DIE REDEN
DES BUDDHA
ACHTER^ BIS ELFERBUCH
OSKAR SCHLOSS VERLAG
MÜNCHEN 'NEUBIBERG
UNIVERSITY OF TORONTO
LIBRARY
WILLIAM H. DONNER
COLLECTION
purcJmsed jrom
a gift hij
THE DONNER CANADIAN
FOUNDATION
DIE
REDEN DES BUDDHA
AUS DEM «ANGÜTTARA-NIKÄYA«
ZWEITE SERIE
•X-
INHALT:
ACHTER^ BIS ELFERBUCH
AUS DEM PÄLI
ZUM ERSTEN MALE ÜBERSETZT UND ERLÄUTERT
VON
NYÄNATILOKA
OSKAR SCHLOSS VERLAG MÜNCHEN-NEUBIBERG
Copyright 1922 by Oskar Schloß Verlag München-Neubiberg.
V,H1
Inhalt zum Achterbuch
Seite
I. Teil. Das Kapitel der Liebe
Der Segen der Liebe l
Die Grundlagen der Wissensentfaltung 2
Acht Gi-ünde der Unbeliebtheit 7
Die acht Weltgesetze 7
Der Grund von Devadattos Untergang 10
Die Vorzüge des Nando 14
Das Unkraut 16
II. Teil. Das große Kapitel
Die große Durchbrechung 20
Die Bekehrung des Feldherm Siho 28
Das edle Königsroß 36
Die acht Untugenden der Rosse 38
Die acht Flecken 42
Der würdige Verbreiter der Botschaft 43
Mann und Weib 43
Das Weltmeer des Gesetzes 44
Der Fasttag 48
III. Teil. Das Kapitel der Hausväter
Die wunderbaren Eigenschaften Uggos ....... 52
Die wunderbaren Eigenschaften des Hatthako aus Alavi . 57
Die vier Arten der Gunst 59
Der Anhänger 60
Acht Kräfte 62
Die Selbsterkenntnis der von Leidenschaften Erlösten . . 62
Die günstigen Gelegenlieiten zum Heiligen Leben .... 63
Die Gedanken eines großen Mannes 67
— III —
Seite
IV. Teil. Das Kapitel der Gaben
Acht Arten des Gebens 76
Der fruchtbare Boden 77
Durch Gaben bedingte Wiedergeburt 80
Die drei Arten verdienstvollen Wirkens 82
Die Gaben eines guten Menschen 84
Der segensreiche Einfluß des guten Menschen 85
Die acht Ströme des Verdienstes 86
Die Wirkung böser Worte und Werke 88
V. Teil. Das Kapitel des Pasttags
Der Segen des Fasttags 90
Wiedergeburt unter den Anmutigen Engeln 97
Der Sieg des Weibes 101
VI. Teil. Das Kapitel der Gotami
Die Gründung des Nonnenordens 102
Der würdige Ermahner der Nonnen 108
Die Merkmale des Gesetzes 109
Segensreiche Eigenschaften für Hausleute 110
Das Elend der Sinnenlüste 115
Der würdige Mönch 115
Die acht würdigen Menschen 117
Die acht wahren Jünger 117
VII. Teil. Das Kapitel des Erdbebens
Weltlicher Gewimi 118
Sich und den Anderen genügen 121
Stufenweise Geistesentfaltung 125
Der göttliche Erkenntnisblick 128
Die acht Überwindungsgebiete 131
Die acht Preiungen 133
Edle vmd imedle Aussagen 134
Die acht Versammlungen 135
Mahrs letzte Heimsuchung 136
VIII. Teil. Das Kapitel der Paare
Die Betrachtimg über den Tod 143
Acht schädliche Dinge 147
Trägheit und Strebsamkeit 147
— IV —
Seite
IX. Teil. Das Kapitel der Achtsamkeit
Eines aufs Andere gestützt Iö4
Der bedingte Vortrag des Vollendeten 154
Der Räuber 155
Der Vollendete . ^^^
Das Glück der Loslosung 157
Das Topfumstülpen 159^
Die Mißachtung kundtun 16^
Der Akt des Verzeihungerbittens 161
1 Pf}
In die Acht erklären -^""^
Erlöschung
162
Inhalt zum Neunerbuch
I. Teil. Das Kapitel der Erleuchtung
Die Grundlagen der Erleuchtung 163
Vollkommen gestützt
Die Grimdlagen zum Fortschritte 166
Die Segnungen des Vortrages 1'^^
Von ftüiff acher Fm-cht befreit 1'74
Zweierlei zu wissen nötig • ' "
Unmöglichkeiten für einen Heiligen 180
Neim Menschenklassen 1^2
Neun verehrungswürdige Menschen 183
II. Teil. Das Kapitel des Löwenrufes
Der Löwenruf des Sariputto 184
Vom Abwege befreit 189
Der Zweck des Heiligen Wandels 193
Über das Wesen der Gedankenerwägungen 195
Die Eiterbeule ^96
Zu meidende Familien
Die reuigen Himmelswesen 19'
Die Vorstelkmg der Vergänglichkeit als verdienstvollste Tat 199
— V —
Seite
III. Teil, Das Kapitel der Daseinsformen
Vergleiche zwischen Menschen und Himmelswesen . . . 204
Die neun Rosse 204
Im Durste wurzelnde Dinge 209
Die neun Daseinsformen der Wesen 210
Der vollkommen entfaltete Geist 212
IV. Teil. Das Große Kapitel
Die neun aufeinanderfolgenden Zustände 216
Die neun aufeinanderfolgenden Erreichungszustände . . . 217
Das Glück jenseits der Gefühle 221
Die Kuh im Gebirge 225
Die Entfaltung von Gemütsruhe imd Hellblick .... 230
Das wunderbare Gesetz 234
Der Welt Ende 237
Der Kampf der Götter mit den Dämonen 239
Der Elefant der Einsamkeit 242
Der Abgrund der Entsagung 246
V. Teil. Das Kapitel des Pancälo
Der Ausweg aus der Beklemmung 252
Der Körperzeuge 254
Der Einsichtserlöste 255
Der Beiderseitserlöste 256
Das Nirwahn 257
VI. Teil. Das Kapitel des Friedens
Der Frieden 258
Das Arahattum 259
VII., VIII. und IX. Teil. Das Kapitel der Grundlagen
der Achtsamkeit, der rechten Kämpfe und
der Machtfährten
Überwindung 260
Erlöschung 262
— VI
Inhalt zum Zehnerbuch
Seite
I. Teil. Das Kapitel der Sittlichkeit
Der Segen der Sittlichkeit 263
Die Gesetzmäßigkeit in der geistigen Entwicklung . . . 264
Eines aufs Andere gestützt 265
Losgelöste Sammlung . . 266
Vollkommenheit 267
II. Teil. Das Kapitel des Schutzes
Günstige Bedingungen zur Erreichung der Erlösung . . . 270
Der erhabenste Mensch 272
Die zehn Fesseln . 273
Der abnehmende imd zimehmende Mond 274
Die Strebsamkeit aller guten Dinge Anfang 275
Zehn verehrungswürdige Menschen 278
Beschützende Dinge 278
Die zehn edlen Zustände 279
III. Teil. Das große Kapitel
Der Löwenruf des Vollendeten 283
Die der Wirklichkeit gemäße Erkenntnis 285
Zu überkommende Dinge 286
Trug imd Wirklichkeit 289
Die zehn Allheitsgebiete 292
Des Herzens Friede 292
Die zehn- Probleme 294
Allvergänglichkeit 302
Die Huldigung durch König Pasenadi 306
rV. Teil. Das Kapitel des Upali
Der Zweck der Ordenssatzung 313
Des Klosters verweisen 314
Der rechte Ordenslehrer 315
Die Ordensspaltung 316
Einigkeit im Orden 317
Ordensspalter und Ordenseiniger 318
V. Teil. Das Kapitel der Beschimpfung
Die Ursachen des Streites 320
Die Bedingungen für einen Ermahner 321
— VII —
Seite
Die Nachteile beim Betreten des königlichen Palastes . . 323
Der achtfache Fasttag 325
Die Anlässe zu guter und böser Tat 828
Die zehn Betrachtungen des Hauslosen 328
An den Körper gebunden 330
Zehn zu beachtende Eigenschaften 330
VI. Teil. Das Kapitel des eigenen Geistes
Selbstprüfung 334
Rückschritt, Stillstand und Fortschritt 336
Selbstbetrachtung 337
Zehn Segensreiche Betrachtungen 341
Über das Wesen aller Dinge 341
Wonach der Mönch streben soll 342
Die Heilung des Girimänando 343
Vn. Teil. Das Kapitel der Paare
Die bedingte Entstehmig 350
Die der Vollendung Entgegengehenden 356
Wiedergeborenwerden und Nichtwiedergeborenwerden . . 357
Gefallen und Mißfallen am Gesetze 358
Fortschritt und Rückschritt 358
Die Gegenstände des Gespräches 361
Gegenstände des Lobes 363
Vni. Teil. Das Wunschkapitel
Aller Wünsche Erfüllung 364
Die zelin Störungen 367
Seltene Dinge in der Welt .- . . 369
Der edle Gewinn 370
Urteilt nicht die Menschen ab! 371
Uberkommung von Geburt, Alter und Tod 376
Der Rabe 380
Die bösen Eigenschaften der Niganther 380
Der Groll und seine Überwindung . 381
IX. Teil. Das Kapitel der Ordensälteren
Der unbefleckte Lotus 382
Die Bedingungen zum Fortschritte 382
Der Vortrag des Vollendeten 384
Höchstes Wissen vorgeben 383
— VIII —
Seiti-
Errungenschaften vorgeben
Angebliche Heiligkeit '^
Die Bedingungen zur Liebe und Achtung ^^1
Das Schicksal des Mönches Kohähko 394
Die zehn Kräfte des von Leidenschaften Erlösten ... 399
X. Teil. Das Kapitel der Anhänger
Die weltlich Genießenden
Vom Abwege befreit
Die unzulänglichen Ansichten
Die vielseitige Lehre .
Werden alle erlöst? '.
Der Pilger Kokanudo und Änando
Der würdige Mönch •
Der glückUche Mönch
Upälis Unreife zur Einsamkeit 2
Die Verwirklichimg des Arahattums ^^o
XI. Teil. • Das Kapitel der Asketenbetrachtungen
Die Wirkimg der drei Asketenbetrachtvmgen 436
Die Wirkung der sieben Glieder der Erleuchtung ... 436
Die Wirkung des Rechten vmd des Verkehrten .... 437
Süße und bittere Früchte ^^^
Die Grundlagen des Guten mid Bösen 409
Zur Versiegung führende Dinge
Die edle Spülung
Das edle Brechmittel
444
Der Kampfesledige •
XII. Teil. Das Kapitel der Läuterung
Das Gesetzliche und das Ungesetzliche 446
Grundlagen für einen Weisen . . '. ^
Diesseits und Jenseits
Die edle Läuterung
Die Morgenröte der Erkenntnis
XIII. Teil. Das Kapitel der Reinheit
Keine Vollkommenheit außerhalb ^'
Verkehrte und rechte Zustände
XrV. Teil. Das Kapitel des Guten
459
Zweierlei Gesetze
— IX —
Seite
XV. Teil. Das Kapitel des edlen Pfades
Zweierlei Kade 460
XVI. Teil. Das Kapitel der Menschen
Der Umgang mit Menschen 461
XVII. Teil. Das Kapitel des Jänussoni *
Die edle Läuterung 462
Diesseits und Jenseits 462
Die drei Anlässe zur Tat 463
Der Ausweg 463
Dreifache Lauterkeit 464
Totenopfer ' • • 471
XVIII. Teil. Das Kapitel des Guten
Zweierlei Gesetze 476
XIX. Teil. Das Kapitel des Edlen Pfades
Zweierlei Pfade 477
XX. Teil. Das Kapitel des Menschen
Der Umgang mit Menschen 478
XXI. Teil. Das Kapitel des Stofflichen Körpers
Zweierlei Wirkensfälirten 479
Das Gesetz der Wiedergeburt 479
Die Tatenversiegung 481
Läuterung durch die vier unermeßlichen Gebiete .... 484
Zweierlei Wandel 486
Himmel \md Hölle 487 ^
Erlöschung '^^^
Inhalt zum Elferbuch
Beito
I. Teil. Das Kapitel der Abhängigen Erschei-
nungen
Das Schicksal des Verleumders 491
Losgelöste Sammlung 492
— X —
Seite
Das Sinnen der Edlen 495
Der Höchste 498
II. Teil. Das Kapitel der Betrachtungen
Rechte Betrachtungen für Hausleute 500
Die Merkmale des Vertrauens 507
Der elf fache Segen der Liebe 510
Die eK Tore des Todlosen 510
Der Rinderhirt 514
Erlöschung 519
XI
ACHTERBUCH VIII 1
Das Achterbuch
ERSTER TEIL:
Das Kapitel der Liebe
Der Segen der Liebe
Hat man, ihr Mönche, die Liebe, die gemütserlö-
sende, gepflegt, entfaltet, häufig geübt, zur Trieb-
feder und Grundlage gemacht, gefestigt, großgezogen
und zur rechten Vollendung gebracht, so hat man acht
Vorteile zu erwarten: man schläft friedlich, erwacht
friedlich, hat keine bösen Träume, ist den Menschen
lieb, ist den Geistern lieb, die Engel beschützen einen;
Feuer, Gift und Waffen haben einem nichts an; und
sollte man nicht noch zu Höherem durchdringen, so
erscheint man in der Brahmawelt wieder.
Wer wohl bedacht in sich entfaltet
Ein Herz voll unbegrenzter Liebe,
Dem lockern sich die Daseinsfesseln,
So er der Dinge Ende schaut.
Wenn nur ein einzig' Wesen, reinen Herzens,
In Liebe man durchstrahlt, wirkt man schon Gutes;
Doch wahrlich, wer da allen Wesen wohl will,
Der Edle wirkt gewaltiges Verdienst.
Durch Gaben diese völkerreiche Erde
Einst weise Könige erobernd zogen.
_ 1 _ 1
vmi SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Fürwahr, das Rosse- und das Menschenopfer,
Der Reistrank, Bolzenwurf, das Barrenlose Opfer:
Die rechnen nicht ein Sechzehntel so viel
Wie ein zur Liebe wohlerzog'nes Herz, (l)
Wer nicht mehr tötet, nicht mehr schlägt.
Nicht mehr zerstört, zerstören läßt,
(1) Hier gibt der Kommentar eine weitschweifige, auf Wort-
spielerei hinauslaufende Erklärung über die Entstehung der vier
Opfer. In alter Zeit, so berichtet er, wandten die Könige vier Gunst-
bezeigungen an, um das Volk zu gewinnen, nämlich: sassa-medha,
das Reisopfer (später entstellt in assa-medha, Rosseopfer!); das
Menschenopfer; sammä-päsa, die rechte Falle (später entstellt in
sammäpäsa, Bolzenwurf); väcä-peyya, liebevolle Worte (später
entstellt in väja-jjeyya, Reissuppen trank!) Das Reisopfer, oder
besser gesagt das Getreideopfer, bestand darin, daß der König bei
der Ernte ein Zehntel seines Getreides dem Volke opferte. Die
Krieger mit Waffen imd Löhnung zu versehen galt als das Menschen-
opfer. Bedürftigen Menschen auf drei Jahre tausend oder zwei-
tausend Goldstücke ohne Zinsen zu verleihen galt als die rechte
Falle, um die Menschen an sich zu fesseln. Das auf solche Weise
gewormene Land blühte und gedeilite ; imd überall herrschte Sicher-
heit, sodaß man die Häuser bei Tag wie bei Nacht unverschlossen
ließ; und da man daher keiner Schließbarren mehr bedurfte, sprach
man von einem »Barrenlosen Opfer«. In späteren Zeiten jedoch,
imter der Herrschaft des Königs Okkäko, führten die Brahmanen
die blutigen Opfer ein, indem sie den Sinn der früheren Opfer ver-
drehten, imd brachten so Unheil übers Land. Nach der Erklärung
des Kommentars soll sich das »Bolzenwiuiopfer« folgendermaßen
vollziehen: Nachdem sich die Brahmanen im Sarasvatiflusse ge-
badet haben, ziehen sie von ihrem Badeplatze aus am Strande
flußaufwärts, indem sie wiederholt den Bolzen nach vonie schleudern
und jedesmal an der Stelle, wo der Bolzen zu Boden fällt, einen
Opferaltar eirichten. Beim Reistrankopfer sollen siebzehn Opfer-
pfosten errichtet und siebzehn Rinder geopfert werden. Das Schran-
kenlose Opfer soll eine Kombination der frülier genaimten Opfer
sein imd auch bekannt sein unter dem Namen »Die Ganze Opfer-
reihe«.
— 2 —
ACHTERBUCH VIII 2
In Liebe allen zugetan,
Den trifft fürwahr nichts Böses mehr.
Die Grundlagen der Wissensentfaltung
Acht Bedingungen und Grundlagen, ihr Mönche,
-führen zur Erlangung des bis dahin noch unerlangten,
dem urheiligen Wandel eigenen Wissens (l) und zu
des erlangten Wissens Erweiterung, Ausdehnung, Ent-
faltung und Vollendung: welche acht?
Da, ihr Mönche, weilt der Mönch in der Nähe des
Meisters oder eines verehrungswürdigen Ordensbruders,
wo er von äußerster Schamhaftigkeit und Gewissen-
haftigkeit, von Liebe und Achtung erfüllt ist. Das,
ihr Mönche, ist die erste Bedingung und Grundlage
zur Erlangung des bis dahin noch unerlangten, dem
urheiligen Wandel eigenen Wissens und zu des er-
langten Wissens Erweiterung, Ausdehnung, Entfal-
tung und Vollendung.
Während er aber in der Nähe des Meisters oder
eines verehrungswürdigen Ordensbruders weilt, be-
gibt er sich von Zeit zu Zeit zu ihm und befragt ihn,
ersucht ihn um 'Aufklärung: »Wie ist dies, o Ehr-
würdiger? Wie hat man dies zu verstehen?« Und
jener Ehrwürdige enthüllt ihm, was ihm noch unver-
ständlich ist, klärt ihn über das noch Unaufgeklärte
auf und löst ihm in mancherlei zum Zweifel Anlaß geben-
(1) Hierunter ist zu verstehen der mit den vier »Pfaden«
(maggä), d. i. den vier Stufen der höheren Entwicklung (nämüch :
Stromeintritt, Einmalwiederkehr, Niewiederkehr und Heiligkeit),
verl)undener »Hellblick« (vipässanä) hinsichtlich der Vergänghch-
keit, des Elends und der Wesenlosigkeit aller Daseinsformen.
— 3 - 1*
VIII2 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
den Punkten seine ZweifeL Das, ihr Mönche, ist die
zweite Bedingung und Grundlage zur Erlangung des
bis dahin noch unerlangten, dem urheiligen Wandel
eigenen Wissens und zu des erlangten Wissens Er-
weiterung, Ausdehnung, Entfaltung und Vollendung.
Nachdem er aber das Gesetz vernommen hat,
erfüllt er es durch zweifache Absonderung: durch
körperliche Absonderung und durch geistige Absonde-
rung, Das, ihr Mönche, ist die dritte Bedingung und
Grundlage zur Erlangung des bis dahin noch uner-
langten, dem urheiligen Wandel eigenen Wissens
und zu des erlangten Wissens Erweiterung, Ausdeh-
nung, Entfaltung und Vollendung.
Er ist sittenrein, lebt gezügelt im Sinne der Ordens-
satzung, und sich vor den geringsten Vergehen scheuend
übt er sich in den auf sich genommenen Übungsregeln.
Das, ihr Mönche, ist die vierte Bedingung und Grund-
lage zur Erlangung des bis dahin noch unerlangten,
dem urheiligen Wandel eigenen Wissens und zu
des erlangten Wissens Erweiterung, Ausdehnung, Ent-
faltung und Vollendung.
Er ist wissensreich, ein Träger des Wissens, hat
sich ein großes Wissen angesammelt. Jene Gesetze,
die im Anfang erhaben, in der Mitte erhaben und im
Ausgange erhaben sind, dem Sinne wie dem Wortlaute
nach, und das ganz und gar vollkommene, geläuterte
Heilige Leben lehren, solcher Gesetze hat er viele ver-
nommen, sich eingeprägt, in Worten gemerkt, im
Geiste erwogen, mit Erkenntnis wohl durchdrungen.
Das, ihr Mönche, ist die fünfte Bedingung und Grund-
lage zur Erlangung des bis dahin noch unerlangten,
dem urheiligen Wandel eigenen Wissens und zu
ACHTERBUCH VIII 2
des erlangten Wissens Erweiterung, Ausdehnung, Ent-
faltung und Vollendung.
Er setzt seine Willenskraft ein, um die schuldvollen
Dinge zu überwinden, die verdienstvollen Dinge aber
zu erwecken, ist standhaft, von gestählter Kraft, nicht
nachlässig im Guten. Das, ihr Mönche, ist die sechste
Bedingung und Grundlage zur Erlangung des bis dahin
noch unerlangten, dem urheiligen Wandel eigenen
Wissens und zu des erlangten Wissens Erweiterung,
Ausdehnung, Entfaltung und Vollendung.
Befindet er sich inmitten der Mönchsgemeinde,
so führt er nicht allerhand niedrige Gespräche; sondern
er trägt entweder selber das Gesetz vor oder ersucht
einen anderen darum, auch verschmäht er das edle
Schweigen nicht. Das, ihr Mönche, ist die siebente
Bedingung und Grundlage zur Erlangung des bis da-
hin noch unerlangten, dem urheiligen Wandel eigenen
Wissens und zu des erlangten Wissens Erweiterung,
Ausdehnung, Entfaltung und Vollendung.
Bei den fünf durch Anhaften erzeugten Daseins- j ^
aggregaten verweilt er in der Betrachtung ihres Ent- "\
Stehens und Vergehens: »So ist die Form, so entsteht
sie, so löst sie sich auf; so ist das Gefühl«, so entsteht
es, so löst es sich auf; so ist die Wahrnehmung, so
entsteht sie, so löst sie sich auf; so sind die geistigen
Bildungen, so entstehen sie, so lösen sie sich auf;
so ist das Bewußtsein, so entsteht es, so löst es sich
auf.« Das, ihr Mönche, ist die achte Bedingung und
Grundlage zur Erlangung des bis dahin noch uner-
langten, dem urheiligen Wandel eigenen Wissens
und zu des erlangten Wissens Erweiterung, Ausdeh-
nung, Entfaltung und Vollendung.
— 5 —
vni2 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Seine Ordensbrüder aber erweisen iiim Achtung,
das sie sich sagen: »Dieser Ehrwürdige lebt da in der
Nähe des Meisters oder eines ehrwürdigen Ordens-
bruders, wo er von äußerster Schamhaftigkeit und Ge-
wissenhaftigkeit, von Liebe und Achtung erfüllt ist.
Sicherlich versteht der Ehrwürdige das zu Verstehende,,
erkennt das zu Erkennende.« Dieser Umstand aber
führt zur Freundschaft, Achtung und Ehrfurcht, zur
Eintracht und Einigkeit.
[Und seine Ordensbrüder sagen sich:] »Während
dieser Ehrwürdige in der Nähe des Meisters oder eines
ehrwürdigen Ordensbruders weilt, begibt er sich von
Zeit zu Zeit zu ihnen, befragt sie, ersucht sie um Auf-
klärung, Nachdem er das Gesetz vernommen hat,
erfüllt er es durch zweifache Absonderung: durch
körperliche Absonderung und durch geistige Absonde-
rung. Er ist sittenrein, lebt gezügelt im Sinne der
Ordenssatzung. Er ist wissensreich, ein Träger des
Wissens. Er ist voller Willenskraft. Befindet er sich
inmitten der Mönchsgemeinde, so führt er nicht aller-
hand niedrige Gespräche. Bei den fünf durch Anhaften
erzeugten Daseinsaggregaten verweilt er in der Be-
trachtung ihres Entstehens und Vergehens. Sicher-
lich versteht der Ehrwürdige das zu Verstehende, er-
kennt das zu Erkennende.« Auch das ist ein Umstand,
der zur Freundschaft, Achtung und Ehrfurcht führt,
zur Eintracht und Einigkeit.
Diese acht Bedingungen und Grundlagen, ihr
Mönche, führen zur Erlangung des bis dahin noch un-
erlangten, dem urheiligen Wandel eigenen , Wissens
und zu des erlangten Wissens Erweiterung, Ausdeh-
nung, Entfaltung und Vollendung.
~ 6 —
ACHTERBUCH VIII 3, 4, 6
Acht Gründe der Unbeliebtheit 3
Mit acht Dingen behaftet, ihr Mönche, wird der
Mönch von seinen Ordensbrüdern nicht geliebt, ge-
schätzt, geachtet und geehrt: mit welchen acht Dingen?
Da, ihr Mönche, lobt der Mönch den Unfreund-
lichen, tadelt den Freundlichen, sucht nach Gewinn,
sucht nach Ehre, ist schamlos, gewissenlos, voll böser
Wünsche, voll verkehrter Erkenntnis.
— Er sucht nach Gewinn, sucht nach Ehre, sucht 4
nach Anerkennung, kennt nicht die rechte Zeit, kennt
nicht das rechte Maß, ist unlauter (in Werken, Worten
und Gedanken), ein großer Schwätzer, schmäht und
beschimpft seine Ordensbrüder. Mit diesen acht
Dingen behaftet, ihr Mönche, wird der Mönch von
seinen Ordensbrüdern nicht geliebt, geschätzt, ge-
achtet und geehrt.
Die acht Weltgesetze 5
Acht Weltgesetze, ihr Mönche, haften an der
Welt, und die Welt haftet an ihnen: an welchen acht?
An Gewinn und Verlust, Ehre und Verachtung,
Lob und Tadel, Glück und Unglück.
Gewinn, Verlust, Verehrung und Verachtung,
So Lob wie Tadel, Unglück sowie Glück:
Gar wandelbar sind diese Weltgesetze,
Voll Unbestand, dem Wechsel ausgesetzt.
Der Weise, der Besonnene, durchschauend,
Erkennt sie als dem Wechsel unterworfen.
Erwünschte Dinge martern seinen Geist nicht mehr,
Und auch bei unerwünschten Dingen kommt ihm kein
Verdruß.
— 7 —
VIII 6 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
In ihm ist Neigung wie Geiiässigkeit
Zerstört, vergangen, kann nicht mehr bestehen:
Er kennt die sorgenfreie Stätte,
Ist zu dem andern Ufer hingelangt.
6 — ,, Genau wie den unwissenden Weitling, ihr
Mönche, treffen auch den wissenden edlen Jünger Ge-
winn und Verlust, Ehre und Verachtung, Lob und
Tadel, Glück und Unglück. Worin aber besteht da
die Verschiedenheit, die Besonderheit, worin der Unter-
schied zwischen dem wissenden edlen Jünger und dem
unwissenden Weitlinge?"
,,In dem Erhabenen, o Ehrwürdiger, wurzeln
unsere Gesetze. Im Erhabenen haben sie ihren Führer,
ihre Stütze. Gut wäre es, wenn dem Erhabenen selber
die Antwort auf diese Worte einfiele. Die Mönche
werden sich des Erhabenen Worte merken."
,,So höret denn, ihr Mönche, und achtet wohl auf
meine Worte!" ,,Ja, Ehrwürdiger!" erwiderten jene
Mönche dem Erhabenen. Der Erhabene sprach:
,,Da, ihr Mönche, wird dem unwissenden Welt-
linge Gewinn zuteil. Nicht aber überlegt er bei sich:
»Entstanden zwar ist mir dieser Gewinn; doch ver-
gänglich ist dieser Gewinn, elend, dem Wechsel unter-
worfen.« So erkennt er nicht der Wirklichkeit gemäß.
Es wird ihm Verlust zuteil, — Ehre, — Verachtung,
— Lob, — Tadel, — Glück, — Unglück. Nicht aber
überlegt er bei sich: »Entstanden zwar ist mir dieses
Unglück; doch dieses Unglück ist vergänglich, elend,
dem Wechsel unterworfen.« So erkennt er nicht der
Wirklichkeit gemäß. Und Gewinn und Verlust, Ehre
und Verachtung, Lob und Tadel, Glück und Unglück
— 8 --
ACHTERBUCH VIII 6
fesseln seinen Geist. An ihm zuteil gewordenen Ge-
winn hängt er sich, durch Verlust wird er aufgebracht.
An ihm zuteil gewordene Ehre hängt er sich, durch
Verachtung wird er aufgebracht. An ihm zuteil ge-
wordenes Lob hängt er sich, durch Tadel wird er auf-
gebracht. An ihm zuteil gewordenes Glück hängt er
sich, durch Unglück wird er aufgebracht. Der Neigung
und dem Verdrusse aber verfallen, wird er nicht erlöst
vom Geborenwerden, Altern und Sterben, von Sorge,
Jammer, Schmerz, Trübsal und Verzweiflung, wird er
nicht erlöst vom Leiden: das sage ich.
,,Da nun, ihr Mönche, wird dem wissenden edlen
Jünger Gewinn zuteil. Er aber überlegt bei sich:
»Entstanden zwar ist mir dieser Gewinn; doch ver-
gänglich ist dieser Gewinn, elend, dem Wechsel unter-
worfen.« So erkennt er der Wirklichkeit gemäß. Es
wird ihm Verlust zuteil — Ehre, — Verachtung, —
Lob, — Tadel, — Glück, — Unglück. Und er über-
legt bei sich: »Entstanden zwar ist mir dieses Unglück;
doch dieses Unglück ist vergänglich, elend, dem Wechsel
unterworfen.« So erkennt er der Wirklichkeit gemäß.
Und Gewinn und Verlust, Ehre und Verachtung, Lob
und Tadel, Glück und Unglück fesseln seinen Geist
nicht mehr. An ihm zuteil gewordenen Gewinn hängt
er sich nicht, durch Verlust wird er nicht aufgebracht.
An ihm zuteil gewordene Ehre hängt er sich nicht,
durch Verachtung wird er nicht aufgebracht. An ihm
zuteil gewordenes Lob hängt er sich nicht, durch Tadel
wird er nicht aufgebracht. An ihm zuteil gewordenes
Glück hängt er sich nicht, durch Unglück wird er nicht
aufgebracht. Neigung und Verdruß aber überwindend,
wird er erlöst vom Geborenwerden, Altern und Sterben,
VIII 8 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
von Sorge, Jammer, Schmerz, Trübsal und Verzweif-
lung, wird er erlöst vom Leiden: das sage ich.
,,Das, ihr Mönche, ist da die Verschiedenheit, das
die Besonderheit, das der Unterschied zwischen dem
wissenden edlen Jünger und dem unwissenden Weit-
linge,"
> Der Grund von Devadattos Untergang
Einst weilte der ehrwürdige Uttaro, bei Mahisa-
vatthu, im Dhavadickicht (1) auf dem Sahkheyyaberge.
Dort wandte sich der ehrwürdige Uttaro an die Mönche
und sprach:
,,Gut ist es, ihr Brüder, wenn der Mönch von Zeit
zu Zeit die eigenen Fehltritte betrachtet; gut ist es,
wenn er von Zeit zu Zeit der Anderen Fehltritte be-
trachtet. Gut ist es, ihr Brüder, wenn der Mönch von
Zeit zu Zeit die eigenen Fortschritte betrachtet; gut
ist es, wenn er von Zeit zu Zeit der Anderen Fehltritte
betrachtet."
Damals zog gerade der große König Vessavano (2)
(1) Der Name eines Klosters, der nach dem Dhavadickicht,
in dem es gelegen war, so benannt wurde. Nach Clough (Sinhalese
Dictionary) ist der Dhavastrauch identisch mit dem ceylonesischen
Malita (auch Mayila genannt), einem kleinen Strauch, der beständig
schöne rote Blüten trägt.
(2) In Sanskrit Vaisravana. Li der Hindumytologie ist er
auch bekannt als Kubera, der Gott des Reichtums, der Regent
des Nordens und König der Yakshas (Gespenster) und Kinnaras
(Halbmenschen). Er ist der Halbbruder Rävanas, des Königs der
Räkshasas (eine Art Dämonen) auf Ceylon, der in dem großen
indischen Epos Rämäyana wie in den Sagen Ceylons eine große
Rolle spielt.
— 10 —
ACHTERBUCH VIII 8:
in irgend einer Angelegenheit gen Süden. Es hörte
aber der große König Vessavano, wie der ehrwürdige
Uttaro bei Mahisavatthu, im Dhavadickicht auf dem
Sahkheyyaberge, den Mönchen in diesen Worten das
Gesetz darlegte. Und gerade wie ein starker Mann den
gebeugten Arm ausstrecken oder den ausgestreckten
Arm beugen möchte, ebenso schnell ""verschwand der
große König Vessavano von dort und trat bei den
Göttern der Dreiunddreißig wieder in Erscheinung.
Darauf trat der große König Vessavano zu Sakko
dem Götterkönige und sprach:
,,So wisse denn, o Herr, daß dieser ehrwürdige
Uttaro bei Mahisavatthu, im Dhavadickicht auf dem
Sahhkeyyaberge, den Mönchen in folgenden Worten
das Gesetz darlegte:
»Gut ist es, ihr Brüder, wenn der Mönch von
Zeit zu Zeit die eigenen Fehltritte betrachtet; gut
ist es, wenn er von Zeit zu Zeit der Anderen Fehl-
tritte betrachtet. Gut ist es, ihr Brüder, wenn der
Mönch von Zeit zu Zeit die eigenen Fortschritte
betrachtet; gut ist es, wenn er von Zeit zu Zeit der
Anderen Fortschritte betrachtet.«
Und gerade wie ein starker Mann den gebeugten
Arm ausstrecken oder den ausgestreckten Arm beugen
möchte, ebenso schnell verschwand darauf Sakko der
Götterkönig aus dem Himmel der Dreiunddreißig und
trat bei Mahisavatthu, im Dhavadickicht auf dem
Sahkhaeyyberge, vor dem ehrwürdigen Uttaro wieder
in Erscheinung. Darauf trat Sakko der Götterkönig
zu dem ehrwürdigen Uttaro, begrüßte ihn ehrfurchts-
voll und stellte sich zur Seite. Zur Seite aber stehend
sprach er zu ihm:
11 —
VIII 8 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
,,Ist es wirklich wahr, o Ehrwürdiger, daß der ehr-
würdige Uttaro den Mönchen in folgenden Worten
das Gesetz dargelegt hat:
»Gur ist es, ihr Brüder, wenn der Mönch von
Zeit zu Zeit die eigenen Fehltritte betrachtet; gut
ist es, wenn er von Zeit zu Zeit der Anderen Fehl-
tritte betrachtet. Gut ist es, ihr Brüder, wenn der
Mönch von Zeit zu Zeit die eigenen Fortschritte
betrachtet; gut ist es, wenn er von Zeit zu Zeit
der Anderen Fortschritte betrachtet.«?"
,,Ja, 0 Götterkönig!"
,,Ist dies nun wohl aber, o Ehrwürdiger, des ehr-
würdigen Uttaro eigener Einfall, oder aber das Wort
des Erhabenen, Heiligen, Vollkommen Erleuchteten?"
,,So will ich dir denn, o Götterkönig, ein Gleich-
nis geben; denn auch durch ein Gleichnis wird manch
einsichtigem Wesen der Worte Sinn verständlich.
Nehmen wir an, o Götterkönig, unweit eines Dorfes,
oder einer Stadt läge ein großer Haufen Korn; und
eine große Menge Menschen holte sich davon ver-
mittelst Tragstangen (1), in Körben, im Schurze und
in der Hand. Sollte nun jemand zu jener großen Menge
herantreten und fragen, wo sie das Korn hergeholt
hätten, wie möchte da wohl, o Götterkönig, die Men-
schenmenge ganz richtig antworten?"
,,Wenn sie sagten, daß sie es von jenem großen
(1) An beiden Enden der Tragstange, die auf einer Schulter
ruht, werden mit Stricken die Lasten befestigt. Die Tragstange
ist auch heutzutage noch im Gebrauche und bildet in China sogar
nahezu das einzige Transportmittel, mit dem die schwersten Lasten
durchs ganze Land befördert werden.
— 12 —
ACHTERBUCH VIII 8
Kornhaufen geholt hätten, so möchten sie die richtige
Antwort gegeben haben."
„Ebenso auch, o Götterkönig: was immer richtig
dargelegt ist, das alles gilt als das Wort der Erhabenen,
Heiligen, Vollkommen Erleuchteten; und davon nehmen
wir gleichsam immer, wenn wir sprechen,"
,, Wunderbar ist es, o Ehrwürdiger, erstaunlich ist
es, 0 Ehrwürdiger, wie da der ehrwürdige Uttaro so
treffend sagt: >>Was immer richtig dargelegt ist, daß
alles gilt als das Wort der Erhabenen, Heiligen, Voll-
kommen Erleuchteten; und davon nehmen wir gleich-
sam immer, wenn wir sprechen.«
,, Einst, 0 Ehrwürdiger, da weilte der Erhabene
bei Räjagaha auf der Geierspitze, kurz nachdem De-
vadatto abgefallen war. Dort wandte sich der Er-
habene betreffs Devadattos an die Mönche und sprach:
»Gut ist es, ihr Mönche, wenn der Mönch von Zeit
zu Zeit die eigenen Fehltritte betrachtet; gut ist
es, wenn er von Zeit zu Zeit der Anderen Fehltritte
betrachtet. Gut ist es, ihr Mönche, wenn der Mönch
von Zeit zu Zeit die eigenen Fortschritte betrachtet;
gut ist es, wenn er von Zeit zu Zeit der Anderen
Fortschritte betrachtet.
»Von acht bösen Dingen überwältigt und im
Geiste besessen, ihr Mönche, ist Devadatto dem
Abweg und der Hölle für ein Weltzeitalter rettungs-
los verfallen: von welchen acht Dingen? Von Ge-
winn und Verlust, Verehrung und Verachtung, guter
Behandlung und schlechter Behandlung, bösen Wün-
schen und bösem Umgang. Gut ist es, ihr Mönche,
diese Dinge, sobald sie auftreten, ganz und gar zu
überwinden. Und warum? Weil eben dem, ihr
— 13 —
VIII 9 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Mönche, die diese bösen Dinge nach ihrem Auftreten
nicht ganz und gar überwinden, Leidenschaften, Ver-
törung und Qual entstehen möchten, für einen aber,
der diese Dinge nach ihrem Auftreten ganz und gar
überwunden hat, jene Leidenschaften und jene
Verstörung und Qual nicht mehr bestehen.
'>Darum, ihr Mönche, sollt ihr danach trachten:
»Sobald Gewinn oder Verlust, Verehrung oder Ver-
achtung, gute Behandlung oder schlechte Behand-
lung, böse Wünsche oder schlechter Umgang ent-
standen sind, so wollen wir diese Dinge ganz und
gar überwinden. < Das, ihr Mönche, sei euer Streben!«
,,Was, 0 Ehrwürdiger, die vier Klassen von Men-
schen anbetrifft, — die Mönche, Nonnen, Anhänger
und Anhängerinnen, — so hat sich keiner von ihnen
diesen Gesetzesvortrag zu eigen gemacht. Möge doch,
0 Ehrwürdiger, der verehrte Uttaro sich diesen Gesetzes-
vortrag aneignen! Möge doch, o Ehrwürdiger, der
verehrte Uttaro diesen Gesetzesvortrag sich einprägen!
Möge doch, o Ehrwürdiger, der verehrte Uttaro diesen
Gesetzesvortrag sich merken! Sinnreich, o Ehrwür-
diger, ist dieser Gesetzesvortrag, zum urheiligen Wandel
dienlich."
^ Die Vorzüge des Nando
Mit Recht, ihr Mönche, kann man Nando als einen
edlen Sohn bezeichnen. Mit Recht kann man ihn als
kraftbegabt bezeichnen, mit Recht als anmutvoll, mit
Recht als von äußerster Begierde erfüllt. Wie könnte,
ihr Mönche, wohl, Nando, das ganz und gar geläuterte,
keusche Leben führen, wenn er nicht über seine Sinnen-
— 14 -
ACHTERBUCH VIII 9
tore wachte, nicht maßhielte beim Mahle, nicht der
Wachsamkeit ergeben wäre und keine Achtsamkeit
und Geistesklarheit besäße?
Das, ihr Mönche, gilt als das Bewachtsein seiner
Sinnentore: wenn er nach Osten, Westen, Norden oder
Süden zu blicken hat, oder nach oben oder unten, oder
nach einer Zwischenrichtung, so faßt er beim Hin-
sehen alles im Geiste zusammen und sagt sich: »Wenn
ich auf diese Weise hinsehe, können Begierde und
Trübsal, üble, schuldvolle Erscheinungen nicht in mich
eindringen.« So bleibt er dabei klaren Geistes. Das,
ihr Mönche, gilt als das Bewachtsein seiner Sinnentore.
Das aber, ihr Mönche, gilt als sein Maßhalten beim
Mahle: Da, ihr Mönche, nimmt Nando weise besonnen
Nahrung zu sich, weder zum Zeitvertreib noch zum
Genüsse noch um dadurch schön und anmutig zu
werden, sondern eben bloß zur Erhaltung und Fristung
dieses Körpers, um Schaden zu verhüten und den Hei-
ligen Wandel zu unterstützen; [denn er sagt sich:]
»Auf diese Weise werde ich das frühere Gefühl ab-
töten und kein neues Gefühl aufkommen lassen; und
ich werde genug haben zum Leben, und Untadeligkeit
und Wohlsein werden mir beschieden sein.« Das, ihr
Mönche, gilt als sein Maßhalten beim Mahle.
Das aber, ihr Mönche, gilt als sein Eifer bei der
Wachsamkeit: Da, ihr Mönche, läutert Nando bei Tage
und noch während der ersten Nachtwache, gehend oder
sitzend, seinen Geist von den hemmenden Erschei-
nungen. In der Mittleren Nachtwache ruht er wie ein
Löwe auf der rechten Seite, ein Bein über dem anderen,
nachdem er besonnen und klarbewußt den Gedanken
des Auferstehens im Geiste erwogen hat. In der letzten
— 15
VIII 10 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Nachtwache erhebt er sich wieder und läutert, gehend
oder sitzend, seinen Geist von den hemmenden Er-
scheinungen. Das, ihr Mönche, gilt als sein Eifer bei
der Wachsamkeit.
Das aber, ihr Mönche, gilt als seine Achtsamkeit
und Geistesklarheit: Da, ihr Mönche, merkt Nando,
wie die Gefühle in ihm aufsteigen, wie sie da sind und
wie sie schwinden; er merkt, wie die Wahrnehmungen
in ihm aufsteigen, wie sie da sind und wie sie schwinden;
er merkt, wie die Gedanken in ihm aufsteigen, wie sie
da sind und wie sie schwinden. Das, ihr Mönche, gilt
als seine Achtsamkeit und Geistesklarheit.
Wie könnte, ihr Mönche, wohl Nando das ganz
und gar geläuterte, keusche Leben führen, wenn er
nicht über seine Sinnentore wachte, nicht maßhielte
beim Mahle, nicht der Wachsamkeit ergeben wäre und
keine Achtsamkeit und Geistesklarheit besäße?
10 Das Unkraut
Eines Tages weilte der Erhabene bei Cämpä, (1)
am Ufer des Gaggarä (2) Teiches. Damals gerade
wiesen die Mönche einen Mönch wegen eines Ver-
gehens zurecht. Von den Mönchen aber wegen des
Vergehens zurecht gewiesen, ging jener von einem
Gegenstand auf den anderen über, lenkte das Gespräch
auf fremde Dinge und zeigte Zorn, Groll und Miß-
trauen. Und der Erhabene sprach zu den Mönchen:
(1) Campä, die ehemalige Hauptstadt der Angas (Bengalen),
ist identisch mit dem heutigen Bhagalpur am Südufer des Ganges,
n. n. ö. von Kalkutta.
(2) Gaggarä ist eine Fischart.
— 16 —
ACHTERBUCH VIII 10
„Jaget diesen Menschen fort, ihr Mönche; ver-
stoßet ihn! Fortzuweisen ihr Mönche, hat man einen
solchen Menschen. Wie darf wohl jener böse Bube(l)
euch beleidigen?
,,Da, ihr Mönche, erscheint einer beim Gehen,
Kommen, Hinblicken, Wegblicken, Beugen, Strecken
und Tragen von Gewand und Almosenschale genau so
wie die anderen guten Mönche, solange eben die anderen
Mönche seine Vergehen nicht bemerken. Sobald aber
die Mönche seine Vergehen bemerken, da wissen sie
von ihm, daß er den Asketen Schande bereitet, daß er
eine Spreu ist unter den Asketen, ein Unkraut. Ihn
als solchen erkennend stoßen sie ihn aus. Und warum?
Damit er die anderen, guten Mönche nicht verderbe.
Nehmen wir an, ihr Mönche, in einem reifen
Gerstenfelde entstünde ein dürres Unkraut, dessen
Wurzeln, Halme und Blätter genau so aussähen wie
bei der übrigen, guten Gerste, solange sich eben die
Ähre noch nicht gebildet hat. Sobald sich aber die
Ähre bildete, bemerkte man, daß man es mit einem
verderblichen, dürren Unkraute zu tun habe; und
dies bemerkend risse man es mit der Wurzel heraus
und würfe es außerhalb des Gerstenfeldes. Und wa-
rum? Damit es eben die andere, gute Gerste nicht
verderbe.
„Oder wenn da, ihr Mönche, ein großer Haufen
Korn gesichtet wird, so bilden die harten, gehaltvollen
(1) Das Wort putta (Sohn) und besonders das Sanskrit Dimi-
nutivum putraka (Söhnchen) deckt sich in seiner Anwendung einiger-
maßen mit dem deutschen Worte »Bube«, das sowohl Knabe (bes.
in Süddeutschland) als auch Schurke (in Englisch knave, von
Knabe) bedeuten mag.
- 17 - 2
vnilO SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Körner auf der einen Seite einen Haufen, während der
Wind die dürren Körner und die Spreu fort auf die
andere Seite weht; und diese kehren die Eigentümer
immer wieder weg. Und warum? Damit sie eben die
anderen, guten Körner nicht verunreinigen.
,,Oder, gesetzt, ihr Mönche, ein Mann wollte eine
Wasserleitung herrichten. Er ginge daher mit einer
scharfen Axt versehen in den Wald. Von allen Räumen
aber, die er mit dem Axtrücken anschlüge, gäben die
festen, kernigen Bäume einen starken Klang; die-
jenigen Bäume aber, die innen faul, morsch und ver-
dorben sind, gäben einen ganz hohlen Klang. Jene
aber fällte er an der Wurzel, schnitte ihre Kronen
ab, höhlte die Stämme innen sauber aus und richtete
darauf die Wasserleitung her.
,, Ebenso auch erscheint einer beim Gehen,
Kommen, Hinblicken, Wegblicken, Beugen, Strecken
und Tragen von Gewand und Almosenschale genau so
wie die anderen guten Mönche, solange eben die anderen
Mönche seine Vergehen nicht bemerken. Sobald aber
die Mönche seine Vergehen bemerken, da wissen sie
von ihm, daß er den Asketen Schande bereitet, daß
er eine Spreu ist unter den Asketen, ein Unkraut. Ihn
als solchen erkennend stoßen sie ihn aus. Und warum?
Damit er die anderen, guten Mönche nicht verderbe."
,, Durch Umgang möget ihr erfahren.
Ob er voll Haß und Habsucht ist.
Ein Heuchler, Starrkopf, Eiferer,
Voll Neid und Geiz und Hinterlist.
,,»In mildem Ton spricht er zur Menge
Und redet ganz wie ein Asket;
— 18 —
ACHTERBUCH vm 10
Doch im Geheimem übt er Böses,
Ist höhnisch, böser Ansicht hold.
,,Ein Kriecher ist er, ist ein Lügner«:
Wenn diese Tatsache ihr merkt.
So tut da alle euch zusammen
Und jaget diesen Menschen fort!
„Das Unkraut reißet völlig aus!
Fegt weit den Unrat von euch fort!
Beiseite blaset diese Spreu:
Den Nichtmönch, der ein Mönch sich dünkt!
,,Die Schlechtgesinnten von euch weisend.
Die bösem Wandel zugetan,
Sollt, selber rein, ihr mit den Reinen
Gemeinsam leben, klarbewußt.
Bei Eintracht dann mögt ihr durch Einsicht
Ein Ende machen allem Leid."
19 —
Vinil SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
ZWEITER TEIL:
Das große Kapitel
11 Die große Durchbrechung
Das habe ich gehört:
Einst weilte der Erhabene bei Veranjä, am Fuße
des Nalerapucimanda Baumes (1). Da kam ein Brah-
mane zum Erhabenen, wechselte mit dem Erhabenen
freundlichen Gruß; und nach Austausch freundlicher
und geziemender Worte setzte er sich zur Seite hin
und sprach:
,,Zu Ohren ist mir gekommen, Herr Gotamo, daß
der Asket Gotamo ergrauten, alten, ehrwürdigen, be-
jahrten, gereiften Brahmanen keinen ehrfurchtsvollen
Gruß entbietet, sich nicht vor ihnen erhebt und sie
zum Sitzen einlädt. Das aber, Herr Gotamo, verhält
sich so; denn nicht entbietet ja der Herr Gotamo er-
grauten, alten, ehrwürdigen, bejahrten, gereiften Brah-
manen ehrfurchtsvollen Gruß, erhebt sich nicht vor
ihnen und lädt sie nicht zum Sitzen ein. Das aber,
Herr Gotama, ist durchaus ungehörig."
,, Nicht sehe ich, Brahmane, in der Welt der Engel,
Teufel und Götter, nicht in der Schar der Asketen und
Priester auch nur einen, dem ich ehrfurchtsvollen
Gruß entbieten und vor dem ich mich erheben und den
ich zum Sitzen einladen sollte. Denn wenn, Brah-
(1) Der Pucimanda, auch bekannt als Nimba- oder Margosen
bäum (azadarachta indica, zu der Klasse der meliaceae gehörig)
ist identisch mit dem ceylonesischen Kehombabaum. Seine Frücht«^
besitzen einen bitteren Greschmack. Vgl. IX, 104.
— 20 —
ACHTERBUCH vmil
mane, der Vollendete irgend jemandem ehrfurchts-
vollen Gruß entbieten, sich vor ihm erheben und ihn
zum Sitzen einladen sollte, so möchte dessen Haupt
in Stücke zerspringen."
„Rücksichtslos ist der Herr Gotamo."
,, Allerdings, Brahmane, könnte man mich in
einer Hinsicht mit Recht als rücksichtslos bezeichnen;
denn jedwede Rücksicht für Formen, Töne, Düfte,
Säfte und tastbare Dinge ist im Vollendeten über-
wunden, ausgerottet, wie eine Fächerpalme zerstört,
zunichte gemacht und außerstande, künftig wieder
aufzukeimen. Doch nicht darauf hattest du deine
Worte bezogen."
,, Lieblos ist der Herr Gotamo."
,, Allerdings, Brahmane, könnte man mich in einer
Hinsicht mit Recht als lieblos bezeichnen; denn jed-
wede Liebe für Formen, Töne, Düfte, Säfte und tast-
bare Dinge ist im Vollendeten überwunden, ausge-
rottet, wie eine Fächerpalme zerstört, zunichte ge-
macht und außerstande, künftig wieder aufzukeimen.
Doch nicht darauf hattest du deine Worte bezogen."
,,Die Untätigkeit lehrt der Herr Gotamo."
,, Allerdings, Brahmane, könnte man mich in einer
Hinsicht mit Recht als Lehrer der Untätigkeit be-
zeichnen; denn ich lehre die Nichtausübung eines
bösen Wandels In Werken, Worten und Gedanken,
lehre die Nichtausübung derj mannigfachen bösen,
schuldvollen Dinge. Doch nicht darauf hattest du
deine Worte bezogen." M
,,Die Vernichtung lehrt der Herr Gotamo."
,, Allerdings, Brahmane, könnte man mich in
einer Hinsicht mit Recht als Lehrer der Vernichtung
— 21 —
vmil SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
bezeichnen, denn ich lehre die Vernichtung, Gier,
Haß und Verblendung, lehre die Vernichtung der
mannigfachen üblen, schuldvollen Erscheinungen. Doch
nicht darauf hattest du deine Worte bezogen."
,,Ein Verächter is^ der Herr Gotamo."
, »Allerdings, Brahmane, könnte man mich in einer
Hinsicht mit Recht als einen Verächter bezeichnen;
denn ich verachte den bösen Wandel in Werken, Worten
und Gedanken, verachte die Ausübung von bösen,
schuldvollen Dingen. Doch nicht darauf hattest du
deine Worte bezogen."
,,Ein Verneiner ist der Herr Gotamo."
,, Allerdings, Brahmane, könnte man mich in einer
Hinsicht mit Recht als einen Verneiner bezeichnen;
denn ich weise das Gesetz zur Verneinung von Gier,
Haß und Verblendung, zur Verneinung der mannig-
fachen üblen, schuldvollen Erscheinungen. Doch nicht
darauf hattest du deine Worte bezogen."
,,Ein Quäler ist der Herr Gotamo."
,, Allerdings, Brahmane, könnte man mich in
einer Hinsicht mit Recht als einen Quäler bezeichnen;
denn niederzuquälen, sage ich, hat man die üblen,
schuldvollen Erscheinungen, niederzuquälen den bösen
Wandel in Werken, Worten und Gedanken. In wem
aber, Brahmane, die niederzuquälenden, üblen, schuld-
vollen Erscheinungen überwunden, ausgerottet, wie
eine Fächerpalme zerstört, zunichte gemacht und
außerstande sind, künftig wieder aufzukeimen, den
nenne ich einen Quäler. Nun sind aber, Brahmane,
im Vollendeten, die niederzuquälenden üblen, schuld-
vollen Erscheinungen überwunden, ausgerottet, wie
eine Fächerpalme zerstört, zunichte gemacht und
— 22 —
ACHTERBUCH vm 11
außerstande, künftig wieder aufzukeimen. Doch nicht
darauf hattest du deine Worte bezogen."
„Ein Ausgestoßener ist der Herr Gotamo."
„Allerdings, Brahmane, könnte man mich in einer
Hinsicht mit Recht als einen Ausgestoßenen bezeichnen;
denn für wen der künftige Leibesschoß, die Wieder-
geburt, überwunden, ausgerottet, wie eine Fächer-
palme zerstört, zunichte gemacht und außerstande ist,
künftig wieder aufzukeimen, den nenne ich einen Aus-
gestoßenen. Nun ist aber, Brahmane, für den Voll-
endeten der künftige Leibesschoß, die Wiedergeburt,
überwunden, ausgerottet, wie eine Fächerpalme zer-
stört, zunichte gemacht und außerstande, künftig wieder
aufzukeimen. Doch nicht darauf hattest du deine
Worte bezogen."
,, Nehmen wir an, Brahmane, eine Henne habe
acht oder zehn oder zwölf Eier, die sie gründlich be-
brütet, gründlich erwärmt,, gründlich gehegt hätte.
Dasjenige unter den Küchlein nun, das da als erstes
mit dem Fuße, den Krallen, den Sporen oder dem
Schnabel die Eierschale durchbricht und heil heraus-
kriecht, hätte man das wohl als das ältere zu bezeichnen
oder als das jüngere?"
„Als das ältere, Herr Gotamo; denn es war ja
unter ihnen zuerst da."
,, Ebenso auch, Brahmane, habe ich unter den
verblendeten, im Ei der Unwissenheit weilenden, in
ihm eingeschlossenen Menschen die Eierschale der Un-
wissenheit durchbrochen und als Erster in der Welt die
unübertroffene höchste Erleuchtung errungen: darum
bin ich eben in der Welt der Älteste, der Edelste. Voll-
endet aber, Brahmane, war damals meine Willenskraft
— 23 —
vmil SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
und ungebrochen, gewärtig und ungetrübt meine Acht-
samkeit, mein Inneres gestillt und unbedrückt, mein
Geist gesammelt und geeint.
,,Und den Sinnendingen entrückt, Brahmane,
entrückt den schuldvollen Erscheinungen, gewann ich
die mit Sinnen und Nachdenken verbundene, in der
Entrückung geborene, von Verzückung und Glück-
seligkeit erfüllte erste Vertiefung. Nach dem Schwinden
des Sinnens und Nachdenkens aber gewann ich den
inneren Frieden, die Einheit des Geistes, die von Sinnen
und Nachdenken freie, in der Sammlung geborene,
von Verzückung und Glückseligkeit erfüllte zweite
Vertiefung. Nach Abwendung von der Verzückung
aber verweilte ich gleichmütig, achtsam, geistesklar,
und ich fühlte in mir jenes Glück, von dem die Edlen
sprechen: »Glückselig der Gleichmütige, der Acht-
same!« — so gewann ich die dritte Vertiefung. Nach
dem Schwinden von Wohlgefühl und Schmerz aber
und durch Überwindung des früheren Frohsinns und
Trübsinns gewann ich einen leidlosen, freudlosen Zu-
stand, die durch Gleichmut und Achtsamkeit geklärte
vierte Vertiefung.
„Solcherart im Geiste geklärt, geläutert, unbe-
fleckt, ungetrübt, geschmeidig, biegsam, gefestigt und
unerschütterlich, richtete ich meinen Geist auf die
erinnernde Erkenntnis früherer Daseinsformen.
Und ich erinnerte mich an mannigfache frühere Da-
seinsformen, an ein Leben, an zwei, drei, vier und fünf
Leben, an zehn Leben, an zwanzig, dreißig, vierzig
und fünfzig Leben, an hundert Leben, an tausend
Leben, an hunderttausend Leben, an viele Weltent-
stehungen und Weltuntergänge, an das Entstehen und
— 24 —
ACHTERBUCH vm 11
Vergehen zahlreicher Welten: »Dort war ich, solchen
Namen hatte ich, solcher Familie, solcher Kaste ge-
hörte ich an, so ernährte ich mich, solche Freuden
und Leiden wurden mir zuteil, solcherart war mein
Lebensende. Von da abgeschieden trat ich dort wieder
ins Dasein. Dort nun war ich, solchen Namen hatte
ich, solcher Familie, solcher Kaste gehörte ich an, so
ernährte ich mich, solche Freuden und Leiden wurden
mir zuteil, solcherart war mein Lebensende. Von dort
abgeschieden trat ich hier wieder ins Dasein.« So er-
innerte ich mich mannigfacher früherer Daseinsformen
mit den Merkmalen und Einzelheiten. Dieses erste
Wissen, Brahmane, errang ich in der ersten Nacht-
wache; und die Unwissenheit schwand und das Wissen
erwachte, das Dunkel zerstob und es wurde Licht,
während ich also unermüdlich, eifrig, selbstentschlossen
verweilte. ' Dies, Brahmane, war meine erste, große
Durchbrechung, gleichwie das Küchlein die Eier-
schale durchbricht.
„Solcherart im Geiste geklärt, geläutert, unbefleckt,
ungetrübt, geschmeidig, biegsam, gefestigt und un-
erschütterlich richtete ich meinen Geist auf die Er-
kenntnis des Abscheidens und Wiedererscheinens der
Wesen. Und mit dem Himmlischen Auge, dem
geklärten, übermenschlichen, sah ich die Wesen ab-
scheiden und wiedererscheinen, niedrige wie edle,
schöne wie häßliche, glückliche wie unglückliche. Ich
erkannte, wie die Wesen ihren Taten entsprechend
wiedererscheinen, wie die einen Wesen einen schlechten
Wandel in Werken, Worten und Gedanken führen,
Edle beschimpfen, verkehrte Erkenntnis hegen, nach
ihrer verkehrten Erkenntnis handeln und beim Zer-
— 25 —
vmil SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
falle des Leibes, nach dem Tode, auf den Abweg ge-
raten, eine Leidensfährte, in verstoßene Weit, zur
Hölle; wie aber die anderen Wesen einen guten Wandel
in Werken, Worten und, Gedanken führen, die Edlen
nicht beschimpfen, rechte Erkenntnis besitzen, nach
ihrer rechten Erkenntnis handeln und beim Zerfalle
des Leibes, nach dem Tode, auf glückliche Fährte ge-
langen, in himmlische Welt. So sah ich mit dem Himm-
lischen Auge, dem geklärten, übermenschlichen, die
Wesen abscheiden und wiedererscheinen, niedrige wie
edle, schöne wie häßliche, glückliche wie unglückliche,
erkannte wie die Wesen ihren Taten entsprechend
wiedererscheinen. Dieses zweite Wissen, Brahmane,
errang ich in der zweiten Nachtwache; und die Un-
wissenheit schwand und das Wissen erwachte, das
Dunkel zerstob und es wurde Licht; während ich also
unermüdlich, eifrig, selbstentschlossen verweilte. Dies,
Brahmane, war meine zweite große Durchbrechung,
gleichwie das Küchlein die Eierschale durchbricht.
,, Solcherart im Geiste geklärt, geläutert, unbe-
fleckt, ungetrübt, geschmeidig, biegsam, gefestigt und
unerschütterlich, richtete ich meinen Geist auf die
Erkenntnis von der Versiegung der Leidenschaf-
ten: »Dies ist das Leiden« erkannte ich der Wirklich-
keit gemäß. »Dies ist die Entstehung des Leidens« er-
kannte ich der Wirklichkeit gemäß. »Dies ist die Auf-
hebung des Leidens« erkannte ich der Wirklichkeit
gemäß. »Dies ist der zur Aufhebung des Leidens füh-
rende Pfad« erkannte ich der Wirklichkeit gemäß.
»Dies sind die Leidenschaften (äsavä)« erkannte ich
der Wirklichkeit gemäß. »Dies ist die Entstehung der
Leidenschaften« erkannte ich der Wirklichkeit gemäß.
— 26 —
ACHTERBUCH Vinil
»Dies ist die Aufhebung der Leidenschaften« erkannte
ich der WirkHchkeit gemäß. »Dies ist der zur Auf-
hebung der Leidenschaften führende Pfad« erkannte
ich der Wirklichkeit gemäß. Während ich aber also er-
kannte, also schaute, wurde mein Geist von der sinn-
lichen Leidenschaft (kämäsava) erlöst, erlöst von
der Daseinsleidenschaft bhaväsava), erlöst von
der Leidenschaft der Verblendung (avijjäsava).
Und in mir dem Erlösten stieg die Erkenntnis auf:
»Erlöst bin ich.« Und ich erkannte: »Aufgehoben ist
die Geburt, ausgelebt der Heilige Wandel, das Werk
vollendet; nicht kehr' ich mehr zu dieser Welt zurück.«
Dieses dritte Wissen, Brahmane, errang ich in der
dritten Nachtwache; und die Unwissenheit schwand
und das Wissen erwachte, das Dunkel zerstob und es
wurde Licht, während ich also unermüdlich, eifrig,
selbstentschlossen verweilte. Dies, Brahmane, war
meine dritte große Durchbrechung, gleichwie das
Küchlein die Eierschale durchbricht."
Auf diese Worte sprach der Brahmane aus Verafijä
also zum Erhabenen:
,,Der Älteste ist der Herr Gotamo! Der Edelste
ist der Herr Gotamo! Vortrefflich, Herr Gotamo!
Vortrefflich, Herr Gotamo! Gleichwie man, Herr
Gotamo, das Umgestürzte wieder aufrichten oder das
Versteckte enthüllen oder dem Verirrten den Weg
weisen oder in die Finsternis ein Licht halten möchte,
damit, wer Augen hat, die Dinge sehe: genau so wurde
vom Herrn Gotamo auf mannigfache Weise das Gesetz
beleuchtet. Ich nehme meine Zuflucht zum Herrn
Gotamo, zum Gesetze und zur Mönchsgemeinde. Möge
mich der Herr Gotamo von heute ab als Anhänger be-
trachten, der zeitlebens Zuflucht genommen hat."
27 —
Vmi2 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
12 Die Bekehrung des Feldherrn Siho
Einst weilte der Erhabene im Großen Walde bei
Vesäli, in der Halle des Giebelhauses. Damals aber
saßen zahlreiche hochangesehene Licchavier im Rast-
hause (1) versammelt beieinander, indem sie auf viele
Weise den Erleuchteten, sein Gesetz und seine Jünger-
schaft priesen. Auch der Feldherr Siho, ein Jünger
der Niganther, befand sich damals unter der Ver-
sammlung. Und Siho der Feldherr sagte sich: »Zweifel-
los muß dieser Erhabene ein Heiliger sein, ein voll-
kommen Erleuchteter; und eben darum preisen diese
hochangesehenen Licchavier auf viele Weise den Er-
habenen, sein Gesetz und seine Jüngerschaft. So laß
mich doch diesen Erhabenen aufsuchen, diesen Hei-
ligen, Vollkommen Erleuchteten!«
Und Siho der Feldherr begab sich zum Niganther
Näthaputto und sprach zu ihm:
,,Ich möchte, o Ehrwürdiger, den Asketen Gotamo
besuchen."
,,Wie, Siho? Du, der du an die Tätigkeit glaubst,
willst den die Untätigkeit lehrenden Asketen Gotamo
besuchen? Die Untätigkeit, Siho, lehrt ja der Asket
Gotamo; zum Zwecke der Untätigkeit verkündet er
das Gesetz, und in diesem Sinne erzieht er seine Jünger."
Und der Entschluß, den Erhabenen zu besuchen,
schwand bei Siho dem Feldherrn.
(1) Nach dem Kommentar befand sich jene Rasthaushalle im
Mittelpimkte der Stadt und war nach allen Seiten weithin sichtbar.
Alle Reisenden begaben sich nach ihrer Ankunft in Vesäli stets
zuerst zu jener Halle, um sich dortselbst auszuruhen, Andererseits,
so bemerkt der Kommentar, wird behauptet, daß dieses Gebäude
für die Beratimgen der königlichen Beamten bestimmt war.
- 28 —
ACHTERBUCH Vm 12
Doch ein zweites Mal, — doch ein drittes Mal
saßen wiederum zahlreiche hochangesehene Licchavier
im Resthause versammelt beinander, indem sie auf
viele Weise den Erhabenen, sein Gesetz und seine
Jüngerschaft priesen. Aber auch ein drittes Mal sagte
sich Siho der Feldherr: »Zweifellos muß dieser Er-
habene ein Heiliger sein, ein Vollkommen Erleuchteter;
und eben darum preisen diese hochangesehenen Liccha-
vier auf viele Weise den Erhabenen, sein Gesetz und
seine Jüngerschaft. Ob ich da die Niganther frage
oder nicht, was können mir diese anhaben? So laß
mich doch, ohne die Niganther zu befragen, diesen Er-
habenen aufsuchen, diesen Heiligen, Vollkommen Er-
1 euchteten!«
Und Siho der Feldherr zog mit einem Gefolge von
fünfhundert Wagen zur Mittagsstunde aus Vesäli hin-
aus, um den Erleuchteten zu besuchen. Als er soweit
gefahren war, wie die Fahrstraße reichte, stieg er vom
Wagen und trat zu Fuße in dem Klostergarten ein.
Darauf begab er sich zum Erhabenen, begrüßte ihn
ehrfurchtsvoll und setzte sich zur Seite. Zur Seite aber
sitzend sprach Siho der Feldherr zum Erhabenen:
,, Gehört habe ich, o Ehrwürdiger, daß der Asket
Gotamo die Untätigkeit lehre, daß er zum Zwecke der
Untätigkeit sein Gesetz verkünde und in diesem Sinne
seine Jünger erziehe. Die da nun solches gesagt haben,
0 Ehrwürdiger, wiederholen diese wohl die Worte des
Erhabenen und beschuldigen den Erhabenen nicht
etwa fälschlich und legen die Lehre richtig aus, sodaß
keinen, der die im Einklang mit dem Gesetze stehende
Aussage wiederholt, Tadel trifft? Denn nicht möchte
ich, 0 Ehrwürdiger, den Erhabenen beschuldigen."
— 29
vmi2 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
„In einer Hinsicht, Siho, kann man von mir aller-
dings mit Recht behaupten, daß ich die Untätigkeit
lehre, in einer anderen Hinsicht aber, daß ich die
Tätigkeit lehre. — In einer Hinsicht kann man mich
mit Recht als einen Lehrer der Vernichtung bezeichnen,
— als einen Verächter, — einen Verneiner, — einen
Quäler, — einen Ausgestoßenen. — In einer anderen
Hinsicht aber kann man von mir mit Recht behaupten,
daß ich ein Tröster bin, der zur Tötung das Gesetz
verkündet und in diesem Sinne seine Jünger erzieht.
— ,,Ich nämlich, Siho, lehre die Nichtausübung
eines bösen Wandels in Werken, Worten, und Ge-
danken, die Nichtausübung der mannigfachen, schuld-
vollen Dinge: in dieser Hinsicht, Siho, kann man von
mir mit Recht behaupten, daß ich die Untätigkeit
lehre, daß ich zum Zwecke der Untätigkeit das Ge-
setz verkünde und in diesem Sinne meine Jünger
erziehe.
— ,,Ich, Siho, lehre die Ausübung des guten Wan-
dels in Werken, Worten und Gedanken, die Ausübung
der mannigfachen verdienstvollen Dinge: in dieser
Hinsicht, Siho, kann man von mir mit Recht behaupten,
daß ich die Tätigkeit lehre, daß ich zum Zwecke der
Tätigkeit das Gesetz verkünde und in diesem Sinne
meine Jünger erziehe.
— ,,Ich, Siho, lehre die Vernichtung von Gier,
Haß und Verblendung, lehre die Vernichtung der
mannigfachen üblen, schuldvollen Erscheinungen: in
dieser Hinsicht, Siho, kann man von mir mit Recht
behaupten, daß ich die Vernichtung lehre, daß ich
zum Zwecke der Vernichtung das Gesetz verkünde
und in diesem Sinne meine Jünger erziehe.
— 30 —
ACHTERBUCH vm 12
— ,,Ich, Siho, verachte den bösen Wandel in
Werken, Worten und Gedanken, verachte die Ausübung
von üblen, schuldvollen Dingen: in dieser Hinsicht,
Siho, kann man von mir mit Recht behaupten, daß
ich ein Verächter bin, daß ich zum Zwecke der Ver-
achtung das Gesetz verkünde und in diesem Sinne
meine Jünger erziehe.
— „Ich, Siho, weise das Gesetz zur Verneinung
von Gier, Haß und Verblendung, zur Verneinung der
mannigfachen üblen, schuldvollen Erscheinungen: in-
sofern, Siho, kann man von mir mit Recht behaupten,
daß ich ein Verneiner bin, daß ich zum Zwecke der
Verneinung das Gesetz verkünde und in diesem Sinne
meine Jünger erziehe.
— „Ich, Siho, sage, daß man die üblen, schuld-
vollen Erscheinungen niederzuquälen hat, daß man
niederzuquälen hat den bösen Wandel in Werken,
Worten und Gedanken. In wem aber, Siho, die nieder-
zuquälenden üblen, schuldvollen Erscheinungen über-
wunden, ausgerottet, wie eine Fächerpalme zerstört,
zunichte gemacht und außerstande sind, künftig wieder
aufzukeimen, den nenne ich einen Quäler. Nun sind
aber, Siho, im Vollendeten die niederzuquälenden
üblen, schuldvollen Erscheinungen überwunden, aus-
gerottet, wie eine Fächerpalme zerstört, zunichte ge-
macht und außerstande, künftig wieder aufzukeimen.
In dieser Hinsicht, Siho, kann man von mir mit Recht
behaupten, daß ich ein Quäler bin, daß ich zum Zwecke
des Niederquälens das Gesetz verkünde und in diesem
Sinne meine Jünger erziehe.
— ,,Für wen, Siho, der künftige Leibesschoß, die
Wiedergeburt, überwunden, ausgerottet, wie eine Fächer-
_ 31 — r
Vmi2 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
palme zerstört, zunichte gemacht und außerstande ist,
künftig wieder aufzukeimen, den nenne ich einen Aus-
gestoßenen. Nun ist aber, Siho, für den Vollendeten
der künftige Leibesschoß, die Wiedergeburt, über-
wunden, ausgerottet, wie eine Fächerpalme zerstört,
zunichte gemacht und außerstande, künftig wieder auf-
zukeimen. In dieser Hinsicht, Siho, kann man von mir
mit Recht behaupten, daß ich ein Ausgestoßener bin,
daß ich zum Zwecke der Ausstoßung das Gesetz ver-
künde und in diesem Sinne meine Jünger erziehe.
— ,,Ich, Siho, bringe den höchsten Trost, ver-
künde zur Tröstung das Gesetz, und in diesem Sinne
erziehe ich meine Jünger. In dieser Hinsicht, Siho,
kann man von mir mit Recht behaupten, daß ich ein
Tröster bin, daß ich zur Tröstung das Gesetz verkünde
und in diesem Sinne meine Jünger erziehe."
Auf diese Worte sprach Siho der Feldherr also
zum Erhabenen:
„Vortrefflich, o Ehrwürdiger! Vortrefflich, o Ehr-
würdiger! Gleichwie, man, o Ehrwürdiger, das Um-
gestürzte wieder aufrichten oder das Versteckte ent-
hüllen oder dem Verirrten den Weg weisen oder in die
Finsternis ein Licht halten möchte, damit, wer Augen
hat, die Dinge sehe: genau so wurde vom Erhabenen
auf mannigfache Weise das Gesetz beleuchtet. Ich
nehme meine Zuflucht zum Erhabenen, zum Gesetze
und zur Mönchsgemeinde. Möge mich, o Ehrwürdiger,
der Erhabene von heute ab als einen Anhänger be-
trachten, der zeitlebens Zuflucht genommen hat!"
„Überlege dir, Siho, was du tust! Für solch be-
kannte Männer wie dich ist es gut, mit Überlegung zu
handeln."
— 32 —
ACHTERBUCH VIII 12
„Dadurch, o Ehrwürdiger, daß der Erhabene so
zu mir spricht, hat mich der Erhabene in noch höherem
Maße erfreut und beglückt. Denn hätten, o Ehr-
würdiger, Andersgläubige mich zu ihrem Jünger ge-
wonnen, so würden sie durch ganz Vesäli eine Fahne
herumtragen und ausrufen: >>Siho der Feldherr ist
unserer Jüngerschaft beigetr'eten!« Der Erhabene da-
gegen spricht zu mir, daß ich mir überlegen solle, was
ich tue; daß für solch bekannte Männer wie mich es
gut sei, mit Überlegung zu handeln! Ich nehme nun
zum zweiten Male meine Zuflucht zum Erhabenen,
zum Gesetz und zur Mönchsgemeinde. Möge mich, o
Ehrwürdiger, der Erhabene von heute ab als einen
Anhänger betrachten, der zeitlebens Zuflucht ge-
nommen hat!"
„Lange Zeit hindurch, Siho, war dein Haus den
Niganthern gleichsam ein Born; mögest du deshalb
daran denken, wenn sie zu deinem Hause kommen,
ihnen Almosen zu geben!"
„Dadurch, o Ehrwürdiger, daß der Erhabene so
zu mir spricht, hat mich der Erhabene in noch höherem
Maße erfreut und beglückt. Denn gehört habe ich, o
Ehrwürdiger, daß der Asket Gotamo sage, nur ihm
und seinen Jüngern solle man Almosen geben, nur das
ihm Gespendete bringe hohen Segen, nicht was man
Anderen spende. Nun spornt mich der Erhabene gar
an, selbst den Niganthern Almosen zu geben. Indessen,
da, 0 Ehrwürdiger, werde ich die rechte Zeit wissen.
Und zum dritten Male nehme ich meine Zuflucht zum
Erhabenen, zum Gesetze und zur Mönchsgemeinde.
Möge mich, o Ehrwürdiger, der Erhabene von heute
33
Vnil2 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
ab als einen Anhänger betrachten, der zeitlebens Zu-
flucht genommen hat!"
Und der Erhabene gab Siho dem Feldherrn eine
stufenweise Belehrung über das Almosengeben, die
Sittlichkeit, den Himmel, beleuchtete das Elend, die
Hinfälligkeit und Unreinheit der Sinnenlüste und den
Segen der Entsagung. Sobald aber der Erhabene merkte,
daß der Geist des Feldherrn Siho reif war, geschmeidig,
ungehemmt, aufgerichtet und voller Zuversicht, da
wies er das erhabene Gesetz der Erleuchteten, das Ge-
setz vom Leiden, von seiner Entstehung, seiner Auf-
hebung und dem Pfade dorthin. Und gleichwie ein
fleckenloses Gewand sofort jede Farbe annimmt: so
ging Siho dem Feldherrn, während er noch auf seinem
Platze saß, das fleckenlose ungetrübte Auge des Ge-
setzes auf: »Was immer dem Gesetze des Entstehens
unterworfen ist, muß alles wieder untergehen.«
Und das Gesetz schauend, das Gesetz verwirk-
lichend, das Gesetz erkennend, das Gesetz durch-
dringend, zweifelentronnen, vom Schwanken befreit,
von Sicherheit erfüllt, und durch keinen Anderen be-
einflußt in seinem Vertrauen zu des Meisters Weisung,
sprach Siho der Feldherr also zum Erhabenen: ,,Möge
mir, 0 Ehrwürdiger, der Erhabene für morgen zum
Mahle zusagen, zusammen mit der Mönchsgemeinde!"
Stillschweigend gab der Erhabene seine Zustimmung
zu erkennen. Als aber Siho der Feldherr merkte, daß
der Erhabene einverstanden war, erhob er sich von
seinem Sitze, begrüßte ehrfurchtsvoll den Erhabenen,
und ihm die Rechte zukehrend entfernte er sich.
Darauf gab Siho der Feldherr einem Manne den
Auftrag: „Geh, lieber Mann, und sieh dich nach ge-
— 34 —
ACHTERBUCH vmi2
schlachteten! Fleische um!" Nach Ablauf jener Nacht
nun, nachdem er in seiner Wohnung feste und weiche
Speisen hatte zubereiten lassen, ließ Siho der Feld-
herr dem Erhabenen die Zeit ankünden: »Es ist nun
Zeit, 0 Ehrwürdiger. Das Mahl ist bereitet.«
Und der Erhabene kleidete sich in der Frühe an,
nahm Gewand und Almosenschale und begab sich
zur Wohnung Sihos des Feldherrn. Dort angelangt,
nahm er auf dem angewiesenen Sitze Platz, zusammen
mit der Mönchsgemeinde.
Zu jener Stunde aber zogen in großer Zahl die Ni-
ganther von Straße zu Straße, von Platz zu Platz,
indem sie mit erhobenen Händen ausriefen: ,,SIho, der
Feldherr hat ein fettes Rind geschlachtet und für den
Asketen Gotamo ein gemischtes Mahl bereitet. Der
Asket Gotamo aber genießt wissentlich das eigens für
ihn zubereitete Fleisch, ist also verantwortlich für
die Tat. (1)"
Und ein Mann trat zu Siho dem Feldherrn und
flüsterte ihm ins Ohr: „Weißt du schon. Erlauchter,
daß diese Niganther in großer Zahl in Vesäli von
Straße zu Straße, von Platz zu Platz ziehen und mit
erhobenen Händen ausrufen: »Siho der Feldherr hat
ein fettes Rind geschlachtet und für den Asketen Go-
tamo ein gemischtes Mahl bereitet. Der Asket Gotamo
aber genießt wissentlich das eigens für ihn zubereitete
Fleisch, ist also verantwortlich für die Tat«?"
„Genug, damit, lieber Mann! Schon seit langer
Zeit finden jene Verehrten ihre Lust daran, den Er-
(1) Ihre Ansicht ist, daß die Schuld (aküaala) zur HäKte den
•Geber treffe und zur Hälfte den Empfänger.
— 35 — 3*
VIII 13 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
leuchteten, sein Gesetz und seine Mönchsgemeinde zu
beschimpfen; und nicht werden die Verehrten es müde^
den Erhabenen in falscher, nichtiger, lügnerischer, un-
wahrer Weise zu beschuldigen. Nicht für mein Leben
möchte ich absichtlich ein Wesen des Lebens berauben."
Darauf bediente und bewirtete Siho der Feldherr
eigenhändig die Mönchsgemeinde, mit dem Erhabenen
an der Spitze, mit vorzüglichen harten und weichen
Speisen. Sobald aber Siho der Feldherr merkte, daß
der Erhabene das Mahl beendet und seine Hände von
der Almosenschale zurückgezogen hatte, setzte er sich
zur Seite hin. Nachdem nun der Erhabene den zur
Seite sitzenden Feldherrn Siho in Worten über das
Gesetz unterwiesen, ermahnt, ermutigt und ermuntert
hatte, erhob er sich von seinem Platze und entfernte sich.
Das edle Königsroß
Mit acht Eigenschaften ausgestattet, ihr Mönche,
ist des Königs gutes, edles Roß würdig des Königs,
des Königs Liebling, gilt als zum Könige gehörig: mit
welchen acht?
Da, ihr Mönche, ist des Königs gutes, edles Roß
beiderseits von reiner Abstammung, vom Vater wie
von der Mutter aus; es stammt aus jener Gegend, aus
der auch alle die anderen guten, edlen Rosse her-
stammen. (1) Was man ihm an feuchtem oder trockenem
Futter reicht, das verzehrt es voll Aufmerksamkeit,
ohne etwas davon zu verstreuen. Es verabscheut es,
sich auf Kot und Urin niederzulassen und hinzulegen.
(1) Aus dem Indußtale, sagt der Kommentar.
— 36 —
ACHTERBUCH VIII 13
Es ist fromm, verträglich im Zusammenleben, bringt
die anderen Rosse nicht in Aufregung. Was noch an
Verschmitztheit, Falschheit, Ungeradheit, und Krumm-
heit in ihm steckt, enthüllt es der Wirklichkeit ent-
sprechend dem Rosselenker; und der Rosselenker be-
müht sich, ihm diese Dinge auszutreiben. Es strengt
sich an, indem es sich sagt: »Ob die anderen Rosse es
aushalten oder nicht: ich werde es hier aushalten!
Im Gehen folgt es dem geraden Wege. Es bleibt
standhaft bis zu seinem Lebensende. Mit diesen acht
Eigenschaften ausgestattet, ihr Mönche, ist des Königs
gutes, edles Roß würdig des Königs, des Königs
Liebling, gilt als zum Könige gehörig.
Ebenso auch, ihr Mönche, ist der mit acht Eigen-
schaften ausgestattete Mönch würdig der Opfer, würdig
des ehrfurchtsvollen Handgrußes, ist in der Welt der
beste Boden für verdienstvolle Werke: mit welchen
acht?
Da, ihr Mönche, ist der Mönch sittenrein, lebt ge-
zügelt im Sinne der Ordenssatzung, ist vollkommen
im Wandel und Umgang, und vor den geringsten Ver-
gehen sich scheuend übt er sich in den auf sich ge-
nommenen Übungsregeln. Jede Speise, die man ihm
darreicht, derbe wie feine, genießt er mit Achtung,
ohne niedergeschlagen zu sein. Er verabscheut den
bösen Wandel in Werken, Worten und Gedanken,
verabscheut die Ausübung übler, schuldvoller Dinge.
Freundlich ist er; leicht läßt es sich mit ihm leben;
und nicht bringt er die anderen Mönche in Aufregung.
Was noch an Verschmitztheit, Falschheit, Ungerad-
heit und Krummheit in ihm steckt, enthüllt er der
Wirklichkeit entsprechend dem Meister oder verstän-
37
VIII 14 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
digen Ordensbrüdern; und diese bemühen sich, ihm
die Dinge auszutreiben. Er ist strebsam und sagt
sich: »Mögen die anderen Mönche sich üben oder nicht:
ich werde mich üben!« Im Wandel folgt er dem ge-
raden Wege. Dies nämlich ist der gerade Weg: rechte
Erkenntnis, rechte Gesinnung, rechtes Wort, rechtes
Werk, rechtes Leben, rechtes Streben, rechte Acht-
samkeit und rechte Sammlung. Er ist voller Willens-
kraft und denkt: »Mögen lieber Haut, Sehnen und
Knochen auftrocknen und das Fleisch und Blut in
meinem Leibe gerinnen, als daß ich meine Willenskraft
aufgebe, ohne erreicht zu haben, was mit männlicher
Ausdauer, männlicher Willenskraft, männlicher Stärke
erreichbar ist!«
Mit diesen acht Eigenschaften ausgestattet, ihr
Mönche, ist der Mönch würdig der Opfer, würdig der
Gatsfreundschaft, würdig der Gaben, würdig des ehr-
furchtsvollen Handgrußes, ist in der Welt der beste
Boden für verdienstvolle Werke.
14 Die acht Untugenden der Rosse
Acht junge Rosse, ihr Mönche, will ich euch weisen
und acht Untugenden der Rosse, acht junge Menschen
und acht Untugenden der Menschen.
Welches aber, ihr Mönche, sind die acht jungen
Rosse und die acht Untugenden der Rosse?
Das eine der Rosse, ihr Mönche, aufgefordert
weiterzugehen und unter Schlägen vom Rosselenker
angetrieben, geht rückwärts, stößt den Wagen hinter
sich zurück. Von solcher Art, ihr Mönche, ist das eine
— 38 —
ACHTERBUCH vm 14
junge Roß; und dies, ihr Mönche, ist die erste Un-
tugend der Rosse.
Ein anderes Roß, ihr Mönche, schlägt dabei mit
den Hinterfüßen aus und zertrümmert die Deichsel,
zerbricht das dreiteilige Joch. — Ein anderes bricht
mit dem Schenkel die Deichsel ab und zerstampft die
ganze Deichsel. — Ein anderes schlägt einen verkehrten
Weg ein, bringt den Wagen auf falsche Fährte. — Ein
anderes bäumt sich mit dem Vorderkörper auf und
schlägt mit den Vorderfüßen aus. — Ein anderes beißt
sich in der Gebißstange fest und rennt, unbekümmert
um Wagenlenker und Treibstock, wohin es ihm ge-
fällt. — Ein anderes geht weder vorwärts noch rück-
wärts, sondern bleibt wie eine Säule fest auf dem Flecke
stehen. — Ein anderes zieht beide Vorderfüße und
Hinterfüße ein und läßt sich an ebenderselben Stelle
auf allen Vieren nieder. Von solcher Art, ihr Mönche,
ist das eine junge Roß; und dies, ihr Mönche, ist die
achte Untugend der Rosse.
Das, ihr Mönche, sind die acht jungen Rosse und
die acht Untugenden der Rosse. Welches aber, ihr
Mönche, sind die acht jungen Menschen und die acht
Untugenden der Menschen?
Da, ihr Mönche, ermahnen die Mönche einen
Mönch wegen eines Vergehens. Von den Mönchen
aber wegen des Vergehens ermahnt, windet er sich
heraus, indem er spricht: »Ich erinnere mich nicht
daran; ich erinnere mich nicht daran«. Und jenem
jungen Rosse, das, aufgefordert weiter zu gehen und
unter Schlägen vom Rosselenker angetrieben, rück-
wärts geht, den Wagen hinter sich zurückstößt, dem
nenne ich diesen Menschen ähnlich. Von solcher Art,
— 39 —
Vmi4 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
ihr Mönche, ist da der eine junge Mensch; und dies,
ihr Mönche, ist die erste Untugend der Menschen.
Fernerhin, ihr Mönche: da ermahnen die Mönche
einen Mönch wegen eines Vergehens. Von den Mönchen
aber wegen des Vergehens ermahnt, weist er den Er-
mahner ab mit den Worten: »Was willst du mir mit
deiner Rede, du törichter, unerfahrener Mensch? Du
meinst wohl, auch etwas sagen zu müssen? « Und
jenem jungen Rosse, ihr Mönche, daß da mit den
Hinterfüßen ausschlägt, die Deichsel zertrümmert und
das dreiteilige Joch zerbricht, dem nenne ich diesen
Menschen ähnlich. Von solcher Art, ihr Mönche, ist
da ein anderer junger Mensch; und dies, ihr Mönche,
ist die zweite Untugend der Menschen.
Fernerhin, ihr Mönche: da ermahnen die Mönche
einen Mönch wegen eines Vergehens. Von den Mönchen
aber wegen des Vergehens ermahnt, wirft er die An-
klage auf den Ankläger zurück: »Du hast ja so und
so ein Vergehen begangen. Bekenne vor allem erst
selber einmal deine Schuld!« Und jenem jungen Rosse,
ihr Mönche, das mit dem Schenkel die Deichsel ab-
bricht und die ganze Deichsel zerstampft, dem nenne
ich diesen Menschen ähnlich. Von solcher Art, ihr
Mönche, ist da ein anderer junger Mensch; und dies,
ihr Mönche, ist die dritte Untugend der Menschen.
Fernerhin, ihr Mönche: da ermahnen die Mönche
einen Mönch wegen eines Vergehens. Von den Mön-
chen aber wegen des Vergehens ermahnt, geht er von
einem Gegenstand auf den anderen über, leitet das
Gespräch auf fremde Dinge und zeigt Zorn, Groll und
Mißtrauen. Und jenem jungen Rosse, ihr Mönche,
das einen verkehrten Weg einschlägt, den Wagen auf
— 40 —
ACHTERBUCH vm 14
falsche Fährte bringt, dem nenne ich diesen Menschen
ähnlich. Von solcher Art, ihr Mönche, ist da ein anderer
junger Mensch; und dies, ihr Mönche, ist die vierte
Untugend der Menschen.
Fernerhin, ihr Mönche: da ermahnen die Mönche
einen Mönch wegen eines Vergehens. Von den Mön-
chen aber wegen des Vergehens ermahnt, spricht er
mit erhobenen Armen inmitten der Mönchsversamm-
lung. Und jenem jungen Rosse, ihr Mönche, das sich
mit dem Vorderkörper aufbäumt und mit den Vorder-
füßen ausschlägt, dem nenne ich diesen Menschen
ähnlich. Von solcher Art, ihr Mönche, ist da ein anderer
junger Mensch; und dies, ihr Mönche, ist die fünfte
Untugend der Menschen.
Fernerhin, ihr Mönche: da ermahnen die Mönche
einen Mönch wegen eines Vergehens. Von den Mön-
chen aber wegen des Vergehens ermahnt, kümmert er
sich weder um die Mönchsversammlung noch um den
Ermahner und geht, von Feindseligkeit erfüllt, wohin
es ihm beliebt. Und jenem jungen Rosse, ihr Mönche,
das sich in der Gebißstange festbeißt und, unbekümmert
um Wagenlenker und Treibstock, rennt, wohin es ihm
beliebt, dem nenne ich diesen Menschen ähnlich. Von
solcher Art, ihr Mönche, ist da ein anderer junger
Mensch; und dies, ihr Mönche, ist die sechste Un-
tugend der Menschen.
Fernerhin, ihr Mönche: ermahnen die Mönche einen
Mönch wegen eines Vergehens. Von den Mönchen
aber wegen des Vergehens ermahnt, erwidert er nicht,
ob er das Vergehen begangen habe oder nicht be-
gangen habe und quält so die Mönchsgemeinde durch
sein Schweigen. Und jenem jungen Rosse, ihr Mönche,
41
Vmi5 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
das weder vorwärts noch rückwärts geht und wie eine
Säule fest auf demselben Flecke stehen bleibt, dem
nenne ich diesen Menschen ähnlich. Von solcher Art,
ihr Mönche, ist da ein anderer junger Mensch; und
dies, ihr Mönche,ist die siebente Untugend der Menschen.
Fernerhin, ihr Mönche: da ermahnen die Mönche
einen Mönch wegen eines Vergehens. Von den Mön-
chen aber wegen des Vergehens ermahnt, entgegnet
er: »Was quält ihr Ehrwürdigen mich denn so sehr?
Ich gebe nun die Askese auf und kehre zum niederen
Weltleben zurück.« Nachdem er aber die Askese auf-
gegeben und zum niederen Weltleben zurückgekehrt
ist, spricht er: »Möget ihr nun zufrieden sein, ihr Ehr-
würdigen!« Und jenem Rosse, ihr Mönche, das beide
Vorderfüße und Hinterfüße einzieht und sich auf
allen Vieren niederläßt, dem nenne ich diesen Men-
schen ähnlich. Von solcher Art, ihr Mönche, ist da
ein anderer junger Mensch; und dies, ihr Mönche, ist
die achte Untugend der Menschen.
Das, ihr Mönche, sind die acht jungen Menschen
und die acht Untugenden der Menschen.
15 Die acht Flecken
Nicht lernen ist des Wissens Fleck,
Das Nichtstun Fleck der Häuslichkeit.
Der Fleck der Schönheit ist die Trägheit,
Des Wächters Fleck die Lässigkeit.
Des Weibes Fleck ist schlechter Wandel,
Der Fleck des Gebers ist der Geiz.
— 42 —
ACHTERBUCH vrai6,17
Ja, böse Dinge sind die Flecken
In dieser und der nächsten Welt.
Doch unter allen diesen Flecken
Ist Nichtwissen der schlimmste Fleck.
Der würdige Verbreiter der Botschaft 16
Mit acht Eigenschaften ausgestattet, ihr Mönche,
ist der Mönch würdig, die Botschaft zu verbreiten.
Welches aber sind diese acht?
Da, ihr Mönche, hört der Mönch das Gesetz und
macht es bekannt, lernt und behält es, versteht es
und macht es verständlich, weiß was zweckmäßig und
was zwecklos ist und ist nicht streitsüchtig. Mit diesen
acht Eigenschaften ausgestattet, ihr Mönche, ist der
Mönch würdig, die Botschaft zu verbreiten.
Wer, aus der Schar der weisen Lehrer,
Nicht mehr der Unruhe verfällt,
Zurück nicht hält mit seinem Wort
Und keinem das Gesetz verschließt
Von Zweifeln frei ist, wenn er spricht,
Nicht mehr erbebt, wenn man ihn fragt:
Ein solcher Mönch ist wahrlich würdig,
Daß er die Botschaft überbring'.
Mann und Weib 17
Durch acht Dinge, ihr Mönche, fesselt das Weib
den Mann: durch welche acht?
Durch ihr Weinen, Lachen und Sprechen, durch
ihre Kleidung, durch einen im Walde gepflückten
Strauß, durch ihren Duft, ihren Geschmack und ihre
— 43 —
vmi9 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Berührung: durch diese acht Dinge, ihr Mönche, fesselt
das Weib den Mann.
18 — Und durch diese acht Dinge, ihr Mönche, fesselt
der Mann das Weib. Dadurch eben, ihr Mönche, sind
die Wesen gefesselt, gleichsam wie in einer Fallschlinge
verstrickt.
^^ Das Weltmeer des Gesetzes
Einst weilte der Erhabene bei Veranjä am Fuße
des Nalerupucimunda Baumes. Und Pahärädo der
Dämonenkönig begab sich zum Erhabenen, begrüßte
ihn ehrfurchtsvoll und stellte sich zur Seite hin. Als
er aber zur Seite stand, sprach der Erhabene also
zu ihm:
,,Sage mir, Pahärädo, finden die Dämonen (Asuren)
wohl Gefallen am Weltmeere?"
,,Ja, Ehrwürdiger, die Dämonen finden am Welt-
meere Gefallen."
,, Wieviele erstaunliche und wunderbare Eigen-
schaften, Pahärädo, haben denn wohl die Dämonen
am Weltmeere bemerkt, daß die daran Gefallen finden?"
„Acht, 0 Ehrwürdiger. Und welche acht?
„Das Weltmeer, o Ehrwürdiger, wird nach und
nach tiefer, sein Boden senkt sich ganz allmählich,
fällt ganz allmählich ab und bildet keinen plötzlichen
Abgrund. Das, o Ehrwürdiger, ist die erste erstaun-
liche und wunderbare Eigenschaft des Weltmeeres,
angesichts deren die Dämonen am Weltmeere Gefallen
finden.
„Ferner, o Ehrwürdiger, ist das Weltmeer be-
ständig, tritt nicht über das Ufer. — Ferner, o Ehr-
— 44 —
ACHTERBUCH vm 19
würdiger, duldet das Weltmeer keinen toten Leich-
nam in sich. Jeden toten Leichnam, der sich darin
befindet, wirft es aus, spült ihn ans Ufer, treibt ihn
ans Land. — Ferner, o Ehrwürdiger: sobald die mäch-
tigen Ströme, wie die Gangä, Yamunä, Aciravati,
Sarabhü und Mahi, das Weltmeer erreichen, verlieren
sie ihre früheren Namen und Bezeichnungen und rechnen
eben als das Weltmeer. — Ferner, o Ehrwürdiger:
trotz aller sich ins Weltmeer ergießenden Flüsse und
aller vom Himmel niederströmenden Regenschauer
zeigt dennoch das Weltmeer weder eine Zunahme noch
auch eine Abnahme. — Ferner, o Ehrwürdiger, ist
das Weltmeer von einem einzigen Geschmacke durch-
drungen, dem Geschmacke des Salzes. — Ferner, o
Ehrwürdiger, birgt das Meer reiche und mannigfache
Schätze. In ihm finden sich solche Kleinode, wie
Perlen, Diamanten, Lasursteine, Muscheln, Edelsteine,
Korallen, Silber, Gold, Rubinen und Katzenauge. —
Ferner, o Ehrwürdiger, -bildet das Weltmeer die Be-
hausung gewaltiger Lebewesen. Es hausen dort Wal-
fische, Walfischfresser und Fresser von Walfisch-
fressern, Dämonen, Drachen und Genien. Und dort
gibt es Wesen von ein, zwei, drei, vier und fünf Meilen
Länge. Das, o Ehrwürdiger, ist die achte erstaunliche
und wunderbare Eigenschaft des Weltmeeres, ange-
sichts deren die Dämonen am Weltmeere Gefallen
finden. Diese acht erstaunlichen und wunderbaren
Eigenschaften des Weltmeeres bemerkend, finden die
Dämonen am Weltmeere Gefallen. Finden nun wohl
aber, o Ehrwürdiger, die Mönche an diesem Gesetze
und dieser Disziplin Gefallen?"
„Ja, Pahärädo, die Mönche finden Gefallen daran.'*^
— 45 —
Vmi9 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
„Wieviele erstaunliche und wunderbare Eigen-
schaften aber, o Ehrwürdiger, haben wohl die Mönche
an diesem Gesetze und dieser Disziplin entdeckt, daß
sie daran Gefallen finden?"
„Acht, Pahärädo: welche acht?
,, Gleichwie, Pahärädo: das Weltmeer nach und
nach tiefer wird, sein Boden sich ganz allmählich senkt,
ganz allmählich abfällt und keinen plötzlichen Abgrund
bildet: ebenso auch, Pahärädo, gibt es in diesem Ge-
setze und dieser Disziplin eine stufenweise Übung, ein
stufenweises Handeln, einen stufenweisen Fortgang
und nicht etwa eine plötzliche Erreichung des Höchsten
Wissens. Das, Pahärädo, ist die erste erstaunliche und
wunderbare Eigenschaft dieses Gesetzes und dieser
Disziplin, angesichts deren die Mönche an diesem Ge-
setze und dieser Disziplin Gefallen finden.
„Gleichwie, Pahärädo, das Weltmeer beständig
ist, nicht über das Ufer tritt: ebenso auch, Pahärädo,
überschreiten meine Jünger nicht für ihr Leben die
ihnen von mir gewiesenen Übungsregeln. — Gleich-
wie, Pahärädo, das Weltmeer keinen toten Leichnam
in sich duldet und jeden toten Leichnam, der sich
darin befindet, ans Ufer spült, ans Land treibt: ebenso
auch, Pahärädo, duldet die Mönchsgemeinde unter sich
keinen sittenlosen, dem Bösen ergebenen Menschen von
unlauterem und verdächtigem Benehmen, von ver-
steckter Tat, einen Nichtasketen, der sich als Asketen
ausgibt, einen Nichtmönch, der sich als Mönch aus-
gibt, der innerlich verdorben ist, befleckt, von schmut-
zigem Wesen. Sofort versammelt sich die Mönchs-
gemeinde und stößt jenen aus. Aber auch selbst wenn
«r inmitten der Mönchsversammlung sitzen sollte, ist
— 46 —
ACHTERBUCH ViniO
er der .Mönchsgemeinde dennoch fremd, und fremd ist
ihm die Mönchsgemeinde. — Gleichwie, Pahärädo,
die mächtigen Ströme, wie die Gaiigä, Yamunä,
Aciravati, Sarabhü und Mahi, sobald sie das Welt-
meer erreichen, ihre früheren Namen und Bezeich-
nungen verlieren und eben als das Weltmeer zählen:
ebenso auch, Pahärädo, verlieren die Angehörigen der
vier Kasten, — Adelige, Brahmanen, Bürger und
Diener, — sobald sie unter dem vom Vollendeten ver-
kündeten Gesetze und der Disziplin von Hause in die
Hauslosigkeit ziehen, ihre früheren Namen und Be-
zeichnungen und rechnen eben als Asketenjünger des
Sakyersohnes. — Gleichwie, Pahärädo, trotz aller sich
ins Meer ergießenden Flüsse und aller vom Himmel
niederströmender Regenschauer dennoch das Welt-
meer weder eine Zunahme noch auch eine Abnahme
zeigt: ebenso auch, Pahärädo, zeigt, selbst wenn viele
Mönche in das von jedem Daseinsrest freie Element
des Nirwahns eingehen, dennoch das Element des Nir-
wahns weder eine Zunahme noch auch eine Abnahme.
— Gleichwie, Pahärädo, das Weltmeer von einem
einzigen Geschmacke, dem Geschmacke des Meeres,
durchdrungen ist: ebenso auch, Pahärädo, ist dieses
Gesetz und diese Lehre von einem einzigen Geschmacke
durchdrungen, nämlich dem Geschmacke der Er-
lösung. — Gleichwie, Pahärädo, das Weltmeer reiche
und mannigfache Schätze birgt, ebenso auch, Pahä-
rädo, birgt dieses Gesetz und diese Disziplin reiche
und mannigfache Kleinode, als wie da sind: die Vier
Grundlagen der Achtsamkeit, die Vier Rechten An-
strengungen, die Vier Machtfährten, die Fünf Fähig-
keiten, die Fünf Kräfte, die Sieben Erleuchtungsglieder
— 47 —
Vm20 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
und der edle Achtfache Pfad. — Gleichwie, Pahärädo,
das Weltmeer die Behausung gewaltiger Wesen bildet,
ebenso auch, Pahärädo, bildet dieses Gesetz und diese
Disziplin die Behausung gewaltiger Wesen, als wie da
sind: der in den Strom Eingetretene und derje-
nige der auf dem Wege ist das Ziel des Stromeintrittes
zu verwirklichen, der Einmalwiederkehrende und
derjenige der auf dem Wege ist das Ziel der Einmal-
wiederkehr zu verwirklichen, der Niewiederkehrende
und derjenige der auf dem Wege ist das Ziel der Nie-
wiederkehr zu verwirklichen, der Heilige und der-
jenige der auf dem Wege ist, das Ziel der Heiligkeit
zu verwirklichen. Das, Pahärädo, ist die achte er-
staunliche und wunderbare Eigenschaft dieses Gesetzes
und dieser Disziplin, angesichts deren die Mönche an
diesem Gesetze und dieser Disziplin Gefallen finden.
,, Diese acht erstaunlichen und wunderbaren Eigen-
schaften dieses Gesetzes und dieser Diziplin bemerkend,
Pahärädo, finden die Mönche an diesem Gesetze und
dieser Disziplin Gefallen."
20 Der Fasttag
Einst weilte der Erhabene im Ostkloster bei Sä-
vatthi, im Palaste der Mutter Migäros. Damals nun
saß an einem »Fasttage« (uposatha) der Erhabene
von der Mönchsgemeinde umgeben da. Als aber die
Nacht vorgerückt und die erste Nachtwache bereits
überschritten war, erhob sich der ehrwürdige Änanda
von seinem Sitze, warf das Obergewand über seine
Schulter und sprach indem er dem Erhabenen die ge-
falteten Hände entgegenstreckte:
— 48 —
ACHTERBUCH Vni 20
,,Die Nacht, o Ehrwürdiger, ist vorgerückt, die
erste Nachtwache überschritten; schon lange sitzt die
Mönchsgemeinde da. Möge doch der Erhabene den
Mönchen die »Satzung« (pätimokkha) vortragen!"
Auf diese Worte schwieg der Erhabene.
Als aber die Nacht weiter vorgerückt und die
zweite Nachtwache bereits überschritten war, erhob
sich der ehrwürdige Änando zum zweitenmale von
seinem Sitze und sprach zum Erhabenen:
,,Die Nacht, o Ehrwürdiger, ist vorgerückt, die
zweite Nachtwache überschritten; schon lange sitzt
die Mönchsgemeinde da. Möge doch der Erhabene
den Mönchen die Satzung vortragen!"
Und auch zum zweitenmale schwieg der Erhabene.
Als aber die Nacht weiter vorgerückt und die
dritte Nachtwache bereits überschritten, die Morgen-
röte aufgegangen war und es helle zu werden begann,
da erhob sich der ehrwürdige Änando zum dritten-
male von seinem Sitze und sprach zum Erhabenen:
,,Die Nacht, o Ehrwürdiger, ist vorgerückt, die
dritte Nachtwache überschritten; die Morgenröte ist
aufgegangen, und es beginnt hell zu werden. Schon
lange sitzt die Mönchsgemeinde da. Möge doch der
Erhabene den Mönchen die Satzung vortragen!"
,, Unrein, Änando, ist die Versammlung."
Da dachte der ehrwürdige Mahä-Mogalläno: »Auf-
grund welches Menschen hat da wohl der Erhabene die
Versammlung als unrein erklärt?« Und der ehrwürdige
Mahä-Moggaläno sann darüber nach, indem er im
Geiste die Herzen der ganzen Mönchsgemeinde durch-
drang; und er erkannte den sittenlosen, dem Bösen
ergebenen Menschen von unlauterem und verdächtigem
— 49 — 4
VIII 80 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Benehmen, von versteckter Tat, den Nichtasketen,
der sich als Asketen ausgibt, den Nichtmönch, der
sich als Mönch ausgibt, der innerlich verdorben ist,
befleckt, von schmutzigem Wesen. Sobald er ihn aber
erkannt hatte, erhob er sich von seinem Sitze, ging
auf jenen Menschen zu und sprach zu ihm:
,,Hebe dich weg. Verehrter! Erkannt hat dich
der Erhabene. Keine Gemeinschaft hast du mehr mit
den Mönchen."
Auf seine Worte aber schwieg jener Mensch.
Und zum zweitenmale sprach der ehrwürdige
Mahä-Moggalläno zu jenem Menschen:
,,Hebe dich weg, Verehrter! Erkannt hat dich
der Erhabene. Keine Gemeinschaft hast du mehr mit
den Mönchen."
Aber auch zum zweitenmale schwieg jener Mensch.
Und zum drittenmale sprach der ehrwürdige Ma-
hä-Moggalläno zu jenem Menschen:
,,Hebe dich weg, Verehrter! Erkannt hat dich der
Erhabene. Keine Gemeinschaft hast du mehr mit
den Mönchen."
Und auch zum drittenmale schwieg jener Mensch.
Da aber faßte der ehrwürdige Mahä-Moggalläno jenen
Menschen am Arme und führte ihn hinaus vor die Türe.
Als er so die Versammlung wieder rein hergestellt
hatte, trat er zum Erhabenen und sprach:
,, Hinausgebracht, o Ehrwürdiger, habe ich den
Menschen. Rein ist nun die Versammlung. Möge denn,
0 Ehrwürdiger, der Erhabene den Mönchen die Satzung
vortragen!"
„Wunderbar ist es doch, Moggalläno, erstaunlich
'- 50 -
ACHTERBUCH Vin 20
ist es, Moggalläno, daß jener Tor es soweit kommen
lassen mußte, bis man ihn am Arme packte."
Und der Erhabene wandte sich an die Mönche
und sprach:
„Von nun ab, ihr Mönche, möget ihr allein den
Fasttag abhalten und die Satzung vortragen. Ich
werde von heute ab, ihr Mönche, nicht mehr den Fast-
tag abhalten und die Satzung vortragen. Unmöglich
ist es, ihr Mönche, kann nicht sein, daß der Vollendete
einer unreinen Versammlung die Satzung vortragen
sollte."
— 51 — 4*
Vni22 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
DRITTER TEIL:
Das Kapitel der Hausväter
22 Die wunderbaren Eigenschaften Uggos
Einst weilte der Erhabene im Lande der Vajjier
bei Elefantendorf. Dort wandte sich der Erhabene an
die Mönche und sprach:
„Merket euch, ihr Mönche, daß bei Uggo dem
Hausvater acht außerordentliche, wunderbare Erschei-
nungen anzutreffen sind."
Dies sprach der Erhabene; und auf diese Worte
erhob er sich von seinem Sitze und begab sich zu seiner
Zelle, Einer der Mönche aber begab sich, nachdem er
sich am frühen Morgen angekleidet hatte, mit Gewand
und Schale versehen, zur Wohnung Uggos des Haus-
vaters aus Elefantendorf. Dort angelangt setzte er
sich auf dem angewiesenen Sitze nieder. Und Uggo
der Hausvater kam zu ihm heran, begrüßte ihn ehr-
furchtsvoll und setzte sich zur Seite nieder. Als er
sich aber gesetzt hatte, sprach jener Mönch zu Uggo
dem Hausvater:
,,Acht außerordentliche, wunderbare Erschei-
nungen werden bei dir angetroffen, hat der Erhabene
erklärt. Welches sind diese acht, o Hausvater?"
,,Zwar weiß ich nicht, b Ehrwürdiger, als mit
welchen acht außerordentlichen, wunderbaren Erschei-
— 52 —
ACHTERBUCH Vin22
nungen ausgestattet mich der Erhabene erklärt hat,
doch höre dir folgende acht bei mir anzutreffende Er-
scheinungen an und achte wohl auf meine Worte!"
,,Ja, 0 Hausvater," erwiderte jener Mönch Uggo
dem Hausvater aus Elefantendorf. Und Uggo der
Hausvater sprach:
„Als ich, 0 Ehrwürdiger, den Erhabenen zum
erstenmale im Nägahaine schon von Ferne erblickte,
da fühlte schon beim bloßen Anblicke mein Herz Zu-
versicht zum Erhabenen und meine durch Wein her-
vorgerufene Berauschung verschwand (1). Dies, o
Ehrwürdiger, ist die erste außerordentliche, wunder-
bare Erscheinung, die bei mir anzutreffen ist.
„Zuversichtlichen Herzens, o Ehrwürdiger, wartete
ich dem Erhabenen auf. Und der Erhabene gab mir
eine stufenweise Belehrung über das Almosengeben, die
Sittlichkeit, den Himmel, beleuchtete das Elend, die
Hinfälligkeit und Unreinheit der Begierden und den
Segen der Entsagung. Sobald aber der Erhabene merkte,
daß mein Geist bereit geworden war, geschmeidig, un-
gehemmt, aufgerichtet und zuversichtlich, da wies er
das erhabene Gesetz der Erleuchteten, das Gesetz vom
Leiden, von seiner Entstehung, seiner Aufhebung und
dem Pfade dorthin. Und gleichwie ein reines, flecken-
loses Gewand sofort jede Farbe annehmen mag: ebenso
(1) Komm.: „Nägahain heißt der Park jenes reichen Mannes.
An einem Vormittage begab sich derselbe, indem er Riechstoffe,
Bhimen usw. mitnehmen Heß, zu jenem Garten, um sich dort die
Zeit zu vertreiben. Während man ihm aber dort aufwartete, er-
bhckte er den Erhabenen; tmd bei seinem Anbhcke fühlte, wie
oben gesagt, sein Herz sofort Zuversicht; und seine durch den Wein-
genuß hervorgerufene Beravxschung schwand auf der Stelle."
— 53 -
Vni22 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
auch ging mir, während ich noch auf meinem Platze
dasaß, das fleckenlose, ungetrübte Auge des Gesetzes
auf: »Was immer dem Gesetze des Entstehens unter-
worfen ist, muß alles wieder untergehen.« Und das
Gesetz schauend, das Gesetz verwirklichend, das Ge-
setz erkennend, das Gesetz durchdringend, zweifel-
entronnen, vom Schwanken befreit, von Sicherheit er-
füllt und durch keinen beeinflußt in meinem Ver-
trauen zu des Meisters Weisung nahm ich noch eben
an jenem Orte meine Zuflucht zum Erleuchteten, zum
Gesetze und zur Jüngerschaft und nahm die Sitten-
regeln auf mich, als fünfte die Keuschheit. Dies, o
Ehrwürdiger, ist die zweite außerordentliche, wunder-
bare Erscheinung, die bei mir anzutreffen ist.
„Ich besaß da, o Ehrwürdiger, vier jugendliche
Gattinnen. Ich aber ging zu den vier Gattinnen hin
und sprach zu ihnen: »Ich habe nun die Sittenregeln
auf mich genommen, als fünfte die Keuschheit. Die-
jenige, die es wünscht, mag diese Schätze hier genießen
und gute Werke tun oder sich zu den Familien ihrer
Verwandten begeben. Diejenige aber, die einen Mann
wünscht, möge mir sagen, wem ich sie zuführen soll.
Auf diese Worte hin bat mich die älteste Gattin, sie
einem gewissen Manne zuzuführen. Darauf ließ ich,
0 Ehrwürdiger, jenen Mann kommen, und indem ich
mit der Linken die Gattin ergriff und in der Rechten
ein goldenes Gefäß hielt, übergab ich sie jenem Manne.
Während ich nun, o Ehrwürdiger, mein jugendliches
Weib weggab, merkte ich nichts von einer Veränderung
meines Herzens. Dies, o Ehrwürdiger, ist die dritte
außerordentliche, wunderbare Erscheinung, die bei
mir anzutreffen ist.
— 54 —
ACHTERBUCH Vm 22
,,Es befinden sich da, o Ehrwürdiger, in meiner
Familie Schätze. Diese verteile ich in selbstloser Weise
an sittenreine, dem Guten ergebene Menschen. Dies,
0 Ehrwürdiger, ist die vierte außerordentliche, wunder-
bare Erscheinung, die bei mir anzutreffen ist.
,, Jedem Mönche, dem ich aufwarte, warte ich mit
Ehrerbietung auf, nicht ohne Ehrerbietung. Trägt
mir, 0 Ehrwürdiger, jener Verehrte das Gesetz vor, so
höre ich voll Ehrerbietung zu, nicht ohne Ehrerbietung.
Trägt mir aber, o Ehrwürdiger, jener Verehrte das
Gesetz nicht vor, so trage eben ich ihm das Gesetz
vor. Dies, o Ehrwürdiger, ist die fünfte außerordent-
liche, wunderbare Erscheinung, die bei mir anzu-
treffen ist.
,, Nicht ist es zwar wunderbar, o Ehrwürdiger,
wenn da bei geladener Jüngerschaft Himmelswesen
zu mir herankommen und verkünden: »Jener Mönch,
0 Hausvater, ist ein Beiderseitserlöster, jener ein
Wissenserlöster, jener ein Körperzeuge (1), jener
ein Erkenntnisgereifter, jener ein Glaubens-
erlöster, jener ein Gesetzesergebener, jener ein
Glaubensergebener, jener sittenrein und dem Guten
ergeben, jener sittenlos und dem Bösen ergeben.«
Doch, während ich der Jüngerschaft aufwarte, wüßte
ich nicht, daß mir etwa der Gedanke aufstiege: »Diesem
will ich wenig geben und diesem viel«, sondern ich
gebe eben, o Ehrwürdiger, mit ganz gleicher Gesinnung.
Dies, 0 Ehrwürdiger, ist die sechste außerordentliche,
wunderbare Erscheinung, die bei mir anzutreffen ist.
,, Nicht ist es zwar wunderbar, o Ehrwürdiger,
(1) über diese drei Entwicklungsgrade s. IX, 43 — 45.
— 55 —
Vm28 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
wenn da Himmelswesen zu mir lierankommen und
sprechen: »Wolil dargetan ist vom Erhabenen das Ge-
setz« und ich ihnen auf ihre Worte entgegne: »Ob ihr
das nun sagt, ihr Himmelswesen, oder ob ihr das nicht
sagt, auf alle Fälle ist vom Erhabenen das Gesetz
wohl dargetan«. Doch ich wüßte nicht, o Ehrwürdiger,
daß dadurch in meinem Herzen der Dünkel entstünde:
»Ja, mich besuchen die Himmelswesen, und ich unter-
halte mich mit ihnen«. Dies, o Ehrwürdiger, ist die
siebente außerordentliche, wunderbare Erscheinung,
die bei mir anzutreffen ist.
,, Sollte da, o Ehrwürdiger, der Erhabene vor mir
sterben, so wäre es nicht zu verwundern, wenn der
Erhabene erklären möchte: »Nicht besteht jene Fessel
mehr, in die verstrickt Uggo der Hausvater aus Ele-
fantendorf wieder zu dieser Welt zurückkehren sollte«.
Dies, 0 Ehrwürdiger, ist die achte außerordentliche,
wunderbare Erscheinung, die bei mir anzutreffen ist.
,, Diese acht außerordentlichen, wunderbaren Er-
scheinungen sind bei mir anzutreffen. Nicht aber
weiß ich, als mit welchen acht außerordentlichen,
wunderbaren Erscheinungen ausgestattet mich der
Erhabene erklärt hat."
Nachdem nun jener Mönch in der Wohnung Uggos
des Hausvaters aus Elefantendorf seine Almosenspeise
in Empfang genommen hatte, erhob er sich von seinem
Sitze und entfernte sich. Am Nachmittage aber, nach
beendetem Mahle, begab er sich zum Erhabenen. Dort
angelangt begrüßte er ehrfurchtsvoll den Erhabenen
und setzte sich zur Seite nieder. Zur Seite aber sitzend
berichtete jener Mönch das ganze Gespräch, das er
— 56 —
ACHTERBUCH Vni23
mit Uggo dem Hausvater aus Elefantendorf gehabt
hatte.
[Der Erhabene:] „Gut, gut, o Mönch! Wie Uggo
der Hausvater aus Elefantendorf so richtig erklärt,
als mit genau denselben außerordentlichen, wunder-
baren Erscheinungen ausgestattet habe ich Uggo den
Hausvater aus Elefantendorf erklärt. Und als mit
diesen acht außerordentlichen, wunderbaren Erschei-
nungen ausgestattet, möget ihr, o Mönche, Uggos ge-
denken, des Hausvaters aus Elefantendorf."
Die wunderbaren Eigenschatten des Hatthako 23
aus Älavl { \
pinst weilte der Erhabene bei Älavi am Aggälava
Schreine. Dort wandte sich der Erhabene an die
Mönche und sprach:
„Wisset, ihr Mönche, daß bei Hatthako aus Alavi
sieben außerordentliche, wunderbare Erscheinungen an-
zutreffen sind: welche sieben?
,, Hatthako aus Älavi, ihr Mönche, besitzt Ver-
trauen, Sittlichkeit, Scham, Gewissen, Gelehrsamkeit,
Freigebigkeit und Einsicht. Als mit diesen sieben
außerordentlichen, wunderbaren Erscheinungen aus-
stattet, ihr Mönche, gedenket des Hatthako aus Äjavi."
Auf diese Worte erhob sich der Erhabene von
seinem Sitze und begab sich in seine Zelle. Einer der
Mönche aber begab sich, nachdem er sich am frühen
Morgen angekleidet hatte, mit Gewand und Almosen-
schale versehen, zur Wohnung Hatthakos aus A|avi.
Dort angelangt setzte er sich auf dem angewiesenen
— 57 -
vm23 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Sitze nieder. Als er sich aber gesetzt hatte sprach
jener Mönch zu Hatthai<o aus Älavi:
,,Bei dir, o Bruder, hat der Erhabene erklärt, sind
sieben außerordentliche, wunderbare Erscheinungen
anzutreffen: »Hatthako aus Äjavi, ihr Mönche, besitzt
Vertrauen, Sittlichkeit, Scham, Gewissen, Gelehrsam-
keit, Freigebigkeit und Einsicht«. Mit diesen sieben
außerordentlichen, wunderbaren Erscheinungen, o Bru-
der, bist du ausgestattet, hat der Erhabene erklärt."
,,War da, o Ehrwürdiger, etwa irgend ein weiß-
gekleideter Hausbewohner zugegen?"
,,Kein weißgekleideter Hausbewohner war zu-
gegen, 0 Bruder."
,,Gut, 0 Ehrwürdiger, daß sich dort kein weiß-
gekleideter Hausbewohner befand."
Nachdem nun jener Mönch in der Wohnung
Hatthakos aus Äjavi die Almosenspeise in Empfang
genommen hatte, erhob er sich von seinem Sitze und
entfernte sich. Am Nachmittage aber, nach beendetem
Mahle, begab er sich zum Erhabenen und teilte ihm
mit, was er mit Hatthako gesprochen hatte.
[Der Erhabene:]
,, Recht so, recht so, o Mönch! Bescheidener, o
Mönch, ist jener edle Sohn. Nicht einmal die guten
Eigenschaften, die er besitzt, will er die anderen wissen
lassen. So merke dir denn, o Mönch, daß Hatthako
aus Älavi diese achte außerordentliche, wunderbare
Eigenschaft besitzt: nämlich Bescheidenheit."
— 58 —
ACHTERBUCH vm 24
Die vier Arten der Gunst (sangaha-vatthu) 24
Einst weilte der Erhabene bei Äjavi am Aggajaver-
schreine. Da begab sich Hatthako aus Älavi mit einem
Gefolge von fünfhundert Anhängern zum Erhabenen.
Dort angelangt begrüßte er ehrfurchtsvoll den Er-
habenen und setzte sich zur Seite nieder. Als er sich
aber gesetzt hatte, sprach der Erhabene zu ihm:
„Groß, Hatthako, ist wahrlich diese deine Gefolg-
schaft! Wie hast du denn, Hatthako, eine solch große
Gefolgschaft gewonnen?"
,, Durch die vom Erhabenen gewiesenen vier Arten
der Gunst, o Ehrwürdiger, habe ich eine solch große
Gefolgschaft gewonnen. Von wem ich da nämlich weiß,
0 Ehrwürdiger, daß er durch Gaben zu gewinnen ist,
den gewinne ich eben durch Gaben; von wem ich da
weiß, daß er durch liebevolle Worte zu gewinnen
ist, den gewinne ich durch liebevolle Worte; von wem
ich da weiß, daß er durch heilsamen Rat zu ge-
winnen ist, den gewinne ich durch heilsamen Rat; von
wem ich da weiß, daß er durch Unparteilichkeit zu
gewinnen ist, den gewinne ich durch Unparteilichkeit.
Aber auch Schätze, o Ehrwürdiger, besitze ich zuhause,
denn auf einen Armen glaubt man nicht in dieser
Weise hören zu müssen."
„Recht so, recht so, Hatthako! Wahrlich, Hatthako,
du besitzest die Mittel dazu, eine große Gefolgschaft
zu gewinnen. Denn alle diejenigen, o Hatthako, die
in der Vergangenheit eine große Gefolgschaft ge-
wannen, alle diese gewannen ihre Gefolgschaft durch
diese vier Arten der Gunst. Und auch alle diejenigen,
0 Hatthako, die in der Zukunft eine große Gefolgschaft
— 59 —
VIII 25 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
gewinnen werden, auch alle diese werden ihre Gefolg-
schaft durch diese vier Arten der Gunst gewinnen.
Und auch alle diejenigen, o Hatthako, die in der Gegen-
wart eine große Gefolgschaft gewinnen, auch alle diese
gewinnen ihre große Gefolgschaft durch diese vier
Arten der Gunst."
Und Hatthako aus Älavi, vom Erhabenen durch
Worte über das Gesetz belehrt, ermahnt, ermutigt
und ermuntert, erhob sich von seinem Sitze, begrüßte
ehrfurchtsvoll den Erhabenen, und ihm die Rechte
zukehrend entfernte er sich. Kurz nachdem aber
Hatthako fort war, wandte sich der Erhabene an die
Mönche und sprach:
,, Wisset, ihr Mönche, daß Hatthako aus Äjavi
acht außerordentliche, wunderbare Eigenschaften eignen
nämlich Vertrauen, Sittlichkeit, Scham, Gewissen, Ge-
lehrsamkeit, Freigebigkeit, Einsicht und Beschei-
denheit."
25 Der Anhänger
[Im Feigenkloster bei Kapilavatthu]
Der Sakyer Mahänämo sprach zum Erhabenen:
,, Inwiefern, o Ehrwürdiger, ist man ein Anhänger
(upäsaka)?"
,,Wenn man, Mahänämo, zum Erleuchteten Zu-
flucht genommen hat, zum Gesetze Zuflucht genommen
hat und zur Jüngerschaft Zuflucht genommen hat: in-
sofern, Mahänämo, ist man ein Anhänger."
,, Inwiefern aber, o Ehrwürdiger, ist der Anhänger
sittenrein?"
,,Wenn, Mahänämo, der Anhänger sich des Tötens
— 60 —
ACHTERBUCH Vm25
enthält, sich des Stehlens enthält, sich geschlechtlicher
Ausschreitung enthält, sich der Lüge enthält, sich des
Genusses berauschender Getränke enthält: insofern,
Mahänämo, ist der Anhänger sittenrein."
,, Inwiefern aber, o Ehrwürdiger, wandelt der An-
hänger zum eigenen Wohle, nicht zum Wohle der
Anderen?"
„Wenn, Mahänämo, der Anhänger, zwar selber
Vertrauen, Sittlichkeit und Freigebigkeit besitzt, die
Mönche gerne aufsucht, das gute Gesetz gerne hört,
die gehörten Gesetze behält, den Sinn der gehörten
Gesetze erwägt, das Gesetz und seine Auslegung
kennend im Einklänge mit dem Gesetze wandelt, er
aber nicht die anderen dazu anspornt: insofern, Mahä-
nämo, wandelt der Anhänger, zum eigenen Wohle,
nicht zum Wohle der Anderen."
,, Insofern aber, o Ehrwürdiger, wandelt der An-
hänger sowohl zum eigenen Heile als auch zum Heile
der Anderen?"
„Wenn, Mahänämo, der Anhänger selber Ver-
trauen, Sittlichkeit und Freigebigkeit besitzt, die
Mönche gerne aufsucht, das gute Gesetz gerne hört,
die gehörten Gesetze behält, den Sinn der gehörten Ge-
setze erwägt, das Gesetz und seine Auslegung kennend
im Einklänge mit dem Gesetze wandelt, und er auch
die Anderen dazu anspornt: insofern, Mahänämo,
wandelt der Anhänger sowohl zum eigenen Wohle als
auch zum Heile der Anderen."
— 61 —
vm28 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
27 Acht Kräfte
Folgende acht Kräfte gibt es, ihr Mönche: welche
acht?
Die Kraft der Kinder, ihr Mönche, besteht in
ihrem Weinen, die Kraft der Weiber besteht in ihrer
Gehässigkeit, die Kraft der Räuber besteht in ihren
Waffen, die Kraft der Fürsten besteht im Herrschen,
die Kraft der Toren besteht in ihrer Mürrischkeit, die
Kraft der Verständigen besteht in ihrer Einsicht, die
Kraft der Wissehsreichen besteht in ihrer Erwägung,
die Kraft der Asketen und Priester besteht in ihrer
Duldsamkeit. Diese acht Kräfte gibt es, ihr Mönche.
28 Die Selbsterkenntnis des von Leidenschaften
Erlösten (khinasava)
Der Erhabene sprach zum ehrwürdigen Säriputto:
„Wieviele Kräfte, Säriputto, besitzt wohl der von
Leidenschaften erlöste Mönch, mit denen ausgerüstet
er die Versiegung der Leidenschaften also erkennt:
»Versiegt sind mir die Leidenschaften?"
,,Acht, 0 Ehrwürdiger: welche acht?
„Da, 0 Ehrwürdiger, hat der von Leidenschaften
erlöste Mönch der Wirklichkeit gemäß in rechter
Einsicht klar erkannt, daß alle Bildungen vergänglich
sind. Das, o Ehrwürdiger, ist für den von Leiden-
schaften erlösten Mönch eine Kraft, auf die gestützt
er die Versiegung der Leidenschaften also erkennt:
»Versiegt sind in mir die Leidenschaften.«
,, Ferner, o Ehrwürdiger, hat der von Leiden-
schaften erlöste Mönch der Wirklichkeit gemäß in
rechter Einsicht klar erkannt, daß die Sinnenlüste
— 62 —
ACHTERBUCH vm 63
gleichsam eine Grube voll glühender Kohlen sind. —
„Ferner, o Ehrwürdiger, ist das Herz des von
Leidenschaften erlösten Mönches der Loslösung ge-
neigt, der Loslösung ergeben, der Loslösung zugewandt,
weilt in Loslösung, entzückt in Entsagung, ist völlig
befreit von den befleckenden Erscheinungen. —
,, Ferner, o Ehrwürdiger, hat der von Leidenschaften
erlöste Mönch die Vier Grundlagen der Achtsam-
keit (satipatthäna) erweckt und wohl entfaltet, —
hat die Vier Machtfährten (iddhi-päda) erweckt und
wohl entfaltet, — hat die fünf Fähigkeiten (indriya)
erweckt und wohl entfaltet, — hat die fünf Kräfte
(bala) erweckt und wohl entfaltet, — hat die sieben
Erleuchtungsglieder (bojjhahga) erweckt und wohl
entfaltet, — hat den Edlen Achtfachen Pfad er-
weckt und wohl entfaltet. Auch das, o Ehrwürdiger,
ist für den von Leidenschaften erlösten Mönch eine
Kraft, auf die gestützt er die Versiegung der Leiden-
schaften also erkennt: »Versiegt sind in mir die Leiden-
schaften.«
„Diese acht Kräfte, o Ehrwürdiger, besitzt der
von Leidenschaften erlöste Mönch, mit denen aus-
gerüstet er die Versiegung der Leidenschaften also
erkennt: »Versiegt sind in mir die Leidenschaften«."
Die günstigen Gelegenlieiten zum Iieiligen Leben 29
»Im rechten Augenblicke wirkt die Welt ihre
Werke«: so, ihr Mönche, redet der unerfahrene Weit-
ung, doch kennt er weder die günstige noch die un-
günstige Zeit. Folgende acht ungünstige Zeiten, un-
— 63 —
Vin29 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
günstige Gelegenheiten, gibt es, ihr Mönche, das heilige
Leben zu führen: welche acht?
Da, ihr Mönche, erscheint der Vollendete in der
Welt, der Heilige, Vollkommen Erleuchtete, der im
Wissen und Wandel Vollendete, der Gesegnete, der
Weltenkenner, der höchste Lenker der zu bezähmen-
den Menschheit, der Meister der Himmelswesen und
Menschen, der Erleuchtete, der Erhabene. Und auch
das Gesetz wird verkündet, das stillende, völlig er-
lösende, zur Erleuchtung führende, vom Gesegneten
gewiesene. Der Mensch aber ist in der Hölle wieder-
erschienen — oder im Tierschoße — oder im Gespenster-
reiche — oder in einer Welt langlebiger Himmels-
wesen — oder in den Grenzländern unter unverstän-
digen Heiden, wo die Mönche, Nonnen, Anhänger und
Anhängerinnen nicht hinkommen. — Oder er ist zwar
in den Ländern Mittelindiens wiedergeboren, hegt aber
die böse Ansicht, den verkehrten Glauben: »Almosen
und Opfer sind nichtig, es gibt keine Frucht, kein Er-
gebnis der guten und bösen Taten; es gibt nicht so
etwas wie diese Welt und die nächste Welt; Vater,
Mutter und geistgeborene Wesen sind leere Worte; es
gibt keine Asketen und Priester von rechtem und voll-
kommenem Wandel, die sowohl diese als auch die
nächste Welt selber erkannt und verwirklicht haben und
sie erklären können. — Oder der Mensch ist in den
Ländern Mittelindiens wiedergeboren, doch ist er ohne
Einsicht, ist dumm und stumpfsinnig. — Oder der
Vollendete erscheint nicht in der Welt und das Gesetz
wird nicht verkündet, obgleich der Mensch in den
Ländern Mittelindiens wiedergeboren ist und voll Ein-
sicht ist, nicht dumm oder stumpfsinnig, sondern wohl
— 64 —
ACHTERBUCH Vm 29
imstande, den Sinn rechter und verkehrter Rede zu
erkennen. Das, ihr Mönche, ist die achte ungünstige
Zeit und Gelegenheit, das heilige Leben zu führen.
Das, ihr Mönche, sind die acht ungünstigen Zeiten
und Gelegenheiten, das heilige Leben zu führen.
Eben eine günstige Zeit und Gelegenheit gibt
es, ihr Mönche, das heilige Leben zu führen: welche
eine?
Da, ihr Mönche, erscheint der Vollendete in der V
Welt, der Heilige, Vollkommen Erleuchtete, der im
Wissen und Wandel Vollendete, der Gesegnete, der
Weltenkenner, der höchste Lenker der zu bezähmenden
Menschheit, der Meister der Himmelswesen und Men-
schen, der Erleuchtete, der Erhabene. Und auch das
Gesetz wird verkündet, das stillende, völlig erlösende,
zur Erleuchtung führende, vom Gesegneten gewiesene.
Und der Mensch wird in den Ländern Mittelindiens
wiedergeboren, ist voll Einsicht, nicht dumm und
stumpfsinnig, und wohl imstande den Sinn rechter und
verkehrter Rede zu erkennen. Das, ihr Mönche, ist
die eine günstige Zeit und Gelegenheit, das heilige
Leben zu führen. ^
Wer dort als Mensch ins Dasein tritt,
Wo das Gesetz verkündet wird.
Doch die Gelegenheit nicht nutzt,
Der hat die rechte Zeit verpaßt.
Denn viele schlechte Zeiten gibt's.
Dem Pfade hinderlich, wie's heißt.
Ja, selten nur Vollendete
Geboren werden in der Welt.
65
Vm29 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Wem aber das beschieden ist,
Was gar so selten in der Welt —
Als Mensch dahier geboren sein
Und hören des Gesetzes Wort —
Solch' Wesen sollte danach streben,
Wenn ihm am eig'nen Heile liegt:
»Wie mag ich das Gesetz erkennen?
Möcht' rechter Zeitpunkt nicht entflieh'n!«
Wer rechten Zeitpunkt hat verpaßt,
Der fällt der Hölle Qual anheim,
So er dahier verfehlet hat
Der guten Lehre rechten Pfad.
Gleichwie ein Kaufmann lange klagt,
Der seinen Vorteil hat verpaßt:
So klagt der wahnumhüllte Mensch,
Der's Gute sich entgehen ließ;
Der Kreislauf von Geburt und Tod
Wird ihm noch lang beschieden sein.
Doch wer als Mensch geboren ward.
Dort wo man kündet das Gesetz,
Des Meisters Weisungen erfüllt hat.
Erfüllt oder erfüllen wird:
Der hat die rechte Zeit erkannt
Und höchste Heiligkeit der Welt,
So er den Pfad gewandelt ist,
Den der Vollendete ihm wies. —
In Sinnenzüg'lung, die einst lehrte
Der Seher, der dem Licht entsproß.
Behütet, immerdar besonnen,
Verweile man stets unbefleckt.
Wer jeden Trieb zerstöret hat.
Der hintreibt zu dem Reiche Mahrs,
Erlöst von aller Leidenschaft,
Der hat des Daseins Strom durchkreuzt.
— 66 —
ACHTERBUCH Vm 30
Die Gedanken eines großen Mannes ^0
Einst weilte der Erhabene im Lande der Bhagger
bei Sumsumäragira, im Bhesakalä-Walde im Hirsch-
parke. Zu jener Zeit aber lebte der ehrwürdige Anu-
ruddho im Lande der Getier im Östlichen Bambus-
haine. Während nun der ehrwürdige Anuruddho ein-
sam und abgeschieden verweilte, stieg ihm im Geiste
folgender Gedanke auf: »Nur für den Bescheidenen \
eignet sich dieses Gesetz, nicht für den Unbescheidenen; '
nur für den Genügsamen eignet sich dieses Gesetz,
nicht für den Ungenügsamen; nur für den Abgeschier
denen eignet sich dieses Gesetz, nicht für den die Ge-
selligkeit Suchenden; nur für den Willensstarken eignet
sich dieses Gesetz, nicht für den Trägen; nur für den
geistig Wachen eignet sich dieses Gesetz, nicht für den
Gedankenlosen; nur für den Gesammelten eignet sich
dieses Gesetz, nicht für den Ungesammelten; nur für
den Einsichtigen eignet sich dieses Gesetz, nicht für
den Toren.«
Der Erhabene aber, der im Geiste die Erwägungen
des ehrwürdigen Anuruddho erkannte, verschwand —
ebenso schnell wie etwa ein starker Mann den ge-
beugten Arm ausstrecken oder den gestreckten Arm
beugen möchte — vom Bhesakalä-Walde und trat im
Lande der Getier im Östlichen Bambushaine vor dem
ehrwürdigen Anuruddho wieder in Erscheinung. Es
setzte sich der Erhabene auf dem angebotenen Sitze
nieder. Und auch der ehrwürdige Anuruddho setzte
sich, nachdem er den Erhabenen ehrfurchtsvoll be-
grüßt hatte, zur Seite nieder. Als er sich aber gesetzt
hatte, sprach der Erhabene also zu ihm:
— 67 — 5*
VIII 30 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
,, Recht so, recht so, Anuruddho! Recht hast du die
sieben Gedanken eines großen Mannes erwogen. So
mögest du denn, Anuruddho, auch diesen achten Ge-
dani<en eines großen Mannes erwägen:« Nur für den
dem Nichtweltiichen Hingegebenen, das Nichtwelt-
hche Suchenden eignet sich dieses Gesetz, nicht für
den dem Welth'chen Hingegebenen, das WeltHche
Suchenden«.
,,Wenn du, Anuruddho, diese acht Gedani<en
eines großen Mannes erwägst, so kannst du, ganz
nach Wunsch, den Sinnendingen entrückt, entrückt
den schuldvollen Erscheinungen, die mit Sinnen und
Nachdenken verbundene, in der Entrückung ge-
borene, von Verzückung und Glückseligkeit er-
füllte erste Vertiefung gewinnen.
,,Wenn du, Anuruddho, diese acht Gedanken
eines großen Mannes erwägst, so kannst du, ganz nach
Wunsch, nach dem Schwinden des Sinnens und Nach-
denkens, den inneren Frieden gewinnen, die Einheit
des Geistes, die von Sinnen und Nachdenken freie,
in der Sammlung geborene, von Verzückung und
Glückseligkeit erfüllte zweite Vertiefung.
,,Wenn du, Anuruddho, diese acht Gedanken eines
großen Mannes erwägst, so kannst du, ganz nach
Wunsch, nach Abwendung von der Verzückung gleich-
mütig verweilen, achtsam, geistesklar und in dir jenes
Glück empfinden, von dem die Edlen sprechen:
»Glückselig der Gleichmütige, der Achtsame!« — und
so die dritte Vertiefung gewinnen.
,,Wenn du, Anuruddho, diese acht Gedanken
eines großen Mannes erwägst, so kannst du, ganz
nach Wunsch, nach dem Schwinden von Wohlgefühl
— 68 —
ACHTERBUCH vmso
und Schmerz und durch Überwindung des früheren
Frohsinns und Trübsinns einen leidiosen, freudlosen
Zustand gewinnen, die durch Gleichheit und Acht-
samkeit geklärte vierte Vertiefung.
,,Wenn du, Anuruddho, die acht Gedanken eines
großen Mannes erwägst, so kannst du, dieser vier Ver-
tiefungen, der geisterhebenden, zeitliches Wohl ge-
währenden, ganz nach Wunsch, ohne Mühe und An-
strengung, teilhaftig werden. Und wie etwa einem
Hausvater oder seinem Sohne die mit allerlei bunten
Gewändern angefüllte Kleidertruhe erscheint, genau
so wird dir in deiner Genügsamkeit das Fetzengewand
erscheinen, dienlich zur Freude, zur Unerregbarkeit,
zum Wohlbefinden, und zum Eintritte ins Nirwahn.
Und wie einem Hausvater oder seinem Sohne unter
den Reisarten der von schwarzen Körnern gereinigte
Reis mit mancherlei Brühen und Zutaten erscheint,
genau so wird dir in deiner Genügsamkeit die aus
Brocken bestehende Almosenspeise erscheinen (1), dien-
lich zur Freude, zur Unerregbarkeit, zum Wohlbe-
finden und zum Eintritte ins Nirwahn. Und wie etwa
einem Hausvater oder seinem Sohne sein Giebelhaus
erscheint, außen und innen verputzt, vor Wind ge-
schützt, verriegelt, mit verschlossenen Fenstern: genau
so wird dir in deiner Genügsamkeit das Lager am
Fuße eines Baumes erscheinen, dienlich zur Freude,
zur Unerregbarkeit, zum Wohlbefinden und zum Ein-
tritte ins Nirwahn. Und wie etwa einem Hausvater
(1) Komm.: „Er genießt sie, als wäre es Ambrosia" (amata,
amrita, 'aflßgoöia, wörtl. Unsterblichkeit, dann Unsterblichkeits-
trank, bezw. Unsterblichkeitsspeise, von P. P. P. I'mri, sterben).
— 69 —
VIII 30 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
oder seinem Sohne ein Ruhelager erscheint, das ge-
deckt ist mit einer haargefranzten, weißwollenen,
blumengewirkten Decke oder einem edlen Antilopen-
fell und versehen mit einer Überdecke und einem
purpurnen Kissen an beiden Bettenden: genau so
wird dir in deiner Genügsamkeit ein Strohlager als
Schlafstätte erscheinen, dienlich zur Freude, zur Un-
erregbarkeit, zum Wohlbefinden und zum Eintritte
ins Nirwahn. Und wie etwa einem Hausvater oder
seinem Sohne die verschiedenen Heilmittel, wie Butter-
öl, Butter, Öl, Honig und Zucker, erscheinen, genau
so wird dir fauler Urin als Arznei erscheinen, dienlich
zur Freude, zur Unerregbarkeit, zum Wohlbefinden
und zum Eintritte ins Nirwahn.
,,So magst du denn, Anuruddho, auch die kom-
mende Regenzeit hier im Lande der Cetier verbringen!
,,Ja, 0 Ehrwürdiger!" erwiderte der ehrwürdige
Anuruddho dem Erhabenen. Nachdem nun der Er-
habene den ehrwürdigen Anuruddho in diesen Worten
ermahnt hatte, verschwand er vom östlichen Bam-
bushaine im Lande der Cetier; und — gerade wie ein
starker Mann den gebeugten Arm ausstrecken oder
den ausgestreckten Arm beugen möchte — ebenso
schnell trat der Erhabene im Hirschparke im Bhesaka-
lä-Walde bei Suriisumäragira im Lande der Bhagger
wieder in Erscheinung. Und der Erhabene setzte sich
auf dem angebotenen Sitze nieder und sprach darauf
zu den Mönchen:
,,Die acht Gedanken eines großen Mannes, ihr
Mönche, will ich euch weisen. So höret denn und
achtet wohl auf meine Worte! Welches nun, ihr Mönche,
sind die acht Gedanken eines großen Mannes?
— 70 —
ACHTERBUCH Vm30
,,Nur für den Bescheidenen, ihr Mönche, eignet
sich dieses Gesetz, nicht für den Unbescheidenen; nur
für den Genügsamen eignet sich dieses Gesetz, nicht
für den Ungenügsamen; nur für den Abgeschiedenen
eignet sich dieses Gesetz, nicht für den die GeselHg-
keit Suchenden; nur für den Willensstarken eignet sich
dieses Gesetz, nicht für den Trägen; nur für den geistig
Wachen eignet sich dieses Gesetz, nicht für den Ge-
dankenlosen; nur für den Gesammelten eignet sich
dieses Gesetz, nicht für den Ungesammelten; nur für
den Einsichtigen eignet sich dieses Gesetz, nicht für
den Toren, nur für den dem Nichtweltlichen Hinge-
gebenen, das Nichtweltliche Suchenden eignet sich
dieses Gesetz, nicht für den dem Weltlichen Hinge-
gebenen, das Weltliche Suchenden.
,,Es wurde also, ihr Mönche, gesagt: »Nur für den
Bescheidenen eignet sich dieses Gesetz, nicht für den
Unbescheidenen«. Mit Rücksicht aber worauf wurde
dies gesagt? Obwohl da, ihr Mönche, der Mönch be-
scheiden ist, wünscht er nicht, daß man ihn als be-
scheiden kenne; obwohl er genügsam ist, wünscht er
nicht, daß man ihn als genügsam kenne; obwohl er
abgeschieden ist, wünscht er nicht, daß man ihn als
abgeschieden kenne; obwohl er voller Willenskraft
ist, wünscht er nicht, daß man ihn als willensstark
kenne; obwohl er geistig wach ist, wünscht er nicht,
daß man ihn als geistig wach kenne; obwohl er ge-
sammelt ist, wünscht er nicht, daß man ihn als ge-
sammelt kenne; obwohl er einsichtig ist, wünscht er
nicht, daß man ihn als einsichtig kenne; obwohl er
dem Nichtweltlichen hingegeben ist, wünscht er nicht,
daß man ihn als dem Nichtweltlichen hingegeben
71 —
vmso SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
kenne. Wurde also gesagt: »Nur für den Bescheidenen
eignet sicii dieses Gesetz, nicht für den Unbeschei-
denen«, so wurde dies eben mit Rücksicht hierauf
gesagt.
,,Es wurde gesagt: »Nur für den Genügsamen
eignet sich dieses Gesetz, nicht für den Ungenügsamen«.
Mit Rücksicht aber worauf wurde dies gesagt? Da,
ihr Mönche, gibt sich der Mönch zufrieden mit jederart
Gewand, Almosenspeise, Lagerstatt und den nötigen
Heilmitteln und Arzneien. Wurde also gesagt: ■>Nur
für den Genügsamen eignet sich dieses Gesetz, nicht
für den Ungenügsamen«, so wurde dies eben mit Rück-
sicht hierauf gesagt.
,,Es wurde gesagt: »Nur für den Abgeschiedenen
eignet sich dieses Gesetz, nicht für den die Geselligkeit
Suchenden«. Mit Rücksicht aber worauf wurde dies
gesagt? Wird da, ihr Mönche, der abgeschieden ver-
weilende Mönch aufgesucht von Mönchen, Nonnen,
Anhängern, Anhängerinnen, Fürsten, königlichen Be-
amten, Glaubenslehrern oder Jüngern der Glaubens-
lehrer, so spricht er durchaus bloß ermahnende Worte,
und zwar mit einem der Abgeschiedenheit geneigten,
der Abgeschiedenheit hingegebenen, der Abgeschieden-
heit zugewandten, abgeschieden verharrenden, ent-
sagungsfreudigen Geiste. Wurde also gesagt: »Nur für
den Abgeschiedenen eignet sich dieses Gesetz, nicht
für den die Geselligkeit Suchenden«, so wurde dies
eben mit Rücksicht hierauf gesagt.
,,Es wurde gesagt: »Nur für den Willensstarken
eignet sich dieses Gesetz, nicht für den Trägen«. Mit
Rücksicht aber worauf wurde dies gesagt? Da, ihr
Mönche, setzt der Mönch seine Willenskraft ein, um
— 72 —
ACHTERBUCH vra 30
die schuldvollen Erscheinungen zu überkommen, die
verdienstvollen Erscheinungen aber zum Aufsteigen
zu bringen, ist standhaft, von eisernem Willen erfüllt,
nicht nachlässig im Guten. Wurde also gesagt: »Nur
für den Willensstarken eignet sich dieses Gesetz, nicht
für den Trägen«, so wurde dies eben mit Rücksicht
hierauf gesagt.
,,Es wurde gesagt: »Nur für den geistig Wachen
eignet sich dieses Gesetz, nicht für den Gedanken-
losen«. Mit Rücksicht aber worauf wurde dies gesagt?
Da, ihr Mönche, besitzt der Mönch Achtsamkeit, ist
mit höchster Achtsamkeit und Besonnenheit ausge-
stattet. Selbst was vor langer Zeit getan oder ge-
sprochen wurde, dessen entsinnt er sich, dessen er-
innert er sich. Wurde also gesagt: »Nur für den geistig
Wachen eignet sich dieses Gesetz, nicht für den Ge-
dankenlosen«, so wurde dies eben mit Rücksicht hier-
auf gesagt.
,,Es wurde gesagt: »Nur für den Gesammelten
eignet sich dieses Gesetz, nicht für den Ungesammelten«.
Mit Rücksicht aber worauf wurde dies gesagt? Da,
ihr Mönche, gewinnt der Mönch, den Sinnendingen
entrückt, entrückt den schuldvollen Erscheinungen, die
mit Sinnen und Nachdenken verbundene, in der Ent-
rückung geborene, von Verzückung und Glückselig-
keit erfüllte erste Vertiefung. Nach dem Schwinden
des Sinnens und Nachdenkens aber gewinnt er den
inneren Frieden, die Einheit des Geistes, die von Sinnen
und Nachdenken freie, in der Sammlung geborene, von
Verzückung und Glückseligkeit erfüllte zweite Ver-
tiefung. Nach Abwendung von der Verzückung aber
verweilt er gleichmütig, achtsam, geistesklar; und er
— 73 —
VIIISO SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
fühlt in sich jenes Glück, von dem die Edlen sprechen:
»Glückselig der Gleichmütige, der Achtsame!« — so
gewinnt er die dritte Vertiefung. Nach dem Schwinden
von Wohlgefühl und Schmerz aber und durch Über-
windung des früheren Frohsinns und Trübsinns ge-
winnt er einen leidlosen, freudlosen Zustand, die durch
Gleichmut und Achtsamkeit geklärte vierte Vertiefung.
Wurde also gesagt: »Nur für den Gesammelten eignet
sich dieses Gesetz, nicht für den Ungesammelten«, so
wurde dies eben mit Rücksicht hierauf gesagt.
,,Es wurde gesagt: »Nur für den Einsichtigen eignet
sich dieses Gesetz, nicht für den Toren«. Mit Rücksicht
aber worauf wurde dies gesagt? Da, ihr Mönche, ist
der Mönch von Einsicht erfüllt; er besitzt Einsicht in
das Entstehen und Vergehen, edle, durchdringende,
zur völligen Leidensaufhebung führende. Wurde also
gesagt: »Nur für den Einsichtigen eignet sich dieses
Gesetz, nicht für den Toren«, so wurde dies eben mit
Rücksicht hierauf gesagt.
„Es wurde gesagt: »Nur für den dem Nichtwelt-
lichen Hingegebenen, das Nichtweltliche Suchenden
eignet sich dieses Gesetz, nicht für den dem Welt-
lichen Hingegebenen, das Weltliche Suchenden«. Mit
Rücksicht aber worauf wurde dies gesagt? Da, ihr
Mönche, drängt der Geist nach Aufhebung des Welt-
lichen, erheitert sich darin, festigt sich darin, findet
darin seine Erlösung. Wurde also gesagt: »Nur für
den dem Nichtweltlichen Hingegebenen, das Nicht-
weltliche Suchenden eignet sich dieses Gesetz, nicht
für den dem Weltlichen Hingegebenen, das Weltliche
Suchenden«, so wurde dies eben mit Rücksicht hier-
auf gesagt."
— 74 —
ACHTERBUCH VHI 30
Der ehrwürdige Anuruddho spendete nun die
kommende Regenzeit an demselben Platze im Lande
der Cetier in dem Östlichen Bambushaine. Während
aber der ehrwürdige Anurudhho einsam, abgeschieden,
unermüdlich, eifrig und selbstentschlossen verweilte,
da gelangte er in den Besitz jenes höchsten Zieles der
Heiligkeit, — um dessentwillen edle Söhne gänzlich
von Hause fort in die Hauslosigkeit ziehen, — indem
er es selber erkannte und verwirklichte. Und er er-
kannte: »Aufgehoben ist die Geburt, ausgelebt der
heilige Wandel, das Werk vollendet; nicht kehr' ich
mehr zu dieser Welt zurück«. Und der ehrwürdige
Anuruddho war einer unter den Heiligen geworden.
Als aber der ehrwürdige Anuruddho die Heiligkeit er-
langt hatte, da sprach er zu jener Stunde folgende
Verse:
„Als die Gedanken in mir schaute
Der höchste Meister in der Welt,
Kam er in geistgezeugtem Körper,
Durch Zauberkraft, zu mir heran.
„Und weiter wies der Meister mich,
Als ich in meinem Geist erwog;
Der überweltlich sel'ge Meister
Wies mir die Überweltlichkeit.
„Durchschauend aber sein Gesetz,
Fand Freude ich an seinem Wort.
Drei Wissen (2) hab' ich nun errungen.
Des Meisters Weisung ist erfüllt."
(1) Hierüber s. VIII, 11.
— 75 —
Ym32 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
VIERTER TEIL:
Das Kapitel der Gaben
31 Acht Arten des Gebens
0)
Folgende acht Arten des Gebens gibt es, ihr
Mönche: welche acht?
Gleich bei der Ankunft gibt man Gaben; oder
aus Furcht (vor Tadel) gibt man Gaben; oder in dem
Gedanken: »Man hat ja auch mir gegeben« gibt man
Gaben; oder in dem Gedanken: »Man wird ja auch mir
geben« gibt man Gaben; oder weil das Geben etwas
Gutes ist, gibt man Gaben; oder man gibt in dem Ge-
danken: »Ich koche ja, diese aber nicht; und nicht
recht ist es für mich, der ich koche, den Nichtkochenden
keine Gaben zu geben«; oder man gibt Gaben in dem
Gedanken: »Wenn ich diese Gabe gebe, wird sich über
mich ein guter Ruf verbreiten«; oder der Herzensver-
edlung, der Herzensläuterung wegen gibt man Gaben.
Diese acht Arten des Gebens gibt es, ihr Mönche.
32 An Schamgefühl, Vertrau'n und edlem Geben:
Da halten alle guten Menschen fest.
Denn das fürwahr gilt als die Himmelsfährte,
Auf der man hingelangt zur Himmelswelt.
3?j Acht Arten des Gebens
(2)
Folgende acht Arten des Gebens gibt es, ihr
Mönche: welche acht?
— 76 —
ACHTFERBUCH vm 34
Aus Liebe gibt man Gaben; aus Ärger gibt man
Gaben; aus Verblendung gibt man Gaben; aus Furcht
gibt man Gaben; oder man gibt in dem Gedanken:
»Was da früher vom Vater und Großvater gegeben und
getan wurde: von diesem alten Familienbrauche darf
ich nicht abgehen«; oder man gibt in dem Gedanken:
»Wenn ich diese Gabe gebe, werde ich beim Zerfalle
des Leibes, nach dem Tode, auf guter Fährte, in himm-
lischer Welt wiedererscheinen«; oder man gibt in dem
Gedanken: »wenn ich diese Gabe gebe, erheitert sich
mein Herz, und Zufriedenheit und Frohsinn steigen in
mir auf«; oder der Herzensveredlung, der Herzens-
läuterung wegen gibt man Gaben. Diese Acht Arten
des Gebens gibt es, ihr Mönche.
Der fruchtbare Boden 34
Der auf ein mit acht Eigenschaften versehenes
Feld ausgesäte Samen, ihr Mönche, zeitigt keine großen
Früchte, keinen guten Geschmack, keinen hohen
Wuchs. Welches aber sind diese acht Eigenschaften?
Da, ihr Mönche, ist das Feld voller Erhebungen
und Senkungen, voller Steine und Geröll, ist salz-
haltig, nicht tief genug gelegen, besitzt keinen Zufluß,
keinen Abfluß, keine Wasserfurchen, keine Eindäm-
mungen (1). Der auf ein mit diesen acht Eigenschaften
(1) An den Abhängen werden die Reisfelder so angelegt, daß
sie stufenweise abfallende, eingedämmte Terrassen bilden, sodaß
das durch einen Graben hir zugeleitete Wasser eines Gebirgsbaches
abwärts von einer Terrasse zu der anderen überfließt und schließlich
alle Terrassen bis hinab zum Tale füllt. Damit nun aber, wenn man
die an den niedrigen Eii därnmungen der Terrassen angebrachten
— 77 —
Vin34 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
versehenes Feld ausgesäte Samen, ihr Mönche, zeitigt
keine großen Früchte, keinen guten Geschmack, keinen
hohen Wuchs.
Ebenso auch, ihr Mönche, bringt die Gabe, die
man den mit acht Eigenschaften behafteten Asketen
und Priestern spendet, keine großen Früchte, keinen
hohen Segen, ist ohne hohen Wert und Einfluß. Welches
aber sind diese acht Eigenschaften?
Da, ihr Mönche, eignet den Asketen und Priestern
verkehrte Erkenntnis, verkehrte Gesinnung, verkehrtes
Wort, verkehrtes Werk, verkehrtes Leben, verkehrtes
Streben, verkehrte Achtsamkeit und verkehrte Samm-
lung. Die Gabe, ihr Mönche, die man den mit diesen
acht Eigenschaften behafteten Asketen und Priestern
spendet, bringt keine großen Früchte, keinen hohen
Segen, ist ohne hohen Wert und Einfluß.
Der auf ein mit folgenden acht Eigenschaften
versehenes Feld ausgesäte Samen aber, ihr Mönche,
zeitigt große Früchte, einen guten Geschmack und
hohen Wuchs. Welches aber sind diese acht Eigen-
schaften?
Da, ihr Mönche, hat das Feld keine Erhebungen
und Senkungen, keine Steine und Geröll, ist nicht
salzhaltig, ist tief gelegen, besitzt einen Zufluß und
Abfluß, Wasserfurchen und Eindämmungen. Der auf
ein mit diesen acht Eigenschaften versehenes Feld
ausgesäte Samen, ihr Mönche, zeitigt große Früchte,
einen guten Geschmack und hohen Wuchs.
Öffiimigeu vollständig öffnet, um das Wasser abfließen zu lassen,
der Boden nicht ganz imd gar austrocknet, werden in den einzelnen
'J'errassen Furchen gezogen.
— 78 —
ACHTERBUCH Vm 34
Ebenso auch, ihr Mönche, bringt die Gabe, die
man den mit folgenden acht Eigenschaften ausgestat-
teten Asketen und Priestern spendet, große Früchte
und hohen Segen, ist von hohem Wert und Einflüsse.
Welches aber sind diese acht Eigenschaften?
Da, ihr Mönche, eignet den Asketen und Priestern
rechte Erkenntnis, rechte Gesinnung, rechtes Wort,
rechtes Werk, rechte Lebensweise, rechtes Streben,
rechte Achtsamkeit und rechte Sammlung. Die Gabe, /
ihr Mönche, die man den mit diesen acht Eigenschaften
ausgestatteten Asketen und Priestern spendet, bringt
große Früchte und hohen Segen, ist von hohem Wert
und Einfluß.
Wenn man gesunde Samenkörner
Auf einen guten Boden sät
Und rechter Regen niederströmt,
So stellt sich mancher Segen ein.
Vom Plagen (1) bleibt das Korn verschont,
ßesclüeden ist ihm schneller Wuchs,
Beschieden eine reiche Ernte,
Und große Früchte bringt's hervor.
So bringet die voUkomm'ne Gabe,
Den Sittenreinen dargebracht.
Dem Geber ein vollkomm'nes Glück
Da auch die Tat vollkommen ist.
Drum wer vollkomm'nes Glück erstrebt,
Soll selber erst vollkommen sein
Und einsichtsvollen Freunden folgen:
Dann findet er Vollkommenheit.
(1) In Räghuvarhsa, einem Sanskritwerke, werden sechs Land-
plagen aufgezählt: zu viel Regen, Trockenheit, Ratten, Heuschrecken,
Papageien und feindliche Einfälle (Cit. Vaidya).
— 79 —
Vm35 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Im Wissen und Wandel vollkommen,
Vollkommen in seinem Gemüte,
Verübt er vollkommene Taten,
Erlangt er vollkommenes Heil.
Wer allen Staub von sich geschüttelt,
Das Glück des Nirwahns hat erreicht,
Der ist von allem Leid erlöst:
Das aber ist das höchste Glück.
"^^ Durch Gaben bedingte Wiedergeburt
Folgende acht durch Gaben bedingte Wieder-
geburten gibt es, ihr Mönche: welche acht?
Da, ihr Mönche, versieht einer einen Asketen oder
Priester mit Speise und Trank, Kleidung, Wagen,
Blumen, Spezereien, Salben, Wohnung und Beleuch-
tung, Und was er gibt, das gibt er gern. Er erblickt
nun mächtige Adelige, Brahmanen oder Bürger im
Besitze und Genüsse der fünf Sinnenfreuden, von den
fünf Sinnenfreuden umgeben. Da wird ihm zumute:
»Ach, daß ich doch beim Zerfalle des Leibes, nach dem
Tode, unter mächtigen Adeligen, Brahmanen oder
Bürgern wiedererscheinen möchte!« An jedem Ge-
danken hängt er, hält er fest und pflegt ihn. Und
solche Gedanken, obzwar vom Niedrigen losgelöst aber
doch noch nicht höher entfaltet, führen ihn eben dort
zur Wiedergeburt, und beim Zerfalle des Leibes, nach
dem Tode, erscheint er unter mächtigen Adeligen,
Brahmanen oder Bürgern wieder. Das aber behaupte
ich vom Sittenreinen, nicht vom Sittenlosen. Denn
der Herzenswunsch des Sittenreinen, ihr Mönche, geht
kraft seiner Reinheit in Erfüllung.
Fernerhin, ihr Mönche: da versieht einer einen
— 80 —
ACHTERBUCH VIII 35
Asketen oder Priester mit Speise und Trank, Kleidung,
Wagen, Blumen, Spezereien, Salben, Wohnung und
Beleuchtung. Und was er gibt, das gibt er gern. Er
hat nun gehört von dem hohen Alter, der Schönheit
und dem großen Glücke der Himmelswesen der Vier
Großen Könige, — der Himmelswesen der Dreiund-
dreißig, — der Yama Dewen, — der Seligen Himmels-
wesen, — der Schaffensfreudigen Himmelswesen, —
der über die Erzeugnisse der Anderen verfügenden
Himmelswesen. Da wird ihm zumute: »Ach, daß ich
doch beim Zerfalle des Leibes, nach dem Tode, unter
den über die Erzeugnisse der Anderen verfügenden
Himmelswesen wiedererscheinen möchte!« An jenen
Gedanken hängt er, hält er fest und pflegt ihn. Und
solche Gedanken, obzwar vom Niedrigen losgelöst aber
doch noch nicht höher entfaltet, führen ihn eben dort
zur Wiedergeburt, und beim Zerfalle des Leibes, nach
dem Tode, erscheint er unter den über die Erzeugnisse
der Anderen verfügenden Himmelswesen wieder. Das
aber behaupte ich vom Sittenreinen, nicht vom Sitten-
losen. Denn der Herzenswunsch des Sittenreinen, ihr
Mönche, geht kraft seiner Reinheit in Erfüllung.
Fernerhin aber, ihr Mönche: da versieht einer einen
Asketen oder Priester mit Speise und Trank, Klei-
dung, Wagen, Blumen, Spezereien, Salben, Wohnung
und Beleuchtung. Und was er gibt, das gibt er gern.
Er hat nun gehört von dem hohen Alter, der Schön-
heit und dem großen Glücke der Himmelswesen der
Brahmawelt. Da wird ihm zumute: »Ach, daß ich
doch beim Zerfalle des Leibes, nach dem Tode, unter
den Himmelswesen der Brahmawelt wiedererscheinen
möchte!« An jenem Gedanken hängt er, hält er fest
— 81 — 6
vm36 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
und pflegt ihn. Und solche Gedanken, obzwar vom
Niedrigen losgelöst aber doch noch nicht höher ent-
faltet, führen ihn eben dort zur Wiedergeburt, und
beim Zerfalle des Leibes, nach dem Tode, erscheint
er unter den Himmelswesen der Brahmawelt wieder.
Das aber behaupte ich von dem Sittenreinen, nicht
dem Sittenlosen, von dem Gierlosen, nicht dem Gier-
behafteten. Denn der Herzenswunsch des Sittenreinen
geht kraft seiner Gierlosigkeit in Erfüllung.
Das, ihr Mönche, sind die acht durch Gaben be-
dingten Wiedergeburten.
36 Die drei Arten verdienstvollen Wirkens
Folgende drei Arten verdienstvollen Wirkens gibt
es, ihr Mönche: welche drei? Das im »Geben« (däna)
bestehende verdienstvolle Wirken, das in der »Sitt-
lichkeit« (sila) bestehende verdienstvolle Wirken und
das in »Geistesentfaltung« (bhävanä) bestehende
verdienstvolle Wirken.
Da, ihr Mönche, ist bei dem einen das im Geben
und in der Sittlichkeit bestehende verdienstvolle Wirken
schwach entwickelt, und das in Geistesentfaltung be-
stehende Wirken ist nicht vorhanden. Ein solcher er-
scheint beim Zerfalle des Leibes, nach dem Tode, in
elenden Verhältnissen unter den Menschen wieder.
Da aber, ihr Mönche, ist bei dem einen das im
Geben und in der Sittlichkeit bestehende Wirken
mittelmäßig entwickelt, doch das in Geistesentfaltung
bestehende verdienstvolle Wirken ist nicht vorhanden.
Ein solcher erscheint beim Zerfalle des Leibes, nach
— 82 —
ACHTERBUCH vm 36
dem Tode, in glücklichen Verhältnissen unter den
Menschen wieder.
Da aber, ihr Mönche, ist bei dem einen das im
Geben und in der Sittlichkeit bestehende verdienst-
volle Wirken stark entwickelt und das in Geistesent-
faltung bestehende Wirken ist nur schwach entwickelt.
Ein solcher erscheint beim Zerfalle des Leibes, nach
dem Tode, unter den Himmelswesen der Vier Großen
Könige wieder. Dort, ihr Mönche, übertreffen die
Vier Großen Könige, bei denen das im Geben und in
der Sittlichkeit bestehende verdienstvolle Wirken noch
stärker entwickelt ist, die Himmelswesen im Gefolge
der Vier Großen Könige in zehn Dingen: in himm-
lischem Alter, himmlischer Schönheit, himmlischem
Glücke, himmlischem Ruhme, himmlischer Herrschaft,
himmlischen Formen, himmlischen Tönen, himmlischen
Düften, himmlischen Säften und himmlischen Tast-
empfindungen.
Oder aber er erscheint unter den Himmelswesen
der Dreiunddreißig wieder. Dort, ihr Mönche, über-
trifft Sakko der Himmelskönig, bei dem das im Geben
und in der Sittlichkeit bestehende verdienstvolle
Wirken noch stärker entwickelt ist, die Himmelswesen
der Dreiunddreißig in diesen zehn Dingen.
Oder aber er erscheint unter den Yama Dewen
wieder. Dort, ihr Mönche, übertrifft Suyämo der
Himmelssohn, bei dem das im Geben und in der Sitt-
lichkeit bestehende verdienstvolle Wirken noch stärker
entwickelt ist, die Yama Dewen in diesen zehn Dingen.
Oder aber er erscheint unter den Seligen Himmels-
wesen wieder. Dort, ihr Mönche, übertrifft Santusito
der Himmelssohn, bei dem das im Geben und in der
- 83 — 6*
Vm37 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Sittlichkeit bestehende verdienstvolle Wirken noch
stärker entwickelt ist, die Seligen Hjmmelswesen ia
diesen zehn Dingen.
Oder aber er erscheint unter den Schöpfungs-
freudigen Himmelswesen wieder. Dort, ihr Mönche,
übertrifft Sunimmito der Himmelssohn, bei dem das
im Geben und in der Sittlichkeit bestehende verdienst-
volle Wirken noch stärker entwickelt ist, die Schöp-
fungsfreudigen Himmelswesen in diesen zehn Dingen.
Oder aber er erscheint unter den über die Er-
zeugnisse der Anderen verfügenden Himmelswesen.
Dort, ihr Mönche, übertrifft Willenswalt der Himmels-
sohn, bei dem das im Geben und in der Sittlichkeit
bestehende verdienstvolle Wirken noch stärker ent-
wickelt ist, die über die Erzeugnisse der Anderen ver-
fügenden Himmelswesen in diesen zehn Dingen.
Das, ihr Mönche, sind die drei Arten verdienst-
vollen Wirkens.
37 Die Gaben eines guten Menschen
Acht Gaben des guten Menschen gibt es, ihr
Mönche: welche acht?
Reines gibt er, Auserwähltes gibt er, zur rechten
Zeit gibt er. Erlaubtes gibt er, mit Überlegung gibt er,,
häufig gibt er, beim Geben füllt sich sein Herz mit
Zuversicht, und nach dem Geben fühlt er sich zu-
frieden. Diese acht Gaben eines guten Menschen gibt
es, ihr Mönche.
Erlaubten Trank, erlaubte Speise,
Vorzüglich, rein zur rechten Zeit,
Vertraut er oft als Gabe an
Dem hehren Feld der Heiligen.
— 84 —
ACHTERBUCH Vm38
Wo keine Reue sich erhebt,
Selbst wenn man viele Dinge schenkt,
Dort preist die Gabe, die man gibt,
Ein jeder, der voll Einsicht ist.
Wer, weise, also Gaben gibt,
Voll Zuversicht, freigeb'gen Sinns,
Solch weiser Mensch wird hingelangen
Zu einer leidlos sel'gen Welt.
Der segensreiche Einfluß des guten Mensclien
Wenn, ihr Mönche, ein guter Mensch, im Hause
geboren wird, so gereicht er vielen Wesen zum Heile,
Segen und Wohle: Vater und Mutter gereicht er zum
Wohle, sowie Weib und Kind, Knecht und Diener,
Freunden und Gefährten, dem abgeschiedenen Ahnen,
den Fürsten, den Himmelswesen, den Asketen und
Priestern.
Gleichwie, ihr Mönche, ein starker Regen, dadurch
daß er das ganze Getreide zur Reife bringt, vielen
Menschen zum Heile, Segen und Wohle gereicht: ebenso
auch, ihr Mönche, gereicht ein guter Mensch, der im
Hause geboren wird, vielen Wesen zum Heile, Segen
und Wohle.
Zum Segen wahrlich vieler Menschen
Der weise Mann im Hause lebt.
Vor allem schenkt er beiden Eltern
Bei Tag' und Nacht, ohn' Unterlaß,
Die Achtung, die er schuldig ist,
Der früh'ren Dienste eingedenk.
Gefestigt in der Zuversicht,
Den Hausentgangenen er ehrt,
— 85 —
38
'\
vm89 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Der einen reinen Wandel führt
Und ihm als gut und tüchtig gilt.
Ein Segen für Fürsten und Dewen,
Ein Segen für Vetter und Freund,
Gereichet er allen zum Heile,
In wahrer Lehre erstarkt.
Des Geistes Laster von sich weisend
Gelangt er hin zu sel'ger Welt.
39 Die acht Ströme des Verdienstes
Folgende acht Ströme des Verdienstes, Ströme des
Guten gibt es, ihr Mönche, glückbringende, himmlische,
glückgebärende, himmelwärts leitende, die zu Er-
wünschtem, Begehrten und Angenehmen führen, zum
Heile und Segen: welche acht?
Da, ihr Mönche, hat der edle Jünger zum Erleuch-
teten seine Zuflucht genommen. Das, ihr Mönche,
ist der erste Strom des Verdienstes. —
Ferner, ihr Mönche, hat der edle Jünger zum Ge-
setze seine Zuflucht genommen. Das, ihr Mönche,
ist der zweite Strom des Verdienstes. —
Ferner, ihr Mönche, hat der edle Jünger zur Jünger-
schaft seine Zuflucht genommen. Das, ihr Mönche,
ist der dritte Strom des Verdienstes. —
Es gibt da, ihr Mönche, fünf Gaben, große Gaben,
bekannt als die höchsten, bekannt als die ältesten,
bekannt als überlieferte, alte, unversehrte, noch nie
zuvor zerstörte Gaben, die nicht untergehen und nicht
untergehen werden, ungetadelt von Asketen, Priestern
und Verständigen: welche fünf?
— 86 —
ACHTERBUCH Vin39
Da, ihr Mönche, verwirft der edle Jünger das
Töten, steht ab vom Töten. Dadurch aber, daß er vom
Töten absteht, gewährt er unermeßlich vielen Wesen
Sicherheit vor Schrecken, Feindschaft und Bedrückung.
Indem er aber unermeßlich vielen Wesen Sicherheit
vor Schrecken, Feindschaft und Bedrückung gewährt,
wird ihm unermeßliche Sicherheit vor Schrecken, Feind-
schaft und Bedrückung zuteil. Das, ihr Mönche, ist
die erste große Gabe. Und das, ihr Mönche, ist der
vierte Strom des Verdienstes. —
Und ferner, ihr Mönche, verwirft der edle Jünger
das Stehlen, steht vom Stehlen ab. — Er verwirft ge-
schlechtliche Ausschreitung, steht von geschlechtlicher
Ausschreitnug ab. — Er verwirft das Lügen, steht vom
Lügen ab. — Er verwirft den Genuß berauschender
Getränke, steht vom Genüsse berauschender Getränke
ab. Dadurch aber, daß er vom Genüsse berauschender
Getränke absteht, gewährt er unermeßlich vielen Wesen
Sicherheit vor Schrecken, Feindschaft und Bedrückung.
Indem er aber unermeßlich vielen Wesen Sicherheit
vor Schrecken, Feindschaft und Bedrückung gewährt,
wird ihm unermeßliche Sicherheit vor Schrecken,
Feindschaft und Bedrückung zuteil. Das, ihr Mönche,
ist die fünfte große Gabe. Und das, ihr Mönche, ist
der achte Strom des Verdienstes.
Das, ihr Mönche, sind die acht Ströme des Ver-
dienstes, die acht Ströme des Guten, glückbringende,
himmlische, glückgebärende, himmelwärts leitende, die
zu Erwünschtem, Begehrtem und Angenehmem führen,
zum Heile und Segen.
— 87 —
Vm40 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
40 Die Wirkung bösef Worte und Werke
Das Töten, ihr Mönche, ausgeübt, gepflegt und
häufig betrieben, führt zur Hölle, zum Tierschoße
oder zum Gespensterreiche. Und schon die allerge-
ringste Wirkung des Tötens bringt dem Menschen
kurzes Leben,
Das Stehlen, ihr Mönche, ausgeübt, gepflegt und
häufig betrieben, führt zur Hölle, zum Tierschoße oder
zum Gespensterreiche. Und schon die allergeringste
Wirkung des Stehlens bringt dem Menschen den Ver-
lust seiner Güter.
Geschlechtliche Ausschreitung, ihr Mönche, aus-
geübt, gepflegt und häufig betrieben, führt zur Hölle,
zum Tierschoße oder zum Gespensterreiche. Und
schon die allergeringste Wirkung der geschlechtlichen
Ausschreitung bringt dem Menschen Feindschaft mit
seinen Rivalen.
Das Lügen, ihr Mönche, ausgeübt, gepflegt und
häufig betrieben, führt zur Hölle, zum Tierschoße oder
zum Gespensterreiche. Und schon die allergeringste
Wirkung des Lügens bringt dem Menschen falsche
Anschuldigungen.
Die Zwischenträgerei, ihr Mönche, ausgeübt, ge-
pflegt und häufig betrieben, führt zur Hölle, zum
Tierschoße oder zum Gespensterreiche. Und schon
die allergeringste Wirkung der Zwischenträgerei bringt
dem Menschen Zwietracht mit seinen Freunden.
Das rohe Reden, ihr Mönche, ausgeübt, gepflegt
und häufig betrieben, führt zur Hölle, zum Tierschoße
oder zum Gespensterreiche. Und schon die aller-
geringste Wirkung des rohen Redens führt dazu, daß
der Mensch unangenehme Worte zu hören bekommt.
— 88 —
ACHTERBUCH VIII 40
Das sinnlose Plappern, ihr Mönche, ausgeübt, ge-
pflegt und häufig betrieben, führt zur Hölle, zum Tier-
schoße oder zum Gespensterreiche. Und schon die
allergeringste Wirkung des sinnlosen Plapperns führt
dazu, daß der Mensch unannehmbare Worte spricht.
Der Genuß berauschender Getränke, ihr Mönche,
ausgeübt, gepflegt und häufig betrieben, führt zur
Hölle, zum Tierschoße oder zum Gespensterreiche.
Und schon die allergeringste Wirkung des Genusses
berauschender Getränke bringt dem Menschen Be-
täubung. (1)
(1) Childers (Pali Dictionary, p. 523) führt ein Werk an, worin
acht Arten von Wahn aufgezählt werden, nämHch: Begierdewahn,
Zomeswahn, Ansichtenwahn, Verblendungswahn, Besessönheit von
bösen Geistern, durch Störungen der Galle venirsachter Wahn,
alkoholische Berauschung und durch Unglück veranlaßte Geistes-
störung.
— 89 —
Ym44 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
FÜNFTER TEIL:
Das Kapitel des Fasttags
44 Der Segen des Fasttags
[Im Großen Walde bei Vesäli in der Halle des
Spitzenhauses]
Der Erhabene sprach zu Väsettho dem Anhänger:
„Der mit acht Eigenschaften ausgestattete Fast-
tag, Väsettho, bringt, wenn er befolgt wird, hohen
Lohn und Segen und ist von erhabener Würde und
Größe, In welcher Weise aber befolgt, Väsettho,.
bringt der mit acht Eigenschaften ausgestattete Fast-
tag hohen Lohn und Segen und ist von erhabener
Würde und Größe?
„Da, Väsettho, erwägt der edle Jünger also bei
sich: »Zeitlebens meiden Heilige das Töten, halten sich
von Verletzung der Lebewesen fern. Ohne Stock, ohne
Waffe, voll Zartgefühl und Liebe, sind sie auf das
Wohl aller Wesen und Geschöpfe bedacht. Und auch
ich meide heute, diesen Tag und diese Nacht, das Töten,,
halte mich von Verletzung der Lebewesen fern. Ohne
Stock, ohne Waffe, voll Zartgefühl und Liebe, bin ich
auf das Wohl aller Wesen und Geschöpfe bedacht.
In dieser Eigenschaft folge ich den Heiligen nach, und
den Fasttag werde ich befolgt haben. Mit dieser ersten
Eigenschaft ist er ausgestattet.«
, .»Zeitlebens meiden Heilige das Stehlen, halten
sich vom Nehmen des Nichtgegebenen fern. Das Ge-
gebene abwartend, nicht diebisch gesinnt, verweilen
— 90 —
ACHTERBUCH Vra44
sie lauteren Herzens. Und auch ich meide heute,
diesen Tag und diese Nacht, das Stehlen, halte mich
vom Nehmen des Nichtgegebenen fern. Das Gegebene
abwartend, nicht diebisch gesinnt, verweile ich lauteren
Herzens. Auch in dieser Eigenschaft folge ich den
Heiligen nach, und den Fasttag werde ich befolgt
haben. Mit dieser zweiten Eigenschaft ist er aus-
gestattet.«
,, »Zeitlebens meiden Heilige den unkeuschen Wan-
del. Keusch und abseits lebend, halten sie sich fern
von der Begattung, der gemeinen. Und auch ich
meide heute, diesen Tag und diese Nacht, den un-
keuschen Wandel. Keusch und abseits lebend, halte
ich mich fern von der Begattung, der gemeinen. Auch
in dieser Eigenschaft folge ich den Heiligen nach,
und den Fasttag werde ich befolgt haben. Mit dieser
dritten Eigenschaft ist er ausgestattet.«
„»Zeitlebens meiden Heilige die Lüge, halten sich
fern von unwahren Worten. Die Wahrheit sprechen
sie, der Wahrheit sind sie verbunden, standhaft, ver-
trauenswürdig, keine Betrüger der Welt. Und auch
ich meide heute, diesen Tag und diese Nacht, die Lüge,
halte mich fern von unwahren Worten. Die Wahrheit
spreche ich, der Wahrheit bin ich verbunden, stand-
haft, vertrauenswürdig, kein Betrüger der Welt. Auch
in dieser Eigenschaft folge ich den Heiligen nach,
und den Fasttag werde ich befolgt haben. Mit dieser
vierten Eigenschaft ist er ausgestattet.«
,, »Zeitlebens meiden Heilige den Genuß berau-
schender Getränke, wie Wein und Branntwein, halten
sich fern vom Genüsse berauschender Getränke. Und
auch ich meide heute, diesen Tag und diese Nacht,
— 91 —
Vm44 ACHTERBUCH
den Genuß berauschender Getränke, wie Wein und
Alkohol, halte mich fern vom Genüsse berauschender
Getränke. Auch in dieser Eigenschaft folge ich den
Heiligen nach, und den Fasttag werde ich befolgt
haben. Mit dieser fünften Eigenschaft ist er aus-
gestattet.«
,, »Zeitlebens nehmen Heilige nur zu einer Tages-
zeit Reis zu sich, bleiben des Nachts nüchtern, enthalten
sich des Essens am Abend. Und auch ich nehme heute
diesen Tag und diese Nacht, nur zu einer Tageszeit
Reis zu mir, bleibe des Nachts nüchtern, enthalte mich
des Essens am Abend. Auch in dieser Eigenschaft
folge ich den Heiligen nach, und den Fasttag werde
ich befolgt haben. Mit dieser sechsten Eigenschaft ist
er ausgestattet.«
„»Zeitlebens meiden Heilige Tanz, Gesang und
Musik, sowie das Anschauen von Schaustellungen,
den Gebrauch von Blumen, Riechstoffen, Salben,
Schmuck und Schönheitsmitteln. Und auch ich meide
heute, diesen Tag und diese Nacht, Tanz, Gesang und
Musik, sowie das Anschauen von Schaustellungen, den
Gebrauch von Blumen, Riechstoffen, Salben, Schmuck
und Schönheitsmitteln. Auch in dieser Eigenschaft
folge ich den Heiligen nach, und den Fasttag werde
ich befolgt haben. Mit dieser siebenten Eigenschaft
ist er ausgestattet.«
,, »Zeitlebens meiden Heilige hohe und vornehme
Lager, halten sich von hohen und vornehmen Lagern
fern. Eines niedrigen Lagers bedienen sie sich, sei's
ein Bett oder Strohlager. Und auch ich meide heute
diesen Tag und diese Nacht, hohe und vornehme Lager,
halte mich von hohen und vornehmen Lagern fern.
— 92 —
ACHTERBUCH Vm44
Eines niedrigen Lagers bediene ich mich, sei's ein Bett
oder Strohlager. Auch in dieser Eigenschaft folge ich
den HeiHgen nach, und den Fasttag werde ich befolgt
haben. Mit dieser achten Eigenschaft ist er ausge-
stattet.«
,,In dieser Weise befolgt, Väsettho, bringt der mit
acht Eigenschaften ausgestattete Fasttag hohen Lohn
und Segen und ist von erhabener Würde und Größe.
In welchem Maße aber bringt er hohen Lohn und Segen
und ist von erhabener Würde und Größe?
,,Wenn da, Väsettho, zum Beispiel einer als Herr
und König über die folgenden sechzehn mächtigen
Länder die Oberherrschaft führen möchte, den an
siebenfachen Schätzen reichen, nämlich über das Land
der Anger, der Mägadher, Käser, Kosaler, Vajjer,^
Maller, Getier, Bengalen, Kuruer, Pangälen, Maccher,
Surasener, Assaker, Avanter, Gandhärer und Kam-
bojer, so ist das nicht soviel wert wie der sechzehnte
Teil des mit acht Eigenschaften ausgestatteten Fast-
tags. Und warum? Weil menschliche Herrschaft an-
gesichts himmlischer Glückseligkeit eben etwas Arm-
seliges ist!
,,Was da, Väsettho, bei den Menschen fünfzig
Jahre sind, das ist bei den Engeln der Vier Großkönige
ein Tag und eine Nacht. Dreißig solcher Nächte aber
machen einen Monat, zwölf solcher Monate ein Jahr,
und fünfhundert solcher Jahre machen das Lebens-
alter der Engel der Vier Großkönige aus. Möglich ist
es nun, Väsettho, daß da ein Mann oder ein Weib
durch die Befolgung des achtfach ausgestatteten Fast-
tags beim Zerfalle des Leibes, nach dem Tode, in der
Gemeinschaft der Engel der Vier Großkönige wieder-
93 —
VIII 44 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
erscheint. Deshalb eben, Väsettho, habe ich gesagt,
daß menschliche Herrschaft angesichts himmlischer
Glückseligkeit etwas Armseliges ist.
,,Was da, Väsettho, bei den Menschen hundert
Jahre sind, das ist bei den Engeln der Dreiunddreißig
ein Tag und eine Nacht. Dreißig solcher Nächte aber
machen einen Monat, zwölf solcher Monate ein Jahr,
und tausend solcher Jahre machen das Lebensalter
der Engel der Dreiunddreißig aus. Möglich ist es nun,
Väsettho, daß da ein Mann oder ein Weib durch die
Befolgung des achtfach ausgestatteten Fasttages beim
Zerfalle des Leibes, nach dem Tode, in der Gemein-
schaft der Engel der Dreiunddreißig wiedererscheint.
Deshalb eben, Väsettho, habe ich gesagt, daß mensch-
liche Herrschaft angesichts himmlischer Glückseligkeit
etwas Armseliges ist.
,,Was da, Väsettho, bei den Menschen zweihundert
Jahre sind, das ist bei den Schattengeistern ein Tag
und eine Nacht. Dreißig solcher Nächte aber machen
einen Monat, zwölf solcher. Monate ein Jahr, und
tausend solcher Jahre machen das Lebensalter der
Schattengeister aus. Möglich ist es nun, Väsettho,
daß ein Mann oder ein Weib durch die Befolgung des
achtfach ausgestatteten Fasttags beim Zerfalle des
Leibes, nach dem Tode, in der Gemeinschaft der
Schattengeister wiedererscheint. Deshalb eben, Vä-
settho, habe ich gesagt, daß menschliche Herrschaft
angesichts himmlischer Glückseligkeit etwas Arm-
seliges ist.
,,Was da, Väsettho, bei den Menschen vierhundert
Jahre sind, das ist bei den Seligen Geistern ein Tag
und eine Nacht. Dreißig solcher Nächte eben machen
^ 94 —
ACHTERBUCH vm 44
einen Monat, zwölf solcher Monate ein Jahr, und
viertausend solcher Jahre machen das Lebensalter
der Seligen Geister aus. Möglich ist es nun, Väsettho,
daß da ein Mann oder ein Weib durch die Befolgung
des achtfach ausgestatteten Fasttags beim Zerfalle des
Leibes, nach dem Tode, in der Gemeinschaft der Seligen
Geister wiedererscheint. Deshalb eben, Väsettho, habe
ich gesagt, daß menschliche Herrschaft angesichts
himmlischer Glückseligkeit etwas Armseliges ist.
,,Was da, Väsettho, bei den Menschen achthundert
Jahre sind, das ist bei den Schöpfungsfreudigen Engeln
ein Tag und eine Nacht. Dreißig solcher Nächte aber
machen einen Monat, zwölf solcher Monate ein Jahr,
und achttausend solcher Jahre machen das Lebensalter
der Schöpfungsfreudigen Engel aus. Möglich ist es
nun, Väsettho, daß da ein Mann oder ein Weib durch
die Befolgung des achtfach ausgestatteten Fasttags
beim Zerfalle des Leibes, nach dem Tode, in der Ge-
meinschaft der Schöpfungsfreudigen Engel wieder-
erscheint. Deshalb eben, Väsettho, habe ich gesagt,
daß menschliche Herrschaft angesichts himmlischer
Glückseligkeit etwas Armseliges ist.
„Was da, Väsettho, bei den Menschen sechzehn-
hundert Jahre sind, das ist bei den über die Erzeug-
nisse der Anderen verfügenden Engeln ein Tag und eine
Nacht. Dreißig solcher Nächte aber machen einen
Monat, zwölf solcher Monate ein Jahr, und sechzehn-
tausend solcher Jahre machen das Lebensalter der
über die Erzeugnisse der Anderen verfügenden Engel
aus. Möglich ist es nun, Väsettho, daß da ein Mann
oder ein Weib durch die Befolgung des achtfach aus-
gestatteten Fasttags beim Zerfalle des Leibes, nach
— 95 — .
Vm44 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
dem Tode, in der Gemeinschaft der über die Erzeug-
nisse der Anderen verfügenden wiedererscheint. Des-
halb eben, Väsettho, habe ich gesagt, daß menschliche
Herrschaft angesichts himmlischer Glückseligkeit etwas
Armseliges ist.
„Nicht töte man, noch greife man nach fremdem Gut,.
Man lüge nicht, ergeb' sich nicht der Trunkenheit,
Vor Unkeuschheit, Begattung sei man auf der Hut,
Verzehre nichts des Nachts zu ungelegner Zeit.
,,Man meide Blumen und wohlriechende Substanzen^
Benutz' ein niedrig' Bett, ein Lager auf der Erde:
Dies nennet man den achtgeteilten Fastentag,
Der zu des Leidens Ende führte, den Buddha lehrte.
„Sonne und Mond, die so herrlich Erstrahlenden,
Wandeln leuchtend umher, wo auch immer sie sind.
Das Dunkel verscheuchend, die Lüfte durcheilend,
Glänzen am Firmamente sie, alles erleuchtend.
„Was immer dieser Raum an Schätzen bieten mag,
An Perlen, Edelsteinen, Gold, Türkisen,
An Hörnergold, an Gold aus Bergesminen,
An gelbem Gold und andren Arten Goldes,
„Ja, Sonn' und Mond mitsamt der ganzen Sternenschar„
Die heißt man nicht einmal ein Sechzehntel,
Des achtgeteilten Fastentages wert.
„Sei's drum ein weiblich Wesen oder sei's ein Mann:
Wer sittenrein den achtgeteilten Fasttag hält
Und gute, segensreiche Werke übet,
Der gehet ohne Tadel ein zur Himmelswelt."
Auf diese Worte sprach Väsettho der Anhänger
also zum Erhabenen:
— 96 —
ACHTERBUCH Vin 46
„Ja, möchten, o Ehrwürdiger, auch meine lieben
Vettern und Verwandten den mit acht Eigenschaften
ausgestatteten Fasttag innehalten, so möchte es auch
ihnen für lange Zeit zum Heile und Wohle gereichen.
Und möchten, o Ehrwürdiger auch alle Adeligen, Brah-
manen, Bürger und Knechte den mit acht Eigenschaften
ausgestatteten Fasttag inne halten, so möchte es auch
ihnen für lange Zeit zum Heile und Wohle gereichen."
,,So ist es, Väsettho! So ist es, Vasettho! Möchten
auch alle Adeligen, Brahmanen, Bürger und Knechte
den mit acht Eigenschaften ausgestatteten Fasttag
innehalten, so möchte es auch ihnen für lange Zeit zum
Heile und Wohle gereichen. Und möchte auch die
von Dewen, Mahren und Göttern bewohnte Welt, die
ganze Schar der Asketen und Priester, Himmels-
wesen und Menschen den mit acht Eigenschaften aus-
gestatteten Fasttag innehalten, so möchte es auch
ihnen für lange Zeit zum Heile und Wohle gereichen.
Und möchten, Väsettho, diese gewaltigen Baumriesen
einen Willen besitzen und den mit acht Eigenschaften
ausgestatteten Fasttag innehalten, so möchte es auch
ihnen für lange Zeit zum Heile und Wohle gereichen. Was
soll man da erst von den menschlichen Wesen sagen?"
Wiedergeburt unter den Anmutigen Engeln 46
Einst weilte der Erhabene bei Kosambi im Ghosi-
takloster. Damals aber verbrachte der ehrwürdige
Anuruddho den Tag in der Abgeschiedenheit. Und
zahlreiche Anmutige Gottheiten kamen auf den ehr-
würdigen Anuruddho zu, begrüßten ihn ehrerbietig und
stellten sich zur Seite hin. Zur Seite aber stehend
sprachen jene Engel also zum ehrwürdigen Anuruddho:
— 97 — 7 ■
vm46 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
,,Wir, die Anmutigen Engel, ehrwürdiger Anu-
ruddho, besitzen Herrschaft und Gewalt über drei
Dinge: welche Farbe wir auch wünschen, o Ehr-
würdiger, diese Farbe erlangen wir auf der Stelle;
welche Stimme wir auch wünschen, diese Stimme
erlangen wir auf der Stelle; welche Freude wir auch
wünschen, diese Freude erlangen wir auf der Stelle.
Wir, ehrwürdiger Anuruddho, besitzen die Herrschaft
und Gewalt über diese drei Dinge."
Da dachte der ehrwürdige Anuruddho: »>Ach,
daß doch diese Engel alle blau würden, von blauer
Farbe, blauem Gewände, blauem Schmucke!«« Und
jene Engel, des ehrwürdigen Anuruddho Gedanken
erkennend, wurden alle blau, von blauer Farbe,
blauem Gewände, blauem Schmucke.
Da dachte der ehrwürdige Anuruddho: »Ach, daß
doch diese Engel alle gelb würden, — alle rot würden,
— alle weiß würden, von weißer Farbe, weißem Ge-
wände, weißem Schmucke!« Und jene Engel, des ehr-
würdigen Anuruddho Gedanken erkennend, wurden
alle weiß, von weißer Farbe, weißem Gewände, weißem
Schmucke.
Darauf begannen einige jener Engel zu singen,
einige zu tanzen, einige in die Hände zu klatschen.
Genau wie das wohlgeschulte, wohl ausgeführte Fünfer-
spiel (1), von Künstlern vorgetragen, herrlich, be-
(1) Die fünf Instrumente des Fünferspiels waren: ätata, eine
einseitig bespannte Trommel; vitata, eine doppelseitig bespannte
Trommel; ätata- vitata, eine vollständig mit Fell überzogene Trom-
mel; susira, ein Holzblasinfltrmnent, jedenfalls eine Art Flöte oder
Klarinette; verschiedene Arten von Zimbeln.
— 98 —
ACHTERBUCH vra46
strickend, gefällig, lieblich und berauschend klingt,
genau so klangen die Stimmen jener Engel. Doch der
ehrwürdige Anuruddho wandte seine Sinne davon ab.
Als aber jene Engel merkten, daß der ehrwürdige Anu-
ruddho keinen Gefallen daran fand, verschwanden sie
auf der Stelle.
Am Abende nun, nachdem der ehrwürdige Anu-
ruddho seine Abgeschiedenheit verlassen hatte, begab
er sich zum Erhabenen, begrüßte ihn ehrfurchtsvoll
und setzte sich zur Seite nieder. Zur Seite aber sitzend
berichtete er dem Erhabenen, was sich zugetragen
hatte und sprach:
,,Mit wie vielen Eigenschaften ausgestattet, o
Ehrwürdiger, erscheint ein Weib beim Zerfalle des
Leibes, nach dem Tode, in der Gemeinschaft der
Anmutigen Engel wieder?"
„Mit acht Eigenschaften, Anuruddho: Mit welchen
acht?
,, Welcher Gatte es auch immer sein möge, dem
die Eltern ihre Tochter, auf ihr Heil und Wohl be-
dacht — als Gattin anvertrauen, so erhebt sie sich
vor ihm, geht nach ihm zu Bett, ist ihm eine willige
Dienerin, eine angenehme Gefährtin, begegnet ihm
mit freundlichen Worten. Die Personen, die dem
Gatten teuer sind, wie Vater und Mutter, Asketen
und Priester, die ehrt, würdigt, schätzt und achtet
sie und wartet ihnen bei ihrer Ankunft mit Sitz und
Wasser auf. Was es da für die Gattin an häuslichen
Arbeiten gibt, wie in Wolle und Baumwolle, da ist
sie tüchtig und eifrig, versteht sich dabei auf die
richtigen Mittel, zu handeln und anzuordnen. Was
da das Hausgesinde im Hause des Gatten anbetrifft,
_ 99 — '^*
VIII 46 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
wie Knechte, Diener und Arbeiter, so betrachtet sie
die von ihnen verrichtete Arbeit als verrichtet, die
unverrichtete als unv errichtet; sind sie i<rank, so
stellt sie ihre Tauglichkeit oder Untauglichkeit zur
Arbeit fest; harte und weiche Speisen verabreicht
sie ihnen in richtigem Maße. Was der Gatte an Schät-
zen, an Getreide, Silber und Gold mitbringt, das
bewacht und behütet sie; nicht hintergeht sie ihn da-
bei, entwendet nichts; ist nicht dem Trinken ergeben
und richtet ihn nicht zugrunde. Als Anhängerin hat
sie ihre Zuflucht genommen zum Erleuchteten, zum
Gesetze und zur Jüngerschaft. Sie ist sittenrein und
enthält sich des Tötens, Stehlens, geschlechtlichen
Ausschreitens, Lügens und des Genusses berauschender
Getränke. Sie ist freigebig, mit offenen Händen gibt
sie, das Geben macht sie froh; den Bedürftigen ist sie
zugetan, findet am Austeilen von Almosen Freude.
,,Mit diesen acht Eigenschaften ausgestattet,
Anuruddho, erscheint das Weib beim Zerfalle des
Leibes, nach dem Tode, in der Gemeinschaft der
Anmutigen Engel wieder."
„Die Arbeiten besorgt sie gründlich,
Nimmt ihrer Dienerschar sich an,
Begegnet liebevoll dem Gatten
Und hütet seine Schätze wohl.
„Voll Zuversicht und Sittlichkeit,
Voll Milde, frei von jedem Geiz,
Bereitet sie den Pfad stets vor,
Ihr Heil in einer andern Welt.
„Das Weib, das diese Dinge acht
Als Eigenschaften in sich hat,
— 100 —
ACHTERBUCH vm 50
Bezeichnet man als sittenrein,
Als tugendstark und wahrheitsfest.
„Die sechzehn Dinge ihr eigen nennt
Und achtfachwohl gerüstet ist:
Solch' sittenvollkommene Anhängerin
Gelangt zu der Anmut'gen Gottheiten Reich.
Der Sieg des Weibes
Mit vier Eigenschaften ausgestattet, ihr Mönche,
erobert sich das Weib diese Welt, gewinnt sie diese
Welt: mit welchen vier Eigenschaften?
Da, ihr Mönche, besorgt das Weib ihre Arbeiten
gründlich, nimmt sich ihrer Dienerschaft an, erweist
sich liebevoll gegen ihren Gatten, hütet die erworb-
nen Schätze.
— Wie aber, ihr Mönche, erweist sich das Weib
liebevoll gegen ihren Gatten? Was da, ihr Mönche,
für den Gatten als unangenehm gilt, solches tut das
Weib nicht für ihr Leben. —
Mit folgenden vier Eigenschaften aber ausge-
stattet, ihr Mönche, erobert sich das Weib die nächste
Welt, gewinnt sie die nächste Welt: mit welchen vier
Eigenschaften?
Da, ihr Mönche, ist das Weib von Vertrauen
erfüllt, von Sittlichkeit erfüllt, von Freigebigkeit er-
füllt und von Einsicht erfüllt. —
50
— 101 —
vmsi SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
SECHSTER TEIL:
Das Kapitel der Gotami
51 Die Gründung des Nonnenordens
Einst weilte der Erhabene im Lande der Sakyer
bei Kapilavatthu im Feigenkloster. Und Mahä-Pajä-
pati Götami begab sich zum Erhabenen, begrüßte
ihn ehrfurchtsvoll und stellte sich zur Seite hin, indem
sie sprach:
,,Gut wäre es, o Ehrwürdiger, daß das Weib die
Erlaubnis erlangte, unter dem vom Vollendeten ver-
kündeten Gesetze und seiner Disziplin von Hause in
die Hauslosigkeit zu ziehen."
,, Genug damit, Gotami! Mögest du es nicht gut-
heißen, daß das Weib von Hause in die Hauslosigkeit
ziehe!"
Und zum zweitenmale und drittenmale sprach
Mahä-Pajäpati Gotami also zum Erhabenen:
„Gut wäre es, o Ehrwürdiger, daß das Weib die
Erlaubnis erlangte, unter dem vom Vollendeten ver-
kündeten Gesetze und seiner Disziplin von Hause in
die Hauslosigkeit zu ziehen!"
,, Genug damit, Gotami! Mögest du es nicht gut-
heißen, daß das Weib von Hause fort in die Haus-
losigkeit ziehe!"
Als nun Mahä-Pojäpäti Gotami einsah, daß der
Erhabene dem Weibe nicht gestatten wollte, unter
den vom Vollendeten verkündeten Gesetze und seiner
Disziplin von Hause in die Hauslosigkeit zu ziehen,
— 102 —
ACHTERBUCH / VIII 61
wurde sie von Kummer und Trübsinn erfüllt; und mit
tränenbedecktem Antlitze und unter Weinen begrüßte
sie ehrerbietig den Erhabenen, und ihm die Rechte
zukehrend ging sie davon.
Nachdem nun der Erhabene, solange wie es ihm
gefiel, in Kapilavatthu verweilt hatte, machte er sich
auf den Weg nach Vesäli. Und immer weiter wandernd
gelangte er vor Vesäli an. Dort aber blieb er im
Großen Walde bei Vesäli, in der Halle des Spitzen-
hauses. Mahä-Pajäpati Gotami aber ließ sich die
Haare scheren, legte die gelben Gewänder an und
machte sich, von zahlreichen Freundinnen begleitet,
ebenfalls auf den Weg nach Vesäli. Nach und nach
gelangte sie bei Vesäli im Großen Walde, in der
Halle des Spitzenhauses an. Mit geschwollenen Füßen,
staubbedeckten Gliedern, erfüllt von Schmerz und
Trübsal, das Antlitz von Tränen erfüllt, stand Mahä-
Pajäpati Gotami weinend am Toreingang. Der ehr-
würdige Änando aber erblickte sie, als sie vor dem
Toreingange stand, und sprach zu ihr:
,, Warum, o Gotami, stehst du da weinend am Tor-
eingange, mit geschwollenen Füßen und staubbedeckten
Gliedern, das Antlitz von Tränen erfüllt?"
,,Weil, 0 Ehrwürdiger, der Erhabene dem Weibe
nicht gestattet, unter dem vom Vollendeten verkün-
teten Gesetze und seiner Disziplin von Hause in die
Hauslosigkeit zu ziehen."
,,So warte denn, Pajäpati, noch solange hier, bis
ich den Erhabenen darum gebeten habe, daß das
Weib unter dem vom Vollendeten verkündeten Gesetze
und seiner Disziplin von Hause fort in die Hauslosig-
keit ziehen mag!"
— 103
VIII 51 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Und der ehrwürdige Anando ging zum Erhabenen
hin, begrüßte ihn ehrerbietig und setzte sich zur Seite.
Darauf sprach er zum Erhabenen:
„Diese Mahä-Pajäpati Gotami, o Ehrwürdiger,
steht da weinend vor dem Toreingange, mit geschwol-
lenen Füßen und staubbedeckten Gliedern, das Ant-
litz von Tränen erfüllt, weil der Erhabene dem Weibe
nicht gestatte, unter dem vom Vollendeten verkün-
deten Gesetze und seiner Disziplin von Hause in die
Hauslosigkeit zu ziehen. Gut wäre es, o Ehrwürdiger,
daß der Erhabene dem Weibe gestattete, unter dem
vom Vollendeten verkündeten Gesetze und seiner
Disziplin von Hause in die Hauslosigkeit zu ziehen."
,, Genug damit, Anando! Mögest du es nicht gut-
heißen, daß das Weib von Hause in die Hauslosigkeit
ziehe!"
Und zum zweitenmale und drittenmale sprach
der ehrwürdige Anando also zum Erhabenen:
,,Gut wäre es, o Ehrwürdiger, daß der Erhabene
dem Weibe gestattete, unter dem vom Vollendeten
verkündeten Gesetze und unter seiner Disziplin von
Hause in die Hauslosigkeit zu ziehen."
„Genug damit, Anando! Mögest du es nicht gut-
heißen, daß das Weib von Hause in die Hauslosigkeit
ziehe!"
Da dachte der ehrwürdige Anando: »Nicht will
der Erhabene dem Weibe gestatten, unter dem vom
Vollendeten verkündeten Gesetze und seiner Disziplin
von Hause in die Hauslosigkeit zu ziehen. So laß
mich denn den Erhabenen noch auf eine andere Weise
bitten!« Und der ehrwürdige Anando sprach folgender-
maßen zum Erhabenen:
— 104 —
ACHTERBUCH VIII 51
„Ist wohl ein Weib, o Eiirwürdiger, wenn es unter
dem vom Vollendeten verkündeten Gesetze und seiner
Disziplin von Hause in die Hauslosigkeit zieht, im-
stande, das Ziel des Stromeintrittes, der Einmalwieder-
kehr, der Niewiederkehr und der Heiligkeit zu ver-
wirklichen?"
,,Ja, Änando, dazu ist das Weib imstande."
,,Wenn nun also, o Ehrwürdiger, das Weib dazu
imstande ist, — übrigens hat ja auch Mahä-Pajäpati
Gotami dem Erhabenen große Dienste geleistet, ist
seine Tante, seine Erzieherin und Ernährerin, hat
den Erhabenen nach dem Tode seiner Mutter mit
ihrer eigenen Milch gestillt, — so ist es gut, daß der
Erhabene dem Weibe gestatte, unter dem vom Voll-
endeten verkündeten Gesetze und seiner Disziplin
von Hause in die Hauslosigkeit zu ziehen."
,,Wenn, Änando, Mahä-Pajäpati Gotami die acht
wichtigen Gebote auf sich nehmen will, so möge das
als ihre »Weihe« (upasämpadä) gelten:
,,Eine Nonne soll, auch wenn sie schon vor hun-
dert Jahren die Weihe erhalten hat, selbst einen erst
an demselben Tage aufgenommenen Mönch ehrerbietig
begrüßen, sich vor ihm erheben, ihm ehrfurchtsvollen
Handgruß bieten und Achtung erweisen. Dieses
Gebot soll sie ehren, achten, würdigen und hoch-
halten und zeitlebens nicht übertreten.
,,Eine Nonne soll nicht in einem Kloster, das den
Mönchen zugänglich ist, die Regenzeit antreten. Auch
dieses Gebot soll sie ehren, achten, würdigen und
hochhalten und zeitlebens nicht übertreten.
,,Eine Nonne soll jeden halben Monat die Mönchs-
gemeinde um zwei Dinge ersuchen: um einen Be-
— 105 -
vmsi SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
frager für den Fasttag und um den Besuch eines Unter-
weisers. Auch dieses Gebot soll sie ehren, achten,
würdigen und hochhalten und zeitlebens nicht über-
treten.
,,Wenn die Nonne die Regenzeit beendet hat,
soll sie beiden Ordensgemeinden in dreifacher Hin-
sicht »Genugtuung« (paväranä) geben, darüber was
man [während der Regenzeit Schlechtes an ihr] ge-
sehen, gehört oder vermutet hat. Auf dieses Gebot
soll sie ehren, achten, würdigen und hochhalten und
zeitlebens nicht übertreten.
,,Wenn die Nonn ein schweres Vergehen be-
gangen hat, soll sie vor den beiden Ordensgemeinden
vierzehn Tage lang »Buße« (mänatta) tun. Auch
dieses Gebot soll sie ehren, achten, würdigen und
hochhalten und zeitlebens nicht übertreten.
,,Eine Übende (sikkhamänä), die sich zwei Jahre
lang in den sechs Geboten geübt hat, soll bei beiden
Ordensgemeinden um die Weihe nachsuchen. Auch
dieses Gebot soll sie ehren, achten, würdigen und
hochhalten und zeitlebens nicht übertreten.
,,ln keinerlei Weise darf die Nonne einen Mönch
beschimpfen oder verleumden. Auch dieses Gebot
soll sie ehren, achten, würdigen und hochhalten und
zeitlebens nicht übertreten.
,,Von heute ab ist den Nonnen das Anreden der
Mönche untersagt; nicht aber ist etwa den Mönchen
das Anreden der Nonnen untersagt. Auch dieses
Gebot soll sie ehren, achten, würdigen und hochhalten
und zeitlebens nicht übertreten.
,,Wenn, Änando, Mahä-Pajäpati Gotami diese
— 106 —
ACHTERBUCH vmsi
acht wichtigen Gebote auf sich nehmen will, so möge
das als ihre Weihe gelten."
Nachdem nun der ehrwürdige Änando vom Er-
habenen diese acht wichtigen Gebote erfahren hatte,
begab er sich zu Mahä-Pajäpati Gotami und teilte ihr
mit, daß, wenn sie diese acht wichtigen Gebote auf
sich nehme, dies als ihre Weihe gelten möge.
[Gotami:] ,, Gleichwie, o Ehrwürdiger, eine Frau
oder ein junger, jugendlicher schmuckliebender Mann
mit rein gewaschenem Haupte, sobald er einen Kranz
aus Lotusblumen oder Jasmin oder eine Perlenschnur
erhält, sie mit beiden Händen ergreifen und auf dem
edelsten Körperteile, dem Kopfe, befestigen möchte:
genau so, o Ehrwürdiger, nehme ich diese zeitlebens
nicht zu übertretenden, acht wichtigen Gebote auf
mich."
Darauf begab sich der ehrwürdige Änando zum
Erhabenen und sprach:
,, Mahä-Pajäpati Gotami, o Ehrwürdiger, hat die
zeitlebens nicht zu übertretenden, acht wichtigen
Gebote auf sich genommen."
,,Wenn, Änando, das Weib nicht die Erlaubnis
erlangt, unter dem vom Vollendeten verkündeten Ge-
setze und seiner Disziplin von Hause in die Hauslosig-
keit zu ziehen, so möchte der Heilige Wandel noch
lange bestehen bleiben, so möchte das Gute Gesetz
noch tausend Jahre lang fortbestehen. Da nun aber,
Änando, das Weib unter dem vom Vollendeten ver-
kündeten Gesetze und seiner Disziplin von Hause in
die Hauslosigkeit gezogen ist, so wird der Heilige
Wandel nicht lange bestehen bleiben; von nun an
— 107 -^
VIII 52 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
wird das Gute Gesetz nur noch fünfhundert Jahre
bestehen bleiben.
„Gleichwie diejenigen Familien, Änando, die reich
sind an weiblichen Mitgliedern, aber arm an Männern,
leicht durch Räuber und Einbrecher zugrunde gerich-
tet werden: ebenso auch, Änando, ist in einem Gesetze
und seiner Disziplin, unter der das Weib von Hause
in die Hauslosigkeit zieht, der Heilige Wandel nicht
von langer Dauer.
,,Oder gleichwie, Änando, wenn in einem reifen
Reisfelde eine gewisse, mit Mehltau bezeichnete Krank-
heit ausbricht, dabei jenes Reisfeld nicht lange be-
stehen kann, oder wenn in einem Zuckerrohrfelde die
mit Röte bezeichnete Krankheit ausbricht, dabei
jenes Zuckerrohrfeld nicht lange bestehen kann: ebenso
auch, Änando, ist in einem Gesetze und einer Dis-
ziplin, unter der das Weib von Hause fort in die Haus-
losigkeit zieht, der Heilige Wandel nicht von langer
Dauer.
,,Wie aber, Änando, ein Mann bei einem großen
Teiche schon im Voraus den Damm errichtet, damit
das Wasser nicht überfließen kann: ebenso auch,
Änando, habe ich schon im Voraus den Nonnen acht
zeitlebens nicht zu übertretende, wichtige Gebote
gegeben."
^2 Der würdige Ermahner der Nonnen
[Bei Vesäli in der Halle des Giebelhauses]
Der ehrwürdige Änando sprach zum Erhabenen:
„Mit wievielen Eigenschaften, o Ehrwürdiger,
— 108 —
ACHTERBUCH Vra53
soll ein Mönch ausgestattet sein, um zum Ermahner
der Nonnen ernannt zu werden?"
„Mit acht Eigenschaften, Änando: mit welchen
acht?
„Da, Änando, ist ein Mönch sittenrein. Er be-
sitzt ein großes Wissen. Beide Satzungen sind ihm in
ihren Einzelheiten wohl bekannt. Er bedient sich
edler Worte, führt edle Gespräche. Er besitzt die
Fähigkeit, die Nonnengemeinde in Worten über das
Gesetz zu unterweisen, zu ermahnen, zu ermutigen und
zu ermuntern. Er ist jederzeit den Nonnen lieb und
angenehm. Nicht hat er je zuvor ein schweres Ver-
gehen begangen mit einer, die des Erhabenen wegen
in die Hauslosigkeit gezogen und mit dem gelben
Gewände bekleidet ist. Er hat zwanzig oder noch
mehr Ordensjahre hinter sich. Mit diesen acht Eigen-
schaften, Änando, soll ein Mönch ausgestattet sein,
um zum Ermahner der Nonnen ernannt zu werden."
Die Merkmale des Guten Gesetzes 62
[Bei Vesäli in der Halle des Giebelhauses]
Mahä-Pajäpati Gotami sprach zum Erhabenen:
„Gut wäre es, o Ehrwürdiger, wenn mir der
Erhabene in kurzen Worten das Gesetz darlegte, auf
daß ich, nachdem ich das Gesetz vom Erhabenen
vernommen habe, einsam, abgeschieden, unermüdlich,
eifrig und selbstentschlossen verweilen möge."
„Bei denjenigen Erscheinungen, Gotami, von
denen du weißt, daß sie zur Gier führen und nicht
zur Abwendung, daß sie zum Anhaften führen und
nicht zur Loslösung, daß sie zur Aufschichtung führen
— 109 —
Tm54 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
und nicht zur Abschichtung (1), daß sie zur Unbe-
scheidenheit führen und nicht zur Bescheidenheit,
daß sie zur Ungenügsami<eit führen und nicht zur
Genügsamkeit, daß sie zur Geselligkeit führen und
nicht zur Abgeschiedenheit, daß sie zur Trägheit führen
und nicht zur Willenskraft, daß sie zu Unterstützungs-
schwierigkeiten führen und nicht zur leichten Unter-
stützbarkeit, da magst du als sicher annehmen, daß
dies nicht das Gesetz, nicht die Disziplin, nicht die
Weisung des Meisters ist,
,,Bei denjenigen Erscheinungen aber, Gotami, von
denen du weißt, daß sie zur Abwendung führen und
nicht zur Gier, daß sie zur Loslösung führen und nicht
zum Anhaften, daß sie zur Abschichtung führen und
nicht zur Aufschichtung, daß sie zur Bescheidenheit
führen und nicht zur Unbescheidenheit, daß sie zur
Genügsamkeit führen und nicht zur Ungenügsamkeit,
daß sie zur Abgeschiedenheit führen und nicht zur
Geselligkeit, daß sie zur Willenskraft führen und nicht
zur Trägheit, daß sie zur leichten Unterstützbarkeit
führen und nicht zu Unterstützungsschwierigkeiten,
da magst du als sicher annehmen, daß dies das Gesetz,
dies die Disziplin, dies die Weisung des Meisters ist."
M Segensreiche Eigenschaften für Hausleute
Einst weilte der Erhabene im Lande der Kolier,
in der Kolierstadt namens Kakkarapatta. Da nun
begab sich Dighajänu der Koliersohn zum Erhabenen.
(1) Nämlich des in immer neuer Wiedergeburt sich äußernden
Dasernsprozesses .
— 110 —
ACHTERBUCH Vm 54
Dort angelangt begrüßte er ehrfurchtsvoll den Er-
habenen, setzte sich zur Seite und sprach:
„Wir als Hausleute, o Ehrwürdiger, die wir die
Sinnenfreuden genießen, wohnen mitten im Gedränge
von Weibern und Kindern. Wir gebrauchen feinstes
Sandelholz, verwenden Blumen, Riechstoffe und Sal-
ben, nehmen Gold und Silber an. Möchte doch, o
Ehrwürdiger, der Erhabene uns so das Gesetz dar-
legen, daß es uns zum diesseitigen und jenseitigen
Heile und Wohle gereiche."
,, Folgende vier Dinge, Vyagghapajjer (1), gereichen
dem edlen Sohne zum diesseitigen Heile und Wohle:
welche vier? Vollkommener Fleiß, vollkommene
Wachsamkeit, edler Umgang und maßvolle Lebens-
weise.
,,Was aber, Vyagghapajjer, ist vollkommener
Fleiß? Da, Vyagghapajjer, erwirbt sich der edle Sohn
durch irgend eine Arbeit seinen Lebensunterhalt, sei
es als Bauer, Kaufmann oder Rinderhirt, als Bogen-
schütze oder königlicher Beamter, oder sei es durch
irgend ein Handwerk. Darin aber ist er tüchtig und
nicht nachlässig, und er versteht sich auf die richtigen
Mittel zu handeln und anzuordnen. Das, Vyagghapajjer,
nennt man vollkommenen Fleiß.
,,Was aber, Vyagghapajjer, ist vollkommene Wach-
samkeit? Da, Vyagghapajjer, besitzt der edle Sohn
Güter, die er sich durch Fleiß und Strebsamkeit er-
rungen, durch seiner Hände Arbeit angesammelt und
(1) Wörtl. »Tigerfährtier«, die von alters her übUche Anrede
für die Angehörigen dieses Stammes. Nach der Überlieferung
nämlich sollen ihre Stammväter auf einer Tigerfährte zuerst das
Licht der Welt erblickt haben.
111
VIII 54 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
über die er seinen Schweiß vergossen hat. Diese hütet
und bewacht er, damit sie nicht etwa Fürsten oder
Räuber wegnehmen oder das Feuer zerstöre oder das
Wasser mit fortspüle oder lieblose Erben an sich
reißen. Das, Vyagghapajjer, nennt man vollkommene
Wachsamkeit.
,,Was aber, Vyagghapajjer, ist edler Umgang?
Was es da, Vyagghapajjer, in dem Dorfe oder der
Stadt, wo der edle Sohn wohnt, an Hausvätern oder
Söhnen von Hausvätern oder Jünglingen gibt, die
sich würdig benehmen und Vertrauen, Sittlichkeit,
Freigebigkeit und Einsicht besitzen, mit solchen ver-
bringt er seine Zeit, mit solchen plaudert er und läßt
er sich in Gespräche ein. Und den solcherart Ver-
trauensvollen eifert er im Vertrauen nach, den solcher-
art Sittenreinen eifert er in der Sittlichkeit nach, den
solcherart Freigebigen eifert er in der Freigebigkeit
nach, den solcherart Einsichtigen eifert er in den
Einsicht nach. Das, Vyagghapajjer, nennt man edlen
Umgang.
,,Was aber, Vyagghapajjer, ist maßvolle Lebens-
weise? Da, Vyagghapajjer, kennt der edle Sohn seine
Einnahmen und Ausgaben und richtet dementsprechend
seine Lebensweise ein, nicht zu üppig und nicht zu
dürftig, wissend: »Auf diese Weise werden die Ein-
nahmen meine Ausgaben übertreffen und nicht meine
Ausgaben die Einnahmen«.
,, Gleichwie ein Juwelenhändler oder dessen Ge-
hülfe, wenn er die Wage vor sich hält, weiß, daß sie
um soviel zu niedrig oder um soviel zu hoch anzeigt
ebenso auch, Vyagghapajjer, kennt der edle Sohn
seine Einnahmen und Ausgaben und richtet dement-
— 112 -
ACHTERBUCH Vin54
sprechend seine Lebensweise ein, nicht zu üppig und
nicht zu dürftig, wissend: »Auf diese Weise werden
die Einnahmen meine Ausgaben übertreffen und
nicht umgekehrt«. Führt, Vyagghapajjer, der edle
Sohn bei geringem Einkommen eine üppige Lebens-
weise, so sagt man, daß er seine Schätze vergeude
wie ein Feigenesser, [der mehr Feigen vom Baume
schüttelt, als er zum Essen braucht]. Führt aber,
Vyagghapajjer, der edle Sohn bei großem Einkommen
eine dürftige Lebensweise, so sagt man von ihm, daß
er eines unedlen Todes sterbe. Daß aber Vyagghapajjer,
der edle Sohn seine Einnahmen und Ausgaben kennt
und seine Lebensweise dementsprechend einrichtet,
das, Vyagghapajjer, nennt man eine maßvolle Lebens-
weise.
„Für die so erlangten Schätze, Vyagghapajjer,
gibt es vier Abflüsse: Hurerei, Trunksucht, Würfel-
spiel und Umgang mit bösen Freunden, bösen Ge-
nossen, bösen Gefährten. Wenn da bei einem großen
Teiche, der vier Zuflüsse und vier Abflüsse hat, ein
Mann die Zuflußkanäle verstopft, die Abflußkanäle
aber öffnet und die Wolken keinen rechten Regen
spenden, so hat man da eine Abnahme zu erwarten,
keine Zunahme. Ebenso auch, Vyagghapajjer, gibt
es für die so erlangten Schätze vier Abflüsse: Hurerei,
Trunksucht, Würfelspiel und Umgang mit bösen
Freunden, bösen Genossen, bösen Gefährten.
„Für die so erlangten Schätze, Vyagghapajjer,
gibt es vier Zuflußkanäle: das Meiden von Hurerei,
von Trunksucht, Würfelspiel und Umgang mit bösen
Freunden, bösen Genossen, bösen Gefährten. Wenn
da bei einem großen Teiche, der vier Zuflüsse und vier
— 113 —
VIII 64 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Abflüsse hat, ein Mann die Zuflußkanäie öffnet, die
Abfiußkanäle aber verstopft und die Wolken keinen
rechten Regen spenden, so hat man da eine Zunahme
zu erwarten, keine Abnahme. Ebenso auch, Vyaggha-
pajjer, gibt es für die so erlangten Schätze vier Zu-
flußkanäle: das Meiden von Hurerei, von Trunksucht,
Würfelspiel und Umgang mit bösen Freunden, bösen
Genossen, bösen Gefährten.
,, Diese vier Dinge, Vyagghapajjer, gereichen dem
€dlen Sohne zum diesseitigen Heile und Wohle. Fol-
gende vier Dinge aber, Vyagghapajjer, gereichen dem
«dien Sohne zum jenseitigen Heile und Wohle: welche
vier?
„Vollkommenes Vertrauen, vollkommene Sittlich-
keit, vollkommene Freigebigkeit und vollkommene
Einsicht. Diese vier Dinge, Vyagghapajjer, gereichen
dem edlen Sohne zum jenseitigen Heile und Wohle."
„Voll Fleiß in allem, was er tut,
Voll Tatkraft und voll Ordnungssinn,
Gestaltet maßvoll er sein Leben
Und hütet seine Schätze wohl.
„Voll Zuversicht und Sittlichkeit,
Voll Milde, frei von jedem Geiz,
Bereitet er den Pfad stets vor,
Das Heil in einer andern Welt.
„So führen diese Dinge acht,
Vom Wahrheitslehrer kund getan,
Zu beiderseit'gem Heil den Menschen,
Der voll Vertrau'n im Hause weilt:
„Zum Wohlergeh'n in dieser Welt
Und künftiger Glückseligkeit. —
— lU —
ACHTERBUCH VIII 56. 58
So wächst der Hausleute Verdienst
Und milder Sinn von Tag zu Tag."
Das Elend der Sinnenlüste 56
Als Schrecken, ihr Mönche, bezeichnet man die
Sinnenlüste, als ein Elend, ein Leiden, ein Geschwür,
einen Stachel, als Anhaftung, Schmutz und Brut-
stätte. —
Als Schrecken, Elend und als Leiden,
Als Schwären, Stachel und als Fessel,
Als Dreck und Brutstätte zugleich
Bezeichnet man die Sinnenlüste,
Woran die große Menge hängend.
Vom lieblich Schönen überwältigt.
Zu immer neuem Schöße eilt.
Doch wenn der Mönch, der eifrig kämpft,
Die Geistesklarheit nicht verläßt.
Mag er aus diesem Sumpf sich retten.
Dem man nur schwer entrinnen kann.
Und schauen, wie die Welt sich quält,
Versunken in Geburt und Tod.
Der würdige Mönch 58
Der mit acht Eigenschaften ausgestattete Mönch,
ihr Mönche, ist würdig der Opfer, würdig der Gast-
freundschaft, würdig der Gaben, würdig des ehrfurchts-
vollen Handgrußes, ist in der Welt der beste Boden
für verdienstvolle Werke. Und welches sind diese acht
Eigenschaften?
Da, ihr Mönche, ist der Mönch sittenrein. Ein
großes Wissen eignet ihm. Er hat Umgang mit edlen
— 115 — 8*
Vm58 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Freunden, edlen Gefährten, edlen Genossen. Er besitzt
rechte Erkenntnis, ist von rechten Anschauungen er-
füllt. Der vier Vertiefungen, der geisterhebenden, noch
bei Lebzeiten beglückenden, wird er nach Wunsch
teilhaftig, ohne Mühe und Anstrengung. Er erinnert
sich mancher früheren Daseinsformen. Mit dem Himm-
lischen Auge, dem geklärten, übermenschlichen, sieht
er, wie die Wesen verschwinden'und wiedererscheinen.
Nach Versiegung der Leidenschaften hat er schon
bei Lebzeiten die leidenschaftslose Gemütserlösung und
Wissenserlösung selber erkannt, verwirklicht und sich
zu eigen gemacht. —
Oder: Der Mönch ist sittenrein; ein großes Wissen
eignet ihm; Willenskraft eignet ihm; er wohnt im
Walde in einer abgeschiedenen Behausung; über Lust
und Unlust hat er Gewalt, beherrscht jedesmal die
aufsteigende Unlust; über Furcht und Angst hat er
Gewalt, beherrscht jedesmal die aufsteigende Furcht
und Angst; der vier Vertiefungen wird er nach Wunsch
teilhaftig, ohne Mühe und Anstrengung; die leiden-
schaftslose Gemütserlösung und Wissenserlösung hat
er selber erkannt, verwirklicht und sich zu eigen ge-
macht.
Der mit diesen acht Eigenschaften ausgestattete
Mönch, ihr Mönche, ist würdig der Opfer, würdig der
Gastfreundschaft, würdig der Gaben, würdig des ehr-
furchtsvollen Handgrußes, ist in der Welt der beste
Boden für verdienstvolle Werke.
— 116 —
ACHTERBUCH VIII 59, 60
Die acht würdigen Menschen 59
Acht Menschen, ihr Mönche, sind würdig der
Opfer, würdig der Gastfreundschaft, würdig der Gaben,
würdig des ehrfurchtsvollen Handgrußes, sind in der
Welt der beste Boden für verdienstvolle Werke: welche
acht?
Der in den Strom Eingetretene (sotäpanna)
und derjenige, der auf dem Wege ist, das Ziel des
Stromeintrittes zu verwirklichen. Der Einmal Wie-
derkehrende (sakadägämi) und derjenige, der auf
dem Wege ist, das Ziel der Einmal Wiederkehr zu ver-
wirklichen. Der Niewiederkehrende (anägämi)
und derjenige, der auf dem Wege ist, das Ziel der
Niewiederkehr zu verwirklichen. Der Heilige (arahat)
und derjenige, der auf dem Wege ist, das Ziel der
Heiligkeit zu verwirklichen.
Die vier, die auf den Pfaden wandeln,
Die vier, die hingelangt zum Ziel:
Das ist die wahre Jüngerschaft,
In Einsicht und in Sitte fest.
Die Menschen, die da Gaben spenden,
Den Weisen, die Verdienst erspäh'n
Und weltlich gute Werke tun.
Bringt hier die Gabe hohen Lohn.
Die acht wahren Jünger 60
Die vier, die auf den Pfaden wandeln,
Die vier, die hingelangt zum Ziel,
Das ist die wahre Jüngerschaft:
Acht Jünger nur gibt's in der Welt.
117
vni61 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
SIEBENTER TEIL:
Das Kapitel des Erdbebens
61 Weltlicher Gewinn
Folgende acht Menschen, ihr Mönche, sind in der
Welt anzutreffen: welche acht?
Da, ihr Mönche, entsteht in einem Mönche, wäh-
rend er abgeschieden und unabhängig verweilt, die
Begierde nach Gewinn. Und er strengt sich an, be-
müht sich und strebt danach, Gewinn zu erlangen.
Trotzdem er aber danach strebt, entsteht ihm kein
Gewinn. Und weil ihm kein Gewinn entsteht, klagt
er, quält er sich, jammert er, schlägt sich in die
Brust und gerät in Verzweiflung. Von diesem Mönche
heißt es, ihr Mönche, daß er voller Begierde nach Ge-
winn ist; daß er sich anstrengt, bemüht und danach
strebt, Gewinn zu erlangen; daß er aber keinen Ge-
winn erlangt und klagt und jammert und abirrt vom
Guten Gesetze.
Da, ihr Mönche, entsteht in einem Mönche, wäh-
rend er abgeschieden und unabhängig verweilt, die
Begierde nach Gewinn. Und er strengt sich an, be-
müht sich und strebt danach, Gewinn zu erlangen.
Während er nun danach strebt, entsteht ihm Gewinn.
Durch jenen Gewinn aber wird er berauscht und
leichtsinnig, verfällt dem Rausche und Leichtsinne.
Von diesem Mönche heißt es, ihr Mönche, daß er voller
Begierde nach Gewinn ist; daß er sich anstrengt, be-
müht und danach strebt, Gewinn zu erlangen; daß er
— 118 —
ACHTERBUCH vm 61
Gewinn erlangt und berauscht und leichtsinnig wird
und abirrt vom Guten Gesetze.
Da, ihr Mönche, entsteht in einem Mönche, wäh-
rend er abgeschieden und unabhängig verweilt, die
Begierde nach Gewinn. Er aber strengt sich nicht an,
bemüht sich nicht und strebt nicht danach, Gewinn
zu erlangen. Und indem er nicht danach strebt, ent-
steht ihm kein Gewinn. Da ihm aber kein Gewinn
entsteht, klagt er, quält er sich, jammert er, schlägt
er sich in die Brust, gerät er in Verzweiflung. Von
diesem Mönche heißt es, ihr Mönche, daß er voller
Begierde nach Gewinn ist; daß er sich nicht anstrengt,
bemüht und danach strebt, Gewinn zu erlangen; daß
er keinen Gewinn erlangt und klagt und jammert und
abirrt vom Guten Gesetze.
Da, ihr Mönche, entsteht in einem Mönche, wäh-
rend er abgeschieden und unabhängig verweilt, die
Begierde nach Gewinn. Er aber strengt sich nicht an,
bemüht sich nicht und strebt nicht danach, Gewinn
zu erlangen. Trotzdem er aber nicht danach strebt,
entsteht ihm Gewinn. Durch jenen Gewinn aber wird
er berauscht und leichtsinnig, verfällt dem Rausche
und Leichtsinne. Von diesem Mönche heißt es, ihr
Mönche, daß er voller Begierde nach Gewinn ist; daß
er sich nicht anstrengt, bemüht und danach strebt,
Gewinn zu erlangen; daß er aber Gewinn erlangt und
berauscht und leichtsinnig wird und abirrt vom Guten
Gesetze.
Da, ihr Mönche, entsteht in einem Mönche, wäh-
rend er abgeschieden und unabhängig verweilt, die
Begierde nach Gewinn. Und er strengt sich an, be-
müht sich und strebt danach, Gewinn zu erlangen.
— 119 —
VIII 61 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Trotzdem er aber danach strebt, entsteht ihm kein
Gewinn. Doch weil ihm kein Gewinn entsteht, klagt
er nicht, jammert er nicht, schlägt er sich nicht in die
Brust und gerät nicht in Verzweiflung. Von diesem
Mönche heißt es, ihr Mönche, daß er voller Begierde
nach Gewinn ist; daß er sich anstrengt, bemüht und
danach strebt, Gewinn zu erlangen; daß er keinen Ge-
winn erlangt und nicht klagt und jammert und nicht
abirrt vom Guten Gesetze.
Da, ihr Mönche, entsteht in einem Mönche, wäh-
rend er abgeschieden und unabhängig verweilt, die
Begierde nach Gewinn. Und er strengt sich an, be-
müht sich und strebt danach, Gewinn zu erlangen.
Während er nun danach strebt, entsteht ihm Gewinn.
Doch durch jenen Gewinn wird er nicht berauscht
und leichtsinnig, verfällt nicht dem Rausche und Leicht-
sinne. Von diesem Mönche heißt es, ihr Mönche, daß
er voller Begierde nach Gewinn ist; daß er sich an-
stengt, bemüht und danach strebt, Gewinn zu er-
langen; daß er Gewinn erlangt und nicht klagt und
jammert und nicht abirrt vom Guten Gesetze.
Da, ihr Mönche, entsteht in einem Mönche, wäh-
rend er abgeschieden und unabhängig verweilt, die
Begierde nach Gewinn. Er aber strengt sich nicht an,
bemüht sich nicht und strebt nicht danach Gewinn zu
erlangen. Und indem er nicht danach strebt, entsteht
ihm kein Gewinn. Weil ihm aber kein Gewinn ent-
steht, klagt und jammert er nicht, schlägt er sich nicht
in die Brust, gerät er nicht in Verzweiflung. Von
diesem Mönche heißt es, ihr Mönche, daß er voller
Begierde nach Gewinn ist; daß er sich nicht anstrengt,
bemüht und danach strebt, Gewinn zu erlangen; daß
— 120 — .
ACHTERBUCH VIII 62
er keinen Gewinn erlangt und nicht klagt und jammert
und nicht abirrt vom Guten Gesetze.
Da, ihr Mönche, entsteht in einem Mönche, wäh-
rend er abgeschieden und unabhängig verweilt, die
Begierde nach Gewinn. Er aber strengt sich nicht an,
bemüht sich nicht und strebt nicht danach, Gewinn
zu erlangen. Trotzdem er aber nicht danach strebt,
entsteht ihm Gewinn. Doch durch jenen Gewinn wird
er nicht berauscht und leichtsinnig, verfällt nicht dem
Rausche und Leichtsinne. Von diesem Mönche heißt
es, ihr Mönche, daß er voller Begierde nach Gewinn
ist; daß er sich nicht anstrengt, bemüht und danach
strebt, Gewinn zu erlangen; daß er Gewinn erlangt
und nicht berauscht und leichtsinnig wird, nicht dem
Rausche und Leichtsinne verfällt und nicht abirrt
vom Guten Gesetze.
Diese acht Menschen, ihr Mönche, sind in der Welt
anzutreffen.
Sich und den Anderen genügen 62
Mit sechs Eigenschaften ausgestattet, ihr Mönche,
genügt der Mönch sowohl sich als auch den Anderen:
mit welchen sechs?
Da, ihr Mönche, erlangt der Mönch einen schnellen
Einblick in die verdienstvollen Gesetze; leicht prägt
er sich die vernommenen Gesetze ein; er erwägt der
sich eingeprägten Gesetze Bedeutung; das Gesetz und
seine Bedeutung aber kennend lebt er dem Gesetze
gemäß; er führt edle Reden, edle Gespräche; seine
Ordensbrüder unterweist und ermahnt er. Mit diesen
— 121 —
VIII 62 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
sechs Eigenschaften ausgestattet, ihr Mönche, genügt
der Mönch sowohl sich als auch den Anderen.
Mit fünf Eigenschaften ausgestattet, ihr Mönche,
genügt der Mönch sowohl sich als auch den Anderen:
mit welchen fünf?
Da, ihr Mönche, erlangt der Mönch zwar keinen
schnellen Einblick in die verdienstvollen Gesetze;
er aber prägt sich leicht die vernommenen Gesetze
ein; er erwägt der sich eingeprägten Gesetze Bedeu-
tung; das Gesetz und seine Bedeutung aber kennend
lebt er dem Gesetze gemäß; er führt edle Reden, edle
Gespräche; seine Ordensbrüder unterweist und er-
mahnt er. Mit diesen fünf Eigenschaften ausgestattet,
ihr Mönche, genügt der Mönch sowohl sich als auch
den Anderen.
Mit vier Eigenschaften ausgestattet, ihr Mönche,
genügt der Mönch sich, nicht aber den Anderen: mit
welchen vier?
Da, ihr Mönche, erlangt der Mönch einen schnellen
Einblick in die verdienstvollen Gesetze; leicht prägt
er sich die vernommenen Gesetze ein; er erwägt der
sich eingeprägten Gesetze Bedeutung; das Gesetz und
seine Bedeutung aber kennend lebt er dem Gesetze
gemäß; nicht aber führt er edle Gespräche; nicht unter-
weist und ermahnt er seine Ordensbrüder. Mit diesen
vier Eigenschaften ausgestattet, ihr Mönche, genügt
der Mönch sich, nicht aber den Anderen.
Mit vier Eigenschaften ausgestattet, ihr Mönche,
genügt der Mönch den Anderen, nicht aber sich: mit
welchen vier?
Da, ihr Mönche, erlangt der Mönch einen schnellen
Einblick in die verdienstvollen Gesetze; leicht prägt
— 122 —
ACHTERBUCH VIII 62
er sich die vernommenen Gesetze ein; nicht aber er-
wägt er der sich eingeprägten Gesetze Bedeutung; und
nicht lebt er, das Gesetz und seine Bedeutung kennend,
dem Gesetze gemäß; er führt edle Reden, edle Ge-
spräche; seine Ordensbrüder unterweist und ermahnt
er. Mit diesen vier Eigenschaften ausgestattet, ihr
Mönche, genügt der Mönch den Anderen, nicht aber sich.
Mit drei Eigenschaften ausgestattet, ihr Mönche,
genügt der Mönch sich, nicht aber den Anderen: mit
welchen drei?
Da, ihr Mönche, erlangt der Mönch zwar keinen
schnellen Einblick in die verdienstvollen Gesetze;
leicht prägt er sich die vernommenen Gesetze ein; er
erwägt der sich eingepi'ägten Gesetze Bedeutung; das
Gesetz und seine Bedeutung aber kennend lebt er dem
Gesetze gemäß; nicht aber führt er edle Reden, edle
Gespräche; nicht unterweist und ermahnt er seine
Ordensbrüder. Mit diesen drei Eigenschaften aus-
gestattet, ihr Mönche, genügt der Mönch sich, nicht
aber den Anderen.
Mit drei Eigenschaften ausgestattet, ihr Mönche,
genügt der Mönch den Anderen, nicht aber sich: mit
welchen drei?
Da, ihr Mönche, erlangt der Mönch zwar keinen
schnellen Einblick in die verdienstvollen Gesetze; er
aber prägt sich leicht die vernommenen Gesetze ein^
nicht aber erwägt er der sich eingeprägten Gesetze
Bedeutung; nicht lebt er, das Gesetz und seine Be-
deutung kennend, dem Gesetze gemäß; aber er führt
edle Reden, edle Gespräche; seine Ordensbrüder unter-
weist und ermahnt er. Mit diesen drei Eigenschaften
— 123 —
Vm62 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
ausgestattet, ihr Mönche, genügt der Mönch den
Anderen, nicht aber sich.
Mit zwei Eigenschaften ausgestattet, ihr Mönche,
genügt der Mönch sich, nicht aber den Anderen: mit
welchen zwei?
Da, ihr Mönche, erlangt der Mönch keinen schnellen
Einblick in die verdienstvollen Gesetze; nicht leicht
prägt er sich die vernommenen Gesetze ein; er aber
erwägt der sich eingeprägten Gesetze Bedeutung; und
das Gesetz und seine Bedeutung kennend lebt er dem
Gesetze gemäß; nicht aber führt er edle Reden, edle
Gespräche; nicht unterweist und ermahnt er seine
Ordensbrüder. Mit diesen beiden Eigenschaften aus-
gestattet, ihr Mönche, genügt der Mönch sich, nicht
aber den Anderen.
Mit zwei Eigenschaften ausgestattet, ihr Mönche,
genügt der Mönch den Anderen, nicht aber sich: mit
welchen beiden?
Da, ihr Mönche, erlangt der Mönch keinen schnellen
Einblick in die verdienstvollen Gesetze; nicht prägt
er sich leicht die vernommenen Gesetze ein; nicht er-
wägt er der sich eingeprägten Gesetze Bedeutung;
nicht lebt er, das Gesetz und seine Auslegung kennend,
dem Gesetze gemäß; aber er führt edle Reden, edle
Gespräche; seine Ordensbrüder unterweist und er-
mahnt er. Mit diesen beiden Eigenschaften ausge-
stattet, ihr Mönche, genügt der Mönch den Anderen,
Jiicht aber sich.
124
ACHTERBUCH VIII 63
Stufenweise Geistesentfaltung 63^
Einer der Mönche kam zum Erhabenen und sprach:
,,Gut wäre es, o Ehrwürdiger, wenn mir der Er-
habene in kurzen Worten das Gesetz darlegte, auf daß
ich, nachdem ich das Gesetz vom Erhabenen ver-
nommen habe, einsam, abgeschieden, unermüdHch,
eifrig, selbstentschlossen verweilen möge."
,, Genau so suchen da einige Toren mich bloß auf,
und wird das Gesetz vorgetragen, so meinen sie immer
mir nachlaufen zu müssen."
,, Möchte mir doch, o Ehrwürdiger, der Erhabene in
kurzen Worten das Gesetz darlegen! Möchte doch der
Gesegnete in kurzen Worten das Gesetz darlegen!
Vielleicht, daß ich doch den Sinn der Worte des Er-
habenen verstehe; vielleicht, daß ich doch noch ein
Erbe des Wortes des Erhabenen werde!"
,,So hast du denn, o Mönch, danach zu streben:
»Der Geist in meinem Innern soll standhaft sein und
wohl gefestigt, und nicht sollen ihn die üblen, schuld-
vollen Erscheinungen noch fesseln!« Danach, o Mönch,
hast du zu streben.
,, Sobald aber, o Mönch, der Geist in deinem
Innern standhaft ist und wohl gefestigt und ihn die
üblen, schuldvollen Erscheinungen nicht mehr fesseln,
so hast du, o Mönch, danach zu streben: »Die Liebe,
die gemütserlösende, soll in mir entfaltet, häufig ge-
übt, zur Triebfeder und Grundlage gemacht, gefestigt,
großgezogen und zur rechten Vollendung gebracht
werden!« Danach, o Mönch, hast du zu streben.
„Sobald aber, o Mönch, diese Sammlung (sa-
mädhi) entfaltet und wohl geübt ist, so magst du, o
— 125 —
VIII 63 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Mönch, diese Sammlung mit Sinnen und Nach-
denken (vitakka-vicärä) üben (1); magst du sie ohne
Sinnen und bloß mit Nachdenken üben; (2) magst
du sie ohne Sinnen und ohne Nachdenken üben (3);
magst du sie mit Verzückung (piti) üben; magst
du sie ohne Verzückung üben; magst du sie mit
Freude (sukha) üben; magst du sie mit Gleichmut
<upekhä) üben.
„Sobald aber, o Mönch, diese Sammlung also
entfaltet und wohl geübt ist, so hast du, o Mönch,
danach zu streben: »Das gemütserlösende Mitleid, —
die gemütserlösende Mitfreude, — der gemütserlösende
Gleichmut soll in mir entfaltet, häufig geübt, zur
Triebfeder und Grundlage gemacht, gefestigt, groß-
gezogen und zur rechten Vollendung gebracht werden!«
Danach, o Mönch, hast du zu streben.
„Sobald aber, o Mönch, diese Sammlung ent-
faltet und wohl geübt ist, so magst du, o Mönch,
diese Sammlung mit Sinnen und Nachdenken
üben ; magst du sie ohne Sinnen und bloß mit Nach-
denken üben; magst du sie ohne Sinnen und ohne
Nachdenken üben; magst du sie mit Verzückung
üben; magst du sie ohne Verzückung üben; magst du
(1) Dies mag vor dem Eintritt in die erste Vertiefung imd auch
noch während derselben geschehen,
(2) Dies geschieht in der zweiten Vertiefung d. h. nach der
Abhidamma Einteilung, nach der in der zweiten Vertiefung noch
vicära, diskursives Nachdenken, besteht und erst in der dritten zur
Aufhebung gelangt, sodaß wir in dieser Weise fünf statt vier Ver-
tiefungen erhalten.
(3) Dies geschieht in der dritten, bezw, vierten (n. Abhidhamma
Einteikmg) Vertiefung.
— 126 —
ACHTERBUCH vmes
sie mit Freude üben; magst du sie mit Gleichmut
üben.
„Sobald aber, o Mönch, diese Sammlung also ent-
faltet und wohl geübt ist, so hast du, o Mönch, danach
zu streben: »In der Betrachtung des Körpers will ich
verweilen, — in der Betrachtung der Gefühle will ich
verweilen, — in der Betrachtung des Geistes will ich
verweilen, -— in der Betrachtung der Erscheinungen
will ich verweilen, eifrig, achtsam, geistesklar, nach
Verwindung weltlicher Begierde und Trübsal.« Da-
nach, 0 Mönch, hast du zu streben.
,, Sobald aber, o Mönch, diese Sammlung ent-
faltet und wohl geübt ist, so magst du, o Mönch, diese
Sammlung mit Sinnen und Nachdenken üben;
magst du sie ohne Sinnen und bloß mit Nachdenken
üben; magst du sie ohne Sinnen und ohne Nachdenken
üben; magst du sie mit Verzückung üben; magst du
sie ohne Verzückung üben; magst du sie mit Freude
üben; magst du sie mit Gleichmut üben.
„Sobald aber, o Mönch, diese Sammlung also ent-
faltet und wohl geübt ist, so wirst du, wo immer du
gehst, zufrieden gehen, wo immer du stehst, zufrieden
stehen, wo immer du sitzest, zufrieden sitzen, wo
immer du ruhst, zufrieden ruhen."
„In diesen Worten vom Erhabenen ermahnt, er-
hob sich jener Mönch von seinem Sitze, begrüßte ehr-
furchtsvoll den Erhabenen, und ihm die Rechte zu-
kehrend entfernte er sich. Während aber jener Mönch
einsam, abgeschieden, unermüdlich, eifrig und selbst-
entschlossen verweilte, da gelangt er in den Besitz
jenes höchsten Zieles der Heiligkeit — demzuliebe
€dle Söhne gänzlich von Hause fort in die Hauslosig-
127
VIII 63 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
keit ziehen — indem er es selber erkannte und ver-
wirklichte. Und er erkannte: »Aufgehoben ist die
Geburt, ausgelebt der heilige Wandel, das Werk voll-
endet; nicht kehr' ich mehr zu dieser Welt zurück«.
Und jener Mönch war einer unter den Heiligen ge-
worden.
64 Der göttliche Erkenntnisblick
Einst weilte der Erhabene bei Gayä auf dem
Gayägipfel, Dort wandte sich der Erhabene an die
Mönche: ,,Ihr Mönche!" sprach er. „Ehrwürdiger!"
erwiderten jene Mönche dem Erhabenen. Und der
Erhabene sprach:
Vor meiner vollen Erleuchtung, ihr Mönche, als
ich noch nicht völlig erleuchtet, erst ein »Anwärter auf
Erleuchtung« (bodhisatta) war, da nahm ich wohl
einen Lichtglanz wahr, aber keine Gestalten bemerkte
ich. Da kam mir, ihr Mönche, der Gedanke: »Wenn
ich so, wie ich den Lichtglanz wahrnehme, doch auch
die Gestalten bemerken könnte, so möchte dieser mein
Erkenntnisblick umso lauterer sein«. Während ich
also in der Folgezeit unermüdlich, eifrig, selbstent-
schlossen verweilte, nahm ich sowohl den Lichtglanz
wahr, als auch bemerkte ich die Gestalten, nicht aber
verweilte, sprach und unterhielt ich mich mit jenen
Himmelswesen.
Da, ihr Mönche, kam mir der Gedanke: »Wenn
ich so, wie ich den Lichtglanz wahrnehme und die
Gestalten bemerke, doch auch mit jenen Himmels-
wesen verweilen, sprechen und mich unterhalten könnte,
so möchte dieser mein Erkenntnisblick umso lauterer
^ 128 —
ACHTERBUCH Vni64
sein«. Während ich also in der Folgezeit unermüdlich,
eifrig, selbstentschlossen verweilte, nahm ich sowohl
den Lichtglanz wahr, als auch bemerkte ich die Ge-
stalten, als auch verweilte, sprach und unterhielt ich
mich mit jenen Himmelswesen, nicht aber wußte ich
von ihnen, ob sie von dieser oder jener Himmelswelt
sind.
Da, ihr Mönche, kam mir der Gedanke: »Wenn
ich so, wie ich den Lichtglanz wahrnehme, die Gestalten
bemerke und mit jenen Himmelswesen verweile, spreche
und mich unterhalte, doch auch wüßte, ob sie von
dieser oder jener Himmelswelt sind, so möchte dieser
mein Erkenntnisblick umso lauterer sein«. Während
ich also in der Folgezeit unermüdlich, eifrig, selbst-
entschlossen verweilte, nahm ich sowohl den Licht-
glanz wahr, als auch bemerkte ich die Gestalten, als
auch verweilte, sprach und unterhielt ich mich mit
jenen Himmelswesen, als auch wußte ich von ihnen,
ob sie von dieser oder jener Himmelswelt sind, nicht
aber wußte ich von ihnen, zufolge welcher Taten sie,
von hier abgeschieden, dort wiedererschienen sind —
wovon sie sich nähren und welches Glück und Leiden
sie empfinden — wie alt sie werden und wie lange
sie leben — ob ich schon früher einmal mit ihnen zu-
sammen gelebt habe oder nicht.
Da, ihr Mönche, kam mir der Gedanke: »Wenn
ich so, wie ich den Lichtglanz wahrnehme, die Gestalten
bemerke, und mit jenen Himmelswesen verweile,
spreche und mich unterhalte und weiß, ob sie von
dieser oder jener Himmelswelt sind, doch auch wüßte,
zufolge welcher Taten sie, von hier abgeschieden, dort
- 129 — 0
Vm64 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
wiedererschienen sind, — woven sie sich nähren und
welches Glück und Leiden sie empfindfen, — wie alt
sie werden und wie lange sie leben, — ob ich schon
früher einmal mit ihnen zusammen gelebt habe oder
nicht: wenn ich das wüßte, so möchte mein Erkennt-
nisblick umso lauterer sein«. Während ich also in der
Folgezeit unermüdlich, eifrig, selbstentschlossen ver-
weilte, nahm ich sowohl den Lichtglanz wahr, als auch
bemerkte ich die Gestalten, als auch verweilte, sprach
und unterhielt ich mich mit jenen Himmelswesen,
als auch wußte ich von ihnen, ob sie von dieser oder
jener Himmelswelt sind, — wußte, zufolge welcher
Taten sie, von hier abgeschieden, dort wiedererschienen
sind, — wußte, wovon sie sich nähren und welche
Freuden und Leiden sie empfinden, — wußte, wie alt
sie werden und wie lange sie leben, — wußte, ob ich
schon früher einmal mit ihnen zusammen gelebt hatte
oder nicht.
Solange, ihr Mönche, als in mir dieser achtfache
erkennende Götterblick nicht völlig lauter war, so-
lange, ihr Mönche, war ich nicht gewiß, ob ich in der
Welt der Dewen, Mahren und Götter, der Schar der
Asketen und Priester, Himmelswesen und Menschen
unübertroffene höchste Erleuchtung gewonnen hatte.
Sobald aber, ihr Mönche, dieser achtfache, erkennende
Götterblick völlig lauter war, da war ich gewiß, daß
ich die in der Welt der Dewen, Mahren und Götter,
der Schar der Asketen und Priester, Himmelswesen
und Menschen unübertroffene höchste Erleuchtung ge-
wonnen hatte. Und in mir stieg das Wissen, die Er-
kenntnis auf: »Unerschütterlich ist meine Gemüts-
— 130 —
ACHTERBUCH Vm65
erlösung. Dies ist meine letzte Geburt. Kein neues
Dasein mehr stellt mir bevor.« (1)
Die acht Ueberwindungsgebiete (abhibhäyatana) 65
Acht Überwindungsgebiete gibt es, ihr Mönche:
welche acht?
Bei sich Formen wahrnehmend sieht da einer nach
Außen hin begrenzte Formen, schöne oder häßliche;
und diese überwindend versteht er: »Ich weiß, ich
erkenne«. Dies ist das erste Überwindungsgebiet.
Bei sich Formen wahrnehmend seht da einer nach
Außen hin unbegrenzte Formen, schöne oder häßliche;
und diese überwindend versteht er: »Ich weiß, ich
erkenne.« Dies ist das zweite Überwindungsgebiet. (2)
Bei sich keine Formen wahrnehmend sieht einer
nach Außen hin begrenzte Formen, schöne oder häß-
liche; und diese überwindend versteht er: »Ich weiß,
ich erkenne«. Dies ist das dritte Überwindungsgebiet.
(1) In dieser Sutte werden somit acht Wissen (näna) besprochen,
nämlich: das Himmhsche Auge, die magische Fähigkeit, Herzens-
durchschauung, Erkenntnis der Wiedergeburt entsprechend den
Taten, Erkenntnis der Zukunft, Erkenntnis der Gegenwart, Er-
kenntnis der Vergangenheit und Erkenntnis früherer Daseinsformen.
(2) Der Mönch wählt als »Vorbereitendes Objekt« (parikamma-
nimitta) eine Stelle -^ klein oder groß, schön oder häßlich — an
seinem eigenen Körper und konzentriert darauf seine volle, im-
geteilte Aufmerksamkeit, sodaß ihm nach einiger Zeit dieses Objekt
als geistiger Reflex wiedererscheint, und zwar gleichsam als etwas
außerhalb Befindliches. Diese an sich ganz mechanisch erscheinende
Übung bewirkt indessen, wenn richtig durchgeführt, einen hohen
Grad geistiger Konzentration und den Eintritt in die vier Ver-
tief imgen.
— 131 — 9*
SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Bei sich l<eine Formen wahrnehmend sieht einer
nach Außen hin unbegrenzte Formen, schöne oder
häßliche; und diese überwindend versteht er: »Ich
weiß, ich erkenne«. Dies ist das vierte Überwindungs-
gebiet. (1)
Bei sich keine Formen wahrnehmend sieht einer
nach Außen hin blaue Formen, von blauer Farbe,
blauem Aussehen, blauem Glänze; und diese über-
windend versteht er: »Ich weiß, ich erkenne«. Dies
ist das fünfte Überwindungsgebiet.
Bei sich keine Formen wahrnehmend sieht einer
nach Außen hin gelbe Formen, von gelber Farbe,
gelbem Aussehen, gelbem Glänze; und diese über-
windend versteht er: »Ich weiß, ich erkenne«. Dies
ist das sechste Überwindungsgebiet.
Bei sich keine Formen wahrnehmend sieht einer
nach Außen hin rote Formen, von roter Farbe, rotem
Aussehen, rotem Glänze; und diese überwindend ver-
steht er: »Ich weiß, ich erkenne.« Dies ist das siebente
Überwindungsgebiet.
Bei sich keine Formen wahrnehmend, sieht einer
nach Außen hin weiße Formen, von weißer Farbe,
weißem Aussehen, weißem Glänze; und diese Ober-
windend versteht er: »Ich weiß, ich erkenne«. Dies
ist das achte Überwindungsgebiet, (2)
(1) In der dritten luid vierten Übung gewinnt der Mönch durch
ein äußeres Objekt den geistigen Reflex und die Vertiefungen.
Von den genannten Konzentrationsobjekten soll das begrenzte
oder kleine heilsam sein für eine geistig unstete Natur, das unbe-
grenzte oder große für eine verblendete Natur, das schöne für ein»
Eum Zorn neigende Natur, das häßliche für eine zur Begierde nei-
gende Natur.
(2) Als Objekte der letzteren vier Übungen sind vollkommen
«- 132 —
ACHTERBUCH vm 66
Diese acht Überwindungsgebiete gibt es, ihr
Mönche,
Die acht Freiungen (vimokkhä) 66
Acht Freiungen gibt es, ihr Mönche: welche acht?
Formhaft sieht man Formen (1); dies ist die erste
Freiung.
Bei sich keine Formen wahrnehmend sieht man
nach Außen hin Formen (2); dies ist die zweite Freiung.
Der Wahrnehmung des Schönen ist er geneigt (3):
dies ist die dritte Freiung.
Durch völlige Überwindung der Formwahrneh-
mungen, des Schwindens der Reflexwahrnehmungen
und die Nichtbeachtung der Vielheitswahrnehmungen
aber gewinnt er, in der Vorstellung: »Unendlich ist
der Raum!« das Gebiet der Raum Unendlichkeit:
dies ist die vierte Freiung.
klare, leuchtende Farben zu wählen, Blumen, Stoffe losw. Die
obigen Übungen sind sämthch Kasinaübungen. Vgl. X, 25 u. 29.
(1) d. i. während man sich in den, durch das am eigenen Körper
gewählte Kasina Objekt hervorgerufenen formhaften Vertiefungen
befindet, nimmt man mit dem »Auge der Vertiefung« (jhäna-cakkhu)
den geistigen Reflex des ursprünglichen Objektes wahr.
(2) genau wie im dritten imd vierten Überwindimgsgebiete.
(3) Hier ist gemeint die Erreichung der formhaften Vertie-
fungen durch Konzentration auf vollkommen reine, leuchtende
Farben als Kasina Objekte, genau wie in den letzteren vier Über-
windungsgebieten. Nach dem Patisambhidä-Magga indessen wird
dieser Zustand hervorgerufen durch Konzentration von Liebe,
Mitleid, Mitfreude und Gleichmut, worin einem alle Wesen voll-
kommen rein vmd verklärt erscheinen und so der Sirm zum Schönen
neigt.
— 133 —
vme? SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Durch völlige Überwindung des Gebietes der
Raumunendlichkeit aber gewinnt er, in der Vorstel-
lung: »Unendlich ist das Bewußtsein!«, das Gebiet der
Bewußtseinsunendlichkeit: dies ist die fünfte
Freiung.
Durch völlige Überwindung des Gebietes der Be-
wußtseinsunendlichkeit; aber gewinnt er, in der Vor-
stellung : »Nichts ist da !« das Gebiet des Nichtdaseins:
dies ist die sechste Freiung.
Durch völlige Überwindung des Gebietes des
Nichtdaseins aber gewinnt er das Gebiet der Weder-
Wahrnehmung-Noch-Nichtwahrnehmung: dies
ist die siebente Freiung.
Durch Überwindung des Gebietes der Weder-
Wahrnehmung-Noch-Nichtwahrnehmung gewinnt er die
»Aufhebung von Wahrnehmung und Gefühl«; (sanfiä-
vedayita-nirodha): dies ist die achte Freiung.
Diese acht Freiungen gibt es, ihr Mönche.
67 ' Edle und unedle Aussagen
Acht unedle Aussagen gibt es, ihr Mönche: welche
acht?
Bei Nichtgesehenem behaupten, gesehen zu haben;
bei Nichtgehörtem behaupten, gehört zu haben; bei
Nichtgedachtem behaupten, gedacht zu haben; bei
Nichterkanntem behaupten, erkannt zu haben; bei
Gesehenem behaupten, nicht gesehen zu haben; bei
Gehörtem behaupten, nicht gehört zu haben; bei Ge-
dachtem behaupten, nicht gedacht zu haben; bei Er-
kanntem behaupten, nicht erkannt zu haben. Diese
acht unedlen Aussagen gibt es, ihr Mönche.
— 134 —
ACHTERBUCH vm69
Acht edle Aussagen gibt es, ihr Mönche: welche
acht?
Bei Nichtgesehenem behaupten, nicht gesehen zu
haben; bei Nichtgehörtem behaupten, nicht gehört zu
haben; bei Nichtgedachtem behaupten, nicht gedacht
zu haben; bei Nichterkanntem behaupten, nicht er-
kannt zu haben; bei Gesehenem behaupten, gesehen
zu haben; bei Gehörtem behaupten, gehört zu haben;
bei Gedachtem behaupten, gedacht zu haben; bei
Erkanntem behaupten, erkannt zu haben. Diese acht
edlen Aussagungen gibt es, ihr Mönche.
Die acht Versammlungen 69
Acht Versammlungen gibt es, ihr Mönche: welche
acht? Die Versammlung der Adeligen, die Versammlung
der Brahmanen, die Versammlung der Hausleute, die
Versammlung der Asketen, die Versammlung der
Himmelswesen der Vier Großen Könige, die Versamm-
lung der Himmelswesen der Dreiunddreißig, die Ver-
sammlung der Mahrendewen und die Versammlung
der Götterdewen.
Ich erkläre, ihr Mönche, daß ich mich schon zu
einer aus vielen Hunderten bestehenden Versammlung
von Adeligen hinbegeben habe, zu einer aus vielen
Hunderten bestehenden Versammlung von Brahmanen,
von Hausleuten, von Asketen und von Himmelswesen.
Und ich habe da schon mit ihnen zusammen gesessen,
geredet und Gespräche geführt. Dabei hatte ich das-
selbe Aussehen wie jene, hatte dieselbe Stimme wie
jene. Und in Worten über das Gesetz habe ich sie
unterwiesen, ermahnt, ermutigt und ermuntert. Doch
— 135 —
VIII 70 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
nicht haben sie mich beim Reden erkannt, sondern
haben darüber nachgedacht, wer das wohl sein möchte,
der da redet, ein Himmelswesen oder ein Mensch,
Und auch, nachdem ich sie in Worten über das Gesetz
unterwiesen, ermahnt, ermutigt und ermuntert hatte,
haben sie nach meinem Verschwinden nicht gewußt,
ob derjenige, der da verschwand, ein Himmelswesen
war oder ein Mensch.
Diese acht Versammlungen gibt es, ihr Mönche.
70 Mahrs letzte Heimsuchung
Einst weilte der Erhabene im Großen Walde bei
Vesäli, in der Halle des Giebelhauses. Und der Er-
habene kleidete sich in der Frühe an, nahm Gewand
und Almosenschale und begab sich nach Vesäli um
Almosen. Nachdem er aber vom Almosengange zurück-
gekehrt war, wandte er sich am Nachmittage, nach
beendetem Mahle, an den ehrwürdigen Änando und
sprach :
„Nimm deine Matte, Änando, und laß uns nach
dem Capälaschreine gehen!" „Gut, o Ehrwürdiger!"
erwiderte der ehrwürdige Änando dem Erhabenen,
nahm seine Matte und folgte hinter dem Erhabenen her.
Und der Erhabene begab sich zum Capälaschreine.
Dort angelangt setzte er sich auf dem bereiteten Sitze
nieder und sprach zum ehrwürdigen Änando:
„Entzückend, Änando, ist Vesäli! Entzückend
gelegen ist der Udenaschrein, entzückend gelegen der
Gotamakaschrein, entzückend gelegen der Bahuputtaka-
schrein, entzückend gelegen der Sattambaschrein, ent-
zückend gelegen der Sarandadaschrein, entzückend ge-
— 130 —
ACHTERBUCH
Jegen der Capälaschrein! Wer, Änando, die vier Maciit-
fährten entfaltet, häufig geübt, zur Triebfeder und
Grundlage gemacht, gefestigt, großgezogen und zur
rechten Vollendung gebracht hat, der mag, Änando,
wenn er will, das volle Menschenalter ausleben oder
noch eine Zeit darüber hinaus am Leben bleiben. Nun
hat aber, Änando, der Vollendete die vier Machtfährten
entfaltet, häufig geübt, zur Triebfeder» und Grundlage
gemacht, gefestigt, großgezogen und zur rechten Voll-
endung gebracht. Der Vollendete also, Änando, mag,
wenn er will, das volle Menschenalter ausleben oder
noch eine Zeit darüber hinaus am Leben bleiben."
Obgleich aber der Erhabene eine so deutliche An-
spielung machte, war der ehrwürdige Änando dennoch
außerstande, diese zu verstehen — gleichsam als ob
sein Geist von Mahr besessen wäre — und versäumte
es, den Erhabenen zu bitten: »Möchte doch, o Ehr-
würdiger, der Erhabene das volle Menschenalter aus-
leben zum Heile und Wohle vieler Menschen, aus Mit-
leid mit der Welt, zum Heil, Segen und Wohle der
Himmelswesen und Menschen!«
Und zum zweitenmale und drittenmale sprach
der Erhabene zum ehrwürdigen Änando:
,, Entzückend, Änando, ist Vesäli! Entzückend
gelegen ist der Udenaschrein, entzückend gelegen der
Gotamakaschrein, entzückend gelegen der Bahu-
puttakaschrein, entzückend gelegen der Sattamba-
schrein, entzückend gelegen der Sarandadaschrein,
entzückend gelegen der Capälaschrein! Wer, Änando,
die vier Machtfährten entfaltet, häufig geübt, zur
Triebfeder und Grundlage gemacht, gefestigt, groß-
— 137 —
VIII 70 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUGEN
gezogen und zur rechten Vollendung gebracht hat, der
mag, Anando, wenn er will, das volle Menschenalter
ausleben oder noch eine Zeit darüber hinaus am Leben
bleiben. Nun hat aber, Änando, der Vollendete die
vier Machtfährten entfaltet, häufig geübt, zur Trieb-
feder und Grundlage gemacht, gefestigt, großgezogen
und zur rechten Vollendung gebracht. Der Vollendete
also, Änando, mag, wenn er will, das volle Menschen-
alter ausleben oder noch eine Zeit darüber hinaus am
Leben bleiben."
Obgleich aber der Erhabene eine so deutliche
Anspielung machte, war der ehrwürdige Änando den-
noch außerstande, diese zu verstehen — gleichsam als
ob sein Geist von Mahr besessen wäre — und ver-
säumte es, den Erhabenen zu bitten: »Möchte doch,
0 Ehrwürdiger, der Erhabene das volle Menschenalter
ausleben zum Heile und Wohle vieler Menschen, aus
Mitleid mit der Welt, zum Heil, Segen und Wohle der
Himmelswesen und Menschen!«
Da sprach der Erhabene zum ehrwürdigen Änando:
,,Gehe nun, Änando, und tue wie es dir beliebt!"
,,Gut, 0 Ehrwürdiger!" erwiderte der ehrwürdige
Änando dem Erhabenen, erhob sich von seinem Sitze,
begrüßte ehrfurchtsvoll den Erhabenen; und ihm die
Rechte zukehrend ging er und setzte sich unweit vom
Erhabenen am Fuße eines Baumes nieder.
Kaum aber war der ehrwürdige Änando gegangen,
da trat der böse Mahr zum Erhabenen und sprach:
,,Möge nun, o Ehrwürdiger, der Erhabene ins
Nirwahn eingehen! Möge nun der Gesegnete ins Nir-
wahn eingehen! Er ist nun, o Ehrwürdiger, an der
— 138 —
ACHTERBUCH VIII 70
Zeit, daß der Erhabene ins Nirwahn eingehe! Denn
der Erhabene, o Ehrwürdiger, hat ja die Worte ge-
sprochen: »Nicht werde ich, o Böser, ins Nirwahn ein-
gehen, bis daß nicht meine Mönche, Nonnen, Anhänger
und Anhängerinnen erfahrene und gezügelte Jünger
sind, Selbstvertrauen und Sicherheit erlangt haben,,
ein großes Wissen besitzen, Träger des Gesetzes sind,
auf dem Pfade des Gesetzes wandeln, ihre Pflichten
erfüllen, nach dem Gesetze leben und nach Erlernung
der eigenen Lehre imstande sind, dieselbe zu ver-
künden, zu weisen, bekannt zu machen, aufzurichten,
zu enthüllen, zu zerlegen und klarzumachen und eine
auftauchende fremde Lehre in begründeter Weise
völlig widerlegend das wunderbare Gesetz darzulegen
vermögen.« Nun aber, o Ehrwürdiger, hat der Erhabene
erfahrene und gezügelte Jünger, die Selbstvertrauen
und Sicherheit erlangt haben, ein großes Wissen be-
sitzen, Träger des Gesetzes sind, auf dem Pfade des
Gesetzes wandeln, ihre Pflichten erfüllen, nach dem
Gesetze leben und nach Erlernung der eigenen Lehre
imstande sind, dieselbe zu verkünden, zu weisen, be-
kannt zu machen, aufzurichten, zu enthüllen, zu zer-
legen und klarzumachen und eine auftauchende fremde
Lehre in begründeter Weise völlig widerlegend das
wunderbare Gesetz darzulegen vermögen. Möge nun,
0 Ehrwürdiger, der Erhabene ins Nirwahn eingehen!
Möge nun der Gesegnete ins Nirwahn eingehen! Es
ist nun, o Ehrwürdiger, an der Zeit, daß der Erhabene
ins Nirwahn eingehe! Denn der Erhabene, o Ehr-
würdiger, hat ja die Worte gesprochen: »Nicht werde
ich, 0 Böser, ins Nirwahn eingehen, bis daß nicht
dieser Heilige Wandel gedeiht und blüht, sich ausge-
— 139 —
VIII 70 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
breitet hat, weit bekannt und mäclitig geworden ist
und unter Menschen und Himmelswesen wohl ver-
kündet sein wird. Nun aber, o Ehrwürdiger, gedeiht
und blüht dieser Heilige Wandel, hat sich ausgebreitet,
ist weit bekannt und mächtig geworden und unter
Menschen und Himmelswesen wohl verkündet. Möge
nun, 0 Ehrwürdiger, der Erhabene ins Nirwahn ein-
gehen! Möge nun der Gesegnete ins Nirwahn eingehen!
Es ist nun, o Ehrwürdiger, an der Zeit, daß der Er-
habene ins Nirwahn eingehe!"
„Bemühe dich nicht, o Böser! Nicht lange mehr
wird es bis zum völligen Nirwahn des Vollendeten
dauern. Heute in drei Monaten wird der Vollendete ins
völlige Nirwahn eingehen."
Und an dem Capälaschreine gab der Erhabene
besonnen und klarbewußt seinen Lebenswillen auf.
Als aber der Erhabene seinen Lebenswillen aufgegeben
hatte, da erhob sich ein gewaltiges Erdbeben, und die
Donner erkrachten. Der Erhabene aber, der den Zu-
sammenhang erkannte, stieß zu jener Stunde den
Ruf aus:
„Auf gab der Weise seinen Daseinswillen,
Der Gleiches sowie Ungleiches gebiert.
Gesammelt und im Innern froh zerbrach er
Gleich einem Panzer die Persönlichkeit."
Da aber dachte der ehrwürdige Anando: »Gar ge-
waltig war dieses Erdbeben! Wahrlich, außerordent-
lich gewaltig war dieses Erdbeben, daß es einem graute
und einem die Haare zu Berge standen. Und dabei
erkrachten die Donner! Was mag wohl die Ursache,
was der Entstehungsgrund dieses gewaltigen Erd-
— 140 —
ACHTERBUCH VIII 7a
bebens sein?« Und der ehrwürdige Änando trat zum
Erhabenen und sprach:
,,Gar gewaltig, o Ehrwürdiger, war ja dieses Erd-
beben! Wahrlich, außerordentlich gewaltig war dieses
Erdbeben, daß einem graute und einem die Haare zu
Berge standen! Und dabei erkrachten die Donner!
Was mag wohl, o Ehrwürdiger, die Ursache, was der
Entstehungsgrund dieses gewaltigen Erdbebens sein?"
,,Ein gewaltiges Erdbeben, Änando, mag acht
Anlässe und Entstehungsgründe haben: welche acht?
,, Diese große Erde, Änando, ruht auf dem Wasser,
das Wasser in der Luft, die Luft im Räume. Es kommt
aber eine Zeit, Änando, wo gewaltige Winde blasen.
Diese aber bringen durch ihr Blasen das Wasser in
Erschütterung, und das erschütterte Wasser bringt die
Erde in Erschütterung. Das, Änando, ist der erste An-
laß und Entstehungsgrund eines gewaltigen Erd-
bebens.
,, Ferner, Änando, hat da ein geistesmächtiger,
magiegewaltiger Asket oder Priester oder ein Himmels-
wesen von großer Macht und- großem Einflüsse nur
eine unbegrenzte Erdevorstellung erweckt, wohl aber
eine begrenzte Wasservorstellung: der bringt diese
Erde in Erregung, in Erschütterung und zum Beben..
Das, Änando, ist der zweite Anlaß und Entstehungs-
grund eines gewaltigen Erdbebens.
,,Wenn ferner, Änando, der Bodhisat (Anwärter
auf Erleuchtung) den Himmel der Seligen verläßt und
achtsam, klaren Geistes in den Mutterleib hinabsteigt,
so gerät da die Erde in Erregung, in Erschütterung
und in Erdbeben. Das, Änando, ist der dritte Anlaß
und Entstehungsgrund eines gewaltigen Erdbebens.
UI
VIII 70 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
„Wenn ferner, Änando, der Bodhisat achtsam und
geistesklar aus dem Mutterleib heraustritt, — wenn
der Vollendete die Vollkommene Erleuchtung gewinnt,
— wenn er das höchste Reich des Gesetzes aufrichtet, —
wenn er achtsam und geistesklar den Lebenswillen^
aufgibt, — wenn er in das von jedem Daseinsrest freie
Element des Nirwahns eingeht, so gerät da die Erde
in Erregung, in Erschütterung und in Erdbeben. Das,
Änando, ist der achte Anlaß und Entstehungsgrund
eines gewaltigen Erdbebens.
,, Diese acht Anlässe und Entstehungsgründe,
Ännado, mag ein gewaltiges Erdbeben haben."
142
ACHTERBUCH VIII 73
ACHTER TEIL:
Das Kapitel der Paare
Die Betrachtung über den Tod 73
(1)
Einst weilte der Erhabene bei Nätika in der
Steinernen Wohnung. Dort wandte sich der Erhabene
an die Mönche: „Mönche!" sprach er. „Ehrwürdiger!"
erwiderten jene Mönche dem Erhabenen. Und der
Erhabene sprach:
„Die Betrachtung über den Tod, ihr Mönche,
entfaltet und häufig geübt, bringt hohen Lohn und
Segen, hat die Todlosigkeit zum Ziele und Ausgange.
Übt ihr wohl, meine Mönche, die Betrachtung über
den Tod?"
Auf diese Worte sprach einer der Mönche zum
Erhabenen:
„Ich, 0 Ehrwürdiger, übe die Betrachtung über
den Tod."
,,Wie aber, o Mönch, übst du die Betrachtung
über den Tod?"
„Da, 0 Ehrwürdiger, denke ich: »Ach, daß es mir
doch vergönnt sei, noch einen Tag und eine Nacht
am Leben zu bleiben! Ich möchte des Erhabenen
Weisung noch überdenken. Gar viel möchte ich noch
erwirken.« Auf diese Weise, o Ehrwürdiger, übe ich
die Bertachtung über den Tod."
Ein anderer der Mönche aber sprach zum Er-
habenen:
— 143 —
vm78 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
„Auch ich, 0 Ehrwürdiger, übe die Betrachtung
über den Tod."
„Wie aber, o Mönch, übst du die Betrachtung
über den Tod?"
„Da, 0 Ehrwürdiger, denke ich: »Ach, daß es mir
doch vergönnt sei, noch diesen Tag am Leben zu blei-
ben! — noch einen halben Tag am Leben zu blei-
ben! — noch solange, wie ein Almosenmahl dauert! —
noch solange, wie ein halbes Almosenmahl dauert! —
noch solange, wie das Zusammenballen und Hinunter-
schlucken von vier oder fünf Bissen Reis dauert! —
noch solange, wie das Zusammenballen und Hinunter-
schlucken von einem Biß Reis dauert! — noch die
kurze Zeitspanne, die zwischen einer Ein- und Aus-
atmung oder zwischen einer Aus- und Einatmung
liegt! Ich möchte des Erhabenen Weisung noch über-
denken. Gar viel möchte ich noch erwirken.« Auf
diese Weise, o Ehrwürdiger, übe ich die Betrachtung
über den Tod."
Auf diese Worte sprach der Erhabene also zu den
Mönchen:
„Die da, ihr Mönche, unter den Mönchen, die Be-
trachtung über den Tod üben, indem sie denken:
»Ach, daß es mir doch vergönnt sei, noch einen Ta^
und eine Nacht am Leben zu bleiben! — noch einen
Tag — noch einen halben Tag — noch solange, wie
ein Almosenmahl dauert — wie ein halbes Almosen-
mahl dauert, — wie das Zusammenballen und Hin-
unterschlucken von vier oder fünf Bissen Reis dauert,
— von einem Bissen Reis dauert! Ich möchte des
Erhabenen Weisung noch überdenken. Gar viel möchte
ich noch erwirken.« — : von diesen Mönchen ihr Mönche,.
— 144
ACHTERBUCH VIII 74
sagt man, daß sie nachlässig leben, und auf langsame
Weise die Betrachtung über den Tod üben, um der
Leidenschaften Versiegung zu erreichen. Von demjenigen
Mönch aber, ihr Mönche, der die Betrachtung über
den Tod übt, indem er denkt: »Ach, daß es mir doch
vergönnt sei, noch die kurze Zeitspanne am Leben
zu bleiben, die zwischen einer Ein- und Ausatmung
oder zwischen einer Aus- und Einatmung liegt! Ich
möchte des Erhabenen Weisung noch überdenken.
Gar viel möchte ich noch erwirken!« — : von einem
solchen Mönche, ihr Mönche, sagt man, daß er uner-
müdlich verharrt und voll Scharfsinn die Betrachtung
über den Tod übt, um der Leidenschaften Versiegung
zu erreichen. Darum, ihr Mönche, habt ihr danach
zu trachten: »Lasset uns unermüdlich verharren und
voll Scharfsinn die Betrachtung über den Tod üben,
um der Leidenschaften Versiegung zu erreichen!« Das,
ihr Mönche, sei euer Streben!"
Die Betrachtung über den Tod "^^
(2)
[In der Steinernen Wohnung bei Nätika]
Die Betrachtung über den Tod, ihr Mönche, ent-
faltet und häufig geübt, bringt hohen Lohn und Segen,
hat die Todlosigkeit zum Ziele und Ausgange. Auf
welche Weise aber entfaltet und häufig geübt, ihr
Mönche, bringt die Betrachtung über den Tod hohen
Lohn und Segen, hat die Todlosigkeit zum Ziele und
Ausgange?
Sobald, ihr Mönche, der Tag zur Neige geht, —
oder sobald die Nacht weicht und der Tag anbricht, —
— 145 — 10
VIII 74 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
da denkt der Mönch bei sich: ^Wahrlich, viele Möglich-
keiten zum Sterben bestehen für mich: es möchte mich
eine Schlange beißen, oder ein Skorpion oder Hundert-
fuß möchte mich stechen, und so möchte ich ums
Leben kommen. Das aber wäre für mich ein Hindernis.
Ich möchte einmal -straucheln und hinfallen, oder
die Speise möchte mir schlecht bekommen, oder Galle,
Schleim oder stechende Gase möchten erregt werden,
oder Menschen oder Unholde möchten mich anfallen.
Und so möchte ich ums Leben kommen. Das aber
wäre für mich ein Hindernis.« Und da, ihr Mönche,
hat der Mönch als bei sich zu überlegen: »Finden sich
in mir wohl noch unüberkommene üble, schuldvolle
Dinge, die mir, wenn ich in der heutigen Nacht oder
am heutigen Tage sterben sollte, zum Schaden ge-
reichen könnten?« — Wenn nun, ihr Mönche, der
Mönch bei seiner Betrachtung merkt, daß in ihm noch
unüberkommene üble, schuldvolle Dinge anzutreffen
sind, die ihm, wenn er stürbe, zum Schaden gereichen
könnten, so hat eben jener Mönch äußersten Willens-
entschluß, Tatkraft, Streben, Ausdauer, Standhaftig-
keit, Achtsamkeit und Geistesklarheit zu zeigen, um
diese üblen, schuldvollen Dinge zu überkommen.
Gleichwie einer, ihr Mönche, dessen Kleider oder
Haare in Flammen stehen, um diese zu löschen äußer-
sten Willensentschluß, Tatkraft, Streben, Ausdauer,
Standhaftigkeit, Achtsamkeit und Geistesklarheit zeigt
ebenso auch, ihr Mönche, hat jener Mönch äußersten
Willensentschluß, Tatkraft, Streben, Ausdauer, Stand-
haftigkeit, Achtsamkeit und Geistesklarheit zu zeigen,
um diese üblen, schuldvollen Dinge zu überkommen.
Wenn aber, ihr Mönche, der Mönch bei seiner
— 146 —
ACHTERBUCH Vin 79, 80
Betrachtung bemerkt, daß keine unüberkommenen
üblen, schuldvollen Dinge mehr anzutreffen sind, die
ihm, wenn er stürbe, zum Schaden gereichen könnten,
so mag eben jener Mönch in seliger Freude verweilen,
im Guten sich übend bei Tag und bei Nacht.
Die Betrachtung über den Tod, ihr Mönche, also
entfaltet, als häufig geübt, bringt hohen Lohn und
Segen, hat die Todlosigkeit zum Ziele und Ausgange.
Acht schädliche Dinge 79
Acht Dinge, ihr Mönche, gereichen dem kampfes-
fähigen Mönche zum Schaden: Gefallen an körper-
lichen Arbeiten, Gefallen am Plaudern, Gefallen am
Schlafen, Gefallen an Geselligkeit, Zügellosigkeit der
Sinnentore, Unmäßigkeit beim Mahle, Gefallen an
Vertraulichkeit und Gefallen am Weltlichen. —
Trägheit und Strebsamkeit
Acht Gelegenheiten zur Trägheit gibt es, ihr
Mönche: welche acht?
Da, ihr Mönche, "hat der Mönch eine Arbeit zu
verrichten. Und er denkt: »Ich soll da eine Arbeit
verrichten. Doch wenn ich die Arbeit verrichte, wird
mir mein Körper ermüden. Ich will mich lieber hin-
legen.« Und er legt sich hin; und nicht strengt er sich
an, um das Unerreichte zu erreichen, das Unerrungene
zu erringen, das Unverwirklichte zu verwirklichen.
Das, ihr Mönche, ist die erste Gelegenheit zur Trägheit.
Da hat ferner, ihr Mönche, der Mönch eine Arbeit
verrichtet. Und er denkt: »Ich habe da eine Arbeit
— 147 — 10*
vmso SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
verrichtet. Doch während ich die Arbeit verrichtete,
ist mir mein Körper ermüdet. Ich will mich lieber hin-
legen.« Und er legte sich hin, und nicht strengt er sich
an, um das Unerreichte zu erreichen, das Unerrungene
zu erringen, das Unverwirklichte zu verwirklichen. Das,
ihr Mönche, ist die zweite Gelegenheit zur Trägheit.
Da hat ferner, ihr Mönche, der Mönch einen Weg
zurückzulegen. Und er denkt: »Ich soll da einen Weg
zurücklegen. Doch wenn ich den Weg zurücklege,
wird mir mein Körper ermüden. Ich will mich lieber
hinlegen.« Und er legt sich hin; und nicht strengt er
sich an, um das Unerreichte zu erreichen, das Uner-
rungene zu erringen, das Unverwirklichte zu ver-
wirklichen. Das, ihr Mönche, ist die dritte Gelegenheit
zur Trägheit.
Da hat ferner, ihr Mönche, der Mönch einen Weg
zurückgelegt. Und er denkt: »Ich habe da einen Weg
zurückgelegt. Doch während ich den Weg zurück-
legte, ist mir mein Körper ermüdet. Ich will mich lieber
hinlegen.« Und er legt sich hin; und nicht strengt er
sich an, um das Unerreichte zu erreichen, das Uner-
rungene zu erringen, das Unverwirklichte zu ver-
wirklichen. Das, ihr Mönche, ist die vierte Gelegenheit
zur Trägheit.
Da erhält ferner, ihr Mönche, der Mönch, während
er in einem Dorfe oder einer Stadt um Almosen geht,
weder an einfachen feinen Speisen genug, um seine
Bedürfnisse zu stillen. Und er denkt: »Während ich
da in dem Dorfe oder in der Stadt um Almosen ging,
erhielt ich weder an einfachen noch feinen Speisen
genug, um meine Bedürfnisse zu stillen. Mein Körper
ist daher ermüdet und arbeitsunfähig. Ich will mich
— 148 —
ACHTERBUCH vm 80
lieber hinlegen.« Und er legt sich hin; und nicht strengt
er sich an, um das Unerreichte zu erreichen, das Uner-
rungene zu erringen, das Unverwirklichte zu ver-
wirklichen. Das, ihr Mönche, ist die fünfte Gelegen-
heit zur Trägheit.
Da erhält ferner, ihr Mönche, der Mönch, während
er in einem Dorfe oder einer Stadt um Almosen geht,
an einfachen und feinen Speisen genug, um seine Be-
dürfnisse zu stillen. Und er denkt: »Während ich da
in dem Dorfe oder der Stadt um Almosen ging, erhielt
ich an einfachen und feinen Speisen genug, um meine
Bedürfnisse zu stillen. Mein Körper ist daher schwer
und arbeitsunfähig, gleichsam als wäre er mit Bohnen
angefüllt. Ich will mich lieber hinlegen.« Und er legt
sich hin; und nicht strengt er sich an, um das Uner-
reichte zu erreichen, das Unerrungene zu erringen,
das Unverwirklichte zu verwirklichen. Das, ihr Mönche,
ist die sechste Gelegenheit zur Trägheit.
Da ist ferner, ihr Mönche, dem Mönche ein wenig
unwohl geworden. Und er denkt: »Mir ist ein wenig
unwohl geworden. Es ist an der Zeit, daß ich mich
hinlege.« Und er legt sich hin; und nicht strengt er
sich an, um das Unerreichte zu erreichen, das Uner-
rungene zu erringen, das Unverwirklichte .zu verwirk-
lichen. Das, ihr Mönche, ist die siebente Gelegenheit
zur Trägheit.
Da ist ferner, ihr Mönche, der Mönch von einer
Krankheit genesen, hat sich erst vor Kurzem von
seinem Krankenlager erhoben. Und er denkt: »Ich
bin da von meiner Krankheit genesen, habe mich
erst vor Kurzem von meinem Krankenlager erhoben.
Mein Körper ist noch geschwächt und arbeitsunfähig.
— 149 —
Vmso SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Ich will mich lieber hinlegen.« Und er legt sich hin;
und nicht strengt er sich an, um das Unerreichte zu
erreichen, das Unerrungene zu erringen, das Unver-
wirklichte zu verwirklichen. Das ihr Mönche, ist die
achte Gelegenheit zur Trägheit.
Diese acht Gelegenheiten zur Trägheit gibt es,
ihr Mönche.
Acht Gelegenheiten zum Streben gibt es, ihr
Mönche: welche acht?
Da, ihr Mönche, hat der Mönch eine Arbeit zu
verrichten. Und er denkt: »Ich soll da eine Arbeit
verrichten. Doch wenn ich die Arbeit verrichte, ist
es nicht leicht, über die Weisung der Erleuchteten
nachzudenken. So will ich denn vor allen Dingen
mich anstrengen, um das Unerreichte zu erreichen,
das Unerrungene zu erringen, das Unverwirklichte zu
verwirklichen.« Und er strengt sich an, um das Un-
erreichte zu erreichen, das Unerrungene zu erringen,
das Unverwirklichte zu verwirklichen. Das, ihr
Mönche, ist die erste Gelegenheit zum Streben.
Da hat ferner, ihr Mönche, der Mönch eine Arbeit
verrichtet. Und er denkt: »Ich habe da eine Arbeit
verrichtet. Doch während ich die Arbeit verrichtete,
war ich nicht imstande, über die Weisung der Er-
leuchteten nachzudenken. So will ich denn vor allen
Dingen mich anstrengen, um das Unerreichte zu er-
reichen, das Unerrrungene zu erringen, das Unver-
wirklichte zu verwirklichen.« Und er strengt sich an,
um das Unerreichte zu erreichen, das Unerrungene
zu erringen, das Unverwirklichte zu verwirklichen.
Das, ihr Mönche, ist die zweite Gelegenheit zum
Streben.
— 150 —
ACHTERBUCH vmso
Da hat ferner, ihr Mönche, der Mönch einen Weg
zurückzulegen. Und er denkt: »Ich soll da einen Weg
zurücklegen. Doch wenn ich den Weg zurücklege, ist
es nicht leicht, über die Weisung der Erleuchteten
nachzudenken. So will ich denn vor allen Dingen
mich anstrengen, um das Unerreichte zu erreichen,
das Unerrungene zu erringen, das Unverwirklichte zu
verwirklichen.« Und er strengt sich an, um das Un-
erreichte zu erreichen, das Unerrungene zu erringen,
das Unverwirklichte zu verwirklichen. Das, ihr
Mönche, ist die dritte Gelegenheit zum Streben.
Da hat ferner, ihr Mönche, der Mönch einen Weg
zurückgelegt. Und er denkt: »Ich habe da einen Weg
zurückgelegt. Doch während ich den Weg zurück-
legte, war ich nicht imstande, über die Weisung der
Erleuchteten nachzudenken. So will ich denn vor
allen Dingen mich anstrengen, um das Unerreichte
zu erreichen, das Unerrungene zu erringen, das Un-
verwirklichte zu verwirklichen.« Und er strengt sich
an, um das Unerreichte zu erreichen, das Unerrungene
zu erringen, das Unverwirklichte zu verwirklichen.
Das, ihr Mönche, ist die vierte Gelegenheit zum
Streben.
Da erhält ferner, ihr Mönche, der Mönch, während
er in einem Dorfe oder einer Stadt um Almosen geht,
weder an einfachen noch feinen Speisen genug, um
seine Bedürfnisse zu stillen. Und er denkt: »Während
ich da in dem Dorfe oder der Stadt um Almosen ging,
erhielt ich weder an einfachen noch feinen Speisen
genug, um meine Bedürfnisse zu stillen. Daher ist
mein Körper leicht und arbeitsfähig. So will ich denn
vor allen Dingen mich anstrengen, um das Unerreichte
— 151 —
VIII 80 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
zu erreichen, das Unerrungene zu erringen, das Un-
verwirklichte zu verwirklichen.« Und er strengt sich
an, um das Unerreichte zu erreichen, das Unerrungene
zu erringen, das Unverwirklichte zu verwirklichen.
Das, ihr Mönche, ist die fünfte Gelegenheit zum
Streben.
Da erhält ferner, ihr Mönche, der Mönch, während
er in einem Dorfe oder einer Stadt um Almosen
geht, an einfachen und feinen Speisen genug, um seine
Bedürfnisse zu stillen. Und er denkt:» Während ich
da in dem Dorfe oder der Stadt um Almosen ging,
erhielt ich an einfachen und feinen Speisen genug,
um meine Bedürfnisse zu stillen. Mein Körper ist
daher gestärkt und arbeitsfähig. So will ich denn
vor allen Dingen mich anstrengen, um das Unerreichte
zu erreichen, das Unerrungene zu erringen, das Un-
verwirklichte zu verwirklichen.« Und er strengt sich
an, um das Unerreichte zu erreichen, das Unerrungene
zu erringen, das Unverwirklichte zu verwirklichen.
Das, ihr Mönche, ist die sechste Gelegenheit zum
Streben.
Da ist ferner, ihr Mönche, dem Mönche ein wenig
unwohl geworden. Und er denkt: »Mir ist ein wenig
unwohl geworden. Nun ist es aber möglich, daß meine
Krankheit zunehmen wird. So will ich denn vor allen
Dingen mich anstrengen, um das Unerreichte zu er-
reichen, das Unerrungene zu erringen, das Unverwirk-
lichte zu verwirklichen.« Und er strengt sich an, um
das Unerreichte zu erreichen, das Unerrungene zu
erringen, das Unverwirklichte zu verwirklichen. Das,
ihr Mönche, ist die siebente Gelegenheit zum Streben.
Da ist ferner, ihr Mönche, der Mönch von einer
— 152 —
ACHTERBUCH VIII 80
Krankheit genesen, hat sich erst vor Kurzem von
seinem Krankenlager erhoben. Und er denkt: »Ich
bin da von meiner Krankheit genesen, habe mich erst
vor Kurzem von meinem Krankenlager erhoben. Nun
ist es aber möglich daß meine Krankheit von neuem
ausbrechen wird. So will ich denn vor allen Dingen
mich anstrengen, um das Unerreichte zu erreichen,
das Unerrungene zu erringen, das Unverwirklichte zu
verwirklichen.« Und er strengt sich an, um das Uner-
reichte zu erreichen, das Unerrungene zu erringen,
das Unverwirklichte zu verwirklichen. Das,
ihr Mönche, ist die achte Gelegenheit zum Stre-
ben. Diese acht Gelegenheiten zum Streben gibt es
ihr Mönche.
— 158
VIII 82 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
NEUNTER TEIL:
Das Kapitel der Achtsamkeit
^1 Eines aufs Andere gestützt
Ist, ihr Mönche, keine Achtsamtceit und Geistes-
klarheit da, so ist in dem der Achtsamkeit und Geistes-
klarheit Entbehrenden das Schamgefühl und Gewissen
ohne Stütze. Ist aber kein Schamgefühl und Gewissen
da, so ist in dem des Schamgefühls und Gewissens
Entbehrenden die Sinnenzügelung ohne Stütze. Ist
aber keine Sinnenzügelung da, so ist in dem der
Sinnenzügelung Entbehrenden die Sittlichkeit ohne
Stütze. Ist aber keine Sittlichkeit da, so ist in dem
der Sittlichkeit Entbehrenden die rechte Sammlung
ohne Stütze. Ist aber keine rechte Sammlung da, so
ist in dem der rechten Sammlung Entbehrenden der
wahrheitsgemäße Erkenntnisblick ohne Stütze. Ist
aber der wahrheitsgemäße Erkenntnisblick nicht da,
so ist in dem des wahrheitsgemäßen Erkenntnisblickes
Entbehrenden der Daseinsekel und die Abwendung
ohne Stütze. Ist aber kein Daseinsekel und keine
Abwendung da, so ist in dem des Daseinsekels und
der Abwendung Entbehrenden der Erkenntnisblick
der Erlösung ohne Stütze. —
82 Der bedingte Vortrag des Vollendeten
Der ehrwürdige Punniyo sprach zum Erhabenen:
,,Was ist wohl, o Ehrwürdiger, die Ursache, was
der Grund, daß der Vollendete das eine Mal das
Gesetz darlegt, das andere Mal aber nicht?"
— 154 —
ACHTERBUCH VHI 84
„Ist da, Punniyo, der Mönch voll Vertrauen,
kommt aber nicht heran, so legt eben der Vollendete
das Gesetz nicht dar. Ist aber, Punniyo, der Mönch
voll Vertrauen und kommt heran, so legt eben der
Vollendete das Gesetz dar.
,,Ist da, Punniyo, der Mönch voll Vertrauen und
kommt heran, setzt sich aber nicht hin, — oder setzt
sich hin, stellt aber keine Fragen, — oder stellt Fragen,
leiht aber dem Gesetze kein Gehör, — oder leiht dem
Gesetze Gehör, prägt sich aber nicht die vernommenen
Gesetze ein, — oder prägt sich die vernommenen
Gesetze ein, erforscht aber nicht deren Sinn, — oder
erforscht deren Sinn, lebt aber nicht, das Gesetz und
seine Auslegung kennend, dem Gesetze gemäß, so legt
eben der Vollendete das Gesetz nicht dar.
,,Ist aber, Punniyo, der Mönch voll Vertrauen,
kommt heran, setzt sich hin, stellt Fragen, leiht dem
Gesetze Gehör, prägt sich die vernommenen Gesetze
ein, erforscht deren Sinn und lebt, das Gesetz und
seine Auslegung kennend, dem Gesetze gemäß, so
legt eben der Vollendete das Gesetz dar. Wo Punniyo
diese acht Bedingungen anzutreffen sind, da legt der
Vollendete auf alle Fälle das Gesetz dar.
Der Räuber
Der Räuber, ihr Mönche, der acht Eigenschaften
besitzt, kommt schnell zu Falle, hält sich nicht lange:
welche acht?
Ohne daß er selber geschlagen wird schlägt er,
nimmt alles ohne Rest, tötet Frauen, entehrt Mäd-
chen, beraubt Mönche, vergreift sich an königlichen
— 155 -
vmss SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Schätzen, verübt seine Taten in allzugroßer Nähe und
versteht sich nicht auf das Verbergen seiner Schätze.
Der Räuber, ihr Mönche, der diese acht Eigenschaften
besitzt, kommt schnell zu Falle, hält sich nicht lange.
Der Räuber aber, ihr Mönche, der folgende acht
Eigenschaften besitzt, kommt nicht schnell zu Falle
und hält sich lange: welche acht?
Wird er selber nicht geschlagen, so schlägt auch
er nicht; er nimmt nicht alles ohne Rest, tötet keine
Frauen, entehrt nicht die Mädchen, beraubt nicht
die Mönche, vergreift sich nicht an königlichen Schät-
zen, verübt seine Taten nicht in allzugroßer Nähe
und versteht sich auf das Verbergen seiner Schätze.
Der Räuber, ihr Mönche, der diese acht Eigenschaften
besitzt, kommt nicht schnell zu Falle und hält sich
lange.
^ Der Vollendete
»Asket, Priester, Wissenskundiger, Arzt, Unbe-
fleckter, Fleckenloser, Erkenner, Erlöser«: das, ihr
Mönche, sind Bezeichnungen für den Vollendeten,
Heiligen, Vollkommen Erleuchteten.
Was immer ein Asket erreicht,
Ein Priester, der ganz ausgelebt,
Was da ein Wissenskundiger,
Ein Arzt an Höchstem finden mag,
Was da ein fleckenloser Mensch
Erringet, rein und unbefleckt,
Was da ein Kenner, ein Erlöster
An Höchstem sich erringen mag: —
— 156 -
ACHTERBUCH VIII 8»
Als Sieger zog ich heim, erlöst,
Der Andern Fesseln lös' ich nun.
Ein hoher Held bezähmt bin ich,
Hab' ausgekämpft und bin erlöst.
Das Glück der Loslösung se
[Im Icchänahgaler Waldesdickicht]
Der Erhabene zu Nägito:
— „Wer da nicht, Nägito, wie ich dieses Glückes
der Entsagung, der Loslösung, des Friedens und der
Erleuchtung nach Wunsch, ohne Mühe und Anstren-
gung, teilhaftig wird, den mag es freilich nach jenem
kotigen, faulen Glücke, nach der Freude an Besitz,
Ehre und Ruhm gelüsten. Auch einige unter den
Gottheiten werden dieses Glückes nicht teilhaftig.
Und auch euch, Nägito, die ihr euch versammelt habt
und dem Leben der Geselligkeit hingegeben seid,
kommt der Gedanke: »Nicht werden wahrlich diese
Verehrten wie ich dieses Glückes der Entsagung, der
Loslösung, des Friedens und der Erleuchtung nach
Wunsch, ohne Mühe und Anstrengung, teilhaftig.
Denn diese Verehrten haben sich ja versammelt und
sind dem Leben der Geselligkeit hingegeben.«
„Da, Nägito, bemerke ich, wie Mönche lachen
und sich gegenseitig mit fingerdicken Gerten necken.
Und der Gedanke kommt mir: »Nicht werden wahrlich
diese Verehrten wie ich dieses Glückes der Entsagung,
der Loslösung, des Friedens und der Erleuchtung nach
Wunsch, ohne Mühe und Anstrengung, teilhaftig.
Denn jene Verehrten lachen, ja necken sich gegenseitig
mit fingerdicken Gerten.«
„Da, Nägito, bemerke ich, wie Mönche, nachdem
- 157 -
VIII 88 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
sie sich genügend den Bauch mit Speise angefüllt
haben, Genuß daran finden, sich auszuruhen, sich auf
die Seite zu legen und einzuschlummern. Und der Ge-
danke kommt mir: «Nicht, werden wahrlich, diese
Verehrten wie ich dieses Glückes der Entsagung, der
Loslösung, des Friedens und der Erleuchtung nach
Wunsch, ohne Mühe und Anstrengung, teilhaftig.
Denn jene Verehrten finden ja, nachdem sie sich ge-
nügend den Bauch mit Speise angefüllt haben, Genuß
daran, sich auszuruhen, sich auf die Seite zu legen und
einzuschlummern.«
„Da, Nägito, bemerke ich einen im Dorfe lebenden
Mönch, wie er gesammelt dasitzt. Ich weiß aber
daß jetzt diesen Verehrten ein Klosterdiener oder ein
Mönchsschüler stören und er die Sammlung verlieren
wird. Darum, Nägito, bin ich mit dem Dorfaufent-
halte dieses Mönches nicht zufrieden.
,,Da, Nägito, bemerke ich einen im Walde leben-
den Mönch, wie er schläfrig dasitzt. Ich weiß aber,
daß der Verehrte die Schläfrigkeit und Mattigkeit
überwinden und, gesammelt, bloß noch die Vorstellung
des Waldes als alleinigen Gegenstand erwägen wird.
Darum, Nägito, bin ich mit dem Waldleben dieses
Mönches zufrieden.
„Da, Nägito, bemerke ich einen im Walde leben-
den Mönch, wie er im Walde ungesammelt dasitzt.
Ich aber weiß, daß der Verehrte den ungesammelten
Geist sammeln und den gesammelten Geist behalten
wird. Darum, Nägito, bin ich mit dem Waldleben
dieses Mönches zufrieden.
,,Da, Nägito, bemerke ich einen im Walde leben-
den Mönch, wie er im Walde gesammelt dasitzt. Ich
- 158 -
ACHTERBUCH vm 87
aber weiß, daß nun der Verehrte den unbefreiten Geist
befreien und den befreiten Geist behalten wird. Darum,
Nägito, bin ich mit dem Waldleben dieses Mönches
zufrieden.
,,Zu einer Zeit, Nägito, wo ich auf der Straße
wandere und keinen Menschen vor mir und hinter
mir sehe, zu einer solchen Zeit, Nägito, fühle ich
mich wohl, und sei es bloß beim Verrichten der Not-
durft."
Das Topfumstülpen 87
Bei einem Anhänger, ihr Mönche, bei dem acht
Dinge anzutreffen sind, mag die Mönchsgemeinde,
wenn sie es wünscht, die Almosenschale umstülpen (1).
Welches aber sind diese acht Dinge?
Wenn er darauf ausgeht, Geschenke an die Mönche
zu verhindern; wenn er darauf .ausgeht, den Mönchen
zu schaden; wenn er darauf ausgeht, die Mönche am
Wohnen zu verhindern; wenn er die Mönche beschimpft
und verleumdet; wenn er die Mönche untereinander
entzweit; wenn er schlecht spricht vom Erleuchteten,
schlecht spricht vom Gesetze, schlecht spricht von
der Jüngerschaft. —
Bei einem Anhänger aber, ihr Mönche, bei dem
folgende acht Dinge anzutreffen sind, mag die Mönchs-
gemeinde, wenn sie es wünscht, die Almosenschale
(1) Das »Topfumstülpen« ist ein bildlicher Ausdruck für
eine über einen weltlichen Anhänger auf offiziellen Beschluß der
Mönchsvereammlung hin verhängte Strafe, die darin besteht, daß
die Mönche nicht mehr zum Hause des Betreffenden um Almosen
gehen.
— 159 —
vm 88 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
wieder aufrichten. Und welches sind diese acht
Dinge?
Wenn er nicht darauf ausgeht, Geschenke an die
Mönche zu verhindern; wenn er nicht darauf ausgeht,
den Mönchen zu schaden; wenn er nicht darauf aus-
geht, die Mönche am Wohnen zu verhindern; wenn
er nicht die Mönche beschimpft und verleumdet;
wenn er nicht die Mönche untereinander entzweit;
wenn er gut spricht vom Erleuchteten, gut spricht
vom Gesetze, gut spricht von der Jüngerschaft. —
Die Mißachtung kundtun
Einem Mönche, ihr Mönche, bei dem acht Dinge
anzutreffen sind, mögen die Anhänger, wenn sie es
wünschen, ihre Mißachtung bekunden (1). Welches
aber sind diese acht Dinge?
Wenn er darauf ausgeht, Geschenke an die Haus-
leute zu verhindern; wenn er darauf ausgeht, den
Hausleuten zu schaden; wenn er die Hausleute be-
schimpft und verleumdet; wenn er die Hausleute
untereinander entzweit; wenn er schlecht spricht vom
Erleuchteten, schlecht spricht vom Gesetze, schlecht
spricht von der Jüngerschaft; wenn man ihn an ver-
botenen Plätzen sieht. —
Einem Mönche aber, ihr Mönche, bei dem folgende
acht Dinge anzutreffen sind, mögen die Anhänger,
wenn sie es wünschen, ihre Achtung bekunden. Welches
aber sind diese acht Dinge?
Wenn er nicht darauf ausgeht, Geschenke an die
Hausleute zu verhindern; wenn er nicht darauf aus-
geht, den Hausleuten zu schaden; wenn er nicht die
(1) Dadurch, daß sie sich in seiner Gegenwart nicht von ihren
Sitzen erheben, ihm nicht entgegenkommen usw.
- 160 -
ACHTERBUCH VIII 89
Hausleute beschimpft und verleumdet; wenn er nicht
die Hausleute untereinander entzweit; wenn er gut
spricht vom Erleuchteten, gut spricht vom Gesetze,
gut spricht von der Jüngerschaft; wenn man ihn
nicht an verbotenen Plätzen sieht. —
Der Akt des Verzeihungerbittens 89
Über einen Mönch, ihr Mönche, bei dem acht
Dinge anzutreffen sind, mag die Mönchsgemeinde,
wenn sie es wünscht, den Akt des Verzeihungerbittens
(patisäraniya-kamma) verhängen. Welches sind diese
acht Dinge?
Wenn er darauf ausgeht, die Hausleute am Ge-
winne zu verhindern; wenn er darauf ausgeht, den
Hausleuten zu schaden; wenn er die Hausleute be-
schimpft und verleumdet; wenn er die Hausleute
untereinander entzweit; wenn er schlecht spricht vom
Erleuchteten, schlecht spricht vom Gesetze, schlecht
spricht von der Jüngerschaft; wenn er ein den Haus-
ieuten gegebenes rechtmäßiges Versprechen nicht
hält. —
Bei einem Mönche, ihr Mönche, bei dem folgende
acht Dinge anzutreffen sind, mag die Mönchsgemeinde,
wenn sie es wünscht, den Akt des Verzeihungerbittens
wieder aufheben. Welches aber sind diese acht Dinge?
Wenn er nicht darauf ausgeht, die Hausleute am
Gewinne zu verhindern; wenn er nicht darauf aus-
geht, den Hausleuten zu schaden; wenn er nicht die
Hausleute beschimpft und verleumdet; wenn er nicht
die Hausleute untereinander entzweit; wenn er gut
spricht vom Erleuchteten, gut spricht vom Gesetze,
~ 161 — 11
Vm90 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
gut spricht von der Jüngerschaft; wenn er ein den
Hausleuten gegebenes rechtmäßiges Versprechen
hält. —
90 In die Acht erklären
Der Mönch, der in die Acht erklärt ist, soll sich
in acht Dingen recht verhalten: er soll keine Weihe
(upasampadä) erteilen, keine Vormundschaft (nis-
saya) erteilen, keinen Novizen (sämanera) aufnehmen,
keine Ernennung als Ermahner der Nonnen annehmen;
hat man ihn aber bereits dazu ernannt, so soll er den
Nonnen keine Ermahnungen geben; er soll keine
Ernennung durch die Ordensgemeinde annehmen, soll
in keinem besonderen Posten eingesetzt werden; und
nicht soll er etwa aus diesem Grunde »Vergebung«
(abbhäna) finden.
Erlöschung
Zur Erkennung und völligen Durchschauung von
Gier, ihr Mönche, von Haß, Verblendung, Zorn, Wut,
Verkleinerungssucht, Neid, Geiz, Gleisnerei, Falsch-
heit, Hartnäckigkeit, Heftigkeit, Dünkel, Hochmut,
Eitelkeit und Nachlässigkeit und zu dieser Dinge
völligen Vernichtung, Überwindung, Versiegung, Er-
löschung, Abwendung, Zerstörung, Entsagung und
Loslösung hat man acht Dinge zu entfalten: welche
acht?
Rechte Erkenntnis, rechte Gesinnung, rechte
Worte, rechte Werke, rechtes Leben, rechtes Streben,
rechte Achtsamkeit und rechte Sammlung. —
Ende des Achterbuches
— 162
NEUNERBUCH IX 1
Das Neunerbuch
ERSTER TEIL:
Das Kapitel der Erleuchtung
Die Grundlagen der Erleuchtung
[Im Jetahaine bei Sävatthi]
— Sollten da, ihr Mönche, andersgläubige Pilger
euch fragen, was wohl die Entfaltung der zur Erleuch-
tung führenden Erscheinungen zur Grundlage habe,
so habt ihr da, ihr Mönche, jenen andersgläubigen
Pilgern also zu erwidern:
»Da, ihr Brüder, hat der Mönch edlen Umgang,
edle Gefährten, edle Genossen. Das, ihr Bruder,
ist die erste Grundlage.
»Fernerhin, ihr Brüder, ist der Mönch sitten-
rein, lebt gezügelt im Sinne der Ordenssatzung, ist
vollkommen im Wandel und Umgang; und vor den
geringsten Vergehen sich scheuend übt er sich in
den auf sich genommenen Übungsregeln. Das, ihr
Brüder, ist die zweite Grundlage.
»Fernerhin, ihr Brüder: was da diese läuternden,
für die geistige Entfaltung so heilsamen Belehrungen
betrifft, als wie Belehrungen über Bedürfnislosig-
keit, Zufriedenheit, Einsamkeit, Abgeschiedenheit,
Willenskraft, Sittlichkeit, Sammlung, Einsicht, Er-
lösung und den Erkenntnisblick der Erlösung: —
— 163 — 11*
IX 1 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
alle solche Belehrungen werden ihm auf Wunsch
zuteil, ohne Mühe und Anstrengung. Das, ihr Brüder,
ist die dritte Grundlage.
»Fernerhin, ihr Brüder, setzt der Mönch seinen
Willen daran, die schuldvollen Dinge zu überwinden,
die verdienstvollen Dinge aber zu erwecken, ist
standhaft, von gestählter Kraft, nicht nachlässig im
Guten. Das, ihr Brüder, ist die vierte Grundlage.
»Fernerhin, ihr Brüder, ist der Mönch weise;
er besitzt Einsicht in das Entstehen und Vergehen,
edle, durchdringende, zu völliger Leidensvernichtung
führende. Das, ihr Brüder, ist die fünfte Grundlage.«
Bei einem Mönche nämlich, der edlen Umgang
hat, edle Gefährten, edle Genossen, da, ihr Mönche,
steht zu erwarten, daß er sittenrein und gezügelt im
Sinne der Ordenssatzung leben wird, — daß ihm jene
läuternden, für die geistige Entfaltung so heilsamen
Belehrungen zuteil werden, — daß er seine Willenskraft
einsetzen wird, um die schuldvollen Dinge zu über-
winden, die verdienstvollen Dinge zu erwecken, —
daß er weise sein und Einsicht besitzen wird in das
Entstehen und Vergehen, edle, durchdringende, zu
völliger Leidensvernichtung führende.
Ist nun aber, ihr Mönche, der Mönch in diesen
fünf Dingen gefestigt, so hat er außerdem noch vier
weitere Dinge zu entfalten: — die Vorstellung von der
Unreinheit hat er zu entfalten zur Überkommung der
Gier; die Liebe hat er zu entfalten zur Überkommung
des Übelwollens; die Achtsamkeit bei Ein- und Aus-
atmung hat er zu entfalten zur Unterdrückung der
Gedanken; die Vorstellung der Vergänglichkeit hat er
zu entfalten zur Ausrottung des Ichdünkels. Bei der
— 164 —
NEUNERBUCH X 12
Vorstellung der Vergänglichkeit nämlich, ihr Mönche,
festigt sich im Mönche die Vorstellung der Wesenlosig-
keit; und die Wesenlosigkeit betrachtend erreicht er
die Ausrottung des Ichdünkels und gewinnt noch bei
Lebzeiten das Nirwahn.
Vollkommen gestützt
Einer der Mönche sprach zum Erhabenen:
„Man spricht da, o Ehrwürdiger, von einem »voll-
kommenen Gestütztsein«. Inwiefern aber, o Ehr-
würdiger, ist der Mönch vollkommen gestützt?"
„Wenn da, o Mönch, der Mönch, auf Vertrauen
gestützt, das Schuldvolle überkommt und das Ver-
dienstvolle entfaltet, so ist in ihm eben jenes Schuld-
volle überkommen. Wenn er, auf Schamgefühl ge-
stützt, — auf sein Gewissen gestützt, — auf Willens-
kraft gestützt, — auf Einsicht gestützt, das Schuld-
volle überkommt und das Verdienstvolle entfaltet,
so ist in ihm eben jenes Schuldvolle überkommen.
Denn das Schuldvolle, das ein solcher Mönch, mit
heiliger Einsicht erkennend, überkommen hat, das hat
er eben überkommen, gründlich überkommen. Ist
aber, o Mönch, jener Mönch in diesen fünf Dingen ge-
festigt, dann soll er auf vier Dinge gestützt verweilen:
auf welche vier?
„Da, 0 Mönch, macht der Mönch bedachtsam
von dem einen Dinge Gebrauch (1); bedachtsam er-
duldet er das eine (2); bedachtsam vermeidet er das
(1) Nämlich von Gewand, Nalirung, Wolmstätte und Arznei.
(2) Nämlich körperliche Schmerzen, Beleidigungen usw.
— 165 —
1X3 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
eine (1); bedachtsam vertreibt er das eine (2). Auf
diese Weise, o Mönch, ist der Mönch vollkommen ge-
stützt."
3 Die Grundlagen des Fortschrittes
Einst weilte der Erhabene bei Cälikä auf dem
Cäliyaberge (3). Zu jener Zeit aber war der ehrwürdige
Meghiyo der Begleiter des Erhabenen. Und der ehr-
würdige Meghiyo begab sich zum Erhabenen, begrüßte
ihn ehrfurchtsvoll und stellte sich zur Seite hin. Zur
Zeite aber stehend sprach der ehrwürdige Meghiyo
also zum Erhabenen:
„Ich möchte, o Ehrwürdiger, nach Jantugäma (4)
um Almosen gehen."
„Wie es dir beliebt, Meghiyo."
Und der ehrwürdige Meghiyo kleidete sich in der
Frühe an, nahm Schale und Gewand und begab sich
nach Jantugäma um Almosen. Nachdem er in Jantu-
gäma seinen Almosengang beendet hatte und zurück-
gekehrt war, begab er sich nach dem Mahle zum Strande
des Kimikäläflusses. Während er aber am Ufer des
Kimikäläflusses hin und her wanderte, bemerkte er
einen anmutigen, entzückenden Mangohain. Bei seinem
Anblicke dachte er: »Gar anmutig ist wahrlich dieser
Mangohain, entzückend, fürwahr für einen strebenden
edlen Jüngling der rechte Ort zum Streben. Wenn es
(1) Nämlich das, was ihn geistig oder körperlich gefährdet.
(2) Nämlich üble Gedanken und Leidenschaften.
(3) In dem dort errichteten, großen Kloster, sagt der Kom-
men tar.
(4) D. i. dem bei dem Kloster gelegenen Dorfe.
- _ 166 —
NEUNERBGCH 1X3
mir der Erhabene gestattet, will ich zu diesem Mango-
haine zurückl<ehren.«
Und der ehrwürdige Meghiyo begab sich zum Er-
habenen, begrüßte ihn ehrfurchtsvoll und setzte sich
zur Seite nieder. Zur Seite aber sitzend sprach der
ehrwürdige Meghiyo also zum Erhabenen:
,, Während ich da, o Ehrwürdiger, am Ufer des
Kimikäläflusses hin und her wanderte, bemerkte ich
einen anmutigen, entzückenden Mangohain. Bei seinem
Anblicke dachte ich: »Gar anmutig ist wahrlich dieser
Mangohain, entzückend, fürwahr, für einen strebenden
edlen Jüngling der rechte Ort zum Streben. Wenn
es mir der Erhabene gestattet, will ich zu diesem Mango-
haine zurückkehren.«"
Auf diese Worte sprach der Erhabene zum ehr-
würdigen Meghiyo:
,, Warte noch, Meghiyo! Wir sind hier ganz allein.
Möge erst noch ein anderer Mönch kommen!" (1)
Und zum zeitenmale wandte sich der ehrwürdige
Meghiyo an den Erhabenen:
, Nicht hat ja, o Ehrwürdiger, der Erhabene noch
irgend etwas Weiteres zu erwirken oder etwas Erwirktes
zu entfalten. Ich aber, o Ehrwürdiger, habe noch
Weiteres zu erwirken und Erwirktes zu entfalten.
Wenn mir der Erhabene gestattet, möchte ich mich
zu jenem Mangohaine hinbegeben, um zu kämpfen."
,, Warte noch, Meghiyo! Wir sind hier ganz allein.
Möge erst noch ein anderer Mönch kommen."
(1) Nach der Erklärung des Kommentars, sagt dies der Erhabene
bloß, um das Gemüt des Mönches weich zu machen, damit, selbst
wenn er geht und sein Ziel nicht erreicht, aus Anhänglichkeit wieder
zurückkehre.
167 —
1X3 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Und zum drittenmale wandte sich der ehrwürdige
Meghiyo an den Erhabenen:
„Nicht hat ja, o Ehrwürdiger, der Erhabene noch
irgend etwas Weiteres zu erwirken oder etwas Er-
wirktes zu entfalten. Ich aber, o Ehrwürdiger, habe
noch Weiteres zu erwirken und Erwirktes zu ent-
falten. Wenn mir der Erhabene gestattet, möchte ich
mich zu jenemMangohaine hinbegeben, um zu kämpfen."
,,Was soll ich dir da noch weiter erwidern, der du
vom Kämpfen redest? Wie es dir also, Meghiyo, be-
lieben mag."
Und der ehrwürdige Meghiyo erhob sich von seinem
Sitze, begrüßte ehrfurchtsvoll den Erhabenen, und
ihm die Rechte zukehrend, begab er sich zu jenem
Mangohaine. Dort angelangt ging er tief in jenen
Mangohain hinein und setzte sich am Fuße eines
Baumes nieder, um dort den Tag zu verbringen. Wäh-
rend aber der ehrwürdige Meghiyo in jenem Mango-
haine verweilte, traten häufig drei üble, schuldvolle
Gedanken an ihn heran, Gedanken der Sinnlichkeit,
des Übelwollens und der Bosheit. »Wahrlich, sonder-
bar ist es doch, erstaunlich ist es doch,« dachte da der
ehrwürdige Meghiyo, »daß mir, der ich voll Vertrauen
von Hause in die Hauslosigkeit gezogen bin, noch
diese drei üblen, schuldvollen Gedanken anhaften.«
Und der ehrwürdige Meghiyo begab sich zum Er-
habenen und sprach:
,, Während ich da, o Ehrwürdiger, in jenem Mago-
haine verweilte, traten häufig drei üble, schuldvolle
Gedanken an mich heran, Gedanken der Sinnlichkeit,
des Übelwollens und der Bosheit. Da dachte ich : »Wahr-
lich, sonderbar ist es doch, erstaunlich ist es doch, daß
— 168 —
NEUNERBUCH 1X3
mir, der ich voll Vertrauen von Hause in die Haus-
losigkeit gezogen bin, noch diese drei üblen, schuld-
vollen Gedanken anhaften.«"
„Fünf Dinge, Meghiyo, führen die noch nicht völlig
reife Gemütserlösung zur völligen Reife: welche fünf?
„Da, Meghiyo, hat der Mönch edlen Umgang, edle
Gefährten, edle Genossen. Dies, Meghiyo, ist die erste
Bedingung, welche die noch nicht völlig reife Gemüts-
erlösung zur völligen Reife führt.
„Fernerhin, Meghiyo, ist der Mönch sittenrein
und lebt gezügelt im Sinne der Ordenssatzung. —
Jene läuternden, für die geistige Entfaltung so heil-
samen Belehrungen werden ihm zuteil. — Er setzt
seine Willenskraft ein, um die schuldvollen Dinge zu
überwinden, die verdienstvollen Dinge aber zu er-
wecken. — Er ist weise und besitzt Einsicht in das Ent-
stehen und Vergehen, edle, durchdringende, zu völliger
Leidensvernichtung führende. Dies, Meghiyo, ist die
fünfte Bedingung, welche die noch nicht völlig reife
Gemütserlösung zur völligen Reife führt.
„Bei einem Mönche aber, Meghiyo, der edlen Um-
gang hat, edle Gefährten, edle Genossen, da steht zu
erwarten, daß er sittenrein und gezügelt im Sinne der
Ordenssatzung leben wird, — daß ihm jene läuternden,
für die geistige Entfaltung so heilsamen Belehrungen
zuteil werden, — daß er seine Willenskraft einsetzen
wird, um die schuldvollen Dinge zu überwinden, die
verdienstvollen Dinge aber zu erwecken, — daß er
weise sein und Einsicht besitzen wird in das Entstehen
und Vergehen, edle, durchdringende, zu völliger Leidens-
vernichtung führende.
„Ist nun aber, Meghiyo, der Mönch in diesen fünf
— 169 —
1X4 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Dingen gefestigt, so hat er außerdem noch vier weitere
Dinge zu entfalten: — die Vorstellung von der Unrein-
heit hat er zu entfalten zur Überkommung der Gier;
die Liebe hat er zu entfalten zu Überkommung des
Übelwollens; die Achtsamkeit auf Ein- und Aus-
atmung hat er zu entfalten zur Unterdrückung der
Gedanken; die Vorstellung der Vergänglichkeit
hat er zu entfalten zur Ausrottung des Ichdünkels.
Bei der Vorstellung der Vergänglichkeit nämlich,
Meghiyo, festigt sich im Mönche die Vorstellung der
Wesenlosigkeit; und die Wesenlosigkeit betrachtend
erreicht er die Ausrottung des Ichdünkels und gewinnt
noch bei Lebzeiten das Nirwahn."
Die Segnungen des Vortrages
Einst weilte der Erhabene im Jetahaine bei Sä-
vatthi, im Kloster des Anäthapindiko. Damals gerade
unterwies der ehrwürdige Nandako in der Empfangs-
halle die Mönche in Worten über das Gesetz, ermahnte,
ermutigte und ermunterte sie.
Am Abende aber trat der Erhabene aus seiner
Abgeschiedenheit hervor und begab sich zur Emp-
fangshalle. Dort angelangt blieb er im Toreingange
stehen, um das Ende der Rede abzuwarten. Sobald
er aber bemerkte, daß die Rede zu Ende war, räusperte
er sich und klopfte an das Tor. Und es öffneten die
Mönche dem Erhabenen das Tor. Darauf trat der Er-
habene in die Empfangshalle ein und setzte sich auf
dem angebotenen Sitze nieder. Als er sich aber ge-
setzt hatte, sprach er zum ehrwürdigen Nandako:
,,Lang, 0 Nandako, war dieser dein Gesetzesvor-
— 170 —
NEUNERBUCH 1X4
trag, den du den Mönchen gehalten hast. Ja, der
Rücken tat mir weh, als ich im Toreingange stand und
das Ende der Rede abwartete."
Auf diese Worte sprach der ehrwürdige Nandako
mit schüchterner Miene also zum Erhabenen:
,, Nicht wußte ich, o Ehrwürdiger, daß der Er-
habene im Toreingange stand; denn, hätte ich das ge-
wußt^ so hätte ich nicht lange gesprochen."
Der Erhabene aber, der die schüchterne Miene
des ehrwürdigen Nandako bemerkte, sprach zu ihm:
,, Recht so, recht so, Nandako! Gut steht es auch
edlen Jünglingen an, die ihr voll Vertrauen von Hause
in die Hauslosigkeit gezogen seid, daß ihr im Gespräch
über das Gesetz zusammensitzt. Denn, kommt ihr
zusammen, Nandako, so mögt ihr zweierlei beobachten:
entweder Gespräch über das Gesetz oder heiliges
Schweigen.
,,Ist da, Nandako, der Mönch voll Vertrauen aber
ohne Sittlichkeit, so ist er eben in dieser Eigenschaft
noch unvollkommen. Diese Eigenschaft muß er daher
zur Vollkommenheit bringen und danach trachten:
»Ach, möchte ich doch neben dem Vertrauen auch noch
Sittlichkeit besitzen!« Wenn aber, Nandako, der
Mönch neben dem Vertrauen auch noch Sittlichkeit
besitzt, so ist er eben in dieser Eigenschaft vollkommen.
,,Ist da, Nandako, der Mönch voll Vertrauen und
Sittlichkeit, nicht aber im Besitze der inneren Ge-
mütsruhe, so ist er eben in dieser Eigenschaft noch
unvollkommen. Diese Eigenschaft muß er daher zur
Vollkommenheit bringen und danach trachten: »Ach,
möchte ich doch neben dem Vertrauen und der Sittlich-
keit auch noch die innere Gemütsruhe besitzen !<.
— 171 —
1X4 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Wenn aber, Nandako, der Mönch neben dem Vertrauen
und der Sittlichkeit auch noch die innere Gemütsruhe
besitzt, so ist er eben in dieser Eigenschaft vollkommen.
„Ist da, Nandako, der Mönch voll Vertrauen und
Sittlichkeit und im Besitze der inneren Gemütsruhe,
nicht aber im Besitze des hohen Wissens des Wahr-
heitshellblickes, so ist er eben in dieser Eigenschaft
noch unvolkommen.
„Wenn da, Nandako, ein vierfüßiges Tier einen
verkümmerten, häßlichen Fuß besitzt, so ist es eben
hinsichtlich jenes Gliedes unvollkommen; ebenso auch,
Nandako, ist der Mönch, der Vertrauen, Sittlichkeit
und die innere Gemütsruhe besitzt, nicht aber das hohe
Wissen des Wahrheitshellblickes eben, in dieser Eigen-
schaft noch unvollkommen. Diese Eigenschaft muß
er daher zur Vollkommenheit bringen und danach
trachten: »>Ach, möchte ich doch neben dem Vertrauen,
der Sittlichkeit und der inneren Gemütsruhe auch noch
das hohe Wissen des Wahrheitshellblickes besitzen!«
Wenn aber, Nandako, der Mönch neben dem Vertrauen,
der Sittlichkeit und der inneren Gemütsruhe auch noch
das hohe Wissen des Wahrheitshellblickes besitzt, so
ist er eben in dieser Eigenschaft vollkommen."
Dies sprach der Erhabene. Und nach diesen Worten
erhob sich der Erhabene von seinem Sitze und begab
sich in seine Zelle. Kaum war jedoch der Erhabene
gegangen, als der ehrwürdige Nandako sich zu den
Mönchen wandte und sprach: ■
„Da, ihr Brüder, hat der Erhabene in vier Sätzen
den ganz und gar vollkommenen, geklärten Heiligen
Wandel dargelegt, hat sich darauf von seinem Sitze
erhoben und sich in seine Zelle begeben.
— 172 —
NEUNERBUCH 1X4
„Folgende fünf Segnungen, ihr Brüder, gewährt
das rechtzeitige Hören und Besprechen des Gesetzes:
welche fünf?
„Da, ihr Brüder, weist der Mönch den Mönchen
das Gesetz, das im Anfang erhabene, in der Mitte er-
habene und am Ende erhabene, dem Sinne wie dem
Wortlaute nach, verkündet ein ganz und gar voll-
kommenes, geläutertes Heiliges Leben. Wenn aber der
Mönch, ihr Brüder, den Mönchen das Gesetz darlegt,
so ist er dem Meister lieb und angenehm, wird von ihm
geachtet und geehrt. Dies ihr Brüder, ist die erste
Segnung des rechtzeitigen Hörens und Besprechens
des Gesetzes.
— ,,Wenn der Mönch, ihr Brüder, den Mönchen
das Gesetz darlegt, so empfindet er das Gesetz und seine
Auslegung. Dies, ihr Brüder, ist die zweite Segnung
des rechtzeitigen Hörens und Besprechens des Gesetzes.
— ,,Wenn der Mönch, ihr Brüder, den Mönchen das
Gesetz darlegt, so durchdringt und erkennt er weise
die tiefsinnigen Punkte in diesem Gesetze. Dies, ihr
Brüder, ist die dritte Segnung des/echtzeitigen Hörens
und Besprechens des Gesetzes.
— ,,Wenn der Mönch, ihr Brüder, den Mönchen
das Gesetz darlegt, so schätzen ihn seine Ordensbrüder
umso höher, denkend: »Sicher, hat dieser Ehrwürdige
das Ziel erreicht oder wird es erreichen«. Dies, ihr
Brüder, ist die vierte Segnung des rechtzeitigen Hörens
und Besprechens des Gesetzes.
— ,,Wenn der Mönch, ihr Brüder, den Mönchen
das Gesetz darlegt, so strengen da diejenigen unter
den Mönchen, die noch Kämpfer sind, die Erlösung
noch ^nicht erreicht haben und nach der unvergleich-
173
1X5 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
liehen Sicherheit streben, nach dem Vernehmen jenes
Gesetzes ihre Willenskraft an, um das noch Unerreichte
zu erreichen, das noch Unerrungene zu erringen, das
noch Unverwirklichte zu verwirklichen. Diejenigen
unter den Mönchen aber, die da bereits Heilige sind.
Fleckenerlöste, von den Leidenschaften Erlöste, Ausge-
lebte, die ihr Werk vollendet, die Bürde von sich ge-
worfen und ihr eigenes Heil erreicht haben, von den
Fesseln des Daseins befreit sind und in höchstem Wissen
erlöst, diese geben sich nach dem Vernehmen jenes
Gesetzes ganz ihrem gegenwärtigen Glücke hin. Dies,
ihr Brüder, ist die fünfte Segnung des rechtzeitigen
Hörens und Besprechens des Gesetzes.
,, Diese fünf Segnungen, ihr Brüder, gewährt das
rechtzeitige Hören und Besprechen des Gesetzes."
Von fünffacher Furcht befreit
Folgende vier Kräfte gibt es, ihr Mönche: welche
vier? Die Kraft der Einsicht, die Kraft des Willens,
die Kraft der Untadeligkeit und die Kraft der Gunst.
Was aber, ihr Mönche, ist die Kraft der Einsicht?
Alle die verdienstvollen, als verdienstvoll geltenden
Erscheinungen und alle die schuldvollen, als schuldvoll
geltenden Erscheinungen, alle die tadeligen, als tadelig
geltenden Erscheinungen und alle die untadeligen, als
untadelig geltenden Erscheinungen, alle die lichten,
als licht geltenden Erscheinungen und alle die finstern,
als finster geltenden Erscheinungen, alle die gewinnens-
werten, als gewinnenswert geltenden Erscheinungen
und alle die meidenswerten, als meidenswert geltenden
Erscheinungen, alle die vollkommen edlen, als voll-
— 174 —
NEUNERBUCH 1X5
kommen edel geltenden Erscheinungen und alle die
nicht vollkommen edlen, als nicht vollkommen edel
geltenden Erscheinungen: alle diese Erscheinungen in
Einsicht wohl erkannt und erwogen zu haben, das,
ihr Mönche, nennt man die Kraft der Einsicht.
Was aber, ihr Mönche, ist die Kraft des Willens?
Wenn man seinen Willen weckt, sich aufrafft, seine
Tatkraft einsetzt, seinen Geist anstrengt und kämpft,
um alle die schuldvollen, tadeligen, finsteren, meidens-
werten, nicht völlig edlen, als nicht völlig edel geltenden
Erscheinungen zu überkommen; und wenn man seinen
Willen weckt, sich aufrafft, seine Tatkraft einsetzt,
seinen Geist anstrengt und kämpft, um alle die ver-
dienstvollen, untadeligen, lichten, gewinnenswerten,
völlig edlen, als völlig edel geltenden Erscheinungen zu
entfalten: das, ihr Mönche, nennt man die Kraft des
Willens.
Was aber, ihr Mönche, ist die Kraft der Untade-
ligkeit? Da, ihr Mönche, ist der edle Hörer ausge-
stattet mit untadeliger Tat in Werken, mit untadeliger
Tat in Worten, mit untadeliger Tat in Gedanken.
Das, ihr Mönche, nennt man die Kraft der Untade-
lichkeit.
Was aber, ihr Mönch.e, ist die Kraft der Gunst?
Folgende vier Arten der Gunst gibt es, ihr Mönche:
Gaben, liebevolle Rede, heilsamen Ratschlag und
Gleichheitsbezeigung. Die edelste der Gaben aber,
ihr Mönche, ist die Gabe des Gesetzes. Die edelste
der liebevollen Reden, ihr Mönche, ist, dem danach
Verlangenden und Gehörschenkenden immer wieder
das Gesetz weisen. Der edelste Ratschlag, ihr Mönche,
ist, den Vertrauenslosen zu Gewinnung des Vertrauens
— 175 —
1X8 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
ermutigen und darin stärken und festigen, den Sitten-
losen zur Gewinnung der Sittlichkeit ermutigen und
darin stärken und festigen, den Geizigen zur Gewinnung
der Freigebigkeit ermutigen und darin stärken und
festigen, den Einsichtslosen zur Gewinnung der Ein-
sicht ermutigen und darin stärken und festigen. Die
edelste Gleichheitsbezeigung, ihr Mönche, ist, sich
als Stromeingetretener einem Stromeingetretenen gleich
erweisen, sich als Einmalwiederkehrender einem Ein-
malwiederkehrenden gleich erweisen, sich als Nie-
wiederkehrender einem Niewiederkehrenden gleicher-
weisen, sich als Heiliger einem Heiligen gleich erweisen.
Das, ihr Mönche, nennt man die Kraft der Gunst.
Diese vier Kräfte gibt es, ihr Mönche. Der mit
diesen vier Kräften begabte edle Jünger aber, ihr
Mönche, hat fünf Arten der Furcht überkommen:
welche fünf? Furcht wegen der Lebensweise, Furcht
vor üblem Rufe, Menschenfurcht, Todesfurcht und
Furcht vor leidvoller Wiedergeburt.
Jener edle Jünger aber, ihr Mönche, denkt bei
sich: »Keine Furcht habe ich wegen meiner Lebens-
weise, keine Furcht vor üblem Rufe, keine Menschen-
furcht, keine Todesfurcht, keine Furcht vor leidvoller
Wiedergeburt. Ich besitze ja vier Kräfte: die Kraft
der Einsicht, die Kraft des Willens, die Kraft der Un-
tadeligkeit und die Kraft der Gunst. Fürchten, frei-
lich, mag sich der Einsichtslose, der Träge, der mit
tadeligen Taten in Werken, Worten und Gedanken
Behaftete und der Lieblose.«
Der mit den vier Kräften begabte edle Jünger,
ihr Mönche, hat diese fünf Arten der Furcht über-
kommen, i
176
NEUNERBUCH 1X6
Zweierlei zu wissen nötig 6
Der ehrwürdige Säriputto sprach zu den Mönchen:
Zweierlei, ihr Brüder, hat man von einem Men-
schen zu wissen: ob man mit ihm verkehren soll oder
nicht, zweierlei von einem Gewände: ob man es tragen
soll oder nicht, zweierlei von der Almosenspeise: ob
man sie genießen soll oder nicht, zweierlei von einer
Wohnstätte: ob man sie bewohnen soll oder nicht,
zweierlei von Dorf und Stadt: ob man sie besuchen
soll oder^ nicht, zweierlei von einem Lande: ob man
dort leben soll oder nicht.
Es wurde gesagt, ihr Brüder, daß man von einem
Menschen zweierlei zu wissen hat: ob man mit ihm
verkehren soll oder nicht. Mit Rücksicht aber worauf
wurde dies gesagt?
Wer da, ihr Brüder, von einem Menschen weiß:
»Indem ich mit diesem Menschen verkehre, mehren
sich in mir die schuldvollen Erscheinungen und die
verdienstvollen Erscheinungen nehmen ab; und was
da als Hausleser einem zum Leben erforderlich ist,
wie Gewand, Almosenspeise, Wohnstätte und Heil-
mittel und Arzneien, das wird mir nur mit Mühe zu-
teil; und der Zweck, dessentwillen ich von Hause
fort in die Hauslosigkeit gezogen bin, dieser Zweck
des Asketentums gelangt nicht zur vollen Entfaltung«:
ein solcher, ihr Brüder, soll — sei es bei Tage oder bei
Nacht — ohne Abschied diesen Menschen verlassen
und nicht länger bei ihm bleiben. —
Wer da, ihr Brüder, von einem Menschen weiß:
»Indem ich mit diesem Menschen verkehre, mehren
sich in mir die schuldvollen Erscheinungen und die
— 177 — 12
1X6 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
verdienstvollen Erscheinungen nehmen ab; was zwar
als Hausloser einem zum Leben erforderlich ist,
wie Gewand, Almosenspeise, Wohnstätte und Heil-
mittel und Arzneien, das wird mir ohne Mühe zuteil;
doch der Zweck, dessentwillen ich von Hause fort in
die Hauslosigkeit gezogen bin, dieser Zweck des Aske-
tentums gelangt nicht zur vollen Entfaltung«: ein
solcher, ihr Brüder, soll — sei es bei Tage oder bei
Nacht — mit Überlegung, ohne Abschied, jenen Men-
schen verlassen und nicht bei ihm bleiben. — Wer
da, ihr Brüder, von einem Menschen weiß: »Indem
ich mit diesem Menschen verkehre, nehmen in mir
die schuldvollen Erscheinungen ab und die verdienst-
vollen Erscheinungen mehren sich; was da zwar als
Hausloser einem zum Leben erforderlich ist, wie Ge-
wand, Almosenspeise, Wohnstätte und Heilmittel und
Arzneien, das wird mir nur mit Mühe zuteil; doch
der Zweck, dessentwillen ich von Hause in die Haus-
losigkeit- gezogen bin, dieser Zweck des Asketentums
gelangt zur vollen Entfaltung«: ein solcher, ihr Brü-
der, soll mit Überlegung bei jenen Menschen bleiben
und ihn nicht verlassen. — Wer da, ihr Brüder, von
einem Menschen weiß: »Indem ich mit diesem Men-
schen verkehre, nehmen in mir die schuldvollen Er-
scheinungen ab und die verdienstvollen Erscheinungen
mehren sich; und was da als Hausloser einem zum
Leben erforderlich ist, wie Gewand, Almosenspeise,
"Wohnstätte und Heilmittel und Arzneien, das wird
mir ohne Mühe zuteil; und der Zweck, dessentwillen
ich von Hause fort in die Hauslosigkeit gezogen bin,
dieser Zweck des Asketentums gelangt zur vollen Ent-
faltung: ein solcher, ihr Brüder, soll zeitlebens bei
— 178 —
NEUNERBUCH IX 6
jenem Menschen bleiben und ihn nicht verlassen,
selbst wenn man ihn fortjagen will. Wurde also ge-
sagt, ihr Brüder, daß man zweierlei von einem Men-
schen zu wissen hat: ob man mit ihm verkehren soll
oder nicht, so wurde das eben mit Rücksicht hierauf
gesagt.
Es wurde gesagt, ihr Brüder, daß man zweierlei
von einem Gewände zu wissen hat: ob man es tragen
soll oder nicht. Mit Rücksicht aber worauf wurde
dies gesagt?
Wenn man da, ihr Brüder, von einem Gewände
weiß: »Indem ich dieses Gewand trage, mehren sich
in mir die schuldvollen Erscheinurlgen und die ver-
dienstvollen Erscheinungen nehmen ab«: so soll man
ein solches Gewand nicht tragen. Wenn man aber
weiß: »Indem ich dieses Gewand trage, nehmen in mir
die schuldvollen Erscheinungen ab und die verdienst-
vollen Erscheinungen mehren sich«, so soll man ein
solches Gewand tragen. Wurde also gesagt, ihr Brü-
der, daß man zweierlei von einem Gewände zu wissen
hat: ob man es tragen soll oder nicht, so wurde das
eben mit Rücksicht hierauf gesagt.
Es wurde gesagt, ihr Brüder, daß man zweierlei
von der Almosenspeise zu wissen hat, — daß man
zweierlei von der Wohnstätte zu wissen hat, — daß
man zweierlei von Dorf und Stadt zu wissen hat, —
daß man zweierlei von einem Lande zu wissen hat:
ob man dort leben soll oder nicht? Mit Rücksicht
aber worauf wurde dies gesagt?
Wenn man da, ihr Brüder, von einem Lande weiß:
»Indem ich in diesem Lande lebe, mehren sich in mir
die schuldvollen Erscheinungen und die verdienst-
179 — 12*
1X7 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
vollen Erscheinungen nehmen ab«, so soll man in
einem solchen Lande nicht leben. Wenn man aber
weiß: »Indem ich in diesem Lande lebe, nehmen in
mir die schuldvollen Erscheinungen ab und die ver-
dienstvollen Erscheinungen mehren sich«, so soll man
in einem solchen Lande leben. Wurde also gesagt,
ihr Brüder, daß man zweierlei von einem Lande zu
wissen hat: ob man dort leben soll oder nicht, so
wurde das eben mit Rücksicht hierauf gesagt.
Unmöglichkeiten für einen Heiligen
(1)
Das habe ich gehört:
Einst weilte der Erhabene auf der Geisterspitze
bei Räjagaha. Da kam Sutavä ein Pilger zum Erha-
benen, wechselte mit ihm freundlichen Gruß, und nach
Austausch freundlicher und geziemender Worte setzte
er sich zur Seite nieder. Zur Seite aber sitzend sprach
der Pilger Sutavä zum Erhabenen:
,, Einst, zu einer Zeit, o Ehrwürdiger, da weilte
der Erhabene ebenfalls hier bei Räjagaha, im Berg-
gehege. Dort, 0 Ehrwürdiger, habe ich aus dem Munde
des Erhabenen vernommen, von ihm selber erfahren:
Der Mönch, o Sutavä, der da ein Heiliger ist, erlöst
von den Leidenschaften, der seine Aufgabe erfüllt, die
Bürde von sich geworfen, sein eigens Heil erwirkt
hat, und -allen Daseinsfesseln entgangen und in rech-
ter Weisheit erlöst ist, der ist nicht mehr imstande,
fünf Dinge zu verüben. Nicht ist er imstande, ein
Wesen des Lebens berauben; nicht ist er imstande»
— 180 —
NEUNERBUCH 1X7
etwas ihm Nichtgegebenes in diebischer Absicht zu
nehmen; nicht ist er imstande, den Begattungsakt
auszuüben; nicht ist er imstande, wissentlich eine
Unwahrheit zu sprechen; nicht ist er imstande, [durch
ihn selber] aufgespeicherte Schätze zu genießen, wie
früher als er noch im Hause lebte«. Habe ich nun
wohl, 0 Ehrwürdiger, die Worte des Erhabenen richtig
vernommen und richtig aufgefaßt, mir gut gemerkt
und behalten?'
„Ja, Sutavä, richtig hast du sie vernommen und
aufgefaßt, dir gut gemerkt und behalten. Früher,
Sutavä, wie auch jetzt behaupte ich: »Der Mönch,
Sutavä, der da ein Heiliger ist, erlöst von den Leiden-
schaften, der seine Aufgabe erfüllt, die Bürde von sich
geworfen, sein eigenes Heil erwirkt hat, und allen
Daseinsfesseln entgangen und in rechter Weisheit
erlöst ist, der ist nicht mehr imstande, fünf Dinge
zu verüben. Nicht ist er imstande, ein Wesen des
Lebens zu berauben; nicht ist er imstande, etwas ihm
Nichtgegebenes in diebischer Absicht zu nehmen;
nicht ist er imstande, den Begattungsakt auszuüben;
nicht ist er imstande, wissentlich eine Unwahrheit zu
sprechen; nicht ist er imstande, [durch ihn selber]
aufgespeicherte Schätze zu genießen, wie früher als
er noch im Hause lebte; nicht ist er imstande, den
bösen Weg der Gier zu beschreiten; nicht ist er im-
stande, den bösen Weg des Hasses zu beschreiten;
nicht ist er imstande, den bösen Weg der Verblendung
zu beschreiten; nicht ist er imstande, den bösen Weg
der Feigheit zu beschreiten. Früher, Sutavä, wie auch
jetzt sage ich: der Mönch, der da ein Heiliger ist, erlöst
von den Leidenschaften, der seine Aufgabe erfüllt,
— 181 —
IX 0 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
die Bürde von sich geworfen, sein eigenes Heil erwirkt
hat und allen Daseinsfesseln entgangen und in rechter
Weisheit erlöst ist, der ist nicht mehr imstande, diese
neun Dinge zu verüben."
8 Unmöglichkeiten für einen Heiligen
(2)
[Der Erhabene zum Pilger Sajjho:]
Nicht ist, Sajjho, der heilige, von Leidenschaften
erlöste Mönch imstande, ein Wesen des Lebens zu
berauben; nicht ist er imstande, etwas ihm Nicht-
gegebenes in diebischer Absicht zu nehmen; nicht ist
er imstande, den Begattungsakt auszuüben; nicht
ist er imstande, wissentlich eine Unwahrheit zu spre-
chen; nicht ist er imstande, [durch ihn selber] aufge-
speicherte Schätze zu genießen, wie früher als er noch
im Hause lebte; nicht ist er imstande, vom Erleuch-
teten abzufallen; nicht ist er imstande, vom Gesetz
abzufallen; nicht ist er imstande, von der Jünger-
schaft abzufallen; nicht ist er imstande, von der
Askese abzufallen.
Neun Menschenklassen
Folgende neun Menschen, ihr Mönche, sind in
der Welt anzutreffen: welche neun?
Der Heilige (Arahat), der auf dem Weg zur
Heiligkeit Befindliche, der Niewiederkehrende (anä-
gämi), der auf dem Weg zur Verwirklichung des Zieles
der Niewiederkehr Befindliche, der Einmalwieder-
kehrende (sakadägämi) der auf dem Weg zur Ver-
— 182 —
NEUNERBUCH IX 10
wirklichung des Zieles der Einmalwiederkehr Befind^
liehe; der Stromeingetretene (sotäpanna), der auf
dem Weg zur Verwirklichung des Zieles des Stromein-
trittes Befindliche und der Weltling (puthujjano).
Diese neun Menschen, ihr Mönche, sind in der Welt
anzutreffen.
Neun verehrungswürdige Menschen 10
Folgende neun Menschen, ihr Mönche, sind würdig
der Opfer, würdig der Gastfreundschaft, würdig der
Geschenke, würdig des ehrfurchtsvollen Handgrußes,
sind in der Welt der beste Boden für verdienstvolle
Werke: welche neun Menschen?
Der Heilige, der auf dem Weg zur Heiligkeit
Befindliche, der Niewiederkehrende, der auf dem Wege
zur Verwirklichung des Zieles der Niewiederkehr Be-
findliche, der Einmal Wiederkehrende, der auf dem Weg
zur Verwirklichung des Zieles der Niewiederkehr
Befindliche, der Stromeingetretene, der auf dem Weg
zur Verwirklichung des Zieles des Stromeintrittes
Befindliche und der »Anwärter auf den Pfad« (gö-
trabhü). Diese neun Menschen, ihr Mönche, sind würdig
der Opfer, würdig der Gastfreundschaft, würdig der
Geschenke, würdig des ehrfurchtsvollen Handgrußes,
sind in der Welt der beste Boden für verdienstvolle
Werke.
183
IX 11 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
ZWEITER TEIL:
Das Kapitel des Löwenrufes
11 Der Löwenruf des Säriputto
[Im Jetahaine bei Sävatthi]
Der ehrwürdige Säriputto sprach zum Erhabenen:
„Beendet, o Ehrwürdiger, habe ich die Regen-
zeit in Sävatthi. Ich möchte nun fortziehen und das
Land durchwandern."
,,Wie es dir beliebt, Säriputto."
Und der ehrwürdige Säriputto erhob sich von
seinem Sitze, grüßte ehrfurchtsvoll den Erhabenen,
und ihm die Rechte zukehrend ging er fort. Kaum
jedoch war der ehrwürdige Säriputto fort, als einer
der Mönche zum Erhabenen sprach:
,,Der verehrte Säriputto, o Ehrwürdiger, hat mich
angefahren und sich, ohne nachgeben zu wollen, auf
seine Wanderung begeben."
Darauf wandte sich der Erhabene an einen der
Mönche: ,,Gehe, o Mönch, und sage Säriputto in mei-
nem Namen, daß der Meister ihn rufe!" ,,Gut, o Ehr-
würdiger!" erwiderte jener Mönch dem Erhabenen,
begab sich zum ehrwürdigen Säriputto und sprach
zu ihm: „Der Meister ruft dich, Bruder Säriputto."
,,Gut, Bruder!" erwiderte der ehrwürdige Säriputto
jenem Mönche.
Bei jenem Anlasse aber gingen der ehrwürdige
Mahä-Moggalläno und der ehrwürdige Anando, die
Schlüssel mit sich nehmend, von Zelle zu Zelle, mit
— 184 —
NEUNERBUCH IX 11
der Aufforderung: „Kommt, Verehrte, kommt! Jetzt
wird der ehrwürdige Säriputto in Gegenwart des Er-
habenen den Löwenruf erschallen lassen."
Und der ehrwürdige Säriputto begab sich zum
Erhabenen, begrüßte ihn ehrfurchtsvoll und setzte
sich zur Seite nieder. Als er .sich aber gesetzt hatte,
sprach der Erhabene zu ihm:
,,Da, Säriputto, hat einer deiner Ordensbrüder
Anklage gegen dich erhoben und gesagt: »Der ver-
ehrte Säriputto, 0 Ehrwürdiger, hat mich angefahren
und sich, ohne nachgeben zu wollen, auf seine Wan-
derung begeben«."
,,Wem da, o Ehrwürdiger, nicht die Betrachtung
über den Körper gewärtig ist, ein solcher, freilich,
wäre dazu imstande, einen seiner Ordensbrüder anzu-
fahren und sich, ohne nachgeben zu wollen, auf eine
Wanderung begeben.
,,0b man da, o Ehrwürdiger, Reines oder Unreines
auf die Erde wirft, ob man da mit Kot, Urin, Speichel,
Eiter oder Blut Befleckte, auf die Erde wirft: nicht
wird dadurch die Erde verstimmt, aufgebracht und
empört. Genau so, o Ehrwürdiger, verweile ich mit
einem der Erde gleichenden Gemüte, mit weitem,
erhabenen, unbeschränkten, frei von Haß und Übel-
wollen. Wem da, o Ehrwürdiger, nicht die Betrach-
tung über den Körper gewärtig ist, ein solcher, frei-
lich, wäre dazu imstande, einen seiner Ordensbrüder
anzufahren und sich, ohne nachgeben zu wollen, auf
eine Wanderung begeben.
„Ob man da, o Ehrwürdiger, Reines oder Unreines
im Wasser wäscht, ob man da mit Kot, Urin, Speichel,
Eiter oder Blut Beflecktes im Wasser wäscht: nicht
— 185 —
IX 11 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
wird dadurch das Wasser verstimmt, aufgebracht und
empört. Genau so, o Ehrwürdiger, verweile ich mit
einem dem Wasser gleichenden Gemüte, mit weitem,
erhabenen, unbeschränkten, frei von Haß und Übel-
wollen. Wem da, o Ehrwürdiger, nicht die Betrach-
tung über den Körper gewärtig ist, ein solcher, freilich,
wäre dazu imstande, einen seiner Ordensbrüder anzu-
fahren und sich, ohne nachgeben zu wollen, auf eine
Wanderung begeben.
,,0b man da, o Ehrwürdiger, Reines oder Un-
reines im Feuer verbrennt, ob man da mit Kot, Urin,
Speichel, Eiter oder Blut Beflecktes im Feuer ver-
brennt: nicht wird dadurch das Feuer verstimmt,
aufgebracht und empört. Genau so, o Ehrwürdiger,
verweile ich mit einem dem Feuer gleichenden Ge-
müte, mit weitem, erhabenen, unbeschränkten, frei
von Haß und Übelwollen. Wem da, o Ehrwürdiger,
nicht die Betrachtung über den Körper gewärtig ist,
ein solcher, freilich, wäre dazu imstande, einen seiner
Ordensbrüder anzufahren und sich, ohne nachgeben
zu wollen, auf eine Wanderung begeben.
„Ob da, 0 Ehrwürdiger, der Wind über Reines
oder Unreines hinweht, ob er über mit Kot, Urin,
Speichel, Eiter, oder Blut Beflecktes hinweht: nicht
wird dadurch der Wind verstimmt, aufgebracht und
empört. Genau so, o Ehrwürdiger, verweile ich mit
einem dem Winde gleichenden Gemüte mit weitem,
erhabenen, unbeschränkten, frei von Haß und Übel-
wollen. Wem da, o Ehrwürdiger, nicht die Betrach-
tung über den Körper gewärtig ist, ein solcher, freilich,
wäre dazu imstande, einen seiner Ordensbrüder anzu-
— 186 —
NEUNERBUCH IX 11
fahren und sich, ohne nachgeben zu wollen, auf eine
Wanderung begeben.
„Ob da, 0 Ehrwürdiger, der Staubwischer über
Reines oder Unreines wischt, ob er über Kot, mit
Urin, Speichel, Eiter oder Blut Beflecktes wischt:
nicht wird dadurch der Staubwischer verstimmt, auf-
gebracht und empört. Genau so, o Ehrwürdiger,
verweile ich mit einem dem Staubwischer gleichenden
Gemüte, mit weitem, erhabenen, unbeschränkten, frei
von Haß und Übelwollen. Wem da, o Ehrwürdiger,
nicht die Betrachtung über den Körper gewärtig ist,
ein solcher, freilich, wäre dazu imstande, einen seiner
Ordensbrüder anzufahren und sich, ohne nachgeben,
zu wollen, auf eine Wanderung begeben.
„Gleichwie, o Ehrwürdiger, wenn da ein Knabe
oder ein Mädchen von den Ausgestoßenen, mit einem
Korbe in der Hand, in zerfetzter Kleidung, in ein Dorf
oder eine Stadt eintritt, es eben von demütiger Ge-
sinnung erfüllt eintritt: genau so, o Ehrwürdiger,
verweile ich gleichsam mit dem Gemüte eines jungen
Ausgestoßenen, mit weitem, erhabenen, unbeschränk-
ten, frei von Haß und Übelwollen. Wem da, o Ehr-
würdiger, nicht die Betrachtung über den Körper ge-
wärtig ist, ein solcher, freilich, wäre dazu imstande,
einen seiner Ordensbrüder anzufahren und sich, ohne
nachgeben zu wollen, auf eine Wanderung begeben.
„Oder gleichwie, o Ehrwürdiger, ein frommer,
wohlgezähmter, wohl gezügelter Stier mit gestutzten
Hörnern, während er von Straße zu Straße, von Platz
zu Platz einhergeht, weder mit den Füßen noch mit
den Hörnern irgendjemand etwas zuleide tut: genau so,
0 Ehrwürdiger, verweile ich gleichsam mit dem Ge-
— 187 —
IX 11 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
mute eines seiner Hörner beraubten Stieres, mit
weitem, erhabenen, unbeschränkten, frei von Haß
und Übelwollen. Wem da, o Ehrwürdiger, nicht die
Betrachtung über den Körper gewärtig ist, ein solcher,
freilich, wäre dazu imstande, einen seiner Ordens-
brüder anzufahren und sich, ohne nachgeben zu wollen,
auf eine Wanderung begeben.
,,Oder gleichwie, o Ehrwürdiger, wenn man einer
Frau oder einem jungen, jugendlichen, schmuck-
liebenden Manne mit gewaschenem Haupte Schlangen-,-
Hunde- oder Menschendreck an den Hals hängen
möchte, sie Entsetzen, Ekel und Abscheu empfinden
würden: genau so, o Ehrwürdiger, empfinde ich Ent-
setzen, Ekel und Abscheu vor diesem faulichten Körper.
Wem da, o Ehrwürdiger, nicht die Betrachtung über
den Körper gewärtig ist, ein solcher, freilich, wäre
dazu imstande, einen seiner Ordensbrüder anzufahren
und sich, ohne nachgeben zu wollen, auf eine Wan-
derung begeben.
,,Oder gleichwie, o Ehrwürdiger, ein Mann einen
aus vielen Löchern auslaufenden, triefenden Topf voll
Fett mit sich herumtragen möchte: genau so, o Ehr-
würdiger, trage ich diesen aus vielen Löchern aus-
laufenden und triefenden Körper mit mir herum.
Wem da, o Ehrwürdiger, nicht die Betrachtung über
den Körper gewärtig ist, ein solcher, freilich, wäre
dazu imstande, einen seiner Ordensbrüder anzufahren
und sich, ohne nachgeben zu wollen, auf eine Wan-
derung begeben.
Da aber erhob sich jener Mönch von seinem Sitze,
warf das Obergewand über eine Schulter und fiel dem
— 188 —
NEUNERBUCH IX 12
Erhabenen gesenkten Hauptes zu Füßen, indem er
sprach :
,,Eine Schuld, o Ehrwürdiger, hat mich über-
kommen in meiner Torheit, meiner Verirrung, meiner
Schlechtigkeit, der ich den ehrwürdigen Säriputto in
falscher, nichtiger, lügnerischer, unwahrer Weise be-
schuldigte. Möge, 0 Ehrwürdiger, der Erhabene das
Bekenntnis meiner Schuld annehmen, auf daß ich
mich künftighin davor hüten möge!"
,, Wahrlich, o Mönch, eine Schuld hat dich über-
kommen in deiner Torheit, deiner Verirrung, deiner
Schlechtigkeit, daß du den ehrwürdigen Säriputto in
falscher, nichtiger, lügnerischer, unwahrer Weise be-
schuldigtest. Insofern du aber, o Mönch, deine Schuld
als Schuld erkennst und vorschriftsmäßig Sühne
tust, so will ich dein Bekenntnis annehmen; denn
als Fortschritt gilt es in der Disziplin des Edlen, wenn
man seine Schuld als Schuld erkennt, vorschrifts-
mäßig Sühne tut und sich künftighin davor hütet."
Darauf wandte sich der Erhabene an den ehr-
würdigen Säriputto und sprach:
,, Verzeihe, Säriputto, diesem Toren, bevor ihm
noch auf der Stelle das Haupt in sieben Stücke zer-
springt!"
,,Ich will, 0 Ehrwürdiger, dem Verehrten ver-
zeihen, wenn er zu mir spricht: »Möge der Verehrte
mir verzeihen!«"
Vom Abwege befreit 12
Einst weilte der Erhabene im Jetahaine bei
Sävatthi, im Kloster des Anäthapindiko. Und der
— 189 —
1X12 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
ehrwürdige Säriputto kleidete sich in der Frühe an,
nahm Gewand und Schale und begab sich nach Sä-
vatthi um Almosen. Da überlegte er sich: »Noch zu
früh ist es, um in Sävathhi um Almosen zu gehen.
So lasse mich denn das Kloster der andersgläubigen
Pilger aufsuchen!« Und der ehrwürdige Säriputto be-
gab sich nach dem Kloster der andersgläubigen
Pilger. Dort angelangt wechselte er freundliche Grüße
mit jenen andersgläubigen Pilgern, und nach Aus-
tausch freundlicher und zuvorkommender Worte setzte
er sich zur Seit nieder. Bei jener Gelegenheit aber
kam unter den andersgläubigen Pilgern, während sie
versammelt dasaßen, die Rede darauf, daß keiner, der
noch mit einem Daseinsrest behaftet sterbe, befreit
sei von der Hölle, dem Tierschoße und dem Gespenster-
reiche und entronnen dem Abwege, der Leidens-
fährte und der verstoßenen Welt.
Der ehrwürdige Säriputto indessen weder billigte
noch mißbilligte die Worte jener andersgläubigen
Pilger. Ohne Beifall oder Mißbilligung zu zeigen, er-
hob er sich von seinem Sitze und ging fort, denkend:
»Von dem Erhabenen werde ich wohl dieser Worte
Sinn erfahren.« Nachdem nun der ehrwürdige Säri-
putto von seinem Almosengange zurückgekehrt war,
begab er sich am Nachmittage, nach beendetem Mahle,
zum Erhabenen und teilte ihm die Sache mit.
[Der Erhabene:] ,,Jene andersgläubigen Pilger,
Säriputto, sind unerfahrene Toren. Und diese sollten
erkennen, wer mit einem Daseinsrest behaftet und
wer von jedem Daseinsrest befreit ist?
,, Folgende neun mit einem Daseinsrest behaftete
Menschen, Säriputto, sind bei ihrem Tode befreit von
— 100 —
NEUNERBUCH 1X18
der Hölle, dem Tierschoße und dem Gespenster-
reiche und sind entronnen dem Abwege, der Leidens-
fährte und der verstoßenen Welt: welche neun
Menschen?
„Da, Säriputto, ist ein Mensch vollkommen in
der Sittlichkeit, vollkommen in der Sammlung, aber
noch nicht vollkommen in der Einsicht. Und nach
Aufhebung der fünf niederen Fesseln wird er ein
»auf halbem Wege Entwähnender« (antarä-parinibbäyi).
Das, Säriputto, ist der erste, mit einem Daseinsrest
behaftete Mensch, der bei seinem Tode befreit ist von
der Hölle, dem Tierschoße und dem Gespensterreiche
und entronnen ist dem Abwege, der Leidensfährte
und der verstoßenen Welt.
,, Fernerhin, Säriputto, ist da ein Mensch voll-
kommen in Sittlichkeit, vollkommen in der Sammlung,
aber noch nicht vollkommen in der Einsicht. Und
nach Aufhebung der fünf niederen Fesseln wird er ein
»nach halbem Wege Entwähnender« (upahacca-pari-
nibbäyi), — ein »Mühelos Entwähnender« (asankhära-
parinibbäyi) — ein »Mühsam Entwähnender« (sasah-
khära-parinibbäyi), — ein »aufwärts zu den hehren
Göttern Eilender« (uddhamsoto akanitthagämi). Das,
Säriputto, ist der fünfte mit einem Daseinrest be-
haftete Mensch, der bei seinem Tode befreit ist von
der Hölle, dem Tierschoße und dem Gespensterreiche
und entronnen ist dem Abwege, der Leidensfährte und
der verstoßenen Welt.
„Fernerhin, Säriputto, ist da ein Mensch voll-
kommen in der Sittlichkeit, aber noch nicht vollkom-
men in der Sammlung, noch nicht vollkommen in der
Einsicht. Und nach Aufhebung der drei Fesseln und
— 191 —
1X12 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Abschwächung von Gier, Haß und Verblendung kehrt
er noch einmal wieder; und noch einmal wiederkeh-
rend macht er dem Leiden ein Ende. Das, Säriputto,
ist der sechste mit einem Daseinsreste behaftete Mensch,
der bei seinem Tode befreit ist von der Hölle, dem
Tierschoße und dem Gespensterreiche und entronnen
ist dem Abwege, der Leidensfährte und der verstoßenen
Welt.
,, Fernerhin, Säriputto, ist da ein Mensch voll-
kommen in der Sittlichkeit, aber noch nicht vollkom-
men in der Sammlung, noch nicht vollkommen in der
Einsicht. Und nach Aufhebung der drei Fesseln wird
er ein »Einmal Aufkeimender« (eka-biji): noch einmal
unter den Menschen wieder geboren, macht er den
Leiden ein Ende.- Das, Säriputto, ist der siebente mit
einem Daseinsrest behaftete Mensch, der bei seinem
Tode befreit ist von der Hölle, dem Tierschoße und
dem Gespensterreiche und entronnen ist dem Abwege,
der Leidensfährte und der verstoßenen Welt.
,, Fernerhin, Säriputto, ist da ein Mensch voll-
kommen in der Sittlichkeit, aber noch mäßig in der
Sammlung, noch mäßig in der Einsicht. Und nach
Aufhebung der drei Fesseln wird er ein »von Geschlecht
zu Geschlecht Eilender« (kolankola): noch in zwei
oder drei edlen Geschlechtern die Geburten durch-
eilend, die Geburten durchwandernd, macht dem Lei-
den ein Ende. — Oder: nach Aufhebung der drei
Fesseln wird er ein »Höchstens noch Siebenmal Wieder-
erscheinender« (sattakkhattu-parama): noch höchstens
siebenmal unter ' Himmelswesen und Menschen die
Geburten durcheilend, die Geburten durchwandernd,
macht er dem Leiden ein Ende. Das, Säriputto, ist
— 192 —
NEUNERBUCH IX 13
der neunte mit einem Daseinsreste behaftete Mensch,
der bei seinem Tode befreit ist von der Hölle, dem
Tierschoße und dem Gespensterreiche und entronnen
ist dem Abwege, der Leidensfährte und der ver-
stoßenen Welt.
„Jene andersgläubigen Pilger, Säriputto, sind un-
erfahrene Toren. Und diese sollten erkennen, wer
mit einem Daseinsrest behaftet und wer von jedem
Daseinsrest befreit ist? Diese neun mit einem Da-
seinsrest behaftete Menschen, Säriputto, sind bei
ihrem Tode befreit von der Hölle, dem Tierschoße
und dem Gespensterreiche und sind entronnen dem
Abwege, der Leidensfährte und der verstoßenen
Welt. Noch habe ich, Säriputto, nicht diese Darlegung
des Gesetzes den Mönchen, Nonnen, Anhängern und
Anhängerinnen gegeben. Und warum nicht? Damit
sie nach dem Hören dieser Darlegung des Gesetzes
nicht der Lässigkeit verfallen. Nur als Antwort auf
deine Frage, Säriputto, habe ich dir diese Darlegung
des Gesetzes gegeben."
Der Zweck des Heiligen Wandels 13
Der ehrwürdige Mahäkotthito sprach zum ehr-
würdigen Säriputto:
,,Sage Säriputto: führt man wohl unter dem
Erhabenen das Heilige Leben, damit einem die bei
Lebzeiten wirkende Tat (1) zu einer künftig wirkenden
Tat werde?"
(1) D. i. die noch bei Lebzeiten eine gute oder üble Wirkung
verursachende Tat.
— 193 — 13
1X31 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
„Nicht doch, o Bruder."
,,Oder etwa, damit einem die künftig wirkende
Tat zu einer noch bei Lebzeiten wirkenden Tat werde?'
,,Auch das nicht, o Bruder."
„Oder etwa, damit einem die freudeerwirkende
Tat zu einer leiderwirkenden Tat werde?"
,,Auch das nicht, o Bruder."
,,Oder etwa, damit einem die leidwirkende Tat zu
einer freuderwirkenden Tat werde?"
,,Auch das nicht, o Bruder."
,,Oder etwa, damit einem die ausgewirkte Tat zu
einer noch nicht ausgewirkten Tat werde?"
,,Auch das nicht, o Bruder."
„Oder etwa, damit einem die noch nicht ausge-
wirkte Tat zu einer bereits ausgewirkten Tat werde?"
,,Auch das nicht, o Bruder."
,,Oder etwa, damit einem die stark wirkende Tat
zu einer schwach wirkenden Tat werde?"
„Auch das nicht, o Bruder."
„Oder etwa, damit einem die schwach wirkende
Tat zu einer stark wirkenden Tat werde?"
,,Auch das nicht, o Bruder."
,,Oder etwa, damit einem die wirksame Tat zu
einer unwirksamen Tat werde?"
,,Auch das nicht, o Bruder."
,,Oder etwa, damit einem die unwirksame Tat zu
einer wirksamen Tat werde?"
„Auch das nicht, o Bruder."
„Auf alle diese Fragen, Säriputto, antwortest du
mir: »Das nicht, o Bruder«. Zu welchem Zwecke, o
Bruder, führt man denn da unter dem Erhabenen das
Heilige Leben?"
— 194 —
i
NEUNERBUCH 1X14
,,Um das Unerkannte, Ungeschaute, Unerreichte,
Unverwirklichte, Undurchdrungene zu erkennen, zu
schauen, zu erreichen, zu verwirklichen und zu durch-
dringen: darum, o Bruder, führt man unter dem
Erhabenen das Heilige Leben."
„Was aber, o Bruder, ist jenes Unerkannte, Unge-
schaute, Unerreichte, Unverwirklichte, Undurchdrun-
gene, das zu erkennen, zu schauen, zu erreichen, zu
verwirklichen und zu durchdringen man unter dem
Erhabenen das Heilige Leben führt?"
,,Was Leiden ist, was die Entstehung des Leidens
ist, was die Aufhebung des Leidens ist, und was der
zur Aufhebung des Leidens führende Pfad ist: dies,
0 Bruder, ist jenes Unerkannte, Ungeschaute, Uner-
reichte, Unverwirklichte, Undurchdrungene, das zu
erkennen, zu schauen, zu erreichen, zu verwirklichen
und zu durchdringen man unter dem Erhabenen das
Heilige Leben führt."
Ueber das Wesen der Gedankenerwägungen 1*
Der ehrwürdige Säriputto sprach zum ehrwür-
digen Samiddhi:
,,Was haben, Samiddhi, die im Menschen auf-
steigenden Gedankenerwägungen zur Grundlage?"
,, Körperlichkeit und Geistigkeit, o Ehrwürdiger."
„Worin aber erreichen sie ihre Mannigfaltigkeit?" .
,,In den Elementen (der Sinnenempfindung) (1),
0 Ehrwürdiger."
(1) D. i. der Sehempfindung, Hörempfindiing, Riechempfin-
dung usw.
— 195 — IS*
1X15 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
,,Und wodurch entstehen sie?"
,, Durch den Sinneneindruck, o Ehrwürdiger."
„Und was hält sie zusammen?"
„Das Gefühl, o Ehrwürdiger."
„Und wer ist ihr Führer?."
„Die Sammlung (samädhi), o Ehrwürdiger."
,,Und wer herrscht über sie?"
„Die Achtsamkeit (sati), o Ehrwürdiger."
„Und was, Samiddhi, gilt ihnen als das Höchste?"
,,Die Einsicht (pannä), o Ehrwürdiger."
„Und was, Samiddhi, ist ihr wahrer Zweck?"
,,Die Erlösung, o Ehrwürdiger."
,,Und was, Samiddhi, bietet ihnen eine Zuflucht?"
,,Das Todlose, o Ehrwürdiger."
„Vortrefflich, vortrefflich, Samiddhi! Gut hast
du meine Fragen beantwortet. Möge dir aber darum
kein Dünkel aufsteigen!" (1)
i5 Die Eiterbeule
Nehmt an, ihr Mönche, eine Eiterbeule habe neun
von selbst entstandene Öffnungen. Was da nun her-
vorquillt und heraussickert, das ist alles unrein, übel-
riechend und ekelerregend. Mit Eiterbeule aber, ihr
Mönche, bezeichnet man diesen aus den vier Haupt-
stoffen bestehenden, von Vater und Mutter gezeugten
(1) Die Anrede bhante (Ehrwürdiger) läßt darauf schließen,
daß dieses Zwiegespräch erst nach des Meisters Tode stattgefunden
hat; denn in der Mahäparinibbäna-Sutte ordnet der Erhabene an,
daß nach seinem Tode der an Ordensjahren jüngere Mönch den
älteren mit bhante imd der ältere den jüngeren mit ävuso (etwa:
Freund oder Bruder) oder mit seinem Namen anzureden hat.
— 196
NEUNERBUCH IX 19
Körper, der da mit Reis und Grützen großgezogen
wird, der Vergänglichkeit unterworfen ist, gesalbt und
geknetet werden muß und* der Auflösung und Zer-
setzung anheimfällt. Dieser Körper hat neun von
selbst entstandene Öffnungen. Und was da hervor-
quillt und heraussickert, das ist alles unrein, übel-
riechend und ekelerregend. Darum, ihr Mönche, wendet
euch ab von diesem Körper!"
Zu meidende Familien 17
Zu einer Familie ihr Mönche, bei der neun Dinge
anzutreffen sind, sollte man sich nicht hinbegeben;
hat man sich aber bereits hinbegeben, so sollte man
dort nicht Platz nehmen. Und welches sind diese
neun Dinge?
Sie erheben sich "nicht freundlich, grüßen nicht
freundlich, bieten nicht in freundlicher Weise einen
Sitz an, verbergen was sie haben, geben viel oder
geben wenig, geben Feines oder geben Grobes, geben
in unehrerbietiger Weise und nicht voll Ehrerbietung,
setzen sich nicht hin um das Gesetz anzuhören, finden
an Belehrungen keinen Geschmack. —
Die reuigen Himmelswesen 19
Diese Nacht, ihr Mönche, zu vorgerückter Stunde,
kamen zahlreiche Himmelswesen, mit ihrem herrlichen
Glänze den ganzen Jetahain erleuchtend, zu mir heran,
begrüßten mich ehrfurchtsvoll und stellten sich zur
— 197 —
1X19 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Seite. Zur Seite aber stehend sprachen jene Himmels-
wesen also zu mir:
»Früher, o Ehrwürdiger, da wir noch Menschen
waren, kamen Asketen zu unseren Häusern. Jenen
warteten wir zwar auf, o Ehrwürdiger; doch nicht
begrüßten wir sie ehrfurchtsvolL Unvollkommen in
Werken, o Ehrwürdiger, und voll Reue und Gewissens-
bissen erfüllt, sind wir nun in niederer Himmelswelt
wiedererschienen.«
Noch andere zahlreiche Himmelswesen kamen zu
mir heran und sprachen: »Früher, o Ehrwürdiger, da
wir noch Menschen waren, kamen Asketen zu unseren
Häusern. Jenen warteten wir zwar auf, o Ehrwürdiger,
und begrüßten sie ehrfurchtsvoll; doch nicht boten
wir ihnen Sitze an.« — Wieder andere kamen und
sprachen: »Wohl boten wir den Asketen Sitze an; doch
nicht teilten wir ihnen nach Kraft und Möglichkeit
Gaben aus«. Wieder andere sprachen: »Wohl teilten
wir den Asketen nach Kraft und Möglickheit Gaben
aus; doch nicht setzten wir uns zu ihnen, um das Ge-
setz anzuhören«. Wieder andere sprachen: Wohl
setzten wir uns zu den Asketen, um das Gesetz an-
zuhören; doch nicht lauschten wir dem Gesetze mit
offenen Ohren«. Wieder andere sprachen: »Wohl
lauschten wir dem Gesetze mit offenen Ohren; doch
nicht prägten wir uns die vernommenen Gesetze ein«.
Wieder andere sprachen: »Wohl prägten wir uns die
vernommenen Gesetze ein; doch nicht erforschten wir
deren Sinn«. Wieder andere sprachen: »Wohl er-
forschten wir der vernommenen Gesetze Sinn; doch
nicht lebten wir, das Gesetz und seine Auslegung
kennend, im Sinne des Gesetzes. Wir sind nun, o
— 198 —
NEUNERBUCH 1X20
Ehrwürdiger, unvollkommen in Werken und von
Reue und Gewissensbissen erfüllt, in einer niederen
Himmelswelt wiedererschienen.«
Andere zahlreiche Himmelswesen aber kamen zu
mir heran und sprachen: »Früher, o Ehrwürdiger, da
wir noch Menschen waren, kamen Asketen zu unseren
Häusern. Jenen warteten wir auf, begrüßten sie ehr-
furchtsvoll, boten ihnen Sitze an, teilten ihnen nach
Kraft und Möglichkeit Gaben aus, setzten uns zu
ihnen um das Gesetz anzuhören, lauschten dem Gesetze
mit offenen Ohren, prägten uns die vernommenen
Gesetze ein, erforschten deren Sinn; und, das Gesetz
und seine Auslegung kennend, lebten wir im Sinne
des Gesetzes. Und vollkommen in Werken, o Ehr-
würdiger, und ohne Reue oder Gewissensbisse zu
empfinden, sind wir nun in höherer Himmelswelt
wiedererschienen.«
Ihr habt da, ihr Mönche, diese Plätze unter den
Bäumen; ihr habt da diese leeren Behausungen. Übet
Vertiefung, ihr Mönche, und werdet nicht lässig, damit
euch später keine Reue ankomme, gleichwie jene er-
wähnten Himmelswesen.
Die Vorstellung der Vergänglichkeit als verdienstvollste 20
Tat
[Im Jatahaine bei Sävatthi]
Der Erhabene sprach zu Anäthapindiko dem Haus-
vater:
,,Gibt man wohl, o Hausvater, in deinem Hause
Almosen?"
„Freilich, o Ehrwürdiger, gibt man in meinem
— 199 —
1X20 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Hause Almosen, und zwar groben roten Reis und als
zweites eine Reissuppe." (1)
,,0b da einer, o Hausvater, etwas Grobes oder
etwas Feines als Almosen darreicht: gibt er ohne
Achtung und Ehrerbietung, nicht eigenhändig, bloß
Abfälle, ohne Glaube an eine Vergeltung, so empfindet,
wo auch immer die Wirkung dieser oder jener Gabe
eintritt, sein Herz keine Nieigung zu vorzüglicher
Speise, vornehmen Gewändern und stattlichen Wagen,
keine Neigung zu den auserlesenen fünf Sinnendingen
(2). Und die Söhne, Frauen, Knechte, Dienstboten
und Arbeiter gehorchen ihm nicht, leihen ihm kein
Gehör und richten ihre Gedanken nicht darauf, ihn
(1) Frage und Antwort beziehen sich hier, wie auch der Kom-
mentar bemerkt, bloß auf die Bettler und bedürftige Menschen,
nicht aber auf die Mönche, als deren größter Spender Anäthapindiko
ja allerwärts bekannt war.
(2) Hier ist offenbar ein Mensch gemeint mit einer angeborenen
Vorliebe für das Rauhe, Abstoßende, Schmutzige und Häßliche und
einem instinktiven Widerwillen gegen alles Schöne und Wohlge-
fällige, das er, selbst wenn es ihm angeboten wird, meist unter
irgend welchen Scheingründen, abweist und oft gar noch in seinem
Verhalten eine Tugend erblicken will. Im Kommentare heißt es:
„Wenn man einem solchen Menschen verschiedene äußerst schmack-
hafte, lieblich duftende Reisgerichte vorsetzt, so empfindet sein
Herz keine Neigung dazu. »Nehmt diesen Krankheitserreger fort!«
spricht er und verzehrt, zusammen mit irgend einem Kraute, seinen
ungesichteten Reis, den er wie Ambrosia schätzt. Bringt man ihm
vornehme, seidene Gewänder, so spricht er: »Weg damit!« Den,
der diese anlegt, können sie ja nicht einhüllen, auch sitzen sie nicht
fest am Körper.« Und er kleidet sich in plumpe Gewänder aus
Kokosfasem, Wurzeln, Rinde usw., indem er sie lobt und spricht:
»Wer sich damit bekleidet, weiß, wie man sich zu kleiden hat usw.«"
Letztere Bemerkung soll offenbar gleichzeitig eine Anspielung auf
gewisse brahmanische Asketen sein.
— 200 —
NEUNERBUCH IX 20
zu verstehen. Und warum ist das so? Weil eben die
Werke, die ohne Achtung ausgeführt werden, solche
Früchte zeitigen.
„Ob da einer, o Hausvater, etwas Grobes oder
etwas Feines als Almosen darreicht: gibt er mit Ach-
tung und Ehrerbietung, eigenhändig, keine Abfälle,
im Glauben an eine Vergeltung, so empfindet, wo auch
immer die Wirkung dieser oder jener Gabe eintritt,
sein Herz Neigung zu vorzüglicher Speise, vornehmen
Gewändern und stattlichen Wagen, Neigung zu den
auserlesenen fünf Sinnendingen. Und die Söhne,
Frauen, Knechte, Dienstboten und Arbeiter gehorchen
ihm, leihen ihm Gehör und richten ihre Gedanken
darauf, ihn zu verstehen. Und warum ist das so?
Weil eben die Werke, die mit Achtung ausgeführt
werden, solche Früchte zeitigen.
„Einst, 0 Hausvater, zu einer Zeit, da lebte ein
Brahmane namens Velämo. Derselbe spendete folgende
große Gabe: er verschenkte vierundachtzigtausend mit
Silber angefüllte goldene Gefäße, vierundach-tzigtau-
send mit Gold angefüllte silberne Gefäße, vierundacht-
zigtausend mit Edelmetall angefüllte bronzene Schüs-
seln, vierundachtzigtausend goldgeschmückte, goldbe-
flaggte und mit goldgewirkten Netzen bedeckte Ele-
fanten, vierundachtzigtausend mit Löwen-, Tiger- und
Pantherfellen und gelben Wolldecken überzogene, gold-
geschmückte, goldbeflaggte und mit goldgewirkten
Netzen bedeckte Wagen, vierundachtzigtausend mit
Seide bedeckte und Bronzeglocken behängte Kühe,
vierundachtzigtausend mit edelsteinbesetzten Ringen
geschmückte Jungfrauen, vierundachtzigtausend mit
haargefranzten, weißwollenen, blumengewirkten Decken
— 201 —
1X20 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
und mit edlen Antilopenfellen gedeckte, mit überdeck-
ten und purpurnen Kissen an beiden Bettenden vor-
nehme Ruhelager, vierundachtzigtausend Koti (1)
Gewänder aus feinster Leinwand, Seide, Wolle und
Baumwolle. Was soll man da gar von Speise und
Trank sagen, von den Kauwaren, Eßwaren, Leckereien
und Getränken, die dort gleichsam in Strömen flössen?
„Du möchtest nun wohl denken, o Hausvater,
daß der Brahmane Velämo, der damals jene große
Gabe spendete, irgend ein fremder Mensch war. Doch
das sollst du nicht denken; denn der Brahmane Velämo,
der damals jene große Gabe spendete: der war ich.
Bei dem Spenden jener Gabe aber, o Hausvater, war
keiner der der Gaben Würdigen zugegen, keiner heiligte
jene Gabe.
,,Bei weitem verdienstvoller als die große Gabe
des Brahmanen Velämo ist es, o Hausvater, wenn
man einen von »Erkenntnis Erfüllten« (2) speist. Bei
weitem verdienstvoller aber ist die Speisung von hun-
dert von Erkenntnis Erfüllten, bei weitem verdienst-
voller die Speisung eines »Einmalwiederkehrenden«,
bei weitem verdienstvoller die Speisung von hundert
Einmalwiederkehrenden, bei weitem verdienstvoller die
Speisung eines »Niewiederkehrenden«, bei weitem ver-
dienstvoller die Speisung von hundert Niewieder-
kehrenden, bei weitem verdienstvoller die Speisung
eines »Heiligen«, bei weitem verdienstvoller die Spei-
sung von hundert Heiligen, bei weitem verdienstvoller
die Speisung eines »Einzelerleuchteten«, bei weitem
(1) Im gewöhnlichen Gebrauche, sagt der Kommentar, betrage
ein Koti 20 Stück, in diesem Falle jedoch bloß zelin.
(2) Hier ist der Sotäpanna (Stromeingetretener) gemeint.
— 202 —
NEUNERBUCH 1X20
verdienstvoller die Speisung von iiundert Einzelerleuch-
teten, bei weitem verdienstvoller die Speisung des
Vollendeten, Heiligen, Vollkommen Erleuchteten, bei
weitem verdienstvoller die Speisung der Mönchsge-
meinde mit dem Erleuchteten an der Spitze; bei
weitem verdienstvoller aber ist es, wenn man für die
Mönchsgemeinde aller vier Himmelsrichtungen ein
Kloster erbaut, bei weitem verdienstvoller, wenn man
zuversichtlichen Herzens zum Erleuchteten, zum Ge-
setze und zur Jijngerschaft seine Zuflucht nimmt,
bei weitem verdienstvoller, wenn man zuversicht-
lichen Herzens die Sittenregeln auf sich nimmt: Ver-
meidung von Töten, Stehlen, geschlechtlichem Aus-
schreiten, Lügen und Trinken von berauschenden Ge-
tränken; bei weitem verdienstvoller aber ist es, wenn
man, selbst nur für einen Augenblick, liebevolle Ge-
sinnung erweckt; bei weitem verdienstvoller aber als
dies alles ist es, wenn man die Vorstellung der Ver-
gänglichkeit erweckt, und wäre es nur für einen
Augenblick." (1)
(1) Diese Vorstellung mag nämlich — ebenso wie die Vor-
Btellimg der Wesenlosigkeit — bei durchdringendem »Hell blicke«
(vipassanä) unmittelbar zur Erreichung des Nirwahns führen.
2Ö3 —
1X22 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
DRITTER TEIL:
Das Kapitel der Daseinsformen
21 Vergleiche zwischen Menschen und Himmelswesen
In drei Dingen, ihr Mönche, übertreffen die
Menschen in Uttarakuru sowohl die Himmelswesen
der Dreiunddreißig als auch die Menschen in Indien:
in welchen drei Dingen? Sie sind selbstlos und ohne
Habgier, erreichen ein festgesetztes Alter und besitzen
besondere Fähigkeiten.
In drei Dingen, ihr Mönche, übertreffen die Him-
melswesen der Dreiunddreißig sowohl die Menschen in
Uttarakuru als auch die Menschen in Indien: in welchen
drei Dingen? In himmlischem Leben, himmlischer
Schönheit und himmlischem Glücke.
In drei Dingen, ihr Mönche, übertreffen die Men-
schen in Indien sowohl die Menschen in Uttarakuru
als auch die Himmelswesen der Dreiunddreißig: in
welchen drei Dingen? Als Helden, in Achtsamkeit
und in der Befolgung dieses Heiligen Wandels.
22 Die neun Rosse
Drei junge Rosse, ihr Mönche, will ich euch weisen
und drei junge Menschen, drei gute Rosse und drei
gute Menschen, drei würdige, edle Rosse und drei
würdige, edle Menschen.
— 204 —
NEUNERBUCH 1X22
Welches aber, ihr Mönche, sind die drei jungen
Rosse? Das eine junge Roß, ihr Mönche, ist voll-
kommen in Geschwindigkeit, aber nicht vollkommen
in Gestalt, nicht vollkommen in Höhe und Umfang.
Das eine junge Roß, ihr Mönche, ist vollkommen in
Geschwindigkeit und Gestalt, aber nicht vollkommen
in Höhe und Umfang. Das eine junge Roß, ihr Mönche,
ist vollkommen in Geschwindigkeit, vollkommen in
Gestalt und vollkommen in Höhe und Umfang. Das,
ihr Mönche, sind die drei jungen Rosse.
Welches aber, ihr Mönche, sind die drei jungen
Menschen? Da, ihr Mönche, erkennt der Mönch der
Wirklichkeit gemäß, was Leiden ist; erkennt der Wirk-
lichkeit gemäß, was die Entstehung des Leidens ist;
erkennt der Wirklichkeit gemäß, was die Aufhebung
des Leidens ist; erkennt der Wirklichkeit gemäß, was
der zur Aufhebung des Leidens führende Pfad ist.
Das aber nenne ich seine Geschwindigkeit Über das
hohe Gesetz und die hohe Disziplin befragt, ist er
verzagt und gibt keine Auskunft. Das aber nenne ich
seine Unvollkommenheit an Gestalt. Das Notwendige
an Gewand, Almosenspeise, Lagerstatt, Heilmitteln
und Arzneien wird ihm nicht zuteil. Das aber nenne
ich seine Unvollkommenheit an Höhe und Umfang,
So also, ihr Mönche, ist der junge Mensch vollkommen
in Geschwindigkeit, aber nicht vollkommen in Ge-
stalt, nicht vollkommen in Höhe und Umfang.
Da, ihr Mönche, erkennt der Mönch der Wirklich-
keit gemäß, was Leiden ist; erkennt der Wirklichkeit
gemäß, was die Entstehung des Leidens ist; erkennt
der Wirklichkeit gemäß, was die Aufhebung des Lei-
dens ist; erkennt der Wirklichkeit gemäß, was der
— 205 —
1X22 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
zur Aufhebung des Leidens führende Pfad ist. Das
aber nenne ich seine Geschwindigkeit. Über das hohe
Gesetz und die hohe Disziplin befragt, gibt er Aus-
kunft und ist nicht verzagt. Das aber nenne ich seine
Gestalt. Das Notwendige an Gewand, Almosenspeise,
Lagerstatt, Heilmitteln und Arzneien wird ihm nicht
zuteil. Das aber nenne ich seine Unvollkommenheit
an Höhe und Umfang. So also, ihr Mönche, ist der
junge Mensch vollkommen in Geschwindigkeit und
Gestalt, aber nicht vollkommen in Höhe und Umfang.
Da, ihr Mönche, erkennt der Mönch der Wirklich-
keit gemäß, was Leiden ist; erkennt der Wirklichkeit
gemäß, was die Entstehung des Leidens ist; erkennt
der Wirklichkeit gemäß, was die Aufhebung des Lei-
dens ist; erkennt der Wirklichkeit gemäß, was der
zur Aufhebung des Leidens führende Pfad ist. Das
aber nenne ich seine Geschwindigkeit. Über das hohe
Gesetz und die hohe Disziplin befragt, gibt er Aus-
kunft und ist nicht verzagt. Das aber nenne ich seine
Gestalt. Das Notwendige an Gewand, Almosenspeise,
Lagerstatt, Heilmitteln und Arzneien wird ihm reich-
lich zuteil. Das aber nenne ich seine Höhe und seinen
Umfang. So also, ihr Mönche, ist der junge Mensch
vollkommen in Geschwindigkeit vollkommen in Gestalt
und vollkommen in Höhe und Umfang. Das, ihr
Mönche, sind die drei jungen Menschen.
Welches aber, ihr Mönche, sind die drei guten
Menschen?
Da, ihr Mönche, erscheint der Mönch nach Auf-
hebung der fünf niederen Fesseln in einer geistigen
Welt wieder. Und dort erreicht er das Nirwahn, kehrt
nicht mehr zurück von jener Welt. Das aber gilt als
— 206 —
NEUNERBUCH XI 22
seine Geschwindigkeit. Über das hohe Gesetz und
die hohe Disziplin befragt, ist er verzagt und gibt
keine Auskunft. Das aber nenne ich seine Unvollkom-
menheit an Gestalt. Das Notwendige an Gewand,
Almosenspeise, Lagerstatt, Heilmitteln und Arzneien
wird ihm nicht zuteil. Das aber nenne ich seine Un-
vollkommenheit an Höhe und Umfang. So also, ihr
Brüder, ist der gute Mensch vollkommen in Geschwin-
digkeit, aber nicht vollkommen in Gestalt, nicht voll-
kornmen in Höhe und Umfang.
Da, ihr Mönche, erscheint der Mönch nach Auf-
hebung der fünf niederen Fesseln in einer geistigen
Welt wieder. Und dort erreicht er das Nirwahn, kehrt
nicht mehr zurück von jener Welt. Das aber gilt als
seine Geschwindigkeit. Über das hohe Gesetz und die
hohe Disziplin befragt, gibt er Auskunft und ist nicht
verzagt. Das aber nenne ich seine Gestalt. Das Not-
wendige an Gewand, Almosenspeise, Lagerstatt, Heil-
mitteln und Arzneien wird ihm nicht zuteil. Das aber
nenne ich seine Unvollkommenheit an Höhe und
Umfang. So also, ihr Mönche, ist der gute Mensch
vollkommen in Geschwindigkeit und Gestalt, aber
nicht vollkommen in Höhe und Umfang.
Da, ihr Mönche, erscheint der Mensch nach Auf-
hebung der fünf niederen Fesseln in einer geistigen
Welt wieder. Und dort erreicht er das Nirwahn, kehrt
nicht mehr zurück von jener Welt. Das aber gilt als
seine Geschwindigkeit. Über das hohe Gesetz und
die hohe Disziplin befragt, gibt er Auskunft und ist
nicht verzagt. Das aber nenne ich seine Gestalt. Das
Notwendige an Gewand, Almosenspeise, Lagerstatt,
Heilmitteln und Arzneien wird ihm reichlich zuteil.
— 207 —
1X22 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Das aber nenne ich seine Höhe und seinen Umfang.
So also, ihr Mönche, ist der gute Mensch vollkommen
in Geschwindigkeit, vollkommen in Gestalt und voll-
kommen in Höhe und Umfang.
Das, ihr Mönche, sind die drei guten Menschen.
Welches aber, ihr Mönche, sind die drei würdigen,
edlen Menschen?
Da, ihr Mönche, gelangt der Mönch, nach Ver-
siegung der Leidenschaften, noch bei Lebzeiten in den
Besitz der leidenschaftslosen Gemütserlösung und
Wissenserlösung, indem er sie selber erkennt und ver-
wirklicht. Das aber nenne ich seine Geschwindigkeit.
Über das hohe Gesetz und die hohe Disziplin befragt,
ist er verzagt und gibt keine Auskunft. Das aber
nenne ich seine Unvollkommenheit an Gestalt. Das
Notwendige an Gewand, Almosenspeise, Lagerstatt,
Heilmitteln und Arzneien wird ihm nicht zuteil. Das
aber nenne ich seine Unvollkommenheit an Höhe und
Umfang. So also, ihr Mönche, ist der würdige edel-
geartete Mensch vollkommen an Geschwindigkeit, aber
nicht vollkommen an Gestalt, nicht vollkommen an
Höhe und Umfang.
Da, ihr Mönche, gelangt der Mönch, nach Ver-
siegung der Leidenschaften, noch bei Lebzeiten in den
Besitz der leidenschaftslosen Gemütserlösung und
Wissenserlösung, indem er sie selber erkennt und ver-
wirklicht. Das aber nenne ich seine Geschwindigkeit.
Über das hohe Gesetz und die hohe Disziplin befragt,
gibt er Auskunft und ist nicht verzagt. Das aber
nenne ich seine Gestalt. Das Notwendige an Gewand,
Almosenspeise, Lagerstatt, Heilmitteln und Arzneien
wird ihm nicht zuteil. Das aber nenne ich seine Un-
208
NEUNERBUCH 1X23
Vollkommenheit an Höhe und Umfang. So also, ihr
Mönche, ist der würdige, edle Mensch vollkommen in
Geschwindigkeit und Gestalt, aber nicht vollkommen
in Höhe und Umfang.
Da, ihr Mönche, gelangt der Mönch, nach Ver-
siegung der Leidenschaften, noch bei Lebzeiten in den
Besitz der leidenschaftslosen Gemütserlösung und
Wissenserlösung, indem er sie selber erkennt und ver-
wirklicht. Das aber nenne ich seine Geschwindigkeit,
Über das hohe Gesetz und die hohe Disziplin befragt,
gibt er Auskunft und ist nicht verzagt. Das aber
nenne ich seine Gestalt. Das Notwendige an Gewand,
Almosenspeise, Lagerstatt, Heilmitteln, und Arzneien
wird ihm reichlich zuteil. Das aber nenne ich seine
Höhe und seinen Umfang. So also, ihr Mönche, ist
der würdige, edle Mensch vollkommen in Geschwindig-
keit, vollkommen in Gestalt und vollkommen in
Höhe und Umfang.
Das, ihr Mönche, sind die drei würdigen, edlen
Menschen.
Im Durste wurzelnde Dinge 23
Neun im »Durste« (tanhä) wurzelnde Dinge, ihr
Mönche, will ich euch weisen: auf dem Durste beruht
das Suchen, auf dem Suchen das Finden, auf dem
Finden die Entscheidung, auf der Entscheidung die
Willensgier, auf der Willensgier die Neigung, auf der
Neigung die Besitzergreifung, auf der Besitzergreifung
der Geiz, auf dem Geize das Überwachen, das Greifen
zu Stock und Schwert, der Streit, Zank und Hader,
gegenseitige Verleumdung und Lüge; und andere zahl-
— 209 — 14
1X84 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
reiche üble, schuldvolle Erscheinungen kommen zum
Entstehen.
24 Die neun Daseinsformen der Wesen
Neun »Daseinsformen der Wesen« (sattäväsä) gibt
es, ihr Mönche: welche neun?
Es gibt Wesen, ihr Mönche, die verschieden sind
in Körperform und verschieden in Wahrnehmung,
als wie die Menschen, einige Himmelswesen und einige
verstoßene Wesen. Das ist die erste Daseinsform der
Wesen.
Es gibt Wesen, ihr Mönche, die verschieden sind
in Körperform aber gleich in Wahrnehmung, als wie
die erstentstandenen Götter der Brahmawelt (1). Das
ist die zweite Daseinsform der Wesen.
Es gibt Wesen, ihr Mönche, die gleich sind in
Körperform aber verschieden in Wahrnehmung, als
wie die Hellstrahlenden Himmelswesen (äbhas-
sarä devä). Das ist die dritte Daseinsform der Wesen.
Es gibt Wesen, ihr Mönche, die gleich sind in
Körperform und gleich in Wahrnehmung, als wie die
Alleuchtenden Himmelswesen (subhakinhä devä).
Das ist die vierte Daseinsform der Wesen.
Es gibt Wesen, ihr Mönche, die ohne Wahrneh-
mung und Gefühl sind, als wie die Wahrnehmungs-
losen Wesen (asaiinä-sattä). Das ist die fünfte
Daseinsform der Wesen.
Es gibt Wesen, ihr Mönche, die durch völlige
(1) D. s. jedesmal diejenigen Brahmadewen, die bei Beginn
einer neuen Weltentstehung als erste in der Brahmawelt ins Dasein
treten.
— 210 —
NEUNERBUCH 1X24
Überwindung der Formwahrnehmungen, das Schwin-
den der Reflexwahrnehmungen und das Nichtbeachten
der Vielheitswahrnehmungen, in der Vorstellung der
Unendlichkeit des Raumes, in dem Gebiete der
Raumunendlichkeit wiedererschienen sind. Das
ist die sechste Daseinsform der Wesen.
Es gibt Wesen, ihr Mönche, die durch völlige
Überwindung des Gebietes der Raumunendlichkeit,
in der Vorstellung der Unendlichkeit des Bewußtseins,
in dem Gebiete der Bewußtseinsunendlichkeit
wiedererschienen sind. Das ist die siebente Daseins-
form der Wesen.
Es gibt Wesen, ihr Mönche, die durch völlige
Überwindung des Gebietes der Bewußtseinsunendlich-
keit, in der Vorstellung des Nichtdaseins, in dem
Gebiete des Nichtdaseins wiedererschienen sind.
Das ist die achte Daseinsform der Wesen.
Es gibt Wesen, ihr Mönche, die durch völlige
Überwindung des Gebietes des Nichtdaseins in dem
Gebiete der Weder -Wahrnehmung - Noch-
Nichtwahrnehmung wiedererschienen sind. Das
ist die neunte Daseinsform der Wesen.
Das, ihr Mönche, sind die neun Daseinsformen
der Wesen. (1)
(1) Im Kommentare heißt es: „Auch die »Daseinsstätten dej
Eeinen« (suddhäväsä) rechnen als eine Daseinsform der Wesen. Da
dieselben jedoch nicht zu allen Zeiten vorhanden sind, werden sie
hier nicht erwähnt. Mit den Daseinsstätten der Reinen nämlich
verhält es sich wie mit der Kampfesstätte der Erleuchteten; denn
während der unermeßlich großen Zeiträume, in denen keine Er-
leuchteten erscheinen, bleibt diese Stätte leer."
_ 211 — 14*
1X26 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
26 Der vollkommen entfaltete Geist
Das habe ich gehört:
Einst weilte der ehrwürdige Säriputto und der
ehrwürdige Candikaputto im Bambushaine bei Räja-
gaha, an der Fütterungsstätte der Eichhörnchen.
Dort wandte sich der ehrwürdige Candikaputto an
die Mönche und sprach:
„Devadatta, ihr Brüder, lehrt, daß ein Mönch,
der durch Geistesübung seinen Geist entfaltet hat,
von sich mit Recht erklären kann: »Aufgehoben ist
die Wiedergeburt, ausgelebt der Heilige Wandel, das
Werk vollendet; nicht kehr' ich mehr zu dieser Welt
zurück«."
Auf diese Worte aber entgegnete ihm der ehr-
würdige Säriputto:
,, Nicht so, 0 Bruder, legt Davadatto den Mönchen
das Gesetz aus, sondern er lehrt, daß ein Mönch, der
durch Geistesübung seinen Geist vollkommen ent-
faltet hat, von sich mit Recht erklären kann: »Aufge-
hoben ist die Wiedergeburt, ausgelebt der Heilige
Wandel, das Werk vollendet; nicht kehr' ich mehr
zu dieser Welt zurück«."
Und zum zweitenmale und zum drittenmale
sprach der ehrwürdige Candikaputto zu den Mönchen:
„Devadatto, ihr Brüder, lehrt, daß ein Mönch,
der durch Geistesübung seinen Geist entfaltet hat,
von sich mit Recht erklären kann: »Aufgehoben ist
die Wiedergeburt, ausgelebt der Heilige Wandel, das
Werk vollendet; nicht kehr' ich mehr zu dieser Welt
zurück«."
Und zum drittenmale entgegenete ihm der ehr-
würdige Säriputto:
— 212 —
NEUNERBUCH 1X26
„Nicht so, 0 Bruder, legt Devadatto den Mönchen
das Gesetz aus, sondern er lehrt, daß ein Mönch, der
durch Geistesübung seinen Geist vollkommen ent-
faltet hat, von sich mit Recht erklären kann: »Aufge-
hoben ist die Wiedergeburt, ausgelebt der Heilige
Wandel, das Werk vollendet; nicht kehr' ich mehr zu
dieser Welt zurück«.
,,Wie aber, o Bruder, hat der Mönch durch Geistes-
übung seinen Geist vollkommen entfaltet?
,,Wenn er erkennt: >>Frei ist mein Geist von Gier,
frei von Haß, frei von Verblendung, der Gier, dem
Hasse und der Verblendung nicht mehr unterworfen,
nicht mehr imstande, zu sinnlichem, formhaftem oder
formlosem Dasein zurückzuführen«. Auf diese Weise
hat der Mönch durch Geistesübung seinen Geist voll-
kommen entfaltet.
„Ob da, 0 Bruder, dem also im Geiste völlig er-
lösten Mönche auch die lieblichsten, dem Auge erkenn-
baren Formen in das Sehfeld treten, ob ihm die lieb-
lichsten, dem Ohre erkennbaren Töne in das Hörfeld
treten, ob ihm die lieblichsten, der Nase erkennbaren
Düfte in das Riechfeld treten, ob ihm die Heblichsten
der Zunge erkennbaren Säfte in das Schmeckfcld
treten, ob ihm die lieblichsten, dem Körper erkenn-
baren Empfindungen in das Tastfeld treten, ob ihm
die lieblichsten, dem Geiste erkennbaren Erscheinungen
gen in das Denkfeld treten: nicht sehr vermögen diese
seinen Geist zu fesseln. Ungetrübt bleibt sein Geist,
fest und unerschütterlich; und er betrachtet der Dinge
Vergänglichkeit.
,, Gesetzt, o Bruder, es befände sich da eine sechs-
zehn Fuß hohe steinerne Säule, die acht Fuß tief im
— 213 —
1X31 SAMMLUNG DER ANGLIEHERUNGEN
Boden ruhte und acht Fuß über dem Boden empor-
ragte. Sollte da auch von Osten, Westen, Norden
oder Süden her ein heftiger Regen und Sturm heran-
treiben, so wäre derselbe nicht imstande, sie zu er-
schüttern, zu bewegen und zum Schwanken zu bringen.
Und warum nicht? Eben wegen der Tiefe des Grund-
baues, wegen der guten Eingrabung der steinernen
Säule.
,, Ebenso auch, o Bruder: ob dem also im Geiste
völlig erlösten Mönche auch die lieblichsten, dem
Auge erkennbaren Formen in das Sehfeld treten, ob
ihm die lieblichsten, dem Ohre erkennbaren Töne in
das Hörfeld treten, ob ihm die lieblichsten der Nase
erkennbaren Düfte in das Riechfeld treten, ob ihm
die lieblichsten, der Zunge erkennbaren Säfte in das
Schmeckfeld treten, ob ihm die lieblichsten, dem
Körper erkennbaren Empfindungen in das Tastfeld
treten, ob ihm die lieblichsten, dem Geiste erkennbaren
Erscheinungen in das Denkfeld treten: nicht sehr
vermögen diese seinen Geist zu fesseln. Ungetrübt
bleibt sein Geist, fest und unerschütterlich; und er
betrachtet der Dinge Vergänglichkeit."
31 Stufenweise Aufhebung
Folgende neun aufeinanderfolgenden Aufhebun-
gen gibt es, ihr Mönche: welche neun?
Für den in die erste Vertiefung Eingetretenen
sind die sinnlichen Wahrnehmungen aufgehoben.
Für den in die zweite Vertiefung Eingetretenen ist
Sinnen und Nachdenken (vitakka-vicära) aufge-
hoben. Für den in die dritte Vertiefung Eingetretenen
— 214 —
NEUNERBUCH 1X31
ist die Verzückung (piti) aufgehoben. ' Für den in
die vierte Vertiefung Eingetretenen ist Ein- und
Ausatmung aufgehoben. Für den in das Gebiet der
Raumunendlichkeit Eingetretenen sind die Form-
wahrnehmungen aufgehoben. Für den in das Gebiet
der Bewußtseinsunendlichkeit Eingetretenen ist die
Vorstellung des Gebietes der Raumunendlichkeit auf-
gehoben. Für den in das Gebiet des Nichtseins Einge-
tretenen ist die Vorstellung des Gebietes der Bewußt-
seinsunendlichkeit aufgehoben. Für den in das Gebiet
der Weder-Wahrnehmung-Noch-Nicht-Wahrnehmung
Eingetretenen ist die Vorstellung des Gebietes des
Nichtseins aufgehoben. Für den in die »Aufhebung
von Wahrnehmung und Gefühl« Eingetretenen ist
Wahrnehmung und Gefühl aufgehoben. Das, ihr
Mönche, sind die neun aufeinanderfolgenden Aufhe-
bungen.
— 215 —
1X32 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
VIERTER TEIL:
Das große Kapitel
32 Die neun aufeinanderfolgenden Zustände
Neun aufeinanderfolgende Zustände gibt es, ihr
Mönche: welche neun?
Da, ihr Mönche, gewinnt der Mönch, den Sinnen-
dingen entrückt, entrückt den schuldvollen Erschei-
nungen, die mit Sinnen und Nachdenken verbun-
dene, in der Entrückung geborene, von Verzückung
und Glückseligkeit erfüllte erste Vertiefung.
Nach dem Schwinden des Sinnens und Nach-
denkens aber gewinnt er den inneren Frieden, die
Einheit des Geistes, die von Sinnen und Nachdenken
freie, in der Sammlung geborene, von Verzückung
und Guck Seligkeit erfüllte zweite Vertiefung.
Nach Abwendung von der Verzückung aber ver-
weilt er gleichmütig, achtsam, geistesklar; und er fühlt
in sich jenes Glück, von dem die Edlen sprechen:
»Glückselig der Gleichmütige, der Achtsame!« — so
gewinnt er die dritte Vertiefung.
Nach dem Schwinden von Wohlgefühl und
Schmerz aber und durch Überwindung des früheren
Frohsinns und Trübsinns gewinnt er einen leidlosen,
freudlosen Zustand, die durch Gleichmut und Acht-
samkeit geklärte vierte Vertiefung.
Durch völlige Überwindung der Formwahrneh-
mungen, das Schwinden der Reflexwahrnehmungen
und das Nichtbeachten der Vielheitswahrnehmungen
— 216 —
NEUNERBUCH 1X33
aber gewinnt er, in der Vorstellung: »Unendlich ist
der Raum!«, das Gebiet der Raumunendlichkeit.
" Durch völlige Überwindung des Gebietes der
Raumunendlichkeit aber gewinnt er, in der Vorstel-
lung: »Unendlich ist das Bewußtsein!«, das Gebiet der
Bewußtseinsunendlichkeit.
Durch völlige Überwindung des Gebietes der
Bewußtseinsunendlichkeit aber gewinnt er, in der
Vorstellung: »Nichts ist da!«, das Gebiet des Nicht-
daseins.
Durch völlige Überwindung des Gebietes des
Nichtdaseins aber gewinnt er das Gebiet der Weder-
Wahrnehmung-Noch-Nichtwahrnehmung.
Durch völlige Überwindung des Gebietes der
Weder-Wahrnehmung - Noch - Nichtwahrnehmung ge-
winnt er die »Aufhebung von Wahrnehmung und
Gefühl«.
Das, ihr Mönche, sind die neun aufeinanderfol-
genden Zustände.
Die neun aufeinanderfolgenden Erreichungszustände 33
Folgende neun aufeinanderfolgende Erreichungs-
zustände, ihr Mönche, will ich euch weisen. So höret
denn und achtet wohl auf meine Worte! —
Wo die sinnlichen Dinge (kämä) zur Auf-
hebung gelangen und jene verweilen, die die sinnlichen
Dinge zur Aufhebung gebracht haben, in jenem Zu-
stande wahrlich sind die Ehrwürdigen gestillt, ent-
wähnt, entronnen, zum anderen Ufer (1) gelangt: das
(1) D. h. nicht etwa des Daseins, sondern der Sinnlichkeit
u. zw. nur hier für die Dauer des Vertiefungszustandes.
— 217 —
1X33 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
sage ich. Wo aber gelangen die sinnlichen Dinge zur
Aufhebung und verweilen jene, die die sinnlichen
Dinge zur Aufhebung gebracht haben? Wer da sagt,
daß er es nicht weiß, nicht erkennt, dem hat rhan
also zu erklären:
»Da, 0 Bruder, gewinnt der Mönch, den Sinnen-
dingen entrückt, entrückt den schuldvollen Erschei-
,nungen, die mit Sinnen und Nachdenken verbundene,
in der Entrückung geborene, von Verzückung und
Glückseligkeit erfüllte erste Vertiefung. Hier ge-
langen die sinnlichen Dinge zur Aufhebung und
verweilen jene, die die sinnlichen Dinge zur Auf-
hebung gebracht haben.«
Wahrlich, ihr Mönche, ein Mensch, der frei ist von
Heuchelei und Verstellung, sollte diesen Worten Bei-
fall schenken und sie billigen. Und hat er ihnen Beifall
geschenkt und sie gebilligt, so sollte er voll Ehrfurcht
seine gefalteten Hände erheben und beiwohnen.
Wo das »Sinnen und Nachdenken« (vitakka-
vicära) zur Aufhebung gelangt und jene verweilen, die
das Sinnen und Nachdenken zur Aufhebung gebracht
haben, in jenem Zustande wahrlich sind die Ehrwürdigen
gestillt, entwähnt, entronnen, zum anderen Ufer
gelangt: das sage ich. Wo aber gelangt das Sinnen
und Nachdenken zur Aufhebung und verweilen jene,
die das Sinnen und Nachdenken zur Aufhebung ge-
bracht haben? Wer da sagt, daß er es nicht weiß,
nicht erkennt, dem hat man also zu erklären:
»Da, 0 Bruder, gewinnt der Mönch nach dem
Schwinden des Sinnens und Nachdenkens den inne-
ren Frieden, die Einheit des Geistes, die von Sinnen
— 218 —
NEUNERBUCH 1X33
und Nachdenken freie, in der Sammlung geborene,
von Verzückung und Glückseligkeit erfüllte
zweite Vertiefung. Hier also gelangt das Sinnen
und Nachdenken zur Aufhebung und verweilen jene,
die das Sinnen und Nachdenken zur Aufhebung
gebracht haben.«
Wahrlich, ihr Mönche, ein Mensch, der frei ist von
Heuchelei und Verstellung, sollte diesen Worten Bei-
fall schenken und sie billigen. Und hat er ihnen Bei-
fall geschenkt und sie gebilligt, so sollte er voll Ehr-
furcht seine gefalteten Hände erheben und beiwohnen.
Wo die »Verzückung« (piti) zur Aufhebung ge-
langt und jene verweilen, die die Verzückung zur Auf-
hebung gebracht haben, in jenem Zustande wahrlich
sind die Ehrwürdigen gestillt, entwähnt, entronnen,
zum anderen Ufer gelangt: das sage ich. Wo aber
gelangt die Verzückung zur Aufhebung und verweilen
jene, die die Verzückung zur Aufhebung gebracht
haben? Wer da sagt, daß er es nicht weiß, nicht er-
kennt, dem hat man also zu erklären:
»Da, 0 Bruder, verweilt der Mönch nach Ab-
wendung von der Verzückung gleichmütig, achtsam,
geistesklar; und er fühlt in sich jeftes Glück, von
dem die Edlen sprechen: »Glückselig der Gleich-
mütige, der Achtsame!« — so gewinnt er die dritte
Vertiefung. Hier also gelangt die Verzückung zur
Aufhebung und verweilen jene, die die Verzückung
zur Aufhebung gebracht haben.« —
— »Da, 0 Bruder, gewinnt der Mönch nach dem
Schwinden von Wohlgefühl und Schmerz und durch
Überwindung des früheren Frohsinns und Trübsinns
einen leidlosen, freudlosen Zustand, die durch
— 219 —
1X33 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Gleichmut und Achtsamkeit geklärte vierte Ver-
tiefung. Hier also gelangt die »gleichmütige
Freude« (uppekhä-sukka) (1) zur Aufhebung und
verweilen jene, die die gleichmütige Freude zur
Aufhebung gebracht haben.« —
— »Da, 0 Bruder, gewinnt der Mönch durch
völlige Überwindung der Formwahrnehmungen, das
Schwinden der Reflexwahrnehmungen, das Nicht-
beachten der Vielheitswahrnehmungen, in der Vor-
stellung: >Unendlich ist der Raum!«, das Gebiet der
Raumunendlichkeit. Hier also gelangen die Form-
wahrnehmungen zur Aufhebung und verweilen jene,
die die Formwahrnehmungen zur Aufhebung ge-
bracht haben.« —
— »Da, 0 Bruder, gewinnt der Mönch durch
völlige Überwindung der Vorstellung des Gebietes
der Raumunendlichkeit, in der Vorstellung: >Un-
endlichkeit ist das Bewußtseim, das Gebiet der
Bewußtseinsunendlichkeit. Hier also gelangt die
Vorstellung des Gebietes der Raumunendlichkeit zur
Aufhebung und verweilen jene, die die Vorstellung
des Gebietes der Raumunendlichkeit zur Aufhebung
gebracht haben.« —
— »Da, 0 Bruder, gewinnt der Mönch durch
völlige Überwindung des Gebietes der Bewußtseins-
unendlichkeit, in der Vorstellung: >Nichts ist da<,
das Gebiet des Nichtdaseins. Hier also gelangt die
Vorstellung des Gebietes der Bewußtseinsunendlich-
(1) upekkhä-sukkha ist das durch den ethischen Gleichmut
(upekkhä, hier identisch mit tatramajjhattatä des Sarikhära-kkhan-
dha und nicht etwa mit der hedonistischen Indifferenz des Vedanä-
kkhandha) modifizierte Freudegefühl (sukha-vedanä).
— 220 —
NEUNERBUCH 1X34
keit zur Aufhebung und verweilen jene, die die
Vorstellung des Gebietes der Bewußtseinsunendlich-
keit zur Aufhebung gebracht haben.« —
— »Da, 0 Bruder, gewinnt der Mönch durch
völlige Überwindung des Gebietes des Nichtdaseins,
das Gebiet der Weder-Wahrnehmung-Noch-Nicht-
wahrnehmung. Hier also gelangt die Vorstellung
des Gebietes des Nichtdaseins zur Aufhebung und
verweilen jene, die die Vorstellung des Gebietes des
Nichtdaseins zur Aufhebung gebracht haben.« —
— »Da, 0 Bruder, gewinnt der Mönch durch
völlige Überwindung des Gebietes der Weder-Wahr-
nehmung-Noch-Nichtwahrnehmung die Aufhebung
von Wahrnehmung und Gefühl. Hier also gelangt die
Vorstellung des Gebietes der Weder-Wahrnehmung-
Noch-Nichtwahrnehmung zur Aufhebung und ver-
weilen jene, die die Vorstellung des Gebietes der
Weder-Wahrnehmung-Noch-Nichtwahrnehmung zur
Aufhebung gebracht haben.«
Wahrlich, ihr Mönche, ein Mensch, der frei ist von
Heuchelei und Verstellung, sollte diesen Worten Bei-
fall schenken und sie billigen. Und hat er ihnen Bei-
fall geschenkt und sie gebilligt, so sollte er voll Ehr-
furcht seine gefalteten Hände erheben und beiwohnen.
Das, ihr Mönche, sind die neun aufeinanderfol-
genden Erreichungszustände.
Ein Glück jenseits der Gefühle 34
Das habe ich gehört:
Einst weilte der ehrwürdige Säriputto im Bam-
bushaine bei Räjagaha, an der Fütterungsstätte der
— 221 —
1X34 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Eichhörnchen. Dort wandte sich der ehrwürdige
Säriputto an die Mönche und sprach:
,,Ein Glück, o Brüder, ist das Nirwahn! Ein
Glüctc, 0 Brüder, ist das Nirwahn!"
Auf diese Worte sprach der ehrwürdige Udäyi
also zum ehrwürdigen Säriputto:
,,Wie kann denn, o Bruder, dort ein Glück be-
stehen, wo es keine Gefühle mehr gibt?"
,, Darin, o Bruder, besteht ja gerade das Glück,
daß es dort keine Gefühle mehr gibt.
,, Folgende fünf Sinnendinge gibt es, o Bruder:
welche fünf? Die Formen, die Töne, die Düfte, die
Säfte und die Tastungen, die begehrten, lieblichen,
angenehmen, teuren, sinnlichen, reizenden: das, o
Bruder, sind die fünf Sinnendinge. Was aber, o Bruder,
diesen fünf Sinnendingen zufolge an Freude und
Frohsinn aufsteigt, das nennt man, o Bruder, sinn-
liches Glück.
,,Da aber, o Bruder, gewinnt der Mönch, den
Sinnendingen entrückt, entrückt den schuldv^ollen
Erscheinungen, die erste Vertiefung. Wenn nun den
Mönch, während er in diesem Zustande verweilt, mit
Sinnlichkeit verbundene Wahrnehmungen und Er-
wägungen befallen, so gilt ihm das als Gebrechen.
Gleichwie nämlich, ihr Brüder, einen Glücklichen ein
Unglück oder gar ein Gebrechen befallen mag, genau
so befallen ihn jene mit Sinnlichkeit verbundenen
Wahrnehmungen und Erwägungen. Das gilt ihm
eben als ein Gebrechen. Was da aber, ihr Brüder,
Gebrechen ist, das ist Leiden, hat der Erhabene ge-*
sagt. In diesem Sinne eben, ihr Brüder, hat man das
Nirwahn als ein Glück anzusehen.
— 222 —
NEUNERBUCH 1X34
„Da, ihr Brüder, gewinnt der Mönch fernerhin
nach Aufhebung des Sinnens und Nachdenkens die
zweite Vertiefung. Wenn nun den Mönch, während
er in diesem Zustande verweilt, mit Sinnen und
Nachdenken verbundene Wahrnehmungen und Er-
wägungen befallen, so gilt ihm das als Gebrechen. —
,,Da, ihr Brüder, gewinnt der Mönch fernerhin
nach Abwendung von der Verzückung die dritte Ver-
tiefung. Wenn nun den Mönch, während er in diesem
Zustande verweilt, mit Verzückung verbundene
Wahrnehmungen und Erwägungen befallen, so gilt
ihm das als Gebrechen. —
„Da, ihr Brüder, gewinnt der Mönch fernerhin
nach dem Schwinden von Freuden und Leiden die
vierte Vertiefung. Wenn nun den Mönch, während er
in diesem Zustande verweilt, mit gleichmütigem
Glücke verbundene Wahrnehmungen und Erwägun-
gen befallen, so gilt ihm das als Gebrechen. —
„Da, ihr Brüder, gewinnt fernerhin der Mönch
durch völlige Überwindung der Formwahrnehmungen
das Gebiet der Raum.unendlichkeit. Wenn nun den
Mönch, während er in diesem Zustande verweilt, mit
Formen verbundene Wahrnehmungen und Erwä-
gungen befallen, so gilt ihm das als Gebrechen. —
„Da, ihr Brüder, gewinnt der Mönch fernerhin
durch völlige Überwindung des Gebietes der Raum-
unendlichkeit, in der Vorstellung: »Unendlich ist das
Bewußtsein«, das Gebiet der Bewußtseinsunendlichkeit.
Wenn nun den Mönch, während er in diesem Zustande
verweilt, mit dem Gebiete der Raumunendlichkeit
verbundene Wahrnehmungen und Erwägungen be-
fallen, so gilt ihm das als Gebrechen. —
— 223 —
1X34 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
,,Da, ihr Brüder, gewinnt der Möncii fernerhin
durch völlige Überwindung des Gebietes der Bewußt-
seinsunendlichkeit, das in der Vorstellung: »Nichts
ist da«, das Gebiet des Nichtdaseins. Wenn nun den
Mönch, während er in diesem Zustande verweilt, mit
dem Gebiete der Bewußtseinsunendlichkeit ver-
bundene Wahrnehmungen und Erwägungen befallen,
so gilt ihm das als Gebrechen. —
,,Da, ihr Brüder, gewinnt fernerhin der Mönch
durch völlige Überwindung des Gebietes des Nicht-
seins das Gebiet der Weder-Wahrnehmung-Noch-Nicht-
wahrnehmung. Wenn nun den Mönch, während er in
diesem Zustande verweilt, mit dem Gebiete der
Weder -Wahrnehmung -Noch -Nie htwahrne h-
mung verbundene Wahrnehmungen und Erwägungen
befallen, so gilt ihm das als Gebrechen. Gleichwie
nämlich, ihr Brüder, einen Glücklichen ein Unglück
oder gar ein Gebrechen befallen mag, genau so be-
fallen ihn jene mit dem Gebiete der Weder-Wahrneh-
mung-Noch-Nichtwahrnehmung verbundenen Wahr-
nehmungen und Erwägungen. Das gilt ihm eben als
ein Gebrechen. Was da aber, ihr Brüder, Gebrechen
ist, das ist Leiden, hat der Erhabene gesagt. In
diesem Sinne eben, ihr Brüder, hat man das Nirwahn
als ein Glück anzusehen.
,,Da, ihr Brüder, gewinnt der Mönch fernerhin
durch völlige Überwindung des Gebietes der Weder-
Wahrnehmung-Noch-Nichtwahrnehmung die Aufhe-
bung von Wahrnehmung und Gefühl; und nach weisem
Erkennen gelangen in ihm die Leidenschaften zur
Versiegung. In diesem Sinne eben, ihr Brüder, hat
man das Nirwahn als ein Glück anzusehen."
— 224 —
NEUNERBUCH 1X36
Die Kuh im Gebirge 35
Nehmt an, ihr Mönche, einer im Gebirge lebenden
Kuh, unverständig, unerfahren, des Gebietes unkundig
und unfähig, in dem unebenen Gebirge umherzu-
wandern, käme der Gedanke: »Ach, laß mich doch
auf noch nicht betretenes Gebiet gehen und noch nicht
gekostete Gräser fressen, noch nicht genossenes Wasser
trinken!« Und, bevor sie noch richtig den Vorderfuß
niedergesetzt hat, möchte sie schon den Hinterfuß
aufheben, und nicht möchte sie die noch nicht ge-
kosteten Gräser zu fressen und das noch nicht genossene
Wasser zu trinken bekommen. Und auch zu dem Orte,
wo ihr jener Gedanke kam, da vermöchte sie nicht
heil zurückzukehren. Und warum nicht? Weil eben
jene im Gebirge lebende Kuh, ihr Mönche, unverstän-
dig, unerfahren, des Gebietes unkundig und unfähig
ist, in dem unebenen Gebirge umherzuwandern.
So auch, ihr Mönche, ist da ein Mönch unver-
ständig, unerfahren, des Gebietes unkundig und un-
fähig, den Sinnendingen entrückt, in die erste Ver-
tiefung einzutreten. Auch übt er nicht jene Vorstellung,
erweckt sie nicht, entfaltet sie nicht, hält sie nicht
fest. Dem nun kommt der Gedanke: »Ach, laß mich
doch, nach Aufhebung des Sinnens und Nachdenkens,
in die zweite Vertiefung eintreten!« Doch ist er nicht
imstande, nach Aufhebung des Sinnens und Nach-
denkens, in die zweite Vertiefung einzutreten. Da
denkt er: »So laß mich denn, den Sinnendingen ent-
rückt, in die erste Vertiefung eintreten!« Doch auch
dazu ist er nicht imstande. Dieser Mönch, ihr Mönche,
gilt als beiderseits verirrt und verloren, gleichwie
— 225 — 15
1X35 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
jene im Gebirge lebende unverständige, unerfahrene,
des Gebietes unkundige Kuh, die unfähig ist, in dem
unebenen Gebirge umherzuwandern.
Nehmt nun aber einmal an, ihr Mönche, einer im
Gebirge lebenden Kuh, die verständig, erfahren und
des Gebietes kundig ist und fähig, in dem unebenen
Gebirge umherzuwandern, käme der Gedanke: »Ach,
laß mich doch auf noch nicht betretenes Gebiet gehen
und noch nicht gekostete Gräser fressen, noch nicht
genossenes Wasser trinken!« Und nachdem sie den
Vorderfuß richtig niedergesetzt hat, möchte sie den
Hinterfuß aufheben, und sie möchte die noch nicht
gekosteten Gräser zu fressen und das noch nicht ge-
nossene Wasser zu trinken bekommen. Und auch zu
dem Orte, wo ihr jener Gedanke kam, vermöchte sie
heil zurückzukehren. Und warum? Weil eben jene
im Gebirge lebende Kuh, ihr Mönche, verständig ist,
erfahren, des Gebietes kundig und fähig, in dem un-
ebenen Gebirge umherzuwandern.
So auch, ihr Mönche, ist da ein Mönch verständig,
erfahren, des .Gebietes kundig und fähig, den Sinnen-
dingen entrückt, in die erste Vertiefung einzutreten.
Und er übt jene Vorstellung, erweckt sie, entfaltet sie,
hält sie fest. Da kommt ihm der Gedanke: »So laß
mich denn, nach Aufhebung des Sinnens und Nach-
denkens, in die zweite Vertiefung eintreten!« Und
ohne Mühe tritt er in die zweite Vertiefung ein; und
er übt jene Vorstellung, erweckt sie, entfaltet sie, hält
sie fest. Da kommt ihm der Gedanke: »So laß mich
denn nach Aufhebung der Verzückung in die dritte
Vertiefung eintreten, — in die vierte Vertiefung ein-
treten, — in das Gebiet der Raumunendlicheit ein-
— 226 —
...._.Lj
NEUNERBUCH 1X35
treten, — in das Gebiet des Nichtdaseins eintreten, —
in das Gebiet der Weder-Wahrnehmung-Noch-Nicht-
wahrnehmung eintreten, — in die Aufhebung von
Wahrnehmung und Gefühl eintreten!« Und ohne
Mühe tritt er, nach Aufhebung des Gebietes der Weder-
Wahrnehmung-Noch-Nichtwahrnehmung, in die Auf-
hebung von Wahrnehmung und Gefühl ein.
Wenn, ihr Mönche, der Mönch in alle jene Er-
rcichungszustände eintritt und sich wieder daraus
erhebt, so wird sein Geist geschmeidig und biegsam.
Bei geschmeidigem und biegsamem Geiste aber ist die
Sammlung unbeschränkt und wohl entfaltet. Auf
welche durch höheres Wissen erreichbare Erscheinung
er nun bei unbeschränkter und entfalteter Sammlung
auch immer seinen Geist richtet, um sie weise zu ver-
wirklichen — er erreicht eben da stets die Fähigkeit
sie zu verwirklichen, sobald die Bedingungen erfüllt
sind.
Möchte er der mannigfachen magischen Kräfte
(iddhi) der Reihe nach sich erfreuen, einer seiend viel-
fach werden, vielfach geworden einer werden, er-
scheinen und verschwinden, ungehindert durch Mauern,
Wälle und Berge hindurch schweben gleichsam wie
in der Luft, in der Erde auf- und untertauchen gleich-
sam wie im Wasser, auf dem Wasser dahineilen ohne
unterzusinken, gleichsam wie auf der Erde, durch
die Lüfte sich fortbewegen wie ein beschwingter
Vogel, ja selbst diese Sonne und diesen Mond, die so
mächtigen, so gewaltigen, mit der Hand berühren und
bestreichen, ja gar bis hinauf zur Brahmawelt sich
mit seinem Körper bewegen — er erreicht eben da
— 227 — lö*
1X35 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
stets die Fähigkeit, dies zu verwirklichen, sobald die
Bedingungen erfüllt sind.
Und möchte er mit dem Himmlischen Ohre
(dibba-sota), dem geklärten, übermenschlichen, beide
Arten der Töne vernehmen, himmlische wie mensch-
liche, ob ferne oder nah — er erreicht eben da stets
die Fähigkeit, dies zu verwirklichen, sobald die Be-
dingungen erfüllt sind.
Und möchte er der anderen Wesen, der anderen
Geschöpfe Gesinnung mit seinem Geiste durch-
dringend erkennen, den gierverbundenen Geist als
gierverbunden und den gierlosen als gierlos, den haß-
verbundenen Geist als haßverbunden und den haß-
losen als haßlos, den verblendeten Geist als verblendet
und den unverblendeten als unverblendet, den ge-
sammelten Geist als gesammelt und den ungesammel-
ten als ungesammelt, den entwickelten Geist als ent-
wickelt und den unentwickelten als unentwickelt, den
übertreffbaren Geist als übertreffbar und den unüber-
treffbaren als unübertreffbar, den gefestigten Geist
als gefestigt und den ungefestigten als ungefestigt, den
befreiten Geist als befreit und den unbefreiten als
unbefreit — er erreicht eben da stets die Fähigkeit,
dies zu verwirklichen, sobald die Bedingungen erfüllt
sind.
Und wünscht er sich: »Ach möchte ich doch der
mannigfachen früheren Daseinsformen mich er-
innern, an ein Leben, an zwei, drei, vier und fünf
Leben, an zehn Leben, an zwanzig, dreißig, vierzig
und fünfzig Leben, an hundert Leben, an tausend
Leben, an hundert tausend Leben, an viele Weltent-
stehungen und Weltuntergänge, an das Entstehen und
— 228 —
-^'1
NEUNERBUCH 1X35
Vergehen zahlreicher Weitem ,,Dort war ich, solchen
Namen hatte ich, solcher Familie, solcher Kaste ge-
hörte ich an, so ernährte ich mich, solche Freuden und
Leiden wurden mir zuteil, solcherart war mein Lebens-
ende. Von da abgeschieden trat ich dort wieder ins
Dasein. Dort nun war ich, solchen Namen hatte ich,
solcher Familie, solcher Kaste gehörte ich an, so er-
nährte ich mich, solche Freuden und Leiden wurden
mir zuteil, solcherart war mein Lebensende. Von dort
abgeschieden trat ich hier wieder ins Dasein." Möchte
ich mich doch so rhit den Merkmalen und Einzelheiten
mannigfacher früherer Daseinsformen erinnern!« — :
er erreicht eben da stets die Fähigkeit, dies zu ver-
wirklichen, sobald die Bedingungen erfüllt sind.
Und wünscht er sich: »Ach, möchte ich doch mit
dem Himmlischen Auge (dibba-cakkhu), dem ge-
klärten, übermenschlichen, die Wesen abscheiden und
wiedererscheinen sehen, niedrige wie erhabene, schöne
wie häßliche, glückliche wie unglückliche! Möchte ich
doch erkennen, wie die Wesen ihren Taten entspre-
chend wiedererscheinen, wie die einen Wesen einen
schlechten Wandel in Werken, Worten und Gedanken
führen, Edle beschimpfen, verkehrte Erkenntnis hegen,
nach ihrer verkehrten Erkenntnis handeln und beim
Zerfalle des Leibes, nach dem Tode, auf den Abweg
geraten, eine Leidenstährte, in verstoßene Welt, zur
Hölle; wie aber die anderen Wesen einen guten Wandel
in Werken, Worten und Gedanken führen, die Edlen
nicht beschimpfen, rechte Erkenntnis besitzen, nach
ihrer rechten Erkenntnis handeln und beim Zerfalle
des Leibes, nach dem Tode, auf glückliche Fährte
gelangen, in himmlische Welt. Möchte ich doch so
— 229 —
XI 36 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
mit dem Himmlischen Auge, dem geklärten, über-
menschlichen, die Wesen abscheiden und wiederer-
scheinen sehen, niedrige wie erhabene, schöne wie
häßliche, glückliche wie unglückliche! Möchte ich
doch erkennen, wie die Wesen ihren Taten entsprechend
wiedererscheinen!« — : er erreicht eben da stets die
Fähigkeit, dies zu verwirklichen,* sobald die Beding-
ungen erfüllt sind.
Und möchte er, durch Versiegung der Leiden-
schaften, noch bei Lebzeiten die leidenschaftslose
Gemütserlösung und Wissenserlösung selber erkennen,
verwirklichen und sich zu eigen machen — : er erreicht
eben da stets die Fähigkeit, dies zu verwirklichen,
sobald die Bedingungen erfüllt sind.
36 Die Entfaltung von Gemütsruhe und Hellblick.
Aufgrund der ersten Vertiefung, ihr Mönche,
lehre ich die Versiegung der Leidenschaften, aufgrund
der zweiten Vertiefung, aufgrund der dritten und
vierten Vertiefung, aufgrund des Gebietes der Raum-
unendlichkeit, des Gebietes der Bewußtseinsunendlich-
keit und des Gebietes des Nichtdaseins.
Ich habe also gesagt, ihr Mönche, daß ich auf-
grund der ersten Vertiefung die Versiegung der Leiden-
schaften lehre. Mit Rücksicht aber worauf habe ich
dies gesagt?
Da, ihr Mönche, tritt der Mönch, den Sinnen-
dingen entrückt, in die erste Vertiefung ein. Was es
darin aber an Form gibt, an Gefühl, Wahrnehmung,
Geistesbildungen und Bewußitsein: alle jene Erschei-
nungen betrachtet er als vergänglich, elend und siech,
— 230 —
NEUNERBUCH 1X36
als ein Geschwür, einen Stacliel, ein Übel, ein Leiden,
als Feind und Bedrijcker, als leer und wesenlos. Und
er wendet seinen Geist ab von jenen Erscheinungen
und wendet ihn dem Todlosen Elemente zu: »Das ist
der Friede, das ist das Erhabene, nämlich der Still-
stand aller Daseinsbildungen, die Loslösung von allen
Substraten, die Gierversiegung, Abwendung, Er-
löschung, das Nirwahn. In jenem Zustande erreicht er
der Leidenschaften Versiegung; wenn nicht, tritt er
infolge eben jenes geistigen Begehrens und Ergötzens,
nach Aufhebung der fünf niederen Fesseln, in einer
geistigen Welt wieder in Erscheinung; und dort er-
reicht er das Nirwahn, kehrt nicht mehr von jener
Welt zurück.
Gleichwie, ihr Mönche, ein Bogenschütze oder
dessen Schüler, dadurch daß er sich an einer Stroh-
puppe oder einem Lehmhaufen übt, in der Folgezeit
aus der Ferne trifft, schnell wie ein Blitz schießt und
einen größeren Gegenstand zu zerschmettern vermag:
ebenso, ihr Mönche, tritt da der Mönch den Sinnen-
dingen entrückt, in die erste Vertiefung ein. Was es
darin aber an Form gibt, an Gefühl, Wahrnehmung,
Geistesbildungen und Bewußtsein: alle jene Erschei-
nungen betrachtet er als vergänglich, elend und siech,
als ein Geschwür, einen Stachel, ein Übel, ein Leiden,
als Feind und Bedrücker, als leer und wesenlos. Und
er wendet seinen Geist ab von jenen Erscheinungen
und wendet ihn dem Todlosen Elemente zu: »Das ist
der Friede, das ist das Erhabene, nämlich der Still-
stand aller Daseinsbildungen, die Loslösung von allen
Substraten, die Gierversiegung, Abwendung, Erlö-
sung, das Nirwahn. In jenem Zustande erreicht er
231 —
1X36 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
der Leidenschaften Versiegung; wenn nicht, tritt er
infolge eben jenes geistigen Begehrens und Ergötzens,
nach Aufhebung der fünf niederen Fesseln, in einer
geistigen Welt wieder in Erscheinung; und dort er-
reicht er das Nirwahn, kehrt nicht mehr von jener
Welt zurück.
Habe ich also gesagt, ihr Mönche, daß ich auf-
grund der ersten Vertiefung die Versiegung der Leiden-
schaften lehre, so habe ich das eben mit Rücksicht
hierauf gesagt.
Ich habe gesagt, ihr Mönche, daß ich aufgrund
der zweiten Vertiefung die Versiegung der Leiden-
schaften lehre, aufgrund der dritten und vierten Ver-
tiefung, aufgrund des Gebietes der Raumunendlichkeit,
des Gebietes der Bewußtseinsunendlichkeit und des
Gebietes des Nichtdaseins. Mit Rücksicht aber wo-
rauf habe ich dies gesagt?
Da, ihr Mönche, tritt der Mönch durch völlige
Überwindung des Gebietes der Bewußtseinsunendlich-
keit in das Gebiet des Nichtdaseins ein. Was es darin
aber an Gefühl gibt, an Wahrnehmung, Geistesbil-
dungen und Bewußtsein: alle jene Erscheinungen be-
trachtet er als vergänglich, elend und siech, als ein
Geschwür, einen Stachel, ein Übel, ein Leiden, als
Feind und Bedrücker, als leer und wesenlos. Und er
wendet seinen Geist ab von jenen Erscheinungen und
wendet ihn dem Todlosen Elemente zu: >>Das ist der
Friede, das ist das Erhabene, nämlich der Stillstand
aller Daseinsbildungen, die Loslösung von allen Sub-
straten, die Gierversiegung, Abwendung, Erlöschung,
das Nirwahn. In jenem Zustande erreicht er der
Leidenschaften Versiegung; wenn nicht, tritt er infolge
— 232 —
NEUNERBUCH 1X36
eben jenes geistigen Begehrens und Ergötzens, nach
Aufhebung der fünf niederen Fesseln, in einer geistigen
Welt wieder in Erscheinung; und dort erreicht er das
Nirwahn, kehrt nicht mehr von jener Welt zurijck.«
Gleichwie, ihr Mönche, ein Bogenschütze oder
dessen Schüler, dadurch daß er sich an einer Stroh-
puppe oder einem Lehmhaufen übt, in der Folgezeit
aus der Ferne trifft, schnell wie ein Blitz schießt und
einen größeren Gegenstand zu zerschmettern vermag:
ebenso, ihr Mönche, tritt da der Mönch in das Gebiet
des Nichtdaseins ein. Was es aber darin an Gefühl
gibt, an Wahrnehmung, Geistesbildungen und Be-
wußtsein: alle jene Erscheinungen betrachtet er als
vergänglich, elend und siech, als ein Geschwür, einen
Stachel, ein Übel, ein Leiden, als Feind und Bedrücker,
als leer und wesenlos. Und er wendet seinen Geist ab
von jenen Erscheinungen und wendet ihn dem Tod-
losen Elemente zu: ))Das ist der Friede, das ist das
Erhabene, nämlich der Stillstand aller Daseinsbil-
dungen, die Loslösung von allen Substraten, die Gier-
versiegung, Abwendung, Erlöschung, das Nirwahn.
In jenem Zustande erreicht er der Leidenschaften
Versiegung; wenn nicht, tritt er infolge eben jenes
geistigen Begehrens und Ergötzens, nach Aufhebung
der fünf niederen Fesseln, in einer geistigen Welt
wieder in Erscheinung; und dort erreicht er das Nir-
wahn, kehrt nicht mehr von jener Welt zurück.«
Habe ich also gesagt, ihr Mönche, daß ich auf-
grund des Gebietes des Nichtdaseins die Versiegung
der Leidenschaften lehre, so habe ich das eben mit
Rücksicht hierauf gesagt.
Solange also, ihr Mönche, als es sich noch um eine
— 233 —
1X37 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
mit Wahrnehmung behaftete Erreichung handelt,
solange gibt es noch ein Durchdringen zum Höchsten
Wissen. (1) Was aber, ihr Mönche, diese beiden Ge-
biete anbetrifft, nämlich die Erreichung des Gebietes
der Weder -Wahrnehmung - Noch - Nichtwahrnehmung
und die Aufhebung von Wahrnehmung und Gefühl,
so sollten diese von den sich vertiefenden Mönchen,
die in der Erreichung und Aufhebung der Erreichungs-
zustände erfahren sind, nach stattgehabter Erreichung
und Aufhebung, richtig gepriesen werden: das sage ich.
37 Das wunderbare Gesetz
Das habe ich gehört:
Einst weilte der ehrwi^irdige Änando im Ghosita-
kloster bei Kosambi. Dort wandte sich der ehrwürdige
Änando an die Mönche: ,, Brüder!" sprach er. ,, Bruder!"
erwiderten jene Mönche dem ehrwürdigen Änando.
Und der ehrwürdige Änando sprach:
,, Wunderbar ist es, ihr Brüder, erstaunlich ist es,
ihr Brüder, wie da der Erhabene, der Kenner, der
Seher, der Heilige Vollkommen Erleuchtete inmitten
der Bedrängnis den Ausweg erkannt hat, zur Läuterung
der Wesen, zur Überkommung von Sorge und Klage,'
zur Aufhebung von Schmerz und Trübsal, zur Ge-
winnung des Richtweges und zur Verwirklichung des
Nirwahns. Dasselbe Auge und dieselben f^ormen
(1) Nur die Zustände bis zum 3. formlosen Gebiete, durch sog.
»Nichtdaseinsgebiete« mögen dienen als Grundlagen des durch
tiefen »Hellblick« (vipassanä) zu erreichenden Höchsten Wissens
und somit der Versiegung der Leidenschaften. Die beiden letzten
Gebiete gelten nicht als wahrnehmbare Gebiete.
- 234 —
NEUNERBUCH 1X37
sollen zwar bleiben, doch jenes Sinnengebiet soll man
nicht mehr empfinden. Dasselbe Ohr und dieselben
Töne sollen zwar bleiben, doch jenes Sinnengebiet
soll man nicht mehr empfinden. Dieselbe Nase und
dieselben Düfte sollen zwar bleiben, doch jenes Sinnen-
gebiet soll man nicht mehr empfinden. Dieselbe Zunge
und dieselben Säfte sollen zwar bleiben, doch jenes
Sinnengebiet soll man nicht mehr empfinden. Der-
selbe Körper und dieselben Tastgegenstände sollen
zwar bleiben, doch jenes Sinnengebiet soll man nicht
mehr empfinden.«
Auf diese Worte sprach der ehrwürdige Udäyi
also zum ehrwürdigen Änando:
„Besitzt man da wohl, o Bruder, während man
jenes Gebiet nicht mehr empfindet, Wahrnehmung
■ oder nicht?"
„Man besitzt dabei Wahrnehmung, o Bruder, ist
dabei nicht ohne Wahrnehmung."
,, Welche Wahrnehmung aber, o Bruder, besitzt
man, während man jenes Sinnengebiet nicht mehr
empfindet?"
,,Da, 0 Bruder, gewinnt der Mönch durch völlige
Überwindung der Formwahrnehmungen, das Schwin-
den der Reflexwahrnehmungen und das Nichtbeachten
der Vielheitswahrnehmungen, in der Wahrnehmung:
»Unendlich ist der Raum«, das Gebiet der Raumun-
endlichkeit. Während solcher Wahrnehmung, o
Bruder, empfindet man jenes Sinnengebiet nicht
mehr.
,, Fernerhin, o Bruder, gewinnt der Mönch durch
völlige Überwindung des Gebietes der Raumunendlich-
keit, in der Wahrnehmung: »Unendlich ist das Be-
— 235 —
1X37 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
wußtsein«, das Gebiet der Bewußtseinsunendlichkeit.
Auch während solcher Wahrnehmung, o Bruder,
empfindet man jenes Gebiet nicht mehr,
,, Fernerhin, o Bruder, gewinnt der Mönch durch
völlige Überwindung des Gebietes der Bewußtseins-
unendlichkeit, in der Wahrnehmung: »Nichts ist da«,
das Gebiet des Nichtseins. Auch während solcher
Wahrnehmung, o Bruder, empfindet man jenes Gebiet
nicht mehr.
,, Einst, 0 Bruder, weilte ich bei Saketa, im Hirsch-
parke des Anjanawaldes. Da kam die Nonne Jatila-
gähiyä zu mir und sprach: »Welches Ergebnis, sagt
der Erhabene, ehrwürdiger Änando, hat wohl eine
solche Sammlung, die weder steigt noch fällt, noch
auf mühsam erzwungener Unterdrückung beruht, die
infolge ihrer Loslösung gefestigt ist, infolge ihrer'
Festigkeit voll Seligkeit ist, infolge ihrer Seligkeit
nicht mehr erschüttert wird?« Auf diese Worte er-
widerte ich der Nonne Jatilagähiyä also: »Eine solche
Sammlung, o Schwester, die weder steigt noch fällt,
noch auf mühsam erzwungener Unterdrückung beruht,
die infolge ihrer Loslösung gefestigt ist, infolge ihrer
Festigkeit voll Seligkeit ist, infolge ihrer Seligkeit
nicht mehr erschüttert wird, eine solche Sammlung, o
Schwester, hat das Höchste Wissen zum Ergebnis:
das hat der Erhabene gesagt.«
,,Auch während solcher Wahrnehmung, o Bruder,
empfindet man jenes Sinnengebiet nicht mehr."
— 236
NEUNERBUCH 1X38
Der Welt Ende 38
Zwei brahmanische Materialisten kamen zum Er-
habenen und sprachen:
,,Pürano Kassapo, Herr Gotamo, behauptet, all-
wissend und allerkennend zu sein und einen unbe-
grenzten Erkenntnisblick zu besitzen. Ob er gehe
oder stehe, schlafe oder wache, allezeit sei ihm der
Erkenntnisblick gewärtig. Und mit der unbegrenzten
Erkenntnis, sagt er, erkenne und schaue er die be-
grenzte Welt. Und auch dieser Niganther Näthaputto,
Herr Gotamo, behauptet, allwissend und allerkennend
zu sein und einen unbegrenzten Erkenntnisblick zu
besitzen. Ob er gehe oder stehe, schlafe oder wache,
allezeit sei ihm der Erkenntnisblick gewärtig. Und mit
der unbegrenzten Erkenntnis, sagt er, erkenne und
schaue er die begrenzte Welt. Wer nun aber, Herr
Gotamo, hat von diesen, sich einander bekämpfenden
Lehrern, die beide auf Erkenntnis Anspruch machen,
die Wahrheit gesprochen und wer die Unwahrheit?"
,, Genug damit, ihr Brahmanen! Bleibe es dahin
gestellt, wer von diesen sich einander bekämpfenden
Lehrern, die beide auf Erkenntnis Anspruch machen,
die Wahrheit gesprochen hat und wer die Unwahrheit.
Das Gesetz, ihr Brahmanen, will ich euch darlegen.
So höret denn und achtet wohl auf meine Worte!"
,,Ja, 0 Ehrwürdiger" erwiderten jene Brahmanen dem
Erhabenen. Und der Erhabene sprach:
,, Nehmt an, ihr Brahmanen, es ständen da vier
Männer, den vier Himmelsrichtungen zugewandt, aus-
gestattet mit äußerster Schnelligkeit und Riesen-
schritten. Sie besäßen eine solche Schnelligkeit, wie
— 237 —
feä. _
JX38 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
ein starker, geübter, gewandter, erfahrener Bogen-
schütze mit einem leichten Pfeile mühelos über den
Schatten einer Fächerpalme hinausschießt, und ihr
Schritt wäre so groß wie die Entfernung vom Ost-
meere bis zum Westmeere. Und der nach Osten ge-
richtete Mann — und der nach Westen gerichtete
Mann — und der nach Norden gerichtete Mann —
und der nach Süden gerichtete Mann spräche: »Durch
Gehen will ich der Welt Ende erreichen«. Und ohne
Speise und Trank, ohne etwas zu kauen oder zu ge-
nießen, ohne die Notdurft zu verrichten und ohne sich
Ruhe und Rast zu gönnen, dabei hundert Jahre am
Leben bleibend, wanderte er hundert volle Jahre
lang; ohne aber der Welt Ende erreicht zu haben,
ereilte ihn unterwegs der Tod. Und warum? Weil,
ihr Brahmanen, durch solches Laufen der Welt Ende
eben nicht zu erkennen, zu schauen und zu erreichen
ist: das sage ich. Nicht aber kann man, ihr Brahmanen,
— das sage ich — ohne der Welt Ende erreicht zu
haben, dem Leiden ein Ende machen.
,,Als die Welt, ihr Brahmanen, gelten in der Dis-
ziplin des Edlen folgende fünf Sinnenobjekte: welche
fünf? Die Formen, die Töne, die Düfte, die Säfte
und die Tastungen, die begehren, lieblichen, angeneh-
men, teuren, sinnlichen, reizenden. Diese fünf Sinnen-
objekte, ihr Brahmanen, gelten in der Disziplin des
Edlen als die Welt.
,,Da, ihr Brahmanen, erreicht ein Mönch, den
Sinnendingen entrückt, die erste Vertiefung. Von
diesem Mönche, ihr Brahmanen, wird gesagt, daß er
der Welt Ende erreicht habe, an der Welt Ende ver-
weile. Doch andere behaupten, daß selbst dieser der
— 238 —
NEUNERBUCH 1X39
Welt noch angehöre, der Welt noch nicht entronnen
sei. Und auch ich, ihr Brahmanen, erkläre, daß selbst
dieser der Welt noch angehört, der Welt noch nicht
entronnen ist.
,, Fernerhin, ihr Brahmanen, erreicht da ein Mönch
die zweite Vertiefung, — die dritte Vertiefung, — die
vierte Vertiefung, — das Gebiet der Raumunendlich-
keit, — das Gebiet der Bewußtseinsunendlichkeit, —
das Gebiet des Nichtseins, — das Gebiet der Weder-
Wahrnehmung-Noch-Nichtwahrnehmung. Von diesem
Mönche, ihr Brahmanen, wird gesagt, daß er der Welt
Ende erreicht habe, an der Welt Ende verweile.
Doch andere behaupten, daß selbst dieser der Welt
noch angehöre, der Welt noch nicht entronnen sei.
Und auch ich, ihr Brahmanen, erkläre, daß selbst dieser
der Welt noch angehört, der Welt noch nicht ent-
ronnen ist.
,, Fernerhin, ihr Brahmanen, erreicht da ein
Mönch, durch völlige Überwindung des Gebietes der
Weder -Wahrnehmung - Noch - Nichtwahrnehmung die
Aufhebung von Wahrnehmung und Gefühl. Und nach
weisem Erkennen sind ihm die Leidenschaften zur
Versiegung gelangt. Von diesem Mönche, ihr Brah-
manen, sagt man, daß er der Welt Ende erreicht hat,
daß er entronnen ist dem Haften an der Welt."
Der Kampf der Götter mit den Dämonen 39
Einst, ihr Mönche, hatte sich zwischen den Göt-
tern und den Dämonen ein Kampf entsponnen. In
jenem Kampfe siegten die Dämonen, und die Götter
unterlagen. Die besiegten Götter aber, ihr Mönche,
239
1X39 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
ergriffen voll Angst die Flucht, während die Dämonen
sie nach Norden verfolgten. Da, ihr Mönche, dachten
die Götter: »Diese Dämonen verfolgen uns da. So laßt
uns denn zum zweitenmale mit den Dämonen
kämpfen!«
Und zum zweitenmale, ihr Mönche, zogen die
Götter gegen die Dämonen in den Kampf. Aber auch
zum zweitenmale siegten die Dämonen, und die Götter
unterlagen. Und die besiegten Götter, ihr Mönche,
ergriffen voll Angst die Flucht, während die Dämonen
sie nach Norden verfolgten. Da, ihr Mönche, dachten
die Götter: »Diese Dämonen verfolgen uns da. So
laßt uns denn zum drittenmale mit den Dämonen
kämpfen!«
Und zum drittenmale, ihr Mönche, zogen die
Götter gegen die Dämonen in den Kampf. Aber auch
zum drittenmale siegten die Dämonen, und die Götter
unterlagen. Und die besiegten Götter eilten voll Angst
in ihre Götterburg. Als sie sich aber in ihrer Götter-
burg befanden, da dachten sie: »Nunmehr leben wir
hier vor Gefahren gesichert und haben nichts mehr
zu schaffen mit den Dämonen«.
Einst, ihr Mönche, hatte sich zwischen den Göt-
tern und den Dämonen ein Kampf entsponnen. In
jenem Kampfe siegten die Götter, und die Dämonen
unterlagen. Die besiegten Dämonen aber, ihr Mönche,
ergriffen voll Angst die Flucht, während die Götter sie
nach Süden verfolgten. Da, ihr Mönche, dachten die
Dämonen: »Diese Götter verfolgen uns da. So laßt
uns denn zum zweitenmale mit den Göttern kämpfen!«
Und zum zweitenmale, ihr Mönche, zogen die
Dämonen gegen die Götter in den Kampf. Aber auch
— 240 —
NEUNERBUCH 1X39
zum zweitenmale siegten die Götter, und die Dämonen
unterlagen. Und die besiegten Dämonen, ihr
Mönche, ergriffen voll Anst die Flucht, während die
Götter sie nach Süden verfolgten. Da, ihr Mönche,
dachten die Dämonen: »Diese Götter verfolgen uns
da. So laßt uns denn zum drittenmale mit den Göttern
kämpfen !«
Und zum drittenmale, ihr Mönche, zogen die
Dämonen gegen die Götter in den Kampf. Aber auch
zum drittenmale siegten die Götter, und die Dämonen
unterlagen. Und die besiegten Dämonen eilten voll
Angst in ihre Dämonenburg. Als sie sich aber in ihrer
Dämonenburg befanden, da dachten sie: »Nunmehr
leben wir hier vor Gefahren gesichert und haben nichts
mehr mit den Göttern zu schaffen«. Und auch die
Götter, ihr Mönche, dachten: »Nunmehr leben dort
die Dämonen vor Gefahren gesichert und haben
nichts mehr mit uns zu schaffen«. (1)
(1) Im Kommentare heißt es: „Ehemals bewohnten die Dä-
monen (Asuren) den Himmel der Dreiunddreißig (auf dem Gipfel
des Mahämeru, später am Fuße des Berges). Zur Zeit, als die bunte
Trompetenblume blühte, erinnerten sie sich wieder an die Blüten
des himmlischen Korallenbaumes (auf dem Mahämeru im Himmel
der Dreiimddreißig) ; und von Rache erfüllt stiegen sie, imter dem
Rufe: »Nehmt die Götter gefangen!« ganz nahe bis an den Gipfel
des Mahämeru. Und die Götter kamen hervor; imd ein Kampf
entspann sich wie zwischen Hirtenknaben, die sich mit Ruten
schlagen. Sakko (Sanskrit, Sakra oder Indra) der Götterkönig
stellte mm unterhalb der Stadt an fünf Punkten Schutzwachen
aus, die obere Götterstadt aber ließ er stellen und ließ Figuren auf-
richten, die ihm genau glichen und wie er in der Hand den Donner-
keil schwangen. Die Dämonen, die bereits die fünf Stellungen zu-
rückgeschlagen hatten imd herauf gestiegen waren, kehrten beim
Anblicke der Figuren um imd eilten in ihi'e Dämonenstadt zurück."-
_ 241 — 16
SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Ebenso auch, ihr Mönche: zu einer Zeit, wo der
Mönch in der ersten, zweiten, dritten oder vierten Ver-
tiefung verweilt, zu einer solchen Zeit weiß der Mönch:
»Nunmehr verweile ich hier vor Gefahren gesichert
und habe nichts mehr mit Mahr zu schaffen«. Aber
auch Mahr der Böse weiß: »Nunmehr verweilt da der
Mönch vor Gefahren gesichert und hat nichts mehr
mit mir zu schaffen«.
Zu einer Zeit, ihr Mönche, wo der Mönch in dem
Gebiete der Raumunendlichkeit, der Bewußtseins-
unendlichl<eit, des Nichtseins oder der Weder-Wahr-
nehmung-Noch-Nichtwahrnehmung verweilt, das heißt
es von diesem Mönche, daß er Mahr ein Ende gemacht,
das Auge Mahrs geblendet hat und entgangen ist den
Blicken des Bösen.
Zu einer Zeit, ihr Mönche, wo der Mönch nach
völliger Überwindung des Gebietes der Weder-Wahr-
nehmung-Noch-Nichtwahrnehmung die Aufhebung von
Wahrnehmung und Gefühl erreicht hat und in ihm
nach weisem Erkennen die Leidenschaften versiegt
sind, da heißt es von diesem Mönche, daß er Mahr
ein Ende gemacht, das Auge Mahrs geblendet hat und
entgangen ist den Blicken des Bösen, entronnen
dem Haften an der Welt.
40 Der Elefant der Einsamkeit
Wenn zu einer Zeit, ihr Mönche, wo der Elefant
des Waldes sein Futter sucht, männliche oder weib-
liche, alte oder junge Elefanten, beständig vor ihm
herlaufend, die Spitzen der Gräser abreißen und die
jedesmal abgebrochenen Zweige wegfressen, so wird
_ 242 —
NEUNERBUCH 1X40
eben, ihr Mönche, der Elefant des Waldes darob ver-
drossen, ärgerlich und verstimmt. Wenn zu einer
Zeit, ihr Mönche, wo der Elefant des Waldes in das
Bad gestiegen ist, männliche oder weibliche, alte oder
Junge Elefanten beständig vor ihm herlaufend, mit
dem Rüssel das Wasser aufstören oder die Weibchen
im Vorbeigehen sich an seinem Körper reiben, so wird,
ihr Mönche, der Elefant des Waldes darob verdrossen,
ärgerlich und verstimmt.
Zu einer solchen Zeit, ihr Mönche, da kommt dem
Elefanten des Waldes der Gedanke: »Ich lebe da nun
mitten im Gedränge von männlichen und weiblichen,
alten und jungen Elefanten. Bloß Gräser mit abge-
rissenen Spitzen bekomme ich zu fressen, und die
jedesmal abgebrochenen Zweige fressen mir diese weg.
Aufgestörtes Wasser bekomme ich zu trinken, und
wenn ich in das Bad gestiegen bin, reiben sich die
Weibchen im Vorbeigehen an meinem Körper. Wahr-
lich, ich sollte allein leben, getrennt von der Herde!«
Er lebt nun in der Folgezeit allein und getrennt von
der Herde, frißt Gräser, deren Spitzen noch nicht
abgerissen sind, frißt die jedesmal abgebrochenen
Zweige, trinkt ungetrübtes Wasser und, wenn er ins
Bad gestiegen ist, reiben sich keine Weibchen mehr
im Vorbeigehen an seinem Körper. Zu einer solchen
Zeit, ihr Mönche, da denkt der Elefant des Waldes:
»Früher da lebte ich mitten im Gedränge von männ-
lichen und weiblichen, alten und jungen Elefanten.
Bloß Gräser mit abgerissenen Spitzen bekam ich zu
fressen, und die jedesmal abgebrochenen Zweige
fraßen mir diese weg. Aufgestörtes Wasser bekam ich
jzu trinken, und wenn ich in das Bad gestiegen war,
— 243 — 16"
1X40 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
rieben sich die Weibchen im Vorbeigehen an meinem
Körper. Nunmehr aber lebe ich allein und getrennt
von der Herde, fresse Gräser, deren Spitzen nicht
abgerissen sind, fresse die jedesmal abgebrochenen
Zweige, trinke ungetrübtes Wasser und, wenn ich ins
Bad gestiegen bin, reiben sich keine Weibchen mehr
im Vorbeigehen an meinem Körper.« Und er bricht
sich mit dem Rüssel einen Zweig ab, reibt sich damit
den Körper.
Ebenso auch, ihr Mönche: zu einer Zeit, wo der
Mönch mitten im Gedränge von Mönchen und Nonnen
lebt, mitten im Gedränge von Anhängern und An-
hängerinnen, von Fürsten, königlichen Beamten, Irr-
lehrern und Schülern der Irrlehrer, zu einer solchen
Zeit, ihr Mönche, da kommt dem Mönche der Ge-
danke: »Ich lebe da nun mitten im Gedränge von
Mönchen und Nonnen, mitten im Gedränge von An-
hängern und Anhängerinnen, von Fürsten, königlichen
Beamten, Irrlehrern und Schülern der Irrlehrer.
Wahrlich, ich sollte allein leben, getrennt von der
Menge!« Und er sucht sich eine abgeschiedene Lager-
statt auf, im Walde, am Fuße eines Baumes, auf einem
Berge, in einer Grotte, einer Bergeshöhle, auf einem
Leichenfelde, in einer bewaldeten Ebene, einer Lich-
tung oder auf einem Strohhaufen. Im Walde, am Fuße
eines Baumes oder in einer leeren Behausung ange-
langt, setzt er sich mit untergeschlagenen Beinen
nieder, indem er den Körper gerade aufrichtet und
die Achtsamkeit vor sich heftet.
Weltliche Begierde hat er überwunden; im
Geiste der weltlichen Begierde entronnen verweilt er;.
von weltlicher Begierde läutert er seinen Geist.
— 244 —
NEUNERBUCH 1X40
Den verderblichen Groll hat er überwunden;
haßlosen Geistes verweilt er; zu allen lebenden
Wesen und Geschöpfen voll Wohlwollen und Mitge-
fühl läutert er seinen Geist von dem verderblichen
Grolle.
Stumpfheit und Mattigkeit hat er überwunden;
frei von Stumpfheit und Mattigkeit verweilt er, hellen
Geistes, achtsam, klarbewußt; von Stumpfheit und
Mattigkeit läutert er seinen Geist.
Aufgeregtheit und Gewissensunruhe hat er
überwunden; ohne Aufregung verweilt er, innerlich
beruhigten Geistes; von Aufgeregtheit und Gewissens-
unruhe läutert er seinen Geist.
Zweifel sucht hat er überwunden; zweifel-
entronnen verweilt er, zweifelt nicht am Guten;
von Zweifelsucht läutert er seinen Geist.
Befreit von diesen fünf Hemmungen, den Trü-
bungen des Geistes, den Lähmungen der Einsicht, ge-
winnt er, den Sinnendingen entrückt, entrückt den
schuldvollen Erscheinungen, die mit Sinnen und Nach-
denken verbundene, in der Entrückung geborene, von
Verzückung und Glückseligkeit erfüllte erste Ver-
tiefung. Und zufrieden Nach dem Sch^vin-
den des Sinnens und Nachdenkens aber gewinnt
er die zweite Vertiefung, — gewinnt er die dritte
Vertiefung, — gewinnt er die vierte Vertiefung, —
gewinnt er das Gebiet der Raumunendlichkeit, —
gewinnt er das Gebiet der Bewußtseins-unendlich-
keit, — gewinnt er das Gebiet des Nichtdaseins, —
gewinnt er das Gebiet der Weder-Wahrnehmung Noch-
Nichtwahrnehmung, — gewinnt er die Aufhebung von
— 245 —
1X41 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Wahrnehmung und Gefühl; und nach weisem Er-
kennen gelangen in ihm die Leidenschaften zur Ver-
siegung. Und zufrieden ....
41 Der Abgrund der Entsagung
Das habe ich gehört:
Einst weilte der Erhabene im Lande der Malater^
in der Malaterstadt Uruvelakappa. Und der Erhabene
kleidete sich in der Frühe an, nahm Gewand und Schale
und begab sich nach Uruvelakappa um Almosen. Nach
dem er vom Almosengange zurückgekehrt war und
sein Mahl beendet hatte, wandte er sich am Nach-
mittage zum ehrwürdigen Änando und sprach: „Bleibe
hier, Änando, während dessen ich in den Großen Wald
gehe, um dort den Tag zu verbringen!" ,,Ja, o Ehr-
würdiger!" erwiderte der ehrwürdige Änando dem Er-
habenen. Der Erhabene aber begab sich in das Innere
des Großen Waldes und setzte sich am Fuße eines
Baumes nieder, um dort den Tag zu verbringen.
Und der Hausvater Tapusso kam zum ehrwür-
digen Änando, begrüßte ihn ehrfurchtsvoll und setzte
sich zur Seite nieder. Zur Seite aber sitzend sprach
der Hausvater Tapusso also zum ehrwürdigen Änando:
,,Wir als Hausleute, o ehrwürdiger Änando, ge-
nießen die Sinnendinge, finden an den Sinnendingen
Freude, Gefallen und Entzücken. Uns Hausleuten
aber, o Ehrwürdiger, die wir die Sinnendinge genießen,
an den Sinnendingen Freude, Gefallen und Entzücken
finden, uns dünkt die Entsagung gleichsam ein Ab-
grund. Doch gehört habe ich, o Ehrwürdiger, daß in
diesem Gesetze und dieser Disziplin schon bei ganz
- 246 -
NEUNERBUCH 1X41
jungen Mönchen das Herz einen Drang fühlt, zur Ent-
sagung, dazu neigt, sich festigt und die Befreiung findet,
in der Erkenntnis: »Dies ist der Friede!« Die Entsagung
eben ist es, o Ehrwürdiger, worin in diesem Gesetze
und dieser Disziplin die Mönche sich von der großen
Masse unterscheiden."
,,Ja, 0 Hausvater, so sagt man. Laßt uns, o Haus-
vater, den Erhabenen aufsuchen! Laßt uns zum Er-
habenen gehen und dem Erhabenen diese Sache mit-
teilen! Wie der Erhabene sie erklären wird, so wollen
wir sie uns merken." ,,Gut!" erwiderte der Haus-
vater dem ehrwürdigen Änando. Und der ehrwürdige
Änando begab sich, zusammen mit dem Hausvater
Tapusso, zum Erhabenen und teilte ihm die Sache mit.
[Der Erhabene:] ,,So ist es, Änando! So ist es, Änando!
Auch ich, Änando, hatte vor meiner vollen Erleuch-
tung, als ich noch nicht völlig erleuchtet und noch ein
Anwärter auf Erleuchtung (bodhisatto) war, den Ge-
danken: »Etwas Gutes ist die Entsagung, etwas Gutes
ist die Abgeschiedenheit!« Doch mein Herz, Änando,
fühlte keinen Drang zur Entsagung, neigte nicht dazu,
festigte sich nicht und fand keine Befreiung. Da,
Änando, fragte ich mich: »Was ist da wohl die Ur-
sache, was der Grund?« Und der Gedanke kam mir:
»Nicht habe ich das Übel der Sinnendinge erkannt und
oft erwogen, habe den Segen der Entsagung noch nicht
empfunden und erwirkt: darum eben fühlt mein Herz
keinen Drang zur Entsagung, neigt nicht dazu, festigt
sich nicht und findet keine Befreiung.« Ich sagte dir
daher: »Wenn ich das Übel der Sinnendinge erkenne
und oft erwäge, den Segen der Entsagung empfinde
und .erwirke, so mag es wohl sein, daß dann mein Herz
247 —
1X41 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
einen Drang fühlt zur Entsagung, dazu neigt, sich
festigt und die Befreiung findet.« Und in der Folge-
zeit, Änando, erkannte und erwog ich oft das Übel
der Sinnendinge, und ich empfand und erwirkte den
Segen der Entsagung, sodaß mein Herz einen Drang
fühlte zur Entsagung, dazu neigte, sich festigte und
die Befreiung fand, in der Erkenntnis: »Dies ist der
Frieden!"
,,ln der Folgezeit, Änando, den Sinnendingen
entrückt, entrückt den schuldvollen Erscheinungen,
gewann ich die erste Vertiefung. Während ich aber,
Änando, in diesem Zustande verweilte, stiegen mir
mit Sinnlichkeit verbundene Wahrnehmungen und Er-
wägungen auf. Das aber gilt mir als Gebrechen. Gleich-
wie nämlich, Änando, einen Glücklichen ein Unglück
oder gar ein Gebrechen befallen mag, genau so stiegen
mir die mit Sinnlichkeit verbundenen Wahrneh-
mungen und Erwägungen auf. Das aber galt mir als
Gebrechen.
Es kam mir nun, Änando, der Gedanke: »So laß
mich denn, nach Aufhebung des Sinnens und Nach-
denkens, in die zweite Vertiefung eintreten!« Doch
mein Herz, Änando, fühlte keinen Drang zur Auf-
hebung des Sinnens und Nachdenkens, neigte nicht
dazu, festigte sich nicht und fand keine Befreiung.
Da, Änando, fragte ich mich: »Was ist da wohl die
Ursache, was der Grund?« Und der Gedanke kam
mir: »Nicht habe ich das Übel des Sinnens und Nach-
denkens erkannt und oft erwogen, habe den Segen der
Aufhebung des Sinnens und Nachdenkens noch nicht
empfunden und erwirkt: darum eben fühlt mein Herz
keinen Drang zur Aufhebung des Sinnens und Nach-
— 248 —
NEUNERBUCH 1X41
denkens, neigt nicht dazu, festigt sich nicht und findet
keine Befreiung.« Ich sagte mir daher: »Wenn ich
das Übel des Sinnens und Nachdenkens erkenne und
oft erwäge, den Segen der Aufhebung des Sinnens und
Nachdenkens empfinde und erwirke, so mag es wohl
sein, daß dann mein Herz einen Drang zur Aufhebung
des Sinnens und Nachdenkens fühlt, dazu neigt, sich
festigt und die Befreiung findet.« Und in der Folge-
zeit, Änando, erkannte und erwog ich oft das Übel
des Sinnens und Nachdenkens, und ich empfand und
erwirkte den Segen der Aufhebung des Sinnens und
Nachdenkens, sodaß mein Herz einen Drang fühlte
zur Aufhebung des Sinnens und Nachdenkens, dazu
neigte, sich festigte und die Befreiung fand, in der Er-
kenntnis: '>Dies ist der Friede!« In der Folgezeit,
Änando, trat ich nach Aufhebung des Sinnens und
Nachdenkens, in die zweite Vertiefung ein. Während
ich aber, Änando, in diesem Zustande verweilte, stiegen
mir mit Sinnen und Nachdenken verbundene Wahr-
nehmungen und Erwägungen auf. Das aber galt mir
als Gebrechen. Gleichwie nämlich, Änando, einen
Glücklichen ein Unglück oder gar ein Gebrechen be-
fallen mag, genau so stiegen mir die mit Sinnen und
Nachdenken verbundenen Wahrnehmungen und Er-
w^ägungen auf. Das aber galt mir als Gebrechen.
,,Es kam mir nun, Änando, der Gedanke: »So
laß mich denn nach Abwendung von der Verzückung
in die dritte Vertiefung eintreten! — nach dem Schwin-
den der Freuden und Leiden in die vierte Vertiefung
eintreten! — laß mich, durch völlige Überwindung der
Formwahrnehmungen, in das Gebiet der Raumunend-
lichkeit eintreten! — laß mich, durch völlige Über-
— 249 —
1X41 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Windung des Gebietes der Raumunendlichkeit, in das
Gebiet der Bewußtseinsunendlichkeit eintreten! — laß
mich, durch völlige Überwindung des Gebietes der
Bewußtseinsunendlichkeit, in das Gebiet des Nicht-
daseins eintreten! — laß mich, durch völlige Über-
windung des Gebietes des Nichtdaseins in das Gebiet
der Weder - Wahrnehmung - Noch - Nichtwahrnehmung
eintreten! — laß mich, durch völlige Überwindung des
Gebietes der Weder-Wahrnehmung-Noch-Nichtwahr-
nehmung, in die Aufhebung von Wahrnehmung und
Gefühl eintreten!« Doch mein Herz, Änando, fühlte
keinen Drang zur Aufhebung von Wahrnehmung und
Gefühl, neigte nicht dazu, festigte sich nicht und fand
keine Befreiung. Da, Änando, fragte ich mich: »Was
ist da wohl die Ursache, was der Grund?« Und der
Gedanke kam mir: »Nicht habe ich das Übel des Ge-
bietes der Weder- Wahrnehmung-Noch-Nichtwahrneh-
mung erkannt und oft erwogen, habe den Segen der
Aufhebung von Wahrnehmung und Gefühl noch nicht
empfunden und erwirkt: darum eben fühlt mein Herz
keinen Drang zur Aufhebung von Wahrnehmung und
Gefühl, neigt nicht dazu, festigt sich nicht und findet
keine Befreiung.« Ich sagte mir daher: '>Wenn ich das
Übel des Gebietes der Weder-Wahrnehmung-Noch-
Nichtwahrnehmung erkenne und oft erwäge, den Segen
der Aufhebung von Wahrnehmung und Gefühl emp-
finde und erwirke, so mag es wohl sein, daß dann mein
Herz einen Drang fühlt zur Aufhebung von Wahr-
nehmung und Gefühl, dazu neigt, sich festigt und die
Befreiung findet.« Und in der Folgezeit, Änando, er-
kannte und erwog ich oft das Übel des Gebietes der
Weder- Wahrnehmung-Noch-Nichtwahrnehmung, und
— 250 —
NEUNERBUCH 1X41
ich empfand und erwirkte den Segen der Aufhebung
von Wahrnehmung und Gefühl, sodaß mein Herz einen
Drang fijhlte zur Aufhebung von Wahrnehmung und
Gefühl, dazu neigte, sich festigte und die Befreiung
fand in der Erkenntnis: »Dies ist der Frieden!« In
der Folgezeit, Änando, trat ich nach völliger Über-
windung des Gebietes der Weder-Wahrnehmung-Noch-
Nichtwahrnehmung in die Aufhebung von Wahrneh-
mung und Gefühl ein; und weise erkennend gelangten
in mir die Leidenschaften zur Versiegung.
,, Solange. Anando, als ich noch nicht in diese
neun aufeinanderfolgenden Erreichungszustände, in
vorwärts wie rückwärts schreitender Weise, eingetreten
war und mich wieder aus ihnen erhoben hatte, solange,
Änando, war ich nicht gewiß, ob ich die in der Welt
der Dewen, Mahren und Götter, der Schar der Asketen
und Priester, Himmelswesen und Menschen unüber-
troffene höchste Erleuchtung gewonnen hatte. Sobald
aber, Änando, als ich in diese neun aufeinanderfolgenden
Erreichungszustände, in vorwärts wie rückwärts schrei-
tender Weise, eingetreten war und mich wieder aus
ihnen erhoben hatte, da war ich gewiß, daß ich die in
der Welt der Dewen, Mahren und Götter, der Schar
der Asketen und Priester, Himmelswesen und Menschen
unübertroffene höchste Erleuchtung gewonnen hatte.
Und in mir stieg das Wissen und die Erkenntnis auf:
»Unerschütterlich ist meine Gemütserlösung. Dies ist
meine letzte Geburt. Kein neues Dasein mehr steht
mir bevor.«"
— 251 —
1X42 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
FÜNFTER TEIL:
Das Kapitel des Pancalo
42 Der Ausweg ays der Beklemmung
[Bei Kosambi im Ghositaklosterl
Der ehrwürdige Udäyi sprach zum ehrwürdigen Anando:
,, Folgendes, o Bruder, wurde gesagt von Pancäla-
cando dem Himmelssohne:
»Aus der Beklemmung hat den Ausweg
Der Wissensmächtige erkannt,
Der die Vertiefung fand, der Buddha,
Der abgelöste, weise Held«.
,,Was hat da wohl, o Bruder, der Erhabene als
Beklemmung bezeichnet und was als den Ausweg
aus der Beklemmung?"
,, Folgende fünf Sinnenobjekte, o Bruder, hat der
Erhabene als Beklemmung bezeichnet: welche fünf?
, Die Formen, die Töne, die Düfte, die Säfte und die
Tastungen, die begehrten, lieblichen, angenehmen,
teuren, sinnlichen, reizenden: Diese fünf Sinnenob-
jekte, 0 Bruder, hat der Erhabene als Beklemmung
bezeichnet.
,,Da, 0 Bruder, tritt der Mönch, den Sinnendingen
entrückt, in die erste Vertiefung ein. Insofern, o
Bruder, hat der Erhabene einen Ausweg aus der Be-
klemmung gelehrt, in gewisser Hinsicht. (1) Aber
(1) In gewisser Hinsicht nämlich insofern, als dieser Ausweg
bloß eine zeitweilige Befreiung von den Sinnendingen bedeutet
— 252 —
NEUNERBUCH 1X42
auch hier gibt es eine Beklemmung; und welches ist
da die Beklemmung? Daß da das Sinnen und Nach-
denken noch nicht geschwunden ist, das ist da die
Beklemmung.
,, Fernerhin, o Bruder, tritt der Mönch nach Auf-
hebung des Sinnens und Nachdenkens in die zweite
Vertiefung ein. Insofern, o Bruder, hat der Erhabene
einen Ausweg aus der Beklemmung gelehrt, in ge-
wisser Hinsicht. Aber auch hier gibt es eine Be-
klemmung; welches ist da die Beklemmung? Daß da
die Verzückung noch nicht geschwunden ist, das
ist da die Beklemmung.
,, Fernerhin, o Bruder, tritt der Mönch nach Ab-
wendung der Verzückung in die dritte Vertiefung ein.
Auch insofern, o Bruder, hat der Erhabene einen Aus-
weg aus der Beklemmung gelehrt, in gewisser Hin-
sicht. Aber auch hier gibt es eine Beklemmung;
und welches ist da die Beklemmung? Daß da die
gleichmütige Freude noch nicht geschwunden ist,
das ist da die Beklemmung.
,, Fernerhin, o Bruder, tritt der Mönch nach Auf-
hebung von Freuden und Leiden in die vierte Ver-
tiefung ein — tritt, durch völlige Überwindung der
Formwahrnehmungen, in das Gebiet der Raumunend-
lichkeit ein — tritt, durch völlige Überwindung des
Gebietes der Raumunendlichkeit, in das Gebiet der
Bewußtseinsunendlichkeit ein — tritt, durch völlige
Überwindung des Gebietes der Bewußtseinsunend-
imd noch keine endgültige und restlose Versiegung aller Leiden-
schaften, die nur durch durchdringenden »Hellblick« (vipassanä) in
die Vergänglichkeit, das Elend iind die Wesenlosigkeit aller Daseins-
formen verwirklicht werden kann.
— 253 —
XI 43 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
lichkeit, in das Gebiet des Nichtdaseins ein — tritt,
durch völlige Überwindung des Gebietes des Nicht-
daseins, in das Gebiet der Weder- Wahrnehmung-Noch-
Nichtwahrnehmung ein. Auch insofern, o Bruder, hat
der Erhabene einen Ausweg aus der Beklemmung ge-
lehrt, in gewisser Hinsicht. Aber auch hier gibt
es eine Beklemmung; und welches ist da die Beklem-
mung?
,, Fernerhin, o Bruder, tritt der Mönch nach völliger
Überwindung des Gebietes der Weder-Wahrnehmung-
Noch-Nichtwahrnehmung in die Aufhebung von Wahr-
nehmung und Gefühl ein; und nach weisem Erkennen
gelangen in ihm die Leidenschaften zur Versiegung.
Insofern, o Bruder, hat der Erhabene einen Ausweg
aus der Beklemmung gelehrt und zwar in jeder Hinsicht.
^3 Der Körperzeuge (käya-sakkhi)
Man spricht da, o Bruder, von e.nem Körper-
zeugen. Inwiefern aber, o Bruder, hat der Erhabene
einen als Körperzeugen bezeichnet?
Da, 0 Bruder, gewinnt der Mönch, den Sinnen-
dingen entrückt, die erste Vertiefung; und wieweit
auch immer jenes Gebiet reicht, soweit hat er es in
eigener Person verwirklicht. Insofern, o Bruder, hat
der Erhabene einen, in gewisser Hinsicht, als Körper-
zeugen bezeichnet.
Fernerhin, o Bruder, gewinnt der Mönch die
zweite Vertiefung, — die dritte Vertiefung, — die
vierte Vertiefung, — das Gebiet der Raumunendlich-
keit, — das Gebiet der Bewußtseinsunendlichkeit, —
das Gebiet des Nichtdaseins, — das Gebiet der Weder-
— 254 —
NEUNERBUCH 1X44
Wahrnehmung-Noch-Nichtwahrnehmung; und wieweit
auch immer jenes Gebiet reicht, soweit hat er es in
eigener Person verwirklicht. Auch insofern, o Bruder,
hat der Erhabene einen, in gewisser Hinsicht, als
Körperzeugen bezeichnet.
Fernerhin, o Bruder, gewinnt der Mönch" durch
völlige Überwindung des Gebietes der Weder-Wahr-
nehmung-Noch-Nichtwahrnehmung die Aufhebung von
Wahrnehmung und Gefühl; und wieweit auch immer
jenes Gebiet reicht, soweit hat er es in eigener Person
verwirklicht. Insofern, o Bruder hat der Erhabene
einen, in jeder Hinsicht, als Körperzeugen bezeichnet.
Der Wissenserlöste (pafinä-vimutta) 4*
Man spricht da, o Bruder, von »Wissenserlöst«.
Inwiefern aber, o Bruder, hat der Erhabene einen als
Wissenserlösten bezeichnet?"
Da, 0 Bruder, gewinnt der Mönch, den Sinnen-
dingen entrückt, die erste Vertiefung; und mit seiner
Einsicht durchdringt er sie. Insofern, o Bruder, hat
der Erhabene einen in gewisser Hinsicht als Wissens-
erlösten bezeichnet.
Fernerhin, o Bruder, gewinnt der Mönch die
zweite Vertiefung, — die dritte Vertiefung — die
vierte Vertiefung, — das Gebiet der Raumunendlich-
keit, — das Gebiet der Bewußtseinsunendlichkeit. —
das Gebiet des Nichtseins, ~ das Gebiet der Weder-
Wahrnehmung-Noch-Nichtwahrnehmung; und mit sei-
ner Einsicht durchdringt er jenes Gebiet. Auch in-
sofern, 0 Bruder, hat der Erhabene einen in gewisser
Hinsicht als Wissenserlösten bezeichnet.
— 255 —
1X45 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Fernerhin, o Bruder, gewinnt der Mönch, durch
völlige Überwindung des Gebietes der Weder-Wahrneh-
mung-Noch- NichtWahrnehmung, die Aufhebung von
Wahrnehmung und Gefühl; und in Einsicht erkennend
gelangen die Leidenschaften in ihm 7ur Versiegung,
und mit seiner Einsicht durchdringt er jenes Gebiet.
Insofern, o Bruder, hat der Erhabene einen in jeder
Hinsicht als Wissenserlösten bezeichnet.
45 Der Beiderseitserlöste (ubhato-bhaga-vimutta)
Man spricht da^ o Bruder, von »Beiderseitserlöst«.
Inwiefern aber, o Bruder, hat der Erhabene einen als
Beiderseitserlösten bezeichnet?
Da, 0 Bruder, gewinnt der Mönch die erste, zweite,
dritte oder vierte Vertiefung, das Gebiet der Raum-
unendlichkeit, der Bewußtseinsunendlichkeit, des Nicht-
seins oder der Weder- Wahrnehmung-Noch-Nichtwahr-
nehmung; und wieweit auch immer jenes Gebiet reicht,
soweit hat er es in eigener Person verwirklicht, und
mit seiner Einsicht durchdringt er es. Insofern, o
Bruder, hat der Erhabene einen, in gewisser Hinsicht,
als Beiderseitserlösten bezeichnet.
Fernerhin, o Bruder, gewinnt der Mönch, durch
völlige Überwindung des Gebietes der Weder-Wahrneh-
mung-Noch-Nichtwahrnehmung, die Aufhebung von
Wahrnehmung und Gefühl; und wieweit auch immer
jenes Gebiet reicht; soweit hat er es in eigener Person
verwirklicht, und mit seiner Einsicht durchdringt er
— 256 —
y
NEUNERBUCH 1X46—51
es. Insofern, o Bruder, hat der Erhabene einen, in
jeder Hinsicht, als Beiderseitserlösten bezeichnet. (1)
Das Nirwahn 46—51
Man spricht da, o Bruder, von einem sichtbaren
Gesetze, — von einem sichtbaren Nirwahn, — einem
Nirwahn, — einem vollkommenen Nirwahn, — einem
teilweisen Nirwahn, — einem Nirwahn bei Lebzeiten.
Was aber, o Bruder, hat der Erhabene darüber gesagt?
Da, 0 Bruder, gewinnt der Mönch die erste, zweite,
dritte oder vierte Vertiefung, das Gebiet der Raum-
unendlichkeit, der Bewußtseinsunendlichkeit, des Nicht-
seins und der Weder-Wahrnehmung-Noch-Nichtwahr-
nehmung. Das, o Bruder, hat der Erhabene als das
Nirwahn erklärt, in gewisser Hinsicht.
Fernerhin, o Bruder, gewinnt der Mönch, durch
völlige Überwindung des Gebietes der Weder-Wahr-
nehmung-Noch-Nichtwahrnehmung, die Aufhebung von
Wahrnehmung und Gefühl; und weise erkennend ge-
langen in ihm die Leidenschaften zur Versiegung. Das,
0 Bruder, hat der Erhabene als das Nirwahn erklärt,
in jeder Hinsicht^ ___^
(1) Als »Körperzeuge« (käya-sakkhi) gilt derjenige, der
eine oder mehrere Vertiefimgen ganz imd gar meistert, der also in
Gemütsruhe (samatha) stark entwickelt ist, aber nicht im Hell-
blicke (vipassanä). Auch der »Einsichtserlöste« (pannä-vi-
mutta) mag — wenn auch nicht notwendigerweise (s. Samyutta-
Nikäya) — die Vertiefungen teilweise oder ganz erreichen, aber
meistert sie keineswegs in dem Grade wie der Körperzeuge; sein
Vorzug besteht eben in seinem Hellblicke, während seine Gemüts-
ruhe nicht in demselben Grade entwickelt ist. Im »Beider sei ts-
erlösten« (ubhatobhäga-vimutta) sind sowohl die Vorzüge des
Körperzeugen als auch des Einsichtserlösten vollkommen ver-
treten,
— 257 — "
XI 61 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
SECHSTER TEIL:
Das Kapitel des Friedens
52—61 Der Frieden
Man spricht da, o Bruder, vom Frieden, — von
der Erreichung des Friedens, — vom Todlosen, — von
der Erreichung des Todlosen, — vom Furchtlosen, —
von der Erreichung des Furchtlosen, — von Beruhigung,
von allmählicher Beruhigung, — von Aufhebung, —
von allmählicher Aufhebung. < Was aber, o Bruder, hat
der Erhabene darüber gesagt?
Da, 0 Bruder, gewinnt der Mönch die erste, zweite,
dritte oder vierte Vertiefung, das Gebiet der Raum-
unendlichkeit, der Bewußtseinsunendlichkeit, des Nicht-
seins und der Weder-Wahrnehmung-Noch-Nichtwahr-
nehmung. Das, o Bruder, hat der Erhabene als die
allmähliche Erlöschung bezeichnet, in gewisser Hinsicht.
Fernerhin, o Bruder, gewinnt der Mönch, durch
völlige Überwindung des Gebietes der Weder- Wahrneh-
mung-Noch-Nichtwahrnehmung die Aufhebung von
Wahrnehmung und Gefühl; und weise erkennend ge-
langen in ihm die Leidenschaften zur Versiegung. Das,
0 Bruder, hat der Erhabene, in jeder Hinsicht, als die
allmähliche Erlöschung bezeichnet.
— 258 —
NEUNERBUCH
Das Arahattum (Heiligkeit) 62
Ohne, ihr Mönche, neun Erscheinungen über-
wunden zu haben, ist man außerstande, das Arahattum
zu verwirklichen: welche neun Erscheinungen?
Gier, Haß, Verblendung, Zorn, Wut, Heuchelei,
Eifersucht, Neid und Geiz.
Wer aber, ihr Mönche, diese neun Erscheinungen
überwunden hat, ist imstande das Arahattum zu ver-
wirklichen.
- 259 - 17^
1X67 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
SIEBENTER TEIL:
Das Kapitel der Grundlagen der
Achtsamkeit, der rechten Anstren-
gungen und der Machtfährten
3—92 Ueberwindung
Fünf Lähmungen der Askese gibt es, ihr Möncher
das Töten, Stehlen, geschlechtliche Ausschreiten, Lügen
und Genießen berauschender Getränke. Zur Über-
windung dieser fünf Lähmungen der Askese aber, ihr
Mönche, hat man die vier Grundlagen der Achtsam-
keit zu entfalten.
64 Fünf Hemmungen gibt es, ihr Mönche: Sinnen-
lust, Groll, geistige Stumpfheit und Mattigkeit, Auf-
geregtheit und Gewissensunruhe, Zweifelsucht.
65 Fünf Sinnenobjekte gibt es, ihr Mönche: die
Formen, Töne, Düfte, Säfte und Tastungen, die be-
gehrten, leiblichen, angenehmen, teuren, sinnlichen,
reizenden. —
66 Fünf mit Anhaften verbundene Aggregate gibt
es, ihr Mönche: das mit Anhaften verbundene Aggregat
der Form, das mit Anhaften verbundene Aggregat des
Gefühls, das mit Anhaften verbundene Aggregat der
Wahrnehmung, das mit Anhaften verbundene Aggregat
der Geistesbildungen, das mit Anhaften verbundene
Aggregat des Bewußtseins. —
67 Fünf niedere Fesseln gibt es, ihr Mönche: Per-
sönlichkeitsglaube, Hang an Sitten und Riten, Zweifel,
Sinnenlust und Groll. —
— 260 —
NEUNERBUCH 1X72
Fünf Ausgänge gibt es, ihr Mönche: Hölle, Tier- 68
schoß, Gespensterreich und Himmelswesen. —
Fünf Arten des Geizes gibt es, ihr, Mönche: Geiz 69
hinsichtlich der Wohnung, hinsichtlich der Familien,
hinsichtlich des Gewinnes, hinsichtlich des Ansehens
und hinsichtlich geistiger Dinge. —
Fünf höhere Fesseln gibt es, ihr Mönche: Be- 70
gehren nach formhaftem Dasein, Begehren nach form-
losem Dasein, Dünkel, Aufgeregtheit und Unwissen-
heit. —
Fünf Geistesverhärtungen gibt es, ihr Mönche: 71
welche fünf? Da, ihr Mönche, schwankt und zweifelt
der Mönch hinsichtlich des Meisters, — schwankt und
zweifelt hinsichtlich des Gesetzes, — schwankt und
zweifelt hinsichtlich der Jüngerschaft, — schwankt
und zweifelt hinsichtlich der Askese, — ist wegen seiner
Ordensbrüder erregt, geistig niedergeschlagen und voll
Widerspenstigkeit.
Fünf Geistesumstrickungen gibt es, ihr '^2
-Mönche: welche fünf? Da, ihr Mönche, ist der Mönch
nicht frei von Gier hinsichtlich der Sinnendinge, —
nicht frei von Gier hinsichtlich des Körpers, — nicht
frei von Gier hinsichtlich der Formen, — wenn er seinen
Leib vollgegessen hat, findet er Genuß daran, sich
auszuruhen, sich auf die Seite zu legen und einzu-
schlummern; — in der Hoffnung auf einen Himmel
führt er den Heiligen Wandel, denkend: »Infolge dieser
Übung, dieser Bußaskese, dieses heiligen Wandels
werde ich als Gott wiedererscheinen oder als einer unter
den Himmelwesens.« —
Zur Überwindung dieser Erscheinungen aber, ihr
Mönche, hat man die vier Grundlagen der Acht-
— 261 —
IX 100 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
samkeit zu entfalten, hat man die vier Rechten
Anstrengungen zu entfalten, hat man die vier
Machtfährten zu entfalten.
93_100 Erlöschung
Zur Erkennung und völligen Durchschauung von
Gier, ihr Mönche, von Haß, Verblendung, Zorn, Wut,
Verkleinerungssucht, Neid, Geiz, Gleisnerei, Falsch-
heit, Hartnäckigkeit, Heftigkeit, Dünkel, Hochmut,
Eitelkeit und Nachlässigkeit und zu dieser Dinge
völligen Vernichtung, Überwindung, Versiegung, Er-
löschung, Abwendung, Zerstörung, Entsagung und
Loslösung hat man neunerlei Dinge zu entfalten:
welche neun?
Die Betrachtung der Unreinheit, die Betrachtung
des Todes, die Betrachtung des Ekels, der Nahrung,
die Betrachtung der Reizlosigkeit der ganzen Welt,
die Betrachtung der Vergänglichkeit, die Betrachtung
des Leidens bei der Vergänglichkeit, die Betrachtung
der Wesenlosigkeit beim Leiden, die Betrachtung der
Überwindung, die Betrachtung der Abwendung. —
Die erste Vertiefung, die zweite Vertiefung, die
dritte Vertiefung, die vierte Vertiefung, das Gebiet
der Raumunendlichkeit, das Gebiet der Bewußtseins-
unendlichkeit, das Gebiet des Nichtdaseins, das Ge-
biet der Weder-Wahrnehmung-Noch-Nichtwahrneh-
mung und die Aufhebung von Wahrnehmung und
Gefühl.
Ende des Neunerbuches.
— 262 —
.-a
ZEHNERBUCH XI
Das Zehnerbuch
ERSTER TEIL:
Das Kapitel der Sittliclikeit
Der Segen der Sittlichkeit
[Im Jetahaine bei Sävatthi]
Der ehrwürdige Änando sprach zum Erhabenen:
,,Was, 0 Ehrwürdiger, ist der Segen und Lohn
der verdienstvollen Sitten?"
„Reuelosigkeit, Änando, ist der Segen und Lohn
der verdienstvollen Sitten."
„Was aber, o Ehrwürdiger, ist der Segen und
Lohn der Reuelosigkeit?" ^
,, Freude, Änando."
,,Und was, o Ehrwürdiger, ist der Segen und Lohn
der Freude?"
, »Verzückung, Änando."
,,Und der Verzückung, o Ehrwürdiger?"
,, Beruhigung, Änando,"
,,Und der Beruhigung, o Ehrwürdiger?"
,, Glück, Änando."
,,Und des Glückes, o Ehrwürdiger?"
,, Sammlung, Änando."
,,Und der Sammlung, 0 Ehrwürdiger?"
„Wahrheitsgemäßer Erkenntnisblick, Änando."
^ 263 —
X2 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
„Und des wahrheitsgemäßen Erkenntnisblickes,
0 Ehrwürdiger?"
„Daseinsüberdruß und Abwendung, Änando."
,,Und des Daseinsüberdrusses und der Abwen-
dung, 0 Ehrwürdiger?"
,,Der Erkenntnisblick der Erlösung, Änando.
Somit also, Änando, haben die verdienstvollen Sitten
Reuelosigkeit zum Segen und Lohne, die Reuelosig-
keit hat Freude und Segen zum Lohne, die Freude hat
Verzückung zum Segen und Lohne, die Verzückung
hat Glück zum Segen und Lohne, das Glück hat Samm-
lung zum Segen und Lohne, die Sammlung hat wahr-
heitsgemäßen Erkenntnisblick zum Segen und Lohne,
der wahrheitsgemäße Erkenntnisblick hat Daseins-
überdruß und Abwendung zum Segen und Lohne,
der Daseinsüberdruß und die Abwendung haben den
Erkenntnisblick der Erlösung zum Segen und Lohne.
So also, Änando, führen die verdienstvollen Sitten
nach und nach zum Höchsten."
2 Die Gesetzmäßigkeit in der geistigen Entwicklung
Nicht braucht, ihr Mönche, der Sittenhafte, sitt-
lich Vollkommene eine Willensanstrengung zu machen,
damit ihm Reuelosigkeit aufsteige; ein Gesetz ist es,
ihr Mönche, daß dem Sittenhaften, sittlich Vollkom-
menen Reuelosigkeit aufsteigt. Nicht braucht, ihr
Mönche, der Reuelose eine Willensanstrengung zu
machen, damit ihm Freude aufsteige; ein Gesetz ist
es, ihr Mönche, daß dem Reuelosen Freude aufsteigt. —
Ein Gesetz ist es,, ihr Mönche, daß dem Erfreuten Ver-
zückung aufsteigt. — Ein Gesetz ist es, ihr Mönche,
— 264 —
ZEHNERBUCH X3
daß dem im Geiste Verzückten sich das Innere be-
ruhigt. — Ein Gesetz ist es ihr Mönche, daß der inner-
lich Beruhigte Glück empfindet. — Ein Gesetz ist
es, ihr Mönche, daß des Glücklichen Geist sich sammelt.
Ein Gesetz ist es, ihr Mönche, daß der Gesammelte
der Wahrheit gemäß erkennt und versteht. — Ein
Gesetz ist es, ihr Mönche, daß der der Wahrheit gemäß
Erkennende und Verstehende überdrüssig wird und
sich abwendet. — Ein Gesetz ist es, ihr Mönche,
daß der Überdrüssige und Abgewandte den Erkennt-
nisblick der Erlösung verwirklicht.
So also, ihr Mönche, lassen die einen Erscheinungen
die anderen Erscheinungen entstehen, bringen die
einen Erscheinungen die anderen Erscheinungen zur
Vollendung, sodaß eben die diesseitigen Erscheinungen
zum jenseitigen Ziele hingeleiten.
Eines aufs Andere gestützt
— Gleichwie, ihr Mönche, an einem der Zweige
und Blätter beraubten Baume auch Haut, Borke,
Reiser und Kernholz nicht zur Entfaltung gelangen:
ebenso auch, ihr Mönche, ist in dem Sittenlosen, der
Sittlichkeit Entbehrenden das Unschuldsgefühl ohne
Stütze. Ist kein Unschuldsgefühl da, so ist in dem
des Unschuldsgerühls Entbehrenden die Freude ohne
Stütze. Ist aber keine Freude da, so ist in dem der
Freude Entbehrenden die Verzückung ohne Stütze. Ist
aber keine Verzückung da, so ist in dem der Ver-
zückung Entbehrenden die Ruhe ohne Stütze. Ist
aber keine Ruhe da, so ist in dem der Ruhe Entbeh-
renden das Glück ohne Stütze. Ist aber kein Glück
— 265 —
X7 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
da, so ist in dem des Glückes Entbehrenden die rechte
Sammlung ohne Stütze. Ist aber keine rechte Samm-
lung da, so ist in dem der rechten Sammlung Ent-
behrenden der wahrheitsgemäße Erkenntnisblick
ohne Stütze. Ist aber kein wahrheitsgemäßer Er-
kenntnisblick da, so ist in dem des wahrheitsgemäßen
Erkenntnisblick Entbehrenden der Daseinsekel und
die Abwendung ohne Stütze. Ist aber kein Daseins-
ekel und keine Abwendung da, so ist in dem des Da-
seinsekels und der Abwendung Entbehrenden der
Erkenntnisblick der Erlösung ohne Stütze. —
Losgelöste Sammlung
[Säriputto zu Änando:] ,, Einst, Bruder Änando,
da weilte ich hier bei Sävatthi im Dunklen Walde.
Dort erreichte ich eine solche Sammlung, daß ich an-
gesichts der Erde ohne Wahrnehmung der Erde war,
daß ich angesichts des Wassers ohne Wahrnehmung
des Wassers war, daß ich angesichts des Feuers ohne
Wahrnehmung des Feuers war, daß ich angesichts
des Windes ohne Wahrnehmung des Windes war,
daß ich angesichts des Gebietes der Raumunendlich-
keit ohne Wahrnehmung der Raumunendlichkeit
war, daß ich angesichts des Gebietes der Bewußt-
seinsunendlichkeit ohne Wahrnehmung des Gebietes
der Bewußtseinsunendlichkeit war, daß ich angesichts
des Gebietes des Nichtdaseins ohne Wahrnehmung
des Gebietes des Nichtdaseins war, daß ich angesichts
des Gebietes der Weder-Wahrnehmung-Noch-Nicht-
wahrnehmung ohne Wahrnehmung des Gebietes der
Weder- Wahrnehmung-Noch-Nichtwahrnehmung war,
— 266 —
ZEHNERBUCH X8
daß ich angesichts dieser Welt ohne Wahrnehmung
dieser Welt war, daß ich angesichts jener Welt ohne
Wahrnehmung jener Welt war; und dennoch besaß
ich Wahrnehmung."
„Welche Wahrnehmung aber, o Bruder, hatte der
ehrwürdige Säriputto bei jener Gelegenheit?"
„Daß in des Daseins Aufhebung das Nirwahn be-
steht: diese eine Wahrnehmung stieg mir auf, o Bruder,
und die andere Wahrnehmung verschwand. Gleich-
wie etwa, 0 Bruder, bei einem Holzfeuer die eine Flamme
aufleuchtet, die andere Flamme aber verschwindet:
ebenso auch, o Bruder, stieg mir die eine Wahrnehmung
^uf, daß in des Daseins Aufhebung das Nirwahn be-
steht, und die andere Wahrnehmung verschwand.
Und, daß in des Daseins Aufhebung das Nirwahn be-
steht: eben diese Wahrnehmung hatte ich bei jener
Gelegenheit."
Vollkommenheit
Ist da, ihr Mönche, der Mönch voll Vertrauen
aber ohne Sittlichkeit, so ist er eben hinsichtlich dieser
Eigenschaft noch unvollkommen. Diese Eigenschaft
muß er daher zur Vollkommenheit bringen und danach
trachten: «Ach, möchte ich doch neben dem Vertrauen
auch noch Sittlichkeit» besitzen!« Sobald aber, ihr
Mönche, der Mönch neben dem Vertrauen auch noch
Sittlichkeit besitzt, so ist er eben hinsichtlich dieser
Eigenschaft vollkommen.
Ist da, ihr Mönche, der Mönch voll Vertrauen
und Sittlichkeit aber ohne ein großes Wissen, so ist er
eben hinsichtlich dieser Eigenschaft noch unvoll-
— 267 —
X8 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
kommen. Diese Eigenschaft muß er daher zur Voll-
kommenheit bringen und danach trachten: »Ach,
möchte ich doch neben dem Vertrauen und der Sitt-
lichkeit auch noch ein großes Wissen besitzen!« So-
bald aber, ihr Mönche, der Mönch neben dem Vertrauen
und der Sittlichkeit auch noch ein großes Wissen be-
sitzt, so ist er eben hinsichtlich dieser Eigenschaft
vollkommen.
Ist da, ihr Mönche, der Mönch voll Vertrauen und
Sittlichkeit und besitzt ein großes Wissen, ist aber
kein Verkünder des Gesetzes, so ist er eben hinsichtlich
dieser Eigenschaft noch unvollkommen. Diese Eigen-
schaft muß er daher zur Vollkommenheit bringen und
danach trachten: »Ach, möchte ich doch neben dem
Vertrauen, der Sittlichkeit und dem großen Wissen
auch noch ein Verkünder des Gesetzes sein! Sobald
aber, ihr Mönche, der Mönch neben dem Vertrauen,
der Sittlichkeit und dem großen Wissen auch noch
ein Verkünder des Gesetzes ist, so ist er eben hin-
sichtlich dieser Eigenschaft vollkommen.
Ist da, ihr Mönche, der Mönch voll Vertrauen
und Sittlichkeit und besitzt ein großes Wissen und ist
ein Verkünder des Gesetzes, tritt aber nicht in Ver-
sammlungen auf, — oder er tritt in Versammlungen
auf, trägt aber dort nicht voll Unbefangenheit das
Gesetz vor, — oder er trägt dort voll Unbefangenheit
das Gesetz vor, ist aber kein Kenner der Disziplin —
oder er ist ein Kenner der Disziplin, wohnt aber nicht
im Walde in abgeschiedenen Behausungen, — oder er
wohnt im Walde in abgeschiedenen Behausungen,
wird aber der vier Vertiefungen nicht nach Wunsch,
ohne Mühe und Anstrengung, teilhaftig, — oder er
— 268 —
ZEHNERBUCH Xe
wird der vier Vertiefungen nach Wunsch, ohne Mühe
und Anstrengung, teilhaftig, gewinnt aber nicht durch
Versiegung der Leidenschaften, die leidenschaftlose
Gemütserlösung und Wissenserlösung, indem er sie
noch bei Lebzeiten selber erkennt und verwirklicht,
so. ist er eben hinsichtlich dieser Eigenschaft noch un-
vollkommen. Diese Eigenschaft muß er daher zur
Vollkommenheit bringen und danach trachten: »Ach,
möchte ich doch neben dem Vertrauen, der Sittlichkeit
und dem großen Wissen ein Verkünder des Gesetzes
sein, in Versammlungen auftreten, dort voll Unbe-
fangenheit das Gesetz vortragen, ein Kenner der Dis-
ziplin sein, im Walde in abgeschiedenen Behausungen
wohnen, der vier Vertiefungen nach Wunsch, ohne
Mühe und Anstrengung teilhaftig werden und, durch
Versiegung der Leidenschaften die leidenschaftslose
Gemütserlösung und Wissenserlösung noch bei Leb-
zeiten selber erkennen, verwirklichen und mir zu eigen
machen!« Sobald aber, ihr Mönche, der Mönch neben
dem Vertrauen der Sittlichkeit und dem großen Wissen
auch noch ein Verkünder des Gesetzes ist, in Ver-
sammlungen auftritt, dort voll Unbefangenheit das
Gesetz vorträgt, der vier Vertiefungen nach Wunsch,
ohne Mühe und Anstrengung, teilhaftig wird und,
durch Versiegung der Leidenschaften, die leiden-
schaftslose Gemütserlösung und Wissenserlösung noch
bei Lebzeiten selber erkennt, verwirklicht und sich
zu eigen macht, so ist er eben hinsichtlich dieser
Eigenschaft vollkommen.
Mit diesen acht Eigenschaften ausgestattet, ihr
Mönche, leistet der Mönch allerwärts Genüge, ist in.
jeder Weise vollkommen.
— 269 —
Xll SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
ZWEITER TEIL:
Das Kapitel des Schutzes
11 Günstige Bedingungen zur Erreichung der Erlösung
Der mit fünf Eigenschaften ausgestattete Mönch,
ihr Mönche, der eine mit fünf Eigenschaften aus-
gestattete Behausung aufsucht und bewohnt, gelangt
nach gar nicht langer Zeit, durch Versiegung der
Leidenschaften, in den Besitz der leidenschaftslosen
Gemütserlösung und Wissenserlösung, indem er sie
noch bei Lebzeiten selber erkennt und verwirklicht.
Wie aber, ihr Mönche, ist der Mönch mit fünf
Eigenschaften ausgestattet?
Da, ihr Mönche, eignet dem Mönche Vertrauen;
er glaubt an die Erleuchtung der Vollendeten, nämlich,
daß dies der Erhabene ist, der Heilige, Vollkommen
Erleuchtete, der im Wissen und Wandel Vollendete,
der Gesegnete, der Weltenkenner, der höchste Lenker
der zu bezähmenden Menschheit, der Meister der
Himmelswesen und Menschen, der Erleuchtete, der
' Erhabene. Gesund ist er, frei von Siechtum; seine
Säfte bewirken eine gleichmäßige Verdauung, sind
weder zu kalt noch zu heiß, sondern besitzen mittlere
Wärme und machen ihn dem Kampfe gewachsen.
Kein Heuchler ist er, kein Gleisner; der Wahrheit
entsprechend bekennt er sich dem Meister oder ver-
ständigen Ordensbrüdern. Eifrig kämpft er, um die
schuldvollen Dinge zu überwinden, die verdienst-
vollen Dinge aber zu erwecken, ist standhaft, von
— 270 —
ZEHNERBUCH X 11
gestählter Kraft, nicht nachlässig im Guten. Weise
ist er; er besitzt Einsicht in das Entstehen und Ver-
gehen, edle, durchdringende, zur völligen Leidens-
vernichtung führende. So, ihr Mönche, ist der Mönch
mit fünf Eigenschaften ausgestattet.
Wie aber, ihr Mönche, ist die Wohnstätte mit
fünf Eigenschaften ausgestattet?
Da, ihr Mönche, ist die Wohnstätte nicht zu weit
und nicht zu nahe, zum Gehen und Kommen geeignet. (1)
Bei Tage ist sie wenig belebt und des Nachts ohne
Geräusch und Lärm. Er wird dort nicht belästigt
durch Bremsen und Mücken, Wind und Sonne und
durch Kriechtiefe. In jener Wohnstätte lebend erhält
er ohne Mühe das Nötige an Gewand, Almosenspeise,
Lagerstatt sowie an Heilmitteln und Arzneien. In
jener Wohnstätte leben ältere Mönche, die ein großes
Wissen besitzen, mit der Botschaft vertraut sind,
Träger des Gesetzes, Träger der Ordensdisziplin, Ken-
ner des Inhaltes. Zu jenen begibt er sich von Zeit zu
Zeit hin und befragt sie, ersucht sie um Aufklärung:
»Wie ist dies, ihr Ehrwürdigen? Wie hat man dies zu
verstehen?«; und jene Ehrwürdigen enthüllen ihm,
was ihm noch unverständlich ist, klären ihn über
das noch Unaufgeklärte auf und lösen ihm in man-
cherlei zum Zweifel Anlaß gebenden Punkten seine
(1) Komm.: ,,Wemi sie zu weit (vom Dorfe) liegt, tritt, wenn
er nach dem Almosengange dorthin zurückkehrt, körperliche imd
geistige Erschlaff img ein; er ist dann nicht imstande, die noch nicht
eingetretene Sammlung zu erwirken oder die bereits eingetretene
Sammlung zu festigen. Liegt die Wohnstätte dagegen zu nahe
(beim Dorfe), dann ist sie zu belebt."
— 271 —
X12 SAMMLLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Zweifel. So, ihr Mönclie, ist die Wohnstätte mit fünf
Eigenschaften ausgestattet.
Der mit diesen fünf Eigenschaften ausgestattete
Mönch, ihr Mönche, der eine mit fünf Eigenschaften
ausgestattete Behausung aufsucht und bewohnt,.
gelangt nach gar nicht langer Zeit, durch Versiegung
der Leidenschaften, in den Besitz der leidenschafts-
losen Gemütserlösung und Wissenserlösung, indem
er sie noch bei Lebzeiten selber erkennt und verwirk-
licht.
12 Der erhabenste Mensch
Den von fünf Eigenschaften befreiten und mit
fünf Eigenschaften ausgestatteten Mönch, ihr Mönche,
bezeichnet man in diesem Gesetze und dieser Dis-
ziplin als den vollkommenen, ausgelebten, erhabensten
Menschen.
Inwiefern aber, ihr Mönche, ist der Mönch von
fünf Eigenschaften befreit? Da, ihr Mönche, ist der
Mönch von Sinnenlust befreit von Groll, befreit
von Stumpfheit und Mattigkeit, befreit von
Aufgeregtheit und Gewissensunruhe, befreit
von Zweifelsucht. So, ihr Mönche, ist der Mönch
von fünf Eigenschaften befreit.
Inwiefern aber, ihr Mönche, ist der Mönch mit
fünf Eigenschaften ausgestattet? Da, ihr Mönche,
ist der Mönch vollkommen auf dem sittlichen
Gebiete eines Kampfesledigen (a-sekha), vollkommen
auf dem Vertiefungsgebiete eines Kampfesledigen,
vollkommen auf dem Wissensgebiete eines Kampfes-
ledigen, vollkommen auf dem Erlösungsgebiete eines
— 272 —
ZEHNERBUCH X 13
Kampfesledigen, vollkommen auf dem Gebiete des
Erlösungskenntnisblickes eines Kampfesledigen.
So, ihr Mönche, ist der Mönch mit fünf Eigenschaften
ausgestattet.
Den mit diesen fünf Eigenschaften befreiten und
mit fünf Eigenschaften ausgestatteten Mönch, ihr
Mönche, bezeichnet man in diesem Gesetze und in
dieser Disziplin als den vollkommenen, ausgelebten,
erhabensten Menschen.
Wer da von Groll und Sinnenlust,
Von Trägheit und von Mattigkeit,
Zerstreutheit und der Zweifelsucht
Sich ganz und gar hat frei gemacht.
Erreicht hat heil'ge Sittlichkeit,
Des Geistes heil'ge Sammlungskraft,
Erlösung sich errungen hat.
Sowie Erkenntnis solcher Art:
Ja, wer fünf Dinge sich errang.
Fünf Dinge aber von sich wies.
Der gilt in dieser Zucht und Lehre
Als ein Vollendeter fürwahr.
Die zehn Fesseln 13
Zehn Fesseln gibt es, ihr Mönche: welche zehn 2.
Die fünf niederen Fesseln und die fünf höheren Fesseln.
Welches aber sind die fünf »niederen Fesseln«,
(orambhägiyäni safifiojanäni)? Persönlichkeitsglaube,
Zweifelsucht, Hang an Sittenregeln und Riten, Sinnen-
Itist und Groll: das sind die fünf niederen Fesseln.
Welches aber sind die fünf »höheren Fesseln«,
fuddhambhägiyäni sannojanäni)? Begehren nach
_ 273 — 18
X14 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
formhaftem Dasein, Begehren nach formlosem Dasein,
Dünkel, Aufgeregtheit und Unwissenheit: das sind
die fünf höheren Fesseln.
14 Der abnehmende und zunehmende Mond
In wem, ihr Mönche, unter den Mönchen oder
Nonnen die fünf Geistesverhärtungen nicht über-
wunden und die fünf Geistesverstrickungen nicht
zerstört sind, der hat — sei es bei Tage oder bei Nacht,
— eben einen Rückschritt im Guten zu erwarten,
keinen Fortschritt.
Welches aber sind die fünf Geistesverhär-
tungen, (ceto-khila), die in ihm nicht überwunden
sind? Da, ihr Mönche, schwankt und zweifelt der
Mönch hinsichtlich des Meisters, — schwankt und
zweifelt hinsichtlich des Gesetzes, — schwankt und
zweifelt hinsichtlich der Jüngerschaft, — schwankt und
zweifelt hinsichtlich der Askese, ist ohne Hingebung
und Zuversicht; — ist wegen seiner Ordensbrüder
erregt, geistig niedergeschlagen und voll Widerspen-
stigkeit. Bei einem solchen Mönche aber neigt der
Geist nicht zum Eifer, zur Anstrengung, Ausdauer
und zum Kampfe. —
Welches aber sind die fünf Geistesumstrickun-
gen, die in ihm nicht zerstört sind? Da, ihr Mönche,
ist der Mönch nicht frei von Gier hinsichtlich der
Sinnendinge, — nicht frei von Gier hinsichtlich des
Körpers, — nicht frei von Gier hinsichtlich der For-
men; — wenn er seinen Leib vollgegessen hat, findet
er Genuß daran, sich auszuruhen, sich auf die Seite zu
legen und einzuschlummern; — in der Hoffnung auf
— 274 —
ZEHNERBUCH X15
einen Himmel führt er den Heiligen Wandel, denkend:
»Infolge dieser Übung, dieser Bußaskese, dieses Hei-
ligen Wandels werde ich als Gott wiedererscheinen
oder als einer unter den Himmelswesen. Bei einem
solchen Mönche aber neigt der Geist nicht zum Eifer,
zur Anstrengung, Ausdauer und zum Kampfe. —
Gleichwie, ihr Mönche, zur dunklen Monats-
hälfte — sei es bei Tag oder Nacht, — der Mond be-
ständig abnimmt an Glanz, an Gestalt, an Höhe und
an Umfang: ebenso auch, ihr Mönche, hat, in wem unter
den Mönchen oder Nonnen die fünf Geistesverhärtungen
nicht überwunden und die fünf Geistesumstrickungen
nicht zerstört sind, — sei es bei Tage oder bei Nacht —
eben einen Rückschritt im Guten zu erwarten, keinen
Fortschritt.
— Gleichwie aber, ihr Mönche, zur hellen Monats-
hälfte — sei es bei Tage oder bei Nacht, — der Mond
beständig zunimmt an Glanz, an Gestalt, an Höhe
und an Umfang: ebenso auch, ihr Mönche, hat, in
wem unter den Mönchen oder Nonnen die fünf Geistes-
verhärtungen überwunden und die fünf Geistesum-
strickungen zerstört sind, — sei es bei Tage oder Nacht,
— eben einen Fortschritt im Guten zu erwarten,
J<einen Rückschritt.
Die Strebsamkeit aller guten Dinge Anfang 15
Was es auch immer an Wesen gibt, ihr Mönche,
an fußlosen, an Zweifüßern, Vierfüßern oder Viel-
füßern, mit Wahrnehmung, ohne Wahrnehmung oder
weder mit noch ohne Wahrnehmung: unter allen
diesen gilt der Vollendete als der Beste, der Heilige,
— 275 — 18*
X15 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Vollkommen Erleuchtete. Ebenso auch, ihr Mönche,
haben die verdienstvollen Erscheinungen alle die Streb-
samkeit zur Grundlage und zum Ausgangspunkte; und
die Strebsamkeit gilt unter ihnen als das Beste.
Gleichwie, ihr Mönche, die Fußspuren der be-
lebten Wesen alle in der Elefantenspur einbegriffen
sind und die Elefantenspur unter ihnen als die erste
gilt: ebenso auch, ihr Mönche, haben die verdienst-
vollen Erscheinungen alle die Strebsamkeit zur Grund-
lage und zum Ausgangspunkte; und die Strebsamkeit
gilt unter ihnen als das Beste.
Gleichwie, ihr Mönche, die Dachsparren eines
Giebelhauses alle zum Giebel laufen, zum Giebel ge-
neigt sind, im Giebel zusammentreffen: ebenso auch,
ihr Mönche, haben die verdienstvollen Erscheinungen
alle die Strebsamkeit zur Grundlage und zum Aus-
gangspunkte; und die Strebsamkeit gilt unter ihnen
als das Beste.
Gleichwie, ihr Mönche, unter allen den Wurzel-
düften der Duft des schwarzen Sandelholzes als der
beste gilt: ebenso auch, ihr Mönche, haben die ver-
dienstvollen Erscheinungen alle die Strebsamkeit zur
Grundlage und zum Ausgangspunkte; und die Streb-
samkeit gilt unter ihnen als das Beste.
Gleichwie, ihr Mönche, unter allen den wohl-
riechenden Hölzern das rote Sandelholz als das beste
gilt: ebenso auch, ihr Mönche, haben die verdienst-
vollen Erscheinungen alle die Strebsamkeit zur Grund-
lage und zum Ausgangspunkte; und die Strebsamkeit
gilt unter ihnen als das Beste.
Gleichwie, ihr Mönche, unter allen den Blumen-
düften der Jasminduft als der beste gilt: ebenso auch^
— 276 —
ZEHNERBUCH X 15
ihr Mönche, haben die verdienstvollen Erscheinungen
alle die Strebsami<eit zur Grundlage und zum Aus-
gangspunkte; und die Strebsamkeit gilt unter ihnen
als das Beste.
Gleichwie, ihr Mönche, alle die kleinen Könige
sich nach dem Weltherrscher richten, und der Welt-
herrscher für sie als der Beste gilt: ebenso auch, ihr
Mönche, haben die verdienstvollen Erscheinungen alle
die Strebsamkeit zur Grundlage und zum Ausgangs-
punkte; und die Strebsamkeit gilt unter ihnen als
das Beste.
Gleichwie, ihr Mönche, das Licht aller der Sterne
nicht ein Sechszehntel des Mondlichtes ausmacht, und
das Licht des Mondes als das Beste gilt: ebenso auch,
ihr Mönche, haben die verdienstvollen Erscheinungen
alle die Strebsamkeit zur Grundlage und zum Aus-
gangspunkte; und die Strebsamkeit gilt unter ihnen
als das Beste.
Gleichwie, ihr Mönche, zur Herbstzeit bei klarem,
wolkenlosen Himmel die Sonne, den Himmelsraum
durchziehend, die Finsternis des ganzen Weltenraumes
verscheuchend, strahlt, glüht und leuchtet: ebenso
auch, ihr Mönche, haben die verdienstvollen Erschei-
nungen alle die Strebsamkeit zur Grundlage und zum
Ausgangspunkte; und die Strebsamkeit gilt unter
ihnen als das Beste.
Gleichwie, ihr Mönche, jene großen Ströme, wie
der Ganges, die Yamunä, Aciravati, Sarabhü und
Mahi, alle zum Meere eilen, zum Meere hinabfließen,
zum Meere abfallen, zum Meere sich senken und ihnen
das Weltmeer als das Beste gilt: ebenso: auch, ihr
Mönche, haben die verdienstvollen Erscheinungen alle
277 —
X18 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
die Strebsamkeit zur Grundlage und zum Ausgangs-
punkte; und die Strebsamkeit gilt unter ihnen als
das Beste.
16 Zehn verehrungswürdige Menschen
Folgende zehn Menschen, ihr Mönche, sind würdig
der Opfer, würdig der Gastfreundschaft, würdig der
Gaben, würdig des ehrfurchtsvollen Handgrußes, sind
in der Welt der beste Boden für verdienstvolle Werke:
welche zehn Menschen?
Der Vollendete, Heilige, Vollkommen Erleuchtete;
der Einzelerleuchtete, der Beiderseitserlöste, der Ein-
sichtserlöste, der Körperzeuge, der Erkenntnisgereifte,
der Glaubenserlöste, der Gesetzesergebene, der Glau-
bensergebene und der Anwärter auf den Pfad. Diese
zehn Menschen, ihr Mönche, sind würdig der Opfer,
würdig der Gastfreundschaft, würdig der Gaben,
würdig des ehrfurchtsvollen Handgrußes, sind in der
Welt der beste Boden für verdienstvolle Werke.
18 Beschützende Dinge
Möget ihr beschützt leben, ihr Mönche, nicht un-
beschützt! Ohne Schutz, ihr Mönche, lebt man elend,
Folgende zehn beschützende Umstände gibt es, ihr
Mönche: welche zehn?
Da, ihr Mönche, ist der Mönch sittenrein. Da er
aber sittenrein ist, halten es die älteren wie die mitt-
leren wie die jüngeren Mönche für angemessen, ihn
anzusprechen und zu belehren. Und da sie ihm zu-
getan sind, hat er eben einen Fortschritt zu erwarten^
— 278 —
ZEHNERBUCH X 20
keinen Rückschritt. Das aber, ihr Mönche, ist ein
beschützender Umstand.
Fernerhin, ihr Mönche, besitzt der Mönch ein
großes Wissen, — hat edlen Umgang, — ist sanft, —
ist tüchtig in allen den kleinen und großen Pflichten
gegen seine Ordensbrüder, — hat Freude am Gesetze,
— besitzt Willenskraft, — ist zufrieden mit jederart
Gewand, Almosenspeise, Lagerstatt sowie den nötigen
Heilmitteln und Arzneien, — besitzt Achtsamkeit, —
besitzt Einsicht. Da er aber Einsicht besitzt, halten
es die älteren wie die mittleren wie die jüngeren Mönche
für angemessen, ihn anzusprechen und zu belehren.
Und da sie ihm zugetan sind, hat er eben einen Fort-
schritt zu erwarten, keinen Rückschritt. Auch das,
ihr Mönche, ist ein beschützender Umstand.
Möget ihr beschützt leben, ihr Mönche; nicht un-
beschützt. Ohne Schutz, ihr Mönche, lebt man elend.
Diese zehn beschützenden Umstände gibt es, ihr Mönche.
Die zehn edlen Zustände 20
[Bei Kammässadamma im Lande der Kurus]
Zehn der edlen Zustände gibt es, ihr Mönche, in
denen die Edlen weilten, weilen und weilen werden:
welche zehn?
Da, ihr Mönche, ist der Mönch von fünf Dingen
befreit, mit fünf Dingen ausgerüstet, in einem bewacht,
auf vier gestützt, jeder Ansicht ledig, von der Sucht
restlos erlöst, von ungetrübter Gesinnung, in der
Körpertätigkeit gestillt, völlig gemütserlöst, völlig
wissenserlöst.
Wie aber, ihr Mönche, ist der Mönch von fünf
— 279 —
X20 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Dingen befreit? Da, ihr Mönche, ist der Mönch be-
freit von Sinnenlust, befreit von Groll, befreit von
Stumpfheit und Mattigkeit, befreit von Aufgeregtheit
und Gewissensunruhe, befreit von Zweifelsucht. So,
ihr Mönche, ist der Mönch von fünf Dingen befreit.
Wie aber, ihr Mönche, ist der Mönch mit fünf
Dingen ausgerüstet? Erblickt da, ihr Mönche der
Mönch mit dem Auge eine Form, so ist er weder froh
gestimmt noch trübe gestimmt; gleichmütig verharrt
er, achtsam, geistesklar. Vernimmt er mit dem Ohre
einen Ton, — nimmt er mit der Nase einen Duft wahr,
— schmeckt er mit der Zunge einen Saft, — berührt
er mit dem Körper einen Gegenstand, so ist er weder
froh gestimmt noch trübe gestimmt; gleichmütig ver-
harrt er, achtsam, geistesklar. So, ihr Mönche, ist der
Mönch mit fünf Dingen ausgerüstet.
Wie aber, ihr Mönche, ist der Mönch in einem
Dinge bewacht? Da, ihr Mönche, besitzt der Mönch
einen von der Achtsamkeit bewachten Geist. So,
ihr Mönche, ist der Mönch in einem bewacht.
Wie aber, ihr Mönche, ist der Mönch auf vier
Dinge gestützt? Da, ihr Mönche, macht der Mönch
bedachtsam von dem einen Dinge Gebrauch; bedacht-
sam erduldet er das eine; bedachtsam vermeidet er
das eine; bedachtsam vertreibt er das eine. So, ihr
Mönche, ist der Mönch auf vier Dinge gestützt (1),
Wie aber, ihr Mönche, ist der Mönch jeder An-
sicht ledig? Alle jene vielen Ansichten der zahlreichen
Asketen und Priester, als wie, daß die Welt ewig sei
oder nicht ewig sei, endlich sei oder unendlich sei,
(1) Vgl. IX, 2.
— 280 —
ZEHNERBUCH X 2o
daß Leib und Leben eins seien, oder daß Leib und
Leben zweierlei seien, daß der Vollendete nach dem
Tode bestehe oder nicht bestehe oder bestehe und
auch nicht bestehe, weder bestehe noch nicht bestehe:
alle jene hat der Mönch erledigt, abgetan, verworfen,
von sich gewiesen, aufgegeben, verlassen und ver-
gessen. So, ihr Mönche, ist der Mönch jeder Ansicht
1 edig.
^'""■"^:^ie aber, ihr Mönche, ist der Mönch von der
Sucht restlos erlöst? Da, ihr Mönche, ist in dem Mönche
die sinnliche Sucht erloschen, die Daseinssucht
erloschen, die Sucht nach Heiligkeit gestillt. So,
ihr Mönche, ist der Mönch von der Sucht restlos erlöst.
Wie aber, ihr Mönche, ist der Mönch von unge-
trübter Gesinnung? Da, ihr Mönche, ist in dem Mönche
die begehrliche Gesinnung geschwunden, die ge-
hässige Gesinnung geschwunden, die übelwollende
Gesinnung geschwunden. So, ihr Mönche, ist der
Mönch von ungetrübter Gesinnung.
Wie aber, ihr Mönche, ist der Mönch in der Körper-
tätigkeit gestillt? Da, ihr Mönche, gewinnt der Mönch
nach dem Schwinden von Wohlgefühl und Schmerz
und durch Überwindung des früheren Frohsinns und
Trübsinns einen leidlosen, freudlosen Zustand, die
durch Gleichmut und Achtsamkeit geklärte vierte
Vertiefung. — So, ihr Mönche, ist der Mönch in der
Körpertätigkeit gestillt.
Wie aber, ihr Mönche, ist der Mönch völlig ge-
mütserlöst? Da, ihr Mönche, ist in dem Mönche das
Gemüt erlöst von der Gier, erlöst vom Hasse, er-
löst von der Verblendung. So, ihr Mönche, ist der
Mönch völlig gemütserlöst.
— 281 —
X20 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Wie aber, ihr Mönche, ist der Mönch völlig wissens-
erlöst? Da, ihr Mönche, weiß der Mönch: »Erloschen
sind in mir Gier, Haß und Verblendung, sind ausge-
rottet, gleich einer Fächerpalme zerstört, zunichte ge-
macht und außerstande, künftig wieder aufzukeimen.
So, ihr Mönche, ist der Mönch völlig wissenserlöst.
Alle jene Edlen, ihr Mönche, die in den vergangenen
Zeiten in edlem Zustande verweilten, alle jene ver-
weilten eben in diesen zehn edlen Zuständen. Und alle
jene Edlen, ihr Mönche, die in den künftigen Zeiten
in edlem Zustande verweilen werden, auch alle jene
werden eben in diesen zehn edlen Zuständen ver-
weilen. Und alle jene Edlen, ihr Mönche, die gegen-
wärtig in edlem Zustande verweilen, auch alle diese
verweilen eben in diesen zehn edlen Zuständen.
Dies, ihr Mönche, sind die zehn edlen Zustände,
in denen die Edlen weilten, weilen und weilen werden.
— 282 —
ZEHNERBUCH X21
DRITTER TEIL:
Das große Kapitel
Der Löwenruf des Vollendeten 21
Der Löwe, ihr Mönche, der König der Tiere, tritt
des Abends aus seiner Höhle heraus. Aus seiner Höhle
herausgetreten springt er empor. Emporgesprungen
späht er nach allen vier Seiten. Nachdem er nach
allen vier Seiten gespäht hat, stößt er dreimal sein
Löwengebrüll aus. Und warum? Um den kleinen
von der Fährte abgeirrten Lebewesen keinen Schaden
zuzufügen. Als Löwe aber, ihr Mönche, bezeichnet
man den Vollendeten, Heiligen, Vollkommen Erleuch-
teten. Legt nämlich, ihr Mönche, der Vollendete vor
einer Versammlung das Gesetz dar, so gilt dies als
sein Löwenruf. Zehn Kräfte sind es, ihr Mönche, mit
denen ausgerüstet der Vollendete in den Versammlungen
den höchsten Platz behauptet, den Löwenruf erschallen
läßt und das Reich der Heiligkeit aufrichtet: welche
zehn Kräfte?
Da, ihr Mönche, erkennt der Vollendete das Mög-
liche als möglich, das Unmögliche als unmöglich. Daß
aber, ihr Mönche, der Vollendete das Mögliche als
möglich, das Unmögliche als unmöglich erkennt, das,
ihr Mönche, ist eine Kraft des Vollendeten, auf die
gestützt der Vollendete in den Versammlungen den
höchsten Platz behauptet, den Löwenruf erschallen
läßt und das Reich der Heiligkeit aufrichtet.
Fernerhin, ihr Mönche, erkennt der Vollendete
- 283 —
X21 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
von den in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
ausgeübten Taten das Ergebnis, je nach den Um-
ständen und Ursachen, der Wirklichkeit gemäß. —
Fernerhin, ihr Mönche, erkennt der Vollendete
jedweden Ausgang der Wirklichkeit gemäß. (1) —
Fernerhin, ihr Mönche, erkennt der Vollendete
die aus vielen, verschiedenartigen Elementen be-
stehende Welt der Wirklichkeit gemäß. —
Fernerhin, ihr Mönche, erkennt der Vollendete
der Wesen verschiedenartige Neigungen der Wirk-
lichkeit gemäß. —
Fernerhin, ihr Mönche, erkennt der Vollendete der
anderen Wesen und Geschöpfe höheren oder niederen
Fähigkeitszustand der Wirklichkeit gemäß (2). —
Fernerhin, ihr Mönche, erkennt der Vollendete
bei den Vertiefungen, den Freiungen, der Sammlung
und den Erreichungszuständen das Getrübtsein, die
Lauterkeit und das Sicherheben aus denselben der
Wirklichkeit gemäß. —
(1) Komm.: Wemi von vielen Menschen jeder bloß ein Wesen
tötet, so weiß er, daß den einen seine Willensverfassung (cetanä)
zur Hölle führen wird, den anderen zum Tierschoß. In dieser Weise
erkennt er mit Unfehlbarkeit die wahre Natur der bei einer Sache
als verdienstvolle oder schuldvolle Willensverfassimgen rechnenden
Wirkenspfade." Im Abhidhamma heißt es: „Was gilt da als des
Vollendeten wahrheitsgemäßer Erkenntnisblick jedweden Aus-
gangs? Da erkennt der Vollendete: »Dies ist der Weg, der Pfad,
der zur Hölle führt usw «"
(2) Im Patisambhidä-Magga (Ausg. der P. T. S., pag. 12)
heißt es, daß der Vollendete bei den Wesen erkennt, ob sie einen
getrübten, oder ungetrübten Blick besitzen, scharfe oder stumpfe
Sinne (Fähigkeiten), gute oder schlechte Eigenschaften usw.
— 284 —
ZEHNERBUCH X 22
Fernerhin, ihr Mönche, erinnert sich der Voll-
endete an zahlreiche frühere Daseinsformen. —
Fernerhin, ihr Mönche, erkennt der Vollendete
mit dem Himmlischen Auge, dem geklärten, über-
menschlichen, wie die Wesen abscheiden und wieder-
erscheinen, gemeine und edle, schöne und häßliche,
glückliche und unglückliche, erkennt, wie die Wesen
ihren Taten entsprechend wiedererscheinen. —
Fernerhin, ihr Mönche, hat der Vollendete, durch
Versiegung der Leidenschaften, die leidenschaftslose
Gemütserlösung und Wissenserlösung schon bei Leb-
zeiten selber erkannt, verwirklicht und sich zu eigen
gemacht. Daß aber, ihr Mönche, der Vollendete, durch
Versiegung der Leidenschaften, die leidenschaftslose
Gemütserlösung und Wissenserlösung schon bei Leb-
zeiten selber erkannt, verwirklicht und sich zu eigen
gemacht hat, das, ihr Mönche, ist eine Kraft des Voll-
endeten, auf die gestützt der Vollendete in den Ver-
sammlungen den höchsten Platz behauptet, den Löwen-
ruf erschallen läßt und das Reich der Heiligkeit auf-
richtet.
Das also, ihr Mönche, sind die zehn Kräfte des
Vollendeten, mit denen ausgerüstet der Vollendete in
den Versammlungen den höchsten Platz behauptet,
den Löwenruf erschallen läßt und das Reich der Heilig-
keit aufrichtet.
Die der Wirklichkeit gemäße Erkenntnis 2-
Der Erhabene sprach zum ehrwürdigen Änando:
Mit denjenigen Erscheinungen, Änando, die zur
durchschauenden Verwirklichung dieser und jener Be-
— 285 —
X23 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
griffsgebiete führen: damit, Anando, bin ich wohl
vertraut; und ich behaupte, daß ich das Gesetz be-
treffs dieses oder jenes Begriffsgebietes in solcher
Weise darzulegen vermag, daß der danach Handelnde
Seiendes als seiend und Nichtseiendes als nichtseiend
erkennen wird, daß er Gemeines als gemein und Edles
als edel erkennen wird, daß er Übertreffbares als über-
treffbar und Unübertreffbares als unübertreffbar er-
kennen wird, und daß es möglich ist, daß er dies so,
wie es zu erkennen, zu verstehen und zu verwirklichen
ist, genau so erkennen, verstehen und verwirklichen
wird. Die höchste der Erkenntnisse aber, Anando, ist
die der Wirklichkeit gemäße Erkenntnis. Eine höhere
und erhabenere Erkenntnis als eben diese, Anando,
die gibt es nicht: das sage ich. —
-23 Zu überkommende Dinge
Es gibt Dinge, ihr Mönche, die in Werken zu
überkommen sind und nicht in Worten. Es gibt Dinge,
ihr Mönche, die in Worten zu überkommen sind und
nicht in Werken. Es gibt Dinge, ihr Mönche, die weder
in Werken noch in Worten zu überkommen sind, sondern
eben durch wiederholtes weises Erkennen.
Welche Dinge aber, ihr Mönche, sind in Werken
zu überkommen und nicht in Worten? Da, ihr Mönche
hat der Mönch irgend etwas Schuldvolles in Werken
begangen. Verständige Ordensbrüder aber, die die
Sache untersucht haben, sprechen also zu ihm: »Der
Verehrte hat da etwas Schuldvolles in Werken be-
gangen. Gut wäre es, wollte der Verehrte seinen schlech-
ten Wandel in Werken aufgeben und einen guten
— 286 —
ZEHNERBUCH X 2$
Wandel entfalten!« Von den verständigen Ordens-
brüdern, die die Sache untersucht haben, also ange-
sprochen, gibt er seinen schlechten Wandel in Werken
auf und entfaltet einen guten Wandel in Werken.
Solche Dinge, ihr Mönche, sagt man, sind in Werken
zu überkommen und nicht in Worten.
Welche Dinge aber, ihr Mönche, sind in Worten
zu überkommen und nicht in Werken? Da, ihr Mönche,
hat der Mönch irgend etwas Schuldvolles in Worten
begangen. Verständige Ordensbrüder aber, die die
Sache untersucht haben, sprechen also zu ihm: »Der
Verehrte hat da etwas Schuldvolles in Worten be-
gangen. Gut wäre es, wollte der Verehrte seinen
schlechten Wandel in Worten aufgeben und einen
guten Wandel in Worten entfalten!« Von den ver-
ständigen Ordensbrüdern, die die Sache untersucht
haben, also angesprochen, gibt er seinen schlechten
Wandel in Worten auf und entfaltet einen guten
Wandel in Worten. Solche Dinge, ihr Mönche, sagt
man, sind in Worten zu überkommen und nicht in
Werken.
Welche Dinge aber, ihr Mönche, sind weder in
Werken noch in Worten zu überkommen, sondern
eben durch wiederholtes weises Erkennen? Gier, Haß,
Verblendung, Zorn, Wut, Heuchelei, Eifersucht und
Geiz sind weder in Werken noch in Worten zu über-
kommen, sondern eben durch wiederholtes weises Er-
kennen.
Übler Neid, ihr Mönche, ist weder in Werken noch
in Worten zu überkommen, sondern eben durch wieder-
holtes weises Erkennen. Was aber, ihr Mönche, ist
übler Neid? Da, ihr Mönche, wird ein Hausvater
— 287
X23 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
oder dessen Sohn reich an Schätzen und Korn, an
Silber und Gold. Einer seiner Diener oder Unter-
gebenen aber denkt bei sich: »Ach, daß doch dieser
Hausvater oder dieser Sohn des Hausvaters nicht reich
werden möchte an Schätzen und Korn, Gold und
Silber!« Oder ein Asket oder Priester erhält Gewand,
Almosenspeise, Wohnstätte und das Nötige an Heil-
mitteln und Arzneien. Und einer der Asketen oder
Priester denkt dabei: »Ach, daß doch diesem Verehrten
Gewand, Almosenspeise, Wohnstätte und das Nötige
an Heilmitteln und Arzneien nicht zuteil werden
möchte!« Das, ihr Mönche, nennt man üblen Neid.
Übler Neid aber, ihr Mönche, ist weder in Werken
noch in Worten zu überkommen, sondern eben durch
wiederholtes weises Erkennen.
Übler Wunsch, ihr Mönche, ist weder in Werken
noch in Worten zu überkommen, sondern eben durch
wiederholtes weises Erkennen. Was aber, ihr- Mönche,
ist übler Wunsch? Obwohl da einer, ihr Mönche, ver-
trauenslos ist, möchte er gerne, daß man ihn für ver-
trauensvoll hielte. Obwohl er sittenlos ist, möchte
er gerne, daß man ihn für sittenrein hielte. Obwohl
er unwissend ist, möchte er gerne, daß man ihn für
wissensreich hielte. Obwohl er an Geselligkeit Freude
hat, möchte er gerne, daß man ihn für losgelöst hielte.
Obwohl er träge ist, möchte er gerne, daß man ihn
für strebsam hielte. Obwohl er unachtsam ist, möchte er
er gerne, daß man ihn für achtsam hielte. Obwohl er
ungesammelt ist, möchte er gerne, daß man ihn für
gesammelt hielte. Obwohl er töricht ist, möchte er
gerne, daß man ihn für einsichtsvoll hielte. Obwohl
er nicht von den Leidenschaften erlöst ist, möchte er
— 288 —
ZEHNERBUCH XS4
gerne, daß man ihn für einen von Leidenschiaften Er-
lösten hielte. Das, ihr Mönche, nennt man üblen Ehr-
geiz. Übler Wunsch aber, ihr Mönche, ist weder durch
Werke noch durch Worte zu überkommen, sondern
eben durch wiederholtes weises Erkennen.
Wenn da, ihr Mönche, Gier, Haß, Verblendung,
Zorn, Wut, Heuchelei, Eifersucht, Geiz, übler Neid
und übler Wunsch den Mönch beherrschen, so hat man
von ihm zu wissen: »Nicht erkennt der Verehrte der-
art, daß ihn beim Erkennen keine Gier mehr ankommt.
Darum eben beherrschen ihn Gier, Haß, Verblendung,
Zorn, Wut, Heuchelei, Eifersucht, Geiz, übler Neid
und übler Wunsch.«
Wenn aber, ihr Mönche, Gier, Haß, Verblendung,
Zorn, Wut, Heuchelei, Eifersucht, Geiz, übler Neid
und übler Wunsch den Mönch nicht beherrschen, so
hat man von ihm zu wissen: »Wohl erkennt der Ver-
ehrte derart, daß ihn beim Erkennen keine Gier mehr
ankommt. Darum eben beherrschen ihn nicht Gier,
Haß, Verblendung, Zorn, Wut, Heuchelei, Eifersucht,
Geiz, übler Neid und übler Wunsch.«
Trug und Wirklichkeit 24
]Bei Sahajäti im Lande der Cetier]
Der ehrwürdige Mahäcundo sprach:
Da, ihr Brüder, behauptet ein Mönch, er besitze
Erkenntnis und kenne dieses Gesetz, verstehe dieses
Gesetz. — Oder er behauptet, er besitze Entfaltung
(bhävanä) und sei entfaltet in Werken, entfaltet in
Sittlichkeit, entfaltet im Geiste, entfaltet in Ein-
sicht. — Oder er behauptet, er besitze sowohl Erkennt-
— 289 — 19
X24 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
nis als auch Entfaltung, er kenne dieses Gesetz, ver-
stehe dieses Gesetz, und sei entfaltet in Werken, in
Sittlichkeit, im Geiste und in Einsicht,
Wenn nun aber, ihr Brüder, Gier, Haß, Ver-
blendung, Zorn, Wut, Heuchelei, Eifersucht, Geiz,
übler Neid und übler Wunsch den Mönch beherrschen,
so hat man von ihm zu wissen: »Nicht erkennt der
Verehrte derart, daß ihm beim Erkennen keine Gier
mehr ankommt. Darum eben beherrschen ihn Gier,
Haß, Verblendung, Zorn, Wut, Heuchelei, Eifersucht,
Geiz, übler Neid und übler Wunsch.«
Wenn da, ihr Brüder, zum Beispiel ein Unbe-
mittelter sich als bemittelt ausgibt, ein Unbegüterter
als begütert, ein Armer als reich, er aber dann bei
irgend einer eingetretenen Geldangelegenheit nicht
imstande ist, Geld oder Getreide, Silber oder Gold zu
verleihen, so weiß man eben von ihm: »Obwohl da
dieser Verehrte unbemittelt ist, gibt er sich als be-
mittelt aus; obwohl er unbegütert ist, gibt er sich als
begütert aus; obwohl er arm ist, gibt er sich als reich
aus. Dieser Verehrte ist ja bei einer eintretenden
Geldangelegenheit nicht imstande, Geld oder Getreide,
Silber oder Gold zu verleihen.«
Ebenso auch, ihr Brüder, behauptet da ein Mönch,
er besitze sowohl Erkenntnis als auch Entfaltung,
er kenne dieses Gesetz, verstehe dieses Gesetz, und sei
entfaltet in Werken, in Sittlichkeit, im Geiste und in
Einsicht. Wenn nun aber, ihr Brüder, Gier, Haß,
Verblendung, Zorn, Wut, Heuchelei, Eifersucht, Geiz,
übler Neid und übler Wunsch den Mönch beherrschen,
so hat man von ihm zu wissen: »Nicht erkennt der
Verehrte derart, daß ihn beim Erkennen keine Gier
— 290 -
ZEHNERBUCH X 24
mehr ankommt. Darum eben beherrschen ihn Gier,
Haß, Verblendung, Zorn, Wut, Heuchelei, Eifersucht,
Geiz, übler Neid und übler Wunsch.«
Da, ihr Brüder, behauptet ein Mönch, er besitze
Erkenntnis und kenne dieses Gesetz, verstehe dieses
Gesetz. — Oder er behauptet, er besitze Entfaltung
(bhävanä) und sei entfaltet in Werken, entfaltet in
Sittlichkeit, entfaltet im Geiste, entfaltet in Einsicht.
— Oder er behauptet, er besitze sowohl Erkenntnis
als auch Entfaltung, er kenne dieses Gesetz, verstehe
dieses Gesetz, und sei entfaltet in Werken, in Sitt-
lichkeit, im Geiste und in Einsicht.
Wenn nun, ihr Brüder, Gier, Haß, Verblendung,
Zorn, Wut, Heuchelei, Eifersucht, Geiz, übler Neid
und übler Wunsch den Mönch beherrschen, so hat
man von ihm zu wissen: »Wohl erkennt der Ver-
ehrte derart, daß ihm beim Erkennen keine Gier mehr
ankommt. Darum eben beherrschen ihn nicht Gier,
Haß, Verblendung, Zorn, Wut, Heuchelei, Eifersucht,
Geiz, übler Neid und übler Wunsch.«
Wenn da, ihr Brüder, z. B. ein Bemittelter sich
als bemittelt bezeichnet, ein Begüterter als begütert,
ein Reicher als reich, und er dann bei irgend einer
eingetretenen Geldangelegenheit imstande ist, Geld
oder Getreide, Silber oder Gold zu verleihen, so weiß
man von ihm: »Weil da eben dieser Verehrte bemittelt
ist, bezeichnet er sich als bemittelt, weil er begütert
ist, bezeichnet er sich als begütert, weil er reich ist,
bezeichnet er sich als reich. Denn dieser Verehrte ist
ja bei einer eintretenden Geldangelegenheit wohl im-
stande, Geld oder Getreide, Silber oder Gold zu ver-
leihen.«
— 291 — 19*
1^
SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Ebenso auch, ihr Brüder, behauptet da ein Mönch,
daß er sowohl Erkenntnis als auch Entfaltung besitze,
daß er dieses Gesetz kenne, dieses Gesetz verstehe,
und daß er entfaltet sei in Werken, in Sittlichkeit,
im Geiste und in Einsicht. Und wenn da, ihr Brüder,
Gier, Haß, Verblendung, Zorn, Wut, Heuchelei, Eifer-
sucht, Geiz, übler Neid und übler Wunsch den Mönch
nicht beherrschen, so hat man von ihm zu wissen:
»Wohl erkennt der Verehrte derart, daß ihm beim
Erkennen keine Gier mehr ankommt. Darum eben
beherrschen ihn nicht Gier, Haß, Verblendung, Zorn,
Wut, Heuchelei, Eifersucht, Geiz, übler Neid und
übler Wunsch.«
25 Die zehn Allheitsgebiete
Zehn Allheitsgebiete gibt es, ihr Mönche: welche
zehn?
Da nimmt einer die Erde als Allheit (kasina)
wahr, über sich, unter sich, ringsherum, ungeteilt,
unermeßlich; der eine nimmt das Wasser als Allheit
wahr, — der eine das Feuer, — der eine den Wind, —
der eine das Blaue, — der eine das Gelbe, — der eine
das Rote, — der eine das Weiße, — der eine den
Raum, — der eine das Bewußtsein, über sich, unter
sich, ringsherum, ungeteilt, unermeßlich. Das, ihr
Mönche, sind die zehn Allheitsgebiete.
36 Des Herzens Friede
Einst weilte der ehrwürdige Mahä-Kaccäno im
Lande der Avantier auf dem Runden Berge bei Kura-
— 292 —
ZEHNERBUCH X 26
raghara (Falkenheim). Da kam die Anhängerin Käli
aus Kuraraghara zum ehrwürdigen Mahä-Kaccäno, be-
grüßte ihn ehrfurchtsvoll und setzte sich zur Seite
nieder. Zur Seite aber sitzend sprach die Anhängerin
Käli aus Kuraraghara also zum ehrwürdigen Mahä-
Kaccäno:
„Dies, 0 Ehrwürdiger, hat der Erhabene auf die
Fragen hinsichtlich der Töchter (Mahrs) erwidert:
»Als ich die Heerschar, die so lieblich schöne,
Hatt' überwunden und ich einsam aussann
Des Heils Erringung und des Herzens Frieden,
Ja, da erkannte, da erschaute ich mein Glück.
D'rum wähl' ich keinen Menschen mir zum Freunde
Mach' keinen Menschen zum Genossen mir.«
,,Wie aber, o Ehrwürdiger, hat man den Sinn
dieser kurzen Worte des Erhabenen ausführlich zu
verstehen?"
,, Einige Asketen und Priester, o Schwester, die
die Erreichung der »Erdallheit<< (pathavi-kasina) als
Höchstes betrachten, haben ihr Ziel erreicht. Das
Höchste aber, o Schwester, was es in der Erreichung
der Erdallheit gibt, das hat der Erhabene durchschaut,
und es durchschauend gewahrte der Erhabene die Ent-
stehung, gewahrte er das Übel, gewahrte er den Aus-
weg und erlangte den Erkenntnisblick hinsichtlich des
rechten und des verkehrten Pfades. Indem er aber
die Entstehung, das Übel und den Ausweg gewahrte
(1) Die drei Töchter Mahrs, der Personifikation des bösen
Prinzips, sind Begehren, Lust und Unlust (tanhä, rati, arati). Die
«rwähnte Stelle findet sich in Samyutta-Nikäya, I, pag. 126 (P. T. S.).
— 293 —
^ X27 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
und den Erkenntnisblick hinsichtlich des rechten und
verkehrten Pfades erlangte, da erkannte er die Er-
reichung des Zieles und des Herzens Frieden.
„Einige Asketen und Priester, o Schwester, die
die Erreichung der Wasserallheit, — der Feuerallheit,
— der Windallheit, — der Allheit Blau, — der Allheit
Gelb, — der Allheit Rot, — der Allheit Weiß, — der
■ Raumallheit, — der Bewußtseinsallheit als Höchstes
betrachten, haben ihr Ziel erreicht. Das höchste aber,
0 Schwester, was es in der Erreichung der Bewußt-
seinsallheit gibt, das hat der Erhabene durchschaut,
und es durchschauend gewahrte der Erhabene die Ent-
stehung, gewahrte er das Übel, gewahrte er den Aus-
weg und erlangte den Erkenntnisblick hinsichtlich des
rechten und des verkehrten Pfades. Indem er aber
die Entstehung, das Übel und den Ausweg gewahrte
und den Erkenntnisblick hinsichtlich des rechten und
verkehrten Pfades erlangte, da erkannte er die Er-
reichung des Zieles und des Herzens Frieden.
,,So also, 0 Schwester, hat man den Sinn dieser
kurzen Worte des Erhabenen ausführlich zu verstehen."
27 • Die zehn Probleme
(0
Einst weilte der Erhabene im Jetahaine bei Sä-
vatthi, im Kloster des Anäthapindiko. Und zahlreiche
Mönche kleideten sich in der Frühe an, nahmen Ge-
wand und Schale und begaben sich nach Sävatthi um
Almosen. Da aber sagten sich jene Mönche: »Noch
zu früh ist es, um in Sävatthi um Almosen zu gehen.
So laßt uns denn zum Kloster der andersgläubigen
— 294 —
ZEHNERBUCH X 27
Pilger gehen!« Und jene Mönche begaben sich zum
Kloster der andersgläubigen Pilger. Dort angelangt
wechselten sie mit jenen andersgläubigen Pilgern
freundlichen Gruß; und nach Austausch freundlicher
und geziemender Worte setzten sie sich zur Seite.
Als sie sich aber gesetzt hatten, sprachen jene anders-
gläubigen Pilger zu den Mönchen:
,,Der Asket Gotamo, ihr Brüder, belehrt also seine
Jünger: »Geht, ihr Mönche, und ergründet das ganze
Gesetz; und das ganze Gesetz immer wieder ergründend
möget ihr verweilen!« Auch wir, ihr Brüder, belehren
auf diese Weise unsere Jünger. Was besteht da also,
ihr Brüder, für ein Unterschied, was für eine Beziehung,
was für eine Verschiedenheit zwischen dem Asketen
Gotamo und uns in der Darlegung des Gesetzes und
in der Unterweisung?"
Jene Mönche aber weder billigten noch mißbilligten
die Worte der andersgläubigen Pilger. Ohne zu loben
oder zu tadeln erhoben sie sich von ihren Sitzen und
gingen fort, denkend: »Vom Erhabenen werden wir
den Sinn dieser Worte erfahren«. Nachdem nun jene
Mönche von ihrem Almosengange in Sävatthi zurück-
gekehrt waren, begaben sie sich am Nachmittage, nach
Beendigung des Mahles, zum Erhabenen und teilten
ihm die Sache mit.
[Der Erhabene:] ,, Auf diese Worte, ihr Mönche, hat
man den andersgläubigen Pilgern, folgendes zu ent-
gegnen: »Was, ihr Brüder, ist das einfache Problem
mit einer einfachen Aussage und einer einfachen Er-
klärung, was das zweifache Problem mit einer zwei-
fachen Aussage und einer zweifachen Erklärung, was
das dreifache Problem mit einer dreifachen Aussage
- 295 —
X87 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
und einer dreifachen Erklärung, was das vierfache
Problem mit einer vierfachen Aussage und einer vier-
fachen Erklärung, was das fünffache Problem mit einer
fünffachen Aussage und einer fünffachen Erklärung,
was das sechsfache Problem mit einer sechsfachen
Aussage und einer sechsfachen Erklärung, was das
siebenfaciie Problem mit einer siebenfachen Aussage
und einer siebenfachen Erklärung, was das achtfache
Problem mit einer achtfachen Aussage und einer acht-
fachen Erklärung, was das neunfache Problem mit
einer neunfachen Aussage und einer neunfachen Er-
klärung, was das zehnfache Problem mit einer zehn-
fachen Aussage und einer zehnfachen Erklärung?«
Auf diese Fragen, ihr Mönche, werden die anders-
gläubigen Pilger nichts erwidern können und überdies
noch in Verdruß geraten. Und warum? Weil das eben,
ihr Mönche, nicht in ihrem Bereiche liegt. Nicht einen
sehe ich, ihr Mönche, in der Welt der Dewen, Mahren
und Götter, der Schar der Asketen und Priester, Him-
melswesen und Menschen, der durch eine Erklärung
dieser Probleme das Herz befriedigen könnte, ausge-
nommen den Vollendeten oder den Jünger des Voll-
«*ndeten oder den, der es durch ihn erfahren hat,
,, Ich habe also gesagt, daß es ein einfaches Problem
gibt mit einer einfachen Aussage und einer einfachen
Erklärung. Mit Rücksicht aber worauf habe ich dies
gesagt?
,,Der Mönch, ihr Mönche, der da einer Erscheinung
völlig überdrüssig ist, sich völlig von ihr abwendet,
sich völlig befreit, das völlige Ende gewahrt und sein
Heil völlig durchschaut, der macht noch bei Lebzeiten
dem Leiden ein Ende. Welches aber ist die eine Er-
296
ZEHNERBUCH X27
scheinung? Daß alle Wesen von der Nahrung ab-
hängig sind. Der Mönch, ihr Mönche, der da dieser
einen Erscheinung völlig überdrüssig ist, sich völlig
von ihr abwendet, sich völlig befreit, das völlige Ende
gewahrt und sein Heil völlig durchschaut, der macht
noch bei Lebzeiten dem Leiden ein Ende. Wurde also
gesagt, daß es ein einfaches Problem gibt mit einer
einfachen Aussage und einer einfachen Erklärung, so
wurde dies eben mit Rücksicht hierauf gesagt. (1)
,,Ich habe gesagt, daß es ein zweifaches Problem
gibt mit einer zweifachen Aussage und einer zwei-
fachen Erklärung. Mit Rücksicht aber worauf habe
ich dies gesagt?
,,Der Mönch, ihr Mönche, der da zweier Erschei-
nungen völlig überdrüssig ist, sich völlig von ihr ab-
wendet, sich völlig befreit, das völlige Ende gewahrt
und sein Heil völlig durchschaut, der macht noch
bei Lebzeiten dem Leiden ein Ende. Welches aber
sind die zvv^ei Erscheinungen? Körperlichkeit und
Geist (näma-rüpa). — Welches sind die drei Erschei-
nungen? Die drei Arten der Gefühle. — Welches
sind die vier Erscheinungen? Die vier Arten der
Nahrung. — Welches sind die fünf Erscheinungen?
Die fünf mit Anhaften verbundenen Daseins-
aggregate (upadänä-kkhandha). — Welches sind
die ^echs Erscheinungen? Die sechs subjektiven
Sinnenorgane. — Welches sind die sieben Erschei-
(1) Daß es ein Gesetz gibt, durch dessen Durchdringung der
Mönch die Erlösung findet: das bildet die Aussage (uddesa). Welches
dieses eine Gesetz ist, bildet das Problem. Und daß alle Wesen von
der Nahrung abhängig sind, bildet die Erklärung. (Nach Komm.)
— 297 —
X28 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
nungen? Die sieben Bewußtseinsstätten (I). —
Welches sind die acht Erscheinungen? Die acht
Weltgesetze (2). — Welches sind die neun Erschei-
nungen? Die neun Daseinsformen der Wesen (3).
— Welches sind die zehn Erscheinungen? Die zehn
schuldvollen Wirkensfährten (4). Der Mönch,
ihr Mönche, der da dieser zehn schuldvollen Wirkens-
fährten völlig überdrüssig ist, sich völlig von ihnen ab-
wendet, sich völlig befreit, das völlige Ende gewahrt
und sein Heil völlig durchschaut, der macht noch bei
Lebzeiten dem Leiden ein Ende. Wurde also gesagt,
daß es ein zehnfaches Problem gibt mit einer zehn-
fachen Aussage und einer zehnfachen Erklärung, so
wurde dies eben mit Rücksicht hierauf gesagt."
28 Die zehn Probleme
(2)
Einst weilte der Erhabene im Bambushaine bei
Kajahgalä. Und zahlreiche Anhänger aus Kajahgalä
begaben sich zu der Kajahgaler Nonne, begrüßten sie
ehrfurchtsvoll und setzten sich zur Seite nieder. Zur
Seite aber sitzend sprachen die Anhänger also zu der
Kajahgaler Nonne:
,,Dies, 0 Ehrwürdiger, hat der Erhabene hinsicht-
lich der Großen Fragen gesagt: ^Ein einfaches Problem
gibt es mit einer einfachen Aussage und einef ein-
fachen Erklärung. Ein zweifaches Problem gibt es
(1) Erklärt in VU, 49.
(2) Erkl. in VIII, 5, 6.
(3) ErkL in IX, 24.
(4) Sehr ausführlieh erklärt in X, 176.
— 298 —
ZEHNERBUCH X 28
mit einer zweifachen Aussage und einer zweifachen
Erklärung. Ein dreifaches Problem gibt es mit einer
dreifachen Aussage und einer dreifachen Erklärung.
Ein vierfaches Problem gibt es mit einer vierfachen
Aussage und einer vierfachen Erklärung. Ein fünf-
faches Problem gibt es mit einer fünffachen Aussage
und einer fünffachen Erklärung. Ein sechsfaches
Problem gibt es mit einer sechsfachen Aussage und
einer sechsfachen Erklärung. Ein siebenfaches Problem
gibt es mit einer siebenfachen Aussage und einer
siebenfachen Erklärung. Ein achtfaches Problem gibt
es mit einer achtfachen Aussage und einer achtfachen
Erklärung. Ein neunfaches Problem gibt es mit einer
neunfachen Aussage und einer neunfachen Erklärung.
Ein zehnfaches Problem gibt es mit einer zehnfachen
Aussage und einer zehnfachen Erklärung.« Wie aber,
0 Ehrwürdiger, hat man den Sinn dieser kurzen Worte
des Erhabenen ausführlich zu verstehen?"
,, Nichts habe ich, ihr Brüder, darüber vom Er-
habenen gehört, nichts aus seinem Munde vernommen;
auch habe ich darüber nichts von geistgeübten Mönchen
gehört, nichts aus ihrem Munde vernommen. Viel-
leicht aber fällt mir hier das Richtige ein. So höret
denn und achtet wohl auf meine Worte!"
,,Ja, 0 Ehrwürdiger!" erwiderten die Anhänger
aus Kajahgalä der Kajangaler Nonne. Und die Kajafi-
galer Nonne sprach:
,,Der Erhabene hat also gesagt, daß es ein Problem
gibt mit einer einfachen Aussage und einer einfachen
Erklärung. Mit Rücksicht worauf aber hat dies der
Erhabene gesagt?
„Der Mönch, ihr Brüder, der da einer Erscheinung
— 299 —
X28 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
völlig überdrüssig ist, sich völlig von ihr abwendet, sich
völlig befreit, das völlige Ende gewahrt und sein Heil
völlig durchschaut, der macht noch bei Lebzeiten dem
Leiden ein Ende. Welches aber ist diese eine Erschei-
nung? Daß alle Wesen von der Nahrung abhängig
sind. — Welches sind die zwei Erscheinungen? Körper-
lichkeit und Geist. — Welches sind die drei Erschei-
nungen? Die drei Arten der Gefühle. Der Mönch,
ihr Brüder, der da dieser drei Erscheinungen völlig
überdrüssig ist, sich völlig von ihnen abwendet, sich
völlig befreit, das völlige Ende gewahrt und sein Heil
völlig durchschaut, der macht noch bei Lebzeiten dem
Leiden ein Ende. — Welches sind die vier Erschei-
nungen? Die vier Grundlagen der Achtsamkeit.
Der Mönch, ihr Brüder, der da in diesen vier Grund-
lagen der Achtsamkeit seinen Geist vollkommen ent-
faltet hat, das völlige Ende gewahrt und sein Heil
völlig durchschaut, der macht noch bei Lebzeiten
dem Leiden ein Ende. — Welches sind die fünf Er-
scheinungen? Die fünf Fähigkeiten? — Welches
sind die sechs Erscheinungen? Die sechs subjektiven
Sinnenorgane, — Welches sind die sieben Erschei-
nungen? Die sieben Glieder der Erleuchtung. —
Welches sind die acht Erscheinungen? Der edle acht-
fache Pfad. Der Mönch, ihr Brüder, der da in diesen
acht Erscheinungen seinen Geist vollkommen ent-
faltet hat, das völlige Ende gewahrt und sein Heil
völlig durchschaut, der macht noch bei Lebzeiten
dem Leiden ein Ende. — Welches sind die neun Er-
scheinungen? Die neun Daseinsformen der Wesen.
Der Mönch, ihr Brüder, der da dieser neun Erschei-
nungen völlig überdrüssig ist, sich völlig von ihnen ab-
— 300 —
ZEHNERBUCH X 28
wendet, sich völlig befreit, das völlige Ende gewahrt
und sein Heil völlig durchschaut, der macht noch bei
Lebzeiten dem Leiden ein Ende. — Welches sind die
zehn Erscheinungen? Die zehn verdienstvollen
Wirkensfährten. Der Mönch, ihr Brüder, der in
diesen zehn Erscheinungen seinen Geist vollkommen
entfaltet hat, das völlige Ende gewahrt und sein Heil
völlig durchschaut, der macht noch bei Lebzeiten dem
Leiden ein Ende. — Hat also der Erhabene gesagt,
daß es ein zehnfaches Problem gibt mit einer zehn-
fachen Aussage und einer zehnfachen Erklärung, so
hat er dies eben mit Rücksicht hierauf gesagt.
,,So also, ihr Brüder, verstehe ich ausführlich den
Sinn dessen, was der Erhabene in kurzen Worten hin-
sichtlich der Großen Fragen gesagt hat. Wenn ihr
wollt, ihr Brüder, mögt ihr nun zum Erhabenen gehen
und ihn über diese Sache befragen. Wie es euch der
Erhabene erklären wird, so mögt ihr sie euch merken.
,,Gut, 0 Ehrwürdiger!" erwiderten die Anhänger aus
Kajahgalä der Kajahgaler Nonne, indem sie den
Worten der Nonne Beifall spendeten und billigten, und
erhoben sich von ihren Sitzen. — Darauf begrüßten
sie ehrfurchtsvoll die Kajahgaler Nonne, gingen rechts
herum und begaben sich zum Erhabenen.- Dort an-
gelangt begrüßten sie ehrfurchtsvoll den Erhabenen
und teilten ihm darauf alles mit, was sie zusammen mit
der Kajahgaler Nonne gesprochen hatten.
[Der Erhabene:] ,, Recht so, recht so, ihr Hausleute!
Weise, ihr Hausleute, ist die Nonne aus Kajangalä.
Ein hohes Wissen, ihr Hausleute, besitzt die Nonne
aus Kajangalä. Auch wenn ihr zu mir gekommen
wäret, ihr Hausleute, und hättet mich über diese Sache
— 301
X29 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
befragt, so hätte auch ich dieselbe genau so erklärt,
wie sie die Nonne aus Kajaiigalä erklärt hat. Denn
dieses ist eben der Sinn derselben, und so mögt ihr ihn
behalten."
29 AllvergängHchkeit
Soweit, ihr Mönche, es Käsier und Kosaler gibt,
und soweit sich das Reich des Kosaler Königs Pasenadi
erstreckt, soweit eben gilt der Kosaler König Pasenadi
als der Höchste. Aber auch bei dem Kosaler König
Pasenadi, ihr Mönche, da zeigt sich Veränderung und
Wechsel. Solches erkennend, ihr Mönche, empfindet
der wissende edle Jünger Ekel davor. Indem er aber
Ekel davor empfindet, wendet er sich ab von dem
Höchsten, um wieviel mehr gar vom Niedrigen.
Soweit, ihr Mönche, Sonne und Mond kreisen und
die Himmel im Lichte erstrahlen, soweit reicht eine
tausendfache Welt. In jener tausendfachen Welt aber
gibt es tausend Monde, tausend Sonnen, tausend Merus
Könige der Berge, tausend Jambudipas, tausend Apara-
goyänas, tausend Uttarakurus, tausend Pubbavide-
has (1), viertausend mächtige Könige, tausend Himmel
der Vier Großen Könige, tausend Himmel der Dreißig-
unddreißig, tausend Yämahimmel, tausend Himmel
der Seligen, tausend Himmel der Schaffensfreudigen
Himmelswesen, tausend Himmel der über die Erzeug-
(1) Pubba-Videha (Ost-Videha), Apara-goyäna (West- Ochsen-
wagen), Uttara-Kuru (Nord-Kuru) und Jambu-dipa (Rosenapfel-
Insel) sind nach altindischer Auffassung die um das Mahameru-
gebirge in den vier Himmelsrichtungen gruppierten vier Kontinente.
Jambudipa schließt Indien ein.
— 302 —
ZEHNERBUCH X 29
nisse der Anderen verfügenden Himmelswesen, tausend
Brahmawelten. Soweit nun, ihr Mönche, ein tausend-
faches Weltsystem reicht, da gilt der Große Brahma
als der Höchste. Aber auch beim Großen Brahma, ihr
Mönche, da zeigt sich Veränderung und Wechsel.
Solches erkennend, ihr Mönche, empfindet der wissende
edle Jünger Ekel davor. * Indem et aber Ekel davor
empfindet, wendet er sich ab vom Höchsten, um wie-
viel mehr gar vom Niedrigen.
Es kommt eine Zeit, ihr Mönche, wo diese Welt
sich auflöst. Bei der Auflösung der Welt aber, ihr
Mönche, werden die Wesen alle unter den »Strahlenden
Himmelswesen« wiedergeboren. Dort verweilen jene
Geistgezeugten, Wonnegenießenden, in eignem Glänze
Erstrahlenden, die Lüfte durchkreisend und in Selig-
keit dahin lebend lange Zeiten hindurch. Bei der Auf-
lösung der Welt, ihr Mönche, gelten die Strahlenden
Himmelswesen als die Höchsten. Aber auch bei den
Strahlenden Himmelswesen, ihr Mönche, da zeigt sich
Veränderung und Wechsel. Solches erkennend, ihr
Mönche, empfindet der wissende edle Jünger Ekel
davor. Indem er aber Ekel davor empfindet, wendet
er sich ab vom Höchsten, um wieviel mehr gar vom
Niedrigen.
Zehn Allheitsgebiete gibt es, ihr Mönche, welche
zehn?
Da nimmt einer die Erde als Allheit (kasina)
wahr, über sich, unter sich, ringsherum, ungeteilt,
unermeßlich; der eine nimmt das Wasser als Allheit
wahr, — der eine das Feuer, — der eine den Wind, —
der eine das Blaue, — der eine das Gelbe, — der eine
das Rote, — der eine das Weiße, — der eine den Raum,
803 —
X29 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
• — der eine das Bewußtsein, über sich, unter sich,
ringsherum, ungeteilt, unermeßlich. Das, ihr Mönche,
sind die zehn Allheitsgebiete. Als höchstes aber, ihr
Mönche, von diesen zehn Allheitsgebieten gilt es,
wenn einer das Bewußtsein als Allheit wahrnimmt,
über sich, unter sich, ringsherum, ungeteilt, unermeß-
lich. Solcherart wahrnehmende Wesen gibt es, ihr
Mönche. Aber auch bei den solcherart wahrnehmenden
Wesen, ihr Mönche, da zeigt sich Veränderung und
Wechsel. Solches erkennend, ihr Mönche, empfindet
der wissende edle Jünger Ekel davor. Indem er aber
Ekel davor empfindet, wendet er sich ab vom Höchsten,
um wieviel mehr gar vom Niedrigen.
Acht Überwindungsgebiete gibt es, ihr Mönche:
welche acht?
Bei sich Formen wahrnehmend, sieht da einer
nach Außen hin begrenzte Formen, schöne oder häß-
liche; und diese überwindend versteht er: »Ich weiß,
ich erkenne«. Dies ist das erste Überwindungsgebiet.
Bei sich Formen wahrnehmend sieht da einer nach
Außen hin unbegrenzte Formen, schöne oder häßliche,
und diese überwindend versteht er: »Ich weiß, ich
erkenne«. Dies ist das zweite Überwindungsgebiet.
Bei sich keine Formen wahrnehmend sieht einer
nach Außen hin begrenzte Formen, schöne oder häß-
liche; und diese überwindend, versteht er: »Ich weiß,
ich erkenne«. Dies ist das dritte Überwindungsgebiet.
Bei sich keine Formen wahrnehmend, sieht einer
nach Außen hin unbegrenzte Formen, schöne oder
häßliche; und diese überwindend, versteht er: »Ich
weiß, ich erkenne«. Dies ist das vierte Überwindungs-
gebiet.
— 304 —
ZEHNERBUCH X29
Bei sich keine Formen wahrnehmend sieht einer
nach Außen hin blaue Formen von blauer Farbe,
blauem Aussehen, blauem Glänze. Gleichwie etwa
die Flachsblüte oder ein beiderseits geglätteter Be-
naresstoff blau ist, von blauer Farbe, blauem Aus-
sehen, blauem Glänze; ebenso auch sieht da einer
bei sich keine Formen wahrnehmend, nach Außen hin,
blaue Formen, von blauer Farbe, blauem Aussehen,
blauem Glänze. Und diese überwindend versteht er:
»Ich weiß, ich erkenne.« Dies ist das fünfte Über-
windungsgebiet.
Bei sich keine Formen wahrnehmend sieht einer
nach Außen hin gelbe Formen, von gelber Farbe,
gelbem Aussehen, gelbem Glänze. Gleichwie etwa
die Kannikärablüte oder ein beiderseits geglätteter
Benaresstoff gelb ist, von gelber Farbe, gelbem Aus-
sehen, gelbem Glänze: ebenso auch, bei sich keine
Formen wahrnehmend, sieht da einer nach Außen
hin gelbe Formen, von gelber Farbe, gelbem Aussehen,
gelbem Glänze. Und dieses überwindend versteht
er: »Ich weiß, ich erkenne«. Dies ist das sechste Über-
windungsgebiet.
Bei sich keine Formen wahrnehmend sieht einer
nach Außen hin rote Formen, von roter Farbe, rotem
Aussehen, rotem Glänze. Gleichwie etwa die Schuh-
blume oder ein beiderseits geglätteter Benaresstoff rot
ist, von roter Farbe, rotem Aussehen, rotem Glänze:
ebenso auch, bei sich keine Formen wahrnehmend,
sieht da einer nach Außen hin rote Formen, von roter
Farbe, rotem Aussehen, rotem Glänze. Und diese
überwindend versteht er: »Ich weiß, ich erkenne«.
Dies ist das siebente Überwindungsgebiet.
— 305 — 20
X29 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Bei sich keine Formen wahrnehmend, sieht einer
nach Außen hin weiße Formen von weißer Farbe,
weißem Aussehen, weißem Glänze. Gleichwie etwa
der Morgenstern oder ein beiderseits geglätteter Be-
naresstoff weiß ist, von weißer Farbe, weißem Aus-
sehen, weißem Glänze: ebenso auch, bei sich keine
Formen wahrnehmend, sieht da einer nach Außen hin
weiße Formen, von weißer Farbe, weißem Aussehen,
weißem Glänze. Und diese überwindend versteht er:
»Ich weiß, ich erkenne«. Dies ist das achte Überwin-
dungsgebiet.
Diese acht Überwindungsgebiete gibt es, ihr
Mönche. Als höchstes aber, ihr Mönche, von diesen
acht Überwindungsgebieten gilt es, wenn einer, bei
sich keine Formen wahrnehmend, nach Außen hin
weiße Formen sieht, von weißer Farbe, weißem Aus-
sehen, weißem Glänze, und diese überwindend ver-
steht: »Ich weiß, ich erkenne«. Auch solcherart wahr-
nehmende Wesen gibt es, ihr Mönche. Aber auch bei
den solcherart wahrnehmenden Wesen, ihr Mönche,
da zeigt sich Veränderung und Wechsel. Solches er-
kennend, ihr Mönche, empfindet der wissende edle
Jünger Ekel davor. Indem er aber Ekel davor
empfindet, wendet er sich ab vom Höchsten, um wieviel
mehr gar vom Niedrigen.
Vier Pfade gibt es, ihr Mönche: welche vier? Den
mühsamen mit langsamer Einsicht verbundenen Pfad,
den mühsamen mit schneller Einsicht verbundenen
Pfad, den leichten mit langsamer Einsicht verbundenen
Pfad und den leichten mit schneller Einsicht verbun-
denen Pfad. Diese vier Pfade gibt es, ihr Mönche. Der
höchste aber, ihr Mönche, von diesen vier Pfaden ist
— 306 —
X29 ZEHNERBUCH
der leichte mit schneller Einsicht verbundene Pfad.
Auch solcherart wahrnehmende Wesen gibt es, ihr
Mönche. Aber auch bei den solcherat wahrnehmenden
Wesen, ihr Mönche, da zeigt sich Veränderung und
Wechsel. Solches erkennend, ihr Mönche, empfindet
der wissende edle Jünger Ekel davor. Indem er aber
Ekel davor empfindet, wendet er sich ab vom Höchsten,
um wieviel mehr gar vom Niedrigen.
Vier Arten der Wahrnehmung gibt es, ihr Mönche:
welche vier? Einer nimmt Begrenztes wahr; einer
nimmt Erhabenes wahr; einer nimmt Unbegrenztes
wahr; einer nimmt, in der Vorstellung: »Nichts ist
da,* das Gebiet des Nichtdaseins wahr. Diese vier
Arten der Wahrnehmung gibt es, ihr Mönche. Die
höchste aber, ihr Mönche, dieser vier Arten der Wahr-
nehmung ist es, wenn einer, in der Vorstellung: »Nichts
ist da,« das Gebiet des Nichtdaseins wahrnimmt.
Auch solcherart wahrnehmende Wesen gibt es, ihr
Mönche. Aber auch bei den solcherart wahrnehmenden
Wesen, ihr Mönche, da zeigt sich Veränderung und
Wechsel. Solches erkennend, ihr Mönche, empfindet
der wissende edle Jünger Ekel davor. Indem er aber
Ekel davor empfindet, wendet er sich ab vom Höchsten,
um wieviel mehr gar vom Niedrigen.
Das, ihr Mönche, ist die höchste unter den An-
sichten der anderen Asketen, nämlich: »Wäre ich nicht
schon gewesen, so möchte mir jetzt kein Dasein be-
schieden sein; wenn ich nicht mehr sein werde, wird
es auch für mich nichts mehr geben.« Bei einem, ihr
Mönche, der solche Ansicht hegt, da hat man zu er-
warten, daß er keine Zuneigung zum Dasein mehr
haben wird und keine Abneigung gegen Aufhebung
_ 307 — 20*
X29 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
des Daseins. Auch Wesen mit solchen Ansichten gibt
es, ihr Mönche. Aber auch bei den Wesen mit solchen
Ansichten, ihr Mönche, da zeigt sich Veränderung und
Wechsel. Solches erkennend, ihr Mönche, empfindet
der wissende edle Jünger Ekel davor. Indem er aber
Ekel davor empfindet, wendet er sich ab vom Höchsten,
um wieviel mehr gar vom Niedrigen.
Einige Asketen und Priester, ihr Mönche, lehren
die absolute Reinheit. Als Höchstes aber, ihr Mönche,
gilt es bei den Lehrern der absoluten Reinheit, wenn
man nach völliger Überwindung des Gebietes des
Nichtdaseins in das Gebiet der Weder-Wahrnehmung-
Noch-Nichtwahrnehmung eingetreten ist. Dieses durch-
schauen sie, und zu dessen Verwirklichung weisen sie
das Gesetz. Auch Wesen, die solches lehren, gibt es,
ihr Mönche. Aber auch bei den Wesen, die solches
lehren, ihr Mönche, da zeigt sich Veränderung und
Wechsel. Solches erkennend, ihr Mönche, empfindet
der wissende edle Jünger Ekel davor. Indem er aber
Ekel davor empfindet, wendet er sich ab vom Höchsten,
um wieviel mehr gar vom Niedrigen.
Einige Asketen und Priester, ihr Mönche, ver-
künden das höchste Nirwahn bei Lebzeiten. Als
Höchstes aber, ihr Mönche, gilt bei den Lehrern des
höchsten Nirwahns bei Lebzeiten, der sechs Berüh-
rungsgebiete Entstehung und Untergang, Genuß und
Elend sowie den Ausweg der Wirklichkeit gemäß er-
kennen und sich 'haftlos zu erlösen. Mich aber, ihr
Mönche, der ich solches lehre, solches verkünde, be-
schuldigen einige Asketen und Priester in falscher,
nichtiger, unehrlicher, unwahrer Weise, indem sie
sagen: »Nicht verkündet der Asket Gotamo der Sinnen^
— 308 —
ZEHNERBUCH X 30
dinge völlige Durchschauung, nicht verkündet er der
dormen völlige Durchschauung, nicht verkijndet er
Fer Gefühle völlige Durchschauung.« Doch verkünde
ich, ihr Brüder, der Sinnendinge völlige Durchschauung,
verkünde der Formen völlige Durchschauung, ver-
künde der Gefühle völlige Durchschauung und gestillt,
entwähnt, kühl geworden, verkünde ich schon bei
Lebzeiten das haftlose völlige Nirwahn.
Die Huldigung durch König Pasenadi 30
Einst weilte der Erhabene im Jetahaine bei Sä-
vatthi im Kloster des Anäthapindiko. Damals nun
aber war gerade der Kösalerkönig Pasenadi aus einer
Schlacht siegreich heimgekehrt, nachdem er seinen
Zweck erreicht hatte. Und der Kösalerkönig Pase-
nadi begab sich zum Kloster. Nachdem er mit dem
Wagen, soweit der Fahrweg reichte, gefahren war,
stieg er vom Wagen und trat zu Fuße im Kloster-
hofe ein.
Bei jener Gelegenheit wandelten gerade zahlreiche
Mönche im Freien auf und ab. Zu jenen Mönchen trat
der König hin und sprach: „Wo, ihr Ehrwürdigen,
weilt wohl eben der Erhabene, Heilige, Vollkommen
Erleuchtete? Ich möchte, ihr Ehrwürdigen, jenen
Erhabenen, Heiligen, Vollkommen Erleuchteten auf-
suchen." „Diese Zelle mit der verschlossenen Türe ist
es, 0 König. Dort begib dich leise hin und tritt ohne
Überhastung auf die Terrasse. Darauf räuspere dich
und klopfe an die Türe. Der Erhabene wird dir dann
die Türe öffnen."
Und der Kösalerkönig Pasenadi begab sich leise
— 309 —
X30 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
zu jener verschlossenen Zelle und trat ohne Über-
hastung auf die Terrasse. Darauf räusperte er sich
und klopfte an der Türe an. Und der Erhabene öffnete
die Türe. Darauf trat der König in die Zelle ein, und,
sich mit seinem Haupte bis zu des Erhabenen Füßen
verbeugend, überhäufte er mit Küssen die Füße des
Erhabenen und umschlang sie mit seinen Armen, in-
dem er seinen Namen wissen ließ: ,,Pasenadi bin ich,
0 Ehrwürdiger, der Kosalerkönig. Pasenadi bin ich,
0 Ehrwürdiger, der Kosalerkönig."
,,Aus welchem Grunde aber, o König, erweisest
du diesem Körper solch höchste Ehrfurcht und liebe-
volle Hingabe?"
,,Aus Dankbarkeit und Erkenntlichkeit, o Ehr-
würdiger, erweise ich dem Erhabenen solche höchste
Ehrfurcht und liebevolle Hingabe. Denn der Er-
habene, 0 Ehrwürdiger, wandelt vielen Menschen zum
Heile, vielen Menschen zum Wohle; und viele hat er
auf dem edlen Richtwege gefestigt, im edlen und ver-
dienstvollen Gesetze. Aus diesem Grunde erweise ich
dem Erhabenen solche höchste Ehrfurcht und liebe-
volle Hingabe.
,, Fernerhin, o Ehrwürdiger, ist der Erhabene
sittenrein, hat ehrwürdige, edle, gute Sitten, ist mit
guten Sitten ausgestattet. Auch aus diesem Grunde
erweise ich dem Erhabenen solche höchste Ehrfurcht
und liebevolle Hingabe.
,, Fernerhin, o Ehrwürdiger, bewohnt der Erhabene
seit langer Zeit als Waldeinsiedler im Walde wald-
einsame, abgelegene Behausungen. Auch aus diesem
Grunde erweise ich dem Erhabenen solche höchste
Ehrfurcht und liebevolle Hingabe.
— 310 —
ZEHNERBUCH X 30
„Fernerhin, o Ehrwürdiger, ist der Erhabene zu-
frieden mit dem, was er auch immer erhält an Ge-
wand, Almosenspeise, Lagerstätten, sowie an den
nötigen Heilmitteln und Arzneien. Auch aus diesem
Grunde erweise ich dem Erhabenen solche höchste
Ehrfurcht und liebevolle Hingabe.
,, Fernerhin, o Ehrwürdiger, ist der Erhabene
würdig der Opfer, würdig der Gastfreundschaft, würdig
der Gaben, würdig des ehrfurchtsvollen Handgrußes,
ist in der Welt der beste Boden für verdienstvolle
Werke. Auch aus diesem Grunde erweise ich dem
Erhabenen solche höchste Ehrfurcht und liebevolle
Hingabe.
,, Fernerhin, o Ehrwürdiger: was da diese läutern-
den, für die geistige Entfaltung so heilsamen Beleh-
rungen betrifft, als wie Belehrungen über Bedürfnis-
losigkeit, Zufriedenheit, Einsamkeit, Abgeschiedenheit,
Willenskraft, Sittlichkeit, Sammlung, Einsicht, Er-
lösung und den Erkenntnisblick der Erlösung, alle
solche Belehrungen werden dem Erhabenen nach
Wunsch, ohne Mühe und Anstrengung, zuteil. Auch
aus diesem Grunde erweise ich dem Erhabenen solche
höchste Ehrfurcht und liebevolle Hingabe.
,, Fernerhin, o Ehrwürdiger, wird der Erhabene
der vier Vertiefungen, der geisterhebenden, zeitlich
beglückenden, nach Wunsch, ohne Mühe und An-
strengung, teilhaftig. Auch aus diesem Grunde er-
weise ich dem Erhabenen solche höchste Ehrfurcht und
liebevolle Hingabe.
,, Fernerhin, o Ehrwürdiger, erinnert sich der Er-
habene an mannigfache frühere Daseinsformen. Auch
— 311 —
X30 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
aus diesem Grunde erweise ich dem Erhabenen solche
höchste Ehrfurcht und liebevolle Hingabe.
„Fernerhin, o Ehrwürdiger, erkennt der Erhabene
mit dem Himmlischen Auge, dem geklärten, über-
menschlichen, wie die Wesen abscheiden und wieder-
erscheinen, niedrige und edle, schöne und häßliche,
glückliche und unglückliche, erkennt wie die Wesen
ihren Taten entsprechend wiedererscheinen. Auch
aus diesem Grunde erweise ich dem Erhabenen solche
höchste Ehrfurcht und liebevolle Hingabe.
,, Fernerhin, o Ehrwürdiger, hat der Erhabene,
durch Versiegung der Leidenschaften, schon bei Leb-
zeiten die leidenschaftslose Gemütserlösung und Wis-
senserlösung selber erkannt, verwirklicht und sich zu
eigen gemacht. Auch aus diesem Grunde erweise ich
dem Erhabenen solche höchste Ehrfurcht und liebe-
volle Hingabe.
,,Ich muß nun gehen, o Ehrwürdiger. Viele Ge-
schäfte und Angelegenheiten habe ich noch zu er-
ledigen."
,,Wie es dir beliebt, o König."
Und Pasenadi der Kosalerkönig erhob sich von
seinem Sitze, begrüßte ehrfurchtsvoll den Erhabenen
und, ihm die Rechte zukehrend, entfernte er sich.
— 312
ZEHNERBUCH X 31
VIERTER TEIL:
Das Kapitel des Upali
Der Zweck der Ordenssatzung (pätimokkha) ^^
Der ehrwürdige Upäli sprach zum Erhabenen:
„Aus wievielen Gründen, o Ehrwürdiger, hat wohl
der Erhabene seinen Jüngern die Übungsregeln
(sikkhä-padä) vorgeschrieben und die Ordenssatzung
vorgetragen?"
,,Aus zehn Gründen, Upäli, hat der Erhabene
seinen Jüngern die Übungsregeln vorgeschrieben und
die Ordenssatzung vorgetragen: aus welchen zehn?
Zu der Jüngerschaft Segen, zu der Jüngerschaft Wohl-
befinden, zur Unterdrückung der unbändigen Menschen,
zu der guten Mönche Wohlbefinden, zu der gegen-
wärtigen Leidenschaften Zügelung, der künftigen Leiden-
schaften, Abwendung um in den Vertrauenslosen das
Vertrauen zu wecken, die Vertrauensvollen zu stärken,
zu des Guten Gesetzes langer Dauer und zur Förderung
der Disziplin."
,, Wieviele Hinderungsgründe zum Vortrage der
Ordenssatzung gibt es, o Ehrwürdiger?
,,Zehn Hinderungsgründe zum Vortrage der Ordens-
satzung gibt es, Upäli: welche zehn? Wenn ein Aus-
zustoßender päräjika (1) sich in der Versammlung be-
(1) Ein Mönch, der eine der vier »mit Ausstoßung verbundenen
Vergehen« (päräjika) begangen hat. Dieselben sind: Menschenmord,
Diebstahl, Geschlechtsakt und Vorgeben von höheren Fähigkeiten.
— 313 —
X32 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
findet; wenn die Untersuchung wegen eines Auszu-
stoßenden noch nicht beendet ist; wenn ein Nicht-
geweihter (1) in der Versammlung zugegen ist; wenn
die Untersuchung wegen eines Nichtgeweihten noch
nicht beendet ist; wenn ein der Askese abtrünnig Ge-
wordener (2) in der Versammlung anwesend ist; wenn
die Untersuchung wegen eines der Askese abtrünnig
Gewordenen noch nicht beendet ist; wenn ein Ent-
mannter sich (3) in der Versammlung befindet; wenn
die Untersuchung wegen eines Entmannten noch nicht
beendet ist; wenn ein Nonnenschänder sich in der Ver-
sammlung befindet; wenn die Untersuchung wegen
eines Nonnenschänders noch nicht beendet ist. Das,
Upäli, sind die zehn Hinderungsgründe zum Vortrage
der Ordenssatzung."
32 Des Klosters verweisen
„Mit wievielen Eigenschaften, o Ehrwürdiger,
muß der Mönch ausgestattet sein, um zum Verweiser
ernannt zu werden?"
„Mit zehn Eigenschaften, Upäli: mit welchen zehn?
,,Da, Upäli, ist der Mönch sittenhaft, beherrscht
(1) Einer der nicht die Ordensweihe (upasampadä) erhalten
hat, kein Bhikkha ist, also ein Novize (Sämanera) oder irgend ein
anderer dem Orden (sangha) nicht Angehörender.
(2) D. i. einer, der bereits aus dem Bhikkhu-Orden ausge-
schieden ist.
(3) Eunuchen dürfen, offenbar wegen ihres Mangels an geistiger
Entwicklung imd Charakterfestigkeit, nicht in den Orden aufge-
nommen werden. Sind sie aber dennoch aufgenommen worden,
so müssen sie, sobald man sie als solche erkannt hat, sofort wieder
entlassen werden.
— SU —
ZEHNERBUCH X33— 34
sich im Sinne der Ordenssatzung, ist vollkommen im
Wandel und Umgang, und sich vor den geringsten Ver-
gehen scheuend übt er sich in den auf sich genom-
menen Sittenregeln.
„Er ist wissensreich, ein Träger des Wissens, hat
sich ein großes Wissen angesammelt. Jene Gesetze,
die im Anfang erhaben, in der Mitte erhaben und am
Ende erhaben sind, dem Sinne wie dem Wortlaute
nach, und das ganz und gar vollkommene, geläuterte
Heilige Leben lehren, solcher Gesetze hat er viele
vernommen, sich eingeprägt, in Worten behalten, im
Geiste erwogen, mit Erkenntnis wohl durchdrungen.
,,Mit beiden Ordenssatzungen hat er sich in allen
Einzelheiten wohl vertraut gemacht, sie wohl zer-
gliedert, sich klar gelegt und gründlich erforscht den
Sutten wie dem Wortlaute nach.
•,,In der Disziplin ist er fest und unerschütterlich.
„Heilsames wie Unheilsames, beides weiß er ver-
ständlich, anschaulich, deutlich und klar zu machen.
„Er versteht es, einen Streit in seinem Entstehen
zu unterdrücken. Er kennt den Streit, kennt die Ent-
stehung des Streites, kennt die Aufhebung des Streites,
kennt den zur Aufhebung des Streites führenden Pfad.
Mit diesen zehn Eigenschaften, Upäli, muß der Mönch
ausgestattet sein, um zumVerweiser ernannt zu werden."
Der rechte Ordenslehrer 33 — 34
„Mit wievielen Eigenschaften, o Ehrwürdiger,
muß der Mönch ausgestattet sein, um die »Weihe«
(upasämpadä) zu erteilen, »Beistand (nissaya) zu
gewähren oder einen »Novizen« (sämanera) aufzu-
nehmen?"
— 315 —
X35 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
„Mit zehn Eigenschaften, Upäh: mit welchen
zehn? Da, Upäli, ist der Mönch sittenhaft, mit großem
Wissen ausgestattet, kennt ausführlich die Ordens-
satzung, besitzt die Fähigkeit einem Kranken aufzu-
warten oder aufwarten zu lassen, die Fähigkeit Unlust
zu vertreiben oder vertreiben zu lassen, die Fähigkeit
aufgestiegene Gewissensruhe im Sinne des Gesetzes zu
verscheuchen oder verscheuchen zu lassen, die Fähig-
keit eine aufgestiegene Ansicht aufgrund des Gesetzes
abzutun, die Fähigkeit zu hoher Sittlichkeit anzu-
regen, die Fähigkeit zu hoher Geistigkeit anzuregen,
die Fähigkeit zu hoher Einsicht anzuregen. Mit diesen
zehn Eigenschaften, Upäli, muß der Mönch ausge-
stattet sein, um die Weihe zu erteilen, Beistand zu ge-
währen oder einen Novizen aufzunehmen."
^5 Die Ordensspaltung
,,Von »Ordensspaltung« (sangha-bheda) redet
man da, o Ehrwürdiger. Inwiefern aber, o Ehrwürdiger,
gilt der Orden als gespalten?"
,,Da, Upäli, legen die Mönche ein Nichtgesetz als
Gesetz und ein Gesetz als Nichtgesetz aus; legen eine
falsche Disziplin als rechte Disziplin und eine rechte
Disziplin als falsche Disziplin aus; legen das vom Voll-
endeten nicht Gelehrte und Gesprochene als vom Voll-
endeten gelehrt und gesprochen und das vom Voll-
endeten Gelehrte und Gesprochene als vom Vollendeten
nicht gelehrt und gesprochen aus; legen das vom Voll-
endeten nicht Ausgeübte als vom Vollendeten ausgeübt
und das vom Vollendeten Ausgeübte als vom Voll-
'Cndeten nicht ausgeübt aus; legen das vom Vollendeten
— 316 —
ZEHNERBUCH X 36
nicht Eingesetzte als vom Vollendeten eingesetzt aus
und das vom Vollendeten Eingesetzte als vom Voll-
endeten nicht eingesetzt aus.
,, Durch diese zehn Dinge aber lenken sie ab, leiten
irre, verrichten getrennt di.e Ordenshandlungen (1),
tragen getrennt die Ordenssatzung vor. Insofern nun,
Upäli, gilt der Orden als gespalten."
Einigkeit im Orden 3ft
,,Von Ordenseinigkeit redet man da, o Ehrwürdiger.
Inwiefern aber, o Ehrwürdiger, gilt der Orden als
einig?"
„Da, Upäli, erklären die Mönche ein Nichtgesetz
als Nichtgesetz und ein Gesetz als Gesetz; erklären
eine falsche Disziplin als falsche Disziplin und eine
rechte Disziplin als rechte Disziplin; erklären das vom
Vollendeten nicht Gelehrte und Gesprochene als vom
Vollendeten nicht gelehrt und gesprochen und das vom
Vollendeten Gelehrte und Gesprochene als vom Voll-
endeten gelehrt und gesprochen; erklären das vom
Vollendeten nicht Ausgeübte als vom Vollendeten nicht
ausgeübt und das vom Vollendeten Ausgeübte als vom
Vollendeten ausgeübt; erklären das vom Vollendeten
nicht Eingesetzte als vom Vollendeten nicht eingesetzt
und das vom Vollendeten Eingesetzte als vom Voll-
endeten eingesetzt.
,, Durch diese zehn Dinge aber lenken sie nicht
(1) Die häufigsten der Ordenshandlungen oder Sanghakammas
sind: der Weiheakt (upasampadä-kamma), Fasttagsakt (upösatha-
kamma) und Vergebungsakt (abbhäna-kamma).
— 317 —
^38 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
ab, leiten nicht irre, verrichten nicht getrennt die
Ordenshandlungen, tragen nicht getrennt die Ordens-
satzung vor. Insofern, Upäli, gilt der Orden als einig.
^8 Ordensspalter and Ordenseiniger
Der ehrwürdige Änando sprach zum Erhabenen:
,,Was, 0 Ehrwürdiger, erwirkt sich einer, der den
einigen Orden entzweit?"
,,Eine für ein Weltzeitalter andauernde Strafe,
Änando."
,, Worin aber, o Ehrwürdiger, besteht die für ein
Weltzeitalter andauernde Strafe?"
„Darin, daß er ein Weltzeitalter in der Hölle
Qualen leidet."
„Wer da den einigen Orden entzweiet,
Gelangt für Äonen zum Abgrund der Hölle.
„Voll Freude an Zwiespalt, im Bösen verweilend,
Irrt immer weiter er ab vom Frieden.
„So er den einigen Orden entzweite,
Trifft ihn äonenlang höllische Pein."
,,Was aber, o Ehrwürdiger, erwirkt sich einer,
•der den entzweiten Orden wieder einigt?"
„Göttlichen Lohn, Änando."
„Worin aber, o Ehrwürdiger, besteht der gött-
liche Lohn?"
„Darin, daß er ein Weltzeitalter im Himmel
frohlockt."
— 318 —
ZEHNERBUCH X88
,, Ein Segen ist Eintracht im Orden der Jünger,
Ein Segen ist der Entzweiten Versöhnung.
„Voll Freude an Eintracht, im Guten verharrend,
Irret man nimmermehr ab vom Frieden.
Wer da den Orden zur Einigkeit führte,
Den trifft äonenlang himmlisches Glück."
319 —
X41 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
FÜNFTER TEIL:
Das Kapitel der Beschimpfung
41 Die Ursachen des Streites
(1)
Der ehrwürdige Upäli sprach:
„Was ist da wohl die Ursache, o Ehrwürdiger, was
der Grund, wenn in der Mönchsgemeinde Zank, Zwist,
Hader und Streit entstehen und die Mönche nicht in
Frieden leben können? — Wieviele Ursachen des
Streites gibt es, o Ehrwürdiger?"
„Zehn Ursachen des Streites gibt es, Upäli:
welche zehn?
,,Da, Upäli, legen die Mönche ein Nichtgesetz als
Gesetz und ein Gesetz als Nichtgesetz aus; legen eine
falsche Disziplin als rechte Disziplin und eine rechte
Disziplin als falsche Disziplin aus; legen das vom
Vollendeten nicht Gelehrte und Gesprochene als vom
Vollendeten gelehrt und gesprochen und das vom
Vollendeten Gelehrte und Gesprochene als vom Voll-
endeten nicht gelehrt und gesprochen aus; legen das
vom Vollendeten nicht Ausgeübte als vom Vollendeten
ausgeübt und das vom Vollendeten Ausgeübte als vom
Vollendeten nicht ausgeübt aus; legen das vom Voll-
endeten nicht Eingesetzte als vom Vollendeten ein-
gesetzt aus und das vom Vollendeten Eingesetzte als
vom Vollendeten nicht eingesetzt aus. Dies, Upäli,
sind die zehn Ursachen des Streites.
— 320 —
ZEHNERBUCH X 43. 44
Die Ursachen des Streites 43
(2)
„Wieviele Ursachen des Streites gibt es, o Ehr-
würdiger?"
„Zehn Ursachen des Streites gibt es, UpäH:
welche zehn?
„Da, Upäli, erklären die Mönche ein Nichtvergehen
für ein Vergehen und ein Vergehen für ein Nichtver-
gehen, erklären ein leichtes Vergehen für ein schweres
Vergehen und ein schweres Vergehen für ein leichtes
Vergehen, erklären ein bösartiges Vergehen für ein
nicht bösartiges Vergehen und ein nicht bösartiges
Vergehen für ein bösartiges Vergehen, erklären ein
unvollständiges Vergehen für ein vollständiges Ver-
gehen und ein vollständiges Vergehen für ein unvoll-
ständiges Vergehen, erklären ein sühnbares Vergehen
für ein nicht sühnbares Vergehen und ein nicht sühn-
bares Vergehen für ein sühnbares Vergehen. Dies,
Upäli, sind die zehn Ursachen des Streites.
Die Bedingungen Jür einen Ermahner 44
[Bei Kusinärä an der Opferstätte im Waldesdickicht]
Der ermahnende Mönch, ihr Mönche, der einen
anderen ermahnen will, hat fünf Jahre bei sich zu er-
wägen und sich an fünf Dinge zu erinnern, bevor er
den anderen ermahnt.
Welche fünf Dinge hat er bei sich zu erwägen?
Der ermahnende Mönch, ihr Mönche, der einen
anderen ermahnen will, hat bei sich also zu erwägen:
»Benehme ich mich wohl lauter in Werken? Bin ich
mit einem lauteren Benehmen in Werken ausgestattet,
— 321 — 21
X44 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
einem unversehrten, unantastbaren? Besitze ich wohl
diese Eigenschaft oder nicht?« Wenn nämlich, ihr
Mönche, der Mönch sich nicht lauter benimmt in
Werken, nicht mit einem lauteren, unversehrten, un-
antastbaren Benehmen in Werken ausgestattet ist,
so wn-d man ihm sagen: »Komm, möge der Verehrte
erst in Werken sich benehmen lernen!« Das wird man
ihm sagen.
Fernerhin, ihr Mönche, hat der ermahnende Mönch,
der einen anderen ermahnen will, bei sich also zu er-
wägen: »Benehme ich mich wohl lauter in Worten? —
hege ich wohl eine liebevolle, von Groll freie Gesinnung
gegen meine Ordensbrüder? — besitze ich wohl ein
großes Wissen? — kenne ich wohl in allen Einzelheiten
die beiden Ordenssatzungen? Besitze ich wohl diese
Eigenschaft oder nicht?« Wenn nämlich, ihr Mönche,
der Mönch nicht in allen Einzelheiten die beiden Ordens-
satzungen kennt, so wird man ihm sagen: »Komm,
möge der Verehrte erst die Ordensdisziplin lernen!«
So wird man ihm sagen.
Diese fünf Dinge hat er bei sich zu erwägen. An
welche fünf Dinge aber hat er sich zu erinnern?
»Zur rechten Zeit will ich reden, nicht zur Unzeit,
wahr will ich reden, nicht unwahr; sanft will ich reden,
nicht roh; zweckmäßig will ich reden, nicht unzweck-
mäßig; mit liebevoller Gesinnung will ich reden, nicht
mit innerer Gehässigkeit.« An diese fünf Dinge hat
er sich zu erinnern.
Der ermahnende Mönch, ihr Mönche, der einen
anderen ermahnen will, hat jene fünf Dinge bei sich
zu erwägen und sich an diese fünf Dinge zu erinnern,
bevor er den anderen ermahnt.
— 322 —
ZEHNERBUCH X 45
Die Nachteile beim Betreten des Itönig- 45
lictien Palastes
Zehn Nachteile, ihr Mönche, bietet das Betreten
des königlichen Palastes: welche zehn?
Da, ihr Mönche, sitzen König und Königin zu-
sammen. Ein Mönch aber tritt herein, und bei seinem
Anblicke zeigt die Königin ein Lächeln; oder der Mönch
zeigt ein Lächeln beim Anblicke der Königin. Da
kommt dem König der Gedanke: *>Sicherlich haben
die beiden sich vergangen oder wollen sich vergehen.«
Das, ihr Mönche, ist der erste Nachteil beim Betreten
des königlichen Palastes.
Fernerhin, ihr Mönche, da war der König gerade
zur Zeit wo er viele Geschäfte und Angelegenheiten
zu erledigen hatte, zu einer der Frauen gegangen und
erinnert sich dessen nicht mehr. Jene aber wird durch
ihn schwanger. Da sagt sich der König: »Niemand
außer dem Mönche kommt doch hier her; sollte das
nicht etwa das Werk des Mönches sein?« Das, ihr
Mönche, ist der zweite Nachteil beim Betreten des
königlichen Palastes.
Fernerhin, ihr Mönche: da verschwindet aus dem
königlichen Palaste ein Juwel. Da sagt sich der König:
»Niemand außer äem Mönche kommt doch hier her;
sollte das nicht etwa das Werk des Mönches sein?«
Das, ihr Mönche, ist der dritte Nachteil beim Betreten
des Palastes.
Fernerhin, ihr Mönche: die Geheimnisse innerhalb
des königlichen Palastes werden der Außenwelt be-
kannt. Da sagt sich der König: »Niemand außer dem
Mönche kommt doch hier her; sollte das nicht etwa
_ 323 — 21*
X45 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
das Werk des Mönches sein?« Das, ihr Mönche, ist
der vierte Nachteil beim Betreten des Palastes.
Fernerhin, ihr Mönche: da vergreift sich im könig-
lichen Palaste der Vater an seinem Sohne oder der
Sohn an seinem Vater. Da denken die anderen: »Nie-
mand außer dem Mönche kommt doch hier her; sollte
das nicht etwa das Werk des Mönches sein?« Das,
ihr Mönche, ist der fünfte Nachteil beim Betreten des
Palastes.
Fernerhin, ihr Mönche: da setzt der König einen,
der eine niedere Stellung verdient, in einer hohen
Stellung ein. Die damit Unzufriedenen aber sagen
sich: »Freilich, der König verkehrt mit dem Mönche;
sollte das nicht etwa das Werk des Mönches sein?«
Das, ihr Mönche, ist der sechste Nachteil beim Be-
treten des königlichen Palastes. ,
Fernerhin, ihr Mönche: da setzt der König einen,
der eine hohe Stellung verdient, in einer niederen
Stellung ein. Die damit Unzufriedenen aber sagen sich:
»Freilich, der König verkehrt mit dem Mönche; sollte
das nicht etwa das Werk des Mönches sein?« Das,
ihr Mönche, ist der siebente Nachteil beim Betreten
des königlichen Palastes.
Fernerhin, ihr Mönche: da sendet der König das
Heer zu verkehrter Zeit aus. Die damit Unzufriedenen
aber sagen sich: »Freilich, der König verkehrt mit
dem Mönche; sollte das nicht etwa das Werk des
Mönches sein?« Das, ihr Mönche, ist der achte Nach-
teil beim Betreten des königlichen Palastes.
Fernerhin, ihr Mönche: da läßt der König das
Heer, das er zur rechten Zeit ausgesandt hat, auf
halbem Wege umkehren. Die damit Unzufriedenen
— 324 —
ZEHNERBUCH X 46
aber sagen sich: Freilich, der König verkehrt mit dem
Mönche; sollte das nicht etwa das Werk des Mönches
sein?<. Das, ihr Mönche, ist der neunte Nachteil beim
Betreten des königlichen Palastes.
Fernerhin, ihr Mönche: im königlichen Palaste
hört man das Stampfen von Elefanten und Pferden
sowie das Gerassel der Wagen, und man gewahrt ver-
strickende Gestalten, Stimmen, Düfte und Gegen-
stände des Geschmackes und Tastsinnes, die dem
Mönche nicht zuträglich sind. Das, ihr Mönche, ist
der zehnte Nachteil beim Betreten des königlichen
Palastes.
Diese zehn Nachteile, ihr Mönche, bietet das Be-
treten des königlichen Palastes.
Der achtfache Fasttag 46
Einst weilte der Erhabene unter den Sakyern im
Feigenhaine bei Kapitavatthu. Und zahlreiche Sa-
kyer Anhänger begaben sich an jenem Tage, einem
Fasttage, zum Erhabenen. Dort angelangt begrüßten
sie ehrfurchtsvoll den Erhabenen und setzten sich zur
Seite nieder. Als sie sich aber zur Seite niedergesetzt
hatten, sprach der Erhabene also zu ihnen:
,, Beobachtet ihr wohl, o Sakyer, den achtfachen
Fasttag?"
,, Bisweilen, o Ehrwürdiger, bisweilen nicht."
„Schade ist es um euch, o Sakyer, schlecht trifft
es sich für euch, daß ihr bei einem so von Sorge und
Tod bedrohten Leben nur bisweilen den achtfachen
Fasttag beobachtet und bisweilen nicht.
„Was meint ihr, o Sakyer: wenn da ein Mann
— 325 —
X46 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
durch irgend ein Geschäft, ohne eine schuldvolle Hand-
lung zu begehen, sich an einem Tage einen halben
Taler verdient, möchte man den nicht mit Recht einen
tüchtigen, strebsamen Menschen nennen?"
,, Gewiß, 0 Ehrwürdiger."
,,Oder wenn da ein Mann durch irgend ein Ge-
schäft, ohne eine schuldvolle Handlung zu begehen,
sich an einem Tage einen Taler, oder zwei, drei, vier
oder fünf Taler, oder zehn, zwanzig, dreißig, vierzig
oder fünfzig Taler verdient, möchte man den nicht
mit Recht einen tüchtigen, strebsamen Menschen
nennen?"
,, Gewiß, 0 Ehrwürdiger."
,,Was meint ihr, o Sakyer: möchte wohl ein Mann,
der Tag für Tag hundert oder tausend Taler einnimmt
und das jedesmal Eingenommene sich zurücklegt, bei
einem Lebensalter von hundert Jahren, sich nicht wohl
ein gewaltiges Vermögen erwerben?"
,, Gewiß, 0 Ehrwürdiger."
„Vermöchte nun aber wohl jener Mann infolge
und aufgrund seiner Schätze, auf seine Schätze sich
stützend, auch nur eine einzige Nacht oder einen ein-
zigen Tag, oder eine halbe Nacht oder einen halben
Tag, im Gefühle vollkommenen Glückes zu verweilen?"
,,Das wohl nicht, o Ehrwürdiger."
,,Und warum nicht?"
,, Vergänglich, o Ehrwüriger, sind ja die Sinnen-
dinge, eitel, trügerisch, dem Verderben ausgesetzt."
,,Mein Jünger aber, o Sakyer, der da zehn Jahre
lang strebsam, eifrig, selbstentschlossen verweilend
nach meiner Weisung lebt, vermag selbst hundert
Jahre oder hundert mal hundert Jahre oder hundert
— 326 —
ZENHERBUCH X46
mal tausend Jahre oder hundert mal hunderttausend
Jahre im Gefühle vollkommenen Glückes zu verweilen.
Und jener mag sein ein Einmalwiederkehrender, ein
Niewiederkehrender oder einer, der vollkommen in
den Strom eingetreten ist,
,,Sei es um die zehn Jahre, o Sakyer. Mein Jünger,
der da neun, acht, sieben, sechs, fünf, vier, drei oder
zwei Jahre oder ein Jahr lang strebsam, eifrig, selbst-
entschlossen verweilend nach meiner Weisung lebt,
— der da zehn Monate lang oder neun, acht, sieben,
sechs, fünf, vier, drei oder zwei Monate oder einen
Monat oder einen halben Monat lang, — der da zehn
Tage und Nächte lang oder neun, acht, sieben, sechs,
fünf, vier, drei oder zwei Tage und Nächte oder einen
Tag und eine Nacht lang strebsam, eifrig, selbstent-
schlossen verweilend nach meiner Weisung lebt, ver-
mag selbst hundert Jahre oder hundert mal hundert
Jahre oder hundert mal tausend Jahre oder hundert
mal hunderttausend Jahre im Gefühle vollkommenen
Glückes zu verweilen. Und jener mag sein ein Ein-
malwiederkehrender, ein Niewiederkehrender oder einer,
der vollkommen in den Strom eingetreten ist.
,, Schade ist es um euch, o Sakyer, schlecht trifft
es sich für euch, daß ihr bei einem so von Sorge und
Tod bedrohten Leben nur bisweilen den achtfachen
Fasttag beobachtet und bisweilen nicht."
,,Von heute ab, o Ehrwürdiger, wollen wir den
achtfachen Fasttag innehalten." (1)
(1) über den achtfachen Fasttag siehe III, 70.
— 327 —
X48 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
47 Die Anlässe zu guter und böser Tat
[Im Großen Walde bei Vesäli in der Halle des Spitzen-
hauses]
Mahäli der Licchavier sprach zum Erhabenen:
,,Was ist wohl, o Ehrwürdiger, der Anlaß, was der
Grund zur Ausübung und Entstehung böser Tat?"
,,Gier, Mahäli, ist der Anlaß, Haß ist der Anlaß,
Verblendung ist der Anlaß, unweise Erwägung ist der
Anlaß, falsch gerichtete Gesinnung ist der Anlaß.
Das Mahäli, ist der Anlaß, das der Grund, zur Aus-
übung und Entstehung böser Tat."
,,Was aber, o Ehrwürdiger, ist der Anlaß, was der
Grund zur Ausübung und Entstehung guter Tat?"
,,Gierlosigkeit, Mahäli, ist der Anlaß, Haßlosig-
keit ist der Anlaß, Unverblendung ist der Anlaß, weise
Erwägung ist der Anlaß, recht gerichtete Gesinnung
ist der Anlaß. Das, Mahäli, ist der Anlaß, das der
Grund zur Ausübung und Entstehung guter Tat.
,, Möchten nämlich, Mahäli, in der Welt diese zehn
Dinge nicht anzutreffen sein, so möchte man weder
etwas von einem ungesetzlichen, ungeraden Wandel
wissen noch von einem gesetzlichen, geraden Wandel.
So nun aber, Mahäli, in der Welt diese zehn Dinge
anzutreffen sind, so kennt man eben sowohl einen
ungesetzlichen, ungeraden Wandel als auch einen ge-
setzlichen, geraden Wandel."
48 Die zehn Betrachtungen des Hauslosen
Zehn Dinge, ihr Mönche, sollte der Hauslose öfters
bei sich erwägen: welche zehn?
»In veränderte Verhältnisse bin ich eingetreten«:
das sollte der Hauslose öfters bei sich erwägen.
— 328 —
ZEHNERBUCH X 48
»Von anderen hängt mein Lebensunterhalt ab«:
das sollte der Hauslose öfters bei sich erwägen.
»Ein Anderes Benehmen muß ich zeigen«: das
sollte der Hauslose öfters bei sich erwägen.
»Mache ich mir etwa selber Vorwürfe wegen meiner
Sittlichkeit?«: das sollte der Hauslose öfters bei sich
erwägen.
»Machen verständige Ordensbrüder mir etwa Vor-
würfe wegen meiner Sittlichkeit?«: das sollte der Haus-
lose öfters bei sich erwägen.
»Von allem, was mir lieb und teuer ist, muß ich
scheiden und mich trennen«: das sollte der Hauslose
öfters bei sich erwägen.
»Eigner und Erbe meiner Taten bin ich, meinen
Taten entsprossen, mit ihnen verknüpft, habe sie
zur Zuflucht und werde die guten und bösen Taten,
die ich tue, zum Erbe haben«: das sollte der Hauslose
öfters bei sich erwägen.
»Auf welche Weise werde ich wohl diesen Tag und
diese Nacht verbringen?«: das sollte der Hauslose öfters
bei sich erwägen.
»Liebe ich wohl einsame Plätze?«: das sollte der
Hauslose öfters bei sich erwägen.
»Habe ich wohl das Ziel des übermenschlichen,
völlig edlen Erkenntnisblickes erreicht? Wenn mich
in meiner letzten Stunde die Ordensbrüder darum be-
fragen werden, will ich nicht verlegen sein«: das sollte
der Hauslose öfters bei sich erwägen.
Diese zehn Dinge, ihr Mönche, sollte der Haus-
lose öfters bei sich erwägen.
— 329 —
X50 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
49 An den Körper gebunden
Zehn Dinge, ihr Mönche, sind an den Körper
gebunden: welche zehn?
Kälte, Hitze, Hunger, Durst, Kot, Urin, Beherr-
schung in Werken, Beherrschung in Worten, Beherr-
schung in der Lebensweise und die wiedergeburts-
zeugende, zum Dasein führende Tatenbildung. Diese
zehn Dinge, ihr Mönche, sind an den Körper gebunden.
50 Zehn zu beachtende Eigenschaften
Einst weilte der Erhabene im Jetahaine bei Sä-
vatthi, im Kloster des Anäthapindiko. Damals aber
saßen zahlreiche Mönche nach Beendigung des Mahles,
am Nachmittage in der Empfangshalle versammelt bei-
einander und griffen, in Zank und Streit geraten, sich
gegenseitig in scharfen Worten an. Als nun der Er-
habene gegen Abend aus seiner Zurückgezogenheit
herausgetreten war, begab er sich zur Empfangshalle
und setzte sich dort auf dem bereiteten Sitze nieder.
Als der Erhabene sich aber gesetzt hatte, sprach er
also zu den Mönchen:
,,Bei welcher Unterhaltung, ihr Mönche, sitzt ihr
da wohl zusammen? Welche Unterhaltung habt ihr
da abgebrochen?"
,,Seit Beendigung des Mahles, o Ehrwürdiger, sitzen
wir den Nachmittag versammelt bei einander und
greifen, in Zank und Streit geraten, uns gegenseitig
in scharfen Worten an."
,,Für euch, ihr Mönche, die ihr aus Vertrauen von
Hause in die Hauslosigkeit gezogen seid, ziemt es sich
— 330 —
ZEHNERBUCH X 50
wahrlich nicht, daß ihr, in Zank und Streit geraten,
euch gegenseitig in scharfen Worten angreift.
,,Zehn zu beachtende Eigenschaften gibt es, ihr
Mönche, die Liebe und Achtung einflößen und zur Ver-
söhnlichkeit, Friedlichkeit, Eintracht und Einigkeit
führen: welche zehn?
,,Da, ihr Mönche, ist der Mönch sittenrein, lebt
beherrscht im Sinne der Ordenssatzung, ist vollkommen
im Wandel und Umgang, und vor den geringsten Ver-
gehen sich scheuend übt er sich in den auf sich ge-
nommenen Übungsregeln. Das aber ist eine zu be-
achtende Eigenschaft, die Liebe und Achtung einflößt
und zur Versöhnlichkeit, Friedlichkeit, Eintracht und
Einigkeit führt.
,, Fernerhin, ihr Mönche, ist der Mönch wissens-
reich, ein Träger des Wissens, hat sich ein großes
Wissen angesammelt. Jene Gesetze, die im Anfang
erhaben, in der Mitte erhaben, am Ende erhaben sind,
dem Sinne wie dem Wortlaute nach, und das ganz und
gar vollkommene, geläuterte Heilige Leben lehren,
solcher Gesetze hat er viele vernommen, sich einge-
prägt, in Worten behalten, im Geiste erwogen, mit
Erkenntnis wohl durchdrungen. Auch das ist eine zu
beachtende Eigenschaft, die Liebe und Achtung ein-
flößt und zur Versöhnlichkeit, Friedlichkeit, Eintracht
und Einigkeit führt.
,, Fernerhin, ihr Mönche, hat der Mönch edlen
Umgang, edle Gefährten, edle Genossen. Auch das
ist eine zu beachtende Eigenschaft, die Liebe und
Achtung einflößt und zur Versöhnlichkeit, Friedlich-
keit, Eintracht und Einigkeit führt.
,, Fernerhin, ihr Mönche, ist der Mönch versöhn-
— 331 —
X50 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
lieh, mit versöhnenden Eigenschaften begabt, nach-
giebig, nimmt mit der rechten Achtung eine Beleh-
rung an. Auch das ist eine zu beachtende Eigenschaft,
die Liebe und Achtung einflößt und zur Versöhnlich-
keit, Friedlichkeit, Eintracht und Einigkeit führt.
,, Fernerhin, ihr Mönche, ist der Mönch in allen
den kleinen und großen Pflichten gegen seine Ordens-
brüder tüchtig und eifrig, versteht sich dabei auf die
richtigen Mittel, zu handeln und anzuordnen. Auch
das ist eine zu beachtende Eigenschaft, die Liebe und
Achtung einflößt und zur Versöhnlichkeit, Friedlich-
keit, Eintracht und Einigkeit führt.
,, Fernerhin, ihr Mönche, besitzt der Mönch Liebe
zum Gesetze, ist höflich in der Unterhaltung und emp-
findet eine hohe Freude an dem erhabenen Gesetze
und der erhabenen Disziplin. Auch das ist eine zu
beachtende Eigenschaft, die Liebe und Achtung ein-
flößt und zur Versöhnlichkeit, Eintracht und Einig-
keit führt.
,, Fernerhin, ihr Mönche, setzt der Mönch seine
Willenskraft ein, um die schuldvollen Dinge zu über-
winden, die verdienstvollen Dinge aber zu erwecken,
ist standhaft, von gestählter Kraft, nicht nachlässig
im Guten. Auch das ist eine zu beachtende Eigen-
schaft, die Liebe und Achtung einflößt und zur Ver-
söhnlichkeit, Friedlichkeit, Eintracht und Einigkeit
führt.
„Fernerhin, ihr Mönche, ist der Mönch zufrieden
mit jederart Gewand, Almosenspeise, Lagerstatt und
den nötigen Heilmitteln und Arzneien. Auch das ist
eine zu beachtende Eigenschaft, die Liebe und Achtung
— 332 —
ZEHNERBUCH X 50
einflößt und zur Versöhnlichkeit, Friedlichi<eit, Ein-
tracht und Einigkeit führt.
„Fernerhin, ihr Mönche, ist der Mönch voll Acht-
samkeit, mit höchster Achtsamkeit und Klugheit aus-
gestattet. Was vor langer Zeit sich ereignete und ge-
sprochen wurde, dessen entsinnt und erinnert er sich.
Auch das ist eine zu beachtende Eigenschaft, die Liebe
und Achtung einflößt und zur Versöhnlichkeit, Fried-
lichkeit, Eintracht und Einigkeit führt.
„Fernerhin, ihr Mönche, ist der Mönch weise; er
besitzt Einsicht in das Entstehen und Vergehen, edle,
durchdringende, zu völliger Leidensvernichtung füh-
rende. Auch das ist eine zu beachtende Eigenschaft,
die Liebe und Achtung einflößt und zur Versöhnlich-
keit, Friedlichkeit, Eintracht und Einigkeit führt.
,,Das, ihr Mönche, sind die zehn zu beachtenden
Eigenschaften, die Liebe und Achtung einflößen und
zur Versöhnlichkeit, Friedlichkeit, Eintracht und Einig-
keit führen."
— 333 —
X51 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
SECHSTER TEIL:
Das Kapitel des eigenen Geistes
51 Selbstprüfung
[Im Jetahaine bei Sävatthi]
Wenn da, ihr Mönche, der Mönch nicht mit der
Geistesbeschaffenheit der anderen vertraut ist, so hat
er danach zu streben, mit der Beschaffenheit des eigenen
Geistes vertraut zu werden. Wie aber, ihr Mönche,
ist der Mönch mit der Beschaffenheit des eigenen
Geistes vertraut?
Gleichwie, ihr Mönche, wenn da ein Weib oder ein
junger, jugendlicher, schmuckliebender Mann, der in
einem reinen, klaren, hellen Spiegel oder Gefäße voll
Wasser sein Antlitz betrachtet, darin Staub oder
Schmutz bemerkt, er sich bemüht, diesen Staub und
Schmutz zu entfernen, und wenn er darin keinen Staub
und Schmutz bemerkt, er eben zufrieden und sein
Wunsch erfüllt ist: »Wohl mir, rein bin ich!«: ebenso
auch, ihr Mönche, ist der Mönch, während er sich be-
trachtet eifrig bestrebt zum Guten: »Verweile ich wohl
häufig voller Gier, oder verweile ich häufig gierlos?
Verweile ich häufig in gehässiger Gesinnung, oder
verweile ich häufig in haßloser Gesinnung? Verweile
ich häufig in Stumpfheit und Mattigkeit, oder verweile
häufig frei von Stumpfheit und Mattigkeit? Verweile
ich häufig aufgeregt, oder verweile ich häufig ohne
Aufregung? Verweile ich häufig im Zweifel, oder ver-
weile ich häufig frei von Zweifel? Verweile ich häufig
— 334 —
ZEHNERBUCH X 51
voll Zorn, oder verweile ich häufig ohne Zorn? Verweile
ich häufig befleckten Herzens, oder verweile ich häufig
unbefleckten Herzens? Verweile ich häufig geistig
bedrückt, oder verweile ich häufig geistig unbedrückt?
Verweile ich häufig in Trägheit, oder verweile ich häufig
voller Willenskraft? Verweile ich häufig ohne Samm-
lung, oder verweile ich häufig gesammelt?«
Erkennt nun, ihr Mönche, der Mönch bei seiner
Betrachtung, daß er häufig voll Gier verwelk, voll ge-
hässiger Gesinnung, Aufgeregtheit, Zweifel, Zorn, be-
fleckten Herzens, geistig bedrückt, träge und ohne
Sammlung, so hat eben, ihr Mönche, jener Mönch,
um diese üblen, schuldvollen Dinge zu überwinden,
äußersten Willensentschluß, Tatkraft, Streben, Aus-
dauer, Standhaftigkeit, Achtsamkeit und Geistesklar-
heit zu betätigen.
Gleichwie einer, ihr Mönche, dessen Kleider oder
Haare in Flammen stehen, um diese zu löschen, äußer-
sten Willensentschluß, Tatkraft, Streben, Ausdauer,
Standhaftigkeit, Achtsamkeit und Geistesklarheit da-
ransetzt: ebenso auch, ihr Mönche, hat jener Mönch,
um diese üblen, schuldvollen Dinge zu überwinden,
äußersten Willensentschluß, Tatkraft Streben, Aus-
dauer, Standhaftigkeit, Achtsamkeit und Geistesklar-
heit zu betätigen.
Erkennt aber, ihr Mönche, der Mönch bei seiner
Betrachtung, daß er häufig gierlos verweilt, voll haß-
loser Gesinnung, frei von Stumpfheit und Mattigkeit,
ohne Aufgeregtheit, zweifelentronnen, ohne Zorn, un-
befleckten Herzens, geistig unbedrückt, voll Willens-
kraft und Sammlung, so hat eben, ihr Mönche, jener
Mönch, in eben jenen verdienstvollen Erscheinungen
— 335
X53 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
gefestigt, fernerhin nach Versiegung der Leidenschaften
zu streben.
53 Rückschritt, Stillstand und Fortschritt
Nicht einmal den Stillstand im Guten lobe ich,
ihr Mönche, geschweige denn den Rückschritt. Nur
den Fortschritt im Guten lobe ich, ihr Mönche, nicht
. den Stillstand, nicht den Rückschritt.
Inwiefern aber, ihr Mönche, besteht ein Rück-
schritt im Guten, kein Stillstand, kein Fortschritt?
Wie stark, ihr Mönche, da auch ein Mönch sein mag
in Vertrauen, Sittlichkeit, Wissen, Freigebigkeit, Ein-
sicht und Schlagfertigkeit: wenn jene Eigenschaften
bei ihm weder bleiben noch zunehmen, so nenne ich
das eben, ihr Mönche, einen Rückschritt im Guten,
keinen Stillstand, keinen Fortschritt. Insofern, ihr
Mönche, besteht ein Rückschritt im Guten, kein Still-
stand, kein Fortschritt.
Inwiefern aber, ihr Mönche, besteht ein Stillstand
im Guten, kein Rückschritt, kein Fortschritt? Wie
stark, ihr Mönche, da auch ein Mönch sein mag in
Vertrauen, Sittlichkeit, Wissen, Freigebigkeit, Ein-
sicht und Schlagfertigkeit: wenn jene Eigenschaften
bei ihm weder abnehmen noch zunehmen, so nenne ich
das eben, ihr Mönche, einen Stillstand, im Guten,
keinen Rückschritt, keinen Fortschritt. Insofern nun,
ihr Mönche, besteht ein Stillstand im Guten, kein
Rückschritt, kein Fortschritt.
Inwiefern aber, ihr Mönche, besteht ein Fortschritt
im Guten, kein Stillstand, kein Rückschritt? Wie
stark, ihr Mönche, da auch ein Mönch sein mag in Ver-
— 336 —
ZEHNERBUCH X54
trauen, Sittlichkeit, Wissen, Freigebigkeit, Einsicht
und Schlagfertigkeit: wenn jene Eigenschaften bei ihm
weder so bleiben noch abnehmen, so nenne ich das
eben, ihr Mönche, einen Fortschritt im Guten, keinen
Stillstand, keinen Rückschritt. Insofern nun, ihr
Mönche, besteht ein Fortschritt im Guten, kein Still-
stand, kein Rückschritt. —
Selbstbetrachtung 54
(1)
— Wenn, ihr Mönche, der Mönch bei seiner Selbst-
betrachtung erkennt, daß er zwar die innere Gemüts-
ruhe besitzt, nicht aber das hohe Wissen des Wahr-
heitsblickes, so hat, ihr Mönche, jener Mönch, in der
Gemütsruhe gefestigt, um das hohe Wissen des Wahr-
heitsblickes zu kämpfen. In der Folgezeit wird er dann
sowohl innere Gemütsruhe besitzen als auch das hohe
Wissen des Wahrheitsblickes.
Wenn aber, ihr Mönche, der Mönch bei seiner
Selbstbetrachtung erkennt, daß er zwar das hohe
Wissen des Erkenntnisblickes besitzt, nicht aber die
innere Gemmtsruhe, so hat er, ihr Mönche, in dem hohen
Wissen des Wahrheitsblickes gefestigt, um die innere
Gemütsruhe zu kämpfen. In der Folgezeit wird er
dann sowohl das hohe Wissen des Wahrheitsblickes
besitzen als auch die innere Gemütsruhe.
Wenn aber, ihr Mönche, der Mönch bei seiner
Selbstbetrachtung erkennt, daß er weder die innere
Gemütsruhe besitzt noch auch das hohe Wissen des
Wahrheitsblickes, so hat, ihr Mönche, jener Mönch
äußersten Willensentschluß, Tatkraft, Streben, Aus-
— 337 — 22
X55 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
datier, Standhaftigkeit, Achtsamkeit und Geistesklarheit
zu betätigen, um alle diese verdienstvollen Dinge zu
erlangen.
Wenn aber, ihr Mönche, der Mönch bei seiner
Selbstbetrachtung erkennt, daß er sowohl die innere
Gemütsruhe besitzt als auch das hohe Wissen des Wahr-
heitsblickes, so hat, ihr Mönche, jener Mönch, in eben
jenen verdienstvollen Erscheinungen gefestigt, ferner-
hin nach Versiegung der Leidenschaften zu streben. —
Ö5 Selbstbetrachtung
(2)
Der ehrwürdige Sariputto sprach:
Inwiefern, ihr Brüder, hat wohl der Erhabene
einen Menschen als dem Rückschritte verfallen be-
zeichnet? Da, ihr Brüder, bekommt der Mönch ein
noch nicht vernommenes Gesetz nicht zu hören; die
bereits vernommenen Gesetze aber entfallen ihm; die
früher im Geiste erwogenen Gesetze fallen ihm nicht
mehr ein; das Unverstandene lernt er nicht verstehen.
Insofern, ihr Brüder, hat der Erhabene einen Menschen
als dem Rückfalle ausgesetzt bezeichnet.
Inwiefern aber, ihr Brüder, hat der Erhabene
einen Menschen als nicht dem Rückschritte verfallen
bezeichnet? Da, ihr Brüder, bekommt der Mönch ein
noch nicht vernommenes Gesetz zu hören; die bereits
vernom.menen Gesetze entfallen ihm nicht; die früher
im Geiste erwogenen Gesetze fallen ihm wieder ein;
das Unverstandene lernt er verstehen. Insofern, ihr
Brüder, hat der Erhabene einen Menschen als nicht
dem Rückfalle ausgesetzt bezeichnet.
— 338 -
ZEHNERBUCH X 55
Wenn da, ihr Mönche, der Mönch nicht mit der
Geistesbeschaffenheit der anderen vertraut ist, so hat
er danach zu streben, mit der Beschaffenheit des eigenen
Geistes vertraut zu werden. Wie aber, ihr Mönche,
ist der Mönch mit der Beschaffenheit des eigenen Geistes
vertraut?
Gleichwie, ihr Mönche, wenn da ein Weib oder
ein junger, jugendlicher, schmuckliebender Mann, der
in einem reinen, klaren, hellen Spiegel oder Gefäße
voll Wasser sein Antlitz betrachtet, darin Staub oder
Schmutz bemerkt, er sich bemüht, diesen Staub und
Schmutz zu entfernen, und wenn er darin keinen
Staub und Schmutz bemerkt, er eben zufrieden und
sein Wunsch erfüllt ist: »Wohl mir, rein bin ich!«:
ebenso auch, ihr Mönche, ist der Mönch, während er
sich betrachtet eifrig bestrebt zum Guten: »Verweile
ich wohl häufig gierlos? Findet sich diese Erscheinung
in mir oder nicht? Verweile ich häufig in haßloser
Gesinnung? — frei von Stumpfheit und Mattigkeit? —
ohne Aufgeregtheit? — zweifelentronnen? — ohne
Zorn? — unbefleckten Herzens? — Besitze ich innere
Freude am Gesetze? — die innere Gemütsruhe? —
das hohe Wissen des Wahrheitsblickes? Findet sich
diese Erscheinung in mir oder nicht?«
Wenn nun, ihr Brüder, der Mönch bei seiner Selbst-
betrachtung alle diese verdienstvollen Erscheinungen
nicht in sich bemerkt, so hat, ihr Brüder, jener Mönch
äußersten Willensentschluß, Tatkraft, Streben, Aus-
dauer, Standhaftigkeit, Achtsamkeit und Geistesklar-
heit zu betätigen, um alle diese verdienstvollen Dinge
zu erlangen.
Gleichwie einer, ihr Brüder, dessen Kleider oder
— 339 — 22*
X55 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Haare in Flammen stehen, um diese zu löschen, äußer-
sten Willensentschluß, Tatkraft, Streben, Ausdauer,
Standhaftigkeit, Achtsamkeit und Geistesklarheit be-
tätigt: ebenso auch, ihr Brüder, hat der Mönch äußersten
Willensentschluß, Tatkraft, Streben, Ausdauer, Stand-
haftigkeit, Achtsamkeit und Geistesklarheit zu be-
tätigen, um alle diese verdienstvollen Dinge zu er-
langen.
Wenn aber, ihr Brüder, der Mönch bei seiner
Selbstbetrachtung einige der verdienstvollen Erschei-
nungen in sich bemerkt, einige nicht, so hat, ihr Brüder,
jener Mönch, um eben jene verdienstvollen Erschei-
nungen, die er nicht in sich bemerkt, zu erlangen, in
jenen verdienstvollen Erscheinungen, die er in sich
bemerkt, gefestigt, äußersten Willensentschluß, Tat-
kraft, Streben, Ausdauer, Standhaftigkeit, Achtsam-
keit und Geistesklarheit zu betätigen.
Gleichwie einer, ihr Brüder, dessen Kleider oder
Haare in Flammen stehen, um diese zu löschen, äußer-
sten Willensentschluß, Tatkraft, Streben, Ausdauer,
Standhaftigkeit, Achtsamkeit und Geistesklarheit be-
tätigt: ebenso auch, ihr Brüder, hat jener Mönch, um
eben jene verdienstvollen Erscheinungen, die er nicht
in sich bemerkt, zu erlangen, in jenen verdienstvollen
Erscheinungen, die er in sich bemerkt, gefestigt,
äußersten Willensentschluß, Tatkraft, Streben, Aus-
dauer, Standhaftigkeit, Achtsamkeit und Geistesklar-
heit zu betätigen.
Wenn aber, ihr Brüder, der Mönch bei seiner
Selbstbetrachtung alle diese verdienstvollen Erschei-
nungen in sich bemerkt, so hat, ihr Brüder, jener Mönch
— 340 —
ZEHNERBUCH X 56
fernerhin nach Versiegung der Leidenschaften zu
streben.
Zehn segensreiche Betrachtungen 56
Zehn Betrachtungen, ihr Mönche, entfaltet und
häufig geübt, bringen hohen Lohn und Segen und
haben das Todlose Reich zum Stützpunkte und Ziele:
welche zehn?
Die Betrachtungen des Widerlichen, die Betrach-
tung des Todes, die Betrachtung des Ekels der Nahrung,
die Betrachtung der Reizlosigkeit des ganzen Daseins,
die Betrachtung der Vergänglichkeit, die Betrachtung
des Leidens bei der Vergänglichkeit, die Betrachtung
der Wesenlosigkeit beim Leiden, die Betrachtung der
Überwindung, die Betrachtung der Abwendung, die
Betrachtung der Erlöschung. (1)
— Die Betrachtung der Vergänglichkeit, die Be-
trachtung der Wesenlosigkeit, die Betrachtung des
Todes, die Betrachtung des Ekels der Nahrung, die
Betrachtung der Reizlosigkeit des ganzen Daseins, die
Betrachtung über die Knochen einer Leiche, die Be-
trachtung über eine von Würmern zernagte Leiche,
die Betrachtung über eine blauschwarz gewordene
Leiche, die Betrachtung über eine aufgedunsene Leiche.
Diese zehn Betrachtungen, ihr Mönche, entfaltet
und häufig geübt, bringen hohen Lohn und Segen
und haben das Todlose Reich zum Stützpunkte und
Ziele.
Ueber das Wesen aller Dinge 58
Sollten, ihr Mönche, andersgläubige Pilger fragen,
worin wohl die sämtlichen Erscheinungen wurzeln,
(1) Für Erklärung dieser Betrachtungen s. X, 60.
— 341 —
X59 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
wodurch sie erzeugt werden, woraus sie entstehen, was
sie zusammenhält, worin sie gipfeln, wodurch sie be-
herrscht werden, was ihr Höchstes ist, ihr Kern, ihre
Zuflucht und ihr Endziel, so habt ihr ihnen auf diese
Fragen also zu erwidern: »Im Willen (1) ihr Brüder,
wurzeln alle Erscheinungen, durch Aufmerksamkeit
werden sie erzeugt, aus dem Sinneneindrucke ent-
stehen sie, das Gefühl hält sie zusammen, in der Samm-
lung wurzeln sie, durch die Achtsamkeit werden sie
beherrscht, die Einsicht ist ihr Höchstes, die Befrei-
ung ihr Kern, das Todlose ist ihre Zuflucht und ihr
Endziel das Nirwahn.«
59 Wonach der Mönch streben soll
Also, ihr Mönche, habt ihr zu streben: »Im Sinne
unserer Weltentsagung soll unser Geist entfaltet sein!
Nicht sollen aufgestiegene üble, schuldvolle Erschei-
nungen unsern Geist gefestigt halten! Von der Vor-
stellung der Vergänglichkeit soll unser Geist erfüllt
sein! Von der Vorstellung der Unreinheit soll unser
Geist erfüllt sein! Von der Vorstellung des Elendes
soll unser Geist erfüllt sein! Der Welt Geradheit und
Ungeradheit erkennend, soll unser Geist von jener
Vorstellung erfüllt sein! Der Welt Zunahme und Ab-
nahme erkennend, soll unser Geist von jener Vorstel-
lung erfüllt sein! Der Welt Entstehung und Unter-
gang erkennend, soll unser Geist von jener Vorstellung
erfüllt sein! Von der Vorstellung der Überwindung
(1) chando (Wille) — ein an sich ethisch indifferenter Begriff
— bedeutet, nach der Erklärung des Kommentars, hier soviel wie
Absicht (ajjhasäya-chanda) imd Wunsch zu handeln (katukamyatä-
chanda).
— 342 —
ZEHNERBUCH X 60
soll unser Geist erfüllt sein! Von der Vorstellung der
Abwendung soll unser Geist erfüllt sein! Von der
Vorstellung der Aufhebung soll unser Geist erfüllt
sein!<< Danach, ihr Mönche, habt ihr zu streben.
Hat nun, ihr Mönche, der Mönch seinen Geist im
Sinne seiner Weltentsagung entfaltet, und halten die
aufgestiegenen üblen schuldvollen Erscheinungen seinen
Geist nicht mehr gefesselt, ist sein Geist erfüllt von
der Vorstellung der Vergänglichkeit, der Unreinheit,
des Elendes, der Welt Geradheit und Ungeradheit,
Zunahme und Abnahme, Entstehung und Untergang,
von der Vorstellung der Überwindung, Abwendung
und Aufhebung, so mag er eine von beiden Früchten
erwarten: noch bei Lebzeiten das höchste Wissen oder,
falls noch ein Daseinsrest übrig bleibt: Niewiederkehr.
Die Heilung des Girimänando 60
Einst weilte der Erhabene im Jetahaine bei Sä-
vatthi, im Kloster des Anäthapindiko. Damals aber
war der ehrwürdige Girimänando krank, leidend, von
schwerer Krankheit befallen. Und der ehrwürdige
Änando begab sich zum Erhabenen. Dort angelangt
begrüßte er ehrfurchtsvoll den Erhabenen und setzte
sich zur Seite, indem er sprach:
,,Der verehrte Girimänando, o Ehrwürdiger, ist
krank, leidend, von schwerer Krankheit befallen. Gut
wäre es, wollte sich der Ehrwürdige aus Mitleid zu
ihm begeben!"
,,Wenn du, Änando, zum Mönche Girimänando
gehen und ihm die zehn Betrachtungen weisen willst,
so mag es sein, daß nach dem Anhören derselben die
— 343 —
X60 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Krankheit des Mönches Girimänando sich auf der
Steile legt: welche zehn Betrachtungen? Die Betrach-
tung der Vergänglichkeit, die Betrachtung der Wesen-
losigkeit, die Betrachtung der Widerlichkeit, die Be-
trachtung des Elends, die Betrachtung der Überwin-
dung, die Betrachtung der Abwendung, die Betrach-
tung der Erlöschung, die Betrachtung der Reizlosig-
keit des ganzen Daseins, die Betrachtung aller Daseins-
bildungen, die Achtsamkeit bei Ein- und Ausatmung.
,,Was aber, Änando, ist die Betrachtung der
Vergänglichkeit? Da, Änando, begibt sich der Mönch
in den Wald, an den Fuß eines Baumes oder in eine
leere Behausung und erwägt bei sich also: />Vergänglich
ist die Form, vergänglich ist das Gefühl, vergänglich
ist die Wahrnehmung, vergänglich sind die Geistes-
bildungen, vergänglich ist das Bewußtsein«. So ver-
weilt er bei den fünf mit Anhaften verbundenen Daseins-
aggregaten in der Betrachtung ihrer Vergänglichkeit.
Das Änando, nennt man die Betrachtung der Ver-
gänglichkeit.
,,Was aber, Änando, ist die Betrachtung der
Wesenlosigkeit? Da, Änando, begibt sich der Mönch
in den Wald, an den Fuß eines Baumes oder in eine
leere Behausung und erwägt bei sich also: »Wesenlos
sind Auge und Formen, wesenlos Gehör und Töne,
wesenlos Geruch und Düfte, wesenlos Geschmack und
Säfte, wesenlos Körper und Tastungen, wesenlos Geist
und Erscheinungen«. So weilt er bei diesen subjek-
tiv-objektiven Gebieten in der Betrachtung ihrer Wesen-
losigkeit. Das, Änando, nennt man die Betrachtung
der Wesenlosigkeit.
„Was aber, Änando, ist die Betrachtung der
— 344 —
ZEHNERBUCH X 60
Widerlichkeit? Da, Änando, betrachtet der Mönch
eben diesen hautumgrenzten, mit mancherlei Unrat
angefüllten Körper, von der Fußsohle aufwärts und
vom Haarscheitel abwärts: »Dieser Körper hat Kopf-
haare, Körperhaare, Nägel, Zähne, Haut, Fleisch,
Sehnen, Knochen, Knochenmark, Niere, Herz, Leber,
Zwerchfell, Milz, Lunge, Gedärme, Gekröse, Magen,
Kot, Galle, Schleim, Eiter, Blut, Schweiß, Fett, Tränen,
Serum, Speichel, Rotz, Gelenköl und Urin«. So weilt
er bei diesem Körper in der Betrachtung seiner Wider-
lichkeit. Das, Änando, nennt man die Betrachtung der
Widerlichkeit.
,,Was aber, Änando, ist die Betrachtung des
Elends? Da, Änando, begibt sich der Mönch in den
Wald, an den Fuß eines Baumes oder in eine leere Be-
hausung und erwägt bei sich also: »Wahrlich, voller
Leiden ist dieser Körper, voller Elend. So entstehen
da in diesem Körper mannigfache Leiden, als wie Er-
krankungen von Auge, Ohr, Nase, Zunge, Körper,
Kopf, Ohrmuschel, Mund und Zähnen, Husten, Eng-
brüstigkeit, Schnupfen, Entzündung, Fieber, Leib-
weh, Ohnmacht, Durchfall, Gliederreißen, Ruhr, Aus-
satz, Beulen, Ausschlag, Schwindsucht, Fallsucht,
Scharbock, Krätze, Grind, Jucken, Räude, Erkran-
kung des Blutes und der Galle, Zuckerkrankheit, Läh-
mung, Finne, Fistel, durch Galle, Schleim und Gase
oder deren Zusammenwirkung hervorgerufene Krank-
heiten, durch Temperaturwechsel, unregelmäßige
Lebensweise und Unfall bedingte Krankheiten, durch
frühere Taten verschuldete Krankheiten, sowie Kälte,
Hitze, Hunger, Durst, Kot und Urin. So weilt er bei
— 345 —
X60 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
diesem Körper in der Betrachtung des Elends. Das,
Änando, nennt man die Betraciitung des Elends.
„Was aber, Änando, ist die Betrachtung der
Überwindung? Da, Änando, läßt der Mönch einen auf-
gestiegenen sinnlichen Gedanken nicht Fuß fassen,
überwindet, vertreibt und vernichtet ihn, bringt ihn
zum Schwinden; er läßt einen aufgestiegenen Gedanken
des Grolles — einen aufgestiegenen Gedanken der
Grausamkeit — die immer wieder aufsteigenden üblen,
schuldvollen Erscheinungen nicht Fuß fassen, über-
windet, vertreibt und vernichtet sie, bringt sie zum
Schwinden. Das, Änando, nennt man die Betrachtung
der Überwindung.
,,Was aber, Änando, ist die Betrachtung der Ab-
wendung? Da, Änando, begibt sich der Mönch in den
Wald, an den Fuß eines Baumes oder in eine leere
Behausung und erwägt bei sich also: »Das ist der
Friede, das ist das Erhabene, nämlich der Stillstand
aller Daseinsbildungen, die Loslösung von allen Sub-
straten, die Gierversiegung, die Abwendung, das
Nirwahn!« Das, Änando, nennt man die Betrachtung
der Abwendung.
,,Was aber, Änando, ist die Betrachtung der Er-
löschung? Da, Änando, begibt sich der Mönch in den
Wald, an den Fuß eines Baumes oder in eine leere Be-
hausung und erwägt bei sich also: »Das ist der Friede,
das ist das Erhabene, nämlich der Stillstand aller Da-
seinsbilüungen, die Loslösung von allen Substraten,
die Gierversiegung, die Erlöschung, das Nirwahn.«
Das, Änando, nennt man die Betrachtung der Er-
löschung,
,,Was aber, Änando, ist die Betrachtung der Reiz-
— 346 —
X60 ZEHNERBUCH
losigkeit des ganzen Daseins? Da, Änando, überwindet
der Mönch dieses krampfhafte Hängen an der Welt,
dieses Festhalten und diese Triebe und Neigungen des
Geistes, kehrt sich ab davon, ohne daran zu haften.
Das, Änando, nennt man die Betrachtung der Reiz-
losigkeit des ganzen Daseins.
„Was aber, Änando, ist die Betrachtung der Ver-
gänglichkeit aller Daseinsbildungen? Da, Änando,
empfindet der Mönch Entsetzen, Ekel und Abscheu
vor allen Daseinsbildungen. Das, Änando, nennt man
die Betrachtung der Vergänglichkeit aller Daseins-
bildungen.
,,Was aber, Änando, ist die Achtsamkeit bei Ein-
und Ausatmung? Da, Änando, begibt sich der Mönch
in den Wald, an den Fuß eines Baumes oder in eine
leere Behausung. Mit gekreuzten Beinen setzt er sich
nieder, den Körper gerade aufgerichtet, und heftet
seine Achtsamkeit vor sich. Achtsam atmet er ein,
achtsam atmet. er aus. Atmet er lang ein, so weiß er:
»Ich atme lang ein«, atmet er lang aus, so weiß er:
»Ich atme lang aus«. Atmet er kurz ein, so weiß er:
»Ich atme kurz ein«; atmet er kurz aus, so weiß er:
»Ich atme kurz aus«. »Den ganzen Körper klar emp-
findend, will ich einatmen«: so iabt er sich; »Den ganzen
Körper klar empfindend, will ich ausatmen«: so übt
er sich. »Die Körperbildung beruhigend will ich ein-
atmen«: so übt er sich; »Die ganze Körperbildung be-
ruhigend will ich ausatmen«: so übt er sich. Die» Ver-
zückung klar empfindend will ich einatmen«: so übt
er sich; »Die Verzückung klar empfindend will ich aus-
atmen«: so übt er sich. »Die Freude klar empfindend
will ich einatmen«: so übt er sich; »Die Freude klar
— 347 —
X60 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
empfindend will ich ausatmen«: so übt er sich. »Die
Geistesbildung klar empfindend will ich einatmen«: so
übt er sich; »Die Geistesbildung klar empfindend will
ich ausatmen«: so übt er sich. »Den Geist klar emp-
findend will ich einatmen«: so übt er sich; »Den Geist
klar empfindend will ich ausatmen«: so übt er sich.
»Den Geist erheiternd, will ich einatmen«: so übt er
sich; »Den Geist erheiternd will ich ausatmen«: so übt
er sich. »Den Geist sammelnd will ich einatmen«;
so übt er sich; »Den Geist sammelnd will ich ausatmen«:
so übt er sich. »Den Geist befreiend will ich einatmen«:
so übt er sich; »Den Geist befreiend, will ich ausatmen«:
so übt er sich. »Die Vergänglichkeit betrachtend will
ich einatmen«: so übt er sich; »Die Vergänglichkeit
betrachtend will ich ausatmen«: so übt er sich. »Die
Abwendung betrachtend will ich einatmen«: so übt
er sich; »Die Abwendung betrachtend will ich aus-
atmen«: so übt er sich. »Die Erlöschung betrachtend
will ich einatmen«: so übt er sich; »Die Erlöschung
betrachtend will ich ausatmen«: so übt er sich. »Die
Loslösung betrachtend will ich einatmen«: so übt er
sich. »Die Loslösung betrachtend will ich ausatmen«:
so übt er sich. Das, Änando, nennt man die Achtsam-
keit bei Ein- und Ausatmung (1).
,,Wenn du, Änando, zum Mönche Girimänando
gehen und ihm diese zehn Betrachtungen weisen willst,
(1) Die obigen sechszehn Atembetrachtungen bringen die
vier »Grundlagen der Achtsamkeit« (sati-patthäna) zur Vollendung
u. zw. 1 — 4 die Betrachtung des Körpers, 5 — 8 die Betrachtung der
Gefühle, 9 — 12 die Betrachtung des Gesetzes, 13 — 16 die Betrach-
tung der Erscheinungen (Gesetze). Siehe Sammlung der Mittleren
Sutten, No. 118.
— 348 —
ZEHNERBUCH X 60
SO mag es sein, daß nach dem Anhören derselben die
Krankheit des Mönches Girimänando sich auf der
Stelle legt."
Nachdem nun der ehrwürdige Änando vom Er-
habenen diese zehn Betrachtungen erfahren hatte, be-
gab er sich zum ehrwürdigen Girimänando und wies
ihm diese zehn Betrachtungen.
Sobald aber der ehrwürdige Girimänando diese
zehn Betrachtungen vernommen hatte, legt sich seine
Krankheit auf der Stelle. Der ehrwürdige Girimänando
erhob sich von seinem Krankenlager, und seine Krank-
heit war somit überkommen.
— 349 -
X62 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
SIEBENTER TEIL:
Das Kapitel der Paare
öl Die bedingte Entstehung
Nicht läßt sich, ihr Mönche, ein erster Anfang der
Unwissenheit (avijjä) erkennen. Denn es ist nicht
etwa, ihr Mönche, als ob die Unwissenheit vordem
nicht dagewesen und erst später entstanden wäre.
Wohl aber läßt sich erkennen, daß die Unwissenheit
bedingt ist. Auch die Unwissenheit, sage ich, hat eine
Grundlage, ist nicht ohne Grundlage. Und was ist
die Grundlage der Unwissenheit? »Die fünf Hem-
mungen« hätte man da zu erklären (1).
62
Nicht läßt sich, ihr Mönche, ein erster Anfang des
Daseinsdurstes (bhava-tanhä) erkennen. Denn es
ist nicht etwa, als ob der Daseinsdurst vordem nicht
dagewesen und erst später entstanden wäre. Wohl
aber läßt sich erkennen, daß der Daseinsdurst bedingt
ist. Auch der Daseinsdurst, sage ich, hat eine Grund-
lage, ist nicht ohne Grundlage. Und was ist die Grund-
lage des Daseinsdurstes? »Die Unwissenheit« hätte
man da zu erklären.
Aber auch die Unwissenheit, sage ich, hat eine
Grundlage, ist nicht ohne Grundlage. Und was ist
die Grundlage der Unwissenheit? »Die fünf Herh-
mungen« hätte man da zu erklären.
Aber auch die fünf Hemmungen, sage ich, haben
(1) Vgl. meine Anm. zu III, 61 ed. 1914.
— 350 —
ZEHNERBUCH X 62
eine Grundlage, sind nicht ohne Grundlage. Und was
ist die Grundlage der fünf Hemmungen? »Der drei-
fach böse Wandel« hätte man da zu erklären.
Aber auch der dreifach böse Wandel, sage ich,
hat eine Grundlage, ist nicht ohne Grundlage. Und
was ist die Grundlage des dreifach bösen Wandels?
»Zügellosigkeit der Sinne« hätte man da zu erklären.
Aber auch die Zi^igellosigkeit der Sinne, sage ich,
hat eine Grundlage, ist nicht ohne Grundlage. Und
was ist die Grundlage der Zügellosigkeit der Sinne?
»Unachtsamkeit und geistige Unklarheit« hätte man
da zu erklären.
Aber auch die Unachtsamkeit und geistige Un-
klarheit, sage ich, hat eine Grundlage, ist nicht ohne
Grundlage. Und was ist die Grundlage der Unacht-
sam.keit und geistigen Unklarheit? »Unweise Er-
wägung« hätte man da zu erklären.
Aber auch die unweise Erwägung, sage ich, hat
eine Grundlage, ist nicht ohne Grundlage. Und was
ist die Grundlage der unweisen Erwägung? »Ver-
trauenslosigkeit« hätte man da zu erklären.
Aber auch die Vertrauenslosigkeit, sage ich, hat
eine Grundlage, ist nicht ohne Grundlage. Und was
ist die Grundlage der Vertrauenslosigkeit? »Das Hören
des bösen Gesetzes« hätte man da zu erklären.
Aber auch das Hören des bösen Gesetzes, sage ich,
hat eine Grundlage, ist nicht ohne Grundlage. Und was
ist die Grundlage des Hörens des bösen Gesetzes?
»Der Umgang mit schlechten Menschen« hätte man
da zu erklären.
Der Umgang mit schlechten Menschen also, ihr
Mönche, einmal zustande gekommen, bewirkt das
— 351 —
X62 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Hören des bösen Gesetzes. Das Hören des bösen
Gesetzes, einmal zustande gekommen, bewirkt Ver-
trauenslosigkeit. Vertrauenslosigkeit, einmal zu stände
gekommen, bewirkt unweise Erwägung. Unweise
Erwägung, einmal zustande gekommen, bewirkt Un-
achtsamkeit und geistige Unklarheit. Unachtsamkeit
und geistige Unklarheit, eimnal zustande gekommen,
bewirkt Zügellosigkeit der Sinne. Zügellosigkeit der
Sinne, einmal zustande gekommen, bewirkt den drei-
fach bösen Wandel. Der dreifach böse Wandel, ein-
mal zustande gekommen, bewirkt die fünf Hemmungen.
Die fünf Hemmungen, einmal zustande gekommen,
bewirken den paseinsdurst. Das also ist die Grund-
lage dieses Daseinsdurstes, und so kommt er zu-
stande.
Gleichwie, ihr Mönche, wenn sich oben im Ge-
birge eine dickgeballte Regenwolke entladet und der
Regen herniederströmt, das Wasser beim Hinabfließen
die Bergspalten und Klüfte füllt, die gefüllten Berg-
spalten und Klüfte aber die kleinen Teiche füllen, die
gefüllten kleinen Teiche die großen Teiche füllen, die
gefüllten großen Teiche die Flüsse füllen, die vollen
Flüsse die Ströme füllen, die vollen Ströme aber das
Weltmeer füllen, und auf diese Weise das Weltmeer
gespeist wird und sich füllt: ebenso auch, ihr Mönche,
bewirkt der Umgang mit schlechten Menschen, ein-
mal zustande gekommen, das Hören des bösen Ge-
setzes. Das Hören des bösen Gesetzes, einmal zu-
stande gekommen, bewirkt Vertrauenslosigkeit. Ver-
trauenslosigkeit, einmal zustande gekommen, bewirkt
unweise Erwägung. Unweise Erwägung, einmal zu-
stande gekommen, bewirkt Unachtsamkeit und geistige
_ 352 —
ZEHNERBUCH X 62
Unklarheit. Unachtsamkeit und geistige Unklarheit,
einmal zustande gekommen, bewirkt Zügellosigkeit
der Sinne. Zügellosigkeit der Sinne, einmal zustande
gekommen, bewirkt den dreifach bösen Wandel. Der
dreifach böse Wandel, einmal zustande gekommen,
bewirkt die fünf Hemmungen. Die fünf Hemmungen,
einmal zustande gekommen, bewirken den Daseins-
durst. Das also ist die Grundlage dieses Daseins-
durstes, und so kommt er zustande.
Auch die Wissenserlösung, sage ich, ihr Mönche,
hat eine Grundlage, ist nicht ohne Grundlage. Und was
ist die Grundlage der Wissenserlösung? »Die sieben
Glieder der Erleuchtung« (bojjhangä) hätte man
da zu erklären.
Aber auch die sieben Glieder der Erleuchtung,
sage ich, haben eine Grundlage, sind nicht ohne Grund-
lage. Und was ist die Grundlage der sieben Glieder
der Erleuchtung. »Die vier Grundlagen der Acht-
samkeit« (sati-patthänä) hätte man da zu erklären.
Aber auch die vier Grundlagen der Achtsamkeit,
sage ich, haben eine Grundlage, sind nicht ohne Grund-
lage. Und was ist die Grundlage der vier Grundlagen
der Achtsamkeit? »Der dreifach gute Wandel« hätte
man da zu erklären.
Aber auch der dreifach gute Wandel, sage ich,
hat eine Grundlage, ist nicht ohne Grundlage. Und
was ist die Grundlage des dreifach guten Wandels?
»Die Sinnenzügelung« hätte man da zu erklären.
Aber auch die Sinnenzügelung, sage ich, hat eine
Grundlage, ist nicht ohne Grundlage. Und was ist
die Grundlage der Sinnenzügelung? »Achtsamkeit
— 353 — 23
X62 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
und Geistesklarheit« (sati-sampajafina) hätte man da
zu erklären.
Aber auch die Achtsamkeit und Geistesklar-
heit, sage ich, hat eine Grundlage, ist nicht ohne
Grundlage. Und was ist die Grundlage der Achtsam-
keit und Geistesklarheit? »Weise Erwägung« hätte
man da zu erklären.
Aber auch die weise Erwägung, sage ich, hat
eine Grundlage, ist nicht ohne Grundlage. Und was
ist die Grundlage der weisen Erwägung? »Das Ver-
trauen« hätte man da zu erklären.
Aber auch das Vertrauen, sage ich, hat eine Grund-
lage, ist nicht ohne Grundlage. Und was ist die Grund-
lage des Vertrauens? »Das Hören des guten Gesetzes«
hätte man da zu erklären.
Aber auch das Hören des guten Gesetzes hat eine
Grundlage, ist nicht ohne Grundlage. Und was ist
die Grundlage des Hörens des guten Gesetzes? »Der
Umgang mit edlen Menschen« hätte man da zu er-
klären.
Der Umgang mit edlen Menschen also, ihr Mönche,
einmal zustande gekommen, bewirkt das Hören des
guten Gesetzes. Das Hören des guten Gesetzes, ein-
mal zustande gekommen, bewirkt Vertrauen. Das
Vertrauen, einmal zustande gekommen, bewirkt weise
Erwägung. Die weise Erwägung, einmal zustande
gekommen, bewirkt Achtsamkeit und Geistesklarheit.
Die Achtsamkeit und Geistesklarheit, einmal zu-
stande gekommen, bewirkt die Sinnenzügelung. Die
Sinnenzügelung, einmal zustande gekommen, bewirkt
den dreifach guten Wandel. Der dreifach gute Wandel,
einmal zustande gekommen, bewirkt die vier Grund-
— 354 —
.j^
ZEHNERBUCH X 62
Jagen der Achtsamkeit. Die vier Grundlagen der
Achtsamkeit, einmal zustande gekommen, bewirken
die sieben Glieder der Erleuchtung. Die sieben Glieder
der Erleuchtung, einmal zustande gekommen, bewirken
die Wissenserlösung. Das also ist die Grundlage dieser
Wissenserlösung, und so kommt sie zustande.
Gleichwie, ihr Mönche, wenn sich oben im Gebirge
eine dickgeballte Regenwolke entladet und der Regen
herniederströmt, das , Wasser beim Hinabfließen die
Bergspalten und Klüfte füllt, die gefüllten Bergspalten
und Klüfte aber die kleinen Teiche füllen, die gefüllten
kleinen Teiche die großen Teiche füllen, die gefüllten
großen Teiche die Flüsse füllen, die vollen Flüsse die
Ströme füllen, die vollen Ströme aber das Weltmeer
füllen, und auf diese Weise das Weltmeer gespeist
wird und sich füllt: ebenso auch, ihr Mönche, bewirkt
der Umgang mit edlen Menschen, einmal zustande
gekommen, das Hören des guten Gesetzes. Das
Hören des guten Gesetzes, einmal zustande ge-
kommen, bewirkt Vertrauen. Das Vertrauen, einmal
zustande gekommen, bewirkt weise Erwägung. Die
weise Erwägung, einmal zustande gekommen, bewirkt
Achtsamkeit und Geistesklarheit. Die Achtsamkeit
und Geistesklarheit, einmal zustande gekommen, be-
wirkt die Sinnenzügelung. Die Sinnenzügelung, ein-
mal zustande gekommen, bewirkt den dreifach guten
Wandel. Der dreifach gute Wandel, einmal zustande
gekommen, bewirkt die vier Grundlagen der Acht-
samkeit. Die vier Grundlagen der Achtsamkeit, ein-
mal zustande gekommen, bewirken die sieben Glieder
der Erleuchtung. Die sieben Glieder der Erleuchtung,
einmal zustande gekommen, bewirken die Wissens-
— 355 — 23^
X63 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
erlösung. Das also ist die Grundlage dieser Wissens-
erlösung, und so kommt sie zustande.
63 Die der Vollendung Entgegengehenden
Diejenigen, ihr Mönche, die in mir Gewißheit er-
langt haben, alle diese sind von Erkenntnis erfüllt. —
Diejenigen, ihr Mönche, die zu mir von unerschütter-
lichem Vertrauen erfüllt sind, alle diese sind in den
Strom eingetreten. Und fünf von diesen in den Strom
Eingetretenen, ihr Mönche, erreichen hier die Voll-
endung, fünf aber erreichen, abgeschieden von hier,.
die Vollendung.
Welche fünf aber erreichen hier die Vollendung?
Der höchstens siebenmal Wiederkehrende, der von Ge-
schlecht zu Geschlecht Eilende, der Einmalaufkeimende,
der Einmalwiederkehrende und der noch bei Lebzeiten
die Heiligkeit Erreichende: diese fünf erreichen hier
die Vollendung.
Welche fünf aber erreichen, abgeschieden von
hier, die Vollendung? Der auf halbem Wege Ent-
wähnende, der nach halbem Wege Entwähnende, der
Mühelos Entwähnende, der Mühsam Entwähnende
und der zu den Hehren Göttern Stromaufwärtseilende:
Diese fünf erreichen, abgeschieden von hier, die Voll-
endung. (1)
Diejenigen, ihr Mönche, die zu mir von uner-
(1) Die zuerst genannten vier Jünger erreichen die Vollendung
hier in dieser sinnlichen Sphäre (käma-loka), u. zw. in einer späteren
Wiedergeburt, die letzteren fünf jedoch in einer von den der form-
haften Sphäre (rüpa-loka) angehörenden »Daseinsstätten der Reinen*
(suddhäväsa). Über diese neun Jünger s. IX, 12.
— 356 -
ZEHNERBUCH X 65
schütterlichem Vertrauen erfüllt sind, alle diese sind
in den Strom eingetreten. Und fünf von diesen in
den Strom Eingetretenen, ihr Mönche, erreichen hier
die Vollendung, fünf aber erreichen, abgeschieden von
hier, die Vollendung.
Wiedergeborenwerden und Nichtwiedergeborenwerden 65
(Bei Nälakagämaka im Mägadherlande]
Der Pilger Sämandakäni sprach zum ehrwürdigen
Säriputto:
,,Was, Bruder Säriputto, ist wohl Glück, was
Elend?"
,, Wiedergeborenwerden, o Bruder, ist ein Elend,
Nichtwiedergeborenwerden ist ein Glück.
,,Beim Wiedergeborenwerden, o Bruder, hat man
solches Elend zu erwarten, wie Kälte, Hitze, Hunger,
Durst, Kot, Urin, Gefährdung durch Feuer, Stock
und Schwert; oder Verwandte und Freunde tun sich
zusammen und fügen einem ein Leid zu. Beim Wieder-
geborenwerden hat man solches Elend zu erwarten.
,,Beim Nichtwiedergeborenwerden, o Bruder, hat
man das Glück zu erwarten, daß es keine Kälte gibt,
keine Hitze, keinen Hunger und Durst, keinen Kot
und Urin, keine Gefährdung durch Feuer, Stock und
Schwert, und nicht tun sich Freund und Verwandte
zusammen, um einem ein Leid zuzufügen. Beim Nicht-
wiedergeborenwerden, 0 Bruder, hat man solches
Olück zu erwarten."
357
X67 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
66 Gefallen und Mißfallen am Gesetze
Der Pilger Sämandakäni sprach zum ehrwürdigen
Säriputto:
„Was, Bruder Säriputto, ist wohl hinsichtlich
dieses Gesetzes und dieser Disziplin Glück, was Elend?"
,, Abneigung gegen dieses Gesetz und diese Dis-
ziplin, 0 Bruder, ist ein Elend, Neigung dazu ein Glück.
,,Bei Abneigung, o Bruder, hat man folgendes
Elend zu erwarten: ob man geht oder steht, sitzt oder
liegt, ob man sich im Dorfe befindet oder im Walde,
am Fuße eines Baumes, an einsamer Stätte, unter
freiem Himmel oder unter den Mönchen, man findet
eben kein Glück und keine Freude. Bei Abneigung,
0 Bruder, hat man solches Elend zu erwarten.
,, Findet man aber Gefallen daran, o Bruder, so
hat man folgendes Glück zu erwarten: ob man geht
oder steht, sitzt oder liegt, ob man sich im Dorfe be-
findet oder im Walde, am Fuße eines Baumes, an ein-
samer Stätte, unter freiem Himmel oder unter Mön-
chen, man empfindet eben Glück und Freude. Findet
man Gefallen daran, o Bruder, so hat man solches
Glück zu erwarten."
67 Fortschritt und Rückschritt
(1)
Einst gelangte der Erhabene auf seiner Wanderung
durchs Kosalerland, von einer großen Schar Mönche
begleitet, vor der Kosalerstadt Näjakapäna an. Dort
verblieb er im Paläsawalde bei Näjakapäna. Zu jener
" Stunde aber, an einem Vollmondtage, saß der Er-
habene inmitten der Mönchsgemeinde. Nachdem er
— 358 —
ZEHNERBUCH X 67
nun den größten Teil der Nacht die Mönclie in Worten
über das Gesetz unterwiesen, ermahnt, ermutigt und
ermuntert hatte, ließ er seine Blicke gleiten über die
stille, schweigsame Mönchschar und sprach darauf
zum ehrwürdigen Säriputto: „Frei von Stumpfheit
und Mattigkeit, Säriputto, ist die Mönchsgemeinde.
Möge dir daher, Säriputto, ein Gespräch über das
Gesetz einfallen! Mein Rücken schmerzt mich (1),
ich will mich ausstrecken." „Gut, Ehrwürdiger!"
erwiderte der ehrwürdige Säriputto dem Erhabenen.
Und der Erhabene breitete das vierfach zusammen-
gelegte Obergewand aus und ruhte wie ein Löwe auf
der rechten Seite, ein Bein über dem anderen, nachdem
er achtsam und klaren Geistes der Zeit des Aufstehens
gedacht hatte.
Da nun wandte sich der ehrwürdige Säriputto an
die Mönche: „Liebe Mönche!" sprach er. „Bruder,"
erwiderten ihm jene Mönche. Und der ehrwürdige
Säriputto sprach:
,,Wem es, ihr Brüder, hinsichtlich des Guten an
Vertrauen, Schamgefühl, Gewissen, Willenskraft und
Einsicht fehlt, der hat — sei es bei Tage oder bei Nacht
— eben einen Rückschritt im Guten zu erwarten,
keinen Fortschritt.
Gleichwie, ihr Brüder, zur dunklen Monatshälfte
— sei es bei Tage oder bei Nacht — der Mond beständig
abnimmt an Glanz, an Gestalt, an Höhe und Umfang:
ebenso auch, ihr Brüder: wem es hinsichtlich des Guten
an Vertrauen, Schamgefühl, Gewissen, Willenskraft
(1) Der Kommentar sagt, daß der Erhabene infolge seiner
der Erreichimg der Buddhaschaft vorausgegangenen sechsjährigen
Kasteiungen in seinem Alter an Rheumatismus zu leiden hatte.
— 359 —
X68 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
und Einsicht fehlt, der hat — sei es bei Tage oder bei
Nacht — eben einen Rückschritt im Guten zu er-
warten, keinen Fortschritt. Daß ein Mensch ver-
trauenslos ist, ihr Brüder, ist ein Rückschritt. Daß ein
Mensch schamlos ist — gewissenlos — träge — ohne
Einsicht — voll Zorn — voll Wut — voll übler Wünsche
■ — daß er bösen Umgang pflegt, — falsche Erkenntnis
besitzt; das, ihr Brüder, ist ein Rückschritt.
,,Wer aber, ihr Brüder, hinsichtlich des Guten
Vertrauen Scham, Gewissen, Willenskraft und Ein-
sicht besitzt, der hat — sei es bei Tage oder bei Nacht
— eben einen Fortschritt im Guten zu erwarten,
keinen Rückschritt.
Gleichwie, ihr Brüder, zur hellen Monatshälfte —
sei es bei Tage oder bei Nacht — der Mond beständig
zunimmt an Glanz, an Gestalt, an Höhe und Umfang:
ebenso auch, ihr Brüder: wer hinsichtlich des Guten
Vertrauen, Scham, Gewissen, Willenskraft, und Ein-
sicht besitzt, der hat — sei es bei Tage oder bei Nacht
■ — eben einen Fortschritt im Guten zu erwarten,
keinen Rückschritt. Daß ein Mensch Vertrauen be-
sitzt: das, ihr Brüder, ist ein Fortschritt. Daß ein
Mensch Schamgefühl besitzt, — Gewissen, — Willens-
kraft — Einsicht — daß er ohne Zorn ist, — ohne
Wut, — ohne üble Wünsche, — daß er edlen Umgang
pflegt, — rechte Erkenntnis besitzt: das, ihr Brüder,
ist ein Fortschritt."
68 Fortschritt und Rückschritt
(2)
Der ehrwürdige Sariputto sprach:
,,Wem es, ihr Brüder, hinsichtlich des Guten an
— 360 —
ZEHNERBUCH X 69
Vertrauen, Schamgefühl, Gewissen und Willenskraft
fehlt, wer kein Gehör leiht, sich die Gesetze nicht merkt,
den Sinn nicht erforscht, nicht im Sinne des Gesetzes
lebt und kein Streben besitzt, der hat — sei es bei
Tage oder bei Nacht — eben einen Rückschritt im
Guten zu erwarten, keinen Fortschritt.
,,Wer, ihr Brüder von den verdienstvollen Eigen-
schaften Vertrauen, Schamgefühl, Gewissen und Wil-
lenskraft besitzt, Gehör leiht, sich die Gesetze merkt,
den Sinn erforscht, im Sinne des Gesetzes lebt und
Streben besitzt, der hat — sei es bei Tage oder bei
Nacht — einen Fortschritt im Guten zu erwarten,
J<einen Rückschritt."
Die Gegenstände des Gespräches 69
Einst weilte der Erhabene im Jetahaine bei Sä- ^
vatthi, im Kloster des Anäthapindiko. Damals aber
saßen zahlreiche Mönche nach Beendigung des Mahles,
am Nachmittage, in der Empfangshalle versammelt
beieinander und führten allerhand niedrige Gespräche,
als wie da sind: Gespräche über Fürsten und Räuber,
Minister und Heere, Schrecken und Krieg, Essen und
Trinken, Kleider und Betten, Blumen und Düfte, über
Verwandte, über Wagen, über Dorf und Markt, Städte
und Länder, Weiber und Weine, Straßen und Plätze,
über die Altvot-dern und über Unterschiede, Klügeleien
über Welt und Meer, Gespräche über Gewinn und
Verlust.
Nachdem nun der Erhabene gegen Abend aus
seiner Zurückgezogenheit herausgetreten war, begab
er sich zur Empfangshalle und setzte sich auf dem be-
— 361 —
X69 SAMMLUNG DER ANGLIENDERUGEN
reiteten Sitze nieder, indem er zu den Mönchen sprach:
„Bei welcher Unterhaltung, ihr Mönche, sitzt ihr
da wohl zusammen? Welche Unterhaltung habt ihr
da abgebrochen?"
,,Seit Beendigung des Mahles, o Ehrwürdiger,
sitzen wir den Nachmittag versammelt beieinander und
führen allerhand niedrige Gespräche, als wie da sind
Gespräche über Fürsten und Räuber, Minister und
Heere, Schrecken und Krieg, Essen und Trinken,.
Kleider und Betten, Blumen und Düfte über Ver-
wandte, über Wagen, über Dorf und Markt, Städte
und Länder, Weiber und Weine, Straßen und Plätze,,
über die Altvordern und über Unterschiede, Klügeleien
über Welt und Meer, Gespräche über Gewinn und
Verlust.
,,Für euch, ihr Mönche, die ihr aus Vertrauen
von Hause fort in die Hauslosigkeit gezogen seid,.
ziemt es sich wahrlich nicht, daß ihr allerhand nied-
rige Gespräche führt (1). Zehn Gegenstände des Ge-
spräches gibt es, ihr Mönche: welche zehn? Gespräche
über Bescheidenheit, Genügsamkeit, Abgeschiedenheit,
Erlösung und den Erkenntnisblick der Erlösung.
Das, ihr Mönche, sind die zehn Gegenstände des Ge-
spräches. Wolltet ihr euch, ihr Mönche, bei euren
Gesprächen stets an diese zehn Gegenstände halten,
so möchtet ihr selbst das Licht von Sonne und Mond,
der so hochmächtigen, hochgewaltigen, überstrahlen,
gar nicht zu reden von jenen andersgläubigen Pilgern."
(1) Die Erklärung des Kommentars geht dahin, daß man wohl
hl zweckmäßiger Weise über alle diese Dinge reden möge, nicht aber
aus weltlichem Interesse.
— 362 —
ZEHNERBUCH X70
Gegenstände des Lobes 70
Zehn Gegenstände des Lobes gibt es, ihr Mönche:
welche zehn?
Da, ihr Mönche, ist ein Mönch selber bescheiden;
und über die Bescheidenheit führt er Gespräche bei
den Mönchen. Daß aber der Mönch bescheiden ist
und über die Bescheidenheit Gespräche bei den Mönchen
führt, das ist ein Gegenstand des Lobes.
Er ist selber genügsam, — abgeschieden, — los-
gelöst, — voll Willenskraft, — vollkommen in der
Sittlichkeit, — vollkommen in der Sammlung, — voll-
kommen in der Einsicht, — vollkommen in der Er-
lösung, — vollkommen im Erkenntnisblicke der Er-
lösung; und über den Erkenntnisblick der Erlösung
führt er Gespräche bei den Mönchen. Daß aber der
Mönch vollkommen ist im Erkenntnisblicke der Er-
lösung und über den Erkenntnisblick der Erlösung
Gespräche bei den Mönchen führt, das ist ein Gegen-
stand des Lobes.
Diese zehn Gegenstände des Lobes gibt es, ihr
Mönche.
363
X71 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
ACHTER TEIL:
Das Wunschkapitel
71 Aller Wünsche Erfüllung
[Im Jetahaine]
Seid vollkommen in der Sittlichkeit, ihr Mönche,
vollkommen in der Ordenssatzung, beherrscht im Sinne
der Ordenssatzung, vollkommen im Wandel und Um-
gang, und, vor den geringsten Vergehen euch scheuend,
übt euch in den Sittenregeln!
Wünscht sich, ihr Mönche, ein Mönch: »Ach,
möchte ich doch von meinen Ordensbrüdern geliebt
und geschätzt, geachtet und geehrt werden!« so soll
er eben die Sittenregeln erfüllen, sich der inneren Ge-
mütsruhe hingeben, nicht nachlassen in der Vertiefung
und ein Bewohner einsamer Behausungen sein.
Wünscht sich, ihr Mönche, der Mönch: »Ach,
möchte ich doch Gewand, Almosenspeise, Lagerstatt
und die nötigen Heilmittel und Arzneien erhalten!«
so soll er eben die Sittenregeln erfüllen, sich der inneren
Gemütsruhe hingeben, nicht nachlassen in der Ver-
tiefung und ein Bewohner einsamer Behausungen sein.
Wünscht sich, ihr Mönche, der Mönch: »Ach,
möchte doch denen, deren Gewänder, Almosenspeise,
Lagerstatt und nötiger Heilmittel und Arzneien ich
mich bediene, diese Werke hohen Lohn und Segen
bringen!« so soll er eben die Sittenregeln erfüllen, sich
der inneren Gemütsruhe hingeben, nicht nachlassen
— 364 —
X71 ZEHNERBUCH
in der Vertiefung und ein Bewohner einsamer Behau-
sungen sein.
Wünscht sich ihr Mönche, der Mönch: »Ach,
möchte doch den Geistern meiner abgeschiedenen
Blutsverwandten, die meiner in Liebe gedenken, dieses
zu hohem Lohn und Segen gereichen!« so soll er eben
die Sittenregeln erfüllen, sich der inneren Gemütsruhe
hingeben, nicht nachlassen in der Vertiefung und ein
Bewohner einsamer Behausungen sein.
Wünscht sich, ihr Mönche, der Mönch: »Ach,,
möchte ich doch zufrieden sein mit jeder Art von Ge-
wand, Almosenspeise, Lagerstatt und den nötigen
Heilmitteln und Arzneien!« so soll er eben die Sitten-
regeln erfüllen, sich der inneren Gemütsruhe hin-
geben, nicht nachlassen in der Vertiefung und ein
Bewohner einsamer Behausungen sein.
Wünscht sich, ihr Mönche, der Mönch: >>Ach,
möchte ich doch Kälte und Hitze, Hunger und Durst
geduldig ertragen und standhaft bleiben bei boshaften
und gehässigen Redeweisen, bei entstandenen körper-
lichen Gefühlen, bei schmerzhaften, scharfen, beißenden,
bitteren, unliebsamen, unangenehmen und lebens-
gefährlichen!« so soll er eben die Sittenregeln erfüllen,,
sich der inneren Gemütsruhe hingeben, nicht nach-
lassen in der Vertiefung und ein Bewohner einsamer
Behausungen sein.
Wünscht sich, ihr Mönche, der Mönch: »Ach,,
möchte ich doch Lust und Unlust in der Gewalt haben
und nicht Lust und Unlust mich beherrschen sondern
ich die aufgestiegene Lust und Unlust jedesmal über-
winden!« so soll er eben die Sittenregeln erfüllen, sich
der inneren Gemütsruhe hingeben, nicht nachlassen.
— 365 —
X71 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
in der Vertiefung und ein Bewohner einsamer Be-
hausungen sein.
Wünscht sich, ihr Mönche, der Mönch: »Ach,
möchte ich doch Furcht und Angst in der Gewalt
haben und nicht Furcht und Angst mich beherrschen
sondern ich die aufgestiegene Furcht und Angst jedes-
mal überwinden!« so soll er eben die Sittenregeln er-
füllen, sich der inneren Gemütsruhe hingeben, nicht
nachlassen in der Vertiefung und ein Bewohner ein-
samer Behausungen sein.
Wünscht sich, ihr Mönche, der Mönch: »Ach,
möchte ich doch der vier Vertiefungen, der geisterheben-
4en, zeitlich beglückenden, nach Wunsch, ohne Mühe
und Anstrengung, teilhaftig werden!« so soll er eben
die Sittenregeln erfüllen, sich der inneren Gemütsruhe
hingeben, nicht nachlassen in der Vertiefung und ein
Bewohner einsamer Behausungen sein.
Wünscht sich, ihr Mönche, der Mönch: »Ach,
möchte ich doch durch Aufhebung der Befleckungen
die fleckenlose Gemütserlösung und Wissenserlösung
noch bei Lebzeiten selber erkennen, verwirklichen und
mir zu eigen machen!« so soll er eben die Sittenregeln
erfüllen, sich der inneren Gemütsruhe hingeben, nicht
nachlassen in der Vertiefung und ein Bewohner ein-
samer Behausungen sein.
»Seid vollkommen in der Sittlichkeit, ihr Mönche,
vollkommen in der Ordenssatzung, beherrscht im Sinne
der Ordenssatzung, vollkommen im Wandel und Um
gang, und, vor den geringsten Vergehen euch scheuend,
übt euch in den Sittenregeln!« wurde dies gesagt, so
wurde es eben mit Rücksicht hierauf gesagt.
— 366 —
ZEHNERBUCH X72
79
Die zehn Störungen '^
Einst weilte der Erhabene im Großen Walde bei
Vesäli, in der Halle des Spitzenhauses, zusammen mit
zahlreichen hochangesehenen ehrwürdigen Jüngern,
wie dem ehrwürdigen Cälo, Upacälo, Kakkato, Kalim-
bho, Nikato, Katissaho und anderen. Bei jener Gelegen-
heit aber fuhren zahlreiche hochangesehene Licchavier
in lauter stattlichen Wagen, einer hinter dem anderen,
unter heftigem und lautem Lärme in den Großen Wald
hinein, um den Erhabenen zu besuchen. Da sagten sich
jene Ehrwürdigen: ,, Diese zahlreichen hochangesehenen
Licchavier kommen da in lauter stattlichen Wagen,
einer hinter dem anderen, unter heftigem und lauten
LärjTie in den Großen Wald hereingefahren. Geräusch
aber ist eine Störung für die Vertiefung, hat der Er-
habene gesagt. Lasset uns denn zum Gosinger Säl-
walde gehen. Dort können wir fern von Geräusch
imd ohne Störung friedlich verweilen." Jene Ehr-
würdigen begaben sich also zum Gosinger Sälwalde
hin und verweilten dort friedlich, fern von Geräusch
und ohne Störung.
Und der Erhabene wandte sich an die Mönche
und sprach: „Wo ist denn Cälo, ihr Mönche? Wo
Upacälo? Wo Kakkato, Kalimbho, Nikato und Ka-
tissaho? Wo sind, ihr Mönche, jene ehrwürdigen
Jünger hingegangen? '
„Jene Verehrten, o Ehrwürdiger, sagten sich:
»Diese zahlreichen hochangesehenen Licchavier kommen
da in lauter stattlichen Wagen, einer hinter dem
anderen, unter heftigem und lauten Lärme in den
Großen Wald hereingefahren. Geräusch aber ist eine
— 367 —
X72 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Störung für die Vertiefung, hat der Erhabene gesagt.
Lasset uns denn zum Gosinger Sälwalde gehen. Dort
können wir fern von Geräusch und ohne Störung
friedlich verweilen.« Darauf haben sich jene Ehr-
würdigen zum Gosinger Sälwalde hinbegeben; und
dort verweilen sie friedlich, fern von Geräusch und
ohne Störung."
„Gut, gut, ihr Mönche! Es ist so, wie jene hohen
Jünger so richtig erklären. Denn als eine Störung
der Vertiefung, ihr Mönche, habe ich das Geräusch
bezeichnet.
„Folgende zehn Störungen gibt es, ihr Mönche:
welche zehn? Für den die Einsamkeit Liebenden ist
Freude an Geselligkeit eine Störung. Für den der
Vorstellung der Unreinheit Hingegebenen ist die Be-
schäftigung mit einer lieblichen Vorstellung eine Stö-
rung. Für einen mit gezügelten Sinnentoren ist der
Anblick von Schaustellungen eine Störung. Für den
keuschen Wandel ist die Annäherung des Weibes eine
Störung. Für die erste Vertiefung ist Geräusch eine
Störung. Für die zweite Vertiefung ist Sinnen und
Nachdenken eine Störung. Für die dritte Vertiefung
ist Verzückung eine Störung. Für die vierte Ver-
tiefung ist Ein- und Ausatmung eine Störung. Für
die Erreichung der Aufhebung von Wahrnehmung
und Gefühl ist Wahrnehmung und Gefühl eine Störung.
Gier ist eine Störung. Haß ist eine Störung. Ver-
blendung ist eine Störung.
Frei von Störung verweilet, ihr Mönche! Der
Störung entrückt verweilet, ihr Mönche! Frei von
Störung und der Störung entrückt verweilet, ihr
Mönche! Frei von Störung, ihr Mönche, sind die
— 868 —
ZENHERBUCH X73
Heiligen. Der Störung entrückt, ihr Mönche, sind
die Heiligen. Frei von Störung und der Störung ent-
rückt, ihr Mönche, sind die Heiligen."
Seltene Dinge in der Welt 73
Folgende zehn erwünschten, begehrten, angeneh-
men Dinge, ihr Mönche, sind schwer in der Welt zu
erlangen: welche zehn? Reichtum, Schönheit, Ge-
sundheit, Sittlichkeit, keuscher Wandel, Freunde,
großes Wissen, Einsicht, höhere Fähigkeiten und
Wiedergeburt im Himmel: diese zehn erwünschten,
begehrten, angenehmen Dinge, ihr Mönche, sind schwer
in der Welt zu erlangen.
Für diese zehn erwünschten, begehrten, ange-
nehmen, so schwere in der Welt zu erlangenden Dinge,
ihr Mönche, gibt es zehn gefährdende Dinge: welche
zehn?
Trägheit und Untätigkeit gefährden den Reich-
tum. Sich nicht schmücken und putzen gefährdet die
Schönheit. Unheilsame Handlungen gefährden die
Gesundheit. Übler Umgang gefährdet die Sittlich-
keit. Zügellosigkeit der Sinne gefährdet den keuschen
Wandel. Hintergehung gefährdet die Freundschaft.
Nichtwiederholen gefährdet großes Wissen. Nicht
Hinhören und Nachforschen gefährdet die Einsicht.
Sich nicht üben und sich nicht beobachten gefährdet
die Fähigkeiten. Böser Wandel gefährdet die Wieder-
geburt im Himmel. Das, ihr Mönche, sind die zehn
gefährdenden Dinge.
Für diese zehn erwünschten, begehrten, ange-
nehmen, so schwer in der Welt zu erlangenden Dinge
— 369 — 24
X74 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
aber, ihr Mönche, gibt es zehn fördernde Dinge: welche
zehn?
Fleiß und Strebsamkeit fördert den Reichtum.
Sich schmücken und putzen fördert die Schönheit.
Heilsame Handlungen fördern die Gesundheit. Edler
Umgang fördert die Sittlichkeit. Sinnenzügelung fördert
den keuschen Wandel. Ehrlichkeit fördert die Freund-
schaft. Wiederholung fördert großes Wissen. Hin-
hören und Nachforschen fördert die Einsicht. Übung
und Selbstbeobachtung fördert die Fähigkeiten. Rech-
ter Wandel fördert die Wiedergeburt im Himmel.
Das, ihr Mönche, sind die zehn fördernden Dinge.
74 Der edle Gewinn
Wer da, ihr Mönche, unter den edlen Jüngern an
zehn Dingen gewinnt, der erfährt einen edlen Gewinn
und erlangt für sich das Edelste und Beste: an welchen
zehn Dingen?
An Feld und Boden, Geld und Korn, Weibern
und Kindern, Knechten und Arbeitern und an Vier-
füßlern, sowie an Vertrauen, Sittlichkeit, Wissen, Frei-
gebigkeit und Einsicht.
Wer da Gewinn erfährt an Geld und Gütern,
An Weibern, Kindern, viergefußten Tieren,
Der ist vermögend, hoch geachtet und geehrt
Von Freund und Vetter, ja sogar von Königen.
Doch wer erstarkt ist in Vertrau'n und Sittlichkeit,
In mildem Sinn, in Wissen und in Einsicht,
Solch einsichtsvollen, edlen Menschen wird zuteil
Ein zweifacher Gewinn (1) schon hier im Leben.
(1) Näml.: ein weltlicher und ein sittlicher Gewinn.
— 370 —
ZEHNERBUCH
Urteilt nicht die Menschen ab! 75
Einst weilte der Erhabene im Jetahaine bei
Sävatthi, im Kloster des Anäthapindiko. Und der
ehrwürdige Änando kleidete sich in der Frühe an, nahm
Gewand und Schale und begab sich zur Wohnung der
Anhängerin Migasälä. Dort angelangt setzte er sich
auf dem bereiteten Sitze nieder. Und die Anhängerin
Migasälä ging auf den ehrwürdigen Änando zu, be-
grüßte ihn ehrfurchtsvoll und setzte sich zur Seite
nieder. Zur Seite aber sitzend sprach die Anhängerin
Migasälä also zum ehrwürdigen Änando:
„Wie, ehrwürdiger Änando, hat man wohl das
vom Erhabenen gewiesene Gesetz zu verstehen, daß
<ia ein keusch Lebender und ein nicht keusch Lebender
nach dem Tode beide ein und denselben Ausgang
haben sollen? Mein Vater namens Pürano nämlich,
o Ehrwürdiger, lebte keusch, enthaltsam, dem Ge-
schlechtsverkehr, dem gemeinen, abgewandt. Nach
seinem Tode nun hat der Erhabene erklärt, daß er
die Einmalwiederkehr erlangt habe und im Himmel
•der Seligen wiedererschienen sei. Meines Vaters Bruder
Isidatto aber, o Ehrwürdiger, lebte nicht keusch, son-
<jern in glücklicher Ehe. Aber auch nach seinem Tode
hat der Erhabene erklärt, daß er die Einmalwiederkehr
erlangt habe und im Himmel der Seligen wieder-
erschienen sei. Wie also, ehrwürdiger Änando, hat
man dies vom Erhabenen gewiesene Gesetz zu ver-
stehen, daß da ein keusch Lebender und ein nicht
keusch Lebender nach dem Tode beide ein und den-
selben Ausgang haben sollen?"
,,Das hat wohl, o Schwester, der Erhabene so
erklärt."
371 — 24*
X75 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Und der ehrwürdige Änando erhob sich, nachdem
er im Hause der Anhängerin Migasälä seine Almosen-
speise entgegen genommen hatte, von seinem Sitze
und ging fort. Am Nachmittage aber, nach Beendigung
des Mahles, begab sich der ehrwürdige Änando zum
Erhabenen hin, begrüßte ihn ehrfurchtsvoll und setzte
sich zur Seite nieder. Zur Seite aber sitzend berichtete
der ehrwürdige Änando dem Erhabenen, was sich zu-
getragen hatte.
[Der Erhabene:] „Wer, Änando, ist denn die An-
hängerin Migasälä, dieses törichte, unerfahrene, mit
Weiberwitz behaftete Weib? Und wer sind die der
Wesen höheren oder niederen Fähigkeitszustand Er-
kennenden?
,, Folgende zehn Menschen, Änando, sind in der
Welt anzutreffen: welche zehn?
,,Da, Änando, ist ein Mensch sittenlos; und er
kennt nicht der Wirklichkeit gemäß jene Gemüts-
erlösung und Wissenserlösung, wo ihm jene Sitten-
losigkeit zur restlosen Aufhebung gelangt. Auch ist
er ohne Erfahrung, ohne großes Streben, hat mit Er-
kenntnis nichts durchdrungen; auch wird ihm nicht
dann und wann Loslösung zuteil. Ein solcher macht
beim Zerfalle des Leibes, nach dem Tode, einen Rück-
schritt, keinen Fortschritt, geht zurück und steigt
nicht höher.
„Da aber, Änando, ist ein Mensch sittenlos und
erkennt der Wirklichkeit gemäß jene Gemütserlösung
und Wissenserlösung, wo ihm jene Sittenlosigkeit zur
restlosen Aufhebung gelangt. Auch besitzt er Er-
fahrung und großes Streben, hat in Erkenntnis etwas
erreicht; auch wird ihm dann und wann Loslösung
_ 372 —
ZEHNERBUCH X 75
zuteil. Ein solcher macht beim Zerfalle des Leibes,
nach dem Tode, einen Fortschritt, keinen Rückschritt,
steigt höher und fällt nicht zurück.
,,Hier nun, Änando, urteilen die Abschätzer fol-
gendermaßen: »Der Eine besitzt jene Eigenschaften,
und auch der Andere besitzt jene Eigenschaften.
Warum sollte da der Eine niedriger und der Andere
höher sein?« Solches aber, Änando, wird ihnen lange
zum' Unheile und Leiden gereichen. Der Sittenlose,
Änando, der da der Wirklichkeit gemäß jene Ge-
mütserlösung und Wissenserlösung kennt, wo ihm
jene Sittenlosigkeit zur rastlosen Aufhebung gelangt,
der Erfahrung besitzt, großes Streben, in Erkenntnis
etwas erreicht hat und dem dann und wann Loslösung
zuteil wird, dieser Mensch, ist höher und edler als
jener Erstere. Und warum? Weil eben, Änando, der
Strom des Gesetzes diesen Menschen mit sich fort-
reißt. Wer, außer dem Vollendeten, vermag wohl
jenen Unterschied zu erkennen? Darum, Änando,
urteilt nicht die Menschen ab! Legt an die Menschen
keinen Maßstab an! Man schadet sich, wenn man die
Menschen aburteilt. Ich freilich, Änando, vermag die
Menschen abzuschätzen oder Einer, der mir ähnlich ist.
,,Da, Änando, ist ein Mensch sittenrein, er kennt
aber nicht der Wirklichkeit gemäß jene Gemütserlösung
und Wissenserlösung, wo ihm jene Sittlichkeit zur rest-
losen Aufhebung gelangt. —
,,Da, aber, Änando, ist ein Mensch sittenrein und
er kennt der Wirklichkeit gemäß jene Gemütserlösung
und Wissenserlösung, wo ihm jene Sittlichkeit zur
restlosen Aufhebung gelangt. —
,,Da, Änando, ist ein Mensch von äußerster Be-
— 373
X75 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
gierde erfüllt; und er kennt nicht der Wirklichkeit
-gemäß jene Gemütserlösung und Wissenserlösung, wa
ihm jene Begierde zur restlosen Aufhebung gelangt. —
„Da aber, Änando, ist ein Mensch von äußerster
Begierde erfüllt, und er kennt jene Gemütserlösung
und Wissenserlösung, wo ihm jene Begierde zur rest-
losen Aufhebung gelangt. —
„Da, Änando, ist ein Mensch voller Haß; und er
kennt nicht der Wirlichkeit gemäß, jene Gemüts-
erlösung und Wissenserlösung, wo ihm jener Haß zur
restlosen Aufhebung gelangt. —
,,Da aber, Änando, ist ein Mensch voller Haß;
und er kennt der Wirklichkeit gemäß jene Gemüts-
erlösung und Wissenserlösung, wo ihm jener Haß zur
restlosen Aufhebung gelangt. —
„Da, Änando, ist ein Mensch aufgeregt; und er
kennt nicht der Wirklichkeit gemäß jene Gemüts-
erlösung und Wissenserlösung, wo ihm jene Aufge-
regtheit zur restlosen Aufhebung gelangt. —
„Da aber, Änando, ist ein Mensch aufgeregt; und
er kennt der Wirklichkeit gemäß jene Gemütserlösung
und Wissenserlösung, wo ihm jene Aufgeregtheit zur
restlosen Aufhebung gelangt. Auch hat er Erfahrung
und großes Streben, hat in Erkenntnis etwas erreicht;
auch wird ihm dann und wann Loslösung zuteil. Ein
solcher macht beim Zerfalle des Leibes, nach dem
Tode, einen Fortschritt, keinen Rückschritt, steigt
höher und fällt nicht zurück.
„Hier nun, Änando, urteilen die Abschätzer fol-
gendermaßen: »Der Eine besitzt jene Eigenschaften,
und auch der Andere besitzt jene Eigenschaften,
Warum sollte da der Eine niedriger und der Andere
— 374 —
ZEHNERBUCH X 75
höher sein?<' Solches aber, Änando, wird ihnen lange
zum Unheile und Leiden gereichen. Der Aufgeregte,
Änando, der da der Wirklichkeit gemäß jene Gemüts-
erlösung und Wissenserlösung kennt, wo ihm jene
Sittenlosigkeit zur restlosen Aufhebung gelangt,, der
in Erfahrung besitzt, großes Streben, in Erkenntnis
etwas erreicht hat und dem dann und wann Loslösung
zuteil wird, dieser Mensch ist höher und edler als jener
Erstere. Und warum? Weil eben, Änando, der Strom
des Gesetzes diesen Menschen mit sich fortreißt. Wer,
außer dem Vollendeten, vermag wohl jenen Unter-
schied zu erkennen? Darum, Änando, urteilt nicht
die Menschen ab! Legt an die Menschen keinen Maß-
stab an! Man schadet sich, wenn man die Menschen
aburteilt. Ich freilich, Änando, vermag die Menschen
abzuschätzen oder Einer, der mir ähnlich ist.
,,Wer, Änando, ist denn die Anhängerin Migasälä,
dieses törichte, unerfahrene, mit Weiberwitz behaftete
Weib? Und wer sind die der Wesen höheren oder
niederen Fähigkeitszustand Erkennenden? Diese zehn
Menschen, Änando, sind in der Welt anzutreffen.
,, Hätte, Änando, Isidatto dieselbe Sittlichkeit be-
sessen wie Pürano, so hätte Pürano Isidattos Zustand
nicht erfassen können; und hätte Änando, Pürano
dieselbe Einsicht besessen wie Isidatto, so hätte Isi-
datto Püranos Zustand nicht erfassen können. Somit,
Änando, waren diese beiden Menschen in je einer
Eigenschaft unvollkommen."
375 —
X76 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
76 Ueberkommung von Geburt, Alter und Tod
Wären, ihr Mönche, nicht drei Dinge in der Welt
anzutreffen, so möchte der Vollendete, der Heilige,
Vollkommen Erleuchtete nicht in der Welt erscheinen,
und das vom Vollendeten verkündete Gesetz und seine
Disziplin möchten nicht in der Welt leuchten. Und
welches sind diese drei Dinge? Geburt, Alter und Tod.
Weil eben, ihr Mönche, diese drei Dinge in der Welt
anzutreffen sind, eben darum erscheint der Vollendete
in der Welt, der Heilige, Vollkommen Erleuchtete
und das vom Vollendeten verkündete Gesetz und seine
Disziplin leuchten in der Welt.
Ohne, ihr Mönche, drei Dinge überkommen zu
haben, ist man außerstande, Geburt, Alter und Tod
zu überkommen: welche drei? Gier, Haß und Ver-
blendung.
Ohne, ihr Mönche, drei Dinge überkommen zu
haben, ist man außerstande, Gier, Haß und Ver-
blendung zu überkommen: welche drei? Persönlich-
keitsglaube, Zweifel und Hang an Sittenregeln und
Riten.
Ohne, ihr Mönche, drei Dinge überkommen zu
haben, ist man außerstande, Persönlichkeitsglaube,
Zweifel und Hang an Sittenregeln und Riten zu üben:
welche drei? Unweise Erwägung, Befolgung des bösen
Pfades und geistige Schlaffheit.
Ohne, ihr Mönche, drei Dinge überkommen zu
haben, ist man außerstande, unweise Erwägung, Be-
folgung des bösen Pfades und geistige Schlaffheit zu
überkommen: welche drei? Unachtsamkeit, Unklar-
heit und geistige Verworrenheit.
— 376 —
ZEHNERBUCH X 76
Ohne, ihr Mönche, drei Dinge überkommen zu
haben, ist man außerstande, Unachtsamtceit, Uni<Iar-
heit und geistige Verworrenheit zu überkommen:
welche drei: Unlust zum Besuche der Edlen, Unlust
2um Hören des edlen Gesetzes und hämische Gesinnung.
Ohne, ihr Mönche, drei Dinge überkommen zu
haben, ist man außerstande, Unlust zum Besuche der
Edlen, Unlust zum Hören des edlen Gesetzes, und
hämische Gesinnung zu überkommen: welche drei?
Aufgeregtheit, Zügellosigkeit und Sittenlosigkeit.
Ohne, ihr Mönche, drei Dinge überkommen zu
haben, ist man außerstande, Aufgeregtheit, Zügel-
losigkeit und Sittenlosigkeit zu überkommen: welche
drei: Vertrauenslosigkeit,Unfreundlichkeit und Trägheit.
Ohne ihr Mönche, drei Dinge überkommen zu
haben, ist man außerstande, Vertrauenslosigkeit, Un-
freundlichkeit und Trägheit zu überkommen: welche
drei? Unehrerbietigkeit, Grobheit und üblen Umgang.
Ohne, ihr Mönche, drei Dinge überkommen zu
haben, ist man außerstande: Unehrerbietigkeit, Grob-
heit und üblen Umgang zu überkommen: welche
drei? Schamlosigkeit, Gewissenlosigkeit und Lässigkeit.
Der Schamlose und Gewissenlose, ihr Mönche,
ist lässig. Da er lässig ist, ist er außerstande, Unehr-
erbietigkeit, Grobheit und üblen Umgang zu über-
kommen. Da er üblen Umgang pflegt, ist er außer-
stande, Vertrauenslosigkeit, Unfreundlichkeit und Träg-
heit zu überkommen. Da er träge ist, ist er außer-
stande, Aufgeregtheit, Zügellosigkeit und Sittenlosig-
keit zu überkommen. Da er sittenlos ist, ist er außer-
stande, die Unlust zum Besuche der Edlen, die Unlust
zum Hören des edlen Gesetzes und hämische Gesinnung
377 —
X76 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
zu überkommen. Da er hämische Gesinnung hegt,
ist er außerstande, Unachtsamkeit, Unklarheit und
geistige Verworrenheit zu überkommen. Da er geistig
verworren ist, ist er außerstande, unweise Erwägung,
Befolgung des bösen Pfades und geistige Schlaffheit
zu überkommen. Da er schlaffen Geistes ist, ist er
außerstande, Persönlichkeitsglaube, Zweifel und Hang
an Sittenregeln und Riten zu überkommen. Da er
voll Zweifel ist, ist er außerstande, Gier, Haß und Ver-
blendung zu überkommen. Ohne aber Gier, Haß und
Verblendung überkommen zu haben, ist er außer-
stande, Geburt, Alter und Tod zu überkommen.
Wer, ihr Mönche, drei Dinge überkommen hat,
ist imstande, Geburt, Alter und Tod zu überkommen:
welche drei? Gier, Haß und Verblendung.
Wer, ihr Mönche, drei Dinge überkommen hat,
ist imstande, Gier, Haß und Verblendung zu über-
kommen: welche drei? Persönlichkeitsglaube, Zweifel
und Hang an Sittenregeln und Riten.
Wer, ihr Mönche, drei Dinge überkommen hat,
ist imstande, Persönlichkeitsglaube, Zweifel und Hang
an Sittenregeln und Riten zu überkommen: welche
drei? Unweise Erwägung, Befolgung des bösen Pfades
und geistige Schlaffheit.
Wer, ihr Mönche, drei Dinge überkommen hat,
ist imstande, unweise Erwägung, Befolgung des bösen
Pfades und geistige Schlaffheit zu überkommen:
welche drei? Unachtsamkeit, Unklarheit und geistige
Verworrenheit.
Wer, ihr Mönche, drei Dinge überkommen hat,
ist imstande, Unachtsamkeit, Unklarheit und geistige
Verworrenheit zu überkommen: welche drei? Unlust
— 378 —
ZEHNERBUCH X76»
zum Besuche der Edlen, Unlust zum Hören des edlea
Gesetzes und hämische Gesinnung.
Wer, ihr Mönche, drei Dinge überkommen hat,
ist imstande, Unlust zum Besuche der Edlen, Unlust
zum Hören des edlen Gesetzes und hämische Ge-
sinnung zu überkommen: welche drei? Aufgeregt-
heit, Zügellosigkeit und Sittenlosigkeit.
Wer, ihr Mönche, drei Dinge überkommen hat,
ist imstande, Aufgeregtheit,^ Zügellosigkeit und Sitten-
losigkeit zu überkommen: welche drei? Vertrauens-
losigkeit, Unfreundlichkeit und Trägheit.
Wer, ihr Mönche, drei Dinge überkommen hat,
ist imstande, Vertrauenslosigkeit, Unfreundlichkeit und
Trägheit zu überkommen: welche drei? Unehrerbietig-
keit, Grobheit und üblen Umgang.
Wer, ihr Mönche, drei Dinge überkommen hat,
ist imstande, Unehrerbietigkeit, Grobheit und üblen
Umgang zu überkonunen: welche drei? Schamlosig-
keit, Gewissenlosigkeit und Lässigkeit.
Der von Schamgefühl und Gewissen Erfüllte, ihr
Mönche, ist strebsam. Da er strebsam ist, ist er im-
stande, Unehrerbietigkeit, Grobheit und üblen Umgang
zu überkommen. Da er edlen Umgang hat, ist er im-
stande, Vertrauenslosigkeit, Unfreundlichkeit und Träg-
heit zu überkommen. Da er voll Willenskraft ist, ist
er imstande, Aufgeregtheit, Zügellosigkeit und Sitten-
losigkeit zu überkommen. Da er sittenrein ist, ist er
imstande, die Unlust zum Besuche der Edlen, die Un-
lust zum Hören des edlen Gesetzes und hämische Ge-
sinnung zu überkommen. Da er ohne hämische Ge-
sinnung ist, ist er imstande, Unachtsamkeit, Unklar-
heit und geistige Verworrenheit zu überkommen. Da
— 379 —
:X78 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
er nicht geistig verworren ist, ist er imstande, unweise
Erwägung, Befolgung des bösen Pfades und geistige
Sclilaffiieit zu überkommen. Da er geistig nicht schlaff,
ist er imstande, Persönlichkeitsglauben, Zweifel und
Hang an Sittenregeln und Riten zu überkommen.
Da er ohne Zweifel ist, ist er imstande, Gier, Haß und
Verblendung zu überkommen. Durch Überkommung
von Gier, Haß und Verblendung aber ist er imstande,
Alter und Tod zu überkommen.
Der Rabe
77 Mit zehn bösen Eigenschaften, ihr Mönche, ist
der Rabe behaftet: mit welchen zehn? Er ist hinter-
listig, dreist, argwöhnig, gefräßig, grausam, ohne Mit
leid, ein Schwächling und ein Schreier, gedankenlos
und unfolgsam.
Ebenso auch, ihr Mönche, ist der böse Mönch
mit zehn bösen Eigenschaften behaftet: mit welchen
zehn? Er ist hinterlistig, dreist, argwöhnig, gefräßig,
grausam, ohne Mitleid, ein Schwächling, und ein
Schreier, gedankenlos und unfolgsam.
78 Die bösen Eigenschaften der Niganther
Mit zehn bösen Eigenschaften, ihr Mönche, sind
die Niganther behaftet: mit welchen zehn?
Vertrauenslos, ihr Mönche, sind die Niganther;
sittenlos sind die Niganther; schamlos sind die Ni-
ganther; gewissenlos sind die Niganther; sie teilen
nicht mit guten Menschen; sie brüsten sich und ver-
achten die anderen; sie hängen am äußeren Scheine,
sind hartnäckig und geben schwer nach; Heuchler sind
die Niganther, voll übler Absichten sind die Niganther;
— 380 —
ZEHNERBUCH X79
voll falscher Erkenntnis sind die Niganther. Das, ihr
Mönche, sind die zehn bösen Eigenschaften der Ni-
ganther.
Der Groll und seine Ueberwindung
Zehn Fälle von Groll gibt es, ihr Mönche: welche
zehn?
In dem Gedanken: »Er hat mir geschadet« emp-
findet man Groll. In dem Gedanken: »Er schadet
mir« — »Er wird mir schaden« — »Er hat meinem
lieben Freunde geschadet« — »Er schadet meinem lieben
Freunde« — »Er will meinem lieben Freunde schaden«
— »Er hat meinem verhaßten Feinde geholfen« —
>Er hilft meinem verhaßten Feinde« — »Er will meinem
verhaßten Feinde helfen« in diesem Gedanken emp-
findet man Groll. Und auch ohne Anlaß wird man
erregt. Das, ihr Mönche, sind die zehn Fälle von
Groll.
Zehn Überwindungen des Grolles gibt es, ihr
Mönche: welche zehn?
»Was nützt es mir zu denken, daß er mir geschadet
hat?«: in diesem Gedanken überwindet man den
Groll. »Was nützt es mir zu denken, daß er mir schadet ?«
— daß er mir schaden will?« — daß er meinem lieben
Freunde geschadet hat?« — daß er meinem lieben
Freunde schadet?« — daß er meinem lieben Freunde
schaden will?« — daß er meinem verhaßten Feinde
geholfen hat?« — daß er meinem verhaßten Feinde
hilft?« — daß er meinem verhaßten Feinde helfen
will?«: in diesem Gedanken überwindet man den
Groll. Und ohne Anlaß wird man nicht erregt. Das,
ihr Mönche, sind die zehn Überwindungen des Grolles,
— 381 —
X82 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
NEUNTER TEIL:
Das Kapitel der Ordensälteren
^1 Die unbeUeckte Lotusblume
[Bei Campä, am Ufer des Gaggaräteiches]
Der ehrwürdige Bähuno sprach zum Erhabenen:
„Von wie vielen Dingen abgewandt, entbunden
und losgelöst, o Ehrwürdiger, verweilt da der Voll-
endete unumschränkten Gemütes?"
,,Von zehn Dingen, Bähuno: von Form, Gefühl,
Wahrnehmung, Geistesbildungen und Bewußtsein, von
Geburt, Alter, Tod, Leiden und Leidenschaften.
Gleichwie nämlich, Bähuno, die Lotusblume, im Wasser
geboren, im Wasser aufgewachsen, sich über den Wasser-
spiegel erhebt und nicht mehr vom Wasser berührt
wird: ebenso auch, Bahuno, verweilt der Vollendete,
von diesen zehn Dingen abgewandt, entbunden und
losgelöst, unumschränkten Gemütes."
82 Die Bedingungen zum Fortschritte
Der Erhabene sprach zum ehrwürdigen Änando:
Daß da ein Mönch, Änando, der ohne Vertrauen
ist, in diesem Gesetze und dieser Disziplin Fortschritt,
Entfaltung und Größe erzielen sollte, das ist nicht
möglich. Daß da ein Mönch, Änando, der sittenlos,
unwissend und grob ist, üblen Umgang pflegt, träge
ist, unachtsam, ungenügsam, voll übler Wünsche und
falscher Erkenntnis, daß ein solcher in diesem Gesetze
— 382 —
ZEHNERBUCH X8S
und dieser Disziplin Fortschritt, Entfaltung und Größe
erzielen sollte, das ist nicht möglich.
Daß, Änando, ein Mönch, der diese zehn Eigen-
schaften besitzt, in diesem Gesetze und dieser Dis-
ziplin Fortschritt, Entfaltung und Größe erzielen
sollte, das ist nicht möglich.
Daß aber ein Mönch, Änando, der Vertrauen be-
sitzt, großes Wissen, edlen Umgang, Willenskraft,
Achtsamkeit, Genügsamkeit, ohne üble Wünsche ist
und rechte Erkenntnis besitzt, daß ein solcher in
diesem Gesetze und dieser Disziplin Fortschritte, Ent-
faltung und Größe erzielen mag, das ist wohl möglich.
Daß ein Mönch, Änando, der diese zehn Eigen-
schaften besitzt, in diesem Gesetze und dieser Disziplin,
Fortschritte, Entfaltung und Größe erzielen mag, das
ist wohl möglich.
Der Vortrag des Vollendeten
Der ehrwürdige Punniyo sprach zum Erhabenen:
„Was ist wohl, o Ehrwürdiger, der Anlaß, was der
Grund, daß das eine Mal der Vollendete das Gesetz
vorträgt, das andere Mal nicht?"
,,Ist, Punniyo, der Mönch voll Vertrauen, kommt
aber nicht heran, so trägt eben der Vollendete das
Gesetz nicht vor. Ist aber, Punniyo der Mönch voll
Vertrauen und kommt heran, so trägt eben der Voll-
endete das Gesetz vor.
,,Ist, Punniyo, der Mönch voll Vertrauen und
kommt heran, setzt sich aber nicht hin, — oder setzt
sich hin, doch fragt nicht, — oder fragt, doch hört nicht
mit offenen Ohren zu, — oder hört mit offenen Ohren
— 383 —
83
X84 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
zu, doch merkt sich das gehörte Gesetz nicht, — oder
merkt sich das gehörte Gesetz, doch erforscht nicht
den Sinn der sich eingeprägten Gesetze, — oder er-
forscht den Sinn der sich eingeprägten Gesetze, doch
lebt nicht, das Gesetz und seine Auslegung kennend,
im Einklänge mit dem Gesetze, — oder lebt, das Ge-
setz und seine Auslegung kennend, im Einklänge mit
dem Gesetze, doch bedient sich keiner edlen Worte,
— oder bedient sich edler Worte, doch läßt seinen
Ordensbrüdern keine Unterweisung, Ermahnung, Er-
mutigung und Aufheiterung zuteil werden: in diesem
Falle trägt eben der Vollendete das Gesetz nicht vor.
„Ist aber, Punniyo, der Mönch voll Vertrauen,
kommt heran, setzt sich hin, fragt, hört mit offenen
Ohren zu, merkt sich das gehörte Gesetz, erforscht
den Sinn der sich eingeprägten Gesetze, lebt, das Ge-
setz und seine Auslegung kennend, im Einklänge mit
dem Gesetze, bedient sich edler Worte, unterweist,
ermahnt, ermutigt und ermuntert seine Ordensbrüder:
in solchem Falle trägt eben der Vollendete das Ge-
setz vor.
,,Ist Punniyo, der Vortrag des Gesetzes von diesen
zehn Umständen begleitet, so trägt auf alle Fälle der
Vollendete das Gesetz vor."
84 Höchstes Wissen vorgeben
Der ehrwürdige Mahä-Moggalläno sprach:
Da, ihr Brüder, gibt ein Mönch Höchstes Wissen
(annä) vor, indem er spricht: »Aufgehoben ist die
Wiedergeburt, ausgelebt der Heilige Wandel, das Werk
vollendet, nicht kehr' ich mehr zu dieser Welt zurück:
— 384 —
ZEHNERBUCH X84
das weiß ich:«. Der Vollendete aber oder ein sich ver-
tiefender Jünger des Vollendeten, der vertraut ist mit
den Errungenschaften, vertraut mit dem Geiste der
anderen,vertraut mit den Geistesvorgängen der anderen,
nimmt ihn sich vor, befragt ihn, forscht ihn aus. Von
ihm aber vorgenommen, befragt und ausgeforscht,
wird er verwirrt und befangen, gerät in Sorge und
Verzagtheit, ist bedrückt und niedergeschlagen. Indem
nun der Vollendete oder der Jünger des Vollendeten
sein Herz im Geiste durchdringt, denkt er darüber
nach, warum wohl dieser Verehrte Höchstes Wissen
vorgibt. Und sein Herz im Geiste durchdringend, er-
kennt er: »Voll Zorn, wahrlich, ist dieser Verehrte;
zornbesessenen Geistes verweilt er häufig; vom Zorne
aber besessen sein gilt in dem vom Vollendeten ver-
kündeten Gesetze und seiner Disziplin als ein Rück-
schritt. Voll Wut, wahrlich, ist dieser Verehrte, —
voll Heuchelei, — Eifersucht, — Neid, — Geiz, —
Arglist, — Gleisnerei, voll übler Wünsche; wunsch-
besessenen Geistes verweilt er häufig; von Wünschen
aber besessen sein gilt in dem vom Vollendeten ver-
kündeten Gesetze und seiner Disziplin als ein Rück-
schritt. Unachtsam ist dieser Verehrte. Wo es noch
Höheres zu tun gab, hat er, um einen ganz gemeinen
Vorteil zu erlangen, auf halbem Wege Schluß ge-
macht. Auf halbem Wege aber Schluß machen gilt
in dem vom Vollendeten verkündeten Gesetze und
seiner Disziplin als ein Rückschritt.
Daß da ein Mönch, ihr Brüder, ohne diese zehn
Dinge überkommen zu haben, in diesem Gesetze und
dieser Disziplin Fortschritte, Entfaltung und Größe
erzielen sollte, das ist nicht möglich. Wohl aber ist
385 — 25
X85 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
es möglich, ihr Brüder, daß ein Mönch, der diese zehn
Dinge überkommen hat, in diesem Gesetze und dieser
DiszipHn Fortschritte, Entfaltung und Größe er-
zielen mag.
85 Errungenschaften vorgeben
[Bei Sahajäti im Lande der Cetier]
Der ehrwürdige Mahäcundo sprach:
Da, ihr Brüder, rühmt und brüstet sich ein Mönch
mit den Errungenschaften: »Ich trete ein in die erste
Vertiefung und trete wieder heraus, trete ein. in die
zweite, dritte und vierte Vertiefung und trete wieder
heraus, trete ein in das Gebiet der Raumunendlichkeit,
der Bewußtseinsunendlichkeit, des Nichtdasseins und
der Weder -Wahrnehmung - Noch - Nichtwahrnehmung
und trete wieder heraus.« Der Vollendete aber oder ein
sich vertiefender Jünger derVollendeten, der vertraut ist
mit den Errungenschaften, vertraut mit dem Geiste
der anderen, vertraut mit den Geistesvorgängen der
anderen, nimmt ihn sich vor, befragt ihn, forscht ihn
aus. Von ihm aber vorgenommen, befragt und aus-
geforscht, wird er verwirrt und befangen, gerät in
Sorge und Verzagtheit, ist bedrückt und niederge-
schlagen. Indem aber der Vollendete oder der Jünger
des Vollendeten sein Herz im Geiste durchdringt,
denkt er darüber nach, warum wohl dieser Verehrte
sich mit den Errungenschaften rühmt und brüstet.
Und sein Herz im Geiste durchdringend erkennt er
ihn: »Seit langer Zeit ist dieser Verehrte in den Sitten
unvollkommen, lückenhaft, besudelt, befleckt, un
beständig, von unbeständigem Benehmen. Sittenlos
— 386 —
ZEHNERBUCH X 85
ist dieser Verehrte. Sittenlosigkeit aber gilt in dem
vom Vollendeten verkündeten Gesetze und seiner Dis-
ziplin als ein Rückschritt. Vertrauenslos ist dieser
Verehrte — unwissend — grob — von üblem Umgang
— träge — unachtsam — ein Heuchler — schwer zu be-
friedigen — ohne Einsicht. Mangel an Einsicht aber
gilt in dem vom Vollendeten verkündeten Gesetze und
seiner Disziplin als ein Rückschritt.«
Es ist, ihr Brüder, gerade so wie wenn ein Freund
zu seinem Freunde spricht: »Wenn du Geld brauchst,
mein Lieber, dann bitte mich darum! Ich werde dir
welches geben.« Sobald sich nun eine Geldnot ein-
stellt, spricht sein Freund zu ihm: »Ich brauche Geld
mein Lieber. Gib mir welches!« Jener aber spricht:
»So grabe denn hier auf, mein Lieber!« (1) Während
dieser aber dort aufgräbt, findet er keines; und er
spricht: »Etwas Verkehrtes und Törichtes hast du mir
geraten, mein Lieber.« Jener aber entgegnet: »Ich habe
dir nichts Verkehrtes und Törichtes geraten. So grabe
doch hier, mein Lieber!« Und trotzdem dieser noch-
mals dort gräbt, findet er nichts; und er spricht:
»Etwas Verkehrtes und Törichtes hast du mir geraten,
mein Lieber.« Jener aber entgegnet: »Ich habe dir
nichts Verkehrtes und Törichtes geraten. So grabe
doch hier, mein Lieber!« Und trotzdem dieser wiederum
dort gräbt, findet er nichts; und er spricht: »Etwas
Verkehrtes und Törichtes hast du mir geraten, mein
Lieber.« Jener aber spricht: »Ich habe dir nichts Ver-
kehrtes und Törichtes geraten; ich war eben dem Wahn-
witze verfallen, der geistigen Verwirrung.«
(1) Um die angeblich im Boden vergrabenen Schätze auszu-
graben.
387 — 25*
X85 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Ebenso auch, ihr Brüder, rühmt und brüstet sich
ein Mönch mit den Errungenschaften: »Ich trete ein
in die erste Vertiefung und trete wieder heraus, trete
ein in die zweite, dritte und vierte Vertiefung und
trete wieder heraus, trete ein in das Gebiet der Raum-
unendlichkeit, der-Bewußtseinsunendlichkeit, des Nicht-
daseins und der Weder- Wahrnehmung-Noch-Nichtwahr-
nehmung und trete wieder heraus.« Der Vollendete
aber oder ein sich vertiefender Jünger des Vollendeten»
der vertraut ist mit den Errungenschaften, vertraut
mit dem Geiste der anderen, vertraut mit den Geistes-
vorgängen der anderen, nimmt ihn sich vor, befragt
ihn, forscht ihn aus. Von ihm aber vorgenommen,
befragt und ausgeforscht, wird er verwirrt und be-
fangen, gerät in Sorge und Verzagtheit, ist bedrückt
und niedergeschlagen. Indem aber der Vollendete
oder der Jünger des Vollendeten sein Herz im Geiste
durchdringt, denkt er darüber nach, warum wohl
dieser Verehrte sich mit den Errungenschaften rühmt
und brüstet. Und sein Herz im Geiste durchdringend
erkennt er ihn: »Seit langer Zeit ist dieser Verehrte
in den Sitten unvollkommen, lückenhaft, besudelt,
befleckt, unbeständig, von unbeständigem Benehmen.
Sittenlos ist dieser Verehrte. Sittenlosigkeit aber gilt
in dem vom Vollendeten verkündeten Gesetze und
seiner Disziplin als ein Rückschritt. Vertrauenslos
ist dieser Verehrte — unwissend — grob — von üblem
Umgang — träge — unachtsam — ein Heuchler —
schwer zu befriedigen — ohne Einsicht. Mangel an
Einsicht aber gilt in dem vom Vollendeten verkündeten
Gesetze und seiner Disziplin als ein Rückschritt. <^
Daß da ein Mönch, ihr Brüder, ohne diese zehn
— 388 —
ZEHNERBUCH X 86
Dinge überkommen zu haben, in diesem Gesetze und
dieser Disziplin Fortschritte, Entfaltung und Größe
erzielen sollte, das ist nicht möglich. Wohl aber ist
es möglich, ihr Brüder, daß ein Mönch, der diese zehn
Dinge überkommen hat, in diesem Gesetze und dieser
Disziplin Fortschritte, Entfaltung und Größe er-
zielen mag.
Angebliche Heiligkeit 86
(Im Bambushaine bei Räjagaha, an der Fütterungs- >-
Stätte der Eichhörnchen]
Der ehrwürdige Mahä-Kassapo sprach:
,,Da, ihr Brüder, gibt ein Mönch Höchstes
Wissen (aflnä) vor, indem er spricht: »Aufgehoben ist
die Wiedergeburt, ausgelebt der Heilige Wandel, das
Werk vollendet, nicht kehr' ich mehr zu dieser Welt
zurück: das weiß ich.<> Der Vollendete aber oder ein
sich vertiefender Jünger des Vollendeten, der vertraut
ist mit den Errungenschaften, vertraut mit dem Geiste
der anderen, vertraut mit den Geistesvorgängen der
anderen, nimmt ihn sich vor, befragt ihn, forscht ihn
aus. Von ihm aber vorgenommen, befragt und aus-
geforscht, wird er verwirrt und befangen, gerät in
Sorge und Verzagtheit, ist bedrückt und niederge-
schlagen. Indem nun der Vollendete oder der Jünger
des Vollendeten sein Herz im Geiste durchdringt,
denkt er darüber nach, warum wohl dieser Verehrte
Höchstes Wissen vorgibt. Und sein Herz im Geiste
durchdringend, erkennt er: »Eingebildet ist dieser
Verehrte, voll von Wissensdünkel. Wo er nichts er-
reicht hat, glaubt er etwas erreicht zu haben; wo er
— 389 —
X86 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
nichts erwirkt hat, glaubt er etwas erwirkt zu haben;
wo er nichts errungen hat, glaubt er etwas errungen zu
haben; und in seinem Wahne gibt er Höchstes Wissen
vor. Indem nun der Vollendete oder der Jünger des
Vollendeten sein Herz im Geiste durchdringt, denkt
er darüber nach, warum wohl dieser Verehrte so ein-
gebildet und voll von Wissensdünkel ist, daß, wo er
nichts erreicht hat, etwas erreicht zu haben glaubt, wo
er nichts erwirkt hat, etwas erwirkt zu haben glaubt,
wo er nichts errungen hat, etwas errungen zu haben
glaubt und in seinem Wahne Höchstes Wissen vorgibt?
Und sein Herz im Geiste durchdringend erkennt er:
»Freilich, ein großes Wissen besitzt dieser Verehrte,
ist ein Träger des Wissens, hat sich ein großes Wissen
angesammelt. Jene Gesetze, die im Anfang erhaben,
in der Mitte erhaben und am Ende erhaben sind, dem
Sinne wie dem Wortlaute nach, und das ganz und
gar vollkommene, geläuterte Heilige Leben lehren,
solcher Gesetze hat er viele vernommen, sich eingeprägt,
in Worten behalten, mit Erkenntnis wohl durch-
drungen. Darum ist dieser Verehrte so eingebildet und
voll von Wissensdünkel. Und sein Herz im Geiste durch-
dringend erkennt der Vollendete oder der Jünger des
'Vollendeten: »Voll Begierde, wahrlich, ist dieser Ver-
ehrte; gierbesessenen Herzens verweilt er häufig; von
der Begierde aber besessen sein gilt in dem vom Voll-
endeten verkündeten Gesetze und seiner Disziplin als
ein Rückschritt. Voll Groll ist dieser Verehrte, — voll
Stumpfheit und Mattigkeit, — voll Aufgeregtheit, —
voll Zweifelsucht; zweifelbesessenen Herzens verweilt
er häufig; von Zweifelsucht aber besessen sein gilt in
dem vom Vollendeten verkündeten Gesetze und seiner
390
ZEHNERBUCH X 87
Disziplin als ein Rückschritt. Er empfindet Freude
und Gefallen an körperlichen Arbeiten, am Plaudern,
am. Schlafen, an Geselligkeit, ist der Freude an Ge-
selligkeit hingegeben. Das aber gilt in dem vom Voll-
endeten verkündeten Gesetze und seiner Disziplin als
ein Rückschritt. Unachtsam ist dieser Verehrte. Wo
es noch Höheres zu tun gab, hat er, um einen ganz
•gemeinen Vorteil zu erlangen, auf halbem Wege Schluß
gemacht. Auf halbem Wege aber Schluß machen gilt
in dem vom Vollendeten verkündeten Gesetze und
seiner Disziplin als ein Rückschritt.
Daß da ein Mönch, ihr Brüder, ohne diese zehn
Dinge überkommen zu haben, in diesem Gesetze und
dieser Disziplin FortschriMe, Entfaltung und Größe
erzielen sollte, das ist nicht möglich. Wohl aber ist
es möglich, ihr Brüder, daß ein Mönch, der diese zehn
Dinge überkommen hat, in diesem Gesetze und dieser
Disziplin Fortschritte, Entfaltung und Größe er-
zielen mag.
Die Bedingungen zur Liebe und Achtung 87
Dort nun wandte sich der Erhabene mit Rück-
sicht auf den Mönch Kälaka an die Mönche: ,, Mönche!"
sprach er. ,, Ehrwürdiger!" erwiderten jene Mönche
dem Erhabenen. Und der Erhabene sprach:
Da, ihr Mönche, ist der Mönch streitsüchtig, lobt
nicht die Schlichtung des Streites. Daß aber, ihr
Aiönche, der Mönch streitsüchtig ist, nicht die Schlich-
tung des Streites lobt, das ist eine Eigenschaft, die
nicht zur Freundschaft, Achtung und Ehrfurcht, zur
Eintracht und Einigkeit führt.
— 391 —
X87 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Fernerhin, ihr Mönche, ist da ein Mönch nicht
übungsbegierig, lobt nicht die Befolgung der Übung,
— ist voll übler Wünsche, — voll Zorn, — Heuchelei,
— Arglist, — Gleisnerei, lobt nicht deren Überwindung,
— besitzt keinen Einblick in die Gesetze, lobt nicht
den Einblick in die Gesetze, — ist nicht abgeschieden,
lobt nicht die Abgeschiedenheit, — ist nicht freundlich
gegen seine Ordensbrüder, lobt nicht die Freundlich-
keit, Daß aber, ihr Mönche, der Mönch nicht freundlich
ist gegen seine Ordensbrüder, nicht die Freundlichkeit
lobt, das ist eine Eigenschaft, die nicht zur Freund-
schaft, Achtung und Ehrfurcht, zur Eintracht und
Einigkeit führt.
Mag da, ihr Mönche, ein solcher Mönch auch noch
so sehr wünschen: »Ach möchten mich doch meine
Ordensbrüder schätzen und würdigen, achten und
ehren!«: seine Ordensbrüder jedoch schätzen und
würdigen, achten und ehren ihn eben nicht. Und warum
nicht? Weil, ihr Mönche, die verständigen Ordens-
brüder merken, daß jene üblen, schuldvollen Erschei-
nungen in ihm noch nicht geschwunden sind.
Auch ein junges Roß, ihr Mönche, mag noch so
sehr wünschen: »Ach, möchten mich doch die Men-
schen an einem würdigen Platze einstellen, mir wür-
diges Futter reichen und würdige Reinigung zuteil
werden lassen!«: die Menschen jedoch stellen es eben
nicht an einem würdigen Platze ein, reichen ihm kein
würdiges Futter und lassen ihm keine würdige Rei-
nigung zuteil werden. Und warum nicht? Weil, ihr
Mönche, die verständigen Menschen merken, daß jenes
hinterlistige, versteckte, tückische und ungerade
Wesen in ihm noch nicht geschwunden ist. Ebenso
— 392 —
ZEHNERBUCH X 87
auch, ihr Mönche, mag ein solcher Mönch noch so
sehr wünschen: ,,Ach, möchten mich doch meineOrdens-
brüder schätzen und würdigen, achten und ehren!«:
seine Ordensbrüder jedoch schätzen und würdigen,
achten und ehren ihn eben nicht. Und warum nicht?
Weil, ihr Mönche, die verständigen Ordensbrüder
merken, daß jene üblen, schuldvollen Erscheinungen
in ihm noch nicht geschwunden sind.
Da aber, ihr Mönche, ist ein Mönch nicht streit-
süchtig und lobt die Schlichtung des Streites, — ist
übungsbegierig, — bedürfnislos, — ohne Zorn, —
ohne Heuchelei, — ohne Arglist, — ohne Gleisnerei, —
besitzt Einblick in die Gesetze, — ist abgeschieden, —
freundlich gegen seine Ordensbrüder und lobt die
Freundlichkeit. Daß aber, ihr Mönche, der Mönch
freundlich ist gegen seine Ordensbrüder und die Freund-
lichkeit lobt, das ist eine Eigenschaft, die zur Freund-
schaft, Achtung und Ehrfurcht, zur Eintracht und
Einigkeit führt.
Mag da, ihr Mönche, ein solcher Mönch auch nicht
den Wunsch hegen: »Ach, möchten mich doch meine
Ordensbrüder schätzen und würdigen, achten und
ehren!«: seine Ordensbrüder jedoch schätzen und
würdigen, achten und ehren ihn eben. Und warum?
Weil, ihr Mönche, die verständigen Ordensbrüder
merken, daß jene üblen, schuldvollen Ersche'inungen in
ihm geschwunden sind.
Mag das gute, edle Roß, ihr Mönche, auch nicht
den Wunsch hegen: »Ach möchten mich doch die
Menschen an einem würdigen Platze einstellen, mir
würdiges Futter reichen und würdige Reinigung zu-
teil werden lassen!«: die Menschen jedoch stellen ^s
— 393 —
X89 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
eben an einem würdigen Platze ein, reichen ihm wür-
diges Futter und lassen ihm würdige Reinigung zu-
teil werden. Und warum? Weil, ihr Mönche, die ver-
ständigen Menschen merken, daß jenes hinterlistige,
versteckte, tückische und ungerade Wesen in ihm ge-
schwunden ist. Ebenso auch, ihr Mönche, mag ein
solcher Mönch auch nicht den Wunsch hegen: »Ach,
möchten mich doch meine Ordensbrüder schätzen
und würdigen, achten und ehren!«: seine Ordensbrüder
jedoch schätzen und würdigen, achten und ehren ihn
eben. Und warum? Weil, ihr Mönche, die verstän-
digen Ordensbrüder merken, daß jene üblen, schuld-
vollen Erscheinungen in ihm geschwunden sind.
33 Das Schicksal des Mönches Kokäliko
Der Mönch Kokäliko sprach zum Erhabenen:
»Üble Wünsche, o Ehrwürdiger, hegen Säriputto
und Moggalläno. Unter dem Einfluß übler Wünsche
stehen Säriputto und Moggalläno."
„Nicht doch, Kokäliko! Nicht doch, Kokäliko!
Habe in deinem Herzen Vertrauen zu Säriputto und
Moggalläno! Edel sind Säriputto und Moggalläno."
Und zum zweitenmale sprach der Mönch Kokäliko
zum Erhabenen:
,,Wie sehr auch, o Ehrwürdiger, der Erhabene
diesen glaubt und vertraut, so hegen dennoch Säriputto
und Moggalläno üble Wünsche, stehen unter dem Ein-
flüsse übler Wünsche."
„Nicht doch, Kokäliko! Nicht doch, Kohälikof
Habe in deinem Herzen Vertrauen zu Säriputto und
Moggalläno! Edel sind Säriputto und Moggallänol"
— 394 —
ZEHNERBUCH X 8»
Und zum drittenmale sprach der Mönch Kokälika
zum Erhabenen:
„Wie sehr auch, o Ehrwürdiger, der Erhabene
diesen glaubt und vertraut, so hegen dennoch Säri-
putto und Moggalläno üble Wünsche, stehen unter
dem Einflüsse übler Wünsche. '
„Nicht doch, Kokäliko! Nicht doch, Kokäliko!
Habe in deinem Herzen Vertrauen zu Säriputto und
Moggalläno! Edel sind Säriputto und Moggalläno."
Da erhob sich der Mönch Kokäliko von seinem
Sitze, begrüßte ehrfurchtsvoll den Erhabenen, und
ihm die Rechte zukehrend entfernte er sich. Kaum
aber war der Mönch Kokäliko gegangen, da wurde
sein ganzer Körper mit Beulen bedeckt, die so groß
waren wie Senfkörner. Darauf wurden sie so groß
wie Mungbohnen, dann wie Erbsen, dann wie Brust-
beerkerne, dann wie Brustbeeren, dann wie Nelli-
früchte (1), dann wie junge Holzäpfel (2), dann wie
ausgereifte Holzäpfel. Als sie aber so groß waren wie
(1) Die Myrobalanfrucht (phyllantus emblica), in Ceylon Nelli
genannt, ähnelt in ihrem Aussehen und bitteren Geschmacke der
Olive. Sie wird zu medizinischen Zwecken verwandt und bildet,,
mit Zucker eingemacht, eine schmackhafte Speise.
(2) Die Bilvafrucht (aegle marmelos, zu den Rutaceae gehörig),,
in Ceylon Bell genannt, wird auch als Holzapfel und bengalische
Quitte bezeichnet. Nicht bloß die Frucht, sondern fast jeder Teil
des Baumes wird zu medizinischen Zwecken verwertet. Die Frucht
besitzt etwa die Größe eines Apfels und ist nmd wie eine Kugel.
Ihre Schale ist hart wie die Schale des inneren Kokosnußkemes
imd muß durch Aufschlagen geöffnet werden. Das Innere, eine
gelbe, bitter schmeckende klebrig elastische Masse, bildet mit Zusatz,
von Zucker eine erfrischende Speise und gleichzeitig ein unüber-
troffenes Mittel zur Regulierung des Stuhlganges.
— 395 —
X89 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
ausgereifte Holzäpfel, da platzten sie auf, und Eiter
und Blut quoll hervor. Er aber lag da auf Bananen-
blättern, wie ein Fisch, der Gift geschluckt hat.
Und Tudu der Einzelbrahmä erschien vor dem
Mönche Kokäliko, und in der Luft schwebend, sprach
er zu ihm:
,,Habe in deinem Herzen Vertrauen zu Säriputto
und Moggalläno! Edel sind Säriputto und Moggalläno."
,,Wer bist du, Bruder?"
,,Tudu bin ich, der Einzelbrahmä."
,,Hat dich denn nicht, o Bruder, der Erhabene
als Niewiederkehrenden bezeichnet? Und nun bist
du doch hierher gekommen. Sieh lieber deine eigene
Schuld ein!" (1)
Tudu der Einzelbrahmä aber redete den Mönch
Kokäliko in den Versen an:
„Ja, dem gebor'nen Erdensohne
Erwächst im Munde eine Axt,
Mit der der Tor sich selbst vernichtet
Sofern er böse Worte spricht.
„Wer lobet, was ist tadelnswert.
Und tadelt, was ist lobenswert.
Der häuft in Worten Böses an,
Und Böses bringet nimmer Glück.
,,Gar gering ist dieses Übel:
Hab und Gut beim Spiel verlieren.
Alles samt dem eignen Leben,
Doch das größte aller Übel
Ist, die Heiligen zu schmäh'n.
(1) Nach den Worten des Kommentars, war Tudu in seinem
früheren Leben KohäUkos Ratgeber (upajjhäya) imd kommt nun,
'im diesen in seiner Gesinnung zu bekehren,
— 396 —
ZEHNERBUCH X 89
„Nirabbudas einhunderttausendsechsunddreißig
Und außerdem fünf weit're Abbudas an Jahren
Erleidet Höllenqualen, wer die Heil'gen lästert
Und in Worten und Gedanken Böses wirkt."
Bald darauf aber starb der Mönch Kokäliko an
eben jener Krankheit und erschien nach seinem Tode
in der Padumahölle wieder, dafür daß er gegen Säri-
putto und Moggalläno Groll im Herzen hegte. Und
der Brahma Sahampati kam zu vorgerückter Nacht-
zeit, herrlich erstrahlend und den ganzen Jetahain er-
leuchtend zum Erhabenen heran. Dort angelangt
begrüßte er ehrfurchtsvoll den Erhabenen und stellte
sich zur Seite hin. Zur Seite aber stehend sprach der
Brahma Sahampati zum Erhabenen: ,,Der Mönch
Kokäliko, o Ehrwürdiger, ist gestorben und nach dem
Abscheiden in der Padumahölle wiedererschienen, da-
für daß er gegen Säriputto und Moggalläno Grolljm
Herzen hegte."
Also sprach der Brahma Sahampati, nach diesen
Worten begrüßte er ehrfurchtsvoll den Erhabenen, und
ihm die Rechte zukehrend verschwand er von dort.
Nach Ablauf der Nacht aber wandte sich der Er-
habene an die Mönche und sprach:
„Diese Nacht, ihr Mönche, zu vorgerückter
Stunde, kam der Brahma Sahampati herrlich erstrah-
lend und den ganzen Jetahain erleuchtend, zu mir
heran und sprach: »Der Mönch Kokäliko, o Ehrwür-
diger, ist gestorben und nach dem Abscheiden in der
Padumahölle wiedererschienen, dafür daß er gegen
Säriputto und Moggalläno Groll im Herzen hegte."
Also sprach der Brahma Sahampati, nach diesen
— 397 —
X89 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Worten begrüßte er mich ehrfurchtsvoll, und mir die
Rechte zukehrend verschwand er an Ort und Stelle."
Auf diese Worte hin sprach einer der Mönche zum
Erhabenen:
„Wie lange wohl, o Ehrwürdiger, währt die Lebens-
frist in der Padumahölle?"
,, Gar lange, o Mönch, währt die Lebensfrist in
der Padumahölle. Nicht leicht läßt sich das berechnen
und etwa sagen: soviele Jahre oder soviele Jahrhunderte
oder soviele Jahrtausende oder soviele Hunderttausende
von Jahren."
„Könnte man wohl aber ein Gleichnis geben?"
,,Das kann man, o Mönch." Und der Erhabene
sprach :
,, Nehmen wir an, o Mönch, es befände sich da
eine, sechzig Kosaler Scheffel haltende Fuhre Sesam-
körner, und ein Mann nähme jedesmal nach Ablauf
von hundert Jahren ein Sesamkorn davon weg, so
möchte bei diesem Verfahren jene, sechzig Kosaler
Scheffel haltende Fuhre Sesamkörner schneller alle
werden und zu Ende kommen als eine Lebensfrist in
der Abbudahölle. Zwanzig solcher Abbudahöllen aber
entsprechen einer Niräbbudahölle, zwanzig Nirabbuda-
höllen einer Ababahölle, zwanzig Ababahöllen einer
Ahahahölle, zwanzig Ahahahöllen einer Atatahölle,
zwanzig Atatahöllen einer Kumudahölle, zwanzig Ku-
mudahöllen einer Sogandhikahölle, zwanzig Sogandhi-
kahöllen einer Uppalakahölle, zwanzig Uppalakahöllen
einer Pundarikahölle, zwanzig Pundarikahöllen einer
Padumahölle. In der Padumahölle aber ist der Mönch
Kokäliko wiedererschienen, da er gegen Säriputto und
-Moggalläno Groll im Herzen hegte."
— 398 —
ZEHNERBUCH ^»0
Also sprach der Erhabene. Und nach diesen Worten
sprach der Gesegnete, der Meister, fernerhin:
„Ja, dem gebor'nen Erdensohne
Erwächst im Munde eine Axt,
Mit der der Tor sich selbst vernichtet
Sofern er böse Worte spricht.
„Wer lobet, was ist tadelnswert,
Und tadelt, was ist lobenswert,
Der häuft in Worten Böses an,
Und Böses bringet nimmer Glück.
„Gar gering ist dieses Übel:
Hab und Gut beim Spiel verlieren,
Alles samt dem eignen Leben,
Doch das größte aller Übel
Ist, die Heiligen zu schmäh'n.
„Nifabbudas einhunderttausendsechsunddreißig
Und außerdem fünf weit're Abbudas an Jahren
Erleidet Höllenqualen, wer die Heil'gen lästert
Und in Worten und Gedanken Böses wirkt."
Die zehn Kräfte des von Leidenschaften Erlösten
Der Erhabene sprach zum ehrwürdigen Säriputto:
„Wieviele Kräfte, Säriputto, eignen wohl dem von
Leidenschaften erlösten Mönche, mit denen ausgestattet
er von sich die Versiegung der Leidenschaften behauptet:
»Versiegt sind in mir die Leidenschaften?"
„Zehn, 0 Ehrwürdiger. Und welche zehn?
„Da, 0 Ehrwürdiger, hat der von Leidenschaften
erlöste Mönch der Wirklichkeit gemäß in rechter Ein-
sicht klar erkannt, daß alle Bildungen vergänglich
sind. Daß er aber, o Ehrwürdiger, dies erkannt hat;
— 399 —
90
X90 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
ist eine Kraft des von Leidenschaften erlösten Mönches,
auf die gestützt er von sich die Versiegung der Leiden-
schaften behauptet: »Versiegt sind in mir die Leiden-
schaften.«
,, Fernerhin, o Ehrwürdiger, hat der von Leiden-
schaften erlöste Mönch derWirklichkeit gemäß in rechter
Einsicht klar erkannt, daß die Begierden glühenden
Kohlen gleichen. — Fernerhin, o Ehrwürdiger, neigt
der Geist des von Leidenschaften erlösten Mönches
zur Einsamkeit, ist der Einsamkeit zugewandt, der
Einsamkeit ergeben, losgelöst und in der Entsagung
beglückt, gänzlich entgangen den befleckenden Dingen.
— Fernerhin, o Ehrwürdiger, hat der von Leiden-
schaften erlöste Mönch die vier Grundlagen der Acht-
samkeit erweckt und wohl entfaltet, — hat die vier
rechten Anstrengungen erweckt und wohl entfaltet, —
hat die vier Machtfährten erweckt und wohl entfaltet,
— hat die fünf Fähigkeiten erweckt und wohl ent-
faltet, — hat die fünf Kräfte erweckt und wohl ent-
faltet, — hat die sieben Glieder der Erleuchtung er-
weckt und wohl entfaltet — hat den edlen achtfachen
Pfad erweckt und wohl entfaltet. Daß der von Leiden-
schaften erlöste Mönch aber, o Ehrwürdiger, den edlen
achtfachen Pfad erweckt und wohl entfaltet hat, ist
eine Kraft des von Leidenschaften erlösten Mönches,
auf die gestützt er von sich die Versiegung der Leiden-
schaften behauptet: »Versiegt sind in mir die Leiden-
schaften.«
„Diese zehn Kräfte, o Ehrwürdiger, eignen dem
von Leidenschaften erlösten Mönche, mit denen aus-
gestattet er von sich die Versiegung der Leidenschaften
behauptet: »Versiegt sind in mir die Leidenschaften.«"
— 400 —
ZEHNERBUCH X 91
ZEHNTER TEIL:
Das Kapitel der Anhänger
Die weltlich Genießenden 91
[Im Jetahaine bei Sävatthi]
Der Erhabene sprach zu Anäthapindiko dem Haus-
vater:
Folgende zehn weltlich Genießende, o Hausvater,
sind in der Welt anzutreffen: welche zehn?
Da, 0 Hausvater, sucht ein weltlich Genießender
auf ungesetzliche und gewaltsame Weise nach Schätzen;
und er hat sich auf ungesetzliche und gewaltsame Weise
Schätze verschafft, so macht er weder sich selber
glücklich und froh, noch macht er Geschenke und tut
gute Werke.
Da, 0 Hausvater, sucht ein weltlich Genießender
auf ungesetzliche und gewaltsame Weise nach Schätzen;
und hat er sich auf ungesetzliche und gewaltsame Weise
Schätze verschafft, so macht er sich selber glücklich
und froh, doch macht er keine Geschenke und tut keine
guten Werke.
Da, 0 Hausvater, sucht ein weltlich Genießender
auf ungesetzliche und gewaltsame Weise nach Schätzen;
und hat er sich auf ungesetzliche und gewaltsame Weise
Schätze verschafft, so macht er sowohl sich selber
glücklich und froh, als auch macht er Geschenke und
tut gute Werke.
Da, 0 Hausvater, sucht ein weltlich Genießender
auf gesetzliche und ungesetzliche, gewaltsame und
— 401 — 26
X91 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
nichtgewaltsame Weise nach Schätzen, und hat er
sich auf gesetzliche und ungesetzHche, gewaltsame
und nicht gewaltsame Weise Schätze verschafft, so
macht er weder sich selber glücklich und froh, noch
macht er Geschenke und tut gute Werke.
Da, 0 Hausvater, sucht ein weltlich Genießender
auf gesetzliche und ungesetzliche, gewaltsame und
nicht gewaltsame Weise nach Schätzen, und hat er
sich auf gesetzliche und ungesetzliche, gewaltsame und
nicht gewaltsame Weise Schätze verschafft, so macht
er sich selber glücklich und froh, doch macht er keine
Geschenke und tut keine guten Werke.
Da, 0 Hausvater, sucht ein weltlich Genießender
auf gesetzliche und ungesetzliche, gewaltsame und
nichtgewaltsame Weise nach Schätzen, und hat er
sich auf gesetzliche und ungesetzliche, gewaltsame und
nichtgewaltsame Weise Schätze verschafft, so macht
er sowohl sich selber glücklich und froh, als auch macht
er Geschenke und tut gute Werke.
Da, 0 Hausvater, sucht ein weltlich Genießender
auf gesetzliche Weise und ohne Gewalt nach Schätzen,
und hat er sich auf gesetzliche Weise und ohne Ge-
walt Schätze verschafft, so macht er weder sich selber
glücklich und froh, noch macht er Geschenke und
tut gute Werke.
Da, 0 Hausvater, sucht ein weltlich Genießender
auf gesetzliche Weise und ohne Gewalt nach Schätzen,
und hat er sich auf gesetzliche Weise und ohne Gewalt
Schätze verschafft, so macht er sich selber glücklich
und froh, doch macht er keine Geschenke und tut
keine guten Werke.
Da, 0 Hausvater, sucht ein weltlich Genießender
— 402 —
ZEHNERBUCH X 91
auf gesetzliche Weise und ohne Gewalt nach Schätzen,
und hat er sich auf gesetzliche Weise und ohne Ge-
walt Schätze verschafft, so macht er sowohl sich selber
glijcklich und froh, als auch macht er Geschenke und
tut gute Werke. Doch während er die Schätze ge-
nießt, hängt er sich daran, wird betört, kommt zu
Falle, ohne daß er das Elend merkt und den Ausweg
kennt.
Da, 0 Hausvater, sucht ein weltlich Genießender
auf gesetzliche Weise und ohne Gewalt nach Schätzen,
und hat er sich auf gesetzliche Weise und ohne Ge-
walt Schätze verschafft, so macht er sowohl sich selber
glücklich und froh, als auch macht er Geschenke und
tut gute Werke. Und während er die Schätze genießt,
hängt er sich nicht daran, wird nicht betört, kommt
nicht zu Fall, da er eben das Elend merkt und den
Ausweg kennt.
Daß da, o Hausvater, der eine weltlich Genießende
auf ungesetzliche und gewaltsame Weise nach Schätzen
sucht: aus diesem ersten Grunde ist er zu tadeln. Daß
er sich nicht selber glücklich und froh macht: aus
diesem zweiten Grunde ist er zu tadeln. Daß er keine
Geschenke macht und gute Werke tut: aus diesem
dritten Grunde ist er zu tadeln. Dieser weltlich Ge-
nießende, 0 Hausvater, ist aus diesen drei Gründen
zu tadeln.
Daß da, o Hausvater, der eine weltlich Genießende
auf ungesetzliche und gewaltsame Weise nach Schätzen
sucht: aus diesem ersten Grunde ist er zu tadeln. Daß
er sich selber glücklich und froh macht: aus diesem
einen Grunde ist er zu loben. Daß er keine Geschenke
macht und gute Werke tut: aus diesem zweiten Grunde
403 — 26*
X91 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
ist er zu tadeln. Dieser weltlich Genießende, o Haus
vater, ist aus den beiden Gründen zu loben, aus dem
einen Grunde aber zu tadeln.
Daß da, o Hausvater, der eine weltlich Genießende
auf ungesetzliche und gewaltsame Weise nach Schätzen
sucht: aus diesem ein^n Grunde ist er zu loben. Daß
er sich selber glücklich und froh macht: aus diesem
ersten Grunde ist er zu loben. Daß er Geschenke
macht und gute Werke tut: aus diesem zweiten Grunde
ist er zu loben. Dieser weltlich Genießende, o Haus-
vater, ist aus dem einen Grunde zu tadeln, aus den
beiden anderen Gründen aber zu loben.
Daß da, o Hausvater, der eine weltlich Genießende
auf gesetzliche und nichtgewaltsame Weise nach Schät-
zen sucht: aus diesem einen Grunde ist er zu loben.
Daß er auf ungesetzliche und gewaltsame Weise Schätze
sucht: aus diesem ersten Grunde ist er zu tadeln.
Daß er sich nicht selber glücklich und froh macht:
aus diesem zweiten Grunde ist er zu tadeln. Daß er
keine Geschenke macht und gute Werke tut: aus diesem
dritten Gründe ist er zu tadeln. Dieser weltlich Ge-
nießende, 0 Hausvater, ist aus dem einen Grunde zu
loben, aus den drei anderen Gründen aber zu tadeln.
Daß da, o Hausvater, der eine weltlich Genießende
auf gesetzliche und nichtgewaltsame Weise nach
Schätzen sucht: aus diesem ersten Grunde ist er zu
loben. Daß er auf ungesetzliche und gewaltsame Weise
nach Schätzen sucht: aus diesem ersten Grunde ist
er zu tadeln. Daß er sich selber glücklich und froh
macht: aus diesem zweiten Grunde ist er zu loben.
Daß er keine Geschenke macht und gute Werke tut:
aus diesem zweiten Grunde ist er zu tadeln. Dieser
— 404 —
ZEHNERBUCH X 91
weltlich Genießende, o Hausvater, ist aus den zwei
Gründen zu loben, aus den beiden andern Gründen
aber zu tadeln.
Daß da, o Hausvater, der eine weltlich Genießende
auf gesetzliche und nichtgewaltsame Weise nach
Schätzen sucht: aus diesem ersten Grunde ist er zu
loben. Daß er auf ungesetzliche und gewaltsame Weise
nach Schätzen sucht: aus diesem einen Grunde ist
er zu tadeln. Daß er sich selber glücklich und froh
macht: aus diesem zweiten Grunde ist er zu loben.
Daß er Geschenke macht und gute Werke tut: aus
diesem dritten Grunde ist er zu loben. Dieser weltlich
Genießende, o Hausvater, ist aus den drei Gründen
zu loben, aus dem einen Grunde aber zu tadeln.
Daß da, o Hausvater, der eine weltlich Genießende
auf gesetzliche und nichtgewaltsame Weise nach
Schätzen sucht: aus diesem einen Grunde ist er zu
loben. Daß er sich nicht selber glücklich und froh
macht: aus diesem ersten Grunde ist er zu tadeln.
Daß er keine Geschenke macht und gute Werke tut:
aus diesem zweiten Grunde ist er zu tadeln. Dieser
weltlich Genießende, o Hausvater, ist aus dem einen
Grunde zu loben, aus den beiden anderen Gründen aber
zu tadeln.
Daß da, o Hausvater, der eine weltlich Genießende
auf gesetzliche und nichtgewaltsame Weise nach
Schätzen sucht: aus diesem ersten Grunde ist er zu
loben. Daß er sich selber glücklich und froh macht:
aus diesem zweiten Grunde ist er zu loben. Daß er
keine Geschenke macht und gute Werke tut: aus diesem
einen Grunde ist er zu tadeln. Dieser weltlich Ge-
— 405 —
X 91 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
nießende, o Hausvater, ist aus den zwei Gründen zu
loben, aus dem einen Grunde aber zu tadeln.
Daß da, o Hausvater, der eine weltlich Genießende
auf ungesetzliche und nicht gewaltsame Weise nach
Schätzen sucht: aus diesem ersten Grunde ist er zu
loben. Daß er sich selber glücklich und froh macht:
aus diesem zweiten Grunde ist er zu loben. Daß er
Geschenke macht und gute Werke tut: aus diesem
dritten Grunde ist er zu loben. Daß er, während er
die Schätze genießt, sich daran hängt, betört wird,
zu Falle kommt, ohne daß er das Elend merkt und den
Ausweg kennt: aus diesem einen Grunde ist er zu
tadeln. Dieser weltlich Genießende, o Hausvater, ist
aus den drei Gründen zu loben, aus dem einen Grunde
aber zu tadeln.
Daß da. o Hausvater, der eine weltlich Genießende
auf ungesetzliche und nicht gewaltsame Weise nach
Schätzen sucht: aus diesem ersten Grunde ist er zu
loben. Daß er sich selber glücklich und froh macht:
aus diesem zweiten Grunde ist er zu loben. Daß er
Geschenke macht und gute Werke tut: aus diesem
dritten Grunde ist er zu loben. Daß er, während er
die Schätze genießt, sich nicht daran hängt, nicht
betört wird, nicht zu Falle kommt, da er das Elend
merkt und den Ausweg kennt: aus diesem vierten
Grunde ist er zu loben. Dieser weltlich Genießende,
0 Hausvater, ist aus diesen vier Gründen zu loben.
Diese zehn weltlich Genießenden, o Hausvater,
sind in der Welt anzutreffen. Derjenige aber von den
zehn weltlich Genießenden, o Hausvater, der auf ge-
setzliche und nichtgewaltsame Weise Schätze sucht
und, nachdem er auf gesetzliche und nichtgewaltsame
— 406 —
ZEHNERBUCH X92
Weise sich Schätze verschafft hat, sowohl sich selber
glücklich und froh macht, als auch Geschenke macht
und gute Werke tut, und während er die Schätze ge-
nießt, sich nicht daran hängt, nicht betört wird, nicht
zu Falle kommt, da er eben das Elend merkt und den
Ausweg kennt: dieser gilt unter den zehn weltlich Ge-
nießenden als der Erste, der Beste, der Edelste, der
Höchste, der Erhabenste.
Gleichwie, o Hausvater, von der Kuh die Milch
kommt, von der Milch der Rahm, vom Rahme die
Butter, von der Butter das Butteröl, vom Butteröle
der Butterölschaum und da der Butterölschaum als
das Beste gilt: ebenso auch, o Hausvater, gilt unter
den zehn weltlich Genießenden dieser als der Erste,
der Beste, der Edelste, der Höchste, der Erhabenste.
Vom Abwege befreit ^^
[Im Jetahaine bei Sävatthi]
Der Erhabene sprach zu Anäthapindiko dem Haus-
vater:
Sobald, 0 Hausvater, in dem edlen Jünger die
fünf schrecklichen Übel geschwunden sind, er ausge-
rüstet ist mit den vier »Gliedern des Stromeintrittes«
und den edlen Richtweg ganz durchschaut und durch-
drungen hat, so darf er, wenn er will, von sich be-
haupten, daß er befreit ist von der Hölle, dem Tier-
schoße und dem Gespensterreiche und entronnen ist
dem Abwege, der Leidensfährte und der verstoßenen
Welt, eingetreten in den Strom, dem Verderben ent-
ronnen, gesichert, der vollen Erleuchtung gewiß.
Welche fünf schrecklichen Übel aber, o Hausvater,
— 407 —
SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
sind in ilim geschwunden? Wer da, o Hausvater,
tötet, stiehlt, sich geschlechthch vergeht, lügt und be-
rauschende Getränke genießt, der erzeugt gegen-
wärtiges schreckHches Übel, erzeugt künftiges schreck-
liches Übel, empfindet geistigen Schmerz und Trüb-
sinn. Wer aber, o Hausvater, davon absteht, der er-
zeugt weder gegenwärtiges schreckliches Übel noch
künftiges schreckliches Übel, noch empfindet er
geistigen Schmerz und Trübsinn. Wer sich also davon
ferne hält, für den sind jene schrecklichen Übel ge-
schwunden. Das aber sind die fünf schrecklichen Übel,
die in dem edlen Jünger geschwunden sind.
Welches aber sind die vier Glieder des Strom-
eintrittes, mit denen er ausgerüstet ist? Da, o
Hausvater, eignet dem edlen Jünger das unerschütter-
liche Vertrauen zum Erleuchteten: »Dies ist der Er-
habene, der Heilige, vollkommen Erleuchtete, der im
Wissen und Wandel Vollendete, der Gesegnete, der
Weltenkenner der höchste Lenker der zu bezähmen-
den Menschheit, der Meister der Himmelswesen und
Menschen, der Erleuchtete, der Erhabene!« Ihm eignet
das unerschütterliche Vertrauen zum Gesetze: »Wohl
dargetan ist vom Erhabenen das Gesetz, das ein
sichtbares, unmittelbares Ergebnis zeitigt, das ein-
ladende, zum Ziele führende, das jedem Verständigen
verständlich ist.« Ihm eignet das unerschütterliche
Vertrauen zur Jüngerschaft: »In Vollkommenheit wan-
delt die Jüngerschaft des Erhabenen, in Aufrichtigkeit
wandelt die Jüngerschaft des Erhabenen, auf dem
rechten Pfade wandelt die Jüngerschaft des Erha-
benen, in Pflichtentreue wandelt die Jüngerschaft des
Erhabenen, als da sind die vier Paare und Acht Arten
— 408 —
ZEHNERBUCH X 92
von Menschen. Diese Jüngerschaft des Erhabenen ist
würdig der Opfer, würdig der Gastfreundschaft, würdig
der Gaben, würdig des ehrfurchtsvollen Handgrußes,
ist in der Welt der beste Boden für verdienstvolle
Werke. Ihm eignen Sitten, wie sie den Edlen lieb sind,
ungebrochen, lückenlos, unbefleckt, ungetrübt, un-
gezwungen, von den Verständigen gepriesen, unbe-
einflußt, zur Sammlung hinführend. Mit diesen vier
Gliedern des Stromeintrittes ist er ausgerüstet.
Welches aber ist der edle Richtweg (naya), den
er ganz durchschaut und durchdrungen hat? Da, o
Hausvater, überlegt der edle Jünger also bei sich:
»Wenn dieses ist, ist jenes; durch die Entstehung von
diesem entsteht jenes. Wenn dieses nicht ist, ist jenes
nicht; durch die Aufhebung von diesem schwindet
jenes, nämlich: auf der Unwissenheit beruht die Taten-
bildung, auf der Tatenbildung das Bewußtsein, auf
dem Bewußtsein Körperlichkeit und Geist, auf Körper-
lichkeit und Geist die Tätigkeit der sechs Sinnenorgane,
auf der Tätigkeit der sechs Sinnenorgane der Sinnen-
eindruck, auf dem Sinneneindruck das Gefühl, auf dem
Gefühl der Durst, auf dem Durst das Anhaften, auf dem
Anhaften der Werdegang, auf dem Werdegang die
Geburt; und auf der Geburt beruhend entstehen Alter
und Tod, Sorge, Jammer, Schmerz, Trübsal und Ver-
zweiflung. So kommt es zur Entstehung dieser ganzen
Fülle von Leiden. Durch die restlose Abwendung
und Aufhebung der Unwissenheit aber schwindet die
Tatenbildung, durch Aufhebung deer Tatenbildung
das Bewußtsein, durch Aufhebung des Bewußtseins
Körperhchkeit und Geist, durch Aufhebung von Kör-
perlichkeit und Geist die Tätigkeit der sechs Sinnen-
— 409 —
X93 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Organe, durch Aufhebung der sechs Sinnenorgane der
Sinneneindruck, durch Aufhebung des Sinnenein-
druckes das Gefühl, durch Aufhebung des Gefühls der
Durst, durch Aufhebung des Durstes das Anhaften,
durch Aufhebung des Anhaftens der Werdegang, durch
Aufhebung des Werdeganges die Geburt; und durch
Aufhebung der Geburt schwinden Alter und Tod, Sorge,
Jammer, Schmerz, Trübsal und Verzweiflung. So
kommt es zur Aufhebung dieser ganzen Fülle von
Leiden.« Dies aber ist der edle Richtweg, den er ganz
durchschaut und durchdrungen hat.
Sobald, 0 Hausvater, in dem edlen Jünger diese
fünf schrecklichen Übel geschwunden sind, er ausge-
rüstet ist mit diesen vier Gliedern des Stromeintrittes
und diesen edlen Richtweg ganz durchschaut und
durchdrungen hat, so darf er, wenn er will, von sich
behaupten, daß er befreit ist von der Hölle, dem Tier-
schoße und dem Gespensterreiche und entronnen ist
dem Abwege, der Leidensfährte und der verstoßenen
Welt, eingetreten in den Strom, dem Verderben ent-
ronnen, gesichert, der vollen Erleuchtung gewiß.
93 Die unzulänglichen Ansichten
Einst weilte der Erhabene im Jetahaine bei Sä-
vatthi, im Kloster des Anäthapindiko. Und Anäthapin-
diko der Hausvater brach zur Mittagsstunde von Sä-
vatthi auf, um den Erhabenen zu besuchen. Da aber
sagte er sich: »Noch nicht an der Zeit ist es, den Er-
habenen aufzusuchen; zurückgezogen verweilt der Er-
habene. Auch um die der Geistesübung hingegebenen
Mönche aufzusuchen, ist dies nicht die rechte Zeit.
— 410 —
ZENHERBUCH X 9^
So will ich mich denn zum Kloster der andersgläubigen
Pilger hinbegeben.« Und Anäthapindiko der Haus-
vater begab sich zum Kloster der andersgläubigen
Pilger.
Zu jener Stunde aber saßen die andersgläubigen
Pilger versammelt beieinander und führten unter
lautem Lärmen und Schreien allerhand niedrige Ge>
spräche. Jene andersgläubigen Pilger aber sahen Ana- ^
thapindiko den Hausvater schon von der Ferne heran-
kommen, und bei seinem Anblicke mahnten sie ein-
ander zur Ruhe: »Seid ruhig, ihr Verehrten, macht
keinen Lärm! Dieser Anäthapindiko der Hausvater
kommt da, der Jünger des Asketen Gotamo. Von
den zahlreichen Jüngern des Asketen Gotamo, die als
weißgekleidete Hausleute in Sävatthi leben, davon ist
dieser Anäthapindiko der Hausvater einer. Jene
Verehrten lieben keinen Lärm, meiden den Lärm,
loben die Stille. Vielleicht möchte er, wenn er die
lautlose Versammlung erblickt, es passend finden,
heranzukommen.« Darauf verhielten sich die anders-
gläubigen Pilger schweigsam.
Und Anäthapindiko der Hausvater trat zu jenen
andersgläubigen Pilgern und wechselte freundlichen
Gruß; und nach Austausch freundlicher und gezie-
mender Worte setzte er sich zur Seite nieder. Als er
sich aber zur Seite niedergesetzt hatte, sprachen jene
andersgläubigen Pilger zu Anäthapindiko dem Haus-
vater:
,,Sage, Hausvater, welche Ansichten hat der
Asket Gotamo?"
„Nicht kenne ich, ihr Ehrwürdigen, alle Ansichten
des Erhabenen."
— 411 —
X93 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
„Wenn du also, wie du sagst, nicht alle Ansichten
des Asketen Gotamo kennst, so sage uns doch, welche
Ansichten die Mönche haben!"
,,Auch kenne ich, ihr Ehrwürdigen, nicht alle
Ansichten der Mönche."
,,Wenn du aber, wie du sagst, nicht alle Ansichten
des Asketen Gotamo und auch nicht alle Ansichten
der Mönche kennst, so sage uns doch, welche Ansichten
du hast!"
,,Was ich fijr Ansichten habe, ihr Ehrwürdigen,
das fällt mir nicht schwer zu erklären. Doch mögen
bitte erst die Verehrten ihre eigenen Ansichten dar-
legen. Danach wird es auch für mich nicht schwer
sein zu erklären, was für Ansichten ich habe."
Auf diese Worte sprach einer der andersgläubigen
Pilger:
„»Ewig ist die Welt. Dies allein ist wahr, alles
andere Unsinn.« Das o Hausvater, ist meine Ansicht."
Ein anderer Pilger sprach: ,, »Nicht ewig ist die
Welt. Nur dies allein ist wahr, alles andere Unsinn.*
Das, 0 Hausvater, ist meine Ansicht."
Ein anderer sprach: „»Endlich ist die Welt. —
Ein anderer: ,, »Unendlich ist die Welt. — Ein anderer:
,,»Leib und Leben sind eins. — Ein anderer: „»Leib
und Leben sind zweierlei. — Ein anderer: ,,»Der Voll-
endete besteht nach dem Tode. — Ein anderer: ,,»Der
Vollendete besteht nicht nach dem Tode. — Ein
anderer: „»Der Vollendete besteht und besteht auch
nicht nach dem Tode. — Ein anderer: „»Der Voll-
endete weder besteht noch besteht nicht nach dem
Tode. Dies allein ist wahr, alles andere Unsinn.«
Das, 0 Hausvater, ist meine Ansicht."
412
ZEHNERBUCH X 93
Auf diese Worte sprach Anäthapindiko der Haus-
vater zu den andersgläubigen Pilgern:
,,Der da, ihr Ehrwürdigen es als seine Ansicht
erklärt hat, die Welt sei ewig und nur dies allein wahr,
alles andere aber Unsinn, dessen Ansicht ist ihm ent
weder infolge eigener unweiser Erwägungen aufge-
stiegen oder durch eines Anderen Belehrung veran-
laßt. Jene Ansicht aber ist geworden, zusammenge-
fügt, ersonnen, bedingt entstanden. Was aber irgend-
wie geworden, zusammengefügt, ersonnen und bedingt
entstanden ist, das ist vergänglich. Und was ver-
gänglich ist, das ist elend. Und was elend ist, eben
daran hängt jener Verehrte, eben dem ist jener Ver-
ehrte verfallen. Der da, ihr Ehrwürdigen, es als seine
Ansicht erklärt hat, die Welt sei nicht ewig, — sei
endlich, — sei unendlich, — Leib und Leben seien
eins, — Leib und Leben seien zweierlei, — der Voll-
endete bestehe nach dem Tode, — der Vollendete be-
stehe nicht nach dem Tode. — der Vollendete bestehe
und bestehe auch nicht nach dem Tode, — der Voll-
endete weder bestehe noch bestehe nicht nach dem
Tode, und nur dies allein sei wahr, alles andere aber
Unsinn, dessen Ansicht ist ihm entweder infolge eigener
unweiser Erwägungen aufgestiegen oder durch eines
Anderen Belehrung veranlaßt. Jene Ansicht aber ist
geworden, zusammengefügt, ersonnen, bedingt ent-
standen. Was aber irgendwie geworden, zusammen-
gefügt, ersonnen und bedingt entstanden ist, das ist
vergänglich. Und was vergänglich ist, das ist elend.
Und was elend ist, eben daran hängt jener Verehrte,
eben dem ist jener Verehrte verfallen."
Nach diesen Worten sprachen jene anders-
413
:X93 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
gläubigen Pilger also zu Anäthapindiko dem Haus-
vater :
,, Erklärt haben wir alle nun, o Hausvater, unsere
Ansichten. Erkläre nun auch du, o Hausvater, v/elche
Ansichten du hast!"
,,Was irgendwie, ihr Ehrwürdigen, geworden, zu-
sammengefügt, ersonnen und bedingt entstanden ist,
das ist vergänglich. Und was vergänglich ist, das ist
elend. Und was elend ist, das gehört mir nicht, das
bin ich nicht, das ist nicht mein Selbst. Das, ihr Ehr-
würdigen, ist meine Ansicht."
,,Was irgendwie, o Hausvater, geworden, zu-
sammengefügt, ersonnen und bedingt entstanden ist,
das ist vergänglich. Und was vergänglich ist, das ist
€lend. Und was elend ist, eben daran hängst du, 0
Hausvater, eben dem, 0 Hausvater, bist du verfallen."
,,Was irgendwie, ihr Ehrwürdigen geworden, zu-
sammengefügt, ersonnen und bedingt entstanden ist,
das ist vergänglich. Und was vergänglich ist, das ist
elend. Und was elend ist, das gehört mir nicht, das
bin ich nicht, das ist nicht mein Selbst, das habe ich
der Wirklichkeit gemäß in rechter Einsicht klar er-
kannt. Und überdies kenne ich die Entrinnung daraus
der Wirklichkeit gemäß."
Auf diese Worte hin verstummten jene anders-
gläubigen Pilger; und erregt, vornübergeneigt, mit ge-
senktem Haupte und vor sich hinbrütend saßen sie
da, ohne ein Wort zu erwidern.
Als nun, Anäthapindiko der Hausvater bemerkte,
wie jene andersgläubigen Pilger stumm, erregt, vorn-
übergebeugt, mit gesenktem Haupte und vor sich hin-
JDrütend dasaßen, ohne ein Wort zu erwidern erhob
— 414 —
ZEHNERBUCH X 94
er sich von seinem Sitze und begab sich zum Er-
habenen. Dort angelangt begrüßte er ehrfurchtsvoll
den Erhabenen und setzte sich zur Seite nieder. Zur
Seite aber sitzend, berichtete er dem Erhabenen dar
ganze Gespräch, das er mit jenen andersgläubigen
Pilgern gehabt hatte.
[Der Erhabene:] „Recht so, recht so, Hausvater! Auf
diese Weise solltest du öfters, o Hausvater, jene Toren
im Einklänge mit dem Gesetze gründlich überführen."
Und in Worten über das Gesetz unterwies der
Erhabene Anäthapindiko den Hausvater, ermahnte,
ermutigte und ermunterte ihn. Von dem Erhabenen
aber in Worten über das Gesetz unterwiesen, ermahnt,
ermutigt und ermuntert, erhob sich Anäthapindiko
der Hausvater von seinem Sitze, begrüßte ehrfurchts-
voll den Erhabenen, und ihm die Rechte zukehrend
entfernte er sich.
Kurz nachdem nun Anäthapindiko der Hausvater
gegangen war, wandte sich der Erhabene an die Mönche
und sprach:
„Selbst ein Mönch, ihr Mönche, der schon vor
hundert Jahren unter diesem Gesetze und dieser Dis-
ziplin die Weihe erhalten hat, selbst der sollte noch die
andersgläubigen Pilger im Einklänge mit dem Gesetze
gründlich überführen, so wie es Anäthapindiko der
Hausvater getan hat."
Die vielseitige Lehre 94:
[Bei Campä am Ufer des Gaggaräteiches]
Vajjiyambhito der Hausvater begab sich zum
Kloster der andersgläubigen Pilger. Dort angelangt
— 415 —
X94 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
wechselte er mit jenen andersgläubigen Pilgern freund-
lichen Gruß, und nach Austausch freundlicher und
geziemender Worte setzte er sich zur Seite hin. Als
er sich aber niedergesetzt hatte, sprachen jene Pilger
also zu ihm:
„Ist es wirklich wahr, o Hausvater, daß der Asket
Gotamo jedwede Askese verwirkt und jeden Asketen
mit rauher Lebensweise rügt und tadelt?"
,, Nicht verwirft, ihr Ehrwürdigen, der Erhabene
jedwede Askese, und nicht rügt und tadelt er jeden
Asketen mit rauher Lebensweise. Sondern was zu
tadeln ist, ihr Ehrwürdigen, tadelt er; was zu loben
ist, lobt er. Indem er aber das zu Tadelnde tadelt und
das zu Lobende lobt, lehrt eben der Erhabene mit Unter-
schied (vibhajja-vädi) (1) und ist nicht einseitig in
seiner Lehre."
Auf diese Worte hin sprach einer der andersgläu-
bigen Pilger zu Vajjiyambhito dem Hausvater:
,, Warte nur, Hausvater! Der Asket Gotamo, den
du so lobst, ist ein Leugner und Verneiner."
^ „Auch darüber, ihr Ehrwürdigen, will ich die Ver-
ehrten in sachlicher Weise aufklären. Der Erhabene
lehrt, was verdienstvoll ist, und lehrt, was schuldvoll
ist. Indem aber der Erhabene Verdienst und Schuld
lehrt, verkündet er eine positive Lehre und ist kein
Leugner und Verneiner."
Auf diese Worte hin verstummten jene anders-
gläubigen Pilger; und erregt, vornübergebeugt, mit ge-
(1) Die buddhistische Lehre wird vielfach als »vibhajja-väda*
(Analysierende Lehre) bezeichnet im Gegensatz zvi ekariisa-väda,
der einseitigen Lehre.
— 416 —
ZEHNERBUCH X 94
senktem Haupte und vor sich hinbrütend, saßen sie
da ohne ein Wort zu erwidern.
Als nun Vajjiyambhito der Hausvater bemerkte,
wie jene andersgläubigen Pilger stumm, erregt, vorn-
übergebeugt, mit gesenktem Haupte und vor sich
hinbrütend dasaßen, ohne ein Wort zu erwidern, er-
hob er sich von seinem Sitze und begab sich zum Er-
habenen. Dort angelangt begrüßte er ehrfurchtsvoll
den Erhabenen und setzte sich zur Seite nieder. Zur
Seite aber sitzend, berichtete er dem Erhabenen das
ganze Gespräch, das er mit jenen andersgläubigen
Pilgern gehabt hatte.
[Der Erhabene:] „Recht so, recht so, Hausvater!
Auf diese Weise solltest du öfters, o Hausvater, jene
Toren im Einklänge mit dem Gesetze gründlich über-
führen.
,, Nicht sage ich, o Hausvater, daß man jedwede
Askese ausüben soll; und nicht sage ich, daß man
jedwede Askese nicht ausüben soll. Nicht sage ich,
0 Hausvater, daß man jedwedes Gelübde ablegen
soll; und nicht sage ich, daß man jedwedes Gelübde
nicht ablegen soll. Nicht sage ich, o Hausvater, daß
man jedwede Anstrengung machen soll; und nicht
sage ich, daß man jedwede Anstrengung nicht machen
soll. Nicht sage ich, o Hausvater, daß man jedwede
Loslösung gewinnen soll; und nicht sage ich, daß man
jedwede Loslösung nicht gewinnen soll. Nicht sage
ich, 0 Hausvater, daß man jedwede Befreiung er-
ringen soll; und nicht sage ich, daß man jedwede Be-
freiung nicht erringen soll.
„Jene Askese, o Hausvater, durch deren Aus-
übung die schuldvollen Erscheinungen in einem zu-
- 417 ~ 27
X94 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
nehmen, die verdienstvollen Erscheinungen aber schwin-
den, eine solche Askese, sage ich, soll man nicht aus-
üben. Jene Askese aber, o Hausvater, durch deren
Ausübung die verdienstvollen Erscheinungen in einem
zunehmen, die schuldvollen Erscheinungen aber schwin-
den, eine solche Askese, sage ich, soll man ausüben.
Jenes Gelübde, — . jene Anstrengung, — jene Los
lösung, — jene Befreiung, o Hausvater, durch deren
Erringung die schuldvollen Erscheinungen in einem
zunehmen, die verdienstvollen Erscheinungen aber
schwinden, eine solche Befreiung, sage ich, soll man
nicht erringen. Jene Befreiung aber, o Hausvater,
durch deren Erringung die verdienstvollen Erschei
nungen in einem zunehmen, die schuldvollen Erschei-
nungen aber schwinden, eine solche Befreiung, sage
ich, soll man erringen."
Und von dem Erhabenen in Worten über das Ge-
setz unterwiesen, ermahnt, ermutigt und ermuntert,
erhob sich Vajjiyambhito von seinem Sitze, begrüßte
ehrfurchtsvoll den Erhabenen, und ihm die Rechte
zukehrend entfernte er sich.
Kurz nachdem Vajjiyambhito der Hausvater
gegangen war, wandte sich der Erhabene an die Mönche
und sprach:
„Selbst ein Mönch, ihr Mönche, der schon vor
hundert Jahren unter diesem Gesetze und dieser Dis-
ziplin die Weihe erhalten hat, selbst der sollte noch
die andersgläubigen Pilger im Einklänge mit dem Ge-
setze gründlich überführen, so wie es Vajjiyambhito
der Hausvater getan hat."
— 418 -
ZEHNERBUCH X 95
Werden alle erlöst? 95
Uttiyo der Pilger sprach zum Erhabenen:
„Sage, Herr Gotamo: ist die Welt ewig? Und
ist nur dies allein wahr, alles andere aber Unsinn?"
„Darüber, Uttiyo, habe ich nichts erklärt."
„Dann sage mir, Herr Gotamo: ist die Welt nicht
ewig? — Ist sie endlich? — Oder unendlich? —
Sind Leib und Leben eins? — Oder sind Leib und
Leben zweierlei? — Besteht der Vollendete nach dem
Tode? — Oder besteht er nicht nach dem Tode? —
Oder besteht und besteht er auch nicht nach dem
Tode? — Oder weder besteht noch besteht er nicht
nach dem Tode? Und ist nur dies allein wahr, alles
andere aber Unsinn?"
„Darüber, Uttiyo, habe ich nichts erklärt."
„Wie denn aber, Herr Gotamo? Auf alle meine
Fragen antwortest du, daß du darüber nichts erklärt
habest. Was hat der Herr Gotamo dann überhaupt
erklärt?"
,,Das von mir durchschaute Gesetz, Uttiyo, weise
ich meinen Jüngern, das die Wesen zur Läuterung
führt, zur Überkommung von Sorge und Jammer, zum
Untergange von Schmerz und Trübsal, zur Gewinnung
des rechten Weges, zur Verwirklichung des Nirwahn."
„Dadurch aber, daß der Herr Gotamo seinen
Jüngern das von ihm durchschaute Gesetz weist, das
die Wesen zur Läuterung führt, zur Überkommung
von Sorge und Jammer, zum Untergange von Schmerz
und Trübsal, zur Verwirklichung des Nirwahn, wird
wohl dadurch die ganze Welt oder die Hälfte oder ein
Drittel derselben Erlösung finden?"
— 419 - 27*
X95 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Auf diese Worte schwieg der Erhabene. Da aber
dachte der ehrwürdige Änando: »Möchte doch der
Pilger Uttiyo nicht die üble Ansicht bekommen, daß
der Asket Gotamo, von ihm um das Allererhabenste
befragt, verzage, nicht antworte und gewiß dazu
außerstande sei! Das möchte dem Pilger Uttiyo lange
zum Schaden und Unglücke gereichen. <( Und der ehr-
würdige Änando sprach zu Uttiyo dem Pilger:
,,So will ich dir denn, Bruder Uttiyo, ein Gleich-
nis geben; denn auch durch ein Gleichnis mag manch
verständiger Mann der Worte Sinn erfassen. Da,
Bruder Uttiyo, hat eine königliche Grenzfestung, die
mit starken Grundmauern und einem starken mit Zin-
nen versehenen Walle umgeben ist, nur ein einziges
Tor. Dort befindet sich ein verständiger, erfahrener,
kluger Torwächter, der alle Unbekannten zurückhält
und die Bekannten einläßt. Während er auf dem
Rundwege rings um die Stadt herumwandert, bemerkt
er in dem Walle keine Bresche, kein Loch, nicht einmal
so groß, daß eine Katze hindurchkriechen könnte.
Zwar hat er keine Kenntnis davon, wieviele Geschöpfe
in die Stadt hereinkommen oder aus ihr hinausgehen;
wohl aber weiß er, daß alle großen Geschöpfe, die in
dieser Stadt hereinkommen oder sie verlassen, sämt-
lich durch dieses eine Tor ein- und ausgehen. Ebenso
auch, Bruder Uttiyo, beunruhigt sich der Erhabene
nicht darüber, ob dadurch die ganze Welt oder die
Hälfte oder ein Drittel derselben Erlösung finden wird.
Von allen denen aber, die der Welt entronnen sind^
entrinnen oder entrinnen werden, da weiß der Voll-
endete, daß beim Entrinnen aus der Welt bei diesen
allen die fünf geisttrübenden und einsichtlähmenden
— 420 —
ZEHNERBUCH X 96
Hemmungen überkommen sind, ihr Geist in den vier
Grundlagen der Achtsamkeit wohlgefestigt ist und sie
die sieben Glieder der Erleuchtung der Wirklichkeit
gemäß entfaltet haben. Die Frage, Bruder Uttiyo, die
du bereits dem Erhabenen vorgelegt hattest, genau
dieselbe Frage hast du nunmehr auf eine andere Weise
dem Erhabenen gestellt. Darum hat sie dir der Er-
habene nicht beantwortet."
Der Pilger Kokanudo und Anando 96
Einst weilte der ehrwürdige Anando bei Räjagaha
im Tapodakloster. Und der ehrwürdige Anando erhob
sich nach Ablauf der Nacht, am frühen Morgen, und
begab sich zum Tapodaflusse, - um sich die Glieder
abzuspülen. Nachdem sich nun der ehrwürdige Anando
im Tapodaflusse die Glieder abgespült hatte, stieg er
wieder heraus und stellte sich, nur mit einem Gewände
bekleidet, hin, um sich die Glieder abzutrocknen. Auch
Kokanudo der Pilger erhob sich nach Ablauf der
Nacht, am frühen Morgen, und begab sich zum Tapoda-
flusse, um sich die Glieder abzuspülen. Es sah aber
der Pilger Kokanudo den ehrwürdigen Anando schon
von Weitem herankommen. Bei seinem Anblicke
sprach der Pilger Kokanudo also zu Anando:
,,Wer bist du Bruder?"
,,Ein Mönch bin ich, o Bruder."
,,Zu welchen Mönchen, o Bruder, gehörst du?"
,,Zu den Asketenjüngern des Sakyersohnes, o
Bruder."
„Ich möchte gerne den Ehrwürdigen etwas fragen,
— 421 —
X96 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
wenn der Ehrwürdige geruht, mir die Frage zu be-
antworten."
,,So frage denn, o Bruder! Ich werde zuhören
und dir antworten."
,,Hat wohl der Ehrwürdige die Ansicht, ewig sei
die Welt. Und nur dies allein sei wahr, alles andere
aber Unsinn?"
,, Nicht habe ich, o Bruder, solche Ansicht."
,,Hat dann wohl der Ehrwürdige die Ansicht, nicht
ewig sei die Welt? — Oder, endlich sei die Welt? —
Oder, unendlich sei die Welt? — Oder, Leib und
Leben seien eins? — Oder, Leib und Leben seien
zweierlei? — Oder, der Vollendete bestehe nach dem
Tode? — Oder, der Vollendete bestehe nicht nach
dem Tode? — Oder, der Vollendete bestehe und be-
stehe auch nicht nach dem Tode? — Oder, der
Vollende weder bestehe noch bestehe nicht nach dem
Tode? Und nur dies allein sei wahr, alles andere
aber Unsinn?"
,, Nicht habe ich, o Bruder, solche Ansicht."
,, Somit weiß und erkennt dies wohl nicht der
Ehrwürdige?"
„Nicht fehlt es mir an Wissen und Erkenntnis,
0 Bruder. Ich weiß es, ich erkenne es."
,,Wie denn aber? Auf meine Frage nach deiner
Ansicht, sagst du, du habest nicht solche Ansicht.
Auf meine Frage aber, ob du dies somit nicht weißt
und erkennst, entgegnest du: »Nicht fehlt es mir an
Wissen und Erkenntnis, o Bruder. Ich weiß es, ich
erkenne es.« Wie soll ich nun, o Bruder, den Sinn
dieser Worte auffassen?"
,,Zu sagen: »Ewig ist die Welt. Nur dies allein ist
— 422 —
ZEHNERBUCH X97
wahr, alles andere aber Unsinn«: das, o Bruder, ist
eine Ansicht. Zu sagen: »Nicht ewig ist die Welt, —
^Endlich ist die Welt, — »Unendlich ist die Welt, —
»Leib und Leben sind eins, — »Leib und Leben sind
zweierlei, — »Der Vollendete besteht nach dem Tode,
— »Der Vollendete besteht nicht nach dem Tode, —
»Der Vollendete besteht und besteht auch nicht nach
dem Tode, — »Der Vollendete weder besteht noch
besteht nicht nach dem Tode. Nur dies allein ist
wahr, alles andere aber Unsinn«: das, o Bruder, ist
eine Ansicht. Was da, o Bruder, alle die Ansichten
anbetrifft, und was da bei ihnen als Entstehungs-
grund gilt, als Beherrschtsein und Besessensein und
als Aufhebung: das weiß ich, das erkenne ich. In-
dem ich dies aber weiß und erkenne, wie werde ich
da wohl sagen, daß ich dies nicht weiß, nicht erkenne?
Ich weiß es eben, o Bruder, ich erkenne es."
,,Wie heißt der Ehrwürdige? Unter welchem
Namen kennen die Ordensbrüder den Ehrwürdigen?"
,,Änando ist mein Name, o Bruder. Als Änando
kennen mich meine Ordensbrüder."
,, Freilich, nicht wußte ich, während ich mich
mit dem großen Lehrer unterhielt, daß dies der ehr-
würdige Änando war. Hätte ich nämlich diesen als
den ehrwürdigen Änando erkannt, so hätte ich nicht
so viel entgegnet. Möge mir der ehrwürdige Änando
verzeihen!"
Der würdige Mönch ^^
Mit zehn Eigenschaften ausgestattet, ihr Mönche,
ist der Mönch würdig der Opfer, würdig der Gast-
freundschaft, würdig der Gaben, würdig des ehr-
— 423 —
X98 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
furchtsvollen Handgrußes, ist in der Welt der beste
Boden für verdienstvolle Werke. Und welches sind
diese zehn Eigenschaften?
Da, ihr Mönche, eignet dem Mönche Sittlichkeit,
ein großes Wissen, edler Umgang, rechte Erkenntnis;
er erfreut sich mannigfacher magischer Fähigkeiten;
erkennt mit dem Himmlischen Ohre beide Arten der
Töne, himmlische und menschliche; erkennt der ande-
ren Wesen und Geschöpfe Geist; erinnert sich mancher
früheren Daseinsform; erkennt mit dem Himmlischen
Auge, wie die Wesen abscheiden und wiedererscheinen;
durch Versiegung der Leidenschaften hat er die leiden-
schaftslose Gemütserlösung und Wissenserlösung schon
bei Lebzeiten selber erkannt, verwirklicht und sich
zt« eigen gemacht. Mit diesen zehn Eigenschaften aus-
gestattet, ihr Mönche, ist der Mönch würdig der Opfer,
würdig der Gastfreundschaft, würdig der Gaben,
würdig des ehrfurchtsvollen Handgrußes, ist in der
Welt der beste Boden für verdienstvolle Werke.
98 Der glückliche Mönch
An welchem Orte auch immer, ihr Mönche, der
mit zehn Eigenschaften ausgestattete Mönch verweilt,
da verweilt er eben glücklich. Und welches sind diese
zehn Eigenschaften?
Er hat als Ordensälterer viele Jahre hinter sich,
ist schon vor langer Zeit in die Hauslosigkeit gezogen;
er ist Sittenhaft, besitzt ein großes Wissen; beide
Ordenssatzungen sind ihm in allen Einzelheiten wohl
bekannt; er versteht es aufgestiegene Streitigkeiten
zu schlichten; er besitzt Liebe zum Gesetze, ist höf-
— 424 —
ZEHNERBUCH X99
lieh in der Unterhaltung und empfindet eine erhabene
Freude an dem hohen Gesetze und der hohen Diszi-
plin; er ist zufrieden mit jeder Art von Gewand, Almo-
senspeise, Lagerstatt sowie den nötigen Heilmitteln
und Arzneien; er besitzt Anmut beim Kommen und
Gehen; ist wohl gezügelt, wenn er in einem Hause
sitzt; er wird nach Wunsch der vier Vertiefungen
teilhaftig; und durch Versiegung der Leidenschaften
hat er die leidenschaftslose Gemütserlösung und
Wissenserlösung schon bei Lebzeiten selber erkannt,
verwirklicht und sich zu eigen gemacht. An welchem
Orte auch immer, ihr Mönche, der mit diesen zehn
Eigenschaften ausgestattete Mönch verweilt, da ver-
weilt er eben glücklich.
Upälis Unreife zur Einsamkeit 99
Der ehrwürdige Upäli sprach zum Erhabenen:
,,Ich möchte, o Ehrwürdiger, im Walde, in wald-
einsamen, abgelegenen Behausungen wohnen."
,, Schwer ist es, Upäli, im Walde, in waldeinsamen,
abgelegenen Behausungen zu wohnen, schwer die Ab-
geschiedenheit zu ertragen und sich da wohl zu fühlen.
Wenn ein Mönch in der Einsamkeit keine Sammlung
erreicht, so ergreifen gleichsam die Wälder von seinem
Geiste Besitz. Wer da, Upäli, sagt, daß er, ohne die
Sammlung zu erreichen, im Walde, in waldeinsamen,
abgelegenen Behausungen leben wolle, der hat zu
erwarten, daß er dort entweder untergehen oder außer
sich geraten wird.
,,Da, Upäli, befindet sich ein großer Teich. Und
ein gewaltiger Elefant von sieben oder acht Fuß Höhe
— 425 —
X99 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
kommt heran und denkt: »Ach, laß mich doch in
diesen Teich steigen und mich an einem Ohren- und
Rückenbad erfreuen. Wenn ich mich an dem Ohren-
und Rückenbad erfreut, mich gebadet und getrunken
habe, dann will ich wieder heraussteigen und gehen,
wohin es mir gefällt.« Darauf steigt er in jenen Teich
hinab, erfreut sich an einem Ohren- und Rückenbade;
und nachdem er sich an dem Ohren- und Rückenbade
erfreut, sich gebadet und getrunken hat, steigt er wieder
heraus und geht, wohin es ihm gefällt. Wie aber ist
solches möglich? Weil eben ein großes Lebewesen
noch in der Tiefe Fuß fassen kann. Nun aber kommt
ein Hase oder eine Katze heran und sagt sich: »Was
bin ich, und was ist der große Elefant? So laß mich
doch auch in diesen Teich steigen und mich an
einem Ohren- und Rückenbad erfreuen. Wenn ich
mich an dem Ohren- und Rückenbad erfreut, mich
gebadet und getrunken habe, dann will ich wieder
heraussteigen und gehen, wohin es mir gefällt.« Und
hastig und ohne Überlegung springt sie in jenen
Teich hinein. Nun aber hat sie zu erwarten, daß sie
entweder untergehen oder außer sich geraten wird.
Und warum? Weil eben ein kleines Lebewesen in der
Tiefe keinen Fuß mehr fassen kann. Ebenso auch,
Upäli: wer da sagt, daß er, ohne die Sammlung zu
erreichen, im Walde, in waldeinsamen, abgelegenen
Behausungen leben wollte, der hat eben zu erwarten,
daß er dort entweder untergehen oder außer sich
geraten wird.
,,Wenn da, Upäli, ein kleiner, unmündiger Säugling
mit seinem eigenen Schmutze spielt, meinst du da
nicht, daß dies ein ganz und gar törichtes Vergnügen
sei?"
— 42G —
ZEHNERBUCH X 99
„Gewiß, 0 Ehrwürdiger."
„Wenn nun aber, Upäli, jenes Kind in der späteren
Zeit, aufgrund seines Alters und seiner reifen Sinne,
sich an den üblichen Kinderspielen ergötzt, wie mit
dem Kinderpfluge, dem Schlagholzspiele, dem
Purzelbaum, der Windmühle, dem Blattmaße(l), dem
Wägelchen und der Armbrust, meinst du da nicht,
daß dieses Vergnügen weit schöner und besser sei als
das frühere?
,, Gewiß, 0 Ehrwürdiger."
,,Wenn nun aber, Upäli, jenes Kind in der späteren
Zeit, aufgrund seines Alters und seiner reiferen Sinne,
sich am Besitze und Genüsse der für Auge, Ohr, Nase,
Zunge und Körper erkennbaren fünf Sinnendinge
erfreut, der erwünschten, begehrten, angenehmen und
lieblichen Formen, Töne, Düfte, Säfte und Tastemp-
findungen, meinst du da nicht, daß dieses Vergnügen
weit schöner und besser sei als das frühere?"
„Gewiß, 0 Ehrwürdiger."
,,Da aber, Upäli, erscheint der Vollendete in der
Welt, der Heilige, Vollkommen Erleuchtete, der im
Wissen und Wandel Vollendete, der Gesegnete, der
Weltenkenner, der höchste Lenker der zu bezähmenden
Menschheit, der Erleuchtete, der Erhabene. Und
er enthüllt diese Welt mit ihren Dewen, Mahren und
Göttern, die Schar der Asketen und Priester, Himmels-
(1) Beim Schlagholzspiele wird diirch Schlagen mit einem
Stocke ein kleinerer Stock nach vorne geschleudert. Das Spiel
hatte wohl Ähnlichkeit mit dem auch heutzutage noch überall
beliebten Kinderspiele. Es scheint mit dem imter dem Namen
vitä bekannten Spiele identisch zu sein. .
— 427 —
X99 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
wesen und Menschen, nachdem er sie selber durch-
schaut und verwirklicht hat. Er weist das Gesetz, das
im Anfang erhabene, in der Mitte erhabene, im Aus-
gange erhabene, dem Sinne wie dem Wortlaut nach,
verkündet einen ganz und gar vollkommenen, lauteren
Heiligen Wandel. Jenes Gesetz vernimmt ein Haus-
vater oder der Sohn eines Hausvaters oder ein in irgend
einem anderen Stande Wiedergeborener. Nach dem
Vernehmen des Gesetzes aber gewinnt er Vertrauen
zum Vollendeten; und von jenem Vertrauen erfüllt
sagt er sich: »Bedrückend ist das Hausleben, ein Weg
des Schmutzes, ein freies Leben die Hauslosigkeit !
Wie, wenn ich mir nun Haar und Bart scherte, die gel-
ben Gewänder anlegte und von Hause in die Haus-
losigkeit zöge?« Und nach einiger Zeit gibt er seinen
kleinen und großen Besitz auf, verläßt seinen^ kleinen
oder großen Verwandtenkreis, schert sich Haar und
Bart, legt die gelben Gewänder an und zieht von Hause
in die Hauslosigkeit. Also dem Hausleben entsagend
und die Lebensregel der Mönche auf sich nehmend,
meidet er die Zerstörung von Leben, enthält er sich
der Zerstörung von Leben; Stock und Waffe ver-
werfend verweilt er voll Liebe und Wohlwollen zu
allen lebenden Geschöpfen. Er meidet das Stehlen,
steht ab vom Nehmen des Nichtgegebenen; Gegebenes
annehmend, das Geben abwartend verweilt er ehr-
lichen, lauteren Herzens. Er meidet die Unkeuschheit;
keusch lebt er, enthaltsam, abgewandt dem Geschlechts-
verkehr, dem gemeinen. Er meidet die Lüge, enthält
sich der Lüge; die Wahrheit spricht er, der Wahrheit
ist er ergeben, standhaft, vertrauenswürdig, hintergeht
nicht die Menschen. Er meidet die Zwischenträgerei,
— 428 —
ZEHNERBUCH X 9&
enthält sich der Zwischenträgerei: was er hier gehört
hat, erzählt er dort nicht wieder, um diese zu ent-
zweien; was er dort gehört hat, erzählt er hier nicht
wieder, um jene zu entweihen. So einigt er die Ent-
zweiten, ermutigt die Geeinten, findet Freude, Lust
und Gefallen an Eintracht; und Eintracht fördernde
Worte spricht er. Er meidet rohe Worte, enthält sich
roher Worte; milde Worte, die dem Ohre angenehm
sind. Hebevoll, zu Herzen gehend, höflich, viele er-
freuend, viele beglückend: solcher Worte bedient er
sich. Er meidet das leere Geplapper, enthält sich des
leeren Geplappers; er redet zur rechten Zeit, den Tat-
sachen gemäß, zweckmäßig, im Sinne des Gesetzes
und der Disziplin, führt Reden, die wertvoll, mit pas-
senden Gleichnissen ausgestattet, angemessen und
sinnvoll sind. Er meidet die Zerstörung von Keim-
und Pflanzenleben. Bloß zu einer Tageszeit nimmt
er Nahrung. zu sich; des Nachts bleibt er nüchtern,
enthält sich des Essens am Abend. Er meidet Tanz,
Gesang und Spiel sowie das Anschauen von Schau-
stellungen. Er meidet Blumen, Riechstoffe, Salben,
Zierrat, Schmuck und Verschönerungsmittel. Er
mg-idet hohe und üppige Lagerstätten. Er meidet die
Annahme von Silber und Gold. Kein rohes Getreide
oder rohes Fleisch nimmt er an, keine Frauen oder
Mädchen, Drener oder Dienerinnen, keine Schafe und
Ziegen, Elefanten, Rinder, Hengsle oder Stuten, kei-
nen Grund und Boden. Er übernimmt keine Aufträge,
tut keine Botendienste. In Kauf und Verkauf läßt er
sich nicht ein. Er macht sich nichts zu schaffen mit
falschem Maße, Metall und Gewicht. Die schiefen
Wege der Bestechung, Täuschung und Betrügerei
- 429 —
X99 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
hat er verworfen. Stechen, Erschlagen, Binden, Über-
fallen, Plündern und Vergewaltigen liegen ihm fern.
Er begnügt sich mit dem Gewände, das seinen
Körper schützt, mit der Almosenspeise, womit er sein
Leben fristet. Wohin er auch immer zieht, da ist er
eben nur mit diesen beiden Dingen versehen. Gleichwie
ein beschwingter Vogel, wohin er auch immer fliegt,
stets nur seine Flügel mit sich trägt, gerade so auch
begnügt sich der Mönch mit dem Gewände, das seinen
Körper schützt, mit der Almosenschale, womit er
sein Leben fristet. Und wohin er auch immer zieht,
da ist er eben nur mit diesen beiden Dingen versehen.
Durch die Befolgung dieser edlen Sittensatzung
empfindet er in seinem Innern ein sündenreines
Glück.
„Erblickt er nun mit dem Auge eine Form, so
haftet er weder am Ganzen noch an den Einzelheiten;
und da bei unbewachtem Auge, Begierde und Kummer,
üble und schuldvolle Dinge in ihn eindringen möch-
ten, so wacht er darüber, hütet er das Auge, wacht
er über das Auge. Vernimmt er mit dem Ohre
einen Ton, — riecht er mit der Nase einen Duft, —
schmeckt er mit der Zunge einen Saft, — empfindet
er mit dem Körper ein Tastgefühl, — erkennt er im
Geiste ein Objekt, so haftet er weder am Ganzen noch
an den Einzelheiten; und da, bei unbewachtem
Geiste, Begierde und Kummer, üble und schuldvolle
Dinge in ihn eindringen möchten, so wacht er darüber,
hütet er seinen Geist, wacht er über seinen Geist. Mit
dieser edlen Sinnenzügelung aber ausgestattet empfin-
det er in seinem Innern ein ungetrübtes Glück.
Klaren Geistes handelt er beim Gehen und Kom-
— 430 —
ZEHNERBUCH X99
men, klaren Geistes beim Hinblicken und Wegblicken,
klaren Geistes beim Beugen und Strecken, klaren
Geistes beim Tragen von Schale und Gewand, klaren
Geistes beim Essen, Trinken, Kauen und Schmecken,
klaren Geistes beim Verrichten der Notdurft, klaren
Geistes beim Gehen, Stehen, Sitzen, Einschlafen,
Wachen, Sprechen und Schweigen. Ist er nun mit
dieser edlen Sittlichkeit ausgestattet, ausgestattet
mit dieser edlen Sinnenzügelung, ausgestattet
mit dieser edlen Achtsamkeit und Geistesklar-
heit, so sucht er sich eine abgeschiedene Lagerstatt
auf, im Walde, am Fuße eines Baumes, auf einem
Berge, in einer Grotte, einer Bergeshöhle, auf einem
Leichenfelde, in einer bewaldeten Ebene, einer Lichtung
oder auf einem Strohhaufen, Im Walde, am Fuße eines
Baumes oder in einer leeren Behausung angelangt,
setzt er sich mit untergeschlagenen Beinen nieder, in-
dem er- den Körper gerade aufrichtet und die Acht-
samkeit vor sich heftet.
,, Weltliche Begierde hat er überwunden; im
Geiste der weltlichen Begierde entronnen verweilt
er; von weltlicher Begierde läutert er seinen Geist.
„Den verderblichen Groll hat er überwunden;
haßlosen Geistes verweilt er; zu allen lebenden Wesen
und Geschöpfen voll Wohlwollen und Mitgefühl läutert
er seinen Geist von dem verderblichen Grolle.
,, Stumpfheit uud Mattigkeit hat er über-
wunden; frei von Stumpfheit und Mattigkeit verweilt
er, hellen Geistes, achtsam, klarbewußt; von Stumpf-
heit und Mattigkeit läutert er seinen Geist.
„Aufgeregtheit und Gewissensunruhe hat er
überwunden; ohne Aufregung verweilt er, innerlich
— 431 —
X99 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
beruhigten Geistes; von Aufgeregtheit und Gewissens-
unruhe läutert er seinen Geist.
,, Zweifelsucht hat er überwunden; zweifel-
entronnen verweilt er, zweifelt nicht am Guten; von
Zweifelsucht läutert er seinen Geist.
,, Befreit von diesen fünf Hemmungen, den
Trübungen des Geistes, den Lähmungen der Einsicht,
gewinnt er, den Sinnendingen entrückt, entrückt
den schuldvollen Erscheinungen, die mit Sinnen
und Nachdenken verbundene, in der Entrückung
geborene, von Verzückung und Glückseligkeit
erfüllte erste Vertiefung. Was meinst du, Upäli: ist
nicht wohl dieser Zustand bei weitem edler und er-
habener als die früheren Vergnügen?"
,, Gewiß, 0 Ehrwürdiger !"
„Diese Tatsache aber, Upäli, bei sich bemerkend,
leben meine Jünger im Walde, in waldeinsamen, ab-
geschiedenen Behausungen; noch aber haben sie ihr
Ziel nicht erreicht.
,, Fernerhin, Upäli, gewinnt der Mönch, nach dem
Schwinden des Sinnens und Nachdenkens, den inneren
Frieden, die Einheit des Geistes, die von Sinnen und
Nachdenken freie, in der Sammlung geborene, \on
Verzückung und Glückseligkeit erfüllte zweite
Vertiefung. Was meinst du, Upäli: ist nicht wohl
dieser Zustand edler und erhabener als der frühere?"
„Gewiß, 0 Ehrwürdiger !"
„Auch diese Tatsache, Upäli, bei sich bemerkend,
leben meine Jünger im Walde, in waldeinsamen, ab-
geschiedenen Behausungen; noch aber haben sie ihr
Ziel nicht erreicht.
„Fernerhin, Upäli, verweilt der Mönch, nach Ab-
— 432 —
ZEHNERBUCH
Wendung von der Verzückung, gleichmütig, achtsam,
geistesklar, und er fühlt in sich jenes Glück, von dem
die Edlen sprechen: »Glückselig der Gleichmütige, der
Achtsame !« — so gewinnt er die dritte Vertiefung.
Was meinst du Upäli: ist nicht wohl dieser Zustand
edler und erhabener als der frühere?"
„Gewiß, 0 Ehrwürdiger !"
„Auch diese Tatsache, Upäli, bei sich bemerkend,
leben meine Jünger im Walde, in waldeinsamen,
abgeschiedenen Behausungen; noch aber haben sie
ihr Ziel nicht erreicht.
„Fernerhin, Upäli, gewinnt der Mönch, nach
dem Schwinden von Wohlgefühl und Schmerz und
durch Überwindung des früheren Frohsinns und Trüb-
sinns, einen leidlosen, freudlosen Zustand, die durch
Gleichmut und Achtsamkeit geklärte vierte Ver-
tiefung. Was meinst du, Upäli: ist nicht wohl dieser
Zustand edler und erhabener als der frühere?"
,, Gewiß, 0 Ehrwürdiger !"
„Auch diese Tatsache, Upäli, bei sich bemerkend,
leben meine Jünger im Walde, in waldeinsamen, ab-
geschiedenen Behausungen; noch aber haben sie ihr
Ziel nicht erreicht.
„Fernerhin, Upäli, gewinnt der Mönch, durch
völlige Überwindung der Formwahrnehmungen, das
Schwinden der Reflexwahrnehmungen und das Nicht-^
beachten der Vielheitswahrnehmungen, in der Vor-
stellung: »Unendlich ist der Raum!«, das Gebiet der
Raumunendlichkeit. Was meinst du, Upäli: ist
nicht wohl dieser Zustand edler und erhabener als
der frühere?"
„Gewiß, 0 Ehrwürdiger !"
- 433 - 28
X99 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
„Auch diese Tatsache, Upäli, bei sich bemerkend,
leben meine Jünger im Walde, in waldeinsamen,
abgeschiedenen Behausungen; noch aber haben sie
ihr Ziel nicht erreicht.
Fernerhin, Upäli, gewinnt der Mönch, durch
völlige Überwindung des Gebietes der Raumunend-
lichkeit, in der Vorstellung: »Unendlich ist das Bewußt-
sein !«, das Gebiet der Bewußtseinsunendlichkeit.
Was meinst du, Upäli: ist nicht wohl dieser Zustand
edler und erhabener als der frühere?"
,, Gewiß, 0 Ehrwürdiger !"
,,Auch diese Tatsache, Upäli, bei sich bemerkend,
leben meine Jünger im Walde, in waldeinsamen, ab-
geschiedenen Behausungen; noch aber haben sie ihr
Ziel nicht erreicht.
Fernerhin, Upäli, gewinnt der Mönch, durch
völlige Überwindung des Gebietes der Bewußtseins-
unendlichkeit, in der Vorstellung: »Nichts ist da !«
das Gebiet des Nichtdaseins. Was meinst du, Upäli:
ist nicht wohl dieser Zustand edler und erhabener
als der frühere?"
,, Gewiß, 0 Ehrwürdiger !"
,,Auch diese Tatsache, Upäli, bei sich bemerkend,
leben meine Jünger im Walde, in waldeinsamen, ab-
geschiedenen Behausungen; noch aber haben sie ihr
Ziel nicht erreicht.
,, Fernerhin, Upäli, gewinnt der Mönch, durch
völlige Überwindung des Gebietes des Nichtdaseins,
in der Vorstellung: »Dies ist der Friede, dies ist das
Erhabene!«, das Gebiet der Weder-Wahrnehmung-
Noch-Nichtwahrnehmung. Was meinst du, Upäli:
ist nicht wohl dieser Zustand edler und erhabener
als die früheren?"
— 434 —
ZEHNERBUCH X 100
,, Gewiß, 0 Ehrwürdiger !"
„Auch diese Tatsache, Upäli, bei sich bemerkend,
leben meine Jünger im Walde, in waldeinsamen, ab-
geschiedenen Behausungen; noch aber haben sie ihr
Ziel nicht erreicht.
,, Fernerhin, Upäli, gewinnt der Mönch, durch
völlige Überwindung des Gebietes der Weder-Wahr-
nehmung-Noch-Nichtwahrnehmung, die »Aufhebung
von Wahrnehmung und Gefühl«; und nach weisem
Erkennen gelangen in ihm die Leidenschaften zur
Versiegung. Was meinst du, Upäli: ist nicht wohl
dieser Zustand edler und erhabener als der frühere?"
,, Gewiß, 0 Ehrwürdiger !"
„Auch diese Tatsache, Upäli, bei sich bemerkend,
leben meine Jünger im Walde, in waideinsamen, ab-
geschiedenen Behausungen; noch aber haben sie ihr
Ziel nicht erreicht. Komm, Upäli, lebe mit der
Mönchsgemeinde! Mit der Mönchsgemeinde lebend
wird es dir Wohlergehen."
Die Verwirklichung des Araliattums (d. i. der ^^^
Heiligkeit)
Ohne, ihr Mönche, zehn Erscheinungen über-
wunden zu haben, ist man außerstande, das Ara-
hattum zu verwirklichen: welche zehn?
Gier, Haß, Verblendung, Zorn, Wut, Heuchelei,
Eifersucht, Neid, Geiz und Dünkel. Ohne, ihr Mönche,
diese zehn Erscheinungen überwunden zu haben, ist
man außerstande, das Arahattum zu verwirklichen.
Durch Überwindung dieser zehn Erscheinungen
aber, ihr Mönche, ist man imstande, das Arahattum
zu verwirklichen.
— 435 — 28*
X102 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
ELFTER TEIL:
Das Kapitel der Asketen-
betrachtungen
101 Der Einfluß der drei Asketenbetrachtungen
Drei Asketenbetrachtungen, ihr Mönche, ent-
faltet und häxjfig geübt, bringen sieben Dinge zuwege:
welche drei Asketenbetrachtungen?
»In veränderte Verhältnisse bin ich eingetreten;
von Anderen hängt mein Lebensunterhalt ab; ein
anderes Benehmen muß ich zeigen«: diese drei
Asketenbetrachtungen, ihr Mönche, entfaltet und
häufig geübt, bringen sieben Dinge zuwege. Welche
sieben?
Standhaft wird man in der Erfüllung und Be-
folgung der Sittenregeln, wird frei von Habgier, fühlt-
sich nicht beklommen, überhebt sich nicht, ist übungs-
eifrig, ist bei den zum Leben nötigen Gegenständen
sich des Zweckes bewußt und strengt seinen Willen an.
Die drei Asketenbetrachtungen, ihr Mönche, entfaltet
und häufig geübt, bringen diese sieben Dinge zuwege.
^^^ Die Wirkung der sieben Glieder der Erleuchtung
Die sieben Erleuchtungsglieder ihr Mönche, ent-
faltet und häufig geübt, bringen die drei Wissen zu-
wege: welche sieben Erleuchtungsglieder?
Achtsamkeit, Wahrheitsergründung, Willenskraft,
Verzückung, Ruhe, Sammlung und Gleichmut. Diese
— 436 —
._».iaii
ZEHNERBUCH X 103
sieben Glieder der Erleuchtung, ihr Mönche, bringen
die drei Wissen zuwege: welche drei Wissen?
Da, ihr Mönche, erinnert sich der Mönch an manche
frühere Daseinsform, mit ihren Merkmalen, ihren
Kennzeichen. Er erkennt mit dem Himmlischen
Auge, dem geklärten, übermenschlichen, wie die Wesen
abscheiden und wiedererscheinen, erkennt wie die
Wesen ihren Taten entsprechend wiedergeboren werden.
Durch Versiegung der Leidenschaften gewinnt er die
leidenschaftslose Gemütserlösung und Wissenserlö-
sung, indem er sie schon bei Lebzeiten selber erkennt
und verwirklicht. Die sieben Glieder der Erleuchtung,
ihr Mönche, entfaltet und -häufig geübt, bringen diese
drei Wissen zuwege.
Die Wirkung des Rechten und des Verkehrten 103
Aufgrund des Verkehrten, ihr Mönche, entsteht
Verlust, kein Gewinn. Inwiefern aber?
Dem verkehrt Erkennenden, ihr Mönche, ent-
steht verkehrte Gesinnung, dem verkehrt Gesinnten
verkehrte Rede, dem verkehrt Redenden verkehrte
Handlung, dem verkehrt Handelnden verkehrte Lebens-
weise, dem verkehrt Lebenden verkehrtes Streben,
dem verkehrt Strebenden verkehrte Aufmerksamkeit,
dem verkehrt Aufmerkenden verkehrte Sammlung,
dem verkehrt Gesammelten verkehrtes Wissen, dem
verkehrt Wissenden verkehrte Befreiung. Insofern,
ihr Mönche, entsteht aufgrund des Verkehrten Verlust,
kein Gewinn.
Aufgrund des Rechten, ihr Mönche, entsteht Ge-
winn, kein Verlust. Inwiefern aber?
— 437 —
X104 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Dem recht Erkennenden, ihr Mönche, entsteht
rechte Gesinnung, dem recht Gesinnten rechte Rede,
dem recht Redenden rechte Handlung, dem recht
Handelnden rechte Lebensweise, dem recht Lebenden
rechtes Streben, dem recht Strebenden rechte Auf-
merksamkeit, dem recht Aufmerkenden rechte Samm-
lung, dem recht Gesammelten rechtes Wissen, dem
recht Wissenden rechte Befreiung. Insofern, ihr Mönche
entsteht aufgrund des Rechten Gewinn, kein Verlust.
104 Süße und bittere Früchte
Wenn man, ihr Mönche, den Samen der Nimba-
frucht (1) oder der Bittergurke oder des Bitter-
kürbis auf feuchtes Erdreich sät, so bekommt alles,
was derselbe an festen oder flüssigsn Stoffen anzieht,
einen bitteren, scharfen und herben Geschmack. Und
warum? Weil eben, ihr Mönche, der Same ein übler ist.
Ebenso auch, ihr Mönche: was immer ein Mensch,
dessen Erkenntnis, Gesinnung, Wort, Werk, Leben,
Streben, Achtsamkeit, Sammlung, Wissen und Be-
freiung verkehrt ist, an Taten in Werken, Worten und
Gedanken seiner Erkenntnis entsprechend ausführt
oder unternimmt, und was an Wille, Hoffnung, Ver-
langen und Geistesbildungen in ihm besteht, so führen
alle diese Erscheinungen zu Unerwünschtem, Uner-
sehntem, Unangenehmem, zu Unheil und Leiden.
Und warum? Weil eben seine Erkenntnis, ihr Mönche,
eine üble ist.
(1) Kosataki (luffa acutangula, zu den cucrbitaceae gehörig),
in Sinhalesisch (Vätakolu genannt, ist eine kleine, bittere Gurkenart.
— 438 —
ZEHNERBUCH X105
Wenn man, ihr Mönche, auf feuchtes Erdreich
Reiskörner sät oder einen Bambusschößling oder das
Reis des Weinstockes pflanzt, so bekommt alles, was
dasselbe an festen und flüssigen Stoffen anzieht, einen
angenehmen, süßen, lieblichen Geschmack. Und wa-
rum? Weil eben, ihr Mönche, der Keim ein guter ist.
Ebenso auch ihr Mönche: was immer ein Mensch,
dessen Erkenntnis, Gesinnung, Wort, Werk, Leben,
Streben, Achtsamkeit, Sammlung, Wissen und Be-
freiung richtig ist, an Taten und Werken, Worten und
Gedanken seiner Erkenntnis entsprechend ausführt
oder unternimmt, und was an Wille, Hoffnung,
Verlangen und Geistesbildungen in ihm besteht, so
führen alle diese Erscheinungen zu Erwünschtem,
Ersehntem, Angenehmen, zum Segen und Wohle.
Und warum? Eben weil seine Erkenntnis, ihr Mönche,
eine gute ist.
Die Grundlagen des Guten und Bösen 105
Das Eintreten der schuldvollen Erscheinungen,
ihr Mönche, beruht auf Unwissenheit, gefolgt von
Schamlosigkeit und Gewissenlosigkeit. (1) Dem Un-
wissenden, ihr Mönche, dem Einsichtslosen entsteht
verkehrte Erkenntnis, dem verkehrt Erkennenden
verkehrte Gesinnung, dem verkehrt Gesinnten ver-
kehrte Rede, dem verkehrt Redenden verkehrte Hand-
lung, dem verkehrt Handelnden verkehrte Lebens-
(1) Nach dem Abhidhamma sind mit jedem schuldvollen
(akusala) Bewußtseinsmomente stets folgende vier Erscheinungen
verbunden: Verblendung (moha), Zerstreutheit (uddhacca), Scham-
losigkeit (ahirika) und Gewissenlosigkeit (anottappa).
— 439 —
X106 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
weise, dem verkehrt Lebenden verkehrtes Streben,
dem verkehrt Strebenden verkehrte Aufmerksamkeit,
dem verkehrt Aufmerkenden verkehrte Sammlung,
dem verkehrt Gesammelten verkehrtes Wissen, dem
verkehrt Wissenden verkehrte Befreiung.
Das Eintreten der verdienstvollen Erscheinungen,
ihr Mönche, beruht auf Wissen, gefolgt von Scham-
gefühl und Gev/issen. Dem Wissenden, ihr Mönche,
dem Einsichtigen entsteht rechte Erkenntnis, dem
recht Erkennenden rechte Gesinnung, dem recht Ge-
sinnten rechte Rede, dem recht Redenden rechte
Handlung, dem recht Handelnden rechte Lebens-
weise, dem recht Lebenden rechtes Streben, dem
recht Strebenden rechte Aufmerksamkeit, dem recht
Aufmerkenden rechte Sammlung, dem recht Gesam-
melten rechtes Wissen, dem recht Wissenden rechte
Befreiung
106 Zur Versiegung führende Dinge
Zehn zur Versiegung führende Dinge gibt es, ihr
Mönche: welche zehn?
In dem recht Erkennenden, ihr Mönche, ist ver-
kehrte Erkenntnis versiegt. Und die mannigfachen
üblen, schuldvollen Erscheinungen, die zufolge ver-
kehrter Erkenntnis entstehen, auch diese sind in ihm
versiegt; und zufolge rechter Erkenntnis gelangen
mannigfache verdienstvolle Erscheinungen zur vollen
Entfaltung.
In dem recht Gesinnten, ihr Mönche, ist verkehrte
Gesinnung versiegt, — in dem recht Redenden ver-
kehrte Rede, — in dem recht Handelnden verkehrte
— 440 —
.M
ZEHNERBUCH X 107
Handlung, — in dem recht Lebenden verkehrte Le-
bensweise — in dem recht Strebenden verkehrtes
Streben, — in dem recht Aufmerkenden verkehrte
Aufmerksamkeit, — in dem recht Wissenden verkehrtes
Wissen, — in dem recht Befreiten verkehrte Befreiung.
Und die mannigfachen üblen, schuldvollen Erschei-
nungen, die zufolge verkehrter Befreiung entstehen,
auch diese sind in ihm versiegt; und zufolge rechter
Befreiung gelangen mannigfache verdienstvolle Er-
scheinungen zur vollen Entfaltung.
Das, ihr Mönche, sind die zehn zur Versiegung
führenden Dinge.
Die edle Spülung 107
Es gibt, ihr Mönche, in den südlichen Ländern ein
sog. Fest der »Spülung«. (1) Bei demselben erhält man
Speise und Trank, Kauwaren, Eßwaren, Leckereien
und Getränke, und Tanz und Spiel finden statt. Ein
solches Fest der Spülung gibt es, ihr Mönche, und
nicht behaupte ich etwa, daß es so etwas nicht gebe.
Doch jene Spülung, ihr Mönche, ist niedrig, gemein,
weltlich, unedel, zwecklos, führt nicht zum Daseins-
überdruß, zur Abwendung, Aufhebung und zum Frieden,
nicht zur Durchschauung, zur Erleuchtung und zum
(1) Komm.: ,,In jenem Lande verbrennen die Menschen ihre
Toten nicht, sondern graben eine Grube x.md versenken sie in die
Erde. Sobald die Leiche verwittert ist, nehmen sie die Knochen
heraus, waschen sie und richten sie auf; und nachdem sie Riech-
stoffe und Blimien geopfert haben, verwahren sie dieselben. Am
kommenden Festtage aber nehmen sie die Knochen, indem sie
weinen und wehklagen, und feiern ein Pest."
— 441 —
X107 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Nirwahn. Ich aber, ihr Mönche, will euch eine edle
Spülung weisen, die zum völligen Daseinsüberdruß
führt, zur Abwendung, Aufhebung und zum Frieden,
zur Durchschauung, zur Erleuchtung und zum Nir-
wahn, eine Spülung, derzufolge die der Geburt, dem
Alter und dem Tode unterworfenen Wesen von Ge-
burt, Alter und Tod erlöst werden, eine Spülung,
derzufolge die dem Kummer, Jammer, Schmerz,
Trübsinn und der Verzweifelung unterworfenen Wesen
von Kummer, Jammer, Schmerz, Trübsinn und Ver-
zweiflung Erlösung finden. Und worin, ihr Mönche,
besteht jene edle Spülung?
Von dem recht Erkennenden, ihr Mönche, ist
die verkehrte Erkenntnis abgespült. Und die mannig-
fachen üblen, schuldvollen Erscheinungen, die zu-
folge verkehrter Erkenntnis entstehen, auch diese
sind von ihm abgespült; und zufolge rechter Erkennt-
nis gelangen mannigfache verdienstvolle Erscheinungen
zur vollen Entfaltung.
Von dem recht Gesinnten, ihr Mönche, ist die
verkehrte Gesinnung abgespült, — von dem recht
Redenden die verkehrte Rede, — von dem recht
Handelnden die verkehrte Handlung, — von dem
recht Lebenden die verkehrte Lebensweise, — von
dem recht Strebenden das verkehrte Streben, — von
dem recht Aufmerkenden die verkehrte Aufmerk-
samkeit, — von dem recht Gesammelten die verkehrte
Sammlung, — von dem recht Wissenden das verkehrte
Wissen, — von dem recht Befreiten die verkehrte
Befreiung. Und die mannigfachen üblen, schuldvollen
Erscheinungen, die zufolge verkehrter Befreiung ent-
stehen, auch diese sind von ihm abgespült; und zufolge
— 442 —
ZEHNERBUCH X 109
rechter Befreiung gelangen die mannigfachen verdienst-
vollen Erscheinungen zur vollen Entfaltung.
Das nun, ihr Mönche, ist die edle Spülung, die zum
völligen Daseinsüberdruß führt, zur Abwendung,
Aufhebung und zum Frieden, zur Durchschauung,
zur Erleuchtung und • zum Nirwahn, eine Spülung,
derzufolge die der Geburt, dem Alter und dem Tode
unterworfenen Wesen von Geburt, Alter und Tod
erlöst werden, eine Spülung, derzufolge die dem
Kummer, Jammer, Schmerz, Trübsinn und der Ver-
zweiflung unterworfenen Wesen von Kummer, Jam-
mer, Schmerz, Trübsinn und Verzweiflung Erlösung
finden.
Das edle Brechmittel 109
Die Ärzte, ihr Mönche, verordnen Brechmittel,
um die durch Galle, Schleim und Gase entstandenen
Krankheiten zu heilen. Solche Brechmittel gibt es,
ihr Mönche, und nicht behaupte ich etwa, daß es so
etwas nicht gebe. Doch solche Brechmittel, ihr Mönche,
wirken das eine Mal und das andere Mal nicht. Ich
aber, ihr Mönche, will euch ein Brechmittel weisen,
das stets wirkt, nie versagt, ein Brechmittel, demzu-
folge die der Geburt, dem Alter und dem Tode unter-
worfenen Wesen von Geburt, Alter und Tod erlöst wer-
den, ein Brechmittel, demzufolge die dem Kummer,
Jammer, Schmerz, Trübsinn und der Verzweiflung j
unterworfenen Wesen von Kummer, Jammer, Schmerz,
Trübsinn und Verzweiflung Erlösung finden. Und
worin, ihr Mönche, besteht jenes edle Brechmittel?
Der recht Erkennende, ihr Mönche, hat die ver-
— 443 —
Xlll SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
kehrte Erkenntnis ausgespieen, — der recht Gesinnte
die verkehrte Gesinnung, — der recht Redende die
verkehrte Rede — der recht Handelnde die verkehrte
Handlung, — der recht Lebende die verkehrte Lebens-
weise, — der recht Strebende das verkehrte Streben,
— der recht Aufmerkende die verkehrte Aufmerksam-
keit, — der recht Gesammelte die verkehrte Samm-
lung, — der recht Wissende das verkehrte Wissen, —
der recht Befreite die verkehrte Befreiung. Und die
mannigfachen üblen, schuldvollen Erscheinungen,
die zufolge verkehrter Befreiung entstehen, auch diese
hat er ausgespieen; und zufolge rechter Befreiung
gelangen mannigfache verdienstvolle Erscheinungen
zur vollen Entfaltung.
Das, ihr Mönche, ist jenes edle Brechmittel, das
stets wirkt, nie versagt, ein Brechmittel, demzufolge
die der Geburt, dem Alter und dem Tode unterwor-
fenen Wesen von Geburt, Alter und Tod erlöst werden,
ein Brechmittel, demzufolge die dem Kummer, Jammer,
Schmerz, Trübsinn und der Verzweiflung unterworfenen
Wesen von Kummer, Jammer, Schmerz, Trübsinn
und Verzweiflung Erlösung finden.
m Der Kampfesledige (asekha) (1)
Einer der Mönche sprach zum Erhabenen:
,,Von kampfesledig spricht man da, o Ehrwür-
diger. Inwiefern aber, o Ehrwürdiger, ist der Mönch
ein Kampfeslediger?"
(1) Eine Bezeichnung des Arahat, insofern derselbe sein Ziel
erkämpft und um nichts Weiteres mehr zu kämpfen hat.
— 444 —
ZEHNERBUCH X 111
„Da, 0 Mönch, ist der Mönch ausgestattet mit
der rechten Erkenntnis eines Kampfesledigen, aus-
gestattet mit der rechten Gesinnung eines Kampfes-
ledigen, ausgestattet mit der rechten Rede eines
Kampfesledigen, ausgestattet mit der rechten Lebens-
weise eines Kampfesledigen, ausgestattet mit dem
rechten Streben eines Kampfesledigen, ausgestattet
mit der rechten Achtsamkeit eines Kampfesledigen,
ausgestattet mit der rechten Sammlung eines Kampfes-
ledigen, ausgestattet mit dem rechten Wissen eines
Kampfesledigen, ausgestattet mit der rechten Be-
freiung eines Kampfesledigen. So, o Mönch, ist der
Mönch ein Kampfeslediger."
- 445 -
X115 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
ZWÖLFTER TEIL:
Das Kapitel der Läuterung
113 Das Gesetzliche und das Ungesetzliche
(1)
Das Ungesetzliche und Unheilsame, ihr Mönche,
soll man erkennen sowie das Gesetzliche und Heil-
same; und hat man das Ungesetzliche und Unheil-
same, sowie das Gesetzliche und Heilsame erkannt,
so soll man dem Gesetzlichen und Heilsamen ent-
sprechend leben. —
115 Das Gesetzliche und das Ungesetzliche
(2)
„Das Ungesetzliche und das Gesetzliche, ihr
Mönche, soll man erkennen sowie das Unheilsame und
das Heilsame; und hat man das Ungesetzliche und das
Gesetzliche, das Unheilsame und das Heilsame er-
kannt, so soll man dem]"Gesetzlichen und Heilsamen
entsprechend leben."
Also sprach der Erhabene. Nach diesen Worten
aber erhob sich der Erhabene von seinem Sitze und
begab sich in seine Zelle.
Nicht lange aber, nachdem der Erhabene gegangen
war, da sagten sich die Mönche: „Der Erhabene, ihr
Brüder, hat uns da in kurzen Worten einen Vortrag
gehalten und sich, ohne uns den Sinn näher zu er-
klären, in seine Zelle begeben. Wer vermöchte wohl,
— 446 —
ZEHNERBUCH X 115
den Sinn des vom Erhabenen in kurzen Worten ge-
haltenen Vortrages näher zu erklären?" Und der Ge-
danke kam ihnen: , Dieser ehrwürdige Änando wird
ja vom Meister gepriesen und ist angesehen bei seinen
Ordensbrüdern. Der ehrwürdige Änando ist wohl
dazu imstande. So wollen wir denn zum ehrwürdigen
Änando hingehen und ihn um die Sache befragen.
Wie sie uns der ehrwürdige Änando erklären wird,
so wollen wir uns dieselbe merken." Darauf begaben
sich jene Mönche zum ehrwürdigen Änando und tru-
gen ihm die Sache vor.
[Änando:] „Gleichwie, ihr Brüder, ein Mann,
der Kernholz wünscht, nach Kernholz sucht, auf
Kernholz ausgeht, über die Wurzel eines dastehenden
Baumes hinwegklettert, über den Stamm hinweg-
klettert und in den Zweigen und in dem Blätterwerke
Kernholz zu finden hofft, genau so verhält es sich hier.
Obwohl der Meister zugegen war, habt ihr ihn, den
Erhabenen übergangen und glaubt nun mich fragen
zu müssen. Jener Erhabene, ihr Brüder, erkennt das
zu Erkennende, durchschaut das zu Durchschauende,
er, der Seher und Kenner, der eins geworden ist mit
dem Gesetze, eins geworden mit Brahma, der Lehrer,
der Verkünder, der Erschließer des Sinnes, der Spender
der Unsterblichke'.t, des Gesetzes Herr, der Vollendete.
Ihr hattet ja Zeit, euch zum Erhabenen hinzubegeben
und ihn um die Sache zu befragen. Wie euch der Er-
habene erklärt haben möchte, so hättet ihr euch die
Sache merken können."
,, Freilich, Bruder Änando, erkennt der Erhabene
das zu Erkennende, durchschaut er das zu Durch-
schauende, er, der Seher und Kenner, der eins gewor-
— 447 —
X115 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
den ist mit dem Gesetze, eins geworden mit Brahma,
der Lehrer, der Verkünder, der Erschließer des Sinnes,
der Spender der Unsterblichi<eit, des Gesetzes Herr,
der Vollendete. Wohl hatten wir Zeit, uns zum Er-
habenen hinzubegeben und ihn um die Sache zu be-
fragen. Aber auch der ehrwürdige Änando, der selbst
vom Meister gepriesen wird und angesehen ist bei
seinen Ordensbrüdern, ist wohl dazu imstande. Möge
doch der ehrwürdige Änando die Sache erklären,
ohne sich Umstände zu machen."
,,So höret denn, ihr Brüder, und achtet wohl auf
meine Worte !" ,,Ja, o Bruder" erwiderten jene Mön-
che dem ehrwürdigen Änando. Und der ehrwürdige
Änando sprach:
,,»Das Ungesetzliche und das Gesetzliche, ihr
Mönche, soll man erkennen sowie das Unheilsame und
das Heilsame; und hat man das Ungesetzliche und das
Gesetzliche, das Unheilsame und das Heilsame er-
kannt, so soll man dem Gesetzlichen und Heilsamen
entsprechend leben«: diesen kurzen Vortrag also,
ihr Brüder, hat euch der Erhabene gehalten und sich,
ohne den Sinn näher zu erklären, in seine Zelle begeben.
W^as ist nun, ihr Brüder, das Ungesetzliche und was
das Gesetzliche, was das Unheilsame und was das
Heilsame?
,, Verkehrte Erkenntnis, ihr Brüder, ist das Un-
gesetzliche, rechte Erkenntnis das Gesetzliche. Die
mannigfachen üblen, schuldvollen Erscheinungen,
die zufolge verkehrter Erkenntnis entstehen: diese
sind das Unheilsame. Die mannigfachen verdienst-
vollen Erscheinungen, die zufolge rechter Erkenntnis
entstehen: diese sind das Heilsame. Verkehrte G^-
— 448 —
ZEHNERBUCH X115
sinnung, ihr Mönciie, ist das Ungesetzliche, rechte
Gesinnung das Gesetzliche, — verkehrte Rede das
UngesetzHche, rechte Rede das Gesetzliche, — ver-
kehrtes Werk das Ungesetzliche, rechtes Werk das
Gesetzliche, — verkehrte Lebensweise das Ungesetz-
liche, rechte Lebensweise das Gesetzliche, — verkehrtes
Streben das Ungesetzliche, rechtes Streben das Ge-
setzliche, — verkehrte Achtsamkeit das Ungesetz-
liche, rechte Achtsamkeit das Gesetzliche, — verkehrte
Sammlung das Ungesetzliche, rechte Sammlung das
Gesetzliche, — verkehrtes Wissen das Ungesetzliche,
rechtes Wissen das Gesetzliche, — verkehrte Befreiung
das Ungesetzliche, rechte Befreiung das Gesetzliche.
Die mannigfachen üblen, schuldvollen Erscheinungen,
die zufolge verkehrter Befreiung entstehen: diese sind
das Unheilsame. Die mannigfachen heilsamen Ei-
scheinungen, die zufolge rechter Befreiung entstehen:
diese sind das Heilsame.
,,So, ihr Brüder, verstehe ich den ausführlichen
Sinn des Vortrages, den der Erhabene in kurzen Wor-
ten gehalten hat, ohne den Sinn näher zu erklären.
Wenn ihr nun wollt, ihr Brüder, so möget ihr zum
Erhabenen hingehen und ihn um den Sinn befragen.
Wie euch der Erhabene erklären wird, so mögt ihr
euch denselben merken."
,,Gut, 0 Bruder," erwiderten jene Mönche dem
ehrwürdigen Änando, durch die Worte des ehrwür-
digen Änando erfreut und befriedigt, erhoben sich
von ihren Sitzen und begaben sich zum Erhabenen,
Dort angelangt, begrüßten sie ehrfurchtvoll den Er-
habenen und setzten sich zur Seite nieder. Zur Seite
aber sitzend, sprachen jene Mönche also zum Erhabenen:
— 449 — 29
X116 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
„Nicht lange, o Ehrwürdiger, nachdem der Er-
habene gegangen war, da sagten wir uns: »Der Er-
habene, ihr Brüder, hat uns da in kurzen Worten einen
Vortrag gehalten und sich, ohne uns den Sinn näher zu
erklären, in seine Zelle begeben. Wer vermöchte wohl,
den Sinn des vom Erhabenen in kurzen Worten ge-
haltenen Vortrages näher zu erklären?" Und der
Gedanke kam ihnen: ,, Dieser ehrwürdige Änando
wird ja vom Meister gepriesen und ist angesehen bei
seinen Ordensbrüdern. Der ehrwürdige Änando ist
wohl dazu imstande. So wollen wir denn zum ehr-
würdigen Änando hingehen und ihn um die Sache
befragen. Wie sie uns der ehrwürdige Änando erklä-
ren wird, so wollen wir uns dieselbe merken.« Darauf
begaben wir uns zum ehrwürdigen Änando und fragten
ihn um den Sinn. Und der verehrte Änando, o Ehr-
würdiger, legte uns in solcher Weise, solchen Sätzen
und solchen Worten den Sinn ausführlich dar."
,, Recht so, recht so, ihr Mönche ! Weise, ihr
Mönche, ist Änando; ein großes Wissen, ihr Mönche,
besitzt Änando. Auch wenn ihr zu mir gekommen
wäret, ihr Mönche, und hättet mich nach dieser Sache
gefragt, so hätte auch ich dieselbe genau so erklärt,
wie sie Änando erklärt hat. Das eben ist der Sinn,
und so mögt ihr euch denselben merken."
116 Die Grundlagen für einen Weisen.
Ajito der Pilger sprach zum Erhabenen:
„Unter uns, Herr, Gotamo, gibt es einen weisen
Ordensbruder, der fünfmal hundert Gedankenarten
— 450 —
ZEHNERBUCH X 116
ausgesonnen hat, an denen die Andersgläubigen, so-
bald sie überführt sind, sich als überführt erkennen."
Der Erhabene aber wandte sich an die Mönche
und sprach:
,, Entsinnt ihr euch, ihr Mönche, auf die Grund-
lagen für diesen Weisen?"
,,So ist es an der Zeit, Erhabener, so ist es an der
Zeit, Gesegneter, daß der Erhabene sie erkläre. Des
Erhabenen Worte werden sich die Mönche merken."
„So höret denn und achtet wohl auf meine Worte !"
„Ja, 0 Ehrwürdiger !" erwiderten jene Mönche
dem Erhabenen. Und der Ernabene sprach:
,,Da, ihr Mönche, besiegt und bezwingt einer eine
ungesetzliche Behauptung durch eine ungesetzliche
Behauptung. Dadurch aber begeistert er die gesetz-
lose Menge, und darüber stimmt jene gesetzlose
Schar lautes, helles Geschrei an: »Wahrlich, ein Weiser
ist der Verehrte, ein Weiser ist der Verehrte!«
,,Da aber, ihr Mönche, besiegt und bezwingt einer
eine gesetzliche Behauptung durch eine ungesetz-
liche Behauptung. Dadurch aber begeistert er die
gesetzlose Menge, und darüber stimmt jene gesetzliche
Schar ein lautes, helles Geschrei an: »Wahrlich, ein
Weiser ist der Verehrte, ein Weiser ist der Verehrte!«
,,Da, ihr Mönche, besiegt und bezwingt einer eine
gesetzliche und eine ungesetzliche Behauptung durch
eine ungesetzliche Behauptung. Dadurch aber be-
geistert er die gesetzlose Menge, und darüber stimmt
jene gesetzlose Schar lautes, helles Geschrei an:
»Wahrlich, ein Weiser ist der Verehrte, ein Weiser ist
der Verehrte !«
„Da, ihr Mönche, besiegt und bezwingt einer eine
451 — 29*
X117 SAMMLUNG DER ANGLIEDERNGEN
ungesetzliche Behauptung durch eine gesetzliche Be-
hauptung. Dadurch aber begeistert er die gesetzliche
Menge, darüber stimmt jene gesetzliche Schar ein
lautes, helles Geschrei an: »Wahrlich, ein Weiser ist
der Verehrte, ein Weiser ist der Verehrte !<
,,Das Ungesetzliche und das Gesetzliche, ihr
Mönche, soll man erkennen sowie das Unheilsame und
das Heilsame; und hat man das Ungesetzliche und
das Gesetzliche, das Unheilsame und das Heilsame
erkannt, so soll man dem Gesetzlichen und Heilsamen
entsprechend leben."
117 Diesseits und Jenseits
Sahgäravo der Brahmane sprach zum Erhabenen:
,,Was ist wohl, Herr Gotamo, das diesseitige
Ufer, was das jenseitige Ufer?"
,, Verkehrte Erkenntnis, Brahmane, ist das dies-
seitige Ufer, rechte Erkenntnis das jenseitige Ufer.
Verkehrte Gesinnung ist das diesseitige Ufer, rechte
Gesinnung das jenseitige Ufer. Verkehrte Rede ist
das diesseitige Ufer, rechte Rede das jenseitige Ufer.
Verkehrtes Werk ist das diesseitige Ufer, rechtes Werk
das jenseitige Ufer. Verkehrte Lebensweise ist das
diesseitige Ufer, rechte Lebensweise ist das jenseitige
Ufer. Verkehrtes Streben ist das diesseitige Ufer,
rechtes Streben das jenseitige Ufer. Verkehrte Acht-
samkeit ist das diesseitige Ufer, rechte Achtsamkeit das
jenseitige Ufer. Verkehrte Sammlung ist das dies-
seitige Ufer, rechte Sammlung das jenseitige Ufer.
Verkehrtes Wissen ist das diesseitige Ufer, rechtes
Wissen das jenseitige Ufer. Verkehrte Befreiung ist
— 452 -
ZEHNERBUCH X 119
das diesseitige Ufer, rechte Befreiung das jenseitige
Ufer. Das, Brahmane, ist das diesseitige Ufer, das
das jenseitige Ufer."
Nur eine kleine Menschenschar
Gelangt zum andern Ufer hin;
Die andern aber laufen alle
Entlang dem Ufer, auf und ab.
Wer da bei recht gewies'ner Satzung
Treu dem Gesetz ergeben ist,
Der wird das Todesreich durchkreuzen,
Das man nicht leicht durchkreuzen kann.
Das Düst're gebe auf der Weise,
Das Lichte doch entfalte er;
Vom Haus ins Hauslose gelangt
Such's Glück er in der Einsamkeit,
Wo man nicht leicht sich glücklich fühlt.
Und ohne Wunsch und Eigentum
Mög' läutern der Verständige
Von Geistestrübungen sein Herz.
Die in den Gliedern der Erleuchtung
Entfaltet haben ihren Geist,
Durch Loslösung vom Daseinsdrang
Beglückt sind ohne jeden Rang:
Die Strahlenden, die Unbefleckten
Sind schon in dieser Welt entwähnt.
Die edle Läuterung 119
Zu jener Zeit, an einem Fastentage, stand der
Brahmane Jänussoni, mit gewaschenem Haupte
und in ein doppeltes Leinentuch gehüllt, mit einer
Hand voll feuchten Grases, unweit dem Erhabenen
- 453 —
X119 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
zur Seite. Der Erhabene aber erblickte ihn und sprach
zu ihm:
„Was stehst du da, Brahmane, heute am Fasten-
tage, gewaschenen Hauptes und in ein doppeltes Lei-
nentuch gehüllt, mit einer Hand voll feuchten Grases,
zur Seite? Was findet denn heute in der Brahmanen-
kaste statt?"
„Läuterung, Herr Gotamo, übt heute die Brah-
manenkaste."
,,Wie, Brahmane, vollzieht sich denn die Läuterung
bei den Brahmanen?"
,, Heute am Fastentage, Herr Gotamo, bestreichen
die Brahmanen, gewaschenen Hauptes und in ein
doppeltes Leinentuch gehüllt, den Boden mit feuchtem
Kuhdünger, bedecken ihn darauf mit frischem Kusa-
grase und nehmen ihr Lager zwischen dem Sande und
der Feuerstätte, Dreimal erheben sie sich des Nachts
und verehren mit erhobenen Händen das Feuer, indem
sie sprechen: »Wir wollen dich läutern ! Wir wollen
dich läutern !« Und sie speisen das Feuer reichlich
mit Butteröl, Sesamöl und Butter. Nach Verlauf der
Nacht aber bewirten sie die Priester mit auserlesenen
harten und weichen Speisen. So, Herr Gotamo, voll-
zieht sich die Läuterung bei den Brahmanen."
,, Anders freilich, Brahmane, vollzieht sich die
Läuterung bei den Brahmanen, anders aber in der
Disziplin der Edlen."
,,Wie aber, Herr Gotamo, vollzieht sich die Läu-
terung in der Disziplin des Edlen? Möchte mir doch
der Herr Gotamo das Gesetz darlegen, wie sich in der
Disziplin des Edlen die Läuterung vollzieht!"
— 454 —
ZEHNERBUCH X 119
,,So höre denn, Brahmane, und achte wohl auf
meine Worte!"
,,Ja, 0 Herr!" erwiderte Jänussoni der Brahmane
dem Erhabenen. Und der Erhabene sprach:
,,Da, Brahmane, überlegt der edle Jünger also bei
sich: »Verkehrter Erkenntnis sind wahrlich diesseits
wie jenseits üble Früchte beschieden.« Also bei sich
überlegend gibt er die verkehrte Erkenntnis auf, läutert
sich von der verkehrten Erkenntnis. Er überlegt bei
sich: »Verkehrter Gesinnung, — verkehrter Rede, —
verkehrter Handlung, — verkehrter Lebensweise,
verkehrtem Streben, — verkehrter Achtsamkeit, —
verkehrter Sammlung, — verkehrtem Wissen, —
verkehrter Befreiung sind wahrlich diesseits wie jen-
seits üble Früchte beschieden«. Also bei sich überlegend
gibt er die verkehrte Befreiung auf, läutert sich von
der verkehrten Befreiung. So, Brahmane, vollzieht sich
in der Disziplin des Edlen die Läuterung."
,, Anders freilich, Herr Gotamo, vollzieht sich die
Läuterung bei den Brahmanen, anders in der Disziplin
des Edlen. Von dieser Läuterung in der Disziplin des
Edlen, Herr Gotamo, ist die Läuterung der Brahmanen
auch nicht den sechzehnten Teil wert. Vortrefflich,
Herr Gotamo! Vortrefflich, Herr Gotamo! Ich nehme
meine Zuflucht zum Herrn Gotamo, zum Gesetze und
zur Jüngerschaft. Möge mich der Herr Gotamo als
Anhänger betrachten, der von heute ab zeitlebens
seine Zuflucht genommen hat."
— 455
X(122) SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
121 Die Morgenröte der Erkenntnis
Dem Sonnenaufgange, ihr Mönche, geht als Vor-
läufer und erstes Anzeichen die aufsteigende Morgen-
röte vorauf. Ebenso auch, ihr Mönche, geht den ver-
dienstvollen Erscheinungen als Vorläufer und erstes
Anzeichen die rechte Erkenntnis vorauf. Denn auf
rechte Erkenntnis folgt rechte Gesinnung, auf rechte
Gesinnung rechte Rede, auf rechte Rede rechtes Werk,
auf rechtes Werk rechte Lebensweise, auf rechte
Lebensweise rechtes Streben, auf rechtes Streben
rechte Achtsamkeit, auf rechte Achtsamkeit rechte
Sammlung, auf rechte Sammlung rechtes Wissen, auf
rechtes Wissen rechte Befreiung.
(122) Diese zehn Erscheinungen, ihr Mönche, entfaltet
und häufig geübt, bringen die Leidenschaften zur Ver-
siegung.
— 456
ZEHNERBUCH X 132
DREIZEHNTER TEIL:
Das Kapitel der Reinheit
Keine Vollkommenheit außerhalb 123—131
Zehn Erscheinungen, ihr Mönche, finden sich, rein
und lauter, nicht außerhalb der Disziplin des Geseg-
neten: welche zehn?
Rechte Erkenntnis, rechte Gesinnung, rechte Rede,
rechtes Werk, rechte Lebensweise, rechtes Streben,
rechte Achtsamkeit, rechte Samlmung, rechtes Wissen
und rechte Befreiung. Diese zehn Erscheinungen, ihr
Mönche, finden sich, rein und lauter, — vollendet und
wohl entfaltet, — nicht außerhalb der Disziplin des
Gesegneten, — steigen, wenn sie noch nicht aufge-
stiegen sind, nicht auf außerhalb der Disziplin des
Gesegneten, — sind von keiner hohen Frucht und
Wirkung außerhalb der Disziplin des Gesegneten, —
enden in Überkommung von Gier, Haß und Verblen-
dung nicht außerhalb der Disziplin des Gesegneten, —
führen zum völligen Daseinsüberdruß, zur Anwendung
und zum Frieden, zui Durchschauung, zur Erleuch-
tung und zum Nirwahn nicht außerhalb der Disziplin
des Gesegneten.
Verkehrte und rechte Zustände 132
Zehn verkehrte Zustände gibt es, ihr Mönche:
welche zehn?
Verkehrte Erkenntnis, verkehrte Gesinnung, ver-
— 457 —
X133 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
kehrte Rede, verkehrtes Werk, verkehrte Lebens-
weise, verkehrtes Streben, verkehrte Achtsamkeit,
" verkehrte Sammlung, verkehrtes Wissen und ver-
kehrte Befreiung. Das, ihr Mönche, sind die zehn
verkehrten Zustände.
133 Zehn rechte Zustände gibt es, ihr Mönche, welche
zehn?
Rechte Erkenntnis, rechte Gesinnung, rechte Rede,
rechtes Werk, rechte Lebensweise, rechtes Streben,
rechte Achtsamkeit, rechte Sammlung, rechtes Wissen
und rechte Befreiung. Das, ihr Mönche, sind die zehn
rechten Zustände.
458 —
ZEHNERBUCH X144
VIERZEHNTRE TEIL:
Das Kapitel des Guten
Zweierlei Gesetze
Was, ihr Mönche, ist das Böse, — Unedle, —
Schuldvolle, — Unheilsame, — das unrechte Gesetz,
— das befleckte, — tadelige, — qualbringende, —
aufschichtende, — leiderzeugende, — leidgebärende
Gesetz?
Verkehrte Erkenntnis, verkehrte Gesinnung, ver-
kehrte Rede, verkehrtes Werk, verkehrte Lebensweise,
verkehrtes Streben, verkehrte Achtsamkeit, verkehrte
Sammlung, verkehrtes Wissen und verkehrte Be-
freiung. Was aber, ihr Mönche, ist das Gute, — Edle,
— Verdienstvolle, — Heilsame, — das rechte Ge-
setz, — das unbefleckte, — untadelige, — quallose, —
abschichtende, — glückerzeugende, — glückgebärende
Gesetz?
Rechte Erkenntnis, rechte Gesinnung, rechte Rede,
rechtes Werk, rechte Lebensweise, rechtes Streben,
rechte Achtsamkeit, rechte Sammlung, rechtes Wissen
und rechte Befreiung.
134—144
— 459 —
X154 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
FÜNFZEHNTER TEIL:
Das Kapitel des edlen Pfades
Zweierlei Pfade
Was, ihr Mönche, ist der unedle Pfad, — der
finstere Pfad, — das schlechte Gesetz, — das Gesetz
der schlechten Menschen, — das nicht aufzurichtende,
— nicht zu befolgende, — nicht zu entfaltende, —
nicht großzuziehende, — nicht zu beachtende, — nicht
zu verwirklichende Gesetz?
Verkehrte Erkenntnis,, verkehrte Gesinnung, ver-
kehrte Rede, verkehrtes Werk, verkehrte Lebensweise,
verkehrtes Streben, verkehrte Achtsamkeit, verkehrte
Sammlung, verkehrtes Wissen und verkehrte Befreiung.
Was aber, ihr Mönche, ist der edle Pfad, — der
lichte Pfad, — das gute Gesetz, — das Gesetz der
guten Menschen, — das aufzurichtende, — zu be-
folgende, — zu entfaltende, — großzuziehende, — zu
beachtende, — zu verwirklichende Gesetz?
Rechte Erkenntnis, rechte Gesinnung, rechte Rede,
rechtes Werk, rechte Lebensweise, rechtes Streben,
rechte Achtsamkeit, rechte Sammlung, rechtes Wissen
und rechte Befreiung.
— 460 -
ZEHNERBUCH X 166
SECHSZEHNTER TEIL:
Das Kapitel der Menschen
Der Umgang mit Menschen 155—166
Mit einem Menschen, ihr Mönche, dem zehn Er-
scheinungen anhaften, soll man nicht verkehren, —
umgehen, — Gesellschaft pflegen, — soll ihn nicht
ehren. — Ohne Achtung ist er, — ohne Ergebung, —
unversöhnlich, — unlauter, — bezwingt seinen Dünkel
nicht, — wächst nicht in Einsicht, — erwirkt sich
große Schuld. Welches aber sind diese zehn Erschei-
nungen?
Verkehrte Erkenntnis, verkehrte Gesinnung, ver-
kehrte Rede, verkehrtes Werk, verkehrte Lebens-
weise, verkehrtes Streben, verkehrte Achtsamkeit,
verkehrte Sammlung, verkehrtes Wissen und ver-
kehrte Befreiung.
Mit einem Menschen, ihr Mönche, bei dem zehn
Erscheinungen anzutreffen sind, soll man verkehren,
— umgehen, — Gesellschaft pilegen; — soll ihn ehren.
— Voll Achtung ist er, — voll Ergebung, — versöhn-
lich, — lauter, — bezwingt seinen Dünkel, — wächst
in Einsicht, — erwirkt sich großes Verdienst. Welches
aber sind diese zehn Erscheinungen?
Rechte Erkenntnis, rechte Gesinnung, rechte Rede,
rechtes Werk, rechte Lebensweise, rechtes Streben,
rechte Achtsamkeit, rechte Sammlung, rechtes Wissen
und rechte Befreiung,
— 401 —
€8
X170 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
SIEBZEHNTER TEIL:
Das Kapitel des Jänussoni
Die edle Läuterung
Was, ihr Mönche, ist die edle Läuterung?
Da, ihr Mönche, überlegt der edle Jünger also bei
sich: »Dem Töten wahrlich sind diesseits wie jenseits
üble Früchte beschieden«. Also bei sich überlegend
verwirft er das Töten, läutert er sich vom Töten. Er
überlegt bei sich: »Dem Stehlen, — dem geschlecht-
lichen Ausschreiten, — dem Lügen, — der Zwischen-
trägerei, — dem rohen Reden, — dem unsinnigen Plap-
pern, — der Habgier, — dem Übelwollen, — der ver-
kehrten Erkenntnis sind diesseits wie jenseits üble
Früchte beschieden«. Also bei sich überlegend, ver-
wirft er die verkehrte Erkenntnis, läutert sich von der
verkehrten Erkenntnis. Das, ihr Mönche, nennt man
die edle Läuterung.
170 Diesseits und Jenseits
Was, ihr Mönche, ist das diesseitige Ufer, was das
jenseitige Ufer?
Töten, ihr Mönche, ist das diesseitige Ufer, Ab-
stehen vom Töten das jenseitige Ufer. Stehlen ist das
diesseitige Ufer, Abstehen vom Stehlen das jenseitige
Ufer. Geschlechtliches Ausschreiten ist das diesseitige
Ufer, Abstehen vom geschlechtlichen Ausschreiten das
jenseitige Ufer. Lügen ist das diesseitige Ufer, Ab-
stehen vom Lügen das jenseitige Ufer. Zwischenträgerei
— 462 —
ZEHNERBUCH X 175
ist das diesseitige Ufer, Abstehen von Zwischenträgerei
das jenseitige Ufer. Rohe Rede ist das diesseitige
Ufer, Abstehen von roher Rede das jeneitige Ufer.
Unsinniges Plappern ist das diesseitige Ufer, Abstehen
vom unsinnigen Plappern das jenseitige Ufer. Hab-
gier ist das diesseitige Ufer, Bedürfnislosigkeit das
jenseitige Ufer. Übelwollen ist das diesseitige Ufer,
Wohlwollen das jenseitige Ufer. Verkehrte Erkenntnis
ist das diesseitige Ufer, rechte Erkenntnis das jen-
seitige Ufer. Das, ihr Mönche, ist das diesseitige Ufer,
das das jenseitige Ufer.
Die drei Anlässe zur Tat 174
Töten, sage ich, ihr Mönche, ist dreierlei Art:
durch Gier veranlaßt, durch Haß veranlaßt oder durch
Verblendung veranlaßt. Stehlen, — geschlechtliches
Ausschreiten, — Lügen, — Zwischenträgerei, — rohe
Rede, — unsinniges Plappern, — Habgier, — Übel-
wollen, — verkehrte Erkenntnis ist dreierlei Art: durch
Gier veranlaßt, durch Haß veranlaßt oder durch Ver-
blendung veranlaßt.
Somit, ihr Mönche, bildet die Gier einen Anlaß
zur Tat, bildet der Haß einen Anlaß zur Tat, bildet
die Verblendung einen Anlaß zur Tat. Durch die Auf-
hebung von Gier, Haß und Verblendung aber wird
auch die Ursache zur Tat aufgehoben. '
Der Ausweg 1T5
Einen Ausweg, ihr Mönche, weist dieses Gesetz,
ist nicht ohne einen Ausweg. Inwiefern aber?
Für den Tötenden, ihr Mönche, gilt das Abstehen
— 463 —
X176 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
vom Töten als Ausweg. Für den Dieb gilt das Ab-
stehen vom Stehlen als Ausweg, für den Lügner das
Abstehen vom Lügen, für den Zwischenträger das Ab-
stehen von Zwischenträgerei, für den roh Redenden
das Abstehen von roher Rede, für den unsinnig Plap-
pernden das Abstehen von unsinnigem Plappern, für
den Habgierigen die Bedürfnislosigkeit, für den Übel-
wollenden das Wohlwollen und für den verkehrt Er-
kennenden die rechte Erkenntnis. So also, ihr Mönche,
weist dieses Gesetz einen Ausweg, ist nicht ohne einen
Ausweg.
176 Dreifache Lauterkeit
.Einst weilte der Erhabene bei Pävä, im Mangohaine
Cundos des Schmiedesohnes. Und Cundo der Schmiede-
sohn begab sich zum Erhabenen.- Dort angelangt be-
grüßte er ehrfurchtsvoll den Erhabenen und setzte
sich zur Seite nieder. Als er sich aber gesetzt hatte,
sprach der Erhabene zu ihm:
„Wessen Lauterkeit, Cundo, sagt dir wohl zu?"
„Die Lauterkeit jener Brahmanen, o Ehrwürdiger,
die da Rückwärtsläufer sind, Kübelträger, Moosbe-
kränzte, Feuerverehrer und Täuflinge."
„Wie aber, Cundo, lehren jene die Lauterkeit?"
Da, 0 Ehrwürdiger, ermahnen diese den Jünger
also: »Geh', lieber Mann, erhebe dich rechtzeitig von
deinem Lager und berühre den Boden! Magst du
aber den Boden nicht berühren, so berühre feuchten
Kuhdünger! Magst du aber feuchten Kuhdünger
nicht berühren, so berühre grünes Gras! Magst du
aber das grüne Gras nicht berühren, so warte dem
— 464 —
ZEHNERBUCH X 176
Feuer auf! Magst du aber dem Feuer nicht aufwarten,
so verehre mit erhobenen Händen die Sonne. Magst
du aber mit erhobenen Händen die Sonne nicht ver-
ehren, so tauche des Abends dreimal im Wasser unter.«
So, 0 Ehrwürdiger, lehren jene Brahmanen die Lauter-
keit; und deren Lauterkeit sagt mir zu."
,, Anders freilich, Cundo, lehren diese Brahmanen
die Lauterkeit, anders aber steht es mit der Lauter-
keit in der Disziplin des Edlen."
,,Wie aber, o Ehrwürdiger, steht es mit der Lauter-
keit in der Disziplin des Edlen? Möchte mir doch,
0 Ehrwürdiger, der Erhabene das Gesetz weisen, wie
es sich in der Disziplin des Edlen mit der Lauterkeit
verhält!"
„So höre denn, Cundo, und achte wohl auf meine
Worte!"
,,Ja, 0 Ehrwürdiger," erwiderte Cundo der Schmie-
desohn dem Erhabenen. Und der Erhabene sprach:
,, Dreifach, Cundo, ist Unlauterkeit in Werken,
vierfach in Worten, dreifach in Gedanken.
,,Wie aber, Cundo, ist Unlauterkeit dreifach in
Werken? Da, Cundo, bringt einer Lebendes um, ist
grausam, befleckt seine Hände mit Blut, ist dem Töten
und Schlagen ergeben, ohne Liebe zu irgend einem
Lebewesen. Ungegebenes nimmt er; was ein anderer
im Dorf oder Walde an Hab und Gut besitzt, das
nimmt er in diebischer Absicht weg. Er verübt ge-
schlechtliche Ausschreitungen, vergeht sich gegen
Mädchen, die unter der Obhut von Vater, Mutter,
Bruder, Schwester oder Verwandten oder unter dem
Schutze des Gesetzes stehen oder gegen verheiratete
Frauen oder eigene Sträflinge oder gar gegen blumen-
465 - 30
X176 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
geschmückte Bräute. So, Cundo, ist Unlauterkeit
dreifach in Werken.
,,Wie aber, Cundo, ist Unlauterkeit vierfach in
Worten? Da, Cundo, ist einer ein Lügner. Befindet
er sich in einer Versammlung oder unter Menschen
oder unter seinen Verwandten oder inmitten einer Ge-
sellschaft, oder wird er vor Gericht geladen und als
Zeuge befragt: »Komm', lieber Mann, sage aus, was
du weißt!«, so sagt er, obwohl er nichts weiß: »Ich
weiß es« oder, wenn er etwas weiß: »Ich weiß es nicht.«
Obwohl er nichts gesehen hat, sagt er: »Ich habe es
gesehen«, oder, wenn er etwas gesehen hat: »Ich habe
es nicht gesehen«. So spricht er um seiner Selbst
willen oder um eines Anderen willen oder um irgend
eines weltlichen Vorteils willen eine bewußte Lüge.
Er ist ein Zwischenträger: was er hier gehört hat,
erzählt er dort wieder, um diese zu entzweien; was er
dort gehört hat, erzählt er hier wieder, um jene zu
entzweien. So entzweit er die Einträchtigen, ermutigt
die Entzweiten, findet Freude, Lust und Gefallen an
Zwietracht; und Zwietracht erzeugende Worte spricht
er. Er bedient sich roher Worte; Worte, die scharf
sind, hart, die Anderen verbittern, die von Verwün-
schungen und Haß erfüllt sind und nicht zur Samm-
lung führen: solcher Worte bedient ersieh. Er plappert
Unsinn; er redet zur Unzeit, nicht den Tatsachen ge-
mäß, zwecklos, nicht im Sinne des Gesetzes und der
Disziplin, führt Reden, die wertlos, ohne passende
Gleichnisse, unangemessen und sinnlos sind. So,
Cundo, ist Unlauterkeit vierfach in Worten.
,,Wie aber, Cundo, ist Unlauterkeit dreifach in
Gedanken? Da, Cundo, ist einer habgierig; was ein
- 466 —
ZEHNERBUCH X 176
anderer an Hab und Gut besitzt, danach giert er:
*>Ach, möchte doch, was diesem anderen gehört, mir
gehören!« Er ist voll übelwollender Gesinnung, trägt
böse Gedanken in seinem Herzen, als wie: ))Diese
Geschöpfe sollten erschlagen werden, gebunden werden,
vernichtet werden, sollten umkommen und nicht
länger am Leben bleiben!« Er hat die verkehrte Er-
kenntnis, die irrige Ansicht: »Gaben, Geschenke und
Opfer sind nichtig; es gibt keine Frucht und Folge
der guten und bösen Taten; es gibt nicht so etwas,
wie diese Welt und die nächste Welt; Vater, Mutter
und geistgeborene Wesen sind leere Worte; nicht gibt
es in der Welt Asketen und Priester von rechtem, von
vollkommenem Wandel, die diese Welt wie die nächste
Welt selber erkannt und verwirklicht haben und sie
erklären können«. So, Cundo, ist Unlauterkeit drei-
fach in Gedanken.
„Dies, Cundo, sind die zehn schuldvollen
Wirkensfährten. Ob der auf diesen zehn schuld-
vollen Wirkensfährten Wandelnde sich nun recht-
zeitig von seinem Lager erhebt und die Erde berührt
oder nicht berührt: er bleibt eben unrein. Ob er den
feuchten Kuhdünger berührt oder nicht berührt:
er bleibt eben unrein. Ob er die grünen Gräser be-
rührt oder nicht berührt: er bleibt eben unrein. Ob
er dem Feuer aufwartet oder nicht aufwartet: er bleibt
eben unrein. Ob er mit erhobenen Händen die Sonne
verehrt oder nicht verehrt: er bleibt eben unrein. Ob
er des Abends dreimal im Wasser untertaucht oder
nicht untertaucht: er bleibt eben unrein. Und warum?
Weil, Cundo, diese zehn schuldvollen Wirkensfährten
unrein sind und unrein machen. Dem Wandel auf
— 467 — 30*
X176 SAMMLLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
diesen zehn schuldvollen Wirkensfährten aber zufolge
gibt es eine Hölle, gibt es einen Tierschoß, gibt es
ein Gespensterreich und was sonst noch an Leidens-
fährten da ist.
„Dreifach, Cundo, ist Lauterkeit in Werken, vier-
fach in Worten, dreifach in Gedanken.
,,Wie aber, Cundo, ist Lauterkeit dreifach in
Werken? Da, Cundo, meidet einer die Zerstörung
von Leben, enthält sich der Zerstörung von Leben;
Stock und Waffe verwerfend, verweilt er voll Liebe
und Wohlwollen zu allen lebenden Geschöpfen. Er
meidet das Stehlen, steht ab vom Nehmen des nicht
Gegebenen; was ein anderer im Dorfe oder Walde
an Hab und Gut besitzt, das nimmt er nicht in die-
bischer Absicht weg. Er meidet geschlechtliche Aus-
schreitungen, steht ab von den geschlechtlichen Aus-
schreitungen; er vergeht sich nicht gegen Mädchen,
die unter der Obhut von Vater, Mutter, Bruder, Schwe-
ster oder Verwandten oder unter dem Schutze des
Gesetzes stehen oder gegen verheiratete Frauen oder
gegen Sträflinge oder gar gegen blumengeschmückte
Bräute. So, Cundo, ist Lauterkeit dreifach in Werken.
,,Wie aber, Cundo, ist Lauterkeit vierfach in
Worten? Da, Cundo, meidet einer die Lüge, enthält
sich der Lüge. Befindet er sich in einer Versammlung
oder unter Menschen oder unter seinen Verwandten
oder inmitten einer Gesellschaft, oder wird er vor Ge-
richt geladen und als Zeuge befragt: »Komm', lieber
Mann, sage aus, was du weißt!« so sagt er, wenn er
nichts weiß, »Ich weiß es nicht«, und wenn er etwas
weiß, »Ich weiß es«. Wenn er nichts gesehen hat, sagt
er: »Ich habe nichts gesehen«, und wenn er etwas ge-
— 468 —
ZEHNERBUCH X 176
sehen hat, »Ich habe es gesehen«. So spricht er weder
um seiner Selbst willen noch um eines Anderen willen
noch um irgend eines weltlichen Vorteils willen eine
bewußte Lüge. Er meidet die Zwischenträgerei, ent-
hält sich der Zwischenträgerei: was er hier gehört
hat, erzählt er dort nicht wieder, um diese zu ent-
zweien; was er dort gehört hat erzählt er hier nicht
wieder, um jene zu entzweien. So einigt er die Ent-
zweiten, ermutigt die Geeinten, findet Freude, Lust
und Gefallen an Eintracht; und Eintracht fördernde
Worte spricht er. Er meidet rohe Worte, enthält sich
roher Worte; müde Worte, die dem Ohre angenehm
sind; liebevoll, zu Herzen gehend, höflich, viele er-
freuend, viele beglückend: solcher Worte bedient er
sich. Er meidet das leere Geplapper, enthält sich des
leeren Geplappers; er redet zur rechten Zeit, den Tat-
sachen gemäß, zweckmäßig, im Sinne des Gesetzes und
der Disziplin, führt Reden, die wertvoll, mit passenden
Gleichnissen ausgestattet, angemessen und sinnvoll
sind. So, Cundo, ist Lauterkeit vierfach in Worten.
,,Wie aber, Cundo, ist Lauterkeit dreifach in
Gedanken? Da, Cundo, ist einer ohne Habgier; was
ein anderer an Hab und Gut besitzt, danach giert er
nicht. Er ist voll wohlwollender Gesinnung, trägt un-
verdorbene Gedanken in seinem Herzen, als wie:
*Ach, möchten doch diese Wesen ohne Übel und Be-
schwerden sein und ein leidloses, glückliches Leben
führen!« Er hat die rechte Erkenntnis, die unbeirrte
Ansicht: »Gaben, Geschenke und Opfer sind nicht
wertlos; es gibt eine Frucht und Folge der guten und
bösen Taten; es gibt sowohl diese Welt wie die nächste
Welt; Vater, Mutter und geistgeborene Wesen sind
— 469
X176 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
keine leeren Worte; es gibt in der Welt Asketen und
Priester von rechtem, von vollkommenem Wandel,
die diese Welt wie die nächste Welt selber erkannt und
verwirklicht haben und sie erklären können«. So,
Cundo, ist Lauterkeit dreifach in Gedanken.
„Dies, Cundo, sind die zehn verdienstvollen
Wirkensfährten. Ob der auf diesen zehn verdienst-
vollen Wirkensfährten Wandelnde sich nun recht-
zeitig von seinem Lager erhebt und die Erde berührt
oder nicht berührt: er bleibt eben rein. Ob er den
feuchten Kuhdünger berührt oder nicht berührt: er
bleibt eben rein. Ob er die grünen Gräser berührt oder
nicht berührt: er bleibt eben rein. Ob er dem Feuer
aufwartet oder nicht aufwartet: er bleibt eben rein..
Ob er mit erhobenen Händen die Sonne verehrt oder
nicht verehrt: er bleibt eben rein. Ob er des Abends
dreimal im Wasser untertaucht oder nicht unter-
taucht: er bleibt eben rein. Und warum? Weil,
Cundo, diese zehn verdienstvollen Wirkenfährten rein
sind und rein machen. Dem Wandel auf diesen zehn
verdienstvollen Wirkensfährten aber zufolge gibt es
die Himmelswesen, gibt es die Menschen und was
da sonst noch an glücklichen Stätten da ist.
,,Auf diese Worte sprach Cundo der Schmiede-
sohn also zum Erhabenen:
„Vortrefflich, o Ehrwürdiger! Vortrefflich, o
Ehrwürdiger! Gleichwie man, o Ehrwürdiger, das
Umgestürzte wieder aufrichten oder das Versteckte
enthüllen oder dem Verirrten den Weg weisen oder
in die Finsternis ein Licht halten möchte, damit, wer
Augen hat, die Dinge sehe: genau so wurde vom Er-
habenen auf mannigfache Weise das Gesetz beleuchtet.
— 470 —
ZEHNERBUCH X 177
Ich nehme meine Zuflucht zum Erhabenen, zum Ge-
setz und zur Mönchsgemeinde. Möge mich, o Ehr-
würdiger, der Erhabene von heute ab als einen An-
hänger betrachten, der zeitlebens seine Zuflucht ge-
nommen hat."
Totenopfer 177
Jänussoni der Brahmane sprach zum Erhabenen:
,,Wir Brahmanen, Herr Gotamo, spenden Gaben,
bringen Totenopfer dar, sprechend: »Möge diese Gabe
unseren abgeschiedenen Vettern und Blutsverwandten
zugute kommen! Mögen unsere abgeschiedenen Vettern
und Blutsverwandten diese Gabe verzehren!« Kommt
denn nun wirklich, Herr Gotamo, jene Gabe den ab-
geschiedenen Vettern und Blutsverwandten zugute?
Verzehren wirklich diese die Gaben?"
,,An geeignetem Orte, Brahmane, kommt sie ihnen
wohl zugute, nicht aber an einem ungeeigneten Orte."
,, Welches ist aber, Herr Gotamo, der geeignete
Ort, welches der ungeeignete Ort?"
,,Da, Brahmane, tötet einer, stiehlt, schreitet ge-
schlechtlich aus, lügt, ist ein Zwischenträger, redet
roh, plappert Unsinn, ist habgierig, grausam, gesinnt,
voll verkehrter Erkenntnis; und beim Zerfalle des
Leibes, nach dem Tode, erscheint er in der Hölle wieder.
Dort lebt er von der Nahrung der Höllenwesen, und
dadurch erhält er sich. Das, Brahmane, ist ein un-
geeigneter Ort, wo dem dort Verweilenden jene Gabe
nicht zugute kommt.
,,Da, Brahmane, tötet einer, stiehlt, schreitet ge-
schlechtlich aus, lügt, ist ein Zwischenträger, redet
— 471 —
X17? SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
roll, plappert Unsinn, ist habgierig, grausam gesinnt,
voll verkehrter Erkenntnis; und beim Zerfalle des
Leibes, nach dem Tode, erscheint er im Tierschoße
wieder. Dort lebt er von der Nahrung der im Tier-
schoße geborenen Wesen, und dadurch erhält er sich.
Auch das, Brahmane, ist ein ungeeigneter Ort, wo dem
dort Verweilenden jene Gabe nicht zugute kommt.
,,Da, Brahmane, steht einer ab vom Töten, Stehlen,
geschlechtlichem Ausschreiten, vom Lügen, der Zwi-
schenträgerei, von roher Rede und unsinnigem Plappern,
ist ohne Habgier, nicht grausam gesinnt, besitzt rechte
Erkenntnis; und beim Zerfalle des Leibes, nach dem
Tode, erscheint er unter den Menschen wieder. Dort
lebt er von der Nahrung der Menschen, und dadurch
erhält er sich. Auch das, Brahmane, ist ein ungeeig-
neter Ort, wo dem dort Verweilenden die Gabe nicht
zugute kommt.
,,Da, Brahmane, steht einer ab vom Töten, Stehlen,
geschlechtlichem Ausschreiten, vom Lügen, der Zwi-
schenträgerei, von roher Rede und unsinnigem Plap-
pern, ist ohne Habgier, nicht grausam gesinnt, besitzt
rechte Erkenntnis; und beim Zerfalle des Leibes, nach
dem Tode, erscheint er unter den Himmelswesen wieder.
Dort lebt er von der Nahrung der Himmelswesen, und
dadurch erhält er sich. Auch das, Brahmane, ist ein
ungeeigneter Ort, wo dem dort Verweilenden die Gabe
nicht zugute kommt.
,,Da, Brahmane, tötet einer, stiehlt, schreitet ge-
schlechtlich aus, lügt, ist ein Zwischenträger, redet
roh, plappert Unsinn, ist habgierig, grausam gesinnt,
voll verkehrter Erkenntnis; und beim Zerfalle des
Leibes, nach dem Tode, erscheint er im Gespenster-
— 472 —
ZEHNERBUCH X 177
Teiche wieder. Dort lebt er von der Nahrung der
Wesen des Gespensterreiches, und dadurch erhält er
sich. Und was ihm hier seine Freunde, Gefährten,
Vettern und Blutsverwandte spenden, davon zehrt er,
dadurch erhält er sich. Das nun, Brahmane, ist der
geeignete Ort, wo dem dort Verweilenden jene Gabe
zugute kommt."
,,Wenn nun aber, Herr Gotamo, der abgeschiedene
Vetter oder Blutsverwandte nicht an jenem Orte
wiedererscheint, wer verzehrt dann jene Gabe?"
,,Auch andere abgeschiedene Vettern und Bluts-
verwandte, Brahmane, sind an jenem Orte wieder-
erschienen."
,,Wenn nun aber, Herr Gotamo, weder jener
Vetter oder Blutsverwandte noch irgend ein anderer
Vetter oder Blutsverwandte dort wiedererschienen ist,
wer verzehrt dann jene Gabe?"
,, Unmöglich ist es, Brahmane, kann nicht sein,
daß jener Ort in dieser langen Zeit von abgeschiedenen
Vettern und Blutsverwandten unbewohnt bleiben
sollte. Übrigens aber, Brahmane, bleibt auch der
Geber nicht ohne Lohn."
,,So verspricht wohl Herr Gotamo selbst an un-
geeignetem Orte einen Erfolg?"
,, Selbst an ungeeignetem Orte, Brahmane, sage
ich, tritt ein Erfolg ein.
,,Da, Brahmane, tötet einer, stiehlt, schreitet ge-
schlechtlich aus, lügt ist ein Zwischenträger, redet
roh, plappert Unsinn, ist habgierig, grausam gesinnt,
voll verkehrter Erkenntnis. Er versieht Asketen und
Priester mit Speise und Trank, Kleidung, Wagen,
Blumen, Spezereien, Salben, Lager, Wohnung und
— 473 —
X17? SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Beleuchtung. Beim Zerfalle des Leibes nun, nach dem
Tode, erscheint er unter den Elefanten, Pferden, Rin-
dern oder Hunden wieder. Dort aber werden ihm
Speise und Trank, sowie Blumen und mancherlei
Schmuck zuteil. Weil er nämlich hier dem Töten er-
geben war, dem Stehlen, geschlechtlichem Ausschreiten,
Lügen, der Zwischenträgerei, der rohen Rede, dem
unsinnigen Plappern, der Habgier, grausamer Gesin-
nung und verkehrter Erkenntnis, darum ist er dort
wiedererschienen. Weil er aber Asketen und Priester
mit Speise und Trank, Kleidung, Wagen, Blumen,
Spezereien, Salben, Lager, Wohnung und Beleuchtung
versehen hat, darum werden ihm dort Speise und
Trank, sowie Blumen und mancherlei Schmuck zuteil.
,,Da, Brahmane, steht einer ab vom Töten,
Stehlen, geschlechtlichem Ausschreiten, vom Lügen,
von Zwischenträgerei, von roher Rede, und unsinnigem
Plappern, ist ohne Habgier, nicht grausam gesinnt,
besitzt rechte Erkenntnis. Und er versieht Asketen
und Priester mit Speise und Trank, Kleidung, Wagen,
Blumen, Spezereien, Salben, Lager, Wohnung und
Beleuchtung. Beim Zerfalle des Leibes nun, nach dem.
Tode, erscheint er unter den Menschen oder unter den
Himmelswesen wieder. Dort werden ihm die mensch-
lichen oder himmlischen Sinnenfreuden zuteil. Weil
er nämlich hier abgestanden hat vom Töten, Stehlen,
geschlechtlichem Ausschreiten, vom Lügen, von Zwi-
schenträgerei, roher Rede und unsinnigem Plappern
und ohne Habgier war, nicht grausam gesinnt und
rechte Erkenntnis besaß, darum ist er dort wieder-
erschienen. Weil er aber Asketen und Priester mit
Speise und Trank, Kleidung, Wagen, Blumen, Speze-
- 474 -
ZEHNERBUCH X 171
reien, Salben, Lager, Wohnung und Beleuchtung ver-
sehen hat, darum werden ihm dort die menschlichen
oder himmlischen Sinnenfreuden zuteil.
„Also auch der Geber, Brahmane, bleibt nicht
ohne Lohn."
„Wunderbar, Herr Gotamo! Erstaunlich, Herr
Gotamo! Wie es doch da so richtig ist, Gaben zu
spenden, so richtig ist Totenopfer zu bringen, da selbst
der Geber nicht ohne Lohn bleibt."
„So ist es, Brahmane. Auch der Geber bleibt
nicht ohne Lohn."
„Vortrefflich, Herr Gotamo! Vortrefflich, Herr
Gotamo! Ich nehme meine Zuflucht zum Herrn Go-
tamo, zum Gesetze und zur Jüngerschaft. Möge
mich der Herr Gotamo als Anhänger betrachten, der
von heute ab zeitlebens Zuflucht genommen hat."
— 475 —
X188 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
ACHTZEHNTER TEIL:
Das Kapitel des Guten
178—188 Zweierlei Gesetze
Was, ihr Mönche, ist das Böse, — Unedle, —
Schuldvolle, — Unheilsame, — das unrechte Gesetz,
— das befleckte, — tadelige, — qualbringende, —
aufschichtende, — leiderzeugende, — leidgebärende
Gesetz? —
Töten, Stehlen, geschlechtliches Ausschreiten, Lüge,
Zwischenträgerei, rohe Rede, unsinniges Plappern,
Habgier, übelwollende Gesinnung und verkehrte Er-
kenntnis.
Was aber, ihr Mönche, ist das Gute, — Edle, —
Verdienstvolle, — Heilsame, — das rechte Gesetz, —
das unbefleckte, — untadelige, — quallose, — ab-
schichtende, — glückerzeugende, — glückgebärende
Gesetz?
Abstehen vom Töten, Stehlen, geschlechtlichem
Ausschreiten, von der Lüge, von Zwischenträgerei, roher
Rede, unsinnigem Plappern, Begierlosigkeit, wohl-
wollende Gesinnung und rechte Erkenntnis.
476 —
ZEHNERBUCH X 198
NEUNZEHNTER TEIL:
Das Kapitel des edlen Pfades
Zweierlei Pfade 189-198
Was, ihr Mönche, ist der unedle Pfad, — der
finstere Pfad, — das schlechte Gesetz, — das Gesetz
der schlechten Menschen, — das nicht aufzurichtende,
— nicht zu befolgende, — nicht zu entfaltende, —
nicht großzuziehende, — nicht zu beachtende, nicht —
zu verwirklichende Gesetz?
Töten, Stehlen, geschlechtliches Ausschreiten, Lüge,
rohe Rede, unsinniges Plappern, Habgier, übelwollende
Gesinnung und verkehrte Erkenntnis.
Was aber, ihr Mönche, ist der edle Pfad, — der
lichte Pfad, — das gute Gesetz, — das Gesetz der
guten Menschen, — das aufzurichtende, — zu befol-
gende, — zu entfaltende, — großzuziehende, — zu
beachtende, — zu verwirklichende Gesetz?
Abstehen vom Töten, Stehlen, geschlechtlichem
Ausschreiten, von der Lüge, von Zwischenträgerei.
roher Rede, unsinnigem Plappern, Begierlosigkeit,
wohlwollende Gesinnung und rechte Erkenntnis.
- 477
X199 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
ZWANZIGSTER TEIL:
Das Kapitel der Menschen
^^^ Der Umgang mit Menschen
Mit einem Menschen, ihr Mönche, dem zehn Er-
scheinungen anhaften, soll man nicht verkehren, —
umgehen, Gesellschaft pflegen; — soll ihn nicht ehren.
— Ohne Achtung ist er, — ohne Ergebung, — unver-
söhnlich, — unlauter, — bezwingt seinen Dünkel
nicht, — wächst nicht in Einsicht, — erwirkt sich
große Schuld. Welches aber sind diese zehn Erschei-
nungen?
Töten, Stehlen, geschlechtliches Ausschreiten, Lüge,
Zwischenträgerei, rohe Rede, unsinniges Plappern,
Habgier, übelwollende Gesinnung und verkehrte Er-
kenntnis.
Mit einem Menschen, ihr Mönche, bei dem zehn
Erscheinungen anzutreffen sind, soll man verkehren,
— umgehen, — Gesellschaft pflegen, — soll ihn ehren.
— Voll Achtung ist er, — voll Ergebung, — versöhn-
lich, — lauter, — bezwingt seinen Dünkel, — wächst
in Einsicht, — erwirkt sich großes Verdienst. Welches
aber sind diese zehn Erscheinungen?
Abstehen vom Töten, Stehlen, geschlechtlichem
Ausschreiten, von der Lüge, von Zwischenträgerei,
roher Rede, unsinnigem Plappern, Begierlosigkeit,
wohlwollende Gesinnung und rechte Erkenntnis.
— 478
ZEHNERBUCH X 204
EINUNDZWANZIGSTER TEIL:
Das Kapitel des stofflichen Körpers
Zweierlei Wirkensfährten 200—203
Der mit zehn Dingen Behaftete, ihr Mönche, —
ob Mann oder Weib, Anhänger oder Anhängerin, —
verfällt seinem Wirken entsprechend der Hölle. Und
welches sind diese zehn Dinge?
Töten, Stehlen, geschlechtliches Ausschreiten,
Lüge, Zwischenträgerei, rohe Rede, unsinniges Plap-
pern, Habgier, übelwollende Gesinnung und ver-
kehrte Erkenntnis.
Der mit zehn Dingen aber Ausgestattete, ihr
Mönche, — ob Mann oder Weib, Anhänger oder An-
hängerin, — gelangt seinem Wirken entsprechend zum
Himmel. Und welches sind diese zehn Dinge?
Abstehen vom Töten, Stehlen, geschlechtlichem
Ausschreiten, von der Lüge, von Zwischenträgerei,
roher Rede, unsinnigem Plappern, Begierlosigkeit,
wohlwollende Gesinnung und rechte Erkenntnis.
— Mit diesen zehn Dingen ausgestattet, ihr Mönche, 201
lebt die Anhängerin ohne Befangenheit im Hause.
Das Gesetz der Wiedergeburt 205
Den Weg des Verkriechens will ich euch weisen,
ihr Mönche, und den Weg des Gesetzes.
— 479 —
X204 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Was aber, ihr Mönche, ist der Weg des Verkrie-
chens und was der Weg des Gesetzes? Eigner und
Erben ihrer Taten, o Mönche, sind die Wesen, ihren
Taten entsprossen, mit ihnen verknüpft, haben sie
zur Zuflucht und werden die guten und bösen Taten,,
die sie tun, zum Erbe haben.
Da, ihr Mönche, bringt einer Lebendes um, stiehlt^
verübt geschlechthche Ausschreitungen, lügt, ist ein
Zwischenträger, redet roh, plappert Unsinn, ist hab-
gierig, grausam gesinnt, voll verkehrter Erkenntnis.
Und er verkriecht sich in Werken, verkriecht sich in
Worten, verkriecht sich in Gedanken; versteckt sind
seine Taten in Werken, versteckt seine Taten in Worten,,
versteckt seine Taten in Gedanken, versteckt seine
Wege und Ziele, Wer aber Versteckte Wege und Ziele
verfolgt, der, sage ich, hat einen von diesen beiden
Ausgängen zu erwarten: eine äußerst qualvolle Hölle
oder den Tierschoß der Kriechtiere.
Was aber, ihr Mönche, gilt da als der Tierschoß
der Kriechtiere? Schlangen, Skorpione, Hundert-
füßler, Mungos, Katzen, Mäuse, Eulen oder was es da
sonst noch an Wesen gibt, die sich beim Anblicke der
Menschen verkriechen. So, ihr Mönche, steht es mit
der Wiedergeburt der Wesen: danach, was sie tun,
werden" sie wiedergeboren, und wiedergeboren treffen
sie die Eindrücke. Darum sage ich, ihr Mönche, sind
die Wesen die Erben ihrer Werke.
Eigner und Erben ihrer Taten, o Mönche, sind
die Wesen, ihren Taten entsprossen, mit ihnen ver-
knüpft, haben sie zur Zuflucht und werden die guten
und bösen Taten, die sie tun, zum Erbe haben.
Da, ihr Mönche, steht einer ab vom Töten, Stehlen,
— 480 —
ZEHNERBUCH X206
geschlechtlichem Ausschreiten, vom Lügen, von Zwi-
schenträgerei, roher Rede und unsinnigem Plappern,
ist ohne Habgier, wohlwollend gesinnt und voll rechter
Erkenntnis. Er verkriecht sich nicht in Worten, ver-
kriecht sich nicht in Werken, verkriecht sich nicht in
Gedanken. Aufrichtig sind seine Taten in Werken,
aufrichtig seine Taten in Worten, aufrichtig seine
Taten in Gedanken, aufrichtig seine Wege und Ziele.
Wer aber, ihr Mönche, aufrichtige Wege und Ziele
verfolgt, der, sage ich, hat einen von diesen beiden
Ausgängen 7u erwarten: einen äußerst glücklichen
Himmel oder Wiedergeburt in einem vornehmen Ge-
schlechte, einem mächtigen Adelsgeschlechte, einem
mächtigen Brahmanengeschlechte, oder einem mäch-
tigen Bürgergeschlechte, das wohlhabend ist, reich-
begütert, hochvermögend, reich an Silber und Gold,
Hab und Gut, Geld und Getreide. So, ihr Mönche,
steht es mit der Wiedergeburt der Wesen: danach,
was sie tun, werden sie wiedergeboren, und wieder-
geboren treffen sie die Eindrücke. Darum sage ich,
ihr Mönche, sind die Wesen die Erben ihrer Werke.
Eigner und Erben ihrer Taten, o Mönche, sind
die Wesen, ihren Taten entsprossen, mit ihnen ver-
knüpft, haben sie zur Zuflucht und werden die guten
und bösen Taten, die sie tun, zum Erbe haben.
Das, ihr Mönche, ist der Weg des Verkriechens
und der Weg des Gesetzes.
Die Tatenversiegung ^ 206
Nicht, sage ich, ihr Mönche, gelangen die ge-
wollten, gewirkten, aufgeschichteten Taten zur Ver-
_ 481 — 31
X206 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
siegung, solange man sie noch nicht ausgewirkt hat,
sei es in diesem, dem nächsten oder einem späteren
Leben. Und nicht, sage ich, kann man dem Leiden ein
Ende machen, bevor nicht die gewollten, gewirkten,
aufgeschichteten Taten versiegt sind.
Hier nun aber, ihr Mönche, ist die dem schuld-
vollen Willen entsprungene, leiderzeugende, leid-
gebärende, verderbliche Abirrung dreifach in Werken,
vierfach in Worten und dreifach in Gedanken. Wegen
der dem schuldvollen Willen entsprungenen, leid-
erzeugenden, leidgebärenden, verderblichen dreifachen
Abirrung in Werken, vierfachen Abirrung in Worten
und dreifachen Abirrung in Gedanken, gelangen die
Wesen beim Zerfalle des Leibes, nach dem Tode, auf
den Abweg, eine Leidensfährte, in verstoßene Welt,
zur Hölle.
Gleichwie nämlich, ihr Mönche, wenn man einen
vollkommenen Würfel in die Luft wirft, derselbe, wohin
er auch fällt, stets fest stehen bleibt: ebenso auch, ihr
Mönche, gelangen wegen der dem schuldvollen Willen
entsprungenen, leiderzeugenden, leidgebärenden, ver-
derblichen dreifachen Abirrung in Werken, vierfachen
Abirrung in Worten und dreifachen Abirrung in Ge-
danken die Wesen beim Zerfalle des Leibes, nach dem
Tode, auf den Abweg, eine Leidensfährte, in ver-
stoßene Welt, zur Hölle.
Nicht, sage ich, ihr Mönche, gelangen die gewollten,
gewirkten, aufgeschichteten Taten zur Versiegung, so-
lange man sie noch nicht ausgewirkt hat, sei es in
diesem, dem nächsten oder einem späteren Leben.
Und nicht, sage ich, kann man dem Leiden ein Ende
— 482 —
SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN X 206
machen, bevor nicht die gewollten, gewiri<ten, aufge-
schichteten Taten versiegt sind.
Hier nun, ihr Mönche, ist die dem verdienstvollen
Willen entsprungene, glückerzeugende, glückgebärende
Errungenschaft dreifach in Werken, vierfach in Worten
und dreifach in Gedanken. Wegen der dem verdienst-
vollen Willen entsprungenen, glückerzeugenden, glück-
gebärenden dreifachen Errungenschaft in Werken, vier-
fachen Errungenschaft in Worten und dreifachen Er-
rungenschaft in Gedanken gelangen die Wesen beim
Zerfalle des Leibes, nach dem Tode, auf glückliche
Fährte, in himmlische Welt.
Gleichwie nämlich, ihr Mönche, wenn man einen
vollkommenen Würfel in die Luft wirft derselbe, wohin
er auch fällt, stets fest stehen bleibt: ebenso auch,
ihr Mönche, gelangen wegen der dem verdienstvollen
Willen entsprungenen, glückerzeugenden, glückgebären-
den dreifachen Errungenschaft in Werken, vierfachen
Errungenschaft in Worten und dreifachen Errungen-
schaft in Gedanken die Wesen bei der Auflösung des
Körpers, nach dem Tode, auf glückliche Fährte, in
himmlische Welt.
Nicht sage ich, ihr Mönche, gelangen die ge-
wollten, gewirkten, aufgeschichteten Taten zur Ver-
siegung, solange man sie noch nicht ausgewirkt hat,
sei es in diesem, dem nächsten oder einem späteren
Leben. Und nicht, sage ich, kann man dem Leiden
«in Ende machen, bevor nicht die gewollten, gewirkten,
aufgeschichteten Taten versiegt sind.
- 483 - 3r
X208 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Läuterung durch die vier unermeßlichen Gebiete
,, Nicht sage ich, ihr Mönche, gelangen die ge-
wollten, gewirkten, aufgeschichteten Taten zur Ver-
siegung, solange man sie noch nicht ausgewirkt hat,
sei es in diesem, dem nächsten oder einem späteren
Leben. Und nicht, sage ich, kann man dem Leiden
ein Ende machen, bevor nicht die gewollten, gewirkten,
aufgeschichteten Taten versiegt sind.
,,Der edle Jünger aber, ihr Mönche, frei von Be-
gierde, frei von Groll, unverblendet, geistesklar und
besonnen, durchstrahlt mit liebevollem Gemüte erst
eine Richtung, dann eine zweite, dann die dritte, dann
die vierte, ebenso nach oben, unten und rings herum;
und überall in allem sich wiedererkennend durchstrahlt
er die ganze Welt mit liebevollem Gemüte, mit weitem,
erhabenen, unbeschränktem Gemüte, frei von Gehässig-
keit und Groll. Und er erkennt: »Früher war dies
mein Gemüt beschränkt und unentfaltet. Nunmehr
aber ist mein Gemüt unbeschränkt und wohl entfaltet,
und keine beschränkte Tat irgendwie wird darin zurück-
bleiben, darin verharren.
,,Was meint ihr, ihr Mönche: wenn da ein Knabe
schon von frühester Kindheit an die gemütserlösende
Liebe entfalten würde, möchte er dann wohl noch
böse Taten verüben?"
,, Gewiß nicht, o Ehrwürdiger."
,,Wenn er nun aber keine bösen Taten verübt, wird
ihn da wohl Leiden treffen?"
,, Gewiß nicht, o Ehrwürdiger. Wie sollte wohl
einen, der keine böse Tat verübt, Leiden treffen? "
„Die Liebe, ihr Mönche, die gemüterlösende, sollte
— 484 —
ZEHNERBUCH
man entfalten, einerlei ob Mann oder Weib. Nicht
vermag, ihr Mönche, Mann oder Weib beim Abscheiden
-diesen Körper mit sich zu nehmen; der Sterbliche, ihr
Mönche, hat den Geist als Zwischenglied. Jener aber
weiß: »Was immer ich da früher mit diesem stofflichen
Körper an bösen Taten verübt habe, das alles muß ''
ich hier noch auswirken und nichts davon wird nach-
folgen.« Auf diese Weise entfaltet, ihr Mönche, führt
die gemüterlösende Liebe zur »Niewiederkehrc (anä-
gämitä), sei es denn, daß der einsichtsvolle Mönch nicht
schon hier sich zu einer höheren Befreiung durchringt.
Der edle Jünger, ihr Mönche, frei von Begierde,
frei von Groll, unverblendet, geistesklar und be-
sonnen, durchstrahlt mit mitleidigem Gemüte, — mit
mitfreudigem Gemüte, — mit gleichmütigem Ge-
müte erst eine Richtung, dann eine zweite, dann die
dritte, dann die vierte, ebenso nach oben, unten und
rings herum; und überaH in allem sich wiedererkennend
durchstrahlt er die ganze Welt mit gleichmütigem Ge-
müte, mit weitem, erhabenen, unbeschränktem Ge-
müte, frei von Gehässigkeit und Groll. Und er erkennt:
»Früher war dies mein Gemüt beschränkt und unent-
faltet. Nunmehr aber ist mein Gemüt unbeschränkt
und wohl entfaltet, und keine beschränkte Tat irgend-
wie wird darin zurückbleiben, darin verharren.
„Was meint ihr, ihr Mönche: wenn da ein Knabe
schon von frühester Kindheit an den gemüterlösenden
Oleichmut entfalten würde, möchte der dann wohl
-noch böse Taten verüben?"
„Gewiß nicht, o Ehrwürdiger."
,,Wenn er nun aber keine bösen Taten verübt,
wird ihn da wohl Leiden treffen?"
— 485 —
Xg09 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
,, Gewiß nicht, o Ehrwürdiger. Wie sollte wohl
einen, der keine böse Tat verübt, Leiden treffen?"
,,Den Gleichmut, ihr Mönche, den gemüterlösenden,,
sollte man entfalten, einerlei ob Mann oder Weib.
Nicht vermag, ihr Mönche, Mann oder Weib beim
Abscheiden diesen Körper mit sich zu nehmen; der
Sterbliche, ihr Mönche, hat den Geist als Zwischen-
glied. Jener aber weiß: »Was immer ich da früher mit
diesem stofflichen Körper an bösen Taten verübt habe,
das alles muß ich hier noch auswirken und nichts da-
von wird nachfolgen!« Auf diese Weise entfaltet, ihr
Mönche, führt der gemüterlösende Gleichmut zur
»Niewiederkehr<^ (anagämitä), sei es denn, daß der
einsichtsvolle Mönch nicht schon hier sich zu einer
höheren Befreiung durchringt."
209 Zweierlei Wandel
Ein Brahmane sprach zum Erhabenen:
,,Was ist wohl, Herr Gotamo, die Ursache, was
der Grund, daß da die einen Wesen beim Zerfalle des
Leibes, nach dem Tode, auf den Abweg gelangen, auf
eine Leidensfährte, in verstoßene Welt, zur Hölle?"
,, Infolge des ungesetzlichen, ungeraden Wandels,
Brahmane, gelangen da die einen Wesen beim Zer-
falle des Leibes, nach dem Tode, auf den Abweg, auf
eine Leidensfährte, in verstoßene Welt, zur Hölle."
,,Was aber, Herr Gotamo, ist die Ursache, was
der Grund, daß da die anderen Wesen beim Zerfalle
des Leibes, nach dem Tode, auf glückliche Fährte ge-
langen, in himmlische Welt?"
„Infolge des gesetzlichen, geraden Wandels, Brah-
— 486 —
ZEHNERBUCH
mane, gelangen da die anderen Wesen beim Zerfalle
des Leibes, nach dem Tode, auf glückliche Fährte, in
himmlische Welt."
Himmel und Hölle 210
Der mit zehn Dingen Behaftete, ihr Mönche, ge-
langt seinem Wirken entsprechend zur Hölle: mit
welchen zehn Dingen?
Er tötet, stiehlt, schreitet geschlechtlich aus, lügt,
ist ein Zwischenträger, redet roh, plappert Unsinn,
ist habgierig, grausam gesinnt, voll verkehrter Er-
kenntnis.
Der mit folgenden zehn Dingen aber Ausgestattete,
ihr Mönche, gelangt seinem Wirken entsprechend zum
Himmel: mit welchen zehn Dingen?
Er steht ab vom Töten, Stehlen, geschlechtlichen
Ausschreiten, vom Lügen, Zwischenträgerei, roher
Rede und unsinnigem Plappern, ist begierdelos, wohl-
wollend gesinnt, voll rechter Erkenntnis.
Der mit zwanzig Dingen Behaftete, ihr Mönche, 211
gelangt seinem Wirken entsprechend zur Hölle: mit
welchen zwanzig Dingen?
Er selber tötet, und zum Töten regt er die Anderen
an. Er selber stiehlt, — schreitet geschlechtlich aus,
— lügt, — ist ein Zwischenträger, — redet roh, —
plappert Unsinn, — ist habgierig, — grausam gesinnt,
— voll verkehrter Erkenntnis, und zu verkehrter Er-
kenntnis regt er die Anderen an. —
Der mit dreißig Dingen Behaftete, ihr Mönche, 212
— 487 —
X213 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNON
gelangt seinem Wirken entsprechend zur Hölle: mit
welchen dreißig Dingen?
Er selber tötet, zum Töten regt er die Anderen
an, zum Töten gibt er seine Zustimmung. Er selber
stiehlt, — schreitet geschlechtlich aus, — lügt, — ist
ein Zwischenträger, — redet roh, — plappert Unsinn,
— ist habgierig, — grausam gesinnt, — voll verkehrter
Erkenntnis, zu verkehrter Erkenntnis regt er die
Anderen an, zu verkehrter Erkenntnis gibt er seine
Zustimmung. —
213 Der mit vierzig Dingen Behaftete, ihr Mönche,
gelangt seinem Wirken entsprechend zur Hölle: mit
welchen vierzig Dingen?
Er selber tötet, zum Töten regt er die Anderen
an, zum Töten gibt er seine Zustimmung, das Töten
lobt er. Er selber stiehlt, — schreitet geschlechtlich
aus, — lügt, — ist ein Zwischenträger, — redet roh,
— plappert Unsinn, — ist habgierig, — grausam ge-
sinnt, — voll verkehrter Erkenntnis, zu verkehrter
Erkenntnis regt er die Anderen an, zu verkehrter
Erkenntnis gibt er seine Zustimmung, verkehrte Er-
kenntnis lobt er.
Der mit folgenden vierzig Dingen aber Ausge-
stattete, ihr Mönche, gelangt seinem Wirken ent-
sprechend zum Himmel: mit welchen vierzig Dingen?
Er selber steht ab vom Töten, zum Abstehen vom
Töten regt er die Anderen an, zum Abstehen vom Töten
gibt er seine Zustimmung, das Abstehen vom Töten
lobt er. Er selber steht ab vom Stehlen, — geschlecht-
lichem Ausschreiten, — vom Lügen, — Zwischen-
trägerei, — roher Rede, — unsinnigem Plappern, —
- 488 —
ZEHNERBUCH X 219
ist begierdelos, — wohlwollend gesinnt, — voll rechter
Erkenntnis, zu rechter Erkenntnis regt er die Anderen
an, zu rechter Erkenntnis gibt er seine Zustimmung,
rechte Erkenntnis lobt er.
Der mit jenen Dingen Behaftete, ihr Mönche, 214 — 216
hält sein Herz versehrt und befleckt, — gelangt beim
Zerfalle des Leibes, nach dem Tode, auf den Abweg,
auf eine Leidensfährte, in verstoßene Welt, zur Hölle;
— und ein solcher ist als Tor zu betrachten.
Der mit diesen Dingen aber Ausgestattete, ihr
Mönche, hält sein Herz unversehrt und unbefleckt,
— gelangt beim Zerfalle des Leibes, nach dem Tode,
auf glückliche Fährte, in himmlische Welt; — und ein
solcher ist als Weiser zu betrachten.
Erlöschung 217— 21&
Zur Erkennung und völligen Durchschauung von
Gier, ihr Mönche, von Haß, Verblendung, Zorn, Wut,
Verkleinerungssucht, Neid, Geiz, Gleisnerei, Falsch-
heit, Hartnäckigkeit, Heftigkeit, Dünkel, Hochmut,
Eitelkeit und Nachlässigkeit und zu dieser Dinge
völligen Vernichtung, Überwindung, Versiegung, Er-
löschung, Abwendung, Zerstörung, Entsagung und
Loslösung hat man zehnerlei Dinge zu entfalten:
welche zehn?
Die Betrachtung der Unreinheit, die Betrachtung
des Todes, die Betrachtung des Ekels der Nahrung, die
Betrachtung der Reizlosigkeit der ganzen Welt, die
Betrachtung der Vergänglichkeit, die Betrachtung des
Leidens bei der Vergänglichkeit, die Betrachtung der
Wesenlosigkeit beim Leiden, die Betrachtung der Über-
- 489 -
X219 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGBN
Windung, die Betrachtung der Abwendung, die Be-
trachtung der Erlöschung.
Oder: die Betrachtung der Vergänglichkeit, die
Betrachtung der Wesenlosigkeit, die Betrachtung des
Ekels der Nahrung, die Betrachtung der Reizlosigkeit
der ganzen Welt, die Betrachtung eines Knochenge-
rüstes, die Betrachtung einer von Würmern zernagten
Leiche, die Betrachtung einer blauschwarz gefärbten
Leiche, die Betrachtung einer in Eiter übergegangenen
Leiche, die Betrachtung einer zerstückelten Leiche,
die Betrachtung einer aufgedunsenen Leiche,
Oder: rechte Erkenntnis, rechte Gesinnung, rechtes
Wort, rechtes Werk, rechtes Streben, rechtes Leben,,
rechte Achtsamkeit, rechte Sammlung, rechtes Wissea
und rechte Befreiung.
Ende des Zehnerbuches.
— 490 —
ELFERBUCH XI 6^
Das Elferbuch
ERSTER TEIL:
Das Kapitel der abhängigen Er-
scheinungen
Das Schicksal des Verleumders &
Unmöglich ist es, ihr Mönche, kann nicht sein,
daß ein Mönch, der seine Ordensbrüder verleumdet
und beschimpft, und die Edlen tadelt, nicht einer der
elf Arten des Mißgeschickes verfallen sollte: welcher elf?
Daß er das Unerreichte nicht erreicht, ihm das
Erreichte schwindet, er in dem guten Gesetze keine
Klarheit erlangt, hinsichtlich des guten Gesetzes voll
Dünkel ist, ohne Freude das Asketenleben führt, ein
beschmutzendes Vergehen verübt, die Askese aufgibt
und zum niederen Weltleben zurückkehrt, von schwerer
Krankheit heimgesucht wird, dem Wahnsinn und der
Geistesstörung verfällt, eines unruhigen Todes stirbt
oder beim Zerfalle des Leibes, nach dem Tode, auf
den Abweg gelangt, auf eine Leidensfährte, in ver-
stoßene Welt, zur Hölle.
Unmöglich ist es, ihr Mönche, kann nicht sein,
daß ein Mönch, der seine Ordensbrüder verleumdet und
beschimpft und die Edlen tadelt, nicht einer dieser
elf Arten des Mißgeschickes verfallen sollte.
— 491 —
XI 8 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
^ Losgelöste Sammlung
(1)
Der ehrwürdige Anando sprach zum ehrwürdigen
Säriputto:
,,Mag wohl, Bruder Säriputto, der Mönch eine
solche Sammlung erreichen, daß er angesichts der Erde
ohne Wahrnehmung der Erde ist, daß er angesichts
des Wassers ohne Wahrnehmung des Wassers ist, daß
er angesichts des Feuers ohne Wahrnehmung des
Feuers ist, daß er angesichts des Windes ohne Wahr-
nehmung des Windes ist, daß er angesichts des Ge-
bietes der Raumunendlichkeit ohne Wahrnehmung
des Gebietes der Raumunendlichkeit ist, daß er ange-
sichts des Gebietes der Bewußtseinsunendlichkeit ohne
Wahrnehmung der Bewußtseinsunendlichkeit ist, daß
er angesichts des Gebietes des Nichtdaseins ohne
Wahrnehmung des Gebietes des Nichtdaseins ist, daß
er angesichts des Gebietes der Weder-Wahrnehmung-
Noch-Nichtwahrnehmung ohne Wahrnehmung des Ge-
bietes der Weder-Wahrnehmung-Noch-Nichtwahrneh-
mung ist, daß er angesichts dieser Welt ohne Wahr-
nehmung dieser Welt ist, daß er angesichts jener Welt
ohne Wahrnehmung jener Welt ist, daß er angesichts
dessen, was er gesehen, gehört, empfunden, erkannt,
erreicht, gesucht, im Geiste erforscht hat, auch da
ohne Wahrnehmung ist, und daß er dennoch Wahr-
nehmung besitzt?"
„Ja, Bruder, Änando, wohl mag der Mönch eine
^ solche Sammlung erreichen."
„Wie aber, Bruder Säriputto, mag der Mönch eine
solche Sammlung erreichen?"
— 492 —
ELFERBUCH XI 8
,,Da, Bruder Änando, hat der Mönch die Wahr-
nehmung: »Dies ist der Friede, dies ist das Höchste,
nämlich das Ende aller Bildungen, die Loslösung von
allen Daseinssubstraten, die Versiegung des Durstes,,
die Abwendung, die Aufhebung, das Nirwahn!<< So,
Änando, mag der Mönch eine solche Sammlung er-
reichen, daß er angesichts der Erde ohne Wahrnehmung
der Erde ist, daß er angesichts des Wassers ohne Wahr-
nehmung des Wassers ist, daß er angesichts des Feuers
ohne Wahrnehmung des Feuers ist, daß er angesichts
des Windes ohne Wahrnehmung des Windes ist, daß
er angesichts des Gebietes der Raumunendlichkeit
ohne Wahrnehmung des Gebietes der Raumunendlich-
keit ist, daß er angesichts des Gebietes der Bewußt-
seinsunendlichkeit ohne Wahrnehmung der Bewußt-
seinsunendlichkeit ist, daß er angesichts des Gebietes
des Nichtdaseins ohne Wahrnehmung des Gebietes
des Nichtsdaseins ist, daß er angesichts des Gebietes
der Weder - Wahrnehmung - Noch - Nichtwahrnehmung
ohne Wahrnehmung des Gebietes der Weder-Wahr-
nehmung-Noch-Nichtwahrnehmung ist, daß er ange-
sichts dieser Welt ohne Wahrnehmung dieser Welt
ist, daß er angesichts jener Welt ohne Wahrnehmung
jener Welt ist, daß er angesichts dessen, was er ge-
sehen, gehört, empfunden, erkannt, erreicht, gesucht,
im Geiste erforscht hat, auch da ohne Wahrnehmung
ist, und daß er dennoch Wahrnehmung besitzt."
„Wunderbar ist es doch, o Bruder, erstaunlich
ist es, 0 Bruder, wie da hinsichtlich des höchsten Zieles
die Auslegung und der Wortlaut des Meisters mit der
Auslegung und dem Wortlaute seines Jüngers über-
einstimmt, sich deckt und nicht widerspricht. Ich
— 493 -
XI 9 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
hatte mich nämlich soeben, o Bruder, zum Erhabenen
hinbegeben und ihn um diese Sache befragt. Und
der Erhabene hat mir diese Sache in denselben Worten
und Ausdrijcken erklärt wie der ehrwürdige Säriputto.
Wunderbar ist es, o Bruder, erstaunlich ist es, o Bruder,
wie da hinsichtlich des höchsten Zieles die Auslegung
und der Wortlaut des Meisters mit der Auslegung und
dem Wortlaute seines Jüngers übereinstimmt, sich
deckt und nicht widerspricht."
^ Losgelöste Sammlung
(2)
Da, Anando, erwägt der Mönch: Dies ist der
Friede, dies ist das Höchste, nämlich das Ende aller
Bildungen, die Loslösung von allen Daseinssubstraten,
die Versiegung des Durstes, die Abwendung, die Auf-
hebung, das Nirwahn!« So, Anando, mag der Mönch
eine solche Sammlung erreichen, daß er nicht das
Auge erwägt, nicht die Form erwägt, nicht das Ohr
erwägt, nicht den Ton erwägt, nicht die Nase erwägt,
nicht den Duft erwägt, nicht die Tastempfindungen
erwägt, nicht die Erde, nicht das Wasser, nicht das
Feuer, nicht den Wind, nicht das Gebiet der Raum-
unendlichkeit, nicht das Gebiet der Bewußtseinsun-
endlichkeit, nicht das Gebiet des Nichtdaseins, nicht
das Gebiet der Weder-Wahrnehmung-Noch-Nichtwahr-
nehmung, weder diese Welt noch jene Welt, auch nicht
das, was er gesehen, gehört, empfunden, erkannt,
erreicht, gesucht, im Geiste erforscht hat, daß er aber
-dennoch Wahrnehmung besitzt.
— 494 —
ELFERBUCH XI 10
Das Sinnen der Edlen 10
(Bei Nätika in der Steinernen Wohnung]
Der Erhabene sprach zum ehrwürdigen Sandho:
„Wie die Edlen, o Sandho, sollt ihr sinnen, nicht
wie die Füllen.
,, Inwiefern aber, Sandho, sinnt man wie die Edlen?
Während, Sandho, das Füllen am Futtertroge ange-
bunden ist, sinnt es bloß über das Futter nach. Und
warum? Weil eben das am Futtertroge angebundene
Füllen nicht also nachdenkt: »Was wird mich wohl
heute der Rosselenker ausführen lassen? Werde ich
es ihm wohl gut genug machen?« Während es eben
am Futtertroge angebunden ist, sinnt es eben bloß über
das Futter nach. Ebenso auch, Sandho, hat sich da
ein junger Mensch in den Wald begeben, an den Fuß
eines Baumes oder in eine leere Behausung. Und im
Geiste von der Sinnenlust gefesselt, von der Sinnen-
lust verzehrt, verweilt er dort; und nicht weiß er der
Wirklichkeit gemäß, wie man der aufgestiegenen Sinnen-
lust entrinnt. Im Innern voller Sinnenlust sinnt er,
sinnt er hin, sinnt er her, sinnt er vor sich. Im Geiste
von Übelwollen gefesselt, — von Stumpfheit und
Mattigkeit gefesselt, — von Aufgeregtheit und Ge-
wissensunruhe gefesselt, — von Zweifelsucht gefesselt,
von Zweifelsucht verzehrt, verweilt er dort; und nicht
weiß er der Wirklichkeit gemäß, wie man dem aufge-
stiegenen Zweifel entrinnt. Im Innern voller Zweifel
sinnt er, sinnt er hin, sinnt er her, sinnt er vor sich.
Er sinnt über die Erde, sinnt über das Wasser, sinnt
über das Feuer, sinnt über den Wind, sinnt über das
Gebiet der Raumunendlichkeit, der Bewußtseinsun-
— 495 —
XI 10 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
endlichkeit, des Nichtdaseins und der Weder-Wahrneh-
mung-Noch-Nichtwahrnehmung, sinnt über diese Welt,
sinnt über jene Welt, sinnt über das, was er gesehen,
gehört, empfunden, erkannt, erreicht, gesucht und im
Geiste erforscht hat. So, Sandho, sinnt man wie die
Füllen.
„Wie aber, Sandho, sinnt man wie die Edlen?
Während, Sandho, das gute, edle Roß am Futtertroge
angebunden ist, sinnt es nicht über das Futter nach.
Und warum nicht? Weil eben das am Futtertroge an-
gebundene gute, edle Roß also nachdenkt: vWas wird
mich wohl heute der Rosselenker ausführen lassen?
Werde ich es ihm wohl gut genug machen ?<- Denn das
gute, edle Roß, Sandho, betrachtet die Anwendung
der Treibgerte als eine Schuld, eine Knechtung, eine
Schande, eine Niederlage. Ebenso auch, Sandho, hat
sich da ein guter, edler Mensch in den Wald begeben,
an den Fuß eines Baumes oder in eine leere Behausung.
Und im Geiste nicht gefesselt und verzehrt von der
Sinnenlust, — dem Übelwollen, — der Stumpfheit
und Mattigkeit, — der Aufgeregtheit und Gewissens-
unruhe, - der Zweifelsucht, verweilt er dort; und wohl
weiß er der Wirklichkeit gemäß, wie man dem auf-
gestiegenen Zweifel entrinnt. Nicht sinnt er über die
Erde, nicht über das Wasser, nicht über das Feuer,
nicht über den Wind, nicht über das Gebiet der Raum-
unendlichkeit, nicht über das Gebiet der Bewußtseins-
unendlichkeit, nicht über das Gebiet des Nichtdaseins,
nicht über das Gebiet der Weder-Wahrnehmung-Noch-
Nichtwahrnehmung, nicht über diese Welt, nicht über
jene Welt, auch sinnt er nicht über das, was er gesehen,
gehört, empfunden, erkannt, erreicht, gesucht und im
— 496 —
ELFERBUCH XI 10
Geiste erforscht hat, aber dennoch sinnt er. Dem also
sinnenden, guten edlen Menschen aber, Sandho, bringen
die Himmelswesen, mit Indra, Brahma und Pajäpati
an der Spitze, von Ferne ihre Verehrung dar:
Verehrung dir dem edlen Menschen,
Verehrung dir dem höchsten Herrn,
Von dem wir nicht erkennen können.
Worüber er im Geiste sinnt!«
Auf diese Worte sprach der ehrwürdige Sandho
also zum Erhabenen:
,,In welcher Weise aber, o Ehrwürdiger, sinnt
der gute, edle Mensch?"
„Der gute, edle Mensch, Sandho, hat die Wahr-
nehmung von Erde, Wasser, Feuer und Wind durch-
drungen, durchdrungen die Wahrnehmung des Ge-
bietes der Raumunendlichkeit, der Bewußtseinsunend-
lichkeit, des Nichtdaseins und der Weder-Wahrneh-
mung- Noch -NichtWahrnehmung, durchdrungen die
Wahrnehmung von dieser und jener Welt, durch-
drungen die Wahrnehmung von dem, was er gesehen,
gehört, empfunden, erkannt, erreicht, gesucht und im
Geiste erforscht hat. Also sinnend, Sandho, sinnt der
gute, edle Mensch nicht über die Erde, nicht über das
Wasser, nicht über das Feuer, nicht über den Wind,
nicht über das Gebiet der Raumunendlichkeit, nicht
über das Gebiet der Bewußtseinsunendlichkeit, nicht
über das Gebiet des Nichtdaseins, nicht über das Ge-
biet der Weder-Wahrnehmung-Noch-Nichtwahrneh-
mung, nicht über diese Welt, nicht über jene Welt,
auch sinnt er nicht über das, was er gesehen, gehört,
empfunden, erkannt, erreicht, gesucht und im Geiste
— 497 — 32
XI 11 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
erforscht hat, aber dennoch sinnt er. Dem also sinnen-
den, guten, edlen Menschen aber, Sandho, bringen die
Himmelswesen, mit Indra, Brahma, und^ajäpati an
der Spitze, von Ferne ihre Verehrung dar;
Verehrung dir dem edlen Menschen,
Verehrung dir dem höchsten Herrn,
Von dem wir nicht erkennen können.
Worüber er im Geiste sinnt!
11 Der Höchste
Einst weilte der Erhabene bei Räjagaha, im Pilger-
kloster an der Fütterungsstätte der Pfaue. Dort
wandte sich der Erhabene an die Mönche: ,, Mönche!"
sprach er. ,, Ehrwürdiger," erwiderten jene Mönche
dem Erhabenen. Und der Erhabene sprach:
Mit drei Eigenschaften ausgestattet, ihr Mönche,
hat der Mönch die höchste Vollendung erreicht, die
höchste Sicherheit, die höchste Heiligkeit, das höchste
Ziel und gilt als Erster unter Göttern und Menschen:
mit welchen drei Eigenschaften?
Mit dem kampfesledigen Sittlichkeitsgebiete,
dem kampfesledigen Sammlungsgebiete und dem
kampfesledigen Einsichtsgebiete.
Aber auch mit den ferneren drei Eigenschaften
ausgestattet, ihr Mönche, hat der Mönch die höchste
Vollendung erreicht: mit dem Wunder der magischen
Kraft, dem Wunder der Wahrsagung und dem Wun-
der der Belehrung.
Auch mit noch drei weiteren Eigenschaften aus-
gestattet, ihr Mönche, hat der Mönch die höchste Voll-
— 498 —
ELFERBUCH XI 11
endung erreicht: mit rechter Erkenntnis, rechtem
Wissen und rechter Befreiung.
Mit zwei Eigenschaften ausgestattet, ihr Mönche,
hat der Mönch die höchste Vollendung erreicht: mit
Wissen und Wandel. Mit diesen beiden Eigenschaften
ausgestattet, ihr Mönche, hat der Mönch die höchste
Vollendung erreicht, die höchste Sicherheit, die höchste
Heiligkeit, das höchste Ziel und gilt als erster unter
Göttern und Menschen.
Auch Sanahkumäro, (1) ihr Mönche, der Brahma
hat folgende Verse gesprochen:
»Der Adelsherr gilt als der Höchste,
Wo man der Kastenlehre folgt;
Doch gilt bei Gott und Mensch als Höchster,
Wer weise und voll Tugend ist.«
Jene Verse aber, ihr Mönche, hat Sunahkumäro
der Brahma richtig vorgetragen, nicht verkehrt vor-
getragen, richtig gesprochen, nicht verkehrt gesprochen;
und sie sind zweckmäßig, nicht zwecklos und haben
meinen Beifall. Denn auch ich, ihr Mönche, sage:
Der Adelsherr gilt als der Höchste,
Wo man der Kastenlehre folgt;
Doch gilt bei Gott und Mensch als Höchster,
Wer weise und voll Tugend ist.
(1) Sanankumära (Sanskrit: Sanatkumära), wörtl. der »ewige
Jüngling«, ist in der Hindumy thologie einer der vier Söhne Brahmaa.
— 499 — 32*
XI 13 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
ZWEITER TEIL:
Das Kapitel der Betrachtungen
13 Rechte Betrachtungen für Hausleute
(0
Einst weilte der Erhabene im Lande der Sakyer^
im Feigenkloster bei Kapilavatthu. Damals hatte sich
gerade Mahänämo der Sakyer von einer Krankheit
erhoben. Zu jener Zeit aber waren zahlreiche Mönche
damit beschäftigt, für den Erhabenen die Gewänder
anzufertigen, denn, wenn die Gewänder fertig sind,
wollte sich der Erhabene nach Ablauf der drei Regen-
monate auf eine Wanderung begeben. Der Sakyer
Mahänämo aber erfuhr dies und begab sich zum Er-
habenen. Dort angelangt begrüßte er ehrfurchtsvoll
den Erhabenen und setzte sich zur Seite nieder. Zur
Seite aber sitzend sprach er fum Erhabenen:
,, Erfahren habe ich, o Ehrwürdiger, daß zahl-
reiche Mönche damit beschäftigt sind, für den Er-
habenen die Gewänder anzufertigen, und daß der
Erhabene, wenn die Gewänder fertig sind, nach Ab-
lauf der drei Regenmonate auf eine Wanderung sich
begeben wolle. Die wir, o Ehrwürdiger, uns mit vieler-
lei Dingen beschäftigen, welche Beschäftigung ziemt
sich wohl für uns?" |
,, Recht so, recht so, Mahänämo! Gut steht es
euch edlen Söhnen an, daß ihr zum Vollendeten kommt
und ihn also befragt. Nur der Vertrauensvolle, Mahä-
nämo, macht Fortschritte, nicht der Vertrauenslose;
- 500 —
ELFERBUCH XI 13
nur der Willensstarke macht Fortschritte, nicht der
Träge; nur der Achtsame macht Fortschritte, nicht
der Unachtsame; nur der Gesammelte macht Fort-
schritte, nicht der Ungesammelte; nur der Einsichtige
macht Fortschritte, nicht der Einsichtslose. Sobald
du aber, Mahänämo, in diesen fünf Dingen gefestigt
bist, magst du außerdem noch sechs Dinge entfalten.
,,Da, Mahänämo, magst du des Vollendeten ge-
denken: »Dies ist der Erhabene, der Heilige, Voll-
kommen Erleuchtete, der im Wissen und Wandel
Vollendete, der Gesegnete, der Weltenkenner, der
höchste Lenker der zu bezähmenden Menschheit, der
Meister der Himrrielswesen und Menschen, der Er-
leuchtete, der Erhabene.« Zu einer Zeit aber, Mahänämo,
wo der edle Jünger des Vollendeten gedenkt, zu einer
solchen Zeit ist sein Geist weder durch Gier noch durch
Haß noch durch Verblendung besessen; und ange-
sichts des Erhabenen ist zu solcher Zeit sein Geist
aufgerichtet. Aufgerichteten Geistes aber, Mahänämo,
erlangt der edle Jünger Verständnis der Auslegung,
erlangt er Verständnis des Gesetzes, Freude am Ge-
setze. Im Erfreuten aber erwacht die Verzückung;
verzückten Herzens wird sein Inneres beruhigt; inner-
lich beruhigt empfindet er Glück; und des Glücklichen
Geist festigt sich. Beim Gehen, Mahänämo, magst du
diese Betrachtung üben; beim Stehen magst du sie
üben; beim Sitzen magst du sie üben; beim Liegen
magst du sie üben; während du deiner Beschäftigung
nachgehst, magst du sie üben; während du im Hause
voller Kinder wohnst, magst du sie üben.
,, Fernerhin, Mahänämo, magst du des Gesetzes
gedenken: »Wohl dargetan ist vom Erhabenen das Ge-
501 —
XI 13 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
setz, das ein sichtbares, unmittelbares Ergebnis zeitigt,
das einladende, zum Ziele führende, das jedem Ver-
ständigen verständlich ist«. —
,, Fernerhin, Mahänämo, magst du der Jünger-
schaft gedenken: »In Vollkommenheit wandelt die
Jüngerschaft des Erhabenen, in Aufrichtigkeit wandelt
die Jüngerschaft des Erhabenen, in Aufrichtigkeit
wandelt die Jüngerschaft des Erhabenen, auf dem
rechten Pfade wandelt die Jüngerschaft des Erhabenen,
in Pflichtentreue wandelt die Jüngerschaft des Er-
habenen, als da sind: die vier Paare und acht Arten
von Menschen. Diese Jüngerschaft des Erhabenen ist
würdig der Opfer, würdig der Gastfreundschaft, würdig
der Gaben, würdig des ehrfurchtsvollen Handgrußes,
ist in der Welt der beste Boden für verdienstvolle
Werke. —
,, Fernerhin, Mahänämo, magst du der eigenen
Sitten gedenken, der ungebrochenen, lückenlosen, un-
befleckten, ungetrübten, ungezwungenen, von den
Verständigen gepriesenen, den unbeeinflußten, zur
Sammlung hinführenden. —
,, Fernerhin, Mahänämo, magst du der eigenen
Freigebigkeit gedenken: »Wohl mir, gesegnet bin ich,
daß ich mitten unter der vom Laster des Geistes be-
sessenen Menschheit im Herzen vom schmutzigen
Geize befreit im Hause lebe, freigebig, mit offenen
Händen, voll Freude am Geben, den Bedürftigen
zugetan, im Austeilen von Gaben Freude empfindend!«
,, Fernerhin, Mahänämo, magst du der Himmels-
wesen gedenken: »Es gibt da die Himmelswesen der
Vier Großkönige, es gibt die Himmelswesen der Drei-
unddreißig, es gibt die Yamadewen, es gibt die Seligen
— 502 —
ELFERBUCH XI 13
Himmelswesen, es gibt die Schaffensfreudigen Himmels-
wesen, es gibt die über die Erzeugnisse Anderer ver-
fügenden Himmelswesen, und es gibt noch Himmels-
wesen außerdem. Jenes Vertrauen aber, mit dem aus-
gestattet, diese Himmelswesen, von hier abgeschieden,
dort wiedererschienen sind, solches Vertrauen eignet
auch mir. Jene Sittlichkeit, — jenes Wissen, — jene
Freigebigkeit, — jene Einsicht, mit der ausgestattet,
diese Himmelswesen, von hier abgeschieden, dort
wiedererschienen sind, solche Einsicht eignet auch
mir.« Zu einer Zeit aber, Mahänämo, wo der edle
Jünger des, ihm und jenen Himmelswesen eigenen
Vertrauens, der Sittlichkeit, des Wissens, der Frei-
gebigkeit und der Einsicht gedenkt, zu einer solchen
Zeit ist sein Geist weder durch Gier noch durch Haß
noch durch Verblendung besessen; und angesichts der
Himmelswesen ist zu solcher Zeit sein Geist aufgerichtet.
Aufgerichteten Geistes aber, Mahänämo, erlangt der
edle Jünger Verständnis der Auslegung, erlangt er
Verständnis des Gesetzes, Freude am Gesetze. Im
Erfreuten aber erwacht die Verzückung; verzückten
Herzens wird sein Inneres beruhigt; innerlich beruhigt
empfindet er Glück; und des Glücklichen Geist festigt
sich. Beim Gehen, Mahänämo, magst du diese Be-
trachtung üben; beim Stehen magst du sie üben; beim
Sitzen magst du sie üben; beim Liegen magst du sie
üben; während du deiner Beschäftigung nachgehst,
magst du sie üben; während du im Hause voller Kinder
wohnst, magst du sie üben.
— 503 —
XI 14 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
14 Rechte Betrachtungen für Hausleute
(2)
Einst weilte der Erhabene im Lande der Sakyer,
im Feigenkloster bei Kapilavatthu. Zu jener Zeit aber
beabsichtigte der Erhabene, in Sävatthi die Regen-
zeit anzutreten. Dies kam Nandiyo dem Sakyer zu
Ohren. Und Nandiyo der Sakyer sagte sich: »So laß
mich doch auch in Sävatthi die Regenzeit zubringen!
Dort werde ich mein Geschäft betreiben und dabei
von Zeit zu Zeit den Erhabenen besuchen können.«
Und der Erhabene trat in Sävatthi die Regenzeit an;
und auch Nandiyo der Sakyer nahm in Sävatthi seinen
Aufenthalt für die Regenzeit. Dort ging er seinem
Geschäfte nach und konnte dabei von Zeit zu Zeit
den Erhabenen besuchen.
Zu jener Zeit aber waren zahlreiche Mönche da-
mit beschäftigt, für den Erhabenen die Gewänder an-
zufertigen, denn, wenn die Gewänder fertig sind,
wollte sich der Erhabene, nach Ablauf der drei Regen-
monate, auf eine Wanderung begeben. Nandiyo der
Sakyer aber erfuhr dies und begab sich zum Erhabenen.
Dort angelangt begrüßte er ehrfurchtsvoll den Er-
habenen und setzte sich zur Seite nieder. Zur Seite
aber sitzend sprach er zum Erhabenen:
,, Erfahren habe ich, o Ehrwürdiger, daß zahlreiche
Mönche damit beschäftigt sind, für den Erhabenen
die Gewänder anzufertigen, und daß der Erhabene,
wenn die Gewänder fertig sind, nach Ablauf der drei
Regenmonate, auf eine Wanderung sich begeben
wolle. Die wir, o Ehrwürdiger, uns mit vielerlei Dingen
beschäftigen, welche Beschäftigung ziemt sich wohl
für uns?"
— 504 —
ELFERBUCH XI 14
„Recht so, recht so, Nandiyo! Gut steht es euch
edlen Söhnen an, daß ihr zum Vollendeten kommt und
ihn also befragt. Nur der Vertrauensvolle, Nändiyo,
macht Fortschritte, nicht der Vertrauenslose; nur der
Sittenhafte macht Fortschritte, nicht der Sittenlose;
nur der Willensstarke macht Fortschritte, nicht der
Träge; nur der Achtsame macht Fortschritte, nicht
der Unachtsame; nur der Gesammelte macht Fort-
schritte, nicht der Ungesammelte; nur der Einsichtige
macht Fortschritte, nicht der Einsichtslose. Sobald
du aber, Nandiyo, in diesen sechs Dingen gefestigt
bist, magst du außerdem noch fünf Dinge entfalten.
,,Da, Nandiyo, magst du des Vollendeten gedenken:
»Wahrlich, dies ist der Erhabene, der Heilige, Voll-
kommen Erleuchtete, der im Wissen und Wandel Voll-
kommene, der Gesegnete, der Weltenkenner, der Meister
der Himmelswesen und Menschen, der Erleuchtete,
der Erhabene!« So, Nandiyo, hast du in deinem Innern
die Achtsamkeit auf den Vollendeten zu richten.
,, Fernerhin, Nandiyo, magst du des Gesetzes
gedenken: »Wohl dargetan ist vom Erhabenen das
Gesetz, das ein sichtbares, unmittelbares Ergebnis
zeitigt, das einladende, zum Ziele führende, das jedem
Verständigen verständlich ist « So, Nandiyo, hast
du in deinem Innern die Achtsamkeit auf das Gesetz
zu richten.
,, Fernerhin, Nandiyo, magst du der edlen Freunde
gedenken: »Heil mir, wohl habe ich es getroffen, daß
mir solch mitfühlende, wohlwollende, edle Freunde als
Ermahner und Unterweiser beschieden sind!« So,
Nandiyo, hast du in deinem Innern die Achtsamkeit
auf deine edlen Freunde zu richten.
— 505 —
XI 14 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
„Fernerhin, Nandiyo, magst du der eigenen Frei-
gebigl<eit gedenken: »Wohl mir, gesegnet bin ich,
daß ich mitten unter der vom Laster des Gesetzes be-
sessenen Menschheit im Herzen vom schmutzigen
Geize befreit im Hause lebe, freigebig, mit offenen
Händen, voll Freude am Geben, den Bedürftigen zu-
getan, im Austeilen von Gaben Freude empfindend!«
So, Nandiyo, hast du in deinem Innern die Achtsam-
keit auf die Freigebigkeit zu richten.
„Fernerhin, Nandiyo, magst du der Himmelswesen
gedenken: »Jene Himmelswesen, die, jenseits der Ge-
meinschaft der von grobstofflicher Nahrung lebenden
Himmelswesen, in geistgezeugter Welt wiedererschienen
sind, jene sehen nichts mehr, was sie noch zu erfüllen
oder, was erfüllt, -sie noch zu entfalten hätten, genau
wie der Zeitloserlöste Mönch nichts mehr sieht, was er
noch zu erfüllen oder, was erfüllt, er noch zu entfalten
hätte«. So Nandiyo, hast du in deinem Innern die
Achtsamkeit auf die Freigebigkeit zu richten.
,,Mit diesen elf Eigenschaften aber ausgestattet,
Nandiyo, überwindet der edle Jünger die üblen, schuld-
vollen Erscheinungen, haftet nicht mehr daran. Gleich-
wie nämlich, Nandiyo, bei einem umgestülpten Topfe
das einmal herausgeflossene Wasser nicht mehr zu-
rückfließt, oder gleichwie das auf einem trockenen
Grasplatze ausgebrochene Feuer brennend vorwärts
treibt und nicht mehr zum Verbrannten zurückgeht:
ebenso auch, Nandiyo, überwindet der edle Jünger
die üblen, schuldvollen Erscheinungen, haftet nicht
mehr daran."
506 —
ELFERBUCH XI 16
Die Merkmale des Vertrauens 15
Der ehrwürdige Subhüti begab sich zusammen
mit dem Mönche Saddho (d. i. Vertrauensvoller) (1)
zum Erhabenen. Dort angelangt begrüßte er ehr-
furchtsvoll den Erhabenen und setzte sich zur Seite
nieder. Als er aber zur Seite da saß, sprach der Er-
habene also zum ehrwürdigen Subhüti:
,,Wer ist dieser Mönch, Subhüti?"
„Es ist Saddho, o Ehrwürdiger, eines vertrauens-
vollen Anhängers Sohn, der voll Vertrauen von Hause
in die Hauslosigkeit gezogen ist." (2)
„Sage, Subhüti, ist wohl der Mönch Saddho, des
vertrauensvollen Anhängers Sohn, der von Vertrauen
von Hause in die Hauslosigkeit gezogen ist, an den
Merkmalen des Vertrauens zu erkennen?"
„So ist es denn an der Zeit, Erhabener, so ist es
denn an der Zeit, Gesegneter, daß der Erhabene die
beim Vertrauensvollen anzutreffenden Merkmale des
Vertrauens darlege; denn dann werde ich wissen, ob
dieser Mönch an den Merkmalen des Vertrauens zu
erkennen ist oder nicht."
„So höre denn, Subhüti, und achte wohl auf meine
Worte!" „Ja, o Ehrwürdiger," erwiderte der ehrwürdige
Subhüti dem Erhabenen. Und der Erhabene sprach:
(1) Vielleicht ist Saddho hier nicht als Name sondern bloß
als Eigenschaft des Mönches aufzufassen, da man wohl sonst die
üblige Bezeichnimg »ehrwürdig« vor dem Namen erwarten sollte.
(2) Nach den Worten des Kommentars weiß der Erhabene recht
wohl, daß dieser der Sohn Anäthapindikos ist, der von seinem Onkel
die Weihe erhalten hat, und stellt bloß deshalb die Frage, um von
dem Namen des Mönches ausgehend die Merkmale des Vertrauens-
vollen darzulegen.
— 507 —
.XI 16 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
„Da, Subhüti, ist der Mönch sittenhaft, lebt ge-
zügelt im Sinne der Ordenssatzung, ist vollkommen im
Wandel und Umgang, und vor den geringsten Ver-
gehen sich scheuend ijbt er sich in den auf sich ge-
nommenen Übungsregeln. Das, Subhüti, ist ein Merk-
mal des Vertrauens.
,, Fernerhin, Subhüti, ist der Mönch vvissensreich,
ein Träger des Wissens, hat sich ein großes Wissen
angesammelt. Auch das, Subhüti, ist ein Merkmal
des Vertrauens.
,, Fernerhin, Subhüti, hat der Mönch edlen Um-
gang, edle Gefährten, edle Genossen. Auch das, Sub-
hüti, ist ein Merkmal des Vertrauens.
,, Fernerhin, Subhüti, ist der Mönch versöhnlich,
mit versöhnenden Eigenschaften begabt, nachgiebig,
nimmt mit der rechten Beachtung eine Belehrung an.
Auch das, Subhüti, ist ein Merkmal des Vertrauens.
,, Fernerhin, Subhüti, ist der Mönch in allen den
großen und kleinen Pflichten gegen seine Ordens-
brüder tüchtig und eifrig, versteht sich dabei auf die
richtigen Mittel, zu handeln und anzuordnen. Auch
das, Subhüti, ist ein Merkmal des Vertrauens.
,, Fernerhin, Subhüti, besitzt der Mönch Liebe
zum Gesetze, ist höflich in der Unterhaltung und emp-
findet eine hohe Freude an dem erhabenen Gesetze und
der erhabenen Disziplin. Auch das, Subhüti, ist ein
Merkmal des Vertrauens.
,, Fernerhin, Subhüti, setzt der Mönch seine Willens-
kraft ein, um die schuldvollen Dinge zu überwinden,
die verdienstvollen Dinge aber zu erwecken, ist stand-
haft, von gestählter Kraft, nicht nachlässig im Guten.
Auch das, Subhüti, ist ein Merkmal des Vertrauens.
— .508 —
ELFERBUCH XI 11
„Fernerhin, Subhüti, wird der Mönch der vier
Vertiefungen, der geisterhebenden, zeitlich beglücl<en-
den, nach Wunsch, ohne Mühe und Anstrengung, teil-
haftig. Auch das, Subhüti, ist ein Merkmai des Ver-
trauens.
,, Fernerhin, Subhüti, erinnert sich der Mönch
mancher früheren Daseinsform. Auch das, Subhüti,
ist ein Merkmal des Vertrauens.
,, Fernerhin, Subhüti, erkennt der Mönch mit dem
Himmlischen Auge, dem geklärten, übermenschlichen,
wie die Wesen abscheiden und wiedererscheinen. Auch
das, Subhüti, ist ein Merkmal des Vertrauens.
Fernerhin, Subhüti, hat der Mönch, durch Ver-
siegung der Leidenschaften, schon bei Lebzeiten die
leidenschaftslose Gemütserlösung und Wissenserlösung
selber erkannt, verwirklicht und sich zu eigen ge-
macht. Auch das, Subhüti, ist ein Merkmal des Ver-
trauens.
Auf diese Worte sprach der ehrwürdige Subhüti
also zum Erhabenen:
,, Diese vom Erhabenen erklärten Merkmale des
Vertrauens, o Ehrwürdiger, finden sich an diesem
Mönche; und dieser Mönch ist daran zu erkennen."
„Gut, gut, Subhüti! So magst du denn mit diesem
vertrauensvollen Mönche zusammenleben; und wenn
du, Subhüti, den Vollendeten zu besuchen wünschest,
so magst du zusammen mit diesem vertrauensvollen
Mönche kommen."
- 509 —
XI 11 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
16 Der elflache Segen der Liebe
Hat man, ihr Mönche, die Liebe, die gemüterlö-
sende, gepflegt, entfaltet, häufig geübt, zur Triebfeder
und Grundlage gemacht, gefestigt, großgezogen und
zur rechten Vollendung gebracht, so hat man elf Vor-
teile zu erwarten: welche elf?
Man schläft friedlich, erwacht friedlich, hat keine
bösen Träume, ist den Menschen lieb, ist den über-
menschlichen Wesen lieb und die Engel schützen einen;
Feuer, Gift und Waffen haben einem nichts an; der
verworrene Geist sammelt sich, der Gesichtsausdruck
klärt sich, man hat einen ungetrübten Tod, und sollte
man nicht noch zu Höherem durchdringen, so wird
man in der Brahmawelt wiedergeboren. Hat man,
ihr Mönche, die Liebe, die gemüterlösende, gepflegt,
entfaltet, häufig geübt, zur Triebfeder und Grundlage
gemacht, gefestigt, großgezogen und zur rechten Voll-
endung gebracht, so hat man diese elf Vorteile zu er-
warten.
17 Die elf Tore des Todlosen
Einst weilte der ehrwürdige Anando im Bilvadorfe
bei Vesäli. Zu jener Zeit war gerade der Hausvater
Dasamo aus der Stadt Atthaka in irgend einer Ange-
legenheit in Pätajiputta eingetroffen. Und der Haus-
vater Dasamo begab sich zum Kukkutakloster, ging
auf einen der Mönche zu und sprach:
,,Wo, 0 Ehrwürdiger, weilt wohl jetzt der ehr-
würdige Änando? Ich möchte, o Ehrwürdiger, gerne
<len ehrwürdigen [_Anando besuchen."
— 510 —
ELFERBUCH XI17
,,Der ehrwürdige Änando, o Hausvater, weilt
gegenwärtig im Bilvadorfe bei Vesäli."
Nachdem nun der Hausvater Dasamo in Päfali-
putto seine Geschäfte erledigt hatte, begab er sich
zum Bilvadorfe bei Vesäli zum ehrwürdigen Änando.
Dort angelangt begrüßte er ehrfurchtsvoll den ehr-
würdigen Änando und setzte sich zur Seite nieder.
Zur Seite aber sitzend sprach der Hausvater Dasamo
also zum ehrwürdigen Änando:
„Wurde wohl, ehrwürdiger Änando, von Ihm,
dem Erhabenen, dem Kenner, dem Seher, dem Heiligen,.
Vollkommen Erleuchteten, ein Gesetz klar dargelegt,
wonach in dem Mönche, der unermüdlich, eifrig, selbst-
entschlossen verharrt, der noch unerlöste Geist erlöst
wird, die noch nicht geschwundenen Leidenschaften
zur Versiegung gelangen und er der bis dahin noch
unerreichten höchsten Sicherheit teilhaftig wird?"
,,Ja, 0 Hausvater."
„Welches aber, ehrwürdiger Änando, ist dieses
eine Gesetz?"
„Da, 0 Hausvater, gewinnt der Mönch, den Sinnen-
dingen entrückt, entrückt den schuldvollen Erschei-
nungen, die mit Sinnen und Nachdenken verbundene,
in der Entrückung geborene, von Verzückung und
Glückseligkeit erfüllte erste Vertiefung. Da überlegt
er bei sich: »Auch diese erste Vertiefung ist zusammen-
gesetzt, ist zusammengesonnen. Was immer aber
zusammengesetzt und zusammengesonnen ist, das ist
vergänglich und der Auflösung unterworfen.« So er-
kennt er. In solchem Zustande aber erreicht er die
Versiegung der Leidenschaften; wenn nicht, so er-
scheint er eben, da er noch jene Lust und Neigung zu
— 511 —
XI 17 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
den geistigen Dingen besitzt, nach Zerstörung der
fünf niederen Fesseln, in geistiger Weit wieder; und
dort erreicht er das Nirwahn, l<ehrt nicht mehr zurück
von jener Welt. Das, o Hausvater, ist ein Gesetz, wo-
nach in dem Mönche, der unermüdhch, eifrig, selbst-
entschiossen verharrt, der noch unerlöste Geist erlöst
wird, die noch nicht geschwundenen Leidenschaften
zur Versiegung gelangen und er der bis dahin noch
unerreichten höchsten Sicherheit teilhaftig wird.
,, Fernerhin, o Hausvater: da gewinnt der Mönch
nach Aufhebung des Sinnens und Nachdenkens die
zweite Vertiefung, — die dritte Vertiefung, — die
vierte Vertiefung, — durchstrahlt mit liebevollem —
mitleidigem — mitfreudigem — gleichmütigem Ge-
müte eine Richtung, dann eine zweite, dann eine dritte,
dann die vierte; und überall und in allem sich wieder-
erkennend durchstrahlt er die ganze Welt; — gewinnt
durch völlige Überwindung der Formwahrnehmungen
das Schwinden der Reflexwahrnehmungen und das
Nichtbeachten der Vielheitswahrnehmungen, in der
Vorstellung: »Unendlich ist der Raum«, das Gebiet
der Raumunendlichkeit; — gewinnt, durch völlige
Überwindung des Gebietes der Raumunendlichkeit, in
der Vorstellung: »Unendlich ist das Bewußtsein,« das
Gebiet der Bewußtseinsunendlichkeit; — gewinnt,,
durch völlige Überwindung des Gebietes der Bewußt-
seinsunendlichkeit, in der Vorstellung: »Nicht ist da«,
das Gebiet des Nichtdaseins. Da überlegt er bei sich:
»Auch diese Erreichung des Gebietes des Nichtdaseins
ist zusammengesetzt, ist zusammengesonnen. Was
immer aber zusammengesetzt und zusammengesonnen
ist, das ist vergänglich und der Auflösung unterworfen«.
— 512 —
ELFERBUCH XI 17
So erkennt er. In solchem Zustande aber erreicht er
die Versiegung der Leidenschaften; wenn nicht, so er-
scheint er eben, da er noch jene Lust und Neigung zu
den geistigen Dingen besitzt, nach Zerstörung der
fünf niederen Fesseln, in geistiger Welt wieder; und
dort erreicht er das Nirwahn, kehrt nicht mehr zurück
von jener Welt. Auch das, o Hausvater, ist ein Ge-
setz, wonach in dem Mönche, der unermüdlich, eifrig,
selbstentschlossen verharrt, der noch unerlöste Geist
erlöst wird, die noch nicht geschwundenen Leiden-
schaften zur Versiegung gelangen und er der bis dahin
unerreichten höchsten Sicherheit teilhaftig wird."
Auf diese Worte sprach der Hausvater Dasamo
also zum ehrwürdigen Änando:
„Gleichwie ein Mann, o Ehrwürdiger, der nach
einem verborgenen Schatze sucht, auf einmal elf
Schatzgruben entdecken sollte: ebenso auch, o Ehr-
würdiger, habe ich, der ich nach bloß einem Tore der
Todlosigkeit suchte, gleich elf Tore des Todlosen zu
wissen bekommen. Und gleichwie ein Mann, o Ehr-
würdiger, dessen Haus elf Tore besitzt, bei einem
Brande des Hauses sich durch irgend eines der Tore
retten kann: ebenso auch, o Ehrwürdiger, kann ich
mich durch irgend eines dieser elf Tore des Todlosen
retten. Jene Andersgläubigen, o Ehrwürdiger, möchten
für ihren Lehrer das Lehrgeld einsammeln. Warum
sollte da nicht auch ich dem ehrwürdigen Anando eine
Spende machen? Und der Hausvater Dasamo ließ
die in Vesäli weilende Mönchsschar zusammenkommen,
bewirtete und bediente sie eigenhändig mit auserlesenen
harten und weichen Speisen und beschenkte darauf
jeden der Mönche mit einem Paar Gewänder, den ehr-
— 513 — 33
XI 18 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Würdigen Änando aber mit einem Dreigewand und ließ
für den ehrwürdigen Änando für fünfiiundert Gold-
stücke ein Kloster erbauen.
18 Der Rinderhirt
Der Rinderhirt, ihr Mönche, der mit elf Eigen-
schaften behaftet ist, ist außerstande, die Rinderherde
zu hüten und zum Gedeihen zu bringen; mit welchen
elf Eigenschaften?
Da, ihr Mönche, kennt der Rinderhirt nicht die
Körperformen, versteht sich nicht auf die Erkennungs-
zeichen, entfernt nicht die Mückeneier, verbindet
nicht die Wunden, räuchert nicht, kennt nicht die
Tränke, kennt nicht den Trank, kennt nicht die Fährte,
versteht sich nicht auf die Weide, melkt ohne einen
Rest im Euter zu lassen, schenkt den Stieren, die der
Herde Väter und Leiter sind, keine besondere Achtung.
Ebenso auch, ihr Mönche, ist der mit elf Eigen-
schaften behaftete Mönch außerstande, es in diesem
Gesetze und dieser Disziplin zum Fortschritte, zum
Gedeihen und zur Größe zu bringen: mit welchen
elf Eigenschaften?
Da, ihr Mönche, kennt der Mönch nicht die körper-
lichen Formen, versteht sich nicht auf die Erkennungs-
zeichen, entfernt nicht die Mückeneier, verbindet nicht
die Wunden, räuchert nicht, kennt nicht die Tränke,
kennt nicht den Trank, kennt nicht die Fährte, ver-
steht sich nicht auf die Weide, melkt ohne einen Rest
im Euter zu lassen, schenkt jenen älteren, erfahrenen,
vor langer Zeit in die Hauslosigkeit gezogenen Mönchen,
— 514 —
ELFERBUCH XI 18
den Vätern und Leitern der Mönchsgemeinde, l<eine
besondere Achtung.
Wie aber, ihr Mönche, kennt der Mönch nicht die
körperlichen Formen? Da, ihr Mönche, weiß der
Mönch nicht der WirkHchkeit gemäß, daß alle körper-
liche Form, die es gibt, einbegriffen ist in den vier
Hauptstoffen und den von den vier Hauptstoffen ab-
hängigen Formen. So, ihr Mönche, kennt der Mönch
nicht die körperlichen Formen.
Wie aber, ihr Mönche, versteht sich der Mönch
nicht auf die Erkennungszeichen? Da, ihr Mönche,
weiß der Mönch nicht der Wirklichkeit gemäß, daß
an den Taten der Tor und der Weise zu erkennen ist.
So, ihr Mönche, versteht sich der Mönch nicht auf die
Erkennungszeichen.
Wie aber, ihr Mönche, entfernt der Mönch nicht
die Mückeneier? Da, ihr Mönche, duldet der Mönch
einen aufgestiegenen sinnlichen Gedanken, duldet einen
aufgestiegenen Haßgedanken, duldet einen aufgestie-
genen grausamen Gedanken, duldet die immer wieder
aufsteigenden üblen, schuldvollen Erscheinungen, über-
kommt sie nicht, vertreibt sie nicht, vernichtet sie
nicht, bringt sie nicht zum Schwinden. So, ihr Mönche,
entfernt der Mönch nicht die Mückeneier.
Wie aber, ihr Mönche, verbindet der Mönch nicht
die Wunden? Erblickt da, ihr Mönche, der Mönch
mit dem Auge eine Form, so haftet er am Ganzen, haftet
er an den Einzelheiten, und obgleich, bei unbewachtem
Auge, Begierde und Trübsal, üble, schuldvolle Er-
scheinungen in ihm eindringen möchten, wacht er
nicht darüber, hütet nicht das Auge, wacht nicht über
das Auge. Vernimmt er mit dem Ohre einen Ton, —
515 — 33*
SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
riecht er mit der Nase einen Duft, — schmeckt er mit
der Zunge einen Saft, — empfindet er mit dem Körper
ein Tastgefühl, so haftet er am Ganzen, haftet er an
den Einzelheiten; und obgleich, bei unbewachtem
Körper, Begierde und Trübsal, üble, schuldvolle Er-
scheinungen in ihn eindringen möchten, wacht er nicht
darüber, hütet nicht den Körper, wacht nicht über den
Körper. So, ihr Mönche, verbindet der Mönch nicht
die Wunden.
Wie aber, ihr Mönche, räuchert der Mönch nicht?
Da, ihr Mönche, weist der Mönch den anderen nicht
das Gesetz, so wie er es gehört und gelernt hat. So,
ihr Mönche, räuchert der Mönch nicht.
Wie aber, ihr Mönche, kennt der Mönch nicht die
Tränke? Da, ihr Mönche, begibt sich der Mönch nicht
von Zeit zu Zeit zu jenen wissensreichen Mönchen, die
mit dem Gesetze wohl vertraut sind, Träger des Ge-
setzes, Träger der Disziplin, Träger der Grundlagen
der Disziplin (1) und befragt sie nicht, ersucht sie
nicht um Aufklärung: »Wie hat man dies, o Ehr-
würdiger, zu verstehen? Was bedeutet dies?« Und
jene Ehrwürdigen enthüllen ihm nicht, was ihm noch
unverständlich ist, klären ihn nicht über das noch
Unaufgeklärte auf und lösen ihm in mancherlei zum
Zweifel Anlaß gebenden Punkten nicht seine Zweifel.
So, ihr Mönche, kennt der Mönch nicht die Tränke.
Wie aber, ihr Mönche, kennt der Mönch nicht den
Trank? Da, ihr Mönche, gewinnt der Mönch beim Vor-
trage des vom Vollendeten verkündeten Gesetzes und
seiner Disziplin kein Verständnis, für das Gesetz und
(1) Päli mätikä; es sind dies Listen der Grundbegriffe des
Vincaya.
— 516 —
ELFERBUCH XI 18
seine Auslegung, gewinnt keine Freude am Gesetze.
So, ihr Mönche, kennt der Mönch nicht den Trank,
Wie aber, ihr Mönche, kennt der Mönch nicht die
Fährte? Da, ihr Mönche, kennt der Mönch nicht der
Wirklichkeit gemäß den Edlen Achtfachen Pfad.
So, ihr Mönche, kennt der Mönch nicht die Fährte.
Wie aber, ihr Mönche, versteht sich der Mönch
nicht auf die Weide? Da, ihr Mönche, kennt der Mönch
nicht der Wirklichkeit gemäß die vier Grundlagen
der Achtsamkeit. So, ihr Mönche, versteht sich
der Mönch nicht auf die Weide.
Wie aber, ihr Mönche, melkt der Mönch ohne
einen Rest im Euter zu lassen? Wenn da, ihr Mönche,
vertrauensvolle Hausleute den Mönch bitten, von
ihnen Gewand, Almosenspeise, Lagerstatt wie die
nötigen Heilmittel und Arzneien entgegenzunehmen,
so kennt er da kein Maß im Annehmen. So, ihr Mönche,
melkt der Mönch, ohne einen Rest im Euter zu lassen.
Wie aber, ihr Mönche, schenkt der [Mönch jenen
älteren, erfahrenen, vor langer Zeit in die Hauslosig-
keit gezogenen Mönchen, den Vätern und Leitern der
Mönchsgemeinde, keine besondere Achtung? Da, ihr
Mönche, wartet ihnen der Mönch, ob bemerkt oder
unbemerkt, nicht auf mit liebevoller Tat in Werken,
Worten und Gedanken. So, ihr Mönche, schenkt
ihnen der Mönch keine besondere Achtung.
Der mit diesen elf Eigenschaften behaftete Mönch,
ihr Mönche, ist außerstande, es in diesem Gesetze und
dieser Disziplin zum Fortschritte, zum Gedeihen und
2ur Größe zu bringen.
Da aber, ihr Mönche, kennt der Mönch die körper-
lichen Formen, versteht sich auf die Erkennungszeichen,
517 —
XI 18 SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
entfernt die Mückeneier, verbindet die Wunden, räu-
chert, kennt die Tränke, kennt den Trank, kennt die
Fährte, versteht sich auf die Weide, läßt beim Melken
einen Rest im Euter, schenkt jenen älteren, erfahrenen,
vor langer Zeit in die Hauslosigkeit gezogenen Mönchen,
den Vätern und Leitern der Mönchsgemeinde, besondere
Achtung. Der mit diesen elf Eigenschaften ausgestattete
Mönch, ihr Mönche, ist wohl imstande, es in diesem
Gesetze und dieser Disziplin zum Fortschritte, zum
Gedeihen und zur Größe zu bringen.
— Er ist imstande, beim Auge in der Betrachtung
der Vergänglichkeit zu verweilen, in der Betrachtung
des Leidens, der Wesenlosigkeit, der Auflösung, des
Schwindens, der Abwendung, Aufhebung und Los-
lösung. Bei Auge, Ohr, Nase, Zunge, Körper und Geist,
bei den Formen, Tönen, Düften, Säften, Tastgegen-
ständen und Erscheinungen, bei dem Bewußtsein, den
Sinneneindrücken, den aus den Sinneneindrücken ent-
stehenden Gefühlen, den Wahrnehmungen, dem Willen,
dem Sinnen und Nachdenken: da ist er imstande, in
der Betrachtung der Vergänglichkeit zu verweilen,
in der Betrachtung des Leidens, der Wesenlosigkeit,
der Auflösung, des Schwindens, der Abwendung, Auf-
hebung und Loslösung.
Erlöschung
Zur Erkennung und völligen Durchschauung von
Gier, ihr Mönche, von Haß, Verblendung, Zorn, Wut,
Verkleinerungssucht, Neid, Geiz, Gleisnerei, Falsch-
heit, Hartnäckigkeit, Heftigkeit, Dünkel, Hochmut,
— 518 —
ELFERBUCH
Eitelkeit und Nachlässigkeit und zu dieser Dinge
völligen Vernichtung, Überwindung, Versiegung, Er-
löschung, Abwendung, Zerstörung, Entsagung und
Loslösung hat man elf Dinge zu entfalten: welche elf?
Die zweite Vertiefung, die erste Vertiefung, die
dritte Vertiefung, die vierte Vertiefung, die erlösende
Liebe, das erlösende Mitleid, die erlösende Mitfreude,
den erlösenden Gleichmut, das Gebiet der Raum-
unendlichkeit, das Gebiet der Bewußtseinsunendlich-
keit und das Gebiet des Nichtdaseins.
Ende des Elferbuches.
Schluß der Sammlung der Angliederungen.
519
ELFERBUCH
Anhang
Textkritische Anmerkungen
Sutten-
Nummer:
VIII
(Die Zahlen beziehen sich auf den Text der P. T. S.]
1 (4. Verszeile) Clough (Sinhalese Dictionary) gibt väja als sour
gruel, Böhtlingk-Roth als Speise, Opferspeise, sammäpäsa =
sammä (Sanskr. samyä, Stab, Klock, Bolzen) + apäsa (Wurf;
von apa + fas).
(7. Verszeile) Lies: na jinäti, von ]/jyä, unterdrücken, be-
rauben. Der Komm, hat: ,,na jänäti (sie!) = ,,na hänim
karoti", jäpaye ist das davon abgeleitete Causativ. Beide
Formen fehlen in Childers, Pali Dictionary.
(§ 10*) Unter sämanfia ist wohl hier nicht samana-bhäva,
wie Buddhaghosa meint, zu verstehen, sondern samäna-bhäva .
Desgl. ist bhävanäya hier nicht der Dat. zu bhävanä, sondern
zu bhävanarh.
S-A (§ 3—4) = Umkehrung von § 1—2.
7 Vollkommen wiedergegeben in 8, § 7 bis § 9.
8 (§ 63) P. T. S.: mayan c'aniie ca vmd die Variante: mayarii
mafifle.
10 (§ 32) kärandavo mvtß hier irgend eine Art Unkraut sein.
»Spreu« ist hier ausgeschlossen, wenigstens in der eigentlichen
Bedeutung dieses Wortes. Der Kommentar gibt die Bedeutvmg
kacavara. Vielleicht ist die in der Fußnote der P. T. S.'s Aus-
gabe angegebene Variante die richtige Lesart: käorandako =
kä -f- randa (Baum) + ko, elendes Bäumchen. Nach Böthlingk-
Roth ist Karanda, ebenso wie Kuranda, der Name für eine
bestimmte Pflanze.
(§ 5-) küthäripäsa bedeutet hier entweder den Rücken oder
Stiel der Axt.
(§ 5') daddara, ganz hohl, von dar(a)+dara (Höhlung.)
— 521 —
SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Sutten-
Nummer:
Ist indessen babbara = Sanskr. barbara (ßaQßaQog stammelnd,
kraus, übertr.: Fremdling, Barbar), die richtige Lesart, so
dürfte dies wohl die einzige, mir bekannte Stelle in Päli sein,
wo dieses Wort vorkommt. Im Päli kommt das Wort in der
Bedeutung von Barbar, meines Wissens, nicht vor.
11 (§ 10*) säraddha = sariiraddha (yrabh), gequält, auf-
gebracht.
12 (§ 11») Über paticca kammam gibt der Kommentar ver-
schiedene Auffassungen wieder: ,,Sväyam etam mamsarh pa-
ticca tarn pänavadhakammam phusati; tarn hi akusalaih upad-
dhaih däyakassa upaddham patiggähakassa hoti ti: tesam
laddhi. Aparo nayo: paticca-kamman 'ti attänam paticca
kataih. Atha vä: paticca kamman 'ti nimittakammass' etam
(Andeutung, Einverständnis) adhivacanam; tarii paticca-
kammaih ettha atthi ti mamsam pi paticcakamman 'ti vuttam."
(§ 1112) j)ies ist die einzige mir bekannte Stelle, wo ein
im Weltleben Stehender mit bhante angeredet wird.
13 (§ 2^3) ,,yävajivitapariyädänä ti yäva jivitassa maranena
pariyädänä" (Komm.). Wörtlich: „Bis zur Beendigung des
Lebens durch den Tod."
14 (§ 1-) Im Komm, zu III, 138 heißt es: „assakhalunke ti
assapote". Hier, wie X, 87 u. XI, 10, bildet assakhaluiika den
Gegensatz zu assäjäniya. Im IX, 22 aber werden drei Rosse-
grade aufgezählt: assakhaluhka, assasadassa imd assäjäniya,
von denen assakhaluhka dem Sotapan (,,idam dukkhan 'ti
yathäbhütam pajänäti") entspricht, d. i. dem Begüiner unter
den Ariyapuggalas, der den ersten Grad der Geschwindigkeit
erreicht hat. Childers gibt die Bedeutung: ,,a sort of horse".
Khalunka entspricht zweifellos einem Sanskrit-Diminutivum
kharu-ka, junges Pferd, Füllen, was sich auch mit dem Kom-
mentare zu III, 138 deckt. Betreffs der Einschiebung des
Nasals vgl. vakra = vahka, patha = pantha, sirisripa = sirim-
sapa usw.
(§ 3^) Lies mit Komm.: ,,paccälam khipati, kubbaraiii
hanti," was folgendermaßen erklärt wird: „Dve pacchimapäde
ukkhipitva, tehi paharitva, rathakubbaram bhindati." Über
die Ableitung von pacchala bin ich mir nicht recht klar,
— 522 —
ELFERBUCH
Sutten-
Nummer:
( § 14») Zu bähuvikkhepam vgl. bähu-utkshepam, mit
erhobenen Armen.
(§ 16*) Nach dem ersten 'mhi sollte wohl, genau genommen,
ti stehen, also: »n'eväham äpanno 'mhi« ti, na pan' »äham
äpanno 'mhi« ti.
16 (§ 2^) Komm. „Sota ti yassa säsanam deti, tassa (?) sota".
Statt tassa sollte wohl so stehen. Ferner: ,,sävetä 'ti tarn
ugganhitvä: idam näma tumhehi vuttan 'ti patisävetä.
(§ 3—4) = § 1—2, doch für bhikkhu steht Säriputto.
(1. Verszeile) Lies: vedhati.
(3. Verszeile) Lies: asandiddham. diddha = digdha ist
P. T. S. V. ydih, zweifeln, schwanken.
19 (§ 2*) äyatakena, Adv. (auf P. P. P. Vyam zurückgehend)
hat wohl dieselbe Bedeutung wie äyatayä, nämlich: plötzlich.
(§ 9") Der Text dürfte wohl hier lauten: timi, timihgilä,
timirigila-gilä, d. i. (eine Art) Walfische, Walfischfresser und
Fresser von Walfischfressem.
20 (§ 3*) nandimukhiyä rattiyä, wörtl.: »während die Nacht
freudigen Gesichtes ist.«
(§ 5*) Vielleicht hat hier das Caus. ägamessati zu stehen.
21 = 22, doch ohne die dort aufgezählte 6. u. 8. Eigenschaft,
statt dessen ist die zweite Hälfte der 5. Eigenschaft als 6. auf-
gezählt, und die 8. Eigenschaft lautet: „Von den fünf niederen
Fesseln, die der Erhabene erklärt hat, bemerke ich auch nicht
eine, die in mir noch nicht überkommen wäre."
26 = 25, doch der Ort ist der Mangohain des Jivako bei Räja-
gaha und der Fragende: Jivako Komarabhacco.
29 (§ li) „Khane kiccäni karoti ti khanakicco" (Komm.).
34 (7. Verszeile) Lies: sampann' atthu 'dha puggalo.
35 (§ 2") „Hine vimuttan 'ti (nicht: hinädhimuttam !) hinesu
pancasu kämagunesu vimuttam" (Komm.).
39 (§ 1^) sovaggika ist offenbar Sanskr. svargika, nach dem
Komm, jedoch = su + agga + ika: „Sutthu aggänam rüpädinam
däyakä ti sovaggika" (Komm, zu IV, 51).
(§ 5*) sankiyanti ist Pass v. Vkri.
41 — 46 41, 42, 43 imd 45 sind in 44 vollständig enthalten. 41
schließt nach Aufzählung der acht arigas, die übrigen 3 Sutten
— 523 —
SAMMLUNG DER ANGLIEDERURGEN
Sutten-
Nummer:
schließen mit den Versen ab. Der Ort in 41 ist der Jetahain,
die Angeredeten sind die Mönche. Der Ort in 43 ist der Palast
der Mutter Migäros, die Angeredete: Visäkhä. Der Ort in 45
ist der Jetahain, die Angeredete: die Anhängerin Bojjhä. 42
ist an die Mönche gerichtet; Ortsangabe fehlt.
47, 48 Vollständig enthalten in 46 (§ 4 und 5), doch die Orte
sind : der Palast der Mutter Migäro's (47) u. der Hirschpark im
Bhesakaläwalde (48), die Angeredeten: Visäkhä (47) und
Näkulamätä (48).
49 = 50, doch der Ort ist der Pafast der Mutter Migäros und
Visähkä die Angeredete.
50 Die Erklärungen in §§ 3, 4 u. 6 genau wie in 46, § 5. Die
Erklärungen der in § 8 genannten Eigenschaften wie früher.
54 (p. 2833) „Udumbarakhädikan 'ti yathä udumbaräni khäditu-
kämena pakkhe udumbararukkhe cälite ekappahären' eva ba-
hüni phaläni patanti, so khäditabbayuttakäni khäditvä itaräni
bahutaräni pahäya gacchati: evam . . . usw. " (Komm.)
(p. 283') ajaddhumärikam erklärt der Kommentar als anä-
thamaranam. Von den verschiedenen Varianten ist vielleicht
ajetthamäranarh die passendste.
55 = 54, doch an den Brahmanen Ujjayo gerichtet. Nach der
üblichen Begrüßung spricht Ujjayo: „Ich möchte, o Elirwür-
diger, in die Fremde ziehen. Möge mir daher der Erhabene
so das Gesetz darlegen, daß usw."
56 (6. Verszeile) Statt palipatharh lies palipam, das erklärt
wird als vattapaliparh.
■66 Die kommentarielle Erklärung von vimokkha ist insofern
interessant, als hier vimuccati durch adhimuccati erklärt wird:
,,Ken' atthena vimokkho? Adhimuccanatthena. Ko pan'
äyam adhimuccanattho näma? Paccanikadharamehi ca sutthu
muccanattho ärammane ca abhirativasena sutthu mucca-
nattho."
70 (p. 31120) deva-manussehi ist wohl Abi., abhängig von yäva,
und nicht etwa Instrumental, abhängig von suppakäsitam.
71 u. 72 = X, 8 u. 9, doch fehlt beiden der 7. u. 8. Pxmkt.
75 u. 76 Vollständig in 54 enthalten. Die Angeredeten sind
die Mönche.
— 524 —
ELFERBUCH
Sutten-
Nummer :
77 u. 78 = 61 u. 62, doch der Sprecher ist Säriputto.
82 (2 letzten Zeilen) Lies : Imehi kho Punniya atthahi dhammehi
samannägatä ekantapatibhänä tathägataih dhammadesanä hoti
ti. samannägato (P. T. S.) ist auf alle Fälle falsch. Cf. IX,
4 (Anh.).
83 = X, 58, doch ohne den 9. und 10, Punkt.
84 (§ 23) „Accäsanne kammaih karotl ti laddharh tarn dakkhi-
neyye nidahituih cheko nahoti; paralokamaggaiii na sodheti,"
lautet die gar weit hergeholte Erklärimg des Kommentars.
Offenbar bezieht sich a_!_ auf die Behausimg des Räubers.
IX
2 (§ 2^) bhikkhu muß offenbar zweimal stehen, eirmial als
Anrede (Voc.) und einmal als Subjekt (Nom.).
(§ 3543—*) Die Stelle muß lauten: bhikkhunä . . . cattäro
(dhamme) upanissäya vihätabbam.
4 (§ 2» u. 3") patibhäsi und patibhäseyya sind hier selbst-
redend keine Formen von ]/bhäs = bhäsh, sprechen (denn in
diesem Falle müßte der Acc. dhammapariyäyam stehen), aber
auch genau genommen, nicht von |bhä, wie Childers in seinem
Wörterbuch angibt, sondern eben von l/bhäs = Sanskr.
Vbhäs scheinen. Doch patibhäsati imd patibhäti haben ge-
nau dieselbe Bedeutxmg, nämlich: scheinen, aufleuchten, ein-
fallen, im Geiste auftauchen.
6 (§ 3*) samudänetabbä ist hier natürlich nicht Genmdivum
von saih + ud 4- fan, sondern von + sam + ud -f- ä + Ym.
Es wird erklärt als samudähäritabbä.
7 (§ 22) giribbaja = giri + vaja (vraja). vaja bedeutet:
Gehege, Hürde, (für Vieh), Pferde, Stall.
12 (lOi*— 1*) „Appatibhänam bhagavato n' atthi. Na täv'
äham imam dhammapariyäyam kathesin 'ti ayam pan' ettha
attho." (Komm.).
16 = X, 46, doch ohne die 10. Betrachtung.
17 (§ 2*) rasiyati ist Denominativ v. rasa.
18 (§ 1—9) = VIII, 41; § 10: Idha bhikkhave ariyasävako
mettäsahagatena cetasä ekam disaifa pharitvä vüiarati usw.
— 625 —
SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
S utten-
Nummer:
20 (§ 1') kanajakarii = (kana + ja + ka) dürfte wohl die rich-
tige Lesart sein. Die sinhalesische Ausgabe des Kommentars
hat allerdings kanäjakarh; und die Erklänmg lautet: „sakun-
daka-bhattaih, sakundakehi pi kanika-tanduleh' eva pakkarh."
(§ 2') apaviddham (l/vyadh), wörtl.: das Weggeworfene,
wird erklärt als als na nirantaram, was offenbar falsch ist.
(§ 2^) „Anägamanaditthiko deti ti na kammafi ca phalan
ca saddahitvä deti." (Komm.)
(§ 41") Entweder duküla-sandänäni oder _!_sandhänäni
dürfte die richtige Lesart sein: »auf welchem Seidendecken
befestigt sind.«
21 (§ 21) amamä erklärt der Kommentar als nittanhä und
fügt die interessante Bemerkung hinzu, daß jedoch in der
Atthakatliä (also in der sinhalesischen Version der Mahä-Attha-
kathä; vgl. Vorrede) dieses Wort als niddukkliä erklärt sei.
(§ 21) visesabhuno ist Nom. Plur. v. visesabhü.
25 Vollständig in 26, § 3 u. § 4 enthalten.
27 = X, 92, doch ohne den Zusatz : ariyo c'assa fiäyo . . .bis ... .
suppatividdho.
28 = 27, doch an die Mönche gerichtet.
29 u. 30 = X, 79 u. 80, doch ohne den 10. Pimkt.
33 (§ 2*) Statt tinnä hat der Kommentar nittanhä, mit der
Erklänmg: ,,frei von kämatanhä."
(§ 51) upekkhäsukham ist hier kein Dvanda, sondern ein
Tappm'isa Samäsa.
36 Die zwei letzten Zeilen von § 1 sind auszulassen; auch die
folgenden Fragen und Antworten gehen nur bis zum dritten
rüpäyatana, da eben das vierte rüpäyatana nicht mehr als
Objekt der Vipassanä Übung dienen kann: ,,Atha nevasanüä-
näsafiiiäyatanam kasmä na gahitan 'ti? Sukhumattä.
Tasmim hi cattäro arüpakkhandhä sukkhumä, na sammasanü-
pagä. Ten' aha »Iti kho bhikkhave yävatä saünäsaniäpatti,
tävatä anfiäpativedho« 'ti (letzter Absatz). Idam vuttaih hoti:
yavatä sacittakasamäpatti näma atthi, tävatä olarike dhamme
sammasato anfiäpativedho hoti, arahattarii sampajjati; neva-
sannänäsaiinäyatanam pana sukhumattä sannäsamäpatti ti na
vuccati." (Komm.)
- 526 -
ELFERBUCH
Sutten-
Nummer :
(§ 2*) paloko erklärt der Kommentar mit palujjanatthena,
als ob das Wort von pa + Vruj abzuleiten sei, was wegen des
k kaum möglich ist.
p. 42612) Lies: jhäyih' etc.
37 (§ 72). Der Kommentar hat Jätilagähiyä, mit der Erklärung
Jätilagahanagara-väsini.
38 (Schluß) visattikä ist offenbar entstanden aus vishakta
(P. P. P. vi + Vsaüj), anhaftend, vmd nicht etwa aus vishakta
= visha + akta (Vaüj), gift-beschmiert, wie der Kommentar
erklärt.
40 (Schluß) attamano kandum sariihanti.
42 (2. Verszeile) Text wie Kommentar haben patilinanisabho ,
obzwar die Stelle zweifellos patilin' usabho oder patilinisabho
lauten muß, was auch gleichzeitig die richtige Silbenzahl
ergibt.
43 (§1) käya bedeutet natürlich hier, ebenso wie in känapassad-
dhi, käyena phassifcvä usw., keineswegs den stofflichen Körper,
rüpakäya, sondern den geistigen Körper (näma-käya), speziell
die drei Khandhas: vedanä, saniiä und sankkära, wie der
Abhidhamma lehrt.
71, 72 Den Text der 5 cetokhilas imd 5 vinibandhas habe ich
vollständig wiedergegeben in X, 14.
X
2 (2. letzte Zeile) ,,Apärä päraih gamanäyä ti orimatirabhütä
tebhümakavattä nibhänapäraih gamanatthäya." (Komm.)
4 u. 5 =3, doch von Säriputto betw. Änando vorgetragen.
6 =8, doch steht in 9 als 9. Eigenschaft die Erreichimg der
formlosen Freiungen, in 10 aber als 8. Eigenschaft die Er-
innerung an frühere Daseinsformen imd als 10. Eigenschaft
das Himmlische Auge.
17 = 18, doch ohne die in jeddm der 10 Punkte sich wieder-
holenden Worte therä pi . . . bis . . . parihäni.
18 Die hier lau-z angedeuteten 10 Eigenschaften habe ich voll-
ständig wiedergegeben in X, 50.
— 527 —
SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Sutten-
Nummer:
19 = 20, § 2—3.
20 (§ 22) Der catiiräpasseno (Bahubbihi S.) wird in IX, 2
als nissaya-samparmo bezeichnet (bhikkhunä cattäro
dhamma upanissäya vüiätabbam). apassenam ist offenbar, wie
Childers vermutet, apa + ä + srayana, „that which should be
observed or had recourse to", m. a. W. „Stütze" = apa-äsra-
yana, das, ebenso wie nissaya tind upanissäya (Ger.), auf Ysri
zurückgeht.
(§ 33) samavayasatthesano wird folgendermaßen erklärt:
avaya = anünä; sattha = vissatthä; ,,Sammä avayä satthä
esanä assä ti = sam-avaya-satth' esano, vissattha-sabba-esano".
21 (§ 41) „Sabbatthagäminirh ( — „sabbagatigäminim") pati-
padaih yathäbhütam pajänäti ti bahusu pi manussesu ekam
eva pänam ghätentesu »imassa cetanä nirayagämini bhavissati,
imassa trracchänayonigämini bhavissati» ti iminä nayena eka-
vatthusmim pi kusaläkusalacetanäsankhätänam patipattinaih
aviparitato sabhävam jänäti." (Komm.) Zimi Belege zitiert
der Kommentar eine Abhidhammastelle : „Tattha katamam
tathägatassa sabbatthagämim patipadä yathäbhütam nänaih?
Idha tathägato: »ayam maggo, ayam patipadä nirapayämini«
ti pajänäti usw." sabbattha ist hiemach sarvatra und lücht
sarva-artha, das Heil Aller, wie ich anfangs armahm.
(§ 72) „Indriyaparopariyattan 'ti saddhädinam indriyänaih
parabhävan ca aparabhävan ca, vuddhin ca hanin. cä ti attho."
(Komm.). Im Abhidhamma heißt es: »Tattha katamam ta-
thägatassa parasattänam parapuggalänam indriyaporiyattam
yathäbhütam nänaih ? Idha tathägato sattänam äsayam jänäti
usw."
22 (§ 2-) Lies: adhivuttipadänam ; erklärt als adhivacanapa-
dänarh, adhivutti = adhi + ukti (von fvac). Die Ausgabe
der P. T. S. hat adhimuttio und in einer Fußnote adhimutti-
padhänam, was beides falsch ist.
(§ 2^) Lies: nätayyaih datthayyam sacchikätayyäm = nä-
tabbarii usw., durch ungewöhnliche Assimilation von vy zu
yy (statt bb) entstanden. Die Formen näteyyarh, nätassayarh ( !)
usw. (P. T. S.) sind unmöglich.
p. 87« bis Schluß = 21, § li» bis Schluß.
— 528 —
ELFERBUCH
Sutteu-
Nuranier:
23 (§ 53) Lies oi^aväsassa, vom Komm, erklärt als „nissäya
iipasankamitvä vasantassa". Alle die auf die totale Unwissen-
heit eines der Palisprache völlig imkundigen Kopisten zurück-
zufülarenden Fehler, wie z.B. hier wieder: upäsakassa, yopa-
väsassa, oväpavässa (!), sollten doch walirlich nicht in dem
Werke eines Gelehrten angefülxrt werden.
(§ 5 u. 7.) Es ist auffällig, daß von den zehn aufgezählten
Eigenschaften bloß päpikä issä tmd päpikä icchä erklärt werden .
Sollte dies etwa eine spätere Interpolation sein?
26 (4. u. 5. Verszeile) P. T. S. wie Komm, haben sakkhi, doch
muß es heißen sakhi ( = sakhä) Freimd, wie auch aus der
Erklärung des Kom- mentars hervorgeht: ,,mayharh kena ci
saddhiih mittadhammo n' atthi".
(§ 3*) Lies mit dem Komm.: ädim (nicht assädaih!) addasa;
erklärt als ,,samudayasaccam addasa".
27 (§ 52) eko ävuso panho . . . bis . . . dasa veyyäkaranäni
ti hat man wohl hier als Frage aufzufassen, wie auch aus dem
folgenden evarii putthä zu schließen ist. Man vermißt jedoch
das Interrogativ Pronomen.
(§ 6*) sammäpariyantadassävi wird erklärt als: ,,udayab-
bayehi parichinditva pubbanta-dassanena sammä pariyanta-
dassävi."
(§ 6^) „sammatthäbhisameccä ti sama-sabhägattam iiänena
abhisamägantvä." (Komm.)
29 (§ 621) Lies.; ubhatohägavimattham (nicht vimattam, wie
der Komm, hat!), beiderseits geglättet. Childers ssagt: ,,with
a nap on both sides". vimattha ist P. P. P. von vi + ymaj
= mrij, abwischen, glattstreichen, polieren. Der Komm, sagt:
,,dvisu pi passesu sabbam mudu siniddham khäyati."
(p. 61 2) Kannikära (= Skr. Karnikära), sterospermum ace-
rifolium oder vielleicht cassia fistula (Böhtl.)
(p. 623) bandhujivaka-puppha, wörtl. »Freimdesleben«,
pentapetes phoenicea, ist eine schöne rote Blume, die mittags
sich öffnet und anderen Morgens mit Sonnenaufgang abfällt
(Böhtl.). Im Sinhalesischen heißt sie sapattu mal, d. i. Schuh-
blume.
— 529 — 34
SAMMLUNG DER ANGLIEDERNUNGEN
Sutten-
Nummer:
(§ 12) Hier fehlen offenbar die einleitenden Worte (Santi
bhikkhave usw.) wie in §§ 13 u. 14.
(§ 12«) An dieser Stelle (no c'assa usw.) bin ich in meiner
Übersetzung der Erklärung des Kommentars gefolgt: „Sace
aham atite na siyarh, etarahi pi ayam attabhävo na siyä"
imd „Sace anägate na bhavissämi, na ca me kinci palibodha-
jätam bhavissati."
30 (p. 66») Zu mettupahärarh upadamsesi vgl. thämam upadarii-
setä (VIII, 13, 2).
36 (Vorletzte Zeile) Lies: ävenikammäni karonti; erklärt als:
,,visum (getrennt) kammäni karonti". ävenika (von a + veni)
erklärt Childers als: free from contact, detached und Böhtl.
als: mit einem anderen in Berührung stehend, ganz in sich
abgeschlossen, imabhängig. Das Wort ist wahrscheinlich auf
yven, gehen, zurückzuführen.
37 =35, doch für Upäli lies Änando.
38 (§ 2) kappatthiyarh erklärt der Kommentar mit äyukappam,
wo er mit ayu natürlich nicht die Lebensdauer des Menschen
meint.
40 =36, doch für Upäli ließ Änando.
40 (1 . Verszeile) In asamaggänan ist das alpha privativum metri
causa ausgefallen.
44 (§ 3*) appatimarhsena, unberührt, unangetastet, patimamsa
geht zurück aus j/mas = "/mris.
45 (§ 11 2) Lies: "sammaddam, von Vmrid.
51 (§ 3*) Lies: bhikkliu paccavekkhamäno bahukäro hoti
(M. Ph.). bhikkhuno paccavekkhanä bahukärä hoti ist falsch;
mindestens m.üßte es dami honti heißen, wie in T.
52 =51, doch von Säriputto vorgetragen.
53 Von § 5 ab = 51.
54 Von § 7 ab = IX, 6, § 3 bis Schluß, bloß, daß es hier vadämi
statt veditabbo heißt und der sich dort an erster Stelle befind-
liche Gegenstand hier an letzter Stelle behandelt wii'd.
59 (§1) Tasmät iha läßt darauf schließen, daß hier eine Ein-
leitung fehlt.
— 530 —
ELFERBUCH
Sutten-
Nximmer:
(§ 2*) „Sambhavaii ca vibhavafi cä ti tassa vaddhiii ca
vinäsaii ca tathä sampattin ca (vipattin ca)." (Komm.)
60 (p. 110«) Bakkhasä ti nakkehi vilek hitatthäne rogo. (Komm.)
67 (§ 1*) paläsa (butea frondosa), in Sinhalesisch gaskäla, ein
Baum mit roten Blüten.
68 §§ 1, 2 u. 5, sowie die Gleichnisse, genau wie in 67.
69 (§ 11") suräkatham (Gespräch über Wein) ist die richtige
Lesart, nicht sürakatham (Gespräch über Helden). Der Kom-
mentar erklärt beide uns überlieferten Lesarten.
(§ 112) Itibhaväbhavakathain : „bhavo 'ti vuddhi; abhavo
'ti häni. »Iti bhavo, iti bhavo« 'ti yarh vä tarn vä niratthakathä
itibhaväbhavakathä näma." (Komm.)
73 (§ 2*) „dhammä ti nava lokuttarä dhammä." (Komm.)
Die nevm lokuttara-dhammas sind: die vier maggas, die vier
phalas Lmd Nirwahn.
75 Diese Sutte ist identisch mit der wohl ursprüngUcheren Sutte
VI, 44, doch weiter ausgebaut. Logischerweise können wohl
kaum alle beide dem Erhabenen zugeschrieben werden.
(§ 4*) bähusaccam erklärt der Kommentar als viriyaih, als
ob hier sacca aus sakti + ya entstanden sei. Vgl. Anh. 86.
(§ 21) tintino ist möglicherweise abgeleitet von ytim be-
feuchten, feucht sein. „Tintinarh vuccati tanhä; täya samannä-
gato. Äsankhäbähulo vä." (Komm.)
(§ 2*) oravitä (= ava-ravitar), Schreier.
(§ 23) Der Kommentar hat: „Nevadiko ti nivädakaro" und
in einer Fußnote: „nevasiko 'ti nivassakaro". Die verkehrte
Lesart necayiko ist ofienbar daraiif zurückzuführen, daß die
Buchstaben o und y, sowohl in der birmanischen als auch in
der sinhalesischen Schrift, oft kaum von v und s zu unter-
scheiden sind, sodaß der Kopist necayiko für nevasiko ge-
lesen haben mag. Möglicherweise soll es vivädakaro, zanksüchtig,
heißen.
80 (§ 21) Im Kommentar ist eine zweite Lesart angeführt:
kuto labhä, deren Erklärimg durch Buddhaghosa wohl am
besten den Sinn dieser Stelle wiedergibt: „Ettha kopaih kare-
yyam, tasmim me kopakarane kuto läbhä, läbhä ke siyvm? 'ti
attho." tarn wird als Adverb erklärt.
- 531 - 34*
SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Sutten-
Kummer :
84 (p. 156«) „Irinan 'ti tucchabhävarii" sagt der Kommentar,
was ungefähr dem Sinne des Wortes als »unfruchtbarer Boden«
entspricht. Sollte es aber an dieser Stelle nicht etwa heißen
iranarh, von j/ir, sich bewegen, mit der Bedeutung »Erregung«?
(p. 156) vipinam (nicht vijinarh!) erklärt der Kommentar
• als : , ,gunavivittakam niggunabhävarh , ' ' fügt aber die Bemerkung
hinzu: ,,atha vä irinasankhätam arafifiam (sie!), vipinasan-
khätam gahanan (Gestrüpp) ca äparmo viya hoti".
86 (p. 162^) ,,Adhimänasacco 'ti adhigatamänam eva saccato
vadati". Vielleicht ist hier sacca auf sati zurückzuführen.
Bei sacca darf man nie vergessen, daß dieses Wort in Wirk-
lichkeit vier ganz verschiedene Worte darstellen mag, nämlich:
1. satya (sat + ya), Wahr-heit; 2. suti = sruti, von fsru, hören
hören) + ya, Wissen; 3. sati (smriti, von ysmri, sich erinnern)
+ ya, Achtsamkeit, Gedächtnis; 4. satti (sakki, von fsak, fähig
sein) + ya, Kraft.
87 (§ li) Vielleicht soll der Mönch Kokäliko gemeint sein.
Vgl. auch 89.
88 = XI, 6, doch ohne den 7. Punkt.
89 (§ 1*) Lies: kificäp 'ime. Ime ist Objekt, bezogen auf Säri-
putto und Moggalläno.
(§ 2*) Die sog. Mungbohnen (phaseolus mungo), im Sinli.
mimg und mung äta haben, besonders wenn sie zubereitet
sind, ganz und gar das Aussehen von kleinen Linsen.
(§ 2*) kola, hier wohl die Frucht des Brustbeerbaumes,
bezeichnet außerdem noch eine Art Pfeffer, piper chavya, in Sin-
halesisch siviya.
(12. Verszeile) Die hier angegebene Lebensdauer in der
Padumaniraya deckt sich weder mit der nach Buddhaghosa'scher
Rechni.mg erhaltenen noch mit der im Abhidhänapp. ange-
gebenen Zahl. Letzteres Werk gibt auf alle Fälle eine ver-
kehrte Reihenfolge der von Abbuda an aufsteigenden Zahlen,
die es jedesmal um die nächst höhere Potenz anwachsen läßt,
was ebenfalls weder mit unserem Texte (p. 173i*'~2i) noch
mit den Angaben Buddhaghosa's übereinstimmt. Selbst Abbuda
wird anders angegeben.
— 532 —
ELFERBUCH
Sutten-
Jfummer :
Abhidhänapp. hat: 1. Abbuda = 10 000000» (Komm. = — «).
2. Nirabbuda = do.» 3. Ahaha = do.!** 4. Ababa = do."
5. Atata = do.i^. 6. Sogandhika = do.is. 7. Uppalaka = do.i*.
8. Kumuda = do.i^. 9. Pundarika = do.i«. 10. Paduma=:
do.i' (120 stellig).
Nach Buddhaghosa ergeben sich folgende Zahlen:
Koti 10 000000
Pakoti do2
Kotipakoti do^
Nahuta do*
Nümahuta do^
1. Abbuda do*
2. Nirabbuda
3. Ababa
4. Ahaha
6. Atata
6. Kumuda
7. Sogandhika
8. Uppalaka
9. Pundarika
10. Paduma
Paduma beträgt also
nach Kommentar : 512 000 Octillionen (54 stellig),
nach Abhidän: 10 000 OOOi' (120 stellig),
nach d. Versen : 2 Octillion 725 Septillion (49 stellig), nämlich
100 000 Nirabbudas + 36 Nirabbudas + 5 Abbudas.
94 (p. 1911) „pattakkhandhä ti patitakhandhä" (Komm,).
95 (§ 33) ,,Sabbasämukkamsikam vata mayä sabbapucchänam
uttamapuccharh pucchito usw." (Komm.) In diesem Zu-
sammenhange hat sämukkamsika ohne Zweifel die Bedeutung
»erhaben« (abgeleitet von sam + vid + "j/krish), was auch der
Kommentar zugibt. In der Verbindung buddhänarii sämukkam-
sika dhammadesanä (VIII, 12) indessen hat der Kommentar:
,, Sämukkamsika ti attanä-y-eva uddharitvä gahitä, sayambhu-
nänena ditthä, asädhäranä anfiesan 'ti attho", als ob hier
s® aus säma + ukkarhsika entstanden sei; doch der Zusatz:
( Sstellig
) =
10 Millionen
(15 „
) =
100 Billionen
(22 „
) =
1000 Trillionen
(29 „
) =
10 000
Quadrillionen
(36 „ ^
=
100 000
Quintillionen
(43 „
) =
1
Septillion
(44 „
) =
20
,, .
(45 „ :
=
. 400
,,
(46 „ ;
=
8 000
,,
(48 „ ^
=
160 000
,,
(49 „
) =
3
Octillion 200 000
(50 „
) =
64
„ [Septillion
(52 „
) =
1280
„
(53 „
) =
25 000
>>
(54 „
) =
512 000
„
— 533
SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Sutten-
Nummer:
asädhäranä aiifiesam mag auch in ersterem Sinne ausgelegt
werden. Vgl. Childers.
96 (§ 1*) „Pubbäpayamano 'ti pubbasadisäni nirudakäni kuru-
mäno." (K^omm.) Nach dieser Erklärung scheint Buddhaghosa
pubbäpayati als Denominitivum von pubba aufzufassen, d. i.
»in den früheren Zustand versetzen«. Ph. liest indessen sukkhä-
payamano, (Denom. v. sukkha, trocken) was der Erklärung
des Kommentars ebenfalls nicht widerspricht und wahrschein-
lich auch die richtige Lesart sein dürfte.
(§ li*) Lies: kvattha = ko attha (asta), wer seid Ihr? Der
Kommentar hat: „kottha = ko ettha".
99 (§ 4') vankaka erklärt der Kommentar als einen kleinen
Kinderpflug zum Spielen, pattälhaka (patta + alhaka) ist
nach dem Kommentar ein Blatt, mit dem die Kinder beim
Spielen den Sand abmessen.
108 = 109, doch statt Brechmittel lies: Abfülirmittel.
110 = 106, doch statt Versiegimg und versiegt lies: Erlöschung,
bezw. erloschen.
112 Ist eine bloße Aufzählvmg der in 111 genannten 10 asekhiya
dhammas.
114 - 115, § 6—7.
115 (p. 2252) Sugato wie athäparam (T. M.) gehören nicht hier-
her, sondern bilden einen Teil der stereotypen Redewendung:
Idam avoca bhagavä. Idam vatvä sugato athäparam avoca
satthä, worauf dami regelmäßig die Verse folgen.
118 = 117, doch an die Mönche gerichtet.
119 (p. 23413) Wahrscheinlich: omajjitvä, von ava + ynirij,
bestreichen. P. T. S. hat opuiijitvä und in einer Fußnote:
omayitvä.
120 Vollständig in 119 enthalten.
167 §§ 1 u. 3 = 119, §§ 1 u. 3.
§ 2 = 168, § 2.
169 = 170, § 2, u. zw. als Antwort auf die Frage des Brahmanen
Sangäravo.
170 Verse wie in 117.
171 — 173 = 113 — 115, doch anstelle der dort genaimten 10 Eigen-
— 543 —
ELFERBUCH
Sutten-
Nummer :
Schäften treten hier die 10 Wirkensfährten (wie in 170), und
für Änando hes: Mahäkaccäno.
176 (§ 1') pacchäbhümakä.
(§ 1') kamandalu ist der von einer gewissen Klasse von
Asketen gebrauchte Wassertopf. Vgl. venumän sakamandaluh.
aj. I, 133, (cit. Vaidya).
(p. 265) Lies: kantaka.
201 u. 207 = 200 bezw. 206. Da sich in vorliegender Ausgabe
beide Sutten in keiner Silbe von 200 bezw. 206 unterscheiden,
so ist anzunehmen, daß mindestens einige einleitende Worte
fehlen.
208 (§ 23) „N' äyam käyo 'ti idam käyam gahetvä paralokarii
gantum na sakkä 'ti attho." (Komm.)
(§ 23) „Cittantaro 'ti cittakärano. Atha vä: citten' eva
antariko; ekass' eva hi cuticittassa anantarä dutiye patisan-
dhicitte devo nämä hoti, nerayiko näma hoti, tiracchänagato
nämo hoti; purimanaye pi cittena käranabhütena devo nerayiko
vä hoti ti attho." (Komm.)
(4., vorletzte Zeile) Lies: idha paiinassa bhikkhimo. „Imas-
mim säsane panfiä »idha pafinä« näma" erklärt der Kom,-
mentar.
XI
1_5 = X, 1 — 5, doch werden nibbidä und viräga hier als 2 Pimkte
gerechnet.
7 = 8, § 1 — 4, doch von Säriputto vorgetragen.
10 (§ 3') »Doniyä baddho 'ti yavasadoniyä samipe baddho."
(Komm.)
(2. Verszeile) Lies: yassa te n' äbhijänäma.
12 = 13, doch der zweite Satz: tena . . . bis . . . aciravutthito
gelaüfiä fehlt, und die sechs Betrachtungen schließen, wie III,
jedesmal mit den Worten : Ayam vuccati Mahänämo ariyasä-
vako visamagatäya pajäya . . . usw.
18 (§ 2*) sätetä geht zurück auf yäät, bezw. das Gaus, "j/sät,
sichtbar machen, zeichen. Der Sinn ist hier, wie auch der
— 535 —
SAMMLUNG DER ANGLIEDERUNGEN
Sutten-
Nummer:
Kommentar erklärt, augenscheinlich: entfernen, was aller-
dings deutlicher zum Ausdruck kommt durch die Lesart (M. Ph.)
häretä.
(§ 18 — 30) Umkehrung zum Vorhergehenden.
19 — 22 = 7, doch in 19 sind es zahlreiche Mönche, welche die
Frage stellen, und in 20 richtet der Erhabene erst die Frage
an die Mönche, um sie dann, nach der stereotypen Antwort
der Mönche: bhagavämülakä no bhante dhammä .... usw.,
selber zu beantworten. In 21 dagegen begeben sich die Mönche
zu Säriputto, um ihm diese Frage zu stellen.
p-J^. a';.--7- c^a
PK Anguttaranikaya
4-591 Diö Reden des Buddha
A615 2. Aufl.
v.8-11
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