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Full text of "Die primitive cultur des turko-tatarischen volkes, auf grund sprachlicher forschungen erörtert"

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DIE PRIMITIVE CULTTIR 



DES 



TURK0-TATARI8CHEN VOLKES 



AUF GRUSD SPllAClILlCllElt FORSCHUSfiEX 



KRORTKRT VOS 



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HERMANN YAMBERY, 



OBDE5TIiICHXM PR07M80K DKB ORIKNTAL.X8CHaiI BPBAOHKIT UND LITXRATUBRN 
AH DBK KÖNIQLICHBN UNIVKBSITÄT ZU BUDAPEST. 




LEIPZIG: 
F. A. BROCK II AUS, 

1879. 



Das Kecbt der Uebersetzung. ist vorbehalten. 



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MEINEN FREUNDEN UND FACH6BN0SSEN 



I)KN HKBRKK 



J. W. REDHOU8E 



UND 



A. PAVET DE COUirrEILLE 



WIDMK ICH DIESE BJ.ATTEB. 



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Vorwort. 



In den Sclilnsszeilen des Vorwortes zu iiipinem „Ktymo- 
togischen Wörterbiiche der tuiko - lata n scheu Sprachen" 
(Lei'iinig 1 y78) habe icli darauf hingedeutet, d&es bei genauer 
Betrachtung des etymologischen Verhältnisses der einzelnen 
Wortfamilien die culturgeechichtliclieu Momente des turko- 
tatarischen Volkes sich einem so zn sagen aufdrängen, und 
dass ich auf diesen Tfaeil meiner Studie nur deshalb nicht 
Rücksicht genommen , weil ich die hierauf bezüglichen 
Betrachtungen iti einer selbständigen Schrift, die nicht 
nur für den Turkologen, sondern auch für den Anthro- 
pologen, ja vielleicht sogar für einen grössern Leserkreis 
Interesse haben mag, zu veröffentlichen gedenke. 

Diesem Versprechen soll nun in vorliegenden Blättern 
nachgekommen werden. Beide Arbeiten ergänzen sich 
einander insofern, als die etymologische Darstellung die 
linguistischen Argumente der hier vorgebrachten cultur- 
geschiohtlicben Daten liefert, demzufolge denn auch von 
jeder fernem Beweisführung abgesehen und auf den be- 
treffenden Abschnitt des „Etymologischen Wörterbuch" 
hingewiesen wurde. 

Ich will ferner nicht unerwähnt lassen, dass neben 
diesem Motiv eine ähnliche, ebenfalls auf dem Gebiete 
der Ural - altai sehen Sprachen erschienene Arbeit, nanilich 



VIII 



„Die Ciiltiirwürter der westfinniseiiea Sprachen" von' 
Dr. August Ählquist (Uelsingfors ISTS-), auf das Zu- 
ataiidekoniDieii dieser Schrift nicht ohne EiDäuss gewesen 
ist. Sobald ich das Buch des verdienstvollen fiunischen 
Gelehrten iu die Hand genommen hatte, begann ich mich 
mit Ve rg 1 eich nn gen über die primitive Ciiltur der West- 
finnen und der Turko-Tataren zu beschäftigen, und obwol 
erstgenannter Theil der ural-altaischen Rasse durch die 
Anuahme einer grossen Anzahl von Lehn- und Fremdwör- 
tern mit dem durch und durch echt und genuin gebliebe- 
nen innerasiatischen Türken den Vergleich kaum aushalten 
kann, so hat dennoch die hier und da sich zeigende Con- 
gruenz mir mehr als einen nützlichen Wink gegeben, 
Herrn Dr. Ählquist bin ich jedenfalls zu Dank verpflichtet. " 

Was das Sprachmaterial anbelangt, so sei hier nur in 
Kürze erwähnt, dass gegenwärtiger Studie folgende ural- 
altaische Sprachen zu Grunde liegeu : Osmanisch (osm.), ca- 
gataisch (cag.), uiguriach (uig.), kirgisisch (kirg.), kazanisch 
(kaz.), altaisch (alt), tschuvaschisch (cuv.), koibal-karaga- 
sisch (k.k.), jakutisch (jak.), azerbaiÄanisch (az.), turkoma- 
nisch (trkm.), mongolisch (mong.) imd magyarisch (magy.). 
A'"on den arischen Sprachen ist, neben den aus Cnrtius' 
„Grundzüge der griechischen Etymologie" (Leipzig 1858) 
entnommenen Beispielen, auf dag Slawische im allgemeinen, 
auf das Neupersische und Tadschikische Bezug genommen, 
während von den semitischen Sprachen zucneist das Ara- 
bische berücksichtigt worden ist, 

Budapest, im Januar 1879. 

Herniann Vämberv. 



i 
I 



Inhalt. 



Seite 
Vorwort vii 



Einleitung 1 

I. Der Mensch und der menschliche Körper 51 

II. Geschlecht und Altersstadien 59 

III. Die Familie 64 

IV. Haus und Hof 73 

V. Hausger&th, Kleider und Stoffe 79 

VI. Speisen und Getränke 90 

Vn. Jagd und Ackerbau .* 99 

VIII. Handel und Gewerbe 105 

IX. Die Waffen 11(5 

X. Krieg und Friede 121 

XI. Stände und Kegierung 131 

XII. Poesie, Musik, Tanz und Spiel 141 

XIII. Welt, Himmel, Sterne, Sonne und Mond 149 

XIV. Witterungsverhältuisse und Himmelserscheinungen . . . 164 
XV. Land und Wasser 169 

XVI. Das Thierreich 184 

XVII. Das Pflanzenreich 211 

XVIII. Die Farben 224 

XIX. Gott und Religion 237 

XX. Sittliche und abstracte Begriffe 255 

Wort- und Sachregister 271 



Einleitung. 



I. 

-LtliDograpfaie oder Philologie, der körperliche Habitus 
oder die menschliche Sprache, welches ist wol der Stoff, 
aus dem wir die beste Leuchte im diinkelii Labyrinth dcr 
StammesgenoBseD Schaft der Völker erhalten? Diese Frage 
wird allerdings hier nicht zum ersten mal aufgeworfen, 
nicht zum ersten mal wird ihre grosse Wichtigkeit betont, 
und in der That wird die Wissenschaft wenig Probleme 
aufweisen können, zu deren Lösung die einzelnen Theo- 
rien sich so schroff einander gegenüberstehen, und die 
hier bejahend, dort verneinend auftreten, wie eben bei 
den Forschungen anf dem Gebiete des gegenseitigen Ver- 
hältnisses der einzelnen Abtheilungen des Menschenge- 
schlechtes. Nach deu mannichfachen Wahrheiten, welche 
die Linguistik bis heute beleuchtet hat, wird es selbst- 
veratändHch niemand mehr einfallen, bei der Elnthei- 
lung des Menschengeschlechtes in Hauptklassen — wir 
mögen hier Blumenbach's Fünfer- oder Cuvier's Dreier- 
System oder Peschel's und Friedrich Miiller's Theorien 
befolgen — die Sprache nicht als jenen Factor anzu- 
erkennen, welcher bei der Grenzbestimmung der Haupt- 
rassen unbedingt berücksichtigt werden muss. Man müsste 



geradezu blind sein, um trotz des physiologischen Unter- 
schiedes, der bezüglich der Hautfarbe, der Schädelbil- 
dnng, des Gesichts aus drucke s und des Körperbaues zwi- 
schen Hindustanern , Persern, Slawen, Germanen und 
Romanen besteht, das Band der engen Verwandtschaft 
nicht wahrzunehmen, welches diese, heute unter ao ver- 
schie denen Klimaten lebenden Mitglieder der grossen 
arischen Familie vereinigt. Wenn daher trotz der Diver- 
genz in den physischen Merkmalen das Licht der 
Philologie bei der versuchten Aufklärung der Dunkelheit 
uns zu Hülfe kommt, ao dürfen wir andererseits wieder 
nicht die sprachlichen Beweise ala alleinseligmachend hin- 
stellen, denn worin die Ethnographen und Philologen bis 
heute entschieden gefehlt haben, das ist unsers Erachtens 
nach die allzu stramme Exchiaivitat in ihren diesbezüg- 
hchen Theorien, d. h. ihr Nichtbeachten der vollen Evi- 
denzkraft des gesamniteu Materials der Beweiagründe. 
Einseitigkeit ist überall, hier aber am meisten schädlich, 
und um auf die aus besagtem Fehler resultircnde Con- 
iusion nur einigermassen hinzudeuten, wollen wir auf 
beide Theorien einen fliichtigen Blick werfen. 

Wer längere Zeit unter verschiedenen Völkern gelebt, 
mit deren physischen und geistigen Eigenheiten sich ein- 
gehend befasst, und wer namentlich jenen Erscheinungen 
seine Aufmerksamkeit zugewendet hat, die bei Heimats- 
wecbsel, bei Veränderung des Klimas und der Lebens- 
weise beim Menschen zum Vorschein kommen, der wird 
wol bald zur Ueberzeugung gelangen, wie sehr der mensch- 
liche Körper eben jenen äusserlichen und innerlichen Um- 
gestaltungen unterliegt, und unterliegen mnss, denen die 
Thiere und Pflanzen bei ihrer Uebersiedelung vom hei- 
matlichen Boden unter einen fremden Himmelsstrich aus- 
gesetzt sind. 

Man erlaube mir in dieser Beziehung einige Beispiele 



I 



I 



I 



das 



■Täeel 



anzufuhrcD. Ich habe vor vierzebo Jahren aus Mittelasien 
einea jungen Oezbegen und mehrere Sackchen Samen- 
körner der an den Ufern des Oxua in so vorzüglicher 
Weise gedeihenden Metonenarten mitgebracht, in der 
Hoffnung, letztere in den Sandboden der ungarischen Nie- 
derungen zu verpflanzen. Die Melonen waren nur im 
ersten Jahre an Farbe und Grösse, aber nicht an Ge- 
schmack gleich, im dritten und vierten Jahre hingegen 
waren sie schon gänzlich entartet. Aber auch am jungen 
Oezbegen vom untern Oxuslanfe sind so manche durch 
das fremde Klima und veränderte Lebensweise hervorge- 
rufene physische Merkmale zu bemerken. Die Contouren 
seines Gesichtes sind im Vergleiche zu den scharfeckigen 
Zügen seiner Landelente rund geworden, und besonders 
auffallend ist sein starker Bartwuchs, der möglicherweise 
eine Ursache des in Chiwa ungebräuchlichen, ja durch 
die Religion streng verbotenen Scherens, ihm heute schon 
das Aussehen eines Ungarn verleiht, und unter seinen 

idsleuten würde er entschieden für einen Fremdling 

;esehen werden. 

Centrolasien mit seinem bunten Völkergemisch von 
Ariern, Semiten und Uralaltaiern dünkt uns besonders 
jenes Feld, wo der Ethnolog unter den vorhandenen 
Mischraseen am häufigsten auf Räthsel stossend, einsehen 
wie vorsichtig man überhaupt mit den physiologi- 
len Beweisen umgehen muss, und dass ein befriedigen- 

Resultat nur dann zu erlangen sei, wo als Probirstein 
nicht einzelne, gondern sämmtlicbe Factoren mitgewirkt 
haben. Wenn daher Poesche („Die Arier", S. 8) wol mit 
Kecht die Behauptung aufstellt: „Sprache ist nur ein ein- 
zelnes Moment in der Zahl derjenigen, welche bei Ein- 
tbeilung des Menschengeschlechts in Rassen zu berück- 
sichtigen sind", so würde ich dies auch bezüglich der 
Physiologie thun; denn wenn uns zahlreiche Beispiele zur 



'. eines odeif^H 
vertäu Bchten, .^1 






Verfügung stehen, wo Völker im Verlaufe 
zweier Jahrhunderte ihre Sprache gänzlich vertauBchten, ,1 
90 werden wir nicht minder Gelegenheit haben, auch im 
physischen Leben der Völker ähnlichen Fällen zu begeg- 
nen, wo die allerdings grössere Zeitfrist von Jahrhunderten 
hinreichend war, den Urtypua gänzlich zu verwischen, ja 
dem Menschen jene Merkmale aufzuprägen, die intolge 
der Eigenheiten des Klimas und der Lebensweise an den 
dortigen Autochthoneu zu bemerken sind. 

Wir wollen Gesagtes durch andere Beispiele illustrii 
Die im Chanate von Bochara um Wardanzi und Waf--1 
kend herum ansässigen Araber, Abkömmlinge der Krie*"^ 
ger, welche sich unter Kuteibe dort niedergelassen, die' 
heute durchweg persisch reden, unterscheiden sich nur 
wenig von der dortigen tadschikischen Bevölkerung, Ihre 
Stammesgenossen dagegen im Süden Persiens, die von 
Maskat und Oman dahin einwanderten, weil der klimit--^^ 
tische Unterschied zwischen Südiran und dem Südosten ^H 
der Arabischen Halbinsel kein so wesentlicher ist, mit ^ 
ihren prägnant ausgedrückten Merkmalen der semitischen 
Kasse fallen sofort auf. Von ähnlicher Natur sind unsere 
"Wahrnehmungen bei genauer Betrachtung der Sarten, 
dieser türkisch redenden arischen Ureinwohner Central- ^M 
asiens, die einerseits von ihren arischen Brüdern, den ^ 
Tadschiks, nicht nur in Sprache, sondern auch in Körper- 
bau und Physiognomie sich ebenso sehr unterscheiden, 
als beide zusammen von den Ariern Persiens, andererseits 
aber in dem Masse die markanten Züge des Sartenthums 
verlieren, in welchem sie von dem gemeinsamen Stamme 
am mittlem Jaxartes sich entfernen. Am auffallendsten 
jedoch macht die Veränderung des Klimas und der Lebens- 
weise bei dem türkischen Nomaden sich bemerklich, wenn 
er die heimatliche Steppe verlassend inmitten einer ansäs- 
sigen Bevölkerung sich niederlässt. Ein derartiges Bei-^ 



spiel haben wir in den Oezbegen Centralasiens, deren 
NucleuB aus einer kleinen Anzahl türkiech-mongolischer 
Nomaden besteht, die nach dem Verfall der Goldenen 
Horde im Anfange des 16. Jahrhunderts in den heutigen 
Chanaten sich niederliessen und ihre Zahl durch die im 
Laufe der Zeit von der nomadischen Existenz zur sess- 
haften Lebensweise übergegangenen Turaniem vermehrten. 
Zugestanden nun, dass die Vermischung mit arischem 
Blut infolge der allerdings nur sporadisch vorkommenden 
Heirathen tadschikischer Mädchen und persischer Skla- 
vinnen zur Veränderung der Rasseneinheit wesentlich bei- 
getragen, so wäre dieses allein noch bei weitem nicht 
hinreichend, um den grossen Abstand zu erklären, der 
heute zwischen Oezbegen und türkischen Nomaden sich 
manifestirt , wenn es nicht eben jene Motive wären, die 
aus der veränderten Lebengweise und aus den Bedingun- 
gen eines fremden Himmels und Eodens hervorgegangen. 
Diese Veränderung des physischen Habitus ist oft bei 
der kleinsten Zeit- und ßassenverschiedenlieit nachzuweisen, 
und wir wollen unter auderm auf die in Teheran ansäs- 
sigen turkomanischen Kriegs geissein hindeuten, bei denen 
lan schon in der zweiten Generation Spuren der Rassen- 
änderung entdecken kann, und welche im vierten Ge- 
lecht von den iranischen Türken kaum zu unterscheiden 
sind. Sowie Sonne, Boden und Wasser auf Pflanzen und 
Thiere einen umgestaltenden Einfluss ausüben, so ist dies 
auch beim Menschen der Fall, und wer dem körperlichen 
Habitus in der Frage über die Rassengemeinschaft mehr 
Beweiskraft ziimuthen wollte als der Sprache, wie dies 
Middendorf im vierten Bande seines Reisewerkes gegen- 
über der Behauptung Castren's thut, weil letzterer (S. 12 
in seinen „Ethnologischen Vorlesungen") die Physiologen 
auf einem irretreibenden Meere schweben las st — der 
würde eben in den bei seinem Gegner gerägten Fehler 




verfallen. Die Assimilation der Völkerelemente vollziebu 
sich allerdings nur infolge der anfangs unsteten Lebens-^ 
weise und mir allmählich, doch sie ist eine unbestreitbare 
Thatsache, und weil sie als solche, d. h. als Gegensatz 
zur Stereotypie den physiologischen Argumenten die feste 
Grundlage entzieht, so kann der körperliche Habitus alleiufl 
in der Rassenfrage nicht als ßichtschuur dienen, I 

Diese Unzulänglichkeit der Beweiskraft wird bezüglich 
der Sprache in gleicher Weise evident. Wenn das Phy- 
sikum des Menschen durch den Einfluss eines Fremden 
Klimas und Bodens Veränderungen unterliegt, so ist die 
Sprache, trotzdem sie infolge ihres engen Zusammen- 
hanges mit der Vernunft als Repräsentant des mensch- 
lichen Geistes auftritt, bei regerm Verkehr mit anderaj 
Sprachen, d. h. mit anders gearteten Repräsentanten deal 
menschlichen Geistes, mitunter den grössten Umgestal- ' 
tnugen unterworfen. Wenn Entfernung vom heimatlichen 
Boden und eine grössere Verschiedenheit in klimatischen 
Eigenheiten in Farbe und Formen des menschlichen Kör- 
pers einen Unterschied hervorzurufen im Stande sind, 
wie jener, den wir heute zwischen zwei arischen Stammes- 
genossen in Bengal und in Schweden wahrnehmen, so J 
müssen wir es als ganz natürlich finden, wenn eine räum.- I 
lieh und zeitlich grössere Entfernung vom gemeinsamen ' 
Stamme, und der intensive Verkehr mit einem fremd- 
sprachigen Volke das nationale Redeelement beeiuflusat 
und umgestaltet. Die einzelnen Phasen dieser Umgestal- 
tung hängen natürlich mit dem Zahlengehalt, am meisten 
jedoch mit dem Culturgrade der betreffenden Völker zu- 
sammen. Bei Nomaden, wenn in der Minderzahl, ist die 
Sprache ebenso leicht veränderlich wie die Sitten und 
Gebräuche, und einige Jahrzehnte sind oft hinreichend, 
nm eine starke Imprägnirung mit fremden Elementen zad 
erzeugen, was bei Halbnomaden schon weniger, bei gaiuiJ 




wo 



ihaften aber nur schwer der Fall sein kann. Dalier 
die Kablreicben Beispiele, wo die Spraclio klei- 
nerer Nomadengruppen oft im Verlauf eines einzigen 
Jahrhunderts von der Sprache dee grössorn iimgebcndon 
Nomaden Volkes absorbirt wurde. Wir sahen dies nament- 
lich während des Einfalles der Mongolen in Mittelasien, 
wo einzelne mongolische K rieger häufen , wenn von tür- 
isch oder persisch redenden Elementen eingeschlossen, 
ire Sprache bald aufgaben und heute nur noch an den 
Lmmes- und Geschlecfatsnamen zu erkennen sind. Solche 
eind unter andern die Nöküsz-, Naiman- und Kitai-Ge- 
schlechter der Oezbegen, die früher Mongolen waren, 
heute aber durchweg türkisch reden; ferner die Ilezarea 
zwischen Kabul und Uerat, die trotz ihres historisch be- 
wiesenen mongolischen Ursprungs der überwiegenden 
[ehrzahl nach persisch reden, und bei denen das Mon- 
lische stark untermischt nur bei jener kleinen Fraction 
ich erbalten konnte, die in den minder zugänglichen Ber- 
;n und Schluchten im Nordosten Herats dem gewaltigen 
'omc des arischen Einflusses weniger ausgesetzt waren. 
Als mächtigster Factor bei der Veränderung der 
iprachen wirkt entschieden der fremde Cultureinfluss, in- 
dem er die fremdartigen Producta der menschlichen Ver- 
nunft in jenem Kleide einfühlt, in welchem sie erzeugt 
worden. Wo es sich um Cultureinflüsse bei halb oder 
ganz sesshaften Volk er dementen handelt, dort kann das 
Grnndelement der Sprache nicht mehr so leicht erschüt- 
tert werden, und es hat der fremde Einfluss in den mei- 
sten Fällen nur auf den Wortschatz, seltener auf die 
Sprachformen und auf die Syntax einzuwirken vermocht. 
So finden wir z, B, im heutigen Englischen den Wort- 
achatz mit lateinischen und normannischen Lehnwörtern 
stark gemischt, während das altgermanisch-grammatika- 
liscbe Gebäude beinahe unversehrt sich erhalten hat 



Ebenso liess Bich das Osmanische in seinen grammatika- 
lischen Forme u nicht im mindesten beeinträchtigen, wäh- 
rend in der Literatursprache die arabisch - persischen 
Fremdwörter das Türkische beinahe gänzlich verdrängt 
und selbst die Volkasprache eine Unzahl von Lehnwörtern 
angenommen hat. 

Einer hierauf bezüglichen Ausnahme begegnen wir nur 
im Persischen, und zwar sowol im Neupersischen Irans, 
als im tadschikischen Dialekt Centralasiens, wo in beiden 
Fällen der fremde Spracheiuflass selbst die Grammatik 
angegriffen hat. Man sehe unter andern den Gebrauch 
des affixirten Pronomen possessivum m t s in chancm, 
ckanet, clumes, anstatt des echt iranischen chanvi-men, cha- 
nei-iu, chanä-o oder es; ferner das tadechikische oiba iha 
(dort hinein, hier hinein), wo der Locativsuffix 6a, das 
moderne türkische da nach regelrechter altaischer Art an 
das persische an-in angehängt wurde, anstatt dem echt 
iranischen lieran, ihrin. Sehr auffallend ist ferner im 
Tadschikisch-Persischen der Gebrauch der Partie! pial form 
anstatt des Perfectum, denn sowie der Oezbege liilgen, 
kÜken (er ist gekommen, er ist gegangen) sagt, ebenso 
drückt der Tadschik dasselbe Tempus mit amedcffi, re/tegi 
anstatt amede est und re/te est aus. So wie bei einer theil- 
weisen Veränderung der Sprache der fremde Cultureinfluss 
sich am meisten tbätig zeigt, ebenso gibt bei gänzlicher 
Absorbirung nur Zahlenbest^nd und seltener der culturelle 
oder politische Einfluss den Ausschlag und die geistige 
Superiorität muss immer der materiellen Uebermacht 
weichen. So wie die in Bildung weit vorangeschrittenen 
tränier Centralasiens inmitten der überwiegend türkischen 
Bevölkerung Sarten wurden, d. h. die türkische Zunge 
annahmen, ebenso ist der türkische Stamm der Bulgaren, 
trotzdem er als Eroberer auftrat, in verbältnissmässig 
kurzer Zeit von den an der Donau ansässigen Slawen 



^— Bist 

^^ Tl.. 



slawisirt worden, und so Ut uns den türkis üh-tatarisühen 
ütiunen, die nach Vertreibung aus Pannonien an der 
untern Wolga sich aulliieUeQ und die daselbst ansässigen 
Ugrier unterjochten, das heute als Magyaren bekannte 
Mischvolk entstanden. Dieser Amalgamirungsprocess hat 
auf den verschiedensten Punkten der Erde sich wiederholt, 
denn überall muss nach den Gesetzen der Natur der phy- 
sisch Schwächere dem physisch Stärkern weichen. 

Und was in dieser Beziehung auf 30 verschiedenen 
inkten Asiens auf Grund unzweideutiger geschichthcher 
Thatsachen sich nachweisen lüsst, das kann von ähnlichen 
Belegen durch die von der Völkerwanderung in Europa 
hervorgerufenen Völkergruppirungen vielfach bestätigt 
werden. Die Geschichte der Sprachen ist sich hierin in 
iiljen Zeiten und Perioden glcichgebliehen, und der unbe- 
fiingenc Ethnolog, der das dunkle Gewebe der Kassen- 
genossenschaft durchblicken will, wird sich wol selbst 
fragen müssen: wie kann man sich der Sprache, die solch 
grossen Veränderungen unterliegt, als Medium bei der 
Erörterung des Ursprunges eiues Volkes bedienen, und 
wie ist es gar denkbar, in ihr das nationale Monument 
eines untrüglich hohen Alterthumes zu entdecken? 

„Unsere Sprache ist auch unsere Geschichte", sagt 
ein grosser deutscher Sprachforscher. Ja sie ist auch die 
Geschichte einer grössern Menschen gesell schaff, einer sol- 
chen Gesellschaft, die diu-ch die compacten Massen ihres 
hohem Zahlenbestandes, durch historische und klimatische 
Zufälle vor dem zersetzenden Einflüsse auswärtiger Be- 
rührungen mehr geschützt, in der nationalen Einheit we- 
niger beeinträchtigt sich erhalten konnte. Aber sie ist 
nicht die Geschichte kleinerer Gesellschüfleu, welche oben- 
drein noch infolge der stiefmütterlichen Naturbedingungen 
der Urheimat zerbröckelt und auseinandergestreut, und 
schon des geringen Zahlengehaltes wegen auf den Wogen 




10 

des stürmiacli bewegteo Völkermeerea leicht hin- und hi 
geworfen werden konnte, wie wir dies z. E. bei einzelnes^ 
Bruchstücken der ural-altaischen Rasse so vielfach in Er- 
fahntng bringen. Wir haben uns vorsätzlich des collec- 
tiven Ausdruckes ural-altaische Rasse bedient, weil diese 
auf dem ärmlichen Boden der Urheimat, auf weiten geo- 
graphischen Strecken getrennt lebend, dem Zerfallen in 
kleinere Fractionen von jeber mehr ausgesetzt war, und 
weil eben bei diesem Menschengeschlecht der türldsch' 
tatarische Stamm allein als derjenige betrachtet werdetti 
mues, welcher verhältnissmässig selbst heute noch di 
grössten Zahlenbestand aufweist, in seinen Gliedern und 
Zweigen das frappanteste Bild der Zusammcugchärigkeit 
aufbewahrt, und der trotz der Ausdehnung nach dem 
hohen Norden und fernen Westen in den Grenzen seiner 
Urheimat noch immer in der gröasten Majorität anzu- 
treffen ist. Wo es sich um ein compactes Ganzes, wie. 
beim Türkcuthum Centralasiens zwischen dem Tbien Scbaa 
und dem Kaukasus, zwischen dem Jenissei und der Wolga 
handelt, da haben wir eine ganz feste Grundlage, um den 
Satz: „Unsere Sprache ist auch unsere Geschichte*' 
ebenso sehr zur Geltung zu bringen, wie dies Grimm bei 
den Deutschen thitt, und dort können wir denn auch 
bona fide der Sprache jene Beweiskraft zumuthen, die ihr 
nach der von uns ausgesprochenen Ansicht auf dem For- 
schungsgebiete der Ethnologie anderer, gleichviel ob ari- 
scher oder semitischer Rassen, rechtlich zugemuthet wird, 
und werden kann. 

Wenn wir daher den Grimmischen Satz: „Unst 
Sprache ist auch unsere Geschichte" beim Tnrkenvolke 
in Anwendung bringen wollen und können, so müssen 
wir vor allem darüber im Klaren sein, welche Geschichte 
wir denn eigentlich mit dem Lichte der Sprache beleuch- 
ten wollen. Die politische Vergangenheit kann es keines- 



i 



I 



11 



taUe sein, in der Geschichte des Ursprangs kann die 
Linguistik wol Terwerthet werden, doch die zu Tage be- 
irdcrtcn Resultate siad bisweilen von einer sehr proble- 
^Btiscben Natur, sodass ee unsors Kruchtcns nai-b nur 
lie gesellscbaftliche Vergangenheit, nur die Cul- 
■urgescliichte eines Volks sein kann, die von der 
Burcfa die Sprachforschung angezündeten Fackel 
cb beleuchten, und in allen ihren Phasen sich 
[klar darlegen lüsst. Ja wir können mit Recht be- 
' faaupten, dass ein derartiges Vorhaben, nämlich die Kr- 
schliessung der ursprünglichen Heimat und des ältesten 
Culturziistandes eines Volkes mittele des in seiner Mutter- 
sprache vorhandenen Beweisniateriuls, als das höchste und 
lohnenswerthcste Ziel der Tcrgleichcnden Philologie au 
betrachten sei. Es ist nicht unsere Absicht, auch nicht 
unsere Aufgabe, uns in Erörterungen über allgemeine 
Principien und Anschauungen auf diesem Gebiete der 
Sprachphilosophie einzulassen; da doch die bekannten 
Forscher bisher als Ilauptquellc ihrer Untersuchungen 
das Gebiet der arischen und semitischen Sprachen an- 
nahmen, so wollen wir nun einem bisher ungebrauchten, 
weil noch nicht ganz zugänglich gewesenen Beweismaterial 
Rechnung tragen, d. h. wir wollen die culturgeschicht- 
lichen Momente der turko-tatariscben Sprachen in Relief 
Ibringen, deren Beweisiahigkeit mit der Beweiskraft an- 
■ 'derer Sprachen vergleichen, um zu dem allerdings über- 
i^schend klingenden Resultat zu gelangen, dass die 
Sprache dieser noch heute zumeist auf der pri- 
mitiven Stufe der Cultur sich befindenden Völ- 
ker, abgesehen von den culturhistorlschen Mo- 
menten des individuellen Nationallebens, auch 
für die Geschichte der Vernunft der Menschheit 
im allgemeinen an höchst werthvollen Winken 
überaus reich ist, und dass unsere Sprachge- 




12 



lehrten, falls sie aus diesem krystallreinen Bon 
geschöpft hätten, mit weniger Mühe und zu wei 
glänzendem Resultaten gelangt wären, 
ihren diesbezüglichen Bemühungen mit dem abge-l 
nutzten, oft bia znr Unkenntlichkeit verwitter-J 
ten Sprachmaterial der arischen Volker. 



IL 



Zu dieser, wol etwas kühn scheinenden Ansicht haben 
uns drei Hauptgründe bewogen, solche Gründe, die im.' 
Geiste der altaischen, speciell aber der turko-tatarischea' 
Sprachen ruhen und den unparteiischen Forscher wol 
leicht zu einer ähnlichen Ueberzengung fuhren werden. 

Erstens gestattet uns der agglutinative Charakter 
der türkischen Sprache eine überaus klare und helle Ein- 
sicht in das Wesen und in die Form der einzelnen Wör- 
ter; es ist in denselben der Grundstoff von den später 
hinzugefügten oder nur locker angehängten Äffixen mit 
Leichtigkeit zu unterscheiden, und da man in der That 
nicht besonders weit zurückgreifen musste, um zu jener 
Periode der Sprache zu gelangen, in welcher der mate- 
rielle selbständige Sinn der heute als Affix fungirenden 
Kedetheile bestimmt werden könnte, so ist es ganz natür- 
lich, dass die etymologische Zerlegbarkeit der türkischen 
Wörter weniger Schwierigkeiten bietet als ein ähnliches 
Verfahren bei den sogenannten Flexionssprachen, wo Stoff 
und Form, Wurzel und Partikel oft bis zur Unkenntlich- 
keit i nein and erge knetet und vermischt ist. Nehmen wir 
irgendein beliebiges Wort aus Curtius' „Grundzüge der 
griechiscben Etymologie", z. B. das S. 148 befindliche 
griech. yt.yvüay.o (erkenne), indem wir an demselben das 
skt. gän&mi (cognosco), das lat. nolio, gnarus, das ahd. 
Tianu, das goth. kann und das slaw. snati (kennen) an- 



I 






reihen, und stellen wir nun dem gegenfiber den ent- 
Bprechenden Begriff ioi Türkisch-Tatarischen, DKmlich cag. 
bilmek (wissen, kennen), uig. liilik (Wissenschaft, Kennt- 
is, Zeichen), dag. hilhlrtmek (bekannt machen), osni. 
'hi^lemek (answendiglernen), bilis (Bekanntschaft) ii. s. w,, 
wie aus §. 215 meines Etymologischen Wörterbuches er- 
sichtlich ist — so wird man obue weiteres von der 
grossem Klarheit des türkischen Sprachstoös sieb über- 
seugen; denn während die Wurzel des griechischen Wor- 
ttM, das f V nur dem erfahrenen Auge des Linguisten er- 
kenntlich sein kann, wird beim angeführten türkischen 
Worte selbst der Laie auf den ersten Anblick in bil bei 
das Grundelemeut entdecken, ja es wird bei einer wenig 
sorgsamen Prüfung selbst jenes System ihm einleuchten, 
welches die Sprache bei der Definition der von dem 
Grundbegriff abstammenden Nebenbegriffc in den Deri- 
vaten befolgt hat. So einfach und schlicht, so ungekünstelt 
und natürlich wie das Verhältniss des lautlichen Zusam- 
menhanges zwischen dem Grundworte und seinen spätem 
Sprösslingen sich gestaltet, ebenso ist dies auch hinsicht- 
lich des begrifflichen Zusammenbanges der Fall, und sowie 
man beim Lichte der Lautlehre ohne halsbrecherische 
Theorien in der etymologischen Zergliederung leicht ans 
Ziel gelangt, ebenso ist der begriffliche Nexus ohne das 
scbarfgeschliffene Glas philosophischer Spitz6ndigkeiten 
leicht zu durchschauen. Ein begrifflicher Zusammenbang, 
wie z. B, zwischen dem griech. jtEtfjiat (liegen), dem lat. 
guies und civis, dem ahd. hhco (conjux) und dem slaw. 
pokoj (Ruhe) ist im Türkischen nicht leicht erdenklich. 
Hier hat sich alles in der Urfrische bewahrt, die mensch- 
liche Vernunft und Sprache strahlen noch im Kleide der 
Jungfräulichkeit, und so wie die Geisteskraft noch im An- 
fangsstadium ihrer Thätigkeit, unter dem Begriff liegen 
z. B. nur die Handlung des Sichausstreckens, des Sich- 




14 



ausbreiten 9 , nnter Rübe nur das AusschnaubeD u, e 
versteht, ebenso bat auch die äussere Form der dieeeoi- 
Begriffskreis interpretirenden Wörter von der Originalität | 
noch wenig elngebüsst. 

Der zweite Vorzug, durch welchen das unserer For- ' 
schuug zu Grrunde liegende Sprachgebiet vou den übrigen, 
namentlich von dem arischen eich hervorthut, ist die mar- 
kante Stabilität des Wortschatzes. Dieselbe rührt aller- 
dings in erster Reihe von dem aggiutinativen Charakter 
her, welcher durch das Anschmieden und Einschmelzen 
der spätem Zugaben den Grundstofi' des Wortes viel 
leichter entstellt und verändert als der Procesa des ein- 
fachen Anhängens oder Änreibens. Hierin liegt denn 
auch die Hauptursache des eminent stereotypen Charak- 
ters, welcher die türkischen Sprachen auszeichnet, eine 
Eigen thümlichkeit, der wir es zu verdanken haben, daes 
trotz einer immensen geographischen Ausdehnung vom 
eisigen Norden bis zum tiefen Süden, vom Drachensee 
bis zur Adria, ja trotz einer zeitlichen Entfernung von 
historisch nachweisbaren anderthalb tau send Jahren die vom 
Hauptkorper losgetrennten Glieder, weder was den Sprach- 
schatz noch was die Sprachformen anbelangt, sich der- 
massen verändert haben, wie wir in ähnlichen {"allen auf 
dem arischen Sprachgebiete wahrnehmen. Wir sprechen 
demzufolge nur übJichkeitshalber von türkischen Sprachen, 
da wir im Grunde genommen nur von Dialekten reden 
sollten, und zwar Dialekte der Sprache jenes Tiirken- 
^olkes, das noch heute in der vermuthbaren Urheimat 
weilt, d, h. jenen Theil Centralasiens bewohnt, der zwi- 
schen den westhchen Ausläufern des Ältaigebirges der 
Steppe entlang gegen den Kaspisee sich hinzieht. Zu 
welcher Zeit die Jakuten oder andere Türkenstämme im 
Norden Asiens von dem Gros des Volkes sich losgerissen, 
welche Umstände sie in der bei den Wanderungen der 



I 



Menschheit allerdings nngewohnten Kichtung von Sfiden 
nach Norden gedrängt hubeu mÖg»?n, dies Hess sich vor- 
derhand noch schwer ermitteln, aber der Jakute an der 
untern Lena ist trotz der totalen Umgestaltung an Haiit- 
tind Haarfarbe, an PhyBiogiiomie und Körperbau dennoch 
Stocktürke, und konnte sich mit dem Bruder am Bospo- 
rus, falls der zur grammatikalischen Nuancirung nöthigc 
Colturgrad vorhanden wäre, leicht verständigen. Bei den 
übrigen Kiogen der grossen von Osten nach Westen sich 
ziehenden Kette türkischer Völkerschailen fällt dieses 
yerhältniss einer blos geringen dialektischen Verschieden- 
eit noch mehr ins Auge. Der Oezbege aus Chokaud 
ider Chiwa, der christhche oder mohammedanisciie Ra- 
iner, der Turkomane, Azerbai^ane und Osmane bilden 
I untereinander eine Sprach enge meiuschaft von eben solch 
Iprägnanten Zügen der Einheitlichkeit, vrie z. B. die ein- 
I (Seinen Tb eile der zwei Hauptgruppen der deutschen 
iSprache, nämlich das Niederdeutsch und Uochdeutscb, 
I JB ich nehme keinen Anstand, die Behauptung zu wagen, 
dass der Ostfriese und der Schweizer sich mit dem Zip- 
ser oder dem siebenbürgcr Sachsen wol schwerer ver- 
ständigen wird, als dies etwa zwischen Jakuten und 
Teleuten mit dem Türken aus Anatolien oder Rumelien 
der Pall sein kann. 

In Ermangelung türkischer Spraclimonumcnte von 
hohem Alterthume mag ein Vergleich bezüghch der Sta- 
bilität mit den arischen Sprachen, wo dem Forscher das 
schätzbare Material der Veden zur Verfügimg steht, kaum 
iur thunlich erscheinen, ja die Altersstadien der aus der 
Vergangenheit übriggebliebenen sprachlichen üeberresto 
der beiden Rassen varüren zu sehr voneinander, doch 
kann uns dies nicht verhindern, die vorhandenen türki- 
schen Literaturüberreste zu verwerthen, und zwar auch 
Iflchon deshalb, weil sie trotz der Spärlichkeit und eines 



18 



; Jüngern Datums zur Eräftigtmg t 
Ansicht vollauf hinreicben. 

Was die ältesten türkischen Sprachmonumente aoM 
langt, so erstrecken sich dieselben nur auf jene Eigi 
namen, welche in griechischen, lateinischen, araln 
und persischen Geschichtequellen aus der Periode i 
ersten Erscheinens des Tärkenvolkes zu uns gelangt sin 
Solche Quellen sind die Werke der byzantinischen £ 
steller, wie Porphyrogenitus, Dukas und Theophanes; A 
der mittelalterlichen lateinisch schreibenden Autoren, t 
die Werke von Tabari, Ihn Äthir, Baihaki, Nanichac 
ti. s. w., in deren Schriften die vorkommenden türkiBci 
Eigennamen, wenn etymologisch zerlegt, für die Stabili 
des türkischen Wort- und Formschatzes ein glänzen 
Zeugniss ablegen. Mit den neuem, ungefähr neunhnndt 
Jahre alten Ueberrestea verhält es sich noch besser, 
haben wir es schon mit langen Texten, nie dem desi 
datku Bilik oder der reichen Wortsammlungen in ; 
trnrca's Arbeit über das Kumanische zu tbun, und s<Jiä| 
der blos flüchtig angestellte Vergleich mit der GeschicJ 
anderer Sprachen wird uns von dem auffallend stereoty] 
Charakter der türkischen Mundarten überzeugen. So i 
der uiguriache Text des Kudatku Bilik heute jedem ( 
turkestaner verständlich ist, ebenso wird der Nogai odtl 
kazaner Tatar ohne besondere Schwierigkeiten die 
sechshundert Jahren aufgezeichneten Geschichtchen 
Sprüche der Petrarca' sehen Handschrift verstehen. 
sogar die im Magyarischen übriggebliebenen türkischi^ 
Sprachelemente unterscheiden sich nach einer Zeitfrist v 
mehr als tausend Jahren so wenig von dem heutigen Tüp 
kiseh, dasB man bei jedem einzelnen Worte den dialek- 
tischen Ursprung genau bestimmen konnte. Braucht es 
daher hervorgehoben zu werden, dass analoge Vorkomm- 
nisse im Bereiche der arischen Sprachen unmöglich und 




17 



■Eort Bind? Wo Ut der Iranier, der einen PeUevi- 
Text versteht; wo der Hindu, der die Sakuntak ohne 
Commentar zu lesen vermag, und wo der Deutsche, der 
iu eineoi althochdeutschen Texte sich ohne Anweisung 
zurechtfinden kann? Dieses VerhäJtnies wird einigermaasen 
einleuchtend, da die Sprachen, welche keine Literatur, 
wenigstens keine alte Literatur besitzen, ihren ursprüng- 
hchen Charakter am reinsten und am längsten erhalten 
haben; aber es berechtigt uns doch zur Annahme, dass 
Bo wie die turko-tatarischen Sprachen im beträchtlichen 
Zeiträume von tausend Jahren keinen wesentlichen Ver- 
änderungen unterlagen, dieses auch in einer uoch femern, 
kaum zu ahnendun, wenigstens mit Zahlen nicht zu be- 
stimmenden Vergangenheit der Fall gewesen sein mag, 
und dass demgemäss die Sprache des Türken Volkes, nach 
dem Zeugniss der vorhandenen Beispiele zu urtheilen, 
als eine im Laufe der Zeit am wenigsten verän- 
derte Sprache erscheint. 

Als Hauptursache dieser Stabilität figurirt selbstver- 
ständlich die Seclusivität, in welcher die einzelnen 
Völker der turko-tatarischen llasse jahrtausendelang ver- 
harrten, eine Seclusivität, die von den ethnischen Ver- 
hältnissen der Nachbarwelt bedingt, bei den Nomaden 
türkischer Zunge dieselben Resultate zu Tage gefördert, 
wie bei andern noch heute in ganz- oder halbnomadischem 
Zustande lebenden Steppenbewohnern. Im grossen Drän- 
gen und Treiben der einzelneu Menschengeschlechter nach 
bessern und klimatisch günstigem Wohnsitzen hat die 
Rührigkeit und das Zuvorkommen immer den Ausschlag 
gegeben. 

Als die selbst heute noch schwerfälligen Türken, mit 
dem Wunsche den Zauberbann der Steppenregionen zu 
durchbrechen, zur Aufsuchung eines gemässigten Himmels- 
strichs und eines urbarem Bodens sich anschickten, da 



1 

(aiHl«n sie im Säd«n bowoI wie im Westm das Term*' 
ecbon im Besitz« amclier TÖlkerschafteD, dureh dereC 
Cultorkreise sie wol hiiidarcbstünnten und aaf eine Zeit- 
lang alles wüst and öde legten. Sohüesslioh rnnssten ä^ 
aber, tbeils verdrängt, theils zersplittert, wieder unver^ — 
riehteter I^nge sieb in die Steppen weit zaräckKieben, 
ebenso wie die arabischen Nomaden, die, in glübender 
Begeisterong fnr den Islatn ans der Steppenbeimat her- 
vorbrechend, ober drei Welttheile sich verbreiteten, Städte, 
Länder und Reiche über den Haufen warfen, endlich aber 
doch wieder als Nomaden, wenngleich als reichbeladene 
Nomaden in die nackten und kahlen Ebenen und Tbaler 
Arabiens zurückkehrten, ohne feste Wohnsitze zu grün- 
den; denn wo das Entstehen neuerer Städte auf arabische 
UHieberscbaft sich zarnckfuliren lässt, da müssen unter 
denselben früher schon sesshafle, nicht aber nomadische 
Araber verstanden werden. Ob wir daher diese (rubere 
Abgcecblossenbeit der Türken als eine willkürliche oder, 
wie eben erwähnt, als eine von den Umständen bedingte 
auffassen, so viel ist sieber, dass die turko-tatarischeu 
Völkerschaften mit fremden, d. b. mit arischen 
Elementen erst in einerverbältnissmässigjüngern 
Zeit in Berührung traten, und dass diese Berüh- 
rung, wenngleich hier und da eine starke Ver- 
mengnng, doch äusserst selten ein gänzliches 
Aufgeben der nationalen Individualität nach sieb 
zog. Es wurden daher auch Oamanen, Azerbaizaner und 
die übrigen mosHmischen Türken nur nach gänzlicher 
Abgeschnittenheit vom Mutterlande und nach Verlauf von 
Jahrhunderten zu dem, was sie heute sind. 

Diesem Umstände haben wir es zu verdanken, dass 
die tu rko -tatarischen Sprachen das schon so oft bewun- 
derte Kleid der kry stall reinen Durchsichtigkeit bisjetzt 
zu erhalten vermochten, und dass wir mittels dieses Vor- 



19 



niges über das früheste Gcschichtästadiiim der meaecli' 
liehen Vemunfl eines beträcbt lieben Thciles des Menecben- 
(eschiechtes eine früher kaum geahnte Helle zu verbreitvu 
D Stande sind. Ja wir können aufGniDd linguistischer 
iweise dem Mcnacbeu türkiacher Zunge ebenso viel Vor- 
Btand und Culturfäbigheit vindicircu als dem Arier und 
dem Semiten; ja wir können in der Geschichte seiner 
primitiven Cultur, weil das bessere Licht seiner Sprache 
Ulis grössere Helle verschafft, viel mehr Stofif zur Be- 
wuadeniug finden, als bei alinlichen Forschungen in der 
diiuiteln Vergangenheit der bisjetzt mit Vorliebe als ans- 
scbliesslich befähigt betrachteten Culturtrüger in der Ge- 
sammtheit des Menschengeschlechtes. 

ni. 

Vor allem wollen wir die culturg esc hiebt liehe Bedeu- 
tung der Sprachen im allgemeinen einer Prüfung unter- 
werfen, und dann die epeciell im Türkischen erlangten 
Resultate mit ähnlichen Beispielen auf fremdem, nament- 
lich arischem Sprachgebiete vergleichen. Wie fest und 
unerschüttert auch unser Glaube an die von Darwin ver- 
breiteten Theorien über Entstehiuig der Alten und über 
Ursprung des Menschen seiu mag, so wird doch heute 
niemand mehr in Abrede stellen, dass der Mensch als ver- 
nünftiges Wesen, wie Geiger iu der Vorrede seines Buches 
richtig bemerkt; „nirgends ohne Anfänge der Cultur, der 
Staatenbildung und Sitte, und ohne eine gewisse Kunst 
und Industrie gefunden worden", und dass der etwaige 
Unterschied zwischen dem Wilden auf Neuseeland und 
dem auf der höchsten Culturstufe befindlichen Europäer 
weniger in den Abstufungen der Fähigkeit und Kraft, 
als vielmehr in der Uebung und Gewandtheit des Den- 
kens bestehe; denn während letzterer im Laufe einer 
Jahrtausende alten Cultur zum geistigen Kampfe sich 



20 

gezwungen aali, ist ersterer von den^Eedingungen einer 
primitiven Lebensart zum Denken weniger angespornt 
worden und hat Sinnesträgheit, aber nicht Sinnesmangel 
verrathen. So wie die Sprache gewisser, selbst heute noch 
auf einer niedern Cnltnrstufe stehender Völker, was 
Künstlichkeit des Baues und Logik der Begriffaentfaltung 
anbelangt, die Sprache so mancher, einer alten und fort- 
geschrittenen Bildung sich erfreuenden Völker in vielem 
übertrifft, ebenso zeichnet der Gedankenlauf des primitiven 
Menschen, wenn mit dem Ideengange des Bildungsmen- 
schen verglichen, sich durch eine wunderbare Consequenz 
und Gesetzmässigkeit, durch eine schHchte, aber nichts- 
destoweniger alles umfassende, bisweilen auch tiefeindrin- 
gende Thätigkeit aus. Es liegt in den mittels der Sprache 
zum Ausdruck gelangten allerersten Regungen des mensch- 
lichen Geistes mitunter eine ganze Geschichte nicht nur 
des geistigen, sondern auch des physischen Lebens. Jeder 
Begriff führt gewiss er maseen das Quelle nmaterial seiner 
Abstammung mit sich, und stände uns der gesammte 
Wortschatz aus den verschiedenen Bild ungs Stadien eines 
Volkes zur Verfügung, wir würden aus demselben am 
besten ersehen, wie dieses Volk dachte, wie es ass und 
trank, wie es sich kleidete, und wie weit sein Gesichts- 
kreis auf dem Gebiete der es umgebenden Natur sich 
erstreckt hat. Was dem Sinne fern blieb, das konnte 
auch die Sprache nicht beschäftigen, daher sind auch die 
Naturerscheinungen der Urheimat und die Vorkommnisse 
des Alltagslebens der Menschen am besten aus den Ab- 
spiegelungen in der Sprache zu erkennen. Die Sprache 
der Gebirgsbewohner ist viel reicher an Bezeichnungen 
für einzelne Theile und Gestaltungen der Berge, als die 
Sprache der auf ebenem Boden Wohnenden, ebenso wie 
die an den Ufern der Seen, Meere und Flüsse lebenden 
Völker, zumeist dem Fischfänge obliegend, über Gattungen 



der Fische, über Windriclitungi-'n, über Fluten und Strö- 
mungen viel mehr Bescheid wissen, als der Steppenbe- 
wohner, der wiederum einen reiehbaltigen Wortschatz über 
Technik der Viehzucht besitzt. 

Und merkwürdigerweise beeinfliisst die Eigenthümlich- 
keit der Natur und die mit derselben verbnndene Sitten- 
welt (I«s Entstehen nicht nur der concreten, sondern auch 
der abstraften Begriffe. Sich berathen, berathschln- 
gcn heisst z. B. im Türkischen keng-cs-mek , der etymo- 
logischen Grundbedeutung nach sich bequem machen, 
eich Zeit lassen, sich breit machen (von kt^g = 
weit, geräumig), und nimmt Bezug anf die Sitte des Sich- 
niederlassens behufs Unterredung uud Besprechung, bevor 
zur Handlung geschritten wird; ebenso wie der Gegensatz 
dieses Begriffes, nämlich astiJc — Eile, Uebereilung, ent- 
standen ist, von ns = überschreiten, über etwas raach hin- 
weggehen. Leben, Jngend, Alter und Tod ist hinsichtlich 
des Menschen mit den auf das Wachsthum in der Pflanzen- 
welt bezüglichen Begriffen analog. Man vergleiche z.B.: 
jasü — grün, jas = feucht mit jas = jnng, 

kieil =^ roth, reif » kiz ^= Mädchen, Jungfer, 

kunt ^ dürr n kari = alt, 

sölmek = welken « ölmek = sterben. 

So beruhen im Türkischen die Begriffe schreiben, 
malen, zeichnen, Bild, Aussehen, Gesicht auf dem 
Grundgedanken des Einschneidens, Rltzens und Gra- 
virens, weil eben diese künstlerische Thätigkeit des Men- 
schen sieh zuerst in besagter Handlung manifestirte. 
Während z. B. das lat. domus (Haus) mit dem griech. 
5op.o; (Gebäude), hi\f.ü> (baue), dem deutsch, sim-mern, 
engl, iimh-er, goth. timr-jan verwandt, dem Grundwesen 
nach ein Gebäude, ein Gezimmer bedeutet, bekundet das 
türkische Öj = Haus in seiner Verwandtschaft mit oj ^= 
Tiefe, Grube, Vertiefung, Thal, ganz einfach die speciell 



] 



türkische Kntstehung dieees Wortes, indem die Türl 
von jeher unter Haus kein gebautes Ding wie die Arier, 
Bondern eine Aushöhlung, eine Vertiefung im Boden ver- 
Btanden, wohin sie, um Schutz gegen die Unbill des 
Winters zu suchen, sich zurückgezogen hatten, wie sie es 
in der nomadischen Existenz noch heute tbun. Während 
femer z. B. das lat. bellum = Krieg, nach Curtius, II, 43, 
von diiellum stammend, dem etymologischen Werthe nach 
ein Zweigefecht bedeutet, bürgt das türk. jagi = Krieg, 
Feindsehgkeit, den Inbegriff des Sichtrennens, Sichzer- 
streuens, und bezeichnet das Aufgeben des eine Gesell- 
schaft zusammenhaltenden einheitlichen Bandes, nämlich 
des Friedens, welch letzteres Wort auch in der That durch 
il, der etymologischen Bedeutung nach Bund, Verband, 
ausgedrückt ist. 

Von der Annahme ausgehend, dass die menschliche 
Vernunft in erster Reihe von den Erscheinungen der 
Aussenwelt angeregt wird und nur im Verkehre mit der- 
selben sich entwickelt, müssen wir es für ganz natürlich 
finden, dass die Sprache in den stets fortlaufenden Cul- 
turbewegungen sich auch solche fremde Begriffe aneignet, 
und dieselben theils mittels Lehnwörtern, theila mittels Schö- 
pfungen auf dem Gebiete des eigenen Sprachschatzes aus- 
drückt. In dieser Richtung können wir verschiedene 
Wahrnehmungen machen. Völker, die in dem Zustande 
ihrer primitiven Cultur mit einer iu Bildung viel mehr 
fortgeschrittenen Gesellschaft zusammentreffen, lassen sich 
selten die Zeit, die ihrem Gesichtskreise sich aufdrängen- 
den nenern Begriffe aus dem eigenen Sprachmaterial 
herauszubilden, sondern sie nehmen mit dem fremden Be- 
griff auch zugleich das betreffende fremde Wort an, wäh- 
rend andererseits der Mensch, solange er noch auf sich 
allein angewiesen, bei der langsamen und allmählichen 
Entfaltung seiner Geisteskraft zur Erkenntniss der noch 




23 



eehr complicirt scheinenden Bcgrifie abstracter und cod- 
ter Natur von sich selbst gelangt, und dieselben auch 
mit der Hülfe des eigenen SpracLmaterials interpretirt. 
Daher kommt es, da«s die modernen Sprachen der arischen 
uad semitischen Völker eine Unzahl von Wörtern von- 
einaader entlehnt haben, während das Türkiscb-Tatarische, 
soweit aus dem Bilde seiner primitiven Cultur ersichtlich 
ist, nur eine verschwindend kleine Anzahl von Fremd- 
wörtern, die insgesammt auf dem ersten Anblick zu er- 
keiineD sind, aufweist. Wenn wir z. B. Ahlquist's „Cul- 
^H^QiwGrter der westfiunischcn Sprachen" zur Hand nehmen, 
^^Kerden wir finden, dass die finnischen Völker vom Meer- 
^^nOBen ron Riga bis hinauf zur nördlichen Spitze des 
I ßoltnischen Meerbusens — die dort gewiss keine Neu- 
linge sind, da sie doch schon den Römern bekannt waren 
— in ihrer geographischen Stellung zwischen Slawen und 
Germanen, dennoch von letztem selbst solche Wörter ent- 
lehnt haben, die auf Gegenstünde des Alttagslebeoe, ja auf 
den primitivsten Zustand der Cultur sich beziehen, und die 
im Türkischen fast durchweg als genuin anzutreffen sind. 
Nachfolgende Liste wird uns einen hinreichenden Eio- 

Pck in dieses Verhältnis» verschaffen. So vergleiche 
gl nur zu diesem Behufe: 
Finniäch Skandisavisch i^lawisch TürkiBoh 

hev 



hepo (Pferd) 


häppa 


— 


at 


lamma (SchaO 


lamm 


— 


huzu 


siJca (Schwein) 


stigga 


— 


tonguz 


Jcana (Hahn) 


kana 


— 


iitäk 


pelto (Acker) 


Feld 


— 


tarlak 


kirves (Axt) 


— 


kirvi 


balta 


MoMa (Hacke) 


JcroJca 


- 


capa 


atra (Pflug) 


liagra 


— 


sapan 


Jivät (Getreide) 


— 


javai 


bugdaj 


Tcryyni (Grütze) 


gryn 


— 


tarik 





24 




^ 


Finnisch 


Skandinavisch 


Slawisch 


TQrkiBch 


htllu (Gold) 


guU 


slato 


alHn 


keUa (gelb) 


— 


gelia 


sarik 


sininen (blau) 


— 


sinij 


höh 


akkuna (Fenster) 


— 


ohia 


tünrßiik 


arji^i (Kasten) 


ark 


„ 


sandik 


pota (Topf) 


polta 


__ 


cömlek 


JcafHIa (Kessel) 


httel 


hotjol 


kazan 


saapas (Stiefel) 


— 


sopog 


ötük 


meri (Meer) 


— 


mori 


tengiz 


paatti (Boot) 


hoat 


— 


kejmi 


lotja (Schiff) 


— 


todka 


kajuk 


orro (Ruder) 


ära 


— 


esgek 


penningi (Geld) 


pcnning 


— 


tenge 


vaaka (Wage) 


. - 


— 


ÖMU 


Mies (Eliemaun) 


— 


mus 


koza 


morsian (Braut) 


— 


marcsios 


Min 


Ma«pMri (Nachbar 


) nabo 

U. 8. W. 


— 


konsu 



Äehnlioh, wenngleich nicht ii^entisch ist das Verhält- 
nis s der im Magyarischen sich vorfindenden entlehnten 
CulturwÖrter, wo der Lowenantheil des fremden Gutes 
dem Slawischen zugesprochen werden muss, weil die Sla- 
wen als sesshaftc Bevölkerung auf den Gefilden des alten 
Panuonicns den von Nordost herein gebrochenen Ungarn 
in Ackerbau, Handwerk und andern friedlichen Beschäf- 
tigungen Unterricht gaben. 

Setzen wir nun unsere Forschungen über das Ver- 
hältniss der entlehnten CulturwÖrter in den iibrigen euro- 
päischen Sprachen fort, so werden wir zur Einsicht ge- 
langen, dass im Russischen z. B. die tnrko-tatarischen 
Lehnwörter zumeist solche Begriffe repräseutiren, die von 
dem allerdings nur schwachen moslimischen Bildungs- 
geiste der benachbarten türkisch-tatarischen Welt auf die 



25 



damals in gesellechaillichcr udiI Btuiitlicber Beziehung noch 
niedriger stehenden Russen übergegangen sind, in ihrer 
Totalität jedoch insofern ein wcrthvoUes culturgcschicht- 
liches Moment darlegen, indem jedes einzehie Lehnwort 
soziiEBgen als Conterfei jener Bildungästufc zu nehmen ist, 
auf weleber die Russen zur Zeit ihrer Berührung mit den 
turko- tatarischen Elementen gestanden. Wenn die Russen 
z. 15. den Tataren Worter als JaisiMa (Schatz) arab.-türk. 
ckisina, jassai (Tribut) tat. jasak (Gesetz), jaaaul (Of- 
tizier) tat jasaul (Aufseher), ein (Rangstufe) tat, ein 
(Maas, Ordnung") entlehnten, so bekundet dies den unver- 
kcüöbai-en Grad grösserer Vertrautheit der Tataren mit 
den staatlichen Institutionen; ebenso wie Wörter, rfls: 
archaluch (Obcrklcid) t. arhahtk. cailra (Schleier) t. caiir 
(Frauenmantel), (Jhalat (Schlafrock) t.-ar. chalat (Kleid, 
Ehrenkleid), snnditk (Kiste) t. sanduk (Truhe), tJiarz 
(Kost auf einer Reise) t.-ar. chard (Spesen), socka (Pflug) 
t. noka (Pflugmesser), jachont (Edelstein) t-ar. Jakut 
(Rubin), mofin (Wallach) mong. morin (Pferd), isak 
(Maulesel) t. isek (Esel), cnkmnr (Stampfe) t. cokniar 
(Keule), saiga (Antilope) t. tnilifa, kaban (Wildschwein) 
t. kaban, kamis (Rohr) t. kamus, ki.sla (Meierhof) t. kis- 
lak (Winterquartier), kudus (böser Geist) t. kudus (wahn- 
sinnig) u. 8. w., theils auf solche Kleidungsstücke, Ge- 
räthe, Thiere n. s. w. sich beziehen, die nur durch den 
Verkehr mit den Tataren in den Bekanntsclmfts kreis der 
Russen gezogen worden sind. 

Dieselben oder wenigstens ähnliche Ursachen liegen 
dem im mittelalterlichen Abendlande eingedrungenen Ein- 
flüsse der arabischen Sprache zu Grunde, denn nachdem 
wir die Elemente der Arithmetik, der Medicin und der 
Chemie von den Arabern gelernt haben, und nachdem wir 
in 80 manchen Civilisationssachen bei ihnen in die Schule 
gegangen sind, darf es gar nicht wundernehmen, wenn 



t 



wir in Ziffer das arab. Si/r, in Algebra das arab. Al-^dbr, 
in chemise das arab. kaniis, in Oase das arab. Üadi (Thal, 
Ebene), in Taintnarindo das arab. Thamar kindi (indische 
Frucht) u. s. w. erkennen, ebenso wie heute, nachdem 
die Bildung des Westens die Cultur des Ostens über- 
flügelt hat, Türken, Perser und Araber es sich wol ge- 
fallen lassen müssen, Wörter wie: Polifscka (Wechsel), 
Politika, Schetnciidufer (Eisenbahn), Telegraf, Parlamento, 
Subie (fiouapied) u. s. w. aufzunehmen, ja binnen kurzem 
ein ganz respectables Fremdwörterbuch sich anzueignen. 
Es ist wol nicht ausgeschlossen, dass Volker von einem 
niedem Bildungsgrade auf die ihnen geistig überlegenen 
Nachbarn hier und da allerdings nur geringen sprach- 
lichen Einfluss ausüben, der zumeist auf Kern aus drijcke 
oder auf solche Gegenstände und Sitten sich bezieht, die 
im gegenseitigen Verkehr, wenn auch von der allerkürze- 
sten Dauer, von dem einen Theil auf den andern über- 
gehen, so z. B. die im Englischen vorkommenden, dem 
Hindostanischen entlehnten Wörter, wie Ätlar, Tiffin, 
Curry, oder das türkische bosch (eitel, nichtig), welches 
während des Krimkrieges von den britischen Soldaten 
heimgebracht wurde, oder wie das deutsche Schabracke, 
welches dem tatarischen capraJc (Decke) entlehnt ist; doch 
im grossen und im allgemeinen ist es eine vom natür- 
lichen Lauf der Dinge bedingte Thatsache, dass sowie 
bei einzelnen Menschen der Jüngling zumeist den in Er- 
fahrungen herangereiften Greis sich zum Muster nimmt, 
ihn in Handlungen und Worten nachahmt, ebenso die 
culturell jüngere Gesellschaft von der ihr voran geschrit- 
tenen altern sich belehren zu lassen pflegt, und mit den 
Hemden Sitten und Gebräochen auch fremde Wörter an- 
nimmt. 



rv. 

Um nun epeciell auf die ciilturgeechichtlicbe Bedeu< 
ttiQg des türkisch-tatarischen Wortechatzes zurüekzakom- 
nen, so werden bei eingehender Prüfung des in seiner 
Gegammtheit und mit dem Stempel des vordi»lek tischen 
Zeitalters versehenen Sprachstoffes sich die zwei früher 
aclion kurz angedeuteten Vorzuge unserer Aufiuerksam- 
keic besonders empfehlen. Erstens dass die Culturwörter 
der türkischen Sprache ungleich den einzelnen Äbthei- 
lungen der verwandten finnisch-ugrischen Mundarten eine 
merkwürdige Originalität und Stabilität bewahrt 
haben, d. h. es finden sich alle jene Begriffe, die einem 
frühern Stadium der vorgeschichtlichcu Vergangenheit der 
menschlichen Vernunft sich aufdrängten, mit Hülfe des 
eigenen Sprachmaterials interpretirt, und mit dem Gepräge 
der primiüven Denknngsart des Urmenschen vor, und 
legen ein beredtes Zeug niss dafür ab, dass das Gros des 
türkischen Volkes viele viele Jahrtausende auf 
sich allein angewiesen, ohne einen engen Ver- 
kehr mit der Aussenwelt esistirte, und dass fer- 
ner die Zersplitterung in einzelne Stämme in 
einem verhältnissmässig erst Jüngern Zeitab- 
schnitte stattgefunden haben muss. 

Würde dies nicht der Fall sein, und würde die von 
geographischen Umstanden ermöglichte Exciusivität nicht 
den nöthigen Schutz geleistet haben, so müsste z. B. das 
Jakutische im Norden, und das im 12. Jahrhundert schon 
bekannte Kumanische im Westen, von fremden Elementen 
viel stärker durchdrungen sein, als sie es sind; ja wir 
müssten in denselben geradezu einer solchen Anzahl von 
Lehnwörtern für die allerprimitivsten Begriffe begegnen, 
wie in den finnisch-ugrischen Sprachen, wo Axt, Acker, 




Kessel, Braut, Nachbar u. ^. w. heute als Lelinwöi 
vorkommen. 

Dieser streng stereotype Charakter der Formen 
des Wortschatzes muss, wie schon erwähnt, bei 
etellten Vergleichungen zwischen den Torhandenen Sprae 
nioDumenten und den einzelnen Sprachen der G^enwu 
auffallen, und dürAe selbst mit Bezug auf das aUerenti 
femteete Alterthum nachgewiesen werden können. W^ 
braachen zu diesem Behufe nur die primitivsten Wort 
der Spruche, nämlich die Benennung der einzelnen Köi 
pertheilc ins Auge zu fassen, um zu sehen, welch geringen J 
Veränderungen gowol die Stammsilbe als auch das fertige 
Wort ausgesetzt war. Wenn z, B. einzelne Korpertheilc, 
als: Fuss, Hand, Änge, Ohr als »omeii ageidis erscheinen, 
Tgl. at (gehen, schreiten) — at-ak (Fuss) ; al (nehmen) — 
olrik, el-ik (Hand); kör, köz (sehen) — köz (Äuge); hd 
(hören) — 1cul-ak (Ohr); itii (fassen) — tnt-kak (Ijippe); 
tis (brechen, zerbrechen) — tis (Zahn) u. s. w,, so kann 
es wol wenig bezweifelt werden, dass die betreÖ'enden 
Stammsilben, nämlich at, al, kor, kul, tut und tis, die 
noch heute sich unverändert vorfinden, gewiss so alt sein 
müssen, als der türkische Mensch, der mittels derselben 
den fraglichen Begriffen zuerst Ausdruck verlieh. Da ein 
solches Zeugniss von Un Veränderlichkeit des Wort- und 
Formenschatzes bisjetzt in keiner wissenschafUich unter- 
suchten Sprache sich nachweisen lässt, so kann auch die 
Sprache des Türkenvolkes als jenes Idiom bezeichnet wer- 
den, das sich verhältnissmässig am reinsten er- 
halten hat, uns daher das beste Quellenmaterial 
zur Erforschung der primitiven Culturzustände 
des betreffenden Volkes liefert. 

Dass unter solchen Umständen bei den türkischen 
Mundarten das Verhältniss der Stamm spräche sich 
leichter als anderswo eruiren lässt — da wir es nur mit 



Dialekten und niclit mit Tochtersprachen zu thun haben 

— braucht wol kuuni in Frage gestellt zn werden. 

Als tijrkische Stammspruche verdient diejenige genannt 
zu werden, die von jenem Theile des Türkenvolkes ge- 
sprochen wird, der noch heute auf dorn mit viel Wahr- 
scheinlichkeit anzunehmenden Uraitze des ganzen Volkes 
wohnt. Dessen Verhältniss zu den einzelnen Zweigen ist 
allerdings leicht sicherzustellen , dagegen entbehren seine 
Beziehungen zu dem östlichen Nachbar, d. b. zum Mou- 
goliscben, noch immer eines klaren und positiven Auf- 
schlusses, da trotz des Bandes einer uahen Verwandtschaft 
das Türkische ebenso wenig für eine Tochtersprache des 
Mongolischen, als umgekehrt, angenommen werden darf. 
Andererseits hingegen ist es nicht zu verkennen, dass 
Türken und Mongolen viel näher zueinander stehen, als diese 
beiden zu den Finnen-Ugriern, die vom gemeinsamen ural- 
altaischen Stamme sich zuerst losgetrennt haben und nach 
dem hohen Norden gedrängt wurden. Wenn wir daher 
bei der türkischen Stammspraehe — worunter wir iu 
erster Keihe das Uigurische und das Altaische verstehen 

— die aussergewöhnliche Stabilität hervorzuheben berech- 
tigt sind, so können wir nicht umhin, auch auf die mittels 
derselben zum Ausdruck gelangte li^ntwickelung der 
menschlichen Vernunft hinzudeuten, und namenthch auf 
jene bei der Entfaltung des Begriflskreises sich zeigende 
Logik aufmerksam zu machen. Es kann wol schwerlich 
etwas Sinn- und Geistreicheres geben, als die Art und 
Weise, in welcher irgendein Grundbegriff mit seinen noch 
so sehr entfernten Derivaten abatracter und concreter 
Natur zusammenhängt. 

Nehmen wir z. B. den in §. 1 unsers „Etymologischen 
Wörterbuchs" gebrachten Begriff von weiss, offen und 
leer, und untersuchen wir einmal den weitern in diesem 
fiegriöskreis vorherrschenden Ideengang. Abgesehen da- 




TOD, dasa weiss, offen and leer ganz richtig fnr t« 
wandte Begriffe gelialteu werden können, miiss es 
fernerer Conseqiienz des Ideenganges als natui-gemäes 1 
traclitet werden, wenn mit dem Grundbegriffe weiss » 
Helle, das Licht, der Mond, das Freie, die Oeffentlid 
keit und die Welt, wenn ferner mit leer oder offen 
hungrig, nüchtern, arm, Tbür und Mund als eng verwandt 
dargestellt wird. Betrachten wir weiter den unter g. 179 
gebrachten Grundbegriff von fest, dicht und hart, und 
fassen wir seine vielseitigen Derivata näher ins Auge, Wir 
begegnen zuerst den Begriffen Menge, Vereinigung, Ge- 
schlossenheit, Dichtheit und dessen bildhche Verwerthung 
in schmollen (sich zusammenziehen) und sich betrieben; 
zweitens finden wir das Motiv zur Benennung von a) ge- 
schlossene dunkle Körper oder Räume, als: Höhle, Hölle, 
Ader, Gefängniss; b) erstarrte und harte Körper, als: 
Eisen, Eis, Frost; c) da offen und Licht für identisch 
gelten, auch deren Gegensatz, als: Finstemiss, Nebel, 
Nacht u. s. w. Fast jeder Abschnitt des „ Etymologischen 
Wörterbuchs" könnte als kräftigendes Beispiel der von 
uns betonten geigt- und sinnreichen Constitution des tür- 
kischen Wortschatzes verwerthet werden, sodass dieser 
Vorzug des Türkischen den Sprachphilosophen nicht ge- 
nug empfohlen werden kann. 

Was den Forscher aber in dieser Hinsicht noch mehr 
anziehen muss, das ist die Congruenz des Ideengauges 
in ein und demselben Begriffskreisc der türkischen und 
anderer, z. B. arischer Sprachen. Es kann nicht gleich- 
gültig sein, wenn wir bemerken, wie der Mensch in einem 
Winkel Asiens, inmitten der Abgeschlossenheit einer nack- 
ten Steppenheimat, bei der Benennung des einen oder 
andern ihm nahe liegenden Gegenstandes, oder bei der Be- 
zeichnung des einen oder andern sich ihm aufdrängende! 
Gefühles oder einer Empfindung entweder ganz genaa 



31 



dieaclhe oder eine äLoHcbe EntwicJtcIimg der Vernmift 
kundgibt, wie der von ihm Taiificnde von Meilen ent- 
fernt unter fremdem Himmelsstrich lebende Mensch — 
ohne dass beide auf irgendeine Weise in geistiger oder 
materieller Berührung je initeiuander gestanden haben. 
Ob und wie diese -analoge Thätigkeit der menschlichen 
Vernunft zu etwaigen Theorien über den gemeinsamen 
Ursprung des Menschengeschlecht ea verwendet werden 
könne, das wollen wir dem Sprnchphilosophen von Fach 
überlassen; für uns igt es hinreichend, das Factum selbst 
zn registriren und einige bieranf bezügliche Beispiele vor- 
Kufuhreu, wo die türkischen meinem „Etymologischen 
Wörterbuch", die arischen zumeist Curtius' „Grnndzüge 
der griechischen Etymologie" entnommen sind; 

Äriscli Tiirko -Tatarisch 

Annus (Jahr) — avnuhis il, jil (Jahr) -^ ijil (Bug, 
(Ring, Rundung). Hundung, Krümmung). 



jg. 



,öc (schön) — skt. huljfts 
(gescnd), goth . Aa«7s ( b ei I) . 



jalcNi (schön), jakuk (trefl- 
lich , gut, fromm ), sak 
(gesund, recht). 



xapTO? (Frucht, d. h. Ab- 
geschnittene ) — carpo 
■ (achneide), dtsch. Herbst. 



Jtpfvo (scheide), xpiTT]5(Rich- 
ter). 



[laxfö? (lang), jjLaxap (bea- 
tus), macte (gesegnet). 



kis, h'S (schneiden), h'is, 
iös (Herbst, Schnittzeit, 
Zeit des Schercns der 
Schafe). 



jargamak (scheiden, spal- 
ten), jargmi (Richter), 
jargu (Urtheil). 



uhfk (gross), o((/ajtMai( wach- 
sen), olzajmak (segnen, 
verehren). 



Arisch Turko-TBtMiach .^H 

apYÜ9oi (licht, weiss), ötpiü- ak (weiss, licht), «Ace (^H 
p6c (Silber). ber). ^ 


Xetp (Hand) — akt. Itarumi 
(rapio). 

X^ipoc (beraubt), x^P« 
(Witwe), X'QP'^" (mache 
leer). 


oUk, elik (Hand), tum 
(nehmen, fassen). 


lalamak (berauben), dcU, 
(nackt, leer), iul, t 
(Witwe). 


XpEu (bestreiche), XP^|J^^ 
(Salbe), xp^a (Farbe). 


nialmak (eintunken, beste 
eben), maj,moj(¥eXt,h\ 
ter), hoja, moja (Färb 

tim, tum (fest) — tt 
(Tropfen), tong (Fros 
toAlu, tolu (Hagel). 


ffTBpEo?, ekt. sthiras (fest), 
lat. sterüis, stiria (Eis- 
zapfen), stilla (Tropfen), 
mhd. Star (rigidum) — 
dtsch. erstarren. 


(Fkiss), irin (Eiter). 


TT,xu (schmelze), lat. iabes 
(FiÜflsigkeit) — iäbum 
(Eiter). 


ü (Bündniss, Vereinigut 
Volk, Friede), jilki, i 
(Heerde). 


jcXil^Ü? (Menge) — lat. ph- 
bes, populus (Volk), slaw. 
pluk (Haufe), engl, ßock 
(Heerde), dtsch. Volk. 


sücük (süss), smik (Wein) 

hervorgehobeneü Congruen 
rdings die Einwendung ga 


(tsÄu (Wein), dtsch. Meth, 
slaw. med (Honig). 
Gegenüber dieser von uns 
den Ideengauges könute alle 



m 



QiÄcht werden, Jass ähnliche Wnhmchnmngcn auch snf 
nnderii Gebieten des menschlichen Penkens /u machen 
seien, so z. B. in der Analogie gewisser Sitten, aU: dns 
licbängen einzelner zumeist ;iut' Anhöhen befindlicher 
Bäume oder Stauden mit Kleiderfctzen, das gegenseitige 
Oeffiien der Armader bei einem Schwüre, und schliesslich 
der Feuercultiis bei den verschiedenen Volkern Asiens, 
ÄrHkns nnd Amerikas, worin wir nicht minder augen- 
fällige Punkte eines einheitlichen geistigen Verbandes des 
giDzen Menschengeschlechtes erkennen müssen. Nun ja, 
dies lässt steh keinesfalls in Abrede stellen, und unsere 
angestellten Vergleichungeu wollen einzig und allein dar- 
auf hindeuten, dass die dem Menseben innewohnende 
Denkkraft in gar keinem Zusammenhange stehe, weder 
mit der Scbädelformation noch mit andern physischen 
Kigenheiten, imd dass Turko-Tataren oder Ural-AJtaier 
ebenso denkfähig und denkkräftig sein können wie ihre 
Nebenmenschen arischer und semitischer Abkunft. 

Auf keinem Gebiete der Philologie kann es leichter 
sein, aus dem Bau der Sprache, es sei dies mit Bezug auf 
den Formen- oder den Wortschatz, die künstlerische Voll- 
kommenheit der menschlichen Vernunft in solch eclatanter 
Weise hervorleuchten zu lassen, als eben auf dem Tür- 
kischen. Wenn die Durchsichtigkeit des Grundstoffes den 
Turkologen biajetzt ao sehr entzückt hat, so wird das 
wundervolle Gebäude der Wortbildung um so mehr An- 
ziehungskraft ausüben, als sie dem Cnlturhistoriker eine 
sichere Leuchte verschafl't, mit deren Hülfe er das dunkle 
Reich Jahrtausende alter Vergangenheit durchforschen, 
und über die allerfrüheste Existenz eines nicht unbedeuten- 
den Theiles des Menschengeschlechtes sichern Aufschluss 
erlangen kann. 



Rimbdi;, Caltut. 




V. 

"Welches sind denn eigentlicli die berechtigte) 
Stellungen von der primitiven Cultiir des turko-tatarisctlj 
Volkes? Eine Antwort hierauf ist um so leicbter, i 
wir in Erwägung ziehen, dass es in der jüngsten 
gangenheit, ja gewissermassen noch heutzutage auf < 
centra las iati sehen Steppe nomadische Existenzen gibt, ( 
das Bild einer uralten primitiven Lebensweise wiedergeben» 1 
ein Bild, dessen Alter, wenn wir die wenigen einer frem- 
den Cultur entlehnten neuern Züge abstrahiren, sich leicht 
auf Jahrtausende zurückführen liesse. Sowie Ahlquist 
(S. 268) mit Rficht bemerkt: „Man kann also aus der 
Lebensweise und dem Culturzu stände der ugrischen Fin- 
nen auf die Lebensweise und die Culturstufe der Finnen 
schliessen, die aus dem Osten in die Ostseeländer ein- 
wanderten", ebenso können wir die Behauptung wagen, 
dass der kirgisische und der turkomanische Aul im An- 
fang dieses Jahrhunderts, als der russische und west- 
europäische Einfluss noch nicht so weit in das Herz 
Asiens einzudringen vermochte, nicht wesentlich verschie- 
den war von dem ältesten Culturzu stände dieser Völker, 
und dass namentlich der ärmere Theil der Steppenbe- 
wohner, der gewisse fremdländische Gegen stände einer 
verfeinerten Bildungswelt nicht zu erschwingen vermochte, 
dieselbe Existenz fristete, in welcher seine Ahnen und 
Urahnen vor dem Verkehr mit den Iraniem und vor 
dem Einfalle der Araber in Transoxauien verharrten. 

Da mit Hinblick auf die oft betonte Originalität der 
türkischen Culturwörter, und mit Berücksichtigung dieses 
Vorzuges über andere ural-altaische, und noch mehr 
über arische und semitische Sprachen, die verschwin- 
dend kleine Anzahl der Lehnwörter sich genau nach- 
weisen läset, so können wir mit ziemlicher Sicherheit 




33 



aagen, dass es einzig uqiI allein die arisi^he, resp. dto alt- 
iranische Ciillurwelt war, die schon im grauen Alterthame 
Hilf das Tüi'kcnvolk den ersten bildenden Einflass aus- 
geübt hatte. Von den alten Sitzen der iranischen Welt 
aus den heutigen Oxus- und Jaxnrtesländcrn, sowie aus 
den östlichen Vorposten im hcntigen Alti-shehr, oder auR 
deren nordwestlichen Grenzmarken an der untern Wolga, 
woher iranische Bildung zu Türken und Ugriern in glei- 
cher Weise gelangte, schienen die spärlichen Funken einer 
vorgeschrittenen Bildung zu den Türken in der Urheimat- 
liehen Steppenwelt gedrungen zu sein, und dass es nur 
altiranischer und nicht chinesischer Oultureiufluss gewesen 
sein konnte, das beweist uns eben die Sprache, in welcher 
die Namen der aus südlichem Breitengraden in die ver- 
muthliche Urheimat importirteu Gegenstände, Kleider oder 
Tbierarten nie in chinesischen, aber durchweg in ira- 
nischen Fremd- und Lehnwörtern anzutreffen sind. 
Was wir imter türkischer Urheimat verstehen, das kann 
demnaeh nur auf das mit den alten Ursitzen der Iranier 
im Norden benachbarte Gebiet sich erstrecken, sowie wir 
unter dem türkischen Urmenschen nur jenen Menschen 
verstehen können, der sich desselben Idioms bediente, das 
wir heute als selbständige Sprache der Türken kennen, 
eine Sprache aus deren etymologischer Zergliederung uns 
wieder der Urzustand nur desjenigen Volkes, das wir das 
Türkenthum nennen, zu Tage treten kann. Wie bei keinem 
Volke auf Erden, ebenso liesse sich auch bei den Tür- 
ken die Zeit ihrer Einwanderung in die sogenannte Ur- 
heimat nur schwer oder gar nicht ermitteln. Mit der 
Sprache verhält es sich jedoch anders; da diese sozusagen 
die geschriebene Geschichte seiner frühesten gesellschaft- 
lichen Entwickelung bildet und nur ihm allein eigen ist 
und eigen war, so muss die Vermuthung: der Türke 
konnte früher irgendeine andere Sprache gesprochen haben, 



36 



iichkeit ai^^H 
1 Cultur d^^ 



achoQ ipso facto aus dem Bereiche der Möglichkeit i 
geschlossen werden. 

Um nun zum Gesammtbilde der primitivei 
Türken überzugehen, muss gleich im vorhinein bemerkt 
werden, dass wir ea hier mit einem in seinem innersten 
Weseu noch durch und dnrch nomadischen Volke zu thun 
haben, dessen überwiegende Mehrzahl seit undenklichen 
Zeiten auf den weiten mit Gras und Schilf bedeckten 
Niederungen mit seinen Pferde-, Schaf- und Kamelheer- 
den umherirrte, mir von Milch, Fleisch und Fett der 
Thiere sich nährte, und nur mit den Häuten der Thiere 
sich kleidete. Neben diesen muss es schon in der Urzeit 
eine Minderzahl des Türkenvolkes gegeben haben, die in- 
folge günstigerer Verhilltnisse des Bodens und des Kli- 
mas sich mit Landbau beschäftigten, ohne jedoch hierin 
von fremden Völkern nnterrichtet worden zu sein, denn 
während z. B. von den Slawen, als den Ack erb aul ehrern 
der Germanen und Magyaren, so manche auf dieses Fach 
bezügliche Beneunnugen in der Sprache der Deutschen 
und Ungarn sich erhalten haben, weist das Türkische 
auch nicht die geringste Spur von derartigen Lehnwör- 
tern auf. Wol ist es aus der Natur der Dinge erklär- 
lich, dass der Viehzucht und dem Ackerbau der Ivcbens- 
unterhalt mittele Jagd nnd Fischfang vorangegangen sein 
muss, doch bietet die Sprache hierzu nur einen schwachen 
Anhaltepunkt. Auf der Jagd schien man sich friihcr der 
Netze und Schlingen, die aus gedrehten Baum- oder 
Pflanzenfasern bereitet wurden, statt der Hau- nnd Stich- 
waffen bedient zu haben, da der Mensch auf der weiten 
Ebene in Ermangelung von Reitthieren, wozu man sich 
nur spater verholfen hatte, dem flüchtigen Wild nicht 
nahe kommen konnte; und der Fischfüng muss, wie dies 
noch heute der Fall ist, nur eine Nebenbeschäftigung ge- 
bildet haben, ungleich dem Leben der finniach-ugrischen 



37 

Völker, bei denen Jagd und FischriiDg den Hauptnabrongs- 
zweig ausgemacht batte, wie wir dies nocb beute bei den 
Wogulen uud Oetjakcu sehen. Mau niuss im allgemeinen 
mit Hinblick auf dio von der Natur der Heimat bedingten, 
bei dem Gros des Türkenvolkes uot-b heute tief eingewur- 
zelte Wanderlust, Hang unfb Abenteuern und Liebe zu 
den Thieren, die Türken als die eingefleischtesten Noma- 
den des gesammten bisher bekannten McnHchengcachlecb- 
tes bezeichnen, in welcher Hinsicht unter den Völkern 
Asiens nur die Kinder der arabischen Wüste ihnen einigcr- 
massen nahe kommen; weder von den U^^■öIke^n Afrikas 
uoch Amerikas und Australiens liessesicb Aebuliches nach- 

Unter Haus verstand man ursprünglich eine Grube, 
eine Vertiefung im Boden, und die allererste Wohnung, 
näudich catjna = Zelt, d, h. das Zerlegbare, eigentlich 
das Zusammensetzbare, war für da« Wanderleben berech- 
net; dies ebenso wie samuitliebe durchweg mit genuinen 
Namen bezeichneten Hausgeräthe und Einrichtungen lie- 
fern uns das beste Zeugnias von der Originahtät der be- 
treffenden Erfindungen. 

Mit Ausnahme der aus Erzen bereiteten Gegenstände, 
in erster Reihe der eisernen Waffen, haben die Tür- 
in sämmtlicben Zweigen der zur nomadischen Existenz 
MI entbehrlichen Hausindustrie sich schon früh ausgezeich- 
net, ja ihre hierauf bezügliche Kunstfertigkeit muss den 
benachbarten, einer hohem Cultur sich erfreuenden Ariern 
schon frühzeitig aufgefallen sein. Zu den Gewerben ur- 
türkischen Charakters gehören unter andern die Bereitung 
des Leders, des Filzes, der Teppiche, des Pfeilbogens 
und des Keit- und Sattelzeuges- Besonders hervorgehoben 
KU werden verdient die Geschicklichkeit in der Vieh- und 
namentlich in der Pferdezucht, worin die Türken von je- 
her sich hervorthaten. Aus dem Thicrreiche waren Pferd, 



■ 



38 



Rind, Esel, Kamel, Hund, Schaf, Katze, Hyäne, Ti^ 
Fucha, Marder schon in der Urzeit gekannt, wäbr£ 
z. B. Ziege und Leopard, wie aus deren fremden Naoj 
sich schliessen lässt, aus eiuem südlichem Breitengni 
in die Urheimat gelangten. Von den Vögeln sind Fall 
Geier, Adler, Kukuk, Schwan, Gaus, Knte, Huhn uno 
Tauben als heimisch zu betrachten; von den Getreidearten 
ist nur das früheste Bekanntgein von Hirse und Weizen 
sicherznstellen. 

So allgemein und ureigen wie die Art und Weise, 
mittels welcher der türkische Urmensch sämmtliche zn 
seinem Lebensunterhalt crforderliuhe Mittel und Geräthe 
sich angeschafft, und in dieser Hinsicht aus eigenen Kräf- 
ten sich auf einen bedeutenden Grad der primitiven Cul- 
tur zn schwingen gewusst hat, ebenso allgemein siud die 
gesellschaftlichen Institutionen, die schon aus dem ersten 
Stadium des Zusammenlebens , ohne irgendein ireuides 
Zuthun herauswuchsen und mit dem treuen Gepräge des 
echten Türkcnthums, in der Individualität des dem frem- 
den Einflüsse entrückt gebliebenen Nomaden noch heute 
zu erkennen sind. Hierher gehÖit in erster Reihe der streng 
patriarchalische Charakter des Familien wesens, dessen 
Geist von der Familie in die Genossenschaft, des Auls, 
vom Aul zum Stammes- und Zweigesoberhaupte, und von 
diesem zn der später entstandenen Würde des Kaan oder 
Chan (Fürst) übergegangen war. Mit der Regierung Hand 
in Hand ging das Schafien der Gesetze, welche alters- 
gewohnten, daher geheiligten Sitten und Gebräiiehen ent- 
springend schon früh in höchster Achtung standen und 
2u-Regulativen des privaten und Öffentlichen Lebens wur- 
den. Die Religion, soweit uns bekannt von jeher der 
Scbamanismus — Reste des Thiercultus sind noch in der 
Furcht und Achtung vor dem Wildachwein zn entdecken 
— ist ebenfalls türkisch-tatarischer Geistesrichtung ent- 



:w 



Sprüngen, indem wir in den Grundprindjiien derselben 
den Keflex jenes Verhällnieees entdecken, dus zwischen 
dem zur Denkkraft heranreifenden Menschen und der ilin 
nmgebenden furchterregenden Stepponnotiir sich gestHltea 
miisßte. Gegen die iioeichtbaren Herren der Welt', d. h. 
gegen die Götter oder Geister, glaubte miin sicli einiger- 
massen sicherzustellen, indem man zum Schiiman (Prit^- 
ster), richtiger zu dessen unsichtbarer geistiger Krafl 
seine Zutlucht nahm, so wie man andererseits zur Abwehr 
der sichtbaren Feinde des Mensehen, d. h, gegen Kaub- 
thiere, sich untereinander schon früh vereinigt haben muss. 
In dieser Vereinigung, d. h. in der Jagdgesellschaft, liegt 
der Grund des türkischen Militärwesens, daher die Iden- 
tität ehemaliger Jagdchargen und heutiger höherer mili- 
tärischer politischer Würden. Man vergliiiche z. B. ioMS, 
kus =■ Jagd, mit kous, kogus = Hausgesinde, Gefolge; htii- 
heg-i = Jagdaufseher, mit hushegi = Vezier; karaul = Trei- 
ber auf der Jagd, mit karaul — Vorposten u. s, w. Nur 
in Aubetracht des Umstandee, duse der türkische Ur- 
mensch auf seiner Öden Heimat zur Abwehr der vielsei- 
tigen Unbill mehr Kraft entfalten musste, als der Mensch 
unter andern günstigem Regionen, mag es einigermasscn 
erklärlich werden, dass das Türkenvolk schon in der 
frühesten Phase seiner Existenz hinsichtlich der Organi- 
sation seiner Wehrkraft den Menschen arischer und semi- 
tischer Abstammung weit übertraf; dass er in persönlicher 
Tapferkeit im Kampfe mit den rauhen Elementen und in 
jeglichen Entbehrungen sich von jeher auszeichnete, und 
dass er schliesslich, wie es die natürliche Folge der Sache 
mit sich bringen musste, den friedlichen Beschäftigungen 
nie besonders geneigt, zur Pflege der friedlichen Künste 
sich nur schwer anschicken konnte, und dass er Krieg 
und Kampf dem ruhigen Leben vorzog. Aus dem Schä- 
fer, der seine Heerde auf üppigen Fluren und Triften, in 



iO 



anmuthigen Thälern weidet, konnte der Zauber der idyl- 
lischen Natur ebenso lei<:ht einen friedferligen Menschen 
machen, als der Ilirt, der sein Vieh imter den Schrecken 
einer grauenvollen Wüstennatur gegen die auf der von 
allen Seiten her oftenen Steppe sich hernmtummelnden 
ßaubthiere zu vertheidigen hatte, nothgedriingen zum wil- 
den Krieger sich umgestalten musate. Der eine konnte 
mit der Schalmei spielen, der andere musste stets die 
blanke Waife in der Ilaud halten, und hierin ist auch 
der Grund zu suchen, warum die Hirtenvölker arischer 
Abstammung, von bessern klimatischen und territoriale^ 
Verhältnissen begünstigt, leichter zu Culturvölken 
den, als Turko-Tataren oder die gam^e ural-altaiscj 
Rasse, gegenüber welcher es in gewissen vom ariscttS 
ßassenegoismus verblendeten Kreisen Mode geworden i 
das harte Verdict der Cultunintahigkeit auszusprechen-J 



VI. 

Diese Verschiedenheit in den Culturverhältnissen 
arischen und altaischen Rasse — richtiger gesagt, die Ud 
Sache, warum letztere bisjetzt nur auf der Stufe der pif 
mitiven Cultur verblieben, während erstere im rascht 
Fortschritte die älteste und mächtigste Verbreiterin 
Cultur geworden — ist es, die wir im Schlusskapiq 
unserer Einleitung nun etwas ansiulii'licher darstellt 
wollen. Vor allem mi'issen wir die Bemerkung voraUj 
schicken, dass unter dem Ausdruck „primitive Culül] 
der Türken", dessen wir uns in diesen Blättern bedienei 
nicht jene Phase der menschlichen Existenz verstand« 
werden muss, die, von den Anthropologen als Urzusta 
der Wilden bezeichnet, den Forschungen eines Lubboid 
Tylor, Waitz u. a. als Grundlage dient. Der von utd 
behandelte primitive Culturgrad der Türken weist ana 



4\ 



I keiae einstige dar Schattenseiten auf, welche das SitU>ii- 
I liild der Wilden verdunkeln. Vom Weibcroommimiemuü, 
! Ton Polygamie oder Polyandrie findet sieb keine Spur, 
! uod das Famiiicnband ist ebenso fest imd innig wie im 
civiljsirten Westen, anstatt locker zu sein oder gänzlich 
!j ta fehlen, wie dies bei vielen Wilden der Fall ist. Wir 
begegnen einer Gesellschatl mit einer wenngleich patri- 
archalischen, doch stabilen Regierungsform , mit Gesetzen, 
mit Achtung vor der Tugend, mit Abacheu vor dem 
Laster, und es dünkt uns daher keinesfalls zulässig, wenn 
Lubbock z. B, in Besprechung gewisser Sitten Kirgisen, 
Ealmüekcn und Turkomanen mit Neuseeländern und ame- 
rikanischen Wilden auf gleiche Stufe stellt. Es ist höchst 
wabrscheinlicb, dass dem von uns besprochenen primitiven 
CulturzHstande der Zustand der Wildheit vorangegangen 
sein muss, doch von diesem kann in vorliegenden Blättern 
auch schon deshalb nicht die Rede sein, weil unser Be- 
weisraatcrial, nämlich die Sprache, als Dolmetscherin der 
schon erwachten und zum Ausdruck gelangten Vernunft, 
von der ganz primitiven, thierähn liehen Existenz keinen 
Aufschluss geben kann. 

Ebenso müssen wir auch all jenen Ansichten und Mei- 
nungen entgegentreten, die in der modernen Wissenschaft 
von der Culturblnte der Ural-Altaier in Mittel- und West- 
asien noch vor dem Auftreten der Semiten und Arier 
verbreitet sind. Ohne auf den bereits erledigten Streit in 
Angelegenheit der sumerischen oder akkadischen Schrift- 
monumente zu reflectiren, können wir nicht umhin uns 
dahin auszusprechen, dass die aus den Keilinschriften an- 
geblich entzifferten oral-altaischen Sprachüberreste auf 
einer noch sehr schwachen Basis ruhen, indem die be- 
treffenden Forscher in der Unmöglichkeit, die unentbehr. 
liebe Leuchte einer türkisch-tatarischen oder finnisch-ugri- 
schen, geschweige denn einer nral-altai sehen Stammspraehe 



4'i 



anzuzÜDden, bisher doih nur in der Dunkelheit herui 
tappen, folglich zur Bekräftigung ihrer Angaben audi ki 
einziges Moment »nluhren können, das in den Form« 
und dem AVortschatze nach den Gesetzen der Lantveri 
deruog und der Begriffsverwandtschaft der ural-altaii 
Sprae.lien lur unantastbar gefunden werden konnte, 
stehen wir noch heute iu der Erörterung der Gruni 
sprachen der drei Hauptstänime , d. h. der Mongol-Mi 
dschuen, der Tiirko- Tataren und der Finu-Ugrier, 
schon jetzt auf eine mehrere tausend Jahre alte gemeii 
same ural-altaische Stamm^prache ~^ denu nur eine sol( 
könnte massgebend sein — zurückgreifen zu wollen? 

Also wie gesagt, die Behauptung, irgendein unbekanni 
Ural- altaiseh es Volk und dessen Bildungswelt sei der Ci 
turepoühe der Assyrer uud Meder, ja sogar der Arier 
Indien vorangeschritten , kann, inwiefern man auf ur 
altaisch linguistische Argumente fussen wollte, keine 
rechtiguog finden. Die nral-altaischc Rasse, speciell 
turko- tatarische Volk, hat wol Spuren seiner Cultur 
Westen Asiens und im Osten Europas zurückgelaesi 
doch geschah dies nur vor Anlang des Mittelalters 
erstreckt sich zumeist nur auf jene Bereiche des mensi 
liehen Denkens, in welchen die urwüchsigen Nomadi 
über andere friedliche sesshafte Völker sich hervoi-thatei 
Dieser Einüuss der turko-tatarischeu Cultur ist ganz klar 
jener Strasse entlang wahrzunehmen, auf welcher besagte 
Volker ihre Wanderungen gegen Südwest und Nordwest 
uUternahmen , und bezieht sich zumeist auf Viehzuch| 
Militärwesen und auf Regierungsangelegenheiten, 
voller Würdigung dieses Umstandes wird es erklärlidij' 
wie die bedeutende Anzahl türkischer Wörter, als: kai- 
mak (Rahm), Mmeli (Hülfe), kaici (Schere), jem (Futter), 
jarak (Waffe), iamgka (Siegel), ias (Augenb 



Fest 




fFSi^), thaiie (Ilaua)*, htc (Widder), tu« (Falke), tat- 
male (Feuerstein), urdu (Lager), (7 (Volki, cörek (Brot) 
II. s. w., in die neupersischc Spradic gelangen konnten; 
(IcDD ztigegtaaden, das» die meisten dieser Lehnwörter aus 
der tnoDgolisch-türkiat'Iieu Ilt'rrgcliaft stammen, und durch 
Werke wie das Tariclii Wassaf literarische Verbreitung 
geümden, wäre es doch nicht Bi^hwer, selbst im Texte des 
puristiscb-iraDigcben Königsbuches solche Worte heritussni- 
finden, deren türkiseher Ursprung keinem Zweifel unter- 
liegt. Hieraufgestützt wollten wir denn auch die Meinung 
wagen, dass die Türken nicht nur erat zur Zeit Jezde- 
ürd's, sondern schon lange vor demselben theils von Nor- 
den, theils von Nordosten hör in Iran einbrachen. Wenn- 
gleich die Sonderbenennung der Oxiis- und Jaxartesländer 
rail dem Namen Turan in ethnischer Beziehung sich nicht 
motiviren lässt, da die Autochthonen auch dort Iranier 
waren, so wäre es doch unmöglich, in den Nomaden der 
an Iran angrenzenden Sleppenrcgionen andere Völker- 
elemente als Turko-Tatarcn zu vcrmuthen, da es nur Mcn- 
Hcben eines fremden Stammes sein konnten, aus deren 
auffiillend fremden Cregichtszügen die iranische Mythe das 
Büd des Schreckens und des Ungeheuers malte, ebenso 
wie es nur Tmanier sein konnten, gegen deren kriege- 
risches Ungestüm die Einwohner des alten Dschordscha- 
niens von Alesander dem Grossen Schutz erflehten, der 
auch zu diesem Bchufe die sogenannte Hyrkanisehe Mauer 
erheben liess, ein Seitenstück zu der grossen Mauer in 
China, und zn dem Steinwall der Araber im Norden des 
alten Üerbend, in welchen drei ßiesenbauten cnlturbe- 
flissene Völker Schutz gegen die verheerenden Einfälle 
türkischer Nomaden suchten. 



' In der Volkssii räche cAtiiie vou tler tilrkischeii titamniBilbe kon, 
n = sieb uiederlasssn. Vgl. türk. konak — Wohniiog. 



Was den Eiafluss der tnrko-tatarischen primitiven 
Ciiltur im Osten Europas anbelangt, ao beschränkt sich 
dei^elbe auf jene spärlichen Ueberreste, die von den 
Magyaren gegen Ende des 9. Jahrhunderts auf ihrem 
Zuge von der Wolga in ihr heutiges Vaterland importirt 
wui'deu. Es ist allerdings noch sehr fraglich, ob man die 
im Magyii rischeu schon zur Zeit der Einwanderung dieses 
Volkes vorhandenen türkischen Cnlturwörter eben 
Lehnworter betrachten sollte, da unsers Erachtens 
Magyaren trotz des vorwiegend finnisch-ugrischen Chfl 
raktera ihrer heutigen Sprache als ein Misehvolk ugi 
scher und tu rko- tatarisch er Elemente zu betrachten sim 
Doch gleichviel ob ursprüngHch oder entlehnt, finden wir 9 
diesen Sprachüberresten einen beredten Zeugen der intef 
siven und extensiven Bedeutung der türkischen CultA 
jener Zeit, einer solchen Cultur, die von den südwestlic 
Thäleru, des Thicn-Schan , und vom Altai bis 
Pruth und an die Donau sich erstreckt hatte, und da 
verschiedensten Volkere] ementen, als Avaren, Petscheneg* 
Chazarcn und Kumaniern, vorleucbtete. Bei einer Prüfung 
der türkischen Cidturwörter im Magyarischen wird es 
sich herausstellen, dass die aus dem Bereiche der Ägri 
cultur und Viehzucht stammenden Worte theilweise cuvsj 
8 ischen Ursprung verrat heu (als: magy. borjtt^^Kalh, ( 
puru; magy. saWd — Sichel, cuv, sorla; magy. tinö^^w 
ßind, duv. tina ^^ Rind; magy. dissnö ^ Schwein, 
sisna u. s. w.), theilweise aber den Stempel des echt« 
uralten Türkenthums, ich möchte fast sagen der türb 
.sehen Stammsprache an sich tragen, und in dieser Bei 
Ziehung sehr hüufig dem Turkologen bei seinen etymologi- 
schen Forschungen zu Hülfe kommen. So: magy. buza ^ 
Weizen, türk. hudaj; magy. arpa — Gerste, türk. arpa; 
magy. dara = Grics, türk. tarik — Grütze; magy. 
Apfel, türk. älma; magy. tariö = Stoppelfeld, türk 




larla = Feld; oiagy. Slör = Ochs, tnrk, öf:Ur; mngy. ios = 
Widder, tfirk. koc; magy. ünö — Kulikntb, türk. önük; magy. 
Uiklö, türk, tohli = einjähriges Schaf; magy. Itful: — Henne, 
törk. tauk. 

Nicht minder intürossnnt sind die nuf Ueligioa und 
staatliche Einricbtiingcn Rrzng hnhrndfn tFirkischcn Ciil- 
turwörter im Magyaristlien, als; magy. egy-tniz = Gottes- 
liaus, Herrenhaus, vom türk. ege, eje — Herr, Gott, und 
häi — Haus; magy. Ordog = Teufel, türk. lirlüh — böser 
fleist; magy. Utrul = der geheiligte Vogel der Magyaron 
zur Zeit der Einwanderung, türk. furgtil, turgiitrl — Falke; 
magy. tür-vtity = Gesetz, türk. iörc, törä — Gesetz, An- 
ordnung; magy. rs^fV = Schwur, türk, i'cA't = Trank (von 
imd (VnitA- = schwören, eigentl. Schwur trinken); magy. 
ser«; = Heer, tnrk. (ffrft/ := Truppe, Heer v. s. w. Von 
Interesse sind ferner die ans der Periode des persischen 
Einflusses stammenden; magy. Isien, pers. izdan (Gott); 
magy. arviiäny ^\j\at, pers. ahriman (böser Geist); 
inagy. nap, pers. ap, nap, «ali (Sonne, Helle) n. 8. w. 
Diese Wörter haben noch lange vor der Berührung 
dieses Volkes mit der an der untern Wolga sich niis- 
breitcnden parsischen Cultnr in der Sprache der Ma- 
gyaren Eingang gefunden, und geben im ganzen ge- 
nommen uns ein recht anschanlichos Bild jener von zwei 
Richtungen herkommenden, sozusagen miteinander rivaü- 
sirenden Culturströmungen, denen die kleinern, durch in- 
nere Kriege und durch den Anprall neuerer Völkermassen 
zersplitterten Völkermassen der Turko-Tataren und Fiimen- 
Ugrier ausgesetzt waren, und die denn auch während der 
Krystallisirung der Sprachen auf den Wortschatz einge- 
wirkt hatten, wie wir dies z. B, noch bei den Wogulen 
bemerken, die heute an der Sosswa wohnen und deunoch 
in ihrer Sprache persische Wörter aufweisen, wie: üan 
(Brot); Sat (hundert); Batlijar pers. hachiijar (Eigenname). 



46 



Wenn daher von einer alten ural-altai sehen Cultur i 
Kede sein konnte, so müsste man nur besagte Bildungsw<| 
der Turko-Tataren ins Auge fassen, eine Bildung, die woT 
durch unii durch genuin, doch nur von primitiver Natur ist, 
und die trotz des geistigen Fortschrittes der benachbarten 
Gesellschaften arischer und semitischer Abstammung und 
trotz der weltgeschichtlichen Rolle, die den Türken selbst zu- 
gefallen, selbst nach einem mehr denn zweitausend- 
jährigen ununterbrochenen Verkehr mit fremden 
Elementen immer nur stabil, immer nur stationär 
geblieben ist. 

Wie aussergewöhnlich dieser Umstand auch scheinen 
mag, so werden wir bei einer eingehenden Forschung 
nach den Ursachen zur Einsicht gelangen, dass hier nicht 
ethnische, sondern historische Beweggründe den Ausschlag 
geben. Es wird sich uns vor allem die Wahrnehmung 
auidrängen, dass wir mit einer jungem (jle Seilschaft zu 
thun haben, mit einem solchen Theile des Menschen- 
geschlechtes, der auf der Bühne der Weltbegebenheiten 
später auftrat, und zwar zu einer solchen Zeit die Gren- 
zen der Urheimat zu überschreiten anting, als Volker an- 
derer Rasseu die südlich und westlich gelegenen zur Cul- 
turentwickelung von der Natur aus mehr begünstigten 
Ländereien schon längst in Besitz genommen und auf den- 
selben dermassen festen Fuss gefassl hatten, dass eine 
Absorbirung oder gänzliche Verdrängung unmöglich ge- 
worden war. Wenn wir ferner gleich annehmen, dass die 
Türken vor mehr als zweitausend Jahren im Süden gegen 
das heutige Turkestan und im Westen über die Wolga 
hinaus sich auszudehnen begonnen hatten, so darf doch 
nicht übersehen werden, dass diese Ausdehnung nur spo- 
radisch und nur in kleinen Haufen stattgefunden, und dass 
es eben dieser allen exclusiv nomadischen Völkerschaflen 
abgehende Geist der einheitlichen Handlung war, der 



47 

jeden Erfolg im vorhinein vereiteln muBSte. Von der 
Zahlengrösse der vorgeschichlliclien Hi^'wegiingcn arischer 
Völkerschaften vermag selbst die kühnste Phantasie sich 
kaum eine Vorstellnng zu machen, doch gestattet uns 
schon der Beginn des geschichtlichen Zeitalters in einige, 
wenngleich vage Vermiithiingcn uns einzulassen, und so 
dürfte dena auch die Behauptung gewagt werden, dass 
Völkerhaufen tou einem Umfange, wie r, B. der der 
Gothen, bei den LTral-Altaiem sich nie auf einmal in Be- 
wegung gesetzt hatten, sich auch nicht setzen konnten, 
Jie entsprechende Wirkung daher auch noth gedrungen 
ausbleiben musste. In ähnlicher Weise hat es sich mit 
den später geschichtlich nachweisbaren Bewegungen der 
Türken verhalten. Die ttirkischen Reiterhaufen, die im 
Dienste der Samaniden und Bujiden standen, waren ge- 
wiss nicht viel zahlreicher als jene Hulfstruppen, mit denen 
die Araber uuter Kuteibe in den Oxiislandern sich zu 
messen hatten, und wenngleich die geschichtliche Ueber- 
liefening das Auftreten der Seldschukiden in grossen Zügen 
schildert, so dürfen wir im Grunde genommen diese sowie 
andere Strömungen des Türkenvolkes nur im Lichte jenes 
Eindrucks des Schreckens betrachten, welchen diese Krie- 
ger nicht wegen des grossen Zahlenbeat and es, sondern in- 
folge der militärischen Ueberlegenheit und der Wildheit 
ihrer Sitten allenthalben verbreiteten. So sei beispiels- 
halber nur der Osmanen erwähnt, die ganz Auatolien und 
einen Theil Osteuropas erolierten und dennoch nur aus 
höchstens 25000 Mann türkischer Abstammung bestanden, 
und welche, d ie fremden unterjochten Elemente iu sich 
aufnehmend, heute auf mehrere MUlionen sich belaufen. 

Dort, wo der Zableubestand die materielle Kraft im 
vorhinein illusorisch macht, dort kann und wird der gei- 
stige Aufschwung und der Ucbergang von der primitiven 
Cültur zur fortschrittlichen Bilduugswelt von rein natio- 



48 



nalem Charakter selten imtl schwer sioh erwirken lai 
Hierbei müssen noch zwei nndcre nicht minder wii 
Umstände in Anschlag gebracht werden. Erstens, 
die minderzählige Gosellschafl, selbst uncL der gewaltsni 
Besitznahme der neuen Ueimat, die Waffe der Vertl 
diguiig nie aus der II;ind legen kann, und in dieser ti 
rigen Noth wendigkeit vom friedlichen Werke des g( 
gen Fortschreitens tbateächlich abgehalten ist. Zwei) 
pflogt dieser kriegerische Geist dermassen in Fleisch 
Blut zu dringen, dass derartige minderzählige Völ 
selbst dort und dann, wo keine gebieterische Nothweni 
keit mehr vorliegt, der Liebe zum Kriegshandwerk sc 
gewohnheitshalber sich nicht entledigen können. Seit 
das Türkentbiun kennen, hat es sich als der stereot; 
und professionelle Soldateustand Asiens präsentirt. 
während die Türken für den geringen Lohn einer mi 
ri eilen Suprematie das Handwerk übten, konnten andi 
wie Iranier und Araber, unter dem Schutze türki 
Waffen den Künsten und Wissenschaften obliegen, 
Und was von den Türken gesagt wurde, das pt 
geringer Ausnahme auf die ganze ural-altaische 
Wenn die Westfinnen im Norden und die Magyaren 
Osten Europas trotz alledem, was Staatenbildung, Gesit- 
tung und geistiges Leben anbelangt, unbehelligt von den 
Schattenseiten der ural-altaischen Rasseneigcnheit, neben 
den arischen Elementen auf der Bahn der modernen Cnltur 
rüstig fortschreiten, ja die mit ihnen östlich benachbarten 
Arier, so z. B. die Slawen, hoch überragen, so kÖnni 
wir hierin nur eine glänzende Bestätigung jener Ansi< 
finden, dass Denkkraft und geistiges Vermögen Ariel 
sowol wie Ural-Altaiern in gleiclier Weise eigen ist und 
eigen sein kann, dass aber andererseits dem zeitweiligen 
Hervorragen gewisser Gesellschaften auf dem Gebiete di 
Denkens und des Sinnens nicht ethnische, sondern eil 



■te n 
noH 

er^^ 




49 

tind allein politisch -sociale und bisweilen aucli geogra- 
pliieclie Motive zu Grunde liegeu. 

Hiermit muss selbst Terständlicli aiicb die Tliforic drr 
Alt ers verschieden beit der Völker aus dem ßereit-lie der 
g-osimdcn Combi na tioncn geschieden werden. Nicht Völker, 
sondern nur Gesell Schäften diirfou als juiig oder alt be- 
zeichnet werden, denn cretere sind so alt wie die Mctiscb- 
heit selbst, während letztere je nach dem Geiste der sie 
belebenden Institutionen in den Alterastadieu variiren 
können. Zugegeben daher, dass Magyaren und Westßn- 
nen ala die in Europa nnsässigen Fractionen der ural- 
altaiächen Hasse in den Culturbestrebungen der modcrneu 
Welt noch im Stadium des Jugendalters sich befinden, 
von welchem sie ohne Zweifel gleich ihren arischen Nach- 
barn ira Westen zur völligen Blüte heranreifen werden, 
so steht ein ähnlicher Forlschritt bei ihren Stammesge- 
nossen in Asien leider nur schwer in Aussiebt- Die grosse 
Mehrzahl dieser Völker, zersplittert und zertheilt, sind 
schon beute vom Zauberbanue der ruasischcn Suprematie 
allzu fest umschlungen, als dasa sie am Vorabende einer 
gänzlichen Entnationalisirung den Uebergangsprocesa von 
der primitiven Cultur zur hÖhern Cultur im Kleide der 
nationalen Selbständigkeit durchmachen konnten. Dies 
war gewissermaasen auch in den vergangenen Jahrhun- 
derten der Fall, da es während der Culturperioden der 
Seldschukidcn, Timuriden und Osmanen, abgesehen von 
dem theils moülimiseh- arabischen, theils iranischen, folg- 
lich fremden Ursprünge joner Bildungswelt, schon an 
einer türkischen Volksmajorität fehlte, die als Substrat 
der nationalen Cultur, als Basis einer türkischen Bildung 
hätte dienen können. Auch die noch unabhängig geblie- 
benen Ural-Aliaier, als Türken, Mongolen und Tungusen, 
unterliegen in dieser Beziehung noch zu sehr den Chan- 
cen des Riesenkampfes, welchen die europäische Civili- 



50 

sation gegen die moslimische und buddhistische Bildungs- 
welt fuhrt. Es kann daher von einer zukünftigen tür- 
kisch-nationalen Culturwelt, im europäischen Sinne dieses 
Wortes, schon deshalb nur schwer die Rede sein, weil 
eben der weitere Fortbestand des nationalen Lebens stark 
gefährdet ist, indem das heute noch unabhängige Türkcn- 
thum dem mächtigen Anprall des in Asien entnationali- 
sirend auftretenden arischen Bildungsgeistes wol kaum 
widerstehen kann. 



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1. 






I. 
Der Mensch und der menschliche KOrper. 



Von der Annahme ausgebend, dass der Mensch im 
Kindesalter die seiner Wahmehmungskraft näher stehenden 
einzelnen Gegenstände leichter bezeichnen kann als das 
verschiedene Theile umfassende Ganze, darf es uns gar 
nicht wundern, wenn wir in den allerersten Cultursta- 
dien irgendeiner Gesellschaft dasselbe Unvermögen hin- 
sichtlich der allgemeinen Benennungen, d. h. der Sammel- 
namen entdecken. Die Umschreibung des griechischen 
Wortes für Hensch^ nämlich „Zweif üssler", sowie das Ver- 
hältniss des hebräischen adom (Mensch) zu adoma (Erde), 
des litauischen iemo = Erde und imowes = Menschen, und 
des lat. homo zu humus ist auf dem türk. Sprachgebiete 
unbekannt.* Das für Mensch gebrauchte IciH Jciß oder 
hisi drückt eben den Begriff von Wesen aus, denn man 
sagt: er Jci^ = männliches Wesen, d. h. Mann, und cha- 
tun Mh = weibliches Wesen, d. h. Weib. Kisi^ alt. MJi^ 



♦ Das uig. jalguk oglani = Mensch, wörtl. Sohn des Irrthums, 
der Vergänglichkeit, ist eine Religionsmotiven entnommene bildliche 
Umschreibung. 




52 



das zu 7<fs — jemand in einem solchen Verhältnisse : 
wie das mong. Jciimon = Mensch zum türk.-tat. l'int 
jemand, dünkt mir in der wörtlichen Uebersetzung 
Einzelner, ein Gesonderter zu bedeuten, ein Gegensa 
zu bütün = Volk, Nation, Gesammtheit, und stammt v 
Jces, ftis = trennen, sondern, schneiden. Vgl. da3 ara 
ferd ^Person, Individuum, auch einzeln, allein. 

Es ist nur mit Hinblick auf die Auffassung nomat 
scher Völker, nach welcher der Mann als der eigeutlitj 
vollkommene Mensch angesehen wird (vgl- magy. ember ■■ 
Mensch, Mann, Gemahl), dass Ja'si, besonders im Alts 
sehen, speciell für männliches Wesen gebraucht wir 
Das Türkenvolk hatte allerdings eine specielle Bezeic 
nung fi\r Homo, nämlich das Wort türh von iöruk od 
türiik (vgl. g. 179), folglich Geschöpf, Mensch im allg 
meinen. (Vgl. töröngöi =^ Mensch, Geschöpf im Altaische 
namentlich in der von Radioff gebrachten Mythe ül 
die Welterachaffung, Ed. I, S. 159.) Das Wort war ( 
her vorhanden und später ist die Bezeichnung für Mensc 
auf Nation übertragen worden und das Verbältnisa zW 
sehen türk und töre (erzeugen, hervorbringen) find 
ein analoges Beispiel im lat. naiio, im slaw. rod (ö 
schlecht) und rodit (erzeugen), magy. nemset (Nation) ut 
nemseni (erzeugen) und schliesslich auf dem türk. Spraol 
gebiete selbst, wo (5ag. tire Stamm, alt. iÖröl Gcschlech 
jak. iöri'd Abkunft bedeutet. Uebrigens darf uns der Um- 
stand, dass der Türke unter dem Begriffe Mensch sich 
nur allein verstand, gar nicht auffallen, denn eine i 
liehe Etymologie liegt dem Worte deutsch, teutscH 
dessen Grundbedeutung Volk, Leute, ist, zu Grundfl 
ebenso auch im Worte Slowak, Slawjauiii ^^ SJawq 
von Sioica — Wort, Itede, wobei als redendes Weser 
folglich Mensch, in erster Reihe der Slawe bezeichne 
wird. 




53 



älinircliei) Wahroehmung begegnen wir auch im 
Worte für Tliier, welches im Türkischen gänzlich fehlt 
uud heute unter ciaein dem Arubiüchen enilelmtcii Aus- 
drucke haiwun — Thier, il. h. das Lebende, oder Mal ;= 
Veriuogeu, Besitz, vorkotamt 

"Wenn es im Anfang an einer concretcn Bezeichnnng 
für Menscli und Thicr mangelte und gewissermasscn noch 
heute mangelt, wie dies bei vielen uns bekannten ^praclien 
der Fall ist, so hat die türkische Sprache auch in der 
Bezeichnung des Leibes oder Hürpers einen mit den 
übrigen Sprachen verwandten Ideengang befolgt. GövUe, 
göbde, göbdck' = Körper, beiset der etymologischen Bedeu- 
luDg nach das Angeschwollene, der I^eichnam, das Aas, 
und so wie das deutsche Wort Leichnam im Alterthum 
den Leib iui nilgemeinen bezeichnete (vgl. engl, corpse, 
lat. corpus) und so wie das griechische Wort SwfJLCt bei 
Homer als auf den todten Körper bezüglich erwähnt wird, 
ebenso ist das türkische Wort gövdc von der primitiven 
Bedeutung des todten Leibes auf Körper im allgemeineu 
übergegangen. Merkwürdig ist es, dass die sinnreiche 
Vermuthuiig Geiger's", daaa der Leib als Fleisch, resp. 
als Speise aufgefasst wird, im Türkischen ihre Kräftigung 
ündet, indem hier, in den altern, durch fremden Einfluss 
minder ontstclltcn Spracht heilen für Körper das Wort ei, 
oder d-öz — Leibeigen, esistirt, ein Wort, das heute 
überall in der Bedeutung von Fleisch vorkommt. 

Der Unbestimmtheit gegenüber, welche sich in der 



' Göbdtk eventuell gövdek, kövdek führen wir deshalb ala die 
verhilltat8smäB8ig älteste Form an, weil bei den meisteo melirailbigen 
m( CoDBouante aunlautenden Wärtern das Wegfallen eines früher be- 
Etaadeoen Gutturale sich vermutheD täsGt. So nig, karak, cag., oeni. 
kara = Augapfel; adak-ada = Insel u. ü. w. 

" Ursprung und F^nt Wickelung An- iiieu st blichen Sprache imd 
Vernunft. II, 13i;. 



allgemeinen Bezeichnimg des Menschen und des menscb- 
licbcu Körpers kundgibt, tritt die Benennung der einzel- 
nen Korpertheile mit einer um so prägnantem Klar- 
heit hervor und legt ein glänzendes Zeugniss für die so 
oft betonte gcist- und sinnreiche Wortbildung der Türken- 
Sprachen dar. Die verschiedenen Korpertheile sind i 
lieh a) nach der ihnen zufallenden TLätigkeit, b) nad 
der äussern Form, in welcher sie erscheinen, und c) nael 
der Örtlichen Stellung benannt. 

Die erste Kategorie ist selbstTerständlich die grössS 
und reichhaltigste und führt im Innern Werthe 
Wortbedeutung mitunter eine ganz minutiöse Detaillirul 
der Function des betreffenden KÖrpertheües i: 
Äuge heisst der Seher (vgl. Mz-hör §. 83); Ohr hei^ 
der Hörer (vgl. kulak §. 99); Augenlid heisst dfl 
Deckel (vgl. kapak §. 81); Angapfel heisst der Blio" 
(vgl. karük §. 83); Lippe heisst der Fanger (vgl. tutm 
§. 193); Zahn heisst der Zerbrecher (vgl. iis \ 
Hand heisst der Nehmer, Greifer (vgl. elik olik §. 15^ 
Znnge heisst der Redner, Sprecher (vgl. til §. 188); 
Gaumen heiaat tangla, der Koster, der Schmecker 
(vgl lang §. 181); Fuss heisst der Geher (vgl. alak %.2T\ 
Knie und Einbogen heissen Stützer oder Stützpunq 
(vgl. tir, tis §. 191) u. s. IV. 

In die zweite Kategorie, wo die Formbeschreibung 
Richtschnur diente, gehören: Nase, der Wortbedentoia 
nach Spitze, der hervorragende Theil, daher 
Analogie des Ausdruckes für Nase und Vorgebirge (v^ 
borun §. 210); Mund, wÖrtl. Oeffnung (vgl, agi£, 
§. 1); Kehle, wörtl. der enge Weg, Engpass (v( 
bog, hag §. 204); Augenwimper, wörtl. Stachel (vj 
kirpik §. 91). 

So ist auch die Grundbedeutung der Wörter 
Körperhaare (fiig) und ein einzelnes Kopfhaar {kit) 5 



wm 



55 



cbel, und füg sowol als kU liegen den Begriffen Dorn, 
Speer, Spiesa und sonstigen langen spitzigen Gegenstftn- 
den 2u Gi'uude. Aus der Giuudbedeutung des epcdell 
für Kopfhuare im allgemeinen gebrauchten Wortes, näm- 
lich aus dem oüm. £«<', trk. ca4, kir. ia/, wird dio tu^ 
sprüugiich liiiigc Form des Kopfhaares ersielitliL'h , denn 
die Stammsilbe sac, cai' hat die Bedeutung von herab - 
wallen, herabhängen. Vgl. sacak =; Franse, sacl = 
Lerabbäugeudes Tuch. Faust hcitist dem etymologiecheu 
Werthe nach geschlossen, d. b. die geschlossene, und 
die Handfläche offen, d. h. die offene Hund (vgl- jtim- 

R§. U7 und aja §. 1). Der Gnindbegriff von Brnu» 
Bogen, Bug (vgl. ios §. 74), von Brost Wölbung 
!. U'jäs %. 72); von Busen Vertiefung, Höhle 
(vgl. Jcojan §. 98); von Boden das IlGrabbüngende 
(vgl. su3aJc §. 24 und eniik §. 35); von penls der Nagel 
(vgl. ciig §. 203); von Ader der hoble, verborgene 
Weg (vgl. faumr §. 179); von Bauch die Grube, die 
Höhle (vgl. härm und hir §.22); von Gebärmutter die 
Finsterniss (vgl. Uiucrik §. 179); von Schenkel oder 
Hftfte der runde, fleiscbige Theil (vgl. put %. 225); 
von Hals oder Nacken der Begriff des Länglichen, 
Langen (vgl. boj, bojun §. 205) ii. s. w. 

Was schliesslich die nach ihrer Oertlichkeit benannten 
Körpertheile betrifft, so finden wir solche in bas = Koipf, 
eigentl. der oberste, höchste Tlieil (vgl. bas, baj 
§, 205); in aln oder kahak = Stirn, eigentl. der vordere 
Theil (vgl. §. 11), eine Wortbildung analog mit dem 
engl, forehead und pers. pisane — Stirn von pis = vorn ; 
im Worte iÖt oder kic = poilex, eigentl. der HintertbeÜ, 
Hintere (vgl. hat §. 98); in tahan = Sohle, eigentl. Grund, 
untere Theil u. s. w. (vgl. iah §. 172), 
^^- Charakteristisch in der Benennnngstheorie der einzcl- 



56 



für Bart im Türkischen (sakal) vorderliand etymologisch 

sich gar nicht erklÜrea lässt, demn.icli als entlehnt er- 
eclieint, was nns im Hinblick auf die Bartlosigkeit de^^ 
primitiven Türkenrasac im Grunde genommen gar uicj 
wundern sollte; wogegen dieBenenuwng des Svhniirrhaii 
iijih und hurut, in der Grundbedeutung der Stammsilbe d 
fvon gross, voran in sich schlicssend, uns einige* 
1 die Wichtigkeit erklärt, welche diesem Theile t 
Haarwuchses in den verschiedenen Altersstadien 
Mannes zufällt. So heisat oam, bijilii ^ Jüngling, wÖrl 
der Schnurrbärtige; 6ag. bttruii äWa» ^ herangewachs^ 
wörtl. dem der Schnurrhart schon herausgekommen. Yfgl 
ferner hurut }iesi7]ii = Stadium der männlichen Reife, v 
das Zustutzen des Schnurrbartes. 

Ferner ist es nicht ohne Interesse wahrzunehmen, da^ 
die Sprache des Türken unter den Thieren keine Yiei 
füssler bezeichnet, sondern in gegebenen Fällen 
Vorderfüssen den Namen Icol — Arm, Hand, den Hintei 
füssen den Namen put oder ajak = Fuss beilegt, 
existirt im allgemeinen keine Sonderung in der Benennung 
der einzelnen Körpertheile des Mensehen und des Thieres, 
und selbst dort, wo die Natur unterscheidende Merk mal a_ 
geschaffen, geht die Sprache der Sonderbeneunung aw 
dem Wege, wie oben erwähnt bei Vorder- und Hinte 
fiissen, ebenso auch beim Worte ächwanz (_kuj-ruk, Jtifj 
rui), das der Stammsilbe Jcig, kut ~ hinter, rückwärl 
(vgl. §, 74) entsprungen ist. Es muss hier ausdrücklü 
bemerkt werden, dass dies nicht so sehr der SpracheM 
armuth als vielmehr jenem sozusagen innigen VerhältniBaj 
zuzuschreiben ist, in welchem der primitive Mensch ; 
dem ihm nahe stehenden Thiere sich befindet, dei 
Viehzüchter zugethan ist und dem er keine nur Gering 
Schätzung bekundende Sonderbenennung geben wird. . 
das Zärtlichkeitsverhäitnias zwischen dem Menschen v 



dem ihm nahe stehenden Hausthiere, das ich seinerzeit 
unter türkischen Nomaden zu beobachten (rclegenheit 
hatte, hat mich meine jüngste Erfuhning unter deu Vieh- 
lüchtern in Tirol lebhaft erinnert. Hier aowio dort die- 
selbe Schonunj^ und dieselben Liebeswortc, und hier so- 
wie dort wird ein Schimpfname eher dem Mcnsuben ala 
dem Hausthicr gegeben. 

Zu der Erörterung der verschiedenen KÖrpertheüe 
Holien wir noch jene Auffassung hinzufügen, welche in 
der Benennung der Functionen der einzelnen Korpertheile 
zam Ausdruck gelangt ist. Es ist vor ullcm interessant 
«1 wissen, dass der turko-tatarische Urmensch die mensch- 
liche Seele, deu Geist oder das Leben nach jener Er- 
Bcheionog benannte, welche dasselbe am untrüglichsten 
manifeatirt. Ea ist dies der Athem oder Athcmzng ((in, 
lim, vgl. g. 189), znglcich auch Dampf, Dunst, in wel- 
cher Form der primitive Mensch eben den Athem be- 
trachtet, der der BcneDuung des Begriffes Seele, Leben 
m Grunde hegt. Dunsten, dampfen, atbmen und leben 
sind daher identische Begriffe, denen das synonyme soluk 
— Athemzug insofern sich anreihen lässt, als auch dieses 
der Stammsilbe sol, sal, sei = Wind, Luft entsprungen, 
eigentlich Weben, Hauchen bedeutet. Neben dieser Be- 
zeichnung für Seele, Leben, gibt es aber noch eine 
andere, die auf das Gedeihen, Fortexistiren Bezug hat 
lind der Stammsilbe jas — fencht, nass, grün, entspringt 
und von der weiter unten die Rede sein wird. Selbst- 
verstandlich muss hier das im heutigen Spracbge brau che 
stark verbreitete tirik, firi, äiri = lebendig (vgl. §. 186) 
auch in Betracht kommen, doch ist dasselbe nur eine 
bildhche Umschreibung, indem es eigentlich im Sinne von 
rührig, beweglich aufzufassen ist. 

Vom Begriff Leben auf die Function der einzelnen 
Korpertheile iibergebeud, bedürfen die Begriffe sehen, 



58 



gehen iind hören wol keiner besondem Erörterung, da 

das Motiv der Benennung dieser Glieder mit der ilinen 
zufallenden Tbätigkeit im engsten Zusammenhange steht. 
Nur behufs Ergänzung wollen wir einiges nachtragen, 
und unter anderm sei hier erwähnt, dasa der turko- tata- 
rische Urmensch die eigentliche Sehkraft dem Angiipfel 
zuschrieb, indem er diesen karak, kara = den Seher be- 
nannte. Der Nexus zwischen hören und Ohr ist ein 
uralter und stammt aus jener Zeit, ala der finn-ugrische 
Stamm vom turko -tatarischen noch nicht getrennt war, 
denn heute ist hören schon durch secundaren Begriff aus- 
gedrückt, nämhch durch verstehen, auffassen und be- 
greifen. Vgl. ok =^ Sinn und ohnak =: hören (vgl. §. 48), 
ferner is = Verstand und iHtmek, Ursprung], is-itmek = 
verstehen. Schliesslich sei noch des Begriffs sterben er- 
wähnt, der so wie leben mit grünen, blühen identisch, 
bei den Turko-Tataren mit welken analog ist, wie aus 
dem Vergleiche ölmeh ^^ sterben und sölmek" = welken, 
ersichtlich wird. Dieser Nexus der Ideen, allerdings ein 
höchst natürlicher, lasst sich um so besser erklären, wenn 
wir jene bei primitiven Menschen vorhandene Anschauung 
in Betracht ziehen, nach welcher nicht nur der Mensch, 
sondern alle von uns leblos benannten Objecte eine Seele 
besitzen, die dem "Wasser, dem Wind, dem Feuer, dem 
Latib der Bäume und dem Grashalm die Kraft der Be- 
wegung verleihen, folglich derselben ebenso wie der 
Mensch im Laufe der Zeit auch verlustig gehen können. 



* Das Verschwicden des sibillanten Anlautes läest sich a 
im gegenwärtigea VerhältniBBe zwiBchen dem Jakutischen und an^laj 
Turkspraclien aichweiBeo. 



IL 

Geschlecht und Altersstadieu, 



Einen gescblcchtlichen Unterscbied hat das türkische 
Volk von jeher nur bei lebendigen Dingen gemacht, und 
bei Menschen sowol wie bei Thk'reu wird das männliche 
Geschlecht als die wahre Personification der Stärke, 
Macht und Gewalt dargestellt, ebenso wie das weibliche 
(reacblecht immer als das schwache und leidende bezeich- 
net wird. Das Verhältnisa zwischen den lat. vis — vir 
finden wir im turk.-tat. er = Kraft, Mühe, Plage, und er 
Mann noch deutlicher ausgedrückt, während Weib im 6ag. 
laifc (würtl. schwach), im alt. üjihge (wörtl. die Häus- 
liche}, im uig. cfci = die Häusliche, das Weib, und im osm. 
Jari (wörtl, alt) benannt, die Qnalification des Schwäch- 
lichen, Zurückgezogenen und Altersschwachen klar genug 
bezeichnet. 

In Anbetracht unserer heutigen und schon vor alten 
Zeiten gemachten Wahrnehmungen im Leben der noch 
in primitiven Culturzuständen befindlichen Türken, wie 
K. B. Kirgisen und Tnrkomancn, wo dem weiblichen 
Theile der Gesellschaft die harte, fast aufreibende Arbeit 
Oer Häuslichkeit zufällt, während die Männer zumeist ein 
träges Dasein fristen, mag eine derartige Beurlheilung 
des weihlichen Geschlechtes wol ein Widerspruch er- 
scheinen; doch ist dem nicht so. Nach Auffassung der 
Nomaden ist jede Beschäftigung im Kreise des Zeltes 
nur ein leichtes Spiel, und als die eigentliche Kraft und 
Stärke bedingende Arbeit wird die Aufsicht und Ver- 
theidigung des Auls, das Führen der Waffen gegen feind- 
liehe Stämme und das Aufsuchen der püssenden Weide- 



und Lagerplätze betracbtet, cioe Arbeit, an welcher die 
Frauen sich nie betlieiligen und nicbt betheiligen dürfen. 
Andere Benennungen des Weibca gewäbren uns einen 
Einblick in das Verhältuiss gesellschaftlicher Stadien bei- 
der Gescblecbter. Das cag. chalun, Ihatun, alt. fihati, 
oam. ladm = Frau, Weib, bedeutet im etymologischen 
Sinne des Wortes Genosse, Geselle (vgl- kat §. 88), 
folglich ein "Wesen, zu dem man sich im Leben gesellt 
hat C^gl- CUV. j'oZdfls == Frau, eigentl. Gefährtin, iind kirg. 
yar^ Frau, eigentl. Freund); während das bei den Oez- 
begen gebräuchliche oft- 6«s7f^ = Weib, wörtl. weiss- 
köpfig, au das magy. /eher ssemely = Weib, wörtl. 
weisse Person erinnert, wo nicht die weisse Kopf- 
bedeckung der Frauen, sondern die Gesichtsfarbe hervor- 
gehoben wird, worin das Weib von dem stets im Freien 
sich bewegenden, sonn- und wettergebräunten Manne 
sich unterscheidet. Uebrigens wurde in der Geschleehts- 
be Zeichnung auch der physischen Merkmale Kecbnung 
getragen, indem tisi, iisiih, disi = das Weibchen, weib- 
lichen Geschlechtes, bei Thieren und Menschen an- 
gewendet, der Grundbedeutung nach Loch, durch- 
löchert, mit der hebr. Wortbildung »läftaM = löchern, 
und «efteWiß ^ Weib, analog ist. Eine andere, den phy- 
sischen Merkmalen zu Grunde liegende Bezeichnung des 
weiblichen Geschlechtes finden wir in der Stammsilbe 
an, am, en, an, aus welcher die Namen aller auf die 
Unterschiedlichkeit des weiblichen Körpers Bezug habenden 
Körpertheile hervorgegangen sind. Brust (em-cik), säu- 
gen (em-)neft), Vulva (_am), Mutter (an-a, cn-e), Tante 
(riene) haben ein und dasselbe Etymon, doch gilt dies 
nur hinsichtlich des Menschen, denn bei den Thieren 
dient für generische Bezeichnung crhck oder ata bei dem 
Männchen und iisi bei dem Weibchen. Hinsichtlich der 
letztern beiden Namen muss hervorgehoben werden, dass 



dieselben nur bei solchen Thieren Anwendung finden, die 
dem Kreise der Beobuchttiug uud des Verkehres fern 
stehen, folglich nicht in die Kategorie der Uaiisthiere, zu 
deren ErkenntniBS wir hiermit einen neuen lieleg erlan- 
gen, gehörten. Bei den Uansthieren ist das Männchen 
vom Weibchen mittels eines ganz andern, mitunter auch 
mehrero specicllen Namen gekennzeichnet. So z. B. at 
(Pferd); Stute hingegen hat schon zwei Niimen, nämlich 
Usrali und b(ytal oder bije", ersterea im West-, letzteres 
inj Osttürkischen gebräuchlich, Titii/a (Stier); für Kuh 
hingegen gibt es ünck, inck und sigir; koj (Schaf) hat 
für das Männchen koc, iekke und erktc für das Weibchen; 
sogin (in einigen Gegenden nur Mutterschaf, ■ 
melken: vgl. sagir, stgtr = Kuh). H (Hund), kaneik 
(Hündin), kaban (Wildschwein), migcciv (Sau). Mächst 
den Hauathiercn ist, was die Sonderbenennung des ver- 
schiedenen Geseliledites anbelangt, noch jenes Wild zu 
erwäfaneD, mit dem der Türke auf seinen Jagden häutig 
in Berührung kam. So der Hirsch, von welchem das 
Uännchen in Mittelii&ien Huna, das Weibchen kiUak6i 
Iieisst; ferner das Reh, dessen Männchen hogu und Weib- 
dien Maral heisst; der Enterich wird mit dem Namen 
*(WH, die Ente mit borcin bezeichuet u. s. w. 

Es offenbart sich hier jener ganz natürliche Reichtbum 
nnd die Bildungafähigkeit der Sprachen, der wir da und 
dort begegnen, wo es sich um Begriffe handelt, die am 
bäofigsten vorkommen, und wo die Klarheit eine genaue 
Detaillirung unumgänglich nüthig macht. 

Was das Alter und seine verschiedenen Stadien anhc- 



• Bij-e und baj-tal sind gemeinsamen Ursprunges, beiden liegt 
die Stammsiltie bij, baj, bej (vgl. beg-utii = Madame; ferner raagy. 
^'-''ligy == Witwe, von öj = alleinstehend , anii ve^y-betje-beje = 
Fran) za Grwnde. 



L 



62 

langt, 80 hat der Türke zu der ilm umgebenden Natur 
sich gewandt und »ainentlich die Begriffe von den ein- 
zelnen Phasen des PÜanzeulehens dem Leben der Men- 
schen und Thiere angepaast. Analog mit dem Verhält- 
nisse zwischen dem deutschen Alter und goth, alan=^ 
wachsen, lat. a/ere ^= nähren , ist das Verhältniss des 
türk, jas-amak ^^ leben, zu jas, jasii =^ iiass, grün. 
Leben ist daher so viel wie grünen, gedeihen, und 
80 wie der Begriff von jung, lebenskräftig mit der Stamm- 
silbe jas ^^ grän, nass ausgedruckt ist, ebenso ist der 
Gegensatz, nämlich alt, lebensmüde, mittels kari-:^ 
alt, d.h. trocken, dürr (horii) bezeichnet; ja wenn wir 
nicht irren, steht öi = sterben, zu söi^= welken, verwel- 
ken in nächster Verwandtschaft. Jung im allgemeinen 
heisst liicilc jas, d. h. kleines Alter, und B('jahrtheit iduk 
jas, (1. h. grosses Alter oder Leben. Der primitive Aus- 
druck für Kind ist oMan (vgl. §. 50) und bala. Ersteres 
höisst der Sprossling im allgemeinen; letzteres, dessen 
Etymon uns unbekannt ist, dient als Bezeichnung des 
zartesten Alters. Noch haben wir für diesen Begriff die 
Wörter toku, eigentlich das Geborene, und im weitern 
Sione Jauru, jauruk (richtiger jo/rMrMJt von jakurmak = 
nähren, pflegen), der Wortbedeutung nach etwas was 
gepflegt wird. Jauruk ist im Osttiirki sehen für Kind, 
im Westtürkischen für junge Vögel gebraucht, wahrend 
das duv. jevr und kirg. jaur zaur den Anverwandten, 
Nachkommen im allgemeinen bezeichnet. Vgl. magy. gyer- 
m(?fc = Kiiid, Nachkomme. JÜDgling und Jungfer wer- 
den wie in andern Sprachen durch entsprechende bildliche 
Umschreibung verdolmetscht. So cag. Jigit (vgl, §. 35) 
und osm. deli kanli (_juvcnis'), der Wortbedeutung nach 
der Frische, der Warmblütige, Heissblütige, wo- 
ran als passendes Seitenstück ih (^pvclla, virgo), eigentl, 
feurig (vgl. §. 93) sich anreiht. Der Manu heisst im 



6:^ 

reifen Älter er, wie scbon erwähnt ziigK'R'Ii aucli die Be- 
nennung für Kraft und Stärke, wäbreod für die Bexeich- 
knoiig seines Alters entweder alc und at sakulli = grau, 
Hbaabärtig, oder karl, kari, karcik (vgl. §, 8i) gebraucbl 
^Herden. Der Geschlecbtsuuterschicd wird übrigens auch 
I bei den einzelnen Mitgliedern der Fnmilie mebr uuancirt, 
als dies bei andern bekannten Sprachen der Fall ist; eo 
i»fo= äJtererBnider, ft/fca' = ältere Schwester, iwi;^ jün- 
gerer Bruder, s/jiji/ = jüngere Schwester, 

Bei Nomaden von solch reinem Schlage, wie die Tüikeu 
TOQ jeher waren und noch heute sind, darf es uns gar 
niclit wundernehmen, dass die Sprache in der Bezeich- 
nung der verschiedenen Altersstufen der Thiere siL'h reich- 
baltiger zeigt als in der Benennung der menschlichen 
Altersstadien, ja viel reicher als die Sprache anderer noch 
D im nomadischen Zustande lebender Völker. Das Füllen 
^Kässt im ersten Jahre koluin und urgnci. ersteres das 
^H^nliche, letzteres das weibliche, im zweiten taj, im 
^HUtten gonan, im vierten donan oder rfowaciV), im fünften 
lohm und im sechsten cirgau. Kalb heisst im allgemei- 
nen bosau oder bosagu. boxgu, cuv. j'ru, (magy, borjv); 
doch auch hier gibt es Unterschiede, denn bei Kirgisen 
und Karakalpaken heisst das einjährige Rind basmnk, das 
zweijährige oJcse oder ökse, das dreijährige gonan öküe, 
das vierjährige donan öhüs, während bei den Oezbegen 
das sechs Monate alte Kalb özek, das einjährige Hind 
iwaaM, das zweijährige tana, das dreijährige Ögüzce (Oechs- 
chen), das vierjährige Ögiie heisst. Aehnliche Verhält- 
nisse treten in der Benennung des Kamelf ülleus, der 
JQngen Schafe und Ziegen hervor. Das junge Kamel 
heisst iw/M, das Lamm kuau, das zweijährige Schaf toklv, 
das dreijährige icek u. s. w. 

Es ist ganz natürlich, dass der Mensch dem Gegen- 
stande oder dem Wesen, das ein Hauptmittel seiner Exi- 




64 



stenz bildet, dem er aus vitalen Interessen ganz zuge- 
than ist, seine ungetheilte Aufmerksamkeit sehenkt und 
die genaueste Beobachtung zutbcil lassen wird. Daher 
denn auch die minutiöse Benennung der Alters Verschie- 
denheit bei den Thieren beider Geschlechter, eine Detail- 
lirung, die wir selbst bei den menschliehen Altersstadien 
vermissen, uud daher denn auch die ähnliche Erscheinung 
bei der Beschreibung des Zehes und andere in der Exi- 
stenz der Nomaden eine Hauptrolle spielender Gegen- 
stände. 



ni. 
Die Familie. 



J 



Das in den vorbergeg.'ingencu Blattern betoute Ud' 
mögen der türkischen Sprachen in Bezeichnung 
Sammelnamen oder allgemeinen Begriffe ist auch beim 
Worte fiir Familie ersichthch. Dieser Begriff wird aus- 
gedrückt durch die Umschreibung vou hala-caka, d. b. 
Kind lind Ge-sinde, oder durch cohik-cozvk, d. b. Leute 
und Kind, oder schliesslich durch das correctere öj =^ 
Haus, Haus und Huf, Wohnung. Nur für Familie im 
weitern Sinne des Wortes haben wir uruk und uruk kajas. 
Ersteres bedeutet Abkunft, letzteres Abkunft und Zu- 
sammengehörige, folglich die Familie im weitern Sinne 
des Wortes, d. h. der Stamm oder das Geschlecht, wor- 
unter man im Türkischen, wie aus betreffenden Etymolo- 
gien ersichthch ist, nicht einen Zustand der Sklaverei 
wie im Lateinischen (vgl. faniiUa und fumulus), sondern 
das Verhältniss der Innigkeit und Zusammengehörigkeit 
ausgedrückt haben wollte. 




Daa Haupt einer Wolinung, d. h. Familie, !tit der 
Vater, aia. ein Wort, weiches auch in der Bvdentung 
von stark, männlich vorkommt, denn man sagt ata börü = 
der männliche Wolf, ata kas = der Gänserich, mit einem 
Wort ein Ausdruck, der den Inbegriff von Obrigkeit, 
Oberaufsicht, Herrschaft, ja all jener Attribute in sich 
schliesst, die dem Vater oder Hausherrn laut der patrinr- 
chalischcn Verfassung der Familie eigen sind. Auch der 
Begriff Ahnen wird durch dieses Wort wiedergegeben, 
nämlich atalar (eigentl. Väter), und im Zusamuieu hange 
mit der Ächtung und der Ehrfurcht, welche den Ahnen 
und Vorältern bezeugt wird, hcissen „weise Sprüche" 
oder ,, Sprichwörter" afahir srki ^= das Wort der Väter. 

Ganz verschieden von dieser Bedeutung und im vollen 
Einklänge mit der Stellung, welche das Weib im primi- 
tiven Stadium der Gesellschaft einnimmt, haben wir für 
den Begriff JIntter überall ana oder i?>ie, welchem die 
Stammsilbe «h, en zu Grunde liegt, folglich ursprünglich 
Weib, Amme bedeutet, und nicht Hausfrau oder Her- 
rin, und in der That betrachtet die Frau ihren Gemahl als 
einen, der ihr Schutz gewährt, daher die Benennung Ge- 
mahl dag, Ajjusl-a (Väterchen) und osm. kosa (Alter). 
Die Bubordinirte Stellung des Weibes in der Familie ist 
auch aus der Benennung der übrigen weiblichen Mit- 
glieder ersichtlich; so haben wir zur Benennung des 
Ültem Bruders das Wort (if/a (vgl. §. 5), zugleich ein 
Ehrentitel in der Bedeutung von Oberster, von der 
Stammsilbe ah = grau, wozu egeci (zusammengesetzt 
aus ege, aga=^a\t, gross, und m, m = Weib, Schwe- 
ster) = die ältere Schwester, doch nie gebraucht 
wird, während die Benennung der Jüngern Schwester, 
nämlich singil, den Zärtlichkeitsbegriff Junge, Kleine 
in sich schliesst. Es ist nur der Ausdruck des Bedauerns 
nud des Mitleids, welcher sich im osm. Worte Vari ^ 



Weib, eigentl, alt, die Alte oderimjak. ä»i«l«H — alteFran, 
eigeotl. Abgeplagte, sich abspiegelt. Für dea Begrifi' Ge- 
schwister hat der Türke kardaA, karindas, d. h. Baucbge- 
fährte, oder foia«, richtiger 6(r /oH:«H, d.h. der Mitgeborene. 

Es sind dies Benennungen, welche an nnd für sich 
auf jeues Band der Liebe und der Innigkeit hindeuten, 
durch welches die Geschwister miteinander verbunden 
siod, allerdiögs Benennungen, denen gegenüber der in- 
nere Werth der entsprechenden Wörter in den arischen 
und semitischen Sprachen nur matt und bedeutungslos 
eracheinen muss. Die Genauigkeit in der Bezeichnung 
der einzelnen Mitglieder des engern Familienverbandes 
manifestirt eich auch bei den Namen der weitern Ver- 
wandten, Der Onkel väterlicherseits lieisst abaga, der 
mütterlicherseits tagaj oder daji. Äehnliche Verhält- 
nisse walten ob in der Benennung der Tanten, Ge- 
schwisterkinder u. 8. w., mit einem Worte, zwischen all 
jenen Mitgliedern, die durch das enge Band der Bluts- 
verwandtschaft miteinander verbunden sind, während die 
infolge des Heirathene aus fremden Familien eingetretenen 
Mitgheder den ganz passenden Namen von ügej oder 
üvej = fremd, resp. katin oder k<^in = hineingefügt, 
führen. So ügej ata und ügej ana =■ Stiefvater und Stief- 
mutter (wÖrtl. fremder Vater, fremde Mutter), katin ata und 
kajin ana = Schwiegervater und Schwiegermutter (wörtl, 
hinzugefügte Aeltern) u. s. w. 

Da für den Begriff Familie das Wort üj, öj = Haus, 
existirt, so ist es ganz natürlich, dass der Begriff Hel- 
rathen mit öjlenmelt:, evlenmek, wortl. sich ein Haus, d. b. 
Familie schaffen, sich ansiedeln, wiedergegeben ist, eine 
Wortbildung analog mit dem magy. kä^asodni = heirathcn, 
welches von Itäf = Haus stammt. In Anbetracht dea 
Umstandes, dass die Ehe bei den Nomaden noch heute 
in den meisten Fallen von den Aeltern und zwar nicht 



R7- 






sehen im zarten Alter der Kinder abgeschlossen wird, so 
ist das Freien in dem Sinne, in welchem wir es niif- 
fassen, ganz unbekannt, und es wird auch dieser ÜegriS* 
mit der Umscbreibimg kisi/a harmak (wörtl. zu einem 
Mädchen geben) verdohnetscht, ein Stadium der Heiratha- 
sitte, dem der Mädcheuraub^ heute nur im Spiele sym- 
bolisirt vorangegangen sein muss. Der Brätttigani heisst 
daher entweder (az.) hiircgen, eigentl. der Beschauer, 
oder ffüvej, uig. gubek, hiibfk, dem innern Werthe der 
Stammsilbe nach der Vertraute, Anvertraute, Treue {cgi. 
güv-enmek, Afifi-enwcA = sich verlassen, vertrauen, und 
Hig. i(iu-rt!c'= Zutrauen), ferner das deutsche trett und' 
trauen, engl, trulh und belroth u. b. w. Die Braat 
hingegen az. adaMi, d. h. die Versprochene, von adak 
= Versprechen, Gelübde, und «^ag. osm. gelin oder 
1:din, d. li. die Kommende (vgl. f/ti-mek, kal-mek = kom- 
men), weil sie ins Ilaua des Mannes geht und letzterer 
ihren Austritt aus dem älterlichen Hause mit einem Kalim, 
alt. Jcalin, d. h. Ersatz, das was zurückbleibt, von kalmak 
=1 bleiben*, vergüten muas, währeud die Hochzeltsgabe^ 
die das Mädchen mitbringt, in ebenso richtiger Weise ko- 
santi, wortl. das Mitgegebene, das Hinzugefügte (vgl. §. 80) 
heisst. Ersterea besteht bekannterniassen aus Geld oder 
Vieh, letzteres hingegen aus Kleidern und solchen Gegen- 
iden, die zur Einrichtung eines Zeltes nothwendig sind. 
Der etymologischen Bedeutung des Wortes chatun oder 
Frau, d. h. Zugefügt, Genoase, haben wir schon 
Erwähnung gethan, es erübrigt daher noch der Begriffe 
ledig und Witwe zu erwähnen. Für erstem hoben wir jak, 
ler Stammsilbe hos, öos =^ leer, oder das dem 
entlehnte osm, lieJ.iar (wörtl. unbesehäftigt), 



Vielleicht aucli von 7ci'Ti)i, Mn» = lluiifcn, Menge, eine gi'Ös- 
e Zahlenqunntitiltv 



.63 



für letztern Liugegen tut oder dt<!, wörtl. verlassen, em 
zeln, allein, und im k. k. die Umschreibung er(i'o7f = niannlad 
Ea zeigt duher die Sprache uns wieder das ältesa 
Bild ans dem Sittenleben der Türken mit einer Treue, ( 
wir anderswo aelteu finden, ein Bild, das seit JahrtaK 
senden an Einfachheit nichts verloren hat, und das selbd 
durch den allgewaltigen Eiulluss des Islam in 
Hauptzögen nicht beeinträchtigt werden konnte. Ob | 
Anbetracht der Resultate anthropologischer Forschungej 
nach welchen die Festigkeit des Familienbandea i 
primitiven Stadium des Menschen stark in Zweifel gesetfl 
'ist, wir in der von uns als primitiv bezeichneten CuIM 
der Türken nicht etwa schon einen fortschrittlichen Gri|j 
der Bildung annehmen sollten, mag sich vielen als Frag 
aufwerfen. Nach unserer Anschauung jedoch, wo 
Anfang der Sprache mit dem Beginn der Existenz f{y 
gleichzeitig erklärt wird, wäre es schwer, wenn 
unmöglich, in Combinationen über den Bestand eini 
altern als der im Zeugniss der Sprache niedergelegte! 
Bildungaperiode sich einzulassen. Vom Einfluas 
modernern Bildung als des Islam oder des Christenthum 
kann auch schon deshalb keine Hede sein, weil 
Türkenstämme , die dem Islam fern blieben und dem Chrij 
stenthume sich nur in der Neuzeit genähert haben, d. 1 
welche iu ihren socialen Lebensbedingungen die priniitiTe( 
Merkmale ihrer Rasse länger und reiner bewahrt habei^ 
wie die Jakuten und Tschuwaschen, speciell in der Be^ 
Zeichnung der verschiedenen Verwandtschaftsgrade einej 
überraschenden Reichthum der Sprache zur Schau tragei 
So führt Zolotnitzky in seinem Wiirzelwörterbuch ded 
tschnvaschischenSprache folgende sechzig verschiedene Ver^ 
wandtschaftsgrade an, denen wir im Bereiche der mosli-l 
misch-türki sehen Mundarten nicht immer die entspreehendea 
Benennung gegenüberstellen können : 



69 



• 


Deutsch 


Öuv. 


Cag. 


Osm. 


1 


Vater 


adi, ati 


ata 


b€iba 


2 


Mutter 


anney anni 


ana 


ana^nene 


3 


Sohn 


Ml 


ogul 


oul 


4 Tochter 


kir 

• 


kiz 

• 


kig 

• 


5 


Schwiegersohn 


kürüü 


kOjau 


güvej 


6 


Schwiegertochter 


ktHy kimü 


kelin 


gelin 


7 


Kinder des Sohnes 


ivildan tugan 


— 




8 


Kinder der Tochter 


kirdan tugan 


— 


— 


9 


Aelterer Bruder 


pi66e 


aga 


* 


10 


Jüngerer Bruder 


stUm 


• • 

tftf 


— 


11 


Aeltere Schwester 


appüj akka 


egedi 


— 


12 


Jüngere Schwester 


fimik 


singil. 




13 


Gemahl der altern Schwester 


jisna 


jezde 


eniite 


14 


Gemahl der jungem Schwester 


kürü 


— 




15 


Frau des altem Bruders 


jinle 


jinge 


jenge 


16 


Frau des jungem Bruders 


kin 


— 




17 


Anverwandter im allgemeinen 


per tuvanln 
Mle 


uruk kajai 


♦♦ 


18 


Grossvater (väterl. Seite) 


az^atte 


uluk ata 

• 


dede 


19 


Grossmutter (väterl. Seite) 


az^anne 


uluk ana 

• 


nene 


20 


Grossvater (mütterl. Seite) 


kog'azt 




♦ 


21 


Grossmutter (mütterl. Seite) 


kog^amaj 






22 


Onkel (älterer Bmder des 


mo6ej 


emeke, aba- 


amuza 




Vaters) 




ja 


(arab.) 


23 


Onkel (jüngerer Bruder des 
yaters) 


picce 




-•— 


24 


Onkel (mütterl. Seite) 


asla, kokku 


tagaj 


daji 


25 


Frau des altem Onkels 


kin-emej 




— 


26 


Frau des jungem Onkels 


jinge 






27 


Tant,e (älter als' Vater und 
Mutter) 


mun akka 


aja 


tejze, ha- 
la (arab.) 


28 


Tante (jünger als Vater und 
Mutter) 


akka, appa 


""• 


^— 


29 


Gemahl der altem Tante 


mo6ej 


— 




30 


Gemahl der jungem Tante 


jisna 


— [ka 




31 


Gemahl 


ar-zin 


er,baj,apttä' 


koza 

• 



* Im Osmanischen mit böjük kardas = grosser, d. h. älterer Bru- 
der umschrieben. 
*♦ osm. familia, akraha (arab.). 



^^^^^H^HV ^^^H 


^^^^E^^PW^ ^^^^M 


'^ 


Deutsch 


Cuv. O.g. 


Osm. 


32 


Gemahlin 


arhn (arab.) 
Joldai 


khatiiii 


kar% 


33 


Schwiegervater i des Hannes 


fcon eie 


kajin ata 


kafint 


34 


5chwiegermutter j Aeltern 


kwlm 


k(,jin a«a 


fc'üi»«* 


35 


( Schwieger- i des Weibes Ael- 


kon eme 






36 


t altem i tera 


kon agu 


— 


^ 


37 


Schwager (des Mannes Bruder) 


piagam,is}cei 


kajin aga 


kcijin,bt 
sanafr. 


38 


Schwager (desWeibesBrader) 


ion iikain 


ini 


39 


j Scbwägerin(desManiiesund 


kon egem, 






40 
41 
42 


j d.Weibesä!tereSchweBter) 


kon egei 


kojin egeci 


baldh 


i Schwfigeria (dea Mannes 


poldtr, pol- 






43 


1 oder des Weibes jüngere • 


dir«, pol- 


kajin singil 


_ 


44 


' Schwester) 


dire 






45 


Schwager (Bruder odcrSchwe- 


posjatia 








Bter der Frau) 




~ 


46 


Bräutigam 


iace 


ataglikujau 


güvej 


47 


Braut 


soras»i Mr 


kern 


gelin. 


48 


StellTerlreter des Vaters 


odaUk [ane 


atalik 




49 


Stellvertreter der Mutter 


kijmatnk 


— 


_ 


60 


Bräutigamführer 


mun-küi-ä 


— 


_ 


61 


Brautführer 


toi» kürü 


— 


_ 


52 


Hochaeitabegleiter 


ioj kalik 


— 


_ 


53 


Schwäger 


kuda 


— 


_ 


54 


Schwägerinnen 


iukUc 


— 


_ 


55 


Stiefvater 


am sori 


üge jata 


üvej at 


56 


Stiefmutter 


ama «ori 


ilgej a,m 


üv^atu 


57 


Stiefsohn 


hU gori 


ügej ogiil 


üvigotü 


58 


Stieftochter 


kir sori 


ügej kie 


üv^ Ot 


59 


(Adoptivkinder und Pflege- 




asrägan ha- 




60 


) kinder 


osrav 


la 


~ 


Dieser Reichthum der Sprache, diese sozusagen haar- 


epalteriache Genauigkeit in der Bezeichnung der einzelnen 


Mitglieder der Familie mu 


a in erster ßeihc jenem enge^H 


* Im ruBsischeD Texte mit ZJe 


oer (Schwager), Zohteka (SchwägeriniH 


Sehurin (Bruder der Frau) und SwojaUchia (Mauues Bruder) wieder^! 


gegeben, Wärter, die im DeutEchen nur schwer sich präcisiren lassei^H 



71 



Bunde zugescbriebeo werden, durch welvhee der Mensch 
im pritnitiren Stadium diT Bildung an die Seiuigen eich 
gebunden fühlt. All sein Sinnen und Trachten erstreckt 
sich nur auf dieaeu engen Kreis, und je mehr er von 
demselben in die Ausseatvelt sich entfernt, d. b. je mehr 
er in den einzelnen Phasen einer vorsc breiten den Bildung 
seine Sinne andern Dingen zuwendet, desto Bchneller 
gehwindet besagter Zug des patriarchalischen Lebens und 
daniit aoch die scrupulös genaue Erklärung der einzelnen 
Verwand tscbaftsgrade. Wenn wir bezüglich dieses Punk- 
tes das von Lubbock entworfene Bild des Famihenver- 
iültaiBses der wilden Menschen mit andern Rassen Ter- 
gieicben, so wird unsere Erfahrung allerdings zu Gunsten 
^^Jer Türken sprechen, indem die etymologische Zerglie- 
^Hkrung der betreffenden Verwandtschaflgbegriffe einen un- 
^Hfirkennharen Grad der Zärtlichkeit und Anhänglichkeit 
^^^errathen. 

Bei der Bes|)recbung der FamilienTerbältnisse des 

turko-tatariscbea Volkes darf nicht unerwähnt bleibea, 

doas von der Vielweiberei nirgends eine Spur anzutreffen 

ist; eine übrigens ganz nuturgemässe Folge primitiver 

gesellschaftlicher Zustände, welche diese Unsitte auoh 

schon deshalb überall ausschliessen , weil die Vielweiberei 

zu allen Zeiten ein Ausfluss des Luxus, ein Ergebnis» 

^^^esoodern materiellen Wohlstandes war, der bei dem 

^Hfenscben der primitiven Cultur doch nicht anzunehmen 

^^K, wie dies übrigens auch noch bente bei deu Nomaden 

Gicb wahrnehmen lässt. Die Sprache hat nur ein specielles 

Wort für Kebsweib, nämlich Icirnak im Oezbegiscben, 

dessen Etymologie mir unbekannt ist, wenu nicht etwa 

iselben die Stammsilbe kir, /*j> = Mädchen, zu Grunde 

und etwa aus ÄiV-y'jioA =^ junges Mädchen, kleines 

'■eib, entstanden sein mag, wie eine ähnliche Composi- 

Mongoliächen, nämlicb baH'an eiBc = Kebsweib, 



72 



ileines Weib, zeigt. So fehlen außti die üenesi-* 
nungCD für Hure und Bastard, für welche wir nur per- 
sisübe Lehnworter haben, nämlit-h im Oattürkischen Ittli, 
im Westtürkisclien itispi oder tinispu (Hure) uud pic 
(Bastard). Der Abstand, welcher in der Sittenreinheit 
zwischen dem von einer fremden Cultur angekräokeltei 
Türken und seinem auf der Steppe wohnenden Stamn 
genossen noch heute besteht , wird nach einem lange] 
Aufenthalt unter Turkomanen und Karakalpaken softK 
ins Auge fallen, denn, ob in Afrika oder in Asien, gewia 
Laster werden nur durch die sogenannten Culturträgi 
eingeschleppt. Der Mensch im primitiven Zustande ms 
die ahsouderliehsten Begriffe von Besitz Verhältnissen uo 
andern Bedingungen des Zusammenlebens haben, derartig 
Laster sind ihm gänzlich unbekannt. 

Wir dürfen besonders nicht ausser Acht lassen, dat 
die Innigkeit des Familienweseus und die mit derselbe 
verbundene Reinheit des Blutes bei d%n Nomaden uB 
folglich bei den Türken in vorzüglicher Weise immer d( 
Gegenstand grosster Fürsorge war. Im primitiven 
stände des ijesellschaftlichen Zusammenlebens ist ea 
einzig und aUein der Familienverband, welcher gegi 
Willkür und Uebergriffe Schutz verleiht, und je 
reicher eine Familie, desto grösser auch das Anseht 
dessen sich die einzelnen Mitglieder derselben erfreui 
Hierunter wird natürlich die Familie im weitern Si 
des Wortes verstanden und im Osten mit kot htt, ü 
Westen mit soj = Gattung, Geschlecht, Clan, bezeichne 
Bei den Osmanen und iranischen Türken hat dieses Woi 
schon seine Bedeutung eingebüast, bei dem mittelasiat 
sehen Nomaden hat es jedoch noch sein volles Gewicht, 
und kudaman = die zu ein und demselben Clan Gehörigen 
oder Stammverwandte, ist gleichbedeutend mit kardas = 
Bruder, oder süt kardns = Milchbruder. 




IV. 

Haus nnd Uof. 



Bei einem Volke, das der grossen MehrzaLl nacli selbst 
Iieute nocli das HaiiB, d. Ii. einen festen Wohnsitz, nicht 
kennen will und demselben das leichtbeweglicbe luftige 
Zelt vorzielit, darf es «na gar nicht wnudernehmen, 
wenn es in der frühesten Epoche seines Lebens unter 
Wohnstätte und Wohnung nur den von der Natur seinen 
Bedürfnissen und den kliniatischen Verhältnissen seiner 
Urheimat entsprechend angewiesenen Punkt Erde versteht. 
Daa tiirko-tatariache Wort öj oder ev. welches heute in 
der Bedeutung von Hans, Wohnung, vorkommt, mustj 
dem innern Werlhe nach mit Vertiefung, Thaltiefe, 
Ttal, übersetzt werden und ist identisch mit der Stamm- 
silbe 0;=: graben, ausgraben, vertiefen, zugleich aber ein 
üomen für Vertiefung, Thal, Grube, Tiefe ii. s. w. Deri- 
vate derselben Stammsilbe sind noch ferner jak. ty'o ^^ 
Nest, CUV. oj = Thalgcgend , k, k. lyW; = Schlucht, und 
nach der normalen Lautveränderung des auslautenden j 
in /, cag. otaJc. osm. oila = Zimmer, Zelt, alt. odu = 
Stall, jak. üt = Loch, öuv. odar =: Zufluchtsort für Schafe, 
magy, oäu = Hoble, Grube u. s. w-, wie solche in §. 47 
angeführt sind. Wenn wir daher nach der ersten Wohn- 
art der türkischen Völkerschaften forschen wollen, so 
müssen wir von der heutigen Lebensweise der Komadeu 
urtheilend zur Ueberzeiignn^ gelangen, dass der Türke 
in seinem Urzustände eine Wohnung eigentlich nur wäh- 
rend der ranhen Jahreszeit gehabt, und dass diese zu- 
meist in solchen Thälern und Vertiefungen gewählt wur- 
den, die den von Nordost hereinbrechenden eisigen 



74 



StürmeD weniger ausgesetzt, dem Meusclieti und seisen 
Hausthieren eine Zufluehts statte bieten konnten, wie dies 
übrigens auch noch beute bei Kazalien, Kirgisen, Kip- 
tachaken und Turkomanen geschieht, die bei Eintritt der 
rauhen Jahreszeit von den höher gelegenen TheÜcn der 
Steppe nach TJialtiefen und Schluchten sich zurückziehen, 
um daselbst den Winter zu verbringen; ja wie dies selbst 
bei den alten Germauen der Fall war, deren Häuser nach 
Tacitua hÖhlcnförinig bis zur Hälfte in der Erde sich 
befanden. 

Unter solchen Verbältnissen konnte aelbstverstäudlich 
von einem Hanse, d. h, von einem festen stabilen Wohn- 
orte keine Rede sein; die Wohnung musste, um den Be- 
dingungen des Nomadenlebens zu entsprechen, transpor- 
tabel und demzufolge auch zerlegbar sein, daher das 
Wort catma oder catir* = Zelt, von catmak = zusammen- 
legen, zusammensetzen, neben welchen oj in kara-oj, ak- 
oj nur als eine allgemeine Benennung für Wohnung, 
Wohnsitz, figurirt, in analoger Bedeutung mit dem Worte 
Jurt heute fast überall mit Heimat, Land, Vaterland, 
übersetzt, der Grundbedeutung nach jedoch Tiefe, Loch 
(vgl. osm. jurli = das Loch) von der Stammsilbe jar, jor 
= spalten, graben, vertiefen (vgl. §. 145). Dem Zelte, 
als der ersten Wohnung, ist auch schon von jeher die 
grösste Aufmerksamkeit zugewendet worden, und die 
einzelnen Theile desselben sind theils nach der Form, 
tbeils nach der Beschaffenheit des Dienstes, den sie beim 



* Man will in cadir eine Verdrehung des nrsprüngl lohen pera. 
iaräur («Aar dur •= Vier Säulen) erkennen. Erstens ist Jedoch 
cihardur eine uagew ähnliche Composition und könnte keinesfalls für 
Zelt oder Haus genommen werden; zweitens beweist eben das im 
Sinne Zelt gebrauchte osttflrkiBche iatnut, welches mit catir traaloge 
Ursprungs ist, den rein türkischen Charakter dieses Wortes. 



Gesamiutbau Terricbten, benanut. So: Kercgc = das 
gitterartige, delinbare, -von ^crtwcft — Jehnen, welcbea die 
Seitenwand vertritt, uiid mit welchem je nach belieben 
ein kleiner oder grösserer Kreis gebildet wird. Diese 
Kerege's werden mittels Riemen an Pflocken {ok) befestigt 
und haben im obern, mittlem und untern Theile einen 
besondera Kiemen; cangaruk =^ äas Gerippe des Daches, 
der Dacbstuhl, aua gebogenen Stuben gebildet, an dessen 
oberstem Ende die radähnlit-'he Ocffuung tünglilc = das 
Fenster, Licbtlocb (von Hing = Liibt, §. 181) sich be- 
findet; esik = ThQr, Schwelle, eigentlich das zu Ueber- 
Iretende, von es, «^ ^^ nbertreten, denn die Stelle der 
eigentlichen Thür vertritt der Torluk = Vorhang (vgl. 
§. 197), welcher mittels der iorluk bagi = Vorhangschnur, 
oben befestigt wird. So haben auch die einzelnen Filz- 
iheile, mit welchen das Gerippe überzogen wird, eine 
der betrcfienden Function entsprechende Benennung; fer- 
ner die verschiedenen Giirtel, als hübag = Mittelgurt, j'aw- 
Jas'== Scitengurt, grosse und kleine Pflöcke kasul', mit- 
tels welcher das leichte Gebäude während der Sturme 
befestigt wird. Der Ehrenplatz im Innern des Zeltes 
heisst tör, wörtlich oben, das Justaoppositum ede«, wört- 
lich unten, während man unter ozaJc = Feuerstätte 
(von af = Feuer, brennen), das Haus, die Familie im all- 
gemeinen versteht, weil dies der eigentliche Sammelplatz 
der Weiber, Kinder und Greise, mit einem Worte 
des schwächern und schutzbedürftigen Theiles der Fami- 
lie ist. Im bildlichen Sinne wird daher lleerd für Hei- 
mat, Familie gehalten, und als Centnim zugleich auch 
als der sicherste Platz der Behausung betrachtet. 

Neben dem Zelte ist in einer, aller Wahrscheinlichkeit 
nach spätem Periode der Begriff von feste Wohnung 
entstanden, nämlich japi, japu = Gebäude, welches in 
analytischer Bedeutung mit dem betreffenden Worte in 



76 



andern Sprachen übereinstimmt. So wie bei angestelltem 
Vergleiche zwiseben dem dtutscben bauen und dem 
Bühwed. ho ^ wohnen, ahd, büa = wolmen, slaw. bitvat ^ 
wohnen, wir den gemeiusamen ürspriiiig der für die Be- 
grifie Wohnen uud Bauen vorhandenen Wörter sofort er- 
kennen werden, ebenso wird das gegenseitige Verhältniss 
des türkischen J(i2' — machen, undjc^)! — Gebande, in be- 
zeichnender Weise auf den Unterschied hindeuten, der 
einerseita zwiseben dem jajyi, also der gemachten, gebau- 
ten Wohnung, und dem catma, d. h. der zusammenlegbaren 
besteht, andererseits aber auch zwischen den Zeitwörtern, 
■welche die Handlung des Wohnens bezeichnen. Bei den 
Nomaden heisst wohnen ko7tmak\ d, h. sich niederlassen, 
(hiervon konak =^ Haus im Osmauischen), bei den Ansäs- 
sigen hingegen oturmal<:, d. h, eich setzen, stehen bleiben. 
Erstere Handlung hat einen temporären, letztere einen de- 
finitiven Charakter. Die feste Wohnung, richtiger gesagt 
deren Hauptbestandtheil, nämlich die Mauer, heisst auch 
tarn, eigentlich die Stammsilbe der Wörter für dicht, fest, 
dunkel, verschlossen, Hölle, Gefangniss u. a. w. Der Oez- 
bege gebraucht daher noch heute das Um oder tarn öj := 
Steingebäude seines Gehöftes, zur Kornkammer und Stal- 
lungen, während er selbst mit Vorliebe das mitten im 
Hofe aufgeschlagene Zelt bewohnt. Ja wir haben es mit 
eingefleischten Nomaden zu thun, weshalb es uns gar nicht 
wundern soll, Haus, Gefängniss und Hölle von ein und 
derselben Wurzel abgeleitet zu sehen (vgl. §. 179). 

So wie die Sprache über die Beschaffenheit des ersten' 
Wohnsitzes Aufschluss gibt, ebenso lehrt uns wieder die 
Sprache, dass Städte und Dörfer den Türken von jeher 
fremd waren, da sie noch heute mit Lehnwörtern bezeichnet 
werden. Das mongolische Balik ^^ Stadt bedeutet seinem 
innem Werthe nach den Wohnort eines Fürsten von Bai 
= Fürst, und das heute gebräuchliche Scheliir — Stadt 



ist arabischen, iöj =^ Dorf persischen Ursprunges.* Die 
AobäufuDg mehrerer nebeneinaudcr befindlicher Wohnsitze 
föhrt den Namen aul, uig, und nit. iil, in älterer Form 
aifil und iffil, eigentlich Haufe von ak lg (vgl. §, 7) an- 
häufen, daher agil auch ;tla Bezeichnung für Schafheerde, 
Schafjtall, gilt und nicht im Sinne von Kreis aufzufassen 
ist, wie dies bisweilen bei Verwechselung dieses Wortes 
mit dem gleichlautenden agil = der Ilof des Mondes, ge- 
schieht. Was den Kreis, die Umzäunung eines Schntz- 
ortcs für Thicre anbelangt, so haben wir Lierfiir die spe- 
cielle Benennung uig. kuruk (Umfriedung), alt. korum 
(Wehre, Lager), eng. osui. koruk, koru (Stall, Thiergarten) 
und 6uT. komau (geschützter Platz). Kuruk, koru wird 
iueh im Sinne uneers Wortes Hof gebraucht, obwol 
selbstverständlich bei Völkern, wo der Ackerbau nur eine 
untergeordnete Nebenbeschäftigung bildet, der Begriff von 
Hof eigentlich nicht nöthig ist und die Abrundung des 
nm die Zelte herum befindlichen Stück Landes nur bei 
(eater Ansiedelung gebieterisch werden konnte. 

Der zu Haus und Hof Gehörige heisst iijliik, d. b. der 
Einlieimische, der Mensch, der eine Heimat bat, und 
!o wie das ausser dem Bereiche des Wohnsitzes befind- 
liche Land mit jahan = wüst, eigentl. leer, öde (vgl. 
§. Il9), und cöl = Wüste, eigentl. nackt, dürr (vgl. 
9. 166) bezeichnet wird, ebenso wird dem Fremden der 
iJame jabanzl oder jat beigelegt. Beide Ausdrücke, wie 
dies übrigens aus der Grundbedeutung der Stammsilbe 
srsichtlich ist, sind Synonyme der Eigenschaftswörter 
arm, verlassen, elend (vgl. das deutsche Wort elend der Ur- 
bedeutung nach fremd, ferner das arabische p/far/t^fremd, 
welches im Osmanischen statt arm, verlassen, gebraucht 



• Ahlquist, S. 1*13, 
taiariscli halt. 



■ (loa arab. kiiVa = Festiiog für 



78 



wird), und Nichts kann die Liebe und Aiibänglichkeit dea 
primitiven Menschen zu seinem Heimatsort besser schil- 
dern als eben jener Sprachgebrauch, nach welchem der 
von der Heimat in die Fremde Gerathene als arm und 
elend bezeichnet wird, indem das Wort Fremde identisch 
mit Elend und Verlassenheit ist. In diesem Sinne ist 
auch jener ausserordentliche Grad von Freundschaft und 
Liebe aufzufassen, mit welcher der tiirkische Nomade zu 
allen Zeiten den Gast> den Mann aus fremden Gegenden 
aufnahm. Der Araber nennt den Gast ganz einfach mu- 
safir, d. h. der Zugereiste; das hierfür esistirende Wort 
in den arischen Sprachen als lat. hospes, deutsch Gast, 
elaw. host, zeigt infolge des Zusammenhanges mit pflegen, 
nähren, schon mehr Innigkeit, wird aber in Hinsicht der 
Zärtlichkeit weit übertroffen vom türkischen züiiin oder 
6ücün ^^ Gast, der Grundbedeutung nach der Süsse, der 
Herzige, von der Stammsilbe «(c',cmc'= süss, heb. An diese 
Benennung des Gastes reiht sich das (5ag. konak = der 
sich Niederlassende, auch Niederlassung, und alt. ajiUi = 
der znm Gehöfte (ey)7 aul) Gehörige. In Bezeichnung 
des Begriffes Nachbar, welcher z. B. den Finnen fremd 
war* und den arischen Völkern entlehnt wurde, bedienen 
sich die Türken einer mit der arischen analogen Wort- 
bildung, denn konhi =■ Nachbar, alter kovsiik, stammt von 
ÄOMWs'mM^^zusammcnwohnen, sich zusammen niederlassen, 
sowie das deutsche Nachbar, das aus nah~boer (nahe 
wohnender), slaw. sosed, das aus SM sedit = zusammen- 
sitzen), pers. hemsaje, das ans hem — saje =: Schatten- 
genoase entstanden ist, wo in seiner ziemhch sinnreichen 
Weise der an ein heisses Klima gewöhnte Perser, als 
Nachbar, den mit ihm unter ein nnd demselben Schatten 
Wellenden bezeichnet. 



' S. Alilq^uist, S. 220. 




Äosgeräth, Kleider und Stoffe. 



Dort wo die Häusliolikeit in Ermangehing eines l'eetEn 
WohDsilzea unserer Aiil'merksamkeit wenig Stoff bietet, 
wird Belbstverständlich die Detaillirung des Ilansgeräthes 
anch wol einen beschränkten Raum einnehmen müssen. 
Da wir im Torliegenden Falle es nicht mit der Behausung 
äüts an der Wolga, am Oxus oder am Jnxartes ansässi- 
gen, Ton fremden CultureinfliisseD stark imprägnirten 
Itrfco-Tataren, sondern mit der primitiven Wohnstätte 
dea Torgeschichtlichen Ural-Altaiers zu thiui haben, so kann 
wol mit ßecht behauptet werden, das» ein einziger Ueber- 
bÜck zur Musterung des ganzen Uausgeräthes hinreicht. 
Von Möbelstücken kann, wie leicht erklärlich, gar keine 
Rede sein. Was heute im jak. oron. kaz. urim, öuv. vtrin, 
dag. urun für den Begrifi' von Bett, BettsteJie, Thron, 
Sessel existirt, ist, wie der Werth der St;immsdbe beweist, 
nur das allgemoino Wort für Anhöhe, erhöhter Platz (vgl. 
§. 64) und dürfte ursprünglich nicht als *ausschHeBslicher 
Sitz oder Lagerplatz gedient haben. Znm Sitzen suhon 
deshalb nicht, weil im türkischen Asien* von jeher das 
Sitzen mit unterschlagenen Beinen behebt war und hierzu 
die niedere flache Oertlichkeit zweckdienlicher ist als eine 
Erhöhung; aber auch znm Liegen nicht, weil das für die- 
len Begriff existirende Wort, nämlich jnInJi = Lager, jat- 
maifc =^ liegen, wie aus der Stammsilbe jat = eben, flach, 
ersichtlich ist, sich theila auf das Ausbreiten des zum Lager 



• Stühle kommen Utirigeiis selbst beute ni 



i, Japan, ilintpr- 



k 



80 



bestimmten Gegenstandes, tbeils auf das Ausstrecken des 
Körpers bezieht (vgl. §. 138). Selbst der Osmane, der 
unter allen Türken im vorgeriicktesten Stadium der Cnl- 
tur sich befindet, breitet sein EaiimwoHbett so wie der 
Kirgise sein Filzstück auf der Erde aus. Vgl. osm. (lösch 
^^ Bett, und dösemeh — aasbreiten, ferner jast/k :^ Pol- 
ster, Kissen, wörtlich Lehne, Stütze, von jasta ^ hd- 
lebnen, und in der That wird das Polster bei den Noma- 
den Innerasiens beim Sitzen nur anstatt einer Stutze unter 
dem Arme gebraucht. 

Das älteste Hausgeräth bestand aus Säcken oder 
Hüllen zum VerschHessen, Bedecken und Transportiren 
der Mnndvorräthe, so dag. kah^ Schüssel, Sack, kapcuk 
= Tasche, alt. kapcik := Sack, jak. kappar = eine grosse 
Tasche u. s. w., die insgesammt aus weichen Stoffen ver- 
fertigt wurden, zu denen sieh später die aus harten Stoffen 
verfertigte Trahe oder Kiste sandik, sindik, von silnmak, 
slgtntnak = bewahren, beaebützen, eich gesellt hat, ein 
Möbelstuck, das später auch zu den llussen {sundulv) 
und von diesen zu den finnisch-ugrischen Völkerschaften 
übergegangen ist.* 

Eine hervorragende Stelle nahm von jeher der Kessel 
(Jtazan, cuv. Tcoran) ein, der Wortbedeutung nach eine Aus- 
höhlung, ein hohler Körper, von kaz, kai' (graben, hohlen 
vgl. g. 22), welcher als Hauptkocbgeschirr verwendet, und 
ala Speiser, Nähror, im Zusammenhange mit dem Dank- 
barkeit sgefidile für Gottesgaben, in gewissem Ansehen, ja 
in Achtung stand. „Den Kessel umstürzen" heisst soviel 
wie jemand hungern lassen, die Nahrung versagen, und 
wie sehr der Kessel seibat in spätesten Zeiten bei den meist 
gegen Westen gezogenen Mitgliedern des Tüikenvolkes in 
Ehren gestanden, beweist die Achtung, welche die Joni- 



* S. AhlquiBt S. 135. 




81 



tgckren dem Regimentskesspl bezeugten, dem das Epitliet 
sehen/ = edel, beigelegt und der in feierlichen Au&Cgeii 
selbst der Fabne vorangctragpn wurde. Bei den Noma- 
ilea fordert es die Anstandssitte, äass der Kessel im Zdfe 
oberhalb aller H.tusgerätbe aufgehängt sowie im Zuge 
auf d.i3 vorderste Kamel geladen werde, und so wie 
bei der Ernriebtung eines Haushaltes die Anschiifiung 
eifles Kessels die erste Sorge ist, ebenso wird das Ab- 
(landeDkommcn dieses Gescbirra immer für das echlimmsta 
Omen aiigeeeben. Als zum Kessel gehörig betrachtet 
man den Dreifuss (üc-ajak) und LüfTel (kasuh), eigentl. 
der Kratzer, von kas, kas (kratzen, schaben), ein Instru- 
ment, das nicht die Function eines Löffels vertritt, denn 
hierzu dient noch beute die Hand, sondern zum Abkratzen 
der am Boden des Kessels angebrannten Speisen benutzt 
wird. Geschirre alten Gebrauches sind tulutn = Lcdersacfc^ 
nnd cömiek = Napf, die beide solchen Stammsilben ent- 
springen, nämlich tul, toi und iöm, cum, cum^ welche die 
Grundbedeutung von voll, Fülle, in sich schliessen (vgl. 
magy. lömlö = Ledersack und löm = fidlen), und ebenso wie 
iwÄ := Vase zur Aufnahme flüssiger Körper dienten. Hier- 
her gehört auch der tiirsufc, d. i. ein zum Aufbewahren des 
Klntis benutzter Ledersack, der Grundbedeutung nach der 
Säuerer, der Gärer, von turs, turs ^= sauer, wie wir dies 
weiter unten (s. Speise und Getränke) sehen werden; fer- 
ner canak ^ Topf, ursprünglich cnganak =^ Höhlung, hohler 
Raum, Concavität, von cak ^^ ausschlagen, aushöhlen 
(vgl, §, 77), welches zum cag, caganak = Hafen, Meer- 
busen, in einem solchen Verhältniss steht, wie das deutsche 
Hafen (Topf), Hafner (Töpfer) zu Hafen; und schliesslich 
kumgan, Icvjumgan ~ Oiesskanne von hijmnk — giessen. 
Das Hausgeräth, welches zum Bereiten und Vorsetzen 
r Speisen dient, führt im ältesten Sprachdenkmale den 



gemeinBameii Numen edis, itis — Getass, wo nicht der 
Begriff des Fassens zu Grunde liegt, sondern der des 
Macheus, Bereitens, analog dem deutschen Zeug, 

Eine bedeutende Rolle spielten in der Haushaltung der 
Nomaden die Teppiche oder Decken, welche theils als 
Hülle des Zeltes, theils als Unterlage beim Sitzen oder Lie- 
gen sobon in der frühesten Zeit im Gebranehe gewesen sein 
müssen. Wir haben zur Bezeichnung dieser Gegenstände 
zwei scheinbar voneinander getrennte, dem etymologischen 
Bestände nach eng miteinander verwandte Worte, nämlich 
(■ag. *i'^/>, osm, kUz, kir. Tcjavis, alt, hehis-kijis, welche 
bald für Teppich, bald für Filz gebraucht werden, insge- 
eammt von der Stammsilbe lieb, ktv, Jcej, Jcij (bedecken, 
bekleiden, verhüllen) abstammen, und in dem Etymon ihre 
eigentliche Bestimmung bezeichnend, ganz einfach ftir Be- 
kleidung des Bodens oder des menschlichen Körpers zu 
nehmen sind. Für die älteste Gattung dieses Stoffes muas 
selbstverständlich der Filz augesehen werden, dessen Be- 
reitung bekann termassen auf einer höchst einfachen Pro- 
cedur beruht, indem die aufgeschichtete Schafwolle oder 
Kameibaare mit Wasser besprengt, infolge des kleberigen 
Fettes in eine feste Masse verwandelt, dann gepresst und 
gewalkt werden, sodass nach einer Arbeit von kaum drä 
Tagen ein schmiegsamer imd wasserdichter Stoff fertig 
ist. Der Teppich =^ Jtece = kleine Decke, Diminntivum 
von kfijisdc (denn die primitive Form des gewebten Teppiche 
ist klein und länglich) konnte dagegen nur mit viel Arbeit 
zu Stande gebracht werden und ist im Grunde genommen 
selbst heute noch als Luxusartikel zu betrachten, der nur 
in der Uausbaltung derHeichern vorkommt. Dass übrigens 
der Filz älter als der Teppich sei, beweist auch die alte 
Sitte der Fürstenwahl, bei welcher der neuernannte Fürst 
nicht auf einem Teppich, was im Sinne des Pompes wol 
entsprechender wäre, sondern auf einem weissen Filz- 



stÜL'ke, als Zeichen der v^rliebeuen Supremotie, in die 
Höhe gehoben wird. 

Für den Begriff des Kleldens haben wir in den turkn- 
Utarischen Sprachen zwei Torschiedene \Vörter, welche 
uns auf jene primitive AuscLaumigs weise zurückführen, 
DU3 welcher die Bedeckung des nackten Körpers (nackt 
heifist jalang, eigenll. glatt, ledig, leer, und cij/lak, cujilai, 
eigentl. abgeschält, hüllenlos, bloss) hervorgegangen ist. 
Diese Wörter sind: a) (5ag. tott ^= Kleid, alt. ton — Decke, 
Oberkleid , der Grundbedeutung nach die Hülle eines 
Körpers, daher liag. titii = Haut und Wolle (vgl. jnpa =^ 
Decke uud Schafwolle), osui. jiin =■ Wolle, t^uv. sjün =^ 
Wolle, Gefieder, jak. un — Wolle. Es ist bierans ersicht- 
lich, dass in der Bekleidung das Verhältnisa des TLierea 
z\i seinem Felle oder Gefieder eine Nachahmung gefunden, 
und die ersten Kleidungsstucke bestanden auch iu der 
Tbat nur aus den deu Thieren abgezogenen Fellen oder 
Häuten, folglich pelltbus vesiiti, wie Cäsar die alteu Briten 
schildert. Diese Sitte reicht noch bis in die Neuzeit her- 
auf, denn der jnnge Kirgise liebt es noch heute, aus der 
glanzvollen Haut des Füllens sich ein Oberkleid zu be- 
reiten, an dem der Schweif als Zierratb beibehalten wird, 
ebenso wie die Magyaren bei ihrem ersten Auftreten im 
alten Pannonien ein mit der Kopfhaut noch versehenes 
PantberfcII umhäugten; wie mir Turkomanen erzählten, 
kleideten sieb diese wilden Söhne der Steppe noch vor hun- 
dert Jahren aussehUesslich in Schaf häute. Für den analogen 
Ursprung der Wörter, welche zur Bezeichnung der Hülle 
Jes Thieres und der Bekleidung des Menschen dienen, 
sprechen noch folgende Beispiele : cag. japwH = Ober- 
kleid, jojim7,' — Hülle, Decke, jbj)«7 = Wolle (magy. gyapju 
= Wolle, folgbch Hülle des Schafes), welche inagesanimt 

Ion der Stammsilbe jap (zudecken, bedecken, verhüllen) 
twtammen; ferner: L^ag. böriil;, }ak. bärgiisä, nU. piiriik ^^ 



84 



Kappe, Kopfbedeckung, osm. bör^ = Mantel, iag, i 
£eh — Schleier, Oberkleii), welche von höriimck :^ Terbul 
len, bedecken, abstammen und gemeinsamen Ursprung; 
sind mit harn, öorw = Thierliaut, Fell, b) keiim, h^ 
gijim = Anzug, Kleid, von der Stammsilbe Jcct, Jcej, gij (m 
ziehen, anlegen, vgl. §. 74), eigentl. auf sicli nehmen, auf d 
Kücken nehmen, daher die Redensart osm. s^irtl acii = j 
ist nackt, wortl. sein Rücken ist leer, oder cag. ton t 
nitie aldi := er bat eich bekleidet, wÖrtl. er hat ein Kl« 
auf seine Schulter genommen. Dieser zweite Begriff ö 
Bekleidena, dem magy. /(?Zö?(e«i = auf sich nehmen, dei 
deutschen anziehen, und dem lat. indno nicht unähnlich, 
dünkt uns nur eine secundäre Art des Bekleidens zu sein, 
und bezieht sich aller Wahrscheinlichkeit nach auf d^ 
Gebrauch der Oberkleider, die mehr umgehängt als ang« 
legt wurden. Wenn wir daher besagte Stammsilbei 
Vereine mit Icap (verhüllen, bedecken) ins Auge fas 
so haben wir den Etymon beinahe sammtlicher zur' 
nennnng der Kleider bei den tiirko-tatarischen Völkej 
dienenden Wörter. 

Was die Detaillirung der Kleidnngsstiicke betril 
so rauss natürlich vor allem sowol das klimatische Vei 
hältniss der Urheimat als auch jene streng exciusive Lebens- 
weise, in welcher die Türken sich befanden, in Erwägung 
gezogen werden, um zu begreifen, dass hier von jeher die 
grosste Einfachheit vorherrschte. Als Kopfbedeckung 
figurirt im weitesten Kreise der Kalpag oder kavul\ beide, 
wie aus der Grundbedeutung der Stammsilbe ersichtlich, von 
der runden, hohlen, aufgeblasenen Form so benannt (vgl. 
§. 73), eine Form, welche die Filzbüte und Pelzmützen auch 
noch heute beibehalten haben. Aehnliches ist auch im 
itimaga, iumak (Pelzmütze) ausgedrückt, indem dieses WoiJ 
von fo»t ^^ schliessen, binden, verhiillen entstanden, 
sprünglich Name jener Kappe war, mit welcher man de! 



J^gdvogel die Augen verhüllt, vgl. alt. tomogolo = den 
Mimd oder Kopf verbinden, ausserdem aber auch noch 
als Grundbedeutung der Wörter iur Knäuel, Kugel, figu- 
rirt und mit iumar (s. weiter uoten) identisch ist. BörJc, 
dar längliche I'dzhut, stammt von börtVc = Hülle, Bo- 
dectung, und das kir. äeökele (Frauen kopfputz) dünkt mir 
voa cfö»-Me = Kopfwinde, wie es in der Tbat aus meh- 
rern um den Kopf gewundenen Tüchern besteht, entstanden 
m sein. Eine ähnliche Bedeutung liegt auch dem später in 
Mode gekommenen Worte für Turban zu Grunde, so: cag. 
seile, salla, osm. sartk und cahtia, von sar, sal, cal (herum- 
winden, umschlagen). Das Uauptstück unter den Klei- 
dern, ein langer weiter Rock, fülirt die Namen celimcti. 
capan, auch toii oder kaba, von denen das erstere nur Tuch, 
den Stoß' aus dem es bereitet wird, bedeutet, letztere 
aber, wie schon erwähnt Kleid, Hölle, Decke im allge- 
meinen heissen. So bedeutet auch das Wort für Hemd 
Kleid im allgemeinen, nämlich hüjündek, küjneJc und f/iini- 
hk von Icüj, kij (ankleiden, anziehen), und eben aus dieser 
Ermangelung eines speciellen W^ortes, nicht mbider aber 
auch aus dem Umstände, daas Leinwand erst die Erfin- 
dung einer spätem Periode ist, wird es klar, dass das 
Eenid iu den ersten Bildungsstndien gänzlieb fehlte, ja 
von den Nomaden ganz ärmster Klasse auch heute noch 
Wenig gebraucht ist. Ein ähnliches Verhultniss ist auch 
beim Worte für Beinkleid bemerklich, denn ton oder 
iston, icton, womit dieses Kleidungsstück benannt wird, 
bedeutet Kleid, Unterkleid im allgemeinen, und das osm. 
hlviar =Ho3e, ist bekanntermassen dem Persischen ent- 
lehnt. Lehnwörter sind ferner mhbe, kaftan, hirka, und 
osm. niniten, salta, setri u. s. w.; mit einem Worte, die 
Annahme, dass die Bekleidung nur aus einem einzigen 
Stiicke bestanden, ist unter allen Umständen berechtigt. 
Die Fnsshekleidnng findet sich in zwei genuinen Wor- 




ten ausgedrückt, Dämlicb in TcefS, JceviS, TceoM oder Ict 
eigentl. Schuh von lieh, liev (bedecken, verhüllen) und 
otitk, ütüJc, itük = Stiefel, eigeutl. Ueberzug, von der 
Stammsilbe Öt (übergehen, überziehen), folglich eine solche 
Bekleidung, die über den schon vorhandenen icvi (Schuhe} 
angelegt wurde, wie dies übrigens in Centralasien noch 
heute der Fall ist, wo der Stiefel immer über eine andere 
Fussbekleidung gezogen wird. Aeltcr als Icevs und ÖU 
dünkt uns das cag. caruk, carmtik, uig, cermen, eine 
Bchuhung, welche aus einem um den Fusa gewickeH 
Lappen besteht, der mit einer Schnur befestigt wirä! 
folglich eine Gattung tou Sandalen von der Stammsilbe 
car, cer ^ wickeln, umbinden. Dieser Fussbekleidung be- 
dienen sich noch heute die ärmern Volksklasecn in Central- 
asien, besonders aber die Nomaden auf dem Marsche 
durch die von der Sonuenglut erhitzten Sandstrecken, auf 
welchen zu gewissen Jahreszeiten der glühende Boden 
Barfusageben absolut unmöglich macht. 

Als Ergänzungsstücke der Kleider, richtiger zur 
festigung derselben um den Körper dienten: Kur, kursak, 
osm. ktisak =. Gürtel, der etymologischen Bedeutung nach 
der Schutz, die Umfriedung, der in der Neuzeit aus einem 
Tuch gebildet wird, ursprünglich aber aus einem Stricke, 
üp, jüp, bestanden haben muss, daher noch das magy. öv 
= Gürtel. Ausserdem haben wir noch das Wort bilhag 
= Lendenbinde, ein dünner mehreremal um den Körper 
gewickelter Gürtel. Ferner der Knopf, cag. tügme, osm. 
äöjmc, alt. iügün, (5uv. iümme, eigentl. der Binder, Schliea- 
ser, nicht nach der Form, wie das deutsche Knopf, 
Knospe, Knauf, engl. l)ud, button, sondern nach der dem- 
selben zufallenden Thätigkeit so benannt; und die Schnalle, 
Spange, cag. taka, toka, eigentl. der Zusammenbringer, 
ein Ding, das die Endthelle eines Kleidungsstückes an- 
einander anheftet. Hierher gehört noch die Tusche, welche 



lere 

I 



auf 

1 



87 



Lirspruuglicli unbekannt war in der heutigen Form, d. k. 
.im Kleide angenäht, weshalb auch dafür nur Lehnwörter 
existircn, nämlich das arab. zib, zeb', und das pcrs. chal- 
tar. Eine an der Seite herabhängende Tasche inuss da- 
gegen schon trüb existirt haben, denn hierfür besteht das 
Wort janiik, cag. jancttk, von jan-acuk = Seitenöffunng; 
Tier ierki. Ganzen, Sattelsack, eigentl. der Sammler, von 
mek, sammeln. Sehr bezeichnend ist das Vorhandensein 
B^eines allgemeinen Wortes für Üandschnh, cag. elliwn, 
m. cldivet), k. k. elt'elc, eigentl- der ilandversteckcr, wo 
man die Hand hineinsteckt (vgl. g. 203). Dies deutet auf 
die rauhen klimatischen Verhältnisse der Urheimat hin, 
und £3 hat sich im Tu rko-Tatari sehen besser erhalten als 
im Finntsch-Ugrischen, wo das dem Slawischen entlehnte 
niikanen vorkommt.** 

Wenn wir von den Kleidungsstücken auf jene StofTe 
übergehen, deren die Turko-Tataren sich zuerst bedienten, 
80 werden wir nach genauer Prüfung der für solche Be- 
griffe vorhandenen Benennungen zur Ueberzeugung ge- 
hingen, dass sowol die Benennungen für Hanf und Flachs, 
nämlich kendir und kn(m, als auch das Wort für Lein- 
mmd, theils dem Persischen, theils dem Arabischen ent- 
lehnt, und die betreffenden Stofife erst in einer verbältniss- 
mäsaig neuem Periode zu den Türken gelangt sind. So 
;,■ wie der persische Ursprung der Wörter hcten und kendir 
^BlDESCr Zweifel steht, trotzdem letzteres weit nach Norden 
^Hndrungen, und sogar bei den Magyaren als altes tür- 
^Hpsches Lehnwort vorkommt, ebenso wenig kann der ara- 
^^BiBche Ursprung des Wortes bez, Leinwand, bestritten 
^HHrerden, , trotz dem letzteres im Osttürkischen in der Form 

* Das mftgy- fteb ist dem TürkiBchcn imd nicht dem Finuisoh- 
Ugriscben entlehnt, wie AhiquiBt, S. 161, meint. 
" ' 8. Ahlqiiist, S. l.'ia. 



Ton pÖ^, möz, vorkommt. Noch mehr tritt dieses VerbiUl 
niss beim Worte für Tnch, coka, hervor, welches aeine 
Stammsilbe nach analog mit iok, weben, d. h. znsammeii 
fügen (vgl. §. 173), im Gninde genommen nur ein Gl 
webe heisst. Kleider weben gehört übrigens auch ht 
andern Völkern iii die Periode der fortgeschrittenen CnltH 
nnd dürfte bei den Nomaden xaV ^^ox.tjv auch gar nidi 
gesucht werden. Als ältester Stoff nmss, wie schon «t 
wähnt, der Filz betrachtet werden, dem zunächst di 
Flecht-, Dreh- und Spinnarbeiten stehen, denn für spU 
neii und drehen ist die analoge Bezeichnung cag. öri 
mek, ürumek, alt. iirmeJc, cuv. arla — daher örük, örm 
örü, UTuk (Gespinst, Gewebe, Geflecht, Zopf), öreh 
(Spinnrad), örcük (Spindel, Kreisel) u. s. w-, ebenso m 
ib, ip, jap (Garn, Zwirn, Strick, Gewinde) von ij , t 
(drehen, winden) stammt. Auch das hierher gehörig 
ipek, jipek, Heide, heisst in der Grundbedeutung ganz eiiK 
fach ein Gewinde, denn wenngleich dieser Artikel im 
tigen Mittelasien von China aus früher Verbreitung faaj 
als in andern Theilen AVestasiens, so war er nur den ir« 
nischen Ureinwohnern der heutigen Chanate, nicht abot 
den auf der Steppe lebenden Turaniern bekannt. Es ist 
bisher nur eine einzige Faserpflanze vorgekommen, näm 
lieh das tvrha, eine wilde Pflanze, aus deren faseriger Ilind6 
ein seidenartiges Garn nnd Gewebe bereitet, das als alteX 
Zierath und Umschlag für fürstliche Handschreiben ejpj 
wähnt wird, so von Mir Ali Sir im Garaib es Sagir; hent 
ist es jedoch allmählich ausser Gebrauch gerathen. 

Schliesslich wollen wir noch die als Ergänzung dei 
Kleidungsstücke dienenden Schmuck- und Ziergegen.« 
stände erwähnen, die trotz der Spärlichkeit und Primiti- ' 
vität immer einer Beachtung werth sind. Für den BegriEf 
von zieren, schmücken haben wir die Stammsilbe bis, 
lez, deren concrete Bedeutung einschneiden, gravi 



89 



in Analogie mit hi^ (sclinciileii) ist. So nie beim mensch- 

liehen Körper das Bemalen, Färben, Anstreichen einerseits, 
das Einschneiden und Gruvireii andererseits als erste Stuio 
des Zierens und Scbiiiückens gedient hat, ebenso uiuss 
Jiei auch bei leblosen Körpern, bei HausgerälLen und 
Kltidungsstücken der Fall gewesen sein, und zwar haben 
Südländer, d. h. iiuckt unihergebende Menschen, ihre Kör- 
perhaut bemalt oder tätowirt, während der Mensch im 
Norden den Zierath und den Schmuck an seinen Klei- 
dern angebracht hat. Die gemeinschaftliche Stammsilbe 
(1er Wörter für zieren und graviren iludet ihr Seitenstück 
in der Begriffsanalogie zwischen dem deutschen Schmuck 
ond Schminke, so auch zwischen dem jak. ön. in (Farbe) 
und dem liag. imng, ünänt) (Schminke, Gesichtsfarbe). Ob 
nnn aus dem etymologischen Verbältuisse der angeführten 
Wörter auf die früher bei den Turko-Tataren bestandene 
Sitte des Tätowlrens gefolgert werden kann, wäre in An- 
betracht des Vorhandenseins hierauf bezuglicher sprach- 
licher Beweisgrunde wol als Hypothese aufzustellen, ob- 
wol das heutige Sittengemälde hiervon nur eine sehr ge- 
ringe Spur aufweist. Der Begrifi" von zierlich und schmuck 
ist ferner noch mit dem Beiworte klein, winzig, ausge- 
drückt, vgl. giii, cece ^^ klein, schmuck, schön (in der 
Kindersprache). Von ähnlicher Bedeutung ist auch inzi, 
minii, wovon ersteres in der Variation von jinii, jlifim 
auch für Perlo gebraucht wird. Schmuckgcgenständc, die 
aus der ersten Periode stammen, sind folgende: iomar oder 
komar (wörtl. Knauf, Knäuel), ein Päckchen, in welchem 
früher aus Holz, in der Neuzeit aus Metallen angefertigte 
Talismane oder Zaubermittcl aufbewahrt werden und das 
bei Kindern auf der Kopfbedeckung angenäht, bei Erwach- 
senen um den Leib gehängt getragen wird. Dieses Schmuck- 



biect dünkt uns aber nur nach der Einfübruni 



s Islai 



laewahrnng der mit kabbalistischen Zeichen versehenen 



90 



Papier streifen gedient zu Laben, früher mag es einen J 
tisch, einen Zaubergegeu stand oder Medicin enthalten 
haben, nicht ungleich den Medicineäckchen , von denen 
Lubbock nach Cat)in spricht,* Ferner bovsuk oder mon- 
mk =. Koralle, der etymologischen Bedeutung nach eine 
kleine Beere**, ein kleiner runder Körper, schon an 
und für sich der Inbegriff des Schonen und Zierlichen; 
hilesik, hilekzih =■ Armhs.xiA , ursprüngl. iilehtik von bilek 
= Handgelenk, und tih (vgl. eldiven S. 8fi}; öngüUük ~ 
Halsgebänge, eigentl. das von vorn Getragene, und schliess- 
lich Jüsuk, alt. jüsliJc = Ring, Fingerring, ursprüinglich aber 
der Gesichtsring, Nasenring, wie aus der Etymologie des 
alt. Wortes ersichtlich ist, eine Sitte, richtiger eine Un- 
art, in welcher die Türkinnen Centralasiens noch heute 
ihren Geschlecht sgenossen in Afrika und Amerika nach- 
abmeu. 



Speisen und Getränke. 

Was die Spracbphilosophio hinsichtlich der ersten 
Nahrung des Menschen und deren Z üb ercituiigs weise nur 
mittels mancher aus weiter Ferne und aus den verschieden- 
sten Altersstadien des semitischen und arischen Sprachen- 
gebietes herbeigeholten Beispielen annähernd zu beweisen 
im Stande ist, das kann bei den turko-tatarischen Mund- 



* On the origin of civilisation and the primitive condition ot man, 
S. 246. 

*• AuB mtik, Kug ist nach normaler LautTerändemng (g = ng, ao 
mogol = moagoT) mung untl tnuni-monc geworden. Der Grundgedanke 
ist eben der rimdc feste Körper. Vgl. §. 201. 



91 



arten auf den ersten Griff und bt-i der erBten Umschau 
gelingen. Au3 dem Uiiistande, dass die Wörter für Fleisch 
und Speise ein und demselben Stamme entapringea (man 
vergleiche nämlich es [esrcmek] =■ fressen, es, as = Speise, 
mit rf — Fleisch, uig. et = Körper [in d-öe = Leibeigen], 
ferner das hebr, leckem ^ßrot, Nahrung, mit dem arab. 
?aÄJH = Fleisch), niclit minder aber auch in Anbetracht, 
daas das Ergebniss der Jagd in solchen Zonen, wo die 
Vegetation immer eine dürftige war, dem Menschen als 
erstes Nahrungsmittel diente, müssten die Türken in dem 
frühesteu Stadium ihrer Existenz als entschiedeu tleisch- 
esBend bezeichnet werden. Doch Jiisst eben dieser etymo- 
logische Beweisgrund auch zur Geltendmachung einer an- 
dern Theorie sich verwerthen, denn das Wort für Frocht 
lind Obst, nämlich jemis, jimis, ist geradezu ein Com- 
positum von jm-wi = Esszeug oder Esswaaren, folglich 
das Essen, die Kost im allgemeinen. Die allerdings wich- 
tige Frage, ob der Türke in dem primitivsten Zustande 
seiner Existenz zuerst Fleisch- oder Pflanzenesser war, läset 
sich daher aus der Sprache schwer ermitteln, da dieselbe 
beide Fälle als möglich voraussetzt, was übrigens der 
Wahrscheinlichkeit am nächsten liegt, denn sonst würde 
die Sprache im vordialektischen Zeitalter die Begriffe 
Fleisch und Frucht nicht als das Essen, die Kost par 
excellence bezeichnet haben. Einen entschieden festem 
Anhaltspunkt finden wir in der Etymologie, wenn wir 
untersuchen, ob die ersten Nahrungsmittel bereitet wur- 
den, und wie diese Bereitung mittels Kochens oder Bratens 
Tor sich ging. 

Was Geiger im V, Abschnitte seines Buches nur mittels 
einer auf grosser Belesenheit und tiefem Studium basiren- 
den Forschung hinsichtlich der Begriösanalogie des Kochens 
oder Bratens am Feuer mit dem ßeifen an der Sonne sagt, 
das legt uns die türkische Sprache ganz klar auf die Hand. 



t 



i)2 



Fis-melc heisst uäuilioh sowol koclien und braten, 
auch reifen oder reif werden, denn mau sagt: etpiscr, das 
FleiBcb kot'Iit oder bratet; aimapiscr, der Apfel reiftjo)-- 
talik piser, es kocht alles vor Hitze, und die Participien 
pismis oder piskcn werden als Beiwort fiir gekocht, ge- 
braten, reif, zeitig, in gleicher AVeise gebraucht. Wenn 
daher für die Begriffe des Bratens, Kochens am Feuer 
und des Reifens, Weicbwerdens an der Sonne (vgl. neu- 
pera. puclite, gekocht, gebraten, reif, weich) ein und das- 
selbe Wurzelwort vorbanden ist, so wird es nicht beson- 
ders schwer sein zu ermitteln, dass man zum Mürb- oder 
Weichniachen des Fleisches sich zuerst nicht des Feuers, 
sondern der Soonenwärme bediente, ebenso wie dies noch 
heute bei der Zubereitung des gedorrten Fleisches der 
Fall ist, welches pa^tirma (von pistirmek, pisittirmek = 
kochen oder braten lassen) heisst. 

Im engen Zusammenbange mit dem Genüsse der Früchte 
und des Fleisches stand auch die schon uralte Bekannt- 
schaft mit der Milcli und den aus derselben gewonnenen 
Speisen. Milch heisst süt, nach der Grundbedeutung der 
Stammsilbe süss, geschmackvoll (vgl. siicüJi, %. 171), 
vielleicht der süsse Trank par excellence, wenn solcher 
dem Wasser gegenübergestellt ist. Mit demselben Worte 
wird auch in einigen Theilen des türkischen Sprachgebie- 
tes, so im altern Cagatai der Wein uud Sorbet bezeichnet, 
eine Benennung, welche lebhaft an einen analogen Sprach- 
gebrauch im Persischen erinnert, nämlich an das gegen- 
seitige Verhältniss zwischen sir ^^ Milch, sirin = süss, und 
sirini =^ Sorbet; ferner an das merkwürdig analoge Ver- 
hältniss zwischen dem deutschen Wein, lat. vinum und 
dem akt. vena = Geliebter, dän. ven = Freund und lat. vi- 
nulus =■ lockend, reizend (bei Plautus)." Eine der ältesten 



1 



• S. Geiger, II, IGl. 



A 



y;i 



ms der Milch beri^iteteo Spo!geii düukt uns ans knmt, 

irrthüiiilich mit Käse übersetzt, da dies im Grunde ge- 
nommen nur Milch im getrockneten Zustande iet. Daa 
Knmt (von karumak ^= trocknen) ist eine Art in Säuerung 
übergegangene condeneirte Milch, welche in nmden Kü- 
gelcben an der Sonne getrocknet, zumeist auf längerer 
Reise gebraucht wirdj alsdann aufgeweicht und zerrieben 
gibt das Kurut eine Art von Atron = saure Milch. Dem 
Worte AlraD, richtiger Agiran. liegt die Stammsilbe atp* 
= bitter, sauer, zu Gninde. Airan gehört ebenfalls zu 
den ersten Nahrungsmitteln der Steppenbewohner, ebenso 
wie das jogw^, jdMrt=; dicke, d. h. gestockte oder ge- 
ronnene Milch, -VOM johun, jogtiH — dick (vgl. §g. 7 und 49), 
und Äfliti = gestockte Milch, von hat, hart, fest, dicht 
(vgl. §. 87). Vgl. das von Tacitus bei der Beschreibung 
der Lebensweise der alten Germanen augeführte lac con- 
erüum, ein Hanptnahrungsmittel , das noch heute bei den 
Türken mittels künstlicher Säuerung erzeugt wird und selbst 
bei den in der Cultur meist vorgeschrittenen Osmanen ein 
beliebtes Nahrungsmittel ist. 

Für Batter haben die Türken den allgemeinen Namen 
nidj, eigentl. sari maj = gelbe Butter, wenn im frischen, 
nnausgela±isenen Zustande, sonst führt sie den allgemeinen 
Namen jag, ag, Fett, nach der anderseitigcn Verwerthung 
der Stammsilbe zu urtheilen, von der Grundbedeutung 
Schmiere, Schmalz (vgl. §§. 120 und 131) abgeleitet. Unter 
BahtB, knjma^. versteht man im Türkischen Schaum, 
Obers, d. h. was aufwallt, in die Höhe kommt, von der 
Stammsilbe haj, aufkochen, aufwallen. In Anbetracht des 
Umstandea, dass Butter selbst heute noch bei den Noma- 
den Centralasiens wenig beliebt und dem Fett der Schafe, 
Kamele und Pferde der Vorzug gegeben wird, wäre es 
nicht schwer, wenigstens hypothetisch hinzustellen, dasa 
Butter — deren Bereitung viel umständlicber ist als das 




Erlangen des Sclimahes von dem ausgelassenen Fett der 
Thiere — nur für das Product einer gpätern Periode zu 
halten sei, ebenso wie die Bereitung von Käse, wofür wir 
im Öagataischen das specielle Wort turak (vgl- magy. turö 
= Käse) besitzen, welches fälschlich vom slawischen twa- 
rog abgeleitet wird, da eben das Gegentlieil der Fall ist, 
und welches, indem unter turai eine gesalzene Milchspeise 
verstanden wird, wie aus der Etymologie des Wortes 
selbst, von lur, iwr = gesalzen (vgl. §. 198), am besten er- 
sichtlich ist. Dass für Käse bei der grossen Mehrzahl der 
Türken heute nur das dem Neupersischeu entlehnte Wort 
P^nir vorkommt, sei nur nebenbei bemerkt. 

Eine allerdings wichtige Frage bleibt es immer, wie 
schon früher erwähnt, ob die vegetabilische Kost den 
Fleisch- und Milchspeisen vorangegangen oder ob erstere 
von dem primitiven Menschen der tu rko -tatarischen Rasse 
mir in einer spätem Periode und vielleicht nur dort ge- 
kannt wurde, wo die Beschaffenheit des Bodens oder die 
Nachbarschaft eines ansässigen civilisirten Volkes dies er- 
möglicht hatte, 

Die Gemeinsamkeit des Ursprungs der Wörter für 
Fleisch und Speise haben wir schon hervorgehoben, ebenso 
das ähnliche Verhältnias zwischen Obst und Speise, hier 
wollen wir nur hinzufügend bemerken, dass während Obst 
und Speise für identische Begriffe gelten, die Zubereitung 
der Speisen aus vegetabilischen Stoffen in den turko- 
tatarischcn Sprachen nur schwer und einen höchst unde- 
finirten Ausdruck gefunden, denn wir sehen z, B. dass 
das Wort für Brot — ungleich dem Verbältnisse dieses 
Wortes in andern Sprachen, wie des deutschen Brot und 
Braten; lat. panis, lit. pena-s (Futter), pc-nu (nähren) — 
nicht als eine definitiv zubereitete gebackene Speise, son- 
dern als Synonym der Wörter für Saat, Anbau, Getreide, 
zu nehmen ist, denn ehnch heisst ebensowol Brot als 



95 



säen, anbauen und Saat. Eine alinliclie Bewandtnies bat 
es mit dem altern Worte tarik im Uiguriachen, die Be- 
nennung des Nahrungsmittels der Armen, dem als Gegen- 
satz das Älva (arab. Hahva) die Nahrung der Reichen 
gegenübergestellt ist, TuriJt, das im spätem Gebrauche 
für Grütze, Kleienbrot augewendet wird, bedeutet im 
Grunde genommen ebenfalls nur Saat, Anbau, vgL tari- 
mak :^ säen, anbauen (eigentl. ausstreuen), tarlak, taria =^ 
Äckerfeld u. s. w. 

Als Resultat unserer Zusamnit-nstelhmg wird daher 
hervortreten: 1) dass Brot im Turko - Tatarischen keine 
epecielle Benennung hat; 2) dass ungleich dem Verhält- 
nisse zwischen dem lat. ^hm(s und dem lit. /'<?-«« (nähren), 
oder dem slaw. chijeO ^^ßrot, Getreide und Nahrung, 
im Worte für Brot ursprünglich nicht der Eegriö' für 
Nahrung und Speise im allgemeinen enthalten ist und dies 
daher nur aus einem spätem Zeitalter stammt, wie wir 
solches im Abschnitte über Ackerbau sehen werden. 

Unserer Ansicht, dass das als llauptnahrungsmittel 
dienende Gericht mit dem allgemeinen Namen Speise oder 
Nahrung belehnt wird, steht ein anderes neueres Beispiel 
kräftigend zur Seite. Reis hat unter den Türken theila 
von China, theils von Persien und Centralasien her Ver- 
breitung gefunden, und während unter den Westtürken, 
deren Tafel reichlicher bestellt ist, mit der fremden Speise 
auch der fremde Name Pllau, Pilaf, sich erhalten, begeg- 
nen wir unter den ansässigen Osttürken, wo das Iteisgericht 
die Hauptspeisc ausmacht, nur Reis als Frucht unter dem 
fremden Namen hirird, das Gericht selbst aber heisst as 
^Speise, Nahrung, das Essen par escellence. Vgl. ai- 
amak = essen, asiik — Nahrungsmittel u. s. w. 

Von den übrigen Arten der vegetabilischen Kost wird 
weiter unten die Rede sein; hier sei nur zum Schlüsse be- 
merkt, dass die Steppenbewohner im Norden der Chanate 



noch Tor einigen Jabrzehuten, als der Verkehr mit den 
angreDzeDdeu mehr cultivirtea Ländereien noch erschwert 
war, Brot und vegetabilische Kost im allgemeinen als eine 
grosse Seltenheit betrachteten, und ich seibat habe noch 
von Kaa.iken reden hören, die Zeit ihres Lebens kein 
Brot zu Gesicht bekommen hatten. 

Trotz des Vorh ergesagten wäre es doch unzulässig zu 
behaupten, dass die Existenz von bereiteten Speisen sich 
nicht auf ein verhältnissmässig sehr hohes Alter zurück- 
führen Hesse. Hierfür spricht die Benennung -einzelner 
Gerichte, welche in der Sprache von heute in grosster 
geographischer Entfernung lebenden Türkenstämmen anzu- 
treffen ist, und die nur aus dem Zeitalter des frühesten 
Zueammenlebens stammen kann. Solche Gerichte sind 
unter andern das Kazi, eine mit Pferdefleisch und Pferde- 
fett gefüllte Wurst (Jiaei selbst bedeutet Höhlung, von 
kaz = graben, höhlen) ; das BUbarmak (wÖrtl. Fünffiuger) 
aus länglich zerschnittenen Fleischstücken , auch ans ge- 
hacktem Fleische bestehend; ferner das Börek {wörtl. 
Mütze, Tasche), eine Mehlspeise in der Form der in 
Deutschland bekannten Maultaschen, mit gehacktem Schaf- 
flciach gefiillt, ?7niöc^: Mehlspeise, von w)» ^: Mehl und 
OS — Speise, eigentl. eine dicke Meblsuppe; ebenso von 
bttlamac oder bulamuk, von iulamalc = röhren und ac, as 
:^ Gericht, welches nicht nur in den Abhängen des Thien- 
Schan, sondern auch bei den Halbnomaden Änatoliens be- 
kannt ist; schliessUch das ti'irkisch scheinende carba, cobra 
= Suppe, eine Verdrehung des arabischen schurb, schurub, 
ein Getränk, ein Trank. 

Von den Getränken, d. h. von den bereiteten oder 
geistigen Getränken, können ausser dem schon erwähnten 
Airan, das Kimis und Boza als aus hohem Alterthnme 
herrührend bezeichnet werden. Der Ursprung des erst- 
genannten Wortes kann noch nicht mit Bestimmtheit an- 



gegeben werden. Dieses mittels Gumng a«8 Stutenmilch 
erzeugte stsrk sauere Getränk wird bei den Kirgisen und 
Turkomanen in der Weise bereitet, dass mau die mit Siiuer- 
stoff verseLene Milch in einem Ledersnek so lauge hia- 
and herschüttelt, bis die Säure sich ganz verbreitet hat; 
nachdem diese Operation mehrmals vorgenommen worden, 
wird der Kimis eine geraume Zeit stehen gelassen, bis er 
den beliebten ätzend sauern Geschmack erhält. Oh nun 
das betreffende Wort von der Stammsilbe ktm = schütteln, 
rühren, betiteln, abstammt, oder ob Jcmin selbst den con- 
creten Begriff von Säure in sich schliesst (vgl. kir, limit- 
rficÄ — Sauerampher ; baäkir. io»«H,t-/wi = I'flanzensaure)^ 
moss noch immer als offene Frage betrachtet werden, 
Hinsichtlicli des zweiten Getränkes sind wir schon mehr 
in Klarheit. Boza, ein aus Hirse, Gerste und Soustigem 
gegorenes Getränk, kommt schon im Kndatku Bilik in der 
Form von bor mit sarab, d. h. Wein interpretirt, vor und 
kann hiermit dem magy. bor — Wein zur Seite gestellt 
werden. Da bos bos den GrundbegriÖ' von kochen, sieden, 
enthält, so gibt der Name uns den besten Aufsehluss so- 
wol über das Entstehen als über den allgemeinen Charak- 
ter dieses Getränkes, in welchem wir ein durch natürliche 
oder künstliche Gärung oder Säuerung erzeugtes Getränk 
erblicken müssen, ebenso wie im alt,, kaz. sira (vgl. magy. 
scr, Bier), das heute mit Bier (raaa. piwo) übersetzt wird. 
In unserm Abschnitte über Speisen und Getränke kön- 
nen wir nicht umhin auch jene Ausdrücke zu erwähnen, 
in welchen die Begriile von dem verschiedenen Geschmack 
enthatieu sind, und in denen sich das Bild eines ebenso 
einfachen als sinnreichen Ideenganges widerspiegelt. Wir 
haben es hier vornehmlich mit drei Geschmacksbegriffen 
zu thun: 11 Süss, welches entweder den Grundbegriff von 
geschmackvoll, angenehm, gefällig gibt (vgl. lat = Ge- 
schmack und Süsse, taili^^süäs^ geschmackvoll, und fa- 



tanmak = Gefallen finden und scLmeckeu), oder mit dem 
Eigenschails Worte zierlich, nett, klein parapLraeirt wird, 
(vgl. sücüJc — «icMÄ :^ süsa, hübsch, voll). 2) Haaer, und 
zwar entweder künstliche oder natürliche Säure. Im 
ersten Falle, nämhch turs, turus, liegt demselben die 
Stammsilbe tur-sur (Salz, gesalzen) zu Grunde, da die 
künstliche Säure meist mittels Salz erzeugt wird (vgl. magy- 
mv — Salz, und savanyu = sauer); im zweiten Falle, 
□amlich aksi, eksi, von der Stammsilbe ak (vgl. aku =^ 
Gift, starke Säure), die Benennung eines giftigen bitter- 
saueren Stoffes, von der wir in der Form eines selbstän- 
digen Wortes wol wenig wissen, das aber als Compositum 
in dem entferntesten Gliede unsers Sprachgebietes anzu- 
treffen ist. 3) Bitter, das ebenfalls von der besagten 
Stammsilbe ak gebildet wird, indem das cag. ac-i, osm. 
az-l, k. k. aV-ili, jak. as-j (bitter) nach der normal statt- 
gefundenen Veränderung des auslautenden k aus aku, agu 
(Gift) entstanden ist. 

Zum Schlüsse sei hier noch erwähnt, dass die Begriffe 
essen und trinken an und für sich in den türkischen, und 
ebenso auch in andern verwandten altaischen Sprachen 
durch lautlich verwandte Wörter ausgedrückt werden. 
Mau vergleiche zu diesem Behufe das cag. is-irmak, osm. 
is-ürmek (beissen, fressen) mit öag. is-ürmek (sich betrin- 
ken, saufen); jak, as (Speise), is (trinken); magy. ese-ih 
(isat), iss-ik (trinkt). Ja sogar im Neupersischen ist dies 
der Fall, vgl. ckorden ^: Qssen und trinken, woraus nun 
allerdings sich vermuthen lägst, dass die Grundbedeutung 
der betreffenden Wörter im Turko- Tatarischen eigentlich 
zu sich nehmen, einnehmen sei, was um so einleuch- 
tender war, wenn wir mit der Stammsilbe es, is (essen, 
trinken), ic-is-is-ve (innen, inwendig) vergleichen. 




Jagd und Ackerl)aTi. 



Wenn wir, wie aus etymologisclien Beweiägriioden er- 
sichtlich ist, das Fleisch als erstes Nahiungemittel der 
Turko-Tatarcn bezeichnen können, bo muss selbstverständ- 
lich die Jagd, als das MitU-I, wodurch das Fleisch erlangt 
wurde, nnsere Äufraerkeamkeit in erster Reihe in An- 
spruch nehmen. Während nun in andern Sprachen das 
Jagen nüt solchen Wörtern verdolmetscht ist, die die 
Handlung des Jagens, Nachjagens oder Fangens in sich 
scbliessen (vgl. deutsch jagen auf Wild, franz. chasser, 
slaw. gvjat = treiben und loviT — fangen), Hegt im Tnrko- 
Tatarischen dem betreffenden Ausdrucke die Stammsilbe 
ag, av, d, h, Netz, Geflechte, zu Grunde, was uns ganz 
klar beweist, dass die primitive Art des Fangens der wil- 
den Tbiere, vielleicht in Ermangelung entsprechender 
Waffen, nicht mittels Nachjagens, sondern mit Hülfe auf- 
gestellter Netze, Fallen und Schlingen bewerkstelligt wurde. 
Ag, Äa, Au, Av beisst daher nicht nur Netz, sondern auch 
Jagd, Wild, ebenso wie avlamak mit dem Netze fangen 
und jagen zugleich bedeutet. Vgl ferner all. an — Wild, 
Hirsch, mit OKofa^ jagen, «fitfi =: Jäger, ein Verhältniss, 
welches an das deutsche Wild — wildern, Wilderer erin- 
nert. Diese primitive Art des Fangens der wilden Tbiere 
ist selbst heute noch bei einigen Nomaden im Norden der 
Chanate im Gebrauche, imd muss zu einer Zeit, als die Wurf- 
und Hauwaffen weniger zugänglich waren, eine allgemeine 
gewesen sein. Mau bedient sich zu diesem Behufe e: 
gespannten Netzes oder einer Schlinge aus starken Stricken, 
und nachdem das Wild sich darin verstrickt hat , eilt der im 
Hinterhalte laaernde Jäger herbei, um das Tbier zu erlegen. 
Bisweilen — und dies ist in den Niederungen des untern 



Jiisartea noch Iieute anzutreffon — wird eine mit scliarfem 
Beile oder Schwert versehene Falle aufgestellt (vgl./Mj-, Ivrak, 
lusak §. 197), wobei das Wild durch plötzliches Anfachnel-' 
len der tödlichen Waffe sich selbst den Todesstoss versetzi 
Mit Gesagtem soll jedoch nicht behauptet sein, dai 
die Steppenbewohner in ihrer Urheimat, wo die weit» 
unabsehbaren Ebenen das Jagen nach Wild am meisti 
ermöglichen, iu Herbelschaffung ihres Fleischbedarfa ni 
ausschliesslich den Gebranch der Netze, Schlingen 
Fallen gekannt hätten. Es sind Beweise vorhanden, di 
das Erlegen der Thiere mittels Jagens auch echo) 
alt ist, indem das hierfür existirende allgemeine Wo] 
nämlich kui, uns den nöthigen Aufschiusa gibt, zu gleiche] 
Zeit aber nns auch ein interessantes etymologisches Ver- 
hältniss zeigt. Kov, kog ist die Stammsilbe des Wortes 
für treiben, jagen, nachrenneu, laufen u. a. w., dessen uomen 
verbale kovus-köus-kus , das Jagen, daa Treiben, die Jagd 
bedeutet. Nun ist aber in ganz früher Zeit zu diesem Jagen 
eine gewisse Gattung von Vögeln abgerichtet worden, ala 
Falken, Sperber u. a,, und von der Benennung der Jagd 
und des Jagdvogels hat in einem Theile des türkischen 
Sprachgebietes der Vogel im allgemeinen seinen N; 
erhalten. So finden wir das Räthsel gelöst, dass währen) 
in Osttnrkestan und bei den Eara-Eirgisen das Wort av\ 
ausschliesslich ucar (d. h. der Fliegende) heisst, Jagd. 
Jagdvogel und Falke hingegen' den Namen kus führen, 
während in den Chanaten letztgenanntes Wort für Vogel 
im allgemeinen und für Jagd gebraucht wird, im A; 
baizanischen und Osmanischen jedoch kiis nur ausschliei 
lieh Vogel bedeutet. Wir gehen daher keinesfalls alh 
weit, wenn wir behaupten, dass das Abrichten gevrissi 
Arten von Kaubvögeln von den Turko-Tataren in der allei 
frühesten Zeit schon prakticirt wurde. Abgesehen von dei 
unzweideutigen etymologischen Beweisgrunde, spricht au^ 



len . 



101 



die- Natur der alten Heimat für diese Ännaliinc, Jn der 
Mensch auf der unabsebbaren Ebene schon friiU auf ein Mit- 
tel »innen musste, mittels dessen er dem durch allzu grosse 
Behendigkeit ihm überlegenen Thlere beikomuien konnte. 

Die grosse Bedeutung und Wichtigkeit, welche der 
Jagd als U.iHptnahrungs/weig beigelegt wurde, erhellt ans 
dem Umstände, dasa einzelne auf diese Bescbänigung Be- 
zug habende Ausdrücke bei Bezeichnung geacUschnftlichei* 
Verhältnisse Verwendung fanden. Wir finden nämlich das 
Wort kons, kus im C'agataiscben schon in der Bedeutung 
Ton Gesinde, Hofleute, wobei wir die Jagd, das Jagd- 
gefolge als Substract der Dienerschaft nehmen können. 
So ist auch der in Mittelasien bekannte Titel kus-htgi 
(Minister) in der wörtlichen Uebersetznng als Oberhaupt 
der Dienerschaft, resp. der Jagd und des Jagdgefolges zu 
nehmen, ebenso wie das osuj. lous, welches heute in der 
Bedeutung toii (iesindezimmer vorkommt, im Grunde als 
Jagdgehülfe, Gehülfe und Diener aufzufassen ist. 

Wenn wir die Jagd daher als das erste und hntipt- 
säcblichste Mittel zum Erwerb der Nahrung bczeichuen, 
so können wir doch nicht umhin, auch des Ackerbaues 
in zweiter Linie zu erwähnen, und zwar als einer solchen 
Beschäftigung, welcher die Tiirko-Tatareii, ohne hierin 
durch einen auswärtigen Einllnss angeleitet worden zu 
sein, schon in der frühesten Zeit oblagen, Wol mag eine 
derartige Hypothese bei einem Volke, das von jeher den 
Feldbau mit Widerwillen betrieb und selbst heute hierzu 
sozusagen noch gezwungen werden muss, für allzu kühn 
beurtheilt werden; die überführenden Beweise der Sprache, 
*welche in dieser Hinsicht eine erkleckliche Anzahl ge- 
nuiner Wörter aufzeigt, können jedoch nicht mit Stitl- 
achweigen übergangen werden, denn sie sprechen deut- 
licher als all die conträrcu, aus uusern Erfahrungen über 
die Lebensweise der heutigen Nomaden stammenden Theo- 



%m 



102 

rien. Wihröid k. B. bei den verwandten aral-aiuischen 

Volk erschaß ea , nämlicb bei den Finn-Ugriern, der Aus- 
druck für den Begriff Arker gänzlich fehlt und hierför 
«in dem Deutschen eotlehntes Wort gebraucht wird (vgl. 
San. pelto, cslhn. pöld, \app. pöldö, m&gy. föld)*, finden 
wir im Tnrko-Tatariachen gebi^uchlich tarlak-tarla. der 
Grandbedeutang nach: der Ort, an welchem augebaut oder 
gesäet wird**; ferner: taranci = Ackersmann, Änbaner, 
Säer, TOD der Stauimeilbe lar = säen, anbauen, auch aus- 
streuen (vgl. §. 176), in welch letzterer Bedeutung des 
Wortes wir die klarste und treffendste Verdoimetschung 
des Begriffes vom Feldbau haben. 

Nicht minder bezeicbneud ist der Name für das Ilaupt- 
geräth, nämlich für den PSng. Auch hier haben die 
Finnen sowol als die Magyaren das betreffende Wort 
jenen Völkern entlehnt, von denen sie den Ackerbau er- 
lernt haben (vgl, finn. auru= Pflug mit schwed. arja^ 
pflügen, und das magy. eÄ.e=Pßug mit dem deutschen Egge\ 
während die Sprache der Türken dafür das Wort sapan oder 
sapan-temir = der Einschneider, das einschneidende Eisen, 
von sap (einhauen, einschneiden u. s. w.) abstammend, 
aufweist; auch /(s=Pflug (bei den Sarten), eigentl. der Zahn, 
der Brecher. Auch andere zum Ackerbau gehörige Werk- 
zeuge sind genuin, so: cag. bei, Haue; balta, Axt, 
Hacke; capa, Haue; ügrik, das Rad der Irrigations- 
maschine. Besonders hervorzuheben ist, dass die bei 
künstlicher Bewässerung des Bodens eine Hauptrolle spie- 
lenden Kanäle eine ihrer Beschaffenheit entsprechende 
Benennung haben und für die frühe Bekanntschaft der 
Türken mit diesem Theile des Äckerbaues Zeugnisa ab- 
legen. Es gibt nämlich noch heute in Mittelasien zweierlei 



* Ählquist, S. 2&, magy. f6ld uiicli Erde, saänlöföld. 
•• Vgl. iuelat, jnjlak, kiilak. 



103 



Gattung von Graben, von welcher der eine oder der 
natürliche arik oder arna (von der Stammsilbe ar = gra- 
beu, schneiden, vgl. §. 133) genannt wird, d. fa. ein solcher, 
den der FUiss sich selbst gebrochen, nnd welcher nur später 
geregelt oder erjFcitert wurde. Der zweite Name Ist jap 
^ der gemnchte, der gebaute Kanal (vgl. jap = machen, 
bauen), welcher von arik ausgehend, nuf längere Strecken 
zwischen die urbar zu machenden Felder geleitet wird. 

Höchst charakteristisch für das Verhältniss des Boden- 
besitzes der primitiven Türken ist der Umstand, dass von 
einer Äbrundung oder Abgrenzung kaum die Rede war, 
denn für den Begriff Grenz© existirt kein specielles Wort; 
das zuweilen hierfür gebrauchte kirak oder k^ji bedeutet 
ganz einfach Rand, Ufer, d. h. wo etwas abbricht, auf- 
hört. Ein äLuliches Verhältniss ist übrigens auch bei den 
Deutschen und Ungarn anzutreffen, wenn wir das magy. 
kaidr = Grenze vergleichen mit dem slaw. cholor und das 
deutsche Grenze mit dem »law. hranica = Grenze, eigentl. 
Schutz, Wehre, von hranit. Die Slawen waren schon 
früher Ackerbauer als Deutsche und Magyaren, weshalb 
auch darauf bezügliche Begriffe in ihrer Sprache früher 
Ausdruck finden mussten. 

um daher über die unter den Turko-Tataren schon in 
frühester Periode bestandene Agricultur eine richtige Auf- 
fassung zu erlangen, müssen wir vor allem die betreffenden 
heutigen Zustände der Nomaden in Berücksichtigung ziehen. 
In Anbetracht der schon längst bestehenden zwei Haupt- 
abtheilungen, nämlich der kücek und comru, d. i. der wan- 
dernden und ansässigen Nomaden, ist es nicht schwer zu 
errathen, dass erstere mit der Viehzucht sich ausschliess- 
lich beschäftigend von dem Ackerbau sich gänzlich fern 
hielten, während letztere, wenngleich ebenfalls Steppen- 
bewohner und mit Viehzucht beschäftigt, die Cultivirung 
einiger urbaren, an Flüssen gelegenen Landstriche schon 



104 

frühzeitig betneben hatten. Im Laufe der Zeit and 36 
mehr man sich den festen Wohnsitzen benachbarter Völker 
näherte, hat dieses Verhältnias sich gewisseriiiasaen ver- 
ändert, indem der Anbau von Garten- und Ilulsenfrücbtl 
unter allen Nomaden Verbreitung fand, und die comru^. 
auch Getreide und Futtersaat banteu, ja ausserdem seil 
einige Zweige der primitiven Industrie und etwas Ilandi 
trieben. Dieses Verhaltniss hat sich bis heutzutage nool 
aufrecht erhalten, nur mit dem Unterschiede, dass die 
comrui's, bei den Turkomanen z. B. als Kaufleute betrach- 
tet, schon der bedeutenden Anzahl halber für gleichbe- 
rechtigt gehalten werden, während diese Klasse der N< 
maden auf dem nördlichen Steppengebiete als arm 
elend angesehen werden und hier das Wort comri seil 
als gleichbedeutend mit Bettler gebraucht wird. 

Man müsste im allgemeinen hinsichtlich des Ackerbai 
unter den Völkern des vorgeschichtlichen Zeitalters nid 
so sehr die verschiedenen Phasen ihrer Cultiir als vielmehr 
den Grad ihrer Stabilität auf ein und demselben Land- 
striche zum Alisgangs punkte des hierauf bezüglichen Kri- 
teriums nehmen, da es fast undenkbar ist, dass der Mensch, 
wenn er jahrhundertelang in ein und derselben Region 
verweilt, nicht auf die Idee gekommen wäre, den Boden 
zu bebauen und demselben das zur Nahrung nöthige Wachs- 
thuin zu entlocken, Poesche deutet auf diesen Umstand 
in seinem Buche „Die Arier", S. 96, ganz richtig hin, 
indem er hervorhebt, dass die aus der alten Heimat ziehen- 
den Arier im Ackerbau nachliessen, bei einer längern spä- 
tem Sesshaftigkeit denselben wieder aufnahmen, und trotz 
der uralten Existenz der Bodcncultur bei den Ariern den 
Namen des Haupt Werkzeuges, den Pflug, slaw. phtg. 
den Slawen entlehnten. Bei den Turko-Tataren läset eit 
bis vor zweitausend Jahren keine grössere Trennung 
mnthen, und da das damals schon krj'stallisirte Sprach" 



er- 

1 



105 

mterial für die Werkzeuge des Ackerbaues gcmeinsnnie 
Nninm aufweist, so kann der urnllc Bestand dieser Ite- 
scbäfligiing auch keiueni Zweifel unterworfen werden. 
Nicht trotzdem, sondern weil diese Besehäfligiing sich 
Ireute nur sporadisch rurfindet, niöchtea wir die Behaup- 
tuDg wagen, dasa die Völker der turko-tatarit^chea Sasse 
Bciioii im grauen Alterthiiiiie, dort wo die Hodenverhült- 
nisse es gestatteten, den Ackerbau betrieben haben, und 
nur im entgegengesetzten Falle sieb ausschliesslich von 
der Viehzucht nährten und infolge dessen dem Nomaden- 
leben oblagen. Der Mensch wird eben das, wozu ihn die 
Natur macht, und da diese auf grosserer Ausdehnung 
nicht gleichartig ist, so ist es selbstverständlich, duss dies 
aach die Lebensweise des Mensehen nicht sein kann. So- 
wie es daher von jeher unter den Turko-Tataren, in der 
zumeist aus Steppenregionen bestehenden Urheimat, in der 
überwiegenden Mehrzahl Nomaden gab, ebenso haben die 
auf dem fruchtbarem und besser bewässerten Steppen- 
rande Wobuenden auch deu Ackerbau betrieben. 



m 



VllI, 



Handel uud bewerbe. 



Keine Sprache der Alten und Neuen Welt hat es ver- 
mocht, die frühe Existeuz und den Ursprung des Handels 
in der für diesen Begriff vorhandenen Bezeichnung so klar 
niederzulegen als das Türkisch -Tatarische. Alis-tvcriii = 
der Handel, heisst nämlich der etymologischen Bedeutung 
nach das Nehmen und Geben (von alitiak, uehmen, 
und tßermek, geben), und ebenso heisst der erste Theil 



dieses Compositum Kauf oder Einkauf, wie der zweite 
Verkauf. Die Begriffe Handel und Tausch oder Tausch- 
Landel sind daLer identisch, und durch ein und dasselbe 
Wort wiedergegeben. Ausserdem gibt es aber noch andere 
Wörter, welche den Begriff des Ein- und Verkaufens in- 
terpretiren, doch sind diese tod aecundärer Bedeutung. 
So z. B. tegismelc. dejUmel; ^= vertauschen, eigentlich mittels 
SubstituiruDg des entsprechenden Werthes etwas erlangen, 
von der Stammsilbe teg, tej, dej = Werth, Preis, Gleich- 
gewicht (vgl. §, 173); ferner satmak= verkaufen, eigentl. 
losschlagen, absetzen, in der ursprünglichen Bedeutung 
des Wortes: etwas aus der Hand geben, ohne den betref- 
fenden Werth dafür zu erhalten (vgl. §. 154). Neben 
diesem verhältniss massigen Reichthum der Sprache in Be- 
zeichnung des allgemeinen Begriffs muss ea auffallen, dass 
es für die Benennung eines Handelsplatzes oder Marktes 
kein allgemeines Wort gibt, denn das hierfür bestehende, 
dem Persischen entlehnte baear, das auch im magy. väsdr 
= Markt, sich vorfindet, hat erst nach der Berührung mit 
den iranischen Elementen seinen Eingang gefunden und 
deutet ganz klar darauf hin, dass die ersten Handclstrans- 
actioncn mit den Kaufjcuten nur auf dem Durchzuge durch 
das Gebiet der Nomaden gepflogen wurden. Es drückt 
daher das Wort für Kaufmann in seiner ältesten Form, 
nämlich sart, zugleich auch den Begriff Wanderer, Fremd- 
ling* aus, und es werden denn aiich mit diesem Namen 
noch heute die türkisch redenden Iranier, mit rein irani- 
schem Typus, bezeichnet als die ersten init dem Türken- 
volke verkehrenden Kaufleute. Um so interessanter ist es 
aber zu erfahren, dass Handelsgesellschaften schon in der 



* Auf einem analogen Ideengang beruht das in Centralasien ge- 
brauchte persische Lehnwort saudagar = Kaufmann, welches i 
lieh, der mit Melancholie Behaftete, der Herumirrende bedentet. 



107 

fr&faesten Zeit bekannt waren, indem die Dignren in dem 
Worte für Karavane, arlris, nicbt nur die fubrende Han- 
delsgesellschaft, sondern die Handelsgesellscbatt im altge- 
meinen verstanden, eine Bedeutung, in welcher dieses 
Wort noch hellte bei den Altaiern gebraucht wird, und 
zwar in etymologischer Kicbtigkeit, denn arka heisst 
Schutz, Gefährte, und arkis gegenseitiger Sehutz, Gesell- 
schaft.* Ebenso ist in dag. sergi, uig, Icrki = Ansstellung 
der Waare, Auskramung, Kram, von sor-ter ^^ ausbreiten, 
ein altes genuines Wort zu önden, das an die primi- 
tive Art der Feilbietung, nämlich au das Anebreiten 
der zum Kauf angebotenen Waare auf der Erde, wie dies 
Kaufleute noch heute unter Nomaden zu thun pflegen, 
erinnert; sergi hat merkwürdigerweise iu der mit fremden 
Elementen stark überladenen osmauischen Sprache sich 
noch erhalten, indem der nach alter Gewohnheit im Ra- 
mazan abgehaltene feierliche Markt diesen Namen führt^ 
so anch die Buden während des Noruzfeates in Chiwa. 

Da das erste Stadium des Handels überall der Tausch- 
handel war, 50 konnte auch der Begriff Preis anfangs 
nur im Worte Werth, entsprechend Gleichgewicht, sei- 
nen Ausdruck finden. Das türk. tegcr, dejer — Werth, 
gleich, aufwiegend, ist analogen Ursprunges mit den Wor- 
ten für Gewicht, Gleichgewicht und Geld, nämlich mit 
devg, tmg und lenge, und so wie die Frage des Käufers: 
Was kostet dies? mit: Was verlangst du dafür (Jmna ne 
ist er sin) an die Transaction im Tauschhandel erimiert, 
ebenso ist es die Antwort des Verkäufers: mtimm dejeri 
soldur = dessen Werth ist jenes, d. h. nach unserer mo- 
dernen Redensart: es kostet so und soviel. Auch der 



• Hierdurch wird anch dag pers. Eenean, Kiarwan richtig gestellt, 
indem es nicht als tar-rewon = gehendes Geschäft oder Handel, son- 
dern als kiar-ban, Geschüftsschutz, Haadelsschut:!, aufgefaest werden 



108 

Bergriff zahlen, bezahlen, ist den Bedingungen des 

Tauschhandels entsprechend, denn das hierfür existireude 
Wort cag, ölcmek nnd iiileinek; jak. tolui; alt. tölö; &\\\, 
tat u, 8. w. heisst seiner concreten Bedeutung nach gegen- 
überstellen, als Ersatz, als Entgelt hinst<.'IIcn, von der 
Stammsilbe üt-nt, tili ^ gegeuüber. Geld moss daher in 
frühester Zeit identisch gewesen sein mit dem Aasdruclse 
Gleichgewicht, Gewicht im allgemeinen, wie dies aus dem 
oben erwähnten Worte tcnge am besten ersichtlich ist, mit 
welchem noch heute in Centralasien die am meisten currente 
Münze bezeichnet wird. Geld im allgemeinen heisst fast 
durchgänglich alfce, d. i. Silber, da nur dieses Erz allein 
und nicht Gold Verwendung gefunden hatte. Auch wurde 
Silber selbstverständlich nicht in geprägten Münzen, son- 
deru in massiven Klumpen auf der AVage als entsprechen- 
der Werththeil abgewogen, woran die in Ostturkeatan 
noch heute vorkommenden jamhu's oder Silberklumpen in 
der Form unserer Gewichtmaasse erinnern, die in verschie- 
dener Form mit zwei Oehren versehen im Handel abge- 
wogen werden. Mit akce steht noch in an;Joger Bedeu- 
tung J«n»0^ = Münze, Geld, eigentl. ^anmflÄ, scheiden, 
trennen, folglich eine Scheidemünze. 

Wenn wir demnach diese Bemerkungen zusammen- 
fassen, so wird sich als Resultat ergebeu, dass man bei 
den Turko-Tataren — ungleich den Finnen und finuisch- 
ugriachen Stämmen, wo unter Geld die als Waarenartikel 
meist gangbaren Eii^hhorn- und Marderfelle verstanden 
wurden" — sich schon sehr frühzeitig des Silbers als Geld 
bediente; demzufolge konnten die Rauehwaaren in der vor- 
geschichtlichen Zeit bei ihnen nicht jene wichtige Rolle_ 
spielen wie bei den weiter im Norden ansässigen Stamm 
verwandten. 



• Vgl, Ahlquiat, S. 18U. 



109 



7m engen Znsnmmi^uhaiige mit dem Ilaiidel stcLt Mauä!« 
und Gewicht, und eioe Berücksichtigung der verechicdeneD 
Benennungen für die Lungen-, Gewicht- und Riiummaasse 
kann, als zu diesem Abschnitte gehörig, nicht unterbleibcu. 
Hierbei müsaen alloi-dings nicht die heutigen oder jüngst 
vergangenen Zustände der in so grosser geographischer 
Ausdehnung, in so verschiedeucu Le beug Verhältnisse», und 
durch 80 mauniuhfuche fremde Cultureinflüsse voueiu- 
ander getrennten Völker ins Auge gefasst werden; wir 
dürfen also nicht die von einem fortgeschrittenen Stadium 
der Bildung bedingten Neuerungen, sondern die primitiven 
Lebensverhältnisse in Berücksichtigung ziehen. Auf diese 
Weise vorgehend wird sich nns die Wahrnehmung auf- 
drängen, dass anfangs nur die Messung der Länge und 
des Gewichtes gekannt wurde, sowie dass man für die 
Bestimmung des Raummansses gar keinen Sinn hatte. Es 
findet sich nämlich zur Bestimmung des Eaummaasses fast 
nirgends ein genuines Wort vor, wahrend für Langen- 
maaas und Gewicht verschiedene, mit der Natur und mit 
dem Gebrauche betreffender Messgeräthe übereinstimmende 
Wörter existiren. Für Quantität im allgemeinen haben 
wir das alte Wort kein (im Alt. noch gebraucht in der 
Verbalform hemdi — messen), ein Wort, welches nns iden- 
tisch dünkt mit l'cb ^^ Muster, Bild; ferner das Wort 
SlcH, olci — Maass, eigentlich das schon Gemessene, der 
concreten Bedeutung nach Theil, Bruchstück; schliesslich 
im Osttürkischeu mi = Mass, das mit tcn, ten = Gleich- 
gewicht, verwandt ist. Zur Messung der Länge sind wie 
überall Theile des Menschenkörpers gebraucht worden, 
nämlich der Arm (l:ol) und die Spanne (Jcaris). Aus er- 
Bterm ist Icnlar, Klafter, wörtl. Armlänge, entstanden, 
«nd noch heute misst man die Länge auf dem ausge- 
streckten Arm vom Schulterbein bis zur Daumenspitze. 
Was das letztere Wort anbelangt, so scheint ans ^■«m, 



110 



Spanne, nacli Wegfallen des gutturalen Anlautes und 
nach Hinzugabe d^s AdverbialafGses in das hauptsächlich 
im W es tlürki sehen gebrauchte arsun, qis(H =^ Elle, her- 
vorgegangen zu sein, denn karis selbst, welches heute 
Spanne bedeutet, ist mit aris = die HäSfte, Arm- 
länge, uäinlich vom Ellenbogen bis zur Spitze des Mittel- fi 
fingers, verwandt. I 

In vollkommenem Einklänge mit der Natur der ebenen 
Steppenheimat sind die alten Bezeichnungen für die 
Sti-eckenlänge , wofür es zwei verschiedene Maaeabestim- 
mungen gibt: a) Cakirivi oder cagrim — Meile, der Wort- 
bedeutung nach aber Ruf, d. h. soweit der Ruf, das Hu- 
fen (von iakirmak^ rufen) oder die menschliche Stimme im 
allgemeinen dringt, welches an das finn. peninliulma = 
Meile (eigentl. soweit das Hundegebell zu hören ist) er- 
innert, b) Karagafi^ alt. karaan = soweit das Auge sieht, 
der Horizont (von karaniak, sehen). Es wird hiernach 
von selbst ersichtlich, daas a) eine Bezeichnung für kür- 
zere, b) für längere Strecken vorstellt, 

Zar Bestimmung der Körperschwere oder des Gewichtes 
muss von jeher die Wage, tarti oder celd, bestanden haben. 
Beiden Wörtern liegt die Stammsilbe tart oder cek ^ 
ziehen, herabziehen, zu Grunde und dies kennzeichnet ganz 
klar die noch heute gebrauchte Balancirwage, wo die 
Waare auf einer Seite, der Stein, welcher die Stelle des 
Gewichtes vertritt (daher die Bedeutung des Wortes tas 
= Stein und Gewicht) als Gegengewicht von der andern 
Seite herabhängt. Gleichen Ursprung bekundet auch das 
Wort hatman =■ Pfund, von hat = untergehen, sinken, d. b. 
ein Beschwerer, mittels dessen der andere Theil der Ba- 
lancirwage herabgedrnckt wird. 

Ich habe an die Spitze dieses Abschnittes auch 
dewerbe gestellt, doch können die hierauf bezüglidm 
Bemerkungen, wenn wir uns darunter eine gewerblrei 



111 



tieade Klasse, etwa im modernen Sinne des Wortes vor- 
stellen, einen nur negativen CLarakter haben. So wie der 
türkische Steppenbewohner noch bis in die Gegenwart 
hinein die zu seinem Lebensunterhalt nöthigen Mittel, als 
Haus, Kleider, Nahrung, WaiFen, Pferdegeschirr u. b. w., 
selbst bereitet und an die fremde Industrie sich nur da 
lind dort wendet, wo es sich um eine Neuerung haudelt, 
die im Stoffe sowol als in der An fertigungs weise ihm un- 
bekannt ist — ebenso und noch mehr muss dies in frühem 
Zeiten der Fall gewesen sein. „In den abgelegeneu Thei- 
len unsers Landes", sagt Alilquist (S. 55), „ist die Ver- 
theiluDg der Arbeit noch so wenig vorgeschritten, d&ss 
der Bauer nicht nur sein Ackerbau- und Hauageräth so- 
wie die Zeuge zu seiner Bekleidung, sondern gröasten- 
theils auch die dazu erforderlichen Werkzeuge selbst ver- 
fertigt. Mehr noch als zu unserer Zeit mag dies früher 
der Fall gewesen sein, als der einsame Waldbewobner in 
dieser Hinsicht auf sich selbst angewiesen war, und alles, 
dessen er und seine Familie bedurfte, selbst mit derselben 
verfertigte." 

Während nach einer richtigen Beurtheilung Ahlquist's 
bei den finnisch-ugrischen Völkerschaften das Handwerk 
des Schmiedens schon ziemlich früh betrieben worden zu 
sein scheint, indem die Schmiedewaaren der Finnen in 
spaterer Zeit wegen ihrer Brauchbarkeit berühmt waren, 
können wir bei den Türken selbst hierauf bezüglich keinen 
sichern Anhaltspunkt finden. Der Schmied beisst im 
Finnischen scppä, alias der Meister (vgl, lat. /aber), im 
Türkischen jedoch temirü oder Umurii, eigentl. der Eisen- 
mann, von timur = Eisen, und dem Eigenschaftspartikel 
ii oder c'i, folglich sowol der Bereiter als auch der Ver- 
käufer der Eisenwaaren, wie dies auch bei den übrigen 
Gewerben vorkommt. Zu bemerken ist jedoch, dasa eben 
diese Zusammensetzung bei solchen Zweigen der Industrie 




anzutreffen ist, die auf ein späteres, in der Cnltiir schon 
vorgeschrittenes Stadium seliliessen lassen, denn für die 
Verfertiger von Zelten, Waffen, Pferdegeschirr und son- 
stigen bei der primitivsten Lebensweise uneutbchrlicben 
Gegeuständen existirt gar keine specielle Benennung, und 
dies berechtigt uns zu der ganz naturgeuiässen Folgerung, 
dass eine diesfallsige Kunstfertigkeit gar niclit in die Ka- 
tegorie der speciellen Handwerke gerechnet, sondern als 
von jedermann ausgeübt oder auszuübend betrachtet wurde. 
Aus diesem Umstände wird es erklärlich, dass im Ost- 
türkischen die Ausdrucke catirci (Verfertiger von Zelten), 
tokumci (Verfertiger von Pferdegeschirr), telpekii (Verfer- 
tiger von Pelzmützen), in der Bedeutung von speciellen 
Handwerkern ebenso fremdartig klingen, als timurei 
(Schmied), ötühH (Stiefeimacher), Icujumci (Erzgiesser) als 
Benennung ansecbliesslich Gewerbtreibender gelten können. 
Als Illustration des Gesagten sei ferner angefülii't, dass* 
die specielle Benennung des Gerberliaiidwerkes gänzlich 
fehlt, indem für den Begriff gerben ganz einfach das 
Wort bearbeiten gebraucht wird. Tvri islemei, wörtl- 
die Haut bearbeiten, heiast gerben, so wie das rnss. Tcofa 
wiJjelowat = eine Haut ausarbeiten, und wie das magy. 
tirnär = Gerber, welches aus dem Persischen stammend 
Bewirthung, Bearbeitung beisst. Einen ähnlichen Ideen- 
gang bekundet das osm. scp^iwcÄ" = gerben, welches von 
scp, sib, sab = gut, recht, abgeleitet, dem Innern Werthe 
nach zurichten, bereiten, herrichten bedeutet; das osm. 
sip = Ivohc (z. B. : hu Jciirkin sepi fetiaiUr = die Lohe 
dieses Pelzes ist schlecht) darf nicht als ein Kunstwort 
aufgefasat werden. Unter Ausarbeiten oder Gerben ver- 
steht man in erster Linie das Reinigen der Haut von den 
Haaren; das ansgearbeitete Fell beisst daher jargalc, alt. 
jaru, und dessen etymologische Bedeutung ist glatt, kahl, 
glänzend, von der Stammsilbe j'fir (vgl. §. 128). 



Speciell technische Ausdrücke zur Bezeichnung der 
Werkxeuge und der Ingredienzen der Gewerbe sind im 
Turko-Tatari sehen zumeist genuinen Ursprunges, d. h, sie 
sind von dem Bildnugsgeist der Sprache gescbafien %vorden, 
und nicht wie in den finnisch-ugrischen Sprachen der Mehr- 
zahl nach entlehnt. Hierbei muss selbstverständlich nicht 
der heutige Wortschatz der ansässigen Türken, bei deneu 
mit frem^pn Cultii rein Aussen luich fremde Gewerbe Ein- 
gang gefunden, sondern der des womöglich noch in Äb- 
gescbloasenheit sich vorfindenden Nomaden als Ausgangs- 
punkt unserer Forschungen dienen, und es fallen denn 
such alle auf das beutige ludnstrieleben Bezug haben- 
den Ausdrücke schon deshalb ausserhalb des Bereiches 
unserer Studie, weil die Mehrzahl der heimischen Geweibe 
noch in einem höchst primitiven Stadium sich befindet 
und die Bezeichnung der ins Fach schlagenden Gcräthe 
daheim erfunden und türkisch benannt worden ist. So 
wie tokumak — weben dem WortwerUie nach identisch 
ist mit nebeneinanderlegen, zusammenstellen, und im Ca- 
gataischen die Redensart: hur ja iokumak := eine Matte 
weben, rectius flechten, statthaft ist, ebenso ist das Wort 
für spinnen: egirviek, ejimiel;, evirmik, ivirmek gleich- 
bedeutend mit drehen, winden, und ip ^: Strick, jpM = 
Garn, muas der Stammsilbe nach für Gewinde, Geflechte 
('gl- §■ 37) gehalten werden. Dieselbe Stammsilbe liegt 
auch dem osm. öreke, liag. urcuk, kaz, urci'k =■ Spindel 
(vgl, magy. orsö), auf welcher der Faden gedreht wird, 
zu Grunde. 

So ziemlich gleich ist das Verhältniss anderer Ge- 
werbe und der zu denselben nöthigen Geräthschaften. Im 
Worte für n&heu iikmek, dikmck,, bedeutet die Stamm- 
silbe tik, dik, einen länglichen spitzigen Korper. Tiken, 
digen heisst Dorn, welcher als primitive Nähnadel, Steck- 
nadel zum Heften der Kleider verwendet worden zu sein 



114 



scheint, und igvc — Nadel ist auch aus dieser Stammsilbe 
nach Abwerfiing des dentalen Anlautes entstanden. Bei 
den Arbeiten in Holz finden wir die Grundidee des Ab- 
Bchafaens, Hackens und Schneidens iu erster Reihe aus- 
gedrückt. So osm, rfo(/ram«ii =^ Tischler, von dogramak 
= zerstijckeln, zerhacken; dag. jo««ii — Tischler, Zim- 
mermann, von jowwHmi ^1 hobeln, schnitzen; während die 
hierzu gehörenden Werkzeuge als: ialta — Axt (wörtl. 
Spalter, vgl. §, 206); 6«ffÄ = Messcr, cag. 6je^;=Säge 
(wörtl. Schneider, vgl. §.217); torärw oder ftwr« ^^ Bohrer 
(wörtl. Zwicker, Kneiper); ieser :^ Hohfllmcsser (wörtl. 
Schneider, vgl. %. IOC); hajä, kijci = Schere (wörtl, Ab- 
schneider, vgl. §. 91), insgesammt ganz deutlich die ihnen 
zufallende Thätigkeit interpretiren. 

Wir können diesen Abschnitt nicht schliesseo, ohne 
auf das hierher gehörige Zahleusystem und den Begriff 
zählen im allgemeinen etnzug(;hen. Vor allem muss es 
aufl'allen, dass die Stammsilbe des Wortes für zähh 
gleich auch den Begriff denken, wähnen, urtheilen 
drückt, in concreter Hinsicht aber (vgl. uig. sah, sag, 
saj, san, osm. soyi = Zahl, mit sagis, sakis =-Geäi 
öag. sajirmak = absondern) die Handlung des Absondems^ 
Trennens, Sond erstell ens bedeutet. Aus der Analogie 
zwischen sajmak, zählen, und sajirmok, absondern, tren- 
nen, verringern, klein machen, wird allerdings die Hand- 
lung des Zählens, als dte Eintheilnug eines grossem com- 
pacten ganzen Körpers in kleinere Theile auf eine logisch 
wunderbare Weise ersichtlich gemacht, d. h. der turki 
tatarische Urmensch hat das Zählen als eine Zergliederunf 
des einheitlich Ganzen aufgefasst und in der Benenniin] 
der einzelneu Zahlwörter einer bildlichen Umschreibui 
Ausdruck verliehen, die uns nur aus wenigen Beispiel) 
einleuchtend wird, ira grossen und ganzen aber hen( 
schon unbegrifflich ist. So unterliegt es keinem Zweif« 



1 aus^^ 



115 



tlass selbst die Kamen der sieben Grundzahlen, denn iir- 
sprünglicb baben die Türken ein Siebenzahlsjstem^ wie 
sie beute vorliegen, einer bedeutenden Veränderung nnter- 
legen sind. Der Grundgedanke von Zwei = f^v, i/ci, ist 
hinzufügen, paaren, von ek (vgl. §. 32), wäbrend dem 
Ziiblworte Fünf das Bild der Hand zu Grunde lag, wie 
wir dies iu der betreffenden Zebnerzahl sehen, wenn wir 
ellik :^ fünfzig, mit elilc = Hand vei^Ieicben, oder das pers. 
pens ^ fünf dem pers. petizc := Faust gegenüberEtellen; so 
bedeutet bei den Eskimos Zwanzig die gesammte Finger- 
zahl des Menscbeu, und in Labrador heisst Talek Hand 
und fünf (Lubbock, S. 3bG). Das Zahlwort Tausend = 
ming beruht auf dem Worte tnling, uig. mün = eine grosse, 
unbestimmt« Menge*, und eo beisst auch im Koibal-Karagas- 
gischen bir Icup (ein Sauk) 100 Rubel, und im Osmanischcn 
kise alce (ein Beutel Geld) 500 Piaster, SchlieBsIicb sei hier 
noch des Wortes tiimeti erwähnt, das in der Bedeutung 
Ton 10000 vorkommt und im Grunde genommen Haufe, 
Menge (vgl. §. 179) bedeutet. 

Was das Siebenersystem anbelangt, so scheint es erst 
in der Neuzeit, d, h. nach engerer Berührung mit den 
fremden iranischen Elementen ins Zehnersystem sich um- 
gestaltet zu haben, denn das Oezbegische in deu drei 
Cbanaten gebraucht noch beute ike lieni on ^ zwei weniger 
zehn für acht und bir kern on = eins weniger zehn für 
nenn, und an den anderswo gebräuchlichen seAi>, s»i(^ =^ 
acht und iolus ~ neun ist es sofort zu bemerken, dasa 
wir hier ein Compositum vor uns haben, in sck-iz näm- 
lich seki-sis — zwei weniger {^stki mag eine ältere Form 
von fA'i = zwei sein, im Jakutischen ist heute sehr häufig 
ein 8-Anlaut zu finden, wo die übrigen Sprachen einen 
einfachen Vocal baben) und in lok-tis, tok oder tek-sie =^ 



* Vgl, meine „Uigurische Sprach montinieute", S. i 



1, Sp. 2. 



eins w eiliger. Das uraprün gliche VorhRndensein eiüCB 
Siebeuersy Sterns ist auch im Magyarischen und in den 
übrigen finnisch-ugrischen Sprachen nachzuweisen (vgl. 
Hunfalvi, „Ethnographie von Ungarn", S, 154) und am 
meisten leuchtet die Wichtigkeit dieser Zahl aus dem reli- 
giösen und bürgerlichen Leben hervor, denn Sieben war 
bei den turko- tatarischen Völkern von jeher eine heilige 
Zahl. So hat der böse Geist Erlik bei den Ähaiern sie- 
ben Throne vor seiner Thür, die Ahnen heissen bei den 
Kirgisen j'e/i ataJar =die sieben Väter, die Fabel der Al- 
taier spricht von sieben Wölfen, die in sieben Tagen 
kamen u. s. w., mit einem Worte, wir finden die Zahl 
Sieben bei den Türken in derselben, vielleicht noch grössero 
Achtung als bei vielen andern Völkern Asiens. 



rx. 
Die Waffen. 



'd 



In vorhergehenden Blättern ist schon mehrmals die 
Armiith der primitiven Sprache zur Bezeichnung allgemei- 
ner Eegrifi"e erwähnt worden. Im turko-tntarisehcn Worte 
für Waffe müssen wir wieder eine derartige Wahrnehmung 
machen, denn das hierfür mit wenig Ausnahme gebrauchte 
jarak, von jaramak = bereiten, herrichten, zurichten, ent- 
spricht seinem etymologischen AVerthe dem deutschen 
Rüstung, Ausstaffirung, Ausrüstung, nicht unähnlich dem 
gegenseitigen Verhältnisse zwischen dem skt. ara-m pas- 
send, lat. ar-wa ^^ Wafi'e*, ferner zwischen dem fiun. 
t[se**=Waffe und Geräth, und asetan='m Ordnung stellen; 
zwischen dem russ. orudie = Geräth, Werkzeug und oru- 



. CurtiuB, S, 30i. 



" Vgl. Ahlquist, S. 2311 



117 



iie = Waffe. Derselbe Ideengang liegt dem all. jepsel = 
Waffe, zu Grunde, iDdem die Stammsilbe jVp — herrichteo, 
bereiteD, machen bedeutet. Wir dürfen daher auf uuserm 
Sprachgebiete, bo wie anderswo, unter Wafie ein Geräth, 
ein Werkzeug verstehen; die eigentliche Gebrauohsbedeu- 
tiing, d. h. ob dieses Werkzeug zum Angriffe oder zur 
Vertheidignug diente, wird aus der Benennung der ein- 
zelnen Waffeiistücke hervortreten. Es ergibt sieh daher 
aus der etymologischen Bedeutung des türkischen Wortes 
für Waffen ganz klar, dass der Urmensch bei den Turko- 
Tataren, so wie anderswo, in den Waffen ein zu Beiner 
Kleidung und zu seinem Leben simtcrhalt unentbehrliches 
Ganze ansah und dieselben immer mit sich und auf sich 
trug. Welches wol die ursprünglichste Waffe gewesen 
sein mag, und ob dieselbe eher zur Offensive als zur 
Defensive gebraucht wurde, das ist eine Frage, die mit 
Hinblick auf die Verwandtschaft der Begriffe Fleisch und 
Speise wol leicht zu entscheiden wäre; wir wollen und 
dürfen uns jedoch in weitgehende Speculationen einst- 
weilen nicht einlassen und wollen uns lieber hier mit der 
Detaillirung der einzelnen Waffenstücke beschäftigen. 

Unter den Hau- und Schneidewaffen begeguen wir 
zuerst der Axt und Hchwingkeule. Die erstere heiast 
i^ia, die zweite balga; die Stammsilbe beider Wörter be- 
deutet zertrennen, zerschlagen, zertheilen, und trotz der 
verschiedenen Form, in welcher heute beide Waffen vor- 
ütommen, steht der analoge Ursprung der betreffenden 
Wörter ausser Zweifel. Von ähnlicher Beschaffenheit und 
ähnlichem Ursprünge ist ein anderes für Keule speciell 
gebrauchtes Wort, nämlich das cag. cokum, von cokmak 
— hauen, schlagen, so auch das verwandte cokuc = Ham- 
mer und cokmar oder co^man = Knittel, ein mit rundem 
Knopf versehener Stock, welcher in dieser Form vom 
Baume abgeschnitten, als Muster der später so erzeugten 



118 



Waffen gedient haben muss. Die Keule, wofür wir noct 
ein anderes Wort, nämlich osin. hozdagan, eigeutl. hos- 
durgan = der Auseinandersuhlager, haben, scheint im Ver- 
eine mit der Axt, wie die zahlreichen Ueberreste aus der 
Steinzeit uns belehren, das erste Werkzeug gewesen zu 
sein, das der Mensch zur Vertheidigung oder zum An- 
griffe gebrauchte, denn die Schneid- und Stichwaffen, 
deren Erzeugung schon einen gewissen Grad von Kunst- 
fertigkeit voraussetzt, können nur in einem Torgerüek- 
tern Stadium der Bildung cnttanden sein. 

Während in den Benennungen für Keule, Axt u. s. w, 
die Grundidee des Zerschlagens, Zerhauens enthalten 
ist, änden wir im Worte für Scliwert = kilic die Bedeu- 
tung des Schneidens, Schnitzens, Zerschneidens, Zer- 
stückelns, von hil, kir (schneiden), vorherrschend. Dem 
Schwerte zunächst reihet sich als Schneidewaffe das Messer 
= bicak, Jak. bisaJc, von hicmaJc, hicmeh ^ schneiden, 
zerschneiden; es waren dies blanke Waffen, zu denen im 
frühesten Entstehen auch eine Scheide gemacht wurde, 
welches Wort im Tu rko -Tatarischen kin, ursprüngl. kijin 
heisst, der Grundbedeutung nach Bekleidung, Hülle (vgl. 
§. 74), Auch zur Bezeichnung der Stichwaffe gibt es 
ein specielles Wort, nämlich das uig., cag., mong. und 
osm. eida, alt. jida Lanze, Speer; dies wird zwar nicht so 
viel gebraucht als das dem Persischen entlehnte najze, rich- 
tiger nejse, doch dünkt uns zida, da wir über dessen ety- 
mologische Bedeutung im Unklaren sind, nicht so genuin 
als das heute uns nur im übertragenen Sinne bekannte 
snwiaÄ = Fahnc, von SH«i«iRÄ— aufstecken, worunter nicht 
so sehr das Aufgesteckte, als vielmehr die lange Stange zu 
verstehen ist, mit welcher etwas aufgesteckt wird, richtiger 
der Aufstecker, durch die Partikel ak ein nomen agentis so 
wie hiiak = der Schneider, das Messer, von hie (schneiden) ; 
Äo«ai = der Gast, der Sichniedcrlaascnde , von kon (sich 



119 



uiederlassen ) u. s. w. In dieser Annahme bestärkt uns 
ein anderes, älteres Wort für Fahne, nämlich tug, kir. 
tikmc, -von der Stammsilbe fu^, ^iV/,:, (i'i = ein lauger spitzi- 
ger Körper, Stange, Pfubl (vgl. g. 203), eigentlich die 
Stange, weleJie mit einem Hosssehwcife versehen als ur- 
sprüngliobc Form der turko-tatariseben Fahne bekannt 
ist; ja wenn wir nieht irren, liegt dem persischen ncj-£e 
(Lanze) ein ähnlicher Ideengaog zu Grunde, indem dies 
aus iiaj, ncj ^ Rohr, Gerte entstanden ist. Andere 
Waffen, als Ichanzar = der Dolch, Izama =; ein zwei- 
schneidiges, langes Messer, dem Persischen- entlehnt, sind 
nur auf dem westlichen Sprachgebiete anzutreffen. 

Wenn wir nun auf die Sehiess- nud Wurfwaffen über- 
gehen, so werden wir zuerst der Sohlender, sakmnn auch 
taslau, wörtl. Werfer, begegnen, die noch heute in Mittel- 
asien als Kinderspielzcug iu der auch bei uns in Europa 
bekannten alten Form besteht. Sakmak, analog mit sac- 
mtih, heisst schwingen, hin- und herwerfen, streuen, taila- 
mak heisst wcrl'eu, weiter befördern, und daa Geworfene 
oder der Wurf ias. Merkwürdigerweise versteht man 
unter diesem Worte heute Stein im allgemeinen, obwol 
CS im Grunde genommen ursprünglieh nur Wurf, Ge- 
schoss bedeutet (vgl. o/^ =Pfeil §. 7) und mit den versehie- 
denen auf daa Erdreich bezüglichen Wörtern in gar keiner 
Verwandtschaft steht. Wenn wir daher in der Schleuder 
die erste Schiesswaffe und im Stein oder der Erdscholle 
t, t. Tteseh (von Iccs-mek, schneiden, trennen, absondern), 
das erste Geschoss uns vorstellen, so wird selbstverständ- 
lich der Bogen und Pfeil nur als eine solche Waffe auf- 
gefasst werden müssen, die schon mehr erfinderischen 
Geist erheischt, und daher das Erzeugniss einer spätem 
Periode ist. Das halbdunkle Verhältniss, welches zwii 
sehen dem skt. ar-äla-s = gebogen, aratni-s — Ellenbogen, 
und dem lat. iw-tit-s, zwischen dem pera. htmcr — Rüa- 



120 



düng, und ÄemQH = Bogen besteht, findet sich auch ii 
1. 1. jaj,jej:^3ogen vor, denn dasselbe verhält sich zu fj^jtf' 
(biegen, neigen vgl. §.31) ungefähr so wie das deutsche Bug 
zn Bogen, oder das alaw. lulca,, Krümmung, zu luk. Bo- 
gen. Ebenso klar wie die Etymologie des Wortes für 
Bogen ist auch die des Wortes fiii' Sehne, nämlich Järts, 
das von kir (Hr-pik, Wimper), JcU, Haar, stammt, und uns 
belehrt, dass die Sehne zuerst aus Haaren, wahrscbeinlicb 
Pferdehaaren, wie noch heute üblich, bestand. Der Pfel 
überall ok genannt, muss seiner etymologischen Bedeutui 
nach als Wurf, Geschoss, aufgefasst werden, vgl. ok 
P'lintenkugel und oklamali ^ werfen, schleudern, eigentlich 
in die Höhe werfen, von der Stammsilbe oi^hocb, er- 
haben. Auch der KÖcher hat einen genuinen, seiner Be-, 
schafTenheit ganz entsprechenden Namen, nämlicb das kir{ 
tigis von tikmek , hineinstecken ( vgl. magy. teges 
Köcher), während das häufiger gebrauchte sadak mel 
als Hülle, Bekleidung für Bogen und Pfeil zu nehmi 
ist, so im Cagataischen kiltc sadagi ^= die Seheide des 
Schwertes. In Hinsicht auf die Verschiedenheit der 
Schiesswaffen gibt es auch für den Begriff schiessen zwei 
verschiedene Zeitwörter. Mit der Flinte schiessen heisst 
miÜik oder tii/enk atmak. d. h. werfen, während daa 
Schiessen mit dem Bogen entweder durch jaj tarfmak ^= 
den Bogen ziehen, anziehen, oder durch Jaj jasmak = di 
Bogen erfiachen lassen, ausgedrückt wird. An Bogen 
Schleuder lasst sich noch eine primitive, speciell bei Ni 
maden anzutreffende Wurfwaffe, nämlich das zum Eitt- 
fangen der wilden Pferde gebrauchte lazzo anreiben, dl 
im Kirgisischen kuruk, eigentlich Schlinge heisst (ti 
magy. ÄMro/i — Schlinge) , von der Stammsilbe kur (aal 
stellen, auflegen); die verbale Form wird mittels Ami 
ö/m[iA; = Schlinge werfen oder schleudern ausgedrtickt. 
Auch der Gebrauch der Schutzwaffen oder der G| 



ich ^ 



121 



räthschaften zur Abwehr scheint sehr friih bekannt ge- 
wesen zu sein. Von dieeen wollen wir in erster Reibe 
des Panzeri« erwähneu, wofür wir zwei verschiedene Be- 
nennungen haben: da« ältere und spcciell als Bnistbe- 
kleiduDg gebrauchte saut, savui^ eigentl. der Schützer, von 
sautmak = beschützen, unversehrt halten (vgl, §. 122), und 
das verhältniBsmässig neuere töre =^ Wehr, Brustwehr, der 
Wortbedeutung nach etwas Gemachtes, zum Schutze Er- 
hobenes, von töremek = schaffen, aufrichten, und mehr als 
Schutzciauer zu nehmen. Ferner finden wir den Schild 
— kallca«, eigentl. Schirm, Obdach, der etymologischen 
Bedeutung nach das Erhobene, das in die Höbe Gehaltene 
C^g'- §- 73)) was am besten ersichtlich ist aus den ver- 
wandten kirg., alt. Ja/An = Schutzdach gegen Wind und 
Sonne, lealkaian = Seelenschutz. In die Klasse der Schutz- 
mittel im Kampf gehören noch küren = Wagenburg, ktir- 
jßtt =^ Festung, und /;««!«( ^: Umfriedung, von welchen 
im nächstfolgenden Abschnitte die Rede sein wird, 



Krieg und friede. 

Um den Leser mit dem Ideengange vertraut zu machen, 
welcher dem türkischen Worte für Krieg zu Grunde liegt, 
und um annähernd zu zeigen, was die Turko-Tataren wol 
unter diesem Worte verstehen, müssen wir der Reihen- 
ordnung der einzelnen Abschnitte ein wenig vorgreifen 
und einen Blick auf das Wort für Volk, Nation werfen. 
Dieser Begriff wird nämlich mit Ü oder bütün ausgedrückt, 
von denen ersteres sowol als das zweite die concrete Be- 
deutung von gebunden, vereint, vollkoramen, ver- 
sammelt u. B. w. enthält. Aber nicht nur auf Volk, als 



122 



auf das durcli Stammesverwandtsehaft verbundene, ver- 
dnte Ganze bezieht sich das Wort, sondern au<;h auf das 
gegenseitige, uagestörte VerhäUnisa zweier Theüe der Ge- 
sellschaft oder zweier Völkerschaften; denn Friede heisst 
ebenfalls ü, d. h. verbundeu, Tcreint (vgl. den analogen 
Ideengang im slaw. wuV =^ Bauernschaft, Gemeinde und 
Friede). Es ist daher ganz natürlich, dass der diesem 
Begriff entgegengesetzte Zustand, nämlich Unfriede, Krieg, 
mit dem Juxtaoppositnm Ton gebunden, mit getrennt, 
zerstreut, d. h. jci(/i oder jau, aIt.j«M, kirg. so«, bezeich- 
net wird (vgl. §• 125)." Von dem schönen Bilde der 
Identität der Begriffe Friede und Volk wird noch weiter 
unten die Rede sein, hier sei nur hervorgehobeu , dass 
nach der bei dem primitiven Menschen massgebenden Auf- 
fassung von den socialen Zuständen, Feindseligkeit und 
Krieg noch zwei voneinander verschiedene Begriffe sind, 
d. h. ein Volk oder ein Stamm kann und pflegt auch 
einander jahrelang jagt ;^ getrennt oder feindselig gegen- 
überzustehen , ohne dass es unmittelbar zu einem that- 
sächlichen Ausbruch der Feindseligkeiten, worunter j 
den eigentlichen Krieg versteht, kommen muss. Für t 
ses Wort esistirt das altere karga, osm., cag. yauga odi 
Tzauga, der Gnmdbedeutung nach Verwirrung, Aufruf 
Auflauf, während der eigentliche Kampf, Treffen, Zusai 
menschlagen, die Schlacht, tvhvs, tölcüs, dögüs, döjus, Toö" 
iok — ■ iök — dög (schlagen) benannt wird. Am Kriege, rich- 
tiger Kampfe, haben von jeher nicht sämmtliche Mitglie- 
der eines Stammes oder Volkes, sonderu nur die zu die- 
sem Behufe gewählten und zusammengebrachten Männer 
sich betheiligt, die demnach die Kriegsversammlung, da8_ 
Kriegsheer oder die Armee ausmachten, Letzterwälmt* 



* Jag = dag ist ansscrcleiii nocL vorhaadeu ia jugir =. Wiu 
iiil'olge des Sattels am Kücken der Thiere, ÄuiVeibimg. 



123 



Begriff ist daher in vollem Kiuklangc mit seinem Knt- 
atelieii im TLiiko-Tatarisclien mit ä:rih, ccri oder mit ko- 
sun, kousuii wiedergegeben, Ccrik stammt von 6cr, ier = 
sammeln, zus um men bringen (vgl. §. 182), duber der Aus- 
druck ccrik tttrtmuh =■ eine Armee aufstellen, wörtl. oinen 
Haufen zusammenbringen, und icrtk tagitmuk ^ eine 
Armee aufläsen, wörtl. einen Haufen zerstreuen. Kosun 
stammt von /:os = zusammenfügen, zusammen stellen (vgl. 
§. 80). Neben cerik und lioänn, welehe die eigentliebc, 
infolge des Aufgebotes der obersten Verwaltung zu Stande 
gekommene Armee repräsentirt, gibt es noch andere ge- 
nuine Benennungen für kleinere Kriegerhaufen, als ala- 
man oder baratila, welche aus einem noch frühem Stadium 
der gesellschaftlichen Zustände entspringen und richtiger 
gesagt an jenes Zeitalter erinnern, in welchem einzelne 
Stämme ohne das Band der Gemeinsamkeit sieh gegen- 
seitig befehdeten, d. h. beraubten und pll'inderten. Das 
erstere dieser zwei Worte lautet in der altern Form alak- 
man (von a/«Ar = Nehmer, und wian^^thum) und kann 
daher mit Kaubg e seil seh afl übersetzt werden, denn nicht 
nur die Alamavs der heutigen Turkouianen können in 
diesem Sinne des Wortes aufgcfasst werden, sondern mau 
hat unter denselben von jeher die vou der Armee auf 
Beute ausgeschickten kleinem Kriegerhaufen verstanden. 
Von ähnlichem Ursprünge ist auch das kirg. baranla = 
Raubzug, richtiger baruiiita, von haruvi = Vieh, Vermögen. 
Nach der Auslegung Ilminski's* ist dies eine gewaltsame 
Pfändung zwischen zwei streitführenden Parteien, nachdem 
eine friedliche Aussöhnung unmöglich geworden; die allge- 
meine Bedeutung von I^ubzug ist erst spätem Ursprunges. 
Saranta oder harumta erinnert übrigens lebhaft au das 



* Geograpliitfche und StatiatiscLe Mateiialiuu zur BeBchreibung 
der kirgisischen Steppe (1866), S. 257. 



m 



12i 



skt. Wort für Krieg, nämÜch au ffavisJtU, weluhei 
lieh genommen Begehren nach Kühen, Kühe suchen heiai 

In Anbetracht der unsteten Lebensweise nnd der armen, 
nackten urheimatlichen Natur, in welcher daa turko-tata- 
rische Volk von jeher aich befand, darf es nicht wundeiv 
nehmen, wenn das Kriegshandwerk von alters hi 
ausgebildet war, uiid wenn die Technologie des Kriej 
Wesens einen durchweg genuinen Charakter aufweist, 
bei wir nicht so sehr auf die im Tiizükat-i-Timiir 
das Kriegswesen enthaltenen Regeln nnd Institution) 
Bezug nehmen, als vielmehr auf jene Zustände, die nacb' 
dem Zeugnisse linguistischer Monumente schon lange, jft 
sehr lange bestanden und neben dem erwähnten Gesetz- 
buche Timur's auch nach dem Jasau-Oengiz als Basis ge- 
dient haben müssen. In den hierauf bezüglichen Aus- 
drücken finden wir ein klares und ausdruckliches Bild 
des kriegerischen Lebens, aus dessen einzelnen Zügen 
Entstehungsgeschichte der verschiedenen Kriegsarteu ui 
Kriegsbräuche uns einleuchtend wird. Das erste Kriej 
zeichen, richtiger die Erklärung des Kriegs, wird durch 
die Redensart Uig Mtürmeh oder kaldirmak — den Speer 
(d, h. die Fahne) emporhaltcn oder erheben, ausgedrückt, 
da dies der uralten Sitte gemäss ein Zeichen zum Auf- 
bniche war, ebenso wie das entgegengesetzte Uig tikmek 
— den Speer in die Erde stecken, als Signal des Still- 
stehens gehalten wird. Dies erinnert an die altmagyarische 
Sitte, wo bei dem Ausbruch des Krieges als Aufgebot 
zum Kampfe ein von Blut triefendes Schwert im Lande 
herumgetragen wurde. Der Ort, an welchem nach gege^ 
benem Zeichen die Krieger zusammenkommen, heisst hul- 
car und biilcas, von bttl, richtiger in der Eeciprocitätsform 
bulus ^ sich einfinden, und der mit der Bestimmung eines 
solchen Ortes Beauftragte führte den Namen btilcar bi 
= Aufseher des Stelldicheins. Zur Benennung der 



ieiv 

1 






I 



125 

ecLiedenen Theüe des TnippenkÖrpers sind, wie übern)], 
die Glieder di's menscblicheu Körpers als Basis genoiii- 
men worden. Bas (Kopf) lieisst die Spitze, ongkol und 
solkol (Rechte und Linlie) die beiden Flügel der Armee, 
während die Avantgarde den passenden Namen Haraul, 
jlr«M?= Aufsucber, von aramah, karamak (suchen, um- 
bcrschauen), die Arri^regarde den Namen büJceöl—Zu- 
scbliesscr, Beschliesser, Ton höhemck (bescbl Jessen) führt. 
Für Wache gibt es zwei Ausdrücke: Karaul oder Kara- 
gul, die Wache im allgemeinen, von karamak (sehen, um- 
schauen), und cagdaul, der für eine bestimmte Zeit aus- 
gestellte Posten, von cag (Zeit) und cagdamak oder cag- 
lamak (eine Zeit abwarten). Der Plünkler heiast capkur 
oder capkvlin, von capkulamak (wiederholt angreifen), der 
A.ngriff oder Einfall hingegen cupau, toq capmak (eiu- 
Bchlagen, einfallen), und die Schlachtreihe wird jasal 
genannt, von jflsa»iöft=maclien, ordnen, folglich Ordnung, 
und der dieselbe herstellt jasattl = Ordner, hente eine 
Hofcharge. Ganz treffend ist auch der Begriff toq sie- 
gen und dessen Gegensatz besiegt werden, unterliegen, 
ausgedrückt. Für ersterea haben wir das Verbum jctig- 
mek, eigentl. der Leichtere, Behendere, Frischere sein, von 
jeng, j'fn = frisch, neu, leicht, oder öktc bolmak, eigentl, 
im Vorthcil sein; fiir letzteres hingegen nebst der pasüiveu 
Form des jevgntek, d, h. jetiyihitek. noch das positive iin- 
mak, eigentl. gebrochen werden. Ausserdem werden die 
betreffenden Begriffe noch mittels der bildlichen Umschrei- 
bung von basmak (drücken, unterdrücken) und alt etmek 
(jemand unter sich bringen) wiedergegeben. 

Fahren wir nun in Erörterung der Einzelheiten fort, 
so werden wir unter anderm die charakteristische Wahr- 
nehmung machen, dass die Türken für Gefangene kein 
genuines Wort besitzen, indem das hierfür gebrauchte alt, 
cag. oUa, olca, Beute, Beuteantheil bedeutet, und mit dem 




Verliältnisse Jer Gefttiigcnaclmfl auch nieht im entfernte 
eten in Berüliruiig steht. Aus dem Umstände, dass di^ 
Beacnnung der Gefangenen und der Beute ganz identisch 
ist, mag wol gefolgert werden, dass die im Kninpfe lebei 
dig in die Hände gefullenen Feinde als Beute, d. b, 
ziir Vertheilung bestimmtes Gut (vgl. oI-öl = tlieilen; 
cc/f ^ Aiitheil, §. 63) betrachtet, in das Eigenthum dti 
Siegera übergegangen, hiermit auch der Freiheit verlustig* 
geworden sind. Ein dermassen zu Stande gekommenes 
Verhältniss wäre zwar mit unserm Begriffe von Sklaverei, 
aber nicht der Gefimgenschaft, resp. KriegsgefungenschAfta 
identisch, und in der That hat die türkische Sprache nitld^ 
für den ersten dieser Begriffe eine specielle Benennung,^ 
nämlich das Wort hil (vgl. §. 99), in der wörtlichen 
Uebersetznng Höriger, das zum veralteten, heute nur i 
den finn-ugrischen Sprachen vorkommenden kitl (hören) 
sich so verhält, wie das slaw. slitga (Diener) zum Verbum J 
sluiiat (hören). Neben hil wird allerdings heute aucbj 
noch das echt türkische Wort Icölc für Sklave gebraucht, 
doch müssen wir gleich im vorhinein bemerken, dass dies 
in der altern Form Jiöjle ursprünglich Diener, Gehülfe, 
Aushülfe bedeutet und von Jiöj, hi'ij (sich anlehnen, stützen, 
sich mit etwas aushelfen) stammt (vgl. §. 111). In den 
heutigen turko- tatarischen Sprachen werden Sklave und Ge- 
fangener ausserdem noch mit dem arab. esir, osm. jesir, oder 
mit dem pers. heiide bezeichnet, vou welchen letzteres ganz 
klar auf Band, Fessel hindeutet; dem gegenüber bekundet 
das türkische Wort eine entschieden mildere Auffassung, und 
in. der That ist den Türken seihst das Wort Kette in ge- 
nuiner Form unbekannt, da man hierfüi- das pers. zetizir ge- 
braucht. Andere auf Sklaverei Bezug habende Wörter, wie 
hogra und bogak (Hals- oder Fussfesscl) sind in der ur- 
sprünglichen Form mehr als Werkzeuge zur Zähmung der 
Thiere als zur Gefangennahme des Menschen aufzufassen. 



"n 



Anf diesem Gebiete kommt noch die Stammsilbe M 
=^ fangen, erwischen, richtiger aber festhalten, halten, vor, 
in dem Worte für tieJNe], nämlich cag, lulak oder tul- 
kun, das heinnsfülls mit Sklave, d. h. ein seinos freien 
Willeng beraubtes Individniim, wie wir dies in Baber's 
Schriften antreffen, sondern mit Biirge, Geissei übersetzt 
werden muss. Kriegsgciseln, oder Bürgen für das Ein- 
halten der getroffenen Vereinbarungen, waren im Gegentheil 
von jeher ein Gegenstand ehrenhafter Behandlung, daher 
das turkm,, cag. akojhi = Geisel, wÖrtl. Bewohner eines 
weissen Zeltes, da znr Unterbringung der ans dem feind- 
lichen Lager eingetroffenen Bürgen weisse Ehrenzelte, wie 
solche auch bei netivermäiilten Eheleuten üblich sind, auf- 
gesehlagen werden. Aus dem Mangel eines epeciellen 
Ausdruckes für Sklave, Kriegsgefangener wird es erklär- 
lich, dass auch das mit letzterm zusammenhängende I^se- 
geld in der Gestalt eines speciellen Ausdruckes fehlt, 
denn das i5ag. tülehir, osm. kelehir wird nur als LÖspgeld 
bei Zurückerlangung in' Verlust gcrathener Gegenstände 
gebraucht. 

Für Geäacdtcr und Bote haben wir die genuinen 
Wörter üci, von il-cl (voraus), \xaAjolavc, vonjO?(Weg) 
und jollatiiak (schicken). 

Für Dolmetsch haben wir das aus dem Türkischen 
ins Russische und ins Deutsche übergegangene genuine 
Wort tilmesi, von lil (Zunge, Sprache), ursprüngl. lilnickdi 
,Redner), welches Wort irrigerweise vom russ. toll', tol- 

mV (erklären) abgeleitet wird. 

Zur Bezeichnung von Lnger-, Stand- uud Sfihotz- 
llStzen gibt es im Turko-Tatariscben drei, deu Zweck 
und die Beschaffenheit derartiger Vorrichtungen genau 
defiuirende Ausdrücke. Unter Lager ^= urdu ist im all- 
gemeinen das Stillstehen, das Innehalten auf dem Marsche 
ausgedrückt, ürdit heisst wörtlich das Aufgeschlagene, 



wo 
fRe 



von urmah = schlagen, Ginschlagen, daher uräu wmah, 
pers. urdu seden, magy, tabort ütvi, sogar deutecli Lager 
au&eblageD , was theils auf das AiifäcLIageii des Zeltes, 
tlieils aber auch auf das Aufpflaui'.en der als Fahne die- 
nenden Lanze Bezug hat. Für die Richtigkeit dieser 
Etymologie de8 Wortes spricht die entgegengesetzte Hand- 
lung des Aufbrechens, nämlich urdn haldirmak, wörtl. 
Lager aufheben. Bei den Sebutzpl ätzen müssen wir drei 
versebiedene Gattungen unterscheiden: a) Küren, fälsch- 
lich mit Wagenburg übersetzt, da dies nur Ring, Zaun, 
Umzäunung bedeutet, und aus Wagen auch schon des- 
halb nicht gebildet werden konnte, da dieses Fahrzeug 
den Türken zu allen Zeiten fremd, und so wie in alten 
Zeiten mittels des (cbioesischeD?) Lehnwortes Kang*, so 
auch in der Neuzeit durch das arab.-pers. araba bezeichnet 
wird; denn mit Recht sagt Poesche („Die Arier", S. 73): 
„Der Wagen ist eine Erfindung des Waldlandea, das Rei- 
fen eine Erfindung der Steppe," Woraus die als hüren 
bekannte Umfriedung wol bestanden haben mag, muss als 
offene Frage hingestellt werden ; Wagen oder andere 
Fahrzeuge waren bei denselben keinesfalls verwendet 

b) Sigiiiza r^ eioe kleine Festung, von siginmak =^ aich 
schützen, sich unter ein Obdach oder Schirm stellen. 

c) Kurgan ^^ Festung, von kiinima^, kurmak = schützen, 
wehren (vgl. §. 86). In keiner dieser Benennung muss 
übrigens eine im militärischen Sinne des Wortes aufge- 
fasste Baulichkeit, als vielmehr der Grundbogriff eines 
Schutzbaues im allgemeinen vermuthet werden, denn so 
wie die Bezeichnungen von Stall, Haus, Thiergarteu 
u. s. w. von derselben Stammsilbe wie Festung, Burj 
u. 8. w. entstanden, ebenso ist es auch höchst wahrschei] 
lieh, dass es eben letzterwähnte Bauten waren, aus wi 






* Kangli = Wagen, nach Abulga/i von dem Geräusch so geutuint. 



120 



len die Idee der Wclirplätze bei KriegsuiiterDehintingeu 
orgegangen ist. 
Yon der iiiaeiu I3edeutiing des Wortes für Fried© 
haben wir schon im Eingang dieses Abschnittes geepro- 
vlieu, indem wir die IdeiitiliVt des Wortes il — Friede mit 
'i= Volk und der Stammailbe il = binden, hervorgehoben, 
ftobei die Begriffsaualogie zwischen dem russ. mir = Welt, 
Rid mir =■ Friede, als Seitenstfiek ins Auge fallen muss. 
\Ss weiterer Beleg dieses Zusammenhanges diene ferner 
fae auf den Friedensechliiss bezügliche Kedensart: aralari 
[ oder bckik jn? = Sind sie in Frieden, worll.: Ist ihr 
gegenseitiges Verhältnias gebunden? Oder das Gegen- 
jbeil: olarjagi »ii = Sind sie in Feindschaft; wörtt.; Sind 
i zerstreut? Oder auch: aralari cüsük mü, boziik mu = 
Bnd sie feindschnfllicb gesinnt, wörtl. : Ist ihr gegenseiti- 
Yerhältniss getrennt oder aufgelöst? Es ist diiber 
"ganz klar, dass ebenso wie Friede den concreten Begriff 
von Verbindung, Vereinigung aiisdrüekt, so wurde der 
Friedensschlnss von jeher mittels eines Kinges symbolislrt, 
wir dies in den alten Sculptureu persischer Monu- 
ite wahrnehmen. Frieden schliessen und sich verhin- 
ten sind daher analoge Begritfe, und so ist denn auch 
1 Westtürkischen gebrauchte Wort für Friede, näm- 
i haris, erklärlich, indem dies in der Rec^iprocitätsform 
Verbum fiwr^ gehen, wörtl. zneinandergehen, sich 
jenseitig besuchen, bedeutet; ebenso auch das cag. ja- 
s^ Friede, welches der etymologischen Bedeutung nach 
Ich gegenseitig anpassen, oder sich aussöhnen heisst. 
ih das Friedenanbieten, richtiger die Unterwerfung der 
besiegten Partei, ist sanimt der üblichen Sitte in dem be- 
reffenden Worte ausgedrückt. Um die Gnade des Sie- 
jera zu erflehen, muss der Besiegle oder dessen Gesandter 
irbaupt und barfuss, mit dem blossen Schwerte um den 
als gehängt, im Lager des Siegers erscheinen, daher das 



130 

Verbtim j«Ni«n«a/;= flehen, bitten, wort], nackt gehen, 
früher beim Ansuchen um Frieilen, gebraucht auf den Be- 
griff inständigst bitten übergegangen ist, ebenso wie der i 
Ausdruck daliahan ■= Feigling, wörtl, einer dessen SoUStJ 
nackt ist, bedeutet. 

Bevor wir unsern Abschnitt über Krieg und Fried« 
schliessen, wollen wir noch auf eine hierher gehörend« 
Eigenthümlichkeit der Sprache aufmerksam machen, uamH 
lieh auf die Parole im Krieg, urun, oran oder (nacW 
Abuäka) ören genannt, welche nach Baber'a Aussage zit! 
Kriegszeiten ans zwei Worten bestand, von welchen datffl 
eine auf den einzelnen Stamm, beide auf die Armee Be^j 
zug hatten. Dieses dünkt mir jedoch eine Sitte spätert 
Ursprunges, denn in der ältesten Zeit war die Parole eiuäj 
einfache, auf die einzelnen Stämme bezügliche, mittelu 
welcher im ScblacLtengetiimniel oder in der Dunkelheifcs 
der Nacht das vom Stamme getrennte Individuum seine:-! 
Angehörigen zu erkennen und aufzufinden im Stande warJ 
Ich habe diese sonderbare Sitte selbst in Erfahrung gB~M 
bracht, und das Schauerliche der Scene, als auf eiuemf 
nächtlicheu Marsche durch die Hyrkanische Steppe dafl 
Verzweiflungsvoile u?'a>i eines in stockfinsterer Nacht \ 
irrten Turkomanen zu unsorn Ohren drang, ist mir ewiffl 
unvergesaüch. Der Mann schrie aus Leibeskräften eiiq 
mir unbekanntes Wort, die turkomaniscbe 
Schaft lauschte lange beklommenen Herzens, doch der 
Ruf bheb unerwidert. „Es ist ein Tekke-Uran'^j^ 
hörte ich sagen, man ging seines Weges, und der Ver-^ 
irrte setzte sein Angstgeschrei noch eine Zeit lang fort 
Das Interessante an diesen Urans ist, dass sie sänimt^ 
hch uralten Ursprunges sind und von jeuer Zeit hei« 
rühren, als die heute weit voneinander gelrennten Stämuia 
noch miteinander lebten. So war von jeher 



]31 

die Parole des Staimiica Kijnt: urdsan 
B n i' " Mungit: falaj 

" 1 " " Keunegez: cauli 

n n D H Kitoi: uluta 

» » 1 » Kungrat: capih/ajt 

. s. w,, Worter, die sich sonderbarerweise bei den be- 
I treffenden Stämmen nicht nur türkieclier, heute schon in 
f Sonderstellung lebender Abtheilungen, ak Kirgisen, Tur- 
Ifconianen und Oezbegen, sondern auch bei mongoHschen 
■Völkerschaften unverändert erbalten haben, und folglieh 
Sprachiiberreste jener uralten Zeit sind, in welcher Tür- 
!kcii und Mongolen noch ein und dasselbe Volk waren. 



XL 

Stände lind Reglemng. 

Wie im vorhergehenden Abschnitte schon bemerkt 

■ worden ist, enthält die türkiaeh-tatarische Benennung für 

iToIk und Ntition den allgemeinen Begriff von ganz, ge- 

teohlo&sen, vereinigt, d. h. einer Versammlung. Vgl. ciag, 

V^=yolk, i7Äi = Heerde, mit (7^= binden; uig. hiitiin^^ 

■Volkj mit frü^/w = ganz, vereint; alt. ^'öji = Volk, mitjHin 

= vereinigen. Es ist dies eine Wortbildung, welche an 

das lat. po-ptil-us, pJeb-s (nach Curtius von sebwellen, 

gross sein), noch mehr aber an das gegenseitige Verhält- 

loiss zwischen dem deutschen Volk, s\av/.philc, polk ^= 

■A'olk, Haufe, und engl, fioclc = Heerde, erinnert, und die 

IjiBch einer naturgetreuen Auffassung unter Volk und Na- 

Htion eine Anhäufung und Versammlung von Menschen 

■■Verstehen lässt. Mit Volk, Nation identificirt sich auch 



der Begriff von Heimat oder Vaterland, mit einem Worte 
Land, und kaju ildin scn kann ebenso sehr mit „Aus 
welchem Volke bist du?" als mit „Von welchem Lande 
bist du?" übersetzt werden. Wir haben ausser den er- 
wähnten im Uigiiriscben noch eine Bezeichnung für Vollt 
im Worte kara, eigentlich schwarz, demnach eine Anspie- 
lung theils auf Haufen, Menge, tbcils auf die niedere 
Schicht oder untere Klasse, der gegenüber der Adel =■ 
manap, von der Stammsilbe man ^ oben, obenan (vgl. 
§. 234), als der auserwählte Tbeil der Gesellschaft, auch 
als Obrigkeit sich präsentirt. " Diese Unterscheidung zwi- 
schen einer obern' und untern Klasse, ist auch auderseitig 
ausgedrückt, nämlich in Izara sötigek = Sühwarzb einige, 
d. h. Volk, und ak söm^cä ~ Weissheinige, d. h. Ad( 
wobei die aristokratische Distinction wol nicht in der hett 
rogeuen Farbe der Beine, als in dem Ursprung, in wel 
eher Bedeutung das Wort Eeiu zu nehmen ist, gesocl 
werden muss; ebenso wenig wie man im vierten Standl 
der alten Arier, nämlich in den Sudras, die ebenfalls die 
„Schwarzen" genannt werden, eine Farben Verschiedenheit 
Ton den etwa weissem und bellfarhigern Kasten der Brah- 
manen, Kschatrias und Vaisyas suchen kann. Es iat da-, 
her mit zieuilicber Sicherheit anzunehmen, dass die Haupt 
eiutheüung in zwei Klassen von uraltem Ursprünge 
und eigentlich der patriarchalischen Verfassung der Fami- 
lie entlehnt worden ist. Akalar ^ die Grauen, und Ata- 
Zar ~ die Väter, galten von jeher als Bezeichnung für 
Vorgesetzte und Männer höherer Stellung und höfaera, 
Ranges, aus denen mit der Zeit ein besonderes Geschlechii 
von aristokratischer Färbung "sich herausgebildet hat, das 
ebenso sehr des Ansehens und der Achtung des gesamm- 
ten Volkes sich erfreute, als das Oberhaupt im engen. 
Kreise seiner Familie und der Alscd-cil ~ Graubart, im 
weitem Kreise seines Geschlechtes. 



I 



13.T 



j 9Chl 



Trotzdem wir uns, und zwar mit vollem Rechte, die 
socialen Zustände der ältesten Turko - Tatare» sowie auch 
der übrigen Völker der Welt in rein nomadischer Form 
vorstellen, muss es uns doch zieuilicL befremden, dass die 
Sprache schon sehr früh zwisi^en AnsüSBigen und Nlcht- 
ansässlgen, d. h. Nomaden, einen Unterschied macht, wo- 
durch wir zur Vermuthung angeregt werden, dass das 
AVauderleben bei der grossen Masse, als von der Witte- 
ruogs Verschiedenheit aiiBfliessend , nur in einer Verände- 
rung der Wohnplätze im Sommer und im Winter bestand; 
und dass es zweitens solche Stämme oder Volkerschaften 
gab, die nie eine stete Heimat hatten und in beständigem 
Wanderleben sich befanden. Es ist daher mit Hinsieht 
auf letztere, dass die Benennungen köcek = Nomade, Her- 
umzügler, von Äöc— aufbrechen, herumziehen,j«nVft — No- 
.made, von Jür = ziehen, gehen, und Icamh = Vagabund, 
^on dem veralteten ka^, neuer a3 oder £r<?^ = irren, herum- 
ge-hen, entstanden und Anwendung gefunden haben, mit 
welch letzterer Bezeichnung, nämlich mit kazak, das turkom. 
gesek oder gczel: il = Wandervolk, im Gegensatz zu comru 
oder comvc-il =■ sesshaftes Volk, übereinstimmt. 

Was die Eiutheilung des Volkes in StäTDme und öe- 

SChlecfater anlangt, so können wir das Entstehen derarti- 

fr ethnischer Configuration bei den Nomaden selbst noch 

ite in nächster Nahe beobachten. Sobald irgendeine 
,milie den theüs mittels Gewalt ergriffenen, theils als 
Erbtheil ihr zugefallenen Weidegrund zu eng und zur 
Nährung des Viebstandes für unzureichend findet, muss 
auch allmählich die Trennung vom Stamme, Jas Brechen 
des engern Familienbandes vor sich gehen. Der sozusagen 
vom gemeinsamen Stamme der Familie losgetrennte Theil, 
Jamen iire, d. h. Bruchstück, von tir, hir — bre- 
§. 191), führt und von uns als Zweig bezeich- 
pflegt nun seinen Namen entweder von jener 



Persönlichkeit zu nehmen, unter deren Leitung Jie Los- 
trennimg stattgefunden hat, odfr von der geograpliiscben 
Benennnng der neuen Weideplätze, mitunter auch von 
irgendeinem Spitznamen, der alsdann in der ethnischen 
Nomenclatur als Eigenname stehen bleibt. Von Tire, dessen 
etymologische Bedeutung Bruchtheil, und das nur in freier 
Uebersetzung für Zweig genommen werden kann, ent- 
stehen dann später nach besagtem Processe die uruJcs ^ 
Familie, richtiger Sprössling, von tirmak ~ ausschlagen, 
sprossen, hervorsprieesen , unter welchem Worte man so- 
wol die unter einem Familienvater stehende Haushaltung 
als auch die Gesammtheit der nähern Verwandten ver- 
steht. Nach nomadischer Auffassung der Affinitätsgrade 
wird, wie ich mir seinerzeit persönlich erklären Hess, die 
Grenze des vrulc durch sieben Vorväter defiuirt, daher man 
unter dem Ausdrucke jeti ata (wortl. sieben Väter) Ah- 
nen, Vorältern im allgemeinen versteht; was über diese 
Zahl hinaus sich erstreckt, wird als der weite Ver- 
wandtschaftskreis, d. h, als der Stamm betrachtet. Füp^ 
die Zusammengehörigkeit der verschiedenen tirt's (Stämmeijk .] 
hat der Nomade ein schon verhältnissmässig geringere^'] 
VerständnisB, und der Begriff Volk, Nation, was er unter 1 
il versteht, kann ihn schon weniger erwärmen, als die auf I 
Grundlage einer engem Verwandtschaft ruhende EiutheU'J 
lung der Tirc's und der Vruk's. 

Trotzdem das Aid'b rechen grösserer Volksmassen iiifl 
kleinern Abtheilungen eine mit der Zeit fortlaufende gefl 
weaen, so gibt doch die betreffende Nomenclatur de? I 
Stämme einen wichtigen Anhaltspunkt zur Eruirung de« 1 
diesbezüglichen Verhältnisses im grauen Alterthume, Wie I 
finden z. B. heute noch einzelne Stammesnamen, wie I 
Kitai, Sajat, Nogai, Mjingit u. a. w., die entschieden 
mongolischen Anklauges, als Stammesbeuenmiugen nicht 
nur verschiedenen Türkenstämmen, sondern auch den 




Int 



Kg. 



135 

golen eigen sind. Wol darf der EiuflusB der letz- 
namenllicb unter Dschengiz, nicht nnberiieksicli- 
bleiben, doch ist diese Na mens verwand tschaft noch 
'-TOT der Zeit diT Moiigolenberrscliaft zu erkennen und 
daher weit altern Dutuois sein. 
Was die oberste Leitung des Volkes, die Fürsten- 
Würde, anbelangt, so wäre es allerdings von hocbstem 
Interesse zu erniren, wie weit zurück in der Vergangen- 
'beit die Existenz eines Fürsten sich nachweisen lässt, und 
welch etymologischer Grundlage das hierfür bestehende 
ort sei. Dasa bei den turko- tatarische», ja bei den 
'al-altaischea Völkern im allgemeinen der Titel Chakan 
fn^an, entsprechend unserm Fürst, König und Herrscher, 
schon sehr früh bestanden hübe, dafür bürgt die histo- 
rische Ueberüeferung aus der ältesten Zeit, namentlich die 
Kunde vom Bekanntsein dieses Titels bei Chazaren, alten 
Magyaren, Avaren und andern den byzantinischen Ge- 
schichtsschreibern bekannten ural-altaiscben Völkerschaf- 
ten. Der gemeinsame Gebrauch dieses Wortes legt wol 
ein beredtes Zeugniss für den engern Verwandtschaftsgrad 
jener ethnischen Elemente ab. Wir wissen, dasa aus Cha- 
kan, welches im Mongolischen noch beinahe unverändert 
in CAu^oH ^: Fürst vorkommt, das alt. kaaii, 6n^. chan — 
welches die Suitaue der Türkei noch heute als Fürsten- 
ütel sich beilegen — entstanden; doch biusichthch der 
Tundbedeutung, richtiger hinsichtlich der Etymologie 
dieses AVortes sind wir so ziemlich im Dunkeln. Mit 
Hinblick auf die Bedeutung der moög. Stammsilbe chagk 
=^ untersuchen, prüfen, trennen, scheiden, und mit Berü(Jc- 
sichtigimg des im Türkischen als nomen agentis auftreten- 
den Partikels gan, kmi, liesse sieh einigermassen das Amt 
eines Richters, Aufsehers, Urtheilsfällers vermuthen; wäh- 
andererseits, nach der Verwandtschaft des auslauten- 
E^en k mit b in kak-an, eine ältere Form von Äa6oH=Eber, 



13fi 



noch heute Symbol der Stärke, Mänulichkeit (vgl. magyvi 
kan =^ das Männchen bei gewissen Thieren) als Hypothese 
nicht ausgeachloeaen ist, und wonach also der Name dcsl 
in der Urzeit, wie wir weiter unten sehen werden, meistfl 
gefurchteten Thieres als Attribut und Titel dea Herr-J 
schera gebraucht wurde. 

Wenn wir bezüglich des ältesten Titels der Ffirateii 
nur auf Hypotheseu angewiesen sind, so ist es mit anders 
tibenfalla auf das höchste Amt bezüglichen Titeln schoi 
besser bestellt. Unter diesen nimmt die erste Stelle ( 
das uig, ililc = Fürst, Herrscher, von der Stammsilbe t 
(voraus, zuerst), der innern Bedeutung zufolge der Vor- 
gesetzte, der Vorderste, dem noch das synonyme uig. Hdn 
^= Herr, Fürst, luid das cuv. ilik — der Aelteste, zur Seite 
gestellt werden kann. Ilik und Ilci kommen im Kudätj^u 
Bihk vor, stammen daher ans der ältesten Bildungsperiode 
des T ürken Volkes , nud geben der Vermuthung Raum 
dass C'haJctm, welches den Uiguren nicht unbekannt warjl 
als entschiedener Ucborrest jener Zeit zu halten ist, 
welcher die seit geschichtlicher Erinnerung uns hekannto 
Trennung der einzelnen Völkergruppen noch nicht yotM 
»ich gegangen war und das Türkenvolk mit den mongi 
lisch- maniuischen Elementen zusammeu lebte. 

Als speciell türkisch und aus dem grauen AlterthuniK 
stammend dünkt uns der Titel Chuitkiur, osm. Hünkar, 
Hünkiar, nicht etwa das Wort, das rein persischen Ur- 
sprunges ist, sondern dessen Bedeutung, die tief im Leben, 
der türkischen Nomaden wurzelt und von dem VerhalH 
nisse der Familie auf das des Staates übergegangen ist! 
Im nouiadiechen l'^amilieulebeu wird nämlich das ältestäj 
stärkste uud erfahrenste Mitglied mit dem heiligen Amt^ 
der Blutrache betraut und bei einigen Stämmen als i 
yözler (Blutspäher), bei andern als chunkiar (wörtl, d 
Angelegenheit das Blut ist) bezeichnet, und in der Thi^ 



137 



I 



wird die hohe Wichtigkeit dieser Pflicht durch nichts so 
sehr in Uelicf gebracht als durch den Umstand, dass die 
Obliegenheit desselben znm Ehrentitel des Familien- oder 
Stammeshauptes, und später ein Attribut der Fürstenwürde 
geworden ist. 

Wenn wir daher in den erwähnten Titulaturen die 
höchste, d. h. Fürsten- oder Ilerrscherwürde erblit'ken, 
Würden, die bei keiner Gesellschaft, folglich auch bei der 
tnrko-tatari sehen nicht fehlen konnten — trotzdem einige 
Nomaden, wie z. B. die Turkomanen, eine solche anzu- 
erkennen noch bis heute sich weigern — so können wir 
□ichi umhin, in den vorhandenen Sprachmomimenten noch 
andere Obrigkeiten mit wahrscheinlich engerm Wirkungs- 
kreise zu cntdcckeu. Zu diesen , in der ursprünglichen 
Form und Bedeutung nur Stammesoberhäuptern gehören: 

a) Kalga, Titel der Fürsten der Nogai- und Krimtataren, 
der Wortbedeutung nach Schutz, Schirm (vgl. g. 73), und 

b) das im weitern Sinne für Fürst, Oberhaupt gebrauchte 
6y> big, bcg, liej, dem sprachlich das magy, /y — Kopf 
am nächsten steht, und das mit dem turk.-tat. bnj, hoj, 
Jiij =1 reich, erhaben, augesehen (^gl- §. 205), eng verbun- 
den ist. Gleich dem roman. capUano, dem pers. serdar, 
dem arab. ms und dem deutschen Hauptmann, steht 
iaj in lautlicher und begrifflicher Verwandtschaft mit bai, 
Äas=^Haupt, und das uig. ^insa^Oberhaupt ist gleichen 
Werthea mit dem osm. hesc, ein Ehrentitel unter den 
Dorfbewohnern Anatoliens. 

Schliesslich müssen wir noch jene Würden und Titel 
verzeichnen, die nach den Äuifassungen des primitiven 
Menschen jenem Mitmenschen ertlieilt werden, der durch 
Stärke oder persönliche Tapferkeit bei der Vertheidiguug 
des Gemeinwohles sich hervorthut. Solche sind: Abip,alp= 
Held, oberster Krieger, cuv. oh'p = Herr, von der Stamm- 
I Mibe ol, nl (hoch, erhaben); koeag, kaia, (/oia^ = Held, 



138 

vom concreten koza — gross, welches in diesem Simie uoch 
heute im Osmanischeu gebraucht ist. In weluhetn Maasse 
der Begriff von Höbe und Grösse mit der Herrscber- 
würde im Zusammenhange steht, ist am besten aus der 
alten Sitte ersiditlicb, nach welcher der zum HerrBcher 
oder Oberhaupt Auserkorene von seinen Mitbürgern theils 
auf den Händen, wie dies noch heute bei den Ungaru 
und auch auJerswo üblich ist, theils auf ein Stück Filz 
gesetzt, wie in Mittelasien, in die Höhe gehoben wird. J 
KötilrmeJc =^ in die Höhe heben, erheben, ist daher au(d) ,fl 
für auserlesen, auserkoren gebraucht, ja im Uiguriscben ** 
beisst kolriim Fürst, d. h. der Erhobene. 

Nicht minder interessant ist das Verzeicbniss der zur 
Fürstenwürde gehörigen Attribute, wie solche in dem 
ältesten türkischen Sprachdenkmale sich vorfinden. Die- 
selben sind: a) Ttig^Vähuß, eigentl. Speer, und hujdag (von 
baj = Fürst, und dag — Zeichen, also ein fürstliches Ab- 
zeichen), woraus das neuere bajrak=- Fahne entstanden ist. 
b) Tamga = Siegel, oder tapu ^= Stempel, wovon ersteree, 
wie aus der Stammsilbe iawi =^ Tropfen , ersichtlich, an 
jene uralte Sitte erinnert, nach welcher die Bekräftigung 
des Wortes, so wie beim Schwur (vgl, weiter unten) 
mittels eines Tropfens dem eigenen. Körper entnommenen 
Blutes vollzogen wurde. Später scheinen die Fürsten die 
ganze flache Hüud wahracbeinlich ins Blut des Schlacht- 
opfers getaucht nnd auf das Document gedrückt zu haben, 
wofür die noch heute bei den Sultanen der Türkei unter 
dem Namen Tngra* (wörtl. Gesetz) existirende, ein BUd 
der offenen Hand mit den fünf Fingern darstellende fürst- 
liche Unterschrift am meisten spricht.. Was den tapu an- 
belangt, das heute nur noch als Stempel, Merkzeichen der 
Thiere gebraucht wird, so scheint dies ein anderes, allem 



* Txigra in der Hchrift, auGgBSprüclien wird es Iura, Vgl. iöfe §. 197. 



Anscheine nach untergeordnetes Zeichen der i'i'iriillidien 
Unterschrift gewesen zu sein. Etymologiscii beisst tiqm 
Igaax einfach Druck, Spur, Eindruck, c) Mnk, kiing, im 
^Uigurischen die Troniniel (iJt. füng-erck'), worunter die 
im alten Roligionswesen der Türken, uäoilIcL im ScLama- 
□englauben, die Ilauptrülle spielende Trommel, die nur 
und auch dann im Religiousdicnste im Kriege Verwendung 
gefunden, verstanden werden niuss. Ob der den Türken 
begleitende Kam (Schamane) die Trommel während des 
Kampfes gerührt, lässt eich wol vcrcnuthen, aber nicht 
I macliweisen ; soviel ist sieber, duss der Trommelschläger 
I selbst heute, bei der Parade sowol wie in der Schlacht 
nie von der Seite des Fürsten weichen darf. In diesen 
drei Attributen sind gar leicht die Symbole der drei höch- 
sten Wurden zu erkennen, indem die Fahne den obersten 
Kriegsherrn, das Siegel das Gesetz und dessen Beschützer^ 
die Trommel hingegen die alte Religion keanzeichnet, uud 
merkwürdigerweise bat eine mehr als tausendjährige Ver- 
gangenheit und der das nationale Leben von Grund auf 
tödtende moslimische Einfluss hier nur wenig zu verän- 
dern vermocht, denn die Chane Centralasiena haben noch 
■ .bis in die Neuzeit bei ihrem öffentlichen Erscheinen Fahne, 
K<Si^el und Trommel als Embleme der höchsten Würde 
' mit sich geführt. 

Das helle und klare Licht, welches die Sprachen in 
allen Phasen der CuUurentwickelung des türkisch-tata- 
jrischen Menschen uns verschafft, kann als woltbuende 
IX«euchte auch auf dem Gebiete jener abatracten Begriffe 
I gebraucht werden, wo anderswo, selbst bei den gebildet- 
1 Bten Völkern noch heute die grösste Dunkelheit herrscht. 
' Diese Bemerkung hat zunächst auf die Bezeichnung für 
I das Wort Gesetz Bezug, wo ein einziger Blick hinreicht, 
f um uns zu beweisen, daas ea von jeher bei den Türken 
^zweierlei Gesetze gegeben hat, nämhch Gesetze, die eine 



uo 



alte Gewohnheit, ein in Fleisch und Blat des Volkes ge- 
drungener Gebrauch oder Sitte geschaffen, und die uig. (oka, 
(iag. törc. alt. jiiü heissen, was der Grundbedeutung nach 
Mode, Sitte, Gebrauch bezeidiuet, wie aus den be- 
treffenden Stellen meines etymologischen Wörterbuches er- 
sichtlich ist. Diese Jahrtausende alte Bildungsgcscfaichte be- 
nannter Wörter wiederholt sich durch ein jüngeres Bei- 
spiel im Turk omanischen, wo nämlich Gesetz mit dib aus- 
gedrückt wird, das in gleicher Weise entstanden, nämlich 
eine Verdrehung des arab. cdcb =^ Sitte, Gebrauch, ist. 
Neben diesen von uralten Gewohnheiten durch die Zeit 
zu Gesetzen gestempelten Lebensnormen nnJ Regulativen 
niüssou schon früh auch andere von den Fürsten oder den 
befehlenden Stammes Oberhäuptern erlassene Gesetze be- 
standen haben, die den Namen jasau führten, ein Wort, 
welches von jas ^= machen, ordnen, abstammt (\-g\. jasal 
= Richtschnur, Norm, Regulative, und jasoi = Ordner, 
Gesetz, §. 134), folglich neben dem Naturgesetz in der Form 
eines gemachten Gesetzes figurirt. Diese beiden Gesetze 
genossen schon sehr früh eine hohe Achtung, und in kei- 
ner Sprache ist das Verhältniss des regierenden Ober- 
bauptes der Gesellschaft zu den bestehenden Gesetzen soV 
klar ausgedrückt als im Türkisch-Tatarischen, wo Geseti | 
und Fürst Synonyme sind, denn törc heisst sowol Gesetäl J 
als Fürst, wie dies im üigurisehen auch bei toka der Fallfl 
ist. Mit jasau in der Wortbildung übereinstimmend habeöfi 
wir noch ein anderes Wort für Gesetz, nämlich tüeuln. 
von im = eben, gerade, Ordnung (vgl. §. "202), was ebea^-d 
falls als Befehl oder erlassenes Gesetz zu nehmen isb 
Genuin und dem Geiste der primitiven gescllschaftlicheil'J 
Zustände entsprungen, wie die bisherigen Begriffe TOftJ 
Regierung sich prasentiren, ebenso klar und einleuchtend^ 
sind auch andere hierher gehörige Begrifl'e. So heissfi'] 
z. B. Hlchter jarguci, wörtl. der Entscheider, der Trenne! 



Hl 



Ton Zwistigkeiten , und jaryu = Richterspnicli , KtitscUei- 
dung, von jargamak =^ trennen, entscheiden, wahrend der 
Befehl, Erlass des Forsten, mit dem cinfucLcn Namen 
das Schreiben , jarlik (von der veralteten Stammsilbe jur 
c= schreiben, Oag. , osui. jas, niagy. ir = sehreiben) be- 

■ jE^chnet wird. Vgl. arab. cJiatt; engl, wrü u. s. w. 

L So wie die Verschiedenheit der Gesetze aus dem ety- 
mologischen Werfhe der betreffenden Wörter hervorleuch- 
tet, ebenso lässt sich dies auch in den AVorteru für Steuer 
nachweisen. Wir hüben nämlich zwei Ausdrücke für 
Steuer: a) cag. bergt, birgt, osm. vcrt/i, von der Stamm- 
silbe ber. ver (geben), folglich eine aus eigenem Gutdün- 
ken und freiwillig hervorgegangene Abgabe oder Beisteuer 
zu irgendeinem gemeinsamen Zwecke; und b) salgii die 
ausgeworfene, folglieb von Seite der Obrigkeit her nach 
stattgefunden er Vertheilung bestimmte Abgabe, von sal^= 
werfen, resp. salgimak ^= allmählich auswerfen. Neben 
diesen ßgurirt noch für Steuer die Benennung adak, rich- 
tiger ein Gelübde, das Verheissene, das Versprochene, von 
adamak ^^ vei'sprecheu , verbeisscn; der Wortbedeutung 
nach muss dies auf gewisse für religiöse Zwecke bestimmto 

' Gaben Bezug Laben. 



Poesie, Musik, Tanz niiii Spiel. 

Die Poesie im natürlichen Gewände imd in der un- 

■ gekünstelten Form hat von jeher beim primitiven Men- 
I sehen mehr Pflege und Verehrung gefunden als bei den 
I Bnf einer höhern Bildungsstufe befindlichen Gesellschaften. 



Im Zelte <3e8 scblicbtci] Nomaden widerhallea Lieder wo! 
Läufiger als in dun Steinbauten civiliairter Länder, und 
da der Mensch infolge der tödteiideu Monotonie der Steppe 

— wo das Auge auf stunden-, ja auf tagelang weite 
Strecken ohne Anhaltspunkt für Abwechslung und Zer- 
' Streuung umherschweift — zn Phantasiegebilden mehr 
eeine Zuflucht nehmen muas als der inmitten einer regen 
und bewegten Welt lebende Culturmenach, so ist es ganz 
natürlich, das3 Dichtung mit dem geistigen Wesen des 
primitiven Menschen in solch enger Verbindung steht, 
und schon längst gestanden hat, wie Trank und Speise 
mit der physischen Existenz in einem unzertrennlichen 
Verhältnisse stehen. Und trotzdem darf es infolge des 
schon oft erwähnten Unvermögens zur Bezeichnung eines 
collectiven Begrifl'es, uns nicht wundernehmen, wenn wir 
dichten und Dichtnng mit dem einfachen ajtmak und aj- 
tim, d. b. sagen und Sage, interpretirt finden; der Begriff 
einer speciellen Poesie wird nur in den aus Dialogen be- 
stehenden Liebesweisen zwischen der Jugend beider Ge- ' 
schlechter ausgedrückt. Kos aitmak heisst nämlich singe^l 
und dichten zu gleicher Zeit, wÖrtl. paar oder gepaarf 
reden, einen Dialog unterhalten, und kos aitim oder Aoi 
sm/', alt. ho^o)i, heisst das Verspaar, Vers oder der ( 
Thcil des Dialoges, vom obigen aiimak und von der J 
Stammsilbe Ao.y ^ paar, vereint, gereimt. Der Ursprung 
dieser Auffassung kann bei jener bis in die Neuzeit nnter 
den Nomaden sich erhaltenden Sitte nachgewiesen werden, 
nach welcher die Jugend in ihren Liebesspielen durch 
Dialoge sich zu unterhalten pflegt, indem der Jüngling 
Beine Geliebte mit einem oft metrisch geordneten Satze 
anredet, worauf diese ebenfalls metrisch und zwar im 
Keime antworten muss. Derartige Liebes- oder Scherz- 
dialoge haben von jeher den Ausgangspunkt poetischer 
Erzeugnisse gebildet, woran sich andere Gattungen der 



h;) 









Kcdekunst anreiben, je nnchdem sie aus der Veracliicdcn- 
tieit des meuschliclien Altera oder aua den mannicitfaclieu 
Erscheinungen auf dem Gebiete dea gesellschaftlichen 
Lebens hervorgcgaugeii sind, oder auf Sebildenmgen der 
Natur nnd des Klimas Bezug baben. Zu diesen gehöreii 
in erster Linie die Märcheu, cag, irteki, von irte = früb, 
zeitig, also ein Bericht über früher Geschehenes oder Ver- 
gangenes, über ein Ereigniss oder eine Geschichte, du 
in sich bei Erzählung derartiger Märchen den Anschein 
[ibt, wahrheitsgetreu über einen Zufall zu berichten. 
(Vgl. magy. reg = alt, rej/ =früh mit ret/n = Mähr.) Im 
entgegenge setzten Falle, wo man z. B, in Thierfabeln 
Hunde, Füchse, Krähen u. s. w, reden lüsst, bedient man 
sich wol nicht mehr der Benennung irii^hi, sondern im 
"Westtürkischen des arab. mesel und im Osttürkischen des 
tapkir, d. b, das zu Erratbeude, Rätbsel, nicht zu ver- 
wechseln mit dem kirg.-özbeg. iumhak — Räthsel, richtiger 
ein verstecktes Wort, das während der Unterhaltung zum 
Lösen gegeben wird; der etymologischen Bedeutung nach 
stauimt dies ab von^wm, iwnj^^geschloaseu, verknüpft. Vgl. 
jumak, EumaJi::^Knaai, Knäuel, dessen geschlossene Form als 
bildliche Darstellung des räthsel haften Sinnes gebraucht wird. 

Eine bedeutende Rolle in der urwüchsigen Poese spie- 
len Sitten- und Moralsprüche, richtiger Spriuhwörter, 
keb-sös, wörtl. Bilderwort, auch atalar sösi ^= Sprüche 
der Väter, oder horurt/h'hir-sozi =^ Sprüche der Vorher- 
gegangenen genannt. In diesen spiegelt sieb die Quint- 
isenz der Lebensphilosophie der Turko-Tatarcn und aie 
izen sich fort durch mündliche XJeberlieferung, nicht 
bei Einzelnen, wie dies bei Liedern und Märchen der 
Fall ist, sondern bei der Geaammtbeit des Volkes. 

Dasa im Turko -Tat arischen für den Begrift'Gedicht, 
Kede und Lied nur ein und dasselbe Wort sich vorfin- 
um eo weniger befremden, als erstens singen 



144 



und sprechen mit ein und derselben nur mit der Zeit 
lautlich veränderten Stammsilbe ausgedrückt wird (das 
jnk. ut, tJuv, (irf^: singen, ist nächst verwandt mit dem. 
oam. {^t, eit, und cag. ait — reden, nicht minder aber auch 
mit dem osoi. öt ^= singen, das heute aber nur bei Vögeln 
gebraucht wird), nnd als zweitens die gebuudene Rede 
im rhythmischen Wohlklange der Itecitirung die erste Mo- 
dulation der Töne bekundend, an und für sich schon der 
Uebergang von der einfachen Kcde zur primitiven Ge- 
sangsweise bildet. Der Gesang des Urmenschen, wie wir 
dies heute noch hei den Turko-Tatareu wahrnehmen kön- 
nen, unterscheidet sich immer nur wenig von dem durch 
eine ausserordentliche Gemüt hsbeweguug beeiuflussten Aut- 
sagen oder Hersagen. Im Osttürkiseben versteht man 
unter kos aiUnah ebensowol dichten, recitiren, als sin- 
gen; 80 auch im Westtürkiseben, wo türki oder sarH 
söjlemelt, wörtl. ein Gedicht reden, für singen gebraucht 
ist, eigentl. türkisch reden, ungefähr wie das europäische 
romanisch und Homame. 

"Wenn Darwin die Frage aufgeworfen, ob der Mensch 
früher gesungen oder geredet habe, so wird der Sprach- 
geist des Türkischen ihn sofort belehren, dass der turko- 
tatarische Urmensch zwischen singen und reden gar kei- 
nen Unterscbied gekannt, beide daher für identische Be- 
griffe gehalten und, wie die eben angeführten Beispiele 
zeigen, auch noch heute hält. 

Es gibt aber demuugeaehtet ein genuines Wort für 
Lied, Gesang, nämlich jVr, zir (vgl. g, 141), das, trotz- 
dem es auch die Stammsilbe für Jauchzen, Frohlocken 
ist, im Grunde genommen mit dem Worte für weinen, 
wehklagen, aufschreien, gemeinsamen Ursprunges ist. 
Diese nach der europäischen Auffassung von Lied und 
Gesang einen grellen Widerspruch bekundende Erschei- 
nung wird durch den Umstand erklärt, dass die Lieder 



145 



aller asiatischen, bcsondera aber der ural-altaisdicn Vol- 
ker den Ausdruck einer düstern Gcmüthsslimniüng, einer 
tiefen Webmiitli wiedergebend, dem innersten Wesen nacli 
in der That mehr Klage- als Freudenliedcr genannt zu 
werden verdienen. Das magy. Sprichwort „Sirca viijad 
a nuiffyar" (weinend belustigt siüb der Ungar) ist eine 
ganz passeude Interpretation zu diesem Ideengnnge. So 
rgl. man auch das arab. hazana =^ traurig sein, mit dem 
liebr. ckazan = Sänger, und das gegenseitige Verhälfniss 
des türk.-tat. jir, eir, cir :^ singen, jauchzen, rufen, 
Bclireien, zujiff, zig, cig, ciir und c'iirer=weinen, rufen (vgl. 
engl, to cry =^ weinen und rufen), wird sofort In gehöriger 
Beleucbtnng hervortreten. 

Auch über die Beschaffenheit der ersten Husikinstm- 
mente gibt uns die Sprache den nöthigen Aufaehlusa. 
Für spielen, Musik machen im allgemeinen, haben wir 
das Wort caltnak, seiner eoncretcn Bedeutimg nach sehla- 
gen, hauen. Die ersten Instrumente waren demnach 
Sehhig- oder Streichinstrumente, und so wie man kobtis 
calmak = Violine spielen, d. h. schlagen, dutara caltnak = 
Guitarre spielen, d. h. schlagen, sagt, ebenso ist die 
Redensart horu caltnak ■= Trompete blasen, d. h. schlagen, 
nej mlmdk ^= MXoiß schlagen, oder düdüh ca^maA = Pfeife 
schlagen im Gebrauche, imd unter co/j» ^^^ das Schlagen, 
versteht mau den allgemeinen Begriff von Musik. Als 
erstes, seiner Form nach primitivstes Instrument muss 
die Bohrpfcifü, eag. sipozga (vgl, §. 142), osm, islik, an- 
genommen werden, deren beide Stammeilben sip, siv und 
IS den Grundbegriff von blasen, pfeifen enthalten. Aehn- 
liches ist auch der Fall mit 6 oj-m— Trompete, eigcntl. Rohr, 
Röhre, während f oöms =i Geig» schon auf das Stadium 
einer fortgeschrittenen Bildung hindeutet, indem das be- 
treffende Wort, hergeleitet von /,'ofi^hohl, leer (vgl. 
köbur — Futteral, kobureuh — Kiste), das Verständniss für 



146 

eine künstliche ResoDaoz bekundet Dieselbe GiuDtlidee 
ist im uig. Worte für Trommel, küMl; vertreten, dessen 
Stammsilbe kün. kül einen leeren, bohlen ScLall {vgl. 
§. 117) bedeutet, während das Diebt minder alte alt ttm- 
(jür = Trommel, eine Art Kesselpauke, von lüng = nai, 
Runde, mit Hinblick auf die Form des InstrumeDtes so 
genannt wird. Was ausser den erwähnten noch heutzu- 
tage unter den Turko-Tataren sich vorfindende Instru- 
mente anlangt, so sind dieselben zumeist tfaeila den 
Arabischen (als davitl = Pauke, von fahl; ief = Hand- 
trommel, von dcf), theils dem Persischen entlehnt (als: 
^urMa = Trompete; /ieman — Geige , eigentl. der Bogeu; 
äutara = Guitarrc). 

Für Tanz und Spiel haben die Türken ein und das- 
selbe Wort, nämlich oj-un, ebenso wie dies auch bei eini- 
gen Völkern des arischen Stammes der Fall ist. Vgl. 
slaw. igrati =■ tanzen und spielen; deutsch Tanz und Tand, 
und sowie Tand, tändeln, als Gegensatz zu ernst, wahr 
und getreu aufzufassen ist, ebenso steht das tu rko -tat arische 
oj (osm. oyaZanmoft=t5ndeln, schäkern, scherzen) als Juxta- 
oppositum dem ein, sin = echt, wahr gegenüber. Nur 
das Osmanischo hat ein scheinbar genuines Wort für tan- 
zen, nämlich tepmek, das aber im Grunde genommen (vgl. 
§. 58) treten, trippeln bedeutet. Es darf ferner nicht über- 
sehen werden, dass oj, oj-n-a auch in der concreteu Be- 
deutung von hin- und herbewegen, schaukeln vorkommt 
(^Ro: jürcJc ojnar ^: äa.6 Herz bewegt sich, taiiiar ojnar ^ 
der Puls schlagt u. s. w. ), woraus sich nun allerdings 
auch folgern lasst, dass die Stammsilbe oj nicht in der 
primären Bedeutung von hin- und herbewegen, folglich 
tanzen, sondern nur in der abstracteu Bedeutung von 
Spiel und Scherz zu nehmen sei. Welche dieser beiden 
Auffassungen die eigentlich richtige, ist vorderhand schwer 
zu entscheiden. Soweit aus dem Sittengemälde der heuti- 



147 



'ürkeu sich nnchweisen lässt, scheint der Tu», 
GJiederbewegung des vom Frohsinii bewegten Mensclien, 
hier so wie überall sich zuerst im Aufi'ahren und Hin- 
und Herspringcu manifestirt zu haben, ohue ilass es je 
zum gesellschaftlichen oder Kreistauze, wie wir solchen 
beim Urmenschen auf andern TheÜen der Erde wahr- 
nehmen, gekommen sei. Für eine solche Annahme spricht 
am meisten die im Wesen des Türken von jehiir in prägnan- 
ter Weise hervortretende Schwerfälhgkeit des Geistes 
und des Körpers, seine mit dem traurigen Bilde der 
Steppennatur eng zusammenhängende düstere, wehmuth- 
voUe GemüthsBlimmung und sein ausgesprochener Wider- 
ffiUe, durch leichte oder behende Körperbewegung etwa 
Leichtfertigkeit des Sinnes zu verrnthen. Gleichviel ob 
in der Steppe oder im Culturleben, in Jahrhunderte alten 
festen Wohnsitzen, der über dreissig Jahre alte Türke 
wird GS hödist unanständig finden, durch rasches Gehen 
oder durch sonstige flinke Bewegung des Körpers die 
Aufmerksamkeit seines Nebcimienscben auf sich zu lenken. 
Das Springen geziemt nur dem Jüngling, das Tanzen hin- 
gegen nur dem Mädchen. Abgesehen von der Kolle des 
Tanzes in Religiousgebräuchen, mag diese Auslegung auch 
bei andern Völkern der nördlichen Hälfte Asiens ange- 
wendet werden, doch bei keinem mit so vielem Anrechle 
als beim Tnrko-Tataren , sodass die allerdings sonderbar 
klingende Behauptung, der türkische Urmensch habe im 
Tanze nie besondere Belustigung gefunden, ohne Schwie- 
pkeit aufgestellt werden konnte. 

1 Hinsichtlich der Spiele verhält es sich schon ganz 
iderB. Das Spiel, ojun, wie aus der Stammsilbe ersicht- 
lich, ist vom Grundbegriffe des Versteilens, Täuschens 
und Seherzens hervorgegangen, und basirt sich daher auf 

die Handlung des Nachnahmens, in welcher der Mensch 

^^■ao jeher die beste Ursache der Unterhaltung und der 

L 






Zerstreuung gefunden hat. So ist z. B. das unter dem 
Namen hök biivi = grüner Wolf* benannte Hochzeit- 
spiel, bei welchem die berittene M an nergee ellschaft dem 
voranjagenden Mädchen das im Schose haltende Lamm 
entreissen will, wobei die Jungfer ihrem Besieger einen 
Kues, widrigenfalls aber Peitschenhiebe ertheilt, eine An- 
spielung auf die friiLer auch unter den Türken bestandene 
Sitte des Mädchen raub es, in welchem eigentlich die Ko- 
ketterie und der scheinbare spröde Sinn des weiblichen 
Geschlechtes, und nicht eine Anspielung auf die brutale 
Macht des Mannes, wie Lubbock meint, personificirt ist. 
Im Anrennen und im Sichumfassen während des Zwei- 
kampfes ((Sag. hires, osm. Icules, von /;/ir=: Ring, vgl. 
§. 86) wird der Zweikampf zwischen Thieren, namentlich 
zwischen Widdern, nachgeahmt, ebenso wie im Aufatei- 
genlasaen des Sar = Dmchcu, das nicht nur als Kinder-' 
spiel, sondern als Belustigung der Erwachsenen bei den 
Türken längst besteht, die Erinnerung au irgendeinen my- 
thischen Vogel lebt. . 
Auch alte Gewiuustspiele lassen sich nachweisen, unda 
zwar in dem noch bestehenden aäik und kmnala^. Er-*" 
steres, der Wortbedeutung nach Knöchelbein, besteht aus 
dem Aufwerfen von fünf Knöchelchen von Schafen; je nach 
dem Fallen, d. h. ob mit der spitzigen, flachen oder schar- 
fen Seite nach oben zu, wird über den Einsatz entschie- 
den. Da die betrefi'enden Ausdrücke, als c'eZre, alci 
und tava, jener Sprachperiode entspringen, in welcher die 
heutige Trennung der verschiedenen Stämme noch nicht 
stattgefunden, so mag die uralte Existenz dieses Spieles 
keinem Zweifel unterliegen. Was das knmalal^ (^= Koth- 
kügelchen der Schafe) betrifft, so ist dies heute auf 
der Steppe nur als Kinderspiel bekannt. Es besteht aus 



r Wolf ist ein pliantasfisdier Same gleich ii 



n BlaubarL 



149 

föiif oder siebcD KQgelcheii, tod denen ein Theil in die 
Höhe geworfen, und während die Rechte denselben mit 
einem Griff auffangen iniiss, soll dieselbe Hand den andern 
Theil durch den aus dem Zeigefinger und Daumen gebil- 
deten Bogen der Linken durchtreiben. Dieses Spiel, mit 
Steincbeu ausgeführt, ist in Ungarn und auch in der 
Türkei bei den Kindern noch anzutrefl'en, und zwar merk- 
würdigerweise in derselben Form wie iu Mittelasien. 



xm. 
I Welt, lliniinel, Sterne, Sonne nnd Moud. 

Amin, das türkische Wort für Welt, bat den Inbegriff 
von offen, klar, hell, Licht, und steht zu azik, acufc = 
offen, klar, in gleichem Verhältnisse, wie, um einen ana- 
logen Ideengang iu andern Sprachen zu erwähnen, das 
niagy, vüiiff= Licht und vildg = Welt, sowie slaw. swjct 
= Welt und swjcl = Licht zueinander sich be6nden. In 
asmi, welches nur tu altern Sprachdenkmälern vorkommt, 
ist andererseits auch die Idee einer religiösen oder mythi- 
schen Auffassung ausgedrückt, indem hiermit die Tages- 
helle oder Oberwelt bezeichnet wird, dem als Gegensatz 
tamvk oder /am« ^= Uaterwelt, eigentl. finstere, dunkle 
Welt, von tarn, tum (vgl, §. 179) gegenübersteht. Diese 
Bezeichnung einer lichten und änstern, d. h. einer obern 
und untern Welt, ist etymologisch auch im Arabischen 
■ nachzuweisen, wenn wir nämlich das arab. Löj — Welt 
V/piit ij = niedrig, unten, vergleichen, dessen Gegensatz 
l'Obere Welt uns wol unbekannt ist, denn das hierfür 
■llKstebendc Alcm soll nach Anschauung der Orientalisten, 



nicht der Orientalen, fremden Ursprunges sein. Es gibt 
aber im Türkischen auch nouh ein anderes Wort für 
Welt, Dämlich ortaltk = Gemeinsamkeit, alles was vor- 
banden ist, Ton oWo ^= Mitte, Oeffentlichkeit, worunter 
selbstverständlich die den Menschen umgebende, d. h. un- 
mittelbare Welt ausgedriickt ist, während axun die Welt 
im weitesten Sinne des Wortes, das Weltall, bedeutet. 
Es ist ferner noch zu erwähnen das uig. jalinguk, auch 
jala)iguk= Welt, aber im bildlichen Sinne des Wortes, 
indem dies Täuschung, Illusion bedeutet und auf eine 
buddhistische oder moslimische Hcligionsspeculation zu- 
rückzuführen ist. Ebenso hat auch das Uiguriache für 
Schöpfung ein genuines Wort, nämlich tördümis, d. h. 
das Erschaffengewordene. 

Wenn daher in der verschiedenartigen Benennung der 
Welt die Spur einer geistigen und physiachen Auffassung 
eich nachweisen lasst, so darf ea nicht überraschen, ein 
derartiges Verhältniss im turko - tatarischen Worte für 
Himmel um so deutlicher, klarer und sinnreicher ausge- 
drückt zu finden. Zur Bezeichnung des Himmels diem 
drei verschiedene Worte: a) Jcök, zugleich auch blau 
grün, wo der Ilimmelskörper seinem äussern Wcaen,;i 
seiner Farbe nach i« der dem physischen Auge sich dai 
stellenden Beschaffenheit gekennzeichnet ist, und wo, wi^ 
wir dies weiter unten aehen werden, als Grundgedanke 
die Farbe ßgurirt, nicht aber umgekehrt, wie nach flüch- 
tiger und ungenügender Würdigimg des Sprachraaterials 
bisher angenommen wurde, b) Cag. tengri oder tingri, 
jak. tanara, alt. tehere, osm. tahri oder iari, der Himmel 
als strahlender, scheinender Korper, der weite uner- 
messliche Liebtraum, von tang, ting, tüng =^ soheiuen, 
leuchten (vgl. §, 181), und als solcher, der das mensch- 
liche Gemüth am meisten mit Verwunderung erfüllt, zu- 
gleich auch der Inbegriff des höchsten Wesens, der Gott- 






151 



heit, des Schöpfers dieses Lieh träum es, iblglicb Gott. 
Einem ähnlichen Verhältnisse begegnen wir auf dem ari- 
schen Sprachgebiete, wenn wir das skt. rffo = leuchten, 
Himmel, (leva-s ^^ Gott, gricch. 5ta-Xo; — hell, Zeus, 
und das lat. äie-s und Di'-us miteinander vergleichen.* 
Heutzutage kommt besagtes Wort allerdings nur im Jaku- 
tischen in der concreten Bedeutung von Himmel vor (vgl. 
chines. Ihiiin}^ und in den meisten türkischen Sprachen 
heisst langri entschieden Gott, Schöpfer, gleich einem 
ähnlichen Gebrauche anderer Sprachen, wo Himmel und 
Gott identiEcb sind. Die wichtige Rolle, welche der Him- 
mel in der frnhesten Zeit bei den Türken gespielt haben 
mus9, nämlich zur Zeit als der Schamnnismus noch der 
herrschende Glaube war, erhellt am besten aus einigen 
Schamanengebeten der Attajer, wo der Ausdruck kaan 
imgcre = Fürst-Himmel, wie das deutsehe „Herrgott" vor- 
kommt. So im Anrufen des höchsten Wesens „Orögi 
Abias Kann (engere, jcrge kök cagargan, agasga Jjwr ca- 
gargan."-** (O du allerhöchste Abias du Herr-Himmel, 
der du auf der Erde Gras, auf den Bäumen Blätter wach- 
sen läast!) u. 8. w. Kaan tengere =^ Herr-Himmel, Füret- 
Himmel, ist der ständige Ausdruck für Gott, wo es sich 
um eine aus alten Gebetsformeln stammende Anrufung an 
Gott handelt, und diese enge Verbindung zwischen der 
Göttlichkeit und dem die Welt umspannenden Himmel ist na- 
toentlich dort am prägnantesten ausgedrückt, wo der fremde 

■Ca] tu rein flu SS auf dem grossen ural -altaiseben Gebiete 
K>ch keinen Eingang gefunden. Mit Recht bemerkt daher 

|)D. Sarokin***: „Den Anhängern des Schamanismus oder 



* Tgl. CiirtiuB, II, 201, 
** Gramiaaüka altaiskago jazikii, 
' * FuteBchestwie k'Wogulam (Itcii 

li Zolotnil^ky). 



i di/u Wiigulen), S, as (citirt 



152 

des scLwarzeu Glaubens gilt der Uimmel als das LÖi;hste 
Wesen, auf das die übrigen untergeordneten Geister, wie 
Erde, Sonne, Mond, Sterne, Berge, Flüsse und alle nusser- 
gcwÖhulicheu Dinge folgen. Zwischen der Erde und dem 
Himmel befinden sieh die von letzterm erschiifiencn Gei- 
ster, die auf Anordnungen des Himmele den Menseben 
zu guten oder bösen Thaten stimmen." c) Meng oder 
man = die Höhe, das Oben (vgl. §. 233), eine allgemeine 
Benennung der allerhöchsten Region, denn die definitive 
Bedeutung von Himmel ist mir im jak. mängije und im 
niagy. wicn«j/ anzutreffen, während in andern hierher ge- 
hörenden Sprachen die mit diesem Worte zusammenhän- 
genden Beispiele als Eigenschaftswörter vorkommen. So 
nig. 7ne«f7-/£/:= himmlisch, ewig (vgl. mcngki «fo^Gott, 
der himmlische Vater); möni/kii =^ ev/ig, unsterblich. An 
dieses Wort für Himmel schliesst sich noch an in Bezug 
auf analoge Wortbildung und Bedeutung das turko-tatar. 
«cmaÄ ^ Paradies, Himmel, dem, so wie dies bei meng 
der Fall ist, die Stammsilbe vc ^ oben, hoch (vgl. §. 65' 
zu Grunde liegt; wenngleich heute nur im concreteu Sini 
von Paradies vorkommend, ist dies im weitern Sinne dl 
Wortes doch in der Bedeutung von überirdisch, h 
here Sphäre aufzufassen, was übrigens aus dem Geg« 
satz, nämlich aus towwi = Hölle, wörtl, untere, finsl 
Welt, am besten sich erklären laset. 

Wie aus Gesagtem ersichtlich, haben die tu rko -tatarischen 
Völker in den verschiedenartigen Benennungen des Him- 
mels denselben mehr in geistig-religiöser Hinsicht ; 
fasst und in den entsprechenden Variationen als: ji 
ianara, alt. tcngeri, ciig. tenyri, osm. tanrl und tari, duT.' 
tara die Gottheit und das höchste Wesen bezeichnet. In 
der That hat auch dieses Wort, dort wo der Scbamanen- 
erhalten konnte, sei 



um- ' 



glaube 



länger 



einen bedeutenden Wirkungskrc 



i der TscU 



wasche noL'h heute einen Sjtddi-tora — Sternengott, Otwjcl- 
fora =. Sonnengott, Oich-lora =^ Mondgott u. s. w. kennt, 
ebenso bat der Jakute den Ausdruck Gott- Himmel selbst 
in christlich-religiüacn Dingen noch beibehalten. So bcisst 
im Jakutischen Kirche tuiiara ziatä (Tafiara^s Hans), daa 
heilige Abendmahl tanara asa (Tariara''s Nahrung), Feier- 
tag tanara h'in (Tafiara's Tag) u. a. w. Dieses 6av, tora, 
osm. tarl auch tarim (Gott, mein Gott), muss als Ueber- 
gangspunkt zwischen dem turko-tatar. tefigri, tangri, tmri, 
tanara und dem wogulisoh-ostjakischen ioorm, tonn, lärm, 
taroin angesehen werden und kann daher weder mit dem, 
nach [»bantastiseher Etymologie, vom skandinavischen oder 
normannischen abgeleiteten Thor, noch auch mit der im 
ganzen ural-altai sehen Sprachgebiete bekannten Stamm- 
silbe tor, tör, ^er ^erschaffen, erzeugen, etwas gemein 
haben. 

Gehen wir nun zum türkischen Worte für Sterne 
über, so werden wir finden, dass auch hier, so wie bei 
dem Worte für obere Welt und Himmel, der Grnndbe- 
griflf des Lichtes, Feuers, Glanzes und der Helle ausge- 
drückt worden ist. Dem öag. joldiis, osm. jUdiz, jak, 
sulus, kaz. jovduz, kirg. mldue liegt die Stammsilbe ji7, 
jal, jol oder zil, dal, ioi = strahlen, glänzen, leuchten, zu 
Grunde (vgl. §. 126) und Stern beisst demzufolge seiner 
wörtlichen Bedeutung nach Liebt, Glanz, Helle. Vgl. 
magy. csiUoij =- glänzen, strahlen mit csülag ^= Stern, fer- 
ner uig. jolak =^ Fackel mit joJdus — Stern , cag. jilman 
=. glänzend mit joldtts ^= Stern, osm. jaldh = Vergoldung 
mit ßldis — Stern. Mit Hinblick auf die uralten noma- 
dischen Verhältnisse der tu rko -tatarischen Völker, uicht 
minder aber auf den Umstand, dass Nomaden, wie wir 
dies bei den Arabern wahrnehmen, mit dem Laufe der 
Sterne vollauf vertraut, das Sterneudach in aller Einzel- 
heit kennen, muss es ziemlich überraschen, dass die Stern- 




ktinde der türkischen Steppenbewohner sich verhältiuss- 
mässig weniger entwickelt hat als bei andern Völkern 
auf ähnlicher Ciilturstufe. Möglieh daas ein diesfalUiger 

Unterschied zwischen den Nomaden des Nordens und den 
Nomaden des Südens von der Natur der Dinge anafliesst, 
indem der Himmel der DÖrdlichen Steppenregionen minder 
klar, und die Lichter des nördlichem Firmaments minder 
strahlend als z. B. im si'idlichen Arabien, die Aufmerksam- 
keit des Menschen nicht in solchem Maasse auf sich ziehen, 
auch nicht jenen EldÜiiss auf die Gedanken und alltäg- 
liche Handlungsweise ausüben konnten wie z. B. in der 
Urheimat des semitischen Volkes. Es muss nämlich als 
Thatsache bezeichnet werden, dass die astronomische 
Nomenclatur der türkischen Sprachen eine sehr dürftige 
ist, obwol andererseits die Art und Weise, wiß die ein- 
zelnen Sterne und Sterngnippen benannt sind, nur in we- 
nigen Fällen fremden, aller Wahrscheinlichkeit nach per- 
sischen Cultureinfliiss bekunden, in den meisten Fällen 
jedoch von einer nationalen und localen Verhältnissen 
zu Grunde Hegenden Auffassung Zeugniss ablegen. Allee 
in allem genommen hat das Türkische nur für folgende 
Sterne eine specielle Benennung: 1) der Nordstern, uig. 
aüin iaziii^: der goldene Pfahl, (5ag. temir kaaulc= eiserne 
Pfahl, von der scheinbaren Unbeweglichkeit so genannt. 

2) Die von diesem in der Gruppe des Kleinen Bären am 
meisten entfernten zwei Sterne führen den Namen hok-hozat 
und ak-bomt, d, h. weisser und blauer Schimmel, wahrend 

3) die zwischen beiden befindlichen drei Sternchen arki 
jolduz = Stricksterne hcissen, indem diese als ein Si 
betrachtet werden, mittels dessen jene Pferde an den 
Eisenpfahl, d. i, Nordstern, angebunden sind. 4) Der 
Grosse Bär Jeti-karahci^AÄe. sieben Kauber, die nach 
einer echt nomadischen Auffassung als den erwähnteD 
Pferden nachstellend in bildÜcher Darstellung bezeichnet' 



^nd I 
len^* 



155 

werden. 5) Sekte joldia = die Atht Sterne, die auf der 
Steppe am östlichen Horizont erscheinen, iicht Tnge lang 
sichtbar sind, am neunten verschwinden, um am zehnten 
wieder hervorzutreten, und so im Lnufe eines Monats 
dreimal erscheinen. Unter diesen Sternen befindet sich 
der als Unglücksstern bekannte gejim-joldiu = Skorpion- 
Stern*, in Mittelasien und in Persien anch Kerwankus = 
der Karawanentödter genannt, weil die Karawanen, infolge 
seiner Aehnlichkeit mit dem Orion in demselben ein Zei- 
chen des hereinbrechenden Morgen erblickend, dieThiere 
zu Tode jagen, um zur Zeit auf der Station anzulangen". 
6) Der Horgenstern, colban, alt. cölhön, auch colman, cuv. 
hrim hos sjuldirl (Stern der MorgenrÖthe), von der Stamm- 
^B silbe col = g\mizen (vgl. §. 126), so benannt nach dem 
^■«uffallenden Glanz, mit dem er aufgeht. Er wird in Mit- 
^^Btelssien mit der dnva^iscben Benennung übereinstimmend 
^^MWch tang jolduei = Stern der MorgenrÖthe gebeissen und 
^^Där das Symbol ausserordentlicher Schönheit gehalten, so 
^^^irie der entsprechende persisclie Name, nämlich ZoJira, im 
Mythus die Stelle der Venus vertritt, 7) Das Hieben- 
gestira oder die Pelejaden, in den meisten türkischen 
Sprachen üiker, oder infolge stattgefundcner Lautverschie- 
bung ürkel und iirker gcn&unt; da infolge dessen der Äus- 
lant der Stammsilbe nicht bestimmt werden kann, so lässt 
sich der Ursprung und die wörtliche Bedeutung dieses 
Wortes nicht nachweisen. 8) Die Uilvhstrasse führt im 
östlichen und nördlichen Sprachgebiete einen genuiuen, 
mit der volksthümhchen Auffassung übereinstimmenden 
Namen, d. h. kirg. ktts eoli, trkm. kuslar joli =^ der Weg 



• Budttgow II, 3I>3. In Persieu ist dieser Slüri 
Gtfdfim oder Äkreb ebenfalls bekannt. 

** Mit dieser AuffasBung mag aucli das jak. ( 
vfcrtiger (hinterlistiger?) Stern zusammenhängen. 



rgac suliiii = rück- 



156 



der Vögel, oder cuv. kajik chor sjole, kaz. J:ijk has^uli 
^= Weg der wilden Gänse, da die Zugvögel im allgemei- 
nen in einer mit der Milchstrasse parallel laufenden Hieb- 
tuog, näuilich von Nordost gegen Südwest zieheu; ein 
Ideengang, der auch in dem primitiv osttürkiscben Huii- 
lar joli = Weg der Pilger, zu Grunde liegt, da die Strasse 
der heiligen Orte des Islams, wenn von Centralasien aug 
angetreten, in dieser Richtung geht. Diese türkische Be- 
nennung der Milchstrasse ist vom (JagataiscUen ins Os- 
manische und Azerbai Manische übergegangen, wo der 
Sprachgebrauch mit der geographischen Tbatsache selbst- 
Tcrständlicb honte im Widerspruch steht. In diesen zwei 
westtürkischen Mundarten gibt es aber ausserdem noch 
eine andere Benennung der Milchstrasse, nämlich saman 
0(/risl ^ Strohdieb, dem persischen kahkesan — Strohzieher 
nachgebildet, wonach dieses Ilimmelsbild mit jener Strasse 
verglichen wird, auf welcher Stroh transportirt wird und t 
die abfallenden Strohhalme eine Spur hinterlassen. 

Der allgemeinen Auffassung nach werden die Ste 
als einzelne Himmcislichter betrachtet, die zur Nachts^ 
angezündet und bei her an brechendem Morgen wieder a 
gelöscht werden. Daher die Redensart Joldus jarudi-- 
der Stern ist aufgegangen, d. h. erhellt, und joldva sündi 
=■ der Stern ist untergegangen, d. h. ausgelöscht, ein 
Ausdruck, der auch auf Sternschnuppen angewendet y 



Strasse 
ludirt^H 

Steril 
chtE^^I 

IT BI^^H 

■udi^^ 
sündi 

näiuj^H 
nrko- ^ 



In Bezug auf die beiden grössten Himmelskörper, 
lieh Sonne und Mond, bat der primitive Mensch der tnrko- 
tatarischen Rasse ebenfnlls einer mit der Natur der Dinge 
ganz übereinstimmenden Autfassung Raum gegeben, indem 
es den erstem als den brennenden, zündenden, letz- 
tern hingegen als den leuchtenden, hellen und klaren 
Körper bezeichnet. Das Wort für Sonne, uig.- htm, osm. 
t/iin-cs, kaz. hön, ist aus der Zusammenzichung des pri- 



mitivcn Jcüjün, von der Stammsilbe kiij, luj, pM;' = bren- 
nen, zünden, entstanden; von der ureprünglicben Form 
dieses Wortes hat sich die erste Silbe noch im üng. koj- 
as, htj-a^', jak. htj-as — Sonne erholten, und in der Tliat 
wird in Mittelasien selbst kün und kojas abwechselnd für 
Sonne gebraucht. So ist anch das im ältesten Sprach- 
nionument vorhandene Wort für Sonne, nämlich jasil; 
von Jos, jis, ts =^ Helle, Licht entstanden, welche Stitinm- 
silbe von jah-is, jagii, jais — das Brennen, Leuchten zu- 
sammengezogen ist. Von ähnlicher Abstammung ist auch 
das ciiv. cAicjcJ ^ Sonne, da nach den Kegeln der Laut' 
verändeniiig das tschuvaschische ch w je l dem türkischen 
t ja s entspricht.* 

Als Personification der Wärme, der belebenden Krnft, 
ja des Lebens selbst, spielt hiin = Sonne in der Urspnmga- 
Bage des gesammten Tijrkischen eine hervorragende Rolle, 
indem Kün-chan =^ Fürat-Sonne auf der genealogischen 
Tafel an die Spitze des rechten Flügels und Kök-chan 
(entsprechend dem alt, Kaan- Tengcre) an die Spitze 
des linken Flügels gestellt wird, denen sodann die übrigen 
Fürsten als Tetiyis-chan^'Ü'ürst-M.eeT, Jüdi^-chati^=Fürst- 
Stern und 2"aA-cA((H ^ Fürst-Berg unterstehen." Sonne 
nnd Tag sind daher bei den turko-tatarischen, ja bei der 
Mehrzahl der \iral-altai sehen Völker gemeinsame Begriffe, 
vgl. fiun. imirä := Tag und Sonne ; niagy. na}} ^ Tag und 
Sonne — ja selbst im Neupersischeu ist dies gewisser- 
inaassen nachzuweisen, wenn wir »MS^^Tag, mit »iis-e« — 
hell, lieht vergleichen; nnd so wie die schwarze dunkle 
Nacht als Bild des Unheils und Unglücks gebraucht wird, 
ebenso ist in consequcnter Weise die Sonne das Emblem 



* Vgl. Zolotuitzky, S. IM. 
** Vgl. Tewariclii all Wcld^uk. MaDuseript im Ucsilze der üui 
silätBtiibliotbek iu Leiden. 





15S 

des Lebens, Glüciks und der Glückseligkeit. Daher t 
Kedcnsart cag. hünüm jarudi ^ dss Glück war mir güq 
stig (wÖrtl. meine Sonne ist erglänzt), oder tangri berg^ 
liün Mrgej sj>i=Gotl raÖge dich glücklich machen (wörÜ. 
Gebe Gott, dass du die 8onne sehest). Diese synonyme 
Bedeutung von Sonne und Glück, welche im turko-tatar. kün 
vorliegt, tritt im Tschuvaschisuhen noch prägnanter hervor, 
indem hier Chwjel löra — Sonnengott, als eine Gottheit 
des Guten angesehen wird, da sie Wärme und Licht spen- 
det, ebenso wie die Jakuten dem Feuer die besten Bissen 
ihrer Speisen vorlegen, der Sonne aber gar nichts opfern, 
weil sie dieselbe nicht fürchten und sie nur als Quelle 
des Guten betrachten," im Gegensatze zu den Südländern, 
in deren Mythen die Sonne immei> als Symbol daf 
Schrecklichen und Mächtigen dargestellt wird. 

Im ZusammenbüEge mit Icün (Sonne und Tag) sfehei 
80W0I die veraehiedencu Zeitabschuitte eines Tages al< 
auch die Benennung der vier Himmelsgegenden. Wo der 
Begriff Tag durch Helle, Glanz ausgedrückt wird, dort 
muss selbstverständhch der Gegensatz, nämlich die Kacli 
den Inbegriff der Finsterniss und Dunkelheit enthalten 
Tun, tan (die Nacht) igt daher die Stammsilbe der aof ' 
Dunkelheit, Dichtheit und Geschlossenheit bezüglichen 
Wörter (vgl, §. 179, III), und so wie das Eigenschafts- 
wort weiss = ak, aj auf Tageslicht und Helle Bezug hat, 
ebenso ist dies hinsichtlich schwarz ^^ iara beim Worte 
für Nacht der Fall. Tageshelle, Tageslicht und Licht im 
allgemeinen ist ein Begriff, der auf den weiten Grenzen 
unsers Sprachgebietes durch Wärter, die von gleichbe- 
deutenden Stammsilben jak, jar, jis =; glänzen, leuchten^- 
strahlen, stammen, ausgedrückt ist, vgl. 6ag.^'«iij =Lich^ 



eru, 

al« 1 
der 
dort 
rach^H 
alted^l 



* So erzählt SchtBchukin in Beinen „Pajezdka w' Jakutsk" (Rei 
1 Jakutek), S. S76 fg. {nach Zolotnitzky). 




159 



oain. Uik = Helle, Licht, uig. jarvk = holl, licht, und ja- 
sjM— Blitz, LicbtstraLl, jasnüwi(jA-=blitzen ». b. w.,* ebenso 
v'iB dem GegeuBütze von Liclit, nümlicb Buukelheit, fast 
überall karangu, das BescliaffenheitBwort /.ara = echwarz 
zu Grunde liegt. Was die verscbiedeiien Tageszeiten 
solangt, Bo beisst die Horgeuröthe ganz einfach tanff, 
d. h. Helle, Klare, und da die Strahlen des sich verbrei- 
tenden Lichtes, namentlich auf der Steppe, nicht allmäh- 
lich, sondern aufschiessend sich verbreiten, eo ist der 
Ausdruck: tang afar — die Tageshelle eehieaet, d. h. 
bricht heran, ein den localen Verbältnissen angemesBener. 
Die hierauf folgende erste Morgenstunde, in welcher die 
Dunkelheit luit der TagesheUe zusammenstosst, führt den 
Namen hiMuJc, koushd; tou kousmah =^ zusammenkommen, 
sich vereinigen; die darauf folgende Zeit heisst genk kus- 
luk = früher Morgen , und gegen Mittag kaba kuiluk = 
dicker Morgen. Tiis =■ Mittag, zugleich auch gegen- 
über, bezieht sich auf jenen Zcitubschnitt, wenn die Sonne 
der Erde gerade gegenüber zu stehen kommt, mit welcher 
Auffassung das Wort Tkhidi, von ikinmek, ekinmek = sich 
neigen, zur Bezeichnung der spätem Nachmittagsstun- 
doo, wenn die Sonne sich ueigt, gebraucht wird; und bo 
wie das Wort für Morgen, nämlich ir, er, irle, erte gleidi- 
bedeutend ist mit früh, zeitlieh, zeitig, ebenso ist /nie, 
fffie Abend eug verwandt mit kie, gei =^ s^a,t.. Die Abend- 
dämmerung heisst karaltl, wörth das Schwarz- oder Dun- 
kelwerden. 

Hinsichtlich der vier Himmelsgegenden finden wir 
eine mit den arischen Völkern analoge Ideenrichtung aus- 
gedriickt, wie in: kihi /öä'm :^ Sonnenaufgang, kiin baii — 



♦ Snr im Osmanisclieu ivird L 
durch ajdhilik {wUrtl. Mondschti: 
inWrpretirt. 



cht, Helle BanderbarerweiBe auch 
, voo oj=MoDd, (uii(«l=> Schein) 




160 



Sonnenuntergang, fiis^: Süden, d. h. Mittag, und (fit 
Nord, d. h. Nacht (vgl. k. k. tnn — Nord und Nacli^^' 
tnagy. ejs^ak = Nord und Nactit). Ausserdem g'ilit e-^ 
aber noch eine andere spcciell türkisclie Bezeicliniing, di^^ 
aber nur im Uigurisclien des Kudalku Ditik Torkommt^ 
wo der Ost mit Ö113 — vorn, West mit /:«( = rücklinj 
liinten, Nord mit /;o( = unten, und Süden mit fDJ = ob^ 
gegenüber, ausgedrückt ist. 

"Wie schon oben erwähnt worden ist, stammt das turk( 
tatarische Wort für Mond aj, duv. oj-il; jak. 'ij von 1 
Gniudsilbe ak, ag, aj {vgl. §. 5) = weiss, klar, hell, lie 
ebenso auch der Mondhof aj/i/, agil, der Grnndbedentut 
nach Leuchte, Licht. Ebenso wie bei den meisten Völk^ 
der Mond als Zeitbestimmung gebraucht und mit Mon) 
identisch ist, so ist dies auch beim turko-tatar. aj 1 
Fall. Die Elntheiluug in Wochen scheint jedoch späten 
Ursprunges zu sein, denn trotzdem die Siebenzahl bei dfl 
ural-altaischen Völkern von jeher eine bedeutende Eoli 
spielte, 80 kann doch das heute gebräuchliche pers. Hc^ 
— Woche, vom pers. Äe/( = sieben, nur neuern Gebraq 
ches sein, da die Uuterabtheilung eiuea Monats mit def 
Erscheinen des Mondes zusammenhängend, früher aus dem^ 
Zeiträume von vierzehn Tagen bestand, indem die erste 
Hälfte jc«^«-aj — NcDmond, die andere Hälfte esl;i-aj=: 
AUmond, benannt wurde, und aj (oMi — Vollmond als 
Scheidewand der beiden Abschnitte gedient bat. In ähn- 
lielier Weise ist die Benennung der verschiedenen Monate 
des Jahres zuerst der persischen und dann der arabis<^ 
nioshmischen Cuiturwelt entlehnt worden, denn die j 
tive hierauf bezügliche Nomenclatur, welche selbst heute"* 
noch bei den Nomaden im Gebrauche ist, niuss als den 
praktischen Anschauungen eines Ilirteuvolkes entsprechend 
von uraltem Ursprünge sein. Diese genuin türkische Nomeilj 
datur der Monate ist mit geringen Unterschieden folgend« 



anate^ 
>is<^^H 



1 5 Ilk jas oji, ant'li Norvs aji ^^ der Monat des Frühlinga- 
xsjifang (März); 2) koj JcoeJadi — Jus Ijammen der Schafe 
(Anfang April); 3) bije bajladi =^ daB Folileii der Stute 
C^Eiide April und anfangs Mai), Hierauf folgt i) Kurai(^ 
=■ die Wind- iind Regenzeit dos Frühlings, beginnt am 
10. Mai, nach andern auch hes Jöt(«A^= fünf Gäste be- 
xiannt, nach deren Verlauf die Winterquartiere abgehro- 
cben werden. 5) Jaj njV = Sommermonat (Juni), auf 
■welchen dos Cälch (pers.) und tenmz, tomos (arab.) Zeit- 
abschnitte der heissen Jahreszeit folgen, ohne von den 
^^^J!ürken mit einem speiriellen Namen definirt zu sein. 
^^^|t^ Kösüm, Tiömm, auch Icoj-lcöxi, }iösü*^= das Schneiden, 
^^^Blebtiger Scheren der Schafe, von welchem Worte das 
^^^Bente allgemein gebrauchte Jcöz, hüs = HerbRt entstanden 
^^^Eet; eine Zeitabtlieihing, die Anfang August beginnt und 
^^^rbis Mitte Octobcr dauert, und mit welcher die bei den 
Kirgisen und Turkomanen gebräuchliche Unterabtheilung 
'köjük bagladir ==: ans Aufbinden des Sackes (unter dem 
Schafe, um die allzu frühe Belegung zu verhindern) und 
^öjuk aladir :=da.s Abnehmen des Sackes übereinstimmt. 
) Sokum ^= die Schlachtzeit, da beim Eintritt der kalten 
Vitterung die Herricbtung des zum Räuchern bestimmten 
■Fleisches in Angriff genommen wird. 8) Kirg. akpaji, 
«(^•pan, trkni. Jcatkan =■ die strengste Winter- oder Frost- 
9) Ara-aj ^ dar Zwiüfhenmonat, welcher zwischen 
■ den beiden moalimischen Feiertagen Kurban-bajram und 
an-bajram fällt, folglich neuem Datums, sowie denn 
auch die übrigen bei den Nomaden vorkommenden Zeit- 
benennungen**, die dem moslimischen Cultureinflusse ent- 
;en, hier nicht berücksichtigt werden können,*** 



• Ueber kös, küs, fits= schneiden, vermindera vgl, §, lOfi. 

* Vgl. Budagow, Srawnitelnij Sloivar tuveuko-tatarakicli n 



' Man rergleiclie hiermit eiuige Jak. Monatsnamen, als: kiihin 



Wie dem Leser aus dieser Nomenclntnr der Monate 
ersichtlich wird, hat bei der Einlheiliing der Zeit uud 
deren speciellen BeueiiDung die Lebensweise eines Hirten- 
volkes als leitender Grundsatz gedient, und es darf nicht 
befremden, wenn wir demselben auch in unsem Nachfor- 
schungen über den Ursprung der Namen der Jahres- 
zeiten begegnen. So wie die Zahl der Monate weder 
mit der von einem gewissen Culturst.-idiuni ausflieBsendca 
Zwölfersystem übereinstimmt, noch eine definitive Zeitab- 
grenzung voraussetzt, ebenso wenig kann dies bei der Be- 
zeichaung und Bestimmung der einzelnen Jahreszeiten der 
Fall sein. Strenggenommen haben die Türken in der 
Urzeit nur zwei sich unterscheidende Jahreszeiten gekannt, 
nämlich den Sommcr und den "Winter. Unter ersterm 
hat man von jeher jenen Zeitabschnitt verstanden, wo 
nach Verlauf der rauhen und kalten Witterung der Vieh- 
zuchter sein in Thal Vertiefungen oder geschützten Orten 
bewohntes Versteck oder seinen Zufliiehtsort verlassen und 
mit den Heordeu auf den mit frischem Grase bedeckten. 
Ebenen oder Flächen sich ausbreiten konnte. Jassi 
Ebene, ya^=: Sommer, und j«i' :== ausbreiten , ausdehnt 
sind beinahe ganz identische "Worter und es liegt dei 
selben ein und dieselbe Stammsilbe zu Grunde (vgl. 
§. 138), deren Variante mit auslautendem j heute nur dia- 
lektische Verschiedenheit bekundet. So z. B. werden jaä- 
jaj anstatt Sommer und Frühsomuier bald hier, bald dort 
abwechselnd gebraucht. Es waltet im allgemeinen kein 
genauer Unterschied zwischen beiden Begriffen vi 
Sommer kann mit Bestimmtheit als Umschreibung 



ten 

i 



tiitar^ias Entwähnen deä Füllen (März); bus uslar y=Monat d«ffl 
Eiasclunelzens (April); lam t/a=Ko^oiilege-Monat (Mai); balagcmj(i 
iciröT i/ = M.oaBt des Eingehens ins Zelt (September) a. s. w. Bas 
ist auch im TschnTascIiiacheii der Fall. Vgl. Zolotnitzky, S. 191 — 19 



1C3 



Zeit des Ausbreiteos der Heerdeii ausgelegt werden" (vgl. 
ja^ilaviak und jnjlamak = aii;!) ausbreiten, auf die Weide 
oder Steppe gehen und den Sommer zubringen). Was 
hingegen die zweite Jahreszeit, uünilich den Winter anbe- 
lungt, welcher fast durchweg hU oder }:is benunnt wird, 
so lässt in diesem Worte sich leicht die Zusanimeu/Jehung 
von kaj-is (^hais-kis) das Schueestobcrn, das Schneien er- 
kennen, und 60 wie dem Jakuten noeh heute Schnee und 
Jahr identische Begriffe sind, und ferner so wie das skt. 
hima = Schnee zum lat, kiems = Winter sich verhält, 
ebeueo gestaltet sich das Verhältiüss des turko-tat. kar, 
haj (vgl. §. 89) zu Ai'a' — Winter, welch letzteres daher 
in seiner ümnilbedentuHg für Schnee, Schneegestöber zu 
nehmen ist. 

Wir hätten schliesslich noch von der Benennung des 
Jalires selbst zu reden, das theils jil, theils il oder iß 
genannt wird. Von diesen Formen dnnkt uns die letztere 
als die richtige und primitive, wenigstens stimmt hierfür 
Bowol die alte arabische Schreibart J^l, als auch die 
nigurische Transscription des betreffende» Woites, am 
meisten aber die einzig möglich scheinende etymologische 
Verwandtschaft, denn il, iß ist allem Anscheine nach eine 
Zusammenziehung von ißl — sich wenden, sich kreisen 
(vgl. §. 31), und der Begriff Jahr wäre demzufolge gleich- 
bedeuteud mit Wendekreis, Cyklns (vgl. hebr. suiia 
= Jahr und mi^wn — Kepctition, lat. atmits =: Jahr mit 
(t)iH«?MS ^^ Ring), d. h. eine Runde der von den Idimati- 
Bchen Einflüssen bedingten Zeitabschnitte oder Monate, 
die, wie wir schon erwähnt, nicht mit der Erscheinung 
des Mondes, sondern mit der nomadischen Beschäftigung 
oder den Witteniugsverliältnissen im Zusammenhang stehen. 

* Dieser Auffassung zufolge dünkt mir mit ja^-jaj aucli das wag;. 
tiyaj ^ Ileerde iiml iiijär = Sommer einigcrraassen im Zuaammenliang 
zu stellen. 



IGl 



Um den sicli hier zeigenden klaren und sinnigen Id« 
gang vollauf würdigen zu können, vergleicbe man 
Ursprung dieses Wortes in andern Sprachen, nauientlil 
das auf Sprachen- und Gedankenarm uth gich gründenf 
wirre Verhältniss des slaw. liodina — Uhr, Stunde, an 
jO(?^-Tahr, dem skand, aor = Jahr und Stunde, 
deutschen Jahr — Uhr mit dem lat. Iiora, und man i 
den merkwürdigen Geist, der in der türk.-tat, WortM 
düng sich manifestirt, nicht genug bewundern kÖnnq 
Nicht minder zutreffeud ist die Bezeichnung des 
meinen Begrifi'cs von Zelt, in dessen genuinen Nai 
uig. üt, alt. iij der Grundbegriff von Theil (hinsichtUd 
iij vgl. iije §. 207), Bmchtheil, Stück zu suchen ist, 
her unter dem türk. Worte für Zeit ein Theil, ein Bruef 
stück der Totalität, d. h, der Ewigkeit zu verstehen i 
Für diese Annahme spricht noch das verhältnissmäsa| 
neuere £ag. cag, caÄ ^^ Zeit und Stuude, eigentlich . 
schnitt, Zeitabschnitt (vgl. §. 77). 



Witternngsvevliältnisse und flimmels- 
erscheiimngen. 

Bei den semitischen Völkern, namentlich bei d^ 
Arabern ist der Begriff Wetter identisch mit Luft. 
den Türken, sowie bei einigen arischen Vojkern ist difl| 
Analogie bezüglich des Begriffes Zeit zu bemerken, de! 
trotzdem heute bei der moslimischen Tiirkenwelt fa^ 
allenthalben das arab. liaica (Luft) für Wetter gel 
wird, so ist doch bei den von fremden Cultureinflüssd 
weniger berührten Eleuieuten, nauientlicli im Aitaisclieg 



105 

hieirfür ül, uj (d. h. Zeit) Auzutreffeii (vgl. magy. idö ^: 
Zeit und Wetter). Mit c^jae (von oj = klar, offen) 
wird daa helle, lautere Wetter, mit alt. jtit (eigentl. 
uurcip, sthlei'lit), iag, /iilhin Celgentl. verhüllt), das 
U'iltlare, dunkle Wetter bezciclinet. Ein ähnlicher Ideea- 
garig liegt den Wörtern für Eauch und Nebel zu 
Grunde, indem erstcres, nätnJich tülihi, Inlun von tut = 
fest, dicht (vgl. §. 193), letzteres fnman von loin, iu7H 
=^ dicht, geüchiossen (vgl. §. 179) stammt. Rauth und 
Nebel figurireu daher einfach ala dicke Luft, mitunter 
aber auch ab graue Luft. Vgl. piis = Nebel mit loa = 
grau. Einen interessanten Spielraum hat jcl, jil oder siäl. 
Hl (vgl. §, 142), welches sowol für Wind als auch für 
Inft gebraucht wird, und die Auffassung, nach welcher 
liie Luft .ils ein schwebender Körper, als etwas Weben- 
des dargeetellt ist, findet Analogie unter andern im magy. 
I kbeg =^ schweben und Icviijö = Luft. Aehuliches ist auch 
I der Fall mit der Identität der Begriffe Luft, Wind, Kühle 
und Kälte, denn von (5ag. jd, CUv, sil, jak. siäl ist seiht, 
serin oder sn?-^/« = kühl, soUg, cuv, solih, say-«fc = 
kalt entstanden (vgl. §. 162), und dieses etymologische 
Vcihältniss des betreffenden Wortes wird um so mehr 
einleuchten, wenn wir auf analoge Fälle in andern Sprachen, 
so z.B. deutsch Wind und Winter, magy. s^e( = Wind, 
tkl =^ Winter, besonders aber auf die klimatische Be- 
schaffenheit der Urheimat der Türken hindeuten, wo die 
rauhe, kalte JahresKeit eben mit dem Eintreffen des fro- 
stigen aus dem Nordosten Asiens hereinbrechenden Win- 
des seinen Anfang nimmt. 

Was den Begriff Fcuer aelbst anbelangt, so hat der 
turko- tatarische Urmensch gleich im vorhinein dieses Element 
in zwei unterschiedliche Stadien getheilt. Er bezeichnete 
nämlich ein erwachendes Feuer, das mittels Reibung Ina 
Leben gerufen wurde, und ein aufloderndes, aufflackern- 



1G6 

des Feuer. Für ersteres haben wir die Benenmiug ot. 
das Feuer im ullge meinen, der Brand, welches !ub mit 
ot-oj =■ erwachen zu vergleichen geneij^t wäre ; für das 
zweite (d-au, jal-m = Flamme, wobei «( jal theila mit 
dem mongolischen (/hal =^ Feuer, theüs mit den finn-iigri- 
Bcben, nameutlich mit läpp. toU, £erem. iul, wotjak. til =^ 
Feuer verwandt, ans jener uralten Periode stammt, iu 
welcher der ganze und - altaieehe Stamm noch vereint 
lebte, und mit al ol ul = ohen auf, hoch, eigentlich diis 
aufsteigende Feuer, verglichen werdeu kann. Nur der 
Benennung der Hitze und Wärme, nämlich Hz, I:ls. Hegt 
der eigentliche Begriff für brennen und glühen zu Grunde, 
80 kizi = feurig, warm , und nach Verschwinden des gut- 
turalen Anlautes iz-issi-issimk = Wärme, warm (vgl. 
§. 93), wobei das Stammwort kis (vgl. Ä'os = Glut) auf 
das ursprüngliche Jioj, faij, Icüj (vgl. Icoj-as = Sonne g. 116) 
KurückzufQhren ist. 

Sehr treffend ist der tu rko -tatarische Name für Wolke, 
nämlich Cag.-osm. biilut, alt pidul, jak. billt, cuv. jmU, 
allem Anschein nach aus hnh, htm, bugh, puu (Dampf, 
Dunat), resp. puul, html (dampfen, dünsten) entstanden 
(vgl. §. 224), und infolge des analogen Ursprunges mit 
dem betreffenden Worte in den übrigen ural-altaischen 
Sprachen (vgl. magy. /ettci, finn. pUvi, wotjakisch püjem, 
mordwaisch pel, teremiasisch pöl = Wolke) datirt sich dies 
noch aus jener uralten Zeit, als die Sonderstellung der ein- 
zelnen Mitglieder dieser grossen Familie noch nicht so 
ausgeprägt war. Charakteristisch ist hingegen die Er- 
scheinung auf dem türkischen Sprachgebiete, dass für 
Regen kein selbständiges Wort cxistirt und nur mit einer 
höchst primitiven Umschreibung zum Ausdrucke gelangt 
ist. Jagnmr — Regen heisst nämlich in seiner etymolo- 
gischeu Bedeutung das Fallende (vgl. §. 1'21), und die 
LTcrbalc Form es regnet wird mit jayntur jagar (wörtl. 



IÜ7 



dars Fallende fällt) ausgedruckt. Diese Dfirlligkeit der 
an genuiner Wortbildung sonst reichen Sprache kann 
nur durcb den Umstund einigeniiuasseu erklärt werden, 
dass der Kegen in jenen Thcilon der alten AVeit, wo wir 
die Urheimat der Türken verniuthen, eben zu den Selten- 
heiten gehört, dass die Agricultur auch in den angren- 
zenden Cuhurgebieten von jeher mittels künstlicher Be- 
wässerung bewerkstelligt werden konnte, und dass z. B. 
der Itegen auf den südlichen Abhängen des Tbien-shans, 
worunter man kein belebendes Nnss, sondern den alles ver- 
nichtenden flüchtigen Sand versteht, noch beute dem 
Lnndmanne als ein Schreckens wort klingt. So wie der 
Regen nur uiitteJs eines durch Umschreibung entstandenen 
Wortes benannt wird, ebenso sind sonderbarerweise ge- 
wisse mit der Kälte zusammenhängende Erscheinungen 
nicht dem Wesen, sondern der Farbe nach benannt wor- 
To»g = Frost ist identisch mit dem Begriffe dick, 
'»t&TT und hart (vgl. §. 179); das Wort für Eis hingegen, 
jQiunlich bus, hus, mus ist schon von der Farbe entlehnt, 
denn huz, ursprünglich boe, bor, bedeutet grau, gräulich, 
^Vreieslieb. Vgl. bor = Kreide. Ebenso ist ^ag. hirau, alt. 
b«rM =: Keif von h'ir = scbimmclgrau, grau entstanden, 
laind nicht vice versa, wie nach dem Urtheile von ähn- 
Llichen Beispielen auf dem arischen Sprachgebiete ange- 
WOommen werden könnte, d.i /:/»•:= grau, wie aus der Er- 
f Jclärnng des betrefi'enden Wortes unter dem Abschnitte 
i&ber die Farben ersichtlich , aus einem andern Grnnd- 
iKgriff bervorgegiingen ist. 

Was die aussergewohnüchen Naturerscheinungen an- 
belangt, so tragen die betreffenden Benennungen zumeist 
den Charakter jener Wirkung, in welcher dieselben dem 
primitiven Meuschen sich vorstellen. Der Sturm , der 
^»uf der Steppe entweder durch schwarze Wolken oder 
lurcb wild einherjagende dichte Sandmassen den Horizont 



168 



plötzlich verdunkelnd auftritt, beisst nsm. bnran, 
buragan, a\t. porogoii , von burma^, iHr«)»«J = verLüllöj 
bedei:ken, verdunkeln, während der Schneesturm, 
Schneegestöber, oder der mit Schnee vermengte Reg< 
den Namen kaj fuhrt, worunter die Stammsilbe Jcar (Jcaj9 
=^ Schnee veruiuthet werden kann. Donnern wird gai 
einfach durch i5ag. lühreuiek, osm. garleinek ausgcdrücH 
eigentlich: einen hohlen Schall gebeu, schallen, hullef 
dröhnen, und nur bphufs genauer Defiuirung wird 
Substantivum höh Mhrentesl oder göh gurüUiisi = c 
Schalleu des Himmels, d. h. der Donner, genannt. Bei i 
Jakuten und Tschuvasehen ist anstatt schallen, hall^ 
die Umschreibung von reden und singen gebrauci 
worden. So: jak. ätür hUü — die sprechende, d. h, do] 
nernde Wolke; cnv. asl'adl adat = der Alte singt, d. 
der Himmel donnert. Unter Blitz versteht der Tiirl 
einen Licht- oder fenerstrahl, daher uig. jailn ^ Blifl 
von jas f leuchten, strahlen); cag. cakin, von cakm 
(funkeln); alt. jallcin, von jon = brennen, glänze 
JUdirlm — Blitz, und jüdiramalf. = glänzen. Zu verwui 
dern ist es elnigermaassen , dass die auf den Steppii 
liäühg vorkommende Fata morgana spracbhch nur mit 
dem einfachen Namen sagim, d. h, Wahn, Phantasie, 
bezeichnet ist, trotzdem dieselbe einen reichhaltigen Aus- 
gangspunkt im Sagenkreise der Nomaden bildet. Noch 
weniger präcisirt ist im Türkischen der Begriff tur Regen- 
bogen, welchen die osm. Volkssprache Alaim sagkuiu 
nennt, vom arab. alaim- i-sema, d. h. Himmels zeichen, 
eine Erscheinung, die sonst auch mit dem entlehnten 
Kausi Kitsah (arab.), d. h. der Bogen des Wolkenengels 
Kuzah, genannt wird. Merkwiirdigerweise gibt es wenig 
Erscheinungen, wo die Verschiedenheit der Benennung so 
sehr auffallen wiirde wie eben beim Regenbogen. Auf 
der östlichen Grenze des tiirk. Sprachgebietes beisst er 



16fl 

alt. sohngo (ein mit dem MougoliscLen gcmeinBaincs Worl), 
etwa von alt. solun ^=- verwundern, Stauneu. Weiter 
gegen Westen im Oag, und Kaz. Salavat hilptri oder 
iSpriisii, d. h. die Brücke der Gebete, und auf der Hyr- 
kanischen Steppe habe ich ihu Chidr köprüsil =- die Brücke 
des Propheten Elius uennen hören, was insgeaamnit dar- 
auf Ijiiideutet, dass die Türken im Zeitalter der primitiven 
Cultur für den Regenbogen kein epedelles Wort gehabt, 
oder dass es später abbanden gekommen ist. Von aeltc- 
nera Uimmelserscheiuuugen, wie Sonnen- «der IHond- 
teterniss, ist zu crwähucn, dass nach Aussage der 
Sprache der primitive Monseh der tu rko-tatari sehen Rasse 
das zeitweilige Verschwinden dieser Lichtkörper sich der- 
uiiiassen erklärt, dass er sie in die Gefangenschaft gerathen 
zusein glaubte; die Bcueunung küti tuiulmasi ^^ Somiea- 
fiasterniss, wörtl. Gefangeuachaft der Sonne, steht demnach 
sü ziemlich in Uebereinstimmung mit der Ansicht anderer 
Wilden, die in dieser Erscheinung irgeudeiuen gewalt- 
samen Angriff oder Raub besagter Himmelskörper vcr- 
mutheu (vgl. Lubbouk, S. Ifiti und 157). 




XV. 

Land und Waßser. 

Zur Bezeichnung der Erde als einen allgemeinen Be- 
oder einen grossen Körper ist die Sprache der Turko- 
Tataren unfähig, und aie gleicht in dieser Beziehung dem 
Magyarischen, wo das Wort für KrdCj nämlich /öld. dem 
deutschen „Feld" entlehnt ist. Die heute für den Be- 
»ff Erde auf dem ganzen türkischen Sprachgebiete 
^rauchten Wörter sind : jii- oder jer, der Grund- 



bedeutung nach Raum, Ort, Platz (vgl. g. 139); ferner 
iopralc, iu}irak, eigentlich der Ort, anf welchem man 
lierumtritt (vgl. §. 1T2), Boden, Grund; in beiden muss 
daher eiue Umschreibung, eine bildliche Darsteiluog, aber 
keine apecielle Beneiiniing gesucht weiden. Ganz anders 
verhält es sich jedoch mit dem Begriff iCrdc, wo diese 
als festes Land dem Begriff Wasser gegcniibergea teilt ist. 
Hier haben wir daa alte, aber genuine und concrete tot, 
zugleich auch ein Beschaffenheit 3 wort von der Bedentung 
dürr, trocken, als dessen Gegensatz ügi ^= das Wasser, 
fignrirt, denn im Kudatku Bilik (vgl. meine „Uiguriachen 
Spracbmonunicnte", S. 78), wo von den vier Elementen 
die Rede ist, heisst es: ^,Törefti, dirdi küi, jel, ögü, 
A'oi:", d. h. er schuf, er machte Feuer, Wind, Wasser 
und Erde. Mit Ausnahme des Windes sind die Elemente 
hier mit solchen Namen benannt, die heute mir als Stamm- 
silben in den einzelnen Sprachen fortleben, aus dem 
innem Wertho der Grundbedeutung jedoch über die uralte 
Bezeichnung der betreffenden Wörter uns den besten 
Aufscbluss geben. Um speciell die Bezciehnimg der Erde 
als festes, trockenes Land in Relief zu bringen, sei er- 
wähnt, dass Icok in der neuern Form kak (vgl. g. 76) 
beute sowol dürr, trocken, als trockenes Land, nament- 
lich den harten Lehmboden der Steppe bedeutet; die hier- 
von entstandenen kara und htm = schwarz und trooken, 
sind 6 elbstv erstund lieh synonym fiir Erde und Land. Wir 
finden demgemäss die Erde schon in der frühesten Phaao 
der turko-tatari sehen Sprachen als synonym mit schwarz 
und dunkel dargestellt; daher ist die heutige Redensart 
kara jer — schwarze Erde, und das uig. jakis jcr = dankle 
Erde, ein Metapher für die irdische, vergängliche Welt, 
dem der Himmel tiugri, d. h. der leuchtende Körper, 
gegenübergestellt ist. Von der bildlichen Bedeutung der 
Synonyme schwarze Erde wird noch im Abschnitte 



über die Färb eu die Kede sein; hier sei nur bcmorkl, daes 
die analoge pers, Redensart chaki sialt = schwarze Erde, 
dem Türkischün nicht nl» Muster gedient hat, sondern blos 
ein Ausäiiss gleithen Ideengauges ist, obwol, nebenbei 
bemerkt, das neuperatsche t/ißÄ=Ei'de, neben dem alt- 
persischeu zemin, slaw. zn»ya=Erdß, entschieden tiir- 
kischeu Ursprunges ist. 

In Bezug auf die Beschaffenheit der Erde oder des 
Bodens finden wir in den allerdings dürftigen Bezeich- 
nungen von taklr =^ fester, glatter, ebener Boden (von 
fff^-=eben, vgl. §. 175), tdci oder a/tw ^: Lehmboden 
(von aZ^röthlich, getärbt?), und Anja ^= felsiger Boden, 
Fels (von A'My' = hart, Stein, vgl. §. 87), äusserst wenig, 
was zu Schlüssen iiuf die geologischen Verhältnisse der 
Urheimat der Türken berechtigen würde. Interessant ist 
nur der schon hervorgehobene Umstand*, dass fast durch- 
gängig auf dem ganzen Sprachgebiete der Türken der 
Begriff Stein heute mittels tas oder tos ausgedrückt ist, 
was der Grundbedeutung nach als Wurf, Geschoss, folg- 
lich als ein Stück Stein zu ncbuien ist, da für Stein selbst 
ursprünglich das Wort Icaja = Fels bestanden haben muss, 
wie dies aus den Beispielen anderer ural-altaischen Spra- 
chen (vgl. magy. Avj, finnisch Jiivi, ceremissiach kil, wogu- 
lesch kett =^ Stein) ersichtlich ist. Einen viel bessern An- 
baltepnnkt gewähren nus hingegen die auf die äussere 
Form der Erde bezüglichen Namen, wo die Sprache in 
der bekannten schlichten und einfachen Weise die ver- 
schiedenen Bodenformationen darstellt. Die Ebene heisst 
entweder jasi (von jaj, jat — breit, gedehnt, vgl. §. 138) 
oder lala (von tal, td = gross, weit, vgl. g. 17*!), oder 
auch osm. ova, eigentlich Niederung, Tiefe (von oj, ov = 
ausgehöhlt , vgl. §. 47). Es sind dies Benennungen, 



welche den distinctiven Charakter der Bodenformation an 
sich tragen, audererseits aber der VermutlitiDg Kauoi 
geben, dass das dem etymologischen Wortsinn mehr ent- 
Bprecbende takir (siehe obeü) die primitivere Bezeichnung 
Bei, da dieselbe in der geographischen NomenclaUir häu- 
figer vorkommt, vgl. Kiiil-takir (in Chiwa), Kara-takir 
(unweit Merw) u. s. w. Für den Begriff Berg haben wir 
tak, dag oder alt. tu, von der Stammsilbe tok, iah (vgl. 
§. 194) hoch, Höhe = aufsteigen , erheben, folglich An- 
höhe, Erhebnng; als dessen Gegensatz hat sich terc, teri, 
«ig. ter e-j er ^^Thail, Thalgegend, ganz folgerichtig ge- 
bildet aus ler (vgl. §, 176) ^^ breit, gedehnt. 

In Anbetracht dessen, dass wüste, leere Steppen- 
regionen den hervorragenden Charakterzitg der Urheimat 
der tu rko- tatarischen Völker bildeten, ist es ganz natür- 
lich, dass der Begriff Steppe vielartig ausgedrückt ist. 
In erster Reihe begegnen wir dem meist verbreiteten völ, 
ein Wort von der Grundbedeutung welk, wüst, nackt 
(vgl. §. 166), worunter man die unbewohnte, selbst für 
nomadische Zwecke nicht verwerthbare Erde versteht, wo 
die sengenden Sonnenstrahlen das grüne Kleid des Früh- 
lings schon im Keime welk und dürr macht, und welche 
dem von der Viehzucht Lebenden schon in der Urzeit 
als Schreckenabild galt. CöWe — in der Wüste, ist ana- 
log mit unserer Redensart im Freien, in der Ferne, dem 
als Gegensatz ojda oder oJ(?c =^ daheim, eigentl. in der 
Thaltief'e, die von der Natur bedingte erste Wohnungs- 
Stätte entspricht. Einen cöl wol ähnlichen Ideengaug be- 
kunden auch die andern Benennungen der Wüste, So 
das osm, jahan (von Jab, Jav = eitel, leer, vgl. §. 119), 
nig. bosuk (von ios= wüst, leer, vgl. g. 122) und das 
alt, een jer ^= weites Feld, da ein solches nach den localen 
Bodenverhältnissen der Altaier, wo Thalgegenden vor- 
herrschen, mit Heide, Steppe identisch gehalten wird. 



A*Ti prägnantesten jedoch ist der Begriff der Nacktheit 
aaH Arimith der Steppe ausgedrückt im Worte jalgin, 
worunter die aus clur Ferne Seen gleichenden Sulzfläclien 
bezeichnet werden und dem die Stiimmeilbe jal ^= kahl, 
nackt, glänzend (vgl. §. 127) zu Grunde liegt. Schliess- 
lich sei hier noch des in der heutigen Bedeutung wol 
verallgemeinerten, ursprünglich aber eine ganz feine geo- 
gnostiscbe Distinction bekundenden kir^s erwähnt, worunter 
man im Altaischen noch heute einen Berg, eine Anhöhe 
versteht, und worunter eigentlich das aus der Steppe sich 
emporhebende Uochlaudplateau verstanden werden muss, 
welches sozusagen als ein kantiges Bruchstück erseheint, 
daher die Analogie des Wortes mit der Stammsilbe tir = 
brechen. 

Nachdem wir von der Oberfläche der Erdo und ihren 
Gestaltungen gesprochen, wollen wir nun auf die im 
Innern der Erde verborgenen festen Körper, d. h. auf die 
Hlueralien übergehen, und gleich im vorhinein bemerken, 
dass, obwol heute für diesen Begriff im allgemeinen kein 
specieller Name mehr besteht, dennoch nach dem etymo- 
logischen Werthe eines Erzes zu urtheilen, ein solcher 
früher esistirt haben muss. Wir zielen hiermit auf das 
Wort hömäs, Jcömiis oder kümiis, welches trotz seiner 
heutigen allgemein verbreiteten Bedeutung von Silber, 
dennoch der Stummsilbe körn = bergen, verstecken ent- 
springt und der wörtlichen Grundbedeutung nach fiir 
das Verborgene, das Versteckte zu nehmen ist, mit 
welchem Verhältnisse das mongolische choryholaclio = sich 
verstecken und chorgholtsin =^ Blei (Erz?) übereinstimmt. 
In nnsern TJntersuehiuigen über die Namen der meist be- 
kannten Mineralien wird uns ersichtlich werden, dass die 
betreffenden Namen theils mit Bezug auf die Substanz, 
theils mit Hinsicht auf das Aeussere, d. h. auf die Farbe 
der versf.hiedenen Erze entstanden sind. So finden wir 



174 

z. B. Silber, ausser dem schon erwähnten Namen, i 
durchgängig mit aJicc = das Weisslicbe, von ak = weisö ' 
Gold hingegen mit allin oder i'iell, zugleich auch Farben " 
nainen für roth, bezeichnet (vgl. sanskr. ari/ = flammet^ 
mit argautu, lat. argciitum, griech. a.^i\i^iw apxro;). Eloi^ 
dem Golde analoge Bezeichnung hat auch das eben- 
falls rothe Kupfer im Jakutisuhen, wo dieses Erz den 
Namen altan führt; den Motiven der Wortbildung zufolge 
erinnert dies an das von Alilquist (S, 70) schon betonte 
Verhältniss zwischen dem litauischen ntda = Erz, rauäa 
= rothe Farbe, oder dem goth. rfl!((fe = roth und rauda 
^= Eisenocker. Was nun die Bezugnahme auf die Sub- 
stanz anbelangt, sü begegnen wir einem solchen Ideen- 
gange in hervorragender Weise in der Benennung zweier 
Erzgattungen, erstens in icmir, ij'jwi»-^: Elscn, das ohne 
Zweifel aus der Stammsilbe Um, iem =^ fest, dicht, stark 
(vgl. §. 178) hervorgegangen, und in halcir, pakir, alt. 
pah'as = Kupfer, welchem die Stammsilbe bah, palc=^ 
fest, hart zu Grunde hegt. Mit dieser Anspielung auf 
die Substanz bat der primitive Mensch der turko-tat. 
Rasse, dem Erze als ErdgatLungen vorkamen, auf die 
härtere und festere Qualität, durch welche Mineralien von 
der gewobulichen Erde sich unterscheiden, hindeuten 
wollen, wie wir dies bereits in analogem Falle beim Be- 
griff Stein, Fels sahen, und wie denn auch Eisen selbst 
heute nocli bildlich für fest, hart, zähe gebraucht wird. 
Vgl. lemir kazik — Nordstern, d. h. der unbewegliche 
Pfahl; icmir ta« — Eisenhlut, d.h. unerschrocken; icmi}- 
hos = Eisenkopf, d. h. halsstarrig, unbeugsam u, s. w. 

Dasa bei unserer derartigen Auffassung von dem Ur- 
sprünge der verschiedenen Benennungen der Erze die 
hochwichtige Frage: welches wol das erste dem turko- 
tatarischen Urmcnselien bekannte Erz gewesen sei, der 
Entscheidung wol wenig nahe gerückt werden könne, 



175 

liegt auf,iler Hand. Wenn Culturhistoriker die so ziem- 
lich unanfechtbare Theorie aufstellen: Der Gebrauch des 
Eisens bedeute eine Ei)oche In der Cultnrgoschichte, weil 
dieses Erz, nicht so wie Gold, Silber und Kupfer im 
gediegenen Zustande gefunden, sondern durch den Procesa 
des Schmelzens erat gewonnen werden musa — so stimmt, 
■wie wir eben sahen, die Sprache der Türken einer solchen 
Ansicht wol wenig hei, sie gibt uns wenigstens auch nicht 
den geringsten Anhaltpunkt bezüglich der frühem oder 
spätem Bekanntschaft der tiu-ko-tatarischeu Völker mit 
der in Frage stehenden einen oder andern Erzgattung, 
während doch andererseits eben die etymologische Erör- 
terung uns mit der nöthigen Erklärung an die Iland 
geht. So lässt sich mit ziemlicher Sicherheit annehmen, 
dass Blei und Brouze im frühesten Culturstadium unbe- 
kannt, bei den Türken durch benachbarte und verwandte 
Völker eingeführt werden, da im Türkischen hierfür keine 
genuinen Benennungen, sondern nur Lehnwörter vor- 
handen sind. Das oam. Jcursuii, (5ag. hirgasun, alt. /:or- 
ifoßn stammt vom mongohscben chorgholtmi ^^ Blei; ebenso 
auch das (5ag. ies, alt. jes vom mongolischen dzes, wobei 
jedoch hervorgehoben werden muss, dass während mit 
diesem dagataischen Worte heute Bronze bezeichnet wird, 
dasselbe im Ältaiachen und Mongolischen aber entschieden 
Messing und Kupfer bedeutet.* Diese schwankende De- 
finition des fraglichen Begriffes ist an und für sich hin- 
reichend, um das Fremdartige dieser Erzgattung ausser 
Zweifel zu stellen, denn wo die Wortbildung auf heimi- 
schem festen Boden sich bewegt, ist dies nicht der Fall, 
wie wir dies eben beim rothen und weissen Erz, d. i. bei 
l'Gold und Silber gesehen, uud wie wir noch ferner 



* Vgl. Grammatit. alt.-jak. 11, 174, imd Sclimiilt, Mong, Wür 
buch, S. 301,11. 



wahrnehmen können in hiiViir oder kükini ^^ (jehwefcl, 
eigontl. (las Brennbare, von huj ^:^ brennen* (vgl, 
§. 116) und lor = Hrcldc, cigentl. weiss, grau (vgl. 
§. 221). 

Wenn wir dalier unsere über die verscliieilenen Er/.e 
gegebenen diirftigcn Notizen recapilnliren, so wird ca 
trotz aller menschenmöglichen Anstrengung uns nicht ge- 
lingen, die Existenz der von den Paläontologen angenom- 
menen ITaiiptculturepocheu, d. h. eines Stein-, Brouze- 
nnd Eisenalters, bei den primitiven Menschen der tnrko- 
tatarischcn Rasse sprachlich nachzuweisen. Nur mit 
Hinblick auf die Identität des Wortes für Gescboss und 
Stein (b. S. 119 und 171) ist eine geringe Ausnahme 
erdenklich. Auch die Analogie des Begriffes Erz und 
Bronze, das aber nur im gegenseitigen Verliältnisse zum 
Mongolischen besteht, als wenn sozusagen unter Erz zu- 
erst die Bronze verstanden worden wäre, verdient einiger- 
naaassen Beachtung; im allgemeinen jedoch ist das Wort 
für Eisen, tcmir, ebenso echt türkisch, und bezeichnet 
im gleichen Mansse Erz, d. h. einen festen harten Körper, 
ohne Berücksichtigung seines eine fortgeschrittene Cultur- 
epoche bekundenden Auftretens. Wollten wir uns in 
weitgehende Speculationen einlassen, so könnten wir auf 
Grund etymologischer Beweisgründe wol die Vermuthung 
wagen, dass den Türken unter allen Mineralien Silber, 
Gold und Kupfer, infolge des von der grauen Erde ab- 
stechenden glänzenden Colorits zuerst bekannt geworden, 
und dass das Eisen — tcmiy, timir oder limur erst später 



• kir at gle ch j) r ( n u g r l n g r b b ) eine Bildunga- 
silbe für E gena I aftsw rter E ne m t dem tl k üiiirt = Schwefel 
verwandte ^\ortbIcluug ze gen finn ( Jl = SjcLwefel, eigentl. 
Keiierate d mo 1 n ach pal g d — S hw fei -on poli = bren- 
nend (AI li S 31 



177 

in Gebrauch kam, und ebenso Eclir in Ermangelung be- 
sonderer Farbeuverscbiedenheit von der Erde, nicht nach 
dem Aeussern, sondern nach der innern BeBchaffenheit, 
d. h. nach der Festigkeit und Harte benannt wurde. Doch 
wäre eine solche Theorie nicht ganz stichhaltig, denn 
während Gold, Silber und Kupfer heute und schon längst 
auf dem ganzen Sprachgebiete abwechselnd kömüs, altin, 
altan, liisil und al-ce hcissen, beweist das überall gleich- 
lautende und gleichbedeutende tenür — Eisen, dase es dem 
Tordialekti sehen Zeitalter entsprungen sei, folglich einen 
altem Namen trage und auch von älterer Zeit her bekannt 
sei. Es dünkt uns daher am klügsten, mit paläontologischen 
Urtheüen vorderhand noch zurückzuhalten. 



Nachdem wir im Eingang dieücs Abschnittes die Grund- 
bedeutung des Wortes für Erde als trocken, schwarz oder 



dunkel dargestellt, darf e 
Worte für Wasser, als i 
eitum die Grundbedeutui 
zend, klar entdecken. 
r'dass dem heute für Was 



1 uicht befremden, wenn wir 
n dem entsprechendeu Juxtaoppo- 
von feucht, naas und glän- 
Es steht nämlich ausser Zweifel, 
überall gebrauchten s«, jak. 
B^ mong. usun, das im Kadutku Bilik vorkommende ügi 
^^ Wasser als ein älteres und primitiveres Wort voran- 
stellt, denn trotzdem iigi heute fast gänzlich ausser Ge- 
brauch ist, lässt eich dasselbe dennoch auf jene alte Pe- 
riode zurückfuhren, in welcher die Turko-Tataren von den 
Finn-Ugriern noch nicht getrennt waren, da an iigi sich 
magy. ilgy =Wa88er, FIuss, ostjak.j'o^-jffl = Wasser, Fluss 
in unverkennbarer Weise anreihen. Nur nachdem ügi aus 
Biäem speciell turko- tatarischen Sprachgebiete verdrängt, 
■ :lhat das verhältnissmässig neuere s«6, suv , sty = Wasser 
(vgl. §■ 167) Verbreitung gefunden, ein Wort, das nicht 
so sehr die Substanz, d. h. die Nässe oder Flüssigkeit, 



L 




173 

als vielmehr Jie Aeasserlicbkeit des bctreffendea Elemq 
teSf d. li. die Ilelle, dea Glanz interpretirl. Nach tl 
ser Auffassung ist es erklärlich, dass stib im Uigi 
auch Glanz, Helle, Ehre bedeutet, und subluk ebenso a 
auch für wässerig gebraucht wird, als auch für glänz enfl 
geehrt. Als aufklärende Analogie dient hierbei dasNeu- 
persische, wenn wir nämlich ap = Sonae, Helle (in a/-i 
lab, ap-i-tab = Sonne, eigentl. Sonnenschein, vgl. mak= 
Mond mit winÄ-t-Zot = Mondecbein), nah. 
hell, und ah, ap ^^ Wasser u nd Glanz (vgl. ab-dar ^ gH( 
zend, a6-r«i;= Gesichtsglanz, Ehre) nebeneinanderstelU 

Soviel vom gegenseitigen Verhältnisse des allem i 
zu den neuem s\th oder su. Was nun die Grundbet 
tung von feucht und nass anbelangt, so wird es gl^9 
auf den ersten Anblick ersichtlich, dass diese Grundiq 
im Turko- Tatarischen nur bei grössern Wassermai 
zum Ausdruck gelangt, indem die Stammsilbe und i 
gleich das Beschaffenbeitswort /<(//, o/=feucht, nass, dem6 
kol, osm. göl, k. k, hül, köl = See, und mong. ghol = 
zu Grunde liegt. Dieses ist die älteste genuine Bei 
uung grosserer Wasserkorper, was auf die sehr frühe [ 
kanntschaft der Turko-Tataren mit Seen hindeutet, wu 
rend andererseits die Benennung des Flusses — voran 
gesetzt, dass dieses im Türkischen früher nicht ^Ao2gewee 
— nirgends in einem speciellen Worte nuzutrefien ia^" 
Fluss wird nämlich entweder sti (Wasser) oder akkan stt 
(tliessendes Wasser) benannt, und das osm. az. caj bedeutet 
eigentlich Bach und ist verwandt mit dem i'ag. saj = 
ein kleines Wasser, nach Baber ganz richtig sitl äerja der- 
lerhi kisin su aka, jashi akmaja^ ein solches Waesei^ 
das im Winter fliesst, im Sommer nicht fliegst; das ose 
irmak (vgl. §. 45) hingegen fliessendes Wasser. 

In Anbetracht des Gesagten ist es um so interessante 
das Motiv, von wek-hem die Tiirken bei der BenennuiJ 



179 

des Meeres ausgingen, näher ins Auge zu fassen. Dieses 
heisst fast durchgängig fingiz, tengie^ oder öuv. tingir, uig. 
imggiz, ein Wort, welches seiner etymologischen Bedeu- 
tung nach uns ganz unverständlich wäre, ständen nicht 
andere, zwar minder gebrauchte Bezeichnungen dieses Be- 
griffes zu unserer Verfügung, mittels welcher der verbor- 
gene Etymon ans Tageslicht gebracht werden kann. Te«- 
gü hat nämlich zwei Synonyme: a) das alt. tala = Meer, 
von /a!I=weit, breit (vgl. §. 176), zugleich aber auch 
Steppe, Ebene (vgl. kirg. da ?a ~ Steppe), und b) das 
osm. engin = offene See, weites Meer, von cvg, cn =^ weit, 
breit (vgl. §. 103); hieraus lässt sich erkennen, dass die 
Grundidee- dieses Wortes das Weite, Breite, Grenzen- 
lose ist, womit die Stammsilbe te^ig^ ting = flach, eben, in 
Verbindung gebracht werden kann (vgl.mong. t enger i=zSLus- 
gedehnte Sandflächen)*; die etymologische Bedeutung vom 
Worte tengiz ist daher, ebenso wie von tala und engin ^ ent- 
schieden für ausgedehnt, weit zu nehmen. Es fragt 
sich nun allerdings, warym die Sprache bei Benennung des 
Sees mit grosserer Consequenz und mit mehr Deutlich- 
keit vorgegangen, als beimAVorte für Meer; die Antwort 
hierauf ist in den geographischen Verhältnissen der muth- 
masslichen Urheimat der Turko-Tataren zu suchen, in 
welcher Seen, d. h. kleinere Wasserkörper, häufiger vor- 
kommen, während das Meer nach unserer Auffassung die- 
ses Wortes den Türken nur später zu Gesicht gekommen 
war. Unter dem türkischen Worte tengiz können daher 
von Rechts wegen nur grössere Seen oder Binnenmeere 
verstanden werden, während kleinere Wasserflächen oder, 
um uns bestimmter auszudrücken, solche, deren Umfang im 
Bereiche des menschlichen Gesichtskreises liegen, mit dem 
Namen hol bezeichnet werden. So wird z. B. der Balchasch 



* Prschewalsky, engl. Ausgabe, I, 238. 

12 



UDd Aral heute vorzugsweise /c«jfi> = Meer genannt, wäb^c; 
rend bei kleinern Wasaerniaesen, so: Issilc-köl (Warme^s 
See), Ala-Ml (Bunter See), Kara-köl (Scliwarzer See^^Z 
Sor-köl (Salzsee), mit köl, göl bezeichnet sind. 

Hinsichllicli anderer Gestaltungen, die Wasser unc^ 
Land zusammen bilden, bewabrt sich die Sprache in dez^ 
mit Recht bewunderten Kunstfertigkeit und durch di^V 
häufig hervorgehobene Klarheit und Durchsichtigkeit^ — 
Unter Bocht und Hafeu versteht der Türke eine durchs 
das Wasser verursachte Aushöhlung, daher caganak ^ 
Bucht, von cak, resp. cWian =: sich aushöhleu, und das 
Verhältnias zwischen cakanai ^^ Topf, Hefen, und caganak 
= Bucht findet ein ganz analoges Beispiel im deutschen 
Hafen und Hefen und im magy. öböl =■ Höhlung, Busen 
und Bucht. Wenn Bucht oder Hafen als ein Einbruch 
des Wassers in das Land aufgefasst wurde, so ist es g 
naturlich, dass eine ähnliche Bildung in das Meer hin 
näoilich eine Landspitze, für eine Hervorragung, 
ein pars prolrudens genommen und denigemäss bezeic| 
wurde. Das hierauf bezügliche türkische Wort ist l 
(vgl. §. 210), welches zugleich auch Nase bedeutet, 
Ideenverbindung analog mit dem russ. rioss ;= Nase ^ 
Landspitze, sowie auch mit dem skand, näs == Naae i 
Vorgebirge, 

Sehr treffend ist die tiJrkische Benennung der In 
Wir haben hier zwei von verschiedenem Ideengang stä 
mende Wörter; 1) uig. atak, cag. ata. kaz. atau, 
ada, in welchen das alttürkische atak = Fuss, Stand, 
möglicherweise ursprünglich atak jeri = der Ort, wo man 
Fuss fassen kann, als Gegensatz zu dem ringsumher be- 
findlichen Meere. 2) Aral, oder wie dies im Altaiachcn 
noch deuthcher ausgedrückt ist ortallk — der Zwischen- 
raum, das Binnenland, von nra = zwischen ('gl- §■ 19). 
Nicht minder klar ist die Bezeichnung der Begriffe seicht 




und tief, indem eraterea durch naj (= klein, gering. 
§. 175, vgl. in dieser Bezielmng das Torhercr wähnte caj 
— Bach), letzteres durch terin, telin (vgl. §. 177) — unten, 
nieder, ausgedrückt ist. 

In Zusammenbang mit unserer früher gemachten An- 
deutung, dass die Türken in der Urzeit mit dem Meere 
mcht iu Berührung gcstandeu und nur kleinere Wasser- 
liörper kannten, mag auch jener Umstand gebracht 
<lea, dass ihre Sprache für HchilTf«, d. h. grössere Wasser- 
Wiraeuge, keinen genuinen, wenigstens etymologisch nicht 
Jierlegbaren Namen aufweist, während für das Wort Boot 
oder Nachtun, d. h. für kleinere Fahrzeuge, zweierlei gc- 
uuine Bezeichnungen existiren. Budagow hält das turko- 
tat. hemi, limi, gemi. mit welchem heute das Schiff im 
allgemeinen bezeichnet wird, für ein persisches Lehnwort, 
<ine Ansicht, die allerdings noch sehr zu bezweifeln bt; 
(loch muss andererseits anerkannt werden, dass dieses 
Wort ein etymologisches Räthsel bildet, und nur im 
äuBsersten Falle dürfte ein Vergleich mit dem mong. 
iiimo':^ Boot gewagt werden. Um so mehr tritt hin- 
gegen die dem türkischen Sprachgeiste innewohnende 
Klarheit bei den genuinen Wörtern für Boot hervor. Hier 
Ilaben wir das sogar im hohen Norden bekannte kajuk, 
^ih, kajak, und das turkom. tajmil, tejmil vor uns. 
Beide haben die analoge Stammsilbe kaj oder taj (vgl, 
§, 175) = gleiten, schlüpfen, rutschen; und kajuk, ein 
regelrechtes nomen agentis, würde demnach der Gleitende, 
Schlüpfende bedeuten, eine Ideen Verbindung, die sich auch 
im mong. «»«a-c/iO = schwimmen und Mj'mo^^ Boot, im 
laL nau-ta und tim-f'-s, im griech. icXa-u :^ schwimmen 
and echiffen nachweisen lässt. Was die übrigen zur Schiff- 




I uimo verhält sich z 
KgleichbcdüutcnitL'n n 



! das ins- komek = Uül(e 



182 



fahrt gehörigen Werkzeuge anbelaugt, so steht deren dürf- 
tige, allerdings genuine KomencUtur unserer Anuahoie, 
daas die Türken stets nur Flüsse oder kleinere Seen zu 
befahren verstanden, kräftigend zur Seite. Das Rnder, 
cag, esgek, osm. hiire]:, bedentet ganz einfach Schaufel, 
ebenso das Steuerruder, welches (in Chiwa) has esgek oder 
vlu eigek ^= grosse Sthanfel, osm. diimen (vom italien. ti- 
mone) beisst. Dass der Anker früher unbekannt war, er- 
hellt aus dem Umstände, dass dieses Wort noch heute 
mittels teniir, d. h. Eisen, ausgedrückt wird, das persische 
Ijehnwort lenger ist nur selten gebraucht. SchliessUch 
sei noch des Segels erwähnt, welches den genuinen Namen 
jeVcen führt, von _?e! — Wind, resp. jei/e»iefc = Wind 
machen, daher ursprünglich jtUeken, jelken; wozu wir eine 
analoge Wortbildung im slaw. tc^ctrilo = Segel, von wjetr 
=i Wind, sowie im pers. hadban ^^ Segel, von 6o(?^Wind, 
antreffen. Diese genuine Bezeichnung eines in der Schiff- 
fahrt auf gross er n Wasserstrecken wichtigen Geräthes 
könnte sehr leicht eine unserer frühern Behauptung, dass 
die Türken in ihrer Urheimat das Meer nicht kannten, 
entgegengesetzte Vermuthung anfkonimcn lassen; doch 
wäre eine solche Annahme mit Hinblick auf die örtlichen 
Verhältnisse Centralasicns keinesfalls berechtigt. Am un- 
tern Oxus und auch auf andern Flüssen, deren Ufergebiet 
in der weiten, ebenen und dem Winde stets ausgesetzten 
Steppe sich befindet, sind auch noch heute Segel in vollem 
Gebrauche, was gewiss auch schon sehr früh, namentlich 
auf den Binnenseeu der Fall gewesen sein rauss, ohne dass 
das Meer den menschlichen Geist zu dieser Erfindung 
angeregt hätte. 



XVI. 

Das Thierreich. 

Bei einom achon infolge der Bodenverhältnisse seiner 
Heimat mit der Viehzucht sich in eminenter Weise be- 
schäftigenden Volke, wie die Turko-Tataien in ältesten 
Zeiten gewesen waren und es noch heute sind, darf es 
; laicht im mindesten überraschen, dass die Sprache, und 
lamentlich die klar durchsichtigen Redeelemente der tür- 
Itischen Sprache, uns über das früheste Verhältniss des 
Menschen zu den wilden Thieren wie zu den Hausthicren 
seiner Bekanntschaft einen jeden Zweifel ausschli es senden 
Aufschlnss geben, und dass das Turko- Tatarische hier 
ebenso wie auf den übrigen Gebieten unserer Forschung die 
bekannten Sprachen der Welt hinsichtlich des Reichthumes 

»und der Helle des verbreiteten Lichtes vielfach übertrifft. 
Angesichts des im Laufe dieser Schrift mehrmals be- 
tonten, und in der Sprache uncultivirter Völker überall 
^merkbaren Unvermögens zu allgemeinen Benennungen, 
4arf es nicht wundernehmen, wenn wir für Thier ebenso 
wie für Mensch kein specielles, genau definirtes Wort vor- 
finden. Für Haus- und Nutzthiere im allgemeiuen bedient 
sich der Türke des mit der moslimischen Cnitur einge- 
drungenen haiwan (eigentl. ein Lebendes, von liaj =■ leben) 
LfOder des mehr verbreiteten mal (eigentl. Gut, Vermögen), 
Kdas sonderbar genug sogar bis ins Mongolische gedrungen, 
LOiigefähr wie das finnische ««m/o — Vieh, das dem ahn. 
\'»6t, nöd entlehnt worden. In Bezug auf den Ideengang 
Lerinnert dies an das Verhültniss des lat. peciis za peaviia, 
i slaw. lichwo = Vieh und Profit, und des magy. joszäg 
=Vieh und Vermögen, Habe. Im Kirgisischen bedient 



184 

nun sich des Wortes barum, barim (vgl. magy. barom 
Vieh), dessen Grundbedeutung wol ebeaüklls Besitz, Eigen- — 
tbam (von bar, var, vgl. §. 209) ist. 

Was der Tarko -Tatar im primitiven Zeitalter seiner 
Existenz unter Thier verstand, das hat, wie aus sprach- 
lichen Beweisen sich ergibt, nur auf das Wild oder auf 
wilde Thiere im allgeroeineD sich bezogen, liier haben 
wir drei verschiedene Benennungen vor uns: 1) Das alt. 
aldt, von den Verfassern der Altaiskago Grammatika über- 
setzt mit diki swjcr = wildes Tbier, seinem etymologischen 
Ursprünge zufolge entweder von al = wild, fremd (vgl. 
§. li) oder von al = nehmen, vielleicht im Sinne eines 
Raubthieres aufzufassen. Aldi erinnert zwar an das magy. 
ä//äj^ Tbier, hat aber mit demselben keine philologisch 
nachweisbare Gemeinschaft. 2} Kijik. kiiJc, gejik =^ Wild 
und zugleich Hirsch, woraus ersichtlich wird, dass in ge- 
wissen Theilen des türkischen Sprachgebietes unter WUd 
zuerst der Ilirscb verstanden wurde, denn in anderer 
Weise konnte die Gemeinsamkeit des Begriffes wol nicht 
ausgelegt werden; daas Kijik trotz seiner heute allgemein 
verbreiteten Bedeutung von Hirsch ursprünglich Wild 
hiess, bestätigt das von gleicher Stammsilbe stammende 
alt. Verbum ÄyVisi* = verwildern, wild werden. 3) Anff, 
an, an und lan, von welchen Varianten erstere mit Aus- 
nahme des Westtürkischen durchgängig sogar im Mongo- 
lischen vorkommt in der conereten Bedeutung von Wild, 
wildes Thier , während die letztem , nümlicb an und 
lan", im Osten und im Westen des grossen Sprachgebietes 
als Partikel in den Namen der den Türken i 
ältesten Zeit her bekannten wilden Thiere, richti) 
Kaubthiere anzutreffen ist. Solche Namen sind: 



* Lati Echeiüt UDE, da es dea i'on^oDantalcii Anlaut beibehalUl 
hat. die ältere ond primitive Form. 



n*»^ = Löwe, in der wörÜicben Bedeutung daa starke Wild, 

^*^*ai uig. ars, aris(?) = stark, und hm, kap-lan = Tiger, 

"'"^irtl. Raubthier, vou X:a_p = erhaschen, ergreifen; slrt-lan 

== Hyäne, wörtl, das rauhe Tliier, von zirt, strt = rauh; kn- 

''^»T^ wilder Esel, wörtl. das Keniithier, von kii, Jcov — 

i^-gen, rennen (vgl. §. 95), weil dieses Tbier den Steppen- 

'^ewobuer nie in seine Nähe kommen lässt und in der 

Ttat selbst noch heute als Beispiel der Flüchtigkeit und 

c^clinellfüssigkeit erwähnt wird; jU-an,jil-lan ~ Schlange, 

■Von ^i7,^'k/— glatt (vgl, §. 144), daher wortl. das gleitende 

oder glatte Thier. Von Ähnlicher Zusammensetzung siud 

öoch die Namen folgender Thiere, als: :^y-o«=Eidecb8e, 

ArtS-MK^Eber, sic'-ftw oder sic7:o»— Maus, kvj-an und iaus- 

an=Hase, ÄMC-nw (alt.) = wilde Ziege, ic!V-fflM= Gazelle 

II. 8. w. In Anbetracht der erwähnten zehn Thier- 

namen kann es allerdings kein bliuder Zufall sein, dass 

sie insgesammt mif ^tii oder üh enden. 

Sebliesslich wollen wir noch das mit atig lautlich und 
begrifflich verwandte aj und dessen Variante at hervor- 
heben, das ebenfalls in der Bedeutung von Wild vor- 
kommt, und zwar in dem mythischen Worte aj-gir, uig. 
at-kir = Ungeheuer, das fabelhafte Thier der Steppe, 
dasselbe was der Perser mit dem Gul-i-bijaban bezeich- 
net, ein unbändiges Wesen, ein Wildfang; es wird daher 
mit dem Worte ajgir noch heute bei den Altaiern der 
Hengst, das leitende Pferd eines ganzen Gestütes bezeichnet. 
Der Umstand, dass der primitive Mensch der turko- 
tatarischen Rasse nur für Wild und Raubthiere, nicht aber 
für Haus- und Nutzthiere eine allgemeine Benennung auf- 
zeigt, kann darin seine Erklärung finden, dass erstere, 
ein Gegenstand der Furcht und des Schreckens, ihm in 
ihrer Gesammtheit als das Bild der Gefahr stets vor- 
schwebten und seine Sinne beschäftigten, während letztere, 
mit denen er sich alhnahllch vertraut gemacht hatte, viel- 



186 

mehr in der Einzelheit seine Aufmerksamkeit «uf sich: 
zogen. Vorausgesetzt daher, dass unter den Thieren an- 
lange, wie es übrigens die Natur der Sache mit sich bringt^ 
nur wilde Thiere verstanden worden, so fällt es doch nicLt- 
Bchwer, bei genauer Prüfung und bei voller Würdigung 
der Bprachhchen Beweise eben jenen Uebergangspunkt zu 
entdecken, welcher zwischen der Benennung des Wildes 
und der später erfolgten Bezeichnung einiger, allem An- 
scheine nach ersten Uausthiere besteht. Wir haben ge- 
sehen, wie K, B. iijih Wild im allgemeinen und speciell 
Hirsch bedeutet, und so finden wir, dass auch ang, aj und 
nebst normaler Lautver Änderung at der Bezeichnung 
einiger, wie schon erwähnt aller Wahrscheinlichkeit nach 
der ersten Haustbiere zu Grunde Hegt. Wem das innige 
VerhältnisB des an- oder auslautenden j zu ( und Tice 
versa nur einigermaassen bekannt ist, dem wird gewiss die 
Verwandtschaft des turko- tatarischen a(=Pferd zum früher 
erwähnten at-kir oder aj-lcir einerseits, oder zum cag., 
alt. oj, uig. ö/=Rind, Hornvieh andererseits nicht entgehen 
können. Ich meinerseits nehme daher auch nicht den 
mindesten Anstand die Vermutbung, wenn auch nicht die 
Behauptung aufzustellen, dass diese Thiernamen, näm- 
lich aj {at) und oj, öt lautlich in gewissem Verwandt- 
schaftsgrade stehen mit a)ig, an, und dass demzufolge das 
Pferd und das Rind als die ersten Haustbiere des 
Türken im vorgeschichtlichen Zeitalter betrach- 
tet werden müsseD; wie wir übrigens ein ähnliches 
Verhältniss im Magyarischen vorfinden, wo z. B. marha 
sowol Vieh im allgemeinen als aui-h zugleich Rind 
bedeutet. 

In dieser Annahme bekräftigen uns besonders die geo- 
graphischen Verhältnisse der türkischen Urheimat , auf 
welcher waldbedecktes Hügelland mit baumlosen, aber 
grasreichen Ebenen abwechselten und alle Bedingungen 



^Kr Pferdc- 
^pi eiitgege 






Pferde- und Viehzucht vorhanden waren, ebenso wie 
entgegeo gesetzten Falle nnch der richtigen Annahme 
Ahlquist'g bei den nral-altaischen atiimmverwandten Fiiiu- 
TJgrieru, die in der imwirthbaren Heimat im hohen Nor- 
men nur auf Jagd und Fischfang angewiesen waren, das 
inuthier nnd der Iltmd als die ersten Ilaustbiere ange- 
lten werden müssen. Einen fernem Beleg zu dieser 
inabnie änden wir noch heute in dem Umstände, dass 
Rinderzucht, trotz der verschwindend geringen Äns- 
nung, in welcher sie bei den türkischen Nomaden sich 
irfindet, in den sumpfigen Waldgegenden noch im- 
ler gepflegt wird; daher ihr Vorbandensein bei den 
trakalpaken am Deltagebiete des Oxus und im vergan- 
inen Jahrhundert an der Mündung des Syr-Derjas, und 
»her denn auch ihr allmähliches Abhandenkommen und 
■die Ersetzung durch Schafzucht dort, wo die türkischen 
Volkselemente vom baumreichen Lande in die Steppe ge- 
drängt worden waren. Wo eine Sprache, wie dies 
im Turko-Tatarischen der Fall ist, sowol iu Bezeichnun- 
gen der verschiedenen Gattungen als auch in den ein- 
zelnen Altersstadien des Hornviehes einen so reichen 
Wortschatz aufweist, und in solch genauer Detaillirung 
eicli ergeht, wie wir dies im Abschnitte über Geschlecht 
und Altersstadien (S. 63) gesehen, dort muss die A'Ieli- 
zaeht einen sehr bedeutenden Zweig des Lebensunter- 
haltes ausgemacht haben und mit der Existenz des be- 
„treffenden Volkes eng verbunden gewesen aein, obwol 
!Ute und schon seit historischem Gedenken bei dem tür- 
isohen Nomaden die Schafzucht die erste Stelle ein- 
'nimmt, und obwol das Rindfleisch heute als Nahrungsstoff 
bei allen Türken, ja in ganz AVest- und Mittelasien nur 
höchst selten gebraucht wird. 

raus geschickten Bemerkungen wird es 
picht ohne Interesse sein, die lautliehen und begrifflichen 




in dencu jenes turlij 

n Gebraiiclie ist. 
Dtschieilcn (las uig. 
es wenigstens in dem 



:stie^ 



188 

Veränderungen ins Auge zn fassen 
tatarisclie Wort für Rind beute i 
älteste Form und Bedeutung ist 
{■&g- oj — Stier, denn so finden wi 
seines hoheu Alters wegen berühmten tatarischen Cyklus 
als oi oder öj' jW? — das Jahr des Stieres, d.h. das zweite 
Jahr in jenem Cyklus. Im Altaischen finden wir schon 
ly in der Bedeutung von Kuh, trotzdem das seinem ety- 
mologischen Ursprünge nach richtig benannte s'iglr = Kuh, 
von M^— melken, also Melktliier, auch noch im Gebrauche 
ist. Merkwürdigerweise wird segir wieder im Osi 
sehen, Azerbaiianischen und Kazanischen Für Stier 
Rind im allgemeinen gebraucht, obwol in den ersten 
Sprachen hierfür die genau definirten Namen btiga (Sti 
und iinek oder inek (Kuh, vgl. magy. ünö — Kuhkalb) 
esistiren. AehnJich ist ea auch mit sokum, suktim der 
Fall, welches der Grundbedeutung nach (von sok = sei 
gen, vgl. §. 163), eigentlich Schlachtvieh heisgt, 
und da aber für Rind imd Rindvieh genommen wird. 
Mit der Viehzucht muss in gleichem Grade der Wi 
keit und schon ebenso lange her bei den Turko-Tati 
die Pferdezucht bestanden haben, da das Pferd hii 
nicht Bo wie bei andern Völkern blos zum Reiten und 
Fahren, sondern dem Menschen als Nahrung gedient hat. 
Das Melken der Stuten, die Bereitung eines geistigen 
Getränkes aus der Pferdemilch, und das Namensregister 
der verschiedenen Gerichte und Würste, die vom Pferde- 
fleisch bereitet werden und wurden, sind von jeher 
den übrigen Völkern Asiens als türkisch -tatarische Spei 
lität betrachtet worden. Bei den Arabern z. B. , d: 
erdenklichen Zeiten im Rufe geschickter und fleissi 
Pferdezüchter stehen, waren Kimis, Pferdewurst und 
mit gehacktem Pferdefleisch gefüllte Mehlspeise {börelc) 
im Gebrauche und noch weniger als Lieblingsgerichte ai 



IBS' — 

gezüblt, was übrigens aticli aiia dem Umstände sich eiiiiger- 
maasEen erklären lässt, dass die Semiten, wie A. von Krernei- 
richtig bemerkt, das Pferd nts iifitzlichea Hnustliier erst 
spät kennen geleint Lnbeu. * Trotzdem wir in unserer 
Sespreehung die Betraobtnngeu über das Rind den Er- 
örterimgen über die Pferdezucht und das Pferd vorans- 
schickten, soll es nicht befremden, wenn wir die Bekannt - 
schaJi der Turko-Tataren mit letztgenanntem Thiere doch 
eine Terbaltaissmässig ältere, und wenn icli mich so aus- 
drücken kann, intensivere nennen. In dieser Annahme 
bestärkt uns am meisteu der ans der Sprache fliessende 
Beweisgrund, denn während das Rind, wie wir eben ge- 
zeigt haben, in verschiedenen, wol lautlich verwandten, 
aber begrifflich, namentlich betreffs des Genua oft dia- 
metral sich gegenüberstehenden Benennungen vorkommt, 
heisst das Pferd noch beute auf dem ganzen turko-tata- 
rischen Sprachgebiete al, und wird unter diesem Worte 
vorzugsweise das männliche Pferd, der Hengst verstan- 
den (vgl. alt. aj-gir, uig. at-kir"),, ebenso wie mit oj, ot ^ 
Rind ursprünglich der Stier bezeichnet wurde. Daraus 
folgt, dass at noch vor der Dialectbildung, vor der Zer- 
splitterung des grossen turko- tatarischen Stammes be- 
standen, daher auch sich intact erhalten hat, während 
oj, ot, ut und siglr aus jener Periode datiren, als das 
Törkenvolk in benachbarter, aber in getrennter Stellung 
lebte. Allerdings hat diese Gemeinsamkeit des Namens 
Qur auf at allein Bezug, denn die betreffenden Benennun- 
gen für Stute und Füllen z. B. zeigen schon eine Diver- 
genz, so cag. bajtal und hijc, osm. /cisraÄ = Stute, wäh- 
rend die Bezeichnung der verschiedenen Altersstadien 



t 



SemiÜEclie Culturentlehnungen ans dem Pflanzen- und Thie' 
5n Kremer (Stuttgart 1875), S. 15. 



190 



sich so ziemlicli gleich geblieben ist. Abgesehen 
diesen etyniologiscbcn Beweisen sind die Bodenvcrhal 
nissc des centralüsiatischen Ilocihlandea , namentlich d^ 
Steppen regio iien von solcher Beschaffenheit, die eine Fort- 
pflanzung des Pferdes am meisten ermöglichen, und sowie 
die Prairie in Südamerika, die Puszta in Ungarn und die 
Wüsten in Arabien noch jetzt die Pferdezucht fordern, 
ebenso günstig waren die Steppenregionen t 
tischen Hochlandes, kir genannt, gewiss sclioi 
Urzeit sowol für die Pferdezucht als auch fiir die ] 
stenz der wilden Pferdeheerden mit dem genuinen Kan) 
jilki, von jü, il ^ vereinigen, versammeln, beze 
während Rinderheerden oder Schafheerden keinen i 
ciellen Namen haben. Hieraus lässt sich auch die ] 
rühmtheit erklären, deren die Pferde Centralasiens in ( 
Gegenwart sowol als im Alterthume bei den benachbart? 
Volkern, ja sogar im südlichen Indien sich erfreuten, und 
wir gehen keinesfalls fehl, wenn wir in uusem Forschun- 
gen über die geographische Verbreitung der Hausthiere 
die Urheimat des Pferdes in die von den Türken 1 
wohnten Gegenden Hoehasiens verlegen, da es von I 
aus theils im wüden Zustande, tlieils auch zahm < 
eminent kriegerischen Herrn auf dem Rücken tragend, ■ 
Iran erschien und von diesem Lande zu den Sem 
übergegangen war, wie A. von Kremer* ans dem a.rnh. faras 
(/ars, pars) vermuthet. Ob daher die den Kömern und 
Griechen unter dem Sammelnamen Scythen bekannten 
Völkerschaften arischen oder turaniachcn Ursprunges | 
wesen sein mögen, Eins ist sicher, dass sie ICinder i 
Steppe waren und eben durch ihre enge Verbindung i 
dem Pferde aufiielen und sich gefürchtet machten, Nitj 



isthie re 
:en ^ 
m hM 
m läi^H 
end, ^H 
iemiuH 



* Semitische C'ultiii-eiitleliDiingeu , S. 



leicht findet sich ein Volk, dessen Existenz mit dem Pferde 

so eng verwachsen ist und war, wie das der Turko-Ta- 
tax-en, und so wie der Ausdruck '„zu Pferd" mit dem 
Begrifi'e vollkommen, vornelim identisch ist, ebenso ist 
Jeasen Gegensatz „zu Fuss" jajizn^ j^jn^t jatak, zugleich 
!H-»eli das Synonym für niedrig, elend nnd gemein. 

Dem Pferde zunächst muss auch das Kamel den 
Turko-Tataren noch in der frühesten Phase ihrer Existenz 
bekannt gewesen sein; hierfür sprechen wenigstens, wie 
beim Pferde, sowol sprachliche Beweisgründe, als auch 
d'e mit der Natur dieses Thiercs übereinstimmenden Ver- 
hältnisse des Bodens und des Klimas der Urheimat der 
Pürken. Das Kauiel heisst nämlich mit geringer laut- 
licher Verschiedenheit uig. töhe, töbck; tag. töve, töje und 
''"y'e; alt. föö (was auf ein früheres tögö hindeutet); oam. 
'ieve — ein Wort, dem die Stammsilbe tob, töv oder tag, 
d. h. die Grundbedeutung für Hügel (vgl. tobe, tope, Ulke 
=^ Hügel), Hocker, Knaul u. s. w. zu Grunde liegt, wonach 
das türkische Wort Kamel im Sinne von hügelartig, 
höckerig aufzufassen ist; der Ideenverbindung nach er- 
innert dies an den arabischen Namen dieses Thieres, näm- 
lich an Gamal, von der Wurzel (jm/ = anhäufen, ansam- 
meln, also gleichfalls Haufe, Hocker. Es verdient liier- 
bci besonders erwähnt zu werden, daas die Sprache keinen 
Unterschied zwischen ein- und zweihöckerigen Kamelen 
macht und diese letztere Gattung höchstens durch Um- 
sehreibung, nämlich mit il;i Örkifclüh teije = zweihöckeri- 
ges Kamel bezeichnet. Erwägen wir diesen Umstand, 
dass die in Bezeichnung der Gattuugen, des Geschlechtes, 
der AJtersstadlen und sonstigen Details der Hausthiere 
sonst so reichhaltige Sprache hier so karg geblieben ist, 
und fügen wir die Bemerkung hinzu, dass diese doppelt- 
höckerigen, laughaarigen , kräftig aussehenden Thiere 
noch heute den Namen }ier, vom persischen ner = mäun- 




19! 



li(:h •, führen, so wird es bald eiuleucliteud werden, dns 
diese Gattung der Kamele, deren vorzüglichste Qualit^^^' 
selbst noch heute in der Umgegend von Andchoj anzu... 
treffen ist, ursprünglich aus der Heimat der alten Iranie ' 
zu den Türken gekommen, und das8 demgemäss unser^^^* 
Beuennung daa baktrische Kamel eine ganz richtig^^ 
ist. In dieser Annahme werden wir noch mehr bestärk -^ 
durch den Umstand, dass daa wilde Kamel, wie Prsche- — 

walaky deren ganze Heerden in der Umgebung des Lob 

nors sah, nur aus der Species der einhöckerigen bestand^ 
mid solche waren es aucb, welche im grauen Alterthum^ 
auf den Steppen Centralasiens umherirrend von deuL 
turko -tatarischen Urmeuschen gezähmt und zum Dienst© 
Terwendet wurden. 

Was mit Bezug auf Pferd und Kamel gesagt wurde, 
paast auch auf dns dritte Reit- und Lastthier, den Esel, 
der in keinem Theile der una bekannten Welt von so 
hohem Wüchse und solch kräftiger Form angetroffen 
wird wie in den Üasenländern Turkestans, von wo aus 
die bessere Gattung dieses geduldigen Lastthieree 
nach Arabien und Aegypten- von jeher und noch heute 
importirt wird. Seiner Abstammung nach ist der Eae! 
nicht auf dem eigentlichen Gebiete der Turko-Tataren zu 
Hause, sondern er stammt aus der Heimat der stamm- 
verwandten Mongolen; es lässt sich dies wenigstens nach 
der Etymologie des türkiachen Namens dieses Thieree 
vermuthen, ein Wort, das sich nirgends so rein erhalten 
hat, wie im Mongolischen, Das türk.-tat. esek, esik, esth 
(Esel) wird etymologisch nur dann erat verständlich, 
wenn wir dasselbe mit dem mong. eldsige =^ Esel ver- 



* Budftgow Ut entschieden im Irrtlium, indem et in seinem Wörtet- 
buche, II, 276, ner (lat mter) als ein kirg.-fag. Wort hinstellt. 



103 



gleichen. J'Udsil- oiii'i- licih (ditses Wort koiiüiit ds Orts- 
name in Bocbara vor) dünkt uns aber eine Verdrehung 
des al-cik = etwas rotli, röthlicli, welche Farben- 
bezeichniing der türkiscben Benennung des Esels zu 
Grunde liegt, dii dies auch in der That die Farbe Jes 
noch beute auf den central asiatischen Steppen umhcrschwei- 
fenclen wilden Ksels ist, von dein das zahme Langohr 
abstammt. Auch die Semiten haben den Esel das rothe 
Tliier genannt (vgl. arab. Jtamr = roth und himar, hebr. 
hcntör — Esel). A. von Kremer hat recht, wenn er in der 
ihm eigenen geist- und wJt^reichen Schreibweise hierüber 
sich folgendermaasen äussert*: „Dieser wilde Esel, der 
wegen seiner Flüchtigkeit von jeher ein Hauptgegenstaud 
des orientalischen Jagdeports war, ist zweifelsohne der 
Urahn des zahmen nauseselg, der durch die Civilisation, 
die er über sich ergehen lassen musate, nicht blos seinen 
Freiheitssinn einbüsste, sondern selbst die Farbe lassen 
muaste und, um so zu sagen, unter seiner Last ergrantc, 
aber bei den Semiten (und wie wir sahen, auch bei den 
Ural- Altaiern) den Namen nach seiner ursprünglichen 
Farbe beibehielt." Da der Esel eben nur als Reit- oder 
Lastthier und nicht wie das Rind, Pferd und Kamel dem 
Menschen auch zugleich als Nahrung diente — denn 
Eselsfleisch ist von den Türken zu allen Zeiten verschmäht 
worden — so ist seiner Pflege weniger Sorgfalt zuge- 
wendet worden, und hat auch die Sprache sich vceniger 
mit ihm beschäftigt, als mit den ersterwähnten Thieren; 
wir vermissen daher auch bei ihm gänzlich jene auf das 
Altersstadiuin beider Geschlechter Bezug habenden Be- 
zeichnungen, denn ana isel:— Eselin heisst wörtlich Mutter- 
Esel, und das in den Chanaten gebriluchliche muco, mace 



194 

ivl «ae Verdi'cbuug des jiers. made = WeibcLen. Nuc= 
tw urtCD Alter gibt Oic Sprache ihm eine Sonder— 
tMMtwuiungr, sonst aber werden seine Jahre nicht mit:: 
jlMdM, dönen n. g. v,\, sondern mit einfachen Zahlen be- 
ifftchnet. 

Wir können an dieser Stelle nicht die Frage über- 
Ift'liuii, ob das Haulthler den Turko-Tataren Bcbon in 
der frühesten Zeit bekannt war, oder ob dies erst in der 
Neuzeit infolge iranischer Cultureinflüsse dahin gelangte. 
In Anbetracht eines dem lelam zugesehrieheDen Verbotes*, 
nunicntlicb aber des grossen Widerwillens der türkiseben 
Nomaden gegen die Erzeugung des Maulthieres — da 
man dies als eine Schändung der cdeln Pferderasse an- 
sieht und weshalb auch diese Mischgattung in Central- 
asieo nur äusserst selten vorkommt — müsste man ge- 
radezu das Manlthier als fremd betrachten. Die Sprache 
widerspricht indeas einer solchen Annahme, denn das 
Thier bat im Türkischen einen genninen Namen, nämlich 
kadr^ von iai :^ mischen, mengen, folglich Mischthier, 
ähnlich dem ningy. ösever = Maullhier, d. b. Mischblut, 
und möglicherweise auch dem lateinischen niulus, welches 
aus (A'JX^ö; = Zucht- oder Springesel entstanden, in dieser 
Form mit dem slaw. viisl'ü, »lüska, deutsch mischen, ver- 
wandt sein rauas, obgleich Hebn* eine solche Affinität 
für unstatthaft hält und das Verbältniss zwischen dem 
lat. muhs und dem roman. meler unberücksichtigt lässt. 
Ebenso wie diese Entstellung des unter allen Hausthieren 
von jeher am meisten geschätzten Pferdes bei den Türken 
von der Zeit an, als durch Berührung mit ansässigen 



* Auch bei den Juden war die Kreimmg der Rassen, ja BOg&r 
die Mischung Tcrechiedecttr FUdtn in einem Stoffe (Scbathnees) Ttr* 



4 



195 

Völkern das wilJo WaiiiJerleben in eine halbnonindiachu 
Existenz verwandelt wurde, gäng und gebe war, ebenso 
Jütikt uns auch die mittels Castrirung erzeugte Gattung 
"■'OD Wallachen von uraltem Gebrauche, denn nicht nur 

haben die Türken bierfür eiu genuioeB Wort, sondern 
dasselbe stammt sogar noch aus der Zeit vor der Dialekt- 
bildung, wie aus nächstfolgenden Vergleichiingen ereicht- 
'ich ist. Vgl. alia uchfa = Wallache mit dem mong. 
'*^ta = Wallache, aklolaciio = kurz oder zusammen- 
gesclirumpft, sein, ferner mit dem türk. ak — snA = Lin- 
»eud, fehlerhaft, clsii = mangelhaft, krank u, s. w.; 
der Name Wallach bedeutet daher im Türkischen das 
Verstümmelte, das Fehlerhafte. 

Wahrend es uns bisjetzt mit geringer Ausnahme ge- 
langen ist, in der türkischen Benennung der HaustMere 
eben gewissen Zusammenhang mit deren äusserer Form 
und Erscheinung hernuszufinden, wollen unsere ähn- 
lichen Forschungen hinsichtlich des Hchafes zu keinem 
irgend befriedigenden Resultat führen, Das Schaf, iag. 
hj, osm. l-ojun, mong. cJiotnn, bietet gar keinen Anhalte- 
punkt zu etymologischen Erörterungen und nur als Cn- 
riosum kann erwähnt werden, dass mit diesem Namen, 
d. h. mit kojati, alt. koßv^ der wilde Hase bezeichnet wird, 
und dass die wilde Ziege oder Steinbock alt. kuran heisst, 
In koj, welches die ältere Form ist, eine Identität mit 
koj = nieder, klein — etwa das kleine Thier zur Unter- 
Scheidung der früher erwähnten grossem Hausthiere — 
entdecken zu wollen, darf nur als kühne Hypothese be- 
trachtet werden. Mehr Wahrscheinlichkeit bietet der 
Vergleich mit koc und koc-kar = das wilde Schaf, das 
Ovis poli, das noch heute im wilden Zustande auf der 
Hochebene von Pamir anzutreffen ist und für den Urahn 
de s zahmen Schafes gelten mag. Dies bestätigen noch 
13* 



19ß 

audere sprachliche Verbind iiiigeu zwischen der zahm&S*^ 
und wilden Gattung dieses Thieres; so z. B. dass ko^^ 
kockar hente überall der Name des "Widders ist, und b^s^ 
kanntermaassen wird die Benennung dea Genus masculinuc^ 
als die allgemeine Bezeichnung der fraglichen Gattun^^ 
gebraucht. Ferner heisst tcJcke in einigen Theilen de^^ 
Widder, in andern hingegen der Steinbock; ein ähnliche^^ 
Verhältniss waltet aucih ob zwischen dem alt. seriek un(K 
dem fiag. serAe — Bock und Steinbock, mit einem Worte^^ 
die Scheidewand zwischen dem zahmen und wilden Schaf» 
ist noch nicht gänzlich gewichen. In Anbetracht der- 
Identität des koj mit koc tritt die etymologische Bedeu- 
tung des Wortes fiir Schaf um so besser hervor, wenn 
wir dem Gesagten noch hinzufügen, dass, während ki/c 
und kockar bald in der Bedeutung von AVidder, bald in 
der von Ovis poli vorkommt, wir für das wilde Schaf 
im allgemeinen noch einen andern speciellen Namen, näm- 
lich arkar {von ar-kar') haben, wodurch es nun klar er- 
sichtlich wird, dass Aar (Varianten: kur,j//tui', gwr) blos 
als Affix figurirt und wir nur die Stammsilben koe und 
ar yav uns haben, die beide den Grundbegriff der Stärke 
und Kraft repräsentircn, daher denn auch die Hörner 
dieser Thiere als die ältesten Embleme der Macht uud 
des Ansehens bekannt sind. Jedenfalls nmss dieses Tbier 
schon in der Urzeit den türkischen Steppenbewohnern 
bekannt gewesen sein, denn erstens hat die Sprache für 
die kleinsten Einzelheiten über Zucht, Gattung und Alters- 
stadien des Schafes ebenso viel, ja mitunter noch mehr 
genuine Benennungen als bei Rind, Pferd und Kamel; 
zweitens spielt das Schaf im Sittenleben, in den Be- 
lustigungen und Moralsprüchen des Türken eine wichtige 
Kotle, wie fast keines der Hausthiere, selbst das Pferd nicht 
ousgenommerk (vgl. den Abschnitt über Spie' - — - 
jgungen); und drittens wird es demjenigen, i 



197 



in Asien einige Äiifuierksamkeit widmet, wol nicht entgehen 
könueiij dass die berühmten Rassen Auatoliens, als ki- 
^'^lr£ik und karaman, unserni europäischen Schafe hin- 
sichtlich der Vortreffliclikeit des Fleisches Tielftch übcr- 
'^gen, deunoch hinter dem Schafe Persiens und letzteres 
nieder hinter dem Schafe Centrnlasicns weit zuriiclchleibt. 
tJeber die Vorzüge der scythischen Schafe hat schon der 
' ater der Geschichte gesprochen, und du diese Vorzüge, 
*>ocIi heilte unbeslritteji, von den BodenverhÜHnissen wol 
sporadisch, aber dann um so mehr begünstigt werden, so 
Unterliegt es keinem Zweifel, daes dieses Tbier in der 
dunkeln Urzeit schon den Türken gekleidet und genährt 
hat, ja bei ihm das Uaus- und Nutzthier xar s^oxi^v ge- 
worden ist. 

Von der ZiCge lägst sich keinesf:dls Aehuliches 
sagen. Schon der Name tag. keci oder heckt^ alt. eski-, 
osm. keii, deutet auf arischen Ursprung. Vgl. deutsch 
\üz, schwed. hidde, get, slaw. ko^a a. s. w. Diesem mehr 
in südlichen Regionen und in felsigen Gebirgen vorkom- 
menden Thiere muaste schon wegen seiner Vorliebe zu 
den aromatischen Stauden und den hartblättcrigen Ge- 
sträuchen, wie Hehn richtig bemerkt*, in den Niederun- 
gen der türkischen Steppenheimat die Ilauptbedinguugen 
d er Existenz abgehen, und es ist selbst heute nur in den 

^^Wtengegenden des Thieu-shau bei den Karakirgisen und 

^^B den Altaiern auzutrellen. 

^* Schliesslich sei unter den Hausthieren noch des HoE- 
des Erwähnung gethan, der als treuer Begleiter eines 
Jäger- und Hirtcuvolkea bei den Tu rko - Tataren zu glei- 
cher Zeit mit den eben besprochenen Ilausthicren sich 
eingefunden haben muss. In der That spielt er schon i» 
der mythischen Vorzeit gewisser Türkcnstänimc eine Rolle, 



' Vgl. I 



Indem unter anilern die Kirgisen ihren Ursprung 
einem Hunde ableiten, laut einer allerdings liöcLat unpo^^^" 
tischen Sage, nach welcher vierzig Mädchen hirk-kis (da_^^" 
her kir-gi^?!) mit einem Hunde in unuatßrlichem Ver- """" 
hältnisse lebend, die Urahnen der Kirgisen in die Wel -' 

gesetzt hätten. Ferner figurirt der Hund in der SchÖpfungs 

mythe des Menschen bei den Stämmen zwischen der Bije^rsi 
und dem Tom nach einer tou Radioff' veröffeutlichtei^^ 
Fabel. Den sichersten Beweis aber fiir die Bekanntschaft:^^ 
des türkischen Urmenschen mit diesem Thiere finden wir^ 
im Wortschatze der Sprache, die mit Ausnahme im nörd- 
lichen Theile des turko-tatarischen Sprachgebietes die Be- 
zeichnung it. ef, üi (Hund) aufbewahrt, folglich noch 
aus dem Zeitiilter vor dem Zerfallen in einzelne Stamme 
datirt, und die selbst im entfernten Westen neben dem 
dort mehr gebrauchten Köptk (Hund) sich noch erhalten 
hat. Seinem etymologischen Inhalte nach bedeutet dieses 
Wort nieder, unten (die Stammsilbe rt — unten kommt 
nur mit dem Adverbialsufßx en hi eden, eten ^= das Unten, 
der untere Tbeil des Zeltes, vor), denn trotz der schon 
erwähnten Rolle in der Mythensage, und ungeachtet des 
wichtigen Dienstes, den dieses treue Haustbier dem Hirten 
und Jäger geleistet haben muas, ist der Hund, nach dem 
Zeugnisa der Sprache zu urtheilen, weit entfernt geehrt 
zu werden, auch bei den Türken von jeher ein Gegen- 
stand der Verachtung, Geringschätzung, zugleich aber 
auch des Mitleides gewesen. Gleichviel ob bei Kirgisen 
in der Steppe, oder bei dem raffinirtesten Türken in 
Stambul wird die Redensart; itdcn aliak = gemeiner 
(niedriger) als der Hund,- als grÖsster Schimpf angesehen, 



■ lici- tOrkischcn Stati 



199 



de 

i, wi 

sik 
ji ke 



utid das Scheltwort it oifli^Soiia eines Hundes, ist 
ebenso geauin türkisch alä das gleichbedeutende tbn kelb 
der Araber und das rai^a ili catie der Italiener einer 
analogen Anathaiiung von dem Hunde entsprungen. So 
wie die allgemeine Beneiumng des Rindes, Pferdes und 
KameU zugleich aueh die Bezeichnung des miinnlichen 
GeechlechteK dieser Thiere ausdrückt, ebenso muss unter 
it, et, üt der Iluod verstanden werden, denn die Hündin 
heieat überall kamJiili, von der Wurzel kan, kam = binden, 
demgemäss die sich anbindende oder verbundene, mit 
Hinblick auf den geschlechtlichen Umgang dieser Thiere; 
junge Hund hingegen heisst in dem reiner erhaltenen 
'sttürkiBchen kicik, eigentl. das Junge, das Kleine, 
■was auch im finn-ugrischen, resp. im estnischen kut'- 
Totjakischen kufa, magy. kiitya — Hund zu finden und 
keinesfulla arischen Ursprunges ist, wie Ahlquist* ver- 
lUthct. Hingegen muss von den Benennungen der Katze, 
hedi , fug. mäsiik oder }}is'ik , alt. mönsitk im 
'orhinein bemerkt werden , dasa sie arischen , resp. 
persischen Ursprunges sind; demgemäss muss auch dieses 
Tbier, das von den Nomaden wol zu keiner Zeit als 
Ilausthier betrachtet worden ist, für fremd angesehen 
werden. 

Nachdem wir am Leitfaden der sprachlichen For- 
schungen zur Erkenntniss a!l jener Haus- und Nutzthiere 
gelangt, welche dem primitiven Menschen der turko-tata- 
riscben Kasse in der ersten Phase seiner Existenz gedient 
haben, wollen wir nun uns desselben Mediums bedienen, 
um auch die wilden Thiere der tiirkischen Urheimat 
kennen zu lernen. Hier müssen wir in erster Reihe des 
Schweines, selbstverständlich des Wildschweines erwähnen, 
denn im zahmen Zustande war dieses Thier selbst in den 



' Ahlquifit, CuUiiriTörlc 



, S. 2. 



200 

vorislamitischen Zeiten den Türken unbekannt, da die 
Verwendung des Schweines als Hausthier vor allem eine 
sesshafte, ackerbautreibende Existenz bedingt. Der ge- 
nuine Name des Schweines ist tongguz, tongtiz, osm. donuj^, 
domnz, von der Stammsilbe tong mit der Variante cong = 
stark, mächtig, gross, eine Etymologie, die uns dann voll- 
ständig einleuAiten wird, wenn wir die Furcht und den 
Schrecken zur Genüge kennen, den dieses in den schilf- 
und sumpfreichen Niederungen in Hunderte, ja Tausende 
umfassenden Rudeln umherirrende Wild dem Nomaden 
oder dem Halbnomaden Turkestans noch heute einflosst. 
Eine einzige Nacht genügt, um grosse mit üppigem Grase 
bedeckte Triften oder die Melonen- und Bohnenfelder 
eines ganzen Stammes in eine der schrecklichsten Wüste- 
neien zu verwandeln, und der fürchterliche Ruf tonguz 
Jcelir (das Wildschwein kommt), mit welchem in nächt- 
licher Stille der am Ende einer Zeltgruppe wohnende No- 
made das Herannahen dieses Thieres seinen in Schlaf 
versunkenen Nachbarn anzeigt, um sie zur Abwehr zu 
versammeln, ist in der That das Schrecklichste, was sich 
denken lässt. Auch in der weitern Detaillirung dieses 
Thieres tritt besagter Grundgedanke hervor. So ist unter 
andern im Texte des Kudatku Bilik der Ausdruck tongguz 
lajtn =^ dem Schweine ähnlich, immer als Gleichniss 
der supremen Stärke und Ausdauer angeführt, und auch 
der turkomanische Dichter Machdumkuli sagt von seinen 
Helden tonuzdej Jcelir = er tritt gleich dem Schweine fest 
und beharrlich auf. Während ferner, wie schon oft er- 
wähnt, bei den Hausthieren das männliche mit dem gene- 
rischen Namen des Ganzen bezeichnet ist, macht die 
Sprache hier, sowie bei andern wilden Thieren eine Aus- 
nahme, indem tonguz Schwein im allgemeinen, der Eber 
aber IcabaUj die Sau miJcecin und das Ferkel cörpc heisst. 
Nun muss bei kdban besonders hervorgehoben werden, 



201 

dass es zugleich als Metapher der Kraft, Stärke und 
Männlichkeit gebraucht wird, und es gehört keine beson- 
dere Kühnheit dazu, in diesem Worte, nachdem das la- 
biale b verschwunden, den Ursprung des Titels kan, früher 
?^aan = Fürst, Herrscher, zu entdecken. Annähernd an 
diesen Ideengang ist auch die Bedeutung des magy. kan, 
^J*sprünglich Schwein im allgemeinen, daher kan-äs^ =- 
Schweinhirt, sowie juh-äsz = Schafhirt, zugleich aber 
die Bedeutung von Eber, in vad kan = Wildschwein, 
Schliesslich aber auch Männchen, Mannthier im allgemei- 
nen, als kan-kutya=der Hund, kan'maeska=Kaier u. s. w. 
-Eine weitere hierher gehörende Congruenz zwischen dem 
Türkisch -Tatarischen und dem Finn-Ugri sehen existirt 
Hoch zwischen magy. C5örAc = Ferkel und cag. cörpe, so 
siuch in der Ideen Verbindung zwischen dem oben erwähn- 
ten kaian = lEber und kaan=}Ierr^ Fürst, und dem finn. 
nro5a=Eber, nach Ahlquist* im Grunde genommen männ- 
lich, von wro=Mann. Mit einem Worte: der Eber oder 
das Schwein, denn diese Begriffe waren in der vordialek- 
tischen Sprache der Türken identisch, ist als Personifi- 
cation der Kraft und Beharrlichkeit anzusehen, und auch 
nur der Bär, uig. atik, cag. ajik, osni. aß, steht ihm 
in dieser bildlichen Bedeutung nahe. Ob nun dieses 
Wort, wie ich im §» 26 meines Etymologischen Wörter- 
buches vermuthete, mit a^a= Vater, Grossvater, Alter, 
in der That zu verbinden, oder ob die Stammsilbe at mit 
dem eingangs dieses Abschnittes besprochenen at, aj, dem 
Inbegriffe von Thier, Wild, Ungeheuer, verwandt sei, 
konnte allerdings vorderhand nicht mit Bestimmtheit an- 
gegeben werden. Bruder Petz, bei so vielen Völkern 
arischer und semitischer Abkunft als das Prototyp der 
Grobheit, Plumpheit und Ungewaschenheit — denn der 

* S. 19. 



202 

persische chirs und arabische dtihb pflegen auch nicht al 
Mignon der Zartheit zu gelten — unterscheidet sich i 
der Auffassung der Turko -Tataren nur insofern, als ihn 



hier auch die Ehre der Tapferkeit und der Macht zutheil 

wird, denn atiJclaju = hareng\eich^ ist begrifflich identiscfc=^ 
mit arslanlaju = lowenähulich , d. h. tapfer , beherzt^^ 
eine bildliche Bezeichnung, welche bei den Türken nur — 
mittels Anspielung auf diese drei Thiergattungen , d. h^ 
auf Lowe, Wildschwein und Bär, Ausdruck findet. 

Als den Menschen minder schrecklich, aber den Heer- 
den um so gefährlicher, war von jeher der Wolf, cag. 
büri, uig. bürü^ osm. kurd, diese Plage der Schafzuchter 
und der Noraaden im allgemeinen betrachtet. Der WolF" 
hat von jeher das Stigma des Diebstahles und des ver- 
wegenen Raubes auf der Stirn getragen; er hat daher 
ausser den erwähnten Benennungen auch noch andere, 
wie bei den Tataren an der Wolga und den Kirgisen Jcaskir 
oder Kaskir, d. h. Davonrenner, im Tschuvaschischen eben- 
falls kaskir, ferner Vurum C72wre = Langschweif (vgl. magy. 
farkas =Wo]f^ und /arÄ=Schweif), Tokmak Chüre^ d. h. 
Schlägelschweif und im ironischen Sinne Figarnbar jUti, 
d. h. der Hund des Schutzgeistes der Hirten.* Was je- 
doch die meist vorherrschenden Benennungen betrifft, 
nämlich büriy bürü und km'dj kurt^ so beruht erstere auf 
der Stammsilbe bür, bor, 6or = grau, eisgrau, in welcher 
Farbe der Wolf am meisten vorkommt, und letztere, aus- 
schliesslich im Westtürkischen gebräuchlich, scheint uns 
mit dem neupersischen gurk, kurk verwandt zu sein. Dass 
der Wolf in den Sagen und Mythen, in den Sprichwor- 
tern und Spielen der Turko -Tataren von alters her eine 



* Zololnitzky, S. 202, Pejgamher ist selbstverständlich das gleich- 
lautende persische Wort für Prophet. 



Awichtige Rolle spielt, ist ganz uaturli«di; es eei unter an- 
clerm uur auf das l'iiJchiiri ^ der grüne Wolf (S. 148), wo- 
mit etwas UnmÖglichea ausgedrückt werden soll, und auf 
das türkisebe BHndekubspiel hingedeutet, welciiea mit die- 
sem Thiere in Verbindung gebracht, büri-knpar, d. h. der 
Wolf fängt, genannt wird. 

So wie unsere Betrachtungen über das Thierreicb den 
Kreis muthmaasslicher oder feslbegründeter Thatsacben aus 
dem vorgeschichtlichen Leben der Türken immer mehr 
und mehr erweitern, so werden wir binsicbtlich des Fnch- 
ses die Erfahrung machen, dass dieses Thier, obwol als 
Melaphei- der Schliiuheit und Versehmitzheit gebraucht, 
auf das innere Leben der Nomaden jedoch, wo er im 
Grunde genommen für seine Ränke nur einen engen Spiel- 
raum fand, keinen besondern Einlluss auszuüben vermocht 
hatte. Und dennoch ist der türkisclie Name dieses Thie- 
res alt, ja uralt, denn er stammt ans jener Periode, als 
Turko-Tataren und Fiun-Ugrier vereint noch ein und 
dieselbe Sprache hatten. Dem türkischen AVorte osm. 
((7/;7, kaz. löll-ö, alt. iülkü, öuv, iü, liegt die ural-altaische 
Stammsilbe iäl, /j7 = Feuer, roth (vgh finn. tttle, mord- 
winisch iil =^ Feuer) zu Grunde. Wie der Wolf mit 
dem Epitheton der Graue, so ist der Fuchs als der 
Eothe, Feurige bezeichnet, denn hierfür ist liil-ki 
zu nehmen. Dies erinnert ganz lebhaft an die analoge 
Ideen Verwandtschaft, welche zwischen diesem Tbiernamen 
nnd der rothen Farbe in der arischen, speciell in der 
deutschen Sprache besteht, wo das rÖthliche Pferd Fuchs 
genannt wird und z. B. im tiroler Dialekt füchselt für 
roth, riithlich gebraucht wird. 

Von der felinen Gattung der wilden Thiere hat die 
Urzeit nur zwei Thiere aufzuweisen, die beide genuine 
Namen besitzen. Es ist dies kaplan = der Tiger, und ars- 
(fl»i — der Panther, möglicherweise auch Loopard, ybor 



204 



keinesfalls Löwe, wie die turko-tatariaclicn Spraclicn, so- 
gar auch das Mongolische, dieses Wort heute überscton. 
Angenommen, dass Panther und Tiger nach Aussage dtr 
Naturforscher aus Süden so weit gegen Norden vorgedrun- 
gen" sein mögen, so ist dies doch keinesliilla vom Löwen 
anzunehmen und ebenso wenig ist dieser heute iu der ver- 
muthlichcn Urheimat der Türken zu finden, während Tiger 
und Panther schon seit uralten Zeiten im Süden und Nor- 
den der Steppen regio 11 des heutigen Turkestans in den 
Röhrichten und an den waldigen Ufern der Flusse und 
Seen zu Hause waren. Die Unklarheit über die geogra- 
phische Verbreitung dieser Fleischfresser in den von Tür- 
ken bewohnten Ländern scheint nur von der fehlerhaften 
Definition der Thiernamen herzurühren. Der Name ars- 
lan, seiner etymologischen Bedeutung nach das starke 
Thier, wird in Mittelasien heute weder auf den Panther 
noch auf den Leoparden angewendet, indem ersterer hars, 
pars, ein persisches Lehnwort, von dem auch unser Pan- 
ther stammt, letzterer hingegen jol-bars (wörtl, Weg-Pan- 
ther) heisst; ja wir gehen keinesfalls irre, wenn wir in 
dem alten und genuinen arslan einen Sammelnamen die- 
ser ßaubthiere, incl. des echt türkisch benanuten Tigers, 
d. h, Kaplan, entdecken. Das Vorhandensein eines per- 
sischen Lehnwortes {bars , pars} zur detaillirten Be- 
zeichnnng dieser TLiere kann daher die Annahme, das3 
die Urheimat der Türken nicht das Vaterland dea 
Tigers, Panthers und Leoparden sei, in keiner Weise be- 
kräftigen. 

Wir haben diese flüchtigen Bemerkungen von den 
Wild- und Raubthieren vorhergehen lassen, können aber 
nicht umhin zw bemerken, dass das Wild, welchem der 
primitive Mensch der turko-tatarischcn Rasse von jehür 
die grosste Aufmerksamkeit zuwendete, unstreitig der 
Ilirach und die Antilope war; es beweist dies wenigstens 



l'OJ 



üie Sprache, welche gerade dieser Wildgattimg die grösslc 
Auftnerksninkeit zugewendet bat. In Anbetracht des Um- 
staudes, dass das Wild im allgemeinen altaisch iijik faeisst, 
kann es uns nicht befremden, in dieser Sjirache den Hirsch 
und die Antilope ak-kijik, wörtl. weisses Wild, benannt 
zn finden. In dem oultureJl mehr vorgeschrittenen Cagafai 
heisst das Männchen htina oder borge, die Hirschkuh hin- 
gegen kilcakci, die Antilope im allgemeinen sojgitn, kirg. 
saiga, von saj, soj = irren, schwäroien, sehweifen (vgl. 
§. 149), dessen Männchen jedoch bogtt nnd das Weibchen 
maral. Vgl. i'Mßn=Stier, folglich ein Annähenuigspiinkt 
zwischen dem wilden und zahmen Rind. Schliesslich 
müssen wir noch eines andern mehr im Westen verbrei- 
teten Namens der Antilope erwähnen, nämlich zetran, 
kirg. dsercn, von m- = flink, und nB = Wild. Ebenso wie 
die betreffenden Benennungen der beiden Thiergattungen 
häufig untereinander verwechselt werden, so herrscht die 
Verschiedenheit der Anwendung auch in den einzelnen 
Theilen des Sprachgebietea vor, was uns jedoch uiclit ver- 
hindern kann, in der Reichhaltigkeit der Sprache gerade 
in Betreif dieser Thiere die früher betonte Intensivität der 
Bekanntschaft aufrecht zu halten. 

Wir haben schon anderaeitig bemerkt, daes dem Ti'ir- 
kischen die allgemeine Benennung des Togeis aligeht, 
denn das im äussersten Osten gebräuchliche uiar bedeutet 
sthlecbthin der Fliegende, und das mehr verbreitete kus 
ist im Grunde genommen als Jagd, Jagdvogel aufzufassen. 
Dieser Umstand allein genügt, die Vermuthung zu er- 
wecken, dass dem primitiven Menschen der turko-tatari- 
schen Rasse das Federvolk sich zuerst als Raubthieve prä- 
Bentirte, und dass er später, den Instinct dieser Thiere 
verwerthend, es selbst zum Raub oder zur Jagd abrich- 
tete. Bei der Benennung dieser Vogelart ist auch ein 
gleich massiger Ideengang bemerkbar, indem fast sämmt- 



liehe nach der scliwaizcn oder brauuen Farbe ihres Ge- 
fiedera benanut worden sind. So eng. kara-kus = Adler 
(^Aquila impei'ialis), wörtl. der schwarze Vogel, cag., alt. 
karcaga, ^arct(/cr= Habicht, d. h. der Schwarzschopf; osm. 
kartalt=Ad\eT, wörtl. Suh warzfarbige, während der speciell 
zur Jagd abgerichtete Vogel, der Falke, tvgan. wörll. 
der Aufsteigende, Auffliegende heisst, von iuk, tok (Tgl. 
§. 194), 80 wie fliegen im allgemeinen identisch mit auf- 
steigen ist. Vgl. Mf. «i = hoch, Höbe (vgl. §. 64) mit 
iicmak = fliegen, in die Höhe fahren. Ein anderer heute 
in Mittelasien zumeist bekannter Raub- und Jagdvogel, 
nämlich börküt (Aquila fulva) dünkt uns von der Kappe 
= börk, die ihm auf der Jagd angelegt wird, so benannt 
worden zu sein. Noch gibt es einen Vogel, dessen Name 
aus dem vordialektiaclien Zeitalter herrührt, nämlich der 
Kranich, auf dem ganzen Sprachgebiete, selbst im Mon- 
golischen lurna genannt, auch als Emblem der Herrschaft 
gebraucht. Vgl. magy. (?ar!(= Kranich und /««(i^mythi- 
scher Vogel im Wappenschilde Attila'a. Von den Wasser- 
vögeln hat die Sprache der Eni« die meiste Aufmerksam- 
keit zugewendet, denn nebst dem allgemeinen Namen ördeli 
heisst der Enterich so/m und das Weibeben borciti, während, 
es nach Aussage Mir Ali Sir'a, des grössten Kenners 
cagataischen Sprache,* eine ganze Namcnsiiste gibt von 
verschiedeneu Gattungen dieses den Jägern zu allen Zeiti 
beliebten, und in den Flüssen und Seen Mittelasiens noch 
heute in grosser Menge sich vorfindenden Wasservogels. 
Ea fehlt nun allerdings eine dem entsprechende Reicli- 
baltigkeit der Sprache in Betreff der Oans, die ohne 
Rücksicht auf Geschlechts- und Gattungsverschi edenheil 



■en d 

i 

;ita^" 



Vgl. Muhftlwmel el LugeteTn in Quatremh'e's ('lireBtömaal 



207 

ka/g, CUV. chor heisst*, doch scheint mir die Vermuthung 
Ahlquisfs aUzukühn, dieses turko- tatarische Wort mit 
dem deutschen Gans, schwed. gäs^ engl, goose, russ. gu$ 
in Zusammenhang zu bringen und daher als ein arisches 
Lehnwort darzustellen. Die Gans ist heute in Central- 
asien weniger verbreitet, und besonders den Jägern min- 
der zugänglich als die Ente^ doch wäre der Charakter als 
heimischer Vogel schwer in Abrede zu stellen; ebenso 
wenig wie dies hinsichtlich des Schwanes^ öag. kugu, alt. 
huUf der Fall sein kann, der, in der neuern Sprache bis- 
weilen als wilde Gans angesehen, schon in uralten Zeiten 
in den Seen und Sümpfen der innerasiatischen Niederungen 
existirt haben muss. 

Einen um so bessern Anhaltspunkt hingegen gibt uns 
die Sprache beziiglich der sehr frühen Bekanntschaft der 
Turko-Tataren mit der Henne^ fast überall iakuk, tauk, 
und nur in dem zwölfjährigen Cyklus tchaku genannt, ein 
nomen agentis, wie aus der Endsilbe ersichtlich, und zwar 
des Verbums tak, ^oÄ;=gebären, erzeugen, resp. Eier legen. 
Ei heisst denn auch im fernen Ostturkestan noch heute 
tochum = Erzeugtes, ein echt türkisches Wort, das sich im 
Neupersischen iochm in der Bedeutung von Samen erhal- 
ten hat; in letzterer Sprache heisst das Ei noch heute 
tochmi-murg = Hühnersamen. Es ist hier vorsätzlich in 
erster Reihe der Henne und nicht des Hahnes gedacht, 
weil dieser gackernde Sultan des Misthaufens im Türki- 
schen keinen speciellen Namen hat, sondern einerseits mit 
dem persischen Lehnwort choros (vgl. cÄörö5idm= schreien), 
andererseits z. B. im Kazanischen mit ätaky wortl. der 
Sänger, bezeichnet ist. Diese undefinirte und gewisser- 
maassen ungenügende Bezeichnung des Huhnes lässt es 



* Ata kaz = Gänserich. 



*«nmillieD, iIma dh-aei Vogel aas dem tKnjkclitnrfen ü 
niacben Culturlanile zu den Türken geiuogte, d«iui 
llebereinstimmDiig mit Beha's Aemsernng (S. 233): ^ 
mehr eio Volk vom DomaJ beben Hirt^eben zur &ab 
AnsiedeluDg überzngebea stcb nnäcLickte, desto leicht 
tnusate dies dea geacbloaseoen Hof belebende körnerfra 
eeude von Fucbs und Wiesel Terfolgte Haiisgefiägel h 
ibnen Autiahme, bleibende Stätte und Gedeibeo 6tideii''j 
konnte das Habn bei den nmomadiscbeu Türken sich n 
besonders beimisch finden. Für das Ei gibt es »ns» 
dem erwähnten uig. tol-um noch dem Namen jutmirtk^ 
osm. jumurta, eigentl. die Kunde (»gl. §. 147); vgl. i 
mont/^Ei (/jlniöo^ = Hühnerei, /ttc/nion^ = Gäoseei) n 
monyo-ru = rund, oval. 

Genuin türkische Benennungen hab^i ferner die 1 
nämlich <iag. küvünin, osm. güveriin, alt. kSüle, von 6 
Stamoisilbe hiv, ivi = girren, krächzen, folglich die Gir 
rende. Ebenso die Trappe, cag. tagdak oder to^i j 
dak, der wÖrllichen Bedt^utung zufolge der BergähnlidM 
von tug. tak = Berg, Hohe, und dag, clek = gleich, ähnlid 
Dieser bekannlerinaasaen straussähnliche Vogel, anf Bf 
digen Flächen und Niedenmgen zn Hause, ist auch i 
den Puszten Uugnrus anzutreffen, und zwar mit demsd 
ben, nur lautlich veränderten Namen, vgl. magy. tui<A^ 
Trappe, mit turko-tat. iugäak, osm. lujdak, iüdäk; auch i 
Persien, wohin er aus Mittelasien gelangte, wird er i 
dem tüikischeu Namen benannt, während im Gegensata 
der aus Iran nach Mittelasien gelangte Storch als Fremd 
ling nur unter dem fremden, resp. persischen Namen 10 
lek, ursprüngl. IcMek, bekannt ist. 

Zum Schlüsse wollen wir der Fledermaus und dec 
Eule Erwähnung tbun. Erstere führt deu echt türki' 
sehen Namen cag. jarkannt , d. h. Kahlflitgel, odea 
osm. jarasa. was wörtlich ebenfalls nackt odpr kohl' 



^»edeutet; es ist dabei ganz riuhtig die Federlosigkeit 
a^Is Charaliterieticum angefülirt. Die zweite, nämlicli 
<3ie Eule, heisst bäjkns, von 6n;' = Zauber und i«s = 
V'ogel, also der Zaiibervogel, der lichtscheue Bote der un- 
lieilscbwangern Nacht, der nur in der Dunkelheit uni- 
berzuschleichen wagt, Die Kirgisen nennen dalier auch 
<3en einheimischen Bettler f/aji/us = Eule, weil er in 
Scham ob seines Elends nur im Zwielicht der Äbeud- 
dämmerung an der Thür erscheint und unsichern Schrittes 
auftritt. 

Es ist nicht meine Aufgabe, auch geht mir die Fähig- 
keit dazu ab, alle übrigen Gebiete der Fauna, d. b. über 
-Amphibien, Fische, Insekten, Arachnoiden, Cruataceen und 
"W^ürmer in fachmäuniscber Einzelheit zu besprechen, um 
hiermit die Behauptung aufs neue zu bekräftigen, dass 
<üe Turko-Tataren allen Thieren, deren Existenzbedingun- 
gen mit den klimatischen Verhältnissen und der Boden- 
fceschaffcnheit der Urheimat in Einklang gebracht werden 
können, zumeist solche Naraen gaben, deren Grundbedeu- 
tung bald auf die Farbe, bald auf die äussere Form, bald 
■^viede^ auf die eine oder andere Eigenheit des betreffen- 
den Tbieres Bezug nimmt, und dass die Sprache auch 
tier, so wie bei andern Dingen, das treue untrügliche 
Conterfei des zu benennenden Gegenstandes oder Wesens 
in sich schliesst. 

Zum Schluss dieses etwas mehr als gewöhnlich langen 
Abschnittes seien noch einige allgemeine Bemerkungen hin- 
zugefügt. Fliegen und Sücken z. B. haben einen gemein- 
samen Namen, nämlich sittgek oder sinek (vgl. magy, seuvyoff 
= Mücke), von der Stammsilbe sitig ^= saugen (vgl. §. 163), 
folglich der Sauger, Einsauger, eine ganz richtige Charakteri- 
stik dieses Thierchens; nur im Osmanischeu wird behufs Un- 
eidung die Mücke sivri suiek. wÖrtl. spitzige Fliege, 




210 

genannt. Der Käf^r im allgemeinen heisat hööeli, tSll 
von der Stammsilbe bot, hiit, zumeist die "Wurzel 
Wörter, die einen runden, kugelartigen Körper bezeicl 
we&balb auch dieses Wort seiner etymologischen Bß" 
deutiing nach für Pünktchen, Kügelchen zu neh- 
men ist. 

Charakteristiseh dünkt uns immer, dass die erwähnte 
Stammsilbe hiit zugleich auch der Name der Laus istt 
allerdings kein blos dem Zufall zuzuachreibendes Zusammen'' 
treffen, wenn ivir in Betracht ziehen, dasa dieses Thier" 
chen unter den Nomaden in schrecklicher Weise verbreitete 
als das Insekt par excellence betrachtet wird. Bei det* 
Namen anderer Insekten ist wieder theils der Farbe, theil^ 
der einen oder andern Eigenheit Rechnung getragen wor- 
den. So zeigt der Name des Flohes, cag. hürge, hürgil^ 
08m, pire, den Grundgedanken des Kneifens, Zwickens, 
Stechens, von der Stammsilbe Mir (vgl, §. 227), und so 
heisat auch bei den Kirgisen der Habicht iürö, weil er 
mit den Krallen sein Opfer kneift,* Der Mistkäfer 
{Gymnopleiirtts) wird seiner Farbe entsprechend der 
Sühwarzbranne genannt kongiie, ^on Z:öWß= schwarzbraun. 
Die Spinne heiast cag. örgemii, osm. örlimzek, von 
niek =■ flechten, spinnen, 

Warm im allgemeinen heiast hiirl (vgl. alt. lu 
spitzig, lang, fair;* — leer, dürr), aber auch sogulcan. 
sogulmah, sohtlmah = f\c\i hineinstecken, sich hineinbohren; 
diese letztere Bezeichnung bezieht sieh zumeist auf die 
Würmer im menschlichen Leibe. 8ch]ang:o und Skor- 
pion haben einen lautlich verwandten Namen, nämlicii 
erstere cag. ^'(7aH, Icir, Ulan, letztere zijan; die gemein- 
eame Stammsilbe jil, zu, zij bedeutet glatt. 



1 



211 



So viel einstweiien über die Thiernamcn im Türkischen 
"'^ über die aus der etymologisehen Zergliederung der 
^Hi-effendeo Wörter, sowol auf die BeBchnffenheit der 
*auim als auch auf die geographische Verbreitung der 
^meinen Gattungen zu erlangenden Äufachlüsse. Wir 
Bind allerdings noch weit entfernt über eine vollständige 
Liste der Thieruamen zu verfügen, doch ist selbst das 
rorhandene Materia! hinreichend genug, uns mehr als 
einen Einblick in die weite Vergangenheit, namentlich in 
das Bild der frühesten Existenz jener primitiven Völker- 
schaften zu verschaffen, und der unparteiische Forscher 
■wird zugestehen müssen, dasa wir beim klaren und 
bellen Lichte turko - tatarischer Sprachstudien zu Reaid- 
taten gelangen können, die nicht minder überzeugend 
sind, als die hierauf bezüglichen Ergebnisse ähnlicher For- 
schungen auf dem arischen und semitischen Sprachgebiete, 
oder anderweitige Deductionen palfiontologischer Beweis- 



gründe. 




xvu. 



Pas Fflanzen reich. 

Wenn wir im Eingänge des vorhergehenden Abschnittes 
es betonten, dass die Sprache eines nomadischen Volkes, 
dessen Lebensbedingungen mit der Viehzucht so eng ver- 
bunden sind, über so manche Einzelheiten der Fauna im 
vorgesehichtlielien Zeitalter uns einen nicht zu unter- 
schätzenden Aufscliluss gebe, so kann dies selbstverständ- 
lich hinsichtlich der Flora auch schon deshalb nicht in 
solchem Maasse der Fall sein, weil dieses Reich der 



Natur auf der vorwiegeud aus uackten Stoppen und kahlen 
Bergen bestehenden Urheimat der Türken nie einer be- 
sondern Blüte sich erfreut haben konnte. Die durch die 
Sprache zuiu Ausdrucke gelangte Thatigkeit des mensch- 
lichen Geistes kann in Esteusivitüt und Intensivität sich 
eben nur so weit erstrecken, als die Grenzen des als Sub- 
strat dienenden Gegenstandes reichen. Boden, Klima und 
Beschäftigung haben ebenso sehr ihre mannichfachen Ein- 
drücke in der Sprache zurückgelassen, als die verschiede- 
nen Regungen des Geistes und Gemütbes, und weil 
das griine Kleid der Erde in dem unsere Forschungen 
betreEFenden Theile der Erde von jeher ein dürftiges war, 
so können dem entsprechend auch die hierauf bezüglichen 
Erörterungen nur auf einen engen Raum sich erstrecken, 
und das verbreitete Licht kann nicht jene durchdringende 
Helle besitzen. 

Im Pflanzenreiche bat die Aufmerksamkeit des primi- 
tiven Menschen in erster Reihe seine eigene Nahrung und 
in zweiter Reihe die Nahrung der Thiere auf sich gezogen. 
Von der heute keinem Zweifel mehr unterliegenden Theo- 
rie ausgehend, dass der Mensch von Natur aus herbivor, 
und nur später carnivor wurde, müssen die verschiedenen 
Obstgattungen als die erste Nahrung befrachtet werden, 
eine Annahme, welche uns denn auch die türkische Sprache 
einigermaassen bekräftigt, denn das Wort für Obsl, d. h. 
jemis oder jimis (vgl. magy. gyimöcs und gyümöcs ^Obst), 
bedeutet etymologisch, wie schon früher erwähnt wurde, 
Esswaare, Geniessbares, von jejim-isi-jejimU-jcmii, d. h. 
das Ding zum Essen, folglich die Speise, die Nahrung 
par excellence; eine Benennung des Obstes, die hinsicht- 
lich der Klarheit die Verdolmetschung dieses Begriffes in 
andern Sprachen bei weitem übertrifft. So wie die erste 
Nahrung des Menschen, nämlich das Obst ganz einfach 
die Esswaare benannt wurde, ebenso enthält die Benen- 



313 

nung der Hauptnabrung des Thicies, nämücli das GraS, 

den Grundbegriff des Waebatliiiiiies der Pflanze im weitern 
Siune des Wortes. Der am meisten verbreitete Name 
des Grases ist nämlicli ot, welches Wort den labialen 
Anlaut des altern boi, böi, hiif, bit (vgl. §. 205) — hoch, 
erhaben, in die Höhe kommen, wacliaen u, s. w., verloren 
hat und mit Gewächs, Pflauze zu übersetzen ist; bei einer 
analogen Ideenverbindung konneu wir dies selbst noch auf 
dem Gubiete der tiirko- tatarischen Sprachen beobachten, 
so z. B. im kirg. ösi'tn i= Pflanze, Gewächs, was von ös 
= hoch, wachsen abstammt. Das zweite Motiv, welches 
der Benennung des Grases zu Grunde liegt, sind die be- 
grifflich identischen und etymologisch verwandten Worter 
für grün und nass, indem alt. kölc und das azerbai- 
ianische güj = Gras, mit gök = grün und blau, ferner 
das alt. ölövg, cuv. y?ii = Gras und iag. kJchj = Wiese, 
mit ol, Aö7^:na83, feucht verwandt ist. 

In unseru Betrachtungen über die Ess- und Nutz- 
pflanzen des primitiven Menschen der turko - tatarischen 
Rasse werden wir daher beim Lichte sprachlicher üater- 
euchungen um so leichter zu den angestrebten Kesultaten 
gelangen, wenn wir iu Erwägung ziehen, dass der Lebens- 
unterhalt mit den Bedingungen des Klimas und der 
Bodenbeschaffenbeit iu vollem Einklänge stehend, auf dem 
von uns besprocheneu Theile der Alten Welt bisjetzt 
keinen wesentlichen Veränderungen unterworfen war und 
etwaigen durch Kunst und eine höhere Cultur hervorzu- 
bringenden Neuerungen und Verbesserungen erst in der 
nächsten Znknuft ausgesetzt ist. Sehen wir uns z. B. zu- 
erst nach den verschiedenen bei den Türken heute be- 
kannten Obstgattungen um, so werden wir finden, dass 
als heimische Gattungen nur der Apfel und die PflaamP 
t werden können. Ersterer hat einen 
Biuin türkischen Namen, nämlich ahna. der Wortbcdeu- 



iang nach die rothe, bunte Frucht (von al = rolb, boat,^ 
und mii, resp. maJc, muk =■ Beere, Frucht), letztere hiDge<,'en^ 
heisat üriik, ein zweifelsohne türkisches Wort, dessen et T— ^ 
motogiscbe Bedeutung uns noch unbekannt ist, wobei * 
jedoeb bemerken müssen, dass mit diesem Namen im i 
auch die Marille bezeichnet ist, ein interessanter Fing< 
zeig über das Verwondtscbaftaverhältniss beider Gattung! 
Wol ist von den übrigen Obstgatt uogen, um nur eini 
zu erwähnen, die Pllrslcho und die BIriie auch etarT 
Terbreitet, doch haben beide schon fremde, d. h. persische 
Namen, denn eratere heisst ieftalu (von pers. si.ft = grob, 
gross, und alu = Pflaume), letztere arinnd, richtiger am- 
ritd. Dieser sprachliche Beweis berechtigt uns zur An- 
nahme, dass vor alten, allerdings sehr alten Zeiteu beide 
Obsigattungen aus dem südlichen Iran ins tatarische Hoch- 
land eingeführt worden sind, wo diese Obatgattungen 
selbst heute bei weitem nicht so gut gedeihen als in 
Persien, Eine ähnliche Bewandtniss hat es auch mit dem 
fciranatapfel , der Nuss, der Maulbeere und der Mandel, 
deren arabisch -persische Namen, nämlich nar, zevie, 
und hadam entschieden auf den fcemden Ursprung ] 
deuten. Nicht zu übersehen ist hierbei, dass die FrudI 
niederer Stauden und Gesträuche, nämlich die Beere, 
einen genuinen von der Form entlehnten Namen hat, 
nämlich mug und muk (vgl. kizaniuk ^^ rothe Beer« 
Blattern, iararmik = schwarze Beeren), und dass gerat 
dieses Wort (zugleich auch die Stammsilbe vieler aold 
Wörter, die einen kleinern runden Körper bezeichnen) i 
der Benennung so mancher oft heterogenen Fruchtarten 
anzutreffen ist. Aus der primitiven Form der Stammsilbe 
muk, mug (vgl. magy. mag = Kern, Korn) ist nach uoi 
maier Laut Veränderung bug, bog (vgl. §. 204), bong, iom 
bor£ entstanden, Varianten, die unter auderm in dq 
Namen runder kömeraitiger Fniolitc zu erkennen sinfl 



^ AM 
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'ruJI 
leere, 
hat, 
eereq^^ 



215 



"»e in iorc-ah = Erbse, hor£ — Pfefferkorn^ am reinsten 
'"■Qer iD hug-daj — Weizeii, d. h. kornähnlicli, folglich von 
"'cht ganz runder, ovaler Form. Mit AiisnuLme des 
"feSFerkorns, das wegen seiner Aelinlichkeit mit der Erbse 
^lue türkische Beneniiiing ertiielt, sind diese ala heimische 
^rtichtgattungen zu betrachten. lu Bezug auf den Wei- 
zen, bugdaj, sei hier ausdrücklich bemerkt, dasa diese 
Getreideart, obwol uralt und mit einem genuinen türki- 
schen Namen benannt, auf einem verhältnissmässig nur 
beschränkten Raum verbreitet gewesen sein muss, und 
dass demzufolge auch die Hirse, d. h. tarik, tart, tara 
von entsehiedou älterm Urspnmg ist. Für diese An- 
nahme sprechen in evidenter Weise erstens die Sprache 
selbst, zweitens die kargen Notizen des ältesten türki- 
schen literarischen Monuments, nämlich des Kudatku 
BUik. Was den sprachlichen Beweis anbelangt, so wollen 
wir hervorheben, dass tarik, lart, iura in der wörtl. Be- 
deutung Saat, Anbau heisst (vgl. §. 176), folglich ist 
unter Hirae die Saat oder Anbau par excellence verstan- 
den worden, ebenso wie mit «(, at sowol das Vieh im 
allgemeinen, zugleich aber auch Rind und Pferd, die' 
ersten Nutztbiere der turko-tatarischen Bekanntschaft, be- 
zeichnet worden sind. Die Sinnesart des Menschen lässt 
sich in diesem Punkte wol nirgends beirren, denn so wie 
z. B. der Kusse uater chljeb Getreide, Brot und Nahrung, 
der Magyare unter eht Leben und Getreide versteht, und 
so wie man in vielen andern Sprachen die Bezeichnung 
der zumeist gebrauchten Gattung der Benennung des 
Ganzen zu substituiren pflegt, ebenso ist das analoge 
Verhältniss zwischen dem turko-tat. tarik — Saat, Anbau, 
und tarili =- Hirse entstanden. Auch die alten Arier 
sollen in der Hirse ihre Hauptnahrung gefunden haben 
vgl. Poesche, S. 97, und Plinlus, der dieses Getreide 
f^onniium frugum fcrlUissiimim'''' nennt und hinzufügt „e:c 




■216 



t grano sextari tcrni gignunlur, scri debet in «t 
gibt uns die beste Ursache an, warum der Mensch auf 
der primitiven Culturatiife dieser Pflanze zuerst seine 
Aufmerksamkeit zugewendet hat. Hinsichtlich des Be- 
weisgrundes des Kiidat^u Bilik sei iu Erinnerung ge- 
bracht, dasa dort in der Lebensschilderung der untersten 
Volksklasse die Hirse als die einzige Volksnahrung, ja 
als die Nahrung des armen Menschen dargestellt wird, 
und nicht der Weizen, dessen Cultivirung günstigere 
Bodenverhältnisse beansprucht, mehr der künstlichen oder 
natürlichen Bewässerung bedürftig und schliesslich nicht 
so ausgiebig ist als die Hirse, die selbst am Steppenrande 
gedeiht. 

Dass ausser dem Weizen unter den bei uns Torkom- 
menden Getreidegattungen der Türke im innern Asico 
weder den Boggen noch den Hufer je cultivirt habe, 
steht ebenso ausser Zweifel, als wir mit voller Sicherheit 
annehmen können, dass die Gerstc>, fast überall arpa, 
nur mong. arbaj. kondomiseh saUk as (= kaltes Gericht?) 
genannt, also noch im vordialektischen Zettalter der 
Sprache bekannt gewesen sein miiss, obwol wir über die 
etymologische Bedeutung dieses, aller Wahrscheinüchkeil 
nach aus ar und h<\j zusammengesetzten Wortes noch im 
Dunkeln sind. Die Gerste, eine Pflanze, die selbst b 
kaheo nördlichen Regionen gedeiht, scheint ursprünglicli 
mehr dem Menschen als Nahrung gedient zu haben, and 
zwar finden wir arpa-oa = Gerstengericht in derselben 
Kategorie mit dem früher erwähnten turii: — Hirse, als 
Bauernkost, als Nahrung der ärmera Volksklassen dar- 
gestellt. Schliesslich wollen wir des heute in Mittelasien 
stark verbreiteten und als Pferdefutter gebrauchten Zügeri 
— kolims s<>r<fkum , Erwähnung thoo, aber aar um etwai- 
gpa» Irrthume vonubeugen, nach welchem dieser N mbb 
der heute «umeist auf dem tuninischen Hochlande gel 



Hirsenart för alttürkisch gehalten werden dürfte; dies ist 
jedoch keineswegs der Fall, deun das Wort ist persi- 
Echen Ursprunges, und eiigerl, iüveri ist eine Verdrehung 
des iranischen mvari, rectiua «w-iari — gerstenähnlicli. 

Von den andern, theils dem Menschen, theila den 
Thieren dienenden Gewächsen lässt es sich mit Bestimmt- 
heit nachweisen, dass die JUeloao und der Kfirbis auf 
den frühesten Wohiiplätzen der Türken heimische Pflan- 
zen waren, ja bezüglich der Melone kann man die Be- 
hauptung wagen, dass sie von der Urheimat der Turko- 
Tataren über Pcrsien nach Westasien und Europa einge- 
führt wurde. Wir werden nämlich bei genauer Betrach- 
tung der verschiedenen Qualität dieser Fruchtgaitung zur 
Ueberzeugung gelangen, dass die heute in der Steppe 
und in dem Steppenrande der ceutralasiati sehen Länder 
gebaute Melone die beste aller bekannten Gattungen sei, 
weil eben die dortigen Bodenverhältnisse dieser Pflanze 
am gedeibHchsten sind, und weil — um einen analogen 
Fall zu citiren — die Kirsche in Kerasun und in den be- 
nachbarten Gegenden Kleinasiens, von wo aus sie zu uns 
gelangte, grosser, schmackhafter und duftender ist als 
die unserige, so mag dieser Zusammenhang zwischen Vor- 
züglichkeit und altem heimatlichen Boden unserer Voraus- 
setzung in Betreff der Melone kräftigend zur Seite stehen. 
Dass ich Melone und Kürbis hier vereint vorführe, ge- 
schieht nicht nur infolge der analogen Form dieser Frucht, 
sondern weil die tu rko -tatarischen Sprachen beiden einen 
lautlich und begrifflich verwandten Namen gegeben haben, 
indem die Melone kavun, kabun, der Kürbis hingegen 
JiobaJi, kava^ heisst, und zwar von der Stammsilbe kab 
(vgl. §. 71), der Inbegriff von hohl, rund, aufgeblasen 
u. s. w. (Vgl. slaw. dynja = Melone, nach Miklosieh von 
dqnqti = anschwellen. Im etymologischen Siune des 
Wortes ist daher Melone als Rundung, hohler Korper 



218 



ntifititfassca. Das von der Melone Gesagte bezieht sicli 
selbst verstündi ich nur auf die Zuckermelone, denn die 
Wassermelone (^cucumis citruUus') Iiat scboa keinen ge- 
nuinen türkiseben Cbarakter mebr, sie wird überall unter 
den Türken 'karpv2 oder ckarhua, vom pers. charbuEa' 
stammend, genannt, ist selbst beute iiutcr den Tfirken 
Inneriiaiens weniger gepflegt als die Zuckermelone, und 
selbst die Badenverhältnisse des Ursitzes der Türkeu sind 
ihrem Wachsthume bei weitem nicht so günstig »Is in 
Pcrsien oder in Indien, bekanntlich ihrem Mutterlande. 
In ähnlicher Weise verhält es sieb anch mit audem Arten 
der Cucurbitaceen, namentlich aber mit der Gurfee, die 
überall mit fremden Namen und zwar im Osttürkischeo 
mit dem pers. haclreng, im Westtürkiseben mit dem ajt 
kijar benannt wird, was entschieden auf eine späl 
Einführung hindeutet. 

Eine in jeder Hinsicht interessante Frage bildet 
schon frühe Existenz des Weinstockes in der alten Hei- 
mat der Türken, denn trotzdem der Wein, eine Erfindung 
der Semiten, wie Hebn ** richtig bemerkt, den Turko- 
Tataren selbst beute noch imbekannt, scheint die Wein- 
traube dennoch im vordialektischen Zeitalter in der 
Sprache eicb eingebürgert zu haben, wofür die fast über- 
all gleichlautende Benennung üziim, niong. üdsiini, den 
besten Beweis liefert, ein Wort, dessen echt türkischer 
Ursprung gar nicht zu bezweifeln iat, und von iiz =^ Saft 
(alt. MS = Fett) stammend, der etymologischen Bedeutung 



^neo 



iufolg. 



afti. 



cht . 



. nehm 



was in Änbl 



* ll«J<^ char-buna, zusomraeugenetzt von char = ia,ah, wild, \ 
hoia = apfelartige Fruchtgattung, vgl. t>,_cljja. = rauher A|| 
Vgl. altsluw. hr)Utavici = cucumis, cigentl. rauhe Frucht. 
Calturpflanzen, S. 225. 
"* Vgl. S. aü. 



219 



des uu vergleicbe zu audern Früchten besonder 
reichen Saftgebaltea der Trauben eine höchst passeude 
Benennung iat. Wenn wir nun von unacrm oft betonten 
Standpunkte ausgehen, dass Objecto mit genuiner und 
noch obendrein mit einer solchen logisch richtigen Be- 
nennung schon seit unilten Zeiten heimisch gewesen sein 
müssen, so wird Hebn's Annahme, dass das eigentliche 
Vaterland des AVeinstockes in den Gegenden südlich vom 
Sudrande des Kaspischen Meeres zu suchen sei, nur in- 
sofern rectificirt werden müssen, dass wir zu diesen Ufer- 
landen des Südens auch noch die urbaren Oasenländer 
im Osten des Kaspischen Meeres hinzufügen. Wir können 
daher der Vermuthung Raum geben, dass die Traube 
sowol als die Melone, denu beide treten zumeist in nach- 
barlicher Freundschaft auf, aus den schon im mythischen 
Alterthume ihrer Fruchtbarkeit wegen berühmten turani- 
schen Hochländern nach dem Norden des heutigen Irans 
und von da weiter gegen Westen sich verbreitete, denn 
8o wie die Melonen sind auch die Trauben Mittelasiens 
unvergleichlich süsser, geschmackvoller und grosser als 
die bestbekannten Gattungen dieser Frucht Persiens und 
anderer Theile Westasiens. Dies kann ich aus persöu- 
iicher Erfahrung constatiren, sowie ich im allgemeinen 
den Umstand hervorheben würde, dass die meisten Obst- 
gattungen auf einer Wanderung vom Innern Asiens gegen 
Europa Schritt für Schritt an Farbenpracht, Zuckergehalt 
und Schmackhafligkeit eiuhüssen, und dass unsere auf 
noch so hoher Stufe der Vollkommenheit stehende Horti- 
cultnr diesem Nachtheile nicht abzuhelfen vermag. Von 
den vielen Beispielen sei hier nur eins angeführt. In 
Nord- und Mitteleuropa sind die Pfirsiche Spaniens, Süd- 
frankreichs und Italiens hochberühmt; die Pfirsiche, wie 
der Name zeigt aus Persien zu uns eingeführt, sind in 
der Türkei z. B. schon besser und schöner als die ge- 



220 

nannten europäiscbeii Gattungeu und gedeihen selbstver- 
Standlich in Persien in dem alten Miitterlande am aller- 
besten, obwol nicht übersehen werden darf, dass me 
verwandte Obstgattung, nämlich die Pflaume und Marille, 
d. h. alu, im alten Sogdien die höchste Stufe der Vor- 
züglichkeit erreicht, und alu-i-bochara, d. h. bocharaet 
Pflaumen sind schon seit lange und noch heute ein Lecker- 
bissen selbst für Iran. 

Von den übrigen Nutz- oder Nährpflanzcn scheint 
mir die zum Pferdefutter dienende gemeine Lozerne 
(jnendicago sativa) unter den Türken von jeher heimisch 
gewesen zu sein. Sie hat einen genuin türkischen Namen 
cag. jonuska, 03m. jonsa, von der Stammsilbe Jon ^= dünn, 
hager, folglich die dünne, etwa dünn blätterige Pflanze. 
Hingegen sind die in die Kategorie der Industriegewächse 
gehörenden Feldpflanzen, als: Batunwolle, Hanf, Leiii% 
Reis, Mohu, Sesam, Erapp u. s. w, entschieden fremden 
Ursprunges und verhaltnissmässig neuem Datums, und 
als einzige Ausnahme kann nur der Tarka, torko oder 
turku, eine Art Seidenbast gelten, von welchem, wie man 
mir mittheilte, früher Kleider, jetzt aber nur Stricke und 
Bindfaden bereitet wurden. Der Torka wächst wild in 
den Wäldern, hat die Form eines 4—5 Fuss hohen Ge- 
sträuches und einen rothlich braunen Stamm, daher der 
Name iorka, torku — rotbbraun. 

Eine bedeutende Rolle als Nährpflanze scheinen von 
jeher die Zwiebel und der Knoblaoch, noch heute be- 
liebte Nationalgerichte des Türken, gespielt zu haben, 
denn beide haben einen genuinen, auf die specielle Bauart 



• Kmdir, keniUr. tnagy. kenrter, bald für Lein, auf dein türkischen 
Sprachgebiete bkid fllr Hanf genommea, und auf dem ganzen Spracb- 
Rcbiaie bekumt. mag wol ältesten Gebraaches sein, doch bat der 
Nniue, im TQrkiacben unerklärlich, einen allzu per^iscben AnklaDg. 



der Pflanze bezüglicbea Nanieu, mdem die Zwiebel sogan. 
^'ojgan heisat, wörtl. die sich Abschälende, vou soj (vgl. 
§• 148), der Knoblauch sarimsak, wörtl. das Gewindähnliche, 
Gewindeartige, von sartm = Gewinde, und sak ~ ähnlich. 
Hinsichtlich der Baumgewäcbae finden wir in dem 
Vorhandenen Beweis materiul der Sprache wol den schwäch- 
sten Aohaltpnnkt und zwar aus dem ganz nutürhuhen 
Grunde, weil das Volk der Turko-Tatareu sich von jeher 
mit Vorliebe in den baumlosen, seiner nomadisch en Exi- 
stenz am meisten entsprechenden Ebenen aufgehalten, in 
baumreichcn Berglehnen sich nur mit Widerwillen nieder- 
gelassen, und Waldungen als die Wohnstätte der seinen 
Heerden gefährlichen Raubthiere von jeher gemieden hat, 
Schon der Begriff Baum selbst wird mit einem auf ver- 
schiedene Umschreibungsart beruhenden Worte ausge- 
^^^ückt. Während wir einerseits das zumeist verbreitete 
^^nt(f, jigac, ijgad in der concreten Bedeutung von Baum 
^Hp Äuge fassen, ein Wort, das auf der Stammsilbe ag, 
^^^ = hoch, aufwärts, beruht, folglich Gewächs im allge- 
meinen bedeutet, wird es andererseits uns auffallen, dass 
mit diesem Worte im Cagataischen z. B. auch noch Stock, 
Stab, ein abgebrochener Zweig bezeichnet wird, ebenso 
wie umgekehrt das W'ort tal im Osttürkischeu Biuun 
(arhor'), im W^esttürkischen hingegen nur Zweig (osm, 
dal) bedeutet und im Altaischcn geradezu als Name einer 
Baumgattung, nämlich Sandweide, vorkommt; iaJ, das im 

»Grunde genommen etymologisch als Stamm, einzeln 
^stehender Körper aufzufassen ist. Angesichts dieser 
schwankenden Definition des Grundwortes selbst wird es 
wol nicht befremden, wenn wir in Betreff der Namen der 
verschiedenen Bauuigattungcn, d. h. über die Ursache der 
Benennungen überhaupt, als auch über die etymologische 
Zergliederung der betrefl'enden Wörter ohne jeglichen Anf- 
schluss bleiben. Während z. B. Jcamik im Osmanischeu 



selbst bald Platane, bald Linde, im Knsanist'lieii und 
Bttäkiriachen bingegen Geaträucbe, Staude bedeutet, finden 
wir andereraeita wieder das Wort terek bald für Pappel, 
bald wieder für Espe, und taranghi bald für Tamariske, 
bald für Elaeagnus, wofür das specielle zijde beateht. 
So beisst Fichte im Oaten dea türkischen Sprachgebie- 
tes arca (vgl. magy. ftärs = Linde), im Westen cam 
agact ^^ Harzbaum , nnd für Eiche z. B. , die aus kli- 
matischen Gründen der türkiseben Urheimat gänzlich ge- 
fehlt hat und jenen Gegenden noch beute fehlt, hat das 
Osttürkische gar kein AVort, und das Weatturkiache be- 
dient sich des persischen niisc oder mese. So zeigt auch 
die Sprache einen gewissen Grad des Unvermögens zur 
genauen Definition dea Begriffes Wald, das zumeist mit- 
tels Umschreibung ausgedrückt worden ist. Im Osten, 
d. h, im Altaiacben, beisst der Wald ßs, eine Contraction 
des Wortes jigis = Hänfen, Menge, dem eich wieder das 
oam, ormwH ^= Wald , tat, tirman := Tannenwald anreibt, 
von wr= Anschwellung, Haufen und dem CollectivauflGx 
mav, meti; während das speciell in Mittelasien gebrauchte 
togaj, tokaj etymologisch Unterwald oder die mit Gestrüpp 
bewachsene Flusainael bedentct. 

Nur in Bezug auf die Vegetation der Steppe, dieses 
mit der frühesten Existenz der Turko -Tataren eng zu- 
sammenhängenden Erdreiches, klärt sich einigermaassen 
daa Dunkel, insofern die hier vorherrschende Vegetation 
mit solchen Namen benannt ist, deren Grundbedeutung 
mit der Qualitüt oder äussern Form der betreffenden 
Pflanzen in Zusammenhang steht. So heiast z. B. ein 
selbst im Fliigaand vorkommender, biswellen fünf Fn 
hoher Baum, von dem es bekannt ist, dass er mit de« 
kleinsten Anstrengung aammt Wurzel ausgerissen 
den kann, ganz richtig saiiüc, von sMmrf^ =^ aiisreisse 
trennen, umwerfen (vgl. g. 199); und so heiast auch d4 



seiner aiissergewöhiiliclien Dürre und soziisagCD Stein- 
Lärte wegen bekannte Strauch Jfaloxylmi Ammoden- 
dron ganz folgerichtig saksaitl oJcr ^-aksaul, weil dieses 
Wort von saJc ««^■ = dürr, trocken stammt, und saksaul 
(von saIcsamaiJ) eigeutl. daa Gedorrte bedeutet. Dasa 
diese Sandstaude, eben infolge ihrer ausserordeutlichen 
Härte, wenn angezündet, eine Glut erzeugt, die anhal- 
tender als die der besten Steinkohlen ist, davon hatte ich 
mehrmals Gelegenheit, mich pergÖnlich zu überzeugen. 
Es ist auch bei andern Gattungen der Steppen Vegetation 
eine durch geringe oder gar keine dialektische Unterachied- 
licbkeit gekennzeichnete Benennung zu bemerken. So 
lieisst z.U. das iScWlf fast überall sas, ein Name, der 
auch der betreffenden Sumpfgegend beigelegt wird (vgl. 
den analogen Fall im magy. Sfis- ^^ Schilf, und sär =^ 
Kotb) und das Rohr oder Röhricht kamis oder komtti: 

Schliesslich wollen wir noch hervorheben, dass für 
Blume kein speciclles Wort exiatirt, denn das bierfür 
vorhandene cicek oder cecck bedeutet ganz einfach Zier, 
Zierath, Schmuck, von der Stammsilbe nc, cl-c (vgl. 
§. 171), und dem, entsprechend vermissen wir auch in der 
Sprache etwaige Benennungen der verschiedenen Blumen- 
arten, 

Alles in allem genommen wird dem Leser die ein- 
gangs gemachte Bemerkung wol einleuchten, dass die 
Sprache nur über diejenigen Theile der Flora einigen 
Anfachluss gibt, die dem Menschen selbst auf der primi- 
tiven Stufe der Cnitur unentbehrheh sind, dass aber 
demungeachtet diese kurzen und spärlichen Notizen uns 
von bedeutendem Nutzen werden, wenn wir beim Lichte 
philologischer Forschung zur Aufstellung der geographi- 
schen Grenzen der alten Heimat des turko -tatarischen 
Volkes nna anschicken wollen. Spätere wissenschaftliche 
Resultate, als genauere Bezeichnung der Arten und cor- 



k. 



224 

recte Nomenclatiir in den türkiscbeu Mundarten, mögs 
allerdings mehr Licht vcrbreitcD, dach vorderhand müsse: 
wir uns selbst mit diesem schwachen Funken begnüge 



Die Farben. 



n begnng^^^U 



Wer im dritten Buche von L. Geiger's „Ursprung 
und Entwickehing der menschlichen Sprache und Ver- 
nunft" die treffende Bemerkung liest, dass nirgends wie 
hei der Färb enempfin düng eine grössere Möglichkeit 
bestimmter objecfiver Erkenntniss des quantitativen Ver- 
hältnisses neben so lebhaft qualitativiach-subjectiver Unter- 
scheidung stattfindet — und zu dieser Aussage die von 
weit und breit zusammengebrachten, mitunter dem luftigen 
Gebäude der Dichtung entlehnten Beweisgnmde anreiht, 
dem wird sich wol mehr wie einmal die Frage aufdrängen: 
Um wie viel leichter wäre das betreffende Bild zu ent- 
werfen, und auch um wie viel klarer wäre es gewesen, 
wenn der ausgezeichnete Forscher anstatt in dem abge- 
nutzten ariBch-seniitischen Sprachschätze herumzusuchen, 
seinen Blick dem krystallreinen Material der ural-altai- 
sehen, speciel] den türkisch -tatarischen Sprachen zuge- 
wendet hätte? Bei den hier uns zu Gebote stehenden 
Mitteln tritt weder die Gefahr verschwommener Sprach- 
formen hervor, noch der berechtigte Zweifel an die Be- 
weisfahigkeit jener Angaben, die einer erhitzten Phantasie 
poetischer Begeisterung entsprungen. Wie bei tlcr Be- 
nennung vieler bisher erwähnter Gegenstände kommt auch 
beim Ausdrucke der Farhenerapfindung der schlichte, 



2-25 

^^tiirgetrcue Gaug der menschlklien Vernunft zum Viir- 
^cUein, uod ebcnao iiiigekünsttlt und farbenkraftig spiegeJt 
sich fragliches Bild in der Sprache ab. 

Schon der BegriÖ' Farbe selbst wird in materieller 
Binsicbt aufgcfasst und entweder als eine von der Natur 
verliehene oder künstlich beigebrau-hte Hülle tlurgesteüt. 
Wir müssen dunmiich im Türkischen zweierlei Bezeich- 
nung dieses Begriifes unterscheiden und zwar zunächst die 
natürliche, gewissen Körpern theüa vom Entstehen an, 
Iheils im spätem Wachsthuin eigene Farbe, die entschie- 
den als Hülle, Kleid, äussere Fläche und Aussenseite be- 
trachtet, mit uig. «wj, eng. öng, jak. öw, in bezeichnet 
wird, ein Wort, das, wie aus §. 196 ersichtlich, an _;'«», 
f«n==Hant, Wolle, Zierde, kaz. rö«;= Wolle, Vogelfedem, 
iny. y'Mn = Wolle, Vogelfedern u. s. w., sich anreiht und 
ganz einfach alß Kleid, Bekleidung, Aussenseite «nd Antlitz 
aufzufassen ist. Hierher gehört der Begriffsanalogie nach 
auch das cag. ment/iz, osm. fttwi' ^ Gesichtsfarbe, vom 
Stammworte tuen, min— ohsn, obenauf, Aeuaseres, Das 
zweite Wort für Farbe, aändich cag. lojak, osm. Loja, uig. 
botai; bedeutet seinem etymologischen Werthe nach An- 
strich, Schmiere, denn es stammt von boj,lok — Schmutz, 
Unflat (vgl. magy. fos = Unflat und fös-tcni =^ färben, 
fe-rner osm. l;lr ^ Schmxitz und uig., cag. ¥ir-is = Farbe, 
Aeusseres), wonach der Begriff malen mit beschmieren, 
Malerei hingegen mit Beschniicrnng, Beschmutznng iden- 
tisch ist. Nachdem wir nun die allerdings interessante 
Unterscheidung zwischen den von der Natur erzeugten 
und künstlich geschaffenen Farben hervorgehoben, müssen 
wir vor allem die Frage aufwerfen, ob die im Türkischen 
vorhandenen Farbennamen ursprünglich aus speciell auf 
die Farbenempfindung bezüglichen Stamm- oder Wnrzel- 
wörtern entstanden, oder ob sie etwa von jener äussern 
HüTle entlehnt worden sind, in welcher einige dem Men- 

V»mbi!tj, Caltar. ]5 



226 

sehen in seiner allerfrühesten- Existenz vorkommenden Ob- 
jeete dem Auge sieb dargestellt haben. Inwiefern die Frage 
auf dem allgemeinen Gebiete der Sprachengeschichte be- 
jaht oder verneint werden könne, muss der Sprach- 
philosophie überlassen werden. Wir haben hier ausschliess- 
lich mit dem Farbensinn einer einzelnen Abtheilung des 
Menschengeschlechtes, nämlich des Turkenvolkes zu thun, 
und können nicht umhin, auf Grund leichtfasslicher sprach- 
licher Beweise die Behauptung aufzustellen, dass sämmt- 
liche im Turko-Tatarischen vorhandenen Far- 
bennamen, von der Natur sozusagen abgelauscht, 
als einfache Eigenschaftswörter gewisser Ele- 
mentarbegrife figuriren, oder um mich klarer aus- 
zudrücken, dass roth dem Feuer, blau dem Was- 
ser, grün dem Wachsthum u. s. w. entlehnt wor- 
den ist, daher denn auch nicht die geringste Spur 
von jenem Hin- und Herschwanken zu bemerken 
ist, welches dem Menschen im grauen Alterthume 
der arischen und semitischen Kasse in Betreff der 
Farbenunterscheidung zugeschrieben wird. 

Diese Procedur hat es ermöglicht, dass die Türken, 
nicht wie die Chinesen fünf, oder wie die Griechen vier, 
sondern sechs Grundfarben annehmen, und dieselben als 
von Stoflfnamen in leicht erkennlicher Weise abzuleitende 
Farbenadjective correct zu bezeichnen im Stande sind. Es 
ist dies allerdings ein Vorzug über andere Sprachen, auf 
den die Philosophen nicht genug aufmerksam gemacht 
werden können, wie auch im allgemeinen die Farbennamen 
der türkischen Sprache so manche auf diesem Gebiete 
mühsam aufgestellte Theorie über den Haufen werfen, in- 
dem es sich herausstellt, dass die ehrwürdigen Literatur- 
monumente einer Jahrtausende alten Culturepoche in der 
Ursprungs- und Entwickelungsgeschichte der menschlichen 
Vernunft und Sprache keine solchen Factoren abgeben 



227 

können, wie die von fremden Cultureinflüssen unbehelligte 
rein erhaltene Sprache einer primitiven Menschenrasse. 
Wie der Leser sich überzeugen wird, sind die den Tür- 
ken in der frühesten Existenz bekannten sechs Grund- 
färben: weiss, roth, schwarz, gelb, grün und blau, mit 
denen wir uns der Reihe nach beschäftigen wollen. 

a) Weiss = aÄ:, ag, zugleich aber auch der Inbegriff von 
offen, klar, hell, leer, daher im Grunde genommen das 
Negative einer Farbenbezeichnung, oder farblos (vgl. §§. 
1 und 5); weiss ist in derThat als analog mit rein, offen 
aufgefasst . auch in diesem Sinne in den Sprachgebrauch 
übergegangen. Vgl. jüz akligi = Weisse des Antlitzes, 
Makellosigkeit, Offenheit, Klarheit des Aussehens, womit 
in gleichem Maasse Ehre, Achtung, Ansehen und Ehr- 
würdigkeit ausgedrückt wird, wie dessen Gegensatz jüz 
Izardligi = Schwärze, Dunkelheit des Antlitzes, Schmach 
und Schande bedeutet. Es ist daher auch üblich, den 
Verbrechern in einigen Theilen Centralasiens, wenn sie 
aus dem Gefängnisse geholt coram publico vor dem Rich- 
ter zu erscheinen haben, das Gesicht mit Koth oder mit 
einer schwarzen Farbe anzustreichen, um damit zu be- 
zeigen, dass sie der Reinheit oder der Weisse des Ant- 
litzes verlustig geworden sind. Mit ak wird aber ausser- 
dem noch die nächste Nuance von weiss, nämlich grau 
ausgedrückt, worunter allerdings nicht dunkelgrau, denn 
hierfür gibt es ein specielles Wort, sondern hellgrau, 
silbergrau verötanden werden muss, in welchem Falle diese 
Farbe sich wenig oder gar nicht unterscheidet, soweit es den 
bildlichen Werth von weiss betrifft. Äk saJcal = weisser, d.h. 
grauer Bart ist begrifflich analog mit dem engl, alderman^ 
dem lat. senior^ dem pers. ris sefid u. s. w., und aga = 
der Aeltere, der Ehrwürdige, der Vorgesetzte, steht in 
gleichem Verhältnisse zu ak = grau wie das deutsche „Graf" 
zu „grau". Angesichts dieser doppelten Bedeutung von 

15* 



228 



ak (weiss und giau) darf nicbt unberücksichtigt lileibcn, 
daB3 die lürkisL-lie Spraclie für grau aucb noch ein ande- 
res Wort bat, nämlifh boz, alt. poz, cigentl. schimmelgrau, 
welches mit dem cag., uig. &o)' — Kreide verwandt ist, und 
■vorzugsweise als Farbenbezeichnung bei Pferden und an- 
dern Thieren vorkommt. So cag. hoB-at, alt. }ior-ul = 
Schimmel, und (emjV i>on< = Eisenschimmel; ferner nach 
stattgefunden er Mouillirung des auslautenden r in £■ bei 
y 02, jyMS=: Nebel (graue Luft) und bei fcw^, _pw*', ni\u, «lus 
= Eis, wobei eine blosse Farbendefinition, aber keine spe- 
cielle Benennung der gefrornen Flüssigkeit vorliegt. Dasa 
bo£ dem primitiven bor entsprungen, unterliegt keinem 
Zweifel; ob jedoch vorliegender Farbenname begrifflich 
der Kreide entlehnt ist, oder ob hör ursprünglich weiss 
bedeutete, wäre schwer zu unterscheiden, obwol das magy. 
feiler, fejer hierzu einen schwachen Anhaltspunkt bietet. 
Wahrscheinlicher ist jedenfalls die erste Hypothese. 

Wie an den betreiTeuden Stellen unserer Abhandlung 
schon erwähnt wurde, hegt die Stammsilbe ak oder in 
ihrer normalen Laut Veränderung von ag, aj, ad, ac einer 
grossen Anzahl theils auf weiss und hell, theils auf offen, 
leer und klar Bezug habende Wörter (vgl, §§. 1 — 8) zu 
Grunde. Weiss ist die Grundbedeutung des Wortes für 
Mond (vgl. a; = iIond mit fly = wei8Bj, und weisolich, uäm- 
hch agil, heisst der Hof des Mondes; ebenso ist auoh ( 
etymologische Uebersetzuug des Wortes fiir Silber, i 
lieh ak'Ce weisslich, während das Weltall mittels ai-i 
(Oeffentlichkeit) , das heitere Wetter mittels aj-as { 
heit) ausgedrückt ist, 

b) Koth und hochroth, wovon ersteres mit kizil, le^ 
terea mit al ausgedrückt wird, sind zwei lautlich getrennte, 
aber begrifflich miteinander eng verbundene Wörter, denn 
kizil stammt von kis=Yeavv-, Glut (vgl. §. 93), und al'ai 
identisch mit al,jal, aiong. gli a! = If euer. Flamme, i 



loderödes Feuer (vgl. §. 126). Höchst sinnreich, wie die 
Benennung der zwei Hauptmianeen der rothen Farbe enl- 
sUnden, können wir nicht umhin, gleich im Anfang ?a\ 
bemerken, dass ki', iix, die Stammsilbe für die auf Feuer, 
Ghit, Hitze und Warme bezügüeiicn Wärter, beute als 
specielle Bezeichnung des Wortes Feuer nicht mehr ge- 
braucht wird, denn hierfür haben wir im Osten daa echt 
türkische ot, im Osmanischen diia dem Persischen entlehnte 
tttes, während al oder jiil mit den Varianten (/, jil, ill 
(vgl. §g. 10 und 126) entschieden den Inbegriff von Loch- 
roth, röthlich, strahlend, glänzend, blitzend, flammend 
n. 8. w. in siüh schliesst. Wenngleich sich annehmen 
lässt, dass ursprünglich die beiden Farbennamen in An- 
betracht ihres heterogenen Ursprunges einen so ziemlich 
abgegrenzten Begriffskreis hatten, so konnte dieser im 
Laufe der Zeit sich nitht erhalten, und es ist namentlich 
in den Derivaten, welche leblose Dinge bezeichnen, bald 
die Stammsilbe Jeu, bald al als Grundwort verwcudet 
worden. Ich sage mit Vorsatz bei leblosen Dingen, denn 
wo es sich um Ausdrücke handelt, die menschliche, gleich- 
viel ob moralische oder physische Eigenheiten bezeichnen 
aollen, finden wir kte vorzugsweise angewendet. So ^i^= 
Mädchen (vgl. g. 93), hügin = zornig, d. h. feurig, eigentl. 
gcrötbet infolge des aufgeregten Gemütbcs, iuy. Jiirle:^ 
schön vom menschlichen Antlitz, eigentl. roth (eine häu- 
fige Eegriffsverwecbselung; vgl. russ. Jcrastio = roth, mit 
elaw, krasni= schön"). Bei leblosen Dingen hingegen tritt 
die allerdings später erfolgte Verwechselung in besonders 
markanter Weise beim Worte für Gold hervor. Dieses 
Metall wird nämlich beinahe auf dem ganzen Sprachge- 
biete sowol kisil als auch allhh d. h, das liothe und Hoch- 
rothe genannt (vgl. ferner jak. ulfan — Kupfer, d. Ii. rothes 
[Erz?]), ebenso wie Silber alicc, d. h. das \Vei3sliche. Da 
beide Farbennamen, wie wir früher hervorgehoben, von 



L 



230 

genau definirten Substantiven, nämlich von Helle und 
Feuer abstammen, so unterliegt es keinem Zweifel, dass 
hier der Begriff des Metalls durch den der Farbe ver- 
mittelt worden ist, und zwar derartig, dass die Frage 
durch' sich selbst gelöst erscheint, deren Nichtbeantwor- 
tung Steinthal* bei Geiger rügt, nämlich die nicht genü- 
gende Ermittelung eines Processes: wie zwei so verschie- 
dene BegriflFe wie ein Stoflf und die Eigenschaft einer 
Farbe zusammenfliessen. Der Mensch hat allerdings das 
Feuer, eins der wichtigsten Elemente, eher gekannt und 
benannt, als dies bei dem etwaigen Ausdrücken seiner 
Farbenempfindungen der Fall gewesen sein konnte. Vom 
Begriffe Feuer entstand der Farbenname roth und von 
diesem ging es als Eigenschaftswort und Name auf das 
fragliche Metall über. 

Aber nicht nur der Name der Grundfarbe, sondern 
auch die Bezeichnungen der betreffenden Nuancen als 
brann oder rotlibrann stehen mit dem Begriffe Feuer 
oder Wärme in engem Zusammenhange, wie aus dem 
türkischen Farbennamen ^*afc>= braun ersichtlich ist; dies 
steht zum Stammworte jalf = brennen , zünden in einem 
Verhältnisse wie das deutsche brennen zu braun, bräu- 
nen. Ursprünglich bedeutete jaki:s dunkelbraun, daher 
die stereotype Redensart im Texte des ?!udatku Bilik von 
jaktjs^ jer, was die neuern Sprachen mit kara jer = schwarze 
Erde wiedergeben; heute jedoch finden wir dieses Wort 
im Osmanischen für fuchsroth oder Fuchs als Pferdefarbe. 

Wenn L. Geiger in seinem Abschnitte über die Far- 
ben auf den Umstand hindeutet, dass roth und schwarz 
sich etymologisch vereinigt findqn, ohne dies aus dem 
Wortlaute der Literaturmonumeilte des Alterthums zur 



* Der Ursprung der Sprache im Zusammenhange mit den letzten 
Fragen alles Wissens (Berlin 1877), S. 206. 



231 

Genüge beweisen zu können, so sind wir in dieser Hin- 
sicht im Türkischen viel besser daran, denn wir können 
in dem Worte für braun so zu sagen den Uebergangspunkt 
entdecken, wenn wir das Wort für schwarz daneben stellen, 
c) Schwarz = kara ist nämlich demselben Gesichtskreise 
entsprungen wie roth, und beruht ebenfalls auf dem Grund- 
gedanken der Wärme, Hitze und der von letztern ver- 
ursachten Dürre. Die Stammsilbe dieses Wortes ist kok 
= trocken, dürr, woraus das transitiv-active kakiirmak = 
dörren, trocknen, später nach normaler Absorbirung des 
inlautenden Gutturalen kaurmak (vgl. osm. kavtcrmak = 
rösten, dörren) und das Adjectiv kaurak, kauruk, resp. 
Icara = schwarz und kuru = trocken entstanden ist. Der 
analoge Ursprung beider Eigenschaftswörter, die nicht 
nur lautlich, sondern auch begriflflich miteinander eng ver- 
bunden sind, macht es erklärlich, dass heute kara sowol 
in der Bedeutung von schwarz als auch von Erde, trocke- 
nes Land, als Gegensatz zum Wasser, gebraucht wird, 
und dass eben beide Begriffe als ganz identisch erscheinen. 
Wir werden weiter unten sehen, wie aus dem Gegensatze 
von trocken, nämlich von nass und feucht, die Namen 
heller, lichter Farben entstehen, und wollen hier nur con- 
statiren, dass, so wie die weisse Farbe einerseits die Klar- 
heit, die Helle und die Welt, andererseits die Ehre und 
Achtung interpretirt, die schwarze als entsprechender 
Gegensatz sowol Finsterniss, Dunkelheit und Unterwelt, 
Hölle, als auch Schande, Schmach und Unglück symboli- 
sirt. Wie bei den übrigen Völkern war bei den Tür- 
ken von jeher schwarz das Zeichen der Trauer und der 
Düsterheit (vgl. karangu = finster, eigentl. schwärzlich, fer- 
ner ÄaraÄ = Schaden, Plünderung), und unter kara versteht 
der dem Schamanenglauben noch heute treu gebliebene 
Altaier die bösen Geister, den Teufel, ja die Quintessenz 
der Bosheit. Vgl. alt. oj-feara-el = der böse Hausgeist, der 



nach dem Hinsclieideii eines Familiengliedes als Würg- 
engel (a/(7ffl/i— Nchmer) iBi Hange zurückbleibt und durch 
die Zauberformel des Schamans verscheucht werden muss. 
Charakteriiätiach ist es, dase dieser Farbennaiiie, vielleicht 
infolge der der Schwarze und der Finsterniss zugeschrie- 
benen Fürchterlichkeit, in einigen Theilen des östlichen 
Sprachgebietes in der Bedeutung von ungeheuer, überaus 
gross Torkoumit. So Jcara agac, d. i. die in Mittelasien 
der Grosse halber bekannte Ulme, wortl. schwarzer Baum; 
kara~has, d. i. das grÖsate unter gewissen Hausthicren, 
wörll. schwarzer Kopf; ^ara Tiuiiim, d. i. die grosse Stadt, 
kara janis (alt.) =: ganz allein, d. h. der Superlativ dieses 
Eigenschaftswortes u. s. w. ; ja möglicherweise ist /lW«= Volk 
und schwarz aus demselben Motive entstanden. Dieserldeen- 
gang, noch mehr aber der Zusammenhang des Begriffes hart, 
trocken, dürr einerseits und das Verhältniss der eine lange 
Fxistenz voraussetzenden Reife, d. h. das Endresultat einer 
langen Lebensdauer andererseits, machen es erklärlich, dass 
der primitive Mensch der tu rko -tatarischen Rasse, in einer 
nicht genug zu bewundernden sinnigen Weise den Begriff 
des Alters und der Bejahrtheit an den der Trockenheit, 
Dürre und Schwärze anknüpfend, das Wort für alt aus 
derselben Stammsilbe gebildet hat, wie die Worter für 
trocken und schwarz, Kari=^B.\t, bejahrt, steht nämlich 
zu Äara^^ schwarz und AMrM = trocken in demselben Ver- 
hältniss, in welchem jas = jung zu ja^^nass und jasü = 
grün sich befindet, wie wir dies bereits im zweiten Abschnitte 
über Geschlecht und Altersstadien hervorgehoben haben. 
Der Mensch hat in genauer Beobachtiuig der Naturgesetze 
die verschiedenen Phasen des Wachsthums der Pflanzen zur 
Bezeichnung der einzelnen Stadien seines Lebensalters sieb 
als Muster hingestellt, daher die sowol lautliche als begriff- 
licheldentität der Jugend mit dem saftigen üppigen Grün und 
die des Altere mit dem ausgetrockneten schwarzen Äeusscrn 




t Pflanzen. — So wie neben der spccifisch rotben Farbe 
i gleichem Ideengange und aus begrifl'lich Terwandtem 
lammworte der Farbenname für rotbbraun (Jakis) her- 
vorgegangen, ebenso ist mit kara eng verwandt Hr dunkel- 
braun , eine Abstufung des Schwarze» , und ebenso wie 
liara schwarz und Erde bedeutet, so heisst hlr braun und 
zugleich Feld. 

d) (ielb — sor)'(', sari, drückt nicht wie in andern Spra- 
chen die Farbenempfindnng des Hellen, Strahlenden und 
Glänzenden aus, wie wir dies im gegenseitigen Verhält- 
nisse zwischen dem arab. zahab^=Go\A und safiäb ^^lo^h- 
lioh, dem a!aw. dato = Gold und iluti =■ gelb, dem pers. zcr 
= GoId und ?crd — gelb u. s. w, wahrnehmen, sondern es 
bildet im Gegentheile den Inbegriff der Blässe, des fahlen 
und welken Aeiissern, wie uns dies aus der etymologischen 
Zergliederung des betreffenden Wortes ersichtüch wird. 
So wie den Worten hara, kunt und kari die Stammsilbe 
lc(Oi zu Grunde liegt, so haben wir in sari, sara die Stamm- 
silbe sak in der neuern Form s«^ ^ trocken, dürr, und 
nach einem analogen Processe wie bei kara ist aus saliur- 
mak, satirmak (geib werden), sauntk, sarih, sari entstan- 
den. Es ist sonderbar, dass nicht blos in den arischen 
und semitischen Sprachen Gold als Stoffname mit dem 
Farbennamen gelb eng zusammenhängt; wir finden einen 
ähnliehen IJeengang seibat auf dem Gebiete der ural-altai- 
schen Sprachen, nämlich im finnisch-ugrischen Kreise aus- 
gedrückt, wenn wir das wogulische sorni, syrjänische zarrii, 
magy. araw?/ = Gold, mit dem turko-tat. sari:^gelb ver- 
gleichen, und auch die von Ählquist* vermuthete Annähe- 
rung an das Sanskritwort lüranya im Zond saranya, das 
er via Mittelasien zu den Finn-Ugriern kommen lässt, 
können wir nicht ausser Acht lassen. Wie gesagt, gelb 



1. Ti. 



234 

ist, wie der etymologische Werth des Wortes bezeugt, 
bei den Türken von jeher die Farbe des Siechthiims, des 
Verblühens und des Verfalles gewesen; mengst afmis = er 
hat die Farbe verloren, und saramis = er ist gelb gewor- 
den, sind gleichbedeutende Begriffe für fahl, bleich und 
blass, und wenn Ewald* in seinem Buche über die 
Farbenbewegnng, von der Vorliebe der Romer für das 
Gelbe ausgehend, der Ansicht ist, dass die Auffassung 
von Gelb, heute bei uns die Leibfarbe des Neides, sich 
im Laufe der Zeit und mit dem Wechsel der leitenden 
Culturvolker verschoben haben muss, so scheint er das 
sprachliche Verhältniss dieses türkischen Farbennamens 
nicht berücksichtigt zu haben. Und dennoch beruht der 
türkische Ausdruck dieser Farben empfindung und ihre 
Verwerthung auf dem Gebiete der Metaphern auf einem 
naturgetreueren Ideen verhältniss als bei den übrigen so- 
genannten altern Culturvölkern ! 

Wir haben soeben auf die Begriffsanalogie der Jugend 
mit dem üppigen Grün, des Alters mit der Schwärze und 
Dürre der Pflanzen hingedeutet; wir wollen nun das Bild 
durch mittlere Farbenabstufungen ergänzen, indem wir 
auf die in der Sprache zum Ausdruck gelangte Identifi- 
cirung der reifern Jugend mit roth und Feuer (vgl. deli 
kanli und ä;?>, §. 93), und des reifern zum Alter sich 
neigenden Lebensstadiums mit gelb, als mit der Periode 
des Welk Werdens, hinweisen. 

e) und f) Blau und grün wollen wir deshalb unter 
einer Rubrik besprechen, weil erstens die betreffenden 
Farbennamen im Türkischen ein und demselben, wenn- 
gleich nicht lautlich identischen Stoffworte entlehnt wor- 
den, und zweitens, weil sie in dem alltäglichen Gebrauche 
auf gewissen Theilen des Sprachgebietes häufig mitein- 



* Berlin 1876, Erste Hälfte, S. 60. 



235 

ander verwechselt werden, trotzdem dort, wo dies der 
Fall ist, eine genau definirte Bezeichnung der zwei ver- 
schiedenen Farben nicht unbekannt geblieben ist. Die 
Farbenempfindung des Blau hat der Türke von jeher, 
wenigstens soweit durch vorhandene Sprachdenkmäler sich 
dies nachweisen lässt, mit Tcöh ausgedrückt, ein Wort, 
welches die ältere Form des im Kudatku Bilik angeführ- 
ten üTci, %^= Wasser ist*; wir sehen demnach auch das 
Eigenschaftswort blau dem Wortwerthe nach für Farbe des 
Wassers an, ebenso wie das neupersische ahi = blau, 
welches von ah = Wasser, und das modern arabische 
mawi = blau, das von ma = Wasser stammt. So viel von 
der Etymologie dieses Wortes. Bezüglich seiner Bedeu- 
tungssphäre haben wir schon kurz angiedeutet, dass es ab- 
wechselnd bald in der Bezeichnung der blauen, bald der 
grünen Farbe vorkommt, so cag. Äöyfc = dunkelblau und 
grün. Gras, Wiese, Laub der Bäume, az. ^w; = Gras 
und güjlemek = grünen , mong. Tcüke = grün. Es ist dies 
eine BegriflFsverwechselung, der wir auch in den ältesten 
Literaturmonumenten arischer Völker, ja des gesammten 
Alterthums begegnen und die sich daraus erklären lässt, 
dass die beiden Farben, als eine Nuancirung des Dunkeln, 
der optischen Auffassung anfangs sich gleichsam als iden- 
tisch vorstellten, eine Gemeinsamkeit, die, abgesehen von 
der empirischen Seite, auch aus der den vorhandenen 
türkischen Wörtern für grün und blau zu Grunde liegen- 
den analogen Ideenverbindung hervorleuchtet. Ein zweites 
höchst interessantes Moment bietet das türkische Wort 
Icölc, da dasselbe ausser blau und grün auch noch Himmel, 
und zwar den materiellen Himmel im Gegensatze zu 
tangri = der geistige Himmel, bedeutet und hiermit sich 



* lieber das Verschwinden des anlautenden k vgl. mein „Etymo- 
logisches Wörterbuch", S. XII. 



236 



in vollen Widerspruch stellt zu unsern aus den ältesien 
Literaturen in dieser Beziehung gemachten Erfahrungen, 
Während Geiger* es mit Recht auffiillend und vcrwun- 
demswerth findet, dsss die vedischen Lieder und niuht 
minder die Avesta, die Bibel, der Koran und selbst die 
Homerischen Gedichte der Bläue des Himmels, welche 
(loch in den Heimatländern fast aller dieser Bücher mit 
gjtuz besonderm Heize wirkt, trotz überall nahe liegender 
und oft dringender, wie man glauben möchte gebieteri- 
scher Gelegenheit, niemals die entfernteste Erwähmiog 
thnn, finden wir im Türkisehcn den Himmel nicht nur 
schon früh als blau bezeichnet, sondern beide Begriffe, 
nämlich Blan und Himmel, eng verbunden, als ein und 
dasselbe dargestellt. Ist schon diese Congruenz an und 
für sich hinreichend, das türkische liÖk nicht als eine 
neuere Wortbildung, wie dies beim früher erwühnten 
pers. ahi nud arab. niawi der Fall ist, zu betrachten — 
denn die Benennung des Begriffes Gras, Wiese und Ge- 
wächs im allgemeinen kann doch nicht auf eine spätere 
Periode gesetzt werden - — so muss der Umstand , dass 
der Himmel als der Blaue (Jzöli) und nie als der Grüne 
(JäsiV) vorkommt, mit der Genuinität des Fnrbenwortes 
auch die uralte Existenz dieses Farbeubegriffes sicher 
stellen. Wir können daher mit Sicherheit annehmen, dass 
wenngleich die arischen Völker im grauen Alterthnme, 
wenigstens in jenem, in welchem die Veden entstanden, 
die blaue Farbe entweder nicht zu unterscheiden oder 
derselben keine specielle Benennung zu geben vermochten, 
die den Ariern in der Cultur weit zurückstcheuden Türken 
die blaue Farbe und den entsprechenden Farbennamen 
schon früh, ja seit dem Bestehen ihrer Sprache gekannt 
haben. 



* 9. 260. 



Geben wir znr Erörterung des Wortes für grün, «Sag. 
ja^il. osiu. jesil über, so werden wir sofort bemerken, daas 
diesem das Stammwort jas' = feiicbt, uaaa 211 Grunde liegt, 
und so wie blau als Farbe des Wassers, gruo als tu 
engem Zusammenhange mit Nässe und Feuebtigkeit dar- 
gestellt wird. Hier ilnden wir aufs neue den an die Natur- 
gesetze des Wacbstbums der Pflanzen sicli anleimenden 
Ideengang, indem die in ibren Fasern noch Feuchtig- 
keit enthaltende Püanze als lebend und gedeihend, daher 
grün erseheint (vgl. lat. virco, viridis, altdtscb. gröni — 
grün, engl, jroto — wachsen, türk. ^'ai — nass, jnÄi7=grün 
und jas—'jaag, Jugend), ebenso wie im entgegengesetzten 
Falle die ihrer Lcbenssüfte verlustig gewordene ausgedörrte 
Pflanze als schwarz, d. h. als in der Farbe des Todes, 
Verderbens und Unterganges dargestellt wird. In Grün 
ist noch heute das Leben und die Hoffnung, in Schwarz 
der Tod und das Unglück symbolisirf. 



XIX. 

Gott und Heligxoii. 



^^V In Anbetracht der bei den Semiten so reichlich ent- 
wickelten theosophiscben und religiösen Speculation, fin- 
den wir Ecbou längst die Ansicht verbreitet, dasa diese 
eigenartige Richtung des menscblichen Geistes bei den- 
jenigen Volkern in vorzijglicher Weise Wurzel gefaast, 
und mit einer bis zum Monotheismus geführten Conse- 
quenz verfolgt wurde, die vom monotonen Charakter der 
unabsehbaren Stejipcnhciinat conteniplativ geworden, und 



L 



238 

wo das menschliche Auge von der imposanten Unbegrenzt- 
heit des Horizontes zum Anstaunen und zur Bewunde- 
mng der schaffenden und belebenden Kraft des Weltalls 
sich vielmehr hingerissen fühlte, als unter aDdem terri- 
torialen und klimatischen Verhältnissen. Um nach meinen 
eigenen persönlichen Erfahrungen zu urtheilen, übt die 
Steppennatur, wie ich solche wochenlang auf meiner Reise 
zwischen Persien und Chiwa zu beobachten Gelegenheit 
hatte^ auf das menschliche Gemüth einen entschieden mehr 
anregenden und packenden Einfluss aus, als die höchste 
Alpenregion mit ihren zerklüfteten Felsenkolossen und mit 
ihren im wunderbarsten Farbenprisma glänzenden Schnee- 
häuptern. Und dennoch muss sich uns die Wahrnehmung 
aufdrängen, dass wenngleich die Steppennatur sich überall 
gleichbleibt, der in derselben lebende Mensch, allerdings 
infolge verschiedenartiger Einflüsse von aussen her, nicht 
ein und denselben Pfad der Ideenwelt einschlägt; denn 
während die in und neben der Arabischen Wüste wohnen- 
den Semiten von jeher durch religiöse Speculationen sich 
hervorthaten, tritt bei einem andern mehr nördlich wohnen- 
den Steppenvolke, nämlich bei den Turko-Tataren, in dieser 
Beziehung ein geistiges Unvermögen und der kälteste In- 
differentismus zum Vorschein, indem der Schamanismus, 
dieses uralte Religionswesea der Turanier, mit seinem 
Trommellärra, Zauberspuk und seinen Geisterformeln sich 
nur wenig über den Fetischcultus des wildesten Afrikaners 
erhebt. Wenn also diese Verschiedenheit der menschlichen 
Geistesrichtung uns auf den ersten Anblick befremdet, so 
wird andererseits eine eingehende Prüfung der Sachlage 
uns belehren, dass hier weniger ethnische Eigenheit oder 
Bodenbeschaffeuheit, als vielmehr Zeitraum und Verschie- 
denheit des Klimas den Ausschlag geben. Im Süden näm- 
lich gedeiht nicht nur das Pflanzenreich schneller und 
üppiger, sondern auch der * menschhche Geist thut sich 



239 

durch eine raschere Entfaltung und durch eine regere 
Thätigkeit hervor. Daher hat auch der bei den Semiten 
früher vorhandene Fetischdienst in verhältnissmässig kür- 
zerer Zeit dem mehr rationalen Monotheismus Platz ge- 
macht, und deshalb bedurfte auch die jahrtausendelang 
stationär gebliebene Cultur der Türken unter einem 
hohem Breitengrade eines grossem Zeitmaasses und eines 
stärkern Impulses von aussen her zu diesem Processe der 
Umgestaltung und zu diesem Fortschritte. 

Schon die Art und Weise, wie der BegriflF Religion 
auf dem, einem fremden Einflüsse minder zugänglichen 
Sprachgebiete im Anfang zum Ausdruck gelangte, kenn- 
zeichnet vollständig unsere Ansicht. Wir finden nämlich 
dort, viro das arabisch-moslimische dm= Glaube unbekannt 
geblieben, für diesen BegriflF noch heute die Worte jan 
oder jo^oJc (alt.), der Wortbedeutung nach Art, Manier, 
Sitte und Anstand, was folglich ganz einfach als Lebens- 
norm, Verhaltungsregel oder Gesetz aufgefasst werden 
kann, wonach der Mensch sich verhalten muss, um An- 
spruch auf Anstand zu haben; es ist daher, wie wir wei- 
ter unten sehen werden, der eine Religion habende, gott- 
kennende , gottfürchtende Mensch ins Stadium einer 
höhern Bildung getreten, und dies erinnert uns an ein 
ähnliches, im christlich- lateinischen ^a^aww5= Heide, eigentl. 
Dorfbewohner, hervortretendes Verhältniss. Janyi jok kisi 
== ein Mensch ohne Gesetz, Sitte, d. h. ohne Religion, ist 
ein Schimpfausdruck gleichbedeutend mit dem modern- 
islamischen Jcafir = ungläubig, d. h. der Ausbund aller 
Schlechtigkeit. Der BegriflF Religion trägt daher, soweit 
aus dem hierfür bestehenden Ausdrucke ersichtlich, die 
Anschauung eines mehr socialen als geistig -religiösen In- 
stituts in sich und weicht in dieser Hinsicht entschieden 
ab von dem arisch-europäischen „Glaube", ßdes, und dem 
arab. iman und dem hebr. ämunah^ in welchen Wörtern 



(lor Grundgedauke Jes Glaubens und Vertrauens uuS 
der Zuversicht in das höchste Weseii ausgudrüekt ist. 

Es kuDU selbst verstau dl ich Dicht die Aufgabe dieser 
Schrift sein, die Dogmen und Theorien des Schamanen- 
glaubens, wie er in den allerdings heute schon abgeschwäch- 
ten Formen unter den ural-altaisehcn Völkern des nord- 
östlicheu Asiens vorliegt, oder wie dessen Geist in den 
durch Rftdloff veröffentlichten höchst werthvollen Literatur- 
proben der Türken Südsibiriens unserer Erkenntniss nahe 
kommt, eingehend zu erörtern. Dieser Aufgabe gedenken 
wir in der speciollen Arbeit über die Ethnographie des 
Türkenvolkes uns zu entledigen. Da wir uns die Erfor- 
schung der primitiven CulturverhÜltnisse des türkisch-tata- 
rischen Volkes zum Ziel gesteckt haben, tritt hier die 
Nothwendigkeit an uns heran, den uralten Zustand, ja die 
Entstehungsphasen dieses eminent turanischen Glaubens 
im Lichte sprachlicher Auseinandersetzungen einer Prü- 
fung zu unterwerfen, indem wir es versuchen wollen, je- 
nen innigen Zusammenhang in Relief zu bringen, 
der zwischen dem auf religiöse und überirdische 
Begriffe Bezug habenden Wortschatz einerseits 
und dem Geiste der uns bekannten Lehren des 
Schamanen glauben 8 andererseits lie steht. Wir 
wollen uns daher zuerst mit dem als Oottheit darge- 
stellten höchsten Wesen beschäftigen. Wie schon in 
dem Abschnitte über Himmel, Sterne u. s. w- erwähnt, 
waren die Begriffe Himmel und Gott fast bei allen Völ- 
kern der ural-altaischen Kasse von jeher identisch, indem 
unter demselben der geistige Himmel, das die Welt um- 
spannende Firmament, und der dem Urmenschen zumeist 
als Object des Staunens, der Verwunderung und der 
Furcht sieb präsentirende Lichtkörp er (vgl, fttK^^Helle 
und ;(i«7r!=Hinimel) verstanden wurde. Dieser Himmels- 
gott, diese Pcrsonification des allerhöchsten Wesens scheint 



■ '2-tl 

im Laufe der Zeit untergeordnete Götter oder dienst- 
tbiiende Geister erhalten zu haben, denen das Schalten 
und Walten der einzelnen Elemente und die Vermittelung 
zwischen Gott und den Menschen, d. h, die Belohnung 
oder die Bestrafung derselben übertragen worden ist, da 
nach echt altaischcn Bogriffen derartige Dienstleistungen 
dem höchsten Wesen, als unter seiner Würde stehend, 
doch nicht zugemuthet werden können. Ein ähnliches 
Verhältniss findet nach Chwolsohn auch im Sabaiamus 
seinen Ausdruck, und so soll auch z. B. im Glauben der 
Pernier Heiden der oberste Gott Jen sich nur mit den 
allerhöchsten Geschäften abgeben, ähnlich dem Jumo der 
Tscheremisseu, während die Verwaltung einzelner Gebiete, 
wie der Flüsse, Wälder, Felsen und des Feuers, unter- 
geordneten Geistern anvertraut wurde,* Dieser höchste 
Gott nun hat auch in der That seinen speciellen Namen 
im Altaisclien beibehalten, oämlicL in der Bezeichnung alt. 
lean tetigere, d. h. Fürst-Himmel oder Fürst-Gott, während 
iettgere allein, wenn auch nicht mehr im Altaischen, so 
doch im Mongolischen, die Geister des Erd- und Himmela- 
raumes bezeichnet. Ein ähnlicher Fall läsat sich im Tschu- 
vascliischen wahrnehmen, wo die oberste Gottheit als SJüJili 
Tora, d. h. höchster Tora (von lanri, fari) dargestellt ist, 
während dessen untergebene Gottheiten nur in Begleitung 
des ihren Dienst kennzeichnenden Namens vorkommen. 
So: ivU chir sjoraäagan iora== der die lünder besehützende 
Tora, mol sjoradagan tora — der das Vermögen beschü- 
tzende Tora u. s. w. Dass dieser höchste Gott schon 
gleich im Anfang eine bedeutende Anzahl von Eigenschafts- 
wortern hatte, wie wir dies im Islam bei den neunundneunzig 
Epitheta AUah's und im Buddhismus bei einer noch grossem 
Anzahl wahniehmcn, bedarf keiner beaondem Erwähnung, 



" Vgl. Zolotnitiky, S. 146. 



242 



Dnd nur als ein liicrmit im ZtisnmmeDhaDge stehender 
und unsere Forschung in erster Reihe intcressirender Um- 
stand muBS hier bervoryehoben werden, daas diese Epi- 
theta, oder einzelne derselben, im Laufe der Zeit die Foi 
selbständiger Substantiven angenommen haben und hea| 
als vermeinte ursprünglich specielle Benennungen der Goü 
heit bei den tnrko-tatariscben Völkern thcils mündlii 
theils schriftlich gäng und gebe sind. Diese sind: 1) dl 
uig. okan, (5ag. ogan =-Gott, eigentl. der Allwissende oder 
Verstehende, von der Stammsilbe o^= begreifen, verstehen; 
2) das dag. bajal oder bijat ^ Gott, eigentl. der Hohe, 
Allerhöchste, von der Stammsilbe baj, bij=^ hoch, erhaben, 
(vgl. §. "205), und mit diesem begrifflich analog ist 3) das 
uig., alt. menggi, möngldi ^ Ai^i Ewige, der Himmlische, 
von meng, «(öW3=^hoch (vgl. §. 233), das übrigens bisweilei 
auch in der Form von menggi «fa— himmlischer Vater odi 
Vater in der Höhe vorkommt; 4) das alt, iu/ra/ca w= Gott. 
Gottheit, eigentl. der barmherzige, mitleidige Fürst oder 
Uott, von idiVmat, ^(y'!VH(ßÄ = bemitleiden, und Ja« =^ Fürst. 
Als Ergänzung zu diesen Benennungen der höchsten 
Gottheit sei noch erwähnt, erstens das bisher als etymo- 
logisches Iläthsel bekannte altosmanische volab =^ Gott, 
dessen Zusammenhang mit cc/tW ^^ Herr, Gottesmann, reli- 
giös, folglich vornehm, sofort aufGel, ohne von dem Geisti 
der türkischen Lautlehre zur Ueberzeugung gebracht zi 
Vferden, dass celcbi nicht \oa,colab, sondern nur 
lab stammen könne, und dass letzteres eine Zusammei 
Setzung von cal — aha, d. h. grauer oder greiser Vater odi 
Ahn, eine türkische Interpretirung der auch bei andei 
Völkern bekannten Auffassung der Gottheit sei, (Vgl 
alt. abias=^Gott, eigentl. alter grauer Vater.) Zvreitei 
hiidaj oder ckudaj, das persische cÄMd« = Gott, Herr, di 
sonderbarerweise au der Oslgrenze des Sprachgebiet 
nämlich bei den von dem iranischen Einflüsse am entfern- 






243 

ICBten liegenden Ältaiem am meisten gebraucht iat. Dies 
erinnert uns an einige andere ülinliche Fälle, nämlich an 
das magy. ts/en=Gott, das mit dem pers. i>rf«« identisch 
ist, und an die Existenz des ebenfalls pers. «««^Brot 
unter den Wognlcn im hohen Norden, Drittens das uig, 
iti, dag. e(/e oder iijc = Gott, Herrgott, eigentl. Besitzer, 
Eigenthümer (vgl, §. 30), das im Gninde genommen nur 
als Anrufung gebraucht, im Sprachgebrauohe der Ältaier 
jedoch in der einer normalen Lautveränderung entsprechen- 
der Form (■(■ als untergeordnete Gottheit, als Geist vor- 
kommt. So: tu-ecei^der Berggeist, jis ec£';~der Wald- 
geiat, SU ci.ei = der Wassergeist u. s, w. 

Was nun diese Gottheiten zweiten Ranges, diese dem 
Menschen Scbadcu oder Nutzen bringenden Geister an- 
langt, so hat die Sprache mit erstem, nämlich mit den 
wohltbuenden Genien sich nicht so eingehend beschäftigt 
als mit den bösen, die als Gegenstand der Furcht und 
des Schreckens fortwährend in der Einbildung und auf 
der Zunge waren. Unter diesen spielt der ErliJ: oder 
&i(i*= der Gott der Unterwelt, der Repräsentant der 
Bosheit und der Echädlichen Kraft, die Hauptrolle. Das 
Wort selbst bedeutet der Kräftige, der Mächtige und hat 
sich auch im Magyarischen erbalten in der Form ÖrdÖg= 
Teufel. Mit Bezug auf diese bösen Geister ist auch die 
Sitte der Opfer und Spenden entstanden, indem der pri- 
mitive Mensch dadurch ihren Zorn zu beschwichtigen und 
das Unheil abzuwenden versuchte, so wie er durch Ge- 
fälligkeitsbezeiguug die Gunst seines Nebenmenschen zu 
erwerben gewohnt war. Ueher das Wes^n und die Be- 
schaffenheit der Opfer geben uns die Sprachmonumente 




* Die Suftute lih und tik wechstln miteinauder, so ist das moderne 

R, lu, lü, welches eine Eigeascliat't bezeicimet, im Altaiäclien stets 

, tS, aosgedrückt, z. B, <5ag. MlüU, alt. ^'^^-(^1«= lacherlich. 



■244 



einige sehr wertbvoUe Winke an die Hand. So ist ni/ny 
=:daa Gelübde, wie ans dem Wortliiute ersit-litlich, eigent- 
lich nur das Versprechen oder Verheisaen eines Opfers, 
von a( = sagen, sprechen (vgl. §. 4); darauf folgt das 
cßtSiJ — Opfer, eigentl. das Aiisgcatrente, das Gespendete, 
eine Art Libatioii theils in flüssigen Körpern, thcils in 
kleinern Objecten, welche den die gefürchteten Geister 
repräaentirenden Penaten hingegtreut wurden. So wie das 
Haupt der bösen Geister mittels des complimentirenden 
Ausdruckes „der Mächtige" gewonnen werden sollte, 
ebenso führen die Götzen im allgemeinen den Zärtlich-^ 
keitsnamen üreien = Altar, Alterchen, von alt. ürei, 
ireg, magy. Öreg=^alt; denn das für den Begriff Götz(Ä 
erst in der islamitischen Periode entstandene put, buf, ehj 
ein Schimpfwort der Götzen, ist persischen Ursprt 

Gleichen Sinnes und Alters mit caclik ist das bei ( 
strengen Controle des Islams heute nnr noch im Abd 
glauben lebende yYs — Opfer aufzufassen. Mir ist diea 
"Wort unter den Turkomanen in der Bedeutung vou Todt^ 
mahl oder das zum Todteumahle gebackene Brot (vi 
„Cagataisehe Sprachstudien", S. 240} vorgekommen, 
nur nach später angestellten Vergleichen auf den ühri, 
Theilen des türkischen Sprachgebietes konnte mir desö 
eigentlicher Sinn einleuchten. Zoloinitzky berichtet in 3(9 
ner interessanten Studie über die Tschnvasclien (S. 150) vqi 
einem Halbgotte irich, den Sbojew in seinen „Zamjetki J 
Cuva^ach"* („Bemerkungen über die Tschuvascheii^ 
S. 124) als einen solchen Geist darstellt, der Krankheilj 
über die Menschen schickt, und der durch aus säuerlid 



* Lautlicli ist das t 



mit dem tiirkoDi. ijin aDulog, da ä 
dem turk. J 



245 

hlspeise und Lämmcru besteheuden Gescheukea naci 
der Meinung der Jomzen (Priester) besänftigt werden inuss. 
Diese bei den Tsuhuvascben von dea Opfcrgaben auf die Zeit 
siebst übergegitugene Benennung findet sich auch bei den' 
Minusinskiscbcii Tataren in der Form von ieik = gehei- 
ligtes, zum Opfer beatiminteB Thier, bei den Altaiern ala 
ijik und bei den Jakuten als Ulk vor und bedeutet etymo- 
logisch das Gesendete, das Ausgesetzte, von der Stamm- 
silbe ij. U (vgl. §. 28), woraus wir ersehen, dasa dieses 
Wort mit dem schon erwähnten mink bcgrifi'iich identisch, 
und von dem eigentlichen concreteii Opfer sieh nur inso- 
fern unterscheide, du^s es, namentlich bei Thieren, solche 
Opfer gab, die mit einem Zeichen versehen noch eine 
längere Zeit am Leben erhalten wurden. Spuren dieser 
Sitte finden sich selbst noch heute vor, indem das zum 
moslimisühen Kurban-Bajram bestimmte Schaf oder Kamel 
von den türkischen Nomaden monate-, bisweilen jahrelang 
vorher auserkoren wird, während man es mit einem Baude 
oder mit blauen Korallen geschmückt frei umhergehen 
lässt. 

Forschen wir nun, gestützt auf sprachliche Beweis- 
gründe, nach dem eigentlichen Grundgedanken, der aus 
dem ßeligionsgefühle, d. h. aus der Furcht vor einem 
höhern Wesen oder vor der höchsten Allmacht ausge- 
flossen (wie Lubbock, S. 133, bemerkt: „Their deit-ies 
are tvil, nut good''''), so werden wir ohne jegliche An- 
strengung entdecken, dass beim primitiven Menschen der 
tiirko- tatarischen Rasse die Idee der höchsten Gott- 
heit mit dem Begriffe der unbegrenzten, dem 
menschlichen Blicke unzugänglichen geheimen 
Urkraft identisch gewesen, und dass er in allen 
ihm unerklärlichen Erscheinungen und Vor- 
kommnissen des Lebens eben nur den Einflusa 
und die Wirkung dieser geheimen Kraft sah. 



i 



24G 



Nur so wird ea erklärlich, warum z. B. der Begrl 
Zauber, dieses allergrössten Factors Id der Gkubensw 
der Turanier, mit bag, baj, boj, bilj, d. h. Band, Fessel, 
ausgedrückt ist, und warum das primitive Wort für 
Zauberformel, d. h. zur HerbciscLaffuDg der geheimen 
Kraft, arbag (von ar = Kraft und hug = Band) Krafl - 
Fessel heisst, Arbag, heute in der Bedeutung von Za* 
bermärchen, Mär, Sage im allgemeinen bekannt, bestehi^ 
eigentlich aus jenen kui-zen mystischen Sätzen und ßedei 
arten, mit welchen der kam (Schamane) oder die ^ofiil 
cJiatuii (Scbamanenfi'au) den Zauber losen, richtiger di^ 
geheime Kraft fesseln will; bevor man zu einer derartig^ 
Function sich anschickt, wird, wo z. B. von Heilung 
eines kranken Gliedes bei Menschen oder Thieren 
Rede ist, auch in der Tbat zuerst der symbolische Ver 
band angelegt, um so zu sagen die geheime Kraft nicb 
nur mittels Worten, sondern auch thatsachlich zu binden, 
sowie im entgegengesetzten Falle der Begriff „entzaubern" 
mittels der Umschreibung das Band lösen oder aufbin- 
den, bogt cüsmeJc, ausgedrückt wird. Mit diesen physi- 
schen Mitteln zur Bekämpfung der geistigen Macht geht 
Hand in Hand der im Scham an eng tauben uralte Gebrauch 
der Trommel, alt. tungür, uig. kütig (vgl. S. 71, IV.}, in- 
dem mau mittels des, dem Gehörorgan des Naturmenschen 
ungewohnten und ersehreck cd den Lärmes die als geheime 
Kraft wirkenden Geister einsobücbteru und verscheuchen 
zu können glaubt; daher auch die au ss ergewöhnliche 
Tracht, das fnrcbtein jagende Aeussere und die absonder- 
lichen Gestiüulationen der Schamanen während ihres Opfer- 
dienstes, ihrer Beschwörungen oder Verwünschungen. 
Und so wie der Grundgedanke der Gottheit, selbst nach 
einer mehr als zwölfhuudertjährigen Bekehrung zum Is- 
lam beim türkischen Steppenbewohner nc 
und derselbe geblieben, d. h, so wie z, B. der Turkoman&Ä 



247 



ich meiuc den noch nicht in den Klauen des Molla 
Biirbe gewordenen Turkomauen — seinen Allah, Kudaj 
■ Tanri, diesen Herrn seiner grauenvollen Steppen- 
tcimat mehr fürchtet als liebt, ebenso bat die stramm 
pionotheistiscbe Tendenz der arubiscbeii GlaubenBlebre es 
weht vermocht, den sozusagen in den Gliedern des 
Sirkentbumes steckenden Scbaraanenspuk zu vertreiben. 
Function eines kam unter den Altaiern und eines 
PFornzen unter den Tschuvaschen ist im streng moslimischen 
littelasien auf den Derviscb und an den Bacbä! (Trouba- 
ir) übergegangen. Die hohe bunte Mütze, das lange 
peite faltenreiche Kleid, das über die Schultern herab- 
Irallende lange Huar, das inartiknlirte dumpfe Geschrei 
und die wilden Sprünge, alles bat sich erhalten, mit Aus- 
nahme der das crasse Heidenthum bekundenden Trommel, 
die übrigens durch modernere Musikinstrumente, wie die 
zweisaitige Violine (i-t»5o^), vertreten ist. Ebenso wie 
vor Tausenden von Jahren werden noch heute Geister 
beschworen und zwar mittels Opfer, wie wir dies beim 
Ijis unter den Turkomauen wahrnehmen; man behängt 
Rinder und Pferde mit Zauberfetzen, man versucht Krank- 
heiten, Skorpionenbisse durch den bestmöglichen Spuk 
zu heilen, denn gleichwie im primitiven Znstande das 
ganze Religionsgefühl in der Furcht vor der geheimen 
Macht sich concentrirte , so hat auch der beutige Tura- 
nier inmitten der ewigen Schrecken vor der sengenden 
Sonne auf den wasserlosen Steppen und vor den Sand- 
und Schneestürmen seiner heimatlichen Natur nur in dem 
Gefühle der steten Furcht und Angst sein ßeligions- 
bewusstsein geoffenbart. 

Da Religion von Anfang an nicht ohne Religiong- 
diener besteben konnte, so ist es von bcsonderm Inter- 
esse, den Ursprung jener Worter zu untersuchen, mit 
welchen die Priester des alten Glaubens benannt wurden 



248 

and die selbst beute in der moBlimiscb- türkischen Wc 
sicU erbnlten haben. Hier begegnen wir zuerst di 
Worte kam, entsprechend dem in Europa gebrauchtei 

Sühanaaue (im eigentlichen Sinne des Wortes aber Zau- 
berer, Arzt, Priester), welch letzteres beka unter maasaen 
MUB dem Tungusischen zu uns übergegangen ist 
Geisterbeschworer bedeutet (vgl. chinesisch sai» 
i'ijBm — Diener Bnddha'g). Zolotnitzky will tawi mit d( 
tav. jom (in jom-ea), mit jak. ojon und dem tungusi- 
Bcben sam vergleichen, ein Vorgehen, das nach den Ge- 
setze u der betreffenden Lautlehre gewiasermaassen zu 
rechtfertigen wäre, das uns aber zur Eruirung der Grund- 
bedeutung dieses Wortes von keinem Nutzen sein kann. 
Es ist möglich, dass das tJuv. jom viel leichter mit dem 
finn. jum-ala, cereniiss. jumo, syrjän. Jen == Himmel, 
oder vielleicht mit dem ainoJschen kaiHoi * verglichen, da- 
her als Gottcsmaun oder Himmelsdiener aufgefaast wer- 
den könnte; dies lässt sich aber nicht als positive Be- 
hauptung aufstellen, und wir müssen einstweilen den Ur^ 
sprnng dieses Wortes als eine offene Frage betrachl 
obwol das gegenseitige Verhält niss zwischen kam = A] 
kamlamak ^ heilen, und kammnl;, kanilamak ^ bindi 
(etwa die Macht der bÖsen Geister binden?) zu so mi 
chen Conjecturen ermuntert. Viel besser sind wir di 
mit der etymologischen Erkenntniss des Wortes ha\ 
oder hachsi, das in der Bedeutung von Improvisatoi 
Zanberer und Wunderdoctor vorkommt, und das gai 
einfach eine Verdrehung des ursprünghchen hakici ^ 
Seher, Prophet, Augur ist. Diese Auslegung findet ihre 
Bestätigung durch ein anderes hierauf bezi 
nämlich durch das kazanische hiirimci oder 



• Vgl. das Wörterbficli Dawidow's in ilcr Boilugi; zu KruscuBter 
Reise, m, 844 (nach Zolotaitzlty]. 



, Seiler, von Tcür =■ sehen, und sehr interesBant ist es 
zu beobachten, welche Begriffs Verwandlung ebeu das Wort 
hakst, hachsi in der spätem Periode durcbgemacbt hat. 
In den frühesten Stadien der Cultur ein Name jener 
Mensehen, von denen verrautbet wurde, dass sie über die 
zur Erkenntniss überirdiseher Dinge uöthige Sehkraft 
verfügen, folglich geistige Seher, ist der SacMi im Laufs 
der Zeit zum Zauberer, und da dies mit den Glaubeus- 
principien des Islam nicht mehr vereinbar war, zum wan- 
dernden Poeten, Tausendkünstler und Arzt geworden, 
der gleichsam als der Schatten des im raschen untergehen 
begriffenen alten Glaubeussternes nur in jeue Zeltengruppe 
sich wngt, wo CS keine beturbanten MoUakÖpfe gibt und 
wo der entuationalisirende Giftsame der mohammedani- 
schen Lehre noch nicht zur Genüge emporgeschossen ist. 
Von den in den Bereich der Religion füllenden Sitten 
und Gebräuchen und dem Aberglauben wollen wir zuerst 
eines wol mit fremden Namen benannten, aber aonder- 
barerweise schon seit alten Zeiten und auch heute vor- 
zugsweise bei den Turko-Tataren anzutreffenden Zaubers 
erwähnen. Es ist dies der Gebrauch des Jada-tasi=^ 
Jadastein, der Be^oar, pers. sangi-jada, arab. hazar ul 
matar (Regensteiu) genannt und von vermeinten Kcnueru 
der Zauberformel betreffs Ilerbeizauhening von Regen, 
Schnee und kuhler Witterung, auch zur Heilung von 
Skorpionenstichen gebraucht wird. Nach dem Religions- 
mythus hat Japhet, der Urahn der Türken, diesen Stein, 
auf welchem der Name Gottes zuerst geschrieben war, 
von Noe erhalten, weshalb er in der übrigeu Welt 
in Verlust geratben und nur noch bei den Türken, als 
den Abkömmlingen Jiiphet's, zu finden sei. Diese speciell 
türkisch -nationale Charakteristik dieses Aberglaubens findet 
auch in der Sprache ihre Bekräftigung, denn obwol jada 
persischen Ursprunges ist (vgl. zend. jatii, neupers. zadu 




2&2 

Festessens, ist das osni. änjün, diigiin = Fe'itrtsg 
standet). 

Nicht uiiuder iotcrcssaut ist die Entstebuug 
Nchwures, insofern auch dieser mit der Cereraonie des 
Opfers im Ziiaammenhange steht. Als religiöse Betlieue- 
ning oder Belträftigiing irgendeines Gelübdes, gegebenen 
Wortes oder getroffenen Uebereinkomniens konnte der 
regelreciite Schwur nur bei Gelegenheit eines Opfers voll- 
zogen werden, wobei die beiden Schwörenden durch 
einen Trunk Blutes aus dem geschlachteten Opfer aU 
durch das heiligste Mittel sich verbanden; als diese Sitte 
später umgangen wurde, öffneten die Schwörenden sich 
gegenseitig die Armader, Hessen ihr Blut in ein Gefäss 
fliessen und tranken dasselbe. Schwören lieisst daher 
im Türkischen and icmck^ wörtl. Segen trinken, richtiger 
Opfer trinken (vgl. 18), und Schwur and icki — Segens- 
trank. Auch im Neupersischen wird schwören in ähn- 
licher "Weise ausgedrückt, nämlich mit sohcud churden ^^ 
einen Eid trinken, wobei mir saukend ein Compositum zu 
sein scheint, dem das türk.-tat. and zu Grunde liegt. 
Diese Art des Scliwörens oder des feierlichen Gelöbnisses 
hat sich nicht minder treu im Magyarischen erhalten. Die 
alten Chroniken berichten von der Sitte des Oeffncna der 
Armader und des gemeinschaftlichen Gluttrankes''', und 
das selbst heute noch gebrauchte magy. Wort für Schwur, 
nämlich eshi, ist rein türkischen Ursprunges und mit dem 
oben erwähnten icÜ, icM = Trank identisch. ** Mit dem 

• Diese Sitte wird noch heute in Afrika pralrticirt. So erzählt 
Stanley in Beioem vor der Geographischen Gesellschaft in London 
am 7. Fehmar 1878 gehaltenen Vortrage: „After making marks in 
eacb others arms and exi^hanging blood, there was a treaty of peace 
a» firm, I thought, as any treaty of peace made in Eiixope." 
Proceed. of the Roy, Geogr. Society, Vol. XXII, No. II, p. 151. 

•* Budenz fiudet in seiner Kritik meiner türk. -magy arischen Gleicli- 
üiBse (iieso Analogie nicht statthaft und motivirt seine Ansicht da- 



253 

Untergänge des heiduischen Glaubens ist diese alttiini- 
nisclie Art des Schnorena auch abhanden gekoramen, 
doch eine andere mit ihr verwandte Sitte, nämlich das 
Adornos = gemeinsamer Trank bei Äbschliessung eines 
Vertrages, beim Handel oder bei einem sonstigen üeber- 
«inkommen, ist noch heilte gäng und gebe, ja es bedarf 
keiner besondern Anstrengung, in der Stammsilbe dieses 
magy. Wortes, nämlich in alrl, zngleich das Stammwort 
für Segen, das tnvko-tat. alk, and (vgl, §. 18), zu er- 
kennen. 

Als mit den Religionsan siebten des turko- tatarischen 
Urmenschen in Zusammenhang stehend müssen wir noch 
des Wahnsinnes erwähnen, und zwar ist dies nicht dem 
moslimisch- arabischen Cultiireinflnsse zuzuschreiben, son- 
dern jener genuinen Auffassung, die auch andern asinti- 
Bchen Völkern eigen ist. Das türk.-taf. kuttirmak = wahn- 
sinnig werden, stammt von hil= Seele, Geist, schliesst 
folglich die Anspielung auf einen durchgeistigten beseelten 
Zustand in sich, wie wir dies auch ausgedrückt finden 
im arab. meitmn — wahnsinnig (von ein — bÖser Geist) 
oder im pers. diwane — wahnsinnig (von diw = Teufel), 
also ein von bösen Geistern Besessener. Im heutigen 
Sprachgebrauche bezieht sich hihtr, l-udur mehr auf den 



mit, dass im Türkischen nur and-icki gebraucht wird. Ein gründ- 
licher Philolog, wie Biidenz, konnte doch einsehen, dass bei Com- 
posila oft das Hauptsubstantivum wegfällt, und dass sein mir ent- 
gegengesetzter Yergleich des uiagy. cakü = Schwur tnit dem finn, Itäske 
= befehlen hIb our bei deu Haaren hergezogen noch weniger Stalt- 
haft ist. Vgl. NyelrtQdomänyi közlemenjek S. 98. In Bezug auf das 
Wegfallen dee Hauptwortes bei Hhnlicbea Composita möchte ich 
unter anderm auf das magy. AJdontAs = Friedenstrank, Segenstrank, 
hindeutet), das im Grunde genouimen nur Segen bedeutet luid von 
dem das Wort ital = Trunk weggefallen ist. Tgl. kirg. kösüm = 
Seliiir , statt jün kösümii ^ Wollschur u. s. w. 



254 






tollen Zustund der Thiere und auf gewisse, eben dem 
bösen Geiste zugeschriebene Krankheiten, wie Krätze uud 
andere bösartige Ausschläge, als wenn dergleichen üebel 
sozusagen von dem im Menschen wohnenden bösen Geist 

erzeugt worden wären; doch findet sich kulur, kudm auch 
in Bezug auf Menschen angewendet. Vgl. turkom. kuäus 
:= der Bettelmönch, der wandernde Derwisch, der Diwane 
der Perser, dessen von überspannter Religionsbegeisterung 
hervorgerufener Zustand der Ekstase und der Schwärmen 
für identisch mit Wahnsinn, Bewusstlosigkeit seiner 
sehen Existenz gehalten wird. So wie kul = Geist, Seele, 
Leben dem Worte für AVabnsini} zu Grunde liegt, ebenso 
bildet es das Stammwort des Ausdruckes fCu- Glück, 
Glückseligkeit (vgl. kut = Glück, htthd' — selig); es lässt 
sich daher auch der Zusammenhang erklären, der nach 
echt orientalischer Auffassung zwischen Wahnsinn und 
dem Zustand geistiger Seligkeit besteht und der, wie 
schon erwähnt, kein Ausfluss moslimischer Denkungs- 
weise, sondern, wie der sprachliche Beweis im Türki- 
schen uns zeigt, im Geiste der Tu rk o - Tataren ebensM 
entstanden ist, wie bei den Iraniem und Semiten. M 

Wenn wir nun zum Schlüsse dieses Aufsatzes unsere'' 
Betrachtungen über die frühem Glaubenszuatände der 
Turko-Tatareu, soweit selbe aus der Sprache ersichtlich 
werden, resumiren, so wird sich aus denselben ergebet^ 
dasB unter den von den Ethnologen angenommenen Si 
dien der Religionsbildung der Fetischismus sich 
wenig nachweisen lässt, vom Totemismus jedoch noi 
untrügliche Zeichen vorhanden sind. 



Sittliche und abstracte Begriffe. 

iat be kann terra aas seil von Geiger und von andern 
r Genüge bewiesen worden, dass die Begriffe sitUicher 
renschaften in den meisten Spraclien schon fertig auf- 
ind, wenn analysirt, als physische Eigenschaften, 
\ bildliche Darstellung materieller Grundwörter erschei- 
Bei dem in vielen Fällen bis zur Unkenntlichkeit 
abgenutzten SprachstofTe der arischen und auch der semi- 
tischen Mundarten ist die Erörterung dieses Verhältnisses, 
beziehentlich die Zurück führung des geistigen Sinnes auf 
seinen physischen Ursprung selbstverständlich viel schwe- 
rer, und die zu Tage geförderten Resultate müssen dem- 
zufolge einem grössern und begründetem Zweifel unter- 
liegen, als dies auf dem gleichen Forschungsgebiete der 
ural-altaischen , speciell der turko -tatarischen Sprachen 
der Fall sein kann. Wir haben hier noch ausserdem den 
grossen Vortheil zur Seite, zu erkennen, in welcher 
Weise der Ideengang des primitiven turko- tatarischen 
Menschen sich von dem seines arischen Nachbars unter- 
scheidet. Die Entwickelung der menschlichen Sprache 
und der Vernunft hat überall die von der umgebenden 
Natur und von äussern Einflüssen bedingten Phasen 
durchgemacht; und so wie beim Arier infolge eines längern 
Culturlebens und einer früher stattgefundenen Trennung, 
nicht minder aber wegen der grossem räumlichen Ver- 
schiedenheit der einzelnen Mitglieder des gesammten Ur- 
volkes, die Gebilde des menschlichen Sinnes heute schon 
in einer mehr künstlerischen, vollendeten Form auftreten, 
ebenso hat bei den Turaniern, die noch im Kiudesalter 
ihres Culturlebens sich befinden, ausserdem aber bisjetzt 



in merklicher Abgesclilossenheit sicli erLicIten, die Spraclift 
und die Vernunft id gleicher Weise das Kleid der unge- 
echmickten Einfachheit und der Schlichtheit beeser be- 
TC^ahren können ; krystallrein und durchsichtig wie die 
Sprache selbst geblieben, ebenso einfach und ungezwungen 
eraclieinen die durch dieselbe geschaffenen Metaphern und 
Umschreibungen. 

Fangen wir einmal bei den ganz gewöhnlichen ästhe- 
tischen Begriffen an und sehen wir wie die Begriffe SCllOll 
oder unschön auagediückt worden sind. Ersterm (iiig. 
A-ö>J, höriih; cag. lüregcn; az. görcelt; osm. görüUi, ffiis^ 
liegt die Stammsilbe hör, gär — sehen zu Grunde. Unter 
schön versteht man daher ansebtilicL, sehenswerth, und 
dem gleichen Ideengang begegnet man in einem im öst- 
lichen Sprachgebiete gebrauchten Worte, uanilieh dem 
liäg. jah^i, az. jachsi, kirg. jaksl, das der Stammsilbe jak 
= schmecken, behagen, Wohlsein, entsprungen ist und 
eigentlich als angenehm, behaglieh, geziemend (vgl. oein. 
jakistk :^ passend) aufzufassen ist. Begrifflich verwandt 
sind auch die betreffenden Worte in den ariscL^j Spra- 
chen, wo z, B. pcrs. choJi schön und gut, slaw, krasni 
roth und schön bedeutet. 

Wenn also schön seinem Wortwerthe nach behaglich, 
genehm, passend und ansehnlich bedeutet, so sollte man 
doch annehmen, dass unschön oder hässlich durch unan- 
sehnlich, des Sehens unwürdig ausgedrijckt worden sei. 
Dies ist jedoch nicht der Fall. Die turko- tat arischen 
Sprachen haben für diese Eigensehaftsbezelcbnung gar kein 
epecielles Wort, denn das hierfür gcbraucbte cag. pis, 
alt. pijar und osm. cirh'ti hat die Grundbedeutung von 
schmuzig, unflätig, unrein, der Gegensatz von ari, arik 
^ rein. 

Schon mit etwas mehr Klarheit und Conseqnenz er- 
scheinen die Begriffe von gut und nngut oder schlecht, 



blitlic 



kell ( 



257 

) ans den Derivaten einer und derselbeu Stammsilbe ein 
■teressauter ZusamoieDhang der auf Tugend uud Laster 
ffiüglicbea verwandten Begriffe zum Vorschein kommt. 
Stymologiscben Wörterbuches" er- 
tlicb, repräsentirt die Stammsilbe aj mit den ihr laut- 
|ch verwandten Formen den Inbegriff von gut, schön, 
romm, edel, gesund u. s. w,, ja eine ganze Fülle von Be- 
lalogien. Dieses aj — denn icb halte das auslau- 
mde j für eine verhältniasmÜMaig primitive Lautform — 
Bibt sich aber zunächst an die noch ältere Form ak = 
äs, klar, offen, bell, und wir gelangen hiermit zu 
1 natürlicben SchJiisse, dass gut, fromm, edel, scbön 
u 8. w. ebenso sehr dem Grundgedanken offen, klar und 
t entlehnt worden, als im enlgegengeaetzten Sinne das 
Geschlossene, Beschmuzte und Dunkle den 
Concretiemus des abstracten unscbÖn, ungut, unedel ge- 
geben bat. Um dies anscbaiilicber zu machen, haben wir 
nur das uig. ethi, cag. ejkü, osm. ejü, eji = gat, schön; 
jak. "n = Gottheit, Schöpfung, Schöpfer; uig. aji=^'Tu- 
gena vorzuführen, und denselben die Juxtaopposita pis 
=; unschön (eigentl. dunkel, grau), cirkin ~ garstig 
(eigentl. befleckt) und l-ötü = schlecht (eigentl. dicht, 
dunkel) gegenüberzustellen. Rein, offen, klar ist daher 
der concrete Begriff, aus dem das abstracte tugendhaft, 
gut, schön und deren Gegensätze entstanden, wie dies 
im Uiguriechen noch am anschaulichsten wird, wenn wir 
ar-sih = edel, fromm, gut uud das frübere aj-i = Tugend 
dem uig. a-siz, tij-si's — unedel, lasterhaft, schlecht gegen- 
überstellen. 

Es wäre allerdings eine lobnenswertbe Arbeit, den 

ganzen Wortschatz, der auf die sittlichen uud abstracten 

Begriffe Bezug hat, vorzuführen, um jenes interessante 

I Verhältniss zur Veranachauüchung zu bringen, welches 

^wiachen der Grundlage des physischen Begriffes und der 



258 



demselben entsprungenen geistigen Abstraktion beateW 
Diea ist iiatürlich im engen Kalimen unserer Arbeit 
angesichts des vorgesteckten Zieles untbtinlich, und 
miiaaen uns daher mit solchen Beispielen begnügen, 
bei der Erörterung der Eiit Wickel ungsgeachichte der Culti 
nicht übergangen werden können. 

Tapfer und feig. Tapfer wird in den meisten Fäll« 
für identisch angesehen mit beherzt, beseelt, daher 
auch als meist verbreitet die Umschreibung dieses Be- 
griffes mit iöniiUiil-, gönüllii, von liöngiil, gÖnül =■ Herz, 
anzutreffen. Nun muss aber bemerkt werden, dass kÖrigüX 
selbst keinesfalls für ein concretes Substantiv um, etwa ah 
ein Körpertheil, d. h. als Blutgefäss, sondern schon 
eiu nbstracter Begriff, nämlich als Feuer, Eifer, Be 
sterung (vgl, §. 116) zu nehmen, weshalb tapfer hier ni 
im Sinne von. begeistert, beseelt, aufzufassen ist. Gleicl 
abstrncten Ursprunges ist auch das nicht minder verbrei- 
tete baiii\ iiainr, irrthümlich vom pers. hahadur abgeleitet, 
das von bat ^^ hoch, erhaben (vgl. §. 205) abstammt und 
begrifflich an das synonyme nlip, iili» =^ tapfer siel 
reiht AI sowol als hat, beziehentUch baj^ rep rasen tiroa" 
den lübegriff von hoch, erhaben, ausgezeichnet, undj 
müssen eher als der Name eines Titels angesehen werdea, 
durch welchen der infolge physischer Tapferkeit 
Seinesgleichen Hervorragende beehrt worden ist. Diesem 
nähert sich auch einigermaassen das für tapfer gebrauchte 
iicen, eccen, das seiner Grundbedeutung nach zierlich, 
süss, schon, klug bedeutet (vgl, §. 171) und eine Art, 
Liebkosungs- oder Zärtlichkeitswort ist, das di 
Volke geliebten und geschätzten Helden ertheilt wurde] 
ebenso wie das dem Mongolischen entlehnte kirg. all 
mergelt, meriett, das in den türkischen Sprachen für guti 
Schütze, tapfer, gebraucht ist, ursprünglich aber merge 
weiss, kunstvoll, meisterhaft (Schmidt, S. 215b) bedeutel 



gül ^^ 
al8^l 

ic&^l 
ei- 

Et, 

nd 
"4 



259 



jNur bei den Nomaden, iiamentlicli bei den AJtaiei-n und 
' Tnrkomaneu existirt für tapfer ein Wort von entachiedeu 
concreter Grundlage, nämlich alyir oder algur, von al^^ 
nehmen, folglich Einer, der etwas nehmen, erwischen, er- 
greifen kann. AUjir Z;2*7'=(ler tapfere Mann, mQsste eigent- 
Hck mit homo rapax übersetzt werden, und der ganz pri- 
mitive Begriff der Tapferkeit ist auch nicht im Sinne einer 
Gegenwehr, sondern des Angreifens oder Anprallens aus- 
gedrückt. Von der Identität der Begriffe Tapferkeit, 
Stärke und Männlichkeit haben wir schon früher ge- 
sprochen. 

In Bezug auf den GegeiiBatz'von tapfer, nämlich feig, 
müssen wir allerdings in erster Reihe göniilsüi ^=\ißr/Aos, 
inuthlos, verzeichnen, doch gibt es noch eine, ich möchte 
sagen ursprünglichere Bezeichnung in dem Worte tos, cag. 
öos(»;^:=feig, leer, lose, locker, jemand dessen Inneres von 
Eifer, Feuer und Muth leer ist; eo auch in der bildüchen 
Bezeichnung von jumsai, alt. jhnlgak, eigentl. weich, 
morsch, zusammengedrückt. Vgl. dtsch. feig und weich, 
alaw. »y'apZ:j = weich und feig. Am urwüchsigsten ist aber 
dieser Begriff ausgedrückt in der Umschreibung dal tahctn 
= barfuss, nacktfuss, ein Ideengang, der in Verbindung 
mit dem oam. jajan, cag. jajak, uig. jatak = zu Fnas, uns 
jene einem emineuten Keitervolke charakteristisebe Auf- 
fassung zeigt, nach welcher der hoch zu Ross Sitzende in 
gleichem Maasae die Macht, Kraft und den Muth reprä- 
senlirt, wie der zn Fuss Einhergehende mit Armuth, 
Schwäche und Muthlosigkeit identificirt wird. Diese spe- 
ciell luranische Anschauung finden wir im osm. sm anlü 
jnninda jajan kaUrsin = An stehst wejt unter ihm, wörtl. 
du bleibst zu Fuss neben ihm, und im gegenseitigen Ver- 
hältnisse des magy, galog = za Fuss und ,(/yü?a3= schmähen, 
verachten. Die dem Begriffe Tapferkeit zu Grunde he- 
i gendo Auffassung des geistigen und körperlichen Vorzuges 
17* 



tritt um so stärker hervor, wenn wir die Wörter für Dlel^ 
und Räuber nälier ins Auge zu fassen uud dieselben 
ihrem etymologischen Werthe vorstellen. Dieb, cag. ogrit ' 
QSm. ouri, alt. uurii, heiast der Grundbedeutung nach der ^ 
VerheimHcher, der im Stillen oder Verborgenen Handelnde d 
(vgl. §. 98); ebenso auch karakci — 'Rauher , eigentl. der! 
Späher, Forscher, von karokmah, karamak^ sehen, nach^ 
spüren. Es wird hierbei ersichthch, dasa beide Ursprung- | 
lieh als der eigentlichen Tapferkeit entbehrend im Lichte 
der Feigheit und des Unedeln, ohne jenen Nimbns des 
Ileroenthums dargestellt sind, dessen sich diese Berufs- 
niünner unter den heutigen Nomaden erfreuen. 

Mit tapfer und feig hängen begrifflich zusammen die 
Eigenschaftswörter gransam und mild, insofern ersterea 
vom Standpunkte eines wildkriegerischen rauhen Volks- 
geistes ebenso wenig als ein Laster wie letzteres als eine 
Tugend dargestellt ist. Grausam ist in der Mehrzahl der J 
Mundarten mittels knli oder katik, eigentl. hart, streng, j 
ausgedrückt und bedeutet folglich einen Menschen, dessen i 
Gefühle steinern, durch einen von aussen her geübten Ein- 
fluss nicht erweicht werden können. Diese Auffassung 
bringt den fraglichen Begriff an Standhaftigkeit, Festig- 
keit und Unerschütterlich keit, und demzufolge an Tapfer- 
keit nahe, und in der That finden wir im Osmanischen 
für grausam das Wort jaue, javus, der etymologischea 
Bedeutung nach kriegerisch, tapfer (vgl. jaw §. 119). "Wenn 
Grausamkeit durch Härte, so ist selbstverständlich die 
Milde aymbolisirt durch weich, morsch, und ebenso wie 
ersteres begrifflich mit tapfer, so ist letzteres mit feig ana- 
log, und wird demnach in diesem Sinne, wenngleich nicht ' 
als entschiedenes Laster, doch als geistiger Fehler oder als J 
Gebrechen hingestellt. ÄlsSjnonym mit jumsak^^weich und J 
mild figurirt noch das cag. j?MiJfls=8achte, leise, langsam, alt. J 
jobuS paS=eia friedliches, sanfies Haupt, indem die Stamm- J 



■261 



I 
I 



Silbe der beiden jom, jov, Job, jag, den Inbegriff von niiirb, 
weich, zusammengedrückt, enthält und im weitern Sinne 
als bescheiden dem Eigenechafisworte stolz, hochfahrend 
gegenübersteht. 

Auf dem westlichen Sprachgebiete bat der fremde raos- 
limische Cultureiufluss bierfür ein Lehnwort gescbafFer, 
nümlich das arabische magrur oder fodhul, doch im Osten 
und in den älteru Sprach monumenten finden wir das ge- 
nuin türk., üig. Icüvee, li-eves, cag. köveli; kevei:=\iohl, auf- 
geblasen, womit eigentlich auf die den Stolz bekundende, 
hoch getragene, "vorgestreckte Brust hingedeutet wird, als 
wenn der Mensch im Gefühle des Stolzes und des Gross- 
thuns die Brust, an und für sich als bohler Körper dar- 
gestellt (S. 71. II.), aufblasen würde. Aus diesem etymolo- 
gischen Sachverhalt ist der ethische Zusauimenhaug zwi- 
schen stolz, aufgeblasen, leer, eitel und nichtig zu erkennen, 
denn diese Eigenschaftswörter sind in den türkischen 
Mundarten (vgl §. 71) homogenen Ursprunges und ver- 
leihen durch diese philosophische Ideeuricbtuug dem Geiste 
der Wortbildung einen Glanz, wie er nur selten anzutref- 
fen ist. In UebereinstimmuDg mit diesem Ideengange 
stehen auch andere Benennungen für stolz und eitel; das 
alt. ulu küündü (grosser Eifer), ulii saglstu (von grossen 
Gedanken) und das cag., osm. kurmak, ^urUH]Ka^= sich 
posiren, sich aufziehen, aufrichten, denen als naturgemässcr 
Gegensatz die Handlung des Herablassens als Grundge- 
danke für bescheiden gegenübersteht. So alcak JcönüUu 
= niedern Eifers oder Herzens, oder das uig. liöngül alkii- 
»/a^ = das Herz oder den Eifer erniedrigen, von der Stamm- 
silbe a/ — unten, nieder. 

Verfolgen wir nun das Entstehungsbild dieser ethischen 
Begriffe weiter, so werden wir finden, dass die Mehrzahl 
derselben, soweit sie auf den Menschen sich beziehen, mit 
> demjenigen Tlieile des menschlichen Körpers in engen Zu- 



2G2 



sa nun un hang gebracht sind, von dem sie als aiisHicssendl 
dargestellt oder welchem gie als specielle Function zuge- 
schrieben worden sind, 

So werden 7.. B. Freude nnd Kammer theils als Er- 
weiterung, tbeils als Beengung oder Beklemmung des Bu- 
sens oder Herzens dargestellt. Das ursprünglichste Worfel 
für Freude ist entschieden das alt. Tiüün, cag. Jtöhül. 
heutigen Sprachgebrauche Herz, Lugt, Begier, Verlangen; 
im kondomischen Dialekt findet sich noch Ä;«j-Ze»)t^ Liebe, 
dem bekanntermaassen die Stammsilbe HJ— brennen (vgl. 
§. 116) zu Grunde liegt. Nun hat sich aber aus diesem 
abstraeten Worte das concrete Herz gebildet, und dort 
wo Freude mit liönA ausgedrückt wird, findet immer 
eine Umschreibung mit weit oder offen statt. So hönü- 
lüm acüdi=ich bin erfreut, mein Herz hat sich geöffnet» 
oder nig, iöngul iejigliJ:i= Freude, Herzensweite. Prägnan- 
ter ist diese Ideenrichtung im nig. Jcüvenmek, 6ag., osm. 
gfwemnc}c=^8\ch freuen, eigentl. sieb hohl oder weit machen, 
wodurch Freude nnd Stolz als identische Begriffe ersehei- 
nen, wie sie es nach der ethischen Auffassung des primi- 
tiven Menschen in der That auch sind, ebenso wie wir 
dies anderseitig z. B. im arabischen w-jj wahrnehmen, 
dessen Bedeutung weit, selig, geräumig und glücklich ist, 
oder in der arabischen Redensart mehsiit äl /i:aZ6 — freudig, 
d. h. erweiterten Herzens. Es liegt übrigens in der Na- 
tur der Orientalen im allgemeinen und der an die w^te i 
Steppenheimat gewöhnten Turko-Tataren im besondem, ^ 
dftss die Begrifi"« Freude, Wohlbehagen, Geräumigkeit und 
Bequemlichkeit identisch sind. Ein grosser Raum, die 
freie Bewegung, Freibeitsgefühl nnd Freude sind 
miteinander verwandt, daher die unbegrenzte Liebe de( 
Türken zur Räumlichkeit, das in dem Sprichworte culmi^ 
niri: „Tar jerde jemek jcmeMeit 'se hol jerdc dajak jemcai 
jejdir", d. h. statt im engen Räume Speisen zu bekommen,. J 



I 




I 



2ö3 

ist es besser im weiten Räume Prügel zu bekommen. Eng, 
zusammengedrückt, dicht und hart sind daher die Grund- 
hegriffe für ünbehaglichkeit, Uufreude, Kummer, Sorge, 
Elend und Beklemmung, was am besten einleuchten wird, 
wenn wir §. 87 unscrs „Etymologischen Wörterbuches'' 
durchsehen, namentlich die auf jene G etil hl saus drücke Be- 
zug habenden Worte nebeneinanderstellen. So uig. kaUk 
= hart — f niAft — Sorge, Kummer; (5ag, /;ojM — dicht, fest 
— JajjT« — Sorge, Kummer; uig. Äzs — eng — (mg. kiskar- 
mak = zävnen; osm. aar = eng — dargin ^: zoruig^ beengten 
Herzens u. s. w. Vgl. arab. iHiaik-nl'ka!b'=Beengung 
des Herzens, d. h. Zorn, Kummer, Aerger. 

Die Käu ml tchkeits Verhältnisse finden wir noch ton- 
angebend in den Begriffen freigebig und geizig, indem 
ersterea durch acik-elik oder iewp-e^JÄ — weite oder offene 
Hand, letzteres durch fiir-elik oder s/A-eM ^^ enghändig 
ausgedrückt ist. Für Geiz, geizig ist überdies noch ein 
mit letzterm verwandtes selbständiges Wort vorhanden, 
nämlich das osttürkische sok, der Inbegriff von Dichtheit 
Enge und Gebundenheit oder Gedrücktheit; es bezieht 
sich dies aber nicht nur auf die Hand, sondern auch auf 
das Auge, indem sokttr^hMnd (gebundenen Blickes, des- 
sen Gegensatz aeik kös^^oSenes Auge) und das uig. säk 
=^taub (gebundenen Ohres) von den genannten Stamm- 
silben abstammen. Hierher gehört auch das in der Ver- 
balform bekannte sok'latnak:^ geizig sein, beneiden, wörtl. 
eng, d. b. engherzig sein. 

Lüge und Walirlieit. Wir stellen diese beiden Be- 
griffe nebeneinander, obwol sonderbarerweise die hierauf 
bezüglichen speciellen Ausdrücke weder lautlich noch be- 
grifflich iu irgendeinem Verhältnisse zueinander stehen, 
d. h. sie können in etymologischer Hinsicht nicht als Ge- 
^erden. Wahr ist iheils synonym mit 
[gerade (vgl, rfoi;»-« = gerade und wahr), theils auch mit 



2«4 



eben, giatt (vgl- ('i«=wabr, getreii mit it«— eben, glatt undl 
ccn=Ebenniaa88, Proportiou). Wenn daher wahr als derl 
abstracte Begriff der Glatte, Ebenheit, auf welcher der 
menacliliche Sinu ohne aufgehalten zu werden oder be- 
irrt zu sein, aiifgefasst wird, sollte man doch annehmeu, 
dnS8 der Begriff Lüge und Falschheit der diametral ge- 
genüberstehenden Sinnesrichtnng entsprungen sei. Dies ist 
jedoch nicht der Fall, denn die Worter für Liig und Trug be- 
ruhen auf einem ganz andern Ideengange. Das zumeist ge- 
brauch! i che 7 n/^an oder ja(a«=fal8ch, unwahr, istderStamm- 
silbe ja/= glänzen, scheinen, glatt oder leer sein, entsprun- 
gen; der Grundgedanke des Wortes ist daher: das nur dem 
Anscheine nach aber nicht in der W'irklichkeit Existirende. 
Mit diesem jal scheint mir auch im Gegensatze zu meiner 
frühern Behauptung (S. 13 meines „Etymologischen Wör- 
terbuches") oi = Trng, List nnd a/dn»iaÄ — täuschen ver- 
wandt zn sein. Trug und Täuschung sind nicht nur eine 
bildliche Darstellung des Glänzenden, sondern richtiger , 
gesagt des Kahlen, Nackten und Nichtigen (vgl. deutsch 
nackt und nicht mit dem engl, noxtglif), und aus diesem 
Grunde wird uns auch das gegenseitige Verhältniss er- 
klärlich des turko-tat. jok ^^ nicht, nichtig, zu joj-an, juj-an \ 
=^ lügnerisch, betrügerisch, falsch, und zu ?o^-t ^= Lüge» j 
Verleumdung, kirg. ^oA-maÄ~ verleumden, jak. SMot=^nicht"j 
vorhanden. 

Schande und Ehre sind ebenfalls Begriffe ohne jeg- 
liehen etymologischen Zusammenhang. Ehre beruht ent* 
weder auf dem physischen Begriff der Höhe und Erhaben- 
heit, daher cag. ofc'o)KaÄ=: verehren, achten, vonöi = hoch, J 
gross, jak. aZ^« =: segnen , verherrlichen, oder auf deinJ 
Grundbegriff der Schwere, des Gewichtes und des WerJ 
thes im allgemeinen, wie wir dies im gegenseitigen Ver-ifl 
hältnisse finden zwischen akir =■ schwer und aJcirlamak = 
achten, ehren. Schwere, Gewichtigkeit oder dessen Syno- 



'265 



I 



nynie Langsamkeit und Saumseligkeit, zwei lautlich und 
begrifflich verwandte Eigenschaften — denn akir helsst 
schwer und langsam zugleich — zieren den Menschen 
nach echt türkischer Anschauung und nach uralten ethi- 
schen Principien ebenso sehr, als das Leichte, Hastige 
und Voreilige im Handeln und Denken ihn nur entehren 
und seinen moralischen AVerth herabsetzen würden. Wäh- 
rend ea bei uns in Europa gewiss nur Wenige gibt, die 
im Epitheton Klotz, hlotzartig etwas Schmeichelhaftes fin- 
den würden, ist bei den Turko-Tataren im etymologischen 
Sinne des Wortes gerade das Entgegengesetzte der Fall, 
denn alt. ^MMd heisst plump, dick, tag. ÄMnde= Klotz, jak. 
i«Hdi( — werthvoll, in Ehren gehalten, alt. /;««dw?e = achten, 
und tiag,ftöwZeme/; = ehren; wie auch ausdemJuxtaoppositum 
jöng, jeiig :^\c\c\ii^ gering, das Verbum j'mpmeÄ^besiegeH, 
herunterbringen, erniedrigen, entstanden ist. In Bezug auf 
den Begriff Schande, Schmach und Unehre nähert sich 
der tu rk o - tatarische Ideengang demjenigen, der in den 
betreffenden arisch-europäischen Worten zum Ausdruck ge- 
langt. Schon Geiger hat (S. 182) auf das Verhältniss 
aufmerksam gemacht, das zwischen dem deutschen lästern 
= schimpfen und lästern = zerfleischen, zerfetzen (nach Ade- 
lung), dem schwed. sHmma = verderben und s/iiVmjua «(= 
beschämen besteht, indem er mit Recht darauf hingewie- 
sen, dass die Begriffe Laster, Schande, Schimpf vom 
Körperlichen ausgehend eigentlich eine Verletzung des 
Körpers und der Haut bedeuten. In dem von uns be- 
handelten Sprachkreise tritt dieses Verhältniss noch klarer 
hervor, wenn wir unter andern das Verbum inc-iimeJc = 
beleidigen mit inc-mclc oder ^'«ic'-»«eft = quetschen, zer- 
stossen, beschädigen vergleichen. Noch prägnanter tritt 
dieses Verhältniss hervor bei einem Vergleiche zwischen 
sög-meh, söi-wiei =^ schimpfen, lästern {sök-iii, söj'üs=^ 
Schimpf, Fluch ) und söhnelc — niedcrreissen , zu Gmnde 




richten, ausreiäsen; hier wird es gnnz evideut, dass 
moraliacLe Erniedrigung von der physiscben gleiehartigi 
Handlungsweise ausgegangen, wie wir dies nicht mindej 
klar im gegenseitigen VerhältDiss zwischen dem deutschen 
schänden und seLinden beobachten. Weiter jedoch kann 
die Congruenz mit den germanischen Sprachen nicht fort-, 
geführt werden, denn das Verbum sich schämen, odeC 
Scham beruht schon auf einem andern Ideengang. Das 
turko-tat. uj-at, ci;-af = Scham, woraus das Verbum uj-al-. 
mak, vj-anniak und o(aiim«/.;=sich schämen entstanden, be- 
ruht eigentüch auf dem concreten Begriff des Sichver- 
steckens, SichzurDckziehens, und ist verwandt mit dem alt. 
oj-?o=^ entfliehen, sich zurückziehen, und oj-t-to = ziiTÜok. 
Scham ist daher nach der Auffassung des turko-tatarischen 
Urmenschen identisch mit dem Begriffe sich verstecken, 
sich zurückziehen, und der in den eiiropüiEch-arischen Spra- 
chen geläufige Ausdruck vor Schani errothen oder di« 
Schamröthe rauss dem Geiste der turko-tatarischen Spri 
chen auch schon deshalb fern sein, weil hier roth mehr 
zur Synibolisirung des Eifers und Feuers, des Zornes und 
der Erregtheit gebraucht wird. 

Wir müssen daher aus diesem Grunde Zorn, Eifer und 
Neid unter ein und dieselbe Rubrik stellen, und in der 
That sind die betreffenden Worte in den türkischen Mund- 
arten theils der Stammsilbe A*y' = brennen, zünden (vgL 
g. 116), theils der Stammsilbe to^GJut, Feuer, Wärme 
(vgl. §. 93) entsprungen. So alt. /chh« = Eifer, Gier, öag* 
ÄMHc'^^neidisch, osm. Jciinä =-Neid', ferner cag. kizganc^ 
Neid, Äwarma^ ^ zürnen, osm. ^■(^(fir7»aÄ;= erzürnen u. s. w.. 
Ks ist allerdings charakteristisch, dass wahrend wir dra 
Gesichtsausdruck des Neides als blass, gelb und bleichi" 
bezeichnen, der Türke einer verschieden psychologischen 
Auffassung folgend, hier die Röthe, d. h. die Farbe des 
Feuers als bezeichnendes Merkmal aufstellt. Und deunoch' 



I 
I 




Iflchehit er logisch, soweit die Geiuütlisstimnmug des Meii- 
" seilen in verschiedenen Zonen voneinander abweieht, Recht 
zu haben. Naeb seiner Beurtheihing ist der Neid, als 
Gegensatz der kalten Gleichgültigkeit und des blassen In- 
differentismus, eine Erwärmung, eine durch innere Bewe- 
gung der Leidenschaften erzengte Ergluhung des mensch- 
lichen Gemüthes, die im Seeleuapiegel , also im Gesiebt, 
nicht in Blässe oder Bleiche, sondern in der mit dem Feuer 
analogen Farbe, d, h. mit roth rcflectiren niuss. Nur wo 
das innere Feuer erlischt, wo der Eifer schwindet, d. i, 
im Zustande der Fnrcht und des Schreckens, lägst auch 
der Geist der türkischen Sprachen den Menschen crblas- 
Ben oder erbleichen, wie wir dies wahrnehmen in der Re- 
densart henpti oder viet'gzi ttclu^:er ist vor Schrecken er- 
blasst, vTÜrtl. seine Gesichtefarbe ist ausgelöscht 
oder verschwunden. 

In Bezug auf die Galle stimmt der turaniscbe Ideen- 
gang mit dem der andern Sprachen überein, da hiermit 
der Begriff Zorn identisch (vgl, §. 56) ist, wobei aber der 
Umstand hervorgehoben werden muss, dass 0(7, öi^= Galle 
nur als abstractes Wort des concreten o^— Feuer ügurirt, 
wie dies ersichtlich ist ans dem lautlichen Uebergang öj, 
uig. (y'-(7e — Brunst (vgl. deutsch brennen mit Brunst). 
Schliesslich wollen wir noch zwei auf den Begriff Zorn 
bezügliche Wörter anführen, nämlich das uig. hosmak=: 
zürnen, böse sein, von fcosjji«:^ kochen, sieden, und das 
osm, Icakhn = Zorn, von kah ^ dürr. 

Glaube und HofFnang sind identische Begriffe, welche 
auf den verschiedenen Theilen des Sprachgebietes abwech- 
selnd füreinander gebraucht werden; vgl. alt. y/ch =; hof- 
fen, cag. ismi = glauben, jajt. itägäi — glauben u, s. w. Es 
gibt aber ausserdem noch ein genau definirtcs Wort für 
. diesen Begriff, nämlich das osttürkische büt, jiri/^^ glauben, 
I eine Abatractiou vom physischen Begriff biU, böl^kst. 




268 

gebiiDden, vereiut. Glaubeu ist daher von dem concretc 
Sichansch Hessen, Sich verbinden abgeleitet und erinnert i 
ein ähnliches Verbältniss in den arischen, namentlich iiK« 
den lateinischen und litaslawischen Sprachen. Vgl. auch alfc--4 
hochdeutsch wära := Büüdnisa, rusa. wjera =. Glaube, Zu- 
versicht; goth. (raiia» ^: trauen und (raMsij' — Biindniaa. 
Das epeciell für Hoffnuog gebrauchte 6ag. irim, wa« zu- 
gleich augurittm bedeutet, stammt von ir-J«eit = Bein, ge- 
schehen, eintreÖ'cn, und ist als Zufall, Wendung aufzufassen, i 
King und dämm sind Begriffe, die in erster Reihe | 
mit den Grundwörtern vs und ok ^^ Verstiiud, Sinn zu- 
sammenhängen und im negativen Sinne auf das Unver- 
mögen der geistigen Kraft hindeuten. Wenn ich nicht 
irre, liegt diesen beiden abstracfeu Begriffen das concrete 
graben, nachgraben, suchen, forscheu zu Grunde, denn.J 
zu einem solchen Ergebnisse gelangen wir, weun wir oÄj 
oder oj = Sinn, Gedanke mit oj =^ graben, und ms, i 
Verstand, Verstäodniss, mit j>, is = nachforschen ve»^ 
gleichen, und wir hätten daher ein Verhältniss vor unt 
welches an das deutsche grubein, d. h. nachdenken, ein-j 
nen erinnert Beide türkischen Grundwörter unterscheide) 
sich heute nur insofern voneinander, dass ok das Ver* 
stehen, Begreifen ausdrückt und in diesem Sinne nur in | 
dem ältesten Sprachdenkmale vorkommt, während die^ 
nächste Variante oj den Inbegriff des Denkens in aiel 
scbliesst, ms, ea' und is aber als fertiger Sinn, als Kunsl 
und geistiges Vermögen auftritt. Hinsichtlich der Stamm 
silbe sag-saj =: -wähufin^ beachten und zählen haben wirfl 
uns schon früher ausgesprochen (vgl. S. 114). Das Eigea'-B 
Schaftswort dumm findet sich zumeist in einer umschrie« 
benen Form vor. So alt. aly, öag. aluk, eigentl. befanganj 
von al :^ nehmen, langen, tinteh, lentek = tölpelhaj 
(mong. ienek ^= dnmai), von iiw = ruhen, erschlaffen; osm^ 
6ö» = Tölpol, von btm, ffi«» = altern, schwach werden, f 



Von dem Gnindworte ok ;= Sinn, Verständniss, ist 

f auEser dem Verbum okniak = verstehen, hören, mich noch 

der allerdiogs weit später entstandene Begriff lesen = 

oMwiak abgeleitet. Diese Begriffaanalogie , daas nümlich 
lesen und verstehen als ganz identisch auftreten, kann 
UU8 nur dann vollauf einleuchten, wenn wir hervorheben, 
dasB die Schrift anfänglich eine Ideographie, richtiger 
gesagt eine Bildschneiderei oder Bildhauerei war, die 
vielleicht nicht so sehr in der Nachahmung lebendiger 
Wesen als im Eingraben oder Einritzen gewisser Zeichen 
sich manifestirte. Dieser Umstand erhellt am besten, 
wenn wir die im Türkischen für den Begriff achreiben 
existirenden Worter'' untersuchen. Wir finden hier näm- 
lich, dass von der Stammsilbe bit, bot, bic, bec in der 
Grundbedeutung von schneiden, einschneiden, die Worte 

nig. bicik = Schrift 

alt. piciJc ^ Schrift, Euch 

dag. bitmek ^ schreiben, pecek = Zeichen, peteh ^ Brief 

jak. bit = Anzeichen, bidik ^= Verzierung u. s. w. 
entsprungen sind, ebenso wie von der Stammsilbe jir, 
sjir, sür in der Grundbedeutung von ritzen, graben und 
zeichnen, die Worte 

alt. sür = zeichnen, achreiben 

6uv, s;7j*^^ zeichnen, schreiben (vgl. magy. !V = schreibenJ 

k. k. sirben ^ Striche ziehen 

(iag. jar-lik — das Schreiben 

08m. jaa ^ schreiben u. s. w. 
entlehnt sind (vgl. §§. 159 und 217). Abgesehen daher 
von dem Ursprünge des griech. 7pa!pu und des lat, scribo, 

I sowie von dem gegenseitigen Verbaltnisse zwischen dem 
griech. ypa'fji-jjLa , deutsch grab-en und dem alaw. greb-at, 
wird ea durch die gegebenen Beispiele ersichtlich, dass 
die Turko -Tataren das Schreiben, Gniviren, Zeichnen 
für identische Begriffe hielten , nnd so wie ans dem 



I 



270 

Buchenstab oder der Kerbe der alten Germanen der 
deutsche Buchstabe entstanden, ebenso figurirt das alt- 
türkische hctik, hitik = Schnitzerei, Gravirung, heute als 
Schrift oder Geschriebenes. (Vgl. magy. hetü = Buch- 
stabe, allem Anzeichen nach dem Türkischen entlehnt, und 
zwar von hetiJc, betük = Schrift.) Dieser Umstand mag 
allein hinreichen, die Vermuthung aufzustellen, dass die 
turko-tatarischen Urmenschen sich nicht der Knotenzeichen 
(bei den alten Romanen Quipu oder Quippu oder bei den 
Chinesen Ho-tü und Lo-schu genannt)* bedienten, um 
etwas der Vergessenheit zu entreissen, sondern gleich von 
Anfang an auf die Methode des Schreibens oder Gravi- 
rens kamen. 



* Vgl. Lubbock, S. 36. 



Wort- und 


Sachregister. 


(Dl« ZHhlBD beilal 


>».l<>h»tdl.S.II«>.) 


Abend 169. 


Birne 214. 


Aberglauben 249. 


Bitter 98. 


Acker 102. 


Blau 234. 


Ackerbau 101. 


Blei 174. 


Ader 55. 


Blitz 168. 


Adler 206. 


Blume 223. 


Airan 93. 


Bogen 119. 


Alt 62. 232. 


Bohrer 114. 


Alter 61. 


Boot 181. 


Altmond 160. 


Bote 127. 


Anker 182, 


Boza 96. 


AusäKsige 13.^. 


Braten 92. 


Antilope 204. 


■ Braue 55, 


Apfel 213. 


Braun 230. 


Armee 122. 


Braut 67. 


Arriferegarde 125. 


Bräutigam 67. 


Aaiic 148. 


Bronze 174. 


Augapfel 54. 


Brot 94. 


Auge 54. 


Bruder 65. 


Augenlid 54. 


Brust 55. 


Augenwimper 54. 


Bucht 180. 


ATantgarde 125. 


Busen 55. 


Alt 114. 117. 


sButter 93. 


Bart 56. 


Decke 82. 


Bastard 73. 


Dichten 142. 


Bauch 55, 


Dichtung 142. 


Baum 221. 


Dieb 260. 


Baumwolle 220. 


Dolmetsch 127. 


Bär 201. 


Donner 16a, 


Beinkleid 85. 


Dörfer 76. 


Berg 172. 


Drache 148. 


Bescheiden 261. 


DreifuSB 81. 


Besiegt werden 125. 


Dumm 268. 


Bett 79. 


Dunkelheit 159. 



Ebene 171. 

Ehre 264. 

Ei 207. 208. 

Eifer 266. 

Eis 167. 228. 

Eisen 174. 

Ellenbogen 6}. 

Ente 206. 

Erbse 215. 

Erde 169. 

Erste Morgenstunde 159. 

Esel 192. 

Essen 98. 

Eule 20S. 



Fahne 138. 
FBlke 206. 
Familie 64. 
Farbe 225. 
Fata Morgaoa 168. 
Faust 55. 
Feiertage 251. 
Feig 258. 

Feste Wohnung 75. 
Festtage 251. 
Festung 128. 
Feuer 165. 
Filz 82. 
Flachs 87. 
Fledermaus 208. 
Fleisch 91. 
Fliege 209. 
Floh 210. 
FInss 178. 
Frau 60. 
Freien 67. 
Freigebig 263. 
Freude 262. 
Freund 77. 
Friede 122. 129. 
Frost 167. 
Frucht 91. 
Fuchs 203. 
Furcht 2S7. 
Fürstenwürde 135. 



Fuss 54. 

Fussbekleiduug B.'>. 



Gans 206. 
Gast 78. 
Gaumen 54. 
Gebftrmutter 55. 
Gefangene 125. 
Geige 145. 247. 
Geisel 127. 
Geizig 263. 
Gelb 233. 
Geld 108. 
Gerste 216. 
Gesandter 127. 
Geschlecht 133. 
Geschwister 66. 
GeseU 139. 

Gewerbehandwerk 112. 
Gewicht lOR 
Giesakanne 81. 
Olaiibe 267. 
Gold 174. 209. 233. 
Gottheit 240. 
Granatapfel 214. 
Gras 213. 
Grau 227. 
Grausam 260. 
Grenze 103. 
Grosser Bir 154. 
Grün 213. 234. 
Gurke 218. 
Gürtel 86. 
Gut 256. 



Habicht 206. 

Hafen 180. 

Hafer 216. 

Hahn 207. 

Halosylon Ammodendron 223. 

Hals 55. 

Hand 54. 

Handel 105. 

Handelsgesellschaft 106. 



Handfläche 55. 


Kehle 54. 


Handschuh 87. 


Kessel HO. 


Hanf 87. 2^. 


Kimis 'X. 


Haus 73. 


Kind 62. 


Hauwaffeo 117. 


Kissen «0. 


Heimat 74. 


Kiste 80. 


Heirathen Uli. 


Klafter 109. 


Held 187. 


Kleiden 83. 


Hemd 85. 


Kleiner Bär 154. 


Henne 207. 


Klug 268. 


Herbst 161. 


Knie 54. 


Himmel 150. 




HininielBgegeuden 15fl. 


Knopf 86. 


Hirsch 204. 


Kochen 02. 


Hirse 315. 


Kopf 55. 


Hitze 166. 


Kopfbedeckung «4. 


Hobelmesser 114. 


Kopfhaare 55. 


HocLfabrend '2ül. 


Kocher 120. 


Hochroth 22«. 


Kok hüra 143. 203. 


Ilochzeitsgabe 67. 


Körper 53. 


Hoden 55. 


Kram 107. 


Hoffnung 267. 


Kranich 206. 


Hund 197. 


Krapp 220. 


Hure Ti. 


Kreide Kl. 176. 228. 


Hüfte 55. 


Koieg 121. 


Hündin 1!>9. 


Kriegserklärung 124. 




Kumulak 148. 




Kummer 262. 


Insel 180. 


Kupfer 174. 




Kurut 93. 




Kürbis 217. 


Jagd 99 




Jahr lb3 




Jogurt 93 


Lagerplata 127. 


Jung 62 


Landspitne 180. 


Jungfer b2 


Lanze 118. 


Tünfihng (.2 


Laus 210. 




Lazzo 120. 




Leben 57. 


Kalt 165. 


Ledersaek 81. 


Kamel 191. 


Ledig 67. 


Kauul 102. 


Leib 53. 


Katze 199. 


Lein 220. 


Kaufmann lOfi. 


Leinn'and 87. 


Käfer 210. 


Leopard 203. 



274 



Licht 158, 
Lied 143. 
Lippe 54. 
Löffel 81. 
Lösegeld 127. 
Löwe 185. 204. 
Luft 1G5. 
Luzerne 220. 
Lüge 263. 



Maass 109. 
Mandel 214. 
Mann 59. 
Marille 214. 
Markt 106. 
Maulbeere 214. 
Maulthier 194. 
Märchen 143. 
Meer 179. 
Melone 217. 
Mensch 51. 
Messer 114. 118. 
Milch 92. 
Milchstrasse 155. 
Mild 260. 
Mineralien 17^5. 
Mistkäfer 210. 
Mittag 159. 
Mohn 220. 
Mond 156. 160. 228. 
Mondfinsterniss 169. 
Moral 143. 
Morgen 159. 
Morgenröthe 159. 
Morgenstern 155. 
Mund 54. 

Musikinstrumente 145. 
Mutter 65. 
Mücke 209. 



Nadel 114. 
Napf 81. 
Nase 54. 
Nation 121. 131. 
Nähen 113. 
Nebel 165. 228. 
Neid 206. 
Neumond 160. 
Nichtansässige 133. 
Nomaden 133. 
Nordstern 154. 174. 
Nuss 214. 



Oberwelt 149. 
Obst 91. 212. 
Ohr 54. 
Opfer 243. 



Panther 203. 
Panzer 121. 
Parole 130. 
Pelejaden 155. 
Penis 55. 
Perle 89. 
Pfefferkorn 215. 
Pfeil 119. 120. 
Pferdezucht 188. 
Pfirsiche 214. 
Pflanzen 211. 
Pflaume 213. 
Pflug 102. 
Pilau 95. 
Plänkler 125. 
Podex 55. 
Poesie 141. 
Polster 80. 
Preis 107. 
Prophezeien 250. 



Nachbar 78. 
Nachen 181. 
Nachmittagsstunden 159. 
Nacken 55. 



Rahm 93. 
Rauch 165. 
Räuber 260. 
Regen 166. 



Itfgcnbogeu iÜB. 
IWii 167. 
lleis 22ü. 
lieligiou 23i). 
Hi{:liter Hl). 
Kind 188. 
lioek 85. 
Koggen Sil). 
]t ohrpfeife 145. 
ItotJi 228. 
Itutlibraim 23l>. 
Jtmler 182. 



Sack 8». 
Sauer 98. 
Sebaf 195. 
ISchande 2t>4. 
!9c1ieide 118. 
Mclieukel 56. 
Schere 114. 
Hcliiesswaffcn 119. 

:sciitff 181. 

Schild 121. 
Schilf 223. 

Schlacht 122. 
Schlaclitreiliu 125. 
Schlange 210. 
Schlecht S56. 
Schleuder 119. 
Schmied 111 
Schiauclfgegeuatiiuilc 88. 
Sclmalle m. 
Schneidewaft'en 117. 
Schnurrbart SC. 
Schön 2.^6. 
Schrecken 2(i7. 
Schreiben 2(i9. 
Schutzplatü 187. 
Schutswaffcu 120. 
Schwan 207. 
Schwanz 56. 
Schwarz 231. 
Schwefel 17(i. 
Schwein 199. 
Schwert 118. 



Schwester (iä. 
Schwingkeule 117. 
Schwur 252. 
Segel 182. 
Seime 120. 
Seide 88. 
Sesam 220. 
Siebengestirn 155. 
Si^l 138. 
Siegen 125. 
Silber 174. 228. 
Sitteiisiirllcbe 14;-l. 
Sklaverei 121!. 
Skorpion 210. 
Sohle 55. 
Sommer 163. 
Soune 156. 
Souucntinsteruisii 1Ü9. 
Spange 86. 
Spanne 110. 
Speer 118. 
Speise 91. 
Spendeu 213. 
Spiel 146. 147. 
Spinne 210. 
Spinnen 88. 
Spricliwörtcr »15. I4a. 
Stamm 1.-13. 
Standplatz 127. 
Städte 7G. 
Stein 171. 
Steppe 172. 
Sterben 58. 
Stern 15it. 
Steuer 141. 
Stirn 55. 
Stoffe 87. 
Stolz 261. 
Storch 208. 
Sturm 1117. 
Süss 97. 



•27(; 



n^ 



Tasche 8(i. 

Taube 20S. 

Tätowireu 8ii. 

Tepi.icli 82. 

Thal 172. 

Thior 1S:J. 

Thür 75. 

Tiger IKy. 20; J. 

Tischler 111. 

Titel 137. 

TopfSl.* 

lYappe 20S. 

Triuken UH. 

Trommel WX Ui\. 24G. 

Troini)etc 145. 

Truhe 8C). 

Tuch 8S. 



Uuguust 25(1. 
Unschöu 256. 
Unterwelt 141). 



Wahrsa^eu 250. 
AVakl 222. 
Wallach lf»5. 
Wasser 177. 
Wassermelone 2l«S 
Wärme 1(>(». 
Wehen ll.'J. 
Weih 59. 
Wein 1)7. 
Weinstock 218. 
Weiss 227. 
Weizen 215. 
Welt 141». 
Wetter WA, 
Wild 184. 
Wind 165. 
Winter 162. 
Witwe (»7. 
Wolf 202. 
Wolke 1(»6. 
Wurfwatfen 119. 
Wurm 210. 
Würden l;J7. 



Vater 65. 
Viehzucht 187. 
Vielweiberei 71. 
Vogel 205. 
Volk 121. l.Jl. 
Vollmond 160. 
Vulva (JO. 



Wache 125. 
Waffe 116. 
Wage 110. 
Wagenburg i2S. 
Wahnsinn 253. 
Wahrheit 263. 



/ahbm lOH. 
Zahlensystem 114. 
/ahn 51. 
Zauber 246. 
Zeit 164. 
Zelt 74. 
Ziege 197. 
Ziergegenstände 88. 
Zorn 2()6. 
Zunge 54. 
Zweikainpf 148. 
Zwiebel 220. 
Zügeri 216. 



Ijiuck vuii F. A. Brockliaufi in Leipzig. 



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LANE MEDICAL LIBRARY 



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