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Full text of "Die rechtliche Natur der Staatenverträge"

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n 



^ DIE RECHTLICHE MTUE 



DER 



STAATENVEETRAGE. 



EIN BEITRAG 



ZUB 



JURISTISCHEN CONSTRUCTION DES VOLKERRECHTS 



VON 



D^- Georg Jellinek, 

DOCCNT AM DKR K. K. UMIYBBSITAT WIBM. 



/ 



I 



WIEN, 1880. 



ALFRED HOLDER, 

K. K. HOP- UND UNIVERSITATS-BUCHHANDLER, 



ROTUBMTUUKMSTRA88K 16. 



Vorrede. 



Die Discussion iiber die Grrundlagen des Volkerreclits 
pflegt nur die aussersten Umrisse zu beriihren. Aber erst 
die Losung des einzelnen Problems kann die Kraft und Be- 
deutung allgemeiner Principien erproben. 

Wenn in den vorliegenden Blattem die juristisclie Con- 
struction einer der wichtigsten Partien des Volkerrechts voll- 
zogen werden soil, so ist ibnen damit ein dbppeltes Ziel gesteckt. 

Zuvorderst eine vertiefte Erorterung des subjectiven 
Principes des Volkerrechts, von welcbem ja die juristische 
Beurtheilung desselben abhangt. Der JEleclitscliarakter des 
internationalen Rechts ist meines Erachtens nur auf dem Wege 
darzuthun, den K, K al t enb o r n und Bulmerincq und neuer- 
dings Bergbohm eingeschlagen haben. Wia sehr aber dieser 
Punkt noch eindringender Untersuchung und Rechtfertigung 
bedarf, hat erst jiingst die F r i c k e r'sche Leugnung der Mog- 
lichkeit autonomer Rechtsbildung bewiesen. 

Sodann die Begriindung des Vertragsrechts auf die Natur 
der Sache. Gegeniiber der selbst Anhangern des Volker- 
rechts gelaufigen Leugnung eines allgemeinen positiven Volker- 



IV 

rechts nnd der ans Dir mambxnmAsa^ 

%iifalligen Uebereinstimiiimg; der Scas&iK is BfgifmB«g mid: 

intemationale Gnmdsatzey miuste dss rssa«E&Le 

Volkerreclite herrorgehoben nnd der Xae£.vec? g^^krt 

dass hier Normen vorhaiiden sind* d^ _ 

xmng flchon dnrcli die Xatnr des RecfLtsgeaecaft^s g g ggh cm iat. 

Gerade die Frage nach der Entstekinig des <> rj^raroi Ycttrmg^ 

rechts zeigt die TJnznlanglichteit der AiEsdiasaag. w^ddie das 

Yolkerreclit anf ein aosaerea Staatsreckt redndrcB wilL 

Der erste TheQ dieaer Abhandlmig soil i^berdies anf- 
zeigen, wie ihnig die jniistische Existenz d^ Yolkerreekts mit 
der der inneren Reehtsordnmig yngmimwtliSiifl^ jn^ welche 
bedenkliclie Consequeiizeii die Lengnnog des ersteren f&r den 
juriBtiscIien Charakter der letzteren Kat. Somit iMfflfen diese 
Blatter aucH einige Bedentang fSr die allgemeine Seditslehre 
beansprachen za koimeii. 



Wien, im Mai 1880. 



d 



In keiner juristischen Disciplin kommt es so haufig zu 
einer Erorterung der Grundbegriffe, wie im Volkerrecht. Von 
den Vertretern der anderen Facher der Rechtswissensehaft 
oft nicht als ebenbiirtig betrachtet, von Zeit zu Zeit in seiner 
juristischen Existenz negirt und in die Staatenmoral oder die 
Politik , oder. sonst eine zweifelha;fte wissenschaftliche Kate- 
gorie verwTesen , muss es. stets um sein wissenschaftliches 
Dasein ringen und stets darauf bedacht sein, gegnerische 
Argumente durch den Nacbweis zn entkraftigen, dass es^auf 
demselben Fundamente rube, wie Staats-, Process-, Straf- und 
Privatrecht. 

AUe Versuche, das Volkerrecht zu begriinden, konnen 
auf zwei Grundformen zuruckgeflihrt werden. Entweder man 
geht speculativ vor und sucht nachzuweisen , dass ein sub- 
stantielles Moment' vorhanden sei, aus welchem mit logischer 
Nothwendigkeit die Existenz einer uber den Staaten stehenden 
JElechtsordnung gefolgert werden konne, oder man zeigt, dass 
derselbe Rechtsbegriff, der den unbezweifelten Theilen des 
Rechts zu Grunde liegt, auch das Wesen. der fiir die 
internationalen Beziehungen giltigQu Bestimmungen bijde. So 
unentbehrlich die ersteArt fiir eine den letztenGriinden nach- 
forsch^ade Betrachtung ist, so unmoglich es ist, eine Rechts- 
ordnung in ihrem innersten Wesen zu begreifen, wenn man 
jenes substantielle Moment ausser Acht lasst , so wird doch 
der Jurist im Innern seines Herzens nur dann von der 
Rechtsqualitat des Volkerrechts voUig iiberzeugt sein, wenn 

Dr. Jellinek, Natnr d. StaatenvertrSge. % ^ 1 



f 



n 



n 



ihm im Volkerrechte derselbe forma le Grand aufgewiesen- 
wird, auf dem die Gebaude der anderen juristischen Disci- 
plinen errichtet sind. Ob man mit S u a r e z und Bluntschli 
von der Idee der Menschheit ausgeht, ob man mit Ka It en- 
born und Mo hi die verniinftige Ordnxmg der internationalen 
Gemeinsehaft , mit Savigny und Halschner das Rechts- 
bewusstsein der Volker als die materielle Quelle des Volkerreehts 
f betrachtet, immer bleibt die Frage iibrig, wie dieses Kecht 

I juristisch zu denken sei, wie es in Uebereinstimmung zu bringen 

l| sei mit den Grundsatzen, welche, ein Ergebniss eindringender 

I wissenschaftlicher Untersuchung , als Bedingungen einesjeden 

g; Recbts von der juristischen Wissenschaft f estgesetzt worden sind. 

Die scharfe formelle Ausbildung, welche der Rechtsbegriff durch 
die systematischen Arbeiten der letzten Jahrzehnte erfahren hat, 
^'. lasst alle aus der reinen Rechtsidee flieasenden Forderungen, 

I bei allem sonstigen Werthe, den sie besitzen, nicht mehr als 

I ein Recht im formalen Sinne erscheinen, welcher neben, iiber 

Oder gar gegen das positive Recht seine Existfenz behauptet, 
sondern erkennt den Rechtscharakter nur solchen Satzen zu, 
deren praktischc Geltung unmittelbar feststeht. Als reqht- 
erzeugendes Organ aber kennt die Jurisprudenz nur einerseits 
das Volk in seiner natiirlichen Existenz, das auf dem Wege' 
der Gewohnheit sich der Normen bewusst wird, welche das 
Thun und Lassen der Volksgenossen regeln , andererseits das 
Volk als organisirte Einheit, als Staat, welcher als souveraner 
Wille der Gesammtheit das Recht setzt und erhalt. Als 
Wille der Gemeinsehaft, sei es des Volkes, sei es des Staates 0? 
muss ein jeder Satz nachgewiesen werden, der den Anspruch 
erhebt, als Rechtssatz zu gelten. Hiemit ist fiir eine juri- 
stische Begriindung des Volkerreehts der einzig mogliche 
Weg gewiesen. Es muss aufgezeigt werden als begriindet in 
dem freien Willen der Staaten oder Volker, ein Gedanke, der 
1/ schon dem Vater der Volkerrechtswissenschaft yorgeschwebt 

^) Aach der Becht erzeugende WiUe der antonomischen Eorperschaften 
fallt nnter den Begriff des Staatswillens , insofem jener nur dadurch Becht 
schafft, dass der Staat seine Qnalitat als BechtsqneUe anerkannt, d. h. dass 
er stillschweigend oder ansdriicklich die antonomen Willensanssenmgen als 
seine eigenen anerkennt. 



3 

hat. 2) Aber erst durch H e g e 1 und seine Schule ist energisch 
als der unverriickbare Ausgangspunkt des positiven Volker- 
reohts, wenigstens fiir so lange als keine den Staaten iiber- 
geordnete Gewalt existirt, der Satz betont worden, dass die 
E,eclite der Staaten „nicht in einem allgemeinen liber sie 
eonstituirten, sondern in ihrem besondern Willen ihre Wirk- 
Hchkeit haben*'.^) Als Grund- und Eckstein /einer juristisehen 
Construction des Volkerrechts muss der Saxz gelten, dass die 
„Haaptfactoren zur Setzung und Durchsetzung des Volkerrechts 
die allein berufenen Subjecte des Volkerrechtes, die 
Staaten bleiben".*) 

Ich habe diese Bemerkungen vorangeschickt , um meine 
Stellung zu einem Problem zu kennzeichnen, welches zu den 



. ''^) Hugo Gro tins. De Jure Belli ac Pads, Proleg. 40: quod enim ex 

certis principiis certa arffumentatione dediici non potest^ et tamen uhique ohser- 

vatum apparetf sequitur^ ut ex voluntate libera ortum haheat. Vgl. A. Bnl- 

merincq, Praxis, Theorie und Codification des VSlkerrechts. Leipzig 1874. 

' Seite 72. 

^) Hegel, Grundlinien der Philosophie des Bechts, §. 333. Wenn B. 
y. Mo 111, Die Geschichte nndLiteratur der Staatswissenschaften, I. Bd , S. 382 ; 
gegen Ptitter bemerkt, dass die Begrdndnng des Ydlkerrechts anf den freien 
Staatswillen zu einetn Cliaos von Willkilr und zur vdiligen Aufhebnng des 
y&lkerrechts fiihrt, nnd wenn Blunts chli, Das moderne Yolkerrecht als 
Bechtsbucli dargestellt. 3. Auflage, 1878, S. 60, denselben Gedanken Ausdruck 
verleiht, so negiren sie damit die Anwendbarkeit des Bechtsbegriffs anf das 
Yolkerrecht, ja sogar anf das ganze innerhalb des Staates geltende Becht. 
Buht doch dieses seiner formal-jo ristiscben Seite nacb unbezweifelt anf der 
Freiheit des Staatswillens, obne dass deshalb die Becbtsordnung zu einem 
Cbaos berabsanke. Diese Freifaeit ist allerdings, wie wir bereits oben bemerkt 
baben, nicbt der letzte, nicbt der pbilosopbiscbe Grund des Becbts, der nnseres 
Eracbtens nur in einem objectiven Principe gefunden werden kann, aber fur 
die juristiscbe Constructionist, wie erwabnt, das substantielle Moment im 
Bechte ziemlicb gleicbgiltig , es ist, wenn man sicb so ausdrticken darf, 
metajuristiscber Natur. Der Jurist darf und kann keinen andern 
formellen Grund des Becfates anerkennen, als den freien Willen der Yolks- 
oder Staatsgemeinscbaft, wenn er nicbt die Grenzen preisgeben will, die er 
mubsam seinem Gegenstande gezogen bat und dadurcb in eine Yerwirrnng 
und Unklarbeit stiirzen will, welcbe ftlr ibn das wabre Cbaos bedeutete. 
Uebrigens erkennt Bluntscbli bereitwillig an, dass die Staaten gegenwartig 
ibre Becbtsfiberzeugung nur in der „bedenklicben Form einer yielstimmigen 
Erkl&rung'' aussprecben a. a. 0. S. 5. 
*) Bulmerincq a. a. 0. S. 7. 

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Grundfragen des Volkerrechts gehort, das aber merkwlirdiger- 

weise in neuerer Zeit gar nicht eiDgehend behandelt und 

|;*;^ dessen in der alten Literatur nar in anklarer, wenig praciser 

Weise gedacht worden ist. Zu den allerwichtigsten Momenten 
im internationalen Leben zahlen die Vertrage zwischen den 
Staaten. Durch sie hauptsachlich werden Grundsatze. fur das 
gegenseitige Verhaltniss der Staaten aufgestellt, ihre Bedeur 
tnng fiir das Volkerrecht ist eine immense, denn sie bilden 
eine Hauptquelle fiir die Erkenntniss dessen, was die Staaten 
sich fiir ihre Beziehungen zu anderen als Recht setzen. Wenn 
nun angenommen wird, dass diese Vertrage rechtlicher Natur 
sind, wenn sie Rechte gewahren und die Freiheit der Staaten 
binden, woher entspringt das objective Reeht, nach welehem 
sie zu beurtheilen sind? AUes Recht setzt einen Massstab 
voraus, an dem es zu messen, Normen, durch welche es zu 
priifen ist. Die Staatenvertrage konnen nur dann einen recht- 
licben Charakter haben, wenn solche Normen existiren, welche 
iiber den Vertragen stehen, von welchen die Vertrage ihre 
rechtliche G^ltung empfangen. In der That finden sich in 
jedem Lehrbuche des Volkerrechts eineganze Reihe von recht- 
lichen Bestimipungen, welche die Entstehung, den Inhalt, die 
Wirkung, die Modalitaten und die Endigung der Vertrage 
regeln soUen. Welcher Quelle entspringen nun die Rechts- 
satze, welche die Vertragsverhaltnisse unter den Staaten 
beherrschen soUen? Sind es Satze des Naturrechts, da viele 
dieser Normen den friiher im natiirlichen Privatrechte auf- 
gestellten Bestimmungen so ahnlich sind? Sind es Abstrac- 
tionen aus dem modernen Obligationenrecht, welche per ana- 
logiam auf die Vertrage zwischen Staaten iibertragen worden 
sind? Sind es Volkergewohnheiten, denen sie ihren Ursprung 
verdanken, oder beruhen sie auf dem in Form Gesetzes erklarten 
Willen des Staates? So sorgfaltig das altere Volkerrecht 
zwischen den verschiedenen QueUen des internationalen Rechts 
unterschied, so hat es doch nie im Einzelnen untersucht 
welche SStze dem angeblichen natiirlichen, dem Vertrags- 
dem Gewohnheitsrechte u. s. w. angehoren. Hochstens stellte 
man die diirftigen Satze, welche dem jus gentium necessarlum 
angehoren sollen, an die Spitze der Untersuchung, um dann 



unbekiimmert um den Ursprung der einzelnen Volkerrecht^- A 
satze , die ganze Materie abznhandeln. Wie dem auch sei, 
fiir die Wissenschaft bleibt die Aufgabe librig, zu zeigen^ 
^dass die Volkervertrage Etwas sind" '^) urid dieses Etwa« mit 
juristischer Scharfe zu bestimmen, eine Aufgabe, die wohl zu 
den schwierigsten der Wissenschaft zahlt. Mit voUem Reeht 
bemerkt E. Meier: ^Die Frage nach dem Vorhandensein 
objectiver Rech^ssatze unterliegt fur das Volkerrecht grosseren 
Schwierigkeiten als fiir irgend ein anderes Rechtsgebiet. Denn 
die ausdriicklichen Verabredungen untep souveranen Sfcaaten 
beziehen sich bis auf den heutigen T^ag mehr auf die Fest" 
setzung subjeetiven als objectiven Rechts , mehr auf Recbts- 
verhaltnisse, als auf Rechtsnormen undRechtseinricbtungen." «) 
Das bier aufgeworfene Problem spitzt sieb also zu der Frage 
zu, ob und auf welcbem Wege der Staat. objectives Volker- 
recbt scbafft, wie er Recbtssatze producirt, die fiir seine 
eigenen Handlungen bindend sind. 

Zur Losung dieses Problems ist vorerst eine andere 
Frage zu beant^? orten, welcke zu den principiellen des ganzen 
Rechts gehoren und von deren Beantwortung nicht nur die 
juristiscbe Existenz des Volkerrechts , sondern der Charakter 
des Rechts iiberhaupt abhangt. AUes Recht ist Wille der 
staatlichen Gemeinscbaft, der in Form des Gesetzes oder der 
Recbtsgewohnbeit auftritt. Demnach kann ein Recht fur den 
Staat selbst nur geschaflFen werden, wenn dieser im Stande ist, 
sich selbst Vorschriften zu geben, an deren Befolgung er- ge- 
bunden ist. Es ist nicht geniigend, nachzuweisen , dass das 
Volkerrecht Staatswille ist, wie es erst jttegst wieder in der 
trefflichen Arbeit.Bergbohm's geschehen ist. 7) Es erschopft 

*^) Heffter, Das enropaische VSlkerrecht der Gegenwart. 3. Aufl., § 81. 
*) TTeber den Abschlnss von Staatsvertragen, Leipzig 1874, S. 36 
') Staatsvertrfige nnd Gesetze als Qnellen des VSlkerrechts, Dorpat 1877, 
S. 18ff. Wenn Be rgb ohm, S. 19, die Frage anfwirft : „Ihren eigenen Willen 
konnen sie (die Staaten) dock nnbeschadet ihrer Selbststandigkeit far sick 
gelten lassen? Oder miissen sie wirklick ikren eigenen Willen gerade deshalb 
verlangnen, weil der Wille einiger oder vieler anderer Staaten genaa denselben 
Inkalt bat?" so ist es eben der Eernpankt der jnristischen Begrtindaog des 
Ydlkerrechts, die Antwort anf diese Frage zn motiviren, iadem man zeigt, dass 
der eigene Wille des Staates fiir diesen Recht sckaffen kann. 









das Wesen des Rechts nicht, dass es Staatswille ist, denn 
nicht der Staatswille schlechthin , sondem der verpflich- 
tende Staatswille ist Recht. Recht schafft der Staat nur 
dadurch, dass er sich an einen Willen mit einer Norm wendet. ®) 
Nut indem er Vorschriften aufstellt, welehe einen Willen in 
seinem Thun uud Lassen beherrschen , ist der Staat der 
Schopfer des Rechts. Jeder Act , durcli welchen der Staat 
Recht schafft, ^rnuss aufgefasst werden als ein Act der Ver- 
pflichtung. ») Es ist nun nach den herrschenden Ansichten 
nnbestritten , dass der Staat durch seine Normen einerseits 

Ji seine Unterthanen , anderseits diejenigen seiner Organe ver- 

pflichten kann, welehe fiir die Anfrechthaltung des betreffen- 
den Rechtssatzes zu sorgen haben. Jeder Rechtssatz bindet 

g: sowohl Diejenigen, an die er unmittelbar gerichtet ist, als 

auch die staatlichen Organe , insoferne diese verpflichtet sind, 
ihn gegebenen Falles znr Greltung zu bringen. Es handelt sich 

k nun darum, ob es moglich ist, noch eine dritte Richtung des 

Staatswillens nachzuweisen , ob namlich der Staat seinem 
eigenen Willen verpflichtende Vorschriften zu geben im' 

i Stande ist. Und zwar muss dieser Nachweis gelingen an dem', 

was unzweifelhaft als Recht gilt. Es muss aufgezeigt werden, 
dass es' in dem innerstaatlichen Rechte ein reflexives Moment 
gibt, dass Rechtssatze , deren juristische Qualitat feststeht; 
vorhanden sind, welehe vom Staate ausgehen und den Staat 















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*) Thon, Eechtsnoim und snbjectives Becht. Weimar 1878, S. 8: j,Das 

gesammte Recht einer GemeiDSchaft ist nichts als ein Complex von Impera- 

tiven^, ein Satz, dem ich insoferne znstimme, als ancb die erlaubenden 

^ Rechtssatze, die Thon elimioiren will, eine negative Seite h&ben, von der 

ans gesehen sle aid Befehle erscheinen. Ygl. Binding, Kritische Yiertel- 
jahrsschrift, 21. Bd. (1879), S. 561. Wenn Zorn, Die dentschen Staatsver- 
tr^ge, Zeitschriftftir Staatswissenschaft, Bd. 36, S. 6 der Thon'schen Definition 
die Worte hinznftlgt: ^welehe der Staat an seine Unterthanen richtet und 
mit Zwang schutzt^, so tri£ft ihn der berechtigte Vorwurf, den v. Eal ten- 
born den Lf'ugnem des Vdlkerrechts macht, dass man sich das Recht iii der 
Weise zuschneidet, dass das Ydlkefrecht nicht mehr Recht sein konne. Vgl. 
V. Ealtenborn, Eritik des Yolkerrechts, S. 307. Hingegen hat Zorn darin 
ganz Recht, dass auch das Gewohnheitsrecht sich nnter die Thon'sche Defi- 
nition subsumiren ISlsst, a. a. 0. S. 7. 

^) „ Jede Rechtsnorm lUsst sich in der Form ansdriieken : „Da bist ver- 
pflichtet.^ Zitelmann, Irrthnm und Rechtsgesch&ft, Leipzig 1879, S 2^3. 



i 

i 



binden. Gelingk jdieser Nachweis, so ist damit die juristische 

Basis des Volkerrechts gefiinden. Misslingt er, so ist eine 

Construction des Volkerrechts auf GrundT des in dem inner- 
staatlichen Rechte enthaltenen Rechtsbegriffes Jiicht moglich. 
Das Volkerrecht ist dann nicht in jenem Sinne Recht, in 
welchem es das Privatrecht, das Strafrecht oder irgend ein 
anderer Theil der vom Staate ausgehenden Rechtsordnung ist, 
ja es ist damit den Leugnern des Volkerrechts im Grunde 
AUes eingeraumt, was sie nur wlinscheny denn ob man die 
nnabhangig von dem staatlichen Willen existirenden Normen, 
welche den Staat binden soUen, eiri Volkerrecht oder eine 
Volkermoral nennt, ob man sie als unvoUkommenes oder 
als unentwickeltes Recht oder als Klngheitisregeln ^bezeichnen 
will, ist im Grunde nur ein Wortstreit fiir den Juristen. Es 
fehlt dann jedes Kriterium , um das , was in jenen Satzen' 
Recht sein soil, abzusondern von Bestimmungeri, welche einein 
anderen als dem Rechtsgebiete angehor^n. ^^ 

Somit hangt nicht nur unser Eingangs formulirtes Problem, 
sondern auch die ganze juristische Existenz des Volkerrechts 
von dem Nachweise ab, dass der Staat durch seine Normen 
sich selbst verpflichten kann, dass es moglich ist, dass Ver- 
pflichtender und Verpflichteter in einer Person existiren 
konnen. ^ Ist dieser Nachweis gelungen, dann muss gezeigt 
werden, dass auch in seinen Bezienungen nach Aussen der 
Staat sich selbst Normen schafft, dass auch bier ein Ver- 
pflichtungsverhaltniss existirt, in welchem der Recht Setzende 
und derjenige, dem das Recht gesetzt ist, identisch sind. 
Denn nur sich selbst kann der Staat sich unterordnen ^^) und 
nur, wenn er sich sich selbst unterordnen kann, ist. er im 
Stande, sich ein Recht nach Aussen zu setzen. ") 



*^) Gewiss ist Lass on, Princip nndZakanft des Ydlkerrechts, Leipzig 
1871, S. 22, so yiel znzngeben, dass „der Staat sich niemals einer Recbts- 
ordnang, wie iiberhaapt keinem Willen ansser ibm nnterwerfen kann.'' 

^^) Ganz consequent kommt J. t. Held znr Lengnnng des jaristiscben 
Cbarakters des Volkerrecbts , weil er das bier vorbandene Yerpflicbtangsver- 
baltniss nicht zn erkennen yermag: „Zn den Disciplinen des offentlicben 
Eecbts im jnristiscben Sinne des Wortes gehort es (das Volkerrecht) nicht, 
weil es rechtlich ansscbliesslich anf der freien Uebereinknnft hernht, ibm also 
das nnentbehrliche offentlich-rechtlicbe Pflicbtverbaltniss , welches das Spe- 



8 

Gegen die Moglichkeit der juristischen Begriindung des 
Volkerrechts auf der staatlichen Autonomie hat sichFricker 
in einem gegen Be rgb ohm's Ausftihrungen gerichteten Auf- 
satz erklart. ^^*) Der eigene Wille des Staates kann kein 
Recht fiir denselben schaffen , selbst wenn der Staat far sein 
Verhalten Regeln feststellt. Ein rechtliches Gebundensein 
des Staates gibt es nicht, denn die Consequenz des eigenen 
Willens steht ausserhalb des Reehts. 

Den Beweis fiir diese Behauptungen ist aber Fricker 
schuldig geblieben; sie sind eben die Consequenz des a priori 
aufgestellten Satzes, dass alle Rechtsnormen Zwangsnormen 
sind, womit die , wie wir sehen werden , hochst wichtigen 
rechtlichen Erscheinungen , welche sich dieser Definition 
nicht fiigen wollen , ohne nahere Priifung aus dem Ge- 
biete des Rechts hinausgewiesen werden. Vor AUem miissen 
dann diejenigen Handlungen, welche in freier Befolgung des 
Rechtsgebotes voUbracht worden, der juristischen Qualification 
ganzlich ermangeln. Wenn die Consequenz des eigenen 
Willens ausserhalb des Rechts steht , dann wiirde mit der 
Aufnahme des Gesetzes in den Willen dasselbe verschwinden 
und fiir den Gerechten gabe es kein Recht mehr. 

Wir wollen indessen unserer Untersuchung nicht vor- 



^-•^•^' 



greifen. Das beste Argument gegen die gegnerische Behauptung 
kann nur darin bestehen, dass der Nachweis gelingt, dass eine 
Selbstverpflichtung des Staates moglich sei und es Rechtssatze 
gebe, welche eine staatliche Selbstverpflichtung Nin sich 
schliessen. Wir haben daher zunachst die Fra^e zu beant- 
worten : Kann sich der Staat durch seine Normen selbst ver- 
pflichten ? 

cielle dem Ailgemeinen unterordnet, fehlt." Grundzuge des allgemeinen Staats- 
rechts, Leipzig 1868, S. 277. 

"') Noch einmal das Problem des Volkerrechts. Zeitschrift fiir d. ges. 
Staatswissenschaft, Bd. 34, S. 368 ff. 



I. 



Der Gedanke stutzt im ersten Momente vor der Vorstel- 
lung einer Selbstverpflichtung des Staates. Innerlialb des 
Staates konnen dem Unterthan durch den Staatswillen Ver- 
pflichtungen auferlegt werden, der Staatswille kann den 
Willen des Einzelpen an die von diesem abgegebene Erkla- 
rung binden. Wie ist aber ein Sichselbstbinden auch nur 
logisch moglich? Kann Derjenige, den nichts bindet als sein 
eigener Wille, sich nicht durch eben diesen Willen wieder von 
dem selbstgesetzten Bande losen? Der Staat als das Subject 
des allgemeinen Willens kann ja juristisch Alles, er kann sich 
daher auch von den Verpflichtungen befreien, die er auf sich 
genommen hat, ohne ein Unrecht zu begehen, denn er ist die 
Quelle alles Rechts. Der allgemeine Wille kann von keinem 
Rechtsges^tz gebunden werden! 

Be vor wir jedoch an die weitere Untersuchung schreiten, 
woUen wir den dunkeln und in seinem inneren Wesen uner- 
forschten Begriff des Staates, an dem Metaphysiker, Psyclio- 
logen, Sociologen und Theologen sich* herumqualen, durch den 
klaren, fiir den Juristen einzig und allein interessanten Be- 
griff der Staatsgewalt ersetzen. Nicht die Substanz, das 
An-sich des Staates kiimmert den Juristen, sowie der Psy- 
cholog sich nicht um die Seele, sondern nur urn die psychi- 
schen Zustande, sowie der Mathematiker sich nicht um das 
Wesen des Raumes, sondern um die raumlichen Figuren 
kiimmert. Es ist die nie geloste Aufgabe der Philosophie, jenes 



/ 



10 

An-sich der Dinge, welches unter ihren Functionen verborgen 
liegt, zu erforschen. Der Jurist hat es nur mit den Thatig- 
keitsaussernngen des Staates zu thun, nur der woUende 
und handelnde Staat ist es, um den der Jurist sich ktimmert. 
Daher gibt es keine knappere und treffendere Definition des 
Staatsrechts als die Gerber's: „Das Staatsrecht ist die 
Lehre von der Staatsgewalt". ^^) Um alien Einwanden zu ent- 
gehen, welche aus i^gelnd einer Theorie von der substantiellen 
Natur des Staates hergeholt werden konnten, erklaren wir, 
dass, wenn wir jetzt vom Staate sprechen werden, wir ihn 
vorderhand nur seiner formal-juristischen Seite nach als Staats- 
gewalt vor Augen haben. 

Horen wir nun zunachst die alteren Lehren vom Staate, 
so ist nach den meisten die Idee der Souveranetat unver- 
traglich mit der Moglichkeit einer rechtlichgn Selbstverpflich- 
tung des Souverans durch seine Gebot,e^^ Besonders bei den 
Absolutisten figden wir die entschiedenste Leugnung eines 
solchen Vernattnisses. Der Vater der Lehre von. der Souve- 
ranetat, Jean Bo din, der von der principiellen Anschauung 
ausgeht, dass die Staatsgewalt Jemandem iibertragen wer4en 
konne, „pour disposer des Mens, des personnesj et de tout Vestat 
h son plaisir^ ") und der fiir die Souveranetat keine andere 
Schranke kennt, ^que la loy de Dieu et de nature ne commanded i*) 
erklart ganz consequent: „&' done le prince souveram est exempt 
des lotx des ses predecesseurs ^ heaucoup moins seroit-il tenu aux 
loix et ordonnances, qu*il fait\ car on pent Men recevoir loy d^autruy, 
mais it est impossible par nature de se donner loy, non plus que 
commander h soimesme chose qui depend de sa volontij comme dit 
la loy: Nulla obligatio consistere potest^ quae a voluntate promit- 
tentis statum capit: qui est une raison necessaire, qui monstre Svi- 
demment, que le Boy ne peut estre suget h ses loix.^ ") Denselben 
Gedankengang verfolgt der eifrigste Vertheidiger der Lehre 



^^) Grnndziige eines Systems des dentschen Staatsrechts. 2. Aufl., d. 3. 

^») Lei six livres de la BdpuhUque. Paris 1576. Bd. I. Ch. IX. p. 129. 

^^) ib. p. 132 n. 133. Der Sonver&D kann sich nach Bo din anch dann 
nicht binden, wenn er wollte: ^£c prince souverain ne ae peut Her lea maim^ 
quandorea il voud''oit.^ p. 133. 

»*) ib. p. 130. 



11 

von der absoluten Staatsgewalt, H o b b e s : „Neque sibi dare 
aliquid quisquam potest; neque sibi ohligari. Nam cum idem esset 
obligaius et ohligana , obligans autem liberare obligatum possit, 
frustra esset, sibi obligari, quia se ipsum potest arbitraiu suo libe- 
rare; et qui hoc potest y actu tarn liber est. Ex quo constat , legibus 
civilibus non teneri ipsam civitatem. Nam leges civiles sunt leges 
civitatis; quibus si obligaretur, ipsa obligaretur sibi,^ Ja, 
H b b e s geht noch weiter als B o d i n , der Vertrage zwischen 
Souveran und Unterthan als bindend erklart. Er behauptet 
namlich ferner: ^ Neque obligari potest civitas civi, Quoniam enim 
hie ilium, si voluerit, potest obligatione liberare et vult quoties ipsa 
vult (quia civis cuiusque voluntas in omnibus rebus comprehenditur 
in voluntate civitatisj, libera est civitas ' quando vult, hoc est, actu 
iam liber est, Concilii autem sive ho minis, cui summum im- 
perium commissum est, voluntas est voluntas civium, Gomplec- 
titur ergo voluntates singulorum cioium] neque igitnr tenetur is, 
cui summum imperium commissum est legibus civilibus; 
hoc enim est obligari sibi, neque cuiquam civium.^ ^^) Diese schroffe 
Auffassung des Wesens der Staatsgewalt, die auch nur die 
Denkbarkeit einer Selbstverpflichtung zuruckweist, kehrt unge- 
mildert bei Rousseau wieder, der in diesem Punkte sich als 
Schiller des VerSGieiaigers der absoluten Fiirstengewalt erweist : 
II Jaut remarquer, que la dilibiration publique, qui peut obliger 

tous les sujets envers le souverain ne peut obliger le 

souverai?i envers lui-meme, et que par consSquent il est centre la 
nature du corps politique que le souverain sHmpose une loi, qu'ilpuisse 

*®) De cive c. VL 14. Ganz wie Hobbes, sogar sich anf ihn berufend, 
Puffendorf, de jure nafurae et gentium lib. VII. c. 6, 3: Humanae autem 
leges nihil aliud sunt^ quant summi imperii decreta circa ea, quae subj.ctis ad 
aalutem civifaiis observanda aunt — — Hi«ce direc'e non obligari summum im- 
perium potest. Summum enim est: ergo a svperiore homine obligatio if si non 
potest acc':dere. Seipsum autem per modum legis^ id est^ per modum superioris 
obligare nemo potest. Yon sp&teren vorkantischen Natarrechtslehrem hnldigen 
demselben Grandsatze n. A. Achenwall, Jus naturae Ed. sept. torn. II. §. 34. 
Quoniam porro imperans legem ferem obligaiionem imponit subditis^ non «i- 
bimet ipsi; imperans legibus a se laiis natural! ter ipse iion tenetur. ** Ferner 
Hopfner, Natnrrecht, 6. Aufl. Giessen 1795. §.185, Anm. 2. Dagegen jedoch 
besonders Schnanbert, aach der Regent ist an die von ihm gegebeoen 
Gesetze gebnnden. Ans dem Lateinischen von Hagemelster. Rostock and 
Leipzig 1795. 



12 

enfreindre, Ne pauvani se constdSrer que sous un seul et m^me 
rapport, il est alors dans le cas Wun particulier contractant avec 
Boi-m^e ; par oil Von voit^ qyHH n^y a ni peUt y avoir nulle espece 
de loi fondamentale ohligatoire pour le corps du peuple , pas 
mtmele contrat social,^^'^) Auch das deutsche Naturrecht 
hat in kemem Genngeren als in K a n t einen AnhS-nger der Lehre 
von der formellen Unbeschrankbarkeit der Staatsgewalt. Der 
Einfluss Rousseau's verleugnet sich nicht, wenn er den Satz 
aufstellt: „Der Herrseher im Staate hat gegen den Unterthan 
lauter Rechte und keine (Zwangs-)Pflichten." ^^) Aber nicht nur 
das alte Naturrecht, auch die neuere Reehtsphilosophie hat Ver- 
treter, die sich zu dieser Anschauung bekennen. So sagt St ah 1, 
dass „der Staat, wenn auch die souverane, doch nicht die ab- 
solute Macht, formell, aber nicht materiell uiibeschrankt 
sei". ^^) Ferner „kann iiberhaupt der Gesetzgeber selbst nicht 
durch seine Gesetze gebunden sein^^o) 

Die Quelle aller dieser Ansichten ist in dem Satze des 
romischen Rechtes zu suchen: Frinceps legibus solutus est, und 
es war natiirlich, dass gerade in der Zeit, wo die moderne 
Staatsidee mit den iiberkommenen Institutionen des Mittel- 
alters zu kampfen hatte, die Unumschranktheit der Staats- 
gewalt von den Vertretern der neuen Ideen besonders scharf 
hervorgehoben wurde, sowie, dass die revolutionare Staats- 
lehre der Theorie von der unverpflichtbaren Souveranetat 
sich mit Freuden bemachtigte. Aber schon friihe sehen wir 
selbst die Vertreter des Staatsabsolutismus nach Garantien 
suchen, welche die Gewissheit gewahren, dass die Staatsgewalt 



") Du control social, Livre i, ch, VII. 

^^) Eechtslehre §. 49. Allgemeine Anmerkung A. W. W., heransgeg. v. 
Bosenkranz and Schubert. Bd. 8, S. 165. 

^») Staatslehre. 3. Aufl., S. 155. 

'^) Ebd. S. 282. Andere Stellen lassen die Anffassung Stahl's anders 
erscheinen, wie er sich denn tiberhaapt darch seine dialektische Geschicklich- 
keit oft nm die Probleme herumredet. So sagt er z. B. S. 189: Das Gesetz 
ist Grnnd und Voraussetznng der Staatsgewalt, durch welche sie Staatsgewalt 

ist auf der anderen Seite ist die Staatsgewalt wieder Grund und Vor- 

aussetzung des Gesetzes es besteht zwischen Gesetz und Staatsgewalt, 

wie in der Personlichkeit und im Organischen, wechselseitige Voraussetzuug 
und Wechselwirkung. 



' ' ' 13 



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zum Besten der Unterthanen ausgeubt werde, Schon Bo din 
nennt die loy de Dieu et de nature als Schi*anke, welche der 
souveranen Gewalt gezogen ist. Bei aller Anerkennung der 
formalen Ungebundenheit der Staatsgewalt suchen die Abso- 
latisten wenigstens moralisclie Schranken fur dieselbe zu finden. 
Bei ihnen alien bricht der natiirliche Gedanke durch, dass der 
Staat, wie iiberhaupt jede menschliche Gewalt, nicht als baare 
Willkiir existiren diirfe , und . so suchen sie die dem Staate 
zngestandene formelle Willkiir durch ein materielles Princip, 
welches die Trager der Staatsgewalt verpflichtet, zu massigen. 
Von anderer Seite aber werden nicht nur moralische Schranken 
der Ausubung der Staatsgewalt zu ziehen versucht, sondern 
es tritt die Idee auf, sie in ein rechtlich abgegrenztes 
Gebiet zu bannen. AHerdings sind dies vorlaufig nicht positiv 
rechtliche Schranken, sondern die Regulirung der Staatsgewalt 
wird aus dem Naturrecht deducirt. Entweder geht man von 
privatrechtlicher Staatsauffassung aus und lasst die Inhaber 
der Staatsgewalt als gebunden erscheinen durch die Ver- 
sprechen^ welche sie ihren Unterthanen geleistet haben und die 
von diesen angenommen worden sind, oder man zieht der 
Staatsgewalt unverriickbare Grenzen durch den Inhalt der der 
staatlichen Vereinigung zu Grunde liegenden Vertrage, welche 
der Staatsgewalt nur ein beschranktes Mass von Macht, nur 
so viel einraumen, als zur Erreichung der Staatszwecke unum- 
ganglich nothwendig ist. Das pactum unionis und subjectionis 
enthalt die Legitimation zur Ausubung der hochsten Gewalt. 
Was in diesen pactis nicht gewahrt wurde, das steht der 
obersten Gewalt nicht zu. In der deutschen Staatsphilosophie 
taucht ferner der grosse Gedanke auf, dass der Staat an 
seinem Wesen eine Schranke finde; ein Gedanke, von dem 
sich der deutsche Geist seit Thomasius und Wolff nicht mehr 
abgewendet hat. ^^) So gewaltig ist der naturliche Drang, eine 

^^) Die erste scharfe und klare Formnlirang bei Wolff, InsHtutiones 
juris not, et gentium §. 980 : Imperium civile cum metiendum nt ex fine cicitatis ; 
idem non extenditur vltra eas civium actionea , quae ad honum publicum con- 
sequendum pertinent, corueguenter cum nonnisi quoad easdem lihertaa naluralis 
aingulorum reatringafur , quoad ceteraa a^tionea ea illibata manet; ferHer: 
Verntinftige Gedanken yon dem gesellschaftliclien Leben der Menscheo §. 215 
und andere Stellen. 




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Grenze zwischen Individuum und Staat zu finden, dass selbst 
ein so entschiedener Vertheidiger der absoluten Staatssouve- 
ranetat, wie Rousseau, im Widerspruch zu seinen Voraus- 
setzungen dazu gelangt, ein Capitel seines contrat social mit 
der Ueberschrift : Des homes du pouvoir souveratn zu versehen. ^a) 

Das Naturrecht also, welches von der Anschauung aus- 
geht, dass ein Sichselbstbinden der Staatsgewalt logisoh 
unmoglich ist, sieht sich genothigt, den formellen Mangel 
durch ein substantielles Moment zu ersetzen. Ja, von dem 
Augenblicke an, wo es als geistige Macht in den Kampf gegen 
das herrscliende^ Regierungssystem eintritt , wird es seine 
Hauptaufgabe, den Punkt zu finden, von dem aus die unver- 
riickbare Grenze zwischen den Rechten des Staates und des 
Einzelnen gezogen werden kann. Von Grotius und Spinoza, 
von Locke und Algernon Sidney angefangen, bis auf 
Rousseau und Fichte ist das die grosse Frage, welche 
die philosophische Rechtslehre bewegt. 

Wie steht es nun mit der Richtigkeit der Behauptung 
der Unmoglichkeit einer juristischen Verpflichtung des Staates, 
welche auch vielen der heutigen Juristen gelaufig ist?^^) Ist 
die Idee, dass Verpflichtender und Verpflichteter eine und 
dies^lbe Person sind, wirklich so widersinnig? Wenn wir voji 
der Rechtslehre in die Ethik blick^n, so begegnet uns die 
Vorstellung von dem Unterwerfen des Willens unter seine 
eigenen Gebote als der Grund- und Eckstein der modernen 
Ethik. Die moderne Ethik ist aufgebaut auf dem Grundsatze 
der Autonomic. Nur jene Handlungen haben voUen sittlichen 
Werth, welche der sittlichen Ge sin nun g entspringen, d. h., 
welche dem nur von dem selbstgesetzten Sittengebote gelei- 
teten Willen entstammen. Keine aussere Autoritat, nur die 
Gesetze, welche er sich selbst vorgeschrieben hat, deren Be- 



'*) Livre. IL ch,IV, Vgl. Warnkdnig, die gegen wartige Anfgabe der 
Rechtsphilosophie. Zeitschrift f. d. g. Staatswissenschaft, Bd. 7, S. 502. 

*') Erst nenerdings wieder Zofd. S. oben N. 8. Die principielle M3g- 
lichkeit einer SSelbstverpflichtung anerkennt von Windscheid, Pandekten 
3. Anfl., §. 305. Anmerknng: „W8mm soUte nicht Jemand dnrcb seinen Willen 
sich selbst ein Gesetz geben kdnnen, wie der Erblasser im Yermachtniss den 
Erben ein Gesetz setzt?'' 



15 

folgung es sich selbst durch sein Gewissen befiehlt, soUen den 
sittlich handelnden Willen binden. Aber nicht nur die tlieo- 
retische Sittenlehre, auch das praktische Leben bietet uns 
eine Fiille von Beispielen fiir die Selbst verpflichtung. G-rund- 
satze baben, einen starken Charakter besitzen, was heisst das 
anders, als die Fahigkeit^haben, seine Entschlusse zu bindenden 
Vorsehriften fiir den Willen zu erheben, sie zum starksten 
Motiv gegen andere dagegen andringende zu machen , den 
kiinftigen Willen zu leiten durch den gegenwartigen ? Worin 
anders besteht die Willensstarke, als in dem Vermogen, den 
Willen durch selbsteigene Entschlusse zu einer constanten 
Kraft zu erheben, die den gefassten Vorsaiz unter alien Um- 
standen ausfiihrt? Der Act der Verpflichtung ist ein Vorgang 
der Motivation, er besteht darin, dass an einen Willen die 
Anforderung gestellt wird, ein bestimmtes Motiv als das ab- 
solut starkste anzusehen. Von wem diese Anforderung. aus- 
geht, ob sie einer fremden Intelligenz oder dem Vorstellungs- 
leben des Handelnden selbst entspringt , ist fiir den Act der. 
Verpflichtung gleichgiltig. Ja man kann noch weiter gehen/ 
und sogar behaupten, dass gewissermassen jede Verpflichtung 
Selbstverpflichtung ist, insoferne die fremde Vorstellung, 
welche micli verpflichten soil, erst meine eigene Vorstellung 
sein muss, •eKe sie als Motiv auf den Willen einwirken kann. 
Nur durch das Medium meines Intellects kann eine andere 
Person meinen Willen bestimmen. Nur meine Vorstellungen 
konnen mich bestimmen und das Gesetz, welches einer mir 
fremden Macht entstammt, kann Leben und Kraft erst dann 
gewinnen, wenn ich es selbst meinem Willen zur Richtschnur 
vorgeschrieben habe. 2*) Von einer 1 g i s c h e n Unmoglichkeit 
eines Sichselbstverpflichten , von einem Widerspruche dieser 
Vorstellung mit unseren Denkgesetzen , kann also nicht die 
Rede sein. 



'*) „Der Versnch einer Gemeinschaft, durch ihre Befehle das Yerhalten 
der GeDossen zu bestimmen, ist Versnch der Rechtssetznng. Das Befohlene 
wird and bleibt Recht, wenn nnd so lange dieser Versnch gelingt. — Recht 
ist Motivation, es hort anf Recht zn sein, wenn es nicht mehr als Motiv wirkt.^ 
Thon, Der Rechtsbegriff in Griinhnt's Zeitschrift f. d. Privat- n. 5ffentl. 
Recht d. Gegenwart. Bd. 7, S. 247. 



16 

Nur von einem Standpunkte aus konnte man die Denk- 
barkeit der Selbstverpflichtnng energisch nnd mit Erfolg 
bestreiten, von dem der absoluten Willensfreiheit , welche 
Freiheit mit Willkiir identificirt. Wenn der Wille als durch 
verniinftige Motive nicht bestimmbar angesehen wird> danu 
freilich ist es unmoglich, von Grundsatzen und Gresetzen, aber 
natiirlich auch von Ethik und Recht zu spreehen. Wenn 
Niihts die Gewahr dafiir bietet, dass der Wille des Menschen 
im nachsten Momente derselbe ist, wie im gegenwartigen , so 
ware eine Gemeinschaft zwischen Menschen anch nicht eine 
Stunde moglich. Und wenn man auf den Staatswillen mit 
seiner zwingenden^ Macht hinweist, der die Constanz des 
Willens der Untertbanen verburgt, woher nehmen wir denn 
die Gewissheit, dass dieser Staatswille, der dock anch Menschen- 
wille ist, im nachsten Momente sich nicht geandert hat? Gabe 
es eine solche Willkiir, so ware die Welt ein grosses Toll- 
(/ bans , dessen Insassen von Verpflichtung , Zurechnung uDd 
Schuld sich eine Idee zu bilden unfahig waren. ^^) Die Leug- 
nung der Moglichkeit einer Selbstverpflichtung aus dem Grunde, 
weil der freie Wille seine Freiheit auch in der Loslosung von 
dem einmal gefassten Entschlusse beweisen kann, fiihrt daher, 
consequent zu Ende gedacht, zur Leugnung von Moral und 
Recht, zur Leugnung der Moglichkeit menschlicher Gemein- 
schaft. Ist also die Selbstverpflichtung einerseits logisch 
moglich, so ist sie andererseits sittlich und rechtlich noth- 
wendig, rechtlich im Sinne der Rechtsidee, weil sie die uner- 
lassliche Vorbedingung. eines geordneten Gemeinlebens ist. 

Eines ist jedoch hier zu bemerken. Die Selbstverpflichtung 
ist nicht so aufzufassen, als ob der eiDzelne Willensact es 
ware, in dem der letzteGrund der Verpflichtung des Willens 
zu suchen sei. Es ist nichts als scholastische Spitzflndigkeit, 
wenn man behauptet , die Freiheit des Willens konne sich 
auch in dem Verzichten auf die Freiheit zeigen. Der verpflich- 
y tende Willensact ist nur der formale Grund der Verpflichtung 
und der Jurist kann sich bei dieser Vorstellung beruhigen. 



^0 Ygl. die treffenden Ansfahrnngen von Edaard v. Hartmann, 
Phanomenologie des sittlichen Bewusstseins. Berlin 1879, S. ^48 ff. 



17 

Der letztepsychologische Grund derVerpflichtung, sei es durch 

eigenen, sei es durch fremdenWillen, besteht aber darin, dass 

der WiUe sicli durch seine Aeusserung als gebunden erachtet. 

Die ganze Aufgabe der Rechtsphilosophie concentrirt 

sich in der Frage, weshalb der Wille sich als gebunden an- 

sehen muss. Ob man mit der theologisirenden Rechtsschule 

das gottliche Gebot, mit der naturalistischen das Gesetz der 

menschlichen Natur , mit dem Naturrecht den Vertrag als 

Quelle der Reehtsordnung annimmt, immer handelt es sich 

um die Erklarung der rathselhaften psychologischen Erschei- 

nung, dass der Wille sich als verpflichtbar und verpflichtet 

weiss. Wenn Kant die Discussion iiber den Grund der ver- 

pflichtenden Kraft der Vertrage mit der Behauptung ab- 

schliessen wollte , dass er die Verpflichtung durch Vertrag 

als einen kategorischen Imperativ bezeichnet ^^) , so hat er 

darait insoferne das Richtige getroffen, als der letzte psycho- 

logische Grund einer Verpflichtung nur in dem unmittelbaren 

Bewusstsein liegen kann, dass man sich verpflichtet weiss. Es 

liegt in dem angeblichen kategorischen Imperativ nur eine 

Umschreibung der Thatsache, dass eine weitere psychologische 

Ableitung des Bewusstseins der Verpflichtung nicht moglich 

. ist, Wie dem auch sei, die Reehtsordnung setzt die Moglich- 

keit der Verpflichtbarkeit des Willens ebenso voraus, wie der 

Mathematiker den Raum und der Physiker die Atome. Eine 

Reehtsordnung, die Existenz eines allgemeinen Willens, der 

sich durch den Willen der Einzelnen in That umsetzt, ist nur 

moglich unter der Voraussetzung , dass der allgemeine Wille 

von den Einzel willen , d. h. dass die Reehtsordnung von der 

Gemeinschaft, fiir welche sie bestimmt ist , als bindend ange- 

sehen wird.^') Wenn auch einzelne Widerstrebende durch die 

Macht der Gemeinschaft bezwungen werden konnen und ein 

Widerstand derselben unschadlich fiir das Recht ist, so ist ein 

Nichtanerkennen des Rechts durch die Gesammtheit gleich- 

bedeutend mit der Vernichtung desselben. Die Anerkennung 



3«) Rechtslehre, §. 19. 

^') ^g^« di® klaren, von einem bei modernen Juristen selten gewordenen 
Verstandniss der rechtsphilosopliisclienProbleine zeigendenUntersncliaiigen von 
Bierling, Zur Kritik der juris tischen Grnndbegriffe , 1. Theil, Gotlia 1877. 
Dr. Jellinek, Natur d. Staatenvertrage. 2 



18 

des allgemeinen Willens durch die Gemeinschaft ist seiji 
letzter formaler Grund. Und diese Anerkennung kann nur 
' darin bestehen, dass man sick durck denselben fur verpflicktet 
kalt; „die Anerkennung, die das Reckt zumReekt mackt, ist 
nickt ein voriibergekender Act, sondern ein dauerndes kabi- 
tuelles Verkalten in Beziekung auf die betreffenden Reckts- 
grundsatze." ^^) 

So versckwindet denn bei nakerer Betracktnng das Be- 
fremdende, welckes in der Idee der Recktserzeugung durck 
'autonomisckes Binden des Willens liegt. fDer Fekler des 
Naturreckts war es , dass es die Souveranetat im Sinne der 
WiUkiir auffasste, dass es nickt erkannte, dass Unabkangig- 
keit und Autonomie keine Gegensatze, sondern Correlata 
sind. ) Aus dem Wesen des Menscken, aus der Natur der 
Recktsordnung ergibt sick nickt nur die Denkbarkeit, sondern 
auck die reale Notkwendigkeit der Selbstgesetzgebung. Daker 
bestekt das Wesen der Souveranetat nickt nur in der Eigen- 
sckaft der Staatsgewalt als kockster Mackt nack aussen, 
sondern vor Allem in der S elbstkerrlicbk eit, in der 
Mackt , dem eigenen Willen Vorsckriften zu geben , in der 
Fakigkeit, fiir sick Reckt zu erzeugen. Mit tiefdringendem 
Blick kat L. v. Stein die Selbstkerrlickkeit des Staates als 
das staatlicke Recktsprincip bezeichnet, welckes den Staat von 
alien anderen Formen der Personliokkeit auszeicknet. ^^) 

Haben wir so den abstracten Beweis fiir die Moglickkeit 
und Notkwendigkeit der Recktserzeugung durck Selbstver- 
pflicktung der Staatsgewalt gefiikrt, so gilt es nun, die Probe 
an den Tkatsacken. zu macken. Es ist zu zeigen, dass in 
dem, was unzweifelkaft als Reckt gilt, ein Moment vorkanden 
sei, welckes nur auf die staatlicke Selbstgesetzgebung zuruck- 
gefukrt werden kann. Auf die Deduction soil die Induction 
folgen, um durck Analyse der concreten Ersckeinungen als 
wirklick zu bestatigen, was sick uns a priori als notkwendig 
kerausgestellt kat. 



") Bierling a. a. 0. S. 8. Auch der Nachweis Bierling's, dass 
die Anerkennnng als letzter jaristischer Grand des Rechts nicht aaf die Ver- 
tragstheorie hinansl&aft, ist zn beachten. 

'®) Handbuch der Verwaltungslehre, 2. Aufl , S. 42. 



19 

Am reinsten und deshalb von den Gregnern der staat- 
lichen Selbstverpflichtung oft als juristisch unqualilicirbar 
bezeichnet, zeigt sich dieselbe in den Acten, durch welche die 
Staatsgewalt ihre bisherige staatsrechtliehe Stellung aus freiem 
Entschlusse verandert, aho hauptsachlich in den Fallen, wo ein 
unbeschrankter personlicher Souveran erklart, die Gesetzgebung 
in Zukunft nur mit Zustimmung Anderer auszuiiben. So lange 
die Idee des Staates sich noch nicht rein und klar herausgebildet 
hatte, konnte man die Octroy irung einer Verfassung von Seite 
des Fiirsten als einen Vertrag auffassen, der zwischen Furst und 
Untertbanen geschlossen wurde. Dem modernen Staatsgedanken 
jedoch, welcher die Kategorie des Vertrags zur Erklarung 
der Erscheinungen des inneren Staatslebens fast ganzlich ver- 
bannt hat, kann in jenen Acten nur den ein fiir allemal bin- 
denden Entschluss des Herrschers erblicken, ein Entschluss, 
der nicht nur itir die Unterthanen, sondern auch fiir ihn selbst 
Recht erzeugt. Der Trager der Staatsgewalt unterwirft sich 
dem Gesetze, das er selbst aufgestellt hat. ^^) 

Von diesem Standpunkte aus miissen nun auch alle ubrigen 
Schranken der Staatsgewalt beurtheilt werden. Das moderne 
Staatsrecht kennt unzweifelhaft Einschrankungen der Staats- 
gewalt, und zwar positiv-rechtliche Einschrankungen. 'i) Die 



'^) Vgl. Zopfl, Grnndsatze des allgemeinen Staatsrechts, 3. Anfl., 
S. 319. Ein anch der Form nach zutreffendes Beispiel der Selbstgesetzgebnng 
im Diplom des Kaisers von Oesterreich vom 20. October 1860 : „In Erwagnng 

dass haben Wir — aaf Grundlage der pragmatischen Sanction nnd 

Kraft Unserer Machtvollkommenbeit Nacbitehendes als ein best&ndiges und 
unwidermfliches Staatsgnindgesetz zu Unserer eigenen, so auch zur 
Kicbtscbnur Unserer gesetzlichen Nachkommen in der Regiemng zu bescbliessen 
und zu verordnen befunden.^ 

'^) Yon den moisten Pnblicisten der neueren Zeit anerkannt, z. B. 
Scbmittbenner, Zwdlf Biicher vom Staate. 3. Bd., S. 288: ^Die Grenzen 
der politischen Gewalt sind .... 2. Positiv-rechtliche (geschichtliche) durch 
die concrete Form und positive Verfassung des Staates gesetzte.*' Z d p f 1 , a a. 0., 
S. 92. Dahlmann, Politik, S. 81: Es liegt nicht in dem Begriffe der Re- 
giemng, dass ihre Willenserkl&rung an keine Begel gebunden sei. Mo hi, 
Staatsrecht, Volkerrecht, Politik. 2. Bd., S. 408. Gerber, Ueber oflfentliche 
Rechte. Tfibingen 1852, S. 79. Derselbe, GrundzQge d. allg. Staatsr. S. 31. 
229. Hermann Schulze, Einleitung in*s deutsche Staatsrecht. 2. Aufl., 
S. 165. J. V. Held, Grundziige des allgemeinen Staatsrechts. S. 324. 

2* 



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20 

ganze Idee des Rechtsstaates ist in dem Satze zusammenge- 
fasst, dass rechtliehe Grenzen fur die Ausiibung der Staats- 
gewalt existiren. Da nun auf dem Grebiete des offentlichen 
Rechts, wenigstens im modernen Staate, die Staatsgewalt aus- 
schliesslich Erzeugerin des Rechts ist, so konnen jene 
Schranken nur als Resultat einer Selbstbeschrankung aufge- 
fasst werden. vDaher ist jeder Act des Staatswillens, der sich 
auf die Verfassung bezieht, zugleich eine Anforderung an den 
Staatswillen selbst. Was die Grundgesetze anbelangt, so bat 
„in ibrer Ertheilung, Abanderung, Erganzung, die Staatsgewalt 
sicb selbst zum Gegenstande." ^^) Die staatsbiirgerlicben Rechte 
in ibrer rein negativen .Natur als Erklarungen der Staats- 
gewalt, die Freibeit der Untertbanen in gewissen Beziebungen 
nicbt zu bemmen, beruben wesentlicb auf Einengung des Herr- 
sebaftsgebietes der Staatsgewalt durcb diese selbst, und 
G e r b e r konnte sie daber ganz gut in der imperativen Form 
verpflicbtender Normen oder als verneinende Recbtssatze for- 
muliren: Der Staat soil nicbt die religiose Ueberzeugung 
seiner Volksglieder beberrscben, er soil nicbt die wissen- 
scbaftlicben Ueberzeugungen seiner Volksglieder beberrscben 
woUen, der Staat kann die freie Meinungsausserung durcb 
die Presse nicbt von seiner vorberigen Genebmigung, Censur, 
abbangig macben u. s. w. ^^) Wer daber das Recbt auf die 
von der Staatsgewalt an die Untertbanen erlassenen Normen 



Holder, Das Wesen des Staates. ZeitschYift f. d. g. Staatswissensch. Bd. 26, 
S. 651: ,,Das Staatsrecht ist der Inbegriff der rechtlichen, d. i. eben der von 
der Staatsgewalt selbst als solcher anerkannten Bedingungen, nnter welchen 
allein ihre Wirksamkeit die Bedeatung nnd Geltung einer staatlichen dem 
Yolke gegenuber beaDspruchen darf." Lab and, Das Staatsrecht des deutschen 
Belches. II. Bd., S. 202: „Der Staat kann von seinen Angehorigen keine 
Leistnng nnd keine Unterlassang fordern, er kann ihnen nichts befehlen und 
nichts yerbieten, als auf Grund eines Rechtssatzes. Das ist das Merkmal des 
Bechtsstaates im Gegensatz zur Despotie." 

3«) Gerber, Grundziige. S. 13. 14. 

»3) Gerber, Grundziige. S. 34 ff. Laband, a. a. 0. Bd. 1, S. 149: 
^DieFreiheitsrechte oder Grundrechte sind Normen ftir die Staatsgewalt, welche 
die Staatsgewalt sich selbst gibt.*' Gerade in derAuffassung der Grundrechte 
als bios verpflichtender Satze des objectiven Rechts tritt der Charakter der 
staatlichen Selbstverpflichtung am deutlichsten hervor. 



A 



21 

beschrankt, der muss consequenterweise die Rechtsnatur des 
Verfassungsrechts und damit impUcite des ganzen Staatsreehts 
laugnen, welches ja auf dem Boden der Verfassnng ruht. 

Die von uns vertretene Ansicht, dass in den grund- 
legenden Efestimmungen des Staatsreehts wesentlich Selbst- 
verpfliehtungen des Staates zu suchen sind , wird mit einer 
principiellen Einschrankung gebilligt von der Normentheorie 
in der Ausbildung, die sie von Thon empfangen hat. Nach 
Thon kann der Staat auch fiir sein eigenes rechtliches Ver- 
halten Normen aufstellen; eine derartige Beschrankung der 
eigenen Handlungsfreiheit enthalt aber zunachst die Verkiin- 
digung des Entschlusses , kiinftighin in der oder jener Lage 
in gewisser Weise zu handeln. Erst die Vertheilung der ver- 
schiedenen staatlichen Functionen unter verschiedene Organe, 
insbesondere die Trennutig der legislativen von der regierenden 
Gewalt, machen es moglich, dass dieser Willensentschluss, von 
bestimmten Organen des Staates gefasst und verkiindigt , fiir 
den andern, zur Ausfiihrung berufenen Theil zugleich einen 
Imperativ enthalt. 8*) Hiernach wiirde in der Selbstverpflieh- 
tung der Staatsgewalt eine Verpflichtung einer Richtung der 
Sfcaatsgewalt durch die andere liegen/ In den meisten Fallen 
trifft dies allerdings zu. Aber auch eine' Verpflichtung der 
legislativen Grewalt durch sich selbst ist nicht nur denkbar, 
sondern auch thatsachlich vorhanden. Die Rechtssatze uber 
die politischen Freiheitsrechte sind allerdings Normen fiir die 
verwaltende Thatigkeit des Staates, aber sie sind auch 
„Schranken der gesetzgebenden Gewalt insofern, als eine Be- 
seitigung derselben nur durch verfassungsmassige Aufhebung 
eines Theiles der Grundgesetze moglich wird". ^5) Die Bestim- 
mungen fiir das verfassungsmassige Zustandekommen der Ge- 
setze, der Grundsatz, d'ass Gesetzen keine riickwirkende Kraft 
beigelegt werden soil, die Erklarung der Unantastbarkeit 
erworbener Rechte konnen nur als rechtliche Einschrankungen, 



'^) Bechtsnorm n. snbj. Becht. S. 141. Ganz richtig fiihrt Thon die 
privatrechtliche Stellnng des Staates als Fiscns auf staatliche Selbstver- 
pflichtnng zurtlck. Vgl. Mo hi, Eccyclopadie der Staatswissenschaften, 
1. Aufll. S. 193. 

") Gerber, Grundztige S. 36. 



I 

1 



22 

welche die gesetzgebende Gewalt sich selbst gesetzt hat, auf- 
gefasst werden. Es liegt in ihnen mehr als ein Entschluss, 
es ist in ihnen eine wirkliche Vorschrift fiir den kiinftigen 
Staatswillen vorhanden. ^*) AUerdings hat es nicht an Solchen 
gefehlt, welche in diesen Bestimmungen nur moralische Ver- 
pflichtungen erblicken woUten, was aber seinen Grund nur 
darin hat, dass diese mit einem a priori zu eng gefassten 
Rechtsbegriffe operirten, von dem ans die angefiihrten Satze 
des Verfassungsrechtes als B»echtssatze allerdings nicht mehr 
begriffen werden konnen. So erklart z. B. Bahr, dass der 
Satz , dass die Gesetzgebung wohlerworbene Rechte 
nicht verletzen diirfe, nur eine moralische Schranke fUr die 
Gesetzgebung sei 5'), welche Behauptung jedoch in der petitio 
principii wurzelt, dass B;echt und Gesetz nur da wahre Be- 
deutung und Macht gewahren, wo sie einen Richterspruch zu 
ihrer Verwirklichung bereit finden^^), ferner behauptet Max 
Seydel, ganz an Hobbes erinnernd, dass Derjenige, von 
dem das Recht ausgeht, liber dem Rechte steht , dass der 
Wille des Herrschers Land und Leute ohne jede rechtliche 
Grenze umfasst, dass der Herrscherwille als Rechtsquelle nicht 
selbst Recht sein kann. ^9) Daneben spricht aber Seydel 
von „gesetzlicher Beschrankung des Herrscherwillens", welche 
eine vom Herrscher sich selbst gesetzte ist *o). Diesen Wider- 



'^) Dies zeigt am deatlichsten Art. I des Amendements vom 25. De« 
cember 1791 zar Verfassung der Vereinigten Staaten von Nordamerika : „Ber 
Congress soil nie ein Gesetz geben, wodnrch eine Religion znr herrschenden 
erklart oder die freie Ansiibnng einer andern verboten, oder wodnrch die 
Preiheit im Reden oder die Pressfreiheit , oder das Recht des Volkes, sich 
freiwillig zn versammeln nnd der Regiemng Petitionen wegen Abstellnng 
von Missbranchen zn uberreichen, vermindert wfirde^. Siehe Schnbert, Die 
Verfassnngsurknnden, I. Bd., S. 319. 

•') Der Rechtsstaat, Cassel nnd Gbttingen 1864, S. 50. 

»«) Ebd. S 12. 

«») AUgemeine Staatslehre, Wurzbnrg 1873, S. 9, 13, 61. 

^^) Ebd. S. 66. Wie man von diesem Standpnnkte ans zn offentlichen 
Rechten, zn Rechten gegen den Herrscher gelangen kann, wie dies 
bei Seydel der Fall ist, bleibt vollig nnbegreiflich. Der S e y d e I'sche Unter- 
schied zwischen Herrscher nnd Staat deckt sich gen an mit dem Rons sea n's 
zwischen souverain nnd ^tat. 



23 

spruch zu loseu, macht S ey d e 1 nicbt den geringsten Versuch.*^) 
Auch Ihering, der, wie wir bald sehen werden, einer der 
eifrigsten und geistreichsten Vertreter der Ansicbt von der 
SelbstbeschrankuDg der Staatsgewalt ist, fasst ganz im StahT- 
schen Sinne die Gesetzgebung als absolut fiber dem Gesetze 
stehend anf. Jedes Gesetz, das sie erlasst, wie immer bier 
aueh sein Inbalt bescbaffen sein moge, ist im Recbtssinn ein 
voUkommen legaler Act , die Gesetzgebung kann daher im 
juristiscben Sinne nie eine Willk'dr begeben, das wiirde beissen, 
dass ibr nicbt das Recbt zustunde, die bestebenden Gesetze 
zu andern, ein Widersprucb der gesetzgebenden Gewalt mit 
sicb selber. *^) Aber far die Aenderung des gesetzgeberiacben 
Willens sind im Recbtsstaate stets gewisse Formen vorge- 
scbrieben, Formen, obne deren Innebaltung ein Gesetz gar 
nicbt zu Stande kommen kann. Diese Formen bescbranken 
den Willen des Gesetzgebers , und zwar weil er sie gewoUt 
bat. Er kann allerdings diese Formen andern, aber er ist 
durcb das Wesen des Staates gezwungen, seine Willkiir, die 
materiell gar nicbt bestebt, formell einzuengen, an Stelle der 
aufgebobenen Formen miissen neue treten, denn einen form- 
losen Staatswillen kennt der Staat nicbt. tJnd wenn der 
Gesetzgeber die bestebenden Gesetze andern kann, so ist docb 
stets ein neuer selbstandiger Willensact zu einer solcben 
Aenderung notbwendig. So lange der Gesetzgeber nicbt ein 
Anderes gewollt bat, sind die von ibm aufgestellten , an ibn 
sicb ricbtenden Vorscbriften fur seinen Willen bindend. Nur 
dann waren die Selbstbescbrankungen der Gesetzgebung nicbt 
recbtlicber Natur, wenn die Gesetzgebung als Willkiir gefasst 
werden konnte, eine Auffassung, die dem Wesen des Staates 
von Grund aus widerstreitet. Wie aber der Gesetzgeber 
trotz der' Selbstverpflicbtung seines Willens juristiscb im 
Stande ist, seinen Willen zu andern, diesen fiir unsere Tbeorie 
so wicbtigen Punkt werden wir bald zu erortern baben. 



*^) Ferner ist Fricker za den Lengnern einer reehtlichen Verpflich- 
tung der Legislative zn zahlen. S. oben S. 8. Vgl. a. a. 0. S. 402: „Wenn 
der Staat kein Recht tiber sicb bat, so ist er nnr von seinem eigenen Willen 
gebonden, also recbtlicb ilberbanpt nicbt gebunden.** 

**) V. Ihering, Der Zweck im Recbt, 1. Bd. S. 350. 



24 

In dem Nachweis der Selbstverpflichtung der gesetz- 
gebenden Gewalt liegt eigentlich der Schwerpunkt unserer 
Untersuchung. Denn an einer Verpflichtung anderer Staats- 
thatigkeiten durch die gesetzgebende kann fliglich nicht 
gezweifelt werden. Dass Administration und Justiz von. der 
Gesetzgebung Befehle empfangen konnen, gehort zu den fun- 
damentalen Thatsachen des offentliehen Rechts, ohne welche 
die Existenz einer Rechtsordnung gar nicht denkbar ist. In- 
sof em die Staatsgewalt in abstracto als eine einheitliche ge- 
dacht werden muss, liegt allerdings auch hier eine Selbstver- 
pfliehtung vor, so dass. jede Norm des offentliehen Rechts ein 
Moment der Selbstverpflichtung enthalt. So hat Binding 
mit vollem Recht hervorgehoben, dass die Normen des Straf- 
gesetzes an den Staat selbst gerichtet sind. *3) In der Ge- 
wahrung offentlicher Rechte an die Unterthanen verpflichtet 
sich der Staat den Unterthanen gegeniiber zu gewissen Lei- 
stungen ; vom Standpunkt des der Staatsgewalt Unterworfenen 
erscheint hier die Staatsgewalt selbst verpflichtet. **) Da aber 
die Ausfiihrung des Staatswillens anderen Organen iiberlassen 
ist, als den den Willen erzeugenden , da innerhalb der ein- 
heitlichen Staatsgewalt die verschiedenen Organe derselben 
eine gewisse Selbstandigkeit gegen einander haben, in welcher 
zumeist die Garantien des offentliehen Rechts zu suchen 
sind, so kann man, wenn man dieses Moment der Selbstandig- 
keit einseitig in's Ange fasst nnd zugleich auf das Subjections- 
verhaltniss hinweist , in welchem die anderen Thatigkeiten 
der Staatsgewalt zu der Gesetzgebung stehen, die Behaup- 
tung aufstellen, dass auch die Verpflichtung der Verwaltung 
durch die legislative Gewalt unter jenen Begriff des Rechts 



**) Die Normen und ihre Uebertretung, 1. Bd., S. 13. Auch wenn man 
annimmt, dass die Strafgesetze Yerpflichtungen des Kichters sind, sie bei 
seinen Urtheilen zu Grande zu legen, muss man doch zugeben, dass sie, wie 
Binding treffend ausfiibrt, eine Fixirnng des StaatswiUens gegeniiber dem 
Verbrecher enthalten, eine Fixirung, welche nicht nA, wie Thon meint, 
ein Entschluss, sondern eine wahre Norm ist , eine Norm , durch welche der 
hiinftige Staatswille bis zur Aenderung des Strafgesetzes gebunden ist. Ygl. 
die folgenden Ausfiihrungen im Texte. 

**) Vgl. Ulbrich, Oeffentliche Rechte und Verwaltungs-Gerichtsbarkeit. 
Prag 1875. S. 53. 



25 

falle, wonach dieses nur in der von der Staatsgewalt an die 
ihr TJnterworfenen erlassenen Normen besteht. Gegeniiber der 
Verpflichtung der Gesetzgebnng durch diese selbst ist jedoch 
ein solcher Einwand unmoglich. Wahrend man sich dort 
darauf berufen kann , dass gewissermassen der Staatswille 
sich spalte und sich innerhalb seiner selbst ein von ihm ver- 
schiedenes Object schaffe, efgreift sich hier der Wille selber. 
Man muss entweder alle die Satze, welche den Willen des 
Gesetzgebers binden , aus dem Rechte wegescamotiren oder 
zugeben, dass jener enge Rechtsbegriff nicht im Stande sei, 
alle Erscheinungen des Rechts zu erklaren. Und jenes Hin- 
auswerfen der den Willen des Gesetzgebers bindenden Be- 
stimmungen ans dem Rechte ist , wie schon erwahnt , eine 
Negirung des ganzen Verf assungsrechtes , welches nach der 
pracisen Definition L. v. Stein's als die gesetzlich be- 
stimmte Ordnung fiir die Bildnng des Staatswillens aufgefasst 
werden muss *^) und damit eine Negirung der Moglichkeit des 
Rechtsstaates , welcher ja auf der gesetzlichen Fixirurig der 
Competenz der Staatsgewalt in alien ihren Functionen, also 
auch der gesetzgeberischen, besteht. 

In der Selbstverpflichtung des Souverains und der legis- 
iativen Gewalt tritt aber der Charakter des autonomen Bindens 
des Staatswillens nur am reinsten und deutlichsten hervor. Fac- 
tisch enthalten ist sie aber, wie wir schon angedeutet haben, 
in jedem Satze des offentlichen Rechtes, ja in jedem Rechts- 
satze iiberhaupt. Zu den grossten Verdiensten der deutschen 
Staatswissenschaft gehort es, den einheitlichen Charakter der 
Staatsgewalt dargethan, den Nachweis gefuhrt zu haben, dass 
dasjenige, was man Staatsgewalten nannte, in deren absoluten 
Trennung man das Heil des Volkes erblickte, nur verschie- 
dene Functionen einer und derselben Staatsgewalt sind. Bei 
aller Abgrenzung der Gebiete der einzelnen Staatsfunctionen 
gegen einander darf doch der Gedanke, dass ein mechanisches 
Zerreissen der Staatsgewalt in mehrere Theile zugleich ein 
Zerreissen der Staatseinheit bedeutet, nie ausser Augen ge- 
lassen werden. Wenn eine Scheidung der Staatsgewalt in 
mehrere selbstandige Gewalten theoretisch schadlich ist, so 



45 



) Die Verwaltungslehre, 1. Bd., Stuttgart 1865, S. 24, 



26 

ist sie iiberdies praktisch undurchfuhrbar. Es diirften nur 

wenige staatliche Organe zu finden sein, deren . Functionen 

ganz und ausschliesslich einer der Gewalten angehorten.*^) Wenn 

man daher auf die innere organische Einheit der Staatsfabig- 

keiten achtet , so wird man jeden Entscbluss des Staates, 

dureh welchen er irgend eine seiner Thatigkeiten in irgend 

einer Richtung bindet, als Selbstverpflichtung anffassen miissen. 

Und da jedes Gesetz durch irgend eine Function der Staats- 

gewalt verwirklicht werden muss, da es das Wesen des Ge- 

setzes ist, dass es nicht bios ein Wiinschen des Gesetzgebers 

bedeutet, sondern ein WoUen, das in That umgesetzt werden 

soil, so lasst sich nicht nur, wie Gerber meint, ein grosser 

Theil der Staatsgesetze , welches auch immer im Uebrigen 

ihr Gegenstand sein moge, von dem Gesichtspunkte aus be- 

trachten, dass darin zugleich das Mass und die Einwirkung 

der Staatsgewalt rechtlich festgestellt wird*^), sondern in 

jedem Gesetze ohne Ausnahme, ja in jedem Satze des posi- 

tiven Rechts, welcher Quelle er auch entstammen moge, da 

er direct oder indirect Inhalt des Staatswillens ist, muss eine 

solche rechtliche Fixirung der Ausiibung der Staatsgewalt 

erblickt werden. Wenn ein Gesetz erlassen wird, welches 

sich auf Privatverhaltnisse bezieht, so liegt die Beschrankung 

der Staatsgewalt darin, dass die unter das betreffende Gesetz 

zu subsummirenden Erscheinungen des Rechtslebens nur nach 

diesem Gesetze und sonst nach keinem andern zu beurtheilen 



*®) Ueber die UnricTitigkeit des noch hetite popularen Irrthums, dass die 
englische Yerfassnng auf dem Principe der Gewaltentheilung basirt set , s. 
B a g e h 1 , Englische Yerfassungszastande. Dentsch , mit einem Yorwort von 
y. Holtzendorff yersehen , Berlin 1868. Ancb die continentalen legis- 
latiyen Korperschaften fibenActe der Administration aus. Hierber geboren die 
Wahl der Functionare, die Aufrechtbaltung der Disciplin u. s. w. Selbst die 
Einsetzung yon richterlichen Organen kann in die Competenz der Legislatiye 
geboren , wie z. B. in Oesterreich jdie Wabl der Mitglieder des tiber Minister- 
anklagen entscbeidenden Staatsgerichtshofes durcb den Keichsrath. 

♦*) Grnndziige. S. 31. Ygl. La band, a. a. 0. 11. Bd , S. 205: „Die 
Gesetze, von denen bier die Rede ist (die Yerwaltungsgesetze) baben es 
sammtlicb zti tbun mit einer Abgrenzung der Staatsgewalt. Sie geben 
die Rechtsvorschrifken fiber die Einwirkungen, welche der Staat auf Personen 

und Yermogen seiner Untertbanen yornehmen darf. Der Gesammtinhalt 

aller dieser Gesetze definirt den recbtlichen Inbalt der Staatsgewalt." 



J 



V 



27 



sind. Das Wesen des Gesetzes , des objectiven Rechts liber- 
haupt, besteht eben darin, dass es fur die Beurtheilung der 
ihm unterworfenen Ersch(iiniingen die Willkiir ausschliesst, 
dass es den Willen des Staates mit einem bestimmten Inbalt 
erfiillt, der keinen ihin widersprechenden neben sich duldet, 
Gresetz "and Selbstbeschrankung des Staat swill ens sind corre- 
late Begriffe. Auch beim Individuum scbliesst ein bestimmter 
Willen sinbalt fur die Dauer des WoUens jeden anderen aus. 
Selbst der eifrigste Indeterminist muss zugeben, dass man in 
einem und demselben Momente nicht etwas zugleich mit seinem 
Gegentheile wollen kann. 

In jedem concreten Wollen liegt daher eine Besehrankung 
des Willens als der Fahigkeit des Wollens. Und diese Be- 
sehrankung ist eine selbstgewollte, weil sie nothwendigerweise 
mit dem Willensinhalt selbst gesetzt ist. Daher ist jeder Act; 
staatlichen Wollens eine Besehrankung des Staatswillens undj 
zwar , da diese Besehrankung dem Staate nicht von Aussen ^ 
her aufgedrungen ist, sondern aus der inneren Natur seines \ 
Willens hervorgeht, eine Selbstbeschrankung. Und die Selb^- / 
besehrankung des Staates ist keine vorttbergehende. Der na- 
tiirliche Wille des Individuums ist als solcher durch die Voll- 
endung eines Willensactes form ell nicht weiter gebunden , es 
sei denn , dass ein hoherer Wille ihm ein Gebundensein an 
die entschwundene WiUensaction gebietet oder die Fortdauer 
des einmal geausserten Willens voraussetzt *®) , oder dass der 
Individualwille selbst sich durch das einmal GewoUte aus 
ethischen Griinden fur verpflichtet halt. Anders der Staats- 
wille. Beim Staatswillen dauert das Wollen des einmal fur 
den Willen als Inhalt Gesetzten so lange fort, bis ein zweiter 
Willensact erfolgt, durch welchen der Fortdauer des friiheren 
Willeneactes ein Ende gemacht wird. Der Staat hort nicht 
auf, das zu wollen, was er einmal als Inhalt seines Willens 
gesetzt hat *^), bis ein entgegengesetzter Willensact den ersten 
aufhebt. Der Staatswille, wenigstens der des Rechtsstaates, 



*®) Wie z. B. beim Besitzwillen, der nach der BestimmuDg derRechtsordnung 
nicht dnrch das -blosse Nicht wollen, sondern erst durch tin in contr avium agere 
erlischt. 

^^) Es sei denn, dass er sich selbst eine bestimmte Frist gesetzt hat. 



28 

ist daher viel constanter und verlasslicher als der Wille des 
Individuums und auf dieser Constanz des staatlichen WoUens, 
auf der Fortdauer des Gebundenaeins des Staatswillens an 
seinen Inhalt, beruht im Grunde die ganze Rechtsordnung, 
berubt das Gefiihl der Sicherheit, welcbes die unerlassliche 
Vorbedingung des Sehaffens und Arbeitens der Unterthanen 
ist. Wenn man nicht darauf bauen konnte, dass der Staat 
in seinen Gesetzen und den von ihm anerkannten Rechtssatzen 
eine Schranke seines Willens anerkennt und respectirt, dann 
ware das Leben im Staate das unertraglichste , und solche 
staatliche Zustande waren es , welche die Vorlaufer der Re- 
volution dazu angetrieben haben, die Zeit der Staatslosigkeit 
als die idealste Periode der Menschheit zu preisen. 

Dieses Moment der Selbstunterwerfung des Staates unter 
den eigenen Willen, welches in jedem Rechtssatze liegt, ist 
nun von Niemandem scharfer hervorgehoben worden als von 
Ihering. *^°) Er unterseheidet in der Entwicklung des Rechts 
als Befebl, als Norm, drei Stufen. Die erste Stufe ist die des 
Individualgebotes , welches nur durch das unmittelbare Be- 
diirfniss des einzelnen Falles auftaucht, um sofort zu ver- 
Bchwinden, nachdem der Fall, fiir welchen es bestimmt war, 
erledigt ist. Die zweite Stufe ist die einseitig verbindende 
Norm, die abstracte, fiir eine Reihe von Fallen aufgestellte 
Regel, welche die Unterthanen der Staatsgewalt verpflichtet, 
ohne dass ihr Urheber durch sie gebunden ist. Die dritte 
Stufe der Norm ist die, in welcher sie zugleich die Staats- 
gewalt, welche sie erlassen hat, selbst bindet. Erst dadurch 
wird der Rechtszustand erreicht und der Zufall in der 
Anwendung der Normen verbannt. „Recht in diesem vollen 
Sinne des Wortes ist also die zweiseitig verbindende Kraft 
des Gesetzes, die eigene Unterordnung der Staatsgewalt unter 
die von ihr selbst erlassenen Gesetze." ^^) Die Verbindlichkeit 
der Rechtsnormen fiir sich selber erkennt die Staatsgewalt 
dadurch an, dass sie sich des Rechtsprechens begibt und es 
dem Richter iiberweist. „Einsetzung des Richteramts ist prin- 
cipielle Selbstbeschrankung der Staatsgewalt in 

*o) a. a. 0. S. 321—426. 
") a. a. 0. S. 344. 



29 

Bezug auf den dem Richter zur Verwirklichung iiberwiesenen 
Theil des Rechts, Ermachtigung des Richters, nach eigener 
Ueberzeugung, unabhangig von ihr das Recht zu finden, und 
Zusicherung der bindenden Kraft des von ihm gefallten 
Sprucbs."^2) Die 'Einsetzung des Ricbters und die ibm ge- 
wahrte Unabhangigkeit ist also die Garantie fiir die Verwirk- 
lichung des Rechts nach der Seite der Verpflichtung der Staats- 
gewalt bin und sie ist zugleicb das unterschoidende Merkmal 
des Recbts gegeniiber der Verwaltungstbatigkeit des Staates. 
Icb will bier abseben von der scbroffen Scbeidung, die 
Ibering zwiscben Justiz und Verwaltung macbt, der scbon 
die blosse Existenz eines Verwaltungsrecbts, die Tbatsacbe, 
dass die Verwaltung selbst zur Bildung von Reebtssatzen 
fiibrt^^) und andererseits die Qualitat der Recbtspf lege als 
eines Zweiges der Verwaltung widerstreitet. So ricbtig und scbarf 
aber Ibering das Moment der Selbstverpflicbtung in den 
Normen des Recbtsstaates erfasst bat. so erbeben sicb docb 
gegen seine Ausfiibrungen gewicbtige Bedenken. Vor allem 
iibersiebt er die Existenz einseitig verbindender Normen, 
welcbe ibre verbindende Kraft nur der Staatsgewalt gegen- 
iiber aussern, oder vielmebr, er muss nacb seiner Bebauptung, 
dass die Gesetzgebung sicb nicbt unter ein von ibr erlassenes 
Gesetz stellen kann, die Existenz verfassungsrecbtlicber Normen 
negiren und ziebt damit der Construction des Recbtsstaats den 
Boden unter den Fiissen weg. Und docb ist seine ganze Con- 
struction zweiseitig verbindender Normen nur auf Grund der 
Anerkennung einer ausscbliesslicb die Staatsgewalt ver bin- 
denden Norm moglicb, namlich jener Norm, durcb welcbe die 
Staatsgewalt die „principielle Selbstbescbrankung" vornimmt. 
Der Act, mittelst welcbes die Staatsgewalt die Grenzen ab- 
steckt, innerbalb welcber sie dem Ricbter die Selbstandigkeit 
ge wabrt, muss docb von Ibering als Recbtsnorm aufgefasst 



'*) a. a. 0. S. 382. 

") Vgl. die Einwande Thon's, Zeitschrift f. d. Pr.- u. offentl. Recht. 
S. 256 ff. S. ferner Laband, Staatsrecht. II. Bd., §. 67: „Die Verwaltungs- 
tbatigkeit des Staates ist zagleich Handhabung und Erzeugung des offentlicben 
Rechts nnd es findet eine fortwahrende Wecbselwirkang zwischen Verwaltung 
und Rechtsbildung statt." 



30 

werden, sonst konnte er eine Missachtung der richterlicben 
Selbstandigkeit von Seite des Staates nicht einen durch nichts 
zu beschonigenden Rechtsbrnch nennen. ^^) Mindestens die Or- 
ganisirung der Grerichte und die Feststellung ibrer Competenzen 
mussen von diesem Standpunkte aus als Reclitssatze aufgefasst 
werden, die sieb nur an die Staatsgewalt wenden, einseitig ver- 
bindende Normen, die Niemanden binden, als ihren Urheber. Und 
zwar mussen diese Normen aach als Verpfliebtungen der Ge- 
setzgebung angeseben werden. Oder meint Ibering, dass 
die Legislative durcb den Grundsatz der Unabbangigkeit der 
Ricbter nicbt verpfliebtet ist ? Darf sie Gesetze erlassen, welcbe 
diesen Grundsatz aufbeben? Begebt sie, indem sie diesem 
Satze, der nacb Ibering zu den unerlasslicben Bedingungen 
des Recbtsstaates gebort, derogirt, nicbt ebenso einen Recbts- 
brueb, wie die Staatsgewalt, die den Ricbtersprucb missacbtet ? 
Eine widersprucbslose Durcbfubrung der Ibering'scben Ge- 
danken ist nur moglicb, wenn man einseitig verbindende, nur 
an die Staatsgewalt sicb wendende Normen anerkennt, welcbe 
aucb den recbtscbaffenden Factor im Staatsleben, die Legis- 
lative, zu fesseln im Stande ist. Wenn aucb die Normen, durcb 
deren Erlassung die Legislative eine ibr selbst auferlegte Ver- 
pflicbtang iibertritt, formelles Recbt bilden, so liegt das Un- 
recbt, welcbes die Gesetzgebung begebt, in der Aufstellung 
neuen Recbts, wo das alte batte weiter gelten soUen. Durcb 
den Act der Recbtsscbopfung begebt die Staatsgewalt bier 
einen Recbtsbrucb, den Fall ausgenommen, dass die Neubildung 
des Recbts eine notbwendige, durcb die Staatszwecke gebotene 
war, von dem wir bald zu reden baben werden. Es ist formell 
moglicb, dass die Gesetzgebung auf verfassungsmassigem Wege 
durcb ein Specialgesetz die Confiscation des Vermogens eines 
Unscbuldigen anbefieblt; sie wiirde aber in diesem Falle die 
Norm, welcbe die Unverletzlicbkeit des Eigentbums anbefieblt 
und die sie fur sicb als verbindlicb anerkannt bat, ebenso 
libertreten, wie der Dieb.^***) 

Aus der Existenz einseitig verbindender Normen, welcbe 
nur an die Staatsgewalt gericbtet sind, ergibt sicb, dass die* 

") a. a. 0. S. 382. 
'**) Vgl. Gerber, Grandziige S. 29. 



31 

Verpflichtung der Staatsgewalt der einzige Punkt ist, welcber 

alien vom Staate aDerkannten Rechtssatzen, also alien Satzen 

des positiven Rechts gemeinsam ist. Es gibt, wie aus unserer 

Darstellung hervorgeht, Rechtssatze, welehe sich nicht an die 

Gesetzesunterthanen ricbten, aber eine Norm, welcbe niebt 

den Staat verpflicbtete, ist gar nicbt denkbar, es miisste sonst 

etwas zugleicb Inbalt des Staatswillens und nicbt in dem- 

selben entbalten sein konnen. Die weiteste Definition vom 

Recbte ware demnacb die Bezeicbnung des Recbts als der I 

Inbegriff der vom Staate als fur ibn verbindlieb 

angesebenenNormen, So zeigt sieb uns die Selbstverpflicb- 

tung der Staatsgewalt, deren logisebe Moglicbkeit wir anfangs 

zweifelnd priiften, als die Essenz der ganzen Recbtsordnung. 

Der zweite Punkt in den Ausfiibrungen lb e ring's, 

gegen den wir uns erklaren miissen, ist die Stellung, die er 

dem Ricbter einraumt. Der Ricbter erscbeint bei ibm ganz 

unabbangig von der Staatsgewalt, er stebt ibr selbstandig 

gegeniiber und sie beugt sicb vor seinem Sprucbe. Hier baben 

wir jenes Auseinanderreissen der Staatsgewalt, welcbes notb- 

wendig zu einer Vernicbtung der Staatsidee fubrt, „die tbeo- 

retisebe Construction der Grrundlage eines permanenten Staats- 

conflicts". ^^) Der Ricbter stebt nicbt dem Staate als ein 

Fremder gegeniiber, er stebt nicbt iiber dem Staate als ein 

Hoberer. Er selbst bezeicbnet nur eine bestimmte Ricbtung 

der Staatsgewalt, ist innerbalb der Staatsgewalt nur ein 

Moment , welcbes in seinen ibm eigentbiimlicben Functionen 

gegen die anderen scbarf abgegrenzt ist. Aber es ist der Staat 

selbst, der aus dem Munde des Ricbters spricbt, in ibm per- 

sonificirt sicb der Staat, wenn er das Recbt spricbt und im 

Namen des Staates oder seines souveranen Reprasentanten 

fallt er seine Urtbeile. Insoweit ferner der Ricbtersprucb nicbt 

nur ein Urtbeilen, eine Declaration des auf den concreten Fall 

anzuwendenden Recbts, sondem aucb einen Befebl entbalt, sei 

es an Parteien, sei es an die Staatsgewalt, insofern also ein 

Auferlegen oder ein Anordnen im Ricbtersprucbe entbalten 



") F. V. Holtzendorff , Die Principien der Politik. 2. Aufl. Berlin 
1879. S.125. 



32 

ist, ist es die Staatsgewalt selbst, von welcher die 
Anordnung ausgeht. ^^) Richterwille ist Staatswille. Ware dies 
nicht der Fall, so konnte der Staat sich nie einem Richter- 
spruche unterordnen. Denn wie imraer man die Souveranetat 
auffassen mag, das eine steht fest, dass zu ihren nothwen- 
digen Merkmalen die Unabhangigkeit des Staates zahlt. Der 
Staat darf keinen hoheren Willen iiber sieh anerkennen, er 
darf sich keinem Willen beugen, als seinem eigenen. Stiinde 
der Richter als ein Hoherer iiber dem Staate, dann mtisste 
der Staat von ihm Befehle empfangen konnen, dann ware der 
Richter Souveran und nicht er. Indem die Staatsgewalt dem 
Richter das Rechtsprech6n liberweist, legt sie nicht „vor 
allem Volke die Erklarung ab, dass sie sich selber dessen 
begeben woUe" '^'), sondern sie stellt ihren eigenen Willen und 
die Ausfiihrung desselben vor der Willkiir ihrer Organe 
sicher. 

Und nun wird es klar, warum der Nachweis, dass staat- 
liche Selbstverpflichtung Recht schafft, von principieller Be- 
deutung fiir den Rechtsbegriff liberhaupt ist. Nach der tinter 
dem weitaus grossten Theile der Juristen herrschenden An- 
schauung, die erst neuerdings wieder durch Ihering Unter- 
stiitzung erhalten hat^®), ist Recht nar moglich unter der 
Voraussetzung, dass eine rich ten de und zwingende Autoritat 
vorhanden ist. Rechtsnormen in dieser Auffassung sind Zwangs- 



^^) Vgl. Degenkolb, Einlassungszwang and Urtheilsnorm. Leipzig 
1877. S. 82: „Ini Gericht als Ganzen treffen Urtheilen nnd Anordnen noth- 
wendig znsammen." Dieses richterliche Anordnen kann nie als losgelost von 
der Staatsgewalt gedacht werden, wie das Urtheilen, welches kein WoUen und 
Handeln, sondern ein rein logischer Process ist : „Das Wesen der richterlichen 
Gewalt liegt nicht im Urtheilen, sondern im Richten. — Das Urtheilen in 
dem Sinne, das Recht im einzelnen Falle zu erkennen nnd auszusprechen, 
ist gar nicht nothwendig eine obrigkeitliche Fanction, noch die Ansilbung 

einer staatlichen Gewalt oder Macht das Richten dagegen, d. h. die 

Gewahrnng des Rechtsschntzes nnd die Handhabnng des Rechts — — ist 
von jeher als eine obrigkeitliche Thatigkeit angesehen, nnd daher uberall 
richterlichen Magistraten nnd Beamten als eine staatliche Gewalt zngetheilt 
werden." Bluntschli, AUgemeine Staatslehre. 5. Anfl., S. 595. 

^') a. a. 0. S. 382. 

") a. a. 0. S. 434. Recht = Sicherung der Lebensbedingungen der Ge- 
sellschaft in Form des Zwanges. 



y. 



33 

normen, deren Anwendung durch richterlichen Spruch gesichert 
ist. Eine Autoritat, die fiber den Parteien erhaben ist, eine 
Gewalt, die machtiger ist als die Untefthanen der Norm, muss 
die Garantie fur , die ErfuUung derselben geben. Wenn es nun 
Normen gibt, welche sich an die Staatsgewalt selbst wenden, 
welche RoUe kann ihnen gegenuber der Zwang spielen? Ist 
ein Zwang, den die Staatsgewalt gegen sich selbst ausfibt 
auch nur denkbar? Ein sich selbst Verpflichten ist moglich, 
niemals aber ein sich selbst Zwingen ! Wenn die Staatsgewalt 
irgend einer der sich selbst auferlegten Verpflichtungen nieht 
nachkommt, so ist keine rechtliehe Macht vorhanden, welche 
im Stande ware sie zur ErfuUung ihrer Verbindlichkeiten an- 
zuhalten. Die Garantien dafur, dass der Staat eine in der 
Verfassung enthaltene Bestimmung zur Ausfuhrung bringen, 
dass ein gerichtliches Urtheil voUzogen, dass die Verwaltung 
innerhalb der rechtlichen Schranken ausgeubt werde, sind und 
bleiben rein moralischer Natur , dem Rechte steht in diesen 
Fallen kein Zwangsmittel zu Grebote. ^^) Man wende uns nicht 
ein, dass Garantien fur die Ausfuhrung der verfassungsmassigen 
BestiiiimungeD, fur die Ausubung der Verwaltung innerhalb der 
Rechtsschranken u. s. w. in der Verantwortlichkeit der Minister, 
in den Spruchen der Verwaltungsgerichte existiren. Denn der 
Staat selbst ist es ja, der die Minister zur Verantwortung 
zieht, der die unrechtmassigen Verfugungen der Verwaltungs- 
behorden cassirt. In alien diesen Fallen will der Staat noch 
immer die Verwirklichung desRechts; nicht gegen ihn selbst 
ist hier der Zwang gerichtet, sondern gegen einzelne Organe, 
die zu ihm im Subjectionsverhaltnisse stehen. Wenn aber alle 
Elemente der Staatsgewalt sich vereinigen, um an Stelle des 
Rechts die Willkur zu setzen, um Verptiichtungen zu brechen, 
die sie als solche anerkennen mussen, dann handelt der Staat 
unrecht, ohne dass ein Richter vorhanden ware , der ihm be- 
fehlen konnte und ein Executor, der den Spruch voUziehen 
durfte. Wenn dann die elementaren Krafte des Volkes sich 



*^) B e r g b h m , a. a. 0. S. 25. Ferner hebt Bergbohm ganz richtig 
hervor, dass es Rechtsbestimmungen gibt, welche den Richter uberhaupt aus- 
schliesseD. S. 26, Nr. 1. 

Dr. Jellinek, Natur d. Staatenvertrage. 3 



34 

regen und der Staatsgewalt die Volksgewalt kampfend und 
siegend entgegentritt, so ist das ein Process, der einer juristi- 
schen Qualification ganzlich entbebrt, oder vielmebr es stehen 
sich hier juristisch TJnrecht und Unrecht gegeniiber. Eine Recbt- 
fertigung der Revolution ist vom etbiscben und gescbicbtspbilo- 
sopbiscben Standpunkte und von einer das substantielle Moment 
des Recbts beacbtenden Anscbauung aus moglicb, aber eine juris- 
tiscbe Recbtfertigung derselben, eine Auffassung derselben 
als Recbtszwang gegen staatlicbes Unrecbt ist undenkbar. 

Ist nun einerseits der Recbtszwang gegen den Staat un- 
moglicb , so ist andererseits die Stellung des Ricbters ibm 
gegeniiber ganz anderer Natur als gegenuber dem Untertban. 
Nicbt als eine Autoritat kann der Ricbter ibm gegeniiber- 
treten. Sofern die ricbterlicbe Function nicbt in dem rein 
. logiscben Process des Findens des Recbts bestebt, ist, wie er- 
wabnt, der Ricbter identiscb mit der Staatsgewalt. Der Staat, 
indem er ricbterlicbes Urtbeil ausfiibrt, fubrt sein eigenes 
TJrtbeil aus. Aucb insofern der ricbterlicbe Befebl an ibn 
selbst gericbtet ist, vollfiibrt der Staat in dessen Execution 
nur seine eigenen Bescblusse.( Der Staat ist daber immer Ricbter 
in eigener Sacbe. jEr ordnet sicbnie dem Ricbtersprucbe eines 
als bober Anerkannten unter, sondern er erkennt den Ricbter- 
willen als seinen eigenen an. Es gebt bierbei im Organismus 
der Staatsgewalt derselbe Process vor, wie im Individuum, 
das eine verntinftige Vor stellung zum Motiv fiir seinen Willen 
erbebt. Hier wie dort ordnet sicb der Wille dem als verniinftig 
Erkannten freiwillig unter. 

Die staatlicbe Selbstverpflicbtung kennt also keinen 
Zwang und aucb keinen Ricbter in dem gewohnlicben Sinne. 
Und da in jedem Gesetze das Moment der staatlicben Selbst- 
verpflicbtung entbalten ist, da es Recbtssatze gibt, deren 
Natur ausscbliesslicb in dem autonomen Binden des Staatswillens 
bestebt, so ergibt sicb obne eindringende dialektiscbe und spe- 
culative Untersucbung der Frage, inwieweit die Existenz des 
Recbts durcb die Existenz seiner Garantien bedingt ist, aus 
der vorurtbeilslosen Betracbtung der unzweifelbaft Recbtskraft 
besitzenden Normen, dass esRecbt gibt, welcbes keine andere 
Garantien in sicb tragt, als den Willen desjenigen, an den 



35 

sie gerichtet sind — des Staates. Will man diesen legibus imper- 
fectis den Rechtscharakter nehmen, weil sie imperfectae sind, so 
muss man nacb unseren Ausfiihrungen die Existenz einer Rechts- 
ordnung fiir den Staat, also das offentliche Recht liberhanpt 
negiren, weil jeder Rechtssatz in seiner Riehtung auf die Staatsr 
gewalt nothwendig imperfect ist und imperfect bleiben muss. 
Die doppelte Riehtung, in weleher eich der Staatswille 
aussert, findet iibrigens in den verschiedenen Stadien des ver- 
fassungsmassigen Zustandekommens der Gesetze ihren Aus- 
druck. Ein Gesetzentwurf wird zum Bestanrdtheil der Rechts- 
ordnung erhoben erstens durch die Sanction, welche dem 
Gesetzesinhalt Rechtskraft verleiht und zweitens durcb die Aus- 
ferligung und Publication, durch welche das Gesetz als ver- 
fassungsmassig zu Stande gekommen erklart und sein^ Be- 
folgung den TJnterthanen vorgeschrieben wird. Durch die Sanc- 
tion verpflichtet sich nun zuvorderst der Gesetzgeber selbst. 
Durch diesen Act erklart er, dass ein bestimmter Rechts- 
gedanke Inhalt seines Willens sein soll^^), es ist wesentlich 
die Selbstbestimmung des gesetzgeberischen Willens, welche 
die Sanction zum Ausdruck bringt. Es gibt in dem Leben 
des Gesetzes einen Zeitraum, wo es noch nicht die Unterthanen 
verpflichtet, trotzdem es schon den Willen des Gesetzgebers 
gebunden. hat, und zwar ist dies der Zeitraum zwischen der 
Sanction und Publication, oder noch genauer, dem Momente, 
von dem angefangen die Unterthanen, an welche sich das Ge- 
setz wendet, an dasselbe gebunden sind. So beginnt bekannt- 
lioh in Oesterreich nach. dem Gesetze vom 10. Juli 1869 die 
verbindende Kraft der im Reichsgesetzblatte enthaltenen Kund- 
machungen, wenn in denselben nicht ausdriicklich eine andere 
Bestimmung getroffen wird, mit dem Anfange des fiinfund- 
vierzigsten Tages nach Ablauf des Tages, an welchem die 
deutsche Ausgabe jenes Stiickes des Reichsgesetzblattes, in 
welchem die Kundmachung enthalten ist, herausgegeben und 
versendet wurde; im deutschen Reiche nach Artikel 2 der 
Reichsverfassung am vierzehnten Tage nach Ablauf des Tages, 



«<») Vgl. Lab and a. a. 0. 2. Bd. §§. 56, 57. Gegen La band's Be- 

banptang, dass dorcb die Sanction ein Rechts s a t z zam Gesetz erhoben wird, 

Binding, Krit. Vierteljahrschrift, 21. Bd. S. 549. 

3* 

\ 

\ 
\ 



36 

an welchem das betreffende Stiick des Reichsgesetzblattes in 
Berlin ausgegeben worden ist. ^i) In der Zeit, welche von der 
Sanction des Gesetzes bis zur Publication, von der Publica- 
tion , die vacatlo legis hindurcb, bis zum Beginne seiner ver- 
pflichtenden Kraft verfliesst, ist das Gesetz bereits Bestand- 
theil der Rechtsordnung , aber nur, insofern als es einseitig 
verpflichtende Norm ist, die ausschliesslich. den Gesetzgeber 
bindet. Der Gesetzgeber kann vom Momente der Sanction bis 
zu dem des Inkrafttretens des Gesetzes, trotzdem noch keiner 
der Unterthanen daran gebunden ist, das Gesetz nicht anders 
. aufheben, als auf verfassungsmassigem Wege, er ist also unzweifel- 
haft durch dasselbe bereits ebenso verbunden, als ob es schon 
fiir die Unterthanen in Kraft getreten ware. Ein jedes Gesetz 
durchlauft in seinem Entwicklungsprocess daher ein Stadium^ 
in welchem es das ausschliessliche Charakteristikon aller Nor- 
men des positiven Eechts, die Selbstverpflichtung der Staats- 
gewalt ganz rein und ohne jede Beimischung zeigt. Schon diese 
Thatsache allein wiirde einen hinreichenden Beweis dafiir ge- 
wahren, dass es Recht gibt, durch welches nur der Staat, 
nicht aber die Unterthanen verpflichtet sind. Aus ihr folgt 
auch, dass ein Act des Staatswillens , der nie publicirt wird, 
dennoch fiir die Staatsgewalt bindende Kraft haben kann, 
trotzdem die Unterthanen von dem Entschlusse der Staats- 
gewalt vielleicht nie authentische Kunde erhalten, ein Umstand, 
der fiir die Erfassung der rechtlichen Natur der Staatenver- 
trage von der grossten Bedeutung ist. 

Mit der Erkenntniss nun, dass es Recht gibt, welches 
ausschliesslich in dem Binden des Staatswillens besteht, dass 
jedem Rechtssatze ein solches Moment, von dem seine ganze 



^^) Vgl. CodeN ap 16 on, Art. 1. Einer genauen Untersuchnng ist die 
vacatio legis meines Wissens nur von Binding, Krit. Vierteljahrschr. 
S. 580ff. unterzogen worden. Ganz richtig wird von Binding zwischen der 
feierlichen Erklarang des Gesetzgebers, dass etwas, was Recht bis dahin nicht 
war, die Qaalitat des Becbtssatzes fiirderhin tragen soil und der Erklarung 
des Gesetzgebers, dass der Recbtssatz von einem bestimmten Tage an gelten 
soli, unterscbieden. Nurglanbe icb, trotz B i n d i n g 's Widerspruch, dass auch 
in der ersten Erklarung eine Norm enthalten ist, namlich die Verpflichtung 
des Gesetzgebers, die „ideale Ordnung" zur realen zu erheben. 



37 

Existenz abhangt, innewohnt und das weder durch Zwang, 
noch auch durch einen Richter, als hohere Autoritat, seiner 
Verwirklichung entgegengefuhrt wird, sondern uur in dem 
sittliehen Willen des Staates seine Garantien findet, mit dieser 
Erkenntniss sind zwei der Haupteinwande gefallen , welche 
mit ermiidender Eintonigkeit gegen die juristische Existenz 
des Volkerrechts erhoben werden. Es ist damit bewiesen, dass 
das innerstaatlicbe Recht einer seiner wichtigsten Beziehungen 
nach an denselben angeblichen Mangeln leidet, wie das Volker- 
reebt nnd seiner Natur nach ewig leiden mnss. Der grosse 
Unterschied zwischen Staats- und Volkerrecbt, der in jenen 
auf den ersten Blick ein fester gefiigtes, auf soliderer Basis, 
^egriindetes Recbt zu sehen verleitet, besteht darin, dass diej 
moralischen Garantien des Staatsrechts starkere sind.i 
als die des Volkerrechts, dass das Bewasstsein der Staats-/' 
gewalt , dem selbstgesetzten Rechte verpflichtet zu sein , i 
Beziehungen auf die Aufgaben des Staates gegeniiber de 
Volke ein machtigeres ist, als fremden Staaten gegeniiber. 
Wenn das sittliche Bewusstsein der Volker die Hohe erklommen 
haben wird, welche zur unbedingten Achtung internationaler 
Verpflichtungen nothig ist, dann werden dem Volkerrecbt e 
dieselben Garantien zu Gebote stehen, die heute das Staats- 
recht der civilisirten Volker schiitzen/j Mit dem positiven 
Charakter des Volkerrechts steht es daher in diesen Punkten 
ebenso, wie mit irgend einem Bestandtheile des innerhalb des 
Staates geltenden Rechtes, dessen Verwirklichung in letzter 
Instanz immer von Momenten abhangt, welche ausserhalb des 
Rechtes liegen. ^^) Losgelost • von der ethischen Basis, auf 
der es ruht , gleicht das R'echt einem Kartenhaus , das der 
leiseste Windzng vernichtet. 

Jetzt gilt es den gewichtigsten Einwand zu prtifen, der 
gegen die von uns verfochtene Theorie der staatlichen Ver- 
pflichtung erhoben werden kann, auf den wir bereits zu 
Anfang unserer Untersuchung hingewiesen haben. Ist nicht 



^^) Damit soil nicht die M5gliclikeit eines Schutzes dnrch Zwang ftir ein- 
zelne Bestimmnngen des Yolkerreclits gelangnet werden. Vgl. y. Kaltenborni 
Kritik, S. 310. Bergbohm, a. a. 0. S. 23. 



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38 

die Behauptimg einer Selbstverpflichtung durch den einfachen 
TJmstand hinfallig, dass der Staat seinen Willen stets andern 
kann? Liegt nicht in der Moglichkeit, dass der Staat in den 
verfassungsmassigen Formen AUes woUen kann, auch die 
Moglichkeit eingeschlossen, dass sich der Staat von jedem mog- 
liehen Willensinhalt wieder befreit? 1st es nicht die Selbst- 
befreiung des Staates , welche die Selbstverpflichtung zur 
Unmoglichkeit macht und hat die Lehre der Staatsabsolutisten 
nicht demnach Recht, dass eine Verpflichtung der Staats- 
gewalt als Subject undenkbar ist? 

Um diese Frage zu beantworten , milssen wir vor der 
Hand den formell juristischen Standpunkt verlassen, um zu 
untersuchen , welche Momente es sind, die den Willen des 
Staates beim Schopfen des Rechtes leiten. Denn die Bestim- 
mung dessen, was Recht werden soli, ist nothwendiger- 
weise abhangig vom . substantiellen Momente des Rechts und 
des Staates. Hier sind wir daher gencthigt, uns an die Natur 
des Staates zu wenden, um Aufschluss iiber den Process zu 
gewinnen, welcher den Staat bestimmt, seinem Willen einen 
concreten Inhalt zu setzen. 

Wie immer man iiber das Wesen des Staates denken 
moge, das Eine ist wohl heute iiber jeden Zweifel erhaben, 
dass es nicht als Willkur gefasst werden kann, dass nicht 
launische Einfalle , sondern verniinftige Motive es sind, 
welche den Staats willen bestimmen. Es ist materiell nicht in 
das Belieben des Staates gestellt, ob er iiberhaupt eine Rechts- 
ordnung schaffen will und welchen Inhalt dieselbe zu besitzen 
hat. Vielmehr ist der Staat durch seine Zwecke, zu welchen 
auch der gehort, das r.chtsetzende und rechtschirmende Organ 
des Volkes zu sein, gebunden. Kommt der Staat diesen Zwecken 
nicht nach, oder handelt er gar gegen dieselben, so macht er 
damit einen AngriiF auf sich selbst, er sucht damit die Bedin- 
gungen seiner eigenen Existenz zu vernichten. Es ist aller- 
dings moglich, dass ein Gesetz unverniinftig ist, die Gesetze 
sind haufig fehlerhaft und unvoUkommen, aber es ist beinahe 
unmoglich, dass in einem civilisirten Lande ein Gesetz erlassen 
wird, welches nicht wenigstens nach der subjectiven Einsicht 
des Gesetzgebers den Staatszwecken genugt. So frivol dttrfte im 



39 

modernen Staate wohl selten ein Gesetzgeber sein , dass er 
einer nach seiner Erkenntniss den Staatszwecken zuwider- 
laufenden Bestimmung den Rechtscharakter verleihen wttrde. 
Die Einsicht des Staates ist menschliche Einsicht, und mensch- 
liehe Einsicht kann irren. Das hindert aber nicht, dass die 
Staaten den Satz anzuerkennen haben und auch thatsachlich 
anerkennenv dass sie darch ihre Natur zur Schaffung von 
Recht , welches den socialen Zwecken des Rechts geniigt, 
verflichtet sind. Ist der Staat aber durch seine Zwecke zur 
Aufstellung und Aufrechterhaltung der Eechtsordnung ver- 
pflichtet, und hat das Recht, welches der Staat schafft und 
schiitzt, den socialen Zwecken des Rechtes, der Erhaltung der 
vom Willen abhangigen Existenzbedingungen der Volksgemein- 
scbaft zu geniigen ^^), so findet hieran jede Verpflichtung, die 
der Staat sich auferlegt hat, ihre Grenze. Vor der hochsten 
Verpflichtung des Staates, Recht zu schaffen, welches dem Staats- 
zwecke geniigt, treten alle anderen Verpflichtungen in den 
Hintergrund. Wenn ein bestimmter Rechtssaiz dem Staats- 
zwecke nicht mehr geniigt, so erlischt fiir den Staatswillen 
die selbstgesetzte Verpflichtung ihn aufrecht zu erhalten, durch 
die hohere Verpflichtung, dem Staatszweck zu geniigen, Es 
geht hier nur derselbe Process vor sich, der bei alien Pflichten- 
collisionen stattfindet, die niedere Pflicht erlischt durch die 
hohere. Daher kann auch nur die hochste Pflicht als eine 
absolute erscheinen, wahrend alle anderen Pflichten ihr gegen- 
iiber nur relativ sind. Ware das Volk und seine sociale Orga- 
nisation zu alien Zeiten eine und dieselbe, so l&ge nie ein 
Grund zu einer Veranderung der Gesetze vor , ja, jeder Act 
der Gesetzgebung , der die bestehenden, dem Rechtszwecke 
geniigenden Gesetze abandern woUte, ware dann ein unrecht- 
massiger. Da aber die Gesellschaft , fiir welche die Gesetze 
berechnet sind, in steter Bewegung und Umanderung begriff'en 
ist, so wiirde die Staatsgewalt das hochste materielle Unrecht 
begehen, woUte sie sich durch ihre Gesetze auf ewig fiir 
gebunden erachten ; sie wiirde dadurch eben an ihrem eigenen 



®') Vgl. m e i n : Die social-ethische Bedeutung von Recht, Unrecht und 
Strafe. Wien 1878. S. 42 ff. 



40 

■ 

£.uin arbeiten, wie siees durch jedes Zuwiderhandeln gegen 
die Staatszwecke thut. ^*) 

Nicht einmal zur unbedingten Anerkennung eines 
Rechtssatzes kann sich der Staat verpflichten. Wo immer 
im concreten Falle die hocbsten Zwecke des Staat es in 's Spiel 
kommen, gegen die Aufrechterhaltung einer abstracten E,echts- 
regel, muss die letztere ansser Kraft gesetztwerden. Es ist wider- 
sinnig, dem Staate zuzumuthen, dass er nm einer iibernommenen 
Verbindlichkeit zu geniigen, sich selbst vernichten soUe und 
wie dem Individuum muss aucli dem Staate ein Nothreelit ein- 
geraumt werden. ^^) Es ist ferner von Binding darauf hin- 
gewiesen worden, dass die Normen keine ausnahmslos geltenden 
Gebote , sondern Regeln mit Ausnahmen sind. 6®) Der Staat 
befieblt : Du soUst nicht todten ; der Befehl jedoch, den er an 
den Scharfrichter ergehen lasst, den Verurtheilten hinzurichten, 
der Auftrag an seine Soldaten, gegen den Feind mit todtlichen 
Waffen . zu kampfen u. s. w., setzt seine eigene Norm ftir 
bestimmte Falle ausser Kraft. Der Staat erklart das Eigen- 
thum fur unverletzlich ; im Interesse der Gemeinschaft jedoch 
ist er gezwungen, durch die Expropriation die eigene Regel 
zu durchbrechen. Weder der Dauer noch dem Geltungsgebiete 
nach kann die staatliche Selbstverpflichtung eine absolute sein. 
Da jede staatliche Verpflichtung , ihrer substantiellen Seite 
nach, eine Erfiillung des Staatsz weeks ist, so besteht sie nur so 
lange, als sie diesem Zwecke genligt. DahertragtjederAct 
C des Staatswillens dieClausel: Rebus sic stantibus 
in sich. Nur fiir die Zeit, in welcher die objectiven Ver- 
haltnisse, zu deren Normirung das betreffende Gesetz bestimmt 



^*) Zachariae, Vierzig Bucher vom Staate, IV. Bd., S. 12.: ^Es steht 
nicht in der Macbt des Staatsherrschers, wer dieser auch sei, den Znstand der 
burgerlichen Gesellschaft, auf welchen doch die Gesetze zu berechnen sind, 
unveramlerlich zn erhalten. Eein Sterblicher kann sagen: Sonne stehe still! 
Oder; Bishieherund nicht weiter.* Vgl. Ihering, a. a.O. S. 413 ff. v. Ho Itz en- 
do rff a. a. 0. S. 136 ff. 

") Ihering a. a. 0. S. 418. Bergbohm, a. a. 0. S. 109. 
®®) Normen, I. Bd., §. 8. E. Vgl. Trendelenburg, Naturrecht auf dem 
Orande der Ethik. 2. Aufl. §. 47. 



r 



4i 

ist, unverandert dieselben geblieben sind, hat die Selbstver- 
pflichtung des Staates absolut bindende Kraft fiir ilin. ^'') 

Mit der Einsicht, dass eine Verpflichtung des Staates 
nur so lange bestehen kann, als sie verniinftig, d. h. den 
Staatszwecken entsprechend, ist, schwindet wieder eines der 
beliebtesten Argumente gegen den Rechtscharakter des Volkef- 
rechts. Es ist dann nicht mehr moglich, anf die grosse Kluft 
zwischen Staatenvertragen und Privatvertragen hinzuweisen, 
weil jene angeblich gehalten oder gebrochen werden, nicht nach' 
Kiicksicht des Rechts, sondern des Vortheils nnd der Macht ^®), ' 
weil die Vergleichung eine ganz unzutreffende ist. (Nicht' 
mit den unter den staatlichen Normen stehenden Privatver- 
tragen, sondern mit den Normen , die der Staat sich selbst 
schaift, miissen die Staatenvertrage verglichen werden.) Und 
da zeigt es sich, dass inBeziehung anf die Grarantien und die 
Dauer der Verpflichtung der Staaten in ihren innern und 
ausseren Verhaltnissen kein Unterschied besteht. Das Interesse 
der Staaten, so wird behauptet, bestimrat ausschliesslieh ihr 
Verhaltniss zu ihresgleichen. Aber das Interesse der Staaten, 
welches identisch ist mit ihren verniinftigen 
Z week en, bestimmt auch ausschliesslieh das Vei'haltniss der 
Staaten zu ihren Unterthanen. Wenn man in rein privatrecht- 
lichen Anschauungen befangen ist, wenn man das Eecht 
immer nur vom Standpunkte des Individuums aus betrachtet, 
dann erscheint die Rechtsordnung, welche innerhalb des Staates 
gilt, als unantastbar, als entriickt jedem Willen, der an 
ihr zu riitteln wagen konnte. Stellt man sich aber auf den 
Standpunkt des Staates, blickt man von der Hohe auf die 
Normen herab, anstatt zu ihnen emporzublicken, dann ist die 
Rechtsordnung, trotz ihres verbindlichen Charakters fiir den 
Staat, in einem steten Flusse begriffen. So wenig man aber 
aus der Veranderlichkeit der Gesetze einen Beweis fiihren 
kann gegen die Existenz einer den Staat selbst verpflichtenden 
Rechtsordnung, so wenig kann es als ein Einwand gegen 

**') Treffend bemerkt v. Holtzendorff a. a. 0. S. 145: ;,dass jedes 
Gesetz seine znkanftige Yerletzung sanctionirt , das seine historisclie Unver- 
anderlichkeit selbst im Yorans verordnet." 

®®) Lasson, a. a. 0. S. 65. 



42 

das Volkerrecht gelten, wenn der Staat in ilim denselben 
Bedingungen unterworfen ist, wie in seinem eigenen Rechte. 
Indem man die Clausel: Rebus sic stantibus als nothwendige 
Voranssetzung eines jeden Staatenvertrages anerkennt, stellt 
man die Erfullung der Vertrage trotzdem nicht in die Willkiir 
der Staaten. 

Nur ein verniinftiger Grand kann den Staat von 
der Heiligkeit des Vertrages befreien, wie nur ein verniinftiger 
Grrund ihn von der Heiligkeit seines Gesetzes dispensiren 
kann. ^9) Bricht der Staat ohne zwingenden Grand einen Ver- 
trag, dann begeht er materielles nnd formelles Unrecht. Er 
begeht materielles Unrecht, weil er durch eine solche That 
seinen nothwendigen, ihm durch seine Natur gesetzten Zwecken 
ebenso widerstreitet , wie durch einen willkiirlichen Bruch 
seines Gesetzes. Denn unter die Staatszwecke gehort auch, 
was nur zu oft ausser Acht gelassen wird , die Herstellung 
und Aufrechterhaltung des Verkehres mit andern Staaten. Nur 
eine die reale Welt total verkennende Stubenphilosophie konnte 
dem Staate , besonders dem modernen Staate , Autarkic zu- 
schreiben in dem Sinne, dass es in seinem Belieben stehe, ob er 
mit anderen Staaten verkehren wollte oder nichj;;. Denn nicht 
erst durch die Thatsache der Staatengemeinschaft, schondurch 
die der Erganzung b^diirftige Natur des Staates 
s e 1 b s t, ist die Forderung der rechtlichen Anerkennung fremder 
Staaten und des Verkehrs mit ihnen gegeben. Wenn man den 
Blick auf die substantielle Natur des Staates richtet, so ver- 
schwindet die Willkiir , welche man allenfalls vom rein for- 
malistischen Standpunkte aus noch behaupten konnte, ganzlich. 
Darin haben Diejenigen, welche dem materiellen Princip des 
Volkerrechts ihre Aufmerksamkeit gewidmet haben, gewiss 
Eecht, dass es nicht vom Belieben der Staaten abhangt, ob 



^^) Die Oleichartigkeit der Staiaten vertrage and der Staatsrechtssatze 
in Beziehnng anf ihre Daaer treffend hervorgehoben von Blnntschli, 
Modernes Volkerrecht. Art 454. Anm.: ^Die „Ewi gkeit der Vertr'ige" ist 
so unsinnig, wie die „Ewigkeit der Verfassun gen*'. Sie sind beide 
unvereinbar mit der natnrgemassen Entwicklong, d. h. Verandernng der 
Menschheit nnd der Volker, nnd deshalb im Widerspruch mit dem ricbtigen 
Recbtsbegriff." 



r 



43 

sie in Gemeinschaft mitAnderen leben woUen oder nicht. Es 
hangt nicht von ihrem Belieben ab, weil es zu ihren Existenz- 
bedingungen gebort, Mitglieder , Staatengesellscbaft zu sein. 

Wie verhalt sich nun diese letzte Bebauptung zu dem 
an die Spitze unserer TJntersuchung gestellten Satz, dass nur 
in dem Willen der Staaten der juristische Grund des Volker- 
rechts gesucht werden konne? Hat sieb uns nicht unbemerkt 
eine andere Grundlage des Volkerrechts untergeschoben ? Es 
scheint doch ein offenbai*er Widerspruch zu sein, das Recht 
auf die Ereiheit zu griinden und diese Ereihelt auf eine'Noth- 
wendigkeit zu basiren. Hier ist eine neue Schwierigkeit vor- 
handen, die hinweggeraumt werden muss, ehe wir weiter 
gehen konnen. 

Wir haben bereits Anfangs erklart, dass eine rein formale 
Construction des Rechts eine Unmoglichkeit ist , dass der 
letzte Grund des Rechts nur in einem objectiven Principe ge- 
funden werden konne. Dieses Princip, welches wir nun 
bezeichnen miissen , ist die Natur der Lebensverhaltnisse, 
welche der rechtlichen Normirung bedurfen. Diese Natur 
steht dem Staatswillen ebenso unantastbar gegenuber,. wie 
die Natur dem Willen uberhaupt. Wir haben ferner zu wieder- 
holten Malen hervorgehoben, dass das Wesen des Willens 
nicht als Willkiir gefasst werden konne. Hier haben wir nun 
eine objective Schranke des Willens , welche ausser allem 
Zweifel steht. Wenn der Wille das Organ ist, durch welches 
wir auf die Aussenwelt einwirken, durch welches wir in den 
Dingen ausser uns Veranderungen hervorrufen konnen, so ist 
er gebunden an die objective Natur desjenigen, auf das ge- 
wirkt werden soil. Wir konnen einen gefassten Entschluss 
durch den Willen nur dann zur That erheben, wenn wir die 
von uns unabhangigen Umstande woUen , durch deren causale 
Verkettung allein jene Veranderungen hervorgerufen werden 
konnen, deren Abschluss der gewollte Zustand bildet. WoUen 
kann man nur das Mogliche, das Unmogliche kann man 
wunschen, aber dem Willen ist" es- ganzlich entriickt. Wenn 
man also ernstlich will, d. h. wenn man Causalitat erzeugen 
will, so muss man die Bedingungen wollen, unter denen allein 
der Wille sich realisiren kann. Es ist in des Menschen Macht 



44 

gegeben, ob er iiberhaupt anfangen will, zu woUen oder nicht. 
Will er aber einmal, so kann er nur unter der Voraussetzung 
sein Ziel erreichen, dass er den durch die Natur der Dinge 
vorgezeicbneten Weg zur Erzielung des E,esultates zum Inhalt 
seines Willens erhebt. Trotz dieses Gebundenseins des 
Willens an die objectiven Momente , durch welche er sein 
Ziel erreieht, wird doch Niemand zweifeln, dass alle Mittel, 
die der "Wille gewahlt hatte, frei gewollt waren. Wer z. B. 
ein Haus mittelst eines Schwefelfadens in Brand stecken will, 
kann dies nur dadurch voUbringen, dass er den Schwefelfaden 
anzundet. Ohne den Act des Anzundens ist jene Causalreihe 
nicht vorhanden, welche zum Brande des Hauses fiihrt. 
Ein so objectiv nothwendiges Moment die EntzUndung des 
Schwefelfadens in dem gesammten Complexe der Brandstiftnng 
bildet, so ist dennoch der Act des Anzundens ein Act des 
freien Willens. Diese objective Nothwendigkeit hebt die sub- 
jective Freiheit nicht auf, das objectiv Nothwendige ist den- 
noch frei gewollt. 

Was fiir den Willen des Individuums gilt , hat nicht 
minder seine Geltung fiir den Staatswillen. Auch der Staat 
kann nur wollen, indem er die Bedingangen der B,ealisirbar- 
keit seines Willens zum Inhalte desselben erhebt. Wenn der 
Staat existiren , wenn er die ihm durch seine Natur vorge- 
zeichneten Zwecke erfuUen will, so muss er auch die Mittel 
wollen, durch welche dies allein moglich ist. Zu den Staats- 
zwecken zahlt die Aufstellung und Aufrechthaltung der 
Rechtsordnung. Trotzdem ihm sein Wesen das Schaffen und 
Verwirklichen des Rechts vorschreibt, ist die von ihm in Er- 
* fuUung seines Zweckes geschaffene Rechtsordnung doch sein 
eigenes Werk, sie ist Product seines Willens. Indem der Staat 
die Rechtsordnung schaflt und erhalt , erfiillt er also mit 
freiem Willen, was ihm durch seine nothwendigen Zwecke 
geboten ist. Die ganze Aufgabe des Staates concentrirt sich 
darin, das objective Nothwendige seiner Natur zum subjectiven 
Momente seines Willens zu machen. Das Nothwendige ist 
aber deshalb, wie erwahnt, doch frei gewollt; er hatte es 
auch unterlassen konnen , aber er hatte damit an seinem 
eigenen Grabe gegraben. Der Mensch muss essen und trinken, 



r 



45 

um zu existiren ; deshalb sind Essen und Trinken nicht minder 
freie Handlungen, wie Jagen oder Tanzen. 

Und jetzt ist es wohl klar, dass zwischen der substan- 
tiell-philosophisclien und der formal- jnristischen Begriindung 
des Volkerrechts nicht der geringste Zwiespalt existirt. Wenn 
es zu den Staatszwecken zahlt, mit anderen Staaten zu ver- 
kehren, wenn die Nichterfiillung dieses Staatszwecks ebenso 
einen Angriff auf die Existenz des Staates bedeutet, wie das 
willkiirliche Brechen des selbstgesetzten Rechts, dann ist es 
eine Forderung der staatliehen Natur, Normen herzustellen, 
durch welche die Beziehungen des Staates zu den anderen 
geregelt werden. Diese Normen , obwohl aus dem Wesen der 
nur in der Staatengemeinschaft existiren konnenden Staats- 
personlichkeit hervorgehend, sind trotz dieses llmstandes doch 
freie Thaten des Staatswillens. Wenn auch sein Wesen es i.st, 
welches ihm die Aufstellung bindender Normen fiir den Ver- 
kehr mit anderen Staaten vorschreibt, so ist es doch sein 
freier Wille, mit dem er dieser Nothwendigkeit nachkommt. 
Jene Natur der Sache, welche, unabhangig von ihm, uner- 
schiitterlich fest steht , ist psychologisch nur ein Motiv fiir 
seinen Willen 7^), aber es ist der freie Entschluss des Staates, 
wenn er die aus den Staatszwecken fliessenden Anforderungen 
an seinen Willen zu Motiven fiir denselben erhebt. Es wird also 
kein Zwang auf den Staat ausgeiibt, wenn er Normen fiir 
sein Verhalten zu anderen anerkennt, die volkerrechtlichen 
Normen sind nicht das Product, einer iiber dem Staate stehenden 
hoheren Macht, welche ihm dieselben etwa aufdrange, es ist 
das Volkerrecht kein iiberstaatliches Recht, sondern es ent- 
springt formell derselben Quelle, wie alles objective Recht: 
dem Willen des rechtsetzenden Staates. 



'°) „Die Natur der Sache ist nur das Motiv znr Bildang des Rechts, 
die Veranlassung dazu, dass ein Organ die in der Natur der Sache liegende 
Regel alsRechtsregelaufstellt." linger, System des osterr. Privatrechts, 4, Aufl. 
S. 67, Nr. 37. 



1 



Wir haben den Nacbweis gefuhrt, dass der Staat mit 
seinen Normen sich an aich selbst wenden bann. Diejenigen 
Normen, durch welche er sein Verhaltniss zu anderen 
Staaten regelt, bildendaa objective Vblkerrecht, welches daher 
formell ebenso auf dera Staatswillen beruht, wie das inner- 
halb des Staates geltende Recbt. 

Kommt aber diese Begrundung des Volkerrecbts nicbt 
detinocb einer Negation desselben gleich? Ein Volkerrecht, 
so wird bebauptet, ist nur dnrch Ueberein stimmnng 
des Willens der verscbiedenen Staaten moglich, durch die 
gleichmassige AnerkenHung eines fiir alle verbindlieben Recbta, 
es muss ein Kecht sein , quod apud omnes gentea peraeque eusto- 
dltur. Indem man die Einzelstaaten zu souveranen Schopfern 
des Volkerrecbts macbt, wird dieses in der That zu einem 
ausseren Staatsrecbte degradlrt und damit zugegeben, daes 
daa Uebereinstimmen in den von den Staaten fur ihre Bezie- 
biuigen nach Aussen gesetzten Normen eine Sacbe des Zufalls 
ist. Indem man den Staat zum Schopfer des Volkerrecbts 
macht, wird dieses nur ein Recht fiir den Staat, der es auf- 
stellt, aber es ist unmoglicb, auf diesem Wege ein Recht des 
Staates gegen den andem zu gewinnen. nWas fur micb nur 
gilt, weil icb es will, kann eben kein Recht zwischen mir 
uud einem Anderen, mir Gileichen, erzeugen." ") 

Ein grosser Theil des Volkerrecbts existirt uun aller- 
dings nur in der Form eines ausseren Staatsrecbts und es 

") Flicker a. ». 0. 8.394. 



47 

gibt zahlreiche Bestimmungen fur das Verhaltniss eines Staates 
zum anderen, in welchen ei'ne Uebereinstimmung unter den 
Staaten entweder gar nicht oder nur zufallig vorhanden ist. 
Selbst das auf der Volkergewohnheit basirte Recht ist kein 
durchgangig einheitliches und je weiter sich die concreten 
Festsetzungen von den allgemeinen Recbtsgrundsatzen entfer- 
nen, desto mehr tritt die Eigenart eines jeden Volkes auch 
in Beziehung auf sein Verhaltniss zu andern Volkern hervor. 

Wenn aber alles Volkerrecht nur ausseres Staatsrecht 
in dem Sinne ware, dass eine Uebereinstimmung zwisehen den 
verschiedenen Staaten in demselben keine nothwendige ist, so 
wiirde durch dieses Resultat die Losung der uns beschaftigenden 
Frage ganz unmoglich sein. Denn kein volkerrechtliches Problem 
hangt mehr von der Existenz eines gemeinsamen Rechts ab, 
als die Frage nach der rechtlichen Natur der Staatenvertrage. 
"Wenn von zwei vertragschliessenden Staaten ein jeder ein 
anderes Recht fur die Beurtheilung der von ihm eingegangenen 
Verbindlichkeiten hat, dann ist ein Vertrag, eine conventio 
plurium in i d e m placitum als volkerrechtliches Institut gar nicht 
moglich. Ebensowenig aber konnte von einem volkerrechtlichen 
Vertragsrechte die Rede sein, wenn Fricker's Behauptung 
richtig ware, dass der eigene "Wille des Staates fiir den 
andern Recht zu schaffen nicht im Stande ist. 

Was zuvorderst diesen Punkt anbelangt, so wiirde der 
Fricker'sche Satz consequent weiter gedacht zur Laugnung 
der Moglichkeit des Rechts iiberhaupt fuhren. Beruht doch 
juristisch die Qualitat der Menschen als Rechtssubjecte auf 
ihrer Anerkennung durch den Staat als solche. Wenn der 
Wille des Staates ein ihm unterworfenes Individuum zur Rechts- 
personlichkeit erheben, wenn er dadurch ein Recht zwisehen 
sich und ihr hervorbringen kann , so ist nicht abzusehen, 
warum er das nicht auch einer ihm gleichen Personlichkeit 
gegeniiber im Stande ist. Zum Rechtssubject kann ein Indi- 
viduum mir gegenuber nur durch meinen Willen erhoben werden, 
nur dadurch, dass ich meinen Willen als durch den anderen 
beschrankbar anerkenne. Das gilt nicht nur fiir den Staat in 
seinem Verhaltnisse zu den Einzelnen , es gilt ebenso fiir die 
im Staate lebenden Individuen in ihren Verhaltnissen unter- 



43 

einander. Der Staat gebietet allerdings den Einzelnen, sich 
gegenseitig als Rechtssubjecte anzuerkennen und zu achten; 
wer aber die Rechtsgebote iibertritt und in fremde Rechts- 
spharen eingreift, der gibt dareh eine solche Handlung 
za erkennen, dass das Individuum, welches er verletzt hat, in 
der Beziehung, in welcher es von ihm ladirt wurde, als 
Rechtssubject von ihm nicht anerkannt worden ist. Diese 
Thatsache kann keine Strafe ungeschehen machen. Es gilt 
also gerade das Gregentheil des Fricker'schen Satzes. Nur 
dadurch, dass Etwas fiir mich gilt, weil ieh es will, kann 
ein Recht zwisehen mir und einem Anderen erzeugt werden. 
Denn auch das Rechtsgebot gilt fiir mich nur, weil ich es 
will, selbst dann, wenn seine Befolgung erzwungen wurde. 
Goactus volui\ sed tameti volui! 

Ein Recht zwisehen zwei Individuen wird also dadurch 
geschaffen, dass ein Jedes von dem Anderen thatsachlich als 
Trager von Rechten anerkannt wird. Dies gilt fiir alle ver- 
niinftigen Individualitaten in ihren Verhaltnissen zu einander, 
also auch fiir die Staaten. Auch fiir den Staat wird ein 
anderer zum Rechtssubject dadurch, dass er ihn als solches 
anerkennt, dass er erklart, seine Handlungsfreiheit ihm gegen- 
iiber beschranken zu wollen. Und diese Anerkennung besitzt 
dieselbe Garantie, wie die Anerkennung der anderen Rechts- 
subjecte, den Willen des Staates. Und der Staat muss den 
anderen als Rechtssubject anerkennen, wenn er iiberhaupt mit 
ihm in Verkehr treten will. Der Staatswille ist hier gebunden 
an die objective Natur der Staatenbeziehungen. Verkehren 
kann man nur mit Einem, dessen rechtliche Existenz man an- 
erkennt. Mit Bergen und Waldern, mit Pflanzen und Thieren 
ist kein Verkehr moglich , desseii Vorausetzung immer ein 
gegenseitiges Verhaltniss ist. Hier bewahrt der alte Satz seine 
Giltigkeit: Ubl societaSj ibi jus. Es steht dem Staate formell 
frei, ob er in die societas eintreten will oder nicht. Hat er es 
aber gethan, dann hat er mit der societas auch Asisjus gewoUt. 

Und hiemit ist uns der Fingerzeig gegeben, wie trotz 
der einseitigen Schopfung des Volkerrechts durch die Einzel- 
staaten ein gemeinsames und zwar nicht nur zufallig gemein- 
sames Recht erzeugt wird. Die moglichen Beziehungen zwisehen 



f' 



49 

den Staaten haben ebenso ikre eigenthiimliche objective Natur, 
wie die Beziebungen zwischen den Individuen. Diese Natnr 
der Lebensverbaltnisse zwischen den Staaten ist gegriindet auf 
die Natur uad die Zwecke der Staaten. Indem nun ein Staat 
durch aeinen freien Willen in ein solcbea Lebens verbal tnisa 
za einem anderen Staate tritt , nimmt er die objectiven Mn- 
mente, welche dieses Lebensverbaltniss regeln, in seinen Willen 
auf, sie werden zu Normen, welche seinen Willen durcb seinen 
Willen binden. Diese objectiven Momente werden zum Recbte 
in dem Augenblicke, wo der Staat sie durcb daa Eingeheu 
des betreffenden Verhaltnisses in aeinen Willen aufniramt. Ea 
ist kein Naturrecbt etwa, welchea den Staat in diesen Fallen 
bindet, denn die objectiven Momente der internationalen Lebens- 
verbaltnisse und deren logische Consequenzen haben unab- 
hangig vom Staatswillen iiberhaupt keine rechtliche Natur, 
sie aind als nur gedachte, ala rein potentielle Beziebungen 
von Staat zn Staat leere Schemen, die Fleiseb und Blut, Leben 
und Bewegung erst durch den scbopferiscben Willen des 
Staates erhalten , zu dem aie jedoch in dem eigenthumlicben 
Verhaltniase stehen , dass er nur sie und nur in der eigen- 
thumlicben Form ins Dasein rufen kann. ''^) Ea ist also positives 
Eecbt, Welches die Staaten fiir sich durch Eingehung einea 
solchen Verhaltnisses achaffen,, und zwar ein poaitivea Recht, 
Welches alle in Verkehr atehenden Staaten gleichmasaig bindet, 
weil ein Abweichen von den hier zur Anerkennung kommenden 
Regeln, wenigstens so lange keine habere rechtsetzende Macht 
liber den Staaten exiatirt, logiacb unmoglieh lat. 

Dieae Begriindung objectiven Volkerrechts entspricbt 
ganz den Anscbauungen, welche die romischen Juristen von 
der Entstehung internationaler Rechtasatze hegten auf dem 
Gebiete, auf welcbem es fiir Rom einzig und allein ein 
wahres Volkerrecht gab — dem Privatrechte. Jenea jus gen- 
tium, dessen Entwickelung nnd Auabildung daa romische Kecht 
hauptsachlich aeinen Cbarakter ala Weltrecht zn verdanken 
hat, war nach der Ansicht der Juristen ein Reebt, welches 
der Natur der Dinge entsprang , ein Jus , quod naturalis ratio 

") Vgl. Leiat, Civilisti'clie Stadien aaf dem Gebiete dogmatiscber 
Analyse, I. Heft. Jena 1854, S. 62 ff. 

Dr. Jelliiiek, Natur d. StaatenTOTtrSEe- ^ 



^' 



r)0 

consttfuitj das aber positives Recht nur durch seinen Charakter 
als jus, quo omnes gentes utuntur wurde, ''^) 

, Niemand hat iiberhaupt klarer das Gebundensein der 

I Rechtsquelle an die objective Natur der einer Normirung zu 

unterwerfenden Verhaltnisse erkannt, als die Meister der 
olassischen Jurisprudenz. Wenn der Seoat bestimmt, dass 

}. der TJsusfruct aller, also auch verbrauchbarer Vermogens- 

gegenstande legirt werden kann, so hat er dadurch doch 
keinen TJsusfruct an Geld schaffen konnen: nee enim naturalis 
ratio auctoritate Senatus commutari potuit, '*) Diese naturalis 
ratio, welche den rechtschaflFenden Will en beherrscht, war flir 
die mit dem jus respondendi begabten Juristen die Quelle, aus 
der sie ihre das Recht fortbildenden Entscheidungen schopften, 
indem sie aus der Natur der ihrem Gutachten vorgelegten 
Falle die Regeln fiir deren Beurtheilung zu gewinnen suchten. 
Denselben Weg nun, welchen die romischen Juristen ein- 
schlugen, miissen auch die Staaten bei Schopfung der objec- 
tiven Rechtssatze wandeln, die sich auf ihren gegenseitigen 
Verkehr beziehen. Denn wo keine hohere rechtsetzende Auto- 
ritat vorhanden ist, kann ein gemeinsames objectives Recht 
nur dadurch geschaflFen werden, dass diejenigen, flir welche 
das Recht gelten soil, die naturalis ratio zur Richtschnur ihres 
Willens erheben und sie dadurch zur civilis ratio machen. 
"^ Damit ist auch der Standpunkt gefundeu, von dem aus 

allein die rechtliche Natur der Staatenvertrage erkannt werden 
kann. Die gewohnliohe Ansicht geht dahin, dass die volker- 
rechtlichen Vertragsnormen nach Analogic des Privatrechts 
gebildet sind; es ward von einer directen Uebertragung der 
Grundsatze des Obligationenrechts auf das Volkerrecht ge- 
sprochen. '^j Allein diese Ansicht lasst unaufgeklart , mit 



'^^) S. Warnkonig, a. a. 0. S. 630. AUerdings entsprach die Ansiclit 
der Jaristen nicht ganz dem wahren Sachverhalt. Vgl. M. Voigt, Die Lebre 
vom jus naturalCf aequum et honum n. jus gentivm der Romer. Leipzig 1856. 
1. Bd., §. 79 S. Hildenbrand, Geschichte and System der Rechts- und Staats- 
philosophie. £rlangen 1862. S. 611 ff.i and nenerdings Leist, Die realen Grand- 
lagen und die Stoffe des Rechts (Civil. Studien 4. Heft ) S. 170 ff. Jena 1677. 

^^) L, 2 §. 1 D, de usufr, ear, rer, 7, 5. 

^^) Y. Holtzendorff, Enciyclopadie der Rechts wissensch aft. 2. Aufl., 
S. 954. 



51 

welchem Rechte man Analogien aus einer in sich geschlos- 
senen Rechtsordnung zu einem jus cogens in einer ganz anderen 
erheben darf . Analogie als Rechtsquelle ist nur in Folge einer 
Anerkennung derselben durch die bestehende Rechtsordnung 
moglieh, sie ist „Beantwortung einer Frage im Geiste des 
bestehenden Rechts" ''^), setzt also das Recht voraus, dessen 
Lueken auszufiillen sie zwar berufen ist, das sie aber nicht 
von Grund aus neu schaffen kann. Erst muss ein objectives 
Volkerrecht vorhanden sein, ehe die Analogie ihre supple- 
torische Tbatigkeit beginnen kann. 

Nicht mit der Uebertragung privatrechtlicher Satze auf 
das Volkerrecht haben wir es bei Beurtheilung der Staaten- 
vertrage zu thun. Es sind vielmehr ganz selbstandige Rechts- 
satze, welche die Staatenvertrage regeln. Es sind die objectiven 
Momente des Staatenvertrags und deren logische Consequenzen, 
welche von den in Vertragsverhaltnissen stehenden Staaten 
vermoge der Thatsache, dass sie mit einander contrahirt haben, 
anerkannt werden. Die Anhanger der privatrechtlichen Ana- 
logic* sehen sich genothigt, vor buchstablicher Anwendung des 
Privatrechts auf das Volkerrecht zu warnen, indem sie eben 
auf „die eigenthiimliche Natur des Verkehrs unter Staaten" ^^), 
auf die „eigenthumlichen Principien des Volkerrechts" '^) hin- 
weisen, welche bei Beurtheilung der Staatenvertrage zu Grunde 
gelegt werden mussen. Also auch sie sind gezwungen zur 
Erklarung mancher Erscheinungen des internationalen Ver- 
tragsrechts den Gesichtspunkt einzunehmen, der, wie sich 
ergeben wird , alle hier in Betracht kommenden Momente mit 
einem Blicke uberschauen lasst. Jene angebliche Analogie des 
Privatrechts riihrt einfach davon her, dass bei dem Charakter 
des Vertrages als ,universellen Rechtsinstitutes" 7^) der Ver- 

^•) Arndts, Pandekten. §. 14. Vgl. Kltlber, Droit des gens moderns 
de V Europe. §.4. Phillimore, Commentaries upon intern itioial law. Vo '. I. 
p. 35 bezeichnet die volkerrechtliche Analogie richtig als „e7te application of 
the principle of a rule , which has been adopted in certain former cases , to 
govern others of a similar character as yet indtterminated^ . 

") E. Meier, a. a. 0. S. 38. 

78) Berner, Im Staatsworterbuch s. v. Staatenvertrage. Bd. IX. 
S. 639. 

") Unger, a. a. 0. I. Bd., §. 93. 

4* 



52 

trag zwischen Individuen in manchen Punkten denselben objec- 
tiven Charakter hat, wie der zwischen Staaten, so dass aus 
der Natur des Verkehrs zwischen Staaten sich Satze ergeben 
miissen, welche mit denen aus der Natur des Privatverkehrs 
fliessenden identisch sind. Dadurch werden sie aber noch nicht 
zu Abstractionen aus dem Privatrecht, wie E. Meier meint ®<*), 
wenn auch das Privatrecht die universellen Momente des Ver- 
trages in's wissenschaftliche Bewusstsein erhoben hat, sondern 
sie entspringen ebenso aus der eigenthiimlichen Natur der 
Staatenvertrage, wie die anderen nicht mit dem Privatrechte iiber- 
einstimmenden Rechtssatze. Die Aehnlichkeit zwischen Privat- 
und Staatenvertragen wurde und wird haufig iiberschatzt und 
zwar zum Schaden klarer volkerrechtlicher Erkenntniss. Fast 
in jeder Hinsicht, in Beziehung auf die Contrahenten, auf die 
Form, die Objecte, die Wirksamkeit u. s. w. der Staatenvertrage 
herrschen grosse Differenzen vom Privatrecht, wie neuer- 
dings ausfiihrlich von Carnazza A m a r i hervorgehoben 
wurde. ®^) 

Wenn wir nun daran gehen , die Hauptsatze des inter- 
nationalen Vertragsrechts abzuleiten ,. so werden wir uns die 
objective Natur der Vertragsverhaltnisse zwischen Staaten 
stets vor Augen halten miissen. Diese Natur wird erkannt 
einerseits aus dem Wesen der vertragschliessenden Subjecte 
und andererseits aus der Natur und dem Inhalt des Willens 
der vertragschliessenden Theile. 

Was zuvorderst die Contrahenten anbelangt, so sind es 
(wenigstens in Beziehung auf diePunkte, in welchen sie sich 
verpflichten konnen) unabhangige Staaten. Aus der Natur des 
Staates wird sich vor AUem ergeben, wer zum Abschluss der 
Vertrage berechtigt ist. Es sind dies diejenigen Factoren, 
denen nach dem particularen Rechte des betreffenden Staates 
die Bildung des Staatswillens obliegt, eine Frage also, die im 
concreten Falle nur nach dem Staatsrechte der contrahiren- 
den Theile beantwortet werden kann. In diesem Punkte sind 



««) a. a. 0. S. 37. 

^^) TratlcUo 8ul dtritto inlernazionale pubblico di pace, Milano 1875, 

S. 745 ff. 



53 

die hervorragendsten Autoritaten des Volkerrechts alterer und 
neuerer Zeit einig. ®2) 

Eine grosse Schwierigkeit scheint in den volkerrechtlichen 
Bestimmungen liber die Ratification zu liegen, zumal die 
Theorie durchaus nicht zu einem einheitlichen Resultate liber 
die rechtliche Bedeutung der Ratification gekommen ist. 
Wahrend die einen von der privatrechtlichen Anschauung 
Groot's und Puffendorfs ausgehend eine Verweigerung 
der Ratification ,. wenn sie nicht ausdriicklicli vorbehalten 
wurde, fiir unstatthaft erklaren, wenn der Unterhandler sich 
innerhaJb der Grenzen seiner Instruction gehalten hat ^^), stellen 
Andere die Ratification in diesem Falle als eine moralische 
oder Ehrenpflicht hin®*), ein Dritter macht den Versuch, fiir 
die Verweigerung der Ratification bei eingehaltenen Instruc- 
tionen bestimmte Regeln aufzustellen. ^^) Ebenso halten die 
Einen den Vertrag lur perfect, sobald die Unterhandler ihn 
abgeschlossen haben, wahrend die Anderen von der erfolgten 
Ratification dieExistenz eines Vertrags nicht anerkennen wollen. 

Hier scheinen nun off'enbar Rechtssatze vorhanden zu 
sein, die nur auf die Volkergewohnheit , aber nicht auf die 
Natur der Sache zuriickgefuhrt werden konnen. Wenn man 
sich jedoch von privatrechtlichen Vorurtheilen feme halt und 
das Wesen der Staatsgewalt untersucht, so findet man, dass 
das Recht der Ratification eine logische Consequenz des Be- 
griff'es der Souveranetat ist. Zu den wesentlichen Merkmalen 

^^) E. Meier, a. a. 0. S. 91 if. 

^') Kl fiber, Droit des gens. %. 142. Phillimore, Commentaries II. 

p. 64 Martens, Einleitung in das positive europaische Volkerrecht, §. 42: 

„Der ganze Grnnd dieser Sitte aber ergibt , dass , wenn ein Theil sich zur 

Ratification erbietet , der andere sie nnr dann mit Recht verweigern kann, 

wenn sein Gesandter sich von den Grenzen seiner Instruction entfernt hat." 

**) Vattel, Droit des gens. L. JI. §. 156: Pour refvser avec hon- 
neur de ratifitr ce que a 4te conclu en veriu d'nn plein pouvoir , il faut que 
le souverain en ait de fortes et. solides raison". Heffter, a. a. 0. §. 87: ^l^io 
grandiose Verweigerung ist nur eine Incorrectheit, welche das Vertrauen des 
anderen Theiles verletzt nnd eine Missstimmang desselben rechtfertigt.'* 

**) Wurm, Die Ratification von Staatsvertragen. Deutsche Vierteljahrs- 
schrift, 1845 S. 163 ff. Indessen ist "Wurm zu den Gegnern des freien Ratifica- 
lionsrechts zu zahlen, da die von ihm fiir die Verweigerung der Ratification 
als zureichend angefnhrten Grunde zugleich Nullitatsgriinde der Vertrage sind. 



54 

der Souveranetat zahlt ihre Unverausserlichkeit. Sle kann von 
ihrem legitimen Trager auf keinen Anderen iibertragen werden. 
Das Kecht, Staatenvertrage abzuschliessen, istnun ein integri- 
render Bestandtheil der Souveranetat ; hat man doch von 
einer eigenen vertragschliessenden Gewalt gesprochen! Daher 
kann dieses Recht so wenig auf einen Anderen iibertragen 
werden, als das Recht, Krieg zu erklaren oder die Gesetze 
zu sanctioniren. Der Souveran kann den Willen des XJnter- 
handlers zu dem seinigen machen ; aber erst nachdem er den 
Inhalt desselben erfahren hat , mag nun dieser Inhalt mit 
einem von ihm friiher ertheilten Auftrage tibereinstimmen 
oder nicht. Nicht nur die Wichtigkeit der Sache, auf die 
Martens, Berner, Bluntschli, Neumann u. A. hin- 
weisen , reehtfertigt den Vorbehalt der Ratification. An eh 
wenn es sich in den Staatenvertragen nur um unbedeutende 
Dinge handeln, auch wenn die Ratification nie ausdriicklich 
voUzogen werden wiirde, miisste man juristisch stets eine 
Ratification, wenn auch nur eine stillschweigende, annehmen, 
weil sie mit logischer Nothwendigkeit aus dem Wesen der 
Souveranetat folgt. Gerade in dem Umstande , dass die 
Staaten seit dreizehnhundert Jahren von dem Recht der Ra- 
tification Gebrauch machen, zeigt sich die logische Kraft der 
Natur der Sache , welche falschen Theorien siegreich wider- 
steht. Trotzdem hervorragende Autoritaten der Wissenschaft 
mit der Kategorie des Mandats , wie sie das romische Recht 
entwickelt hat , an die Frage nach der Ratification heran- 
traten, hat sich die Staatenpraxis und in Folge dessen die 
neueren wissenschaftlichen Ansichten mit richtigem Tacte 
durch das vom alteren Naturrecht nur zu sehr verkannte 
Wesen des Staates leiten lassen, wenn auch noch nicht iiberall 
voile Klarheit iiber die rechtliche Stellung des Souverans 
gegeniiber einer von dem TJnterhandler gemass seiner Instruc- 
tion geschlossenen Vereinbarung herrscht. Am scharfsten hat 
die richtige , aus der Natur des Staates entspringende An- 
schauung ihren Ausdruok gefunden durch Cal vo: „/Z est hors 
de doute pour nous que le droit de ne pas ratifier un traite est 
aussi incontestable que le droit de n6gocier et de conclure des 
conventions intemationales, et quHl exlste virtuellement, meme guand 



55 

il n^a pas 6tS reservS en termes expres et formels^ ®*) und der 
eiDzig wahre Rechtsgrund der Ratification ist erkannt worden 
von Amari: „Il conchmdere trattati ^ una funzione sovrana^ 
la pill interessante forse, e se quella ^ dalla costituzione aUribuita 
al principe^ egli non pub ad altri trasfertrla^ come il magtstrato 
che non pub investire un altro di diritto di giudicare, che la legge 
a lui solo accorda.^ ^^) Vor der ertheilten Ratification besteht nie 
urid nimmer ein Vertrag, sondern nur eine Sponsion. Die Ver- 
weigerung der Ratification ist ein Act, der unter Umstanden 
allerdings einermoralischenBeurtheilungunterliegt, und frivoles 
Handeln in dieser Hinsicht untergrabt gewiss das Ansehen 
des Staates, aber ein Unrecht begeht dadurch der Staat auf 
keinen Fall. Eine Rechtsnorm, die dem noch nicht Gebundenen 
den Abschluss eines Vertrages anbefohle, ist juristiscli nicht 
denkbar. 

Die Ratification ist also der Act, dnrch welchen der Staat 
den Vertrag schliesst und insofern hat Zorn Recht, die 
Ratification der Vertrage mit der Sanction der Gesetze in 
Parallele zu stellen. ^^) Ganz unrichtig ist es jedoch, wenn er 
in der Ratification auch den nach Innen das Recht consti- 
tuirenden Imperativ, den Gesetzesbefehl, welcher den Staats- 
angehorigen die Beobachtung des Vertrages befiehlt, erblickt. ^^) 
Es gibt Vertrage, deren Inhalt sich nur an die Staatsgewalt 
wendet, die nur die Staatsgewalt binden konnen, so dass 
ein Imperativ an die Staatsangehorigen gar nicht ein- 
mal moglich ist. Ein Beispiel einer solchen nur auf der 
Staatsgewalt lastenden Verpflichtung ist erst neulich wieder 
in der internationalen Convention vom 18. September 1878, 
Massregeln gegen die Reblaus betreffend, enthalten. Hier 
heisst es im Article premier: y^Les Etats contractants s^engagent 
h computer, s'ils ne Vont dijh fait, leur iSgislation interieure en 
vue d' assurer une action commune et efficace centre V introduction 
et la propagation du Phylloxera,^ An welche Staatsangehorige 
soUte sich hier ein Imperativ wenden? Aus dieser und ahn- 

®®; I.e droit international 2. edit. Paris 1870, p. 710. 
8') a. a. 0. p. 758. 
8») a. a. 0. S. 25. 
»»j Ebd. S. 30. 



56 

lichen Vertragsbestimmungen erwachst nur fiir die Staats- 
gewalt als solche eine Verpflichtung. Und im Grunde verhalt 
es sich so mit jeder anderen Vertragsbestimmung. Auch in 
alien anderen Fallen wird durch die Ratification nur der 
Staat verpflichtet, wie es ja auch bei der Sanction der Gesetze 
der Fall ist. ^°*) Erst die Publikation kann jene Bestim- 
mungen, welche potentiell Normen fiir die Staatsangehorigen 
enthalten, zu Verpflichtungen fiir dieselben erheben. Aber 
Publication und Ratification sind zwei ganzlich verschiedene 
Vorgange. Die Staatsgewalt als solche ist'bereits durch die 
Ratification gebunden ; die Publikation , wo sie iiberhaupt 
moglich und nothig ist, gehort volkerrechtlich bereits zur Aus- 
fiihrung des Vertrages. 

Aus dem Umstande, dass keine hohere Macht iiber den 
Staaten formelle Erfordernisse fiir die Yertrage vorschreibt, 
ergibt sich, dass eine bestimmte Form fiir die Giltigkeit der 
Staatenvertrage durchaus nicht nothwendig ist, dass also ins- 
besondere eine schriftliche Fixirung des Vertrages keine 
unerlassliche Bedingung fiir den rechtlichen Bestand desselben 
ist. Denn bestimmte Formen lassen sich nie a priori aus der 
Natur eines Lebensverhaltnisses deduciren, sie sind stets freie 
Festsetzungen der civilis ratio. Daher entbehrt die entgegen- 
stehende Ansicht N e y r o n 's und S c h m a 1 z' der Begriindung. 
Nicht einmal Worte sind zum Abschlusse des Vertrages noth- 
wendig, wie die im Kriege durch Zeichen geschlossenen Ver- 
trage beweisen. ^° ^) 

Aus dem Wesen des Vertragsverhaltnisses folgt, dass 
ein solcher nur dann zu Stande gekommen ist, wenn eine 
Einigung des Willens zwischen den Contrahenten erzielt 
worden ist, wenn also Versprechen von der einen und An- 
nahme von der anderen Seite stattgefunden hat. Dabei macht 
es keinen Unterschied , ob die Vertrage ausdriicklich oder 
stiUschweigend abgeschlossen wurden. Hingegen kann juristisch 



»«•) S. oben S. 35. Vgl.E. Meier, a. a. 0. S. 329. Bluntschli, Mod. 
Vblkerr. Art. 422. 

»«»') Martens, §. 58 n. a. Bluntschli, Mod. Volkerrecht. Art. 422. 
Hartmann, Institntionen des praktischen Yolkerrechts in Friedenszeiten. 
Hannover 1874. S. 135. 



57 

von prasumirten Conventionen keine Rede sein, weil solche 
nur in Folge ausdriickliclier Festsetzungen der Rechtsordnung 
stattfinden konnten, sich jedoch aus der allein hier mass- 
gebenden Natur der Sache nicht ableiten lassen. 

Was den Inhalt der Vertrage betrifft, so gilt hier der 
Satz, welcher das Rechtsinstitut des Vertrags in seinem ganzen 
Umfange beherrscht, in welcher Form, unter welchen Pacis- 
€enten immer er auftreten mag: Pacta sunt servanda, Formell 
folgt dieser Satz aus dem vertragschliessenden Will en, denn 
es ist unmoglich, Etwas zugleich zu woUen nnd nicht zu 
wollen, nnd da alles Wollen sich auf die Zukunft bezieht, so 
erkennt der vertrag^chliessende Wille durch den Act des Ver- 
tragschlusses sich fur die Zukunft als gebunden an, sonst 
ware der Vertrag an sich unmoglich, wie bereits Hobbes 
erkannt hat: frustra essent pacta^ nisi tilts star etur.^^) Und was 
die materiellen Griinde der bindenden Kraft der Staatsver- 
trage anbetrifft, so sind es genau dieselben, die den Staat 
bewegen , den von Privaten abgeschlossenen Vertragen den 
Rechtsschutz zu verleihen : das ethische Moment der Treue 
und das praktische des Verkehrsbediirfnisses. ^^) Das Interesse 
gebietet denStaaten Vertrage zu schliessen ^^) und das Interesse 
erheischt es, den Vertrag aufrecht zu erhalten, weil dem Ver- 
tragsbrtichigen der Glaube an sein Wort entzogen und er 
dadurch aus der Verkehrsgemeinschaft ausgestossen wird. 
Andererseits binden die Grundsatze der Sittlichkeit , welche 
fiir Staaten mit den durch deren Natur bewirkten Aenderungen 
ebenso in Itraft sind, ,wie fiir den Einzelnen — ein Satz, der 
nur von Solchen bestritten werden kann, welche, unbekiimmert 
um die sittliche Entwickelung zweier Jahrtausende, im Staate 
die hochste objective sittliche Macht erblicken — den Staat 
an das einmal gegebene Wort. So ist es das Interesse, welches 
die Treue, und die Treue, welche das Interesse schiitzt. In 
dem ethisch gebotenen Festhalten an dem einmal gegebenen 



«i) De cive III, 1. 

®*) Vgl. F. Hofmann, Die Entstehungsgrtind** der Obligationen. Wien, 

1874. §. 9. 

®') „Un traits .... est unpactefait en vue du hi en public par des 
puissances sup^rieures.^ Vattel. Liv. II. Ch. XII. §. 152. 



58 

Worte liegen auch die wichtigsten Garantien des volkerrecht- 
lichen Verkelirslebens , welche, wie die hochsten Garantien 
alles Rechts, nicht mehr juristischer Natur ' sind. Der Staat, 
welch er im 'Verkehre mit anderen Staaten seinen Willen ala 
niclit fiir sich bindend anerkennen, der die Verpflichtung durch's 
eigene Wort als fiir ihn iiicht existirend ansehen wiirde, der 
betrachtete sich dadurch ipso facto als ausser der Staatengemein- 
schaft stehend; daher hat trotz aller gebrochenen Vertrage, 
so lange es einen ausgebildeten Staatenverkehr gibt, noch kein 
Staat gewagt, die Rechtsverbindliehkeit der von ihm ab- 
geschlossenen Conventionen zu negiren. ^*) Bei keinem Satze 
des Volkerrechts zeigt sich die Gebundenheit des Willena 
durch sein Object klarer, als bei dieser fundamentalen Bestim- 
mung des internationalen Verkehrs. Auch der Staat, der 
factisch nie einen Vertrag einhielte, ware doch durch die 
Natur der Sache gezwungen, den Satz von der Verbindlichkeit 
der Vertrage anzuerkennen, er miisste doch eingestehen, dass 
er durch den unbegriindeten Vertragsbruch ein von ihm fiir 
verbindlich anerkanntes Gebot ubertrete und demnach Unrecht 
begehe ; wie immer das Verhalten des Staates zu dem ab- 
geschlossenen Vertrage sein moge, das Eine steht ausser Zweife]^ 
dass er seine Handlungen beziiglich des Vertrages durch deu 
Abschluss desselben einer juristischen Qualification unterwirft. 
Denn dass zwischen Staaten ein Vertrag geschlossen wiirde, 
mit der Absicht ihn nicht zu halten, ist, wie gesagt, logisch 
unmoglich, well ein Vertrag nur zu Stande kommen kann^ 
wenn die Einwilligung in denselben ernsthaft und von dem 
Entschlusse begleitet war, sich durch das gegebene Versprechen 
fiir gebunden zu erachten. Wer die Existenz des Volkerrechts 
negirt, muss folglich auch die Moglichkeit eines Vertrages 
negiren, also negiren, was vor seinen Augen thatsachlich vor- 
geht. Es hatte durchaus nicht der ausdriicklichen Erklarung 
der Machte in dem Londoner Protokolle vom 13. Marz 1871 
bedurft, que c'est un principe essentiel du droit des gens qu'aucune. 



**) „ Pacta privatorum tuetur Jus Civile ^ pacta Principum bona fides. 
Sane si iollas, toUis mutua inter Principes commerda , quae oriuntur e pacfis 
expressiSf quin et tollis ipsum Jus Gentium." Bynkersh oeh^ de servanda fide 
pactorum puhlicorum, Quaest. juris publ. L, II. Cap. X. 



\ 



59 

Puissance ne pent se delier des engagements d^un Traiti, ni en 
modifier les stipulations, qu*h la suite de Vassentiment des Parties 
Contractantes au moyen d*une entente amicale^ weil diese Erklarung 
dem Rechtscharakter dieses volkerrechtlichen Grundsatzes kein 
neues Moment hinzugefiigt hat, der von dem Augenbllcke an- 
gefangen existirte, als das erste Mai ein Staat einem andern 
gegeniiber sich zu Etwas verpflichtete. 

Sowie die den Willensinhalt beherrschende Rechtsbestim- 
mung sich aus der Natnr des Staatenvertrages ergibt , so 
folgen aus dec Natur des rechtschaffenden Willens die Um- 
stande, unter denen allein von einem Znstandekommen eines 
Vertrages gesprochen werden kann. WoUen kann man nur 
das Mogliche, und zwar das physisch Mogliche; woUen darf 
man nur das rechtlicli und sittlich Mogliche. Daher kann ein 
Vertrag nur zu Stande kommen, wenn eine zulassige causa 
vorhanden ist. Dass nur das rechtlich und sittliche Mogliche 
gewollt werden darf, ergibt sich vor Allem aus der Erwagung, 
dass man durch die Zulassigkeit des rechtlich und sittlich 
Unmoglichen als Vertragsinhaltes dem Volkerrecht den Boden 
unter den Fiissen wegzieht. AUes volkerrecht liche Unrecht 
konnte ja sonst dadurch zum Rechte erhoben werden , dass 
man es zum rechtsgiltigen Inhalt eines Vertrages erhebt ; der 
Vertrag mit dem einen Staate konnte durch einen Vertrag 
mit einem anderen ohneweiteres aufgehoben werden und das 
ganze Vertragsrecht ware somit illusorisch. Was insbesondere 
das sittlich Mogliche anbelangt, so folgt die ausschliessliche 
Zulassigkeit derselben als Vertragsinhalt aus dem ethischen 
Charakter des Rechts, welches seiner Natur nach nie das aus 
dem ethischen Gebiete ganzlich Ausgewiesene billigen darf. ^^) 
Wenn darauf hingewiesen wurde, dass die Geschichte eine 
Reihe erfiillter Vertrage, unsittlichen Inhalts kennt ^^), so folgt 
daraus so wenig die Rechtsnatur solcher Vertrage, als die- 
selbe fiir das Privatrecht daraus folgt, dass factisch unzahlige 
von der Rechtsordnung nicht anerkannte, unsittliche Vertrage 
geschlossen und gehalten werden. £s hat vielmehr der Satz, 



®*) Vjil. nieine socialeth. Bed. Cap. 2. 

®®j H. B. Oppenheim, System des Volkerrechts. 2. Aufl. 1866. S. 186. 



60 

dass unsittliche Vertrage rechtlicli nichtig sind, im Verein 
mit der Rechtsungiltigkeit der reclitlich unmoglicliei) Vertrage 
als das zweite wichtigste Princip des international en Vertrags- 
rechts, ja des ganzen Volkerechts zu gelten, weil ohne diese 
Bestimmnngen dem Volkerrechte eine seiner bedeutendsten 
Garantien entzogen ware. 

Eine an der e Beschrankung des Willens der Contralienten 
als die angegebenen ist nicht vorhanden. Nur eine jener ungluck- 
lich angebrachten Analogien aus dem Privatrecht war es, wenn 
man Anfechtbarkeit der Vertrage wegen enormer Lasion be- 
hauptete, eine Analogic, die umso schiefer war, als die Bestim- 
mnngen iiber den laesto enormis zu verschiedenen Zeiten ganz ver- 
schieden waren nnd keineswegs aus der Natur des Vertrags 
hervorgehen. ^'^) Die Anwendung einer unrichtigen rechts- 
philosophischen Lehre des Aristoteles^ welche den okonomischen 
Gesichtspunkt mit dem rechtlichen verwechselt ^^), war es 
ferner, die Grotius zur Aufstellung der Lehre von der 
Gleichheit der Leistung und Gegenleistung bewog. ^®) Aus der 
Natur des Willens lasst sich keine jener Beschrankungen der 
Vertragsf I eiheit deduciren , welche in den jeweiligen Bestim- 
mnngen des Privatrechts zu finden sind. Aus der Natur der 
Sache ergibt sich jedoch, dass der Vertrag Rechte und Pflichten 
nur fiir die Contrahenten erzeugt. ^^^) 

Aus der Natur des Willens folgt ferner, dass eine wahre 
Einwilligung nur dann vorhanden ist, wenn kein wesentlicher 
unverschnldeter Irrthum oder Betrug beim AbscHluss des 
Vertrags unterlauft. Dies ist wieder einer von den Satzen, 
welche fiir alle . Vertrage des gesammten Rechtsgebietes gilt. 
Anders verhalt es sich jedoch mit dem Einfluss des Zwanges 
auf die Giltigkeit der Staatsvertrage. Da eine liber den 
Staaten stehende, mit Zwangsmitteln versehene Rechtsordnung 
nicht vorhanden ist, also jeder Staat sein Recht selbst wahren 
muss, so ist der durch Selbsthilfe ausgeiibte Zwang, wofern 



«7) Berner, a, a. 0. S. 639. 

»«) Vgl. Hildenbrand, a. a. 0. S. ^97. 

99> 



^) De J B. a. P. II, 12, 12—14. 
^"®) Einzelne sich ebenfaHs aus der Natur der Sache ergebende Ans- 
nabmen bei Heffter. §. 83. 



61 

er durch eine Rechtsverletzung hervorgerufen wurde^ nicht 
unreclitmassig ; nur eine Autoritat, welche machtiger als jeder 
Einzelne ist , kann die Ausiibung der Selbsthilfe verbieten. 
Es darf nicht vergessen werden, dass es einst eine Zeit gab, 
wo innerhalb der Volksgemeinschaft ein R e c h t s zustand 
herrschte, welchem die Verfolgung des eigenen Rechts zum 
grossen Theile der Selbsthilfe anheimgegeben war. 1°^) 

Der auf die fremde Staatsgewalt ausgeiibte Zwang macht 
also den erzwungenen Vertrag nicht ungiltig, sonst konnte es 
keine Friedensschliisse geben. Nur ein absoluter Zwang, der 
eine Action des Willens ausschlosse, wiirde den Vertrag un- 
giltig machen konnen. Ein solcher ist aber gegen einen Staat 
gar nicht anwendbar. Selbst die Wahl zwischen Untergang 
und Einwilligung in den Vertrag ist ' noch ein compulsiver 
Zwang; selbst in dem Anbieten einer solchen Alternative 
liegt noch eine Anerkennung der freien Staatspersonlichkeit 
des Gegners vor. ^^^) 

Der theoretischen Beschrankung des den Vertrag nicht 
hindernden Zwanges auf einen rechtmassigen stehen aber grosse 
praktische Schwierigkeiten entgegen, da eine objective Ent- 
scheidung iiber die Rechtmassigkeit volkerrechtlichen Zwanges 
nicht vorhanden ist, so lange die Staaten Richter in eigener 
Sache sind. Mit der Aufnahme des Merkmals der Recht- 
massigkeit in den Begriff des volkerrechtlich erlaubten Zwanges 
stellt man es factisch in das Belieben des besiegten Staates, 
ob er sich durch einen Friedensvertrag gebunden erachte oder 
nicht, oder vielmehr , man erklart dadurch die Friedensver- 
trage fiir unverbindlich, denn der Pall , dass ein Staat von 
dem Recht des Gegners und seinem eigenen Unrecht, das den 
Krieg provocirt hat, iiberzeugt ist, zahlt zu den allerselten- 
sten in der Geschichte. ^^^) Nur da, wo ein Zwang unmittelbar 
auf die Person des Unterhandlers oder Souverans derart ausgeiibt 



»oi) Bergbohm, a. a. 0. S. 26. 

^^^) „Im Vblkerrecht wird angenommen , der Staat selbst sei alle Zeit 
frei und willensfahig , wenn nur seine Vertreter persdnlicb frei sind." 
Bluntschli, Mod. Volkenecht. §. 408. 

"") Die recbtliche Natur der Friedensvertrage wegen des dabei obwal- 
tenden Zwanges wird in der That gelengnet von Amari, a. a. 0. p. 772. 



62 

wird, dass er die Widerstandsfahigkeit desselben ausschliesst, 
ist ein unleugl)ares Hinderniss des Vertrages vorhanden. 

Die Endigungsgriinde der Vertrage ergeben sich erstens 
als logische Folgerungen aus dem Wesen des Vertrages, also 
Leistung des Versprochenen, muiuus dissensus, Erlass , Ablauf 
der Zeit, unversehuldeter Untergang des versprochenen Gegen- 
standes, Untergang eines der contrahirenden Subjecte, Auf- 
kiindigung, Eintritt einer Resolutivbedingung. Zwei andere 
Endigungsgriinde der Staatenvertrage sind aber auf die eigen- 
thiimliche Natur des Staates zuriickzufiiliren. Der eine ist 
die Collision der hochsten Staatszwecke, unter welchen vor- 
AUem die Selbsterbaltung zahlt, mit der Erfiillung des Ver- 
trages. Hier tritt das Nothreebt des Staates ein , welches 
ihm gebietet , seine Existenz hoher zu achten , als die Ver- 
pflichtungen, welche er gegen Fremde iibernommen hat. Juri- 
stisch ist das Eintreten solcher, die Vertragserfiillung zur 
Verletzung der Pflichten gegen sich selbst machender Um- 
stande als unverschuldetes Eintreten der Unmoglichkeit der 
Leistung aufzufassen. Eine Gebundenheit des Staates in alle 
Ewigkeit hinaus gehort eben zu dem rechtlich Unmoglichen, 
wie wir oben gezeigt haben. Nur falsehe Abstractionen aus 
dem Privatrecht konnen zu dem Glauben verleiten, dass durch 
die Anerkennung der dem Staatenvertrage stillschweigend 
beigefugten Clausel : Rebus sic stantibus das staatliche Vertrags- 
recht illusorisch gemacht wurde. ^o*) Ein Staat ist kein phy- 
sisehes Individuum, welches die ganze Zeit seines Lebens hin- 
durch einen nur innerhalb gewisser Grenzen sich verandernden 
Typus tragt, sondern es ist ein in steter Bewegung und 
Umbildung begriffener Factor der weltgeschichtlichen Ent- 
wickelung. Die Jahrhunderte, oft schon die Jahrzehnte, bilden 
ihn um, so dass, wer die historische Continuitat nicht kennt, 
einen Zusammenhang der gegenwartigen mit dem vergangenen 
Staate kaum zu ahnen im Stande ware. Welche Aehnlichkeit 
zeigt das Frankreich der Capetinger mit der heutigen franzo- 
sischen B,epublik, oder das England Alfred des Grossen mit 

*^*) War es doch tibrigens lange Zeit hindnrch natarrechtliche An- 
schaunng , dass anch fiir privatrechtliclie Yertr&ge die Aenderang der Um- 
Btaade als Anflosungsgnmd gilt ! 



63 

dem England der Victoria? Und der Staat der Vergangenheit 
soUte die Macht haben, die Gregenwart nnd Zukunft des Staates 
zu beherrschen ? Die Erstarrung der Staaten, der Tod der 
Weltgeschichte ware die Consequenz! Nur eine den Zweck 
nnd die geschichtliche Function des Rechts vergessende Theorie 
konnte dem Staate eine unlosbare Verbindlichkeit auferlegen 
wollen. Der Zweck des Rechts besteht aber in der Erhaltung 
der Bedingungen des menschlichen Gemeinlebens. Zu diesen 
Bedingungen zahlt aber vor Allem die staatliche Organisation 
in ihrer freien Entwickelung. Was diese hemmt, kann also 
nimmermehr Recht sein. Da alles Eecht, will es auf die Dauer 
Verwirklicbung finden, der Natur der Personen angepasst sein 
muss, ftir welche es bestimmt ist, so miissen die Bestimmungen 
des internationalen Vertragsrechts sich fiigen der Eigenart 
der staatlichen, welche von der des menschlichen Individuums 
verschieden ist. Darum ist es eben ein privatrechtliches Vor- 
urtheil, dass nur dann von dem Rechtscharakter der Vertrage 
gesprochen werden konne, wenn die Leistung des Verspro- 
chenen unabhangig ist von dem Umstande , ob sie die Inter- 
essen des Leistenden schadigt oder nicht. Sobald man nur im 
Auge behalt, dass die Moglichkeit der Leistung einer anderen 
Beurtheilung im Volker- als im Privatrecht unterliegt, so 
gilt der Satz, dass Vertrage zu halten sind, trotz der auf- 
losenden Kraft der wesentlichen Veranderung der Umstande, 
genau in demselben Sinne, wie im Privatrecht. Es kann iiber- 
haupt nicht oft genug darauf hingewiesen werden, wie ge- 
fahrlich fiir die unbefangene Betrachtung des Volkerrechts 
oberflachliche Vergleiche mit dem Privatrechte sind. Die 
meisten Ein wan de, welche gegen die rechtliche Existenz des 
Volkerrechts erhoben werden, entspringen der voreUigen Iden- 
tificirung alles Rechts mit den wesentlichen Merkmalen des 
Privatrechts. Da das Privatrecht durch eine stetige Ent- 
wickelung von Jahrtausenden unter alien Zweigen des Rechts 
die reichste Ausbildung erfahren und die starksten Garantien 
gewonnen hat, so vermag der durch die Strahlen dieser 
hellsten Partie des Rechtsgebiets geblendete Blick, wenn er 
sich den internationalen Verhaltnissen zuwendet, in der 
selbstverschuldeten Finsterniss, in die er sich versetzt hat. 



64 

Nichts mehr zu unterscheiden. Aber schon, wenn man das 
Staatsrecht aufmerksam betrachtet, scbwindet das Vorurtheil, 
als seien die Grundbestimmungen des Privatrechts mit denen 
des Rechts iiberhaupt identisch. 

Der zweite Endigungsgrund der Staatenvertrage , der 
sich aus der Natur des Staates ergibt, ist der Bruch des 
Vertrags von Seite eines Contrahenten^ wodurch volkerrecht- 
licb der andere Contrahent ihm gegeniiber befreit wird. Da 
die Staaten keinen Richter und keine Zwangsgewalt iiber 
sich haben, so konnen sie auf rechtlichem Weo-e — man 
miisste denn die Selbsthilfe als einen solchen ansehen — keine 
Erfiillung der ihnen gegeniiber eingegangenen Verbindlich- 
keiten erlangen. Wenn also ein Staat sich von der ihm auf- 
erliegenden Verbindlichkeit widerrecbtlicli lossagt, so ist 
die Willenseinigung , in welcher der Vertrag bestand, gebro- 
chen, ohne dass eine hohere Macht durch ihr Grebot und ihren 
Zwang die Wiederherstellung des rechtmassigen Zustandes 
herbeifiiliren konnte. 

Was die Anslegung der Vertrage anbelangt, so ist diese 
den contrahirenden Staaten selbst iiberlassen, es sei denn, 
dass sie von diesen einem S.chiedsgericlit iibertragen wird. 
Die Grundsatze, welche die Staaten, respective die Sehieds- 
richter hierbei in Anwendung zu bringen haben, entspringen 
der bona fides ^ welche die unerlassliche Grundlage freuad- 
schaftlichen Verkehrs zwischen den Staaten bildet. Wenn hier 
die Grundsatze des Privatrechts iiber die Anslegung in An- 
wendung zu bringen sind, so hat dies seinen Grund darin, 
dass diese Satze in ihrer gegenwartig anerkannten Fassung sich 
im AUgemeinen der materiellen Gerechtigkeit angenahert 
haben. 

Aus dem Wesen der verschiedenen zwischen Staaten 
stattfindenden Vertrage ergibt sich endlich auch die Classi- 
fication derselben. Das richtige System hier aufzufinden, ist 
aller dings mit grossen Schwierigkeiten verkniipft, ja es ist die 
Frage, ob es ein ausschliesslich richtiges System iiberhaupt 
gibt. Da es im Volkerrechte nicht , wie im Privatrechte 
dispositive Rechtssatze gibt, welche fUr den Willen der 
Contrahenten suppletorische Geltung haben und, da keine 



65 

formellen Erfordernisse fur die Vertrage vorhanden sind, so 
konnen sich dieselben nur dnrch ihren Inhalt unterscheiden, 
Dieser kann aber nach verschiedenen Gesichtspunkten geordnet 
werden, ohne dass es moglich ist, einen derselben fiir den 
absolut richtigen zu erklaren. Ein System der Staatenvertrage 
aufznstellen, halten wir als ansserhalb der uns hier geseftzten 
Anfgabe liegend. 

Wenn sich uns somit die Hauptsatze des internationalen 
Vertragsrechts aus nnserem Principe ergeben haben, so wiirde 
dies anch mit der detaillirtesten Bestimmnng der Fall sein; 
Bonn eine andere jnristische Ableitang eines objectiven Ver-t 
tragsrechtes als die von nns gegebene ist nicht moglich. 

Mit der Feststellung des juristischen Charakters de* 
internationalen Vertragsrechts ist aber fiir das Volkerrecht 
Tmendlich viel gewonnen. Es sind djadurch fiir die Stuaten, 
denen es um die gfosstmogliche Einhaltung der eingegangenen 
Verpflichtungen zn thnn ist , die Normen gegeben , nach wel- 
chen sie sich zu richten haben; es ist dadurch fiir die offent- 
liche Meinung der civilisirten Welt ein Massstab fiir die recht- 
liche Beurtheilung der hierher gehorigen Handlungen der 
Staaten und damit ein nicht zu unterschatzendes Pressions- 
mittel gegen unrechtmassige Geliiste gegeben. 

Das Wichtigste jedoch ist, dass mit der Existenz eines 
objectiven Vertragsrechts erst die rechtliche Bedeutung des 
Inhalts der Vertrage gesichert und erst damit die Moglichkeit 
einer bewussteu Fortbildung des Volkerrechts vorhanden ist. 
Durch die rechtliche Natur der Staatenvertrage empfangt auch 
deren Inhalt rechtliche Bedeutung : er bildet ein jus inter partes. 
Wenn nun der Inhalt eines Staatenvertrages nicht in einem 
subjective Rechte begriindenden Rechtsgeschafte , sondern in 
der gegenseitigen Anerkennung von Rechtssatzen internatio- 
naler Natxir besteht, dann wird durch den Vertrag Volker- 
recht geschaffen, und zwar ein Volkerrecht im voUen Sinne 
des Wortes, da hier nothwendig Uebereinstimmung zwischen 
den contrahirenden Staaten vorhanden ist, wahrend alle ein- 
seitigen Festsetzungen der Staaten beziiglich ihres Verhalt- 
nisses nach Aussen nur ein Volkerrecht in der unvoUkom- 
menen Form eines ausseren Staatsrechts darbieten. Es ist 

Dr. Jellinek, ICatnr d. Staatenvertrage. 5 



66 

durchaus nicht richtig, dass im Falle der Festsetzung objec- 
tiver Rechtssatze durch Staatenvertrag der Vertrag nur die 
unwesentliche Hiille fur die Anerkennung und Bestatigung 
einer Rechtsregel ist^^^), es sei denn, dass diese fiechtssatze 
aus der Natur der Lebensverhaltnisse fliessen, wo aber eine 
Anerkennung anderen Staaten gegenuber iiberfliissig erscheint, 
da sie ja schon durch den Beatand der betreffenden Verhaltnisse 
gesetzt ist. In alien anderen Fallen wird aber erst durch 
den Vertrag das Abweicben von der Rechtsregel den anderen 
Staaten gegenuber zum Unrecht, wahrend da, wo ein Bechts- 
satz nur als Wille des Einzelstaates existirt, von einer Be- 
rechtigu;ng anderer Staaten, die Einhaltung der Becbtsregel 
zu verlangen, nicht die £ede sein kann. 



! 



io») Bluntschli, Mod. Vdlkenrecht, S. 64. Bergbohm, a.a.O. S.8L 



Nacbtrag und Berichtignng. 

S. 11 Z. 8 Yon unten ist einzuschalten: Zn diesem Resaltate gelangt 
anch Thomasins, well nach iliin alles Becht die Beziehung zweier Persdn- 
lichkeiten yoraassetzt. Ygl. Fundamenia juris ncUurae et gentium lib, I c, 5 
§. 16 : „ — nemo hahet proprie jus in se ipsum^ nee sibi injuriam facere potest, 
nee sibi ohligcUur. St nemo sibi ipsi legem dicere potest, 

S, 26 Z. 5 V. 0. Ues ^Staatsthatigkeiten*' anstott ^Stafitef&higkeiteii*<. 



omcs «oa eoTTLio oistcl a «•., win, mmstimistmuc la. 



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