festlande begaben. Niemals erlitt die Entwickelung der 
Cultur und des staatlichen Lebens eine gewaltsame Unterbrechung 
von aussen. Kublai-Khan war der einzige, der jemals ernstliche 
Anstrengungen zur Eroberung des Reiches gemacht hat: seine Flotten 
versanken im Meere und die ausgeschifften Truppen fielen unter dem 
Schwerte der Japaner. Die Europät*.r wurden im sechszehnten Jahr- 
hundert mit offenen Armen aufgenommen , die lernbegierigen Japaner 
griffen mit Lust nach den neuen Ideen und Elementen der Bildung, 
das Chnsteuthum fand iMngang l)ei allen Ständen. Sobald aber 



Abstainiiiuiig. 



11 



die staatüclie Selbstständigkeit des Reiches dadurch gefalirdet schien, 
verbannten die Herrscher die schädUchen Gäste , rotteten die keimende 
Saat ihrer Lelire mit eiserner Strenge bis auf den letzten Hahn aus 
und umgaben sich mit einer Mauer, die ein erneutes Eindringen 
unmöghch machte. Während das chinesische Reich durch die tar- 
tarische Invasion in den tiefsten Verfall gerieth, haben sich die 
Japaner nicht nur volle politische Selbstständigkeit, sondern auch 
ihre innere Lebenskraft bewahrt. Ihre Nationalität erlangte Festig- 
keit und Kraft in raehrtausendjähriger ungestörter Fortbildung, wie 
sie kaum ein anderes Volk gehabt hat: das japanische ist zur Race 
geworden. Dass sie starr am Alten festhalten und sich in den 
Verkehr mit den Westvölkern nicht schicken können, ist natürUcli. 
Der Japaner ist conservativ und patriotisch , nicht nur die herrschen- 
den Stände, die Nachkommen derer, welche die japanische Geschichte 
gemacht haben, sondern auch das Volk, das in der eisernen Zeit 
der Bürgerkriege in das tiefste Elend versunken war und auch jetzt 
noch , bei äusserem Wohlstande und sonst glückUchen Verhältnissen, 
in engen Schranken gehalten wird. Japan ist ein durchgebildeter, 
wenn auch ein sehr künsthcher Organismus. 

Wie sich die erneute Berührung des wenig veränderten 
Reiches mit dem im Laufe zweier Jahrhunderte durchaus umgewan- 
delten Europa gestalten wird, ist das merkwürdige Problem der 
nächsten Jahrzehnte. 



Das japanische Volk ist wahrscheinlich ein ureingeborenes, 
oder in vorliistorischen Zeiten, vor Bildung der Sprachen ein- 
gewandertes. Der Punct ist controvers gewesen: sowohl unter 
den europäischen Gelehrten als in Japan hat die Ansicht Anhänger 
gefunden, dass die Bevölkerung in historischen Zeiten von Cliina 
eingewandert sei ; aber die geschichtliche UeberUeferung , die Sprache 
und die Götterlehre liefern den stärksten Beweis für das Ge- 
gentheil. 

Der Ausgangspunct der japanischen Geschichte ist die Ver- 
einigung des Reiches unter Dsm-Mu im Jahre 660 v. Chr. Dieses 
Datum halten die Japaner für historisch sicher. Von Dsin - JIu leitet 
sich die lange Reihe der Erbkaiser her, deren Geschlecht in ununter- 
brochener Folge bis auf den heutigen Tag den Thron der MikadoV 
inne gehabt hat. Nun ist selbst aus chinesischen Quellen bewiesen 



12 



Ueberlieferung. Sprache. 



worden, dass alle Einwanderer, die als Stammväter des japanischen 
Kaiserhauses genannt werden, nach der Zeit des Dsin-Mü in das 
Land gekommen sind '). Mehrerer dieser Einwanderungen erwähnen 
die japanischen Kaiserannalen, die älteste fallt in das Jahr 219 v. Chr. °). 
Aufgeklärte japanische Schriftsteller nehmen an, dass ihr Vaterland 
ursprunglich von denselben Aino's (japanisch Yebi's) bewohnt gewesen 
sei, w^elche jetzt noch im halbwilden Zustande die Bevölkerung von 
Yeso und den Kurilen bilden, dass die heutigen Japaner ein durch 
lange Cultur veredelter Zweig dieses Stammes sind, dass Dsin-Mu, 
ein begabter Häuptling im Süden des Reiches , zuerst eine politische 
Ordnung bei seinem Stamme eingeführt und sich die wild und 
gesetzlos lebenden Nachbarstämme unterworfen habe. Er wählte die 
Landschaft Yamatto im mittelen Theile von Nippon zum Sitze seiner 
Herrschaft; von da verbreiteten sich staatUche Einheit, Bildung und 
milde Sitten allmälich über das ganze Land. Wie langsam die 
neue Ordnung Platz griff, beweisen die fortwährenden Kriege gegen 
wilde und aufrührerische Stämme im Norden und Westen des 
Reiches, von denen die japanischen Annalen noch bis in das achte 
Jahrhundert n. Chr. berichten. 

Das wichtigste Zeugniss für die Ursprünglichkeit der Bevöl- 
kerung ist ihre Sprache, welche sowohl von dem chinesischen als 
allen anderen bekannten Idiomen grundverschieden ist und bis jetzt 

^) S. Klaproth. Einleitung zu dem Werke Nippon -o-dai- itsi -ran. Annales des 
Empereurs du Japon. trad. p. M. d. Titsingh. Paris 1834. Veröffentlicht auf Kosten 
der Oriental fund society. 

') S. NiFPON - o - DAi - iTsi - SAN Unter der Regierung des siebenten Mikado Rorei. 
Die chinesischen Annalen erwähnen dieser Einwanderung: Fem im ostlichen Meere 
liegen von Stürmen umbraust drei mmalibare Geisterberge, wo die Genien in goldenen 
imd silbernen Palästen hausen. Dahin sandte der Tyrann Tsi-huano seinen Arzt 
SiN-Fü (jap. Sio-fük), um den Trank der Unsterblichkeit zu holen. Mit Sin-fu 
werden einige tausend Jünglinge und Jungfrauen eingeschifft, aber das Meer ver- 
schlingt die Flotte mit der ganzen Bemannung. — Die japanische Version iässt den 
SiN-pu die Rüste von Nippon erreichen, er stirbt am Fusi-yama, wo ihm ein 
Tempel erbaut wird. — Nach Professor Hoffmanns Ansicht ist die japanische Dar- 
stellung eine Erfindung späterer buddistischer Zeiten. Dass aber die Sage einen 
historischen Kern hat, wird dadurch wahrscheinlich, dass in Rumano in der Landschaft 
Rh auf Nippon noch jetzt chinesische Münzen aus der Zeit des Raisers T§i-huano 
ausgegraben werden. 

Die preussische Expedition hat ein altes japanisches Manuscript mitgebracht, 
welches die Sage von der Meerfahrt des Sin-fü in poetisch - mythologischer Form 
zu behandeln scheint und mit zahlreichen Bildern gesclmiückt ist. 



Mythologie. 



13 



ganz isolirt dasteht'"). Der Scliädelbildung nach stehen die Japaner 
der mongolischen Race am nächsten. 

Die alteinheimische Götterlehre der Japaner ist durchaus 
eigenthümlich und hat, ausser dem Gedanken von der Entstehung 
der Welt aus dem Chaos und wenigen anderen sich natürUch erge- 
benden Zügen nichts mit den Mythologieen anderer Völker gemein. 
Fast alle ihre Sagen knüpfen sich an japanische Oertlichkeiten und 
an die besondere Natur des Landes. — Aus einem wellenschlagenden 
Chaos entwickehi sich Himmel und Erde, indem die leichten Theile 
in die Höhe steigen, die schweren sich senken; in der Mitte bildet 
sich ein göttUches Wesen, ein Kami. Er lebt hundert Millionen 
Jahre, und zeugt aus sich selbst einen Nachfolger, der eben so 
lange lebt, und welchem, gleichfalls geschlechtlos, ein dritter ent- 
quillt. Dann folgen nach einander vier Götterpaare, Mann und 
Weib, deren jedes zweihundert Millionen Jahre regiert. Diese sieben 
sind die Geschlechter der himmlischen Götter. Von den vier Götter- 
paaren zeugen die drei ersten ihre Nachfolger, indem sie einander 
in geistiger Anschauung durchdringen, das letzte Paar, der Gott 
IzANAOi und die Göttin Izanami, gelangt nach leidenschaftUchen 
Bewegungen der Trennung und Wiedervereinigung zur Begattung. 
Sie erzeugen zunächt die japanischen Inseln, die Flüsse, die Berge, 
den Vater der Bäume und die Mutter der Pflanzen — endlich ein 
glänzendes Wesen Ten-zio-dai-sin. Er wird wegen seiner Schön- 
heit an den Himmel versetzt, ein Sonnengott, die höchste aller 
in Japan verehrten Gottheiten, denn die älteren himmlischen Ge- 
schlechter stehen den Menschen zu fern. Ten-zio-dai-sin wird 

^^) Das Japanische gilt den grössten Autoritäten auch heut noch für eine isolirte 
Sprache. Wenn es sich bestätigt, dass die Sprachen der ATno's auf Yeso und den 
Kurilen und das Koreanische dem Japanischen verwandt sind, so wurde dies eine 
Stammverwandtschaft oder sehr frühe Berührung dieser Bevdlkenmgen beweisen. 
Was die Indianersprachen der Westküste von Amerika betriffl, von welchen Einige das 
Japanische abgeleitet haben, so sollen diese Sprachen in ihrem Bau grundverschieden 
davon sein, aber allerdings Spuren, sowohl des Chinesischen und Japanischen, als 
anderer asiatischen Sprachen enthalten , welche beweisen , dass Volkerzüge aus Asien 
durch das Eismeer und die Behringstrasse nach dem amerikanischen Contineut und 
bis Grönland und Chili gelangt sind, stark und zahlreich genug, um die Spuren ihrer 
Existenx in der Sprache zu hinterlassen, aber zu schwach, um deren ursprünglichen 
Charakter umzuwandeln. Wenn das Jap^pische einzelne Worte aus anderen Sprachen, 
z. B. dem Malayischen enthält, so erklärt sich dies leicht aus dem regen Verkehr der 
Bewohner ausser Landes in früheren Zeiten und bis zum siebzehnten Jahrhundert. 



14 



Mythologie. 



der Stammvater der fuiif irdischen (xöttergeschlechter. Seine nach- 
geborenen Bruder sind der Mond, dann ein Genius des Meeres, 
und SosAN, ein Geist der Unnihe und Bewegung, des üngewitters, 
der Stürme. Dieser giebt zuerst Anlass zu Unfrieden und Streit, 
muss sich aber schliesslich vor der Sonnengottheit beugen und 
steigt zur Erde, d. h. nacli Japan hinab. Er tritt dort in Verkehr 
mit den Menschen — sie scheinen mit den Pflanzen und Thieren 
für selbstverstandUche Erzeugnisse des Bodens zu gelten — befreit 
eine Jungfrau von einem Drachen und zeugt mit ihr einen Sohn. 
Seine Nachkommen, die irdischen Kami's, Halbgötter und Heroen 
wollen den von Ten-zio-dai-sin entsprossenen Gottheiten wieder- 
holt die Herrschaft über die Erde streitig machen, werden aber 
besiegt. Jene treten in den folgenden Generationen noch wieder- 
holt mit den Heroengeschlechtem in Verbindung und freien deren 
Töchter. Die sehr phantastische Sagengeschichte dieser Phase spielt 
im Himmel, im Meere, auf den japanischen Inseln: zum Theil sind 
Naturphänomene darin symbolisirt'*), zum Theil die Entstehung 
bestimmter Oertlichkeiten mit Ereignissen der Götterwelt in Ver- 
bindung gebracht, die allmäUche Urbarmachung des Landes unter 
dem Bilde der Ausrottung von Ungeheuern und bösen Dämonen 
versinnlicht. Alle diese Mythen stehen in der speciellsten Beziehung 
zu den physischen Eigenthümlichkeiten der japanischen Inseln und 
Meere: sie gründen sich gewiss zum Theil auf wirkliche Ereig- 
nisse und verherrlichen im Gewände der Sage die grossen Thaten 
und Eigenschaften der frühesten Gründer japanischer Cultur. Die 
Gewohnheit jeden bedeutenden IMann, der sich um das Land Ver- 
dienste erwarb, unter die Götter zu versetzen, ist dem Volke eigen- 
thümlich und hat sich bis in späte Zeiten erhalten. Die Mikado's 
treten von selbst durch Geburtsrecht in die Reihe der Kami's , aber 
auch andere Sterbliche, die sich durch Grossthaten irgend einer 
Art berühmt gemacht, werden nach ihrem Tode feierlich kanoni- 
sirt und erhalten besondere Ehrentitel und Tempel, wo man sie 
verehrt. 

Unmittelbar an das Heroenalter schliesst sich nach der Auf- 
fassung der Japaner ihre (Teschichte. Dsin-Mit, der Stammvater 
des Mikado -Geschlechtes, wird ein Sohn des vierten Nachkommen 
von Tkn-zio-dai-sin genannt, stammt also in grader Linie von 

») Z. B. Kbhp und Flutli. 



Geschichtsquellen. 



15 



dem Sonnengenius und dessen Ahnen, den himmlischen ( lottern her. 
Deshalb ist sein Geschlecht unverletzlich und über alle Mensclien 
erhaben ''). 



Die folgenden Nachrichten gründen sich zumeist auf die 
von Professor Hofimann in Levden übersetzten Geschichtstabellen 
Wa Nen Ke'i, theils auch auf die von Klaproth durcligesehene und 
herausgegebene Uebertragung der im Jahre 1652 erscliienenen Kaiser- 
annalen Nippon O Da'i Itsi Ran *'). Letzteres Werk ist ein Auszug 
aus den grösseren Geschichtswerken in Form einer Chronik. Unter 
einem Wust bedeutungsloser Ilofnachrichten werden auch die politisch 
wichtigen Begebenheiten ohne Verknüpfung und Zusammenhang in 
trockenen Worten kurz berichtet. Nur selten findet sich ein allge- 
meiner Satz. Wer es aber unternimmt die Fäden zu verfolgen, die 
Thatsachen aneinander zu reihen, den geschichtlichen Stoff zu 
sichten und zu ordnen, der erhält nicht nur einen Ueberblick über 
den Gang der äusseren Ereignisse, sondern auch ein Bild von 
den inneren Eigenthümlichkeiten der verschiedenen Entwickelungs- 
perioden. Diese Eigenschaft der Kaiserannalen , dass sich aus der 
einfachen Aufzählung der Thatsachen allgemeine Begriffe von selbst 
ergeben, ist das beste Zeichen für ihre Glaubwürdigkeit. Selbst 
die Berichte aus den frühesten Zeiten tragen ein bestimmtes Gepräge 

>*) Ausfuhrliches über die japanische Götterlehre ist in v. Siebold's Nippon (Bd. V.) 
zu finden. Bei Kämpfer und in anderen Werken ist vieles zerstreut. Die meisten 
Namen und die langen unverständlichen Ehrentitel der Gottheiten sind für den 
Laien leere, schwer auf das Qehor fallende Klänge und deshalb in diesem Umrisse 
weggelassen. — Siebold hat der japanischen Mytliologie eine besondere Abtheilung 
seines grossen Werkes gewidmet, in welchem freilich das von Professor Hoffmann 
übersetzte und mit vielen vortrefflichen Abbildungen begleitete Buddapantheon den 
grössten Raum einnimmt. — Gedrängte Darstellungen geben Klaproth in der Ein- 
leitung zu den Kaiserannalen und Leon de Rosny in seinem Memoire siu* la 
Chronologie japonaise. (Paris 1858.) 

'') Dieses Werk ist ausfiihrlicher als die von Professor Hoffmann übersetzten 
imd im grossen v. Sieboldschen Werke abgedruckten Tabellen. Wenn auch nach dem 
Urtheil dieses ausgezeichneten Kenners der japanischen Litteratur der Klaprothschen 
Uebertragmig im Einzelnen nicht vollkommen zu trauen ist, so glaubt sich der 
Verfasser durch Vergleichung mit den Geschichtstabellen und mit der Abhandlung 
desselben Gelehrten über Japans Bezüge zu Korea vor wesentlichen Fehlem bewahrt 
zu haben. Es handelt sich bei der vorliegenden Darstellung nur um das Charak- 
teristische der geschichtlichen Entwickelung im Ganzen, nicht um Einzelnheiten. 



16 



Geschichtsquellen. 



und enthalten nicht so viel des Wunderbaren und Sagenhaften als 
die Geschichte gleichnamiger Zeitalter bei den westlichen Völkern. 

Die Schrift, und zwar zunächst die chinesische ideographische, 
wurde zu Ende des dritten Jahrhunderts n. Chr. in Japan einge- 
führt. Vor dieser Zeit sollen alle Gesetze und Verordnungen durch 
öffentliches Ausrufen pubUcirt und durch mündliche Ueberlieferung 
fortgepflanzt worden sein, ebenso das Andenken an wichtige Staats- 
begebenheiten. Die Zeitbestimmungen aber wurden durch Ein- 
kerbungen in Balken und durch Knoten, die man in Seile machte, 
der Nachwelt übergeben. Die Thatsache, dass von Japan aus eine 
Gesandtschaft nach Korea ging, um die chinesische Schrift und 
Gelehrte von dort zu holen, lässt auf den Bildungsgrad schliessen, 
den das Volk im dritten Jahrhundert n. Chr. erreicht hatte. 

Von dem ersten Geschichtswerke — Reichsarchive werden 
schon viel früher erwähnt — berichten die Annalen unter dem vier- 
unddreissigsten Mikado um 600 n. Chr. Diese Arbeit geht in die 
frühesten Zeiten zurück und wird als Berichtigung und neue 
Redaction älterer Werke bezeichnet. Von der Zeit scheinen die 
Aufzeichnungen regelmässig fortgeführt worden zu sein'*). Die 
japanische Litteratur ist reich an historischen Monographieen über 
einzelne Landestheile, Familien und merkwürdige Entvvickelungs- 
phasen , aber den Europäern ist noch wenig davon bekannt geworden. 
— Mit den chinesischen Geschichtswerken stimmen die japanischen, 
wo es sich um Berührung der beiden Völker handelt, in Bezug auf 
Data und Thatsachen meist im wesentlichen überein, aber ihre 
Auffassung der Begebenheiten ist häufig sehr verschieden. 

Die Nachrichten der Kaiserannalen über das Ende des sechs- 
zehnten und den Anfang des siebzehnten Jahrhimderts sind sehr 
lückenhaft und unvollständig, sie hätten sonst manchen zarten und 
für die neue Siogun - Dynastie empfindlichen Punct berüliren müssen. 
Ueber diesen Zeitraum, einen der wichtigsten und merkwürdigsten 

^^) Im Jahre 713 wurde das Buch Fo-to-ki vollendet, eine ausfuhrliche Be- 
schreibung von Japan mit geschichtlichen Nachrichten. Um 720 erschien eine Geschichte 
des Reiches in 30 Bänden, darauf in den Jahren 791, 840, 850, 858 und 887 aus- 
fuhrliche Werke über die eben vergangenen Perioden , welche an einander anknüpfet^, 
in je 30 bis 50 Banden. Die sechs Werke bilden zusammen die grosse japanische 
Chronik. An diesen Aufzeichnungen, welche soi'gfaltig fortgeführt wurden , arbeiteten 
hohe Staatsbeamte im Verein mit Gelehiten. S. Hoffmann Japanische Grammatik 
(Leyden 1857) — und Klaproth zu den Kaiserannalen. 



Berichte der Missionare und der Holländer. 1 • 

der japanischen Geschichte, da sich in ihm das neue politische System 
aus anarchischen Zuständen und fast gänzlicher Auflösung der alten 
Staatsordnung entwickelte, besitzen wir eine ausgedehnte Litteratur 
in den Briefen und Berichten, welche die katholischen Missionare 
von Jahr zu Jahr an ihre Ordenshäuser in Europa sandten ' '). Diese 
Nachrichten sind um so wichtiger, weil zu jener Zeit die Fremden 
ohne Einschränkung mit allen Classen der Bevölkerung verkehrten; 
die Missionare besonders kamen vielfach in intime Berührung mit den 
Grossen des Reiches und konnten eine Anschauung von den Zuständen 
gewinnen, die unter den jetzigen Verhältnissen unmöghch zu erlangen 
ist; ihre Angaben stimmen meistens mit den Nachrichten der Kaiser- 
annalen überein'®). Nach dem Jahre 1652 durfte kein Geschichtswerk 
mehr veröflentlicht werden, so dass wir für die letzverflossenen 
zweihundert Jahre auf die Nachrichten beschränkt sind, welche die 
Holländer bei ihren Hofreisen und auf Desima sammelten. Im Ge- 
heimen cursiren bei den Japanern Manuscripte , welche die Geschichte 
der Neuzeit behandeln; davon sind einige den holländischen Factorei- 
beamten in Nangasaki zugänglich geworden. Aber sie erzählen fast 
nur Ho%eschichten und Anekdoten, und geben wenig Aufschluss 
über die innere Entwickelung des Staates, das einzige Wissenswerthe 
aus einer Zeit, in der sich das Reich nach aussen hermetisch 

**) Man hat vielfach den Fehler begangen , über diese Periode nicht die Original- 
berichte, die eine bändereiche Sammlung bilden, zum Theil selten und schwer zugänglich 
sind, sondern die Compilationen späterer Jesuiten zu befragen. "Während nun die 
Originalberichte grössten Theils Wahrheit athmen, und die Beobachtungen und Er- 
lebnisse der Missionare, in fromme Betrachtungen gehüllt, einfach mittheilen, waren die 
späteren Jesuiten, welche japanische Kirchengeschichte verfassten, meist tendenziöse 
Schriftsteller, denen es viel weniger auf Walirheit als auf die Verherrlichung der 
Kirche und ihres Ordens, theils auch nur auf Glanz und Effect der Darstellung ankam. 
Sie haben nicht nur Thatsachen entstellt, sondern auch Wundergeschichten und 
dergleichen erfunden, von denen wenigstens in den gedruckten Originalen nichts 
steht. — Die Berichte der Missionare selbst sind von verschiedenem Werth, doch 
ist die Kritik hier leichter , als bei den Compilationen. — Grosse Schätze handschrift- 
licher Berichte mögen noch in den Klöstern und Collegien der Jesuiten und anderer 
Orden in Italien, Spanien und Portugal vergi'aben liegen. 

^^ Dass die Kaiserannalen nicht etwa von den Missionaren benutzt worden sind, 

geht aus dem Umstände hervor, dass jenes Werk erst um 1652 ei;schien, als kein 

Geistlicher mehr in Japan lebte, während die meisten Briefe der Missionare gegen 

Ende des sechszehnten und in der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts gedruckt 

worden sind. In Europa wurden die Kaiscraimalen erst zu Ende des achtzehnten 

Jalirhunderts diu'ch Titsingh bekannt. 

1. 2 



A" Aehcate Gescliichte. 

verschlossen hatte. Es ist zwar anzunehmen, dass sich, seitdem in 
der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts das System der Abschliessung 
nach aussen und der allgemeinen Beaufsichtigung seine volle Aus- 
bildung erreichte, bis zum Eindringen der Amerikaner im Jahre 1854 
in den poUtischen Zustanden wenig geändert hat; aber leider besitzen 
wir auch aus der Zeit der Entwickelung des neuen System es über 
die inneren Einrichtungen keine ausfuhrlichen Angaben, denn die 
Missionare, welche die äusseren Begebnisse und die Umwälzungen, 
von denen sie Zeugen waren, sehr eingehend beschreiben, geben über 
diesen Punct fast gar keine Rechenschaft. 



DsiN-Mü der Göttersohn eroberte, von Süden kommend, das 
ganze Reich, und schlug in der Landschaft Yamatto") den Sitz 
seiner Herrschaft auf. Seine Proclamirung als Kaiser des ganzen 

«eo v.Chr. Landes (660 v. Chr.) ist der Ausgangspunct der japanischen Zeit- 
rechnung. Er wird als der erste genannt, der ein Haus baute**), 
während bis dahin die Eingeborenen in Erdhöhlen gewohnt hätten. 
Von seiner Leibwache rühmt sich der japanische Adel abzustammen. 

Die Nachrichten über die folgenden Mikado's sind dürftig und 
beschränken sich auf die Erzählungen von Kriegen gegen die Yebi's, 
von wunderbaren Naturphänomenen und Erbstreitigkeiten tun die 
Thronfolge. Von dem zehnten Mikado \vird berichtet, dass er vier 
Siogun's, Feldherren zur Bekriegung der wilden Eingeborenen in 
den abgelegenen Provinzen ernannt habe. Unter seiner Regierung 

33 v.Chr. (33 V. Chr.) kamen zum ersten Male Koreaner nach Japan: die 
Annalen erwähnen ihrer als einer tributbringenden Gesandtschaft, 
doch scheinen es nur Einwanderer gewesen zu sein, welche, den 

1^ Yamatto heisst wortlich Bergland. In alter Zeit soll diese Benennung fiii* 
ganz Japan gebraucht worden sein. Im engeren Sinne bezeichnet es den Kern der 
Halbinsel, welche in der Mitte der Längenrichtung von Nippon nach Süden heraus- 
springt. Die MiKADo's residirten durch viele Generationen in verschiedenen Theilen 
dieser Landschaft. 

**) Das Andenken seiner Wohnung wird in dem berühmten Tempel des Tkn- 
zio-daT-sin bewahrt, der in den ersten Jahren der christlichen Zeitrechnung in der 
Landschaft Isye erbaut wurde. Er ist der berühmteste Wallfahrtsort des ganzen 
Landes und soll eine getreue Copie der alt -japanischen Holz- und Strohbauten sein. 
Eine Tochter des Gründers, des elften Mikado, wiu-de dort Oberpriesterin , auch 
ihre Nachfolgerinnen waren aus dem Geschlechte der Erbkaiser. Die Landschaft 
Isye grenzt östlich an Yaaiatto. 



EinwanderuDgeii. Gesandtschaft uach China. Feldziig nach Korea. i«^ 

politischen Stürmen in ihrem Vaterlande weichend, eine neue Hei- 
math suchten. In Korea waren seit dem Jahre 57 v. Chr. grosse 
Umwälzungen vorgegangen: das alte Reich Tsaosien, welches die 
ganze Halbinsel umfasste, theilte sich damals in die drei Königreiche 
Kaoli, Petsi und Sinra. — Im Jahre 27 n. Chr. kam abermals eine 27 n.Chr. 
Einwanderung nach Japan, an deren Spitze ein Fürst aus dem 
Königshause von Sinra stand. Von Japan soll um 57 n. Chr. zum 67n. chr. 
ersten Male eine Gesandtschaft nach dem Auslande, und zwar an 
den chinesischen Kaiser Ko-bu-ko-tei (chinesisch Küano-wu- 
KüANG-Ti) aus der Dynastie Go-kan gegangen sein. — Unter dem 
zwölften Mikado, wurde der Krieg gegen die Yebi's nach Yeso 
ausgedehnt, die beiden folgenden hatten viel mit Bekämpfung der 
wilden Stamme in den östlichen Landschaften von Kiusiu und Nippon 
zu thun. 

Das sind die wenigen Nachrichten aus diesem Zeitalter, denen 
man einigen historischen Werth beimessen kaim. Alles übrige gehört, 
wenn auch gewiss mit Thatsachen vermischt, doch vorwiegend in 
das Gebiet der Sage. Schon die geringe Zahl von vierzehn Mieado's, 
welche den Zeitraum von 660 v. Chr. bis 200 n. Chr. ausfüllen, also 
durchschnittlich je über sechszig Jahre regiert haben müssten, ist 
sehr verdachtig. Um 201 n. Chr. bestieg zum ersten Male eine Frau 201 n. chr. 
den Thron, Sin-ko-wo-gü, die Wittwe des vierzehnten Mikado, 
eine gewaltige Kaiserin, welche noch heute als Schutzgöttin des 
Landes verehrt wird. Der Vorschub, den die Bewohner von Sinra 
den aufrührerischen Stammen von Kiusiu leisteten, veranlasste sie 
an der Spitze eines Heeres nach Korea überzusetzen: Sinra wurde 
in kurzer Zeit erobert, die beiden anderen koreanischen Reiche 
huldigten aus freien Stücken und verpflichteten sich zu regelmässigen 
Tributzahlungen. In Mimana, einem Districte von Petsi, wurden 
damals japanische Statthalter eingesetzt, welche neben den ein- 
heimischen Königen die Verwaltung führten. Eine Gesandtschaft, 
welche 239 von Japan nach dem chinesischen Reiche Wei ' ') ging, 
scheint durch die koreanischen Angelegenheiten veranlasst worden 
zu sein — doch dauerte es noch mehrere Jahrzehnte bis die dortigen 
Verhältnisse eine feste Gestaltung gewannen. Im Jahre 249 führten 

^") Damals gab es drei selbststäudige Reiche in China, nämlich WeT, Tsu und U. — 

Merkwürdig ist, dass die vom Reiche Wei nach Japan geschickte Gegcngesandtschafl 

dem Mikado ein Königsdiplom und andere Embleme japanischer Vasallenschaft 

überbrachte. 

2- 



^U Einführung der chinesischen Schrift. Verkehr mit Korea. 

die Japaner abermals einen siegreichen Krieg gegen das feindliche 
SiNRA, und 264 musste das Königreich Petsi, wo ein Usurpator sich 
des Thrones bemächtigt hatte, zugleich mit seinem rechtmässigen 
Herrn eine Verfassung aus den Händen des Mikado annehmen. — 
Wo-ziN, der Sohn der obengenannten Kaiserin, liess koreanische 
Arbeiter zur Erbauung von Landstrassen, Teichen und Kanälen 

2H0 n. Chr. kommen, und schickte 280 eine Gesandtschaft nach Petsi'"), um 
den gelehrten Chinesen Wo-nin (chinesisch Wang-tsin), der sich 
seit kurzem dort niedergelassen hatte, nach Japan zu fuhren. Er 
wurde Erzieher des Thronfolgers, lehrte am japanischen Hofe die 
Schreibekunst, und scheint die Werke des Confucius und IMencius 
dort eingeführt zu haben*'). 

Der Verkehr mit den koreanischen Reichen war auch während 
der beiden folgenden Jahrhunderte sehr lebhaft; zuweilen mussten 
sie durch kriegerische Expeditionen zur pflichtmässigen Tributzahlung 
angehalten werden. Die fortwährenden Grenzstreitigkeiten und die 
Kämpfe der drei Reiche um das Supremat gaben der japanischen 
Herrschaft in Korea ein bleibendes Uebergewicht durch das dritte, 
vierte, fünfte und die erste Hälfte des sechsten Jahrhunderts. Um 

562 n.Chr. dicsc Zeit (562) aber gewann das den Japanern von jeher feindliche 
SiNRA die Oberhand und vertrieb ihre Besatzung aus Mimana. Die 
vom Mikado hinübergesandten Heere wurden geschlagen und mussten 
das Land räumen. Die Fehden in Korea und die Unterhandlungen 
und Kämpfe um Herausgabe von Mimana währten von da an noch 
fast ein volles Jahrhundert. 

Während des beschriebenen Zeitraumes wurden vielfach Hand- 
werkercolonieen aus Korea und China nach Japan herübergeführt 

*°) Ein Prinz dieses Reiches, der von Wo-nin schi'eiben gelernt hatte, scheint 
kurz vorher an den Hof des Muüaoo gekommen zu sein und dessen Lembegier 
erweckt zu haben. 

'*) Einige japanische Gelehrte behaupten , dass durch die chinesische Schrift eine 
frühere japanische verdi'ängt worden sei. In der chinesischen Schrift drückt jedes 
Zeichen einen Begriff aus, wie unsere Zahlzeichen. Die meisten Worte haben nebenbei 
ein phonetisches Element, das aber nur für einen bestimmten chinesischen Dialekt 
Hcdeutung hat — Diese Schrift wird, da sie an den Laut keiner Sprache gebunden 
ist, in fast allen Ländern von Ost- Asien gelesen. — Merkwürdiger Weise kam die 
Schreibekunst, welche der aus Sinra eingewanderte Wo-nin zuerst am Hofe von 
Petsi lehrte, hier erst viel später in allgemeinen Gebrauch als in Japan. Um 374 
fing man in Pktsi an chinesische Bücher zu verbreiten, und noch später erhielten 
erst die beiden andern koreanischen Reiche von hier aus die chinesische Schrift. 



Uandwerkercolonieen u. s. w. aus Korea. — Streitigkeiten um die Tlironfolge. ^1 

und erhielten dort zunftmässige Rechte. Man warb Baumeister, 
Maler, Töpfer, Metallgiesser, Ziegelbrenner, Sattler, und erlernte 
die Kunstfertigkeiten des Nähens, Stickens, Spinnens und Webens. 
Auch Aerzte und Meister der classischen Litteratur kamen aus China 
herbei, und die Werke chinesischer Poesie erweckten gleiche Be- 
strebungen in Japan — schon werden einheimische Dichter und 
Dichterinnen genannt. -- Den Maulbeerbaum und die Seidenzucht 
führte schon der zweiundzwanzigste Mikado — um 470 — ein. 

Den meisten Raum erfüllen in den Annalen des vierten und 
fünften Jahrhunderts die Familienzwiste der Grossen und die Erb- 
streitigkeiten im Hause des Mikado; um die Thronfolge wurden oft 
blutige Kriege gefuhrt. 

Es ist ein merkwürdiger und für die Entwickelung aller 
dortigen Verhältnisse höchst wichtiger Zug, dass in Japan, wo fast 
alles Recht sich auf Erblichkeit gründet, die Erstgeburt fast gar 
keine Bedeutung hat: der Erbe wird durch das Famihenhaupt aus 
der Zahl seiner legitimen Kinder und Agnaten erwählt. So ist es 
auch im Kaiserhause. Da nun die Mikado's zu allen Zeiten mehrere 
rechtmässige Frauen hatten, so war hier der Intrigue Thüre und 
Thor geöffiiet Jeder Günstling suchte dem Herrscher Gemalinnen 
aus seiner FamiUe zu geben und dann deren Söhne auf den Thron 
zu bringen. Oft kam es durch die Eifersucht der Grossen gar nicht 
zur Ernennung eines Thronfolgers , dann entspannen sich nach dem 
Tode des Kaisers heftige Fehden. In dieser Einrichtung der Viel- 
weiberei bei den Mikado's und der Thronfolge durch Erwählung 
ohne Berechtigung der Primogenitur liegt der natürhche Keim des 
Verfalles ihrer Macht. Verweichüchung, Entkräftung, Beeinflussung 
von vielen Seiten mussten die Folgen dieser Verhältnisse sein. Die 
Partheiungen und eifersüchtigen Kämpfe der dem Kaiserhause ver- 
schwägerten Geschlechter haben in hohem Maasse den Gang der 
japanischen Geschichte bestiimnt. 

Schon gegen Ende des fünften Jahrhunderts entzogen sich 
mehrere Mikado's ganz den Regierungsgeschäften , und bestellten Re- 
genten, die an ihrer statt die Verwaltung leiten mussten. 



Die Ereignisse, welche die Einfülirung des Buddismus in 
Japan begleiteten, verdienen erzählt zu werden, da sie einiges Licht 
auf die Zustände jenes Zeitalters werfen. 



22 



Einführung des Buddismus. 



:cii n. dir. Im Jahre 552 sandte der König von Petsi dem Mikado eine 

Bildsaule des Büdda Siaka und die kanonischen Bücher seines Cultus 
zum Geschenk. An der Spitze der japanischen Regierung standen 
damals zwei machtige Minister, welche über die Zulassung des 
fremden Cultus in Streit geriethen. Der Mikado schenkte das Budda- 
bild dem Ikame, welcher für Einfuhrung der neuen Lehre stimmte 
und nun dem Götzen einen Tempel baute. Schon damals gab es 
unter den koreanischen Einwanderern viele Buddisten, welche ihrer 
Religion auch bei den Japanern Eingang zu verschaffen suchten. — 
Bald nach Aufstellung jenes Buddabildes brach die Pest aus; der 
Gegner des Iname überredete den Mikado, dies sei eine Strafe der 
alten Landesgötter, und bewirkte, dass die Bildsaule gestürzt, der 
Tempel zerstört wurde. Unter dem folgenden ]\Iikado erneut sich 
der Streit zwischen den Söhnen jener Günstlinge. Aus Petsi kom- 
men viele buddistische Priester und Gelehrte herüber, ein Theil 
des Mikado -Hauses ist dem Cultus günstig, aber noch einmal kommt 
die Pest dem buddafeindUchen Regenten Morita zu Hülfe, er setzt 
abermals die Ausrottung der Lelire durch. Die Priester werden ihres 
Ornates beraubt, die Tempel zerstört Unter dem folgenden, dem 
zweiunddreissigsten Mikado, gewinnt Mumako, der Sohn des IVünisters 
Iname, wieder Macht; er lasst nochmals Priester aus Petsi kommen, 
stellt den Cultus wieder her, und stürzt mit Hülfe des Prinzen 
Siotok-Daisi den MoRiYA. Der Mikado stirbt: sein jüngerer Bruder 
wird von dem allmächtigen Mumako auf den Thron gesetzt, aber 
bald nacliher, da er dem fremden Cultus abhold ist, auf sein Geheiss 
ermordet. Seine Schwester muss ihm succediren*'), Mumako wird 
Regent Unter seinem Schutze verbreitete sich die Buddalehre 
schnell im ganzen Lande; sie fand besonders an den vielen neuen 
Einwanderern aus Korea und auch an den älteren Colonisten eifrige 

fi-io n. Chr. Jünger. Man gründet Tempel und Klöster: gegen das Jahr 620 gab 

^) Die Regierung dieser Kaiserin ist merkwürdig durch eine Gesaiidtschafl an 
den chinesischen Kaiser Yang - ti. Der Brief des Prinzen Siotok - DaTsi , des Ver- 
trauten MuMAKo's, welcher vor diesem kurze Zeit Rqgent war, begann mit den 
Woiten: Der Sohn des Himmels der aufgehenden Sonne an den Sohn des Himmels 
der untergehenden Sonne. Die chinesischen Annalen berichten, Yano-ti habe die 
Aufschrift so unpassend gefunden, dass er die Lesung des Briefes untersagte. — 
Ein chinesischer Gesandter, der beim Regierungsantritt des folgenden Mikado zur 
(»ratulation nach Japan kam, reiste wegen eines Etiquettenstreites wieder ab ohne 
den Kaiser gesehen zu haben. 



Bedrohung des Mikado - Hauses. Stw'z des Regenten. ^o 

es nach den Annalen schon 816 Priester, 569 Priesterinnen und 
46 Tempel des Budda Siaea in Japan. 

Der Einfluss des mächtigen Mumako erstreckt sich über ein 
halbes Jahrhundert. Sein Sohn Soga-no-Yemisi folgt ihm in der 
Regentenwürde unter dem funfunddreissigsten Mikado Dsio - mei 
(629 — 641). Mit der Thronbesteigung von dessen Wittwe wachst e4i n. ohr. 
die Macht und der Uebermuth des Yemisi, er baut seinem Vater 
ein Grabmal gleich dem der Mikado's , und überträgt erkrankend aus 
eigener Machtvollkommenheit die Regentenwürde seinem Sohne Iruka, 
dessen maasslose Willkühr die Grossen zur Verschwörung treibt. 
Iruka wird in feierlicher Hofvrersammlung in Gegenwart der Kaiserin, 
deren Sohn Naka-no-Osi unter den Verschworenen ist, nieder- 
gestossen. Darauf entspinnt sich ein heftiger Kampf, die Hälfte des 
Hofes schlägt sich zu Yemisi, seme Parthei ist so mächtig, dass sie 
die kaiserliche überwunden haben würde, wenn nicht die seinen 
Anhängern gemachten Vorstellungen, es sei unerhört, dass das 
Göttergeschiecht des Mikado einem Rebellen weichen solle, gewirkt, 
die Parthei zerstreut hätten. Yemisi wurde in seinem Hause mit 
seinen Schätzen verbrannt. 

So die Annalen. — Diese Ereignisse geben ein Bild der spä- 
teren Umwälzungen, die Elemente sind immer dieselben. Das Ge- 
schlecht des Mikado degenerirt, der fähigste Minister bemächtigt 
sich der Leitimg des Staates; seine Würden vererben nach alt- 
japanischer Sitte auf seine Nachkommen, nicht aber seine Kraft und 
Fähigkeiten. Nach einigen Generationen ist sein Geschlecht unter 
der Wirkung der Schmeichelei und des üppigen Hoflebens eben so 
entartet, wie das des Mikado und erfährt ein gleiches Schicksal; 
eine andere Familie tritt an dessen Stelle. Zuweilen auch erhebt 
sich, während das herrschende Regentengeschlecht in Entkräftung 
versinkt, das Kaiserhaus wieder aus dem Elende; niemals aber ist 
seine Herrschaft von langer Dauer. Der Luxus und die Ueppigkeit 
des Hoflebens, die göttüche Verehrung der Person des Mikado, 
die Schmeichelei, die sich nur in der Zeit der Erniedrigung von ilim 
abwendet, machen ein Andauern der Kraft durch mehrere Genera- 
tionen unmögUch. — Die Sooa wollten den Mikado stürzen und 
dessen Würde an sich reissen. Wie fest und untrennbar diese nach 
dreizehnhundertjähriger Herrschaft (wenn man es glauben darf) mit 
dem Geschlechte des Dsin-Mu verwachsen, wie stark der Glauben 
an dessen Beruf und Recht auf den Thron war, beweisen die 



24 Ursachen des Verfalles der Mikado -Herrschaft. 

erzählten Begebenheiten. Spätere Usurpatoren versuchten niemals, 
sich die Würde, den Rang des Mikado anzumaassen , sie begnügten 
sich, ihm die Macht zu nehmen und übten auch diese nur in seinem 
Namen. DieWürde ist nach japanischen Begriffen etwas erbliches, 
von der Abstammung untrennbares — dieses Erbrecht war zu allen 
Zeiten heilig und unantastbar — keine äusseren Umstände können 
ein Geschlecht jemals seines angestammten Ranges berauben, selbst 
das grösste Elend nicht, wie die japanische Geschichte vielfach 
beweist; — nur ehrlose Handlungen des Familienhauptes, wenn sie 
nicht durch Selbstopferung gesühnt werden , rauben dem Geschlechte 
seinen Rang. So oft in der späteren Geschichte die Herrschaft auf 
ein anderes Haus übergegangen ist, hat dieses niemals den Titel 
seiner gestürzten Vorgänger angenommen, sondern einen anderen 
neuen. Aber die Erfahrung hat die Japaner gelehrt, dass die Kraft 
nicht immer mit der Würde vereint ist, deshalb gewöhnten sie sich, 
die Macht als etwas rein thatsächUches anzusehen. Dem grossen 
Usurpator Taiko - sama gelang es im sechszehnten Jahrhundert das von 
Bürgerkriegen zerrissene Reich unter seinem Scepter zu vereinigen, 
und trotz seiner niedrigen Abstammung seine Herrschermacht 
zur vollsten Anerkennung nicht nur beim Volke, sondern auch bei 
den Grossen zu bringen ; er konnte aber trotz allen Bemühungen den 
SioouN -Titel, welcher von uralters her der Familie Minamoto eigen 
war, nicht erlangen, und musste sich, um durch eine andere alte 
Würde seinem Throne Glanz zu verleihen, von einem Mitgliede der 
Familie Fudsiwara, welche den Kuanbak- Titel seit Jahrhunderten 
erbUch besass, förmhch adoptiren lassen. Der Mikado gab auch 
dann nur widerstrebend seine Zustimmung; es war eine Anomalie 
wegen Taiko - s ama's niedriger Geburt und wurde als etwas unerhörtes 
angesehen, weil nach japanischen Begriffen nur die Adoption Eben- 
bürtiger statthaft ist; seine Macht aber wurde als rechtmässig an- 
erkannt, sobald sie thatsächlich begründet war. 



r45 n.Chr. Nach der Ermordung des Iruka (645) dankte die Kaiserin 

Küoook'") zu Gunsten ihres Bruders Kotok ab, bestieg aber nach 
dessen Tode nochmals den Thron. Erst im Jahre 662 erliielt Prinz 

®) KuoGOK war, wie wahrscheinlich alle anderen weiblichen Mikado's, eine 
Fürstin aus dem kaiserlichen Geschlecht. Die Ahstamnuing jedes einzelnen Mikado 
wird in den Annalcn weitläufig erörtert. Sie heiratheton viclfnrh die Töchter ihrer 
Bruder und Vettern. 



TsNTsi. Abstammung der Fudsiwara. Liiiere Einrichtungen. 



25 



Naka-no*-Osi unter dem Namen Tentsi die Krone. Sein Freund 
und Mitverschworener Kamatari stand seit Iruka's Tode an der 
Spitze der Staatsverwaltung. In der Familie des Kamatari, welche 
vom Kaiser den Namen Fudsiwara erhielt, wurde später die Kuan- 
BAK -Würde**) erblich; ihr Einfluss war schon im achten Jahrhundert 
am Hofe vorwiegend. — Dieses Geschlecht hat sich auch später, 
nachdem es die Macht verloren, durch alle Zeiten im Besitz der 
höchsten Hofämter erhalten. 

Kamatari scheint sich um die inneren Einrichtungen des 
Staates verdient gemacht zu haben: er theilte das Reich in acht 
Provinzen, regelte die Verwaltung und gab den Beamten feste 
Besoldung: durch das ganze Land wurden Postrelais eingerichtet, 
Kataster aufgenommen, das Steuerwesen geordnet. Das Heerwesen 
erhielt eine festere Gestaltung; eine stehende Kriegsmacht hatte man 
seit lange im Westen des Reiches — gegen Korea -— unterhalten, 
einzelne Abtheilungen davon bildeten, sich ablösend, die Garnison 
der Residenz. Kamatari baute Arsenale und Magazine , brachte auch 
die Hofhaltung in eine feste Ordnung, regelte die Etiquette und 
führte die öiTentUchen Audienztage ein. Der grösste Theil des noch 
jetzt am Hofe des Mikado übhchen Ceremoniels, sagen die Annalen, 
datirt aus jener Zeit*'). 

^) Die Fudsiwara fuhren ihren Stammbaum noch hoher hinauf und auf das 
Geschlecht des Mikado zui'ück. — Die eigentliche Bedeutung des Titels Kuanbak 
ist schwer zu ergründen: in den meisten Fällen scheint die Uebersetzung Regent 
zu passen, zuweilen kommt aber in der Klaprothschen Uebertragung der Annalen ein 
Regent neben dem Kuanbak vor. Kämpfer sagt: Quanbuku ist die andere Person 
dieses geistlichen Hofes und des Dairi (Mikado) Vicekonig und Premier - Minister 
in Regieningssachen. — Auch der Kuanbak -Titel wird, gleichwie alle anderen 
erblichen Würden, vom Mikado jedes Mal ausdrücklich verliehen, aber immer nur 
an den Berechtigten. Daneben giebt es andere nicht erbliche Ehrentitel und Aemter, 
die ebenfalls der Mikado verleiht — und die Rangstufen und Classen, durch welche 
die Hof- und Staatsbeamten allmälich emporsteigen, sind wieder von jenen Titeln 
unabhängig — so scheint es wenigstens nach den Annalen. Der ganze Organismus 
ist höchst künstlich und bis jetzt noch sehr räthselhaft. — Der höchste Ehrentitel, 
den der Mikado häufig nur sich selbst ertheilt, ist DaT-sio-dai-sin. Zu derselben 
Rangclasse soll die Kuanbak - Würde gehören. Die Titel der zweiten Classe sind 
0-daT-sin, U-daT-sin und Na-daT-sin, die der dritten DaT-nagon und Tsu- 
NAGON. Alle diese werden nur an eine Person verliehen , die der folgenden Classen 
an mehrere 

^) Klaproth bezeichnet in einer Note zu den Kaiseramialen die Einthcilung der 
japanischen Verwaltung auf folgende Weise. Es giebt acht Administrationen: 



26 



Beaehungen zum Auslände. 



Auch nach aussen machte sich die steigende Blfithe des 
Reiches geltend. Die Jahrbücher berichten von einem Kriegs- und 
Jagdzuge nach der Tartarei, und von einer Expedition gegen die 
wilden Stamme auf Yeso. Gefangene Aino^s von abentheuerlichem 
Aussehn mussten den Glanz der Gesandtschaften an den chinesischen 
Hof erhöhen. — In Korea gewannen die Japaner im Jahre 600 einen 
Theil ihres alten Besitzes zurück; um 623 wiurden sie wieder ver- 
trieben, waren aber bald darauf nochmals siegreich'*). Von dieser 
Zeit bis 650 scheinen alle drei Reiche regelmassig Tribut entrichtet 
zu haben: aber das Uebei^ewicht des mit den Chinesen verbündeten 
SuiRA machte sich mehr und mehr geltend. Als im Jahre G51 seine 
Gesandten in chinesischer Tracht erschienen, wiesen die Japaner 
sie an der Grenze zurück. Zehn Jahre darauf eroberte Sinra mit 
chinesischer Hülfe Petsi und bedrängte auch Kaoli. Die in den 
Jahren 662 und 663 von Japan gesandten Hülfsvölker mussten der 
Uebermacht der Chinesen weichen und das Land räumen ; mit ihnen 
kamen einige tausend koreanische Einwanderer nach Japan, darunter 

1) Eine allgemeine Centralabtheilung , 

2) eine Abtheilung für Gesetze und öffentlichen Unterricht, 
8) eine Abtheilung für das Innere, 

4) eine Abtheiluiig für Polizei und Volksangel egenheiten , 

5) ein Kriegsministerium , 

6) eine Abtheilung für Criminalsacheu , 

7) eine Abtheilung für die Finanzen, 

8) ein kaiserliches Hausministerium. 

Die Einfutirung der japanischen Zeitrechnung nach «Nengo- datirt auch aus dieser 
Zeit. Die Nenuo umfasst eine luibestimnite Reihe von Jahren ; der Mikado bestimmt 
ihren Anfang und ilu- Ende und giebt ihr den Namen. AUgemeui gebräucfilich wui*de 
diese Zeitrechnmig gegeu Ende -des siebenten Jahrhunderts ; seitdem heisst es in den 
Annalen immer: im — ten Jalire der — genannten Nengo u. s. w. 

Die Zeitrechnmig nach «Nengo« haben die Japaner den Chinesen entlehnt, 
ebenso die Zeitrechnung nach sechszigj ährigen Cyclen. Der erste Cyclus beginnt 
mit dem einundsechszigsten Jahre der Regieiiing des chiuesischen Kaisers Hoano - ti, 
2637 V. Chr. Die Regierung des Dsin-Mu beginnt also in dem siebenundfunfzigsten 
Jahre des dreiunddreissigsten Cyclus. Die einzige acht japanische Art der Zeitrech- 
nung ist die nach Vereinigimg des Reiches unter Dsin-Mu. 

^) "Aus dem Umstände, dass Petsi in der Folge auch für Mimana Tribut ent- 
richtete, scheint hervorzugehen, dass letzteres, wo nicht ganz zu Petsi geschlagen, 
doch unter dessen Schutz gestellt wui'de.« S. Hoffniann, Japans Bezüge mit der 
koreanischen Halbinsel (v. Siebold Nippou Bd. VII.), eine sehr eingehende Abhandlung, 
welcher fast alle diesen Punct betreffende Angaben entlehnt sind. 



Bergwerke. Erfindung der Silbenschriften. 



27 



Mitglieder der Königsfamilie von Petsi, welche in der Landschaft 
Muts Lehnsgüter erhielten. Später folgten noch wiederholt grosse 
Züge von Einwanderern. — Seitdem übte Japan keinen Einfluss mehr 
auf die koreanischen Angelegenheiten. Man errichtete Grenzwachen 
auf den Inseln Iki und Tsüs-sima und an der Nordostküste von 
Kiusiu und legte starke Besatzungen dahin. Die guten Beziehungen 
zum chinesischen Hofe wurden bald wieder hergestellt, und auch 
mit Korea, das jetzt unter dem Supremate Sinra's stand, trat man 
wieder in freundliche Verkehrsverhaltnisse, welche bis 922 dauerten. 

Tentsi, sagen die Ännalen, war ein Freimd der Wissen- 
schaften ; unter ihm wurde die Landesverwaltimg und die Gerechtig- 
keitspflege zuerst auf festen und haltbaren Grundlagen geordnet. 
Noch heute ehrt man ihn als einen der grössten Fürsten von Japan. 

Mehr und mehr blühte das Reich unter den folgenden 
Kaisem auf. Gegen Ende des siebenten Jahrhunderts scheint die 
japanische Cultur über die drei grossen Inseln verbreitet gewesen 
zu sein, mit Ausnahme der nördUchsten Theile von Nippon, wo 
noch immer wilde Stämme hausten. In diese Zeit fällt die erste 
Entdeckung der einheimischen Gold-, Silber- und Kupferminen. 

Mit dem Reichthum wuchs auch das Bedürfhiss verfeinerter 
Bildung. Die Mikado's schickten glänzende Gesandtschaften nach 
China; mit ihnen gingen Priester und gelehrte Edelleute hinüber, 
die zur Erweiterung ihrer Kenntnisse oft viele Jahre dort zubrachten. 
Dass aber schon damals die einheimische Bildung, wenn auch auf 
die chinesische gepfropft, einen hohen Grad der eigenthümlichen 
Entwickelung erreicht hatte, beweist der Umstand, dass die chine- 
sische Schrift dem japanischen Bedürfnisse nicht mehr genügte. 
Man stellte Silbenalphabete auf, um den Klang der japanischen 
Sprache ausdrücken zu können und zwar zunächst, wahrscheinlich 
noch im achten Jahrhundert, die Firakana-, etwas später die 
Katakaiya - Schrift ' ' ). 

^ Beide Schriftarten erfiillen den genannten Zweck nur unvollständig; die Gel- 
tung der Silben modificirt sich nach ilu*er Verbindung imd man muss den Klang eines 
japanischen Wortes kennen, um ihn aus dem schriftlichen Ausdruck herauszulesen. 
Eine fremde Sprache in Katakana oder Firakana zu schreiben , wäre geradezu 
unmöglich. — Nach Professor HofTnianu (japanische Grammatik), wiu'de es zur Zeit 
der Ausbreitung des Buddismus in Japan Sitte, chiuesiscli sprechen zu lernen. 
Die Aussprache entartete aber bei der Stanimverschiedeuheit der beiden Idiome im 
Munde der Japaner dermaassen , dass ein ganz neuer Dialekt dai'aus wiu'de. Wie die 



28 



Gründung von Miako. 



794 n. Chr. Üntcr dem Jahre 794 unserer Zeitrechnung erwähnen die 

Äunalen der Gründung des Palastes von Miako: bis datün hatten 
die Erbkaiser in verschiedenen Gegenden von Yamatto und den 
angrenzenden Landschaften Hof gehalten. Der fünfzigste Mikado 
KüAN-Mu baute in der Landschaft Yamasiro, nördlich von Yamatto, 
ein prachtiges Schloss, zu dessen Ausschmückung alle Theile des 
Landes beisteuern mussten: dort haben seitdem die Erbkaiser 
residirt. Miako") liegt in der Ebene, umgeben von waldigen 
Höhen, nicht weit von dem See Oomi, der im Jahre 286 v. Chr. 
durch plötzliches Versinken einer grossen Strecke Landes entstanden 
sein soll. — Die Stadt wuchs rasch zu ansehnlicher Grösse heran, 
der Hof und die Grossen verbreiteten dort Reichthum und Bildung. 
Auf den benachbarten Bergrücken Uessen sich die Priester und 
Mönche verschiedener Secten nieder, prächtige Tempelanlagen 

heutigen Cantonesen das Englische, so passten die alten Japaner das Chinesisclie 
iiireni Sprachorgane an, wodurch sich der Klang der Worte bis zur Unkenntliclikeit 
veränderte. Für den mündlichen Verkehr mit den Chinesen musste deshalb schon 
7'25 eine Dolmetscherschule errichtet werden. — Die frühesten Werke japanischer 
Oeschichtsschreibung und Poesie wurden in chinesischer Schrift aufgezeichnet, und 
zwar zum Theil in der stehenden — der KiaT — zum Theil in der Cursiv- oder 
Gra.sschri(l. Aus der letzteren bildete man das Firak an a - Alphabet , aus der erstercn 
später das Katakana. Das Fibakana, in welchem die Silben in einander gezogen 
und verbunden werden können, ist das gebräuchlichste , aber nicht, wie oft behauptet 
wird, ausschliessliches Eigenthum der Frauen. — Wissenschaftliche Werke werden 
noch heute mit chinesischen Zeichen geschrieben und gedruckt; häufig aber steht 
neben diesen, wo der chinesische Ausdruck dessen bedarf, eine Erklärung in 
Katakana oder Firakaxa, und zwar läuft neben der chinesischen Cursiv-, der 
TsAU- Schrift, das Firakana, neben der stehenden, der KiaT -Schrift, das Katakana 
her. Auch in solche Bücher , deren Text in den japanischen Silbenschriften gedruckt 
ist, findet man viele chinesische Zeichen eingestreut, ohne deren Kenntuiss jedes 
Vcrstäfidniss unmöglich ist. S. das Nähere bei HofTmann a. a. O. 

Der Volksglauben bezeichnet den gelehrten Kibi, einen vornehmen Japaner , der 
sich zu wissenschaftlichen Zwecken eine Reihe von Jahi'en in China aufliielt und 
nachher in seinem Vaterlande zu den höchsten Ehrenstellen emporstieg, als Erfinder 
des Katakana, und den Priester Koro, einen der berühmtesten Heiligen von 
Japan — der in China Sanscrit lernte und in dieser Schrift japanisch zu Schreiben 
versuchte — als Erfinder des Firakana. Die grosse japanische Encyclopädie will 
diesen Beiden den Ruhm der ihnen zugeschriebenen Erfindungen nicht lassen. — 
Kibi starb 757, Kobo 835. — 

^) Miako soll Palast bedeuten und nur von den Fremden als Benennung der 
erbkaiscrlielicn Residenzstadt gebraucht werden: der einheimische Ortsname wäre 

KlOTO. 



Fortschritte des Buddisniiis. Politik der Fudsiwara. ^«/ 

bedeckten die waldigen Hänge. Die buddistischen Secten hatten sich 
im achten Jahrhundert immer mehr in Japan ausgebreitet; dem 
gebildeteren Volke musste ihre zum Denken imd zur Betrachtung 
anregende Lehre mehr zusagen als die alte Naturreligion. Durch die 
häufigen Berührungen mit China kamen vielerlei Observanzen herüber 
und auch in Japan entstanden neue Secten. Die einheimischen 
Theologen scheinen das Material in eigenthündicher Weise ver- 
arbeitet und mit der alten volksthümlichen Lehre verschmolzen zu 
haben: bald liessen sie die alten Kami's unter der Hülle indischer 
Gottheiten erscheinen, bald diese in den Personen japanischer 
Herrscher und Helden wiedergeboren werden. So wurde die alte 
Landesreligion nicht verdrängt, aber vielfach modificirt, und übte 
auch ihrerseits starken Einfluss auf den buddistischen Cultus. Wenige 
Secten scheinen die eine oder die andere Lehre in ihrer vollen 
Reinheit bewahrt zu haben, aber der Buddismus gewann ein grosses 
Uebergewicht Selbst die Erbkaiser, wiewohl doch eigentlich eine 
Incamation der alten Nationalgottheit, bekannten sich zu dem 
indischen Cultus; von Küan-mu, dem fünfzigsten Mikado, wird 
ausdrückhch erzählt, dass er sich buddistisch taufen liess^^). 

Das Ansehn der Erbkaiser scheint in dieser Periode und noch 
bis in den Anfang des neunten Jahrhunderts im Steigen gewesen 
zu sein. Zwar bekleideten schon damals die Fudsiwara fortwäh- 
rend die höchsten Hof- und Staatsämter, doch war ihr Einfluss 
nicht unbedSigt; sie hatten lange Zeit die Eifersucht anderer Günst- 
linge zu bekämpfen, mussten oft weichen, und überwanden ihre 
Nebenbuhler erst zu Ende des achten Jahrhunderts, das besonders 
reich war an weiblichen Mikado's. Die Politik dieser Familie bestand 
darin, ihre Töchter den Kaisem zu vermalen und ilmen oder 
ihren unfähigsten Söhnen die Succession zu verschaffen. Im Anfange 
des neunten Jahrhunderts befestigte sich die Macht der Fudsiwara 
immer mehr: unter ihrer Einwirkung abdiciren der einundfunfzigste, 

^) Klaproth beschreibt in einer Anmerkung zu den Kaiserannalen die »buddi- 
stische Taufe « folgendermaassen : La ceremonie du bapteme bouddique (Kuan - tsioo) 
se fait dans un endroit obscur oü ne peuvent penetrer les regards de personne. 
Le grand-pretre qui tient en main un vase de cuivre repand un peu d'eau sur la 
tete du neoph3rte en pronon^nt quelques paroles. On appelle l'eau du bapteme 
Kan-ro, la rosee douce. En le versant sur la tßte du neophjrte le pretre prie 
les dieux de lui remettre les Sango, c'est-ä-dire ses peches avant, pendant et apres 
cette vie, et de Paider ä purifier son cctwr et a parvenir k la perfection. 



oU Steigende Macht der Ruanbak's. Beziehungen zum Auslande. 

zweiandfunfzigste, dreiundfunfzigste Mikado in der Kraft ihrer Jahre 
und ziehen sich in das Privatleben zurück. Füdsiwara- wo - Yosi - füsa 
wird Regent bei der Thronbesteigung des sechsundfunfzigsten Mikado, 
der sein Tochtersohn und nur neunjährig war. Auch dieser dankt 
in seinem sechsundzwanzigsten Jahre zu Gunsten seines achtjährigen 
Sohnes ab, welcher heranwachsend Begabung und Thatkrafb zeigt, 
aber von Moto-tsune, dem Sohne und Nachfolger des Yosi-füsa, 
entthront wird. Moto-tsune nahm zuerst den Titel Kuasbak an 
und setzte einen Grreis auf den Thron; in ähnlicher Weise schalten 
seine Nachfolger durch melirere Generationen. Die Kuanbak -Würde 
vererbt vom Vater auf den Sohn, das Haupt der Fudsiwara steht in 
Wirküchkeit an der Spitze des Staates. Nur Greise und Unmündige 
werden auf dem Throne geduldet; die höchste Würde bleibt den 
MiKADo's, aber alle unter ihnen, die Fähigkeit und Thatkraft zeigen, 
müssen abdanken und sich in das Privatleben zurückziehen. Die 
£x-MiKADo's bewohnen prächtige Paläste in und um Miako, wett- 
eifern mit den Grossen in glänzenden Festlichkeiten und vergeuden 
ihre Kraft in Mummereien und anderen rauschenden Vergnügungen. 
Miako wird ein Sitz des Reichthums und verfeinerter Sitten: die 
vornehme Jugend übt die Jagd und ritterliche Spiele, Musik und 
Poesie, sie wirbt um zarte Frauenminne und Waffenruhm, und 
sucht Abentheuer gleich den Kämpen des Westens. So erscheint 
in Japan das neimte und zehnte Jahrhimdert als ein Zeitalter ritter- 
licher Romantik***). 

Die Berührungen mit dem Auslande wurden seit dem Anfange 
des neunten Jahrhunderts seltener: nur in langen Zwischenräumen 
gingen einzelne Priester und Gelehrte nach China, von Gesandt- 
schaften dahin berichten die Annalen in diesem Zeiträume gar nicht. 
Die japanische Gesittung stand jetzt auf eigenen Füssen und 
entwickelte sich selbstständig zu immer höherer Blüthe. Die Be- 
<J85 n. Chr. ziehungcu zu Korea bUeben die alten bis um das Jahr 935, in 

^) Selbst die Annalen , welche doch nur Auszüge der grosseren Geschichtswerke 
sind, enthalten eine Menge Erzäiilungen von den galanten Abentheiiem der Ex-Mikado's, 
der Kuanbak's und anderer Vornehmen , welche schönen Prinzessinnen Serenaden brin- 
gen, und vor den Fenstern der Geliebten mit ihren Nebenbuhlern die Klingen 
kreuzen, — und romantische Geschichten von Eifersucht und Gi'ossmuth, von treuer 
Freundschafl und Selbstverleugnung. Sie erzählen viel von den Wettkämpfen der 
Poesie und Musik in schönen Gärten, unter blühenden Bäiunen, am Ufer rieselnder 
Bäche oder stiller Seen. 



Rebellische Priester. Entstehung des Lehnsadels. ol 

welchem ein Fürst von Kaoli das alternde ^Königshaus von Sinra 
stürzte. Von da bis zum Jahre 1392 hatte Japan gar keinen Verkehr 
mit Korea. Gegen das Ende des neunten und zu Anfang des 
zehnten Jahrhunderts verwüsteten Corsaren von Sinra vielfach die 
japanischen Küsten und bemächtigten sich auf kurze Zeit der silber- 
reichen Insel Tsus-siMA. 

Die Ruhe im Inneren des Reiches wurde in dieser Blüthe- 
periode nur durch die hochmüthigen rankesüchtigen Priester und 
Mönche der Umgegend von Miako zuweilen gestört. In hunderten 
reichdotirter Klöster angesiedelt befehdeten sie einander mit Feuer 
und Schwert, und zogen oft, mit den zur Schlichtung ihrer Kämpfe 
getroffenen Entscheidungen unzufrieden, in hellen Haufen nach der 
Hauptstadt, legten Feuer an die Paläste der Kuanbak*s und selbst 
an die Wohnung der geheiligten Erbkaiser, und mussten mit Waffen- 
gewalt vertrieben werden. Die Annalen erzählen viel von der 
Unbeugsamkeit und Zügellosigkeit dieser Priester; ihr Reichthiun imd 
Einfluss wuchs noch bedeutend in den folgenden Jahrhunderten. 
Sie wohnten in zahlreichen Corporationen zusammen, die sich 
später, zur Zeit der inneren Kriege, vielfach an den Kämpfen be- 
theiligten und eine poUtische Macht wurden, welche die Partheien 
nicht verachten durften. 

Um die Mitte des zehnten Jahrhunderts begegnen wir einer 
Rebellion, angestiftet von einem Abkömmling des Kaisers Kuan-hu, 
der sich im Osten von Nippon zum Mikado ausrufen liess und eine 
zahlreiche Parthei zu gewinnen wusste. Erst nach mehreren Feld- 
zügen bewältigten ihn die Heere der Kuanbak's. Dies war die 
Blüthezeit ihrer Herrschaft, welche in den Annalen bis zu Ende 
des zehnten Jahrhunderts als gerecht und weise gepriesen wird. 
Den Erbkaisem gegenüber behaupteten sie ihr Ansehen auch 
noch durch die beiden ersten Drittheile des elften Jahrhunderts: 
von dem neunundsechszigsten Mikado wird ausdrücklich gesagt, 
dass er, obgleich sehr fähig und unterrichtet, sich doch in allen 
Regierungsangelegenheiten in den Willen der Kuanbak's habe fügen 
müssen; aber ihre Autorität im Lande sank immer mehr. Das 
Geschlecht war entkräftet und den inneren Zuständen, die sich im 
Laufe der Zeit herangebildet hatten, nicht mehr gewachsen. Die 
einzelnen Landschaften wurden ursprünglich von Statthaltern des 
Mikado regiert, welche allmälich das Amt in ihren Familien erblich 
gemacht zu haben scheinen. Die Souverainetätsrechte, die sie 



ö2 Verfall der KuANBAK-HerrschaA. Regierung der Ex-Mikauo's. 

ursprünglich im Namen der Erbkaiser übten, gingen durch den 
Brauch und die Gewohnheit langer Zeiträume allmälich auf sie 
selbst über. So entstanden die Erblehen. Einige dieser Fürsten 
wuchsen den schwachen Kuanbak's über den Kopf und schüttelten 
deren Herrschaft ab: schon im Anfange des elften Jahrhimderts 
bekriegten mehrere selbststandig gewordene Daimio's einander unge- 
straft, und um 1050 brach in den nördüchen Landschaften von 
NippoN eine RebelUon gegen die Centralregierung aus, welche erst 
nach langen heftigen Kämpfen unterdrückt wurde. Der siegende 
Held dieses Krieges war Minamoto-no-Yori-yosi'*), der nach 
seinem Tode als Kriegsgott Fatsman-yu verehrt wurde, der Stamm- 
vater der späteren Siogün - Dynastieen. 



Dem einundsiebzigsten Mikado Go - Sansio ") gelang es um das 
1070. Jahr 1070, dem schwachen Kuanbak das Ruder der Herrschaft zu ent- 
winden ; er wurde auch für kurze Zeit Herr der rebellischen Grossen. 
Seine Nachfolger fuhren zwar fort den Häuptern der Fudsiwara 
den hergebrachten Kuanbak -Titel zu verleihen, doch scheint dieses 
Amt seitdem eine Art Hausministerium geworden zu sein; die frühere 
IM acht erlangten sie trotz mancherlei Versuchen niemals wieder. 

Die nächsten achtzig Jahre bieten nun die merkwürdige 
(Erscheinung, dass die Erbkaiser, sobald sie einen lebensfähigen 
Erben haben, dem Throne freiwillig entsagen, aber die Leitimg 
des Staates in der Hand behalten. Das Ceremoniel, mit welchem 
die Kuanbak's die geheiligte Person des Mikado umgeben hatten, 
und dessen man sich jetzt nicht mehr entledigen konnte, scheint 
jede freie Bewegung gehemmt imd ein kräftiges Eingreifen in die 
Geschäfte unmögUch gemacht zu haben. Go-Sansio abdicirt schon 
nach dreijähriger Regierung zu Gunsten seines Sohnes Dsibo-kawa, 
der, von seinem Vater in die Geschäfte eingeweiht, im Jahre 1086 
ebenfalls abdankt, um die Leitung des Staates nach dessen Tode 
zu übernehmen. Er regiert das Land unter den beiden folgenden 
Kaisern, seinem Sohne und Enkel. Der Letztere, Toba, resignirt 

'*) Auch diese Familie leitet sich von dem Geschlechte der Erbkaiser her: der 
zweiiindfunfzigste Mikado Saoa-no-ten-o (810 — 823) verlieh seinen vier Töchtern 
den Namen Mikamoto ; von einer derselben soll das Geschlecht des Yori-yosi 
abstammen. 

*'^) Sansio der Zweite. 



Herrschaft der Ex-Mikado's. o6 

schon im zweiundzwanzigsten Jahre zu Gunsten seines Sohnes 
SiuTOK und ergreift bei Dsiro-kawa's Tode die Zügel der Herrschaft. 
Auf sein Geheiss muss später Siutok die Krone einem jüngeren 
Halbbruder abtreten, nach dessen Tode Toba abermals einen seiner 
unmündigen Söhne auf den Thron setzt. Dsiro-kawa stirbt, und 
Siutok sucht sich (1156), zu schwach für die Herrschaft, wenigstens iise. 
des Thrones wieder zu bemächtigen, um seinen eigenen Söhnen 
die Nachfolge zu sichern. Der Hof ist in zwei Partheien gespalten: 
Siutok unterhegt nach blutigem Kampfe, wird zum Priester ge- 
schoren und in die Verbannung geschickt. 

AUe diese Herrscher waren ihrer Stellung nicht gewachsen. 
Unter der kraftlosen Verwaltung der letzten Kuanbak's hatten die 
Lehnsfursten ihre Häupter erhoben und boten der kaiserhchen Re- 
gierung Trotz, und wenn auch Go-Sajntsio auf kurze Zeit der auf- 
rührerischen Grossen wieder Meister wurde, so konnten doch weder 
er noch seine Nachfolger ihr Ansehn auf die Länge behaupten. 
Der Zwist in der Familie der Mikabo's gab ihrer Macht den Todes- 
sioss. Seitdem Siutok seinen Bruder zu entthronen suchte , war das 
Kaiserhaus immer in verschiedene Factionen zerspalten und wandte 
vergebens alle Mittel der Gewalt und Intrigue auf, um die Herrschaft 
wieder an sich zu reissen; sie wurden seitdem ein Spielball der 
Grossen, welche sich ihres Ansehns nur zu Erreichung der eigenen 
selbstsüchtigen Zwecke bedienten. 

Schon unter der Herrschaft des Dsiro - kawa waren wieder Un- 
ruhen in den nördUchen Landschaften von Nifpon ausgebrochen, zu 
deren Unterdrückung zwei blutige Kriege gefahrt werden mussten. Der 
kaiserUche Feldherr Minamoto - no - Yosi - ye , ein Sohn des Yori - yosi, 
benutzte sein in diesem Kriege gewonnenes Ansehn, um sich von den 
Bewohnern des Kuanto ' ') huldigen zu lassen. Dsiro - kawa sandte den 

^ Unter dem Namen Kuanto verstand man den ganzen östlichen Theil von 
NiPPON , jenseit der Grenzwachen von Suzunoa in der Landschaft Isye ; das westlich 
von diesem Passe gelegene Land hiess KuanseT; im engeren Sinne scheint der Land- 
strich zwischen jenen Grenzgebirgen von Isye und dem Golfe von Ykddo — also die 
Provinzen Yktsinoo, Fida, Kootske, Sinano, Sangami, Idsü, Tootomi, Subunoa 
und MiKAWA — den Namen Kuanto geführt zu haben; — so ist dieser Complex von 
Landschaften wenigstens auf einer alten franzosischen Karte von Japan bezeichnet, 
welche sich wahrscheinlich auf einheimische Karten des siebzehnten Jahrhunderts 
und die Angaben der Jesuiten gründet. — Jetzt heisst Kuanto nach einer Notiz 
des Herrn von Siebold nm* das östlich von den Grenzwachen von Fakone (Provinz 
Sanoahi) gelegene Land , also die um den Golf von Yeooo liegenden Provinzen. 
I. . 3 



«>4 Die MiNAHOTo und die TaTra. 

Fürsten Taira-no-Masa-mori gegen die Minamoto: dies war die erste 
feindliche Begegnung der Familien Minamoto und Taira (Gensi und 
Feike) deren erbitterte Kriege bald darauf eine Umgestaltung aller 
Verhältnisse herbeifuhren sollten. Zwei Heerführer aus diesen Ge- 
schlechtern, Minamoto -NO -Yosi-TOMO Fürst von Simotske und 
Taira - no - Kito - mori gewannen dem Mikado Go - Dsmo - kawa den 
Sieg über seinen Halbbruder Siutok und wurden die einflussreichsten 
Männer im Staat. Hire imd ihrer Nachkommen Kämpfe um die Herr- 
schaft bilden die Geschichte der nächsten fonfundzwanzig Jahre. 



Auf das Zeitalter der Romantik , in welchem sich die japanische 
Gesittung, die Begriffe von Liebe, Ehre, Freundschaft und Loyalität 
in sehr eigenthümlicher Weise entwickelten, folgen zunächst blutige 
Fehden, welche das ganze Land erschüttern und die Nation zum 
vollen Bewusstsein ihrer Kraft bringen. Dann kommen die Jahre 
der männlichen Reife, in welchen unter einem gemässigten und kräf- 
tigen Regiment — denn so kann man die Herrschaft der Siogun's 
und der Sitsken von Kamakura und die der Siogun's von Miako 
während des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts wohl nennen 
— der Wohlstand und die Cultur des Landes wuchsen, Handel und 
Gewerbe blühten , und das bürgerliche Leben einen hohen Grad der 
Ausbildung erreichte. Unter den herrschenden Classen zeigen sich 
namentlich im Anfang dieser Periode die Extreme von Tugend und 
Laster, zu denen gesteigerte Hingebung und Selbstsucht, Loyalität 
und Ehrgeiz zu fuhren pflegen. Das Ansehn der Mikado's sinkt 
immer tiefer; um die verlorene Macht wieder zu erlangen verbünden 
sie sich bald dieser, bald jener Parthei unter den Grossen und müssen 
deren ehrgeizigen Zwecken dienen, denn ihre Autorität ist Jedem 
nothwendig, der sich die Herrschaft über das Reich gewinnen will. 

Go-DsiRO-KAWA , der gegen Siutok siegreiche Mikado , abdicirte 
nach dem Beispiel seiner Vorgänger schon nach zw^eijähriger Re- 
1158. gierung (1158) um die Leitung des Staates zu übernehmen; bald 
darauf kam die Feindschaft z^^äschen den Minamoto und Taira zum 
Ausbruch. Jene unterliegen: von den Söhnen des Yosi-tomo ent- 
geht nur der jüngste Yori - tomo dem Tode. Ta'ira - no - Kiyo - mori 
wird allmächtig: der ränkesüchtige Go-Dsiro-kawa bedient sich seiner 
zunächst, um den eigenen Enkel zu entthronen und seinen Solm 
Taka-kura zum Mikado zu erheben, conspirirt dann aber mit einigen 



Krieg der Gensi und FeTke. ö5 

Grossen zum Sturze des übermächtigen Ministers. Kiyo - mori entdeckt 
die Verschwörung, lässt die Rädelsführer hinrichten und sperrt den 
Go-DsiBO-KAWA ein. Auch der regierende Kaiser muss nun zu 
Gunsten seines dreijährigen Sohnes Antok, welchen ihm eine Tochter 
des KiTo-MORi geboren hatte, abdanken. Eine neue Erhebung von 
Seiten der Minamoto und eines kaiserlichen Prinzen scheitert, mehrere 
angesehene Fürsten müssen in die Verbannung. Dem gefangenen 
Go-DsiRO-KAWA aber gelingt es, durch einen Priester den geschrie- 
benen Befehl, ihn zu befreien, an den unterdess herangewachsenen 
Minamoto - NO - YoRi - TOMO gelangen zu lassen, der im Osten von 
NippON verborgen lebte. Dieser bedient sich des kaiserUchen Schrei- 
bens um Truppen zu sammeln, bemächtigt sich zunächst des Kuanto 
und bedroht MiAKO. Taira-no-Mune-mori, der Sohn und Erbe des 
Kiyo -MORI, entfuhrt fliehend den gefangenen Go-Dsiro-kawa und 
den regierenden Kaiser Antok, Yori-tomo aber lässt den Go-Toba, 
einen Sohn des Taka-kura , als Mikado proclamiren. Go-Dsiro-kawa 
entkommt nach Miako und spricht öffentlich allen Besitz der Taira 
den Minamoto zu. Das ganze Land nimmt Parthei für die Gensi 
oder die Feike, und es entspinnt sich ein blutiger Vertilgungskrieg 
zwischen den beiden Geschlechtern, der nach vielen Wechselfallen 
mit der gänzlichen Ausrottung der Feike (Taira) endigt: die letzten 
ertränken sich fliehend mit dem achtjährigen Mikado Antok bei 

SiMONOSEKI (1185)"). 1185. 

Damit war die Herrschaft der Minamoto gesichert. Yori - tomo 
hatte zunächst noch die Prätensionen einiger Stammgenossen'*) zu 
bekämpfen, die, von dem unruhigen Go-Dsiro-kawa au%e wiegelt, 

**) Der berühmte Krieg der Gensi und Feike ist in ausfuhrlichen Werken be- 
schrieben, die voll von blutigen Schrecknissen und romantischen Abentheuem sein 
sollen. Er bildet einen Hauptabschnitt der japanischen Geschichte und steht gewisser- 
maassen auf der Grenze der alten und der mittelen Periode. 

^) Der bedeutendste war Yosi-tsune, ein Bruder des Yori-tomo, der, nach 
dem Wa-kak-nen-k£i, sich nach dem Verluste der entscheidenden Schlacht entleibte. 
Herr von Siebold sagt, dass nach der Ansicht japanischer Historiker diese Angabe 
verbreitet worden sei, um Yori-tomo zu beruhigen, dass Yosi-tsüne nach Yeso 
entflohen, von da nach Tattau übergesetzt und dort Stammvater der Yuen - Dynastie 
geworden sei. Siebold stellt die Vermuthung auf, dass Yosi-tsune und Dsengis- 
Khan eine Person seien. Dsengis - Khan erhob die weisse Fahne — das Feldzeichen 
der Minamoto war weiss; der Titel Khan wäre vielleicht identisch mit dem japa- 
nischen Kami. Die tartarischen Hofsitten sollen den japanischen ähnlich sein. S. Siebold 

NiPPON Bd. I. Anm. 148. 

3* 



OO YoBI - TOMO. 

an der Spitze siegreicher Heere die oberste Gewalt für sich selbst 
in Anspruch nahmen. Er bezwang sie in wenigen Jahren, erhielt 
1192 den Titel Dsei-i-dai-Siogun") und herrschte von da an mit 
fast unumschränkter Macht Die Mikado's hatten allen poUtischen 
Einfluss verloren und regierten jetzt, wie die Annalen ausdrucklich 
sagen, nur noch ihren Hof. Yori-tomo wählte Kahakxtra, den Sitz 
seines berühmten Ahnherrn Yori-tosi, zur bleibenden Residenz und 
kam nur selten nach Miako, wo in der Zwingburg Rokfara seine 
Statthalter herrschten. Ihr Amt bestand in Beaufsichtigung des 
Mikado -Hofes und wurde eines der wichtigsten im Lande. Die Erb- 
kaiser bUeben nach wie vor der Ausfluss aller Ehren: alle TiteU 
Würden und Rangerhöhungen gingen von ihnen aus, aber sie standen 
unter der Bevormundung der Siooun's, die schon damals alle Staats- 
einkünfte an sich gerissen und die Kosten der kaiserlichen Hofhaltung 
bestritten zu haben scheinen. 

Nur durch drei Generationen blieb die Macht in den Händen 
derMiNAMOTO. Schon die beiden ersten Nachfolger des Yori-tomo 
waren ränkesüchtige Tyrannen, welche nur durch die Klugheit imd 
Herrscherbegabung von dessen Wittwe"') gehalten wurden. Nach 
ihrem Tode riss Yori-tomo's erster Minister Fosio-no-Yosi-toki die 
Gewalt an sich und machte sie erblich in seinem Hause, das von 
da an einhundertfimfzehn Jahre lang d. h. bis 1334 das japanische 
Reich beherrschte. Die Siooun's behielten ihre Würden und Titel: 
sie wurden von den Fosio , welche nur als ihre ersten Minister und 
Stellvertreter, als Sitsken regierten, aus der Nachkommenschaft des 
Yori-tomo, später sogar aus Nebenlinien der Minahoto und dem 
erbkaiserlichen Hause nach Belieben erwählt und verabschiedet. Die 
Sitsken umgaben sie mit einem glänzenden Hofstaate und hielten 
sie in einer ähnlichen Gefangenschaft wie die Erbkaiser. So haben 
wir die merkwürdige Erscheinung, dass die höchste Würde bei dem 

"^ Dieser Titel soll bedeuten : Grosser Feldherr gegen die Barbaren. Er ist viel 
älteren Datums i^nd wurde auch schon früher einigen Fürsten aus dem Geschlechte 
der MiNAHOTO ertheilt. Dass von nun an mit diesem Titel die höchste Macht 
verbunden war, ist etwas rein Zufälliges, denn an sich verleiht er keinen Anspnich 
darauf. 

^) Das Volk nannte sie die Aüa Siogun, d. h. die Nonne Siooun, da sie nach 
dem Tode ihres Gemals das geistliche Kleid angelegt hatte. Sie war aus dem Ge- 
schlechte der TaTra. — Die Herrschaft des Yori - tomo und seiner beiden Nachfolger 
heisst bei den Japanern die Dynastie der drei Siooun's. 



Die F0810. ^7 

Mikado -Geschlecht, die Herrschaft nominell bei den Siogun's, den 
MiNAsiOTO, die thatsächliche Macht aber bei deren Mimstem, den 
Regenten aus dem Hause Fosio war. 

Anfangs wollten sich die Erbkaiser nicht fugen, aber die 
Regenten wurden ihrer bald Meister. Alle Mordanschläge und Ver- 
schwörungen des Go-ToBA scheitern, der folgende Mikado abdicirt 
zu Gunsten seines Sohnes, welchen die Statthalter von Miako ent- 
thronen. Die Fosio setzen einen Enkel des Taka-kura ein und regeln 
von da an die kaiserliche Erbfolge nach Willkühr. Sie beobachteten 
die PoHtik, den Sohn niemals unmittelbar auf den Vater folgen zu 
lassen, und wählten den Mikado abwechselnd aus verschiedenen 
Linien des Kaiserhauses. Mehrere, die sich ungefügig zeigten, wurden 
ohne weiteres beseitigt Die Herrschaft der Fosio war eine mihtä- 
rische: sie unterhielten überall starke Garnisonen, die meist von 
Männern aus ihrem Stamme'^) befehligt wurden, und behaupteten 
die unumschränkteste Gewalt über das ganze Land auch dem Lehns- 
adel gegenüber. Die Jahrbücher wissen nicht genug das streng 
gesetzliche Regiment dieses Geschlechtes zu rühmen; gegen die 
Grossen mussten sie oft die starke Hand brauchen und es fehlte 
nicht an Complotten und Kabalen an ihrem eigenen Hofe"), aber sie 
schützten das Volk und verbannten alle Willkülir. Das ganze Land 
genoss des tiefsten Friedens und einer geregelten Verwaltung. — Das 
Regentenamt vererbte sich im Mannesstamme in ununterbrochener 
Linie vom Vater auf den Sohn oder Enkel. Ihre Verwaltung hatte 
das eigenthümUche, dass der regierende Sitsken einen Mitregenten 
aus der Verwandtschaft berief, dessen Würde der seinen gleich 
gestellt war: dadurch konnten sie der gefahrlichen Minister aus 
anderen Familien entbehren und verbanden sich ihre Stammgenossen 
um so fester. 

Li das Ende des dreizehnten Jahrhunderts fallen die Expedi- 
tionen, welche der Mongolenfiirst Kublai-Khan gegen Japan sandte. 
Er schickte nach der Unterwerfung von Korea zuerst 1267 und 

^ Man begegnet in der Geschichte dieser Zeit so vielen Fosio, dass der Ge- 
danke nahe liegt, die Regenten hätten viele ihrer Anhänger durch Adoption in ihre 
Familie aufgenommen. 

^*) Die Annalen erzählen unter andern von einem gefallenen Günstling, der 
sich 1247 mit 270 seiner Anhänger das Leben nahm. Das Harakiru, die Selbst- 
entleibung diu'ch Aufschlitzen des Bauches, scheint in dieser Zeit besonders beliebt 
gewesen zu sein. 



"O Angi'iffe der Mongolen. 

nachher wiederholt Botschafter nach Kamaküra , welche Unterwerfung 
und Tribut forderten*"*). Die Regenten würdigten ihn keiner Ant- 
wort. Kublai-Khan rüstete eine Flotte von neunhundert Schiffen, 
die 1274 gegen Japan segelte, aber bei der Insel Iki geschlagen und 
durch Stürme zerstreut wurde. Abermals erschienen in den Jahren 
1276 und 1279 mongolische Gesandte in Kamaküra: die Regenten 
Hessen sie hinrichten. Kublai-Khan machte nun gewaltige An- 
1281. stalten: im Sommer 1281 liefen die mongolisch -chinesischen und die 
koreanischen Flotten von vielen verschiedenen Häfen aus, das 
Heer soll über 200,000 Mann gezählt haben. Sie wurden an der 
japanischen Küste zu Wasser und zu Lande angegriffen und über- 
wunden, heftige Stürme kamen nochmals den Japanern zu Hülfe. 
Den grössten Theil der Seemacht verschlang das Meer; 30,000 Sol- 
daten, die bei Fakata**) die Küste gewannen, wurden von den 
Japanern niedergemetzelt bis auf drei, welche die Schreckenspost 

^) Das Schreiben des Mongolenfursten, welches auch die chinesischen Annalen 
berichten, lautet in Professor Hoffmann's Uebersetzung so: 

Ich bin der Fürst eines vordem kleinen Staates, an den die angrenzenden 
Länder sich anschlössen; aber ich bestrebe mich, dass unverbrüchliche Treue und 
Freundschaft unter uns herrscht. Was noch mehr ist, meine Ahnen haben krafl 
des vom Himmel empfangenen glänzenden Befehls vom Gebiete Hia auf einmal Besitz 
genommen. Die Zahl der entlegenen Länder und fernen Städte, welche unsere 
Macht furchten , unsere Tugend lieben , ist nicht zu berechnen. — Als ich den Thron 
bestieg, litt das harmlose Volk von Raoli unter den Drangsalen des Krieges. So- 
gleich Hess ich die Feindseligkeiten einstellen und die Truppen über die Grenzen 
zu den Lagerplätzen ihrer Fahnen zurückkehren. Um mir Dank zu sagen, erschienen 
Fürst und Unterthanen von Kaoli an meinem Hofe, und freundlich, wie ein Vater 
seine Rinder, habe ich sie behandelt. Auch euere Diener sollen, wie ich beschlos- 
sen, solches erfahren. Kaoli ist meine Grenze im Osten; Nippon liegt nahe und 
hat von Anbeginn mit dem Reiche der Mitte verkehrt. Nur seit meiner Regienmg 
ist kein Abgeordneter von da erschienen, um mit mir in freundschaftlichem Einver- 
ständniss zu verkehren. Doch man wird in euerem Lande, wie ich besorge, den 
Zustand der Dinge nicht genugsam erkennen. Ich sende also Abgeordnete mit 
einem Schreiben, das meine Absicht kund thue, und hoffe, dass wir uns verstän- 
digen und ein Bündniss knüpfen, das auf gegenseitige Fremidschafl gegründet 
ist. Schon der Weise will, dass die Welt nur Eine Familie ausmache. Wie kann 
aber das Princip Einer Familie verwirklicht werden, wenn man nicht auf freund- 
schaftlichem Fusse mit einander verkehrt. Ich bin entschlossen diesen Grundsatz 
in's Leben zu nifen, imd sollte ich im äussersten Falle zu den Waffen greifen 
müssen. Jetzt ist es die Sache des Königs von Nippon, zu entscheiden, was ihm 
genehm ist. 

**) In der Landschaft Tsikudsen. 



Sturz des Hauses Fosio. 00 

nach der Heimath bringen mussten. Der Sieg der Japaner war 
vollständig*"). — 

Die Herrschaft der Fosio blühte bis in den Anfang des vier- 
zehnten Jahrhunderts. Zuletzt machten übermüthige Beamte durch 
willkührhche Verwaltung ihr Regiment beim Volke verhasst und dem 
Regenten selbst fehlte es an Thatkraft. Der Mikado Go-Daioo 
verbündet sich mit einigen Lehnsfürsten und sendet ein Heer gegen 
Eamakura, welches der Feldherr des Regenten schlägt*'). Go -Daigo 
wird entthront und nach der Insel Oki verbannt, entkommt aber von 
dort, sammelt von neuem Truppen und zieht zunächst nach Miako. 
Der neue Mikado flieht in das Schloss Rokfara zu den Statthaltern, 
die sich gegen die feindliche Uebermacht nicht halten können imd 
sammt allen iliren Anhängern entleiben. Kahakura fällt durch Ver- 
rath, der Regent giebt sich mit den meisten seiner Stammgenossen 
und Freunde den Tod. Alle Tempel und Paläste der eroberten Stadt 
waren mit blutigen Leichen gefüllt, nur wenige der Besiegten baten 
um Gnade. Die im Lande zerstreuten Mitglieder des gestürzten 
Gesclilechtes wurden überall vom Volke niedergehauen, dem sie 
durch die in den letzten Jahren geübte Willkühr verhasst geworden 
waren; nur wenigen gelang es, sich zu verbergen. — So endete im 
Jahre 1334 die Herrschaft des Hauses Fosio. 1334. 



Go-Daioo bestieg nun von neuem den Thron und ernannte, 
da er durchaus selbst regieren wollte, nicht einmal einen Kuanbak. 
In der That aber lag die Macht in den Händen seiner siegreichen 
Heerfahrer, unter denen Minamoto-no-Taka-udsi der bedeutendste 
war. Als Oberfeldherr der Fosio trat er im entscheidenden Augen- 
bhcke zur Parthei des Mikado über und gewann diesem den 
Sieg. Go- Daigo sandte ihn jetzt nach dem Küanto, wo ein Sohn 
des gestürzten Regenten mit starkem Anhange aufgestanden war. 

^) Die japanischen Nachrichten über die mongolische Invasion sind etwas ver- 
wirrt. Nach einigen Angaben waren es 100,000 Mann, die an der Küste niedergemacht 
wurden. Dem uralten Gott der Winde erwies man für die geleisteten Dienste be- 
sondere Ehren; sein Tempel zu Isye erhielt den Namen «Schloss der Winde«. 

MaiTO Polo erzälilt von den Unternehmungen des Kublai-Khan gegen Japan, 
schildert sie aber, auf mongolische Berichte fussend, etwas abweichend. 

^) »Seit hundert Jahren«, sagen die Annalen, «war es unerhÖit, dass das 
Ansehii der Fosio im Lande missachtet worden wäre.« 



40 Taka-udsi. Theilung des Reiches. 

Taka-udsi vergrösserte in dem langjährigen Eüege seine Macht 
und sein Ansehn immer mehr und Uess sich endlich als Siooun 
proclamiren. Der Mikado war ihm nicht gewachsen: Taka-udsi 
schlug dessen Heere, setzte sich nach manchen Wechselfällen in 
MiAKo fest imd erhob den Kuan-mio, einen Nachkommen des 
zweiundneunzigsten Erbkaisers, auf den Thron. Der vertriebene 
Kaiser Go-Daioo zieht sich mit starkem Anhange nach der Land- 
schaft Yamatto zurück — das Reich ist getheilt in ein nördhches und 
ein südliches. Die Grossen nehmen, häufig die Parthei wechselnd, 
thätigen Äntheil an dem Kampfe der beiden Mikado -Häuser, der sich 
durch mehrere Generationen fortsetzt. Miako sinkt, oft genommen 
und wiedergenommen, schnell von seiner alten HerrUchkeit herab; 
der sonst so üppige Hof der Mikado's wird zur Einöde, sie fuhren 
ein unstätes Leben, alle Ceremonieen und Feierlichkeiten unterbleiben. 
Taka-udsi imd seine Nachfolger befestigen, für den Mikado des 
Nordens kämpfend, ihre Macht immer mehr und gründen eine neue 
SioouN- Dynastie — werden aber erst nach vielen Wechselfallen 
Meister der übermüthigen Grossen, die sich um den Mikado des 
Südens**) schaaren. Dem Enkel des Taka-udsi gelingt es endhch, 
einen ehrenvollen Frieden mit dem Mikado des südUchen Reiches 
1892. zu schliessen: dieser zieht im Jahre 1392 mit grossem Pomp in 
Miako ein und übei^ebt abdankend die von seinem Ahnherrn ent- 
führten Reichsinsignien*^). So ging die Famihe MiNAMOTo nochmals 
siegreich aus einer tiefgreifenden Umwälzung hervor. Der Krieg 
berührte fast alle Theile des Landes und förderte die Selbstständig- 
keit der Lehnsfürsten. 



MiNAMOTo- NO -Taka-udsi*') und seine nächsten Nachfolger 
waren tüchtige Regenten: so lange der Kxieg mit dem südlichen 

^) Die sudliche Linie gilt in der japanischen Geschichte als die legitime. 

*^) Die Attribute der Mikado -Würde sind die Geistertafel, der Spiegel, das 
Schwert Die Kaiserannalen thiin ihrer um 507 n. Chr. die erste Erwähnung — 
ihren Ursprung führte die Sage auf die Sonnengottheit Ten-zio-daT-sin zurück. 
Sie sind vielleicht identisch mit den oben erwähnten Geschenken des koreanischen 
Prinzen Amano Fiboko, der 27 n. Chr. in Japan einwanderte. 

*•) In der Klaprothschen Ausgabe des Nippon - o - dai - itsi - ran heissen Taka - udsi 
und alle seine Nachfolger Minahoto. In den von Professor Hoffinann übersetzten 
Geschichtstabellen wird der Gründer dieser Dynastie zuerst Asi-kaoa Taka-udsi, 
später dagegen auch Minamoto - no - Taka - udsi genannt In der von Herrn Leon de 
Rosny aufgestellten Liste der Siogun's heissen Taka-udsi und seine nächsten sechs 



Die Siooun's von Miako. Beziehungen zu China. 41 

Reich sie in Athem erhielt, entwickelten sie Enei^e und Herrscher- 
begabung. Nachdem der Frieden 1392 hergestellt, die beiden Reiche 
wieder vereinigt waren, erhob sich Miako bald zu seiner früheren 
Grösse. Die Höfe des Mikado und des Siogun wetteiferten an 
Pracht und Herrlichkeit, der Gewerbfleiss erwachte von neuem, 
Kunst und Poesie blühten wieder auf. Man feierte glanzende Feste 
und genoss nach dem langen Elende in vollen Zügen der Wohl- 
thaten des Friedens. 

Yosi-MiTsi, der Enkel des Taka-udsi, übertrug bald nach 
dem Friedensschluss die Siooun -Würde seinem Sohne und trat unter 
dem Namen Mitsi-tosi in den geisthchen Stand, behielt aber die 
oberste Leitung des Staates bis an sein Lebensende. Er stellte die 
Beziehungen zu den chinesischen Herrschern wieder her, die um 
1373 gegen Japan kreuzen liessen, — aus Besorgniss, die dortigen 
Kriege möchten einen schädhchen Einfluss auf das Reich der Mitte 
üben, — und um 1380 ihre Häfen den japanischen Schiffen schlössen. 
Schon im Anfange seiner Regierung (1368) hatte Yosi-mitsi den 
chinesischen Kaiser Tai - tsi , den ersten Herrscher der Mino - Dynastie^ 
durch eine Gesandtschaft beglückwünschen lassen; im Jahre 1397 1397. 
wurden nun die Beziehungen erneuert. Die Jahrbücher schildern 
mit Vorliebe den glanzenden Empfang der chinesischen Gesandt- 
schaften im Palaste des Yosi-mitsi, der sich nach seinem Rücktritt 
von der Siooun -Würde mit allem Prunk einer üppigen Hofhaltung 
und mit prächtigen Kunst- und Büchersammlungen umgeben hatte. 
Er und seine Nachfolger scheinen in den Beziehungen zu dem 
mächtigen Nachbarhofe eine Be&iedigung ihrer Eitelkeit gefunden 
zu haben; sie schickten an die chinesischen Kaiser eigenhändige 
Schreiben mit Geschenken, die sehr nach Tribut aussehen^'), und 

Nachfolger Minauoto — darauf aber folgen drei Regenten mit dem Familiennamen 
Asi-KAOA, dann wieder drei Minamoto, von denen der letzte der Siooun Yosi - aki 
ist. Nun ist in den Kaiserannalen nicht nur die Erbfolge in dieser Dynastie vom 
Vater auf den Sohn von Taka-udsi bis Yosi-au herabgefilhrt, sondern es wird 
ausdrücklich erwähnt, dass Yosi-aki der letzte Sprossling aus dem Mannesstamme 
des Taka-udsi gewesen sei. Wie dieses Rathsel zu losen: ob Taka-udsi wirklich 
ein Minamoto war, oder ob er sich dieses Namens auf irgend eine Weise bemäch- 
tigte — ob die fiinf Siooun's von Yosi-masa bis Yosi-faru, die in den Kaiser- 
annalen Minamoto heissen, aus einem anderen Hause waren — müssen die mit den 
japanischen Ori^nalen vertrauten Gelehrten entscheiden. 

*'^ Sie bestanden bei der einen Gesandtschaft in 1000 Unzen Gold und kost- 
barem Hausgeräthe. 



4J Verhältniss zu Korea. Waclisende Macht des Lehnsadels. 

Hessen es sich gefallen, von ihnen als Könige von Japan angeredet 
zu werden. Sie nahmen unter den Gegengeschenken auch chinesische 
Kalender an und bekannten sich dadurch zu Vasallen des Reiches 
der Mitte. Ein wirkliches Abhängigkeitsverhältniss scheint nicht 
bestanden zu haben, die Anerkennung der chinesischen Oberherr- 
schaft von Seiten der Siogün's — denn mit den Erbkaisem kamen 
die Gesandtschaften niemals in Berührung*®) — war vielleicht nur 
Courtoisie, vielleicht auch Staatsklugheit, den mächtigen Nach- 
barn gegenüber. — Gegen 1403 beginnen die Klagen der Chinesen 
über japanische Corsaren, und später nahm die Seeräuberei eine 
grosse Ausdehnung an. Zu Anfang des sechszehnten Jahrhun- 
derts, wo alle poUtischen und bürgerUchen Verhältnisse des Landes 
in voller Auflösung waren, verwüsteten japanische Piraten fast 
jährlich die Küsten des mittelen China, namentlich die Umgegend 
von NiNGPO. 

Mit Korea, wo im Jahre 1389 ein Usurpator die herrschende 
Dynastie gestürzt und imter Anerkennung der chinesischen Mino 
das neue Reich Tsaosien gegründet hatte, schloss Japan gleich 
nach Herstellung des Friedens 1392 einen Vertrag, demzufolge bei 
dem jedesmaligen Thronwechsel im Hause des Siogun eine Gesandt- 
schaft nach MiAKO geschickt werden sollte. Dieser gesandtschaft- 
liche Verkehr dauerte bis 1573. 

Einige unbedeutende Rebellionen abgerechnet, herrschte unter 
Yosi-MiTSi und seinem Sohne Yosi-motsi im Inneren von Jap^n 
noch Ruhe: aber mit der Einigkeit des Regimentes und der festen 
politischen Ordnung, die unter den Regenten von Kamakura das 
Reich zusammengehalten, Sicherheit, Wohlstand und Gesittung ver- 
breitet hatte, war es vorbei. Während des langen Krieges musste 
die Centralregierung, für ihre Existenz kämpfend, unablässig xmi die 
Gunst der Lehnsfürsten buhlen, w^elche das Waflfenhandwerk zu 
ihrem Beruf gemacht und sich mit geübten Kriegerschaaren umgeben 
hatten, die sie auch nach Herstellung des Friedens nicht entliessen. 
Die Unterhaltung einer starken Heeresmacht bUeb seitdem Brauch 
und Sitte bei den Grossen und ein Attribut ihrer Würde; ihre 
Selbstständigkeit ruhte jetzt auf einer festen materiellen Grund- 
lage. — Ln KuANTo, jenem östlichen Theile von Nippon, der, 

^) Seit des Yori-toho Zeit wurde keine fremde Gesandtschaft melir von den 
MiKADo*s empfangen. — Die Fosio übten während ihrer Herrschaft auch dieses Recht 
mit Uebergehung der Siogün's. 



Verfall der Siooun > Herrschaft in Miako. 4d 

südlich und östlich vom Meere umflossen, gegen Westen und Miako 
von hohen Gebirgen begrenzt, seit lange der Sitz der kriegerischen 
MiNAMOTo war, finden wir schon seit 1350 wieder einen SiootJN 
von Kamakura, dessen Haus durch vier Generationen herrschte und 
zu den Sioouw's von Miako, den Nachkommen des Taka-udsi, nur 
in einem losen Vasallenverhältniss gestanden zu haben scheint. 
MiNAMOTO-No-MoTsi-usi, der vierte Siogxjn dieses Hauses, wollte 
die OberherrUchkeit des Hofes von Miako ganz abschütteln , wurde 
aber bezwungen und musste sich 1439 mit seinen Anhängern entleiben. 1439. 
Aber so gross war die Anhänghchkeit an dieses Fürstenhaus, dass 
vierzehn Jahre später, als ein überlebender Sohn des Motsi-usi in das 
Mündigkeitsalter trat, die Bewohner des Küanto seine Ernennung 
zum SiOGUN von Kamakura verlangten und man ilmen willfahren 
musste, um die Ruhe im östlichen Nippon zu erhalten. — In einem 
ähnUchen Vasallenverhältniss wie die Siogün s von Kamakura mögen 
die übrigen Lehnsfürsten zur Regierung von Miako gestanden haben. 
Die volle Herrschermacht übten die Siogun's um diese Zeit schon 
wahrscheinlich nur über die Miako zunächst gelegenen Landschaften, 
aus deren Ertrage seit uralter Zeit die Kosten der kaiserUchen 
Hofhaltung bestritten wurden. 

Das Ansehn der Erbkaiser sank immer mehr, aber auch die 
Selbstständigkeit der Siogün's gerieth seit 1440 in schnellen Verfall. 
Um nicht wie die Nachkommen des Yori-tomo die Opfer eines 
mächtigen Ministergeschlechtes zu werden , hatten die Herrscher aus 
dem Hause des Taka-udsi die Würde des Sitsken oder Kuanre'i 
an drei Familien erbhch übertragen, aus denen sie abwechselnd 
gewählt wurden. Diese, die vornehmsten Geschlechter des Landes, 
stiegen rasch zu bedeutender Macht und suchten einander zu über- 
flügeln. Im Jahre 1439 ermordete der Minister Akamats-Mitsu-suke 
den SioGüN Yosi-nori, der sich durch Willkühr und Grausamkeit 
verhasst gemacht hatte. Er wurde von seinen Nebenbuhlern besiegt 
und entleibte sich mit seinem ganzen Anhange. Darauf begannen 
zunächst die Fehden zwischen den beiden andern Ministerhäusem 
Foso-KAWA und Fatake-yama, aus denen sich ein allgemeiner Krieg 
der Grossen untereinander entwickelte. Die blutigen Fehden setzten 
sich durch mehrere Generationen fort und dauerten mit kurzen 
Unterbrechungen bis über die Mitte des sechszehnten Jalirhunderts 
hinaus. Das Ansehn der Centralgewalt war gänzlich geschwunden, die 
Grossen herrschten in ihren Districten mit schrankenloser Willkühr, 



44 Kampf der Ministerhäuser. Verarmung des Mikado - Hauses. 

das Land lag verwüstet und das Volk versank in das tiefste Elend; 
die Sitten verwilderten, alle Sicherheit des Lebens und des Eigen- 
thums hatte aufgehört. 

Li dem Elampfe der beiden Ministerhauser sind zunächst die 
Foso-KAWA siegreich, werden aber bald gestürzt und proclamiren 
den Bruder des von ihren Gegnern ernannten Siooun als Gegen- 
Regenten. Die beiden Partheien entreissen einander wechselweise 
den Mikado und die Hauptstadt, deren Bewohner die Waffen ergreifen, 
um an dem Kampfe Theil zu nehmen. Schreckliche Feuersbrünste 
verwüsten Miako, durch die Rohheit der verwilderten Heerhaufen 
gehen die wichtigsten Denkmäler, Kunstwerke und Schriften zu 
Grunde; die Stadt liegt in Trümmern, am Hofe des Mikado unter- 
bleiben viele Jahre lang die übhchen Feierlichkeiten. Der Krieg 
verbreitet sich durch das ganze Land, alle Bande des Blutes imd 
der Gesellschaft sind gelöst — Brüder kämpfen gegen Brüder und 
Diener gegen ihre Herren. 
1473. Um 1473 waren die Kräfte erschöpft, die Anfiihrer der Par- 

theien gestorben, die Grossen zogen heim nach ihren Besitzungen 
und es trat eine kurze Ruhe ein. Dem Namen nach wird die 
Centralgewalt wieder hergestellt, alle Partheien huldigen dem neuen 
SioGUN MiNAMOTo-NO-Yosi-NAO. Man baut in Miako Paläste, legt 
Sammlungen der aus der Zerstörung geretteten * Alterthümer und 
Kunstwerke an und schickt eine Gesandtschaft nach China, um 
vom dortigen Hofe eine Siegelhälfiie zur Ausstellung der Pässe für 
die nach den chinesischen Häfen fahrenden Schiffe zu erwirken. 
Die Grossen fingen unterdess nach kurzer Rast wieder an einander 
zu befehden und handelten ungestraft wie ihnen beliebte. Als 
gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts der Siogun Yosi-tada 
sich beikommen lässt, gegen einen der übermüthigen Lehns- 
fürsten zu Felde zu ziehen, wird er von diesem gefangen und 
muss seine Würde einem andern Minamoto abtreten. Der Krieg 
entbrennt von neuem: auch die Miako zunächst liegenden Land- 
schafben, aus denen früher die Siogun's ihre Einkünfte bezogen 
hatten, werden jetzt eine Beute mächtiger Partheihäupter. Li 
Miako wurde das Elend so gross, dass, wie die Annalen unter 
dem Jahre 1500 berichten, beim Tode des Mikado nicht das 
zu seiner Beerdigung nothwendige Geld herbeigeschafft werden 
konnte, so dass die Leiche 40 Tage lang am Thore des Palastes 
liegen blieb. 



Verfall von Miako. Allgemeiner Krieg der Grossen. 



45 



um 1508 finden wir den Siooun Yosi-tada in Miako wieder 
anerkannt. Einer der reichsten Fürsten, OHO-uTSi-NO-Yosi-OKi*') 
wird, obgleich zu keiner der berechtigten Familien gehörend, zum 
KüA»REi ernannt — so heissen jetzt die ersten Minister der 
Siooun's — und unterhält aus eigenen Mitteln eine Zeit lang die 
Höfe des Mikado und des Siogun, bittet aber endlich, um nicht 
ganz zu verarmen, auch um seine Entlassimg und zieht sich in 
sein Fürstenthum Suwo zurück. Von der Zeit an, heisst es in den 
Annalen, verarmte Miako immer mehr, da die Freunde und Anhänger 
des Yosi-OKi ihm folgten, andere sich nach anderen Landestheilen 
zu den Lehnsfursten zurückzogen. Alle Feierhchkeiten und die 
üblichen Ceremonieen unterblieben wieder aus Mangel an Geld, 
mehrere Mikado's mussten ihren Regierungsantritt so lange hinaus- 
schieben, bis ein mitleidiger Fürst die Installationsfeierlichkeiten 
bezahlte. Die meisten Beamten, heisst es unter dem Jahre 1545, 
zogen sich, des Aufenthaltes in Miako unter den fortwährenden 
Kriegsunruhen überdrüssig, in die Provinzen zurück; und weiter, 
dass selbst die höchsten Hof beamten eine Zuflucht bei den Grossen 
suchten, und dass die Zurückbleibenden die Bürger unablässig um 
Speise und Trank angingen, um nur ihr Leben zu firisten. Die 
Priester aer Umgegend von Miako wurden in dieser wüsten Zeit 
immer zügelloser: im Jahre 1536 steckten die Mönche des Berges 
YeT-san die Hauptstadt an allen Ecken in Brand. 

Die Siooxm's führen ein abentheuerhches Leben: bald finden 
wir sie in Miako, bald müssen sie fliehen, werden verabschiedet 
und wieder eingesetzt, einige auch ermordet. Sie sind, wie die 
Erbkaiser, ein Spielball der mächtigen Grossen, welche um die 
Herrschaft streiten. Die Geschichte dieser Zeit ist gestaltlos: es 
sind nicht mehr bestimmte Partheien, die miteinander kämpfen, 
sondern Jeder sucht nur für sich selbst jeden möglichen Vorthe^l 

^') Dieser Fürst scheint seinen Reichthum vorzüglich dem Handel mit China ver- 
dankt zu haben. Seit 1397 war mit dem Posten Oho-utsi-no-süks die Leitung 
des auswILrtigen Handels verbunden; die Fürsten von Suwo, in deren Familie diese 
Würde erblich war, hatten jene Hälfte des chinesischen Siegels in Verwahrung, das 
zur Ausstellung der Pässe für die Chinafahrer diente. Nach ihrer Anordnung wurden 
die Fahrzeuge in Suwo gebaut und unter die Oberleitung buddistischer Priester 
gestellt, welche vorzüglich für das Rechnungswesen zu sorgen hatten. Als 1551 
jene Siegelhälfie verloren ging, erlitt der Handel mit China eine Unterbrechung. — 
Die Nachkommen des Yosi-oki bezahlten noch wiederholt die Installationsfeierlich- 
keiten der MiiLADo's. 



46 TaTba - NO - NoBU - NANo A. — Die Portugiesen. 

ZU erringen. Bald hat die eine Familie die Oberhand, bald die 
andere; das Land wird von allen Seiten gebrandschatzt, Morde 
und massenhafte Selbstentleibungen sind an der Tagesordnung. 

Im Jahre 1568 warf sich Yosi-aki, der vierzehnte Siogun 
aus dem Hause des Taka-udsi, dem Oda-no-Nobu-nanga, einem 
Sprössling der alten berühmten FamiUe Taiba, dem mächtigsten unter 
den kämpfenden Häuptlingen, in die Arme. Dieser bezwang, unter- 
stützt von MiNAMOTO-NO- Jyeyas, Fürsten von Mikawa, dem Stamm- 
vater der jetzt regierenden Siogun -Dynastie, den grössten Theil des 
Reiches. Er brach die Macht der übermüthigen Priester, die er, 
ihre Tempel verwüstend, zu Tausenden abschlachten Hess, und trat 
1574. überall mit durchschlagender Gewalt auf. Im Jahre 1574 entsetzt 
er den gegen ihn conspirirenden Yosi-aki seiner Würde, lässt ihn 
zum Priester scheeren und usurpirt die oberste Macht. — Dass 
NoBU-NANGA sclbst zum Siogun ernannt sei ist nirgend gesagt, doch 
wird er in den Annalen zuweilen so bezeichnet. Seine Herrschaft 
sollte von kurzer Dauer sein*"). 



Im Jahre 1543 ''), also zur Zeit da das Ansehn der Central- 
Regierung am tiefsten gesunken war und der Krieg unter den Lehns- 
fiirsten am ärgsten wüthete, kamen die ersten Europäer nach Japan — 
portugiesische Abentheurer, welche der Sturm nach Kiusiu verschlug, 
lieber ihre Namen") und die Art der ersten Berührung sind die 

^) Seine Hauptstadt warAsuTSiA; dort häufle Nobu-nanga grosse Reichthümer 
an, baute, nach der Aussage der Jesuiten, sich selbst einen prächtigen Tempel und 
forderte gottliche Verehrung. 

^^) Man hat keinen Grund, dieses in den japanischen Quellen genannte Datiun 
anzuzweifeln; es ist die einzige urkundliche Zeitbestimmung, die wir von diesem 
Ereigniss haben. Auch Siebold nimmt sie als richtig an, — sagt aber freilich an 
einer anderen Stelle seines Werkes, offenbar auch auf japanische Quellen fussend, 
das erste »schwarze«, d. h. europäische Schiff sei 9 geschichtlich erwiesen, im Jahre 
1530 an die Küste von Bungo gekommen. Wahrscheinlich hatte dieser Besuch keine 
weiteren Folgen. 

^^) Die Namen der Abentliewer werden verschieden angegeben. Maffeus, dem 
die meisten späteren Schriftsteller gefolgt sind, nennt sie Antonio Mota und Francisco 
Zeimoto , und lässt sie in einem portugiesischen Schiffe an die Küste der Landschaft 
BuNGo (auf Kiusiu) verschlagen werden. In neuerer Zeit hat der Bericht des Fernan 
Mendez Pinto vielfach Glauben gefunden, der mit zwei Gefährten auf einer chinesi- 
schen Seeräuberdschunke nach der Insel Tameoasima getrieben zu sein vorgiebt; von 
da gelangt er nach Bungo. Man könnte glauben, dass beide Landungen unabhängig 



Frühester Verkehr der Portugieseu. 



47 



Angaben verschieden, so viel aber ist gewiss, dass die Eingeborenen 
sie mit offenen Armen aufnahmen und dass sich schnell ein lebhafter 
Handelsverkehr der in China und Malacca ansässigen Portugiesen nach 
den Häfen von Kiusiu entwickelte. Vor allen waren die japanischen 

von einander stattgefunden hätten, wenn nicht auch Pinto den Zeimoto als einen 
seiner Gefährten und Bunqo als den Schauplatz seiner Abentheuer bezeichnete. Es 
ist also wahrscheinlich dasselbe Ereiguiss, das verschieden berichtet wird. — Pinto 
hat sich den Namen eines »Fürsten der Lügner« erworben und durch die Erzählung 
seiner Abentheuer auch verdient; aber seine Schilderungen von Japan, seine Beob- 
achtungen sind zum grossen Theile so richtig und treffend, dass man an der 
Wirklichkeit seines dortigen Aufenthaltes kaum zweifeln kann. Das Bild, das er von 
den Bewohnern entwirft, ist, wenn man der seiner Muttersprache eigenen blumen- 
reichen Ausschmückung Rechnung trägt, noch heute ähnlich. — Nach seinem Berichte 
fanden die Abentheurer , welche aus der chinesischen Gefangenschafl kamen , besonders 
deshalb ehrenvolle Aufnahme , weil sie bewaffnet gingen und keinen Kaufhandel trieben, 
man sah sie für Leute von Stande an. Tausend Fragen müssen sie beantworten, 
denn in Japan hat sich durch den Verkehr mit China schon längst der Ruf des fernen 
westlichen Wunderlandes verbreitet. Die unglaublichsten Mährchen sind darüber in 
Umlauf: Portugal ist viel grosser als China, sein König hat sich den grössten Theil 
der Welt unterworfen und besitzt unermessliche Schätze. Die Abentheurer — sie 
bedienen sich eines Bewohners der Liukiu - Inseln zum Dolmetscher — bekräftigen 
Alles und binden ihren leichtgläubigen Zuhörern neue Mährchen auf. Sie werden 
endlich reich beschenkt entlassen und erreichen mit den Chinesen den Hafen Liampoo 
(wahrscheinlich Ninopo). Dort, erzählt Pinto weiter, hätten seine Berichte die 
Habgier der Portugiesen erweckt. Jeder will der erste sein, die neue Goldgrube 
auszubeuten, denn jener Seeräuber hatte an seiner Ladung gegen 1200 Procent 
gewonnen; in Eile werden neun Dschunken ausgerüstet und befrachtet. Sie gehen 
sämmtlich im Sturme unter; Pinto, der die Expedition begleitet, rettet sich schei- 
ternd auf Gross -LiuKiu. Nicht lange nachher finden wir ihn auf einem portugiesischen 
Schiffe abermals auf der Fahrt nach Japan — dies ist die letzte Reise dahin, von 
der Pinto selbst erzählt; — er schrieb seine Lebensereignisse erst nieder, nachdem 
er für immer nach Portugal heimgekehrt war, und zwar fast ohne alle Zeitbestim- 
mungen. Einige Schriftsteller lassen ihn nun im Jahre 1554 nochmals mit dem 
Jesuiten Melchior Nunez, dem Vorsteher der indischen Ordensprovinz, und zwar 
als Gesandten des Vicekonigs von Indien an den Fürsten von Bunoo nach Japan 
gehen. In den sehr ausfuhrlichen Berichten des Pater Melchior findet sich kein Wort 
davon — es wäre auch sonderbar, wenn Pinto, dessen Werk mit seiner Rückkehr 
nach Portugal schliesst, diese Reise, auf der ihm die glänzendste Rolle zugetheilt 
ist, gar nicht beschreiben sollte. Er sagt an einer Stelle niu* ganz beiläufig, »er 
sei auch einmal als Gesandter in Japan gewesen«, — .anderes hat wenigstens der 
Verfiisser in den ihm zugänglich gewordenen spanischen Ausgaben nicht gefunden. — 
Dass Pinto ohne Scheu sich selbst die Erlebnisse Anderer aneignete und einen 
grossen Theil seiner Abentheuer aus fremden Berichten geschöpft hat, lässt sich 
beweisen. 



48 Franz Xaver. 

Grossen auf die europäischen Erzeugnisse^') und den Umgang der 
Portugiesen lüstern, und untereinander auf den Besuch der fremden 
Schiffe sehr eifersüchtig; der Handel brachte ihnen grossen Gewinn. 
Die Portugiesen verkehrten, soweit es die fortwährenden Kriegs- 
wirren zuliessen, frei und ungehindert wo sie wollten; viele liessen 
sich schon damals ganz in Japan nieder und heiratheten die Töchter 
des Landes. 

Mit einem der ersten portugiesischen Schiffe, die Japan be- 
suchten, kam ein angesehener Mann aus der Landschaft Satsuma, 
wahrscheinlich wegen Todtschlages landflüchtig , nach Malacca und von 
da nach vielen merkwürdigen Schicksalen nach Goa**). Hansiro — 
so hiess der FlüchtUng — liess sich mit seinem Diener in dem dor- 
tigen JesuitencoUegiiun taufen imd erhielt den Namen Pablo de 
Santa Fe. Seine Erzählungen weckten in Franz Xaver, dem da- 
maligen Oberhaupte der ostindischen Ordensprovinz, das Verlangen, 
in Japan das Evangelium zu predigen, und in der That kann es 
kaum jemals einen günstigeren Boden far die Aussaat des Christen- 
thumes gegeben haben. 

Der alteinheimische Kami - oder Smxo - Cultus war theils 
Natur-, theils Heroendienst und entbehrte wie es scheint jeder 

^ Pinto und Andere sagen, dass die Portugiesen das erste Feuei^ewehr nach 
Japan gebracht und dort die Bereitung des Schiesspulvers' gelehrt hätten. — Schon 
beinahe 400 Jahre früher, bei den Kriegen des Yori-tomo, kommt eine Stelle in 
den Raiserannalen vor, die nach Rlaproth auf den Gebrauch von Feuerwaffen 
schliessen lässt Siebold, welcher glaubt, dass auch die Chinesen das Schiesspulver 
von den Europäern erhalten haben, sagt, dass sich die ersten Spuren von Feuer- 
waffen unter dem Mikado Go-kasi-bara (1501 — 1527) bei den Japanern finden, und 
dass sie dieselben wahrscheinlich von dem benachbarten Festlande erhielten. Von der 
Mitte des sechszehnten Jahrhunderts an verbreitete sich der Gebrauch des Feuer- 
gewehrs rasch über ganz Japan, gegen Ende des Jahrhunderts muss schon ein 
grosser Theil des Fussvolkes mit Luntenilinten bewaffnet gewesen sein. — Von den 
Kanonen sollen die Japaner schon 1528 durch den Verkehr mit China Kenntniss 
erhalten haben; 1551 brachte ein portugiesisches Schiff dem Fürsten von Bdnoo 
eine Kanone als Geschenk. 

^) Pinto eignet sich unter andern auch das Verdienst an, den Hansiro aus 
Japan nach Ost- Indien gefilhrt zu haben; damit streiten aber die ausdrücklichen 
Angaben des Japaners selbst , die uns in Briefen an seine Freunde unter den Jesuiten 
in Goa erhalten sind, und die Berichte des Franz Xaver. Letzterer nahm selbst 
den Hansiro von Malacca mit nach Goa. S. Cartas que los padres y hermanos de 
la compania de Jesus que andau en los Reynos de Japon escribieron a los de la 
misma compaßia etc. Alcala 1575. 



Religiöse Zustände im sechszchnten Jahrhundert. ^«7 

theosophischen Grundlage. Die Lehren des Confucius sind ethischer 
Art und haben in dieser Richtung^den grössten Einfluss auf die 
japanische Gesittung gehabt. Der Buddismus stützt sich auf eine 
Art geoifenbarter Gottesweisheit, lehrt aber eine Theorie von Welt 
und Ewigkeit, die in ihren wesentlichen Sätzen fast durchaus ver- 
neinend ist Er fand wohl deshalb so viele Anhänger unter dem in 
der Gesittung voi^eschrittenen Volke, weil er bestimmte Glaubens- 
sätze lehrt und zum Denken, zur Betrachtung anregt. Was die 
japanischen Theologen durch eigenthümüche Ausbildung und Um- 
gestaltung allmäUch aus diesen Elementen gemacht haben, wissen 
wr nicht genau: das Resultat muss aber, nach seinen in der Ge- 
sittung des Volkes zu Tage liegenden Wirkungen zu urtheilen, etwas 
von dem indischen und chinesischen Buddismus sehr abweichendes 
sein. Es gab viele Secten'*), unter denen einige erwähnt werden, 
die keine Tempel besuchten, keine Bilder verehrten und ein reines 
Leben, innere Zufriedenheit und Heiterkeit als höchstes Ziel und 
Beruf des Menschen darstellten. Alle Bekenntnisse wurden vom 
Staate als gleichberechtigt angesehen, ja sie hatten nach den Be- 
richten einiger Missionare ein gemeinsames Oberhaupf ), das in 
MiAKO residirte. So heftig die Bonzen unter einander über die 
Vorzüge ihrer Lehren stritten, so weit war das Volk von allem 
Religionsfanatismus entfernt. Jeder wählte sich die lichre, die ihm 
am meisten zusagte; die christlichen Bekehrer staunten, die Mit- 
güeder einer und derselben FamiUe den verschiedensten Secten 
angehören zu sehen, ohne dass Frieden und Eintracht darunter 
gelitten hätten. 

Zur Zeit der Ankunft der Europäer war der religiöse Bildungs- 
process bereits vollendet, die Formen erstarrt. Es gab zwar noch 
redliche Denker unter den Priestern — die ersten Missionare er- 
wähnen deren mehrere, die sich zum Christenthum bekehrten und 
ihre eiitigsten Helfer wurden — auch waren theologische Disputa- 
tionen, an welchen sich gebildete Laien q,us den höheren Ständen 
oft betheiligten, an der Tagesordnung, aber es handelte sich dabei 
nicht um Erforschung der Wahrheit, sondern um theologische 
Spitzfindigkeiten, Paradoxen, um die Siege der Beredsamkeit und 

^) Ihre Zahl wird auf mehr als dreissig angegeben. 

^) Nicht den Mikado. Dieser ist in gewissem Sinne eine Incaniation der 

Gottheit, aber nicht Priester. Der Mikado muss sogar abdanken, sobald er in den 

geistlichen Stand tritt. 

I. 4 



ö" Wirksamkeit und Lehren der Bonzen. 

Dialektik. Andererseits finden sich die tollsten Auswüchse fanatischer 
Ascetik und Bussübung"), ^er grösste Theil der Bonzen war in 
frivolen Unglauben, in rohe Unwissenheit und SinnUchkeit versunken, 
die Missionare schildern sie als verderbtes Gesindel, maasslos hab- 
gierig und allen Jjastem ergeben. Ueber ihre Ueppigkeit, ihren 
unbeugsamen hochfahrenden Sinn klagen auch die japanischen 
Schriften; die Eifersucht der Secten artete oft in blutige Fehden 
aus, deren Ursachen in dieser Zeit nur Habgier und Ehrgeiz waren. 
Das Volk erhielten die Bonzen in Aberglauben und Unwissenheit; 
sie lehrten einfach, es sei vergebenes Bemühen und ganz unmöglich 
im bürgerlichen und im Familien - Leben die strengen Tugend- 
vorschriften der Religion zu befolgen"); nur sie selbst könnten das, 
da sie der Welt entsagt und sich dem geistlichen Leben ganz ge- 
widmet hätten; durch das Uebermaass ihrer Vollkommenheit nähmen 
sie aber aucb die Sünden der Weltkinder auf sich, so fem diese 
nur durch reichliche Gaben für sie sorgten und sie von der irdischen 
Noth befreiten. Auch für die Seelen der Abgeschiedenen, die im 
Fegefeuer schmachten, musste gesteuert werden. Nur durch Geld- 
spenden ist das Heil zu erlangen; den Armen, die nichts geben 
können, ist das Himmelreich unbedingt verschlossen, den Frauen^') 
ungleich schwerer zugängUch als den Männern, »da sie von Natur 
mit allen Sünden behaftet sind«; ihre Gaben mfissen daher, so 
sie Erlösung hoffen wollen, ungleich reicher sein. Man erkennt die 
schlaue Berechnung auf das weibliche Gemüth. 

Diese sehr bequeme Lehre fand natürUch grossen Anhang 
unter den vermögenden Ständen. Die unzähligen milden Stiftungen, 

^^ Es gab Bonzen, die Jahrzehnte lang in einer Stellung verharrend fiber irgend 
ein Dogma nachzudenken vorgaben , um dann feierlich kanonisirt und bei lebendigem 
Leibe in Kapellen verehrt zu werden. Die von ihnen aufgestellten religiösen und 
Weisheits - Sätze sind meist entweder gesuchte Paradoxen oder gradezu unlösbare 
Widersinnigkeiten , deren Tiefe nicht zu ergiünden , weil bodenlos Ist. So erscheinen 
sie wenigstens der europäischen Fassungskraft. 

^ Die allen japanischen Secten gemeinsamen fünf Haupt -Gebote sind nach der 
Darstellung der Missionare: 1. Nicht tödten, 2. Nicht stehlen, 3. Nicht ehebrechen, 
4. Nicht lügen, 5. Nichts Berauschendes geniessen. 

^^ »Quin et mulieres quinque mandata transgressas sen'ari posse negant, cum 
quaevis mulier plus criminum habeat, eorum arbitratu, quam omnes in universo mundi 

ambitu viri; Dehinc rursus dicere incipiunt, aliqualem damnatienis evadendae 

spem mulieribus reliquam fore, si ampliores quam viri eleemosynas erogarint« Brief 
des Franz Xaver in Hamnardus de Gammcre Epistolae Japonicae. Lovanii 1569. 



Innere Zerrilttung. dl 

die Menge und der Reichthum der Bonzen zeugen für ihre Ver- 
breitung. Befriedigung konnte der greifbar sinnliche Betrug nicht 
gewähren, und doch hatte man nichts anderes. Sich durch eigene 
Thätigkeit, durch selbststandige Betrachtung zum reHgiosen Bewusst- 
sein zu erheben ist nicht Sache der Menge; sie bedarf der Autorität 
und bestimmter Glaubenssatze. Die Bonzen aller Secten scheinen 
aber nur den Glauben an ihr Mittleramt befördert zu haben. Die 
ärmeren Classen waren von allen geistUchen Wohlthaten ausge- 
schlossen, luid das in einer Zeit wo die geistUche Bedürftigkeit auf 
das höchste gestiegen sein musste: denn das Volk schmachtete im 
tiefsten Elende, und die Fürsten selbst, obgleich unumschränkt 
herrschend, schwebten in beständiger Gefahr die Opfer mächtiger 
Nachbarn oder treuloser Vasallen zu werden*®). Plötzliche Ueber- 
falle, Morde, Brandschatzungen und verheerende Feuersbrünste 
waren die täglichen Ereignisse. Die Unzulänglichkeit und Hinfällig- 
keit des irdischen Daseins musste unter den beständigen Drangsalen 
des Krieges den Gemüthem besonders fühlbar werden und sie für 
die Tröstungen des Christenthumes empfanglich machen"*). Der 

^ Franz Xaver und seine Nachfolger berichten als Augenzeugen von mehreren 
derartigen Umwälzungen , welche meistens local waren : theils innere Unruhen, 
Kämpfe verschiedener Familien oder Linien um die Herrschaft, theils Kriege mit 
den Nachbarn um Suprematie und Länderbesitz. 

"^) In den Lehren der japanischen Secten fanden sich manche Anknüpfiings- 
puncte fiSr die christlichen Bekehfer. »Alle," sagt Franz Xaver, »glauben an eine 
Holle und an ein Paradies , aber keiner weiss recht zu sagen , warum beide da sind . . . 
Sie erwähnen in ihren Schriften gottlicher Wesen, welche beide gemacht und selbst 
Jahrtausende in der Hölle zugebracht hätten, um durch ihre Busse die Mängel der 
Menschen auszugleichen, die ihi'e Sünden selten oder niemals bereuen. Sie ver- 
sichern, dass, wer die Flecken seiner Seele durch Busse nicht getilgt, doch durch 
unbedingt gläubiges Anrufen der Stifter ihrer Secten von allen Martern und Qualen, 
ja aus dem tiefsten Grunde der Holle befreit werden könne!« — »Die Japaner,« 
sagt Franz Xaver an einer anderen Stelle, »sind mit wunderbarem Scharfsinn und 
Geistesklarheit begabt und weichen mit ihrem Urtheil gern einleuchtenden Gründen. — 
Sie forschen viel nach dem Urquell der Dinge, ob er gut, ob böse sei, und wenn 
es nur einen Urquell des Guten gebe, ob sich auch das Böse aus ihm herleite. Ich 
antwortete, dass es nur einen allgütigen Urgrund der Dinge gebe, an dem das BÖse 
gar keinen Antheil habe. Das hielten sie ftir unmöglich. Denn, sagten sie, wenn 
Gott allgütig wäre, wie hätte er böse Geister, die bittersten Feinde der Menschen 
erschaffen können? Wir erwiedem, dass auch diese ursprünglich gut gewesen und 
durch innere Bosheit verderbt, den Strafen verfallen seien, die sie leiden und in 
alle Ewigkeit leiden werden. Aber, sagen sie, mit der höchsten Güte kann solche 
Grausamkeit nicht bestehen , dass ohne alle Barmherzigkeit für einen einzigen Fehltritt 

4' 



<)^ Auftreten der Missionare. 

reine Wandel, die Uneigennützigkeit, Demuth und hingebende Auf- 
opferung der ersten Bekehrer standen im grellsten Contrast zu der 

ewige Strafen verhängt werden. Ferner, wenn Gott, wie ihr sagt, auch den Menschen 
erschaffen liat, wie kann er ihn von vernichten Geistern versuchen lassen, besonders 
wenn er ihn mit dem Gedanken schuf, von ihm gelobt und verehrt zu werden? 
Ferner, wie der gut sein könne, der die Menschen so schwach und zu allem Bösen 
geneigt erschaffen habe, während sie vollkommen hätten sein sollen. Und nicht nur 
das habe Gott verkehi-t und schlecht eingerichtet, sondeiTi auch dass er die Hölle 
geschaffen habe , das grösste und schrecklichste aller Uebel , da er durch keine Barm> 
herzigkeit gegen die Verdammten bewegt werde , sie den ewigen Qualen zu entreissen. 
Ferner, wie das ein gütiger Gott sein könne, der das Gesetz der zehn Gebote ge- 
geben habe, das so schwer zu befolgen sei! Sie fanden doch, dass ihre Lehre, 
welche sie so lange bekannt, viel barmherziger und milder sei, da sie durch Ver- 
mittelung ihrer Propheten auch selbst dem Schlmide der Hölle entrissen wei*dcn 
könnten, wir aber an gar keine Erlösung aus der Hölle glaubten. — Auf alle diese 
Fragen haben wir ihnen mit Gottes Hülfe genügende Antwort gegeben, so dass sie 
uns befriedigt verliessen. Und das scheint mir besonders erstaunlich zu sein, dass 
diese Heiden, durch vernünftige Gründe überzeugt, sich mit willigem Gemüthe er- 
geben. Sie haben einen solchen Durst nach Wahrheit und ehie solche Lcmbegier, 
dass sie nicht eher ablassen zu fragen , als bis sie die Sache redlich begriffen haben ; 
dann hören sie nicht auf unsere Antworten an Andere weiter zu erzählen. Sie 
wussten bisher nicht, dass die Erde rmid sei, sie kannten nicht den Lauf der Sonne, 
der Planeten und Kometen, die Entstehung des Hagels und ähnlicher Dinge, welches 
Alles wir ihnen mit dem grössten Fleisse erklärt, sie aber mit der lebhaftesten 
Aufmerksamkeit ergriffen und in sich aufgenommen haben. So geschalt es, dass sie 
von unserer Gelehrsamkeit eine hohe Meinung fässten und unser Ansehn bei den 
Disputationen immer grösser wurde . . . Wunderbar war es zu sehen, wie die Neu- 
bekehrtcu von Haus zu Haus wanderten, und von dem empfangenen Glauben und 
seinen Lehren eifrigst erzählten .... Sie sind uns mit rührender Liebe zugethan, 
und daraus lässt sich die Aufrichtigkeit ihres Glaubens erkennen. Uebrigens war es 
nicht so leicht, ihnen, ehe sie sich taufen liessen, gewisse Zweifel zu lösen, die sie 
aus unseren Aussagen über die Allgfltc Gottes geschöpft hatten. Sie meinten, Gott 
könne nicht barmherzig sein, da er sich vor unserer Ankunft- ihrem Volke nicht 
offenbart habe, denn wenn, was wir sagten, wahr wäre, so könne niemand, der den 
wahren Gott nicht verehrt habe, auf die ewige Seligkeit hoffen. Das sei grausam 
und nicht barmherzig, dass ihre Vorfahren nach seinem Willen aus blosser Un- 
kenntniss des wahren Gottes in die Hölle Verstössen sein sollten. Dieser Zweifel 
schien sie am meisten zu beunruhigen und von der Anbetung des wahren Gottes ab- 
zuhalten .... Gebe Gott, dass wir recht viele Früchte aus dieser Ernte sammeln, 
und ich glaube, das wird geschehen, denn dieses Volk ist von starker Urtheilskraft 
und gesundem Geiste, voll Lcmbegier, vernünftig und mit anderen wahrhaft göttlichen 
Gaben ausgestattet .... Das Eine ängstct sie fortwährend heftig , dass es aus der 
Hölle gar keine Erlösung geben soll; besonders sclwncrzt sie ihrer Eltern, Kinder, 
Verwandten Verdammung, und dass für diese gar keine Hoffnung auf Rettung sei: 



Gaug der Bekehining. Franz Xaver. <^«^ 

Hoffahrt und frechen Zügellosigkeit der Bonzen. Nicht wenig wirkte 
auch ihre Fähigkeit, den bestandig mit Fragen auf sie eindringenden 
Japanern über Naturerscheinungen, Probleme der Physik und Astro- 
nomie neue und befriedigende Aufschlüsse geben zu können. 

Der Gang der Bekehrung war an verschiedenen Orten ver- 
schieden: bald schlug die neue Lehre bei dem Volke, bald bei den 
höheren, den gebildeten Ständen zuerst Wurzel. Oft mussten die 
JVIissionare durch Edicte der Landesherren und durch mihtärische 
Wachen vor dem durch die Bonzen gegen sie aufgehetzten Pöbel 
geschützt werden. Viele der Grossen begünstigten die Verbreitung 
des Christenthumes unter dem Volke, ohne sich selbst zur Annahme 
seiner strengen Tugendvorschriften entschhessen zu können. Die 
Wohlhabenden entschlugen sich nur ungern der bequemen Lehre 
der Bonzen. Die wenigsten Anhänger scheinen besonders die späteren 
Missionare, die mit viel kirchlichem Gepränge auftraten, unter den 
Jüngern der reinen Confuciuslehre, den götzen- und tempellosen 
Secten gefunden zu haben, welche in ihren Schriften als Gottes- 
leugner oft heftig verwünscht werden. — 

Franz Xaver erreichte , begleitet von dem spanischen Jesuiten 
Torres und den beiden bekehrten Japanern im Herbst des Jahres 1549 im9. 
die Küste von Kiüsiu und landete in Kangosima, der Vaterstadt des 
Hansiro , dessen Famiüe ihn gasthch und hebevoll empfing. Er bUeb 
dort einige Zeit, um sich in der Landessprache zu vervollkommnen 
und ein Compendium zu entwerfen, welches die Schöpfungsgescliichte, 
die Lehre von der Einheit Gottes und das Mysterium Christi ent- 
hielt. Dieses wurde mit Hülfe seines japanischen Freundes, der 
portugiesisch gelernt hatte, japanisch mit lateinischen Lettern zum 
Behufe des Vorlesens niedergeschrieben. So wurden die ersten 
Bekehrungen bewerkstelligt. Franz Xaver gründete in Kangosima 
eine kleine Gemeinde, ging aber, da der Landesherr, der Fürst von 
Satsuma, theils auf die Verleumdungen der Bonzen, theils aus 
Aerger darüber, dass die portugiesischen Schiffe in diesem Jalire 

sie fragen beständig, ob es denn kein Mittel gebe, ihnen zu helfen, etwa durch 
Almosen, Gebet oder andere Werke der Barmherzigkeit. Das maclit ihnen den 
grossten Schmerz .... Sie fragen, ob Gott selbst nicht aus der Hölle erlosen 
könne und weshalb er die ewigen Strafen verhänge. Ich gebe ihnen geziemende 
Antwoil: sie weinen dann heftig, so dass auch ich oft nahe daran war, bei ihrem 
Schluchzen iu Thi'änen auszubrechen , da ich die Betinibniss meiner lieben und ti'auteu 
Freimde sah mid nicht lindem konnte.« 






^4 Franz Xaver iu Miako. 

nicht iu seine Häfen einliefen, ihm seine Gunst entzog und die Ver- 
breitung des Christenthumes hemmte, bald nach Amangutsi, der 
Hauptstadt der Landschaft Nanoato. Das Ziel seiner Reise ist 
Miako , wo er sich vom Oberhaupte des Reiches die Erlaubniss aus- 
wirken will, überall in Japan predigen zu dürfen. Er erreicht die 
Hauptstadt nach mühseliger gefahrvoller Reise, da Kriegerhorden und 
Raubgesindel die Landstrassen unsicher machen, findet aber auch in 
Miako nur Aufrulir, Anarchie und Zerstörung: die Centralregierung 
ist in voller Auflösung. Vergebens versucht er auch in den Strassen 
von Miako zu predigen, die Kriegsunruhen lassen kein anderes 
Interesse aufkommen"). Er kehrt daher nach Amanoutsi zurück, 
predigt dort, vom Landesherm gütig aufgenommen, unter grossem 
Zulauf, und tauft binnen zwei Monaten gegen fünfhundert Japaner, 
darunter viele angesehene Männer, welche das Bekehrungswerk eifrig 
fordern. In Amangutsi erhält Xaver eine Einladung des Fürsten 
von BuNGO, in dessen Häfen portugiesische Schiffe eingelaufen 
waren; er wird auch hier ehrenvoll empfangen und fuhrt, mit seinen 
I^andsleuten heimkehrend, einen Gesandten des Fürsten an den 
Vicekönig von Indien mit sich nach Goa. Sein Aufenthalt in Japan 
dauerte zwei und ein halbes Jahr: er ging nach Indien zurück, um 
fiir die japanische IVIission neue Kräfte zu werben. 

Die Berichte des Franz Xaver athmen durchaus Wahrheit 
und enthalten keine Spur von den Uebertreibungen und Wunder- 
geschichten, welche spätere Autoren ihm angedichtet haben"); sie 
geben merkwürdige Aufschlüsse über die politischen und sittlichen 
Zustände des damaligen Japan. Die Lehnsfursten heissen bei ihm 
Könige, der Siogun wird als König von Miako bezeichnet**), die 
Hauptstadt liegt in Schutt und Asche und die angrenzenden 

^) . . . . »Scd frustra: mininie regia maiidatum expectare profiiit cum subditi a 
rege defecissent.« Brief des Franz Xaver: er schildert die Verwüstung in Miako: 
man gebe seine frühere Grösse auf 180,000 Häuser an, was ihm ganz glaublich 
scheine, da auch jetzt noch gegen 100,000 ständen. 

^) Auch von den schrecklichen Drangsalen der Arnmth, die der grosse Be- 
kehrer erlitten haben soll, weiss er selbst gar nichts, rühmt im Gegentheile die 
Munificenz des portugiesischen Königs, der die kostbaren Reisen bezahlte, imd nennt 
die darauf verwendeten , für jene Zeit nicht unbeträchtlichen Summen. 

^) »Sie haben einen einzigen König, dem sie aber schon seit 150 Jahren nicht 
mehr gehorchen , desshalb bekriegen sie einander auch fortwährend.« Brief des Franz 
Xaver. — Am Volke rühmt er die Achtung vor den höheren Ständen , und dass den 
Edeleh dieselbe Ehre erwiesen werde, ob sie arm, ob reich seien. 



Die Nachfolger des Franz Xaver. Verbreitung des Christenthumes. ^5 

Landschaften sind der Schauplatz blutiger Kriege. Das Bild, das er 
von dem Nationalcharakter entwirft, ist anziehend und treu. — Er 
schildert die Thätigkeit seines Verkehrs mit den Japanern als die 
erfreuUchste und herzerhebendste und spricht den Wunsch aus, dass 
doch recht viele tüchtige Männer sich der Bekehrung dieses Volkes 
als dem beglückendsten Lebensberufe widmen möchten •»). 



Franz Xaver kehrte nicht nach Japan zurück, sondern unter- 
nahm eine Missionsreise nach China und starb daselbst Mehrere 
von ihm ausgesandte Jesuitenväter trafen zu Ende des Jahres 1552 
in Japan ein, wo unterdess Pater Torres das Bekehrungswerk mit 
Eifer und Erfolg gefordert hatte. Die Missionare brachten ein 
Schreiben und Geschenke des Vicekönigs Von Indien an den Fürsten 
vonBuNOO mit, der sie veranlasste, ihre Thätigkeit zunächst seinem 
Lande zu widmen, und später selbst das Christenthum annahm. 
Er wechselte noch mehrere Briefe mit dem Vicekönig von Lidien, 
so dass die Vermuthung nahe hegt, er habe durch die Verbindung 
mit Portugal, von dessen Macht man damals in Japan überschwäng- 
Uche Begriffe hatte, seine Herrschaft sichern und ausbreiten wollen. 
Mehrere andere Fürsten von Kiusiu baten, des Verkehrs mit den 
Portugiesen wegen, ebenfalls um Missionare, und seitdem kam den 
Bekehrem fast jahrUch n^uer Zuwachs aus dem Jesuitencollegium 
in Goa. 

Das Christenthum verbreitete sich von Bunoo aus schnell 
über die angrenzenden Landschaften. Viele Japaner schlössen sich 
den Bekehrem auf das innigste an, traten in den Jesuitenorden, 
lernten portugiesisch und lateinisch; manche widmeten sich ganz 
und mit grossem Erfolge dem Predigeramt. Die Berichte der Mis- 
"'sionare aus dieser Zeit sind voll von Klagen über das Elend der 
niedern Volksclassen, die kaum etwas anderes als den Rock auf 
dem Leibe besitzen und ganz von dem Lehnsadel abhängen, für 
den sie die Felder bauen. Der Kindermord war an der Tages- 
ordnung. Die Jesuiten gründeten ein Findelhaus in Fuhai, der 
Hauptstadt von Bungo, und erwirkten vom Landesherm ein öffent- 
liches Verbot jener Gräuelsitte. Diese Stiftung, die Gründung eines 

^) »Mochten doch die Doctoren der Theologie ihrem kanonischen Rechte, die 
Prälaten iliren Würden und Pfründen entsagen und nach Japan kommen , da würden 
sie ein glückseligeres, angenehmeres und iiihigeres Leben führen, als zu Hause.« 



56 Die ersten Getueiuden. Brbittening der Buiizen. 

Hospitals, die ernste Feierlichkeit, mit der sie ilire Todten bestat- 
teten, und besonders der mystische Glanz des katholischen Gottes- 
dienstes gewannen dem Christenthum viele Anhänger. Das Volk 
drängte sich jetzt in Masse zur Taufe — die innere Bekehrung 
folgte dann später. Die Jesuiten erzählen selbst, wie sie vor allem 
für prächtige Messgewänder und kostbares Kirchengeräth sorgten, 
wie sie zu Weihnachten und Ostern durch die Neophyten geistUche 
Schauspiele in japanischer Sprache mit grossem Pompe aufführen 
liessen. Der ganze Apparat eindringlicher Mittel, durch welche die 
kathoUsche Kirche, zunächst auf die Sinne wirkend, die fromme 
Phantasie der Gläubigen erregt — die Vorbereitung durch strenge 
Fasten, der jubelnde Glanz der Auferstehungsfeier und die damit 
verbundenen symboüschen Handlungen und Darstellungen, mit Weih- 
rauch, Kerzen, Glockenklang, Musik, prächtigen Gewändern und 
Fahnen — wurde mit vielem Erfolge aufgewendet, um die Menge 
anzulocken und zu begeistern. Die japanischen Christen scheinen 
diesem Gepränge sehr hold gewesen zu sein. Uebrigens waren die 
Jesuitenväter unermüdlich im Lehren und Predigen und in den 
Werken praktischer Barmherzigkeit; sie lebten mit ihren Täuflingen 
in innigster Gemeinschaft und wissen deren frommen, einfachen, 
mildthätigen Sinn, ihren Glaubenseifer und die rührende Liebe, 
mit der sie an ihnen hingen, nicht genug zu preisen. Die Armen- 
und Krankenpflege und der Schulunterricht der Jugend wurden 
durch japanische Christen unter Aufsicht der Missionare besorgt; 
dies waren reine Liebesdienste, denn die Jesuiten verfiigten nur 
über geringe Mittel. Die christlichen Schulen hatten starken Zulauf, 
zur grossen Erbitterung der Bonzen, in deren Händen bisher der 
Unterricht der Jugend gewesen war. Die japanischen Priester ver- 
suchten Anfangs die Neuerer mit geistigen Waffen zu bekämpfen 
und forderten auch die portugiesischen Jesuiten vielfach zu öfl^ent- 
hchen Disputationen heraus, scheinen aber wenig dadurch gewonnen 
zu haben und griffen darauf zur Gewalt. Sie sahen sich in ihrem Ein- 
fluss, ja in ihrer Existenz beeinträchtigt und verfolgten ihre Feinde 
mit tödtlichem Hass. Nur der Schutz der Grossen und die Anhäng- 
lichkeit ihrer Gemeinden machten es den Bekehrern möglich, Stand 
zu halten. Schon damals wurde das Christenthum von den Lehns- 
fürsten vielfach politisch benutzt: unablässig von äusseren Kriegen 
und inneren Umwälzungen bedroht, gebrauchten sie das Ansehn 
der Väter, um sich eine starke Parthei im Volke zu bilden, und 



Gemeinden in Miako und Sakai. Die christlicheu Füraten. Nobu - nanoa. ^ • 

so brachten die politischen Wirren diesen oft die bittersten Leiden. 
Ihre Häuser und Kirchen wurden zerstört oder gingen in Flammen 
auf, und wo der Feind den Sieg behielt, mussten sie den Bonzen 
das Feld räumen und retteten oft mit Noth das nackte Leben- — 

Nach Miako, wo Franz Xaver vergebens das Christenthum 
zu predigen versucht hatte, sandten die Jesuiten auf wiederholtes 
Ersuchen eines berühmten alten Buddatheologen im Jahre 1560 den 
Pater Gaspar Villela. Seine Reise wurde durch vielfaches Miss- 
geschick verzögert und jener gelehrte Priester war unterdess ge- 
storben, doch gelang es dem SendUng trotz der Ungunst der übrigen 
Bonzen, in Miako und Sakai'" ) Gemeinden zu stiften, die schnell 
zu grosser Blüthe heranwuchsen. Schon 1564 gab es sieben Kirchen iüg4. 
und Kapellen in den Vorstädten von Miako. — Das Christenthum 
hatte sich um diese Zeit in fast allen Landschaften von Kiusiu 
verbreitet; ausser dem Fürsten fon Bungo nahmen auch die Herren 
von ÄRiMA und Omüra den Glauben an und wurden eifrige Werk- 
zeuge der Bekehrung. Sie verfolgten die Bonzen mit Feuer und 
Schwert und befahlen den Bewohnerschaften ganzer Landstriche , bei 
Strafe der Verbannung, sich taufen zu lassen; so wurden wiederholt 
Massen von Zwanzig- und Dreissigtausenden der Kirche zugeführt. 
Auch die nichtchristlichen Landesherren von Kiusiu buhlten förmlich 
um die Gunst der Missionare . und suchten durch sie den portugie- 
sischen Handel in ihre Häfen zu ziehen. Damals gewann Naj^tgasaki, 
das, im Gebiete des Fürsten von Omüra gelegen, bisher ein elendes 
Fischerdorf gewesen war, zuerst Bedeutung, da die Portugiesen es 
wegen seines sicheren Hafens zum Hauptstapelplatz ilires Handels 
machten. Unter Begünstigung des Landesherrn wuchs diese Stadt 
zu blühendem Wohlstande heran und wurde bald auch der Hauptsitz 
und Mittelpunct der Jesuitenmission. 

Als NoBUNANGA im Reiche die Oberhand gewann, unterwarfen 
sich ihm auch die drei christlichen Fürsten. Ein grausamer Feind 
der einheimischen Bonzen, war er den Jesuiten sehr günstig und 
beförderte die Verbreitung ihrer Lehre unter dem Volke, ohne sie 
selbst annehmen zu wollen, weil, sagen die Missionare, das Christen- 
thum der Vergötterung der Herrscher entgegen war, die er für sich 
selbst anstrebte. Mehrere von den Grossen seines Hofes liessen 
sich taufen; die Missionare konnten jetzt ihre Thätigkeit auch auf 

^) Von dieser Stadt, damals einer der grossteu und reichsten von Japan, sagt 
Villela, sie sei c*ine Republik und ihre Verfassung ganz der von Venedig 3iinlieh. 



^^ Gesandtflchafl uach Rom. 

NippoN weiter ausdehnen und fanden dort grossen Anhang; um 
1581 reclmete man 150,000 Christen in Japan. Der Gottesdienst 
wurde in zahlreichen Kirchen celebrirt, fast in allen grösseren 
Städten der südlichen und westUchen Landschaften hatten die 
Jesuiten CoUegienhäuser, Seminare, Universitäten. Man athmete 
jetzt freier, denn die Herrschaft des Nobu-nanga hatte die Macht 
des Lehnsadels gebrochen und dem Lande den Frieden wieder 
gegeben. Das Abhangigkeitsverhältniss der Lehnsfursten scheint 
kein drückendes gewesen zu sein: die drei christUchen Landesherren 
1581. durften es wagen, im Jahre 1581 auf eigene Hand eine Gesandt- 
schaft an den Papst nach Rom zu schicken, an deren Spitze sie 
ihre nächsten Verwandten stellten. Diese schifften sich, unter 
Führung des Generalvisitators der Jesuiten, Pater Valignan, in 
Nanoasaki ein und erreichten, nach längerem Verweilen in Macao 
mid Goa, im August 1584 LissabcA. Ihre Reise durch Portugal, 
Spanien und Italien glich einem Triumphzuge; PhiUpp II, an welchen 
Portugal beim Tode König Heinrich's gefallen war, empfing sie mit 
königlichen Ehren und ungeheurem Pomp , ebenso Papst Gregor XIII, 
der Freund und Wohlthäter des Jesuitenordens, welchem dieser 
Triumph besondere Freude gemacht zu haben scheint. Die Gesandten 
überreichten in feierlichem Consistorium eigenhändige Schreiben 
ihrer Fürsten, welche den Papst als ihren höchsten Oberherm an- 
reden; aller Prunk und Glanz des Vaticans wurden zu Ehren der 
jungen Japaner aufgewendet. Sie hatten auf der Reise Zeit und 
Gelegenheit gehabt, europäische Sprachen und Sitten zu lernen; ihr 
feines, edeles und tactvolles Auftreten und ihre Intelligenz erregten 
die allgemeine Bewunderung. Während ihrer Anwesenheit in Rom 
starb Gregor und Sixtus V bestieg den heiligen StuhL Auch dieser 
überhäufte sie mit Auszeichnungen, wies den japanischen Fürsten 
Rang und Stellung unter den christlichen Königen an, und entliess 
die Gesandten reich beschenkt. Auf der Rückreise nach Lissabon 
gaben ihnen Venedig, Mailand, Mantua, Genua und andere grosse 
Städte glänzende Feste. Im April 1586 schifften sie sich in Lissabon, 
im April 1588 von Goa aus in Begleitung des Pater Valignan wieder 
nach Macao ein , erreichten aber ihre Heimath erst zwei Jahre später. 
Hier hatten sich unterdessen die Verhältnisse sehr geändert*'). 



^) Diese Gesaiidtscliaft machte in Eui'opa grosses Aufselin und wurde iu vielen 
Scliriften — deutsch , lateinisch , italienisch und spanisch — sehr ausfulirlich beschrieben. 



Stui'z des NoBU-NANOA. TaIko-sama. ^y 

Im Jahre 1582 stand Nobu-nanga auf der Höhe seiner Macht; i5»2. 
der grösste Theil der japanischen Fürsten hatte ihm gehuldigt, einige 
Widerspänstige wurden von seinen Feldherren bekriegt. Er befand 
sich mit wenig Truppen inMiAKO, als sein Kriegsoberst Fide-Yosi, 
der einen abtrünnigen ÜAimo in der Nachbarschaft belagerte, von 
ihm Succurs verlangt. Nobu-nanoa befiehlt seinem Vertrauten Aketsi- 
MiTSA-FiDE, mit den Truppen zum Heere des Fide-Yosi zu stossen, 
aber Jener wendet sich statt dessen gegen seinen Herrn und lässt 
Um in seiner Tempelwohnung umzingeln. Von allen Truppen ent- 
blösst sieht der Usurpator keine Rettung, steckt den Tempel in 
Brand und entleibt sich mit seinem ältesten Sohne Nobu-tada. 
Aketsi zieht nach Asutsia, der Residenz des Nobu-nanga, und ver- 
tlieilt dessen unermessliche Schätze unter seine Leute, wird aber 
wenige Tage darauf von den Truppen des Fide-Yosi und seiner 
Mitfeldherren geschlagen und kommt elend ums Leben. Seine 
Herrschaft dauerte nur zwölf Tage. Die Sieger proclamiren den 
unmündigen Enkel des Nobu-nanga, den Sohn des Nobu-tada, als 
ihren Herrn, aber die Macht bleibt in den Händen des Fide-Yosi, 
welchem das Heer ergeben ist. Er tritt bald als unumschränkter 
Herrscher auf und erstickt jede Bewegung zu Gxmsten des procla- 
mirten Thronerben, der schnell in Vergessenheit gerätli. 

Fide-Yosi, der als Herrscher den Titel Taiko-sama'*) annahm, 
ist einer der merkwürdigsten Männer der japanischen Geschichte. 
UrsprüngUch ganz geringen Herkommens*"), stieg er wegen seines 
Scharfsinnes und Unternehmungsgeistes rasch in der Gunst des 
Nobü-nanga, der ihn zum Fürsten von Tsikudsen und zum höchsten 
miUtärischen Range erhob und mit allen wichtigen Unternehmungen 
betraute. Nach dessen Ermordung fiel ihm, als dem Tüchtigsten, 
die Herrschaft wie von selbst zu. Er bezwang, die Uneinigkeit der 
Daimio's geschickt benutzend, in kurzer Zeit das ganze Reich, ver- 
theilte die Ländereien der widerspänstigen Grossen unter seine 
Getreuen, Uess allzu beliebte und angesehene Landesherren ihre 

^) In den Schriften der Missionare wird er häufig Faxiba genannt. Die Be- 
zeichnung Kubo , RuBO - SAJCA wird von ihm, von Nobu-nanoa, vouFide-nobu und 
Anderen gebraucht und scheint ein allgemeiner Ausdruck iui* Herrscher zu sein. 

") Urspiünglich Holzhauer, soll er als Pantoflfelträger in den Dienst eines 
Beamten des Nobu - nanoa getreten sein. Er war klein von Gestalt und hatte runde 
Augen — etwas sehr Ungewöhnliches in Japan, — deshalb nannte ihn das Volk 
Sarv-tsuoa, Affengesicht. — S. Klaproth zu den Kaiseranualen. 



v)U Die HeiTschafl des TaTko-saha. 

Besitzungen mit anderen in entfernten Gegenden vertauschen, zer- 
stückte und verband nach Willkühr die alten Provinzen des Reiches 
und fulirte eine ganz neue Ordnung ein. Er Uess den Lehnsfiirsten 
ilu'e Hoheitsrechte und die Verwaltung ihrer Territorien, erschöpfte 
aber ihre Kassen durch Auferlegung kostbarer Hofreisen und Tribut- 
geschenke, durch Lieferungen und Leistungen zum Bau der Festung 
von Osaka, und setzte ihnen seine Beamten zur Seite, welche sie 
streng beaufsichtigen und jeden ihrer Schritte nach Hofe berichten 
mussten. Die nach Selbstständigkeit zu streben scheinen oder 
willkührUch und grausam gegen das Volk auftreten, verlieren Land 
und Würde. Durch das ganze Reich wird strenge Gerechtigkeit 
ohne Ansehn der Person geübt, jede Friedensstörung mit dem Tode 
bestraft: entrinnt ein Missethäter, so müssen seine Verwandten und 
Diener büssen. Das Volk soll em sittUches Leben führen: die 
Vielweiberei gestattet Taiko-sama nur sich selbst, und unterwirft 
die zügellosen Bonzen einer strengen Zucht. Er unterhält eine starke 
Kriegsmacht, die im Frieden bei den grossen Bauten beschäftigt 
wird, reichen Sold erhält und ihm unbedingt ergeben ist Die 
Finanzen sind im besten Zustande, die Verwaltung geregelt, keine 
Bedrückung erlaubt. 

So legte Taiko-sama den ersten Grund zu dem in Japan 
seitdem herrschenden poütischen System. Das Land, das über ein 
Jahrhundert lang von Kriegen beständig zerrissen war, wo man 
geordnete Zustände nur noch als Fabel längst vergangener Zeiten 
kannte, erfreute sich jetzt der vollkommensten Ruhe; überall 
herrschte Wohlstand und Zufriedenheit. Das Volk, an die despo- 
tische Willkühr der kleinen Machthaber gewöhnt, empfand nur die 
Segnungen des einigen Regiments. Selbst die Jesuiten, Taiko- 
SAMA*s bittere Feinde, rühmen ihn als weisen Regenten, der auch 
gegen seine Widersacher milde gewesen sei und die überwundenen 
Fürsten nicht, wie Nobu-nanoa, grausam getödtet, sondern mit Jahr- 
gehalt in abgelegene Landestheile verwiesen habe. Das ganze Volk 
hiddigte seiner Hen'schaft, die für legal erkannt wurde, sobald sie 
fest begründet war. Trotzdem koimte Taiko-sama den Siogun -Titel 
von dem Mikado nicht erlangen: diese Würde gehörte einmal der 
Familie Minamoto, und der abgesetzte Siogun Yosi-aki, der letzte 
aus dem Hause des Taka-udsi, weigerte sich hartnäckig, den 
Herrscher zu adoptiren. Auch dem aus der altberülimten Familie 
der Taira entsprossenen Nobu-nanga scheint (Ue Siogun -Würde 



Begünstigung und Fortschritte des Christenthumes. 



61 



niemals förmlich verliehen worden zu sein, Ta'iko-sama aber war von 
niederer Geburt und deshalb, nach japanischen Begriffen, keiner 
Titel föhig, denn die Adoption ist nur unter Ebenbürtigen statthaft. 
Ein Mitglied der Familie Füdsiwara verstand sich dennoch dazu, 
ihm seinen Namen zu geben, und nun musste der JMikado den 
KuANBAK absetzen und Taiko-Sama diesen Titel verleihen'"). Die 
Annalen berichten dieses als etwas Unerhörtes, Schmachvolles, 
allem Brauch und Herkommen Widerstrebendes: »man hatte nie 
etwas Aehnüches erlebt, denn alle Kuakbak's vor ihm waren Füdsi- 
WARA«. Der Mikado verUeh TAifKO - sam a später den Familiennamen 
Toto - tomi und alle hohen Titel und Auszeichnungen seines Hofes, 
wahrscheinlich auf Befehl, denn er hielt die Erbkaiser in gleicher 
Abhängigkeit wie früher die Siooün's und die Regenten von Kama- 
KURA pflegten. 

Die Christen bildeten um 1582 schon eine starke Parthei im 
Lande und Taiko-sama bewarb sich im Beginne seiner Herrschaft 
eifrig um ihre Gunst. Sein früherer Mitfeldherr Taka-yama-ükon 
und andere angesehene Kriegshauptleute waren Christen: sie hul- 
digten ihm jetzt mit den Fürsten von Büngo, Arima und Omura, 
deren Beistand Tattko - sama zur schnellen Unterwerfung der übrigen 
liandschaften von Kiusiu verhalf. Später nahm er dem Fürsten von 
Omura das aufblühende Nangasaki fort und setzte seine Statthalter 
dahin, um den einträglichen Einfuhrhandel der Portugiesen in seine 
Hand zu bekommen. Er begünstigte den Fremdenverkehr auf jede 
Weise und verüeh den Jesuiten Freibriefe im ganzen Lande zu 
predigen, Freiheit für ihre Häuser von Einquartierung, der die 
Klöster der Bonzen unterworfen waren, und Steuerfreiheit den 
Lehnsfursten gegenüber. 

Unter so günstigen Verhältnissen hatte die Bekehrung einige 
Zeit lang guten Fortgang, doch scheint der wachsende Einfluss der 
Missionare den Herrscher beunruhigt zu haben. Er bedurfte, sobald 
seihe Macht befestigt war, der Christen nicht mehr, welche ihm jetzt 
politisch geföhrhch zu werden drohten. Im Jahre 1587 — man zählte i587. 
damals 200,000 Christen in Japan — erschien plötzlich und den 
Vätern sehr unerwartet ein Edict, das nach ihren eigenen Berichten 
so lautete: 

'^ Seit TaTko-sama deu Kuanbak - Titel tnig, scheint er nicht wieder an die 
FüDSi-WAEA gekommen zu sein; Kämpfer wenigstens sagt: Dieser Titel wird von dem 
weltlichen Monarchen angenommen und dessen mnthma asslichem Reichserben crtheilt. 



62 



Das ReligioDsedict. Veranlassungen dazu. 



»Unsere getreuen Rathe und Diener haben uns vorgestellt, dass 
die fremden Geistlichen, die in unsere Staaten gekommen sind, 
eine den japanischen Satzungen widersprechende Lehre predigen, 
und dass sie selbst die Dreistigkeit gehabt haben Tempel unserer 
Kahi's und Götter zu zerstören. Obgleich diese üebertretung 
die schwerste Züchtigung verdient, wollen wir ihnen doch Gnade 
angedeihen lassen, befehlen ihnen aber bei Todesstrafe binnen 
zwanzig Tagen Japan zu verlassen. Während dieses Zeitraumes 
soll ihnen, kein Leid geschehen; findet sich aber nach dieser 
•» Frist noch einer im Lande, so soll er wie ein Verbrecher bestraft 
werden. Den portugiesischen Kaufleuten erlauben wir in unsere 
Häfen einzulaufen, ihren gewohnten Handel zu treiben und so 
lange in unseren Staaten zu verweilen als ihre Geschäfte er- 
fordern, verbieten ihnen aber fremde Geistliche mitzubringen 
bei Strafe der Confiscation ihrer Waaren und Fahrzeuge.« 
Dieses Edict erliess Taiko-sama von Fakata") aus. Die 
dort befindlichen Missionare wurden auch mündlich darüber zur 
Rede gestellt, «dass sie seine Unterthanen zum Schlachten der für 
die Landwirthschaft so nothwendigen Ochsen und Kühe verleiteten, 
dass sie ihren Landsleuten erlaubten Japaner und Japanerinnen weg- 
zuschleppen und in fremde Länder zu verkaufen.« In der That 
klagen die Jesuiten selbst über die zügellosen Ausschweifungen der 
portugiesischen Kaufleute und Schifier: fast tägUch wurden Frauen 
und Mädchen aufgefangen und nach den Schifi'en entfuhrt; auch 
scheint ein ausgedehnter Menschenhandel nach Ostindien, ähnlich 
dem heutigen Kuli -Handel in China, getrieben worden zu sein. Aber 
weder diese Ungesetzlichkeiten, noch die von den Jesuiten an- 
gegebenen Umstände — derUnmuth des Taiko-sabia darüber, dass 
eine in Firando eingelaufene Carake des seichten Wassers wegen 
nicht auf seinen Befehl nach Fakata kam, dass die von ihm bei 
den Portugiesen bestellten und zum projectirten Feldzuge nach Korea 
bestimmten Schiffe noch immer nicht eintrafen, dass es seinen 
Kupplern nicht gelang sein Harem aus den christlichen Districten 
zu recrutiren — können die wahren Ursachen der Ausweisung der 
Jesuiten gewesen sein: der tiefere Grund war ihr wachsender Ein- 
fluss und die beimruhigende Ausbreitung des Christenthumes, dafür 
zeugen die zu gleicher Zeit erfolgte Verbannung des christlichen 
Feldherrn Taka-yama-Ukon, welcher das Bekehrungswerk besonders 

^*) An der Küste von Tsikudsen auf Kiusiu. 



Wirkungen des Christenthtimes auf das japanische Volk. Oti 

eifrig gefordert und die Bonzen grausam verfolgt hatte, und die 
Nichtausdehnung des Spruches auf die portugiesischen Kaufleute, 
gegen welche doch ein wesentlicher Theil der Beschwerden gerichtet 
war. Die gesteigerte Schnelligkeit, mit der sich das Christenthum 
in den letzten Jahren verbreitet hatte, liess den Zeitpunct nicht mehr 
fem erscheinen, wo sich die Mehrzahl der Landesbewohner dazu 
bekennen würde, und die Bekehrten hingen mit unbedingter Er- 
gebenheit, mit begeisterter Ehrfurcht an ihren Lehrern. Bisher 
gewohnt sich selbst gering zu achten, von seinen Oberen nur mit 
erhabener Strenge behandelt und in scheuer Entfernung gehalten 
zu werden, lernte das Volk jetzt plötzlich seinen eigenen Werth 
kennen. Denn das Christenthum lehrt, dass Hoch und Niedrig 
gleichen Anspruch auf das Himmelreich haben, dass alle weltlichen 
Güter nichtig, ja dem Menschen auf dem Wege zur Seligkeit nur 
hinderUch sind. Die Missionare bethätigten diese Lehre durch den 
eigenen Wandel und hoben die niederen Classen, in welchen die 
lange unterdrückten Gefühle der verehrenden Liebe mit wunderbarer 
Frische aufblühten » rasch zum Bewusstsein ihrer Menschenwürde. 
Die japanischen Machthaber hatten seit Jahrhunderten nur ein 
Regiment der Furcht und des Schreckens geübt. Ein Fürst, ein 
Edeler wurde als etwas unnahbares, als ein höheres Wesen an- 
gesehen, unübersteigliche Schranken schieden das Volk von seinem 
Herrn, dem es unbedingten Gehorsam und die tiefste Ehrfurcht 
schuldete. Das waren die seit undenklichen Zeiten feststehenden 
Grundlagen der politischen Verfassung von Japan; sie wurden 
durch die Einfuhrung des Christenthumes auf das tiefste erschüt- 
tert. Zunächst schon musste die auffallende Anhänglichkeit der 
Bekehrten an ihre Lehrer die Machthaber mit Unbehagen er- 
füllen, dann aber bei näherer Kenntniss die Lehre selbst, bei deren 
weiterem Umsichgreifen die alten Verhältnisse nicht fortbestehen 
koimten. Nach ihren Begriffen wurde das Volk entsittlicht, denn 
der Glauben an die göttUche Abstaimnung der Herrscher und Edelen 
und an ihre Berechtigung auf den unbedingten Gehorsam des Volkes 
war die Grundlage des japanischen Staatslebens und gewissermaassen 
der japanischen Gesittung. Der Unterschied der Stände gilt dort als 
etwas Innerliches, der Seele anhaftendes und die Anerkennung des 
einfachen Satzes, dass vor Gott alle Menschen gleich sind, musste 
zerstörend auf den politischen Organismus wirken. Franz Xaver 
selbst ist die Ehrfurcht des japanischen Volkes vor seinen Edelen 



^4 Einfluss der Jesuiten. Furcht vor der Macht Spaniens. 

als etwas Bewundemswerthes, Sittliches erscliienen; es war das Band, 
das den Staat zusammenhielt, konnte aber mit dem Christenthum 
nicht bestehen, denn es war die Ehrfurcht der Scheu und des 
Schreckens, nicht Vertrauen und Liebe. Die Machthaber mussten 
bald inne werden, dass in den christUchen Districten der Einfluss 
der Jesuiten den ihren weit überwog und dass die Europäer bei 
weiterem Umsichgreifen der Bekehrung sich leicht wurden zu Herren 
des Landes machen können. Besonders bedenklich erschien der 
Uebertritt so vieler Familien aus den herrschenden Classen, denen 
man natürUch ehrgeizige Absichten unterlegte; denn das niedere 
Volk wurde als kraffclos und zu Thaten unfähig verachtet, nur unter 
Führung seiner Edelen konnte es gefährlich werden. 

Hierzu kam ein anderer Umstand. Wenn die früher in Japan 
verbreiteten Begriffe von der Grösse und Macht Portugals bei län- 
gerem Verkehr der beiden Völker in und ausser Japan — denn auch 
die Japaner dehnten ihre Schiffahrt in der zweiten Hälfte des sechs- 
zehnten Jahrhunderts weiter aus und besuchten das südliche China, 
Formosa, Manila und Siam — besserem Einsehn gewichen waren, 
und man sich gewöhnt hatte die Portugiesen als ein Handelsvolk 
zu betrachten, so musste dagegen Taiko-sama bei der Lebhaftigkeit 
der Beziehungen auch erfahren haben, dass dieses Land seit dem 
Tode König Heinrichs (1581) mit Spanien vereinigt, dass die krie- 
gerischen Spanier sich einen grossen Theil der bekannten Welt 
unterworfen, in Amerika und den Philippinen festen Fuss gefasst 
hatten, dass der Papst als Statthalter Christi den Königen von 
Spanien und Portugal alle neu zu entdeckenden Länder der Welt 
als rechtmässiges Eigenthum zugesprochen hatte. Der Gedanke, 
dass auch an Japan die Reihe der Unterwerfung kommen möchte, 
sobald die christhche Parthei dort stark genug wäre, lag sehr nahe. 
Taiko - SAMA scheint aber zunächst einen Umsturz seiner Herrschaft 
durch die christUchen Grossen gefürchtet zu haben, das zeigt sein 
beständiges Eifern gegen den Uebertritt von Leuten aus den herr- 
schenden Ständen. Zu der Befürchtung einer spanischen Invasion 
gab ihm später das unkluge Benehmen des Befehlshabers einer 
grossen Galeone, welche im Jahre 1596 an der japanischen Küste 
strandete, besondere Veranlassung. Als Taiko-sama dieses Schiff 
und seine kostbare Ladung mit Beschlag belegen Uess, zeigte der 
erbitterte Capitän den kaiserUchen Bevollmächtigten auf einem Welt- 
globus die Ausdehnung der spanischen Herrschaft, und liess in seiner 



Stelliuig der Jesuiten unter TaTko-sama. 65 

Gereiztheit die Drohung eines bmrorstehenden Angriffes fallen: es 
sei die Gewohnheit seines Königs, zuerst Priester in die neu ent- 
deckten Länder zu senden, und diesen, sobald ihr Anhang stark 
genug, seine Ejriegsheere folgen zu lassen; die Portugiesen seien 
eine Kramemation, die Spanier aber stolz und kampflustig. — Ob 
nicht in der That, wenn das Christenthum weitere Fortschritte 
machte, die Spanier sich Japans bemächtigt hätten, ist mindestens 
zweifelhaft. — 

Die Jesuiten wichen nicht sofort dem Verbannungsedicte. 
Sie schlössen zwar ihre Kirchen, legten die geistliche Tracht ab 
und hörten auf öffentlich zu predigen und zu taufen, Hessen aber 
Taiko-sama zunächst vorstellen, dass erst in sechs Monaten ein 
portugiesisches Schiff absegeln werde. Da es nun japanische Sitte 
ist, dass sich die Obrigkeit um einen Verbannten weiter nicht kümmert, 
so er nur geringe Kleidung anlegt, sich das Haupt scheert und 
durch Unterwürfigkeit die Strafe verdient zu haben bekennt, so 
beachtete der Kaiser^') die Jesuiten zunächst nicht weiter. Sie 
Messen sich von ihren Freunden am Hofe in Allem' leiten und 
betrugen sich durchaus als rechtlose Verbannte. Der Capitän des 
nach Macao abgehenden Schiffes wurde zu der Aussage veranlasst, 
er könne nur drei von den Vätern mitnehmen, worauf Taiko-sama 
ihnen im Zorn einige Häuser und Kirchen einreissen Uess, die aber 
bald wieder aufgebaut wurden, als seine Hofleute ihm die Befürchtung 
einzuflössen wussten, dass mit den Geistlichen auch die portugie- 
sischen Kaufleute das Land verlassen möchten. Von da an blieben 
sie unbelästigt. Den portugiesischen Handel wollte Taiko-sama 
durchaus nicht entbehren, auch mag die Nothwendigkeit sich den 
guten Willen der christhchen Grossen, der einzigen im Reiche, 
die durch ihre Eintracht ihm noch gefährUch werden konnten, zu 
erhalten, viel zu der Unschlüssigkeit seines Benehmens gegen die 
Missionare im ferneren Verlaufe seiner Regierung beigetragen haben. 
Die Edicte wurden noch wiederholt verschärft, aber gegen die 
portugiesischen Jesuiten von Taiko-sama niemals zur Ausführung 
gebracht. Er blieb ihnen persönlich günstig, widersetzte sich jedoch 
hartnäckig der öffentlichen Ausübung des Gottesdienstes und vor 
Allem der Bekehrung der japanischen Fürsten imd Edelen. Dass 
sie im Stillen und verkleidet in den Häusern der Bekehrten Messe 

'*) Es sei erlaubt, Taiko-sama und seine Nachfolger in der Herrschaft der Kürze 
halber Kaiser, die Mikado's aber von hier an Erbkaiser zu nennen. 
I. 5 



t>v) Zahl der Bekehrten. Valignaii und die Gesandten in Miako. 

lasen, lehrten und predigten, kifnnte ihm nicht entgehen, wurde 
aber ignorirt. Die Jesuiten tauften in den drei Jahren von Erlassung 
1500. des Edictes bis 1590 im Geheimen über 30,000 Japaner. Eine Ver- 
folgung fand nur in der Landschaft Bungo statt, wo der Sohn und 
Nachfolger des verstorbenen Fürsten einer heidnischen Gemahn 
zu Liebe das Christenthum eine Zeit lang verleugnete und unter- 
drückte. In der öffentUchen Meinung auch der nichtchristlichen 
Japaner soll das Rehgionsedict grosse Entrüstung hervorgerufen 
haben, da bis dahin jegUches Bekenntniss in Japan vollkommen 
freie ReUgionsübung genossen hatte. 

Als die Gesandten der christUchen Fürsten aus Europa zurück- 
kehrten, fragte der Ordens -Visitator Vahgnan, der jetzt als Bot- 
schafter des Vicekönigs von Indien erschien, von Macao aus an, 
ob bei den gänzhch umgew^andelten Verhältnissen Taiko-sama ihn 
empfangen würde. Die Antwort lautete günstig. Die japanischen 
Gesandten landeten mit ihm in Nanoasaki und begaben sich zunächst 
nach Miako; ihre und VaUgnan's Auffahrt zur Audienz wird sehr 
prächtig beschrieben, der Empfang war über alle Erwartung glänzend 
und ehrenvoll "). Ein japanisch redender Missionar Rodriguez musste 
bei des Gesandten Abreise auf Taiko-sama's Verlangen in Miako 
zurückbleiben, um den künftigen Verkehr zu vermitteln. Der Kaiser 
scheint aber doch einiges Misstrauen in die Aechtheit der Botschaft 
gesetzt zu haben: ein dem Pater Valignan nach Nangasaki gesandtes 
Antwortschreiben an den Vicekönig von Indien war in so weg- 
werfendem Tone abgefasst, dass Jener es zurückweisen musste. 
Taiko-sama entschloss sich später wirkUch zur Abfassung eines 
anderen, das, von kostbaren Geschenken begleitet, nach Goa abging. 
In diesem Schreiben wurden die Portugiesen noch ausdrückhch auf- 
gefordert, recht zahlreich nach Japan zu kommen und sich nieder- 
zulassen wo es ihnen gefiele. — Eine Milderung des Religionsedictes 
konnte Valignan nicht erlangen; er begab sich nach dem Besuche 
in Miako mit den Gesandten zu den christhchen Fürsten, welchen 
die päpsthchen Breves und ReUquarien, die geweihten Hüte und 
Degen imter grossen Feierhchkeiten überreicht wurden. 

Vahgnan's feierUcher Empfang fallt in das Jahr 1590. Unter 
demselben Jahre berichten die Jesuiten auch, dass Taiko-sama ein 
Schreiben nach Manila gesandt und den spanischen Gouverneur der 

'•) Die Geschenke des Vice - Königs von Indien bestanden in arabischen Pferden 
und kostbaren Waffen. 



^icg gegeu Korea. v)7 

Philippinen zur Unterwerfung au%efor<iert habe'*). Diese Nachricht 
scheint mit Vahgnan's günstigem Empfange und der ihm schhessUch 
ertheilten Antwort nicht in Einklang zu stehen, w^enn man nicht 
annehmen soll, dass seine Gesandtschaft als eine portugiesische 
angesehen, und die Vereinigung Portugals mit Spanien den Japanern 
damals noch verheimhcht worden wäre. Der Kaiser that zu der- 
selben Zeit die ersten Schritte zur Verwirklichimg seines grossen 
Planes, der Unterwerfung des chinesischen Reiches: er schickte eine 
Gesandtschaft an den König von Tsaosien (Korea) und forderte ihn 
zum Biindniss gegen das Reich der Mitte auf. Dieser schlug es aus 
und nun wurde zunächst der Krieg gegen Korea beschlossen. 

Taieo-saua zog im Jahre 1592 ein Heer von 156,900 Mann is92. 
bei Nangoya, einem Küstenorte der Landschaft Fidsen zusammen, 
von wo er die Expedition leitete. Das Heer setzte n^ch Tsus-sima 
über, von da landeten zwei, vornehmlich aus Christen bestehende 
Armeecorps auf Korea und eroberten in kurzer Zeit den grossten 
Theil der Halbinsel. Chinesische Truppen, die den Koreanern zu Hülfe 
zogen, erlitten im ersten Feldzuge eine Niederlage; sie drängten zwar 
in einem zweiten die Japaner in ihre Verschanzungen zurück, konnten 
aber weiter nichts ausrichten und suchten deshalb zu unterhandeln: 
man schloss zunächst einen Waffenstillstand und bald darauf 1593 
zu Nangoya den Frieden. Die japanischen Truppen räumten Korea 
und die königliche Familie wurde in Freiheit gesetzt. Eine Gesandt- 
schaft von Tsaosien, welche bald darauf nach Japan kam, wies 
der Kaiser ab, weil er es unpassend fand, dass der Gesandte kein 
Prinz aus dem Königshause war. Aus China erschienen erst 1596 
Gesandte in Fusimi, die sehr glänzend empfangen, aber nach Ver- 
lesung des kaiserUchen Schreibens, in welchem Taiko-sama chine- 
sischer Lehnsmann und König von Japan hiess^^), mit Schimpf tmd 

'*) Die Kaiscrannalen sagen nichts davon; ihre Berichte über TaTko-sama und 
seine Zeit sind überhaupt äusserst mager. Er erscheint zwar auch hier als mächtiger 
Usurpator, der dem Reiche Frieden und Ruhe und nach aussen grosses Ansehn 
giebt, doch mochte der Verfasser wohl Grund haben, gegenüber der Dynastie des 
Minamoto-mo-Jyeyas, welcher den Sohn des TaTko-sama stürzte, von dessen 
Grossthaten zu schweigen. 

'*) TaTro-saha soll in die Worte ausgebrochen sein, er sei König von Japan 
durch sich selbst, und werde, wenn es dai'auf ankomme, die Ta-Mino zu seineu 
Vasallen machen. — Hier, wie in der ganzen Darstellung des koreanischen Krieges, 
ist der Verfasser der aus japanischen und chinesischen Quellen geschöpften Dar- 
stellung des Professor Hofimann (Japans Bezüge zu KoraT, Siebold Nifpon Bd. VII.) 

5* 



uo Zweiter koreanischer Krieg. TaTko-sama's Neffe. 

Hohn vertrieben wurden. Der Herrscher gab sogleich den Befehl 
zu Erneuerung der Feindseligkeiten in Korea, wo die Japaner nach 
kurzem Kampfe ihre frühere Verschanzungslinie wieder einnalunen. 
Der Krieg dauerte bis 1598, ohne dass sie aus ihrer Stellung hätten 
verdrängt werden können, bUeb aber ohne alle weiteren Folgen: 
Taiko-sama gab noch kurz vor seinem Tode den Befehl zur Ab- 
berufung der siegreichen Truppen, welchen die Koreaner goldene 
Brücken bauten. — Ein förmUcher Frieden wurde erst 1615 mit 
TsAOsiEN geschlossen; seitdem geben sich die beiden Höfe wieder 
durch Gesandtschaften Nachricht von dem jedesmaligen Thron- 
wechsel. 

Taiko - SAMA soll bei dem koreanischen Kriege den doppelten 
Zweck gehabt haben, seine Grossen, die mit starken Contingenten 
zu Felde ziel\pn mussten, zu schwächen und sich der Christen auf 
gute Art zu entledigen. Die Berichte der Jesuiten geben einem 
christlichen Feldherm, dem »Grossadmiral Dom Augustin«, welchen 
der Kaiser wegen seiner Verdienste um die Unterwerfung von 
Kiüsiu zum Fürsten von Fiuoo erhoben hatte, alle Lorbeern der 
koreanischen Siege. Er soll bestimmt gewesen sein, Vicekönig von 
TsAosiEiT zu werden, wohin dann alle japanischen Christen hätten 
auswandern müssen. 

Noch während des Krieges, im Jahre 1592, wurde dem bis 
dahin kinderlosen TAJtKO-SAMA ein Sohn geboren. Im Frühling 
1594. 1594 nach Miako zimickkehrend, fand er dort sein Ansehn in 
hohem Maasse beeinträchtigt: sein Neffe Fide-tsuou, der, bis dahin 
sein erklärter Naclifolger, für die Dauer des Kxieges zum Haupt der 
Centralregierung ernannt, in Miako seine Stelle vertrat, hatte sich 
mit allem Glänze der Herrschaft imigeben imd schien, an der Spitze 
einer starken Parthei, imwülig, das Ruder wieder aus der Hand zu 
lassen. Er war schroffen, herrschsüchtigen Charakters, imd offenbar 

gefolgt, von welcher die Berichte der damals in Japan befindlichen Jesuiten abweichen. 
Nach ihnen wui'de 1593 kein Frieden, sondern nur ein Waffenstillstand geschlossen, 
während dessen die japanischen Truppen in Korea blieben. Die Friedensbedingungen 
des Taiko-sama hätten gelautet: Abtretung von fünf der acht koreanischen Pro- 
vinzen, eine Tochter des chinesischen Kaisers als Gemalin, regelmässige Tribut- 
zahlwigeu und Vasallenschafl von China und Korea. — Als endlich 1596 die 
chinesische Gesandtschaft in Fusimi mit der Forderung auf Herausgabe der koreani- 
schen Festlagen als erster Bedingung des abzuschliessenden Friedens erschienen 
sei, habe der Kaiser sie mit Spott und Hohn entlassen und den Befehl zu Er- 
neuerung der Feindseligkeiten gegeben. 



Sturz des Fede-tsuqu. Die spanischen Gesandtschaften. ^<^ 

nicht gesonnen, den gehoffben Thron dem spät geborenen Solme 
des Taiko-sama herauszugeben; es musste also zum Bruche kommen. 
Die beiden Fürsten standen einander mit ihren Höfen eine Zeit lang 
unter glänzenden Festlichkeiten misstrauisch gegenüber, da Uess 
der Kaiser plötzUch den Palast seines Neffen umzingeln und ihn 
selbst mit seiner Umgebung nach einem festen Bergkloster schleppen. 
FiDE-TSuoü erhielt den Befehl sich mit seinem Gefolge zu entleiben, 
seine Familie und sein ganzer Hof wurden hingerichtet, seine Bauten 
verbrannt und der Erde gleich gemacht. Die Jesuiten, welche Zeugen 
dieses Blutbades waren, geben die grässlichsten Schilderungen von 
den verübten Grausamkeiten und rühmen die heroische AnhängUch- 
keit der Hofleute an ihren gefallenen Herrn. — 

Die Lage der Jesuiten büeb bia zum Tode des Kaisers im 
Wesenthchen dieselbe: er duldete sie, damit die portugiesischen 
Kaufleute das Land nicht verlassen möchten. Aber sein Argwohn 
gegen das Christenthum nahm zu, noch von Nangota aus befahl 
er die Entwaffiiung aller japanischen Christen auf Kiusiu. Dort 
empfing Taiko-sama auch die beiden ersten Gesandtschaften des 
Gouverneurs der Philippinen, über deren Auftreten und Empfang 
wenig Licht verbreitet ist. Die einzigen Berichte sind, so viel 
bekannt, die der Jesuiten, welche kaum genau unterrichtet gewesen 
sein mögen. Sie erzählen, dass zwar die spanischen Gesandten sich 
mit Würde benommen und jenes Unterwerfung fordernde Schreiben 
des Taiko-saua als unmöglich von ihm ausgehend, als eine Fäl- 
schung zurückgewiesen hätten, dass aber mehrere die Gesandtschaft 
begleitende Franciscanermönche ihm den Eid der Treue leisteten, 
um die Erlaubniss der Niederlassung in Japan zu erhalten. Der 
Kaiser behandelte nach diesen Berichten die Spanier mit grosser 
Wegwerfung, nud verlangte nochmals die Huldigung des Gouver- 
neurs der Philippinen. Er wiederholte diese Forderung auch einer 
zweiten Gesandtschaft gegenüber, welche 1593 nach Nanooya kam 
— die erste war auf der Rückreise in einem Orkan untergegan- 
gen. Zum offenen Bruche kam es nicht: die Spanier bedienten 
sich, den Jesuiten misstrauend, zum Dolmetschen eines Japaners, 
der in Manila ihre Sprache gelernt hatte; dieser übersetzte ungetreu 
nach beiden Seiten und brachte die grösste Verwirrung in die Be- 
ziehungen. 

Die Franciscaner erhielten 1594 noch eine Verstärkung von 
mehreren Ordensbrüdern und bauten Kirchen und Klöster in Miako, 



70 AuilretCD der Franciscaner. Erste HuirichtuDg von Missioiuren. 

Osaka und Nangasaki. Ihr Auftreten ^ebt der Vermuthung Raum, 
dass sie in gewissem Maasse politische Emissäre waren: Philipp 11 
soll sich der Franciscaner Barfilsser vielfach bedient haben, um seine 
Herrschaft in den überseeischen portugiesischen Besitzungen zur 
Geltung zu bringen, und durch sie auch seine Anerkennung in Macao 
durchgesetzt haben. War es nun ein Trotzen auf die spanische 
Macht, war es wirkhcher Glaubenseifer, war es Widerspruch gegen 
die Jesuiten, genug sie öffneten trotz deren Warnungen ihre Kirchen, 
tauften, predigten und lasen offentUch Messe für die japanischen 
Christen. Dies war herausfordernder Hohn gegen die Religionsedicte: 
Taiko-sabia Uess alsbald ihre Kirchen und Klöster einreissen und 
auch den Jesuiten einige Häuser zerstören. Die Letzteren wussten 
1596. sich bald wieder in Gunst zu setzen: noch 1596 empfing der Kaiser 
den aus ihrem Orden hervorgegangenen Bischof Martinez sehr ehren- 
voll, erliess aber bald darauf, da die Franciscaner von neuem be- 
gannen öffentlich Gottesdienst zu halten, ein verschärftes Edict 
gegen das Christenthum. Es sollten jetzt Listen der ganzen christ- 
lichen Bevölkerung au%estellt und strenge Aufsicht geübt, alle 
Missionshäuser besetzt und die Geistlichen aus dem Lande entfernt 
werden. Sechs Franciscaner wurden zum Tode verurtheilt, mit 
drei japanischen Jesuiten und siebzehn anderen japanischen Christen 
gefesselt nach Nanoasaki gefuhrt und dort gekreuzigt. Nachdem 
dies Exempel statuirt war, brachte der Kaiser die übrigen Artikel 
des Edictes nicht zur Ausfuhrung. Er hatte es, nach der Darstellung 
der Jesuiten, überhaupt nur auf die Franciscaner abgesehen, und 
wären jene japanischen Jesuiten nur durch den übertriebenen Dienst- 
eifer der Vollstrecker mit in das ürtheil hineingezogen worden. 

Im Jahre 1597 kam wieder eine Gesandtschaft aus Manila, 
um Rechenschaft wegen der gekreuzigten Mönche, und Ersatz für 
das 1596 an der japanischen Küste gestrandete und von Taiko- 
SAMA weggenommene spanische Galeon, und für die Zukunft eine 
rechtschaffene Behandlung der Schiffbrüchigen zu fordern. Des 
Kaisers kurze Antwort lautete, die Mönche seien hingerichtet worden, 
weil sie gegen seine Befehle gehandelt hätten, imd die Wegnahme 
gestrandeter Schiffe sei ein Recht seiner Krone, zumal wenn sie, 
wie jenes Galeon, Geistliche an Bord hätten. — Die Spanier konnten 
nichts ausrichten und mussten sogar ruhig zusehen, wie zwei Fran- 
ciscaner, die 'damals auf einer japanischen Dschunke eintrafen, in 
den Kerker geworfen wurden. 



Tod des Taiko-sama. Minamoto - no - Jteyas. 71 

Den Jesuiten, welche ihrer alten Politik treu blieben, trat 
Taiko-sama nicht weiter feindlich entgegen, bewies im Gegen- 
theil den in Miako, Osaka und Fusimi lebenden Vätern bis zu 
seinem Tode häufig seine Gunst durch Geschenke und andere 
Auszeiclmungen. 

Vortheilhaft war das Auftreten der Barfusser für das Christen- 
thum gewiss nicht, ihr ohnmächtiger Trotz konnte bei dem Gegner 
nur Hohn und Erbitterung wecken, und die japanischen Christen 
mussten an der Uneinigkeit ihrer Seelsorger aus den verschiedenen 
Orden irre werden. Die Jesuiten lassen in ihren Schriften dem 
Glaubenseifer der Franciscaner Gerechtigkeit widerfahren, und be- 
klagen sich nur in milden Ausdrücken über deren Eifersucht, Mangel 
an Verständniss und Eingreifen in ihre Rechte, denn die Breves 
Gregor s XTTI und Clemens' VIII hatten ilmen Japan als llissions- 
provinz mit ausdrückhcher AusschUessung aller anderen Orden zu- 
gesprochen. 



Unter den Vasallen Taiko-sama's war Minamoto-no-Jyeyas 
(geb. 1542) ohne Vergleich der bedeutendste und angesehenste. Er 
hatte, von Okasaki in der Landschaft Mikawa ausgehend, in den 
unruhigen Zeiten seine Macht allmälich über das Kuanto, seines 
Stammes altes Erbtheil, ausgedehnt, und, ohne selbst jemals nach 
der Oberherrschaft zu streben, den Nobü-nanoa in allen seinen 
Unternehmungen luiterstützt.' Nach dessen Tode Hess Taiko-sama 
ihn wiederholt zu sich entbieten; Jteyas traute aber nicht und 
erschien erst, als der Herrscher ihm seine eigene Mutter als Geissei 
sandte. Er huldigte nun und bUeb im ruhigen Genüsse seiner 
Länder, scheint sich auch durch staatskluges Verhalten eine Art 
von Unabhängigkeit bewahrt zu haben. Taiko suchte seine Freund- 
schaft, vermalte, dem Tode nah, seinen eigenen sechsjährigen 
Sohn FiDE-YORi mit der Enkelin des Jyeyas, und lud diesem vor- 
züghch die Sorge für seinen unmündigen Erben auf. Jyeyas und 
neun andere, die angesehensten Fürsten des Reiches, wurden zu 
Regenten bestellt und mussten mit ihrem Blute einen feierhchen 
Eid unterschreiben, dass sie den Fide-yori, sobald er grossjährig, 
in die Herrschaft einsetzen wollten. 

Taiko-sama starb 1598. Der Erbe des Reiches wurde, von isos. 
glänzendem Hofstaate umgeben, unter der Leitung seiner Mutter 



• ^ FiDE-YORi in Osaka. Kämpfe des Jybyas mit den Regenten. 

• 

YoDODONO, einer Frau von seltenen Geistesgaben und grosser 
Schönheit, welche trotz vielen Ausschweifungen den Kaiser bis zu 
seinem Ende zu fesseln gewusst hatte, in dem festen Schlosse von 
Osaka erzogen. Bings um diese Bui^ hatte Taiko-sama die alte 
Stadt abreissen und einen weiten Platz ebenen lassen, wo sich alle 
Grossen des Reiches Paläste bauen mussten. Dort waren die meisten 
Daimio's zur Zeit seines Todes vereinigt. 

Es konnte nicht ausbleiben, dass die Fürsten nach dem Hin- 
scheiden des grossen Usurpators, dessen gewaltige Hand sie nieder- 
gehalten hatte, ihrer alten unabhängigen Stellung wieder gedachten. 
Dass die bestehenden Verhältnisse unhaltbar waren, lag auf der 
Hand. Die Grossen zogen deshalb in Erwartung eines allgemeinen 
Krieges alle ihre Truppen an sich, auch der Fürst von Fiuoo 
erschien mit seinen kamp%eübten Schaaren aus Korea. Ueber 
200,000 Mann sollen damals in und um Osaka versammelt gewesen 
sein; alle Gemüther waren in so heftiger Gährung, dass nur die 
strengsten Maassregeln den Frieden unter den Soldaten erhalten 
• konnten. Die meisten Daimio's wünschten sich wohl nur die alte 
Selbstständigkeit wieder, deren sie vor Nobu-nanga's Siegen genossen 
hatten; einige aber verfolgten höhere Ziele. Die Gescliichte der 
verflossenen dreissig Jahre lehrte, dass Japan dem Stärksten gehörte. 
Das alte Erbrecht des Mikado kam nicht in Betracht, eben so wenig 
die KüANBAK- und Siooun- Geschlechter: der Mächtigste war zur 
Herrschaft berufen. Unter den Thronprätendenten wird auch jener 
Enkel des Nobu-nanga genannt, welchen Taiko-sama einst selbst 
als Erben der Herrschaft proclamirt und dann unterdrückt hatte; — die 
Missionare erzählen, er sei Christ gewesen. Jyeyas aber ragte an 
Klugheit, Erfahrung und Geistesgrösse weit über alle seine Neben- 
buhler hinaus. Die Regentschaft der zehn bestand nur dem Namen 
nach: er leitete, begünstigt von der Schwäche und dem Sonder- 
ehrgeiz seiner Genossen imd gestützt auf eine ansehnliche »Haus- 
1599. macht, den Staat ganz nach seinem Willen. Schon 1599 kam die 
Eifersucht zimi Ausbruch; einer seiner Mitregenten griff in Gemein- 
schaft mit dem Fürsten von Fiuoo den Jyeyas an, der sie schnell 
besiegte und filr diesmal begnadigte. Im folgenden Jahre verbanden 
sich alle neun Mitregenten gegen ihn, unter dem Verwände, ihrem 
Eide gemäss den Fide-yori gegen des Jyeyas thronräuberische 
Absichten schützen zu wollen. Der Krieg brach los: alle Fürsten 
des Landes nahmen Parthei, die der Regenten war bei weitem 



Die Herrschaft des Jyetas. • «> 

die stärkere, aber ihre Uneinigkeit gab dem Gegner leichtes Spiel. 
Jeder arbeitete nur für sich selbst, und so wurden sie alle geschla- 
gen; zuletzt fiel Osaka durch Verrath. Der Sieger wiithete diesmal leoo. 
mit rücksichtsloser Grausamkeit unter seinen Feinden, die meisten 
gaben sich selbst den Tod, der Fürst von Fiugo und andere wurden 
hingerichtet '•). Ihre Besitzungen gab Jyeyas seinen Getreuen, wies 
aber auch die ihm ei^ebenen Fürsten wieder in ihr früheres 
Abhängigkeitsverhältniss zurück und verband die angesehensten 
Geschlechter seinem Hause durch Wechselheirathen. Ihre Kassen 
waren erschöpft und sie mussten sich in AUes fügen. Dem Jyeyas 
dagegen waren alle Umstände günstig: die eben entdeckten Gold- 
minen der Insel Sando heferten ihm unermessliche Schätze; seine 
Macht, sein Ansehn im Lande scheinen unbegrenzt gewesen zu 
sein. Bei alledem fuhr er fort, die Herrschaft im Namen und als 
Vormund des Fide-yori zu üben, welchen das Land noch inuner 
als rechtmässigen Erben der Macht ansah — so hatten sich die 
Verhältnisse unter Taiko - sama consolidirt. Er liess ihm vom Mikado 
von Zeit zu Zeit die seinem Alter gebührenden Titel und Würden 
verleihen, und begnügte sich im übrigen seine vom Vater ererbten 
Schätze durch grosse Bauten zu erschöpfen. Fide-yori musste 
das Mausoleum des Taiko - sama und den von letzterem angefangenen, 
aber durch ein Erdbeben zerstörten Tempel des Dai-Buds bauen; 
beide werden von Augenzeugen , unter anderen von dem Gouverneur 
der Philippinen Don Rodrigo de Vivero y Velasquo, der 1609 in 
Miako war, als Werke von maassloser Pracht und Grösse beschrie- 
ben. — Wenn Jyeyas im Jahre 1603 sich selbst und zwei Jahre 
später seinen Sohn Fide-tada zum Siogün ernennen liess, so war 
dies kein Eingriff in die Rechte des Fide - yori , denn auch dessen 
Vater hatte diesen Titel nicht geführt, der ein Erbtheil der Minamoto 
war und an sich durchaus keinen Anspruch auf die Herrschaft verlieh. 
Jyeyas wollte offenbar dem Schicksal nicht vorgreifen: starb Fide- 
yori vor seiner Grossjährigkeit, so fielen ihm dessen Rechte von 
selbst zu, ohne dass er als Usurpator erschienen wäre. Jener aber 
entwickelte unter der Leitung seiner Mutter ausgezeichnete Gaben 
und besass die allgemeine Gunst. Yododono war an Klugheit und 

'•) Die Missionare rühmen die Standhaftigkeit des Fürsten von Fiuoo und anderer 
christlicher Krieger, welche lieber den entehrenden Tod einer qualvollen Hinrichtung 
duldeten, als dass sie Hand an sich gelegt hätten, wie es ihnen nach japanischen 
Begriffen die Ehre vorschrieb. 



•4 Ykddo Residenz des Sioodn. Sturz des Fide-tobi. 

Herrscliersiim dem Jyeyas yollkominen gewachsen; sie schuf dem 
FiDE-YORi im Stillen eine Parthei unter den Grossen, welche seinem 
Gegner gefahrlich werden konnte. 

Jteyas hielt in der Stadt Surünoa, im sudwestlichen Winkel 
des KuANTO, Hof. Für seinen Sohn, den Siooün Fide-tada, hatte er, 
statt Kamakura, der alten Hauptstadt der Minamoto , das nördlicher 
gelegene Yeddo zur Residenz erwählt. Hier wurden im Jahre 1606 
die Ringmauern aus grossen polygonischen Blöcken aufgeführt, die, 
von breiten Wassergraben begleitet, das Schloss in ungeheurer 
Ausdehnung mit dreifacher Umwallung einschliessen, ein Werk, das 
heute noch das Staunen des Reisenden erregt. 300,000 Menschen 
sollen nach den Berichten der Missionare daran gearbeitet haben. — 
Yeddo sollte der Mittelpunkt der Streitmacht und der künftige Sitz 
der Herrscher werden: Fide-tada umgab sich hier mit einem 
glänzenden kriegerischen Hof und auserwähten Truppen, der mate- 
riellen Basis der künftigen Macht seines Hauses, während Jyeyas von 
SuKUNGA aus den Mikado und sein Mündel Fide-yori beobachtete. 
Eine starke Garnison, die oft gewechselt wurde, stand in Fusimi, 
zwischen Miako und Osaka, um beide in Schach zu halten. 

Was die Veranlassung zum Ausbruch der Feindseligkeiten 
gegeben habe, ob Fide-yori wirklich Miene gemacht, seinen Vor- 
mund anzugreifen, ist ungewiss; dass aber seine Parthei nicht 
unthätig, sondern auf Alles vorbereitet war, beweist der kräftige 
Widerstand, den Jyeyas und Fide-tada fanden, als sie 1614 Osaka 
überfielen. Sie mussten sich genügen lassen, Frieden zu schliessen 
und nach Yeddo heimzuziehen, brachen aber von da alsbald wieder 
auf, rückten in Eilmärschen gegen Osaka und griiTen die Festung 
von neuem an. Die Belagerten thun einen Ausfall, schon will sich 
nach blutigem Kampfe der Sieg ihnen zuwejiden, da stecken Ver- 
räther in ihrem Rücken das Schloss in Brand. Fide-y-ori verschwand 
in dem Gemetzel: wahrscheinlich ist er gefallen, doch fand man 
seinen Leichnam nicht, und lange war die Meinung verbreitet, er lebe 
in Kiüsiü in der Verborgenheit. Seine Parthei war vernichtet ; seine 
Mutter soll gefangen nach Yeddo gefuhrt und dort lüngerichtet 
worden sein. 

Osaka fiel 1615. Schon im folgenden Jahre starb Jyeyas, 
wahrscheinlich an einer im Entscheidungskampf erhaltenen Wunde. 

Die Stellung des Jyeyas in der japanischen Geschichte ist 
sehr merkwürdig. Der altberühmten Familie Minamoto entsprossen. 



Die Stellung des Jyxyas. 75 

die sich ursprünglich aus dem Mikado - Geschlecht herleitet und dem 
Reiche schon zwei Herrscherdynastieen gegeben hatte, steht er 
mit seiner Jugend") in der Zeit der blutigsten Fehden und sieht 
alle Phasen und Uebergänge der poUtischen Entwicklung von der 
tiefsten Zerrüttung und Anarchie bis zum wohlgeordneten Staate 
an sich vorübergehen. Er verbündet sich dem Nobü-nanga, der 
für den Siootjit Yosi-aki eintritt, unterwirft sich ihm, da er die 
Herrschaft an sich reisst, und benutzt dessen Gunst, um seine 
eigene Macht, die sich ursprünglich nur auf das kleine Fürstenthum 
Mika WA erstreckte, über einen grossen Theil des Kuanto auszu- 
dehnen. Ohne sich durch hervorragende Thaten ausgezeichnet zu 
haben, steht er unter Taiko-sama als der bedeutendste und ein- 
flussreichste Mann des Reiches da. Beim Tode des Letzteren fallt 
ihm in seinem sechsundfunfzigsten Jahre die oberste Gewalt zu, 
nach der er früher nicht gestrebt zn haben scheint. Taiko-Sama 
wusste, dass er allein fähig war, das Reich zusammen zu halten: 
wich aber Jyeyas seinen Mitregenten, so verfiel das Land wieder 
der tiefsten Zerrüttung. 

Die dynastischen Verhältnisse dieser Periode sind wieder 
sehr merkwürdig. In Miako hält ein machtloser Erbkaiser Hof, in 
Osaka der als rechtmässiger Erbe der Herrschaft anerkannte Sohn 
des Taiko-sama, in Süäunoa der wirkliche Machthaber Minamoto- 
NO- Jyeyas, in Yeddo dessen Sohn und erklärter Erbe, der Siogun 
FiDE-TADA. Um ihn sammelte sein Vater alle Stützen und Boll- 
werke der Herrschermacht: sein Hof wird von den Europäern, die 
ihn besuchten, als überaus glänzend und viel prächtiger als der 
des Jyeyas geschildert. — So allgemein die auf seiner göttlichen 
Abstammung beruhende Würde des Mikado, eben so allgemein war 
das Erbrecht des Fide-yori auf den Herrschertitel, aber auch die 
thatsächUche Macht des Jyeyas als legal anerkannt. Er regierte 
das Land als Minister des Fide-yori, wie die Fosio über ein Jahr- 
hundert lang Japan als Minister der Nachkommen des Yori-tomo 
unumschränkt beherrschten. Eine ähnliche Stellung hätten vielleicht 
Jyeyas und sein Geschlecht den Nachkommen des Taiko-sama 
gegenüber eingenommen, wenn sich Fide-yori mit dem Herrscher- 
titel und dem Glänze des Hofes begnügt hätte. Dahin deuten alle 
Anzeichen. Man begreift sonst nicht, warum der tief blickende 

"") Sein Geburtsjahr 1542 ftllt ungefthr mit der ersten Ankunft der Portugiesen 
zusammen. 



• ^> Stellung des Jystas. — Die Lage der Christen. 

Jyeyas Jenen nicht zugleich mit den besiegten Regenten beseitigte. 
Der gehässige Meineid musste wo möglich vermieden werden; aber 
der hohe Sinn des Fide-tori und seiner Mutter liess ihm keine 
Wahl, er musste sie vernichten oder selbst das Feld räumen. Dass 
im letzten Falle Japan wieder eine Beute blutiger Fehden geworden 
wäre, ist wahrscheinlich, denn Fide-yori war zu jung und uner- 
fahren, um die Fürsten unter so schwierigen Verhältnissen in Zaum 
zu halten. . Er wurde von seinem Vormunde in dem Äugenblick 
überfallen, da ihn dieser seinem Eide gemäss in die Herrschaft 
hätte einsetzen sollen. 

FiDE - TADA und seine nächsten Nachfolger waren bedeutende 
Regenten; sie wussten das politische System, durch welches Taiko- 
SAMA und Jyeyas dem Lande Einheit und Frieden gaben, weiter 
auszubilden, ihre Macht zu consolidiren und die Dynastie fest zu 
begründen. Jyeyas steht den Japanern noch heute als ein mit 
tiefster Weisheit begabter Heros da. Er heisst der Friedensfurst, 
und in der That haben seine Einrichtungen dem Lande nun über 
zwei Jahrhunderte den Frieden bewahrt. Seine Gesetze galten bis 
in die neueste Zeit als unverletzlich und unwiderruflich. 



Die Aussichten der Christen schienen 'sich nach Taiko-sama's 
Tode Anfangs günstig gestalten zu wollen. Ihr Einfluss war bei der 
Unsicherheit der Verhältnisse nicht zu verachten : die kampfgeübten 
Truppen des Fürsten von Fiügo imd ein grosser Theil der Bewohner 
von Kiusiu waren Christen, einzelne Gemeinden gab es in allen 
Theilen des Reiches und die Bekehrung hatte noch immer glänzenden 
Fortgang. Jyeyas gab weitreichende Versprechimgen und erklärte, 
die Religionsedicte des Ta'iko-sama nur deshalb jetzt noch nicht 
widerrufen zu können, weil es sonst scheinen möchte, als verachte 
er dessen Ansehn. Die Geistlichen legten ihre Amtstracht wieder 
an, öffneten die Kirchen und tauften und predigten ohne belästigt 
zu werden. Der in den politischen Angelegenheiten des Landes 
gewiegte Ordens -Visitator Valignan hielt sich damals viel in der 
Nähe des Hofes auf, um die Conjuncturen zu erspähen und die 
Christen ihrem Interesse gemäss zu leiten. Recht entschieden nahmen 
sie niemals Farthei: im Regentenkriege schlugen sich die christlichen 
Fürsten von Kiusiu nach langem Schwanken auf die Seite des 
Jyeyas, während der Fürst von Fiügo mit seinen Truppen gegen 



Christenverfolgimgen auf Kiusiu. 



77 



diesen Parthei ergriff. An ihm verloren die Christen ihren mäch- 
tigsten Beschützer^*). 

Als Jyeyas 1600 in den Vollbesitz der Macht gelangt war, leoo. 
erwartete man vergebens die Abschaffung des Religionsedictes. Er 
erklärte jetzt im Gegentheil, dass weitere Bekehrungen, besonders 
unter den höheren Ständen, unzulässig seien, und dass. er die Geist- 
lichen nur den portugiesischen Kaufleuten zu Gefallen dulde. Die 
Jesuiten, die fast ganz von den europäischen Almosen lebten und 
durch den Verlust mehrerer, von den Holländern gekaperter Schiffe 
in die grösste Noth geriethen, unterstützte Jyeyas wiederholt durch 
reiche Spenden. Mit weniger Gunst wurden die spanischen Mönche 
behandelt, die nach der Aussage der Jesuiten, um den Portugiesen 
zu schaden, die Ankimft reich beladener spanischer Schiffe im Hafen 
von Yeddo, dessen Hebung dem Kaiser besonders am Herzen lag, 
verheissen aber nicht bewirkt hatten. 

Während nun Jyeyas selbst in den ersten Jahren seiner 
Regierung die Christen nicht thätlich belästigte, begannen einige 
Fürsten auf Kiusiu sie in ihren Districten zu verfolgen. Der mit 
der Landschaft Fiuoo belehnte Fürst gebot, selbst ein Heide, über 
fast lauter christliche Unterthanen; in Aribka schwor der Sohn des 
regierenden Herrn den Glauben ab und veranlasste durch die 
unwürdigsten Ränke seines Vaters Entsetzung und Tod, um dessen 
Stelle einzunehmen. Diese Beiden befahlen zuerst — und nach ihrem 
Beispiele einige Nachbarfursten — ihren Unterthanen, dem Christen- 
glauben zu entsagen, und versuchten, als ihre Befehle erfolglos 
bUeben, die Christen durch die Tortur zum Abfalle zu vermögen. 
Der Widerstand war fast allgemein, obgleich man die Martern .bis 
zum qualvollsten Tode steigerte. Mit Freuden gingen Leute aus 
allen Ständen in den Märtyrertod; Mütter hielten ihre Kinder selbst 
in die Flammen des Scheiterhaufens, kleine Knaben und Mädchen 
boten sich den Henkern als Christen dar — so erzählen die Missio- 
nare. Die Fürsten geriethen durch den einmüthigen Widerstand in 
grosse Verlegenheit und mussten, um ihre Länder nicht zu entvöl- 
kern, bald von der Verfolgung abstehen. Aber der früher nie 

^^) Holländische Schriftsteller haben behauptet, dass die Jesuiten und alle ja- 
panischen Christen entschieden gegen den Jyeyas Parthei genommen hätten, imd 
stellen dies als Grund der Verfolgung dar. Aus den umständlichen Berichten der 
Jesuiten aber geht deutlich hervor, dass sie unschlüssig waren und den Mantel auf 
beiden Schultern trugen. 



78 



Neues Religionsedict. Verfolgungen. 



gekannte Widerstand ihrer Untertbanen scheint bei den japanischen 
Mächtigen grosses Missbehagen erregt zu haben: jetzt erst zeigte sich 
recht lebhaft, in welchem Maasse das Christenthum das Bewusstsein 
des Volkes geweckt, und wie grosse Macht die Missionare auf die 
Gemüther der Bekehrten hatten. Jyeyas erliess, ohne die Lehns- 
KiOß. fürsten zur Verfolgung ausdrücklich aufzufordern, im Jahre 1606 
ein Edict, welches die christhche Religion abermals verbot: die 
Geisthchen mussten ihre Amtstracht wieder ablegen, die Kirchen 
schUessen. Im Uebrigen trat er nicht feindlich gegen sie auf, empfing 
im Gegentheil in demselben Jahre den neuen Bischof Cerqueira und 
im folgenden den Ordens -Visitator Valignan mit dem Pater Rodriguez 
sehr ehrenvoll, und veranlasste die Letzteren sogar, seinen Sohn 
FiDE-TADA in Yeddo zu besuchen; — sie wurden auch an diesem 
Hofe glänzend aufgenommen. — In Yeddo bestand damals eine von 
Franciscanern gegründete christhche Gemeinde. — 

Das Edict von 1606 veranlasste in den folgenden Jaliren neue 
Verfolgungen gegen die japanischen Christen von Seiten der Lehns- 
fursten, namentUch auf Ejiusiu; man erfand die ausgesuchtesten 
Grausamkeiten, gegen deren Schilderung das Gefülil sich sträubt. 
Aber die Meisten bheben standhaft: in Nangasaki, das ganz von 
Christen bewohnt war, konnte der kaiserhche Statthalter, ein er- 
bitterter Christenhasser, mit aller Strenge nichts ausrichten, überall 
standen die Missionare den Gläubigen tröstend und ermuthigend zur 
Seite, ja sie begeisterten sie durch Verheissimg himmhscher Freuden 
zum Verlangen des Märtyrertodes. Dennoch findet sich nirgend er- 
wähnt, dass ausser dem nur nominell bestehenden Verbannungsedict 
und dem Verbote des öffenthchen Gottesdienstes vor dem Jahre 1610 
irgend welche Maassregeln gegen die europäischen Geisthchen er- 
griffen worden wären. Im Gegen theü erhielt der General -Gouverneur 
der PhiUppinen, Don Rodrigo de Vivero y Velasquo, welcher 1608^') 

'^ Adams giebt 1609 an. Seit dem Anfange des Jahrhunderts ging jährlich ein 
gi'osses Schiff von Manila nach Acapulco; ein solches benutzte Don Rodrigo zur 
Heimreise. — Er spricht sich mit der grossten Befriedigung über seinen Empfang, 
mit Bewundei-ung über die geordneten Zustände des Reiches aus , und erklärt , wenn 
er keine andere Pflichten hätte, gern sein Leben in Japan beschliessen zu wollen. 
Die ganze Ladung des Schiffes wurde freigegeben, obwohl sie nach den Landes- 
gesetzen der Regierung verfiel. Jyeyas Hess dem Gouverneur durch Adams ein 
neues Schiff bauen, auf welchem die Spanier glücklich Acapidco erreichten. Von da 
kam 1611 eine Gesandtschaft nach Japan, um für die genossenen Wohlthaten zu 
danken und jenes Schiff zu bezahlen; sie scheint aber imter den veränderten 



Don Rodrigo de Vivero. Die »Madre de Dios«. 



79 



auf der Heimreise nach Spanien (über Acapulco und Mexico) an der 
japanischen Küste Schiflfbruch ütt und während seines fast zwei- 
jährigen Aufenthaltes im Lande von Jyeyas imd Fide-tada mit der 
grössten Auszeichnung behandelt wurde, das Versprechen, dass die 
christUchen Priester der verschiedenen Orden künftig des kaiser- 
Uchen Schutzes gemessen und in der freien Verfügung über ihre 
Häuser und Kirchen auf keine Weise beeinträchtigt werden sollten. 
Sein Ansinnen dagegen, Jyeyas möge die Holländer, welche im 
Jahre 1608 zuerst mit zwei Schiffen nach Japan gekommen waren, 
auf immer aus seinem Reiche verbannen, wurde höflich abgewiesen. 

Bald nach der Abreise des Don Rodrigo und noch im Jahre leio. 
1610 ereignete sich ein Vorfall, der bei den Japanern grosse Er- 
bitterung gegen die Spanier und Portugiesen hervorrief. Einige von 
diesen geriethen nämlich in Miako mit Eingeborenen in Streit, es 
kam znm Handgemenge und beide Partheien Hessen Todte auf dem 
Platze. Die japanischen Behörden verlangten von den Fremden 
die Auslieferung der Rädelsführer, diese verweigerten sie und ent- 
wichen nach Nanoasaki. Die Sache kam vor Jyeyas, welcher im 
Zorn über solch unloyales Benehmen, dem Fürsten von Arima be- 
fahl, die Uebelthäter in Nanoasaki zur Strafe zu bringen. Diese 
flüchten auf ein grosses spanisches Schiff »La madre de Dios«, 
dessen Befehlshaber auch die übrigen portugiesischen Kaufleute der 
Stadt an Bord nimmt und unter Segel geht. Die » madre de Dios « 
muss wegen Windstille in einer benachbarten Bucht ankern und 
wird dort von einer sehr überlegenen Bootsflotte des Fürsten von 
Arima angegriffen. Während des Gefechtes geräth das Schiff in 
Brand, der Capitän sprengt es in die Luft, alle Spanier und 
Portugiesen und viele Japaner kommen um. — So berichten die 
Missionare diese Begebenheit, deren nähere Umstände in Dun- 
kel gehüllt sind. Jyeyas befahl, nach ihrer Aussage, im ersten 
Zorn alle Fremden in Japan zu tödten und die Geistlichen zu 
verjagen, liess aber diesen Befehl nicht zur Ausfahrung bringen. 
Schon 1611 erhielten die portugiesischen Kaufleute von neuem die 

Verhältnissen ungnädig aufgenommen worden zu sein. S. Rimdall Memorials of the 
Empire of Japon. London 1850. (Hakluyt society.) Appendix. — Der Auszug aus 
den Aufzeichnungen des Don Rodrigo wurde zuerst im Asiatic jom'nal, July 1830 
gedruckt Rundall erklärt, dass alle seine Bemühungen, das Original einzusehen, 
fruchtlos gewesen seien. Dennoch ist auch ihm die Aechtheit des Documentes aus 
inneren Gründen unzweifelhaft. 



oi) Edict von 1613. Ausweisung der europäischeii Geistlichen. 

Erlaubniss im Lande Handel zu treiben*'). Unglücldicherweise wurde 
noch in demselben Jahre neuer Argwohn geweckt durch das Er- 
scheinen eines spanischen Kriegsschiffes, welches Vermessungen 
an der japanischen Küste vomalun. Die Holländer mögen es damals 
an Verdächtigungen ihrer Erbfeinde nicht haben fehlen lassen, wozu 
ilmen Jene alle Veranlassungen gaben; denn sie stellten die Holländer 
als aufrührerische Unterthanen ihres Königs und als Seeräuber dar, 
und Hessen kein Mittel unversucht um ihre Ausweisung zu bewirken. 
Man kann kaum zweifeln, dass die protestantischen Niederländer 
auch die katholische Missionsthätigkeit als unheilvoll für das Land 
und eine Invasion vorbereitend verdächtigten; das lag in der Natur 
der Umstände. 

Die Maassregeln gegen die Christen wurden nun verschärft-, 
die Verfolgung, die eine Weile geruht hatte, begann mit neuer 
Heftigkeit; Jyeyas selbst verbannte vierzehn seiner vornehmsten 
Hofbeamten, welche den Glauben nicht abschwören wollten. Be- 
sonderen Anstoss erregte bald nachher das Betragen der Christen 
von MiAKO, welche einen Überfahrten Verbrecher, der nach den 
Landesgesetzen den Tod verdient hatte, in feierlichem Zuge klagend 
und tröstend zur Richtstätte geleiteten und so gleichsam zum Mär- 
tyrer stempelten; ebenso die Widersetzlichkeit der Bewohner von 
Namgasaki, die in öffentUcher Versammlung den Beschluss fassten, 
sich dem Befehle zur Abschwörung des Glaubens nicht zu fugen 
und die Vertreibung der europäischen Geisthchen niemals zu dulden **). 
Ein solches Auftreten gegen die Obrigkeit war in Japan unerhört 
1613. Jyeyas erliess im Jahre 1613 ein neues Edict, in welchem die clmst- 
Uche Religion für verderbUch erklärt und auf das Strengste verboten 
wurde; die Kirchen sollten niedergerissen und alle Geisthchen ver- 
trieben werden. — Dieser Befehl ward nun allen Ernstes ausgeführt. 
Die Regierung richtete eine systematische Verfolgung aller ein- 
geborenen Christen ein; sämmthche europäische Missionare mussten 
sich in Nanoasaki versammeln imd am 25. October 1614 auf drei 
Dschunken einschiffen. Es waren 22 GeistUche aus den Orden der 

^) Nach Aussage der Jesuiten Hess Jykyas durch ihre Vermittelung die Por- 
tugiesen in Macao ausdrücklich zur Rückkehr auffordern. Sie sclüeben die Schuld 
der gegen sie ergriffenen Maassregeln auf die Verleumdungen der Holländer, und 
erklären die schnelle Wiederanknüpfiing des Verkehrs aus dem Umstände» dass 
Jyeyas mit den von Jenen eingeführten Waaren nicht zufrieden gewesen wäre. 

^^) Dies sind Thatsachen, welche die Jesuiten selbst berichten. 



BehaiTÜchkeit der Missionare. ol 

Dominicaner, Franciscaner und Augustiner, 117 Jesuiten, 100 Semi- 
naristen, 100 Katecheten. Mit ihnen schifften sich mehrere japanische 
Geistliche, Candidaten und Laienbriider und der aus der Geschichte 
des Taiko-sama bekannte Taka-yama-Ukon mit seiner Familie ein. 
Die Abfahrenden hatten viele kleine Boote mitgenommen, in welchen 
sie die Ufer heimlich wieder zu erreichen hofften, aber die japanischen 
Wachtschiffe geleiteten sie weit auf die hohe See hinaus und ver- 
eitelten jeden Landungsversuch. 18 Jesuitenvätem, einigen Laien- 
brüdem und Seminaristen und mehreren Mönchen aus den anderen 
Orden gelang es, sich zur Zeit der Abfahrt in Naägasaki zu ver- 
bergen und von da heimUch unter allerlei Verkleidungen wieder in 
das Innere des Landes zu dringen. Man rechnete um diese Zeit 
gegen 600,000 Christen in Japan. 

Wälirend der Kämpfe zwischen Jyeyas und Fide-yori®*) 
und noch einige Monate nachher hatten die Christen Ruhe; bald 
aber fand Fide-tada Veranlassung, mit verschärfter Strenge gegen 
sie aufzutreten. £s wurde bekannt, dass viele GeistUche sich dem 
Verbannungsedict entzogen hatten, dass sie taufend, predigend 
und die Gemeinden zum Widerstände anfeuernd durch das Land 
schweiften. Zwei spanische Scliiffe setzten auf Kiüsitj 26 Francis- 
caner an das Land, und auch auf anderen Schiffen, welche der 
Sturm an die Küsten w^arf , fand man GeistUche. Dieser hartnäckige 
Ungehorsam der Fremden musste den Siogün erbittern, es handelte 
sich um die Behauptung seines Ansehns*'). Während man bisher 

^) Adams und die Holländer behaupten , dass die Jesuiten und die japanischen 
Christen in diesem Kampfe auf der Seite des Fioe-yobi gestanden hätten. Die 
Jesuiten stellen in ihren Schriften vielfach Reflexionen darüber an, wie sich die 
Lage für die Christen gestaltet hätte, wenn Fid£-yori siegte. Sie haben offenbar 
versucht, sich an seinem Hofe Eingang zu verschaffen, bekennen aber selbst, andern 
Widerstände seiner abergläubischen Mutter gescheitert zu sein. Adams schreibt, 
FiDE - T ADA habe deshalb die Maassregeln gegen die Christen verschärft , weil er bei Ein- 
nahme der Festung dort Jesuiten und Mouche gefunden hätte. Die Jesuiten dagegen, 
welche keinen Grund hätten es zu verhehlen , — denn die Sache des Fids - yori erscheint 
.auch in ihren Berichten als eine rechtmässige, — behaupten, dass nur ein Priester ihrer 
Gesellschaft sich in der Stadt — nicht in der Festung — verkleidet aufgehalten und 
mit genauer Noth aus dem allgemeinen Gemetzel das Leben gerettet habe. 

•*) Die vielfach wiederholte Erzählung, dass um diese Zeit die Vorsteher des portu- 
giesischen Handels sich mit einigen japanischen Grossen verschworen und den König von 
Spanien durch ein Schreiben zur Eroberung Japans aufgefordert hätten , — dass dieser 
Brief, durch Wegnahme des portugiesischen Schiffes, in die Hände der Holländer und 

durch sie an den Sioqun gelaugt sei, bemht auf keinem irgend sicheren Zeugniss. 
I. 6 



Oa Schliessung der Uäfeu. Verbot ohne Pass ausser Landes zu reisen. 

die Tortur und die Hinrichtung nur gegen Japaner in Anwendung 
gebracht und sich begnügt hatte, die europäischen GeistUchen aus- 
zuweisen, wurde nun auch über diese die Todesstrafe verhängt, wo 
sie sich im Lande finden Hessen®*); auch jeder Japaner, der einen 
Priester beherbergte, hatte das Leben verwirkt. Um strengere Auf- 

1617. sieht zu üben, liess Fide-tada schon 1617 alle Häfen, ausser 
FiRANDo und Nanoasaki, dem fremden Handel schUessen. Aber 
selbst diese Maassregeln blieben fruchtlos und konnten nicht ver- 
hindern, dass sich nicht jährhch einige GeistUche ins Land sclüichen. 
Sie wussten sich unter allerlei Verkleidungen auf japanischen 
Dschunken Aufnahme zu verschaffen und brachten, wo ihr Stand 
entdeckt wurde, oft Tod und Verderben über deren unschuldige 

1621. Bemannmig. Deshalb verbot die japanische Regierung 1621 **) iliren 
Unterthanen, die bisher ganz frei ausser Landes verkeluii und nach 
Korea, Cliina, Formosa, Siam und Manila Handel getrieben hatten, 
sich von nun an ohne kaiserlichen Pass aus dem Lande zu entfernen. 
Zugleich wurden die Strafen gegen die Hehler der Geistlichen 
verschärft: nicht nur die Bewohner des Hauses, wo ein solcher 
sich finden liess, sondern auch die Einsassen der Nachbarhäuser 
zu beiden Seiten sollten sterben. Gegen die Europäer schritt 
die Obrigkeit jetzt mit der äussersten Strenge ein: im Jahre 
1622 wurden imter anderen die ganze Bemannung und alle Passa- 
giere eines von den Holländern an der japanischen Küste aufge- 
brachten spanischen Schiffes hingerichtet, weil verkappte Priester 

1624. an Bord waren. — 1624 endUch erschien ein Edict, das alle 
Fremden, ausser den Holländern und Engländern, aus Japan ver- 
bannte. Li Nanoasaki hielt die Obrigkeit strenge Haussuchung, 
alle, auch die Koreaner und Chinesen, wurden eingeschifft; die mit 
Japanerinnen verheirathet waren, mussten ihre Familien zurücklassen, 
auf den Kirchhöfen stürzte man alle Kreuze um. Nur einige 

^) Sie wurde zunächst an einem Jesuiten, einem Franciscaner, einem Dominicaner 
und einem Augustiner vollstreckt Bisher, sagen die Jesuiten, hatten die Japaner es filr 
barbarisch erachtet, Fremde, die sie einmal bei sich aufgenommen hätten, umzubringen, 
zumal wenn sie auf den Befehl ihrer Vorgesetzten in das Land kämen. Die beharrliche 
Pflichttreue der Geistlichen liess dem Siogun kaum einen anderen Weg offen. 

^).Bis zu diesem Jalire bestand noch eine japanische Niederlassung bei Manila 
auf Luzon. Japanische Matrosen kamen 1614 mit Capitän Saris nach England, 
japanische 'Kaufleute trieben Handel nach Mexico. — Im Jahre 1603 zaiilten die 
Japaner sechszehn Völker, mit denen sie in Freundschafls - und Handelsbeziehungen 
standen. S. Siebold Nippon Bd. I. 



Verbannung der Portugiesen, Koreaner und Chinesen. Desima. öd 

seit lange in Nanoasaki angesessene portugiesische Kaufleute, die 
besonderes Vertrauen genossen, durften zurückbleiben und unter 
Aufsicht der Obrigkeit ihren Handel fortsetzen. Für sie wurde auf 
kaiserlichen Befehl im Jahre 1635 im seichten Wasser vor Nanoasaki 
dicht am Ufer die kleine Insel Desima aufgeschüttet und mit Pfahl- 
werk und Palisaden umgeben; dort lebten sie seitdem unter steter 
Bewachung wie im Gefangnisse. Alle diese Maassregeln waren 
gegen die Geistlichen gerichtet, gegen deren Eindringen, da sie 
jede Verkleidimg, jede List zur Erreichung ihrer Zwecke benutzten, 
die Regierung sich vergebens zu schützen suchte. Dass aber das 
Christenthum fiir Japan und ganz besonders für das neue Regie- 
rungssystem verderblich und mit allen Wurzeln auszurotten sei, 
wurde von jetzt an unumstössliches Axiom für die Herrscher aus 
dem Hause des Jyeyas**). 

Die Verfolgung der Christen dauerte vom Jahre 1616 an in 
allen Theilen des Landes fast ununterbrochen fort Durch das 

^*) Sehr merkwürdig, und ein Beweis, dass das Misstrauen des Siooun gegen 
die Geistlichen gegründet war, ist die Botschaft, mit welcher der Fürst von Osio 
den spanischen Franciscaner Luis Sotelo im Geheimen an den Papst und den 
Konig von Spanien sandte; ein japanischer Edelmann begleitete den Mönch. Sie 
wurden von Paul V am 23. November 1615 in feierlicher Audienz empfangen. Das 
Schreiben des Fürsten enthält, soweit es gedruckt ist, nur dessen Wunsch, mit 
seinen Uuterthanen zum Christenthum überzutreten: er bittet deshalb, ihm einige 
Franciscaner und einen hohen Prälaten zu senden, — bittet den Papst fenier, ihn 
der Freundschaft des Königs von Spanien zu empfehlen; sein Fürstenthum (im 
Nordosten von Nippon) liege nicht weit von Neu -Spanien, mit dem er in Verkehr 
zu treten wünsche. Ueber die mündlichen Anträge an den König und den Papst 
verlautet nichts; dass aber die ganze Sendung politischer Natur war, ist kaiun zu 
bezweifeln. Hochverrätherisch war damals schon die Absicht, Geistliche in das Land 
zu ziehen. — Als Sotelo über Neu- Spanien nach Japan zurückkam, wüthete dort die 
Christenverfolgung am heftigsten; er wurde gefangen imd, nach langer Hafl in den 
berüchtigten Kerkern von Omüra, bei langsamem Feuer verbrannt. Das Antwort- 
schreiben des Papstes, die Reliquien und Geschenke für den Fürsten von Osio 
müssen bei ihm vorgefunden worden sein; — dass er sie im Kerker noch bei sich 
verbarg, geht aus einem Briefe hervor, den Sotelo an einen andern in Nanoasaki 
versteckten Ordensbruder richtete. S. Diego de San Francisco Relacion verdadera 
. y breve de la persecucion que padecieron por la Fe de Christo S. N. quince Re- 
ligiosos Descalgos etc. Manila 1625. und Acta audentiae publicae a S. D. N. Paulo V 
Pont. max. opt. regis Voxu Japoni legatis.... exlübitae. 1615. Rom 1615; Mexico 
1626. — In den Berichten der Jesuiten hcisst es, der Fürst von Osio habe plötzlich 
angefangen, die Christen grausam zu verfolgen, um sich beim Siogun von dem Ver- 
dacht, er habe eine Gesandtschaft nach Europa geschickt, zu reinigen. 

6* 



o4 Grausame Christenveifolgung. 

ganze Reich war eine Art von Inquisition organisirt, welche die 
Christen aufspüren und zur Abschwörung des Glaubens vermögen 
sollte. Anfangs brauchte man gelinde Maassregeln: die Christen 
blühender Districte wurden in entlegene Landschaften versetzt, die 
Beamten suchten durch Drohungen und Einschüchterimgen zu wirken. 
Gewalt wandte die Obrigkeit auch später nur an , wo sie dem Wider- 
stände begegnete , und doch hat vielleicht die Weltgeschichte nichts 
Aehnhches an ausgesuchter, überlegter Grausamkeit aufzuweisen; 
denn der Widerstand war fast allgemein, und da die Verfolger 
nicht den Zweck hatten, die Christen umzubringen, sondern sie 
zur Abschwörung des Glaubens zu treiben, so marterten sie ihre 
Opfer langsam zu Tode. Die Freudigkeit, mit der die Bekenner in 
den Tod gingen, ihre Standhaftigkeit unter den unsäghchsten Qualen 
gewann ihnen selbst und dem Chris tenthum bei der Menge grosses 
Ansehn und erbitterte 'die Obrigkeit immer mehr, der Trotz musste 
gebrochen werden*^). Es soll damals eine Verordnung erschienen 
sein, welche den Märtyrertod der Christen verbot: der Sinn ist, 
dass die Widerspänstigen so lange, bis die Gefahr des Todes ein- 
träte, gefoltert und dann wieder gepflegt werden sollten, bis der 
Körper fähig wäre, neue Martern zu ertragen. Zuletzt erreichte 
die Regierung ihren Zweck, denn die Meisten konnten die entsetz- 
lichen Qualen auf die Länge nicht aushalten. 

Von den spanischen und portugiesischen Geistüchen starben 
jährhch mehrere den Märtyrertod; auch bei ihnen wandte man 

^ Man darf weder die todesmuthige Festigkeit der japanischen Christen noch 
die Grausamkeit ihrer Verfolger ganz nach dem Maasse europäischen Gefühls 
beurtheilen. Ohne der Glaubenstreue der Bekenner zu nahe treten oder die Rohheit 
ihrer Henker beschönigen zu wollen, muss hier doch gesagt werden, dass bei allen 
ostasiatischen Völkern, zum Theil gewiss in Folge der buddistischen Lehren, der 
Tod und alle körperlichen Leiden als geringe Uebel angesehen werden, — femer, 
dass das Nervensystem dieser Völker ein ganz anderes ist , als das unsere , und das0 
sie Verletzungen mit Gleiclunuth ertragen, bei welchen den meisten Europäern die 
Sinne schwinden wüi'den. Dies ist rein körperlich. Die Freude an Grausamkeiten 
gegen Menschen und Thiere ist eine angeborene Eigenschaft der roheren Classen in 
Japan und China. Die Classe der Gerber, aus welcher die Scharfrichter genommen 
werden, ist, wie alle, deren Gewerbe es mit sich bringt, verwesende Stoffe zu be- 
rühren, in Japan von der bürgerlichen Gesellschaft ausgeschlossen. Sie bilden eine 
besondere Kaste, wohnen abgesondert, dui'fen nicht in andere Classen heiratheu, 
und werden gradezu als nicht zum japanischen Volke gehörig angesehen. Ihre Be- 
rührung macht unrein. 



Die letzten Missionare. Gänzliche Ausrottung des Christeuthumes. 



85 



die grausamsten Torturen an, um sie zur Verleugnung ihres Be- 
kenntnisses zu bringen. Trotz den streng bewachten Küsten und 
dem sicheren matervollen Tode schlichen sich ihrer jährlich noch 
mehrere in das Land; sie wanderten tröstend und ermahnend von 
Gemeinde zu Gemeinde und vollzogen selbst in dieser Zeit noch 
viele Taufen. Nur wenige kehrten zurück , ihre Zahl nahm ungeachtet 
des beständigen Zuwachses jährUch ab. Bis zum Jahre 1633 kamen i633. 
noch zuweilen ausfiihrUche Berichte nach Europa, voll rührender 
Erzählungen von der Treue und Glaubensfreudigkeit der Japaner; 
von da an hat man nur spärliche Nachrichten. Bei dem Aufstände 
von Arima im Jahre 1637, von welchem später die Rede sein wird, 
sind wahrscheinUch keine europäischen Geistlichen gegenwärtig 
gewesen, wenigstens giebt es von solchen keine Berichte darüber. 
Man weiss, dass 1642 ein Jesuit hingerichtet wurde; 1643 waren 
noch drei gefangene Jesuitenväter in Yeddo, die später auch den 
Märtyrertod starben. Ein portugiesischer Renegat, der im Jahre 1633 
abgefallene Provincial- Vorsteher der Jesuiten in Japan, Ferreira, 
war das Hauptwerkzeug zur Verfolgung seiner Glaubensbrüder 
geworden; er fungirte als Dolmetscher am Hofe von Yeddo und 
leitete mit höhnender Grausamkeit die Verhöre gegen seine ehe- 
maligen Amtsgenossen. In der Mitte des Jahrhunderts, während 
der Minderjährigkeit des Siooun Jye-tsuna, Hess die Strenge gegen 
die Christen etwas nach, aber nur auf kurze Zeit Noch 1658 
und 1660 kamen Hinrichtungen in Nanoasaki vor. Zur Zeit Kämpfers, 
um das Ende des Jahrhunderts, begnügte man sich, die Christen 
bei schlechter Kost gefangen zu halten und von Zeit zu Zeit 
zur Abschwörung des Glaubens aufzufordern. Es waren ihrer im 
Jahre 1692 noch fünfzig im Kerker von Nanoasaki.. 

Um 1614 gab es nach den Berichten der Missionare 600,000 
Christen in Japan; es ist schwer zu glauben, dass ihre Zahl sich 
unter den späteren Verfolgungen noch vergrössert habe**). Von der 
Gesammtzahl der Opfer hat man keine Nachricht, sie muss aber, 
wenn auch bei weitem die Meisten den Glauben wieder abschworen, 
immer noch sehr beträchtlich gewesen sein. 



^) Herr von Siebold giebt die Zahl der Christen, wahrscheinlicli nach japani- 
schen Nachrichten, auf 1,750,000 an. Sollten die Japaner hier nicht alle meinen, 
die sich überhaupt seit 1549 taufen Hessen? 



86 



Holländische Unternehmungen nach Ostindien. 



Die Vereinigung Portugals mit Spanien nach dem Tode 
König Heinrich'a (1581) brachte eine grosse Veränderung in die Ver- 
hältnisse des Welthandels. Bisher hatte Portugal fast ganz Europa 
mit den überseeischen Erzeugnissen versorgt: jetzt konnten die 
Engländer und Holländer, Spaniens Feinde, ihre Bedürfhisse in 
Lissabon nicht melir holen und öffneten sich deshalb selbst die 
Wege nach Ostindien. Die erste holländische Flotte segelte 1595 
dahin; bald nachher wurde die holländisch -ostindische Handels- 
compagnie gegründet. 

Im Jahre 1598 verliess ein holländisches Geschwader von 
fünf Schiffen unter dem Befehle des Jaques Mahu den Texel, 
um, durch die Magelansstrasse in den Stillen Ocean dringend, die 
Westküste von Süd -Amerika und von da Ostindien zu erreichen. 
Ein gewisser Dirk Gerritsz, der früher als Büchsenschütze auf 
einem portugiesischen Schiffe nach Nanoasaki gekommen war, leitete 
damals die Blicke der Niederländer auf Japan und begleitete selbst 
die Expedition des Mahu. Ihr Zweck war, wie gewöhnUch bei 
holländischen Unternehmungen jener Zeit, zugleich Handel, etwas 
Seeraub'") und die Entdeckung neuer Länder. — Nachdem bei 
der Einfahrt in die Südsee ein Sturm das Geschwader zerstreut 
hatte, fanden sich zwei von den Schiffen bei einer Insel an der 
peruanischen Küste wieder zusammen. Ein unglückUcher Zusam- 
menstoss mit den kriegerischen Eingeborenen kostete den Holländern 
so viele Leute, dass sie die beiden Schiffe kaum noch regieren 
konnten; der Beschluss aber, das eine zu verbrennen, kam durch 
die Eifersucht der Befehlshaber nicht zur Ausfuhrung, und man 
beschloss auf die Kunde, dass spanische Kriegsschiffe in der Nähe 
seien, jetzt direct nach Japan zu segeln. Heftige Winde trennten 
unterwegs die beiden Fahrzeuge; das eine ist verschollen, das andere, 
»De Liefde« genannt, trieb nach langer mühsehger Fahrt an die 
iGOO. Insel Kiüsiü und kam im April 1600 an der Küste von Bungo zu 
Anker. Hunger und Krankheit hatten unter der Bemannung stark 
aufgeräumt; von den fünfundzwanzig üeberlebenden konnten sich 
nur sechs auf den Füssen erhalten. Der Fürst von Bungo liess 
die ganze Mannschaft an das Land bringen und mit allem Nöthigen 
versehen. Die meisten erholten sich: zwei starben noch am Tage 
der Ankunft, vier andere etwas später. 

^ Man kann es nach heutigen Begriffen nicht anders nennen, wenn die See- 
falircr u. A. die wehrlosen Bewohner abgelegener Inseln überfielen und plünderten. 



Dio ersten Holländer in Japan. W. Adanis. 87 

Da man sich durchaus nicht verständigen konnte, so liess 
der Fürst Portugiesen aus Nangasaki herbeirufen, welche die 
Holländer sogleich für Seeräuber erklärten •*). Ihre Lage wurde 
noch verschlimmert durch zwei Verräther aus ihrer Mitte, die sich 
auf Kosten der Uebrigen zu bereichern dachten; der Fürst von 
BiTNOo setzte die ganze Mannschaft gefangen. Nur Einer, der 
Steuermann WiUiam Adams, ein Engländer von Geburt, wurde auf 
Befehl des Jyeyas nach Surunga geschickt und dort zahlreichen 
Verhören unterworfen. Jyeyas selbst fragte ihn aus, überzeugte 
sich aber, trotz allen Machinationen der Spanier und Portugiesen, 
welche, nach des Adams Aussage, die Hinrichtung der ganzen 
Schiffsmannschaft verlangten und die Holländer als Piraten und 
rebelüsche Unterthanen ihres Königs versclirieen, doch schliesslich 
von deren UnschädUchkeit. Adams wurde in Freiheit gesetzt, ebenso 
alle seine Gefälirten, welche unterdessen mit ihrem Schiffe nach 
Osaka gebracht worden waren. Das Fahrzeug mussten sie ausliefern, 
die Ladung aber befahl Jyeyas herauszugeben und liess, da bei der 
ersten Ankunft Vieles gestohlen worden war, ihrem Bevollmächtigten 
eine bedeutende Entschädigungssumme auszahlen'*). Ausserdem 
gab er Jedem ein kleines Jahrgehalt und befahl ihnen im Lande 
zu bleiben, erst einige Jahre später erhielten sie die Erlaubniss za^ 
Heimkehr. — Adams wusste sich durch seine mathematischen 
Kenntnisse und praktische Geschicldichkeit in grosse Gunst bei 
dem Herrscher zu setzen, baute später für ihn zwei Schiffe nach 
europäischem Muster und trat in eine ehrenvolle und einilussreiche 
Stellung. Durch ihn hauptsächUch wurde die Anknüpfung der 
niederländischen und engUschen Handelsbeziehungen vermittelt"). 

^) -After wee had been tliere five or six dayes came a Portugall Jesuite and^ 
othcr Portugals who reported of us that wee were pirates and were not in the way 
of inai'chandizing.« Brief des William Adams an seine Frau bei Purchas Pilgrimages 
und bei Rundall Memoi-ials of the Empire of Japou. London 1850. 

°^) »Saving 50,000 Rials in ready moncy was commanded to be given us, and 
in his presence brought and delivered in the hands of one tlmt was made our go- 
veiTior« etc. Brief des Adams »an seine unbekannten Freunde« , bei Purchas und Rundall. 

^ Adams trat später mit Erlaubniss des Jyeyas in den Dienst der englisch- 
ostindischen Compagnie, machte iur dieselbe mehrere Reisen nach Siam und starb 
in Japan 1620. Sein Testament ist uns erhalten: er vermacht darin die eine Hälfte 
seines Vermögens seiner Ehefrau und Tochter in England, die andere den Kindern 
seiner japanischen Gattm. — Capitän Cox, der Voi-stehcr der englischen Handels- 
factorei ui Firando, besuchte auf der Reise nach Yeddo 1616 das Landgut des 



^^ Der holländische HaDdelspass. 

Unter den übrigen Reisenden der »Liefde« scheinen nur der Befehls- 
haber Jakob Quakemaak und der Supercargo Van Sanvoort Ge- 
brauch von der Erlaubniss zur Heimkehr gemacht zu haben. Sie 
erreichten auf einem, vom Fürsten von Firando dazu ausgerüsteten 
Fahrzeuge nach einigen Irrfahrten im Jahre 1606 die holländischen 
Niederlassungen auf Java und gaben durch ihre Berichte der ost- 
indischen Compagnie Veranlassung zu der Absendung zweier Schiffe. 
ieo9. welche im Februar 1609 in Firando eintrafen. Der Fürst empfing 
sie auf das beste und bahnte den mit Briefen des Prinzen Moritz 
von Nassau - Oranien versehenen Bevollmächtigten den Weg nach 
SuRUNOA und Yeddo. Sanvoort, der unterdessen nach Nangasaki 
zurückgekehrt war und dort für eigene Rechnung Geschäfte machte, 
und WiUiam Adams unterstützten sie mit ihren Kenntnissen des Landes 
und der Sprache; sie wurden von Jyeyas und Fide-tada ehrenvoll 
empfangen und erhielten für die Compagnie die Erlaubniss, nach 
Japan Handel treiben zu dürfen. Der ursprüngUche Handelspass 
lautete: 

■Wenn holländische Schiffe nach Japan kommen, so' soll man 
sie, wo sie auch landen mögen, nicht daran verhindern. Man 
soll fortan diesen Befehl, sie frei gehen und kommen zu lassen, 
befolgen und nicht davon abweichen: das ist in Kürze unser 
bestimmter Willen.« Folgt das Datum übereinstimmend mit 
dem 25. August 1609 und das Siegel des Jyeyas"'). 

Mit ihren Waaren machten die Holländer damals schlechte 
Geschäfte; nur die Gefälligkeit des Fürsten von Firando, der, um 
sie zum Wiederkommen zu ermuthigen, einen grossen Theil ihrer 
unverkäuflichen Ladung übernahm, bewahrte sie vor schwerem 

Adams, und schreibt darüber: »We arrived at'Phebe some 2 hours before uight, 
where we staid all that night: for that Captain Adames wife and his two children 
inet US theare. This Phebe is a Lordship geven to Capt. Adames pr. the ould 
Emperour, to hym and his for eaver, and confeimed to his sonne, called Joseph. 
There is above 100 farms, or howsholds, uppon it, besides others under them, all 
which are his vassalsf and hc has power of lyfe and death'over them: they beiug 
his slaues, and he having as absolute authoretie over them as any tono (or king) in 
Japon hath ovcr his vassales.« S. Rundall Memorials etc. 

^) S. Lauts: Japan in zijne staatkimdige en burgerlijke Inrigtingen. Amster- 
dam 1847. Das Original - Document wurde Herrn Lauts durch den Minister der 
Colonieen aus den Archiven der ostindischen Compagnie mitgetheilt. — Als Fioe-tada 
den Fremden alle Häfen ausser Firando und Nangasaki schloss, erhielten die Hol- 
länder einen neuen Handelspass, in welchem diese Beschi*änkung ausgedruckt war. 



Die Engländer in Japan. ^^ 

Verlust. Erst 1611 schickte die Corapagnie wieder ein Schiff hinaus: 
der Bevollmächtigte Jakob Specx überbrachte kostbare Geschenke 
für den Fürsten von Firando, Jyeyas und Fide-tada, und befestigte 
mit Hülfe des William Adams die Freundschafksbeziehungen zum 
japanischen Hofe. Er wird als der Begründer des niederländischen 
Handels nach Japan angesehen. In Firando legte Specx eine 
bleibende Factorei an, wo man die eingeführten Waaren lagern 
und günstige Conjuncturen abwarten konnte. Von dieser Zeit an 
kamen jährhch niederländische Scliiffe nach Japan. 

Inzwischen hatte man auch in England auf Veranlassung des 
John Saris, der seit 1605 den britischen Handel in Bantam leitete, 
Verbindungen mit Japan anzuknüpfen beschlossen; Saris selbst 
wurde damit beauftragt. Er ging mit seinem Schiffe »the Clove« 
im Juni 1613 vor Firando zu Anker, wurde von dem Fürsten, dem I6i3. 
er ein Schreiben seines Souveräns überbrachte, mit grosser Aus- 
zeichnung empfangen, und trat unter Leitung des aus Yeddo herbei- 
gerufenen Adams '^) bald die Reise nach Hofe an. Jyeyas nahm 
aus seinen Händen das Schreiben Jakob*s I entgegen und gewährte 
auch den Engländern ausgedehnte Handelsfreiheiten"). — Saris 
gründete ebenfalls in Firando eine Factorei, bei welcher Adams 
angestellt ^vurde; die Engländer machten aber schlechte Geschäfte 
und konnten mit den Holländern, welche den Markt schon besser 
kannten, nicht Schritt halten. Es kam zu Reibungen, die Handels- 
vorsteher verklagten einander sogar gegenseitig bei Jyeyas. Da 
gelangte 1620 die Nachricht von der Vereinigung der englischen 
und holländischen Compagnie und der Befehl nach Firando, auch 
dort die Geschäfte hinfort gemeinschaftlich zu betreiben, und zwar 
zu einem Drittheile für englische, zu zwei Drittheilen für hollän- 
dische Rechnung. Aber die Engländer gaben schon 1623 ihre 
Factorei und den japanischen Handel ganz auf. Die Compagnie 

^1) Adams war Capitän Saris schon durch den Brief -an seine unbekannten Freunde 
und Landsleute in Bantam« bekannt, den Jener durch die Holländer dorthin gelangen 
Hess. Er fordert darin die Engländer dringend auf, Handelsverbindungen mit Japan 
anzuknüpfen. Saris fand den Brief vor, als er, auf der Reise nach Japan, in 
Bantam anlegte. 

^) Auch die Engländer erhielten von Fide - taoa einen modificirten Handelspass, 
nach welchem sie in Zukunft nur in Firando Handel ti'eiben, bei schlechtem Wetter 
aber auch in allen anderen Hafen Schutz finden sollten. — Die ofBciellen Versionen 
des ursprünglichen und des veränderten Handelspasses sind bei Rundall Memorials 
of the Empire of Japon abgedruckt. 



«^v Die Holländer in Firanoo. 

1623. richtete damals Briefe an den Fürsten von Firai«do und an Jtkyas, 
in welchen sie für die erwiesene Freundschaft dankt und die Wieder- 
anknüpfung der Beziehungen unter günstigeren Umstanden in Aus- 
sicht stellt. 

Der holländische Handel brachte anfängUch wenig Gewinn. 
Im Jahre 1617, als Fide-tada den Fremden alle Häfen ausser 
Nanoasaki und Firando schloss, kam der Befehl von der Ober- 
behörde in Amsterdam, die Factorei in Firando aufzugeben. Der 
in Batavia residirende Kath von Indien war anderer Ansicht und 
machte besonders geltend, dass Japan der Compagnie die besten 
Soldaten und Seeleute liefere'"). Die Holländer hissten damals, 
nach ihrer eigenen Aussage, die Blutflagge gegen alle portugiesischen 
und chinesischen Schiffe und brachten ihren Raub in Japan zu 
Markt; selbst engUsche Schiffe wurden geplündert. Der Siogüm 
erliess zwar auf ihre Klagen den strengen Befehl, dass die mit 
Japan verkehrenden Fremden einander in seinen Gewässern keinen 
Schaden zufügen sollten, aber der Frieden dauerte nicht lange. Die 
Holländer waren seit lange zur See die Mächtigsten und begannen, 
als die Portugiesen mehr und mehr in Ungunst geriethen , aufs neue 
das einträgliche Piratenhandwerk zu treiben. Unter diesen Um- 
ständen that ihnen das um 1621 an die Japaner erlassene Verbot, 
sich ohne kaiserlichen Pass ausser Landes zu begeben, grossen 
Schaden, denn sie bildeten den besten Theil ihrer Mannschaften. 
Aber man Uess sich diese und alle anderen den Fremden auf- 
erlegten Beschränkungen ohne Widerrede gefallen, denn mit dem 
Sinken des portugiesischen Verkehrs blühte ihr Handel mächtig 
auf und brachte enormen Gewinn. Mit der Vertreibung der übrigen 
Fremden im Jahre 1624 begann die Glanzperiode des niederländischen 
Handels; seine Vertreter standen damals in hohem Ansehn und 
wurden am Hofe zu Yeddo, wo sie jährUch kostbare Geschenke 
überreichten, sehr elirenvoU aufgenommen"*'). Schon von 1627 an 
verschlechterte sich ihre Lage wieder. 

^ Die Holländer scheinen ihre ostindischen Eroberungen grossen Theils mit 
japanischen Soldaten gemacht zu haben, deren Tapferkeit diu'ch den ganzen Orient 
berühmt war. — Die Könige von Siam hatten damals eine japanische Leibwache. 

^) Ln Jahre 1626 wai'en die Abgeordneten der Compagnie mit ilu'cm Beschützer, 
dem Fürsten von Firando, bei den glänzenden Festlichkeiten in Miako gegenwärtig, 
welche die Zusaumieukunft des Fide - tada und seines schon zum Siogun er- 
nannten Sohnes Jye-mitsi mit dem Mikado verherrlichten. S. Coenract Krammcr 



Der Conflict in Taiwano. vi 

Die ostindische Compagnie hatte sich 1624 des Hafens Taiwano 
auf Formosa bemächtigt und dort eine Festung gebaut. Diese Nie- 
derlassung, ein Stapelplatz der chinesischen, japanischen und 
siamesischen Erzeugnisse , und zugleich zur Störung des spanischen 
Handels sehr günstig gelegen, war von der äussersten Wichtigkeit. 
Die Holländer erhoben hier Zölle von den ein- und ausgehenden 
Waaren, eine Einrichtung, welcher sich die unter kaiserUchem Pass 
dort verkehrenden Japaner nidit fugen wollten, da sie lange vor 
den Holländem mit voller Freiheit Handel nach Taiwano getrieben 
hatten. Ihre Beschwerden fanden bei dem Rath von Indien kein 
Gehör. Als nun im Jalire 1627 Pieter Nuyts, ein Mitglied des 1627. 
indischen Rathes, als Landvogt nach Taiwano kam, erhielt er 
von FiRANDo aus eine geheime Mittheilung, welche ihn vor den in 
diesem Jahre nach Formosa reisenden Japanern warnte. In der That 
crscliienen sie in aussergewöhnhcher Anzahl und stark bewaffiiet. 
Nuyts brauchte die Vorsichtsmaassregel, ihre Fahrzeuge zwischen 
den holländischen SchiiFem ankern und ihre Waffen an das Land 
bringen zu lassen, wo man sie bis zu ihrer Abreise aufbewahrte. 
Die Japaner beklagten sich beim Siogun über diese beschimpfende 
Behandlung: in Folge dessen wurde Nuyts, der 1628 in besonderer 
Mission nach Yeddo ging, bei Hofe nicht vorgelassen und kehrte 
unverrichteter Sache auf seinen Posten zurück. In diesem Jahre 
nun erschienen die Japaner so schwach bewaffnet, dass der Land- 
vogt keine besonderen Vorsichtsmaassregeln nöthig achtete. Da 
aber jetzt auch die Eingeborenen und die Chinesen die Zolle ver- 
weigerten, und die Holländer argwöhnten, es geschehe auf Anstiften 
der Japaner, so erhielten diese nicht die • Erlaubniss zur Abreise 
und wurden durch Zwangsmaassregeln lange gegen ihren Willen 
zurückgehalten. Eines Tages, als der Land^ogt mit seinem kleinen 
Sohne allein zu Hause war, erscliienen einige Japaner bei ilun und 
verlangten die schleunige Freigebung ilirer Scliiffe. Nuyts wies sie 
ab ; einen Augenblick darauf war das Haus von allen Seiten umzingelt. 
Der Commandant der Festung liess Truppen ausrücken; da aber 
die Japaner drohten, bei der geringsten Feindsehgkeit den Landvogt 
und seinen Sohn zu ermorden, und man ihre Entschlossenheit 

» Erzählung des prächtigen Festes , so der japanische Kaiser sammt dem Dayro in 
der Stadt Meaco sehr herrlich begangen«, abgedruckt in Merklcin's deutscher Aus- 
gabe von Caron's » Wahrhaftiger Beschreibung dreier mächtigen Königreiche . . . . « 
Nürnberg 1672. 



92 



Beschrankung der Holländer. 



kannte, so blieb den Holländern nur übrig zu capituiiren. Nach 
siebentägigem Unterhandeln wurden den Japanern alle ihre For- 
derungen bewilligt; sie bestanden in Gewährung unverzüglicher 
Abreise, Loslassung der gefangenen Chinesen und Formosaner, und 
Rückgabe von 150 Ballen Seide, die ihnen widerrechtlich abge- 
nommen sein sollten. Der kleine Sohn des Landvogts musste 
ihnen als Sicherheitspfand nach Japan folgen und wurde später in 
FiRANDo gegen die von ihrer Seite gestellten Geissein wieder aus- 
gewechselt. 

Diese Angelegenheit that den Holländern in Japan grossen 
Schaden. Der Siogun trat ganz auf die Seite seiner Landsleute, 
forderte die Auslieferung des Landvogts und liess einen Theil der 
niederländischen Waaren mit Beschlag belegen. Der Handel stockte. 
Im Jahre 1632 entschloss sich die Regierung von Batavia den un- 
glücklichen Nuyts nach Firando zu senden, wo ihn kaiserhche 
Commissare in Empfang nahmen und gefangen setzten ^^). Erst 
nach unsäglichen Bemühimgen gelang es, von dem Nachfolger des 
FiDK-TADA seine Loslassung zu erwirken, die im Jahre 1636 in Form 
einer Begnadigung erfolgte. 

Seit diesem Ereigniss sind die Holländer immer mit rücksichts- 
loser Strenge und Willkühr behandelt worden, sie Hessen sich aber 
Alles gefallen, um den einträglichen Handel nicht aufgeben zu 
müssen und bestärkten dadurch die Japaner in ihrem despotischen 
1637. Auftreten. Um 1637 setzte der Siogun die Abfahrt der hollän- 
dischen Schiffe auf bestimmte Zeiten fest: die eingeführte Rohseide 
— damals der vornehmste Handelsartikel — musste an fünf bevor- 
zugte Städte und unter Aufsicht der Beamten verkauft werden; erst 
nachher durften die Holländer ihre übrigen Waaren verhandeln. — 
Dasselbe Jahr brachte auch das unbedingte Verbot bei Todesstrafe 
an alle Japaner, sich, unter welchen Umständen es sei, aus dem 
Lande zu entfernen. Ein gleichzeitiges Verbannungsedict gegen die 
noch in Nangasaki zurückgebUebenen Portugiesen kam für jetzt 
nicht zur Ausführung. 

Die beiden zuletzt erwähnten Maassregeln wurden wahr- 
scheinlich durch die Gälirungen in der Landschaft Arima veranlasst, 
welche von Anfang an ein Hauptsitz der christlichen Missions- 
thätigkeit gewesen war. Dort bereitete sich jetzt ein Aufstand 

*) Die Haft war gelinde; Nuyts durfte in Begleitung seiner Wachen in Firando 
umhergehen. 



Der Aufstand in Arima. 



93 



vor, welcher mit dem unter dem Namen der Christenverfolgung 
von SiMABARA bekannten Blutbade endete. Wir haben über diese 
Begebenheiten nur dürftige Nachrichten; aus den Aufzeichnungen 
der Holländer scheint ungefähr Folgendes hervorzugehn"*). 

Jener Fürst von Arima, der seinen Vater verrathen, den 
Glauben abgeschworen und die Christen so grausam verfolgt hatte, 
war wegen anderer Missethaten vom Siogün degradirt imd mit seiner 
Famiüe verbannt worden. Der neu eingesetzte Landesherr brachte 
nach japanischer Sitte alle seine Beamten mit; die des vertriebenen 
Fürsten, zugleich auch alle seine Soldaten, sahen sich dem Elende 
Preis gegeben. Diese Unzufriedenen, wahrscheinUch lauter ehe- 
malige Christen, vereinigten sich mit den Landbewohnern, welche 
der neue Herr hart bedrückte, im December 1637 zum offenen Auf- 
stande. Sie griffen, verstärkt durch Zuzüge von Gleichgesinnten 
aus der Insel Amaksa, wo ähnUche Verhältnisse obwalteten, das 
Castell von Arima an, wohin sich der Fürst geflüchtet hatte, wurden 
aber zurückgeworfen und zogen nun, in drei Horden vertheilt, unter 
dem Panier des Kreuzes und mit dem Feldgeschrei San Jago 
sengend und plündernd durch das Land. So standen die Sachen, als 
kaiserUche Conunissare an der Spitze eines Heeres von 40,000 Mann 
auf Kiusiu erschienen. Ihre Instruction soll dahin gelautet haben, 
den Fürsten von Arima und Amaksa den Befehl zur Unterdrückung 
des Aufstandes zu erth eilen, eine beobachtende Stellung einzunehmen 
und nur dann einzuschreiten, wenn die Landesherren die Rebellen 
nicht bezwingen könnten oder wenn das Lager des kaiserlichen 
Heeres angegriffen würde. 

Die Aufständischen sahen dieser Streitmacht gegenüber die 
Nothw^endigkeit ein, ihre Kräfte zu concentriren, imd warfen sich 
in das am Meere gelegene verlassene Castell von Simabara , von wo 
sie den kaiserlichen Bevollmächtigten ihre Bereitwilligkeit anzeigten, 
sich dem Siogun auf Gnade und Ungnade zu ergeben imd jede 
Strafe zu dulden, ausser der Unterwerfung an ihre Fürsten, gegen 
"welche sie sich bis auf den letzten Mann vertheidigen würden. Da 
der Siogun aber den nach japanischen Begriffen unwiderruflichen 
Befehl zur Vertilgung der Rebellen gegeben hatte, so konnte ihr 
Erbieten nicht angenommen werden. Sie hatten sich unterdessen 
im Schlosse von Simabara regelrecht verschanzt und erhielten 

^ Der »Krieg von Simabara« bildet den Gegenstand eines japanischen Special- 
werkes, welches noch nicht übersetzt worden zu sein scheint 



«^4 Nicolas Koekebakker. Der Fall von Simabara. 

Zufuhren von der See. Die Fürsten vermochten nichts auszurichten 
und so rückten die kaiserUchen Truppen heran. 

War es wirklicher Mangel an Kriegsbedarf, war es der 
Wunsch die Holländer auf die Probe zu stellen — genug die kaiser- 
lichen Bevollmächtigten Uessen an den Vorsteher der Factorei von 
FiRANDO, Nicolas Koekebakker, die Aufforderung ergehen, ihnen 
eine Quantität Pulver zu leihen. Seine Ausflüchte, dass die beiden 
auf der Rhede hegenden Schiffe keines entbehren könnten, halfen 
nichts; man versprach, das gehehene vor ihrer Abfahrt wieder zu 
geben. Bald darauf kam ein Gesuch um Geschütz; Koekebakker 
gab nach einigem Sträuben fünf Stücke von dem einen Schiffe 
»De Rijp« heraus, Uess aber das andere, voraussehend dass die 
Japaner noch ferneres wünschen würden, sofort in See stechen. 
Schon Tages darauf traf die Aufforderung der Commissare ein, ihnen 
die anwesenden Schiffe zu senden. Koekebakker begab sich nun 
selbst mit dem »Rijp« auf den Kriegsschauplatz, ging vor dem 
Castelle zu Anker und liess es vom 24. Februar 1638 an aus allen 
seinen Stücken beschiessen. Am 12. März bedeuteten ihn die Com- 
missare, dass sie seiner Hülfe nicht mehr bedürften; sein schweres 
Geschütz aber musste zur ferneren Beschiessung aus den Batterieen 
zurückbleiben. Die Aufständischen liielten sich noch einen vollen 
Monat: am 12. April wurde die Feste mit Sturm genommen, ihre 
Besatzung bis auf den letzten Mann* niedergemacht. Damit en- 
dete dieser Krieg, der über 36,000 Menschen das Leben gekostet 
haben soll 

Diese Ereignisse flössten, obgleich nicht unmittelbar durch 
den Christenglauben veranlasst, der Regierung neues Misstrauen 
gegen denselben ein. Es ist nicht zu verkennen, dass das Christen- 
thum, welches, vor über 80 Jahren eingefulurt, hier vielleicht die 
tiefsten Wurzeln geschlagen hatte, in den Bewohnern den selbst- 
ständigen unabhängigen Sinn entwickelte, dass der Vorwand der 
Religion dem Aufstande Einigkeit und Stärke gab. Die Maassregeln 
gegen dasselbe wurden deshalb noch mehr verschärft: far jeden Japaner 
mussten hinfort zwei Bürgen gestellt werden, welche mit ihrem Leben 
dafür einstanden, dass er kein Christ sei; Jeder sollte sich zu einer 
bestimmten Secte bekennen und in bestimmten Zeitabschnitten Zeug- 
nisse der Bonzen über den regelmässigen Tempelbesuch beibringen: 
auch die Jünger der Confuciuslehre waren davon nicht ausgenommen 
und mussten sogar Götzen in ihren Häusern aufstellen. 



Bedrückung der Niederländer. ^5 

• 

Im Jalire 1639 brachte die Obrigkeit das schon früher er- 
lassene Verbannungsedict gegen die noch in Isy^NOASAKi lebenden 
Portugiesen zur Ausfülining: bei Todesstrafe sollte sich kein Portu- 
giese oder Spanier mehr in Japan blicken lassen. Die Holländer in 
FiRANDO mussten sich einer strengen Haussuchung nach Crucifixen 
unterwerfen; alle die nicht unmittelbar zur Factorei gehörten, femer 
alle von Holländern und Engländern mit Japanerinnen gezeugten 
Kinder imd deren Mütter wurden des Landes verwiesen und nach 
Batavia eingeschifft. Die in der Factorei zurückbleibenden Holländer 
kamen unter strenge Aufsicht; -— Koekebakker, der bald nach dem 
Blutbade von Simabara zu Hofe reiste, erntete in Yeddo für die 
geleisteten Dienste einen sehr kühlen Dank. Sein Benehmen zeugte 
von Schwäche und Rathlosigkeit, imd that dem Charakter der 
Holländer in den Augen der Japaner, deren hervorstechende Eigen- 
schaften Entschlossenheit und Thatkraft sind, grossen Schaden. 
Sein Nachfolger FranQois Caron, der schon früher diese Stellung 
bekleidet und beim Siogün persönhch in Gunst gestanden hatte, 
wurde bei der Hofreise 1639 gar nicht zur Audienz gelassen; auch 
die hohen Staatsbeamten wiesen die üblichen Geschenke zurück. — 
Ein grosses dreistöckiges steinernes Gebäude, das die Holländer 
in FiRANDO errichteten, und das allerdings nach japanischen Be- 
griffen mehr einer Festung als einem Kauf hause glich, erregte den 
Argwohn der Regierung. Gleich nach VoDendung des Baues, im 
Jahre 1640, erschienen kaiserliche Bevollmächtigte in der Factorei, i&io. 
welche nach strenger Haussuchung ein Decret verlasen : Alle Woh- 
nungen der Holländer mit Jahreszahlen der christlichen Zeitrechnung 
sollten niedergerissen, der Sonntag nicht mehr gefeiert werden; die 
Vorsteher der Factorei dürften künftig nur ein Jahr im Amte bleiben. 
— Caron, der durch den Beschützer der Fremden, den Fürsten von 
FiRANDO , im voraus von Allem unterrichtet gewesen zu sein scheint, 
erwiederte demüthig: »Seiner kaiserlichen Majestät Befehle sollten 
getreulich befolgt werden «. Die Commissare zeigten sich zufrieden, 
dass ihnen das Blutvergiessen erspart wurde, .denn sie hatten Befehl, 
die Holländer bei dem geringsten Widerstände von heimlich dazu 
angestellten Truppen niedermachen zu lassen und sich ilirer Schiffe 
zu bemächtigen. Als Jene beim Abtragen ihrer Gebäude lässig zu 
Werke gingen, drohten die Bevollmächtigten einige der Factorei- 
beamten hinrichten zu lassen, wenn man nicht eile. Caron stellte 
nun die holländischen Schiffsmannschaften und viele gemiethete 



^0 Hinrichtung der spanischen Gesandtschaft. 

Japaner bei der Arbeit an und so wurde das grosse Factoreigebäude, 
auf das es besonders gemünzt war, über Nacbt der Erde gleich 
gemacht '*"). 

Wie bitterer Ernst es dem Siogun mit der Verbannung der 
1640. Portugiesen und Spanier war, zeigte sich noch in demselben Jahre. 
Sie schickten nämlich von Macao au& eine Gesandtschaft nach 
Nangasaki, um die Handelsverbindungen wieder anzuknüpfen. Der 
Statthalter liess sogleich die Bevollmächtigten mit ihrem Gefolge 
und der ganzen Schiffsmannschaft gefangen setzen und erbat sich, 
da Jene behaupteten, dem kaiserlichen Befehle gemäss zu handeln, 
weil sie keine Geistlichen bei sich hätten, auch nicht um Eaufhandel 
zu treiben, sondern als Gesandte nach Japan kämen, Verhaltungs- 
befehle aus Yeddo. Der Spruch des Siogun lautete auf Hinrichtung 
der ganzen Gesandtschaft. Es waren 74 Personen, darunter ein 
Kind, welche auf der Richtstätte des Papenberges — einer kleinen 
Insel am Eingange der Bucht von Nangasaki, wo das Blut vieler 
Christen geflossen ist — auf einmal enthauptet wurden. Nur drei- 
zehn Asiaten, die sich unter der Schiffsmannschaft befanden, schenk- 
ten die Japaner das Leben und gaben ihnen ein Fahrzeug, um die 
Schreckenspost nach Macao zu bringen. Sie scheinen niemals dort 
angelangt zu sein. Das portugiesische Schiff wurde mit den Kleidern 
und Kostbarkeiten der Enthaupteten und seiner ganzen übrigen 
Ladung im Hafen verbrannt; es sollen werthvolle Geschenke für 
den Siogun und 400,000 Tael in Silber an Bord gewesen sein, w^elche 
Portugiesen noch japanischen Kaufleuten schuldeten. Auf der Eicht- 
stätte liess die Obrigkeit gegen die See zu eine Warnungstafel 
aufstellen: 

^^) Soll man einer in Merkleiu's deutscher Ausgabe von Caron's »Beschreibung 
dreier mächtigen Königreiche« angefahrten Reisebeschreibimg (Anderson's Orientalische 
Reise) Glauben beimessen, so hätten die Niederländer den Japanern ernstlichen 
Anlass zu Miss trauen gegeben: »Als Herr Caron vom Japanischen Kaiser erhielte, 
dass die Logie (das Factoreigebäude) ein wenig möchte erweitert werden , hat er das 
Gebäu auf einen Fels, recht am Ufer setzen und durch holländische Mauer- und 
Zimmerieute auffuhren lassen. Indem man das Gebäu von aussen verfertigt, kamen 
etliche Holländische Schiffe, welche eine grosse Parthei gehauener, weisser Corollen« 
steine in Kisten, als wenn es Kaufmaunswahreu wären, gepacket herbei brachten, 
und durch Hülf des Schiffsvolks alsbald ins Haus setzten: Wovon Herr Caron 
geschwind eine gute Batterie verfertigen und selbige mit zwölf guten metallnen 
Stucken (so sie des Nachts aus den Schiffen brachten) besetzen liess.« — Die 
holländischen Schriftsteller erwähnen nichts deraitiges. 



Die HolläDder nach Desima. — Portugiesische Gesandtschaften. J7 

»Es solle bei Todesstrafe, so lange die Sonne leuchte, kein 
Fremder wagen nach Japan zu kommen. Dieses Verbot werde 
für alle Zeiten unwiderruflich sein.« 

Die Holländer erhielten 1641 zunächst den Befehl, alle ihre 
Waaren im Jahre der Anfuhr zu verkaufen. Zugleich wurde ihnen 
eingeschärft, sich demüthiger zu betragen und in ihrem Auftreten 
weniger Pracht zu entwickeln; das Schlachten von Rindvieh sollte 
in Zu^nft bei Todesstrafe unterbleiben. — Im Februar langte der 
neue Vorsteher Maximilian Le Maire an. Er wurde bei seiner Hof- 
reise anscheinend gnädig empfangen, erhielt aber, kaum nach der 
Factorei zurückgekehrt, im Mai den Befehl, sich mit allen seinen 
Landsleuten aus Firando zu entfernen, weil der Siooun nicht 
gesonnen sei, künftig dort Fremde zu dulden. Aus kaiserhcher 
Gnade solle ihnen erlaubt werden, sich, wenn sie wollten, auf 
Desima bei Nangasaki niederzulassen und dort unter obrigkeitlicher 
Aufsicht Handel zu treiben. — Le Maire, dem die Japaner keine 
Zeit liessen zu überlegen, geschweige denn Verhaltungsbefehle ein- 
zuholen, siedelte schon am 21. Mai nach Desima über. 



Im Jahre 1644 schickte der Gouverneur von Macao nochmals 1644. 
eine Gesandtschaft nach Japan. Vier Jahre zuvor hatte Portugal 
sich vom spanischen Joche befreit und die Colonieen folgten dem 
alten Mutterlande; man glaubte, da Spaniens Uebermacht der poli- 
tische Grund der Verbannung gewesejn war, jetzt Aussicht auf 
Wiederanknüpfung des Verkehrs zu haben. — Als die Bevoll- 
mächtigten im Hafen von Nangasaki anlangten, machte der dortige 
Statthalter Anstalten, ihnen das Loos der Gesandtschaft von 1640 
zu bereiten: da kam der Bescheid aus Yeddo, der Siogun begna- 
dige sie in der Voraussetzung, dass ihrem neuen Könige das 
Verbannungsedict unbekannt sei, bei Wiederholung eines solchen 
Versuches aber sollten seine Gesandten unfehlbar hingerichtet 
werden. 

Noch einmal wurde 1685 ein Schiff von Macao nach Nan- less. 
GASAKi abgefertigt, das imter dem Vorwande, zwölf schiffbrüchige 
Japaner in ihr Vaterland zurückzuführen, die Handelsbeziehungen 
wieder anknüpfen sollte. Man wies aber alle Eröffnungen unter 
Erinnerung an die alten Gesetze zurück, und erlaubte den Portu- 
giesen nicht einmal jene SchilFbrüchigen zu landen. 



I. 



y" Neuer Versuch der Engländer. — Resume. 

Auch die Engländer, welche 1623 ihren Handel aus freien 
Stücken aufgegeben hatten , machten noch im Laufe desselben Jalir- 
hunderts einen Versuch, sich wieder •Eingang in das japanische 
Reich zu verschaffen. Das englische Schiff »tlie Return«, dessen 
Befehlshaber dem Siogun einen Brief König KarUs II überbringen 
iß73. sollte, lief am 20. Juni 1673 in den Hafen von Nanoasaki ein. 
Die Behörden emptingen ihn freundlich, Uessen sich aber alle 
Munition und die Geschütze aushefern und verhinderten jedf Com- 
munication mit dem Lande. Die Engländer beriefen sich auf die 
alten von Jyeyas verUehenen Handelsprivilegien, aber das Kreuz 
in ihrer Flagge und der Umstand, dass König Karl mit einer portu- 
giesischen Prinzessin vermalt war, erregten Argwohn. Unglück- 
licherweise brachten damals die von Batavia eben einlaufenden hollän- 
dischen Schiffe die Nachricht von dem Ausbruch des Krieges zwischen 
Niederland und England und von dem Bündnisse des letzteren mit 
dem kathoUschen Frankreich: so erhielten denn die Engländer 
eine ablehnende Antwort auch auf die Frage, ob sie nacli dem 
Tode ihrer Königin wiederkommen dürften. Man gestattete ilinen 
aber, bis zum Einsetzen des günstigen Monsuns im Hafen zu bleiben 
und nahm, als sie vorgaben, kein Geld mehr zu haben, chinesische 
Rohseide in Zahlung für ihre Bedürfnisse*"'). Die Geschütze und 
Mimition erhielten sie erst ausserhalb des Hafens wieder; viele 
japanische Kriegsfahrzeuge, welche den »Retum« während seines 
Aufenthaltes im Hafen bewacht hatten, geleiteten ihn weit auf das 
hohe Meer hinaus. Uebrigens Hess der Siogun den Engländern 
und Holländern das Versprechen abnehmen, einander in den japa- 
nischen Gewässern nicht anzugreifen. 



In dem Vorstehenden ist schon gesagt worden, dass der 
innerste Grund der Verbannung der Fremden die Unvereinbarkeit 
des Christenthumes mit den japanischen Zuständen war. Die 
durch zweitausendjährige Entwickelung zur festen Regel gewor- 
dene Einschränkung des Volkes in bestimmte Grenzen, seine ein- 
gelebte Unterwürfigkeit gegen die herrschenden Classen waren 
Grundbedingung des japanischen Staatslebens. Die Ausübung der 
starren Gewalt widerspricht noch mehr und unmittelbarer den 
Grundideen des Christenthumes als die Unterwerfung an solche 
^^^) Alle europäischen Artikel wurden zurückgewiesen. 



Ui*sachen der Absperrung. • 99 

Gewalt; mittelbar aber streiten sie auch gegen diese, denn es 
liegt in seinem Wesen, die eigen thümliche Entwickelung des Ein- 
zelnen zu fordern und sein Bewusstsein zu heben. Ganz verschieden 
gestalten sich die Verhältnisse, wenn ein Stamm auf niederer 
Bildungsstufe das Christenthum empfangt und bei politisch vorge- 
schrittenen Culturvölkern. Bei jenem wird es der wesentlichste 
Factor des Bildungsganges werden und die Entwickelung des staat- 
lichen Lebens von Grund aus bedingen, bei diesen müssen innere 
Kämpfe entstehen. Das antike Leben musste erst in Verfall gerathen, 
ehe das Christenthum bei den Culturvölkern Europas Wurzel schlagen 
konnte, und wurde dann durch dasselbe von Grund aus umgestaltet 
und überwunden. Der Kampf währte durch Jahrhunderte. Wo das 
Christenthum mit dem Islam in Berührung kommt, ist die Begegnung 
gewaltsam: man kann sich keine allmähche Bekehrung eines muhame- 
danischen Staates zum Christenthum, keine allmäUche Umbildung 
durch dasselbe denken; er wird es entweder abstossen oder selbst 
zusammenstürzen. Aehnlich ist das Verhältniss mit Japan , nur dass 
die Japaner sich ihrer politischen Eigenthümlichkeit nicht bewusst 
waren. So lange ein Volk isolirt bleibt, hält es alle seine Gewohn- 
heiten und Listitutionen für natürUch und nothwendig; erst die 
Bekanntschaft mit dem Fremden erweckt Nachdenken und Selbst- 
erkenntniss. Die seltenen Berührungen mit den Koreanern und 
Chinesen, deren Bildung überdies auf ähnlichen Grundlagen ruhte, 
konnten für die Japaner diese Wirkung nicht haben. Die Basis der 
japanischen Staatsverfassung war recht eigentlich die alte Kami- 
religion; die Lehren des Confucius enthielten nichts der japanischen 
Theokratie gefahrliches, ebensowenig der indische Buddismus, der 
sich nach kurzem Kampfe der alten Landesrehgion anpasste und 
verschmolz. So viele Secten es auch gab, in den Grundanschauungen 
war man sich selbst unbewusst einig, und ahnte wohl kaum, dass 
es noch andere ganz verschiedene Lehren geben könne: daher die 
arglose Toleranz, welche dem Christenthume erlaubte so tiefe 
Wurzeln zu schlagen. 

Neben jenen innersten Ursachen mögen auch andere Umstände 
nachtheilig für die Fremden gewirkt haben, ihr Betragen musste 
den gesitteten Japanern in vielen Beziehungen anstössig sein. Zu- 
nächst die Excesse und Ungehörigkeiten, welche europäische Aben- 
theurer überall zu begehen pflegen, wo sie, von keiner Obrigkeit 
beschränkt, ihren Gelüsten freien Lauf lassen können; diese mit 



lUU Da9 Auftreten der fremden Kaufleute. 

den Vorschriften der Geistlichen im schärfsten Widerspruch stehende 
Zügellosigkeit trug viel dazu bei, die Religion der Fremden bei den 
Besseren der Nation in Missachtung zu bringen. Dann die Ueber- 
hebung der Europäer, die, je geringeren Standes und Bildungs- 
grades, desto erhabener über jeden nicht ganz Weisshäutigen sich 
dünken. Das hoffährtige Auftreten der portugiesischen nnd spa- 
nischen Kaufleute machte den allerschhmmsten Eindruck; ihre 
Gespreiztheit, ihre Waffen und prächtige Kleidung waren den Edelen 
verhasst imd gaben in deren Augen dem Volke ein schlechtes Bei- 
spiel. Der Handelstand gilt einmal in Japan für einen der niedrigsten: 
Kaufleute dürfen keine Waffen tragen, müssen sich einfach und 
nach vorgeschriebenem Schnitt kleiden, und bescheiden, ja demüthig 
gegen den Geringsten aus der Adelsclasse betragen. Die Etiquette 
ist für alle Stände streng geregelt. Die Formen der Ehrerbietung 
gegen Höherstehende, wie sie sich von uralter Zeit her in Japan 
eingelebt haben, sind nach europäischen Begriffen erniedrigend, 
wegwerfend, aber dort entzieht sich ihnen Niemand; die vornehmsten 
Lehnsfürsten erweisen sie ohne Bedenken dem Mikado, dem Sioguk, 
es sind eben alte Formen, die in der That die Bedeutung nicht 
haben , welche wir ihnen beilegen. Die gänzliche Mssachtung dieser 
Gebräuche von Seiten der Europäer und vorzüglich der Kaufleute 
hat die Japaner zu allen Zeiten gereizt und erbittert. Dass sie 
selbst Fremden von Rang und Stellung gern die gebührenden Ehren 
erweisen, dass sie sich sogar, wenn auch nach einigem Kampfe, 
meistens bequemen, von den landesüblichen Formen abzuweichen 
und Manches nach ihren Begriffen Unanständige dulden, um den 
Gewohnheiten der Fremden Rechnung zu tragen und sie zufrieden zu 
stellen, hat sich bei vielen Gelegenheiten gezeigt. Ein Brüsquiren 
ihrer eigenen Sitten kann die stolze Nation aber auch heute noch 
nicht ertragen. 

Die gänzliche Ausrottung des Christen thumes und die gänz- 
liche Ausschliessung der Fremden wurden theils durch die Er- 
fahrung veranlasst, dass man sich ihres Einflusses nur durch 
dieses Mittel ganz erwehren konnte, theils durch die japanische 
Anschauung überhaupt, die keine Ausnahme duldet und jedes 
einmal anerkannte Princip mit der grössten Strenge bis zum Extrem 
durchführt. Dass trotzdem eine Ausnahme zu Gunsten der Hol- 
länder gemacht wurde, hatte seinen Grund lediglich darin, dass 
diese sich fast unbedingt in Alles fügten und die gewissermaassen 



Verunglimpfung der Holländer. -l"l 

rechtlose Stellung gefallen Hessen, in welche die Japaner sie schliess- 
üch verwiesen. 

Seit lange ist es Gewohnheit geworden, die Niederländer 
wegen ihrer Stellung in Japan zu schmähen , zu beschimpfen. Dass 
das Auftreten der holländischen Kaufleute ein würdiges , ihre Stellung 
ehrenvoll gewesen sei, wird Niemand behaupten; sie haben sich, 
um Geld zu gewinnen, die grössten Demüthigungen gefallen lassen 
und sind dadurch immer tiefer in der Achtung der Japaner gesunken. 
Aber die Nation für das verantwortUch zu machen, was eine Gesell- 
schaft von Kaufleuten gethan hat, ist gewiss unbilUg; man kann 
ohne Anstand behaupten, dass die Kaufleute anderer Länder unter 
gleichen Umständen ähnlich gehandelt hätten, dass andere Völker 
Schlimmeres gethan und geduldet haben. Wer die überseeischen 
Niederlassungen der Europäer und ihre Geschichte kennt, der weiss, 
dass in den vergangenen Jahrhunderten — denn in dem gegen- 
wärtigen hat sich Vieles geändert — die überwiegende Mehrheit der 
Ansiedler in dem Auswurf der europäischen Gesellschaft bestand, 
in Glücksrittern, die in kürzester Zeit und auf jede Weise Schätze zu 
erwerben trachteten, und dass ihr Auftreten gegen aussereuropäische 
Völker mit den heutigen Begriffen von Recht, Ehre und Sittlichkeit 
nicht bestehen kann. Wie sollte man diesen Maassstab an das 
Betragen der Holländer in Japan legen ! Um die Verhältnisse richtig 
ztf würdigen, ist zunächst in Betrachtung zu ziehen, dass die Nie- 
derländer in Japan Emissäre einer Handelsgesellschaft waren , deren 
materieller Nutzen ihr nächstes Augenmerk sein musste. Die höchsten 
Beamten der Compagnie hatten von Anfang an den Grundsatz auf- 
gestellt, »dass man sich mit grosser Bescheidenheit und Unterthänig- 
keit der Japaner Freundschaft auf jede Weise zu erhalten habe« *°'). 
Diese Worte bUeben die Richtschnur der Handelsvorsteher für alle 
Zeiten. Ihre Stellung war schwierig, ihre VerantwortUchkeit gross; 
Rath und Verhaltungsbefehle konnten sie, der Entfernung wegen, 
niemals, auch in den allerwichtigsten Fällen nicht einholen, und 
selbst zur Ueberlegung Hessen ihnen die immer peremtorischer auf- 
tretenden Japaner selten Zeit. Sie mussten in Eile entscheiden, 
was lange Ueberlegung forderte , und machten deshalb viele Fehler. 
Dass ihre Nachgiebigkeit, selbst in Betrachtung der zu erreichenden 
Zwecke, zu weit ging und viel verdarb, gestehen auch die hol- 
ländischen Schriftsteller; mit gleicher Sicherheit aber lässt sich 
losj Worte des General - Gouverneurs Van Diemen. 



lOJ Specielle Beschuldigungen. 

annehmen, dass die Niederländer das Loos der Portugiesen getheilt 
hätten, wenn sie sich in den Jahren 1638, 1639 und 1640 nicht in 
Alles fügten. Die Uebersiedelung nach Desima, die als Alternative 
der gänzlichen Verbannung gestellt wurde, versetzte sie schon an 
sich auf immer in die Lage von Leuten, welche man nur aus Gnade 
im Lande duldete. 

Vpn den schlimmsten gegen die Holländer laut gewordenen 
Von^'ürfen lässt sich beweisen, dass sie auf böswilliger Erfindimg 
und gefälschter Darstellung der Thatsachen beruhen. Dies gilt 
besonders von den Beschuldigungen, dass sie die Vertreibung der 
Portugiesen und Spanier und den Untergang des Christenthumes 
in Japan veranlasst, und dass sie selbst das Christenthum ver- 
leugnet hätten. 

Was den ersten Punct betrifft, so weiss man zunächst, dass 
das Religionsedict des Taiko-sama vom* Jahre 1587 datirt und 
nachher niemals widerrufen worden ist. Alle späteren Maassregeln 
waren nur Ausführung imd Verschärfung dieses Erlasses. Femer 
ist notorisch, dass die Spanier und Portugiesen bei der ersten 
Ankunft der Holländer und nachher, so lange sie in Ansehn standen, 
allen ihren Einfluss aufgeboten haben, um Jene zu verdrängen: das 
beweisen, wenn man das Zeugniss des Adams nicht gelten lassen 
will, die ausdrücklichen Bekenntnisse des spanischen Gouverneurs 
der Philippinen, — welcher 1609, also mit den Holländern ungefähr 
zugleich n^ch Japan kam, — er habe ihre Verbannung wiederholt 
auf das nachdrücklichste gefordert. Dies ist bei dem Nationalhass 
zwischen den Spaniern und Holländern und bei der verfolgenden 
Stellung, welche die katholische Kirche gegen die protestantische 
damals überall einnahm, nicht zu verwundem; ebenso natürlich aber 
scheint es, dass die Holländer Jenen mit Gleichem vergalten. 

Wenn nun den Holländern vorgeworfen wird, dass sie durch 
die zur Unterdrückung des Aufstandes in Arima geleistete Hülfe das 
Christenthum in Japan ausgerottet hätten, so geschieht das ebenfalls 
mit Unrecht. Man kann mit Sicherheit behaupten , dass die Japaner 
auch ohne Koekebakker's Kanonen nicht nur mit den Christen in 
Arima, sondern mit allen Christen des Reiches fertig geworden wären, 
wenn sie sich einmüthig und zu gleicher Zeit erhoben hätten. Der 
Dynastie des Jyeyas konnten sie nicht mehr furchtbar sein. Die 
Aufständischen in Arima aber waren in eine verfallene Festung 
zurückgedrängt, von der Landseite vollständig cernirt, und konnten 



Koekebakker's Wirksamkeit. 



103 



sich auf keine Weise halten. Dass die 425 Schüsse, welche 
Koekebakker von seinem Schiife aus gegen die Festung feuerte, 
den Ausschlag gegeben haben sollten, wird Niemand glauben, der 
die Wirkung einer Kanonade -- und noch dazu aus Geschützen 
des siebzehnten Jahrhunderts — zu beurtheilen vermag. — Man 
kann fast mit Sicherheit annehmen, dass die Regierung durch ihre 
Forderungen an Koekebakker die Holländer auf die Probe stellen 
wollte; die Japaner kannten sie als Christen und trauten ilmen 
deshalb nicht. Wenn nun auch der Aufstand in Arima von Ur- 
sprung kein Religionskrieg war — das beweisen seine Anfange und 
der Umstand, dass die Aufrührer sich dem Siogun, der notorisch 
das Christenthum mit der grausamsten Härte verfolgte, auf Gnade 
und Ungnade ergeben wollten — so nahm er doch in der Folge den 
Charakter eines solchen an. Man hatte das Banner des Kreuzes auf- 
gepflanzt und es ist wohl zu vermuthen, dass der wiedererwachende 
Gliauben den Bedrängten Trost und Stärke verUehen habe, und als 
edleres Motiv bei Vielen zur Hauptsache geworden sei. — Wie 
wenig Koekebakker s zögernd geleistete Hülfe den Japanern genügte, 
wie wenig sie ihr Misstrauen beschwichtigte, beweist seine schlechte 
Aufnahme in Yeddo und die Ereignisse der folgenden Jahre. Traurig 
ist es, wenn einzelne holländische Schriftsteller behaupten, sein 
Benehmen erfülle nicht nur die Forderungen der Elire und Pflicht, 
sondern auch die der Staatsklugheit, wenn sie sogar als Protestanten 
die Verfolgung wehrloser katholischer Christen für gerechtfertigt 
erklären; — man kann aber vermuthen , dass Männer seines Schlages 
aus anderen Nationen unter gleichen Umständen ähnUch gehandelt 
hätten. 

Es scheint, dass man zur Zeit der Ereignisse selbst den 
Holländern keinen Vorwurf aus ihrem Benehmen gemacht hat. 
Mandelslo, ein deutscher Edelmann, der im Jahre 1639 Goa be- 
suchte und in freundschaftlichem Verkehr mit den dortigen Jesuiten 
stand, berichtet viel von den Schrecknissen der japanischen Cluristen- 
verfolgung, deren Schilderung er aus ihrem Munde vernahm, sagt 
aber nicht, dass sie die Holländer irgendwie beschuldigt hätten. 
Die ersten Schmähungen finden sich in den Büchern des Tavemier, 
eines französischen Abentheurers , der lange in Ostindien war und 
im Auftrage der französischen Regierung geschrieben zu haben 
scheint. Colbert nämlich hatte den Gedanken gefasst, eine fran- 
zösich- ostindische Handelsgesellschaft zu gründen, die auch mit 



104 



Französische Projecte. 



Japan Verbindungen anknüpfen sollte, und wünschte zu diesem 
Zwecke Holländer in den französischen Dienst* zu ziehen, welche 
mit den dortigen Verhältnissen bekannt wären. Niemand konnte zu 
diesem Unternehmen so geeignet sein als FrauQois Caron, der sich 
im Dienste der holländischen Compagnie in Japan vom Küchen- 
jungen zum Handels Vorsteher emporgeschwungen, diesen Posten 
wiederholt bekleidet hatte, und mit allen Verhältnissen und mit der 
Landessprache vertraut war. Dieser verliess, unzufirieden die ge- 
hoffte Beförderung zu den höheren Aenltem nicht zu finden, den 
Dienst der holländischen Compagnie und wurde von Colbert an die 
Spitze einer französischen Expedition nach Japan gestellt, starb aber 
auf der Ueberfahrt — wodurch das ganze Unternehmen scheiterte. 
Caron und Tavemier haben nun, selbst nach den Aussagen fran- 
zösischer Katholiken, die Holländer auf das schwärzeste verleumdet: 
die Werke des Letzteren strotzen von Ungereimtheiten und Wider- 
sprüchen. Auf sie und auf einige Worte' Kämpf er's , dessen Autorität 
in Dingen, die er nicht selbst beobachtet hat, zu hoch angeschlagen 
wird, gründen sich alle späteren Verunglimpfungen der Holländer 
und insbesondere die Schmähungen gegen Koekebakker. 

Was nun den anderen Punct, die Verleugnung des Christen- 
thumes betrifft, so wird dieser widerlegt durch das argw^öhnische 
Betragen der Japaner und besonders durch den im Jahre 1640 vor 
den Holländern in Firando verlesenen Erlass , worin ihnen die Ein- 
reissung aller Häuser mit der christlichen Jahreszahl befohlen und 
die Sonntagsfeier untersagt wird. Zu Eingang dieses Documentes 
heisst es ausdrücklich, es sei dem Siogun bekannt, dass die Hol- 
länder, ebenso wie die Portugiesen, Christen seien, dass sie den 
Sonntag feierten, die christliche Zeitrechnung, die zehn Gebote, 
das Vaterunser, die Taufe, das Glaubensbekenntniss, das Abend- 
mal, die Bibel, die Propheten und Apostel hätten, ganz wie die 
Portugiesen; den Unterscliied der Bekenntnisse achte man gering'"'). 
Die äussere Ausübung ihrer Religion wurde damals untersagt, die 
Ableugnung aber ist niemals von ihnen verlangt worden'"*). 

^^) Diesen Erlass hat Lauts (Japan in zijne staatkundige en burgeriijke inrig- 
tingen etc.) aus den Archiven der ostindischeu Compagnie mitgctheiit. 

^°*) Die von englischen und amerikanischen Schriftstellern so häufig wiederholte 
Erzählung, dass die Holländer auf die Frage, ob sie Christen seien, geants^^ortet 
Jiättcn »nein, wir sind Holländer-, beruht auf folgender Thatsache. Im Jahre 1629 
kam ein neuer Statthalter nach Nangasaki, der durch unbeugsame Strenge alle 



Die Kreuztretinig. 



105 



Die japanische Regierung hatte, um sich gegen ein neues 
Eindringen des Christenthumes zu sichern, die Ceremonie der 
Kreuztretung eingeführt, welche in den frülier christUchen Be- 
zirken in bestimmten Zeitabsclmitten wiederholt wurde. Die damit 
beauftragten Beamten zogen dann von Haus zu Haus, liessen die 
sämmtUchen Bewohner eine Erklärung unterzeichnen, dass sie keine 
Christen seien, und dann der Reihe nach auf eine Kupferplatte 
mit dem Kreuzesbilde treten. Dasselbe wurde von den nach 
Japan kommenden Chinesen verlangt. Nun hat ein NeapoUtaner, 
GemelU Carreri, der von 1693 bis 1698 in China war, und dessen 
Reisewerk auch in das Französische übersetzt worden ist, unter 
Änderen erzählt, dass die Holländer den Japanern die Maass- 
regel der Kreuztretung als Mittel der Entdeckung von Christen 
empfohlen, dass sie selbst sich freiwillig dieser Ceremonie unter- 
zogen und dadurch die Erlaubniss zum Handel nach Japan erwirkt 
hätten. Sein Gewährsmann ist ein aus Japan heimkehrender Chinese. 
Obwohl nun die Lügenhaftigkeit des Carreri hinreichend erwiesen 
ist, so hat man doch diese Fabel vielfach geglaubt und wiederholt; 
es ist aber gewiss, dass die Japaner nicht nur die Kreuztretung 
von den Holländern nicht verlangt, sondern ihnen sogar niemals 
erlaubt haben bei dieser Handlung gegenwärtig zu sein. Die Hol- 
länder haben mehrfach Gelegenheit gehabt in Japan ihren Glauben 
unter schwierigen Verhältnissen zu bekennen, und bekannten sie 
ihn nicht jährüch durch die mitgebrachten Erbauungsbücher, welche 
nur für die Zeit ihres vorübergehenden Aufenthaltes in Nanoasaki 
versiegelt abgeüefert wurden? 

dortigen Christen in Kurzem zur Abschworung des Glaubens vermochte. Alle Ein- 
wohner mussten ein schriftliches Bekenntniss unterzeichnen, dass sie keine Christen 
seien. Die beiden einzigen in Nangasaki anwesenden Holländer schrieben damals, 
von den Behörden gedrängt , die Worte » wir sind Holländer « und ihre Namen 
unter die Urkunde. 



n. 

POLITISCHE EINRICHTUNGEN UND ZUSTÄNDE WÄHREND DER 

ABSPERRUNG. 



Der Zeitraum von der Verbannung der Fremden bis zum Eindringen 
der Amerikaner 1854 ist in der japanischen Geschichte fast ein leeres 
Blatt zu nennen. Die Nachfolger des Jyeyas brachten dessen System 
gegen Mitte des siebzehnten Jahrhunderts zur vollen Ausbildung, 
seitdem hat die Entwickelung nahezu still gestanden. Auch äusser- 
lich ereignete sich wenig: zwei Verschwörungen gegen das Siooün- 
Haus wurden 1651 und 1766 entdeckt, ehe sie zum Ausbruch kamen; 
mit der Hinrichtung der Betheiligten war aber Alles abgethan und 
die Ruhe des Landes blieb ungestört. In Folge des über zweihundert- 
jährigen unimterbrochenen Friedens hat sich nun die Bevölkerung 
beträchtlich vermehrt, die Productionskraft des Landes zu einer 
Höhe gesteigert, wie sie nur die gesegnetsten Erdstriche kennen, 
und ein solches Gleichgewicht zwischen Ertrag und Verbrauch, 
Capital und Arbeit, zwischen dem Werthe der Erzeugnisse und der 
Tauschmittel herausgebildet, dass alle Bedürfnisse der Bevölkerung 
befriedigt werden und Niemand Mangel leidet. Dabei stehen die 
Japaner, einige sonderbare Auswüchse abgerechnet, an denen es ja 
auch in der euBopäischen Civilisation nicht fehlt, auf einer höheren 
Stufe der Gesittung als irgend ein anderes nichtchristliches Volk, — 
und diese Zustände haben sich unter einem Regierungssysteme ent- 
wickelt, das an und fiir sich im höchsten Grade künstUch und' 
unnatürlich, in seinen Grundsätzen gradezu verwerflich ist. Es soll 
versucht werden eine Darstellung dieser Verfassung zu geben, wie 
sie während der Jahrhunderte der Absperrung bestanden hat: denn 
in den letzten Decennien und besonders seit 1854 scheint sich Vieles 
geändert zu haben, weil die schwachen Siogun*s das alte System 
nicht mehr zu handhaben wussten und durch die Zulaiäsung der 
Fremden einen wesentlichen Theil desselben aufgaben. Leider ist 



Die japanische Staatsverfassung. 



107 



unsere Kenntniss dieses Systems auch heute sehr unvollständig: die 
Jesuiten, unter deren Augen sich seine Anfange entwickelten und 
die umständliche Berichte von allen äusseren Ereignissen geben, 
sagen nur wenig über die innere Einrichtung des Reiches. Seit der 
Ausweisung der Fremden hüllte sich die Regierung grundsätzlich in 
tiefes Geheimniss, und auch jetzt ist es schwer etwas Zuverlässiges 
zu erfahren. Die besten Nachrichten verdankt man noch immer den 
auf Desima eingeschlossenen Beamten der holländischen Factorei. 

Der Abgott der Japaner ist die Thatkraft. Kämpfer hat 
durchaus Recht, wenn er die Regierungsform einen ganz unein- 
geschränkten, ungebundenen Despotismus nennt. Die Kuanbak's 
in ihrer Blüthezeit, Yori-tomo, die Regenten von Kamakura, die 
Siooün's von MiAKO, Nobunanga, Taiko-sama, Jyeyas und seine 
Nachfolger sind vom Volke wie von den Grossen als unbedingte 
Gebieter anerkannt worden, so lange ihre Kraft den Verhältnissen 
gewachsen war, und haben sogar die Mikado's nach Willkühr ein- 
und abgesetzt. Es gab ausser dem höchsten Range des Mikado 
und dem daraus hergeleiteten Privilegium der Titelverleihung that- 
sächlich kein den Siogün bescliränkendes Recht; sein Willen war 
das höchste Gesetz, denn die Hoheitsrechte der Grossen sind nur 
nominell, so lange der Siogun die Kraft hat, den von Jyeyas 
eingerichteten Organismus in Gang zu erhalten und zu handhaben: 
standen sie doch unter beständiger ControUe, und mussten jeden 
AugenbUck gewärtig sein von der mächtigen Hand ihres Oberherm 
erdrückt zu werden ****). Darüber kann nach den vorhandenen Zeug- 
nissen kein Zweifel sein. Die Daimio's regieren ihre Territorien 
als absolute Souveräne, sind aber dem Siogun, der im Namen des 
Mikado herrscht, für Alles was dort vorgeht verantwortlich; er 
lässt sie durch seine Aufpasser bewachen und hat die Macht sie zu 
bestrafen, zu vernichten. Ihr Recht der unumschränkten Gewalt 

*^) Caroii, welcher unter den Niederländern des siebzehnten Jahrhunderts viel- 
leicht die genaueste Kenntniss der japanischen Zustände hatte, sagt vom Siogun: 
•Dero Majestät von Japan wird getituliret Kaiser, weil Könige und Fürsten unter 
seinem Gehossam sind; und er ein solcher Herr, der ganz freie Gewalt hat; als 
eigen thümlichcr Herr über das ganze Land und hat die Macht (gleichwie zu meiner. 
Zeit etlich mal beschehen ist) die grosten Könige und Herren , bisweilen um geringer 
Ursachen und Missethaten halben, aus ihren Ländern his Elend zu vertreiben, auf 
Inseln zu bannen, und mit dem Tode zu straffen, ihre Länder, Schätze, Reichthümer 
imd Einkommen anderen, die es nach sehiem Urtheil besser verdienen zu schenken." 
Fr. Caron*s Wahrhaftige Beschreibung u. s. w. deutsch von Merklein. Nflniberg 1672. 



Ivö Der Mikado, der Siogun, die DaTmio's. 

über ihre Untertbanen ist anerkannt, aber über ihnen steht der 
Siogun, der sie — immer im Namen des Mikado — züchtigt und 
absetzt, wenn sie willkührUch oder nicht nach seinem Willen 
handehi. Es ist im Grunde die uralte Verfassung: der Mikado 
ist seinem göttlichen Rechte nach unumschränkter Herr aller 
Japaner, die Daimio's regieren als erbUche Statthalter in seinem 
Namen mit absoluter Gewalt, so lange es ihm gefallt; das Recht 
des Mikado wird in seinem Namen von den Siooun's ausgeübt, 
welche ihn unterdrücken. Diese Stellung des Mikado ist uralt; die 
Beschränkung der Grossen hat Jyeyas in ein System gebracht, das 
seinen Nachfolgern die absolute Gewalt sicherte. Die japanische 
Regierungsform ist also von Grund aus und durch und durch des- 
potisch. Nur wenn schwache Herrscher auf dem Throne sassen, 
haben in früheren Jahrhimderten die Grossen das Joch abgeschüt- 
telt und die despotische Oberherrschaft der Siogün's oder Regenten 
bekämpft, aber jedesmal machte sich die alte Regierungsform einer 
absolut herrschenden Centralgewalt nach kurzer Unterbrechung wieder 
geltend. Das älteste und anerkannteste Recht ist das des Mikado, 
und an dieses haben sich zu allen Zeiten die rebelUrenden Grossen 
gelehnt, um den Schein der Legalität fiir sich zu haben. Etwas 
AehnUches scheint heute wieder in Japan vorzugehen. 

Der SiOGüN regiert also für den Mikado ; ihr Verhältniss muss 
man sich vorstellen wie das eines ewig kranken und unmündigen 
Herrschers zu dem Regenten. Dass dieser Zustand der Unmündig- 
keit nie aufhöre, ist Sorge des Siogun, dessen Stellvertreter, die 
Grossrichter von Miako , den dortigen Hof beaufsichtigen und bevor- 
munden. Das Haus des Jyeyas scheint mit den Erbkaisern recht 
gUmpflich umgegangen zu sein; von Entthronungen, wie sie unter den 
früheren Dynastieen so häufig vorkamen, hört man seit dem siebzehn- 
ten Jahrhimdert nichts mehr, im Gegentheil verbanden sich die 
Siogün's von Yeddo dem Mikado -Hause mehrfach durch Heirathen. 

Ueber das Leben und die Hofhaltung des Mikado werden 
tausend Ungereimtheiten erzählt; es ist schwer, hier das Wahre 
vom Falschen zu scheiden. Gewiss ist, dass von Alters^her Kunst 
und Wissenschaft am Hofe der Erbkaiser eifrig cultivirt und die 
äusserste Verfeinerung der Sitten angestrebt wurde *"''). Noch heute 

^^) Caron sagt, dass zu seiner Zeit alle Bücher am Hofe des Mikado gemacht 
worden seien: »und thut dasselbe ganze Geschlecht nichts als dass sie die Wollust 
der Welt geniessen und sich in Weisheit luid Studiren üben.« 



Berichte über den Mikado. 



109 



sollen die meisten Bücher in Miako gedruckt werden, dort befindet 
sich auch die mit guten Instrumenten ausgestattete Sternwarte, 
deren Astronomen den Meridian der Hauptstadt mit grosser Genauig- 
keit berechnet haben '*'). — Man sagt, dass'am Hofe von Miako 
allein sich die alten japanischen Sitten in ihrer Reinheit und Ein- 
fachheit erhalten; dort werden viele Ceremonieen, Gewohnheiten 
und Formen aus früher Zeit bewahrt, welche heute dem gesunden 
Menschenverstände lächerUch erscheinen, aber für die Japaner, 
welche grosse Ehrfurcht und AnhängUchkeit an die Traditionen 
ihrer Vergangenheit haben, gewiss von Werth und Bedeutung sind. 
So soll der Mikado ausserhalb seines Palastes den Erdboden nie- 
mals mit den Füssen berühren, soll niemals dasselbe Kleidungsstück 
zweimal anlegen, noch bei seinen Malzeiten sich zweimal desselben 
Geschirres bedienen dürfen; deshalb nimmt man für seine Küche 
und seinen Tisch jetzt nur grobe Töpferwaare, denn alles von ihm 
benutzte Geschirr muss gleich nach dem Gebrauche zerbrochen 
werden; — seine Person ist so heiUg, dass die Berührung von ihm 
benutzter Sachen jedem anderen SterbHchen Krankheit und Tod 
bringen würde; deshalb verbrennt man auch seine Kleider. — Der 
Mikado soll eigentUch neun mal neun, also 81 rechtmässige Frauen 
haben — dies hält man für die vollkommenste Zahl, — er heirathet 
gewöhnUch aber nur neun; ausserdem haben drei Frauen be- 
stimmte Functionen bei seiner persönUchen Aufwartung, und auch 
diese werden zu seinen Gemalinnen gerechnet. Von diesen zwölf 
erhebt er eine zur Kaiserin *^®). Die Frauen dürfen sich den 
Gemächern ihres Herrn nur mit gelöstem Haupthaar und baarfuss 
nahen; sie haben die ObUegenheit, ihn zu bedienen und zu kleiden. 
Da es gegen die Heiligkeit seiner Person ist, sich Haare, Bart und 
Nägel schneiden zu lassen, so werden diese Operationen gleichsam 
verstohlener Weise an ihm vorgenommen, während er schläft oder 

»^ N&mlich 135° 40' 00" ostlich von Greenwich. S. von Siebold Nippon Bd.I. 

***) Gewöhnlich wurde die Mutter des Thronfolgers zur Kaiserin erhoben. Die 
Frauen scheinen durch die ganze japanische Geschichte grossen Einfluss am Hofe 
des Mikado, und in alten Zeiten auch auf die politischen Angelegenheiten gehabt 
zu haben. Unter di'eizehn Mikado's, die von 642 bis 769 auf dem Throne sassen, 
waren sieben weibliche. Dies war ungefähr die Periode, in welcher die Erbkaiser 
zuerst ihre Macht an die Kuanbak's verloren. — Von 769 bis 1630 scheint kein 
weiblicher Mikado regiert zu haben, aber noch im vorigen Jahrhundert (1763 — 1770) 
bekleidete eine Frau diese Würde. 



llv Der Mikado. 

ZU schlafen vorgiebt. Die Frauen wohnen jede in einem besonderen 
Hause, die Abendmalzeit wird bei allen aufgetragen; bei welclier 
dann der Mikado erscheint, vereinigen sich auch die übrigen zum 
Schmause, zu Gesang, Tanz und Saitenspiel. Nach dem Volks- 
glauben stirbt kein Mikado kinderlos; hat er selbst keinen Solm, 
so schenkt ihm der Himmel einen, d. h. er findet unter einem 
Baume am Eingang des Palastes ein mit seiner Bewilligung aus 
den Agnaten gewähltes Kind. Dies scheint die übUche Form der 
Adoption im Hause des Mikado zu sein. — Im Palaste sollen viele 
Götzenbilder stehen; die Missionare erzählen, dass, wenn ein 
Unglück das Land betrifft, die Erbkaiser einen dieser Götzen 
beschuldigen und auspeitschen lassen, ihn nachher aber, um von 
seinem Zorne nicht Schaden zu leiden , wieder zu Gnaden aufnehmen 
und besänftigen. Nach uralter ostasiatischer Anschauung ist der 
Herrscher selbst für jedes das Land betreffende Unglück verant- 
wortlich, wie auch der Urheber allen Segens. Sturm und Sonnen- 
schein, Fruchtbarkeit und Misswachs, Erdbeben und Feuersbrünste 
kommen eben so gut auf seine Rechnung, als Kriegsruhm und Nie- 
derlagen, schlechte und gute Verwaltung. Kämpfer erzählt, dass 
in früherer Zeit der Mikado mit der Krone auf dem Haupte zum 
Wohle des Reiches tägUch einige Stunden regungslos auf. dem 
Throne habe sitzen müssen; rülirte er sich nach der einen oder 
anderen Seite, so war in dieser Richtung das grösste Unglück zu 
befurchten. Später fand man, dass der Zweck \del leichter erreicht 
würde, wenn man die Krone allein auf den Thron setzte, bei der 
eine unwiUkührhche Bewegung nicht leicht zu besorgen war. — Der 
Namen des regierenden Mikado wird geheim gehalten so lange er 
lebt, und es ist bei Todesstrafe verboten ihn auszusprechen; man 
bezeichnet seine Person gewöhnlich mit dem Ausdruck Dairi, 
d. h. Palast"^). 

109^ Nach seinem Tode erhält jeder Mikado einen Ehrennamen, mit welchem 
er in der Geschichte bezeichnet wird. Nach Klaproth (Note zu den Kaiserannaleu) 
hatten diese Namen in der frühesten Zeit Beziehung auf die Eigenschaften der ver- 
storbenen Erbkaiser; seit dem sechsundfunfzigsten Mikado aber gab man ihnen die 
Namen der Paläste, welche sie bewohnt hatten. Beim Tode des Mikado wurde 
dessen Wohnpalast zerstört und für seinen Nachfolger ein neuer gebaut. Alle 
Erbkaiser bis zum einundsechszigsten fuhren den Titel «• Tkn - o « , d. h. der Er- 
habene vom Hinmiel. Der einundsechszigste nahm den Titel » In « an , d. h. 
Palast; sein Name ist Dsu-dsiak-no-in, d. h. der Palast des rothen Vogels. Der 



Der Hof von Miako. Der Siogun. 



111 



\'erlässt der Mikado sein Schloss, was nur unter dem Vor- 
wande eines Tempelbesuches geschehen darf, so wird er in reich ver- 
zierter Sänfte auf den Schultern getragen, oder in einem mit Ochsen 
bespannten Staafcswagen gefahren; der Auszug geschieht dann mit 
vielem Gepränge. Sein gesammter Hofstaat soll sich von Spröss- 
lingen seines eigenen Geschlechtes herleiten und mit ihm gleichsam 
eine Familie bilden, deren Gheder sich über alle anderen Erden- 
bewohner erhaben dünken'*"). Die geringsten Beamten dieses 
Hofes fordern selbst von den Lehnsfürsten ehrerbietige Begegnung 
und haben den Vortritt vor ihnen. Der Siogün empfangt die Ge- 
sandtschaften des Mikado unter Prost-ationen und lässt sich erst 
nachher von ihnen die gleiche Ehre erweisen. Er selbst kommt 
nur selten und bei ausserge wohnlichen Gelegenheiten nach Miako, 
lässt den Mikado aber häufig durch Gesandtschaften begrüssen. Er 
bezahlt die Kosten der erbkaiserhchen Hofhaltung, aber die Be- 
soldimg der niederen Beamten soll so gering sein, dass viele sich 
durch Korbflechten und andere Handarbeiten ernäliren müssen. — 
Der Mikado ist der Ausfluss aller Ehren und Würden; die Geschenke, 
welche besonders bei aussergewöhnlichen Rangverleihungen gegeben 
werden müssen, sind so bedeutend, dass die Siogun's sich oft dieses 
Mittels bedienen, um allzureiche Fürsten einzuschränken. 

Während der Blüthezeit üirer Macht haben also die Siogun's 
ganz unumschränkt geherrscht und wahrscheinUch auch die wichtig- 
sten Staatsangelegenheiten ohne Zuziehung des Mikado entschieden. 
So ist das Verhältniss in allen älteren Werken über Japan dai^e- 
stellt. Höchstens eine formelle Mittheilung der Beschlüsse mag 
übUch gewesen sein. Neuere Schriftsteller behaupten, wahrscheinüch 
mit Unrecht, die Sanction des Mikado sei zu jedem Gesetze, zu 
jeder folgereichen Entscheidung erforderlich. Dass er de jure, 

zweiimdsechszigste Mikado wurde wieder Ten-o genannt, weil er der alten Sinto- 
Religion anhing; auch der einundaehtzigste fulirte diesen Titel, weil er als Kind vor 
der Einweihimg in die buddistischen Lehren starb. 

*^®) Caron sagt von ihnen : ■ — und finden sich mehr als hundert Personen unter 
ihnen, die für edler als der Kiuser selbst gehalten werden, und deshalb mit viel 
höheren und herrlicheni Tituln begabt sind.« — Nach den Angaben der neuesten 
Schriftsteller soll der Siogun die vierte Rangstufe im japanischen Staatskalender ein- 
nehmen. — Nach Kämpfer und anderen Autoren vermieden die DaImio's bei ihren 
Hofreisen geflissentlich Miako, weil sie bei der Begegnung mit den Kuoe — den 
Hofleuten des Mikado — aus .der Sänfte steigen und sich bei der geringsten Ver- 
letzung der hergebrachten Formen oft arge Demüthigiuigen gefallen lassen müssten. 



aIä Verhältniss des Siooun zum Mikado. 

der oberste Souverän von Japan und die erste Person im Staate 
ist, kann Niemand bezweifeln, dass aber thatsächlich seit einem 
Jahrtausend die Macht immer in den Händen seiner Stellvertreter 
gelegen hat, beweist die japanische Geschichte ganz deutlich. Die 
japanische Theokratie besteht noch heufce zu Recht, aber der Ge- 
brauch ist stärker als dieses Recht; so lange der Siooun die Daimio's 
aus eigener Macht beherrscht, bedarf er der Autorität des Mikado 
nicht. Erst seit Anfang dieses Jahrhunderts scheint man von Yeddo 
aus die Erbkaiser in belangreichen Fällen um ilure Ansicht befragt 
zu haben: der holländische Handelsvorsteher DoeflF, welcher von 
1798 bis 1817, also neunzehn Jahre in Japan war und das unbedingte 
Vertrauen der Behörden genoss, berichtet zw^ei derartige Fälle, die 
sich während seiner Anwesenheit zutrugen. Zuerst handelte es sich 
um eine Verbesserung des Kalenders, um Einfuhrung des Sonnen- 
statt des Mondjahres***); hier war der Schritt sehr natürlich, da 
alle japanischen Kalender in Miako unter Aufsicht der Hofastronomen 
gemacht werden. Das andere Mal galt es die Beantwortung der 
russischen Eröffnungen im Jahre 1804: diesmal gebot Staatsklugheit 
die äusserste Vorsicht und volle Uebereinstinmiung mit dem Mikado, 
an dessen Rechte sich im Falle eines auswärtigen Krieges die 
Daimio's leimen konnten, um die Siogün- Dynastie zustürzen; denn 
die AusschUessung der Fremden war ein wesentücher Bestandtheil 
des höchst künstlichen Systemes, das nur so lange ausreichte, als 
die Centralregierung alle ihre Kräfte den inneren Angelegenheiten 
zuwenden konnte. Die Gewaltherrschaft des Siogun musste zunichte 
werden, sobald die Grossen Luft gewannen. Die einzelnen Fürsten 
waren ihm niemals gefahrlich und auch eine Verbindung von 
mehreren wegen ihrer Uneinigkeit und gegenseitigen Eifersucht nur 
dann zu fürchten, wenn sie einen gemeinsamen Mittelpunkt hatten. 
Diesen bot aber nur der Thron des Mikado, um welchen sich die 
Grossen sicherlich im Falle eines auswärtigen Krieges geschaart 
hätten, wenn er dem Siogun entgegentrat. Die Autorität des MiKAoo 
wird aber nur dann gefährlich, wenn ihn die Daimio's zu stützen 
vermögen, und dieser Fall muss immer eintreten, wemi der Siogun 
nach aussen hin beschäftigt ist. — Doeff betont ausdrücklich, 

1") Das NiPPON-Ki erwähnt unter dem Jahre 675 n. Chr. der Erbauung der 
ersten Sternwarte ; 690 wurde der erste Kalender , eine Nachbildung des chinesischen, 
förmlich eingefuhi't. Verbessert wurde der Kalender in den Jahren 700, 857, 861; 
1684 und endlich 1798. 



Die Erbfolge im Siooun - Hause. 11«> 

dass diese beiden die einzigen Fälle während seiner Anwesenheit in 
Japan waren, in welchen der Mikado befragt wurde. Der Punet 
ist von Wichtigkeit fiir die Beurtheilung der neuesten japanischen 
Geschichte. 

Die Erbfolge im Hause der Siogun's ist in folgender Weise 
geregelt. Jyeyas hatte vier Söhne: der älteste war der Fürst von 
OwARi, der zweite der Siooun Fide-tada, der dritte der Fürst von 
Kii, der vierte der Fürst von Mito"'). Der Siogün wählt den 
Thronfolger unter seinen Söhnen, und wenn er deren nicht hat, 
aus der Zahl der nächsten Agnaten. Fehlt es auch an solchen, 
so muss er aus einer der Familien Owari, Kii und Mito den Thron- 
folger adoptiren, welcher dann als Repräsentant der Siogun- Linie 
gilt und die Würde auf seine Nachkommen vererbt, bis etwa eine 
neue Adoption aus den drei Nebenlinien nothwendig wird. Die 
Häupter derselben heissen die Titularbrüder des Siogun und sind 
die ersten Männer des Reiches; ihre Stellung scheint in neuester 
Zeit besonders einflussreich geworden zu sein. Alle nichterbenden 
Söhne des Siogun werden gewöhnlich von kinderlosen Daimio's 
adoptirt und verlieren dadurch mit ilirer ganzen Nachkommenschaft 
auf immer alles Recht auf die Thronfolge. — Der Siogun Tsuna- 
Yosi, der 1680 zur Regierung kam, wollte nach dem Tode seines 
einzigen Sohnes von dem alten Hausgesetze der Thronfolge ab- 
weichen und den Sohn eines Günstlings als Erben adoptiren; um 
ihn daran zu verhindern und dem Reiche den Frieden zu erhalten, 
entschloss sich die Kaiserin ihren Gemal zu ermorden und gab gleich 
darauf auch sich selbst den Tod. Der nächste Agnat Jye-nobu, 
des Ermordeten Neffe, wurde auf den Thron erhoben; mit seinem 
Sohne Jye-tsugu, der minderjährig starb und, selbst imter Vor- 
mundschaft, keinen Erben adoptiren konnte, erlosch der Marmes- 
stamm des Fide-tada. Die Wahl der Titularbrüder fiel damals auf 
den Fürsten von Kii, Yosi-mune, der sich den Namen eines grossen 
Regenten erworben hat. 

Heutigen Tages leben die Siogun*s fast ganz eingezogen in 
ihrem von dreifacher Ringmauer umgebenen Schlosse zu Yeddo und 
sind nur fiir den Hof sichtbar. Nur die Da'imio's und hohe Staats- 
beamte werden zur Audienz gelassen, welche gewöhnüch kaum eine 

*^*) Einige Autoren berichten noch von einem fünften, der, älter als die ge- 
nannten vier, Ansprüche auf den Thron gemacht hätte und vouFidk-tada beseitigt 

worden wäre. 

I. 8 



114 Das Leben der Siogun*8. Die Kuob und Geqb. Adel und Volk. 

Minute dauert und als die höchste Gnade angesehen wird, deren 
ein Unterthan theilhaft werden kann. Alle, die sie genossen haben, 
sind berechtigt das Wappen des Kaiserhauses auf ihren Kleidern 
zu tragen. — In früheren Zeiten scheinen die Siogun's nicht so einsam 
gelebt und namentUch die Jagd, welche noch heute ihr Regal 
im weiten Umkreise von Yeddo ist, eifrig geübt zu haben. Jetzt 
verlassen sie selten und nur mit grossem Gefolge den Palast: 
Herolde verkünden dann in den Strassen die Näherung des kaiser- 
lichen Zuges, alle Häuser werden geschlossen, Niemand darf sich 
sehen lassen; lautlose Stille herrscht auch im Gefolge des Siogun. 
Schweigen gilt überhaupt in Japan als Zeichen der Ehrerbietung, 
jeder Zuruf, jedes laute Wort vor einem Höheren ist Beleidigung — die 
japanischen Grossen verlangen eben nur Ehrfurcht, keine Zustimmung. 
Die Sitte, vor dem Siogxjn die Häuser zu schliessen, ist schon alt: 
Caron erzählt, dass, wer den kaiserUchen Zug sehen wollte, in 
seiner Hausthüre auf einer Matte niederknieen musste. — Im Laufe 
des siebzehnten Jahrhunderts und besonders unter Tsuna-yosi ver- 
sank der Hof von Yeddo in Verweichlichung und tiefe Sittenlosigkeit. 
Yosi-MUNE stellte die gute Zucht her und brachte die längst ver- 
gessenen ritterUchen Uebungen wieder zu Anselm, man übte sich 
in der Jagd, im Bogenschiessen, Carousselreiten, Fechten und 
Schwimmen; der Siogun selbst gab das Beispiel und theilte die 
Prämien aus. Seine Zeit wird als die glänzendste und glücklichste 
des modernen Japan gerühmt. 

Der Mikado steht als GöttersprössUng mit seinem gesammten 
Hofstaat über allen Sterblichen; die gemeinsame Benennung dieser 
Bevorzugten ist Kuge, alle anderen Japaner heissen Gege. Die 
Geoe zerfallen in den Adel und das Volk, welche wieder durch 
unübersteigliche Schranken von einander geschieden sind. Die 
Adligen heissen Samra'i, Krieger; sie führen ihren Ursprung etwas 
mythologisch auf die Leibwache des Dsin-Mu zurück und vindi- 
ciren damit ihren Antheil an der göttUchen Abstammimg, aufweiche 
sie die Rechte ihrer Stellung gründen. Die Spitze dieses Adels 
sind der Siogun und die Daimio's als Grundherren des ganzen 
Landes; der Siogun ist nur der reichste und mächtigste Daihio, 
welcher im Namen des Mikado alle übrigen beherrscht. Von den 
f)8 Landschaften, in welche das eigentliche Japan (mit Einschluss 
von Iki und Tsüs-sima) zerfallt, gehören ihm fünf, alle übrigen 
dem Lehnsadel. Es soll über 600 grössere und kleinere Herrschaften 



Verhältnisse des Grundbesitzes. Die Kriegsmacht. H^ 

geben, von denen einige mehrere Provinzen umfassen. Ob unter 
diesen 600 die kaiserlichen Lehen mitbegriflFen sind — denn auch 
die Provinzen des Siogtjn scheinen an Adelsfamilien ausgethan zu 
sein — ob die kleineren Besitzer Vasallen der reicheren Daimio's 
oder ob sie reichsunmittelbar sind, ist ungewiss. Die Verhältnisse 
scheinen sich in den verschiedenen liandestheilen sehr vielgestaltig 
entwickelt zu haben'*'); im Allgemeinen lässt sich aber annehmen, 
dass nur die grösseren Besitzer reichsunraittelbare Fürsten sind und 
keine Steuern zahlen, die kleineren aber theils ihre, theils kaiserliche 
Vasallen, welche einen Zehnten vom Ertrage der Ländereien an 
ihre Herren, den Siogun und die Lehnsfiirsten abliefern müssen. 
Auch die Reichsunmittelbaren scheinen nicht durchgängig dieselbe 
Stellung zu haben, das Verhaltniss einiger Familien ztun Siooun 
soll sogar auf besonderen Verträgen beruhen. Specielles weiss man 
darüber fast gar nicht. 

AUe Daimio's sind verpflichtet, nach dem Maasse ihrer Ein- 
künfte Soldaten zu unterhalten. Caron giebt die Heeresmacht, 
welche der Adel zu seiner Zeit stellen musste, auf 368,000 Mann 
Fussvolk und 36,800 Reiter an. Ausserdem giebt es ein zahlreiches 
kaiserliches Heer. In der That ist jedes Mitglied der Adelsclasse, 
jeder Zweischwertige, Soldat, wird mit einem bestimmten Range 
in der Armee geboren, muss das WafFenhandwerk lernen und seinem 
Lehnsherrn im Jünglingsalter den Eid der Treue leisten, und erhält 

von dem Augenblick an seinen bestimmten Sold aus dessen Kasse. 

« 

**^ Um ein Beispiel von den Besitzverhältnissen zu geben, mögen hier die An- 
gaben des Herrn von Siebold über einige von ihm bereiste Landschaften stehen. 

Die Provinz Fidsen ist unter mehrere Fürsten und »Reichsvasallcn« vertheilt. 
Der reichste imter den vier Fürsten, — welche sämmtlich der Familie Nabe-sima 
angdioren, ist der Fürst von Fidsen, welcher 357,000 Kok Einkünfte hat und in 
Sanqa residirt. Die sechs Reichsvasallen sind aus verschiedenen Familien und haben 
10,000 bis 70,000 Kok Einkünfte , alle fuhren den ELami- Titel. — In Tsiküdsen giebt 
es einen regierenden und einen apanagiilen Fürsten. — In Budsen hat der in 
Kokura residirende Fürst 150,000 Kok Einkünfte; ein anderer Prinz aus demselben 
Hause ist mit dem Ertrage einer neu angebauten Landstrecke, etwa 10,000 Kok 
belehnt Mehrere Ortschaften an der Grenze von Bungo sind Domänen des Siooun. 
— In Nakatsu, im ostlichen Budsen, hielt damals ein Fürst aus der Familie 
Satsuma mit 100,000 Kok Einkünften Hof. — Aehnlich mögen die Verhältnisse in 
anderen Landestheilen sein. 

Alle Einkünfte werden nach Kok d. i. Säcken Reis berechnet. Ein Kok hält 
etwa 100 Pfund Gewicht, und kann nach den jetzigen Preisen zu 4 bis 5 Thaler 
Geldwerth gerechnet werden. 

8- 



-^1^ Besoldung. Die DaTmio's und Siomio's. 

Der Sold wnurd meist in Reis bezahlt; da sich nun seit dem sieb- 
zehnten Jahrhundert sowohl die Bevölkerung als die Fruchtbarkeit 
des Landes bedeutend gehoben hat und da jeder Sohn eines Samrai 
wieder Soldat werden muss, — da femer das Einkommen des 
SioouN und der Daimio's sich nach dem Bodenertrage richtet, so 
kann man annehmen, dass mit der Productionskraft des Landes 
und der Bevölkerung im Allgemeinen auch die Zahl der Soldaten 
wächst, welche von den Fürsten unterhalten werden, und dass das 
japanische Kriegesheer heute noch viel zahlreicher ist als zu 
Caron's Zeiten. 

Den Namen Daimio fuhren die vornehmeren unter den Lehns- 
fursten; Siomio heisst der minderbegüterte oder, wie andere wollen, 
der neuere Adel. Jyeyas räumte nach dem Regentenkriege und 
wahrscheinlich noch mehr nach der Besiegung desFiDE-YORi unter 
den ihm feindlichen Familien stark auf, zerstuckte ihren Besitz in 
viele kleine Theile, mit denen er seine Getreuen belehnte, und 
schuf sich dadurch eine mächtige, ihm selbst aber wegen der Klein- 
heit des Einzelnbesitzes ungefährliche Parthei : dieser Adel des Jyeyas 
soll vorzugsweise mit dem Namen Siomio bezeichnet werden. 

Titel und Besitz vererben in den FamiUen des Lehnsadels 
auf einen imter den Söhnen oder Agnaten ausgewählten Nachfolger; 
in Ermangelung eines solchen wird der Erbe aus einer ebenbürtigen 
Familie unter der Sanction des Siogun adoptirt, welcher auch die 
Heirathen des höheren Adels schliesst. Die Daimio's sollen es sich 
besonders angelegen sein lassen, immer den fähigsten unter ihren 
Söhnen zum Nachfolger zu ernennen und häufig sogar, wenn es 
den natürlichen Erben an Begabung fehlt, mit Uebergehung der- 
selben einem Fremden durch Adoptirung die Succession zuwenden. 
So finden hervorragende Eigenschaften meistens ihre Stellung, der 
japanische Lehnsadel soll fast durchweg aus tüchtigen Männern 
bestehen. Was aus den nichterbenden Söhnen der Grossen wird, ist 
unbekannt; Töchter scheinen in Japan überhaupt nicht mitzuerben. 

Der Einfluss auf die Heirathen und die Succession des Lehns- 
adels, die Zerspaltung des Reiches in viele Gebiete von ungleicher 
Grösse und die Eifersucht der Familien untereinander geben an sich 
dem SioGüN schon grosse Macht über dieselben, aber ihre Be- 
schränkung geht noch viel weiter. Schon 1625 erschien die wichtige 
Verordnung, dass alle Daimio's sich in Yeddo Paläste bauen und 
ein um das andere Jahr dort zubringen sollten. Während sie selbst 



Verhältniss des Siogun zu den DaTmio's. 11 • 

auf dem Lande sind, müssen ihre Familien als Geissei in der Haupt- 
stadt bleiben ; auf allen dabin filbrenden Landstrassen sind Schlag- 
bäume aufgestellt, wo die Da'imio's bei ihrem Auszuge von Yeddo 
anhalten und ihr Gepäck untersuchen lassen müssen, ob etwa 
Frauen darin versteckt sind. Während des Landaufenthaltes 
darf kein weibliches Wesen über ihre Schwelle kommen. In der 
Hauptstadt selbst war es nur mit einander verwandten Daimio's 
erlaubt sich gegenseitig zu besuchen; man sorgte dafür, dass Nachbar- 
besitzer sich niemals zu gleicher Zeit in Yeddo oder auf dem Lande 
aufhielten. Sie haben zwar auf ihren Besitzungen und in ihren 
Palästen zu Yeddo die absolute Gewalt über ihre Unterthanen — 
und es wird als etwas ganz Gewöhnliches erzählt, dass Daimio's ihre 
Untergebenen für geringe Vergehen ohne Weiteres auf dem Hofe 
ihrer Wohnung köpfen lassen — aber sie sind für die gute Ver- 
waltung imd überhaupt für Alles, was auf ihren Besitzungen vorgeht, 
mit dem Leben verantwortlich und werden sogar für die Fehler und 
Nachlässigkeiten ihrer Unterthanen bestraft. Der Siogun kann die 
Daimio's zu Gefangniss, Verbannung und zum Tode verurtheilen, 
kann sie zur Abtretung der Herrschaft an ihre Erben zwingen und 
sogar ganze Familien auf immer aus ihrem Besitze Verstössen. Nur 
zu der Entsetzung seiner Titularbrüder und einiger der vornehmsten 
Lehnsfursten"*) soll in neuerer Zeit die Einwilligung des Mikado 
erforderlich gewesen sein. 

Das Leben der Daimio's auf dem Lande ist streng geregelt, 
zu jedem aussergewöhnlichen Schritte bedürfen sie der Erlaubniss 
des Siogun ' ' *). Jedem der vornelimeren Lehnsadligen sind zu seiner 
Ueberwachung von Seiten der Regierung zwei officielle Secretäre 
beigegeben, die sich von sechs zu sechs Monaten im Amte ablösen, 
ihre FamiUen aber bleibend in Yeddo lassen müssen. Sie haben 

^") Als solche werden die Füi'Sten von Kanoa, Satsuma, Muts, Ystsisen, 
OoMi und Osio genannt. — Im Jahre 1773 befahl der Siooun einem der kaiserlichen 
Prinzen, dem Fürsten von Rii, welcher jähzornigen Charaktei*s imd grausam gegen 
seine Untergebenen war, sich zu entleiben. Tsuna-yosi ertheilte denselben Befehl 
seinem eigenen Bruder, der sich dem Trünke ergeben hatte und ein unwürdiges 
Leben führte. 

^^^) Sie durften z. B. noch bis ganz vor kurzem keinen Ausländer bei sich 
empfangen — auch in Yeddo in ihren Häusern nicht, — ohne specielle Erlaubniss 
der Regierung, deren Aufpasser dann bei allen Unterredungen gegenwärtig sein 
mussten. So bedui'ften sie auch zum Ankauf von Dampfschiffen , Kriegsbedarf u. s. w. 
der besonderen Genehmigung des Siooun. 



llo Beaufsichtigung der DaTmio's. 

den ihrer Aufsicht befohlenen Daibuo auf Schritt und Tritt zu be- 
gleiten und jede seiner Handlungen nach Hofe zu berichteil. Ausser 
diesen ofGiciellen Aufpassem unterhält die Regierung im ganzen Lande 
viele geheime Spione, die Niemand als solche kennt; sie werden aus 
den angesehensten Fanulien des Hofes genommen, und müssen sich 
oft dazu hergeben, in geringer Verkleidung — als Handwerker, 
Tagelöhner u. s. w. — viele Jahre unter den schwierigsten und im- 
bequemsten Verhältnissen zuzubringen"'). Diese Stellungen sind 
sehr gefahrUch, aber in Japan darf sich Niemand unterstehen, ein 
übertragenes Amt auszuschlagen, seine Ehre wäre verloren und 
damit sein Leben. Grade das Amt des geheimen Spions fordert die 
grösste Zuverlässigkeit und Geschickliclikeit und wird meist nur vor- 
züghchen Männern vertraut. Damit nun aber auch die geheimen 
Aufpasser controUirt werden können, sind überall im Lande öflFent- 
liehe Briefkasten für die Beschwerden des Volkes aufgestellt; die 
Klagschriften werden in Yeddo geöflSoiet imd müssen, um berück- 
sichtigt zu werden, mit dem Namen des Klägers unterzeichnet sein, 
der in schwere Strafen fallt, wenn seine Angaben sich als unrichtig 
erweisen. 

Die ganze Existenz der Daimio's ist so zugeschnitten, dass 
selbst die reichsten niemals über grosse Geldmittel verfugen können. 
Ihre Hofhaltung und Kriegsmacht verschlingen den grössten Theil 
ihrer Einkünfte — zudem ist es hergebracht, dass vornehme Leute 
ihrem Stande gemäss AUes weit über dem Werth bezahlen, und bei 
iliren Hofreisen müssen sie dem Siogun jedesmal werthvoUe Geschenke 
überreichen. Sammelt trotzdem ein Daihio viel baares Geld, so ladet 
sich der Siooun bei ihm zum Frühstück ein, oder lässt ihm von dem 
Mikado einen ausserordentlichen Titel verleihen; beides sind so 
kostbare Ehren, dass die Kassen der davon betroffenen auf lange 
Zeit hinaus erschöpft werden. 

Dies war ungefähr die Stellung des Lehnsad^Is in den 
Jahrhunderten der Abschliessung. Natürlich gab es darin viel- 
fache Modificationeu, wie sie locale Umstände, die Stellimg der 
einzelnen Fürsten zu iliren Unterthanen, die Lage und eigenthüm- 
liche Verfassung und die Entfernung ihrer Herrschaften von der 

^^^) Ein Gouvenieui' vou Hakodade wurde plotzlicli seines Postens enthoben. 
Als Nachfolger tra( in sein Amt ein Mann, welchen man mehrere Jahre lang als 
Arbeiter eines Tabakshändlcrs dort gekannt hatte. Er gehorte einer voniehmen Hof- 
Familie an, und war als geheimer Spion nach Hakodade gesandt worden. 



Die mächtigsten Lehnsfursteu. Die Saubai eine Kricgcrkaste. ^^^ 

Hauptstadt, vielleicht auch besondere Verträge bedingten, die ein- 
zelne Familien mit dem Siogun- Hause in alter Zeit geschlossen 
hatten. Einer der reichsten und der mächtigste Daimio war immer 
der Fürst von Satsüma, aus dessen Gebiet seit zwei Jahrhunderten 
nur ein geheimer Spion lebendig zurückgekehrt sein soll. Diese und 
andere angesehene Famihen, wie Kanga, Muts, Yetsisen, Osio, 
Naägato haben die Siogun's von je her mit grosser Rücksicht 
behandelt und durch Verschwägerung an ihr Haus zu fesseln gesucht. 
Das System bedurfte, so ausgebildet, so vollkommen es war, doch 
immer der geschicktesten Handhabung. — In neuester Zeit, seit 
Zulassung der Fremden, scheint die Centralregierung den grössten 
Theil ihrer Macht über die Daimio's eingebüsst zu haben. 

Die übrigen Samrai sind die Vasallen und Trabanten des 
Siogun und der Daimio's. Der Adel ist wie gesagt eine Art Krieger- 
kaste, zu der alle Beamten — die kaiserlichen wie die fürstüchen, — 
die Gelehrten , ein Theil der Aerzte und die Priester mehrerer Secten 
gehören. Es giebt in dieser Classe unendUch viele Abstufungen, 
Famihen, die Ländereien zu Lehen haben, und andere, die ihre 
Einkünfte direct aus der herrschafthchen Kasse beziehen; aus letz- 
teren scheinen die meisten Aemter und Stellen besetzt zu werden. Alle 
diese Famihen haben einen angestammten militärischen Rang, der 
sich durch das dem Einzelnen übertragene Amt nicht ändert. Nur 
dieser mihtärische Geburtsrang hat Geltung, das Amt ist etwas 
Zufalliges und scheint weder zu erhöhen noch zu erniedrigen * ' '). 
Natürlich werden die höheren und wichtigeren Stellungen gewöhn- 
lich aus den vornehmeren Famihen besetzt, doch kommt es häufig 
vor, dass begabte Männer von niederem Adel die einflussreichsten 
Aemter bekleiden. Ein gemeinsames Band umschhngt alle Samrai 
und sondert sie vom Volke ab, aus welchem nur selten und tiir 
ganz ungewöhnhches Verdienst Einzelne, sei es vom Siogun oder 
von den Fürsten, in den Adelstand erhoben werden. Die Scheidung 
vom Volke ist uralt und die Kluft so gross, dass der wohlhabendste 
Kaufmann nur auf den Knieen hegend mit dem geringsten Samrai 
redet. Die Samrai können niemals unter das Volk hinabsteigen und 
sich durch Handwerk oder gar durch den Handel ihren Unterhalt 
erwerben; ihre Geburt legt ihnen die bestimmtesten Verpflichtungen 

^^^) So hatte der Adoptivsohn des kaiserlichen Leibarztes, welcher sich im 
Herbst 1861 in Nanoasaki befand, als Mitglied der kaiserlichen Leibwache höhei'en 
Rang, als der 7Ai derselben Zeit dort fungirendc kaiserliche Statthalter. 



120 



LoNiNe. Kleidung des Adels. Die kaiserliche Leibwache. 



auf. Der Sold, den sie beziehen, richtet sich nach dem Range, 
und reichte, so lange die Abschhessung Japans währte, auch bei 
den gemeinen Soldaten zur Bestreitung der nothwendigsten Lebens- 
bedürfnisse aus. Wird aber ein Samrai wegen schlechter Führung 
aus dem Dienste gestossen, so ist er damit dem Hungertode preis- 
gegeben, denn es bleibt ihm kein ehrlicher P>werb. Diese Ver- 
stossenen bilden die Classe der Loninc, der Geächteten, Rechtlosen, 
unter denen es viele gefahrliche Bravos giebt. Die Benennung 
LoNiN — Mann ohne Amt — hat an sich nichts Beschimpfendes, 
man bezeichnet damit auch Diejenigen, welche, um den höheren 
Pflichten der Ehre, LoyaUtät oder der Freundschaft zu genügen, 
dem Schutze der Gesetze freiwillig entsagend blutige Racheacte 
begehen. 

Der Adel unterscheidet sich äusserlich vom Volke durch eine 
gewisse faltenreiche Beinbekleidung und durch zwei Schwerter, die 
im Gürtel getragen werden*'®). Die tägliche Tracht der Daimio's 
und selbst des Siogun zeichnet sich vor der des gemeinen Soldaten 
allein durch grössere Feinheit der Stoffe aus; nur bei Ceremonieen 
und Feierüchkeiten scheint der Rang durch gewisse Abzeichen kennt- 
lich gemacht zu werden. Das einzige Vorrecht der Lehnsforsten 
und hohen Staatsbeamten — Aller die den Kami -Titel führen — 
in der täglichen Kleidung ist ein feines weissleinenes Untergewand, 
das, dem Körper zimächst getragen, nur in einem schmalen St/eifen 
am Halse sichtbar ^ird. 

Um der überwiegenden Zahl der adligen Trabanten das 
Gleichgewicht zu halten, welche die Heeresmacht der Lehnsfürsten 
bildeten, soll Jyeyas, wie schon oben angedeutet wurde, eine 
Adelserhebung im Grossen vorgenommen haben. In dieser ist 
wahrscheinlich auch der Ursprung der kaiserlichen Leibwache zu 
suchen, deren Stärke Titsingh auf 80,000 angiebt, und zu welcher 
die Familien der höchsten Hof- und Staatsbeamten gehören'"*). 

"8j ^ach einer Notiz im Siebold'schen Werke hätte der Adel erst durch eine 
Verordnung des Jahres 1682 das Recht erhalten zwei Schwerter zu tragen. 

^'') Die Nachrichten über die Zusammensetzung der Leibwache sind etwas dunkel. 
Nach Cai'on wäre sie aus den unehelichen Söhnen der DaTmio's , deren Brüdern und 
Vettern gebildet worden ; er erwähnt daneben noch einer anderen Garde von einigen 
tausend Mann. Nach Titsingh wäre unter Jye>mitsu , dem dritten Nachfolger des Jteyas, 
eine neue Garde aus den Brüdern der Beischläferinnen des Siogun gebildet worden, 
da die ältere mit dieseu nicht hi demselben Corps dienen wollte. Wahrscheinlich ist 
jene neue die zuerst von Caron erwähnte. 



Das Volk. — . Organismus der Staatsverwaltung. 1^1 

Die Stellung eines Leibgardisten ist erblich und verleiht an und für 
sich einen hohen Rang. 

Das Volk bilden die Handel und Gewerbe treibenden Classen; 
auch unter ihnen giebt es viele Abstufungen. So dürfen die acker- 
bauenden Japaner ein Schwert tragen, die Kaufleute hingegen 
nicht*'*); die letzteren lassen sich, da alle Diener der Samka'i das 
Recht auf ein Schwert haben, häufig als Trabanten eines solchen 
einschreiben, und zahlen bedeutende Summen, um jenes Vorrecht 
zu gewinnen, dessen sie sich dann auch nur bei feierlichen Gelegen- 
heiten bedienen. Im gewöhnüchen Leben tragen weder sie noch 
die Landleute ein Schwert, während der Samrai die seinen auf der 
Strasse niemals, im Hause nur das grössere, zw^eihändige ablegt'**). 
Viele und besonders die reicheren Kaufleute erkaufen sich das Recht 
ein Schwert zu tragen vom Siogün, beziehen dann als seine Diener 
ein geringes Jahrgehalt, und übernehmen damit die Verpflichtung, 
im Falle es gefordert wird, Geld vorzuschiessen; sie sind die Hof- 
banquiers***). 

Der Organismus der japanischen Staatsverwaltung ist nur sehr 
unvollständig bekannt. Der erste Staatsbeamte ist der Regent, 
dessen Amt aber nur in Kraft tritt, wenn ein unmündiger Siogun 
auf dem Throne sitzt. Diese Würde war in der, von dem 
Geheimschreiber und vertrautesten GünstUng des Jyeyas herstam- 
menden Familie der Fürsten von Ikamo erblich. — Dem Throne 
zunächst steht ein Collegium von fünf Reichsräthen oder Ministern ; 
diese bilden, wie es scheint mit acht anderen Räthen geringeren 
Ranges, das sogenannte Gorodzio, einen obersten Reichsrath, 
welchem alle Angelegenheiten untergebreitet werden. Die Nach- 
richten über seine Functionen und Befugnisse sind verwirrt und 
widersprechend; wahrscheinlich hat das Gorodzio die Entscheidung 

i^ Caron sagt, der Kaufmann stehe in Missachtung »dieweil er mit Lügen 
umgeht, und, sich derselben nicht schämend, die Leute, sie mögen edel oder unedel 
sein , um seines schändlichen Gewinnes halben , und seine Wahl* theuer zu verkauffen, 
zu betriegen trachtet.- Merklein's Uebersetzung. 

**^) Die FoiTii der Klinge ist fui* jeden Stand genau vorgeschrieben. Das 
Schwerterpaar des SambaT heist Daijso. Die Bürger, Bauern, Wächter u. s. w. 
tragen ein kurzes Schwert, das dem kleineren der Adelsclasse ähnlich ist. S. v. Sie- 
bold NiPPON. 

^^) Herr von Siebold sah eine lange Liste derselben, auf welcher die Namen 
der reichsten obenan in zolllaugen fetten Buchstaben figurirten, während die der 
mindeiTcrmögenden in immer kleinerer Schrift folgten. 



1^^ Das GoBODiio. Die Bunyo's. 

über alle gewöhnlichen Sachen, die laufenden Geschäfte, während 
alle aussergewölinlichen dem Siogün vorgelegt werden müssen. Bei 
diesem sollen die fünf Minister Vortrag haben, aber keine Angelegen- 
heit zwei Mal vorbringen dürfen. In neuester Zeit ist offenbar die 
Macht des Siogun durch diesen Reichsrath sehr beeinträchtigt worden; 
schon dem russischen Capitän Golownin, der in seiner langen Ge- 
fangenschaft (1810 — 1812) viel zuverlässige Nachrichten gesammelt 
hat, wurde von japanischen Beamten erzählt, dass der Sioqun keine 
Entscheidung ohne Zustimmung des Gorodzio treffen könne, eben- 
sowenig aber auch dieses ohne den Siogün. Neuere Schriftsteller 
wollen, dass im Falle einer Meinungsverschiedenheit der Siogun der 
Beistimmung seiner drei Titularbrüder bedürfe, um seme Ansicht 
gegen den Reichsrath durchzusetzen, und dass er sogar abdanken 
müsse, wenn ihn diese nicht einstimmig unterstützten, — dass aber 
im entgegengesetzten Falle der Urheber des fraglichen Vorschlages 
im Gorodzio, ja zuweilen die ganze Versammlung sich entleiben 
müsse. Letzteres ist gewiss falsch. Nach Golownin's Nachrichten 
durfte der Siogun die lEtglieder des Gorodzio nach Gutdünken 
berufen und entfernen und übte dadurch grosse Macht über dessen 
Beschlüsse. Dieser oberste Reichsrath scheint zum Theil aus Lehns- 
fursten, zum Theil aus MitgUedern des kaiserlichen Hofadels zu 
bestehen; ob in ihrer Anzahl ein bestimmtes Verhältniss obwaltet, 
ist ungewiss. Das Gorodzio ist wahrscheinlich identisch mit dem 
sogenannten Rathe der »Fürsthchen alten Männer«. Es giebt ausser- 
dem noch eine zweite Versammlung der »Jungen alten Männer«, 
die aus fünfzehn Mitghedem zu bestehen und über wichtige Criminal- 
sachen zu entscheiden scheint**'). 

An der Spitze der verschiedenen Zweige der Verwaltung 
stehen die Bunyo's *'*), welche meist den höchsten Famihen des Hof- 
adels angehören; viele fuhren den Kami -Titel — auch apanagirte 

^^) Vielleicht ist dieses das sogenannte Kokusi, von welchem ein cnglischer 
Schnftsteller der neuesten Zeit redet, nach dessen Angabc diese Versammlung aus 
achtzehn oder vierundzwanzig Mitgliedern, zum Theil aus dem höchsten Lehnsadel 
bestehen, den Mikado in Yeddo vertreten und die Regierung des Siogun beauf- 
sichtigen soll. Diese Nachricht stimmt so wenig zu allem Anderen, das bis jetzt 
über die japanische Staatsvei*fassung bekannt geworden ist, dass man ihr unmöglich 
Glauben beimessen kann. 

1*4) BuNYo oder 0-Bunyo. Das O vor einem Worte erhöht den Hang, Kinder 
setzen es vor das Wort Vater, Mutter; — wenn man mit einem Einwohner von 
Yeddo spricht, pflegt man aus IlöÜiehkeit O-Ykddo zu sagen \\. s. w. 



Kaiserliche Statthalter. 



123 



Mitglieder des Lehnsadels scheinen darunter zu sein. Alle hohen 
Staatsbeamten heissen Bunyo, so die Gesandten, Generale, Unter- 
Staatssecretare, Regierungspräsidenten, Steuerdirektoren iL s. w. 
Bestinunte Caifrieren scheint es nicht zu geben, ein Staatsrath kann 
plötzlich zum Admiral ernannt werden; doch scheinen einige Aemter, 
auch abgesehen vom miUtärischen Bange, in bestimmten Familien 
erblich zu sein'**). 

Diejenigen Bunyo's, welche Statthalter der kaiserlichen Ge- 
biete sind, haben dort eine ganz ähnliche Stellung wie die Dajmio's 
auf ihren Territorien; sie haben dieselben Rechte und dieselbe Ver- 
antwortung, müssen auch wie Jene ein um das andere Jahr in Yeddo 
zubringen und während ihrer Abwesenheit die Familie dort lassen. 
Die Statthalterstellen sind deshalb immer doppelt besetzt: der fun- 
girende Beamte berichtet alle Angelegenheiten an seinen in Yeddo 
wohnenden Doppelgänger, welcher die Verbindung mit der Central- 
behörde vermittelt. Sie werden wie die Lehnsfiirsten von ofEiciellen 
Aufpassem und geheimen Spionen überwacht. — Die Buinro's regieren 
die grosse Schaar der Ober- und unter -BANYosen und der niederen 
Beamten oder Yaküninc'**), deren FamiUen denen der Biinyo's 
durch eine Art Vasallenverhältniss erblich verbunden zu sein scheinen. 
Sie sind ihre persönlichen Beamten, für welche sie verantwortlich 
sind wie der Lehnsadel für die seinigen; sie bilden iliren Hofstaat, 
begleiten sie in ihre Stellungen und stehen wahrscheinlich auch 
unmittelbar in dem Solde der Bunyo's, so dass die Regierung 
sowohl in Rücksicht auf die Verantwortung als auf die Besoldung 
nur nut den höheren Beamten zu thun hat. Jeder kaiserliche Statt- 
halter nimmt seine Unterbeamten mit sich in die Provinz und zurück 
mit in die Hauptstadt; nur einige Stellungen, wie die der niederen 
PoUzei und andere, welche den Verkehr mit dem Volke vermitteln 
oder grosse Ortskenntniss erfordern, sind nicht an die Person der 
Bunyo's gebunden. Es giebt in den kaiserlichen Gebieten auch 
MiUtärgouvemeure und Domänenrentmeister, welche immer an Ort 
und Stelle bleiben und nicht zum Aufenthalte in Yeddo ver- 
pflichtet sind. 

^^) So z. B. die des kaiserlichen Leibarztes. Es ist Ehrensache ein solches 
Amt nur an einen dazu Fähigen zu vererben; findet sich ein solcher nicht in der 
Familie, so adoptiit das Familienhaupt den Geschicktesten der zu finden ist mit 
Uebergehung der eigenen Sohne. 

^■^ Yakü-nin heisst Beamter, wörtlich Amtmann. 



124 



Coinniuualverfassung. 



Die BüNYo's haben, wie die Daimio's, Gewalt über Leben 
und Tod ihrer Untergebenen, üben als Statthalter in ihren Districten 
die höchste Gerichtsbarkeit aus und sind nur der Centralbehörde 
verantwortlich, welche sie auf das strengste beaufsichtigt und für 
alle Ungehörigkeiten bestraft. Die japanischen Beamten müssen, 
gleichviel ob befähigt und vorbereitet oder nicht, jede ilmen vom 
SioGUN übertragene Stellung annehmen. Blinder Gehorsam gegen 
den Vorgesetzten ist die unverbrüchliche Regel, jede Abweichung 
davon gilt für ehrlos. 

Wie der Lehnsadel und die kaiserhchen Statthalter der Central- 
regierung, so sind Jenefn die Communalbehörden für das Volk ver- 
antwortlich. Die Städte und Flecken sind in Strassen abgetheilt, 
deren jede etwa hundert Häuser umfasst: sie können durch Thore 
von den Nachbarstrassen abgeschlossen werden. Jeder Hausvater 
muss nicht nur für seine eigene, sondern auch für die fünf ihm 
zunächst wohnenden Familien einstehen; der Gassenmeister, Ottona, 
dem zwei Gehülfen, die Kasira, beigegeben sind, ist für seine 
Strasse dem Viertelsmeister, dieser wieder dem Bürgermeister ver- 
antwortlich. Letztere Würde soll häufig in den ersten Bürger- 
famihen erbUch sein, während die niederen Aemter durch die Wahl 
der Bürger unter Bestätigung der Oberbehörde besetzt werden. 
Die Bürgermeister sind den kaiserhchen oder furstUchen Beamten 
verantwortüch; — ein Generalaufpasser hat die Obliegenheit, von 
Allem, was vorgeht, zuerst unterrichtet zu sein und den Behörden 
Anzeige zu machen. — Aehnlich ist die Einrichtung auf dem Lande, 
doch giebt es wahrscheinUch viele Abweichungen in den verschie- 
denen Theilen des Reiches, denn die Regierung der Siogun's scheint 
den Grundsatz befolgt zu haben, den einzelnen Landschaften ihre 
von Alters her eingelebten Institutionen zu lassen. Die Lehnsfarsten 
haben sogar die Befugniss, auf ihren Territorien selbstständig Gesetze 
und Verordnungen zu erlassen, sofern dieselben nur nicht mit den 
Interessen des Gesammtstaates oder anderer Landestheile — oder 
mit den Befehlen des Siogun colüdiren. Die Communalbehörden 
haben für die öffentliche Sicherheit zu sorgen; am Ende jeder 
Strasse steht ein Wachthaus, wo die Kasira und der Reihe nach 
einige von den Hausvätern die Wache beziehen. Diese halten Nachts 
ihre Umgänge, zeigen durch lautes Zusammensclüagen zweier Hölzer 
die Stunden an und spähen von hohen Warten aus nach den 
Feuersbrünsten, welche dann durch Glockenklang der Bevölkerung 



Der Grundzins. — Die Justiz. 1^5 

verkündigt werden. Bei Unruhen, Bränden und sonstigem Strassen- 
tumult muss jede Familie einen Mann zur Wache stellen, welche 
dann der Ottona befehligt. Dieser muss genau in seiner Strasse 
Bescheid wissen, er fuhrt die Listen über die Geburten, Heirathen 
und Todesfalle, und verwaltet das Gassenvermögen, an welchem 
alle Hausväter Antheil haben. Fallen Ungehörigkeiten vor , so wdrd 
nicht nur der Deünquent, sondern auch jede der ihm vorgesetzten 
Behörden zur Verantwortung gezogen, und bei schweren Ver- 
gehungen die Strafe sogar auf alle männlichen MitgUeder seiner 
FamiUe ausgedehnt"'). Niemand kann ein Haus erwerben ohne 
Zustimmung des Ottona und der Nachbarn, welche für ihn mit- 
verantworthch werden. Der Grund und Boden scheint überall dem 
SiOGüN oder den Lehnsfiirsten zu gehören; — - der Grundzins, welcher 
in manchen Gegenden sehr hoch ist und sich jährUch nach dem 
jedesmaligen Ertrage verändert, ist die hauptsächlichste, in den 
meisten Landestheilen wahrscheinlich die einzige Steuer. Der Grund- 
herr hat zwar das Recht, jeden Augenblick frei über sein Eigen- 
thum zu verfugen, doch bleibt der Landmann gewöhnUch im ruhigen 
Besitze seines Ackers, so lange er ihn gehörig bestellt; aber 
der Eigenthümer hat sogar die Verpflichtung ihn auszuweisen, 
wenn er ein Jahr lang seine Felder nicht anbaut. — In den Städten 
gehören die Häuser den Bürgern, den Grund und Boden können 
sie aber, wie es scheint, nicht erwerben, sondern bezahlen dem 
Besitzer Abgaben davon. 

Die Justiz ist mit der Verwaltung verbunden: kleine Händel 
schlichten die Communalbeamten, alle Sachen von Belang aber 
kommen vor die Regierungsbehörden. Processe giebt es nicht und 
das Amt der Advocaten ist unbekannt. In civilrechthchen Fällen 
wird der Beklagte, sobald sich die Richtigkeit der gegen ihn erho- 
benen Forderung herausgestellt hat, bei magerer Kost so lange in 
einen mehr oder weniger unbequemen Käfig gesperrt — in manchen 
Fällen auch nebenbei ausgepeitscht — bis er seine Verpflichtungen 
erfüllt oder sich mit dem Kläger verglichen hat. In criminellen 
Sachen sind die alten Strafgesetze, welche zu verändern die Japaner 
sich scheuen , sehr streng und grausam. Abweichungen vom 

^^ So war es wenigstens in früherer Zeit. Jetzt scheint diese Unsitte beseitigt 
zu sein. Vormals pflegte man die Todesstrafe au allen Mitverurtheilteu aus der 
Familie des Verbrechers, in welchem Theile des Reiches sie sich aufhalten mochten, 
mit seiner Hinrichtung am gleichen Tage imd zu derselben Stunde zu vollziehen. 



1^0 Crimiiialjustiz. Sti*afen. 

Buchstaben des Gesetzes und eigentliche Rechtsinterpretationen kennt 
und begreift man nicht; trotzdem soll die Praxis der Rechtspflege 
in Folge der durch den langen Frieden geläuterten Sitten und An- 
schauungen sehr milde geworden sein. Die Folter, deren Anwen- 
dung die alte Gesetzgebung in Criminalföllen bei jedem Leugnen 
gebietet, wird jetzt nur gegen überführte Verbrecher gebraucht, 
welche nicht gestehen wollen. Geringe Vergehen, die den alten 
Gesetzen nach sehr hart bestraft werden müssten, lässt man schon 
der allgemeinen Mitverantwortlichkeit wegen gern unbeachtet oder 
bemüht sich, sie unter andere minder straffällige Benennungen zu 
bringen. Wenn es unmöglich ist, einen Angeklagten zu überfuhren, 
so soll der Richter nach Beweisen für seine Unschuld forschen, 
um ihn vollständig zu rechtfertigen. — Sehr streng und gradezu 
barbarisch scheint noch heute die Praxis gegen die Lehnsfürsten 
und gegen hochgestellte Beamte zu sein: sie werden nicht nur für 
das verantwortlich gemacht, was ihre Schuld oder Nachlässigkeit 
verfelilt, sondern müssen oft für ganz unverschuldetes und unver- 
meidliches Unglück, das ihre Verwaltung betroffen hat, die härtesten 
Strafen dulden. Dies hängt wieder mit der ostasiatischen Anschauung 
von der Verantwortlichkeit der Herrschenden zusammen. 

Die gewöhnlichen Strafen sind Hinrichtung, Verbannung, 
Gefangniss. Die Todesstrafe steht schon auf Diebstähle von ge- 
ringem Belang und wird meist durch das Schwert vollzogen'*'), 
schwere Verbrechen ahndet man mit Kreuzigung und anderen 
martervollen Todesarten. Die Hinrichtung durch Henkershand ist 
immer entelu^end, nicht nur für den, an welchem sie vollzogen wird, 
sondern für dessen ganze FamiUe; seine Nachkommen sind unfähig, 
in seine durch Geburt ererbten Rechte einzutreten. Es ist daher 
eine Gnade des Siooün, wenn er Leuten von Stande, die das 
Leben verwirkt haben, das Harakiru befiehlt: dann bleiben ihre 
Verwandten und Nachkommen in Ehren. Meistens kommen in 
solchen Fällen die Schuldigen der Strafe durch freiwillige Selbst- 
entleibung zuvor, wodurch ihr Vergehen ebenfalls gesühnt wird. 
Das Volk scheint keinen Antheil an dieser Wohlthat zu haben ; die 
Leichname von Verbrechern der niederen Stände, die sich den Tod 
gegeben, werden häufig in die Hände des Henkers geliefert, und 
eingesalzen noch an das Kreuz geschlagen. 

*^) Früher wurde jede Lüge vor der Obrigkeit mit dem Tode bestraft. 
S. Caron. 



Verbannung. Hausgeföngniss. 



127 



Die zur Verbannung verurtheilten schickt man entweder auf 
entlegene Bergfesten, in die Kupferbergwerke oder nach einsamen 
Felseninsebi'*'). Diese Strafe scheint nicht entehrend zu sein, 
ebensowenig die des Hausgefängnisses, welche auch gegen Leute 
der höchsten Stände und gewöhnhch auf 50 bis 100 Tage verhängt 
wird. Das Haus des Inculpaten wird, nachdem er sich und die 
Seinen hinreichend mit Lebensmitteln versehen hat, auf allen Seiten 
mit Brettern vernagelt; der Schuldige darf sich während der Straf- 
zeit weder Bart noch Haare scheeren und tritt in den von den 
Japanern so ' verabscheuten Zustand der Unreinheit. — Die öffent- 
lichen Gefangnisse sollen meist reinlich und luftig sein; es giebt 
aber eine Art unterirdischer Kerker für gemeine Verbrecher, welche 
Höllen genannt werden und ein wahrer Aufenthalt des Grauens 
sein müssen. Dort werden die Missethäter bei vollständiger Aus- 
schliessung von Licht und frischer Luft in grosser Anzahl zusammen 
in ein enges Behältniss gesperrt, in das man nur einmal täglich 
die schlechte Nahrung durch eine kleine Oeffnung hineinreicht. 
Es ist den Verwandten des Verbrechers erlaubt, ihm bessere Lebens- 
mittel zu bringen, aber nur unter der Bedingung, dass alle seine 
Mitgefangenen daran Theil nehmen. 

In allen diesen Strafen giebt es vielfache Modificationen und 
Abstufungen , — namentlich in Bezug auf die Mitleidenschaft der Ver- 
wandten, — und eine ganz bestimmte Gradation. Das Strafmaass 
wird um eine Stufe gemildert, wenn Jemand sich freiwillig angiebt. 
Leichtere Vergehungen der Beamten ahndet die Regierung mit Ver- 
setzung, Degradirung, mit ganzem oder theilweisem Vermögens- 
verlust ' *"). Im Uebrigen halten die Japaner Geldstrafen für ungerecht 
und unzulässig, weil sie auf dem Armen so ungleich schwerer lasten 
als auf dem Reichen. 

Ueber die Organisation des Priesterthumes, seine Rechte 
und seine Stellung weiss man wenig Genaues. Nominell stehen die 

*^) Caron, Kämpfer und Andere berichten, dass höhere Staatsverbrecher nach 
der südlich von Nippon im Stillen Ocean gelegenen Insel Fatsisio verbannt werden, 
wo sie sich mit dem Weben ausnehmend kunstreicher und kostbarer Seidenstoffe 
beschäftigen. Die Küsten dieser Insel sollen ganz hafenlos und so unzugänglich 
sein^ dass die dort ankommenden Dschunken vermittelst starker Taue auf das hohe 
Felsenufer gewunden werden müssen , da man auf andere Weise nicht landen kann. 

^"0) Vormals wurde das Vermögen aller Verbrecher eingezogen, und floss in 
eine Kasse, die zum Tempel-, Brücken- und Strassenbaii diente. 8. Caron. 



128 Der PriesterstaDd ; Sclaven. — Wirkungen des Abspemmgs - Systemes. 

Geistlichen dem Range nach über dem Kriegerstande, in der Praxis 
aber gemessen nur die Priester einiger SiNxo-Secten gleichen An- 
sehns mit den Samrai, zu welchen sie gehören. Die Bonzen der 
meisten buddistischen Secten — und diese bilden die Mehrheit des 
Priesterstandes — stehen in sehr geringer Achtung. — Jyetas soll 
seiner Zeit den Mikado, um ihn in seine Gewalt zu bekommen, dazu 
vermocht haben, seine beiden Söhne zu Oberpriestem der Haupt- 
tempel von Yeddo zu ernennen, während früher Miako der Sitz 
der geistlichen Oberhäupter von Japan war. Noch jetzt sind unter 
den höchsten Staatsbeamten in Yeddo einige, deren Functionen 
sich auf den religiösen Cultus beziehen — die Niederländer nannten 
sie Tempelherren. — Ausser den Priestern giebt es viele Arten von 
Mönchs- und Nonnenorden, welche durch das ganze Land verbreitet 
sind, eine feste und anerkannte Organisation und jeder ein beson- 
deres Oberhaupt haben; diese Ordensvorsteher lebten früher eben- 
falls in MiAKo. 

Es soll Sclaven in Japan geben, Abkömmlinge von Kriegs- 
gefangenen aus alter Zeit und solche, die von unbemittelten Eltern in 
die Knechtschaft verkauft worden sind. Die Nachrichten darüber 
sind dunkel und voll Widersprüche. Allem Anscheine nach ist nur 
der Verkauf auf eine bestimmte Reihe von Jahren gestattet, nach 
deren Ablauf der Geknechtete wieder frei wird. Aelteren Nachrichten 
zufolge dürfen die Herren ihre Sclaven aus eigener Machtvoll- 
kommenheit nach den Landesgesetzen und sogar mit dem Tode 
bestrafen , verfallen aber selbst dem Gesetze , wenn sie dabei grausam 
oder ungerecht verfahren. 



Dass der Wohlstand und die Gesittung der Japaner sich 
unter dem beschriebenen Regimente bedeutend gehoben hat, ist 
schon gesagt worden. Der Charakter des Volkes ist heute ziemlich 
derselbe, wie vor zweihundert Jahren, im Wesentlichen passen die 
Schilderungen des Franz Xaver und anderer Reisenden aus dem 
sechszehnten und siebzehnten Jahrhundert auch auf die heutigen 
Japaner; aber ihre Sitten sind durch den langen Frieden milder, 
ihre Anschauungen freier und menschlicher geworden. Der Druck, 
unter welchem das japanische Volk lebte, scheint seiner Entwickelung 
heilsam gewesen zu sein. Das System des Jyeyas war gegen die 
Zustände des fünfzehnten und sechszehnten Jahrhunderts eine grosse 



Wirkungen der Sioguk - HeiTschaft auf das Volk. l^y 

Verbesserung: die zügellose Willkülir der Lehnsfursten machte einem 
strengen, despotischen, aber geordneten und einigen Regimente 
Platz, die Allmacht des Siogun selbst wurde durch die Verhältnisse 
beschränkt, denn sie war nicht vollkommen legal und der uralte 
Mikado -Thron auf keine Weise zu beseitigen. Dieser muss den 
Siogun's immer wie ein drohendes Schreckbild erschienen sein — 
nicht durch sich selbst, sondern weil er aufrührerischen Daihio's 
immer einmal als Mittelpunct dienen konnte und weil sein Ansehn 
beim Volke noch immer galt. Denn auch heute wird kein Japaner 
zugeben, dass der Siogun, obgleich absoluter Herr, der erste Mann 
des Reiches ist. Die Siogun's bedurften also, um die Grossen zu 
zügeln, der Gunst und Zustimmung des Volkes, der öffentlichen 
Meinung, welche sie nur durch ein weises und gerechtes, den Be- 
dürfnissen des Landes angemessenes Regiment für sich gewinnen 
konnten. Das Regierungssystem ist durch und durch despotisch, 
aber die verschiedenen Factoren hielten einander dermaassen das 
Gleichgewicht, dass Gerechtigkeit geübt werden musste imd das 
Volk sich wohl befand. Diese äussere Nothwendigkeit hat aber 
auch ein inneres Bedüriniss des Guten hervorgerufen, und man 
kann wohl behaupten, dass unter den gebildeten Classen gute und 
ehrenhafte Gesinnungen allgemein, wenigstens vorwiegend sind. 
Die Ehre ist das leitende Princip der höheren Stände; sie gilt als 
ein Attribut der edelen Geburt, legt die höchsten Verpflichtungen 
auf, und ist die Quelle aller hohen Tugenden. Der Begriff der Ehre 
ist in Japan bis zum Extrem ausgebildet und dadurch auch der 
Ursprung vieles Bösen geworden, denn jeder Flecken daran muss 
mit Blut getilgt werden, daher die vielen Morde und Selbstent- 
leibungen unter den höheren Classen. 

Die japanischen Zustände und Sitten eingehender zu beschrei- 
ben, wird sich im Laufe des Reiseberichtes vielfach Veranlassung 
bieten, doch mögen hier noch einige allgemeine Andeutungen über 
den Charakter des Volkes stehen, wie er sich unter dem Absper- 
rungssysteme ausgebildet hat. 

Der Leitstern und gleichsam die Religion des Volkes ist die 
ungemessene Ehrfurcht vor seinen Gebietern; dies ist die Quelle 
seiner guten Gefühle und die Grundlage seines Wohlbefindens. 
Das Verhältniss ist ein patriarchalisches; wie ein Kind zu seinen 
Eltern, so bUckt das japanische Volk zu seinen Herrschern auf, die 
es für sein Wohl und Wehe verantworthch hält. Es ist von jeher 

I. 9 



liü Der Volkscharakter. 

gewohnt gewesen sich regieren zU lassen, und hat wohl niemals 
den Gedanken gefasst, an der Herrschaft Antheil zu nehmen; dass 
solches Verlangen nicht Wurzel schlagt, hegt wohl theils in seiner 
uralten Scheidung vom Adel, theils auch in dem behaglichen Zu- 
stande , in dem es bei massiger Beschränkung lebt. Das Bedürfniss 
nach Freiheit würde sowohl bei stärkerem Drucke als bei imge- 
hemmter Entwickelung rasch aufkeimen — aber die Siogtos haben 
es verstanden dem Volke ein ruhiges , friedliches Leben zu bereiten, 
und zugleich seiner inneren Entwickelung bestimmte Grenzen zu 
setzen. Die Knechtschaft ist so uralt und so bequem, dass der 
Wunsch nach Unabhängigkeit und Selbstständigkeit nicht geboren 
wird. Nach Heldentugenden würde man unter dem Volke vergebens 
suchen, aber an Bürgertugenden ist es reich. Die Regierung übt 
die strengste Aufsicht, und leidet keinen Uebergriff. Während man 
, nun glauben sollte, dass in Folge der unausgesetzten Beaufsichtigung 
das Volk gedrückt und argwöhnisch wäre, findet man es im Gegen- 
theil heiter, aufgeweckt und offen. Kein Vergehen bleibt verborgen, 
aber der Redliche hat nichts zu befürchten. Die Strenge der Strafen, 
und die allgemeine Mitverantwortlichkeit machen die Tugend zu- 
nächst zur nothwendigen Gewohnheit — das gute Gewissen erzeugt 
einen heiteren Sinn, und auch das von der Obrigkeit anbefohlene 
Beharren des Volkes bei seinen alten , einfachen , massigen Gewohn- 
heiten trägt wesentüch dazu bei, die Japaner zufrieden, lebensfroh 
und frisch zu erhalten. Ihr Verkehr untereinander und vor Allem 
das Familienleben ist so erfreuUch, wie man es nur bei den ge- 
bildeten europäischen Völkern findet. Sie zeichnen sich aus durch 
Höflichkeit und Freundlichkeit gegen die Ihrigen sowohl als gegen 
Fremde, durch ein anständiges gleichmässiges Benehmen, durch 
Frohsinn, Herzlichkeit und gute Laune; schlechte Manieren, Roh- 
heit und Zänkereien bemerkt man selten. Die Frauen und Mädchen 
aus dem Bürgerstande sind züchtig imd unbefangen*'*), die Männer 
begegnen ihnen zart und ehrerbietig; vor Allem aber ist die Behand- 
lung der Kinder auf das äusserste sorgsam und liebevoll. Der 
Unterricht der Jugend im Lesen und Schreiben, in der vaterländi- 
schen Geschichte und Moralphilosophie wird selir eifrig betrieben, 

^'^) Schon im siebzehnten Jalirhundert sagt Caron: »Der Kaiifleute und Burger 

Weiber sitzen im Haus dagegen, ihr Haus mit den Dienstmägden verpflegende; sie 

werden aber änderst nicht als züchtig und mit Ehrerbietung von den Leuten ange- 
sprochen.- 



Japanische Bildung. Spuren des Christenthume^. iol 

es giebt Bildungsanstalten der verschiedensten Grade. So schwer 
und mühselig die mannigfachen Arien der japanischen Schrift zu 
erlernen sind, so ist doch die Schreibekunst auch unter den niederen 
Ständen ganz allgemein verbreitet. Das Lesen bildet eine Haupt- 
beschäftigung der Japaner aller Classen in ihren Mussestunden; 
Buchläden , wo nicht nur japanische und chinesische Schriften, 
sondern auch Uebersetzungen europäischer Werke über Länder- und 
Völkerkunde, Astronomie und fast alle Zweige der Naturwissen- 
schaft, über Medicin, Taktik, Waffenkunde u. s. w. zu haben sind, 
finden sich in allen Strassen, und die Bücher sind so unglaublich 
wohlfeil, dass man einen grossen Verbrauch voraussetzen muss. 
Nur solchen Schriften, welche von der Geschichte und Verfassung 
europäischer Länder handeln, femer allen, welche das specifisch 
japanische Wesen umbilden und im Volke äussere oder innere Be- 
dür&isse hätten erwecken können, die dem Lande und seiner natio- 
nalen Gesittung fremd waren, besonders allen Werken religiösen 
und philosophischen Inhalts versagte die Regierung während der 
Zeit der AbschUessung den Eingang***). 

Dass das Christenthum, nachdem es achtzig Jahre lang in 
Japan geblüht, wenn auch nachher äusserlich mit Stumpf und Stiel 
ausgerottet, bei den Japanern einen tiefen Eindruck hinterlassen, 
dass die Aussaat ihnen selbst unbewusst in den Jahrhunderten der 
AbschUessung fortgekeimt und im Verborgenen ihre Früchte ge- 
tragen, dass die Thätigkeit der Bekehrer einen bleibenden Einiluss 
auf die japanische Gesittung geübt habe, ist kaiun zu bezweifeln, 
denn die innere Wirkung grosser Wahrheiten bleibt, wo. sie einmal 
Wurzel geschlagen haben, unvertilgbare Thatsache. Vielleicht 
werden sich bei näherer Bekanntschaft die Spuren des Christen- 
glaubens in der japanischen Gesittung an deutUchen Merkmalen 
erkennen lassen; im Allgemeinen glaubt man sie schon jetzt aus dem 
Volkscharakter herausfühlen zu können, denn die Japaner haben 
Tugenden und Anschauungen , die man sonst gewohnt ist als Folgen 
christlicher Gesittung zu betrachten. Wer die Schriften der 
Holländer und Anderer durchblättert, die mit den Japanern in nahe 
Berührung gekommen sind, kann dort unzählige Beispiele treuer 

1«) Noch in neuester Zeit ist die Re^ening in dieser Beziehung sehr streng 

gewesen. So wurde gegen einen der japanischen Schüler des Herrn von Siebold 

eine Untersuchung eingeleitet, weil er eine chinesische Uebersetzung des Alten 

Testamentes besass. 

9* 



HZ Gute Eigenschaften der Japaner. Ihr Verhältniss zu den Ausländem. 

aufopfernder Freundschaft"*) und Nächstenliebe , des feinsten Ehr- 
und Pflichtgefühls, der rülirendsten Selbstverleugnung finden. Wenn 
sie den Fremden gegenüber misstrauisch geworden sind, und sie oft 
mit Argwohn und Trug behandeln, so tragen diese selbst den grössten 
Theil der Schuld, wie die Holländer vielfach eingestanden haben. 
Diese haben sich freilich während ihrer zweihundertjährigen Ge- 
fangenschaft auf Desima viele Unbilden und Kränkungeii von der 
japanischen Regierung und besonders von den Beamten gefallen 
lassen müssen, durchweiche sie beaufsichtigt wurden; — sie klagen 
bitter über deren Willkühr, Härte und Unredlichkeit, und über die 
starre Tyrannei der kaiserlichen Regienmg, welche sich in den letz- 
ten Jahren auch gegen die Vertreter der übrigen westhchen Nationen 
vielfach unzuverlässig und zweideutig gezeigt hat; — wenn man 
aber auf der anderen Seite das Benehmen der holländischen Factorei- 
beamten betrachtet, die sich vom höchsten bis zum niedrigsten 
an dem verbotenen Schleichhandel und anderen Ungesetzlichkeiten 
betheiligten, und durch die schärfsten Verw^eise und die schmach- 
vollste Behandlung nicht davon abbringen Hessen, wenn man femer 
bedenkt, welche Verlegenheiten der Fremdenverkehr der japanischen 
Regierung besonders seit 1858 bereitet hat, — so ist kaum zu ver- 
wundem, dass sie die Holländer zu Zeiten als Nichtswürdige be- 
handelte, und dass sie die Fremden heutigen Tages als ihre Feinde 
ansieht. Gegen den Feind aber, und zur Erreichung ehrenhafter 
und patriotischer Zwecke ist nach japanischen Begriffen jede List, 
Verstellung und Lüge erlaubt. — Gegründet sind die vielen Klagen 
der europäischen Kaufleute über die Unzuverlässigkeit der japani- 
schen im Handelsverkehr, aber es wäre Unrecht ein Volk nach 
derjenigen Classe zu beurtheilen, die von ihm selbst am geringsten 
geachtet wird. Eine gewisse Verschlagenheit und Vorsicht hat sich 
in Folge der allgemeinen Verantwortlichkeit bei allen Japanern aus- 
gebildet; dass aber -- und nicht allein unter den höheren Ständen — 
Redlichkeit, Treue, Ehrenhaftigkeit, Selbstverleugnung, Herzens- 
güte und Grossmuth sehr verbreitete Tugenden sind, hat sich in 
hundert Fällen gezeigt, wo Europäer mit Japanern in näheren und 
dauernden Verkehr getreten sind. Der Grad der Gesittung eines 
Volkes sollte niemals nach vereinzelten Thatsachen beurtheilt wer- 
den, sondern nach seinem Ideal, nach dem Maassstabe von Tugend 
und Laster, von Ehre und Schande, der bei seinen Besseren gültig 

188) Treue unter Freunden bis in den Tod i*uhmt schon Caron an den Japanern. 



Blühender Zustand des Reiches. 166 

und anerkannt ist Bei solcher Rechnung würde man die Japaner 
trotz manchen uns unbegreiflichen Yerirrungen der Anschauung auf 
eine hohe Stufe stellen müssen. 

Dass sie in hohem Grade intelligent, thätig, energisch und 
arbeitsam sind, haben auch ihre Widersacher zu allen Zeiten an- 
erkannt. Ueberall im Lande sieht man Leben und Bewegung; auf 
den Strassen, den Feldern, in den Werkstatten herrscht unermüd- 
liche Rührigkeit. Das Land ist wie ein Garten, jedes Fleckchen 
urbar gemacht, der Anbau zieht sich bis hoch auf die Gebirge. 
An Körper und Anzug sind alle Japaner auf das äusserste reinlich, 
und in Folge des täglichen Badens, der unablässigen Bewegung in 
frischer Luft und vielfacher körperlicher Uebungen in hohem Grade 
abgehärtet, kräftig und gewandt. Sie sind allem Anscheine nach 
ein gesundes und glückliches Volk, das der Fremden sehr wohl 
hätte entbehren können. 

Ob die japanische Nation den Beruf hat, durch Berührung 
mit der europäischen CiviUsation sich auf eine neue und höhere 
Stufe der Gesittung zu schwingen und eine Stellung in der Welt- 
geschichte einzunehmen, muss die Zukunft lehren; die alten Zu- 
stände sind mit der Zulassung der Europäer unverträglich, und 
werden durch ihren Einfluss eine gründUche Umbildung erfahren, 
ob auf friedhchem oder gewaltsamem Wege lässt sich nicht voraus- 
sehen. — Der beste Beweis für das Steigen der Landescultur unter 
dem Abschliessungssystem ist, dass, während Japan im Anfange 
des siebzehnten Jahrhunderts der Einfuhr vom Auslande bedurfte, 
während Jyeyas den Fremdenverkehr durchaus nicht missen wollte, 
jetzt das Land alle seine Bedürfnisse selbst erzeugt, und noch grosse 
Quantitäten auszufuhren fähig ist; dass es den Holländern von Jahr zu 
Jalir schwerer wurde, den Handel mit Vortheil zu betreiben; dass, 
während früher Waaren importirt, und fast nur Metalle ausgeführt 
wurden, jetzt schon seit lange das Verhältniss sich umgekehrt hat, 
indem fast nur Landesproducte exportirt und von den Europäern 
mit baarem Silber bezahlt werden. 



m. 

DER FREMDENVERKEHR WÄHREND DER ABSPERRUNG UND 

DIE AUFSCHLIESSUNG DES REICHES. 



Während des Zeitraumes der Absperrung verkehrten die Japaner 
mit den Bewohnern der Liu-Kiu- Inseln, den Koreanern, den Hol- 
ländern, und in den letzten fünfzig Jahren auch mit den Amo's der 
Kurilen. — Die Bewohner der Lni-Kiu- Inseln waren Japan schon 
seit Mitte des sechszehnten Jahrhunderts tributpflichtig, wurden 
aber im Anfange des siebzehnten von den Chinesen zur Empörung 
au%ereizt. Damals segelte der Fürst von Satsuma auf Befehl des 
SioGUN mit Heeresmacht gegen diese Inseln, nahm die Hauptstadt 
Nafa mit Sturm und führte den König gefangen nach Japan; seit- 
dem soll Liu-Kiu einen jährlichen Tribut von 200,000 Kok Reis 
zahlen "*). Die dortige Regierung scheint von Beamten des Fürsten 
von Satsuma beaufsichtigt zu werden, in dessen Händen sich auch 
der ganze japanische Handel dahin befindet; er hat ein Comtoir in 
Nanoasaki, wo holländische und chinesische Waaren für den Bedarf 
von Liu-Kiu eingekauft und verschiflft werden'"). Auf den nörd- 
lichen Inseln soll es zahlreiche japanische Niederlassungen geben. 

1**) Die Liu-Kiu- Inseln werden gewöhnlich unter den doppelt zinspflichtigen 
Ländern genannt , aber China hat sicher dort seit lange gar keinen Einfluss mehr. 
Die Sprache soll ein Dialect des Japanischen sein. In der kleinen Hauptstadt Nafa 
giebt es zwei gelehrte Bildungsanstalten, eine japanische und eine chinesische. Die 
Zöglinge der japanischen lesen Katakana und Firakana, und die chinesischen 
Schriftzeichen mit der japano- chinesischen Aussprache, die der chinesischen nur die 
stehende chinesische, die KiaI - Schrift. Die Letzteren studiren zum Theil einige 
Jahre auf der chinesischen Universität Futsau, die Ersteren gehen zu demselben 
Zwecke nach Japan. Die Beamten von Liu-kiu haben ihre Bildung meist auf der 
japanischen Schule empfangen, seltener werden Schüler der chinesischen angestellt. 

^•*) Nach Kämpfer war den Bewohnern der Liu - kiu - Inseln erlaubt, mit ihren 
Dschunken nach den Häfen von Satsuma zu kommen und dort Waaren zum Belang 
von 125,000 japanischen Taels zu verkaufen. 



Der Verkehr mit Korea und Ysso. 1«>5 

Der Handel mit Korea ist Monopol des Fürsten von Tsus- 
siMA, der eine Factorei in Pusankai an der koreanischen Küste bat, 
wo die Japaner unter ähnlichen Beschränkungen leben, \vie die 
Holländer ehemals auf Desima. Zum Verkehr in Japan sind die 
Koreaner nicht zugelassen; schiffbrüchige werden nach Nanoasaki 
gebracht und dort in Gewahrsam gehalten, bis sich Gelegenheit 
bietet sie heimzusenden. Seit 1790 findet der im Friedensvertrage 
von 1615 festgesetzte Austausch der Gesandtschaften auf der Insel 
Tsus-siMA statt'"). 

Der Verkehr mit den Kurilen datirt aus neuer Zeit. — Auf 
Yeso fassten die Japaner wahrscheinlich erst zu Ende des achten 
Jahrhunderts festen Fuss, und zwar nur in dem südlichsten Theile, 
den sie Matsmai nennen; sie lebten dort in beständigen Fehden 
mit den Eingeborenen. Seit der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts 
erwähnen die japanischen Quellen nichts von den Beziehungen zu 
Yeso, doch scheint die Niederlassung in Matsmai fortbestanden 
zu haben: Pater Hieronymus de Angelis und andere Jesuiten, die 
ersten Europäer, die — im Jahre 1617 — nach Yeso kamen, erzählen 
wenigstens davon. Noch 1643 war die Ostküste dieser Insel 
den Japanern wenig bekannt, die Kurilen herrenlos, so dass 
die Holländer imter Vries die Inseln Künasir und Yeturüp in 
Besitz nehmen konnten'*'). Um 1670 brachen auf Yeso Unruhen 
aus, die Eingeborenen wurden bekriegt und überwunden. Seit- 
dem schickte die japanische Regierung Statthalter dahin, welche 
den Titel Fürsten von Matsmai fiihrten. Erst gegen Ende des 
achtzehnten Jahrhunderts breitete sich die japanische Herrschaft 
über die ganze Insel, d. h. über die bewohnten Küstenstriche 
aus, denn das Innere soll ein mit undurchdringlichen Wäldern 
bedecktes Gebirgsland sein. Die Regierung liess damals auch 
Krafto "•) und die südlichen Kurilen bereisen und schloss Verträge 

^ Nach einer Notiz im Siebold'schen Werke wäre Korea, obwohl unter chine- 
sischer Oberholieit, noch heute auch an Japan zinspflichtig. Die Reisenden der 
preussischen Expedition horten in Nanoasaki von koreanischen Geissein, welche 
sich dort von Korbilechten ernähren sollten, konnten aber bei ihrem kurzen Auf- 
enthalte nichts Näheres darüber erfahren. 

^^ Sie nannten diese Inseln Staatenland und Compagnieland. 

'^) Die Kenntniss, dass Krafto eine Insel ist, verdankt man dem japanischen 
Hof - Astronomen Mam i a - Rinso , der 1808 im Auftrage des Siooun diese Insel und 
die Amur -Mündungen bereiste und aufnahm. Ausfuhrliches über die Entdeckungs- 
geschichte dieser Küsten enthält Siebold's Nippon. — Von den Verhältnissen auf 



loD Besetzung der Kurilen. Handel mit China. 

mit den Eingeborenen behufs Anlage von Fischereien an ihren Küsten. 
Später, als sich die Herrschaft der Russen auf den nördlichen Kurilen 
geltend machte, nahmen die Japaner die südlichen förmlich in Besitz 
und bauten zahlreiche Festungen daselbst. Die Bevölkerung, ein 
den Amo's von Yeso nahe verwandter Stamm, fügte sich nach 
schwachem Widerstände. Das Regiment der Japaner über Yeso 
und die Kurilen schildert Golownin als ein sehr gelindes; ein aus- 
drückliches Gesetz verbietet, von den Eingeborenen Arbeit ohne 
Bezahlung zu verlangen. Die Japaner versehen sie mit baumwollenen 
Kleidungsstücken und Reis und exportiren vorzüglich Fische. Die 
Steuern werden von den Eingeborenen in Adlerfedem, — welche 
die Japaner zu ihren Pfeilen brauchen, — in Pelzwerk und anderen 
Naturerzeugnissen entrichtet. Durch die neuesten Verträge sind die 
Inseln Uruf, das früher die Japaner für sich in Anspruch nahmen, 
und Krafto, wo sie zahlreiche Niederlassungen hatten, an Russ- 
land abgetreten worden. 

Japans Handel mit China ist sehr alt, schon unter dem Jahre 
885 begegnet man einem Verbote chinesischer Waaren durch den 
Statthalter von Tsukusi. Die Mongolenherrschaft unterbrach gänz- 
hch den Verkehr, welcher erst gegen Ende des vierzehnten Jahr- 
hunderts wieder angeknüpft wurde. Unter der Ming- Dynastie waren 
den Chinesen alle Reisen nach dem Auslande streng verboten; 
chinesische Dschunken fuhren trotzdem heimlich in grosser Anzahl 
nach Japan, japanische wurden in den chinesischen Häfen nur mit 
Pässen zugelassen. Nach dem koreanischen Kriege kam 1607 eine 
Gesandtschaft von China, welche das freundschaftliche Verhältniss 
zwischen den beiden Ländern wieder herstellte; der Handel scheint 
seitdem von den beiderseitigen Regierungen stillschweigend geduldet 
worden zu sein, denn formell waren die Chinesen in dem gegen die 
Fremden verhängten Verbannungsedict mitbegriflEen. Um 1640 fielen 
sie in den Verdacht, christliche Priester und religiöse Bücher in 
Japan eingeschmuggelt zu haben, und es war die Rede davon, sie 
allen Ernstes aus dem Reiche zu verbannen. Ihr Verkehr blieb 
seitdem, gleich dem der Holländer, auf Nanoasaki beschränkt, wurde 
aber sehr lebhaft, seitdem 1643 die Mandschu- Herrscher das Verbot 
des Handels nach dem Auslande aufgehoben hatten. Sie kamen 

Yeso und den Kurilen giebt Golownin in seinem Buche »Begebenheiten in der 
Gefangenschaft bei den Japanern- (deutsch von E. Schultz, Leipzig 1817) anschauliche 
Schiiderungen. 



Stellung der Chinesen in Japan. !«>• 

1683 mit 200 Dchunken und 10,000 Mann stark nach Nanoasaki, 
ebenso in dem folgenden Jahre*"*); 1685 aber beschrankte die japa- 
* nische Regierung den Verkehr auf 70 Dschunken jährUch, wie es 
heisst wegen der christenfreundlichen Gesinnung des chinesischen 
Kaisers Kanohi. Wenige Jalire darauf schloss man die Chinesen, 
die bisher in voller Freiheit mit den Bewohnern von Naütoasakj 
verkehrt hatten****), in einen mit Palisaden und Bambuszäunen um- 
gebenen Raum ein und unterwarf sie ähnhchen, wenn auch nicht 
so scharfen Beschränkungen wie die Holländer auf Desima. Auch 
ihre Tempel — sie hatten deren drei in Nanoasaki — beaufsichtigte 
die Regierung seitdem mit Strenge; ihre Dschunken wurden genau 
untersucht, imd die eingeführten Bücher — weil in China christ- 
liche Missionare ansässig waren — von den Beamten sorgfaltig 
durchgesehen. Der Handel stand seit der Zeit unter der ControUe 
der Regierung, welche von den Käufern der chinesischen Waaren 
eine Steuer von 60 Procent erhob, aus der die Einwohner 
und Beamten von Nanoasaki für den durch die Aufhebung des 
freien Handels erlittenen Verlust entschädigt wurden. Später floss 
diese Steuer in die Kasse der sogenannten »Geldkammer«, einer 
Handelsgesellschaft, an welche die japanische Regierung den chine- 
sischen und den holländischen Handel verpachtete; sie musste 
dafiir eine jährliche Entschädigung an die Einwohner von Nanoasaki 
zahlen***). Von chinesischer Seite scheint der Handel durch eine 
Gesellschaft von Kaufleuten getrieben worden zu sein, welche ihren 
Sitz in der Provinz Tse-kiang hatte. Die Geschäfte der Geldkammer 
mit dieser chinesischen Compagnie beschränkten sich auf gewisse 
Hauptartikel, welche ihr Monopol waren; alle übrigen Waaren 
durfken die mit den Dschunken herüberkommenden Kaufleute auf 
eigene Hand an die Japaner verhandeln. Man erlaubte ilmen bei 
Tage ohne Begleiter und Aufseher in den Strassen von Nanoasaki 
umherzugehen, zu kaufen und zu verkaufen, während die Holländer 

^^) -In dem berührten letzteren Jahre (1684)«, sagt Kämpfer, »fand sich sogar 
ein tartarischer Mandarin in vollem Staate, ein Haupt über sechs Jonken, ein; er 
musste sich aber mit denselben bald wegbegeben, weil man ihm wissen Hess, dass 
in Japan keine anderen Häupter und Mandarinen als eiugeborne geduldet wären. - 

1*0) Nach Kämpfer wurden die Chinesen zur Zeit seines Aufenthaltes in Nan- 
oasaki sehr schlecht behandelt und gelegentlich von ihren japanischen Aufsehern 
mit Stockpi*ügel tractirt. 

'^^) Nach Siebold betrug diese Entschädigung jährlich 84,400 holländische Gulden. 



iio Vortheile der Chinesen. — Die Holländer in Desiha. 

immer auf Desima eingeschlossen waren und nicht das kleinste 
Geschäft ohne Zuziehung der Geldkammerbeamten abschliessen 
durften. Fragte man nach dem Grunde dieser Bevorzugung der 
Chinesen, so hiess es sie seien nur geringe, unbedeutende Leute, 
die Hollander dagegen vornehme • und wichtige. Das japanisch- 
chinesische Dolmetscher -CoUegium, welches den Handel vermittelte, 
stand auch in viel geringerem Ansehn als das japanisch -holländische, 
war aber viel wohlhabender; wie denn die Chinesen auch weit 
bessere Geschäfte machten als die Niederländer, welche in chine- 
sischen und indischen und in neuerer Zeit sogar in europäischen 
Artikeln oft kaum mit ihnen concurriren konnten. Die chinesischen 
Dschunken üefen fortwährend, vorgeblich wegen schlechten Wetters, 
die Küsten der Gotto- Inseln und der Landschaft Satsuma an, wo 
die Regierung am wenigsten Controlle üben konnte, und verkauften 
dort einen grossen Theil ihrer Ladung steuerfrei, während sie in 
Nangasaki hohe Abgaben zahlen mussten. Dieser Handel war natürlich 
unerlaubt. Der Schleichhandel wurde übrigens auch in Nangasaki 
von den Chinesen, des sehr erheblichen Gewinnes halber, lebhaft 
betrieben und kostete fortwährend vielen Japanern das Leben***). — 
Mit dem Steigen der Productionskraft des Landes sank der chine- 
sische Handel wie der holländische immer mehr; in neuerer Zeit 
kamen nur noch 10 bis 12 Dschunken jährlich nach Nangasaki. 



Die Niederländer wurden, wie schon erzälilt, im Jalire 1641 
auf ÜEsiMA eingeschlossen. Dieses Inselchen war einige Jahre vor- 
her auf Befehl des Siogun im seichten Wasser vor Nangasaki dicht 
am Ufer au%eschüttet worden**'), um als Gefängniss der bei Ver- 
treibung der übrigen Fremden zurückgehaltenen portugiesischen 
Kaufleute zu dienen. Seine Länge beträgt 516, seine Breite durch- 
schnittlich 220 Fuss. Ein seichter schlammiger, etwa 25 Schritt 
breiter Graben, über welchen ein steinerner Brückenbogen führt, 
trennt es von der Stadt. Zur Zeit der Absperrung war die Insel 
mit Palisaden, Bollwerken imd Mauern umgeben; ein Land- und ein 
Wasserthor, welche immer geschlossen oder bewacht waren, dienten 
zum Verkehr mit der Stadt und den Schiffen. Die Niederländer 

"*) So wurden in den Jahren 1690 und 1691 gegen viei-zig Japaner in Nangasaki 
hingerichtet , die Waaren von den chinesischen Dschunken einzuschmuggehi versuchten. 
***) De-sima heisst Vorliegende Insel. 



Behandlung der Holländer. loa 

dHrften ilir Gefangniss nur mit besonderer Erlaubniss des kaiser- 
lichen Statthalters und unter starker Bedeckung verlassen: man hielt 
sie bei diesen Spaziei^angen von jedem Verkehr mit den Einge- 
borenen fem, und suchte sie ihnen noch durch grosse Ausgaben 
zu verleiden, denn sie mussten jedes Mal ihre zahlreichen Begleiter 
festlich bewirthen. Sie durften, auch wenn sie in die Stadt kamen, 
nicht die geringste Kleinigkeit von den japanischen Händlern kaufen, 
sondern mussten ihre Wünsche eigens dazu angestellten Beamten, 
den Comprador's zu erkennen geben, welche für alle ilire Bedürf- 
nisse zu sorgen hatten und grossen Gewinn davon zogen. Ein bis 
zwei Mal jährlich Hessen gewöhnlich die Statthalter aus freien 
Stücken die Bewohner von Desima auf die benachbarten Höhen, 
nach den Tempeln und Friedhöfen fuhren, wo dann der Tag unter 
Gastereien und Lustbarkeiten verbracht wurde. — Von Japanern 
durften nur die ausdrücklich für den holländischen Handel ange- 
stellten Beamten nach Desima kommen, alle anderen nur mit Pässen 
des Statthalters; die Thorwache Hess Niemand durch. In einem vor 
dem Landthore angehefteten Placat, das sich bis zur Freigebimg 
des Verkehrs erhalten hat, war unter Andern gesagt, dass nur pro- 
stituirte Frauen nach Desima kommen dürften. Solche bildeten fast 
ausschHessHch die Hausbedienung der Holländer. — Kein Schiff, 
kein Boot sollte sich an die PaUsaden und Bollwerke legen, welche 
die Insel umgaben, oder unter der dahin führenden Brücke durch- 
fahren. 

Die japanischen Beamten, welche für den Verkehr mit den 
HoUändem angestellt waren, bis herab zu den geringsten Chargen, 
mussten sich eidHch verpflichten den Niederländern nur bei Tage 
zu Dienst zu sein, sich in kein Gespräch über das Christenthum 
einzulassen, nichts gegen die auf Desima Bezug habenden Verord- 
nungen zu thun. »Sie sollten keinen vertrauten Umgang mit den 
Niederländern pflegen, sollten weder Geld noch Waaren von oder 
nach der Insel bringen, keine verbotenen Waaren verkaufen oder 
verschenken, sollten keine Einkäufe für sie in der Stadt machen, 
auch verhindern, dass Solches durch Andere geschehe und dass 
ihnen Sachen über die Mauern und PaHsaden der Insel zugeworfen 
würden. Auch sollten sie dafür sorgen, dass von der Stadt aus 
nichts im Geheimen nach den niederländischen Schiffen oder von 
da in die Stadt geschafft würde, und jeden Ungehorsam oder Um- 
gehung dieser Befehle anzeigen.« ' — Anfangs wollte die Obrigkeit 



i4U Formalitäteu beini Einlaufen der holländischen Schiffe. 

den Niederländern auch das Begräbniss am Lande verwehren, UHd 
liess ihre Todten ausserhalb der Bai in die See werfen; später 
wurden sie auf einem am Eingange der Bucht gelegenen Grund- 
stück eingescharrt. Japanische Boote holten die Särge von Desima 
ab, kein Holländer durfte sie geleiten. Die Zahl der in der 
Factorei zugelassenen Niederländer war von der japanischen Regie- 
rung festgesetzt und auf die zur Betreibung des Handels unbedingt 
nothwendigen Personen beschränkt; Frauen durften sie gar nicht 
mitbringen. Auf den holländischen Schiffen sollten sich keine 
^Passagiere belSnden; die Musterrolle wurde genau geprüft und dem 
Berufe eines Jeden nachgespürt***). 

Auf den Höhen am Eingange der Bai wurde ein beständiger 
Auslug auf die See gehalten; sobald von da aus die Wachen ein 
fremdes Schiff meldeten, ging ein Boot mit einigen Holländern von 
der Factorei hinaus , welche dem Capitän eine versiegelte Instruction 
brachten, wie er sich beim Einlaufen zu verhalten habe; die sie be- 
gleitenden japanischen Beamten und Dolmetscher nahmen ihm das 
Verzeichniss seiner Ladung, die Liste der Mannschaft und alle 
Briefe der Compagnie ab. Das Scliiff salutirte beim Einlaufen die 
den Eingang der Bucht beherrschenden »Kaiserwachen«'**), und 
ging dann vor Desima, einen Flintenschuss von der Wasserpforte, 
zu Anker; zwei Wachtbarken mit Soldaten legten sich daneben, imd 
bewachten es während der ganzen Zeit seiner Anwesenheit. Zu- 
nächst nahmen dann die japanischen Beamten die Geschütze, Waffen 
imd Munition in Empfang, welche mit dem sogenannten Bibel- 
tönnchen, in das alle Andachtsbücher, Crucifixe und Heiligenbilder, 
selbst alle europäischen Münzen mit dem Zeichen des Kreuzes 
verpackt werden mussten , am Lande bis zur Abfalirt aufbe- 
wahrt wurden. Dann stellten sie in Gegenwart des holländischen 

1**) Das Misstrauen der Japaner ging so weit, dass die Holländer der Factorei 
keine Briefe mit den chinesischen Dschunken absenden durften, ohne den Japanern 
Copie davon zu lassen. Alle solche Briefpackcte wiu*den in doppelten Exemplaren 
den japanischen Behörden übergeben, welche dann — nach ilu-er Auswahl — das 
eine abschickten und das andere behielten. Die mit den holländischen Schiffen ab- 
gehenden Privatbriefe wurden mit der Connivenz der Behörden heimlich fortgebracht, 
alle officiellen Schreiben aber, ankommende wie abgehende, mussten dem Statthalter 
vorgelegt werden. S. Kämpfer. 

^^) So heisscn bei den Holländern zwei militärische Posten am Eingange der 
Bucht, deren Batteriecn das enge Fahi'wasser bestrichen. Sie standen unter Befehl 
inid ^'e^antwortlichkeit des Fürsten von Fidsen. 



Der beschränkte Verkehr mit den Schiffen. Durchsuchung der Landenden. 



141 



Handelsvorstehers eine Musterung der gesammten Schiffsmannschaft 
an, und Hessen eine Verordnung über das während der Anwesenheit 
im Hafen zu beobachtende .Verhalten vorlesen. Die Ladung wurde 
unter ihrer Aufsicht gelöscht und auf Desima unter Verschluss und 
Siegel der Behörden bis zum Verkaufe aufbewahrt. Auch das 
Gepäck der mit den Schiffen anlangenden Factoreibeamten wurde 
streng visitirt, und alle verbotenen Gegenstände bis zur Abreise des 
Besitzers in Beschlag genommen. Nachdem die Ladung gelöscht 
war hörte der Verkehr wieder auf, nur mit Pässen versehene Per- 
sonen durften sich in Begleitung japanischer Aufseher nach und von 
den Schiffen begeben; die ganze Mannschaft wurde tägUch gemustert. 
Alle, welche die Wasserpforte passirten, mussten sich am ganzen 
Körper nach verbotenen Waaren durchsuchen lassen, mit Ausnalune 
des Handelsvorstehers und des Schiffscommandanten; und als man 
dahinter kam, dass die Capitäne dieses Vorrecht missbrauchten'*®), 
wurde die Untersuchung auch auf sie, zu Zeiten selbst auf die 
Handelsvorsteher ausgedehnt. — Die officielle Abreise war durch 
kaiserliches Decret auf einen bestimmten Tag des October anbe- 
raumt; dann mussten die Schiffe auch wirklich ihren Ankerplatz vor 
Desima verlassen, durften aber am Ausgange der Bucht wieder 
ankern, und dort so lange bleiben, bis sie ihre Ladung vollständig 
eingenommen hatten. So genügt der Japaner häufig zugleich dem 
Wortlaut des Gesetzes und den Forderungen der Billigkeit. Bei 
der Abfahrt erhielten die Holländer ihre Munition, Waffen und aUe 
sonstigen in Beschlag genommenen Gegenstände zurück, und wurden 
von Wachtschiffen, welche den Schleichhandel verhüten sollten, 
weit auf die hohe See hinaus geleitet. 

Bei allen diesen Beschränkungen genossen die Holländer des 
kostbaren Vorrechtes der Hofreise, deren Zweck war, dem Siogun, 
dem Thronfolger und den höchsten Staatsbeamten Geschenke zu 
überreichen. Der Handelsvorsteher und einige seiner Untergebenen — 

**•) Die Japaner machten diese Entdeckung 1772, als ein von den Holländern 
verlassenes Schiff nach den Gotto- Inseln trieb. Sie fanden auf demselben unter 
Andern den künstlichen Anzug des Capitans, der so eingerichtet war, dass man eine 
Menge von Sachen, namentlich vor Brust und Bauch, heimlich darin transportiren 
konnte. Thunberg schildert sehr ergötzlich die yei*virunderung der Japaner, dass 
von diesem Jahre an die Capitäne eben so mager waren, als andere Menschen, 
während früher starke Wohlbeleibtheit ftir eine nothwendige Eigenschaft der Schiffs- 
commandanten gegolten hatte. 



142 Die Hofreise. Audienzen. 

ihre Zahl wurde von den Japanern immer mehr und zuletzt auf drei 
bescliränkt — b*egaben sich zu Lande nach Kokura, von da zu 
Schiffe nach Simonoseki und Osaka, und weiter zu Lande nach 
Yeddo, und kelurten nach kurzem Aufenthalt in der Hauptstadt 
wieder zurück. Die Handelsvorsteher genossen auf diesen Reisen 
gleicher Ehren wie die Landesfursten: sie bedienten sich derselben 
Art Sänften, übernachteten in denselben Herbergen, und Hessen 
sich statt der bei Jenen üblichen Hellebarden und Piken einen Degen 
und einen Rohrstock als Insignien der Würde vorauftragen; ihre 
Quartiere wurden nach Landesgewohnheit mit Schanztüchern be- 
hängt, auf denen das Wappen der ostindischen Compagnie prangte, 
auch musste ihnen die Bevölkerung dieselbe Ehrfurcht erweisen wie 
den Daimio's — aber sie wurden von den sie begleitenden japani- 
schen Beamten wie Gefangene bewacht, und an jedem Verkehr mit 
den Eingeborenen verhindert. Li Osaka, Miako und Yeddo durften 
sie ihre Herberge nur zu der Audienz und den vorgeschriebenen 
Besuchen verlassen, und mit den sie besuchenden einheimischen 
Beamten, Gelehrten und Kaufleuten nur unter Aufsicht und in Gegen- 
wart der ihnen beigegebenen Regierungsspione verkehren. Die 
Audienz im kaiserlichen Palast war sehr kurz und bestand nur in 
einer Verbeugung nach Landesart, welche dem Handelsvorsteher, 
der allein zur Gegenwart des Siogun Zutritt erhielt, von den Hof- 
beamten vorher sorgfaltig eingeübt wurde * * '). Seine Begleiter blieben 
gewöhnUch in einem Vorsaal; Alle mussten am Portal des Palastes 
ihre Degen abgeben imd aus den Sänften steigen. Vor der Audienz 
durften die Holländer weder ihre Herberge verlassen noch Besuche 
empfangen, um desto mehr wurden sie nachher von Neugierigen 
bedrängt; namentlich die Aerzte, welche regelmässig die Hofreise 
mitmachten und den japanischen Gelehrten tausend Fragen natur- 
wissenschaftlichen und medicinischen Lihalts beantworten mussten. 
Viele dieser Gelehrten sprachen holländisch. Bald nach der Audienz 

^^^ Zur Zeit des Tsuna - yosi wurden nach der feierlichen Audienz des Handels- 
vorstehers auch seine Begleiter tiefer in den Palast in ein Gemach geföhrt , wo hinter 
einem Gitterschirm der Sioouv mit semer Gemalin sass. Kämpfer beschreibt, wie 
sie bei dieser Gelegenheit auf kaiserlichen Befehl »ordentliche Affenpossen ausüben 
mussten; man hiess sie u. a. aufstehen und hin- und herspazieren, bald einander 
komplimentiren , dann tanzen, springen, einen betrunkenen Mann vorstellen, japanisch 
stammeln , malen , holländisch und deutsch lesen , singen , die Mäntel ab - und wieder 
wegthun u. dgl.« Der Handelsvorsteher allein »blieb von diesen Sprüngen verschont«. 



Geschenke des Siooun. Beschränkung der Hofreisen. 



143 



statteten die Reisenden auch den höchsten Hof- und Staatsbeamten, 
welche ebenfalls Geschenke erhielten, die herkömmlichen Besuche 
ab , und wurden von diesen Herren oder ihren Secretären bewirthet. 
Sie bequemten sich hier vielfach, zur Belustigung der hinter Wand- 
schirmen versteckten Frauen zu singen, zu tanzen, auf europäische 
Weise zu grüssen u. s. w. — Der Siogun sowohl als seine Grossen 
erwiederten die Geschenke der Holländer nach landesübhcher Art 
durch Uebersendung einer grossen Anzahl seidener Röcke. Gleich 
nach der Abschieds- Audienz **'), welche sich von der ersten 
wenig unterschied, mussten die Reisenden Yeddo verlassen und 
wurden auf dem oben bezeichneten Wege wieder nach Nangasaki 
zurückgeführt. 

Im Jahre 1790 bestimmte die japanische Regierung aus 
ökonomischen Rücksichten, dass die Holländer nur alle vier Jahre 
nach Hofe kommen, und in den dazwischen liegenden Jahren die 
Geschenke von ihren eigenen Beamten nach Yeddo gebracht werden 
sollten. Die Ausgaben der Reise wurden nämUch von der Geld- 
kammer für ein jährhch von den Niederländern an sie gezahltes 
Pauschquantum bestritten, das in alter Zeit festgesetzt und für die 
späteren Verhältnisse ganz xinzureichend war, aber nach japanischen 
Begriffen nicht geändert werden konnte. Wenn auch aus dieser Be- 
schränkung den HoUändem wesentUche Gelderspamisse erwuchsen, 
so verloren sie doch ein Bedeutendes an dem Vortheil des häufigeren 
unmittelbaren Verkehrs mit den höchsten Staatsbeamten, denn in 
Nanoasaki hingen sie ganz von der Willkühr der Statthalter ab, 
welche sich wohl hüteten, ihre Beschwerden nach Yeddo gelangen 
zu lassen. 

Natürlich hatte die PersönUchkeit, sowohl der japanischen als 
der holländischen Beamten, immer viel Einfluss auf die Lage der 
Gefangenen in Desima; zuweilen war sie unerträglich, zuweilen 

IM) Nach der Abschieds -Audienz wurden dem Handelsvorsteher im Palaste noch 
die auf den holländischen Handel bezüglichen kaiserlichen Befehle vorgelesen. Es 
hiess darin, man habe den Holländern seit alter Zeit erlaubt, nach Japan zu kommen; 
wenn sie sich diese Erlaubniss erhalten wollten , mochten sie sich hQten , den christlichen 
Gottesdienst in Japan zu verbreiten. Wenn sie von Anschlägen oder Unternehmungen 
fremder Regierungen auf Japan hörten , sollten sie es dem Statthalter von Nanoasaki 
melden. Sie sollten die nach Japan fahrenden chinesischen Dschunken nicht angreifen. 
Sie sollten auch die Bewohner von Liu-kiu als Unterthanen von Japan auf der See 
unbehelligt lassen. 



144 Die Stellung der Holländer in neuerer Zeit. — Der Handel auf Desima. 

herrschte das beste Einvernehmen. In den letzten Jahrzehnten 
soll die Handhabung der alten Gesetze eine sehr milde gewesen 
sein, und wenn auch der Siogun Jye-yosi bei seinem Regierungs- 
antritt im Jahre 1842 ernste Verordnungen sowohl zur Herstellung 
der alten Zucht im Volke und zur Bewachung der allzu selbst- 
ständig gewordenen Grossen, als zur strengeren Behandlung der 
Niederländer erhess, so machte sich doch die frühere Praxis in 
Kurzem wieder geltend. Man erlaubte den Bewohnern von Desima 
häufiger und unter geringer Begleitung die Stadt zu besuchen und 
behandelte die Abheferung der Andachtsbücher, der WaflFen und 
Munition als blosse Formalitäten. Nicht wenig ist diese vortheil- 
hafte Veränderung dem besseren Geiste imter den holländisch- 
ostindischen Beamten seit Anfang dieses Jahrhunderts und der 
zweckmässigeren Einrichtung des Handels von beiden Seiten zuzu- 
schreiben, denn früher \Varen alle bei der Factorei angestellten 
Niederländer mit dem wesentlichsten Theile ihres Erwerbes auf 
den Schleichhandel und noch Schlimmeres angewiesen, wodurch 
sie den ehrenhaften Japanern verächtUch und die Genossen der 
gewissenlosen ünterbeamten der Geldkammer wurden. 

Schon gleich nach ihrer EinschUessung auf Desima 1641 
beklagten sich die Niederländer über die schmähliche und emie- 
drigende Behandlung, doch scheinen ihre Beschwerden nicht nach 
Yeddo gedrungen zu sein. Es war damals in Batavia stark die 
Rede davon, den japanischen Handel ganz aufzugeben, da der Ge- 
schäftsverkehr von 1640 und 1641, trotz einer Silberausfuhr von 
14,000 Kisten im letztgenannten Jahre, nach dem Vorgeben der 
Holländer Verlust gebracht hatte. Der auf Le Maire 1642 folgende 
Handelsvorsteher Van Elserack erwirkte zwar bei seiner Hofreise 
eine Linderung der Maassregeln und wusste sich, die Umstände 
geschickt benutzend, das Vertrauen der Regierung zu erwerben**'): 

^*°) Elserack erwirkte den Holländern wieder die Erlaubniss, bei schlechtem 
Wetter in allen japanischen Häfen Schutz suchen zu dürfen. 

Im Jahre 1643 sandte die Regierung von Batavia die Schiffe Castricum luid 
Breskens unter Maarten Gerritsz Yries nach dem nordlichen Stillen Ocean, um die 
vermeintlich im Nordosten von Nippon liegenden Gold- mid Silbereilande zu suchen und 
wo möglich Handelsverbindungen mit den tartarischen Küstenländern anzuknüpfen. 
Von einem dieser Schiffe, das in der Bucht von Nambu, in der Landschaft Muts, 
an der Nordostküste von Nippon vor Anker ging, begaben sich einige Ofliciere an 
das Land, wurden dort gefangen und nach Yeddo gebracht. Man hielt sie för ver- 
kappte Priester und confrontirte sie mit den in der Hauptstadt damals noch gefangenen 



Verlust von Taiwano. Harte Bedrückung. 145 

als aber die Japaner durch die portugiesische Gesandtscliaft des 
Jahres 1644 den Abschluss des Friedens zwischen den Niederlanden 
und Portugal erfuhren, wurden die Beschränkungen ärger denn 
jemals. Eine Gesandtschaft, welche die Regierung von Batavia 1649 
nach Japan schickte, wurde nicht einmal zur Audienz gelassen und 
überhaupt mit gesuchter Unhöflichkeit behandelt. Die japanische 
Regierung sah die fortwährenden Seeräubereien der Holländer gegen 
die Chinesen mit sehr ungunstigem Auge an, und zwang sie oft, 
diesen auf ihre Klagen in Japan schweren Ersatz zu leisten. — Als 
die Niederländer 1661 ihre Festung Taiwano auf Formosa an den 
chinesischen Seeräuber Coxinga*") verloren, nahmen die Japaner 
die holländischen Flüchtlinge mit ihren Frauen und Kindern in 
Nangasaki liebreich auf imd beherbergten sie bis zu ihrer Ein- 
scliiffung nach Batavia, die Beschränkungen der Bewohner von 
Desima aber blieben dieselben. Die Statthalter traten immer will- 
kührhcher auf und drückten den Handel der Niederländer, welche 
sich zudem in den Händen spitzbübischer Dolmetscher befanden, 
mit immer schwereren Lasten. 

Bisher war der Geschäftsverkehr in so fem frei gewesen, 
als die Holländer ihre Waaren an die nach Desima kommenden 
japanischen Kaufleute unter Aufsicht der Regierungsbeamten direct 
verhandeln durften; 1672 aber wurde der sogenannte Taxations- 
handel eingeführt: der Statthalter hess sich Muster von allen ange- 
brachten Waaren einreichen und taxirte sie nach Gutdünken mit 
japanischen Kaufleuten ohne Zuziehung der Holländer, denen man 
dann die Wahl Hess, entweder die weit unter den früheren Preisen 
bleibenden Gebote anzimehmen oder ihre Waaren wieder einzu- 
schiffen. Sie wählten durchgängig das Erstere , denn die Bezahlung 
in Stabkupfer imd gemünztem Golde — die Silberausfuhr war 

portugiesischen Missionaren, überzeugte sich aber nach vielen scharfen Verhören, 
dass sie Holländer, und aus Unkenntniss auf Nippon, welches sie fiii* die tartarische 
Küste ansahen, gelandet seien. Van Elserack, der nach Yeddo gekommen war, 
wui'de sehr scharf über die Gefangenen examinirt, war aber glücklicher Weise 
von der Expedition untennchtet. Die Uebereinstimmung seiner Aussagen mit denen 
der Gefangenen wirkte vortheilhafl , so dass man die Holländer in Freiheit setzte 
und als -einer aufrichtigen und wahrheitsliebenden Nation angehörend« belobte. 
Einige von diesen Seeleuten sind mehrere Jahre in Yeddo geblieben, um den Japa- 
nern eine Geschützgiesserei einzurichten, imd dann reich beschenkt heim gesandt 
worden. 

^^) Coxinga soll japanischer Abkunft gewesen sein. 
I. 10 



146 Der Taxations- Handel. Der Gepermitteerde Handel. 

seit 1642 verboten**') — brachte so grossen Gewinn, dass der 
Handel noch immer sehr vortheilhaft blieb. Gegen das Jahr 1668 
hatte der Werth der ausgeführten Gold-Kobangs jährUch zelm 
Tonnen Goldes betragen; die ostindische Compagnie gewann am 
Golde allein über eine halbe Million Gulden jährlich. Das Kupfer, 
welches den Hauptbestandtheil der Rückladung ausmachte, trug 
beim Verkauf in Java 70 bis 95 Procent Gewinn. Nach Einfuhrung 
des Taxations- Handels waren die Vortheile etwas geringer; die 
Holländer gewannen auch damals noch an der Einfuhr allein gegen 
55 Procent, mussten aber die Zahl ihrer Schiffe immer mehr be- 
schränken, da sie nicht mehr hinreichende Rückfracht an Stabkupfer 
von der Regierung erhalten konnten. Statt der früheren neun 
kamen seit 1680 nur noch vier Schiffe jährlich. Ein in chinesischen 
Schriftzeichen abgefasster Brief vom General -Director des indischen 
Handels zu Batavia, welchen der Handelsvorsteher von 1682 in 
Yeddo überreichte, wirkte dort vortheilhaft, aber die Zucht unter 
den japanischen Beamten war grade um diese Zeit — unter dem 
Regimente des ausschweifenden und leichtfertigen Tsüna-yosi — 
sehr gelockert, und die Statthalter von Nangasaki wussten den 
Befehl des Siogun, die Holländer in ihren alten Freiheiten wieder 
herzustellen, zu umgehen. Der Vortheil, den die Beamten aller 
Classen aus dem Taxations -Handel zogen, muss ganz enorm ge- 
wesen sein*"). 

Neben dem Handel der Compagnie, der sich auf gewisse 
Artikel der Einfuhr und für die Ausfuhr auf Stabkupfer und Kampher 
bescliränkte , durften die Factoreibeamten noch einen Handel mit 
anderen Waaren im Werthe von 140,000 Gulden jährlich treiben, 
an dessen Ertrage sie alle nach dem Maasse ihrer Stellung Antheil 
hatten. Der Taxation war dieser »Gepermitteerde Handel« nicht 
unterworfen, dagegen erhob die japanische Regierung eine Steuer 
von 35 Procent des Kaufpreises der eingeführten Waaren, welche 
in die Tasche ihrer Beamten floss. In Folge dieser hohen Abgabe 
aber entwickelte sich ein lebhafter Schleichhandel, welcher den 
Holländern ungeheueren Gewinn, vielen Japanern aber den Tod 
brachte. Im Jahre 1685 wurden des holländischen Handels wegen 

^^^) Nacl) Lauts »Japan etc.« seit 1642; nach Meylan (Geschiedkundig Overzigt 
van den Handel der Europezen op Japan) wiu>de die Silberausfuhr erst 1671 verboten. 

***) Der jährliche Gewinn des Ottona (Gassenmeisters) von Desiha soll sich auf 
12,(XX) Gulden holländisch belaufen haben. 



Limitirung des Handels. 147 

neuniinddreissig japanische Schleichhändler hingerichtet, der Vor- 
steher der Factorei und zwei Unterkaufleute bei Lebensstrafe des 
Landes verwiesen. Da Dieses nicht fruchtete, Hess der Statthalter 
im folgenden Jahre zwei japanische Schmuggler auf Desima ent- 
haupten; alle Niederländer mussten der Execution beiwohnen, und 
erhielten einen scharfen Verweis mit der Drohung, die japanische 
Regierung werde auch über sie die Justiz üben, wenn fernere Ueber- 
tretungen vorkämen'"). Trotzdem blühte der Schleichhandel fort, 
so, lange er einträgUch blieb. 

Um 1686 beschränkte die japanische Regierung plötzUch die 
Einfulir der Holländer auf den Werth von 300,000 japanischen 
Taels. Alle Waaren, die nach Erreichung dieser Summe unverkauft 
bÜeben, sollten bis zum nächsten Jahre in den Packhäusem ver- 
schlossen werden. Danut hörte die Taxation auf; die Holländer 
traten wieder, natürUch unter Aufsicht der Regierungsbeamten, in 
unmittelbaren Verkehr mit den japanischen Kaufleuten, die Statt- 
halter von Nangasaki aber entschädigten sich durch eine den 
verkauften Waaren willkührUch aufgelegte Steuer, welche 1689 
durchschnittlich 38 Procent betragen haben solL Mit der neuen Ein- 
richtung fiel auch der »Gepermitteerde Handel« weg, .doch wussten 
die Beamten durch ein sehr spitzfindiges Rechnungsmanöver*'*), bei 

i^) Das Benehmen des holländischen Handelsvorstehers , der nach der Execution 
die japanischen Beamten zum Frühstück einlud, erscheint in Kämpfer's Darstellung 
nicht sehr erbaulich. Die Japaner wiesen diese Zuniuthung mit Unwillen zurück. — 
Ein einziges Mal vollstreckten die Japaner die Todesstrafe an einem Holländer, einem 
Matrosen, welcher das Siegel der Behörde von einer Schiffsluke abgerissen hatte. 

^^) Die Details dieser Berechnung sind sehr complicirt ; sie beruhte hauptsächlich 

auf einer Ucberaetzung des japanischen Tael, welcher eine imaginäre Münze ist, in 

Gold zu höherem und niederem Course. Da nun die Grundlage des japanischen Münz- 

fusses eigentlich der Goldkobang , und der silberne Tael ein veränderlicher Werth ist, 

so waren vielfache Complicationen der Rechnung möglich, aus deren Labyrinth sich 

nur der Raufmann von Fach herausfindet. Die japanischen Beamten, welche aus 

dem "besonderen Handel« grossen Vortheil zogen, liehen die Hand zu dieser 

hässlichen Transaction. Es wäre unbegreiflich, wie die Compagnie von ihren eigenen 

Beamten sich so hätte hinter das Licht fuhren lassen sollen , wenn man nicht wüsste, 

wie unredlich ganz Holländisch Ost -Indien zu jener Zeit verwaltet wurde. Den 

Posten eines Handelsvorstehers von Desima, den man als eine reiche Goldgrube 

ansah, hatten fast alle hohen Beamten der ostindischen Regierung einmal bekleidet, 

und sie hüteten sich wohl , ihre Nachfolger der Missbräuche zu beschuldigen , welche sie 

selbst geübt hatten. Man scheint damals allgemein die Ansicht gehabt zu haben, dass die 

Beamten nicht fui' die ostindische Compagnie , sondern diese der Beamten wegen da sei. 

10- 



14o Der Kambang -Handel. Die Geldkanmier. 

welchem die ostindische Compagnie stark beuachtheUigt wurde, einen 
Theil der Umitirten Summe für sich in Anspruch zu nelunen. So 
entstand der sogenannte Kambang -Handel, eine Fortsetzung des 
»Gepermitteerden« mit beschränkter Ausdelmung. Die Compagnie Uess 
denselben auch dann fortbestehen, als die Benachtheüigung bekannt 
wurde, und nalun nur einen bestimmten Theil des Gewinnes für sich in 
Anspruch. — Seit dem Ende des siebzehnten Jahrhunderts wurden 
dem holländischen Handel theils von Seiten der Statthalter, theils 
von der Centralregierung fast jährUch neue Lasten aufgelegt, was n\an 
wesenthch der bei den Japanern wach gewordenen Besorgniss um 
die ungeheuere Metallausfulu* zuschreiben muss. Arai, Fürst von 
TsiKUNGO , der Lehrer und Rathgeber der Siogün's Tsuna - yosi und 
Jye-nobu, schilderte damals in einer der Regierung eingereichten 
Denkschrift die Quellen des japanischen Reichthums; er verghch 
darin die Metalle mid Minerale, welche sich nicht wieder ersetzen, 
dem Mark und den Knochen des Menschen, die, einmal abgetrennt, 
nicht wieder wachsen, alle übrigen Producte aber, welche von Jahr 
zu Jahr sich neu erzeugen, dem Fleisch, dem Blute, den Haaren. 
Seinen Berechnungen nach hatten die Holländer in achtzig Jahren 
dem Lande in Metallen eine Summe entführt, welche 1,032,592,000 hol- 
ländischen Gulden gleichkommt"*). — Die Kupferausfuhr wurde 
nun mehr und mehr beschränkt, und die Kobangs, die Goldmünze, in 
welchen die Holländer einen grossen Theil ihrer Zalüungen empfingen, 
bei gleichem Nennwerthe von Jahr zu Jahr kleiner geprägt. Die Han- 
delsvorsteher remonstrirten vergebens, und machten viele fruchtlose 
Versuche, die alten Verhältnisse wieder herzustellen. 

Das Jahr 1736 brachte eine neue Einrichtung, welche dem 
Handel wenigstens einige Sicherheit gab. Die von den Holländern 
mit dem Namen »Geldkammer« bezeichnete Kauünannsgesellschaft, 
an welche jetzt auch der niederländische Handel verpachtet war, 
bestellte Waaren nach Mustern zu verabredeten Preisen, welche im 
Zeitraum von einem bis zwei Jahren geliefert werden mussten, je- 
nachdem es indische oder europäische Artikel waren ; zugleich wurde 
jedesmal die als Rückfracht zu gewälu'ende Quantität Kupfer fest- 
gestellt. Den Betrag der Einfuhr schrieb die Geldkammer den Hol- 
ländern gut, bis sie ihnen bei der Abfahrt der Schiffe die Ausfuhr- 
artikel heferte. Den Kambang-Handel Uess man nebenbei fortbestehen, 

^^) Bei Lauts sind die Summen so bezeichnet: 112 Millionen Tacl Silber, 
1,229 Millionen Pfund Stabkupfer und 6,192,900 Stuck Kobangs. 



Härtere BedrAckung. Der Schleiclihandel. 149 

alle Kaufpreise für die Einfuhrartikel aber an die Geldkaramer ent- 
richten, und den Verkäufern nach Abzug der üblichen 35 Procent 
gutschreiben. Die Niederländer sollten während ihres Aufenthaltes 
in Japan gar kein baares Geld mehr in die Hände bekommen, son- 
dern auch alle ihre Bedürfnisse in Anweisungen auf die Geldkammer 
zahlen, sehr zu ihrem Nachtheil, da die Anweisungen erst nach 
^ Jaliresfrist, und dann nur mit gewissen Abzügen eingelöst wurden. — 
Auf diese Weise wnirde der Handel bis in die neueste Zeit getrie- 
ben, hat sich aber nie wieder zu seiner alten Höhe empor- 
gesclnvungen; die Beschränkungen wurden im Gegentheil immer 
schlimmer, um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts durfte nur 
noch ein Schiff jährlich nach Nangasaki kommen. Da nun die 
Kosten der Factorei und der Hofreisen, die Geschenke und Lasten 
dieselben blieben wie früher, so verminderte sich der Gewinn un- 
verhältnissmässig. Als die japanische Regierung die Kupferaufefuhr, 
die noch zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts 30,000 Pikul be- 
tragen hatte, 1743 auf 6000 Pikul beschränken wollte, befahl der 
Gouverneur von Niederländisch Indien dem Handelsvorsteher, die 
eingeführten Waaren wieder einzuschiffen und die Factorei aufzu- 
geben, wenn nicht eine vermehrte Kupferausfuhr und bessere Preise 
für die Einfuhrartikel bewilligt würden — denn die Japaner wollten 
oft unter dem Vorgeben, die geüeferten Waaren entsprächen nicht 
den Mustern, die bedungenen Preise nicht zahlen. Auf diese Dro- 
hung hin wurden die Behörden willfähriger; man Uess wieder zwei, 
seit 1758 sogar drei Schiffe zu, weil einige mitergegangen waren. 
Diren Gewinn berechneten die Holländer selbst 1752, in der schlimm- 
sten Zeit, noch immer auf fünf Tonnen Goldes jährlich. 1763 for- 
derte der Statthalter von Nangasaki ausser den üblichen auch noch 
Geschenke für den Thronfolger, und kündigte, als der Vorsteher 
von Desima sich dessen weigerte, den Niederländern gradezu den 
Handel auf, mit der peremtorischen Weisung das Land zu ver- 
lassen. Der Handelsvorsteher fugte sich nun in die neue Belastung, 
und die Sache ging ihren alten Gang, bald mehr, bald minder 
günstig. — Von zwei Schiffen, welche 1772 von Batavia nach 
Nangasaki segelten, wurde das eine im Sturm von den Holländern 
als unrettbar verlassen, ging aber nicht unter, sondern trieb nach 
den GoTTO- Inseln und fiel in die Hände der Japaner; beim Unter- 
suchen der Ladung entdeckten diese nun die vielfachen künstlichen 
Vorrichtungen und Verpackungen, deren sich die Holländer zum 



150 Ausbleibeu der Schiffe. Bessere Aussiehten. Titsingh. 

Schmuggeln bedienten. Nach dieser Erfahrung beschränkte die 
Regierung den Handel aufs neue: seit 1775 sollte wieder jälirlich 
nur ein Schiff zugelassen, und die Preise der auf Bestellung ge- 
lieferten Waaren erst nach ihrer Ankunft festgestellt werden. Da 
nun die Statthalter noch dazu immer grössere Geschenke forderten, 
und mehrere Schiffe untergingen , so scheint die Compagnie in 
diesen Jahren wirklich sehr schlechte Geschäfte gemacht zu haben. 
Die Beeinträchtigungen gingen damals wesentlich von einem hab- 
süchtigen Statthalter aus. Als im Jahre 1782 in Folge des Krieges 
zwischen Niederland und England zum ersten Male gar kein Schiff 
ankam, geriethen die Japaner in die grösste Verlegenheit. Der 
Statthalter Uess Gebete in allen Tempeln anordnen und den Bonzen 
grosse Belohnungen versprechen , wenn sie das fallige Schiff herbei- 
schafften, der Handelsvorsteher Titsingh aber benutzte dessen Angst 
imd Erklärte, dass bei den Bedrückungen der letzten Jahre den 
Holländern nichts an der Fortsetzung des Verkehrs liegen könne, 
und man deshalb wahrscheinUch keine Schiffe von Batavia abge- 
sandt habe. Nun verklagten auch die unzufriedenen Beamten imd 
Dolmetscher, welche mit ihrem Lebensunterhalt auf den holländi- 
schen Handel angewiesen waren, den Statthalter bei Hofe, am 
Ausbleiben der Schiffe schuldig zu sein, und brachten es dahin, 
dass er mit Verlust von zw^ei Drittheilen seines Vermögens degra- 
dirt wurde. Sein Nachfolger war den Fremden günstig; Titsingh 
erwirkte von ihm die Abstellung vieler JVIissbräuche, imd erlangte 
später durch sein energisches Auftreten bedeutende Preiserhöhungen 
für den Import auf eine lange Reihe von Jahren, imd die Erlaubnisse 
wieder mit zwei Schiffen den Handel zu treiben. 

Die Verhandlungen Titsingh's und seiner Nachfolger mit der 
japanischen Regierung beweisen deutUch, dass dieser sehr wenig 
an der Einfuhr der Niederländer gelegen war, und dass das Land 
sehr wohl ohne sie bestehen konnte. Eine Schiffsladung jährlich 
ist in der That fiir eine Bevölkerung von 25 Millionen ein Tropfen 
Wasser im Meere. Dass die Geldkammer, welche unter Anderen 
den Holländern das Stabkupfer zu den alten Preisen weit unter 
dem Werthe liefern musste, gradezu einen jährlichen Verlust an 
dem niederländischen Handel hatte, den sie nur aus dem grossen 
Gewinn an dem chinesischen decken konnte, haben die Holländer 
selbst vielfach ausgesprochen. Nur die ostindische Compagnie, und 
vor Allen die holländischen und japanischen Beamten hatten Vortheil 



Titsiugh's Nachfolger. Neue Beschränkung. 151 

davon. Das aus 50 Personen bestehende Dolmetscher -Collegium 
und viele andere Aemter waren ganz auf die Niederlander ange- 
wiesen — ganz Nanoasaki soll fast ausschliessUch vom Handel mit 
den Ausländem gelebt haben. Nur um Jenen ihre Erwerbsquelle 
zu erhalten und die Verbindung mit Europa nicht ganz abzubrechen, 
scheint die japanische Regierung den Verkehr mit den Holländern 
fortgesetzt und Opfer dafür gebracht zu haben. Selbst wenn ihnen 
europäische Artikel ein Bedürfiiiss gewesen wären, so konnten sie 
solche seit Ende des vorigen Jahrhunderts von den Chinesen wohl- 
feiler beziehen als von den Holländern. 

TitsingKs Naclifolger verdarben durch unvorsichtiges Beneh- 
men wieder, was er gebessert hatte. Der Siogun wünschte zwei 
persische Pferde zu besitzen, welche die Compagnie ihm auch 
schickte, und best>ellte bald darauf noch ein gleiches Paar. Unglück- 
licher Weise aber fand sein einziger Sohn, der Thronfolger, mit 
einem dieser Pferde stürzend, seinen Tod; das Gegengeschenk, 
welches für das erste Paar in 500 Pikid Kupfer bestanden hatte, 
blieb für das zweite Paar aus, und der Handelsvorsteher war im- 
vorsichtig genug, wiederholt daran tu erinnern. Dazu kam, dass 
sich die Holländer seit 1789 der ferneren Lieferung der sogenannten 
» Nangasakischen Geschenke« weigerten, eines an die dortigen 
Beamten zu entrichtenden Tributes , welcher die Kosten der Factorei 
mit 12,000 Gulden jährlich beschwerte. Diese unklugen Maassregeln 
hatten die Beschränkung des Privilegiums der Hofreise auf die 
vierjährige Frist und die Verminderung der Kupferausfuhr auf ein 
JVIinimum zur Folge: »die Bergwerke seien erschöpft, nur um die 
alte Freundschaft mit den Niederländern zu erhalten, bringe der 
Siogun dieses Opfer.« Den Schlusssatz der kaiserUchen Verord- 
nung, welche den Holländern drohte ihre Waaren zu verbreimen 
und ilirem Aufenthalte in Japan ein Ende zu machen, wenn sie sich 
noch einmal unterständen auf Erhöhmig der KupfcrUeferung anzu- 
tragen, Hessen die japanischen Dolmetscher in der Uebersetzung 
fort; diese Veruntreuung wurde aber entdeckt imd hatte die Hin- 
richtung von mehreren dabei betheiligten Beamten zur Folge. Die 
Regierung zu Batavia wollte um diese Zeit den japanischen Handel 
ganz aufgeben, die Oberbehörde im Vaterlande liess es aber nicht 
zu und begnügte sich in Erwartung besserer Zeiten, die Ausgaben 
mögUchst zu beschränken. — Der Krieg in Euro[)a machte es den 
Holländern unmöglich, die von den Japanern bestellten Waaren 



lö^ Die Kriegsjahre. 

nach deren Wunsch zu liefern , und so sank der Handel immer melir. 
1796 kamen gar keine, von da an nur sehr unregelmässig holländisclie 
Schiffe nach Nangasaki; die batavische Regierung miethete meist 
amerikanische, zuweilen auch dänische Fahrzeuge, um durch die 
neutrale Flagge ihr Eigenthiun zusichern, und setzte auch nach einigen 
Schwierigkeiten die Zulassung der fremden ScliiflFe in Nangasaki 
durch. Der Frieden von Aniiens gab dem ostindischen Handel eine 
kurze Rast — die niederländische Flagge zeigte sich vorübergehend 
wieder in den japanischen Gewässern; von 1806 bis 1809 aber kamen 
meist gemiethete amerikanische, von diesem Jahre bis 1813 gar 
keine Schiffe nach Japan, weil Holland von Frankreich incorporirt 
und Batavia von den Engländern besetzt war. Diese machten 
durch mehrere, in den Jahren 1813 und 1815 nach Nangasaki 
gesandte Fahrzeuge den Versuch, auch Desima und damit den 
japanischen Handel in ihre Hände zu bekommen, scheiterten aber 
an der Klugheit und Festigkeit des Handelsvorstehers Doeff, der 
so viele Jahre lang mit seinen Unterbeamten ohne Zufuhr, ja ohne 
alle Nachrichten aus Europa blieb. Erst 1817 erschien, nach Her- 
stellung des Friedens , das erste hollänchsche SchiflF; seitdem wurden 
die Zufuhren wieder regelmässig, die Waaren konnten nach dem 
Geschmack der Japaner geliefert werden und die Vortheile des 
Handels waren bedeutend. Die Regierung brachte die Kosten der 
Factorei in Einklang mit der Ausdehnung des Verkehrs, sandte 
minder werthvolle Geschenke — was nach der langen Unterbrechung 
leichter wurde als früher, — unterdrückte den Schleichhandel ganz 
und gar und duldete überhaupt keine Ungesetzlichkeit von Seiten 
ihrer Beamten. Bis zu Ende des vorigen Jahrhunderts war ganz 
Niederländisch Indien mit der schmählichsten Unredhchkeit ver- 
waltet worden: schaamlose Gewinnsucht herrschte in allen Classen, 
und selbst die höheren Beamten trachteten nur, gleichviel durch 
welche Mittel, in kürzester Zeit Schätze zu erwerben. So hatten 
auch die Handelsvorsteher auf Desima geflissentlich die Rechnungs- 
bücher in Unordnung gerathen lassen; sie pflegten die Gelder der 
Corapagnie zu ihren Privatspeculationen zu benutzen und sich wissent- 
lich vielfacher Täuschungen schuldig zu machen; der gesetzwidrige 
Schleichhandel, welcher fortwälirend vielen Japanern das Leben 
kostete, war eine Hauptquelle ihres Reichthumes. Sie scheinen zu 
Ende des achtzehnten Jahrhunderts auch mit einigen der Lehns- 
fürsten in geheimer Handelsverbindung gestanden zu haben: der 



Neue Organisation des Handels. Kosten der Faetorei. l^^ 

Factoreivorsteher Gisbert Hemmij fand 1798 auf der Rückreise von 
Yeddo einen geheimnissvollen Tod — er soll sich vergiftet haben, weil 
sein Einverständniss mit dem Fürsten von Satsuma entdeckt worden 
wäre'**). — Meistens traten die Handels Vorsteher bei ihrer Rück- 
kehr nach Batavia in den Rath von Inchen, und übersahen dann 
gern die Vergehungen ihrer Nachfolger, welche die Beweise ihrer 
eigenen Ruchlosigkeit in Händen hatten. Willem Wardenaar, der 
1798 nach Desima kam, hatte zuerst den Muth, die Unredlichkeit 
seiner Vorgänger aufzudecken, und die Beweise davon, die gefälschten 
Handelsbücher, nach Batavia zu bringen. Erst seit dieser Zeit kam 
Ordnung in die Verw^altung der Faetorei. 

Von 1817 bis 1831 wurde der Handel wieder regelmässig mit 
zwei, von 1831 an mit einem Schiffe jährlich betrieben. Der Kambang- 
Handel wurde 1826 einer für die Beamten gegründeten »Particulieren 
Handelssocietät« übergeben, 1831 aber von der Compagnie an eine 
Gesellschaft von Kaufleuten in Batavia verpachtet; von dieser Zeit 
an erhielten die Beamten auf Desima erhöhte feste Besoldungen. 
Das Verhältniss zur japanischen Regierung blieb bis in die neueste 
Zeit ein ununterbrochen freundschaftliches. 

Die jährlichen Kosten der Faetorei, nämlich die Miethe von 
Desima, die Ausgaben der Hofreise, die Geschenke und alle Besol- 
dungen an Japaner — mit Ausschluss der Besoldung der hollän- 
dischen Beamten — sollen in den letzten Jahren der Einschliessung 
noch 40,000 Gulden betragen haben. — Die Kosten der Faetorei in 
FiRANDO beliefen sich in den . Jahren der Blüthe durchschnittlich 
auf 265,000 Gulden, die von Desima um 1672 auf 162,000 Gulden 
und in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts, wo der Handel ganz 
danieder lag, noch auf 141,000 Gulden. Das Personal der Faetorei 
bestand gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts noch aus mehr als 
zwanzig Personen, in neuerer Zeit dagegen nur aus dem Handels- 
vorsteher, einem Packhausmeister, der zugleich Buchführer war, 

156) DJe Sache ist niemals ganz aufgeklärt worden. — Von Hcmmij's beiden ja- 
panischen Dienern, wurde der eine festgehalten und hingerichtet, der andere entkam 
und soll beim Fürsten von Satsuma eine Zuflucht gefunden haben. Die japanische 
Regierung hat Hemmij niemals angeklagt, im Gcgentheile den Holländern ihr Beileid 
über dessen Tod bezeigen lassen und seinem Andenken 30 Pikul Kupfer verehrt. 
Dies ist kein Beweis für seine Unschuld, da nach japanischen Begriffen der Selbst- 
mord jeden Flecken der Ehre tilgt. — Hemmij hinterliess ansehnliche Schulden in 
Japan. — 



i^4: Eimichtung des Handels. 

einem Arzt, vier Assistenzbeamten, und zwei Matrosen oder Hand- 
langern. Das japanisch -holländische Dolmetscher- CoUegium zählte 
noch in den letzten Jahren fünfzig Personen, von denen nur die 
höheren Beamten der Classe der Zweischwertigen angehörten. Die 
niederen Dolmetscher waren zugleich Makler, Kaufleute, Sprach- 
lehrer; die Holländer schildern sie als eine gewinnsüchtige charakter- 
lose Rotte. Sie wurden von der japanischen Regierung streng 
bewacht, und durften einzeln — ohne Aufpasser — bei schwerer 
Strafe keinen Holländer besuchen. Das Amt der Dolmetscher war 
in bestimmten Famiüen erblich ; sie lernten die Sprache von Jugend 
auf und wurden als Knaben vielfach den Holländern zur Bedienung 
in ihre Häuser gegeben. Mit Ausnahme der obersten scheinen 
' die Dolmetscher unter der ControUe der Geldkammer gestanden 
und zugleich vielfach als Rechnungs- und Steuerbeamte fungirt 
zu haben. 

Die Geldkanuner verkaufte die von den Holländern erstan- 
denen Waaren mit grossem Vortheil an eine Handelsgesellschaft aus 
den fünf Reichsstädten, deren Agenten jährlich nach Nanoasaki 
kamen, und fertigte unter Aufsicht der sogenannten Bürgermeister 
die Erlaubnisscheine und Pässe aus, ohne welche die Importartikel 
weder aus Desima ausgeführt noch irgendwo im Reiche verkauft 
werden durften. Die Statthalter, unter deren Aufsicht der fremde 
Handel stand, ferner die Bürgermeister und alle Beamten der Geld- 
kammer hatten das Recht, sich nach dem Maasse ihrer Stellung eine 
bestimmte Quantität Waaren zu den niedrigsten Preisen auszusuchen. 
Die Einfuhr des Gouvernements - Handels bestand in europäischen und 
indischen Manufacturen und in Colonialproducten, die des Kambang- 
Handels in Gegenständen der Wissenschaft, Kunst und des Luxus, 
in Arzneien, Quincaillerien u. s. w. Die Ausfuhr der Regierung 
beschränkte sich auf Stabkupfer und Kampher, der Kambang -Handel 
umfasste alle übrigen erlaubten Artikel. Die Ein- und Ausfuhr der 
Regierung war in den späteren Zeiten frei von allen Steuern; von 
den durch den Kambang -Handel eingeführten Waaren, welche 
öffentlich verkauft wurden, erhob die Geldkammer eine Steuer von 
35 Procent des Ertrages. Trotzdem sollen die holländischen Beamten 
durchschnittlich 100 Procent daran gewonnen haben, und als der 
Handel verpachtet wurde, stellte sich der Vortheil noch höher. — 
Die Geldkammer zahlte der Regierung eine jährüche Pacht im 
Werthe von 180,000 Gulden für den ausländischen Handel (den 



Ertrag des Handels. — Versuche in Japan einzudringen. 1^«) 

holländischen und den chinesischen) und musste alle durch denselben 
verursachten Kosten tragen. 

Von dem wirklichen Ertrage des holländischen Handels ist 
es bei der venvickelten Calculation der Ein- imd Ausfuhr, dem 
wechselnden Werthe der Metalle, und der Verwirrung, welche die 
Beamten auf Desima absichtlich in die Rechnungen gebracht haben, 
schwierig sich einen Begriff zu machen. Die glänzendste Periode 
war die Zeit in Firando: 1638 betrug der Werth der Einfuhr 
3,760,000 Gulden; damals, soll kein Artikel weniger als fünfzig, viele 
aber bis dreihundert Procent gebracht haben. Noch 1668 rechnete 
man den jährhchen Ertrag des Handels auf zwanzig Tonnen Goldes, 
Gold und Kupfer waren damals die einträglichsten Ausfuhrartikel. 
Hundert Jahre später importirten die Holländer mit Vortheil ge- 
münztes Silber. Die im siebzehnten Jahrhundert so gewinnreiche 
Ausfuhr des Goldes war schon 1727 mit erheblichem Verluste ver- 
bunden. Um 1775 imd in den folgenden Jahren scheinen die Hol- 
länder in Folge der Bedrückungen und bedeutender Seeschäden 
erhebhche Summen am japanischen Handel eingebüsst zu haben; 
seit der Zeit fristete er sich bis zum Eintreten der neuen Ordnung 
im Jahre 1817 nur kümmerlich das Leben. 



Nachdem im Jahre 1673 die Engländer sich umsonst bemüht 
hatten, den Verkehr wieder anzuknüpfen, blieben die Japaner über 
hundert Jahre lang mit ähnlichen Versuchen verschont. Aber gegen 
Ende des achtzehnten Jahrhunderts, als die Herrschaft Gross- 
britanniens sich in Ostindien ausdehnte, imd die Russen des Fanges 
der Pelzthiere, die Amerikaner des Wallfischfanges wegen den nörd- 
Uchen Stillen Ocean häufiger zu befahren anfingen, richtete sich die 
Aufmerksamkeit dieser Nationen wieder auf das entlegene Inselreich. 

Um 1791 besuchte ein engUsches Schiff, »der Argonaut«, auf 
dem Wege von Amerika nach China die japanischen Gewässer. Der 
Capitän bemühte sich vergebens mit den Küstenbewohnern Tausch- 
handel anzuknüpfen, wurde aber von den Behörden mit Wasser 
und Holz versehen. Ein Schiff unter amerikanischer und ein anderes 
unter englischer Flagge, die beide, wie es scliien, in Bengalen 
für Japan befrachtet, im Jahre 1803 kurz nacheinander vor der 
Bucht von Nangasaki erschienen, und freien Verkehr fiir sich und 
ihre Landsleute nachsuchten, erhielten ebenfalls vom Statthalter 



l^b Die Bemühungen Russlands. 

unentgeltlich Wässer und Proviant, durften aber nicht einmal in den 
Hafen einlaufen. Dieses ITntemelunen scheint von der englisch- 
ostindischen Compagnie in Calcutta ausgegangen, und von einem 
amerikanischen SchifTscapitan veranlasst worden zu sein, der wäh- 
rend der Kriegsjahre mit seinem Fahrzeug im Dienste der Holländer 
mehrere Reisen von Batavia nach Japan gemacht und die dortigen 
Verhältnisse kennen gelernt hatte **^). 

Die erste europäische Regierung, w^elche einen Versuch zur 
Eröffnung Japans machte, war die russische. Zur Zeit der Kaiserin 
Katharina kamen japanische Schiff bru eilige nach Ochotsk imd von 
da in das Innere von Sibirien , wo sie Russisch lernten. Einen von 
ihnen, Koda'i, liess die Kaiserin nach der Hauptstadt kommen, da- 
mit er ihre Herrhchkeit sähe , und gab ihm reiche Geschenke. Dieser 
musste als Dolmetscher des Lieutenant Laxmann dienen, welcher 
unter dem Vorwande, die Schiffbruchigen — nach zehnjährigem 
Aufenthalt in Sibirien — ihrer Heimath zurückzugeben , den Verkehr 
mit Japan anknüpfen sollte. Laxmann war mit Geschenken und 
einem Briefe des General - Gouverneurs von Sibirien versehen; er 
verliess Ochotsk im Herbst 1792, landete zu Aktis an der Nord- 
küste von Yeso, und wurde dort freundlich angenommen. Die 
Antwort auf das überbrachte Sclireiben, welche erst nach einigen 
Monaten aus Yeddo eintraf, scheint von dem Dolmetscher nicht 
getreu und in zu milden Ausdrücken überaetzt worden zu sein: es 
hiess darin, Laxmann habe gewagt mit einem bewaffneten Fahrzeuge 
an die japanische Küste zu kommen, und dadurch eigentlich die 
Rückkehr nach der Heimath auf immer ver\virkt, doch wolle der 
SioGUN ihn wegen seiner Unkenntniss der Landesgesetze begnadigen. 
Zu Aktis könne man nicht unterhai^deln, und nach Yeddo dürfe er 
nicht kommen — er möge aber unter Vorzeigung eines beigefügten 

^*^ Nachdem Capitän Robert Stewart mehrere Reisen glücklich ziinickgelegt 
lind sich das Vertrauen der holländischen Behörden erworben hatte , geschah es , dass 
er, von Nangasaki mit einer werthvollcn Ladung ausgelaufen, in Batavia nicht ankam. 
Einige Zeit darauf erschien er wieder in Nanoasaki mit einem von ihm selbst be- 
frachteten Scliiffe, vorgebend, das andere sei untergegangen. Der Handelsvorsteher 
nahm das Schiff in Beschlag laid schickte Stewart gefangen nach Batavia, — es stellte 
sich heraus, dass sein Fahrzeug nicht untergegangen, sondern auf den Philippinen 
mit der Ladung von ihm verkauft worden sei. Er entsprang während der Unter- 
suchung in Batavia aus dem Gcfängniss und kam nach Bengalen. Der Ilandels- 
vorsteher Wardcnaai* erkannte ihn in dem Befehlshaber des unter amerikanischer 
Flagge vor Nanoasaki erscheinenden Schiffes. 



Laxmaiin. ResanolT. ^oi 

Fasses in den Hafen von Nanqasaki einlaufen. Was die Schifl- 
brüchigen betreffe, so möchten die Russen dieselben zurück lassen 
oder wieder mitnehmen, wie es ilmen gut dünke, denn den japani- 
schen Gesetzen gemäss gehörten sie dem Reiche an, wohin das 
Schicksal sie verschlagen habe, und wo ihr Leben vom Untergange 
gerettet worden sei. Der in dem russischen Schreiben enthaltenen 
Anerbietungen gegenseitigen Freundschafts- und Handelsverkehrs 
war in der Antwort gar nicht gedacht. — Laxmaun ging nicht nach 
Namgasaki, dagegen sandte Kaiser Alexander I, gestützt auf jenes 
japanische Schreiben und den beigefügten Pass, im Jahre 1803 den 
mit den Verhältnissen Sibiriens und der Kurilen vertrauten Kammer- 
herm von Resanoff mit ausgedehnten Vollmachten dahin ab. Die 
Gesandtschaft war glänzend ausgestattet; Resanoff hatte ein zahl- 
reiches Gefolge und überbrachte ein kaiserliches Schreiben nebst 
werthvoUen Geschenken. Der bekaimte Weltumsegeler Capitän 
Krusenstern führte ihn nach Nangasaki, wo die Fregatte Nadejda 
(Hoffiiung) zu Anfang October 1804 vor dem Eingang des Hafens 
Anker warf. Das Auftreten des Gesandten war kein glückliches: 
seine Weigenmg, sich in gewisse unverianghche Ilöllichkeitsfonnen 
zu fugen, welche die japanische Sitte forderte, und den bestehenden 
Gesetzen gemäss die Waffen des Schilles auszuliefern, gab den 
ersten Anlass zur- Verstimmung. Der Statthalter wies sein Ver- 
langen, nach Yeddo zu gehen, mit Bestimmtheit zurück, — Resanoff 
musste sich bequemen, das kaiserliche Schreiben den Behörden von 
Nangasaki zu überüefem uind die Antwort abzuwarten. Man hess 
das Schiff in den Hafen bringen, nachdem Pulver und Munition ab- 
gegeben waren, stellte es aber unter strenge Bewachuing imd er- 
laubte Niemand an's Land zu kommen. Erst auf die wiederholten 
Vorstellungen des Gesandten, dass ein längerer Aufenthalt an Bord 
seiner Gesundlieit nachtheiUg sein würde, hess der Statthalter ein 
Desima gegenüber am Meere gelegenes Vorrathshaus für getrock- 
nete Fische zu seuiem Aufenthalt einrichten , und mit emem stai-keu 
Bambuszaun nach allen Seiten absperren. Resanoff wurde 'in der 
Prachtbarke des Fürsten von Fidsen imter russischer Flagge an das 
Land gesetzt, und bestand darauf, seine Grenadierwache mitzuneh- 
men"^). Er brachte mehrere Monate in diesem Gefängnisse zu, und 

^^) Kniseusteni selbst macht auf das Unkluge dieser Maassregel aufmerksam. 
Der Gesandte reizte diurch sein Benehmen die Japaner auf vielfache Weise, und sie 
Hessen es ilm entgelten. Auch die Walil seiner Wohnung am Lande spricht für die 



158 



Erwiedenmg der japanischen Regierung. 



wurde zwar mit allen Lebensbedürfnissen versehen, aber auf das 
strengste beaufsichtigt. Der holländische Ilandelsvorsteher Doeff, 
welcher die japanischen Beamten bei ihren ersten Besuchen an Bord 
begleitet hatte, durfte seitdem nur schrifkUch mit ihm verkeliren; 
alle seine Briefe und Sendungen gingen durch die Hände der japani- 
schen Dolmetscher und wurden genau controllirt. — EndUch kam die 
Antwort aus Yeddo ; . ResanoiT wurde in der Sänfte des holländischen 
HandelsYorstehers zur Audienz bei dem Statthalter gefuhrt. In den 
Strassen, welche der Zug passirte, waren alle Häuser geschlossen 
und verhängt, die Seitenstrassen abgesperrt, keine Menschenseele 
zu sehen. In dieser ersten Zusammenkunft hatte der Gesandte nur 
einige Fragen in Betreff des überbrachten Schreibens zu beant- 
worten; in der zweiten, Tages darauf, erhielt er eine schriftliche 
Entgegnung in holländischer Sprache, die mit weitläufiger Ausein- 
andersetzung der Gründe jeden Verkehr ablehnte**'). Die kaiser- 
lichen Geschenke mussten wieder eingeschifft werden *•") , auch wiesen 

gesteigerte Verstimmung des Statthalters, denn Anfangs war die Rede davon, einen 
Tempel fiü* ihn einzurichten oder ihn nach dem Wimsche des Factoreivorstehers auf 
Dksima unterzubringen. S. Doeff Herinnenngen uit Japan. Amsterdam 1833. 

^^) In dieser Entgegnung ist gesagt, dass in früheren Jahren Japan viel mit 
anderen Nationen verkehrt, die Regierung aber nach den gemachten Erfahrungen 
den Verkehr streng verboten habe. Nur die Bewohner von Liu-kiu, Korea und 
China, und von Europäern die Holländer würden noch zugelassen, und auch diese 
jetzt nicht mehr des Gewinnes halber, sondern weil man es ihnen in alter Zeit aus 
besonderen Gründen zugestanden habe. Dies sei mit den Russen nicht der Fall. 
Ihre wiederholten Versuche, den Verkehr anzuknüpfen, zeigten wohl, wie sehr ihnen 
darum zu thun sei. So gern nun auch Japan mit seinen Nachbarn Freundschaft 
halten wolle, so sei doch der gewünschte Handelsverkehr nicht zulässig, weil die 
Sitten und Gewohnheiten beider Völker zu verschieden seien, weil die Japaner die 
Erzeugnisse fremder Länder nicht brauchten, weil durch die Ausfuhr der japanischen 
Producte Mangel im Lande entstehen würde, weil der Handel eine Menge Fremde 
geringen Standes nach Japan bringen würde, welche nur aus Gewinnsucht kämen. 
Diese würden die japanischen Gesetze übertreten, Unordnung und Unfrieden in das 
Land bringen und die Verwaltung erschweren. Der Verkehr sei mit den alten Landes- 
gesetzen unvereinbar, mid diese konnten nicht geändert werden. — Das Document 
wurde den Russen in wörtlicher holländischer Uebers^tzung mitgetheilt. Doeff, dessen 
Hülfe der Statthalter in Anspruch nalun , durfte kein sinnerklärendes Wort, keine Inter- 
punctation hinzufugen , um die Satzverbindung deutlich zu machen. Die U'ebersetzung 
ging in Abschrift nach Yeddo und musste wörtlich sein , wenn es die Dolmetscher nicht 
den Kopf kosten sollte — da es ein kaiserliches Decret war. S. Doeff Herinneringen. 

'^) Nur der Ober -Aufpasser nahm einige Kleinigkeiten für sich au, um Resauoff 
zur Entgegennahme der Geschenke zu bewegen, welche die Commissare aus Vkddo 



Der Ueberfall Chwostow's. A&y 

die Behörden jede Bezahlung für die während des langen Aufent- 
haltes gelieferten Lebensbedürfnisse zurück, und versahen die Fre- 
gatte bei der Abfahrt noch reichlich mit allen Vorräthen, welche 
ihr Land zu bieten vermochte« 

Der Aufenthalt der Nadejda in Japan hatte über sechs Monate 
gedauert, sie segelte zimächst nach Kamtschatka. Von da reiste Re- 
sanofT auf einem von dem Flottenheutenant Chwostow befehligten 
Schiffe der russischen Pelzcompagnie nach Amerika und wieder 
zurück nach Ochotsk, dann nach dem Inneren von Sibirien, wo er 
auf der Heimreise starb. Chwostow aber überfiel mit zwei Scliiffen 
der Pelzcompagnie die japanischen Dörfer auf den südlichen Kurilen, 
üess sie plündern und niederbrennen und schleppte einige Einwohner 
mit fort. Er hinterliess mehrere Schreiben in französischer und 
russischer Sprache*'*), welche, in sehr hoclifahrendem Ton ver- 
fasst, den japanischen Handel im Norden so lange zu stören drohten, 
bis die Regierung des Siooün sich zum Handelsverkehr mit Russ- 
land bereit zeigen würde. Diese gelinde Maassregel solle ihnen 
zeigen, dass die nördlichen Theile des japanischen Reiches ganz 
der WiUkühr ihres mächtigen Nachbarn Preis gegeben seien, und 
dass diese Länder ihnen leicht einmal verloren gehen könnten, 
wenn die Regierung auf ihrer eigensinnigen Weigerung beharre. — 
Es imterhegt selbst nach den russischen Berichten keinem Zweifel, 
dass dieser Raubzug von Resanoff veranlasst worden ist, die kaiserlich 
russische Regierung aber missbilligte das Verfahren Chwostow's, 
welchen ein frülier Tod der Verantwortimg entzog. 

Der russische Ueberfall geschah 1807. Im Frühjahr 1808 
sandte die Regierung von Yeddo den Fürsten von Yetsisen mit 
etwa tausend Mami nach Cap Soga, der Nordspitze von Yeso, und 
liess den Befehl an die Küstenbehörden ergehen, alle russischen 
Schiffe feindselig zu behandeln. Als daher die von der Regierung 
des Czaren zur näheren Erforschung jener Meere abgeschickte 
Corvette Diana im Sommer 1811 bei den Kurilen erschien und, um 
Lebensmittel zu erlangen, in Verkehr mit den dortigen Japanern 
zu treten suchte, lockte der Commandant einer Festimg auf Kunasir 
den Befehlshaber Capitän Golownin an das Land und nahm ilm nebst 

von Seiten des Siogun zu überreichen hatten. Die Zurückweisung dieser Geschenke 
durch die Russen hätte die japanischen Beamten nach DoeflTs Darstellung das Leben 
gekostet. 

^*^) Man brachte sie den Holländern auf Desima zum Uebersetzen. 



J-tiv) Golownin's GefaiigenschaA. 

zwei Officieren, vier Matrosen und einem kurilischeu Dolmetscher 
gefangen; sie wurden gebunden nach Hakodade, dann nach Matsmai 
geschickt und dort zwei Jahre zurückgehalten. Die Gefangenen 
liatten viele endlose Verhöre zu bestehen , wurden aber mit Freund- 
Uclikeit und Hiunanitat behandelt und in gelinder Haft gehalten, wo 
man ihnen alle vom Gesetze für Gefangene erlaubten Bec^uemUch- 
keiten und Annehmhchkeiten zu verschaffen suchte. Golownin entfloh 
mit seinen Begleitern aus dem Hause, wo sie bewacht wurden, in 
der Hofl&iung, sich eines Bootes bemächtigen und die tartarische 
Küste erreichen zu können, wurde aber nach einigen Tagen wieder 
eingefangen. Weder der Statthalter, dem dieser Fluchtversuch, 
wenn er glückte, den Kopf kosten konnte, noch seine Untergebenen 
und selbst die Wachen, welche deshalb degradirt wurden, änderten 
ihr freundhches Benehmen gegen die Gefangenen. Im Gegentheil 
suchten die japanischen Beamten, um den Befeld ihrer Befreiung 
in Yeddo zu erwirken, eifrig nach Beweisen dafür, dass die Diana 
nicht in feindUchen Absichten gekommen sei. Lieutenant Kikord, 
der das Schiff jetzt befehhgte, war gleich nach Golownin's Ge- 
fangennehmung nach Ochotsk gegangen, um Verhaltungsbefehle zu 
holen, imd erschien im Sommer 1812 wieder vor Kunasir. Es 
gelang ihm, dort eine japanische Dschunke wegzunehmen, auf 
welcher sich ein angesehener Kaufinann, Takatai-Kafi, befand, 
den er mit Höflichkeit behandelte und für den Winter mit nach 
Kamtschatka nahm. Den Bemühungen dieses Braven gelang es, 
als die Diana im Frühjahr 1813 wieder nach der Küste von Yeso 
kam, die Zusage der Freiheit für die Gefangenen zu erlangen, 
weim eine Erklärung des Gouverneurs von Ostsibirien beigebracht 
würde , dass die kaiserUch russische Regierung an den von Chwostow 
verübten FeindseUgkeiten keinen Antheil habe. Rikord eilte nach 
Ochotsk und kehrte noch im September desselben Jahres mit dem 
verlangten Document nach Hakodade zurück, worauf die Auslie- 
ferung erfolgte. 

Golownin's Gefangenschaft und Rikord's Bemühungen um 
seine Befreiung bilden eine der merkwürdigsten und lehrreichsten 
Episoden in der Geschichte des Verkehrs mit den Japanern; möchten 
Alle, die mit ihnen in Verbindung treten, die Berichte der beiden 
russischen Officiere gelesen haben. Golownin lebte zwei Jahre lang 
unter den widerwärtigsten Verhältnissen bei den Japanern, von 
welchen die Russen nur als Feinde angesehen werden konnten, 



Golownin und Rikord. Das Auftreten der Engländer. Ibl 

dennoch weiss er ihre liebevolle Sorgfalt, ihre Grossmuth und Ge- 
duld, ihr sich immer gleich bleibendes Benehmen nicht genug zu 
preisen; er bricht in seiner kunstvollen Schilderung ein über das 
andere Mal in Ausrufe der Verwunderung aus , welche die fast aus- 
nahmslose Humanität des Charakters durch alle Stände, die auf- 
opfernde Freimdschaft des Statthalters von Matsmai und einiger 
anderen Beamten in vollem Maasse verdienen. Er lässt den japa- 
nischen Institutionen und ihrer Handhabung alle Gerechtigkeit wider- 
fahren imd giebt im Ganzen ein so treues Bild der dortigen Zustande 
mit allen ihren Sonderbarkeiten und Widersprüchen, wie kaum ein 
anderer Schriftsteller. Rikord's Bericht ist besonders anziehend 
durch die Schilderung seines Umganges mit dem ehrlichen Takatai- 
Kafi , der ihn bereitwiUig nach Kamtschatka begleitet und sich ihm 
auf das innigste anschliesst. Da Rikord bei der Rückkehr nach Yeso 
1813 Miene macht, seinen japanischen Freund mit Gewalt an Bord 
zurückzuhalten, fasst dieser den Entschluss ihn und sich selbst um- 
zubringen — denn das japanische Ehrgefühl duldet keinen Zwang '•'): 
er gesteht aber sofort sein Vorhaben aus freien Stücken, als Rikord 
zu seinem freundschaftlichen Benehmen zurückkelurt imd ihm die 
Freiheit giebt zu landen, — und bietet nun Alles auf, um einen 
glückhchen Ausgang herbeizuführen. — Die Russen uind die Japaner 
schieden damals mit den wohlwollendsten Gesinnungen von einander. 

Gegen den englischen Namen herrschte um diese Zeit in 
Japan die grösste Erbitterung. 

Im October 1808 war ein SchiflF unter niederländischer Flagge 
in die Bucht von Nanoasaki eingelaufen. Da es die gewöhnUche 
Jahreszeit der Ankunft der holländischen Schiffe war, so sandte der 
Statthalter nach gewohnter Weise seine Beamten in Begleitung zweier 
Holländer von der Factorei zur Empfangnahme der Papiere hinaus. 
Als sie sich dem einlaufenden Schiffe näherten, kam ihnen ein Boot 
desselben entgegen, aus welchem sie holländisch angeredet wurden: 
gleich darauf aber sprangen dessen Matrosen in ihr Fahrzeug, packten 
die beiden Holländer und schleppten sie an Bord; die erschrockenen 
Japaner gewahrten nun, dass sie es mit einem fremden Kriegsschiff 
zu thun hatten, und kehrten eilig nach Nangasaki zurück. Der 
Statthalter war selir aufgebracht, und forderte von seinen Beamten, 

1**) TakataT war bei seiner Gefangennehmung von Rikord sehr hoflich behandelt 

worden, imd hatte sich sogleich bereit erklärt, ihn nach Kamtschatka zu begleiten, 

so dass hier wenigstens anscheinend kein Zwang geübt wurde. 
1, 11 



162 Der Phaeton. 

natürlich vergebens, dass sie die Holländer wiederschaffen sollten; 
er machte zugleich Anstalten, um Gewalt zu brauchen, erfulir aber 
zu seinem Schrecken, dass auf den Kaiserwachen am Eingange des 
Hafens, die jederzeit von tausend Soldaten des Fürsten von Fidsen 
besetzt sein sollten, kaum sechszig Mann zu finden, und dass auch 
die Anführer abwesend seien. — Gegen Abend desselben Tages 
wurde ein Zettel gebracht, welchen die fremden Matrosen auf einer 
Klippe niedergelegt hatten; er kam von einem der Geraubten: das 
Schiff sei ein englisches aus Bengalen und verlange Wasser und 
LebensmitteL Die Verzweiflung der gekränkten japanischen Beamten 
stieg auf das Höchste; der Secretär des Statthalters wollte durch- 
aus an Bord gehen, um den Capitän — uind dann natürlich auch 
sich selbst zu erdolchen, und der Handelsvorsteher Doeff musste 
alle seine Ueberredungskimst aufbieten, um ihn von diesem Vor- 
haben abzubringen. Am folgenden Tage hissten die Engländer ihre 
Flagge. — Der Statthalter hatte Aufgebote nach allen Richtungen 
in die benachbarten Gebiete ergehen lassen, und dachte den Feind 
so lange hinzuhalten, bis er die zum Angriff i\pthwendigen Truppen 
und Boote beisammen hätte. — Nachmittags erschien einer der 
Geraubten, den die Engländer auf einer Klippe im Hafen aus- 
gesetzt hatten, mit einem von Capitän Fleetwood Pellew, Fregatte 
Phaeton, unterzeichneten kurzen Schreiben, »er werde die im 
Hafen hegenden japanischen und chinesischen Dschunken in Brand 
stecken, wenn der Entlassene nicht vor Abend mit den verlangten 
Vorräthen zurück sei. Die beiden Gefangenen waren, nach der 
Aussage des Zurückkehrenden, von dem englischen Befehlshaber, 
einem unreif aussehenden jungen Mann, mit Rohheit behandelt, und 
unter Androhung des Auf knüpf ens befragt worden, wo die holländi- 
schen Schiffe lägen; der Capitän hatte Abends auch selbst eine ver- 
gebliche Rundfahrt im Hafen gemacht, um solche zu suchen. Der 
Befreite brachte noch die mündliche Drohung, dass sein Genosse 
ohne Gnade gehenkt werden solle, wenn er selbst nicht mit den 
Lebensmitteln zurückkehrte. Obgleich von seiner Regierung ermäch- 
tigt, alle nothleidenden Schiffe unentgeltUch mit Wasser und Vor- 
räthen zu versehen, entschloss sich der beleidigte Statthalter nur 
schwer, den dringenden Bitten des Handelsvorstehers nachzugeben, 
und sandte gegen Abend eine geringe Quantität Lebensmittel an 
Bord; bald darauf wurde auch der andere Geraubte entlassen. Die 
Nacht verging unter kriegerischen Anstalten. Zunächst sollte der 



Verlassenheit der Holländer auf Desima. 16o 

schmale und seichte Eingang des Hafens durch einige Kahnladungen 
Steine verschüttet, dann die Fregatte von 300 kleinen Fahrzeugen 
angegriffen und in Brand gesteckt werden. Aber in der Frühe, ehe 
die Japaner mit ihren Vorbereitungen fertig waren, setzte der Phaeton 
Segel, und lief mit frischem Winde zum Hafen hinaus. Eine halbe 
Stunde darauf hatten sich der Statthalter von Nakgasaki und die 
vier Befehlshaber der Kaiserwachen den Leib aufgeschlitzt**'). 
Der Fürst von Fidsen, der grade in Yeddo, aber für die militärische 
Besatzung verantwortHch war, wurde mit hundert Tagen Haus- 
gefangniss bestraft;. 

Da im folgenden Jahre von den beiden holländischen nach 
Nangasaki bestimmten Schiffen das eine, welches den ablösenden 
Handelsvorsteher an Bord hatte, auf der Reise imterging, so musste 
Doeff, dessen Zeit eigentUch um war, im Amte bleiben *"*). Er verab- 
redete mit dem neuen Statthalter wegen der unangenehmen Vorfalle 
mit dem Phaeton eine geheime Signalflagge, an welcher die zunächst 
eintreffenden holländischen Schiffe kenntUch sein sollten. Das 
Schreiben, in welchem dieses Signal der Regierung von Batavia 
mitgetheilt wurde, sollte der Capitän des zurückkehrenden Schiffes, 
falls die Engländer ihn angriffen, sogleich vernichten. — Für Doeff 
und seine Gefährten brach jetzt eine schwere Zeit an; sie bheben, 
da Java in die Hände der Engländer übergegangen war, in den 
Jahren 1810, 1811 und 1812 ohne alle Nachricht aus Europa. Seit 
ihrer Ankimft im sechszehnten Jahrhundert waren die Bewohner von 
Desima niemals zwei Jahre hinter einander ohne Sendungen gebUeben. 
Man denke sich eine Gesellschaft von sieben Europäern auf einem 

^**) Dieses ist ein Beispiel von den japanischen Begriffen von Verantwortlichkeit. 
Der Statthalter sowohl als die Befehlshaber hatten wegen der der japanischen Re- 
gierung angethanen ungerächten Schmach das Leben verwirkt, nnd zogen den 
Selbstmord der Schande der Hinrichtung vor , welche ihre Familie mitbetroffen hätte. 
Der kleine Sohn des Statthalters blieb in Yeddo in hohen Ehren, denn jetzt war 
alle Schuld gesühnt. Der Fürst von Fidsen, dessen Untergebene durch ihre Nach- 
lässigkeit den Tod des Statthalters mit veranlasst hatten, bat um die Erlaubniss, 
dem Sohne 2000 Robang verehren zu dürfen. Der Siogxjn gestattete ihm nicht nur 
diese einmalige, sondern die jährliche Wiederholung der Gabe, eine Erlaubniss, die 
einem Befehle gleichkam. 

^^) Bis gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts durfte kein Handelsvorsteher 

länger als ein Jahr hintereinander auf Desima bleiben. Von der Zeit an wurde ihre 

Amtsdauer mit Genehmigung der japanischen Regierung auf f&nf Jahre festgesetzt. 

Die späteren Handelsvorsteher blieben gewöhnlich zwei bis drei Jahre in Nangasaki. 

11- 



ib4 Gastfreundschaft der Japaner. 

Räume von 600 Fuss Länge und 200 Fuss Breite eingeschlossen, 
ohne Nachrichten aus der Heimath, mit dem Bewusst>sein, dass 
ganz Europa in poUtischer Gährung begriffen, dass aUe Verhältnisse 
im Vaterlande um imd um gekehrt wurden*®*). Ihre Vorräthe an 
europäischen Bedürfhissen waren schon von Anfang an, durch den 
Untergang des grösseren der beiden 1809 nach Nanoasaki bestimmten 
Schiffe, sehr gering gewesen und gingen in Kurzem ganz zu Ende: 
sie litten Mangel am Nöthigsten. Hier trat mm wieder der menschen- 
freundhche Charakter der Japaner auf das glänzendste zu Tage: 
nicht nur hatte die Regierung von Yeddo Befehl gegeben, die 
Niederländer, welche bei der Abfahrt des letzten Schiffes mit einer 
bedeutenden Sumihe gegen die Geldkammer im Rückstande bheben, 
mit Allem zu versehen, was sie irgend brauchen imd wünschen 
könnten , sondern auch die einzelnen Beamten gaben sich die erdenk- 
lichste Mühe, ihre Lage zu erleichtern*'*), imd zeigten bei dem 
furchtbaren Brande, welcher 1812 Nangasaki verwüstete, die liebe- 
vollste Fürsorge für ihre Sicherheit. Desima, das 1798 ganz nieder- 
gebrannt war, blieb diesmal verschont. Die Himianität und die 

^^) Schon 1811 wurde die Lage der Verlassenen unerträglich; von Ende Juni 
an hofften sie täglich auf das Eintreffen der Schiffe. »Von Anbruch des Tages bis 
Sonnenuntergang«, sagt Doeff, »war unser Auge auf die Signalstangen gerichtet, an 
welchen sofort die Annäherung eines fremden Fahrzeuges verkündigt wird. Solch 
ein Signal erfreute uns zuweilen auf eine halbe Stunde, aber dann wurden wir durch 
die Nachricht, dass es eine chinesische Dschunke sei, grausam enttäuscht. Niemand, 
der es nicht erlebt hat, kann sich von unserem Gemüthszustaiide eine Vorstellung 
machen. Abgeschieden von aller Gemeinschafl, festgekettet an einen Ort, welchen 
so zu sagen niemals ein Schiff passirt, geschweige denn besucht — ohne zu wissen, 
ohne zu hören , was in der ganzen übrigen Welt ausser auf unserem Inselchen vor- 
ging, und ungewiss, ob wir im nächsten Jahre, ja, ob wir über zehn, zwanzig Jahre, 
ob jemals wieder ein holländisches Schiff zu sehen bekommen würden, ob wir viel- 
leicht unseren traurigen Lebenslauf hier fern vom Vaterlande bescliliessen mussten; 
unter einem misstrauischen Volke lebend, das uiis zwar auf die bestmögliche Weise 
behandelte, und es uns an nichts, das es bieten konnte, fehlen liess, aber das uns 
doch nunmer wie seine Landsleute ansah oder ansehen konnte — das war eine trübe 
Aussicht in die Zukunft. In dieser traurigen Unsicherheit wäre es ein Trost gewesen, 
zu wissen, dass es noch fünf Jahre bis zu unserer Erlösung dauern würde.« — Die 
Holländer litten äusserlich besonders an Winterkleidern und Schuhen Mangel und 
mussten sich der japanischen Fussbekleidung, der Strohsandalen bedienen. 

^^) So destillirte ihnen der O - metske , der Ober - Aufpasser , Genever aus japa- 
nischen Wacliholderbeeren , und vortrefflichen Ronibranntwein ; ein Anderer versuchte 
Rothwein für sie zu keltern. 



Versuch der Engländer, die Niederländer aus Japan zu verdi'ängen. 165 

Sorgsamkeit der Japaner fiir ihre verlassenen Gäste erscheint in 
DoeflTs Schilderungen im schönsten Lichte. 

Im Jiili 1813 endUch wurde gemeldet, dass zwei europäische 
Schiffe mit der von Doeff vorgeschriebenen Signalflagge in Sicht 
seien. Der Statthalter schickte ein Boot auf die Rhede hinaus, lun 
die Schiffspapiere in Empfang zu nehmen**'), aus welchen hervor- 
ging, dass Wardenaar, Doeff's Vorgänger im Amt, als Regienmgs- 
Cojnmissar, und ein Herr Cassa, der ihn ablösen sollte, mit mehreren 
Beamten für die Factorei sich an Bord befänden. Man glaubte, 
der Frieden sei geschlossen, und Hess die Schiffe in den Hafen 
kommen. Es fiel sogleich auf, dass alle Officiere englisch sprachen, 
doch wähnten die Japaner, es seien wieder amerikanische, von den 
Holländern befrachtete Fahrzeuge, wie sie während der Kriegsjahre 
schon häufig nach Nangasaki gekommen waren. Doeff holte seinen 
ehemaligen Vorgesetzten Wardenaar nach Desima, wo ihm dieser 
unter Einhändigung eines von Sir Stamford Raffles, Gouverneur 
von Java, unterzeichneten Schreibens eröffiiete, dass die Nieder- 
lande dem französischen Kaiserreiche einverleibt, Batavia aber in die 
Hände der Engländer übergegangen und alle anderen ostindischen 
Colonieen und Dependenzien in der Capitulation von Batavia mit- 
begriffen seien; demzufolge sei er beauftragt, sich Desima für die 
englische Regierung ausliefern zu lassen und die neuen Beamten 
der nunmehr englischen Factorei dort zu installiren. — Doeff war 
in einer sonderbaren Lage: er hörte jetzt zum ersten Male, dass er 
kein Vaterland mehr habe; sein ehemaliger Vorgesetzter, den er 
auf das höchste achtete, trat ihm gewissermaassen als Verräther 
entgegen und verlangte die Auslieferung des letzten Fleckchens 
Erde, wo noch die holländische Flagge wehte, an den Feind; zu- 
gleich musste er sich sagen, dass die AnkömmUnge ganz in seiner 
Gewalt seien, denn die Erbitterung der Japaner über die von Pellew 
erlittene Schmach war keineswegs beschwichtigt. So weigerte sich 
denn Doeff nach kurzem Bedenken mit grosser Geistesgegenwart, 
die Factorei auszuliefern, und eröffnete Wardenaar, dass die Japaner 

^^) Seit der Anwesenheit des Phaeton mussten alle Schiflfe bei den "Noorder 
Cavallos« (Iwosima) genannten Inseln ausserhalb der Bucht von Nanoasaki zu Anker 
gehen; von dort wurden die Schiffspapiere und Einige von der Mannschaft als Geissein 
abgeholt. Die japanischen Beamten stiegen an Bord, wenn Alles in Ordnung be- 
funden wurde, und ei-theilten die Erlaubniss zum Lichten der Anker. Am Eingange 
der Bucht, unter dem Papenberge, musste noch einmal geankert werden. 



2gg Uebereinkommen zwischen Doeff und Wardenaar. 

ohne Zweifel die Schiffe zerstören und für das Auftreten des Phaeton 
blutige Rache an den Engländern nehmen würden, wenn er sie als 
solche verriethe. Alle Bitten und die bestechendsten Versprechungen 
blieben ohne Erfolg ; der zähe Holländer war unbeugsam und zwang 
die engUschen Commissare, um zugleich den Vortheil seiner in jenem 
AugenbUck freihch in Wirklichkeit nicht bestehenden Regierung 
wahrzunehmen und alles Blutvergiessen zu vermeiden, zu einer 
schriftlichen Uebereinkunft, der zufolge ihm die Ladung der beiden 
Schiffe ausgeliefert und von ihm an die Japaner verkauft, von der 
gelösten Summe aber zunächst die Schulden der Factorei an die 
Geldkammer und die Kosten derselben fiir die verflossenen Jahre 
gedeckt werden sollten. Für den Ueberschuss versprach Doeff, den 
Commissaren eine Quantität Stabkupfer zu verschaffen, und stipulirte, 
dass der Ertrag des ihm daran zukommenden Antheils an seine Be- 
vollmächtigten in Batavia ausgezahlt werden sollte *"•). Er ver- 
wahrte sich in diesem Schriftstück ausdrückUch gegen Anerkennung 
der englischen Obrigkeit in Batavia, bUeb als Handelsvorsteher 
auf Desima, und fuhr fort, dort die holländische Flagge zu hissen. 
Dieses Uebereinkommen wurde bis auf die Zahlimg der von Doeff 
stipulirten Summen in allen Stücken ausgeführt; es gelang mit Hülfe 
einiger in das Geheinmiss gezogenen Dolmetscher, die japanischen 
Behörden zu täuschen. Um sich aber für die Zukunft vorzusehen, 
da ja die fernere Gestaltung der poUtischen Verhältnisse namentUch 
für Doeff in tiefes Dunkel gehüllt war, so sandte er seinen Assistenten 
Blomhoff auf das Ehrenwort der Engländer als Bevollmächtigten 
mit nach Batavia, um sich dort über die Lage der Dinge genau zu 
imterrichten und mit Sir Stamford Raffles die Art zu verabreden, 
wie mit beiderseitigem Nutzen, aber ohne die holländische Flagge 
zu streichen, der Han^lel zwischen Batavia und Japan weiter betrie- 
ben werden könnte, bis die poUtischen Verhältnisse sich geklärt 
hätten. - Wardenaar und alle engUschen Beamten mussten sich 
also unverrichteter Sache einschiffen, während auf Desima die frühere 
GeseUschaft, mit Ausnahme Blomhoff's, zurückbUeb. Die von den 
Engländern mitgebrachten sehr werthvollen Geschenke überreichte 
Doeff dem Siogün im Namen der holländischen Regierung. 

Im August 1814 meldeten die Wachen abermals ein euro- 
päisches Schiff, das bei dem stürmischen Wetter wohl mit Absicht 

^^) Ein jährliches Emolument, das an die Stelle des Antheils getreten war, 
welchen die Factoreivorsteher früher am Kambang - Handel gehabt hatten. 



Zweiter Versuch der Engländer. BlomhoflTs Rückkehr nach Desima. -1^7 

des Befehlshabers zur Nachtzeit in die Bucht einlief, so dass die 
nur Blomhoff bekannten geheimen Signale nicht beobachtet werden 
konnten. Dieser war nicht an Bord, und es erwies sich, dass Sir 
Stamford Raffles abermals den zum Nachfolger DoeflTs ernannten 
Cassa mit denselben Forderungen wie im vorbeigehenden Sommer 
nach Nanoasaki sandte *•'). Doeff aber, der über seinen Bevoll- 
mächtigten BlomhoiF keine genügende Auskunft erhielt, weigerte 
sich abermals die Factorei auszuUefem; Cassa musste sich zu einem 
ähnUchen Abkommen wie das erste Mal bequemen, und segelte 
wieder unverrichteter Sache heim. Vor der japanischen Obrigkeit 
blieb die Lage der Dinge auch dieses Mal geheim, doch hielt es 
schwer, triftige Gründe namentUch dafür anzugeben, dass Doeff 
noch immer nicht abgelöst wurde. Nur seine grosse Kenntniss der 
Verhältnisse und das in nunmehr sechszehnjährigem Verkehr er- 
worbene Vertrauen der japanischen Regierung machten es ihm 
mögUch, den Betrug durchzuführen. 

Die Holländer blieben nun wieder drei Jahre olme Nachricht 
aus der Heimath. Endlich im Sommer 1817 kam Blomhoff, welchen 
Sir Stamford RafQes vergebens durch glänzende Anerbietungen auf 
seine Seite zu bringen gesucht und dann trotz dem Ehrenworte der 
Commissare als Kriegsgefangenen nach England geschickt hatte, mit 
dem ersten holländischen Schiffe wieder nach Nangasaki, um den 
nun seit neunzehn Jahren auf Desima eingeschlossenen Doeff als 
Handelsvorsteher abzulösen. Desima ist der einzige Fleck der Erde, 
wo die holländische Flagge während der Einverleibung der Nieder- 
lande in das französische Reich ununterbrochen geweht hat. 

So scheiterten die Bemühungen der Engländer, die Nieder- 
länder aus ihrer Stellung in Japan zu verdrängen '^^). Sie machten 
im Jahre 1818 noch einen Versuch, den Verkehr anzuknüpfen, wahr- 
scheinlich wieder auf Veranlassung von Sir Stamford RaiSles, der 
seinen Landsleuten den japanischen Handel, wie er sich ausdrückt, 
»um jeden Preis« zu verschaffen wünschte. Lm genannten Jahre 
erschien im Golfe von Yeddo ein kleines enghsches Schiff, das 

^^ Sir Stamford RaiSes redete Doeff diesmal in seinem Schi'eiben als »Mit- 
vorsteher« an und meldete die Zahlimg des contractlich ihm zugesicherten Antheiles 
an dessen Bevollmächtigte in Batavia. Doeff behauptet, weder diese, noch die 1814 
stipulirte Antheilsumme empfangen zu haben. 

170^ Die Darstellung dieser Begebenheiten ist aus den Berichten der Holländer 
geschöpft, welche gegen England zu jener Zeit äusserst erbittert waren. 



168 Stelluiig der Holländer. 

sofort von einer zahlreichen Bootsflotte umringt, und von seinem 
Geschütz und Steuerruder befreit wurde. Man behandelte die Eng- 
länder freundlich, und fragte, ob sie jetzt Freunde der Hollander 
seien imd ob das Scliiff der East-India- Company gehöre, schlug 
aber ihre Gesuche um Anknüpfung des Verkehrs rund ab. 

Es ist den Holländern ein Vorwurf daraus gemacht worden, 
dass sie ihren Einfluss auf die Landesregierung benutzt haben, um 
alle anderen Nationen vom Verkehr mit Japan fem zu halten. Wenn 
dies in früheren Zeiten geschah, so ist es kaum verwunderlich, 
denn ihre Stellung war eine rein conmiercielle, keine politische. 
Von Jahr zu Jahr wurde es schwerer, den Handel mit Vortheil zu 
betreiben; wie sollten sie unter diesen Verhältnissen die Concurrenz 
nicht abzuwehren suchen ! Man hat aber auch ihren Einfluss auf 
die japanische Regierung überschätzt: noch zur Zeit des Titsingh 
und Doeflf stand das politische System des Jyeyas in voller Kraft 
und sie sprechen es deutUch aus , dass die Japaner sich nicht leicht 
von einer Regierungsform trennen würden, welche das Reich 200 
Jahre in Frieden erhalten imd zu nie gekannter Blüthe erhoben 
hatte, und welche die Aussclüiessung der Fremden forderte, dass 
Japan keiner Einfiilir von aussen bedürfe, und den Verkehr mit 
den Holländern nicht des Gewinnes halber dulde, der für ein so 
grosses Land ganz ohne Belang, wenn überhaupt vorhanden sei. 
Ihre eifrige Verwendung für andere Nationen hätte ihnen bei dem 
argwöhnischen Charakter der Japaner leicht den eigenen Handel 
kosten können, welcher schon auf den allergeringsten Umfang redu- 
cirt war, denn sie erhielten kaum für ein Schiff genügende Rück- 
fracht. Dass sie unter diesen Umständen auf alle fremden Eindring- 
linge eifersüchtig, und dass ihnen die Engländer besonders verhasst 
waren, welche sie überall verdrängt und ihren Handel in Ostindien 
zu Grunde gerichtet hatten, ist nicht befremdend. Als später unter 
den veränderten Verhältnissen des Welthandels die niederländische 
Regierung die japanische zur Erö&ung des Landes zu bewegen 
suchte, bheben ihre Bemühungen ohne allen Erfolg. Japan wäre 
vielleicht noch heute den Fremden verschlossen, wenn man den 
Verkehr nicht ertrotzt hätte. 

Der Handelsvorsteher Blomhoff sowohl als seine Nachfolger 
in späteren Jahren wurden bei ihren Hofreisen in Yeddo jedes- 
mal bis in das Kleinste über die Gestaltung der Verhältnisse in 
der westlichen Welt ausgefragt. Das immer häufigere Erscheinen 



Behandlung schiffbrüchiger Ausländer. J^v)J 

europäischer und amerikanischer Fahrzeuge in den früher so einsamen 
japanischen Grewässem musste die Aufmerksamkeit der Regierung 
erwecken. Hunderte amerikanischer Walltischfänger trieben sich in 
jenen Meeren heinim, und immer öfter wurden SchiflFbrüchige an 
die Küste geworfen. Um die Absperrung aufrecht zu erhalten hatte 
die Regierung angeordnet, dass alle Schiffbrüchigen von den Be- 
hörden festgenommen und unter Bedeckung nach Nanoasaki ge- 
schickt werden soUten, wo man ihnen bis zur AusUeferung ge- 
wöhnlich eingezäunte Tempelgründe zum Wohnorte anwies. Sie 
wurden mit Kleidung, Nahrung, Arzneien und allen anderen Bedürf- 
nissen reichlich versehen, aber freihch am freien Verkehr mit der 
Bevölkerung verhindert. Wo Schiffbrüchige schlecht behandelt 
worden sind scheinen sie es selbst verschuldet zu haben; die Ja- 
paner sind eine gesittete Nation, in deren Wesen es nicht hegt, 
ohne Veranlassung Unglückliche zu kränken. Wenn rohe Matrosen 
aus Erbitterung über die von dem Gesetze vorgeschriebene Be- 
schränkung brutal und gewaltsam gegen die japanischen Beamten auf- 
traten, so bUeb diesen wohl nichts übrig, als Zwang zu gebrauchen 
imd sie gefangen zu setzen'^'). Die Gefängnisse in Japan bestehen 
aber in mehr oder minder geräumigen vergitterten Zellen, unter 
denen man die kleineren wohl Käfige nennen kann, und es mag 
vorgekommen sein , dass unbändige Matrosen , deren man nicht 
Meister werden konnte, in solchen eingesperrt und auch wohl 
transportirt worden sind. Dass sie zuweilen die ärgsten Excesse 
begangen haben ist unzweifelhaft; entweihten doch z. B. die in 
den Tempeln eingeschlossenen amerikanischen Matrosen dort die 

^^^) Der Handelsvorsteher Le^^yssohn, der von 1845 bis 1850 in Desima und bei 
allen Verhören der schiffbrüchigen Amerikaner und Engländer während dieser Zeit 
gegenwärtig war, sagt darüber Folgendes: »Während meines Aufenthaltes in Japan, 
wurden mir 550 Schiffbrüchige von der japanischen Regierung übergeben , und durch 
mich ausgeliefert. Sie waren alle von der japanischen Regierung mit Lebensmitteln, 
Kleidung und selbst mit ärztlicher Hülfe versehen, und nur solche, die sich wider- 
spänstig zeigten, mit Gefängniss bestraft worden. Die übrigen wurden in Tempeln, 
gleich den Niederländern auf Desiva eingeschlossen, die Tempelhöfe umpf^hlt, um 
den Zulauf von Neugierigen abzuhalten und Ruhestörungen zu vermeiden. Ich kann 
nicht glauben, und mir ist so etwas nicht bekannt geworden, dass japanische 
Matrosen noch in Japan gefangen gehalten, noch weniger, dass solche in Käfigen 
im Lande hemmgefilhrt werden.- S. Levyssohn: Bladen over Japan. Haag 1852. — 
V. Siebold : Urkundliche Darstellimg der Bestrebungen von Niederlaud und Russland 
zm* Eröffnung Japans. Bonn 1854. 



170 Behandlung schiff biüchiger Japaner. 

Altäre und Götzen auf die schmutzigste und ekelhafteste Weise, so 
dass die Sicherheitsbehörde sie kaiun vor der Volkswuth schützen 
konnte. — Wer die Virtuosität des Schiffsvolkes im Erfinden auf- 
regender Mährchen kennt, wird wissen, was er von den Erzäh- 
lungen der über ihre EinschUessxmg erbitterten Seeleute zu hal- 
ten haf '). 

Es war vorgeschrieben, dass alle Schiffbrüchigen an die 
Niederländer auf Desima behufs der Einschiffung nach Java ausge- 
liefert werden sollten"'); die japanische Regierung bezahlte ihre 
Ueberfahrt und die Verpflegung an Bord. Der Zweck dieser Ver- 
ordnung w^ar die Femhaltung fremder SchiflFe, wie denn auch das 
alte Gesetz, dass japanische Schiffbrüchige nur durch die Holländer 
in ihre Heimath zurückgeführt werden sollten, noch immer streng 
beobachtet wurde. Eigentlich durften überhaupt nur solche nach 
Japan zurückkehren, die nicht über ein Jahr im Auslande gelebt 
hatten, und auch diese wurden eine Zeit lang in einem von ihrem 
Wohnort entfernten Landestheile mtemirt und von den Behörden 
beobachtet, ehe man sie den Ihrigen wiedergab. Von einer Voll- 
ziehung der Todesstrafe an zurückgekehrten Schiffbrüchigen ist 
unseres Wissens niemals etwas bekannt geworden, wohl aber sollen 
manche, die lange im Auslande gewesen und mit den Sitten und 
Gebräuchen fremder Völker vertraut geworden waren , ihr Leben in 
der Einsamkeit, in gelindem Gefängnisse haben beschliessen müssen. 
Auch nicht den Keim einer fremden Anschauung wollte man dulden. 
Die japanische Regierung hatte bei Laxmann's Anwesenheit den 
Grundsatz aufgestellt, dass ihre schiffbrüchigen Unterthanen dem 
Reiche angehörten , an dessen Küsten sie ihr Leben gerettet hätten, 
und sah lieber, wenn sie fem blieben; trotzdem wurden solche ün- 
glüctdiche in der Folge noch wiederholt auf fremden Schiffen mit 
Gewalt nach Japan geschleppt, um zum Vorwande der Verkehrs- 

^^^ Ein Hauptgegenstand der Unzufriedenheit mag die Verpflegung gewesen sein. 
Die Japaner sind in ihren Gewohnheiten sehr massig, essen selten Fleisch und auch 
dann nur Geflügel. Die üppigste japanische Mahlzeit würde den an ki'äflige Kost 
gewöhnten europäischen Matrosen nicht sättigen. Zudem ist es verboten den Ge- 
fangenen — und als solche wurden die Schifi'brüchigen angesehen — berauschende 
Getränke zu reichen. Ein Matrose, der Wochen lang kein Fleisch und kdnen 
Branntwein erhalten hat, wird die Dinge eben nicht im rosigen Lichte sehen. 

^^') So gewissenhaft waren die Behörden in Auslieferung aller Schiffbrücliigen, 
dass sie einst die Leiche eines auf dem Transport nach Nanoasaki verunglückten 
Matrosen eingesalzen in einer Tonne nach Desima ablieferten. 



Der Morrison. Der Manhattan. 1 • 1 

Anknüpfung zu dienen. So kam 1837 der Morrison, ein von einem 
amerikanischen Handelshause in China ausgerüstetes Kauffahrthei- 
schiff, mit einigen schiffbrüchigen Japanern an Bord nach der Bai 
von Yeddo und ankerte vor Uraga*'*). Der Befehlshaber hatte 
seine Kanonen in Macao gelassen, um sie nicht ausliefern zu müssen, 
die Japaner aber machten, da sie es mit einem Kauffahrer zu thun 
hatten, wenig Umstände: sie weigerten sich die Schiffbrüchigen 
aufzunehmen, welche nur durch die Holländer zurückgeführt werden 
dürften, und vertrieben das Schiff mit Kanonenkugeln. Aehnhch 
war die Begrüssimg, als der Morrison an der Küste von Knisiu vor 
Anker gehen wollte. — Höflicher wurde im Jahre 1845 der ameri- 
kanische WaUfischfänger Manhattan behandelt, der zweiundzwanzig 
Japaner theils von einer wüsten Insel, theils aus einer beschädigten 
Dschunke gerettet hatte. Der Befehlshaber liess zwei von ihnen 
an der nächsten Küste von Nippon landen, imi die Nachricht von 
ihrer Rettung und ein Gesuch um Wasser und frische Lebensmittel 
nach der Hauptstadt zu bringen, und segelte dann nach Uraoa. 
Die Japaner liessen das Schiff ohne Umstände ankern imd behan- 
delten nach AbUeferung der Geschütze die Mannschaft mit grosser 
Freundlichkeit; die Aufnahme der Schiffhrüchigen erfolgte ohne 
Weigerung, da sie nicht in fremdem Lande gewesen waren, und 
die Behörden dankten für deren Rettung und gute Verpflegung. 
Der Capitän, dem es \mi keinen ferneren Verkehr zu thun war, 
erhielt unentgeltlich Wasser, Holz und Lebensmittel in Menge. Bei 
der Abfahrt übergab man ihm eine holländisch abgefasste Empfangs- 
bescheinigung über die Geretteten, mit dem Zusatz, dass er 
künftig die japanischen Küsten nicht mehr anlaufen, sondern alle 
diesem Lande angehörigen Schiffbrüchigen nach einem holländischen 
Hafen bringen möge. Viele Japaner besuchten das Schiff, doch 
durfte von den Amerikanern Niemand das Land betreten. 

Es wurde indessen dem Bewusstsein der handeltreibenden 
Völker immer klarer, dass die. Stellung Japans nicht länger so 
bleiben könne. Die zunehmende Bevölkerung und der wachsende 
Wohlstand, die Fortschritte der Humanität und Bildung in der 
civilisirten Welt entwickelten das Bedürfniss nach Kraftäusserung 
und Ausbreitung im Räume immer lebhafter, der allgemeine Verkehr 
und der freie Austausch der Erzeugnisse wurden zur Nothwendigkeit. 

^"^^ An Bord des Morrison befanden sich die protestantischen Missionare Gutzlaff 
und Parker. 



172 Das Schreibeu König Willeiii*s II. 

Der Handel verband alle Länder der Welt, die Abschliessung Japans 
und die Stellung der Holländer daselbst war eine Anomalie, ein 
Anachronismus geworden. In diesem Gefühl richtete König Willem H 
von Holland ein Schreiben an den Siogun, welches bezweckte, nicht 
zunächst eine vortheilhaftere Stellung für die Niederländer zu er- 
ringen, sondern die japanische Regierung mit den in der Welt vor- 
gehenden Veränderungen vertraut und auf das Gefahrliche und 
Unhaltbare ihrer Stellung auünerksam zu machen. £s heisst darin 
unter Anderen: »Wir haben dem Laufe der Zeiten eiae ernste Auf- 
merksamkeit gewidmet: der Verkehr der Völker auf Erden nimmt 
mit raschen Schritten zu, eine unwiderstehliche Kraft zieht dieselben 
gegenseitig an. Durch die Erfindimg von Dampfschiffen werden die 
Entfernungen inuner geringer; das Volk, das bei dieser allgemeinen 
Annäherung sich ausschhessen will, wird mit vielen in Feindschaft 
gerathen. Es ist uns bekannt, dass die Gesetze, welche die durch- 
lauchtigen Vorfahren Ew. Majestät gegeben , den Verkehr mit fremden 
Völkern eng beschränken. Doch der Weise sagt: »wenn die Weis- 
heit auf dem Throne sitzt, dann thut sie sich hervor durch Erhal- 
tung des Friedens.« Wenn alte Gesetze durch strenge Handliabung 
Anlass zu Friedensstörung geben, dann gebietet es die Vernunft, 
dieselben zu mildem. Dies, Grossmächtiger Kaiser, ist denn auch 
unser freundschaftlicher Rath: mildert die Strenge des Gesetzes gegen 
den Verkehr mit Fremden, damit das glückliche Japan nicht durch 
Kriege verwüstet werde. Wir geben Ew. Majestät diesen Rath in 
der besten Absicht, ganz frei von eigenem Staatsinteresse. Wir 
hoffen, dass die Weisheit der japanischen Regierung zur Einsicht 
gelangt, dass der Frieden nur durch freundschaftUche Beziehungen 
erhalten werden kann, und diese nur allein durch den Handels- 
verkehr entstehen können.« — Dann folgt eine treffende Schilderung 
von der Entwickelung des Welthandels und von der Lage der Dinge 
in China, »dessen mächtiger Kaiser nach langem fruchtlosen Wider- 
stände endlich der Uebennacht der europäischen Kriegskunst nach- 
geben und in dem darauf erfolgten Friedensvertrage Bedingungen 
eingehen musste, durch welche die alte cliinesische PoUtik eine 
bedeutende Abänderung erhtt, und vermöge deren fünf Seehäfen 
von China für den Handel der Europäer eröflSiet wurden«*'*). — 
Die ernste eindringliche Sprache dieses Sclireibens, welches die 

^^^) Mitgetheilt von Sicbold: Urkundliche Darstellung u. s. w., wo noch andere 
Stellen aus dem königlichen Schreiben abgedruckt sind. 



Schwache Versuche der westlichen Völker. 1 • «> 

holländische Fregatte Palembang im Sommer 1844 nach Nangasaki 
brachte, scheint das Vertrauen der japanischen Regierung erweckt 
zu haben: »Die Schriftzüge des Königs«, heisst es in der Antwort 
des SiOGUN, »enthalten treue und aufrichtige IVIittheilungen, Worte 
tiefen Ernstes und eines Wohlwollens ohne Gleichen. Der Oberherr 
von NiPPON ist innig ergriffen durch die Beweggründe einer solchen 
Sprache. Doch was tief in seinem Herzen geschrieben steht, das 
wagt er selbst nicht an den Tag zu legen.« 

Die niederländische Regierung üess es leider bei diesem einen 
Versuch bewenden und that seit 1844 keine weiteren Schritte, um 
den SioGUN für Freigebung des Verkehrs zu stimmen. Die Holländer 
waren unter allen Nationen die einzigen, welche hinreichende Kennt- 
niss imd Verständniss der japanischen Zustände hatten, um die 
Eröffiiung des Landes auf haltbaren Grrundlagen anzubahnen, wenn 
das überhaupt mögUch war; denn ob die Regierung des Siogun sich 
jemals ohne Zwang zu Concessionen entschlossen hätte oder ent- 
schUessen gekonnt hätte, ist sehr fraghch. Das gleichzeitige Auf- 
treten der übrigen Nationen war nur geeignet, den Argwohn der 
Japaner zu wecken. Im Jahre 1844 hatte die französische Fregatte 
Alcmene den Missionar Pater Fourcade und bald nachher die 
Engländer den Prediger Bettelheim auf Grross-LiüKiu ausgesetzt; 
man drängte also einem Lande unter japanischer Botmässigkeit 
christhche Priester auf, deren Zulassung die Gesetze bei Todesstrafe 
untersagten. 1846 erschienen vor Uraga zwei amerikanische Kriegs- 
schiffe unter Befehl des Commodor Biddle, welcher den Auftrag 
hatte, Unterhandlungeb mit der japanischen Regierung anzuknüpfen, 
und mit einem Briefe des Präsidenten an den Siogun versehen 
war. Man hess Niemand von den Schiffen landen, nahm aber das 
Schreiben in Empfang, das in Kurzem dahin beantwortet \vurde, es 
könne kein Handel mit fremden Völkern ausser den Niederländern 
gestattet werden. Die Schiffe segelten nach zehntägigem Aufenthalt 
unverrichteter Sache ab. Auf ähnliche Weise wurde in demselben 
Jahre die dänische Fregatte Gralathea abgefertigt. Auch ein franzö- 
sisches Geschwader erschien 1846 vor der Bucht von Nangasaki : der 
Befehlshaber übergab eine Klageschrift we^en vorgeblich schlechter 
Behandlung eines französischen Scliiffes, stach aber schon nach 
zwei Tagen ^vieder in See, nachdem er Wasser und Ijebensmittel 
erhalten hatte. Die japanische Antwort ist nicht bekannt geworden. — 
Drei Jahre darauf, 1849, lief das amerikanische Kriegsschiff Preble 



174 Glynn vor Namoasaki. Commodor Pcny. 

unter Commander Glynn in den Hafen von Nanoasaki ein, durch- 
brach, mit frischem Winde segehid, die Reihen der Boote, die es 
aufhalten sollten, und kam an einer günstigen Stelle zu Anker. 
Glynn verlangte die Auslieferung fünfzehn schiffbruchiger Ameri- 
kaner, die angebUch mit Gewalt zurückgehalten wurden. Wenn 
diese Forderung nicht sogleich erfüllt wurde, so lag der Grund 
wohl theils in dem trotzigen Auftreten des Amerikaners, theils in 
der kaiserUchen Verordnung, dass alle schiffbrüchigen Fremden 
den Holländern übergeben werden sollten. Die Auslieferung erfolgt« 
nach acht Tagen gegen eine Bescheinigung des Commandanten, 
dass ihm seine Landsleute von den Niederlandern zugeführt worden 
seien. Die Amerikaner erzählen, dass viele Geschütze auf ihr Deck 
gerichtet und grosse Truppenmassen am Lande versammelt gewesen 
seien; sie rühmen sich nichtsdestoweniger, ihr Object durch Drohungen 
ertrotzt zu haben, während nach den Berichten des Handelsvor- 
stehers von Desima der japanische Statthalter seine Würde in allen 
Stücken gewahrt, und nicht den Drohungen des Commandanten, son- 
dern der vermittelnden Dazwischenkunft der holländischen Beamten 
nachgegeben hätte. 

Alle diese Begegnungen und das kriegerische Auftreten der 
Engländer in China konnten bei den Japanern keine günstige Stim- 
mung für die Fremden erwecken; es waren feindselige Demonstrationen 
gegen das Gesetz und den Brauch des Landes, welche die Regierung 
beleidigten und von künftigen Zugeständnissen wenig Gutes erwarten 
Hessen. Zugleich hatten die bisherigen Versuche der westhchen 
Völker die Meinung der Japaner von ihrer Mächt bedeutend herab- 
gestimmt.. Die geringe Stärke mit der sie auftraten, ihre halb 
drohenden, halb ohnmächtigen Maassregeln, ihr Mangel an Festig- 
keit und Ausdauer den abschlägigen Antworten gegenüber erfüllten 
die japanische Regierung mit Geringschätzung und Unwillen, Erst 
beim Erscheinen des von den Niederländern seit lange angekün- 
digten Geschwaders unter Commodor Perry änderten sich diese 
Anschauungen. 

Commodor Perry ging am 8. JuU 1853 mit einem Theile 
seines Geschwaders vor Uraoa zu Anker. Er hatte einen Brief des 
Präsidenten der Vereinigten Staaten an den Sioqun bei sich, welchen 
kaiserUche Bevollmächtigte, nachdem der Commodor die Zumuthung, 
ihn in Nangasaki abzugeben, als eine Beleidigung far seine Nation 
zurückgewiesen hatte, am Lande feierlich in Empfang nahmen. Das 



Admiral Putiatine in Nanoasaki. 



175 



imposante Geschwader, die nie gesehenen , Dampfschiffe und vor 
Allem das entschlossene Auftreten Perry's, der seinen Zweck am 
besten durch eine drohende Haltung zu erreichen glaubte, machten 
grossen Eindruck auf die Japaner; sie liessen sich einschüchtern 
und glaubten jetzt an die Möglichkeit des Krieges. Der Aufenthalt 
der Amerikaner dauerte dieses Mal nur fünf Tage: der Commodor 
kündigte den Japanern an, dass er im kommenden Frühjahr mit 
seinem ganzen Geschwader wiederkommen würde, um sich die 
Antwort des Siogun zu holen, und ging dann wieder in See. 

Kurz nach dem Eintreffen Perry's bei Uraga erschien vor 
Naitgäsaki ein russisches Geschwader unter Admiral Putiatine, der 
einen Brief des kaiserlichen Staatskanzlers an den japanischen 
Reichsrath überbrachte. Die Behörden nahmen das ^Schreiben in 
Empfang, sobald sie Erlaubniss dazu aus Yeddo erhielten. D^ 
freundschaftliche Auftreten des russischen Bevollmächtigten, welcher 
den Reichsgesetzen gemäss nach Nakgasaki kam, stach eben so 
günstig gegen die drohende Haltung Perry's ab, als die würdige 
Sprache des russischen Schreibens gegen die gesuchte Formlosig- 
keit des amerikanischen. Die Regierung beeilte sich mit Putiatine 
in Unterhandlung zu treten und erklärte, dass es ihre bestimmte 
Absicht sei, den Fremden die japanischen Häfen zu öffnen, sobald 
die dazu nothwendigen Vorkehrungen getroffen wären; übrigens 
ständen auch jetzt schon alle Häfen des Reiches solchen Schiffen 
offen, die Ausbesserungen vornehmen wollten oder Holz und Wasser 
brauchten; um aber jede Verwickelung zu vermeiden, sei es der 
Schiffsmannschaft nicht gestattet an das Land zu kommen. Diese 
Zugeständnisse seien übrigens den Fremden schon seit lange gemacht, 
aber nicht zur allgemeinen Kenntniss gelangt. Was den Handel 
angehe, so müssten nach einer Jahrhunderte langen Absperrung 
des Reiches nothwendig einige vorbereitende Maassregeln getroffen 
werden, und es sei wohl ein Jahr erforderlich, bis man einen 
Handelstraktat in Wirkung bringen könne. — Ob die Antwort so 
günstig ausgefallen wäre, wenn nicht im kommenden Frühling Perry's 
Besuch in Aussicht gestanden hätte, ist zweifelhaft. Die Klugheit 
gebot dem friedlichen Auftreten der Russen das zu gewähren, was 
man dem Drohen der Amerikaner zugestehen zu müssen erwartete, 
um — so meinte man — einen Krieg zu vermeiden. Die Regierung 
wahrte dadurch ihre Ehre und hatte wenigstens den Schein, aus 
eigenem Antriebe zu handeln. 



1 • t) Der Veitrag von Kanada va. 

Im Februar 1854 erscliien Commodor Perry wieder an der 
japanischen Küste, nachdem die Regierung sich vergebens bemülit 
hatte, ihn durch die Benachrichtigung von dem inzwischen erfolg- 
ten Tode des Siogun und der daraus hergeleiteten Unmöglichkeit, 
jetzt zu verhandeln, zur Aufschiebung seines Besuches zu vermögen. 
Sein Geschwader bestand aus drei Dampf fregatten, vier Corvetten 
und zwei Transportschiffen. Der Commodor trat dieses Mal noch 
drohender auf, als bei seiner ersten Anwesenheit: er Uef trotz allen 
Gegenvorstellungen der Japaner in den inneren Golf von Yeddo 
ein, und setzte es durch, dass die Unterhandlungen in grösster 
Nähe , und so zu sagen Angesichts der Hauptstadt gepflogen wurden : 
die Zusammenkünfte fanden in Kanagava, etwa vier Meilen von 
Yeddo, statt Im Laufe der Verhandlungen gestaltete sich der per- 
sönliche Verkehr inmier freimdUcher; aber in ihren Zugeständ- 
nissen blieben die japanischen Bevollmächtigten bis zum letzten 
Augenblick hartnäckig und zähe. Perry erlangte nur die Eröffnung 
der Häfen Simoda (am äusseren Golf von Yeddo) und Hakodade 
(auf Yeso) für amerikanische Schiffe, die dort Holz, Kohlen, Wasser 
imd Lebensmittel einnehmen woUten; Hülfe und freundliche Be- 
handlung für amerikanische Schiffbrüchige, und ihre AusUeferung 
nach Simoda oder Hakodade; freien Verkehr in einem gewissen 
Umkreise für die in diesen beiden Hafenplätzen sich vorübergehend 
aufhaltenden Amerikaner; einen beschränkten Austausch von Handels- 
artikeln unter Aufsicht der japanischen Behörden, und das Recht, 
einen Consul für Simoda mit der Jurisdiction über die amerikani- 
schen Unterthanen in Japan zu ernennen , — endlich das wichtige Ver- 
sprechen der Gewährung aller Vortheile , welche jemals einer anderen 
Nation zugestanden werden sollten. Dieser Freundschaftsvertrag, 
welcher den Amerikanern nicht das Recht gab, bleibend in Japan 
zu wohnen, und der fiir den Handel gar keine Bedeutung hatte, 
wurde am 31. März 1854 zu Kanagava unterzeichnet und die Ra- 
tificationen am 21. Februar 1855 zu Simoda ausgewecTiselt. 

So unwichtig der Perry' sehe Vertrag durch seine Resultate, 
so bedeutsam war die Thatsache, dass Japan überhaupt den Ver- 
kehr einer fremden Nation zuUess. Die Schranken mussten nun 
auch für die anderen Völker fallen. Noch im September 1854 kam 
ein britisches Geschwader unter Admiral Sir James Stirling nach 
der Bai von Nanoasaki. Die Engländer mussten mehrere Wochen 
lang auf die Ankunft der Bevollmächtigten aus Yeddo warten. 



Der englische, der russische und der holländische Vertrag. 177 

brachten dann aber in wenig Tagen einen Freundschaftsvertrag zu 
Stande, dessen Inhalt dem des amerikanischen ganz ähnUch war. 
Einige Monate darauf schlössen auch die Russen in Simoda einen 
Vertrag, der ausser den Artikehi der amerikanischen uni enghschen 
Tractate noch wichtige Grenzbestimmungen enthielt: Urup und die 
nördUchen Kurilen kamen dadurch definitiv unter russische Herrschaft. 
Die Häfen Nangasaki, Hakodade und Simoda sollten den russischen 
Schiffen offen stehen , im Falle der Noth auch alle übrigen. — Damals 
während des Krimkrieges stellte sich die Wichtigkeit der japanischen 
Häfen sowohl für die englischen als für die russischen Schiffe sehr 
deutUch heraus. — In den genannten Hafenplätzen wurden nun auch 
Friedhofe für die Fremden angewiesen. Den Artikel der meistbegün- 
stigten Nation enthielt auch der russische Vertrag , ebenso der fran- 
zösische, welchen bald nachher Baron Gros abscliloss. 

Alle diese waren nur Freundschafts- und Schiffahrts- 
verträge; die Holländer bUeben immer noch — mit den Chinesen •— 
im alleinigen beschränkten Besitze des ausländischen Handels. In 
dem A^itwortschreiben , welches Sir James Stirüng aus Yeddo er- 
hielt, heisst es ausdrücklich, man werde ihm alle den anderen 
Nationen gewährten Begünstigungen zugestehen, mit Ausnahme der 
besonderen Handelsvortheile , welche die Holländer und die Chinesen 
genössen. Die niederländische Regierung erlangte nun auch durch 
ihren Bevollmächtigten Herrn Donker Curtius die Aufhebung der 
lästigen Beschränkungen, welchen die Bewohner von Desima unter- 
worfen waren: in dem Vertrage vom 5. November 1855 wurde aus- 
drückhch bestimmt, dass sie von nun an volle persönliche Freiheit 
und das Recht haben sollten, die Insel nach Beheben zu verlassen 
und sich in Nangasaki und seinem Gebiete frei zu bewegen. Auch 
in allen übrigen Puncten wurden sie den anderen Nationen gleich- 
gestellt, und erliielten wie jene die Erlaubniss nach Simoda und 
Hakodade zu kommen. — Herr Donker Curtius bUeb als nieder- 
ländischer Commissar inNANOASAKi, um bei der ferneren Entwicke- 
lung der Verkehrsverhältnisse das Interesse seiner Regierung wahr- 
zunehmen. Er schloss am 30. Januar 1856 einen neuen Vertrag ab, 
durch welchen weitere Vortheile erreicht wurden, unter anderen 
die Zulassung der Frauen und Kinder der Niederländer in den 
geöffneten Häfen, die freie Ausübung des Gottesdienstes, und die 
PZrlaubniss, ihre Waaren ohne Dazwischenkunft der Behörden an 
die japanischen Kauileute zu veräüssern, japanische Erzeugnisse 

l. 12 



178 Die 40 Additional- Artikel. 

einzukaufen und zu verschiffen. Die Regierung des Siogun gab ihr 
Handelsmonopol auf und erlaubte sogar wieder die Ausfuhr von 
Gold- und Silbennünzen. 

Unter dem 16. October 1857 brachte Herr Donker Curtius 
noch 40 Additional- Artikel zu Stande, welche die Art des Handels- 
verkehrs, die Hafengelder, die Schlichtung der Streitigkeiten u. s. w. 
feststellten. Die Ausfulir der Gold- und Silbermünzen wurde wieder 
verboten; zur Bezahlung der Waaren sollten sich die Niederländer 
einer Art Papiergeldes bedienen, das die Regierung gegen Erlegung 
europäischer und amerikanischer Münzen ausstellte und nachher an 
die Japaner mit baarem Gelde saldirte. Diese Einrichtung fulirte 
zu vielen Uebelständen , da die Behörden — oder vielleicht gewinn- 
süchtige Unterbeamte — sich ein bedeutendes Agio beim Wechseln 
des fremden Geldes rechneten'^®). — In diesen Additional- Artikeln 
verbot die japanische Regierung die Opium-Einfulir*"), und vindi- 
cirte sich das Recht, die Ausfuhr von Lebensmitteln, Papier und 
Wachs unter Umständen zeitweise zu verbieten. Der Verkehr aller 
Fremden sollte von nun an ganz frei sein, sowold auf den Schiffen 
als am Lande innerhalb der festgestellten Grenzen. — In einem von 
der niederländischen Regierung mit diesen Artikeln zugleich ver- 
öffentUchten Actenstücke erklärt die japanische Regierimg, dass es 
auch anderen Völkern , die künftig mit ihr Verträge schUessen 
würden, frei stehen solle, in Nangasaki und Hakodade — denn 
nur auf diese bezogen sich die Zugeständnisse — nach den festge- 
stellten Regeln Handel zu treiben"*). 

Gleich nach Unterzeichnung der erwähnten Additional- Artikel, 
am 24. October 1857, brachte auch der russische Admiral Putiatine 
einen neuen Vertrag zum Abschluss, dessen Bestimmungen sich zu- 
nächst auf Nangasaki und Hakodade bezogen: der Handel sollte 
weder in Bezug auf die Zalil der Schiffe noch auf die Menge und 
den Werth der Waaren irgend einer Beschränkung unterhegen: 

^^^) Die vom ausländischen Handel lebenden Dolmetscher und Unterbeamten und 
die Einwohner von Nanoasaki überhaupt waren von jeher verrufen und galten iur 
den Auswurf des japanischen Volkes. 

"') Das Opium - Rauchen soll in Japan bei Todesstrafe verboten sein. Den Fremden 
sind Beispiele dieses Lasters unseres Wissens dort nicht bekaimt geworden. Wahrschein- 
lich hat die Einfuhr des Opiums für die Chniesen dieses Verbot hervorgerufen. 

*'*) Diese Erkläning wurde für die japanische Regienmg sehr folgenreicli. S. den 
Reisebericht. 



Erweiterung des Verkehrs. Ihtö amerikanische Consulat in Simoda. 179 

wenn Mangel an Rückfrachten wäre, sollten die Einfuhr -Artikel 
mit Gold- und Silbennünzen zu bestimmten Wechselcoursen bezahlt 
werden; der Zoll auf russische Einfuhr- Artikel sollte in keinem Falle 
über 35 Procent betragen, bei allen an die Zollämter selbst ver- 
äusserten Waaren aber jede Steuer wegfallen. Zum Einkaufe japa- 
nischer Erzeugnisse mussten sich die Russen ähnlichen Papiergeldes 
bedienen wie die Holländer; diese ganze Einrichtung erwies sich 
aber bald als unzweckmässig und wurde wieder abgeschafft 

So wurden in kurzer Zeit viele lästige Fesseln abgestreift. 
Die Regierung zeigte den besten Willen, und das japanische Volk, 
von Natur gutmüthig, gastfreundUch und auf alles Ausländische 
in hohem Grade begierig, nahm die Fremden mit oflFenen Armen auf. 
Zur Berührung mit den Samrai, den Daimio's und ihrer Trabanten, 
welchen die Formlosigkeit und das übermüthige Auftreten der 
amerikanischen und europäischen Kaufleute anstössig ist, gab es in 
Nanoasaki und IIakodade wenig Gelegenheit. Man wusste in jener 
Zeit nichts von den blutigen Reibungen , welche nach der Eröffnung 
von Kanagava so häufig wurden. — 

Bald nach Ratification des Perry'schen Vertrages waren mehr- 
fach amerikanische Kaufleute nach den geöffneten Häfen gekommen, 
um sich dort niederzulassen und Handel zu treiben, woran die 
japanischen Behörden, gestützt auf die ausdrückliche Bestimmung, 
dass nur ein vorübergehender (temporary) Aufenthalt gestattet 
sein solle, sie durchweg mit Consequenz verhinderten. Man Hess 
Niemand landen, der sich nicht zuvor über die Dauer des beab- 
sichtigten Aufenthaltes genau erklärte. Zudem gab der Vertrag den 
japanischen Beamten so viel Einfluss auf die Transactionen des 
Waarenaustausches, dass von keinem eigentlichen Handel die Rede 
sein konnte, und da die nachher den Holländern gemachten Zu- 
geständnisse sich nur auf Nangasaki und Hakodade bezogen, so 
blieb der Hafen von Simoda, der überdies bald nach Perry's Abreise 
durch ein furchtbares Erdbeben viel von seiner Sicherheit verloren 
hatte, fast ganz unbesucht. Dem amerikanischen Consul Mr. Townsend 
Harris , der in Folge des Perry'schen Vertrages im Sommer 1856 dort 
eintraf, kam dieser Umstand sehr zu Statten; er trat zu den japa- 
nischen Behörden in ein Verhältniss, das bei Anwesenheit der Kauf- 
leute und den in Handelsgeschäften unvermeidlichen Misshelligkeiten 
und Reibungen kaum so freundschaftlich hätte werden können. Er 
blieb oft Monate lang ohne Nachrichten aus der Heimath und war 

12* 



180 Verhandlungen zu Yeddo. 

ganz auf den Umgang der Japaner angewiesen, von denen er un- 
ausgesetzt die rülirendsten Beweise des Wohlwollens und freund- 
schaftlicher Zuneigung erhielt. Mr. Harris blickte in späteren 
bewegten Zeiten noch immer mit Befriedigung auf seinen einsamen, 
durch keinerlei Misshelligkeiten getrübten Aufenthalt in Simoda 
zurück; er hat seine gute Meinung von der Aufrichtigkeit und 
LoyaUtät der japanischen Regierung auch später unter den aller- 
traurigsten Verhältnissen lange bewahrt, und dem oft übertriebenen 
Argwohn der Vertreter anderer Mächte in versöhnender Weise das 
Gleichgewicht gehalten. Er selbst sow'Ohl als sein Secretär und 
Dolmetscher Herr Heusken, ein Holländer von Geburt, haben es 
verstanden, sich in die japanischen Zustände einzuleben wie Wenige, 
und durch geschickte Combinationen und Benutzung der Umstände 
p]rfolge erreicht, die man sich zuvor nicht geträumt hatte. 

Im Sommer 1857 erhielt Herr Harris ein eigenhändiges Schreiben 
des Präsidenten der Vereinigten Staaten an den Siogün. Er zeigte 
dies den Behörden von Simoda mit dem Bemerken an, dass er den 
Brief nur dem Siogün selbst oder dessen Ministern einhändigen könne, 
und dass er diesen mündlich wichtige Mittheilungen zu machen habe. 
Die Hindemisse, welche man ihm in den Weg legte, scliiencn un- 
überwindlich , aber Mr. Harris verweigerte standhaft die Ablieferung 
des Schreibens, auch wenn besondere Bevollmächtigte von der 
Hauptstadt zur Empfangnahme desselben nach Simoda kämen. Die 
japanische Regierung gab endlich nach; der amerikanische Consul 
ging mit Herrn Heusken zu Ende des Jahres 1857 nach Yeddo, w^o 
bald nachher auch Herr Donker Curtius aus Nangasaki eintraf. 
Ihren Bemühungen gelang es die Minister des Siogün zu überzeugen, 
dass die Zeit zu ferneren Zugeständnissen und zur Eröffnung des 
Landes für den Verkehr der westlichen Völker gekommen sei, dass 
die Ehre und der Vortheil Japans die Abschliessung neuer Verträge 
auf friedlichem Wege und ohne die drohenden Demonstrationen 
anderer Nationen abzuwarten, dringend erfordere. Das gleichzeitige 
Auftreten der Engländer und Franzosen , welche damals in den nord- 
chinesischen Meeren bedeutende Streitkräfte zusammenzogen, gab 
diesen Vorstellungen Nachdruck, und die japanische Regierung willigte 
ein. Die Verhandlungen dauerten mehrere Monate und wurden, 
nachdem alle Paragraphen von beiden Seiten angenommen waren, 
im April 1858 geschlossen: aber die Unterzeichnung der Verträge 
konnten die Bevollmächtigten nicht erlangen: der Siogün, hiess es, 



Der zweite amerikanische Veitrag. 181 

und seine Minister hätten den besten Willen , aber es lägen Umstände 
vor, welche die Unterzeichnung für jetzt unmöglich machten; die 
Bevollmächtigten könnten nicht wünschen eine Staatsiunwälzung, 
einen Bürgerkrieg hervorzurufen, dessen Ausgang nicht abzusehen 
wäre; man möge sie nicht drängen, sie hofften die Schwierigkeiten 
noch vor dem Herbst zu überwinden. — Die Hindernisse zeigten 
sich für den Augenblick unbesiegbar; so reisten denn die Herren 
Harris und Donker Curtius, nachdem die Verträge fertig aufgesetzt 
waren, doch unverrichteter Sa^che von der Hauptstadt wieder ab. 

Mr. Harris war noch nicht lange in Simoda zurück, als dort 
eine ameiikanische Fregatte mit der Nachricht von der Einnahme 
der Taku - Forts und der Unterzeichnung des Friedens von Tientsin 
eintraf, durch welchen die Westmächte das Recht der diplomatischen 
Vertretung in Peking erlüelten. Er begab sich nun sofort mit dieser 
Nachricht nach Kanagava; die Regierung sträubte sich nicht länger, 
sondern vollzog, in der Ueberzeugung, dass die siegreichen Flotten 
sich jetzt gegen Japan wenden würden, die Unterzeichnung des 
während des Winters verhandelten Tractates. Sie wich auch dieses 
Mal nur dem Drange der Ereignisse und fugte sich den Amerikanern 
freundschaftlich, um bei der Ankunft der Engländer und Franzosen 
nicht den Schein einer Niederlage zu haben. Am 10. August traf 
Lord Elgin mit einem englischen Geschwader im Hafen von Simoda 
ein. Alle Bemühungen des dortigen Gouverneurs, ihn von der 
Weiterreise nach der Hauptstadt abzuhalten, blieben fruchtlos: die 
Schiffe stachen schon am zwölften wieder in See und gingen, nach- 
dem die Japaner sie noch bei Uraga vergebens aufzulialten gesucht 
hatten, «n demselben Nachmittage auf der Rhede von Yeddo zu Anker. 
Die Aufiiahme von Seiten der Behörden war selir zuvorkommend 
und die Verhandlungen gingen durch die Hülfe des Herrn Heusken 
rasch und ohne Anstoss von Statten, schon am 26. August wurde 
der mit dem amerikanischen fast gleichlautende Vertrag unterzeichnet. 
Er gab den Engländern das Recht, einen diplomatischen Vertreter 
in Yeddo und Consuln in den zu eröffnenden Häfen anzustellen; ihr 
Vertreter sollte die Befugniss haben, überall im Lande frei umher- 
zureisen. Ausser den Häfen von Nangasaki , Hakodade und Kana- 
gava*'*), welche vom 1. JuU 1859 an dem Verkehr zu eröffnen 
waren, sollten die Häfen von Neagata am 1. Januar 1862 und 
FioGo am 1. Januar 1863 freigegeben werden. Auch in Yeddo 

^^') Simoda war als für den Handel unzweckmässig ganz aufgegeben worden. 



182 Die neuen Verträge der Engländer, Russen, Franzosen , Holländer, Portugiesen. 

sollten britische Unterthanen vom 1. Januar 1862 und in Osaka 
vom gleichen Datum 1863 an des Handels wegen sich aufhalten 
dürfen. An allen diesen Plätzen dürfen sie Grundstücke pachten 
und Häuser darauf bauen oder kaufen ; die Grenzen , innerhalb deren 
sich die Fremden von den Hafenstädten entfernen dürfen, werden 
bedeutend erweitert, die öffentliche Religionsübung freigegeben. 
Der Handelsverkehr zwischen britischen Unterthanen und Japanern 
soll ganz frei sein und ohne Dazwischenkunft japanischer Behörden 
stattfinden; alle nicht verbotenen Waaren dürfen gegen Erlegung 
der festgesetzten Zölle ein- und ausgeführt werden. Fremdes 
Geld soll in Japan Cours haben und Gewicht um Gewicht gegen 
japanisches umgetauscht werden; für das erste Jahr übernimmt 
die Regierung die Umwechselung der fremden Münzen. AUe japa- 
nischen Münzen, ausser den kupfernen, dürfen exportirt werden. 
Die englische Regierung kann in NangasakI, Hakodade und Kana- 
GAVA Magazine für ihre Schiffsbedürfnisse anlegen, welche sie zollfrei 
einführt, ausser solchen, welche an Japaner verkauft werden. — 
Die übrigen Artikel beziehen sich auf die früher gemachten Zuge- 
ständnisse, die Erhebung von Zöllen und Hafengeldern, die An- 
stellimg von Lootsen u. s. w. Ein angehängtes Handelsregulativ 
stellt die Ein- und Ausfuhrzölle für die erlaubten Artikel und die 
von den einlaufenden Schiffen zu beobachtenden Formalitäten fest. 

Dieser Vertrag kam deshalb so schnell zu Stande, weil 
Mr. Harris den Winter zuvor die ganze Arbeit gethan und nun 
dem engUschen Bevollmächtigten seinen Secretär Herrn Heusken 
zur Verfügung gestellt hatte, welcher mit den Verhältnissen und 
Persönlichkeiten vertraut war und jede Schwierigkeit rasch aus dem 
Wege zu räumen wusste. — An demselben Tage, da Lord Elgin 
vor Yeddo erschien, hielt Admiral Putiatine, der vierzehn Tage 
zuvor mit seinem Geschwader in Kanagava angekommen war, eben- 
falls seinen Einzug in die Hauptstadt. Der von ihm unterzeichnete 
Vertrag und diejenigen, welche kurz darauf Baron Gros für die 
französische und Herr Donker Curtius für die holländische Regie- 
rung abschlössen, hatten mit den amerikanischen und englischen 
fast gleiche Bedeutung, ebenso der portugiesische, welcher im 
Sommer 1860, kurz vor dem Eintreffen des preussischen Geschwa- 
ders, unter Mitwirkung des holländischen Bevollmächtigten zu 
Stande kam. 



Die neuesten politischen Ereignisse in Japan. loo 

Es wäre von grosser Bedeutung, wenn man sich genaue 
Kenntniss von der inneren politischen Lage Japans zur Zeit des 
Kindringens der westlichen Nationen und von der Entwickelung der 
Verhältnisse seit diesem Ereigniss verschaffen könnte. Dass die 
Macht des Siogün schon seit einem halben Jahrhundert, vielleicht 
schon länger im Sinken war, ist unzweifelhaft. Unter der langen 
Regierung de^ Jye-nari, der 1787 den Thron bestieg, scheinen die 
Zügel erschlafft, und namentUch die Einrichtungen ausser Gebrauch 
gekommen zu sein, durch welche der Lehnsadel in Zaum gehalten 
wurde. Sein Nachfolger bemühte sich zwar bei Antritt der Re- 
gierung (1842), das alte System mit voller Strenge zur Geltung 
zu bringen, — er schickte wieder regelmässig Aufpasser an die Höfe 
der Lehnsfiirsten, Hess die Schauspielhäuser schliessen, untersagte 
alle öffentlichen Lustbarkeiten und beschränkte den Kleiderluxus — 
denn auch beim Volke hatten sich Freiheiten eingeschUchen, welche 
die Zucht und Sitte früherer Zeiten nicht kannte, — aber die alte 
Ordnung scheint nie wieder rechten Bestand gewonnen zu haben 
und bei dem Erscheinen Perry's gänzlich zusammengebrochen zu 
sein. Wo seitdem der Schw^erpunct der Macht liegt, wde die kämpfen- 
den Partheien zusammengesetzt und welche ihre Tendenzen sind, 
kann man nicht mit Sicherheit erfaliren. Bei der Wendung, welche 
die Dinge in neuester Zeit genommen haben, sollte man denken, 
jeder Tag müsste neue Aufschlüsse über die politische Lage 
des Landes bringen, und doch erklären die fremden Vertreter in 
Japan auch heut noch, un Dunkeln über den Gang der Ereignisse 
zu sein. Die Bewegung dauert fort und scheint an Intensität 
gewonnen zu haben; aber die jetzige Stellung des Siogun zu den 
Daimio's und ihre Absichten den Fremden gegenüber bleiben räthsel- 
haft. Allem Anscheine nach gab es am Hofe schon zur Zeit von 
Perry's erster Landung (1853) eine der herrschenden Linie feind- 
liche Parthei, an deren Spitze einer der Titularbrüder des Siogun, 
der Fürst von Mito , stand, und der sich alle DaiiMio's an- 
schlössen, welche entweder wirkhch der Zulassung der Fremden 
entgegen waren, oder unter diesem Vorwande den Umsturz des 
bestehenden Regimentes herbeizuführen und die Selbstständigkeit 
wieder zu gewinnen dachten, deren sich ihre Vorfahren im fünf- 
zehnten und sechszehnten Jahrhundert erfreuten. Diese Parthei hat 
wiederholt und zum Theil gewaltsame Versuche gemacht, um an 
das Ruder zu gelangen; sie ist stark genug, um die Macht des 



iö4 Thatsacheu und Gerüchte. 

Kaisers zu lähmen, hat aber bis jetzt die herrscheude Linie der 
MiNAMOTo nicht vom Throne verdrängen können. 

Der Verlauf der Begebenheiten im Einzelnen ist, wie gesagt, 
in Dunkel gehüllt. Constatirte Thatsachen sind nur: dass bald nach 
dem ersten Erscheinen des amerikanischen Geschwaders (1853) der 
regierende Siogun starb, und dass sein kinderloser Nachfolger die 
Unterzeichnung des Ilarris'schen Vertrages nur um weiflge Tage über- 
lebte; dass damals ein unmündiger Spross des Hauses Kii auf den 
Thron erhoben, der Fürst von Mito seiner Würde beraubt und auf 
seine Güter verbannt wurde, und dass die Leitung des Staates dem 
erblichen Regenten Ikamo - no - kami anheimfiel, welcher im Frühjahr 
1860 — einige Monate vor Ankunft des preussischen Geschwaders — 
von den Bravo's des Fürsten von Mito auf oflFener Strasse ermordet 
wurde. Alle übrigen Nachrichten sind melir oder minder unver- 
bürgt. Die in Japan verbreiteten Gerüchte mögen viel Walires 
enthalten*'*), widersprechen einander aber in den Einzelnheiten 

^^) Um dein Leser einen Begriff sowohl von dem Charakter der Ereignisse, als 
von der Unvereinbarkeit der in Japan selbst den Fremden bekannt gewordenen Ge- 
rüchte zu geben , mögen hier kurze Auszüge von zwei Dai'stellüngen der Begebenheiten 
seit Perry's Ankunft stehen , die beide auf an Oi-t und Stelle gesammelten Nachrichten 
basiren. Die erste ist dem Buche des englischen Gesandten Sir Rutherford Alcock 
"The Capital of the Tycoon- entnommen, welcher selbst sagt, dass er nur Gei-üchte 
wieder erzählt; die zweite ist zuerst in der Revue des deux mondes abgedruckt 
worden. Der Verfasser der letzteren hat seine Berichte später in einem besonderen 
Bande zusammengcfasst, welchen Lebendigkeit der Auffassung des Gesehenen und 
Erlebten, Treue der Schilderungen, Humanität der Anschauung, Wohlwollen und 
(rewissenhaftigkeit zu einem der anziehendsten und nützhchsten Bücher über Japan 
machen; in allem Historischen dagegen ist er ohne Kritik vei'fahren , und berichtet, 
auf die Zuverla^igkeit seiner Gewährsmänner bauend, neben vielem Phantastischen auch 
Dinge, die nachweisbar unrichtig, und andere, von denen Niemand etwas wissen kann. 

Nach der Version des Herrn Alcock scheint man bei Perry's erster Ankunft die 
Absicht gehabt zu haben, seine Anträge zurückzuweisen. Die für die Vertheidigung 
des Golfes von Yeddo verantwortlichen DaTmio's brachten in zwei Tagen ein Heer 
von 10,000 Mann und eine grosse Anzahl Geschütze bei Uraga zusanunen. Man 
beschloss jedoch, den Brief des Präsidenten in Empfang zu nehmen. — Der erete 
Minister des Siooun Iyk-yosi, Midsuno Yktsizen-no-kami, ein Anhänger des 
alten Systems, soll sich damals mit mehreren DaTmio's in Yeddo verschworen haben, 
durch Vergiftung des Iyk - yosi , eines anerkannt tüchtigen und erfahrenen Herrschei-s, 
das Land vom Einfluss der Fremden zu retten, mit der Nebenabsicht, wie man sagt, 
die Herrschaft an sich zu reissen , da der Thronfolger schwachsinnig war. Der Sio(;un 
schöpft Verdacht und wirft den Giftbecher dem Diener, der ihn überreicht, in das 
Gesicht; dieser durchbohrt ihn mit dem Schwerte und vollzieht dann sogleich das 



Unzulänglichkeit der Nachrichten. 185 

dermaassen, class es bis jetzt unmöglich ist . den wirklichen Verlauf 
der Begebenheiten herauszufinden. 

Harakiru. Yetsizen - NO - KAMI wlrd der Theilnahnie am Morde beschuldigt und 
entleibt sich ebenfalls. — Iye - sado , der Sohn des ennordeten Siogun , wird auf den 
Thron erhoben; der erbliche Regent Ikamo-no-kami tritt an die Spitze der Ver- 
waltung. Er beruft nach einem schon bei Perry's Ankunft gefassten Beschlüsse eine 
Versammlung aller DaTmio's; die über 50,000 Kor Einkünfte haben, um über die 
Zulassung der Fremden Rath zu pflegen. Viele sind dagegen, vor allen der Fürst 
von MiTo. Der Fürst von Kanoa, der reichste von allen, soll die Hand an das 
Schwert gelegt haben mit dem Ausruf, man müsse lieber sterben als solche Schmach 
dulden. Die Versammlung beschliesst jedoch mit schwacher Majorität, auf Ver- 
handlungen einzugehen und einige möglichst geringe Zugeständnisse zu machen, um 
den Krieg zu venneiden. Der Fürst von Mito, welcher als Titularbmder Aussicht 
auf den Thron hatte, wenn der Siogun kinderlos starb, verschwört sich mit einer 
Parthei mächtiger Lehnsförsten, ihn zu vergiften. Als die Herren Donker Curtius 
und Harris im Winter 1857 — 58 in Yeddo die neuen Verträge feststellten, soll es 
Mito gewesen sein, der die Unterzeichnung hintertrieb. Im Frühjahr 1858 aber 
setzte Mr. Harris die Unterzeiclmung des amerikanischen Vertrages durch — und 
kurz darauf starb der Siogun Iye -sado eines gewaltsamen Todes. Die Mörder 
werden ergriffen, und gestehen von Mito angestiftet zu sein; der Regent verbannt 
diesen auf seine Güter, mit dem Bedeuten, dass seine Eutfemmig vom Hofe nur 
vorübergehend sein solle , wenn er sich ohne Weiteres fuge , entgegengesetzten Falles 
werde er ihn vor dem Reichsrath der Vergiftung des Siogun anklagen, worauf die 
Strafe der Kreuzigung steht. Mito sieht sich durch die Entschlossenheit des Re- 
genten überwältigt und folgt dem Verbannungsbefehl, Ikamo aber lässt den jungen 
Fürsten von Kii, dessen Vater noch lebte, -auf den Thron erheben, wodurch die 
Linie Mito wieder ausgeschlossen war. Dieser Schritt, durch welchen Ikamo die 
Leitung des Staates — während der Unmündigkeit des Siogun — in der Hand be- 
hielt, wm'de ihm von der Gegenparthei als Treubruch und VeiTath ausgelegt, und 
später durch seine Ermordung gerächt. — Die Politik des Regenten gegen die Frem- 
den ist nie recht klar gewesen. Zu Anfang soll er sich neutral gehalten mid 
niemals bestimmt weder für noch gegen ihre Zulassung ausgesprochen haben. Nach 
Unterzeichnung des zweiten amerikanischen Vertrages (Harris, 1858) aber fanden 
gi'osse Verändeiiiugen im GoRoniio statt: Alle, die mit der Unterzeichnung zu 
thun gehabt hatten, wurden abgesetzt oder degradirt. An die Spitze des neuen 
Ministeriums trat der durch seine Anhänglichkeit an die alten Institutionen bekannte 
MiDSuo TsiKUNOo ; der Regent scheint sich nur durch eine Allianz mit der conserva- 
tiven Parthei haben halten zu können. Der Drang der Umstände aber zwang dieses 
fremdenfeindliche Ministerium gleich nach seinem Eintritt zur Abschliessung des 
englischen, französischen, holländischen, russischen Vertrages. 

So weit die von Herrn Alcock erzählten Gerüchte, die ohne allen Zweifel viel 
Wahres enthalten. Midsuo Tsikungo war bei der Ankunft des preussischen Ge- 
schwaders nicht mehr Minister; die damals am Ruder befindlichen Staatsmänner 
gehörten zur gemässigten Parthei. 



186 



Resumc. 



Was sich nach der Anwesenheit des preussischen Geschwaders 
zugetragen hat, liegt ausser dem Bereiche dieser Arbeit. Eine rich- 
tige Beurtheilung der gegenwärtigen Entwickelung wird erst nach 
einer Reihe von Jahren möglich sein; die Zeitungsnachrichten über 
Japan enthalten mindestens eben so viel Falsches und Unverständi- 
ges als Richtiges und Bedeutsames — und eine Kritik ist bei der 
grossen Entfernung sehr schwierig. 

Sicher ist, dass das ernste Auftreten Perry's, welcher dem 
SioGUN sechs Monate Bedenkzeit gab und dadurch jede Möglichkeit 
einer ausweichenden Antwort abschnitt, eine grosse Gährung in Japan 
hervorgerufen hat, und dass die Regierung sowohl den Vertrag 
von Kanagava (1854) als den mit Harris nur unter dem Druck der 
Verhältnisse und in dem Wahne abgeschlossen hat, dass ihre Weige- 
rung das Reich in einen Krieg mit den westüchen Mächten stürzen 
würde. Später erfuhren die Japaner, dass Perry die bestimmte 

Der Berichterstatter der Revue des deux Mondes (1. Mai 1863) beginnt seine 
Daratellung mit einer Uebersicht der Verhältnisse unter Taiko-sama und Jyeyas, 
welche schwerlich mit den bisher aus japanischen, holländischen und den Berichten 
der Missionare bekannt gewordenen Ttiatsachen in £inklang zu bringen sind, 
und ^ebt dann ein Bild der japanischen Staatsveifassung: eine Versammlung der 
mächtigsten Daimio*s votirt alle Gesetze und Verordnungen, welche der Siooum nur 
zur Ausführung bringt, nachdem sie die Sanction des Mikado erhalten haben. — 
Was die Zulassmig der Fremden betrifft, so hätte Midsuno Yetsizen-no-kami 
(der Gegner der Ausländer bei Herrn Alcock) dieselbe schon 1842 beantragt. Ikamo- 
NO -KAMI und der Fürst von Kanga (s. oben) waren den westlichen Nationen sehr 
günstig; der letztere Hess sogar eine Schrift für die Eröffnung Japans herausgeben, 
die viel Aufschii machte. Mito war gegen die Zulassung; seine Bemühungen, 
Yetsizen-no-kami zu stürzen, scheitern am Einflüsse Kanoa's undlxAMo's; er vcr- 
lässt Yeddo, kehrt aber beim Erscheinen der Amerikaner (1853) dahin zurücL Der 
SioouN Iyeyosi wird von einem Veitrauten Mito's umgebracht — der Mörder ent- 
leibt sich. MiTO entweicht vor den Drohungen Ikamo's. Der letztere ändert jetzt 
seine Gesinnung gegen die Fremden , sucht aber vergebens dem PeiTy'scheu Vertrage 
auszuweichen, der o h n e Zuziehung der Lehnsfui*8t«n abgeschlossen wird. Vor dem 
Abschlüsse mit Harris dagegen (1858) berufen der Regcut und das Goroozio 
enie Versammlung von DaTmio's. Der Fürst von Mito bleibt mit eutigen der mäch- 
tigsten Lehnsfiirsten in der Minorität und verlässt die Versammlung — der Tractat 
wird unterzeichnet. An die Spitze des Ministeriums wird aber Mito's Freund, der 
fremdenfeindliche Vokisakü Nakatsu Kasa no Taira berufen. Der Siogun stirbt, 
wahrscheinlich von Miro vergiflet. Ikamo bringt den Fürsten von Kii auf den Thron, 
VoKiSAKU zieht sich zurück. 

Ucber die Glaubwürdigkeit dieser Darstellung kann man sich durch Vei*glcicliung 
mit den von Herrn Alcock wiedergegebenen Berichten ein Urthcil bilden. — 



Ankunft der Gesandten in Yeddo. Schluss. Ao/ 

Weisung hatte, keine Gewalt zu brauchen, und dass auch die an- 
deren Nationen aus ihrer blossen Weigerung, Vertrage abzuschUessen, 
keinen Kriegsfall gemacht haben würden. Sie haben das Bewusst«ein, 
überrumpelt worden zu sein und werden es den Fremden niemals 
vergessen. Selbst die Parthei, welche ursprünglich, sei es aus 
staatskluger Ueberzeugung, sei es aus Neigung, die Zulassung der 
Fremden durchsetzte, kann jetzt kaum noch mit günstigen Augen 
ihr Werk ansehen, welches die Landesregierung in so ernste Ver- 
wickelungen gestürzt und wahrscheinüch das Fortbestehen der alten, 
in den Augen der Japaner wohlbewährten Verfassung unmöglich 
gemacht hat. 



Obgleich die Bevollmächtigten des Siogun die vertragschlies- 
senden Mächte gebeten hatten, vor dem Jahre 1863 keine diploma- 
tischen Vertreter nach Yeddo zu schicken, da ihr friUieres Erscheinen 
leicht zu unangenehmen Zusammenstössen mit der dortigen Bevöl- 
kerung führen könnte, so trafen doch schon im Juni 1859 der 
grossbritannische Gesandte Mr. Alcock und bald darauf der zum 
Minister -Residenten der Vereinigten Staaten ernannte Herr Harris 
in der Hauptstadt ein. Gegen Ende desselben Jahres Uess sich 
auch der Vertreter des Kaisers von Frankreich, Herr Duchene de 
Bellecourt, dort nieder. 



REISEBERICHT. 



I. 



SINGAPORE. 

VOM 2. BIS 13. AUGUST 18Ö0. ' 



JDie englische Colonie Singapore war zum Rendezvous der Expedition 
bestimmt. Dort trafen am 26. Juli das Flaggenschiff, Seiner ^lajestät 
Corvette Arkona, am 30. Juli die Fregatte Thetis, am 2. August, 
mit dem englischen Postdampfschiffe von Suez kommend, der Ge- 
sandte Graf zu Eulenburg, am 5. August der Kriegsschooner Frauenlob, 
und am 7. August das armirte Transportschiff Elbe ein — gewass 
ein seltenes Zusammentreffen bei so grosser Entfernung. Arkona 
und Thetis segelten bis zur Sunda- Strasse zusammen; von dort war 
bei eintretender Windstille die Arkona unter Dampf weiter gegangen, 
während die Segelfregatte Thetis nur langsamer folgen konnte. Der 
Frauenlob hatte am 8. Jtmi im süd- atlantischen Ocean vom Flaggen - 
schiffe den Befehl erhalten, die Reise allein fortzusetzen, und die 
Elbe kam direct von den Canarischen Inseln. 

Graf Eulenburg und die anderen über Land reisenden Mit- 
glieder der Expedition schifften sich in Point de Galle auf Ceylon 
am 24. Juli auf dem englischen Postdampfer Ganges ein. Am 
31. Morgens erreichte das Schiff die englische Colonie Penang, 
eine kleine an der Küste von Hinter -Indien gelegene Insel, wo die 
Reisenden Nachmittags noch ganz kurz vor der Abfahrt die an- 
genehme Nachricht von dem Eintreffen der Arkona und Thetis in 
Singapore erhielten. — In der Strasse von Malacca war die See 
spiegelglatt. Man hatte den Reisenden Hoffnung gemacht, dass sie 
Singapore am 2. August noch bei Tageslicht erreichen sollten, und 
so ^vurde, um unseren Schiffen Gewissheit von der Anwesenheit 
des Gesandten an Bord des Ganges zu geben, in aller Eile eine 
preussische Flagge angefertigt und im Grosstop gehisst: doch henun- 
ten starke Meeresströmungen den Lauf des mit Silber und Opium 
schwerbeladenen Dampfers dermaassen, dass er die Rhede von 



192 Ankunft in Singapore. I. 

Singapore erst um acht Uhr Abends erreichte. Trotz dem hellen 
Mondlicht konnte die Flagge nicht erkannt werden, und auch die 
Reisenden bemühten sich vergebens unter den rings geankerten 
Schiffen ihre Landsleute herauszufinden — da drangen plötzlich 
heitere Klänge durch die stille Luft, zuerst versch%vimmend und 
unkenntlich, dann stärker und immer deutlicher: es war der Refrain 
des Preussenliedes , der in vollen Accorden zu uns heriiberschallte. — 
Gleich darauf fiel der Anker. 

Nun erschienen die Boote der Arkona und Thetis , zuerst der 
Flaggen - Officier Lieutenant von Schleinitz, dann der Geschwader- 
Chef, Capitän Sundewall, und Capitan Jachmann von der Thetis. 
Auch der Capitän des auf der Rhede hegenden engUschen Kriegs- 
schiifes Assaye, der Legations -Secretär Pieschel und einige andere 
auf luiseren Schiffen angekommene ExpeditionsmitgUeder fanden 
sich noch am Abend zur Begrüssung des Gesandten ein, die halbe 
Nacht wurde auf Deck verschwatzt. Die zahllosen Lichter am Ufer, 
die im weiten Bogen hingestreckte Stadt bezeichnend, die im un- 
gewissen DämmerUchte des Mondes unabsehbar scheinende Menge 
der Masten ringsumher, die klare schimmernde See, in ruhigem 
Glänze tausend Sterne des Himmels und der Erde wiederspiegelnd, 
nur hier und da gefurcht von plätschernden Booten, — die balsa- 
mische Milde der Tropennacht übten einen mächtigen Zauber auf 
die Sinne. Die über Land Gereisten hatten eine gute Strecke Weges 
schnell und glückUch zurückgelegt und fanden nun hier an den 
preussischen Kriegsschiffen ein Stückchen Heimath wieder; — die 
Anderen mussten, das Cap der Guten Hofihung umsegelnd, in den 
südlichen Breiten heftige Stürme und viel Drangsal und Noth 
bestehen, — sie waren schon längere Zeit von der Heimath entfernt 
und erhielten durch uns die neuesten Nachrichten. Es gab tausen- 
derlei zu erzähle;! und Niemand fühlte das Bedürfniss nach Schlaf. 
3. August Am folgenden Morgen erschien der Adjutant des Gouver- 

• neurs an Bord, um den Gesandten zu bewillkommnen. Das Sclüff 
war von Kähnen umlagert, die Bootsleute meist langgeschwänzte 
Chinesen. Der Gesandte bestieg mit seinem Gefolge unter Führung 
des engüschen Adjutanten und des preussischen Consuls die Boote 
unserer Kriegsschiffe und fuhr nach dem Landungsplatze, wo eine 
Abtheilung des 40. Native-Madras-Regiments aufgestellt war. Dort 
empfing ihn der Oberrichter der Colonie, Sir Richard B. Mc' Caus- 
land, mit einem zahlreichen Stabe, und führte ihn unter den 



I. Empfang in Singapore. Geschichte. 103 

Klängen der Nationalliymne und dem Donner der Kanonen durch die 
Reihen der prasentirenden Elirenwache zu den bereit gehaltenen 
Wagen. Auch vor dem für den Gesandten gemictheten Hause — 
einem Nebengebäude des Hotel de FEsperance — war ein Doppöl- 
posten aufgestellt. — Der Rest des Tages ging mit dem Empfange 
der oflBciellen Besuche der englischen Beamten und der fremden 
Consuln hin, der Abend vereinigte alle Civilmitgüeder der Expe- 
dition und die Befehlshaber der preussischen und enghschen Kriegs- 
schiffe an der Tafel des Gesandten. — Der Empfang der Engländer 
war nicht bloss höflich und elirenvoU, sondern in hohem Grade 
herzhch und zuvorkommend. 

Die Colonie Singapore wurde 1819 von Sir Stamford Raffles 
gegründet. Dieser machte, nachdem Batavia an das wiederherge- 
stellte Königreich der Niederlande herausgegeben war, die ost- 
indische Compagnie auf die günstige Lage der Insel an der äussersten 
Spitze des hinterindischen Festlandes aufmerksam, und Uess sich 
von dem liier residirenden Tumangung, dem Statthalter des Sultans 
von DzoHOR, dem sie gehörte, einen Küstenstrich von zwei engli- 
schen Meilen Länge und der Breite eines Kanonenschusses abtreten, 
wo an der Stelle eines malaiischen Fischerdorfes die Stadt ge- 
gründet wurde. Ihre Bevölkerung stieg im Laufe eines Jahres 
auf 10,000 Seelen. Bald aber stellte sich die Unhaltbarkeit des 
Verhältnisses zu den einheimischen Landesherren heraus, denn so- 
wohl der Sultan von Dzohor als der Tumangung machten Hoheits- 
rechte geltend. Zudem weigerte sich die englische Regierung, die 
Niederlassung der Compagnie anzuerkennen. Die Siamesen sowolü, 
welche die Oberhoheit über alle malaiischen Staaten des Festlandes 
in Anspruch nehmen , als die Holländer behaupteten , dass der 
Sultan von Dzohor ohne ihre Zustimmung keine Verträge mit frem- 
den Staaten schliessen könne. Erst nach einigen Jahren, als die 
Wichtigkeit der Colonie sich practisch bewährt hatte, trat die eng- 
Usche Regierung mit der niederländischen in ernstliche Unterhand- 
lung; letztere entsagte in dem Vertrage vom 17. März 1824 allen 
Ansprüchen auf Singapore. Der Sultan von Dzohor und der 
Tumangung wurden zu gleicher Zeit mit einer Pension abgefunden, 
wofür sie die ganze Lisel an England abtraten. 

Raffles' Erwartungen haben sich auf das glänzendste erfüllt. 
Singapore ist der %vichtigste Stapelplatz des enghschen Handels in 
Hinterindien, und für die Verbindung mit Cliina und Australien ganz 

I. 13 



194 Beschaffenheit der Insel. I. 

unentbehrlich geworden. Einen eigentlichen Hafen hat es nicht; 
grössere Schiffe müssen in beträchtlicher Entfernung vom Ufer he- 
gen, doch ist der Ankergrund überall gut, und die Rhede durch 
die vorUegenden Inseln geschützt so dass selbst bei stürmischem 
Wetter der Seegang massig bleibt. Von grosser Bedeutung für die 
Colonie ist eine kleine Bucht mit felsigen Ufern geworden, die in 
geringer Entfernung westlich von der Stadt hegt; von der Bhede 
aus führt ein schmales Fahrwasser dahin. Diese Bucht ist von 
allen Seiten umschlossen, und so tief, dass die grössten Schiffe 
sich an die Bollwerke legen können; sie erscheint mit ihren grünen 
hügeligen Ufern wie ein stiller Landsee, nur die mächtigen Schiffe 
lassen die Nähe des Meeres ahnen. Hier hat die »Peninsular and 
Oriental Steam Navigation Company« — deren langen Namen die 
Engländer »the P. and O.« aussprechen — welche die engUsche 
Post durch ganz Ostindien, imd nach Mauritius, Cliina und Australien 
besorgt, eine Niederlassung gegründet, wo Kohlendepots, Trocken- 
docks , grosse Magazine fiir Schiffsbedarf, und alle zur Ausbesserung 
von Schiffen und Maschinen erforderUchen Anstalten zu finden sind. 
Die stattUchen Vorrathshäuser und Werkstätten contrastiren sonder- 
bar mit den malerisch verfallenen Hütten malaiischer Fischer, 
welche hier und da das Ufer säumen. — Der Ort heisst New- 
harbour. 

Die ganze Insel ist hügelig, von einigen Flüsschen durch- 
schnitten und mit undurchdringUchem Walde bedeckt. Vom Fest- 
lande trennt sie nur ein schmaler Meeresarm, welchen die Tiger 
mit Leichtigkeit durchschwimmen; sie finden in dem Waldesdickicht 
einen sicheren Zufluchtsort und sind durchaus nicht von der Insel 
auszurotten. Hunderte von Menschen fallen ihnen jährlich zum 
Opfer, vor Allen Chinesen, die jetzt den grössten Theil der Be- 
völkerung ausmachen und sich auch auf dem Festlande — als 
Pfeffer- und Gambiapflanzer — schon in grosser Anzahl nieder- 
gelassen haben. Nach Berichten zuverlässiger Pflanzer waren in 
jenen Ansiedelungen in dem kurzen Zeiträume vom Januar 1859 bis 
zum April 1860 mehr als 1500 cliinesische Arbeiter von ihnen ver- 
zehrt worden. Auf der Insel selbst rechnet man ihre jährliche 
Beute auf etwa 400, auch hier meist Chinesen, und die Unsicherheit 
soll in der letzten Zeit, obgleich die Regierung 100 Dollar für 
jedes Tigerfell zahlt, eher zu- als abgenommen haben. Die Land- 
leute sind bei ihren Feldarbeiten, wo sie oft Stunden lang nah 



I. Die Tiger. Beschreibung der Stadt. 195 

dem Waldesrande auf einem Fleck emsig beschäftigt bleiben , ihren 
üebei-ßlUen am meisten ausgesetzt; der Tiger kann sie ungestört 
belauschen, und langsam herankriechend den günstigsten Moment 
zum Sprunge wählen. Aber auch bis dicht an die Stadt kommen diese 
Rauber und die Europäer wagen selten sich aus den belebten Ge- 
genden zu entfernen. Man zeigte uns auf der Landstrasse ganz in 
der Nähe eine Stelle, wo sich vor Kurzem ein Tiger im Ange- 
sichte der Wohngebäude auf einen Wagen mit vier Chinesen gestürzt 
und einen davon fortgeschleppt hatte. Einzelne Individuen unter 
den Tigern sind besonders gekannt und gefürchtet; sie hausen oft 
lange in demselben Revier, merken sich die Gewohnheiten der 
Bewohner — so zu sagen die Wechsel — und betreiben Monate 
lang ihre Jagd mit ungestörtem Erfolg, ohne dass man ihnen bei- 
kommen kann. — Das ganze hinterindische Festland, namentlich die 
malaiische Halbinsel, scheint von diesen Bestien zu wimmeln. In 
Penang hörten wir viel davon erzählen, und die Umgegend von 
Malacca soll ein gefahrhcher Aufenthalt sein. Die Begegnung eines 
ausgewachsenen Tigers ist für den Kaltblütigsten bedenklich: ein 
Missionar in Penang sieht bei einem Spaziergang in der Umgegend 
plötzlich einen solchen vor sich, in Ermangelimg anderer Waffen 
spannt er rasch seinen Regenschirm auf, — der Tiger erschrickt, 
entflieht; aber auch ihm selbst ist der Schreck in die Glieder gefahren, 
er geht nach Hause, erkrankt und stirbt nach wenigen Tagen. — 
Bei Malacca gingen drei Malaien durch den Wald. Ein Tiger über- 
fallt sie tind schleppt den einen fort, die beiden anderen jagen 
ihm seine Beute wieder ab und bringen ihren übel zugerichteten 
Gefährten nach einer verlassenen Strohhütte in der Nähe. Während 
nun einer von diesen nach der Stadt zurückgeht, um Hülfe zu holen, 
bleibt der andere bei dem Verwundeten; Abends aber beschleicht 
sie ihr Feind, durch die Blutspuren gefuhrt, von neuem, bricht in 
die Plütte ein und erwürgt beide. — Aehnliche Geschichten hört 
man viele. 

Die Stadt Singapore hegt lang am Ufer hingestreckt. Unge- 
fähr in der Mitte ihrer Länge ergiesst sich ein Flüsschen in die 
See, das sie in zwei an Charakter und Physiognomie sehr ver- 
schiedene Hälften theilt. In der östüchen liegen die Kirchen, die 
Regierungs- und Gerichtshäuser und die Wohngebäude der Europäer, 
jedes abgesondert, von freundlichen Gartenanlagen umgeben, von 
Mauern oder Gittern eingeschlossen. Am Strande zieht sich 'eine 

13- 



196 I^»c europäischen Stadtviertel. I. 

breite Esplanadc mit Rasenplätzen und doppeltem Fahrwege hin, 
wo man Abends zu Wagen oder zu Pferde die külilende Seebrise 
geniesst — denn zu Fusse gehen ist für den Europäer ungesund 
und unanständig. Von da laufen rechtwinklig grade Strassen aus, 
die wieder von wenigen anderen breiten Hauptstrassen geschnitten 
werden, und hinter diesen liegt, dem Strande parallel, der lang- 
gestreckte Festungshügel. Die Strassen dieses Stadtviertels bilden 
nur an w^enigen Stellen zusammenhängende Häuserreihen; schlanke 
Areca's und fedrige Cocospalmen, luftige Casuarinen, massige Brod- 
bäume, Bananen und eine Fülle des üppigsten tropischen Laubes 
ragen über die Gartenzäune. Auf den breiten Strassen ist w^cnig 
Leben, faule Malaien lungern umher, der geschäftige Chinese zieht 
rasch seines Weges — die reicheren sieht man in eigenen oder in 
Miethwagen daherfahren; — bei den offen tliclien Gebäuden stehen 
braune indische Polizeidiener in halb europäischer Uniform und mit 
dem Truncheon bewaffnet, vor den Gast- und Privathäusem die zahl- 
reiche Dienerschaft der Einwohner, meist Hindus in weissem Muslin, 
mit steifgefalteltem breitem Turban. Auch Javaner und Bugi's sieht 
man, ferner Bengalesen, Burmesen, Siamesen, Araber von der Küste 
Koromandel, und Parsen, kenntlich an der hohen helmartigen, mit 
dunkelfarbigem Kattun bezogenen Kopfbedeckung. Miethwagen 
stehen an allen Ecken, und die Zudringlichkeit der Kutscher ist so 
schUmm wie in Italien. — Auf architectonische Schönheit machen 
weder öffentliche noch Privatgebäude Anspruch: die Kirchen meist 
nach englischer Art gothisirend, manche andere Bauten italienisch, — 
aber der leidige Mörtelbewurf hält natürUch in diesem allerfeuch- 
testen KHma gar nicht, ganz neue Gebäude erscheinen fleckig, 
und wie verfaulend, verfallend. Die Bauart der Privatgebäude ist 
dem KUma sehr angemessen: dicke Mauern, grosse hohe Räume, 
viele Thüren und Fenster, meist ohne Scheiben, nur mit Jalousieen 
verschliessbar; Alles berechnet, die Sonne auszuschliessen und Zug- 
luft hervorzubringen. Ueber dem Esstis'ch und in der Mitte jedes 
grösseren Raumes hängt die sogenannte »Punka« von der Decke 
herab, em langer, mit Baumwollenstoff bespannter Rahmen, ein 
gigantischer Fächer, der von eigens dazu angestellten Knaben durch 
Schnüre in eine regelmässige Pendelbewegung gesetzt wird, um 
Wind und Kühlung zu erzeugen. Alle Lichter sind mit Glasglocken 
geschützt, weil sie sonst verlöschen mirden. Man muss sich an 
diese Einrichtung erst gewöhnen; die Bewegung und der ewige 



I. Die europäischen Iläiiser. Die asiatischen Stadtviertel. 197 

Luftzug habeu etwas Beunruliigendes, Aufregendes; dem Engländer 
in Ostindien ist die »Punka« aber zum Lcbensbedürfniss geworden, 
sie haben deren sogar vielfach über ihren Betten angebracht 
und lassen sich die ganze Nacht durch befacheln. — Die Fuss- 
böden der Wohnräume sind mit feinen chinesischen Binsenmatten 
belegt, die Möbel englischen und amerikanischen Schnittes, — 
die Sessel meist zum Liegen eingerichtet. Man befindet sich in 
diesen Häusern sehr wohl, besonders in den Mittelräumen, welche 
meist durch das ganze Gebäude gehen und nach beiden Seiten 
Fenster haben. 

Der westliche Theil der Stadt, eine compacte Häusermasse, ge- 
hört der Handel und Gewerbe treibenden Bevölkerung der Cliinesen, 
Malaien, Inder; dort haben auch die europäischen Rauileute ihre 
Waarenlager und Contore. Die Hauptstrassen laufen auch hier dem 
Meeresstrande parallel, andere schneiden sie im rechten Winkel. Sie 
sind breit und zienüich reinlich gehalten, lange einförmige Reihen meist 
zweistöckiger weisser Häuser mit Colonnaden; unten der Kaufladen 
oder die Werkstatt, oben die Wohnräiune. Die Bauart ist plump und 
massiv, nur einzelne cldnesische Häuser sind sorgfältig gemauert 
und mit bunten phantastischen StuckreUefs geschmückt, aufs reichste 
verziert dagegen die FaQaden der chinesischen Tempel und der indi- 
schen Gotteshäuser, welche hier und da die einförmigen Häuser- 
reihen unterbrechen. Erstere haben geschweifte Dächer von feinen 
grauen Ziegeln, Dachfirst, Fries und Giebel strotzen von phantasti- 
schem vielfarbigem Schnörkelwerk aus glasirten Kacheln, Stuck 
und geschnitztem Holz; das Mauerwerk ist aus Backsteinen mit 
wenig Mörtel so fein und sorgfältig gefügt, wie man es im ganzen 
Occident nicht kennt. -— Die Hindu -Tempel haben reich verzierte 
Portale und Thürmchen, und zeichnen sich durch eine unruliige 
Fülle architec tonischen Details aus, welchem ungeheuerhche mytho- 
logische Figuren und grimmige Fratzen verwebt sind. Nirgend 
findet das Auge einen Ruhepunct. Das Ganze trägt aber ein sehr 
bestimmtes Gepräge, und ist wohl eine Architectur zu nennen. Die 
Dimensionen sind klein , wie bei den chinesischen Tempeln in 
Singapore. 

Auf den Strassen wogt eine bunte Menge, grösstentheils 
langzopfige Chinesen, die sich emsig umhertummeln oder rastlos 
arbeitend vor iliren Häusern und in den offenen Werkstätten 
sitzen. Sie bilden die überfliegende Mclirzahl der Einwohner — 



198 Bevölkerung. Die Chinesen. I, 

man rechnet über 50,000 bei einer Gesammtbevölkerung von etwa 
80,000 Seelen. Unermüdlich thätig und geduldig ergreifen und betrei- 
ben sie Alles, wobei Geld zu gewinnen ist, und erwerben sich als 
Kaufleute, Handwerker, Schreiber, Diener, Tagelöhner mit emsigem 
Fleisse ihren Unterhalt; der Kleinhandel und die meisten Handwerke 
gehören ihnen ganz allein. Den Fremden frappirt ihr gesetztes 
selbstbefriedigtes Auftreten, das grell gegen das träge, träumerische 
Wesen der Eingeborenen absticht; man sieht, dass man eine fertige 
Nation vor sich hat. Der Chinese ist niemals in Verlegenheit, seine 
Auffassung des Lebens durchaus materiell und practisch; seine 
Tugend ist die Familienliebe , und in ihr vorzüglich mag der thätige 
Erwerbsgeist seine Quelle haben. Geistige Genüsse und Bedürftiisse 
kennt er nicht, und sein äusseres Wesen ist höchst prosaisch, ge- 
wöhnlich. Aber die europäischen Kaufleute, welche die Chinesen 
als Kassirer, Compradors, als Buchhalter, Waarenaussucher imd 
Aufseher gebrauchen, wissen ihren Fleiss, ihre Ehrlichkeit, Treue, 
Stätigkeit und Intelligenz nicht genug zu rühmen. Der europäische 
Handel lässt sich in diesen Gegenden ohne Chinesen kaum denken, 
denn Europäer wären zu ^delen von ihnen geleisteten Diensten in 
diesem Klima ganz ungeschickt und würden zudem das Zehnfache 
kosten, Malaien und Inder aber ganz untauglich. Die wichtigsten 
Geschäfte, wie Buchführung und Kassenverwaltung werden ihnen 
anvertraut — die besseren chinesischen Commis lesen und schreiben 
das Englische ganz geläufig. Natürlich erstreckt sich das Lob der 
Zuverlässigkeit nicht auf die ganze Masse der Bevölkerung, unter 
der es viele abgefeimte Spitzbuben giebt, — aber ein Europäer 
nimmt keinen Chinesen in Dienst, der nicht von ansässigen, Achtung 
geniessenden Landsleuten empfohlen wäre, was nach chinesischen 
Begriffen einer Bürgschaft gleichkommt und volle Sicherheit ge- 
wälirt. Als Handwerker besitzen sie die grösste Geschicklichkeit 
im Nachahmen europäischer Erzeugnisse , so namentlich die Schnei- 
der, welche vortreffliche Arbeit zu geringen Preisen liefern, wenn 
man ihnen gute Muster giebt. Ihre Lebensbedürfnisse sind so be- 
scheiden, dass Europäer niemals mit ihnen concurriren können. 
Unter den Kaufleuten sind einige sehr wohlhabend und stehen in 
grossem Ansehn , so vor Allen der chinesische Grosshändler Wampoa, 
welcher sich rühmt, dass seine Wechsel sogar in London Cours 
haben. Die ansässigen Europäer verkehren gern mit ihm und be- 
suchen seine Feste. Wampoa hat einen Sohn in England erziehen 



I. Die Malaien, Malabaren, Hiiidu's. 199 

lassen, der dort europäische Tracht und Sitten angenommen, und 
den Chinesen ganz abgestreift hatte, aber bei seiner Rückkehr nach 
Singapore vom Vater gezwungen wurde , sich einen Zopf wachsen zu 
lassen und die Tracht seines Landes wieder anzulegen. Wampoa bleibt 
ein ächter Chinese und ein vortrefflicher Repräsentant seiner Nation — 
die Europäer rühmen seine strenge Rechtlichkeit, Grossherzigkeit 
und seinen Gemeinsinn. 

Das Betragen der besseren Art Chinesen ist ruhig, ernst, 
gemessen, anspruchslos und aufmerksam. Als Diener suchen sie 
ihres Gleichen; sie merken ihren Herren und sogar deren Bekannten 
schnell die Gewohnheiten ab, und sorgen schweigend und unge- 
heissen für alle ihre Bedürfnisse. Ein ausgezeichnetes Beispiel 
dieser Art war Atsong, welchen der Attache von Brandt in Singa- 
pore in Dienst nahm und während der ganzen Expedition bei sich 
behielt; er wurde der Liebling der ganzen Reisegesellschaft und 
vertrug sich besonders gut mit unseren Matrosen. 

Die in Singapore lebenden Chinesen sind meist auf der Insel 
Hainan gebürtig, und kehren daliin zurück, sobald sie ein kleines 
Capital erworben haben. Die meisten lassen ihre FamiUen zu Hause, 
daher denn in Singapore auf achtzehn männUche Chinesen nur eine 
Frau kommt, während unter der malaiischen und indischen Bevölke- 
rung auf je sechs Männer eine Frau gerechnet wird. 

Die Malaien von Singapore und dem benachbarten Festlande 
sind ein kleiner hässlicher Menschenschlag, träge und träumerisch: 
sie leben meistens vom Fischfang. Die aus Vorder -Indien einge- 
wanderten Malabaren und Hindu's dagegen sind meist schlanke 
Gestalten von kräftigem Bau, edelen Gesichtszügen und schönem 
Ebenmaass der Glieder — bis auf den gänzüchen Fleischmangel der 
Unterschenkel. Die Frauen sind nicht schön zu nennen, aber in 
Kleidung und Stellungen so malerisch und anmuthig, dass man 
nicht müde wird sie zu betrachten. Sie haben wogendes raben- 
schwarzes Haar; die schwarzbraune glänzende Hautfarbe wird noch 
gehoben durch viele Spangen von Gold oder Silber um den Hals, 
um Arme und Beine. In dem einen Nasenflügel tragen fast alle 
Malabarinnen einen kleinen in das Fleisch eingelassenen Goldknopf 
mit einem bunten Stein, ein wahres Schönheitspflästerchen für ihre 
Hautfarbe. Die Malabaren sind nach den Chinesen die gewerb- 
fleissigsten aus der Bevölkerung; auch sie kommen nur vorüber- 
gehend nach Singapore, und kehren in die Ileimath zurück, sobald 



200 I^ic Umgebungen. Das Klima. I. 

sie ein kleines Capital erspart haben. Sie dienen theils in den 
Häusern der Europäer, theils auf den Werften und in den Pflan- 
zungen, sind tüchtige Arbeiter und von der äussersten Genügsam- 
keit. Alle übrigen hier verkehrenden Nationen leben diesem oder 
jenem Zweige des Handels, — unter den Parsen und den indischen 
Arabern giebt es reiche und angesehene Kaufleute. 

In der nächsten Umgebung der Stadt durchkreuzen sich nach 
allen Richtungen gut gehaltene Wege und bequeme Fahrstrassen. 
Sie schlängeln sich zwischen den Hügeln hinan, auf denen die 
Wohnhäuser der wohlhabenden Europäer im üppigsten Grün wie 
begraben hegen; man geniesst dort der herrhchsten Luft und der 
amnuthigsten Aussichten auf das Meer und die umliegenden Inseln. 
Die eingeborenen Malaien scheinen ihren Aufenthalt vorzugsweise 
in der Niederung zu wählen; dicht am Wasser, ja in Sumpf und 
Morast stehen ihre dunkelen Rohr- und Palmenhütten auf hohen 
Pfählen wie auf Stelzen, höchst malerisch für das Auge, aber un- 
heimUche Wohnstätten. Im Ganzen macht Singapore einen freund- 
hchen Eindruck; die Europäer rühmen den Aufenthalt und das 
heilsame, wenn auch erschlaflüende KUma. Die Luft ist immer warm, 
doch selten übermässig heiss, dabei in Folge der fast täghchen 
starken Regengüsse mit Feuchtigkeit geschwängert, aber Dank den 
häufigen Gewittern und dem fortwährenden Luftzuge rein imd ge- 
sund. Fast immer lagern schwere Wolkenmassen am Horizont; die 
Schifi'e auf der Rhede und alle entfernten Gegenstände erscheinen 
bei Sonnenschein wie verschleiert, in Nebelduft schwimmend. Den 
Europäer macht die schwere nasse Luft unendlich träge; alle Poren 
der Haut sind geöffnet, man befindet sich, da die atmosphärische 
Feuchtigkeit keine Verdunstung zulässt, wie in einem fortwälirenden 
Bade und meidet gern jede körperhche Anstrengung. Der Sonne 
setzen sich die ansässigen Europäer gar nicht aus; man fahrt in 
verschlossenen Wagen, oder mit weiss überzogenem Regenschirm 
bewaffnet. Die Frauen scheinen sich gar keine Bewegung zu 
machen, und haben eine auffallend weisse, durchsichtige Hautfarbe. 
Kühl ist nur der Morgen , daher die Europäer meist früh vor sechs 
aufstellen, um vor dem Frühstück einen Spazierritt zu machen und 
ein Bad zu nehmen, — dazu sind mehrere Zimmer im Erdgeschosse 
jedes Hauses bestimmt, wo grosse Kübel mit Wasser stehen. Der 
Fussboden ist von Stein und zum Ablaufen eingerichtet, mau 
schöpft aus den Kübeln und begiesst sich den Köri)er. Eine 



I. Lebensweise der Europäer. 201 

Erkältung ist nicht zu furchten; das Wasser hat fast die Temperatur 
der Luft, und diese wird niemals so kühl, dass man bei Nacht 
eine Decke ertrüge. — Ein solches Bad ist eine wahre Wollust, 
wenn auch nicht so erfrischend und stärkend als kalte Bäder im 
Norden. 

Der Tag wird im Hause zugebracht. Gegen Sonnenunter- 
gang fahrt man am Meere spazieren, nimmt dann ein zweites Bad 
und bereitet sich zur Hauptmalzeit vor, die gegen sieben Uhr unter 
dem Gefächel der Punka gehalten wird. Die Küche ist engUsch- 
ostindisch, die Hauptschüssel bildet für den ansässigen Anglo- Inder 
bei jeder Malzeit Reis mit Currie, ein mehr oder minder scharf 
gewürztes Gericht, von dem es unzählige Variationen giebt. Wir 
haben uns vergebliche Mülie gegeben, hinter die Geheimnisse der 
Currie- Fabrication zu kommen — es scheint, dass es an jedem 
Orte anders bereitet wird. Es giebt Hühner-, Krebs-, Fisch-, 
Gemüse -Currie u. s. w.; das Wesentüchste ist die Sauce, zu der 
oft wohl mehr als zwanzig verschiedene Ingredienzien genommen 
werden. Ein eigentUches Currie -Gewürz giebt es in den Tropen 
uicht, sondern der Geschmack wird durch verschiedene Zuthaten 
hergestellt, unter denen der halbreife Kern einer gewissen Spielart 
der Cocosnuss und die jungen Schoten des spanischen Pfeffers — 
das Scharfe mit dem Zarten — die Hauptrolle spielen. Nur, wo 
diese Tropcnproducte nicht frisch zu haben sind, wendet man ein 
Surrogat, das sogenannte Currie -powder, an. Der Reis dazu 
wird in Wasser abgekocht, — aber nicht breiartig wie bei uns, 
sondern so, dass die locker gequollenen Körnchen trocken aufein- 
ander liegen, — und auf einer besonderen Schüssel herumgereicht. 
Auf Ceylon allein soll es gegen fünfzig Arten der Curriebereitung 
geben. Viele langjährige Tropen -Bewohner leben ausschhesslich 
von diesem Gericht imd behaupten nichts Anderes vertragen zu 
können; für den deutschen Magen sind die meisten Arten zu scharf 
und brennend, und man kann nicht umhin, das Currie für schädlich 
und zerstörend zu halten. — Gutes Fleisch bekommt man selten, 
denn eigentliche Viehzucht giebt es nicht, und da der grossen 
Wärme wegen das Fleisch meist an demselben Tage genössen werden 
muss, an dem es geschlachtet wird, so bekommt man es gewöhnlich 
zäh. Gegen den Genuss von Früchten haben die Europäer ein 
grosses Vorurtheil: nur Morgens soll man Obst geniessen, Mittags 
wenig, Abends gar nicht. Die gesundeste Tropenfrucht ist die 



202 Fi-üchte. I. 

Banane, welche man obne Schaden in grosser Menge essen kann, 
die wohlschmeckendste der im JuU und August reifende Mangostin, 
welcher nur in Hinter -Indien gedeiht und selbst auf Ceylon nicht 
fortkommt. Die preussische Expedition hat Grosses in Vernichtung 
dieses köstUchen und erfrischenden Obstes geleistet und sich sehr 
wohl dabei befunden. Die einzelne Frucht ist von der Grösse eines 
massigen Apfels, die äussere Kruste dunkelbraunroth; innen sitzen 
drei grosse weisse halbdurchsichtige Kerne in dunkelpurpurnem 
Fleisch; diese Kerne werden gegessen, der Geschmack ist säuerUch- 
süss und g^würzig. Rinde und Fleisch der Frucht sind stark ad- 
stringirend. — Von vorzüglichem Aroma sind einige Sorten Mango ; 
die meisten aber schmecken unleidlich nach Terpenthin. Auch 
Rambottan und Laitsi — letztere eine chinesische Frucht, die 
getrocknet verschickt wird — giebt es in Singapore. Eine andere 
hinterindische Frucht ist der Dürian, der aber dermaassen nach 
faulendem Limburger Käse riecht, dass die meisten Neuangekom- 
menen sich nicht entschliessen ihn zu kosten. Aeltere Tropen- 
bewohner schätzen ihn sehr und rühmen seine stärkenden Eigen- 
schaften. Jackfruit, eine Brodfrucht (Artocarpus integrifolia), wird, 
wie die wirkliche Brodfrucht (Artocarpus incisa), meist von den 
unteren Volksclassen gegessen und zeichnet sich durch ihre Grösse 
aus; man sieht Früchte von zwei Fuss Durchmesser und darüber. 
Sie wachsen an einem dicken, kurzen Stengel direct aus dem kahlen 
Baumstamm und sehen meist aus, als wenn sie nicht von der Natur, 
sondern von Menschenhand dahin gesteckt wären. — Auch die 
Früchte der durch alle Tropenländer verbreiteten Carica Papaya 
kommen selten auf den Tisch der Europäer, beliebt dagegen, aber 
nicht häufig, ist die Anona (die südamerikanische TSirimoya), eine 
Frucht von weissem seifigem, aber sehr wohlschmeckendem Fleisch. 
Die verschiedenen Arten der Pompelmuse sind meist nur durststillend 
und von geringem Aroma, das Fleisch der Cocosnuss wird vielfach 
in der Küche zur Bereitung des Currie verbraucht. Vor allen 
Früchten aber gedeilit auf der Insel Singapore die aus Südamerika ein- 
geführte Ananas; die hier gezogenen sollen alle anderen ostindischen 
weit übertreffen, werden aber meist eingemacht nach Europa ver- 
schickt, — denn für Europäer in den Tropen soll die Ananas be- 
sonders ungesund sein. Die Hügel in der Nähe der Stadt sind ganz 
mit Ananasfeldern bedeckt, welche von weitem gesehen auf das 
Haar Kartoffelfeldern gleichen. 



I. Getränke. — Die Expedition. 203 

Kohlensaure Getränke sind für den Europäer ein Lebens- 
bedür&iss, Sodawasser und moussirende Limonade werden in 
Masse bereitet und verbraucht. Bei Tische trinken die Engländer 
noch meist die schweren spanischen Weine, an die sie in der 
Heimath gewöhnt sind, fangen aber hier und da auch schon an, 
sich zu leichteren Bordeaux- und zu Moselgewächsen zu bekehren. 
An Eis zur Kühlung fehlt es nicht; es kommt theils in grossen 
Schiffsladungen aus Nordamerika, theils wird es — und in neuester 
Zeit fast ausschUesslich — durch Verdunstungsmaschinen an Ort 
und Stelle erzeugt. 

Im Ganzen lebt man bei allem Luxus recht schlecht. Am 
empfindlichsten ist der Mangel an guter Fleischkost und europäischen 
Gemüsen, Kartoffeln kommen in allen heissen Gegenden gar nicht 
fort. Zum Hunger bringt man es bei dem trägen Leben niemals 
und auch der Appetit schwindet bei längerem Aufenthalte mehr und 
mehr. So ist zu begreifen, dass der verstimmte Magen bald zu 
scharfen Gewürzen und anderen Reizmitteln seine Zuflucht nimmt. 

Unser Leben war sehr imruhig während des kurzen Aufent- 
halts in Singapore: die Expedition erhielt äusserlich erst hier ihre 
Gestaltung und es gab tausenderlei zu berathen, zu besprechen. 
Die im Gefolge des Gesandten auf dem Ueberlandwege Gekom- 
menen hatten ihre Kammern auf den Kriegsschiffen einzurichten, in 
denen sie nichts als eine Schlafcoje und eine Kommode fanden, 
imd noch mancherlei andere Vorkehrungen für die Weiterreise zu 
treffen; denn Singapore war, wenn wir nach Japan gingen, auf 
lange Zeit der letzte Hafen, wo man europäische Lebensbedürf- 
nisse kaufen konnte. Die auf den Kriegsschiffen eingetroffenen 
Herren, welche ihre Einrichtung in England gemacht und schon 
Erfahrung gesammelt hatten, gaben die nöthige Anleitung; die 
englischen Kaufleute lieferten — zu ansehnlichen Preisen — fast 
Alles was der Seereisende braucht, und Hessen das Fehlende 
durch chinesische Handwerker anfertigen. Die Marine - Officiere , die 
Beamten und Mannschaften hatten nach der langen stürmischen 
Fahrt alle Hände voll zu thun, um die Schiffe wieder seefertig zu 
machen — kurz, Jeder war eifrig beschäftigt. Dazu gab es Be- 
richte und Briefe zu schreiben. Besuche zu empfangen und zu 
ervviedern — man kam nicht zur Besinnung; jeder freie Augen- 
blick wurde zu Spaziergängen in die Stadt und die Umgegend 
benutzt. 



204 Moscheen, Tempel der Ilindu's und Chinesen. I. 

Wir versuchten vergebens in die Moscheen') und in die 
Hindu -Tempel einzudringen. Die Priester der letzteren fordern, sei 
es um die Fremden abzuschrecken, sei es, dass ihr Gewissen be- 
stimmte Grenzen hat, exorbitante Summen für den Eintritt Jeder 
Einzelne sollte zehn Pfund Sterling zahlen, ein Preis, den Niemand 
für die blosse Befriedigimg seiner Neugier geben wollte. Die 
Chinesen dagegen sind in religiösen Dingen das toleranteste Volk 
der Welt; ihre Tempel stehen Jedem oiTen, und selbst ihre Bonzen 
freuen sich über den Besuch der Europäer. Der Haupttempel in 
Singapore ist sehr sorgfaltig nach dem Muster der südchinesischen 
gebaut und prächtig verziert. Nach der Strasse zu hegt in der 
Häuserfront ein Hauptgebäude mit der Eingangsthür und zwei 
Seitenpavillons; man tritt in eine offene Halle, — denn die Rück- 
wand dieses Gebäudes fehlt, und das Dach wird hier von Pfeilern 
getragen. Gegenüber, an der hinteren Seite des Hofes, hegt ein 
ähnUches, vorn offenes Gebäude, das eigentUche Heiligthum, wo 
der Altar mit dem Götzenbilde steht. Dies ist die gewöhnüche 
Einrichtung der kleineren südchinesischen Tempel. Häufig ist der 
Hof auch an den Seiten überdacht, so dass zwischen den über- 
kragenden Gesimsen nur ein kleiner Raum offenbleibt: dann scheint 
der ganze Tempelraum eine einzige Halle zu bilden, und die Wir- 
kung ist sehr anmuthig, denn das Licht verbreitet sich überall ohne 
dass ein Fenster sichtbar wäre, und die bunten Farben des phan- 
tastischen Schnörkelwerkes erscheinen gedämpft und angenehm har- 
monisch. Nur in die Mitte tretend erbückt man über sich zwischen 
den geschweiften Dächern hindurch ein Stückchen Himmel, — es 
ist durchaus der Gedanke des griechischen Hypaithron. — Theils 
im engen Hofraiune, theils unter den vorspringenden Dächern stehen 
grosse eherne Rauch- und Aschenbecken, Laternen, Pauken und 
andere Utensihen des Götzendienstes, auf dem Altare Leuchter, 
kleinere Räuchergefasse, künstüche Blumensträusse, bronzene Thier- 
gestalten, Orakelbecher und Becken mit Sand, in welche die 
Opfernden ihre Ghmmkerzen stecken. Dieses ist ein Hauptact des 
chinesischen Cultus, selbst der Aermste unterlässt es nicht, seinem 
Götzen eine Rauchkerze anzuzünden. In China beschäftigt sich eine 
grosse Zahl von Menschen mit der Fabrication und dem Handel 

^) Ein ansehnlicher Theil der Bevölkerung von Singapore bekennt sich zuin Islam, 
80 vor Allen die cinlieimischen Malaien, und die eingewanderten Araber aus Vorder- 
indien, deren es eine gute Zaiil luiter den handeltreibenden Classen giebt. 



I. Cultu8 der Chinesen. 205 

dieser aus Sägespähnen von Sandelbolz und anderen wohlriechenden 
Hölzern gefertigten Kerzchen; sie sind gewöhnhch etwa zehn Zoll 
lang, von der Dicke einer starken Stricknadel, und haben einen 
dünneren roth gefärbten Stiel, den man in den Sand steckt. Ihr 
Geruch ist nur bei hinreichendem Luftzug zu ertragen. 

Der Cultus der Chinesen ist allem Anschein nach im Wesent- 
lichen ein Todtendienst. Sie glauben an ein Fortleben nach dem 
Tode, und dass die Seelen im Jenseit dieselben Bedürfnisse haben 
wie auf der Erde, dass sie essen und trinken, Geld brauchen und 
auch belustigt sein wollen. Für das Alles haben die überlebenden 
Verwandten zu sorgen, und sind auch sehr gewissenhaft darin — 
es gilt als das grösste Unglück keine Kinder zu haben, welche 
diesen Dienst versehen können. Damit der Abgeschiedene nun 
Geld habe, werden Silberpapiere verbrannt, welche die Bonzen ver- 
kaufen, damit er nicht hungere bringen die HinterbUebenen Speise- 
opfer, zuweilen ganze Gastmäler, die auf den Altar gesetzt werden, 
und um ihn zu ergötzen, brennt man im Tempel Feuerwerkskörper, 
vorzügUch Schwärmer ab, denn das ist die Hauptbelustigung der 
lebenden Chinesen. Jeder opfert nach seinem Vermögen, der Reiche 
ein ganz gebratenes Schwein, der Arme ein wenig Reis; die 
Silberpapiere, von denen hundert einen Dollar kosten, aber dem 
Todten hundert Dollar einbringen, zündet der Opfernde an, hält 
sie in die Höhe , verbeugt und prostemirt sich mit dem flammenden 
Bündel in der Hand unter Gebeten vor dem Altar, und wirft sie 
zuletzt in das Aschengefäss. Die aufgetischte Malzeit aber packt 
er, nachdem sich sein jenseitiger Freund hinreichend an dem Dufte 
erlabt hat, ruhig wieder ein und schleppt sie nach Hause. — Häufig, 
befragen die Andächtigen auch das Orakel: in einem Becher auf dem 
Altar stehen eine Menge flacher dünner Stäbchen , an deren unterem 
Ende Schriftzeichen vermerkt sind. Man schüttelt den Becher und 
zieht mehrere Loose, aus deren Gesammtheit sich der Fragende die 
Antwort liest. Die Bonzen lassen sich von allen diesen Ceremonien 
ansehnliche Gebühren zahlen, und profitiren namentlich an dem 
Verkauf der Silberpapiere, der Glimmkerzen, des Feuerwerks und 
gedruckter Gebetformeln. Sie sitzen an Tischen und Pulten in den 
Seitenhallen, meist behäbige feiste Gestalten mit kahlgeschorenem 
Haupte, denen es bei ihrem Metier ganz wohl zu sein scheint. Die 
Tempelbesucher lassen sich häufig nach dem Opfer gedruckte 
Formulare von ihnen unterzeichnen, welche sie sorgfaltig gefaltet 



206 Besuch der Tempel. Das chinesische Theater. I. 

mitnehmen, wahrsclieinlicli nur Bescheinigungen über das geleistete 
Opfer. Eine solche schriftliche Beruhigung des Gewissens hat etwas 
überaus practisches; man kann doch niemals in Zweifel über seine 
eigene Frömmigkeit gerathen und sich an der Quittung seiner guten 
Werke immer wieder freuen. 

An der i^^dacht der Tempelbesucher nehmen die Bonzen 
gewöhnlich gar keinen Antheil. Ihre eigenen gottesdienstlichen Ver- 
richtungen scheinen sich auf das Absingen von Litaneien u. dei^L 
zu beschränken, — wir hatten später in China häujBg Gelegenheit 
Zeugen solcher Verrichtungen zu sein, die nur in den grösseren 
Tempeln und Klöstern zu Peking etwas Ehrwürdiges hatten. Meistens 
sieht man den plappernden Bonzen die Gleichgültigkeit und Lange- 
weile am Gesichte an. In einem der Tempel, die wir in Singapore 
besuchten, las ein Priester grade seine Gebete; er kniete dabei vor 
einem Pult, sang mit näselnder Stimme, und klopfte mit einem Stäb- 
chen bald links an ein hohles Gefäss, bald, in grösseren Pausen, an 
eine Glocke zu seiner Rechten. Eine alte Frau hatte grade ihr 
Gebet und Opfer vollendet und befragte nun das Orakel. Sie warf 
dabei, allem Anschein nach, die gezogenen Loose so oft auf die 
I]rde, bis sie in einer gewünschten Lage niederfielen. — In einem 
anderen Tempel sassen vier Chinesen schmausend und schwatzend 
um einen Tisch; andere rauchten, wälirend mitten unter ihnen ein 
ganzes Fass mit Schwärmern abgebrannt wurde. Sie bewillkonmiten 
freundlich die Fremden und luden sie zu ihrem Feste ein. — Der 
Eindruck dieser Tempel ist nichts weniger als ernst und heilig; der 
Chinese scheint diese Begriffe in unserem Sinne nicht zu kennen, 
er geniesst practisch das Leben und findet sich mit dem Himmel 
und seinem Gewissen auf die bequemste Weise ab. 

Eines Abends besuchten mehrere der Reisenden das chinesische 
Theater. Die dahin fuhrenden Strassen waren gegen zehn Uhr noch 
äusserst belebt; grosse farbige Papierlatemen brannten in den Kauf- 
läden und Colonnaden, und aus vielen Häusern schallte lärmende 
Musik. — Das Theater ist ein länglich -viereckiges Gebäude aus 
Holz und Bambus; der Eingang hegt in einer der schmalen Seiten, 
gegenüber die um einige Fuss erhöhte Bühne. Der Raum dazwischen 
ist mit Bänken besetzt, auf denen ein zahlreiches chinesisches Publicum 
Platz genommen hatte. Wir zogen es vor, auf die Bühne zu steigen, 
um Alles in der Nähe zu sehen: sie nimmt die ganze Breite des 
Theaters ein , hat aber wenig Tiefe. Auf den Seiten standen Wald- 



I. Chinesisches Schauspiel. 207 

oder Gartencoulissen ; die ÄEttel- Decoration, einen Festzug dar- 
stellend, hing von der Decke nur bis zur Hälfte der Höhe herab 
und liess den Blick in einen halbdunkelen Raum frei, eine Art 
Garderobe, wo Toilette gemacht und Rollen überhört wurden. Vor 
dieser Oeffnung sass im Grunde der Bühne das Orchester, bestehend 
aus einer Clarinette, einer Violine, einem Gong und einer Art Trommel 
von Holz. Die Beleuchtung der Bühne wurde durch zahlreiche, an 
Gerüsten befestigte Lampen bewirkt, die ein Lampenputzer während 
der Vorstellung mit Oel versah ; der Zuschauerraum lag im Halbdunkel. 

Die in dem Raum hinter der Bühne aufgehängten Costüme 
waren sehr prächtig, aus den schwersten Seidenstoffen gefertigt, 
strotzend von Gold und Stickerei, besonders reich und kostbar einige 
heim- und kronenartige Kopfbedeckungen aus stark vergoldetem 
Metall, von schöner Zeichnung und Arbeit; sie schienen zu kostbar, 
um für die Bühne gemacht zu sein , und hatten wahrscheinlich einst 
der WirkUchkeit gedient. Die Schauspieler machten hier mit grossem 
Ernst Toilette; mehrere standen vor kleinen Spiegeln und trans- 
formirten sich in grimmige Krieger, d. h. sie malten sich das ganze 
Gesicht weiss und zogen dann regelmässige braune und rotlie Striche 
queerüber von Ohr zu Ohr, wobei ihnen die Reisenden zu ihrer 
grossen Satisfaction mit einigen kühnen Pinselstrichen halfen. Ein 
Mandarin mit langem Bart und würdiger Miene musste sich hergeben, 
um die verschiedenen Kopfbedeckungen aufzuprobiren , und hess es 
sich mit grosser Liebenswürdigkeit gefallen. Frauen betreten die 
Bühne nicht; um ihre kleinen Füsse nachzuahmen, schnallen sich die 
Schauspieler Stelzen an. 

Die Darstellungsweise ist durchaus conventionell , affectirt, 
künstlich und übertrieben, Vortrag und Gebehrden gradezu fratzen- 
haft. Hergebrachte Bewegungen, hergebrachte Töne bezeichnen 
bestimmte Affecte und Stinunungen: nur die Komiker nähern sich 
zuweilen einer natürlichen Darstellungsweise. Der Text wird theils 
gesungen — im Dialog mit strophenweiser Abwechselung, ~ theils 
recitirt, aber auch dabei kommen alle Register der Stimme vom 
höchsten Falset bis zum tiefsten Gurgelbass, alle Töne und Miss- 
töne, deren das menschliche Organ fähig ist, in Anwendung. Die 
Declamationen werden oft von den Instrumenten begleitet, Kraft- 
stellen durch wüthendes Pauken auf dem Gong hervorgehoben. 
Die Musik zeichnet sich durch den gänzlichsten Mangel an Tact, 
Melodie und Harmonie aus und scheint nur den Worten angepasste 



208 Darstellungsweisc der Chinesen. Ein Klingtheater. I. 

Modulation von Tönen zu sein, doch müssen die Tonreihen der 
Chinesen, ganz andere sein , als die dem europäischen Ohre geläufigen, 
denn der Fremde kann nur schreiende Dissonanzen heraushören. — 
Der erste Held oder Liebhaber spielte seine Rolle ziemUch nüchtern, 
aber zwei Greise, denen Barte aus weissen Ziegenhaaren von der 
Oberlippe bis auf die Brust herabhingen , plärrten und heulten ganz 
unmässig. Die Frauen zeichneten sich durch gezierte Arm- und 
Handbewegungen aus und sprachen consequent durch die Fistel. 
Den Glanzpunct der Vorstellung bildete eine Schlacht oder tüchtige 
Prügelei, wobei die grimmigen Krieger einander wüthend gegen 
(he Brust sprangen, sich zur Erde warfen und die halsbrechendsten 
Capriolen vollführten — Alles zur grossen Genugthuung des PubHcums, 
das in lautloser Stille zuhörte und die Anwesenheit der Fremden auf 
der Bühne auch dann nicht zu missbilligen schien , als sie den Gong- 
Schläger in seinen Verrichtungen zu unterstützen begannen. Sehr 
eigenthümlich war das Auf- und Abtreten der Schauspieler: auf- 
tretend liefen sie, hintereinander trippelnd, erst einmal im Kreise 
auf der Bühne umher, und stellten sich dann in einer Linie auf, bis 
an Jeden die Reihe kam seinen Spruch zu sagen; abtretend wie- 
derholten sie denselben Kreislauf und verschwanden dann hinter 
dem Orchester, gewiss eine sehr bequeme Art über das stunune 
Spiel und die Verlegenheit des Aus- und Eingehens hinwegzu- 
kommen. — Im Ganzen machte das grelle Licht, die schrillenden 
Stinunen, das Gequieke der Geige und Clarinette und das dröhnende 
Schmettern des Gong einen betäubenden Eindruck, und man war 
froh, wieder hinauszukommen. 

In dem indischen Stadtviertel, wohin wir vom Theater aus 
fuhren, herrschte Todtenstille; die Strassen wie ausgestorben, alle 
Häuser dunkel. GlückUcherweise war noch ein »Klingtheatera ') 
offen, so nennt man in Singapore die Häuser, in welchen indische 
Tänzerinnen ihre Künste zeigen. Man trat durch eine Vorhalle, 
wo Hindu's und Malabaren an den Wänden kauerten, in einen matt 
erleuchteten Raum. Am Boden hocken einige Musikanten mit Saiten- 
spielen, vor ihnen stehen zwei Tänzerinnen mit langen engen Klei- 
dern und so kurzen Taillen, wie man zur Zeit Napoleon des Ersten 
zu tragen pflegte; Hals und Brust bedeckt, die Aermel knapp an- 
schliessend, die Haartracht ganz europäisch. Sie begannen auf 

^ Die aus Vorder - Indien eingewanderten Hindus und Malabaren werden in 
Singapore -Kling* genannt. 



I. Der Opium verbrauch. 209 

unsere Bitte ihre Production: Musik und Gesang waren sehr trüb- 
selig, mager und eintönig, und der Tanz bestand in einem ab- 
wechsehiden Vorschieben und Beugen des rechten und linken Knies, 
wobei die Tänzerinnen langsam vorschritten und bald den rechten, 
bald den Unken Arm emporhoben, wie ein Schulknabe der ein 
Gedicht declamirt. Sie machten alle Bewegungen gleichzeitig und 
tanzten dicht neben einander, das Gesicht nach dem Grunde des 
Gemaches gewendet, wo einige Stufen zu einem kleineren Raum 
hinanfiihrten: dort stand, matt beleuchtet, ein Tisch mit künstlichen 
Blumen, Muscheln und allerlei Niedlichkeiten. Den Reisenden wurde 
der Eintritt in dieses Gemach nicht gestattet, und zwar, wie ein 
französisch radebrechender Inder erklärte, »parce^que c^est mon 
dieu€. Offenbar war der Tanz eine gottesdienstliche Handlung, — 
dass er aber erhebend gewesen wäre lässt sich nicht behaupten, 
und reizend war er gewiss nicht. Welchem Stamme die Tänzerinnen 
angehörten konnten die Reisenden nicht herausbringen, wohl aber, 
dass sie sich mit dem Tanzen Geld verdienten. Den Malabarinnen, 
welche sich durch weiche üppige Formen , durch geschmeidige 
Glieder und feurige Äugen auszeichnen, glichen sie durchaus nicht; 
sie hätten weit eher für Malaiinnen gelten können. Die ganze Scene 
war über die Maassen trübselig und langweilig, und von der eben 
verlassenen im chinesischen Theater grundverschieden. Für den 
Europäer ist es gleich räthselhaft, wie man an den grellen fratzen- 
haften Uebertreibungen der Chinesen oder an diesen abgemessenen 
eckigen Tänzen, an der mystisch trüben, traumhaften Stimmung 
solcher Auftritte Behagen und Erholung finden kann. Was würden 
freilich Chinesen und Inder wohl zu unseren Ballfesten sagen? 

Wir wollten an demselben Abend noch eine Opiumbude be- 
suchen , fanden sie aber alle geschlossen. Der Verbrauch des 
Opium ist grade in Singapore, wo es wenig Frauen giebt, ungemein 
stark und bringt der Regierung grosse Summen ein. Das Verkaufs- 
recht war früher an drei Chinesen verpachtet gewesen, welche 
20,000 Dollar monatlich dafür zahlten , aber nach Ablauf ihrer 
Pachtzeit an eine Gesellschaft von himdert Personen gekommen, 
welche 30,000 Dollar gaben*). Die neuen Pächter machten an- 
fangs schlechte Geschäfte, und merkten bald, dass die früheren 
Händler, welche das Privilegium verloren hatten, im Stillen mit dem 
Opiumverkaufe fortfuhren. Die PoUzei versuchte die heimlichen 

^) Diese Angaben klingen unglaublich, riihren aber von competenter Seite her. 
I. U 



210 Englische Beamten. Das Fort. I. 

Opiumladen aufzuheben, und es kam zu einem Zusammenstoss, bei 
dem zwanzig Cliinesen das Leben verloren und viele verwundet 
wurden. Eine Controlle der Opium - Einfuhr ist unmöglich, da 
Singapore ein Freihafen ist. 

Der Gouverneur der Colonie und sein Stab, der Oberrichter, 
und die Ofiiciere der Garnison erwiesen der preussischen Gesandt- 
schaft viel Höflichkeit und machten ihr den Aufenthalt sehr an- 
genehm. Der Gouverneur Colonel Cavenagh steht im kräftigen 
Mannesalter und hat manches Schlachtfeld gesehen. Bei Gwalior 
wurde ihm ein Bein abgeschossen, und im letzten indischen Feld- 
zuge der Arm verstümmelt, — das Bein ist von Holz, und der Arm 
hängt in der Binde, aber die Willenskraft des Invaliden ist unge- 
schwächt, und es gehört nicht wenig Geistesklarheit, Festigkeit und 
Haltung dazu, eine so volkreiche Colonie mit so geringen Kräften 
zu regieren und zu fördern. Man erstaunt über die kleine Zahl 
europäischer Officiere und Beamten, die hier — wie in Ost -Indien 
und überhaupt in allen englischen Colonieen — grosse Massen nicht- 
christlicher, halbbarbarischer Völker beherrschen, zügeln und er- 
ziehen. Der Gouverneur, sein Adjutant, der Oberrichter mit wenigen 
Beamten und der Commandeur des 40. Native- Madras -Regiments 
mit fünf Officieren üben die vollste Autorität nicht nur über die 
Insel Singapore mit einer halbwilden Mischbevölkerung von fast 
100,000 Köpfen, sondern auch über die Colonie Malacca auf dem 
hinterindischen Festland. Die ansässigen europäischen Kaufleute 
sind unter die Beschützten zu rechnen, so dass die Regierung im 
Falle eines Aufstandes einzig auf die Energie und Umsicht von einem 
Dutzend Beamten und auf die Treue eines indischen Sepoy- Regi- 
ments angewiesen ist. Europäische Truppen sind nicht da, aber 
die Angesessenen fühlen sich vollkommen sicher unter dem Schutze 
der britischen Flagge. Es ist auch für alle EventuaUtäten gesorgt: 
auf dem die Stadt beherrschenden Hügel erhebt sich ein stark ar- 
mirtes Fort, wo im Falle eines Aufstandes, der nur von den Chinesen 
zu befürchten ist, alle europäischen Ansiedler mit ihrer Habe Schutz 
finden könnten. Dieses Fort nimmt den ganzen Hügel ein, dessen 
Gestalt seinen Grundriss bestimmt hat; man baute zur Zeit unserer 
ersten Anwesenheit seit fünfzehn Monaten daran und hoffte es in 
kurzem zu vollenden. Das Material ist ein vorzüglicher Granit von 
einer nahgelegenen Insel, die Armirung soll in 27 Geschützen von 
schwerem Caliber (8 inch guns) bestehen, welche die ganze Stadt 



I. Die Strafanstalt 211 

in Grund schiessen können. Auch gegen einen Angriff fremder 
Kriegsschiffe "würde das Fort die Stadt auf kurze Zeit vertheidigen 
können, doch ist sein Hauptzweck der einer Zwingburg für die 
asiatische Bevölkerung. Der Bau des Arsenals und der Officier- 
Wohnungen war schon weit vorgeschritten und zu einer Caseme für 
zweihundert Artilleristen der Grund gelegt. Die Kosten betrugen 
bis dahin 14,000 Pfund Sterling. — Schön ist die Aussicht von 
diesem Burghiigel auf die Stadt, die Rhede, die grünen Hügel mit 
den schimmernden Wohnhäusern der Europäer, besonders Morgens, 
wenn leichte Nebel auf der Insel lagern, und die Wipfel der Palmen 
und Casuarinen sich wie aus flockigem Federflaum erheben. Im 
Westen liegt Newharbour mit den Docks der P. and O. Company, 
und am Jfusse des Festungshügels ein Morast, dessen schlammige 
Ufer die Malaien bewohnen. Sie werden seltsamer Weise von den 
schädlichen Ausdünstungen des Sumpfes nicht belästigt. 

Sehr interessant und belehrend war ein Besuch in der zur 
Au&iahme vorderindischer Verbrecher bestimmten Strafanstalt (Con- 
vict lines). Am Eingang überrascht (he geringe Stärke der Sepoy- 
Wache — zehn Mann — und die unbedeutende Höhe der Ring- 
mauer. Die Sicherheit wird aber durch die eigenthümlichen Ver- 
hältnisse der Insel und durch die innere Einrichtung der Anstalt 
gewährleistet, so dass es keiner äusseren Schutzmittel bedarf. Die 
Gefangenen, meist Hindu's, finden entweichend weder bei Malaien 
noch bei Chinesen Aufnahme, und im Walde übt der Tiger die 
Polizei. Wird einer zurückgebracht , so verUert er alle durch 
früheres gutes Betragen errungenen Vortheile und muss wieder in 
die unterste Classe eintreten. — Die HaupteigenthümUchkeit der 
Anstalt ist die Beaufsichtigung der Sträflinge durch Sträflinge. Solche 
unter ihnen, die sich längere Zeit — fünf bis acht Jahre — gut 
betragen haben, werden als Aufseher, Schreiber und Kranken- 
wärter gebraucht, und erhalten dafür ein Monatsgehalt von etwa 
vier Tlialern. Ueber dreihundert Stellen sind auf diese Weise be- 
setzt; der Vorsteher der Anstalt, ein Hauptmann, hat ausser zwei 
englischen Wachtmeistern keinen Beamten der nicht Sträfling wäre. 
Die Aufseher müssen für Jeden einstehen der ihnen anvertraut 
wird, auch wenn sie, ^vie häufig vorkommt, zum Stein- oder Holz- 
hauen, zu Strassenbauten oder anderen öffentlichen Arbeiten mit 
Proviant versehen auf mehrere Wochen in entlegene Gegenden der 
Insel geschickt werden. Die Kosten der Anstalt sind sehr gering: 



212 Einrichtung der Sti'afanstalt. Die Caserne. I. 

die Hindu's leben fast ganz von Reis und Gemüsen, und vieler 
Kleidung bedarf es nicht. So erhält sich die Anstalt nicht nur 
selbst, sondern wirft einen beträchtlichen Gewinn ab, der 1859 
gegen 40,000 Rupees (26,667 Th.) betragen haben soll. Die Zahl 
der Sträflinge beüef sich auf 2247, darunter einige Weiber; dazu 
waren 292 Zuchthäusler aus Singapore in derselben Anstalt unter- 
gebracht, also im Ganzen 2539. — Alle zur Deportation verurtheilten 
vorderindischen Verbrecher werden in die Niederlassungen der 
Strasse von Malacca, nach Penang, Malacca und Singapore ge- 
schickt, wo man durch ihre Arbeit den grössten Theil der Strassen 
und öflFentlichen Gebäude lierges teilt hat. Auch am Bau des Forts 
von Singapore arbeiteten sie mit chinesischen Tagelöhnern vermisclit. 
Schlechte Führung wird mit harter Arbeit, dem Ausklopfen der 
Cocosnussfasem in Ketten bestraft. 

Die Sträflmge der Anstalt von Singapore sahen munter und 
gesund aus, vor allen die Aufseher. — In einem grossen, mit Mauern 
umgebenen Hofe stehen mehrere gut gehaltene Gebäude , Schlaf- und 
Arbeitsäle, ein Hospital, Zellen zur Einzelnhaft, Küchen, Werkstätten, 
Schmieden, ein Arbeitslocal für Widerspänstige, eine Abtheilung für 
die Frauen u. s. w. , alle luftig und rein im vollsten Sinne des Wortes. 
Die Brunnen hefem nicht bloss Trinkwasser, sondern auch Wasch- 
und Badewasser in reichlicher Menge. Die Küchen für jede ReUgion 
und Kaste sind getrennt und dienen zugleich als Speisesäle, da jeder 
Hindu seine Nahrung auf der Erde kauernd sogleich verzehrt, wo 
er sie erhält. — Es giebt im Ganzen sechs Classen Gefangener, 
davon ist die fünfte die Strafabtheilung, und zur sechsten gehören 
die durch Alter zur Arbeit unfähig gewordenen. Die Sträflinge 
gelangen nach sechs- bis sechszehnjähriger guter Führung in die 
erste Classe und dürfen sich dann selbst auf der Insel ihr Unter- 
kommen suchen. 

Die Caserne des 40. Native-infantry Madras -Regimentes be- 
sichtigte der Gesandte bei Gelegenheit eines Besuches, den er dem 
Commandeur Major Hervey abstattete. Die Gemeinen sind alle 
aus der Präsidentschaft Madras geworben; sie dürfen nur drei 
Jahre hintereinander ausser Landes verwendet werden und erhalten 
während dieser Zeit einen monatlichen Sold von 7 bis 9 Rupees 
(1 Rupee = 20 Sgr.) neben reichUchen Rationen. Viele ernähren 
davon ihre in Indien zurückgebliebenen Familien. Die Madras- 
Regimenter sind während des ganzen indischen Feldzuges treu 



I. Besuch bei Tuuanoung. 213 

geblieben und gemessen des grössten Vertrauens; trotzdem hält 
man es seit 1858 für gerathen, nur die dienstthuenden Mannschaften 
bewaffnet gehen zu lassen; alle übrigen müssen ihre Waffen in einem 
grossen Saale der Caseme niederlegen. Das Regiment besteht aus 
zehn Compagnieen zu hundert Mann; zwei davon sind in Labuan 
auf Bomeo stationirt. Die Verantwortlichkeit für die Truppen in 
Singapore fallt auf sechs englische Officiere ; alle übrigen Subalternen 
sind avancirte Sepoys. 

Am 7. August machte der Gesandte in Begleitung der Capitäne 7. August. 
Sundewall und Jachmann imd vieler anderen Expeditionsmitglieder 
dem bei Newharbour, etwa drei englische Meilen von der Stadt 
wohnenden Tumangüng von Dzohor einen Besuch. Er ist der Sohn 
des Mannes, welcher den Engländern zuerst einen Küstenstrich zur 
Niederlassung auf der Insel abtrat, ein alter, fast zahnloser Herr 
in malaiischer Tracht, welche besonders durch das bunte, lose 
um den Kopf geknüpfte Baumwollentuch und den Sarong auffallt. 
Aehnhch, doch mit europäischen Zuthaten, kleiden sich seine 
beiden englisch redenden Söhne, welche den Gesandten am Ein- 
gange des Hauses empfingen, schöne junge Männer im Alter von 
27 und 24 Jahren mit acht malaiischen träumerischen Zügen. Der 
TuMANGUNG kam seinen Gästen oben an der Treppe entgegen , führte 
sie in einen englisch eingerichteten Salon und zeigte mit grosser 
Selbstgefälligkeit eine Sammlung kostbarer Krise , — so heissen die 
malaiischen Dolche. Die Klinge ist geflammt und oben sehr breit, 
das Heft kurz, von hartem Holze, und sitzt im stmnpfen Winkel 
an der Klinge. Die meisten sind vergiftet, jede Wunde soll tödtUch 
sein. Die Dolche des Tümangüäg hatten sehr schöne Klingen deren 
Stahl eine Art Damast zeigte, und waren reich mit Edelsteinen 
besetzt, ebenso einige kurze Lanzen die zur Tigerjagd gebraucht 
werden, von schöner Zeichnung und auserlesener Arbeit. — Der 
TuMANGUNG sprfcht uur malaiisch; der hanseatische Consul hatte die 
Güte, bei der Conversation zu dolmetschen. — Unbeirrt durch die 
Anwesenheit der Fremden flatterten durch die offenen Fenster viele 
Schwalben aus und ein und verschwanden in einen an die Wohn- 
räume stossenden Gang, dessen Decke ganz mit ihren Nestern bedeckt 
war. Wir erfuhren, dass es die Art sei, welche die essbaren 
Nester baut, imd dass der Hausherr sie seinem Gaumen zu Liebe 
hierher gewöhnt habe. Ueber der Treppe hing ein Käfig mit 
einer unscheinbaren Taube von seltener Art, die nach malaiischem 



214 Newharboiir. lustallinmg auf den Kriegsschiffen. I. 

Aberglauben ein sehr hohes Alter erreicht und in ihrem hundertsten 
Lebensjahre diamantene Eier legt. 

Wir verabschiedeten uns mit dem Wunsche, dass der alte 
Herr noch recht viele Schwalbennester und demant«ne Eier gemessen 
möge,' und wurden von seinem ältesten Sohne nach dessen nahge- 
legenem Hause gefuhrt, wo ein opulentes europäisches Frühstück 
aufgetragen war. Durch die Fenster und Thüren gaffte eine stumme 
Menge herein. Die Wirthe nahmen als strenge Mohamedaner weder 
Speise noch Wein zu sich, sondern begnügten sich mit külilendem 
Scherbeth. Graf Eulenburg brachte in deutscher Rede ihre Gesund- 
heit aus, — dann erhoben wir ims, um die nahgelegenen Etablisse- 
ments der P. and O. Company zu besehen. Ihre Lage ist köstlich; 
die Bucht bildet hier mehrere tiefe Einschnitte, die steilen Ufer 
sind malerisch mit dem üppigsten Pflanzenwuchse bedeckt, unter 
welchem sich die rechteckigen kahlen Nützlichkeitsbauten gar sonder- 
bar ausnehmen; das hohe Meer ist nirgend zu sehen und das Wasser 
spiegelglatt. Eine vorliegende längliche Insel bricht den Wogen- 
schwall; die Schilfe können von Osten und von Westen einsegeln. 
Rückwärts thront auf dem Hügel eine Batterie von fünf Geschützen, 
welche das ganze Becken beherrscht. 

Bei der Heimfahrt erbückten wir das Signal eines preussi- 
schen Kriegsschiffes am Flaggenmast auf dem Fort, die Elbe war 
in Sicht. — Abends gab der Gouverneur dem Gesandten ein solennes 
Diner und empfing ihn dabei mit militärischen Ehren. 
8. August. Den 8. August hatte der Gesandte zu seiner formellen In- 

stallirung auf den Kriegsschiffen bestimmt. Er begab sich deshalb 
mit sämmtlichen Expeditionsmitgliedem und dem preussischen Consul 
Morgens um elf Uhr an Bord der Arkona, wo die Officiercorps 
aller vier Schiffe versammelt waren. Nach Vorstellung derselben 
durch den Geschwaderchef hielt der Gesandte eine kurze Anrede 
an die Versammlung, in welcher er hervorhob, welche Wichtigkeit 
Seine königUche Hoheit der Prinz -Regent der Expedition beilege, 
und dass er AUerhöchstdemselben in Aller Namen das Versprechen 
gegeben habe, in treuester Pflichterfüllung alle Kräfte an die Er- 
reichung der vorgesteckten Ziele setzen zu wollen. Er schloss mit 
einem dreimaligen Hoch auf Seine Majestät den König und Seine 
königliche Hoheit den Regenten, in welches die Musik und die in 
Parade aufgestellte Mannschaft mit lautem Hurrah einfielen. Gegen 
ein Uhr kamen der Gouverneur mit Lady Cavenagh und seinem 



I. Politische Coujunctureii. 215 

Adjutanten, der Oberrichter der Colonie, und bald nachher der 
TuMANGUNO mit seinem ältesten Sohne, Herr und Frau Moyer und 
der mecklenburgische Consul Cramer an Bord. Nach dem Frühstück 
wurde das SchifiF besichtigt, und einige Exercitien mit dem Zünd- 
nadelgewehr gemacht, welche die Aufinerksamkeit der engUschen 
Officiere und der malaiischen Fürsten erregten. Der Gouverneur 
verUess um zwei Uhr das Schilf unter dem Salutfeuer der Thetis, 
welches der englische Kriegsdampfer Assaye mit der preussischen 
Flagge im Grosstop erwiederte Die Arkona salutirte unter den 
Klängen des Preussenliedes in dem AugenbUck, da das Boot des 
Gesandten, — als das letzte, — vom Fallrep abstiess. 

Ursprünglich war es die Absicht des Gesandten gewesen, 
von Singapore aus nach China zu gehen , um dort mit den Vertrags- 
verhandlungen zu beginnen. Die Ausfuhrung dieses Planes setzte 
aber voraus, dass dort die Engländer und Franzosen ihre Zwecke 
erreicht, ihre Verträge ratificirt, ihre Gesandten in Peking einge- 
führt hätten. Erschien das preussische Geschwader unter solchen 
Verhältnissen in den chinesischen Meeren, so konnte man günstige 
Resultate mit Sicherheit erwarten. So lange aber die Differenzen 
mit England und Frankreich schwebten, Uess sich der Hof von 
Peking auf Unterhandlungen mit anderen Mächten wahrscheinlich 
gar nicht ein. Der mit Negocirung eines Handelsvertrages beauf- 
tragte belgische General -Consul D'Egremont war in diesem Sinne 
besclneden worden, und Preussen konnte nichts Besseres erwarten. 
Am günstigsten wäre der Augenblick unmittelbar nach dem Siege 
der Allürten oder nach der friedlichen Ausgleichung des Streites 
gewesen, aber noch schien die Entscheidung weit hinausgerückt. 
Der Untergang des Malabar im Hafen von Point de Galle hatte die 
Ankunft der beiden Botschafter Lord Elgin und Baron Gros ver- 
zögert, und die Franzosen verloren ein mit nothwendigen Aus- 
rüstungsgegenständen beladenes Transportschiff. In Folge dessen 
waren, -wie in Singapore verlautete, die Streitkräfte noch nicht ein- 
mal von Hongkong und Schanghai nach dem Norden aufgebrochen ; 
die Nachricht von den Fortschritten der chinesischen Rebellen, 
welche Sütsaü genommen hatten und Schanghai bedrohten, er- 
weckte wieder die Hoffnung, dass der Hof von Peking dem Druck 
der Verhältnisse weichen und die Forderungen der Allürten erfüllen 
würde, ohne es zum Aeussersten kommen zu lassen, — kurz, Alles lag 
im Ungewissen. Der Gesandte hätte , wenn er in diesem Augenblicke 



216 Beweggründe zui* Reise nach Japan. I. 

uach China ging, eine zuwartende Stellung einnehmen müssen, und 
zwar in Schanghai, wo diese Monate die heissesten und unge- 
sundesten des ganzen Jahres sind, oder in dem stürmischen Golfe 
von Petsili, wo unter den obwaltenden Umstanden an eine Lan- 
dupg nicht zu denken war. An beiden Orten wäre die Expedition 
zu einer mehrmonatlichen Unthätigkeit verurtheilt gewesen, von der 
sich auch fiir die Zukunft kein Vortheil absehen hess. Zu einer 
Theilnahme am Küege war erstens keine Veranlassung, — denn eine 
blosse Weigerung der chinesischen Regierung, mit Preussen einen 
Vertrag abzuschliessen , konnte niemals als eine solche angesehen 
werden, — dann aber hatten die preussischen Kriegsschiffe viel zu 
grossen Tiefgang, um die Barre vor den Takü- Forts passiren und 
in den Peiho einlaufen zu können, der nur für Fahrzeuge geringer 
Grösse schiffbar ist, waren also schon durch ihre Bauart von der 
Möglichkeit der Theilnahme an den Feindseligkeiten ausgeschlossen ; 
die Alhirten hätten auch eine solche schwerüch gewünscht. Eine 
rein zuwartende Stellung aber war der Würde der Gesandtschaft 
nicht angemessen. 

In Singapore konnte Graf Eulenburg nicht bleiben, ohne sich 
der Gefahr auszusetzen, im entscheidjenden Augenblicke nicht an 
Ort und Stelle sein zu können. Der Südwest -Monsun weht nur in 
den Sommermonaten und höchstens bis zum September. Der 
Nordost -Monsun der Wintermonate aber ist an den chinesischen 
Küsten 80 heftig und beständig, dass die Schiffe grosse Umwege 
machen müssen um die nördlichen Häfen zu erreichen. Es han- 
delte sich also darum, mit Hülfe des schon schwindenden Südwest- 
windes noch einen Ort zu erreichen, wo die Expedition, ohne 
unthätig zu sein, die Entwickelung der chinesischen Ereignisse 
abwarten, und von wo sie schnell nach Nord -China hinübersegeln 
könnte. Deshalb beschloss der Gesandte, jetzt gleich nach Yeddo 
zu gehen, und trotz den ungünstigen Nachrichten über die Dispo- 
sition der dortigen Regierung den Japanern zuerst seine Vorschläge 
zu machen. Wurden sie zurückgewiesen , so hatte das weiter keine 
Folgen fiir den chinesichen Vertrag; der Gesandte konnte im October 
oder November nach dem Golf von Petsili gehen, wo dann wohl 
eine Entscheidung eingetreten sein musste. Ein misslungener Ver- 
such in China würde die unbedingte Zurückweisung in Japan 
unfehlbar nach sich gezogen haben; dagegen hatte es nichts Be- 
denkUches, nach glückUchem Abschluss mit China nach Japan 



I. Vertheiluiig auf den Schiffen. 217 

zurückzukehren, denn fast alle Verträge fremder Mächte mit Japan 
waren bis dahin unter dem Druck ihrer Erfolge in China abge- 
schlossen worden. 

Arkona, Thetis und Frauenlob waren in wenig Tagen segel- 
fertig; die Elbe aber hatte in den Stürmen am Cap der Guten 
Hoffnung einen grossen Theil ihres Kupferbeschlages verloren, und 
musste in das Dock gehen. Wann die Reparaturen beendet sein 
würden , liess sich nicht absehen. Da nun die kaufmännischen Mit- 
gheder der Expedition in Singapore ihre Waarenproben vorzulegen 
wünschten, so wies der Gesandte ihnen ihre Plätze auf der Elbe 
an. Demgemäss blieben die Herren Jacob, Grube und Commerzien- 
rath Wolf in Singapore zurück. Von den übrigen Reisenden schifften 
sich der Gesandte mit seinen drei Attache's — den Herren von Brandt, 
von Bunsen und Graf A. zu Eulenburg, — dem Dr. med. Lucius, dem 
Geologen Baron von Richthofen, dem Zeichner W. Heine aus New- 
York, dem sächsischen Kaufmann G. Spiess und dem Photographen 
Bismark auf der Arkona; der Legations -Secretär Pieschel, der Bo- 
taniker Regierungsrath Wichura, der Zoologe Dr. von Martens, der 
Bevollmächtigte des Landwirthschaftlichen Mnisteriums Dr. Maron, 
der botanische Gärtner Schottmüller und der Maler Berg auf 
der Thetis ein. Frauenlob erhielt keine Passagiere. Die Thetis 
verliess die Rhede von Singapore am 12., Arkona und Frauenlob 
am 13. August. Da der Gesandte nicht wünschte , dass sein Zweck 
nach Yeddo zu gehen der japanischen Regierung vor seiner Ankunft; 
bekannt würde, — was durch die Postdampfschiffe über Hongkong 
und Schanghai leicht geschehen konnte, — so blieb die nächste Be- 
stimmung der ganzen Expedition während ihres Aufenthaltes in 
Singapore geheim; die Schiffe gingen mit versiegelten Ordres in See, 
welche erst auf hohem Meere erbrochen wurden. 



IL 



REISK DER THETIS VON SINGAPORE NACH YEDDO. 

VOM 12. AUGUST BIS 14. SEPTEMBER. 



Die Passagiere der Thetis begaben sich schon am elften Mittags 
an Bord und die Fregatte war segelfertig, aber ein auf dem Werft 
von Singapore bestellter Cutter — die Thetis hatte den ihren in 
den Stürmen am Cap der Guten Hoffnung verloren — wurde bis 
zmn Abend nicht abgeUefert, und musste endlich von der Mann- 
schaft unvollendet an Bord geholt werden. — Das Schiff war den 
ganzen Nachmittag von Bumbooten umgeben , in denen Malaien und 
Chinesen ihre Waaren zu Kauf boten; die Mannschaft trieb in den 
Freistunden ihren Scherz mit ihnen und feilschte um allerlei Nötliiges 
und Unnützes , Jeder sprach seine eigene Sprache und man verstand 
sich oft erst nach den spasshaftesten Irrthümern. Der Matrose mag 
kein Geld im Beutel dulden und wird, namentlich wenn er den Hafen 
verlässt, gern um jeden Preis seinen letzten Heller los. Ananas, 
Bananen und andere Fruchte, frisches Brod und Käse fanden starken 
Absatz, — denn dass wir für geraume Zeit auf Schiffskost angewiesen 
sein sollten war bekannt, — aber auch Affen, Cacadu's und anderes 
schreiendes Gethier, die besondere Leidenschaft der Seeleute, wur- 
den begierig gekauft Die Vorgesetzten gönnen sie ihnen gern so 
weit es der Kaum und der Dienst gestatten, denn sie bilden fast 
die einzige Unterhaltung der jüngeren Mannschaft auf langen Reisen, 
und geben, bei manchem Schabemak, viel Stoff zu Scherz und 
Lachen. 
12. AuRust Am zwölften um acht Uhr Morgens ging die Fregatte in See, — 

Wir Uefen unter leichter Westbrise durch den Singapore -Canal — 
da ertönte plötzlich der Angstruf »Maim über Bord«. Ein Matrose 
war beim Setzen der Leesegel von der Raae gerissen worden und 
trieb in den Wellen. Das Schiff machte wenig Fahrt und ^vurde 
sogleich beigedreht, der zweite Cutter zu Wasser gebracht, aber 



II. Manu über Bord. Windstille. 219 

80 schnell dieses Manöver auch ging, so schwamm der Matrose, der 
eine der ausgeworfenen Rettungsbojen erfasst hatte, doch schon 
mehrere Kabellängen hinter uns. Das Boot erreichte ihn glückUch 
vor einem Angriff der Haifische, von denen diese Meere wimmeln, 
und er kam mit einem angenehmen Bade, wir diesmal mit dem 
Schreck davon. Gewöhnlich geht es nicht so glücklich, denn nur 
wenige Matrosen können schwimmen, und die Haifische folgen gern 
im Kielwasser der Schiffe. — Um vier Uhr passirten wir den 
Leuchtthurm von Pedra blanca, den die Engländer am östUchen 
Eingange der Strasse von Singapore erbaut haben , und liefen in die 
chinesische See ein. 

Am dreizehnten waren die Anamba- Inseln in Sicht. Der 13. August. 
Südwestwind wurde immer schwächer und starb am folgenden Tage 
ganz weg. Den vierzehnten war es todtenstill, und bUeb so mit 
geringer Unterbrechung durch leichte Brisen bis zum 18. September. 
Die Sonne schoss glühende Strahlen; man beobachtete auf Deck 
im Schatten bis 40° C, und an den kühlsten Stellen in der 
Batterie 30° C; der geschmolzene Theer thaute in dicken schwarzen 
Tropfen von der Takelage, und die Existenz auf dem Schiffe war 
keine paradiesische. Am besten ging es noch den Passagieren. 
Legationssecretär Pieschel hatte einen Theil der Capitänscajüte inne, 
und die anderen bewohnten zu zweien luftige Kammern in der 
Batterie, welche für sie aufgeschlagen waren. Diese hatten als 
Fenster jede eine breite Stückpforte, welche Tag und Nacht offen 
blieb, und doch liess sich kein merklicher Luftzug herstellen. Die 
Kammern der Officiere und Beamten aber liegen ein Stockwerk tiefer, 
im Zwischendeck, und haben als Fenster nur ein sogenanntes Ochsen- 
auge, ein rundes Loch von etwa fünf Zoll Durchmesser, das bei dem 
geringsten Seegange hermetisch verschlossen werden muss. Hier 
und in den ebenfalls im Zwischendeck hegenden Messräumen der 
Officiere und Cadetten wurde der Aufenthalt zu Zeiten ganz un- 
leidlich, besonders beim Mittagessen. Diese Unbequemlichkeit ist 
eine nothwendige, denn der Kampfbereitschaft des Schiffes, welche 
ein Freibleiben des Batteriedeckes für die Geschützmanöver for- 
dert, muss jede andere Rücksicht weichen. Der Seemann ist von 
Jugend auf an alle Entbehrungen des Kriegsschifislebens gewöhnt, 
aber der Reisende empfindet sie schwer; so wurden besonders den 
neu hinzugekommenen Passagieren die spärlichen Wasserrationen — 
ein und ein halbes Quart täghch zum Waschen und Trinken — bei 



220 Kriegschiffsleben. II. 

dem brennenden Durst und dem Bedürfniss die Haut zu erfrischen 
sehr unbequem. 

Wo viele Menschen auf einem kleinen Raum zusammen- 
gedrängt sind, da müssen die Rechte und Pflichten eines Jeden 
streng abgegrenzt sein, wenn Ordnung und Disciplin erhalten werden 
sollen. Die Autorität des Schiffscommandanten ist unbedingt wie 
seine Verantwortlichkeit; seine Stellung ist fiir die Mannschaft ge- 
wissermaassen unnahbar, denn alle Befehle an dieselbe werden 
durch die Officiere vermittelt. Das ganze Detail des Dienstes ist 
Sache des ersten Officiers, welcher dem Capitän seine Meldungen 
darüber macht und dessen Befehle entgegennimmt. Letzterer be- 
schäftigt sich auf See direct nur mit dem Laufe und der Sicherheit 
des Schiffes und wird darin unterstützt von dem Observationsofficier, 
einem dazu ernannten Lieutenant z. S. 11. Classe, der für die Chro- 
nometer und Karten sorgt, für die astronomischen Beobachtungen 
und Rechnungen und für die Peilung der Küsten verantwortlich ist, 
und dem Commandanten alle zur Bestimmung des Courses erfor- 
derlichen p]inzelnheiten vorlegt um von ihm die Befehle über 
Steuerung und Segelführung zu empfangen. Der erste Officier be- 
stimmt das Detail des Dienstes und der Arbeitsvertheilung , empfängt 
alle Meldungen, und übernimmt das Commando sobald alle Mann 
aufgepfiffen worden. Die übrigen Lieutenants und die älteren Fähn- 
riche befehligen die Wache, commandiren alle Segelmanöver die 
zur Einhaltung des befohlenen Courses noth wendig sind, und thun 
nur dann dem Capitän Meldung, wenn die erlassenen Befehle durch 
unvorgesehene Umstände nicht mehr passen. Der Officier der Wache 
befiehlt auch jede halbe Stunde — und unter Umständen öfter — 
das Logwerfen und alle übrigen, durch die Routine oder specielle 
Anordnung vorgeschriebenen dienstlichen Verrichtungen. Jeder 
Wache sind mehrere Cadetten zugetheilt, die an verschiedenen 
Stellen des Decks und der Masten postirt sind, die Befehle des 
wachthabenden Officiers an die Unterofficiere und die Mannschaft 
vermitteln und deren Ausführung beaufsichtigen. Die Windseite 
des ganzen Hinterdecks muss für den Capit>än und den Officier der 
Wache frei bleiben, und darf von Anderen nur in dienstUcheu An- 
gelegenheiten betreten werden. 

Die vierundzwanzig Stunden des See -Tages sind in sechs 
Wachen zu vier Stunden eingetheilt, von denen die eine wieder in zwei 
halbe Wachen zerfällt. Die Mittagstunde wird durch Observation der 



IL Eintheiluiig des Tages. Die Wachen. Cadetteii. Decksofficiere. 221 

Polhöhe bestimmt und dem Capitän gemeldet, darf aber erst ange- 
schlagen werden, sobald er den Befehl gegeben hat, dass es Mittag 
sein solle. So geht auch für das SchiflF die Sonne nur imter, 
wenn der Capitän es befiehlt — er kann den Tag abkürzen und 
verlängern: wenn die Flagge niedergeholt wird, ist Sonnenunter- 
gang. Die Stunden werden nach » Glasen a gerechnet. Der Posten vor 
der Capitänscajüte hat eine halbstündige Sanduhr umzudrehen, und 
meldet wann sie abgelaufen ist, worauf die Glasen an einer Glocke 
in der Batterie angeschlagen werden. Jede Wache hat vier Stunden 
oder acht Glasen; man sagt nicht elf Uhr, sondern sechs Glas. 
Zwölf Uhr, vier Uhr und acht Uhr sind acht Glas, halb eins, halb 
fünf, halb neun ein Glas u. s. w. 

Die ganze Mannschaft ist in zwei Wachen, eine Backbord- 
und eine Steuerbordwache eingetheilt, die sich von vier zu vier 
Stunden ablösen. Die dienstthuende führt unter dem Befehl des 
wachthabenden Officiers alle gewöhnlichen Segel- und sonstigen 
Manöver aus, — so lange nicht alle Mann aufgepfiffen werden, — 
während die wachtfreien Mannschaften arbeiten oder exerciren. Die 
Matrosen, deren es ausser den Schiffsjungen vier Classen giebt, sind 
in Divisionen eingetheilt, die unter dem Commando der einzelnen 
Officiere stehen. Es giebt Geschützdivisionen, eine Handwerker- 
division, eine Grossmastdivision u. s. w. Bei grossen Segehnanövem 
müssen Alle Hand anlegen. Jedes Boot hat seine bestimmte Mann- 
schaft, einen Steuerer, und einen Cadetten der es befehligt. Die 
Matrosen heissen dienstlich »Gasten«. Man sagt Cuttergast, Signal- 
gast, Vortopgast u. s. w. Die Cadetten haben, so weit sie nicht 
den verschiedenen Wachen zugetheilt sind, jeder seinen bestimmten 
Dienst: als Adjutant des ersten Officiers, als Observations-, Zwischen- 
decks-, Signalcadetten. Die Fähnriche thun theils Officiers-, theils 
Cadettendienst. Decksofficiere heissen der Oberfeuerwerker, der 
Zimmermann, der Bootsmann; ersterer hat für die Geschütze, die 
Pulverkammer und die Mimition, der Zimmermann für den Rumpf, 
die Masten und Raaen, der Bootsmann für die Takelage zu sorgen. 
Sie haben Jeder einen Gehülfen, — Maaten, — und ressortiren vom 
ersten Officier, der die Schlüssel zu ihren VoiTathsräumen aufbe- 
wahrt. Für die Segel, Hangematten, Matratzen, Kartuschen u. s. w. 
sorgen der Segelmacher und seine Gehülfen, für die Flaggen die 
Signalgäste unter Befehl eines Cadetten. Die Verwaltung des ge- 
sammten Schiffsmaterials, aller Mundvorräthe und der Kassen liegt 



222 Aerzte. Seesoldaten. Beschreibung der Thetis. Das Zwischendeck. II. 

in den Händen von Intendanturbeamten , die unter dem Befehle des 
Capitäns und Zuziehung des ersten Officiers alle Einkäufe, Contracte, 
Zahlimgen u. s. w. besorgen. 

Der ärztliche Stab bestand auf der Thetis aus einem Stabs- 
und zwei Assistenzärzten. Diese, die Intendanturbeamten und die 
Seesoldaten werden nicht eigentlich zu den Seeleuten gerechnet 
und von diesen — sammt allen Passagieren — gelegentlich mit dem 
Schmeichelnamen »Badegäste« bezeichnet. Der Matrose sieht mit 
einigem Hochmuth besonders auf die Seesoldaten herab, welche 
zwar mit in die Wachen vertheilt sind und bei allen Segelmanövern 
Hand anlegen müssen, aber niemals oberhalb der Railing, also 
nicht in den Masten und dem Takelwerk verwendet werden dürfen, 
wo der Dienst gefährüch ist, Muth und Gewandtheit fordert. Sie 
beziehen ausserdem die Posten vor der Capitänscajüte und Officiers- 
messe, und im Hafen am Fallrep, auf der Commandobrücke und 
an anderen Stellen. Die auf Arkona und Thetis commandirten 
Detachements standen jedes unter dem Commando eines Seconde- 
I^ieutenants. 

Eine Fregatte hat drei Decke: das Verdeck, das Batteriedeck 
und das Zwischendeck. Letzteres hegt mit seiner Sohle schon unter 
der Wasserlinie und erhält nur wenig Licht von oben und durch 
die Ochsenaugen in der Schiffswand. Im Zwischendeck liegen 
das Lazareth, die Cadettenmesse, die Kammern der Decksofficiere, 
Aerzte und Beamten, und im hintersten Theile, gewöhnlich von den 
Kammern der Officiere umgeben, die Officiersmesse , über welcher 
die beiden oberen Decke durchbrochen und mit Glasfenstem zuge- 
setzt sind. Im freien Mittelraume des Zwischendecks nimmt die 
Mannschaft ilu*e Malzeiten; dort werden Nachts ihre Hangematten 
und hinter dem Grossmast die der Cadetten und Fähnriche geknüpft. 
Jeder Cadett hat unter dem für seine Hangematte angewiesenen 
Raum eine Kiste von vorschriftsmässiger Form und Grösse stehen, 
die seine Habseligkeiten enthält. Bei Tage werden alle Hangematten 
in den sogenannten Finkenetzen, einem um die ganze RaiUng 
laufenden Behältniss verstaut Unter dem Zwischendeck liegt die 
Pulverkammer, die Räume ftir die Ankerketten und sämmtUche 
Vorräthe. 

Im Batteriedeck stehen zu beiden Seiten, die ganze Länge 
des Schiffes entlang, die Geschütze. Hier ist es hell und luftig, 
die Pforten werden nur bei schlechtem Wetter geschlossen. Vorn 



n. Die Batterie. Das Verdeck. 223 

arbeiten gewöhnlich die Zimmerleute; hinter dem Fockmast steht 
die »Kambüse«, wo der Koch und seine Gehülfen walten. Der 
Grossmast und das von oben her durchgehende Gangspill sind 
mit Trophäen umgeben, die übrigen kleinen Waffen — Büchsen, 
Revolver, Entersäbel, Beile, Piken — und die Geräthschaften der 
Geschütze an der Decke und den Seitenwänden angebracht. Dort 
hangen auch in hölzernen Kasten gefüllte Granaten, und Voll- 
kugeln liegen reihenweise in der Mitte. Hinter dem Gangspill folgt 
die Treppe für die OfBciere, — - die Mannschaft benutzt andere 
Luken, — dann hinter dem Oberlicht der Ofiiciersmesse, vor dem 
Kreuzmast, die Hülfsräder des Steuerruders, die mit den auf dem 
Verdeck befindlichen Hauptradem in Verbindung stehen. Den 
hintersten Raum nehmen die Vorcajüte und die Capitänscajüte ein. 
Erstere, in der die beiden »achtersten« Geschütze stehen, dient zu 
den Arbeiten des Capitäns mit den Officieren, als sein Empfangs- 
und Speisezimmer. 

Auf dem Verdeck stehen vorn Geschütze; hier arbeiten der 
Schlächter, der Schmied, der Büchsenmacher. Zwischen dem Fock- 
und dem Grossmast sind die vier grossen Boote eingesetzt — die 
beiden Barcassen und die beiden Pinassen, je zwei über einander, — ■ 
und längs ihnen liegen Raaen, Spieren und sonstige Vorrathshölzer 
aufgestaut; dahinter stehen gewöhnlich die Bootsgeschütze. Zu beiden 
Seiten der Boote bleibt bis zum Bord nur ein schmaler Raum 
frei; hier liegen in der Railing zu beiden Seiten die Fallreps- 
öfihungen, die auf See zugesetzt werden. Hinter dem Grossmast 
folgt eine grosse Luke, die Hauptverbindung des Verdecks mit der 
Batterie, dann kommt das Gangspill, an welchem die Anker auf- 
gewunden werden, dahinter die Officiertreppe, dann das Steuer- 
rad, vor welchem zwei Compasse stehen. Das Steuerrad ist auch 
hier doppelt, so dass bei starkem Winde auf dem Verdeck und in der 
Batterie je vier Mann anfassen können; unter gewöhnlichen Um- 
ständen stehen auf einer Fregatte nur zwei Mann auf dem Verdeck 
am Steuer. — Der Raiun zwischen dem Gross- und dem Kreuz- 
mast heisst das Quarterdeck und ist der vornehmste Platz des 
Schiffes, der Sitz des Commando's. Jeder Seemann, der es betritt, 
fasst nach alter Sitte grüssend an den Hut. Hier ist zu beiden 
Seiten eine tritt^rtige Erhöhung an der Raiüng angebraclit, von 
wo der Commandirende das Schiff übersehen und die Steuerleut.e 
anweisen kann: auf anderen Schiffen führt eine sclimale Brücke 



224 Tagesordnung. U. 

queerüber von Railing zu Railing, die Conunandobrücke , von wo bei 
Dampfern ein Sprachrohr in die Maschine hinabführt. Hinter dem 
Kreuzmast steht der Flaggenkasten; die Flagge sowohl als die 
meisten Signale w^erden an der Besangaifel gehisst. Das ganze 
Hinterdeck vom Grossmast an ist zu beiden Seiten mit Geschützen 
besetzt. Aussenbords hangen an den sogenannten Davids die kleineren 
Boote, und hinter dem Heck die Capitäns - Gig. 

Eine Beschreibung des Takelwerks, der Segel und Masten 
wäre eine ebenso schwierige als undankbare Aufgabe. Bleibt doch 
dem Laien und Jedem, der nicht von Jugend auf darin gelebt hat, 
die scheinbare Verwirrung der Taue und »Enden«, der »Ausholer«, 
»Läufer« u. s. w. auch auf langen Seereisen ein Räthsel, und die 
sie in Bewegung setzende Commandosprache ein unverständliches 
Kauden^'älsch. 

Die Tagesordnung an Bord der Kriegsschiffe ist auf See 
ungefähr folgende: Morgens zehn Minuten vor vier wird die Wache 
»gepurrt« welche um vier Uhr ablöst; die Hangemattenstauer 
treten schon iunf Minuten vor vier bei den Finkenetzen an. Nach 
Verstauung der Hangematten werden entweder die Decke mit Sand 
und Steinen geschrubt, oder Kleider und Hangematten gewaschen; 
in beiden Fällen herrscht auf dem Verdeck und in der Batterie eine 
wahre Sündfluth. Um sechs Uhr werden die Decke gefegt, und 
»Enden heruntergelegt«, d. h. alle auf das Verdeck herabhängenden 
Taue in Schneckenform niedlich aufgerollt, nach Seemannsausdnick 
»in Scheiben aufgeschossen«. Um halb sieben heisst es abermals 
»Hangematten auf«; die um vier Uhr abgelöste Wache muss nun 
auch aufstehen. Um sieben Uhr ist Frühstück, wozu den Matrosen 
eine halbe Stunde gegeben wird: während der Zeit darf in der 
Batterie geraucht werden. Gleich nachher kleidet sich die freie 
Wache für den Tag und erscheint um dreiviertel auf acht auf 
Deck: die abtretende reinigt das Zwischendeck und kleidet sich 
ebenfalls um. Um halb acht finden sich die sämmtUchen Aerzte im 
Lazareth ein, wo Alle, die sich beim Profoss krank gemeldet haben, 
mit letzterem zur Stelle sind. Der Arzt du jour stattet dem ersten 
Ofificier Rapport über den Gesundheitszustand ab. Kurz vor acht 
muss der Observationsofficier die Chronometer aufziehen, und dem 
Commandanten wie dem Officier der Wache Meldung davon thun. 
Der letztere darf sich vor p]mpfang dieser Meldung nicht ablösen 
lassen, ebensowenig der Posten vor der Capitänscajüte, ehe dieselbe 



n. Musterung. Rapport. 225 

Meldung an den Commandanten durch den Officier der Wache 
erfolgt ist. Um acht Uhr werden in heissen Gegenden die Sonnen- 
segel und Windsäcke aufgebracht. — Unterdessen haben die Decks- 
officiere ihr Detail durch das ganze Schilf gründlich revidirt und 
rapportiren darüber dem ersten Officier. Um halb neun werden die 
Waffen und das Holzwerk geputzt, bei schönem Wetter auch die 
Geschütze losgemacht, und um neun ist Inspicirung. Schiff und 
Mannschaft müssen jetzt für den Tag ihre volle Toilette gemacht 
haben , und schmuck und ordentlich aussehen. Die Schrubber, 
Besen imd sonstiges Putzzeug sind weggestaut, die Geschütze wieder 
fest gemacht, die Treppen aufgestellt — Alles ist blank und sauber. 
Sonnabends ist die Musterung erst lun elf; die dadurch gewonnene 
Zeit wird zu einer gründlicheren Reinigung des Schiffes benutzt. 
Dann werden alle Räume, Rumpf und Takelage nachgesehen, und, 
wo nöthig, gekalkt, gelabsalt, das Kupfergut geschmiert und die 
Farbe mit Oel abgerieben. Die Mannschaften, nach der Jahreszeit 
entweder weiss oder in blaue Wolle gekleidet, treten jetzt divisions- 
weise oder bei den Geschützen mit ihren Waffen an, die Seesoldaten 
mit ihren Gewehren. Sie werden zunächst von den Unterofficieren 
und Cadetten, dann von den Divisions -Chefs in Bezug auf Sauber- 
keit des Körpers, der Kleidung und Waffen gemustert. Der erste 
Officier rapportirt darauf dem Commandanten über das Ergebniss 
der Musterung, den Zustand des Schiffes, den Verbrauch an Wasser, 
Proviant, Brennmaterial u. s. w. , über die Vergehen und Be- 
strafungen der letzten vierundzwanzig Stunden, und empfangt dessen 
Befehle über die, zum Rapport zu bestellenden Personen und die im 
Laufe des Tages vorzunehmenden Arbeiten und Exercitien. Darauf 
inspicirt entweder der Commandant selbst oder nach seinem Er- 
messen der erste Officier. Die Musterung erstreckt sich an Wochen- 
tagen gewöhnlich nur auf die Mannschaft und auf die verschiedenen 
Decke; an Sonntagen, wo der Commandant regelmässig selbst in- 
spicirt, auch auf die Vorrathsräume und das ganze Schiff. Zur 
Zeit der Musterung macht auch der Stabsarzt dem Commandanten 
seine Meldungen über den Gesundheitszustand. — Unmittelbar nach 
dem Abtreten der Mannschaft ist Rapportzeit. Alle Personen vom 
Unterofficier abwärts, welche Klagen haben, werden durch den 
Profoss auf dem Halbdeck an Backbord aufgestellt; der erste Officier 
nimmt ihre Klagen und Gesuche entgegen, entscheidet so weit seine 
Befugnisse reichen, und trägt das Uebrige dem Commandanten vor. 

I. 15 



226 * Exerciticn und Arbeiten. Baeken und Banken. 11. 

Die Decksofficjere wenden sich mit ihren Anliegen direct an den 
ersten Officier; die Officiere und die Beamten von deren Range 
werden zu gleichem Zwecke vom Capitan in seiner Cajüte empfangen, 
wo sie mit Hut, Epauletten und Säbel erscheinen müssen. 

Die Mannschaft geht gleich nach der Musterung an ihre Exer- 
citicn und Arbeiten, sie exercirt am Geschütz oder mit den kleinen 
Waffen. Einmal wöchentlich, gewöhnlich Freitags, wird »Klar 
SchiflF« exercirt, so bezeichnet man die Kampfbereitschaft dem 
Feinde gegenüber. Arbeiten giebt es hundertfaltige an Bord eines 
Kriegsschiffes: da sind Segel und Kartuschen zu machen, Taue zu 
drehen, Kleider zu flicken u. s. w. Fast alle Reparaturen, aller 
Bedarf an Segeln und Takelwerk , alle Zimmermannsarbeiten werden 
an Bord aus dem rohen Material gefertigt. Die Matrosen müssen 
ihre Sachen selbst ausbessern; jeder hat für seine Habseligkeiten 
einen Kleidersack, dessen Inhalt von Zeit zu Zeit nachgesehen wird. 

Um halb zwölf werden die Exercitien und Arbeiten einge- 
stellt, die Decke aufgeräumt und gefegt; eine Viertelstunde später 
meldet sich der Schiffskoch mit einer Probe des Essens bei dem 
Officier der Wache, der es kostet, und fünf Minuten vor zwölf 
»Backen und Banken« commandirt. Im Zwischendeck werden die 
Tische und Bänke gesetzt, das Essen aufgetragen. Um zwölf heisst 
es »Schaffen«, d. h. Zugreifen. In einer halben Stunde muss »ge- 
schafft« sein, dann werden die wachthabenden Mannschaften abge- 
löst und halten ebenfalls ihre Malzeit. Nach dem Essen hat die 
ganze Schiffsmannschaft eine halbe Stunde freie Zeit, während deren 
wieder in der Batterie geraucht wird. Nur in sehr dringenden 
Fällen und auf ausdrückliche Erlaubniss des Commandanten darf 
die Zeit der Malzciten und die Freizeit abgekürzt werden; letztere 
dauert Sonntags gewöhnlich bis vier Uhr. — An Wochentagen 
werden um eins die »Backen« abgeräumt und die Geschirre gereinigt, 
um halb zwei das Zwischendeck geräumt und gefegt. Von zwei bis 
vier Avieder Arbeiten und Exerciren. Um vier erhalten die Mann- 
schaften ihre Kleidersäcke und ziehen sich wachenweise für die 
Nacht um. Um fünf ist die Abendmusterung, wobei vorzüglich die 
Gefechtbereitschaft der Geschütze für die Nacht, die Bereitschaft 
der Sturmpumpen und der Rettungsbojen in das Auge gefasst wird. 
Im kalten Klima und bei drohendem Wetter werden um diese Zeit 
die Geschützpforten geschlossen und erst am Morgen wieder geöffnet. 
Nach der Musterung folgen Segelexercitien , und um halb sieben 



IL . Nachtdienst. 227 

erhält die Mannschaft ihr Abendbrod. Um sieben werden im 
Zwischendeck die Tische und Bänke weggestaut, alle Vorbereitungen 
zimi Aufknüpfen der Ilangematten getroffen, und die Mannschaft 
gewöhnlich zur Erholung auf Deck geschickt, damit das Zwischen- 
deck auslüfte. Zehn Minuten vor acht wird zu den Hangematten 
gepfiffen: die Hangemattenstauer rufen auf das Commando »Hänge- 
matten weg« die Nummer jeder einzelnen auf, und händigen sie dem 
Eigenthümer ein. Die freie Wache zieht sich zurück. Nachdem 
die wachthabenden Leute verlesen und die nöthigen Posten ausge- 
stellt sind, werden die Hangemattenkleider übergezogen und die 
dienstfreien Mannschaften der Wache in die Batterie beordert, um 
zehn Minuten nach acht alle Lichter der Mannschaft unter Aufsicht 
des Profosses gelöscht. Um zelm Minuten nach neun geht der 
erste Officier mit dem UnteroCficier der Seesoldaten du jour, den 
Cadetten der verschiedenen Decke, allen Decksofficieren und dem 
Profoss die erste Nachtronde, rapportirt dem Commandanten, und 
erhält dessen Befehle für die Nacht und den folgenden Morgen. 
Hierauf ertheilt er selbst den auf dem Halbdeck versammelten 
Cadetten die nöthigen Instructionen, und »wahrschaut« dem wacht- 
habenden Officier, wann ihm der Commandant die schriftlichen 
Befehle fiir die Nacht geben will. Von da an bis zum Aufstehen 

■ 

des Commandanten fungirt der Officier • der Wache im weiteren 
Sinn als dessen Stellvertreter, und hat ihm oder dem ersten Officier 
nur das besonders Befoldene oder sehr wichtige Vorfälle zu melden. 
Die ganze Nacht durch geht ein Cadett der Wache mit einem 
Feuerwerksmaat und dem wachthabenden Unterofficier der See- 
soldaten halbstündliche Nachtronden durch das ganze Schiff. Um 
zehn Uhr müssen alle Lichte bei den Officieren mit Ausnahme der 
ausdrücklich gestatteten gelöscht werden. 

Das ist ungefähr der tägliche Dienst auf See, — im Hafen 
gestaltet er sich anders. Auf See stehen natürlich die Segelmanöver 
immer im Vordergrunde, und die beschriebene Tagesordnung hat 
nur Geltung, sofern die Mannschaften nicht durch die nothwendigen 
Manöver und Arbeiten in Anspruch genommen sind. Ein Theil der 
Wache muss immer auf Deck und in den Toppen zur Stelle sein , — 
die Posten melden sich zur Nachtzeit bei jedem Anschlagen der 
Glasen durch lautes Rufen: Grosstopp Alles wohl, Rettungsbojen 
Alles wohl u. s. w. Die nicht auf Deck nothwendigen Leute pflegen 
bei Tage an den Uebungen und Arbeiten der freien Wache Theil 



228 Segelmaiiover. Matrosenlcben. • II. 

ZU nehmen. Ist dann ein Manöver auszufuliren, so commandirt der 
wachthabende Officier »Wache an Deck« oder »Wache und Frei- 
wächter an Deck«, oder »Alle Mann auf«, je nach den erforderten 
Kräften. Die meisten Commando's, namentlich bei den Segel- 
manövern , werden von der Pfeife des Bootsmannes und der Unter- 
officiere begleitet, welche durch alle Theile des SchiiTes und in den 
Masten hörbar, und in ihren Cadenzen der Mannschaft verständ- 
lich ist. 

Man sieht, der Seemann hat wenig Ruhe. Die Erfahrung 
lehrt, dass unausgesetzte Thätigkeit das einzige Mittel ist, einen 
guten Geist und heitere Stimmung unter den Matrosen zu erhalten. 
Sie schlafen niemals volle vier Stunden hintereinander, und eine 
uni die andere Nacht nur vier Stunden im Ganzen; sie haben keine 
andere freie Zeit , als die halben Stunden zum Frühstuck und Abend- 
brod und eine Stunde um Mittag, und sind den ganzen übrigen Tag 
mit Dienst, Exercitien und Arbeiten unablässig beschäftigt. Die 
Kost auf den königlichen Schiffen ist gut, reichhch und nahrhaft, 
und die Leute sind meist gesund und kräftig. Gesalzenes Fleisch, 
Hülsenfrüchte und SchifTsz wieback sind ihre Hauptnahrungsmittel 
auf See , — in den Häfen erhalten sie mögUchst viel frisches Fleisch 
und Gemüse. Lebende Ochsen , Schaafe und Schweine werden auch, 
so weit es der Raum gestattet, mit auf die Reise genomimen, um 
den Leuten einige Abwechselung in der Kost zu bereiten. Rum 
bekommen die preussischen Matrosen nicht regelmässig, sondern 
nur nach anstrengenden Arbeiten und bei schlechtem Wetter; den 
Caffee dagegen können sie nicht entbehren. Tabak und andere Er- 
frischungen darf ihnen der Böttcher — der mit der Aufsicht über 
die Mundvorräthe betraute ünterofficier — gegen Baar verkaufen, 
aber dem Rauchen setzt die wenige freie Zeit enge Grenzen. Auch 
haben sie auf See meistens kein Geld: ein Drittheil der Löhnung 
wird bei der Ankunft im Hafen ausgezahlt und ist bald verjubelt, 
die beiden anderen Drittheile erst bei Ausserdienststellung des Schiffes 
in der Heimath. Aber auch hier kann der ächte Seemann kein Geld 
in der Tasche leiden und ruht nicht eher, bis er mit Allem fertig 
ist. Matrosen, die von mehrjährigen Seereisen zurückkehren, erhalten 
oft mehrere hundert Thaler auf einmal, und es kommt nicht selten 
vor, dass »Jan Maat« ganze Hände voll blanker Thaler unter die 
Strassenjugend auswirft. In den Häfen ist die Disciplin und gute 
Stimmung weit schwerer zu erhalten als auf See , wo die Matrosen 



II. Thiere aii Bord. Die Ziege der Thetis. Souutag. 229 

meist munter und guter Dinge sind. Im Dienst und bei den Ex- 
ercitien geht es streng her, aber bei den Arbeiten darf — mit 
Maassen — geschwatzt werden, manch derber Spass erregt die 
aligemeine Heiterkeit, und gutmüthiger Schabernak ist an der Tages- 
ordnung. Etwas handfest und klobig sind ihre Scherze und Ver- 
gnügungen: so pflegten auf der Thetis die Schiffsjungen Paar oder 
Unpaar um Ohrfeigen zu spielen. Wer verlor, musste die Backe 
hinhalten; jeder schlug immer derber zu als der andere und zuletzt 
standen sie auf mit verschwollenen rothen Gesichtern und schwim- 
menden Augen. — Mit den an Bord befindlichen Thieren balgen 
und necken sich die Matrosen unermüdUch herum, und sorgen oft 
mit Aufopferung für sie; fast alle Thiere werden zahm auf langen 
Seereisen. Auf der Thetis war — neben vielen in Anyer und Singa- 
pore gekauften Affen und Papageien — eine Ziege der allgemeine 
Liebhng, welche ursprünglich ihrer Milch wegen einst in West -Indien 
an Bord genommen war und nun schon seit lange das Gnadenbrod 
erhielt, ein munteres neckisches Thier, das in der Batterie frei 
umherhef und mit Jedem anband. Sie frass dem Zimmermann die 
Hobelspähne fort und hatte sich ihrer natürlichen Nahrung ganz 
entwöhnt. Als später die Thetis vor Yeddo lag, schickte Capitän 
Jachmann sie zur Erholung an das Land; — sie verschmähte aber 
alles Gras und grüne Futter, riss uns dagegen die papiernen 
Scheiben in grossen Fetzen von den Fenstern, und wurde krank, 
als man sie auf dem Rasen anband; an Bord erholte sie sich bald 
wieder. 

Sonntag Nachmittags von zw^ei bis vier pflegten die Matrosen 
der Thetis auf Deck und im Zwischendeck zu tanzen, wozu einige 
mit Fiedeln und Pfeifen aufspielten; der Tanz wird mit wahrer 
Leidenschaft betrieben, manche sind sehr geschickt und der Jubel 
so gross, wie auf der ausgelassensten Kirchweih. Musik ist das 
beste Mittel, um auf langen Reisen die gute Stimmung zu erhalten; 
die vaterländischen Klänge erregen und besänftigen zugleich das 
Heimweh des Wanderers, indem sie seinem Bedürfniss Ausdruck 
verleihen. Es giebt nichts was auf weiten Seefahrten die Lebens- 
geister so erfrischte, nichts was den Geist so kräftig aus der 
Lethargie aufrüttelte, in welche ilm das ewige Einerlei des Lebens 
und der Gesellschaft versinken lässt. Abspannung und Langeweile 
sind die grössten Feinde des Seemannes; die Commandeure sehen 
es daher am liebsten, wenn die Matrosen sich selbst beschäftigen, 



230 Dieust der Officiere und Cadctten. Lesewutlu II. 

und befördern auf See das Singen und im Hafen die theatralischen 
Vorstellungen. Wo ein Musikcorps an Bord ist singt die Mannschaft 
weniger, da ihrem Bedürfniss von aussen abgeholfen wird; auf der 
Thetis aber schallte alle Abend lauter Chorgesang aus der Batterie, 
und vier Unterofficiere mit schönen Stimmen übten sich ileissig im 
Gesänge vierstimmiger Lieder. Sie brachten es darin zu grosser 
Vollkommenheit, und haben sich später häufig am Lande vor dem 
Gesandten und seinen Gästen hören lassen müssen. 

Der Dienst der Officiere und Cadetten ist sehr anstrengend, 
auch sie haben wenig freie Zeit. Bei sclüechtem Wetter und 
in der Nähe der Küsten haben der Capitän und der Observations- 
officier weder bei Tage noch bei Nacht Rulie; der erste Officicr ist 
unablässig mit dem Detail beschäftigt und eigentUch niemals dienst- 
frei, und die übrigen Officiere müssen neben dem Wachtdienst 
für ihre Divisionen sorgen, exerciren, observiren und rechnen — 
zur ControUe des Observationsofficiers, — und ihr Journal schrei- 
ben. Die Cadetten haben ebenfalls viel Dienst und bereiten sich 
nebenbei unter Leitung der Officiere zum Fähnrich -Examen vor; 
die Fähnriche sind am schlimmsten daran: sie geniessen den Rang 
aber nicht die Vortheile der Officiere, essen in der Cadettenmesse 
und haben keine Kammern für sich. Sie avanciren zu Lieutenants 
zur See erst nach einer Anzahl von Jahren Fahrzeit und thun theils 
Cadetten-, theils Officiersdienst. 

So ist denn am Bord eines Kriegsschiffes Alles in fortwäh- 
render Thätigkeit bis auf die unseligen »Badegäste a; die Beamten 
und Aerzte haben wenig zu thun und die Passagiere noch weniger. 
Zu geistigen Arbeiten ernster Art sind auf dem Meere nur Wenige 
fähig, die Seeluft und die Bewegung des SchiflFes scheinen der 
Gehirnthätigkeit nicht günstig zu sein; dazu kommt die Unruhe im 
Schüfe, die keine Sammlung zulässt, und die UnmögUchkeit sich 
zu isoliren. Leichte Leetüre ist ein Haupterfordemiss auf langen 
Seereisen; man verschlingt mit Lust die tollsten Romane, die 
unglaublichsten Reisebesclireibungen, und freut sich die Zeit zu 
betrügen. Die Schiffsbibliotheken liefern — neben wissenschaftlichen 
Werken — reichen Vorrath an derartigen Büchern, denn auch die 
Seeleute, vom Admiral bis zum Schifisjungen, sind arge Bücher- 
würmer, und ihre Einbildungskraft vielfach in den Thaten und Schick- 
salen merkwürdiger Romanhelden und in wunderbaren Jagd- und 
Reiseabentheuern absorbirt. Diese Erscheinung erklärt sich leicht aus 



n. Die Badegäste. Stimmungen. 231 

dem Einerlei des Seelebens; je ärmer die Gegenwart, desto gieriger 
ist die Phantasie des Menschen; was ihm in der Wirklichkeit abgeht, 
will seine Einbildungskraft erleben. Der Seemann liest fast unaus- 
gesetzt in seinen wenigen Freistunden; — der Passagier üest, bis 
ihm der Kopf schwirrt und jede bequeme Körperstellung erschöpft 
ist, dann treibt er sich im Schiffe herum, guckt in die See, in die 
Feme, nach den Masten und Segein, oder sieht den Arbeiten der 
Mannschaft zu, und ist dabei überall im Wege; und indem er 
sich träumend alle die wunderbaren Einrichtungen an Geschützen, 
Masten und Takelwerk, alle die blank geputzten Messingknöpfe , die 
niedlich »aufgeschossenen Enden« besieht und ihren Bestimmungen 
nachgrübelt, — bedeutet ihn plötzlich ein höflicher Matrose, dass 
hier das Log geworfen oder ein Segel zugeschnitten werden soll. 
Oft geht es schlimmer, und wer bei den Segelmanövem nicht auf- 
passt, \vird von täppischen SchilFsjuugen angerannt und in die Taue 
verwickelt, oder sitzt plötzUch im Gedränge eines mächtig arbeitenden 
Menscheuknäuels fest, aus dem er nicht wieder heraus kann. — Jedes 
und das kleinste äussere Ereigniss weckt das lebhafteste Interesse, 
ein Segel in der Feme, eine Schaar Fische im Wasser, ein Vogel, 
der sich auf die Raae setzt. Am besten ist die Stimmung bei 
günstigem Wiäde; man freut sich vorwärts zu kommen, die Bewe- 
gung des Schiffes ist gleichmässig, der beständige Luftzug erfrischend. 
Bei heftigen und widrigen Winden ist die Existenz etwas geräuschvoll 
und unruhig, aber es giebt doch immer etwas zu thun und zu sehen: 
bald werden Segel gesetzt, bald gekürzt und eingenonunen, bald 
alle Mann au%epfiffen um das Schiff über den anderen Bug zu 
legen. Diese Manöver sind auf grossen Schiffen sehr interessant, 
und erregen jedes Mal die neue Bewunderung d^s Laien der den 
Organismus nicht kennt. Aber selbst schlechtes Wetter und Sturiu, — 
wenn alle Pforten der Batterie geschlossen werden, wenn das 
Wasser sich stromweise über das Verdeck und in die unteren Räume 
ergiesst, wenn man, ohne sich festzuhalten, keinen sicheren Schritt 
gehen kann und das Schiff in allen Fugen kracht, — sind nicht so 
schUmm als anhaltende Windstille zwischen den Wendekreisen. 
Die Segel klappen ermüdend an die Masten, die Taue hangen schlaff* 
herab, auf der weiten Fluth herrscht lautlose Stille un(> man hört 
im Schiffe jedes kleinste Geräusch. Der wachthabende Officier ver- 
wünscht sein langweiliges Schicksal und die Leute am Ruder starren 
gähnend in die blaue Luft. Abspannung und Lethargie bemächtigen 



232 Bootsfahrt. U. 

sich der ganzen Mannschaft. Das Verdeck und die Scliiffswände 
werden glühend heiss, die Zersetzung des Seewassers in den unteren 
Räumen und die dichte Bevölkerung erzeugen bei dem Mangel an 
Luftzug eine wahrhaft fürchterUche Atmosphäre. Der Körper findet 
nirgend Erfrischung, denn Baden wäre der Haifische wegen gefahrUch. 
Auch das Essen und Schlafen, sonst zwei Hauptbeschäftigungen 
des Seefahrers, werden zur Qual, das Peinigendste aber ist der 
unlöschbare Durst 

Solche Zeit erlebten wir im südchinesischen Meere. Nur Mor- 
gens und Abends konnte man auf Deck sein ; den Tag über brannte 
die senkrechte Sonne unerträglich, und auch die Luft im Schiffs- 
räume war erstickend. 
17. Augiwt. Am 17. August liess Capitän Jachmann, da sich kein Wind 

in der Luft zeigte, fiir Herrn von Martens ein Boot bemannen 
um Seethiere zu fangen; mehrere andere Passagiere schlössen 
sich an. Man entfernte sich mit langsamen Ruderschlägen vom 
Schiffe; die Fluth war spiegelglatt, dunkelblau, krystallklar und 
durchsichtig; noch aus grossen Tiefen strahlten die Seethiere 
in köstlichem Farbenspiel glitzernd das SonnenUcht zurück. Hier 
und da schwammen Cocosnüsse und verfaulende Baumstämme herum, 
voll von Holothurien und anderem Seegewürm, darunter, anschei- 
nend den Schatten, wahrscheinlich aber Nahrung suchend, tum- 
melten sich Schwärme kleiner bunter Fische, in allen Farben des 
Regenbogens glänzend. Herr von Martens fing Krabben, See- 
wanzen, Fische, Muscheln, Würmer; vor allen aber galt die Jagd 
den Seeschlangen, an welchen diese Meere reich sind. Sie schlän- 
geln sich mit grosser Behendigkeit an der Oberfläche des Wassers 
hin, und tauchen unter, sobald man sich nähert; doch gelang es 
einige zu fangen, die grösste beinah drei Fuss lang. Diese Schlan- 
gen sind giftig. Eine grössere Art, die gegen sechs Fuss lang 
und gelb und braun geringelt ist, vereitelte alle Nachstellungen ; sie 
tauchten schon in grosser Entfernung vor dem Boot unter, und 
schwammen tief unter dem Wasserspiegel wenn man zur Stelle 
gelangte. Die Jäger entfernten sich weiter und weiter von der 
Fregatte, und es war ein sonderbares Gefühl, auf der unabsehbaren 
Fläche in tiem kleinen Boote herumzutreiben, am ganzen Horizont 
keine Spur von Leben ausser den weissen Segeln unserer Thetis. 
Die unendliche Weite des Meeres erscheint bei Windstille beson- 
ders grossartig. Diese p]xcursion dauerte mehrere Stunden und 



II. Wind. Brandung. Die Fükian- Strasse. 233 

war Gjx alle Theilnehmer das erfreulichste Intermezzo dieser pein- 
vollen Tage. 

Am achtzehnten endlich erhob sich ein leichter Südwest- is. August. 
wind, wir segelten die folgenden Tage mit einer Durchschnitts- 
geschwindigkeit von vier bis sechs Knoten. Ein amerikanischer 
Cüpper begleitete die Fregatte mehrere Tage lang , und verUess sie, 
nachdem er sich durch Signal eine Ortsbestimmung erbeten, am 
dreiundzwanzigsten, tun nach Hongkong zu segeln. — Am vierund- 21. August, 
zwanzigsten wurde, während wir schwache Fahrt machten, plötzUch 
mitten im glatten Wasser in kurzer Entfernung vor dem Bug der 
Fregatte eine starke Brandung sichtbar. Wir waren weit von allen 
Küsten entfernt, und nach den Seekarten musste hier tiefes Wasser 
sein; Capitan Jachmann liess aber beidrehen und ein Boot zu 
Wasser bringen, das mit dem Loth in der ganzen Breite der Bran- 
dung keinen Grund finden konnte. Unterdessen hatte die Strömung 
das Schiff unversehens auch schon mitten hinein getrieben, und es 
wurde abermals ohne Erfolg bis auf hundert Faden Tiefe gelothet. 
Dieselbe Erscheinung wiederholte sich noch mehrere Male an den 
folgenden Tagen, und ist nur durch heftige Strömungen zu erklären, 
die in ungleichen Richtungen aufeinandertreffen. Der Zusammenstoss 
erzeugt die krausen kurzen Wellen, die man sonst nur über unter- 
seeischen Riffen zu sehen pflegt. 

Am sechsundzwanzigsten erreichten wir die Fukian - Strasse, %. August, 
und die Küste von China kam in Sicht; schwere Wolkenmassen 
lagerten auf den fernen Gebilden. Nachmittags ging es bei einer 
Felseninsel vorbei, deren Spitze eine hohe Pagode krönte; in den 
Buchten Wälder von Dschunkenmasten. Der Abend war kühler 
als gewöhnlich: herrlicher Mondschein, dabei starkes Wetterleuchten 
im Osten und Westen — über Formosa und dem Festlande. Der 
Wind ging allmäUch herum, so dass wir mehr nördlich hegen, und 
den folgenden Tag sogar kreuzen mussten. In dieser Gegend wim- 
melte das Meer von chinesischen Fischerdschunken, welche der 
Fregatte oft sehr nahe kamen und sich fast überfahren Uessen. Ihr 
Bau ist mehr malerisch als practisch; sie sind gute Segler, aber 
heftigem Sturme nicht gewachsen. Alle Dschunken acht chinesi- 
scher Bauart haben einen flachen Boden ohne Kiel, und ragen vorn 
und hinten hoch aus dem Wasser. In der Mitte wird das Verdeck 
bei schwerer Ladung fast von den Wellen bespült und ist dort 
fest verschlossen. Sie haben mehrere, zuweilen vier bis fünf 



234 Dschunken! Wasseimänner. II. 

unregelmässig gestellte Masten, wovon die kleineren vom und hinten 
an den Borden befestigt sind; nur der Hauptmast steht durchgangig 
in der Mitte. — Die in der Fukian - Strasse gesehenen waren meist 
zweimastig, ihre Segel aus Bastmatten und Rotang, gross, viereckig 
und fächerförmig gespannt. Leichte Bambusrohre laufen, mit der 
Kauptraae parallel, in kurzen Entfernungen queer über das Segel, 
welches nur dadurch die gehörige Festigkeit erhält, denn ohne sie 
würden die Bastmatten in grosser Flache dem Winde nicht Wider- 
stand leisten. Nur die Leichtigkeit des Bambusrohres macht dies^ 
Bauart möglich; das Segel würde bei jedem anderen Material zu 
schwer werden, um sich regieren zu lassen. 

Wir sahen in der Fukian -Strasse, oft in grosser Entfernung 
von den Dschunken, eine Menge dunkeler Puncte auf der Meeres- 
iläche treiben, und waren sehr überrascht, durch das Femrohr 
Menschen darin zu erkennen, die mit dem ganzen Oberleibe aus 
dem Wasser ragten und von den Wellen hin und her geschaukelt 
wurden, wie die leibhaftigen Tritonen. Das Räthsel löste sich erst, 
als Capitän Jachmann am siebenundzwanzigsten, da wir kreuzen 
mussten, ein Boot nach einer der Dschunken sandte um Fische 
zu kaufen. Es war grade kein Vorrath da, und der Schiffer winkte 
einen der nächsten Schwimmer heran, welcher kreuzbeinig auf 
einem kleinen viereckigen Bambusfloss sass und mit der Angel 
fischte. Sein Gewicht drückt das leichte Floss etwas unter den 
Meeresspiegel und mit den Beinen sitzt er im Wasser. So treiben 
sie, oft meilenweit entfernt, einsam auf der wogenden Fluth lunher, 
eine Angelruthe in der Hand und neben sich einen Korb für die 
gefangenen Fische, wahrhaftige Wassermänner, denn gewöhnliche 
Adamssöhne könnten solche Existenz wohl kaum Tage lang ertragen. 
Ihr Fang besteht in jungen Haifischen, silberröthlichen Brassen, 
Saugfischen, Tintenfischen; ein kleines Boot unterhält die Verbindung 
mit. dem Schiffe und bringt ihnen Nahrung. 

Wir besahen die Dschunke gründlich und krochen in allen 
Winkeln unter Deck herum, wurden aber durch den übelen Geruch 
der im unteren Schiffsräume gepökelten Fische bald zum Rück- 
zug gezwungen. Oben lenkten ein junger und ein alter Chinese 
Steuer und Segel; unten fanden wir eine junge Frau mit ihren 
Kindern, und einen blinden Alten der Netze strickte; — sie schienen 
alle zu einer Famiüe zu gehören, welcher die Dschunke wahrschein- 
lich Haus und Hof war, sahen struppig und verkommen aus, thaten 



II. Gencralmarscli. 235 

sehr ängstlich und schienen freudig überrascht, als wir die Fische 

• • 

reichUch bezahlten. Die Dschunke war alt und schmutzig, und das 
Ganze machte den {Eindruck grossen Elendes; im besten Räume 
unter Deck stand ein Götzenbild, das auf keinem chinesischen Fahr- 
zeuge fehlen soll. 

Am neunundzwanzigsten früh zeigte sich zu Backbord in einiger 29. August 
Entfernung vor dem Buge der Fregatte eine Gruppe verdächtig aus- 
sehender Dschunken. Dem Anschein nach wurde eine grössere von 
acht kleineren angegriffen; einige lagen dicht an dem grösseren 
Scliiffe, als hätten sie geentert, von Zeit zu Zeit stiegen dicke 
Rauchwolken auf und man glaubte Schüsse zu hören. Capitän 
Jachmann befahl auf die Dschunken loszuhalten, aber kaum hatten 
wir den Cours geändert, als sich die grössere von den kleinen 
trennte und uns entgegenkam. Der Commandant liess Generalmarsch 
schlagen, und in wenig Minuten war das Schiff klar zum Gefecht. — 
Dieses Manöver geht mit wunderbarer Schnelligkeit, jeder Seemann 
fliegt wie electrisirt auf seinen Posten, Alles scheint wild durchein- 
ander zu laufen und doch herrscht die grösste Ordnung. Die 
Matrosen stürzen sich auf die Büchsen, Revolver und Entersäbel 
in der Batterie; im Nu ist die ganze Mannschaft bewaffnet. Die 
Treppen werden entfernt, alle Luken mit »Grätings« zugeworfen, 
bis auf einige, durch welche die Munition heraufgereicht wird. Zu 
dem Zweck bildet ein Theil der Mannschaft Ketten bis zur Pulver- 
kammer hinab. Die Decke sind jetzt klar und eben, bei den Ge- 
schützen stehen die Bedienungsmannschaften, die Seesoldaten treten 
auf dem Halbdeck an und beziehen die Posten, — der erste Officier 
commandirt auf Deck, der zweite in der Batterie, die übrigen bei 
ihren Divisionen, unter ihnen die Cadetten, von denen einige in 
den' Mastkörben postirt sind; im Lazareth ist Alles zur Aufnalmac 
der Verwundeten bereit — genug, Jeder weiss wo er hingehört, 
und das ganze Manöver geht viel schneller, als es sich beschreiben 
lässt. Dem kurzen Lärm folgt eine lautlose Stille, so dass man 
den leisesten Befehl hört. — Die Passagiere allein wissen wieder 
nicht, wo sie hinsollen, und wer nicht im ersten Augenblicke auf 
Deck springt und sich ein unbesetztes Plätzchen erobert, bleibt 
abgeschnitten, wo er sich grade aufhält. Sie werden mit allen 
Nicht -Combattanten als »Krankenträger« angesehen. 

Die grosse Dschunke , welche am Hauptmast zwei Segel über 
einander führte, schien anfangs an Backbord der Fregatte vorüber- 



236 Räthselliafte Begegnung. II. 

fahren zu wollen, legte aber kurz vor deren Buge plötzlich um und 
segelte an der Steuerbordseite in etwa fünfzig Schritt Entfernung 
vorbei. Schon von weitem sah man mehre];^ Chinesen auf dem 
Vordercastell bunte Fahnen schwenken; das ganze Verdeck war 
voll Menschen, die auf den Knieen hegend flehende Gebehrden 
machten und wie es schien nach den kleineren Dschunken zeigten, 
dabei ganz jämmerUch heulten und sclurieen. Wir konnten natürUch 
nichts verstehen, und Niemand wusste was daraus zu machen 
wäre. Die Dschunke legte, als sie vorüber war, hinter dem Heck 
der Fregatte einen Augenblick bei, spannte dann aber plötzlich 
alle Segel und hielt auf die Küste von Formosa zu. — Wir 
setzten unseren Cours fort. Mit den kleineren Dschunken hatten 
sich noch vier andere von ganz gleicher Bauart vereinigt, die wir 
vorher zu Steuerbord gehabt hatten; diese zwölf stellten sich 
ausser Schussweite in einer langen Linie auf und schienen uns zu 
beobachten. Als wir vorüber waren, Uess Capitan Jachmann ab- 
schlagen. 

Der ganze Vorgang blieb rathselhaft. Entweder war die 
grössere Dschunke wirkUch von den kleineren angegriffen worden 
und suchte Schutz, oder es waren lauter Piraten, und jenes Schein- 
gefecht in der Frühe sollte uns aus unserem Course locken. Letzteres 
ist wahrscheinUcher, denn wir konnten auf der dicht vorbeisegelnden 
Dschunke keine Spur von Zerstörung entdecken und sie selbst sah 
höchst verdächtig aus, ein alter verwetterter Kasten mit geflickten 
Segeln und zerfressenen Borden, auf allen Seiten mit Netzen dicht 
behängt die man wohl für Enternetze ansehen konnte, — denn 
eine Fischerdschunke war es nicht, dafür zeugte die starke Be- 
mannung, wie sie nur Piraten zu führen pflegen. Geschütze koimteu 
wir nicht bemerken; sie waren wohl maskirt, sind auch beim Entern, 
der gewöhnüchen Kampfesart der chinesischen Seeräuber, von ge- 
ringem Nutzen. Wahrsclieinhch wurde die Thetis von weitem für 
ein Handelsschiff und somit für gute Beute gehalten, denn Kriegs- 
schiffe ohne Dampf kraft sind längst ein ungewohnter AnbUck selbst 
in jenen Meeren. Die grosse Dschunke wollte sich wohl langseit 
legen und entern — darauf deutete ihr Segelmanöver; unserer 
Geschütze aber wurden die Chinesen, die grade auf uns losfuhren, 
erst in grösster Nähe ansichtig, daher ihre flehenden Gebehrden, 
als sie sich vorübersegelnd im Bereiche einer so grimmigen Reihe 
von FeuerschlÜLideii, und durch die offenen Luken die Mannschaft 



n. Piratenjagd. 237 

zum Feuern bereit sahen. — Die anderen Dschunken gingen aus dem 
Wege, als sie ihre Täuschung bemerkten. 

Die Aufregung im Schiffe hatte sich kaum gelegt und wir 
segelten bei leichter Brise im Angesicht des chinesischen Festlandes 
hin, als Nachmittags um zwei eine englische Brig bemerkt wurde, 
welche ihren Cours ändernd auf die Thetis loshielt, und durch 
Signale anfragte, ob man ihr etwas Pulver geben könne. Capitän 
Jachmann antwortete bejahend und liess die Fregatte beidrehen: 
binnen einer Stunde lag die Brig neben ihr, und der Steuermann 
kam an Bord. Er war am Morgen desselben Tages von vier 
Piratendschunken angegriffen worden, welche sich noch in Sicht 
befanden; zwei segelten ganz in der Nähe. Sie hatten ein Boot 
nach der Brig gesandt mit dem Vorgeben, Reis verkaufen zu wollen: 
einige Säcke werden an Bord gebracht, aber beim Oeffnen findet 
sich Sand darin. Unterdessen zünden die Chinesen Stinkkugeln an 
und dringen auf die Mannschaft ein, werden aber geworfen und 
verUeren mehrere Leute. Die Engländer hatten dabei ihr weniges 
Pulver verschossen und waren in grosser Verlegenheit, da die 
Strasse von Corsaren wimmelte. Capitän Jachmann gab ihnen ein 
Fässchen und liess, indem sie von Bord gingen, Generalmarsch 
sclilagen. Die Brig nahm südlichen Cours; die Thetis aber wandte 
ihren Bug gegen die beiden nächsten Piraten und suchte ihnen auf- 
zulaufen. Der Wind stand aus Osten. Die Dschunken lagen in 
Lee südwestlich auf die Küste von China los; ihre Verdecke wim- 
melten von Menschen, bis die erste Kugel über ihre Köpfe sauste. 
Von dem Augenblick an war keine Seele mehr an Bord zu sehen, 
selbst die Steuerleute müssen versteckt gesessen haben. Leider 
war die Entfernung zu gross und der Zielpunct zu klein um sicher 
schiessen zu können, — die Kugeln schlugen meistens dicht davor 
oder dahinter in das Meer, nur eine, die Lieutenant Butterlin rich- 
tete, fuhr durch das Hauptsegel der einen Dschunke, ohne sie sonst 
zu beschädigen. 

Die Fortsetzung dieser Jagd hätte die Thetis allzuweit aus 
ihrem Course gebracht, imd da wir bei der schwachen Brise wenig 
Raum gewannen, so beschloss der Commandant, diese Beute auf- 
zugeben und den beiden grösseren Piratendschunken nachzusetzen, 
die freilich entfernter , aber nördlich in der Richtung unseres Courses 
segelten. Der Wind war in dem Augenblicke günstig und schien 
frischer werden zu wollen, doch lief die Fregatte den Dschunken, 



238 Dif Verfolgung aufgegeben. 11. 

die mit aller Macht zu rudern anfingen, langsamer auf als man 
erwartete. Die Sonne senkte sich schon als wir in Schussweite 
kamen, und der Wind wurde immer schwächer. Der Capitan liess 
aus dem grossen Pivotgeschütz am Buge Granaten werfen; einige 
crepirten dicht über und hinter den Dschunken, welche unter 
mächtigem Rudern in einen engen Canal zwischen zwei Felsinseln 
liefen. In dieses unbekannte und gefahrliche Fahrwasser durfte 
ihnen die Fregatte nicht folgen, zumal bei einbrechender Nacht, — 
so wurde denn gegen Sonnenuntergang abgeschlagen und Cours 
gesteuert. — Wir kamen erst spät Abends zum Mittagsessen, denn 
sobald der Generalmarsch ertönt, müssen alle Feuer gelöscht 
werden. 

So war denn der Tag ohne blutige Erfolge vergangen — die 
Aufregung wich einer nüchternen Abspannung. Wir schwatzten 
bis tief in die Nacht, — Jeder hatte seine Ansichten, Wünsche, 
Vermuthungen , namentUch über die räthselhafte Begegnung am 
Morgen. Es wäre dem Commandanten ein leichtes gewesen die 
grosse Dschunke zum Streichen der Segel zu zwingen, aber was 
konnte bei einer Untersuchung ohne Dolmetscher herauskommen? Sie 
anzugreifen, lag keine Veranlassung vor. Die Nachmittags gejagten 
vier Dschunken aber waren gleichsam auf der That ertappt — 
der »Oriental«, so hiess die englische Brig, verlor sie seit ihrem 
Angriff nicht aus den Augen — und hätten bei gutem Gewissen 
wohl nach dem ersten Schusse die Segel gestrichen. Wir übten 
hier also nur pflichtmässige Seepolizei. Die Spannung war gross, 
aber bei Manchem gewiss nicht ohne Beimischung von peinlichem 
Gefülil, denn so nützlich und ^vünschenswerth es scheint, solch 
ruchloses Gesindel aus der Welt zu schaffen, so ist es doch kein 
angenehmes Amt, wehrlose Verbrecher zur Strafe zu ziehen. 
Einen Kampf durfte man es nicht nennen, denn gegen unsere Acht- 
undsechszigpfunder konnten sich die Räuber nicht wehren , und ein 
Bootsangriff, der bei Verfolgung der grösseren Dschunken in Aus- 
sicht genommen wurde , musste der einbrechenden Nacht wegen 
unterbleiben. — Es war ein herrlicher Nachmittag, wie man ihn 
nur an den Grenzen der Tropen erlebt, das Firmament glänzend in 
mildem Blau, die See leicht gekräuselt. Das majestätische Schiff 
legte sich unter einer Last von Segeln^ in die Brise und glitt ohne 
Schwankung über die purpurblaue Fläche. Man hörte deutlich das 
sausende Pfeifen und Brummen jeder Kugel, und w^o sie einschlug 



II. Der Stille Oceaii. 239 

spritzte weisser Gischt thurmhoch in die Luft. Der Pulverdampf 
wälzte sich in schweren weissen Wolken über das Wasser der 
chinesischen Küste zu, die westlich im rosigen Dufte lag, — unsere 
Zerstörungsgelüste contrastirten sonderbar mit der milden warmen 
Herrlichkeit der Natur. 

Am dreissigsten Nachmittags hielten abermals einige grosse so. Angiut. 
Dschunken auf die Fregatte zu. Capitän Jachmann liess diesmal die 
Stückpforten schliessen, um die Piraten zum Angriff zu verlocken; 
sie müssen aber ihren Irrthum frühzeitig gemerkt haben, denn die 
Dschunken änderten schon in grosser Entfernung plötzlich ihren 
Cours und suchten das Weite. 

Am 31. August liefen wir unter leichter Nordbrise aus der 3i. August. 
FuKiAN - Strasse heraus, kamen aber in den folgenden Tagen wenig 
vorwärts. Das Wetter war schwül und drückend, der Wind ver- 
änderlich und schwach. Am 2. September eine kleine Böe mit 
Gewitter, in der Feme einige Wasserhosen ; die vulcanischen Inseln 
TiAOGu-su und Hoapin-su in Sicht. Am fünften ging der Wind 
durch Osten nach Süden herum, und am sechsten früh segelten 6. Septbr. 
wir zwischen den hohen Inseln Yokosima und Kaminone südlich 
und Takorasima nördlich durch unter 29° 12' n. Br. und 130° 32' 
östl. L. in den Stillen Ocean. Hier zeigte sich bei frischem 
nördlichen Winde eine starke Dünung aus Osten, das Schiff stampfte 
und arbeitete unerträghch und machte wenig Fahrt. An demselben 
Tage sank das Barometer plötzlich bedeutend, und man glaubte es 
sei ein Orkan im Anzug; die Segel wurden gerefft und das Schiff 
sturmfertig gemacht. Am siebenten und achten wehte es noch 
heftiger, so dass die Pforten der Batteriekammern an Backbord 
zugesclu*aubt werden mussten. Dadurch war uns Passagieren alles 
Licht entzogen, und \vir lebten bei Kerzenschein in keiner ange- 
nehmen Atmosphäre; denn durch die Ritzen der nicht ganz dicht 
schUessenden Stückpforte rieselte das Seewasser herein, und die 
kühlere Luft condensirte die Feuchtigkeit an den durchhitzten Schiffs- 
wänden, die wie ein Ofen Wärme strahlten. Es war wie ein mit 
tausend lieblichen Gerüchen gewürztes russisches Bad, und damit 
es auch an der Douche nicht fehle, spritzte hin und wieder von 
Steuerbord eine See in die Batterie. Das Zwischendeck aber glich 
einem Backofen. 

Vom neunten bis zum elften herrschte wieder Windstille bei 9. Scptbr. 
starker Dünung und bewölktem Himmel, so dass keine genauen 



240 Die Küste von Nippon. II. 

Observationen möglich waren; die Meeresströmung versetzte uns 

11. Septbr. stark uacli Osten. Den 11. September zeigten sich Haifische um 

das SchiflF; einer derselben biss an die ausgeworfene Angel, zappelte 
aber und schlug beim Heraufziehen dermaassen um sich, dass der 
starke Angelhaken sich grade bog und ihn losliess. Er mochte 
etwa acht Fuss lang sein. 

12. Septbr. Am zwölftcu blics der Wind frisch aus Nordwesten und 

peitschte heftigen Regen vor sich her. Schwere Wolkenmassen 
bedeckten den Himmel, die Seeleute nannten es »dickes Wetter«, 
kein Horizont sichtbar, sondern Himmel und Wasser in grauem 
Regendunste verschwimmend. Morgens fuhr uns eine japanische 
Dschunke mit breitem viereckigem Segel vorbei, das erste Zeichen 
von der Nähe des Landes; bald darauf wurden die hohen Gebilde 
von Nippon als bläulicher Streifen in der grauen Regenwand sichtbar, 
ein ersehnter Anblick nach der langen mühseligen Fahrt. Der 
Regen floss in Strömen, und man konnte auf Deck nur im Gummi- 
rock und Wasserstiefeln existiren, genoss aber den AnbUck des 
Landes und frische Luft, während es unten zum Ersticken war. 
Wegen der starken Stromversetzung am Tage zuvor hatte der Com- 
mandant nördlicher steuern lassen als der berechnete Coiu« lag: 
den ganzen Vormittag des zwölften aber bUeb die Soime ver- 
schleiert, so dass wir nicht wussten, welcher Theil der japanischen 
Küste vor uns läge. Es war eine Bucht mit flachem sandigem Ufer; 
wir kreuzten, und gingen mehrmals bis dicht unter Land, so dass 
Häuser und Bäume dem blossen Auge sichtbar wurden, — dort sass 
eine gestrandete Brig, die kurz zuvor aufgelaufen seinmusste, denn 
Masten und Takelung schienen noch in gutem Zustande. Menschen 
waren nicht zu sehen. — Endlich Nachmittags zerriss der Wolken- 
schleier, die Sonne wurde einen Augenblick sichtbar, — wohl ein 
Dutzend Sextanten waren fragend auf sie gerichtet, — und die 
Beobachtung ergab, dass wir uns bei Cap Irako-saki, nicht wie wir 
sollten, bei Cap Insu befanden. Man hatte die Stromversetzung, nach 
dem Ergebniss des vorigen Tages, zu stark berechnet. Nun legten 
wir um und liefen, um während der dunklen regnigen Nacht von 
der klippenreichen Küste und den dort kreuzenden Dschunken frei 
zu bleiben, vor dem Winde her nach Südosten, bis gegen vier Uhr 
Morgens der Rechnung nach die Länge der Bai von Yeddo erreicht 
war; dann wurde nordöstlich gesteuert. Der Wind ging zu unserem 

13. Septbr. Vortlicil mehr nach Süden herum, und schon bei Tagesanbruch 



IL Der Golf von Yeddo. Kanaoava. 241 

waren Kozusima und Volcano sichtbar, hohe schroffe Felseninsehi, 
die sich in breiten düsteren Massen von dem grellen Gewitter- 
liimmel abhoben. Bald darauf wurden auch Cap Insu und die Berge 
von SiMODA nach den Beobachtungen erkannt , denn es war Nie- 
mand an Bord der die japanischen Küsten jemals gesehen hatte. 
Die Fregatte üef jetzt unter vollen Segeln vor dem Winde mit einer 
Fahrt von zw ölf Knoten zwischen Cap Insu und der Yulcaninsel 
Ohosima durch, deren Gipfel in Rauch und Wolken lag, dann queer 
über den äusseren Golf von Yeddo auf Cap Sangami los. Die See 
wurde immer belebter; hunderte von Segeln furchten, oder glitten 
vielmehr nach allen Richtungen über die bewegte Fluth, — denn 
die leichteren japanischen Fahrzeuge sind sehr flach gebaut, und 
scheinen bei raschem Segeln die Wellen kaum zu berühren. — Vor 
Cap Sakoami brandet die See zwischen dunkelen Klippen; westlich 
davon hegt das altberühmte Kamakura , die Residenz des Yoritomo 
und seiner Dynastie. Hier — bei Sangami — verengt sich die Bai; 
wir segelten längs der westUchen Küste an Uraga, wo manches 
fremde Schiff zurückgewiesen wurde, dann am Vorgebirge Kamisaki 
vorbei, das mit der gegenüberliegenden Spitze Sanuki den Eingang 
in die innere Bai von Yeddo bildet. Die Ufer sind bewaldet und 
hügelig; zwischen grünen Vorgebirgen schweift der Bück in tiefein- 
geschnittene Buchten, und am Fusse der Hohen hegen Städte und 
Dörfer mit schützenden Strandbatterie«n. 

Gegen zw^ei Uhr Nachmittags ging die Thetis in der Bucht 
von Kanagava vor Anker. Hier lagen mehrere europäische Fahr- 
zeuge , darunter englische Transportschiffe , die Pferde für den 
chinesischen Krieg an Bord nehmen sollten. Der Legations-Secretär 
Pieschel bestieg ein Boot und erkundigte sich zunächst bei einem 
der Scliiffe nach dem Landungsplatz; von dort aber ruderten schon 
Boote auf die Fregatte zu, von denen eines angerufen wurde. An 
Bord befand sich ein Ungar, welcher Proviantlieferungen übernom- 
men hatte, und der Herrn Pieschel meldete, dass die Arkona schon 
seit zehn Tagen vor Yeddo hege. Unser Boot kehrte nun nach 
der Thetis zurück; dort hatten sich unterdessen drei japanische Beamte 
mit einem holländisch redenden Dolmetscher eingefunden, welche 
Capitän Jachmann im Namen des Gouverneurs von Kanagava be- 
grüssten und nach dem Namen, Vaterland und Bestimmung des 
Scliiffes fragten. Es waren fein gekleidete Leute in schweren 
dunkelen Seidenstoffen, mit intelligenten Gesichtern , höflich und 

]. 16 



242 Von Kanaoava nach Yeddo. II. 

freundlich; alle trugen zwei Schwerter im Gürtel. Auch sie be- 
richteten die Ankunft der Arkona und dass der Gesandte in Yeddo 
wohne. Sie Hessen es sich bei süssem Wein und Liqueuren in der 
Cajüte des 'Capitäns eine Weile w^ohl sein, und kehrten dann unter 
vielen höflichen Verbeugungen in ihr Boot zurück. 

Bald darauf kam der Lieutenant z. S. Graf Monts, von der 
Arkona, an Bord, der sich auf Urlaub in Kanaoava befand. Von 
ihm erhielten wir Nachricht über die Fahrt des Flaggschiffes, 
und zugleich die erste traurige Kunde von dem Ausbleiben des 
Frauenlob, den die Arkona in dem Taifun am 2. September' aus 
Sicht verloren hatte. 

Gegen Abend liess der Wind nach und der Himmel wurde 
heiter. Milder Sonnenschein übergoss die grünen üferhöhen, und 
über YoKüHAMA kam hinter zerrissenen Wolkenschleiern der Gipfel 
des hohen Fusiyama zum Vorschein. Ebenso schön war der fol- 
M. Scptbr. gende Morgen; die Thetis ging mit günstigem Winde in See, und 
warf nach anderthalbstündiger Fahrt um neun Uhr Anker auf der 
Rhede von Yeddo, sechs Kabellängen liinter der Arkona, etwa 
fünf Seemeilen vom Lande. Das seichte Wasser gestattet keine 
grössere Näherung. — Es war der 14. September, der vierund- 
dreissigste Tag nach der Abfahrt von Singapore. 



IIL 



REISE DER ARKONA VON SINGAPORE NACH YEDDO. 

VOM 13. AUGUST BIS 4. SEPTEMBER. 



iliiner der für die Arkona designirten Herren, der auf der Elbe nach 
Singapore gekommen war, begab sich schon am Abend vor der 
Abreise an Bord, und liess seine Hangematte der Kühlung halber 
in der Batterie neben einer der offenen Stückpforten und dicht über 
dem dort stehenden Geschütz aufknüpfen. Der Unglücküche hatte 
sich, mit den kriegerischen Gebräuchen des Flaggscliiffes unbekannt, 
grade diejenige Kanone ausgesucht, aus welcher der Morgenschuss 
gefeuert wurde; — er lag noch in süssen Träumen als um fünf Uhr 
früli der schwere Dreissigpfiinder losging. Schreck und Erschütte- 
rung hoben ihn mit einem gewaltigen Ruck aus seinem luftigen Lager, 
und selbst auf dem Geschützrohr hegend wusste sich der Schläfer 
nicht zu finden, denn es war noch dunkel; worauf ihn der Feuer- 
werker belehrte , dass dieses der Morgenschuss gewesen sei. Herr B. 
*kam mit einigen Beulen davon, mied aber für alle Zukunft die 
Nachbarschaft der Salutgeschütze. 

Der Gesandte empfing am 13. August Morgens in Singapore i3. August 
die Abschiedsbesuche der engUschen Officiere und der fremden Con- 
suln, und begab sich dann mit den übrigen Passagieren der Arkona 
nach dem Landimgsplatze, wo ihn der Oberrichter und der Brigadier 
mit ihrem Stabe erwarteten. Eine Ehrenwache bildete Späher. Das 
Boot stiess unter dem Donner der englischen Geschütze vom Ufer, 
und die dort versammelten Herren riefen den Scheidenden ein drei- 
maliges Hip hip hurrah nach. Alle nahmen die angenehmsten Er- 
innerungen mit, denn die englischen Beamten hatten sich nicht darauf 
beschränkt dem Gesandten des Königs von Preussen die schuldige 
Courtoisie zu erweisen, sondern waren mit persönlicher Liebens- 
würdigkeit darauf bedacht gewesen, ihm und jedem Einzelnen aus 
dem Gefolge den Aufenthalt so angenehm als mögUch zu machen. 



16* 



244 Einrichtung der Arkona. III. 

Als die Reisenden an Bord anlangten, hatte die Arkona den 
Salut des Forts bereits erwiedert und machte sich zur Reise klar: 
der, Schooner Frauenlob war schon etwas früher in See gegangen. 
Um drei Uhr hchtete Arkona die Anker und verliess unter Dampf 
die Rhede; eine Stunde später hatte sie den Schooner eingeholt und 
14. August, nahm ihn in das Schlepptau. Am vierzehnten Morgens sprang ein 
leichter Wind auf, die Feuer wurden gelöscht und der Schooner 
losgeworfen: beide Schiff'e setzten Segel. Am folgenden Tage war 
die Brise schwach und starb am sechszelmten ganz weg, die Arkona 
machte wieder Dampf und schleppte den Schooner. Es war sehr 
warm, doch erzeugt der Lauf des Schiffes immer einigen Luftzug, 
und die Hitze ist trotz den Feuern der Maschine bei weitem nicht 
so schwer zu ertragen als bei gänzlichem Stilleliegen unter der 
glühenden Tropensonne. 

Die Einrichtungen für die Passagiere waren an Bord der 
Arkona sehr zweckmässig. Der Gesandte wohnte in der Steuerbords- 
Ach tercajüte , neben ilim zu Backbord der Geschwaderchef, der 
seinen Schwager, Baron Bennet, als persönUchen Begleiter bei sich 
hatte. Die sogenannte Vorcajüte, einen die ganze Schiffsbreite von 
Bord zu Bord einnehmenden Raum, benutzten Graf Eulenburg und 
Capitän Sundewall gemeinschaftlich als Speisezimmer. Daran stiessen 
vier Kammern für die übrigen acht Passagiere, zwei zu jeder Seite 
der Batterie, die auf der Arkona höher und luftiger ist als auf der 
Thetis. Jede dieser Kammern war acht Fuss breit und zwölf Fuss 
lang; die eine schmale Seite nahmen zwei übereinandergebaute 
Schlaf cojen ein, und an der Schiffswand lief ein langer Tisch vor 
der Stückpforte hin , unter welchem das Rohr des hierhergehörigen 
Geschützes festgelascht war. An der Wand gegenüber blieb noch 
Raum für die Commoden und Koffer, und die ganze Einrichtung 
war so zweckmässig imd bequem als sie sich an Bord eines Kriegs- 
schiffes nur erzielen lässt. Wegen der Anwesenheit des Gesandten 
wurden den Passagieren auch etwas grössere Freiheiten gestattet 
als sonst auf Kriegsscliiffen Sitte ist, und da die Officiere ihnen mit 
grosser Liebenswürdigkeit entgegenkamen, so gestaltete sich das 
Leben an Bord sehr angenelnn. 

Der tägUche Dienst und die inneren Einrichtungen waren auf 
der Arkona im Wesentlichen dieselben, wie auf der Thetis, bis 
auf die durch die Dampfkraft bedingten Modificationen. Die Maschine 
liegt in der Mitte des Schiffes zwischen dem Fock- und Grossmast, 



III. Bau der Arkona. Das Musikcorps. 245 

und mit ihren wichtigsten Theilen unter der Wasserlinie; sie ragt 
in das Zwischendeck hinein, und der Maschinenraum ist oben offen, 
so dass man aus der Batterie hineinsehen kann. Das Verdeck da- 
gegen ist geschlossen; der Schornstein wird telescopartig auf- und 
niedergewunden, je nachdem man dampft oder segelt. Im Heck 
Hegt der Schraubenbrunnen, ein dicht vor dem Steuerruder vom 
Verdeck aus durch die Achtercajüte in das Wasser hinabführender 
viereckiger Schacht, in welchen die Scliraube hinaufgewunden wird, 
sobald man ohne ihre Hülfe segeln will. Dieses Manöver ist 
immer sehr sclnvierig und anstrengend und nimmt grosse Kräfte in 
Anspruch, denn die aus Bronze gegossene Schraube eines so grossen 
Schiffes ist von bedeutendem Gewicht. Eine Reserveschraube hegt 
auf dem Vorderverdeck. Die Arkona ist langer als die Thetis, und 
führt auf dem Verdeck nur ein grosses Pivotgeschütz am Buge; ihre 
Decke sind hoch und luftig. Sie hegt sehr schön auf dem Wasser 
und soll in dieser Beziehung eines der ausgezeichnetsten Schiffe ihrer 
Gattung sein. Das vollkommene Gleichgewicht ilirer Bauart bewahrt 
sich besonders bei starkem Winde, da sie denn, obgleich sclmialer 
als die Thetis, doch viel ruhiger liegt als diese, die noch immer 
als eine der besten Segelfregatten nach altem Sclmitt angesehen 
wird. Die Arkona ist das erste grössere Kriegsschiff das die 
königüchen Werfte geUefert haben; ihr fehlerhafter Theil ist nach 
dem Urtheil der Seeleute das Heck, welches durch den Schrauben- 
brunnen zu sehr geschwächt ist, so dass das Schiff bei kräftigem 
Arbeiten der Schraube und selbst bei schnellem Segeln in -starke 
Vibration geräth. 

Von dem grössten Werth war die Anwesenheit des Musik- 
corps an Bord der Arkona, das Morgens bei der Musterung auf 
Deck, und während des Mittagessens des Gesandten und Ge- 
schwaderchefs in der Batterie spielte. An der Tafel in der Vorcajüte 
nahmen auch Baron Bennet und der persönliche Attache des Ge- 
sandten, Graf August Eulenburg, Theil, ausserdem häufig einige 
eingeladene Gäste; die übrigen Passagiere assen sämmtUch in der 
Officiersmesse , wo zwar grosse Hitze, aber bei vortrefflicher Ver- 
pflegung die heiterste Stimmung herrschte. Abends versammelte 
sich meist die ganze Schiffsgesellschaft auf dem Verdeck; man sang 
und schwatzte bis in die späte Nacht und konnte sich aus den 
weichen thauigen Lüften kaum lossreissen. Diese Tropennächte 
auf der See sind von wunderbarer Herrlichkeit: die Gestirne strahlen 



246 Tropische Nachte. Gottesdienst. lU. 

in mildem Glänze vom Firmament, nicht wie bei uns in kalter 
trockener Winternacht mit hellem Gefunkel, sondern in sanft 
leuchtender Pracht. In der südlichen Hemisphäre waren unge- 
wohnte Sternbilder sichtbar, die strahlenden Centauren, der Scorpion. 
Das berühmteste Sternbild des Südpols, das südliche Kreuz, zeigt 
sich in diesen Breiten sehr unscheinbar, sein matter Glanz zieht 
kaum das Auge auf sich. — Der heimische Polarstem tauchte 
erst unter 6° n. Br. wieder aus dem Nebel des Horizontes auf. — 
Im Wasser furchte das Schiff eine breite Bahn, in welcher helle 
Puncte electrischen Lichtes glänzten. Auch das Seeleuchten ist in 
diesen Breiten nicht so intensiv als in finsteren nordischen Gewitter- 
nächten: die leuchtenden Puncte sind minder zahlreich, aber viel 
grösser und nicht so scharf begrenzt, von einem breiten Kranze 
milchigen Lichtes umgeben. 

Am 17. August stellte sich wieder Wind ein, und MTirden 
18. August Segel gesetzt. Den achtzehnten passirten die Schiffe die Inseln 
Catwick und Ceicer de Mer, in deren Nähe die See von zahlreichen 
Delphinenschaaren belebt war. — Sonntag den neunzehnten nach der 
Musterung hielt der Prediger Kreiher Gottesdienst in der Batterie; 
Liturgie und Choralgesang wurde von dem Musik corps begleitet. 
Der Gottesdienst an Bord bei ruhigem Wetter auf hoher See — 
bei heftigem Winde ist das Geräusch und die Unruhe im Schiffe 
zu gross — hat etwas besonders Erhebendes, denn die Natur des 
Meeres ist ernst und feierlich; da ist nichts, was die Andacht stören 
könnte*. Keine Gemeinde ist wohl so eng verbunden als die Mann- 
schaft eines Schiffes, und doch ist es so schwer für den Geistlichen 
sich einen erfreulichen Wirkungskreis zu schaffen. Das Seeleben 
ist mühselig, voll Entbehrungen und Gefahren, und entwickelt den 
menschlichen Charakter in sehr absonderhcher Weise. Selten wird 
der ächte Seemann vom Landmenschen vollkommen verstanden 
werden ; dieses Gefühl macht ihn verschlossen , und sogar empfindUch 
wo er sich unterschätzt glaubt. Seine steten Entbehrungen und 
Gefahren geben ihm, halb unbewusst, ein Gefühl seines Werthes 
und einer gewissen Grösse den kleinen Interessen des täglichen 
Lebens gegenüber: er setzt im Dienste stündlich sein Leben ein, 
und fühlt sich zu den Extremen des Genusses berechtigt, wo ihm 
eine kurze Ruhe wird. Wer diesem Bedürfniss nicht einige Rech- 
nung tragen und etwas nachsichtig sein will, wird sich schwerlich 
Eingang verschaffen; um aber recht auf ihn zu wirken, müsste der 



in. Mann aber Bord. 247 

Geistliche selbst Seemann sein, und diesem Berufe sein ganzes 
Leben widmen. 

An diesem Tage — den neunzehnten — stand die Sonne 
unter 12° 25' n. Br. und IIP 2' ö. L. im Zenith der Arkona, so 
dass deren Bewohner sich um Mittag als walure Schlemihle auf dem 
Verdeck bewegten. Der Wind blieb gut, ebenso die folgenden 
Tage. Am 21. August wurde unter 16° 13' n. Br. und 115° 1' ö. L. 
die Macclesfield-Bank passirt. 

Am zweiundzwanzigsten Vormittags liefen die Schiffe unter 22. August 
leichter Brise über die ruhige See, — da ertönte gegen elf ülir auf 
der Arkona plötzlich der Ruf » Mann über Bord « ; ein Matrose 
trieb ruhig schwimmend im Kielwasser. Man hegte an Bord keine 
Besoi^niss, denn der Mann war als einer der besten Schwimmer 
bekannt; die ausgeworfenen Rettungsbojen fielen dicht bei ihm 
nieder, die Corvette wurde sogleich beigedreht und der Cutter zu 
Wasser gebracht; noch vor ihm erreichte ein Boot des Frauen- 
lob , der seitwärts hinter dem Flaggschiffe segelte und durch Signal 
avertirt war, den Ort wo die Bojen schwammen — aber der Mann 
war verschwunden , nur sein Hut trieb auf dem Wasser. Die Boote 
fuhren von dem Schooner gefolgt noch weit hinaus, aber alles 
Suchen blieb fruchtlos. ' Da die See ganz ruhig war und kaum zehn 
3Iinuten bis zur Ankunft des ersten Bootes bei den Bojen vergingen, 
so ist anzunehmen, dass der Unglückliche von einem Haifische in 
die Tiefe gerissen wurde. Einige Matrosen, die im Kreuztop standen, 
sahen ihn dicht bei der einen Boje plötzUch verschwinden. — Der 
Grund seines Sturzes war das Reissen eines alten Taues, das er um 
die Kette des zweiten Cutters befestigen sollte. Ein mit ihm arbei- 
tender Camerad, der ihn als vorzüglichen Schwimmer kannte, rief 
noch scherzend, er möge doch nach seinem Hut greifen den er im 
Fallen verlor. 

Es war der zweite Mann der Arkona, der seit ihrem Aus- 
laufen von Danzig auf diese Weise umkam. Das erste Mal geschah 
es südlich vom Cap, bei so hoher See dass man für das ausge- 
setzte Rettungsboot fürjchtete. Diesmal aber waren alle Umstände 
so günstig dass Niemand an ein Unglück dachte, und der Verlust 
wirkte um so niederschlagender. Wie tief ein solches Ereigniss in 
das Leben der Mannschaft eingreift, weiss nur, wer es erlebt hat; 
denn so zufallig auch eine Schiffsgesellschaft zusammen gewürfelt 
sein mag, unter Menschen, die durch gemeinsame Interessen 



248 Haifische. III. 

verbunden und auf einem engen Räume zusammengedrängt sind, 
bildet sicli immer ein Familienverbältniss , und jeder föhlt lebhafU 
wenn einer weniger geworden ist 

50. August. Am dreiundzwanzigsten Abends wurde es wieder windstill: 

die Officiere warfen Angeln aus, da sich Haifische in der Nähe 
gezeigt hatten. Einer davon biss an, riss sich aber beim Herauf- 
ziehen paeder los, ehe ihm eine Schlinge übergeworfen werden konnte. 
Gegen acht Uhr nahm die Arkona den Schooner wieder in das 

24. August. Schlepptau. — Am vierundzwanzigsten, da die Maschine wegen 
Reparatur eines Bolzens stiU stehen musste und das Schiff mehrere 
Stunden lang unbewegUch auf der glatten Fläche lag, "wurden aber- 
mals Haiangeln mit grossen Stücken Speck als Köder ausgeworfen. 
Drei Haifische bissen an und wurden zum grossen Jubel der Mann- 
schaft heraufgeholt. Sie waren gegen fünf Fuss lang, der Kopf fast 
apderthalb Fuss breit, Rücken und Bauch mit starken Flossen bedeckt, 
die Farbe grau. Im Rachen standen sechs Reihen scharfer Zähne, 
deren geringe Grösse zeigte dass diese Fische keine ausgewachsenen 
waren. An jedem Hai hingen mehrere Saugfische von zwei bis 
acht Zoll Länge. Die Ungeheuer wurden mit starken Schlingen an 
Bord gezogen, und schlugen und schnappten gewaltig um sich, ver- 
loren aber bald die Kräfte als man ihnen dicke Handspaken in 
den Rachen stiess, und wTirden von der Mannschaft im Triumph 
über das Verdeck nach vorne geschleift. Alle Seeleute haben einen 
natürlichen Ingrimm gegen die Haie, ihre geborenen Feinde, und 
dieser war bei den Arkonaleuten noch durch den eben erzählten 
Unglücksfall geschärft. Sie übten grausame Vergeltung an den 
Gefangenen , und Einer schrie unter wüthendem Zuschlagen : » Wart.e 
nur, Canaille, du hast minen Cameraden gefreten«. Der Commandant 
des Seesoldatendetachements , Lieutenant von Imhoff, erhielt von 
einem der verendenden Fische einen Schlag an das Bein, der ihn 
auf einige Zeit lahm legte. 

Essbar ist nur der Schwanz des Haifisches; der Thran heilt 
nach Seemannsglauben den Rheumatismus. Aus den Flossen, welche 
reich an gelatinösen Substanzen sind, machen die Chinesen einen 
Leckerbissen. 

Gegen halb sechs Uhr desselben Tages bemerkte man in der 
Nähe des Schiffes eine Menge im Wasser schwimmender Gegen- 
stände, und glaubte Schiffsplanken, Masten, angebrannte Balken, 
ja versiegelte Flaschen, kurz Ueberreste eines untergegangenen 



in. FoimosR. Botel Tabago. 249 

Schiffes zu erkennen. Capitän Sundewall liess Boote zu Wasser 
bringen, die aber nur einige Früchte, Bambusrohre und Holz- 
stücke fanden, an welchen viele Seethiere sassen. Einer der auf- 
gefischten Gegenstande mochte wohl ein Kinderspielzeug sein; ein 
Holzklotz, auf dem ein Bambusrohr als Mast mit Binsen befestigt 
war. Die herausgeholten Hölzer schienen eher verfault als ver- 
brannt, und Alles deutete vielmehr auf die Nähe einer Insel als 
auf ein Wrack. Wahrscheinlich hatte die Meeresströmung sie von 
dem nahen Formosa herangetrieben. 

Früh am funfundzwanzigsten wurde die Südspitze dieser Insel 25. August. 
sichtbar, ein hohes Gebirge; von dem niedrigen Küstenlande, das 
Ritter erwähnt, war auf achtzehn Seemeilen Entfernung nichts zu 
sehen. — Gegen Mittag erreichten die Schiffe die Insel Botel Tabago, 
auf der man durch die Femgläser Häuser, Palmen und selbst 
Menschen gewahren, deren Farbe und Tracht aber nicht unter- 
scheiden konnte. Der Cours führte zwischen dieser und der kleineren 
Felseninsel Little Botel hindurch, doch wurde am Ausgange der 
Durchfahrt eine weisse Brandung sichtbar, die sich, wahrscheinlich 
von unterseeischen Riffen herrührend , queer über die Enge von Insel 
zu Insel zog. Capitän Sundewall liess deshalb umlegen und um 
Botel Tabago herumsteuern. — Die hohen Berge von Formosa 
blieben den ganzen Tag in Sicht. Da diese Gebirge den grössten 
Theil des Sommers hindurch mit Schnee bedeckt sind, so lässt 
sich nach A. v. Humboldt's Berechnung auf eine Erhebung von 
über. 11,000 Fuss schliessen. 

Am sechsundzwanzigsten wurde die Insel Patsusan von der 26. August. 
3Iadzikosima- Gruppe sichtbar, von welcher eine hohe Säule dichten 
Rauches aufstieg. Nachmittags erhob sich Wind, um halb fünf 
wurde der Schooner losgeworfen und Segel gesetzt: die Schiffe 
stampften bei hoher Dünung aus Norden gewaltig. Gegen zehn fiel 
starker Regen, den die Mannschaft freudig begrüsste und zum 
Waschen und Baden benutzte. An diesem Tage passifte man den 
Wendekreis; die Abende wurden schon kühler, bei Tage aber hielt 
sich die Temperatur fast constant auf 30° C. — Am siebenund- 27. August, 
zwanzigsten Morgens wieder starker Regen: die Dünung noch heftiger 
als am Tage zuvor, der Wind günstig aus N.W.: die Pforten 
der Batteriekammern mussten geschlossen werden, die durchheiz- 
ten Wände strahlten glüliende Hitze, während die äussere Luft 
kühler war. 



250 Verdächtiges Fahrzeug. Sturm. III. 

2«.Augu8t. Die grosse Liukiu- Insel, deren Höhe die Schiffe am achtund- 

zwanzigsten Morgens erreichten, wurde wegen des dichten Nebels 
nicht sichtbar. Der Wind nahm zu und erzeugte eine hohe See; 
während der Nacht und am folgenden Tage zogen mehrere Regen- 
böen herauf, so dass wiederholt alle Mann aufgepfiffen, und Segel 
gekürzt und eingenommen werden mussten; die Atmosphäre war 
hier offenbar aus dem Gleichgewicht, und ihre Aufregung theilte 
sich den Schiffen mit wo es wenig Ruhe gab. Am neunund- 
zwanzigsten Nachmittags wurde der Wind wieder schwächer, und 

30. August, am dreissigsten trat völlige Stille ein, so dass Capitän Sundewall um 
^ zehn Uhr Morgens die Maschine der Arkona heizen Hess. Schon 

Tages zuvor war ein verdächtiges Fahrzeug in Sicht gewesen, eine 
Brigg, die auch jetzt trotz der Aufforderung der Arkona die Flagge 
nicht zeigte. Als diese aber jetzt unter Dampf auf sie lossteuerte, 
hisste sie die englische und signaUsirte, sie heisse Windhover, 
komme aus Futsau und gehe nach Sydney. Capitän Sundewall 
liess sie ohne weitere Untersuchung gehen , doch bUeb es auffallend, 
dass sie den entgegengesetzten Cours steuerte. Die Officiere be- 
merkten, dass ihr Verdeck für ein Handelsschiff ungewöhnlich klar 
sei und dass sie nicht alle Geschütze zeige. Vielleicht hatte sie eine 
Ladung chinesischer Kuh's für Amerika an Bord, und mochte deshalb 
die nähere Berührung mit dem Kriegsschiffe zu meiden suchen. 

.31. August. Den 31. August gingen die Schiffe unter Dampf weiter. In 

der Nacht zum 1. September wurde der Schooner losgeworfen, 
aber, da die Brise bald nachliess, schon am Morgen wieder in das 
Schlepptau genommen. Gegen Abend wurde der Wind wieder etwas 
stärker und dabei auffallend heiss, die Luft war sehr 'drückend. 

2. Septbr. Dcu 2, September Morgens gegen vier Ulir weckte der Ruf 

»Alle Mann auf, klar zum Manöver« sämmtUche Bewohner der 
Arkona aus dem Schlafe. Die See ging hoch, der Himmel war 
bezogen , der Wind blies heftig aus O. N. O. und es l)egann zu 
regnen. Schon war der Frauenlob ausser Sicht, naclidem um 
drei Uhr bei dem heftigen Seegange die Trosse gerissen, an der 
er geschleppt wurde. Das Gross - Marssegel der Arkona wurde 
dicht gerefft, fast alle übrigen Segel eingenommen und die Feuer 
gelöscht, da die Schraube gegen den heftigen Wind nicht ankämpfen, 
die Maschine aber leicht beschädigt werden konnte. Sämmtliche 
Pforten wurden geschlossen , was zu bergen war geborgen, und alle 
Vorbereitungen getroffen um einem grossen Sturme zu begegnen. 



IIL Der Taifun. 251 

denn der Wind gewann zusehends an Stärke. Da die Küste von 
NipPON leewärts in grosser Nähe lag, so suchte der Commodor mit 
Hülfe der Segel zu halsen, d. h. das SchiflF gegen den Wind zu 
drehen und über Süden nach Osten zu lenken — aber vergebens; 
der auf das Heck und den Kreuzmast immer starker drückende 
Luftstrom wirkte den Segeln entgegen, und die Arkona gehorchte 
nicht mehr ihrem machtlosen Steuer. Um sieben begann das SchiflF 
sich stark auf die Seite zu legen. Noch war die Luft hell genug 
um zu sehen, wie die Wogen sich Hügeln gleich hintereinander in 
Reihen thürmten, vom eigenen Gipfel in milchweissem Schaume 
herabstürzend. Das Barometer fiel mit ungewohnter Schnelligkeit 
und man wurde inne, dass der gefürchtete Taifun — so heissen 
die mächtigen Wirbelorcane, denen um diese Jahreszeit hier selten 
ein SchiflT entgeht — wirklich losgebrochen war. Um acht Uhr 
wurde es so dunkel, dass man das Ende des Schiffes nicht mehr 
sehen konnte: Meer und Wolken schienen sich zu verschlingen. Die 
Wogen standen Mauern gleich und der Sturm peitschte den Wasser- 
schaum wie dichten Nadelregen durch die Luft. See- und Regen- 
wasser ergoss sich in Strömen über das Deck imd durch alle 
Oeflhungen in die Batterie hinunter; Wind und Wellen rauschten 
nicht mehr, Alles bebte und donnerte, so dass man sein eigenes 
Wort kaum hörte und die Conmiandos von Mann zu Mann weiter 
gegeben werden mussten. Nur mit der grössten Anstrengung und 
die queer über Deck gespannt-en Seile fassend konnten sich die 
Matrosen fortbewegen. 

Der Wind ging nach Osten herum, und die Segel flogen mit 
lautem Krachen berstend in Fetzen über Bord. Raaen und Spieren 
sausten von den Masten nieder, und in der Takelage schlugen die 
Tauenden den Leuten die Köpfe blutig. Mit zerrissenen Kleidern 
und halb besinnungslos stiegen viele von oben herab, und so gross 
war die Gewalt des Windes, dass einem Matrosen in den Wanten 
das wollene Hemd buchstabUch in Fetzen vom Leibe geblasen wurde. 
Eine See schlug in die zu Backbord hangenden Boote; der erste 
Cutter und die Jolle füllten sich mit Wasser, die Davids brachen 
unter der Last und beide Boote versanken. 

Die Arkona schlängerte, vom Winde leewärts fest in die 
Wogen gedrückt, nur wenig, und holte selten stark nach Back- 
bord über, obgleich die Neigung nach Steuerbord über 30 Grad 
betinig. Eine gewaltige Welle nach der anderen rollte donnernd 



252 Gefahrliche Lage. 111. 

unter ilir fort: das gute Schiff bäumte sich jedesmal mäclitig empor 
und glitt dann, seinen äussersten Bord in das Wasser tauchend, 
ruliig in das Wogenthal hinab. Nur zweimal wälzte sich eine un- 
bändige See, den Galion umschlingend, vom Bugspriet her über das 
ganze Verdeck, und stürzte brausend in die Batterie, in das Zwischen- 
deck hinab. Dort waren die Geschütze und alles BewegUche durch 
stärkere Taue gesichert worden; aber in den Kammern der Passa- 
giere sah es entsetzlich aus, denn diese hatten, nur an schönes 
Wetter gewöhnt und mit der Macht der Elemente nicht vertraut, 
sich wenig vorgesehen, und nun flog Alles was nicht niet- und nagel- 
fest war, in lustigem Tanze durcheinander. Weder Tisch noch Stuhl, 
weder Coje noch Hangematte boten einen sicheren Ruheplatz; ein 
Stück nach dem anderen machte sich von den Wänden und aus den 
Winkeln los, wohin sie gestaut waren: Hutschachteln, Gläser, Dinten- 
fässer, Spiegel und Kasten wurden lebendig, flogen in unberechen- 
baren Richtungen umher und nahmen die halsbrechendsten Posituren 
an; glückUch wem nicht eine schwere Schiffscommode auf den Leib 
taumelte. Am Fussboden wogte das Wasser mehrere Zoll hoch, 
darin schwammen Bücher, Bürsten, Stiefel und Cigarrenbüclisen. 
und wer nicht Acht gab zerschnitt sich die Füsse an den herum- 
liegenden Scherben. Dabei herrschte unten tiefe Dunkelheit: der 
Boden war glatt wie Eis und man musste sich mit Händen und 
Füssen festhalten, um nicht beim Ueberholen über die ganze Breite 
des Schiffes geschleudert zu werden. Es war ein unbeschreib- 
licher Zustand. 

Um neun Uhr ging der Wind nach Süd -Osten herum und 
wurde etwas schwächer; zwischen ein viertel und halb zehn stand das 
Barometer am niedrigsten , das Quecksilber war in anderthalb Stunden 
um einen Zoll gesunken. Bald darauf erhob sich der Wind, der 
indess durch O.S.O. und S.O. nach Süden herumgegangen war, 
wieder zu seiner früheren Heftigkeit: alle Seeleute versicherten etwas 
Aehnliches nie erlebt zu haben. 

Der Theorie der Cyclone gemäss hätte man den Cours nach 
N.O. beibehalten müssen, um so in der Richtmig, in welcher er 
kam, wieder hinauszusegeln; aber auch hier lag das Land in grosser 
Nähe, und die Gefahr zu stranden wuchs mit jedem Augenblick. 
Da alle am Fockmast aufgebrachten Segel wegflogen, so schickte 
Capitän Sundewall die Mannschaft in die Wanten hinauf, um die Luft 
zu fangen, aber vergebens, das Schiff konnte nicht zum Abfallen 



m. Ruhige See 253 

gebracht werden. Der Capitän Hess nun die Maschine heizen. 
Schon waren die Backbordwanten arg gelockert und die Masten 
drohten über Bord zu gehen, — die Maimschaft arbeitete mit un- 
säglicher Anstrengung und Gefahr, uin sie durch Balken und Tauwerk 
zu sichern, — schon standen die Zimmerleute mit den Beilen bereit, 
um als letzte Auskunft den Kreuzmast zu kappen, — da machte 
gegen halb zwölf die Schraube , unter allgemeiner ängstlicher Span- 
nung, ihre ersten Umdrehungen: das Schiff gehorchte dem Steuer 
und drehte sich in den Wind. — Schon gegen zwölf Hess die 
Gewalt des Sturmes wieder nach; um drei Ulir brach die Sonne 
durch die Wolken, und gegen vier war das Meer ziemlich ruhig. 

Aller Augen spähten nach dem Schooner, aber vergebens 
wurde der ganze Horizont mit den Fernrohren abgesucht. Seine 
Besorgnisse mochte Niemand aussprechen, 'doch machten die er- 
fahrensten Seeleute ernste Gesichter. Die Gewalt des Sturmes und 
der Wellen war so gross, dass ihnen kein Schiff mit Sicherheit 
hätte trotzen können. Die Arkona, welche sonst leicht an den 
Wind geht, trieb lange steuerlos auf den Wellen, und wurde wahr- 
scheinlich nur durch ihre Schraube gerettet: der Schooner aber 
hatte dieses Hülfsmittel nicht, und mag auf hoher See von der 
Gewalt der Wogen zerschlagen worden sein. Nur acht Tage später, 
in dem Taifun des 9. September, sank vermuthlich auf dieselbe 
W-eise die englische Zehnkanonenbrigg Camilla, welche auf der 
kurzen Reise von Hakodaoe nach Yeddo spurlos verschwand. — 
Die japanische Regierung Hess auf Ersuchen des Grafen Eulenburg, 
nach dessen Ankunft in Yeddo, Nachforschungen an allen Küsten 
des Landes anstellen, aber ohne Erfolg, es wurde niemals eine 
Spur vom Wrack des Frauenlob entdeckt. Die Küsten sind dicht 
bevölkert, Tausende von Dschunken befaliren die umgebenden 
Meere, und es wäre bei der minutiösen Genauigkeit und Wach- 
samkeit der japanischen Behörden undenkbar, dass man nicht 
Nachricht von ausgespülten Trümmern oder sonstigen Ueberresten 
erhalten hätte, — aber bis heute hat sich nichts gefunden. Die 
preussische Marine verlor an dem Commandanten Lieutenant Rehtzke 
einen ihrer ausgezeichnetsten Officiere , und mit ihm eine Mannschaft, 
die sich in den furchtbaren Strapazen der Stürme am Cap der Guten 
Hoffnung vorzügUch bewährt hatte. 

Die Mannschaft der Arkona arbeitete am 2. September von 
vier Uhr Morgens bis Mittag unausgesetzt und angestrengt, und 



254 Die Mannschaft. Verwüstung auf der Arkona. III. 

löste die gefährlichsten und schwierigsten Aufgaben olme einen 
Augenblick ihre Kaltblütigkeit und gute Laune zu verlieren. Der 
Kampf mit den Elementen schien im Gegentheil die Energie und 
Fröhlichkeit der von Natur etwas träumerischen und schwerfal- 
ligen Ostseeleute zu wecken, sie stiegen munterer in die Wanten 
als beim herrhchsten Wetter, und hielten aus bis zum letzten Augen- 
bUck ohne zu wanken und zu weichen. Ihre Unerschrockenheit 
und Ausdauer, und die Ruhe und Geistesgegenwart des Comman- 
danten und aller Officiere gab auch den Passagieren Vertrauen und 
Sicherheit, und wer nicht an Seekrankheit Utt, fand in dem ge- 
waltigen Aufrulir der Elemente den grossartigsten Genuss. 

Der Orkan war sehr kurz und bew^egte sich von S.O. nach 
N.W. Sein Durclmiesser muss sehr klein, seine Axe der Arkona 
um ein viertel auf zehn am nächsten gewesen sein. Der Wind 
bUes zwiscEen zehn und elf schon aus S.S.W., später aus S.W., 
und hatte so in wenig Stunden die halbe Windrose durchlaufen. 
Der niedrigste Barometerstand (um 9 Uhr 15 Minuten) war 28,96: 
von halb zehn fing das Quecksilber wieder an zu steigen, stand um 
halb zwölf auf 29,75, und um acht Uhr Abends auf 30,14. Die 
grösste Differenz betrug fast vierzehn Linien. 

An Frühstück war an diesem Tage nicht zu denken gewiesen ; 
man« suchte sich eines Schiffszwiebacks zu bemächtigen xind zer- 
malmte ihn, so gut es gehen wollte. Nachmittags konnte aber 
wieder Feuer gemacht werden, und um vier Uhr setzte man sich 
in der Officiersmesse mit rühmlichem Appetit zu Tische. Seit dem 
Morgen hatte sich auch dort Vieles verändert, denn für solch' tollen 
Tanz war die Stauung der Schränke nicht eingerichtet; mancher 
Teller, manche Flasche brach den Hals, und mancher gestern noch 
rüstige Stuhl hinkte jetzt auf drei Beinen. — Die Passagiere arbei- 
teten den ganzen Abend, um ihre Kammern wieder bewohnbar zu 
machen. Der Verlust an Booten, Segeln und Takelage war kein 
geringer, aber der Bau des Schiffes hatte sich glänzend bewährt. 

Gegen Abend bezog sich der Ilinunel wieder und es begann 
zu regnen, aber die Luft bUeb still und das Schaukeln des Schiffes 
3. septbr. wicgtc die ermüdete Mannschaft in sanften Schlaf. Am folgenden 
Morgen hatte sich die See wnieder ganz beruhigt; da ein günstiger 
Südwind aufsprang, wurden die Feuer gelöscht und Segel gesetzt 
Das Besteck war trotz den vielen Coursänderungen und der Un- 
möglichkeit, bei der hohen See die Geschwindigkeit durch Loggen 



in. Cap Idsu. Der Golf von Yeddo. Zu Anker auf der Rhede. 255 

ZU bestimmen, sehr richtig berechnet worden. Die Mittagsobsexvation 
gab eine genaue Ortsbestimmung, der Cours brauchte nur wenig • 
geändert zu werden; die Arkona lag grade auf Cap Insu los, und 
gegen Abend kam Land in Sicht. Um aber diese durch viele Insehi 
und Riffe gefahrliche und durch die Seekarten nur ungenau bekannte 
Strecke nicht bei Nacht zurückzulegen , liess Capitän Sundewall bei- 
drehen und das Sclüff bis zum nächsten Morgen ziemhch auf der- 
selben Stelle halten. 

Am 4. September früh war fast die ganze Schiffsgesellschaft 4. Septbr. 
auf Deck. Der Fusiyama erhob sich rosig beleuchtet aus einer 
weissen Wolkensclücht, während das tiefere Land noch in schattigem 
Dunkel lag. Unter leichten Schauem tauchte die Sonne glänzend 
aus dem Meere, und auf den Bergen stand ein prächtiger Regen- 
bogen. Cap Idsu würde in früher Morgenstunde umschifft, östlich 
der breite Kraterberg Ohosima mit dampfendem Gipfel. Gegen 
Mittag erreichte die Arkona Cap Sangami, am Eingang in den 
engeren Golf von Yeddo , und lief um zwei Uhr an Uraga vorbei. — 
Am Ufer liegen viele Batterieen, davon eine en etagere mit zwei 
Stockwerken übereinander, und zwei andere in einer dreieckigen 
Vertiefung im Felsen. Die Brustwehren sind theils zum Ueber- 
bankfeuern eingerichtet, theils mit Scharten versehen. Bomben- 
feste Räume und Reduits sah man nicht; die Wachthäuser schie- 
nen aus leichtem Holze gezimmert. Nur ein Theil der Batterieen 
war armirt. 

Aus den vielen Buchten ergoss sich eine Flotte von Fischer- 
booten in den Golf; einige liessen sich langseit treiben um die 
Arkona zu besehen, doch wurde kein Versuch gemacht sie auf- 
zuhalten. Gegen vier Uess der Wind nach und Capitän Sundewall 
gab den Befehl zu heizen ; um fünf Uhr lief das Schiff an Kanagava 
vorbei, wo europäische Kauffahrer und einige japanische Kriegs- 
schiffe vor Anker lagen. Von hier an hat die Bai geringe Tiefe, 
und da die vorhandenen Seekarten sehr unvollkommen sind , konnte 
man nur langsam unter beständigem Lothen vorwärts schreiten. Um 
drei viertel auf sieben warf die Arkona auf der Rhede von Yeddo 
Anker. Es war schon dämmerig und von der noch fünf Seemeilen 
entfernten Stadt wenig zu sehen, doch entzündete sich beim Eintritt 
der Dunkelheit am Ufer ein förmliches Lichtmeer; eine Menge vor 
der Stadt ankernder Fischerdschunken stellten bei Fackellicht ihre 
Netze. Bald erschien ein japanisches Boot, um nach dem Vaterlande 



256 Boote vom Lande. III. 

des Schiffes zu fragen: der wachthabende Officier zeigte eine 
preussische Flagge. Nachher kam auch ein Boot der französischen 
Gesandtschaft mit derselben Frage; Graf Eulenburg liess antworten 
und für den nächsten Morgen um Nachrichten über die Lage der 
Dinge am Lande bitten. 

Um neun Uhr wurde Zapfenstreich geschlagen, und die Musik 
bhes den Choral »Nun danket Alle Gott«. 



IV. 



YEDDO. 

VOM 5. BIS 16. SEPTEMBER. 



Am 5. September früh kam Herr Heusken, der Secretair des 
amerikanischen Minister -Residenten an Bord, um seine Dienste als 
Dolmetscher anzubieten. Er überbrachte ein Schreiben seines Chefs, 
welcher ihn dem preussischen Gesandten für die Zeit seiner Anwe- 
senheit in Yeddo zur Disposition stellte, eine erwünschte Artigkeit 
die dankbar angenommen wurde. Heusken, ein geborener Holländer, 
hatte mit Herrn Harris mehrere Jahre in Simoda gelebt, beim Ab- 
schluss des amerikanischen und des englischen Vertrages die wesent- 
hchsten Dienste geleistet'), und war dem Gesandten schon aus 
Oliphant's Buch über Lord Elgin's Reise bekannt. Seine persön- 
liche Liebenswürdigkeit trat gleich bei der ersten Begegnung zu 
Tage ; damals ahnte wohl Niemand unter den Reisenden , dass sie den 
jugendkraftigen , mit den glückUchsten Naturanlagen ausgestatteten 
Freund in wenig Monaten zu einem frühen, traurigen Grabe ge- 
leiten sollten. 

Bald nach Heusken kam auch der Abbe Girard, der Chef 
der katholischen Mission in Japan, welcher als Dolmetscher der 
französischen Gesandtschaft fungirte , und etwas später der Minister- 
Resident, Herr Duchene de Bellecourt selbst an Bord. 

Die Mittheilungen dieser Herren waren keineswegs ermuthi- 
gend. Herr von Bellecourt erzählte, dass erst vor wenigen Tagen 
die japanischen Minister der auswärtigen Angelegenheiten ihn be- 
schworen hätten dahin zu wirken, dass Preussen keinen Bevoll- 
mächtigten und keine KriegsscliifFe nach Yeddo sende; denn so 
fest sie überzeugt seien, dass jeder neue Handelstractat mit einer 
fremden Nation das schon durch die bestehenden Verträge über 
Japan gekommene Unglück noch vermehren würde , so hielten sie es 

^) S. den einleitenden Abschnitt S. 179, 182. 
I. 17 



258 Aussichten. Schreiben an die Regierung. IV. 

doch für schwierig auszuweichen , wenn sich preussische Kriegsschiffe 
vor Yeddo legten. In älmUcher Weise äusserte sich Plerr Heusken, 
der im Namen seines Chefs die Abschrift einer erst vor wenigen 
Tagen — am 2. September — an denselben gerichteten Note der 
japanischen Minister des Auswärtigen übergab, aus welcher hervor^ 
ging, dass dieselben zur Zeit wenigstens ausser Stande zu sein 
glaubten, sich auf einen Vertrag mit Preussen einzulassen. Mit den 
Portugiesen hatten sie zwar erst vier Wochen vor Ankunft der 
Arkona nach heftigem Widerstreben einen Handelstractat geschlossen, 
doch kam dieser nur deshalb zu Stande, weil sie den Holländern 
einige Jahre zuvor ausdrückUch versprochen hatten mit Portugal 
wieder in Verkehr zu treten, und der holländische Resident jetzt 
auf Erfüllung der eingegangenen Verpflichtungen bestand. 

Ungeachtet dieser wenig versprechenden Eröffnungen richtete 
(jrraf Eulenburg sogleich eine Note an die japanischen Minister, 
worin er seine Ankunft und den Zweck seiner Sendung anzeigte, 
und den Wunsch aussprach am Lande zu wohnen. Der französische 
und der amerikanische Vertreter stellten ihm beide in der zirvor- 
komimendsten Weise ihre Häuser zur Verfügung, doch war das 
Personal der Expedition für solche Gastfreundschaft zu zahlreich, und 
der Gesandte musste es vorziehen, die japanische Regierung 
um Anweisung einer passenden Wohnung für sich und sein Gefolge 
zu ersuchen. Herr Heusken übernahm die Besorgung des Schreibens, 
welches deutsch abgefasst und von einer holländischen Uebersetzung 
begleitet war. — Noch an demselben Abend erschien ein Beamter 
— natürhch in doppelter Ausgabe — an Bord der Arkona, welcher 
erklärte, mit der Antwort des Ministeriums beauftragt zu sein, 
und vorgelassen zu werden verlangte; Graf Eulenburg liess die 
Herren von dem wachthabenden Officier und dem Attache du jour 
in der Vorcajüte empfangen. Ihr Auftrag war mündUch: ein Haus 
zur Aufnahme des Gesandten werde eben eingerichtet und solle 
am folgenden Mittag bereit sein; wolle derselbe um diese Zeit 
landen, so werde er gebührend empfangen werden; man möge die 
Zahl der erforderhchen Sänften und Pferde angeben. Sie erhielten 
zur Anwort, man wisse die Höflichkeit zu schätzen, mit der sie sich 
beeilt hätten noch an demselben Tage und so spät Abends die ge- 
wünschte Zusage zu überbringen, die Etiquette erfordere aber eine 
schriftliche Erwiederung, welche auch zur Vermeidung aller 
Missverständnisse wünschenswerth sei. Die Japaner wandten ein. 



IV Antwort der Minister. Landung. 259 

dass dadurch bedeutende Verzögerungen entstehen würden, da am 
folgenden Tage der französische Minister- Resident eine Audienz 
beim Taikün*) habe; erst am Freitag könne das Antwortschreiben 
abgefasst, und müsse dann noch in das Holländische übersetzt 
werden. Sie erklärten sich aber bereit, der Regierung die Wünsche 
des Gesandten zu melden. — Die Unterhaltung wnirde holländisch 
gefuhrt, die Japaner hatten ihren Dolmetscher bei sich; ihr Benehmen 
war durchaus anständig, fein und gesetzt, sie sprachen ruhig und 
bestimmt, ohne zu stocken. »Wir sehen Sie zum ersten Male«, 
lüess es, »und Sie empfangen uns wie alte Freunde«. Dabei schienen 
die vorgesetzten Erfrischungen , namentlich Goldwasser und Cigarren, 
ihren Beifall zu haben. Man trank sich gegenseitig zu, und sie 
verliessen das Scliifi' in der besten Laune. 

Schon am 6. September kam die schriftliche Ant^\^ort, sie 6. Septbr. 
war japanisch verfasst und von einer holländischen üebersetzung 
begleitet. Der Gesandte sass grade bei Tische und man führte die 
Japaner in die Officiersmesse , wo sie es sich bei Champagner und 
Liqueuren eine Zeit lang gefallen liessen , dann aber dringend baten, 
wie die Abgeordneten am Tage zuvor in der Vorcajüte empfangen 
zu werden; man that ihnen nach aufgehobener Tafel gern den Willen 
und sie entfernten sich befriedigt. Das Schreiben der Regierung 
enthielt nichts Neues; Graf Eulenburg liess sagen, dass er am 
Sonnabend an das Land zu gehen denke und um einen Beamten 
bitte, welcher den Booten den Weg zeigte. 

Sonnabend den 8. September Morgens regnete es in Strömen, 8. Scptbr. 
so dass die Abfahrt von der Arkona um zw^ei Stunden verschoben 
werden musste. Erst um Mittag bestieg man die Boote , welche — in 
Kreuzesform geordnet — auf das Land zuruderten , während die mit 
Flaggen festhch geschmückte Arkona den schuldigen Salut gab. Vorauf 
fuhr die erste Pinasse, dann der Cutter, dann die Gig des Geschwader- 
chefs mit dem Gesandten, dann die zweite Pinasse, auf den Flanken 
die beiden Barcassen. Alle Boote waren armirt. Die Fahrt — fünf 
Seemeilen — nahm bei dem schlechten Wetter und der starken 

^ Der Ausdruck <*TaTkün« für Siogün ist ganz neuen Datums, und kommt erst 
seit dem Abschluss des englischen Vertrages 1858 vor. Er scheint ausdrücklich filr 
die Fremden erfunden und in Japan nur den mit ihnen verkehrenden Beamten bekannt 
zu sein. Da dieser Ausdi'uck schon gewissermaassen in die europäischen Sprachen 
übergegangen ist, so muss er in den folgenden Blättern wolil beibehalten werden, 
um so mehr als der richtige Titel Siooün nur wenig bekannt ist. 



17* 



260 lustalliiung in der Legation. IV. 

Bemannung fast zwei Stunden in Anspruch. Am Landungsplatze 
liefen sämmtliehe Boote der Gig vor, welche zuletzt anlegte: die 
Seesoldaten und Matrosen wurden ausgeschiflFt und bildeten Spalier. 
Graf Eulenburg bestieg, von mehreren japanischen Staatsbeamten 
begriisst, mit seinen Begleitern die bereitgehaltenen Pferde , und der 
Zug setzte sich in Bewegung: voran die Musik, das PreussenUed 
spielend, dann ein Detachement von vierzig Seesoldaten, dann der 
Gesandte mit dem Commodor, gefolgt von den übrigen Herren vom 
Civil und einigen Marineofficieren, zuletzt ein Detachement von 
vierzig Matrosen. Der Zulauf der Bevölkerung war. Dank dem 
schlechten Wetter und dem aufgeweichten Boden, nicht so gross 
als man erwartet hatte, und die Musik schien viel weniger Eindruck 
zu machen, als die Bewaffnung und militärische Haltung der See- 
soldaten. Den Japanern verbietet ein Gesetz jede Entblössung der 
Klinge auf der Strasse, — so mussten die blanken Waffen unserer 
Soldaten und der gezogene Degen des commandirenden Officiers 
wohl einiges Aufsehn erregen. — Nach halbstündigem Marsch durch 
eine lange grade Strasse erreicht der Zug sein Ziel, ein statthches 
Portal öfl&iet seine Flügel, Die Seesoldaten und Matrosen marschiren 
— oder steigen vielmehr über den zwei Fuss hohen Schwellbalken — 
in den Hof, und hissen unter militärischem Salut die preussische 
Flagge an dem dort aufgepflanzten Mast, die Gesandtschaft nimmt 
Besitz von dem weitläufigen Gebäude. In den Empfangszimmern waren 
Erfrischungen aufgetragen, Backwerk und Früchte, dazu wurde Thee 
gereicht; man konnte sich endlich trocknen und reinigen. Nun er- 
schienen mit ansehnlichem Gefolge zwei Bünyo's') des auswärtigen 
Amtes , um den Grafen Namens der Regierung auch liier willkommen zu 
heissen ; Heusken stellte sie vor als Sarai - Oki - no - Kami und Hori- 
Oribe-no-Kami, den Dolmetscher Moriyama Takitsiro und einen 
»0-METSKE« oder Oberaufpasser. Sie erklärten zum Unterhandeln 
mit dem preussischen Gesandten bevollmächtigt zu sein, und machten 
den Vorschlag, sofort zu beginnen: »Von den beiden Ministern des 
Auswärtigen*) sei der eine sehr krank, der andere mit Geschäften 
überhäuft, und es werde voraussichtlich geraume Zeit verstreichen, 
bis der letztere ihn empfangen könne.« Diese EröflRiung musste 

•) Die Fremden nennen sie gewöhnlich »Gouverneure- , ein Ausdruck der durch- 
aus ihre Stelhing nicht bezeichnet Ueber die Bedeutung von »Bunyo- s. S. 122. 

*) Diese »Minister- sind Mitglieder des Gorodzio, von dessen wahrscheinlicher 
Zusammensetzung der einleitende Abschnitt S. 121 handelt. 



IV. Ein Taifun. 261 

als ein Versuch erscheinen, den preussischen Bevollmächtigten am 
directen Verkehr mit den Ministern zu hindern, und wurde höflich 
abgewiesen; Graf Euleriburg sprach seine Erwartung aus, recht 
bald von dem Minister empfangen zu werden. Man erging sich 
noch einige Minuten in Artigkeiten, — liinter den Papierwänden 
des Empfangszimmers sassen Schreiber, welche die ganze Unter- 
haltung emsig aufzeichneten, — dann empfahlen sich die Bunyo's. 
Die im Hofe aufgestellte Mannschaft machte ihnen die militärischen 
Honneurs; sie schienen überrascht und erfreut, äusserten auch gleich 
den Wunsch ein Zündnadelgewehr zu sehen, und fassten sehr 
schnell das Princip des ^Mechanismus. 

Die Matrosen und Seesoldaten begaben sich unter Führung 
ihrer Officiere noch desselben Abends wieder an Bord, während 
der Gesandte und seine Begleiter sich in der geräumigen Wohnung 
häuslich einrichteten. Die folgende Nacht war sehr unruhig: am 
früliesten Morgen brach wieder ein Taifun los, so heftig wie der 
acht Tage zuvor erlebte, aber man hatte ja festen Boden unter den 
Füssen, und nicht, wie im Stillen Ocean, eine gefahrhche Küste in 
Lee. Den elastischen hölzernen Gebäuden am Lande geschah ausser 
einigen zerfetzten Papierscheiben kein Schaden, aber draussen auf 
der Rhede raste der Sturm ganz gewaltig; die Arkona musste vor 
doppelte Anker gelegt werden, und auch dann besorgte man noch 
dass sie treiben möchte. Die erste Barcasse, ein Boot von bedeuten- 
der Breite, hatte, da die Mannschaft erst in später Nacht ermüdet 
und ganz durchnässt zurückkam , nicht mehr an Bord gebracht werden 
können und schlug während des Sturmes um. Dir Geschütz versank 
im Meere, das Boot selbst wurde am folgenden Tage geborgen. 



Es war ein sonderbares Gefiihl sich in Yeddo zu befinden, 
einer Stadt die noch vor w^enigen Jahren dem Bewusstsein der meisten 
Europäer nicht viel näher lag als die Genienschlösser arabischer 
Mälirchen, und deren Bevölkerung sonst zuverlässige Bücher der 
Neuzeit auf acht MiUionen angegeben haben. Man brannte vor Be- 
gierde sich umzusehen, und einige der Reisenden machten schon am 
Sonntag, sobald das Wetter sich aufliellte, einen Spaziergang durch 
die nächsten Strassen. Die begleitenden Yakuninc*) führten sie in 
ein Theehaus; der Thee, welcher olme Zucker und Milch aus kleinen 
') S. S. 123. 



262 Japanisches Diner. IV. 

Schälchen gesclilürft wird, erregte weniger Bewunderung als die 
artigen Aufwärterinnen, die halb schüchtern halb schelmisch 
blickend auf den reinlichen Matten ab- und zuwatschelten, und sich 
viel mit den Fremden zu schafien machten •). — Gegen Abend wiu'de 
in dem Empfangsraume der Gesandtschaft eine Maizeit aufgetragen, 
welche die Regierung iliren preussischen Gästen zum Willkomm 
sandte; die Aufstellung war sehr zierhch, wie Alles was die Japaner 
ordnen: obenan ein Tischchen für den Gesandten allein, daneben 
ein anderer für drei und weiter eine lange Tafel für sechszehn 
Personen. Vor jedem Platze standen zwei schwarz lackirte Unter- 
sätze, und auf jedem derselben fünf zugedeckte Schälchen, welche 
die verschiedenen Suppen und Speisen enthielten; ausserdem lag 
auf Porcellantellern für jede Person ein Fisch. Dieser und das 
Zuckerwerk w^aren das Beste , die übrigen Speisen , wenn auch nicht 
schlecht, doch für den europäischen Gaumen etwas fade. Vielleicht 
ist die japanische Zunge durch Gewöhnung ganz anders gestimmt 
als die der westhchen Völker, und schmeckt Feinheiten heraus die 
der Europäer nicht zu schätzen weiss, — denn dass auch unser 
Geschmacksorgan »conventionel gebildet« und vom Wege der Natur 
weit entfernt ist darf nicht bezweifelt werden. Dass aber ein Volk 
von so hocheigen thümlicher und durchgebildeter Gesittung auch 
seine besondere und in ihrer Art sehr vollkommene Küche hat, 
lässt sich nicht nur vermuthen , sondern aus manchen Einzelnheiten 
beweisen, in welchen ihr Geschmack zufälhg mit dem unseren zu- 
sammentrifft. Ganz vorzüglich war ein Gericht Lachs, der ganz 
roh und frisch gesalzen mit Soya gegessen wdrd, eine Speise die 
jedem Gourmand zu empfehlen ist; freiUch gehört die frisch 
gegohrene Soya dazu, die wir nicht haben. Als Getränk wurden 
kleine Schälchen Saki herumgereicht, ein starkes Reisbier von 
fuseligem Geschmack, das man dem Geruch und* Ansehn nach 
eher Branntwein nennen möchte; die Holländer aber, welche die 
Fabrication genau kennen, versichern es sei eine Art Bier. Neben 
jedem Couvert lagen zwei kleine Stäbchen, — die Fremden im Orient 

*) Die Theehäuser, "Tsa-ya", sind Restaurationen, wo mau Thee, Saki und 
andere Getränke und Speisen erhalt, und wohl zu unterscheiden von den •Dzoro- ya«, 
deren Bestimmung minder unschuldig ist. In den meisten Büchei*n über Japan werden 
sowohl die Tsa-ya als die Dzoro-ya »Theehäuser- genannt, wodiu-ch das "Wort 
eine vei*fangliche Bedeutung erhalten hat , die fiir die Tsa - ya uiu'ichtig ist. Weib- 
liche Bedienung findet man in beiden. 



IV Akabane. 263 

nennen sie »Chopsticks«, — ein sehr einfaches Instrument dessen 
sich alle Japaner und Chinesen statt der Messer, Gabehi und Löffel 
bedienen. Ihre Handhabung erfordert viel Gescliicklichkeit oder 
lange Uebung, wenige Europäer haben sie gründlich erlernt. Man 
zerschneidet alle consistenten Gerichte schon in der Küche zu 
kleinen Bissen; die Suppen und Saucen werden aus Näpfen ge- 
schlürft. — Die Chopsticks und das Zuckerwerk brachten die Haus- 
diener nach dem Essen den Gästen in ihre Zimmer — so verlangt 
es die japanische Sitte. 

Das von der Gesandtschaft be\Vohnte Grundstück liegt im 
südlichen Theile von Yeddo, im Stadtviertel Akabane. Vom Lan- 
dungsplatze führt eine lange, grade, von Krämern bewohnte Strasse 
dahin, die sich etwa eine Viertelmeile vom Seeufer auf einen freien 
Platz öffnet. Der Anblick ist durchaus ländUch. Links hegt die 
lange Fagade eines Yamaske — so heissen die Sitze der Daimio*s, — 
vor sich hat man ein Flüsschen mit grünem Ufer, dessen Gärten 
sich drüben an eine prächtig bewachsene Höhe lehnen. Aus dem 
dunkelen Sammtgrün ehrwürdiger Cryptomerien ragt ein hohes 
thurmartiges Mausoleum, roth lackirt, mit schweren, vorkragenden 
Dächern über jedem Stockwerk — die ganze Anlage ist ein Be- 
gräbnissplatz der Taikünc. — Man tritt, eine hölzerne Brücke 
überschreitend, wieder in die sich verengende Strasse ein, in 
welcher links das Portal des Gesandtschaftshauses hegt. Das 
Thorgebäude ist aus mächtigen Balken gezimmert und hat ein 
schweres Ziegeldach; rechts springt erkerartig eine Portierloge 
vor, welche den Eingang nach der Strasse und dem Hofe be- 
herrscht. In der Thorhalle hängen die drei übUchen Instrumente 
zum Haschen der Diebe und Verbrecher: eine zweizackige breite 
Gabel, mit der man den Schacher an die Waöd klemmt, ein harken- 
artiges Geräth, das man ihm zwischen die Beine steckt, und eine 
Stange mit mehreren Reihen fingerlanger gekrümmter Spitzen, welche 
man drehend in seine Kleider nestelt. Diese Werkzeuge sind von 
Eisen und haben lange hölzerne Griffe, man findet sie bei jedem 
Thürhüter und auf den zahlreichen Polizeiwachen. — Zu den Seiten 
des Portals hegen inwendig zwei offene Schuppen zum Unterteilen 
der Pferde; der Hof ist dick mit losen faustgrossen Feldsteinen 
bedeckt, sehr reinlich anzusehen aber sehr unbequem für die Füsse, 
doch fuhrt eine breite Bahn aus Quadersteinen von dem Portal auf 
den Einga^ng des Wohngebäudes zu, über welchen ein leichtes auf 



264 Einrichtung des Hauses. IV. 

Holzpfeilern ruhendes Dach vorspringt. Man tritt in den Hausflur; 
links öffnet sich der Eingang in die Empfangsgemächer und im 
rechten Winkel ein breiter Corridor, zu dessen beiden Seiten die 
Wohnzimmer der Expeditionsmitglieder, weiterhin die Baderäume 
und das Küchengebäude liegen; rechts führt ein kurzer Gang nach 
den Gelassen wo die der Gesandtschaft beigegebenen japanischen 
Beamten und Diener hausen. Diese Räumlichkeiten sind in mehrere 
untereinander zusammenhängende Gebäude vertheilt, welche sich 
auf verschiedene Höfe und Höfchen öffnen. In einem der letzteren, 
rechts von dem Hauptportal, steht das Stallgebäude, weiterhin 
führt ein nur von den Japanern benutztes Thor in die Nebenstrasse. 
Links vom Vorhofe liegt, von schwarzen Bretterzäunen umgeben., 
ein geräumiger Rasenplatz, deren die Japaner sich überall zum 
Bogenschiessen und Pferdetummeln anlegen. 

Die ganze Einrichtung des Hauses hat etwas zeltartiges, ist 
aber bei heiterem warmem Wetter überaus bequem und wohnUch. 
Alle Gebäude sind einstöckig, im ganzen Hause keine Treppe. Der 
Estrich liegt beinah drei Fuss über dem Erdboden und ruht auf 
dicken Holzp feilem, die nicht etwa in die Erde eingelassen sind, 
sondern auf steinernen Sockeln stehen. Fast das ganze Gebäude ist 
aus Holz, lauter viereckige Pfosten mit wagerechter Balkenverbin- 
dung, deren Zwischenräume mit beweglichen Papier- und Tapeten- 
schinnen, nur an wenigen Stellen mit leichtem Mauerwerk von 
Luftsteinen ausgefüllt sind. Solche feste Wände finden sich meist 
nur im Rücken oder an den Seiten des Hauses, die Vorderfronten 
und Scheidewände sind fast durchgängig von Papier. Will man sein 
Zinuner vergrössem, so hebt man einige der leichten Rahmen aus, 
will man es nach aussen öffnen, so kann man schnell (he ganze 
Wand beseitigen. Die Holzrahmen, welche oben und unten in 
Falzen laufen und beliebig als Thüren und Fenster benutzt werden 
können, sind in den Aussen wänden mit durchscheinendem Papier, 
in den Zwischenwänden gewöhnlich mit weissgemusterten Tapeten 
beklebt. Den Fussboden decken feine elastische Binsenmatten von 
einem Zoll Dicke und vorgeschriebener Länge und Breite, so dass 
man schadhafte immer gleich aus dem nächsten Laden ersetzen 
kann; den Plafond bildet einfaches Holzgetäfel. Die Dächer sind 
aus Schindeln, Stroh, bei den besseren Gebäuden meist aus feinen 
blaugrauen Thonziegeln, die mit Mörtel zu einer festen gleichartigen 
Masse zusammengefugt werden, — immer aber von der sorgfaltigsten 



IV. nie Empfaugsziinnier. 265 

Arbeit. Die Japaner bauen alle ihre Bedachungen mögüchst 
schwer, und glauben dadurch der Gewalt der Erdbeben trotzen 
zu können. 

Das Hauptgebäude des Gesandtschaftshauses war betrachtlich 
höher als die anderen, und enthielt drei Räume, die sich nach einem 
kleinen grünen Hofe ölineten. Vor denselben Uef, wie bei den 
meisten Wolmräumen der Japaner, eine bedeckte Veranda von 
vier Fuss Breite hin, gebildet durch das überkragende, auf Pfosten 
ruhende Dach. Abends setzt man diese Gänge mit Bretterläden zu, 
wodurch das Haus geschlossen wird. Der erste der drei Empfangs- 
räume diente dem Gesandten als Esszimmer, der zweite communicirte 
durch ein Vorzimmer mit der Eingangshalle, der dritte war eigentlich 
das AUerheiligste. Hier lag in der Rückwand eine Nische nlit er- 
höhtem Estrich, von wo nach japanischer Sitte der vornehme 
Hausherr alle Besuche empfangen soll. Geringere werden nicht 
einmal in dasselbe Zimmer zugelassen, sondern nehmen in dem an- 
stossenden Gemache mit dem Gesicht gegen die Tapetenwand Platz, 
deren mittelste Schirme zur Audienz zurückgeschobeji , auf den Wink 
des Herrn aber wieder geschlossen werden. In einer kleineren Nische 
neben der erwähnten steht unten ein Gestell für die Schwerter der 
Besuchenden; im oberen Theile ist ein etagere- artiges lackirtes Möbel 
eingefügt, dessen Fächer Schiebethüren haben; darin bewahrt der 
Japaner seine Kostbarkeiten und Curiositäten. — Diese drei Zimmer 
konnten in wenig Minuten zu einem grossen Räume vereinigt werden, 
in welchem sich Abends die MitgUeder der Expedition bei dem 
Gesandten zu versammeln pflegten. Die Holzpfeiler, welche die 
Decke tragen, sind in sechs bis sieben Fuss Höhe durch wagerechte 
Balken verbunden; zwischen diesen und den Falzen im Fussboden 
laufen die unteren Schiebewände. Der Raum zwischen dem Queer- 
balken und der Decke, drei bis vier Fuss, ist mit einem leichten 
Lattengitter ausgefüllt und nebenbei ebenfalls mit Schirmen von 
durchscheinendem Papier zugesetzt, die auf- und zugeschoben oder 
auch ganz entfernt werden können. So hat man immer Luft und 
Licht von oben, von unten, so wenig oder so viel man will. Um 
die beiden letzten Empfangsräume hef auch an der inwendigen Seite 
ein schmaler Corridor, wo bei den Besuchen der Bunyo's ihr niederes 
Gefolge und die Schreiber Platz nahmen. Das Holzwerk in allen 
diesen Räumen war fein geschliffen, nur die Einfassung der mit 
weissen Glanztapeten beklebten Schiebewände schwarz lackirt. Die 



266 Die Wohnräume. IV. 

Japaner verachten allen Anstrich, die Gebäude der Vomehuieu 
zeichnen sich nur durch kostbare Holzarten, zuweilen durch etwas 
Schnitzwerk aus; aber die Arbeit ist selbst an den Pfeilern und 
Balken so sauber und zierlich, wie bei uns an guten Möbeln, kein 
Fleckchen, kein Riss, kein Sprung, kein schiefer Winkel sichtbar. 
Die einzigen Zierrathen waren geprägte und gravirte Metallknöpfe 
oder Buckel an den Verbindungspuncten der Balken, von eleganter 
Form und Zeichnung. Der Eindruck des Ganzen ist selir angenelun, 
helle, luftige, behagUche Räume, in denen man sich wohl fühlt, 
üas durchscheinende Papier hat durchaus die Wirkung von matt- 
geschliflfenem Glase und erzeugt ein mildes ruhiges Licht. 

Unmittelbar an diese Gemächer lehnt sich ein langes Gebäude 
mit den Wohnräumen des Gesandten und der übrigen Reisenden, 
einer Reihe von Doppelzimmern, wovon das innere auf den Corridor, 
das äussere wieder auf einen grünen Hof geht; eine bedeckte 
Veranda läuft auch vor diesen entlang. Auf der anderen Seite des 
Ganges hegen mehrere grössere Räume: das gemeinsame Esszimmer 
des Gefolges und zwei Stuben zur Aufnahme der See-OfiGciere, 
von denen immer einige als Gäste des Gesandten in Akabane weil- 
ten. Vorn war eine Wachtstube für die Seesoldaten eingerichtet, 
welche bei Tage einige Posten bezogen. Nach dem abgesonderten 
Küchengebäude, wo Heerde nacli europäischem Muster gemauert 
waren, führte seitlich von dem Corridor ein bedeckter Gang. — 
Das ganze Haus liatte früher in Simoda gestanden, wo man die 
fremden Gesandtschaften abzufertigen dachte, imd sollte nun in 
Yeddo demselben Zwecke dienen. 

An Möl)eln kein Ueberfluss. Der Japaner sitzt, liegt und 
schläft auf den weichen Binsenmatten des Fussbodens , und bewahrt 
seine HabseUgkeiten meist in einfachen Kasten. Einige Tische und 
Stülile, keineswegs in hinreichender Anzahl, und roh gezimmerte 
Bettgestelle hatte die japanische Regierung für ihre Gäste macheu 
lassen; alles Uebrige mussten wir mitbringen. Die Expedition zog 
mit Koch und Kegel ein und machte es sich so behaglich als möglich: 
es bheb aber doch ein Lagerleben und war nur bei schönem Wetter 
recht angenehm. Vor Allem fehlte die Hausfrau; einer der Attaches, 
welcher holländisch sprach, übernalun deren Functionen, hatte aber 
die grösste Mühe den Japanern unsere Bedürfnisse begreiflich zu 
machen und lag beständig in heissem Kampfe mit dem » Iseya « 
oder Comprador, und den » Kodzugai's « , den Hausdienern. Diu'ch 



IV. Haushaltung. 267 

Jenen mussten alle Einkäufe besorgt werden, und da der Koch des 
Gesandten, ein unterwegs engagirter Engländer, sich durchaus nicht 
zu helfen wusste, so fiel die ganze Last der Bestellungen auf die 
Schultern des haushaltenden Diplomaten. Jeden Morgen fanden 
sich der japanische Dolmetscher Fukxjdzi mit dem Iseya und einem 
Hausbeamten bei ihm ein, Ersterer um die Aufträge an den Com- 
prador zu übersetzen. Letzterer um aufzupassen* dass dabei der 
japanische Staat nicht verrathen würde. Dieser Process war sehr 
weitläufig, denn die im Privatverkehr so anstelligen Japaner be- 
trugen sich hier äusserst schwerfällig; sie verstanden nicht oder 
wollten nicht verstehen was gewünscht wurde, und es schien fast 
als solle der Gesandtschaft auf Befehl der Regierung der Aufent- 
halt nach Möglichkeit verleidet werden. Was man forderte war 
meist nicht zu haben — von deni Vorhandensein hatten wir volle 
Gewissheit, — und fiir die gelieferten Sachen wurden unmässige 
Preise verlangt. Die Japaner sind von Natur wahrheitsliebend, aber 
wo die Regierung befiehlt, lügen die Beamten mit unverwüstlicher 
Ruhe und lassen sich nicht aus der Fassung bringen. Es war eine 
harte Geduldsprobe. Der Iseya schleppte die verschiedenen Küchen- 
bedürfnisse — Hühner, Enten, Fische, Ferkel, Gemüse — unserem 
haushaltenden Freunde in sein Zinuner, und nun ging das Feilschen 
los. Wollten Holländisch und Japanisch nicht melir fruchten, so 
begann er deutsch zu wettern, — dann schallte manch wohlbekann-^ 
ter Kraftausdruck durch das Haus ; und da alle Wände von Papier 
sind, so drangen diese Ausbrüche der Entrüstung, die von weitem 
etwas sehr komisches hatten, zu den Nachbarn nah und fem; 
sie brachen mitunter alle zugleich in helles Lachen aus und der 
joviale Urheber pflegte aus voller Kehle mit einzustimmen. Zuweilen 
gab es auch scherzhafte Missverständnisse, denn die japanische 
Sprache ist reich an vieldeutigen Worten welche erklärender Zu- 
sätze bedürfen , und der Iseya brachte oft die wunderbarsten Sachen, 
die bestellt zu haben Herr v. B. nicht ahnte. Solche Arbeit war 
die Haushaltung. AUmälich ging es besser; die Hausbeamten wurden 
bei näherer Bekanntschaft viel gefälUger , und gaben später unzwei- 
felliafte Beweise wohlwollender Gesinnung. Was den Iseya betriflt, 
so gehört er dem Handelsstande an — die Yakuninc der Gesandt- 
schaft waren Samrai, zum Theil vielleicht nur gemeine Soldaten, 
aber lauter zweischwertige Männer aus der Adelsclasse — und ist 
deshalb nach japanischen Begriffen berufen soviel Vortheil zu nehmen 



268 ISEYA*S. YaKUNINC. IV. 

als irgend möglich'): man brauchte sich gar nicht zu scheuen ihm 
den vierten, ja den zehnten Theil seiner Forderung zu bieten, und 
war schliesslich vielleicht doch noch geprellt. Unsere meisten Iseya's — 
denn die Regierung stellte oft aus Gründen, die uns räthselhaft bUeben, 
plötzlich einen neuen an — waren bei aller Gewinnsucht und Ver- 
schmitztheit gutmüthige Menschen, die uns gern jeden Gefallen 
thaten und trotz' allem Schelten immer au%eweckt und dienstfertig 
blieben. Wir lebten bald ganz vortrefflich: an Fischen und anderen 
Seethieren war in Yeddo kein Mangel, Gemüse und Früchte gab 
es mancherlei, auch Federvieh, Enten, Hühner und Fasanen; alle 
anderen aber, besonders die consistenteren Fleischarten an welche 
der europäische Magen gewöhnt ist, mussten aus dem etwa vier 
Meilen entfernten Yokühama herbeigeschaflft; werden, der seit dem 
1. Juli 1859 den Fremden geöffneten Hafenstadt, wo schon viele 
Kaufleute ansässig waren. Ein dortiger Lieferant übernahm es die 
Schiff'e und die Gesandtschaft in Yeddo mit dem nöthigen Fleisch 
zu versehen; — man war hier freilich von Wind und Wetter 
abhängig, da der Proviant zu Wasser von Yokühama nach den 
Kriegsschiffen und von da erst nach Akabane geUefert wurde. Wo es 
fehlte nahmen wir unsere Zuflucht zu Herrn Heusken, welcher den 
Gesandten täglich besuchte und mit grosser Liebenswürdigkeit und 
Umsicht für Alles Rath schaflFte. Ohne seine Hülfe wäre die 
.Haushaltung wohl schwerlich so rasch in Gang gekommen. 

Die japanische Regierung hatte der preussischen Gesandtschaft, 
wie allen übrigen, eine Abtheilung Yakuninc — zweischwertiger Beam- 
ten niederen Ranges — unter dem Befehle eines Ober-Officiers bei- 
gegeben, welche für ihre Sicherheit und vor Allem wohl fiir ihre 
Auffuhrung verantwortUch waren. Sie hatten unseren ganzen Verkehr 
mit den Japanern in und ausser dem Hause zu beaufsichtigen und 
uns auf allen Spaziergängen zu Pferde oder zu Fuss auf Schritt 
und Tritt zu begleiten. Alle Mittheilungen der Regierung gelangten 
an die Gesandtschaft durch den obersten Beamten des Hauses, der 
aber niemals mit dem Dolmetscher allein, sondern begleitet von 
einem dritten Yakünin , dem Metske oder Aufpasser bei dem Attache 
du jour erschien. Die beständige Begleitung der Yakuninc bei 
allen Ausgängen war besonders in der ersten Zeit störend, da sie 
uns mit Misstrauen behandelten und hindernd zwischen allen Verkehr 
mit den Eingeborenen traten. Wollte man in den Läden etwas 

') Ueber die Stellung der Kaufleute in Japan s. S. 121. 



IV. Tagesordnung in Akabane. 269 

kaufen, so blickte der Händler erst fragend nach dem begleitenden 
Beamten und versteckte oft auf dessen Wink den gewünschten 
Gegenstand, oder forderte unerschwingliche Preise. Nach kurzer 
Bekanntschaft aber besserte sich das Verhältniss. Die preussischen 
Gäste gewannen durch freundhche Behandlung das Vertrauen der 
von Natur gutmüthigen Japaner , die — vielleicht auch auf besondere 
Erlaubniss der Regierung — sich später sehr dienstfertig und auf- 
merksam zeigten und ihnen, oft mit Geduld und Aufopfenuig, jeden 
mögüchen Gefallen erwiesen. Es waren grossentheils joviale und 
aufgeweckte Männer, unermüdUch in Wind und Wetter, immer 
üebenswürdig, bescheiden und guter Laune , und freundlich dankbar 
für jedes kleine Geschenk, jede Bewirthung. Geld nahmen sie nicht 
an, aber eine Cigarre, ein Bleistift oder Taschenmesser erregten 
kindliche Freude. Dass ihre Begleitung, wenn auch noch so zahl- 
reich, im Falle eines Angriffes keinen Schutz gewährt, hat sicli 
leider in allen Fällen gezeigt; xlass sie aber für die Sicherheit und 
Bequemhchkeit der Fremden in Yeddo unter gewölmlichen Umständen 
vortheilhaft und noth wendig ist, und nicht, wie vielfach behauptet 
worden, allein deren Beaufsichtung und die Hemmung des Ver- 
kehrs mit den Eingeborenen bezweckt, unterliegt keinem Zweifel. 
Dem Volke gegenüber gemessen sie ohne Ausnahme unbeding- 
ter Autorität; jeder leiseste Wink findet schnellen, ehrerbietigen 
Gehorsam. Der Pöbel ist in jeder grossen Stadt dem fremdartig 
erscheinenden Ausländer gefahrlich oder mindestens unbequem; in 
Yeddo aber fallt im grössten Volksgedränge in Gegenwart der 
Yakuninc selten eine üngehörigkeit vor. 

Da nicht alle MitgUeder der Expedition in Akabane unter- 
gebracht werden konnten, so zogen inuner einige nach Yokuhama 
und Kanagava; die in Yeddo wohnenden waren sämmtUch Gäste 
des Gesandten. Morgens in der Frühe wurde man häufig durch 
den schweren Tritt der Matrosen auf dem Corridor geweckt, — 
denn die Schiffe standen in beständigem Verkehr mit der Gesandt- 
schaft und die Abfahrt der Boote musste sich nach der Fluthzeit 
richten, — oder durch das Gequiek eines Schweines, das, unserem 
betrunkenen Koch ent\vischend, von den ' Küchenjungen verfolgt 
durch die Gänge rannte. Auch die Hühner hatten grosse Zuneigung 
zu unseren Zimmern gefasst, und nalunen besonders gern auf den 
Bettpfosten Platz. — Gegen acht pflegten sich eine Menge Krämer 
einzufinden, die aus hunderten von Kisten imd Kästchfen allerlei 



270 I^as Leben in Akabank. IV. 

niedliche und nützliche Sachen auspackten. Der Hausflur und die 
Gänge glichen dann während einiger Stunden einem bunten Bazar, 
und die ausgebotenen Gegenstände waren so manniclifaltig, so 
lockend und w-ohlfeil, dass jede Neigung Nahrung fand, und die 
Kauflust x\ller beständig rege bheb. Der Verkehr mit diesen Krämern 
war sehr ergötzlich. Viele wurden unsere besonderen Freunde und 
schafi'ten, wo sie eine ausgesprochene Liebhaberei merkten, immer 
neue und schönere Sachen herbei. Man verständigte sich leicht, 
theils durch Zeichen, theils durch japanische Worte, die wir bald 
lernten, denn die Sprache ist volltönend und wohlklingend, für 
das europäische Ohr leicht fasshch, — und auch die Japaner 
eigneten sich schnell manch deutsches Wort an. Um zehn Uhr 
wurde gemeinschaftlich gefrühstückt und um sechs zu Mittag 
gegessen, in der Z\vischenzeit ging man seinen Beschäftigungen 
nach. Durch die Papierwände war jedes laut gesprochene Wort 
hörbar, wir lebten wie in einer Familie ; dazu standen die nach der 
Veranda führenden Schiebethüren bei schönem Wetter meist ofl*en. 
Jeder woisste was bei dem Anderen vorging und die Unterhaltung 
wurde leicht allgemein. Dann und wann kamen Gäste von den 
anderen Legationen und brachten politische Neuigkeiten und Ge- 
rüchte, oder Zeitungen aus Europa — man erlebte taglich Neues 
und hatte sich viel zu erzählen. Nachmittags wurden gewölmhch 
Excursionen gemacht, und war das Wetter zu weiteren Ritten zu 
schlecht, so besuchte man die Buch- und Kramläden , die Waffen-, 
Bronze- und Lack -Handlungen in der Nähe, um kleine Einkäufe 
zu machen, die Landeserzeugnisse kennen zu lernen und Unter- 
haltungen mit den Eingeborenen anzuknüpfen. Wenige Europäer 
haben Yeddo so gründlich gesehen; denn da unser Aufenthalt von 
vorn herein begrenzt und nur auf kurze Zeit berechnet war, so 
suchte Jeder möglichst viel daraus zu machen und die Stadt wurde 
nach allen Richtungen durchstöbert. Der persönUche Verkehr mit 
den Japanern gestaltete sich, so unbefriedigend auch die geschäft- 
Uchen Beziehungen anfangs zu werden drohten, von Tage zu Tage 
erfreulicher und hat gewiss bei Allen die angenehmste Erinnerung 
hinterlassen. 

10. septbr. Moutag dcu 10. September hatte sich das Wetter ganz 

aufgeklärt, und der Gesandte konnte den Herren Harris und 
von Bellecourt seine Besuche machen. Ersterer wohnte in den 



IV. Besuche. Die Bunyo's. 271 

Nebengebäuden eines etwa zehn Minuten von Akabane gelegenen 
Tempels: man tritt aus der Strasse durch ein stattliches Portal, von 
wo eine breite Steinbahn wohl dreihundert Schritt weit nach 
dem etwas höher gelegenen Heiligthum hinanführt. Links von 
diesem Aufgange liegt ein kleines Gebäude mit niedlichem Gärt- 
chen, die Wohnung Heuskens; rechts neben dem Tempeleingange 
das geräumige Haus des Minister - Residenten. Der von Herrn 
von Bellecourt bewohnte Tempel Sakaidzi beherrscht, auf der 
Höhe gelegen, eine weite Aussicht über den Golf, ist aber kleiner 
als der amerikanische. Die schönste Umgebung hat die englische 
Gesandtschaft, deren Bewohner sich zur Zeit auf einem Ausfluge 
nach dem Fusiyama befanden; sie liegt etwas weiter südöst- 
lich unter derselben Anhöhe, nah dem Meeresstrande in einer 
weiten parkartigen Anlage , welche die Erb - Begräbnisse mehre- 
rer Daimio - Familien umschliesst. Der Name dieses Tempels ist 

TODZENDZI. 

Nachmittags an demselben Tage erschienen in Akabame 
wieder die beiden Bunyo's Sarai und Hori-Oribe mit ihrem Auf- 
passer und dem Dolmetscher Moriyama. Sie brachten die Nach- 
richt, dass der Minister des Auswärtigen den Gesandten erst am 
15. September empfangen könne, und baten diesen nochmals, doch 
sogleich mit ihnen die Verhandlungen zu beginnen, was Graf 
Eulenburg aus guten Gründen ablehnte. Er hatte erfahren, dass 
die Stellung dieser Herren sie zu gar keiner selbstständigen Ent- 
scheidung befähige, dass sie nur die Werkzeuge des Ministeriums 
und ohne allen Einfluss, dass ihre Ansichten für die Regierung 
ohne jede Bedeutung und Wichtigkeit seien. Man wusste genau, 
was sie mitzutheilen hatten: eine positive Weigerung, jetzt mit 
Preussen abzuschliessen. Unter diesen Umständen musste es wün- 
schenswerth erscheinen, die ganze Sache bis zur Besprechung 
mit dem Minister intact zu lassen, um dann ihm selbst mit Nach- 
druck antworten zu können. Graf Eulenburg liess den Bunyo's 
eine Collation vorsetzen und führte, alles Politische geflissentlich 
vermeidend, die Unterhaltung auf unverfängliche Gegenstände; der 
corpulente Sarai, ein munterer Lebemann, thaute bald auf und 
that viele neugierige Fragen. Vor Allem interessirten ihn unsere 
Aerzte: »die japanischen behandelten ihre Kranken jetzt auch auf 
europäische Weise, und richteten sich dabei vorzüglich nach einem 
deutschen Werke«. Nach einigen Fragen kam heraus, dass es 



272 nie BuNY0*8 in Akabane zu Tische. IV. 

Hufeland's Makrobiotik sei *). Vor zwei Jahren war die Cholera 
zum ersten Mal in Yeddo gewesen und hatte in kurzer Zeit 
200,000 Menschen liingerafft. Die Bünyo's erkundigten sich nach 
Mittehi dagegen; als man ilmen aber sagte, dass eine angemessene 
Lebensweise und massiger Weingenuss anzurathen, und deshalb 
ihre hohe Weinsteuer recht unzweckmässig sei, brach Sakai in 
helles Lachen aus: »der französische Bevollmächtigte habe sie ver- 
sichert, der Wein wäre ein Luxusartikel«. Dabei trank er ein Glas 
moussirendeu Rheinwein nach dem anderen. 
13. septbr. Auf Douucrstag den dreizehnten hatte der Gesandte die 

BuNYo's zum Diner eingeladen. Sie erschienen um fünf Ulir und 
überreichten ein Geschenk an Thee und Eiern: »so sei es in Japan 
bei Einladungen üblich«. Im Verlaufe des Gespräches ergab sich, 
dass bei Condolenzbesuchen nur Thee geschenkt werde, die Hin- 
zufiigung von Eiern aber freudebedeutend sei. Sie meldeten zugleich, 
dass der Minister des Auswärtigen den Gesandten schon am folgen- 
Tage zu empfangen wünsche. — Bei Tische zeigten sich die beiden 
BuNYo's und MoRiYAMA, welche schon viel mit Fremden verkehrt 
hatten, im Gebrauche von Messern und Gabeln ganz anstellig, der 
0-METSKE aber war sehr verlegen und ungeschickt, wollte auch 
durchaus nicht trinken. Dagegen sprach der joviale Sakai allen 
Weinsorten recht herzhaft zu, notirte sich die Gegenstände des 
Tafelgeräthes und die Reihenfolge der Gerichte, wickelte von jeder 
Speise ein Stück in Papier und steckte es in die weiten Aermel; 
das ist die landesübliche Art den Wirth zu ehren. Am besten 
sclunecken den Japanern immer gekochter Schinken und eingemachte 
Früchte, Champagner und andere süsse Weine und Liqueure. Die 
Gäste wurden bei jedem Glase munterer, namentlich Sakai und 
MoRiYAMA. Hori-Oribe's Benehmen war von Anfang an etwas 
zurückhaltender, dabei aber wohlwollend und liebenswürdig; durch 
sein ganzes Wesen ging ein schwermüthiger Zug, sein Auftreten 
war einnehmend, milde und gleichmässig, sein Ausdruck fein und 
geistreich; er gehörte zu den Naturen, die ihre Umgebung gewännen 
und fesseln ohne sich darum zu bemühen. 

^) Man milss den gegenwärtigen Stand der ärztlichen Wissenschaft in Japan nicht 
nach dieser Aussage beurtheilen. Hufeland's Makrobiotik scheint in weiteren 
Kreisen bekannt zu sein, doch fanden wir in den Buchhandlungen auch die lieber- 
Setzungen rein wissenschaftlicher uiedicinischer Werke mit genauer Nachbildung der 
dann enthaltenen anatomischen Zeichnungen in Kupferstich und Holzschnitt. 



IV. Ankunft der Thetis. — Die Verhältnisse in Japan seit Juli 1859. 273 

Am folgenden Morgen, den vierzehnten, ging die Thetis i4. Septbr. 
auf der Rhede vor Anker. Einige ihrer Passagiere kamen in 
dem Augenblick nach Akabane, als der Gesandte zum Besuche 
bei dem Minister aufbrach. Sie brachten leider keine Nachricht 
von dem Frauenlob, dessen Untergang nun immer wahrschein- 
licher wurde. 



Vor Beschreibung des Besuches bei dem Minister Ando 
Tsus-sima-no-Kami muss hier in Kurzem Rechenschaft von der 
Entwickelung der japanischen Verhältnisse und dem Verkehr der 
Ausländer seit der Ankunft ilirer diplomatischen Vertreter gege- 
ben werden. 

Der' enghsche Gesandte Herr Alcock und der amerikanische 
Minister -Resident Herr Towmsend Harris waren die ersten, welche 
— im Jimi 1859 — in Yeddo eintrafen. Die japanischen Behörden 
empfingen sie mit grosser Artigkeit und stellten die Nebengebäude 
mehrerer Tempel zur Verfugung, unter denen sie selbst ihre Woh- 
nungen wählen konnten. Die ratificirten Verträge woirden nach 
Beseitigung einiger formellen Schwierigkeiten feierüch ausgewechselt, 
imd die Sachen gingen so glatt als man kaum erwartet hatte. Bei 
alle dem fanden die Fremden, dass sie von den Japanern hinter- 
gangen imd gewissermaassen wie Feinde behandelt wurden. Man 
begegnete ihnen höflich und zuvorkommend, aber nicht oflFen, und 
suchte namenthch jede freie Bewegung und den Verkehr mit den 
Eingeborenen zu hemmen. Alle Maassregeln der Regierung schienen 
berechnet, die .Wirksamkeit der Verträge aufzuheben ohne ihre 
äussere Form zu brechen. Der freie Verkehr mit den Landesbe- 
wohnem ohne Dazwischenkunft der Beamten war die 'Wurzel, aus 
welcher allein der Handel der westlichen Völker erwachsen konnte, 
der Cardinalpunct aller Verträge von 1858, und grade dieses wich- 
tigste Zugeständniss sollte ihnen verkümmert werden. Der Gedanke, 
dass der unbeschränkte Fremdenverkehr jetzt wie vor zweihundert 
Jahren leicht zu einer politischen Umwälzung führen könne, lag 
für die Japaner sehr nah, und man suchte nach Mitteln dieses 
Unglück abzuwenden. An offenen Bruch der Verträge war nicht 
zu denken; man musste sie zu umgehen suchen, und das führte zu 
der zweideutigen Poütik, aus welcher so viel Unheil entstanden ist. 
Die Doppelzüngigkeit der Beamten, — die gewiss nur'zyweilen aus 

I. 18 



274 Doppelzüngigkeit der Beamten. Beaufsichtigung der Legationen. IV. 

dem Leichtsinn und der Haltungslosigkeit Einzelner, meistens aber 
wohl aus der Ansicht der Regierung entsprang, dass im diplomatischen 
Verkehr alle Vortheile gelten, — war die Hauptquelle der ersten 
Verstimmung imd der späteren traurigen Verwickelungen. Jlan 
konnte den feierlichsten Versicherungen namentUch der niederen 
Beamten nicht trauen: sie scheuten sich oft nicht, ihre positiven 
Aussagen im nächsten Augenblick, wo es ihnen Vortheil brachte, 
zu widerrufen. Die japanische Regierung hat in vielen Fällen auch 
offen und redUch gegen die Fremden gehandelt, aber die Gesandten 
wurden durch so vielfache Hintergehungen zu einem consequenten 
Misstrauen gradezu gezwungen. 

Gleich nach Installirung der Legationen erlüelt jede eine 
Abtheilung zweischwertiger Trabanten, Yakuninc, welche alle Zu- 
gänge bewachten, die Fremden bei ihren Spaziergängen auf Schritt 
und Tritt begleiteten und ihren Verkehr mit den einheimischen Be- 
wohnern beaufsichtigten. Die Gesandten sahen dies wohl nicht 
ganz mit Recht nur als eine beleidigende Spionage und Einschrän- 
kung an, obgleich es die 'Wirkung davon gehabt haben mag. Sie 
wehrten sich umsonst dagegen; die japanischen Behörden urgirten 
mit gutem Grund, dass eine solclie Wache fiir die Würde und 
Sicherheit der Legationen und zur Beaufsichtigung ihrer eigenen 
Unterthanen unumgänglich nothwendig sei. Ohne allen Zweifel 
trafen sie diese Einrichtung in guter Absicht, und mit dem auf- 
richtigen Wunsche, den Verkehr der Fremden in Yeddo sich so 
friedlich als möglich gestalten zu sehen und jeder Gewaltthat vor- 
zubeugen. Die Gesandten und ihr Gefolge hatten anfangs keinen 
Begriff von dem Terrain auf dem sie sich bewegten und setzten 
sich aus Unkenntniss der Verhältnisse vielfach den grössten Gefahren 
aus; und wenn auch, wie schon gesagt, die Begleitung der Yaküninp 
sich bei ernstlichen Angriffen unwirksam erwies, so wären doch 
ohne sie die Zusammenstösse mit den furstUchen Trabanten und 
anderen Fanatikern sicherhch viel häufiger und bedenklicher gewesen, 
die Stellung der Gesandten in Yeddo aber nach kurzer Zeit ganz 
unhaltbar geworden. Zu gegründeten Klagen gab zu Zeiten 
das Benehmen dieser Beamten Anlass, welche — vielleicht auf 
Befehl der Regierung, um den Fremden durch Tracasserieen, ohne 
Gewaltsamkeit, den Aufenthalt in Japan zu* verleiden, — mit- 
unter hindernd zwischen sie und die Landesbewohner traten, die 
Preise vertheuerten , und auf den Strassen den Unarten lärmender 



IVl Eröffnung von Yokühama statt Kanaoava. 275 

Volkshaufen, denen sie mit einem Wink steuern konnten, zu- 
weilen rulii«^ zusahen. 

Bald fanden sich ernstere Ursachen der Unzufriedenheit. 
Den Verträgen gemäss sollte vom 1. Juli 1859 an der Hafen von 
Kanaoava geöffnet sein. Diese Stadt liegt an der Nordseite und 
im innersten Winkel einer tiefen Ausbuchtung des Golfes von Yeddo, 
am ToKAiDO , der grossen Heerstrasse welche vom Süden und Osten 
des Reiches nach der Hauptstadt führt. Sei es nun aus Besorgniss 
vor Conflicten der Fremden mit dem Gefolge der nach Ykddo rei- 
senden Grossen, sei es um sie besser beaufsichtigen zu können — 
genug, die Regierung hatte den zu ihrer Ansiedelung designirten 
Bezirk nicht in Kanaoava , sondern bei dem Fischerdorfe Yokühama, 
eine halbe Meile weiter östlich am Südufer der Bucht abstecken 
und mit einem aus dem Meere gespeisten breiten Canal umgeben 
lassen. Eine Hügelreihe und sumpfiges Terrain scheiden diesen 
Ort von Kanaoava; um die Entfernung abzukürzen baute die Re- 
gierung mit grossen Kosten einen langen Steindamm durch die 
Sümpfe. In Yokühama waren am Meeresufer stattliche Bollwerke 
und Landungstreppen aus Granit, ein Zollhaus und umfangreiche 
Gebäude für die Beamten aufgeführt, weiterhin wuchsen schon 
mehrere Strassen empor, wo japanische Kaufleute ihre Waarenlager 
eröffneten. Offenbar hatten diese ausgedehnten und kostbaren 
Bauten den Zweck, die Niederlassung in Yokühama zur vollendeten 
Thatsache zu machen, und die Japaner hatten ganz richtig gerech- 
net, — die fremden Kaufleute kamen ihnen zu Hülfe. Die Vertreter 
von Grossbritannien xmd Amerika, welche hier die Absicht einer 
ähnlichen Einsperrung zu sehen glaubten wie die frühere der Hol- 
länder auf Desima, erhoben lebhaften Einspruch gegen diese Ver- 
tragsverletzung: jede Person und jeder Waarenballen, der aus oder 
nach Yokühama kommt, muss die Wachthäuser auf dem schmalen 
Steindamm und die Brücke des einschliessenden Grabens passiren; 
die Japaner konnten den Ab- und Zugang der Personen und die 
Ein- und Ausfuhr der Waaren hier nach Belieben controlliren , be- 
steuern oder gar abschneiden: die im Vertrage stipulirte Freiheit 
des Verkehrs wurde illusorisch. Kanaoava dagegen ist von der 
grössten Verkehrsader des Reiches, dem Tokaido durchschnitten, 
und hier hätte die japanische Behörde die Berührung der Fremden 
mit allen Classen der Bevölkerung aus den verschiedensten Theilen des 
Reiches niemals hindern können; die westländischen Producte hätten 

18' 



276 Vergeblicher Einspiiich der Gesandten. W, 

sich von hier aus selbst die Wege gebahnt und in Kurzem durch 
das ganze Land verbreitet. — Vielleicht ^vu^de die japanische 
Regierung auch in diesem Puncte von wohlwollender Vorsicht ge- 
leitet und fiirchtete von so freiem Verkehr schlimme Folgen für 
die Fremden, doch machte es diesen eben nicht den Eindruck. — 
Die Frage war von weitreichender Bedeutung und die Gesandten 
thaten ihr Möglichstes sie glücklich zu lösen; die westlichen Kauf- 
leute aber hatten nur ihren nächsten Vortheil im Auge. Schon 
lagen mehrere Schiffe aus Nangasaki und China in der Bucht, 
welche der vertragsmässigen Eröfl&iimg harrten. Die mit ihnen ein- 
getroffenen Handelsagenten sprachen sich unverhohlen für Yokuhama 
aus, wo Alles zu ihrer Aufnahme bereit war, und zauderten keinen 
Augenblick sich dort niederzulassen als der vertragsmässige Termin 
eintrat. Yokuhama hat allerdings vor Kanagava einen für den 
Handel sehr wichtigen Vorzug, einen besseren Ankergrund, und die 
Möglichkeit für grosse Schiffe sich dem Lande auf kurze Entfer- 
nung zu nähern , während bei Kanagava das Wasser überall seicht 
ist Vor allen Dingen aber machten die ersten Ankömmlinge durch ihr 
schnelles Zugreifen glänzende Geschäfte, deren Vortheil sie mit 
anderen später Hinzukommenden theilen mussten, •wenn sie den 
Erfolg der diplomatischen Verhandlungen abgewartet hätten. 

So scheiterten die Gesandten an dem Auftreten ihrer eigenen 
Schutzbefohlenen, und konnten nur eine weitere Ausdehnung des 
zur Ansiedelung bestimmten Terrains und die künftige Anweisung 
der Grundstücke an sie selbst zur gleichmässigen Vertheilung an 
die Kaufleute erreichen: — denn die zuerst gekommenen hatten, 
mit bedeutenden Geldmitteln versehen , alles von der Regierung zur 
Verfugung gestellte Land an sich gebracht und verkauften es nun 
an die später eintreffenden zu unmässigen Preisen. — Den fremden 
Consuln wies die Regierung Tempel in Kanagava an, doch hatten 
die Gesandten grosse Mühe, ihr die Erlaubniss des freien Verkehrs 
zu Lande auf der grossen Heerstrasse zwischen den Legationen in 
Yeddo und den Consulaten in Kanagava abzudringen. 

Weiteren Anlass zu Misshelligkeiten gab das Umwechseln 
der fremden Münzsorten gegen japanische, wozu die Regierung 
sich unbegreiflicher Weise für das erste Jahr nach Eröffnung der 
Häfen durch die Verträge verpflichtet hatte. Diese Angelegenheit 
wird nur durch nähere Beleuchtung der Verhältnisse verständlich 
werden. 



IV. Muiizverhältnisse. 277 

lu einem Lande, das sich nach aussen hermetisch verschhesst, 
hat die Regierung die Macht, das gegenseitige Werthverhältniss 
der edelen Metalle nach ihrem Behebea festzustellen, wenn sie den 
Gebrauch derselben auf die Vermünzung beschränkt und jede 
andere Anwendung verbietet. So war es in Japan. Nur zu den 
unbedeutendsten Verzierungen an Waflfen und anderen kleinen Ge- 
räthen durften die Handwerker Gold und Silber verarbeiten, und 
auch da nur als Incrustation und Plattlrung in den geringfügigsten 
Quantitäten. Ein Klumpen Gold oder Silber, der nicht verarbeitet 
werden darf, ist wertlilos: die Regierung allein hat das Prägerecht, 
sie bestimmt den Werth der Münzen durch den aufgedruckten 
Stempel und normirt den relativen Werth der Metalle nach ihrer 
Bequemlichkeit. Gold- und Silbeimünzen waren in Japan das, was 
Banknoten und Scheidemünzen bei uns sind, denn diese erhalten 
ja auch nur durch den Stempel ihren Werth, nicht durch Grösse 
oder Gewicht — Die Falschmünzerei konnte der Regierung sehr 
gefährlich werden, ist aber bei der allgemeinen Beaufsichtigung in 
Japan fast unmöglich, und hatte auch wenig Chancen, so lange 
ein bestimmtes Werthverhältniss der beiden Metalle untereinander 
durch alle Münzsorten festgehalten wurde. — Ein deuthches Zeichen, 
dass die Metalle nur Tauschmittel waren, ist der Umstand, dass 
man in Japan alle Einkünfte nicht nach Geld, sondern durch- 
gängig nach »Kok« Reis, einem bestimmten Gewicht des allge- 
meinen und nothwendigsten Nahrungsmittels, als einer feststehen- 
den Werth -Einheit rechnete. Auch dieser Werth konnte nach 
dem Ausfall der Aemten fluctuiren wie bei uns der Werth von 
Gold und Silber nach der Ergiebigkeit der Bergwerke, aber der 
Werth der edelen Metalle hing von der ^\dllkühr der Re- 
gierung ab. 

Sobald die Ausfuhr der Metalle freigegeben wird, muss dieses 
Verhältniss aufhören; ihr relativer Werth normirt sich dann bald nach 
dem in den Nachbarländern üblichen Satz. Fast das ganze sieb- 
zehnte Jahrhundert durch exportirten die Holländer Gold mit un- 
geheurem Vortheil. Diese Ausfuhr war aber keine freie, konnte 
also auf den Werth der Metalle in dem sonst gänzUch gesperrten 
Lande keinen Einiluss haben; die Regierung gab ihnen Goldmünzen 
in Zahlung, so weit es ihr bequem war, — die Holländer konnten 
nicht Gold gegen Silber von den Landesbewohnern in beliebiger 
Menge eintauschen. Die Wohlfeilheit des Goldes war ein zufalliger 



278 I)&s japanische Müuzsystem. IV. 

Umstand, der ihrem Haudel Vortheil brachte ohne dem Lande durect 
zu schaden. Zu Ende des siebzelmten Jahrhimderts wurde die 
japanische Obrigkeit auf den enormen Betrag der dem Lande im 
Laufe der Jahre entfilhrten Summen aufmerksam'), beschrankte die 
Kupferüeferung, und prägte die Goldmünze bei gleichem Nennwerthe 
immer kleiner, so dass die Holländer sie bald nicht mehr mit Vortheil 
in Zahlung nehmen konnten. Seitdem führten sie an Metallen nur 
noch Kupfer aus und bezahlten es mit westländischen Producten, 
später auch in beschränktem Maasse mit Silber. Sei es nun, dass 
die japanische Regierung die Goldmünzen, seitdem sie den Holländern 
keine mehr Ueferte , wieder grösser prägte, sei es dass sie den Preis 
des Silbers erhöhte '•), genug, zur Zeit der Eröffnung Japans durch 
die Amerikaner war das Werthverhältniss dieser beiden Metalle ein 
ganz abnormes. 

Li dem damals gültigen Münzsystem war die Einheit der 
KoBANQ, eine dünne flache ovale Münze, die ein Ryo Goldes liielt 
und 60 MoNME Silbers galt. Die Bruchtheile waren 

der NiBü, gleich einem halben Kobano, eine länglich vier- 
eckige Münze von vergoldetem Silber; 

der Ixsmu, von Silber, gleich einem viertel Kobang, von ähn- 
' hoher Form und Grösse; 

der Nisu, ein achtel Kobang, von vergoldetem Silber; 

der Isü , ein sechszehntel Kobang , von Silber ; die beiden letz- 
teren ebenfalls länglich viereckig, nur kleiner. 

Der Werth der Bronzemünzen und mit ihnen der Kupfer- 
und Eisenmünzen fluctuirte. Man rechnete 60 bis 80 Maas oder 
Tempo auf den Kobang, oder 15 bis 17 auf den Itsibu. Der Tempo 
ist eine schwer«^ ovale gegossene Münze aus schöner Bronze mit 
einem viereckigen Loch in der Mitte, und gilt 100 Seni. Der Seni 
ist ein rundes Eisenstück, ebenfalls mit einem Loch, und wird wie 

«) S. S. 148. 

^^) Dem Veifasser fehlen die ausreichenden Data, um das Verhältniss der Metalle 
in früherer Zeit ergiünden zu können. Die Holländer exportirten zuerst Silber, dann 
Gold und Kupfer, dann nur Kupfer. Sie bezahlten das letztere theilweise mit Silber, 
d. h. die japanische Regierung Hess bei der Anfuhr eine gewisse Quantität gemünzten 
Silbers jährlich zu. Dieses giebt keine genaue Rechnung, da man nicht weiss wie 
sich der Werth der anderen Einfuhr - Producte zu dem des Silbers verhielL Gold 
(ur Silber haben die Holländer niemals kaufen können, und eine gültige Rechnung 
Hesse sich auch in diesem Falle nur anstellen, wenn der Handel ganz frei ge- 
wesen wäre. 



IV. Ausfuhr der Scheidemünze. Umtauschuiig europ. und aiiierikan. Münzen. 279 

die etwas grösseren kupfernen Vier -Seni- Stücke und die Tempo's 
auf Strobschnuren gereiht. 

In diesem System verhielt sich der Werth des Silbers zum 
Golde wie 1 zu 5, während in der ganzen übrigen Welt diese 
Metalle etwa wie 1 zu 15 stehen. Der Korano dieser Zeit wiegt 
123 Gran und hat über 6 Thaler Metallwerth. Ein Itsibu, ein 
viertel Kobang, enthält aber nur für 14 Sgr. 1,4 Pf. Silber. Die 
Differenz mit dem Kupfer, Eisen und der Bronze war ebenfalls sehr 
erheblich. So lange die Ausfuhr der Sclieidemünze erlaubt war, 
wechselten die Fremden ihr Silber in Tempo's und Seni's um; letz- 
tere sehen den chinesischen Kas (Sapeken) ganz gleich und werden 
dafür angenommen. Man erhielt aber in Japan für einen Dollar 
gegen 4800 Seni, und konnte in Clüna für 800 bis 1000 dieser 
Stücke einen Dollar kaufen. Diesem Handel wurde durch das in 
alle neueren Verträge aufgenommene Verbot der Ausfuhr von 
Scheidemünze rechtlich ein Ende gemacht; heimlich soll er noch 
heut im Schwange sein. 

Aus diesen neuen Verträgen (seit 1858) erwuchsen aber 
weit grössere Uebelstände. Die japanische Regierung hatte sich 
darin unbegreiflicher Weise zu einem Artikel verstanden, nach 
welchem fremde Gold- und Silber -Münzen in Japan Cours haben 
und Gewicht um Gewicht gegen einheimische gewechselt werden 
sollten; sie selbst verpflichtete sich, während des ersten Jahres 
nach Eröffnung der Häfen die Umtauschung zu bewerkstelligen. 
Man musste sich des Missverhältnisses in dem Werthe der Metalle 
doch nach den in frülieren Jahrhunderten an den Holländern ge- 
machten Erfahrungen bewusst sein, glaubte aber offenbar, den 
anderen Fremden, wie früher den Holländern gegenüber, den Werth 
der Münzen nach Beheben feststellen zu können. In diesem Wahne 
liess die Regierung Silberstücke prägen, die einen halben mexika- 
nischen Dollar (an Werth etwa 1 Th. 14 Sgr.) wogen, aber das 
Gepräge eines Nisu oder halben Itsibu hatten, und wechselte den 
Fremden ihre Dollars in »dieser Münze. Sie erhielten also für einen 
Dollar einen eben so viel wiegenden Itsibu, während von den im 
Lande coursirenden Itsibu's erst drei einen Dollar wiegen. Dadurch 
wurden alle Producte für die Fremden um 200 Procent vertheuert, 
denn der japanische Kaufmann nahm die neue Münze nur für den 
ihr aufgeprägten Werth, einen Nisu. Hätte die Regierung damals 
ihre ganze Silbermünze eingezogen und neue Itsibu's ziun Gewicht 



280 I^ic Itsibu - Manie in Yokuhama. IY. 

und Werthe von einem Dollar auch für den einheimischen Verkehr 
ausgegeben, so konnte sich Niemand beklagen; gegen die Ent- 
werthung des Silbers aber für die Fremden allein verwahrten 
sich die Gesandten. Die Regierung des Taikün fügte sich ihren 
Vorstellungen nach kurzem Widerstreben, zog die neue Silbermünze 
ein, und wechselte nun den ausländischen Kaufleuten ihre Dollars 
gegen gleiches Gewicht in landesüblichen Itsibu s. Von diesem 
Augenblick an aber konnten die Fremden das gemünzte japanische 
Gold um ein Drittheil seines Werthes kaufen und zogen natürlich 
dieses Geschäft jedem anderen vor. Der Kobano, über 6 Thaler 
werth, war für 4 Itsibu, weniger als 2 Thaler, zu haben. Die 
Kaufleute in Yokuhama , meist Repräsentanten der grössten deutschen, 
englischen und amerikanischen Handelsfirmen in China, schafften 
mexikanische Dollars in grossen Massen herbei, um sie in Itsibu's 
umzusetzen imd Kobang's zu kaufen; eine Ojieration, die sich bei 
der Nähe von China mit derselben Summe sechs- bis siebenmal 
jährlich wiederholen Hess. Der enorme Gewinn verdrehte ihnen die 
Köpfe, eine Art wahnsinnigen Schwindels bemächtigte sich fast aller 
Ausländer in Yokuhama; sie bestürmten das Zollhaus mit Ungestüm, 
die Beamten wussten sich kaum zu retten. Da der Zudrang immer 
grösser wurde, so befahl die Regierung, nur eine bestimmte Summe 
täglich zu wechseln und nach der Kopfzahl xmd dem Maasse der 
Forderungen zu repartiren. Nun liefen lange Listen von erdichteten 
Namen, grossentheils mit höhnender Bedeutung ein; Jeder forderte, 
um bei der Vertheilung recht gut bedacht zu werden, immer mehr 
als der Andere, Summen, die in Wirklichkeit gar nicht existiren, 
geschweige denn geliefert werden konnten. Ein Deutscher bat 
höflich , ihm 250 Millionen Dollars umzutauschen , Andere , Engländer 
und Amerikaner, nannten Zifi'erreihen von zwanzig Stellen, die 
abzuzählen kein Menschenleben ausreicht. Viele dieser Forderungen 
wurden von Drohungen begleitet, man klagte über Bevorzugung 
von Einzelnen und es kam zu den ärgerlichsten Auftritten. Aber 
nicht nur waren die Eingaben an das ZollUmt gefälscht, in so fem 
sie Personen und Summen nannten die gar nicht existirten, sondern 
die ganze Transaction war ungesetzlich; denn die Eingeborenen 
durften nach den Landesgesetzen bei strenger Strafe kein Gold an 
Fremde verkaufen, und die Verschiffung musste nach den Ver- 
trägen den japanischen Zollbehörden angezeigt werden, was die 
Ausländer in allen Fällen unterliesseii. Es war ein doppelter 



IV. Allgemeine Verstimmung. 281 

Sühleiclihandel. Viele Japaner wurden bestraft, aber es fanden sich 
bei dem enormen Gewinn immer neue Mittel die Behörden zu hinter- 
gehen. Die Regierung des Taikün sah dem Unwesen mit Besorgniss 
und Unwillen zu und führte bittere Klagen; sie betrachtete mit Recht 
die Handlungsweise der Fremden als Raub und als Missbrauch der 
betreffenden Vertragsbestimmung, deren Sinn und Absicht nur war, 
den ausländischen Kaufleuten die Mittel zum Ankauf einheimischer 
Producte so lange zu hefem, bis das Volk mit ihren Münzen be- 
kaimt geworden wäre. Die fremden Vertreter in Yeddo mussten 
diesen Grundsatz anerkennen und missbiUigten laut das unwürdige 
Betri^en ihrer Landsleute , konnten ihm aber um so weniger steuern, 
als fast alle Consuln in Kanagava — ausser dem englischen lauter 
unbesoldete Handelsagenten — sich an den Uebertretungen bethei- 
ligten, welche sie hätten verhüten sollen. Dem Gesetze sind nur 
wenige von den Handlungen erreichbar, welche Anstand und Sitt- 
lichkeit verbieten; aber auch da, wo die Japaner straffällige Ver- 
gehen zur Anzeige brachten, versäumten sie meist, mit dem richter- 
Uchen Verfahren der Westvölker unbekannt, die zur Beweisfiihrung 
nöthigen Maassregeln zu treffen, und mussten abgewiesen werden. 
Die japanischen Beamten wussten sich überhaupt geschäftlich den 
an Pünktlichkeit und fertiges Handeln gewöhnten »Westwilden« 
gegenüber nicht zu helfen; sie benahmen sich sehr ungescliickt, und 
wohl nicht immer mit der UnpartheiUchkeit und Klarheit, Velche 
jene von Regierungsbehörden überall verlangen. Die Kaufleute in 
YoKuuAMA fühlten sich durch die limitirte Ausgabe der Itsibu's in 
ihren Rechten gekränkt und beschuldigten ihre Gesandtschaften laut 
der Pflichtvergessenheit, weil sie nicht die wörtliche Erfüllung des 
betreffenden Vertragsartikels durchsetzten, — so steigerte sich die 
Verstimmung auf allen Seiten immer mehr. Die japanische Regie- 
rung sah ihre wiederholt und namentlich in der Antwort an Resanoff 
schon 1805 ausgesprochenen Befürchtungen") von den Folgen des 
Fremdenverkehrs wohl in höherem Maasse erfüllt, als sie selbst 
erwartet hatte, und entschloss sich, um dem Unwesen der Gold- 
ausfuhr und allen daraus entspringenden Reibungen auf einmal ein 
Ende zu machen , den unseligen Vertragsartikel über den Umtausch 
der Münzen gradezu zu brechen. Eine grosse Feuersbrunst, die im 
November 1859 den Palast des Taikün verzehrte, musste als Vor- 
wand dienen. »Die durch den Brand veranlassten grossen Ausgaben 
") Vgl. S. 158 Anin. 159. 



282 Einstellung des Umtausches. Das persouliche Auftreten der Ausläuder. IV. 

machten ein ferneres Umwechseln der fremden Münzen unmöglich.« 
Zugleich wurde der Verkauf des Kupfers ganz verboten, der aller 
übrigen Laudeserzeugnisse im directen Widerspruch mit den Ver- 
trägen beschrankt, »weil man Alles für den grossen Palastbau 
brauche«. Seitdem wechselte die Regierung nur noch den fremden 
Gesandten und Consuln bestimmte Quantitäten Dollars monatlich 
nach dem Werthe ihres Gewichtes, und fuhr damit auch fort, als 
ein Jahr nach Eröffnung der Häfen die Umwechselung den Vertragen 
gemäss hätte aufhören sollen. Dem preussischen Geschwader ge- 
währte sie aus Courtoisie denselben Vortheil. In den Hafenstädten 
bildete sich ein Wechselcours , der dem ausländischen Silber un- 
günstig ist und den Exporthandel drückt; die japanischen Behörden 
erklärten sich aber allen Klagen der Fremden gegenüber für unfähig 
dem Dollar durch Zwangscours seinen vollen Metallwerth von drei 
Itsibu's zu verschaffen. Eine Verpflichtung dazu hätte sich aus dem 
ungeschickten Vertragsartikel leicht ableiten lassen, aber die Ge- 
sandten fanden es vom handelspoütischen Standpunct richtiger, hier 
nicht weiter einzuschreiten, und der Sache ihren natürhchen Lauf zu 
lassen. Um der Goldausfuhr auf immer ein Ende zu machen, ergriff 
man endlich auch das einzige wirksame, von den Gesandten schon 
längst vorgeschlagene Mittel, den alten Kobano ganz einzuziehen 
und neue dreimal kleinere von demselben Nennwerthe zu prägen. 

Damit hörten die MisshelUgkeiten aber nicht auf, denn jene 
Wechselgeschäfte waren nicht die einzige Veranlassung; das per- 
sönliche -Auftreten der Fremden in Yokuhama verletzte fast alle 
Classen der japanischen Bevölkerung. Von den Scliiffen landeten 
täglich viele Matrosen, und trieben sich, einzeln und in Haufen, 
betrunken in der Niederlassung und der Umgegend herum , beleidigten 
und schlugen die Eingeborenen, drangen mit Gewalt in die Häuser 
und Läden ein und verübten den sträflichsten Unfug. Selbst die in 
Yokuhama angesessenen Kaufleute, welche doch bleibende Interessen 
hatten, sollen vielfach unanständig und gewaltthätig gegen die 
Beamten sowohl als gegen harmlose Einwohner aufgetreten sein. 
Der bahnbrechende Kaufmann des Westens gehört nicht immer den 
gebildeten Ständen an, glaubt sich aber unter allen Umständen über 
Jeden erhaben, dem der Rock und die äussere Tünche der west- 
lichen Civilisation fehlt. Statt aber, wie es dem Ueberlegenen 
wohl ziemte, den vermeintlich Schwächeren mit Grossmuth und 
Rücksicht zu behandeln und sich seinem niedrigen Standpuncte 



IV Ermordung der russischen Seeleute. 283 

anzupassen, zeigt er ihm oft nur Uebennutli, Geringschätzung und 
Elohn, und fordert von allen Eingeborenen Unten\'ürfigkeit und 
Ehrfurcht. Solches Betragen ist nicht allgemein, aber leider nur 
zu häufig. Dass die Beamten, welche den Samrai, der Adelsclasse 
angehören, ein derartiges Benehmen- von Kaufleuten, nach japa- 
nischen Begriffen einem sehr niederen Stande, besonders übel 
empfinden mussten, liegtauf der Hand; aber auch beim Volke erregte 
es Widerwillen und Erbitterung. Man sah die Fremden trotz ihren 
stattUchen Schiffen, ihren Maschinen und Waffen als Barbaren an; 
das formlose selbstbewusste Auftreten der volkssouveränen Bewoh- 
ner des Westens, ihre aufgeregte Geschäftigkeit und Beweg- 
lichkeit sind eben so wenig, als die plumpe Rohheit der Matrosen 
geeignet, dem Japaner Eindruck zu machen, welcher Ruhe und 
Haltung, ein wohlwollendes gleichmässiges Betragen und höfliche 
Formen als wesentliche Eigenschaften eines gesitteten Mensclien 
fordert. Man bewunderte den Unternelimungsgeist, die Gewandtheit 
und Tüchtigke'lt der Fremden, verabscheute aber ihre indiscrete 
Neugierde und Zudringlichkeit. »The modern roughness« macht 
niemals Eindruck bei dem gebildeten Orientalen. — Der persönlichen 
Rachsucht und Erbitterung über den beleidigenden Hochmuth Ein- 
zelner sind wahrscheinlich die ersten Morde zuzuschreiben, welche 
in YoKuiiAMA an Europäern begangen wurden. 

Im August 1859 kam der russische Bevollmächtigte Graf 
Murawieff mit einem Geschwader nach Japan imd schlug seinen 
Wohnsitz in Yeddo auf; die kaiserlichen Schiffe ankerten vor 
YoKUHAMA. Die russischen Seeleute hielten sich häufig am Lande 
auf und verkehrten viel mit den Bewohnern, scheinen sich aber 
nicht so behebt gemacht zu haben als bei anderen Gelegenheiten 
in Japan: einige Officiere wurden auf den Strassen belästigt und 
insultirt, und bald darauf einer derselben, der sich Abends mit 
einem Matrosen und dem Steward nach der Stadt begeben hatte, 
in der Dunkelheit mörderisch angefallen. Der Officier und der Ma- 
trose bUeben, fast in Stücke gehauen, auf der Stelle, der Steward 
entkam übel zugerichtet. Die That war das Werk eines AugenbUcks 
und die Mörder verschwanden spurlos, — die auf der Strasse be- 
findlichen Japaner sollen ruhig zugesehen haben. Dass sie, wenige 
unbewaffnete Bürger, die blutige Rotte nicht anhielten, ist von den 
Fremden wohl mit Unrecht als ein Zeichen von Gleichgültigkeit 
oder Conuivenz gedeutet worden: in vielen europäischen Städten 



284 Fernere Morde. IV. 

würde sich solcher Hergaug unter gleichen Umständen ganz ahnlich 
gestalten: der japanische Bürger aber ist sein: friedliebend und 
wird sich niemals in die Händel von Bewaffneten mischen. Ob 
diese That ein Racheact für bestimmte persönliche Beleidigungen, 
ob ein Ausbruch der Erbitterung gegen die Fremden überhaupt ge- 
wesen sei, Hess sich nicht ermittehi * *). Die japanische Regierung 
schickte auf Verlangen des Grafen Murawieff zwei hohe Beamte an 
Bord des Flaggschiffes um sich wegen des Vorfalls zu entschuldigen, 
degradirte den Gouverneur von Kanagava, und verpflichtete sich 
den Ermordeten ein Grabdenkmal zu setzen. Eine Geldentschädigung 
forderte der russische Bevollmächtigte nicht. 

Im November desselben Jahres wurde ein chinesischer Diener 
des französischen Viceconsuls in Kanagava ermordet, und im Januar 
1860 ein japanischer Dolmetscher der englischen Gesandtschaft in 
Yeddo, der, früher durch Schiffbruch nach Amerika verschlagen, 
dort englisch gelernt hatte, und Herrn Alcock sehr nützlich und 
ergeben war. Eines Abends im Februar überfiel feine bewa&ete 
Rotte zwei holländische Schiffscapitäne in der Hauptstrasse von 
YoKUHAMA, und hieb sie gradezu in Stücke. — So folgte Mord auf 
Mord ohne dass man die Thäter ergriffen hätte; die japanische 
Regierung betheuerte consequent alle Anstalten zu ihrer Verhaftung 
getroffen zu haben, doch wurde keiner, soviel zur Kenntniss der 
Fremden kam, jemals zur Strafe gezogen. Man konnte nicht an- 
nehmen, dass diese Verbrechen Acte persönlicher Rache wären, 
denn schon damals kamen mehrfach Drohungen zur Kenntniss der 
Gesandten in Yeddo, dass alle Fremden in einer Nacht er- 
mordet werden sollten. Ob aber die Feindsehgkeiten aus der 
allgemeinen Verstimmung gegen die Ausländer entsprängen oder 
von einer bestimmten politischen Parthei ausgingen, war damals 
nicht zu ermitteln. Letztere Ansicht gewann erst Wahrschein- 
lichkeit durch die Ermordung des Regenten Ikamo-no-kami am 
24. März 1860. 

In dem einleitenden Abschnitt") ist schon berichtet wor- 
den, *das8 die Ausländer in Japan den Fürsten von Mito, einen 
der Titularbrüder des Taikün, für das Haupt der fremdenfeind- 
licheu Parthei ansahen, dass dieser Fürst in dem Rufe stand, in 

^^) Jede Beleidigung eines Saurai muss nach japanischen Begrifieu mit Bhit 
gesühnt werden. S. S. 129. 
») S. 183 u. ff. Amn. 180. 



IV. Ermordung des Regenten. 285 

thronrauberischer Absicht den Tod des kinderlosen Taikün Jye-sado 
(1858) veranlasst zu haben, dass der erbliche Regent Ikamo-no-Kami ihn 
überflügelt und dem unmündigen Sohne eines anderen Titularbruders, 
des Fürsten von Kii, die Succession verschafft, den Fürsten von Mito 
aber zur Abdankung gezwungen und auf seine Güter verbannt habe. 
Die Gegenparthei soll ihm diese Handlungsweise niemals verziehen, 
ihn in den Augen des Volkes zum Verräther gestempelt haben, 
weil er den mächtigen Fürsten von Mito nur durch die falsche 
Vorspiegelung baldiger Restitution zum augenblicklichen Weichen 
vermocht, dann aber auf Schleichwegen die Erwählung des un- 
mündigen Kii bewirkt hätte, durch welche er selbst, als erblicher 
Vormund, wenigstens für jetzt thatsächUch im Vollbesitz der Herr- 
schaft blieb. So erzählt das Gerücht * *). 

Am Vormittage des 24. März nun wollte sich der Regent 
seiner Gewohnheit gemäss nach dem Schlosse des Taikün begeben. 
Sein eigenes Haus liegt innerhalb der zweiten Enceinte nur wenige 
hundert Schritte vom Eingangsthor der dritten, welche den kaiser- 
lichen Palast umschliesst. Die Strasse führt etwas bergab auf die 
Thorbrücke los, über welche sich grade das Cortege des Fürsten 
von Kii, des Vaters des unmündigen Taikün, bewegte. Ikamo 
sass in seiner Sänfte, umgeben von einem zahlreichen bewaffneten 
Gefolge; — es regnete heftig, und die Strasse war öde bis auf 
einige Gruppen tief verhüllter Gestalten in Regenmänteln, die sich 
in schuldiger Ehrerbietung vor dem vornehmen Herrn an den 
Häusern entlang zu drücken schienen. Plötzüch wirft sich einer 
von diesen mitten in den geordneten Zug, unmittelbar vor der 
Sänfte des Regenten, — nach japanischer Anschauung die tödtli'chste 
Beleidigung; die folgenden Trabanten springen zu um' ihn nieder- 
zustossen, dadurch entsteht um den Norimon eine Lücke in welche 
sich die übrigen Verhüllten stürzen , — sie haben ihre Regenmäntel 
abgeworfen und erscheinen in funkelnder Waffenrüstung. Es folgt 
ein kurzes Gemetzel, — plötzlich flieht einer der Angreifenden, ein 
blutiges Haupt in den Lüften schwingend; er passirt unangefochten 
die Wache des nächsten Strassenthores, wird dann von den Verfol- 
genden ereilt und zusammengehauen , — das abgeschlagene Haupt ist 
aber ein fremdes. Um den Norimon des Regenten lag es voll zer- 
fleischter Leichname, darunter mehrere der Angreifenden; zwei 

*♦) Ueber die Erbfolge im Hause des TaTkOn s. S. 113, über das Amt des Re- 
genten S. 121. 



286 Die Lage nach Ikamo's Ermordung. IV. 

verwundete schlitzten sich, unfähig zu fliehen, den Leib auf, die 
übrigen acht entkamen. Man fand in der Sänfte den blutigen Rumpf, 
aber nicht den Kopf des Ikamo, welchen die Mörder entführten. 
Jener erste, der mit dem abgeschlagenen Haupte eines seiner 
(refährten floli, hatte sich geopfert um den übrigen die Arbeit zu 
erleichtem. 

Der wahre Verlauf des Ereignisses wurde nicht sogleich 
bekannt; die japanischen Minister erklärten den Gesandten, der 
Regent sei verwundet, und nahmen ihre Glückwünsche zu dessen 
Rettung entgegen. Demgemäss berichteten auch die engUschen 
Zeitungen in China und Singapore, und die preussische Gesandtschaft 
erfuhr den unglücklichen Ausgang erst bei ihrem Eintreffen in Ykddo. 
Ikamo war nach einiger Zeit auch amtlich verschieden. 

Nach den officiellen Angaben der japanischen Minister wurde 
man keines der entflohenen Mörder habhaft; im Vertrauen aber 
theilten die Bunyo's den Gesandtschaften mit, sie wären ergriffen 
und hätten Alles gestanden; die That sei ein Racheact des Fürsten 
von MiTO und von dessen Trabanten verübt. Nähere Aufschlüsse 
konnte man nicht erlangen ; die Regierung hüllte sich in Gelieimniss 
und traf nur fernere Maassregeln für die Sicherheit der Legationen. 
Die Wachen wurden bedeutend verstärkt und alle Zugänge mit 
Feldstücken besetzt: zugleich bat man die Fremden in Yeddo, sich 
in diesen unruhigen Tagen nicht auf der Strasse zu zeigen, und 
unterwarf ihren Verkehr mit den Eingeborenen noch grösserer 
Beschränkung als vorher und der strengsten ControUe — »zu ihrer 
Sicherheit« und nicht minderen Unbequemhchkeit. Schon damals 
muss'ein allgemeiner Angriff auf die Fremden von Seiten der »Mito- 
LoNiNC«, der fanatisirten Soldaten des verbannten Fürsten befürchtet 
worden sein, darauf deutet das ganze Benehmen der Regierung. 
MiTO stand offenbar an der Spitze einer mächtigen Parthei, welche 
den unmündigen Taikün und dessen Anhang zu stürzen drohte; 
es hiess allgemein dass er durch die Ermordung der Fremden die 
Minister in einen Krieg mit den westhchen Mächten zu verwickeln 
und dann über seine Gegner zu triumphiren hoffe. Fast alle seitdem 
in Japan an Ausländern verübten Morde sind seinen Leuten zur 
Last gelegt worden. — Die Hauptstadt war in den Tagen nach 
Ikamo's Tode in der grössten Aufregung: die Wachen wurden 
verdoppelt und alle Strassenthore geschlossen, angeblich um die 
Mörder zu fangen, in der That aber wohl in der Erwartung eines 



IVi Das Haupt des Ikamo. — Die öfTentliche Meinung. 287 

bewaffneten Angriffs. £s hiess in Yeddo, Mito habe sich mit seinen 
Anhängern in ein festes Bergschloss geworfen und trotze von da 
aus offen der Regierung des Taikün. — Was das Haupt des Regenten 
betrifft, so sollen die Mörder dasselbe zuerst ihrem Herrn gezeigt 
und dann nach Miako gebracht haben, wo es zwei Stunden lang 
auf dem Richtplatze für Staatsverbrecher mit einer Inschrift ausge- 
stellt gewesen wäre: »Der Kopf des Verräthers, der den heiligsten 
Gesetzen des Landes entgegen die Fremden in Japan zugelassen 
hat«. Darauf sei es wieder verschwunden und einige Zeit nachher, 
in ein schmutziges Tuch gewickelt, über die Hofmauer von Ikamo^s 
Palast in Yeddo geworfen worden. So erzählt das Gerücht, — 
und japanische Bravos wären solcher fanatischen Wagniss und 
Brutalität wohl fähig. Die bei dem Attentat Gefallenen sollen in 
der Hauptstadt ein ehrenvolles Begräbniss erhalten, und durch ihre 
kühne That und todesmuthige Vasallentreue im ganzen T^ande grossen 
Ruhm geämtet haben. — 

Nach diesem Allem kann man sich nicht w^undern, wenn die 
japanische Regierung die Verträge mit ungünstigen Augen ansah; 
sie machten ihr nur Noth und Sorgen nach aussen und innen, und 
Uessen, in ihrer Anschauung, auch für die Zukunft keinen möglichen 
Vortheil absehen. Allem Anschein nach waren die beiden letzten 
Taikünc und der Regent als Opfer dieser Verträge gefallen, und 
dass die Besorgniss vor einem Bürgerkriege keine leere Ausrede 
war, dass eine starke und der bestehenden Regierung sehr gefalir- 
üche Parthei existirte, dass die Verträge wirklich zu einer tief- 
greifenden Umwälzung geführt und das Fortbestehen der alten 
SioouN- Herrschaft in Frage gestellt haben , ist durch die neuesten 
Ereignisse zur Evidenz bewiesen worden. Zur Zeit unserer Ankunft 
in Yeddo waren sich die Fremden noch nicht klar darüber. Die 
japanische Regierung gestand damals nicht, dass der Mikado und 
ein Theil des Lehnsadels ihr Schwierigkeiten bereite, — sie nannte 
»die öffentliche Meinung« als den Feind der Verträge, und gewisser- 
maassen auch mit Recht: die Menge des Volkes litt, wenigstens 
für den Augenblick, unter ihren Folgen. Die unverhältnissmässige 
Wohlfeilheit der Producte in Japan hatte eine massenhafte Ausfuhr 
veranlasst, und die daraus folgende Preiserhöhung einzelner Artikel 
zog eine Vertheuerung aller übrigen nach sich. Dieser Umstand 
drückte sehr hart auf die ärmeren Classen und besonders auf die 
niederen Beamten, welche bei geringer Besoldung, — die auch 



288 BestürzuDg bei Ankunft der Arkona. IV. 

unter den früheren Verhältnissen nur genau für ihren I^ebensunterhalt 
ausreichte, — ein gewisses äusseres Decorum beobachten müssen, 
und jetzt gradezu Mangel litten. Dass dieser Zustand nur ein vor- 
übergebender sein, dass der fremde Handel mit der Zeit dem Lande 
sogar Vortheil bringen würde , konnten die Japaner nicht begreifen ; 
wie hätten ,sie auch nach der langen Absperrung wohl Einsicht in 
die Verhältnisse des internationalen Verkehrs haben sollen! Die 
öflFentliche Meinung war wirklich der Aufschliessung des Landes 
entgegen. Die fremden Gesandten wollten es nicht glauben und 
setzten den dahin gehenden Aeusserungen der Regierung immer die 
Behauptung entgegen, dass sie selbst überall und von allen Volks- 
classen höflich aufgenommen würden. Der persönliche Verkehr 
beweist aber nichts; wird sich das Verhältniss unter gesitteten 
Menschen nicht auch in Feindesland immer freundlich gestalten? 
Dass es auch UebelwoUende gab, mussten sie vielfach auf ihren 
Spazierritten in Yeddo und der Umgegend erfahren, wo Mitglieder 
der Gesandtschaften nicht selten von Trabanten der Da'imio's insultirt 
und von lärmenden Volkshaufen belästigt wurden. 

Die Ankunft des preussischen Geschwaders konnte also der 
japanischen Regierung nicht angenehm sein. Die Arkona hatte kaum 
auf der Rhede von Yeddo geankert, als mehrere Bunyo's des Aus- 
wärtigen Amtes in grosser Bestürzung bei dem amerikanischen 
Minister -Residenten erschienen und ihm Vorwürfe machten, »dass 
er die Ankunft des preussischen Geschwaders nicht verhindert habe«. 
Herr Harris entgegnete, dass dies gar nicht in seiner Macht ge- 
standen hätte , dass er ausserdem von seiner Regierung angewiesen 
sei die Zwecke der preussischen Gesandtschaft mit allen ihm zu 
Gebote stehenden Mitteln zu fördern, und ihnen nur rathen könne, 
den von der Krone Preussen gewünschten Vertrag abzuschliessen. 
Der amerikanische Resident glaubte schon damals, dass einem 
Handelstractate mit Preussen allein keine unüberwindlichen Hinder- 
nisse im Wege ständen; ein Vertrag mit den Zollvereins -Staaten 
und den Hanse -Städten aber schien ihm von vom herein immöglich, 
da die Japaner unfähig sein würden, die handelspolitische Einheit 
von Nord -Deutschland zu begreifen. Graf Eulenburg äusserte in 
seinem Schreiben an das japanische Ministerium ausdrücldich, dass 
er gekommen sei, einen Vertrag für Nord - Deutschland abzu- 
schliessen; in der darauf erfolgten Antwort war aber gleich nur 
von Preussen die Rede. 



IV. Besuch bei dem Minister Ando-Tsus-sima-no-Kami. 289 

Am 14. September gegen Mittag setzte sich der Zug des Ge- u. septbr. 
sandten nach dem Palaste des Auswärtigen Ministers Ando-Tsüs- 
sima-no-Kami in Bewegung; die Anordnung war die bei den übrigen 
fremden Gesandtschaften übliche. Voran ging die Sänfte eines japa- 
nischen Staatsbeamten, dann folgte die preussische Flagge mit einer 
Wache von Seesoldaten , dann Graf Eulenburg selbst in dem grossen 
NoRiMON des amerikanischen Gesandten , von acht Japaneni getragen. 
Neben der Sänfte gingen seine beiden Diener, dahinter wurde sein 
Pferd geführt; dann folgten einige Herren in kleineren Sänften und die 
übrigen zu Pferde. Zehn Yakuninc marschirten zu beiden Seiten des 
Zuges und hielten die zahlreichen Zuschauer ab, welche die Fremden 
heiter und neugierig begafften. — Zunächst ging es durch einige 
von Krämern und Handwerkern bewohnte sehr belebte Gassen, 
dann durch ein vornehmes Stadtviertel, dessen breite Strassen öde 
und einförmig sind* 'Bei der ersten Enceinte des TaYkün - Palastes 
angelangt überschreitet man auf einer Pfahlbiiicke den breiten 
Festungsgraben; drüben flankirt ein massiges Thorhaus, wie die 
Ringmauer aus grossen polygonischen Blöcken gebaut, das einfache 
hölzerne Portal. Innerhalb setzt sich das aristokratische Stadtviertel 
fort, man passirt lange einsame Strassen, dann ein zweites dem 
ersten ganz ähnliches Festungsthor. Eine dritte Ringmauer um- 
schliesst die kaiserliche Burg. Der Wohn -Palast des Ando-Tsus- 
sima-no-Kami liegt innerhalb der zweiten Enceinte ; der Weg dahin 
hatte bei schnellem Schritt fast eine Stunde in Anspruch genommen. 

Das breite Thor, vor welchem der Zug hielt, öffnet sich auf 
einen kleinen Hof: gegenüber liegt- der Eingang zum Wohngebäude 
des Ministers, wo der Dolmetscher MomvAMA den Gesandten 
erwartete. Im Vorzimmer fand er die beiden ihm bekannten Bünyo's 
Sarai -Oki- NO -Kami und Hori-Oribe-no-Kami; alle trugen das 
Kamisimo, ein flügelartig die Schultern bedeckendes Festkleid. Der 
Minister und ein ihm assistirender Reichsrath aus der Versammlung 
der »Jungen alten Männer« begrüssten den Grafen stehend und 
liessen sich das Gefolge präsentiren, welches dann einer Verabre- 
dung gemäss in die Nebenzimmer verschwand. Nur Herr Heusken 
und der Attache du jour von Bunsen blieben zurück. Sie nalunen 
mit Graf p]ulenburg auf der einen Seite des Gemaches Platz, ihnen 
gegenüber Ando-Tsus-sima-no-Kami und der assistirende Rath, 
ein Mann von etwa dreissig Jahren und feinem, eiunehmenden 

I. 19 



290 Empfang und Bewirthung. IV. 

Aeusseren. Auf einen dritten . Stuhl neben diesem setzten sich 
abwechsehid die beiden Bünyo's , und in der Mitte kniete Moritama 
auf dem Boden. Hinter dem Minister kauerten zwei Beamte, die kein 
Schreibzeug hatten, aber aufinerksam zu horchen schienen. Vor 
jedem der Stühle stand ein kleiner Tisch, wo geschmackvoll geklei- 
dete Knaben Thee, Backwerk und Birnen auftrugen; sie schritten 
lautlos und feierhch in tactartig abgemessener Bewegung einer hinter 
dem anderen her, die lackirte Tasse in der Höhe des Kinnes tragend, 
und setzten sie mit ehrerbietiger Verbeugung nieder; — so verlangt 
es die Sitte des vornehmen Hauses. 

Das Empfangszimmer gUch in seiner Einrichtung denen in 
Akabane: helle Tapeten, feine Matten, geschliffenes Holzwerk, — 
Alles auf das äusserste sauber und gepflegt, dabei einfach geschmack- 
voll und nicht ohne vornehmen Anstrich; die nur für den Empfang 
der Europäer aufgestellten Stühle und Tische w^en schwarz lackirt. 
Zum Thee und nach der Collation rauchen die Japaner ihre kleinen 
Pfeifen, deren metallener Kopf dem kleinsten Eichelnäpfchen gleicht; 
mehrere Diener sind beständig mit dem Stopfen derselben beschäftigt 
und reichen sie ihren Herren. Auf den Tischen stehen kleine Metall- 
becken, worin unter weisser Asche Holzkohlen glimmen, denn jede 
Pfeife dauert nur wenige Züge. Die Europäer halten sich an Manila- 
Cigarren, und viele Japaner gewöhnen sich auch schon daran. — 
Der Anzug des Ministers war sehr kleidend, eine Art Mantille von 
schwarzem Krepp über dem kurzen seidenen Rock, die Farben des 
Untergewandes und der Beinkleider nüchtern und anspruchslos. Sein 
Benehmen konnte man ernst und feierhch nennen, aber nicht steif: 
er wusste zu lächeln, wenn das Gespräch eine scherzhafte Wendung 
nahm. Die Unterhaltung drehte sich anfangs um gleichgültige Ge- 
genstände, den letzten Sturm, die preussischen Schiffe, die Ereignisse 
in China, das Klima und die Erzeugnisse von Japan. Der Gesandte 
gab dem Gespräche zuerst eine ernste Wendung, und die Unterre- 
dung wurde nun ganz geschäftlich. 

Der Minister entwickelte mit grosser Klarheit eine Uebersicht 
der Handelsverträge, welche Japan nach zweihundertjähriger vöUiger 
Isolirung in den letzten sechs Jahren abgeschlossen hatte. Die 
öffentliche Meinung spreche sich so bestimmt gegen diese Verträge 
aus, welche nach seiner Ansicht zum Wohle des Landes gedeihen 
sollten, dass die Regierung kaum die eingegangenen Verpflichtungen 



IV. Die Unterredung. 291 

erfüllen, neue aber unter keiner Bedingung eingehen könne. Er hob 
besonders die in Folge der starken Ausfuhr entstandene Theuerung 
hervor: alle Schichten der Bevölkerung sähen mit Unruhe und Be- 
sorgniss in die Zukunft. Die Regierung glaube zwar, dass sich das 
Land in einem Uebergangsstadium befinde, und dass die durch den 
fremden Handel bisher verursachten Uebelstände mit der Zeit ver- 
schwinden würden; für den Augenblick aber sei die Gewalt der 
öffenthchen Meinung unüberwindlich. Der Abschluss des Vertrages 
mit Portugal beruhe auf einem der holländischen Regierung vor 
längerer Zeit gegebenen schrifthchen Versprechen; mit Preussen 
aber, das in Japan gekannt und geachtet sei imd mit welchem es 
gern in freimdschaftUche Beziehungen treten würde, könne erst 
dann ein Vertrag gemacht werden, wenn die öffentliche Meinung 
sich beruhigt und berichtigt habe. Er gebe diese Erklärung mit 
Bedauern, aber der Taikün befehle es so; der Gesandte möge seine 
Regierung davon in Kenntniss setzen. 

In seiner Erwiederung hob Graf Eulenburg zunächst Preussens 
Machtstellung an der Spitze von Norddeutschland hervor, welche 
sein Vaterland zu denselben Vortheilen berechtige, die Japan den 
anderen Grossmächten bewilligt habe. Mit England, Frankreich, 
Russland und Nordamerika seien Handelsverträge geschlossen worden, 
und Preussen allein solle zurückstehen. Hätte Japan bei seiner 
Absperrung beharrt, so würde man sich nicht beklagen; da es aber 
mit allen grösseren Mächten in Verkehr getreten sei, die den Wunsch 
danach ausdrückten, so könne Preussen in dieser Weigerung nur 
ein Zeichen unfreundlicher Gesinnung sehen. Die japanische Regie- 
rung habe Unrecht sich von der öffentlichen Meinung leiten zu 
lassen; es sei im Gegentheil ihr Beruf dieselbe zu verbessern, sie 
möge deshalb auf dem einmal für richtig erkannten Wege fortschreiten. 
Auch ein grosses europäisches Reich habe sich Jahrhunderte lang 
durch hohe Zölle gegen fremde Producte abgesperrt imd die öffent- 
Hche Meinung sei dort dem freien Handel noch heute abhold; aber 
der jetzige Herrscher hege die Ueberzeugung dass derselbe zum 
Wohle seines Volkes führen werde, und verlasse deshalb jetzt das 
alte System. Mit je mehr Nationen Japan Verträge mache, desto 
schneller würden die Uebelstände schwinden. Man möge nicht 
furchten, dass ein Vertrag mit Preussen schon in nächster Zukunft 
eine sehr vermehrte Ausfuhr herbeiführen werde : die Norddeutschen 

19' 



292 Abschied. IV. 

seien im Wesentlichen ein ackerbauendes Volk, ihre Handels- 
beziehungen zu den überseeischen Ländern zwar in rascher £nt- 
Wickelung begriffen, aber für jetzt noch nicht so ausgedehnt als 
die von England, Holland und Nordamerika. — An die Mögliclikeit 
einer Weigerung von Seiten der Japaner habe übrigens nach den 
der holländischen Regierung gegebenen Zusagen, welche Preussen 
zur Ausrüstung dieser Expedition veranlasst hätten, gar nicht gedacht 
werden können , und sei der Gesandte für diesen Fall ohne Instruc- 
tionen. Er müsse darüber an seine Regierung berichten und die 
Antwort in Yeddo abwarten, bitte deshalb den Minister, seine 
Ausführungen in ernste Erwägung ziehen und eine so wichtige 
Angelegenheit nochmals dem Taikün vortragen zu wollen. — Ando- 
Tsüs-siMA replicirte weitläufig, und betonte besonders, dass seine 
Regierung ihre Bereitwilligkeit zum Abschluss von Verträgen durchaus 
nicht von der grösseren oder geringeren Macht der fremden Völker 
abhängig mache , — worauf ihn der Gesandte durch die Versiche- 
rung beruhigte, er habe nicht Preussens Stellung zu Japan, sondern 
zu den übrigen Grossmächten hervorheben wollen. Der Minister 
erbat sich darauf noch Aufschluss über die beiden Ausdrücke 
»Regent« und »Norddeutschland«, welche im Lauf der Unterredung 
häufig gebraucht worden waren; der Gesandte klärte ihn über die 
im preussischen Königshause damals obwaltenden Verhältnisse auf, 
und versprach beim Anfange der Verhandlungen mit Hülfe einer 
Karte nachzuweisen, was »Norddfeutschland« bedeute. 

Ando-Tsüs-sima bat nun, die Sachlage in den nächsten Tagen 
nochmals ausführlich durch die Bunyo*s auseinandersetzen lassen 
zu dürfen. Das wollte Graf Eulenburg ablehnen, da er Alles voll- 
kommen verstanden habe; der Minister erklärte aber nach dieser 
Weigerung annehmen zu müssen, dass man nicht einmal geneigt 
sei die Vorschläge der japanischen Regierung zu erwägen, worauf 
der Gesandte seine Bereitwilligkeit aussprach, die Mittheilungen 
der BüNYo's zu jeder Zeit entgegenzuehmen. So endete die drei- 
stündige Conferenz, während deren die übrigen Herren des Gefolges 
sich in den Nebenzimmern nur mit Theetrinken und Rauchen unter- 
halten konnten. Das doppelte. Uebersetzen aus dem Japanischen 
in das Holländische und weiter in das Deutsche und die ängstliche 
Umständlichkeit der japanischen Dolmetscher erschweren die Ver- 
handlungen sehr, dieser Process ist eine wahre Geduldsprobe. — 



IVl Die BuNYo's in Akabane. Deputation der deutschen Kaufleutc. 293 

• 

MoRiYAMA bückte das Gesicht tief zur Erde wenn er den Worten 
des Ministers lauschte, und erhob das Haupt nur wenig wenn er 
zu ihm sprach. * 

Den Rückweg machte die ganze Gesellschaft zu Pferde. — 
Am achtzehnten kamen Sakai und Hori - Oribe nach Akabane 
und wiederholten dem Gesandten nochmals in weitschweifigster 
Breite Alles was der Minister gesagt hatte. Sie lasen fast ihren 
ganzen Vortrag ab, und übergaben zum Schluss ein dickes japanisches 
Actenstück mit holländischer Uebersetzung, worin Alles schön sorg- 
sam geschrieben stand. Die Bunyo's sprachen viel von der Ver- 
wirrung im j^^panischen Münzwesen und der Erhöhung der Preise 
in Folge des Handelsverkehrs; nur die Kaufleute in Yokuhama seien 
mit der Anwesenheit der Fremden zufrieden, und diese verhielten 
sich zur Gesammtbevölkerung des Reiches wie ein Sandkorn zum 
Berge Fusiyama. Die von ihnen entwickelten national -öconoraischen 
Grundsätze waren übrigens, so kindlich, dass dem Gesandten die 
Hoffnung schwand seine Auseinandersetzungen verstanden zu sehen. — 
Nach Beendigung der Geschäfte liessen es sich die Herren beim 
Frühstück wohl sein, wurden sehr fröhlich und zutraulich und 
betheuerten wiederholt, wie sehr es sie schmerze die Ueberbringer 
solcher Eröffnungen zu sein. — 

Dass es übrigens der japanischen Regierung mit der Be- 
schränkung des Verkehrs und Femhaltung aller nicht den Ver- 
tragsmächten angehörigen Fremden Ernst sei, hatte sie 
schon vor Ankunft des preussischen Geschwaders bewiesen. Die in 
Yokuhama ansässigen deutschen Kaufleute standen anfangs meist 
unter englischem Schutze; nicht lange, so erfuhren die einhei- 
mischen Behörden, dass sie keine Engländer seien, und erklärten 
plötzlich ein solches Verhältniss für unzulässig. Alle Deutschen 
sollten das Land räumen, und der Gesandte von Grossbritannien 
konnte ihnen nur mit Mühe eine Frist zur Abwickelung ihrer Geschäfte 
auswirken. Bei der Ankunft der Arkona hatten sie schon alle Anstalten 
zur Abreise getroffen und wandten sich nun an den Grafen Eulen- 
burg, welcher Sonntag den 16. September eine Deputation derselben i6. septbr. 
an Bord der Arkona empfing. Nach Yeddo durften europäische 
Kaufleute überhaupt nicht kommen, und die japanische Regierung 
beklagte sich sogar über den Empfang der Deutschen auf der 
Arkona, — sie waren am vierzehnten Morgens mit der Thetis 



294 Beschwerde der japanischen Regierung. IV. 

herübergekommen und kehrten am siebzehnten mit dem Proviantboot 
nach YoKüHAMA zurück. Graf Eulenburg enviederte dass die Kriegs- 
schiffe preussischer Grund und Boden seien, womit die Sache 
abgethan war. Er veranlasste die Deputation zu Abfassung einer 
Denkschrift über die Aussichten des deutschen Handels in Japan. — 
unsere Landsleute blieben für jetzt ungestört in Yokuhama. 



V. 



YEDDO. 

VOM 19. SEPTEMBER BIS 2. OCTOBER. 



O-Yeddo, »das grosse Yeddo« — so nennt es der höfliche Japaner 
aus der Provmz dem Bewohner der Hauptstadt gegenüber — bedeckt 
mit seinen Vorstädten einen grösseren Flächenraum als London. Ein 
breiter Fluss, der 0-gava — Grosse Fluss — strömt von Nordwesten 
nach Südosten hindurch und theilt die Stadt in zwei ungleiche 
Hälften. Die nördliche ist ganz flach und wird östlich von einem 
kleineren, dem 0-oava fast gleichlaufenden Flüsschen begrenzt; 
die weit grössere südliche Hälfte ist nur in ihrem nordöstlichen 
Theile, am Ufer des 0-gava eben, sonst überall mit Hügelreihen 
durchsetzt. Den Stadttheil nordöstlich vom 0-gava, das Hondzo, 
bewässert ein Netz von zahlreichen Canälen, welche die beiden 
Flüsse mit einander verbinden; auch das südöstliche Yeddo ist 
reich an Wasserläufen, natürlichen und künstlichen, die theils den 
Abfluss der verschiedenen Thalsenkungen bilden, theils aus dem 
0-GAVA gespeist werden. Dieser Strom ist etwa so breit wie die 
Elbe bei Dresden, aber wasserreicher, und in seinem Lauf durch 
die Hauptstadt von vier mächtigen Pfahlbrücken überspannt. 

Etwa eine Viertelmeile vom 0-gava zieht sich ungefähr ihm 
parallel die erste Hügelkette hin, auf deren höchster Erhebung 
in ausgedehnten Park- und Gartenanlagen die Paläste des Taikün 
und des Thronfolgers hegen. Sie sind von einer Ringmauer mit 
breitem tiefem Wassergraben umschlossen; acht Brücken und Dämme 
mit befestigten Thoren bilden die Zugänge. Die Ringmauer aus 
grossen polygonischen Blöcken setzt sich um das sogenannte Siro — 
das Schloss, — und weiter um das Soto- Siro — die Umgebung des 
Schlosses — in unregelmässiger Spirale fort und tritt endlich bei 
der zweiten Pfahlbrücke, von oben gezählt, an den Grossen Fluss 
heran; sie ist überall von breiten Wassergräben begleitet, die mit 



29b Das SiRo und das Soto-Siro. Das Haudclsquarticr. V. 

dem O - GAVA und dein Festungsgraben des höher gelegenen Taikün- 
Palastes durch ein kiinstliclies Schleusensystein in Verbindung zu 
stehen scheinen. In allen Canälen der niedrig gelegenen Stadttheile 
und in den zahlreiclien in sie mündenden Abzugsgräben steigt und 
fallt das Wasser mit der Ebbe und Fluth; die letzteren werden zur 
Ebbezeit meist ganz trocken. 

Das SiRO umschliesst die Paläste der kaiserüchen Titular- 
brüder, des Gouverneurs von Yeddo und anderer Hoch Würden- 
träger. Das SoTO-SiRO besteht in seinem nordwestlichen und süd- 
lichen Theile fast ganz aus den Yamaske's von Da'imio's und hohen 
Beamten, nur wenige Strassen werden von Krämern und Hand- 
werkern bewohnt; nordöstüch verläuft es sich aber in das grosse 
llandelsquartier, welches fast den ganzen ebenen Raum zwischen 
dem Schloss und dem 0-üava ausfüllt. Von einer »dreifachen 
Ringmauer« kaim streng genommen nicht die Rede sein; die in- 
nerste Enceinte des Taikitn -Palastes ist nur südöstlich von dem 
SiRO, an allen anderen Seiten aber von dem Soto-Siro begrenzt, 
das gegen Nordosten offen ist. Das SiRo dagegen ist gegen das 
Soto-Siro vollständig abgeschlossen, und man muss allerdings 
eine dreifache Mauer passiren, um von Süden oder Norden kom- 
mend durch das Soto-Siro und das Siro nach dem Taikün- Palaste 
zu gelangen. 

Das grosse Stadtviertel zwischen dem Schloss und dem Fluss 
ist der Mittelpunct von Handel und Wandel xmd von mehreren 
Canälen durchschnitten. - lieber einen derselben führt die »Brücke 
vonNippoN« — Nippon-Basi, — von wo alle Entfernungen im ganzen 
Lande gemessen werden. Sie ist der Endpunct des Tokaido, der 
grossen Ileerstrasse vom Westen und Süden des Reiches; eine 
andere führt von hier nacli dem Norden von Nippon. Der Tokaido 
ist die einzige breite Strasse dieses sehr bevölkerten und von Kauf- 
leuten aller Art bewohnten Stadttheiles , — alle übrigen sind 
eng; jedes Ilaus ist ein Laden, die meisten zweistöckig, doch pflegt 
das obere Stockwerk nur niedrig zu sein und zum Aufbewahren 
der Kaufmannsgüter und Fabricate zu dienen. Am 0-gava und 
den in ihn mündcuiden (Kanälen liegen ganze Reihen feuerfester 
Pack- und Lagerhäuser, und auch in den Strassen sieht man viele 
feuerfeste Gebäude. — Dieses Stadtviertel bildet mit dem Schloss 
und seiner Umgebung den eigentlichen Kern der Hauptstadt, liier 
ist jedes Fleckchen bewohnt. In den angrenzenden Stadttheilen 



V. Die Vorstädte. Die Rhede von Yeddo. 297 

ringsum wechseln die stark bevölkerten Quartiere der Krämer uud 
Handwerker mit weitläufigen Tempelanlagen und den Grundstücken 
einzelner Daimio's. Erstere liegen meist auf den Höhen, beschattet 
von immergrünen Gehölzen, umgeben von ausgedehnten Friedhöfen, 
und auch die Grundstücke der-Grossen umschliessen hier prächtige 
Park- und Gartenanlagen. Ueberall sieht man Grünes, fliessendes 
Wasser und die mannichfaltigsten Bauten. Die Vorstädte dehnen 
sich nach allen Richtungen weit in das Land hinaus und haben 
schon manches Dorf verschlungen; man kann den Hauptverkehrs- 
adern folgend noch meilenweit zwischen zusammenhängenden Häu- 
serreihen wandern, gelangt aber durch die Nebenstrassen bald in 
die lachendste Landschaft; Acker- und Gartenbau ziehen sich hier 
und da bis mitten in die volkreichsten Quartiere, so dass die Grenzen 
der Stadt schwer zu bestimmen sind. 

Die Uferünie von Yeddo gegen das Meer ist unregelmässig 
halbkreisförmig, das Wasser so seicht, dass Schiffe von zwanzig 
Fuss Tiefgang mindestens fünf Seemeilen von der Küste ankern 
müssen. Bis zwei Meilen vom Ufer beträgt die Tiefe nur zwei bis 
drei Fuss; zur Zeit der Ebbe liegen ganze Strecken trocken, und 
selbst für Boote geringer Grösse ist das Fahrwasser scliwer zu 
finden. Der Boden ist ein lehmiger unergründlicher Schlamm, durch 
den Wechsel von Ebbe und Fluth beständig aufgerührt, daher das 
Wasser trübe und schmutzig, mit Ablagerungen ,' welche die beiden 
Flüsse zuführen, geschwängert und sehr fischreich. Hier und da 
stehen verwitterte Pfähle, von denen gierige Cormoranten starren 
Blickes ihrem Raube lauem. Wenige Fischerboote beleben diesen 
Theil der Rhede, die ganze Scene hat etwas Oedes und Wüstes. 
Etwa drei Seemeilen vom Ufer hegen einige alte Schiffe, nach 
europäischem Muster in Japan ge])aut, in trübseUgem Zustande, 
halb abgetakelt und ganz unbrauchbar, und selbst die von der 
Königin von England 1858 geschenkte Dampfyacht erscheint äusserUch 
alt und verbraucht, weil die Japaner als unverbesserhche Hasser 
jeden Anstriches gleicli nach der Uebergabe alle Farbe abgekratzt 
haben. Dagegen sehen alle japanischen Dschunken, die niemals 
angestrichen werden, so sauber und neu aus wie blank gescheuerte 
Böttichcrwaare. Die meisten ankern in der breiten Mündung des 
O-OAVA, wohin längs der Nordseite der Bucht ein schmales Fahr- 
. Avasser von germger Tiefe führt. Jenseit der ersten Pfahlbrücke 
scheint der Fluss nur für Kähne schiflT)ar zu sein. 



298 Die Forts. Der Lauduugsplatz der Fremden. V. 

Das seichte Wasser gewährt an sich der Hauptstadt grosse 
Sicherheit gegen einen Angriff zur See; zum Ueberfluss hat aber 
die Regierung noch fiinf mächtige Forts hineingebaut, die, an der 
Südspitze der Stadt etwa zwei Seemeilen vom Lande beginnend, in 
ihrer Front eine gekrümmte Linie nach Osten bilden. Sie sind auf 
eingerammtem Pfahlrost massiv aus Quadern erbaut, oben mit grünen 
Wällen versehen von denen schweres Geschütz herabschaut, jedem 
Bootsangriff Trotz bietend, aber gegen die gezogenen Schiffscanonen 
unserer Zeit auf die Länge unhaltbar. Sie beherrschen nur etwa 
den dritten Theil der Breite, die westliche Seite der Bucht, imd 
könnten östlich leicht umgangen werden; aber hier säumt eine 
lange Reihe von Strandbatterieen das Ufer, welche den Geschützen 
auf der Rhede ankernder Kriegsschiffe unerreichbar sind und ge- 
schickt bedient wohl den heftigsten Bootsangriff abweisen könnten. 
Die Forts müssten genommen werden imi Yeddo von dieser Seite 
anzugreifen, und würden, gut vertheidigt, dem Feinde blutige 
Arbeit kosten. 

Bei Annäherung von der Rhede ahnt man die grosse Stadt 
nicht; die Häuserreihen am Ufer sind unbedeutend und von Gärten 
und Rasenterrassen vielfach imterbrochen, die wenigen Höhen grün 
bewachsen und mit zerstreuten Gebäuden besät, der Eindruck ist 
vielmehr ländlich. Die Bewohner von Yeddo selbst haben wenig Ver- 
kehr mit der Rhede , ihre Dschunken laufen in den O - ga va ein. Für die 
Fremden — die Bewohner der Legationen und die Marine -Officiere — 
hat man einen Landungsplatz besonders gebaut, mit massiven Boll- 
werken und Treppen und einem geräumigen Hof, wo sie ihre Habselig- 
keiten ausladen und in Ruhe die Pferde und Sänften besteigen können, 
Alles sehr zweckmässig und bequem. Hier harren ihrer in einem 
Wachthause beständig Dolmetscher und Yaküninc, welche sie an 
die Gesandtschaften abzuliefern haben; auch Boote nach den Schiffen 
liegen zu massigen Preisen bereit. — Von diesem Hofe öffnet sich 
ein breiter schwarzer Thorweg auf die grosse Heerstrasse, den 
ToKAiDO, der hier das Meeresufer berührt und nach links eine 
Strecke hart am Strande, dann weiter durch die Vorstädte Sinagava 
und Omagava läuft. Dem Thorweg grade gegenüber hegt die Strasse 
welche nach Akabane fuhrt; nach rechts wendet sich der Tokaido 
nördlich in das gewerbliche Viertel dem Mittelpuncte der Stadt zu, 
eine grade, breite Strasse von unabsehbarer Länge. Alle acht- 
hundert Schritt weit stehen Thorwege, welche bei Unruhen und 



V. Die Strassen des Handelsquartiers. 299 

Feuersbrünsten, und in aufgeregten Zeiten jede Nacht geschlossen 
werden, eine Einrichtung die durch ganz Japan in allen Strassen 
und Gassen bestehen soll. An jeden Thorweg lehnt sich ein 
Wachthaus — das Bureau der Strassenpolizei , wo die Kasira*s 
die Wache beziehen, — und aus seinem Dache ragt ein hohes Leiter- 
gerüst, von wo besonders bei Nacht nach Feuersbrünsten gespäht 
und das Lärmzeichen mit der Glocke gegeben wird. Die Anzahl 
und Anordnung der Schläge zeigt den Bewohnern gleich die Ent- 
fernung und Grösse des Brandes an. 

Viele Häuser dieses Stadttheiles, wo die wohlhabendsten Kauf- 
leute wohnen, sind feuerfest. Sie haben dicke um Bambuspfosten 
gefugte Lehmwände und einen Ueberzug von feinem Stuck. Ihre 
Farbe ist gewöhnlich schwarz , zuweilen auch weiss , der Stuck von 
so glänzender Oberfläche, alle Ecken und Kanten so scharf und 
winkelig dass man polirten Marmor zu sehen glaubt. Die dicken 
Fensterläden haben einen Ueberzug von derselben feuerfesten Masse/ 
und schliessen hermetisch, das Dach besteht aus dichtgefugten 
schweren Ziegeln. Diese Häuser sind theils das Privateigenthum 
Einzelner, theils das gemeinsame einer ganzen Reihe von Haus- 
wirthen , die bei den rasch um sich greifenden Feuersbrünsten meist 
nur Zeit haben ihre besten Habseligkeiten dahin zu flüchten; die 
Häuser werden dann verschlossen, von aussen noch mit nassen 
Strohmatten gesichert und ihrem Schicksal überlassen, eine Art 
riesiger Geldschränke, die vortreffliche Dienste leisten und trotz 
der furchtbaren Gluth der japanischen Brände -r- wo Alles nur 
Holz und Papier ist — ihren Inhalt unversehrt bewahren sollen. — 
Die Häuser dieses Stadtviertels stehen zwar regelmässig in einer Reihe, 
aber bald mit dem Giebel , bald mit der Seitenfront nach der Strasse 
gewendet; sie sind bald höher, bald niedriger*, nach unseren Begrifien 
aber durchgängig klein, und immer nur für eine Familie eingerichtet. 
Die meisten haben Ziegeldächer, manche von den einstöckigen 
Häusern auch Schindeldächer. Erstere sind von sehr künstlicher 
Bauart, die Ziegel sorgfältig geformt und gebrannt, dunkelgrau, 
und mit gleichfarbigem Mörtel zu einer festen Masse verkittet. Ein 
hoher schwerer Balken bildet die Dachfirst und läuft in reich ver- 
zierte breite Stirnziegel aus, von denen sich zwei dicke Wülste über 
die Dachfläche hinablegen. Die Ziegel sind von mannichfacher 
Form und Grösse, man könnte den ganzen Dachstuhl einen Bau aus 
Formsteinen nennen; diejenigen, welche die eigentliche Dachfläche 



300 Ladenzelchcii und Aushängeschilder. V. 

bilden, von zweierlei Art, cylindrisch runde und concave, die in 
Reihen mit einander abwechseln wie die sogenannten Mönche und 
Nonnen mittelalterlicher Gebäude in Europa. Zuweilen sind die Dach- 
steine des Firstbalkens und der von da herablaufenden Wülste mit 
schneeweissem Mörtel sehr sauber zusammengefügt, — es sieht auf 
dem schwärzlichen Grunde aus wie ein Spitzenmuster. Die Häuser 
des ToKAiDO haben meist einfache Dächer von graden Linien; bei 
grösseren Gebäuden — Tempeln, Thoren und dergleichen — ist 
der Dachstuhl sehr complicirt, die Linien nach allen Seiten 
geschweift. Bei den Schindeldächern liegen die einzelnen sehr 
dünnen Holzplättchen in mehreren Lagen wie dichte Schuppen 
aufeinander, §o dass man kein Ritzchen gewahrt; die Arbeit ist 
zugleich zierlich, fest und elastisch, und widersteht, olme mit 
Steinen beschwert zu sein, jedem Regen und Sturm. 

Das Colorit der japanischen Strassen ist einförmig: schwarz- 
graue Dächer, hier und da mit weisser Spitzenverzierung, feuer- 
feste Häuser von schwarzem oder weissem Stuck; alles Ucbrige ist 
Holzwerk, dessen natürUche Farbe vom hellen Gelb des frischen 
Tannenholzes durch alle Nuancen' des Roth- und Schwarzbraunen 
bis zum verwitterten Grau wechselt. Vor vielen Kaufläden hangen 
braunrothe oder indigoblaue Gardinen herab; nur die vielgestal- 
tigen Aushängeschilder, welche deren Bestimmung meist sjanbo- 
lisch anzeigen und dem Fremden eben so unverständlich sind als 
die sie begleitenden Schriftzeichen, glänzen in bunten Farben. 
Hier winkt ein frei in der Strasse stehender Kobold in den Spiel- 
zeugladen, dort baumelt ein gigantischer Fächer, bunte Fahnen 
wehen von langen Bambusstiingen; vor den grösseren Kaufhäusern 
aber steht meist ein hohes Balkengerüst, von dem unter zierhch 
geschnitzter Bedachung ein langes Schild mit goldener oder rother 
Inschrift auf buntem Grunde herabhängt; zuweilen thront auf dem 
Firstbalken ein phantastisch geschnitzter Drache mit geringeltem 
Schuppenschweif. Die wenigen grellen Farben beleben angenehm 
den nüchternen Gnmdton, der Eindruck des Ganzen ist durchaus 
harmonisch. 

Viel umfangreicher als alle anderen Häuser des Tokaido sind 
die Seidenhandlungcn. Die ganze Front des unteren Stockwerkes ist 
nach der Strasse zu offen und nur gegen die Sonne durch blaue 
Gardinen verhängt, auf denen die Firma in grossen weissen Schrift- 
zügen prangt. Den Kstrich l)edecken, wie überall, feine Matten, 



V. Seidenhandlaiigen. WafTenschmiedc. 301 

auf denen viele jugendliche Commis kauern, einige mit den Büchern 
beschäftigt, andere den vor ihnen sitzenden Kunden die Waare 
vorlegend. Vornehme Käufer werden in das obere Stockwerk ge- 
führt. Das untere bildet eine weite, tiefe Halle, deren Decke viele 
Ilolzpfosten tragen: Waare ist nirgend zu sehen und wird erst auf 
Verlangen aus den Kasten und Fächern hervorgeholt. Man findet 
hier schöne Crepps und schwere geblümte Stoffe, femer feingestreifte 
Zeuge in milden graublauen und bräunUchen Nuancen, welche dem 
europäischen Geschmack zusagen würden. Aber die Stücke sind 
von sehr geringer Breite und nur zwanzig bis dreissig Fuss lang, 
wie sie wohl zu japanischen, aber nicht zu europäischen Frauen- 
kleidern ausreichen, und man findet selten zwei von ganz gleichem 
Muster. Das Gewebe ist fest und gleichmässig, aber meistens ohne 
Glanz, und sieht daher sehr anspruchslos, oft bei den kostbarsten 
Stoffen wie Baumwolle aus. 

Alle übrigen Kaufläden sind kleiner als die Seidenhandlungen, 
bieten aber fast durchweg Gegenstände von grossem Interesse. Bei 
den Waffenschmieden findet man lange und kurze Schwerter aller 
Art m grösster Mannichfaltigkeit der Klingen, Hefte und Scheiden, 
kein einziges, bei feststehender Grundfonn, dem anderen ganz 
gleich. Das japanische Schwert kann vielleicht für die schönste 
Hiebwaffe gelten; die Klinge ist wuchtig und leicht gekrümmt, 
das Heft mit Rochenhaut überzogen und darüber oft mit dicken 
seidenen Schnüren beflochten, das ovale Stichblatt von Eisen, die 
Scheide von Holz und mannichfach verziert und beschlagen. Am 
reichsten sind der Knauf und das Stichblatt gearbeitet, theils er- 
haben und kunstvoll ciselirt, theils gravirt und mit Gold , Silberund 
bunten Legirungen eingelegt, bald in verschlungenen Linearmotiven, 
bald in charaktervoller Darstellung von Blättern, Blumen, Masken, 
Ilausrath, von Menschen- und Thiergestalten. Meistens wird die 
eingelegte Arbeit mit der gravirten und erhabenen verbunden, und 
man sieht vollständige Genrebilder, ja ganze Landschaften im klein- 
sten Raum. Aehnliche Verzierungen sind auf beiden Seiten des 
Heftes befestigt und unter den Seidenschnüren oft halb verborgen. 
In den Scheiden der kleineren Schwerter steckt unterhalb des Stich- 
blattes gewöhnlich ein kleines Messer mit verziertem Metallgriff: 
darunter sitzt ein metallener Buckel durch welchen eine seidene 
Litze gezogen ist, — eine Art Portepee wie es scheint, — die keinen 
praktischen Nutzen hat. Der Lack der Scheide ist bald schwarz, 



302 Japanische Schwerter. Rüstungen. V. 

bald farbig oder gestreift, genarbt, bald matt, bald glänzend, immer 
hart und dauerhaft. — Das grössere zweihändige Schwert der Samrai 
heisst Katana, das kürzere Wakisasi. Häufig werden diese in 
Paaren gefertigt, so dass die Knäufe, Stichblätter und alle übrigen 
Garnituren dieselben sind; die Meisten tragen sie aber verschieden- 
artig. Die kleineren Schwerter oder Dolche haben vielfach keine 
Stichblätter; diejenigen der Ackerbauer und privilegirten Kaufleute 
sind dem Wakisasi sehr ähnlich. Der Japaner trägt seine Schwerter 
fast durchgängig im Gürtel; nur wenige der grösseren haben Gehenke, 
und scheinen so nur zur vollen WaflFenrüstung geführt zu werden. 
Den grössten Werth legt man auf die Klingeif : namentUch alte von 
berühmten Meistern werden geschätzt und oft mit Tausenden be- 
zahlt. Die Schneide ist von grosser Härte und nimmt einen vorzüg- 
Uchen Schliff an, der Rücken besteht aber aus weichem Eisen: so 
kommt es denn dass sie die Probe europäischer KUngen nicht aus- 
halten, und einmal gebogen — was freihch bei der grossen Dicke 
nicht leicht vorkommt — in krummer Linie stehen bleiben. Viele 
haben eine flammige Oberfläche, man sieht wo der Stahl an das 
Eisen ansetzt. Die Cementirung der Schneide scheint besonderer 
Gegenstand der Sorgfalt zu sein; darüber giebt es ausführUche 
Werke mit Abbildungen, deren Text uns leider noch nicht zugängUch 
geworden ist. Manche der werthvollsten Klingen sind über und 
über mit krisehgen Aetz- oder Rostflecken bedeckt'). 

In anderen Läden werden Helme, Kriegsmasken und ganze 
Rüstungen feil geboten. Letztere sind gewöhnUch aus starkem 
Leder und Bambus, mit lackirtem Metall überzogen, und bestehen 
aus vielen einzelnen Stücken, die mit dicken seidenen Schnüren 
beflochten und zusammengelascht werden. Jede vornehme Famihe 
hat ihre Farbe welche auch die Vasallen und Trabanten tragen: 
so füliren die Minamoto schwarzes Geflecht, die Taira purpurnes, 
die FuDsiwARA blassgelbes. Die Kriegsmasken sind ebenfalls von 

^) Herr von Siebold beschreibt die Cementinmg der japanischen Klingen folgender* 
maassen: »Die aus gutem Stabeisen geschmiedeten Klingen werden mit einem Teig 
aus Pottasche, Thon- oder Porcellanerde und Kohlenpulver überzogen und an der 
Sonne getrocknet, hierauf dem Feuer ausgesetzt und so lange erhitzt bis die Cement- 
masse eine weisse Farbe annimmt. Die glühende Klinge wird nun in lauwarmes 
Wasser, das aus ^ siedendem und \ kaltem erhalten wird, getaucht und allmälich 
abgekühlt. Ofl erhitzt man bloss die Schneide der Klinge und dann geschieht die 
Abkühlung in kaltem Wasser.« 



V. Bogen und Pfeile. 303 

Leder und Eisen, sehr künstlich aus verschiedenen Stücken geglie- 
dert, und geben der Muskelbewegung freies Spiel. Der Kriegsfacher 
hat ein eisernes Gestell und scheint im Handgemenge als Streit- 
kolben zu dienen. Der Helm ist sturmhaubenartig, mit einer Krempe 
versehen, inwendig Leder, aussen Metall, bald silberglänzend, bald 
stahlblau mit blanken Buckeln und Bügeln. Vorn sitzt zuweilen 
eine Metallverzierung von phantastischer Zeichnung, und in den 
obersten Knopf werden Federn oder sonstiger Zierrath gesteckt; eine 
Helmdecke von schwerem kostbarem StoflF, häufig reich gestickt, fallt 
den Nacken und die Schläfen verhüllend auf die Schultern herab. ~ 
In Friedenszeiten legen die Daimio's und hohen Staatsbeamten ihre 
Rüstung nur bei Feuersbrünsten an, wo sie die Pflicht haben zu Pferde 
zu erscheinen und die Löschanstalten zu leiten. Die eigentliche 
Kriegsrüstung soll schwerer sein, sieht aber den Abbildungen nach 
der gewöhnlichen ganz gleich. Zur vollen Rüstung gehört auch ein 
Sturmfahnchen, ganz ähnUch denen auf alten heraldischen Darstel- 
lungen des Westens; es wird durch zwei am Rückenhamisch an- 
gebrachte Oesen gesteckt imd weht über dem Haupte des Kriegers, 
dem namentUch die Maske ein sehr grimmiges Ansehn giebt. 

Sehr zahlreich sind die Läden w^o Bogen und Pfeile verkauft 
und verfertigt werden, denn das Lager ist vielfach zugleich Werk- 
stätte. Die grössten Bogen haben sieben Fuss Länge und im un- 
gespannten Zustande eine starke Krümmung nach aussen, — nur 
der kräftigste Arm vermag die Sehne ganz auszuziehen, — ihre 
Schnellkraft ist unglaubHch. Der japanische Bogen besteht der 
Dicke nach aus drei Lagen: inwendig zähes Holz, auf jeder Seite 
ein Streifen Bambus. Viele sind schwarz oder roth lackirt und in 
Zwischenräumen mit Rotangbändem umwunden, von vollendeter 
Arbeit und Güte, ebenso die Pfeile aus dünnem Bambusrohr, das 
mit Oel getränkt und über dem Feuer gebräunt und gehärtet wird. 
Solcher Pfeil springt bei der grössten Dünne niemals. Die Befie- 
derung besteht aus Adlerfedern und ist dreireihig, die Spitze von 
Eisen und je nach dem Zweck — zum Scheibenschiessen, zur 
Jagd u. s. w. — verschiedenartig geformt. Das Bogenschiessen 
wird in Japan von jedem Alter und Geschlecht mit Leidenschaft 
und grosser Virtuosität geübt , es giebt Bogen und Pfeile von allen 
Dimensionen, sogar kleine Miniaturbogen, die, in vier Stücke zer- 
legt, mit BequemUchkeit in der Tasche getragen, und namentlich von 
jungen Mädchen zum Scheibenschiessen im Zimmer benutzt werden. 



304 Sattler. Y. 

Viele besitzen darin eine Geschicklichkeit, mit der sich nur unsere 
besten Pistolenschützen messen können. Diese kleinen Bogen und 
namentlich die dazu gehörigen Pfeile sind wahre Meisterstucke von 
Genauigkeit und Eleganz. 

Bei den Sattlern findet man statt des Leders fast nur Holz und 
Papier; die Japaner wissen dem letzteren solche Festigkeit zu geben, 
dass es das Leder in den meisten Anwendungen ersetzt und dem 
Wasser fast noch besser widersteht. Das Sattelzeug ist eben so 
eigenthümhch als unbequem , ein schmaler Bock aus lackirtem Holz, 
auf dem ein dünnes hartes Kissen liegt. Die Steigbügel hangen an 
wnilstigen Riemen — diese allerdings, wo die Schnalle greift, von 
Leder — imd sind von unglaublich plumper Form, schwere bronzene 
Schuhe mit einer senkrechten Verlängerung nach oben, die bis zur 
Mitte des Schienbeines reicht und dort einen unerträglichen Druck 
übt. Die Japaner sitzen mit den Knieen weit nach vorn und halten 
sich mit ausgebreiteten Armen an den Zügeln fest, dennoch ist es 
unbegreiflich, wie sie in ihren dünnen Beinkleidern einen Druck aus- 
halten, der uns in Stulpstiefeln auf weiten Ritten oft lahm machte. 
Unter dem Sattel hängt auf jeder Seite ein breiter Deckel aus Leder- 
papier herab, so dass man mit den Schenkeln das Pferd nicht berüh- 
ren kann; die Japaner gebrauchen die ihren gar nicht, die ungefiigen 
Steigbügel und Seitendeckel machen das ganz unmöglich ; sie hal)en 
auch keine Sporen und reiten immer mit dem Stock. — Kopfzeug, 
Zügel, Gurte und Schwanzriemen sind von Baumwolle, bei den 
Vornehmen von Seide; der Schwanz steckt in einem Ueberzug 
von demselben Stofl*. Das Gebiss bildet eine Art scharfer Trense 
und geht auf den Seiten des Maules durch zwei Ringe oder durch- 
bohrte Platten, mit denen der Unterkiefer scharf eingeklemmt werden 
kann. Die Paradesättel glänzen von buntem und goldenem Lack, 
sowohl das Holzwerk als die Kissen, Deckel und Riemen; die Steig- 
bügel sind mit Silber eingelegt, der Zaum, das Vorder- und Hinter- 
zeug von schwerem Seidengeflecht mit reichen Franzen. Vom Gebiss 
geht zu jeder Seite eine dicke seidene Leine aus, die, wohl zwanzig 
Fuss lang, von den das Pferd führenden Stallknechten in vielen 
Windungen um Leib und Schultern geschlungen wird*). — Die 

2) Ein ausnehmend schönes Pwadegeschirr ist von den japanischen Gesandten, 
welche im Sonuner 1862 in Berlin waren, im Namen des TaIkün Seiner Majestät 
dem Könige üben'eicht und von Allerhöchstdcmselben dem königlichen Museum über- 
wiesen worden , wo 68 in den Räumen der Ethnographischen Sammlung aufgestellt ist. 



V. Hut- und Schuhläden. 305 

Packsättel sind sehr künstlich und zweckmässig eingerichtet; oben 
auf der Ladung bleibt ein bequemer Sitz für den Führer oder Rei- 
senden, — denn reiten dürfen nur die Samrai. 

In den Hutläden sieht man die sonderbarsten Kopfbedeckungen. 
Der Japaner geht meistens baarhaupt und trägt den Hut nur zum Schutz 
gegen Sonne und Regen. Die gewöhnhchste Form ist tellerartig wie 
die Strohhüte von Nizza, und eben so breit, aus dünnem Holze, 
aussen schwarz, inwendig oft roth lackirt, mit phantastischem Muster 
in Goldlack, Vögeln, Fischen, Drachen, Wolken und Meereswogen. 
Andere Hüte sind aus gepresstem und lackirtem Lederpapier, eben- 
falls rund, aber zusammenzuklappen wie ein Claque, wieder andere 
von feinem Korbgeflecht. Die Landleute , Bergpriester und Nonnen, 
und die Reisenden aus dem Volke tragen einen breiten, muldenför- 
migen Hut mit niedergebeugter Krempe , der gegen Sonne und Regen 
vollständigen Schutz bietet und fast das ganze Gesicht versteckt. 
Die Vorrichtung zum Festbinden ist bei allen Hüten sehr umständlich, 
denn der wohlgeglättete Haarschopf darf nicht aus der Fagon ge- 
bracht werden; deshalb liegen unter dem Teller zwei dicke Wülste 
zwischen welchen der flachgelegte Schopf unberührt bleibt, während 
zu beiden Seiten breite Backenbänder herablaufen, die unter und 
vor dem Kinn sehr künstlich und ungeschickt verknotet werden. 

Die Fussbekleidung ist einfach: Sandalen aus Stroh oder 
feinem Binsengeflecht — je nach dem Range, — vielfach mit Sohlen 
von dickem Leder und einem flachen Stück Eisen unter der Ferse. 
Von der Spitze aus laufen zwischen dem grossen imd dem zweiten 
Zehen nach den Seiten zwei rundgenähte Lederbänder, welche die 
Sandale am Fusse festhalten. Demgemäss haben auch die genähten 
Strümpfe, welche bei kühlem Wetter getragen werden, eine beson- 
dere Abtheilung für den grossen Zehen. Bei schmutzigen Wegen 
trägt man Holzpantinen mit hohen Absätzen unter Ballen und Ferse. 

Kleiderhandlungen, deren es in allen chinesischen Städten so 
viele giebt, sahen wir in Yeddo nicht; man scheint sich nach alter 
guter Sitte seinen Rock beim Schneider zu bestellen. Die Samrai 
würden fertige in der That nicht brauchen können , da ihr Wappen 
oder das ihres Lehnsherrn vor dem Nähen in den Stoff eingefärbt 
werden muss'). Der Schnitt ist übrigens so einfach, dass die 

*) Die Art , wie diese Wappeu und andere Muster eiugefarbt werden , scheint in 

Europa wenig bekannt zu sein. Man zeichnet mit einer harzigen Flüssigkeit auf den 

noch ungefärbten Stoff, der dann in die Fai-be geworfen wird. Die von jenem Firniss 
I. 20 



30G Fächer- und Pfeifenläden. y. 

meisten Kleidungsstücke wahrscheinlich im Hause von dem weib- 
hchen Theil der Familie verfertigt werden; man sieht die Frauen 
und Mädchen vielfach mit Näharbeiten beschäftigt. 

In den Fächerläden findet man dieses allerunentbehrlichste 
Geräth des Ost- Asiaten in unendlicher Mannichfaltigkeit, gross und 
klein, schwer und leicht, fein und grob. Das Gestell ist aus 
Bambus, die Bekleidung Papier, weiss, schwarz und buntfarbig, 
mit Goldsprenkeln, bedruckt imd bemalt, von der saubersten 
Arbeit. — In anderen Läden werden Sonnen- und Regenschirme 
verkauft; ihr Gestell ist ebenfalls ganz von Bambus, der Ueber- 
zug von geöltem Papier, bald weiss, bald blau oder grau, auch 
diese Arbeiten von erstaunücher Nettigkeit und unglaublich wohlfeil : 
ebenso die Regenmäntel aus geöltem Papier, die,- vollkommen un- 
durchdringlich und haltbar, nur einen Itsibu — einen halben Thaler 
kosten. Eine besondere Art Regemnäntel tragen die Landleute: sie 
sind aus feinem Stroh geflochten, das aussen lang herabhängt wie 
dichtes Haar. Solch Bäuerlein mit dem pilzförmigen Regenhut mid 
dem Strohmantel sieht aus wie ein wandernder Schober. 

• Die Pfeifenläden bieten grosse Auswahl. Das Rohr der 
japanischen Tabakspfeife ist gewöhnhch spannenlang, aus Bambus, 
zuweilen läckirt; Spitze und Kopf aus Metall, oft reich verziert, 
bald in ReUef, bald in tiefer Gravirung oder mit edelen Metallen 
eingelegt. Die Masse ist silberweiss oder messinggelb, kupfer- und 
eisenfarben, oder stahlblau, darunter Legirungen die uns ganz 
fremd sind. Manche Luxuspfeifen sind ganz von Metall. Jeder 
Japaner trägt sein Pfeifchen in einem Futteral aus Lederpapier oder 
Korbgeflecht mit einem dazu gehörigen Tabakstäschchen bei sich: 
sie hängen an einer seidenen Doppelschnur, welche durch den 
Gürtel gezogen wird und in einen breiten Knopf endigt. 

Die unterhaltendsten von allen Kaufläden sind die Trödel- 
buden; es giebt deren in Yeddo unzählige von den verschiedensten 
Classen wie bei uns, vom »Magasin d'objets d'art et d'antiquit^s« 
bis zum Alt -Eisen -Kram herab. Man sieht dort die schönsten 
Sachen und fühlt sich jeden Augenblick versucht still zu stehen, 
alle die Raritäten zu begaffen, zu betasten, denn in Japan hindert 

bedeckten Stellen nehmen keine Farbe an und treten beim Auswaschen weiss heraus, 
in sauberster Schärfe der Linien und Umrisse. Die eigentliche Zeichnung des 
Wappens wird in Japan gewöhnlich ausgespart, so dass sie sich hi der Farbe des 
Gewandes auf weissem Grunde absetzt. 



V. Trüdelbudcn. Kleine Metallarbeiteii. 307 

daran keine neidische Glasscheibe. Der Laden nimmt meist die 
ganze Front des schmalen Hauses ein, der Estrich, auf dem der 
Besitzer kauert, ist zugleich Ladentisch. Die Waare wird, wie bei 
uns in den Schaufenstern, zur Seite und im Grunde auf Crestellen 
ausgelegt, oder hängt an Schnüi^en von der Decke herab. — Bei 
grösseren Handlungen dehnt sich das Waarenlager durch weitläufige 
Gelasse nach den Hintergebäuden aus. — In den Trödelbuden findet 
man alte Lack- und Bronzesachen und allen mögliclien Hausrath, 
ferner besonders schöne Metallverzierungen zu Brief- und Tabaks- 
taschen und Knöpfe zum Festhalten der letzteren. Der japanische 
Luxus beschränkt sich auf wenige Gegenstände, darunter stehen 
die Zierrathen der Rauchgeräthe in erster Reihe; man sieht sie 
bei den Trödlern in unglaublicher Menge und ^lannichfaltigkeit 
und von der kunstreichsten Arbeit, vor allen die Taschenhalter. 
Bald sind es breite Knöpfe von Hörn, Holz, Elfenbein oder Metall, 
in ReHef geschnitzt, mit kunstvoller Lackarbeit, getrieben, cisehrt, 
emaillirt, bald Thier- und Menschengestalten oder Gruppen da- 
von en ronde bosse geschnitten, viele, namentlich unter den älte- 
ren, von der allervortrefilichsten Zeichnung und Ausführung. Die 
meisten Darstellungen sind humoristisch und von erstaunlicher 
Lebendigkeit, dabei mit tiefem Verständniss der Natur bald breit 
und skizzenhaft liingeworfen , bald mit vollendeter Meiste i'schaft 
bis in das Kleinste fertig gemacht. Die Metallarbeiten sitzen oft 
als runde Schilde in Knöpfen von Elfenbein oder hartem Holz, 
andere bilden die Schlösser der Brief- und Tabakstaschen; sie 
w- erden aus verschiedenen Legirungcn gefertigt, deren Haupt- 
bestandtheil immer Kupfer zu sein scheint. Oft sind in einem 
Schloss oder Knopf von kaum einem Quadratzoll Oberfläche drei 
bis vier farbige Legirungen in getriebener, ciselirter, eingelegter 
und tiefgeschnittener Arbeit mit ausgesuchtem Verständniss zu einem 
Ganzen verschmolzen: die Farbencontraste bilden dabei einen wesent- 
Uchen Reiz. Der Geschmack und die Kunstfertigkeit der Japaner 
in diesen kleinen Arbeiten ist uniibertrofTen. Auch hier walten neben 
rein ornamentalen Mustern die humoristischen Sujets vor; ausserdem 
sieht man Thiere, fabelhaft phantastische Drachen, Ungeheuer und 
Gespenster, Blumen und Blätter, Darstellungen aus dem täghchen 
Leben und tausenderlei Anderes. Beispielsweise mögen hier einige 
behebte Gegenstände genannt werden: der Hase als Apotheker, vor 
einem Mörser den mächtigen Stössel rührend; ein Kater, der mit 

20- 



308 Broiizegiiss. V. 

sentimentaler Gebehrde im Mondschein tanzt; ein Drachen zwischen 
Wolken, eine schöne Zauberin tragend; Schatzgräber einen Kasten 
öffnend, aus dem humoristische Gespenster aufsteigen; eine Reihe 
tanzender Kinder; ein Blumenstrauss ; ein Ritter im Waffenschmuck ; 
Schwalben über die bewegte See 'fliegend: ein Hahnenkampf, wobei 
der eine als Dämon erscheint: eine Gruppe von Fischen: ein Angeler 
am Wasser im Regen u. s. w^. Der- zuletzt genannte Gegenstand 
scheint unglaublich für eine Metallarbeit, und doch ist die Dar- 
stellung wahr, charakteristisch und anziehend. Die japanische 
Kunst hat den grossen Vorzug, Charakteristik und Verständniss 
niemals der minutiösen äusseren Wahrheit zu opfern, während 
unsere modernen Darstellungen oft so richtig sind, dass man sie 
kaum erkennt. 

Von ausnehmender Vortrefflichkeit sind ferner die Arbeiten 
der Japaner in ciseürtem Bronzeguss , und auch unter diesen beson- 
ders die älteren. Vor Allem werden Thiere dargestellt, in den 
kleineren Stücken vorzüghch Schildkröten, Fische, Eidechsen, 
Schlangen, Grillen, Käfer und andere Insecten auf Blättern und 
Schilf; an den grösseren Arbeiten kommen Reiher, Drachen, Tiger, 
ein phantastisclier Fasan und mythische Löwen vor. Die Formen 
der Gefässe sind sehr ansprechend imd mannichfach, und erinnern 
oft an altgriechische Muster. Zuweilen ist die Verzierung gravirt 
oder in silbernem Umriss eingelegt, gewöhnhch aber von erhabener 
Arbeit; der Guss ist rein, die Cisehrung breit und frei, und wahr- 
haft künstlerisch. Aus den meisten älteren Werken spricht grosse 
Kraft und P^igenthümlichkeit der Conception, Bewusstsein des 
Gewollten, Klarheit der Anordnung, Verständniss der Natur und 
Sinn für Maass und schönes Verhältniss. Die Zeichnung ist oft 
seltsam energisch und kühn. — Bei dem grossen Absatz, den die 
unverhältnissmässig w^ohlfeilen Bronzen gleich bei Eröffnung der 
Häfen fanden, haben die japanischen Händler eine Menge fabrik- 
mässig gearbeiteter Sachen auf den Markt gebracht; die Magazine 
von YoKUHAMA warcu voll solcher werthlosen Gegenstände , w^elche 
begierig gekauft und in Masse nach Europa versclüfft w^urden. 
Diese dürfen nicht als Maasstab japanischer Kunst gelten. Die 
guten Sachen sind hier wie überall nicht in Menge vorhanden, wenn 
auch in diesem Zweige unverhältnissmässig häufiger als in allen 
anderen Ländern. Das Beste ist ohne Zweifel in Sammlungen und 
auf den Sitzen des Lehnsadels versteckt, denn die Japaner legen 



V. Tusclie. 309 

grossen Werth auf ihre alten Bronzen, zahlen hohe Preise dafür 
und lassen besonders kostbare Gefässe sogar in Prachtwerk en 
abbilden. Das Metall ist von sehr verschiedener Mischung; die 
Bronzebereitung war von jeher eine Stärke der Japaner und man 
kennt viele uns ganze fremde Arten. In älterer Zeit scheint häufig 
Gold und Silber hinein gemengt worden zu sein; man findet ganz 
unscheinbare Gefässe, für die nur der Masse wegen unglaubliche 
Preise gefordert werden. Farbe und Klang der älteren Bronze sind 
durchweg schöner als bei der heutigen, das verwendete Kupfer war 
an sich schon edeler, goldhaltiger. Jetzt soll man auch in Japan 
verstehen die edelen Metalle aus den Kupfererzen auszuscheiden. 

Man sieht in den Bronzeläden neben einfachem unverziertem 
Hausrath grosse Vasen und Kannen, Feuerbecken und Aschenge- 
fasse, ferner Leuchter , Lampen, Rauchgefässe, Glocken, Theekessel 
in unendlichster Mannichfaltigkeit, und kleine Luxusgegenstände 
\vie Papierbeschwerer u. dgl. Auch das im Gürtel getragene Schreib- 
zeug ist von Bronze und oft zierlich mit Silber eingelegt. Es enthält 
ausser dem Dintenfass eine Abtheilung für den Pinsel, denn nur 
solcher bedienen sich die Japaner zum Schreiben. 

Tuschläden finden sich in vielen Strassen; dort werden auch 
Schreibepinsel jeder Grösse und Reibenäpfe aus Schiefer, Marmor 
und anderen harten Steinen verkauft. Die letzteren sind so ein- 
gerichtet dass die geriebene Tusche in eine Vertiefung abläuft, 
manche reich verziert und sehr kostbar. Die Pinsel haben sehr 
leichte glatte Rohrstiele; nur die Spitze w^rd gebraucht, der obere 
Theil der Haare ist fest zusammengekleistert. Tusche giebt es 
die verschiedensten Arten, solche die wenige Pfennige das Pfund, 
und feine Sorten die mehrere Thaler das Loth kosten; die Grösse 
und Form der Stücke und die in Gold und Farben aufgepressten 
Muster und Verse von zahlloser Abwechselung. Die besten Arten 
haben einen feinen Moschusgeruch. Der Stoff ist derselbe wie der 
der chinesischen, wahrscheinlich Russ aus verschiedenen Holzarten, 
aber die feinsten japanischen Sorten sind den besten chinesischen 
noch vorzuziehen, lieber die Zubereitung ist man merkwürdiger 
Weise noch heute im Unklaren ; die in neuster Zeit aufgestellte Behaup- 
tung, die chinesische Tusche werde aus einem Tintenfisch, einer 
Art Sepia gemacht, widerlegt sich schon durch das alte chinesische 
Schriftzeichen, einen Rauchfang mit einem Rost und Feuerflammen 
darunter, eines der wenigen Zeichen in welchen das ursprüngliche 



310 Papier. V. 

Bild noch kenntlich ist. Zudem greifen alle Sepia- Arten das Papier 
an, die Tusche aber nicht. — Der bedeutendste Tuschladen in 
Yeddo liegt bei Nippon-basi; man findet dort Stücke, die von 
Einheimischen mit vier Kobang — etwa acht Thalern — bezahlt 
werden. Die europäischen Nachahmungen haben keineswegs die 
schätzbaren Eigenschaften der ächten Tusche und können dieselbe 
ebensowenig ersetzen, als die französischen Surrogate das acht 
chinesische Papier. 

Der Hauptbestandtheil des japanischen Papiers ist wahr- 
scheinlich nahezu derselbe -wie der des chinesischen, aber seine 
Textur ist anders. Rembrandt und andere radirende Künstler unter 
den alten Niederländern haben mehrfach japanische^ Papier zu Ab- 
drücken verwendet, und diese werden wegen ihrer weichen Fülle 
imd Tiefe noch heut besonders geschätzt. Damals kannte man in 
Europa das chinesische Papier nicht. Jetzt üefert das letztere die 
besten Abdrücke von Kupferstich, und Lithographie, das japanische 
wird gar nicht mehr gebraucht, und alle in neuester Zeit damit 
angestellten Versuche haben zu keinem günstigen Ergebniss gefuhrt: 
die Zubereitung muss sich geändert haben. Dennoch steht die 
Papierfabrication in Japan auch heut noch im grössten Flor, man 
verfertigt vorzügliche Sorten, natürhch bis jetzt lauter Büttenpapiere. 
Die Anwendung des Papiers ist wohl nirgend so allgemein als dort: 
es dient ausser zum Schreiben und Drucken zu Fensterscheiben, 
Taschentüchern, zu Kleidungsstücken, Lichtdochten, Bindfaden und 
hunderterlei Anderem, vorzüglich auch, wie schon erwähnt, als 
Leder. Die Masse nimmt jede Oberfläche und Farbe an deren das 
natürliche Leder fähig ist, und man hat sogar in Japan alte fran- 
zösische Ledertapeten täuschend davon nachgemacht. Den Haupt- 
bestandtheil alles japanischen Papiers bilden die Bastfasern eines 
Maulbeerbaumes , Morus ( Broussonetia ) papyrifera : doch sollen 
noch mehrere andere Pflanzen, darunter auch der Bambus, die 
Ingredienzien zu den verschiedenen Sorten liefern. Einige Arten 
zeichnen sich durch grosse Festigkeit aus und sind kaum zerreiss- 
bar, andere durch Feinheit und Glanz. Die Farbe ist sehr ver- 
schieden, meist gelblich: das helle kalte Weiss unserer mit Chlor 
gebleichten Fabricate kennt man in Japan nicht. Sehr hübsch sind 
viele ihrer bunten und goldgesprenkelten Papiere, besonders aber 
eine Art die bisweilen zu Fensterscheiben verwendet wird, mit 
feinem als durchsichtiges Wasserzeichen eingepresstem Cluster. — 



V. Porcellan. 311 

Die Maiinichfaltigkeit ist weit grösser als in der europäischen 
Fabrication *). 

Die Porcellanliandlungen von Yeddo bieten wenig Auswahl 
der Formen , aber eine desto grössere Eigenthümlichkeit der Muster, 
Farben und Zeichnungen. Sie sind nicht, wie die Niederlagen von 
Nangasaki seit langer Zeit, für den europäischen Markt assortirt, 
sondern enthalten nur die einheimischen Geschirre: Schüsseln ver- 
schiedener Grösse, Theekannen, kleine Tassen und Trinkschalen, 
Sakiflaschen u. s. w. Die grössten Porcellanfabriken liegen in der 
liandschaft Fidsen auf Kiusiu, nicht weit von N\noasaki. Das in 
Yeddo feilgebotene ist nicht so dünn als das dort verkaufte »Eier- 
schalen -Porcellan«, aber von scViöner reiner Masse und Glasur, 
die Muster und Farben Verbindungen geschmackvoll, die Zeichnung 
besonders von Vögeln, Fischen, Laubwerk, Schmetterlingen und 
dergleichen leicht und anmuthig, bisweilen ganz unübertrefflich. 
Die Farbe sitzt bei allem diesem Porcellan auf der Glasur, während 
die älteren Sachen zum Theil unter der Glasur gemalt sind. Der 
grosse Farbenreiz vieler alten japanischen und chinesischen Geschirre 
beruht nur auf dieser Art der Malerei, da die Farbe unter der 
Glasur viel tiefer und glänzender erscheint. Die europäische Fabri- 
cation kennt nur wenige Pigmente, welche die grosse Hitze des 
Glasurbrandes ertragen. — Unter den in Yeddo verkauften Sachen 
erinnerten manche an altitalienische Majolica, andere an Fayence 
de Palissy; ganz neu und besonders geschätzt schien eine Art 
schwarzes Porcellan mit Goldmuster. Bei diesem sass die schwarze 
Farbe unter der Glasur, wenn nicht etwa die ganze Masse so 
gefärbt war. 

Spielzeugläden giebt es in Yeddo unzählige, gewiss mehr als 
in irgend einer europäischen Stadt: die Japaner sorgen auf das lieb- 
reichste für ihre Kinder und sind sehr erfinderisch in Jugend- 
belustigungen. Manche Läden enthalten nur Puppen in allen Grössen 
und Anzügen: — die Mädchen spielen dort so gern damit als bei uns, 
und die Knaben haben ihre Säbel, Peitschen, Steckenpferde u. s. w.; 
man findet Spielsachen für jedes Alter und Bedürfniss. Kreisel 
giebt es gegen dreissig Arten, viele sehr künstlich; sie laufen 

*) Eiiie ausitihrliche Abhandhiiig über die Fabrication des japanischen Papiers 
findet sich bei Kämpfer, Geschichte und Besclireibung von Japan, und in den 
Anioenitates exoticac. Dem englisclien Gesandten übergab die japanische Regierung 
1860 eine Sammlung von 67 Papiersorteu für die Industrie - Ausstelhnig in London. 



312 Bucher und Bilder. V. 

bergan, tanzen auf dem Seile, zerspringen in Stücke die sich weiter 
drehen u. s. w. Ihre Drachen haben die abentheuerlichsten Gestalten 
und machen sogar Musik. Mit Kreiseln und Drachen ergötzen sich 
Anelfach auch Erwachsene, wie denn die Japaner überhaupt bei 
allem Lebensernst grosse Freunde von Scherz und Spiel sind. 

Vor den Buch- und Kunsthandlungen hängen bunte Zerr- 
bilder von köstlichem Humor, zu denen jetzt die Fremden in Yoku- 
HAMA vielfach den StoflF liefern müssen; daneben sieht man Landschaf- 
ten, Thiere, Mordgeschichten und andere Genre-Sachen, auch schöne 
Damen in prächtigem Schmuck. Die Freude an bildlichen Dar- 
stellungen ist allgemein, fast jeder Japaner scheint zu zeichnen. 
Schon ihre Schrift übt die Hand und das Auge, und da es Erfor- 
demiss ist, nicht nur zu schreiben, sondern schön zu schreiben, so 
wird von Jugend an viel Zeit und Sorgfalt auf diese Kunstfertig- 
keit verwendet. Die Darstellung der chinesischen Schriftbilder in 
schönem Schwung und Verhältniss ist eine Hauptbedingung der 
japanischen und chinesischen Bildung, und in ihren Gedichten sollen 
nicht bloss Sinn und Form, sondern auch der schöne Fluss der 
Schriftzüge wirken: sie verlangen für das Auge was wir in Klang 
und Silbenfall für das Ohr fordern, und begeistern sich für kaU- 
graphische Virtuosität etwa wie der Europäer für Bravourgesang 
und wohltönende Declamation. Die Bildung des Auges und der 
Hand ist ein wesentlicher Theil der Erziehung und trägt gewiss 
neben der natürlichen Lebhaftigkeit und AuflFassungsgabe der Japaner 
nicht wenig zu ihrer Befähigung und Liebhaberei für bildliche 
Darstellungen bei. Man findet in allen Buchläden illustrirte Werke 
in unverhältnissmässiger Zahl und hunderte von blossen Bilder- 
büchern. lUustrirt sind die meisten botanischen, zoologischen, 
physikalischen, anatomischen, tactischen Bücher, — sowohl original 
einheimische als aus dem Holländischen übersetzte. — ferner die 
Werke über WaflFen, Pferde, Jagd und Fischerei, Garten- und 
Landbau, Baumzucht, Architectur, über Erdbeben, Astronomie. 
Meteorologie, ihre Staatskalender und Genealogieen , Romane. 
Geschichtsbücher und historischen Monographieen, ihre mytholo- 
gischen, ethnographischen, archäologischen Werke. Die Bilder- 
bücher enthalten bald landschaftliche Darstellungen, bald Scenen 
aus dem täglichen Leben und der Natur im Kleinen. Es giebt 
Bilderfibeln, Feclit- und Reitschulen, und eine Zeichenschule, wo 
neben den ausgeführten Vorbildern der GrundbegriflF der Fonn in 



V. Ausführung der Drucksachen. Japanische Kunst. 313 

mathematischen Linien ausgedrückt ist. Meisterhaft sind vor allen 
ihre Zeichnungen von Vögeln, Fischen, Insecten, — davon giebt es 
viele Sammlungen. Die Mehrzahl der Bilderbücher enthält ein buntes 
Allerlei, man findet oft die widersprechendsten Dinge mit aus- 
gelassener Laune auf einem Blatte durcheinandergeworfen: sie sind 
unerschöpflich in drolligem Humor. Andere Bände haben offenbar 
nur künstlerische Bedeutung als facsimilirte Skizzenbücher, viele 
Blätter vortrefflich, einige freiUch, die an Kühnheit und Extravaganz 
der Zeichnung Alles übertreffen, was europäische Schulen darin 
jemals geleistet haben. Alle ihre Darstellungen sind bei vielen 
Zeichenfehlem von unglaublicher Lebendigkeit, und zeugen von 
Verständniss und Sinn für die Bedeutung und das Charakteristische 
der Formen. Von Schönheitssinn und idealer Auffassung sprechen 
nur einige ihrer Götzen- und mythologischen Bilder; die Natur 
und das tägliche Leben stehen dem durchaus practischen Volke 
viel näher. 

Die erwähnten Drucksachen sind in breitem Holzsclmitt mit 
grauen und röthlichen Tonplatten, vielfach auch in Farbendruck 
ausgeführt; es sind Linearzeichnungen in ungezwungener Pinsel- 
technik, markig und derb und durchaus malerisch, ohne Rücksicht 
auf die Regeln der Beleuchtung. Die Japaner benutzen Schatten- 
und Lichtflächen willkührlich für die Zwecke der Deutlichkeit und 
malerischen Wirkung, und stellen die Localfarben ohne Rücksicht 
auf ihren gegenseitigen Werth nebeneinander; — so erscheint die 
Sonne oft als dunkelrother Ball auf dem hellblauen Himmel. Die 
Richtigkeit ist durchaus Nebensache. Langweilige Stellen, wie 
Dächer und dergleichen, werden gew^öhnlich durch Wolken ver- 
deckt. Auch um Linearperspective, welche sie sehr genau kennen, 
kümmern sie sich nur so weit es bequem und zweckmässig ist. 
lassen sich aber niemals davon beschränken, und deuten immer 
vielmehr den Gedanken an, als sie die Wirklichkeit ausdrücken: — 
so schwinden ihre perspectivischen Linien zwar nach dem Hinter- 
grunde, aber selten in regelrechtem Verhältniss: kurz, ihre Sachen 
sind willkührlich, aber frisch, naiv und derb, niemals langu'eilig 
und bisweilen von grosser Schönheit. Was man in den Läden sieht 
ist allgemein zugänglich und spottbillig, aber diese gewöhnUche 
Waare beweist ganz deutlich, dass die japanische Kunst auf hoher 
Stufe steht oder gestanden hat, dass es vorzügliche Werke geben 
inuss, von denen diese Drucksachen nur der Schatten und Abglanz 



314 Farbendruck. Landkarten. V. 

sind. Alle werthvollen Bilder mögen in Museen und in den Häusern 
der Grossen verschlossen und deshalb den Fremden unzugänglich 
sein. Einzelne Handzeichnungen sind uns zu Gesicht gekommen 
die von der äussersten Meisterschaft sprachen, Portrats, Genre- 
bilder und Thierstücke in Tusche mit leichter Aquarelltönung: hier 
ist auch die Farbe fein und harmonisch, und der Ausdruck der 
Köpfe, bei den skizzenhaften Drucksachen gewöhnhch das mangel- 
hafteste , sehr ausgezeichnet *). Besonders schön sind manche ihrer 
Malereien auf Seide. — Vögel und Insecten zwischen Blumen und 
Laubzweigen , — und auf den Fächern finden sich oft die zierlichsten 
Bildchen. 

Die Japaner drucken auch kleine Gemälde mit vielen Platten 
auf Seide, und leisten Erstaunliches darin: der Crep[) giebt den 
Farben eine merkwürdige Leuchtkraft und Tiefe, und die Präcision 
des Druckes ist bewundernswerth, man überzeugt sich nur schwer 
dass es nicht Älalerei ist. — Sie haben ferner, wahrscheinlich von 
den Holländern, die Kunst zu radiren und in Kupfer zu stechen 
gelernt, aber nur selten angewendet. Es war in Yedüo nur eine 
geringe Anzahl kleiner radirter Blätter in wenigen Exemplaren zu 
finden, meist landschaftliche Sachen, einige sehr vorzügUch. Ueber 
den japanischen Ursprung kann kein Zweifel sein, zumal die beglei- 
tende Schrift nur von Japanern herrühren kann und die künstlerische 
Auffassung durchaus Japanisch ist; merkwürdiger Weise scheint bei 
einigen dieser Radirungen die Liniirmaschine angewandt zu sein, die 
in Japan nicht zu Hause und wahrscheinlich mit anderen Instni- 
menten von den Holländern eingeführt worden ist. 

In allen Buchhandlungen findet inan Landkarten und Atlanten, 
theils einheimische über alle Theile des Reiches, theils Nachbil- 
dungen europäischer Werke in Holzschnitt und Tondruck mit japa- 
nischer Schrift: ferner sehr ausführliche Städtepläne, unter denen 
einer von Ykddo von vier Fuss im Quadrat so übersichtlich und genau 
war, dass wir alle unsere Wege darauf wiederfinden konnten. 

Von der Wohlfeilheit der Bücher und der Leselust der 
Japaner aller Stände war schon im einleitenden Abschnitt*) die 
Rede: sogar die Soldaten auf der Wache lesen, und man sieht 

^) Die Sammlung der Kupferstiche und Handzeicluiungen im königlichen Miu»cuni 
7.U BeiTiu besitzt einige derartige Zeichnungen, eine Reihe von Bildnissen in Tusche 
und Wasserfarben und ein Aquarell, eine Ilühnerfamilie darstellend. 

«) S. 131. 



V. Conditoreien. Hausrath. 315 

Kinder, Frauen und Mädchen emsig in die Bücher vertieft. Ihre 
Roman- und Novellen -Litteratur muss sehr ausgedehnt sein und 
enthält gewiss viel Anziehendes, das der Uebersetzung in europäische 
Sprachen werth wäre. Sie sind reich an Geschichtsbüchern und 
p]ncyclopädieen: ihre zahllosen beschreibenden und belehrenden 
Werke aus den Reichen der Natur, der Wissenschaften, Künste 
und Gewerbe zeugen von der regen Wissbegierde des Volkes. 
Wenig versprechen die bis jetzt übersetzten Proben der Dichtkunst: 
ihre poetischen Anschauungen sind unserem Verständniss meistens ganz 
unzugänglich und erscheinen daher oft drolüg und abgeschmackt. 
Die Japaner sind aber auch, nach ihrem Charakter zu urtheilen, kein 
poetisch, wenigstens kein lyrisch begabtes Volk, und haben in dieser 
Richtung wahrscheinlich nichts Nennenswerthes geleistet. — 

Conditoreien giebt es in den Strassen »von Yeddo viele: die 
Kuchen und Confecte sehen zierlich und appetitlich aus, manche 
gleichen den unsrigen und sind wohlschmeckend, andere widerstehen 
dem europäischen Gaumen. Die Japaner verwenden viel Sorgfalt 
und besitzen grosse Kunstfertigkeit und Erfindungsgabe in der Zu- 
bereitung und äusseren Ausschmückung des ZuckerAverks , das einen 
Hauptbestandtheii ihrer Gastmäler bildet. Sie machen kleine Vögel, 
Blumen, Schmetterlinge und dergleichen sehr niedlich in farbigem 
Zuckerguss und Kraftmehl nach, und bei Vornehmen scheint sogar 
das Wappen des Wirthes auf den Kuchen angebracht zu werden : — 
so erzählt Kämpfer, dass alle den Holländern aus dem Palaste des 
SiOGUN zugeschickten Süssigkeiten mit dem Kirimon — dem oföciellen 
Wappen des Mikado , also dem eigentlichen japanischen Regierungs- 
wappen — verziert gewesen seien. 

Den kleinen Hausrath — grössere Möbel besitzen die Japaner 
nicht — findet man in besonderen Läden, die viel Hübsches und 
Anziehendes bieten: mannichfache Schränkchen , Kasten und Kästchen, 
Schachteln, Büchsen, Präsentirbretter und Untersätze aus Bambus, 
Kampher- und anderen Holzarten, mit Korbgeflecht aus gespaltenem 
Rotang und Binsen, Alles so sauber und zierlich wie für den Nipp- 
tisch gearbeitet, dabei von erstaunUcher Billigkeit. Hier findet man 
auch die vierkantigen Kopfkissen aus Holz oder festem Rohrgeflecht, 
auf denen alle Japaner schlafen. Es sind fusslange x-iereckige 
Kästchen mit einer leicht ausgerundeten Höhlung in der Mitte, 
wo der Nacken ruht: der Hinterkopf liegt ganz frei. Wie man 
auf solchem Gestell schlafen, sich ausruhen kann, gehört zum 



316 Lackarbeiten. V. 

Unbegreiflichsten der japanischen Cultur; es enthält gewöhnlich eine 
kleine Scliublade für den Kamm, die Zahnbürste, Zahnpulver, 
Schminke, Pommade und dergleichen unentbehrhche Gegenstande der 
Toilette, und bildet eigentlich das ganze Bett des Japaners, der in seinen 
Kleidern auf dem Fussboden schläft, und sich gegen Kälte nur mit 
dickeren Röcken, selten mit einer Steppdecke schützt. — In diesen 
Läden sind auch die gröberen Lackfabricate zu haben, die feineren 
findet man in besonderen Niederlagen. 

Das grösste Lackgeschäft in Yeddo hat seinen Sitz bei der 
Brücke Nippon-basi, dem Mittelpuncte des nandelsverkelu-s, wo 
die namhaftesten Firmen aller Branchen ihre Niederlagen haben. 
Die eigentliclie Heimath der Lackfabrication ist Miako , von wo die 
grossen Werkstätten die Waare an ihre Commanditen im ganzen 
Lande versenden. Die Erzeugnisse sind bewundernswerth : auch in 
diesem Zweige der Industrie stehen die älteren Arbeiten den neuen 
voran. Woran es liegt, dass die Fabrication nicht mehr auf der alten 
Flöhe steht, weiss man nicht; das Material ist heute noch dasselbe, 
und doch haben sich die Fabricate nicht nur in der Zeichnung, 
sondern auch in der Güte und Feinheit der Oberfläche verschied i- 
tert. Die gewöhnÜche Grundfarbe ist schwarz oder roth, seltener 
dunkelgrün, der schwarze Lack ist häufig mit Gold gesprenkelt: 
der eigentliche Goldlack, der theuerste von allen, hat viele ver- 
schiedene Nuancen. Die Zeichnung ist auf dem dunkelen Grunde 
in Metallfarben ausgeführt und meistens leicht erhaben: matte 
Metalle wechseln mit glänzenden; die Japaner bringen durch kunst- 
reiche Behandlung des Materials eine unglaubliche Mannichfaltigkeit 
der Farbe und Textur hervor; bei kostbaren alten Sachen sind 
vielfach Gold- und Silberplättchen in den Lack eingelassen. Die 
Zeichnung auf den älteren Stücken ist oft von grosser Schönheit. 
Formen und Arbeit von vornehmer, geschmackvoller Eleganz und 
der Farbenreiz so ausserordentlich, dass man leicht eine Passion 
dafür fasst, welche leider nur zu kostbar ist. Die besten alten 
Sachen werden in Japan selbst sehr geschätzt; Sebi, — so hiess 
unser Freund der Lackhändler, — brachte oft Stücke zur Ansicht, 
deren einheimische Preise dem extravagantesten Liebhaber des 
Westens zu hoch gewesen wären. F^s war ihm dabei nicht um den 
Verkauf zu thun, sondern nur um den Stolz und die Befriedigung 
sie uns zeigen zu können, bei. denen er Sinn und Liebhaberei fiir 
diese wirklich sehr schönen x\rbeiten wahrgenommen hatte: seine 



V. Sebi. Gegenstände der Lnckfabricatiun. 317 

Augen pflegten bei unserer Bewunderung von patriotischer Freude 
zu glänzen, und er versicherte dann ein über das andere Mal dass 
so etwas nur in Nippon gemacht werde. Sebi fasste eine wirkliche 
Zuneigung zu "uns, und bewies sich gefällig, hülfreich und dienst- 
fertig in HerbeischaflFung von Allem was man nur wünschte, auch 
wenn es nicht in seine Branche schlug. Er schleppte uns oft ganze 
Ladungen seiner Waare nach Akabane, blieb immer zufrieden und 
heiter, man mochte kaufen oder nicht, und wurde der allgemeine 
Liebling. Seine Kunden bewirtheten ihn häufig mit Liqueuren und 
süssem Wein, wo er dann leicht gesprächig wurde und uns wohl 
Manches verrathen hätte; aber Niemand wusste japanisch genug 
und so bheb die Unterhaltung unvollkommen und scherzhaft. Sebi 
zeigte sich dankbar und geehrt durch die freundUche und humane 
Behandlung welche allen Deutschen gegen Fremde natürlich ist, 
und die den Preudsen in Japan unwillkührlich die Zuneigung aller 
Classen gewann und eine Stellung bereitete, welche die meisten 
Ausländer nicht haben. — Wir besuchten ihn auch oft in seiner 
Niederlage und verbrachten dort manche angenehme Stunde. Man 
kletterte eine halsbrechend steile Ilühnersteige mit unmässig hohen 
Stufen in das obere Stockwerk hinauf, wo Alles voll Kisten und 
Kasten stand, denn es ist japanische Gewohnheit, für jedes noch 
so kleine Geräth ein eigenes Behältniss zu haben. Bei jedem Ein- 
kauf erhält man selbstverständüch ein sorgfältig gearbeitetes pas- 
sendes Holzkästchen zur Verpackung : kostbare Lacksachen werden 
sogar immer in doppelte Kasten verschlossen, von denen der innere 
meist fein lackirt und mit Seidensclmüren zugebunden ist. 

Die allerfeinsten modernen Lackwaaren, unter denen es 
sehr schöne giebt, sind auch theuer, wenngleich nicht in dem 
Maasse wie die alten, unverhältnissmässig wohlfeil dagegen und 
fast durchweg sehr hübsch, gefällig und haltbar die minder feinen 
Sachen. Man kauft in den Lackhandlungen kleine Schränke, 
niedrige Tische, Präsentirbretter, Esskasten — einen Satz aufeinander- 
stehender viereckiger Holzschüsseln , worin man Speisen transportirt, 
— Gestelle zu Kohlenbecken, Rauchapparate — mit Feuerbecken, 
Aschbecher und Pfeifenhalter, — Sclu*eibzeuge , Medicinbüchs- 
chen, Spiegelhalter, Kasten von allen Grössen und Formen, Trink- 
schalen u. s. w. In reichen Haushaltungen ist alles Geräthe von 
Lackarbeit, sogar die Waschbecken, und die Schöpfkellen wo- 
mit man Pferde tränkt. Besonders kostbare Arbeit zeigen die 



318 Austiihnnig und Verzieiiingen. V. 

kleinen Trinksehalen » die Präsentirbretter und Rauchapparate, vor 
Allem aber sclieint ein scliönes Schreibzeug die besondere Liebhaberei 
des wohlhabenden Japaners zu sein; man sieht sie in der grossten 
Mannichfaltigkeit , und durchgängig hübsch und gescImiackvoU. In 
der Mitte des flachen Kastens steht der steinerne Keibenapf mit 
vergoldetem Rande, daneben oberhalb ein zwerghaft kleines Kännchen 
von Silber oder ciselirter Bronze, mit haarfeiner Tülle — um das 
Wasser tropfenweise aufschütten zu können; zu beiden Seiten 
längliche Abtheilungen für die Federpinsel. Der aufgestülpte Deckel 
schliesst leicht und bequem, und zeigt gewöhnlich auf dunkelem 
Grunde ein sorgfältig gearbeitetes Gemälde; das Innere ist Goldlack, 
häufig mit Blumen, Blättern und Thieren gemustert. Solche werden 
überhaupt vorzugsweise in Lackarbeit dargestellt, daneben sieht 
man aber auch Figuristisches und Landschaften; — der Fusiyama 
mit glänzend silbernem Gipfel spielt hier eine grosse Rolle. Die 
Japaner lieben in ihren Verzierungen das Willkührhche , Zufällige. 
Regehnässig und synnnetrisch sind nur ihre grösseren, ernsten, alle 
Formen von Bedeutung, — so unter kleineren Gegenständen die 
Wappen, in denen selbst Thiere und Pflanzen wo möglich in den 
Kreis, das Viereck geschmiegt sind. Alle Verzierung dagegen 
soll interessant, lustig sein, und hier lassen sie der Phantasie und 
Laune freies Spiel. So wird oft eine rechteckige Oberfläche durch 
willkührUch gezogene schräge oder Zackenlinien in ganz unregel- 
mässige, schiefwinklige Abschnitte getheilt, von denen der eine 
Goldlack und der nebenstehende schwarz oder farbig ist. In irgend 
einer Ecke scheint der Mond oder fliegt ein Zug Vögel, der sich 
dann oft über die Kante weg auf eine der anstossenden Seitenflächen 
fortsetzt. So reichen auch Gräser, Schilf, Bambus- und Baumzweige 
häufig vom Deckel oder Boden auf die aufrechtstehenden Seiten 
herüber. Regelmässige Muster sieht man selten, und dann sind 
sie ganz unscheinbar und dienen als Grund. 

Eine in Europa besonders beliebte Art der japanischen Lack- 
arbeit, die mit Perhnutter eingelegte, wird im Lande selbst wenig 
geschätzt; kostbar dagegen ist eine bei uns minder bekannte Art, 
die auch in China vorkommt und dort SuxsAU-Lack heisst. Dieser 
wird, bald ganz roth, bald buntfarbig, in dicken Schichten auf 
das Holz aufgetragen ufid dann mit der Hand gesclmitzt. Es giebt 
verschiedene Arten davon, auch solche, die geprcsst statt geschnitzt, 
und viel weniger kostbar sind. 



V. Verkehr in den Kaufläden. 319 

Ausser den beschriebenen giebt es im Tokaido und seinen 
Nebenstrassen noch hunderterlei andere Kaufläden, die vielfach 
besucht wurden und immer neuen Stoff der Unterhaltung und Be- 
lehrung boten, so namentlich die Saamenhandlungen für die Botaniker 
und der jenseit NippoN-BAsi gelegene Fischmarkt für den Zoologen. 
Selbst unser Geologe, dem bei der Unmöglichkeit, Ausflüge in das 
Innere des Landes zu machen, liier wenig Anlass zur Thätigkeit 
gegeben war, fand in den Kaufläden manches Specimen der ein- 
heimischen Gebirgsarten und Minerale. Das ganze Stadtviertel wurde 
nach allen Richtungen durchwandert, und man lernte dabei viel 
vom Charakter und den Sitten des Volkes kennen. Dolmetscher 
hatten wir auf diesen Spaziergängen niemals bei uns, und die Unter- 
haltung mit den Eingeborenen blieb immer mangelhaft; aber alle 
Japaner haben eine seltene Leichtigkeit der Auflassung, sie verstehen 
den geringsten Wink und wissen sich durch Gebehrden auszudrücken, 
bemühten sich auch uns die japanischen Namen der Dinge beizubringen 
und fragten dagegen nach den deutschen, oder vielmehr preussischen, 
»pleussischen« Worten, denn eines deutlichen R ist ihr Organ nicht 
fähig. Sie schrieben dann das Erlernte emsig auf, und selbst unter 
den Kaufleuten fanden sich schon einige, die das lateinische 
Alphabet dazu benutzten, welches den meisten höheren Beamten 
ziemlich geläufig ist. Die japanischen Silbenalphabetc eignen sich 
zum Schreiben fremder Worte durchaus nicht '). — Ueberall wurde 
man freundhch empfangen und mit Thee und Pfeifen bewirthet; 
man sass oft Stunden lang in den Läden, namentlich in den Buch- 
handlungen; die Leute kramten bereitwillig Alles aus, bheben immer 
gleich freundlich und höflich, und freuten sich wenn man sie öfter 
besuchte. Auch die Frauen und Mädchen, die sich erst schüchtern 
versteckten, kamen allmälich zum Vorschein; sie beguckten und 
befüldten neugierig unsere Kleider und Wäsche, und betrugen sich 
allgemein mit züchtigem , offenen Anstände , wie Frauen die eine 
geachtete Stellung im Hause einnelunen. Ein blanker Metallknopf, 
eine bunte Glasperle und dergleichen ausländischer Tand machten 
die Wonne der Kinder und jungen Mädchen, und selbst Erwachsene 
befestigten solchen Flitter mit Stolz an ihre Brief- und Tabakstaschen. 
Europäische Erzeugnisse waren zur Zeit unseres Aufenthaltes noch 
fast gar nicht nach Yeddo gekommen, nur Wiener Streichhölzer 
in den bekannten bunten Büchsen mit dem Doppeladler gab es in 
7) S. S. 6 Anm. 4. und S. 27 Anm. 27. 



320 Wanderungen durch die Strassen. V. 

einigen Läden, und leere Wein- und Bierflaschen, die von den 
Gesandtschaften herrührten; die Flaschen waren sehr gesucht, und 
man conservirte sorgfältig ihre bunten Etiquetten. 

In den Häusern herrschte durchgängig die grösste ReinUch- 
keit. Die Wände, Tapeten, Papierscheiben, das Geräth und die 
Matten waren in fast allen Läden appetitlich sauber, und man 
scheute sich mit schmutzigen Stiefeln einzutreten. Der Japaner lässt 
seine Sandalen draussen. Scherz und Lachen würzten jede Unter- 
haltung; die Eingeborenen sind von Natur dazu au%elegt und die 
drolligen Missverständnisse der beiderseitigen Gebehrden und Mienen 
gaben immer neue Veranlassung. Unsere begleitenden Yakuninc, 
die anfangs zurückhaltend und ängstlich waren und uns mehrfach 
am Ankaufe von Wafl'en, Büchern und dergleichen hinderten, über- 
zeugten sich bald von der Harmlosigkeit dieses Verkehrs, und ver- 
schafften uns später sogar Vieles, was w^ir ohne sie aus Unkenntniss 
nicht erlangt hätten. Sie bewahrten zwar eine gewisse ernste Würde 
und Zurückhaltung die dem japanischen Samra'i unter allen Um- 
ständen eigen ist, nahmen aber doch Antheil an der Unterhaltung 
und zeigten sich bei höflicher» und vertrauUcher Behandlung immer 
hülfreich, gefälüg und aufmerksam. Auf weiteren Spaziergängen 
kehrte man in die Theehäuser ein und hess die Yaküninc mit einer 
CoUation und Saki bewirthen, was ihren guten Humor sehr zu 
steigern pflegte. »Okino arigato«, Grossen Dank, hiess es dann 
unter vielen Verbeugungen; die Köpfe waren zuweilen etwas ge- 
röthet, aber alle Schw^ierigkeiten hörten auf. Diese Stimmung liebens- 
würdiger Dienstfertigkeit und Zuneigung wurde bald die allgemeine 
der uns zugetheilten Yaküninc; sie lebten gern mit uns. — Das 
Handelsquartier zieht sich weit über Nippon-basi hinaus, und man 
entfernte sich bei diesen Wanderungen oft wohl eine deutsche Meile 
von Akabane. Häufig wurden wir von dichten Volkshaufen begleitet, 
doch kamen selten Belästigungen vor; nur zuweilen riefen einige 
helle Kinderstimmen ihr »Todzin bakka«, »Toller Fremder«. Ge- 
wöhnUch fanden sich beim Eintritt durch das Strassenthor zwei 
Polizeidiener ein, die den Fremden auf dem Wege durch ihren Be- 
zirk voranschritten um die Menge auseinander zu scheuchen, und 
ihre langen mit vielen Ringen behangenen eisernen Amtsstäbe tact- 
mässig auf die Erde stiessen, was einen betäubenden Lärm machte, — 
doch war diese Escorte kaum nöthig, denn mit Absicht trat uns 
Niemand in den Weg, und nur wenn die Hintersten die Vorderen 



V. Die Strassen der Handelsquartiere. 321 

drängten entstand zuweilen eine Stockung. Aber eine drohende Ge- 
behrde von unserer Seite oder ein Wink mit dem Fächer von den 
YAKUNiNen jagte namentlich der Jugend immer den grössten Schreck 
ein, so dass sie sich blind überstürzten, fielen und von den Nach- 
folgenden häufig getreten wurden. Das Volk zeigte uns fast nur 
freundliche neugierige Gesichter. Es war etwas ganz Ungewöhnliches 
in Yeddo, Fremde zu Fuss auf der Strasse zu treffen; aber zu 
Pferde sieht man wenig vom Inhalt der Kaufläden und kann sich 
nicht so frei bewegen, deshalb derogirten wir oft lieber unserer 
europäischen Würde. Nicht selten geschah es, dass sich fein ge- 
kleidete Männer mit höflichem Grusse zu uns gesellten, und an 
den Seiten gehend das drängende Volk abzuhalten suchten, auch 
Solche die sich unnütz machten wohl tüchtig mit dem Fächer über 
den Kopf schlugen — und das Alles unau%efordert und nur aus 
nationaler Gastfreundschaft. 

Die Strassen der Handelsquartiere sind zu allen Tageszeiten 
sehr belebt, besonders Abends, wo viele Arbeiter von da in die 
Vorstädte zurückkehren; um diese Zeit ist selbst der breite Tokaido 
so voll Menschen wie ein Jahrmarkt. Auffallenden Anzügen begegnet 
man an den gewöhnlichen Tagen wenig; nur Kinder und junge 
Mädchen, die meist in Begleitung ihrer Mütter auf den Strassen 
erscheinen, sind artig in bunten Farben geputzt, die Gesichter aber 
vielfach durch Schminke entstellt. Namentlich heranwachsenden 
Mädchen wird oft das ganze Gesicht nach dem japanischen Schön- 
heitsideal angemalt, eine hässhche Maske, unter der die natürliclien 
Züge ganz verschwinden, — die Augen allein behalten Leben. Der 
Anzug und Haarputz der Kinder und jungen Mädchen ist zierlich 
und geschniegelt und muss viel Zeit und Mühe kosten. — Züge 
von Lastträgem bewegen sich, den tactmässigen Schritt mit einför- 
migem Ruf begleitend, durch das Gedränge; die Lasten werden 
entweder im Gleighgewicht an beiden Enden eines elastischen Trage- 
holzes, oder wenn sie schwer sind, an langen Bambusrohren in 
der Mitte aufgehängt, und dann von zwei oder mehreren Personen 
auf den Schultern getragen. Jeder Träger ist mit einem vier Fuss 
langen Stabe versehen, mit dem er beim Ausruhen das Trageholz 
stützt um die Last nicht niedersetzen zu müssen, so auch die 
Träger der Kango's und Norimon's **). Der Krämer, der die Künden 

^ In dem gleichzeitig mit dem vorliegenden Bande von der Icöniglichen Regienmg 

veröffentlichten ersten Hefte des Werkes »Ansichten aus Japan, China und Siam« 
I. 21 



322 Strassenverkehr. DAiMio-Züge. V. 

besucht, tragt seine Kisten und Ballen auf dem Rücken; sie sind 
gewöhnlich in ein weites Tuch gepackt, dessen Enden vor der 
Stirn zusammengebunden werden. — üebrigens schafft man in Yeddo 
Lasten auch vielfach auf Handwagen und sehr unförmlichen Büffel- 
karren fort. Was aus der Stadt herausgeht wird auf Packpferde 
verladen, deren langen Zügen man in allen Vorstädten begegnet. — 
Reiten darf nur der Samrai; jedem Pferde läuft, es mag noch so 
schnell gehen, wenigstens ein Stallknecht voraus, welcher mit 
lautem Jauchzen die Menge zum Ausweichen auffordert. Höhere 
Beamten lassen ihre Pferde am Zügel führen und haben gewöhnlich 
noch mehrere Begleiter bei sich, die ihnen Piken und Hellebarden, 
die Insignien ihrer Würde vorauftragen: die höchsten Staatsbeamten 
und die Daimio's erscheinen nur bei Feuersbrünsten zu Pferde auf 
der Strasse und werden sonst in Norimon's getragen. Die Form, 
Farbe und Grösse dieser Sänfte, besonders auch die Wölbung des 
Tragebalkens und die Zahl der Träger zeigt den Rang des Besitzers 
an ; auch die Menge der Begleiter und die Anordnung der oft meh- 
rere tausend Mann starken Escorte richtet sich nach seiner Stellung. 
Bei vornehmen Männern schreiten Herolde voran, dann folgt eine 
Abtheilung Soldaten, dann die Pikenträger mit langen Lanzen 
und Hellebarden. Die Spitzen derselben stecken in Lederfutte- 
ralen und sind sehr verschieden geformt, im japanischen Adels- 
lexicon findet man bei jeder Familie die ihr zukommenden In- 
signien und Feldzeichen abgebildet. In Futteralen ist alles Spitze 
und Schneidende , so auch häufig selbst die Flinten verborgen, 
welche gewöhnhch die Leibwache führt. — Der Sänfte zunächst 
gehen auf beiden Seiten die Leibdiener, dahinter das Leibpferd, 
prächtig gesattelt und aufgezäumt und von zwei Stallknechten ge- 
führt, dann wieder Bewaffnete und eine Menge Diener mit lackirten 
Körben, Kisten und Kasten, welche die Rüstung, das Sterbekleid 
und andere Anzüge, ein Theeservice, Küchen- , und Reisegeräth, 
kurz Alles enthalten sollen, dessen ein vornehmer Mann in jeder 
Lage des Lebens bedürfen kann um standesgemäss aufzutreten. 
Bei sehr hoch gestellten Personen folgen mehrere Leibpferde, und 
ihre ersten Beamten in Sänften oder zu Ross, auch diese wieder 
von ihren Pikenträgem und Dienern begleitet. Die Kleidung aller 
Trabanten ist von einerlei Schnitt und Farbe, hat aber nichts das 

bringt Blatt 3 , eine Strasse in Yeddo darstellend , die im Text beschriebene Staffage 
theil weise zur Anschauung. 



V] Begegnungen mit Daimio's. Die Strassen an Festtagen. 323 

an Uniform erinnert; auf dem Rücken und den Aerraeln tragen sie 
in einem kleinen Rund in den Stoff eingefarbt das Wappen ihres 
Herrn, das sich auch auf den Kasten und Körben in Vergoldung 
oder farbig wiederholt. Die Begleiter marschiren paarweise, der 
ganze Zug bewegt sich in lautloser Stille; bei vornehmen Leuten 
sollen die voraufgehenden Herolde »Sitaniro« d. h. »Auf die Knie« 
rufen, worauf sich Alles niederwürfe, — eine Sitte, die wir trotz vielen 
Begegnungen mit Daimio- Zügen niemals beobachtet haben. Das 
Volk weicht ehrfurchtsvoll aus, pflegt sich aber sonst nicht viel 
um die Grossen zu kümmern; nach unserer Beobachtung bUeben 
die Meisten ruhig bei ihrer Beschäftigung. Jede Durchbrechung des 
Zuges ist unerlaubt; es gilt auch für unanständig eilig vorbeizureiten, 
man soll stillhalten und sogar vom Pferde steigen. Die Fremden 
kehren sich an diese Regeln nicht und haben dadurch den Stolz 
des einheimischen Adels vielfach verletzt, die Trabanten warfen uns 
bei solchen Begegnungen oft wüthende Blicke zu und zeigten in 
Mienen und Gebehrden den verbissenen Grimm; die Herren selbst 
schlössen meist die Stores ihrer Sänften, guckten zuweilen aber 
auch neugierig heraus und nickten, wenn man sie grüsste, freundlich 
wieder. Man begegnete solchen Zügen in den Strassen von Yeddo 
täglich, denn die Sitte fordert das grosse Cortege bei jeder Ent- 
fernung aus dem Hause, selbst bei jedem Besuch in der Nachbar- 
schaft; nur wenn sie »Naibün«, d. h. incognito ausgehen, haben die 
Grossen ein minder zahlreiches Gefolge. Auf den Reisen von und 
nach ihren Besitzungen werden die Lehnsfursten von vielen tausend 
Menschen begleitet; ihre Züge bedecken nach Kämpf er's Erzählung 
die Landstrasse ofk mehrere Tagereisen weit 

Besonders belebt sind die Strassen von Yeddo an Festtagen, 
deren die Japaner viele von mannichfacher Bedeutung haben. Jede 
Oertlichkeit besitzt ihren Schutzpatron; die ihnen geltenden Feste 
sind besonders geräuschvoll und geben Anlass zu theatralischen 
Vorstellungen, zu Aufzügen und bunten Mummereien. Komische 
Masken durchziehen dann die Strassen, und treiben bettelnd und 
musicirend ihre Possen; auch Bänkelsänger kommen zahlreich herbei, 
besonders die Yamambo's und Biküni'), wandernde Bergmönche 
und Nonnen, welche überall gern gesehen sind und reichliche 
Spenden erhalten. Die Yamambo's ziehen mit ihren Frauen und 
Kindern quacksalbernd, musicirend und Beschwörungen übend durch 

^) S. -Ansichten aus Japan, China und Slam«, I. Heft, Blatt 3. 

21* 



324 I^as SiRo und das Soto-Siro. V. 

das Land; die Bikuni, die sich meist aus den Töchtern der Bei^- 
mönche ergänzen, sind gewöhnlich sehr hübsch und leichtfertig. 
Sie sollen nach Kämpfer auf allen Landstrassen zu finden sein und 
die Reisenden oft meilenweit mit Sirenengesang begleiten. Beide 
Orden sind privilegirt; die Mitglieder zahlen eine jährliche Abgabe 
an das Oberhaupt in Yeddo, das ihre gemeinsamen Interessen 
wahrnimmt. — Quacksalber, Jongleure und starke Männer schlagen 
zur Zeit solcher Feste auf den freien Plätzen ihre Zelte auf, man 
findet Thier- und Schaubuden aller Art; das Volk lärmt und be- 
lustigt sich laut und ausgelassen , und bis tief in die Nacht schallen 
jubelnde Stimmen und fröhhche Musik aus den Theehäusem. 

Weniger anziehend und belebt als die Strassen des Handels- 
quartiers sind die aristokratischen Stadtviertel im Siro und Soto- 
SiRO. Nur die innerste, den kaiserlichen Palast imischliessende 
Enceinte blieb den Fremden unzugänglich, die angrenzenden Stadt- 
theile durchschnitten wir auf unseren Spazierritten fast taghch. An 
ihrer östlichen Seite liegt die Ringmauer des Taikun- Palastes wenig 
höher als die Ebene des 0-gava, nach Norden und Westen da- 
gegen steigt der Boden beträchtüch an. Die nach aussen von 
grossen polygonischen Blöcken gebaute, nach innen terrassirte Mauer 
folgt den Hebungen und Senkungen des Hügels, welcher in hohen 
abschüssigen Rasenböschungen nach den breiten Wassergräben ab- 
fällt. Auf der Platform und innerhalb des Mauerwalles stehen 
dichte Reihen von Tannen und anderen Nadelbäumen. Diesseits 
des Grabens läuft ein breiter Weg bald am Rande des Wassers, 
bald auf dem hohen Ufer hin, von wo sich die schönsten Aussichten 
auf das Häusenneer der tiefer liegenden Handelsstadt öffnen; den 
Vordergrund bilden nach der einen Seite die mauergekrönten grünen 
Abhänge mit ihren befestigten Thorgebäuden, Dämmen und Brücken, 
nach der anderen die langen Fagaden der Daimio- Paläste; die Linien 
sind einfach und gross, und der ganze Eindruck sehr imposant. 
An einigen Stellen durchschneiden Dämme die Gräben , deren Niveau 
an der Westseite viel höher ist als nach Osten; der Wasserstand 
scheint durch Schleusen geregelt zu werden. Der Abfluss ist nach 
dem O - OAVA hauptsächlich durch den breiten Canal, über welchen die 
NippON- Brücke führt — Die Ringmauern und Gräben des Soto-Siro 
sind den inneren ganz ähnlich ; dieses Stadtviertel hat seine grösste 
Erhebung an der südwestUchen Seite, und fällt ebenfalls in hohen 
üppig bewachsenen Böschungen nach den Wassergräben ab, die hier 



V. Die Strassen der aristokratischen Viertel. Yamasiue's. 325 

stellenweise die Ausdelmung grosser Teiche annelunen. Herrliche 
Baumgruppen neigen sich über die lotusbewachsenen Becken die 
von Tausenden wilder Enten bevölkert sind, und in den Tannen 
des Mauerwalles horsten ungeheure Schwärme von Raben und Raub- 
vögeln; sie werden von Niemand gestört, denn die Jagd ist kaiser- 
liches Regal. 

Die Strassen dieser Stadtquartiere sind grade, rechtwinklig, 
einförmig und wenig belebt. Während in den vom Volke bewohn- 
ten Vierteln der Boden nur festgestampft ist und bei nassem Wetter 
leicht aufweicht, sind die Wege hier meist macadamisirt;, strecken- 
weise auch mit Eaes beschüttet Eigentliches Strassenpflaster kennt 
man in Japan nicht, nur durch die Höfe und Parkanlagen der 
Tempel und Paläste laufen breite Bahnen von flachen Quadersteinen. — 
Die FaQaden der Paläste — wenn man einstöckige Gebäude von 
grosser Ausdehnung so nennen darf — zeichnen sich nach der 
Strasse nur durch ihre ungeheure Länge aus , die oft wohl 600 Schritt 
und darüber betragen mag. Diese langen Gebäude bilden aber in 
der That nur die Einfassung des Grundstückes , und mögen Pferde- 
ställe, Arbeitsschuppen und die Wohnungen untergeordneter Diener 
enthalten, sie haben nach der Strasse nur kleine Gitterfenster, welche 
gewöhnhch durch Läden gesclüossen sind'®); die Wohngebäude der 
Herrschaft und ihres Gefolges liegen im Inneren, von Höfen und 
Gärten umgeben. Bekleidet ist die Strassen&ont bis zur Höhe von 
etwa zwölf Fuss mit einfachem Bretterwerk oder netzförmigem 
Bewurf von weissem und grauem Stuck; darüber läuft vier bis fünf 
Fuss breit ein glatter weissgetünchter Streifen liin; das Dach ist von 
grauen Ziegeln, deren vorderste Reihe häufig das Wappen des 
Besitzers zeigt. Die Fundamente bestehen aus grossen Bruchsteinen, 
treten aber nur bei unebenem Terrain recht zu Tage und zeigen 
dann sehr schöne polygonische Mauerarbeit. Der einzige bemer- 
kenswerthe Theil dieser Fagaden sind die Portale; sie nehmen bei 
grosser Breite die ganze Mauerhöhe des Gebäudes ein und liegen 
etwas vertieft; zu beiden Seiten springen erkerartige Logen mit 
Gitterfenstern für die Thürhüter und Wachen hervor. Daneben sieht 
man häufig noch eine vom Dach geschützte breite Mauernische, wo 
dicke sauber geglättete Pfahle mit bronzenen Köpfen und Ringen 
zum Anbinden der Pferde eingerammt sind. Das Portal selbst ist 
aus mächtigen Balken von schönem Holze gezimmert, sorgfaltig 
^®) Eine solche Fagade zeigt Blatt 2 der »Ansichten aus Japan, China und Slam«. 



326 Portale. . Der Atango-yama. V. 

geschliffen oder lackirt und mit Buckeln und anderen Zierrathen 
von Bronze beschlagen. Der Eingang besteht aus einem breiten 
Mittelthor, das nur für Standespersonen geöffnet wird, xmd zwei 
bis drei kleineren Thüren zu jeder Seite; die ganze Construction 
ist symmetrisch. Die Schwelle hat bei allen japanischen Thoren 
fast zwei Fuss Höhe; der Stimbalken springt bis unter das Dach- 
gesims hervor und trägt das Wappen des Besitzers, erhaben und 
massig in Bronze oder schwarzem Stuck gearbeitet. — Diese Por- 
tale sind die besten Erzeugnisse der japanischen Baukunst, eine 
wirkliche, wenn auch sehr einfache Architectur, denn alle 
Theile haben Zweck und Bedeutirag und verbinden sich zu einem 
organischen Ganzen ; der Charakter ist ganz eigen thümhch und von 
allem sonst Bekannten verschieden. Sie haben bei aller Schwere 
der Structur ein schönes Ebenmaass der Verhältnisse und tragen 
das Gepräge vornehmen Ernstes und herrschafthcher Würde. Die 
bronzenen Balkenknäufe, Sockel und sonstigen Beschläge sind meist 
von vortrefflicher Zeichnung; ihre dunkelgrüne goldige Farbe stimmt 
schön zu dem natürlichen Dunkelbraun oder Grau, zu dem schwarzen 
oder tiefrothen Lack des Holzwerkes, und erhöht den Eindruck 
der ernsten Einfachheit und Strenge; — man glaubt trotz aller 
Unähnlichkeit mit europäischen Bauwerken Arbeiten des frühen 
Mittelalters zu sehen. 

Einen guten üeberblick über den südwestUchen Theil von 
Yeddo gewinnt man auf dem Atango-yama, dem nördUchen Aus- 
läufer des Höhenzuges, welcher das Stadtviertel Akabane von dem 
SoTO - SiRo und den centralen Handelsquartieren trennt. Schwindel- 
erregende Treppen — eine ununterbrochene Flucht von über hundert 
steilen Stufen — fuhren zur Höhe hinan, oben hegen Tempel und 
Theehäuser, und am langgestreckten Rande des Hügels strohge- 
deckte offene Hallen mit vielen Bänken und Tischen für die Gäste; 
man fühlt sich an einen Vergnügungsort der deutschen Heimath 
versetzt. Unten breitet sich die weite vom Meere begrenzte Ebene 
aus: im Vordergrunde einige aristokratische Strassen , dahinter und 
nördlich die vom Tokaido durchschnittenen gewerblichen Quartiere, 
links die Mauern und vorspringenden Thorbauten des Soto-Siro 
und des Siro, und entfernter in derselben Richtung die den kaiser- 
Uchen Palast beschattenden Baumwipfel. Diese Aussicht ist ebenso 
einförmig wie ausgedehnt, man sieht ein Meer von gleichartigen 
grauen Dächern, aus dem nur hier und da einer der viereckigen, 



V Verkehr mit den Krämern. 327 

nach oben verjüngten Ilolzthürme hervorragt, wo die Feuerwachen 
postirt sind; — in der Feme die Rhede mit den Forts. 



Unsere Tagesordnung in Akabane bUeb während des ganzen 
Aufenthaltes ziemlich dieselbe. Sehr unterhaltend war der Verkehr 
mit den Krämern, die uns täglich besuchten und an den von den 
Kriegsschiffen herüberkommenden Officiereu und Mannschaften immer 
neue Kunden fanden. Diese Volksclasse ist gutherzig, fröhlich 
und dienstfertig, aber verschlagen und geldgierig; der japanische 
Kaufmann nimmt eben jeden Vortheil den er erreichen kann. 
Man darf sich nicht scheuen ihm ein Viertel, ja ein Zehntel seiner 
Forderung zu bieten, er thut dann sehr entrüstet, lässt sich nur 
langsam und anscheinend mit grosser Selbstüberwindung herabdingen, 
streicht aber schliessUch lachend und ohne alle Scham den zehnten 
Theil des Verlangten ein. Man hat auch dann wahrscheinlich noch 
zu viel bezahlt. Die Händler bestanden oft mit eiserner Zähigkeit 
Wochen lang auf den imsinnigsten Forderungen und schleppten ihre 
Sachen immer wieder mit fort; wer aber beharrlich bUeb, fand das 
Gewünschte eines Tages plötzlich in seinem Zimmer zu dem gebo- 
tenen Preise. Merkwürdig ist dabei ihre Unfähigkeit im Kopfe zu 
rechnen; bietet man ihn herunter, so holt der Verkäufer seine Rechen- 
maschine heraus, ein flaches offenes Kästchen, in welchem Holzringe, 
die Einer, Zehner u. s. w. bedeutend, an parallelen Stäben hin und 
her geschoben werden. Nach langem Handthieren und Kopfschütteln 
blickt er dann wehmüthig gen Himmel, holt, che Luft durch die 
Zähne schlürfend, aus tiefer Brust Athem, und nennt mit halb 
feierlicher, halb spitzbübischer Miene das Ergebniss seiner An- 
strengungen, das gewöhnhch selir unbefriedigend ist. Bei jedem 
neuen Gebot wird diese Procedur wiederholt. Nicht selten kam es 
vor, dass mehrere Gegenstände zusammen mehr kosten sollten als 
die Summe der für jeden einzelnen geforderten Preise; man musste 
es auf jede Weise versuchen. — Bei diesem Verkehr pflegten die 
japanischen Händler auf dem Boden zu knieen und grüssend oder 
dankend mit der Stirn häufig die Erde zu berühren; sie betrugen 
sich überhaupt, namentlich anfangs, sehr demüthig und mit grinsen- 
der Unterwürfigkeit, die bei näherer Bekanntschaft einer weniger 
knechtischen Zutraulichkeit Platz machte. Sie müssen, so wohlfeil 
uns auch Alles ei*schien, doch sehr gute Geschäfte gemacht haben, 



328 Uebertlieueruiig. Die Bktto's. V. 

denn sie suchten die Kauflust durch neue ungesehene Sachen immer 
wieder aufzustachehi und brachten zuweilen sehr, artige Kleinig- 
keiten als Geschenk. Sebi, der weit über der gewöhnlichen Rotte 
der Krämer stand, verehrte seinen besten Kunden hin und wieder 
eine Schachtel mit Kuchen oder bemalten Wachskerzen, zierlich 
mit rothen und silbernen Papierschnüren zugebunden, wie das bei 
Geschenken in Japan üblich ist, und mit einem Stückchen getrock- 
neten Fisches begleitet, der bei keiner Gabe fehlen darf und an 
die alte einfache Lebensweise der Eingeborenen erinnern soll. — 
Was die Preise bctrifilt, so behandelten die Krämer uns offenbar 
als vornehme Leute, die nach japanischer Sitte Alles doppelt bezahlen 
müssen. Die Bunyo's erwiederten auf unsere Klagen wegen üeber- 
theuerung sehr kaltblütig, dass Leute ihres Standes, wenn ihnen eine 
Sache gefiele, immer den geforderten Preis zahlten; das Dingen 
scheint gradezu unanständig zu sein, der vornehme Japaner bezahlt 
und verachtet den Krämer. Die europäischen Kaufleute in Yokuhama 
beklagten sich bitter über die Unzuverlässigkeit der japanischen, 
welche bei ihren Lieferungen nach Muster in den Ballen und Kisten 
gute, probehaltige Waare nur obenauf, inwendig aber lauter geringe 
zu packen pflegten; werden sie auf einer Betrügerei ertappt, so 
lachen sie, und begreifen nicht dass man zürnt. Das Ehrgefühl und 
die Scham der Rechtschaffenheit scheint diese Classe gar nicht 
zu kennen. 

Ein merkwürdiger Schlag sind die Stallknechte, Betto's. — 
Die in Akabane ab- und zugehenden Mitglieder der Expedition mie- 
theten, die beständig dort bleibenden kauften sich meist Pferde; zu 
jedem braucht man einen Betto, der für die Wartung sorgt und 
bei Ausflügen seinem Herrn voranläuft. So war denn unser Stall- 
personal sehr zahlreich. Die Betto's sind muntere durchtriebene 
Burschen, sehr tüchtig in ihrem Dienst, aber schwer zu lenken, 
rechte Naturmenschen wie sie der Umgang mit Thieren zu erziehen 
pflegt, von prächtiger Gestalt, mit breitem Brustkasten und eisernen 
Muskeln, immer lustig und guter Dinge, voll Feuer und Frische. 
Bei unseren Ritten sprangen sie , es mochte noch so sclmell gehen, 
immer in muth willigen Sätzen voran, oft triefend und aufgelöst, 
doch immer lachend und jauchzend: es war ein prächtiger Anblick, 
besonders wenn sie, bei schnellem Laufen den Rock um die Lenden 
gürtend, mit nacktem Oberkörper und Schenkeln dahinrannten. 
Man sah Stellungen und Bewegungen , eine Entwickelung mämüicher 



V. Die Betto's. 329 

Schwungkraft und Gewandtheit, zu denen unser tagliches Leben 
niemals Gelegenheit bietet. Der Betto muss beim Anhalten immer 
gleich bei der Hand sein, um den Pferden, die es in Japan so ver- 
langen,, die Mäuler auszuwaschen. — Zu Hause waren sie nicht viel 
werth; der Stall musste von unseren Leuten beaufsichtigt werden, 
sonst verjubelten die Betto's das Futtergeld; es gab fortwährend 
Zank und Aerger. Man war gezwungen die Zahltage für jeden 
anders zu legen, denn häufig verschwanden sie nach empfangener 
Löhnung auf einige Tage und Nächte ganz, trieben sich in den 
Schenken herum, und kamen nicht eher wieder bis Alles durch- 
gebracht war, — sie sahen dann sehr hohläugig und verschwärmt 
aus, thaten reuig und demütliig, und schworen hoch und theuer 
sich bessern zu wollen. Die Betto's spielen, trinken und lieben 
das schöne Geschlecht, sind zu jedem Wagniss, zu jeder Schlägerei 
aufgelegt, aber ihrem Herrn unbedingt ergeben. Beim Antritt des 
Dienstes erhielt jeder einen Rock mit dem Namenszuge oder Wappen 
seines Gebieters auf dem Rücken; — sie thaten es nicht anders, 
identificirten sich dann aber auch ganz mit ihrem Ernährer. Sie 
haben ein lebhaftes Ehr- und Standesgefuhl; glaubte einer sein 
Recht verletzt, so musste sein Herr ihm Genugthuung verschaffen, 
und wenn das nicht nach Wunsch geschah, gingen wohl alle seine 
Freunde mit ihm davon. So bheb der Stall oft olme Bedienung. — 
Wie in Japan jeder Stand, selbst jede Verbindung von mehreren 
Menschen, so haben auch die Betto's ihr gemeinsames Oberhaupt, das 
schwere Abgaben von ihnen erhebt, für ihre Interessen und ihr Unter- 
kommen sorgen, und sie, wie es heisst, in Zeiten der Dienstlosigkeit 
ernähren muss. Li unserem Stall nahm der Stallknecht des Gesandten 
sogleich die Stellung eines »Ober -Betto« an und behauptete über 
seine Kameraden eine gewisse Autorität. Es scheint auch sehr 
feine Standesunterschiede unter ihnen zu geben. So geschah es 
dass Einer von ims seinen Bettö wegen grosser Unlenksamkeit 
fortjagte, und einen anderen in Dienst nehmen wollte, der häufig 
mit den Miethpf erden gekonunen war und sich durch sein ruhiges 
und gesetztes Wesen vortheilhaft vor den anderen auszeichnete: 
da widersetzten sich aber aUe übrigen; das sei ein »Akindo- Betto« , ein 
Kaufmannsstallknecht, mit dem sie nicht dienen könnten; auch er 
selbst gestand demüthig seine Licompetenz. — Da nun Kaufleute 
nicht reiten dürfen, so lieh man uns offenbar Packpferde; andere 
waren wohl auch in Yeddo nicht zu vermiethen. 



ä30 Pferde und Sattelzeug. Spazierritte in die Umgegend. V. 

Die Pferde sind klein und schlecht gebaut; sie gehen meist 
Pass und Galopp und nur ungern Trab, sind aber sehr geschickt 
im Klettern, wozu die steilen und abschüssigen Wege und die 
vielen Treppen überall Gelegenheit bieten. Man reitet nur Hengste 
und muss stets auf der Ilut sein, denn fast alle sind bissig und 
greifen einander gern mit den Zähnen und Hufen an. Grosse 
Schwierigkeit machte in der ersten Zeit das Aufsteigen von der 
linken Seite, denn der Japaner setzt sich von der rechten zu Pferde: 
sie stellten sich oft ganz ungebehrdig beim Nahen der fremden 
Gestalten, bockten, schlugen und bissen wüthend um sich, und 
schüttelten Manchen «chon auf dem Hofe wieder ab; — der Fall 
auf die harten Steine war nicht grade sanft, doch hatten diese 
Kämpfe für die Zuschauer viel Ergötzliches. Glückhch wer einen 
europäischen Sattel oder wenigstens Steigbügel besass, denn die 
einheimischen sind auf langen Ritten eine wahre Tortur. Die Japaner 
haben sich übrigens von den Vorzügen des englischen Sattels über- 
zeugt, und schon zur Zeit unserer Anwesenheit begegnete man 
solchen in Yeddo, wie sie denn alles wirklich Practische gern 
annehmen. Bald nach dem Eintreffen des Herrn Harris in der 
Hauptstadt baten die Bunyo's, ihnen sein auf europäische Weise 
beschlagenes Pferd auf einige Stunden zu leihen, und es stellte 
sich heraus, dass sie den Beschlag kennen lernen und in Japan 
einführen wollten. Bisher band man den Pferden Strohschuhe um 
die Hufe, die auf allen Landstrassen zu haben sind, sich aber sehr 
schnell abnutzen; es ist eine volksthümliche Art die Entfernungen 
zu messen — nach den verbrauchten Strohschuhen. 

Sehr genussreich und erfrischend waren unsere nachmittäg- 
lichen Spazierritte in die Umgegend. Man kann sich keine anmuthi- 
gere Landschaft denken, das Bild wechselt bei jedem Schritt. Das 
Terrrain ist hügehg und von -vielen Thälem und Senkungen durch- 
schnitten, die Höhen mit frischem, üppigem Grün, mit dem prach- 
tigen Baum wuchs der Friedhöfe und Tempelgründe bedeckt; die 
Abhänge theils angebaut, theils mit Strauchwerk und Gehölzen 
sehr malerisch und anscheinend wild bewachsen, doch soll dies die 
japanische Art der Braache sein: wenn der Acker erschöpft ists, 
bepflanzt man ihn mit Bäumen zu Erzielung von Brenn- und Nutz- 
holz. — Die Cultur selbst — mit Ausnahme der Reisfelder — ist 
malerisch wie bei uns in Gegenden des kleinen bäuerlichen Besitzes, 
nur die Vegetation unendlich reicher und üppiger. An jeder 



V. Landschaft und Vegetation. 331 

besonders hübschen Stelle, bei jeder schönen Aussicht liegt ein 
Theehäuschen, wo der Japaner es sich im kühlen Schatten bei Thee 
und Tabak wohl sein lässt und mit Frau und Kind die Natur 
geniesst. Jede Bauemhütte hat ihr Blumengärtchen. Ueberall findet 
man Gehöfte, Dörfer und Tempel, überall Wasserreich thum und 
Anbau. Den Boden der flachen Thäler bedecken die Keispflanzungen, 
an abschüssigen Stellen werden andere Feldfrüchte und mancherlei 
Gemüse gebaut; die Aecker sind gepflegt wie Gartenbeete, kein 
Unkraut zu sehen. Der Dünger gährt in bedachten Gruben und 
wird auf Lastpferden in verschlossenen Fässern nach allen Richtungen 
geführt, in den flachen Gegenden auf schmalen Kanälen zu Boot 
fortgeschafft. 

Die Landschaft ist nicht grossartig, aber sehr UebUch und 
heimlich, voll reizender Abwechselung: hier eine Bauemhütte im 
Bambusgehölz mit dem dichten, hellgrünen Graslaub, dort ladet 
ein schattiger Gang hochstrebender Cryptomerien nach der im 
grünen Bosket versteckten Mia — so heissen die Sinto- Tempel. 
Bald zieht sich der Weg durch Laubgehölze von heimischem Ansehn, 
bald reitet man zwischen Camelien-, Taxus - und Podocarpus- Hecken, 
zwischen Lorbeer, Myrthen und Azaleen hin; die zierUche Chamaerops 
excelsa — Japans einzige Pahne — sieht verstohlen aus dichtem 
Gebüsch hervor. Die Flora ist unendlich formenreich , die Belaubung 
bald weich und durchsichtig, bald schwer und dicht, bald fahl und 
stumpf, bald frisch, glänzend und gesättigt, bald flaumig und fein 
gefiedert, bald breit und massig. Im September, wo sich der 
hier heimische Zuckerahorn und das Azaleenlaub dunkelpurpurroth 
färben, wird die Farbenpracht der Landschaft berauschend. Das 
wellige Terrain und die Mannichfaltigkeit des Anbaues erzeugt die 
schönsten Linien im Vorder- und Mittelgrunde, und in der Ferne 
erhebt der Fusiyama sein beschneites Haupt hoch über die vor- 
hegenden Fakone- Berge. 

Das Wetter war in der zweiten Hälfte des September regne- 
risch, die Luft aber weich und milde imd die Beleuchtungen, wenn 
es schön wurde, ganz herrlich. Unsere Ritte gingen gewöhnlich 
nach der uns zunächst hegenden südUchen und westUchen Umgebung 
von Yeddo. Das bei Akabahe fliessende Gewässer aufwärts ver- 
folgend wendet sich der Weg bald in scharfem Winkel nach Süden ; 
eine Strecke weit, ziehen sich Häuserreihen an beiden Ufern hin, 
dahinter liegen Höhen mit abschüssigen Strassen. Die Ufer werden 



332 I^'e Umgebung von Yeddo. V. 

immer grüner; aus den üppigen Laubmassen sehen Tempel und 
ländliche Wohnungen hervor, man kommt an den Grundstücken 
mehrerer Daimio's vorbei, wo hinter den schwarzen Bretterzäunen 
die Soldaten auf schattigen Rasenplätzen exercieren und nach der 
Scheibe schiessen. Pfahlbrücken von gewölbtem Bau fuhren über 
das immer kleiner werdende Flüsschen; über eine derselben gewinnt 
man das jenseitige Ufer und tritt in einen von Bambus und dichtem 
Grün beschatteten Hohlweg. Es geht bergan, die enge Strasse 
bietet kaum Platz zum Ausweichen. Auf der Höhe liegen rechts 
und links im Grünen ländUche Theehäuser, deren halb verwilderte 
Anlagen sich nach dem jenseitigen Thalgrunde senken. Ein hoher 
rasenbedeckter Erdkegel — künstUch aufgeschüttet — den die 
Japaner den kleinen Fusiyama nennen, gewährt eine weite Aussicht 
nach Süden und Westen. Unten liegt ein ebenes, mit Reis bebautes 
Thal, durch das sich breite Wege schlängeln; jenseit steigt der 
Boden allmälich an. Heimische Strohdacher winken drüben aus 
frühlingsgrünem Bambusgefieder, aber der rothglühende Ahorn mahnt 
an den Herbst. Ein gUtzender Bach rieselt durch das dichte Ge- 
büsch, aus welchem hohe Gruppen dunkeler Cryptomerien und 
Tannen emporstreben. — Weiter erheben sich niedrige Hügelreihen 
mit Busch und Feld und herrlichen Waldprofilen, dahinter die 
Fakone- Berge und der grosse Fusiyaäia. 

Der Weg führt abschüssig in das Tlial hinab; drüben gelangt 
man wieder in enge Hohlwege, aus denen der Blick sich ab und 
zu auf die Ueblichsten Gründe öffiiet: überall liegen Bauernhäuser 
im Grünen zerstreut, und an hervorragenden Puncten ländhche 
Tempel und Friedliöfe; bemooste Grabsteine schimmern durch den 
tiefen duftigen Schatten des Gehölzes, wo Epheu und Immergrün 
den Boden decken. Hier und da steht ein Heiligenbild am Wege, 
der segnende Budda auf der Lotosblume, alterthünüiche Bildsäulen 
aus Stein oder Bronze. Bei den grösseren Dprfern findet man 
imposante Tempelanlagen und Friedhöfe mit ehrwürdigen Riesen- 
bäumen. — Aehnlich ist der Charakter der Landschaft im Nordwesten 
und Norden der Stadt, wellenförmiges wasserreiches Hügelland mit 
Busch und Feld in unerschöpflicher Abwechselung, reich bevölkert 
und angebaut. 

Die Höhenzüge, welche im südüchen Theile von Yeddo 
das Meer berühren und hier nur einen schmalen Streifen flachen 
Uferlandes frei lassen, treten allmäUch von der Küste zurück: 



V. ßcr GOTKNYAMA. SiNAOAVA. 333 

von ihren Abhängen geniesst man der köstlichsten Aussicht auf die 
reiche Ebene und den begrenzenden Golf. — Vom Landungsplatze 
der Fremden aus führt der Tokaido südlich eine Strecke am Meere 
entlang"); Unks Hegt eine Reihe von Theebuden, wo Reisende sich 
vor dem Eintritt in die Hauptstadt zu erfrischen pflegen, rechts die 
FaQaden einiger Yamaske's — darunter ein Palast des Fürsten 
von Satsuma, — und das Portal zum Tempel von Todzendzi, dem 
Sitze der englischen Gesandtschaft. Eine dicht bevölkerte Vorstadt 
bedeckt den dahinter liegenden Höhenzug, dessen südlichen Aus- 
läufer der GoTENYAMA bildet, wo die Regierung des Taikl^n im 
Jahre 1861 ein Terrain zum gemeinschaftUchen Bau der fremden 
Gesandtschaften angewiesen hatte. Die Nachbarschaft bewies sich 
dieser Abtretung feindlich; die Regierung ersuchte später die Frem- 
den, dort nicht zu bauen, und wusste nicht zu verhindern, dass das 
schon halb fertige Gebäude der englischen Legation unterminirt und 
in die Luft gesprengt wurde. — Der Gotenyama tritt dicht an den 
Tokaido heran, so dass zu beiden Seiten der Strasse nur Raum für 
eine Häuserreihe bleibt; dies ist die übelberufene Vorstadt Sinaoava, 
der Tummelplatz der ausschweifenden Jugend aus den höheren 
Ständen und das Rendezvous aller gefährlichen Subjecte der Haupt- 
stadt. Alle Häuser sind hier zweistöckig, ihr Aeusseres wohlhabend 
und reinlich; man sieht in tiefe helle Corridore hinein, auf die sich ganze 
Reihen von Gemächern zu öfihen scheinen. Bei Tage ist Alles ruhig, 
aber Abends tönt Gesang und Saitenspiel vermischt mit dem wüsten 
Ijärm wilder Gelage und Orgien aus den Häusern. Auch die Grossen 
von Yeddo sollen hier ihre Absteigequartiere haben, und begeben 
sich Abends »Naibün« mit kleinem Gefolge dahin. Zwischen ihren 
Trabanten veranlassen Eifersucht, Weinrausch und Spiel oft blutige. 
Händel, und der friedhebende Bewohner thut wohl, diese Stadt- 
viertel bei Abend zu meiden. Es kam besonders in dieser Gegend 
oft vor, dass sich Samrai's, Trabanten der Daimio's, den Fremden 
mit Schmähungen und drohenden Gebehrden, die Hand am Schwerte 
in den Weg stellten; nicht nur Sinaoava selbst, sondern die ganze 
Umgebung, die wir beim Spazierenreiten häufig zu passiren pflegten, 
war unsicher. Capitän Jachmann wurde am hellen Tage insultirt. 
Er ritt mit Lieutenant Berger und Assessor Sachse, beide von der 
Thetis, vom Landungsplatze der Fremden den Tokaido entlang nach 

^^) Blatt 2 der »Ansichten aus Japan, China und Siam« zeigt diesen Theil des 
Tokaido. 



334 Renconti'e mit Daimio - Trabanten. V. 

der englischen Gesandtschaft zu — unbewaffiiet, wie wir Alle in 
der ersten Zeit unserer Anwesenheit zu gehen pflegten, — als plötz- 
lich ein Reiter, mit geröthetem Gesicht und offenbar betrunken, ihm 
in den Weg sprengt. Die Herren Berger und Sachse waren etwa 
siebzig Schritte zurückgeblieben, und kamen in diesem AugenbUck 
grade bei einem der zahlreichen Strassenthore an, wo sie gebeten 
wurden abzusteigen, und in das Bureau der Pohzeiwache zu treten, — 
dort sassen schon drei der begleitenden Yakuninc und rauchten 
Tabak. Vor dem PoUzeihause entsteht ein Volksauflauf; der betrun- 
kene Samrai reitet wie besessen hin und her, und als Capitän 
Jachmann seinen Weg fortsetzen will, greifen zwei Betto's in die 
Zügel des Pferdes und fuhren es ebenfalls nach dem PoUzeihause, 
wo der Capitän absteigt und sich in die Thür des Gebäudes stellt 
Der Reiter setzt über die niedrige Umzäunung und spornt sein Pferd 
grade in das Haus hinein, worauf der Polizeimeister, ein bedächtiger 
Herr, die Papierthüren vorschiebt, was nach dortigem Gebrauche 
respectirt zu werden scheint, denn der Feind entfernte sich. Einige 
Minuten darauf kamen aus dem naheliegenden Palais des Fürsten 
von Satsüma drei Reiter, welche die Strasse säuberten, die Herren 
einluden ihren Weg fortzusetzen, und sich dann höflich verabschie- 
deten. Die Mässigung der preussischen Officiere dem Betrunkenen 
gegenüber verdient die grösste Anerkennung, denn ein blutiges Ren- 
contre, bei dem überdies durchaus keine Ehre zu holen war, hätte 
leicht zu Verwickelungen führen können die jede MögUchkeit des 
Vertrages abschnitten. Die anderen Gesandten und ihr Gefolge 
hatten ähnliche Auftritte mehrfach erlebt und klagten bitter über 
die Indolenz der begleitenden Yakuninc, die, statt Gewalt mit 
Gewalt zu vertreiben, die Fremden immer zur Ignorirung solcher 
Belästigungen zu bewegen suchten. Das war, so lange es sich nur 
um die Drohungen Trunkener handelte, gewiss das Klügste; leider 
blieben sie aber auch bei ernstlichen Angriffen meist imthätig. — 
Graf Eulenburg richtete wegen dieser Begegnung eine Note an den 
japanischen Minister der Auswärtigen, worauf die Antw^ort erfolgte, 
dass die beiden schuldigen Yakuninc »verurtheilt und arretirt«, die 
künftigen Begleiter aber zu grösserer Au&nerksamkeit angewiesen 
worden seien. 

An SiNAGAVA schliesst sich die Vorstadt Omaoava ; die Häuser- 
reihen sind nur durch den Richtplatz unterbrochen, w^o die Todes- 
strafe an schweren Verbrechern öffentlich vollstreckt wird. Der 



V. Om AGAVA. Omori. Reisfelder. 335 

Platz liegt dicht am Meere, ist mit hohem Grase bewachsen und 
mit struppigen Hecken umgeben; an den Grenzen stehen Gebet- 
säulen, wo die Verurtheilten ihre letzte Andacht verrichten. 

Omagava zeichnet sich durch eine unglaubliche Menge von 
Spielzeugläden aus, hier müssen die Fabriken sein welche ganz 
Yeddo versorgen. Am Ausgange dieser Vorstadt liegt rechts am 
Wege der beUebte Theegarten von Meoaske oder Omori, das 
Pflaumenhaus, dessen hübsche Aufwärterinnen grosse Freundschaft 
für die Fremden zeigten und besonders von den Officieren und 
Cadetten unserer Kriegsschiffe oft besucht wurden; sie waren sehr 
heiter und neugierig und lernten manche deutsche Redensart. Die 
fremden Gäste nahmen gewöhnlich in einem freundlichen Pavillon 
Platz, dessen Zimmer sich nach dem Garten öffnen; die vordere 
Wand war entfernt imd man sass wie im Freien. Der Garten ist 
eine niedliche Anlage mit Goldfischteichen, kleinen Brücken , künst- 
lichen Felsen und Zwergbäumen aller Art, Alles so sauber und 
geschniegelt wie die Mädchen selbst, die geschäftig hin- und 
hertrippelten, und Thee, Weintrauben und Eier herbeizubringen 
pflegten. Einige betnigen sich etwas ausgelassen, andere mit 
naiver Schüchternheit; im Ganzen war ihr Benehmen lebhaft und 
zuthuUch, aber durchaus anständig und wohlerzogen. — In einem 
stillen Winkel des Gärtchens hegt unter schattigem Gebüsch eine 
kleine Mia, wo die artigen Bewohnerinnen ihre Andacht zu ver- 
richten pflegen. 

Omori ist etwa anderthalb deutsche Meilen von Akabane 
entfernt Biegt man hier vom Toka'ido rechts in die Reisfelder ein, 
so gelangt man bald in das Hügelland. Der Weg durch die Reis- 
culturen ist beschwerUch zu reiten, er liegt auf den schmalen die 
sumpfigen Aecker durchkreuzenden Dämmen, welche in kurzen Ent- 
fermmgen von engen Canälen geschnitten werden; .die darüber fuh- 
renden Brückenstege aus einer Steinplanke sind den Pferden beson- 
ders gefährUch, für Cavallerie wäre das Terrain ganz unzugänglich. 
Bei raschem Reiten in grosser Cavalcade plumpte fast jedes Mal 
Dieser oder Jener in den Morast; — - man trabte Einer hinter dem 
Anderen, und wenn auch der Erste, der allein vor sich sehen 
konnte, noch so laut »Brücke« schrie und die Folgenden es wie- 
derholten, so kam doch häufig die Warnung zu spät. Ernsten 
Schaden hat Niemand dabei genommen, aber für den Spott brauchte 
man nach dem Schmutzbade nicht zu sorgen. 



336 Ikeoami. V. 

Am Rande dieser Ebene liegt das Dorf Ikegami unter einer 
dicht bewachsenen Anhöhe. Oben steht zwischen mächtigen Bäumen 
ein grosser Tempel mit vielen Nebengebäuden und seitwärts davon 
das 'mehrstöckige Mausoleum eines Taikün mit anderen Grab- 
monumenten der Familie Minamoto; der Ort ist grün und schattig. 
Unten im Dorfe führt eine breite Strasse auf das erste am Fusse 
des Hügels gelegene Thor zu, daneben steht ein hoher inscribirter ' 
Denkstein und eine Gebetsäule. Man überschreitet eine Brücke und 
steigt dann die hohe von dichten Baumwipfeln beschattete Treppen- 
flucht — mehrere hundert Stufen — zu dem zweistöckigen Haupt- 
portal hinan, das sich auf einen breiten Platz öfinet. - Die gegen- 
überliegende Seite nimmt der Tempel selbst ein, rechts und Unks 
liegen kleinere Gebäude von reicher Holzarchitectur, darunter das 
Glockenhaus, eine oflFene von geneigten Holzsäulen getragene Halle, 
in deren Mitte die reichverzierte Glocke hängt. Sie hat keinen 
Klöpfel, sondern wird vermittelst eines in wagerechter Schwebe an 
Ketten aufgehängten Holzbalkens angeschlagen, den man nach Art 
der antiken Mauerbrecher zurückzieht und dann loslässt; dieses 
Gerüst steht ausserhalb hinter dem Glockenhause. Auch kleinere 
Glocken werden in Japan mit hölzernem Hammer geschlagen, nie- 
mals mit metallenem Klöpfel; der so erzeugte Klang ist nicht so 
hell, aber voller, weicher und nachhaltiger als bei unseren Glocken. 

Als wir den Tempelgrund von Ikegami zum ersten Male 
besuchten ,' eilten die Bonzen herbei und zogen Seile über die Wege 
zu den geheiligten Grabstätten, zeigten sich aber sonst freundlich 
und dienstfertig. Die ganze Dorfbevölkerung kam herauf, die Kinder 
stürzten sich auf die Seile der muschelförmigen Gongs über den 
Tempelthüren und begannen aus Leibeskräften zu läuten; der Jubel 
wollte kein Ende nehmen als der Gesandte blanke MetaUknöpfe, 
welche die Japaner sehr heben, unter die Menge auswarf. — Der 
Tempel selbst war verschlossen; hinter demselben hegt ein weit- 
läufiges Gebäude, die Wohnung der zahlreichen Priester, welche 
bei späteren Besuchen viel zugänglicher wurden; doch bedurfte es 
einer besonderen Erlaubniss der Regierung, um hier photographiren 
und zeichnen zu dürfen. — Die dichten Gehölze der ausgedehnten 
Anlage bestehen aus Tannen, Cryptomerien imd anderen Nadelhöl- 
zern: die hochstrebenden Stämme bilden düstere Alleen, aus denen 
man seitwärts im schattigen Gebüsch Grabmonumente von schönem 
Bronzeguss gewahrt; die Stimmung ist ernst imd feierUch. Der 



V. Sknzoko. Ausflug nach Odsi. 337 

südliche Abhang der Höhe bietet reiche Aussichten auf das Dorf 
und die fruchtbare Ebene. 

Von Ikeoami gelangt man westlich über Hügelreihen nach 
einem kleinen Landsee, der sich im Herbst mit Tausenden wilder 
Enten bevölkert; auch hier und im weiten Umkreise von Yeddo darf 
ihnen Niemand nachstellen. Die Landschaft ist reich an gefiederter 
Staffage, namentlich Reihern und Kranichen, die bedächtig im 
Sumpfe der Reisfelder watend den Fröschen und Fischen lauem; 
im Winter treiben sich dort ganze Schaaren wilder Gänse herum, 
die Bauern sollen sie zuweilen mit Angeln fangen. — Am Landsee 
von Senzoko liegen wieder stattliche buddistische Tempel und gegen- 
über unter himmelhohen Crypjiomerien versteckt eine bescheidene 
MiA, deren Gegenwart nur das rothe hölzerne Toori*') am Ufer 
verräth. Einige ländliche Theehäuser sind malerich an das Wasser 
gebaut, in dem sich von allen Seiten grüne Wipfel spiegeln, — der 
Ort hat etwas überaus liebliches und friedliches und wurde häufig 
das Ziel unserer Ritte. Der directe Weg nach Yeddo fuhrt über 
das früher beschriebene Hügelland, durch Dörfer, Hohlwege und 
Bambusgehölze. 

Am 28. September machten wir einen Ausflug nach dem 28. Septbr. 
nordwesthch von Yeddo gelegenen Dorfe Odsi, einem beUebten 
Vergnügungsort mit eleganten Theehäusem. Der Gesandte hatte 
dazu mehrere Officiere von den Schiffen eingeladen, so dass unsere 
Cavalcade mit zehn JAKui^isen aus dreissig Reitern bestand. Es 
regnete am frühen Morgen, klärte sich aber auf, als wir gegen 
neun Uhr abritten ; der Tag blieb nebeUg mit gelegentlichen Sonnen- 
blicken, die Luft war milde und angenehm. Heusken führte uns 
zunächst durch die südwestlichen Vorstädte und durch ländliche 
Gegenden, dann nach der westlichen Ecke des Soto-Siro, — das 
wir nach Norden durchschnitten, — und an den Palästen der 

^ TooBi heisst ein Portal aus zwei gegeDeinander geneigten Säuleu, die oben 

durch zwei Queerbalkeu verbunden sind. Man findet es bei den meisten japanischen 

Tempeln, bald gross, bald klein, von Holz, lackirt oder kupferbeschlagen, häufig 

auch von Stein. Zwischen den Queerbalken ist zuweilen eine Tafel mit dem Namen 

des Tempels angebracht. Die Form des Toori ist unveränderlich und durch hohes 

Alter sanctiouirt; die geneigten Säulen, die Schweifung des oberen und die auch bei 

steinernen Portalen dieser Art vorkommenden Keile am unteren Queerbalken beweisen, 

dass ihre Form ursprünglich auf der Holzconstruction beruht. S. »Ansichten ans 

Japan, China und Slam« Blatt 1 und 5. 

I. 22 



338 Yamaske's von MiTO und Kanoa. Die Universität. Sume. V. 

Fürsten von Mito und Kanga vorbei, die schon damals als die 
heftigsten Gegner des Fremdenverkehrs galten. Der Fürst von Kamoa 
ist der reichste aller japanischen Daimio's; er besitzt zwei von den 
68 Provinzen des Reiches, und nach dem Staatskalender ein jährliches 
Einkommen von 1,202,700 Kok Reis, etwa fünf MiUionen Thaler. — 
Sein Grundstück in Yeddo ist sehr ausgedehnt und hegt nördlich 
ausserhalb des Soto-Siro, nicht weit von dem grossen Confucius- 
Tempel, dem Sitze der Universität, wo im Hofe die Bildsäule des 
Weltweisen aufgestellt ist. Jeder Eintretende, selbst der Taikün, 
der nach der Sitte seiner Vorfahren diesen Tempel jährhch besucht, 
kniet davor nieder; ein gleiches Ansinnen wurde auch an den 
amerikanischen IVIinister- Residenten, gestellt, der die Anstalt zu 
sehen wünschte, auf diese Bedingung aber von seinem Vorhaben 
abstand. 

Unsere Cavalcade erregte in diesem von Fremden wenig 
besuchten Stadttheil grosses Aufsehn; ein vornehmer Japaner zu 
Pferde, der, als wir im raschen Tempo vorbeieilten, in Begleitung 
mehrerer Diener unversehens um die Ecke bog, erschrak bei dem 
unvermutheten Anblick dermaassen, dass er sein Pferd herumwarf 
und im Trabe davonritt. - Es ging nun durch lange, von Krämern 
und Ackerleuten bewohnte Vorstädte, dann durch Felder und Garten 
nach dem Flecken Sume, wo wir nach zweistündigem Ritt von 
Akabane bei dem Hause eines Kunstgärtners Halt machten. Der 
Garten war sehr niedlich angelegt, mit Wasserrinnen und Goldfisch- 
teichen wo Moose und Wasserpflanzen gezogen wurden, dazwischen 
künstliche Felsen mit Zwergbäumen aller Art *'). Hunderte sorgfaltig 
gepflegter Blumentopfe standen theils im Freien, theils unter Schuppen 
und Strohbedachung, ganz wie bei uns. Die Aufnahme von Seiten 
des mit Herrn Heusken seit lange bekannten Besitzers war sehr 
zuvorkommend, die schönste Blume des Gartens aber seine Tochter, 
ein Mädchen von seltener Anmuth und Grazie. Einfach und häushch 
gekleidet schien sie bei unserer Ankunft mit Gartenarbeit beschäftigt., 
die sie verUess lun uns mit Thee zu bewirthen, und benahm sich 
dabei mit so bescheidenem freundlichen Anstände dass sich die 
ganze Gesellschaft gefesselt fühlte. — Von Sume aus brachte uns 
ein kurzer Ritt nach Odsi, wohin der Gesandte das Frühstück 
vorausgeschickt hatte. 

^*) Blatt 4 der »Ansichten aus Japan, China und Siam« zeigt einen japanischen 
Garten. 



V. Odsi. Der Askatama. 339 

Das Fächerhaus — so liiess das von uns besuchte Tsa-ta — 
hegt an einem rauschenden Flüsschen, das hier in Cascaden aus 
einer engen grünen Schlucht hervorströmt. Die Häuser und Pavil- 
lons sind halb in das Wasser gebaut, gegenüber steigt die dicht- 
bewachsene Thal wand steil empor; man sitzt über dem plätschern- 
den Wässerchen kühl und schattig. Ein sorgfältig gehaltener Garten 
hegt neben dem Theehause, gegen dessen gepflegte reinliche Eleganz 
die meisten heimischen Yergnügungslocale nur gewöhnliche Kneipen 
sind. Das Ganze ist wie aus dem Ei geschält, mit Einschluss der 
hübschen Aufwärterinnen, welche die Fremden freundlich willkom- 
men hiessenund in die besten Gemächer führten. Von Zierrathen 
sieht man auch hier wenig bis auf einige gemalte Wandschirme, 
aber Alles ist blank und geputzt, das Holzwerk sauber gefugt und 
geschUffen, die Matten fein und glänzend, die hellen Tapeten und 
Papierscheiben weiss und fleckenlos. Und doch hat diese Ele- 
ganz nichts Kaltes; man fühlt sich nicht in neuen sondern in gut- 
gehaltenen Räumen, unter gesitteten Menschen wo Ordnung und 
Anstand walten. — Nach dem Frühstück machten wir einen Spa- 
ziergang nach dem Asratama, einer nahegelegenen Höhe wo ehe- 
mals ein Jagdschloss des Taiküü gestanden haben soll, weshalb 
man sie noch heute nur zu Fuss betreten darf. Der flache Rücken 
ist angebaut, auf den Abhängen ragen hochstämmige Nadelbäume 
aus üppigem Gebüsch. Noch jetzt besucht der Taikün jährlich 
diesen Ort bei den grossen Reiherjagden. — Die Aussicht beherrscht 
die vom 0-gava durchströmte fruchtbare Ebene nördlich von Yeddo. — 
Am westlichen Rande des Hügels liegt unter dichten Baumwipfeln 
ein einfacher Tempel, dessen Anlagen sich in die dahinter liegende 
grüne Schlucht hinabziehen; hier fallt ein frischer Quell von der 
beschatteten Felswand herab, der einen steinernen Götzen bespült. 
Wenn wir die Yakuninc recht verstanden, so pflegen Japaner, die 
im Fächerhause des Guten zu viel gethan haben, hierher zu pilgern, 
um unter dem kühlen Born wieder nüchtern zu werden und zugleich 
ihre Andacht zu verrichten. Geebnete Gänge führen in die dicht- 
bewachsene feuchte Schlucht, durch deren vielfache Krümmungen 
sich das eingeengte Gewässer mit hellem Rauschen den Weg bahnt. — 
Der Tempel soll von Jyeyas gestiftet, und nach dessen Tode seinem 
Andenken geweiht worden sein. 

Der Ortsvorsteher machte auf diesem Spaziergange den 
Führer; wir kehrten durch Gemüsefelder und Gärten nach dem 

22 • 



340 AsAKSA. Der Kuannon- Tempel. V. 

Dorfe zurück, — das Läden mit allerlei Tand und Spielereien ent- 
hält, wie man sie bei heiterer Laune für Frauen und Kinder gern 
zu kaufen pflegt, — stiegen bald darauf zu Pferde und wandten 
uns östlich nach der Ebene des 0-oava. Die schmalen Wege 
durch die Reisfelder waren durchweicht und schlüpferig; einige 
ungeübte Reiter maassen, vom Frühstück begeistert, die Länge 
ihrer Klepper im Schmutz, kamen aber ohne Schaden davon. — 
Wir überschritten den O - gava auf einer Pfahlbrücke , und erreichten 
dann, sein linkes Ufer auf breitem Feldwege stromabwärts verfolgend, 
nach fast zweistündigem Ritt die nördlichen Vorstädte des Hondzo. 
Man passirt hier abermals den Strom auf einer Brücke welche das 
HoNDzo mit dem Stadtviertel Asaksa verbindet, wo wir gegen drei Uhr 
vor dem grossen Kuannon -Tempel von den Pferden stiegen. 

Diese ist eine der grössten Tempelanlagen von Yeddo und 
zugleich ein berühmter Wallfahrtsort. Von der Strasse fuhrt die 
breite Steinbahn durch ein mächtiges Toori grade auf das Haupt- 
portal zu, ein grosses zweistöckiges Gebäude mit geschweiftem 
weit auskragendem Dachstuhl. Zu beiden Seiten des Durchganges 
sitzen in vergitterten Hallen die colossalen Geniengestalten des 
Feuers und des Wassers — als Symbole der Reinigung, — fratzen- 
haft verzerrte phantastische Schreckbilder, feuerroth gefärbt. Älit 
feinem dunkelrothem I^ack ist auch alles Holzwerk dieses Gebäudes 
und des Haupttempels überzogen, bis zu welchem die Steinbalm 
sich in grader Richtung fortsetzt. An beiden Seiten derselben stehen 
auf der ganzen Strecke vom Eingangs -Toori bis zum Tempel zu- 
sammenhängende Reihen von Thee- und Jahrmarktsbuden, wo dem 
Pilger tausenderlei Waaren zu Kauf geboten werden, theils Haus- 
rath und Bedürfnisse des tägUchen Lebens, theils Spielzeug und 
Luxusartikel, denn es ist in Japan Sitte, seinen Freunden von der 
Reise etwas mitzubringen. Hier drängte sich eine dichte Volks- 
menge, die grossen Theils dem Inneren des Landes anzugehören 
schien und die nie gesehenen Fremden neugierig begaffte. Auch 
der Tempel, seine Zugänge und Treppen waren dicht mit Menschen 
besetzt, man schob sich mühsam durch das Gedränge. 

Der Tempel selbst ist ein mächtiges Gebäude aus Holz mit 
schwerem dunkelem Ziegeldach, die Bauart massig und gedrungen. 
Der Estrich mag zwölf Fuss über dem Boden hegen; eine breite 
Treppenflucht führt zu dem dreifachen Eingange hinan. Das Innere 
bildet eine hohe, düstere, von roth lackirten Säulen getragene Halle, 



V. Das Innere des Tempels. Die Bonzen. 341 

welche ihr Licht nur durch die Haupt- und Nebenthüren erhält; 
riesenhafte Papierlatemen , deren jede mehrere Menschen bergen 
könnte, hangen von der Decke herab. Dem Haupteingang gegenüber 
erhebt sich ein vergoldetes Gitter durch welches der Altar mit den 
Götzenbildern sichtbar ist, — nur die Priester scheinen zu diesem 
Allerheiligsten Zutritt zu haben; — davor steht ein mächtiger 
Gotteskasten, wohl dreissig Fuss lang und halb so breit, und kaum 
eine Elle aus dem Fussboden hervorragend; die ganze obere Fläche 
ist offen, und weitläuftig mit hochkantigen Sparren vergittert, so 
dass Jeder auch vom Eingange aus mit Sicherheit über die Köpfe 
der Vornstehenden hineintreffen kann; denn das Gedränge ist im 
Tempel oft so gross, dass nur Wenige bis an das Heiligthum ge- 
langen. Wir sahen Kupfermünzen aus allen Theilen des Gebäudes 
in den Gotteskasten fliegen, der die Mitte des Tempelraumes einnimmt 
und für die Priester gewiss dessen wesentlichster Theil ist. — In 
einigen Nebengemächern sind viele Gemälde und andere Votivsachen 
aufgehängt, unter denen eine Reihe von Bildnissen der berühmtesten 
Courtisanen von Yeddo besonders auffallen muss; sie gelten als 
Schutzheilige gefallener Schönheit Ein anderes ziemlich hoch gehäng- 
tes Gemälde war mit lauter kleinen weissen Puncten bedeckt, und es 
stellte sich heraus dass dies Papierkugeln seien, gekaute Gebet- 
formeln welche die Andächtigen da hinaufgeblasen hatten. — An 
den Säulen und Wänden sitzen kahlgeschorene Bonzen mit feisten 
ausdruckslosen Gesichtern, Heiligenbilder und Gebetbücher aller 
Art verkaufend; sie treiben einen einträglichen Ablasshandel und 
üben grossen Einfluss auf die niederen Classen, stehen aber bei 
allen Gebildeten in tiefer Verachtung, denn der heutige japanische 
Buddismus ist nur noch ein verworrenes Gewebe abergläubischer 
Gebräuche und todter Formen, und die Bonzen thun ihr Mögüchstes 
um das Volk in Dunkel und Unwissenheit zu erhalten ; die herrschen- 
den Stände aber sehen , so sehr sie für sich selbst nach Aufklärung 
streben, die Verdummung des Volkes für nothwendig zur Erhaltung 
der alten Staatsverfassung an. Der Buddismus gilt überdies als 
die beste Schutzwehr gegen das Christentlium und wurde deshalb 
im siebzehnten Jahrhundert zur Staatsreligion erhoben. 

So viel wir herausbringen konnten , ist der Tempel von Asaksa 
der Mutter des Budda geweiht, sein voller Namen 0-Kuannon- 
Sama, d. h. »der grosse Herr. Kuannon«. Dieser Ausdruck aber 
bedeutet nach dem Zeugniss gelehrter Sprachforscher »die Menschen 



342 Wachsfigurencabinet. V 

erhörende Gottheit«, — es soll in Japan 33 Wallfalirtsorte dieses 
Namens geben, Tempel erlösender Fürbitte, welche sämmtlich 
besucht zu haben den japanischen Frommen als grosses Verdienst 
gilt. — Bei dem Tempel von Asaksa soll ein milchweisses Pferd 
unterhalten und täglich zu dem Bilde der Gottheit gefuhrt werden: 
die Bonzen fragen dann ob sie ausreiten will und führen es wieder 
in den Stall. — Seitwärts von dem Zugange erhebt sich eine hohe 
thurmartige Pagode mit mehreren weit auskragenden Dachetagen. 

Der Tempel selbst steht ganz frei auf einem grossen ebenen 
Platz, wo unter Bäumen Schaubuden aller Art au%e8chlagen sind. 
Da giebt es Jongleure, Menagerieen, Theater und Puppenspiele, 
unter Anderen auch ein grosses Wachsfigurencabinet das selbst bei 
uns Aufsehn machen würde. Die Anordnung war vortrefflich: ein 
grosses viereckiges Gebäude, in welchem der äusseren Wand zu- 
nächst ein nicht allzu breiter Gang für die Beschauer frei blieb: 
man sah von dort in lauter einzelne, nach vom oflFene Gemächer 
hinein, deren jedes eine Gruppe oder Scene aus dem häuslichen 
Leben enthielt: — der Blick umfasste immer nur eine dieser Ab- 
theilungen und wurde durch nichts gestört. Die Figuren waren von 
solcher Lebendigkeit und Treue in Stellung und Ausdruck, dass 
selbst das geübte Auge im ersten Augenblick die Wirklichkeit 
lebende Bilder vor sich zu sehen glaubte. Da war ein altes Pärchen 
das sich in Saki gütlich gethan hatte, mit seelenvergnügtem lallendem 
Ausdruck, ein anderes Ehepaar das sich raufte, und viele ähnliche 
Scenen mit frappantester Darstellung der Affecte. Zarte Schönheit 
nachzubilden hatte man mit weisem Verständniss des Vermögens 
dieser Technik nicht versucht, es war lauter »Genre«. Als Haupt- 
stück der Schaustellung schien ein Bild der Geisteraustreibung in 
der Neujahrsnacht zu gelten, einer altjapanischen Sitte, die heut 
noch selbst in den vornehmsten Häusern streng gehalten werden 
soll: der Hausherr geht in allen Gemächern herum und wirft Bohnen 
aus, worauf die bösen Geister entweichen. Sie waren hier halb 
thierisch gebildet, mit rothem behaartem Körper, Krallen und 
Hörnern , und flohen entsetzt nach allen Richtungen. Man begegnet 
dieser Darstellung in vielen japanischen Bilderbüchern. Im kaiser- 
lichen Palast soll der erste Minister die Ceremonie vollziehen. 

In einer anderen Bude sind lauter Greuel, Schrecknisse und 
Gespensterspuk nachgebildet, und zwar manche Scenen mit so 
grässlicher Naturwahrheit dass Jeder unwillkührhch zurückschaudert. 



V. Greuelsceuen. Schiessbuden. 343 

Rechts vom Eingang tritt man auf modernden Brettern über eine 
sumpfige Stelle, in derein verwesender Leichnam steckt; das hohl- 
äugige Gerippe — kein wirkliches — hegt unter Schlamm und 
Pflanzenresten halb verborgen, so dass die Phantasie noch mehr 
als das Auge sieht, und um den Blick recht hinzulenken scharrt und 
pickt ein lebendiger Rabe daran herum. Es ist nur ein schmaler 
Durchgang, nach dem Innern des Gebäudes dunkel, nach aussen 
von einem Bretterzaun geschlossen, — so dass durch die von der 
Seite hineinreichenden Baumzweige der Himmel glänzt, — und so 
unheimUch und natürlich decorirt, dass man die Schaubude ganz 
vergisst. — In dem nächsten Raum hing ein Gekreuzigter mit dem 
Messer in der Brust, dann kam ein Galgen mit blutigem Haupt, 
femer Spukscenen, wo durch Beleuchtung und grausenhafte Ge- 
stalten das Mögliche in entsetzlichen Wirkungen geleistet war. 
Hier bewegten sich einzelne Figuren: Gespenster stiegen aus alten 
Tonnen und guckten über Zäune, auch Katzen und anderes nächt- 
liche Gethier spielten mit. — Man musste das raffinirte Studium des 
Grässlichen in der Natur und der menschUchen Einbildungskraft be- 
wundem. Einen komischen Eindruck dagegen machte die auf einer 
kleinen Bühne gespielte Schlussscene : zwei Schatzgräber oder Diebe 
bringen eine Kiste, aus der ein humoristisches Gespenst hervorsteigt 
um jene mit possenhaftem Spuk zu peinigen. 

An der einen Seite des freien Platzes steht eine Reihe ele- 
ganter Schiessbuden. Die Vorderseite ist offen ; dort sitzt der Eigen- 
thümer auf der Matte mit einer Reihe zierlich gearbeiteter Miniatur- 
bogen und Pfeile vor sich. Im Grunde des Gemaches sind vor 
einer Drapirung Holzscheiben von der Grösse eines Thalers und 
etwas grössere aufgehängt; die vom breiten Pfeile prallen mit hellem 
Klang davon ab. Einige von uns bemühten sich vergebens die 
Ziele zu treffen, aber der Eigen thümer schoss, dazu angefordert, 
lächelnd und ohne sich von seinem Platze zu rühren ein Dutzend 
Pfeile hintereinander auf die thaler2n*osse Scheibe. Es sah aus wie 
ein magnetisches Kunststück, denn der Schütze schien nicht einmal 
zu zielen, sondern legte nachlässig und fast olme hinzusehen einen 
Pfeil nach dem anderen auf die Sehne. 

Der bunte Jahrmarkt des Kuannon- Tempels ist sehr anzie- 
hend und bot bei jedem späteren Besuche neue Unterhaltung; er 
scheint das ganze Jahr durch zu währen und ein Hauptvergnügungs- 
ort fiir die Bewohner der Hauptstadt zu sein. Bunte Gruppen 



344 Kunstgärtnerei. Der 0-oava. V. 

beleben die schattigen Plätze, geputzte Frauen und Kinder wan- 
deln die bunten Buden entlang, oder futtern Hühner und Tauben, 
die hier zur Belustigung des Volkes in grossen Schwärmen gehalten 
werden; überall sitzen Verkäuferinnen mit wohlfeilem Futter. 

Wir zogen uns endUch, des Getreibes müde, in einen am 
Rande des Grundstückes gelegenen Theegarten zurück, dessen 
hübsche Anlagen einen weiten Blick auf das freie Feld bieten, — 
denn man befindet sich hier am nordlichen Rande der Stadt. Mit 
diesem Theehause ist eine Kunstgärtnerei verbunden, in welcher 
damals unter anderen schönen Topfgewächsen ein Baumfarren von 
vier Fuss Höhe zum Verkauf stand. — Unsere Betto's gingen von 
AsAKSA aus mit den Pferden zurück; wir selbst setzten uns bei der 
Brücke in Boote und fuhren den O - oava hinunter. Die Boote sind 
bedeckt und wie alles Japanische von der saubersten, ja von zier- 
Ucher Arbeit; sie haben keinen Anstrich sondern die natürhche 
helle Holzfarbe, und sind mit Streifen und Buckehi von Kupfer 
sauber gefugt, die im Wasser gehenden Theile aber schwarz ge- 
brannt. Die Ruder haben an der Stelle, wo sie auf dem Pflock 
liegen, eine leichte Biegung, und werden von den stehenden Ruderern 
hin- und herbewegt, aber niemals aus dem Wasser gezogen, was 
einen schnellen und gleichmässigen Lauf erzeugt. Die Bauart dieser 
Boote wird von den Seeleuten sehr gerühmt; sie haben einen flachen 
Boden, sollen trotzdem aber schnell und sicher sein, was man den 
japanischen Dschunken eben- nicht nachrühmen kann. Letztere 
müssen seit dem Verbot nach dem Auslande zu fahren alle nach 
Vorschrift mit off*enem Hintertheil gebaut werden; sie haben nur 
einen unmerklichen Kiel, können die hohe See nicht halten und 
sind nur zu Küstenfahrten tauglich, wo denn bei schlechtem Wetter 
gleich ein schützender Hafen gesucht wird. Ihre Gestalt ist plump 
und alterthümlich, mit hohem Hintertheil und abschüssigem Verdeck: 
in der Mitte steht der Hauptmast mit einem einzigen grossen SegeL 
das aus mehreren senkrecht laufenden Bahnen schweren ^aum- 
wollenzeuges zusammengeschnürt ist; die Luft streicht frei durch 
die Zwischenräume. Statt vne die westlichen Nationen ihre Sesrel 
von oben zu reflen kürzen die Japaner sie von der Seite durch 
Entfernung eines oder mehrerer Streifen. Gebläht sieht solch Segel 
recht malerisch, etwas steppdeckenartig aus; im Hafen wird es mit 
Strohmatten umwickelt. Das Steuerruder ist sehr plump, hängt in 
Seilen und kann aus dem Wasser gehoben werden. Die Dschunken 



V. Bootsfalirt. Gobiako- Lakan. 345 

werden so wenig angestrichen als kleinere Schiffe, sehen aber trotz- 
dem immer reinlich und neu aus: man findet kaum ein verwittertes 
Fahrzeug. 

Wir glitten sanft den Strom hinab, unter den vier grossen 
immer sehr belebten Brücken hindurch; der Verkehr auf dem Fluss 
scheint unbedeutend zu sein. Seine Ufer sind streckenweise mit 
breiten Quais gesäumt; am westlichen hegen, recht in das Wasser 
hineingebaut, viele Waarenspeicher und feuerfeste Packhäuser. — 
Am Ausflusse des 0-gava ankerten bei dem Marine -Arsenal zahl- 
reiche Dschunken. Die Fahrt wandte sich nun rechts dem Seeufer 
entlang, an grünen Batterieen und dem Sommersitze des Taikün 
vorbei, dessen Gärten hinter Rasenwällen versteckt hegen. Weiter- 
hin bogen die Boote in einen Einschnitt ein , wo uns am Landungs- 
platze die Pferde erwarteten und schnell zum späten Mittagsmal 
nach Akabane trugen. 

Ein anderes Mal ritten wnr nach Gobiako - Lakan , dem 
Tempel der fünfhundert Bildsäulen, welcher jenseit des 0-oava in 
einem abgelegenen Theile des Hondzo liegt. Der Weg führt zuerst 
durch das Handelsquartier, dann über eine der grossen Pfahlbrücken. 
Die Strassen des Hondzo sind weniger belebt als die der gegenüber- 
liegenden Stadttheile; man kommt an grossen Holzplätzen vorbei, 
dann auf ganz unbebaute Strecken, wo die Strassen nur abgesteckt 
sind und der Blick in weite Feme schweift. Gobiako -Lakan liegt 
so zu sagen auf freiem Felde. Der Haupttempel ist durch ein Erd- 
beben arg zusammengerüttelt und alle Bretter so kreuz und queer 
durcheinandergeschoben, dass man kaum begreift, wie sich der 
Bau noch aufrecht hält; die Aufstellung der fünfhundert Buddabilder 
in einem anderen Gebäude scheint nur provisorisch zu sein. Man 
tritt in eine schmale Gallerie, die, nach dem Lineren des Gebäudes 
offen, sanft ansteigend an den Wänden hinführt. Hier stehen die 
Bildsäulen mit dem Rücken gegen die Mauer; sie sind meist ver- 
goldet, von Holz oder Bronze, unter TiCbensgrösse , und stellen den 
indischen Gott in allen möglichen Eigenschaften und Situationen 
dar. Manche sind vielarmig, die Hände halten dann jede ein beson- 
deres Symbol seiner Macht oder Thätigkeit. Von der ernsten 
plastischen Schönheit der älteren japanischen Bronzestatuen des 
Budda findet sich in diesen Bildwerken wenig; sie sind gechickt 
gearbeitet, aber von geringem Kunstwerth. — In einer Ecke des 
Tempelhofes steht das geräumige Wohnhaus der Bonzen, wo wir 



346 Tempel im Uoiidzo. Verkehr mit den Gesandtschaften. VI 

freundlich aufgenommen und mit Thee bewirthet wurden ; wir sassen 
umgeben von einem dichten Menschenhaufen, der sich albnälich 
aus der Nachbarschaft angesammelt und bis in die Zimmer gedrängt 
hatte. Es erregte hier grosses Gelächter, als wir die Pferde von der 
linken Seite bestiegen. Der Rückweg wurde in der Dämmerung 
zurückgelegt, und der Tokaido war so voll dass man nur Schritt 
reiten konnte. 

Ein anderer Tempel im nördlichen Theile des Hondzo ist 
durch seinen Eingang merkwürdig. Man tritt durch das Portal in 
einen viereckigen Vorhof, dessen Areal ein Wasserbassin fast ganz 
ausfüllt; darin liegen im Radius der ganzen Anlage zwei Inselchen, 
durch Brücken mit einander und mit den Ufern verbunden. Der 
grade Weg nach dem Tempel liegt über diese Brücken, von denen 
die äusseren so hoch gewölbt sind, dass man nur darüber klettern 
kann; der gezimmerte Brückenbogen bildet einen vollständigen 
Halbkreis. Glücklicherweise für Solche, die Turnübungen nicht 
lieben, führt ein schmaler Gang längs den Seiten des Hofes um 
das Bassin herum. — Die Bonzen und die zugeströmte Bevölkerung 
waren auch in diesem von Fremden noch nicht besuchten Tempel 
sehr neugierig und höflich. 

So verstrich die zweite Hälfte des September; der Gesandte 
verkehrte viel mit den Herren Harris und de Bellecourt, welche 
im Stande waren mancherlei Aufschlüsse über das Land und seine 
Zustände zu geben. Heusken begleitete den Grafen Eulenbui^ 
täglich auf seinen Spazierritten und bUeb dann gewöhnlich zu Tisch 
und den Abend über in Akabane. Auch der Umgang des Abbe 
Girard, eines viel gereisten kenntnissreichen Mannes, der lange auf 
den Liu - Kiu - Inseln gelebt und sich mit dem Studium des Japa- 
nischen beschäftigt hatte, war sehr lehrreich und erfreulich. Wir 
fanden bei den Vertretern von Frankreich und Amerika erwünschte 
Gelegenheit, durch Anschauung der von ihnen gesammelten kunst- 
reichen Arbeiten und Landesproducte unsere Kenntnisse zu erweitem ; 
sie bewirtheten die preussische Gesandtschaft mehrfach in ihren 
Tempeln. Der Koch des Herrn von Bellecourt, ein Chinese, hätte 
sein Glück in Paris machen können, und die heitere Laune des 
Wirthes, der seine Verbannung aus dem schönen Frankreich mit 
jovialer Schwermuth trug, erhob das Gastmal zu einem wahren 
Feste. — Bei einem von Herrn Harris gegebenen Frühstück pro- 
ducirten sich Jongleure , welche das Unglaubliche und Unbegreifliche 



V. Sdimetteriings - nnd Kreiselspiele. — Die Vertrags - Aussichten. 347 

leisteten. Besonders anziehend sind ihre Kreisel- und Schmetterlings- 
spiele; bei letzterem lässt der Jongleur zwei durch einen Seidenfaden 
verbundene Stückchen Papier durch die Bewegungen seines Fächers 
das Flattern und Spielen zweier Schmetterlinge so tauschend nach- 
ahmen , dass^ man es wirklich zu sehen glaubt : ein sehr anmutliiges 
Kunststück, das sich bei stiller Luft auch im Freien ausfuliren lässt 
und dann gewöhnlich damit schliesst, dass einer der Schmetterlinge 
hoch in die Luft gejagt wird und sich, langsam herabsinkend, auf 
eine von dem Jongleur gehaltene Blume niederlässt Die Kreisel- 
spiele erfordern einen grösseren Apparat, sind aber sehr künstlich 
und sinnreich erfunden; der Jongleur lässt den Kreisel von der 
Hand über den Arm, über Schultern und Rücken bis in die andere 
Hand hinablaufen und mit xmglaublicher Geschicklichkeit die wunder- 
samsten Sprünge vollfuhren. 

unterdessen wurden die Aussichten auf den Vertrag wenig 
besser ; die Regierung fuhr fort die fremden Vertreter zu versichern, 
dass sie jetzt keine weiteren Handelstractate abschliessen könne. 
Die am" 21. September eintreffende Nachricht von der Einnahme 
der Takü- Forts und Tientsin's durch die englisch -französische 
Armee machte gar keinen Eindruck ; offenbar wirkte das Schreckbild 
eines auswärtigen Krieges nicht mehr wie früher, die Regierung des 
Taikün fürchtete wahrscheinlich einen Aufstand der Daimio*s mehr 
als alles Andere. Graf Eulenburg hatte die Bunyo's bei ihrem Besuche 
am achtzehnten ernstlich aufgefordert, ihm den definitiven Bescheid 
der Minister bald mitzutheilen; sie erschienen schon am einundzwan- 
zigsten wieder in Akabane, sagten ^ eine schriftliche Instruction in 
der Hand, nochmals alle schon zum Ueberdruss wiederholten Argu- 
mente her, um den Gesandten von der Unmöglichkeit des Vertrags- 
abschlusses im gegenwärtigen Moment zu überzeugen , und äusserten 
schliesslich die Bitte irgend ein Auskunftsmittel zu finden, welches 
die japanische Regierung der unangenehmen Nothwendigkeit enthöbe, 
die Anträge des Gesandten zurückzuweisen. Graf Eulenburg hatte in 
der Unterhaltung am achtzehnten , um sich der asiatischen Auffassung 
anzupassen, ein Gleichniss gebraucht: Vier Personen hätten mit 
einer fünften Freundschaft geschlossen, und diese erkläre ihnen, dass 
sie gei*n auch noch mit anderen anständigen Leuten Bekanntschaft 
machen würde. Die vier Freunde erzählten das einer anderen 
Person, und versprächen entgegenkommende Aufnahme, wenn sie 



'348 Unterredungen mit den Bunyo's. V. 

ein Freundscliaftsverhältniss mit jener fünften suchen wolle. Der 
Antrag werde demgemäss gemacht, aber zurückgewiesen, — ob das 
nicht eine offenbare Kränkung, eine Beleidigung auch für die an- 
deren Freunde sei? — Die vier Personen stellten Amerika, Eng- 
land, Frankreich, Russland vor, die fünfte Japan, die sechste 
Preussfen u. s. w. Dieses Gleichniss nahmen die Bunyo's jetzt wieder 
auf und behandelten es mit ausschweifender Breite während einer 
ganzen Stunde. Sie gaben dem Gesandten Recht, so wie er es 
hingestellt habe; wenn aber die fünfte Person krank sei und die 
sechste wissen lasse, sie könne sie vor der Hand nicht empfangen, 
ihr Besuch und nähere Bekanntschaft werde aber erwünscht und 
angenehm sein, sobald sie wieder genesen, — dann verlöre die 
Zurückweisung alles Beleidigende, und die sechste Person würde 
grausam sein, wenn sie die fünfte in ihrer Krankheit belästigte und 
ihr Schaden brächte um sich Eingang zu verschaffen. Der Gesandte 
erwdederte scherzhaft, die fünfte Pei*son scheine nach ilirer Auffassung 
durch den Umgang der vier anderen krank geworden, und ob ihm 
wohl gestattet sei den Gesandten der Vertragsmächte mitzutheilen, 
dass Japan sich durch ihre Berührung angesteckt glaube; dagegen 
remonstrirten sie lebhaft, »die Krankheit Japans habe sich nicht 
durch Ansteckung, sondern aus seinem Inneren entwickelt, sei aber 
deshalb nicht minder bedenkUch«. 

Die ganze Unterredung blieb ohne Resultat, und da die 
BüNYo's nur des Ministers Werkzeuge und ihre Ueberzeugungen in 
der Sache von gar keinem Gewicht waren, so beschloss der Ge- 
sandte sich weiter keine Mühe mit ihnen zu geben, und erklärte, 
zwar ihren Besuch zu jeder Zeit gern empfangen, über geschäftliche 
Dinge aber nicht mehr mit ihnen reden zu wollen, bis sie mit Voll- 
machten zu den Vertragsverhandlungen versehen wären; es sei eine 
neue Besprechung mit dem Minister nothwendig. Die Bünyo's ver- 
sprachen nach den gewöhnlichen Redensarten, — dass ihr Chef 
sehr beschäftigt und dass in den nächsten Tagen wieder ein Fest 
sei , — dem Minister Vortrag halten und die Botschaft des Gesandten 
überbringen zu wollen. — Sie griffen, sichtlich vergnügt dass die 
geschäftliche Unterredung beendet war, zum Champagnei^lase und 
Gebäck, von welchem wieder ein Theil in ihre Aermel wanderte. 
Besonders der gute SakaY strich sich behaglich den Bauch und 
that viele neugierige Fragen nach unseren Vornamen , unserem Alter. 
Den Namen Bunsen aussprechend meinten sie lachend, so hiessen 



V. Neue Eröffnung. 349 

bei ihnen die Gelehrten (Bonzen). Das Alter riethen sie immer zu 
jung, — die Japaner sehen im Verhältniss viel älter aus. Sakai war 
43, Hori-Oribe 41, Moriyabia nur 38 Jahre alt. Letzterer behaup- 
tete, die vielen »Sachen«, Geschäfte hätten ilm so alt gemacht. 

Am vierundzwanzigsten erschienen die Bünyo's Avieder, um 
anzusagen, dass der Minister den' Gesandten erst am 4. October 
empfangen könne. Im Laufe des Gespräches ersuchte sie Graf Eulen- 
burg, unseren Naturforschern den Umgang mit den japanischen 
Gelehrten zu ermöglichen, da beide Theile durch den Austausch 
ihrer Kenntnisse viel gewinnen könnten; sie lehnten das aber mit 
der bescheidenen Entschuldigung ab, dass ihre Naturkundigen 
durchaus nicht auf gleicher Stufe mit den europäischen ständen: 
in Yeddo gäbe es überhaupt nur Dilettanten, die Männer von Fach 
seien in den Provinzen bei den Bergwerken u. s. w. angestellt. Die 
Frage des Gesandten, ob IIumboldt*s Namen in Japan bekannt sei, 
verneinten die Bünyo's, schrieben ihn aber sogleich mit Hinzufügung 
von Notizen auf und lernten ihn aussprechen. — Als das Gespräch 
auf unsere häufigen Ritte kam, erzählte Sakai, dass sie selbst in 
ihren Gärten spazieren ritten und sich auf der Strasse nur bei 
Feuersgefahr zu Pferde setzten, zuweilen auch, wenn sie grosse 
Eile hätten, bei weiten Excursionen; übrigens erlaubten ihnen die 
Amtsgeschäfte nicht sich aus Yeddo zu entfernen, sie lebten jahr- 
aus jahrein in der Stadt. Nach dem Durchschnittspreise eines guten 
Reitpferdes gefragt wussten sie darüber nichts zu sagen: wenn ein 
vornehmer Mann Gefallen an einem Pferde finde, so zalüe er was 
man ihm abfordere. -— 

Wenige Tage nach dem Besuche der Bunyo's hatte der 
amerikanische Minister -Resident eine Unterredung mit Ando-Tsus- 
sima-no-Kami, welcher sich bereit erklärte der preussischen Re- 
gierung ein schriftUches Versprechen zu geben, dass der Vertrag 
mit ihr geschlossen werden solle, sobald die öffentliche Meinung sich 
beruhigt hätte. Von dieser Zusage bis zum wdrkUchen Eingehen auf 
Unterhandlungen war nur ein kleiner Scliritt, zu dem sich die japa- 
nische Regierung bald möchte entschlossen haben, wenn sie nicht 
kurz zuvor dem englischen Gesandten versprochen hätte auch mit 
der Schweiz und Belgien abzuschliessen, sobald irgend einem an- 
deren Staate Zugeständnisse gemacht würden. Die englische Re- 
gierung hatte die Anträge dieser Mächte durch ihren Gesandten 
unterstützt, aber nicht durchgesetzt; es war das erste Mal, dass 



350 Zusammenkunft mit Ando-Tsus-sima-no-Kami. V. 

Japan derartige Zumudiungen westlicher Mächte mit Erfolg zurück- 
wies; nun standen ihr aber diese beiden Tractate als unumgängliche 
Folge des preussischen wie Schreckbilder vor Augen und diese 
Aussicht bestärkte sie offenbar in ihrem zähen Widerstände. 

Am 1. October liess der Minister des Auswärtigen den Ge- 
sandten ersuchen, schon am folgenden Tage, statt am 4. October, 
zu ihm zu kommen und nur ein kleines Gefolge mit.zubringen, das 
bei der Conferenz gegenwärtig sein könne; er bat ferner dass 
unsere Flagge vor dem Palais bleiben und nicht, wie das erste 
Mal, in den Vorhof gebracht werden möge; das sei gegen den 
japanischen Gebrauch, dem sich die anderen Gesandten bisher 
gefugt hätten. Der grade in Akabane anwesende Herr von Belle- 
court bestätigte diese Aussage, und so liess der Gesandte dem 
Minister entbieten, dass er seine Wünsche erfüllen werde. 
2. Octbr. Der Empfang war ähnhch wie das erste Mal. Draussen vor 

dem Palais standen längs der ganzen Ausdelmung der Strassenfront 
gleichgekleidete Hausofficianten mit weissen Stäben in abgemessenen 
Entfernungen. Am Portal empfing Moritama, im Vorzimmer die 
BüNYo's. Bei Ando-Tsüs-sima-no-Kami fand der Gesandte wieder 
den ihm von der ersten Conferenz bekannten Staatsrath aus der 
Versammlung der »Jungen alten Männer«. Der andere Minister 
Wakisaka - Nakatsukasa - NO - Tayun , hiess es , sei noch immer 
krank; nach der Ansicht der Europäer war derselbe in Ungnade 
gefallen. 

Die Conferenz dauerte drei Stunden; der Minister war in 
seinem Wesen weniger förmlich und zurückhaltend als das erste 
Mal und wiederholte mehrfach das Anerbieten eines schriftUchen 
Versprechens, liess sich aber zu keinem weiteren Zugeständniss 
bewegen. Die alten Argumente wurden abermals aufgetischt: die 
Nachtheile, welche die Verträge bisher dem Lande gebracht hätten, 
die dadurch herbeigeführte Aufregung im Volke, welche besonders 
seit Abschluss des Vertrages mit Portugal hervorgetreten wäre, die 
Unmöglichkeit so viele MilUonen in kurzer Zeit von den künftigen 
Vortheilen des Fremdenverkehrs zu überzeugen. Als Graf Eulenbui^ 
dem Minister die in den Additional- Artikeln vom 30. Januar 1856 
und in einem amthchen Schreiben des folgenden Jahres gegebenen 
Versicherungen vorhielt, dass dem Eingehen von Verträgen mit 
anderen Nationen und selbst mit Portugal kein Hindemiss im Wege 
stehe, wurden diese Documente herbeigeholt. Ando - Tsus - sibia aber 



V. Die Unterredung. 351 

erklärte, dass alle Bestimmungen dieser Convention durch den 
Abschluss der späteren Verträge ausser Kraft gesetzt wären. Auch 
seine eigene mündliche Zusage an Herrn Harris, mit Preussen ab- 
zuschliessen , sei nur eine ganz allgemeine gewesen; die Regierung 
weigere sich auch durchaus nicht in Vertragsverhältnisse zu treten, sei 
im Gegentheil bereit zu einem schriftlichen Versprechen, könne 
aber unmöglich im gegenwärtigen Augenblick weiter gehen und 
müsse auf dieser Antwort beharren. Im Eifer des Gespräches ergriflF 
Ando - Tsus - siMA. den vor ihm stehenden Feuerbecher, — ein zum 
Rauchapparat der Japaner gehöriges Geräth von Bronze, in welchem 
unter feiner Asche eine Kohle zum Anzünden der Pfeifen stundenlang 
fortglimmt, — und sagte, Japan sei wie dieser Becher; das Feuer 
im Inneren glühe fort und fort und verzehre den Inhalt, äussere 
Flammen aber könnten dem Gefässe und seinem Inhalt keinen Schaden 
thun. Das innere Feuer drückte »die öflFentliche Meinung« aus, die 
äusseren Flammen das Andringen der fremden Mächte, — Krieg. 
Dies war in der That der richtige Ausdruck für die Anschauung 
der Regierung; die Furcht vor Verwickelungen mit dem Auslande 
hatte sich gelegt, man glaubte selbst ausgesprochenen Drohungen 
nicht mehr, da sie niemals von thätigen Aeusserungen der Macht 
begleitet wurden, da femer eine Depesche vom engUschen Minister 
des Auswärtigen in die OeffentUchkeit gelangt war, in welcher der 
brittische Gesandte wegen der Androhung kriegerischer Maassregeln 
einen Verweis erhielt. Das Gefühl überrumpelt worden zu sein 
machte die japanische Regierung jetzt doppelt zähe, und die frühere 
Nachgiebigkeit schlug in starre Zurückhaltung um. Man suchte 
sich auch den eingegangenen Verpflichtungen zu entziehen, und 
fand in dem Benehmen der fremden Ansiedeier, in der Vertheuerung 
der Lebensmittel und der politischen Aufregung alle Veranlassung 
dazu. Der Minister sprach in seinem Gleichniss ganz deutUch aus, 
dass er sich vor äusseren Zerwürfnissen nicht fürchte. Dass aber 
seine Besorgniss vor geföhrlichen inneren Spaltungen nicht tmbe- 
gründet war, haben die neuesten Ereignisse deutlich bewiesen. 
Ando - Tsüs - siMA selbst wurde später — im Januar 1862 — wegen 
seines gemässigten Auftretens gegen die Fremden von acht fanatischen 
Bravo's auf der Strasse angefallen; es gelang ihm glückhcher Weise 
aus dem Norimon zu springen und sein Schwert zu ziehen, er erhielt 
aber im Handgemenge kämpfend einen Hieb in das Gesicht und 
einen Lanzenstich in den Rücken, der nahezu tödtlich geworden 



352 Schlu8s. V. 

wäre , — und durfte bald daraufsein gefahrliches Amt niederlegen **). — 
Zur Zeit unserer Anwesenheit ahnte wohl Niemand dass die Sachen 
so ständen; die fremden Vertreter wollten noch immer nicht an die 
Gefahr innerer Zerwürfnisse glauben und schoben in jenem Augen- 
bUck den starren Widerstand des Ministers zum Theil auf die 
neuesten Nachrichten aus China. Dort hatte man den Krieg durch 
die Einnahme von Tientsin und den Taku- Forts beendet geglaubt, 
als die Cliinesen Verrath übten und man den Feldzug von neuem 
beginnen musste. MögUch dass die japanische Regierung von dieser 
Lage der Dinge unterrichtet war und an dem Unterliegen der Ver- 
bündeten noch nicht verzweifelte. 

Der Gesandte wies jedes Anerbieten formeller schriftlicher 
Versprechungen als poUtisch wertlilos zurück, und schützte endUch, 
um nicht zu einem ungünstigen Abschluss zu gelangen, Ermüdung 
vor, mit dem Erbieten, dem Minister seine Entgegnungen schriftlich 
zugehen zu lassen, um dann auf Grund derselben weiter mündlich 
zu verhandeln. Ando-Tsus-sima wollte wieder einwenden, dass 
er zu häufigen Conferenzen zu beschäftigt sei imd sein letztes Wort 
gesprochen habe; Graf Eulenburg bewies üim aber, dass mit dem 
Amte eines Ministers des Auswärtigen die Verpflichtung verbunden 
sei, den fremden Gesandten Rede zu stehen, worauf sich Jener 
bequemte ihm eine ß^bermaUge Zusammenkunft zuzusagen. 

^*) Alle früheren Mordanfalle in Japan wurden mit der blanken Waffe vollführt; 
bei dem Angriff auf Ando-Tsus-sima wurden zuerst Schusswaffen gebraucht, ein 
Umstand, der ihm vielleicht das Leben rettete. Die Bravo's streckten erst durch 
einen Pistolenschuss einen seiner Trabanten nieder, ehe sie einhieben, dadurch ge- 
wann der Minister Zeit aus der Sänfte zu springen; er schlug sich mit grosser 
Bravour. Von den acht Bravo's blieben sieben auf dem Platze; der achte ist ent- 
kommen. 



Ende des ersten Bandes. 



Berlin, gedruckt in der Königliclien Geheimen Ober- Hofbuchdruckerei 

(R. ▼. Decker). 



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